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German Pages 385 Year 1996
MATTHIAS KIPPING
Zwischen Kartellen und Konkurrenz
Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte In Verbindung mit Rainer Fremdling, Carl-Ludwig Holtfrerich, Hartmut Kaelble und Herbert Matis herausgegeben von Wolfram Fischer
Band 46
Zwischen Kartellen und Konkurrenz Der Sehnman-Plan und die Ursprünge der europäischen Einigung 1944- 1952
Von
Mattbias Kipping
Duncker & Humblot · Berlin
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme
Kipping Matthias:
Zwischen Kartellen und Konkurrenz : der Schuman-Plan und die Ursprünge der europäischen Einigung 1944 - 1952 I von Mattbias Kipping. - Berlin : Duncker und Humblot, 1996 (Schriften zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte ; Bd. 46) Zug!.: München, Univ., Diss., 1993 ISBN 3-428-08329-6 NE:GT
Alle Rechte vorbehalten © 1996 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fotoprint: Wemer Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0588 ISBN 3-428-08329-6 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 8
Vorwort
Das vorliegende Buch ist eine überarbeitete und erweiterte Fassung meiner Dissertation, die 1993 unter dem Titel "Der Schuman-Pian und die Ursprünge der europäischen Einigung 1944-1952" von den Philosophischen Fakultäten der Universität München als Promotionsleistung angenommen wurde. Ich möchte allen danken, die mir bei der Abfassung der Arbeit geholfen haben, angefangen bei den zahlreichen Archivaren und Bibliothekaren, die ich über mehrere Jahre in verschiedenen Ländern heimsuchte. Professor Hans Günter Hockerts war bereit, die Dissertation auch über die Entfernung zwischen München und Paris zu betreuen. Professor Volker Berghahn inspirierte und bereicherte mit seinen Arbeiten über die deutsche Unternehmerschaft meine eigenen Forschungen. Den Professoren Wolfram Fischer und Carl-Ludwig Holtfrerich sei fUr die Aufnahme in ihre Reihe gedankt. Zu besonderem Dank verpflichtet bin ich Professor Patrick Fridenson von der Ecole des Hautes Etudes en Seiences Sociales in Paris. Er war in den verschiedenen Phasen der Abfassung immer wieder ein kritischer Leser und hat mit seinen Hinweisen und Vorschlägen entscheidend zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Nicht vergessen möchte ich auch meinen Vater, der sich der undankbaren Aufgabe des Korrekturlesens angenommen hat, den chinesischen lmbiß "Voltaire Star" in der Rue Popincourt in Paris sowie meine Lebensgeflihrtin Mona, deren Geduld ich durch meinen Arbeitseifer auf manch harte Probe gestellt habe. Reading, im August 1995
Mattbias Kipping
Inhaltsverzeichnis
Einleitung I. Die erste der Europäischen Gemeinschaften
20Forschungsstand zum Schuman-Pian 30
Fragestellung und Vorgehensweise
0 00 . . 00 0 0 0 0 00 . . 0 0 Oo 0 00 0 000000 00 00 Oo 00000 00 00 . . 00 0 0 00 0 00000 0 0 0 0 00 0 0 . . 000
15
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Zwischen Kartellen und Konkurrenz
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Entscheidungsprozeß und beteiligte Gruppen Benutzte Quellen und Vorarbeiten 4
0
15
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Aufbau und weiterreichende Aspekte der Arbeit ....
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22 22 25 27 31
Teil! Der wirtschaßllche Wiederaufbau Frankreichs im europliseben Kontext 10
Die Ausgangslage ..........
20Der Monnet-Pian von
O. . . . oo . . . . . . ooo oo oo . . . . o . . . .. . . . . . . . . . . . . . o . . . . . . . . . . . . o . . . . . . . . . . . . . . o . . . . . . . . . . o . . oooooooo oo . . . . o . .
1946:
Unvollendete Modemisierung
Stahl: Unzureichende Konzentration Streit um die Breitbandstraße Der Marshallplan von
1947:
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43
Zunahme des Wettbewerbs
1948:
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Öffnung der Märkte und Ausweitung des Handels ........ Der Mayer-Plan von
38
40
Die Schlüsselrolle Deutschlands in Europa ..
40
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Kohleversorgung: Einheit von Industrie- und Außenpolitik 3o
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36
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Liberalisierung mit Hindernissen ................
Vorbereitung auf die internationale Konkurrenz
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Ablösung des staatlichen durch einen Verbandsdirigismus
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47
52 54
59
63
63
65
s
Inhaltsverzeichnis Teil I/ Der Weg zum Sc:human-Pian: Krise und Lösungsversuche
68
I. Wettbewerbsfllhigkeit: Erste Divergenzen ...........................................................................
68
Produktivitätssteigerung und Kartellverbot ... .. .. .. ..... ... .. ..... ...................... .. ...... .. ......... .....
68
Absprachen zwischen Industriellen ..................................................................................
75
Scheitern der französisch-italienischen Zollunion ............................................................
80
2. Das Krisenjahr 1949: Stahl als Kern des Problems ..............................................................
86
Zunehmender Konkurrenzdruck auf die Stahlverbraucher ....... ..... .. .. .. .. .... ... .. ... ............ .. .
86
Erneuter Streit um die Breitbandstraße ........ .... .. .. .. .. .. .. .................................. ...... .............
91
Nachteile durch die hohen französischen Stahlpreise .................... ...... .. ..... ........ ......... .....
94
Kritik an den Praktiken der Stahlindustrie .. .. ....................... ............................. ................
98
Forderung nach einer Öffnung der Stahlmärkte ................................................................ 101 Die Schwierigkeiten der französischen Stahlindustrie .. ...................................... .... ....... ... I 05 Weitere Probleme durch Exportanstrengungen ................................................................ 109 Krise der französischen Ruhrpolitik .. .. ............................ ...... .................. ..... .. ...... .. .......... 113 3. Lösungsvorschläge: Zahlreiche Alternativen ...................................................................... 118 Die OEEC: Koordination der Investitionen ...................................................................... 119 Der Petsche-Plan: Eine regionale Wirtschaftsunion ......................................................... 123 Abschaffung der Preisdiskriminierungen .........................................................................
130
Wiederauflage des Internationalen Stahlkartells .. .. .. .. .. .................................. .... ..............
13 5
Die Schwerindustrie als Basis der europäischen Einigung .......... ......................... ............ 142 Andre Philip: Stahlbehörde und Kartellkontrolle ............................................................. 149 Jean Monnet: Ein Ausweg aus der Sackgasse .................................................................. 156
Teil I/1 Die Verhandlungen: Interessengegensätze und Koalitionsbildung
165
I. Unmittelbare Reaktionen: Geteilte Meinungen .............. ...... .. .... ...... ...... .... ........ ...... .... .. ..... 165
Die politische Bedeutung des französischen Vorschlags .................................................
165
Stahlkartell unter staatlicher Kontrolle ............................................................................. 167 Koordination durch Investitionslenkung ................. .... ... .......... ................... ..... ............ .... 170 Eindeutige Stellungnahme Monnets gegen Kartelle ........................................................
174
Warnungen vor einem möglichen Dirigismus .................................................................. 178 Ungeteilte Zustimmung der Metallverarbeiter ...... .. .... .......................................... ...........
182
Offenere Kritik an der Stahlindustrie .................................. .................... ............. ............
187
2. Aufbau eines verstärkten Konfliktpotentials ............................ ........................................... 190 Stahlboom und Kohlemangel .. ........................... ............. .................................. ...... .... ..... 190 Zunehmende Beschwerden der verarbeitenden Industrien .. ............ .... ............ ................. 193 Streit Uber ein innerfranzösisches Stahlkartell ............ ...... .................................... ........... 197 Unterschiedliche Haltungen der Hersteller zur Montanunion ...... .................... .... ............ 203
Inhaltsverzeichnis
9
3. Ausgestaltung der Vertragsbestimmungen ···················· ······················oo···················· ·········· 207 Ein Abkommen im Interesse der Verbraucher .................................................................. 207 Unerwartete Veränderungen zugunsten der Kartelle .....................................oooo............... 212 Rückkehr zur kartellfeindlichen Position ......................................................................... 214 Ausgestaltung des Kartellverbots 00oooo oo ......... oo .. oo.oo ................ oo ........ oo .. oo ................. oo........ 222 4. Widerstände gegen den Vertragsentwurf ...... 00oo .................. oo ................................ oooo.oo........ 224 Ruhr und Bundesregierung gegen die Entflechtung .. oo .. oo .... oooo ....................... oo ...... oo.oo,.... 224 Ablehnung der Montanunion durch die CSSF ....................................................... 00········· 228 Ein Gegenentwurf der europäischen Unternehmerverbände ..... ....... ....... .. .... .. ... ... .. ... ....... 231
5. Koalitionsbildung zur Durchsetzung des Schuman-Pians ................................................... 236 Monnets Beurteilung der Lage ......................................................................................... 236 Isolation des Verbandes der Stahlindustrie ......................................... 00.. ............. .... ......... 240 Koalition gegen Kartelle .................................................................... oo .... oo....................... 245 Eingreifen der Amerikaner ......................... oo ........ oo ............................. oo............................ 250
Teil IV
Die Ratifizierung der Montanunion in Frankreich
258
I. Meinungsverschiedenheiten in der Industrie ........................... oo ............... oo......................... 258 Klare Divergenzen innerhalb der Stahlindustrie ....................... oo ....... oo............................. 258 Unterschiedliche Positionen von CSSF und CNPF .......................... oo ...................... oo...... 263 Führungs- und Richtungswechsel bei den Verarbeitern .................................. 00............... 266 Das Scheitern einer einvernehmlichen Lösung ........... .... .............. ... .. .. ...... .. ........ ..... ........ 269 Das wirtschaftliche Gewicht der Stahlverbraucher
273
Entscheidung der Handelskammern fllr die EGKS
276
2. Argumente und Maßnahmen fllr den Schuman-Plan
280
Vorbereitung der Ratifizierung ......................... oo ........................ oo .........00 ..................oo ..... 280 Marktgröße und Kapazitätsauslastung ................................. 00 ............... oo 00....... ............... .. 283 Die Vorteile des freien Wettbewerbs ............................................ 00.................................. 285 Die Konkurrenzfllhigkeit der Stahlindustrie ........... 00 ....... oo ............ oo................................. 288 Sicherstellung der Kohleversorgung ........................ oo.. ............. ...................... ... ... .. .......... 293 Entflechtung und Kontrolle der Ruhr .............. 00 ........... ................. ....... ........... ... ... ........... 297 Zusätzliche Hilfen fllr die Stahlproduzenten .................................... oo .....................oo....... 299 3. Die Entscheidung fllr die Montanunion 00............................................................................ 302 Die eindeutige Haltung der Regierung ........................... oo.................... .................. ........ .. 303 Die Stahlindustrie zerstritten und isoliert ......................................................................... 307 Die Zurückhaltung des CNPF ........................ 00 .....................oo. ........... ............. .. ...... ........
312
Wechsel an der Spitze der CSSF ........................ oo ....................................oo...................... 316 Letzte Hürden und Friedensschluß .. .............................. .... .. .. .. ......... .......... ........ ........ ...... 321
10
Inhaltsverzeichnis Das erste europäische Antitrustgesetz .............................................................................. 327
4. Epilog: Der Erfolg der Gemeinschaft .................................................................................. 329 Die französische Stahlindustrie in der EGKS ................................................................... 329 Das weitere Schicksal der Stahlkartelle ............................................................................ 332
Zusammenfassung
337
I . Der Schuman-Plan als Problemlösung ................................................................................. 338 Die Ursachen der Krise von 1949 ..................................................................................... 338 Die Konjunktur ohne Wirkung ......................................................................................... 339 Die Wahl des 9. Mai 1950 ................................................................................................ 341 2. Der Entscheidungsprozeß .................................................................................................... 343 Mögliche Alternativen ...................................................................................................... 343 Interessenkonflikte und -koalitionen ................................................................................ 345 3. Zwischen Kartellen und Konkurrenz ................................................................................... 348 Ein Bruch mit der europäischen Tradition ...................................................................... 348 Deramerikanische Einfluß .............................................................................................. 350
Anhang: Der Text der Erklärung vom 9. Mai 1950 ................................................................. 353 Quellen- und Literaturverzeichnis ........................................................................................... 357 Verzeichnis der Personen und Institutionen ............................................................................ 379
Verzeichnis der Tabellen und Graphiken
Schematische Darstellung von Stahlherstellung und -verarbeitung .......................................... 34 Chronologie der Nationalisierungen in Frankreich ................................................................... 38 Koksimporte Frankreichs .......................................................................................................... 51 Vergleich der deutschen und französischen Stahlpreise, August 1949 ..................................... 94 Inlands- und Weltmarktpreise filr Stabstahl (Thomas-Qualitllt) ...............................................
96
Entwicklung der deutschen und französischen Rohstahlproduktion ........................................ 114 Kostenvergleich der deutschen und französischen Kohleförderung, 1949 ... .... .. ..... .... ............. 134 Preisentwicklung der Stabstahl-Grundpreise (Thomas-Qualitllt) .............................................. 191 Vergleich der deutschen und französischen Stahl preise, September 1950
196
Vergleich der deutschen und französischen Stahlpreise, September 1951
272
Entwicklung der wertmäßigen Anteile am französischen Export ............................................. 275 Rohstahlproduktion im Vergleich zum höchsten Vorkriegsstand
330
Anteile an der französischen Stahlproduktion .......................................................................... 331 Index der durchschnittlichen Stahlpreise, 1955-1959 ............................................................... 335
Abkürzungsverzeichnis Häufiger benutzte Abkürzungen ACADI
Association de Cadres Dirigeants de !'Industrie pour le progres social et economique
AHK
Alliierte Hohe Kommission
AUPS
Association des Utilisateurs des Produits Siderurgiques
BDI
Bundesverband der Deutschen Industrie
BEI
Banque Europeenne d'lnvestissements
CGP
Commissariat General du Plan de Modemisation et d'Equipement
CGT
Confederation Generale du Travail
CIQCEE
Comite lnterministeriel pour les Questions de Cooperation Economique Europeenne
CNPF
Conseil National du Patronat Fran~ais
CO
Comite d'Organisation
CPS
Comptoir des Produits Siderurgiques
CSSF
Chambre Syndicale de Ia Siderurgie Fran,.:aise
DIME
Direction des lndustries Mecaniques et Electriques
DKV
Deutscher Kohlenverkauf
DREE
Direction des Relations Economiques Exterieures
ECA
Economic Cooperation Administration
ECE
Economic Commission for Europe
EG
Europäische Gemeinschaft(en)
EGKS
Europäische Gemeinschaft ftlr Kohle und Stahl
ERP
European Recovery Program
FTC
Federal Trade Commission
GATT
General Agreement on Tariffs and Trade
MRP
Mouvement Republicain Populaire
14
Abkürzungsverzeichnis
NAM
National Association ofManufacturers
OEEC
Organisation for European Economic Cooperation
PCF
Parti Communiste Fran~ais
REI
Rat der europäischen Industrieverbände
SAFE
Societe des Aciers Fins de l'Est
SFIO
Section Fran~aise de !'Internationale Ouvriere
Sidelor
Union Siderurgique Lorraine
Sollac
Societe Lorraine de Laminage Continu
Usinor
Union Siderurgique du Nord de Ia France
WV Stahl
Wirtschaftsvereinigung der Eisen- und Stahlindustrie
Archive und Quellen AAN
Archives de !'Assemblee Nationale
AN
Archives Nationales
DBPO
Documents on British Policy Overseas
FO
Foreign Office
FRUS
Foreign Relations ofthe United States
IRD
Industrial Resources Division
JO
Journal Officiel de Ia Republique Fran~aise
MAE
Ministere des Affaires Etrangeres
MF
Mission to France, Office ofthe Director, Communications and Records Unit
ODA
Office ofthe Director of Administration, Administrative Services Division, Communications and Records Unit
PAM
Pont-a-Mousson
PRO
Public Record Office
PTAD
Productivity and Technical Assistance Division
SRE
Office ofthe Special Representative in Europe 1948-53, Office ofthe Deputy for Economic Affairs
USNA
United States National Archives
VtzG
Vierteljahreshefte ftlr Zeitgeschichte
Einleitung 1. Die erste der Europäischen Gemeinschaften
Im Jahre 1993 erreichten die Bemühungen um die europäische Einigung einen neuen Höhepunkt. Nach der Ratifizierung in allen zwölf Unterzeichnerstaaten trat am I. November 1993 der Vertrag von Maastricht in Kraft. Aus den Europäischen Gemeinschaften wurde damit die Europäische Union. In wirtschaftlicher Hinsicht hatte schon die zum 31. Dezember 1992 weitgehend beendete Beseitigung der internen Handelsschranken und Wettbewerbsbeschränkungen einen entscheidenden Schritt in Richtung auf einen einheitlichen Wirtschaftsraum in Westeuropa dargestellt. Die im Vertrag von Maastricht vorgesehene Einrichtung einer Zentralbank und die Schaffung einer gemeinsamen Währung bringen diesen Prozeß zu einem vorläufigen Abschluß. Der Vertrag sieht eine weitere Vertiefung der Integration vor allem auf außenund sicherheitspolitischem Gebiet vor. Gleichzeitig steht eine geographische Ausweitung der Union nach Nord- und Mitteleuropa auf der Tagesordnung. Am I. Januar 1995 sind nach erfolgreichen Volksabstimmungen Österreich, Finnland und Schweden der Europäischen Union beigetreten. Die norwegischen Wähler haben dagegen den geplanten Beitritt erneut abgelehnt. Der Einigungsprozeß in Europa hatte mehr als 40 Jahre zuvor begonnen, und zwar mit der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS). Ausgangspunkt dafilr war eine Erklärung, die der französische Außenminister Robert Schuman am 9. Mai 1950 vor der Presse abgab. Im Namen seiner Regierung schlug er vor, "die Gesamtheit der französisch-deutschen Kohle- und Stahlproduktion einer gemeinsamen Hohen Behörde zu unterstellen, in einer Organisation, die den anderen europäischen Ländern zum Beitritt offensteht" .1 An den Verhandlungen zur Schaffung dieser Montanunion nahmen neben Frankreich und der Bundesrepublik Deutschland auch Italien, Belgien, LuxemDer vollständige Text der Erklllrung findet sich im Anhang.
16
Einleitung
burgund die Niederlande teil. Am 18. April 1951 unterzeichneten die Außenminister der sechs Teilnehmerstaaten in Paris den Gründungsvertrag filr die EGKS.2 Er trat nach der Ratifizierung in den jeweiligen Länderparlamenten am 25. Juli 1952 in Kraft. 3 Die Hohe Behörde, Vorläufer der Europäischen Kommission, nahm wenige Tage später unter Vorsitz von Jean Monnet ihre Arbeit in Luxemburg auf. Als erster konkreter Schritt in Richtung auf eine wirtschaftliche Integration in Westeuropa und als Ausgangspunkt der deutsch-französischen Annäherung nur ftinf Jahre nach dem Ende der Zweiten Weltkriegs hat der sogenannte Schuman-Plan in der Öffentlichkeit und bei den Historikern besondere Beachtung gefunden. Dennoch bestehen weiterhin erhebliche Forschungsdefizite, vor allem im Hinblick auf seine wirtschaftlichen Hintergründe und den Entscheidungsprozeß, der zum französischen Vorschlag, zur konkreten Ausgestaltung des Vertrages und zu seiner Ratifizierung in Frankreich gefilhrt hat.
2. Forschungsstand zum Sehnman-Plan
In seiner Erklärung hatte Robert Schuman die "Aufrechterhaltung friedlicher Beziehungen" als Zielsetzung eines vereinten Europa herausgestellt. Demnach erforderte "die Vereinigung der europäischen Nationen" als Vorbedingung, "daß der Jahrhunderte alte Gegensatz zwischen Frankreich und Deutschland ausgelöscht wird". Auch in den Erinnerungen der an den damaligen Ereignissen Beteiligten nehmen (sicherheits)politische Überlegungen einen überragenden Stellenwert ein. Jean Monnet, der eigentliche Initiator des Schuman-Plans, stellt in seinen Memoiren den französischen Vorschlag in den Zusammenhang des Kalten Krieges. 1 Damals sei ein Konflikt in Europa unvermeidlich erschienen, filr den Deutschland nicht "die Ursache, aber der Anlaß" sei. "Wer konnte, ehe es zu spät war, Frankreich und Deutschland verbinden, wie konnte man ihnen noch Für den Vertragstext siehe u.a. UN Treaty Series 261 (1957), I, N° 3729, S. 140ff. Einen Überblick über Abstimmungsdaten und -ergebnisse gibt W. Diebold, The Schuman Plan. A Study in Economic Cooperation 1950-1959, New York 1959, S. 83. J. Monnet, Erinnerungen eines Europäers, München 1978, S. 368 und 374. Ebenso sein damaliger Mitarbeiter Pierre Uri in einem Interview am 9.1.1989, Historisches Archiv der Europäischen Gemeinschaften (EG-Archiv), INT 2. Ähnlich ein weiterer Mitautor der Erklärung, P. Reuter, La Communaute Europeenne du Charbon et de l'Acier, Paris 1953, S. 30-33.
2. Forschungsstand
17
heute ein für beide Länder gemeinsames Interesse einpflanzen?" Diese Frage habe er sich auf einem Spaziergang in den Alpen "unablässig" gestellt und in einer grenzüberschreitenden Fusion von Kohle und Stahl, die damals "eine gewaltige symbolische Bedeutung" hatten, die Antwort gefunden. In der historischen Forschung zu den Beweggründen des französischen Vorschlags dominieren dementsprechend bis heute politische und militärische Interpretationen.2 Diese Faktoren betonte schon Pierre Gerbet, der als erster die Vorgeschichte des Schuman-Plans untersucht hat.3 Auch nach Ansicht von Ernst Haas, der wenig später eine umfassende Darstellungen der Montanunion vorlegte, versuchte die französische Regierung damit, die europäische Einigung voranzubringen und gleichzeitig Frankreich Sicherheit vor dem wiedererstarkenden Deutschland zu verschaffen.4 William Diehold stellte ebenfalls die zentrale Bedeutung einer Verbesserung der deutsch-französischen Beziehungen heraus. 5 Für die Wahl von Kohle und Stahl als Grundlage der ersten Europäischen Gemeinschaft waren demnach nicht wirtschaftliche, sondern psychologische, historische und symbolische Gründe ausschlaggebend. Besondere Bedeutung für den französischen Vorschlag hat die Forschung von Anfang an auch der Kontrolle des militärischen, wirtschaftlichen und politischen Potentials der Ruhrindustrie beigemessen. So unterstrich Derek Bok bereits 1955 die Furcht der Franzosen vor einer ungehinderten Entwicklung der Ruhr.6 Im Schuman-Plan habe Frankreich zwar einerseits einen Teil seiner Souveränitätsrechte aufgeben müssen, aber gleichzeitig in Form der Hohen Behörde die deutschen Montanindustrien einer gewissen internationalen Kontrolle unterworfen. Ähnlich äußerte sich im nachhinein Bernard Clappier, damals Directeur de Cabinet des französischen Außenministers.7 Auch nach Meinung von Werner Bührer, der die Position der deutschen Stahlproduzenten zur europäischen Einigung im Detail untersucht hat, steht die "Frage der 2 Siehe etwa P. Fontaine, Jean Monnet. L'inspirateur, Paris 1988, S. 58-65 und W. J. Adams, Restructuring the French Economy. Govemment and the Rise of Market Competition since World War II, Washington 1989, S. 122. 3 P. Gerbet, La genese du Plan Schuman des origines a Ia declaration du 9 mai 1950, in: Revue Fran,.aise de Science Politique VI/3 (1956), S. 539-542. 4 E. 8. Haas, The Uniting ofEurope: Political, Social and Economic Forces 1950-1957, Stanford 1968 (I. Aufl. 1958), S. 243. Diebold, The Schuman Plan, S. 9-17, bes. S. 16f. 6 D. C. Bok, The First Three Years ofthe Schuman Plan, Princeton 1955, S. 3. Interview am 25.6.1964, E. Bj0l, La France devant I'Europe. La politique europeenne de Ia IVe Republique, Kopenhagen 1966, Anhang N" 9, S. 371. Vgl. ebenfalls G. Bossuat, La France, l'aide americaine et Ia construction europeenne 1944-1954, Paris 1992, S. 743f. 2 Kipping
18
Einleitung
Kontrolle des westdeutschen Wirtschaftspotentials" im Mittelpunkt der französischen Überlegungen. Er bezeichnet "die Einbindung der westdeutschen Grundindustrien in eine entscheidungsbefugte westeuropäische Kontroll- und Lenkungsapparatur"und den "Anspruch auf die politische Führerschaft Frankreichs" als den "Kern des Schumanplanes".S Die Rolle der Amerikaner bei der Schaffung der Montanunion und im europäischen lntegrationsprozeß bestimmte einen erheblichen Teil der Forschungsdiskussionen des letzten Jahrzehnts. Eine extreme Position vertritt hierbei Annie Lacroix-Riz.9 Für die französische Historikerin steckt eindeutig Washington hinter dem Schuman-Pian. Der angeblich französische Vorschlag filgt sich nach ihrer Ansicht in die amerikanische Politik der Wiederaufbaupriorität filr Deutschland ein. Er stelle nur eine erste, wirtschaftliche Etappe auf dem Weg zur deutschen Wiederbewaffnung dar und sei auch schon bald durch sein "militärisches Gegenstück", den Pleven-Pian ftir eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG), ergänzt worden. Demgegenüber bezeichnet Klaus Schwabe Vorstellungen, der SchumanPlan sei ein amerikanisches Diktat, als "unsinnig". 10 Die Initiative kam ftir ihn eindeutig von der französischen Seite. Eine Mittelstellung nimmt Gerard Bossuat ein.ll Auch filr ihn stammte die Idee der Montanunion von Jean Monnet und Robert Schuman, doch hatten andererseits die USA seit 1947 W. BOhrer, Ruhrstahl und Europa. Die Wirtschaftsvereinigung Eisen- und Stahlindustrie und die Anfilnge der europäischen Integration 1945-1952, MOnehen 1986, S. 167. Siehe auch L. Lister, Europe's Coal and Steel Community. An Experiment in Economic Union, New York 1960, S. 8; R. Poidevin, Frankreich und die Ruhrfrage 1945-1951, in: Historische Zeitschrift 228 (1979), S. 334; J. W. Young, Britain, France and the Unity ofEurope, 1945-1951, Leicester 1984, S. 137 und 145f. sowie M. J. Hogan, The Marshall Plan. America, Britain, and the Reconstruction ofWestem Europe, 1947-1952, Cambridge 1987, S. 364-366. A. Lacroix-Riz, Pariset Washington au debut du Plan Schuman (1950-1951), in: K. Schwabe (Hg.), Die Anfilnge des Schuman-Plans 1950/51, Baden-Baden 1988, S. 242 und 250 sowie dies., Vers le Plan Schuman: les jalons decisifs de l'acceptation fran'rdern".3 2 Für Außenminister Dean Acheson mußte eine solche Union aber auf jeden Fall Westdeutschland umfassen.33 Diese Bedingung stellten auch die Niederlande. Die Frage einer deutschen Teilnahme war jedoch in französischen Regierungskreisen umstritten, und daran scheiterten, wie die Forschung übereinstimmend feststellt, letztendlich Fritalux und Finebei.34 31 So vor allem Bossuat, L'aide americaine, S. 22, ders., La France, l'aide americaine, S. 719-721 und Guillen, S. 159-161. Vgl. zur britischen Haltung auch Griffiths I Lynch, L'echec de Ia "Petite Europe". Les negociations Fritalux/Finebel, S. 187 sowie Hogan, S. 305f. 32 Schweitzer in einem Telegramm an Guindey, Directeur des Relations Financieres Exterieures, 16.2.1950, AN, F60ter 384. Vgl. Bossuat, La politique fran~aise, S. 321. 33 Dazu die Note des Service de Cooperation Economique an das Ministere des Finances et des Affaires Economiques und an das Secretariat General des CIQCEE, 3.3.1950, MAE, Archives Diplomatiques, OE-CE 1945-1960, N• 363. 34 Griffiths I Lynch, L'echec de Ia "Petite Europe". Les negociations Fritalux/Finebel, S. 176f. und 180-184, Guillen, S. 162, Bossuat, L'aide americaine, S. 22 sowie ders., La France, l'aide americaine, S. 715-717.
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Teil II: Der Weg zum Schuman-Pian
Allerdings ist nicht eindeutig, woher der entscheidende Widerstand gegen eine Einbeziehung der Bundesrepublik kam. Alan Milward glaubt, daß sich das Außenministerium und das Plankommissariat gegen eine deutsche Teilnahme sperrten.3 5 Pierre Guillen, der die Haltung der verschiedenen Ministerien in Frankreich im Detail untersucht hat, verweist ebenfalls auf gewisse Widerstände aus dem Service de Cooperation Economique des Außenministeriums.36 Andererseits betont er, daß sowohl dessen Leiter Pierre Baraduc als auch Herve Alphand von der Direktion ftlr Wirtschaftsfragen Beftlrworter von Finebel waren. Dies bestätigt eine Note, die der erstgenannte an das interministerielle Komitee richtete und in der eine Teilnahme der Bundesrepublik an der geplanten Wirtschaftsgemeinschaft als "besonders zweckmäßig" bezeichnet wird: "Die Regeln, denen zu folgen sich die Mitglieder von Finebel verpflichten, und die vorgesehene enge Zusammenarbeit zwischen ihnen, würden es Frankreich erlauben, verbindliche Zusagen über die Wirtschaftspolitik Westdeutschlands zu erhalten. n3 7 Die entscheidende Ablehnung einer deutschen Beteiligung kam wohl aus dem Industrieministerium.38 Genauer gesagt kam sie wahrscheinlich von der Direction des Industries Mecaniques et Electriques. Schon im November 1949 hatte die Abteilung eine Note über die Gefahren einer Liberalisierung des Handels von Produkten der Metallverarbeitung mit Deutschland verfaßt. 39 Ende Januar 1950 stellte ihr Leiter Maurice Bellier erneut die Hauptgründe, "die eine zu schnelle Handelsliberalisierung filr die französische metallverarbeitende Industrie gefllhrlich machen", zusammen.40 An erster Stelle nannte er die Preisunterschiede ftlr Stahlprodukte zwischen Frankreich auf der einen und Deutschland und England aufder anderen Seite. Diese bedeuteten ftlr die französischen Stahlverarbeiter einen nicht zu beseitigenden Nachteil. "Eine deutsche Beteili35 A. S. Milward, La Planification franyaise et Ia reconstruction europeenne, in: Cazes I Mioche (Hg.), Modemisation ou decadence, S. 97f. Dagegen hatte er in The Reconstruction, S. 314f. nur ganz allgemein vom Widerstand der "Planer" gegen das Projekt gesprochen. Auch Margairaz, L'Etat, les finances, S. 1223 erwähnt die ablehnende Haltung Monnets. 36 Guillen, S. 156f. Vgl. Bossuat, L'aide americaine, S. 22, der jedoch keine Details gibt. 37 MAE, Direction des Affaires Economiques, Service de Cooperation Economique, Note pour Je Comite Interministeriel, S. I 0, 7.1.1950, MAE, Archives Diplomatiques, DE-CE 19451960, N• 363. Ebenfalls zitiert von Bossuat, La France, l'aide americaine, S. 718, Fn. 3. 38 Diese Ansicht vertreten auch Griffiths I Lynch, L'echec de Ia "Petite Europe". Les negociations Fritalux!Finebel, S. 181 f. 39 DIME, Note concemant les dangers d'une Liberation intempestive des echanges de produits mecaniques avec I'AIIemagne, 15.11.1949, AN, Ministere de !'Industrie, 830589, W 11. Der Autor ist nicht bekannt. 40 Note vom 26.1.1950, Ministere de !'Industrie, 830589, W 11.
3. Lösungsvorschläge
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gung an der westlichen Wirtschaftsunion, so schloß Bellier, bringt deshalb besonders schwere Gefahren mit sich." Ähnliche Argumente enthielt bereits eine Note von Anfang Januar, deren Autor nicht bekannt ist.41 Ihr Ziel war es, "die Gefahren einer Teilnahme Westdeutschlands an der regionalen Gruppierung und die Notwendigkeit einer Aufrechterhaltung der Handelsbeschränkungen gegenüber diesem Land aufzuzeigen". Auch darin wurden alle Wettbewerbsvorteile der deutschen im Vergleich zur französischen Industrie aufgezählt: ein höheres Produktionspotential, niedrigere Rohstoffpreise und Abgaben, eine stärkere vertikale Integration, modernere Anlagen. Außerdem sei Deutschland gezwungen, durch den Verlust der Märkte im Osten verstärkt nach Westen zu exportieren. Diese Note lehnte in der Tat die geplante Wirtschaftsunion insgesamt ab: "Die deutsche (Wirtschafts-)Macht, der Druck der italienischen, deutschen und belgiseben Arbeitslosen würden zu einer Neuaufteilung der Arbeitslosigkeit und der wirtschaftlichen Aktivitäten führen, deren Nachteile in erster Linie Frankreich und sein Kolonialreich zu tragen hätten." Eine interne Note des Außenministeriums bestätigt, daß der Widerstand des Industrieministeriums tatsächlich für das Scheitern der Finebel-Verhandlungen verantwortlich war. Sie diente zur Vorbereitung auf das fiir den 23. Januar 1950 geplante Treffen der Experten und faßte die innerhalb der französischen Regierung und Administration bestehenden Meinungsverschiedenheiten zusammen. Demnach war eine Einigung über die "Teilnahme Deutschlands, von den Niederlanden gestellte Bedingung, nicht verwirklicht und scheint nach den gestern vom Industrieministerium gemachten Einwänden auch nicht verwirklichbar".42 Die Verantwortlichen im Industrieministerium fiirchteten, wie gesehen, vor allem die Konkurrenz der deutschen metallverarbeitenden Industrien. Sie wehrten sich also gegen eine Einbeziehung der Bundesrepublik in eine westeuropäische Wirtschaftsgemeinschaft, solange das Problem der im Vergleich zu Frankreich wesentlich niedrigeren deutschen Stahlpreise nicht gelöst war. Das französische Außenministerium versuchte bereits seit längerem, durch eine Ab41 Diese Note trägt selbst kein Datum. Sie wurde am 9.1.1950 von der Coordination Industrielle an Bellier gesandt, AN, Ministere de I'Industrie, 830589, W II . 42 MAE, Archives Diplomatiques, DE-CE 1945-1960, W 363, folios 180-182. Dieses Dokument ist undatiert, jedoch zwischen dem 7. und 13. Januar 1950 eingeordnet. Die am 9. Januar an Bellier adressierte Note faßte also sehr wahrscheinlich die Einwände des Industrieministeriums zusammen.
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schaffung der Doppelpreise filr Koks und Kohle von der Ruhr eine der Voraussetzungen filr die Angleichung der Stahlpreise in Frankreich und Deutschland zu schaffen. Abschaffung der Preisdiskriminierungen
Bereits die interne Note des französischen Außenministeriums zur deutschen Konkurrenz auf den Exportmärkten vom 18. Mai 1949 hatte den niedrigeren Stahlpreis in der Bundesrepublik als entscheidenden Wettbewerbsvorteil der deutschen Industrie herausgestellt. Als Ursachen filr die Stahlpreisunterschiede zwischen Deutschland und Frankreich filhrte sie unter anderem niedrigere Löhne und Sozialabgaben sowie die geringere finanzielle Belastung der Ruhrkonzerne an. Alles überragende Bedeutung hatte demnach jedoch der Doppelpreis des deutschen Hüttenkokses:$ 12,60 im Inland,$ 19,70 im Export. 43 Die Note machte keine Angaben darüber, wie man diese Preisdifferenz beseitigen konnte. Sie empfahl lediglich, Deutschland in die multilateralen Wirtschaftsorganisationen und -abkommen (wie den Internationalen Währungsfond und das GATI) aufzunehmen, um dadurch seine Handelspraktiken besser überwachen zu können. Tatsächlich lag die Möglichkeit zur Abschaffung des Doppelpreises der deutschen Kokskohle damals weitgehend bei den angelsächsischen Besatzungsmächten. Man konnte aber in dieser Frage kaum ein Entgegenkommen der Briten und Amerikaner erwarten. Ein hoher Ausfuhrpreis lag in ihrem Interesse, da er zur Finanzierung der Besatzungskosten beitrug. Trotzdem unternahm das französische Außenministerium seit Anfang 1949 erhebliche Anstrengungen mit dem Ziel, die Doppelpreise zu beseitigen oder zumindest die Differenz zu verringern. Bereits im März signalisierte der Botschafter Frankreichs in Washington, Henri Bonnet, den Amerikanern "die erhebliche Bedeutung, die die französische Regierung dieser Frage beimißt".44 Im Juli richtete Herve Alphand ein 43 MAE, Archives Diplomatiques, DE-CE, 1945-1960, N" 368 (siehe oben S. 89). Ähnliche GrUnde ftlr die niedrigeren Stahlpreise in Deutschland nannte auch Albert Bureau, Leiter des französischen Teils der alliierten Stahlkontrollgruppe (CSG), bei einem Vortrag vor der CSSF am 16.6.1949, Zusammenfassung von Roger Martin ftlr Andre Grandpierre, 23.6.1949, PAM 70671. 44 Siehe sein Telegramm an den Außenminister, 2.3.1949, MAE, Archives Diplomatiques, Y lntemationa11944-1949, N" 393.
3. Lösungsvorschläge
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persönliches Schreiben an Avereil Harriman, den Vertreter der ECA in Europa, in dem er sich energisch gegen jegliche Erhöhung des deutschen Kohlepreises aussprach.45 Im September 1949 ergab sich filr die französische Regierung eine Gelegenheit, den Doppelpreis erneut bei den Alliierten zur Sprache zu bringen. Die Abwertung des britischen Pfundes hatte damals eine Angleichung der übrigen Wechselkurse in Europa, darunter auch der Deutschen Mark, notwendig gemacht.46 Frankreich benutzte die Verhandlungen darüber, um "Zusicherungen über die Abschaffung der künstlichen Bedingungen zu erhalten, die gegenwärtig die Konkurrenz zwischen deutschen und französischen Herstellern verfälschen".47 Dazu gehörte in erster Linie "die Frage des Kohlepreises, der im Inland auf einem künstlich niedrigen Niveau gehalten wird, ausgeglichen durch einen zu hohen Exportpreis". Die Franzosen stellten ein Junktim zwischen ihrer Zustimmung zur DMAbwertung und der Abschaffung des Doppelpreises her. Das Außenministerium wies die französische Verhandlungsdelegation an, eine Abwertung um 20% nur dann zu akzeptieren, "wenn sie die formellsten Zusicherungen über eine Abschaffung der gegenwärtigen diskriminierenden Praktiken, besonders im Hinblick auf den Kohlepreis", erhielt. 48 Die wichtige Bedeutung dieser Frage zeigt sich auch in einem Telegramm des Außenministeriums an den französischen Hochkommissar in Deutschland. Darin wird bei einer Beibehaltung des Doppelpreises damit gedroht, die gemeinsam mit den USA begonnen Anstrengungen zur wirtschaftlichen und politischen Integration Westdeutschlands in Europa abzubrechen.49 Das Außenministerium bemühte sich gleichzeitig um die Unterstützung der Marshallplan-Behörde in dieser Frage. Auf Anweisung des Service de Cooperation Economique trug der französische Botschafter in 45 Alphand informierte den französischen Botschafter in Washington darOber in einem Telegramm vom gleichen Tag, 13.7.1949, MAE, Archives Diplomatiques, DE-CE 1945-1960, N• 368. 46 Vgl. Jerchow, S. 286fT. und LUders, S. 269fT.; zu Details der Verhandlungen auch Bossuat, La France, l'aide americaine, S. 700-702, Schwartz, S. 61-65 sowie die Dokumente in FRUS 1949, III, S. 448-477. 47 Telegramm des Außenministeriums an den französischen Hochkommissar in Deutschland (mit Kopien an die Botschaften in Washington und London), 18.9.1949, MAE, Archives Diplomatiques, DE-CE 1945-1960, W 515. 48 Diese Instruktionen sind verfaßt vom Service de Cooperation Economique, 22.9.1949, MAE, Archives Diplomatiques, DE-CE 1945-1960, N" 515. 49 Telegramm des MAE vom 21.9.1949, MAE, Archives Diplomatiques, DE-CE 19451960, N" 515.
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Washington den Standpunkt seines Landes bei der ECA vor. Diese erklärte ihr volles Verständnis ftlr die französische Position und versprach, sich ihrerseits an die zuständigen Stellen zu wenden. 50 Ergebnis der französischen Drohungen oder der Intervention der ECA? Die Entschließung der Alliierten Hohen Kommission zur DM-Abwertung entsprach weitgehend den Forderungen Frankreichs und sah ein Verschwinden aller diskriminierenden Maßnahmen, Dumping-Praktiken und direkten oder indirekten Subventionen bis zum 1. Januar 1950 vor. 5 1 Außerdem wurde die Bundesregierung verpflichtet, Maßnahmen zu treffen, um in der Zwischenzeit eine Schädigung der Kohleabnehmer durch die DM-Abwertung zu verhindern. Ansonsten hätte sich nämlich der Preisvorteil der deutschen Stahlindustrie beim Hüttenkoks von 35% auffast 50% vergrößert. 52 Tatsächlich unternahmen vor allem die Amerikaner in der Folgezeit erhebliche Anstrengungen, den Abstand zwischen Inlands- und Exportpreis zu verringern. So beauftragte die Alliierte Hohe Kommission die Combined Steel Group (CSG) mit Untersuchungen über diskriminierende Maßnahmen oder unlautere Machenschaften im Stahlbereich. Diese Stahlkontrollgruppe bat daraufhin am 26. Oktober 1949 den Vorsitzenden und die Geschäftsführung der WV Stahl zu sich. Man beschloß, die einzelnen Fragen in einer Reihe von Sonderkommissionen zu behandeln. 53 Die Hohen Kommissare richteten ebenfalls einen speziellen Ausschuß ein, um Möglichkeiten zu eruieren, den Kohledoppelpreis zu verringern. 54 Auch der amerikanische Delegierte im Stahlkomitee der ON-Wirtschaftskommission in Genf verlangte eine Senkung der Exportpreise auf das Niveau der Inlandspreise. Dadurch würden die Herstellkosten ftlr Stahl gesenkt und damit die Wettbewerbsposition der europäischen Stahlproduzenten im Weltmarkt verbessert. 55 50
515.
Bonnet ans MAE, 25.9.1949, MAE, Archives Diplomatiques, DE-CE 1945-1960, N"
51 Zitiert in einem Telegramm von Herve Alphand an die französischen Vertretungen in Washington, London, Berlin, Bonn und andere wichtige Botschaften, 28.9.1949, MAE, Archives Diplomatiques, DE-CE 1945-1960, N° 515. 52 Nach Jerchow, S. 293-295 wurde deshalb der Dollar-Exportpreis zu einem ungünstigeren, vom offiziellen Umtausch abweichenden Kurs abgerechnet. Anders LUders, S. 272-274, wonach die Bundesregierung den Exportpreis rückwirkend zum 19.9.1949 senkte. 53 Siehe Vennerk über die Vorstandssitzung am 3.11.1949, S. 5f., WV Stahl, Sitzungsberichte, Band 3. 54 Vennerk über Sitzung Engerer Vorstand am 14.12.1949, S. 5, ebenda. 55 STEEUWorking Document N° 33, 28.9.1949, im Anhang von IS(49)21, 7.10.1949, AN, Ministere de !'Industrie, 771522, W 515 (127 N.F.).
3. Lösungsvorschläge
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Doppelpreise wurden jedoch nicht nur von der Bundesrepublik praktiziert, sondern von einer ganzen Reihe anderer Länder, so etwa von Frankreich beim Eisenerz und von Großbritannien ebenfalls bei der Kohle. Deshalb konzentrierten die USA ihre Bemühungen um deren Abschaffung vor allem auf die OEEC. In einem Brief vom 3. Oktober 1949 signalisierte die ECA der Organisation "die Bedeutung, die sie der Verwirklichung von schnellen Fortschritten bei der Beseitigung der Doppelpreise beimaß". In den daraus resultierenden Verhandlungen erklärte sich die deutsche Delegation bereit, den Unterschied zwischen Kohleexport- und Inlandspreis um 30% zu senken. 56 Tatsächlich reduzierte die Bundesregierung zum 1. Januar 1950 die Differenz von DM 8,00 auf DM 5,82, später sogar auf DM 5,42 pro Tonne. 57 Die Benachteiligung der französischen Stahlindustrie durch den Doppelpreis, die vorher circa vier bis filnf Prozent der Herstellkosten betragen hatte, reduzierte sich dadurch auf etwa zwei Prozent. 58 Die Deutschen machten jedoch eine weitere Reduktion von entsprechenden Maßnahmen der übrigen Länder abhängig. Dagegen weigerte sich aber Großbritannien energisch und verhinderte damit vorläufigjeglichen Fortschritt in dieser Frage im Rahmen der OEEC. 59 Die Bereitschaft der Bundesregierung zu Preissenkungen ging jedoch nicht nur auf amerikanischen Druck zurück. Wahrscheinlich war sie in mindestens ebenso großem Maße durch die Marktentwicklung bedingt. Diese wichtige Tatsache wird in der historischen Forschung häufig übersehen. 60 Anfang 1950 bestand nämlich auf dem europäischen Kohlemarkt kein Mangel mehr, sondern ein Überangebot. Deshalb stellten die Amerikaner damals ihre Feinkohlelieferungen vollkommen ein. Am 12. April verkündete das französische Industrieministerium sogar, daß die Kohlebergwerke in Frankreich und im Saarland filr zwei Tage pro Monat stillgelegt würden. Man denke außerdem über eine Drosselung der Kohleimporte nach. Im gleichen Zeitraum sprach sich die Deutsche Kohlenbergbau56 Siehe filr den ECA-Brief und die Verhandlungen DREE, Note sur Ies travaux de l'OECE pendant Je mois de decembre 1949, AN, F60ter 461 . 57 Dazu Milward, The Reconstruction, S. 387. Vgl. Jerchow, S. 295. 58 Zum bisherigen Unterschied siehe oben S. 107, Fn. 80. Für die Zahl von 2% im Frühjahr 1950 auch Milward, The Reconstruction, S. 378f. 59 Ministere des Finances, DREE, Note sur Ies travaux de l'OECE pendant Je mois de janvier 1950 sowie de fevrier 1950, AN, F60ter 461. Vgl. zu den weiteren Diskussionen über den Kohlepreis bis 1952 im Detail LUders, S. 274ff. 60 So beispielsweise von Schinzinger, S. 144 und Mioche, La siderurgie et I'Etat, S. 192.
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Teil li: Der Weg zum Schuman-Plan
Ieitung filr eine Preissenkung aus, um die wachsenden Haldenbestände abzubauen.61 Tatsächlich kam der Widerstand gegen eine weitere Reduzierung der deutschen Exportpreise aber nicht nur aus der Bundesrepublik Eine allzu starke Preissenkung lag auch nicht im Interesse der verstaatlichten französischen Kohlebergwerke (Charbonnages de France). Trotz der dort seit dem Kriegsende unternommenen Anstrengungen zur Modemisierung und Steigerung der Produktivität lagen die Selbstkosten der meisten französischen Kohlegruben, besonders im Norden, weiterhin über denjenigen der deutschen. Kostenvergleich der deutschen und französischen Kohlefllrderung, 194962 West-
Gesamtfi\rdermenge (Mt.) Mannleistung (t je Schicht) Selbstkosten ($je t) Preis ab Grube ($je t)
Frankreich
deutschland
Norden
Lothringen
Insgesamt
103,2 1,03 6,66 7,19
27,7 0,64 8,74 9,95
9,8 0,96 6,62 7,54
65,6 0,72 8,22 9,37
Diese Nachteile waren auch den in der französischen Administration filr die Kohlebergwerke Verantwortlichen bewußt. So bezifferte der Directeur des Mines et de Ia Siderurgie im Industrieministerium, Jacques Desrousseaux, den durchschnittlichen Unterschied auf 500 Francs pro Tonne, was zum damaligen offiziellen Wechselkurs DM 6,00 entsprach, also ziemlich genau der Differenz zwischen deutschem Inlands- und Exportpreis. Sollten die deutschen Ausfuhrpreise, wie vom französischen Außenministerium und auch von den Amerikanern gefordert, weiter sinken, würde dies nach den Schätzungen von Desrousseaux zu einem Rückgang der französischen Förderung um 10 Millionen Tonnen (d.h. fast 20%), zu Massenentlassungen und sozialen Unruhen filhren.63 Außerdem begebe sich Frankreich dadurch in 61 LUders, S. 238f., bes. Fn. 17 und 281f. Vgl. auch L'Usine Nouvelle vom 4.5.1950, S. 15: L'excedent de charbon en Europe sowie Perron, Le marche du charbon, S. 54f. 62 Nach F. R. Willis, France, Germany, and the New Europe 1945-1967, Stanford 1968, S. 90. Die Zahlen stammen aus UN-Angaben.
63 Siehe dazu seinen Vortrag vor der Groupe d'Etudes de Ia Siderurgie Europeenne, Centre d'Etudes de Politique Etrangere im Mai 1950, Desrousseaux, L'interdependance des industries charbonniere et siderurgique, Paris [1950], hier S. 39. Diegenaue Datierung ermöglicht seine Erwllhnung des kurz vorher gemachten Schuman-Vorschlags.
3. Lösungsvorschläge
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eine noch größere Abhängigkeit von Deutschland. Tatsächlich erwogen die Amerikaner in internen Dokumenten die Schließung unwirtschaftlicher Gruben in Frankreich und verstärkte Lieferungen aus Deutschland. 64 An anderer Stelle erklärte Desrousseaux, daß eine Preissenkung der französischen Kohle um 800 Francs (d.h. DM 9,60) durchaus möglich sei. Doch müsse man dazu die Hälfte der Bergleute entlassen, was aber seiner Meinung nach "politisch völlig undenkbar" war. Deshalb sah er bei weiteren deutschen Preissenkungen nur eine Möglichkeit, eine Überschwemmung des französischen Marktes mit Ruhrkohle zu verhindern: die Einfilhrung eines 15%igen Schutzzolles.65 Dies bedeutete aber, daß die französische Stahlindustrie und damit indirekt auch die Stahlverbraucher weiterhin einen erheblichen Wettbewerbsnachteil gegenüber ihrer deutschen Konkurrenz besaßen. Für dieses Problem schlug Desrousseaux deshalb eine andere Lösung vor. Wiederauflage des Internationalen Stahlkartells
Auch dem Directeur des Mineset de Ia Siderurgie war klar, daß die französische Stahlindustrie den durch die hohen Kokspreise bedingten Nachteil auf Dauer nicht tragen konnte. Bei dem Gespräch der Verbandsvertreter mit dem Industrieminister am 19. April 1950 empfahl Desrousseaux den Stahlproduzenten deshalb, Absprachen mit ihren ausländischen Kollegen zu suchen. 66 Daß er dabei an eine Neuauflage der Internationalen Stahlkartelle der Zwischenkriegszeit dachte, wird aus seinem Vortrag vor der Groupe d'Etudes de Ia Siderurgie Europeenne im Mai 1950 deutlich. 67 Seiner Meinung nach versuche die deutsche Stahlindustrie, "mit allen möglichen Mitteln ihre Produktion zu steigern". Sie schrecke dabei auch nicht vor einem Dumping zurück, sei aber in jedem Fall durch niedrigere Kokspreise und ihre fmanzielle Lage gegenüber der französischen Stahlindustrie im Vorteil. Da man die französischen Kohlepreise aus sozialen und politischen Gründen nicht senken könne, sei es "nötig, auf internationaler Ebene Absprachen zu treffen". "Ich glaube, daß ein Internationales Stahlkartell eine Notwendigkeit ist, eine baldige Notwendigkeit."
64
Holter, Politique charbonniere, S. 49f. Im Gespräch mit den Vertretern der Stahlindustrie arn 19. April 1950, Bericht von Aubrun, zusarnmengefaßt von Fran~ois de Villepin, 22./24.4.1950, PAM 70671. 66 Ebenda. 67 Siehe oben S. 134, Fn. 63. 65
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Ein solches Internationales Stahlkartell könne auch helfen, zwei andere Probleme zu lösen, nämlich die drohende Überproduktion in Europa und die Produktionsbeschränkung der deutschen Stahlindustrie. Dies war jedenfalls die Ansicht von Albert Denis, Leiter des Service de Ia Siderurgie in Desrousseauxs Abteilung. Anfang 1950 stellte er seine Überlegungen dazu vor der gleichen Groupe d'Etudes de Ia Siderurgie Europeenne dar:68 "Ich hoffe, daß der Außenminister an der Beschränkung auf 11.000.000 Tonnen festhalten wird. Ich persönlich würde mir sehr wünschen, daß diese Beschränkung erhalten werden kann durch Abmachungen zwischen den französischen und deutschen Produzenten." Um den Stahlbedarf Deutschlands über diese Menge hinaus zu decken, griff Denis auf die Ideen des "Alphand-Plans" von 1947 zurück.69 Er schlug vor, die deutsche verarbeitende Industrie mit französischem Stahl zu beliefern. Frankreich verfUge noch über genügend Kapazitäten, so daß sich hohe Investitionen ftlr eine Wiederinbetriebnahme oder einen Ausbau der Ruhrstahlwerke vermeiden ließen. Er wies hier besonders auf die in Lothringen im Bau befindliche Breitbandstraße hin. Die dort hergestellten Coils (Bandstahl) könne man nach Süddeutschland oder ins Rheinland liefern, um sie dort auf noch zu errichtenden Kaltstraßen weiterzuverarbeiten: "Dies wäre ein sehr zufriedenstellendes Beispiel internationaler Zusammenarbeit bei der Vermeidung unnötiger Investitionen". Tatsächlich teilte die amerikanische Marshallplan-Behörde die Ansichten Denis und lehnte unter Hinweis auf mögliche Bandstahllieferungen aus Frankreich die Forderung der Ruhrindustrie nach einer eigenen kontinuierlichen Walzstraße ab.70 Albert Denis setzte sich in seinem Vortrag auch mit dem Problem der im Vergleich zu Deutschland hohen innerfranzösischen Stahlpreise auseinander. Anders als sein Vorgesetzter hielt er eine Senkung der Koksimportpreise ftlr unabdingbar. Diese sowie "die Inbetriebnahme der Breitbandstraßen werden sowohl den Preis als auch die Qualität der Stahlprodukte verbessern und dadurch unsere metallverarbeitende Industrie fördern" . Der Leiter des Service de Ia Siderurgie sah also die Notwendigkeit einer Senkung der Stahlpreise in Frankreich. Er lehnte aber die von den Verbrauchern vorgeschlagene Öffnung des französischen Marktes ftlr ausländische Stahlerzeugnisse kategorisch ab. 68 Zum folgenden Denis, bes. S. 17-27. Er wiederholte seinen Vorschlag eines Internationalen Stahlkartells beim Ministergespräch am 19.4.1950, siehe oben S. 135, Fn. 65. 69 Siehe dazu oben S. 49f. 70 Vgl. dazu meinen Aufsatz Competing for Dollarsand Technology.
3. Lösungsvorschläge
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Der Vorschlag einer Neuauflage des Internationalen Stahlkartells konnte in Teilen der französischen Administration auf Zustimmung rechnen. Dort hatte man bereits seit 1948 über mögliche Absprachen zwischen den europäischen Industriellen und ihre positive Rolle im wirtschaftlichen Einigungsprozeß nachgedacht. Und scheinbar waren Desrousseaux und Denis nicht die einzigen, die Anfang 1950 konkrete Überlegungen dazu anstellten. So erklärte Pierre Dreyfus, Directeur de Cabinet des Industrieministers, im Dezember 1949 einem Mitarbeiter der amerikanischen Marshallplan-Mission in Frankreich, daß die französische Regierung einer Abmachung der westeuropäischen Länder, darunter Deutschland, nach Art eines Produktionskartells nicht ablehnend gegenüberstehe.7 1 Alexis Aron, rechte Hand des CSSF-Präsidenten, bestätigte gegenüber der ECA solche Angaben. Demnach "waren er und M. Aubrun von der Chambre Syndicale de Ia Siderurgie von einem hochgestellten Regierungsvertreter aufgefordert worden, mit den Deutschen in Kontakt zu treten, um eine Übereinkunft über Stahl zu erzielen". 72 Im Außenministerium schien man einer Kartellösung im Hinblick auf die deutsche Stahlproduktion nicht abgeneigt. Ein Dokument aus der Direction d'Europe vom 30. November 1949 beftlrwortete privatwirtschaftliche Absprachen zwischen der Ruhr und der Iothringischen Stahlindustrie als Vorstufe einer deutsch-französischen Verständigung.73 Robert Schuman schlug im gleichen Zeitraum eine Harmonisierung der Stahlproduktion in Europa vor mit dem Ziel, ein geflihrliches Anwachsen der Arbeitslosigkeit zu verhindern. Ein Beobachter des Foreign Office glaubte, daß der französische Außenminister dabei wahrscheinlich an ein internationales Kartell dachte. 74 Auch der französische Hochkommissar in Deutschland, Andre Fran~ois Poncet, sprach sich ftlr Kartellabkommen zwischen den französischen und deutschen Industriellen aus. Dies machte er beispielsweise in einem Gespräch
71 ECA France TOECA/TOREP, Despatch N" 247, 1.12.1949, USNA, RG 469, SRE, IRD, Iron and Steel Section, Geographie Files, France. 72 ECA France TOECA Washington, Airgram No A-288, 21.2.1950, USNA, RG 469, MF, Subject Files (Central Files) 1948-56, Cartels. 73 Perspectives d'une politique franrraise a l'egard de I'AIIemagne, 30.11.1949, MAE, Z 1944-1949, Allemagne 83, erwähnt von Bossuat, La France,l'aide arnericaine, S. 658, Fn. I und Gillingharn, Coal, Steel, S. 169f., Fn. 195. 74 Nach Einschätzung eines Beamten im Foreign Office, Brief for the Meeting of Foreign Ministers in Paris, Future of Gennan Steel lndustry, 4.11.1949, PRO, F0371/76841, CE4676. Vgl. auch eine Äußerung Schumans im Conseil des Ministres am 8.11.1949, Auriol, Journal du septennat, Bd. Ill, S. 404.
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mit dem französischen Staatspräsidenten Auriol im·Dezember 1949 deutlich.75 Und im April 1950 unterbreitete er bei einem Vortrag in Berlin den Vorschlag, die Herstellbedingungen in Europa zu harmonisieren und Kartelle zur Aufteilung der Märkte und zur Regularisierung der Produktion zu schaffen.76 Schon 1931 hatte Fran~ois-Poncet, der übrigens von 1919 bis 1924 die vom Verband der Stahlindustrie Comite des Forges unterstützte Tageszeitung Bulletin Quotidien herausgab, ähnliche Vorschläge zur Lösung der damaligen Wirtschaftskrise unterbreitet. 77 In Industriekreisen befilrwortete man ebenfalls kartellähnliche Abmachungen. Der französische Unternehmerverband CNPF hatte schon 1948 Absprachen zwischen den Industriellen als geeignetes Mittel zur Integration Westdeutschlands in Europa vorgeschlagen. Sein Präsident Georges Villiers wiederholte diesen Vorschlag auf der Hauptversammlung des Verbandes am 7. Januar 1950 sowie erneut in einer Rede vor dem American Club am 16. Februar des gleichen Jahres:78 "Damit das Experiment [einer europäischen Wirtschaftseinheit] gelingt, ist es notwendig, in die Handelsliberalisierung Stoßdämpfer einzubauen. Die besten Stoßdämpfer sind zweifellos Kontaktaufitahmen zwischen den Industrieverbänden der verschiedenen Länder. Dies trim besonders ftlr die Handelsbeziehungen mit Deutschland zu, die ja zweifellos die delikatesten Fragen aufwerfen."
Gleichzeitig sprach sich der CNPF-Präsident gegen die von der Regierung geplante gesetzliche Neuregelung der Abmachungen zwischen den Industriellen aus. 79 Auf keinen Fall dürfe es zum Zwang einer Anmeldung oder der staatlichen Kontrolle von Kartellen kommen. Denn europaweite Absprachen setzten nach Ansicht von Villiers eine solide innerfranzösische Organisation der entsprechenden Branchen voraus. Demnach hatten direkte Bemühungen beim Secretariat d'Etat aux Affaires Economiques, das filr den Regierungsentwurf des Kartellgesetzes zuständig war, auch schon zu einer Abschwächung der vorgesehenen Maßnahmen gefllhrt.
75 76 77
Auriol, Journal du septennat. Bd. III, 28.12.1949, S. 46lf. Vgl. Bock, S. 600f. und 619. Realites allemandes, Aprill950, S. 32f., hier nach Diebold, The Schuman Plan, S. 42f.
Bock, S. 588 und 592 Das folgende Zitat nach L'Usine Nouvelle vom 23.2.1950, S. 1: Le Patronat fran~ais et les grands probfernes de l'heure; siehe zur ähnlichen Äußerung auf der Hauptversammlung deren Wortprotokoll, S. 8-ll, AN, 72AS 840. 79 Ebenda sowie vor dem Comite Directeur des CNPF am 17.1.1950, AN, 72AS 874. 78
3. Lösungsvorschläge
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Abmachungen zwischen den deutschen und französischen Stahlproduzenten wären also in Frankreich von weiten Teilen der Administration und der Wirtschaft begrüßt worden. Tatsächlich hielten sich seit Mitte 1949 hartnäckige Gerüchte über eine Neuauflage des Internationalen Stahlkartells. Nach amerikanischen Informationen nahmen Treffen zwischen europäischen Roheisen- und Stahlproduzenten seit Oktober 1949 eine gewisse Regelmäßigkeit an. 80 Auch nach Angaben des Benelux-Vertreters aufder Sitzung des Comite d'Orientation des Rates der europäischen Industrieverbände am 13. März 1950 waren die Absprachen im Stahlbereich schon sehr weit gediehen.S 1 Einer der Gründe dafilr mag die durch die drohende Überproduktion geschürte Furcht der Stahlproduzenten vor einer Wiederholung der großen Krise der dreißiger Jahre gewesen sein. 82 Nach Ansicht des britischen Meta! Bulletin blieb der französischen Stahlindustrie aufgrund der deutschen Produktionssteigerungen wahrscheinlich keine andere Wahl, als Absprachen mit den Ruhrkonzernen über Produktions- und Exportquoten zu suchen. 83 Anderen Informationen zufo]ge suchten allerdings vor allem die deutschen, belgiseben und Iuxemburgischen Hersteller den Kontakt mit ihren französischen Kollegen. 84 Die deutschen Stahlproduzenten schienen besonders über die französischen Stahllieferungen nach Süddeutschland besorgt. Demnach hatten die französischen Eisenverbände beschlossen, "den Export in das Bundesgebiet aus einer Exportausgleichskasse zu subventionieren". 85 Zwar waren die Stahlimporte aus Frankreich und der Saar Kontingentierungen unterworfen, doch konnten diese wohl auf dem Umweg über die französische Zone umgangen werden. 86 Der 80 Siehe u.a. fßCOG, Frankfurt N" 122 to State Department, 25.1.1950, USNA, RG 59, 1950-54, 862.33/1-2550, ein Telegramm des State Department und der ECA vom 8.6.1950, USNA, RG 469, ODA, Subject Files (Central Files) 1948-53, Commodities- Steel. Vgl. Berghahn, Montanunion und Wettbewerb, S. 264 sowie ders., Americanisation, S. 115. 81 AN, 72AS 788. 82 Vgl. M. Uvy-Leboyer, Lagrande entreprise: un modele fran.,:ais?, in: Ders. I Casanova (Hg.), Entre l'Etat et le marche, S. 393f. sowie ders., Les contraintes du marche, les annees 18801940. Intro-duction, ebenda, S. 195-197. Auch Albert Denis bestätigte in einem Interview vom 14.5.1992 die Furcht der Stahlindustriellen vor einer Wiederholung der Krise. 83 Zitiert in L'Usine Nouvelle vom 7.7.1949, S. 6: Vers un cartel de l'acier de l'Ouest europeen. Siehe dazu auch BOhrer, Ruhrstahl und Europa, S. 163f. 84 Siehe dazu L'Usine Nouvelle vom 7.7.1949, S. 6. 85 Vermerk Ober Sitzung Engerer Vorstand am 9.2.1950, S. 3, WV Stahl, Sitzungsberichte, Band 3. 86 Vermerk Ober die Vorstandssitzung am 10.9.1949, S. 10; zu den möglichen Forderungen der süddeutschen Stahlverarbeiter nach zollfreien Einfuhren aus dem Saargebiet den Vermerk Ober Sitzung Engerer Vorstand am 9.2.1950, S. 7, ebenda.
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Teil II: Der Weg zum Schuman-Pian
engere Vorstand der Wirtschaftsvereinigung der Eisen- und Stahlindustrie hatte deshalb schon im November 1949 den Standpunkt vertreten, daß "versucht werden sollte, zwischen den beiderseitigen Industrien freie Vereinbarungen zu treffen, die Schädigungen aufbeiden Seiten ausschließen".S 7 Gegenüber Bundeswirtschaftsminister Erhard, der die deutsche Stahlindustrie mit Rücksicht auf "außenpolitische Gegebenheiten" in der Kartellfrage um "Zurückhaltung" gebeten hatte, betonte man in der WV Stahl, "daß schon im Hinblick auf internationale Entwicklungen die deutsche Eisenindustrie ohne Marktabreden nicht wird auskommen können", und forderte deshalb entsprechende Ausnahmebestimmungen im Entwurf ftir das geplante Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen. 88 Auch Alexis Aron vom Verband der französischen Stahlindustrie erklärte gegenüber einem Vertreter der Marshallplan-Behörde ECA, "daß eine klare Notwendigkeit fiir ein europäisches Einvernehmen im Stahlbereich bestehe".S9 Und im März 1950 unternahm die Socit~te Commerciale de Fonte, das Pendant des CPS ftir Roheisen, Sondierungsgespräche in Deutschland. Ihr Vertreter erklärte seinen Gesprächspartnern, daß die französische Stahlindustrie einmütig beschlossen habe, zu einem Exportabkommen mit den deutschen Herstellern zu kommen.90 Tatsächlich ging es bei den Treffen der Stahlproduzenten höchstwahrscheinlich in erster Linie darum, den Preisverfall auf den Exportmärkten zu stoppen. So scheint es im Frühjahr 1950 zwischen den deutschen, französischen, belgiseben und Iuxemburgischen Herstellern eine erste Einigung über die Marktanteile und die Preise in der Schweiz gegeben zu haben.9 1 Die französischen Stahlproduzenten dementierten allerdings mehrfach "kategorisch" ihre Teilnahme an solchen Gesprächen und Abmachungen. 92 Auch als Albert Denis und Jacques Desrousseaux am 19. April 1950 während des Gespräches beim Industrieminister den Vertretern der französischen Stahlindustrie nahelegten, Kartellabsprachen zu suchen, lehnten diese ab. Der Verbandspräsi87
Vermerk über Sitzung Engerer Vorstand am 24.11.1949, S. 2, ebenda. Vermerk über Vorstandssitzung am 16.3.1950, S. 2f., ebenda. 89 Wiedergegeben in Airgram W A-288, ECA France TOECA Washington, 21.2.1950, siehe oben S. 137, Fn. 72. 90 Übernahme von Roheisen aus Frankreich bzw. der Saar, 8.3.1950, Bundesarchiv (BA), Koblenz, 109/97, zitiert von Gillingham, Solving the Ruhr Problem, S. 410f. und in ders., Coal, Steel, S. 225. 91 L'Usine Nouvelle vom 11.5.1950, S. 6: Renaissance des ententes siderurgiques? 92 L'Usine Nouvelle vom 1.12.1949, S. 3: Vaines inquietudes au sujetdes pretendus cartels und vom 22.12.1949, S. 7: Apropos des bruits de cartellisation de Ia Siderurgie occidentale. 88
3. Lösungsvorschläge
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dent Jules Aubrun zweifelte, "ob dies der geeignete Moment für die französische Stahlindustrie sei, sich darum zu bemühen".93 Die ablehnende Haltung der französischen Hersteller wird verständlich durch einen Blick auf die Entwicklung der Stahlproduktion. In Frankreich hatte sie im März 1949 mit 826.000 Tonnen ihren Höchststand nach dem Krieg erreicht, stagnierte seitdem weitgehend und war vor allem seit Anfang 1950 rückläufig. Im März 1950 hatte die französische Stahlindustrie infolge von Streiks nur 504.000 Tonnen hergestellt. Dagegen stieg die deutsche Produktion weiterhin an und überschritt im März 1950 erstmals die Grenze von einer Million Tonnen.94 Da Stahlkartelle die Produktionsquoten normalerweise nach Referenzzeiträumen (d.h. vorhergehenden Perioden) aufteilen, hätte sich die französische Stahlindustrie damals tatsächlich in einer ungünstigen Verhandlungsposition befunden. Die französischen Stahlproduzenten zögerten also - zumindest vorläufig -, direkte Absprachen mit den deutschen Herstellern zu treffen. Außerdem kann man mit Sicherheit davon ausgehen, daß die Vereinigten Staaten eine solche Lösung grundsätzlich verwarfen. Nach Ansicht eines Beamten des Foreign Office traten sie Kartellen "entschieden" entgegen.9S Dessen war sich auch CNPF-Präsident Villiers bewußt. So erklärte er auf der Hauptversammlung des Verbandesam 7. Januar 1950, daß es schwer sei, die Amerikaner vom Nutzen solcher Absprachen zu überzeugen.96 Schon auf der Sitzung des Comite Directeur am 13. Dezember 1949 hatte er ihr "wahrhaftes Grauen" vor einer Kartellisierung in Europa erwähnt.97 Und auch das französische Plankommissariat lehnte, wie gesehen, direkte Abmachungen zwischen den Industriellen ab. Damals stand die Ruhrindustrie aber nicht nur im Zentrum der Diskussionen über eine Neuauflage des Internationalen Stahlkartells, sondern wurde von vielen als möglicher Ausgangspunkt für die wirtschaftliche (und politische) Integration in Europa gesehen.
93
70671. 94
Bericht Aubruns, zusammengefaßt von Franc;ois de Villepin, 22./24.4.1950, PAM
Bulletins statistiques de Ia CSSF. Vgl. die Tabelle oben S. 114. Brief for the Meeting of Foreign Ministers in Paris, Future of German Steel Industry, 4.11.1949, PRO, F0371/76841 , CE4676. 96 Wortprotokoll, S. II, AN, 72AS 840. 97 Protokoll, S. 4, AN, 72AS 873. 95
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Teil 11: Der Weg zum Schuman-Plan Die Schwerindustrie als Basis der europäischen Einigung
Wie gesehen hatten bereits während des Krieges Jean Monnet, Rene Mayer, Herve Alphand und Robert Marjolin Projekte eines wirtschaftlich geeinten Europa ausgearbeitet und diskutiert. Darunter befand sich auch die Idee eines "industriellen Lotharingien", wie sie Monnet beispielsweise bei einem Abendessen mit General de GauBe im befreiten Nordafrika darstellte: "Eine Art Lotharingien werde gebildet, die europäische Schwerindustrie unter eine internationale Leitung gestellt, die Zollgrenzen abgeschafft".98 Vorschläge für eine Integration auf der Grundlage der Schwerindustrie kamen auch aus Deutschland. So lag für Konrad Adenauer die Lösung des deutsch-französischen Gegensatzes in einer engen wirtschaftlichen Verbindung beider Länder. 99 Erste Vorschläge dazu hatte der spätere Bundeskanzler bereits in den zwanziger Jahren unterbreitet.IOO Er griff sie nach dem Krieg in zahlreichen Briefen, Reden und Gesprächen wieder auf. Beispielsweise setzte er sich bei einer Rede in der Aula der Kölner Universität am 24. März 1946 für eine organische Verflechtung der französischen, belgiseben und deutschen Wirtschaft ein, "weil parallel laufende, gleichgeschaltete wirtschaftliche Interessen das gesundeste und dauerhafteste Fundament für gute politische Beziehungen zwischen den Völkern sind und immer bleiben werden".101 Am 13. Juni 1946 und am 22. März 1947 machter er in zwei Gesprächen mit dem französischen Konsul in DUsseldorf erneut deutlich, daß das deutsche Problem nur in einem westeuropäischen Rahmen gelöst werden könne und die Wirtschaft dafür das Fundament bilden mUsse.I02
98 Siehe ftlr dieses Gespräch am 17.10.1943 Alphand, S. 168f. Vgl. auch Hirsch, S. 78f. Nach R. Poidevin, Rene Mayer et Ia politique exterieure de Ia France (1943-1953), in: Revue d'histoire de Ia deuxieme guerre mondiale 134 (Apri11984), S. 73f. stammte die Idee von Mayer. 99 Zu Adenauers Europapolitik u.a. W. Weidenfeld, Konrad Adenauer und Europa. Die geistigen Grundlagen der westeuropäischen Integrationspolitik des ersten Bonner Bundeskanzlers, Köln 1976, H.-P. Schwarz, Adenauerund Europa, in: VtZG 27 (1979), S. 471-523 sowie P. Legoll, Konrad Adenauer et l'idee d'unification europeenne, janvier 1948- mai 1950. Un homme politique "europeen" et son environnement dans Je contexte international, Bem 1989. 100 Ebenda, S. 20-24 und 275. Vgl. Schwarz, Adenauer und Europa, S. 488 und 494, Diebold, The Schuman Plan, S. 25f., K. Adenauer, Erinnerungen 1945-1953, Stuttgart 1965, S. 335 sowie Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 166, Fn 35. 101 Wiedergegeben von Weidenfeld, S. 275-298, hier S. 297. Vgl. Schwarz, Adenauerund Europa, S. 493, BUhrer, Ruhrstahl und Europa, S 82 sowie Adenauer, S. 35 und 40. 102 Hier nach Legoll, S. 32ff. Demnach schlug er schon damals eine deutsch-französische Zollunion vor.
3. Lösungsvorschläge
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Neben dem politischen Aspekt der Aussöhnung gewannen wirtschaftliche Motive in Adenauers Vorschlägen nach und nach ein immer größeres Gewicht. Anfang 1947 schlug er als Alternative zu den Sozialisierungsplänen Großbritanniens ftlr die Ruhrindustrien eine Dreiteilung von deren Eigentum vor. Es sollte zu je einem Drittel von der öffentlichen Hand, von deutschem Privatkapital und von ausländischen Geldgebern gehalten werden. Als Begründung ftlr seinen Vorschlag wies er gegenüber einem Mitarbeiter des britischen Oberbefehlshabers auf die Bedeutung einer wirtschaftlichen Verflechtung der Volkswirtschaften hin.I03 Bei seinen Bemühungen konnte Adenauer auf die Unterstützung der Ruhrindustriellen rechnen. Diese versprachen sich von einer europäischen Zusammenarbeit vor allem die Beendigung der alliierten Demontage- und Entflechtungsmaßnahmen. In diesem Zusammenhang machte Wilhelm Salewski, Geschäftsftlhrer der Wirtschaftsvereinigung der Eisen- und Stahlindustrie, Mitte 1947 einen Vorschlag, der der westdeutschen Stahlindustrie gleichzeitig die ftlr ihre Modernisierung notwendigen Mittel beschaffen sollte:I04 "Eine Refinanzierung des französischen Interesses an der Ruhr durch die Amerikaner erscheint ihm als die Patentlösung, weil dadurch vor allem die leidige securite-Frage gelöst und die Ruhr ftlr das amerikanische Kapital in einer Weise attraktiv gestaltet würde, wie dies die Ruhr von sich aus heute nicht tun könne." Eine konkrete Demarche in dieser Richtung unternahm der stellvertretende Aufsichtsratsvorsitzende der Vereinigten Stahlwerke, der Kölner Bankier Robert Pferdmenges, um die Jahreswende 1947/1948. Er traf sich in Luxemburg mit einem Vertreter des größten französischen Stahlkonzerns de Wendel und schlug ihm eine Kapitalbeteiligung an dem von der Entflechtung und von Demontagen betroffenen deutschen Stahlkonzern vor. 105 De Wendellehnte jedoch Siehe dessen Bericht vom 8.1.1947, PRO, F0371164262, hier nach Post, S. 53f. Aufzeichnung eines Gesprächs mit Mitarbeitern des Deutschen Büros ftlr Friedensfragen, 4.10.1947, zitiert nach BOhrer, Ruhrstahl und Europa, S. 92. Ähnliche Überlegungen hatte er in einer Denkschrift vom 9.6.1947 mit dem Titel "Westeuropäische Montan-Union?" bereits ausfuhrlieh dargelegt, ebenda, S. 85-88. Sie ist abgedruckt in Les cercles tconomiques et l'Europe au XXe siecle, Louvain-la-Neuve 1992, S. 153-163. 105 Pferdmenges erwähnte das Treffen in einem Gespräch mit dem stellvertretenden französischen Hochkommissar Armand Btrard am 10.11.1949, A. Berard, Un ambassadeur se souvient, Bd. n: Washington et Bonn 1945-1955, Paris 1978, S. 243. Vgl. Legoll, S. 181f. USQuellen bestätigen ein solches Angebot, dazu Gillingham, Coal, Steel, S. 219, Bohrer, Wegbereiter der Verständigung, S. 75, ders., Die französische Ruhrpolitik, S. 34f. sowie zur ablehnenden Reaktion der Amerikaner meinen Aufsatz Competing for Dollars and Technology. Siehe zu seiner Person, seinem Werdegang und seiner Freundschaft mit Adenauer W. Treue, Robert Pferdmenges (1880-1962), in: Geschichte im Westen 5 (1990), S. 188-210. 103
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Teil II: Der Weg zum Schuman-Plan
ab. Die Zeit sei noch nicht reif. Pferdmenges war ein enger Freund und Vertrauter Adenauers. Man kann also vennuten, daß dieser dessen Vorschlag kannte, ihm wahrscheinlich zugestimmt, ihn vielleicht sogar inspiriert hatte. Darauf lassen auch die detaillierten Pläne fiir eine deutsch-französische Kooperation schließen, die GUnter Henle, Klöckner-Chef und CDU-Abgeordneter im Wirtschaftsrat, im Herbst 1948 auf Anregung Adenauers entwarf. In einem Memorandum vom 26. Oktober mit dem Titel "Ruhrgebiet und europäische Zusammenarbeit" schlug er nämlich einen Austausch von Kapitalbeteiligungen zwischen der Ruhr und der Iothringischen Stahlindustrie vor. 106 Angesichts der 1949 fortschreitenden Demontagen (darunter der modernen August-ThyssenHütte in Hamborn) machten andere deutsche Stahlindustrielle ähnliche Vorschläge einer Internationalisierung, d.h. einer Beteiligung der Alliierten am Kapital der Werke anstelle ihres Abbaus.I0 7 Als Mitbesitzer, so das Argument, könnten die Franzosen die Produktion der Ruhr überwachen und dadurch ihr Sicherheitsbedürfnis befriedigen. Einen umfassenden Vorschlag dieser Art unterbreitete der kurz zuvor zum Bundeskanzler gewählte Adenauer am 14. Oktober 1949 den alliierten Hohen Kommissaren. Er wiederholte zunächst seine Überzeugung, daß "gemeinsame ökonomische Interessen" die "beste und dauerhafteste Basis fiir die Zusammenarbeit zwischen Nationen" seien. Anschließend verwies er auf seine langjährigen Bemühungen um eine deutsch-französische Aussöhnung in diesem Sinne und schlug dann die Beteiligung Frankreichs an der deutschen Industrie mit Hilfe amerikanischen Kapitals vor: I08 "Auf diese Weise· können wir zwei Dinge erreichen: erstens die Integration der französisch-deutschen Wirtschaftinteressen; zweitens könnte Frankreich durch seine Anteile an der deutschen Industrie eine Kontrolle Ober diese ausüben, und dieses wUrde dann das Gefilhl der Sicherheit schaffen, welches die Franzosen eindeutig verlangt und gefordert haben und wozu sie auch berechtigt sind."
Was der Bundeskanzler vor der Hohen Kommission nicht erwähnte, was aber aus seinen früheren Vorschlägen deutlich wird, ist die Tatsache, daß eine BOhrer, Ruhrstahl und Europa, S. 126-128. Ebenda, S. 109-11 I. Vgl. auch Legotl, S. 180f. 108 Akten zur Auswartigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 434f. Vgl. Post, S. 163f. und H.-P. Schwarz, Adenauer. Der Aufstieg: 1876-1952, Stuttgart 1986, S. 684686. Der Bundeskanzler wiederholte den Vorschlag in Interviews mit Der Zeit und dem Haitimore Sun, erschienen am 3. bzw. 7.ll.l949, Adenauer, S. 255-258. 106 107
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solche Kapitalbeteiligung der deutschen Stahlindustrie die Mittel ftir die dringend notwendige Modernisierung verschaffen würde.l 09 Am 7. November 1949 übergab die Bundesregierung dem stellvertretenden französischen Hochkommissar Berard ein konkretes Angebot, das der Bundeskanzler gemeinsam mit Finanzminister Schäffer, Wirtschaftsminister Erhard und Robert Pferdmenges ausgearbeitet hatte. Es sah eine französische Kapitalbeteiligung an den Vereinigten Stahlwerken vor.ll 0 Die Alliierten verhielten sich abwartend, sogar ablehnend. Auf der AHKSitzung vom 14. Oktober 1949 betonte der US-Hochkommissar McCloy, daß eine Lösung ftir das deutsch-französische Problem aus den beiden Ländern selbst kommen müsse: "Ich glaube nicht, daß amerikanische Dollars eine solche Beziehung erzwingen können." 111 Auf der folgenden Sitzung am 17. November äußerte sich der britsche Hochkommissar Robertson ebenfalls ausweichend. Er sagte Adenauer nur eine Prüfung seines Vorschlags durch die alliierten Regierungen zu. Der Bundeskanzler erhielt jedoch weder von den Hohen Kommissaren noch aus Frankreich eine offizielle Antwort. Ein ähnliches Schicksal widerfuhr seinem weitreichenden Vorschlag einer kompletten deutsch-französischen Union vom März 1950.112 Auch wenn die zahlreichen Initiativen Adenauers keinen direkten Erfolg hatten, schufen sie weiteren Druck ftir Frankreich, eine geeignete Lösung ftir den deutsch-französischen Gegensatz zu finden. Denn wie gesehen, drängten zur gleichen Zeit die USA die Franzosen, eine Initiative in dieser Hinsicht zu ergreifen. Außerdem verdeutlichten sie, daß auch ein auf das wirtschaftliche Feld begrenzter Vorschlag zu einer Lösung der politischen Probleme zwischen den beiden Ländern fUhren konnte. Dies galt umso mehr, wenn dieser Vorschlag gleichzeitig eine Lösung des Ruhrproblems, dh. aus deutscher Sicht ein schnelles Ende der Demontagen, Entflechtungen und Beschränkungen brachte. Doch nicht nur in Westdeutschland wurden internationale Lösungen ftir die Ruhrfrage und die deutsch-französische Aussöhnung diskutiert. Die Europabewegung beschäftigte sich nach dem Zweiten Weltkrieg ebenfalls mit der Möglichkeit, die Schwerindustrien zur Grundlage einer weiterreichenden IntegraSiehe zu diesem Aspekt meinen Aufsatz Competing for Dollarsand Technology. Siehe Adenauer, S. 255-258 sowie Berard, S. 242f. Vgl. auch Post, S. 166, Legoll, S. 170f. und insgesamt Schwartz, S. 72-75. 111 Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, S. 436f. 112 In zwei Interviewsam 7. und 21.3.1950 mit dem Journalisten Kingsbury-Smith, vgl. Adenauer, S. 311-316, Legoll, S. 227-235 und Schwarz, Adenauer, S. 700-702. 109 110
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tion zu machen.l 13 Die Schaffung der Internationalen Ruhrbehörde durch die Londoner Beschlüsse vom Dezember 1948 gab solchen Projekten neuen Auftrieb. Auf der europäischen Wirtschaftskonferenz, die vom 19. bis zum 25. April 1949 in Westminster stattfand, wurde die Ansicht vertreten, daß diese Regelung auf die gesamte westeuropäische Montanindustrie ausgedehnt werden müsse. 114 Tatsächlich hatte die französische Delegation in ihrem vorbereitenden Dokument eine solche Forderungen erhoben.ll5 Dem schlossen sich die Verantwortlichen in Deutschland natürlich umgehend an, da sie im Ruhrstatut und der Ruhrbehörde eine diskriminierende Maßnahme sahen.1 16 Aber auch die Amerikaner befUrworteten die Einbeziehung der übrigen westeuropäischen Kohle- und Stahlregionen.117 Auf der Westminster-Konferenz befaßte sich eine gesonderte Kommission im Detail mit der Zukunft der Basisindustrien (Kohle, Stahl, Energie und Transport) in Europa. In ihrer Abschlußresolution, die auch vom Plenum der Konferenz verabschiedet wurde, schlug sie vor, für die genannten Wirtschaftszweige drei Organisationen zu schaffen: llS ( 1) eine europäische Regierungskörperschaft zur Bestimmung allgemeiner Richtlinien für die entsprechenden Industrien, insbesondere im Hinblick auf Investitionen, Produktionsvolumen und Preise, (2) eine aus Arbeitgebern, Arbeitnehmern und Vertretern des öffentlichen Interesses bestehende beratende Körperschaft und (3) eine oder mehrere Organisationen der Industrie, denen unter anderem die AusfUhrung der Richtlinien der europäischen Regierungskörperschaft obliegen würde. Der französische Historiker Philippe Mioche behauptet, diese Dreigliederung habe den "tiefgehenden Wünschen (wörtlich: aspirations profondes) der 113 Vgl. dazu und zum folgenden im Detail P. Gerbet, La Construction de I'Europe, Paris 1983, S. 109-123 sowie seine anderen Arbeiten: La genese du Plan Schuman, S. 526-529 und 534-537, l..e relevement, S. 292-299 und l..es origines du Plan Schuman, S. 200-210. Siehe auch Poidevin, Robert Schuman, homme d'Etat, S. 251-253. 114 So einer der deutschen Teilnehmer, M.C. Müller, auf der Sitzung des Engeren Vorstands der WV Stahl am 5.5.1949, hier nach Bührer, Ruhrstahl und Europa, S. 162. 115 Mouvement Europeen, Preparation de Ia Conference Economique Europeenne de Westminster, Paris 1949, S. 14. 116 Zu entsprechenden Stellungnahmen des nordrhein-westflllischen Ministerpräsidenten Karl Arnold siehe u.a. Diebold, The Schuman Plan, S. 35f. und Gerbet, La Construction de I'Europe, S. 106. 117 Vgl. dazu u.a. Post, S. 163 und Bossuat, Le poids de l'aide americaine, S. 249. 118 Basic Industries Comittee, B.I/8c, Report of Committee No. 3 to the European Economic Conference, EG-Archiv, Dep 13 Mouvement Europeen (ME), N° 1130.
3. Lösungsvorschläge
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französischen Stahlindustrie" entprochen. 119 Auch in der deutschen Stahlindustrie fand man die Tatsache bemerkenswert, daß auf der Konferenz offen über Kartelle diskutiert worden war und daß einige Teilnehmer sogar die Meinung geäußert hatten, diese seien "unumgänglich notwendig" .120 Trotzdem stellt Werner Bührer zu Recht fest, daß es sich bei der vorgeschlagenen Struktur um einen Kompromiß handelte, da die Industrieorganisationen Richtlinien und Kontrollen unterworfen blieben.121 Tatsächlich waren in den Diskussionen der Kommission divergierende Ansichten zu Tage getreten. Das Dokument, das die Ergebnisse von deren erster Sitzung zusammenfaßt, unterscheidet drei "Strömungen". 122 Eine erste forderte weitgehende Vollmachten filr die Organisationen der Industrie. Die europäische Institution dürfe nur allgemeine Direktiven herausgeben und deren Einhaltung überwachen. Andere Teilnehmer verlangten dagegen eine starke europäische Behörde. Diese filhre die getroffenen Entscheidungen auch selbst aus. Damit das Allgemeininteresse gewahrt bleibe, sollten ihr auch branchenfremde Mitglieder angehören. Eine dritte Gruppe schlug die Überwachung der Industrieverbände durch bestehende internationale Organisationen, wie die OEEC vor. Diese dürften aber keine Entscheidungsbefugnis, sondern nur ein allgemeines Kontrollrecht haben. Die entscheidenden Unterschiede lagen also in der Antwort auf die Fragen, inwiefern man die Steuerung der Wirtschaft dieser selbst überlassen sollte und wie mögliche Mißbräuche verhindert werden konnten. Die Kommission unterstrich deshalb die Notwendigkeit einer Untersuchung der Kartellfrage. Interessanterweise zeigte das zur Vorbereitung der Westminister-Konferenz gedachte Dokument der französischen Delegation ähnliche Divergenzen. 123 Demnach sahen die Befilrworter von Kartellen in Absprachen zwischen den europäischen Industriellen einer Branche die Möglichkeit, den Strukturwandel und den Anpassungsprozeß zu erleichtern. Die Kartellgegner vertrauten dafilr auf die Wirkung des Wettbewerbs. Sie wollten deshalb auf einen Abbau der 11 9 Mioche, La siderurgie et l'Etat, S. 673. Ähnlich vorher J.-P. Bounie, Le CNPF et I'Europe, Diss. Paris 1969, S. 73 und 76. Zur Kartelldiskussion auf der Konferenz auch Gillingham, Coal, Steel, S. 222f. 120 M.C. Müller vor dem Engeren Vorstand der WV Stahl am 5.5.1949, hier nach BUhrer, Ruhrstahl und Europa, S. 162. 121 Ebenda, S. 161. 122 Commission d'lndustries de Base, B.l/1 , Bref sommaire des points de vue exprimes pendant Ia premiere session de Ia Commission, EG-Archiv, Dep 13 ME, N° 1130. 123 Mouvement Europeen, S. 15f.
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Teil Il: Der Weg zum Schurnan-Plan
Zollschranken in Europa nicht verzichten, würden aber eine Verlangsamung der Liberalisierung akzeptieren, um zu verhindern, daß die Anpassungsschwierigkeiten die Unternehmer zur Aufteilung der Märkte und Preisabsprachen verleiteten. Einig waren sich auch in Frankreich Anhänger wie Gegner von Absprachen zwischen den Industriellen über die Notwendigkeit einer europäischen "Kartellkontrollbehörde", entweder in Form eines speziellen Gerichtshofes oder nach dem Vorbild der amerikanischen FederalTrade Commission. Vergleichbare Diskussionen fanden auch im Rahmen des im August 1949 erstmals tagenden Europarates statt.124 Im Dezember empfahl dessen WirtschaftsausschuB die Schaffung einer aus Regierungsexperten, Stahlproduzenten und -verarbeitern zusammengesetzten europäischen Stahlbehörde mit untersuchenden und empfehlenden Funktionen. Ihr sollte eine beratende Körperschaft, bestehend aus Arbeitgebern und Arbeitnehmern der Branche, Vertretern des öffentlichen Interesses und Verbrauchern, zur Seite gestellt werden. 125 Die Straßburger Parlamentarierversammlung befaßte sich ebenfalls mit dem Kartellproblem und verlangte vom Ministerkomitee des Europarats ein entsprechendes Projekt. Als dieser darauf nicht reagierte, übernahm der Wirtschaftsausschuß die Frage und erwog die Einrichtung eines europäischen Kontrollorgans.126 Diese Vorschläge sind nicht nur akademischer Natur, sondern spiegeln in ihrer Bandbreite deutlich die Auseinandersetzungen wider, die etwa zur gleichen Zeit in der französischen Regierung und Verwaltung stattfanden. So gab es im Industrieministerium Befilrworter einer Neuauflage des Internationalen Stahlkartells, während das Finanzministerium staatlich beaufsichtigte Spezialisierungsabkommen und eine Unterscheidung von nützlichen und schädlichen Absprachen vorschlug, wohingegen das Plankommissariat fiir ein striktes Kartellverhot eintrat. Der damalige stellvertretende Plankommissar Etienne Hirsch behauptet jedoch in einem späteren Interview, daß die Verfasser der Erklärung vom 9. Mai 1950 die Vorschläge der Westminster-Konferenz und des Europarats zwar 124 Zu dessen Vorgeschichte und Konstituierung ausftlhrlich Gerbet, Le relevernent, S. 361388, im Überblick W. Loth, General Introduction, in: Docurnents on the History of European Integration, Bd. 3, Berlin 1988, S. !Of. und ders., Einleitung, in: ders. (Hg.), Die Anfltnge der europäischen Integration, S. 20-22. 125 Diebold, The Schurnan Plan, S. 4lf. 126 Nach A. Philip, Le problerne des investissernents europeens, In: Problemes, Revue rnensuelle du Bureau d'Etudes et de Docurnentation de Ia Federation Generale du Travail de Belgique, 4e annee, W I (Januar 1950), S. 9.
3. Lösungsvorschläge
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kannten, diese aber ftlr den Schuman-Plan absolut keine Rolle gespielt hätten.127 Monnet selbst äußert sich in seinen Erinnerungen ähnlich. Er unterstrich die entscheidende Schwäche der zahlreichen Projekte und Vorschläge der Europabewegung zu den Schwerindustrien: "Sie enthielten nichts, was aus dieser Idee Realität hätte machen können" . 128 An der gleichen Stelle betont der Plankommissar aber auch, daß er die "Hellsicht" der Autoren dieser Vorschläge keineswegs unterschätzte. Tatsächlich zeigt sich, daß Monnets Überlegungen eine sehr große Übereinstimmung mit den Ansichten und Analysen eines prominenten Vertreters der Buropabewegung aufweisen. Andre Phi/ip: Stahlbehörde und Kartellkontrolle
"Durch seine Reisen, seine Kultur, sowohl literarisch als auch musikalisch, ist Andre Philip grundsätzlich ebensosehr Europäer wie Franzose".129 Philip, der 1902 in der Provence geboren wurde, sprach fließend Deutsch und Englisch und verbrachte bereits vor dem Zweiten Weltkrieg längere Zeit in Deutschland, Großbritannien und den Vereinigten Staaten. Er hatte Philosophie, Wirtschaftsund Rechtswissenschaften in Paris studiert und war seit 1927 Professor in Lyon. Geprägt vom sozialen Protestantismus und sozialistischem Gedankengut schloß er sich 1920 der französischen sozialistischen Partei SFIO an, vertrat aber zeitlebens keine doktrinäre Auffassung vom Sozialismus, sondern setzte sich beständig ftlr seine Anpassung an die (wirtschaftlichen) Realitäten ein. Nach der französischen Niederlage von 1940 gehörte Andre Philip zu den Widerstandskämpfern der ersten Stunde und spielte in der Resistance und ihren Überlegungen ftlr die politische und wirtschaftliche Neuordnung Frankreichs eine wichtige Rolle. 13° Seit Januar 1946 leitete er das im April 1945 vereinigte 127 Interview mit Bj0l, 15.7.1964, Anhang N" II, S. 378-380. Auch Pierre Uri sprach den Straßburger Vorschlägenjeglichen Einfluß ab, Interview am 7.7.1964, ebenda N" 12, S. 382. 128 Monnet, Erinnerungen, S. 359f. 129 Diese Beschreibung stammt von seinem Sohn Lore, Juraprofessor in Aix-en-Provence, L. Philip, Andre Philip, Paris 1988, S. 46. Ihm sei an dieser Stelle ftlr die Bereitschaft gedankt, Einsicht in einen Teil des Nachlasses seines Vaters zu gewähren. Die meisten der im folgenden benutzten Aufsätze stammen von dort. Vgl. zu seiner Person auch G. Morin I J. Raymond, Andre Jean Louis Philip, in: Dictionnaire biographique du mouvement ouvrier frant;:ais, Bd. 38, Paris 1990, S. 305-309 sowie Dictionnaire des ministres 1789 a 1989, Paris 1990, S. 719f. 130 Dazu Kuisel, Capitalism and the State, S. 159f. und 173ff., Shennan, S. 238-242 sowie Mioche, Le Plan Monnet, S. 35f. Vgl. auch Gerbet, Les origines du Plan Schuman, S. 201.
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Teil II: Der Weg zum Schuman-Pian
Finanz- und Wirtschaftsministerium. Nach dessen erneuter Aufspaltung war er von Januar bis Oktober 1947 Wirtschaftsminister. Er vertrat Frankreich bei den internationalen Zoll- und Handelskonferenzen in Genf und Havanna und der UN-Wirtschaftskommission filr Europa. Es überrascht also nicht, daß Andre Philip in der Nachkriegszeit zu einem der filhrenden Europapolitiker seiner Partei wurde.13l Spätestens seit Mitte 1947 setzte die SFIO verstärkt auf die europäische Einigung, um Europa als "Dritte Kraft" zwischen den beiden Weltmächten USA und UdSSR zu etablieren, das Gelingen des Marshallplans zu sichern, die Grundlagen fiir den Aufbau des Sozialismus zu schaffen und das Deutschlandproblem in einem internationalen Rahmen zu lösen. Philip selbst beschäftigte sich spätestens seit 1948 mit der Ruhrfrage im europäischen Kontext.l32 Im Januar 1949 hielt er beispielsweise an der Ruhr eine Reihe von Vorträgen zum Thema "Frankreich und die europäische Wirtschaftsunion".133 Innerhalb der SFIO gehörte Philip zu einer "technokratisch-pragmatisch argumentierenden Gruppe", die den Aufbau von supranationalen Organisationen fiir Teilbereiche der europäischen Wirtschaft forderte. 134 Auch als Vorsitzender der Sozialistischen Bewegung fUr die Vereinigten Staaten von Europa (Mouvement Socialiste pour les Etats-Unis d'Europe = MSEUE) befürwortete er die Schaffung europäischer Institutionen mit Machtbefugnissen, notfalls ohne die Beteiligung Großbritanniens.l35 Auf der Westminster-Konferenz im April 1949 leitete Philip die fiir die Basisindustrien zuständige Kommission. Und im Europarat setzte er sich ebenfalls fUr die Schaffung einer europäischen Stahlbehörde ein. Dort forderte der von ihm geleitete Unterausschuß ftlr Industrieproduktion am 13. Dezember 1949 eine Behörde mit weitreichenden Vollmachten. Der Wirtschaftsausschuß
131 Dazu und zum folgenden ausfuhrlieh W. Loth, Sozialismus und Internationalismus. Die französischen Sozialisten und die Nachkriegsordnung Europas 1940-1950, Stuttgart 1977, S. 156ff. Vgl. zu den politischen Aspekten auch ders., Die europäische Integration, S. 236f. 132 Siehe etwa seinen Artikell..e problerne de Ia Ruhr, in: Banque et Bourse 44 (Juli 1948), S. 195f. Vgl. auch Diebold, The Schuman Plan, S. 37-39, R. C. Mowat, Creating the European Community, London 1973, S. 73-75 sowie Loth, Sozialismus, S. 172f., 216-219 und 240f. 133 Erwähnt von Poidevin, Der Faktor Europa, S. 418. 13 4 So Loth, Sozialismus, S. 162. 135 W. Loth, The French Socialist Party, 1947-1954, in: R. T. Griffiths (Hg.), Socialist Partiesand the Question ofEurope in the 1950's, Leiden 1993, S. 32. Vgl. zur MSEUE W. Loth, Die Sozialistische Bewegung ftlr die Vereinigten Staaten von Europa, in: Ders. (Hg.), Die Anfänge der europäischen Integration, S. 219-226.
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schwächte in seiner endgültigen Resolution vom 19. Dezember diesen Vorschlag jedoch ab.l36 Der entscheidende Beitrag von Andre Philip zur Lösung der Krise von 1949 liegt allerdings weniger in diesen zahlreichen Vorschlägen und Plänen als in ihrer wirtschaftlichen Begründung. Philips Ideen und Auffassungen erreichten sicherlich durch seine europaweiten politischen Aktivitäten, seine persönlichen Kontakte mit Parlamentariern und Politikern in Frankreich und Buropa eine Verbreitung, die weit über den Rahmen der im folgenden zitierten Aufsätze und Vorträge hinausging. Doch stellen diese Schriftstücke eine kohärente Zusammenfassung seiner Ansichten zur wirtschaftlichen Integration Europas und zur Ruhrproblematik dar. Im März 1949 faßte Philip seine Position in einem Aufsatz mit dem Titel "Die wirtschaftliche Einigung Europas" zusammen. 137 Dieser Beitrag weist übrigens eindeutige Parallelen zu dem Dokument auf, das er zum gleichen Zeitpunkt im Namen der französischen Buropabewegung als Vorbereitung ftlr die Westminster-Konferenz schrieb. Im genannten Aufsatz machte er zunächst die wirtschaftliche Notwendigkeit einer europäischen Integration deutlich. Nur in einem gemeinsamen Markt könnten die ftlr eine Steigerung der Produktivität, d.h. die Senkung der Stückkosten, nötigen Skaleneffekte erreicht werden.l38 Er verwies auf das amerikanische Beispiel, wo ein Arbeiter in einer 40 StundenWoche fUnfinal soviel produziere wie sein europäischer Kollege in 45 Stunden. Dies gelte besonders fUr die Basisindustrien mit ihrem erheblichen Investitionsbedarf. Andererseits erkannte Philip, daß die unterschiedlichen Produktionsbedingungen einen sofortigen Abbau aller Zoll- und Handelsschranken in Buropa unmöglich machten. Er ftlhrte daftlr die französisch-italienische Zollunion als Beispiel an. Die Antwort der beiden Regierungen auf diese Probleme, den Gerbet, La genese du Plan Schuman, S. 530. L'unification economique de l'Europe, erschienen in: Cahiers du monde nouveau 5, N" 3 (März 1949), S. 32-38, hier zitiert nach der englischen Übersetzung The Economic Unification ofEurope, in: Documents on the History ofEuropean Integration, Bd. 3, S. 88-94. 138 Englisch "scale effects", im Deutschen häufig als Größendegression bezeichnet. Darunter versteht man die Tatsache, daß bei einer Serienproduktion größere Produktionseinheiten ökomisch effizienter sind, dazu u.a. Porter, Competitive Advantage, S. 70-73. Daß Philips Vorstellungen von einem "europäischen Großraummarkt" bereits 1948 Gestalt angenommen hatten, zeigt Loth, Sozialismus, S. 187f. Ähnlich argumentierte Philip später in einem Beitrag ftlr European Affairs vom November 1949, A Question of Life and Death, den Mowat, S. 87f. ausftlhrlich zitiert. Bereits am 25.7.1945 hatte Philip übrigens vor dem Parlament die unzureichende Größe der französischen Firmen kritisiert, Shennan, S. 262. 136
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Abschluß von Spezialisierungsabkommen zwischen den Industriellen, lehnte er jedoch aufgrund ihrer möglichen negativen Folgen ab: 139 "Die Erfahrung lehrt, daß, wenn Industrielle in einem privatwirtschaftliehen Kartell zusammenkommen, dies normalerweise nicht zu einer Steigerung der Produktion und niedrigeren Herstellkosten und Preisen fllhrt, sondern zu einer Abmachung, die Profite zu erhalten und die Produktion zu beschränken. Gleichzeitig werden die Preise erhöht, damit auch die marginalen Hersteller überleben können und es den übrigen außerordentlich gut geht."
Um solche Absprachen zu verhindern, schlug er eine europäische Kartellgesetzgebung und die Schaffung einer Körperschaft zur Überwachung von deren Einhaltung vor. Außerdem, so Philip weiter, seien europäische Institutionen besonders im Bereich der Basisindustrien von erheblicher Bedeutung. Hier schlug er die Brücke zum Ruhrproblem. Wegen der Schlüsselrolle der Ruhr fiir den Wiederaufbau und die Wirtschaftseinheit in Europa müsse zunächst diese und dann auch die Montanindustrien der übrigen Länder einer "gemeinsamen europäischen Organisation" unterstellt werden. Seiner Meinung nach konnte die wirtschaftliche Integration in Europa nicht durch eine bloße Handelsliberalisierung erreicht werden, sondern verlangte eine "umfassende Politik der wirtschaftlichen Vereinigung und das gemeinsame inter-europäischeManagement der großen Basisindustrien". Eine reine Kapitalbeteiligung, wie von deutscher Seite immer wieder vorgeschlagen, hielt er dagegen nicht fiir ausreichend. Die Schaffung einer europäischen Stahlbehörde schlug er auch auf einem Treffen deutscher und französischer Vertreter der Buropabewegung in Bernkastel am 26. und 27. November 1949 vor. Dort bezeichnete er nach Auskunft von Günter Henle die Ruhrfrage als das wichtigste Problem fiir die Einheit Europas und die Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich. Neu war jedoch, daß er die Gefahr einer Neuauflage des Internationalen Stahlkartells als Argument fiir die Errichtung einer europäischen Stahlbehörde anfiihrte. Außerdem wies Philip auf die Notwendigkeit von Investitionen in den stahlverarbeitenden Industrien hin und erwähnte die Furcht der Franzosen "vor einer deutschen Pression auf die Auslandsmärkte".l40 139 Im Juli 1949 warnte er dann auch in der französischen Nationalversammlung davor, daß die europäischen Stahlproduzenten "zu oft miteinander Tee trinken", Gerbet, La genese du Plan Schuman, S. 529. 140 Hier nach Bührer, Ruhrstahl und Europa, S. 135f. Vgl. auch Rencontre federaliste franco-allemande, in: Les Documents Europeens 8 (Januar 1950), S. 8 und zu Philips Vorschlägen einer europäischen Stahlbehörde insgesamt Gillingham, Coal, Steel, S. 223f.
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Die Sorgen und Beschwerden der französischen Stahlverarbeiter hatten also auch ihren Weg zu Andre Philip gefunden. Allerdings hatte schon auf der Westininster-Konferenz die fllr die Basisindustrien zuständige Kommission gefordert, daß die europäischen Stahlhersteller "die Bedürfnisse der verarbeitenden Industrien durch die Versorgung mit geeigneten Produkten zu vernünftigen Preisen erfllllen". 141 Entscheidender fllr sein damaliges Interesse am Stahlverbrauch waren wohl die Vorhersagen der UN-Wirtschaftskommission, daß in Europa fllr 1953 eine Überproduktion von 8 Millionen Tonnen Rohstahl drohte_l42 Das macht auch ein Aufsatz vom Januar 1950 deutlich. 143 Darin stellte Philip eine klare Verbindung her zwischen der angekündigten Überproduktion, den im Gang befmdlichen Kartellgesprächen unter den Stahlproduzenten und der Bedeutung von Verbrauchssteigerungen. Er verwies deshalb erneut auf die Notwendigkeit einer europäischen Kartellgesetzgebung sowie einer europäischen Stahlbehörde {wörtlich: "autorite de l'acier"). Dafür reiche die vom Europarat beschlossene Struktur (Expertengremium und beratende Körperschaft) nicht aus. Die Stahlbehörde müsse einem Plankommissariat entsprechen und Entscheidungsvollmachten haben. Er wiederholte diese Ansichten und Vorschläge bei einem Vortrag am 24. Februar 1950 in Paris im Rahmen der sogenannten Conference des Ambassadeurs.l44 Dort kritisierte er im Hinblick auf die prognostizierte Überproduktion von Stahl außerdem das Versagen der OEEC, die Investitionen in diesem Bereich zu koordinieren, was zur Errichtung unwirtschaftlicher Anlagen geftihrt habe. Im Hinblick auf die europäische Wirtschaftseinheit betonte Philip erneut die Bedeutung der Handelsliberalisierungen als Voraussetzung für die Senkung der Herstellkosten und Preise. Nur in einem gemeinsamen Markt seien Skaleneffekte realisierbar und nur so könne sich der technisch überlegene Hersteller gegenüber seinen Konkurrenten durchsetzen. 141 Basic lndustries Committee, 8.1.3, Problems Confronting the European Organization of the Steel Industry, EG-Archiv, Dep 13 ME, W 1130. 142 Vgl. dazu oben S. 121. Inwieweit Philip an der Erstellung des sogenannten RollmanReports beteiligt war, ist unklar. Mowat, S. 88 behauptet, er habe ihn initiert. 143 Philip, Le problerne des investissements. 144 A. Philip, Les chances d'une economie europeenne et a quelles conditions? Conference prononcee Je 24 Fevrier 1950 au Theßtre Marigny, Paris 1950. Daß diese Konferenzreihe in der französischen Regierung und Verwaltung großes Interesse fand, belegt ein Tagebucheintrag des Staatspräsidenten Auriol vom 15.1.1949, Journal du septennat, Bd. III, S. 21 und 534. Man kann also mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgehen, daß auch bei Philips Vortrag eine ganze Reihe von Entscheidungsträgem anwesend waren.
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Um die sozialen Folgen eines Verschwindens der marginalen Produzenten abzufangen und die Mobilität der Arbeiter zu erhöhen, forderte er allerdings gleichzeitig Maßnahmen des Staates zur Rekonvertierung. Philip lehnte aber jegliche Form von Protektionismus ab, da dieser immer zu einer "Verarmung" des Landes ftlhre. Dies gelte insbesondere, wenn die Rohmaterialien vor ausHindischer Konkurrenz geschützt seien, weil dadurch die Entwicklung und das Wachstum der verarbeitenden Industrien behindert werde. Hinter allen diesen Äußerungen steht also eine klare wirtschaftliche Logik: Europa kann nur von amerikanischer Hilfe unabhängig werden und das Lebensniveau seiner Bevölkerung erhöhen, wenn es seine Produktion und Produktivität steigert. Dazu ist aber ein gemeinsamer Markt sowie ein freier Wettbewerb in diesem nötig. Denn nur so können Skaleneffekte erzielt und die technisch rückständigen Hersteller beseitigt werden. Absprachen zwischen den Industriellen zielen dagegen auf Produktionsbeschränkungen und eine Stabilisierung oder Erhöhung der Preise. Im Stahlbereich sei eine Marktöffnung wegen der hohen Investitionen und Fixkosten am dringlichsten, die Kartellgefahr aber angesichts der drohenden Überproduktion am höchsten. Es sei unabdingbar, so Philip in seinem Vortrag vom 24. Februar 1950, auf diese Probleme "so schnell wie möglich" zu antworten. Sein Vorschlag: Eine europäische Stahlbehörde mit ausreichenden Vollmachten sowie eine europäische Kartellgesetzgebung. Andre Philip stand mit seiner Ablehnung von Kartellabsprachen sicherlich auch in der "trust"feindlichen Tradition der französischen Sozialisten und der Linken insgesamt. Doch ist bemerkenswert, daß er in den obengenannten Ausftlhrungen die Vereinigten Staaten sehr häufig als Beispiel ftlr die wirtschaftlichen Vorteile eines großen Marktes und eines freien Wettbewerbs anfUhrt. In der Tat war Philip durch einen längeren OS-Aufenthalt Ende der 20er Jahre und durch seine wirtschaftswissenschaftlichen Studien mit dem angelsächsischen Denken sehr vertraut. Aufgrund seiner Überlegungen zu staatlichen Eingriffen in die Wirtschaft während der dreißiger und Anfang der vierziger Jahre rechnet die Forschung ihn allerdings üblicherweise zu den sogenannten "sozialistischen Planem" innerhalb der Widerstandsbewegung.'45 Doch hatte Philip bereits 1944 in einem Bericht Uber die nach dem Krieg notwendigen Reformen auf die mangelnde Wettbewerbsflihigkeit der französischen Industrie als Grund ftlr die Niederlage von 1940 aufmerksam gemacht. 145 So etwa Kuisel, Capitalism and the State, S. 112 und 173ft". Vgl. auch Mioche, Le Plan Monnet, S. 36 sowie Shennan, S. 226,238 und 24lf.
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Demnach war sie damals "in den Hauptbranchen weit von ihren ausländischen Konkurrenten überholt worden" und "hatte den Sinn filrs Risiko und die Kreativität verloren". 146 In seinem Vortrag vom Februar 1950 machte er die Stahlindustrie filr die Dauer der Wirtschaftskrise der dreißiger Jahre in Frankreich mitverantwortlich. Damals habe das Stahlkartell die Preise stabil gehalten, während diejenigen der verarbeitenden Industrien erheblich zurückgegangen seien. Dies habe zu einer Verlängerung und Verschärfung der Krise gefilhrt. Daher die Notwendigkeit eines Verbots von Kartellabsprachen.147 Auch Louis Franck, seit 1947 Directeur des Prix im Finanzministerium, bestätigt in seinen Erinnerungen, daß Andre Philip "weit davon entfernt war, alle Ideen des alten klassischen Liberalismus zu verwerfen".I 48 Raymond Vernon, der Philip von den GATT-Verhandlungen kannte, äußerte in einem Interview ähnliche Ansichten. Er sei kein "doktrinärer Sozialist" gewesen und habe im Hinblick auf die notwendige Modernisierung Frankreichs viele von Monnets Ansichten geteilt.1 49 Tatsächlich kannten sich die beiden aus der während des Krieges gemeinsam im befreiten Nordafrika verbrachten Zeit. 150 Es ist nicht klar, ob sie Ende 1949 und Anfang 1950 direkte Kontakte hatten.l 51 Aus seinen Erinnerungen wissen wir aber, daß der Plankommissar über die Ansichten und Vorschläge Philips auf dem Laufenden war. Wie Monnet dort weiter schreibt, beschäftigte er sich damals mit den gleichen Problemen, kümmerte sich aber vor allem darum, "neue politische Formen zu entwickeln und den richtigen Moment zu fmden, um die alten Denkschemata zu ändern" .152 In der bisherigen Forschung hat vor allem Wilfried Loth auf den Zusammenhang zwischen dem von Monnet ausgearbeiteten Schuman-Plan und der Deutschland- und Europapolitik der SFIO hingewiesen.I53 Allerdings stellt er in erster Linie die Vorschläge einer supranationalen Stahlbehörde mit weitrei146 Reformes economiques de structure, zitiert nach Shennan, S. 259. Vgl. einen weiteren Aufsatz aus dem gleichen Jahr, A. Philip, Les fondements economiques et sociaux de Ia vie politique frant;:aise, in: Renaissances 3-4 (Januar-Februar 1944). Man beachte die Ähnlichkeit seiner Argumentation mit derjenigen von Pierre Lefaucheux. 147 Philip, Les chances d'une economie europeenne, S. 20. 148 Franck, 697 ministres, S. 4. 149 Interview am 17.5.1990. 150 Siehe dazu Monnet, Erinnerungen, S. 252-260 und Mowat, S. 58f. 151 Nach Auskunft von Tony Rollman, dem Leiter des ECE-Stahlkomitees, vermittelte Philip damals eine Zusammenkunft zwischen ihm und Monnet, ebenda, S. 88. 152 Monnet, Erinnerungen, S. 360. 153 Vgl. u.a. Loth, Sozialismus, S. 262-264 sowie ders., General Introduction, S. 13f.
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ehenden Entscheidungsbefugnissen über Investitionen, Produktion und Preise heraus. Die persönliche Rolle von Andre Philip hat dagegen besonders Robert Mowat betont. ' 54 Beide übersehen allerdings die zentrale Bedeutung der seit 1949 von Philip vorgeschlagenen europäischen Kartellkontrolle zur Sicherung des Wettbewerbs. Tatsächlich bestehenjedoch gerade in dieser Hinsicht deutliche Parallelen zu den Überlegungen und Aktionen des Plankommissars. Jean Mannet: Ein Ausweg aus der Sackgasse
Bereits im Herbst 1949 warnte Jean Monnet im Gespräch mit einem Vertreter der Marshallplan-Behörde in Frankreich vor den Folgen einer Neuauflage internationaler Kartelle. 155 Nationale und internationale Kartelle, so erklärte er, "drohen die Steigerung der Produktivität und der Produktion zu behindern und generell den wirtschaftlichen Wiederaufbau aufzuhalten oder zu verzögern". Nach Meinung des Plankommissars ging die Initiative zur Kartellbildung vor allem von den deutschen Konzernen aus, womit er, wie oben gesehen, nicht unrecht hatte. Nur eine "sofortige und entschiedene Aktion der USA" könne verhindern, daß sich die französischen und britischen Industriellen diesen Bemühungen anschlössen. Für Monnet waren die kommenden sechs Monate entscheidend. Die französische HistorikerinAnnie Lacroix-Riz glaubt, daß solche Initiativen Monnets darauf abzielten, die Administration in Washington zu beruhigen.156 Diese Interpretation ist jedoch nicht haltbar, wenn man seine Stellungnahme in den Rahmen der seit Mitte 1948 vom Plankommissariat unternommen Anstrengen stellt, die Produktivität der französischen Industrie zu steigern. Durch eine entsprechende Kampagne sowie eine strikte Antitrustgesetzgebung wollte Monnet die Fortsetzung des französischen Modernisierungsprogramms sicherstellen und eine Weitergabe der durch die bisherigen Investitionen ermöglichten Verbesserungen an die Verbraucher erzwingen. Doch machten um die Jahreswende 1949/50 beide Maßnahmen nur sehr langsame Fortschritte. Die öffentliche Produktivitätskampagne lief in Frankreich im Frühjahr 1949 an. Sie erhielt die Unterstützung des französischen Unternehmerverbandes und Mowat, bes. S. 57,72-75 und 87-89. tss ECA Mission to France TOECA and OSR N" 1275, 11.10.1949, USNA, RG 469, MF, Subject Files (Central Files) 1948-56, Germany. AuszUge aus diesem Telegramm auch in FRUS 1949, IV, S. 444, Fn. 2. Daraus zitiert von Margairaz, L'Etat, les finances, S. 1224. IS6 Lacroix-Riz, Pariset Washington, S. 250f. IS4
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amerikanischer Stellen. Der CNPF bildete parallel zu den staatlichen Organen eine eigene Commission de Ia Productivite. 157 Im Rahmen des Marshallplans begaben sich eine Vielzahl von sogenannten "technischen Hilfsmissionen" in die USA, um vor Ort die Gründe fUr die Überlegenheit der amerikanischen Industrie zu untersuchen. I58 Doch benötigte man fiir deren Organisation natürlich eine gewisse Zeit. Die erste aus Unternehmern, Ingenieuren und Arbeitern ZUsammengesetze Gruppe von Franzosen (aus der Elektroindustrie) brach im Sommer 1949 in die Vereinigten Staaten auf. Eine erste Reise von Vertretern der französischen Stahlindustrie fand sogar erst vom 9. Februar bis zum 16. März 1951 statt. 159 Unmittelbare Wirkungen dieser Missionen oder der übrigen Maßnahmen (Filme, Vorträge etc.) konnten natürlich nicht erwartet werden. Dagegen hätte das von Monnet gewünschte Kartellverbot wahrscheinlich schneller zu einer deutlichen Senkung der Verbraucherpreise in Frankreich geführt. Doch stieß es innerhalb der französischen Administration und Regierung auf erheblichen Widerstand.I60 So arbeitete, wie gesehen, das zum Finanzministerium gehörende Staatssekretariat fiir Wirtschaftsfragen unter Leitung von Robert Buron (MRP) Gegenvorschläge aus, die kein absolutes Kartellverbot enthielten, sondern eine Unterscheidung zwischen nützlichen und schädlichen Absprachen vorsahen. Dies entsprach den Bemühungen des Finanzministeriums, auf internationaler Ebene eine wirtschaftliche Integration Europas mittels staatlich kontrollierter "Spezialisierungsabkommen" zu erreichen. Der neue Regierungschef Georges Bidault (MRP) hatte bereits im Oktober 1949 bei seinem Amtsantritt versprochen, dem Parlament einen Regierungsentwurf zur Kartellkontrolle vorzulegen. Doch die internen Diskussionen in der französischen Regierung darüber zogen sich hin. Im Januar 1950 unterbreitete der MRP-Abgeordnete Henri Teitgen der französischen Nationalversammlung 157
vite.
L'Usine Nouvelle vom 5.5.1949, S. I: Les conditions d'une amelioration de Ia producti-
158 Vgl. zu den Produktivitätsmissionen im Detail McGlade; V. Guigueno, L'eclipse de l'atelier, les missions franfi:aises de productivite aux Etats-Unis dans les annees 1950, Memoire de D.E.A., Ecole Nationale des Ponts et Chaossees - Universite de Mame-La-Vallee, 1994; L. Boltanski, America, America... Le Plan Marshallet l'importation du "management", in: Actes de Ia recherche en sciences sociales 38 (Mai 1981), S. 20-23 sowie Kuisel, L"'American Way of Life", The Marshall Plan in Action, S. 343ff. und Seducing the French, S. 70ff.; zusammenfassend auch Bossuat, La France, l'aide americaine, S. 392-394. 159 Siehe dazu den vorläufigen Erfahrungsbericht von M. Guillermin (French lron & Steel Productivity Group TA-38-70), 28.4.1951, AN, Ministere de I'Industrie, 840069, N" I und zu den weiteren Missionen der Stahlindustrie Mioche, Le Plan Marshall, S. 313-315 sowie ders., La siderurgie et l'Etat, S. 627-635. 160 Vgl. zum folgenden auch meinen Aufsatz Concurrence et competitivite.
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einen eigenen Gesetzentwurf, der auf eine Förderung von Kartellabsprachen abzielte und sogar eine Zwangsmitgliedschaft nicht ausschloß.1 61 Im Frühjahr 1950 hatte sich die Regierung dagegen immer noch nicht auf einen gemeinsamen Gesetzesvorschlag einigen können. Nach Informationen des britischen Botschafters in Paris war es aber bereits zu diesem Zeitpunkt "höchst unwahrscheinlich", daß sie das von Monnet vorgelegte Antitrustgesetz mit absolutem Kartellverbot annehmen würde, da es "politisch inakzeptabel" sei.162 Am 12. Mai 1950 unterbreitete die Regierung schließlich dem Parlament einen Entwurf, der in der Tat die Möglichkeit von Absprachen zwischen den Produzenten vorsah. 163 Das von Monnet geforderte Kartellverbot wurde nicht nur im Finanzministerium und von der christdemokratischen MRP abgelehnt, sondern auch von weiten Teilen der Wirtschaft. 164 Unterstützung fand es bei den Sozialisten und - wie nicht anders zu erwarten - bei den Stahlverarbeitern. So machte sich Jean Constant, der Generaldelegierte des Dachverbandes der metallverarbeitenden Industrien, in einem Leitartikel der Verbandszeitschrift über den Entwurf Burons lustig, der eine Unterscheidung von nützlichen und schädlichen Absprachen vorsah: 165 "Die schlechten Kartelle werden mit Schmach bedeckt. Die guten, diejenigen die wirklich filr den Verbraucher nützlich sind, diejenigen, wo die Verbandsorganisation bei der Senkung der Herstellkosten alle Rekorde gebrochen hat, erhalten ein Diplom". Auch auf einer Sitzung des Comite Directeur des Unternehmerverbandes befilrwortete Constant in deutlichem Gegensatz zu CNPF-Präsident Georges Villiers eine Verschärfung der in Frankreich gegen Absprachen zwischen den Industriellen bestehenden gesetzlichen Regelungen. 166 Villiers dürfe nicht ver161 Paris Embassy Despatch N" 56, 19.l.l950, USNA, RG 469, MF, Subject Files (Central Files) 1948-56, Cartels und Paris Embassy Telegram to State Department, 18.l.l950, USNA, RG 59, 1950-54, 851.054/1-1850. 162 Oliver Harvey, British Embassy, Paris an Emest Bevin, Foreign Office, 1.3.1950, PRO, F0371/89213, WF1114. 163 Siehe dazu Paris Embassy N° 1299 to State Department vom 12.6.1950, USNA RG 59, 1950-54, 851.054/6-1250 sowie Embassy Telegram N° 2523 vom 26.5.1950, USNA, RG 469, MF, Subject Files (Central Files) 1948-56, Cartels. 164 Zu den verschiedenen Positionen siehe Paris Embassy to State Department, 2.2.1950, USNA, RG 59, 1950-54, 851.054/2-250; zur ablehnenden Haltung des CNPF auch die Äußerungen von CNPF-Prllsident Villiers vor dem Comite directeur am 13.12.1949, 17.1, 14.2. und 18.4.1950, AN, 72AS 873 bzw. 874. 165 Les Industries Mecaniques, Marz 1950, S. I. 166 Siehe das Sitzungsprotokoll vom 18.4.1950, S. 6f., AN, 72AS 874.
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gessen, so der Vertreter der Metallverarbeiter, daß es in Frankreich Industriezweige gebe, die nicht alle bestehenden Kartelle ftlr "wohltuend" hielten. Diese Branchen wünschten ein striktes Kartellgesetzes, "besonders um sich im internationalen Wettbewerb behaupten zu können". Entscheidend für die Niederlage Monnets innerhalb der französischen Regierung war jedoch wahrscheinlich die unzureichende Unterstützung seiner Position durch die Amerikaner. Diese befilrworteten im Prinzip durchaus eine strenge Antitrustgesetzgebung in Frankreich und Europa. So wiesen im April 1950 das State Department und die ECA gemeinsam die US-Botschaft in Paris an, der französischen Regierung diesen Standpunkt zu erläutern. Die Botschaft solle dabei auch an die von Frankreich im Rahmen des bilateralen Marshallplan-Vertrages und des GATT eingegangenen Verpflichtungen erinnern.167 Nach ersten Sondierungen in dieser Richtung empfahlen die amerikanischen Vertreter in Paris jedoch eine wesentlich vorsichtigere Vorgehensweise. Jeder direkte amerikanische Druck, selbst der Vorschlag, eine Gruppe von Parlamentariern und Beamten in die USA zu senden, um die Antitrustmaßnahmen dort zu studieren, würde dem geplanten Kartellgesetz einen "Todesstoß (wörtlich: kiss of death)" versetzen und somit selbst diesen geringen Fortschritt zunichte machen.168 Eine ähnlich zurückhaltende Unterstützung von Seiten der Vereinigten Staaten erfuhr Monnets Initiative im Hinblick auf die mögliche Neuauflage internationaler Kartellabsprachen. Die Amerikaner waren sich zwar der vom Plankommissar aufgezeigten Gefahren durchaus bewußt. Dies bestätigte ihre Reaktion auf die dramatischen Warnungen Monnets im Oktober 1949. ECA-Leiter Paul Hoffman teilte der Mission in Frankreich mit, daß man in Washington den in Europa im Gang befindlichen Bemühungen, internationale Kartelle wiederzubeleben, "so eng wie möglich folge".169 Doch macht ein weiteres Telegramm von Anfang November deutlich, daß die Marshallplan-Behörde der Ansicht war, Kartellabsprachen der europäischen Stahlindustriellen befllnden sich erst in einem "Vorstadium". Hoffinan bat aber um weitere Informationen. 170 167 Telegram from State and ECA No 1486 to Paris Embassy, 5.4.1950, USNA, RG 59, 1950-54, 851.054/3-2850 [in den Archiven falsch datiert]. 168 From Paris for State and ECA N° 1694, 13.4.1950, USNA, RG 59, 1950-54, 851.054/41350. 169 ECA Washington to ECA Mission to France N" 909, 15.10.1949, USNA, RG 469, MF, Subject Files (Central Files) 1948-56, Germany. 170 Ecato 965, 9.11.1949, FRUS 1949, IV, S. 443-445. Auch Sanford, S. 126-128, betont,
daß Hoffman Kartelle ablehnte und kritisierte, direkte Eingriffe jedoch zu vermeiden suchte.
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Im Dezember beschrieb er vor dem amerikanischen Unternehmerverband NAM (National Association of Manufacturers), dessen Präsident ebenfalls auf die Kartellgefahren in Europa aufmerksam gemacht hatte, Aktionen gegen solche Absprachen als "eine extrem wichtige Aufgabe".171 Er wies daraufhin, daß sich die Vertreter der ECA in Europa darum bemühten, die Teilnehmerstaaten des Marshallplanes zur Verabschiedung von Antitrustgesetzen zu bewegen. Wie gesehen, filhrten diese Anstrengungen in Frankreich jedoch nicht sehr weit, und auch in Deutschland zeigten Industriekreise erheblichen Widerstand gegen das von der Bundesregierung geplante Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen.172 Angesichts der mangelnden Unterstützung der Amerikaner in der Kartellfrage und der geringen Fortschritte seiner Bemühungen in Frankreich mußte Jean Monnet nach einer anderen Lösung suchen. Zahlreiche Stellungnahmen des Plankommissars deuten darauf hin, daß er in einer Zunahme des Konkurrenzdrucks durch eine Öffnung der Märkte in Europa einen Ausweg aus der Sackgasse sah. So sprach sich im November 1949 die Commission Restreinte des im Mai des gleichen Jahres geschaffenen Comite Provisaire de Ja Productivite filr eine Ausweitung des internationalen Wettbewerbs aus, um einen "Malthusianismus" zu bekämpfen, "der zehn Jahre lang geschlummert habe, ohne etwas von seiner Bösartigkeit zu verlieren": 173 "Die Liberalisierung des Handels zwingt die Industrien in den einzelnen Ländern, sich den Bedingungen einer von der Konkurrenz bestimmten Wirtschaft anzupassen, und die Erweiterung des europäischen Marktes macht es filr sie unabdingbar, erhebliche Anstrengungen zur Reorganisation ihrer Arbeitsmethoden und zur Senkung ihrer Herstellkosten zu unternehmen[ ...)."
Es ist nicht klar, inwieweit Monnet persönlich an der Abfassung dieses Dokuments beteiligt war. Aber Anfang Dezember äußerte der Plankommissar vor dem Finanzausschuß der Nationalversammlung ähnliche Ideen. Dort bestand
171 Zitiert in einem internen Memorandum der ECA Mission to France, 24.1.1950, USNA, RG 469, MF, Subject Files (Central Files) 1948-56, Cartels. 172 Die Policy Directive ftlr den amerikanischen Hochkommissar McCloy vom 17.11.1949 enthielt eine entsprechende Anweisung, FRUS 1949, m, S. 328. Dort wurde auch eine deutsche Teilnahme an internationalen Kartellen verboten. Siehe zu den US-Bemühungen um ein Kartellgesetz in Westdeutschland insgesamt Bergbahn, Americanisation, S. 155-181. 173 Commissariat General du Plan, Comite Provisoire de Ia Productivite, Commission Restreinte, Projet de propositions fran~aises pour l'examen des problemes de productivite dans Je cadre de l'OECE, 18.11.1949, AN, F60ter 411 .
3. Lösungsvorschläge
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er, im Einklang mit seinen früheren Maßnahmen, auf dem "Zwang, die Selbstkosten der Investitionen durch die Produktivität und die Konkurrenz zu reduzieren". Möglichkeiten zur Steigerung der Produktivität würden von einer speziellen Kommission untersucht. "Was die Konkurrenz angeht, kann sich diese nur in der Freiheit ausbreiten." 174 Zum gleichen Zeitpunkt warf Monnet dem CNPF-Präsidenten Villiers vor, die französischen Unternehmer seien "inkonsequent, ja sogar kriminell", "da sie die Investitionen verringern wollten, um die Arbeitslosigkeit zu erhöhen und dadurch Unruhe (wörtlich: pagaille) im Land zu stiften". 175 Hintergrund fUr diese Vorwürfe war ein Rückgang der öffentlichen und privaten Investitionen in Frankreich. Der Plankommissar sah darin wahrscheinlich eine deutliche Gefahr fiir die seit 1946 unternommenen Modernisierungsanstrengungen und fUr die französische Wettbewerbsflthigkeit im internationalen Kontext. Wie nötig in Monnets Augen die Handelsliberalisierungen in Europa waren, zeigt auch ein Schreiben, das er am 13. Januar 1950 an den Regierungschef richtete,l7 6 Darin wies er darauf hin, daß einige französische Firmen wahrscheinlich nicht in der Lage seien, der ausländischen Konkurrenz zu widerstehen. Doch war nach Ansicht des Plankommissars das "Verschwinden der veralteten und unwirtschaftlichen Produktionen notwendig fiir die Erhöhung des Lebensstandards der Gesamtbevölkerung und fUr die Wiederherstellung unserer Wettbewerbsflthigkeit auf den Auslandsmärkten". Er schlug aber gleichzeitig Maßnahmen vor, den Arbeitern und den Produzenten bei der notwendigen Anpassung zu helfen. 177 Deren Kosten seien fUr die französische Wirtschaft niedriger als die Aufrechterhaltung unproduktiver Unternehmen. Daß Monnet nun eine Lösung auf europäischer Ebene suchte, macht eine Note deutlich, die er im Februar der Regierung übergab. Leider konnte dieses Dokument in keinem der besuchten Archive aufgefunden werden. Eine Zusammenfassung davon gibt Georges Morin, der Vertreter von Pont-a-Mousson beim CNPF. Er hatte diese vom stellvertretenden CNPF-Vorsitzenden Pierre 174 L'Usine Nouvelle vom 15.12.1949, S. 5: Les investissements devant Ia Commission des Finances. L'expose de M. Jean Monnet. Im Sitzungsprotokoll sind diese Aussagen weniger deutlich. Dort steht nur, daß laut Monnet Frankreich "nicht zu den besten Preisen produziert, da es keine Konkurrenz gibt", Assemblee Nationale, Commission des Finances, 2.12.1949, S. 6, AAN. 175 Villiers wiederholte diese von Monnet ihm gegenober gemachten Äußerungen auf der Hauptversammlung des CNPF am 7.1.1950, Wortprotokoll, S. 13, AN, 72AS 840. 176 AN, AMF 13/3/12. 177 Solche Hilfen empfahl auch Philip, siehe oben S. 154. Sie fanden ihren Weg ebenfalls in die Schuman-Erklärung, vgl. deren Text im Anhang. II Kipping
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Teil II: Der Weg zum Schuman-Pian
Ricard erhalten. 178 Demnach verlangte der Plankommissar erstens eine Ausweitung der "tatsächlichen Befreiung von allen Handelsschranken" auf mehr Branchen der französischen Wirtschaft, zweitens einen "wirklichen Wettbewerb sowohl auf französischer als auch auf internationaler Ebene" sowie "ein Antitrustgesetz, das jede Abmachung verbietet, die auf einem Ausschluß der nationalen Märkte basiert", und drittens die sofortige Abschaffung der Doppelpreise und anderer diskriminierender Praktiken. Nach Auffassung von Morin hatte Mannet die Anregungen für diese Forderungen bei der Marshallplan-Behörde und den Anhängern eines vereinten Europa (im Original: "constructeurs de l'Europe") gefunden. Der Inhalt dieser Note entsprach den Forderungen der Metallverarbeiter nach einer Ausweitung der Handelsliberalisierung auf den Stahlsektor. Obwohl es keine eindeutigen Belege dafür gibt, kann man davon ausgehen, daß Mannet die Stellungnahmen von Constant und Lefaucheux über die hohen französischen Stahlpreise kannte. Es ist außerdem absolut sicher, daß man im Plankommissariat von den kartellähnlichen Praktiken der französischen Stahlindustrie wußte. Kopien des Briefwechsels zwischen CSSF-Präsident Aubrun und dem Leiter des CPS Dupuis vom März 1950 über die notwendige Einhaltung der Verbandsdisziplin finden sich nämlich sowohl in den Archiven des Plankommissariats als auch in den Papieren von Mannet und seines Mitarbeiters Pierre Uri.179 Gleichzeitig wurde Mannet in seiner Note den Forderungen der französischen Stahlindustrie nach Abschaffung des Doppelpreises für deutsche Kokskohle gerecht. Dadurch wäre nicht nur eine Senkung der innerfranzösischen Stahlpreise möglich geworden, sondern es hätte sich auch die Wettbewerbslage der französischen im Vergleich zu den deutschen Herstellern verbessert. Wie man sieht, liegen in dieser Note bereits die wirtschaftlichen Kernelemente einer Lösung vor. Am deutlichsten macht den Zusammenhang zwischen Monnets Produktivitätspolitik, den Bemühungen um die Wettbewerbsfähigkeit der Stahlverbraucher und dem Schuman-Plan jedoch ein Expose des Plankommissars vom April 1950 klar, das er in Form eines Memorandums am 4. Mai an Außenminister
Georges Morin an Andre Grandpierre, 1.3.1950, PAM 70693 und 19421. Siehe oben S. 110, Fn. 94. Auch in einem Interview am 9.1.1989 bestätigte Uri, daß, wenn man einen französischen Stahlindustriellen nach seiner Produktion von Stabstahl, Blechen etc. gefragt hatte, er mit einer Prozentzahl geantwortet habe, EG-Archiv, INT 2, S. 19. 178 179
3. Lösungsvorschläge
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Robert Schuman und Regierungschef Georges Bidault sandte.180 Es zeigt erneut die Übereinstimmung der Analysen und Überlegungen von Monnet und Andre Philip. 181 Eine ganze Reihe historischer Arbeiten zum Schuman-Plan erwähnen dieses Expose des Plankommissars, denn es enthält genaue Angaben über die Hintergründe und die Motive fiir seinen Vorschlag einer französischdeutschen Kohle- und Stahlgemeinschaft.182 Tatsächlich verstehen läßt sich dessen Inhalt jedoch nur, wenn man die seit Mitte 1949 von den verarbeitenden Industrien in Frankreich gemachten Vorwürfe und Vorschläge kennt: "Die Fortsetzung des französischen Wiederaufstiegs wird blockiert, wenn die Frage der deutschen Industrieproduktion und ihrer Wettbewerbsfllhigkeit (im Original: capacite de concurrence) nicht schnell geklärt wird. Die Grundlage der Überlegenheit Deutschlands ist in den Augen der französischen Industriellen traditionellerweise seine Stahlproduktion zu einem Preis, mit dem Frankreich nicht konkurrieren kann. Dadurch, so ihre Schlußfolgerung, wird die ganze französische Produktion benachteiligt." Monnet stellte in seiner Analyse die Frage der deutschen Stahlproduktion in einen internationalen Kontext. Demnach werde Frankreich schließlich dem von den Amerikanern gestützten Verlangen Deutschlands nach einer Aufhebung der Beschränkung auf 11 , I Millionen Tonnen nachgeben müssen. Die deutsche Stahlproduktion werde auf 14 Mt. steigen, während die französische stagniere oder sogar sinke. Diese Situation habe erhebliche wirtschaftliche und politische Konsequenzen fiir Frankreich und Europa: "Expansion der deutschen Wirtschaft; deutsches Dumping im Export; Forderung nach protektionistischen Maßnahmen ftlr die französischen Industrien; Stop der Handelsliberalisierung; Wiedererrichtung der Vorkriegskartelle, vielleicht eine 180 Den kompletten Text des vom 3.5.1950 datierten Memorandums druckteLe Monde am 9.5.1970 zum zwanzigsten Jahrestag der Schuman-Erklärung ab. Eine deutsche Übersetzung findet sich bei G. Ziebura, Die deutsch-französischen Beziehungen seit 1945, Pfullingen 1970, S. 195-200. Monnet zitiert AuszUge aus dem Expose in seinen Erinnerungen, S. 368-375, wo er dessen Abfassung auf Anfang April datiert. 181 Daß die Gemeinsamkeiten bis in die Wortwahl reichten, zeigt Philips Stellungnahme auf dem Nationalkongreß der SFIO vom 26.-29. Mai 1950 in Paris, Compte rendu stenographique, S. 122-124, siehe den Textvergleich im Anhang meiner Arbeit L'amelioration de Ia competitivite de l'industrie franr;aise et !es origines du plan Schuman, Memoire de D.E.A., EHESS, Paris 1992. NatUrlieh läßt sich nicht ausschließen, daß Philip das Memorandum Monnets kannte. Dies ist auch der Fall des OS-Botschafters in Paris, David Bruce, der eine Zusammenfassung davon in einem Telegramm vom 12.5.1950 an State Department, Treasury und ECA sandte, FRUS 1950, III, S. 697-701, hier S. 699f. 182 So u.a. Berghahn, Americanisation, S. 119, Schwarz, Adenauer, S. 718f., Poidevin, Robert Schuman, homme d'Etat, S. 250f. und Loth, Einleitung, S. 24.
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Teil II: Der Weg zum Schuman-Plan Orientierung der deutschen Expansion nach Osten; Vorspiel zu politischen Abmachungen; Frankreich zurilckgefallcn in den alten Schlendrian einer eingeschränkten und geschützten Produktion."
Der Plankommissar nannte als entscheidende Bedingung, um eine solche Entwicklung zu verhindern, die Beseitigung der französischen Furcht vor einer deutschen wirtschaftlichen Übermacht. Da diese aber, wie gesehen, auf dem niedrigeren deutschen Stahlpreis beruhte, mußte deshalb, so Monnet, eine Lösung des Problems "die französische Industrie auf die gleiche Ausgangsbasis stellen wie die deutsche". Der Vorschlag einer Montanunion, den Jean Monnet, Etienne Hirsch, Pierre Uri und der Juraprofessor Paul Reuter in der zweiten Aprilhälfte 1950 ausarbeiteten und den Robert Schuman am 9. Mai öffentlich vortrug, erftlllte diese Bedingung.I83 Und er beseitigte damit gleichzeitig, wie Monnet in seinen Erinnerungen schreibt, die Blockade der europäischen Integration: "Wenn man bei uns die Furcht vor einer deutschen industriellen Vorherrschaft beseitigen könnte, wäre das größte Hindernis für die Einigung Europas weggeräumt." 184
183 Vgl. zur Abfassung der Schuman-Erklllrung im Detail Bossuat, La France, l'aide americaine, S. 746-748 und Poidevin, Robert Schuman, homme d'Etat, S. 256-263. 184 Monnet, Erinnerungen, S. 373.
Teil III
Die Verhandlungen: Interessengegensätze und Koalitionsbildung Monnet etait un combine de tendances plutöt contradictoires. L'une assez mefiante a l'egard des patrons et de ce qui representait a ses yeux Ia puissance financiere, l'autre de caractere liMral, hostile aux Organisations patronales, a tout ce qui de droit ou de fait lui paraissait faire ecran a Ia concurrence. II a refuse jusqu'au bout l'idee de Ia cartellisation. Le Traite est anti-cartel, anti-entente. II a finalement pondu un Traite d'inspiration tres americaine. Jacques Ferry1
1. Unmittelbare Reaktionen: Geteilte Meinungen In der öffentlichen Meinung Frankreichs und auf internationaler Ebene dominierte zunächst der politische Aspekt des französischen Vorschlages. Dagegen zeigt die Diskussion in den französischen Ministerien und in den Kreisen der betroffenen Industrien, daß man in Hinsicht auf den wirtschaftlichen Aspekt den 9. Mai 1950 als historischen Einschnitt nicht überbewerten sollte. Da die Erklärung relativ vage formuliert war, analysierten die verschiedenen Interessengruppen den Vorschlag des Außenministers und interpretierten ihn dabei meist in ihrem Sinne. Die politische Bedeutung des französischen Vorschlags
In den ersten Reaktionen auf die Erklärung vom 9. Mai 1950 überwog in Frankreich wie im Ausland zunächst deren politischer Aspekt. 2 Diesen betonMioche, Jacques Ferry, S. 141. Dazu im Überblick Gerbet, La Construction de I'Europe, S. 127-133 und Poidevin, Robert Schuman, homme d'Etat, S. 264-274. 2
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Teillll: Die Verhandlungen
ten auch Plankommissar Jean Monnet und Außenminister Robert Schuman bei ihren zahlreichen Interventionen und Gesprächen in den übrigen westeuropäischen Ländern. So unterstrich Monnet beispielsweise vor den alliierten Hohen Kommissaren und gegenüber Bundeskanzler Adenauer die vorwiegend politische Inspiration des Vorschlags. 3 Er beseitige den deutsch-französischen Gegensatz, "den neuralgischen Punkt der Situation in Westeuropa", und schaffe damit die Bedingungen ftlr einen dauerhaften Frieden. Kohle und Stahl habe man vor allem wegen ihrer Schlüsselrolle für die nationale Sicherheit gewählt. Gegenüber Adenauer betonte der Plankommissar auch, daß nach einer Beseitigung der internen Konflikte Europa mit seiner Zivilisation eine ganz andere Rolle in der Welt spielen könne. Jetzt gelte es vor allem, die durch die Erklärung des französischen Außenministers gewonnene Publizität und allgemeine Zustimmung auszunutzen, um schnell zu konkreten Ergebnissen zu kommen. Schuman hatte sich noch vor der offiziellen Verkündigung seines Plans der Zustimmung des Bundeskanzlers versichern wollen, ihm deshalb den Text zugesandt und um seine Stellungnahme gebeten. Adenauer ließ dem französischen Außenminister mitteilen, daß er dem Vorschlag "aus ganzem Herzen zustimme".4 Der Schuman-Plan, so schreibt er in seinen Erinnerungen, entsprach "voll und ganz meinen seit langem vertretenen Vorstellungen einer Verflechtung der europäischen Schlüsselindustrien". Doch auch in den Augen des Bundeskanzlers überwog klar der politische Aspekt des Vorschlags, nämlich die Möglichkeit ftlr Westdeutschland, an den Verhandlungen und der daraus resultierenden Kohle- und Stahlgemeinschaft gleichberechtigt teilzunehmen. 5 Die Vereinigten Staaten zögerten anflinglich, dem französischen Vorschlag zuzustimmen, vor allem da sie dahinter ein Kartell vermuteten. 6 Sie begrüßten den Schuman-Plan aber schließlich, und zwar überwiegend aus politischen Gründen. Denn die Verwirklichung der geplanten Montanunion ermöglichte eiBeide Gespräche fanden am 23.5.1950 statt, AN, 81AJ 131 und 154. Vgl. zum Treffen mit der Hohen Kommission auch das Telegramm von McCloy an das State Department, 23.5.1950, FRUS 1950, III, S. 705-709, bes. S. 706 und zum Gespräch mit dem Bundeskanzler Schwarz, Adenauer, S. 720-725. 4 Adenauer, S. 328. Vgl. Schwarz, Adenauer, S. 710-715. Ders., Adenauerund Europa, S. 507 betont, daß der Bundeskanzler Monnet, Schuman und McCioy vertraute. Adenauer, S. 331, 427 und 436. 6 Einen Überblick über die amerikanischen Reaktionen gibt Schwabe, "Ein Akt konstruktiver Staatskunst", S. 211 und 225-227. Vgl. auch Schwartz, S. 105-108 und Melandri, Les Etats-Unis, S. 275-284. Zu den Kartellbeftlrchtungen weiter unten S. 175f.
I. Unmittelbare Reaktionen
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ne Lösung des deutsch-französischen Gegensatzes und machte damit den Weg fttr eine Eingliederung der Bundesrepublik in das westliche Bündnis frei. Großbritannien lehnte nach ausfUhrliehen Gesprächen Monnets und seiner Mitarbeiter in London und nach einem regen Notenwechsel zwischen der britischen und der französischen Regierung schließlich eine Teilnahme an den Verhandlungen über eine Europäische Kohle- und Stahlgemeinschaft ab. 7 Dagegen nahmen neben Westdeutschland auch Belgien, Luxemburg, Italien und die Niederlande die französische Einladung an. Bis zum Verhandlungsbeginn am 20. Juni blieben die Autoren der Erklärung vom 9. Mai 1950 Details über die geplante Montanunion schuldig, was innerhalb der französischen Administration zu ausfUhrliehen Diskussionen und Spekulationen, aber auch zu detaillierten Vorschlägen flir die wirtschaftliche Ausgestaltung des Schuman-Plans flihrte. Stahlkartell unter staatlicher Kontrolle Die beiden im Industrieministerium fttr Kohle und Stahl verantwortlichen Beamten, Jacques Desrousseaux und Albert Denis, sahen in der von Schuman vorgeschlagenen Montanunion eine Chance, ihre Idee eines internationalen Stahlkartells zu verwirklichen. Am 10. Mai erörterten sie vor Vertretern der Direction des Affaires Economiques et Financieres des Außenministeriums die möglichen Folgen eines gemeinsamen Kohle- und Stahlmarktes. 8 Angesichts der preisgünstigeren deutschen Kohle erwartete Desrousseaux einen Rückgang der französischen Förderung um 20-25%. Ähnlich hatte schon kurz vor dem 9. Mai der Präsident der Charbonnages de France auf Anfrage von Etienne Hirsch geantwortet, die europäische Konkurrenz beschleunige nur die ohnehin unvermeidliche Restrukturierung der staatlichen Kohlengruben.9 Was die Stahlindustrie anbetraf, hielt Denis die Iothringischen Hersteller durchaus flir ebenbürtig gegenüber der Konkurrenz von der Ruhr, im süddeutschen Markt sogar flir überlegen. Allerdings müßten zunächst gleiche Aus7
Vgl. u.a. Young, Britain, France, S. 150·157 und Diebold, The Schuman Plan, S. 48-60. Siehe die zusammenfassende Note des Treffens vom 10.5.1950 (beiM. Beaumarchais), MAE, Archives Diplomatiques, DE.CE 1945-1960, No 508 und 500. 9 Hirsch, S. 104. Zu ähnlichen Überlegungen der Amerikaner seit Ende 1949 Holter, Politique charbonniere, S. SO.
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Teillll: Die Verhandlungen
gangsbedingungen geschaffen werden. Im Detail verlangte er eine Angleichung der Rohstoffpreise und der Kapitalkosten sowie die endgültige Durchfilhrung der von den Alliierten geplanten En~flechtung der Ruhrkonzerne. Dann könne man dazu übergehen, einheitliche Stahlpreise festzulegen und die Märkte zwischen den beiden Industrien aufzuteilen. In der Übergangszeit sei es notwendig, die Internationale Ruhrbehörde aufrechtzuerhalten und engere Verbindungen zwischen den Stahlindustrien beider Länder (etwa durch gegenseitige Kapitalbeteiligungen) zu schaffen. Eine ähnliche Konzeption entwarf Denis in wesentlich ausgefeilterer Form in zwei Noten vom 9. Juni 1950, die er an den Industrieminister sowie an Monnet und dessen Mitarbeiter Etienne Hirsch, Pierre Uri und Jacques Van Helmont sandte.10 Er begrüßte darin den Schuman-Plan, da er einen größeren Markt ftir Kohle und Stahlprodukte schaffe, deren Absatz erleichtere, dadurch die möglicherweise drohende Überproduktionskrise verhindere und den Wohlstand der betroffenen Industrien sicherstelle. Eine vollständige Wirtschaftunion zwischen den Teilnehmerländern hielt er allerdings ftir unmöglich, vor allem wenn man sich auf zwei Branchen beschränke. Sie setzte nämlich seiner Meinung nach eine Angleichung aller Produktionsbedingungen (Löhne, Sozialabgaben, Kapitalkosten etc.) voraus. Deshalb schlug er vor, sich in einem ersten Schritt darauf zu beschränken, den gesamten europäischen Markt in Zonen aufzuteilen, "innerhalb derer jedes Land Vorrang genieße". Diese Zonen entsprachen zunächst den bestehenden Landesgrenzen, eventuell mit Ausnahme Italiens und Süddeutschlands. Innerhalb der so festgelegten Zonen sollten zentrale Verkaufskontore die Verteilung der Aufträge auf die einzelnen Werke und den Vertrieb der Produkte (inklusive möglicher Importe) organisieren. Diese Kontore waren in den Augen von Denis "unabdingbar, um die Einhaltung der Produktions- und eventuell der Investitionsprogramme zu gewährleisten". Die von Schuman vorgeschlagene Hohe Behörde müsse in diesem Rahmen "die Kontore überwachen und verhindern, daß sie außerhalb der ihnen reser10 Note relative au Pool Charbon-Acier und Pool Charbon-acier, Note pour Monsieur le Directeur du Cabinet, zu finden in AN, IND 11517, den Archiven des CGP (AN, 81 AJ 157) und in Dep. 9 URJ, Box 4, Fiche 24/E-7ff. Eine erste Version der Note relative au Pool vom 30.5.1950 ist in den Archiven der DIME aufgehoben (AN, IND 1607). Man kann also davon ausgehen, daß auch Bellier die Position von Denis kannte. Bossuat, La France, l'aide americaine, S. 754, Fn. 3 erwähnt eine der beiden Noten, verkennt aber deren eigentliche Zielrichtung, da ihm die früheren Kartellvorschläge von Denis unbekannt sind. Sein Vorwurf, man habe im Industrieministerium keine "Vorstellungskraft" gehabt, ist deshalb unberechtigt.
I. Unmittelbare Reaktionen
169
vierten Zone verkauften". Außerdem teile sie die Exportquoten zu. Die Hohe Behörde sollte sich nach Meinung von Denis aus drei Gruppen zusammensetzen: (I) den Beamten der betroffenen Ministerien, d.h. für Frankreich das Außen- und Industrieministerium sowie das Plankommissariat, (2) eine Reihe von Stahlindustriellen, die die Regierungen auf Empfehlung des jeweiligen Verbandes ernannten, sowie (3), aber nur falls unbedingt notwendig, Vertreter der Arbeiter und der Angestellten, ebenfalls von der Regierung bestellt. Um die internationale Organisation nicht zu überlasten, hielt es Denis filr angebracht, in den einzelnen Ländern Organe zu schaffen, deren Aufgaben und Vollmachten denjenigen des französischen Industrieministeriums entsprachen. Man sieht deutlich die Parallelen zu den Internationalen Stahlkartellen der zwanziger und dreißiger Jahre. Auch damals hatten die beteiligten Länder die Inlandsmärkte filr die nationalen Produzenten reserviert und die Exportmärkte aufgeteilt. Starke nationale Kartelle und eine Koordination auf internationaler Ebene stellten das Funktionieren dieses Systems sicher. 11 Im Unterschied zu den Kartellen der Zwischenkriegszeit betonte Denis allerdings die Notwendigkeit einer engen Zusammenarbeit der Industrie mit den staatlichen Verwaltungen und Organen auf nationaler (Industrieministerium) und internationaler Ebene (Hohe Behörde). Daran sieht man auch, daß der Leiter des Service de Ia Siderurgie den Schuman-Plan als eine Gelegenheit sah, zumindest einen Teil der Anfang 1949 verlorenen Kontrolle über die französische Stahlindustrie wiederzugewinnen. In seiner Ausarbeitung filhrte er allerdings andere Gründe filr eine Beteiligung der öffentlichen Gewalten an der Montanunion an. Einerseits konnten nur sie die teilnehmenden Industrien zur Einhaltung der Zonenaufteilung und der Exportkontingente zwingen. Die mangelnde Durchsetzungskraft und die Schwierigkeit von Sanktionen waren nämlich in der Vorkriegszeit eine der entscheidenden Schwächen des Internationalen Stahlkartells gewesen. Außerdem gewährleisteten die staatlichen Stellen eine Koordination der Investitionen zwischen den Teilnehmerstaaten, notwendig, "um zu Krisen fUhrende Überkapazitäten zu verhindem". Diese Furcht vor einer Überproduktion hat, wie schon erwähnt, eine lange Tradition in Frankreich und wurde immer wieder als Argument ftlr die Notwendigkeit von Kartellen genannt. Schließlich mußten die öffentlichen Gewalten auch filr eine Angleichung aller Elemente der Herstellkosten sorgen, zum Beispiel durch die Abschaffung II
Vgl. dazu vor allem Barbezat, International Cooperation.
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Teil 111: Die Verhandlungen
der Doppelpreise. Die Beseitigung von Diskriminierungen war eine der Hauptforderungen der französischen Politik gegenüber der Ruhr. Ebenso hatten die Industriellen selbst immer wieder eine Harmonisierung der Produktionsbedingungen als Voraussetzung filr die wirtschaftliche Einigung Europas genannt. Abschließend verglich Albert Denis die Stahlindustrien der einzelnen Teilnehmerstaaten. Seiner Meinung nach nahm Frankreich (inklusive des Saargebiets) "mit seiner gut ausgerüsteten Industrie und dank seiner Konzentration in der Nähe des Erzes" eine ausgezeichnete Position innerhalb der Montanunion ein. Nach Angleichung der Produktionsbedingungen "werde Frankreich genausogut plaziert sein wie die Ruhr". Der Leiter des Service de la Siderurgie hielt es sogar filr "wahrscheinlich, daß unsere Zone einen Teil Süddeutschlands, den ehemaligen Absatzmarkt der Saarstahlwerke, umfaßt". Eine von der Wirtschaftsvereinigung der Eisen- und Stahlindustrie durchgefilhrte Untersuchung bestätigt diese Vermutung von Denis.J2 Demnach waren unter Zugrundelegung der damaligen Preise und Frachten die französischen den deutschen Stahlherstellern auf dem süddeutschen Markt bei Form- und Bandeisen in Thomas-Qualität, aber nicht bei Blechen überlegen. Bei angenommenen gleichen Frachten und gleichen Preisen würde sogar der gesamte süddeutsche Raum zum Absatzgebiet der saarländischen und Iothringischen Stahlindustrie. Albert Denis gab sich also erneut sehr deutlich als Anhänger einer Karteilösung zu erkennen. Er glaubte, diese im Rahmen der geplanten Montanunion umsetzen zu können. Auch die Mitarbeiter der Direction des Relations Economiques Exterieures (DREE) im Finanzministerium sahen im Schuman-Plan eine Gelegenheit, ihre seit langem geäußerten Vorstellungen zur Wirtschaftseinheit Europas zu verwirklichen. Koordination durch Investitionslenkung
Im Finanzministerium waren nach dem Scheitern der Fritalux/Finebel-Verhandlungen die Überlegungen zur wirtschaftlichen Integration in Europa weitergegangen. Sie konzentrierten sich vor allem auf die vom Minister Petsehe schon im Oktober 1949 vor der OEEC vorgeschlagene und damals noch recht 12 Franeopreise fllr einige süddeutsche Empfangsstationen, 31.7.1950, WV Stahl, Aktenordner Schumanplan. Vgl. auch die Karte mit der Frachtgleichheitslinie Oberhausen I Diedenhofen [= Thionville], ebenda.
I. Unmittelbare Reaktionen
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vage defmierte Europäische Investitionsbank (Banque Europeenne d'Investissements = BEI).l3 Eine zehnseitige Note vom 15. Mai 1950 umriß deren Aufgaben und Strukturen im Detaii. 14 Sie stellte die Bank in einen Zusammenhang mit den Bemühungen der OEEC, einerseits die Produktion in Europa zu rationalisieren und zu konzentrieren, andererseits Handelsschranken abzubauen, um einen riesigen, den Vereinigten Staaten ähnlichen Markt zu schaffen. Beide Initiativen hätten jedoch kaum Fortschritte gemacht. Im Hinblick auf die Koordination der Investitionen in den einzelnen Mitgliedsländern sei überhaupt nichts geschehen. Ein weiterer Abbau der Handelsbarrieren werde auch immer schwieriger, da die daraus resultierende Konkurrenz zu Fabrikschließungen und Arbeitsplatzverlusten filhren könne. Eine europäische Bank sei in der Lage, beide Probleme gleichzeitig zu lösen. Einmal würde sie Mittel bereitstellen, um die von der Schließung bedrohten Unternehmen zu entschädigen und dadurch soziale Unruhen zu vermeiden. Diese Mittel müßten von den Industriellen der betroffenen Branche, unter Aufsicht der Bank, selbst zugeteilt werden. Gleichzeitig stelle die Bank Finanzmittel zur Verfügung, um die Spezialisierung und Rationalisierung in Europa zu fördern und damit langfristig europäische Unternehmen zu schaffen, die mit General Motors oder US Steel in den Vereinigten Staaten vergleichbar seien. Auch hier setzte die Note wieder auf Abmachungen zwischen den Firmen der entsprechenden Branche. Sollten diese sich nicht einigen können, müßte die Bank allerdings eine unabhängige Entscheidung über die Kreditvergabe treffen. Aber in den meisten Fällen reiche allein die Drohung eines Eingriffs aus, um die Industriellen zur Einigung zu zwingen. Für beide Bereiche (Entschädigung und Rationalisierung) berief sich die Note auf das Beispiel der Vorkriegskartelle. Allerdings werde durch die Kontrolle der Bank gewährleistet, daß es nicht zu einer Schaffung von dominierenden Positionen oder Preisabsprachen komme, da man in solchen Fällen rivalisierende Firmen und Verbände unterstützen könne. Man sieht sehr deutlich, 13 Siehe ftlr die Petsche-Erklärung vor der OEEC im Oktober 1949 oben S. 124f. und filr die anschließenden Überlegungen das entsprechende Dossier in AN, F60ter 474. 14 Projet de creation d'une Banque Europeenne d'lnvestissements, Note, 15.5.1950, AEF, 833510. Der Autor dieses Dokuments ist unbekannt. Möglicherweise war es der Leiter der DREE, Filippi, da aus dem Begleitschreiben hervorgeht, daß er ftlr den 23.5.1950 eine Sitzung zu diesem Thema im Haus von Clennont-Tonnerre einberufen hatte. Unklar ist auch, ob es sich bei der ganzen Sache zunächst um "private" Überlegungen einer Gruppe von hohen Beamten handelte.
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Teillll: Die Verhandlungen
wie die vorgeschlagene Europäische Investitionsbank in der Tradition bisheriger französischer Initiativen im Rahmen der OEEC steht, die auf eine stärkere Spezialisierung der Unternehmen abzielten und dabei vor allem auf privatwirtschaftliche Initiativen setzten. Der erste, der eine Verbindung der BEI mit dem Schuman-Plan herstellte, war Alexandre Kojeve.l5 In einer an den Leiter der DREE, Jean Filippi, gerichteten Note vom 19. Mai schlug er eine leichte Modifizierung der SchumanErklärung vor. Dies erlaube, die Montanunion "einerseits in die OEEC und die Bank, andererseits in die Verhandlungen zwischen den Industriellen einzubeziehen". Eine solche Vorgehensweise "ermögliche es den Ministern Petsehe und Buron, die Initiative in dieser Sache zurückzugewinDen und das Tun und Treiben von Herrn Monnet, wenn nicht ganz auszuschalten, so doch zumindest zu überwachen". Kojeve ftlrchtete vor allem Monnets dirigistische Tendenzen. Er hatte sich fUr seine Vorschläge schon die Unterstützung anderer Mitarbeiter des Finanzministeriums gesichert.l6 Bernard de Margerie, seit November 1949 Generalsekretär des interministeriellen Komitees fUr Fragen der wirtschaftlichen Zusammenarbeit in Europa (CIQCEE), vertrat eine ähnliche Meinung. Allerdings hielt er eine nachträgliche Abänderung der Erklärung sowie die Anhindung der Montanunion an die OEEC fUr kaum realisierbar. Dadurch stoße man das Außenministerium wahrscheinlich vor den Kopf. 17 Auch er wollte aber wie Kojeve verhindern, daß die geplante Gemeinschaft allzu dirigistische Züge annahm, da in diesem Falle die französische Stahlindustrie nicht daran teilnehmen würde. Gleichzeitig erkannte er jedoch, daß die Amerikaner und auch die französischen Sozialisten nicht bereit waren, eine rein privatwirtschaftliche Lösung, d.h. ein Kartell, zu akzeptieren. Deshalb empfahl er, Absprachen zwischen den 15
Siehe zu seiner Person und seinen früheren Vorschlägen oben S. 79.
Note pour M. Filippi, Le "Combinat" et I'OECE, 19.5.1950, AN, F60ter 474. Diese Note trägt keinen Namen, aber die Autorenschaft Kojeves wird durch eine andere Note an Filippi vom 20.5.1950 bestätigt, in der er sich darauf bezieht, ebenda. Für die Auffassungen Kojeves zum Schuman-Pian und zur BEI auch seine Note an Mancel-Bize vom 17 .6.1950, eben da. Diese und die folgenden Noten werden teilweise auch von Bossuat, La France, l'aide americaine, S. 752f. erwähnt, der aber den Zusammenhang mit früheren Überlegungen der DREE nicht herstellt. 17 Note von Bemard de Margerie an Filippi und beigefugte Note sur le projet de pool europeen du charbon et de l'acier, 20.5.1950, AN, F60ter 474. Diese letzte Note findet sich auch in 411 , eingeordnet unter den "Notes Kojeve". Eine Autorenschaft de Margeries scheint auch aus Stilgründen wahrscheinlicher. Die Frage ist aber wegen der sehr ähnlichen Ansichten beider relativ unerheblich. 16
I. Unmittelbare Reaktionen
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Industriellen durch eine öffentliche Kontrollinstitution auf europäischer Ebene zu überwachen. Diese müsse sicherstellen, daß Investitionsvorhaben im allgemeinen Interesse seien, Produktionsprogramme nicht zu einer künstlichen Verknappung fiihrten und daß die Preise nicht zum Schaden der Verbraucher hochgehalten würden. Geeignetes Druckmittel dazu war nach Ansicht von de Margerie die Vergabe öffentlicher Kredite. Deshalb empfahl der Generalsekretär des CIQCEE, alle weiteren Überlegungen zur vorgeschlagenen Montanunion im Zusammenhang mit denjenigen zur Schaffung einer Europäischen Investitionsbank durchzufilhren. Vor dem Beginn von internationalen Verhandlungen sollten sich zunächst einmal alle betroffenen Ministerien und Verwaltungen in Frankreich auf eine gemeinsame Vorgehensweise einigen. Bereits im Juni hatte Finanzminister Petsehe Großbritannien um einen Gegenentwurfzum Schuman-Plan gebeten.18 Am 3. Juli 1950 wiederholte er vor der OEEC seine Vorschläge vom Herbst 1949 zu Handelsliberalisierungen, Spezialisierungsabkommen und Harmonisierung der Produktionsbedingungen. Er detaillierte gleichzeitig das Projekt der Europäischen Investitionsbank und versuchte, den Schuman-Plan diesem unterzuordnen. Damit fand er jedoch keine Zustimmung. Sein Staatssekretär Buron machte im Dezember 1950 in internen Dokumenten ähnlich umfassende Vorschläge, ebenfalls ohne große Resonanz. 19 Auch in der Direction des Relations Economiques Exterieures glaubte man aber, ähnlich wie Albert Denis, an die möglichen Vorteile einer Montanunion fiir die französische Stahlindustrie. Eine detaillierte Analyse, die sich zwischen den obengenannten Noten befindet, deren Autor aber unbekannt ist, sah vor allem die Iothringischen Werke als "Gewinner" einer europäischen Kohle- und Stahlgemeinschaft.2° Dagegen hätte die Stahlindustrie in Nordfrankreich und an der Saar nichts zu gewinnen, riskiere aber auch nicht, etwas zu verlieren. Zentralfrankreich dagegen könne nur durch Spezialisierung sein Überleben als Stahlstandort sichern. Insgesamt gesehen seien die französischen Stahlprodu-
18 Dazu Obereinstimmend Young, Britain, France, S. 158f., Lynch, The RoJe of Jean Monnet, S. 123, Milward, The Reconstruction, S. 406 und Bossuat, La France, l'aide americaine, S. 753. Vgl. zu den Rivalitäten zwischen Petsehe und Monnet insgesamt E. Faure, Memoires, Bd. 1: "Avoir toujours raison ... c'est un grand tort", Paris 1982, S. 212f. 19 Bossuat, La France, l'aide americaine, S. 729-732 und ders., La vraie nature de Ia politique europeenne de Ia France (1950-1957), in: G. Trausch (Hg.), Die europäische Integration vom Schuman-Pian bis zu den Verträgen von Rom, Baden-Baden 1993, S. 193-195. 20 La Federation des Industries de Base en Europe, ohne Datum [eingeordnet zwischen dem 17.6. und 3.7.1950], AN, F60ter 474.
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zenten durch Kohle- und Transportkosten sowie die mangelnde Konzentration gegenüber ihren deutschen Konkurrenten benachteiligt, hätten aber durch ihre modernen Anlagen (besonders die beiden Breitbandstraßen) einen eindeutigen technologischen Vorsprung. In einer Übergangszeit müßten sich die teilnehmenden Staaten darum bemühen, die bestehenden Ungleichgewichte in den Produktionsbedingungen (Doppelpreise, Kapitalkosten etc.) zu beseitigen. Den "Endzustand" sah auch dieser Autor als ein kontrolliertes Kartell. Die Quoten würden nach technischen Effizienzkriterien aufgeteilt, stillgelegte oder zur Drosselung der Produktion gezwungene Werke entschädigt, um soziale Unruhen zu vermeiden. Die Mitarbeiter der DREE waren sich darüber im klaren, ihre Interessen nur in Kooperation mit Monnet und den anderen Beteiligten innerhalb der französischen Administration einbringen zu können. Wenn man den Schuman-Plan rundweg ablehne, müsse man damit rechnen, daß sich Deutschland nach Osten wende oder daß die Amerikaner ihre Projekte, Europa von Deutschland aus zu schaffen, wieder aufgreifen würden. "Deshalb, so schrieb einer von ihnen, scheint es mir unumgänglich, auch wenn ich fast keinen der vom Projekt des Herrn Monnet ausgedrückten Standpunkte teile, in dieser Angelegenheit zusammenzuarbeiten, um sie in ein vernünftiges, zum Erfolg filhrendes Projekt umzuwandeln." 21 Jean Monnet und seine Mitarbeiter machten jedoch in ihren Stellungnahmen nach dem 9. Mai deutlich, daß sie keinesfalls gewillt waren, unter dem Deckmantel des Schuman-Plans ein europäisches Stahlkartell zu verwirklichen. Eindeutige Stellungnahme Monnets gegen Kartelle
Bereits die Erklärung vom 9. Mai enthielt eine eindeutige Aussage im Hinblick auf mögliche Kartellaspekte der geplanten Montanunion: "Im Gegensatz zu einem internationalen Kartell, das nach einer Aufteilung und Ausbeutung der nationalen Märkte durch einschränkende Praktiken und durch die Aufrechterhaltung hoher Profite strebt, wird die geplante Organisation die Verschmelzung der Märkte und die Ausdehnung der Produktion gewährleisten." Ein zusätzliches, von Pierre Uri verfaßtes Memorandum hebt die entscheidenden Unterschiede zwischen der Gemeinschaft und einem internationalen
21
Mare Hyafil an den Leiter der DREE, Filippi, 3.7. 1950, AN, F60ter 411 und 474.
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Kartell hervor. Darin werden sowohl die wirtschaftlichen als auch die politischen Aspekte des Schuman-Plans erwähnt.22 Man habe die Kohle- und Stahlindustrien gewählt "wegen ihrer grundlegenden Bedeutung ftlr die gesamte Wirtschaft und ftlr die politischen Beziehungen zwischen den Teilnehmerstaaten". Es gehe weniger darum, "die Form dieser beiden Industrien zu regulieren, als vielmehr darum, auf ihnen aufbauend, die Maßnahmen und Bedingungen zu entwickeln filr eine Anhebung des Lebensstandards der Arbeiter und filr eine wirtschaftliche Expansion. [ ...]ln wirtschaftlicher Hinsicht und im Gegensatz zu den Folgen eines Kartells wird [die Montanunion] dazu filhren, Ergebnisse zu erzielen, wie sie aus einer perfekten Konkurrenz resultieren würden, allerdings in einem schrittweisen Vorgehen, ohne welches die Einfilhrung des Wettbewerbs unüberwindliche Hindernisse vorfinden würde."
Die Initiatoren des Vorschlages versuchten aber gleichzeitig, Bedenken über mögliche staatliche Eingriffe in das Eigentum oder die Führung der betroffenen Industrieunternehmen zu zerstreuen. Robert Schuman erklärte in der auf seine Erklärung folgenden Pressekonferenz solche Beftlrchtungen ftlr unbegründet: "Die am besten geftlhrten Unternehmen werden am erfolgreichsten sein. "23 Er wiederholte diese Aussagen Anfang Juni vor anglo-amerikanischen Pressevertretern: "Hauptziel des französischen Plans ist die Schaffung eines riesigen europäischen Marktes. Die Konkurrenz darf dabei nicht ausgeschaltet werden. Man muß gute Unternehmensftlhrung belohnen. Es wird keine Nivellierung der Firmen geben. "24 In der historischen Forschung hat man zu Recht hervorgehoben, daß solche Erklärungen vor allem darauf abzielten, amerikanische Bedenken zu zertreuen, es handle sich bei der Montanunion um ein nur mühsam vertuschtes Superkartell.25 So betont auch Monnet in seinen Erinnerungen, daß er Pierre Uri um die 22 Eine Kopie dieses vom 8.5.1950 datierten und von Monnet an McCioy gerichteten Memorandums findet sich in PRO, F0371185841, CE2321. Siehe auch das Telegramm des USBotschafters Bruce an das State Department, Treasury, ECA, 12.5.1950, FRUS 1950, m, hier S. 701. 23 Pressekonferenz Schumans am 9.5.1950, MAE, Service de Presse, Circulaire N° 108, 11.5.1950, MAE, Archives Diplomatiques, DE-CE 1945-1960, N° 500.
24 MAE, Service d'lnfonnation et de Presse, Circulaire W 146, 8.6.1950, MAE, Archives Diplomatiques, DE-CE 1945-1960, W 500. 25 Vgl. u.a. Gerbet, Les origines du Plan Schuman, S. 220, Milward, The Reconstruction, S. 398f., Bossuat, La France, l'aide americaine, S. 749 und Schwabe, "Ein Akt konstruktiver Staatskunst", S. 225f.
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Abfassung des obengenannten Memorandums gebeten habe, um solchen Mißverständnissen vorzubeugen und möglichen Einwänden von vornherein zu begegnen.26 Daß diese Vorsichtsmaßnahmen berechtigt waren, zeigte sich in den unmittelbaren Reaktionen der amerikanischen Verantwortlichen. Nach Auskunft von Raymond Vernon, damals im State Department in der Abteilung für internationale Handelspolitik tätig, wurde der Schuman-Plan dort anfangs tatsächlich filr ein Kartell gehalten. Dann habe man jedoch seine immense politische Bedeutung erkannt und sich deswegen zustimmend geäußert.27 Sehr ähnlich reagierte US-Außenminister Dean Acheson, der sich auf der Durchreise in Paris befand und von Schuman bereits vor der öffentlichen Erklärung informiert wurde. Er bezeichnete den Plan zunächst als "das verdammteste Kartell, das ich je in meinem Leben gesehen habe". 28 In einer Presseerklärung am 11. Mai 1950 begrüßte er dann die französische Initiative, behielt sich aber eine endgültige Bewertung bis nach einer genauen Prüfung vor. 29 Auch ein Brief von John Foster Dulles an Monnet rechtfertigt die Befilrchtungen und die Vorgehensweise des Plankommissars.30 Dulles, ein guter Freund Monnets und damals Berater von Acheson, betonte die in seiner Sicht überragende politische Bedeutung des Vorschlags. Die Reaktionen in den Vereinigten Staaten seien nach außen hin sehr positiv gewesen. Allerdings gebe es auch Kritiker, die in dem Vorschlag nur eine umfassendere Neuauflage des Internationalen Stahlkartells sähen. Deshalb warnte er Monnet: "Es wird aus verschiedenen Richtungen Versuche geben, den Vorschlag zu torpedieren, besonders wenn er sein Momentum verliert." Bei alledem darf man jedoch nicht übersehen, daß die Beseitigung und Verhinderung von nationalen wie internationalen Kartellen in den Überlegungen Monnets eine wichtige Rolle spielten. Dies hatten wir bereits in seinen Reflektionen und Aktionen vor dem Schuman-Plan gesehen. Er und seine Mitarbeiter 26 Monnet, Erinnerungen, S. 384f. Ähnlich in seinen Memoiren P. Uri, Penser pour l'action. Un fondateur de l'Europe, Paris 1991, S. 82. 27 Interview mit Raymond Vemon, 17.5.1990. Nach Milward, The Reconstruction, S. 399 war die positive Reaktion der ECA ausschlaggebend. Vgl. dazu das Telegramm von Harriman an Acheson vom 20.5.1950, FRUS 1950,111, S. 702-704. 28 Zitiert von Wall, The United States, S. 193. 29 Der Text der Presseerklärung Achesons findet sich in AN, 8JAJ 155. 30 Dieser vom 23.5.1950 datierte Briefist zu finden in AN, 81AJ 157. Vgl. auch Dulles an Acheson, 10.5.1950, FRUS 1950, III, S. 695f.
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verdeutlichten es erneut in ihren nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Interventionen nach dem 9. Mai 1950. So machte der Plankommissar selbst bei seinen Gesprächen in Großbritannien klar, daß der Vorschlag darauf abzielte, die Bildung von Kartellen zu verhindern.31 Der britische Schatzkanzler Sir Stafford Cripps gewann aus einem Treffen mit Monnet am 15. Mai sogar den Eindruck, daß dieser "über drastische Veränderungen in der Struktur und den Eigentumsverhältnissen der beiden Industrien nachdenke. Monnet habe ihm gesagt, er brauche keine Furcht vor einer Kartellisierung durch das Comite des Forges zu haben, da die Kontrolle über die französischen Industrien aus privater Hand genommen werde. "32 Am 16. Mai betonte der Plankommissar gegenüber Vertretern des Treasury Department und des Foreign Office, daß die Einzelheiten der geplanten Kohleund Stahlgemeinschaft nicht zwischen den Herstellern ausgehandelt werden dürften:33 "Unter keinen Umständen darf es direkte Verhandlungen zwischen den nationalen Industrien geben." Auch die vorgeschlagene Behörde solle sich keinesfalls aus Industrievertretern, sondern aus unabhängigen von den Regierungen der Mitgliedsländer ernannten Personen zusammensetzen. In einem Brief an den Leiter des Economic Planning Board, Sir Edwin Plowden, den die britische Regierung beauftragt hatte, sich ein Bild vom französischen Vorschlag zu machen, unterstrich Monnet ebenfalls, daß es das "letztendliche Ziel" des Schuman-Plans sei, "die Vorteile eines Wettbewerbs zu erhalten, der auf der Produktivität beruht und der nicht mehr durch die Ausbeutung der Arbeitskräfte oder diskriminierende Praktiken verfälscht ist".3 4 Man erkennt hier erneut, wie sehr die Montanunion auf die Interessen der Verbraucher abgestimmt ist und wie sie sich in die vorherigen Bemühungen Monnets eintUgt, nationale Kartelle zu unterbinden und die Produktivität zu steigern. Diese entscheidenden Aspekte verkennt der französische Historiker 31 Wörtlich: "M. Monnet represents that it was designed to anticipate + prevent cartels", handschriftliche Anmerkung zu einem Schreiben von Hayter, britische Botschaft in Paris, an Bevin über die Hintergründe des Schuman Vorschlags, 15.5.1950, PRO, F0371 /85842, CE2339. 32 So Cripps zu seinen Kabinettskollegen am 16.5 .1950, Documents on British Policy Overseas (DBPO), Series II, Bd. 1: The Schuman Plan, the Council ofEurope and Western European Integration 1950-1952, London 1986, S. 62. 33 Secret Notesofa Meetingheld at the Hyde Park Hotel, on 16th May, 1950, with M. Monnet, DBPO II, I, N" 25, S. 59-61, hier S. 60. Ähnlich äußerte Monnet sich am 23.5.1950 auch gegenüber dem Bundeskanzler, Adenauer, S. 336. 34 Eine Kopie dieses vom 25.5.1950 datierten Schreibens findet sich in AN, 81AJ 154, eine englische Übersetzung in DBPO II, I, N" 45, S. 94-96, hier S. 96.
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Gerard Bossuat. Er stellt den Schuman-Plan in einen Zusammenhang mit den Vorschlägen, die Frankreich seit 1948 in der OEEC unterbreitet hatte (Spezialisierungsabkommen, Absprachen zwischen den Industriellen und Europaunternehmen), und bezeichnet die Supranationalität als einzigen neuen "Zusatz" .35 Dagegen erkannten die Vertreter der betroffenen Industrien sehr schnell die kartellfeindliche Ausrichtung der Montanunion, wie an ihrer Reaktion deutlich wird. 36 Warnungen vor einem möglichen Dirigismus
Kurzzeitig glaubte man auch in der französischen Stahlindustrie und den ihr nahestehenden Kreisen, es handle sich beim Schuman-Plan möglicherweise um eine Neuauflage des Internationalen Stahlkartells. So erschien in der Zeitschrift L'Usine Nouvelle gleichzeitig mit der Erklärung des Außenministers eine ausftlhrliche positive Darstellung der Internationalen Stahlkartelle der zwanziger und dreißiger Jahre.37 Als deren "Hauptidee" bezeichnet der Artikel die Verhinderung der "ruinösen Konkurrenz". Im Verband der französischen Stahlindustrie bestanden ähnliche Vorstellungen. Nach Meinung von Alexis Aron ging es darum, ein Kartell zwischen den Stahlindustriellen der verschiedenen Länder zu schaffen, das durch eine Kommission kontrolliert werde, in der die jeweiligen Regierungen mit einem Vetorecht vertreten seien. Über dieser Kommission stehe ein Schiedskollegium mit drei Mitgliedern: eines von den Industrievertretern ernannt, eines aus der Kontrollkommission und als drittes der Präsident des Haager Gerichtshofs. 38 35
Bossuat, La politique fran~taise, S. 329. Siehe zur Position der französischen Industrie zum Schuman-Plan insgesamt H. W. Ehrmann, The French Trade Associations and the Ratitication of the Schuman Plan, in: World Politics, Vl/4 (Juli 1954), S. 453-481. Vgl. auch Haas, S. 176-181, G. Lefranc, Les organisations patronalesen France du passe au present, Paris 1976, S. 152-156, Bounie, S. 81-93, Willis, S. 94-98 und Weber, S. 122-127, die sich alle weitgehend auf Ehrmann stUtzen; zur Haltung der Stahlindustrie Mioche, Le patronat de Ia siderurgie fran~taise, fast identisch ders., La siderurgie et l'Etat, S. 637-652, F. Roth, Les milieux siderurgiques lorrains et l'annonce du Plan Schuman, in: Schwabe (Hg.), Die Anfllnge des Schuman-Plans, S. 367-380 sowie R. Perron, La siderurgie et les milieux d'affaires fran~tais face l\ Ia Communaute Europeenne du Charbon et de l'Acier (1950-1954), Memoire de Maitrise, Universite de Paris I, 1985. 37 L'Usine Nouvelle vom 18.5.1950, S. I und 3: Le "Plan" charbon-acier. Vgl. Berghahn, The Americanisation, S. 125-128 zu ähnlichen Vorstellungen in der deutschen Stahlindustrie. 38 Sitzung der Commission Permanente der CSSF am 13.6.1950, Zusammenfassung von Andre Grandpierre, PAM 70670. Aron hatte übrigens schon während des Krieges ein Projekt ftlr ein weltumspannendes Stahlkartell entworfen, Mioche, La siderurgie et !'Etat, S. 559-561. 36
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Diese ersten Stellungnahmen machen deutlich, wie sehr die Kartellerfahrungen der Vorkriegs- und Kriegszeit die Vorstellungen vieler Industrieller und vor allem der Verbandsvertreter prägten.39 Möglicherweise erklärt sich auch daraus die zustimmende Antwort Arons, als Etienne Hirsch ihn kurz vor dem 9. Mai 1950 mit den Grundzügen des Schuman-Pians vertraut machte: 40 "Für uns gibt es nur dies, oder den Untergang". In seinen Erinnerungen beschreibt der stellvertretende Plankommissar auch eine spätere Gelegenheit, bei der sich Aron zustimmend zur Montanunion geäußerte habe. Er sei damals allerdings von CSSF-Präsident Aubrun "brüsk" unterbrochen worden.41 Der Verbandspräsident selbst besaß persönliche Erfahrung mit den Kartellen der Zwischenkriegszeit Er hatte von 1932 bis 1935 deren Schiedskollegium angehört. 42 Tatsächlich erklärte Aubrun nach dem 9. Mai in einem Gespräch mit Monnet, an dem auch CNPF-Präsident Georges Villiers teilnahm, zunächst einmal Kontakt mit den deutschen Industriellen aufuehmen zu wollen.43 Auch an der detaillierten Ausgestaltung des Plans sowie den Verhandlungen wollte Aubrun mitwirken. Wie Monnet schon gegenüber Adenauer und seinen britischen Gesprächspartnern angedeutet hatte, gehörte der französischen Delegation kein Vertreter der Industrie an. Einige Verbandsexperten, vor allem Alexis Aron, standen ihr allerdings in technischen Fragen zur Seite. Die Regierung ernannte außerdem Georges Villiers, Jules Aubrun und Leon Daum von der Firma Marine-Hornecourt offiziell zu "Beratern".44 Letzterer hatte die französischen Produzenten bereits im Stahlkomitee der UN-Wirtschaftskommission fiir Europa in Genf vertreten. Es war jedoch klar, daß keine der genannten Personen direkt an den Verhandlungen teilnehmen konnte. Deshalb sandte Verbandspräsident Aubrun kurz vor Verhandlungsbeginn am 20. Juni 1950 einen Brief an den Außenminister, worin er hervorhob, daß die 39 Siehe zur "Internalisierung des Kartellverhaltens" in der europäischen Industrie Bergbahn, Montanunion und Wettbewerb, S. 251 und 260f. Zu den Ursprüngen dieser Haltung in den Erfahrungen der Vorkriegszeit auch Caron, Cartels et fusions, S. 190. 40 Hirsch, S. 104. Hier zitiert nach Monnet, Erinnerungen, S. 403, der Aron allerdings nicht namentlich erwähnt. 41 Hirsch, S. 107. 42 Mioche, La siderurgie et I'Etat, S. 409. 43 So Jacques Ferry zu Fran~ois de Villepin, vgl. dessen Note an Michel Paul-Cavallier, 16.5.1950, PAM 70690. Siehe auch den Bericht von Villiers vor dem Comite Directeur des CNPF am 23.5.1950, AN, 72AS 874. 44 Presseerklärung des MAE zum Beginn der Verhandlungen, 20.6.1950, AN, 81AJ 131.
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Vertreter der betroffenen Industrien in den übrigen Teilnehmerländern von ihren Regierungen aufgefordert worden waren, die durch den Plan und die anstehenden Verhandlungen aufgeworfenen Fragen zu untersuchen. Auch die CSSF stehe ftlr solche Konsultationen zu seiner Verfiigung.45 Allerdings machten die französische Stahlindustrie und ihr Verband von sich aus keinerlei konkrete Vorschläge zur Ausgestaltung des Schuman-Plans. Man warnte nur vor einem möglichen Dirigismus. Schon in einem von L'Information am 11. Mai 1950 veröffentlichten Interview, hatte Aubrun angesichtsder im französischen Vorschlag enthaltenen dirigistischen Methoden "ernsthafte Besorgnisse" geäußert.46 Auch britische Beobachter stellten fest, daß die Vertreter der Stahlproduzenten den Vorschlag "mit erheblicher Vorsicht" betrachteten. Sie erklärten diese Haltung mit ihrer Furcht vor einer möglichen Dominanz der Ruhr und iliren Bedenken gegenüber einem drohenden Dirigismus, dessen ftlhrender "Apostel" in Frankreich Jean Monnet sei.47 Eine ähnliche Beschreibung der Haltung der Verbandsvertreter stammt von einem britischen Parlamentarier. Nach einem Besuch in Paris im Juni 1950 charakterisierte er sie als "gelähmt durch ihre Furcht vor Dirigismus und Verstaatlichung". Tatsächlich hätten sie "keine konstruktiven Ideen im Kopf'.48 Doch ähnlich wie die Beamten im Industrie- und Finanzministerium schien auch CSSF-Präsident Aubrun davon überzeugt, daß die französische Stahlindustrie ftlr den internationalen Wettbewerb "perfekt gewappnet" war. Diese Ansicht äußerte er zumindest Ende Mai!Anfang Juni bei einer Rede anläßlich der Eröffnung der Ecole Regionale de Ia Siderurgie in Metz. Für ihre möglichen Schwächen machte er dabei rein äußere Einflüsse verantwortlich, insbesondere die überhöhten Kohle- und Kokspreise und die unzureichenden Finanzmittel zur Modernisierung der Anlagen.49 Im französischen Unternehmerverband CNPF sah man vor allem die Hohe Behörde mit Unbehagen. Nach Ansicht seines Präsidenten Georges Villiers 45 Aubrun faßte diesen vom 15.6.1950 datierten Brief auf der Sitzung des Vorstands der CSSF am 16.6.1950 zusammen, Sitzungsprotokoll, PAM 88337. 46 Vgl. die Kopie in PAM 82336. Der Artikel selbst nannte Aubrun nicht namentlich. Daß es sich um ihn handelte, geht aber aus dem Begleitschreiben hervor. 47 Schreiben von Hayter, britische Botschaft in Paris, an Bevin über die Hintergründe des Schuman-Vorschlags, 15.5.1950, DBPO II, I, N" 20, S. 47-50, hier S. 49. 48 Wiedergegeben in einem Briefvon Hayter an das Foreign Office vom 21.7.1950, PRO, F0371185859, CE3729. 49 Auszüge aus dieser Rede Aubruns sind abgedruckt in L'Usine Nouvelle vom 8.6.1950: Autour du Plan Schuman. Der Artikel gibt kein exaktes Datum ftlr die Rede.
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durften deren genaue Aufgaben nur im Einvernehmen mit den Industriellen festgelegt werden. 5° Vor dem Comite Directeur des CNPF verschaffte Villiers allerdings seinen Befilrchtungen Ausdruck, daß die Montanunion zu einer Ausdehnung der staatlichen Eingriffe in die Privatwirtschaft, sogar zu einer "Sozialisierung" der Basisindustrien auf dem Umweg über Europa fiihren könne. 51 Auch in seiner Rede auf der Hauptversammlung des Unternehmerverbandes am I. Juli 1950 stimmte er zwar dem Schuman-Plan im Prinzip zu, machte aber erneut einen entscheidenden Vorbehalt: "Man muß vor allem vermeiden, daß sich ein internationaler Dirigismus etabliert, wo doch der nationale Dirigismus, gegen den wir so viel gekämpft haben, gerade erst verschwindet."52 Ähnliche Bedenken äußerte Villiers Stellvertreter Pierre Ricard in einer Sitzung der Commission Generale des Relations Economiques Internationales des CNPf.53 Ricard hatte unter Vichy das Organisationskomitee der Gußeisenhersteller geleitet. Er spielte nach dem Krieg eine entscheidende Rolle bei der Gründung des Spitzenverbandes und unterhielt ausgezeichnete Beziehungen zur Administration, insbesondere zum Industrieministerium. 54 Seiner Meinung nach zielten die grundlegenden Pläne Monnets auf einen "absoluten Dirigismus" durch eine Kontrolle der Preise und der Investitionen, die mit US-Mitteln fmanziert würden. Der Plankommissar "triefe vor Argwohn [... ] gegen jegliche Maßnahme, die den Charakter von privatwirtschaftliehen Kartellabsprachen habe". Auch nach Informationen der amerikanischen Botschaft zeigten sich der CNPF und die CSSF "keinesfalls mit den französischen Vorschlägen in ihrer gegenwärtigen Form zufrieden. Offensichtlich waren sie nicht auf etwas vorbereitet, das sich so vollkommen von den Kartellabsprachen unterschied, mit denen sie aus der Vorkriegszeit Erfahrung hatten."ss 50 Diese Haltung wird auf der Sitzung der Commission permanente der CSSF am 13.6.1950 dargelegt. Es ist nicht eindeutig, ob Villiers dort selbst anwesend war, siehe die Zusammenfassung von Andre Grandpierre, 13.6.1950, PAM 70670. 51 Siehe die Sitzungsprotokolle vom 23.5. und 13.6.1950, AN, 72AS 874. 52 Zur Position von Villiers die Note von Georges Morin an Andre Grandpierre, 3.7.1950, PAM 70690. Das Zitat nach AGEFI vom 3.7.1950 findet sich in AN, 81AJ 132. 53 Zusammengefaßt in einer Note von Georges Morin an Andre Grandpierre, 12.7.1950, PAM 70669. 54 Er gilt in der Forschung allgemein als eine Art "graue Eminenz" in der französischen Untemehmerschaft, vgl. Ehrmann, Organized Business, S. l!Sff., Weber, S. 90-96, Mioche, La siderurgie et !'Etat, S. 411-425, Jeanneney, S. 260f. sowie Franck, 697 ministres, S. 15. 55 Wiedergegeben in einem Brief des britischen Charge d'Affaires in Paris, Hayter, an das Foreign Office vom 21.7.1950, PRO, F0371185859, CE3729.
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Doch machten weder Aubrun noch Villiers konkrete Vorschläge für eine kartellähnliche Ausgestaltung des Schuman-Pians. Sie hielten sich an eine Empfehlung Ricards, eine "spektakuläre Ablehnung" zu vermeiden.56 Wie schon bei der französisch-italienischen Zollunion, beschränkten sich beide Verbände zunächst darauf, eine Angleichung der Produktionsbedingungen in allen Teilnehmerländern zu fordern. 57 Dagegen fand der Schuman-Pian, wie nicht anders zu erwarten, bei der verarbeitenden Industrie ein durchweg positives Echo.
Ungeteilte Zustimmung der Metallverarbeiter Die Vertreter der Stahlverbraucher erkannten, daß die Montanunion eine Lösung ftlr das von ihnen seit Mitte 1949 beklagte Problem der hohen innerfranzösischen Stahlpreise bieten konnte. So begrüßte auf seiner Sitzung am 24. Mai 1950 der Vorstand des Dachverbandes der metallverarbeitenden Industrie den Vorschlag, da "seine Folgen glücklich erscheinen, insofern er ein wirtschaftliches Gleichgewicht in Buropa und eine Angleichung der Rohmaterialpreise ilirdere". 58 Für den Generaldelegierten des Verbandes, Jean Constant, verwirklichte der Schuman-Plan die Forderung, die er seit einem Jahr in zahlreichen Leitartikeln, Vorträgen und Schreiben an die Verantwortlichen gerichtet hatte: daß die Handelsliberalisierung in Europa der Wertschöpfungskette folgen müsse. Diesen Punkt stellte er in einem Leitartikel der Verbandszeitschrift Les Industries Mecaniques vom Juli 1950 heraus, in dem er sich ausfUhrlieh mit dem französischen Vorschlag befaßte. 59 Demnach war die "Monnet-Schuman-Idee" Ausdruck eines sehr einfachen Prinzips, nämlich "daß man sich vor einem Abbau der Handelsschranken bei Maschinen und Töpfen zunächst mit den Blechen und der Kohle beschäftigen müsse".
56 Morin an Grandpierre, 12.7.1950, PAM 70669. Mioche, Le patronat de Ia siderurgie franfi:aise, S. 308f. beschreibt die Haltung der französischen Industriellen zu diesem Zeitpunkt als "wohlwollendes Abwarten". "Warnend" scheint eine passendere Beschreibung, so auch Perron, La siderurgie, S. 36-38. 51 Das geht aus zwei Beiträgen im Industriekurier vom 6.6. und 11.7.1950 hervor, Mannesmann-Archiv, M 12.955. 58 Reunion du Conseil d'administration du 24 mai 1950, Les lndustries Mecaniques, Juni 1950, S. 27. 59 Kopien dieses Artikels finden sich ebenfalls in den Archiven des Plans, AN, 81AJ 132 und den Papieren von M. Bellier, AN, Ministere de l'lndustrie, 830589, N• 5. Auch der Industriekurier vom 25.7.1950 faßt ihn zusammen, Mannesmann-Archiv, M 12.955.
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Unter dieser Voraussetzung erklärte Constant im Namen der Stahlverbraucher deren "vorbehaltlose Zustimmung" zum Schuman-Plan. Auch wenn es zwischen den einzelnen europäischen Ländern weitere erhebliche Unterschiede in den Herstellkosten gebe (etwa bei Abgaben und Steuern), "akzeptieren wir, auf der Grundlage eines Rohstoffinarktes, in dem Konkurrenz herrscht, vollkommen den Wettbewerb in unserer Branche, [... ]erklären wir uns entschieden als Anhänger der Handelsliberalisierung". Dabei war sich der Generaldelegierte durchaus der Konsequenzen des Wettbewerbs ftlr die Unternehmen der Metallverarbeitung bewußt: "Manche werden dabei auf der Strecke bleiben. Dies ist in vielen Fällen auch notwendig, aber es trifft nicht mehr nur unseren Industriezweig". Nach Meinung von Constant, profitiere die Volkswirtschaft insgesamt vom Verschwinden der ineffizienten und teuren Hersteller, die bislang durch den Dirigismus des Staates oder der Verbände geschützt waren. Eine ähnliche Ansicht hatten bereits vorher Andre Philip und Jean Monnet geäußert.60 Gleichzeitig warnte der Vertreter der Stahlverarbeiter davor, die geplante Hohe Behörde mit allzu vielen Vollmachten auszustatten. Sie könne sich darauf beschränken, die Grundlagen für die notwendigen Kompensationsmaßnahmen festzulegen. "Danach wird der freie Wettbewerb den Rest erledigen, nachdem er die Ketten des Verbandsdirigismus gesprengt hat." Man sieht hier erneut deutlich, daß er vor allem die Kartellpraktiken der französischen Stahlindustrie ftlr die Probleme der Stahlverbraucher verantwortlich machte. Die öffentlichen Gewalten hatten diese bislang geduldet, sogar geilirdert. Mit dem SchumanPlan brach jedoch in den Augen Constants eine neue Ära im Verhältnis zwischen Staat und Stahlindustrie an: "Die Politik[ ... ] wird aufhören, die Stahlproblematik zu dominieren, für die sie sich ständig zuviel interessiert hat [... ]. In der Epoche der Atombombe haben die Gründe, die man früher daftlr anfUhren konnte, ihren Wert verloren." Constant drängte auf einen schnellen Abschluß der Verhandlungen, damit die verarbeitenden Industrien möglichst bald ihre Lieferanten aus allen Teilnehmerländern der Montanunion frei wählen konnten und somit endlich Einfluß auf Preis und Qualität der Stahlprodukte hatten. Wie seine Kontakte mit Industrievertretern aus acht Ländern gezeigt hätten, seien sich die Stahlverbraucher in Europa gerade in dieser Hinsicht einig. Um seinen Forderungen Nachdruck zu verleihen, wies er in seinem Leitartikel darauf hin, daß "die Stahlpro60
Siehe oben S. 153f. und 161.
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Teil 111: Die Verhandlungen
duktion den Lebensunterhalt von 150.000 Personen garantiert, während seine Verarbeitung eine Million versorgt". Dieses Argument von der im Vergleich zu den Herstellern um ein Vielfaches größeren wirtschaftlichen Bedeutung der Stahlverbraucher sollte er in der Folgezeit noch oft benutzen. Doch der Generaldelegierte des MetallverarbeiteTVerbandes beschränkte sich nicht auf zustimmende Erklärungen in der Presse. Wohl auf seine Initiative hin gründeten im Juni 1950 die wichtigsten Stahlverarbeiter in Frankreich eine Vereinigung der Verbraucher von Stahlprodukten (Association des Utilisateurs des Produits Siderurgiques = AUPS).61 In einem Schreiben vom 7. Juli informierte Constant die französische Regierung und Verwaltung offiziell von der Konstituierung der AUPS. 62 Darin bezeichnete er es als Ziel der Vereinigung, "die Interessenvertretung der Stahlverbraucher sicherzustellen", besonders im Hinblick auf die "zur Zeit in Untersuchung befindlichen Projekte auf europäischer Ebene", d.h. im Klartext die Schuman-Plan-Verhandlungen. Im Vorstand der AUPS waren die wichtigsten stahlverarbeitenden Industrien vertreten. So fand sich unter seinen Mitgliedern der am 14. Juni neugewählte Präsident des Dachverbandes der Metallverarbeiter Albert-Roger Metral und, wie nicht anders zu erwarten, Renault-Chef Pierre Lefaucheux. Jean Constant selbst wurde Präsident der Vereinigung. Außerdem nahmen er und Lefaucheux als Vertreter der Verarbeiter beratend an den Verhandlungen über die Montanunion teil. 63 Im Juni und Juli fiihrte Monnet mehrere Gespräche mit dem AUPS-Präsidenten, um die Haltung der Stahlverbraucher zum Schuman-Plan kennenzulernen. 64 Auch in einer Presseerklärung, die die Zeitschrift L'Usine Nouvelle am 3. August 1950 auszugsweise veröffentlichte, stimmte die AUPS dem SchumanPlan zu. 65 Er entspreche den Interessen der Stahlverbraucher, wenn er dazu fiihre, "die schädlichen Unterschiede verschwinden zu lassen, die bei den Preisen der wichtigsten Rohmaterialien von einem zum anderen Land bestehen". 61 Deren Gründung kündigte er schon auf der Vorstandssitzung des Verbandes am 14.6.1950 an, Les Industries Mecaniques, Juli 1950, S. 28. Er erwähnte die AUPS ebenfalls in seinem Leitartikel vom Juli 1950. 62 AN, IND 22300, 28.7.1950. Es scheint sich bei dem Brief um ein Rundschreiben zu handeln.
63 Dazu L'Usine Nouvelle vom 3.8.1950, S. 5: Les industries transformatrices vont appuyer le plan Schuman. 64 So berichtet von Constant auf der Vorstandssitzung des Metallverarbeiterverbandes am 19.7.1950, Les Industries Mecaniques, August-September 1950, S. 37. 65 Siehe Fn. 63.
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Die in dieser Erklärung beschriebenen positiven Folgen der Montanunion zeigen erneut die Übereinstimmung zwischen den Forderungen der verarbeitenden Industrien und den Überlegungen Monnets: "Wenn dieser Plan den Verbrauchern die freie Wahl der Lieferanten auf dem gesamten zum Pool gehörenden Gebiet gibt, erlaubt er jedem einzelnen unter ihnen [ ...], die Stahlprodukte bester Qualität zum besten Preis zu kaufen. Er würde damit durch die europäischen verarbeitenden Industrien die Grundlagen ftlr einen lauteren Wettbewerb schaffen, der zu einem schrittweisen Anstieg der Kaufkraft aller Konsumenten ftlhrt."
Dieser Standpunkt der Stahlverarbeiter scheint damals in Industriekreisen eine erhebliche Verbreitung und auch weitgehende Zustimmung gefunden zu haben. Darauf lassen zahlreiche Beiträge in der einflußreichen Wochenzeitschrift L'Usine Nouvelle schließen. So gab diese nicht nur Auszüge aus der Presseerklärung der AUPS wieder, sondern veröffentlichte am 20. Juli 1950 ebenfalls Teile des Leitartikels von Jean Constant zum Schuman-Plan.66 In der gleichen Ausgabe setzte sich die Zeitschrift auch kritisch mit der Exportpolitik der französischen Stahlindustrie auseinander. Wie Pierre Lefaucheux bereits vorher, betonte sie, daß es für die Volkswirtschaft insgesamt sinnvoller sei, Fertigprodukte anstelle von Stahlerzeugnissen auszufiihren, "denn sie enthalten ein Maximum an nationaler Arbeitsleistung und tragen daher zur Vollbeschäftigung bei [... ]. Aber wir müssen in die Lage versetzt werden, die ausländischen Märkte zumindest zu gleichen Bedingungen wie unsere Konkurrenten angehen zu können. "67 Auch wenn hier die Montanunion nicht direkt erwähnt wird, so war doch aus dem Zusammenhang klar, daß sie dazu beitrug, gleiche Ausgangsbedingungen für die französische Industrie zu schaffen. Denn in derselben Ausgabe fand sich ein weiterer Beitrag, der darauf hinwies, daß der Schuman-Plan die Diskriminierungen bei den Kokspreisen beseitige und dadurch die Herstellkosten der französischen Stahlindustrie verringere. Eine Woche später betonte die Zeitschrift erneut die Vorteile des Schuman-Plans.68 Gegenüber der kommunistischen Propaganda, die davon spreche, daß der Plan jetzt schon zu Fabrikschließungen und Entlassungen führe, sei es "dringend notwendig", sein tatsächliches Ziel herauszustellen: die "Verbesserung der allgemeinen Produktivität". 66 67 68
L'Usine Nouvelle vom 20.7.1950: Les industries mecaniques et le Plan Schuman. L'Usine Nouvelle vom 20.7.1950, S. I: Production et Travail. L'Usine Nouvelle vom 27.7.1950, S. 1: Sur le Plan Schuman.
186
Teil 111: Die Verhandlungen
In der ftlr die verarbeitenden Industrien zuständigen Abteilung des Industrieministeriums fand der Schuman-Plan ebenfalls Zustimmung. Wie bereits bei den Fritalux/Finebel-Verhandlungen gesehen, bemühte sich die Direction des Industries Mecaniques et Electriques in erster Linie darum, die ihr anvertrauten Industriezweige vor der übermächtigen deutschen Konkurrenz zu schützen. Doch machte ihr Leiter Maurice Bellier, darin der Argumentation Constants folgend, weitere Handelsliberalisierungen bei den Verarbeitern von deren Versorgung mit Stahl zu gleichen Bedingungen wie die ausländische Konkurrenz abhängig. Er forderte daher zumindest seit April 1950 eine Aufhebung der Importbeschränkungen und der Einfuhrzölle fUr Stahlprodukte.69 Auch wenn die unmittelbare Reaktion von Bellier auf die Erklärung vom 9. Mai 1950 nicht bekannt ist, kann man deshalb davon ausgehen, daß sie positiv ausfiel. 70 Darauf läßt auch ein Schreiben des Secretaire d'Etat a l'Industrie an den Präsidenten des Dachverbandes der Metallverarbeiter vom 31 . Juli 1950 schließen.7 1 Er reagierte damit auf einen Brief vom 12. Mai 1950, in dem der Verbandspräsident das Industrieministerium auf den deutlichen Rückgang der Ausfuhren von Produkten der Metallverarbeitung in den ersten Monaten des Jahres aufmerksam gemacht und als einen der möglichen Gründe dafUr die hohen Rohmaterialpreise in Frankreich angefUhrt hatte. 72 In seiner Antwort bestätigte das Industrieministerium, daß die im Vergleich zu bestimmten anderen Ländern hohen französischen Stahlpreise einen "unbestreitbaren" Nachteil für die metallverarbeitenden Industrien darstellten. "Sie wissen, hieß es weiter, daß zur Zeit verschiedene Maßnahmen ins Auge gefaßt werden, um diese Preisunterschiede zu verringern, besonders im Rahmen des Montanunion-Projekts." 69 Siehe dazu seine Schreiben an Valabregue von der Coordination Industrielle vom 26.4.1950 und 10.7.1950, AN, Ministere de l'Industrie, 830589, No ll bzw. seine Zusammenfassung der Ergebnisse des Comite Technique de Ia Revision Douaniere W 3 (DIME) vom 13.7.1950 und seinen Brief an den Chef du Service des Affaires Exterieures des Industrieministeriums vom 24.1l.l950, ebenda, N° 13. 70 Seine erste eindeutig positive Stellungnahme zum Schuman-Pian stammt vom 8.1.195 1. Vor dem sog. Komitee Hirsch-Gardent, das die Folgen der Montanunion fllr die französische Stahlindustrie beurteilen sollte (siehe dazu weiter unten S. 258-262), erklärte Bellier, "daß er als Directeur des lndustries Mecaniques et Electriques natUrlieh die Einfllhrung eines Maximums an Konkurrenz auf dem Stahlmarkt fllr sehr wünschenswert halte", AN, 81AJ 135. 71 Ein solches Schreiben wurde normalerweise von der zuständigen Abteilung, d.h. in diesem Fall der DIME, verfaßt und dann dem Minister zur Unterzeichnung vorgelegt. Tatsächlich befindet sich das Schreiben in den Papieren von Bellier, AN, Ministere de !'Industrie, 830589, w 12. 72 Hier nach der Zusammenfassung im Antwortschreiben, ebenda.
I. Unmittelbare Reaktionen
187
Es war den Stahlverarbeitern also gelungen, durch ihre Interventionen seit Mitte 1949 die Verantwortlichen in der französischen Administration auf die Schwierigkeiten aufmerksam zu machen, die ihnen durch den hohen Stahlpreis entstanden. Die verarbeitende Industrie und die zuständige Ministerialbürokratie, unterstUtzten daher den Schuman-Plan, der durch die Freisangleichung eine Lösung für diese Probleme versprach. Gleichzeitig intensivierten Vertreter der Stahlverbraucher nach dem 9. Mai 1950 ihre direkten Angriffe auf die Kartellpraktiken der französischen Stahlhersteller. Offenere Kritik an der Stahlindustrie
Obwohl sich ein direkter Zusammenhang mit dem Schuman-Plan nicht nachweisen läßt, steigerte sich nach dem 9. Mai 1950 die Kritik am kartellähnlichen Verhalten der französichen Stahlindustrie deutlich. Vor allem gingen einige Stahlverarbeiter dazu über, das Comptoir des Produits Siderurgiques offen und namentlich anzugreifen. Dabei fanden sie auch in Teilen der Administration zunehmende Unterstützung. Die Zeitung Le Monde veröffentlichte beispielsweise am 4. Juni 1950 den Brief eines Stahlverbrauchers, in dem dieser das CPS vehement kritisierte. 73 Der Autor beschwerte sich darüber, daß ein Stahlverarbeiter seine Bestellung über das Comptoir abwickeln müsse und daher weder auf die Wahl des Herstellers noch auf die Lieferfristen, die Zahlungsbedingungen oder den Preis einen Einfluß habe. Diese Struktur verhindere ein mögliche Preissenkung und versetze die verarbeitenden Industrien in eine schwierige Lage. Dafür seien neben der Stahlindustrie auch die öffentlichen Gewalten verantwortlich: "Daß eine solche Situation existiert, während die Regierung ständig davon spricht, die Preise zu senken, ist schon skandalös, aber daß sie auf verwaltungsrechtlichen Regelungen beruht, das geht über den gesunden Menschenverstand." Auch dieser Verarbeiter begrüßte daher den Schuman-Plan, da er seiner Meinung nach auf eine Senkung der Stahlpreise abziele. Doch befürchtete er, daß es bei dessen Umsetzung zur Schaffung von nationalen und internationalen Organen zur Kontrolle der Stahlproduktion komme. Falls sich diese dabei in Frankreich auf den Verband der Stahlindustrie CSSF und seinen "Ableger" CPS stützten, riskiere man, deren Machtstellung zu konsolidieren: "Hat dann, 73 J. Grospiron. Sein Briefsowie die Antwort des CPS in Le Monde vom 18.6.1950 sind ebenfalls in L'Usine Nouvelle vom 29.6.1950 abgedruckt.
188
Teillll: Die Verhandlungen
so fragte er sich, das Schuman-Projekt nicht ein seinem ursprünglichen Ziel entgegengesetztes Ergebnis?" Scheinbar haben zum gleichen Zeitpunkt auch andere Stahlverbraucher vermehrt gegen die kartellähnlichen Praktiken der Stahlindustrie protestiert. So kritisierte in einem Schreiben vom 23. Juni 1950 die Vereinigung der Handelskammern der französischen Atlantikküste ebenfalls das CPS und die Tatsache, daß die Frachtkosten filr Stahlprodukte immer vom Iothringischen Ort Thionville berechnet wurden. Dadurch waren natürlich die davon weit entfernten Abnehmer an der Atlantikküste besonders benachteiligt, obwohl sie ihren Stahl meist aus dem näher gelegenen Norden erhielten.74 Seit Mitte 1950 fanden diese Beschwerden der Verarbeiter zunehmend offene Ohren in der französischen Administration. Auch dort mehrte sich die Kritik am Comptoir des Produits Siderurgiques, und man begann sogar, über dessen Auflösung nachzudenken. So verlangteRobert Buron, Staatssekretär filr Wirtschaftsangelegenheiten im Finanzministerium, in einem Schreiben an den Industrieminister eine Aufhebung des Gesetzestextes, der die Existenz des CPS begründete.75 Buron stützte sich bei seiner Forderung auf mehrere Gründe. Erstens hielt er es filr wenig zweckmäßig, ein Kartell aufrechtzuerhalten, während ein Antitrustgesetz in Vorbereitung sei. Zweitens wies er auf die Beschwerden der Verarbeiter hin, von denen einige die Abschaffung des CPS verlangten, da es eine freie Wahl des Lieferanten verhindere und da sie überzeugt waren, in einem freien Markt niedrigere Einkaufspreise erzielen zu können. Auch Buron vertrat die Ansicht, daß die Aufteilung der Bestellungen durch das zentrale Verkaufskontor ökonomisch nicht sinnvoll war, da sie die unterschiedliche Effizienz der einzelnen Werke nicht berücksichtigte. Dies schade der Gesamtheit der Verbraucher. Außerdem glaubte er, daß die Kontrolle der Exporte durch das CPS nicht unbedingt zu den filr die Außenhandelsbilanz günstigsten Ergebnissen führe. Das Schreiben des Staatssekretärs ist wahrscheinlich mehr ein Ergebnis der Aktivitäten der Stahlverbraucher als eine unmittelbare Reaktion auf die Erklä74 Der Inhalt dieses Briefes geht aus seiner Zusammenfassung in einem Projet de reponse vom 6.7.1950 hervor, AN, IND 22298. Siehe zur Frachtbasis Thionville oben S. 101, Fn. 54. 75 Es handelt sich um einen Erlaß vom 28. Juni 1947. Der Brief und eine ihn begleitende handschriftliche Note Burons werden in der Antwort darauf, die das Kabinett des Ministers von Albert Denis erhielt, ausfilhrlich dargestellt und kommentiert, 1.6.1950, AN, IND 11517. Burons Brief stammte demnach wahrscheinlich aus der ersten Mai hälfte.
I. Unmittelbare Reaktionen
189
rung vom 9. Mai 1950. Möglicherweise wurde es bereits vorher verfaßt. Dagegen verteidigte Albert Denis gegenüber den Vorwürfen von Buron die Unabdingbarkeit des CPS gerade im Hinblick auf die geplante Montanunion. 76 Damit stand der fl1r die Stahlindustrie zuständige Beamte jedoch innerhalb der französischen Administration zunehmend allein. Eine solche Schlußfolgerung legt auch die Reaktion der Direction des Prix auf die Forderungen der CSSF nach Preiserhöhungen nahe. Die zum Staatssekretariat Burons gehörende Abteilung des Finanzministeriums verlangte vom Verband der Stahlindustrie, "zunächst Kontakt mit den wichtigsten Verbrauchern von Stahlprodukten aufzunehmen, bevor er die Frage dem [fiir die Preisfestsetzung zuständigen] Comite des Prix vorlege".77 Inwiefern die Direction des Prix damit die kartellähnlichen Absprachen unter den Herstellern kritisierte und dadurch indirekt den Schuman-Plan unterstützte, ist unklar. Aus anderen Zusammenhängen weiß man jedoch, daß sie insgesamt eine offene Handelspolitik beftlrwortete. Sie versprach sich von der Einfuhr preisgünstiger Produkte eine positive Wirkung auf die Lebenshaltungskosten in Frankreich und hielt den "Stachel" der ausländischen Konkurrenz ftlr nützlich, um die technische und organisatorische Entwicklung der französischen Industrie anzuspornen. 78 Inhaltlich stimmte also die Kritik an den Praktiken der Stahlindustrie weitgehend mit dem bereits seit 1949 von Jean Constant und Pierre Lefaucheux geäußerten Vorwürfen überein. Allerdings identifizierten die Verarbeiter seit Mitte 1950 direkt das Comptoir des Produits Siderurgiques als Hauptverantwortlichen. Auch in weiten Teilen der Administration stellte man nun dessen Existenzberechtigung zunehmend in Frage. Der Schuman-Plan mußte allen Kritikern der französischen Stahlindustrie sehr gelegen kommen, da er versprach, baldige Abhilfe ftlr die durch deren kartellähnliches Verhalten bedingten Probleme zu schaffen. In den darauffolgenden Monaten fiihrte ein externes Ereignis zu einer Verschlechterung der Lage der verarbeitenden Industrien und zu einer weiteren Verschärfung der Gegensätze zwischen Anhängern und Kritikern des CPS. 76 77
88337.
Existence legale du Comptoir des Produits Siderurgiques, 1.6.1950, AN, IND 11517. So Aubrun auf der Vorstandssitzung der CSSF am 16.6.1950, Sitzungsprotokoll, PAM
78 Diese Position vertrat sie beispielsweise im Comite Technique de Revision Douaniere N• 3 (DIME), siehe den Brief von dessen Leiter Bellier an die übergeordnete Commission vom 13.7.1950, AN, Ministere de !'Industrie, 830589, N" 13 sowie den Abschlußbericht der Commission mit Begleitbriefvon Buron an Bellier, 20.10.1950, ebenda.
190
Teil 111: Die Verhandlungen
2. Aufbau eines verstärkten Konfliktpotentials Am 25. Juni 1950 überschritten nordkoreanische Truppen den als Trennlinie zwischen den beiden Teilstaaten festgelegten 38. Breitengrad. Mit einem Mandat des UN-Sicherheitsrats griffen Truppen der Vereinten Nationen, die vor allem von den Amerikanern gestellt und auch von diesen kommandiert wurden, seit Juli 1950 in die Kämpfe ein. In politischer Hinsicht beschleunigte der Koreakrieg die Einbeziehung der Bundesrepublik in das westliche Bündnis. Ein westdeutscher Verteidigungsbeitrag und damit eine Wiederbewaffnung wurden nun noch offener diskutiert. Um ein gewisses Maß an Kontrolle darüber zu behalten, schlug der französische Ministerpräsident Rene Pleven am 24. Oktober 1950 in einer Rede vor der Nationalversammlung eine Europäische Verteidigungsgemeinschaft (EVG) vor, deren Kernstück die Integration deutscher Einheiten in eine europäische Armee war.I Angesichts dieser Entwicklungen ging die Bedeutung des Schuman-Plans ftlr die von der Bundesregierung angestrebte internationale Gleichberechtigung zurück. Die Westdeutschen zeigten sich deswegen in den Verhandlungen über die Montanunion weniger kompromißbereit.2 Doch auch in wirtschaftlicher Hinsicht hatte der Koreakrieg wichtige Konsequenzen ftlr den Schuman-Plan. Stahlboom und Kohlemangel
Der Ausbruch des Krieges ftlhrte fast unmittelbar zu einer völligen Umkehr der Stahlkonjunktur in den Vereinigten Staaten und Westeuropa. Gab es in der ersten Hälfte des Jahres 1950 ftlr die Stahlproduzenten auf dem Weltmarkt deutliche Absatzschwierigkeiten und waren die Preise dementsprechend niedrig, kam es jetzt infolge der Rüstungsanstrengungen zu einem enormen Stahlbedarf mit deutlichen Preissteigerungen.3
Auch dieser sog. Pleven-Pian stammte aus der Feder von Monnet, vgl. dazu u.a. Rioux, S. 202f. und Elgey, S. 462466. 2 Siehe dazu u.a. Diebold, The Schuman Plan, S. 68-70, Schwabe, "Ein Akt konstruktiver Staatskunst", S. 231 f. und R. T. Griffiths, The Schuman Plan Negotiations. The Economic Clauses, in: Schwabe (Hg.), Die Anfllnge des Schuman-Plans, S. 39. Siehe zur Stahlverknappung u.a. L'Usine Nouvelle vom 19.10.1950, S. 1: Le problerne de Ia production siderurgique und OECE, Comite Economique, Rapport sur Ia rarefaction des matieres premieres, EC (50)20 (lere Revision), 30.11.1950, AEF, 5A 22.
2. Verstärktes Konfliktpotential
191
Preisentwicklung der Stabstahl-Grundpreist (Thomas-Qualitlt)4 Exportpreis (je t. fob Seehafen)
1950
Maia Mitte Juli
1951
1952
französischer
in$
in Francs
Binnenpreis
53-52
18.550 - 18.200
20.730
60
21.000
20.730
August
80-85
28.000-29.750
20.730
Dezember
90- 100
31.500- 35.000
20.730
Ende Januar
110- 120
38.500- 42.000
20.730
Mitte Februar
125
43.750
20.730
AnfangMai
135 - 140
47.250-49.000
24.650
AnfangJuni
140- 145
49.000-50.750
24.650
Anfang Oktober
140- 145
49.000-50.750
30.070
140- 145
49.000-50.750
30.070
April
a Kompensationsgeschäfte teilweise zu niedrigeren Exportpreisen
Erneut profitierte von dieser Entwicklung in erster Linie die Bundesrepublik. So erlaubten die westalliierten Außenminister auf ihrem Treffen im September 1950 in New York eine deutsche Stahlproduktion über das bestehende Limit von 11, I Millionen Jahrestonnen hinaus, wenn dies den westlichen Verteidigungsanstrengungen diente. 5 Allerdings blieb die Produktionsbeschränkung offiziell in Kraft und Überschreitungen mußten vom alliierten Military Security Board (MSB) genehmigt werden. Denn vor allem im französischen Außenministerium beftlrchtete man, daß eine Änderung des deutschen Produktionslimits in Frankreich zu verstärktem Widerstand gegen die Montanunion fUhren würde: "Allein die Ankündigung einer solchen Anhebung, selbst wenn sie nicht mit dem Schuman-Plan verknüpft ist, würde dessen Ratifizierung durch das Parlament mühsamer machen. "6 Zum damaligen Zeitpunkt produzierte die deutsche Stahlindustrie jedoch bereits mit einem Jahresrhythmus von etwa 13 Mt. Und die vorhandenen Kapazitäten ermöglichten sogar eine Rohstahlproduktion von 14,5 Mt. Im französischen Hochkommissariat machte man zwar geltend, daß fUr eine nochmalige 4
Nach Wolter, S. 68. Siehe dazu u.a. LUders, S. 300-304 und Diebold, The Schuman-Pian, S. 70. 6 Note von Fran~ois Vah!ry, 31.10.1950, MAE, Archives Diplomatiques, DE-CE 19451960, N" 507.
192
Teil III: Die Verhandlungen
Steigerung der deutschen Stahlproduktion erhebliche Investitionen notwendig waren: 150-250 Mio. DM, um 13,5 Mt. zu erreichen, und weitere 400-500 Mio. DM filr eine zusätzliche Steigerung um eine Million Tonnen. Dahingegen gebe es in Frankreich, Belgien und Luxemburg noch ungenutzte Kapazitäten von etwa 3 Mt. 7 Doch ließ sich mit diesen Argumenten ein weiterer Anstieg der deutschen Produktion kaum aufhalten. Mit der Stahlproduktion stieg natürlich auch der Bedarf an Hüttenkoks. Wie gesehen herrschte im Frühjahr 1950 noch ein erheblicher Kohleüberschuß in Europa. In Westdeutschland beispielsweise stiegen die Haldenbestände kontinuierlich an und erreichten im Juli 1950 fast 2 Millionen Tonnen. Die quasi panikartigen Käufe aus dem In- und Ausland führten jedoch in der Folgezeit zu einem rapiden Abbau der Kohlehalden, so daß sie Ende des Jahres nur noch 92.300 Tonnen betrugen.S Anfang 1951 wurden deshalb die Einfuhren von Feinkohle aus den Vereinigten Staaten nach Europa wiederaufgenommen.9 Vom erneuten Kohle- und Koksmangel war Frankreich besonders betroffen. Der französische Widerstand gegen eine Aufhebung der deutschen Stahlproduktionsbeschränkung erklärte sich auch daraus. Wie bereits unmittelbar nach dem Krieg wollte man einen möglichst großen Anteil der deutschen Förderung filr die Exporte sichern. Die Verteilung der Ruhrkohle zwischen Inlandsbedarf und Ausfuhren erfolgte weiterhin durch die Internationale Ruhrbehörde. Die französische Regierung bemühte sich in deren Rahmen um möglichst große Ausfuhnnengen.IO Dagegen leistete die deutsche Seite natürlich erheblichen Widerstand, vor allem da sie ihren eigenen Bedarf nicht decken konnte und ebenfalls wesentlich teurere Feinkohle aus den USA importieren mußte, worüber sich Bundeskanzler Adenauer bei den alliierten Hohen Kommissaren beschwerte. 11
So Pierre Leroy-Beaulieu, Leiter der Direction des Affaires Economiques im Hochkommissariat, in zwei Ende August/Anfang September 1950 verfaßten Dokumenten. Er sandte am 12.9.1950 eine Kopie davon an das Finanzministerium, AEF, 88837. LUders, S. 244f. Vgl. zum folgenden Willis, S. 110-113, Schinzinger, S. 148 und Perron, Le marche du charbon, S. 53-55 sowie fllr Frankreich AperfYu de Ia situation de l'industrie metallurgique dans I'Est de Ia France pendant l'annee 1950, 6.2.1951, PAM 19430. 10 Siehe u.a. das Schreiben vom Directeur des Mines et de Ia Siderurgie, Desrousseaux, an FranfYois Valery im Außenministerium vom 12.9.1950, MAE, Archives Diplomatiques, DE-CE 1945-1960, W 515. Vgl. im Detail LUders, S. 242fT. 11 So in der Sitzung am 21.4.1952, Akten zur Auswartigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2: Adenauerund die Hohen Kommissare 1952, München 1990, S. 96.
2. Verstärktes Konfliktpotential
193
Der weltweite Anstieg des Stahlverbrauchs betraf auch die verarbeitenden Industrien in Frankreich. Diese hatten angesichts des Überangebotes und der fallenden Preise in der ersten Hälfte von I 950 ihre Lager kaum mehr gefüllt. Ab dem Sommer gaben sie jedoch wegen der drohenden Stahlknappheit massiv Bestellungen auf. Die französische Stahlindustrie dagegen bemühte sich vor allem um Exportaufträge, da die Weltmarktpreise nun erneut über dem innerfranzösischen Niveau lagen. Sie versuchte so, die seit Anfang des Jahres im Export gemachten Verluste auszugleichen.12 Dadurch kam es in der Folgezeit zu verschärften Auseinandersetzungen mit den Stahlverbrauchem. Zunehmende Beschwerden der verarbeitenden Industrien
Seit dem Herbst I 950 begannen die französischen Stahlverbraucher, sich über die aus den Exportanstrengungen der Hersteller resultierenden nachteiligen Folgen zu beschweren. So kritisierte Jean Constant in einem Schreiben, das er im Namen der Association des Utilisateurs des Produits Siderurgiques (AUPS) gleichzeitig an das Finanz- und das Industrieministerium richtete, die immer länger werdenden Lieferfristen für Stahlprodukte. 13 Die Exportpolitik der französischen Stahlindustrie stand auch im Zentrum einer anonymen Anklageschrift, die im November I 950 erschien. 14 Sie vertrat in erster Linie den Standpunkt der unabhängigen Stahlexporteure, die ihre Interessen und ihre Existenz durch das Monopol des CPS gefährdet sahen. Dieses hinderte sie daran, von dem durch den Koreakrieg eingeleiteten Exportboom zu profitieren. Besonderes Gewicht und weitreichende Publizität erhielt die Schrift vor allem durch das Vorwort von Felix Gaillard, damals stellvertretender Vorsitzender des Finanzausschusses der Nationalversammlung. 12 Das CPS bezifferte die Anfang 1950 im Vergleich zum Inlandspreis gewährten Exportnachlässe aufinsgesamt FF 7 Mrd., Protokoll der CSSF-Vorstandssitzung vom 22.9. 1950, PAM 88337. Es handelte sich um Preiseinbußen, die tatsächlichen Verluste dürften daher wesentlich niedriger gelegen haben. 13 Datiert vom I 0.11.1950, zusammengefaßt in einer Note vom Directeur des Programmes Economiques an den Finanzminister vom 23.11.1950, AEF, 816022. 14 La Politique d'Exportation du Comptoir Franyais des Produits Siderurgiques, Paris [1950]. Auszüge daraus und die Reaktionen der Stahlindustrie finden sich in L'Usine Nouvelle vom 14.12.1950, S. 7 und 9. Siehe auch Demande d'audience deM. de Juniac, 11.12.1950, 81AJ 155. Oe Juniac war Vizepräsident des Syndicat des Exportaleurs de Produits Siderurgiques. Er bat um ein Gespräch mit Monnet, um ihm die Lage der Exporteure darzulegen. Er hatte angeblich schon mit Guindey, Directeur des Relations Financieres Exterieures, und Filippi, dem Leiter der DREE, gesprochen und außerdem einen Termin bei Industrieminister Louvel. Es ist unklar, ob Monnet ihn tatsächlich empfangen hat.
13 Kipping
194
Teillll: Die Verhandlungen
Gaillard gehörte als Inspecteur de Finances einem der renommiertesten Elitekorps in Frankreich an. Er hatte von 1945 bis Ende 1946 als Directeur de Cabinet von Monnet agiert und anschließend bis Juli 1947 die Leitung des Unterstaatssekretariats filr Wirtschaftsfragen innegehabt. Sein weiterer Karriereweg sollte ihn bis an die Regierungsspitze filhren.I5 In seinem Vorwort zur Schrift der Stahlexporteure griff Gaillard das "komplette korporative System" in der Stahlindustrie an, dessen Grundlagen das "Monopol und der Malthusianismus" seien und "wo das große Risiko besteht, daß die Interessen der einheimischen Verbaueher nicht berücksichtigt werden". Deshalb machte er sich zu einem Verfechter des Schuman-Plans: "Es reicht nicht, nach dem Liberalismus zu rufen. Man muß den entsprechenden Willen zeigen und die filr seine Wiedergeburt notwendigen Grundlagen schaffen." 16 Diese Äußerungen veranlaßten den CSSF-Präsidenten Aubrun, ein erbostes Schreiben an Gaillard zu richten, in dem er ihm Unkenntnis vorwarf. 17 Doch betraf die Hauptkritik der verarbeitenden Industrien auch im Herbst 1950 weiterhin die erheblichen Unterschiede zwischen den französischen und deutschen Stahlpreisen. Denn die Handelsliberalisierungen filr ihre Branche waren ungeachtet der Schuman-Plan-Verhandlungen fortgeschritten. So hatten sich die Mitgliedsstaaten der am 19. September 1950 unterzeichneten Europäischen Zahlungsunion (European Payments Union = EPU) verpflichtet, den Anteil ihres nicht-kontingentierten Handels von 50% auf 60% zu erhöhen. 18 Und Ende 1950 beschloß Frankreich sogar, diesen Prozentsatz auf 75% anzuheben. Davon waren in erster Linie die verarbeitenden Industrien betroffen. Anfang Januar 1951 richtete daraufhin der Präsident des Dachverbandes der Metallverarbeiter, Albert-Roger Metra!, ein Protestschreiben an den Directeur des Industries Mecaniques et Electriques Bellier. 19 Er beklagte darin, daß, "entgegen dem gesunden Menschenverstand und jeglicher Logik, die Liberalisierung filr Fertigwaren verallgemeinert wird, bevor die Rohmaterialien von Handelsbeschränkungen befreit sind". 15
Vgl. zu seinem Werdegang Dictionnaire des ministres, S. 794f. Zu den liberalen Ansichten Gaillards auch Franck, 697 ministres, S. 26f. 17 Aubrun an Gaillard, 30.11.1950. Aubrun sandte am 14.12.1950 eine Kopie davon an Albert Denis, AN, IND 11517. 18 Siehe Les lndustries Mecaniques, November 1950, S. 7. Vgl. zur EPU insgesamt u.a. Buchheim, S. 126-133 und F. M. B. Lynch, France and the European Payments Union, in: UvyLeboyer I Girault (Hg.), Le Plan Marshall, S. 237-243. 19 Metra! an Bellier, 5.1.1951, AN, Ministere de !'Industrie, 830589, W 11. 16
2. Verstllrktes Konfliktpotential
195
Schon im Oktober 1950 hatte sich Jean Constant im Leitartikel von Les Industries Mecaniques erneut über den "systematischen Ausschluß bestimmter Produkte von der Handelsliberalisierung" beklagt.20 Und er stellte fest, daß der Verkauf genau dieser von der Liberalisierung ausgeschlossenen Erzeugnisse in Frankreich durch ein Kartell beherrscht wurde: "Die Betroffenen können deshalb ganz ohne Sorge sein (im Original: dormir sur leurs deux oreilles). Herr Buron wird sie gegen die französischen Verbraucher beschützen, genauso wie er sie gegenüber ihren ausländischen Konkurrenten beschützt. n21 Daß der Generaldelegierte des Dachverbandes der Metallverarbeiter hier die Stahlindustrie im Auge hatte, wird spätestens bei seinem Vergleich der Stahlpreise in Frankreich und Deutschland deutlich. Nach seinen Angaben reichte der Unterschied von 22% filr Bleche (53.596 im Vergleich zu 43.964 Francs pro Tonne) bis zu 42% filr gewöhnlichen Stahl (18.384 gegenüber 12.904 Francs). Als Beispiel filr die Folgen dieser erheblichen Differenz filhrte er die Produktion von Traktoren an, wo die Regierung eine Erhöhung des Importkontingents (vor allem aus Deutschland) beschlossen hatte, um den französischen Landwirten den Kauf preiswerterer Maschinen zu ermöglichen. Da die französischen Hersteller filr ihre Rohmaterialen wesentlich mehr bezahlen mußten, waren ihre Traktoren natürlich teurer als ausländische Fabrikate. Einer der einheimischen Produzenten war deshalb bereits bankrott, und sechs weitere befanden sich in Liquidation. Auch auf einer Pressekonferenz seines Verbandes am 10. Oktober 1950 wiederholte Constant die Beschwerden über die hohen Stahlpreise in Frankreich.22 Pierre Lefaucheux, der Leiter des staatlichen Renault-Konzerns, konstatierte zum gleichen Zeitpunkt sogar eine Verschlechterung im Verhältnis der deutschen und französischen Stahlpreise.23 Er hatte Erkundigungen bei einem seiner deutschen Konkurrenten (Volkswagen) eingeholt und Unterschiede von Les Industries Mecaniques, Oktober 1950, S. 1-4: A l'Ouest, rien de nouveau. Robert Buron, Staatssekretär fllr Wirtschaftsangelegenheiten im Finanzministerium. Constant hatte dessen Radioansprache am 28.9.1950 Ober die Wirtschaftspolitik der Regierung zum Anlaß fllr seinen Leitartikel genommen. Neben der hier geäußerten Kritik erwähnte er aber auch die Tatsache lobend, daß der Staatssekretär "seit seinem Gesetzentwurf zur Absegnung der Kartelle scheinbar etwas dazugelernt hat". 22 L'Usine Nouvelle vom 19.10.1950, S. 19. Vgl. fllr weitere Stellungnahmen Constants Perron, La siderurgie, S. 67, 72-74 und 82f. 23 In einem Pressegespräch anlaßlieh des Salon de !'Automobile in Paris, wiedergegeben in L'Usine Nouvelle vom 12.10.1950, S. 13: A Ia Regie Renault. L'expose deM. Lefaucheux. Daß es sich um Volkswagen handelt, geht aus einer Note der DIME vom 12.12.1950 hervor, AN, Ministere de l'Industrie, 830589, N• II . 20
21
196
Teil Ill: Die Verhandlungen
bis zu 40% herausgefunden. So zahle Renault beispielsweise für Karosseriebleche 59.086 Francs pro Tonne, der deutsche Automobilhersteller dagegen nur 47.375 Francs. "Wie sie sehen, hat sich die Situation, die zu beklagen ich schon oft[...] Gelegenheit hatte, nicht verbessert, und das Handicap, unter dem die französische Automobilindustrie gegenüber ihren ausländischen Konkurrenten leidet, wird immer größer. Die Folgen dieser Situation lassen sich im übrigen am Erfolg abmessen, den unsere englischen und deutschen Wettbewerber auf den Exportmärkten davontragen, darauf wartend, den Kampf auch auf unseren heimischen Markt auszudehnen."
Ein von der DIME zum gleichen Zeitpunkt durchgeführter Vergleich der Binnenpreise für Stahlerzeugnisse ließ ebenfalls erhebliche Unterschiede zwischen Frankreich und Deutschland erkennen, selbst wenn diese nicht die von Constant und Lefaucheux aufgezeigten Größenordnungen erreichten. Vergleich der deutschen und französischen Stahlpreise, September 195024 Binnenpreise in Francs pro t.
Bundesrepublik
Frankreich
Unterschied
Gießereiroheisen
12.578
13.240
+5%
Stabstahl (Thomas-Qualität)
18.742
20.730
+II%
Grobbleche
19.492
25.130
+29%
Feinbleche(< 3 mm)
24.990
30.280
+21%
Wie gesehen erhofften die Stahlverbraucher eine Lösung des Preisproblems von der Montanunion. Auf der Pressekonferenz des Dachverbandes der metallverarbeitenden Industrien am I 0. Oktober 1950 wiederholte Jean Constant die Forderung nach deren baldiger Verwirklichung. Und in einem Leitartikel vom November beklagte auch Verbandspräsident Metral die "Verspätung" beim Abschluß der Verhandlungen, der "ursprünglich filr spätestens Oktober vorgesehen" war. 25 Die Zeitsschrift L'Usine Nouvelle, die die Anliegen der Stahlverbraucher bereits vorher unterstUtzt hatte, beschrieb in ihrer Ausgabe vom 30. November 24 Note pour Monsieur le Directeur, Prix des produits siderurgiques en Allemagne, 12.10.1950, AN, Ministere de ('Industrie, 830589, N• II. 25 Les Industries Mecaniques, November 1950, S. 1-5: Rearrnement et industries mecaniques, hier S. 2. Metral wandte sich allerdings gleichzeitig gegen den internationalen Dirigismus der Montanunion.
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ebenfalls die ungünstige Wettbewerbsposition der französischen Metallverarbeiter in Europa: 26 "Es scheint so, als könne die Lage sich nur nach einer Angleichung der Verkaufspreise von Kohle und Stahl fUr die verarbeitenden Industrien Frankreichs und Deutschlands verbessern, wie sie der Schuman-Plan zu verwirklichen sucht." Infolge der durch den Koreakrieg verschlechterten Versorgungslage intensivierten also die französischen Stahlverbraucher ihre Angriffe gegen die kartellähnlichen Praktiken der Hersteller. Im gleichen Zeitraum waren innerhalb der französischen Stahlindustrie Bemühungen im Gange, die Disziplin zu verstärken, um einen Preiswettbewerb in Frankreich zu verhindem und die Vorbedingungen fiir europaweite Kartellabsprachen zu schaffen. Streit über ein innerfranzösisches Stahlkartell
Bereits im Juli 1950 hatte CSSF-Präsident Jules Aubrun auf einer Vorstandssitzung darauf hingewiesen, "daß die Atmosphäre, in der sich der Verband und das CPS entwickeln, [... ] nicht günstig" sei.27 Er berichtete von Angriffen in der Presse und erwähnte die Gründung der Vereinigung der Stahlverbraucher (AUPS). Deren Präsidenten Jean Constant warf er bei dieser Gelegenheit Mangel an "Loyalität und Mut" vor. Allerdings gebe es auch innerhalb des Stahlindustrie kritische Stimmen zu den festgelegten Produktionsprogrammen und zur Exportpolitik des CPS. Aubrun wies einen großen Teil dieser Kritik als unbegründet zurück. Er erkannte jedoch gleichzeitig an, daß erhebliche Anstrengungen notwendig waren, um gewisse Schwächen zu beseitigen. Für den Verbandspräsidenten lag die Lösung in einer verstärkten internen Disziplin der Stahlindustrie. Wie gesehen stammte das vor allem auf dem Comptoir des Produits Siderurgiques beruhende kartellähnliche Regime in der französischen Stahlindustrie aus der Vichy-Zeit. Dessen Kontrolle war im Laufe der allmählichen Liberalisierung nach dem Krieg weitgehend von der CSSF übernommen worden. Angesichts der nachlassenden Verbandsdisziplin hatte Anfang 1950 Alexis Aron eine Konvention über ein Stahlkartell entworfen, die als freiwillige Abmachung an Stelle der staatlichen Regelungen treten sollte. Die Diskussionen über diesen L'Usine Nouvelle vom 30.11.1950, S. 5: Faux bruits au sujetdes cartels. So Aubrun in der Vorstandssitzung der CSSF am 19.7.1950, Zusammenfassung von Franl(ois de Villepin, 19.7.1950, PAM 70671. 26 27
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Entwurf begannen Mitte März 1950. Seitdem trafen sich Verbandsvertreter und die Vorstände der Mitgliedsunternehmen regelmäßig in drei- bis vierwöchigem Abstand, um die Einzelheiten des Projekts zu besprechen.28 Die Stahlindustriellen setzten ihre Gespräche auch nach der Erklärung vom 9. Mai 1950 fort. Dabei hatte der Leiter von Pont-a-Mousson, Andre Grandpierre, in der Sitzung am 12. Juni auf den durch die neuen Umstände quasi "akademisch" anmutenden Charakter der Erörterungen hingewiesen: "Es ist ganz klar, daß die Befreiung der Stahlindustrie [von der staatlichen Bevormundung] nicht vollkommen sein wird. Man kann schon jetzt vorhersehen, daß sie durch das Kartellgesetz und die Bestimmungen des Schuman-Pianes eingeschränkt werden wird. "29 Dagegen sah Alexis Aron, und mit ihm wohl die Verbandsführung, ein nationales Kartell als Vorstufe und Vorbedingung jeder internationalen Übereinkunft, also auch der Montanunion. 30 Die Stahlindustriellen waren sich aber nicht nur über die Nützlichkeit einer Fortsetzung der Diskussionen nach dem 9. Mai uneinig, sondern auch über die mögliche Ausgestaltung des innerfranzösischen Kartells. Einer der Streitpunkte war die Einbeziehung des Gießereiroheisens in die geplante Abmachung der Stahlindustrie. Andre Grandpierre von Pont-a-Mousson, dem wichtigsten französischen Gußeisenhersteller, vertrat die Auffassung, daß die Interessen der beiden Gruppen nicht notwendigerweise identisch seien. Deshalb benötige man zwei verschiedene Schiedsgremien, um eventuelle Streitigkeiten zwischen den Produzenten zu regeln. Demgegenüber sprach sich Humbert de Wendel, Vertreter des größten französischen Stahlkonzerns, sehr eindringlich gegen zwei separate Schiedskollegien für Roheisen und Stahl aus. Zu den heftigsten Auseinandersetzungen kam es aber sicherlich über die Flexibilität der vom Kartell für die einzelnen Unternehmen festzulegenden Produktionsquoten. Eine Gruppe von Herstellern mit Humbert de Wendel als prominentestem und lautstärkstem Vertreter wünschte eine möglichst weitreichen28 An den meisten dieser Sitzungen nahm filr Pont-ä-Mousson Andre Grandpierre teil. Seine Zusammenfassungen finden sich in PAM 77042 und PAM 70364. Dort finden sich ebenfalls die verschiedenen, von Alexis Aron nach jeder Sitzung abgeänderten Fassungen der Konvention. Eine sehr knappe Zusammenfassung der internen Kartelldiskussion gibt auch Mioche, Le patronat de Ia siderurgie franrraise, S. 307. 29 Etude des futures ententes siderurgiques, Note von Andre Grandpierre an Jean Cavallier, 12.6.1950, PAM 77042. 30 Dies schrieb Aron in seinem Entwurfvom 26.6.1950, PAM 77042, 3.7.1950. Und er vertrat es ebenfalls bei einem Treffen vieler Stahlindustrieller mit Etienne Hirsch über den Schuman-Pian, siehe die handschriftliche Zusammenfassung dieser Sitzung am 8.7.1950, AN, IND 1607.
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de Regelung aller Fragen und eine starke zentrale Entscheidungsinstanz. Ihrer Meinung nach sollte die Mitgliedschaft im Kartell fUr alle Produzenten verbindlich sein, die Quoten auf der Ebene der Produkte festgelegt werden und in Streitfällen ein Schiedsgremium entscheiden. Diese Ansicht vertrat übrigens auch der Verbandspräsident Aubrun, denn er hätte wahrscheinlich diese mächtige Schiedsrichterfunktion ausgeübt. Die Anhänger dieser Position stützten sich vor allem auf die Erfahrungen der Vorkriegszeit, wo die unzureichende Disziplin zu einem Zusammenbruch des Kartells und zu erheblichen Preisembrüchen gefUhrt hatte. Die andere Gruppe, deren Vertreter zahlreicher waren, zogen flexible und einvernehmliche Regelungen vor. Die Quote der einzelnen Firmen sollte sich nur auf deren Gesamtproduktion beziehen und damit Unternehmerische Entscheidungen über den Produkt-Mix ermöglichen. Falls man doch Produktquoten festlege, müßten diese alle 6 bis 12 Monate überprüft und revidiert werden. Auf diese Weise könne man einerseits eine Überproduktion verhindern, aber andererseits Rationalisierungen und Spezialisierungen fördern und damit die Anforderungen der Stahlverbraucher zufriedenstellen. Diese Ansichten wurden vor allem von Industriellen vertreten, die dabei waren, ihre Anlagen zu modernisieren. Allzu starre Produktionsquoten hätten eine Ausdehnung ihres Absatzes verhindert, den die Modernisierung durch Kostensenkungen und Qualitätsverbesserungen ermöglichte. Rene Damien von Usinor sprach sich sogar gegen jegliche Quotenregelung aus. Die gleiche Gruppe von Unternehmen wehrte sich auch gegen die Einbeziehung der Exporte in die Quotenregelungen. Wie Fran~ois de Villepin von Ponta-Mousson in einer Note an Andre Grandpierre herausstellte, unterschied sich das von Aron entworfene Kartell in diesem Punkt entscheidend von seinem Vorgänger aus der Zwischenkriegszeit Damals hatten Exporte den Charakter eines "Ventils", um den einzelnen Firmen eine gewisse Flexibilität zu erlauben.31 In der Sitzung vom 12. Juni schlug deshalb Andre Grandpierre vor, "in der geplanten Organisation Ventile zu belassen, die es den Werken mit modernen Anlagen und niedrigen Selbstkosten ermöglichen, auf den Exportmärkten die Ungezwungenheit zu fmden, die sie benötigen und die sie verdienen". So könne man etwa den gesamten nordamerikanischen Markt zu einem "freien" Territorium erklären und die Verkäufe dort ohne das Kontor abwickeln. 31 Ententesen siderurgie, Note de service, 7.6.1950, PAM 70364. Vgl. zur Bedeutung der Exporte ftlr die Wettbewerbsfllhigkeit von Pont-a-Mousson in der gesamten Geschichte des Unternehmens Baudant und Martin, S. 72.
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Teil III: Die Verhandlungen
Mitte Juli hatten sich die Fronten zwischen den verschiedenen Positionen so verhärtet, daß eine einvernehmliche Lösung in weiter Feme schien. Pont-aMousson beispielsweise bestand auf völliger Freiheit beim Export von Gießereiroheisen als conditio sine qua non seiner Zustimmung zum geplanten Kartell.32 Auf der Sitzung am 22. Juli prallten die Gegensätze erneut aufeinander und vertieften sich scheinbar noch. Mehrere Produzenten meldeten gegenüber dem vorliegenden Entwurf deutliche Vorbehalte an und waren nicht bereit, eine gemeinsame Konvention zu unterschreiben.33 Auf der gleichen Sitzung betonte der Verbandspräsident Aubrun allerdings, "daß es absolut notwendig sei, zu einem Ergebnis zu kommen. Ansonsten werde die Direction de Ia Siderurgie, der am Erfolg des Schuman-Pians gelegen sei und die alle Kontore unterdrücken wolle, Maßnahmen ergreifen, die der Branche zum größten Schaden gereichen könnten." Angesichts dieser Interpretation der allgemeinen Lage ist es nicht verwunderlich, daß Aubrun versuchte, die Stahlindustriellen zu einer sofortigen Zustimmung zum Kartellprojekt zu bewegen. Am 31. Juli übersandte er den Leitern der Mitgliedsunternehmen den letzten, insgesamt sechsten Entwurf der Konvention. In einem Begleitschreiben erklärte er, sich der bestehenden Meinungsunterschiede und Vorbehalte durchaus bewußt zu sein, bat aber um eine endgültige Antwort.34 Falls er keine Antwort erhalte, werde er dies als implizite Zustimmung interpretieren. Sein Schreiben macht erneut deutlich, wie dramatisch der CSSF-Präsident damals die Situation beurteilte. Wenn die Stahlindustrie nicht bald handle, werde sie "in den kommenden Tagen in die Enge getrieben (im Französischen: mis au pied du mur)". Aus seinem Brief lassen sich verschiedene Beweggründe filr diese Haltung eruieren. Zum einen wollte Aubrun den öffentlichen Gewalten und der französischen Verhandlungsdelegation beweisen, daß die Stahlindustrie in der Lage war, sich selbst ~ organisieren, ihre Geschäfte selbst zu regeln und daher keine dirigistische Hohe Behörde brauchte. Sollte es andererseits tatsächlich zu einer Montanunion kommen, mußte die französische Stahlindustrie nach Ansicht des Verbandspräsidenten zusammenhalten, um "den Attacken der ausländischen Konkurrenz", die wahrscheinlich gut organisiert sein werde, widerstehen zu können. Außerdem erwartete Aubrun in Frankreich selbst eine 32 Discussion des futures ententes siderurgiques, Cas des producteurs de fontes, Position a defendre par le Groupe P.A.M., PAM 77042. Das Dokument ist nicht datiert, aber zwischen dem 18. und dem 22.7.1950 eingeordnet. 33 Dies geht aus einer Note von Fran,.ois de Villepin an Andre Grandpierre und Jean CavaHier vom 27.7.1950 hervor, PAM 70364 bzw. 77042. 34 Das an Andre Grandpierre adressierte Schreiben findet sich in PAM 70364.
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Änderung der die Stahlindustrie betreffenden Regelungen. Deshalb sah er ein internes Kartell als notwendig an, um einen "ungeregelten Wettbewerb" und den dadurch drohenden "Ruin" zu verhindern. Der CSSF-Präsident war sich also durchaus der in weiten Teilen der Administration vorherrschenden Stimmung bewußt. Doch wollte er der Kritik am Comptoir des Produits Siderurgiques und seiner möglichen Auflösung mit einem innerfranzösischen Stahlkartell begegnen und dadurch gleichzeitig die Autorität des Verbandes über die Mitgliedsunternehmen sicherstellen. Auf internationaler Ebene sah er ein nationales Kartell als Vorstufe zu Absprachen mit den Verbänden der übrigen Teilnehmerländer des Schuman-Plans. Hier wehrte er sich vor allem gegen eine mit allzu weitreichenden Vollmachten ausgestattete Hohe Behörde. Seine Vorschläge konnten jedoch unmöglich die Zustimmung der Stahlverarheiter und des Industrieministeriums fmden. Machten diese doch gerade das kartellähnliche Verhalten des Verbandes für ihre Probleme verantwortlich. Die Initiatoren des Schuman-Planes mußten die Vorstellungen Aubruns ebenfalls ablehnen. Denn die Öffnung des Marktes für Stahlprodukte zielte im Gegenteil auf die Beseitigung der nationalen und die Verhinderung eines internationalen Kartells. Die Vorschläge des CSSF-Präsidenten filhrten deshalb in eine Sackgasse. Aber selbst unter den Verbandsmitgliedern fanden sie keine Mehrheit. Auf Grund der Quellenlage kennt man die Bedenken und den Widerstand von Pont-ä-Mousson besonders gut. Dessen Führung wehrte sich, wie bereits während der Gespräche zwischen den Stahlindustriellen, gegen eine Einbeziehung des Gießereiroheisens und forderte zumindest gewisse Freiheiten bei den Exporten.3 5 Andre Grandpierre richtete am 14. August ein Schreiben in diesem Sinne an Aubrun. Darin beklagte er die mächtige Stellung der Schiedsrichter und verlangte, "für die Organisation gewisse Bestimmungen vorzusehen, die es den Betrieben erlaubten, sich zu bewähren, sowohl gegenüber der Administration als auch gegenüber den Schiedsrichtern, ihrer Belegschaft etc. ". Er hielt es für angebracht, "dem Ganzen von Beginn an etwas Luft zu 1assen".36 In einem weiteren Schreiben an den CSSF-Präsidenten vom 12. September berief sich Andre Grandpierre auf den Schuman-Plan, um seine Forderungen 35 Note von Jean Cavallier an franc,ois de Villepin vom 3.8.1950, PAM 77042 sowie eine Note von Andre Grandpierre vom 9.8.1950, die er am 22.9. an Aubrun sandte, ebenda. 36 Grandpierre an Aubrun, 14.8 .1950, PAM 70364. In seinem Schreiben bat er den Verbandspräsidenten um eine persönliche Unterredung. Es ist unklar, ob diese stattgefunden hat.
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nach mehr Flexibilität im geplanten Kartell zu untennauern. 37 Seiner Ansicht nach war "es ganz deutlich die generelle Absicht des Plans, [... ] den Wettbewerb zu fördern, allerdings mit dem Bemühen, den Konkurrenten (wörtlich: combattants) möglichst gleichwertige Waffen zu geben, sowohl im Hinblick auf ihre Versorgung als auch im Hinblick auf ihre Produktionsanlagen". Auch wenn man diese Zielsetzung filr etwas theoretisch halte, werde ihre Anwendung oder der Versuch einer solchen doch die kommenden Jahre bestimmen. Fänden nicht, so fragte der Leiter von Pont-a-Mousson, in diesem Zusammenhang die von ihm geforderten flexiblen Regelungen eine neue Rechtfertigung? Andre Grandpierre bezweifelte in seinem Schreiben ebenfalls das Argument Aubruns, wonach das innerfranzösische Kartell Vorbedingung und Vorbild zukünftiger internationaler Abmachungen sei. Er habe vor einer Woche mit belgischen und Iuxemburgischen Kollegen gesprochen. Auch diese seien gegen allzu strikte Kartellabsprachen: "Sie sprechen vor allem von Kontakten, gegenseitigem lnfonnations- und Meinungsaustausch, etc." Pont-a-Mousson war jedoch bei weitem nicht der einzige Stahlproduzent, der sich gegen die vom Verband vorgeschlagene Konvention eines innerfranzösischen Kartells aussprach. Der Directeur General von Marine-Homecourt, Leon Daum, an den Andre Grandpierre Kopien seiner Briefe sandte, stimmte dessen Einwänden weitgehend zu.38 Auch er befilrwortete mehr Raum für die Initiative der einzelnen Hersteller. Tatsächlich zog die Weigerung von Pont-aMousson, dem Projekt zuzustimmen, dessen Ablehnung durch die Stahlwerke von Rombas, Micheville und Marine-Homecourt nach sich.39 Auch Rene Damien von Usinor lehnte den Vorschlag der Verbandsführung ab.40 Dies ist angesichts seiner allgemeinen Haltung, die auch während der internen Diskussionen erneut deutlich geworden war, kaum verwunderlich. Die Ablehnung eines strikten innerfranzösischen Kartells kam also vor allem von 37 PAM 70364. Grandpierre stUtzte sich bei seiner Analyse des Schuman-Pians auf die Zusammenfassung der Verhandlungsergebnisse vom 10. August und einen Artikel im britischen The Economist, der in der von der CSSF herausgegebenen Presseschau abgedruckt war. 38 So in einem handschriftlichen Briefvom 18.8.1950 an Andre Grandpierre, PAM 70364. 39 Daum hatte bereits in einem Schreiben an Andre! Grandpierre vom 7.8.1950 deutlich gemacht, daß die Antwort der genannten Werke die gleiche sein mUsse, PAM 70364. Sie waren bereits seit langer Zeit durch gemeinsame Beteiligungen und Kapitalverflechtungen miteinander verbunden (bekannt als "Marmichpont"), siehe dazu Martin, S. 87 und 143, Mioche, La sidtrurgie et I'Etat, S. 37-41 sowie Freyssenetllmbert, S. 16. 40 Daum beschrieb die Haltung einzelner Stahlproduzenten in einem Brief an Grandpierre vom 19.8.1950, PAM 70364.
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den Unternehmen, die nach dem Krieg eine umfassende Modernisierung ihrer Anlagen begonnen hatten. Sie wurden außerdem meist von einem angestellten "Manager" geleitet, nicht von einem Mitglied der Besitzerfamilie. Familienunternehrnen, wie de Wendel, dominierten dagegen aufseitender Anhänger einer starken, zentralisierten Lösung. Dort fand man - verständlicherweise - auch die Verbandsvertreter. In der Kartellfrage verliefen die Trennlinien zwischen den Stahlproduzenten also ähnlich wie beim Monnet-Plan.41 Mit diesen Widerständen konfrontiert, konnte Jules Aubrun am 19. September 1950 vor der Commission Permanente der CSSF nur feststellen, daß er auf sein Schreiben vom 31. Juli sehr viele mündliche und schriftliche Antworten erhalten habe und daß er demnächst eine "breit angelegte Debatte" darüber eröffnen werde. 42 Diese fand jedoch nie statt. Meinungsverschiedenheiten bestanden innerhalb der französischen Stahlindustrie auch zum Schuman-Plan. Die Divergenzen dort folgten allerdings zum Teil einer anderen Logik. Unterschiedliche Haltungen der Hersteller zur Montanunion
Auch in der neueren Forschung ist die Auffassung noch weit verbreitet, daß die französische Stahlindustrie den Schuman-Plan einhellig abgelehnt habe. 43 Dem widersprechen bereits die Ergebnisse einer Befragung, die die Zeitung Le Monde in der ersten Julihälfte unter den französischen Stahlproduzenten durchfilhrte und die sie in ihrer Ausgabe vom 19. Juli 1950 veröffentlichte. Demnach äußerten sich die Stahlindustriellen aus dem Norden, dem Zentrum und Lothringen in ihrer Mehrzahl "vorsichtig optimistisch" zu den Perspektiven einer westeuropäischen Montanunion. 44 Tatsächlich bestanden damals unter den Herstellern erhebliche Unterschiede im Hinblick auf die Einschätzung der möglichen Folgen des Schuman-Plans, 41 Siehe dazu oben S. 42ff. Im übrigen bestanden solche Divergenzen nicht nur in Frankreich. Auch die Versuche der Iuxemburgischen und belgischen Stahlproduzenten, ein Kartellabkommen abzuschließen, scheiterten 1948/49 an internen Streitigkeiten, C. Barthel, De l'entente belgo-luxembourgeoise a Ia Convention de Bruxelles 1948-1954, in: Dumoulin u.a. (Hg.), L'Europe du patronat, S. 39-50. 42 Dazu die Zusammenfassung der Sitzung von Andre Grandpierre, 19.9.1950, PAM 70670. 43 So u.a. Bossuat, La France, l'aide americaine, S. 763 und 778f.; PoJidevin, Robert Schuman, homme d'Etat, S. 289f.; Perron, La siderurgie sowie Gillingham, Coal, Steel. 44 Le Monde vom 19.7.1950, S. 5: Le Pool Charbon-Acier. "Si Ia Haute Autorite resiste au vertige de Ia planification, le pool a les meilleures chances" pensent !es siderurgistes franf,:ais.
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wie eine detaillierte Analyse der öffentlich und in internen Diskussionen vertretenen Standpunkte deutlich macht.45 Eine weitgehend positive Haltung nahm nur ein Teil der Iothringischen Stahlproduzenten ein. Dazu gehörten vor allem Pont-a-Mousson, Micheville, Marine-Homecourt und Rombas. Ausdruck fand ihre Zustimmung beispielsweise in einer Erklärung der Handelskammer von Nancy, die den SchumanPlan mit gewissen Einschränkungen begrüßte.46 Er führe in wirtschaftlicher Hinsicht zu einer erheblichen Senkung der Selbstkosten. Davon würden in erster Linie die verarbeitenden Industrien, aber insgesamt alle Kohle- und Stahlverbraucher profitieren. Ein solches Ergebnis sei nur dadurch zu erzielen, daß man "den Unternehmen die für ihren Betrieb notwendige Autonomie belasse oder gebe". Diese Forderung richtete sich einerseits gegen mögliche Eingriffe seitens der Hohen Behörde, aber auch, wie aus der Kartelldiskussion innerhalb des Stahlindustrie hervorgeht, gegen eine allzu starke Bevormundung durch den Verband und seine Organe. Wie aus einer Erklärung der Stahlwerke von Rombas anläßtich ihres dreißigjährigen Bestehens deutlich wird, hatten die genannten Iothringischen Hersteller keine Befürchtungen um ihre Wettbewerbsfähigkeit in einer Montanunion. Unter Hinweis auf das in Ausführung befindliche Modernisierungsprogramm erklärte das Unternehmen, es sei dadurch, ein gleicher Kohlepreis vorausgesetzt, in der Lage, "mit jedem europäischen Stahlwerk zu konkurrieren".47 Auch Andre Grandpierre von Pont-a-Mousson glaubte, daß die Iothringische Stahlindustrie im Hinblick auf den Schuman-Plan "mehr Gründe habe zu hoffen als zu fürchten".48 In deutlichem Gegensatz dazu nahm die Handelskammer von Metz eine ablehnende Haltung zur Montanunion ein. Metz war die Hauptstadt des Departements Moselle, wo sich der Sitz des bedeutendsten französischen Herstellers, 45 Schon Philippe Mioche hatte auf die Unterschiede und die Entwicklung der Position der Stahlindustrie und ihres Verbandes hingewiesen, P. Mioche, Le patronat de Ia siderurgie frant;:aise und ders., L'adaptation du patronat de Ia siderurgie frant;:aise a l'integration europeenne de 1945 a 1967, in: Dumoulin u.a. (Hg.), L'Europe du patronat, S. 68f. Er verkennt allerdings die Divergenzen unter den Iothringischen Produzenten, vgl. dazu Roth, bes. S. 372f. 46 L'Usine Nouvelle vom 22.6.1950, S. I: A propos du Plan Schuman. L'opinion de Ia Chambre de Commerce de Nancy. Vgl. zur Rolle von Andre Grandpierre bei ihrer Abfassung Roth, S. 370f. 47 Zitiert in L'Usine Nouvelle vom 22.6.1950, S. 2: Apropos du Plan Schuman. La siderurgie frant;:aise et le denigrement etranger. 48 In einem Briefvom 31.5.1950, PAM 19413, zitiert von Mioche, Le patronat de Ia siderurgie frant;:aise, S. 308f.
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de Wendel, befand. Aus den Diskussionen über das innerfranzösische Kartell zu schließen, schienen die Vertreter des Unternehmens auch auf europäischer Ebene Absprachen zwischen den Produzenten zu bevorzugen. Die erheblichen Meinungsunterschiede innerhalb der Iothringischen Stahlindustrie bestätigte im nachhinein der Präfekt des Departements Meurthe-et-Moselle (mit der Hauptstadt Nancy).49 Demnach verteidigten die Leiter der dort beheimateten Firmen Pont-a-Mousson (Andre Grandpierre) und Micheville (Robert Baboin) den Schuman-Pian. Dahingegen sei das im benachbarten Departement ansässige Unternehmende Wendel von Anfang an ein scharfer Gegner des Montanunion gewesen. Die Stahlwerke in Zentralfrankreich sprachen sich ebenfalls gegen den Schuman-Pian aus. Sie waren durch ihre ungünstige geographische Lage, d.h. die Entfernung von Kohle- und Eisenerzreserven, in einer Montanunion benachteiligt. Die Zeitschrift L'Usine Nouvelle veröffentlichte in ihrer Ausgabe vom 13. Juli 1950 Au~züge aus einem Bericht der Geschäftsftlhrung der Firma Schneideret Cie., der massive Vorbehalte gegenüber dem Schuman-Plan enthielt. Er zeichnete ein Schreckensbild für den Fall, daß man Handels- und Zollschranken abbaute, ohne vorher die Produktionsbedingungen in den verschiedenen Ländern anzugleichen: Unternehmenszusammenbrüche, hohe Arbeitslosigkeit, ungenutzte - aber teuer bezahlte - Produktionsan lagen. 50 Ähnliche Bedenken äußerte auch eine Abhandlung zur Montanunion, die der Directeur General Adjoint der zu Schneider gehörenden Societe des Forges et Ateliers du Creusot verfaßt hatte. 5I Seiner Meinung nach war Frankreich ohne Zollschranken vollkommen schutzlos dem seit 50 Jahren manifesten Willen Deutschlands zu wirtschaftlicher Eroberung ausgeliefert. Andererseits glaubte der Autor "fest an das Interesse einer Kartellabsprache mit den Deutschen über Kohle und Stahl". Man solle die Verantwortung dafür aber den Industrien der beiden Länder überlassen. Eine Kontrolle durch die Regierungen reiche aus, um einen möglichen Mißbrauch zu verhindern.
49 In einem Schreiben vom 29. Januar 1952 an den französischen Regierungschef. Dessen Kabinett sandte eine Kopie davon an das Plankommissariat, 4.2.1952, AN, 81AJ 155. 50 L'Usine Nouvelle vom 13.7.1950: Autourdu Plan Schuman. Un point de vue fran~ais autorise. 51 Die Abhandlung trägt das Datum vom 22.6.1950 und findet sich in den Archiven von M. Bellier, an den der Autor sie am 8.3.1951 mit der Bitte, sie nicht weiterzugeben, gesandt hatte, AN, Ministere de l'lndustrie, 830589, N° 5. Sie scheint also keine große Verbreitung gefunden zu haben, stimmt aber mit dem Bericht der Geschäftsftlhrung in vielen Punkten überein.
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Sehr starker Widerstand gegen den Schuman-Plan kam auch aus Nordfrankreich, vor allem von Rene Damien, dem Directeur General von Usinor. Er legte seinen Standpunkt in einem Schreiben an den stellvertretenden Plankommissar Etienne Hirsch ausftlhrlich dar. 52 Daraus wird deutlich, daß er vor allem die Konkurrenz aus Belgien ftlrchtete. Die der nordfranzösischen unmittelbar benachbarte belgisehe Stahlindustrie exportiere 80% ihrer Produktion, und das zu Preisen, die 15-20% unter dem französichen Inlandsniveau lägen. In seinem Schreiben detaillierte Damien gleichzeitig seine Vorstellungen von der Rolle der Hohen Behörde. Sie solle die von den europäischen Herstellern untereinander ausgehandelten Produktionsprogramme überprüfen und deren Einhaltung kontrollieren. In manchen Fällen müsse sie auch eine Schiedsrichterrolle übernehmen. Für die Aufteilung der nationalen Quoten auf die einzelnen Produzenten seien dann die jeweiligen nationalen Vereinigungen zuständig. Auch hier stehe der Behörde aber eine Kontrollfunktion zu. Man sieht ganz deutlich, daß sich Damien die Montanunion als ein staatlich kontrolliertes und sanktioniertes internationales Stahlkartell vorstellte. Diese Haltung überrascht angesichts seiner eindeutigen Ablehnung des zum gleichen Zeitpunkt von der CSSF-Führung vorgeschlagenen innerfranzösischen Kartells. Sie erklärt sich wahrscheinlich aus der "exponierten" Lage von Usinor in der Nähe der als übermächtig empfundenen belgiseben Konkurrenz. In der Tat scheint die Haltung der einzelnen Produzenten zum SchumanPlan größtenteils von der Einschätzung ihrer Wettbewerbsstellung bestimmt zu sein. So ftlrchte Usinor die Konkurrenz der benachbarten belgiseben Werke, die auf Exporte angewiesen waren und ftlr die der große französische Markt natürlich eine besondere Anziehungskraft besaß. Dagegen konnten die Iothringischen Firmen darauf hoffen, ihren Absatz auf Süddeutschland ausdehnen zu können. Das erwarteten, wie gesehen, auch die Experten in verschiedenen Ministerien und selbst die Ruhrindustriellen. Die negative Einstellung de Wendeis zum Schuman-Plan beruhte wohl vor allem auf einer Ablehnung der Hohen Behörde. Ähnlich wie die CSSF, zogen sie ein privatwirtschaftliches Kartell den zwischenstaatlichen oder supranationalen Organisationen vor. Die Ergebnisse der internationalen Verhandlungen über die Montanunion mußten zeigen, ob die Beftlrchtungen einiger französischer Stahlproduzenten im Hinblick auf den Grad der Marktöffnung und die Vollmachten der Hohen Behörde berechtigt waren. 52
Briefvom 22.7.1950, AN, 81AJ 135.
3. Ausgestaltung der Vertragsbestimmungen
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3. Ausgestaltung der Vertragsbestimmungen Die Verhandlungen über den Schuman-Plan begannen unter Leitung von Jean Monnet am 20. Juni 1950 in Paris. Die Diskussionen über die detaillierte Ausgestaltung des Vertrages zogen sich- mit Unterbrechungen- bis zum März 1951 hin. Die Frage der institutionellen Form der Montanunion war dabei zwischen den Delegationen am wenigsten umstritten. 1 Denn die sechs Teilnehmerländer hatten bereits im Vorfeld das Prinzip einer supranationalen Hohen Behörde akzeptiert. Diese von Paris gestellte Vorbedingung war einer der Hauptgründe ftlr die Weigerung Großbritanniens, an den Verhandlungen über den Schuman-Pian teilzunehmen. 2 Die britische Regierung wollte allenfalls eine Koordination zwischen den einzelnen Nationen akzeptieren. Vor allem auf Wunsch der Benelux-Staaten wurden der Hohen Behörde aber im Laufe der Verhandlungen ein Ministerrat, eine Parlamentarierversammlung und ein Gerichtshof zur Seite gestellt. Zu intensiven Auseinandersetzungen kam es dagegen über die wirtschaftliche Ausgestaltung der Montanunion. Dabei stand die Frage der Verhinderung von wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen im Mittelpunkt der Diskussionen. Ein Abkommen im Interesse der Verbraucher
Schon im Vorfeld der Detailverhandlungen deuteten einige Äußerungen von Mitarbeitern Monnets darauf hin, daß fiir die Initiatoren des französischen Vorschlags der freie Wettbewerb zwischen den Produzenten das gestaltende Prin-
Vgl. zum diesem Teil der Verhandlungen im Detail H. J. Küsters, Die Verhandlungen über das institutionelle System zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ftlr Kohle und Stahl, in: Schwabe (Hg.), Die Anfllnge des Schuman-Plans, S. 73-102, R. T. Griffiths, Die Benelux-Staaten und die Schumanplan-Verhandlungen, in: Herbst u.a. (Hg.), Vom Marshallplan zur EWG, S. 263-278 sowie D. Spierenburg I R. Poidevin, Histoire de Ia Haute Autorite de Ia Communaute Europeenne du Charbon et de l'Acier, BrUssel 1993, S. 9-23. 2 loth, Einleitung, S. 23 und ders., Die Europa-Diskussion in Frankreich, in: ders. (Hg.), Die Anfllnge der europäischen Integration, S. 42 sieht den "Durchbruch zur Supra-Nationalität ohne Großbritannien" als die eigentliche Leistung des Schuman-Plans. Er verkennt, daß dies mit dem Scheitern der britisch-französischen Gespräche Anfang 1949 absehbar und schon beim Fritalux/Finebel-Projekt möglich war. Auch die Vereinigten Staaten hatten sich damit bereits seit April 1949 abgefunden, vgl. Schwabe, Die Rolle der USA, S. 181 ff.
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Teillll: Die Verhandlungen
zip der Montanunion sein sollte. So bezeichneten Etienne Hirsch und Pierre Uri bereits bei ihren Gesprächen in London im Mai es als Ziel der Hohen Behörde, "Bedingungen zu schaffen, in denen die einzelnen Produktionseinheiten miteinander nur auf Grundlage der Effizienz konkurrieren. [... ] Kohle- und Stahlverbrauchern werde freigestellt, ihre Bestellungen dort aufzugeben, wo dies zu ihrem besten Vorteil sei. Preise würden nicht von der Hohen Behörde festgelegt".3 Ähnlich äußerte sich Monnet selbst vor den Delegationsleitern der Teilnehmerstaaten in deren zweiter Sitzung am 21. Juni 1950.4 Zunächst betonte der Verhandlungsleiter noch einmal die Bedeutung der Friedenswahrung und der Einigung Europas als Motive fiir den französischen Vorschlag. Doch dann machte er vor allem deutlich, wie wichtig in seinen Augen eine Abschaffung der Kartelle und eine Steigerung der Produktivität als Ziele des Schuman-Plans waren. So hatte die französische Delegation vorgeschlagen, die bestehenden nationalen Verbände der Hersteller durch regionale Vereinigungen zu ersetzen. In seiner Begründung dafür wies Monnet auf die Tatsache hin, daß, "wie die Erfahrung zeigt, gewisse nationale Organisationen tatsächlich nichts anderes sind als Kartelle, die die schlechten Produzenten schützen. Die Hohe Behörde muß dagegen nach der Erreichung von möglichst geringen Selbstkosten (im Original: prix de revient minima) und nach der Verbesserung der Produktivität streben". Und in bezugauf die Preise, so der Verhandlungsleiter weiter, müsse die Montanunion zwei grundlegende Ziele haben: einerseits "die Verbraucher zu schützen ohne irgendwelche Diskriminierungen" und andererseits "die notwendigen Bedingungen zu schaffen, um ein optimales Produktivitätsniveau zu gewährleisten". In der Diskussion am darauffolgenden Tag machte Monnet seinen gegen kartellähnliche Absprachen und Quotenregelungen gerichteten Standpunkt noch einmal deutlich. Auf den Vorschlag des niederländischen Delegationsleiters Dirk Spierenburg, man solle zunächst ein Abkommen zwischen den Regierungen über die Produktionsniveaus der einzelnen Länder schließen, antwortete er mit deutlicher Ablehnung. Solche Abmachungen seien "dem Geist des französischen Vorschlags entgegengesetzt". 5 Gespräch während eines Abendessens, Note for Record, 18.5.1950, PRO, F0371/ 85842, CE2362. Vgl. Lynch, The Role of Jean Monnet, S. 121-123. 4 Dazu und zum folgenden Conversations sur le Plan Schuman, Seances restreintes, Erklärung Monnets am 21 .6.1950, MAE, Archives Diplomatiques, DE-CE 1945-1960, W 500. 5 Ebenda, 22.6.1950.
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Auch der am 24. Juni von der französischen Delegation als Diskussionsgrundlage vorgelegte erste Vertragsentwurf sprach im Hinblick auf Kartelle und andere diskriminierende Maßnahmen eine deutliche Sprache.6 Er stipulierte beispielsweise in Artikel 21 (d) als eine Aufgabe der Hohen Behörde, "die künstlichen Elemente zu beseitigen, die die normalen Konkurrenzbedingungen verfiUschen". Die beteiligten Regierungen verpflichteten sich außerdem nach Artikel 23, Absatz 1 dazu, "alle restriktiven Praktiken zu verbieten und aufzulösen, die darauf abzielen, ihre nationalen oder die Exportmärkte aufzuteilen und auszubeuten". Auch gegenüber den Stahlproduzenten hatte Monnet "nicht verheimlicht, daß die Hauptidee des Plans die Verurteilung aller Kartelle war".? In seinen Erinnerungen beschreibt er leider nur den institutionellen Teil der Verhandlungen ausftlhrlich. Allerdings erwähnt er an einer Stelle, daß der deutsche Delegationsleiter Walter Hallstein manchmal vor einem möglichen Dirigismus warnte, allerdings in erster Linie um Ludwig Erhard zu beruhigen.8 Denn der Bundeswirtschaftsminister betonte wiederholt, daß der Plan "sich auf der einen Seite von einem übertriebenen staatlichen Dirigismus und auf der anderen Seite von einem kartellmäßigen Egoismus" freimachen müsse.9 Tatsächlich, so Monnet in seinen Memoiren weiter, hatte Hallstein aber "wie manche andere auch begriffen, daß wir nicht vorhatten, die Verantwortung der Hohen Behörde an die Stelle der Verantwortung der Unternehmer zu setzen, sondern daß wir auf einem weiten Markt die Bedingungen fllr eine echte Konkurrenz schaffen wollten, bei der sowohl die Produzenten als auch die Arbeiter und die Konsumenten ihre Vorteile finden wUrden".
In aller Deutlichkeit präsentierte im Juli sein Mitarbeiter Etienne Hirsch vor Vertretern der französischen Stahlindustrie und des Industrieministeriums die wirtschaftlichen Ziele des Schuman-Plans:IO "einheitlicher Markt (im Französi-
6 Dieses sogenannte Document de travail war im Plankommissariat ausgearbeitet worden. Sein Text findet sich u.a. in AN, 81AJ 131. Zusammenfassung eines Treffensam 30.6.1950, PAM 19413, zitiert von Mioche, Le patronat de Ia siderurgie fran~aise, S. 309. 8 Monnet, Erinnerungen, S. 417. 9 So aufeiner Rede vor dem deutsch-französischen Wirtschaftstag am 10.9.1950 in Köln, wiedergegeben in einem Dokument des Sekretariats fllr Fragen des Schuman-Pians im Bundeskanzleramt vom 20.9.1950, Mannesmann-Archiv, M 12.951. 10 Handschriftliche Zusammenfassung der Sitzung am 8.7.1950, AN, IND 1607. Man beachte die Reihenfolge!
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Teil IH: Die Verhandlungen
sehen: marche unique), Verbesserung der Produktion, Ausschalten des schlechten Produzenten, Schutz des Verbrauchers, Schutz des Produzenten". Es gehe "in keinem Falle an, ein internationales Kartell mit einem Deckmantel zu bedecken" . 11 Auch im Rahmen der Verhandlungen erklärte Hirsch vor der ftir die Preisgestaltung zuständigen Unterkommission, daß die Preise ab Werk ftir alle Abnehmer gleich sein müßten und Unterschiede nur von der Abnahmemenge und der Vertragsdauer abhängen dürften. 12 Dieser Vorschlag richtete sich einerseits gegen die bisher üblichen - vom Ort des Lieferwerkes unabhängigen einheitlichen Frachtbasen pro Land (Thionville bzw. Oberhausen), andererseits gegen die sogenannten Doppelpreise, d.h. die Unterschiede zwischen den Inlands- und Exportpreisen, wie sie beispielsweise ftir deutsche Kohle und französisches Eisenerz praktiziert wurden.13 Um allerdings zu große Schwankungen und ein mögliches Dumping zu verhindern, tendiere, so Hirsch weiter, die französische Delegation beim jetzigen Stand ihrer Überlegungen dazu, Minimal- und Maximalpreise festzulegen. Der Minimalpreis entspreche dem mittleren Preis des besten Werkes. Bei Verbesserungen der Effizienz müsse dieser natürlich gesenkt werden. Hirsch machte aber klar, daß es bei der Preisfestlegung keinesfalls darum ging, die ineffizienten Hersteller zu schützen: "Gewisse Betriebe mit geringer Produktivität müssen den Markt verlassen. Was man hier braucht, ist ein geordneter Rückzug, keine heillose Flucht". Daß die französischen Verhandlungsteilnehmer darauf abzielten, Effizienzkriterien zur Grundlage der Montanunion zu machen, erkannten auch die Vertreter der deutschen Stahlindustrie. So faßte der Leiter des Klöckner-Konzems, Günter Henle, Anfang Juli vor dem Vorstand der WV Stahl die Haltung der Franzosen wie folgt zusammen: "Es wird der Standpunkt vertreten, dort zu produzieren, wo es am billigsten ist". 14 Und in einem Vortrag zum Thema "Der Schuman-Plan und seine wirtschaftliche Auswirkung" vor der Düsseldorfer CDU am 29. Juni 1950 betonte Mannesmann-Vorstandsmitglied Wolfgang Ebenfalls zitiert von Mioche, Le patronat de Ia siderurgie fran~aise, S. 309. Conversations sur le Plan Schuman, CR/3, 23.6.1950, MAE, Archives Diplomatiques, DE-CE 1945-1960, W 500. 13 Auch nach Informationen der Gruppe Walzstahl strebte man stattdessen Ab-WerkPreise an, siehe das Expose zur Preisfrage vom 21.7 .1950, S. 3, WV Stahl, Aktenordner Schumanplan. Dieses Expose stellte auch heraus, daß 'jede Änderung des heutigen Preissystems die Wettbewerbsbedingungen der Verarbeiter verschieben wird", ebenda, S. 7. 14 Vermerk über die Vorstandssitzung am 8.7.1950, S. 4, WV Stahl, Sitzungsberichte, Band 3. II
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Pohle, daß "auf weite Sicht gesehen [... ] der Sinn des Schuman-Plans in einer Ausdehnung der Produktion durch Verschmelzung der Märkte" liege.l5 "Nicht also in einer die Nationalwirtschaften begünstigenden oder beschränkenden Abrede von Kartellen und Syndikaten soll letztlich die Lösung des europäischen Beschäftigungs- und Absatzproblems gefunden werden, sondern in einer Vereinheitlichung des gesamten europäischen Absatzgebiets. Als Vorbild kann uns hierbei der Großraum der Vereinigten Staaten dienen." Wenn dies zunächst im Bereich von Kohle und Stahl gelinge, so Pohle weiter, "wird sich die Verbilligung der Produkte und der erhöhte Absatz auf die dahinter geschalteten Industrien weiterwälzen". Mit diesen Äußerungen stand der Vertreter des Mannesmann-Konzerns den Ansichten Monnets sehr nahe. Tatsächlich scheint es dem Plankommissar damals gelungen zu sein, sich mit seinen wirtschaftlichen Vorstellungen bei den übrigen Delegationen weitgehend durchzusetzen. So wies der Abschlußbericht der ersten Verhandlungsrunde vom 10. August 1950 darauf hin, daß die für Produktion, Preise und Investitionen zuständige Unterkommission die Mittel gesucht habe, mit deren Hilfe die Hohe Behörde beitragen könne16 "zu einer Senkung der Selbstkosten in einem gemeinsamen Markt, der von den effizientesten Unternehmen versorgt werde, die ihrerseits durch den freien Wettbewerb stimuliert wUrden. Diese kontinuierliche Senkung der Selbstkosten durch eine Steigerung der Produktivität wird einen Anstoß zur Expansion der verarbeitenden Industrien der sechs Länder geben. Sie wird ebenfalls erlauben, den Lebensstandard ihrer Bevölkerung zu heben." Man erkennt sehr deutlich, wie sich der Schuman-Plan in die Bemühungen Monnets einfilgt, die Produktivität der französischen (und europäischen) Hersteller zu steigern. Gleichzeitig macht der Textauszug auch klar, daß die wirtschaftliche Wirkung der Montanunion weit über die direkt betroffenen Industrien hinausgehen sollte. Die internationalen Verhandlungen hatten also scheinbar die von Monnet gewünschte Richtung genommen. Doch stellte ein kurz vor Abschluß der ersten Runde verfaßtes Dokument die erreichten Fortschritte wieder in Frage. Redemanuskript mit Datum vom 25.6.1950, Mannesmann-Archiv, M 12.960. Plan Schuman, Rapport sur les travaux poursuivis a Paris par les delegations des six pays du 20 juin au 10 aofit 1950, hier S. 4, MAE, Archives Diplomatiques, DE-CE 1945-1960, N°501. 15
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Teil III: Die Verhandlungen
Unerwartete Veränderungen zugunsten der Kartelle
Die französische Delegation überreichte am 8. August den übrigen Verhandlungsteilnehmern eine Ausarbeitung über die Rolle der Hohen Behörde während der Anlaufzeit der Montanunion. 17 Es ist nicht klar, wer diese Note verfaßt hat. Eine Übersetzung davon findet sich jedoch ebenfalls in den deutschen Archiven. Demnach wurde das Dokument von Monnet selbst den übrigen Delegationsleitern übergeben und hatte vorher einem Redaktionskomitee vorgelegen, dem auch ein deutscher Vertreter angehörte. 18 Die Vorschläge dieses Dokuments erinnern sehr stark an Kartellpraktiken. Sie standen im Hinblick auf die Preisfestlegung in eindeutigem Gegensatz zu den bisherigen Erklärungen von Monnet und seinen Mitarbeitern. Denn die neue Regelung enthielt nicht mehr Ab-Werk-Preise, sondern Einheitspreise flir den einheitlichen Markt (marche unique), deren "maximale Unterschiede [... ] den Transportkosten entsprachen". Zu diesem Zweck sollten nationale Ausgleichskassen eingerichtet werden, gespeist aus Abgaben der Hersteller und Subventionen der Regierungen. Die Verwendung dieser Mittel unterlag der Zustimmung durch die Hohe Behörde und wurde von den jeweiligen Regierungen kontrolliert. Die Note sah zwar war den schrittweisen Abbau der Ausgleichszahlungen innerhalb eines "angemessenen, aber begrenzten Zeitraums" vor, machte jedoch keine genauen zeitlichen Angaben. Noch deutlicher als die Preisgestaltung ähnelten die Bestimmungen über die Rolle der Industrieverbände der Struktur eines internationalen Kartells unter staatlicher Aufsicht. So war vorgesehen, daß die Hohe Behörde "die Fortflihrung der bisherigen Ausgleichsmechanismen in den einzelnen Ländern erlauben konnte", d.h. beispielsweise fiir Frankreich den Weiterbestand des Comptoir des Produits Siderurgiques. Außerdem erhielten die bestehenden Herstellerverbände das Vorschlagsrecht fiir den in der gesamten Montanunion gültigen Einheit">preis, den dann endgültig die Hohe Behörde festlegte. 19
17 Note preliminaire sur l'action de Ia Haute Autorite au cours de Ia periode de demarrage. Aubrun sandte am 31 .8.1950 eine Kopie davon an die Mitglieder der Commission du Plan Schuman der CSSF, PAM 70690. 18 Nach Gosehier u.a., S. 197, Anm. 117. 19 Blankenagel beschrieb diesen Stand der Verhandlungen auf der Sitzung des Engeren Vorstands der Wirtschaftsvereinigung am 30.9.1950, S. lff., WV Stahl, Sitzungsberichte, Band 3. Die deutschen Stahlindustriellen begrüßten vor allem die weitreichenden Vollmachten der regionalen Vereinigungen, ebenda, S. 4.
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In der historischen Forschung fmdet sich keine einheitliche Meinung zu diesem plötzlichen Wechsel von Ab-Werk- zu Einheitspreisen und insgesamt von einer auf dem freien Wettbewerb beruhenden Montanunion zu Absprachen zwischen den Produzenten. Viele Forscher bemerken ihn überhaupt nicht.20 Sehr klar äußert sich dagegen der deutsche Historiker Wemer Bührer über die Motive für den Schwenk der Franzosen von "gleichen Bedingungen" zu "gleichen Preisen" innerhalb der geplanten Kohle- und Stahlgemeinschaft:21 "Der mit der Beseitigung von Zöllen und Kontingenten drohende Einbruch der Ruhrindustrie in den französischen Markt mußte zumindest so lange verhindert werden, bis die "künstlichen" Vorteile der deutschen Konkurrenten eingeebnet waren und die "natürlichen" Vorteile der heimischen Stahlindustrie nach dem Wegfall der Doppelpreise und diskriminierender Frachten voll zum Tragen kamen."
Diese Erklärung erscheint relativ unbefriedigend. Denn dann hätte die französische Delegation einen solchen Preisausgleichsmechanismus bereits zu Beginn der Verhandlungen vorschlagen müssen. Dies war aber, wie gesehen, nicht der Fall. Auch die relativ reibungslos scheinende spätere Rückwendung zu den ursprünglich geplanten Ab-Werk-Preisen ist aus dieser Perspektive weitgehend unverständlich. Hans Dichgans führt den plötzlichen Meinungswandel auf den Einfluß der Experten aus der Wirtschaft zurilck. 22 Auch dies ist eher unwahrscheinlich. Die französischen Stahlindustriellen, die auf eine solche Lösung gedrängt haben könnten, spielten bei den Verhandlungen nur eine marginale Rolle. Die Stahlverbraucher in Frankreich, und möglicherweise auch in der Bundesrepublik, befürworteten dagegen Ab-Werk-Preise. Doch auch die Vertreter der Ruhrindustrie wehrten sich energisch gegen jegliche Ausgleichszahlungen, da sie glaubten, diese gingen vor allem zu ihren Lasten. So hatte sich die WV Stahl 20 So standen etwa filr Diebold, The Schuman Plan, S. 65 die Diskussionen über einen einheitlichen Preis am Anfang. Er erkennt den zweifachen Meinungswandel nicht. Ähnlich Griffiths, The Schuman Plan Negotiations, S. 47 und 49, Gillingham, Coal, Steel, S. 245f., der sich weitgehend aufGriffiths stützt, sowie Bossuat, La France, l'aide americaine, S. 760-767. E. F. Nausch, Die Entwicklung der deutschen und der französischen Stahlindustrie nach dem Zweiten Weltkrieg und ihr Einfluß auf die Verankerung eines grundsätzlichen Subventionsverbots filr Stahl im Montan-Vertrag von 1952, Köln 1988, S. 129fT. stellt die Verhandlungen insgesamt zu einseitig dar (liberale deutsche vs. dirigistische französische Positionen). 21 Gosehier u.a., S. 199. Dieser Teil des gemeinsamen Aufsatzes stammt von BOhrer. 22 H. Dichgans, Montanunion. Menschen und Institutionen, DUsseldorf 1980, S. 71-73. Vgl. Berghahn, Montanunion und Wettbewerb, S. 267 sowie Gillingham, Coal, Steel, S. 292.
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Tei1111: Die Verhandlungen
bereits in einer ersten ausfUhrliehen Analyse des Schuman-Plans, die sie am 5. Juni 1950 an die Vorstände aller Mitgliedsunternehmen sandte, deutlich gegen einheitliche Franko-Preise ausgesprochen.23 Inhaltlich stimmte die neue Position der französischen Delegation sehr stark mit den Vorstellungen des im Industrieministerium filr die Stahlindustrie zuständigen Beamten Albert Denis überein. In seinen detaillierten Vorschlägen vom Juni 1950 hatte er den Verbänden eine wichtige Funktion zugedacht und die Hohe Behörde mehr als Koordinator und gegebenenfalls Schiedsrichter gesehen.24 Ebenso wollte er die nationalen Organisationen der Hersteller beibehalten, wohingegen Monnet und seine Mitarbeiter planten, sie durch die grenzüberschreitenden regionalen Vereinigungen aufzusprengen. Es gibt aber kein Dokument, das eine Autorenschaft oder auch nur einen Einfluß von Denis auf die Note vom 8. August belegt. Deren Ursprung muß also bis auf weiteres im Dunkeln bleiben. Genauso unklar und daher in der Forschung umstritten sind die Gründe filr den erneuten Sinneswandel der französischen Verhandlungsdelegation weniger als zwei Monate später. 25 Dieser betraf nicht nur die Preisfestsetzung, sondern vor allem die Kartellfrage und - damit zusammenhängend - die Rolle der regionalen Vereinigungen. Rückkehr zur kartellfeindlichen Position
Eine erste erkennbare Abänderung der französischen Haltung in der Preisfrage erfolgte durch ein Dokument vom 26. September 1950, das Vorschläge über die Rolle der Hohen Behörde in der Dauerphase der Montanunion enthielt.26 Dort war die Rede nicht mehr von einem einheitlichen, sondern von einem gemeinsamen Markt.27 Im Hinblick auf die Preise defmierte es als Auf23 Mannesmann-Archiv, M 12.950. Die britische Delegation bei der Internationalen Ruhrbehördesandteam 14.6.1950 eine Kopie dieses Dokuments an das Foreign Office, PRO, F0371/ 85850, CE3084. Vgl. M. G. Steinert, Un saut dans l'inconnu. La Republique federale d'Allemagne face au plan Schuman, in: Relations internationales 4 (Dezember 1975), S. 160 und 163. 24 Siehe oben S. 168-170. 25 Dazu Bergbahn, Montanunion und Wettbewerb, S. 267. 26 Propositions au Comite restreint sur le röle de Ia Haute Autorite en matiere de prix pendant Ia periode permanente, 26.9.1950, MAE, Archives Diplomatiques, DE-CE 1945-1960, W500. 27 "Marche commun", obwohl sich die Bezeichnung "marche unique" noch an einigen Stellen findet.
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gabe der Hohen Behörde, die durch den besonderen ökonomischen Charakter der Kohle- und Stahlindustrien bedingten starken Preisschwankungen abzuschwächen, aber auch jeglichen Mißbrauch zu verhindem (im französischen Original: "empecher toutes pratiques de prix abusives"). Beständiges Ziel der Hohen Behörde müsse es sein, daß sich die Preise auf einem möglichst niedrigen Niveau etablierten. Das geeignetste Mittel dazu sei der "freie Wettbewerb (im Original: Je jeu normal de Ia concurrence) im von der wirtschaftlichen Konjunktur erlaubten Rahmen". Und wie in den ursprünglichen Überlegungen galt die Hauptfürsorge erneut den Verbrauchern. Diese müßten frei zwischen den Herstellern wählen sowie von deren Fortschritten in bezug auf Preis und Qualität profitieren können, d.h. kein Kartell dürfte das verhindern. In einem Memorandum zur Preisfrage vom 23. Oktober 1950 kehrte die französische Delegation dann endgültig zu ihrer ursprünglichen Position zurück. Darin war wieder von Preisunterschieden je nach Produktionskosten des Lieferwerkes, Abnahmemenge und Lieferort die Rede. Die Preisbildung wurde unter normalen Bedingungen dem freien Wettbewerb überlassen. Nur in Ausnahmesituationen konnte die Hohe Behörde Minimal- und Maximalpreise festlegen.28 Wemer Bührer führt dieses Einlenken einerseits auf den Koreaboom zurück, durch den das Preisausgleichsproblem an Bedeutung verloren habe. Andererseits stellt er vor allem den Widerstand der deutschen Vertreter gegen eine Angleichung der Stahlpreise im gemeinsamen Markt heraus. 29 Dem Einsatz der Ruhrindustrie gegen Ausgleichsmechanismen ist sicher eine gewisse Rolle nicht abzusprechen.30 Dennoch erfolgte der Meinungswandel der Franzosen wahrscheinlich ohne äußeren Druck. Denn das oben zitierte französische Dokument stammte vom 26. September und wurde somit zwei Wochen vor der offiziellen Stellungnahme der deutschen Verhandlungsdelegation gegen eine Nivellierung aller Preisunterschiede abgefaßt. 31 Zeitlich wie inhaltlich liegt stattdessen vor allem ein Zusammenhang der erneuten französischen Kehrtwendung mit der Frage der wettbewerbsbeschränkenden Maßnahmen nahe. 28
Hier nach Gosehier u.a., S. 20lf. Ebenda, S. 200f. 30 Siehe dazu oben S. 213f. sowie den Vermerk Uber die Sitzung des Engeren Vorstands am 12.8.1950, WV Stahl, Sitzungsberichte, Band 3. 31 Stellungnahme zur Preisgebung im Memorandum Uber die Einrichtungen und die wirtschaftlichen und sozialen Dauerbestimmungen des Schuman-Plans vom 28. September 1950, 10.10.1950, AN, 81AJ 154. Die deutsche Delegation sprach sich darin gleichzeitig filr die Abschaffung von Doppelpreisen und ähnlichen Diskriminierungen aus. 29
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Teil III: Die Verhandlungen
Bereits Anfang Oktober hatte Jean Monnet in dieser Hinsicht die Initiative ergriffen. In einer Sitzung der Delegationsleiter am 4. Oktober setzte er sich kritisch mit den im Memorandum vom 28. September zusammengefaßten Ergebnissen der zweiten Verhandlungsrunde auseinander.32 Die anderen Delegationen zeigten sich über diesen drastischen und dramatischen Eingriff des Verhandlungsleiters sehr überrascht. 33 Monnet berief sich in seiner Stellungnahme auf die Erklärung vom 9. Mai 1950. Er interpretierte ihren Inhalt dahingehend, daß "die Dauerbestimmungen die Unternehmen anspornen müssen, ihre Produktivität kontinuierlich zu steigern, um die Kohle- und Stahlverbraucher davon profitieren zu lassen. Um zu diesem Ergebnis zu kommen, ist es selbstverständlich notwendig, Kartellpraktiken auszuschließen". Der Verhandlungsleiter schlug deswegen vor, die entsprechenden Absätze im Memorandum durch den folgenden Text zu ersetzen: "Jede Abmachung zwischen Unternehmen, die eine Beschränkung der Produktion, eine Aufteilung der Märkte oder eine Festsetzung der Preise zum Ziel hat, wird verboten. Bestehende Abmachungen werden hinfllllig. Um jedoch die Steigerung der Produktivität und die rationellste Ausnutzung der existierenden Anlagen zu fllrdem, werden die Unternehmen Abmachungen schließen können, die ihre Fusion oder ihre Spezialisierung zum Ziel haben, unter der Bedingung, daß sie zuvor die Zustimmung der Hohen Behörde einholen."
Gleichzeitig gab Monnet in seinem Vortrag die ursprüngliche Idee von regionalen Vereinigungen der Produzenten auf. Sowohl die CSSF als auch das Finanzministerium hatten sich ohnehin deutlich dagegen ausgesprochen, da eine Aufspaltung ihrer Meinung nach zu einer geflihrlichen Schwächung der französischen Stahlindustrie gegenüber der Ruhr ftlhren würde.34 Doch auch die deutschen Hersteller wehrten sich gegen eine mögliche Teilung der Ruhr in zwei regionale Vereinigungen.35 Die Vermutung von Werner Bührer, daß "die regionalen Vereinigungen von Monnet und seinen Mitarbeitern [...] gezielt als Köder eingesetzt worden waren, um manchen zunächst skeptischen und widerstrebenden Industriellen die 32 33
Text mit Datum vom 5.10.1950 in AN, 81AJ 132 und 138. Daraufweisen Ball, S. 87f. und Griffiths, The Schuman Plan Negotiations, S. 62 hin.
34 Das Finanzministerium richtete ein Schreiben zu dieser Frage an den Außenminister mit Kopie an das Plankommissariat, wo es am 8.9.1950 eintraf, AN, 81AJ 154. Zur Ablehnung durch Aubrun siehe weiter unten S. 228f. 35 Vermerk Ober die Sitzung des Engeren Vorstandsam 12.8.1950, WV Stahl, Sitzungsberichte, Band 3.
3. Ausgestaltung der Vertragsbestimmungen
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Mitarbeit schmackhaft zu machen", scheint daher nicht zutreffend.36 Unbefriedigend ist auch die Erklärung von Richard Griffiths, wonach der Verhandlungsleiter in dieser Frage seine Geduld verlor.37 An anderer Stelle spricht Griffiths von den "Sorgen" Monnets über die kartellähnliche "Richtung, in die die regionalen Gruppen drifteten, und über den negativen Eindruck, den das auf die Amerikaner machen könnte".38 Wahrscheinlicher ist, daß die regionalen Vereinigungen nach der Verankerung eines allgemeinen Kartellverbots nicht mehr nötig waren. Denn sie hatten, wie gesehen, vor allem darauf abgezielt, die bestehenden nationalen Kartelle aufzusprengen. Ähnlich umstritten sind in der historischen Forschung auch die Beweggründe für die von Monnet am 4. Oktober vorgeschlagene Einführung eines Kartellverbots und einer Fusionskontrolle. In der letzten Zeit scheint sich die Vorstellung durchzusetzen, daß sein Vorschlag in erster Linie mit den damaligen Schwierigkeiten der Entflechtungs- und Dekartellisierungsmaßnahmen in der Bundesrepublik zusammenhing.39 Die alliierten Bemühungen stießen nämlich seit dem Beginn des Koreakrieges immer mehr auf deutschen Widerstand. Deshalb habe Frankreich ein Junktim zwischen der Auflösung der wirtschaftlichen Machtkonzentrationen an der Ruhr und dem Abschluß des SchumanPlans herstellen wollen. Die entsprechenden Bestimmungen dienten demnach dazu, die bestehenden Kartelle in Westdeutschland zu zerschlagen und die Neubildung mächtiger Konzerne an der Ruhr zu verhindern. Eine ähnliche Interpretation gaben den Vorschlägen Monnets übrigens bereits die deutschen Stahlindustriellen.40 Demnach bestand die Absicht der FranBohrer, Ruhrstahl und Europa, S. 203. Griffiths, The Schuman Plan Negotiations, S. 50: "his patience appeared to have snapped". 38 Ders., Die Benelux-Staaten, S. 276. 39 So vor allem Gillingham, Coal, Steel, S. 255f., der allerdings flilschlicherweise von einem Memorandum Monnets vom 28. September spricht. Es handelte sich tatsächlich um dessen Reaktion am 4.10. auf die Zusammenfassung der Verhandlungen vom 28.9.1950. Vgl. auch Griffiths, The Schuman Plan Negotiations, S. 61-63, Rieben, S. 428-433, Diebold, The Schuman Plan, S. 67-75, Poidevin, Frankreich und die Ruhrfrage, S. 332f., Lynch, The Role of Jean Monnet, S. 127f., Steinert, S. 166f. sowie Spierenburg I Poidevin, S. 23-28 und 35. Auch Schwabe, "Ein Akt konstruktiver Staatskunst", S. 233f. gibt die Interpretation Gillingharns wieder, allerdings ohne Überzeugung, da er in den amerikanischen Quellen keine Anhaltspunkte fllr dessen These gefunden hat. 40 Siehe den Bericht von Blankenagel auf der Vorstandssitzung der WV Stahl am 11.12. 1950, hier S. 6f., WV Stahl, Sitzungsberichte, Band 3. Ähnlich auf der Sitzung des Engeren Vorstandsam 18.l.l951, S. I, ebenda. Nach Steinert, S. 168 wandten die Stahlindustriellen sich am ll.l2.1950 mit ihrer Kritik an den Bundeskanzler und den Wirtschaftsminister. Vgl. zur Verbundwirtschaft und ihren Ursprüngen Chandler, S. 494f. 36 37
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Teil III: Die Verhandlungen
zosen vor allem darin, den Deutschen Kohlenverkauf (DKV) sowie die Verbundwirtschaft, d.h. die vertikale Integration von Kohlegruben und Stahlwerken, aufzulösen und die Rekonzentration der Ruhrstahlwerke zu verhindern. Dagegen wollte die Wirtschaftsvereinigung durch einen Brief an den Bundeskanzler Einspruch erheben. Die deutschen Hersteller fragten sich allerdings auch, "wie die in Frankreich und Belgien auf dem Eisen- und Stahlgebiet bestehenden Kartelle unter diesen Umständen behandelt werden sollen". Daß man tatsächlich im französischen Außenministerium einen Zusammenhang zwischen der Montanunion und den alliierten Bemühungen in Westdeutschland herstellte, macht eine Note der Direction des Affaires Economiques deutlich. 41 Darin heißt es, daß die Beibehaltung der Konzentration der Ruhrindustrie "nicht nur die Schaffung eines wirtschaftlichen Gleichgewichts in Europa (ob mit oder ohne Schuman-Plan) unmöglich machen würde, sondern noch dazu jegliche politische Einigung Europas". Aus französischer Sicht gehe es deshalb zunächst um die Aufhebung der Verbundwirtschaft, damit die deutsche Stahlindustrie nicht weiterhin Vorteile bei ihrer Versorgung mit Hüttenkoks habe. Um sich dafilr die entscheidende Unterstützung der Amerikaner zu sichern, müsse man ihnen in der Frage des DKV nachgeben, d.h. der Auflösung des Kohlenverkaufsmonopols zustimmen. Doch wurde diese Note erst am 24. Oktober verfaßt, also lange nach den deutlichen Äußerungen Monnets in der Kartellfrage. Außerdem macht ihr letzter Punkt deutlich, daß es dem Außenministerium in erster Linie um die Entflechtung, d.h. die Aufspaltung von horizontalen und mehr noch vertikalen Konzentrationen ging. Eine Auflösung des DKV, wie sie das von Monnet geforderten Kartellverbot zur Folge gehabt hätte, fand dagegen bei den zuständigen französischen Stellen keine Mehrheit. Weite Teile der Regierung und Verwaltung bevorzugten ein zentrales Verkaufskontor filr die Ruhrkohle, da es eine Kontrolle durch die Internationale Ruhrbehörde erleichterte.42 Angesichts dieser Überlegungen scheint ein anderer Anlaß filr die Stellungnahme des französischen Verhandlungsleitersam 4. Oktober wahrscheinlicher. 41 Deren Autor war Franfi:ois Valery. Sie findet sich in den Archiven des Plankommissariats, war also wahrscheinlich an dieses adressiert, 24.10.1950, AN, SIAJ 137. 42 Vgl. dazu ein Telegramm der Direction des Affaires Economiques an das französische Hochkommissariat vom 26.10.1950, worin die Anweisungen in der Frage der Entflechtung und Dekartellisierung weitergegeben werden, auf die sich alle betroffenen Abteilungen der französischen Administration in einer gemeinsamen Sitzung geeinigt hatten, AN, SIAJ 137. Bereits 1945 hatten sich die Franzosen aus Kontrollgründen ftlr eine Beibehaltung des Kohlesyndikats ausgesprochen, siehe Bitsch, S. 320.
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Monnet hatte während des Sommers die Detailverhandlungen über die wirtschaftliche Ausgestaltung des Schuman-Plans weitgehend den Experten überlassen. Erst nach Abschluß der zweiten Runde im Herbst wurde er sich bewußt, daß der Vertragsentwurfmehr und mehr die Form eines Kartells annahm, und zwar vor allem im Hinblick auf die Preisfestsetzung, die Rolle der Verbände und mögliche Absprachen zwischen den Industriellen. Nach Angaben seines damaligen Mitarbeiters Jacques Van Helmont setzte Monnet daraufhin durch, daß von nun an die Delegationsleiter selbst die Abfassung der wirtschaftlichen Bestimmungen des Vertrags übernahmen.43 Auch in seinen Erinnerungen erwähnt Monnet, daß bei den Verhandlungen einige "ernsthafte Probleme ausgespart" geblieben waren, und er deshalb im September seine "Aufmerksamkeit auf die schwierigen Punkte, die mit Absprachen und Konzentrationen zu tun hatten", richtete.44 Van Helmont weist übrigens auf einen anderen möglichen Grund fUr die neuen Vorschläge des französischen Verhandlungsleiters hin. Demnach hatte in der ursprünglichen Konzeption Monnets die Hohe Behörde der in den USA fiir Kartellkontrolle zuständigen Federal Trade Commission (FTC) entsprechen sollen.45 Tatsächlich fertigte während der Verhandlungen der amerikanische Jurist George Ball ftlr Monnet einen Bericht über die FTC an.46 Monnet hatte Ball, mit dem er seit 1945 befreundet war und der auch an der Ausarbeitung des Modernisierungsplans mitgewirkt hatte, am 18. Juni 1950 angerufen und gebeten, nach Frankreich zu kommen, um ihn während der Verhandlungen zu beraten. 47 Dadurch, daß die so konzipierte Hohe Behörde mit der Schaffung des Ministerrats einen Teil ihrer notwendigen Unabhängigkeit verloren hatte, sah sich Monnet möglicherweise veranlaßt, eine eindeutige Verankerung des Kartellverbots und der Fusionskontrolle im Vertragstext zu suchen. Möglich, aber unbestätigt, ist auch ein Eingreifen von Andre Philip in der Kartellfrage. Philip hatte, wie gesehen, seit 1949 eine europäische Kontrollbehörde nach dem Vorbild der FTC gefordert. Tatsächlich hatte ihn der Auswär43 J. Van Helmont, Options europeennes 1945-1985, Luxemburg 1986, S. 31. Er bestätigte diese Aussage in einem Interview im April 1991. Van Helmont war seit 1946 im Plankommissariat tätig. Er hatte zwar an der Abfassung des Schuman-Plans nicht mitgewirkt, arbeitete aber während der Verhandlungen eng mit Monnet zusammen. 44 Monnet, Erinnerungen S. 431. 45 Van Helmont, S. 29. 46 Wall, The United States, S. 192. Zur FTC siehe oben S. 24, Fn. 39. 47 Laut Ball, S. 84, sagte er wörtlich: "Be here tomorrow!". Vgl. zu ihren früheren Kontakten oben S. 74, Fn. 30.
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Teil 111: Die Verhandlungen
tige Ausschuß der französischen Nationalversammlung bereits im Mai 1950 beauftragt, über den Schuman-Plan einen Bericht abzufassen. In einer späteren Ausschußsitzung erwähnte Philip, daß er im Laufe der Verhandlungen deshalb Kontakt mit den Delegationen und Experten hatte.48 Dagegen erscheint relativ sicher, daß Hinweise und Warnungen seiner amerikanischen Berater der unmittelbare Auslöser fUr Monnets plötzlichen Eingriff in den Gang der Verhandlungen waren. Neben dem bereits erwähnten George Ball spielte unter ihnen wohl vor allem William Tomlinson eine entscheidende Rolle. 49 Er war Vertreter des US-Finanzministeriums (Treasury Department) in Paris, hatte schon im Rahmen des Modemisierungs- und des Marshallplans eng mit Monnet zusammengearbeitet und verfUgte trotz seines jungen Alters in Washington über erheblichen Einfluß. SO Nach Angaben von Raymond Vernon erhielt Tomlinson von Monnet Kopien der Vertragsdokumente und sandte diese an das State Department mit der Bitte um Kommentare. Und an einem Punkt habe man den französischen Verhandlungsleiter von dort gewarnt, daß das Dokument zur alten Kartellstruktur abdrifte, worauf dieser sofort reagiert habe. 51 Ganz allgemein weist auch der deutsche Historiker Klaus Schwabe darauf hin, daß die Amerikaner mehrfach intervenierten, um eine "Verwässerung des ursprünglichen französischen Vorschlages zu verhindem ".52 BefUrchtungen, daß es sich beim Schuman-Plan um ein verdecktes Kartell handelte, hatten amerikanische Stellen bereits nach der Erklärung vom 9. Mai geäußert. Durch den Gang der Verhandlungen erhielten diese neuen Auftrieb, wie ein Beitrag von Clarence B. Randall, dem Präsidenten der Inland Steel Co., in The Atlantic Monthly vom Oktober 1950 belegt.53 Darin verlieh er seinem 48 Commission des affaires etrangeres, 13.4.1951, Wortprotokoll, S. 12, AAN. Laut Mowat, S. 115 gehörte er zumindest zeitweilig zum französischen "drafting team". 49 So übereinstimmend Van He1mont, S. 30 (bestätigt im Interview vom April 1991) und Raymond Vernon im Interview am 17.5.1990. Vgl. Spierenburg I Poidevin, S. 33. 50 Vgl. dazu Monnet, Erinnerungen, S. 343-345. SI Interview am 17.5.1990. Wörtlich: "When we wamed him that the document was drifting back into the o1d structure, there was an immediate response". Gillingham, Coa1, Steel, S. 254f. zitiert ein von Vernon verfaßtes Dokument vom 1.8.1950, in dem dieser weitreichende Vollmachten ftlr die Hohe Behörde vorschlug. 52 Schwabe, "Ein Akt konstruktiver Staatskunst", S. 227 und 230. 53 Hier zitiert nach der französischen Übersetzung, die die CSSF im Februar 1951 verbreitete, wohl da sich Randall auch gegen einen Dirigismus der Hohen Behörde gewandt hatte, Le Plan Schuman, vu par un siderurgiste americain, CSSF, Supplement N" 34, 13.2.1951, PAM 19425. Eine undatierte Kopie dieser Übersetzung findet sich auch in den Archiven von M. Bellier, AN, Ministere de l'lndustrie, 830589, N" 5. Vgl. zu Randall und seiner Rolle als Beftlrworter der amerikanischen Wiederautbaubemühungen in Europa Sanford, S. 118, 225 und 280.
3. Ausgestaltung der Vertragsbestimmungen
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Unbehagen darüber Ausdruck, daß unter dem Deckmantel des Schuman-Plans "ein gigantisches Kartell, das mächtigste, das die Welt je gekannt hat, dabei ist, sich zu etablieren". Die Bedingungen dafilr seienangesichtsder gegenwärtigen Strukturen in Europa geradezu "ideal". Als Beispiel nannte er übrigens das allmächtige französische CPS. Um das Entstehen dieses Superkartells in Europa zu verhindern, betonte der amerikanische Stahlindustrielle die Notwendigkeit von "sehr energischen Maßnahmen". Er forderte indirekt die US-Regierung auf einzugreifen und schlug vor, Bestimmungen über das Verbot wettbewerbsbeschränkender Praktiken in den Vertragstext aufzunehmen. Randall traf sich etwa zum gleichen Zeitpunkt mit Monnet und äußerte ihm gegenüber ähnliche Befürchtungen. 54 Wie nicht anders zu erwarten, stand der Stahlindustrielle mit seiner Ablehnung einer kartellähnlichen Ausgestaltung der Montanunion in den Vereinigten Staaten keineswegs allein. Bereits im Juli hatte der amerikanische Unternehmerverband NAM ein warnendes Telegramm an Schuman gesandt. Und im August sprach sich US-Präsident Truman öffentlich gegen internationale Kartelle aus. 55 Auch die deutschen Beobachter und Verhandlungsteilnehmer sahen hinter dem plötzlichen Sinneswandel Monnets den Einfluß der Amerikaner. So ging nach Ansicht des stellvertretenden Geschäftsfilhrers der WV Stahl die Häufung der meisten Aufgaben bei der Hohen Behörde und die auf eine "Hilfsfunktion" eingeschränkte Rolle der Selbstverwaltungsorgane der Wirtschaft auf das "Eingreifen amerikanischer Stellen" zurück. Sie seien es, "die ein Wiederaufleben von Kartellen in den nationalen Gruppen nicht wünschen und die in der H.B. ein handlungskräftiges Gebilde entstehen lassen wollen".56 Ähnlich äußerte sich der deutsche Delegationsleiter Walter Hallstein.5 7 Es wäre aber falsch, daraus zu schließen, daß Jean Monnet Kartellverbot und Fusionskontrolle unter amerikanischem Druck vorschlug, wie dies etwa der US-Historiker Thomas Schwartz macht. Demnach hatten die Amerikaner filr 54 Er beschreibt das Gespräch in einem Beitrag ftlr die Washington Post, auszugsweise zitiert von Günter Henle bei einem Vortrag am 9.1.1951 mit dem Hinweis, der Artikel sei "vor einigen Wochen" erschienen, was leider keine genaue Datienmg erlaubt, G. Henle, Der Schumanplan vor seiner Verwirklichung, Sonderveröffentlichung, Duisburg [ 1951], S. 4f. 55 Siehe fllr beides Berghahn, The Americanisation, S. 134f. Vgl. zu ähnlichen amerikanischen Reaktionen kurz nach dem 9. Mai 1950 oben S. 175f. 56 Blankenagel auf der Vorstandssitzung der WV Stahl am 1l.l2.1950, siehe oben Fn. 40. Er bedauerte diese Entwicklung. 57 Bei einem Treffen des interministeriellen Komitees in Bonn am 19.10.1950, BA, B102, Nr. 4930, hier nach Berghahn, The Americanisation, S. 139f.
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Teillll: Die Verhandlungen
die Einfugung dieser Bestimmungen gesorgt, um die deutsche Forderung nach Gleichberechtigung zu befriedigen und die Bedenken in den Vereinigten Staaten über den Kartellcharakter des Schuman-Plans zu zerstreuen. 58 Sicherlich hatte das Vorbild der amerikanischen Wettbewerbspolitik einen erheblichen Einfluß auf die inhaltliche Ausgestaltung des Schuman-Plans.59 US-Experten wirkten auch bei der detaillierten Abfassung der entsprechenden Bestimmungen im Vertragstext mit. 60 Doch schon Monnets Kartellgesetzentwurf von 1949 hatte sich an der Antitrustgesetzgebung in den Vereinigten Staaten orientiert. Damit, genauso wie mit dem Schuman-Plan, verfolgte er aber eigene Ziele, nämlich eine Steigerung der Produktivität und der Wettbewerbsflihigkeit der französischen Industrie. In diesem Zusammenhang müssen auch seine Vorschläge vom 4. Oktober gesehen werden.61 Deren weitere Entwicklung verdeutlicht dies. Ausgestaltung des Kartellverbots
Am 27. Oktober unterbreitete die französische Delegation detaillierte Vorschläge zum Verbot wettbewerbsbeschränkender Praktiken. 62 In deren Einleitung unterstrich sie noch einmal die zentrale wirtschaftliche Zielsetzung des Schuman-Pians: Produktivitätssteigerungen zum Nutzen der Verbraucher. "Deshalb, so dort weiter, muß der Vertragsentwurf die nötigen Bestimmungen enthalten, um Abmachungen oder Praktiken zu verbieten, durch die die Unternehmen den freien Wettbewerb verhindem oder sich eine marktbeherrschende Stellung sichern." Anfang Dezember legten die Franzosen Entwürfe zweier Artikel vor, die dann mit unwesentlichen Änderung auch im endgültigen Vertragstext erschie58 Schwartz, S. 192, der dafilr aber keinen Quellenbeleg gibt. Ähnlich Spierenburg I Poidevin, S. 32f. und 35. 59 Das bestatigen Van Helmont, S. 30 und Hirsch, S. 109. 60 Vor allem Robert Bowie, Harvard-Professor und damals Rechtsberater des OS-Hochkommissars McCloy, vgl. Ball, S. 87f., Van Helmont, S. 31 , Monnet, Erinnerungen, S. 445f. sowie Spierenburg I Poidevin, S. 35. 61 Für Griffiths, The Schuman Plan Negotiations, S. 63f., der diesen entscheidenden Zusammenhang nicht kennt, mußte deshalb der französische Hinweis auf eine Abschaffung ihres eigenen Stahlkartells "überflüssig" erscheinen. 62 Propositions relatives a Ia mise en oeuvre du Plan Schuman en ce qui conceme les accords et pratiques restrictives ou tendant a Ia constitution de monopoles, 27.10.1950, sowohl in AN, 81AJ 154 als auch in MAE, Archives Diplomatiques, DE-CE 1945-1960, W 500. Erwähnt auch von Bergbahn, The Americanisation, S. 140.
3. Ausgestaltung der Vertragsbestimmungen
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nen. 63 Es handelt sich um den damaligen Artikel41 (später 60, endgültig dann 65), der alle kartellähnlichen Absprachen untersagte, und um Artikel 42 (61 bzw. 66), der horizontale und vertikale Zusammenschlüsse einer vorherigen Genehmigung durch die Hohe Behörde unterwarf. Ihre Bestimmungen waren sehr strikt und gingen weit über existierende und ebenso über die in Frankreich und Deutschland in der Diskussion befindlichen Gesetze gegen Wettbewerbsbeschränkungen hinaus. Ein einleitendes Memorandum unterstrich die Schlüsselfunktion von Kartellverbot und Fusionskontrolle filr die Montanunion: "Das Hauptziel de:; Schuman-Pians in wirtschaftlicher Hinsicht ist es, den Bedarf der Gemeinschaft zu decken dadurch, daß sie einen Markt schafft, in dem die Unternehmen ständig dazu angeregt werden, ihre Produktivität zu steigern und die Qualität ihrer Produkte zu verbessern. Das Mittel, um dies zu erreichen, ist die Entfaltung des Wettbewerbs. [...]Die Schaffung von privatwirtschaftliehen Monopolen wie die Bildung von Kartellen würden zu einer Festigung bestehender Verhältnisse ftlhren (im Original: cristalliser les situations acquises) und die Vorherrschaft der Interessen einzelner an die Stelle einer Verfolgung gemeinsamer Ziele setzen. Die Hohe Behörde kann dies nur verhindern, wenn sie über ausreichende Machtmittel verfUgt und sie mit beständiger Wachsamkeit anwendet."
Beide Artikel, so fuhr die Einleitung fort, seien unlösbar miteinander verbunden und verfolgten das gleiche Ziel, nämlich "Organisationsformen zu beseitigen, die gleichzeitig den Wettbewerb unterdrücken und privatwirtschaftliehen Einzelinteressen einen politischen Einfluß verschaffen". Artikel 61 richte sich nicht gegen technisch sinnvolle Konzentrationen, sondern nur gegen marktbeherrschende Stellungen. Da er jedoch nur zukünftige Zusammenschlüsse der Genehmigung durch die Hohe Behörde unterwerfe, setze er eine Beendigung der Entflechtung der Ruhrkonzerne voraus. Danach "wird es nirgendwo Unternehmen geben, die einen übermäßigen Anteil am gemeinsamen Markt haben". 63 Sie stammten vom 7.12.1950 und finden sich in AN, 81AJ 138. In einer identischen Fassung vom Ende des Monats tragen sie bereits die Nummern 60 und 61 , ebenda sowie EGArchiv, Dep. 9 URI, Box I, Fiche 25/F-Iff. Vgl. Bergbahn, The Americanisation, S. 142-145, der diese Bestimmungen und ihre Einleitung ebenfalls ausfuhrlieh zitiert und auf ihre weitgehende Übereinstimmung mit dem amerikanischen Antitrustrecht hinweist. Allerdings glaubt auch er, daß sie besonders im Hinblick auf die Ruhr verfaßt wurden. Siehe zur endgültigen Ausgestaltung und Anwendung der Artikel 65 und 66 u.a. Schmitt, S. 105f., im Detail R. Krawielicki, Das Monopolverbot im Schumanplan, Tübingen 1952, R. A. Hamburger, Coal and Steel Community: Rufesfora Competitive Market and their Application, in: Miller (Hg.), Competition, S. 347-377 sowie Th. Baums, Das Kartellverbot in der Europäischen Gemeinschaft ftlr Kohle und Stahl und in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und seine Anwendung, in: Pohl (Hg.), Kartelle und Kartellgesetzgebung, S. 303-317.
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Teillll: Die Verhandlungen
.Hier wurde zum ersten Mal explizit ein Junktim zwischen der Dekonzentration der deutschen Stahlindustrie und dem Funktionieren des Schuman-Pians hergestellt. Es handelte sich demnach um eine notwendige Vorbedingung. Doch war dies nicht die Zielsetzung der beiden Artikel. Wie schon vorher klargemacht und an dieser Stelle bestätigt, ging es letztendlich um weit mehr: "Die Montanindustrien liefern die Grundstoffe ftlr die gesamte wirtschaftliche Aktivitllt. Das Ziel der Gemeinschaft ist es, diese Industrien in den Dienst der Gesamtwirtschaft zu stellen, um den europäischen Volkswirtschaften gemeinsame Grundlagen ftlr ihre Entwicklung zu verschaffen. [...)Es geht daher nicht an, daß sie [die Montanindustrien], anstattauf gleichen Grundlagen im Dienst der Gesamtheit der Volkswirtschaften zu stehen, im Gegenteil die Mittel erhalten, diesen Volkswirtschaften ihre Vorherrschaft aufzuwingen."
Daß die vorgeschlagenen Bestimmungen einen umfassenden Charakter hatten, d.h. darauf abzielten, alle in den Montanindustrien bestehenden Kartelle aufzubrechen und dominierende wirtschaftliche Machtpositionen sowie Absprachen zwischen den Industriellen auch in Zukunft zu verhindern, macht auch die Reaktion der Betroffenen deutlich.
4. Widerstände gegen den Vertragsentwurf Gegen die auf Monnets Initiative in den Entwurf aufgenommen Bestimmungen zu Kartellverbot und Fusionskontrolle rührte sich in der Folgezeit erheblicher Widerstand. Er kam nicht nur von der Ruhr, sondern ebenso von der CSSF und dem CNPF und fand seinen Höhepunkt in einer gemeinsamen Erklärung der europäischen Unternehmerverbände zum Schuman-Pian. Ruhr und Bundesregierung gegen die Entflechtung
Die deutsche Stahlindustrie hatte an den Schuman-Plan die Hoffnung geknüpft, sich bald von den ihr noch auferlegten alliierten Beschränkungen und Kontrollen befreien zu können, und ihn vor allem deshalb begrüßt. 1 Doch wurden ihre Erwartungen in dieser Hinsicht zunächst enttäuscht. So erlaubten die Dazu im Detail Bohrer, Ruhrstahl und Europa, S. 170-179. Vgl. auch Haas, S. 162-165 und Steinert, S. 159f.
4. Widerstände
225
westlichen Außenminister zwar eine Überschreitung der Produktionsbeschränkung von 11, I Millionen Jahrestonnen ftir den westlichen Wiederaufrüstungsbedarf, doch hoben sie das Limit nicht endgültig auf. Ebenso setzte die Hohe Kommission ihre Bemühungen um die Entflechtung der Ruhrkonzerne fort. Das Gesetz Nr. 27 zur Neuordnung der Stahlindustrie wurde, obwohl weiterhin zwischen den Alliierten umstritten, am 16. Mai 1950 promulgiert, die ersten Durchftihrungsverordnungen am 14. September erlassen.2 Im Gegensatz zur bis dahin in der Forschung vorherrschenden Meinung vertritt Wemer Bührer die Ansicht, daß die deutschen Stahlproduzenten und die ihnen nahestehenden Kreise zwar Widerstand gegen diese Maßnahmen leisteten, sich jedoch von eindeutigen öffentlichen Stellungnahmen zurückhielten, um die Schuman-Plan-Verhandlungen nicht zu geflilirden. 3 Gegenteilige Beispiele, wie etwa die Rede des CDU-Bundestagsabgeordneten Robert Lehr auf der Außenhandelstagung des Münchner Exportklubs am I. Oktober 1950, wo er Frankreich vorwarf, mit Hilfe der Montanunion "die Sicherstellung seiner Stahlhegemonie erreichen" zu wollen, erklärt Bührer zu "Randerscheinungen".4 Sie spiegelten nicht die Haltung der Mehrheit der deutschen Stahlindustrie wider. Dabei verkennt er allerdings, daß diese "Ausnahmen" noch aus der Zeit vor den eindeutigen Vorschlägen Monnets zu Kartellverbot und Fusionskontrolle stammen. Danach verstärkte sich nämlich der Widerstand der deutschen Stahlindustrie gegen den Schuman-Plan erheblich. In der WV Stahl erkannte man die Konsequenzen der von der französischen Verhandlungsdelegation vorgeschlagenen Maßnahmen ftir DKV und Verbundwirtschaft sehr schnell. 5 Die Ruhrindustriellen bedauerten ebenfalls das weitgehende Verschwinden der (nationalen bzw. regionalen) Vereinigungen der Hersteller . Sie hatten gehofft, dadurch einen erheblichen Einfluß auf die Hohe Behörde und deren Entscheidungen erhalten zu können. Der Vorstand beschloß deshalb, bei der Bundesregierung vorstellig zu werden, um eventuell eine Änderung des Vertragsentwurfs erreichen zu können. Zum Streit zwischen Franzosen und Amerikanern um die Präambel des Gesetzes Nr. 27 siehe oben S. ll6f. Gesetzestext und Durchftlhrungsverordnung finden sich in Die Neuordnung der Eisen- und Stahlindustrie, S. 34lff. und 367ff. Vgl. im Überblick Wamer, S. 164f. BOhrer, Ruhrstahl und Europa, S. 186f. Ebenda. Politische Bedeutung und große Publizität in Frankreich erhielt dieser "Zwischenfall", als Lehr am 13. Oktober deutscher Innenminister wurde, vgl. Gillingham, Coal, Steel, S. 257f. und Berghahn, The Americanisation, S. 138f. 5 Siehe oben S. 217f. Auch der französische Hochkommissar Franr;:ois-Poncet berichtete damals von einer zunehmenden Ablehnung aus lndustriekreisen, Bock, S. 623. 4
15 Kipping
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Teillll: Die Verhandlungen
Es war letztendlich der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der im Dezember dem Bundeskanzler seine Bedenken zum Schuman-Plan vortrug. Aus einem Gespräch Adenauers mit den alliierten Hohen Kommissaren zu schließen, ging es dabei wohl in erster Linie um die geplante Auflösung der Verbundwirtschaft, die, so der Bundeskanzler, "nach der Überzeugung unserer Leute eine Lebensbedingung fUr unsere Industrie" war.6 Es kam auch zu öffentlichen Protesten. In einer Rede vor der Volks- und Betriebswirtschaftlichen Vereinigung in Duisburg am 9. Januar 1951 sprach sich beispielsweise Günter Henle, Leiter der Klöckner-Werke, CDU-Bundestagsabgeordneter und Vertrauter Adenauers, - also bei weitem keine Randerscheinung-, fUr eine Erhaltung der Verbundwirtschaft aus. 7 Er wies daraufhin, daß die französischen Stahlwerke über eigene Erzvorräte verfUgten und zum Teil auch Kohlegruben in Deutschland besaßen. Im Hinblick auf die im Gesetz Nr. 27 vorgesehene Entflechtung der Stahlkonzerne betonte er zwar, daß man diese so schnell wie möglich durchfUhren müsse. Doch vor allem angesichts der in Frankreich im Gange befmdlichen Konzentrationsbewegung dürfe die deutsche Stahlindustrie "nicht verkrüppelt in die Schumanplan-Ehe hineingehen". Im Hinblick auf die "Schaffung gleicher Startbedingungen" in der Montanunion lehnte er auch die Auflösung des Deutschen Kohlenverkaufs ab. Trotzdem sah Henle keinen Anlaß, von seiner "bisherigen positiven Stellungnahme zum Schumanplan grundsätzlich irgendetwas zurückzunehmen".& Andererseits schloß er sich Warnungen vor einer Ausstattung der Hohen Behörde mit allzu weitreichenden Vollmachten an, bedauerte den Fortfall der ursprünglich geplanten regionalen Vereinigungen der Produzenten und betonte die Notwendigkeit von "Zwischengliedern", um "die Hohe Behörde in möglichst enge Verbindung mit den Realitäten der Industriewirtschaft zu bringen". Henle unterstrich zwar die Bedeutung, die "die Beibehaltung der Grundsätze des Leistungswettbewerbs und die Absage an Kartelle und Monopolgedanken" Sitzung vom 14.12.1950, Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 1, Dokument Nr. 21, hier S. 309. Siehe ebenda, Fn. 24 zu dem Gespräch Adenauers mit BOI-Vertretern am gleichen Tag. 7 Henle, Der Schumanplan. Die WV Stahl sandte allen ihren Mitgliedern dessen Text zu, siehe Vermerk über Sitzung Engerer Vorstand am 18.1.1951, S. 1, WV Stahl, Sitzungsberichte, Band 3. Eine Zusammenfassung der Rede erschien ebenfalls in Stahl und Eisen vom 15.2.1951, S. 214f. Eine summarische Übersetzung dieses Beitrags findet sich in AN, 81AJ 148. Vgl. zu weiteren, ahnliehen Interventionen Henles und anderer Ruhrindustrieller Schwartz, S. 191f. Auch in seinen Erinnerungen beschreibt Henle seine Haltung ähnlich: ftlr den Schuman-Pian, aber gegen die Entflechtung, G. Henle, Weggenosse des Jahrhunderts, Stuttgart 1968, S. 97-103. Eine ahnliehe Position vertrat im nachhinein Hahn, bes. S. 86-89.
4. Widerstände
227
filr den Schuman-Plan hatten. Doch galt dies in seinen Augen "eben nicht nur filr Zusammenschlüsse innerhalb seines eigenen Geltungsbereiches, sondern auch filr die der Hohen Behörde selbst zugedachten Funktionen".9 Eindeutiger Widerstand gegen die Aufhebung der Verbundwirtschaft und die von Monnet vorgeschlagenen Bestimmungen zu Kartellverbot und Fusionskontrolle kam auch von der Bundesregierung.lO Nach dem 9. Mai hatte sie zwar in erster Linie den politischen Aspekt des Schuman-Plans begrüßt, versprach sich aber davon ebenso eine Aufhebung der alliierten Kontrollen und Beschränkungen. Nach Ausbruch des Koreakrieges unternahm sie vermehrt Bemühungen in dieser Richtung. So brachte Wirtschaftsminister Ludwig Erhard das Thema bei Gesprächen mit Monnet und Buron während eines ParisBesuches Anfang Oktober 1950 zur Sprache.ll Und am 14. Oktober überreichte der deutsche Delegationsleiter bei den Schuman-Plan-Verhandlungen, Walter Hallstein, eine Note an Monnet, die die Widersprüche zwischen dem Besatzungsstatut und der geplanten Montanunion aufzeigte. 12 Besonders heftige Kritik übte auch die westdeutsche Regierung an der von den Franzosen als notwendige Vorbedingung der Montanunion verlangten Aufhebung der Verbundwirtschaft. Bundeskanzler Adenauer verteidigte die wirtschaftliche und technische Notwendigkeit der vertikalen Integration in einem Memorandum vom 15. Januar 1951.13 Wie Günter Henle wenige Tage zuvor stellte er darin die Kohle- und Koksgrundlage der deutschen Stahlindustrie mit dem Erz-Stahlverbund in Frankreich gleich. Sein Fazit: "Die Bundesregierung kann nicht erkennen, wie die westdeutsche Stahlindustrie ohne einen solchen Verbund mit der Kokserzeugung zu einem wertvollen Beitrag filr den Schuman-Plan werden kann." 9 Hervorhebungen im Original. Daß Henle mit seiner eindeutigen Ablehnung von Kartellen in klarem Gegensatz zum BDI und dessen Präsidenten Fritz Berg stand, zeigt auch die Diskussion über das deutsche Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen, siehe dazu Berghahn, The Americanisation, S. 179f. sowie ders. I P. J. Friedrich, Otto A. Friedrich, ein politischer Unternehmer. Sein Leben und seine Zeit 1902-1975, Frankfurt!M. 1993, S. 125f. 10 Vgl. dazu und zum folgenden Bossuat, La France, l'aide americaine, S. 767-769 sowie Gillingham, Coal, Steel, S. 268ff., der den Widerstand aber vor allem gegen die Auflösung des DKV gerichtet sieht. Vgl. zu den innenpolitischen Hintergründen dieses Widerstandes G. Müller-List, Adenauer, Unternehmer und Gewerkschaften. Zur Einigung über die Montanmitbestimmung 1950/51, in: VfZG 33 (1985), S. 298f. und S. 308; zum Einfluß der Ruhr auf die Haltung der Regierung auch Schwartz, S. 190 und Steinert, S. 168f. 11 L'Usine Nouvelle vom 12.10.1950, S. 3f. 12 AN, 81AJ 148. 13 Memorandum über die Verbundwirtschaft Kohlenbergbau/Eisenindustrie im Zusammenhang mit Gesetz Nr. 27, 15.1.1951 mit einem Begleitbrief Adenauers, AN, 81AJ 137.
228
Teil 111: Die Verhandlungen
Anfang Januar weigerte sich die Bundesregierung dann, den Bestimmungen des Vertragsentwurfs über Kartellverbot und Fusionskontrolle zuzustimmen. Sie schlug vor, die Verhandlungen ohne eine Einigung darüber abzuschließen.'4 Es gibt Hinweise, daß es sich dabei möglicherweise um einen Versuch der Bundesregierung handelte, ihre Zustimmung zu den beiden Artikeln als Druckmittel ftlr die Erreichung einer zufriedenstellenden Entflechtungslösung einzusetzen. 15 In der Tat kam der entscheidende Widerstand gegen die genannten Bestimmungen, und zwar insbesondere gegen das Kartellverbot, nicht aus Westdeutschland, sondern aus Frankreich. Ablehnung der Montanunion durch die CSSF Der Verband der französischen Stahlindustrie hatte, wie gesehen, bereits unmittelbar nach der Erklärung des Außenministers eine eher kritische Haltung eingenommen und vor allem Bedenken gegenüber einem möglicherweise dirigistischen Charakter der Hohen Behörde geäußert. Seit Juli 1950 verstärkte CSSF-Präsident Jules Aubrun seine Einwände gegen die Montanunion. In einer Note, die er am 12. Juli sowohl an Robert Schuman als auch an Jean Monnet richtete, betonte der CSSF-Präsident zwar seine Übereinstimmung mit den Intentionen der Erklärung vom 9. Mai, lehnte jedoch die geplante Montanunion in ihren Einzelheiten mehr oder weniger deutlich ab.'6 Seine Kritik richtete sich vor allem gegen die Hohe Behörde. Deren Zusammensetzung sei unklar, ihre Aufgaben schlecht definiert und ihre Zielsetzung ungewiß. Man dürfe einem solchen Organ nicht die Entscheidungen über die Zukunft der Stahlindustrie anvertrauen. Hier wird erneut seine Ablehnung des staatlichen Dirigismus deutlich. Doch befürchtete er wohl auch einen Machtverlust seines Verbandes, wie die gleichzeitig stattfmdenden internen Diskussionen der Stahlindustrie über das innerfranzösische Kartell belegen.17 Ähnliche Gründe dürfte auch seine Ablehnung der von Monnet damals noch vorgesehenen regionalen Vereinigungen haben. Indem man die nordfranzösische mit der belgiseben Stahlindustrie 14
138. 15
Das geht aus einem Briefvon Monnet an Schuman vom 22.1.1951 hervor, AN, 81AJ
So Wamer, S. 169. AN, 81AJ 135. Ebenfalls erwllhnt von Gillingham, Coal, Steel, S. 235f., der außerdem einen Briefvon Aubrun an Monnet vom 5.8.1950 zitiert. 17 Siehe oben S. 197-203. 16
4. Widerstlinde
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zusammenfilge, "schneide man, so Aubrun, in das lebendige Fleisch der französischen Volkswirtschaft" und schwäche außerdem den Rest der französischen Stahlproduzenten gegenüber der Ruhr.18 Die vom Schuman-Plan vorgesehene Abschaffung der Zoll- und Handelsschranken lehnte Aubrun ebenfalls ab. Zwar sei die französische Stahlindustrie durchaus in der Lage, unter gleichen Bedingungen einen Wettbewerb mit ihren ausländischen Konkurrenten zu bestehen. Doch genössen etwa die belgischluxemburgischen Hersteller zur Zeit erhebliche Wettbewerbsvorteile, da sie weniger unter Krieg und deutscher Besatzung gelitten hätten und ihre Modernisierung wesentlich weiter fortgeschritten sei. Außerdem hätten die enormen Kosten der seit Kriegsende unternommenen Modernisierungsanstrengungen den Finanzspielraum der französischen Stahlproduzenten eingeengt. Der CSSFPräsident warnte deshalb davor, die zwei entscheidenden Vorteile der französischen Stahlindustrie aufzugeben, nämlich die Iothringischen Erzvorräte und den großen nationalen Markt. Aubrun versuchte seinen AustUbrungen mit zwei Hinweisen mehr Gewicht zu verleihen. Zum einen bezeichnete er die Stahlindustrie als "einen der entscheidenden Bestandteile des Industriegerüsts (im Original: armature industrielle)" Frankreichs. Es gehe beim Schuman-Plan nicht nur um ihr Schicksal, sondern um das der französischen Industrie, ja der französischen Wirtschaft insgesamt. Diese Überzeugung beruhte möglicherweise auf seinen Erfahrungen aus der Vorkriegszeit, in der das Comite des Forges, der Vorläufer der CSSF, erheblichen Einfluß auf Wirtschaft und Politik des Landes hatte. Abschließend wies Aubrun auch auf die Unruhe in den Belegschaften über drohende Fabrikschließungen und Entlassungen hin, drohte gewissermaßen damit. Angesichts der von ihm geschilderten erheblichen Risiken des Schuman-Plans forderte der Verbandspräsident "gründliche und komplexe Untersuchungen" über dessen Folgen filr die französische Stahlindustrie, bevor man weiter mit dem Ausland verhandle. In den darauffolgenden Monaten wiederholte und verschärfte Aubrun seine Kritik an der Montanunion. So beklagte er sich beispielsweise in einem Brief an Mannet vom 6. September 1950 erneut über den Ausschluß der Verbandsvertreter von den Verhandlungen. 19 In einem weiteren Schreiben vom 12. 18 Diese "Aufspaltung" der französischen Stahlindustrie hatte er bereits am II. Juli vor den über das Kartellprojekt diskutierenden Herstellern kritisiert, siehe dazu den Brief von Baboin an Andre Grandpierre vom 11.7.1950, PAM 70364. 19 AN, 81AJ 135.
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Teil 111: Die Verhandlungen
Oktober bezeichnete er den Plan zwar als "große politische Idee", verwarf aber gleichzeitig fast alle im Memorandum vom 28. September enthaltenen Detailbestimmungen.20 Wiederum kritisierte der CSSF-Präsident in erster Linie den dirigistischen Charakter der Hohen Behörde. Diese habe gegenüber den betroffenen Industrien Vollmachten, über die selbst die Regierungen der Teilnehmerstaaten nicht verfUgten. Angesichts der damals bereits fortgeschrittenen internationalen Verhandlungen wiederholte Aubrun seine frühere Forderung nach "gründlichen Untersuchungen" nicht. Stattdessen verlangte er ftlr die beteiligten Staaten die Möglichkeit, "sich aus dem Vertrag während oder nach einem Versuchszeitraum zurückzuziehen." Erneut basierte seine Kritik vor allem auf der Überzeugung, daß jegliche Schädigung der französischen Stahlindustrie eine Gefllhrdung "ftlr die wirtschaftliche Macht Frankreichs" bedeute. Für den Fall, daß Monnet nicht auf seine berechtigten Forderungen eingehe, warf ihm der Verbandspräsident sogar mangelnden Patriotismus vor. Seit November 1950 nahm der Widerstand der CSSF gegen den SchumanPlan deutlich zu. So wandte sich Aubrun in einem Schreiben vom 13. November 1950 direkt an den Regierungschef Rene Pleven.21 Darin unterstrich er erneut seine "prinzipielle Zustimmung" zum Schuman-Plan, stellte jedoch fest, daß dieser in seiner gegenwärtigen Form die "vitalen Interessen" der französischen Stahlproduzenten und damit der gesamten Wirtschaft Frankreichs gefllhrde. Er drohte deshalb unverblümt mit der eindeutigen Ablehnung der Montanunion durch die Stahlindustrie und wies ebenfalls auf mögliche soziale Unruhen hin. 22 Anfang Dezember richtete er sogar einen regelrechten Hilferuf an Industrieminister Jean-Marie Louvel und beklagte sich gleichzeitig darüber, daß er immer noch keine Antwort von Pleven erhalten habe.23 Der Zusammenhang dieser verstärkten Bemühungen von seiten des Verbandspräsidenten mit den Bestimmungen über Kartellverbot und Fusionskon20 Aubrun an Monnet, 12.10.1950, AN, 81AJ 135. Eine beigefugte Note von Alexis Aron enthielt Details zu den einzelnen Kritikpunkten. Eine Kopie des Briefes auch in AN, IND 1607. 21 Pleven sandte eine Kopie des Schreibens an Monnet, 13.11.1950, AN, 81 AJ 13 5. 22 Hinweise, ja Drohungen mit sozialen Unruhen kamen in der Folgezeit besonders von der Stahlindustrie in Nordfrankreich. In einem Schreiben an Monnet vom 6.12.1950 nannte Rene Damien von Usinor den Anstieg der Arbeitslosigkeit als Konsequenz der Montanunion, AN, 81AJ 135. Auch der Verband der nordfranzösischen Stahlindustrie wandte sich mehrfach an Monnet und den Außenminister mit dem Hinweis auf die "erheblichen Unruhen", die aus dem möglichen Verlust von 45.000 Arbeitsplätzen entstehen könnten, ebenda, 8.12.1950 und 10.1. 1951 sowie MAE, Archives Diplomatiques, CE-DE 1945-1960, N• 511, 15.1.1951. 23 Louvel sandte das Schreiben Aubruns vom 5.12. am 13.12.1950 an Monnet, AN, 81AJ 135.
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4. Widerstände
trolle wird aus einem Schreiben deutlich, das Aubrun am 22. November 1950 an Monnet richtete. Darin beschwerte er sich darüber, seit Anfang Oktober von den Verhandlungen über die Montanunion fast vollkommen ausgeschlossen zu sein, "genau in dem Moment, wo diese die fiir uns wichtigsten Fragen betreffen und wo an den bisherigen Entwürfen oft radikale Änderungen vorgenommen werden".24 Eine solche Haltung ist nicht verwunderlich, da das von Monnet vorgeschlagene Kartellverbot ein Ende des CPS in seiner damaligen Form bedeutete und da es gleichzeitig allen Bemühungen, dieses durch Kartellabsprachen zwischen den Herstellern zu ersetzen, einen Riegel vorschob. Am 22. Dezember sandte Monnet dem CSSF-Präsidenten auf dessen Bitte hin den letzten Entwurf des Vertragstextes. In einem Begleitschreiben präzisierte der französische Delegationsleiter, daß er gerne bereit sei, sich mit Aubrun über den Vertragsentwurf zu unterhalten, "insbesondere über die Fragen bezüglich der Kartelle und Konzentrationen". Aubrun schien also daran ein besonderes Interesse geäußert zu haben.25 Doch kam eine eindeutige Stellungnahme zu den entsprechenden Bestimmungen zunächst nicht von ihm und seinem Verband, sondern vom Präsidenten des CNPF. Ein Gegenentwurfder europäischen Unternehmerverbände
Auf der Hauptversammlung des französischen Unternehmerverbandes am 19. Januar 1951 trug dessen Präsident Georges Villiers einen sehr scharfen Angriff gegen den angeblichen Dirigismus der Hohen Behörde vor.26 Zwar erklärte auch er seine prinzipielle Zustimmung zum Schuman-Plan, wandte sich aber "mit Nachdruck gegen die unumschränkten und übertriebenen Vollmachten, die man sich anmaße, ftlr fiinfzig Jahre einer Hohen Behörde von sechs Technokraten zu geben, deren Willkür durch nichts begrenzt sei". ln seinen Augen ging es nicht an, daß "man unter dem Vorwand, die Wiederherstellung von internationalen Kartellen zu verhindern, die Produzenten einem quasi unverantwortlichen Dirigismus unterwirft". Für Villiers ließ sich die Montanunion nur durch eine Aufteilung der Aufgaben zwischen der Hohen 24 Damit reagierte er auf einen Brief Monnets vom 17.11.1950, in dem dieser die in Aubruns Schreiben an Pleven geäußerten Vorwürfe energisch zurückwies, beide in AN, 81AJ
135.
25
SIAJ 26
Aubruns Bitte um Übersendung und Monnets Brief sind beide vom
135.
Wortprotokoll der Vormittagssitzung, S. 45-47, AN, 72AS 841.
22.12.1950, AN,
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Teillll: Die Verhandlungen
Behörde und den Industrievertretern verwirklichen.27 Obwohl der CNPFPräsident seine Vorstellungen dazu nicht im Detail ausfilhrte, erkennt man doch deutlich einen Zusammenhang mit den Vorschlägen, die er und der französische Unternehmerverband seit 1948 zur wirtschaftlichen Integration Europas und vor allem zur Lösung des Deutschlandproblems unterbreitet hatten.28 Auf der Hauptversammlung erwähnte Villiers auch eine Aktion zum Schuman-Plan im Rahmen des Rates der europäischen Industrieverbände (REI), dessen Präsident er ebenfalls war.29 Auch wenn nicht eindeutig ist, von wem die Initiative filr diesen Vorstoß ausging, scheint es wahrscheinlich, daß der französische Unternehmerverband dabei eine Schlüsselrolle spielte. Bereits am 8. Januar 1951 hatten sich die Mitglieder des REI in Paris zu einer Hauptversammlung getroffen. Möglicherweise wurde dort von den Unternehmervertretern der sechs an den Verhandlungen teilnehmenden Staaten der Beschluß gefaßt, eine gemeinsame Stellungnahme abzugeben. 30 Das Dokument mit dem Titel "Bemerkungen und Vorschläge der nationalen Industrieverbände der Schuman-Plan-Länder zu den wirtschaftlichen Klauseln des in Vorbereitung befindlichen Vertragsentwurfs" trägt das Datum vom 17. Januar 1951.31 Die Unternehmervertreter sandten es an die Verhandlungsdelegationen sowie die zuständigen Ministerien und gaben es auch an die Presse weiter. 32 Diese Stellungnahme enthielt sowohl eine Kritik am bestehenden Vertragsentwurf als auch konkrete Gegenvorschläge. Die Vertreter der Spitzenverbände unterstrichen darin zunächst ihre prinzipielle Zustimmung zum Schuman-Plan. 27 Sehr ähnliche Bedenken hatte übrigens auf einer Kabinettssitzung am 15.12.1950 bereits Maurice Bourges-Maunoury, Secretaire d'Etat a Ia Presidence du Conseil, geäußert, siehe Bossuat, La France, l'aide americaine, S. 766. 28 Siehe dazu oben S. 76f. 29 Vgl. die Wortprotokolle der Vormittagssitzung, S. 46f. und der Nachmittagssitzung, S. llf., 19.1.1951, AN, 72AS 841. Villiers erwähnte diese Aktion auch vor dem Comite Directeur des CNPF am 18.1.1951, AN, 72AS 874. 30 Das Protokoll der REI-Hauptversammlung enthält jedoch keine Hinweise darauf, AN, 72AS 788. Allerdings darannahmen auch nicht von der Montanunion betroffene Verbände teil. 31 Mannesmann-Archiv, M 12.952. Eine Kopie der französischen Originalfassung findet sich unter anderem in den AN, 81AJ 138 und im EG-Archiv, Dep. 9 URI, Box 4, Fiche 11/G4ff. Bossuat, La France, l'aide americaine, S. 778 erwähnt die Stellungnahme kurz und nennt eine weitere Fundstelle in den Papieren von Rene Mayer. Gillingham, Coal, Stee1, S. 292f. zitiert ebenfalls aus diesem Dokument (nach AMG 1112/5), hält es aber flt1schlicherweise ftlr die Gründungschartaeiner "National Association ofthe Schuman Plan Nations". Er gibt auch zwei deutsche Archivsignaturen, ebendaS. 293, Fn. 163. 32 So zum Beispiel in Combat vom 19.1.1951: Les "comites des Forges" contre Je plan Schuman.
4. Widerstlinde
233
Doch stehe die jetzige Fassung des Vertragsentwurfs im Gegensatz zum Geist der Erklärung vom 9. Mai und der ersten ~erhandlungsrunde. Sie wandten sich vor allem gegen die beiden fundamentalen Postulate des aktuellen Entwurfs, die sie wie folgt zusammenfaßten: (I) "Die leitende und allmächtige Aktion der Hohen Behörde ist die notwendige Bedingung fiir das Funktionieren des einheitlichen Marktes". (2) "Die Konkurrenz[... ] ist der einzige Garant einer funktionierenden Wirtschaft. Jegliche Annäherung zwischen den Herstellern [... ] ist verboten und gilt als schädlich filr das Allgemeininteresse". Das Dokument sprach sich sehr deutlich gegen diesen "Hyper-Dirigismus" der Hohen Behörde und das absolute Kartellverbot aus. Stattdessen schlug es in dem beigefilgten detaillierten Gegenentwurf eine Struktur vor, die den "Vereinigungen der Hersteller" eine Schlüsselrolle zuwies. Diese erstellten demnach Produktionsprogramme (Artikel 48) und konnten von den einzelnen Firmen ermächtigt werden, "die Preise, Verkaufsbedingungen und -modalitäten festzulegen, die von der Gesamtheit ihrer Mitglieder angewandt werden". Die Verbände aus den verschiedenen Teilnehmerländern durften sich ebenfalls untereinander absprechen, um gemeinsam "die notwendigen Maßnahmen zur Angleichung der Preise und Verkaufsbedingungen sowohl im gemeinsamen Markt also auch beim Export zu ergreifen" (Artikel 50). Der von den europäischen Unternehmerverbänden vorgeschlagene Vertragsentwurf reduzierte die Hohe Behörde zu einem bloßen Kontrollorgan, das zwar Empfehlungen aussprechen konnte, aber über keinerlei Mittel verfilgte, deren Durchsetzung zu erzwingen. Artikel 60 des gegenwärtigen Textes (Kartellverbot) wurde ersatzlos gestrichen, Artikel 61 (Fusionskontrolle) erheblich abgeschwächt. Man sieht sehr deutlich, daß diese Vorschläge darauf hinausliefen, ein von den teilnehmenden Regierungen sanktioniertes Internationales Stahlkartell (wieder) zu errichten und gleichzeitig im Hinblick auf die bestehenden Kartelle den status quo in den Teilnehmerstaaten zu erhalten. Dies gilt sowohl filr das Comptoir des Produits Siderurgiques (hier nach Artikel 50 erlaubt, vorher nach Artikel 60 verboten) als auch filr gemeinsame Versorgungsorgane wie den Deutschen Kohlenverkauf, die ursprünglich ebenfalls durch Artikel 60 untersagt worden waren, aber nun nach Artikel 49 erlaubt wurden. Die Ausrichtung dieses Gegenentwurfs verwundert nicht, wenn man weiß, daß seine Autoren Alexis Aron und Louis Charvet vom Verband der französi-
234
Teillll: Die Verhandlungen
sehen Stahlindustrie waren. 33 Der letztere wiederholte seinen Kartellvorschlag als Alternative zum Schuman-Plan übrigens in einem Beitrag filr die Nouvelle Revue de l'Economie Contemporaine vom April-Mai 195J.34 Die Behauptung des französischen Historikers Philippe Mioche, daß die Stahlindustrie mit ihrer Ablehnung der Montanunion bereits zu diesem Zeitpunkt innerhalb der Unternehmerschart zunehmend isoliert war, kann deshalb so nicht aufrechterhalten werden.35 Interessanterweise griff man in französischen Industriekreisen zum gleichen Zeitpunkt die ideellen Grundlagen des von Monnet inspirierten Vertragsentwurfs an. Eine wohl weitgehend aus Vertretern der CSSF und einzelnen Stahlproduzenten bestehende Arbeitsgruppe setzte sich im Rahmen der Association de Cadres Dirigeants de !'Industrie pour le Progres Social et Economique (ACADI) kritisch mit dem Schuman-Plan auseinander.36 Ihre Kritik richtete sich besonders gegen "die künstliche «Kultur» einer Konkurrenz, die gewissen mathematischen Theorien entspricht, aber mit der Realität nichts zu tun hat". Sie erkannten, daß die Kartellbestimmungen des Schuman-Plans von der Antitrustgesetzgebung in den USA inspiriert waren. Doch sei eine simple Übertragung von Gesetzen nicht möglich, sie müßten den spezifischen Bedingungen in Europa angepaßt werden. Außerdem wende man die entsprechenden Bestimmungen in den Vereinigten Staaten sehr pragmatisch an und habe während des "New Deal" die Industrie sogar zu einer Kartellisierung gezwungen.37 Die europäischen Anhänger einer Antitrustgesetzgebung hätten dagegen das amerikanische Beispiel zu einem "Mythos" erhoben und orientierten sich an einer rein theoretischen Vorstellung vom freien Wettbewerb. 33 Nach Angaben von Jules Aubrun, der sich vor der Commission permanente und dem Vorstand der CSSF am 16. bzw. 19.l.J951 ausfuhrlieh Uber das vom REI vorgeschlagene Gegenprojekt ausließ. Beide Sitzungen sind in einer Note von Fran~tois de Villepin vom 20.1. 1951 zusammengefaßt, PAM 70671. 34 L. Charvet, La Siderurgie fran~taise devant le Pool, in: Nouvelle Revue de l'Economie Contemporaine 16-17 (April-Mai 1951), S. 42-44. 35 Mioche, Le patronat de Ia siderurgie fran~taise, S. 310. Er kennt allerdings die Initiative des REI nicht. 36 Plan Schuman, in: ACADI Bulletin 45 (Februar 1951), S. 54-75. Aus der Einleitung wird deutlich,daß es sich um das Ergebnis einer Arbeitsgruppe handelt. Ein Exemplar des Hefts findet sich auch in den Papieren von M. Bellier, AN, Ministere de l'Industrie, 830589, N° 5. Der Artikel hat wohl eine größere Verbreitung erfahren, da er außerdem getrennt als Sonderdruck veröffentlicht wurde, ebenda. Zur ACADI vgl. Ehrrnann, Organized Business, S. 195-200, Weber, S. 155-157 und bes. Mioche, La siderurgie et l'Etat, S. 357-360, der die fuhrende Rolle der Stahlindustrie in dieser Organisation betont. 37 Zur - vorübergehenden - Erlaubnis von Preis- und Mengenabsprachen in der Anfangszeit des New Deal Loy, S. 320.
4. Widerstande
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Stattdessen schlug die Arbeitsgruppe eine Kooperation zwischen den europäischen Stahlproduzenten, d.h., wie die Detailbeschreibung deutlich macht, eine Neuauflage des Internationalen Stahlkartells unter staatlicher Aufsicht vor: "Die Erfahrung und die Reflektionen von Industriellen unserer Geisteshaltung ftlhren sie zu dem Schluß, daß frei diskutierte und sinnvoll strukturierte Kartellabsprachen ein mächtiges Element des technischen Fortschritts, der wirtschaftlichen Bewahrung und der sozialen Sicherheit sind. Die Industriellen können allenfalls einer Kontrolle zustimmen, die darauf abzielt, ihren Mißbrauch zu verhindern."
Schon in der Wortwahl wird deutlich, wie sehr es sich hier um eine den Auffassungen und Aktionen Monnets diametral entgegengesetzte Konzeption handelte. Noch eindeutiger tritt dies in der Tatsache zu Tage, daß die Mitglieder der Arbeitsgruppe nicht nur das Kartellverbot ablehnten, sondern auch mehrfach das im Vertragsentwurf erkennbare "Streben nach der Produktivität «um jeden Preis»" kritisierten. Ähnlich an anderer Stelle: "Die ganze Wirtschaft des gemeinsamen Marktes scheint unter dem Gesichtspunkt eines Rennens nach den sofortigen Leistungen der Produktivität gesehen zu werden", und zwar "im sportlichen Sinne des Begriffs". Daß tatsächlich ein enger Zusammenhang dieser Kritik mit den seit 1948 von Monnet in Frankreich unternommenen Anstrengungen zur Steigerung der Produktivität vermittels einer öffentlichen Kampagne und einer strikten Antitrustgesetzgebung besteht, macht ein weiterer Artikel in der gleichen Ausgabe des ACADI-Bulletins deutlich. Darin kritisierte Robert Morizot, der dem Verband der Spezialstahlhersteller vorstand und gleichzeitig die Association de Ia Libre Entreprise leitete, den Entwurf für ein französisches Kartellgesetz mit ähnlichen Argumenten wie der Beitrag gegen den Schuman-Plan.38 Auch CNPF-Präsident Villiers betonte am 7. Mai 1951 vor dem Comite d'Orientation des REI den "engen Zusammenhang" von Schuman-Plan und nationaler Kartellfrage. 39 Auf dieser Sitzung stellten die einzelnen Verbände die in den jeweiligen Ländern in der Diskussion befmdlichen gesetzgeberischen Maßnahmen gegen Wettbewerbsbeschränkungen vor. Villiers Stellvertreter Pierre Ricard, dem diese Aufgabe für Frankreich zufiel, äußerte sich dabei sehr kritisch zu möglichen Verboten von Absprachen zwischen den Industriellen
38 R. Morizot, Les ententes economiques, in: ACADI Bulletin 45 (Februar 1951), S. 4153. Vgl. zur Person von Morizot Mioche, La siderurgie et !'Etat, S. 474. 39 Am 7.5.1951, AN, 72AS 788.
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Teil Ill: Die Verhandlungen
und bezeichnete Kartelle sogar als eine Art "Krönung" der Verbandsorganisation der Wirtschaft. Die Haltung des Bundesverbandes der Deutschen Industrie zum SchumanPian ist bislang noch nicht im Detail untersucht worden. Wemer Bührer erwähnt allerdings, daß dort die Montanunion von Anfang an wenig Anhänger gefunden habe, da die Vollmachten der supranationalen Behörde als "störend" empfunden wurden.40 Durch die Arbeiten von Volker Berghahn kennt man außerdem die ablehnende Einstellung von BDI-Präsident Fritz Berg zu den in Westdeutschland damals vorgeschlagenen Entwürfen filr ein Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen.41 Des weiteren ist das hervorragende persönliche Verhältnis zwischen Berg und Villiers bekannt und wird auch von letzterem in seinen Erinnerungen herausgestellt. 42 Es erscheint daher wahrscheinlich, daß der deutsche Spitzenverband nicht nur die Haltung der Ruhr gegen eine Auflösung der Verbundwirtschaft, sondern auch die Initiative des REI gegen die Kartellbestimmungen der Montanunion aktiv unterstützte. Anfang 1951 war also der von Monnet konzipierte Vertragsentwurf sowie insgesamt seine Politik zur Steigerung der Produktivität vermittels eines freien Wettbewerbs mit erheblichen Widerständen von mehreren Seiten konfrontiert. Um die Schuman-Plan-Verhandlungen doch noch zu einem erfolgreichen Abschluß in seinem Sinne zu bringen, bemühte sich Monnet vor allem um die Unterstützung der Amerikaner und der französischen Stahlverarbeiter.
5. Koalitionsbildung zur Durchsetzung des Schuman-Pians Monnets Beurteilung der Lage
Wie kritisch der Verhandlungsleiter die Erfolgschancen des Schuman-Plans bereits Ende 1950 sah, belegt sein Gespräch mit dem amerikanischen Botschafter in Paris, David Bruce, am 18. Dezember 1950. Monnet berichtete von dem erheblichen Widerstand, auf den die Kartell- und Fusionsbestimmungen des Vertragsentwurfs in Frankreich gestoßen waren, bei den "Maitres de Forges", in weiteren Kreisen in der Industrie, selbst in der Regierung. Demnach 40 W. BOhrer, Der BDI und die Außenpolitik der Bundesrepublik in den fllnfziger Jahren, in: VfZG 40 (1992), S. 248. 41 Bergbahn, The Americanisation, S. lSSff. sowie ders. / Friedrich, S. 97ff. 42 Villiers, S. 176. Siehe auch BOhrer, Der BDI und die Außenpolitik, S. 247.
5. Durchsetzung des Schuman-Pians
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war es "sehr zweifelhaft, daß die französische Regierung die Macht ihres Stahlkartells brechen und die öffentliche Meinung von einer gleichberechtigten Behandlung überzeugen kann, wenn die deutsche Stahlindustrie den nach französischer Ansicht überwältigenden Vorteil [der Verbundwirtschaft und der DKV] beibehalten darf•.l Die Aussichten eines erfolgreichen Abschlusses der Vertragsverhandlungen verschlechterten sich im Januar 1951 durch die offene Obstruktion der Bundesregierung und das Memorandum des REI erheblich. In seinen Erinnerungen erwähnt Monnet den Gegenentwurf der Spitzenverbände nicht. An einer Stelle spielt er nur ganz kurz darauf an, daß "sich in der europäischen Arbeitgeberschaft die Tendenz [verbreitete], den Schumanplan zu bekämpfen".2 Anfang Februar filhrte Monnet ein ausführliches Gespräch über den gesamten Fragenkomplex mit dem amerikanischen Journalisten Theodore White, dem Repräsentanten der Overseas News Agency in Paris. White hatte Monnet erstmals im Sommer 1948 interviewt und pflegte seitdem einen regelmäßigen Meinungsaustausch mit ihm.3 Daß Monnet sich solcher Kontakte mit Journalisten sehr gut zu bedienen wußte, bestätigen übrigens übereinstimmend seine langjährigen Mitarbeiter Pierre Uri und Etienne Hirsch.4 Im Anschluß an das Gespräch mit dem französischen Verhandlungsleiter veröffentlichte White in der (Continental) Daily Mail vom 8. Februar 1951 einen Beitrag unter dem Titel "Europe's Cartels Strike Back". 5 Aus einem Dankesschreiben des Journalisten wird deutlich, wie sehr Monnet dessen Inhalt inspiriert hatte. 6 Auch die im Artikel enthaltenen Detailinformationen konnten unmöglich von White selbst stammen, denn sie setzten sehr genaue Kenntnisse der französischen Stahlindustrie und der Schuman-Plan-Verhandlungen voraus. Bruce an Acheson, 18.12.1950, hier zitiert nach Schwartz, S. 186. Vgl. auch Schwabe, "Ein Akt konstruktiver Staatskunst", S. 232. Monnet, Erinnerungen, S. 460. Siehe dazu dessen Erinnerungen, White, S. 332-336. Leider erwähnt er dort das genannte Gespräch nicht. 4 Vgl. Hirsch, S. 82 sowie die Äußerungen von Uri in: Actes du Colloque organise par Ia Commission des Communautes europeennes a l'occasion du centenaire de Ia naissance de Jean Monnet, Luxembourg 1989, S. 54 und in seinem Interview mit A. Maresam 13.10.1980, EGArchiv, Dep. 9 URI, Box 2, Fiche 17/A-5, S. 26f. Einer von Monnets späteren Mitarbeitern bezeichnet die Presse sogar als "seinen Hauptkanal, um seine Ansichten zu verbreiten", F. Ducbene, Jean Monnet's Methods, in: Brinkley I Hacken (Hg.), Jean Monnet, S. 192. 5 AN, 81AJ 138, 9.2.1951. Gillingham, Coal, Steel, S. 292 und Steinert, S. 169 erwähnen diesen Artikel ebenfalls, geben jedoch keine Details und erkennen den Zusammenhang mit Monnet nicht. 6 AN, 81AJ 138, 9.2.1951.
238
Teillll: Die Verhandlungen
Der Artikel gibt ein hervorragendes Bild der Gegensätze und Interessenkoalitionen, wie sie sich dem internen Beobachter und Akteur Monnet darstellen mußten. Er zeigt außerdem Möglichkeiten auf, der Montanunion in dieser kritischen Situation doch noch zum Durchbruch zu verhelfen. Der Beitrag beschreibt zunächst in relativ dramatischen Wendungen den "politischen Ansturm der vereinten europäischen Kartelle, um den Plan in letzter Minute noch in einen Deckmantel (wörtlich: thin cover) für das größte UDkontrollierte internationale privatwirtschaftliche Monopol aller Zeiten zu verwandeln".7 Dies widerspreche den ursprünglichen Zielen des französischen Vorschlags, der einerseits eine von Handelsbeschränkungen und Monopolen freie internationale Gemeinschaft filr Kohle und Stahl schaffen wolle und andererseits "Deutschland eine ehrenvolle und friedliche Partnerschaft in einer europäischen Wirtschaftsunion biete". Als entscheidend ftlr die Verwirklichung der Montanunion bezeichnet White die beiden Artikel 60 und 61 des gegenwärtigen Vertragsentwurfs, die er mit den entsprechenden Regelungen in den USA vergleicht: "Sie geben der Hohen Behörde des Schuman-Plans die Macht, Kartelle, Monopole und Handelsdiskriminierungen zu beseitigen". Und an anderer Stelle spricht White vom Schuman-Plan in seiner ursprünglichen Konzeption als "cartel smasher". Widerstand gegen diese Bestimmungen komme von verschiedenen Seiten. So hätten sich auf der einen Seite Industrievertreter aus den sechs Teilnehmerstaaten mehrfach getroffen und zwei geheime Memoranden an ihre Regierungen gerichtet, in denen sie filr den Schuman-Pian eine Kartellstruktur vorschlugen und mit möglichen politischen Aktionen drohten. Aus der folgenden Detailbeschreibung wird sehr deutlich, daß es sich bei einem der genannten Memoranden um den Gegenentwurf des REI handelte. 8
Mit ganz ähnlichen Worten hatte schon im Oktober 1950 der amerikanische Stahlindustrielle Clarence Randall die Montanunion kritisiert, siehe oben S. 220f. Das zweite Dokument war möglicherweise eine gegen die Vollmachten der Hohen Behörde gerichtete Stellungnahme der aus Unternehmervertretern zusammengesetzten Ligue Europeenne de Cooperation Economique (LECE) vom Dezember 1950, Resolution betreffend den Schuman Plan, 2.12.1950, Mannesmann-Archiv, M 12.954. Darin wurde es aber als "Hauptziel des Planes" bezeichnet, "eine Verringerung der Produktionskosten und Verkaufspreise durch Schaffung eines einheitlichen europäischen Marktes fllr Kohle und Stahl zu erreichen, auf dem sich die Verteilung und der Verbrauch freier entwickeln kann und die Konkurrenz ein freieres Spiel hat". Vgl. zur Reaktion der LECE auf den Schuman-Pian ausftlhrlich M. Dumoulin I A.-M. Dutrieue, La Ligue europeenne de cooperation economique (1946-1981), Bern 1993, S. 48-56; zur LECE insgesamt auch H. Gisch, Die Europäische Liga fllr wirtschaftliche Kooperation, in: Loth (Hg.), Die Anfänge der europäischen Integration, S. 209-217.
5. Durchsetzung des Schuman-Plans
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Gleichzeitig übten demnach die Präsidenten des "Stahlkartells" und des Unternehmerverbandes in Frankreich "intensiven persönlichen Druck" auf Außenminister Robert Schuman und Industrieminister Jean-Marie Louvel aus. Auch Bundeskanzler Adenauer habe dem Druck der "alten Ruhrbarone" nachgegeben, weigere sich deshalb, die Antikartellbestimmungen zu unterschreiben und wehre sich ebenfalls gegen die von den Alliierten vorgesehene Zerschlagung der Ruhrkonzerne und -monopole. Der Artikel stellt aber ganz eindeutig "die fUhrende Rolle der französischen Kartelle bei dem Angriff gegen den Plan" heraus. In der französischen Delegation und Regierung sei man darüber um so mehr erstaunt und erbost, als eine Kartellösung die franzr-sische Stahlindustrie "dem deutschen Exportmonopol ftlr Koks unterwerfe, v:ie dies vor dem Krieg der Fall war", ja "in der Tat die ganze europäische Industrie der Herrschaft der Ruhrindustriellen ausliefere". White begnügt sich aber in seinem Beitrag nicht damit, die Widerstände gegen den Schuman-Plan aufzuzeigen, sondern erwähnt ebenfalls mögliche Auswege. In Deutschland müßten vor allem die Amerikaner Druck auf die Bundesregierung ausüben, die Entflechtung der Ruhrindustrie endlich durchzufUhren und dem Sch~an-Plan in seiner ursprUngliehen Form zuzustimmen. In Frankreich waren "die Anhänger des Plans bereits dabei, die Stimmung gegen das Stahlkartell zu mobilisieren". Dort habe die Chambre Syndicale de Ia Siderurgie außerdem bei weitem nicht mehr die gleiche weitreichende Machtstellung wie ihr Vorgänger, das Comite des Forges. Noch dazu sei "das gegenwärtige Kartell extrem bürokratisiert, und seine redegewandsten Sprecher seien Schreibtischtäter, die in einem Walzwerk verloren wären". Gemeint ist wohl vor allem der Generaldelegierte der CSSF, Louis Charvet, wie gesehen einer der schärfsten Gegner des Schuman-Plans. Er hatte die Elitehochschule Ecole Polytechnique als erster seines Jahrgangs abgeschlossen, gehörte daher dem renommierten Corps des Mines an, war aber nie in der Stahlindustrie tätig gewesen.9 Demgegenüber, so stellte der Artikel heraus, fUrchteten die Iothringischen Hersteller die Montanunion nicht: "Die besten französischen Stahlwerke, wie Rombas, Hagondange oder das noch im Bau befmdliche Sollac, können jeden Wettbewerb in der Welt bestehen und benötigen keinen Schutz durch ein Kartell".
Vor dem Krieg war er Generaldirektor von Air France. Vgl. zu seinem Werdegang insgesamt Mioche, La siderurgie et !'Etat, S. 456.
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Teil III: Die Verhandlungen
In einem Schreiben vom 9. Februar, in dem er sich bei White für die Übersendung des Beitrags bedankte, machte Monnet noch einmal deutlich, daß es in der Auseinandersetzung tatsächlich um zwei diametral entgegengesetzte Konzeptionen von europäischer Einigung ging, daß eine Entscheidung über deren Ausgang aber noch nicht gefallen war: 10 "Die Frage, ob der Schuman-Plan oder die Kartelle gewinnen, ist noch nicht entschieden. Aber falls die Kartelle gewinnen, kann es natürlich keinen Schuman-Plan geben." Zur gleichen Zeit bemühte sich der französische Verhandlungleiter mit aller Kraft entlang der im Artikel aufgezeigten Achsen um eine seinen Vorstellungen entsprechende Lösung. Isolation des Verbandes der Stahlindustrie
Die kartellähnlichen Praktiken des französischen Stahlwerksverbands waren bereits vor dem 9. Mai nicht nur von der verarbeitenden Industrie, sondern auch in Teilen der Administration kritisiert worden. Nach der Schuman-Erklärung hatten sich die Beschwerden besonders über das CPS fortgesetzt und noch an Intensität gewonnen. Im Sommer 1950 scheinen dann mehrere Ministerien die Produktionspolitik der CSSF angegriffen, ihr sogar "systematische Produktionseinschränkungen (wörtlich: freinage)" vorgeworfen zu haben.ll Wohl vor allem aus dem Außenministerium kam die Anschuldigung, daß der Rückgang der französischen Produktion der deutschen Stahlindustrie ein Argument für die Aufhebung des Limits von 11,1 Mt. geliefert habe. Der Verband wies solche Vorwürfe natürlich als ungerechtfertigt zurück. Seine Stellung gegenüber der französischen Administration und sein Ansehen in der Öffentlichkeit wurden dadurch jedoch sicherlich weiter geschwächt. Anfangs hatte CSSF-Präsident Aubrun, wie gesehen, seine Kritik an der Montanunion an Monnet oder Schuman gerichtet. Seit November 1950 dehnte er dagegen seine Bemühungen auch auf den Regierungschef Rene Pleven und den Industrieminister Jean-Marie Louvel aus. Deshalb unternahm Monnet erhebliche Anstrengungen, um den Verband der Stahlindustrie und seinen Präsidenten innerhalb der Regierung zu isolieren und dadurch seine Kritik unschädlich zu machen. 10
AN, 81AJ 138. Dies geht hervor aus einem Brief Aubruns an Monnet und einer beigefUgten von Alexis Aron verfaßten Note sur l'evolution de Ia production siderurgique franf,:aise, in der die Politik der CSSF verteidigt wird, 25.10.1950, AN, 81AJ 135. Die Note findet sich auch in PAM 19430. 11
5. Durchsetzung des Schuman-Pians
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Der Regierungschef hatte das Schreiben des CSSF-Präsidenten vom 13. November 1950 an Monnet weitergeleitet. Darauf fmdet sich folgende handschriftliche Bemerkung: "Die Verbandsvertreter haben es sich zur Gewohnheit gemacht, den Platz der öffentlichen Gewalten einzunehmen."12 Es ist nicht klar, ob sie von Monnet selbst stammt. Doch richtete er wenige Tage später als Antwort auf Aubruns Brief an Pleven ein Schreiben an den Verbandspräsidenten, von dem er eine Kopie an den Industrieminister, sicher auch an den Regierungsehefund möglicherweise ebenfalls an den Außenminister sandte. 13 Darin warf der französische Verhandlungsleiter dem CSSF-Präsidenten einerseits eine Verflilschung von Tatsachen, andererseits Undankbarkeit vor. Die Verbandsvertreter seien regelmäßig informiert worden und hätten an den Verhandlungen in gleichem Maße teilnehmen können wie ihre ausländischen Kollegen. Dahingegen verweigere Aubrun dem Plankommissariat Informationen, vor allem über die Selbstkosten der Industrie. Dabei habe das Kommissariat die Stahlindustrie immer bevorzugt behandelt, so bei der Versorgung mit Koks und Kokskohle oder der Zuteilung von Krediten, besonders fUr die beiden Breitbandstraßen. 14 Gerade diese modernen Anlagen verschafften der französischen Stahlindustrie im gemeinsamen Markt "eine außergewöhnlich günstige Position". Auch die öffentliche Meinung verstehe angesichts dieser guten Ausgangsbedingungen den Widerstand der Stahlindustrie gegen den Schuman-Pian nicht. Und was die Forderungen Aubruns angehe (Beibehaltung der Vorteile bei der Versorgung mit Erz und Schrott, Angleichung der Kokspreise, aber gleichzeitig weiterhin Schutz gegen die ausländische Konkurrenz), könne er wohl kaum erwarten, "daß der Präsident der französischen Delegation sich zum Fürsprecher derart unhaltbarer Positionen mache". Monnet unterbreitete Aubrun mit seinem Schreiben eine Art letztes Friedensangebot: Lassen Sie uns im Interesse des Gemeinwohls und der Schaffung der europäischen Einheit zusammenarbeiten! Geben Sie uns die notwendige Unterstützung! Als der CSSF-Präsident trotzdem seine Kritik fortsetzte, bemühte sich Monnetin der Folgezeit intensiv darum, den Verband in den Kreisen der Regierung endgültig zu diskreditieren. So richtete er am 24. November 1950 ein Schreiben an den Industrieminister, Jean-Marie Louve1, worin er ihn auf die "extrem
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AN, 81AJ 135. Ebenda, 17.11.1950. Er gibt im Anhang des Briefs Zahlen und Details.
16 Kipping
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Teillll: Die Verhandlungen
schwerwiegende und unerträgliche Lage" aufmerksam machte, in der er sich durch die Weigerung der CSSF befinde, ihm Informationen über die Herstellkosten der französischen Stahlindustrie zur VerfUgung zu stellen. Ohne die Wettbewerbsposition der französischen Stahlindustrie im gemeinsamen Markt zu kennen, sei es ihm aber unmöglich, die Vertragsverhandlungen abzuschließen. Wegen der Schwere dieser Situation sehe er sich gezwungen, diesen Brief auch an den Regierungschef und den Außenminister zu senden. Louvel intervenierte, wie von Monnet gewünscht, tatsächlich bei Aubrun. In einem Brief vom 4. Dezember bat er ihn, "dem Plankommissariat seine vorbehaltlose Unterstützung zu gewähren" und ihm die gewünschten Informationen zukommen zu lassen.15 Wie aus diesem Briefhervorgeht, handelte es sich nicht um die erste Intervention des Industrieministers: "Ich hatte bereits Gelegenheit, Sie auf das politische Interesse hinzuweisen, das die Regierung einem schnellstmöglichen Abschluß der Abmachungen über den Schuman-Plan beimißt". Monnet konnte sich also bei seinen Bemühungen, die CSSF zu isolieren, auf dieses politische Interesse der Regierung an der Montanunion stützen. Interessanterweise hatte Aubrun sich übrigens schon vor dem Schreiben des Industrieministers zu einer Zusammenarbeit mit dem Plankommissariat bereit erklärt. Und es war bereits zu einem Treffen über die Frage der Herstellkosten der französischen Stahlindustrie zwischen Verbandsvertretem, Albert Denis vom Industrieministerium und Etienne Hirsch vom Plankommissariat gekommen.16 Es hätte also der Intervention Louvels gar nicht bedurft. In den Augen Monnets war der Industrieminister aber wahrscheinlich eine "Schwachstelle" innerhalb der Regierung, da er sehr enge Kontakte zu Louis Charvet, dem Generaldelegierten der CSSF, unterhielt. Beide hatten zur gleichen Zeit die staatliche Elitehochschule Ecole Polytechnique besucht und gehörten dem Führungsgremium der christdemokratischen Partei MRP an.17 Daß es Monnet durch diese und ähnliche Aktionen tatsächlich gelang, den Verband zu isolieren, belegt ein Gespräch, das Alexis Aron Mitte März mit einem Vertreter der amerikanischen Marshallplan-Behörde in Frankreich fUhrEine Kopie dieses Briefes geht mit Begleitschreiben an Monnet, AN, 81AJ 135. Dies geht sowohl aus dem Begleitschreiben hervor, das Louvel an Monnet mit einer Kopie seines Briefes an Aubrun schickte, als auch aus der erbosten und erstaunten Reaktion Aubruns aufdas Schreiben Louvels, 5.12.1951, AN, 81AJ 135. 17 Laut Combat vom 4.2.1952. Vgl. zu den Kontakten Louvels mit Charvet und anderen Stahlindustriellen auch Perron, La siderurgie, S. I 05f. und Anhang 2 sowie - ohne Details Mioche, Le patronat de lasiderurgie fran~aise, S. 309. 15
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te. 18 Darin beschwerte sich der enge Mitarbeiter von CSSF-Präsident Aubrun darüber, daß die französische Stahlindustrie wie eine "Bande von Kriminellen" behandelt werde. Die französische Administration sei die einzige in Europa, die die Stahlindustrie ihres eigenen Landes schlecht mache. Zur weitgehenden Isolation der CSSF in Regierungskreisen trug wahrscheinlich auch ihre ablehnende Haltung im Hinblick auf eine Reform des Comptoir des Produits Siderurgiques bei. Der Verband manövrierte sich damit weiter ins Abseits und verschaffte den Anhängern des Schuman-Pians zusätzliche Argumente. Wie gesehen, hatten die Stahlverarbeiter seit 1949 Kritik an den für ihre Wettbewerbsfiihigkeit nachteiligen Praktiken des zentralen Verkaufskontors geübt. Nach der Erklärung vom 9. Mai und auch infolge der durch den Koreakrieg bedingten Lieferschwierigkeiten für Stahlerzeugnisse nahmen die entsprechenden Vorwürfe an Schärfe und Intensität zu. Ende 1950 führte deshalb Albert Denis, im Industrieministerium fiir die Stahlindustrie zuständig, eine Umfrage bei einigen Stahlverbrauchern durch. Deren Ergebnisse faßte er in einer Note vom 9. Januar 1951 zusammen.l9 Demnach wollten die Verbraucher ihre Bestellungen nicht mehr über das CPS aufgeben, sondern unter den Stahlwerken ihren Lieferanten frei wählen können. Dies führe ihrer Meinung nach zu besserer Qualität, niedrigeren Preisen, kürzeren Lieferfristen und günstigeren Zahlungsbedingungen. Ähnliche Forderungen präsentierte im Namen Stahlverbrauchervereinigung AUPS deren Präsident Jean Constant in einem Gespräch mit Vertretern der Abteilung von Albert Denis am 19. Januar und in einem Brief an den Industrieminister vom 12. Februar 195J.20 Im einzelnen verlangte er die Abschaffung der einheitlichen Frachtbasis Thionville, die freie Wahl der Lieferanten und die Freigabe der Stahlpreise, entweder durch die Abschaffung des bislang vom Ministerium sanktionierten innerfranzösischen Stahlkartells, d.h. des CPS, oder durch eine Öffnung der Grenzen fiir Stahlimporte.2I 18
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Siehe dessen Telegramm vom 14.3.1951 an das State Department, FRUS 1951, IV, S.
19 Service de Ia Siderurgie, Note sur Ia reforme du Comptoir Frant;:ais des Produits Siderurgiques, AN, IND 22300. 20 Aide-memoire de l'entretien du 19 janvier 1951 avec Monsieur Jean Constant, 25.1. 1951, AN, IND 22300. Der BriefConstants vom 12.2.1951 mit 12seitigem Anhang ebenda. 21 In seinem Schreiben vom 12.2.1951 trat er allerdings angesichts des zunehmenden Stahlmangels fllr einen vorübergehenden Aufschub der Preisfreigabe und eine staatliche Verteilung der Stahlerzeugnisse ein. Eine zu schaffende gemischte Kommission von Stahlproduzenten und -verbrauchem sollte die Prioritäten bei der Zuteilung des Stahls in Frankreich und die Exportkontingente festlegen.
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Teil Ill: Die Verhandlungen
Als Reaktion auf diese Vorwürfe und Forderungen war der Verband der Stahlindustrie allenfalls zu kosmetischen Änderungen bereit. 22 Nach Ansicht der CSSF beruhte ein Großteil der Kritik auf einer "offenkundigen Ignoranz der tatsächlichen Funktionsweise des CPS". Die Verbandsvertreter erklärten zwar ihre Bereitschaft, auf die Wünsche der Verbraucher einzugehen, doch dürfe dies die Disziplin innerhalb der Branche nicht gefil.hrden und nicht zu einer "tiefgreifenden Zerrüttung des bestehenden Systems" filhren. Deshalb lehnten sie die Abschaffung der Frachtbasis Thionville und des zentralen Verkaufskontors ab. Die CSSF befilrwortete aber regelmäßige Treffen zwischen Herstellern und Verbrauchern. Albert Denis, Leiter des Service de Ia Siderurgie, schloß sich dem Standpunkt des Verbandes weitgehend an. Auch er wandte sich gegen eine Abschaffung des CPS.23 Wie aus den handschriftlichen Bemerkungen auf einer Note hervorgeht, die das Kabinett des Industrieministersam 14. Februar 1951 an den Service de Ia Siderurgie sandte, befilrwortete die filr die Stahlindustrie zuständige Abteilung ebenfalls die Beibehaltung einer einheitlichen Frachtbasis. Demnach sollten die Verbraucher weiterhin einen Einheitspreis pro Abnahmegebiet zahlen, unabhängig von der Lage des Lieferwerks.24 Denis und seine Mitarbeiter verteidigten das bestehende System damit, daß es den Stahlproduzenten eine Deckung ihrer Selbstkosten ermöglichte. Änderungen seien vielleicht aus ökonomischen Gründen wünschenswert, dürften aber nur schrittweise erfolgen. 25 Dagegen drängte der Minister in der oben erwähnten Note vom 14. Februar auf"umgehende Maßnahmen", um den Forderungen der Stahlverarbeiter entgegenzukommen. Man schien damals im Industrieministerium die Geduld mit der rein defensiven Haltung der Verbandsvertreter zu verlieren. Tatsächlich hatte schon Ende Dezember 1950 die Mission der Marshallplan-Behörde in Frankreich nach Washington berichtet, daß Vertreter des Ministeriums, "nach und nach zu der Überzeugung gelangten, daß man freiwillige Reformen von den Repräsentanten der Stahlindustrie nicht erwarten könne und daß nur durchgreifende Maßnahmen nach der Art des Schuman-Plans [...] in der Lage seien, die 22 Ein Dokument vom 24.1.1951 faßt die von der CSSF gemachten Verbesserungsvorschläge zusammen, AN, IND 22300. Mioche, La siderurgie et I'Etat, S. 244f. zitiert die ablehnende Haltung von Humbert de Wendel zur Abschaffung des CPS. 23 Note pour le Cabinet du Ministre, 15.2.1951, AN, IND 22300. 24 Ebenda. 25 Entwurf einer Antwort auf den Brief Constants, mit einer vom 9.4.1951 datierten Note vom Service de Ia Siderurgie an das Kabinett des Ministers geschickt, ebenda.
5. Durchsetzung des Schuman-Pians
245
notwendigen Veränderungen in der französischen Eisen- und Stahlindustrie herbeizufUhren". 26 Die Stahlverbraucher spielten aber nicht nur bei der zunehmenden Isolation der CSSF in der französischen Administration eine Schlüsselrolle. Ihre Haltung war ebenso bedeutsam in der Diskussion um die von den Spitzenverbänden der sechs Teilnehmerstaaten Mitte Januar 1951 unterbreiteten Gegenvorschläge. Koalition gegen Kartelle
Nach der Erklärung der Unternehmerverbände im Januar 1951 kam es in der französischen und mehr noch der ausländischen Presse zu einer Reihe von Veröffentlichungen gegen die europäischen Stahlkartelle und die mangelnde Bereitschaft der Industriellen, sich einem freien Wettbewerb auszusetzen. So gab beispielsweise Le Monde am 3. Februar 1951 Teile des französischen Memorandums gegen Kartellabsprachen vom Dezember 1950 wieder. Der Beitrag trug den Titel "Der Schuman-Plan. Das Problem der Monopole und Industriezusammenschlüsse wird bald geregelt". Ähnliche Meldungen erschienen auch in der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung vom 6. und in der Welt vom 7. Februar 1951 _27 Nach Meinung von CNPF-Präsident Villiers stand eindeutig das Plankommissariat hinter dieser "scharfen Polemik".28 Wie gesehen, waren die Angriffe tatsächlich - zumindest teilweise - von Monnet orchestriert. Im Hinblick auf diese Pressekampagne, "die die Absichten der nationalen Industrieverbände der sechs Schumanplan-Länder bezüglich des Vertragsentwurfs zu entstellen sucht", sahen sich die Spitzenverbände genötigt, in einer weiteren Stellungnahme ihre Position zu präzisieren.29 Wiederum unterstrichen sie zunächst ihre "Verbundenheit mit der "Idee Schuman", deren Verwirklichung sie wünschen". Doch wandten sie sich erneut gegen das "Monopol" der Hohen Behörde, schwächten aber diesmal ihre Forderungen im Hinblick auf 26 ECA France W 494 to ECA Washington, 29.12.1950, USNA, RG 469, SRE, IRD, Iron and Steel Section, Geographie Files, France. 27 Eine Übersetzung des Le Monde Artikels und Hinweise auf die deutschen Zeitungsmeldungen finden sich unter dem Datum vom 7.2.1951 im Mannesmann-Archiv, M 12.952. 28 So Villiers vor dem Comite Directeur des CNPF am 13.2.1951, Sitzungsprotokoll, S. 10, AN, 72AS 874. 29 Die Industrieverbände Westeuropas zum Schuman-Pian, ohne Datum, MannesmannArchiv, M 12.952. Die französische Fassung findet sich mit dem Datum vom 21.2.1951 als Annexe N° 2 im Rapport general sur l'activite de Ia Commission des relations economiques internationales ftlr die Hauptversammlung des CNPF am 6.7.1951, AN, 72AS 841 .
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Teillll: Die Verhandlungen
die Rolle der Industrieverbände ab. Zwar betonten sie, daß ohne deren Unterstützung und aktive Mitarbeit die geplante Montanunion nicht funktionieren könne. Es war aber keine Rede mehr von der Vollmacht, Produktionsprogramme festzulegen oder Preise und Verkaufsbedingungen zu vereinheitlichen. Die Industrievertreter verlangten allerdings eine Möglichkeit, die Vertragsbestimmungen nach dem vorgesehenen Übergangszeitraum revidieren zu können. Die Ablehnung der von den westeuropäischen Unternehmerverbänden ursprünglich vorgeschlagenen Kartellösung kam jedoch nicht nur von Monnet. Wohl von den Presseberichten aufgeschreckt, richtete die amerikanische National Association of Manufacturers (NAM) Ende Januar ein Schreiben an Robert Morizot in seiner Eigenschaft als Präsident der Association de Ia Libre Entreprise. 30 Darin verschaffte der US-Spitzenverband seiner "festen Überzeugung" Ausdruck, daß die Teilnehmerstaaten der Montanunion "jegliche Absprachen unter den Vereinigungen der Hersteller, um Preise festzusetzen, die Märkte aufzuteilen und die Produktion zu beschränken", verbieten mußten. Die amerikanischen Unternehmervertreter äußerten die Hoffnung, daß die europäischen Industriellen "die Entwicklung einer vollkommenen, freien und loyalen Konkurrenz im Rahmen des Schuman-Plans unterstützten". Eine kartellähnliche Ausgestaltung der Montanunion konnte sicherlich auch nicht die Zustimmung der französischen Sozialisten fmden. So hatte sich die SFIO filr ein striktes französisches Kartellgesetz ausgesprochen und daher nach der Vorlage des "weichen" Regierungsentwurfs im Parlament einen entsprechenden Gegenvorschlag eingebracht.31 Auf internationaler Ebene bemühte sich, wie gesehen, Andre Philip seit 1949 darum, eine Neuauflage der Stahlkartelle zu verhindern. Und im Herbst 1950 wies auch das Committee of International Socialist Conferences (COMISCO), Vorläufer der Sozialistischen Internationale, darauf hin, daß der Schuman-Plan die "Expansion der Produktion und des Verbrauchs nur fördern werde, wenn er jede monopolistische Tendenz ausschließe".32 Entscheidenden Einfluß hatte jedoch wahrscheinlich der Widerstand der französischen Stahlverbraucher gegen ein Kartellösung. In der kritischen Aus30
31
Abgedruckt in AGEFI vom 1.2.1951, AN, 81AJ 138. Vgl. zu Morizotoben S. 235.
Siehe dazu meinen Aufsatz Concurrence et competitivite. Resolutionen der COMISCO-Konferenz vom 21./22.10.1950, Berichte des 43 . Nationalkongresses der SFIO, 11.-14.5.1951 , Bulletin Interieur N" 53, S. 188, Privatarchiv Andre Philip. Vgl. dazu Loth, Sozialismus, S. 269 sowie zum COMISCO ebenda, S. 113-116 und R. T. Griffiths, European Utopia or Capitalist Trap?, in: Ders. (Hg.), Socialist Parties, S. 12-17. 32
5. Durchsetzung des Schuman-Plans
247
einandersetzung Anfang 1951 war es erneut Jean Constant, der sich eindeutig fiir einen Wettbewerb zwischen den Stahlproduzenten aussprach. Seine Argumentation ähnelte dabei in vielen Punkten derjenigen von Jean Monnet und Andre Philip. Dies zeigt schon sein Leitartikel in Les Industries Mecaniques vom Dezember 1950 mit dem Titel "Produktivität": "Ich habe das Geftlhl, daß die Produktivitätssteigerungen in Amerika zu einem guten Teil durch den Wettbewerbsgeist der amerikanischen Industriellen bedingt sind, der durch entsprechende Gesetzesbestimmungen sorgfllltig gepflegt wird. Bei uns dagegen ist dieser Wettbewerbsgeist seit 30 Jahren im Niedergang begriffen. [...] Auch heute scheint die Mehrzahl der Industrieverbände ihre Anstrengungen auf Gewerbetarife, Absprachen und Kartelle zu richten. [...] Ich glaube nicht, daß man die Produktivität verbessern kann, indem man die Unternehmen mit der Mentalität eines Sozialversicherten filhrt."
Von (mit)entscheidender Bedeutung fiir den Erfolg des Schuman-Plans war aber sicherlich die Reaktion Constants auf die Vorschläge der europäischen Spitzenverbände, die Montanunion in ein Kartell zu verwandeln. Der Generaldelegierte des Dachverbandes der metallverarbeitenden Industrien setzte sich damit in einem Leitartikel in Les Industries Mecaniques vom Februar 1951 auseinander. 33 Darin verteidigte er sowohl die Vollmachten der Hohen Behörde als auch das Kartellverbot des Vertragsentwurfs gegen die Kritik der Unternehmervertreter. Constant betonte, daß es sich hier um eine Auseinandersetzung zwischen zwei diametral entgegengesetzten Vorstellungen von der Ausgestaltung der Montanunion handelte: "diejenige der Initiatoren des Plans, die einen einheitlichen Markt mit einem echten Wettbewerb schaffen wollen, und diejenige der Industriekreise, die einem internationalen Kartell den Vorzug geben". Und er ließ keinen Zweifel daran, welche der beiden Lösungen im Interesse der Metallverarbeiter war: "Wir als Verbraucher hatten keinen Grund, mit dem 1926 geschaffenen Internationalen Stahlkartell zufrieden zu sein, genausowenig wie wir es mit dem heute noch bestehenden innerfranzösischem Stahlkartell (im Original: regime interieur de comptoir) sind. [...] Da wir selbst der Konkurrenz ausgesetzt sind, ist es fllr uns unerläßlich, uns auf einem Markt versorgen zu können, auf dem ebenfalls Wettbewerb herrscht, unsere Lieferanten frei zu wählen, mit ihnen Ober die Qualität, die Lieferzeiten und die Verkaufsbedingungen diskutieren zu können."
33
Les Industries Mecaniques, Februar 1951, S. 1-4: Le problerne de l'acier.
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Teil III: Die Verhandlungen
Constant wies außerdem auf einen entscheidenden Widerspruch in der Argumentation der Kartellanhänger hin. Wenn tatsächlich Absprachen zwischen den Produzenten das beste Mittel seien, die Produktion zu spezialisieren und die Herstellkosten zu senken, dann müßten die französischen Stahlproduzenten im gemeinsamen Markt triumphieren, denn sie seien seit 50 Jahren kartellisiert. Um seinen Vorstellungen mehr Gewicht zu verleihen, vor allem innerhalb der französischen Regierung, hob der Generaldelegierte, wie schon in seinem Leitartikel zum Schuman-Plan vom Juli 1950, die im Vergleich zur Stahlindustrie wesentlich größere wirtschaftliche Bedeutung der Stahlverarbeiter hervor. Erneut beschränkte sich Constant nicht auf Stellungnahmen im Verbandsorgan. Seit dem Beginn der Verhandlungen stand er, wie gesehen, der französischen Delegation beratend zur Seite. Man kann deshalb mit gewisser Sicherheit davon ausgehen, daß er mehr oder weniger regelmäßigen Kontakt mit Monnet hatte. Tatsächlich findet sich in den Archiven des Plankommissariats eine Note, die die Vorteile der Montanunion filr die Stahlverbraucher auflistete und die Jean Constant wahrscheinlich im Februar 1951 verfaßt hat. 34 An erster Stelle stand dabei die "Beseitigung der Unterschiede bei den Stahlpreisen zwischen den verschiedenen Ländern und besonders zwischen Frankreich und Deutschland". Daß Constant diese Angleichung nicht durch eine Absprache zwischen den Produzenten erwartete, wird aus einem anderen Punkt deutlich. Demnach gingen die Stahlverbraucher davon aus, daß die Abschaffung des CPS in Frankreich zu einer Preissenkung fUhren würde, da die unrentablen Werke schließen müßten. Mit dem CPS und der Frachtbasis Thionville verschwänden auch alle weiteren durch die zentrale Auftragsannahme und -Steuerung bedingten Nachteile, etwa im Hinblick auf die Qualität der Stahlerzeugnisse.35 Constant wandte sich nicht nur an das Plankommissariat In seinem bereits erwähnten Schreiben an Industrieminister Louvel vom 12. Februar 1951 äußerte er ebenfalls die Überzeugung, daß es nur durch eine Wiederherstellung des Wettbewerbs möglich sei, "der französischen Stahlindustrie die notwendige 34 Avantage que les utilisateurs de produits siderurgiques ont a attendre de Ia creation d'un marche europeen. Sie trägt die handschriftliche Aufschrift "Note Jean Constant", ist nicht datiert, befindet sich aber zusammen mit Auszügen aus seinem Leitartikel vom Februar 1951 in AN, 81AJ 135. 35 Eine Note sur !es pouvoirs de Ia Chambre Syndicale et du CPS vom 31.1.1951 machte ebenfalls die Folgen des vom Staat sanktionierten innerfranzösischen Kartells ftlr die Stahlverbraucher deutlich, AN, 81AJ 135. Sie betonte außerdem, daß eine effektive Kontrolle des CPS durch den Service de Ia Siderurgie allein angesichts des numerischen Ungleichgewichts (750 vs. 10-20) unmöglich war. Der Autor ist unbekannt. Er könnte sowohl aus dem Plankommissariat selbst als auch aus den Reihen der Stahlverarbeiter stammen.
5. Durchsetzung des Schuman-Pians
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Dynamik und den Stahlverbrauchern ihre nonnale wirtschaftliche Funktion wiederzugeben".36 Und er nahm gleichzeitig gegen den französischen Unternehmerverband Stellung. Der CNPF habe, so Constant, die vorgesehene Vollmacht der Hohen Behörde, Produktionsprogramme festzulegen, mit den Praktiken eines totalitären Regimes verglichen. Dabei beschränke der Vertragsentwurf die Anwendung dieser Bestimmung auf eng defmierte Fälle und unterwerfe sie außerdem einer Stellungnahme des beratenden Ausschusses, in dem auch die Stahlverbraucher vertreten seien. Die bestehenden Regelungen für die französische Stahlindustrie gäben dagegen deren Verband auf Dauer und mit Gesetzeskraft die gleichen Vollmachten. Nach Meinung des Generaldelegierten war dies "noch weniger in Einklang mit demokratischen Prinzipien". Die unmittelbare Reaktion Louvels auf das Schreiben Constants ist nicht bekannt. Doch läßt sich angesichts der gleichzeitigen Bemühungen des Industrieministeriums um eine Refonn des CPS vennuten, daß seine Angriffe ihre Wirkung nicht verfehlten. Darauf lassen auch die Erinnerungen von Jacques Ferry schließen. Mehr als vierzig Jahre später bezeichnete der damalige Wirtschaftsberater und spätere Präsident der CSSF die metallverarbeitende Industrie in den fünfziger Jahren als "erklärten Gegner" der Stahlproduzenten: "Und ein Mann hat eine besonders unheilvolle Rolle in dieser Hinsicht gespielt, der Generaldelegierte Jean Constant".37 Auf Unterstützung fiir die Artikel 60 und 61 des Vertragsentwurfs konnte Monnet aber auch im französischen Außenministerium rechnen. Dort befiirwortete man Kartellverbot und Fusionskontrolle vor allem im Hinblick auf die Ruhr. Bereits im November 1950 stellte eine Note "das erhebliche Interesse" des Ministeriums daran heraus, "daß die Hohe Behörde über die notwendigen Vollmachten verfUgt, in Deutschland eine dekonzentrierte und dezentralisierte Industriestruktur aufrechtzuerhalten, mit Hilfe von auf alle Länder der Gemeinschaft anwendbaren Bestimmungen. "38 Nur unter dieser Voraussetzung sei eine politische und wirtschaftliche Einigung Europas möglich. Als weiteren Grund für die Notwendigkeit der entsprechenden Vertragsklauseln nannte die Note die Haltung der Amerikaner. Man könne nur mit ihrer politischen und ihrer unabdingbaren finanziellen Unterstützung rechnen, "wenn sie im Vertragstext die 36 Siehe oben S. 243, Fn. 20. Der Minister hatte die AUPS um eine detaillierte Stellungnahme gebeten. 37 Mioche, Jacques Ferry, S. 180. 38 Diese Note vom 20.11.1950, verfaßt von Fran~ois Valery, findet sich in MAE, Archives Diplomatiques, DE-CE 1945-1960, N" 507 und in AN, 81AJ 148. Dort auch eine frühere Version vom 7.11.1950.
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Teillll: Die Verhandlungen
formalen Zusicherungen fmden, daß der einheitliche Markt keine Kartellorganisation darstellt". In der Tat stützte sich der französische Verhandlungsleiter vor allem auf den politischen Druck des Außenministeriums und mehr noch der Vereinigten Staaten, um den Widerstand der Ruhr und der Bundesregierung gegen die Artikel 60 und 61 zu überwinden. Eingreifen der Amerikaner
Wie gesehen leisteten Ruhrindustrielle und Bundesregierung erheblichen Widerstand gegen die Auflösung des Deutschen Kohlenverkaufs (DKV) und besonders gegen die Einschränkung der vertikalen Integration der Stahlwerke in die Kohleförderung (die sogenannte Verbundwirtschaft). Die Bundesregierung weigerte sich in diesem Zusammenhang, die Bestimmungen des Schuman-Plans über Kartellverbot und Fusionskontrolle zu unterzeichnen. Bereits im November und Dezember 1950 fanden in Paris zwischen amerikanischen und französischen Vertretern eine Reihe von Gesprächen über die Fortsetzung und den Abschluß der Entflechtungs- und Dekartellisierungsmaßnahmen in Westdeutschland statt. Dabei gab es auf beiden Seiten durchaus unterschiedliche Prioritäten. Ging es den Amerikanern vornehmlich um die Auflösung des in ihren Augen monopolistischen DKV, bestanden die Franzosen in erster Linie auf der Abschaffung der Verbundwirtschaft. 39 Monnet faßte den bei diesen Gesprächen erzielten Kompromiß in einem "Entwurf von Anweisungen" filr die französischen Mitglieder der Alliierten Hohen Kommission zusammen, den er am 22. Dezember 1950 an Außenminister Robert Schuman sandte.40 Demnach sollte die DKV schrittweise aufgelöst, die Verbundwirtschaft weitgehend eingeschränkt, aber nicht, wie die Franzosen gehoffi hatten, ganz abgeschaffi werden. In einem ausfilhrlichen Begleitbrief betonte Monnet das "kapitale Interesse" der Reorganisation der Ruhrindustrien für Frankreich. Einerseits verhindere sie eine erneute Beherrschung der deut39 Siehe dazu oben S. 224-228 sowie die Zusammenfassung der französisch-amerikanischen Gespräche in Parisam 19.12.1950, AN, 81AJ 137. Vgl. zu den folgenden Bemühungen der Franzosen und Amerikaner Wamer, S. 170-185, Gillingham, Coal, Steel, S. 266ff., Schwabe, "Ein Akt konstruktiver Staatskunst", S. 234-238, Bossuat, La France, l'aide americaine, S. 769ff., Steinert, S. 170-172, Bergbahn, The Americanisation, S. 145-154, Griffiths, The Schuman Plan Negotiations, S. 63f., Spierenburg I Poidevin, S. 35f. sowie Schwartz, S. 189ff., der sich vor allem auf Zell stUtzt. 40 Projet d'instructions, 22.12.1950, AN, 81AJ 137.
5. Durchsetzung des Schuman-Pians
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sehen Politik durch die Ruhrbarone. Andererseits ermögliche sie der französischen Industrie, unter gleichen Bedingungen zu konkurrieren (im Original wesentlich martialischer: "Iutter a armes egales"). Außerdem sei die Durchftlhrung der Entflechtung auch Vorbedingung fiir das Funktionieren des SchumanPlans, "denn anderenfalls würde er die Vorherrschaft der konzentrierten Macht der Ruhr in Europa absegnen". Nach Meinung von Monnet war es nun vor allem Aufgabe der amerikanischen Verantwortlichen in Deutschland, die Bundesregierung zur Zustimmung zu bewegen. In einem weiteren Schreiben an Robert Schuman vom 22. Januar 1951 machte Monnet erneut deutlich, wie bedeutsam ftlr ihn die Artikel 60 und 61 des Vertragsentwurfs waren.41 Er drohte sogar mit seinem Rücktritt als Verhandlungsleiter fiir den Fall, daß der Vertrag ohne diese "so entscheidenden Klauseln" paraphiert werde. Gegenüber dem Außenminister argumentierte er vor allem damit, daß ohne die Entflechtung die gesamte Kohle- und Stahlgemeinschaft der "Vorherrschaft der monolithischen Organisation der Ruhr" unterworfen werde. Außerdem bleibe die notwendige finanzielle Unterstützung der Montanunion durch die USA aus, wenn dort die öffentliche Meinung feststelle, daß es sich beim Schuman-Pian doch nur um ein "gigantisches internationales Kartell handele". Doch scheinen in diesem Brief gleichzeitig seine bekannten Überlegungen zur Schlüsselrolle der Konkurrenz durch: "Die Beibehaltung der Kartelle ist unvereinbar mit der Steigerung der Produktivität, die ftlr den wirtschaftlichen Fortschritt unserer Länder und die Verbesserung des Lebensniveaus ihrer Bevölkerung unerläßlich ist". Und obwohl er es an dieser Stelle nicht explizit sagte, meinte er damit sicherlich nicht nur die Kartelle in Westdeutschland. Um die Verhandlungen aus der Sackgasse zu bringen, in die sie durch die doppelte deutsche Weigerung geraten waren, bemühte sich Monnet vor allem um Unterstützung von Seiten der amerikanischen Besatzungsbehörden. Tatsächlich bestand zwischen ihm und dem US-Hochkommissar John McCloy eine weitgehende Übereinstimmung in den Ansichten über den Nutzen der Konkurrenz fiir die gesamte Volkswirtschaft. 42 Das macht beispielsweise eine Stellungnahme McCioys gegenüber Adenauer sehr deutlich: 43 41
AN, 81AJ 138.
Vgl. Gillingham, Coal, Steel, S. 260-262. Demnach unterstUtzte McCloy Monnet auch auf Grund ihrer persönlichen Freundschaft. 43 In einer Sitzung der Hochkommissare am 14.12.1950, Akten zur Auswärtigen Politik der Bundesrepublik Deutschland, Bd. I, Dokument Nr. 21, S. 311 . 42
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Teillll: Die Verhandlungen "Sie werden in Deutschland als Ergebnis der Entflechtung mehr Arbeitsplätze haben, Sie werden einen besseren Lebensstandard haben, Sie werden auch eine neue Wirtschaftsmoral, und zwar im Sinne des freien Wettbewerbs, haben. Ich betrachte die Entflechtung so, daß sie der deutschen Industrie einen Auftrieb geben wird. Sie war auf keinen Fall als Bestrafung gedacht, als Kriegsfolge oder etwas Ähnliches in einem rachemäßigen Geist. Wenn Sie den dUsteren Voraussagen der Industriekapitäne Glauben schenken, werden Sie nie auf einen grünen Zweig kommen."
Bereits in einem Telefongespräch mit McCloys Rechtsberater Robert Bowie Mitte Januar hatte Monnet seine Entschlossenheit zum Ausdruck gebracht, die Verhandlungen über den Schuman-Plan nicht ohne eine Lösung der Ruhrproblematik abzuschließen.44 Wenn die Deutschen der Entflechtung nicht zustimmen wollten, blase man die ganze Sache besser ab: "Entweder sie akzeptieren oder sie akzeptieren nicht. Wenn nicht, dann gehen sie eben nach Hause." Ähnlich deutlich äußerte er sich in einem Telefongespräch mit McCloy einen Monat später.45 Ende Februar begab sich Monnets Mitarbeiter Etienne Hirsch nach Bonn, um die letzten Hindernisse ftlr einen Abschluß der Schuman-Plan-Verhandlungen zu beseitigen. Monnets Anweisungen ftlr ihn verdeutlichen erneut, wie sehr es dem Verhandlungsleiter um eine Beseitigung der Kartelle als Fortschrittshindernis ging. 46 Ohne die Artikel 60 und 61 könne es keine Montanunion geben, denn Ziel der Gemeinschaft sei es, "dem besten Produzenten alle seine Möglichkeiten und Vorteile" zu geben. Ohne Kartellverbot und Fusionskontrolle würden dagegen privatwirtschaftliche Einzelinteressen den SchumanPlan ausnutzen und "die verarbeitenden Industrien der sechs Länder in ihre Abhängigkeit bringen". Ähnlich argumentierte Monnet übrigens wenig später in seiner Antwort auf die Vorwürfe und Gegenvorschläge der europäischen Unternehmerverbände. 47 44 Extracts of a telephone conversation between Mr. Monnet and Mr. Bowey [sie!], 15.1.1951, AN, 81AJ 137. 45 Am 19.2.1951. Vgl. dessen Mitschrift in AN, 81AJ 137. 46 Message de Monsieur Monnet a Monsieur Hirsch, 21.2.1951, AN, 81AJ 135. Er bat Hirsch, diese Überlegungen auch Adenauerund McCioy vorzutragen. Vgl. zum Hirsch-Besuch in Bonn auch das Telegramm vom Pariser US-Botschafter Bruce an das State Department vom 21.2.1951, FRUS 1951, IV, S. 93-96. 47 Reponse aux observations faites sur Ie Plan Schuman par les "Federations Industrielles de l'Europe de l'Ouest" vom 5.3.1951, AN, 8IAJ 138. Das Dokument trägt keinen Namen, aber man kann wohl davon ausgehen, daß sein Autor Monnet war.
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Darin betonte er, daß die Hohe Behörde als Vertreter der staatlichen Souveränität das Allgemeininteresse gegen Partikularinteressen verteidigen müsse. In einer freien Marktwirtschaft (wörtlich: "regime de libre entreprise") sei das Allgemeininteresse dasjenige der Verbraucher. Ihnen werde durch eine Aufrechterhaltung der Konkurrenz geholfen, welche durch die Vertragsbestimmungen über Kartelle und Fusionen sichergestellt sei. Gäbe man die Aufgabe der Verteidigung des Allgemeininteresses an die Produzenten oder ihre Verbände, käme dies "einer wahrhaften Verstümmelung der Autorität des Staates gleich, so wie wir sie in Frankreich mit den Organisationskomitees gekannt haben". Um den Abschluß des Vertrages zu ermöglichen, war der französische VerhandlungsleiteT aber durchaus zu Kompromissen bereit. So hatte man bereits vor der Reise von Hirsch in den Artikel 61 eine Klausel eingefilgt, die der Hohen Behörde auferlegte, vor jeder Entscheidung über einen Zusammenschluß die regionalen Besonderheiten in Betracht zu ziehen. Dies sollte Diskriminierungen gegen die Ruhr vermeiden helfen.4 8 Auch in bezugauf die Verbundwirtschaft gestanden die Franzosen der deutschen Stahlindustrie die Beibehaltung einer eingeschränkten vertikalen Integration zu, und zwar bis zu 75% ihres Eigenbedarfs. Insgesamt wurde dadurch der von den Stahlkonzernen kontrollierte Anteil der deutschen Kohleförderung von 56% auf 18% reduziert.49 Damit war sichergestellt, daß die Ruhrkonzerne ihren Einfluß auf Kokspreise und -mengen nicht benutzen konnten, um die Wettbewerbsstellung der Konkurrenten negativ zu beeinflussen. Monnet blieb aber bei seinem grundsätzlichen Junktim. So betonte er in einem ausfilhrlichen Memorandum vom 9. März erneut, daß die "Reorganisation der Ruhrindustrien die unabdingbare Vorbedingung der Verwirklichung des Schuman-Plans" sei. 50 Und die Bundesregierung gab schließlich unter erheblichem amerikanischen Druck nach und stimmte sowohl den Artikeln 60 und 61 als auch der Entflechtung und Dekartellisierung zu. Am 14. März richtete Adenauer ein Memorandum an die Alliierte Hohe Kommission, in dem er die Bereitschaft der Bundesregierung erklärte, die geplante Neuordnung der Ruhrkon-
48 Erwähnt in Message, 21.2.1951, AN, 81AJ 135, ebenso FRUS 1951, IV, S. 96. Zu weiteren Änderungsvorschlägen der Amerikaner siehe AN, 81AJ 138, Februar-März 1951.
49 Siehe dazu Direction des Programmes Economiques, Note pour le Ministre, Punkt N° 5, 2.3.1951, AEF, 816023, sowie die Angaben von Finanzminister Rent Mayer vor der Commission des Affaires Etrangeres, 30.11.1951 , Wortprotokoll, S. 28, AAN. Vgl. Griffiths, The Schuman Plan Negotiations, S. 64. so AN, 81AJ 142.
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zerne durchzufUhren und den Deutschen Kohlenverkauf aufzulösen. SI Tatsächlich waren die deutschen Stahlproduzenten schon vorher davon ausgegangen, daß das Schicksal des DKV besiegelt war. 52 Doch nicht nur in Westdeutschland, sondern auch in Frankreich gab es letzte Widerstände gegen den Vertragstext. So erklärten der stellvertretende CNPFVorsitzende Pierre Ricard und Alexis Aron von der CSSF gegenüber einem Vertreter der Marshallplan-Behörde erneut die prinzipielle Zustimmung der französischen (Stahl)Industrie zur Montanunion, klagten jedoch gleichzeitig "bitterlich" über Monnet, seine Vorgehensweise und seine "sozialistische" Konzeption. 53 Tatsächlich suchten die Gegner der von Monnet angestrebten Lösung seit Ende 1950 verstärkt Kontakt mit den Amerikanern. So gab Aubrun bereits im November 1950 ein Mittagessen zu Ehren des Leiters der ECA-Mission in Frankreich, Henry Parkman. Im März und April 1951 traf sich dieser ebenfalls mit eine Reihe von Mitgliedern der ACADI, darunter Alexis Aron, Louis Charvet, Robert Morizot sowie Rene Perrin, Generaldirektor des Elektrochemiekonzerns Ugine und seit 1951 ACADI-Präsident. Es ist allerdings nicht klar, ob bei diesen Gesprächen auch der SchumanPlan zur Sprache kam. 54 Perrio selbst hatte jedoch Parkman bereits im November 1950 eine Abhandlung zugesandt, in der er die positive Rolle von Kartellen herausstellte. Darin sowie in einem weiteren Brief vom 8. Januar 1951 bezeichnete er, ähnlich wie Finanzminister Petsehe im Oktober 1949 vor der OEEC, Absprachen zwischen den Industriellen als ein geeignetes Mittel, den Abbau der Handelsschranken in Europa zu beschleunigen. 55 In seiner Reaktion auf die Ausarbeitung Perrins zur Kartellfrage äußerte der US-Vertreter allerdings eine "gewisse Skepsis" gegenüber diesen Vorschlägen und wies auf die "sehr reellen Gefahren" solcher Absprachen fiir die Handelsliberalisierung hin. 56 51 Abgedruckt in Die Neuordnung der Eisen- und Stahlindustrie, S. 455-457. Vgl. zur Rolle der Amerikaner McCioys Telegramm an das State Department vom 15.3.1951, FRUS 1951, IV, S. 102f. 52 Vermerk über die Sitzung Engerer Vorstand am 1.3.1951, WV Stahl, Sitzungsberichte, Band 3. 53 Dazu sein Telegramm an das State Department, 14.3.1951, FRUS 1951, IV, S. 98-101. 54 Die obengenannten Informationen stammen aus einem Briefwechsel zwischen Parkman und Perrin, RG 469, MF, Office Files ofthe Director 1951-55, Box 7. 55 Ebenda. Eine Kopie seiner Ausarbeitung mit dem Titel "Economie europeenne et ententes industrielles" findet sich unter dem Datum vom 3. Januar 1950 auch in den Archiven des Leiters der DIME, Bellier, AN, Ministere de !'Industrie, 830589, N° II. 56 Vgl. sein Schreiben an Perrin vom 26.12.1950, RG 469, MF, Office Files of the Director 1951-55, Box 7.
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Die Bemühungen der Montanunion-Gegner um amerikanische Unterstützung waren also offenbar erfolglos. Dagegen gelang es den beiden Verbandspräsidenten Villiers und Aubrun im März 1951 scheinbar, die Zustimmung des französischen Außenministers für gewisse Modifikationen des Vertragsentwurfs im Hinblick auf die Rolle der Hohen Behörde zu erreichen. 57 Vor dem Comite Directeur des Spitzenverbandes sprach Villiers selbst im Nachhinein von "Teilerfolgen", charakterisierte die gemachten Konzessionen allerdings als eher "bescheiden".58 Wie der Vertreter von Pont-a-Mousson beim CNPF berichtete, hatte sich Monnet dem Wunsch Schumans zwar gebeugt, aber nur völlig unbedeutende Änderungen vorgenommen. 59 Die Industrievertreter wollten deshalb erneut beim Außenminister vorsprechen. Am 19. März führte Villiers tatsächlich ein weiteres Gespräch mit Schuman. Dabei sicherte dieser dem CNPF-Präsidenten angeblich zu, dessen Bedenken in Form einer Präambel in den Vertrag einfließen zu lassen.60 Im Unterschied zu den Gegnern der Montanunion gelang es Monnet, seine engen und freundschaftlichen Beziehungen zu den Amerikanern zu nutzen, um bei der französischen Regierung eigene Wünsche und Vorstellungen durchzusetzen. Dies bestätigte sein Mitarbeiter Pierre Uri im nachhinein und beklagte damals der Verbandsvertreter Alexis Aron.61 So gab der amerikanische Botschafter David Bruce in einem Schreiben an Schuman vom 17. März 1951 eine Anweisung weiter, die er vom US-Außenminister Dean Acheson erhalten hatte. 62 Demnach war aus Sicht der Vereinigten Staaten die baldige Unterzeichnung des Vertrages von "höchster Bedeutung". Der Schuman-Plan schaffe durch die Beseitigung der Spannungen zwischen Deutschland und seinen Nachbarn die Voraussetzungen für eine Stärkung Westeuropas gegenüber dem Ostblock. Mögliche kurzfristige Vor- oder Nachteile der Montanunion für einzelne 57 So Ricard und Aron in ihrem Gespräch mit dem US-Vertreter, FRUS 1951, IV, S. 100. Auch laut Poidevin, Robert Schuman, S. 88 sprach sich der Außenminister gegen einen "allmächtigen Dirigismus" aus und beftlrworte eine "fruchtbare Zusammenarbeit" aller Interessen. 58 Sitzungsprotokoll vom 22.5.1951, S. 7, AN, 72AS 874. 59 Zusammenfassung der Sitzung der Commission des relations economiques internationales des CNPF am 12.3.1951, von Georges Morin an Andre Grandpierre, PAM 70669. Griffiths, Die Benelux-Staaten, S. 277 ftlhrt dagegen die Abschwächungen in den Art. 60 und 61 auf die Einwirkung der Belgier zurück. Vgl. ders., The Schuman Plan Negotiations, S. 65. 60 Dies geht aus einem Brief von Villiers an Schuman vom 30.5.1951 hervor, MAE, Archives Diplomatiques, OE-CE 1945-1960, N" 511. 61 Siehe ftlr Uri dessen Interview in Florenz am 9.1.89, S. 6f., EG-Archiv, INT 2 und ftlr Arons Klagen FRUS 1951, IV, S. 99. 62 MAE, Archives Diplomatiques, OE-CE 1945-1960, N" 507. Der Text auch in FRUS 1951, IV, S. 103f.
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Teil III: Die Verhandlungen
Teilnehmerstaaten "scheinen unerheblich im Vergleich mit dieser entscheidenden Überlegung". Tatsächlich schlossen am 19. März 1951 die Delegationen der sechs Teilnehmerstaatenihre Verhandlungen ab und paraphierten den Vertragstext In der anschließenden Pressekonferenz nahm Monnet selbst noch einmal sehr deutlich zu den Vorwürfen gegen die Machtstellung der Hohen Behörde und zu den umstrittenen Artikeln 60 und 61 Stellung:63 "Die Beseitigung der Kartelle, die Regelung der ZusammenschlUsse, das ist kein Dirigismus, sondern die Freiheit. Man vergiBt, daß es auch einen «Dirigismus der privatwirtschaftliehen Einzelinteressen» gibt. Lesen Sie den Vertragstext und zeigen Sie mir, wo sich der Dirigismus befindet, den man ihm vorwirft. Meiner Meinung nach ist der Dirigismus in den Kartellen, und der Schuman-Pian beseitigt diesen Dirigismus." CSSF-Präsident Aubrun versuchte mit zwei Schreiben an alle Mitglieder der französischen Regierung noch in allerletzter Minute eine Unterzeichnung des Vertrages zu verhindem. 64 Darin unterstrich er die Notwendigkeit von erheblichen Änderungen an dem von den "Experten" ausgehandelten und paraphierten Text. Insbesondere verlangte er Vorbehaltsklauseln ftlr die französische Stahlindustrie, die selbst auf dem heimischen Markt im Hinblick auf die Preise nicht mit der deutschen Konkurrenz mithalten könne. Ohne solche Schutzmaßnahmen ftlhre der Schuman-Plan zum "Niedergang", möglicherweise sogar zum "Zusammenbruch" dieser "großen französischen Industrie". Dies habe aber nicht nur erhebliche soziale und wirtschaftliche Konsequenzen, sondern gefährde auch die Stellung und Unabhängigkeit Frankreichs als Ganzes. Die Drohungen und Warnungen des Verbandspräsidenten konnten die Unterzeichnung des Vertrags aber nicht mehr aufhalten. Die in Paris versammelten Außenminister der sechs Teilnehmerstaaten, darunter ftlr die Bundesrepublik Konrad Adenauer, klärten die letzten noch strittigen Fragen, vor allem im Hinblick auf Zahl und Auswahl der Mitglieder der Hohen Behörde.65 Am 18. 63
146.
Communique de Presse, wiedergegeben in L'Information vom 21.3.1951,
AN,
81AJ
64 Am 3. und am 5. April 1951. Beide Schreiben in AN, 81AJ 135 und MAE, Archives Diplomatiques, OE-CE 1945-1960, W 511 . Aubrun sandte Kopien davon ebenfalls an die Mitgliedsunternehmen der CSSF, 10.4.1951, PAM 19425. 65 Siehe dazu u.a. Küsters, S. 95-99, Griffiths, The Schuman Plan Negotiations, S. 66-68, Diebold, The Schuman-Pian, S. 75f. sowie Spierenburg I Poidevin, S. 29-32. Vgl. auch Adenauer, S. 428-437 und Schwarz, Adenauer, S. 859-863.
5. Durchsetzung des Schuman-Pians
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April 1951 unterzeichneten sie schließlich den Vertrag zur Schaffung der Europäischen Gemeinschaft filr Kohle und Stahl (EGKS). Monnet und seine Mitarbeiter hatten sich also gegen erhebliche Widerstände mit ihrer auf Produktivitätssteigerungen durch Wettbewerb ausgerichteten Konzeption weitgehend durchsetzen können.66 Die Auseinandersetzungen zwischen deren Befilrwortem und Gegnern waren damit aber keinesfalls beendet. In Frankreich erreichten sie mit der Debatte über die Ratifizierung des Vertrags einen neuen Höhepunkt.
66 Das Urteil von Griffiths, The Schuman Plan Negotiations, S. 40, daß nur "sehr wenige von Monnets ursprünglichen Ideen im abschließenden Vertrag überlebten", ist daher unzutreffend. Auch in seiner Pressekonferenz am 19.3.1951 hatte Monnet betont, daß es sich bei dem Vertrag um den Schuman-Pian vom 9. Mai 1950 handle. 17 Kipping
Teil IV
Die RatifiZierung der Montanunion in Frankreich Monnet could at times be conspiratorial. But in general his approach was almost incredibly simple. Basically, he went straight to the place where what he wanted could be obtained, and walked in. He was only mysterious in that he succeeded, and assumed he would succeed, in doing what most people would not even think of attempting. Fran~ois Duchene 1
1. Meinungsverschiedenheiten in der Industrie
Mit der Unterzeichnung des Vertrags über die Europäische Kohle- und Stahlgemeinschaft (EGKS) in Paris am 18. April 1951 war die Auseinandersetzung zwischen den Befilrwortern und den Gegnern des Schuman-Pians in Frankreich keineswegs beendet. Im Gegenteil, sie gewann an Intensität, da sich anläßlich der Ratifizierung durch das französische Parlament die Diskussion von der internationalen auf die nationale Ebene verlagerte. Klare Divergenzen innerhalb der Stahlindustrie
Bereits nach der Erklärung vom 9. Mai 1950 waren innerhalb der französischen Stahlindustrie erhebliche Unterschiede in der Beurteilung des SchumanPlans deutlich geworden. Noch während der Verhandlungen über die Montanunion manifestierten sich diese Divergenzen jedoch erneut, und zwar bei den Anhörungen eines Komitees, dessen Aufgabe es war, die Herstellkosten der französischen Stahlindustrie sowie Möglichkeiten zu deren Verringerung zu untersuchen. Dieses Komitee hat in der historischen Forschung bislang kaum Duchene, S. 185.
I. Meinungsverschiedenheiten
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Beachtung gefunden. Nur der amerikanische Historiker John Gillingharn scheint dessen Siztungsprotokolle gesehen zu haben. Für ihn zeigte sich bei den Anhörungen allerdings die einhellige Ablehnung des Schuman-Plans durch die gesamte französische Stahlindustrie.2 Diese Behauptung kann, wie im folgenden zu belegen sein wird, so nicht aufrechterhalten werden. Das Komitee setzte sich aus hohen Beamten der betroffenen Ministerien zusammen. Seine Leitung hatten Etienne Hirsch vom Plankommissariat und Paul Gardent vom Kabinett des Industrieministers inne. Weitere Mitglieder waren Albert Denis, im Industrieministerium filr die Stahlindustrie verantwortlich, sowie aus dem Finanzministerium Louis Franck, Leiter der Direction des Prix, und ein Vertreter der Direction des Programmes Economiques.3 Nach einem internen Vorbereitungstreffen am 29. Dezember 1950 hörte das Komitee im Januar und Februar 1951 aufinsgesamt 18 Sitzungen Vertreter der CSSF sowie weiterer Teil- oder Regionalverbände der Stahlindustrie und Repräsentanten der zehn größten Stahlkonzerne Frankreichs, die zusammengenommen etwa 80% der gesamten französischen Produktionskapazität ausmachten.4 In seiner einleitenden Stellungnahme vor der ersten Anhörung am 2. Januar 1951 machte Etienne Hirsch die allgemeine Zielsetzung des Schuman-Plans noch einmal sehr klar. So empfahl er als "Arbeitshypothese" filr die Erörterungen des Komitees "die Situation, die sich entwickle, wenn innerhalb des weiterhin abgeschotteten französischen Marktes der Wettbewerb durch eine Abschaffung des Comptoir des Produits Siderurgiques wiederhergestellt würde". Die folgenden Anhörungen zeigten allerdings, wie schwer es den meisten Produzenten fiel, sich unter der Montanunion etwas anderes als ein Kartell mit Zuteilung von Quoten und mit Preisfestsetzung nach Zonen vorzustellen. Andererseits bestätigten sie die deutlichen Meinungsunterschiede innerhalb der französischen Stahlindustrie. Für die Verbandsvertreter Jules Aubrun und Alexis Aron war die Frage nach den durch den Plan möglicherweise gefährdeten Stahlwerken nur nebensäch2
Gillingham, Coal, Steel, S. 289-291. Mioche, Le patronat de Ia siderurgie franf