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German Pages 433 [514] Year 2013
E DM U N D H US SE R L
Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins Mit den Texten aus der Erstausgabe und dem Nachlaß
Mit einer Einleitung herausgegeben von rudolf bernet
FELIX MEINER VERLAG HAMBURG
PHILOSOPHISCHE BIBLIOTHEK BAND 649 Die Texte wurden entnommen aus Husserliana. Edmund Husserl, Gesammelte Werke, Band X, hrsg. von Rudolf Boehm, Martinus Nijhoff Publishers, Den Haag 1966.
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über ‹http://portal.dnb.de› abrufbar. ISBN 978-3-7873-2442-2 ISBN E-Book: 978-3-7873-2443-9
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Inhalt
Einleitung. Von Rudolf Bernet .............................................
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Editorischer Bericht .............................................................. lxxi Bibliographische Hinweise ................................................... lxxv
EDMUND HUSSER L
A. Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins
erster teil Die Vorlesungen über das innere Zeitbewußtsein aus dem Jahre 1905 Einleitung ....................................................................................
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§ 1 Ausschaltung der objektiven Zeit .......................................
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§ 2 Die Frage nach dem „Ursprung der Zeit“ ..........................
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Erster Abschnitt: Brentanos Lehre vom Ursprung der Zeit .... 11 § 3 Die ursprünglichen Assoziationen ...................................... 11 § 4 Die Gewinnung der Zukunft und die unendliche Zeit ...... 14 § 5 Die Abwandlung der Vorstellungen durch die Zeitcharaktere ..................................................................... 15 § 6 Kritik .................................................................................... 16 Zweiter Abschnitt: Analyse des Zeitbewusstseins .................... 21 § 7 Deutung der Erfassung von Zeitobjekten als Momentanerfassung und als dauernder Akt .................... 21 § 8 Immanente Zeitobjekte und ihre Erscheinungsweisen ..... 26
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Inhalt · Vorlesungen
§ 9 Das Bewußtsein von den Erscheinungen immanenter Objekte .......................................................... 28 § 10 Die Kontinua der Ablaufsphänomene. Das Diagramm der Zeit ..................................................... 30 §11 Urimpression und retentionale Modifikation ................... 31 §12 Retention als eigentümliche Intentionalität ..................... 34 § 13 Notwendigkeit des Vorangehens einer Impression vor jeder Retention. Evidenz der Retention .................... 36 § 14 Reproduktion von Zeitobjekten (sekundäre Erinnerung) 38 § 15 Die Vollzugsmodi der Reproduktion ................................. 40 § 16 Wahrnehmung als Gegenwärtigung im Unterschied von Retention und Wiedererinnerung .............................. 41 § 17 Wahrnehmung als selbstgebender Akt im Gegensatz zur Reproduktion ............................................................... 44 § 18 Die Bedeutung der Wiedererinnerung für die Konstitution des Bewußtseins von Dauer und Folge ...... 46 § 19 Der Unterschied von Retention und Reproduktion (primärer und sekundärer Erinnerung bzw. Phantasie) .. 49 § 20 Die „Freiheit“ der Reproduktion ....................................... 52 § 21 Klarheitsstufen der Reproduktion .................................... 53 § 22 Evidenz der Reproduktion ................................................ 53 § 23 Deckung des reproduzierten Jetzt mit einem Vergangen. Unterscheidung von Phantasie und Wiedererinnerung ............................................................... 55 § 24 Protentionen in der Wiedererinnerung ............................. 57 § 25 Die doppelte Intentionalität der Wiedererinnerung ........ 58 § 26 Unterschiede zwischen Erinnerung und Erwartung ....... 60 § 27 Erinnerung als Bewußtsein vom Wahrgenommengewesen-sein ........................................................................ 62 § 28 Erinnerung und Bildbewußtsein. Erinnerung als setzende Reproduktion ....................................................... 65
Inhalt · Vorlesungen
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§ 29 Gegenwartserinnerung ....................................................... 66 § 30 Erhaltung der gegenständlichen Intention in der retentionalen Abwandlung ..............................................
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§ 31 Urimpression und objektiver individueller Zeitpunkt ...........................................................................
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§ 32 Anteil der Reproduktion an der Konstitution der einen objektiven Zeit ........................................................
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§ 33 Einige apriorische Zeitgesetze .........................................
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Dritter Abschnitt: Die Konstitutionsstufen der Zeit und der Zeitobjekte ...................................................................
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§ 34 Scheidung der Konstitutionsstufen .................................
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§ 35 Unterschiede der konstituierten Einheiten und des konstituierenden Flusses ..................................................
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§ 36 Der zeitkonstituierende Fluß als absolute Subjektivität .....................................................................
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§ 37 Erscheinungen transzendenter Objekte als konstituierte Einheiten .....................................................
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§ 38 Einheit des Bewußtseinsflusses und Konstitution von Gleichzeitigkeit und Folge ........................................
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§ 39 Die doppelte Intentionalität der Retention und die Konstitution des Bewußtseinsflusses ...............................
86
§ 40 Die konstituierten immanenten Inhalte ..........................
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§ 41 Evidenz der immanenten Inhalte. Veränderung und Unveränderung .................................................................
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§ 42 Impression und Reproduktion .........................................
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§ 43 Konstitution von Dingerscheinungen und Dingen. Konstituierte Auffassungen und Urauffassungen ..........
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§ 44 Innere und äußere Wahrnehmung .................................. 102 § 45 Konstitution der nichtzeitlichen Transzendenzen ......... 104
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Inhalt · Vorlesungen
zweiter teil Nachträge und Ergänzungen zur Analyse des Zeitbewußtseins aus den Jahren 1905–1910 Beilage I: Urimpression und ihr Kontinuum der Modifikationen ...................................................................... 107 Beilage II: Vergegenwärtigung und Phantasie – Impression und Imagination ................................................ 110 Beilage III: Die Zusammenhangsintentionen von Wahrnehmung und Erinnerung – Die Modi des Zeitbewußtseins ..................................................................... 113 Beilage IV: Wiedererinnerung und Konstitution von Zeitobjekten und objektiver Zeit ........................................ 118 Beilage V: Gleichzeitigkeit von Wahrnehmung und Wahrgenommenem ............................................................... 121 Beilage VI: Erfassung des absoluten Flusses – Wahrnehmung in vierfachem Sinn ...................................... 123 Beilage VII: Konstitution der Gleichzeitigkeit ....................... 129 Beilage VIII: Doppelte Intentionalität des Bewußtseinsstromes .............................................................. 130 Beilage IX: Urbewußtsein und Möglichkeit der Reflexion .... 133 Beilage X: Objektivation der Zeit und von Dinglichem in der Zeit .............................................................................. 136 Beilage XI: Adäquate und inadäquate Wahrnehmung ......... 141 Beilage XII: Das innere Bewußtsein und die Erfassung von Erlebnissen ..................................................................... 145 Beilage XIII: Konstitution spontaner Einheiten als immanenter Zeitobjekte – Urteil als Zeitgestalt und absolutes zeitkonstituierendes Bewußtsein ......................... 150
Inhalt · Texte
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B. Ergänzende Texte zur Darstellung der Problementwicklung 〈 I. Zur Einführung der wesentlichen Unterscheidung zwischen „frischer“ und „Wieder“-Erinnerung und über Inhaltsänderung und Auffassungsunterschiede im Zeitbewußtsein 〉 〈 Nr. 1 〉
Wie kommt es zur Vorstellung der Einheit eines länger fortgesetzten Änderungsverlaufs? 〈 Anschauung und Repräsentation 〉 ........................... 157
〈 Nr. 2 〉
Evidenz der Zeitwahrnehmung, Erinnerung etc. ... 172
〈 Nr. 3
Adäquate Erwartung 〉 ................................................ 175
〈 Nr. 4 〉
Meditation 〈 Wahrnehmung, Erinnerung und Erwartung 〉 ................................................................. 176
〈 Nr. 5
Andauernde Wahrnehmung als einfacher Akt 〉 ....... 177
〈 Nr. 6
Brentano und die Frage nach der Evidenz des Gedächtnisses 〉 ............................................................ 179
〈 Nr. 7 〉
Anschauung, Evidenz vom Vergangensein – bloße Vorstellung vom Vergangensein 〈 Scheinbare Notwendigkeit der Annahme einer Inhaltsveränderung in der primären Erinnerung 〉 .............. 179
〈 Nr. 8 〉
Adäquation durch Ähnlichkeit – Vorstellung eines Gegenstandes und Vorstellung von der Wahrnehmung des Gegenstandes 〈 Das „abgeblaßt“ noch Bewußte als bildlicher Ähnlichkeitsrepräsentant des zuvor Wahrgenommenen 〉 ................................... 182
〈 Nr. 9 〉
Disputatio 〈 Gegenwärtigkeit der Erinnerung, Vergangensein des Erinnerten 〉 .................................. 184
〈 Nr. 10 〉 Alte und erste Beobachtung darüber, daß ein wesentlicher Unterschied besteht zwischen ursprünglichem Vergangenheitsbewußtsein und Wiedererinnerung ............................................... 186
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Inhalt · Texte
〈 Nr. 11 〉 Haben die Momentanphasen der Wahrnehmung hinsichtlich der abgelaufenen Teile des Zeitobjekts den Charakter von Imaginationen? .......................... 188 〈 Nr. 12 Die Evidenz des Zeitbewußtseins 〉 ............................ 189 〈 Nr. 13 〉 Wahrnehmung eines Zeitlichen und Wahrnehmung der Zeitlichkeit ................................. 192 〈 Nr. 14 〉 Ob die intuitive Modifikation, vermöge deren aus der Wahrnehmung unmittelbare Erinnerung wird, verstanden werden kann als eine bloße Änderung des präsentierenden Inhalts (Brentano mag hier nur als Exempel dienen) ............................................ 193 〈 Nr. 15 〉 Zeit und Erinnerung 〈 Jetztwahrnehmung, Erinnerungswahrnehmung und phantastische Erinnerung. Versetzung der Unterschiede in die Apperzeptionsweise 〉 .................................................. 196 〈 Nr. 16 Was in einer Wahrnehmung als gegenwärtig gegeben sein kann 〉...................................................... 199 〈 Nr. 17 Das Problem des Bewußtseins der Modifikation 〉 .... 200 〈 Nr. 18 〉 Der Charakter der Erinnerung – Repräsentation durch Identität: was soll das meinen? ...................... 202 〈 II. Die Ausschaltung der objektiven Zeit, das Zeitobjekt, die Phänomenologie der Objektivierung und ihre Aporien 〉 〈 Nr. 19 Der völlige Ausschluß aller Suppositionen in betreff einer objektiven Zeit 〉 .................................... 211 〈 Nr. 20 Die Wahrnehmung der Sukzession setzt Sukzession der Wahrnehmung voraus 〉 .................... 213 〈 Nr. 21 Das Erkennen aufgrund der wiederholten Vergegenwärtigung einer selben Sukzession 〉 .......... 216 〈 Nr. 22 〉 Ist (oder wie ist) adäquate Erinnerung möglich? ..... 220
Inhalt · Texte
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〈 Nr. 23 〉 Einheit der Zeit und ihre Unendlichkeit .................. 222 〈 Nr. 24 〉 Wahrnehmung eines individuellen (zeitlichen) Objekts 〈 Finden wir in einer Phase der Wahrnehmung des Zeitlichen die Wahrnehmungserscheinungen der früheren Phasen? 〉 .................................. 223 〈 Nr. 25 〉 Adäquate Erinnerung. Frühere Wahrnehmung – Wahrnehmung der Vergangenheit. Versuch (Aporie) 〈 Warum ist die frische Erinnerung nicht einfach die fortdauernde ursprüngliche Wahrnehmung? 〉 ......... 226 〈 Nr. 26 〉 Zur Hypothese: daß die Wahrnehmungen „Zeitbestimmtheit“ als jeweiliges Jetzt, das sich aber beständig verändert, einschließen und daß die primäre Erinnerung die Bedeutung des Verbleibens dieser Wahrnehmungen hat ................. 229 〈 Nr. 27 Versuch einer Übersicht: Die fundamentalen zeitlichen Unterschiede. Selbst-da und Objektivierung 〉 ....................................................................... 235 〈 Nr. 28 〉 Die Identität des Tones, des Zeitobjekts und jeder Phase des Zeitobjekts im Flusse des Zeitbewußtseins ................................................................. 239 〈 Nr. 29 〉 Meinongs Unterscheidung in distribuierte und indistribuierte Gegenstände ...................................... 243 〈 Nr. 30 Dreierlei Phasen 〉 ........................................................ 256 〈 Nr. 31 〉 Zeichnung 〈 Jetztauffassung und extensive Wahrnehmung 〉 .......................................................... 258 〈 Nr. 32 〉 Kontinua ..................................................................... 259 〈 Nr. 33 〉 Ergebnisse der Diskussion Stern-Meinong .............. 260 〈 Nr. 34 Zum Problem des Bewußtseins von einer Aufeinanderfolge 〉 ....................................................... 263
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Inhalt · Texte
〈 III.〉 Seefelder Manuskripte über Individuation 〈 Nr. 35 〉 Einheit des Zeitdinges als Identischen der Veränderung oder Unveränderung ........................... 266 〈 Nr. 36 Zur 〉 Seefelder Reflexion 〈 Typisches, Mathematisches und die Einheit des Zeitgegenstandes 〉 ... 283 〈 Nr. 37 〉 Das Zeitobjekt ............................................................ 290 〈 Nr. 38 〉 Einwand gegen diese ganze Seefelder Betrachtungsweise ..................................................... 296 〈 IV. Zur Auflösung des Schemas Auffassungsinhalt – Auffassung 〉 〈 Nr. 39 〉 Zeit in der Wahrnehmung ......................................... 300 〈 Nr. 40 〉 Stufen der Objektivität ............................................. 319 〈 Nr. 41 〉 Erscheinung und Zeit – Erleben und Erlebnis. Das Bewußtsein als das Erleben, in dem die Bewußtseinserlebnisse im Plural erlebt sind ........... 321 〈 Nr. 42 〉 Evidenz ....................................................................... 326 〈 Nr. 43 〉 Problem ....................................................................... 327 〈 Nr. 44 〉 Die Zeitform des Bewußtseins .................................. 328 〈 Nr. 45 Die doppelte Intentionalität der Bewußtseinsflüsse 〉 330 〈 Nr. 46 Fraglichkeit der Rückführung aller Unterschiede auf die Auffassungsweise 〉 ......................................... 344 〈 Nr. 47 „Inhalts-“ und „Auffassungsmomente“ und die Evidenz der frischen Erinnerung 〉 ............................ 345 〈 Nr. 48 〉 Ursprüngliche zeitliche Zurückschiebung ................ 352 〈 Nr. 49 Haben wir im Jetztpunkt ein Kontinuum von primären Inhalten gleichzeitig und dazu gleichzeitig ein „Auffassungs“-Kontinuum? 〉 ..................... 353 〈 Nr. 50 〉 Die primäre Erinnerungsmodifikation ..................... 359
Inhalt · Texte
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〈V. Zum ersten Abschluss der Untersuchungen 〉 〈 Nr. 51 Das Zeitproblem in der phänomenologischen Fundamentalbetrachtung 〉 ........................................ 370 〈 Nr. 52 〉 Bloße Vorstellungen von Vorgängen oder von individuellen (dauernden) Gegenständen. Evidenz der Gedächtniswahrnehmung, Evidenz der Wahrnehmung von Gegenwärtigem ... 388 〈 Nr. 53 〉 Die Intentionalität des inneren Bewußtseins ........... 394 〈 Nr. 54 Bewußtsein (Fluß), Erscheinung (immanentes Objekt) und Gegenstand 〉 .......................................... 404 Sachregister zu Teil A ............................................................... 419 Sachregister zu Teil B ............................................................... 429
Einleitung
I. Schon ein flüchtiger Blick auf die Geschichte der Philosophie lehrt, daß das Denken sich vor allem auf zwei Wegen dem Rätsel der Zeit zu nähern versucht hat. Der eine Zugangsweg orientiert sich am Naturphänomen der Bewegung von Körpern im Raum. Die Aristotelische Analyse der Zeit im berühmten Buch Delta seiner „Physik“ ist das klassische Beispiel einer Analyse, welche die Zeit als das Maß der Bewegung versteht. Der andere Zugangsweg verläuft über die Introspektion und faßt die Zeit als eine Eigenschaft der menschlichen Seele und deren Vorstellungsvermögen. Es ist kein Zufall, daß dieses Verständnis der Zeit seinen ersten prägnanten Ausdruck in einer Schrift gefunden hat, welche der Gewissenserforschung, Selbstanklage und Erinnerung gewidmet ist, nämlich im XI. Buch der „Confessiones“ von Augustinus. Zeitliche Erstreckung („distensio animi“) ist die wesentliche Eigenschaft des menschlichen Geistes, der, ausgestoßen aus der Teilhabe an Gottes ewiger Anwesenheit, dennoch den Ablauf seines eigenen wechselvollen Lebens zu überschauen vermag. In diesem Verständnis der zeitlichen Ausdehnung des menschlichen Vorstellungsvermögens als Glück im Unglück drängt sich dann auch schon bei Augustinus sogleich die Frage nach den Grenzen der Zeit auf, nach dem Anfang und Ursprung sowie nach dem Ende und der Vollendung. Das im Husserl-Archiv zu Leuven aufbewahrte Handexemplar der „Confessiones“ beweist, daß Husserl das XI. Buch aufmerksam gelesen hat. Dies nimmt nicht wunder, denn er läßt sich in seiner phänomenologischen Beschreibung des inneren Zeitbewußtseins so sehr durch die Beobachtungen und impliziten Voraussetzungen der Augustinischen Zeitanalyse inspirieren, daß man geradezu von Husserlschen „Randbemerkungen“ zu Augustinus sprechen möchte. Auch bei Husserl wird das Problem der Zeit in der Innerlichkeit des Bewußtseins
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Rudolf Bernet
beheimatet. Untersucht wird die Fähigkeit der bewußtseinsmäßigen Gegenwart, nicht nur Gegenwärtiges zu erfassen, sondern auch Vergangenes zu behalten sowie Zukünftiges zu gewärtigen. Die erinnerte Vergangenheit wird dabei letztlich stets verstanden als vergangenes Bewußtsein und die erwartete Zukunft als zukünftiges Bewußtsein. Die philosophische Analyse der unterschiedlichen Zeitdimensionen bewegt sich somit allem Anschein nach innerhalb der engen Schranken der psychischen Innerlichkeit. Wird dann vergangenes Bewußtsein auch noch als gegenwärtig gewesenes Bewußtsein verstanden und zukünftiges Bewußtsein als gegenwärtig werdendes Bewußtsein, so ist man versucht, geradezu von einem eindimensionalen Zeitbegriff zu sprechen. Eindimensional nicht nur wegen der beherrschenden Rolle der bewußtseinsmäßigen Gegenwart, sondern auch, wie wir gleich noch sehen werden, weil der zeitliche Ablauf als eine in punktuelle Jetztmomente aufgesplitterte Linie gefaßt wird. Andererseits fällt es aber auch nicht schwer, das Husserlsche Verständnis der Zeit mit dem Ansatz von Aristoteles in Verbindung zu bringen, obwohl sich Husserls Beschäftigung mit der „Physik“ faktisch nicht so leicht dokumentieren läßt wie sein Studium der „Confessiones“. Zeitbestimmungen wie ‚früher‘ und ‚später‘ sowie ‚zukünftig‘, ‚gegenwärtig‘ und ‚vergangen‘ sind für beide Philosophen Prädikate eines Gegenstandes, der sich innerhalb eines umfassenden zeit-räumlichen Ortsystems bewegt. Als Maß dieser Bewegung fungiert dabei die Linie der stetig neu entspringenden Jetztpunkte. Die irreversible Folge dieser Jetztpunkte ist vergleichbar mit der Reihe der Zahlen, welche durch die wiederholte Hinzufügung der Einheit erzeugt wird. Die Zahl bzw. die zeitliche Einheit des Jetzt zählt die Bewegung ab, die Zeit zählt und wird als Folge stets neuer Jetzt zugleich selbst gezählt. Dieser Aristotelischen Einsicht entspricht Husserls Lehre von der stehend-strömenden Gegenwart. Zwar macht sich Aristoteles mehr Gedanken über die Seinsweise der Zeit und des Jetzt als Husserl, doch sind sie sich beide darüber einig, daß die Zeit kein selbständig Seiendes, kein (vorhandener) Gegenstand ist und daß es dennoch keine Zeit ohne Gegenstände geben kann. Zeit begegnet zuerst in
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der Erfahrung der Natur, in der Bewegung und Veränderung der Dinge, die uns umgeben. Wird die Zeit dann selbst als eine Art von Bewegung verstanden, so geschieht dies in spontaner Anlehnung an die Eigenart der Bewegung physischer Körper. Husserl hat sich gegen die Verführungen dieser Angleichung zwar gewehrt, ganz zu entrinnen vermochte er der daraus folgenden Naturalisierung oder Objektivierung des Zeitbewußtseins jedoch nicht. Wie ist es nun aber möglich zu behaupten, Husserls Verständnis der Zeit sei zugleich den Analysen eines Aristoteles und eines Augustinus verpflichtet? Natürlich soll nicht etwa in Abrede gestellt werden, daß zwischen diesen beiden Philosophen Linien historischer Filiation oder systematischer Ähnlichkeit festzustellen sind. Die Frage zielt vielmehr darauf, wie Husserl den Gegensatz zwischen einem naturphilosophisch und einem psychologisch inspirierten Ansatz im Rahmen seiner Phänomenologie des Zeitbewußtseins zu überwinden vermochte. Es ist wahrscheinlich, daß auch Heidegger gerade diese Frage vor Augen stand, als er in seiner „Vorbemerkung des Herausgebers“ zu „Edmund Husserls Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins“ schrieb: „Entscheidend wird dabei die Herausstellung des intentionalen Charakters des Zeitbewußtseins und die wachsende grundsätzliche Klärung der Intentionalität überhaupt.“ Wir werden noch darauf zurückkommen, daß Heideggers Marburger Schüler nicht umhin konnten, dieses Lob zugleich als eine versteckte Kritik an Husserl zu verstehen. Vorläufig genügt die Feststellung, daß die Intentionalität des Bewußtseins nicht bloß die Originalität von Husserls Zugang zum Zeitproblem wesentlich kennzeichnet, sondern auch in Husserls fortschreitender Verbesserung der Analyse des Zeitbewußtseins einen zentralen Platz einnimmt. Die Phänomene, mit denen Husserl sich in den hier wiedergegebenen Texten vor allem beschäftigt, nämlich die Wahrnehmung eines dauernden Gegenstandes, das Behalten und erinnernde Reproduzieren vergangener Bewußtseinsmomente und schließlich auch das Bewußtsein der Einheit des eigenen dauernden Selbst bezeichnen allesamt verschiedene Leistungen des intentionalen Bewußtseins. Eine Analyse der
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Zeit, die im Rahmen der Phänomenologie des intentionalen Bewußtseins ausgebildet wird, überwindet den Zwiespalt zwischen ‚psychologischer‘ und ‚physikalischer‘ Zeitanalyse deswegen, weil ein intentionales Erlebnis die Grenzen innerlicher Selbstzugehörigkeit stets überschreitet und sich in Beziehung setzt zu einem Bewußten außerhalb seiner selbst. Dies gilt für alle eben erwähnten Formen des Zeitbewußtseins, und zwar, wie sich noch zeigen wird, ausnahmslos. In der Wahrnehmung, dem Grundphänomen der Husserlschen Zeitanalyse, zeigt sich diese Verschränkung von Innen und Außen in der Form des Bezugs der psychischen bzw. „immanenten“ Zeit der Wahrnehmung auf die Naturzeit bzw. „objektive Zeit“ der wahrgenommenen Gegenstände. Mit Bezug auf die Intentionalität des Zeitbewußtseins stellt sich nun aber eine neue, weniger leicht zu beantwortende Frage, nämlich: um was für eine Intentionalität handelt es sich dabei? Damit ist nicht gemeint „die Frage nach der Seinsweise von Intentionalität überhaupt“ und ihrem Zusammenhang mit der Zeit und auch nicht eine sprachanalytische Neuformulierung des Husserlschen Begriffs der Intentionalität. In Frage steht ganz einfach, ob die Intentionalität des Zeitbewußtseins für Husserl eine eigene Art intentionalen Bewußtseins darstellt, neben z. B. Wahrnehmung, Einfühlung usw., oder ob die Intentionalität des Zeitbewußtseins in allen intentionalen Akten, und zwar als unselbständiges Moment, mitwirkt. Eng verbunden damit stellt sich dann auch noch die weitere Frage, ob das intentionale Zeitbewußtsein zum Gegenstand selbständiger phänomenologischer Erforschung gemacht werden kann oder ob das Zeitbewußtsein stets im Zusammenhang mit anderen Leistungen des intentionalen Bewußtseins zur Sprache gebracht werden muß. Husserl gibt scheinbar keine eindeutige Antwort auf diese Fragen. Einerseits bewegen sich seine Zeitanalysen stets in einem umfassenderen Problembereich. In den frühen Texten geht es zugleich mit der Zeit stets auch um die Beschreibung der Wahrnehmung, und in den späteren Texten verbindet sich die Analyse der Zeit vor allem mit der Untersuchung des Personsbegriffs, der Konstitution der sozialen Gemeinschaft und auch des Sinnes der Geschichte.
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Andererseits findet sich gerade in der hier vorliegenden Sammlung eine stattliche Anzahl von Texten, die sich ausschließlich mit der Beschreibung des Zeitflusses beschäftigen, z. B. mit der kontinuierlichen Modifikation im Festhalten eines vergangenen Jetzt. Es handelt sich dabei notgedrungen um relativ abstrakte, oftmals geradezu mathematisch-formale Beschreibungen. Eigentümlicherweise haben viele Leser sich offenbar gerade durch diese formalen Untersuchungen beeindrucken lassen und dann lautstark die Entformalisierung der Husserlschen Zeitanalyse und den Übergang zu einem mehr anthropologisch orientierten Zeitverständnis gefordert. Was Husserl selbst betrifft, so ist jedenfalls so viel deutlich, daß er den Anspruch der Zeitanalysen, der ganzen Phänomenologie den Boden zu bereiten, nie mit dem Hinweis auf ihren formalen Charakter begründet hat. Eher umgekehrt: Die Zeitanalysen sind der (unselbständige) Grund der Phänomenologie der Wahrnehmung, Phantasie, Einfühlung usw.; und eine Analyse des Zeitbewußtseins wird erst dann formal, wenn sie verselbständigt wird, d. h. wenn man von ihrer grundlegenden Funktion z. B. in einer Phänomenologie der Wahrnehmung abstrahiert. Die Phänomenologie der Wahrnehmung oder die der Intersubjektivität bestimmt die phänomenologischen Zeitanalysen auch da noch, wo dieser Horizont unbemerkt bleibt oder explizit ausgeklammert wird. Ist die Zeit zwar ein grundlegendes, aber kein selbständiges Gebiet phänomenologischer Forschung, so kann schwerlich behauptet werden, Husserl sehe im Zeitbewußtsein eine eigenständige Art von intentionalem Bewußtsein. Dies schließt jedoch wiederum nicht aus, daß die Entwicklung der Phänomenologie der Wahrnehmung, Phantasie, Erinnerung, Einfühlung usw. ihre wichtigsten Anstöße gerade aus der formalen Analyse des Zeitbewußtseins erhalten hat. Auch die Lehre von der Intentionalität überhaupt als allgemeiner Bewußtseinsfunktion wurde entscheidend geprägt von der Analyse des Zeitbewußtseins. Wir werden noch verfolgen, wie sich im Rahmen der Phänomenologie des Zeitbewußtseins neue Formen des intentionalen Bewußtseins aufdrängen, insbesondere die intentionale Richtung auf horizontmäßig gegebene Gegenstände sowie eine Intentionalität des „absoluten
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Bewußtseins“, die weder Akt noch Gegenstand kennt. Eine besondere Affinität zwischen Intentionalität und Zeit ist also auch bei Husserl festzustellen, jedoch ohne daß sie, wie bei Heidegger, zum Gegenstand eigener und prinzipieller Untersuchungen gemacht würde. In der schon angeführten „Vorbemerkung“ zu „Edmund Husserls Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins“ schreibt Heidegger: „Das durchgehende Thema der vorliegenden Untersuchung ist die zeitliche Konstitution eines reinen Empfindungsdatums […]“. Heidegger legt mit dieser Bemerkung den Finger präzise auf den Ansatz von Husserls Phänomenologie des Zeitbewußtseins. Ansatz allerdings bloß im Sinn des Anfangs einer Entwicklung, der ersten Formulierung und vor allem deren historischen Hintergrund. Der von Heidegger angesprochene Zusammenhang von Empfindungsdatum und Zeit legt es nahe, diesen historischen Hintergrund mit der Tradition des Empirismus in Verbindung zu bringen. So verhält es sich in der Tat, und dieser Einfluß des Empirismus (insbes. Lockes) auf Husserls anfängliches Zeitverständnis verläuft vor allem über Brentano und Meinong. Eine zentrale Rolle spielt in dieser Diskussion mit Brentano und Meinong die empiristische These, zeitliche „Gegenwart“ sei identisch mit der maximalen Intensität der Impression und zeitliche „Vergangenheit“ bezeichne das Nachlassen, Verbleichen und schließlich völlige Ersterben dieser Intensität der Empfindungsdaten. Diese abnehmende Intensität der Impression werde dann kompensiert durch die schöpferische Tätigkeit der Phantasie. Nach Brentano wird das Vergangene folglich auch nicht etwa wahrgenommen, sondern vielmehr in einem Bild vorgestellt. Auch für Meinong gilt, daß die Erfassung der zeitlichen Dauer die Grenzen der Wahrnehmung übersteigt und den Beistand kategorialer Annahmen erfordert. Husserls Kritik an diesen Auffassungen muß zugleich als eine fortschreitende Abwendung von der Tradition eines empiristischen Zeitverständnisses gelesen werden. Diese Abwendung vom Empirismus bedeutet allgemeiner auch die Erarbeitung eines spezifisch phänomenologischen Begriffs des Bewußtseins. Auch dabei spielt die fortschreitende Erforschung der
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Intentionalität des Zeitbewußtseins eine wesentliche Rolle. Ein wichtiges Moment in dieser Ablösung vom empiristischen Bewußtseinsbegriff ist, wie wir noch sehen werden, vor allem die Einsicht, daß der Unterschied zwischen (vor-intentionalem) Empfindungsinhalt und dessen (intentionaler) Auffassung der Eigenart des inneren Zeitbewußtseins nicht angepaßt ist. Die Auseinandersetzung mit dem Zeitverständnis des englischen Empirismus und vor allem mit dessen Vertretern in der deutschen (Psycho-)Philosophie des 19. Jahrhunderts hat in Husserls Texten zum Zeitbewußtsein unübersehbare Spuren hinterlassen. Kaum erwähnt werden aber Aristoteles und Augustinus, deren gegensätzlicher Zeitbegriff Husserls Zugang zur Frage nach der Zeit – systematisch gesehen – so entscheidend bestimmt. Ganz anders als etwa im Heideggerschen Werk finden auch Kants und Hegels Begriffe der Zeit in den vorliegenden Texten keine Beachtung. Wie immer es sich aber mit diesen bemerkten oder unbemerkten denkgeschichtlichen Familienähnlichkeiten verhalten möge, sicher ist jedenfalls, daß Husserls Berufung auf die Intentionalität des Bewußtseins dem Verständnis der Zeit einen neuen Weg geöffnet hat. Die chronologische Anordnung der vorliegenden Texte erlaubt es, ein Stück dieses von Husserl selbst zurückgelegten Weges nachzuvollziehen. Ich will im Folgenden die wichtigsten Etappen dieses Weges in einer historischen Übersicht kurz vorstellen.
II.
Aus der Feststellung der wichtigsten Etappen in Husserls Entwicklung der Zeitproblematik in den Jahren 1893 – 1911 ergibt sich zugleich auch meine schematische Einteilung der vorliegenden Texte in vier verschiedene Gruppen. Jede dieser Gruppen bündelt nicht einfach nur Texte aus demselben Zeitraum, sondern verweist auch auf einen sachlichen Schwerpunkt und eine spezifische Weise seiner Behandlung. Gruppe 1 umfaßt die Texte Nr. 1 bis Nr. 17. Der sachliche Schwerpunkt dieser Gruppe betrifft den Übergang von der Frage nach dem psychologisch-genetischen Ursprung der Zeit zur phänome-
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nologischen Beschreibung der Wahrnehmung von zeitlichen Gegenständen. Die meisten Texte dieser Gruppe stammen aus der Zeit der Veröffentlichung der „Logischen Untersuchungen“ (LU), d.h. aus 1900 –1901. Gruppe 2 enthält die Texte Nr. 18 bis Nr. 35. Diese Texte sind in den Jahren 1904 –1905 entstanden und stehen alle direkt oder indirekt im Zusammenhang mit den im Februar 1905 gehaltenen „Zeitvorlesungen“, die dann 1928 in einer von E. Stein bearbeiteten Fassung von M. Heidegger veröffentlicht wurden (vgl. dazu „Einleitung des Herausgebers“ in Husserliana X und unten „Editorischer Bericht“). Behandelt wird in diesen Texten vor allem die Ausschaltung der objektiven Zeit, die Wahrnehmung eines dauernden Gegenstandes sowie ansatzweise auch eine verbesserte Lehre von der Wiedererinnerung. Zu Gruppe 3 gehören Texte, die zwischen dem Wintersemester 1906/07 und Ende August 1909 entstanden sind. Nr. 39 bis Nr. 47 sowie Nr. 51 und Nr. 52 der vorliegenden Ausgabe stammen aus diesem Zusammenhang. Der sachliche Schwerpunkt dieser Texte liegt bei der ausdrücklichen Anwendung der phänomenologischen Reduktion auf die Analyse des Zeitbewußtseins sowie bei der Entdeckung des „absoluten“, unzeitlichen Bewußtseins, in dem sich edle Zeitgegenstände konstituieren. Damit verbunden findet auch die Lehre von der Wiedererinnerung ihre endgültige Form. Gruppe 4 schließlich umfaßt die Texte Nr. 48 bis Nr. 50 sowie Nr. 53 und Nr. 54. Diese Texte datieren aus der Zeit von Anfang September 1909 bis Ende 1911. Hier wird erstmals die Beschreibung der „Retention“ im Rahmen des Schemas „Auffassung – Auffassungsinhalt“ konsequent kritisiert und mit der neu ausgeführten Lehre der Retention zugleich auch die Eigenart und Funktion des absoluten Bewußtseins verdeutlicht. Diese Einteilung der Texte in vier Gruppen weicht ab von ihrer Anordnung innerhalb der Abschnitte „I“ bis „V“, so wie sie sich in der vorliegenden Ausgabe dieser Texte findet. Diese Unstimmigkeit ergibt sich daraus, daß ich einerseits den Textbestand möglichst unverändert aus Husserliana X übernehmen und andererseits doch nicht auf die Berücksichtigung neuerer, von den Auffassungen des Herausgebers des Husserliana-Bandes abweichender Forschungsergebnisse verzichten
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wollte. Der nachfolgende „Editorische Bericht“ orientiert darüber, wie ich dieses Problem in der Textgestaltung der vorliegenden Studienausgabe technisch zu lösen versucht habe. Die historischen und sachlichen Gründe für eine neue Datierung einzelner Texte und damit auch die Gründe für die neue Gruppierung der Texte insgesamt ergeben sich aus der weiteren Folge dieser Einleitung. Die Texte der 1. Gruppe sind in einer Zeitspanne entstanden (1893 –1901), die kurz nach dem Erscheinen von Husserls „Philosophie der Arithmetik“ (1891) beginnt und kurz nach dem Erscheinen von Husserls „Logische Untersuchungen“ (1900/01) endet. Dieser Zeitraum wird gekennzeichnet durch Husserls Distanzierung von der Methode einer zwar genetisch-kausal verfahrenden, jedoch nicht psycho-physischen, empirischen Psychologie und durch seine Zuwendung zu einer „deskriptiv“ genannten Phänomenologie. Diese Entwicklung findet ihren Niederschlag auch in den Texten zur Zeitproblematik, die in derselben Periode entstanden sind (Nr. 1 bis Nr. 17). Während der Text Nr. 1 (1893) sich noch mit unangefochtener Selbstverständlichkeit der Aufklärung der „psychologischen Entstehung“ (S. 160) der Vorstellung von zeitlichen Abläufen widmet, so ist die in Nr. 8 (wohl um 1901) formulierte Frage bereits eindeutig kritisch gemeint: „Ist es nicht die Aufgabe der psychologischen Zeittheorie, unter Voraussetzung der objektiven Zeit, in der die psychischen Erlebnisse verlaufen, die Entstehung der subjektiven Zeitvorstellung zu erklären?“ (S. 182). Die Entwicklung von einer psychologisch erklärenden Ursprungsanalyse der Zeitvorstellungen zu einer phänomenologischen Deskription der Wahrnehmung von Zeitgegenständen und Zeitformen findet im Text Nr. 12 (wohl 1901) einen prägnanten Ausdruck: „In der Phänomenologie haben wir es nicht mit der objektiven Zeit, sondern mit Gegebenheiten der adäquaten Wahrnehmung zu tun“ (S. 191f.). Die in Gruppe 1 gebündelten Texte spiegeln jedoch nicht bloß die sich im Übergang von der „Philosophie der Arithmetik“ zu den „Logischen Untersuchungen“ vollziehende Modifikation der phänomenologischen Methode wider, sie bieten auch eine
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ganz wesentliche Ergänzung zu diesen beiden Druckschriften. Sie dokumentieren ein Problembewußtsein bezüglich der Zeit, das in diesen beiden Werken nicht zum Ausdruck kam bzw. geradezu verdrängt wurde. Die mangelhafte Behandlung der Zeitproblematik in der ,,Ph. d. Arith.“ hat einen symptomatischen Wert. Sie ist ein (weiteres) Zeichen dafür, daß es Husserl in diesem Werk nicht gelang, den Zusammenhang zwischen den „Psychologischen und logischen Untersuchungen“, d. h. zwischen dem zeitlich bedingten Prozeß des Kolligierens und dem überzeitlichen Begriff der Zahl überzeugend darzustellen. Der Text Nr. 1, der übrigens inzwischen in seiner vollständigen Form in Husserliana XXII (S. 269 – 302) veröffentlicht wurde, holt diesbezüglich und vor allem bezüglich der Wahrnehmung der Zeit einiges nach, bewegt sich jedoch weiterhin im Rahmen der empirischen Psychologie. In den LU dagegen ist, zumindest implizit, bereits eine eidetische Phänomenologie am Werk, doch wird dieser Fortschritt mit dem Preis einer konsequenten Verdrängung der Zeitproblematik bezahlt. Diese Verdrängung konnte jedoch schon deswegen nicht recht gelingen, weil es eine Phänomenologie der „Akte“ des Bewußtseins ohne ein, zumindest implizites, Verständnis von deren zeitlichem Ablauf und Gegebenheitsmodus gar nicht geben kann. Husserl arbeitet denn auch in den LU deutlich mit der „idealisierenden Voraussetzung“ einer Zeitlichkeit, die auf die Simultaneität jetziger Gegenwartsmomente eingeschränkt wird. Die verschiedenen Akte, die zu synthetischer Einheit gebracht werden, sowie der einheitstiftende Akt der Synthesis selbst bewegen sich in einer Sphäre der Gleichzeitigkeit, die den Anschein erweckt, es handle sich bei diesen Akten um zeitlose phänomenologische Gegebenheiten. Dasselbe gilt auch für den Zusammenhang der Akte phänomenologischer Reflexion und den darin reflektierten Akten sowie allgemeiner für jede Form der „inneren Wahrnehmung“. Einzig bei der Behandlung der „okkasionellen Ausdrücke“ und der in einem Wahrnehmungsablauf fungierenden, kontinuierlichen Synthesis der mannigfaltigen Erscheinungsweisen des Gegenstandes wird der Gang der Untersuchung – wie in Jakobs Kampf mit dem unsichtbaren Engel – durch den Flügel der Zeit berührt und gelähmt.
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Die aus dem Umkreis der LU stammenden Texte Nr. 2 bis Nr. 17 beweisen Husserls damalige Vertrautheit mit dem Zeitproblem, vielleicht auch sein Unbehagen über das Vorgehen der LU. Diese Texte zeigen auch, daß sich das Problem der Zeit für Husserl zuerst ausschließlich im Zusammenhang mit der phänomenologischen Analyse der Wahrnehmung stellte. In diesem ersten, bereits phänomenologisch zu nennenden Versuch einer Beschreibung der dauernden Wahrnehmung von einem dauernden Gegenstand bzw. von der Zeitform der Dauer ergeben sich Einsichten, die auch für die weitere Entwicklung von Husserls Zeitverständnis von größter Bedeutung sind. So bricht Husserl auch in diesen frühen Texten schon mit dem für viele seiner Zeitgenossen selbstverständlichen Vorurteil, das die Gegebenheitsweise der Gegenwart auf die Erfassung eines Jetztpunktes beschränkt (vgl. Nr. 12 und Nr. 15). Das Jetzt hat eine „sichtbare Ausdehnung“ (S. 190), es ist umgeben von einem „Hof“ bzw. Horizont unmittelbar anschließender Vergangenheit und Zukunft (S. 189). Die wahrnehmungsmäßig erfaßte Gegenwart ist „nicht ein bloß zeitlich Punktuelles“ (S. 199), sondern ein „Feld“ (S. 42), in dem Jetzt, Nicht-mehr-Jetzt und Nochnicht-Jetzt umfaßt werden durch eine „Gestaltform“ (ebd.).1 1
Husserl stimmt in diesem Punkte überein mit der Position, die L. W. Stern schon etwas früher vertreten hatte („Psychische Präsenzzeit“ in: Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, Bd. XIII, S. 325–349 (1897)). Auch W. James hatte schon lange vor Husserl darauf hingewiesen, daß die Gegenwart nicht wie die Schneide eines Messers verstanden werden müsse, sondern eher wie „a saddle-back, with a certain breadth of its own on which we sit perched, and from which we look in two directions into time.“ („The Principles of Psychology“, vol. I, S. 609 (1890)) Husserl hat James schon 1891/92 und vor allem 1894 gelesen (vgl. „Husserl-Chronik“, S. 32 und 41) und seine Entdeckung der „Ausdehnung“ der Gegenwart ist sehr wahrscheinlich beeinflußt durch diese Lektüre. Stern hat Husserl möglicherweise gar nicht selbst gelesen, sondern nur in Form des Referates von Meinong zur Kenntnis genommen (vgl. unten, Text Nr. 29, Anm. zu den S. 244–246). Dieses Referat findet sich in einer Schrift Meinongs („Über Gegenstände höherer Ordnung und deren Verhältnis zur inneren Wahrnehmung“), die Husserl im September 1904 gelesen hat (vgl. dazu weiter unten in dieser Einleitung). Die Bekanntschaft mit der Position von Stern bedeutet für Husserl somit
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Husserl macht auch bereits den Unterschied zwischen einem Vergangenen, das unmittelbar zur Wahrnehmungsgegenwart gehört, und einem Vergangenen, das erst durch „Reproduktion“ wieder gegenwärtig gemacht wird (Nr. 10 und Nr. 11). Damit ist die Scheidung zwischen dem, was später „Retention“ und „Wiedererinnerung“ genannt wird, bereits deutlich vollzogen. Allerdings wird in diesen frühen Texten Retention noch als Auffassung eines modifizierten Inhalts und Wiedererinnerung noch als eine Art von Bildbewußtsein gefaßt. Die Lehre von der ausgedehnten Gegenwart und insbesondere von der „frischen Erinnerung“ (S. 187) bzw. retentionalen Anschauung der Vergangenheit bringt Husserl auch in diesen frühesten Texten schon in Konflikt mit Brentano (Nr. 14 und Nr. 15).2 Aus Husserls Darstellung ergibt sich, daß Brentanos Verständnis des Zeitbewußtseins durch drei verschiedene Überzeugungen bzw. Vorurteile bestimmt wird. Dem ersten, metaphysisch zu nennenden Vorurteil zufolge verdient nur das, was gegenwärtig ist, den Namen ‚wirkliches Sein‘. Das zweite, erkenntnistheoretische Vorurteil bestimmt, daß nur das, was gegenwärtig ist, wahrgenommen werden kann. Ein drittes, psyhöchst wahrscheinlich nicht mehr als eine nachträgliche Bestätigung seiner bereits feststehenden Einsicht in die zeitliche Ausdehnung der wahrnehmungsmäßigen Präsenz. 2 Husserl bezieht sich stets auf Brentanos frühe Zeitvorlesungen, deren Inhalt ihm bloß indirekt, und zwar durch die Berichte älterer Brentano-Schüler, vor allem C. Stumpf und A. Marty, bekannt war. Dazu kommt noch, daß Stumpf sich auf Vorlesungen vom WS 1872/ 73, Marty jedoch auf Vorlesungen aus den Jahren 1868–70 bezieht. Der getreue Brentano-Schüler O. Kraus unterstreicht seinerseits, und zwar in einer polemischen Auseinandersetzung mit Husserls Brentano-Kritik, daß Brentano die von Husserl in den Jahren 1901 bis 1905 kritisierten Stellungnahmen selbst, und zwar bereits ab Ende 1894 verworfen habe. Die Zeugnisse von Stumpf („Erinnerungen an Franz Brentano“) sowie von Marty und Kraus („Toward a Phenomenognosy of Time Consciousness“) sind inzwischen wieder leicht zugänglich gemacht in Linda L. McAllister (ed.), „The Philosophy of Franz Brentano“, London 1976, insbes. S. 135 f., 225, 230. Posthum veröffentlicht wurden allein Brentanos spätere Zeitanalysen (F.B., „Philosophische Untersuchungen zu Raum, Zeit und Kontinuum“, Hamburg 1976).
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chologisch begründetes Vorurteil macht die Vorstellung bzw. Erfahrung eines Gegenstandes abhängig von einem mentalen Inhalt, der diesen Gegenstand innerhalb des Bewußtseins zur Darstellung bringt. Aus diesen Vorurteilen ergibt sich dann: 1. daß ein vergangener Gegenstand ein irrealer Gegenstand, „ein nicht Existierendes“ (S. 194) ist; 2. daß eine Wahrnehmung eines vergangenen Gegenstandes bzw. der „zeitlichen Zurückschiebung“ (S. 193) nicht möglich ist; 3. daß das (nichtwahrnehmungsmäßige, sondern nur durch die Phantasie gewährleistete) Bewußtsein von der Vergangenheit bzw. von der „zeitlichen Veränderung“ (ebd.) Sache „einer eigentümlichen Inhaltsveränderung“ (ebd.) ist. Die Art und Weise, wie Brentano dem ursprünglichen Vergangenheitsbewußtsein trotz dieser äußerst ungünstigen Voraussetzungen Rechnung zu tragen versucht, kommt in diesen frühen Texten – im Gegensatz zur Zeitvorlesung von 1905 (vgl. insbesondere Heidegger-Edition, § 3) – nicht eigens zur Darstellung. Husserl benutzt Brentano hier lediglich als Ausgangspunkt und Widerpart in seiner tastenden Suche nach einer phänomenologischen Beschreibung der Retention, die hier noch „Erinnerungswahrnehmung“ (S. 196) genannt wird. Die Texte Nr. 14 und Nr. 15 zeigen deutlich, wie Husserls Bestimmung der Retention als Auffassung eines modifizierten Inhalts sich in dieser 1901 erfolgenden Auseinandersetzung mit Brentano den Weg bahnt: „Ich bin geneigt, diesen Unterschied [zwischen einem als gegenwärtig und einem als vergangen erscheinenden Gegenstand] in die Apperzeptionsweise hineinzuverlegen“ (S. 197; vgl. auch S. 196). Die Kritik an Brentano spitzt sich dann auch naturgemäß zu auf die Widerlegung einer sensualistischen Beschreibung der Vergangenheitsmodifikation (vgl. auch Nr. 17). Wir wollen nun übergehen zur Betrachtung der Texte, die der 2. Gruppe angehören (Nr. 18 bis Nr. 35). Diese Texte sind in den Jahren 1904 und 1905 entstanden und gehören somit in den Zusammenhang der „Zeitvorlesungen“ vom Februar 1905.3 3 Diese „Zeitvorlesungen“ bilden den vierten und abschließenden Teil der Vorlesungen „Hauptstücke aus der Phänomenologie und Theorie der
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Die sachlich bedeutendsten Texte dieser Gruppe 2 stammen direkt aus dem Manuskript der Vorlesung von 1905 und behandeln, vor allem in Auseinandersetzung mit Meinong, das Problem der Wahrnehmung zeitlicher Kontinuität (Nr. 29 bis Nr 33). Die übrigen Texte dienten der Vorbereitung auf die Vorlesung sowie der nachträglichen Auswertung der darin erreichten Resultate. Besondere Erwähnung verdient dabei der in den Sommerferien 1905 in Seefeld entstandene Text Nr. 35, der die zeitlichen Voraussetzungen des Identitätsbewußtseins analysiert. Es fällt auf, daß in all diesen Texten die phänomenologische Untersuchung der Wahrnehmung einen zentralen Platz einnimmt – auch da noch, wo Husserl sich mit der Struktur der Wiedererinnerung auseinandersetzt. Dies ergibt sich einerseits natürlich daraus, daß die „Zeitvorlesungen“ das abschließende Stück der Vorlesung vom WS 1904/05 bilden, in der zuvor die Problematik der Wahrnehmung sehr ausführlich behandelt wurde. Andererseits zeichnet sich mit dieser Vorlesung insgesamt überhaupt eine vermehrte Zuwendung der Husserlschen Phänomenologie zur Erforschung der sinnlichen Erfahrung bzw. der „niederen Objektivationsformen“ ab. Husserls Auseinandersetzung mit Meinong bestimmt direkt oder indirekt die meisten der zwischen September 1904 und Erkenntnis“ vom WS 1904/05. Die Hauptstücke I und II dieser Vorlesung behandeln die Probleme der Wahrnehmung und Aufmerksamkeit. Hauptstück III widmet sich einer phänomenologischen Untersuchung der Phantasie und „des Bildbewußtseins und wurde 1980 erstmals veröffentlicht in Husserliana XXIII. Das IV. Hauptstück über „Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins“ liegt der Ausarbeitung von E. Stein zugrunde, die M. Heidegger dann 1928 unter dem Titel „Erster Teil: Die Vorlesungen über das innere Zeitbewußtsein aus dem Jahre 1905“ veröffentlichte (vgl. unten, Editorischer Bericht). Die Nachforschungen von R. Boehm, Herausgeber von Husserliana X, haben jedoch gezeigt, daß nur ein geringer Teil dieses Textes wirklich auf der Vorlesung von 1905 beruht, nämlich §§ 1–6, 7 (z. T.), 11 (z. T.), 16–17, 19, 23 (z.T.), 30, 31 (z.T.), 32, 33 (z. T.), 41. Hingegen stammen die hier abgedruckten Texte Nr. 29 bis Nr. 33, welche sich vor allem auf Meinong beziehen, zweifellos aus dem Manuskript der Vorlesung von 1905, obwohl sie bei Stein-Heidegger unberücksichtigt blieben.
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Februar 1905 entstandenen Texte zum „inneren Zeitbewußtsein“. Neben den ,,Beiträge[n] zur Theorie der psychischen Analyse“ (1893) war es vor allem die Abhandlung „Über Gegenstände höherer Ordnung und deren Verhältnis zur inneren Wahrnehmung“ (1899) und darin insbesondere der III. Abschnitt („Über das Vorstellen und Wahrnehmen des zeitlich Verteilten“), die Husserls kritische Reflexionen herausforderten (vgl. unten die „Anm. d. Hrsg.“ zu Nr. 29, S. 243 – 246). Meinong stützt sich in diesen Schriften auf die Scheidung zwischen einfachen und komplexen Gegenständen und bemüht sich insbesondere um eine sowohl logische als auch ontologische Klärung von denjenigen komplexen Gegenständen, deren Eigenart v. Ehrenfels hervorgehoben und mit dem Namen „Gestalt“ bedacht hatte („Über Gestaltqualitäten“, 1890). Husserl waren diese Sachfragen aus eigenen Forschungen vertraut, er hatte sie bereits in der „Ph. d. Arith.“ und, erfolgreicher, in der VI. LU behandelt. Neu war für Husserl jedoch, wie Meinong die Scheidung zwischen einfachen bzw. sinnlichen und komplexen bzw. kategorialen Gegenständen in Verbindung brachte mit der anderen Scheidung zwischen „zeitlich distribuierten“ und „zeitlich indistribuierten“ Gegenständen. „Zeitlich distribuiert“ wird ein Gegenstand genannt, dem mit Notwendigkeit eine zeitliche Erstreckung zukommt und der somit in einer jetzig-momentanen Erfassung nie voll zur Gegebenheit zu bringen ist. Meinongs Beispiel eines solchen Gegenstandes ist die Melodie. Meinong untersucht nun die Gegebenheitsweise dieser Melodie im Hinblick auf die Frage, ob es möglich ist, eine Melodie wahrzunehmen, m. a. W. ob die Melodie ein einfacher Gegenstand ist oder ein „Gegenstand höherer Ordnung“. Diese Untersuchung spitzt sich zu auf die Frage, ob in der sukzessiven Wahrnehmung von sukzessiven Tönen auch schon eine Wahrnehmung der Melodie beschlossen ist oder ob die Melodie erst nach Ablauf der zugehörigen Töne gegeben ist, und zwar in einem nachträglichen und simultanen Überblick über alle Töne und in der synthetischen Vorstellung von ihrer melodischen Einheit. Meinong entscheidet sich für die letztere Lösung, und zwar vor allem mit der Begründung, sukzessive Wahrnehmungen genügten bloß für die Erfahrung von
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„Klassen“, nicht aber für die Erfassung einer ganzheitlichen bzw. gestaltmäßigen „Bewegung“ wie sie sich im Ablauf einer Melodie finde. Die Melodie wird damit zu einem höherstufigen Gegenstand, dessen Erfassung zusätzlich zur sinnlichen Erfahrung der Töne auch eine logische Vorstellung mit ins Spiel bringt. In Husserls Terminologie übersetzt: Die vermeintliche Wahrnehmung einer Melodie ist in Wirklichkeit ein Akt (sinnlich „gemischter“) kategorialer Anschauung. Husserl ist einverstanden mit Meinongs Bemerkung, daß die Sukzession von Wahrnehmungen eines jetzigen Gegenstandes noch keineswegs die Wahrnehmung einer gegenständlichen Sukzession bzw. Kontinuität gewährleistet. Daraus folgt die Unmöglichkeit der Wahrnehmung einer Melodie jedoch nur dann, wenn man auch Meinongs weiteren Voraussetzungen bzw. Vorurteilen beitritt. Meinongs wichtigstes Vorurteil, das er übrigens auch ganz bewußt Sterns Annahme einer Ausbreitung der „Präsenzzeit“ gegenüberstellt, ist die Beschränkung der Anschauung auf die Erfassung eines punktuell-jetzigen Gegenstandes oder Gegenstandsmomentes. Husserl spricht diesbezüglich von der „idealisierenden Fiktion“ eines „mathematischen Zeitpunktes“ (Nr. 29, S. 253). Daraus folgt dann einerseits die Unmöglichkeit der Wahrnehmung einer Bewegung: Eine jetzige Wahrnehmung vermag nicht mehr wahrzunehmen als einen jetzigen Gegenstand, und in der Sukzession jetziger Wahrnehmungen sind zwar sukzessiv jetzige Gegenstände wahrgenommen, nicht aber die Sukzession dieser Gegenstände. Andererseits folgt aus Meinongs Einschränkung des Bewußtseins auf die punktuelle Gegenwart auch, daß eine Bewegung bzw. Melodie nur dann erfaßt werden kann, wenn alle ihre sukzessiven Momente bzw. Tonkomponenten gleichzeitig, d. h. jetzt gegeben sind und durch eine jetzige synthetische Vorstellung umfaßt werden. Dies führt Meinong dann zur phänomenal unplausiblen Behauptung, eine Melodie werde erst dann erfaßt, wenn sie zu Ende sei, und diese Erfassung sei die Leistung einer nachkommenden kategorialen Synthesis. Dabei bleibt ganz unverständlich, wie es der jetzigen Erfassung der simultan gegebenen Töne überhaupt gelingen soll, zugleich doch den melodischen Ablauf dieser Töne vorzustellen.
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Husserl beruft sich in seiner eigenen Analyse der Wahrnehmung einer Melodie in erster Linie auf seine schon früher erworbene Einsicht in die „Ausdehnung“ der Gegenwart. Es wird jedoch deutlich, daß damit eigentlich noch ein Doppeltes gemeint sein kann und gemeint sein muß: 1. in jeder momentanen Wahrnehmung wird vermöge der das Jetztbewußtsein umschließenden Retention und Protention eine gegenständliche Bewegung bzw. Dauer wahrgenommen (Nr. 30 bis Nr. 33); 2. die momentane Wahrnehmung ist selbst ein bloß unselbständiger Teil, eine „ideale Grenze“ (Nr. 27, S. 236), „ein Abstraktum“ (Nr. 29, S. 255) in der zeitlichen Erstreckung des Wahrnehmungsprozesses. Husserl bedient sich in dieser Analyse der dauernden Wahrnehmung von dauernden Zeitgegenständen des Schemas ‚Auffassung – Auffassungsinhalt‘, das nun voll ausgereift ist und die phänomenologische Bestimmung des „inneren Zeitbewußtseins“ uneingeschränkt beherrscht. Dieses Schema entstammt dem sprachlichen Erfahrungsbereich, in dem ein sprachliches Zeichen als Stellvertreter für den im Sprechakt gemeinten Sinn bzw. Gegenstand aufgefaßt wird. Husserl verwendet das Schema jedoch vorzugsweise in der phänomenologischen Analyse der Wahrnehmung von einem „Ding“ genannten räumlichen Gegenstand. Die Zerteilung der Dingwahrnehmung in Auffassung und in darstellenden Inhalt soll dem Umstand Rechnung tragen, daß zwar das ganze Ding gemeint ist, jedoch nur ein Teil des Dinges sich in anschaulicher Erscheinung darstellt. Husserl spricht in den LU (vgl. VI. LU, §§ 22, 25f.) von einer gemischten Form der „Repräsentation“ bzw. Auffassung eines Empfindungsinhalts: Die Dingwahrnehmung setzt sich zusammen aus verschiedenen Auffassungen, deren eine den Auffassungsinhalt als (eigentliche) Erscheinung der anschaulich gegebenen Dingseite interpretiert und deren andere den Auffassungsinhalt als unanschauliche, bloß zeichenhafte Darstellung der verborgenen Dingseite apperzipiert. Genau dieses Schema verwendet Husserl in den Zeitvorlesungen von 1905, um die Wahrnehmung der zeitlichen Bestimmungen eines (transzendenten) Gegenstandes verständlich zu machen. Es geht dabei in erster Linie darum zu begreifen, wie eine jetzige Phase der Wahrnehmung nicht
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nur die entsprechende jetzige Phase eines dauernden Wahrnehmungsgegenstandes, sondern auch seine vergangenen und zukünftigen Phasen zu erfassen vermag. Nach Husserl ist dieses Phänomen so zu verstehen, daß der jetzige Wahrnehmungsakt sich aus verschiedenen Auffassungen aufbaut, deren eine sich durch die Apperzeption der jetzigen Ur-Empfindung hindurch auf den jetzigen Zustand des Gegenstandes richtet und deren andere sich mittels der retentionalen und protentionalen Apperzeption von modifizierten Empfindungsinhalten auf die nicht gleichermaßen anschaulich gegebenen vergangenen und zukünftigen Zustände des Gegenstandes beziehen. Die Momentanphase eines Wahrnehmungsprozesses ist demzufolge ein Zusammenhang bzw. „Kontinuum“ von „Auffassungen“ und zugehörigen „Auffassungsinhalten“, die sich auf gegenwärtige, vergangene und zukünftige Phasen in der Dauer bzw. Bewegung des Wahrnehmungsgegenstandes beziehen. Husserl nennt diese Phase der Wahrnehmung, in der die zeitliche Erstreckung des Wahrnehmungsgegenstandes in einem Augenblick wahrgenommen wird, „intuitives Querschnittskontinuum“ (Nr. 33, S. 261). Diese Querschnittswahrnehmung eines dauernden Zeitgegenstandes ist so aufgebaut, daß die jetzige Phase des Zeitobjekts wahrgenommen ist, und zwar durch die jetzige Auffassung eines jetzigen, „präsentierenden“ Auffassungsinhalts, während die vergangenen und zukünftigen Phasen des Zeitobjekts zugleich mit-wahrgenommen sind, und zwar in jetzigen Auffassungen von jetzigen, jedoch modifizierten und somit nicht mehr empfindungsmäßig präsentierenden Auffassungsinhalten. Im Falle der (Mit-)Wahrnehmung einer vergangenen Objektphase, d. h. im Falle der Retention, wird dieser modifizierte Auffassungsinhalt als „Phantasma“ bezeichnet (Nr. 33). Ist die Momentphase der Wahrnehmung ein Kontinuum, so ist folglich der Wahrnehmungsablauf „ein Kontinuum dieser Kontinua, die eben stetig Phase für Phase […] sich aneinander schließen und dadurch das einheitliche Bewußtsein vom ganzen Zeitgegenstand konstituieren“ (Nr. 32, S. 260). Ein dauernder Zeitgegenstand wie die Melodie ist nur in einer dauernden Wahrnehmung voll und ganz zur Gegebenheit zu bringen. Das synthetische Bewußt-
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sein, das die Phasen dieser dauernden Wahrnehmung aneinander schließt und vereinheitlicht, darf dabei nicht etwa als ein logisch-kategorialer Akt verstanden werden. Es handelt sich vielmehr um eine kontinuierliche, sinnliche „Verschmelzung“ von unselbständigen Phasen, deren jede schon über sich selbst hinausweist und auf andere Phasen übergreift (Nr. 29, S. 255). In dieser Kontinuität der Wahrnehmungsphasen kommt jeweils sowohl ein neues Gegenstands-Jetzt zur Darstellung, als auch die zeitliche Zurückschiebung der vorangehenden objektiven Jetztpunkte, und dadurch erwächst das Bewußtsein einer gegenständlichen Kontinuität. Husserls Analyse der dauernden Wahrnehmung eines dauernden Zeitobjekts bleibt in diesen Texten z. T. allerdings noch geprägt von der bereits früher und insbesondere in den LU entwickelten Theorie der inneren Wahrnehmung. Nur so läßt sich verstehen, warum Husserl mit größter Selbstverständlichkeit behaupten kann: „Da evidenterweise Wahrnehmung und Wahrgenommenes phänomenal gleichzeitig ist […], so folgt: Die Wahrnehmung eines Zeitobjekts muß ein Zeitobjekt sein, und beide decken sich nach ihrer phänomenalen Extension“ (Nr. 29, S. 254). Diese scheinbar triviale Feststellung wird jedoch durch Husserls damalige phänomenologische Analyse des kontinuierlichen Wahrnehmungsbewußtseins implizit bereits in Frage gestellt. Einerseits ergibt sich nämlich die Schwierigkeit, daß Husserl noch die Mittel fehlen, das in der Vergleichung zwischen dem Ablauf der Wahrnehmung und dem Ablauf des Wahrgenommenen vorausgesetzte Bewußtsein von der „Aufeinanderfolge“ der „Momentananschauungen“ korrekt und ohne „unendlichen Regreß“ (Nr. 34, S. 265) zu bestimmen. Andererseits folgt aus der Bestimmung der Wahrnehmungsphase als momentanes Bewußtsein einer objektiven Dauer, daß zwischen der Phase der Wahrnehmungskontinuität und der Phase der Kontinuität des wahrgenommenen Zeitgegenstandes ganz wesentliche, strukturelle Unterschiede bestehen. So zeigen auch die ersten Zeitdiagramme (Nr. 31 und Nr. 34) schon ganz deutlich, daß der Wahrnehmungsablauf in jeder seiner Phasen die ganze bereits abgelaufene Tonfolge rekapituliert und zugleich modifiziert. Die genauere Analyse
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dieser stetigen retentionalen Modifikation, wie sie sich in den späteren Texten findet, untergräbt dann endgültig das Dogma eines linearen Bewußtseinsflusses und damit auch die Voraussetzungen der postulierten strukturellen Ähnlichkeit zwischen der Bewegung des Bewußtseins und der Bewegung von Zeitobjekten. Die phänomenologische Erforschung der Wahrnehmung eines Zeitgegenstandes, der in stetiger Veränderung oder Unveränderung dauert und dauernd gegeben ist, bildet den sachlichen Schwerpunkt der vorliegenden, im Kontext der Zeitvorlesung vom Februar 1905 entstandenen Texte. Phänomenologisch kann diese Analyse vor allem deswegen genannt werden, weil sie die zeitlichen Bestimmungen der Wahrnehmungsgegenstände herleitet von der Beschreibung ihrer Gegebenheitsweisen, d. h. den zeitlichen Bestimmungen der entsprechenden Wahrnehmungsprozesse. Diese phänomenologische Reduktion der Gegenstandszeit auf die Erfahrungs- bzw. Erlebniszeit ergibt sich aus dem schon in den LU (vgl. 11/1, Einl., § 7) entwickelten Selbstverständnis einer „voraussetzungslosen“ phänomenologischen Wissenschaft. In der Formulierung von Nr. 19 bedeutet diese „Reduktion“ „den völligen Ausschluß aller Suppositionen in betreff einer objektiven Zeit“ sowie die Beschränkung auf „das phänomenologisch Gegebene“, d. h. „das adäquat in der Zeitanschauung Gegebene“. Im Gegensatz zu den Texten der 3. Gruppe (1906 –1909) kann hier jedoch von einer transzendental-phänomenologischen Reduktion noch keine Rede sein. Ein deutlicher Beweis dafür ist das Fehlen des Konstitutionsgedankens. Von transzendentaler Konstitution kann nämlich erst dann die Rede sein, wenn eine phänomenologisch-intentionale Korrelationsbetrachtung möglich ist, d. h. wenn auch der intentionale Gegenstand – als Korrelat bzw. „Noema“ – mit in das Feld der phänomenologisch zulässigen Gegebenheiten aufgenommen wird. Wie ist es dann aber möglich, daß Husserl im Text Nr. 35, der im Sommer 1905 in Seefeld entstanden ist, nachträglich „schon Begriff und korrekten Gebrauch der ‚phänomenologischen Reduktion‘“ meinte finden zu können (S. 266, Anm. 1)? Es steht außer Zweifel, daß die aus der Zeitvorlesung
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vom Februar 1905 übernommenen Sachfragen in diesem Text eine vertiefte Behandlung erfahren. Das Problem der Wahrnehmung eines dauernden Zeitgegenstandes wird nun zugespitzt auf die Frage nach dem Bewußtsein von der Identität des Wahrnehmungsgegenstandes. Viel deutlicher als noch etwa im Text Nr. 28 unterscheidet Husserl hier zwischen der individuellen Identität des Zeitgegenstandes und der abstrakten Identität der Zeitstrecke. Diese gegenständlichen Identitäten werden zurückgeführt auf das Identitätsbewußtsein, welches nicht bloß den Ablauf der kontinuierlich wechselnden Zeitfüllen begleitet, sondern ausdrücklich vergangene und gegenwärtige Erscheinungen des Gegenstandes synthetisch miteinander verknüpft und sie auf die identische Einheit des Gegenstandes bezieht. Die gegenständliche Identität wird damit phänomenologisch umgewendet in ein intentionales Korrelat des Identitätsbewußtseins; eine eigentlich transzendentalphänomenologische Konstitutionsbetrachtung ist hier jedoch vor allem deswegen noch nicht erreicht, weil Husserl sich nicht dazu entschließen kann, auch die dem Identitätsbewußtsein zugrundeliegenden vergangenen Erscheinungen des Gegenstandes in das Forschungsgebiet der Phänomenologie aufzunehmen. Auch das Phänomen des absoluten Bewußtseins, in dem die zeitliche Dauer des Bewußtseins von der Identität des dauernden Gegenstandes zur Gegebenheit kommt, drängt sich in diesem Text von der Sache her zwar auf, wird jedoch nicht ausdrücklich in die phänomenologische Betrachtung einbezogen. Von allen Texten der 2. Gruppe kommt Nr. 35 dem „korrekten Gebrauch der phänomenologischen Reduktion“ zweifellos am nächsten, eine wirkliche und durchdachte Durchführung vermag ich darin jedoch nicht zu finden. Vielleicht erklärt sich Husserls nachträgliche, milde Selbsttäuschung ganz einfach daraus, daß er – wie später auch der Herausgeber von Husserliana X – übersah, daß die Texte Nr. 36 bis Nr. 38 erst 1917 und nicht etwa schon 1905 in Seefeld entstanden waren. Neben der Behandlung der Wahrnehmung von zeitlich distribuierten Gegenständen liefern die Texte dieser Gruppe auch noch einen wesentlichen Beitrag zu einer weiteren Sachfrage, nämlich zum Verständnis der Wiedererinnerung. Während die
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früheren Texte aus dem Umkreis der LU die Wiedererinnerung noch durchweg als eine Art von Bildbewußtsein bestimmten (vgl. Nr. 2, Nr. 9, Nr. 10, Nr. 15), unterwerfen die Texte Nr. 27 und vor allem Nr. 18 diese Auffassung einer prinzipiellen Kritik. (Dies ist auch der sachliche Grund, warum ich Nr. 18 in Abweichung von der Auffassung des Herausgebers von Husserliana X auf 1904 und nicht auf „etwa 1901“ datiere.) Was mir in der Wiedererinnerung „vorschwebt“, ist der vergangene Gegenstand selbst, und nicht etwas anderes, was ihm bloß ähnlich ist. Aber der vergangene Gegenstand wird natürlich auch nicht wahrgenommen; im Akt der Wiederholung selbst wird überhaupt nichts wahrgenommen, nicht einmal ein Bild oder Zeichen. Die Wiedererinnerung „reproduziert“ vielmehr eine Wahrnehmung und daher erklärt sich, daß der wiedererinnerte Gegenstand zugleich selbst erscheint, und doch als ein vergangener Gegenstand erscheint. Der Schlüsselbegriff dieser Analyse der Wiedererinnerung ist der Akt der reproduktiven „Vergegenwärtigung“ (Nr. 18, S. 209 f., Nr. 34, S. 263), der nun deutlich von der wahrnehmungsmäßigen „Gegenwärtigung“ geschieden wird (vgl. auch Husserliana XXIII, Nr. 2c (1905)). Ihre endgültige Form erreicht diese neue Lehre der Wiedererinnerung jedoch erst mit der Einführung des „absoluten“ Bewußtseins in den Texten der 3. Gruppe (vgl. insbes. Nr. 45). Hier sei bloß noch erwähnt, daß die Texte aus 1904/05 die Wiedererinnerung auch in Beziehung bringen zu dem Bewußtsein von Identität (Nr. 28, Nr. 35) und Aufeinanderfolge (Nr. 34). Somit wird auch hier schon deutlich, daß die Wiedererinnerung eine wesentliche Rolle spielt bei der phänomenologischen Konstitution der objektiven Zeit (vgl. auch – ausführlicher – in der Heidegger-Ausgabe: § 32). Wir wollen nun übergehen zur Betrachtung der Texte aus der 3. Gruppe, die in den Jahren 1907 bis 1909 entstanden sind. In der vorliegenden Ausgabe handelt es sich um die Texte Nr. 39 bis Nr. 47 sowie Nr. 51 und Nr. 52. Die Begrenzung des Umfangs dieser Gruppe ergibt sich vor allem aus sachlichen Gründen, nämlich einerseits aus der Einführung des „absoluten“ Zeitbewußtseins in der Vorlesung vom WS 1906/07 und ande-
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rerseits aus der ab September 1909 in den Texten der 4. Gruppe entwickelten Kritik an der Anwendung des Schemas ‚Auffassung – Auffassungsinhalt‘ auf dieses absolute Bewußtsein. Der sachliche Schwerpunkt dieser 3. Gruppe liegt somit bei der Entdeckung des absoluten Bewußtseins, seiner vorläufigen Beschreibung mittels des genannten Schemas und seiner Berücksichtigung für die Theorie der Wiedererinnerung, die nun ihre voll ausgereifte Gestalt erhält. Auch bei der Betrachtung dieser 3. Textgruppe zeigt sich von neuem, daß wichtige Einschnitte in der Entwicklung der Problematik des Zeitbewußtseins verbunden sind mit Wendepunkten in Husserls Denken insgesamt. So findet sich in der Vorlesung von 1906/07 kurz vor der Einführung des absoluten Zeitbewußtseins auch zum ersten Mal die explizite Berücksichtigung der phänomenologischen Gegebenheit der „korrelaten Gegenständlichkeit“ des intentionalen Aktes sowie die neue, transzendental-konstitutive Bestimmung der „phänomenologischen Reduktion“ (vgl. Husserliana XXIV). Ab 1908 bekennt sich Husserl dann ausdrücklich zu den idealistischen Konsequenzen dieser Lehre von der transzendental-phänomenologischen Reduktion und im unten wiedergegebenen Text Nr. 51 aus dem SS 1909 erfolgt die für die Ermöglichung einer phänomenologischen Wissenschaft überaus bedeutungsvolle Erweiterung des Gebietes der phänomenologischen Gegebenheiten auf Phänomene, denen keine apodiktische Geltung zugemessen werden kann. Auch die neue Lehre von der Retention und insbesondere von der Konstitution des einheitlichen Bewußtseinsstromes, die 1909 bis 1911 in den Texten der 4. Gruppe entwickelt wird, steht dann wiederum, wie wir noch sehen werden, im Zusammenhang mit anderen Sachlagen, vor allem der Lehre vom reinen Ich und der Phänomenologie der Intersubjektivität. Was die in unserer Gruppe 3 gebündelten Texte von denen der Gruppe 2 unterscheidet, ist vor allem die systematische Berücksichtigung des absoluten Bewußtseins. Es ist dies eine ganz entscheidende Wendung, jedoch kein Bruch mit der vorangegangenen Entwicklung. Für Husserl geht es noch immer darum, eine angemessene phänomenologische Beschreibung der Wahrnehmung von zeitlich ausgestreckten Gegenständen
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zu finden. Auch die 1904 und vor allem im Zusammenhang der Auseinandersetzung mit Meinong entstandenen Texte beziehen sich bereits ganz ausdrücklich auf eine Beschreibung der zeitlichen Struktur des Wahrnehmungsprozesses, in dem zeitlich ausgedehnte Gegenstände wie z. B. Melodien erfaßt werden. Husserl geht sogar so weit, zwischen dem Ablauf der Melodie und dem Ablauf der Wahrnehmung ein Verhältnis der „Gleichzeitigkeit“ anzusetzen. Damit ist jedoch, wie Husserl vereinzelt schon 1905 bemerkt, neben dem Bewußtsein vom Wahrnehmungsgegenstand auch ein Bewußtsein vom zeitlichen Ablauf der Wahrnehmung selbst vorausgesetzt (vgl. S. 264 f.). Wird nun aber diese zeitliche Erstreckung des Wahrnehmungsprozesses gerade so wahrgenommen, wie die Melodie wahrgenommen wird? Und wie steht es mit der weiteren Wahrnehmung, in der die Wahrnehmung der zeitlichen Kontinuität der Tonwahrnehmung ihrerseits wiederum erfaßt wird? Man kann diesen Sachverhalt, der implizit bereits um 1904/05 zur Annahme des sogenannten „absoluten Bewußtseins“ drängt, auch folgendermaßen darstellen: Die Wahrnehmung eines Zeitgegenstandes beruht auf sogenannten „Abschattungen“ dieses Gegenstandes. Wahrgenommen wird aber nicht die Abschattung, sondern der Gegenstand, genauer: der Gegenstand vermittels der Abschattungen. Diese Abschattungen sind somit Momente des Wahrnehmungsbewußtseins, die zwar nicht wahrgenommen, aber doch bewußt sind. Wie verhält es sich nun genauer mit diesem besonderen Bewußtseinsmodus, in dem Abschattungen (bzw. immanente Zeitgegenstände überhaupt) erlebt werden? Wie verhalten sich das Bewußtsein der Abschattungen und das Bewußtsein des Wahrnehmungsgegenstandes zueinander? Und wie verhält es sich des weiteren mit dem Bewußtsein, in dem das Bewußtsein von den Abschattungen selbst noch erlebt – oder muß man sagen: wahrgenommen – ist? Husserl stellt sich diese Fragen in der Vorlesung vom WS 1906/07 bereits ganz ausdrücklich und beantwortet sie mit dem Hinweis auf das „absolute Bewußtsein“ (vgl. Husserliana XXIV, §§ 42ff.). Das absolute Bewußtsein ist „Erlebnis“ der Komponenten des Wahrnehmungsbewußtseins, das sich sei-
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nerseits intentional auf einen Gegenstand bezieht. Husserl verweist auch in diesem frühen Text schon darauf, daß dieses absolute Bewußtsein bzw. Erlebnis der Wahrnehmung eigentlich kein Bewußtsein eines Gegenstandes mehr ist und somit im eigentlichen Sinne auch keine Wahrnehmung mehr genannt werden darf. Da dieser selbe Text ebenfalls zum ersten Mal den Gedanken der intentionalen Korrelationsbetrachtung und insbesondere der transzendental-phänomenologischen Reduktion formuliert, möchte man geradezu behaupten, daß sich bereits in der ersten und noch tastenden Anwendung der phänomenologischen Reduktion auf die Sachfrage der Wahrnehmung von Zeitgegenständen eine Dimension des konstituierenden Bewußtseins eröffnet, die den bisher bevorzugten Rahmen der Phänomenologie der Wahrnehmung zu sprengen droht. Unter den Texten der Gruppe 3 ist es vor allem Text Nr. 39, der in weitgehender Anlehnung an die Ausführungen von 1906/07 die Frage des absoluten Bewußtseins neu aufnimmt und verdeutlicht. (Es sind jedoch nicht nur sachliche, sondern auch historische Gründe – Rekonstruktion der Vorlesung von 1906/07 – und Gründe materieller Art – Schrift und Papier –, die dazu zwingen, den Text Nr. 39 abweichend von der Auffassung des Herausgebers von Husserliana X auf 1909 statt auf „Anfang 1907“ zu datieren.) Husserl geht in diesem Text wiederum davon aus, daß nicht nur die Wahrnehmung, sondern auch „das Wahrgenommene als solches“ absolut selbstgegeben sind und daß folglich die Korrelation von Wahrnehmung und Wahrnehmungsgegenstand im Rahmen der phänomenologisch-transzendentalen Reduktion analysiert werden kann. In Anwendung auf die Probleme einer Phänomenologie des Zeitbewußtseins und insbesondere der Wahrnehmung von Zeitgegenständen ergibt sich dann die Möglichkeit, die innere Zeitlichkeit des Wahrnehmungsbewußtseins und die objektive Zeit der Wahrnehmungsgegenstände einerseits kontrastierend voneinander zu scheiden sowie andererseits als Beziehung von Konstituierendem und Konstituiertem miteinander zu verbinden. Damit wird jedoch weniger ein Problem gelöst als ein Stein ins Rollen gebracht. Wird die objektive Zeit
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nämlich phänomenologisch zurückgeführt auf die sie konstituierende Zeitlichkeit des Wahrnehmungsbewußtseins, so stellt sich sofort auch die Frage nach dem Bewußtsein, in dem sich die Zeitlichkeit dieses inneren Zeitbewußtseins konstituiert. Husserls Lösungsversuch besteht darin, erstens ein „absolutes Bewußtsein“ von immanenten Zeitgegenständen zu postulieren, zweitens die Möglichkeit einer „reflexiven Wahrnehmung“ vom absoluten Bewußtsein zu fordern und drittens neben der Zeitlichkeit der transzendenten und immanenten Gegenstände auch eine vor-gegenständliche Zeitlichkeit des absoluten „Bewußtseinsflusses“ anzusetzen. Phänomenologisch fundiert und konsequent ausgearbeitet werden diese Annahmen jedoch weitgehend erst in den Texten der 4. Gruppe. Die Einführung des absoluten Bewußtseins geschieht in Nr. 39 über die Analyse der phänomenologisch reduzierten Wahrnehmung eines immanenten Zeitgegenstandes, genauer des dauernden Tones. Es bestätigt sich hier also die schon bei der Betrachtung der Vorlesung vom WS 1906/07 gewonnene Einsicht, daß Husserls Begriff des ‚absoluten Bewußtseins‘ sachlich in engem Zusammenhang steht mit der transzendental-phänomenologischen Reduktion sowie der konstitutiven Korrelationsbetrachtung. Der Ton wird in diesem neuen Zusammenhang bestimmt als intentional-immanentes, einheitliches bzw. individuell-identisches Korrelat eines fließenden Wahrnehmungsbewußtseins, in dem kontinuierlich neue „Empfindungsabschattungen“ in einem parallelen Kontinuum von „Auffassungen“ als Erscheinungen dieses einheitlichen Tones apperzipiert werden. Die phänomenologisch reduzierte Tonwahrnehmung bringt also einen doppelten Begriff der „Immanenz“ bzw. des Bewußtseins ins Spiel, einerseits die Immanenz des einheitlichen Tones und andererseits die Immanenz des Empfindungs- und Auffassungsflusses. Letzterer „Bewußtseinsfluß ist das mögliche Haben und Fassen des Tones“, in dem sich die „zeitliche Einheit ‚konstituiert‘“ (S. 316). Dieser Bewußtseinsfluß wird deswegen „absolutes Bewußtsein“ genannt, weil er die Einheit immanenter Zeitgegenstände konstituiert, selbst jedoch nicht mehr durch eine weitere Form des Bewußtseins konstituiert wird: „Einheit ist Einheit der Objek-
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tivation, und Objektivation ist eben objektivierend, aber nicht objektiviert. Alle nicht objektivierte Objektivation gehört in die Sphäre des absoluten Bewußtseins“ (S. 318). Bei näherem Hinsehen erweist sich jedoch, daß diese erste, scheinbar überzeugende Bestimmung des absoluten Bewußtseins noch viele Unstimmigkeiten und Widersprüche enthält. So wird das absolute, letzt-konstituierende Bewußtsein einerseits geradezu identifiziert mit der Wahrnehmung des einheitlich dauernden Tones. Andererseits ist diese Wahrnehmung des Tones aber doch zweifellos auch wieder ein begrenzt dauernder Vorgang, dessen zeitliche Einheit wiederum in einem weiteren Bewußtsein konstituiert werden muß – und so in infinitum. Der unendliche Regreß droht jedoch nicht nur in der Konstitution einheitlicher Zeitgegenstände, sondern auch in der Bestimmung des Bewußtseins vom absoluten Bewußtseinsfluß selbst. Husserl spricht diesbezüglich von „einer reflexiven Wahrnehmung zweiter Stufe“, die sich zwar auf das absolute Bewußtsein richtet, es zugleich aber objektiviert und somit auch in einem gewissen Sinn verfehlt. Welcher Stufe auch immer eine reflexive Wahrnehmung angehören möge, sie bleibt nur so lange absolutes Bewußtsein, wie sie nicht wahrgenommen ist. Nicht-Wahrgenommenes bzw. Nicht-Wahrnehmbares kann bei dem hier zur Anwendung gelangenden Begriff des Bewußtseins aber doch nur heißen ‚Unbewußtes‘, somit müßte also das absolute Bewußtsein ganz widersprüchlich als unbewußte Bewußtseinsimmanenz bezeichnet werden. Schließlich mißlingt Husserl auch ganz allgemein die Scheidung zwischen der Zeitlichkeit der immanenten Gegenstände und der Zeitlichkeit des Flusses des absoluten Bewußtseins. Es genügt nicht, einfach zu behaupten, Inhalte des absoluten Bewußtseins würden nicht dauern und seien somit überhaupt nicht ‚zeitlich‘ im Sinne der immanenten Zeitgegenstände (vgl. auch Nr. 42, Nr. 44, Nr. 45). Solange diese Inhalte des absoluten Bewußtseins nämlich als „Auffassungen“ und „Auffassungsinhalte“ bezeichnet werden, besteht zwischen dem absoluten Bewußtsein und den immanenten Zeitgegenständen, also z. B. den „Empfindungsabschattungen“ einerseits und den in einer transzendierenden Wahrnehmung apperzipierten
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„Empfindungen“ andererseits, überhaupt kein struktureller Unterschied. Es ist auch nicht einzusehen, weswegen es zur Bestimmung eines Konstitutionszusammenhanges, in dem das Konstituierende und das Konstituierte beide dem Bewußtsein selbst als reelle Bestandstücke angehören, überhaupt noch einer Vermittlung durch darstellende Auffassungsinhalte bedarf. Wir werden bei der Behandlung der in Gruppe 4 versammelten Texte sehen, daß eine plausible Theorie des absoluten Bewußtseins erst dann möglich ist, wenn man auf die Anwendung des Schemas ‚Auffassung – Auffassungsinhalt‘ verzichtet, und wenn das absolute Bewußtsein, das sich sowohl auf immanente Zeitgegenstände als auch auf sich selbst bezieht, überhaupt und prinzipiell vom Modell des Wahrnehmungsprozesses abgerückt wird. Die Einführung des absoluten Bewußtseins in der hier zur Diskussion stehenden 3. Textgruppe bestimmt jedoch nicht nur die Analyse der Wahrnehmung von immanenten Zeitgegenständen (wie etwa von phänomenologisch reduzierten Tönen), sondern auch das Verständnis der Wiedererinnerung. In der hier, insbesondere in Text Nr. 45, erarbeiteten Analyse der Erinnerung kommt eine Entwicklung zum Abschluß, in der zuerst die Auseinandersetzung mit Brentano und später die Bestimmung der Erinnerung als ein Akt setzender Reproduktion bzw. Vergegenwärtigung sowie die sich daraus ergebende Kritik an der Bezeichnung der Erinnerung als eine Art von Bildbewußtsein (vgl. insbes. Nr. 18) eine entscheidende Rolle gespielt haben. Der wesentliche Beitrag des absoluten Bewußtseins zum Verständnis der Wiedererinnerung besteht vor allem in der Klärung der Zusammengehörigkeit von Erinnerung und Erinnertem, genauer in der Bestimmung sowohl der Differenz zwischen aktuellem Jetzt und vergangenem Jetzt als auch der Möglichkeit einer jetzigen Gegebenheit der Vergangenheit als Vergangenheit. Wiedererinnerung und Retention sind zwei wesentlich verschiedene Weisen, in denen das gegenwärtige, intentionale Bewußtsein sich auf die Vergangenheit bezieht. In der Retention ist die Vergangenheit unmittelbar gegeben, und zwar als ein sich nahtlos an die (wahrnehmungsmäßige) Gegenwart an-
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schließender Anhang bzw. Vergangenheitshorizont. Die Retention bezieht sich dabei nicht etwa bloß, wie Husserls etwas mißverständliche Redeweise nahelegen könnte, auf ein Vergangenes, das „soeben noch“ gegenwärtig gewesen ist, sondern sie umspannt, richtig verstanden, die Gesamtheit der bereits abgelaufenen Phasen des absoluten Bewußtseinsflusses. Der Hinweis auf die „noch frische“ Vergangenheit ergibt sich vor allem aus dem Umstand, daß die Anschaulichkeit retentional bewußter Vergangenheit begrenzt ist und mit zunehmender Entfernung vom aktuellen Jetzt stetig vermindert und schon bald gegen Null tendiert. Vielleicht und mit noch größerer Wahrscheinlichkeit wollte Husserl auch darauf hinweisen, daß selbst diese ferne, unanschauliche Vergangenheit deswegen noch „frisch“ bewußt bleibt, weil jede neue aktuelle Retention nicht nur alle früheren Retentionen modifiziert, sondern zugleich auch implizit die ganze Kette vorangegangener Retentionen rekapituliert und insofern „das Erbe der ganzen vergangenen Entwicklung in sich trägt“ (S. 362). Was nun das Wesen der Wiedererinnerung betrifft, so läßt es sich ebenfalls nicht vom Ausmaß des zeitlichen Abstands zwischen Erinnerungsgegenwart und erinnerter Vergangenheit her bestimmen. Es ist keineswegs so, daß mit wachsender Entfernung und nachlassender Frische der Vergangenheit die Retention gewissermaßen von selbst durch die Wiedererinnerung abgelöst würde. Es gibt Wiedererinnerungen von naher und ferner Vergangenheit, und es gibt überhaupt keine Wiedererinnerung, die nicht ein retentionales „Behalten“ der vergangenen Gegenwart voraussetzt. In der Wiedererinnerung bleibt diese Vergangenheit jedoch nicht nur wie in der Retention irgendwie bewußt und erfaßbar, sie wird vielmehr ausdrücklich „von neuem“ bzw. „noch einmal“ gegenwärtig. Natürlich nicht (wie in der ursprünglichen Erfassung) gegenwärtig als Gegenwart, sondern gegenwärtig als vergangene Gegenwart. Dies ist auch der Sinn der Bestimmung der Wiedererinnerung als ein Akt der „Vergegenwärtigung“. Wie kann nun aber die Vergangenheit von neuem gegenwärtig werden, ohne dabei ihre Bestimmung als Vergangenheit einzubüßen? Wie erhält sich in der Erinnerung, und zwar trotz
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einer gewissen „Gleichzeitigkeit“ von Erinnerung und Erinnertem, der zeitliche „Abstand“ zwischen der Gegenwart der Erinnerung und der Vergangenheit des Erinnerten? Wie kann mir in der jetzigen Erinnerung am Schreibtisch die Aussicht von einem in den Ferien bestiegenen Berg anschaulich selbst gegeben sein, und zwar mit dem ausdrücklichen Bewußtsein, daß es sich um dieselbe Aussicht handelt, die ich bereits früher einmal wirklich gesehen habe? Wie ist es möglich, daß ich mich jetzt nochmals in dieser damals wahrgenommenen Aussicht ergehe, den Blick vom Dorf in der Ebene ablenken und vielleicht sogar viel eindringlicher als damals dem Schiff auf dem See zuwenden kann? All dies kann nur dann verständlich werden, wenn man der „doppelten“ Intentionalität der Wiedererinnerung (S. 333) Rechnung trägt. Die Wiedererinnerung ist – wie jede andere Form der Vergegenwärtigung – eine eigentümliche Verschachtelung von zwei verschiedenen intentionalen Erlebnissen, nämlich einerseits der gegenwärtigen Erinnerung und andererseits einer vergangenen Erfahrung, die letztlich stets auf eine Wahrnehmung verweist. Diese Verflechtung ist kein Verhältnis der Fundierung, die frühere Wahrnehmung ist ein bloß unselbständiges Moment der gegenwärtigen Erinnerung: die Aussicht steht mir jetzt vor Augen mit dem Bewußtsein, daß sie nicht in die Umgebung meiner gegenwärtigen Schreibtischwirklichkeit paßt, sondern der Wirklichkeit einer vergangenen Wahrnehmungsgegenwart angehört. Dieses Leben in zwei verschiedenen Wirklichkeiten, die jedoch beide wesentlich mit meinem Bewußtsein verknüpft sind, kommt auch darin zum Ausdruck, daß die Aussicht mir in der Erinnerung zwar wirklich von neuem anschaulich gegeben ist, jedoch auf Abstand, ungreifbar, nicht „leibhaftig“. Aber ich träume oder phantasiere auch nicht einfach, denn nicht nur steht mir die Aussicht von neuem – genau so wie damals – vor Augen, ich glaube auch, daß ich sie damals wirklich genau so wahrgenommen habe. Es hat auch keinen Sinn zu zweifeln, ob mir diese Aussicht nun wirklich und anschaulich selbstgegeben vor Augen steht, ich kann mich höchstens darin täuschen, daß ich glaube, es sei damals auch wirklich alles genau so gewesen, wie es mir jetzt – wiederum, aber auf Abstand – vor Augen steht.
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Husserl hat alle diese die Erinnerung betreffenden Fragen und Phänomene einer sorgfältigen, transzendental-phänomenologischen Analyse unterzogen. Der allgemeine Rahmen, in dem sich diese Untersuchungen bewegen, ist allerdings geprägt durch eine Reihe von Vorentscheidungen, die für den heutigen Leser nichts weniger als selbstverständlich sind. So bestimmt Husserl die Vergangenheit ohne viele Umschweife als bewußt gewesene Gegenwart und die Erinnerung als eine möglichst getreue Reproduktion einer vergangenen Wahrnehmung. Damit vernachlässigt er nicht bloß die notwendige und positive Verflechtung von Erinnern und Vergessen, sondern er verbaut sich auch den Zugang zu einer Phänomenologie des geschichtlichen Verstehens, das der Vergangenheit einen Sinn verleiht, welcher bei der ursprünglich-gegenwärtigen Erfahrung noch nicht gegeben war und ihr meistens auch mit Notwendigkeit verborgen bleiben mußte. Husserls Fixierung auf die Erforschung der Bedingungen täuschungsfreier Erinnerung, sein Traum von einer abrufbereiten Verfügbarkeit und Allgegenwart des ganzen Bewußtseinslebens verrät letztlich ein positivistisches Grauen vor der Vergangenheit als prinzipieller Abwesenheit, unaufhaltsamem Entzug und unersetzbarem Verlust. All dies ändert jedoch nichts daran, daß es kaum einen Leser gibt, der sich der Faszination zu entziehen vermag, die von der Husserlschen Analyse der Erinnerung und der Akte der Vergegenwärtigung insgesamt ausgeht. Die Vielfalt der erstmals und eingehend zur Sprache gebrachten Phänomene, die systematische Widerlegung vieler vorgefaßter Meinungen und die Offenheit für die Konfrontation mit dem Problem einer Phänomenalisierung der Abwesenheit machen diese Untersuchungen zum Besten und Überzeugendsten, was eine transzendentale Phänomenologie des intentionalen Bewußtseins zu bieten hat. Diese Erfahrung von Husserls anregender Denkkraft in der Behandlung der Erinnerung kann in einer einführenden Übersicht nicht bewiesen werden, sie ist vielmehr der Lohn einer mühevollen Lektüre der vorliegenden und in Ergänzung dazu auch der in Husserliana XXIII enthaltenen Texte. Wir wollen uns im Folgenden darauf beschränken, noch einige strukturelle Probleme der Erinnerungsanalyse und
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die Weise ihrer Beantwortung aufgrund des neu entdeckten Phänomens des absoluten Bewußtseins genauer anzudeuten. Die Wiedererinnerung ist ein intentionaler Akt, der zugleich den Abstand und die Zusammengehörigkeit, die Differenz und die Identität von zwei Gegenwarten setzt. Ein Akt auch, in dem derselbe Gegenstand, und in einer eigenartigen ‚Gleichzeitigkeit‘, zugleich als vergangen und gegenwärtig, als abwesend und anwesend erscheint. Dies ist die paradoxale Leistung der Vergegenwärtigung, welche das starre Gehege einer sich ganz an der Wahrnehmung orientierenden Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins durchbricht. Die Bestimmung der Wiedererinnerung als Vergegenwärtigung erklärt jedoch noch nicht: 1. wie die erinnerte Gegenwart zur Vergangenheit geworden ist; 2. warum die Vergangenheit nicht bloß irgendwie zugänglich bleibt, sondern vom gegenwärtigen Bewußtsein der Erinnerung – ungeachtet des zeitlichen Abstands – als ein ‚Stück‘ seiner selbst wieder- bzw. anerkannt wird; 3. wie es auch jetzt noch möglich ist, von der erinnerten Gegenwart auszugehen und sich in der damaligen Vergangenheit umzusehen bzw. mit Spannung eine Zukunft zu erwarten, die doch inzwischen längst zur Vergangenheit geworden ist. Die Antwort auf die erste Frage verweist auf die Leistung der Retention und die bereits erwähnte Angewiesenheit der Wiedererinnerung auf die Retention. Dieses retentionale Bewußtsein der Vergangenheit ist unauflöslich verbunden mit dem Bewußtsein von einem aktuellen Jetzt. Die Retention ist somit geradezu das Bewußtsein vom Übergang des Jetzt in ein Nicht-mehrJetzt. Dieser Übergang gehört weder dem jetzigen Ton noch dem nicht-mehr-jetzigen Ton an, er ist ein Phänomen ‚im‘ absoluten Bewußtsein von der Tonfolge. Die zweite Frage bezieht sich auf eine solche Zusammengehörigkeit von Erinnerung und Erinnertem, die es möglich macht, den zeitlichen Abstand zwischen Gegenwart und Vergangenheit zu überwinden bzw. die Vergangenheit in eine Gegenwart überzuführen, in der sie nochmals, und zwar als individuell identische, zu anschaulicher, jedoch nicht leibhafter Selbstgegebenheit gelangt. Dieser einheitliche Zusammenhang von Gegenwart der Erinnerung und Vergangenheit des Erinnerten erklärt sich
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daraus, daß beide demselben Fluß des absoluten Bewußtseins angehören. Es ist also prinzipiell stets möglich, die Lücke zwischen Gegenwart und Vergangenheit aufzufüllen, d. h. den Zukunftshorizont der vergegenwärtigten Vergangenheit schrittweise soweit zu explizieren, bis man bei der Gegenwart des Erinnerungsaktes anlangt. Die zeitlichen Horizonte des Aktes der Erinnerung und des erinnerten Aktes können noch so weit auseinanderliegen, als Momente desselben absoluten Bewußtseins bleiben sie doch stets implizit miteinander in Berührung. Einerseits macht diese umfassende Einheit des absoluten Bewußtseinsstromes die Erinnerung überhaupt erst möglich, und andererseits bedarf es der Erinnerung, um diese Einheit zu ausdrücklicher Erfassung zu bringen. Die Einheit des absoluten Bewußtseinsstromes ist die phänomenologische Grundlage der Identität des reinen Ich, das in der Erinnerung zwar stets bereits vorausgesetzt ist (man kann sich nur an die eigenen Erlebnisse erinnern), aber doch erst im ausdrücklichen Vollzug der Erinnerung zur anschaulichen Gegebenheit gelangt. Die dritte der oben formulierten Fragen bezieht sich auf die Lokalisierung der erinnerten Vergangenheit im kontinuierlichen Ablauf der Erlebnisse. Wir glauben, uns in der Erinnerung nicht nur an die Aussicht von einem Berg zu erinnern, sondern zugleich mehr oder weniger explizit auch an den vorangehenden Aufstieg auf den Berg und den anschließenden Griff zur Feldflasche. Die zeitliche Lokalisierung der Aussicht in bezug auf den Aufstieg und den Trunk aus der Feldflasche bleibt unberührt davon, wie weit diese vergangenen Erlebnisse zurückliegen. Zugleich mit dem Bewahren der vergangenen Erlebnisse konstituiert sich also auch ein Zeitstellensystem, in dem allen immanenten Zeitgegenständen ein fester Ort zugewiesen werden kann. Beides, d. h. sowohl das Bewahren der identischen Einheit der verschiedenen vergangenen Erlebnisse im Fluß stetig wechselnder Abschattungen als auch die Konstitution eines die zeitlichen Abläufe dieser immanenten Gegenstände umfassenden formalen Zeitstellensystems, ist eine Leistung der im absoluten Bewußtsein fungierenden retentionalen Intentionalität. Die Beantwortung jeder einzelnen von diesen drei Fragen hat uns somit stets wieder zum selben Phänomen
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zurückgeführt, nämlich zu der im absoluten Bewußtsein wirksamen Retention. Die Behandlung dieser Problematik bildet auch den eigentlichen sachlichen Schwerpunkt der Texte der Gruppe, zu deren Betrachtung wir nun übergehen wollen. Die Texte dieser 4. Gruppe sind zwischen September 1909 und Ende 1911 entstanden. Die Abgrenzung gegenüber den z. T. ebenfalls 1909 bzw. sogar noch „Ende August 1909“ (Nr. 52) entstandenen Texten der 3. Gruppe ergibt sich aus einem inhaltlich bestimmten Kriterium, nämlich der frühestens ab September 1909 formulierten Kritik an der Verwendung des Schemas ‚Auffassung – Auffassungsinhalt‘ für die Bestimmung des absoluten Bewußtseins und der Retention (vgl. Nr. 49). Die Texte Nr. 51 und Nr. 52 dagegen machen noch Gebrauch vom Schema und wurden deswegen der 3. Gruppe zugeordnet. Im inhaltlich sehr aufschlußreichen Text Nr. 50 wird dann die Kritik am Schema als bereits bekannt vorausgesetzt und die neue Lehre vom absoluten Bewußtsein und insbesondere von der retentionalen Modifikation entwickelt. Die Datierung dieses Textes „auf den Zeitraum zwischen dem 15. Oktober 1908 und dem Sommersemester des Jahres 1909“, wie sie sich in Husserliana X findet, erweist sich somit als höchst unwahrscheinlich. Es ergibt sich also die folgende Zusammenstellung der Gruppe 4: Nr. 48 bis Nr. 50 und Nr. 53 bis Nr. 54. Der sachliche Schwerpunkt dieser Texte liegt bei der Präzisierung des Begriffs und der Leistung des absoluten Bewußtseins und bei der Kritik der Anwendung des Schemas ‚Auffassung – Auffassungsinhalt‘ auf die Retention sowie der Erarbeitung eines neuen Verständnisses der retentionalen Intentionalität. Den gewichtigsten Beitrag in der Behandlung dieser Sachfragen erbringen die Texte Nr. 50 und Nr. 54. Auch für diese Gruppe von Texten, die sich zwischen Ende 1909 und Ende 1911 mit der Phänomenologie des Zeitbewußtseins beschäftigen, ist es wiederum aufschlußreich, den Zusammenhang mit der Behandlung von anderen Sachfragen in gleichzeitig entstandenen Texten herzustellen. Die bereits früher festgestellte Tendenz zu einer Erweiterung des Forschungsgebiets der transzendental-phänomenologischen Er-
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kenntnistheorie setzt sich in diesen Jahren fort. Abgesehen von der transzendentalen Aufklärung der formalen Mathesis und der dabei zunehmend in Betracht gezogenen materialen Ontologien widmen sich die Texte dieses Zeitraumes auch mit wachsendem Nachdruck der Analyse der Akte anschaulicher Vergegenwärtigung. Die relative Verschiebung des Interesses von der Phänomenologie der Wahrnehmung zur Phänomenologie der Erinnerung und der Phantasie steht dabei in einem Verhältnis unmittelbarer Abhängigkeit von der Analyse des Zeitbewußtseins. Mit der im WS 1910/11 und in den zugehörigen, vorbereitenden Texten erstmals konsequent ausgeführten Lehre von der „Einfühlung“ (vgl. Husserliana XIII) verhält es sich wohl gerade umgekehrt. Hier ist es die Frage nach der Möglichkeit der Vergegenwärtigung von fremdem Bewußtsein, welche in den entsprechenden Zeitanalysen die Frage nach der Einheit des eigenen Bewußtseinsstromes stets mehr in den Vordergrund rücken läßt. Im Verlauf dieser Vorlesung von 1910/11 über die „Grundprobleme der Phänomenologie“ beschäftigt sich Husserl auch mit dem Problem der Möglichkeit einer phänomenologischen Tatsachenwissenschaft. Damit wird – zumindest implizit – erstmals ein umfassender systematischer Zusammenhang hergestellt zwischen einerseits dem Zeitbewußtsein und andererseits der phänomenologischen Analyse der Faktizität von Tatsachen, der Individualität der menschlichen Person und ihrer Einfügung in die intersubjektive Gemeinschaft. Die Entfaltung dieses hier erstmals hergestellten Zusammenhangs von Zeit und (praktischer) Intersubjektivität wird dann in der Bestimmung des Übergangs von einer Phänomenologie des Zeitbewußtseins zu einer Phänomenologie der Geschichte, wie sie sich in den Texten der zwanziger und dreißiger Jahre findet (vgl. insbes. Husserliana XIV und XV), eine wesentliche Rolle spielen. Wir haben behauptet, daß die Präzisierung der Lehre vom absoluten Bewußtsein sowie das neue Verständnis des retentionalen Bewußtseins die eigentlichen sachlichen Schwerpunkte dieser 4. Textgruppe bilden. In Wirklichkeit sind die beiden Sachfragen jedoch kaum voneinander zu trennen, da das absolute Bewußtsein hier praktisch ausschließlich in seinen re-
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tentionalen Leistungen und die Retention vorwiegend als Funktion des absoluten Bewußtseins analysiert werden. Die Konstitution der Einheit der immanenten Zeitgegenstände im Fluß des absoluten Bewußtseins sowie die Gegebenheit der Einheit dieses Flusses selbst bezeichnen verschiedene, jedoch „untrennbare“ Richtungen der im absoluten Bewußtsein wirksamen retentionalen Intentionalität. Aus der Kritik an der Beschreibung des retentionalen Bewußtseins als Auffassung eines reell-immanenten, jedoch modifizierten Empfindungsinhalts ergibt sich somit zugleich auch eine neue Einsicht in die eigentümliche Zeitlichkeit, die dem absoluten Bewußtsein zukommt. Die neue Lehre von der retentionalen Intentionalität des absoluten Bewußtseins besiegelt die Anerkennung einer prinzipiellen, sowohl strukturellen als auch phänomenalen Differenz zwischen der Wahrnehmung von Gegenständen der objektiven Zeit und der „inneren“ Erfahrung von einer dem Bewußtsein selbst zukommenden Form der Zeitlichkeit. Das Schema ‚Auffassung – Auffassungsinhalt‘ soll verständlich machen, wie in einer jetzigen Phase des Wahrnehmungsaktes zugleich mit dem jetzigen Zustand des Wahrnehmungsgegenstandes auch dessen vergangene und zukünftige Zustände (mit-)wahrgenommen werden. Die aktuelle Phase des Wahrnehmungsaktes wird bestimmt als ein Kontinuum von Auffassungsinhalten und entsprechenden Auffassungen, deren eine sich auf den Gegenstand richtet, so wie er sich gerade jetzt darstellt, und deren andere sich auf die vergangenen und zukünftigen Phasen im Ablauf bzw. in der Dauer dieses Wahrnehmungsgegenstandes beziehen. Husserl faßt diese Lehre prägnant zusammen, wenn er sich zu Beginn seiner kritischen Überlegungen in Nr. 49 die Frage stellt: „Haben wir im Jetztpunkt ein Kontinuum von primären Inhalten gleichzeitig und dazu gleichzeitig ein ‚Auffassungs‘-Kontinuum?“ (S. 356). Auch abgesehen von der phänomenal unplausiblen Zerteilung eines Wahrnehmungsaktes in ein Kontinuum von Partialintentionen ergibt sich die funktionale Schwierigkeit zu verstehen, wie in einem Kontinuum von jetzigen Auffassungsinhalten sowie in einem gleichzeitigen Kontinuum von jetzigen Auffassungen je etwas anderes als ein Jetzt des Zeitgegenstandes zur
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Gegebenheit gelangen kann: „Kann aber eine Serie von koexistenten primären Inhalten jemals eine Sukzession zur Anschauung bringen?“ (S. 357). Eine neue Stufe der Kritik wird dann erreicht, wenn ausdrücklich auf die besonderen Schwierigkeiten geachtet wird, die mit der Anwendung des Schemas auf die Erklärung der konstitutiven Funktion des absoluten Bewußtseins verbunden sind. Die Unzeitlichkeit des absoluten Bewußtseinsflusses wird nun nicht mehr, wie noch in den Texten der 3. Gruppe, aus Furcht vor dem unendlichen Regreß einfach postuliert, sondern einer eingehenden phänomenologischen Untersuchung unterzogen. Daraus ergibt sich z. B. die Einsicht, daß der absolute Bewußtseinsfluß im Gegensatz zu den in ihm konstituierten immanenten Zeitgegenständen (z. B. Tönen, Melodie) kein zeitlicher Vorgang ist, in dem eine Phase in eine kontinuierliche Folge ausgebreitet werden kann und in dem der Ablauf schneller oder langsamer vonstatten gehen kann (vgl. Nr. 54, S. 405). Auf die retentionale Intentionalität des absoluten Bewußtseins angewendet folgt daraus nicht nur, daß die Gleichzeitigkeit von jetzigen Auffassungen bzw. jetzigen Auffassungsinhalten das Bewußtsein von einer Sukzession unmöglich macht, sondern auch, daß von Gleichzeitigkeit und jetzigen Inhalten im absoluten Bewußtsein überhaupt gar keine Rede sein kann: „Der Fluß der Bewußtseinsmodi ist kein Vorgang, das Jetzt-Bewußtsein ist nicht selbst jetzt. Das mit dem Jetzt-Bewußtsein ‚zusammen‘ Seiende der Retention ist nicht ‚jetzt‘, ist nicht gleichzeitig mit dem Jetzt“ (Nr. 50, S. 368). Aus dieser Präzisierung der Unzeitlichkeit des absoluten Bewußtseins folgt, daß das absolute Bewußtsein nicht mit der Wahrnehmung der zeitlichen Bestimmungen von transzendenten Gegenständen parallelisiert werden kann. Es wird der möglichen Übertragung des Schemas ‚Auffassung – Auffassungsinhalt‘ auf die Beschreibung des absoluten Bewußtseins also der Boden entzogen. Die richtig verstandene Unzeitlichkeit des absoluten Bewußtseins hat zur Folge erstens, daß es darin keine zeitlich lokalisierten Inhalte mehr geben kann, und zweitens, daß es der postulierten Scheidung zwischen intentionalen und nicht-intentionalen Momenten dieses absoluten Bewußtseins an jeder phänomenologischen Grundlage fehlt.
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Das Jetzt des Tones spiegelt sich nicht wider in einer jetzigen Urimpression, welche als vor-intentionaler, reeller Inhalt des absoluten Bewußtseins noch einer Auffassung bedarf, um sich intentional auf das Ton-Jetzt zu beziehen. Die Urimpression hat nichts Tonmäßiges in sich, sie ist kein sense-datum, sondern Empfinden des Tones. Die Urimpression ist reines intentionales Bewußtsein vom Ton-Jetzt, sie ist reine Aktualität des absoluten Bewußtseins. Ebenso ist auch die Retention absolutes Bewußtsein von der Ton-Vergangenheit, ohne daß es einer Stellvertretung des vergangenen Tones im reellen, vorintentionalen Gehalt des absoluten Bewußtseins bedürfte. Der retentional bewußte Ton ist „eine Modifikation, die kein primärer Inhalt im aktuellen Sinn mehr ist […], sondern etwas Modifiziertes: ein Bewußtsein vergangener Empfindung“ (Nr. 49, S. 358). Mit dieser neuen Bestimmung der urimpressionalen und retentionalen Intentionalität wird auch der mit der Anwendung des Schemas auf das absolute Bewußtsein verbundene unendliche Regreß in der Zeitkonstitution vermieden. Das absolute Bewußtsein ist reine Intentionalität. Doch stellt sich gerade bei der Behandlung der retentionalen Intentionalität des absoluten Bewußtseins sofort die Frage, um welche Art von Intentionalität es sich dabei nun handelt. Darf dieses retentionale Bewußtsein nicht als intentionale Auffassung eines modifizierten, jedoch gegenwärtigen Empfindungsinhalts verstanden werden, so gibt es auch keinen Grund mehr, dieses Vergangenheitsbewußtsein eine Wahrnehmung zu nennen. Husserl ist sich dessen deutlich bewußt und geht im Text Nr. 54 dazu über, die Retention als eine eigenartige Form der „Vergegenwärtigung“ bzw. der „Reproduktion“ zu bezeichnen. Natürlich will Husserl trotzdem an der Scheidung zwischen Retention und Wiedererinnerung festhalten (vgl. S. 411 f.), doch die Tendenz der Abrückung der Retention von der Wahrnehmung und ihre Annäherung an die Struktur eines Aktes der Vergegenwärtigung, der eine doppelte Intentionalität impliziert, ist unverkennbar (vgl. S. 416). Die Retention ist ein dem absoluten Bewußtsein zugehöriges, aktuelles Vergangenheitsbewußtsein, in dem – ähnlich wie in der Wiedererinnerung – sowohl ein vergangener immanenter Zeitgegenstand als auch
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das ihn konstituiert habende, verflossene Moment des absoluten Bewußtseins anschaulich gegeben sind. Im Gegensatz zur Wieder-Erinnerung läßt die retentionale Vergegenwärtigung die Vergangenheit jedoch nicht von neuem ablaufen, sie ist keine Wiederholung des Verflossenen, sondern ein sich stetig modifizierendes Bewußtsein des Wegfließens aus der Gegenwart und des stets weiter in die Vergangenheit Versinkens. Als Moment der unzeitlichen Aktualität des absoluten Bewußtseins hat die Retention natürlich auch keine Dauer, sie ist nicht, wie der Akt der Wiedererinnerung, ein immanenter Zeitgegenstand. Die Retention ist eine Ur-Erinnerung, welche die Wieder-Erinnerung nicht bloß dadurch möglich macht, daß sie das zu Erinnernde in seinem Versinken in die Vergangenheit festhält, sondern auch dadurch, daß sie mitwirkt in der Konstitution der gegenwärtigen Erinnerung selbst qua immanenter Zeitgegenstand. Die eigenartige und doppelte Richtung der Intentionalität, welche die retentionale Vergegenwärtigung der Vergangenheit kennzeichnet, kommt jedoch erst dann voll zur Geltung, wenn wir von der Betrachtung der sich an eine aktuelle Urimpression anschließenden aktuellen Retention übergehen zur Analyse der fließenden Kontinuität des retentionalen Bewußtseins. Erst im Fluß des retentionalen Bewußtseins konstituiert sich nämlich sowohl die Einheit des in die Vergangenheit versinkenden immanenten Zeitgegenstandes und seiner Zeitstelle als auch die Selbsterscheinung der Einheit des fließenden absoluten Bewußtseins. Da jede aktuelle Retention sich notwendig anschließt an eine aktuelle Urimpression, so ist dieser Fluß des retentionalen Bewußtseins notwendig auch verbunden mit der lebendig strömenden Gegenwart von immer neu auftauchenden Urimpressionen. Wenn Urimpression 0 in Urimpression 1 übergeht, so entsteht ‚zusammen‘ mit dieser Urimpression 1 auch eine Retention 0, die sich auf Urimpression 0 bezieht. Trotz dieser Verflechtung zwischen dem Fluß des retentionalen und des urimpressionalen Bewußtseins bestehen zwischen den beiden Flüssen jedoch wesentliche strukturelle Unterschiede. Diese Differenz leitet sich letztlich davon her, daß die Urimpression gegenwärtigendes, die Retention jedoch vergegen-
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wärtigendes intentionales Bewußtsein ist. Daraus ergibt sich, daß die unzeitliche ‚Folge‘ von Urimpressionen zur Not noch in Form einer horizontalen Linie dargestellt werden kann, während die ‚Folge‘ der Retentionen diesen linearen Ablauf durchbricht, ihn aufspreizt in eine ‚Folge‘ von gegenwärtigen Retentionen und in eine ‚Folge‘ des kontinuierlichen „Herabsinkens“ der ‚sukzessiven‘ Gegenwartsmomente in die Vergangenheit (vgl. die Zeichnungen S. 400 und S. 356 f.). In Wirklichkeit bewirkt die Kontinuität des retentionalen Bewußtseins jedoch nicht nur die in diesen Zeichnungen dargestellte Aufsplitterung der Linearität des absoluten Bewußtseinsflusses in zwei oder mehrere Geraden. Da jede neue Retention sich nämlich nicht bloß auf die vorangehende Retention bezieht, sondern durch diese hindurch auf eine noch weiter zurückliegende Retention usw., vergegenwärtigt jede Retention in Form einer retentionalen „Verschachtelung“ den ganzen verflossenen Ablauf des absoluten Bewußtseins. Umfaßt jede Retention in einer Bewegung stufenhafter Vermittlung den ganzen Ablauf, so ist die Figur von konzentrischen Kreisen oder von einer Spirale viel besser geeignet, die Kontinuität des retentionalen Bewußtseins graphisch darzustellen, als die Figur eines aufgefächerten Zusammenhangs von Geraden. Jede neue Retention bewegt das ganze Zeitbewußtsein ähnlich wie ein ins Wasser geworfener Stein, jede neu erwachsende Retention verschiebt das ganze System von ineinander verschachtelten Vergangenheiten ähnlich wie ein aus der Mitte wachsender Baum seine alten Jahresringe. In ein prosaischeres Bild gefaßt ist das retentionale Bewußtsein ein gefräßiger Wiederkäuer, dem es nie an neuer Nahrung, wohl aber an der Möglichkeit des Ausstoßens der verbrauchten Nahrung fehlt. Das kontinuierliche retentionale Bewußtsein ist eine Bewegung stetiger, jedoch nicht wirklich linearer Modifikation. In diesem retentionalen Kontinuum ergibt sich zugleich auch ein Bewußtsein vom abgelaufenen Fluß der Urimpressionen. Da jede aktuelle Retention nämlich mit einer aktuellen Urimpression verbunden ist, so ist die Retention 1 sowohl Retention 1 von Urimpression 1 als auch Retention 1 von Retention 0 von Urimpression 0. Noch wichtiger ist, daß sowohl Retention als
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auch Urimpression intentionale Bewußtseinsformen sind, die sich auf immanente Zeitgegenstände beziehen. In Retention 0 ist nicht nur eine eben noch gegenwärtig gewesene Urimpression 0 bewußt, sondern auch der durch Urimpression 0 konstituierte, eben noch jetzt gewesene Zeitgegenstand 0. In Retention 1 ist dann sowohl Urimpression 1 sowie Retention 0 von Urimpression 0 bewußt als auch der eben noch jetzt gewesene Zeitgegenstand 1 sowie der schon weiter in die Vergangenheit gerückte Zeitgegenstand 0. Im Übergang von Retention 0 zu Retention 1 wird somit nicht nur der Übergang von Urimpression 0 in Urimpression 1 (nachträglich) bewußt, sondern auch der Übergang von immanentem Zeitgegenstand 0 in Zeitgegenstand 1. Zur Kontinuität des retentionalen Bewußtseins gehört somit eine doppelte Intentionalität, in der einerseits der unzeitliche Fluß des absoluten Bewußtseins (Übergang von Urimpression 0 zu Urimpression 1) und andererseits – quer durch den absoluten Bewußtseinsfluß hindurch – die zeitliche Folge von immanenten Gegenständen zu anschaulicher Gegebenheit kommen. Die intentionale Richtung des kontinuierlichen retentionalen Bewußtseins, welche das fließende absolute Bewußtsein „entlang“ geht, nennt Husserl die retentionale „Längsintentionalität“ (S. 415 f.). In dieser Längsintentionalität kommt der Fluß des absoluten Bewußtseins zur „Selbsterscheinung“, und zwar als einheitliche Form des Fließens sowie als Fluß stets neuer Urimpressionen, die fließend in die Vergangenheit versinken. Das retentionale Bewußtsein, welches „durch“ die Selbsterscheinung des absoluten Bewußtseinsflusses hindurchgeht und sich auf die darin konstituierte Folge von immanenten Zeitgegenständen richtet, nennt Husserl die retentionale „Querintentionalität“ (S. 416). In dieser Querintentionalität kann dann noch, genauer besehen, nicht nur auf die Folge von immanenten Zeitgegenständen geachtet werden, sondern auch auf einen einzelnen, kontinuierlich weiter in die Vergangenheit versinkenden immanenten Zeitgegenstand. In diesem retentionalen Festhalten eines sich mehr und mehr aus der Gegenwart entfernenden Tonpunktes und seiner Zeitstelle konstituiert sich dann auch die Einheit des individuellen, immanenten Zeitgegenstan-
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des sowie die Identität seiner Zeitstelle. In der retentionalen Querintentionalität konstituiert das absolute Bewußtsein die immanenten Zeitgegenstände sowie das zugehörige Zeitstellensystem; in der retentionalen Längsintentionalität erscheint der absolute Bewußtseinsfluß sich selbst, allerdings erst nachträglich und nicht als Gegenstand, sondern als Fluß der reinen intentionalen Aktualität. III.
Mit der Bestimmung der Selbsterscheinung des absoluten Bewußtseinsflusses erreicht die vorliegende Textsammlung ihren systematischen Höhepunkt. Zugleich kommt auch ein Denkweg zum (vorläufigen) Abschluß, in dem sich Husserl zusehends von den Vorurteilen entfernt, welche seinen ersten Zugang zur phänomenologischen Analyse des Zeitbewußtseins geprägt hatten. Der Abstand zwischen einer sich noch ganz an das Vorbild der Dingwahrnehmung haltenden Analyse der Eigenschaften der raum-zeitlichen Gegenstände einerseits und der retentionalen Selbsterscheinung des Flusses des absoluten Bewußtseins andererseits ist bedeutend. Der zeitkonstituierende Fluß ist selbst kein zeitlicher Gegenstand mehr, er kann nicht wahrgenommen werden, er ist überhaupt nie unmittelbar, sondern erst im nachhinein zu erfassen. Auch konstituiert dieser absolute Bewußtseinsfluß die einheitlichen Zeitgegenstände nicht in Form eines in Auffassungsinhalt und Auffassung aufgesplitterten Wahrnehmungsprozesses, sondern in der Kontinuität retentionaler Vergegenwärtigung. Selbsterscheinung des Flusses und Konstitution (immanenter) Zeitgegenstände gehen dabei Hand in Hand, sie sind zwei „untrennbare“ Aspekte der retentionalen Intentionalität, in welcher der Fluß sich selbst und seine Gegenstände nachträglich und in stetig modifizierter Weise rekapituliert. Die diesen beiden Formen des retentionalen Bewußtseins eigene Intentionalität erwächst aus der Spannung zwischen Gegenwart und Vergangenheit. Die retentionale Intentionalität überbrückt diesen Gegensatz jedoch nicht, sie besiegelt vielmehr den unaufhaltsamen (Selbst-)Verlust der Präsenz. Die Kontinuität des retentionalen Bewußtseins ist ein
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differentiell iterativer Prozeß, in dem aus der stetig modifizierten retentionalen Abrückung des absoluten Bewußtseins von sich selbst im nachhinein sowohl das ‚subjektive‘ Selbstbewußtsein als auch das ‚objektive‘ Zeitbewußtsein entstehen. Die Differenz zwischen der linearen Zeit der Gegenstände und einem Bewußtsein von dieser Zeit, das weder in der Zeit ist noch Zeit in sich hat, beruht somit nicht auf einer ursprünglichen Identität, sondern auf der endlosen Selbstdifferenzierung des absoluten Flusses. Es darf jedoch nicht verschwiegen werden, daß die in den vorliegenden Texten ausgeführte Lehre von der Unzeitlichkeit des absoluten Bewußtseins und seiner Selbsterscheinung in der retentionalen Längsintentionalität noch Vieles im Unklaren läßt. Nicht nur die von Husserl in späteren Jahren noch selbst ausgeführten Zeitanalysen, sondern auch die Behandlung des Zeitproblems in der neueren phänomenologischen Bewegung insgesamt bleiben geprägt durch diese offengelassenen Fragen, Unklarheiten und ausweglosen Aporien. An erster Stelle ist dabei das Verhältnis von Urimpression und Retention zu nennen. Einerseits zeigt Husserl sich deutlich darum besorgt, den Vorrang der aktuellen Urimpression festzulegen. Die Retention ist ein bloßer Anhang und Relikt, ein „Kometenschweif“, der die Erinnerung an die vergangene Herrlichkeit der leuchtenden Gegenwart in sich verwahrt (vgl. S. 413). Andererseits bedarf die urimpressionale Gegenwart des absoluten Bewußtseins aber notwendig der Retention, um sich selbst – nachträglich und als Grenze der vorangegangenen retentionalen Strecken – gegenwärtig zu werden. Das ‚Ineinander‘ von Urimpression und Retention ist in Wirklichkeit ein ursprüngliches ‚Auseinander‘, in dem jeder der beiden Pole den anderen voraussetzt und in dem doch keiner der beiden vom anderen abzuleiten ist. Diese Gegenwart des absoluten Bewußtseins wird von Husserl auch als ein fließender Zusammenhang von „MomentanZugleich“ und „Zeitstrecken-Zugleich“ bestimmt, der sowohl die Erfassung gegenständlicher Gleichzeitigkeit als auch gegenständlicher Sukzession ermöglicht (S. 411). Damit verwikkelt sich Husserl jedoch in ein weiteres Problem, nämlich die Voraussetzung der konstituierten immanenten Zeit in der phä-
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nomenologischen Bestimmung des diese Zeit konstituierenden absoluten Bewußtseins. Husserl betont zwar immer wieder, daß dieses absolute Bewußtsein „unzeitlich, nämlich nichts in der immanenten Zeit“ sei (S. 369; vgl. auch S. 404), doch sieht er sich gezwungen, dieser Behauptung sogleich das folgende Zugeständnis nachzuschicken: „Wir können da nicht helfen und nur sagen: Dieser Fluß ist etwas, das wir nach dem Konstituierten so nennen […]. Für all das haben wir keine Namen“ (S. 406). Natürlich ist dasjenige, was nicht zu benennen ist, deswegen nicht auch schon ein Nichts, und dasjenige, was nicht ausschließlich in sich selbst phänomenologisch gefaßt werden kann, muß deswegen noch keine bloße Konstruktion sein. Sicher ist jedoch, daß da, wo eine metaphorische Ausdrucksweise sich nicht vermeiden läßt, das dergestalt ‚Genannte‘ direkt und unmittelbar nicht zugänglich ist. Läßt sich das absolute Bewußtsein wesentlich nur von der in ihm konstituierten, immanent-gegenständlichen Zeit her aufschlüsseln, so kann auch in ontologischem Sinne schwerlich behauptet werden, es sei ein „absoluter“ Grund, der „nulla re indiget ad existendum“. Die Phänomenologie des Zeitbewußtseins erzwingt vielmehr die gegenteilige Feststellung, nämlich daß das zeitkonstituierende Bewußtsein ohne den Unterschied zu der in ihm konstituierten Zeit nicht bestehen kann. Wiederum zeigt sich, daß das „absolut“ genannte Bewußtsein von Zeit reine Differenz ist, retentionale Differenz von sich selbst qua Selbstgegenwart sowie Differenz von der in ihm konstituierten Zeit der immanenten Gegenstände. Es sind die von Husserl analysierten Phänomene selbst, die sich von seinem vorgefaßten Begriff der Phänomenologie abwenden. Husserl unternimmt auf der letzten Seite der vorliegenden Textsammlung einen verzweifelten Versuch, diese verwilderten Phänomene auf den geraden, metaphysischen Weg zurückzubringen. Er träumt davon, „es walte über allen Bewußtsein im Fluß noch das letzte Bewußtsein“ (S. 418). Dieses letzte Bewußtsein befreit sich aus der Verstrickung mit der iterativ differentiellen Bewegung des Flusses, es hinkt dem sich immer wieder von neuem entziehenden Bewußtsein von Zeit nicht einfach hinterher, sondern erfaßt es unmittelbar und in auf-
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merkender Wahrnehmung. Beim Erwachen aus diesem Traum muß Husserl jedoch feststellen, daß er die Wirklichkeit der Differenz nicht losgeworden ist: Man entgeht nämlich dem unendlichen Regreß nur dann, wenn man dieses letzte Bewußtsein als „‚unbewußtes‘ Bewußtsein“ bezeichnet und sich damit einer Differenz ausliefert, die nicht nur die Autonomie des ‚absoluten‘ Bewußtseins, sondern des Bewußtseins von Zeit insgesamt bedroht. Den phänomenologischen Denkern nach Husserl erschien diese Bedrohung der Phänomenologie des Zeitbewußtseins allerdings als ein Weg der Befreiung aus den endlosen Aporien einer reflexionstheoretischen Phänomenalisierung der letztlich doch nicht sichtbaren Zeit. Bevor wir uns diese Verwandlung der Husserlschen Phänomenologie der Zeit bei Heidegger, Merleau-Ponty, Derrida, Levinas und Ricœur kurz vergegenwärtigen, wollen wir noch einen Blick werfen auf die sich an die vorliegende Textsammlung anschließende, spätere Entwicklung von Husserls Phänomenologie des Zeitbewußtseins. An erster Stelle sind dabei die Bernauer Zeitmanuskripte aus 1917–1918 zu nennen, die im Husserl-Archiv zu Leuven unter der Signatur „L“ aufbewahrt werden und dann auch 2001 unter dem Titel „Die ‚Bernauer Manuskripte‘ über das Zeitbewußtsein (1917/18)“ von Rudolf Bernet und Dieter Lohmar als Band XXXIII der Husserliana ediert wurden. Es handelt sich dabei weitgehend um eine verdeutlichende Wiederholung und Fortführung des in den hier abgedruckten Texten aus 1906 bis 1911 angesprochenen Problembereichs. Die Analyse des ‚absoluten‘ Bewußtseins in seiner Unzeitlichkeit und doppelten Intentionalität, die Bestimmung des Zusammenhangs von Urimpression und Retention, von Retention und Phantasie sowie von Retention und Wiedererinnerung stehen weiterhin im Vordergrund. In der vertieften Behandlung der transzendental-konstitutiven Leistung des ‚absoluten‘ Bewußtseins von Zeit zeichnen sich jedoch schon neue Problemgruppen und insgesamt auch eine Tendenz zur ‚Ontologisierung‘ der Zeitproblematik ab. Die neu behandelten Sachfragen kreisen um die Bestimmung der Urgenesis des transzendentalen Bewußtseins und betreffen vor allem das Verhältnis von ichlicher Subjektivität und gegen-
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ständlicher Zeitlichkeit, von zeitlich bestimmtem Konstitutionsprozeß und den darin konstituierten, eventuell zeitlosen Gegenständen sowie von zeitlicher Individuation des konstituierenden Bewußtseins und zeitlicher Individuation der konstituierten Gegenstände. ‚Ontologisierend‘ kann die Behandlung dieser Fragen deswegen genannt werden, weil Husserl den im Konstitutionsgedanken angelegten erkenntnistheoretischen Idealismus hier deutlich auch in seinen ontologischen Konsequenzen bejaht und des weiteren nicht nur die Individuation von Seiendem überhaupt, sondern auch die Scheidung zwischen verschiedenen Arten von Gegenständen im transzendental-konstitutiven Bewußtsein von Zeit zu begründen versucht. Auch die wenig später, nämlich Anfang der zwanziger Jahre entstandenen Texte verbinden die Analyse des Zeitbewußtseins mit dem Interesse an der Erforschung der Grundlagen eines in Korrelation mit den verschiedenen Regionen gegenständlichen Seins aufgefächerten transzendental-genetischen Konstitutionsprozesses. Im bisher veröffentlichten Werk läßt sich dieser weitere Schritt in der Entwicklung der Phänomenologie des Zeitbewußtseins vor allem in den „Analysen zur passiven Synthesis (1918 –1926)“ (Husserliana XI) verfolgen. Im Rahmen des umfassenden Projekts einer „transzendentalen Ästhetik“, d. h. einer intentional-genetischen Begründung der Logik in einer Phänomenologie der Sinnlichkeit, finden sich da wertvolle Ausführungen z. B. zur schrittweisen Entleerung der Anschaulichkeit des retentionalen Bewußtseins, zur assoziativen Weckung einer fernen bzw. „toten“ retentionalen Vergangenheit und zur Frage der Täuschung in der Wiedererinnerung. Eine letzte Etappe der Verwandlung der Analyse des Zeitbewußtseins ist vor allem in der umfangreichen, zwischen 1927 und 1933 entstandenen Textgruppe dokumentiert, die im Husserl-Archiv die Signatur „C“ trägt und 2006 von Dieter Lohmar unter dem Titel „Späte Texte über Zeitkonstitution (1929–1934). Die C-Manuskripte“ Materialienband 8 der Husserliana ediert wurde. Diese sogenannten C-Manuskripte kämpfen unter den neuen Vorzeichen von Husserls Spätwerk noch immer um eine angemessene Bestimmung des ‚absoluten‘ Bewußtseinsflusses und dessen Verhältnis zu ei-
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ner sowohl anonym fungierenden als auch ichlich-leistenden transzendental-konstitutiven Subjektivität. Das „Urgeschehen“ der „lebendig strömenden Gegenwart“, die Bewegung ursprünglicher Differenzierung erschüttern hier von neuem den Bezugsrahmen von Subjektivität und Welt und damit auch die Grundfesten der philosophischen Methode der Phänomenologie. Einige aus dieser C-Gruppe stammende Ausschnitte wurden im 3. Teil der Forschungstexte „Zur Phänomenologie der Intersubjektivität (1929 –1935)“ (Husserliana XV) veröffentlicht. Dieser Band zeigt auch, wie das Problem des individuellen Zeitbewußtseins im Zusammenhang mit der Analyse des praktisch orientierten sozialen Lebens und seiner Institutionen sich ausweitet zur Frage nach dem Verstehen einer intersubjektiven Geschichte. Man kann jedoch nicht sagen, daß dieser Übergang von einer Phänomenologie der Zeit zu einer Phänomenologie der Geschichte bei Husserl mit befriedigender Deutlichkeit artikuliert wird. Husserl entdeckt die phänomenologische Tragweite der Frage nach dem Sinn der Geschichte erst relativ spät und interessiert sich dann auch weniger für den Zusammenhang von Zeit und Geschichte sowie die Bestimmung einer spezifisch historischen Zeitlichkeit als für die Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung von geschichtlicher Faktizität sowie vor allem für das Problem der Rationalität des geschichtlichen Ablaufs und der geschichtlichen Überlieferung. Ganz im Gegensatz zu Husserl betont Heidegger schon von Anfang an die Zusammengehörigkeit des Verständnisses von Zeit und Geschichte. Der strategische Platz, welcher der „Geschichtlichkeit“ innerhalb der dreistufigen Analyse der Zeitlichkeit in „Sein und Zeit“ zugewiesen wird, ist ein Beweis dafür, daß Heidegger die Zeit schon immer mit der Geschichte zusammen denkt, ja die Zeit geradezu von der Geschichte her versteht. Die Frage, ob Heideggers „Geschichtlichkeit“ dann auch wirklich eine philosophische Grundlegung der geisteswissenschaftlichen Geschichtsschreibung zu leisten vermag, können wir hier nicht erörtern. Wir sehen uns überhaupt gezwungen, in der folgenden Übersicht über die kritische Auseinandersetzung mit Husserls Phänomenologie des Zeitbewußtseins von
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der Frage nach dem Verständnis der Geschichte als „das große Faktum des absoluten Seins“ abzusehen. Dies hat nicht nur zur Folge, daß die Phänomenologie der Geschichte etwa Ludwig Landgrebes hier nicht behandelt werden kann, sondern auch, daß der durch das Interesse an der Geschichte bestimmte Hintergrund der Husserlkritik von M. Heidegger, M. MerleauPonty und P. Ricœur im Dunkeln bleibt. Da es sich hier jedoch nur um Husserls Analyse des Zeitbewußtseins handeln kann, da in den hier abgedruckten Texten von Geschichte nicht die Rede ist, da die Auseinandersetzung mit Husserls Zeitverständnis schließlich auch eine willkommene Gelegenheit bietet, den inzwischen schon wieder zur Selbstverständlichkeit abgeflachten Primat der geschichtlichen Vernunft in Frage zu stellen, scheint unser Vorgehen ungeachtet der damit verbundenen Nachteile doch gerechtfertigt. Es ist unverkennbar, daß Heideggers neue Analyse der Einheit der zeitlichen Ekstasen sowie die daraus folgende Kritik am erkenntnistheoretischen Ansatz von Husserls Theorie des Zeitbewußtseins die nachfolgenden Denker wesentlich beeinflußt haben. Stets von neuem wird an den metaphysischen Voraussetzungen der Verinnerlichung des Zeitphänomens in einem Gegenstande vorstellenden Bewußtsein Anstoß genommen. Allerdings läßt sich bei dem damit verbundenen Vorschlag eines alternativen Zeitverständnisses eine Entwicklung beobachten, in welcher der existenziale Ansatz zugunsten einer mehr sprachphilosophisch inspirierten Analyse der Zeit zurücktritt. Aber auch dieser Schritt über Heidegger hinaus verdankt dem pragmatischen Bezugsrahmen von Heideggers frühem Werk noch wesentliche Impulse. Denker wie Levinas und Ricœur bleiben nämlich nicht stehen bei der schon von Husserl verwünschten Schwierigkeit, das Zeitgeschehen angemessen zu benennen, sondern konzentrieren sich auf die Artikulation der Zeit in handlungsbezogenen Sprachformen wie Verbum oder Erzählung. Alle der bereits genannten französischen Denker seit Merleau-Ponty stellen Husserls Begriff der urquellenden Gegenwart auch einen Begriff der Differenz gegenüber, der sich unschwer als ein Erbe der Heideggerschen Philosophie erkennen läßt.
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Obwohl ein direkter Einfluß der Husserlschen Phänomenologie des Zeitbewußtseins auf die Entstehung von Heideggers eigenem Verständnis der Zeit praktisch ausgeschlossen werden kann und trotz der nur mühsam beherrschten Vehemenz von Heideggers Kritik an Husserls Subjektivierung einer als linearer Abfluß beschriebenen Zeit fehlt es nicht an Ähnlichkeiten zwischen den beiden wesentlichen Zeitgenossen. Beide gehen aus von Zeitprädikaten wie „dann“, „damals“, „jetzt“, und beide bemühen sich um eine phänomenologische Analyse des Zusammenhangs zwischen konstituierter Zeit und konstituierender Zeit. Ähnlich wie Husserl unterscheidet auch Heidegger drei Stufen der Zeit, die er in „Die Grundprobleme der Phänomenologie“ (SS 1927) „Zeit“, „Zeitlichkeit“ und „Temporalität“ nennt. Heideggers Analyse der konstituierten Zeit orientiert sich zunächst auch an der herkömmlichen Scheidung zwischen den Zeitdimensionen der Gegenwart, Vergangenheit und Zukunft sowie an den entsprechenden Verhaltensweisen des Gegenwärtigens, Behaltens und Gewärtigens. Damit sind die Analogien jedoch erschöpft, denn die Anstrengung des Heideggerschen Denkens gilt gerade dem fortschreitend radikalisierten Versuch, sich von dem „vulgären“ Vorverständnis der Zeit loszureißen, dem Husserl bis zum bitteren Ende seiner aporetischen Auflösung treu geblieben war. Heideggers Neuansatz richtet sich dabei nicht nur darauf, die Einheit, Verflechtung und Gleichursprünglichkeit der verschiedenen Zeitdimensionen sowie das handlungsbezogene Verstehen von Zeit zu betonen, sondern es geht ihm auch und vor allem darum, den Gedanken der Intentionalität zu vertiefen und die Zeit als Transzendenz zu denken. Diese Transzendenz ist nicht das bewußtseinsmäßige transzendierende Vorstellen, und das Worauf dieser Transzendenz ist kein (vorhandener) Gegenstand, sondern ein Horizont, von dem her Seiendes überhaupt erst begegnen kann. Heidegger versucht damit in einem Schlag die dem Zeitphänomen unangemessene Scheidung zwischen Subjekt und Objekt zu unterlaufen sowie der alten Frage nach dem Ursprung der Zeit einen neuen Sinn zu geben. Transzendenz ist demnach „ekstatische Zeitigung“, und die Zeit bzw. „die Zeitlichkeit ist selbst die in der ekstatischen Zeitigung
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sich einigende ekstatische Einheit“ („Metaphysische Anfangsgründe“, S. 266). „Zeitigung“ und „Zeitlichkeit“ bezeichnen dabei keinen Zusammenhang psychologischer Genesis oder erkenntnismäßiger Konstitution, sondern dienen der philosophischen Bestimmung des Verstehens von Sein. Zeit und Sein gehören zusammen, Zeitlichkeit ist nicht nur die Bedingung der Möglichkeit des besorgenden Verhaltens des Daseins zu innerzeitigem Seienden, sondern auch die Bedingung der Möglichkeit des daseinsmäßigen Verstehens des ihm eigenen Seins. Ebenso ist auch das Verstehen von Sein im allgemeinen und in seiner Differenz von allem Seienden, das es ist, nur möglich im Horizont der „Temporalität“. Der Gegensatz zwischen Husserl und Heidegger ist groß, ja unüberbrückbar geworden, denn Heidegger geht in seiner Ontologisierung der Zeitproblematik schließlich soweit, die Zeit mit dem Seinsgeschehen zu identifizieren. Zwar haben wir insbesondere in den „Bernauer Manuskripten“ auch ein Interesse für ontologische Fragen feststellen können, doch bleibt Ontologie bei Husserl eine Lehre von seienden Gegenständen. Eine ontologische Analyse des ‚absoluten‘ zeitkonstituierenden Bewußtseins impliziert somit dessen (reflexive) Vergegenständlichung und läuft Gefahr, der philosophisch überaus fruchtbaren Bestimmung dieses Bewußtseins als Differenz untreu zu werden. Wohl kein anderer Denker hat diese Spannung zwischen Husserls und Heideggers Phänomenologie der Zeit so ernst genommen und so schwer an ihr getragen wie E. Fink. Dies ist zweifellos auch der eigentliche Grund, warum Fink die ihm von Husserl anvertraute Edition der ,,Bernauer Manuskripte“ nicht zu vollenden vermochte. Es sind in der Folge vor allem die französischen Phänomenologen, welche die durch Heidegger in Gang gebrachte Auseinandersetzung mit Husserls Analyse des Zeitbewußtseins weiterführen. Natürlich kann es hier nicht unsere Aufgabe sein, diese neuen Entwürfe zu einer Phänomenologie der Zeit, wie sie sich z. B. bei Merleau-Ponty und Levinas finden, in ihrer vollen Eigenheit darzustellen. Auch wäre es ein überaus gewagtes und wohl auch verkehrtes Unternehmen, beweisen zu wollen, daß diese neuen Analysen der Zeit bloße Transforma-
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tionen des Husserlschen Ansatzes sind. Dafür liegen der Denkstil und die systematischen Interessen von Merleau-Ponty und Derrida, von Levinas und Ricœur zu weit auseinander. Was diese Denker in ihrer Analyse der Zeit jedoch nachweislich und ungeachtet der Eigenständigkeit ihres respektiven Gesichtspunktes miteinander verbindet, ist die von ihnen formulierte Kritik an den Voraussetzungen von Husserls Zeitverständnis. Darauf wollen wir uns im folgenden beschränken und kurz aufweisen, wie sie alle Anstoß nehmen an der Bestimmung des gegenwärtigen Augenblicks als ursprünglichem und letztlich allein Sein-gebendem Zeitmodus, wie sie sich gegen eine lineare Bestimmung der zeitlichen Modifikation wenden und wie sie betonen, daß diese Modifikation den Charakter einer ursprünglichen Differenz hat, welche in einer reflexionsphilosophischen Bewußtseinsphilosophie nicht einzuholen ist. Es ist bemerkenswert, daß diese Kritik an Husserl für alle diese Phänomenologen und trotz ihrer schon bald auseinanderlaufenden Denkwege eine nicht auszulassende Etappe darzustellen scheint. Eine noch größere Huldigung von Husserls Phänomenologie des Zeitbewußtseins kann darin gesehen werden, daß diese Denker sich in ihrer Kritik an Husserls methodischem und systematischem Selbstverständnis auch vornehmlich auf die von Husserl selbst erstmals entdeckten Phänomene stützen. Bei Merleau-Ponty findet sich die Kritik an Husserls Phänomenologie des Zeitbewußtseins vor allem im späteren Werk, in dem – unter spürbarem Einfluß von Heidegger – die Analyse der Wahrnehmung und des leiblichen Bewußtseins zurücktritt zugunsten von ontologischen und sprachphilosphischen Fragestellungen. Während die „Phénoménologie de la perception“ Husserls Zeitdiagramm noch zustimmend kommentiert (vgl. S. 477f.), überwiegt die Kritik in den nachgelassenen Forschungsmanuskripten, die in „Le visible et l’invisible“ veröffentlicht wurden. Husserls Zeitdiagramm sei die Darstellung einer linearen Auffassung der Zeit (S. 248), sein Grundverdienst liege in der Analyse der retentionalen Modifikation, die jedoch allzu sehr geprägt bleibe von einem abstrakten Begriff der Gegenwart und die sowohl dem kontinuierlichen
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Schrumpfen als auch dem Vergessen der Vergangenheit nicht gerecht zu werden vermöge (S. 227, 248 f.). In Wahrheit sei die Gegenwart nie mit sich selbst zur Deckung zu bringen, sie falle nie mit sich selbst zusammen, sondern sei „Differenz“, „Transzendenz“: „auch das Urerlebnis impliziert kein vollständiges, sondern ein teilweises Zusammenfallen, denn es hat Horizonte und bestünde nicht ohne sie“ (S. 249). Bei allem gerechtfertigten Mißtrauen gegen philosophiegeschichtliche Abstammungslehren ist man doch versucht, das Denken von Levinas als Fortsetzung von Merleau-Ponty einerseits und als wesentliche Inspirationsquelle von Derrida andererseits einzustufen. Diese Einordnung hat jedenfalls dann eine gewisse Gültigkeit, wenn es sich um Levinas’ Verständnis der Zeit und seine Kritik an Husserls Analyse des Zeitbewußtseins handelt. Ähnlich wie der frühe Merleau-Ponty und im Gegensatz zu Heidegger betrachtet Levinas die enge Verbindung von Zeit und Sinnlichkeit als das wesentlichste Verdienst von Husserl. Er schreibt in „Intentionalité et sensation“ (vgl. „En découvrant …“, S. 151 ff.), Husserls „absolutes Bewußtsein“ sei der Ort eines unüberwindlichen Abstands zwischen dem „Empfinden“ und dem „Empfundenen“ (S. 153) und somit auch der Ursprung der Intentionalität: „Das Geheimnis der Intentionalität liegt im Abstand von … oder in der Modifikation des Zeitstromes“ (S. 156). Als Ursprung der transzendierenden Intentionalität sei das „absolute Bewußtsein“ selbst noch eine besondere Art von Intentionalität: keine vorstellende, sondern eine fungierende Intentionalität, ein „Geschehen“ oder, genauer, das Geschehen der Nachträglichkeit der bewußtseinsmäßigen Erfassung: „Das Bewußtsein von Zeit ist keine Reflexion über die Zeit, sondern die Zeitigung selbst: Die Nachträglichkeit der Bewußtwerdung ist das eigentliche Nachher der Zeit“ (S. 154). Ungeachtet dieser Verlegung des Zeitbewußtseins in eine schon immer von sich selbst abgespaltete Sinnlichkeit, trage Husserls Analyse der Zeit jedoch deutliche Spuren der Selbstherrlichkeit des transzendentalen Bewußtseins. Eine echte Diachronie wird nach Levinas erst dort erreicht, wo die Verantwortung für den Anderen das Selbst aus seinem Selbstbesitz vertreibt. Auch in „Autrement qu’être ou
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au-delà de l’essence“ wird der von Husserl hergestellte Zusammenhang von Zeit und Sinnlichkeit sowie die Entdeckung der Differenz im Urgeschehen der zeitlichen Modifikation lobend erwähnt. Auch hier richtet sich Levinas’ Kritik wiederum gegen den Anspruch des Bewußtseins, die zeitliche Differenz in der geschlossenen Identität des Selbstseins aufheben zu wollen. Husserl versuche stets wieder, die entfliehende Differenz, den unüberwindlichen Abstand der Gegenwart von sich selbst in der bewußtseinsmäßigen Re-tention und Wieder-erinnerung einzuholen und von neuem in Besitz zu nehmen (S. 41). Im Unterschied zum früheren Werk stellt Levinas dieser Analyse der bewußtseinsmäßigen Zeit nicht mehr die Diachronie der ethischen Verantwortung entgegen, sondern die Zeit der Sprache, genauer des Verbums. Während Husserl noch meinte, die Sprache käme für eine philosophische Analyse der Zeit deswegen nicht in Frage, weil es ihr an geeigneten „Namen“ für das zeitliche Geschehen fehle, betont Levinas, daß das Wesen der Sprache gar nicht im Nennen liege. Die Grundfunktion der Sprache sei vielmehr das Verbum, das Verbum sei Zeit, und die Zeit sei das Verbum des Seins: „Die zeitliche Modifikation ist weder ein Ereignis, noch Handlung, noch Folge einer Ursache. Sie ist das Verbum Sein“ (S. 43). Derridas Kritik an Husserls bewußtseinsphilosophischem Zeitverständnis radikalisiert die schon bei Merleau-Ponty und Levinas formulierte Ablehnung einer Autonomie der Gegenwart. Auch für Derrida ist die Gegenwart vielmehr Differenz, unkontrollierbare Selbstaffektion und räumlich sowie zeichenhaft vermittelter Abstand. Derrida unterscheidet sich aber insofern noch von Merleau-Ponty und Levinas, als er die Möglichkeit einer echten Überwindung des metaphysischen Zeitverständnisses radikal in Frage stellt. Der Brennpunkt von Derridas kritischer Auseinandersetzung mit Husserl liegt in der Bestimmung der spannungsgeladenen Einheit von Urimpression und Retention. In engem Anschluß an den Wortlaut der Husserlschen Texte versucht Derrida in „La voix et le phénomène“ (vgl. insbes. S. 67ff. und 93ff.) zu beweisen, daß es keine Urimpression ohne Retention, kein Selbst außerhalb der Differenz von einem Anderen, keine Gegenwart ohne
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Abwesenheit geben kann: „ […] das lebendige Jetzt, das durch spontane Selbsterzeugung entsteht, muß, um ein Jetzt zu sein, sich in einem anderen Jetzt retinieren, sich selbst […] durch eine neue originäre Aktualität affizieren, in der es als vergangenes Jetzt ein Nicht-Jetzt wird usw.; ein solcher Prozeß ist in der Tat eine reine Selbst-Affektion, in welcher das Selbe das Selbe nur ist, wenn es sich durch das Andere affiziert, wenn es zum Anderen des Selben wird. […] Die lebendige Gegenwart entspringt aus ihrer Nicht-Identität mit sich selbst und aus der Möglichkeit der retentionalen Spur. Sie ist immer schon eine Spur. […] Man muß das Originär-Sein von der Spur her denken und nicht umgekehrt“ (S. 95). Der Kontext dieses Zitats macht deutlich, daß diese Spur ein Moment unauflösbarer Materialität befaßt, das die eben erwähnte Reinheit der Selbst-Affektion angreift und sich damit auch gegen die Aufhebung der Differenz (différance) von Urimpression und Retention in einem dialektisch gedachten Verhältnis sperrt. Derrida sieht darin einen weiteren Beweis für seine These, daß es eine Selbstgegenwart ohne die Vermittlung von (sprachlichen) Zeichen nicht geben kann: „Diese innige Zugehörigkeit der Nicht-Gegenwart und der Andersheit zur Gegenwart tastet das Argument der Nutzlosigkeit des Zeichens im Selbstbezug an, und zwar bis in seine Wurzeln“ (S. 74). Ebenso wie die „Nicht-Gegenwart“ der retentionalen Vergangenheit zur „Gegenwart“ der Urimpression, so gehört auch das sprachliche Zeichen als empirischer Bestand notwendig zur reinen Bedeutung eines (ideal-)sprachlichen Ausdrucks. Gibt es keine reine, d. h. augenblicklich-unmittelbare, voll anschauliche und innerliche Selbstgegenwart, so gibt es auch kein rein-anschauliches Denken, keine sprachlichen Ausdrücke, die sich den Gedanken vollständig anmessen, kein adäquates Verstehen von sprachlichen Aussagen und Texten. Ist das Refugium der Gegenwart als absolute Selbstzugehörigkeit einmal gesprengt, so ist die Eroberung der Philosophie durch die unendlich verschiedenen Figuren der Differenz nicht mehr aufzuhalten. Ricœur interessiert sich in seinen frühen Aufsätzen zu Husserl vor allem für den Zusammenhang von Zeitbewußtsein und egologischem Selbstbewußtsein. Fraglich erscheint ihm
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vor allem, wie Husserl die Zeit einerseits als unendlichen Horizont wechselnder Gegebenheiten und andererseits als eine den bewußtseinsmäßigen Fluß umspannende egologische Totalität meint bestimmen zu können (vgl. „Husserl …“, insbes. S. 97 und 110). Ricœur entwickelt diese Fragestellung zwar in deutlicher Anlehnung an Kant, dem heutigen Leser fällt aber auch die systematische Verwandtschaft mit Levinas’ Kritik am Totalitarismus des Selbstbewußtseins auf. In seinem jüngsten Werk „Temps et récit“, von dem bisher bloß der erste Band erschienen ist, plant Ricœur eine breit angelegte Konfrontation der Phänomenologie der Zeit (Augustinus, Husserl, Heidegger) mit einem „poetisch“ genannten Ansatz, den er z. B. schon in der Poetik des Aristoteles findet. Die Erzählstruktur, die einerseits in der fiktionalen Literatur offenkundig am Werk ist und von der zeitgenössischen Literaturkritik auch entsprechend gewürdigt wird, die aber andererseits von der Geschichtsschreibung in der „école des Annales“ und von den meisten wissenschaftstheoretischen Geschichtsmodellen verleugnet wird, dient dabei als Leitfaden eines neuen philosophischen Verständnisses der Zeit. Der Streit zwischen der phänomenologisch erfahrenen und der erzählten Zeit wird im bisher erschienenen Band noch nicht ausgetragen. Ricœur bekennt sich jedoch schon von Anfang an freimütig zu seiner Ablehnung der Husserlschen Phänomenologie des Zeitbewußtseins. Ähnlich wie Merleau-Pontys Bemerkung über „die Unmöglichkeit einer vollständigen Reduktion“ („Phénoménologie …“, S. VIII) sich bei Derrida steigert zur Behauptung einer vollständigen Unmöglichkeit der Reduktion, so faßt auch Ricœur alle bisherige Kritik an Husserls Zeitverständnis zusammen und überhöht sie zugleich, wenn er vorausblickend auf den vierten Teil seines Werkes schreibt: „Es wird sich darum handeln, diese Unmöglichkeit einer reinen Phänomenologie der Zeit zu beweisen. Unter reiner Phänomenologie verstehe ich eine intuitive Erfassung der Struktur der Zeit […]. Die Aporien ohne Ende der reinen Phänomenologie der Zeit wären somit der Preis, den man zu bezahlen hat, wenn man versucht, die Zeit selbst zur Erscheinung zu bringen […] “ (S. 125).
Editorischer Bericht
In dieser Neuauflage der Studienausgabe von 1985 mit den Texten zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins gelangt nunmehr der von Rudolf Boehm herausgegebene und im Verlag Martinus Nijhoff erschienene Band X der Husserliana vollständig zum Abdruck. Der erste Teil („A“) dieses Bandes X der Husserliana umfaßt den unveränderten und lediglich durch Anmerkungen ergänzten Text, den Martin Heidegger 1928 unter dem Titel „Edmund Husserls Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins“ in Band IX des von Niemeyer verlegten „ Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung“ herausgegeben hat. Über die genaue Entstehungsgeschichte dieses Textes orientiert die „Einleitung des Herausgebers“ in Husserliana X. Der zweite Teil („B“) aus Husserliana X trägt den Titel „Ergänzende Texte zur Darstellung der Problementwicklung“. Er umfaßt eine chronologisch angeordnete Sammlung von nachgelassenen Texten zur Zeitproblematik aus den Jahren 1893 bis 1917. Rudolf Boehm verfolgte beim Anlegen dieser Sammlung deutlich ein doppeltes Ziel: Einerseits wollte er den bereits von Heidegger veröffentlichten Text soweit wie möglich in seiner ursprünglichen Fassung zugänglich machen, und andererseits versuchte er durch die Berücksichtigung bisher unveröffentlicht gebliebener Texte sowie durch die chronologische Anordnung aller Texte eine Einsicht in die „Problementwicklung“ zu geben. In der vorangehenden Einleitung habe ich versucht, den historischen und systematischen Ertrag dieser editorischen Pionierleistung zu skizzieren. Rudolf Boehm nannte seine Sammlung von nachgelassenen Texten zwar eine „Ergänzung“ zu der von Heidegger herausgegebenen, faktisch jedoch vor allem durch Edith Stein redigierten Textfassung, aber er gab in seiner „Einleitung des Herausgebers“ bereits zu verstehen, daß diese Ergänzung wesentlichen Mängeln der Steinschen Bearbeitung abhelfen sollte: „Indessen, in eins mit
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ihrer Problematik haben Husserls Aufzeichnungen, wie sie sich von Edith Stein zusammengestellt und redigiert finden, vielfach ihren ursprünglichen Kontext und damit etwas von ihrem Sinnzusammenhang eingebüßt. Einerseits kommt in der Veröffentlichung von 1928 das wahrhaft Problematische nicht eigens zur Sprache, andererseits bleibt das, was zur Sprache kommt, infolge einer Vernachlässigung dieser Problematik selber in gewisser Hinsicht abstrakt, und endlich werden in dieser Abstraktion unfaßliche Inkohärenzen möglich“ (S. XXIX). Die vorangehende Einleitung zu dieser Studienausgabe liefert m. E. von neuem Argumente, welche diese Stellungnahme bestätigen. Die Einsichten, die sich uns in dieser Einleitung ergeben haben, können im wesentlichen aus der Heideggerschen bzw. Steinschen Textfassung nicht gewonnen werden. Die hier im Teil „B“ abgedruckten Texte bilden also nicht nur eine selbständige Einheit, sondern in jedem Fall auch eine wesentliche Voraussetzung für das Verständnis der von Heidegger herausgegebenen Textfassung. Berücksichtigt man die komplizierte Entstehungsgeschichte dieser Fassung aus 1928, so scheint es jedoch kaum angemessen, Stein und Heidegger Fehler und Unterlassungen vorzurechnen. Angesichts der bedeutsamen Wirkungsgeschichte der Ausgabe von Stein–Heidegger wäre es auch naiv und anmaßend zu postulieren, mit der von uns aus guten Gründen als authentischer und plausibler erwiesenen Textfassung sei die ihrige hinfällig geworden. Auch darin weiß ich mich im Einverständnis mit dem Herausgeber des 1966 erstmals erschienenen Bandes X der Husserliana und der damaligen Leitung der Ausgabe von Husserls Gesammelten Werken. Die vorliegende Studienausgabe bringt, wo immer möglich, den Text von Husserliana X unverändert zum Abdruck. Alle Verweisungen innerhalb des Textes beziehen sich stets auf die Seitenzählung des Husserliana-Bandes, dessen Seitenzahlen im Kolumnentitel innenstehend in eckigen Klammern wiedergegeben werden. Eingriffe in den Text, welche durch spitze Klammern gekennzeichnet werden, stammen ausnahmslos vom Herausgeber des Husserliana-Bandes. Fußnoten ohne nähere Bezeichnung stammen von Husserl; Fußnoten, welche
Editorischer Bericht
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den Vermerk „Anm. d. Hrsg.“ tragen, stammen vom Herausgeber des Husserliana-Bandes. Die vorliegende Ausgabe übernimmt sämtliche Fußnoten aus dem Text der Husserliana. Meine eigenen Eingriffe in den aus dem Husserliana-Band übernommenen Text beschränken sich auf das Anbringen der nötigsten Korrekturen. Korrigiert wurden insbesondere Fehler, die sich im Druck oder z. T. schon beim Lesen und Transkribieren der stenographischen Originalmanuskripte ergeben haben. Diese im Text selbst nicht eigens gekennzeichneten Verbesserungen finden sich auf den folgenden Seiten (Angaben nach Hua X): 141, 153, 158, 160, 169, 192, 213, 219, 227, 235, 236, 258, 265, 269, 276, 279, 281, 285, 286, 290, 293, 295, 296, 297, 301, 305, 311, 319, 320, 345, 346, 370. Eine zweite Reihe von Verbesserungen betrifft die Datierung der vorliegenden, von 1 bis 54 numerierten Texte. In den beinahe 20 Jahren seit dem Erscheinen des Husserliana-Bandes haben sich gerade in bezug auf die historische Entwicklung von Husserls Denken viele neue Einsichten ergeben. Im Fall der vorliegenden Studienausgabe konnte ich mich darauf beschränken, nur eindeutige und sachlich wichtige Verbesserungsvorschläge zu machen. Es handelt sich dabei um die Datierung der folgenden Texte: Nr. 18, Nr. 36, Nr. 37, Nr. 38, Nr. 39, Nr. 49, Nr. 50. Angaben zur Präzisierung der Datierung (z. B. „August 1909“ statt „1907 bis 1909“) finden sich zwar in der vorangehenden Einleitung, doch im Text selbst habe ich sie konsequent weggelassen. Bei den angebrachten Verbesserungen bin ich so verfahren, daß ich die Datierungen und die gegebenenfalls zugehörige Argumentation des Herausgebers des Husserliana-Bandes unverändert belassen und meine durch eckige Klammern gekennzeichneten Verbesserungsvorschläge unvermittelt daneben gestellt habe. Diese Verbesserungen stützen sich teils auf sachliche Einsichten, teils auf Resultate archivalischer Forschungen und teils auf die neuerliche Überprüfung der Originalunterlagen. Abgesehen von den in der vorangehenden Einleitung gegebenen, meist sachlich begründeten Hinweisen mußte die kritische Rechtfertigung der neuen Datierungen im Rahmen der vorliegenden Studienausgabe unterbleiben.
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Vollständig weggelassen wurde im vorliegenden Neudruck des 2. Teils des Bandes X der Husserliana einzig der zugehörige textkritische Apparat. Das Sachregister zu Teil B wurde eigens für die vorliegende Studienausgabe angelegt. Im Interesse der sachlichen Übersicht habe ich versucht, die Anzahl der Hauptstichwörter zu beschränken und Husserls oft schwankende Terminologie möglichst zu vereinheitlichen. Trotz ähnlichen Aufbaus wurde eine Angleichung an das von Ludwig Landgrebe für den Erstdruck des Textes im „Jahrbuch für Philosophie und phänomenologische Forschung“ erarbeitete und hier ebenfalls abgedruckte Sachregister zu Teil A nicht angestrebt. Dr. U. Melle und M. Michiels vom Husserl-Archiv in Leuven möchte ich für ihre kritischen Bemerkungen zu einer früheren Fassung meiner Einleitung herzlich danken. Mein besonderer Dank gilt auch M. Ryckeboer-Gieffers für ihre aufmerksame Mithilfe bei der Erstellung der Druckvorlage und beim Lesen der Korrekturen. Rudolf Bernet
Bibliographische Hinweise
A. Schriften, die sich ausdrücklich auf die in der vorliegenden Ausgabe abgedruckten Texte Husserls beziehen Bernet, R.: „Die ungegenwärtige Gegenwart. Anwesenheit und Abwesenheit in Husserls Analyse des Zeitbewußtseins“, in: Zeit und Zeitlichkeit bei Husserl und Heidegger (Phänomenologische Forschungen 14), Alber, Freiburg / München 1983, S. 16–57. –: „La présence du passé dans l’analyse husserlienne de la conscience du temps“, in: Revue de Métaphysique et de Morale, 1983,2, Armand Colin, Paris, S. 178–198. Brough, J.B.: „The Emergence of an Absolute Consciousness in Husserl’s Early Writings on Time Consciousness“, in: Man and World, 5,3 (Aug. 1972), S. 74–115. Neu abgedruckt in: F.A. Elliston and P. McCormick (Hrsg.), Husserl. Expositions and Appraisals, Univ. Notre Dame Press, Notre Dame / London 1977, S. 83-100. –: „Husserl on Memory“, in: The Monist, 59,1 (Jan. 1975), S. 40–62. Duval, R.: „La durée et l’absence. Pour une autre phénoménologie de la conscience du temps“, in: Revue des Sciences Philosophiques et Théologiques, 65,4 (octobre 1981), S. 521–572. Sokolowski, R., Husserlian Meditations. How Words Present Things (Northwestern Studies in Phenomenology and Existential Philosophy), Northwestern Univ. Press, Evanston 1974, S. 138–168.
B. Andere Schriften zu Husserls Phänomenologie des Zeitbewußtseins Eigier, G.: Metaphysische Voraussetzungen in Husserls Zeitanalysen (Monographien zur philosophischen Forschung 24), A. Hain, Meisenheim/Glan 1961. Held, K.: Lebendige Gegenwart. Die Frage nach der Seinsweise des transzendentalen Ich bei Edmund Husserl, entwickelt am Leitfaden der Zeitproblematik (Phaenomenologica 23), Nijhoff, Den Haag 1966.
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Bibliographische Hinweise
C. Weitere in der Einleitung erwähnte Schriften Brentano, F.: Philosophische Untersuchungen zu Raum, Zeit und Kontinuum. Aus dem Nachlaß mit Anmerkungen von A. Kastil, hrsg. und eingeleitet von St. Körner und R.M. Chrisholm, (Philosophische Bibliothek 293), Meiner, Hamburg 1976. Derrida, J.: La voix et le phénomène. Introduction au problème du signe dans la phénoménologie de Husserl (Epiméthée), Presses Universitaires de France, Paris 1967. Heidegger, M.: Sein und Zeit, Max Niemeyer, Tübingen 101963. –: Grundprobleme der Phänomenologie, hrsg. von F.-W. von Herrmann (Gesamtausgabe 24), Klostermann, Frankfurt a. M. 1975. –: Metaphysische Anfangsgründe der Logik im Ausgang von Leibniz, hrsg. v. K. Held (GA 26), Klostermann, Frankfurt a. M. 1978. Husserl, E.: Analysen zur passiven Synthesis. Aus Vorlesungs- und Forschungsmanuskripten (1918–1926), hrsg. von M. Fleischer (Husserliana XI ), Nijhoff, Den Haag 1966. –: Philosophie der Arithmetik. Mit ergänzenden Texten, hrsg. von L. Eley (Husserliana XII ), Nijhoff, Den Haag 1970. –: Zur Phänomenologie der Intersubjektivität. Texte aus dem Nachlaß. Erster Teil: 1905–1920, hrsg. von I. Kern (Husserliana XIII ), Nijhoff, Den Haag 1973. –: Zur Phänomenologie der Intersubjektivität. Texte aus dem Nachlaß. Zweiter Teil: 1921–1928, hrsg. von I. Kern (Husserliana XIV ), Nijhoff, Den Haag 1973. –: Zur Phänomenologie der Intersubjektivität. Texte aus dem Nachlaß. Dritter Teil: 1929–1935, hrsg. von I. Kern (Husserliana XV ), Nijhoff, Den Haag 1973. –: Logische Untersuchungen. Zweiter Band. Text der 1. und 2. Auflage ergänzt durch Annotationen und Beiblätter aus dem Handexemplar, hrsg. von U. Panzer (Husserliana XIX), Nijhoff, The Hague / Boston / Lancaster 1984. –: Aufsätze und Rezensionen (1890–1910). Mit ergänzenden Texten, hrsg. von B. Rang (Husserliana XXII ), Nijhoff, The Hague / Boston / London 1979. –: Phantasie, Bildbewußtsein, Erinnerung. Zur Phänomenologie der anschaulichen Vergegenwärtigungen. Texte aus dem Nachlaß (1898 –1925), hrsg. von E. Marbach (Husserliana XXIII ), Nijhoff, The Hague – Boston – London, 1980.
Bibliographische Hinweise
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–: Einleitung in die Logik und Erkenntnistheorie. Vorlesungen 1906/07, hrsg. von U. Melle (Husserliana XXIV ), Nijhoff, Dordrecht / Boston / Lancaster 1984. James, W.: The Principles of Psychology, vol. 1, Dover / New York 1950. Levinas, E.: „Intentionalité et sensation“, in: En découvrant l’existence avec Husserl et Heidegger, Vrin, Paris 1967, S. 145–162. –: Autrement qu’être ou au-delà de l’essence (Phaenomenologica 54), Nijhoff, Den Haag 21978. McAllister, L. (Hrsg.): The Philosophy of Franz Brentano, Duckworth, London 1976. Meinong, A.: „Beiträge zur Theorie der psychischen Analyse“, in: Abhandlungen zur Psychologie, bearbeitet von R. Kindinger und R. Haller (Gesamtausgabe I), Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz 1969, S. 305–388. –: Über Gegenstände höherer Ordnung und deren Verhältnis zur inneren Wahrnehmung“, in: Abhandlungen zur Erkenntnistheorie und Gegenstandstheorie, bearbeitet von R. Haller (Gesamtausgabe II ), Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz 1971, S. 377– 471. Merleau-Ponty, M.: Phénoménologie de la perception (Bibliothèque des Idées), Editions Gallimard, Paris, 1945. –: Le visible et l’invisible (Bibliothèque des Idées), Editions Gallimard, Paris 1964. Ricœur, P.: Husserl. An Analysis of his Phenomenology, transl. by E.G. Ballard and L. E. Embree (Northwestern Studies in Phenomenology and Existential Philosophy), Northwestern University Press, Evanston 1967. –: Temps et récit I (L’ordre philosophique), Editions du Seuil, Paris 1983. Schuhmann, K.: Husserl-Chronik. Denk- und Lebensweg Edmund Husserls (Husserliana-Dokumente I), Nijhoff, Den Haag 1977.
EDMUND HUSSERL
Zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins
A Vorlesungen zur Phänomenologie des inneren Zeitbewußtseins | Erster Teil Die Vorlesungen über das innere Zeitbewußtsein aus dem Jahre 19051 Einleitung 2
Die Analyse des Zeitbewußtseins ist ein uraltes Kreuz der deskriptiven Psychologie und der Erkenntnistheorie. Der erste, der die gewaltigen Schwierigkeiten, die hier liegen, tief empfunden und sich daran fast bis zur Verzweiflung abgemüht hat, war Augustinus. Die Kapitel 14–28 des XI. Buches der Confessiones muß auch heute noch jedermann gründlich studieren, der sich mit dem Zeitproblem beschäftigt. Denn herrlich weit gebracht und erheblich weiter gebracht als dieser große und ernst ringende Denker hat es die wissensstolze Neuzeit in diesen Dingen nicht. Noch heute mag man mit Augustinus sagen: si nemo a me quaerat, scio, si quaerenti explicare velim, nescio3. Natürlich, was Zeit ist, wissen wir alle; sie ist das Allerbekannteste. Sobald wir aber den Versuch machen, uns über das Zeitbewußtsein Rechenschaft zu geben, objektive Zeit und subjektives Zeitbewußtsein in das rechte Verhältnis zu setzen 1
Nach der im Sommer 1917 im Auftrage und unter Beteiligung des Verfassers von Edith Stein unter Hinzuziehung ergänzender und korrigierender Aufzeichnungen Husserls aus den Jahren 1905–1917 ausgearbeiteten und im Jahre 1928 von Martin Heidegger herausgegebenen Fassung, vom Herausgeber des vorliegenden Bandes an Hand der vorliegenden Originalmanuskripte Husserls überprüft und stellenweise verbessert. – Anm. d. Hrsg. 2 Der Text dieser „Einleitung“, der nachfolgenden §§ 1–6 sowie des ersten Absatzes von § 7 fußt auf dem der Blätter „1“–„15“ des Vorlesungsmanuskripts von 1905; vgl. die Textkritischen Anmerkungen im Anhang. – Anm. d. Hrsg. 3 Confessiones, lib. XI, cap. 14. – Anm. d. Hrsg.
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und uns zum Verständnis zu bringen, wie sich zeitliche Objektivität, also individuelle Objektivität überhaupt, im subjektiven Zeitbewußtsein konstituieren kann, ja sowie wir auch nur den Versuch | machen, das rein subjektive Zeitbewußtsein, den phänomenologischen Gehalt der Zeiterlebnisse einer Analyse zu unterziehen, verwickeln wir uns in die sonderbarsten Schwierigkeiten, Widersprüche, Verworrenheiten. Als Ausgangspunkt kann unserer Untersuchung eine Darstellung von Brentanos Zeitanalyse dienen, die er leider nie publiziert, sondern nur in Vorlesungen mitgeteilt hat. Ganz kurz dargestellt hat sie Marty in seiner Schrift über die Entwicklung des Farbensinnes1, die Ende der siebziger Jahre erschienen ist, und mit einigen Worten auch Stumpf in der Tonpsychologie2.
§ 1 Ausschaltung der objektiven Zeit
Einige allgemeine Bemerkungen müssen noch vorausgeschickt werden. Unser Absehen geht auf eine phänomenologische Analyse des Zeitbewußtseins. Darin liegt, wie bei jeder solchen Analyse, der völlige Ausschluß jedweder Annahmen, Festsetzungen, Überzeugungen in betreff der objektiven Zeit (aller transzendierenden Voraussetzungen von Existierendem). In objektiver Hinsicht mag jedes Erlebnis, wie jedes reale Sein und Seinsmoment, seine Stelle in der einen einzigen objektiven Zeit haben – somit auch das Erlebnis der Zeitwahrnehmung und Zeitvorstellung selbst. Es mag sich jemand dafür interessieren, die objektive Zeit eines Erlebnisses, darunter eines zeitkonstituierenden, zu bestimmen. Es mag ferner eine interessante Untersuchung sein, festzustellen, wie die Zeit, die in einem Zeitbewußtsein als objektive gesetzt ist, sich zur wirklichen objektiven Zeit verhalte, ob die Schätzungen von Zeitintervallen den objektiv wirklichen Zeitintervallen entspre1
Anton Marty, Die Frage nach der geschichtlichen Entwicklung des Farbensinnes, Wien 1879, S. 41 ff. – Anm. d. Hrsg. 2 Carl Stumpf, Tonpsychologie, II, Leipzig 1890, S. 277. – Anm. d. Hrsg.
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chen, oder wie sie von ihnen abweichen. Aber das sind keine Aufgaben der Phänomenologie. So wie das wirkliche Ding, die wirkliche Welt kein phänomenologisches Datum ist, so ist es auch nicht die Weltzeit, die reale Zeit, die Zeit der Natur im Sinne der Naturwissenschaft und auch der Psychologie als Naturwissenschaft des Seelischen. Nun mag es allerdings scheinen, wenn wir von Analyse des | Zeitbewußtseins, von dem Zeitcharakter der Gegenstände der Wahrnehmung, Erinnerung, Erwartung sprechen, als ob wir den objektiven Zeitverlauf schon annähmen und dann im Grunde nur die subjektiven Bedingungen der Möglichkeit einer Zeitanschauung und einer eigentlichen Zeiterkenntnis studierten. Was wir aber hinnehmen, ist nicht die Existenz einer Weltzeit, die Existenz einer dinglichen Dauer u. dgl., sondern erscheinende Zeit, erscheinende Dauer als solche. Das aber sind absolute Gegebenheiten, deren Bezweiflung sinnlos wäre. Sodann nehmen wir allerdings auch eine seiende Zeit an, das ist aber nicht die Zeit der Erfahrungswelt, sondern die immanente Zeit des Bewußtseinsverlaufes. Daß das Bewußtsein eines Tonvorgangs, einer Melodie, die ich eben höre, ein Nacheinander aufweist, dafür haben wir eine Evidenz, die jeden Zweifel und jede Leugnung sinnlos erscheinen läßt. Was die Ausschaltung der objektiven Zeit besagt, das wird vielleicht noch deutlicher, wenn wir die Parallele für den Raum durchführen, da ja Raum und Zeit so vielbeachtete und bedeutsame Analogien aufweisen. In die Sphäre des phänomenologisch Gegebenen gehört das Raumbewußtsein, d. h. das Erlebnis, in dem „Raumanschauung“ als Wahrnehmung und Phantasie sich vollzieht, öffnen wir die Augen, so sehen wir in den objektiven Raum hinein – das heißt (wie die reflektierende Betrachtung zeigt): wir haben visuelle Empfindungsinhalte, die eine Raumerscheinung fundieren, eine Erscheinung von bestimmten, räumlich so und so gelagerten Dingen. Abstrahieren wir von aller transzendierenden Deutung und reduzieren die Wahrnehmungserscheinung auf die gegebenen primären Inhalte, so ergeben sie das Kontinuum des Gesichtsfeldes, das ein quasi-räumliches ist, aber nicht etwa Raum oder eine Fläche im Raum: roh gesprochen ist es eine zweifache kontinuier-
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liche Mannigfaltigkeit. Verhältnisse des Nebeneinander, Übereinander, Ineinander finden wir da vor, geschlossene Linien, die ein Stück des Feldes völlig umgrenzen usw. Aber das sind nicht die objektiv-räumlichen Verhältnisse. Es hat gar keinen Sinn, etwa zu sagen, ein Punkt des Gesichtsfeldes sei 1 Meter entfernt von der Ecke dieses Tisches hier oder sei neben, über ihm usw. Ebensowenig hat natürlich auch die Dingerscheinung eine Raumstelle und irgendwelche räumlichen Verhältnisse: die Haus-Erscheinung ist | nicht neben, über dem Haus, 1 Meter von ihm entfernt usw. Ähnliches gilt nun auch von der Zeit. Phänomenologische Data sind die Zeitauffassungen, die Erlebnisse, in denen Zeitliches im objektiven Sinne erscheint. Wieder sind phänomenologisch gegeben die Erlebnismomente, welche Zeitauffassung als solche speziell fundieren, also die ev. spezifisch temporalen Auffassungsinhalte (das, was der gemäßigte Nativismus das ursprünglich Zeitliche nennt). Aber nichts davon ist objektive Zeit. Durch phänomenologische Analyse kann man nicht das mindeste von objektiver Zeit vorfinden. Das „ursprüngliche Zeitfeld“ ist nicht etwa ein Stück objektiver Zeit, das erlebte Jetzt ist, in sich genommen, nicht ein Punkt der objektiven Zeit usw. Objektiver Raum, objektive Zeit und mit ihnen die objektive Welt der wirklichen Dinge und Vorgänge – das alles sind Transzendenzen. Wohl gemerkt, transzendent ist nicht etwa der Raum und die Wirklichkeit in einem mystischen Sinne, als „Ding an sich“, sondern gerade der phänomenale Raum, die phänomenale raum-zeitliche Wirklichkeit, die erscheinende Raumgestalt, die erscheinende Zeitgestalt. Das alles sind keine Erlebnisse. Und die Ordnungszusammenhänge, die in den Erlebnissen als echten Immanenzen zu finden sind, lassen sich nicht in der empirischen, objektiven Ordnung antreffen, fügen sich ihr nicht ein. In eine ausgeführte Phänomenologie des Räumlichen gehörte auch eine Untersuchung der Lokaldaten (die der Nativismus in psychologischer Einstellung annimmt), welche die immanente Ordnung des „Gesichtsempfindungsfeldes“ ausmachen, und dieses selbst. Sie verhalten sich zu den erscheinenden objektiven Orten wie die Qualitätsdaten zu den erschei-
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nenden objektiven Qualitäten. Spricht man dort von Lokalzeichen, so müßte man hier von Qualitätszeichen sprechen. Das empfundene Rot ist ein phänomenologisches Datum, das, von einer gewissen Auffassungsfunktion beseelt, eine objektive Qualität darstellt; es ist nicht selbst eine Qualität. Eine Qualität im eigentlichen Sinne, d. h. eine Beschaffenheit des erscheinenden Dinges, ist nicht das empfundene, sondern das wahrgenommene Rot. Das empfundene Rot heißt nur äquivok Rot, denn Rot ist Name einer realen Qualität. Spricht man mit Beziehung auf gewisse phänomenologische Vorkommnisse von einer „Deckung“ des einen und anderen, so ist doch zu beachten, daß das empfundene Rot erst | durch die Auffassung den Wert eines dingliche Qualität darstellenden Momentes erhält, an sich betrachtet aber nichts davon in sich enthält, und daß die „Deckung“ des Darstellenden und Dargestellten keineswegs Deckung eines Identitätsbewußtseins ist, dessen Korrelat „ein und dasselbe“ heißt. Nennen wir empfunden ein phänomenologisches Datum, das durch Auffassung als leibhaft gegeben ein Objektives bewußt macht, das dann objektiv wahrgenommen heißt, so haben wir in gleichem Sinne auch ein „empfundenes“ Zeitliches und ein wahrgenommenes Zeitliches zu unterscheiden.1 Das letztere meint die objektive Zeit. Das erstere aber ist nicht selbst objektive Zeit (oder Stelle in der objektiven Zeit), sondern das phänomenologische Datum, durch dessen empirische Apperzeption die Beziehung auf objektive Zeit sich konstituiert. Temporaldaten, wenn man will: Temporalzeichen, sind nicht tempora selbst. Die objektive Zeit gehört in den Zusammenhang der Erfahrungsgegenständlichkeit. Die „empfundenen“ Temporaldaten sind nicht bloß empfunden, sie sind auch mit Auffassungscharakteren 〈 behaftet 〉, und zu diesen wie1
„Empfunden“ wäre dann also Anzeige eines Relationsbegriffes, der in sich nichts darüber besagen würde, ob das Empfundene sensuell, ja ob es überhaupt immanent ist im Sinne von Sensuellem, m. a. W. es bliebe offen, ob das Empfundene selbst schon konstituiert ist, und vielleicht ganz anders als das Sensuelle. – Aber dieser ganze Unterschied bleibt am besten beiseite; nicht jede Konstitution hat das Schema Auffassungsinhalt – Auffassung.
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derum gehören gewisse Forderungen und Berechtigungen, die aufgrund der empfundenen Daten erscheinenden Zeiten und Zeitverhältnisse aneinander zu messen, so und so in objektive Ordnungen zu bringen, so und so scheinbare und wirkliche Ordnungen zu sondern. Was sich da als objektiv gültiges Sein konstituiert, ist schließlich die eine, unendliche objektive Zeit, in welcher alle Dinge und Ereignisse, Körper und ihre physischen Beschaffenheiten, Seelen und ihre seelischen Zustände ihre bestimmten Zeitstellen haben, die durch Chronometer bestimmbar sind. Es mag sein – hier haben wir darüber nicht zu urteilen –, daß diese objektiven Bestimmungen letztlich ihren Anhalt besitzen an Konstatierungen von Unterschieden und Verhältnissen der Temporaldaten oder selbst in unmittelbarer Adäquation an diese Temporaldaten. Aber ohne weiteres ist z. B. empfundenes „Zugleich“ nicht objektive Gleichzeitigkeit, empfundene Gleich| heit von phänomenologisch-temporalen Abständen nicht objektive Gleichheit von Zeitabständen usw., das empfundene absolute Zeitdatum nicht ohne weiteres Erlebtsein objektiver Zeit (auch für das absolute Datum des Jetzt gilt das). Erfassen, und zwar evident Erfassen eines Inhalts, so wie er erlebt ist, das heißt noch nicht, eine Objektivität im empirischen Sinne erfassen, eine objektive Wirklichkeit in dem Sinne, in welchem von objektiven Dingen, Ereignissen, Verhältnissen, von objektiver Raumlage und Zeitlage, von objektiv wirklicher Raumgestalt und Zeitgestalt usw. die Rede ist. Blicken wir auf ein Stück Kreide hin; wir schließen und öffnen die Augen. Dann haben wir zwei Wahrnehmungen. Wir sagen dabei: wir sehen dieselbe Kreide zweimal. Wir haben dabei zeitlich getrennte Inhalte, wir erschauen auch ein phänomenologisches zeitliches Auseinander, eine Trennung, aber am Gegenstand ist keine Trennung, er ist derselbe: im Gegenstand Dauer, im Phänomen Wechsel. So können wir auch subjektiv ein zeitliches Nacheinander empfinden, wo objektiv eine Koexistenz festzustellen ist. Der erlebte Inhalt wird „objektiviert“, und nun ist das Objekt aus dem Material der erlebten Inhalte in der Weise der Auffassung konstituiert. Der Gegenstand ist aber nicht bloß die Summe oder Komplexion dieser „Inhalte“,
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die in ihn gar nicht eingehen, er ist mehr als Inhalt und in gewisser Weise anderes. Die Objektivität gehört zur „Erfahrung“, und zwar zur Einheit der Erfahrung, zum erfahrungsgesetzlichen Zusammenhang der Natur. Phänomenologisch gesprochen: die Objektivität konstituiert sich eben nicht in den „primären“ Inhalten, sondern in den Auffassungscharakteren und in den zu den Wesen dieser Charaktere gehörigen Gesetzmäßigkeiten. Das voll zu durchschauen und zum klaren Verständnis zu bringen, ist eben Erkenntnisphänomenologie.
§ 2 Die Frage nach dem „Ursprung der Zeit“
Wir verstehen nach diesen Reflexionen auch den Unterschied der phänomenologischen (bzw. erkenntnistheoretischen) Ursprungsfrage von der psychologischen hinsichtlich aller für die Erfahrung konstitutiven Begriffe, und so auch hinsichtlich des Zeitbegriffs. Die erkenntnistheoretische Frage nach | der Möglichkeit der Erfahrung ist die nach dem Wesen der Erfahrung, und die Aufklärung ihrer phänomenologischen Möglichkeit erfordert den Rückgang zu den phänomenologischen Daten, aus denen das Erfahrene phänomenologisch besteht. Sofern das Erfahren durch den Gegensatz zwischen „uneigentlich“ und „eigentlich“ gespalten wird und die eigentliche Erfahrung, die intuitive und letztlich adäquate, die Richtmaße der Erfahrungsbewertung hergibt, bedarf es besonders der Phänomenologie der „eigentlichen“ Erfahrung. Demgemäß führt auch die Frage nach dem Wesen der Zeit zurück auf die Frage nach dem „Ursprung“ der Zeit. Diese Ursprungsfrage ist aber auf die primitiven Gestaltungen des Zeitbewußtseins gerichtet, in denen die primitiven Differenzen des Zeitlichen sich intuitiv und eigentlich als die originären Quellen aller auf Zeit bezüglichen Evidenzen konstituieren. Diese Ursprungsfrage darf nicht verwechselt werden mit der Frage nach dem psychologischen Ursprung, der Streitfrage des Empirismus und Nativismus. Bei der letzteren ist gefragt nach dem ursprünglichen Empfindungsmaterial, aus dem die objektive Raum- und Zeitanschauung im menschlichen Indi-
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viduum und sogar in der Gattung entsteht. Uns ist die Frage nach der empirischen Genesis gleichgültig, uns interessieren die Erlebnisse nach ihrem gegenständlichen Sinn und ihrem deskriptiven Gehalt. Die psychologische Apperzeption, welche die Erlebnisse als psychische Zustände von empirischen Personen, psychophysischen Subjekten, auffaßt und zwischen ihnen sei es rein psychische, sei es psychophysische Zusammenhänge statuiert und das Werden, Sich-gestalten und -umgestalten der psychischen Erlebnisse naturgesetzlich verfolgt, diese psychologische Apperzeption ist eine ganz andere als die phänomenologische. Die Erlebnisse werden von uns keiner Wirklichkeit eingeordnet. Mit der Wirklichkeit haben wir es nur zu tun, insofern sie gemeinte, vorgestellte, angeschaute, begrifflich gedachte Wirklichkeit ist. Bezüglich des Zeitproblems heißt das: die Zeiterlebnisse interessieren uns. Daß sie selbst objektiv zeitlich bestimmt sind, daß sie in die Welt der Dinge und psychischen Subjekte hineingehören und in dieser ihre Stelle, ihre Wirksamkeit, ihr empirisches Sein und Entstehen haben, das geht uns nichts an, davon wissen wir nichts. Dagegen interessiert uns, daß in diesen Erlebnissen „objektiv zeitliche“ Daten gemeint sind. Es gehört zum Bereich der Phänomenologie eben diese Beschreibung, daß die betreffenden Akte dieses oder jenes „Objektive“ meinen, genauer die Aufweisung der apriorischen Wahrheiten, die zu den verschiedenen konstitutiven Momenten der Objektivität gehören. Das Apriori der Zeit suchen wir zur Klarheit zu bringen, indem wir das Zeitbewußtsein durchforschen, seine wesentliche Konstitution zutage fördern und die ev. der Zeit spezifisch zugehörigen Auffassungsinhalte und Aktcharaktere herausstellen, zu welchen die apriorischen Zeitgesetze essentiell gehören. Natürlich meine ich hierbei Gesetze dieser selbstverständlichen Art: daß die feste zeitliche Ordnung eine zweidimensionale unendliche Reihe ist, daß zwei verschiedene Zeiten nie zugleich sein können, daß ihr Verhältnis ein ungleichseitiges ist, daß Transitivität besteht, daß zu jeder Zeit eine frühere und eine spätere gehört usw. – Soviel zur allgemeinen Einleitung.
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Erster Abschnitt brentanos lehre vom ursprung der zeit § 3 Die ursprünglichen Assoziationen
Wir wollen nun versuchen, durch Anknüpfung an Brentanos Lehre vom Ursprung der Zeit einen Zugang zu den aufgeworfenen Problemen zu gewinnen. Brentano glaubt die Lösung gefunden zu haben in den ursprünglichen Assoziationen, in der „Entstehung der unmittelbaren Gedächtnisvorstellungen, d. h. derjenigen, die sich nach einem ausnahmslosen Gesetz an die jeweiligen Wahrnehmungsvorstellungen ohne jede Vermittlung anschließen“1. Wenn wir etwas sehen, hören oder überhaupt wahrnehmen, so geschieht es regelmäßig, daß das Wahrgenommene eine Zeitlang uns gegenwärtig bleibt, aber nicht ohne sich zu modifizieren. Abgesehen von anderen Veränderungen, wie der Intensität und Fülle, die bald in geringerem, bald in merklicherem Grade eintreten, ist stets noch eine andere und besonders eigentümliche zu konstatieren: daß nämlich das solcher Art im | Bewußtsein Verbleibende uns als ein mehr oder minder Vergangenes, als ein gleichsam zeitlich Zurückgeschobenes erscheint. Wenn z. B. eine Melodie erklingt, so verschwindet der einzelne Ton nicht völlig mit dem Aufhören des Reizes bzw. der durch ihn erregten Nervenbewegung. Wenn der neue Ton erklingt, ist der vorangegangene nicht spurlos verschwunden, sonst wären wir ja auch unfähig, die Verhältnisse aufeinanderfolgender Töne zu bemerken, wir hätten in jedem Augenblick einen Ton, ev. in der Zwischenzeit zwischen dem Anschlag zweier Töne eine leere Pause, niemals aber die Vorstellung einer Melodie. Andererseits hat es mit dem Verbleiben der Tonvorstellungen im Bewußtsein nicht sein Bewenden. Würden sie unmodifiziert bleiben, dann hätten wir statt einer Melodie einen Akkord gleichzeitiger Töne oder vielmehr ein disharmonisches Tongewirr, wie wir es erhalten würden, wenn wir alle Töne, soweit sie bereits erklungen sind, 1
Zitat vermutlich nach der Nachschrift einer Vorlesung Franz Brentanos. – Anm. d. Hrsg.
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gleichzeitig anschlügen. Erst dadurch, daß jene eigentümliche Modifikation eintritt, daß jede Tonempfindung, nachdem der erzeugende Reiz verschwunden ist, aus sich selbst heraus eine ähnliche und mit einer Zeitbestimmtheit versehene Vorstellung erweckt, und daß diese zeitliche Bestimmtheit sich fortgesetzt ändert, kann es zur Vorstellung einer Melodie kommen, in welcher die einzelnen Töne ihre bestimmten Plätze und ihre bestimmten Zeitmaße haben. Es ist also ein allgemeines Gesetz, daß an jede gegebene Vorstellung sich von Natur aus eine kontinuierliche Reihe von Vorstellungen anknüpft, wovon jede den Inhalt der vorhergehenden reproduziert, aber so, daß sie der neuen stets das Moment der Vergangenheit anheftet. So erweist sich die Phantasie hier in eigentümlicher Weise als produktiv. Es liegt hier der einzige Fall vor, wo sie ein in Wahrheit neues Moment der Vorstellungen schafft, nämlich das Zeitmoment. So haben wir auf dem Gebiet der Phantasie den Ursprung der Zeit Vorstellungen entdeckt. Die Psychologen bis auf Brentano haben sich vergeblich bemüht, die eigentliche Quelle dieser Vorstellung aufzufinden. Es lag dies an einer allerdings naheliegenden Vermischung von subjektiver und objektiver Zeit, welche die psychologischen Forscher beirrte und sie das eigentliche Problem, das hier vorlag, gar nicht sehen ließ. Viele meinen, die Frage nach dem Ursprung des Zeitbegriffs sei nicht | anders zu beantworten als die nach dem Ursprung unserer Begriffe von Farben, Tönen usw. So wie wir eine Farbe empfinden, so empfinden wir auch die Dauer der Farbe; wie Qualität und Intensität, so sei auch zeitliche Dauer ein immanentes Moment der Empfindung. Der äußere Reiz errege durch die Form der physischen Prozesse die Qualität, durch ihre lebendige Kraft die Intensität und durch seine Fortdauer die subjektiv empfundene Dauer. Aber das ist ein handgreiflicher Irrtum. Damit, daß der Reiz dauert, ist noch nicht gesagt, daß die Empfindung als dauernd empfunden wird, sondern nur, daß auch die Empfindung dauert. Dauer der Empfindung und Empfindung der Dauer ist zweierlei. Und ebenso ist es bei der Sukzession. Sukzession von Empfindungen und Empfindung der Sukzession ist nicht dasselbe.
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Genau denselben Einwand müssen wir natürlich auch denjenigen machen, welche die Vorstellung der Dauer und Sukzession auf die Tatsache der Dauer und Sukzession der psychischen Akte zurückführen wollen. Indessen führen wir die Widerlegung speziell für die Empfindungen durch. Es wäre denkbar, daß unsere Empfindungen dauerten oder aufeinander folgten, ohne daß wir doch das geringste davon wüßten, weil unsere Vorstellungen nicht das mindeste von zeitlicher Bestimmtheit in sich trügen. Betrachten wir z. B. den Fall einer Sukzession und nehmen wir an, die Empfindungen verschwänden mit den sie verursachenden Reizen, dann hätten wir eine Sukzession von Empfindungen ohne eine Ahnung von einem zeitlichen Verlauf. Mit dem Auftauchen der neuen Empfindung hätten wir ja keine Erinnerung mehr an das Gewesensein der früheren; wir hätten in jedem Moment nur Bewußtsein von der eben erzeugten Empfindung und nichts weiter. Aber auch ein Fortdauern der bereits erzeugten Empfindungen würde uns noch nicht zur Vorstellung der Sukzession verhelfen. Würden im Falle einer Sukzession von Tönen die früheren, so wie sie waren, sich forterhalten, während zugleich neue und neue erklingen, dann hätten wir eine gleichzeitige Summe von Tönen, aber keine Sukzession von Tönen in unserer Vorstellung. Gegenüber dem Fall, daß alle diese Töne zugleich erklängen, bestände kein Unterschied. Oder ein anderes Beispiel: Würde im Fall einer Bewegung der bewegte Körper in seiner jeweiligen Lage unverändert im | Bewußtsein festgehalten, dann erschiene uns der durchlaufene Raum kontinuierlich erfüllt, aber wir hätten nicht die Vorstellung einer Bewegung. Erst dadurch kommt es zur Vorstellung der Sukzession, daß die frühere Empfindung nicht unverändert im Bewußtsein verharrt, sondern sich in eigentümlicher Weise modifiziert, und zwar von Moment zu Moment fortgesetzt modifiziert. Sie erhält beim Übergang in die Phantasie den sich stetig verändernden zeitlichen Charakter, von Moment zu Moment erscheint so der Inhalt mehr und mehr zurückgeschoben. Diese Modifikation ist aber nicht mehr Sache der Empfindung, sie wird nicht durch den Reiz bewirkt. Der Reiz erzeugt den gegenwärtigen Empfindungsinhalt. Verschwin-
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det der Reiz, so verschwindet auch die Empfindung. Aber die Empfindung wird nun selbst schöpferisch: sie erzeugt sich eine inhaltlich gleiche oder nahezu gleiche und durch den zeitlichen Charakter bereicherte Phantasievorstellung. Diese Vorstellung weckt wieder eine sich stetig an sie angliedernde neue usf. Diese stetige Anknüpfung einer zeitlich modifizierten Vorstellung an die gegebene nennt Brentano „ursprüngliche Assoziation“. In der Konsequenz seiner Theorie kommt Brentano dazu, die Wahrnehmung von Sukzession und Veränderung zu leugnen. Wir glauben eine Melodie zu hören, also auch eben Vergangenes noch zu hören, indessen ist dies nur Schein, der von der Lebhaftigkeit der ursprünglichen Assoziation herrührt.
§ 4 Die Gewinnung der Zukunft und die unendliche Zeit
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Die Zeitanschauung, die durch ursprüngliche Assoziation entsteht, ist noch keine Anschauung von der unendlichen Zeit. Sie erfährt eine weitere Ausgestaltung, und zwar nicht nur hinsichtlich der Vergangenheit, sie erhält einen ganz neuen Zweig durch die Hinzufügung der Zukunft. Auf die Erscheinung des Momentangedächtnisses gestützt, bildet die Phantasie die Vorstellungen der Zukunft in einem Prozeß, der ähnlich ist demjenigen, durch den wir unter Umständen zu Vorstellungen gewisser neuer Arten von Farben und Tönen gelangen, indem wir den bekannten Verhältnissen und Formen folgen. In der Phantasie können wir eine Melodie, die wir in einer bestimmten Tonart, aufgrund ganz bestimmter Tonspezies gehört haben, auf | andere Lagen übertragen. Dabei kann es ganz wohl sein, daß wir, von bekannten Tönen ausgehend, zu Tönen kämen, die wir noch gar nicht gehört haben. So ähnlich bildet die Phantasie aus der Vergangenheit die Vorstellung der Zukunft, nämlich in der Erwartung. Es ist eben eine irrige Ansicht, daß die Phantasie nichts Neues zu bieten vermöge, daß sie sich in Wiederholung derjenigen Momente erschöpfe, die bereits in Wahrnehmungen gegeben waren. Was endlich die volle Zeitvorstellung, die Vorstellung der unendlichen Zeit anlangt, so
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ist sie ein Gebilde des begrifflichen Vorstellens ganz so wie die unendliche Zahlenreihe, der unendliche Raum u. dgl.
§ 5 Die Abwandlung der Vorstellungen durch die Zeitcharaktere
Noch eine besonders wichtige Eigentümlichkeit muß man nach Brentano innerhalb der Zeitvorstellungen beachten. Die Zeitspezies der Vergangenheit und Zukunft haben das Eigentümliche, daß sie die Elemente der sinnlichen Vorstellungen, mit denen sie sich verbinden, nicht so, wie dies sonstige hinzutretende Modi tun, determinieren, sondern alterieren. Ein lauterer Ton c ist doch ein Ton c, ein weicherer Ton c desgleichen; dagegen ist ein gewesener Ton c kein Ton c, ein gewesenes Rot kein Rot. Die zeitlichen Bestimmungen determinieren nicht, sie alterieren wesentlich, ganz ähnlich wie die Bestimmungen „vorgestellt“, „gewünscht“ und dgl. es tun. Ein vorgestellter, ein möglicher Taler ist kein Taler. Nur die Bestimmung „jetzt“ macht eine Ausnahme. Das jetzt seiende A ist ja ein wirkliches A. Die Gegenwart alteriert nicht, aber sie determiniert andererseits auch nicht. Füge ich zur Vorstellung eines Menschen hinzu das Jetzt, so gewinnt der Mensch dadurch kein neues Merkmal, bzw. es wird an ihm kein Merkmal bezeichnet. In der Wahrnehmung kommt dadurch, daß sie etwas als Jetziges vorstellt, zu der Qualität, Intensität und örtlichen Bestimmtheit nichts hinzu. Die modifizierenden Zeitprädikate sind nach Brentano irreale, real ist nur die Bestimmung des Jetzt. Dabei ist das Merkwürdige, daß die irrealen Zeitbestimmungen zu einer kontinuierlichen Reihe gehören können mit einer einzigen wirklich realen Bestimmtheit, an die sie sich in infinitesimalen Differenzen anschließen. Das reale Jetzt wird nun immer wieder irreal. Fragt man, | wie das Reale durch Hinzutreten der modifizierenden Zeitbestimmungen zum Irrealen werden könne, so läßt sich keine andere Antwort geben als die: daß an jedes Entstehen und Vergehen, das in der Gegenwart statthat, zeitliche Bestimmungen jeglicher Art in gewisser Weise als notwendige Folge geknüpft sind. Denn alles,
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was ist, das wird, wie völlig evident und selbstverständlich ist, in Folge davon, daß es ist, gewesen sein, und ist in Folge davon, daß es ist, ein zukünftig Gewesenes.
§ 6 Kritik
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Gehen wir nun zur Kritik der dargestellten Theorie über, so müssen wir zunächst fragen: was leistet sie und was will sie leisten? Offenbar bewegt sie sich nicht auf dem Boden, den wir als notwendig für eine phänomenologische Analyse des Zeitbewußtseins erkannten: sie arbeitet mit transzendenten Voraussetzungen, mit existierenden Zeitobjekten, die „Reize“ ausüben und in uns Empfindungen „bewirken“ und dgl. Sie gibt sich also als eine Theorie vom psychologischen Ursprung der Zeitvorstellung. Zugleich aber enthält sie Stücke einer erkenntnistheoretischen Erwägung über Bedingungen der Möglichkeit eines Bewußtseins von objektiver Zeitlichkeit, das selbst als zeitliches erscheint und soll erscheinen können. Dazu kommen die Auseinandersetzungen über die Eigentümlichkeiten der Zeitprädikate, die zu psychologischen und phänomenologischen Prädikaten in Beziehung stehen müssen, Beziehungen, die aber nicht weiter verfolgt sind. Brentano spricht von einem Gesetz ursprünglicher Assoziation, wonach sich an jeweilige Wahrnehmungen Vorstellungen eines momentanen Gedächtnisses anschließen. Gemeint ist damit offenbar ein psychologisches Gesetz der Neubildung von psychischen Erlebnissen auf Grund gegebener psychischer Erlebnisse. Diese Erlebnisse sind psychische, sie sind objektiviert, sie haben selbst ihre Zeit, und von ihrem Werden und Hervorgebrachtwerden ist die Rede. Dergleichen gehört ins Gebiet der Psychologie und interessiert uns hier nicht. Jedoch steckt ein phänomenologischer Kern in diesen Betrachtungen, und an den allein wollen sich die folgenden Ausführungen halten. Dauer, Sukzession, Veränderungen erscheinen. Was liegt in diesem Erscheinen? In einer | Sukzession z. B. erscheint ein „Jetzt“, und in Einheit damit ein „Vergangen“. Die Einheit des Gegenwärtiges und Vergangenes intentional umspannenden
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Bewußtseins ist ein phänomenologisches Datum. Es ist nun die Frage, ob wirklich, wie Brentano es behauptet, das Vergangene in diesem Bewußtsein in der Weise der Phantasie erscheint. Wo Brentano von der Gewinnung der Zukunft spricht, scheidet er zwischen originärer Zeitanschauung, die nach ihm das Geschöpf der ursprünglichen Assoziation ist, und erweiterter Zeitanschauung, die auch der Phantasie1 entspringt, aber nicht der ursprünglichen Assoziation. Wir können auch sagen: der Zeitanschauung steht gegenüber die uneigentliche Zeitvorstellung, die Vorstellung der unendlichen Zeit, der Zeiten und Zeitverhältnisse, die nicht anschaulich realisiert sind. Es ist nun höchst auffallend, daß Brentano den sich hier aufdrängenden Unterschied von Zeitwahrnehmung und Zeitphantasie, den er unmöglich übersehen haben kann, in seiner Theorie der Zeitanschauung gar nicht berücksichtigt. Mag er auch die Rede von Wahrnehmung eines Zeitlichen (mit Ausnahme des Jetztpunktes als der Grenze zwischen Vergangenheit und Zukunft) ablehnen: der Unterschied, welcher der Rede vom Wahrnehmen einer Sukzession und vom Sich-erinnern einer dereinst wahrgenommenen Sukzession (oder auch der bloßen Phantasie einer solchen) zugrunde liegt, läßt sich doch nicht wegleugnen und muß irgendwie aufgeklärt werden. Ist schon die originäre Zeitanschauung ein Geschöpf der Phantasie, was unterscheidet dann diese Phantasie von Zeitlichem von derjenigen, in welcher ein früher vergangenes Zeitliches bewußt ist, ein solches also, das nicht in die Sphäre der ursprünglichen Assoziation gehört, nicht in einem Bewußtsein zusammengeschlossen ist mit der Momentanwahrnehmung, sondern es dereinst mit einer vergangenen Wahrnehmung war? Bedeutet die Vergegenwärtigung einer gestern erlebten Sukzession eine Vergegenwärtigung des gestern originär erlebten Zeitfeldes und stellt sich dieses selbst schon als ein Kontinuum von ursprünglich assoziierten Phantasien dar, so hätten wir es jetzt mit Phantasien von Phantasien zu tun. Wir stoßen hier auf 1
„Phantasie“ umspannt hier immer alle vergegenwärtigenden Akte, ist nicht im Gegensatz zu setzenden Akten gebraucht.
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ungelöste Schwierigkeiten der Brentano’schen Theorie, die die Richtigkeit seiner Analyse des | originären Zeitbewußtseins in Frage stellen.1 Daß er der Schwierigkeiten nicht Herr werden konnte, liegt außer an dem angegebenen noch an anderen Mängeln. Brentano scheidet nicht zwischen Akt und Inhalt bzw. zwischen Akt, Auffassungsinhalt und aufgefaßtem Gegenstand. Wir müssen uns aber klar werden, auf wessen Rechnung das Zeitmoment zu setzen ist. Wenn die ursprüngliche Assoziation eine stetige Folge von Vorstellungen an die jeweilige Wahrnehmung anschließt und dadurch das Zeitmoment erzeugt wird, so müssen wir fragen: was ist das für ein Moment? Gehört es zum Aktcharakter als eine wesentlich ihm eigene Differenz oder zu den Auffassungsinhalten, etwa den sinnlichen Inhalten, wenn wir z. B. Farben, Töne in ihrem zeitlichen Sein betrachten? Nach Brentanos Lehre, daß das Vorstellen als solches keine Differenzierungen zulasse, daß es zwischen den Vorstellungen als solchen, abgesehen von ihren primären Inhalten, keine Unterschiede gebe, bliebe nur übrig, daß sich den primären Inhalten der Wahrnehmung kontinuierlich Phantasmen und wieder Phantasmen anschließen, qualitativ gleichen, nur etwa nach Intensität und Fülle abnehmenden Inhalts. Parallel damit fügt die Phantasie ein neues Moment hinzu, das zeitliche. Diese Ausführungen sind in verschiedener Hinsicht unbefriedigend. Zeitcharaktere, Sukzession und Dauer finden wir nicht bloß an den primären Inhalten vor, sondern auch an den aufgefaßten Objekten und den auffassenden Akten. Eine Zeitanalyse, die sich auf eine Schicht beschränkt, ist nicht zureichend, sie muß vielmehr allen Schichten der Konstitution folgen. Sehen wir aber von allen transzendierenden Deutungen ab und versuchen wir für die immanenten Inhalte die Auffassung durchzuführen, daß die zeitliche Modifikation durch das Hinzutreten eines mit dem sonstigen Inhaltsbelauf, mit Qualität, Intensität usw. sich verflechtenden Moments, genannt Zeitmoment, zu verstehen sei. Ein erlebter Ton A sei jetzt eben erklungen, er sei durch ursprüngliche Assoziation erneuert 1
Die entsprechenden positiven Ausführungen vgl. § 19, S. 45 ff.
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und seinem Inhalt nach kontinuierlich festgehalten. Das hieße aber: A ist (allenfalls bis auf Intensitätsschwächungen) gar nicht vergangen, sondern gegenwärtig geblieben. Der ganze Unterschied bestünde darin, daß die Assoziation auch schöpferisch sein soll und ein neues | Moment, genannt „vergangen“, hinzusetzt. Dieses Moment stuft sich ab, ändert sich kontinuierlich, und je nachdem ist A mehr oder minder vergangen. Es müßte also die Vergangenheit, soweit sie in die Sphäre der originären Zeitanschauung fällt, zugleich Gegenwart sein. Das Zeitmoment „vergangen“ müßte in demselben Sinne ein gegenwärtiges Erlebnismoment sein wie das Moment Röte, das wir aktuell erleben – was doch ein offenbarer Widersinn ist. Man wird vielleicht einwenden, A selbst sei vergangen, im Bewußtsein aber sei vermöge der ursprünglichen Assoziation ein neuer Inhalt, A mit dem Charakter des „vergangen“. Indessen, wenn ein gleicher Inhalt A immerfort im Bewußtsein ist, sei es auch mit einem neuen Moment, dann ist eben A nicht vergangen, sondern dauert; somit ist es jetzt gegenwärtig und immerfort gegenwärtig, und dies mitsamt dem neuen Moment „vergangen“, vergangen und gegenwärtig in eins. – Aber woher wissen wir denn, daß ein A früher gewesen, schon vor dem Dasein dieses gegenwärtigen gewesen ist? Woher haben wir die Idee der Vergangenheit? Das Gegenwärtigsein eines A im Bewußtsein, durch Anknüpfung eines neuen Moments, mögen wir es auch Moment des Vergangen nennen, vermag nicht das transzendierende Bewußtsein zu erklären: es sei A vergangen. Es vermag nicht die entfernteste Vorstellung davon zu geben, daß das, was ich jetzt als A im Bewußtsein habe mit seinem neuen Charakter, identisch sei mit etwas, was jetzt nicht im Bewußtsein ist, vielmehr gewesen ist. – Was sind denn die jetzt erlebten Momente der ursprünglichen Assoziation? Sind sie etwa selbst Zeiten? Dann kommen wir auf den Widerspruch: all diese Momente sind jetzt da, sind im selben Gegenstandsbewußtsein beschlossen, sie sind also gleichzeitig. Und doch schließt das Nacheinander der Zeit das Zugleich aus. Sind sie etwa nicht die zeitlichen Momente selbst, sondern vielmehr Temporalzeichen? Aber damit haben wir zunächst nur ein neues Wort, das Bewußtsein der Zeit ist noch nicht analysiert,
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es ist noch nicht klar gemacht, wie Bewußtsein von einer Vergangenheit sich aufgrund solcher Zeichen konstituiert, in welchem Sinn, in welcher Art, durch welche Auffassungen diese erlebten Momente anders fungieren als die Qualitätsmomente, und so fungieren, daß eben Beziehung des Bewußtseins, das ein Jetzt sein soll, auf ein Nicht-Jetzt zustande kommt. | Sehr bedenklich ist auch der Versuch, das Vergangene als ein Nichtreelles, Nichtexistierendes hinzustellen. Ein hinzutretendes psychisches Moment kann doch nicht Irrealität machen, nicht gegenwärtige Existenz fortschaffen. In der Tat ist der ganze Bereich der ursprünglichen Assoziationen ein gegenwärtiges und reelles Erlebnis. Zu diesem Bereich gehört die ganze Reihe der durch ursprüngliche Assoziation erzeugten originären Zeitmomente mitsamt den übrigen Momenten, die dem zeitlichen Gegenstand zugehören. Wir sehen also, daß eine Analyse des Zeitbewußtseins unbrauchbar ist, welche die intuitive Zeitstrecke bloß verständlich machen will durch kontinuierlich abgestufte neue Momente, die sich irgendwie denjenigen Inhaltsmomenten anstücken oder einschmelzen, die das zeitlich lokalisierte Gegenständliche konstituieren. Kurz gesagt: Die Zeitform ist weder selbst Zeitinhalt, noch ist sie ein Komplex neuer, an den Zeitinhalt sich irgendwie anschließender Inhalte. Wenn nun Brentano auch nicht in den Irrtum verfallen ist, in der Weise des Sensualismus alle Erlebnisse auf bloße primäre Inhalte zu reduzieren, wenn er sogar als der Erste die radikale Scheidung in primäre Inhalte und Aktcharaktere erkannt hat, so zeigt seine Zeittheorie, daß er doch gerade auf die für sie entscheidenden Aktcharaktere nicht Rücksicht genommen hat. Die Frage, wie Zeitbewußtsein möglich und zu verstehen ist, bleibt ungelöst.
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Zweiter Abschnitt analyse des zeitbewusstseins § 7 Deutung der Erfassung von Zeitobjekten als Momentanerfassung und als dauernder Akt
In Brentanos Lehre wirkt als treibendes Motiv ein Gedanke, der von Herbart herstammt, von Lotze aufgenommen wurde und in der ganzen Folgezeit eine große Rolle spielte: der Gedanke nämlich, es sei für die Erfassung einer Folge von Vorstellungen (a u. b z. B.) nötig, daß diese die durchaus gleichzeitigen Objekte eines beziehenden Wissens sind, welches völlig unteilbar sie in einem einzigen und unteilbaren Akte zusammenfaßt1. Alle | Vorstellungen eines Weges, eines Übergangs, einer Entfernung, kurz alle, welche eine Vergleichung mehrerer Elemente enthalten und das Verhältnis zwischen ihnen ausdrücken, können nur als Erzeugnis eines zeitlos zusammenfassenden Wissens gedacht werden. Sie würden alle unmöglich sein, wenn das Vorstellen selbst ganz in zeitlicher Sukzession aufginge2. Es erscheint dieser Auffassung als eine evidente und ganz unausweichliche Annahme, daß die Anschauung einer Zeitstrecke in einem Jetzt, in einem Zeitpunkt, statthabe. Es 1
Hermann Lotze, Metaphysik. Drei Bücher der Ontologie, Kosmologie und Psychologie, Leipzig 1879, S. 294: „Wenn die Vorstellung des späteren b in der Tat nur | auf die des früheren a folgte, so wäre zwar ein Wechsel der Vorstellungen vorhanden, aber noch keine Vorstellung dieses Wechsels; es würde ein Zeitverlauf da sein, aber noch für Niemanden der Schein eines solchen. Damit diese Vergleichung stattfi nde, in welcher b als das spätere gewußt wird, ist es doch wieder nötig, daß die beiden Vorstellungen a und b die durchaus gleichzeitigen Objekte eines beziehenden Wissens sind, welches völlig unteilbar sie in einem einzigen unteilbaren Akte zusammenfaßt“. – Anm. d. Hrsg. 2 Lotze, a. a. O., S. 295: „Alle Vorstellungen eines Weges, einer Entfernung, eines Übergangs, kurz alle, welche eine Vergleichung mehrerer Elemente enthalten und das Verhältnis zwischen ihnen ausdrücken, können so nur als Erzeugnisse eines zeitlos zusammenfassenden Wissens gedacht werden; sie würden alle unmöglich sein, wenn das Vorstellen selbst ganz in der zeitlichen Sukzession aufginge …“ – Anm. d. Hrsg.
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erscheint überhaupt als Selbstverständlichkeit, daß ein jedes Bewußtsein, das auf irgendein Ganzes, auf irgendeine Vielheit unterscheidbarer Momente geht (also jedes Relations- und Komplexionsbewußtsein), in einem unteilbaren Zeitpunkt seinen Gegenstand umspannt; wo immer ein Bewußtsein auf ein Ganzes gerichtet ist, dessen Teile sukzessiv sind, kann es ein anschauliches Bewußtsein dieses Ganzen nur sein, wenn die Teile in Form von Repräsentanten zur Einheit der Momentanschauung zusammentreten. Gegen dieses „Dogma von der Momentaneität eines Bewußtseinsganzen“ (wie er es nennt) hat W. Stern Einspruch erhoben1. Es gebe Fälle, in denen die Auffassung erst aufgrund eines zeitlich ausgedehnten Bewußtseinsinhaltes zustande komme2, sich über eine Zeitstrecke (die sogenannte „Präsenzzeit“) ausdehne3. So kann z. B. eine diskrete Sukzession unbeschadet der | Ungleichzeitigkeit der Glieder durch ein Bewußtseinsband, durch einen einheitlichen Auffassungsakt zusammengehalten sein4. Daß mehrere aufeinanderfolgende Töne eine Melodie ergeben, ist nur dadurch möglich, daß die Aufeinanderfolge psychischer Vorgänge sich „ohne weiteres“ zu einem Gesamtgebilde vereinigt. Sie sind im 1
William Stern, „Psychische Präsenzzeit“, Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, XIII (1897), S. 325–349; den Ausdruck „Dogma von der Momentaneität eines Bewußtseinsganzen bzw. von dem notwendigen Isochronismus seiner Glieder“ siehe dort, S. 330f. – Vgl. auch William Stern, Psychologie der Veränderungsauffassung, Breslau 1898. – Vom Hrsg. ergänzte Anm. 2 Stern, „Psychische Präsenzzeit“, a. a. O., S. 326: „Fälle, in denen die Auffassung erst zustande kommt auf Grund eines zeitlich ausgedehnten Bewußtseinsinhaltes“. – Anm. d. Hrsg. 3 Stern, a. a. O., S. 327: „Die Zeitstrecke, über welche sich ein solcher psychischer Akt zu erstrecken vermag, nenne ich seine Präsenzzeit“. – Anm. d. Hrsg. 4 Stern, a. a. O., S. 329: „Aber selbst in den Fällen, wo sukzessive Teilelemente nicht erst durch Abstraktion geschaffen werden müssen, sondern von vornherein vorhanden sind (wir erwähnten ja schon oben Auffassung mehrsilbiger Wörter), auch dann vermögen sie durch ein einheitliches Bewußtseinsband, trotz ihrer diskreten Sukzession, zusammengehalten zu werden. Dieses Bewußtseinsband ist der resultierende Auffassungsakt“. – Anm. d. Hrsg.
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Bewußtsein nacheinander, aber sie fallen innerhalb eines und desselben Gesamtaktes. Wir haben nicht etwa die Töne auf einmal, und wir hören die Melodie nicht vermöge des Umstandes, daß beim letzten die früheren nachdauern, sondern die Töne bilden eine sukzessive Einheit mit einer gemeinsamen Wirkung, der Auffassungsform1. Natürlich vollendet sich die letztere erst mit dem letzten Ton. Dementsprechend gibt es seine Wahrnehmung von zeitlich sukzedierenden Einheiten ebenso wie von koexistierenden, und sodann auch eine direkte Auffassung von Identität, Gleichheit, Ähnlichkeit, Verschiedenheit. „Es bedarf nicht der künstlichen Annahme, daß die Vergleichung immer dadurch zustande komme, daß neben dem zweiten Ton das Erinnerungsbild des ersten bestehe; vielmehr wird der ganze innerhalb der Präsenzzeit abrollende Bewußtseinsinhalt gleichmäßig zur Grundlage der resultierenden Gleichheits- und Verschiedenheitsauffassung“2. | 1
Stern, a. a. O., S. 329 f.: „Daß vier aufeinander folgende Schälle … sich als eine bestimmte Melodie darbieten, ist nur dadurch möglich, daß die vier psychischen Vorgänge sich ohne weiteres, ungeachtet ihrer Verschiedenzeitigkeit, zu einem Gesamtbilde vereinigen. Die vier Glieder sind zwar im Bewußtsein nebeneinander, aber doch innerhalb eines und desselben Auffassungsaktes, innerhalb einer Präsenzzeit. Wir hören die vier Töne nicht auf einmal, haben auch nicht während des vierten, dadurch, daß noch 1, 2 und 3 andauern, die ganze Gruppe im Bewußtsein, sondern die vier bilden eben eine sukzessive Einheit, mit einer gemeinschaftlichen Wirkung, der Auffassungsform“. – Anm. d. Hrsg. 2 Stern, a. a. O., S. 337 f.: „Dadurch, daß auch Sukzessiva innerhalb der Präsenzzeit einen einheitlichen Bewußtseinsakt bilden können, genau so wie Simultanea, wird die scharfe Scheidung zwischen beiden beträchtlich gemildert, und es können gewisse zeitlich nacheinander geordnete Bewußtseinsinhalte ganz gleiche Auffassungsresultate ergeben, wie nebengeordnete. Die Erscheinungen des Blickfeldes, die nur durch Augenbewegungen ausgelöst werden können, sind durchaus homogen jenen des Sehfeldes, welche simultanen Eindrücken ihre Entstehung verdanken. Ähnliches ist auf dem Gebiete des Tastsinnes konstatiert. Nun gibt es auch eine ganze Reihe höherer Auffassungsformen, für deren Zustandekommen es gleichgültig ist, ob sukzessive oder simultane Inhalte vorliegen, vorausgesetzt nur, daß die konstituierenden Elemente Teile eines einheitlichen Be | wußtseinsaktes sind. Hierher gehört die
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Was1 in diesen Ausführungen und der ganzen Diskussion, die sich daran geknüpft hat, einer Klärung der strittigen Probleme im Wege steht, ist der Mangel an den durchaus notwendigen Unterscheidungen, den wir schon bei Brentano festgestellt haben. Es bleibt einmal zu fragen: wie ist die Auffassung von transzendenten Zeitobjekten zu verstehen, die sich über eine Dauer erstrecken, sie in kontinuierlicher Gleichheit (wie unveränderte Dinge) oder ständig wechselnd (z. B. dingliche Vorgänge, Bewegung, Veränderung und dgl.) erfüllen? Objekte dieser Art konstituieren sich in einer Mannigfaltigkeit immanenter Daten und Auffassungen, die selbst als ein Nacheinander ablaufen. Ist es möglich, diese nacheinander ablaufenden repräsentierenden Daten in einem Jetztmoment zu vereinen? Sodann erhebt sich die ganz neue Frage: wie konstituiert sich neben den „Zeitobjekten“, den immanenten und transzendenten, die Zeit selbst, die Dauer und Sukzession der Objekte? Diese verschiedenen Richtungen der Beschreibung (die hier nur flüchtig angedeutet sind und noch weiterer Differenzierung bedürfen) müssen bei der Analyse wohl im Auge behalten werden, obgleich alle diese Fragen eng zusammengehören und nicht eine ohne die andere gelöst werden kann. Es ist ja evident, daß die Wahrnehmung eines zeitlichen Objektes selbst Zeitlichkeit hat, daß Wahrnehmung der Dauer selbst Dauer der Wahrnehmung voraussetzt, daß die Wahrnehmung einer beliebigen Zeitgestalt selbst ihre ZeitAuffassung von Identität, Gleichheit, Ähnlichkeit, Verschiedenheit. Wir sind also imstande, die Übereinstimmung oder die Differenz zweier aufeinander folgender Töne ebenso direkt wahrzunehmen, wie die Übereinstimmung oder Differenz zweier benachbarter farbiger Flächen; auch hier bedarf es nicht der künstlichen Annahme, die Vergleichung komme nur dadurch zustande, daß neben dem zweiten Tone das Erinnerungsbild des ersten bestehe; vielmehr wird der ganze, innerhalb der Präsenzzeit sich abrollende Bewußtseinsinhalt gleichmäßig zur Grundlage der resultierenden Gleichheits- oder Verschiedenheitsauffassung“. – Anm. d. Hrsg. 1 Der Text des nachstehenden Schlußabsatzes von § 7 fußt teilweise auf dem zweier zu dem Vorlesungsmanuskript von 1905 gehöriger und mit „52“ und „53“ bezeichneter Blätter. – Anm. d. Hrsg.
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gestalt hat. Und sehen wir von allen Transzendenzen ab, so verbleibt der Wahrnehmung nach allen ihren phänomenologischen Konstituentien ihre phänomenologische Zeitlichkeit, die zu ihrem unaufhebbaren Wesen gehört. Da sich objektive Zeitlichkeit jeweils phänomenologisch konstituiert und nur durch diese Konstitution für uns als Objektivität oder Moment | einer Objektivität erscheinungsmäßig dasteht, so kann eine phänomenologische Zeitanalyse die Konstitution der Zeit nicht ohne Rücksicht auf die Konstitution der Zeitobjekte aufklären. Unter Zeitobjekten im speziellen Sinn verstehen wir Objekte, die nicht nur Einheiten in der Zeit sind, sondern die Zeitextension auch in sich enthalten. Wenn ein Ton erklingt, so kann meine objektivierende Auffassung sich den Ton, welcher da dauert und verklingt, zum Gegenstand machen, und doch nicht die Dauer des Tones oder den Ton in seiner Dauer. Dieser als solcher ist ein Zeitobjekt. Dasselbe gilt für eine Melodie, für jedwede Veränderung, aber auch jedes Verharren als solches betrachtet. Nehmen wir das Beispiel einer Melodie oder eines zusammenhängenden Stückes einer Melodie. Die Sache scheint zunächst sehr einfach: wir hören die Melodie, d. h. wir nehmen sie wahr, denn Hören ist ja Wahrnehmen. Indessen, der erste Ton erklingt, dann kommt der zweite, dann der dritte usw. Müssen wir nicht sagen: wenn der zweite Ton erklingt, so höre ich ihn, aber ich höre den ersten nicht mehr usw.? Ich höre also in Wahrheit nicht die Melodie, sondern nur den einzelnen gegenwärtigen Ton. Daß das abgelaufene Stück der Melodie für mich gegenständlich ist, verdanke ich – so wird man geneigt sein zu sagen – der Erinnerung; und daß ich, bei dem jeweiligen Ton angekommen, nicht voraussetze, daß das alles sei, verdanke ich der vorblickenden Erwartung. Bei dieser Erklärung können wir uns aber nicht beruhigen, denn alles Gesagte überträgt sich auch auf den einzelnen Ton. Jeder Ton hat selbst eine zeitliche Extension, beim Anschlagen höre ich ihn als jetzt, beim Forttönen hat er aber ein immer neues Jetzt, und das jeweilig vorangehende wandelt sich in ein Vergangen. Also höre ich jeweils nur die aktuelle Phase des Tones, und die Objektivität des ganzen dauernden Tones konstituiert sich in einem Aktkontinuum, das zu einem Teil Erinnerung,
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zu einem kleinsten, punktuellen Teil Wahrnehmung und zu einem weiteren Teil Erwartung ist. Das scheint auf Brentanos Lehre zurückzuführen. Hier muß nun eine tiefere Analyse einsetzen. |
§ 8 Immanente Zeitobjekte und ihre Erscheinungsweisen1
Wir schalten jetzt alle transzendente Auffassung und Setzung aus und nehmen den Ton rein als hyletisches Datum. Er fängt an und hört auf, und seine ganze Dauereinheit, die Einheit des ganzen Vorgangs, in dem er anfängt und endet, „rückt“ nach dem Enden in die immer fernere Vergangenheit. In diesem Zurücksinken „halte“ ich ihn noch fest, habe ihn in einer „Retention“, und solange sie anhält, hat er seine eigene Zeitlichkeit, ist er derselbe, seine Dauer ist dieselbe. Ich kann die Aufmerksamkeit richten auf die Weise seines Gegebenseins. Er und die Dauer, die er erfüllt, ist in einer Kontinuität von „Weisen“ bewußt, in einem „beständigen Flusse“; und ein Punkt, eine Phase dieses Flusses heißt „Bewußtsein vom anhebenden Ton“, und darin ist der erste Zeitpunkt der Dauer des Tones in der Weise des Jetzt bewußt. Der Ton ist gegeben, d. h. er ist als jetzt bewußt; er ist aber als jetzt bewußt, „solange“ irgendeine seiner Phasen als jetzt bewußt ist. Ist aber irgendeine Zeitphase (entsprechend einem Zeitpunkt der Ton-Dauer) aktuelles Jetzt (ausgenommen die Anfangsphase), so ist eine Kontinuität von Phasen als „vorhin“ bewußt, und die ganze Strecke der Zeitdauer vom Anfangspunkt bis zum Jetztpunkt ist bewußt als abgelaufene Dauer, die übrige Strecke der Dauer ist aber noch nicht bewußt. Am Endpunkt ist dieser selbst als Jetztpunkt bewußt, und die ganze Dauer bewußt als abgelaufen (bzw. so ist es am Anfangspunkt der neuen Strecke der Zeit, die nicht mehr Ton-Strecke ist). „Während“ dieses ganzen 1
Der Text von §§ 8–10 fußt auf dem einer Aufzeichnung vom 10. bis 13. November 1911, die unten in den Ergänzenden Texten, Nr. 53, in ihrer ursprünglichen Form vollständig wiedergegeben ist; vgl. insbes. S. 359–367. – Anm. d. Hrsg.
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Bewußtseinsflusses ist der eine und selbe Ton als dauernder bewußt, als jetzt dauernder. „Vorher“ (falls er nicht etwa erwarteter war) ist er nicht bewußt. „Nachher“ ist er „eine Zeitlang“ in der „Retention“ als gewesener „noch“ bewußt, er kann festgehalten und im fixierenden Blick stehend bzw. bleibend sein. Die ganze Dauerstrecke des Tones oder „der“ Ton in seiner Erstreckung steht dann als ein sozusagen Totes, sich nicht mehr lebendig Erzeugendes da, ein von keinem Erzeugungspunkt des Jetzt beseeltes Gebilde, das aber stetig sich modifiziert und ins | „Leere“ zurücksinkt. Die Modifikation der ganzen Strecke ist dann eine analoge, wesentlich identische mit derjenigen, die während der Aktualitätsperiode das abgelaufene Stück der Dauer im Übergang des Bewußtseins zu immer neuen Erzeugungen erfährt. Was wir hier beschrieben haben, ist die Weise, wie das immanent-zeitliche Objekt in einem beständigen Fluß „erscheint“, wie es „gegeben“ ist. Diese Weise beschreiben, heißt nicht, die erscheinende Zeitdauer selbst beschreiben. Denn es ist derselbe Ton mit der ihm zugehörigen Dauer, der zwar nicht beschrieben, aber in der Beschreibung vorausgesetzt wurde. Dieselbe Dauer ist jetzige, aktuell sich aufbauende Dauer, und ist dann vergangene, „abgelaufene“ Dauer, noch bewußte oder in der Wiedererinnerung „gleichsam“ neu erzeugte Dauer. Derselbe Ton, der jetzt erklingt, ist es, von dem es im „späteren“ Bewußtseinsfluß heißt, er sei gewesen, seine Dauer sei abgelaufen. Die Punkte der Zeitdauer entfernen sich für mein Bewußtsein analog, wie sich die Punkte des ruhenden Gegenstandes im Raum für mein Bewußtsein entfernen, wenn ich „mich“ vom Gegenstand entferne. Der Gegenstand behält seinen Ort, ebenso behält der Ton seine Zeit, jeder Zeitpunkt ist unverrückt, aber er entflieht in Bewußtseinsfernen, der Abstand vom erzeugenden Jetzt wird immer größer. Der Ton selbst ist derselbe, aber der Ton, „in der Weise wie“ er erscheint, ein immer anderer.
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§ 9 Das Bewußtsein von den Erscheinungen immanenter Objekte
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Genauer besehen, können wir hier noch verschiedene Richtungen der Beschreibung unterscheiden: 1. Wir können evidente Aussagen machen über das immanente Objekt in sich selbst: daß es jetzt dauere, daß ein gewisser Teil der Dauer verflossen sei, daß der im Jetzt erfaßte Dauerpunkt des Tones (mit seinem Ton-Inhalt natürlich) stetig in das Vergangen zurücksinke und ein immer neuer Punkt der Dauer ins Jetzt trete oder jetzt sei; daß die abgelaufene Dauer sich vom aktuellen Jetztpunkt, der immerfort ein irgendwie erfüllter ist, entferne, in immer „fernere“ Vergangenheit rücke und dgl. 2. Wir können aber auch von der Weise sprechen, in der alle solche Unterschiede des „Erscheinens“ des immanenten Tones und seines Dauerinhalts | „bewußt“ sind. Wir sprechen hinsichtlich der in das aktuelle Jetzt hineinreichenden Ton-Dauer von Wahrnehmung und sagen, der Ton, der dauernde, sei wahrgenommen, und jeweils sei von der Dauererstreckung des Tones nur der als Jetzt charakterisierte Punkt der Dauer voll eigentlich wahrgenommen. Von der abgelaufenen Strecke sagen wir, sie sei in Retentionen bewußt, und zwar seien die nicht scharf abzugrenzenden Teile der Dauer oder Phasen der Dauer, die dem aktuellen Jetztpunkt am nächsten liegen, mit absteigender Klarheit bewußt; die ferneren, weiter zurückliegenden Vergangenheitsphasen seien ganz unklar, leer bewußt. Und ebenso nach Ablauf der ganzen Dauer: je nach der Ferne vom aktuellen Jetzt hat das ihm noch Nächstliegende ev. ein wenig Klarheit, das Ganze verschwindet ins Dunkel, in ein leeres retentionales Bewußtsein, und verschwindet schließlich ganz (wenn man das behaupten darf), sobald die Retention aufhört.1 1
Es liegt nahe, diese Erscheinungs- und Bewußtseinsweisen der Zeitobjekte in Parallele zu setzen zu den Weisen, in denen ein Raumding bei wechselnder Orientierung erscheint und bewußt ist; ferner den „zeitlichen Orientierungen“ nachzugehen, in denen Raumdinge (die ja zugleich Zeitobjekte sind) erscheinen. Doch verbleiben wir vorläufig in der immanenten Sphäre.
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Dabei finden wir in der klaren Sphäre eine größere Deutlichkeit und Auseinandergehaltenheit (und zwar um so mehr, je näher sie dem aktuellen Jetzt liegt). Je weiter wir uns aber vom Jetzt entfernen, bekundet sich eine um so größere Verflossenheit und Zusammengerücktheit. Eine reflektive Versenkung in die Einheit eines gegliederten Vorgangs läßt uns beobachten, daß ein artikuliertes Stück des Vorgangs beim Zurücksinken in die Vergangenheit sich „zusammenzieht“ – eine Art zeitlicher Perspektive (innerhalb der originären zeitlichen Erscheinung) als Analogon zur räumlichen Perspektive. Indem das zeitliche Objekt in die Vergangenheit rückt, zieht es sich zusammen und wird dabei zugleich dunkel. Es gilt nun, näher zu untersuchen, was wir hier als Phänomen des zeitkonstituierenden Bewußtseins, desjenigen, in dem sich die zeitlichen Gegenstände mit ihren zeitlichen Bestimmtheiten konstituieren, vorfinden und beschreiben können. Wir unterscheiden das dauernde, immanente Objekt und das Objekt im Wie, das als aktuell gegenwärtig oder als vergangen bewußte. Jedes zeitliche Sein „erscheint“ in irgendeinem und einem | kontinuierlich sich wandelnden Ablaufsmodus, und das „Objekt im Ablaufsmodus“ ist in dieser Wandlung immer wieder ein anderes, während wir doch sagen, das Objekt und jeder Punkt seiner Zeit und diese Zeit selbst seien ein und dieselben. Diese Erscheinung „Objekt im Ablaufsmodus“ werden wir nicht Bewußtsein nennen können (so wenig wir das Raumphänomen, den Körper im Wie der Erscheinung von der oder jener Seite, von nah oder ferne, ein Bewußtsein nennen werden). Das „Bewußtsein“, das „Erlebnis“ bezieht sich auf sein Objekt vermittelst einer Erscheinung, in der eben das „Objekt im Wie“ dasteht. Offenbar müssen wir die Rede von der „Intentionalität“ als doppelsinnig erkennen, je nachdem wir die Beziehung der Erscheinung auf das Erscheinende im Auge haben oder die Beziehung des Bewußtseins einerseits auf das „Erscheinende im Wie“, andererseits auf das Erscheinende schlechthin.
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§ 10 Die Kontinua der Ablaufsphänomene. Das Diagramm der Zeit
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Für die Phänomene, welche immanente Zeitobjekte konstituieren, werden wir nun die Rede von „Erscheinungen“ lieber vermeiden; denn diese Phänomene sind selbst immanente Objekte und sind „Erscheinungen“ in einem ganz anderen Sinne. Wir sprechen hier von „Ablaufsphänomenen“ oder besser noch von „Modi der zeitlichen Orientierung“, und hinsichtlich der immanenten Objekte selbst von ihren „Ablaufscharakteren“ (z. B. Jetzt, Vergangen). Von dem Ablaufsphänomen wissen wir, daß es eine Kontinuität steter Wandlungen ist, die eine untrennbare Einheit bildet, untrennbar in Strecken, die für sich sein könnten, und unteilbar in Phasen, die für sich sein könnten, in Punkte der Kontinuität. Die Stücke, die wir abstraktiv herausheben, können nur im ganzen Ablauf sein, und ebenso die Phasen, die Punkte der Ablaufskontinuität. Auch können wir evidentermaßen von dieser Kontinuität sagen, daß sie in gewisser Weise ihrer Form nach unwandelbar ist. Es ist undenkbar, daß die Kontinuität der Phasen eine solche wäre, die denselben Phasenmodus zweimal enthielte oder ihn gar ausgebreitet enthielte über eine ganze Teilstrecke. So wie jeder Zeitpunkt (und jede Zeitstrecke) von jedem, „individuell“ sozusagen, | verschieden ist, keiner zweimal vorkommen kann, so kann kein Ablaufsmodus zweimal vorkommen. Doch wir werden hier noch weiter scheiden und deutlicher bestimmen A
P
E
AE – Reihe der Jetztpunkte AA’ – Herabsinken
P’
A
E→
A’
EA’ – Phasenkontinuum (Jetztpunkt mit Vergangenheitshorizont) E → – Reihe der ev. mit anderen Objekten erfüllten Jetzt
→
A
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müssen. Zunächst heben wir hervor, daß die Ablaufsmodi eines immanenten Zeitobjektes einen Anfang haben, sozusagen einen Quellpunkt. Es ist derjenige Ablaufsmodus, mit dem das immanente Objekt zu sein anfängt. Er ist charakterisiert als Jetzt. Im steten Fortgang der Ablaufsmodi finden wir dann das Merkwürdige, daß jede spätere Ablaufsphase selbst eine Kontinuität ist, und eine stetig sich erweiternde, eine Kontinuität von Vergangenheiten. Der Kontinuität der Ablaufsmodi der Objektdauer stellen wir gegenüber die Kontinuität der Ablaufsmodi eines jeden Punktes der Dauer, die selbstverständlich in der Kontinuität jener ersten Ablaufsmodi beschlossen ist: also die Ablaufskontinuität eines dauernden Objektes ist ein Kontinuum, dessen Phasen die Kontinua der Ablaufsmodi der verschiedenen Zeitpunkte der Objektdauer sind. Gehen wir der konkreten Kontinuität entlang, so schreiten wir in den steten Abwandlungen fort, und es wandelt sich darin stetig der Ablaufsmodus, d. i. die Ablaufskontinuität der betreffenden Zeitpunkte. Indem immer ein neues Jetzt auftritt, wandelt sich das Jetzt in ein Vergangen, und dabei rückt die ganze Ablaufskontinuität der Vergangenheiten des vorangegangenen Punktes „herunter“, gleichmäßig in die Tiefe der Vergangenheit. In unserer Figur illustriert die stetige Reihe der Ordinaten die Ablaufsmodi des dauernden Objektes. Sie wachsen von A (einem Punkt) an bis zu einer bestimmten Strecke, die das letzte Jetzt zum Endpunkt hat. Dann hebt die Reihe der Ablaufsmodi an, die kein Jetzt (dieser Dauer) mehr enthalten, die Dauer ist nicht mehr aktuelle, sondern vergangene und stetig | tiefer in die Vergangenheit sinkende. Die Figur gibt also ein vollständiges Bild der Doppelkontinuität der Ablaufsmodi.
§ 11 Urimpression und retentionale Modifikation1
Der „Quellpunkt“, mit dem die „Erzeugung“ des dauernden Objektes einsetzt, ist eine Urimpression. Dies Bewußtsein ist in 1
Der Text des ersten Absatzes von § 11 fußt auf dem einer zwischen 1908 und 1909 entstandenen Aufzeichnung, die unten in den Ergänzen-
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beständiger Wandlung begriffen: stetig wandelt sich das leibhafte Ton-Jetzt (scil. bewußtseinsmäßig, „im“ Bewußtsein) in ein Gewesen, stetig löst ein immer neues Ton-Jetzt das in die Modifikation übergegangene ab. Wenn aber das Bewußtsein vom Ton-Jetzt, die Urimpression, in Retention übergeht, so ist diese Retention selbst wieder ein Jetzt, ein aktuell Daseiendes. Während sie selbst aktuell ist (aber nicht aktueller Ton), ist sie Retention von gewesenem Ton. Ein Strahl der Meinung kann sich auf das Jetzt richten: auf die Retention, er kann sich aber auch auf das retentional Bewußte richten: auf den vergangenen Ton. Jedes aktuelle Jetzt des Bewußtseins unterliegt aber dem Gesetz der Modifikation. Es wandelt sich in Retention von Retention, und das stetig. Es ergibt sich demnach ein stetiges Kontinuum der Retention derart, daß jeder spätere Punkt Retention ist für jeden früheren. Und jede Retention ist schon Kontinuum. Der Ton setzt ein, und stetig setzt „er“ sich fort. Das Ton-Jetzt wandelt sich in Ton-Gewesen, das impressionale Bewußtsein geht ständig fließend über in immer neues retentionales Bewußtsein. Dem Fluß entlang oder mit ihm gehend, haben wir eine stetige zum Einsatzpunkt gehörige Reihe von Retentionen. Überdies jedoch schattet sich jeder frühere Punkt dieser Reihe als ein Jetzt wiederum ab im Sinne der Retention. An jede dieser Retentionen schließt sich so eine Kontinuität von retentionalen Abwandlungen an, und diese Kontinuität ist selbst wieder ein Punkt der Aktualität, der sich retentional abschattet. Das führt auf keinen einfachen unendlichen Regreß, weil jede Retention in sich selbst kontinuierliche Modifikation ist, die sozusagen in Form einer Abschattungsreihe das Erbe der Vergangen | heit in sich trägt. Es ist nicht so, daß bloß in der Längsrichtung des Flusses jede frühere Retention durch eine neue ersetzt ist, sei es auch stetig. Jede spätere Retention ist vielmehr nicht bloß kontinuierliche Modifikation, hervorgegangen aus der Urimpression, sondern kontinuierden Texten, Nr. 50, in ihrer ursprünglichen Form vollständig wiedergegeben ist; vgl. insbes. S. 326f. – Der Text des zweiten Absatzes von § 11 fußt auf dem des Blattes „35“ des Vorlesungsmanuskripts von 1905. – Anm. d. Hrsg.
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liche Modifikation aller früheren stetigen Modifikationen desselben Einsatzpunktes. Bisher haben wir vornehmlich Wahrnehmung bzw. originäre Konstitution von Zeitobjekten in Betracht gezogen und versucht, das in ihnen gegebene Zeitbewußtsein analytisch zu verstehen. Bewußtsein von Zeitlichkeit vollzieht sich aber nicht bloß in dieser Form. Wenn ein Zeitobjekt abgelaufen, wenn die aktuelle Dauer vorüber ist, so erstirbt damit keineswegs das Bewußtsein von dem nun vergangenen Objekt, obschon es jetzt nicht mehr als Wahrnehmungsbewußtsein oder besser vielleicht impressionales Bewußtsein fungiert. (Wir behalten dabei wie bisher immanente Objekte im Auge, die sich nicht eigentlich in einer „Wahrnehmung“ konstituieren). An die „Impression“ schließt sich kontinuierlich die primäre Erinnerung oder, wie wir sagten, die Retention an. Im Grunde haben wir diese Bewußtseinsweise schon in dem bisher betrachteten Fall mit analysiert. Denn die Kontinuität von Phasen, die sich an das jeweilige „Jetzt“ anschloß, war ja nichts anderes als eine solche Retention bzw. eine Kontinuität von Retentionen. Im Falle der Wahrnehmung eines Zeitobjektes (es spielt für die jetzige Betrachtung keine Rolle, ob wir ein immanentes oder transzendentes nehmen) terminiert sie jederzeit in einer Jetztauffassung, in einer Wahrnehmung im Sinne einer Als-Jetzt-Setzung. Während eine Bewegung wahrgenommen wird, findet Moment für Moment ein Als-Jetzt-Erfassen statt, darin konstituiert sich die jetzt aktuelle Phase der Bewegung selbst. Aber diese Jetztauffassung ist gleichsam der Kern zu einem Kometenschweif von Retentionen, auf die früheren Jetztpunkte der Bewegung bezogen. Findet aber keine Wahrnehmung mehr statt, sehen wir keine Bewegung mehr, oder – wenn es sich um eine Melodie handelt – ist die Melodie abgespielt und Stille eingetreten, so schließt sich an die letzte Phase keine neue Phase der Wahrnehmung an, sondern eine bloße Phase frischer Erinnerung, an diese aber wiederum eine solche usf. Dabei findet fortgesetzt eine Zurückschiebung in die Vergangenheit statt, die gleiche kontinuierliche Komplexion | erfährt fortgesetzt eine Modifikation, bis zum Verschwinden; denn mit der Modifikation geht eine Schwächung Hand in Hand, die
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schließlich in Unmerklichkeit endet. Das originäre Zeitfeld ist offenbar begrenzt, genau wie bei der Wahrnehmung. Ja, im großen und ganzen wird man wohl die Behauptung wagen dürfen, daß das Zeitfeld immer dieselbe Extension hat. Es verschiebt sich gleichsam über die wahrgenommene und frisch erinnerte Bewegung und ihre objektive Zeit, ähnlich wie das Gesichtsfeld über den objektiven Raum.1, 2
§ 12 Retention als eigentümliche Intentionalität 3
Noch bleibt näher zu erörtern, welcher Art die Modifikation ist, die wir als retentionale bezeichneten. Man spricht von Abklingen, Verblassen usw. der Empfindungsinhalte, wenn eigentliche Wahrnehmung in Retention übergeht. Nun ist es aber schon nach den bisherigen Ausführungen klar, daß die retentionalen „Inhalte“ gar keine Inhalte im ursprünglichen Sinne sind. Wenn ein Ton abklingt, so ist er selbst zunächst mit besonderer Fülle (Intensität) empfunden, und daran schließt sich ein rasches Nachlassen der Intensität. Der Ton ist noch da, ist noch empfunden, aber im bloßen Nachhall. Diese echte Ton-Empfindung ist zu unterscheiden von dem tonalen Moment in der Retention. Der retentionale Ton ist kein gegenwärtiger, sondern eben im Jetzt „primär erinnerter“: er ist im retentionalen Bewußtsein nicht reell vorhanden. Das tonale Moment, das zu diesem gehört, kann aber 1
Auf die Begrenztheit des Zeitfeldes ist im Diagramm keine Rücksicht genommen. Dort ist kein Enden der Retention vorgesehen, und idealiter ist wohl auch ein Bewußtsein möglich, in dem alles retentional erhalten bleibt. 2 Vgl. zum vorstehenden § 11 die Beilage I: Urimpression und ihr Kontinuum der Modifi kationen, S. 99 ff. 3 Der Text von §§ 12–13 fußt auf fünf Blättern einer nach Husserls Erinnerung in „Silvaplana oder nachher“, d. h. 1909 oder später, in Wirklichkeit aber wohl spätestens im Herbst 1908 entstandenen Aufzeichnung, die unten in den Ergänzenden Texten, Nr. 47, in ihrer ursprünglichen Form vollständig wiedergegeben ist; vgl. insbes. S. 311–314 und S. 316. – Anm. d. Hrsg.
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auch nicht ein reell vorhandener anderer Ton sein, auch nicht ein sehr schwacher qualitätsgleicher (als Nachhall). Ein gegenwärtiger Ton kann zwar „an“ einen vergangenen erinnern, ihn darstellen, verbildlichen; das aber setzt schon eine andere Vergangenheitsvorstellung | voraus. Die Vergangenheitsanschauung selbst kann nicht Verbildlichung sein. Sie ist ein originäres Bewußtsein. Es soll natürlich nicht geleugnet werden, daß es Nachklänge gibt. Aber wo wir sie erkennen und unterscheiden, da können wir bald konstatieren, daß sie nicht etwa zur Retention als solcher gehören, sondern zur Wahrnehmung. Der Nachklang des Geigentones ist eben ein schwacher gegenwärtiger Geigenton, und ist von der Retention des eben gewesenen lauten Tones schlechthin verschieden. Das Nachklingen selbst, die Nachbilder überhaupt, die von den stärkeren Empfindungsgegebenheiten zurückbleiben, haben mit dem Wesen der Retention gar nichts zu tun, geschweige denn, daß sie notwendig ihm zuzurechnen wären. Wohl aber gehört es zum Wesen der Zeitanschauung, daß sie in jedem Punkt ihrer Dauer (die wir reflektiv zum Gegenstand machen können) Bewußtsein vom eben Gewesenen ist, und nicht bloß Bewußtsein vom Jetztpunkt des als dauernd erscheinenden Gegenständlichen. Und in diesem Bewußtsein ist das eben Gewesene in gehöriger Kontinuität bewußt, und in jeder Phase in bestimmter „Erscheinungsweise“ mit den Unterschieden von „Inhalt“ und „Auffassung“. Man achte auf die eben ertönende Dampfpfeife: in jedem Punkt steht eine Extension da, und in einer Extension die „Erscheinung“, die in jeder Phase dieser Extension ihr Qualitätsmoment und ihr Auffassungsmoment hat. Andererseits ist das Qualitätsmoment keine reelle Qualität, kein Ton, der jetzt reell wäre, d. h. der als jetzt seiender, wenn auch immanenter Ton-Inhalt angesprochen werden könnte. Der reelle Gehalt des Jetztbewußtseins enthält ev. empfundene Töne, die dann in der objektivierenden Auffassung notwendig zu bezeichnen sind als wahrgenommene, als gegenwärtige, aber in keiner Weise als Vergangenheiten. Das retentionale Bewußtsein enthält reell Vergangenheitsbewußtsein vom Ton, primäre Ton-Erinnerung, und ist nicht zu zerlegen in empfundenen Ton und Auffassung als Erinnerung. So
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wie ein Phantasie-Ton kein Ton, sondern Phantasie vom Ton ist, oder wie Ton-Phantasie und Ton-Empfindung etwas prinzipiell Verschiedenes sind, und nicht etwa dasselbe, nur verschieden interpretiert, aufgefaßt: ebenso ist primär anschaulich erinnerter Ton prinzipiell etwas anderes als wahrgenommener, bzw. primäre Erinnerung (Retention) von Ton etwas anderes als Empfindung von Ton. |
§ 13 Notwendigkeit des Vorangehens einer Impression vor jeder Retention. Evidenz der Retention
Besteht nun das Gesetz, daß primäre Erinnerung nur in kontinuierlicher Anknüpfung an vorgängige Empfindung bzw. Wahrnehmung möglich ist? daß jede retentionale Phase nur als Phase denkbar ist, d. h. nicht auszubreiten ist in eine Strecke, die in allen Phasen identisch wäre? Man wird entschieden sagen: das ist durchaus evident. Der empirische Psychologe, der gewohnt ist, alles Psychische als bloße Faktizität zu behandeln, wird das freilich leugnen. Er wird sagen: warum soll ein anfangendes Bewußtsein nicht denkbar sein, das mit einer frischen Erinnerung beginnt, ohne vorher eine Wahrnehmung gehabt zu haben? Es mag faktisch Wahrnehmung notwendig sein, um frische Erinnerung zu erzeugen. Es mag faktisch so sein, daß ein menschliches Bewußtsein Erinnerungen, auch primäre, erst haben kann, nachdem es Wahrnehmungen gehabt hat, aber denkbar ist auch das Gegenteil. Dem gegenüber lehren wir die apriorische Notwendigkeit des Vorangehens einer entsprechenden Wahrnehmung bzw. Urimpression vor der Retention. Man wird zunächst darauf bestehen müssen, daß eine Phase nur als Phase denkbar ist, und ohne Möglichkeit einer Extension. Und die Jetztphase ist nur denkbar als Grenze einer Kontinuität von Retentionen, so wie jede retentionale Phase selbst nur denkbar ist als Punkt eines solchen Kontinuums, und zwar für jedes Jetzt des Zeitbewußtseins. Nun soll aber auch eine ganze fertige Serie von Retentionen nicht denkbar sein ohne vorangehende entsprechende Wahrnehmung. Darin liegt: die Serie von Retentionen, die zu einem
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Jetzt gehört, ist selbst eine Grenze und wandelt sich notwendig ab; das Erinnerte „sinkt immer weiter in die Vergangenheit“, aber nicht nur das – es ist notwendig etwas Gesunkenes, etwas, das notwendig eine evidente Wiedererinnerung gestattet, die es auf ein wiedergegebenes Jetzt zurückführt. Nun wird man aber sagen: kann ich nicht eine Erinnerung, auch eine primäre, an ein A haben, während A in Wahrheit gar nicht stattgehabt hat? Gewiß. Es gilt ja sogar noch mehr. Ich kann auch eine Wahrnehmung von A haben, während A in | Wirklichkeit gar nicht statthat. Und somit behaupten wir nicht etwa dies als Evidenz, daß, wenn wir eine Retention von A haben (vorausgesetzt, daß A ein transzendentes Objekt ist), A vorangegangen sein muß, aber wohl, daß A wahrgenommen gewesen sein muß. Mag es nun primär beachtet worden sein oder nicht, es stand leibhaft in bewußter, wenn auch unbemerkter oder nebenbei bemerkter Weise da. Handelt es sich aber um ein immanentes Objekt, so gilt: wenn eine Folge, ein Wechsel, eine Veränderung von immanenten Daten „erscheint“, so ist sie auch absolut gewiß. Und ebenso ist innerhalb einer transzendenten Wahrnehmung die zu ihrem Aufbau wesentlich gehörige immanente Folge absolut gewiß.1 Es ist grundverkehrt, zu argumentieren: Wie kann ich im Jetzt von einem Nicht-Jetzt wissen, da ich das Nicht-Jetzt, das ja nicht mehr ist, nicht vergleichen kann mit dem Jetzt (nämlich dem im Jetzt vorhandenen Erinnerungsbild)? Als ob zum Wesen der Erinnerung gehörte, daß ein im Jetzt vorhandenes Bild für eine andere ihm ähnliche Sache supponiert würde und ich wie bei bildlicher Vorstellung vergleichen könnte und vergleichen müßte. Erinnerung bzw. Retention ist nicht Bildbewußtsein, sondern etwas total anderes. Das Erinnerte ist freilich jetzt nicht – sonst wäre es nicht Gewesenes, sondern Gegenwärtiges, und in der Erinnerung (Retention) ist es nicht als jetzt gegeben, sonst wäre Erinnerung bzw. Retention eben nicht Erinnerung, sondern Wahrnehmung (bzw. Ur-Impression). Ein Vergleichen des nicht mehr Wahrgenommenen, sondern bloß retentional 1
Vgl. auch die Unterscheidung innerer und äußerer Wahrnehmung § 44, S. 94 ff.
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Bewußten mit etwas außer ihm hat gar keinen Sinn. Wie ich in der Wahrnehmung das Jetztsein erschaue und in der extendierten Wahrnehmung, so wie sie sich konstituiert, das dauernde Sein, so erschaue ich in der Erinnerung, wofern sie primäre ist, das Vergangene, es ist darin gegeben, und Gegebenheit von Vergangenem ist Erinnerung. Wenn wir jetzt die Frage wieder aufnehmen, ob ein retentionales Bewußtsein denkbar ist, das nicht Fortsetzung eines impressionalen Bewußtseins wäre, so müssen wir sagen: es ist unmöglich, denn jede Retention weist in sich auf eine Impression zurück. „Vergangen“ und „Jetzt“ schließen sich aus. Identisch dasselbe kann zwar jetzt und vergangen sein, aber nur dadurch, daß es zwischen dem Jetzt und Vergangen gedauert hat. |
§ 14 Reproduktion von Zeitobjekten (sekundäre Erinnerung)
Wir1 bezeichneten die primäre Erinnerung oder Retention als einen Kometenschweif, der sich an die jeweilige Wahrnehmung anschließt. Durchaus davon zu scheiden ist die sekundäre Erinnerung, die Wiedererinnerung. Nachdem die primäre Erinnerung dahin ist, kann eine neue Erinnerung von jener Bewegung, von jener Melodie auftauchen. Den bereits angedeuteten Unterschied beider gilt es nun ausführlicher klarzulegen. Wenn an die aktuelle Wahrnehmung, sei es während ihres Wahrnehmungsflusses, sei es in kontinuierlicher Einigung nach ihrem ganzen Ablauf Retention sich anschließt, so liegt es zunächst nahe (wie Brentano es getan hat) zu sagen: die aktuelle Wahrnehmung konstituiert sich aufgrund von Empfindungen als Präsentation, die primäre Erinnerung aufgrund von Phantasien als Repräsentation, als Vergegenwärtigung. Ebensogut nun, wie sich unmittelbar Vergegenwärtigungen an Wahrnehmungen anschließen, können auch ohne Anschluß an Wahrnehmungen selbständig Vergegenwärtigungen sich einstellen, 1
Der Text des ersten Absatzes von § 14 fußt auf dem der Blätter „37“ und „38“ des Vorlesungsmanuskripts von 1905. – Anm. d. Hrsg.
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und das sind die sekundären Erinnerungen. Dagegen erheben sich aber (wie wir schon in der Kritik der Brentano’schen Theorie ausführten1) ernste Bedenken. Betrachten wir einen Fall sekundärer Erinnerung: Wir erinnern uns etwa einer Melodie, die wir jüngst in einem Konzert gehört haben. Dann ist es offenbar, daß das ganze Erinnerungsphänomen mutatis mutandis genau dieselbe Konstitution hat wie die Wahrnehmung der Melodie. Sie hat wie die Wahrnehmung einen bevorzugten Punkt: dem Jetztpunkt der Wahrnehmung entspricht ein Jetztpunkt der Erinnerung. Wir durchlaufen die Melodie in der Phantasie, wir hören „gleichsam“ zuerst den ersten, dann den zweiten Ton usw. Jeweils ist immer ein Ton (bzw. eine Tonphase) im Jetztpunkt. Die vorangegangenen sind aber nicht aus dem Bewußtsein ausgelöscht. Mit der Auffassung des jetzt erscheinenden, gleichsam jetzt gehörten Tones verschmilzt die primäre Erinnerung an die soeben gleichsam gehörten Töne und die Erwartung (Protention) der ausstehenden. Der Jetztpunkt hat für das Bewußtsein wieder einen Zeithof, | der sich in einer Kontinuität von Erinnerungsauffassungen vollzieht, und die gesamte Erinnerung der Melodie besteht in einem Kontinuum von solchen Zeithofkontinuen, bzw. von Auffassungskontinuen der beschriebenen Art. Endlich aber, wenn die vergegenwärtigte Melodie abgelaufen ist, schließt sich an dieses Gleichsam-Hören eine Retention an, eine Weile klingt das Gleichsam-Gehörte noch nach, eine Auffassungskontinuität ist noch da, aber nicht mehr als gehörte. Alles ist sonach gleich mit der Wahrnehmung und primären Erinnerung, und doch ist es nicht selbst Wahrnehmung und primäre Erinnerung. Wir hören ja nicht wirklich und haben nicht wirklich gehört, indem wir in der Erinnerung oder Phantasie eine Melodie Ton für Ton sich abspielen lassen. Im früheren Falle hieß es: Wir hören wirklich, das Zeitobjekt ist selbst wahrgenommen, die Melodie ist selbst Gegenstand der Wahrnehmung. Und ebenso sind die Zeiten, Zeitbestimmungen, Zeitverhältnisse selbst gegeben, wahrgenommen. Und wiederum: Nachdem die Melodie verklungen ist, haben wir sie nicht mehr wahrgenommen 1
Vgl. oben, S. 15 ff.
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als gegenwärtige, aber wir haben sie noch im Bewußtsein, sie ist nicht jetzige Melodie, aber soeben vergangene. Ihr Ebenvergangensein ist nicht bloße Meinung, sondern gegebene Tatsache, selbst gegebene, also „wahrgenommene“. Im Gegensatz dazu ist in der Wiedererinnerung die zeitliche Gegenwart erinnerte, vergegenwärtigte Gegenwart; und ebenso ist die Vergangenheit erinnerte, vergegenwärtigte, aber nicht wirklich gegenwärtige, nicht wahrgenommene, nicht primär gegebene und angeschaute Vergangenheit. Andererseits1 ist die Wiedererinnerung selbst gegenwärtig, originär konstituierte Wiedererinnerung, und nachher soeben gewesene. Sie baut sich selbst in einem Kontinuum von Urdaten und Retentionen auf und konstituiert (oder vielmehr: rekonstituiert) in eins damit eine immanente oder transzendente Dauergegenständlichkeit (je nachdem sie immanent oder transzendent gerichtet ist). Die Retention dagegen erzeugt keine Dauergegenständlichkeiten (weder originär noch reproduktiv), | sondern hält nur das Erzeugte im Bewußtsein und prägt ihm den Charakter des „soeben vergangen“ auf.2
§ 15 Die Vollzugsmodi der Reproduktion
Die Wiedererinnerung kann nun in verschiedenen Vollzugsformen auftreten. Wir vollziehen sie entweder in einem schlichten Zugreifen, wie wenn eine Erinnerung „auftaucht“ und wir auf das Erinnerte in einem Blickstrahl hinsehen, wobei das Erinnerte vage ist, vielleicht eine bevorzugte Momentanphase anschaulich beibringt, aber nicht wiederholende Erinnerung ist. Oder wir vollziehen wirklich nacherzeugende, wiederholende Erinnerung, in der in einem Kontinuum von Vergegenwärtigungen sich der Zeitgegenstand wieder vollständig aufbaut, 1
Der Text dieses Schlußabsatzes von § 14 sowie der von § 15 fußt – nach einem Hinweis Husserls – wahrscheinlich auf dem einer – nicht aufgefundenen – Aufzeichnung „über Apriori der Erinnerung bzw. des Bewußtseins der Sukzession aus 1917“. – Anm. d. Hrsg. 2 Über weitere Unterschiede zwischen Retention und Reproduktion vgl. § 19, S. 45 ff.
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wir ihn gleichsam wieder wahrnehmen, aber eben nur gleichsam. Der ganze Prozeß ist Vergegenwärtigungsmodifikation des Wahrnehmungsprozesses mit allen Phasen und Stufen bis hinein in die Retentionen: aber alles hat den Index der reproduktiven Modifikation. Das schlichte Hinsehen, Hinfassen finden wir auch unmittelbar aufgrund der Retention, so, wenn eine Melodie abgelaufen ist, die innerhalb der Einheit einer Retention liegt, und wir auf ein Stück zurückachten (reflektieren), ohne es wieder zu erzeugen. Das ist ein Akt, der für jedes in sukzessiven Schritten Gewordene, auch in Schritten der Spontaneität, z. B. der Denkspontaneität Gewordene, möglich ist. Auch Denkgegenständlichkeiten sind ja sukzessiv konstituiert. Es scheint also, daß wir sagen können: Gegenständlichkeiten, die sich originär in Zeitprozessen gliedweise oder phasenweise konstituierend aufbauen (als Korrelate kontinuierlich und vielgestaltig zusammenhängender und einheitlicher Akte), lassen sich in einem Zurückschauen so erfassen, als wären sie in einem Zeitpunkt fertige Gegenstände. Aber dann weist diese Gegebenheit eben auf eine andere, „ursprüngliche“ zurück. Das Hinsehen oder Zurücksehen auf das retentional Gegebene – und die Retention selbst – erfüllt sich nun in der eigentlichen Wiedervergegenwärtigung: das als soeben gewesen Gegebene erweist sich als identisch mit dem Wiedererinnerten. | Weitere Unterschiede zwischen primärer und sekundärer Erinnerung werden sich ergeben, wenn wir sie zur Wahrnehmung in Beziehung setzen.
§ 16 Wahrnehmung als Gegenwärtigung im Unterschied von Retention und Wiedererinnerung1
Die Rede von „Wahrnehmung“ bedarf allerdings hier noch einiger Erläuterung. Bei der „Wahrnehmung der Melodie“ scheiden wir den jetzt gegebenen Ton und nennen ihn den „wahr1
Der Text von §§ 16–17 fußt auf dem der Blätter „38“–„40“ des Vorlesungsmanuskripts von 1905. – Anm. d. Hrsg.
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genommenen“, und die vorübergegangenen Töne und nennen sie „nicht wahrgenommen“. Andererseits nennen wir die ganze Melodie eine wahrgenommene, obschon doch nur der Jetztpunkt ein wahrgenommener ist. Wir verfahren so, weil die Extension der Melodie in einer Extension des Wahrnehmens nicht nur Punkt für Punkt gegeben ist, sondern die Einheit des retentionalen Bewußtseins die abgelaufenen Töne noch selbst im Bewußtsein „festhält“ und fortlaufend die Einheit des auf das einheitliche Zeitobjekt, auf die Melodie bezogenen Bewußtseins herstellt. Eine Objektivität derart wie eine Melodie kann nicht anders als in dieser Form „wahrgenommen“, originär selbst gegeben sein. Der konstituierte, aus Jetztbewußtsein und retentionalem Bewußtsein gebaute Akt1 ist adäquate Wahrnehmung des Zeitobjekts. Dieses will ja zeitliche Unterschiede einschließen, und zeitliche Unterschiede konstituieren sich eben in solchen Akten, in Urbewußtsein, Retention und Protention. Ist die meinende Intention auf die Melodie, auf das ganze Objekt gerichtet, so haben wir nichts als Wahrnehmung. Richtet sie sich aber auf den einzelnen Ton für sich oder einen Takt für sich, so haben wir Wahrnehmung, solange eben dies Gemeinte wahrgenommen ist, und bloße Retention, sobald es vergangen ist. In objektiver Hinsicht erscheint der Takt dann nicht mehr als „gegenwärtig“, sondern 〈 als 〉 „vergangen“. Die ganze Melodie aber erscheint als gegenwärtig, solange sie noch erklingt, solange noch zu ihr gehörige, | in einem Auffassungszusammenhang gemeinte Töne erklingen. Vergangen ist sie erst, nachdem der letzte Ton dahin ist. Diese Relativierung überträgt sich, wie wir nach den früheren Ausführungen sagen müssen, auf die einzelnen Töne. Jeder konstituiert sich in einer Kontinuität von Ton-Daten, und nur eine punktuelle Phase ist jeweils als jetzt gegenwärtig, während die anderen sich als retentionaler Schweif anschließen. Wir können aber sagen: ein Zeitobjekt ist wahrgenommen (bzw. impressional bewußt), solange es noch in stetig neu auftretenden Urimpressionen sich erzeugt. 1
Über Akte als konstituierte Einheiten im ursprünglichen Zeitbewußtsein vgl. § 37, S. 75 f.
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Wir haben sodann die Vergangenheit selbst als wahrgenommen bezeichnet. In der Tat, nehmen wir nicht das Vergehen wahr, sind wir in den beschriebenen Fällen nicht direkt des Ebengewesenseins, des „soeben vergangen“ in seiner Selbstgegebenheit, in der Weise des Selbstgegebenseins bewußt? Offenbar deckt sich der hier obwaltende Sinn von „Wahrnehmung“ nicht mit dem früheren. Es bedarf weiterer Scheidungen. Wenn wir in der Erfassung eines Zeitobjektes wahrnehmendes und erinnerndes (retentionales) Bewußtsein unterscheiden, so entspricht dem Gegensatz von Wahrnehmung und primärer Erinnerung der Gegensatz am Objekt zwischen „jetzt gegenwärtig“ und „vergangen“. Zeitobjekte, das gehört zu ihrem Wesen, breiten ihre Materie über eine Zeitstrecke aus, und solche Objekte können sich nur konstituieren in Akten, die eben die Unterschiede der Zeit konstituieren. Zeitkonstituierende Akte sind aber Akte – und zwar wesensmäßig –, die Gegenwart und Vergangenheit konstituieren, sie haben den Typus jener „Zeitobjekt-Wahrnehmungen“, die wir nach ihrer merkwürdigen Auffassungskonstitution ausführlich beschrieben haben. Zeitobjekte müssen sich so konstituieren. Das besagt: Ein Akt, der den Anspruch erhebt, ein Zeitobjekt selbst zu geben, muß in sich „Jetztauffassungen“, „Vergangenheitsauffassungen“ usw. enthalten, und zwar in der Weise ursprünglich konstituierender. Beziehen wir nun die Rede von Wahrnehmung auf die Gegebenheitsunterschiede, mit denen Zeitobjekte auftreten, dann ist der Gegensatz von Wahrnehmung die hier auftretende primäre Erinnerung und primäre Erwartung (Retention und Protention), wobei Wahrnehmung und Nicht-Wahrnehmung kontinuierlich ineinander übergehen. In dem Bewußtsein direkt anschauender Er | fassung eines Zeitobjektes, z. B. einer Melodie, ist wahrgenommen der jetzt gehörte Takt oder Ton oder Tonteil, und nicht wahrgenommen das momentan als vergangen Angeschaute. Die Auffassungen gehen hier kontinuierlich ineinander über, sie terminieren in einer Auffassung, die das Jetzt konstituiert, die aber nur eine ideale Grenze ist. Es ist ein Steigerungskontinuum gegen eine ideale Grenze hin; ähnlich wie das Kontinuum der Rot-Spezies gegen ein ideales reines
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Rot konvergiert. Wir haben in unserem Falle aber nicht einzelne Auffassungen, den einzelnen Rotnuancen entsprechend, die ja für sich gegeben sein können, sondern wir haben immer nur und können dem Wesen der Sache gemäß nur haben Kontinuitäten von Auffassungen oder vielmehr ein einziges Kontinuum, das stetig sich modifiziert. Teilen wir dieses Kontinuum irgendwie in zwei angrenzende Teile, so ist derjenige, der das Jetzt einschließt bzw. es zu konstituieren befähigt ist, ausgezeichnet und konstituiert das „grobe“ Jetzt, das sofort wieder in ein feineres Jetzt und in ein Vergangen zerfällt, sowie wir es weiter teilen usw. Wahrnehmung ist hier also ein Aktcharakter, der eine Kontinuität von Aktcharakteren zusammenschließt und durch den Besitz jener idealen Grenze ausgezeichnet ist. Eine ebensolche Kontinuität ohne diese ideale Grenze ist bloße Erinnerung. Im idealen Sinne wäre dann Wahrnehmung (Impression) die Bewußtseinsphase, die das reine Jetzt konstituiert, und Erinnerung jede andere Phase der Kontinuität. Aber das ist eben nur eine ideale Grenze, etwas Abstraktes, das nichts für sich sein kann. Zudem bleibt es dabei, daß auch dieses ideale Jetzt nicht etwas toto coelo Verschiedenes ist vom Nicht-Jetzt, sondern kontinuierlich sich damit vermittelt. Und dem entspricht der kontinuierliche Übergang von Wahrnehmung in primäre Erinnerung.
§ 17 Wahrnehmung als selbstgebender Akt im Gegensatz zur Reproduktion
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Der Wahrnehmung oder Selbstgebung der Gegenwart, die ihr Korrelat hat im gegebenen Vergangenen, tritt nun ein anderer Gegensatz gegenüber, der von Wahrnehmung und Wiedererinnerung, sekundärer Erinnerung. In der Wiedererinnerung „erscheint“ uns ein Jetzt, aber es „erscheint“ in einem ganz | anderen Sinne, als in dem das Jetzt in der Wahrnehmung erscheint.1 Dieses Jetzt ist nicht „wahrgenommen“, d. h. selbst 1
Vgl. Beilage II: Vergegenwärtigung und Phantasie. – Impression und Imagination, S. 101 ff.
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gegeben, sondern vergegenwärtigt. Es stellt ein Jetzt vor, das nicht gegeben ist. Und ebenso stellt der Ablauf der Melodie in der Wiedererinnerung ein „soeben vergangen“ vor, gibt es aber nicht. Auch in bloßer Phantasie ist jedes Individuelle ein zeitlich irgendwie Extendiertes, hat sein Jetzt, sein Vorher und Nachher, aber das Jetzt, das Vorher und Nachher ist ein bloß eingebildetes, wie das ganze Objekt. Hier steht also ein ganz anderer Wahrnehmungsbegriff in Frage. Wahrnehmung ist hier der Akt, der etwas als es selbst vor Augen stellt, der Akt, der das Objekt ursprünglich konstituiert. Das Gegenteil ist Vergegenwärtigung, Re-Präsentation, als der Akt, der ein Objekt nicht selbst vor Augen stellt, sondern eben vergegenwärtigt, gleichsam im Bilde vor Augen stellt, wenn auch nicht gerade in der Weise eines eigentlichen Bildbewußtseins. Hier ist von einer kontinuierlichen Vermittlung der Wahrnehmung mit ihrem Gegenteil gar keine Rede. Vorhin war das Vergangenheitsbewußtsein, nämlich das primäre, keine Wahrnehmung, weil Wahrnehmung als der das Jetzt originär konstituierende Akt genommen war. Das Vergangenheitsbewußtsein konstituiert aber nicht ein Jetzt, vielmehr ein „soeben gewesen“, ein dem Jetzt intuitiv Vorangegangenes. Nennen wir aber Wahrnehmung den Akt, in dem aller „Ursprung“ liegt, der originär konstituiert, so ist die primäre Erinnerung Wahrnehmung. Denn nur in der primären Erinnerung sehen wir Vergangenes, nur in ihr konstituiert sich Vergangenheit, und zwar nicht repräsentativ, sondern präsentativ. Das Soeben-gewesen, das Vorher im Gegensatz zum Jetzt, kann nur in der primären Erinnerung direkt erschaut werden; es ist ihr Wesen, dieses Neue und Eigentümliche zur primären, direkten Anschauung zu bringen, genau so wie es das Wesen der Jetztwahrnehmung ist, das Jetzt direkt zur Anschauung zu bringen. Wiedererinnerung hingegen wie Phantasie bietet uns bloß Vergegenwärtigung, sie ist gleichsam dasselbe Bewußtsein wie der zeitschaffende Jetztakt und Vergangenheitsakt, gleichsam dasselbe, aber | doch modifiziert. Das phantasierte Jetzt stellt ein Jetzt vor, gibt aber nicht selbst ein Jetzt, das phantasierte Vorher und Nachher stellt ein Vorher und Nachher nur vor usw.
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§ 18 Die Bedeutung der Wiedererinnerung für die Konstitution des Bewußtseins von Dauer und Folge1
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Etwas anders stellt sich die konstitutive Bedeutung von primärer und sekundärer Erinnerung dar, wenn wir statt der Gegebenheit dauernder Gegenständlichkeiten die Gegebenheit der Dauer und Folge selbst ins Auge fassen. Nehmen wir an, A trete als Urimpression auf und dauere eine Weile fort und in eins mit der Retention von A gewisser Entwicklungsstufe trete B auf und konstituiere sich als dauerndes B. Dabei ist das Bewußtsein während dieses ganzen „Prozesses“ Bewußtsein desselben „in die Vergangenheit rückenden“ A, desselben im Fluß dieser Gegebenheitsweisen und desselben nach seiner zu seinem Seinsgehalt gehörenden Seinsform „Dauer“, nach allen Punkten dieser Dauer. Dasselbe gilt von B und dem Abstand der beiden Dauern bzw. ihrer Zeitpunkte. Dazu tritt aber hier etwas Neues: B folgt auf A, es ist eine Folge zweier dauernder Daten gegeben mit einer bestimmten Zeitform, einer Zeitstrecke, die das Nacheinander umspannt. Das Sukzessionsbewußtsein ist ein originär gebendes Bewußtsein, es ist „Wahrnehmung“ von diesem Nacheinander. Wir betrachten nun die reproduktive Modifikation dieser Wahrnehmung, und zwar die Wiedererinnerung. Ich „wiederhole“ das Bewußtsein dieser Sukzession, ich vergegenwärtige sie mir erinnernd. Das „kann“ ich, und zwar „beliebig oft“. A priori liegt Vergegenwärtigung eines Erlebnisses im Bereich meiner „Freiheit“. (Das „ich kann“ ist ein praktisches „ich kann“, und nicht eine „bloße Vorstellung“.) Wie sieht nun die Vergegenwärtigung der Erlebnisfolge aus, und was gehört zu ihrem Wesen? Man wird zunächst sagen: ich vergegenwärtige mir erst A und dann B; hatte ich ursprünglich A – B, so habe ich jetzt (wenn der Index Erinnerung besagt) A' – B'. Aber das ist unzureichend, | denn es hieße, daß ich jetzt eine 1
Der Text von § 18 fußt – wie der des Schlußabsatzes von § 14 und der von § 15 – wahrscheinlich auf dem einer Aufzeichnung „über Apriori der Erinnerung bzw. des Bewußtseins der Sukzession aus 1917“. – Anm. d. Hrsg.
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Erinnerung A' habe und „nachher“ eine Erinnerung B', und zwar im Bewußtsein einer Folge dieser Erinnerungen. Aber dann hätte ich eine „Wahrnehmung“ der Folge dieser Erinnerungen, und kein Erinnerungsbewußtsein davon. Ich muß es also darstellen durch (A – B)'. Dieses Bewußtsein schließt in der Tat ein A', B', aber auch ein –' ein. Freilich ist die Folge nicht ein drittes Stück, als ob die Schreibweise der Zeichen nacheinander die Folge bezeichnete. Immerhin kann ich das Gesetz hinschreiben: (A – B)' = A' – ' B'
in dem Sinne: es ist ein Bewußtsein der Erinnerung an A und an B vorhanden, aber auch ein modifiziertes Bewußtsein des „es folgt auf A das B“. Fragen wir nun nach dem originär gebenden Bewußtsein für eine Folge dauernder Gegenständlichkeiten – und schon der Dauer selbst –, so finden wir, daß Retention und Wiedererinnerung notwendig dazu gehören. Die Retention konstituiert den lebendigen Horizont des Jetzt, ich habe in ihr ein Bewußtsein des „soeben vergangen“, aber originär konstituiert sich dabei – etwa im Festhalten des soeben gehörten Tones – nur die Zurückschiebung der Jetztphase bzw. der fertig konstituierten und in dieser Fertigkeit sich nicht mehr konstituierenden und nicht mehr wahrgenommenen Dauer. In „Deckung“ mit diesem sich zurückschiebenden „Resultat“ kann ich aber eine Wiedererzeugung vornehmen. Dann ist mir die Vergangenheit der Dauer gegeben, eben als „Wiedergegebenheit“ der Dauer schlechthin gegeben. Und es ist zu beachten: Nur vergangene Dauern kann ich in wiederholenden Akten „originär“ anschauen, wirklich anschauen, identifizieren und als identisches Objekt vieler Akte gegenständlich haben. Die Gegenwart kann ich nachleben, aber sie kann nicht wiedergegeben sein. Wenn ich, wie ich jederzeit kann, auf eine und dieselbe Sukzession zurückkomme und sie als dasselbe Zeitobjekt identifiziere, so vollziehe ich eine Sukzession von wiedererinnernden Erlebnissen in der Einheit eines übergreifenden Sukzessionsbewußtseins, also (A – B) – (A – B)' – (A – B)" …
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Die Frage ist: wie sieht dieses Identifizieren aus? Zunächst ist die Folge eine Folge von Erlebnissen: das erste die originäre Kon | stitution einer Folge von A – B, das zweite die Erinnerung an diese Folge, dann noch einmal dieselbe usw. Die Gesamtfolge ist originär gegeben als Präsenz. Von dieser Folge kann ich abermals eine Erinnerung haben, von einer solchen Wiedererinnerung abermals eine solche in infinitum. Wesensgesetzlich ist nicht nur jede Erinnerung iterierbar in dem Sinne, daß beliebig hohe Stufen Möglichkeiten sind, sondern es ist das auch eine Sphäre des „ich kann“. Prinzipiell ist jede Stufe eine Tätigkeit der Freiheit (was Hemmnisse nicht ausschließt). Wie sieht die erste Wiedererinnerung jener Sukzession aus? [(A – B) – (A – B)']'.
Dann kann ich nach dem früheren Gesetz ableiten, daß darin steckt (A – B)' und [(A – B)']', also eine Erinnerung zweiter Stufe, und zwar im Nacheinander; und natürlich auch die Erinnerung an die Folge (– '). Wiederhole ich noch einmal, so habe ich noch höhere Erinnerungsmodifikationen und zugleich das Bewußtsein, daß ich mehrmals nacheinander eine wiederholende Vergegenwärtigung vollzogen habe. Dergleichen kommt sehr gewöhnlich vor. Ich klopfe zweimal auf den Tisch, ich vergegenwärtige mir das Nacheinander, dann achte ich darauf, daß ich zuerst die Folge wahrnehmungsmäßig gegeben hatte und dann mich erinnert habe; dann achte ich darauf, daß ich eben dieses Achten vollzogen hatte, und zwar als drittes Glied einer Reihe, die ich mir wiederholen kann usw. Das alles ist besonders in der phänomenologischen Arbeitsmethode sehr gewöhnlich. In der Folge gleicher (inhaltsidentischer) Objekte, die nur in der Sukzession und nicht als Koexistenz gegeben sind, haben wir nun eine eigentümliche Deckung in der Einheit eines Bewußtseins: eine sukzessive Deckung. Natürlich uneigentlich gesprochen, denn sie sind ja auseinandergelegt, sind als Folge bewußt, getrennt durch eine Zeitstrecke. Und doch: haben wir im Nacheinander ungleiche Objekte mit gleichen abgehobenen Momenten, so laufen gewissermaßen „Gleichheitslinien“ von einem zum anderen, und bei Ähnlich-
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keit Ähnlichkeitslinien. Wir haben hier eine Aufeinanderbezogenheit, die nicht in beziehendem Betrachten konstituiert ist, die vor aller „Vergleichung“ und allem „Denken“ liegt als Voraussetzung der Gleichheitsanschauung und Differenzanschauung. | Eigentlich „vergleichbar“ ist nur das Ähnliche, und „Unterschied“ setzt „Deckung“ voraus, d. i. jene eigentliche Einigung des im Übergang (oder in der Koexistenz) verbundenen Gleichen.
§ 19 Der Unterschied von Retention und Reproduktion (primärer und sekundärer Erinnerung bzw. Phantasie) 1
Nunmehr ist unsere Stellungnahme zur Lehre Brentanos, daß der Ursprung der Zeitauffassung im Gebiete der Phantasie liege, endgültig entschieden. Phantasie ist das als Vergegenwärtigung (Reproduktion) charakterisierte Bewußtsein. Es gibt nun zwar vergegenwärtigte Zeit, aber diese weist notwendig zurück auf ursprünglich gegebene, nicht phantasierte, sondern präsentierte. Vergegenwärtigung ist das Gegenteil von ursprünglich gebendem Akt, keine Vorstellung kann ihr „entspringen“. D. h. Phantasie ist kein Bewußtsein, das irgendeine Objektivität oder einen wesentlichen und möglichen Zug in einer Objektivität als selbst gegeben hinstellen kann. Nicht selbst zu geben, ist ja gerade das Wesen der Phantasie. Selbst der Begriff der Phantasie entspringt nicht der Phantasie. Denn wollen wir originär gegeben haben, was Phantasie ist, so müssen wir zwar Phantasien bilden, aber dieses selbst besagt noch nicht das Gegebensein. Wir müssen natürlich das Pantasieren betrachten, es wahrnehmen: die Wahrnehmung der Phantasie ist das ursprünglich gebende Bewußtsein für die Bildung des Begriffes Phantasie, in dieser Wahrnehmung erschauen wir, was Phantasie ist, wir erfassen sie im Bewußtsein der Selbstgegebenheit. 1
Der Text von § 19 fußt auf dem der Blätter „42“–„44“ des Vorlesungsmanuskripts von 1905. – Anm. d. Hrsg.
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Daß zwischen der wiedervergegenwärtigenden Erinnerung und der primären Erinnerung, welche das Jetztbewußtsein extendiert, ein gewaltiger phänomenologischer Unterschied besteht, das zeigt ein aufmerksamer Vergleich der beiderseitigen Erlebnisse. Wir hören etwa zwei oder drei Töne und haben während der zeitlichen Extension des Aktes ein Bewußtsein von dem eben gehörten Ton. Evidentermaßen ist dieses Bewußtsein im Wesen dasselbe, ob aus der tonalen Gestalt, die die Einheit eines Zeitobjektes bildet, noch ein Glied wirklich als jetzt wahrgenommen wird, oder ob das nicht mehr statthat, sondern das Gebilde nur | noch retentional bewußt ist. Nehmen wir nun an, es werde vielleicht, während die kontinuierliche Intention auf den eben gehörten Ton oder tonalen Verlauf lebendig ist, dieser selbe noch einmal reproduziert. Den Takt, den ich eben noch gehört habe und auf den meine Aufmerksamkeit noch gerichtet ist, vergegenwärtige ich mir, indem ich ihn innerlich noch einmal nachvollziehe. Der Unterschied springt in die Augen. In der Vergegenwärtigung haben wir nun den Ton oder die Tongestalt mitsamt ihrer ganzen zeitlichen Extension noch einmal. Der vergegenwärtigende Akt ist zeitlich genau so extendiert wie der frühere Wahrnehmungsakt, er reproduziert ihn, er läßt Tonphase für Tonphase und Intervall für Intervall ablaufen, er reproduziert dabei auch die Phase der primären Erinnerung, die wir für den Vergleich ausgewählt hatten. Dabei ist er nicht eine bloße Wiederholung, und der Unterschied besteht nicht etwa bloß darin, daß wir einmal eine schlichte Reproduktion haben und das andere Mal eine Reproduktion von einer Reproduktion. Wir finden vielmehr radikale Unterschiede im Gehalt. Sie treten hervor, wenn wir etwa fragen, was den Unterschied zwischen dem Erklingen des Tones in der Vergegenwärtigung ausmacht und dem nachbleibenden Bewußtsein, das wir von ihm doch auch in der Phantasie zurückbehalten. Der reproduzierte Ton während des „Erklingens“ ist Reproduktion vom Erklingen. Das nachbleibende Bewußtsein nach dem reproduzierten Erklingen ist nicht mehr Reproduktion des Erklingens, sondern des eben gewesenen, eben noch gehörten Erklingens, und dieses stellt sich in ganz anderer Weise dar als das Erklingen selbst.
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Es bleiben die Phantasmen, welche die Töne darstellen, nicht etwa im Bewußtsein stehen, als ob nun in der Vergegenwärtigung jeder Ton als ein identisch verharrendes Datum kontinuiert wäre. Sonst könnte es ja gar nicht zu einer anschaulichen Zeitvorstellung, der Vorstellung eines Zeitobjektes in der Vergegenwärtigung kommen. Der reproduzierte Ton vergeht, sein Phantasma bleibt nicht identisch stehen und erfährt fortgesetzt seine Auffassung, sondern er modifiziert sich in eigentümlicher Weise und begründet das vergegenwärtigende Bewußtsein von Dauer, Veränderung Aufeinanderfolge usw. Die Modifikation des Bewußtseins, die ein originäres Jetzt in ein reproduziertes verwandelt, ist etwas ganz anderes als | diejenige Modifikation, welche sei es das originäre, sei es das reproduzierte Jetzt verwandelt in das Vergangen. Diese letztere Modifikation hat den Charakter einer stetigen Abschattung; wie das Jetzt sich stetig abstuft in das Vergangen und Weitervergangen, so stuft sich auch das intuitive Zeitbewußtsein stetig ab. Dagegen ist von einem stetigen Übergang von Wahrnehmung in Phantasie, von Impression in Reproduktion keine Rede. Der letztere Unterschied ist ein diskreter. Wir müssen daher sagen: das, was wir originäres Bewußtsein, Impression oder auch Wahrnehmung nennen, das ist ein sich stetig abstufender Akt. Jede konkrete Wahrnehmung impliziert ein ganzes Kontinuum solcher Abstufungen. Genau dieselben Abstufungen verlangt aber auch die Reproduktion, das Phantasiebewußtsein, nur eben reproduktiv modifiziert. Beiderseits gehört es zum Wesen der Erlebnisse, daß sie in dieser Weise extendiert sein müssen, daß eine punktuelle Phase niemals für sich sein kann. Natürlich betrifft diese Abstufung des originär wie des reproduktiv Gegebenen (wie wir bereits früher sahen) schon die Auffassungsinhalte. Die Wahrnehmung baut sich auf Empfindung auf. Die Empfindung, welche für den Gegenstand präsentativ fungiert, bildet ein stetiges Kontinuum, und ebenso bildet das Phantasma für die Repräsentation eines Phantasieobjekts ein Kontinuum. Wer einen wesentlichen Unterschied zwischen Empfindungen und Phantasmen annimmt, darf natürlich die Auffassungsinhalte für die eben vergangenen Zeitphasen nicht
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als Phantasmen ansprechen, denn diese gehen ja kontinuierlich in die Auffassungsinhalte des Jetztmomentes über.
§ 20 Die „Freiheit“ der Reproduktion1
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Im originären und im reproduzierten Ablauf des „Zurücksinkens“ treten bemerkenswerte Verschiedenheiten auf. Das originäre Erscheinen und Abfließen der Ablaufsmodi im Erscheinen ist etwas Festes, etwas durch „Affektion“ Bewußtes, auf das wir | nur hinsehen können (wenn wir überhaupt die Spontaneität des Zusehens vollziehen). Dagegen das Vergegenwärtigen ist etwas Freies, es ist ein freies Durchlaufen, wir können die Vergegenwärtigung „schneller“ oder „langsamer“, deutlicher und expliziter oder verworrener, blitzschnell in einem Zuge oder in artikulierten Schritten usw. vollziehen. Die Vergegenwärtigung ist dabei selbst ein Ereignis des inneren Bewußtseins und hat als solches ihr aktuelles Jetzt, ihre Ablaufsmodi usw. Und in derselben immanenten Zeitstrecke, in der sie wirklich erfolgt, können wir „in Freiheit“ größere und kleinere Stücke des vergegenwärtigten Vorgangs mit seinen Ablaufsmodi unterbringen und somit ihn schneller oder langsamer durchlaufen. Dabei bleiben die relativen Ablaufsmodi (unter der Voraussetzung der fortgesetzten identifizierenden Deckung) der vergegenwärtigten Punkte der Zeitstrecke unverändert. Ich vergegenwärtige immerfort dasselbe, immer dieselbe Kontinuität der Ablaufsmodi der Zeitstrecke, immer sie selbst im Wie. Aber wenn ich so immer wieder zu demselben Anfangspunkt zurückkehre und zu derselben Folge von Zeitpunkten, so sinkt doch derselbe Anfangspunkt selbst immer weiter und stetig zurück.
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Der Text von § 20 fußt auf dem des letzten Blattes der Aufzeichnung vom 10. bis 13. November 1911, auf die auch der Text von §§ 8–10 zurückgeht und die unten in den Ergänzenden Texten, Nr. 53, in ihrer ursprünglichen Form vollständig wiedergegeben ist; vgl. insbes. S. 368. – Anm. d. Hrsg.
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§ 21 Klarheitsstufen der Reproduktion1
Dabei schwebt das Vergegenwärtigte in mehr oder minder klarer Weise vor, und die verschiedenen Modi dieser Unklarheit beziehen sich auf das Ganze, das vergegenwärtigt ist, und seine Bewußtseinsmodi. Auch bei der originären Gegebenheit eines Zeitobjektes fanden wir, daß er zuerst lebendig, klar erscheint, dann mit abnehmender Klarheit ins Leere übergeht. Diese Modifikationen gehören zum Fluß. Aber während dieselben Modifikationen eben in der Vergegenwärtigung des Flusses auftreten, treten uns da noch andere „Unklarheiten“ entgegen, nämlich schon das „Klare“ (im ersten Sinn) steht wie durch einen Schleier gesehen, unklar da, und zwar mehr oder minder unklar usw. Also die einen und anderen Unklarheiten sind nicht zu verwechseln. Die spezifischen Modi der Lebendigkeit und Unleben | digkeit, der Klarheit und Unklarheit der Vergegenwärtigung gehören nicht zum Vergegenwärtigten, oder zu ihm nur vermöge des Wie der Vergegenwärtigung, sie gehören zum aktuellen Erlebnis der Vergegenwärtigung.
§ 22 Evidenz der Reproduktion2
Ein bemerkenswerter Unterschied besteht auch hinsichtlich der Evidenz der primären und sekundären Erinnerung3. Was ich retentional bewußt habe, so sahen wir, das ist absolut gewiß. Wie steht es nun mit der ferneren Vergangenheit? Erinnere ich mich an etwas, was ich gestern erfahren habe, so reproduziere ich den gestern erfahrenen Vorgang, ev. nach allen 1
Der Text von § 21 fußt – wie der von § 14 (Schlußabsatz), § 15 und § 18 – wahrscheinlich auf dem einer Aufzeichnung „über Apriori der Erinnerung bzw. des Bewußtseins der Sukzession aus 1917“. – Anm. d. Hrsg. 2 Der Text von § 22 fußt auf dem eines vermutlich vor 1901 geschriebenen Blattes, dessen Aufzeichnung unten in den Ergänzenden Texten, Nr. 2, in seiner ursprünglichen Form vollständig wiedergegeben ist; vgl. S. 152–154. – Anm. d. Hrsg. 3 Vgl. S. 33 ff.
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Schritten der Sukzession. Während ich das tue, habe ich das Bewußtsein einer Folge: eins wird zuerst reproduziert, dann in der bestimmten Folge das zweite usw. Aber abgesehen von dieser Folge, die der Reproduktion als gegenwärtigem Erlebnisverlauf evidentermaßen zukommt, bringt sie einen vergangenen zeitlichen Verlauf zur Darstellung. Und es ist wohl möglich, daß nicht nur die einzelnen Schritte des erinnerungsmäßig gegenwärtigen Vorgangs von denen des vergangenen abweichen (daß diese nicht so erfolgt sind, wie sie jetzt vergegenwärtigt werden), sondern auch, daß die wirkliche Reihenfolge eine andere war, als die erinnernde Reihenfolge es eben meint. Hier sind also Irrtümer möglich, und zwar Irrtümer, die der Reproduktion als solcher entspringen und nicht zu verwechseln sind mit den Irrtümern, denen auch die Wahrnehmung von Zeitobjekten (von transzendenten nämlich) unterworfen ist. Daß und in welchem Sinne dies der Fall ist, wurde auch bereits erwähnt: Wenn ich eine zeitliche Folge originär bewußt habe, so ist es zweifellos, daß zeitliche Folge stattgehabt hat und statthat. Aber es ist nicht gesagt, daß ein – objektives – Ereignis wirklich in dem Sinne statthat, in dem ich es auffasse. Die einzelnen Auffassungen können falsche sein, solche, denen keine Wirklichkeit entspricht. | Und bleibt nun in der zeitlichen Zurückgeschobenheit die gegenständliche Intention des Aufgefaßten (nach seinem konstituierenden Gehalt und nach seinem Verhältnis zu anderen Gegenständen) erhalten, so durchzieht der Irrtum die ganze zeitliche Auffassung des erscheinenden Vorgangs. Beschränken wir uns aber auf die Folge von darstellenden „Inhalten“ oder auch von „Erscheinungen“, so bleibt eine zweifellose Wahrheit bestehen: es ist ein Vorgang zur Gegebenheit gekommen, und diese Folge von Erscheinungen hat stattgefunden, wenn auch vielleicht nicht die Folge von Ereignissen, die mir da erschienen. Es ist nun die Frage, ob diese Evidenz des Zeitbewußtseins sich in der Reproduktion erhalten kann. Es ist dies nur möglich vermittelst einer Deckung des reproduktiven mit einem retentionalen Verlauf. Wenn ich eine Folge von zwei Tönen c, d habe, so kann ich, während noch die frische Erinnerung besteht, diese Folge wiederholen, und zwar in gewisser Bezie-
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hung adäquat wiederholen. Ich wiederhole innerlich c, d mit dem Bewußtsein, es hat zuerst c und dann d stattgefunden. Und während dies „noch lebendig“ ist, kann ich wieder so verfahren usw. Sicherlich kann ich auf diese Weise über das ursprüngliche Gebiet der Evidenz hinauskommen. Zugleich sehen wir hier die Art, wie sich Wiedererinnerungen erfüllen. Wenn ich wiederhole c, d, so findet diese reproduktive Vorstellung der Sukzession ihre Erfüllung in der noch eben lebendigen früheren Sukzession.1
§ 23 Deckung des reproduzierten Jetzt mit einem Vergangen. Unterscheidung von Phantasie und Wiedererinnerung2
Nachdem wir das reproduktive Bewußtsein von Vergangenem abgehoben haben gegen das originäre, ergibt sich ein weiteres Problem. Wenn ich eine gehörte Melodie reproduziere, so ver | gegenwärtigt das phänomenale Jetzt der Wiedererinnerung ein Vergangen: In der Phantasie, in der Wiedererinnerung erklingt jetzt ein Ton. Er reproduziert etwa den ersten Ton der Melodie, die gewesene Melodie ist. Das mit dem zweiten Ton gegebene Vergangenheitsbewußtsein repräsentiert das „soeben vergangen“, das früher originär gegeben war, also ein vergangenes „soeben vergangen“. Wie kommt nun das reproduzierte Jetzt dazu, ein Vergangen zu repräsentieren? Unmittelbar stellt doch ein reproduziertes Jetzt eben ein Jetzt vor. Wie kommt die Beziehung auf ein Vergangenes hinein, das doch originär nur gegeben sein kann in der Form des „soeben vergangen“? 1
Man kann es auch umgekehrt nehmen, indem die Reproduktion die bloß retentional bewußte Folge anschaulich macht. 2 Der Text der ersten Hälfte von § 23 (bis S. 51) fußt auf dem des Blattes „44“ des Vorlesungsmanuskripts von 1905. Der Text der zweiten Hälfte des Paragraphen fußt auf dem eines Blattes einer vermutlich zwischen 1907 und 1909 entstandenen Aufzeichnung, die in den Ergänzenden Texten, Nr. 45, in ihrer ursprünglichen Form vollständig wiedergegeben ist; vgl. insbes. S. 299 f. – Anm. d. Hrsg.
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Für diese Frage ist es nötig, eine Scheidung vorzunehmen, die wir bisher nur berührt haben, nämlich zwischen bloßer Phantasie von einem zeitlich extendierten Objekt und Wiedererinnerung. In der bloßen Phantasie ist keine Setzung des reproduzierten Jetzt und keine Deckung desselben mit einem vergangenen gegeben. Die Wiedererinnerung dagegen setzt das Reproduzierte und gibt ihm in dieser Setzung Stellung zum aktuellen Jetzt und zur Sphäre des originären Zeitfeldes, dem die Wiedererinnerung selbst angehört.1 Nur im originären Zeitbewußtsein kann sich die Beziehung zwischen einem reproduzierten Jetzt und einem Vergangen vollziehen. Der Vergegenwärtigungsfluß ist ein Fluß von Erlebnisphasen, der genau so wie jeder zeitkonstituierende Fluß gebaut, also selbst ein zeitkonstituierender ist. All die Abschattungen, Modifikationen, die die Zeitform konstituieren, finden sich hier, und genau so, wie sich im Fluß der Tonphasen der immanente Ton konstituiert, so konstituiert sich im Fluß der Ton-Vergegenwärtigungsphasen die Einheit der Ton-Vergegenwärtigung. Es gilt eben allgemein, daß wir von allem im weitesten Sinne Erscheinenden, Vorgestellten, Gedachten usw. zurückgeführt werden in der phänomenologischen Reflexion auf einen Fluß von konstituierenden Phasen, die eine immanente Objektivation erfahren: eben die zu Wahrnehmungserscheinungen (äußeren Wahrnehmungen), Erinnerungen, Erwartungen, Wünschen usw., als Einheiten des inneren Bewußtseins. Also auch die Vergegenwärtigungen jeder Art als Erlebnisabflüsse von der universellen zeitkonstituierenden Gestaltung konstituieren ein | immanentes Objekt: „dauernder, so und so abfließender Vorgang der Vergegenwärtigung“. Andererseits haben aber die Vergegenwärtigungen das Eigene, daß sie in sich selbst und nach allen Erlebnisphasen Vergegenwärtigungen von … in einem anderen Sinne sind, daß sie eine zweite, andersartige Intentionalität haben, eine solche, die ihnen allein und nicht allen Erlebnissen eigen ist. Diese neue Intentionalität hat nun aber die Eigentümlichkeit, daß 1
Vgl. Beilage III : Die Zusammenhangsintentionen von Erinnerung und Wahrnehmung. – Die Modi des Zeitbewußtseins, S. 103 ff.
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sie der Form nach ein Gegenbild der zeitkonstituierenden Intentionalität ist, und wie sie in jedem Elemente ein Moment eines Gegenwärtigungsflusses und im Ganzen einen ganzen Gegenwärtigungsfluß reproduziert, so stellt sie ein reproduktives Bewußtsein von einem vergegenwärtigten immanenten Objekt her. Sie konstituiert also ein Doppeltes: einmal durch ihre Form des Erlebnisflusses die Vergegenwärtigung als immanente Einheit; dadurch sodann, daß die Erlebnismomente dieses Flusses reproduktive Modifikationen von Momenten eines parallelen Flusses sind (der im gewöhnlichen Fall aus nicht reproduktiven Momenten besteht), und dadurch, daß diese reproduktiven Modifikationen eine Intentionalität bedeuten, schließt sich der Fluß zusammen zu einem konstituierenden Ganzen, in dem eine intentionale Einheit bewußt ist: die Einheit des Erinnerten.
§ 24 Protentionen in der Wiedererinnerung1
Um nun die Einordnung dieser konstituierten Erlebniseinheit „Erinnerung“ in den einheitlichen Erlebnisstrom zu verstehen, ist folgendes mit in Rechnung zu ziehen: jede Erinnerung enthält Erwartungsintentionen, deren Erfüllung zur Gegenwart führt. Jeder ursprünglich konstituierende Prozeß ist beseelt von Protentionen, die das Kommende als solches leer konstituieren und auffangen, zur Erfüllung bringen. Aber: der wiedererinnernde Prozeß erneuert erinnerungsmäßig nicht nur diese Protentionen. Sie waren nicht nur auffangend da, sie haben auch aufgefangen, sie haben sich erfüllt, und dessen sind wir uns in der Wiedererinnerung bewußt. Die Erfüllung im wiedererinnern | den Bewußtsein ist Wieder-Erfüllung (eben in der Modifikation der Erinnerungssetzung), und wenn die ursprüngliche Protention der Ereigniswahrnehmung unbestimmt war und das Anderssein oder Nichtsein offen ließ, 1
Der Text von § 24 fußt auf dem eines Blattes, das Husserl 1917 eigens zum Zweck der Ergänzung der von Edith Stein hergestellten Ausarbeitung niedergeschrieben hat. – Anm. d. Hrsg.
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so haben wir in der Wiedererinnerung eine vorgerichtete Erwartung, die all das nicht offen läßt, es sei denn in Form „unvollkommener“ Wiedererinnerung, die eine andere Struktur hat als die unbestimmte ursprüngliche Protention. Und doch ist auch diese in der Wiedererinnerung beschlossen. Es bestehen hier also Schwierigkeiten der intentionalen Analyse schon für das einzeln betrachtete Ereignis und dann in neuer Weise für die Erwartungen, die die Aufeinanderfolge der Ereignisse bis zur Gegenwart angehen: Die Wiedererinnerung ist nicht Erwartung, sie hat aber einen auf die Zukunft, und zwar auf die Zukunft des Wiedererinnerten gerichteten Horizont, der gesetzter Horizont ist. Dieser Horizont wird im Fortschreiten des wiedererinnernden Prozesses immer neu eröffnet und lebendiger, reicher. Und dabei erfüllt sich dieser Horizont mit immer neuen wiedererinnerten Ereignissen. Die vordem nur vorgedeutet waren, sind nun quasi-gegenwärtig, quasi im Modus der verwirklichenden Gegenwart.
§ 25 Die doppelte Intentionalität der Wiedererinnerung1
Unterscheiden wir also bei einem Zeitobjekt den Inhalt nebst seiner Dauer, die im Zusammenhang „der“ Zeit eine verschiedene Stelle haben können, von seiner Zeitstellung, so haben wir in der Reproduktion eines dauernden Seins neben der Reproduktion der erfüllten Dauer die Intentionen, welche die Stellung betreffen, und zwar notwendig. Eine Dauer ist gar nicht vorstellbar oder besser nicht setzbar, ohne daß sie in einem Zeitzusammenhang gesetzt wird, ohne daß Intentionen des Zeitzusammenhangs da sind. Dabei ist es notwendig, daß 1
Mit Ausnahme des Satzes S. 57 („Dabei ist es evident … ist das Gegenwärtige zum relativ Vergangenen geworden.“) fußt der Text von §§ 25–26 sowie des ersten Absatzes von § 27 wie schon der der zweiten Hälfte von § 23 auf der unten in den Ergänzenden Texten wiedergegebenen Aufzeichnung Nr. 45 aus der Zeit zwischen 1907 und 1909; vgl. insbes. S. 302–307. – Anm. d. Hrsg.
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diese Intentionen entweder die Form von Vergangenheits- oder von Zukunftsintentionen haben. Der Doppelheit der Intentionen, der auf die | erfüllte Dauer und der auf ihre Zeitstelle gerichteten, entspricht eine doppelte Erfüllung. Der Gesamtkomplex von Intentionen, der die Erscheinung des vergangenen dauernden Objektes ausmacht, hat seine mögliche Erfüllung in dem System von Erscheinungen, die zu demselben Dauernden gehören. Die Intentionen des Zusammenhangs in der Zeit erfüllen sich durch Herstellung der erfüllten Zusammenhänge bis zur aktuellen Gegenwart. Es ist also in jeder Vergegenwärtigung zu unterscheiden die Reproduktion des Bewußtseins, in dem das vergangene dauernde Objekt gegeben, d. h. wahrgenommen oder überhaupt ursprünglich konstituiert war, und das, was dieser Reproduktion als konstitutiv für das Bewußtsein „vergangen“ oder „gegenwärtig“ (mit dem aktuellen Jetzt gleichzeitig) oder „zukünftig“ anhängt. Ist nun auch das Letztere Reproduktion? Das ist eine leicht irreführende Frage. Natürlich, das Ganze wird reproduziert, nicht nur die damalige Bewußtseinsgegenwart mit ihrem Fluß, sondern „implicite“ der ganze Strom des Bewußtseins bis zur lebendigen Gegenwart. Das sagt, als ein Grundstück apriorisch-phänomenologischer Genese: Die Erinnerung ist in einem beständigen Fluß, weil das Bewußtseinsleben in beständigem Fluß ist, und nicht nur Glied an Glied in der Kette sich fügt. Vielmehr wirkt jedes Neue zurück auf das Alte, seine vorwärtsgehende Intention erfüllt sich und bestimmt sich dabei, und das gibt der Reproduktion eine bestimmte Färbung. Hier zeigt sich also eine a priori notwendige Rückwirkung. Das Neue weist wieder auf Neues, das eintretend sich bestimmt und für das Alte die reproduktiven Möglichkeiten modifiziert usw. Dabei geht die rückwirkende Kraft der Kette nach zurück, denn das reproduzierte Vergangen trägt den Charakter Vergangen und eine unbestimmte Intention auf eine gewisse Zeitlage zum Jetzt. Es ist also nicht so, daß wir eine bloße Kette „assoziierter“ Intentionen hätten, eins an das andere, dies an das nächste (Strömende) erinnernd, sondern wir haben eine Intention, die in sich Intention auf die Reihe von möglichen Erfüllungen ist.
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Aber diese Intention ist eine unanschauliche, eine „leere“ Intention, und ihr Gegenständliches ist die objektive Zeitreihe von Ereignissen, und diese ist die dunkle Umgebung des aktuell Wiedererinnerten. Charakterisiert das nicht überhaupt „Um | gebung“: eine einheitliche Intention, die auf eine Vielheit zusammenhängender Gegenständlichkeiten bezogen ist und in deren gesonderter und vielfältiger allmählicher Gegebenheit zur Erfüllung kommt? So verhält es sich auch beim räumlichen Hintergrund. Und so hat auch jedes Ding in der Wahrnehmung seine Rückseite als Hintergrund (denn es handelt sich nicht um Hintergrund der Aufmerksamkeit, sondern der Auffassung). Die Komponente „uneigentliche Wahrnehmung“, die jeder transzendenten Wahrnehmung als wesentliches Bestandstück zugehört, ist eine „komplexe“ Intention, die erfüllbar ist in Zusammenhängen bestimmter Art, in Zusammenhängen von Gegebenheiten. Vordergrund ist nichts ohne Hintergrund. Die erscheinende Seite ist nichts ohne nicht erscheinende. Ebenso in der Einheit des Zeitbewußtseins: die reproduzierte Dauer ist der Vordergrund, die Einordnungsintentionen machen einen Hintergrund, einen zeitlichen, bewußt. Und in gewisser Weise setzt sich das in der Konstitution der Zeitlichkeit des Dauernden selbst mit seinem Jetzt, Vorher, Nachher fort. Wir haben die Analogien: für das Raumding die Einordnung in den umfassenden Raum und die Raumwelt, andererseits das Raumding selbst mit seinem Vordergrund und Hintergrund. Für das Zeitding: die Einordnung in die Zeitform und die Zeitwelt, andererseits das Zeitding selbst und seine wechselnde Orientierung zum lebendigen Jetzt.
§ 26 Unterschiede zwischen Erinnerung und Erwartung
Es ist ferner zu untersuchen, ob Erinnerung und Erwartung einander gleichstehen. Die anschauliche Erinnerung bietet mir die lebendige Reproduktion der ablaufenden Dauer eines Ereignisses, und unanschaulich bleiben nur die Intentionen, die zurückweisen auf das Vorher und vorweisen bis zum lebendigen Jetzt.
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In der anschaulichen Vorstellung eines künftigen Ereignisses habe ich jetzt anschaulich das reproduktive „Bild "eines Vorgangs, der reproduktiv abläuft. Daran knüpfen sich unbestimmte Zukunftsintentionen und Vergangenheitsintentionen, d. i. Intentionen, die vom Anfang des Vorgangs die Zeitumgebung betreffen, die im lebendigen Jetzt terminiert. Insofern ist die Er | wartungsanschauung umgestülpte Erinnerungsanschauung, denn bei dieser gehen die Jetztintentionen dem Vorgang nicht „vorher“, sondern folgen nach. Sie liegen als leere Umgebungsintentionen „in entgegengesetzter Richtung“. Wie steht es nun mit der Gegebenheitsweise des Vorgangs selbst? Macht es einen wesentlichen Unterschied aus, daß in der Erinnerung der Gehalt des Vorgangs bestimmter ist? Auch die Erinnerung kann anschaulich, aber doch nicht sehr bestimmt sein, sofern manche anschaulichen Komponenten gar nicht wirklichen Erinnerungscharakter haben. Bei „vollkommener“ Erinnerung allerdings würde alles bis ins einzelne klar und als Erinnerung charakterisiert sein. Aber idealiter ist das auch bei der Erwartung möglich. Im allgemeinen läßt sie viel offen, und das Offenbleiben ist wieder ein Charakter der betreffenden Komponenten. Aber prinzipiell ist ein prophetisches Bewußtsein (ein Bewußtsein, das sich selbst für prophetisch ausgibt) denkbar, dem jeder Charakter der Erwartung des Seinwerdenden, vor Augen steht: etwa wie wenn wir einen genau bestimmten Plan haben und, anschaulich das Geplante vorstellend, es sozusagen mit Haut und Haar als künftige Wirklichkeit hinnehmen. Doch wird auch da manches Belanglose in der anschaulichen Antizipation der Zukunft sein, das als Lückenbüßer das konkrete Bild ausfüllt, das aber vielfach anders sein kann, als das Bild es bietet: es ist von vornherein charakterisiert als Offenheit. Prinzipielle Unterschiede aber liegen in der Weise der Erfüllung. Vergangenheitsintentionen erfüllen sich notwendig durch Herausstellung der Zusammenhänge anschaulicher Reproduktionen. Die Reproduktion des vergangenen Ereignisses läßt hinsichtlich ihrer Gültigkeit (im inneren Bewußtsein) nur Bestätigung der Erinnerungsunbestimmtheiten und Vervollkommnung durch Verwandlung in eine Reproduktion zu, in
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der alles und jedes an Komponenten als reproduktiv charakterisiert ist. Hier handelt es sich um Fragen wie: Habe ich das wirklich gesehen, wahrgenommen, habe ich diese Erscheinung wirklich gehabt, genau mit dem Inhalt? All das muß sich zugleich einem Zusammenhang ebensolcher Anschauungen bis zum Jetzt einfügen. Eine andere Frage allerdings ist die: War das Erscheinende wirklich? Dagegen findet die Erwartung ihre Erfüllung in einer Wahrnehmung. Zum Wesen des Erwarteten gehört es, daß es ein | Wahrgenommen-sein-werdendes ist. Dabei ist es evident, daß, wenn ein Erwartetes eintritt, d. i. zu einem Gegenwärtigen geworden ist, der Erwartungszustand selbst vorübergegangen ist; ist das Künftige zum Gegenwärtigen geworden, so ist das Gegenwärtige zum relativ Vergangenen geworden.1 Ebenso verhält es sich mit den Umgebungsintentionen. Auch sie erfüllen sich durch die Aktualität eines impressionalen Erlebens. Ungeachtet dieser Unterschiede ist Erwartungsanschauung genau so etwas Ursprüngliches und Eigenartiges wie Vergangenheitsanschauung.
§ 27 Erinnerung als Bewußtsein vom Wahrgenommengewesen-sein
Zur Charakteristik der analysierten setzenden Reproduktionen ist folgendes von größter Bedeutung: es gehört zu ihrem Wesen nicht bloß reproduktive Setzung von zeitlichem Sein, sondern eine gewisse Beziehung zum inneren Bewußtsein. Zum Wesen der Erinnerung gehört primär, daß sie Bewußtsein vom Wahrgenommen-gewesen-sein ist. Erinnere ich mich anschaulich an einen äußeren Vorgang, so habe ich eine reproduktive Anschauung von ihm. Und es ist eine setzende Reproduktion. Diese äußere Reproduktion ist aber notwendig 1
Der vorstehende Satz ist einer Aufzeichnung aus der Zeit vor 1901 entnommen, die unten in den Ergänzenden Texten, Nr. 4, in ihrer ursprünglichen Form vollständig wiedergegeben ist; vgl. insbes. S. 155 f. – Anm. d. Hrsg.
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bewußt durch eine innere Reproduktion.1 Ein äußeres Erscheinen muß reproduziert sein, indem der äußere Vorgang in bestimmter Erscheinungsweise gegeben ist. Das äußere Erscheinen als Erlebnis ist Einheit des inneren Bewußtseins, und dem inneren Bewußtsein entspricht die innere Reproduktion. Es bestehen nun aber für die Reproduktion eines Vorgangs zwei Möglichkeiten: es kann die innere Reproduktion eine setzende sein und demnach die Erscheinung des Vorgangs gesetzt sein in der Einheit der immanenten Zeit; oder es kann auch die äußere Reproduktion eine setzende sein, die den betreffenden zeitlichen Vorgang in der objektiven Zeit setzt, nicht aber die Erscheinung selbst als Vorgang der inneren Zeit, und | damit weiter nicht den zeitkonstituierenden Strom in der Einheit des Gesamtlebensstromes. Erinnerung2 ist also nicht ohne weiteres Erinnerung an frühere Wahrnehmung. Da aber die Erinnerung an einen früheren Vorgang die Reproduktion der Erscheinungen, in denen er zur Gegebenheit kam, einschließt, besteht jederzeit auch die Möglichkeit einer Erinnerung an die frühere Wahrnehmung des Vorgangs (bzw. die Möglichkeit einer Reflexion in der Erinnerung, die die frühere Wahrnehmung zur Gegebenheit bringt). Es wird das frühere Bewußtseinsganze reproduziert, und was reproduziert wird, das hat den Charakter der Reproduktion und den Charakter der Vergangenheit. Machen wir uns diese Verhältnisse an einem Beispiel klar: Ich erinnere mich an das erleuchtete Theater – das kann nicht heißen: Ich erinnere mich, das Theater wahrgenommen zu haben. Sonst hieße letzteres: Ich erinnere mich, daß ich wahrgenommen habe, daß ich das Theater wahrgenommen habe usf. Ich erinnere mich an das erleuchtete Theater, das sagt: „In meinem Inneren“ schaue ich das erleuchtete Theater als gewe1
Vgl. Beilage XII, S. 126 ff. 2 Der Text der folgenden beiden Absätze von § 27 sowie der des ersten Absatzes von § 28 fußt auf dem einer Aufzeichnung aus der Zeit vor oder um 1901, die in den Ergänzenden Texten, Nr. 18, in ihrer ursprünglichen Form vollständig wiedergegeben ist; vgl. insbes. S. 180–183, sowie S. 183 f. – Anm. d. Hrsg.
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senes. Im Jetzt schaue ich das Nicht-Jetzt. Wahrnehmung konstituiert Gegenwart. Damit ein Jetzt als solches mir vor Augen steht, muß ich Wahrnehmen. Um ein Jetzt anschaulich vorzustellen, muß ich „im Bilde“, repräsentativ modifiziert, eine Wahrnehmung vollziehen. Aber nicht so, daß ich die Wahrnehmung vorstelle, sondern ich stelle das Wahrgenommene vor, das in ihr als gegenwärtig Erscheinende. Die Erinnerung impliziert also wirklich eine Reproduktion der früheren Wahrnehmung; aber die Erinnerung ist nicht im eigentlichen Sinne eine Vorstellung von ihr: die Wahrnehmung ist nicht in der Erinnerung gemeint und gesetzt, sondern gemeint und gesetzt ist ihr Gegenstand und sein Jetzt, das zudem in Beziehung gesetzt ist zum aktuellen Jetzt. Ich erinnere mich an das erleuchtete Theater von gestern, d. h. ich vollziehe eine „Reproduktion“ der Wahrnehmung des Theaters, somit schwebt mir in der Vorstellung das Theater als | ein gegenwärtiges vor, dieses meine ich, fasse dabei aber diese Gegenwart als zurückliegend in Beziehung auf die aktuelle Gegenwart der jetzigen aktuellen Wahrnehmungen auf. Natürlich ist jetzt evident: Die Wahrnehmung des Theaters war, ich habe das Theater wahrgenommen. Das Erinnerte erscheint als gegenwärtig gewesen, und zwar unmittelbar anschaulich; und es erscheint so dadurch, daß intuitiv eine Gegenwart erscheint, die einen Abstand hat von der Gegenwart des aktuellen Jetzt. Die letztere Gegenwart konstituiert sich in der wirklichen Wahrnehmung, jene intuitiv erscheinende Gegenwart, die intuitive Vorstellung des NichtJetzt, konstituiert sich in einem Gegenbild von Wahrnehmung, einer „Vergegenwärtigung der früheren Wahrnehmung“, in der das Theater „gleichsam jetzt“ zur Gegebenheit kommt. Diese Vergegenwärtigung der Wahrnehmung des Theaters ist also nicht so zu verstehen, daß ich, darin lebend, das Wahrnehmen meine, sondern ich meine das Gegenwärtigsein des wahrgenommenen Objektes.
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§ 28 Erinnerung und Bildbewußtsein. Erinnerung als setzende Reproduktion
Es bedarf noch der Erwägung, welcher Art die Vergegenwärtigung ist, von der hier gehandelt wird. In Frage steht nicht eine Repräsentation durch ein ähnliches Objekt wie im Falle bewußter Bildlichkeit (Gemälde, Büste u. dgl.). Diesem Bildbewußtsein gegenüber haben die Reproduktionen den Charakter der Selbstvergegenwärtigung. Sie scheiden sich wiederum, je nachdem sie nichtsetzende („bloße“ Phantasien) oder setzende sind. Und dazu kommen nun die Zeitcharaktere. Erinnerung ist Selbstvergegenwärtigung im Sinne des Vergangen. Die gegenwärtige Erinnerung ist ein ganz analoges Phänomen wie die Wahrnehmung, sie hat mit der entsprechenden Wahrnehmung gemein die Erscheinung des Gegenstandes, nur hat die Erscheinung einen modifizierten Charakter, vermöge dessen der Gegenstand nicht als gegenwärtig dasteht, sondern als gegenwärtig gewesen. Das1 Wesentliche der Art von Reproduktionen, die Erinne | rung und Erwartung heißen, liegt in der Einordnung der reproduzierten Erscheinung in den Seinszusammenhang der inneren Zeit, der abfließenden Reihe meiner Erlebnisse. Die Setzung erstreckt sich normalerweise auch auf das Gegenständliche der äußeren Erscheinung, aber diese Setzung kann aufgehoben, ihr kann widersprochen werden, und dann bleibt immer noch Erinnerung bzw. Erwartung übrig, d. h. wir werden nicht aufhören, dergleichen Erinnerung und Erwartung zu nennen, wenn wir auch die frühere bzw. künftige Wahrnehmung als bloß „vermeintliche“ bezeichnen. Handelt es sich von vornherein nicht um Reproduktion transzendenter, sondern immanenter Objekte, so entfällt der geschilderte Stufenbau der reproduktiven Anschauungen, und die Setzung des 1
Der Text des nachfolgenden zweiten Absatzes von § 28 und der von § 29 fußt – wie schon der Text der zweiten Hälfte von § 23, von §§ 25–26 sowie des ersten Absatzes von § 27 – auf der unten in den Ergänzenden Texten wiedergegebenen Aufzeichnung Nr. 45 aus der Zeit zwischen 1907 und 1909; vgl. insbes. S. 307–310. – Anm. d. Hrsg.
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Reproduzierten deckt sich mit seiner Einordnung in die Reihe der Erlebnisse, in die immanente Zeit.
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Für die Sphäre der Anschauung von äußerer Zeit und Gegenständlichkeit ist noch ein anderer Typus unmittelbarer reproduktiver Anschauung von zeitlichen Gegenständen (auf die unmittelbare Anschauung von Zeitgegenständen beschränkten sich ja alle unsere Ausführungen und ließen die mittelbaren bzw. unanschaulichen Erwartungen und Erinnerungen außer Spiel) zu berücksichtigen. Ich kann mir auch ein Gegenwärtiges als jetzt seiend vorstellen, ohne es jetzt leibhaft vor mir zu haben, sei es aufgrund früherer Wahrnehmungen, sei es nach einer Beschreibung oder dgl. Im ersten Fall habe ich zwar eine Erinnerung, aber ich gebe dem Erinnerten Dauer bis zum aktuellen Jetzt, und für diese Dauer habe ich keine innerlich erinnerten „Erscheinungen“. Das „Erinnerungsbild“ dient mir, aber ich setze nicht das Erinnerte als ein solches, das Gegenständliche der inneren Erinnerung, in seiner ihm zukommenden Dauer. Gesetzt ist das Dauernde als sich in dieser Erscheinung darstellend, und das erscheinende Jetzt setzen wir und das immer neue Jetzt usw.; aber wir setzen es nicht als „vergangen“. | Wir wissen, das „vergangen“ bei der Erinnerung sagt auch nicht, daß wir im jetzigen Erinnern uns ein Bild machen von dem früheren, und was dergleichen Konstruktionen mehr sind. Sondern wir setzen einfach das Erscheinende, das Angeschaute, das natürlich nach seiner Zeitlichkeit nur in den temporalen Modi anschaubar ist. Und dem dabei Erscheinenden geben wir in der Weise der Erinnerung durch die Umgebungsintention der Erscheinung Stellung zum Jetzt der Aktualität. Also müssen wir auch bei der Vergegenwärtigung eines abwesenden Gegenwärtigen nach den Umgebungsintentionen der Anschauung fragen, und diese sind hier natürlich von ganz anderer Art: sie haben gar keine Beziehung zum aktuellen Jetzt durch eine stetige Reihe von inneren Erscheinungen, die sämt-
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lich gesetzte wären. Freilich, ohne Zusammenhang ist diese reproduktive Erscheinung nicht. Es soll ein Dauerndes sein, das da erscheint, das gewesen ist und jetzt ist und sein wird. Ich „kann“ also auf irgendeinem Wege hingehen und sehen, das Ding noch finden, und kann dann wieder zurückgehen und in wiederholten „möglichen“ Erscheinungsreihen die Anschauung herstellen. Und wenn ich vorhin aufgebrochen und dahin gegangen wäre (und das ist vorgezeichnete Möglichkeit, und dem entsprechen mögliche Erscheinungsreihen), dann hätte ich jetzt diese Anschauung als Wahrnehmungsanschauung usw. Also die Erscheinung, die mir reproduktiv vorschwebt, ist zwar nicht charakterisiert als innerlich impressional gewesen, das Erscheinende nicht als in seiner Zeitdauer wahrgenommen gewesenes: aber Beziehung zum hic et nunc besteht auch hier, die Erscheinung trägt auch einen gewissen Setzungscharakter: sie gehört in einen bestimmten Erscheinungszusammenhang hinein (und von Erscheinungen, die durchaus „setzende“, stellungnehmende wären), und in Beziehung auf diesen hat sie motivierenden Charakter: die Umgebungsintention ergibt für die „möglichen“ Erscheinungen selbst je einen Hof von Intentionen. Ebenso verhält es sich mit der Anschauung von dauerndem Sein, das ich jetzt wahrnehme und als vorher gewesen setze, ohne es vorher wahrgenommen zu haben und jetzt zu erinnern, und das ich als künftig sein werdend setze. |
§ 30 Erhaltung der gegenständlichen Intention in der retentionalen Abwandlung1
Es kommt oft vor, daß, während noch die Retention von eben Vergangenem lebendig ist, ein reproduktives Bild von demselben auftaucht: aber natürlich ein Bild desselben, wie es im Jetztpunkt gegeben war. Wir rekapitulieren sozusagen das soeben Erlebte. Diese innere Erneuerung in der Vergenwärti1
Der Text von § 30 wie z.T. der des ersten Absatzes von § 31 fußt auf dem der Blätter „44“, „45“, „45a“ und „45b“ des Vorlesungsmanuskripts von 1905. – Anm. d. Hrsg.
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gung setzt das reproduktive Jetzt mit dem noch in frischer Erinnerung lebenden in Beziehung, und hier vollzieht sich das Identitätsbewußtsein, das die Identität des einen oder anderen herausstellt. (Dies Phänomen zeigt zugleich, daß zur Sphäre der primären Erinnerung neben dem intuitiven ein leerer Teil gehört, der sehr viel weiter reicht. Während wir ein Gewesenes noch in der frischen, obschon leeren Erinnerung haben, kann zugleich ein „Bild“ davon auftauchen.) Es ist eine allgemeine und grundwesentliche Tatsache, daß jedes Jetzt, indem es in die Vergangenheit zurücksinkt, seine strenge Identität festhält. Phänomenologisch gesprochen: Das Jetztbewußtsein, das sich aufgrund der Materie A konstituiert, wandelt sich stetig in ein Vergangenheitsbewußtsein um, während gleichzeitig immer neues Jetztbewußtsein sich aufbaut. Bei dieser Umwandlung erhält sich (und das gehört zum Wesen des Zeitbewußtseins) das sich modifizierende Bewußtsein seine gegenständliche Intention. Die kontinuierliche Modifikation, welche jedes ursprüngliche Zeitfeld hinsichtlich der es konstituierenden Aktcharaktere enthält, ist nicht so zu verstehen, als ob in der Reihe der zu einer Objektphase gehörigen Auffassungen, angefangen von ihrem Auftreten als Jetztsetzung und herabsteigend bis in das letzte erreichbare phänomenale Vergangen, eine stetige Modifikation in der gegenständlichen Intention statthätte. Im Gegenteil: die gegenständliche Intention verbleibt als absolut dieselbe und identische. Gleichwohl besteht ein phänomenales Sich-abstufen, und zwar nicht nur hinsichtlich der Auffassungsinhalte, die ihr Abklingen haben, ein gewisses Herabsinken von der höchsten | Empfindungshöhe im Jetzt bis zur Unmerklichkeit. Vor allem ist das Jetztmoment charakterisiert als das Neue. Das eben herabsinkende Jetzt ist nicht mehr das Neue, sondern das durch das Neue beiseite Geschobene. In dieser Beiseiteschiebung liegt eine Veränderung. Aber während es seinen Charakter des Jetzt verloren hat, hält es sich in seiner gegenständlichen Intention absolut ungeändert, es ist Intention auf eine individuelle Objektivität, und zwar anschauende Intention. In dieser Hinsicht also liegt keinerlei Veränderung vor. Es ist aber hier wohl zu erwägen, was „Erhal-
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tung der gegenständlichen Intention“ besagt. Die Gesamtauffassung des Gegenstandes enthält zwei Komponenten: die eine konstituiert das Objekt nach seinen außerzeitlichen Bestimmungen, die andere schafft die Zeitstelle, das Jetztsein, Gewesensein usw. Das Objekt als die Zeitmaterie, als das, was die Zeitstelle und die zeitliche Ausbreitung hat, als das, was dauert oder sich verändert, als das, was jetzt ist und dann gewesen ist, entspringt rein aus der Objektivation der Auffassungsinhalte, im Falle sinnlicher Objekte also der sinnlichen Inhalte. Daß diese Inhalte gleichwohl Zeitobjekte sind, daß sie sich in einem Nacheinander als ein Kontinuum von Urimpressionen und Retentionen erzeugen, und daß diese Zeitabschattungen der Empfindungsdaten ihre Bedeutung haben für die Zeitbestimmungen der mittels ihrer konstituierten Objekte, verlieren wir dabei nicht aus dem Auge. Aber in ihrer Eigenschaft als Repräsentanten dinglicher Qualitäten ihrem reinen Was nach spielt ihr Zeitcharakter keine Rolle. Die unzeitlich gefaßten Auffassungsdaten konstituieren das Objekt nach seinem spezifischen Bestande, und wo dieser erhalten bleibt, können wir schon von einer Identität sprechen. Wenn aber vorhin von Erhaltung der gegenständlichen Beziehung die Rede war, so bedeutete das, daß nicht nur der Gegenstand in seinem spezifischen Bestande erhalten bleibt, sondern als individueller, also zeitlich bestimmter, der mit seiner zeitlichen Bestimmung in der Zeit zurücksinkt. Dieses Zurücksinken ist eine eigentümliche phänomenologische Modifikation des Bewußtseins, wodurch in Relation zu dem immer neu konstituierten aktuellen Jetzt vermöge der dahin führenden stetigen Änderungsreihe ein immer wachsender Abstand sich ausbildet. |
§ 31 Urimpression und objektiver individueller Zeitpunkt
Scheinbar werden wir hier auf eine Antinomie geführt: das Objekt ändert im Zurücksinken ständig seine Zeitstelle, und sollte doch im Zurücksinken seine Zeitstelle bewahren. In Wahrheit ändert das Objekt der sich stetig zurückschiebenden primären Erinnerung gar nicht seine Zeitstelle, sondern
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nur seinen Abstand vom aktuellen Jetzt, und zwar darum, weil das aktuelle Jetzt als ein immer neuer objektiver Zeitpunkt gilt, während das vergangene Zeitliche bleibt, was es ist. Wie aber entgegen dem Phänomen der ständigen Änderung des Zeitbewußtseins das Bewußtsein von der objektiven Zeit und zunächst von identischen Zeitstellen zustandekommt, das ist nun die Frage. Damit1 hängt aufs engste die Frage nach der Konstitution der Objektivität individueller zeitlicher Gegenstände und Vorgänge zusammen: im Zeitbewußtsein vollzieht sich alle Objektivierung; ohne Aufklärung der Identität der Zeitstelle ist auch keine Aufklärung der Identität eines Objektes in der Zeit zu geben. Näher ausgeführt ist das Problem das folgende: Die Jetztphasen der Wahrnehmung erfahren stetig eine Modifikation, sie erhalten sich nicht einfach wie sie sind, sie fließen. Darin konstituiert sich, was wir als Zurücksinken in die Zeit bezeichnen. Der Ton erklingt jetzt, und alsbald sinkt er in die Vergangenheit, er, derselbe Ton. Das betrifft den Ton nach jeder seiner Phasen, und darum auch den ganzen. Nun scheint das Herabsinken durch unsere bisherigen Betrachtungen einigermaßen verständlich. Aber wie kommt es, daß wir gegenüber dem Herabsinken des Tones doch davon sprechen, daß ihm eine feste Stellung in der Zeit zukommt, daß sich Zeitpunkte und Zeitdauern in wiederholten Akten identifizieren lassen, wie es unsere Analyse des reproduktiven Bewußtseins aufwies? Der Ton und jeder Zeitpunkt in der Einheit des dauernden Tones hat ja seine absolut feste Stelle in der „objektiven“ (sei es auch die immanente) Zeit. Die Zeit ist starr, und doch fließt die Zeit. Im Zeitfluß, im stetigen Herabsinken in die Vergangenheit konstituiert sich eine nicht fließende, absolut feste, identische, objektive Zeit. Das ist das Problem. | Überlegen wir zunächst die Sachlage des herabsinkenden selben Tones etwas näher. Warum sprechen wir von demselben Ton, der herabsinkt? Der Ton baut sich im Zeitfluß auf durch seine Phasen. Von jeder Phase, etwa der eines aktuellen 1
Von hier ab fußt der Text von § 31 auf dem der Blätter „58“–„61“ des Vorlesungsmanuskripts von 1905. – Anm. d. Hrsg.
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Jetzt, wissen wir, daß sie, dem Gesetz der stetigen Modifikation unterliegend, doch darum als gegenständlich dasselbe, als derselbe Ton-Punkt sozusagen erscheinen muß, weil hier eine Auffassungskontinuität vorliegt, die von der Identität des Sinnes durchwaltet und in kontinuierlicher Deckung befindlich ist. Die Deckung betrifft die außerzeitliche Materie, die eben im Fluß Identität des gegenständlichen Sinnes sich erhält. Dies gilt für jede Jetztphase. Aber jedes neue Jetzt ist eben ein neues und ist als das phänomenologisch charakterisiert. Mag der Ton völlig unverändert andauern, derart, daß nicht die leiseste Veränderung für uns sichtlich ist, mag also jedes neue Jetzt genau den gleichen Auffassungsinhalt besitzen nach Qualitätsmomenten, Intensitätsmomenten usw. und genau dieselbe Auffassung tragen – eine ursprüngliche Verschiedenheit liegt doch vor, eine Verschiedenheit, die einer neuen Dimension angehört. Und diese Verschiedenheit ist eine stetige. Phänomenologisch liegt vor, daß nur der Jetztpunkt als aktuelles Jetzt charakterisiert ist, und zwar als neues, daß der vorige Jetztpunkt seine Modifikation erfahren hat, der vorvorige seine weitergehende Modifikation usw. Dieses Kontinuum der Modifikationen an den Auffassungsinhalten und den auf sie gebauten Auffassungen schafft das Bewußtsein der Extension des Tones mit dem beständigen Herabsinken des bereits Extendierten in die Vergangenheit. Wie kommt nun aber entgegen dem Phänomen der stetigen Änderung des Zeitbewußtseins das Bewußtsein der objektiven Zeit, und zunächst der identischen Zeitstelle und Zeitausdehnung zustande? Die Antwort lautet: dadurch, daß gegenüber dem Fluß der zeitlichen Zurückschiebung, dem Fluß von Bewußtseinsmodifikationen, das Objekt, das zurückgeschoben erscheint, eben in absoluter Identität apperzeptiv erhalten bleibt, und zwar das Objekt mitsamt der im Jetztpunkt erfahrenen Setzung als „dies“. Die stetige Modifikation der Auffassung im stetigen Fluß betrifft nicht das „als was“ der Auffassung, den Sinn, sie meint kein neues Objekt und keine neue Objektphase, sie ergibt keine neuen Zeitpunkte, sondern immerfort dasselbe Objekt mit | seinen selben Zeitpunkten. Jedes aktuelle Jetzt schafft einen neuen Zeitpunkt, weil es ein
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neues Objekt schafft oder vielmehr einen neuen Objektpunkt, der im Fluß der Modifikation als der eine und selbe individuelle Objektpunkt festgehalten wird. Und die Stetigkeit, in der sich immer wieder ein neues Jetzt konstituiert, zeigt uns, daß es sich nicht überhaupt um „Neuheit“ handelt, sondern um ein stetiges Moment der Individuation, in dem die Zeitstelle ihren Ursprung hat. Zum Wesen des modifizierenden Flusses gehört es, daß diese Zeitstelle identisch und als notwendig identisch dasteht. Das Jetzt als aktuelles Jetzt ist die Gegenwartsgegebenheit der Zeitstelle. Rückt das Phänomen in die Vergangenheit, so erhält das Jetzt den Charakter des vergangenen Jetzt, aber es bleibt dasselbe Jetzt, nur daß es in Relation zum jeweilig aktuellen und zeitlich neuen Jetzt als vergangen dasteht. Die Objektivation des Zeitobjekts beruht also auf folgenden Momenten: Der Empfindungsinhalt, der zu den verschiedenen aktuellen Jetztpunkten des Objektes gehört, kann qualitativ absolut unverändert bleiben, aber er hat bei noch so weit gehender inhaltlicher Identität doch nicht wahre Identität; dieselbe Empfindung jetzt und in einem anderen Jetzt hat eine Verschiedenheit, und zwar eine phänomenologische Verschiedenheit, die der absoluten Zeitstelle entspricht, sie ist Urquell der Individualität des „dies“ und damit der absoluten Zeitstelle. Jede Phase der Modifikation hat „im Wesen“ den gleichen qualitativen Gehalt und das gleiche Zeitmoment, obschon modifiziert, und sie hat es in sich in der Weise, daß dadurch eben die nachmalige Identitätsauffassung ermöglicht ist. Dies auf seiten der Empfindung bzw. der Auffassungsgrundlage. Die verschiedenen Momente tragen verschiedene Seiten der Auffassung, der eigentlichen Objektivation. Eine Seite der Objektivation findet ihren Anhalt rein im qualitativen Gehalt des Empfindungsmaterials: das ergibt die Zeitmaterie, z. B. Ton. Sie wird im Fluß der Vergangenheitsmodifikation identisch festgehalten. Eine zweite Seite der Objektivation entspringt der Auffassung der Zeitstellenrepräsentanten. Auch diese Auffassung wird stetig im Fluß der Modifikation festgehalten. In der Zusammenfassung: Der Ton-Punkt in seiner absoluten Individualität wird festgehalten nach Materie und Zeit-
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stelle, | welch letztere erst Individualität konstituiert. Dazu kommt endlich die Auffassung, welche wesentlich zur Modifikation gehört, und die unter Festhaltung der extendierten Gegenständlichkeit mit ihrer immanenten absoluten Zeit die stetige Zurückschiebung in die Vergangenheit erscheinen läßt. In unserem Ton-Beispiel hat also jeder Jetztpunkt des immer neu Erklingens und Abklingens sein Empfindungsmaterial und seine objektivierende Auffassung. Der Ton steht da als Ton einer angestrichenen Geigensaite. Sehen wir wieder von der objektivierenden Auffassung ab und blicken wir rein auf das Empfindungsmaterial hin, so ist es der Materie nach etwa immerfort Ton c, Tonqualität und Klangfarbe unverändert, Intensität vielleicht schwankend usw. Dieser Inhalt, rein als Empfindungsinhalt, wie er der objektivierenden Apperzeption zugrunde liegt, ist extendiert, nämlich jedes Jetzt hat seinen Empfindungsinhalt, jedes andere Jetzt einen individuell anderen, möge er materiell auch genau derselbe sein. Absolut dasselbe c jetzt und später ist empfindungsmäßig gleich, aber individuell ein anderes. Was hier „individuell“ heißt, das ist die ursprüngliche Temporalform der Empfindung, oder, wie ich auch sagen kann, die Temporalform der ursprünglichen Empfindung, hier der Empfindung des jeweiligen Jetztpunktes und nur dieses. Aber eigentlich ist der Jetztpunkt selbst durch die ursprüngliche Empfindung zu definieren, so daß der ausgesprochene Satz nur als Hinweis auf das, was gemeint sein soll, zu gelten hat. Impression gegenüber Phantasma unterscheidet sich durch den Charakter der Originarität.1 Nun haben wir innerhalb der Impression die Urimpression hervorzuheben, der gegenüber das Kontinuum von Modifikationen im primären Erinnerungsbewußtsein dasteht. Die Urimpression ist das absolut Unmodifizierte, die Urquelle für alles weitere Bewußtsein und Sein. Urimpression hat zum Inhalt das, was das Wort Jetzt besagt, wofern es im strengsten Sinne genommen wird. Jedes neue Jetzt ist Inhalt einer neuen Urimpression. Stetig leuchtet eine neue und immer neue Impression auf, mit immer neuer, 1
Über Impression und Phantasma vgl. Beilage II, S. 101 ff.
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bald gleicher, bald wechselnder Materie. Was Urimpression von Urimpression scheidet, das ist das individualisierende Moment der ursprüng | lichen Zeitstellenimpression, die etwas grundwesentlich Verschiedenes ist gegenüber der Qualität und sonstigen materiellen Momenten des Empfindungsinhaltes. Das Moment der ursprünglichen Zeitstelle ist natürlich nichts für sich, die Individuation ist nichts neben dem, was Individuation hat. Der ganze Jetztpunkt nun, die ganze originäre Impression erfährt die Vergangenheitsmodifikation, und erst durch sie haben wir den ganzen Jetztbegriff erschöpft, sofern er ein relativer ist und auf ein „vergangen“ hinweist, wie „vergangen“ auf das „jetzt“. Auch diese Modifikation betrifft zunächst die Empfindung, ohne ihren allgemeinen impressionalen Charakter aufzuheben. Sie modifiziert den Gesamtgehalt der Urimpression sowohl nach Materie als nach Zeitstelle, sie modifiziert aber genau in dem Sinne, wie es eine Phantasiemodifikation tut, nämlich durch und durch modifizierend und doch das intentionale Wesen (den Gesamtgehalt) nicht verändernd. Also, die Materie ist dieselbe Materie, die Zeitstelle dieselbe Zeitstelle, nur die Weise der Gegebenheit hat sich geändert: es ist Vergangenheitsgegebenheit. Auf diesem Empfindungsmaterial baut sich nun die objektivierende Apperzeption auf. Schon wenn wir rein auf die Empfindungsinhalte hinblicken (von den transzendenten Apperzeptionen, die sich ev. darauf bauen, absehend), vollziehen wir eine Apperzeption: der „Zeitfluß“, die Dauer steht uns dann vor Augen als eine Art Gegenständlichkeit. Gegenständlichkeit setzt Einheitsbewußtsein, Identitätsbewußtsein voraus. Wir fassen hier den Inhalt jeder Urempfindung als Selbst auf. Sie gibt ein Ton-Punkt-Individuum, und dieses Individuum ist im Fluß der Vergangenheitsmodifikation identisch dasselbe: die auf diesen Punkt bezügliche Apperzeption verbleibt in der Vergangenheitsmodifikation in stetiger Deckung, und die Identität des Individuums ist eo ipso Identität der Zeitstelle. Das stetige Hervorquellen immer neuer Urimpressionen ergibt in der Auffassung derselben als individueller Punkte immer wieder neue und unterschiedene Zeitstellen, die Stetigkeit ergibt eine Stetigkeit der
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Zeitstellen, im Fluß der Vergangenheitsmodifikation steht also ein stetiges, tonal erfülltes Zeitstück da, aber so, daß nur ein Punkt davon durch Urimpression gegeben ist, und daß von da aus die Zeitstellen stetig in modifizierter Abstufung erscheinen, zurückgehend in die Vergangenheit. | Jede wahrgenommene Zeit ist wahrgenommen als Vergangenheit, die in Gegenwart terminiert. Und Gegenwart ist ein Grenzpunkt. An diese Gesetzmäßigkeit ist jede Auffassung gebunden, wie transzendent sie auch sein mag. Nehmen wir einen Vogelflug, eine Reiterschwadron im Galopp wahr u. dgl., so finden wir in der Empfindungsunterlage die beschriebenen Unterschiede, immer neue Urempfindungen, ihren Zeitstellencharakter, der ihre Individuation ergibt, mit sich führend, und andererseits finden wir dieselben Modi in der Auffassung. Eben dadurch erscheint das Objektive selbst, der Vogelflug, als Urgegebenheit im Jetztpunkt, aber als volle Gegebenheit in einem Vergangenheitskontinuum, das in dem Jetzt terminiert, und stetig in immer wieder neuem Jetzt, während das stetig Vorangegangene ins Vergangenheitskontinuum immer weiter zurückgerückt ist. Der erscheinende Vorgang hat immerfort die identischen absoluten Zeitwerte. Indem er sich nach dem abgelaufenen Stück immer weiter in die Vergangenheit zurückschiebt, schiebt er sich mit seinen absoluten Zeitstellen und damit mit seiner ganzen Zeitstrecke in die Vergangenheit: d. h. derselbe Vorgang mit derselben absoluten Zeitausbreitung erscheint immerfort (solange er überhaupt erscheint) identisch als derselbe, nur daß die Form seiner Gegebenheit eine verschiedene ist. Andererseits quillt zugleich in dem lebendigen Quellpunkt des Seins, dem Jetzt, immer neues Ursein auf, in Relation zu dem der Abstand der zum Vorgang gehörigen Zeitpunkte vom jeweiligen Jetzt sich stetig vergrößert, somit die Erscheinung des Zurücksinkens, Sich-entfernens erwächst.
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§ 32 Anteil der Reproduktion an der Konstitution der einen objektiven Zeit1
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Mit der Erhaltung der Individualität der Zeitpunkte beim Zurücksinken in die Vergangenheit haben wir aber noch nicht das Bewußtsein einer einheitlichen, homogenen, objektiven Zeit. Für das Zustandekommen dieses Bewußtseins spielt die reproduktive Erinnerung (als anschauliche wie in der Form leerer Intentionen) eine wichtige Rolle. Jeder zurückgeschobene Zeit | punkt kann vermöge einer reproduktiven Erinnerung zum Nullpunkt einer Zeitanschauung gemacht werden, und wiederholt gemacht werden. Das frühere Zeitfeld, in dem das gegenwärtig Zurückgeschobene ein Jetzt war, wird reproduziert und das reproduzierte Jetzt mit dem noch in frischer Erinnerung lebendigen Zeitpunkt identifiziert: die individuelle Intention ist dieselbe.2 Das reproduzierte Zeitfeld reicht weiter als das aktuell gegenwärtige. Nehmen wir darin einen Vergangenheitspunkt, so ergibt die Reproduktion durch Überschiebung mit dem Zeitfeld, in dem dieser Punkt das Jetzt war, einen weiteren Rückgang in die Vergangenheit usw. Dieser Prozeß ist evidentermaßen als unbegrenzt fortsetzbar zu denken, obwohl die aktuelle Erinnerung praktisch bald versagen wird. Es ist evident, daß jeder Zeitpunkt sein Vorher und Nachher hat, und daß die Punkte und Strecken vorher sich nicht verdichten können in der Weise einer Annäherung an eine mathematische Grenze wie etwa die Grenze der Intensität. Gäbe es einen Grenzpunkt, so entspräche diesem ein Jetzt, dem nichts vorangegangen wäre, und das ist evident unmöglich.3 Ein Jetzt ist immer und wesentlich ein Randpunkt einer Zeitstrecke. Und evident ist, daß diese ganze Strecke zurücksinken muß und dabei ihre ganze Größe, ihre ganze Individualität sich erhält. 1
Der Text von § 32 sowie noch der der ersten zwei Zeilen von § 33 fußt auf dem der Blätter „46“–„47“ des Vorlesungsmanuskripts von 1905. – Anm. d. Hrsg. 2 Vgl. Beilage IV: Wiedererinnerung und Konstitution von Zeitobjekten und objektiver Zeit, S. 107 ff. 3 Vgl. S. 40.
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Freilich ermöglicht die Phantasie und Reproduktion keine Extension der Zeitanschauung in dem Sinn, als ob der Umfang reell gegebener Zeitabstufungen im Simultanbewußtsein vergrößert würde. Man fragt vielleicht mit Beziehung darauf: wie kommt es bei diesen sukzessiven Aneinanderreihungen von Zeitfeldern zu der einen objektiven Zeit, mit der einen festen Ordnung? Die Antwort bietet die fortgesetzte Überschiebung der Zeitfelder, die in Wahrheit keine bloße zeitliche Aneinanderreihung von Zeitfeldern ist. Die sich überschiebenden Partien werden beim anschaulich-stetigen Rückgang in die Vergangenheit individuell identifiziert. Wenn wir so von jedem wirklich erlebten, d. h. im Wahrnehmungszeitfeld originär gegebenen oder von irgendeinem eine ferne Vergangenheit reproduzierenden Zeitpunkt her in die Vergangenheit zurückschreiten, sozusagen entlang einer festen | Kette zusammenhängender und immer wieder identifizierter Objektivitäten, wie begründet sich da die lineare Ordnung, wonach jede beliebige Zeitstrecke, auch die außer Kontinuität mit dem aktuellen Zeitfeld reproduzierte, ein Stück sein muß einer einzigen, bis zum aktuellen Jetzt fortlaufenden Kette? Selbst jede willkürlich phantasierte Zeit unterliegt der Forderung, daß, wenn sie als wirkliche Zeit soll gedacht werden können (d. i. als Zeit irgendeines Zeitobjekts), sie als Strecke innerhalb der einen und einzigen objektiven Zeit bestehen muß.
§ 33 Einige apriorische Zeitgesetze1
Offenbar gründet diese apriorische Forderung in der Geltung der unmittelbar zu erfassenden, der fundamentalen Zeitevidenzen, die aufgrund der Anschauungen von Zeitstellengegebenheiten evident werden. Vergleichen wir zunächst zwei Urempfindungen, oder vielmehr korrelativ zwei Urgegebenheiten, beide in einem Be1
Mit Ausnahme der ersten zwei Zeilen fußt der Text von § 33 auf dem der Blätter „61“–„62“ des Vorlesungsmanuskripts von 1905. – Anm. d. Hrsg.
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wußtsein wirklich als Urgegebenheiten, als Jetzt erscheinend, so sind sie durch ihre Materie von einander unterschieden, sie sind aber gleichzeitig, sie haben identisch dieselbe absolute Zeitstelle, sie sind beide jetzt, und in demselben Jetzt haben sie notwendig denselben Zeitstellenwert.1 Sie haben dieselbe Form der Individuation, sie konstituieren sich beide in Impressionen, die zur selben Impressionsstufe gehören. In dieser Identität modifizierten sie sich und behalten die Identität in der Vergangenheitsmodifikation immerfort. Eine Urgegebenheit und eine modifizierte Gegebenheit von verschiedenem oder gleichem Inhalt haben notwendig verschiedene Zeitstellen; und zwei modifizierte Gegebenheiten haben entweder dieselbe oder verschiedene Zeitstellen; dieselbe, wenn sie aus demselben Jetztpunkt entspringen, verschiedene, wenn aus verschiedenen. Das aktuelle Jetzt ist ein Jetzt und konstituiert eine Zeitstelle, wie viele Objektivitäten sich in ihm gesondert konstituieren: sie alle haben dieselbe zeitliche Gegenwart und behalten ihre Gleichzeitigkeit im Abfluß. Daß die Zeitstellen Abstände haben, daß diese | Größen sind u. dgl., das kann hier evident erschaut werden; ferner Wahrheiten wie das Transitivitätsgesetz oder das Gesetz: wenn a früher als b, so ist b später als a. Zum apriorischen Wesen der Zeit gehört es, daß sie eine Kontinuität von Zeitstellen ist mit bald identischen, bald wechselnden Objektivitäten, die sie erfüllen, und daß die Homogeneität der absoluten Zeit unaufhebbar sich konstituiert im Fluß der Vergangenheitsmodifikationen und im stetigen Hervorquellen eines Jetzt, des schöpferischen Zeitpunktes, des Quellpunktes der Zeitstellen überhaupt. Ferner gehört zum apriorischen Wesen der Sachlage, daß Empfindung, Auffassung, Stellungnahme, daß alles an demselben Zeitfluß mitbeteiligt ist, und daß notwendig die objektivierte absolute Zeit identisch dieselbe ist wie die Zeit, die zur Empfindung und Auffassung gehört. Die vorobjektivierte Zeit, die zur Empfindung gehört, fundiert notwendig die einzige Möglichkeit einer Zeitstellenobjektivation, die der Modifikation der Empfindung und dem Grade dieser 1
Zur Konstitution der Gleichzeitigkeit vgl. § 38, S. 76 ff., und Beilage VII, S. 115 ff.
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Modifikation entspricht. Dem objektivierten Zeitpunkt etwa, in dem ein Glockengeläute beginnt, entspricht der Zeitpunkt der entsprechenden Empfindung. Sie hat in der Anfangsphase dieselbe Zeit, d. h. wird sie nachträglich zum Gegenstand gemacht, so erhält sie notwendig die Zeitstelle, die mit der entsprechenden Zeitstelle des Glockengeläutes zusammenfällt. Ebenso ist die Zeit der Wahrnehmung und die Zeit des Wahrgenommenen identisch dieselbe.1 Der Wahrnehmungsakt sinkt ebenso in die Zeit zurück wie in der Erscheinung das Wahrgenommene, und in der Reflexion muß jeder Wahrnehmungsphase identisch dieselbe Zeitstelle gegeben werden wie dem Wahrgenommenen. | Dritter Abschnitt die konstitutionsstufen der zeit und der zeitobjekte § 34 Scheidung der Konstitutionsstufen 2, 3
Nachdem wir, von den augenfälligsten Phänomenen ausgehend, das Zeitbewußtsein nach einigen Hauptrichtungen und in verschiedenen Schichten studiert haben, wird es gut sein, die verschiedenen Konstitutionsstufen einmal in ihrem wesensmäßigen Aufbau festzustellen und systematisch durchzugehen. Wir fanden: 1. die Dinge der Erfahrung in der objektiven Zeit (wobei noch verschiedene Stufen des empirischen Seins zu scheiden wären, die bisher nicht berücksichtigt wurden: das Erfahrungsding des einzelnen Subjekts, das intersubjektiv identische Ding, das Ding der Physik); 1
Vgl. Beilage V: Gleichzeitigkeit von Wahrnehmung und Wahrgenommenem, S. 109 ff. 2 Der Text von § 34 schließt in etwa an den der in den Ergänzenden Texten wiedergegebenen Aufzeichnung Nr. 40 aus den Jahren 1907 bis 1909 an; vgl. S. 286 ff. – Anm. d. Hrsg. 3 Vgl. zu diesem und den folgenden Paragraphen Beilage VI : Erfassung des absoluten Flusses. – Wahrnehmung in vierfachem Sinne, S. 111 ff.
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2. die konstituierenden Erscheinungsmannigfaltigkeiten verschiedener Stufe, die immanenten Einheiten in der präempirischen Zeit; 3. den absoluten zeitkonstituierenden Bewußtseinsfluß.
§ 35 Unterschiede der konstituierten Einheiten und des konstituierenden Flusses1
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Dieses absolute, aller Konstitution vorausliegende Bewußtsein soll nun zunächst etwas näher erörtert werden. Seine Eigentümlichkeit tritt deutlich hervor im Kontrast zu den konstituierten Einheiten verschiedenster Stufe:2 1. Jedes individuelle Objekt (jede im Strom konstituierte | Einheit, sei es immanente oder transzendente) dauert und dauert notwendig, d. h. es ist kontinuierlich in der Zeit und ist Identisches in diesem kontinuierlichen Sein, das zugleich als Vorgang angesehen werden kann. Umgekehrt: was in der Zeit ist, ist kontinuierlich in der Zeit und ist Einheit des Vorgangs, der Einheit des Dauernden im Vorgehen unabtrennbar mit sich führt. Im Ton-Vorgang liegt Einheit des Tons, der während des Vorgangs dauert, und Einheit des Tones umgekehrt ist Einheit in der erfüllten Dauer, d. i. im Vorgang. Ist also irgendetwas bestimmt als in einem Zeitpunkt seiend, so ist es nur denkbar als Phase eines Vorgangs, in welcher zugleich die Dauer eines individuellen Seins ihren Punkt hat. 2. Prinzipiell ist individuelles oder konkretes Sein Unveränderung oder Veränderung; der Vorgang ist ein Veränderungsvorgang oder eine Ruhe, das dauernde Objekt selbst ein sich veränderndes oder ruhendes. Jede Veränderung hat dabei ihre Veränderungsgeschwindigkeit oder -beschleunigung (im 1
Vgl. S. 113 ff. 2 Der Text von §§ 35–39 fußt von hier ab auf dem einer wohl nicht vor Ende 1911 entstandenen Aufzeichnung, die unten in den Ergänzenden Texten, Nr. 54, in ihrer ursprünglichen Form vollständig (soweit erhalten) wiedergegeben ist; vgl. S. 368 ff. und die dortigen Rückverweise. – Anm. d. Hrsg.
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Gleichnis) mit Beziehung auf dieselbe Dauer. Prinzipiell ist jede Phase einer Veränderung in eine Ruhe auszubreiten, jede Phase einer Ruhe in eine Veränderung überzuleiten. Betrachten wir nun im Vergleich dazu die konstituierenden Phänomene, so finden wir einen Fluß, und jede Phase dieses Flusses ist eine Abschattungskontinuität. Aber prinzipiell ist keine Phase dieses Flusses auszubreiten in eine kontinuierliche Folge, also der Fluß so umgewandelt zu denken, daß diese Phase sich ausdehnte in Identität mit sich selbst. Ganz im Gegenteil finden wir prinzipiell notwendig einen Fluß stetiger „Veränderung“, und diese Veränderung hat das Absurde, daß sie genau so läuft, wie sie läuft, und weder „schneller“ noch „langsamer“ laufen kann. Sodann fehlt hier jedes Objekt, das sich verändert; und sofern in jedem Vorgang „etwas“ vorgeht, handelt es sich hier um keinen Vorgang. Es ist nichts da, das sich verändert, und darum kann auch von etwas, das dauert, sinnvoll keine Rede sein. Es ist also sinnlos, hier etwas finden zu wollen, was in einer Dauer sich einmal nicht verändert.
§ 36 Der zeitkonstituierende Fluß als absolute Subjektivität
Die zeitkonstituierenden Phänomene sind also evidentermaßen prinzipiell andere Gegenständlichkeiten als die in der | Zeit konstituierten. Sie sind keine individuellen Objekte bzw. keine individuellen Vorgänge, und die Prädikate solcher können ihnen sinnvoll nicht zugeschrieben werden. Also kann es auch keinen Sinn haben, von ihnen zu sagen (und in gleicher Bedeutung zu sagen), sie seien im Jetzt und seien vorher gewesen, sie folgten einander zeitlich nach oder seien miteinander gleichzeitig usw. Wohl aber kann und muß man sagen: eine gewisse Erscheinungskontinuität, nämlich eine solche, die Phase des zeitkonstituierenden Flusses ist, gehöre zu einem Jetzt, nämlich zu dem, das sie konstituiert, und gehöre zu einem Vorher, nämlich als die, die konstitutiv ist (wir können nicht sagen: war) für das Vorher. Aber ist nicht der Fluß ein Nacheinander, hat er nicht doch ein Jetzt, eine aktuelle Phase und eine Kontinuität von Vergangenheiten, in Retentionen jetzt bewußt? Wir
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können nicht anders sagen als: Dieser Fluß ist etwas, das wir nach dem Konstituierten so nennen, aber es ist nichts zeitlich „Objektives“. Es ist die absolute Subjektivität und hat die absoluten Eigenschaften eines im Bilde als „Fluß“ zu Bezeichnenden, in einem Aktualitätspunkt, Urquellpunkt, „Jetzt“ Entspringenden usw. Im Aktualitätserlebnis haben wir den Urquellpunkt und eine Kontinuität von Nachhallmomenten. Für all das fehlen uns die Namen.
§ 37 Erscheinungen transzendenter Objekte als konstituierte Einheiten
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Es ist noch zu bemerken, daß, wenn wir vom „Wahrnehmungsakt“ sprechen und sagen, er sei der Punkt eigentlichen Wahrnehmens, dem eine kontinuierliche Folge von „Retentionen“ angeschlossen sei, wir damit keine zeitlichen immanenten Einheiten beschrieben haben, sondern gerade Momente des Flusses. Nämlich die Erscheinung, etwa die eines Hauses, ist ein zeitliches Sein, ein dauerndes, sich veränderndes usw. Ebensogut wie der immanente Ton, der keine Erscheinung ist. Aber die Haus-Erscheinung ist nicht das Wahrnehmungsbewußtsein und retentionale Bewußtsein. Dieses kann nur verstanden werden als das zeitkonstituierende, als Moment des Flusses. Ebenso ist die Erinnerungserscheinung (oder das erinnerte Immanente, ev. der erinnerte immanente primäre Inhalt) zu unterscheiden vom | Erinnerungsbewußtsein mit seinen Erinnerungsretentionen. Wir haben überall zu scheiden: Bewußtsein (Fluß), Erscheinung (immanentes Objekt), transzendenter Gegenstand (wenn nicht ein primärer Inhalt immanentes Objekt ist). Nicht alles Bewußtsein hat Beziehung auf „objektiv“ (nämlich transzendentes) Zeitliches, auf objektive Individualität, wie z. B. das der äußeren Wahrnehmung. In jedem Bewußtsein finden wir einen „immanenten Inhalt“, dieser ist bei den Inhalten, die „Erscheinungen“ heißen, entweder Erscheinung von Individuellem (einem äußeren Zeitlichen) oder Erscheinung von Nicht-Zeitlichem. Im Urteilen z. B. habe ich die Erscheinung „Urteil“, nämlich als immanente zeitliche Ein-
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heit, und darin „erscheint“ das Urteil im logischen Sinne.1 Das Urteilen hat immer den Charakter des Flusses. Überall ist sonach das, was wir in den Logischen Untersuchungen „Akt“ oder „intentionales Erlebnis“ nannten, ein Fluß, in dem eine immanente Zeiteinheit sich konstituiert (das Urteil, der Wunsch usw.), die ihre immanente Dauer hat und ev. schneller oder weniger schnell vonstatten geht. Diese Einheiten, die sich im absoluten Strom konstituieren, sind in der immanenten Zeit, die eine ist, und in ihr gibt es ein Gleichzeitig und gleichlange Dauer (oder ev. dieselbe Dauer, nämlich für zwei immanente gleichzeitig dauernde Objekte), ferner eine gewisse Bestimmbarkeit nach Vorher und Nachher.
§ 38 Einheit des Bewußtseinsflusses und Konstitution von Gleichzeitigkeit und Folge2
Mit der Konstitution solcher immanenten Objekte, ihrem Erwachsen aus immer neuen Urempfindungen und Modifikationen haben wir uns früher bereits beschäftigt3. In der Reflexion finden wir nun einen einzigen Fluß, der in viele Flüsse zerfällt; diese Vielheit hat aber doch eine Einheitlichkeit, die die Rede von einem Fluß zuläßt und fordert. Wir finden viele Flüsse, sofern viele Reihen von Urempfindungen anfangen und enden. Aber wir finden eine verbindende Form, sofern für alle nicht | nur gesondert das Gesetz der Umwandlung von Jetzt in Nichtmehr und andererseits von Noch-nicht in Jetzt statthat, vielmehr so etwas wie eine gemeinsame Form des Jetzt, eine Gleichheit überhaupt im Flußmodus besteht. Mehrere, viele Urempfindungen sind „auf einmal“, und wenn jede fließt, so fließt die Vielheit „zugleich“ und in völlig gleichem Modus, mit völlig gleichen Abstufungen, in völlig gleichem Tempo: nur daß die eine im allgemeinen aufhört, während die andere noch ihr Noch-nicht, nämlich ihre neuen Urempfindungen vor sich hat, 1 2 3
„Erscheinung“ ist hier im erweiterten Sinne gebraucht. Vgl. Beilage VII : Konstitution der Gleichzeitigkeit, S. 115 f. Vgl. § 11, S. 29 ff.
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die die Dauer des in ihr Bewußten noch fortsetzen. Oder besser beschrieben: Die vielen Urempfindungen fließen und verfügen von vornherein über dieselben Ablaufsmodi, nur setzen sich die Urempfindungsreihen, die konstitutiv sind für dauernde immanente Objekte, verschieden weit fort, der verschiedenen Dauer der immanenten Objekte entsprechend. Sie machen nicht alle in gleicher Weise von den formalen Möglichkeiten Gebrauch. Die immanente Zeit konstituiert sich als eine für alle immanenten Objekte und Vorgänge. Korrelativ ist das Zeitbewußtsein vom Immanenten eine Alleinheit. Allumfassend ist das „Zusammen“, „Zugleich“ der aktuellen Urempfindungen, allumfassend das „Vorhin“, „Vorangegangensein“ aller eben vorangegangenen Urempfindungen, die stete Umwandlung jedes Zusammen von Urempfindungen in ein solches Vorhin; dieses Vorhin ist eine Kontinuität, und jeder ihrer Punkte ist eine gleichartige, identische Ablaufsform für das gesamte Zusammen. Es unterliegt das ganze „Zusammen“ von Urempfindungen dem Gesetz, daß es sich in ein stetiges Kontinuum von Bewußtseinsmodi, von Modi der Abgelaufenheit wandelt, und daß in derselben Stetigkeit ein immer neues Zusammen von Urempfindungen originär entspringt, um stetig wieder in Abgelaufenheiten überzugehen. Was ein Zusammen ist als Urempfindungs-Zusammen, das verbleibt ein Zusammen im Modus der Abgelaufenheit. Urempfindungen haben ihr kontinuierliches „Nacheinander“ im Sinne eines kontinuierlichen Ablaufs, und Urempfindungen haben ihr Zusammen, ihr „Zugleich“. Die zugleich sind, sind wirkliche Urempfindungen, im Nacheinander aber ist eine Empfindung oder eine Gruppe des Zusammen wirkliche Urempfindung, die anderen sind abgelaufene. Was besagt das aber? Man kann da weiter nichts sagen als „siehe“: eine Urempfindung oder eine Gruppe | von Urempfindungen, die ein immanentes Jetzt bewußt hat, (ein Ton-Jetzt, im selben Jetzt eine Farbe usw.), wandelt sich stetig in Modi des Vorhin-Bewußtseins, in dem das immanente Objekt als vergangen bewußt ist, und „zugleich“, zusammen damit tritt eine neue und immer neue Urempfindung auf, ein immer neues Jetzt ist etabliert, und dabei ist ein immer neues Ton-Jetzt, Gestalt-Jetzt usw. bewußt. In einer Gruppe von Urempfindungen
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unterscheidet sich Urempfindung von Urempfindung durch den Inhalt, nur das Jetzt ist dasselbe. Das Bewußtsein, seiner Form nach, als Urempfindungsbewußtsein, ist identisch. Aber „zusammen“ mit dem Urempfindungsbewußtsein sind kontinuierliche Reihen von Verlaufsmodi „früherer“ Urempfindungen, früheren Jetztbewußtseins. Dieses Zusammen ist ein Zusammen von der Form nach kontinuierlich abgewandelten Bewußtseinsmodi, während das Zusammen der Urempfindungen ein Zusammen von lauter formidentischen Modi ist. In der Kontinuität der Ablaufsmodi können wir einen Punkt herausnehmen, dann finden wir in diesem auch ein Zusammen von formgleichen Ablaufsmodi oder vielmehr einen identischen Ablaufsmodus. Diese beiden Zusammen muß man wesentlich unterscheiden. Das eine ist ein Grundstück für Konstitution der Gleichzeitigkeit, das andere Grundstück für Konstitution der zeitlichen Folge, obschon andererseits Gleichzeitigkeit nichts ohne zeitliche Folge und zeitliche Folge nichts ohne Gleichzeitigkeit ist, somit Gleichzeitigkeit und zeitliche Folge sich korrelativ und unabtrennbar konstituieren müssen. Terminologisch können wir zwischen fluxionalem Vor-Zugleich und impressionalem Zugleich von Fluxionen scheiden. Wir können nicht ein oder das andere Zugleich ein Gleichzeitig nennen. Von einer Zeit des letzten konstituierenden Bewußtseins kann nicht mehr gesprochen werden. Mit den Urempfindungen, die den retentionalen Prozeß einleiten, konstituiert sich ursprünglich die Gleichzeitigkeit etwa einer Farbe und eines Tones, ihr Sein in einem „aktuellen Jetzt“, aber die Urempfindungen selbst sind nicht gleichzeitig, und erst recht nennen wir die Phasen des fluxionalen Vor-Zugleich nicht gleichzeitige Bewußtseinsphasen, ebensowenig wie wir das Nacheinander des Bewußtseins eine Zeitfolge nennen können. | Was dieses Vor-Zugleich ist, wissen wir aus unseren früheren Analysen: das Kontinuum von Phasen, die sich an eine Urempfindung anschließen und deren jede retentionales Bewußtsein vom früheren Jetzt („ursprüngliche Erinnerung“ von ihm) ist. Dabei ist zu beachten: Wenn die Urempfindung zurücktritt, sich stetig modifiziert, so haben wir nicht nur überhaupt ein Erlebnis, das eine Modifikation des früheren ist, sondern wir
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können den Blick so in es hineingewendet haben, daß wir im modifizierten sozusagen das früher nicht-modifizierte „sehen“. Wenn eine nicht zu schnelle Tonfolge abläuft, können wir nach dem Ablauf des ersten Tones nicht nur auf ihn „hinsehen“ als auf einen „noch gegenwärtigen“, obschon nicht mehr empfundenen, sondern darauf achten, daß der Bewußtseinsmodus, den soeben dieser Ton hat, eine „Erinnerung“ ist an den Bewußtseinsmodus der Urempfindung, in dem er als jetzt gegeben war. Dann muß aber scharf geschieden werden zwischen dem Vergangenheitsbewußtsein (dem retentionalen und ebenso dem „wieder“-vergegenwärtigenden), in dem ein immanentes Zeitobjekt als vorhin bewußt ist, und zwischen der Retention, bzw. der wiedererinnernden „Reproduktion“ (je nachdem es sich um den ursprünglichen Fluß der Empfindungsmodifikation handelt oder um seine Wiedervergegenwärtigung) der früheren Urempfindung. Und ebenso für jede andere Fluxion. Ist irgend eine Phase der Dauer eines immanenten Objektes Jetztphase, also in Urempfindung bewußt, so sind im VorZugleich mit dieser Urempfindung vereint kontinuierlich sich aneinanderschließende Retentionen, die in sich charakterisiert sind als Modifikationen der Urempfindungen, die zu den sämtlichen übrigen zeitlich abgelaufenen Punkten der konstituierten Dauer gehören. Jede dieser Retentionen hat einen bestimmten Modus, dem der Zeitabstand vom Jetztpunkt entspricht. Jede ist Vergangenheitsbewußtsein von dem entsprechenden früheren Jetztpunkt und gibt ihn im Modus des Vorhin, der seiner Stellung in der abgelaufenen Dauer entspricht. |
§ 39 Die doppelte Intentionalität der Retention und die Konstitution des Bewußtseinsflusses1
Die Doppelheit in der Intentionalität der Retention gibt uns einen Fingerzeig zur Lösung der Schwierigkeit, wie es möglich ist, von einer Einheit des letzten konstituierenden Bewußtseins1
Vgl. Beilage VIII : Doppelte Intentionalität des Bewußtseinsstromes, S. 116 ff.
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flusses zu wissen. Eine Schwierigkeit liegt hier ohne Zweifel vor: Ist ein geschlossener (zu einem dauernden Vorgang oder Objekt gehöriger) Fluß abgelaufen, so kann ich doch auf ihn zurückblicken, er bildet, wie es scheint, in der Erinnerung eine Einheit. Also konstituiert sich offenbar auch der Bewußtseinsfluß im Bewußtsein als Einheit. In ihm konstituiert sich z. B. die Einheit einer Ton-Dauer, er selbst aber als Einheit des TonDauer-Bewußtseins konstituiert sich wieder. Und müssen wir dann nicht weiter auch sagen, diese Einheit konstituiere sich in ganz analoger Weise und sei ebensogut eine konstituierte Zeitreihe, man müsse also doch von zeitlichem Jetzt, Vorhin und Nachher sprechen? Nach den letzten Ausführungen können wir folgende Antwort geben: Es ist der eine, einzige Bewußtseinsfluß, in dem sich die immanente zeitliche Einheit des Tons konstituiert und zugleich die Einheit des Bewußtseinsflusses selbst. So anstößig (wo nicht anfangs sogar widersinnig) es erscheint, daß der Bewußtseinsfluß seine eigene Einheit konstituiert, so ist es doch so. Und es läßt sich aus seiner Wesenskonstitution verständlich machen. Der Blick kann sich einmal durch die im stetigen Fortgang des Flusses sich „deckenden“ Phasen als Intentionalitäten vom Ton richten. Der Blick kann aber auch auf den Fluß, auf eine Strecke des Flusses, auf den Übergang des fließenden Bewußtseins vom Ton-Einsatz zum Ton-Ende gehen. Jede Bewußtseinsabschattung der Art „Retention“ hat eine doppelte Intentionalität: einmal die für die Konstitution des immanenten Objekts, des Tones dienende, das ist diejenige, die wir „primäre Erinnerung“ an den (soeben empfundenen) Ton nennen, oder deutlicher eben Retention des Tones. Die andere ist die für die Einheit dieser primären Erinnerung im Fluß konstitutive; nämlich die Retention ist in eins damit, daß sie Noch-Bewußt | sein, zurückhaltendes, eben Retention ist, Retention der verflossenen Ton-Retention: sie ist in ihrem stetigen Sich-abschatten im Fluß stetige Retention von den stetig vorangegangenen Phasen. Fassen wir irgendeine Phase des Bewußtseinsflusses ins Auge (in der Phase erscheint ein TonJetzt und eine Strecke der Ton-Dauer in dem Modus der Soeben-Abgeflossenheit), so befaßt sie eine im Vor-Zugleich ein-
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heitliche Kontinuität von Retentionen; diese ist Retention von der gesamten Momentankontinuität der kontinuierlich vorangegangenen Phasen des Flusses (im Einsatzglied ist sie neue Urempfindung, im stetig ersten Glied, das nun folgt, in der ersten Abschattungsphase, unmittelbare Retention der vorangegangenen Urempfindung, in der nächsten Momentanphase Retention der Retention der vorvorangegangenen Urempfindung usw.). Lassen wir nun den Fluß fortfließen, so haben wir das Flußkontinuum im Ablauf, das die eben beschriebene Kontinuität sich retentional abwandeln läßt, und dabei ist jede neue Kontinuität von momentan-zugleich seienden Phasen Retention in Beziehung auf die Gesamtkontinuität des Zugleich in der vorangegangenen Phase. So geht also durch den Fluß eine Längsintentionalität, die im Lauf des Flusses in stetiger Dekkungseinheit mit sich selbst ist. Im absoluten Übergehen, fließend, wandelt sich die erste Urempfindung in Retention von ihr, diese Retention in Retention von dieser Retention usw. Zugleich aber mit der ersten Retention ist ein neues „ Jetzt“, eine neue Urempfindung da, und mit jener kontinuierlich-momentan verbunden, so daß die zweite Phase des Flusses Urempfindung des neuen Jetzt und Retention des früheren ist, die dritte Phase abermals neue Urempfindung mit Retention der zweiten Urempfindung und Retention von der Retention der ersten usw. Hierbei ist mit in Rechnung zu ziehen, daß Retention von einer Retention nicht nur Intentionalität hat in Beziehung auf das unmittelbar Retinierte, sondern auch in Beziehung auf das im Retinieren Retinierte zweiter Stufe und zuletzt in Beziehung auf das Urdatum, das hier durchgehend objektiviert ist. Analog wie eine Vergegenwärtigung einer Dingerscheinung nicht nur Intentionalität hat in Beziehung auf die Dingerscheinung, sondern auch in Beziehung auf das erscheinende Ding, oder besser noch, wie eine Erinnerung | von A nicht nur die Erinnerung, sondern auch das A als Erinnertes der Erinnerung bewußt macht. Demnach, meinen wir, konstituiere sich im Flusse des Bewußtseins vermöge der Stetigkeit der retentionalen Abwandlungen und des Umstandes, daß sie stetig Retentionen von den stetig vorangegangenen sind, die Einheit des Flusses selbst als
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eine eindimensionale quasi-zeitliche Ordnung. Nehme ich die Richtung auf den Ton, lebe ich mich aufmerkend in die „Querintentionalität“ ein (in die Urempfindung als Empfindung vom jeweiligen Ton-Jetzt, in die retentionalen Abwandlungen als primäre Erinnerungen der Reihe der abgelaufenen Ton-Punkte und im Fluß der retentionalen Abwandlungen der Urempfindungen und der schon vorhandenen Retentionen die Einheit immerfort erfahrende), so steht der dauernde Ton da, sich in seiner Dauer immerfort erweiternd. Stelle ich mich auf die „Längsintentionalität“ ein und auf das in ihr sich Konstituierende, so werfe ich den reflektierenden Blick vom Ton (der so und so lange gedauert hat) auf das im Vor-Zugleich nach einem Punkt Neue der Urempfindung und das nach einer stetigen Reihe „zugleich“ damit Retinierte. Das Retinierte ist das vergangene Bewußtsein nach seiner Phasenreihe (zunächst seiner vorangegangenen Phase), und nun, im stetigen Fortfluß des Bewußtseins, erfasse ich die retinierte Reihe des abgelaufenen Bewußtseins mit dem Grenzpunkt der aktuellen Urempfindung und der stetigen Zurückschiebung dieser Reihe mit der Neuansetzung von Retentionen und von Urempfindungen. Man kann hier fragen: kann ich in einem Blick das ganze in einem Vor-Zugleich beschlossene retentionale Bewußtsein des vergangenen Bewußtseinslaufes finden und fassen? Offenbar ist der notwendige Prozeß der, daß ich erst das Vor-Zugleich selbst erfassen muß, und das modifiziert sich stetig, es ist ja nur, was es ist, im Fluß; und nun ist der Fluß, soweit er dieses Vor-Zugleich abwandelt, intentional mit sich selbst in Dekkung, konstituiert Einheit im Fluß, und das Eine und Identische erhält einen stetigen Modus der Zurückschiebung, immer Neues setzt sich vorne an, um alsbald ebenso wieder zu verfließen in seinem Momentanzusammenhang. Während dieses Prozesses kann der Blick fixiert bleiben auf das MomentanZugleich, das herabsinkt; aber die Konstitution der retentionalen Einheit reicht darüber | hinaus, fügt immer Neues hinzu. Darauf kann sich in diesem Prozeß der Blick lenken, und es ist immer Bewußtsein im Fluß als konstituierte Einheit. Demnach sind in dem einen, einzigen Bewußtseinsfluß zwei untrennbar einheitliche, wie zwei Seiten einer und derselben
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Sache einander fordernde Intentionalitäten miteinander verflochten. Vermöge der einen konstituiert sich die immanente Zeit, eine objektive Zeit, eine echte, in der es Dauer und Veränderung von Dauerndem gibt; in der anderen die quasi-zeitliche Einordnung der Phasen des Flusses, der immer und notwendig den fließenden „Jetzt“-Punkt, die Phase der Aktualität hat und die Serien der voraktuellen und nachaktuellen (der noch nicht aktuellen) Phasen. Diese präphänomenale, präimmanente Zeitlichkeit konstituiert sich intentional als Form des zeitkonstituierenden Bewußtseins und in ihm selbst. Der Fluß des immanenten zeitkonstituierenden Bewußtseins ist nicht nur, sondern so merkwürdig und doch verständlich geartet ist er, daß in ihm notwendig eine Selbsterscheinung des Flusses bestehen und daher der Fluß selbst notwendig im Fließen erfaßbar sein muß. Die Selbsterscheinung des Flusses fordert nicht einen zweiten Fluß, sondern als Phänomen konstituiert er sich in sich selbst.1 Das Konstituierende und das Konstituierte decken sich, und doch können sie sich natürlich nicht in jeder Hinsicht decken. Die Phasen des Bewußtseinsflusses, in denen Phasen desselben Bewußtseinsflusses sich phänomenal konstituieren, können nicht mit diesen konstituierten Phasen identisch sein, und sind es auch nicht. Was im MomentanAktuellen des Bewußtseinsflusses zur Erscheinung gebracht wird, das sind in der Reihe der retentionalen Momente desselben vergangene Phasen des Bewußtseinsflusses.
§ 40 Die konstituierten immanenten Inhalte2
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Gehen wir nun über in die Schicht der immanenten „Inhalte“, deren Konstitution die Leistung des absoluten Bewußtseinsflusses ist, und betrachten wir sie etwas näher. Diese immanenten | Inhalte sind die Erlebnisse im gewöhnlichen Sinn: die Empfindungsdaten (seien es auch unbeachtete), etwa ein Rot, 1
Vgl. Beilage IX: Urbewußtsein und Möglichkeit der Reflexion, S. 118 ff. 2 Die Manuskriptunterlage für den Text von § 40 konnte nicht aufgefunden werden. – Anm. d. Hrsg.
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ein Blau und dgl.; ferner die Erscheinungen (Haus-Erscheinung, Umgebungserscheinung usw.), ob auf sie und ihre „Gegenstände“ geachtet wird oder nicht; sodann die „Akte“ des Aussagens, Wünschens, Wollens usw. und die zugehörigen reproduktiven Modifikationen (Phantasien, Erinnerungen). All das sind Bewußtseinsinhalte, Inhalte des Zeitgegenstände konstituierenden Urbewußtseins, das nicht selbst wieder in diesem Sinne Inhalt, Gegenstand in der phänomenologischen Zeit ist. Die immanenten Inhalte sind, was sie sind, nur sofern sie während ihrer „aktuellen“ Dauer vorweisen auf ein Zukünftiges und zurückweisen auf ein Vergangenes. Bei diesen Hinund Rückweisen ist aber noch Verschiedenes zu unterscheiden: In jeder Urphase, die den immanenten Inhalt ursprünglich konstituiert, haben wir Retentionen der vorangegangenen und Protentionen der kommenden Phasen eben dieses Inhaltes, und diese Protentionen erfüllen sich, solange eben dieser Inhalt dauert. Diese „bestimmten“ Retentionen und Protentionen haben einen dunklen Horizont, sie gehen fließend über in unbestimmte, auf den vergangenen und künftigen Ablauf des Stromes bezügliche, durch die sich der aktuelle Inhalt der Einheit des Stromes einfügt. Wir haben sodann von den Retentionen und Protentionen zu scheiden die Wiedererinnerungen und Erwartungen, die nicht auf die konstituierenden Phasen des immanenten Inhalts gehen, sondern vergangene bzw. künftige immanente Inhalte vergegenwärtigen. Die Inhalte dauern, sie haben ihre Zeit, sie sind individuelle Objektivitäten, die Einheiten der Veränderung oder Unveränderung sind.
§ 41 Evidenz der immanenten Inhalte. Veränderung und Unveränderung1
Spricht man von der evidenten Gegebenheit eines immanenten Inhalts, so kann die Evidenz selbstverständlich nicht bedeuten die zweifellose Sicherheit bezüglich des punktuellen zeit1
Der Text von § 41 fußt auf dem der Blätter „47“–„49“ des Vorlesungsmanuskripts von 1905. – Anm. d. Hrsg.
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lichen Daseins des Tones; eine so gefaßte Evidenz (wie sie z. B. noch | von Brentano angenommen wurde) möchte ich für eine Fiktion halten. Gehört zum Wesen eines in der Wahrnehmung zu gebenden Inhalts, daß er zeitlich extendiert ist, so kann die Zweifellosigkeit der Wahrnehmung nichts anderes bedeuten als Zweifellosigkeit hinsichtlich des zeitlich extendierten Daseins.1 Und das heißt wiederum: Alle Frage, die sich richtet auf individuelle Existenz, kann nur ihre Beantwortung finden durch Rückgang auf die Wahrnehmung, die uns individuelle Existenz im strengsten Sinne gibt. Soweit sich mit Wahrnehmung selbst noch solches mischt, was nicht Wahrnehmung ist, soweit besteht in ihr noch Fraglichkeit. Handelt es sich nun um immanente Inhalte und nicht um empirische Dinglichkeiten, so ist Dauern und Sich-verändern, Koexistieren und Aufeinanderfolgen in Wahrnehmungen voll und ganz zu realisieren und ist oft genug wirklich realisiert. Es geschieht das in Wahrnehmungen, die eben rein schauende, die dauernden oder sich verändernden Inhalte als solche im eigentlichsten Sinne konstituierende Wahrnehmungen sind; Wahrnehmungen, die in sich selbst nichts mehr von möglichen Fraglichkeiten enthalten: auf sie werden wir bei allen Ursprungsfragen zurückgeleitet, aber sie selbst schließen eine weitere Frage nach dem Ursprung aus. Es ist klar, daß die vielberedete Evidenz der inneren Wahrnehmung, die Evidenz der cogitatio, jede Bedeutung und jeden Sinn verlieren würde, wenn wir die zeitliche Extension aus der Sphäre der Evidenz und wahrhaften Gegebenheit ausschließen wollten. Betrachten wir nun dies Evidenzbewußtsein der Dauer und analysieren wir dieses Bewußtsein selbst. Wenn der Ton c (und zwar nicht bloß die Qualität c, sondern der gesamte TonInhalt, der ganz und gar unverändert bleiben soll) dauernd wahrgenommen und als dauernd gegeben ist, so ist das c über eine Strecke des unmittelbaren Zeitfeldes gedehnt, d. h. in jedem Jetzt tritt nicht ein anderer Ton auf, sondern immerfort und kontinuierlich derselbe. Daß immerfort derselbe auftritt, diese Kontinuität der Identität ist ein innerer Charakter des 1
Über innere Wahrnehmung vgl. § 44, S. 94 ff.
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Bewußtseins. Die Zeitstellen sind nicht voneinander geschieden durch sich absondernde Akte, die Einheit der Wahrnehmung ist hier bruchlose Einheit, die aller sich absetzenden inneren Unterschiede entbehrt. | Andererseits bestehen doch Unterschiede, sofern jeder Zeitpunkt individuell verschieden ist von jedem anderen, aber eben verschieden und nicht geschieden. Die ununterscheidbare Gleichheit der Zeitmaterie und die Stetigkeit der Modifikation des zeitsetzenden Bewußtseins fundiert wesentlich die Verschmolzenheit zur Einheit der bruchlosen Ausdehnung des c, und damit erwächst erst eine konkrete Einheit. Erst als zeitlich gedehnter ist der Ton c ein konkretes Individuum. Das Konkrete ist jeweils das allein Gegebene, und selbstverständlich sind es intellektive Prozesse der Analyse, die Ausführungen wie die eben versuchten ermöglichen. Die bruchlose Einheit des c, die das Erstgegebene ist, erweist sich als eine teilbare Einheit, als eine Verschmolzenheit von ideell darin zu unterscheidenden und eventuell darin zu findenden Momenten, z. B. durch das Hilfsmittel gleichzeitiger Sukzession, durch welche in der parallel ablaufenden Dauer Abschnitte unterscheidbar werden, in Beziehung auf welche dann ein Vergleichen und Identifizieren statthaben kann. Im übrigen operieren wir bei solchen Beschreibungen schon ein wenig mit idealisierenden Fiktionen. Es ist eine Fiktion, daß der Ton absolut ungeändert dauere. In irgendwelchen Momenten wird ein größeres oder geringeres Schwanken immer statthaben, und so wird die kontinuierliche Einheit hinsichtlich eines Momentes verbunden sein mit einer ihr indirekte Teilung verschaffenden Unterschiedenheit eines anderen Moments. Der Bruch der qualitativen Identität, das Springen von einer zu einer anderen Qualität innerhalb derselben Qualitätsgattung an einer Zeitstelle – ergibt ein neues Erlebnis, das Erlebnis des Wechsels, wobei es evident ist, daß nicht in jedem Zeitpunkt einer Zeitstrecke eine Diskontinuität möglich ist. Diskontinuität setzt voraus Kontinuität, sei es in Form der änderungslosen Dauer oder der stetigen Veränderung. Was die letztere, die stetige Veränderung, anbelangt, so gehen die Phasen des Änderungsbewußtseins ebenfalls bruchlos, also in
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der Weise des Einheits-, des Identitätsbewußtseins ineinander über, so wie im Fall der änderungslosen Dauer. Aber die Einheit erweist sich nicht als unterschiedslose Einheit. Was zunächst unterschiedslos ineinander übergeht, stellt im Fortgang der kontinuierlichen Synthesis Abweichung und immer größere Abweichung heraus, und so mischt sich Gleichheit und Unterschiedenheit, und eine | Kontinuität der Steigerung der Unterschiedenheit mit wachsender Extension ist gegeben. Die ursprüngliche Jetzt-Intention erscheint, indem sie sich individuell forterhält, im neuen und immer neuen Simultanbewußtsein in eins gesetzt mit Intentionen, die, je ferner sie ihr zeitlich stehen, eine sich immer steigernde Unterschiedenheit, einen Abstand hervortreten lassen. Das zunächst sich Deckende und dann fast Deckende tritt immer mehr auseinander, das Alte und Neue erscheint nicht mehr als im Wesen völlig dasselbe, sondern als ein immer Anderes und Fremderes, trotz gattungsmäßiger Gemeinsamkeit. So erwächst also das Bewußtsein des „allmählich geändert“, des sich steigernden Abstandes im Fluß stetiger Identifizierung. Im Falle der veränderungslosen Dauer haben wir stetiges Einheitsbewußtsein, das im Fortschreiten immerfort homogenes Einheitsbewußtsein bleibt. Die Deckung setzt sich durch die ganze Reihe der stetig fortschreitenden Intentionen hindurch 〈 fort 〉, und die durchgehende Einheit ist immerfort Einheit der Deckung, sie läßt kein Bewußtsein des „anders“, des Sich-entfernens, des Abstandes aufkommen. Im Bewußtsein der Veränderung findet auch Deckung statt, die ebenfalls in gewisser Weise hindurchgeht durch die ganze zeitliche Extension; aber in der Deckung nach dem Allgemeinen tritt zugleich und sich steigernd Abweichung nach der Differenz hervor. Die Art, wie in der Zeitstrecke die Materie der Veränderung sich verteilt, bestimmt das Bewußtsein der schnellen oder langsamen Veränderung, ihrer Geschwindigkeit und Beschleunigung. In jedem Fall aber, und nicht nur im Fall der stetigen Veränderung, setzt das Bewußtsein der Andersheit, der Unterschiedenheit, eine Einheit voraus. Im Wechsel muß etwas Dauerndes dasein, und ebenso in der Veränderung, etwas, was die Identität desselben, das sich verändert oder das einen Wech-
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sel erfährt, ausmacht. Selbstverständlich weist das zurück auf wesentliche Formen des Bewußtseins von einem Individuellen. Bleibt die Tonqualität ungeändert und ändert sich die Tonintensität oder die Klangfarbe, so sagen wir, derselbe Ton wechselt seine Klangfarbe oder verändert sich hinsichtlich der Intensität. Bleibt im ganzen Phänomen nichts ungeändert, ändert es sich „nach allen Bestimmtheiten“, dann ist noch immer genug da, um Einheit herzustellen: eben die Unterschiedslosigkeit, mit der angrenzende Phasen inein | ander übergehen und damit das Einheitsbewußtsein herstellen. Die Art und Form des Ganzen bleibt gattungsmäßig dieselbe. Ähnliches geht in Ähnliches über innerhalb einer Ähnlichkeitsmannigfaltigkeit, und umgekehrt: Ähnliches ist solches, was einer Einheit des kontinuierlichen Übergangs angehören kann, oder alles, was einen Abstand hat – ebenso wie Gleiches dasjenige ist, was Einheit einer änderungslosen Dauer (Ruhe) begründen kann oder was keinen Abstand hat. So ist es also überall, wo immer von Veränderung und Wechsel die Rede ist. Ein Einheitsbewußtsein muß zugrunde liegen.
§ 42 Impression und Reproduktion1
Dabei ist zu bemerken, daß, wenn wir nicht Konstitution von impressionalen Inhalten in ihrer Dauer verfolgen, sondern etwa von erinnerungsmäßigen, wir nicht von Urimpressionen sprechen können, die dem Jetztpunkt derselben entsprechen. An der Spitze stehen hier Urerinnerungen (als absolute Phasen), nicht ein „von außen“, „bewußtseinsfremd“ Hereingesetztes, Urgezeugt-Entsprungenes, sondern ein Aufgetauchtes, Wiederaufgetauchtes, könnten wir auch sagen (wenigstens bei der Erinnerung). Dieses Moment, wiewohl selbst keine Impression, ist doch gleich der Impression kein Erzeugnis der Spontaneität, sondern in gewisser Weise ein Rezeptives. Man 1
Die Manuskriptunterlage für den Text der den Ersten Teil abschließenden §§ 42–45 konnte nicht aufgefunden werden. Es dürfte sich um Aufzeichnungen handeln, die nach 1911 entstanden sind. – Anm. d. Hrsg.
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könnte hier auch von passiver Empfängnis sprechen und unterscheiden das passive Empfangen, das Neues, Fremdes, Originäres hereinbringt, und das passive Empfangen, das nur wiederbringt, vergegenwärtigt. Jedes konstituierte Erlebnis ist entweder Impression oder Reproduktion, es ist als Reproduktion ein Vergegenwärtigen oder nicht. In jedem Fall ist es selbst ein (immanent) Gegenwärtiges. Aber jedem gegenwärtigen und gegenwärtigenden Bewußtsein entspricht die ideale Möglichkeit einer genau entsprechenden Vergegenwärtigung von diesem Bewußtsein. Dem impressionalen Wahrnehmen entspricht die Möglichkeit einer Vergegenwärtigung von ihm, dem impressionalen Wünschen eine | Vergegenwärtigung von ihm usw. Dieses Vergegenwärtigen betrifft auch jeden sinnlichen Empfindungsinhalt. Dem empfundenen Rot entspricht ein Phantasma Rot, ein Vergegenwärtigungsbewußtsein vom impressionalen Rot. Hierbei entspricht dem Empfinden (d. i. dem Wahrnehmen hyletischer Daten) eine Vergegenwärtigung des Empfindens. Jedes Vergegenwärtigen ist aber selbst wiederum gegenwärtig durch ein impressionales Bewußtsein. In gewissem Sinne sind also alle Erlebnisse bewußt durch Impressionen oder imprimiert. Unter ihnen sind aber solche, die als Reproduktionen, als vergegenwärtigende Modifikationen von Impressionen auftreten, und jedem Bewußtsein entspricht eine solche Modifikation (Vergegenwärtigen ist dabei nicht zugleich als aufmerkendes Meinen verstanden). Ein Wahrnehmen ist Bewußtsein von einem Gegenstande. Es ist zugleich als Bewußtsein eine Impression, ein immanent Gegenwärtiges. Diesem immanent Gegenwärtigen, dem Wahrnehmen eines A, entspricht die reproduktive Modifikation: Vergegenwärtigung des Wahrnehmens, Wahrnehmen in der Phantasie oder in der Erinnerung. Eine solche „Wahrnehmung in der Phantasie“ ist aber zugleich Phantasie vom wahrgenommenen Objekt. In der Wahrnehmung steht ein Gegenstand, sagen wir ein Ding oder dinglicher Vorgang, als gegenwärtig da. Die Wahrnehmung ist also nicht nur selbst gegenwärtig, sondern sie ist zugleich ein Gegenwärtigen, in ihr steht ein Gegenwärtiges da, das Ding, der Vorgang. Ebenso ist eine Vergegenwärtigungsmodifikation der
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Wahrnehmung zugleich Vergegenwärtigung vom wahrgenommenen Objekt: das Dingobjekt ist phantasiert, erinnert, erwartet. Im ursprünglichen Bewußtsein konstituieren sich alle Impressionen, die primären Inhalte wie die Erlebnisse, die „Bewußtsein von …“ sind. Denn in diese beiden fundamentalen Erlebnisklassen teilen sich die Erlebnisse: die einen sind Akte, sind „Bewußtsein von …“, sind Erlebnisse, die „Beziehung auf etwas“ haben, die anderen nicht. Die empfundene Farbe hat keine Beziehung auf etwas.1 Ebensowenig Phantasieinhalte, z. B. ein | Phantasma Rot als vorschwebendes (wenn auch nicht beachtetes) Rot. Wohl aber das Phantasie-Bewußtsein von Rot: alle primitiven Vergegenwärtigungen. Wir finden also Impressionen, die Vergegenwärtigungen von impressionalem Bewußtsein sind: wie das impressionale Bewußtsein Bewußtsein von Immanentem ist, so ist auch die impressionale Vergegenwärtigung Vergegenwärtigung von Immanentem. Die Impression (im engeren Sinne, im Gegensatz zur Vergegenwärtigung) ist als primäres Bewußtsein zu fassen, das hinter sich kein Bewußtsein mehr hat, in dem es bewußt wäre, dagegen ist Vergegenwärtigung, auch die primitivste immanente Vergegenwärtigung, schon sekundäres Bewußtsein, es setzt primäres voraus, in dem es impressional bewußt ist.
§ 43 Konstitution von Dingerscheinungen und Dingen. Konstituierte Auffassungen und Urauffassungen
Betrachten wir ein solches primäres Bewußtsein, etwa die Wahrnehmung dieses kupfernen Aschenbechers: er steht als dauerndes dingliches Sein da. Eine Reflexion läßt unterschei1
Soweit man ein Recht hat, das Urbewußtsein, den die immanente Zeit und die ihr zugehörigen Erlebnisse konstituierenden Fluß selbst als Akt zu bezeichnen, bzw. nach den Einheiten und Akten zu zerlegen, könnte und müßte man wohl sagen: ein Urakt oder Uraktzusammenhang konstituiert Einheiten, die selbst entweder Akte sind oder nicht. Das ergibt aber Schwierigkeiten.
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den: die Wahrnehmung selbst (Wahrnehmungsauffassung konkret in eins genommen mit den Auffassungsdaten: die Wahrnehmungserscheinung im Modus der Gewißheit etwa) und das Wahrgenommene (das in evidenten, auf Wahrnehmung fundierten Urteilen zu beschreiben ist); es ist zugleich Gemeintes, das Meinen „lebt“ im Wahrnehmen. Die Wahrnehmungsauffassung in ihrem Modus ist, wie die Reflexion lehrt, selbst etwas immanent-zeitlich Konstituiertes, in der Einheit der Gegenwärtigkeit dastehend, obschon es nicht Gemeintes ist. Es ist konstituiert durch die Mannigfaltigkeit von Jetztphasen und Retentionen. Sowohl die Auffassungsinhalte als die Auffassungsintentionen, zu denen der Modus der Gewißheit gehört, sind in dieser Weise konstituiert. Die Empfindungsinhalte konstituieren sich als Einheiten in sinnlichen Impressionen, die Auffassungen in anderen, mit ihnen verflochtenen Aktimpressionen. Die Wahrnehmung als konstituiertes Phänomen ist ihrerseits Wahrnehmung von dem Ding. Im primären Zeitbewußtsein konstituiert sich die Dingerscheinung, Dingauffassung als dauerndes, unverändertes | Phänomen oder als sich veränderndes. Und in der Einheit dieser Veränderung ist eine neue Einheit „bewußt“: die Einheit des unveränderten oder sich verändernden Dinges, unverändert oder sich verändernd in seiner Zeit, seiner Dauer. In demselben impressionalen Bewußtsein, in dem sich Wahrnehmung konstituiert, konstituiert sich auch und eben dadurch Wahrgenommenes. Zum Wesen eines so gebauten Bewußtseins gehört es, zugleich Einheitsbewußtsein immanenter Art zu sein und Einheitsbewußtsein transzendenter Art. Und zu seinem Wesen gehört es, daß ein meinender Blick gerichtet sein kann bald auf sinnliche Empfindung, bald auf Erscheinung, bald auf Gegenstand. Mutatis mutandis gilt das von allen „Akten“. Überall gehört es zu ihrem Wesen, Intentionalität transzendenter Art zu haben und nur haben zu können durch ein immanent Konstituiertes, durch „Auffassungen“. Und überall begründet dies die Möglichkeit, das Immanente, die Auffassung mit ihrem immanenten Gehalt, in Beziehung zu setzen zu dem Transzendenten. Und dieses In-Beziehung-setzen ergibt wieder einen „Akt“, einen Akt höherer Stufe.
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Dabei ist wohl zu beachten: In der Wahrnehmung erfährt ein Komplex von Empfindungsinhalten, die selbst im ursprünglichen Zeitfluß konstituierte Einheiten sind, Einheit der Auffassung. Und die einheitliche Auffassung selbst ist wiederum konstituierte Einheit im ersten Sinn. Die immanenten Einheiten sind in ihrer Konstitution nicht in derselben Weise bewußt wie in der transzendenten Erscheinung das Erscheinende, in der transzendenten Wahrnehmung das Wahrgenommene. Andererseits müssen sie doch eine Gemeinsamkeit des Wesens haben. Denn die immanente Impression ist Gegenwärtigen, wie auch das Wahrnehmen Gegenwärtigen ist; im einen Fall haben wir immanentes Gegenwärtigen, im anderen transzendentes Gegenwärtigen „durch“ Erscheinungen. Also während die transzendenten Erscheinungen Einheiten sind, konstituiert im inneren Bewußtsein, sollen „in“ diesen Einheiten wieder andere Einheiten konstituiert sein: die erscheinenden Objekte. Die immanenten Einheiten, so sahen wir, konstituieren sich im Fluß der temporalen Abschattungsmannigfaltigkeiten. Wir haben da: zu jedem temporalen Punkt des immanenten Inhalts gehörig, dem Bewußtseinsfluß der Längsrichtung nachgehend, die | mannigfaltigen modifizierten Urinhalte, die als retentionale Modifikationen des Urinhalts im Jetztcharakter charakterisiert sind. Und diese Urinhalte sind Träger von Urauffassungen, die in ihrem fließenden Zusammenhang die Zeiteinheit des immanenten Inhalts in seinem Zurückrücken in die Vergangenheit konstituieren. Die „Inhalte“ im Fall der Wahrnehmungserscheinung sind eben diese ganzen Erscheinungen als temporale Einheiten. Also ist auch die Wahrnehmungsauffassung konstituiert in solcher Abschattungsmannigfaltigkeit, die einheitlich wird durch die Einheit der temporalen Auffassung. Wir haben hier also Auffassung in doppeltem Sinne zu verstehen: diejenige, die immanent konstituiert ist, und diejenige, die zur immanenten Konstitution, zu den Phasen des ursprünglichen Flusses selbst gehört, die Urauffassung, die nicht mehr konstituiert ist. Es konstituiert sich nun im immanenten Abfluß der Erscheinungen, im kontinuierlichen Aufeinanderfolgen der Auffassungen in der phänomenologischen Zeit, die wir Wahrnehmungen nennen, eine zeitliche Einheit,
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sofern die Kontinuität der Auffassungen nicht nur Einheit sich verändernder Erscheinungen ergibt (wie z. B. die Reihe der Aspekte beim Drehen eines Dinges, die als Aspekte desselben Dinges erscheinen), sondern Einheit von Erscheinungen eines dauernden oder sich verändernden Dinges. Die immanente Zeit objektiviert sich zu einer Zeit der in den immanenten Erscheinungen konstituierten Objekte dadurch, daß in der Abschattungsmannigfaltigkeit der Empfindungsinhalte als Einheiten der phänomenologischen Zeit, bzw. in der phänomenologisch-zeitlichen Abschattungsmannigfaltigkeit von Auffassungen dieser Inhalte, eine identische Dinglichkeit erscheint, die immerfort in allen Phasen sich selbst in Abschattungsmannigfaltigkeiten darstellt.1 Das Ding konstituiert sich im Abfluß seiner Erscheinungen, die selbst als immanente Einheiten im Fluß der ursprünglichen Impressionen konstituiert sind, und notwendig konstituiert sich eins mit dem anderen. Das erscheinende Ding konstituiert sich, weil sich im ursprünglichen Fluß Empfindungseinheiten und einheitliche Auffassungen konstituieren, also immerfort Bewußtsein von etwas, Darstel | lung, näher Gegenwärtigung von etwas, und in der kontinuierlichen Folge Darstellung von demselben. Die Darstellungsfluentien haben solchen Fluß und Zusammenhang, daß ihr Erscheinendes in eben solchen, ebenso geformten Mannigfaltigkeiten von Darstellungsabschattungen auseinandergeht wie ein Empfindungsinhalt in Empfindungsabschattungen. Eben darum ist die Auffassungsmannigfaltigkeit als gegenwärtigende charakterisiert, genau so wie die immanenten Impressionen es sind. Man sieht ohne weiteres, daß, wenn die urpräsenten sinnlichen Daten außer den Urpräsentationen und den wesentlich mit ihnen zusammengehörigen Urretentionen und Urprotentionen kontinuierlich Auffassungscharaktere der raumdinglichen Konstitution tragen, die phänomenologische Zeit, der die Empfindungsdaten und die Dingauffassungen angehören, und die Raumzeit der Dinge sich Punkt für Punkt decken müs1
Vgl. Beilage X: Objektivation der Zeit und von Dinglichem in der Zeit, S. 120 ff.
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sen. Mit jedem erfüllten Punkt der phänomenologischen Zeit stellt sich (vermöge der Empfindungsinhalte und ihrer Auffassungen, die in ihr liegen) ein Punkt der erfüllten objektiven Zeit dar. Dabei haben wir in den Vertikalreihen des Diagramms nicht nur die durchgehende vertikale Deckung, die zur phänomenologischen Zeitkonstitution gehört (wonach in einem Moment das Urdatum E2 und die retentionale Modifikation O’ und E1’ vereint sind), sondern auch die zu jeder Vertikalreihe gehörigen retentionalen Abschattungen der Dingauffassungen als O
E1
E2
E1’
O’
Dingauffassungen stehen in durchgehender Deckung. Das sind zwei Deckungen. Die Dingauffassungsreihe deckt sich nicht nur, sofern sie eine kontinuierliche Folge mitkonstituiert, sondern sofern sie dasselbe Ding konstituiert. Die erste ist eine Deckung der verbindenden Wesensgleichheit, die letztere eine Deckung der Identität, weil in der kontinuierlichen Identifizierung der | Folge dauerndes Identisches bewußt ist. Natürlich gehört dazu auch die kontinuierliche sukzessive Identifizierung von Vertikalreihe zu Vertikalreihe unter Erfüllung der Protentionen, die nun auch objektiv-räumlichen Sinn haben. Es wurde bereits hingewiesen auf die Analogie in der Konstitution der immanenten und der transzendenten Einheiten: Wie „Empfindungs-Abschattungen“ (Urdaten der Darstellung für Empfindungseinheiten in der phänomenologischen Zeit) ihr Gesetz haben, ihren Wesenscharakter in der Urfolge, und durch die im Diagramm wiedergegebene Modifikation Einheit der Empfindung konstituieren, so ähnlich steht es mit den Abschattungen von Dingen, bzw. mit den „Erscheinungen“, die nun als Urdaten der Urfolge fungieren. Die Urfolge der Er-
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scheinungsmomente konstituiert vermöge der zeitgründenden Retentionen usw. die (veränderte oder unveränderte) Erscheinung als phänomenologisch-zeitliche Einheit. Dazu aber: Erscheinungen aus der Erscheinungsmannigfaltigkeit, die zu demselben unveränderten Ding gehören, haben ein ontisches Wesen (Wesen des Erscheinenden), das völlig dasselbe ist – so wie die zu einem unveränderten Rot gehörigen Momentandaten von völlig gleichem Wesen sind. Ebenso sind die Reihen der Dingveränderung wie die der Rotveränderung von einem festen Gesetz beherrscht. So ist in eins Doppeltes intentional konstituiert: die Erscheinung und das Erscheinende, und in verschiedenen Erscheinungen unverändert oder auch verändert Erscheinendes. Natürlich ist nun die Frage: was für Eigenschaften haben Dingerscheinungen, die Erscheinungen vom Selben sind? Das ist die Frage der Raumdingkonstitution, die also Zeitkonstitution voraussetzt.
§ 44 Innere und äußere Wahrnehmung1
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Nun sprechen wir aber von einer dauernden Wahrnehmung, und zwar so gut wie bei der Dingwahrnehmung auch bei der immanenten Wahrnehmung. Bei der Dingwahrnehmung rechnet | man zur Wahrnehmung auch die stetige Wahrnehmungserscheinung, die Kontinuität der Jetzt-Erscheinungen des Dinges, abgesehen von den retentionalen und protentionalen Verflechtungen. Die Dingerscheinung, das „Ding in seiner Orientierung“, in der bestimmten Darstellung usw., ist etwas Dauerndes, so gut wie das Ding schlechthin, das erscheint. Auch die bloß erscheinende Seitenfläche ist etwas, was dauert und sich in dieser Dauer verändert. Ich darf eigentlich nicht sagen: „das Ding in seiner Orientierung“, sondern: der Vorgang der Dingerscheinung, die, wenn die Orientierung unverändert bleibt, 1
Vgl. Beilage XI : Adäquate und inadäquate Wahrnehmung, S. 124 ff., und Beilage XII : Das innere Bewußtsein und die Erfassung von Erlebnissen, S. 126.
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nachdauert, und im anderen Fall ein stetiger Änderungsverlauf von Erscheinungen ist, aber innerhalb einer Dauer. Auch bei der Wahrnehmung eines immanenten Objekts können wir das Immanente des Jetzt in seiner Kontinuität zusammennehmen: dann ist es aber die Dauer des Objektes selbst. In dem Sinn wie bei der äußeren Wahrnehmung erscheint eben das Objekt nicht. Während also „Wahrnehmung“ im Falle des Bewußtseins von einem äußeren Objekt die äußere Erscheinung als immanentes Objekt bezeichnen kann, wobei dann Wahrnehmung und Wahrgenommenes ein selbstverständlich Verschiedenes ist, kann, wenn wir von innerer Wahrnehmung sprechen und dabei auch Wahrnehmung und Wahrgenommenes verschieden bleiben soll, unter Wahrnehmung nicht das Immanente, d. i. eben das Objekt selbst, verstanden werden. Sprechen wir von innerer Wahrnehmung, so kann darunter nur verstanden werden: entweder 1. das innere Bewußtsein des einheitlichen immanenten Objekts, das auch ohne Zuwendung vorhanden ist, nämlich als das Zeitliche konstituierendes; oder 2. das innere Bewußtsein mit der Zuwendung. Dabei ist leicht zu sehen, daß das Zuwenden, das Erfassen ein immanenter Vorgang ist, der seine immanente Dauer hat, die sich deckt mit der Dauer des immanenten Tones während der Zuwendung zu ihm. Im Falle des äußeren Objektes haben wir also: 1. die äußere Erscheinung; 2. das konstituierende Bewußtsein, in dem die äußere Erscheinung als Immanentes sich konstituiert; 3. die Zuwendung, die ebensogut Zuwendung auf die Erscheinung und ihre Komponenten als auf das Erscheinende sein kann. Nur letzteres kommt bei der Rede von äußerer Wahrnehmung in Frage. | Die analoge Überlegung ist für die Erinnerung durchzuführen; nur daß die Erinnerung als solche ihre eigene Intentionalität hat, nämlich die der Vergegenwärtigung. Die Erinnerung hat ihre Einheit als Vorgang im inneren Bewußtsein und hat in der Einheit der immanenten Zeit ihre Stelle und Dauer. Das gilt, ob sie Erinnerung von Immanentem ist oder von Transzendentem. Und jede Erinnerung ist (wenn wir von
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der Zuwendung absehen) zugleich Erinnerung von Immanentem. Während also das Bewußtsein vom immanenten Ton als originäres inneres Bewußtsein keine immanente Zeitlichkeit haben kann, ist das Vergegenwärtigungsbewußtsein vom immanenten Ton (das in entsprechend geändertem Sinn Vergegenwärtigungsbewußtsein von dem inneren Bewußtsein des Tones ist) ein immanentes Objekt, angehörig der immanenten Zeitlichkeit.
§ 45 Konstitution der nichtzeitlichen Transzendenzen
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Ferner ist zu beachten: Jedes Bewußtsein im einheitlichen Sinn (als konstituierte immanente Einheit) ist notwendig zugleich auch Bewußtseinseinheit vom Gegenständlichen, auf das es sich „bezieht“. Aber nicht jedes ist selbst Zeitbewußtsein, d. h. Bewußtsein von einem Zeitlichen, eine intentionale Zeit konstituierendes. So ist ein Urteilsbewußtsein von einem mathematischen Sachverhalt Impression, aber der mathematische Sachverhalt, der in seiner Einheit einheitlich „dasteht“, ist kein Zeitliches, das Urteilen ist kein Gegenwärtigen (bzw. Vergegenwärtigen).1 Demgemäß kann man davon sprechen, daß ein Ding, ein Ereignis, ein zeitliches Sein in der Phantasie vorgestellt werde, daß es phantasiemäßig, erinnerungsmäßig, erwartungsmäßig oder retentional erscheine, ebenso wie man sagen kann, daß es als gegenwärtig erscheine, wahrgenommen sei. Dagegen kann man nicht davon sprechen, daß ein mathematischer Sachverhalt als gegenwärtig oder vergegenwärtigt erscheine. Das Urteilen kann länger oder kürzer dauern, hat seine Ausbreitung in der subjektiven Zeit und kann gegenwärtig oder vergegenwärtigt sein. Das Geurteilte aber ist nicht lang oder kurz, dauernd | oder minder dauernd. Und ebenso das im Urteilsvergegenwärtigen quasi Geurteilte. Vergegenwärtigt ist das Urteil, und nicht das Geurteilte. Spricht man davon, daß 1
Vgl. Beilage XIII : Konstitution spontaner Einheiten als immanenter Zeitobjekte. – Urteil als Zeitgestalt und absolutes zeitkonstituierendes Bewußtsein, S. 130 ff.
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man einen Sachverhalt sich „bloß denke“, so besagt das nicht, daß er vergegenwärtigt sei, sondern daß er im Charakter der Neutralitätsmodifikation statt im Charakter des Glaubens dastehe. Die Glaubensmodalitäten fallen aber keineswegs zusammen mit denen des Gegenwärtig-Nichtgegenwärtig, sondern kreuzen sich mit ihnen. Bei einem individuellen Sachverhalt kann man noch – uneigentlich – von Zeitcharakteren sprechen, sofern die Sache, die im Sachverhalt logisch-analytisch gegliedert und synthetisch gefaßt ist, wahrnehmungsmäßig gegenwärtig oder phantasiemäßig vergegenwärtigt sein kann. Aber für einen unzeitlichen Sachverhalt, für einen solchen, der von Zeitlichem gar nicht spricht, gibt das keinen Sinn. Sich in ein mathematisches Urteil hineinphantasieren heißt nicht: den mathematischen Sachverhalt zur Phantasievorstellung bringen, als ob er ein gegenwärtigend oder vergegenwärtigend Dargestelltes sein könnte. Erscheinung im prägnanten Sinne der Präsentation gehört nur zur Sphäre der Gegenwärtigung und ihrer Modifikationen, und zur Konstitution von Erscheinendem oder besser zur eigentlichen Gegebenheit von individuellem Sein gehört es, daß es gegeben ist in der Form einer Kontinuität von Erscheinungen als Darstellungen. Daß auch Sachverhalte „bloß erscheinen“ können und Ausweis in einer eigentlichen Gegebenheit fordern, ist selbstverständlich. Auch das ändert nichts an dem Gesagten, daß auf individuelle Erscheinungen (Naturerscheinungen) gegründete Sachverhalte („Tatsachen der Natur“) zur Gegebenheit kommen aufgrund der unterliegenden Erscheinungsgegebenheiten, also in ähnlicher Weise in Unendlichkeiten von „Darstellungen“. Trotzdem muß man sagen: die „Darstellung“ (Erscheinung) des Sachverhalts ist nicht Darstellung im eigentlichen Sinne, sondern in einem abgeleiteten Sinn. Der Sachverhalt ist auch nicht eigentlich etwas Zeitliches, er besteht für eine bestimmte Zeit, aber er ist nicht selbst etwas in der Zeit wie ein Ding oder Vorgang. Nicht zum Sachverhalt als solchem, sondern zu seiner Sache gehört das Zeitbewußtsein und das Darstellen. Dasselbe gilt auch von allen anderen fundierten Akten und | ihren Korrelaten. Ein Wert hat keine Zeitstelle. Ein zeitliches Ob-
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jekt mag schön, gefällig, nützlich sein usw. und mag das sein in einer bestimmten Zeit. Aber die Schönheit, die Gefälligkeit usw. haben keine Stelle in der Natur und in der Zeit. Sie sind nicht in Gegenwärtigungen oder Vergegenwärtigungen Erscheinendes. |
Zweiter Teil Nachträge und Ergänzungen zur Analyse des Zeitbewußtseins aus den Jahren 1905–19101 Beilage I: Urimpression und ihr Kontinuum der Modifikationen2
Jede Urimpression ist als solche charakterisiert, und jede Modifikation als solche. Ferner: Jede Modifikation ist stetige Modifikation. Das unterscheidet ja diese Art von Modifikation von der phantastischen und bildlichen. Jede dieser temporalen Modifikationen ist unselbständige Grenze in einem Kontinuum. Und dieses Kontinuum hat den Charakter einer einseitig begrenzten orthoiden Mannigfaltigkeit. Sie hat einen Anfang in der Urimpression und geht als Modifikation in einer Richtung fort. Paare von Punkten in diesem Kontinuum, die gleiche Abstände haben, konstituieren objektiv gleich weit abstehende Zeitphasen des Objektes. Wenn wir von „Modifikation“ sprechen, so haben wir zunächst die Veränderung im Auge, gemäß der die Urimpression stetig „abklingt“. Indessen jede Modifikation ist offenbar in gleichem Sinn als Modifikation einer beliebigen vorangehenden Modifikation anzusehen. Nehmen wir irgendeine Phase des Kontinuums heraus, so können wir sagen, sie klinge ab, und ebenso von jeder weiteren Phase; das liegt ja im Wesen 1
Nach der im Sommer 1917 im Auftrage und unter Mitwirkung des Verfassers von Edith Stein hergestellten und im Jahre 1928 von Martin Heidegger herausgegebenen Fassung. Die Manuskriptunterlagen für die Texte der „Beilagen“ konnten – mit der einzigen Ausnahme der Beilage X – nicht auf gefunden werden. Das Fehlen der Manuskripte beraubt genauere Vermutungen über die Entstehungsdaten der verschiedenen Aufzeichnungen der positiven Anhaltspunkte. Doch gestattet der Vergleich des Inhalts der „Beilagen“ der Veröffentlichung von 1928 mit den im vorliegenden Bande wiedergegebenen datierbaren Aufzeichnungen die Annahme, daß die Texte der „Beilagen“ teilweise auf Aufzeichnungen fußen, die eher den Jahren 1910 bis 1917 entstammen dürften. – Bezüglich der Beilage X siehe die Anm. d. Hrsg. auf S. 120. – Anm. d. Hrsg. 2 Zu § 11, S. 29 ff.
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eines solchen und jedes solchen (einseitig gerichteten) Kontinuums. Es verhält sich genau so wie in der Kontinuität der von O auslaufenden Intensitäten. Das Sich-steigern, das ist hier | die Modifikation, die jede Intensität erfährt. Jede Intensität ist in sich, was sie ist, und jede neue Intensität eben eine neue. Aber in Beziehung auf eine beliebige vorgegebene Intensität kann jede in der Reihe spätere als Resultat einer Operation angesehen werden. Ist b Steigerung von a, so ist c Steigerung einer Steigerung in bezug auf a. Vermöge der Kontinuität ist nicht jeder Punkt einfach eine Steigerung in Beziehung auf einen vorhergehenden, sondern Steigerung von Steigerung von Steigerung usf. in infinitum und infinitesimal. Eine Unendlichkeit von Modifikationen ineinander. Nur ist hier kein Anfangspunkt, der selbst als Intensität angesehen werden kann. Der Anfang ist hier Nullpunkt. Im Wesen jedes linearen Kontinuums liegt es, daß wir, von einem beliebigen Punkt ausgehend, jeden anderen Punkt aus ihm stetig erzeugt denken können, und jede stetige Erzeugung ist eine Erzeugung durch stetige Iterierung. Jeden Abstand können wir ja in infinitum teilen und bei jeder Teilung den späteren Teilungspunkt mittelbar durch die früheren erzeugt denken, und so erzeugt sich ein beliebiger Punkt schließlich durch eine von unendlich vielen Steigerungen (deren jede dieselbe unendlich kleine Steigerung ist). So ist es nun auch bei der zeitlichen Modifikation, oder vielmehr, während sonst, bei anderen Kontinuia, die Rede von der Erzeugung ein Bild ist, ist sie hier eine eigentliche Rede. Das zeitkonstituierende Kontinuum ist ein Fluß stetiger Erzeugung von Modifikationen von Modifikationen. Vom aktuellen Jetzt aus, der jeweiligen Urimpression u, gehen die Modifikationen im Sinn von Iterationen, aber stetig vorwärts, sie sind nicht nur Modifikationen in Beziehung auf u, sondern auch der Reihe nach Modifikationen voneinander in der Reihenfolge, in der sie verlaufen. Das ist das Charakteristische stetiger Erzeugung. Stetig zeugt Modifikation immer neue Modifikation. Die Urimpression ist der absolute Anfang dieser Erzeugung, der Urquell, das, woraus alles andere stetig sich erzeugt. Sie selber aber wird nicht erzeugt, sie entsteht nicht als Erzeugtes, sondern durch genesis spontanea, sie ist Urzeugung. Sie erwächst
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nicht (sie hat keinen Keim), sie ist Urschöpfung. Heißt es: stetig bildet sich an das Jetzt, das sich zum Nicht-Jetzt modifiziert, ein neues Jetzt an, oder es erzeugt, es entspringt urplötzlich eine Quelle, so sind das Bilder. Es kann nur gesagt werden: Bewußtsein ist nichts ohne Impression. Wo etwas dauert, da geht a über in xa’, xa’ in yx’a“ usw. Die Erzeugung des Bewußtseins aber geht nur von a zu a’, von xa’ zu x’a’’; dagegen das a, x, y ist nichts Bewußtseins-Erzeugtes, es ist das Urgezeugte, das „Neue“, das bewußtseinsfremd Gewordene, Empfangene, gegenüber dem durch eigene Bewußtseinsspontaneität Erzeugten. Die Eigentümlichkeit dieser Bewußtseinsspontaneität aber ist, daß sie nur Urgezeugtes zum Wachstum, zur Entfaltung bringt, aber nichts „Neues“ schafft. Freilich, was wir empirisch Werden, Erzeugung nennen, das bezieht sich auf Objektivität, und das liegt ganz woanders. Hier handelt es sich um die Spontaneität des Bewußtseins, oder vorsichtiger: um eine Urspontaneität desselben. | Das Ursprungsmoment ist nun – je nachdem es sich um die Urquelle für das betreffende Jetzt des konstitutierten Inhalts oder um die spontanen Bewußtseinserzeugungen handelt, in denen die Identität dieses Jetzt sich in der Gewesenheit durchhält – entweder Urimpression oder Ur-Erinnerung, Ur-Phantasie usw. Gehen wir der Reihenfolge der Schichten nach, so ist jedes Ursprungsmoment einer Schicht Urquell der spontanen Erzeugungen, die durch die weiteren Schichten in ihren stetigen Abwandlungen hindurchgehen und die dieses Ursprungsmoment darin vertreten (das nämlich einzig und allein der zuerst ins Auge gefaßten Schicht angehört). Jedes Ursprungsmoment ist ferner Phase einer stetigen Reihe von Ursprungsmomenten, die durch eine Folge von Schichten ineinander übergehen. Oder jedes Ursprungsmoment hilft eine konkrete Dauer konstituieren, und zur Konstitution einer konkreten Dauer gehört es, daß jedem Punkt derselben ein aktuelles Jetzt entspricht, das seinerseits zu seiner Konstitution ein eigenes Ursprungsmoment erfordert. Diese Momente in der Folge sind stetig eins, „gehen stetig ineinander über“. Der Übergang ist „qualitativ“ vermittelt und zugleich temporal: der quasi-zeitliche Charakter ist ein stetiger.
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Beilage II: Vergegenwärtigung und Phantasie – Impression und Imagination1
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„Vergegenwärtigung“ im weitesten Sinn und „Phantasie“ im weitesten Sinn, im Sinn der allgemeinen, obschon nicht ganz eindeutigen Rede, ist nicht dasselbe. Zunächst gibt es unanschauliche Erinnerungen und sonstige Vergegenwärtigungen, und die wird niemand Phantasien nennen. Andererseits sagt man im Falle einer anschaulichen Vergegenwärtigung zwar, es schwebe das Erinnerte „in der Phantasie“ vor (oder kann dergleichen wenigstens sagen), man nennt aber die Erinnerung nicht selbst eine Phantasie. Die Vergegenwärtigung kann übrigens eine Selbstvergegenwärtigung oder eine verbildlichende (analogische) sein. Im letzteren Falle wird man sagen, es schwebe das Vergegenwärtigte „in Form eines Phantasiebildes“ vor, oder in einer Phantasieerscheinung verbildlicht. Dann ist das Phantasiebild Sache der Phantasie, das, was darüber hinausgeht, die Beziehung auf das Abgebildete, nicht mehr. Man wird das Abgebildete selbst nicht als in der Phantasie erscheinend bezeichnen können, als ob hier zwei aufeinandergebaute Phantasien vorlägen. Überall gemeinsam ist, wo von Phantasie gesprochen wird, und zwar Phantasie von einem Gegenstande, daß der Gegenstand in einer Erscheinung erscheint, und zwar in einer vergegenwärtigenden Erscheinung, nicht in einer gegenwärtigenden. Was liegt darin? Was ist hier „Erscheinung“? Ein Gegenstand kann angeschaut sein, und er kann „symbolisch“ (durch Zeichen) vorgestellt sein, schließlich | leer vorgestellt sein. Die Anschauung (auch die Leervorstellung) ist schlichte, unmittelbare Vorstellung desselben, eine symbolische Vorstellung ist eine fundierte, durch eine schlichte Vorstellung vermittelte Vorstellung, und zwar eine leere. Eine anschauliche Vorstellung bringt den Gegenstand zur Erscheinung, eine leere nicht. Wir können zunächst unterscheiden: schlichte Vorstellungen in schlichte anschauliche und schlichte leere. Eine leere Vorstellung kann aber auch eine symbolische sein, welche den Gegenstand nicht nur leer 1
Zu § 17, S. 40.
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vorstellt, sondern ihn „durch“ Zeichen oder Bilder vorstellt. Im letzteren Fall ist der Gegenstand verbildlicht, in einem Bilde veranschaulicht, aber nicht „selbst“ anschaulich vorgestellt. Jede anschauliche Vergegenwärtigung von einem Gegenständlichen stellt dasselbe phantasiemäßig vor. Sie „enthält“ eine Phantasieerscheinung von ihm. Dabei kann die Vergegenwärtigung den Charakter der Aktualität oder Inaktualität haben1, und es kann der Gewißheitsmodus (der der Stellungnahme) beliebig sein: Gewißheit, Anmutung, Vermutung, Zweifel usw. Ferner ist es gleichgültig, ob die Vergegenwärtigung das Gegenständliche als Vergangenes oder als Jetzt-seiendes auffaßt (doch bei der Erwartung, wenn sie das Erwartete veranschaulicht, haben wir schon ein symbolisches Bewußtsein). Es bleibt überall als gemeinsamer Kern die „bloße Phantasieerscheinung“. Freilich ist hier das Problem, klarzulegen, wie dieser Kern mit all dem anderen sozusagen umhüllt ist; wie sich mit der Kernauffassung weitere Auffassungen verbinden. – Ebenso finden wir bei allen schlicht anschaulichen Gegenwärtigungen eine Erscheinung, und den symbolisch veranschaulichenden liegt eine Erscheinung – jetzt nicht eine Phantasieerscheinung, sondern eine Wahrnehmungserscheinung – zugrunde. Also wir unterscheiden Wahrnehmungserscheinungen und Phantasieerscheinungen, die letzteren enthalten Auffassungsmaterial, „Phantasmen“ (Vergegenwärtigungsmodifikationen von Empfindungen), die ersten Empfindungen. Wie ist nun die Phantasieerscheinung Modifikation (vergegenwärtigende Modifikation) der entsprechenden Wahrnehmungserscheinung? Natürlich nicht nach seiten der qualitativen Modi, der Modalitäten der Stellungnahme, die ja außer Spiel bleiben. Andererseits haben wir unangesehen des ev. Wechsels dieser Modi eine Modifikation. Den Empfindungen entsprechen die Phantasmen, aber auch die Auffassungen (und die vollen Erscheinungen) sind beiderseits, und zwar in derselben Hinsicht, modifiziert, die Auffassungen unangesehen ihrer 1
„Aktualität“ und „Inaktualität“ bedeuten hier dasselbe wie „Positionalität“ und „Neutralität“ im Sinne der Ideen.
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Modalität. Sei es auch so, daß die Auffassung und die volle Erscheinung einen qualitativen Modus verlangte, so ginge dies doch diejenige „imaginative“ Modifikation, von der wir hier sprechen, nichts an. Nennen wir die Wahrnehmungserscheinung unabhängig vom Mo | dus der „Stellungnahme“ Apparenz, und deutlicher perzeptive Apparenz, wenn sie in einer Wahrnehmung (Modus des Glaubens) auftritt, illusionäre, wenn sie in einer Illusion auftritt. Andererseits müssen wir auch scheiden zwischen impressionaler Apparenz (Empfindungsapparenz) und imaginativer Apparenz, welch letztere ihrerseits Inhalt einer Erinnerung, einer Illusion in der Erinnerung u. dgl. sein kann. Die Apparenz also, als den identischen Kern aller anschaulichen Akte, betrifft der Unterschied zwischen Impression und Imagination, und dieser Unterschied bedingt für das ganze Phänomen den Unterschied zwischen Gegenwärtigung und Vergegenwärtigung. Es ist ferner evident, daß dieser Unterschied zwischen Impression und Imagination nicht nur die Sphäre des „äußeren Sinnes“ angeht, sondern auch die des inneren. M. a. W.: auch all die modalen Charaktere, mit denen die Apparenz verbunden sein kann, und die korrelativen ontischen Charaktere (der Charakter „wirklich“ als daseiend, als gewesen seiend, als sein werdend, und zwar eintreten werdend, der Charakter des Scheins, der Charakter des vergegenwärtigenden Jetztseins usw.) unterliegen der Spaltung in Impression und Imagination; ebenso Wunsch, Wille usw. Dabei ist aber im Gebiet des „inneren Sinnes“ ebenso zwischen Empfindung und Apparenz zu scheiden wie in dem des äußeren, im Falle einer Apparenz aber diese selbst und ihre modalen Charaktere. Also z. B. ich glaube dies oder jenes. Der Glaube ist aktueller Glaube, ist Impression. Dem entspricht ein Phantasma „Glaube“. Der Glaube in sich oder die Glaubensempfindung ist zu unterscheiden von dem Glauben in der Auffassung als mein Zustand, mein Urteilen. Ich habe da Wahrnehmungsbewußtsein von mir und meinem Urteilen, und in dieser Auffassung haben wir zu unterscheiden die innere Apparenz und die Modalität des Glaubens, die das Sein setzt (meinen Glauben) und in die daseiende Wirklichkeit einordnet.
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Es genügt die Scheidung von „Glauben“ und „Auffassung“ des „Glaubens“, ohne daß diese schon als psychologische Apperzeption genommen wird, die das Immanente in Zusammenhang mit der wirklichen Welt setzt. Also jedes „Bewußtsein“ hat entweder den Charakter der „Empfindung“ oder den des „Phantasma“. Jedes Bewußtsein, jede „Empfindung“ im weitesten Sinne ist eben etwas „Wahrnehmbares“ und „Vorstellbares“, bzw. etwas Erinnerbares, in jeder Weise Erfahrbares. Immer wieder aber haben wir Bewußtsein, das sein mögliches Gegenstück hat im Phantasma.
Beilage III: Die Zusammenhangsintentionen von Wahrnehmung und Erinnerung – Die Modi des Zeitbewußtseins1
Überlegen wir jetzt das Bewußtsein „Erinnerung“. Es ist als unmodifiziertes Bewußtsein „Empfindung“ oder, was dasselbe besagt, | Impression. Oder deutlicher: es mag Phantasmen enthalten, aber es selbst ist nicht phantastische Modifikation zu einem anderen Bewußtsein als entsprechender Empfindung. Es ist darin aber enthalten eine Apparenz. Ich erinnere mich eines Vorganges: in der Erinnerung ist die imaginäre Apparenz des Vorgangs enthalten, der mit einem apparenziellen Hintergrund erscheint, zu dem ich selbst gehöre; diese gesamte Apparenz hat den Charakter einer imaginativen Apparenz, aber einen Glaubensmodus, der die Erinnerung charakterisiert. Wir können dann die Erinnerung selbst in die Phantasie setzen, können Erinnerung in der Phantasie und auch in der Erinnerung haben: ich lebe in einer Erinnerung, und es taucht die Erinnerung auf, „daß ich mich an das und das erinnert habe“, oder ich phantasiere, daß ich eine Erinnerung habe. Dabei finden wir zwar das Modale der Erinnerung in ein entsprechendes Phantasma verwandelt, aber die Materie der Erinnerung, die Erinnerungs-Apparenz, ist selbst nicht weiter modifiziert, so wenig sich die in ihr enthaltenen Phantasmen weiter modi1
Zu § 23, S. 50 ff.
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fiziert haben. Ein Phantasma zweiter Stufe gibt es nicht. Und die ganze die Materie der Erinnerung ausmachende Erinnerungs-Apparenz ist Phantasma und erfährt auch weiter keine Modifikation. Habe ich dann weiter eine Erinnerung an eine Erinnerung, so taucht im Zusammenhang eines Erinnerungsprozesses, d. h. eines Bewußtseins, in dem imaginäre Apparenzen im qualitativen Modus der Erinnerung dastehen und ablaufen, eine „modifizierte“ Erinnerung auf. Dabei ist im wesentlichen dasselbe zu sagen wie vorhin. Der qualitative Modus der schlichten Erinnerung ist ersetzt durch „Erinnerung an Erinnerung“, d. h. ich habe ein Erinnerungsphantasma im qualitativen Modus der Erinnerung (in eins gehend mit dem des ganzen Erinnerungsprozesses). Aber das Erinnerungsphantasma ist Erinnerungscharakter von …, gegründet auf eine imaginäre Apparenz, und diese ist bei der schlichten Erinnerung und der Erinnerungs-Erinnerung identisch dieselbe. Sagt man, es sei das Charakteristische der Erinnerung gegenüber all dem, was ihren Inhalt ausmacht, dies, daß eine Auffassung da sei, welche ihr Beziehung zur aktuellen Wahrnehmungswirklichkeit gebe, so steckt darin jedenfalls Richtiges; aber das ändert nichts an dem Gesagten. Dann haben wir bei dieser Auffassung selbst Inhalt und Glaubensmodus zu scheiden. Die Auffassung ist natürlich bei der schlichten Erinnerung, die ich etwa jetzt habe, und der Erinnerungs-Erinnerung, welche die erinnerte Erinnerung auf ein erinnertes Jetzt als Aktualitätspunkt bezieht, eine verschiedene. Aber die Hauptsache ist hier, daß die Apparenzen (die wir ganz intuitiv nehmen, eben als Erscheinungen) keine Modifikation erfahren können. Und dasselbe wird gelten für den Inhalt der Erinnerungsauffassungen, die den Apparenzen Beziehung auf das Jetzt geben, die natürlich nicht voll anschaulich sein werden. Diese Beziehung auf das aktuelle Jetzt, die das Charakteristische der Erinnerung ist und sie von „bloßer Phantasie“ scheidet, ist aber | nicht als ein äußerlich Angeheftetes aufzufassen. Sie hat ein offenbares Analogon in der Beziehung jeder Wahrnehmung zu einem aktuellen Hier. Ebenso wie ferner jede Erinnerung auf einen unendlichen Erinnerungszusammenhang
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hinweist (auf ein Früher), so weist jede Wahrnehmung auf einen unendlichen Wahrnehmungszusammenhang (eine mehrfältige Unendlichkeit) zurück. (Das Hier ist dabei nicht wahrnehmbar, d. h. in der Erinnerung selbst nicht gegeben.) Wir können nun auch eine Wahrnehmung rein für sich nehmen, außerhalb ihres Zusammenhanges. Aber der Zusammenhang, wenn er auch nicht reell da ist als Zusammenhang der Wahrnehmung mit weiteren Wahrnehmungen, liegt doch „potenziell“ in der Intention. D. h. nehmen wir die volle Wahrnehmung jedes Augenblicks, so hat sie noch immer Zusammenhänge in der Form, daß zu ihr ein Komplex von bestimmten oder unbestimmten Intentionen gehört, der weiter führt und in der Auswertung sich erfüllt in weiteren Wahrnehmungen. Diese Zusammenhangsintentionen sind nicht wegzuschneiden. Was die einzelne Empfindung anlangt, so ist sie in Wahrheit nichts Einzelnes. D. h. die primären Inhalte sind überall Träger von Auffassungsstrahlen, und ohne solche treten sie nicht auf, mögen diese auch noch so unbestimmt sein. Ebenso ist es in der Erinnerung. Sie hat in sich ihren „Zusammenhang“, d. h. als Erinnerung hat sie ihre Form, die wir beschreiben als vorwärts und rückwärts gerichtete intentionale Momente, ohne solche kann sie nicht sein. Ihre Erfüllung fordert Reihen von Erinnerungen, die im aktuellen Jetzt münden. Es ist unmöglich, die Erinnerung für sich, abgesehen von den Intentionen, die sie mit anderen verbinden, und diese Intentionen selbst zu trennen. Die Erinnerung „für sich“ hat schon diese Intentionen, es ist keine „bloße Phantasie“ aus ihr zu entnehmen. Sagt man nun: die Erinnerung ist doch Erinnerung an ein früheres Jetzt, eine quasi-Wahrnehmung, sie bringt einen zeitlichen Verlauf zum Bewußtsein, warum sollte man nicht das ganze Phänomen festhalten und die eigentlichen Erinnerungsintentionen beiderseits wegschneiden können? – so ist darauf zu antworten: die Wahrnehmung selbst, der „originäre“ Akt, hat nicht nur seinen Räumlichkeitszusammenhang, sondern auch seine Zeitlichkeitszusammenhänge. Jede Wahrnehmung hat ihren retentionalen und protentionalen Hof. Auch die Modifikation der Wahrnehmung muß – in modifizierter Weise – diesen doppelten Hof enthalten, und was die „bloße Phantasie“ von der
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Erinnerung unterscheidet, ist, daß dieser ganze intentionale Komplex einmal den Charakter der Aktualität hat, das andere Mal den der Inaktualität. Jede Empfindung hat ihre Intentionen, die vom Jetzt auf ein neues Jetzt usw. führen: die Intention auf Zukunft, und andererseits die Intention auf Vergangenheit. Was die Erinnerung anlangt, so hat sie auch ihre erinnerungsmäßigen Zukunftsintentionen. Diese sind völlig bestimmte, insofern als die Erfüllung dieser Intentionen (wofern sie überhaupt zu Gebote steht) in bestimmter Richtung läuft | und inhaltlich völlig bestimmt ist, während im Fall der Wahrnehmung die Zukunftsintentionen im allgemeinen der Materie nach unbestimmt sind und sich erst durch die faktische weitere Wahrnehmung bestimmen. (Bestimmt ist nur, daß überhaupt etwas kommen wird.) Was die Vergangenheitsintentionen anlangt, so sind sie in der Wahrnehmung ganz bestimmte, aber sozusagen verkehrte. Es besteht ein bestimmter Zusammenhang zwischen der jeweiligen Wahrnehmung und der Kette der Erinnerungen, aber so, daß die Erinnerungsintentionen (als einseitig gerichtete) in ihr terminieren. Diese Erinnerungen sind nun selbstverständlich nur Möglichkeiten, sie sind nur ausnahmsweise, oder einige von ihnen, mit der Wahrnehmung aktuell mitgegeben. Andererseits aber ist es doch so, daß die Wahrnehmung mit entsprechenden Vergangenheitsintentionen begabt ist, aber mit leeren, jenen Erinnerungen oder Erinnerungszusammenhängen entsprechend. Sowohl das leere Soeben-vergangen, das seine Richtung auf das aktuelle Jetzt hat, als auch, wie man wohl sagen darf, vage, leere Intentionen, die das weiter Zurückliegende betreffen, sind alle auf das Jetzt gerichtet. Diese Intentionen werden aktualisiert, bzw. kommen zur Erfüllung, indem wir sozusagen sprungweise uns in die Vergangenheit durch Wiedererinnerung zurückversetzen und nun intuitiv die Vergangenheit uns wieder vergegenwärtigen im Fortschritt bis auf das Jetzt. Man kann sagen: die Gegenwart ist immer aus der Vergangenheit geboren, natürlich eine bestimmte Gegenwart aus einer bestimmten Vergangenheit. Oder besser: Ein bestimmter Fluß spielt sich immer wieder ab, das aktuelle
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Jetzt sinkt und geht über in ein neues Jetzt usw. Mag es eine Notwendigkeit apriorischer Art sein, so bedingt es doch eine „Assoziation“, d. h. erfahrungsmäßig bestimmt ist der vergangene Zusammenhang und ferner, „daß irgendetwas kommen wird“. Aber nun werden wir doch von diesem Sekundären (dem Komplex der zeitlichen Erfahrungsintentionen) zu dem Originären geführt, und das besteht in nichts anderem als eben in dem Übergang vom jeweiligen Jetzt zum neuen Jetzt. Das gehört zum Wesen der Wahrnehmung, daß sie nicht nur ein punktuelles Jetzt im Blick hat und nicht nur ein Ebengewesen aus ihrem Blick entläßt und in der eigentümlichen Weise des „eben gewesen“ doch „noch bewußt“ hat, sondern daß sie von Jetzt zu Jetzt übergeht und ihm vorblickend entgegengeht. Das wache Bewußtsein, das wache Leben ist ein Entgegenleben, ein Leben vom Jetzt dem neuen Jetzt entgegen. Dabei ist nicht bloß und nicht in erster Linie an Aufmerksamkeit gedacht, vielmehr möchte es mir scheinen, daß unabhängig von der Aufmerksamkeit (im engeren und weiteren Sinn) eine originäre Intention von Jetzt zu Jetzt geht, sich verbindend mit den bald unbestimmten, bald mehr oder minder bestimmten Erfahrungsintentionen, die aus der Vergangenheit stammen. Diese zeichnen ja wohl die Linien der Verbindung vor. Der Blick des Jetzt auf das neue Jetzt, dieser Übergang, ist aber etwas Originäres, das | künftigen Erfahrungsintentionen erst den Weg ebnet. Ich sagte, das gehöre zum Wesen der Wahrnehmung; ich sage besser, es gehört zum Wesen der Impression. Es gilt schon von jedem „primären Inhalt“, von jeder Empfindung. „Phantasma“ und Erinnerungsinhalt besagt die entsprechende Modifikation dieses Bewußtseins, ein „Gleichsam-Bewußtsein“. Und soll es wirkliche Erinnerung sein, so gehört zu diesem Gleichsam-Bewußtsein die Einordnung in die Vergangenheit. Die Erinnerungsmodifikation besteht darin, daß das gesamte originäre Bewußtsein des betreffenden Momentes voll und ganz seine Modifikation erhält, also die zeitlichen Intentionen, in deren Zusammenhang der impressionale Blick gehört, ganz und gar, und so überhaupt der ganze intentionale Zusammenhang, in den sich jene originäre Impression einfügte und der ihr mit ihren Charakter verleiht.
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Das Empfinden sehen wir an als das ursprüngliche Zeitbewußtsein; in ihm konstituiert sich die immanente Einheit Farbe oder Ton, die immanente Einheit Wunsch, Gefallen usw. Das Phantasieren ist die Modifikation dieses Zeitbewußtseins, es ist Vergegenwärtigung, in ihm konstituiert sich vergegenwärtigte Farbe, vergegenwärtigter Wunsch usw. Vergegenwärtigung kann aber Erinnerung, Erwartung sein, oder auch „bloße Phantasie“: so daß nicht von einer Modifikation gesprochen werden kann. Empfindung ist gegenwärtigendes Zeitbewußtsein. Auch die Vergegenwärtigung ist Empfinden, ist gegenwärtig, konstituiert sich als Einheit im gegenwärtigenden Zeitbewußtsein. Als Modi des gegenwärtigenden Zeitbewußtseins kommen nur die Unterschiede in betracht zwischen Jetzt-Gegenwärtigung und Soeben-Gegenwärtigung, die zum konkreten Gegenwärtigungsbewußtsein mit gehören; ferner der Unterschied zwischen Gegenwärtigung, die bei sich ihre Jetzt-Gegenwärtigungsphase hat, und der selbständigen Retention, die zwar Beziehung zum aktuellen Jetzt hat, aber selbst nicht einen Jetzt-Gegenwärtigungpunkt in sich enthält: z. B. das Bewußtsein eines eben verklungenen Tones. Wir haben somit als wesentliche Modi des Zeitbewußtseins: 1. „Empfindung“ als Gegenwärtigung (Präsentation) und die mit ihr wesentlich verflochtene, aber auch zur Selbständigkeit kommende Retention und Protention (die originäre Sphäre im weiteren Sinn); 2. die setzende Vergegenwärtigung (Erinnerung), Mitvergegenwärtigung und Wiedervergegenwärtigung (Erwartung); 3. die Phantasie-Vergegenwärtigung als pure Phantasie, in der alle dieselben Modi im Phantasiebewußtsein auftreten.
Beilage IV: Wiedererinnerung und Konstitution von Zeitobjekten und objektiver Zeit1
Die Wahrnehmung eines Zeitobjekts kann ich „wiederholen“, aber in der Sukzession dieser Wahrnehmungen konstituiert sich das Bewußtsein von der Sukzession zweier gleicher Zeit1
Zu § 32, S. 69 ff.
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objekte. Nur in | der Wiedererinnerung kann ich einen identischen Zeitgegenstand wiederholt haben, und ich kann auch in der Erinnerung konstatieren, daß das früher Wahrgenommene dasselbe ist wie das nachher Wiedererinnerte. Das geschieht in der schlichten Erinnerung „ich habe das wahrgenommen“ und in der Wiedererinnerung zweiter Stufe „ich habe mich daran erinnert“. So kann das Zeitobjekt zum identischen wiederholter erfahrender Akte werden. Ist das Objekt einmal gegeben, so kann es beliebig oft wiedergegeben, wieder betrachtet und in verschiedenen Akten, die dann eine Sukzession bilden, identifiziert werden. Wiedererinnerung ist nicht nur Wiederbewußtsein für das Objekt, sondern wie die Wahrnehmung eines Zeitobjekts seinen Zeithorizont mit sich führt, so wiederholt die Wiedererinnerung auch das Bewußtsein dieses Horizonts. Zwei Wiedererinnerungen können Erinnerungen an gleiche Zeitobjekte sein, z. B. an zwei gleiche Töne. Aber sie sind Wiedererinnerungen vom selben Zeitobjekt, wenn nicht der bloße Dauerinhalt derselbe ist, sondern der Zeithorizont derselbe ist, wenn also die beiden Wiedererinnerungen voll und ganz einander nach dem intentionalen Gehalt wiederholen, unbeschadet der Unterschiede der Klarheit oder Dunkelheit, Lückenhaftigkeit usw. Identität von Zeitobjekten ist also ein konstitutives Einheitsprodukt gewisser möglicher Identifizierungsdeckungen von Wiedererinnerungen. Im subjektiven Zeitfluß stellt sich Zeitobjektivität her, und es gehört wesensmäßig zu ihr, in Wiedererinnerungen identifizierbar und damit Subjekt von identischen Prädikaten zu sein. Die aktuell gegenwärtige Zeit ist orientiert, ist immerfort im Fluß, und immerfort von einem neuen Jetzt aus orientiert. In der Wiedererinnerung ist die Zeit zwar in jedem Moment der Erinnerung auch orientiert gegeben, aber jeder Punkt stellt einen objektiven Zeitpunkt dar, der immer wieder identifiziert werden kann, und die Zeitstrecke ist aus lauter objektiven Punkten gebildet und selbst immer wieder identifizierbar. Was ist da das identische Objekt? Die Reihe von Urimpressionen und stetigen Modifikationen, eine Reihe von Ähnlichkeiten, die sich deckende Gestalten von Reihen der Gleichheit
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oder Verschiedenheit, aber innerhalb allgemeiner Gleichheit herstellt: diese Reihe gibt ursprüngliches Einheitsbewußtsein. Notwendig wird in solcher Modifikationsreihe eine Einheit bewußt, der dauernde (stetig gleiche oder veränderte) Ton, und in anderer Blickstellung dann die Dauer, in der der Ton einer ist, sich verändert oder nicht verändert. Und der Ton dauert fort, seine Dauer „wird größer“, und er „hört auf“, ist vorüber, seine ganze Dauer ist abgelaufen und rückt mehr und mehr in die Vergangenheit. Also er, der Ton, gibt sich hier als der in seiner Dauer etwa beständig unveränderte Ton; aber dieser in seiner Dauer – inhaltlich – unveränderte Ton erfährt eine Wandlung, die nicht den Inhalt angeht, sondern die ganze Gegebenheitsweise des „Inhalts in seiner Dauer“. Halten wir uns an die Phänomene, so haben wir eben verschiedene | Einheitsbildungen: Beständige Wandlung der Gegebenheitsweise – aber durch die Wandlungslinien hindurch, die jedem Punkt der Dauer entsprechen, eine Einheit: der Ton-Punkt. Aber unbeschadet dieser Identität ist der Ton-Punkt immer wieder ein anderer, nämlich im Modus der Zeittiefe. Andererseits gibt die Kontinuität des zeitlichen Flusses Einheit: die des einen sich verändernden oder nicht verändernden Inhalts, des Zeitgegenstandes. Diese Einheit ist es, die in die Vergangenheit rückt. Damit haben wir aber noch nicht volle Zeitobjektivität. Zur Konstituierung der Zeit gehört die Möglichkeit der Identifizierung: ich kann immer wieder eine Rückerinnerung (Wiedererinnerung) vollziehen, jedes Zeitstück mit seiner Fülle immer „wieder“ erzeugen und nun in der Folge von Wiedererzeugungen, die ich jetzt habe, dasselbe erfassen: dieselbe Dauer mit demselben Inhalt, dasselbe Objekt. Das Objekt ist eine Einheit des Bewußtseins, die in wiederholten Akten (also in zeitlicher Folge) sich als dieselbe herausstellen kann, Identisches der Intention, das in beliebig vielen Bewußtseinsakten identifizierbar, und zwar in beliebig vielen Wahrnehmungen wahrnehmbar oder wieder wahrnehmbar ist. Ich kann mich „jederzeit“ von dem identischen „es ist“ überzeugen. So ein Vorgang in der Zeit, ich kann ihn zum erstenmal erfahren, ich kann ihn in wiederholten Wiedererfahrungen wieder erfahren und seine Identität erfassen. Ich kann immer wieder auf ihn
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zurückkommen in meinem Denken und kann dieses Denken durch originäre Wiedererfahrung ausweisen. Und so konstituiert sich erst die objektive Zeit, und zunächst die des Ebenvergangen, in Beziehung worauf der Prozeß der Erfahrung, in der die Dauer sich herstellt, und jede Retention der ganzen Dauer bloße „Abschattung“ sind. Ich habe ein ursprüngliches Schema: einen Fluß mit seinem Inhalt; aber dazu eine ursprüngliche Mannigfaltigkeit des „ich kann“: ich kann mich an jede Stelle des Flusses zurückversetzen und ihn „nochmals“ erzeugen. Auch hier haben wir, wie bei der Konstitution objektiver Räumlichkeit, ein Optimum. Das Bild der Dauer im einfachen Rückblick ist unklar. In der klaren Wiedererzeugung habe ich das „selbst“, und je klarer, um so vollkommener.
Beilage V: Gleichzeitigkeit von Wahrnehmung und Wahrgenommenem1
Mit welchem Rechte kann man sagen, daß Wahrnehmung und Wahrgenommenes gleichzeitig sind? Für die objektive Zeit – in der naiven Einstellung – stimmt es nicht, denn es ist möglich, daß im Zeitpunkt der Wahrnehmung das wahrgenommene Objekt gar nicht mehr existiert (Stern); von diesem Standpunkt wird man sogar sagen müssen, daß die Zeitpunkte der Wahrnehmung und des Wahrgenommenen immer auseinanderfallen. | Nehmen wir – nun in phänomenologischer Einstellung – die erscheinende objektive Zeit, in der ein transzendentes Objekt dauert. Dann fällt die Dauer der Wahrnehmung nicht zusammen mit der Dauer des wahrgenommenen Objektes: wir sagen, daß es vor der Wahrnehmung schon existiert hat und nach ihrem Ablauf noch weiter existieren wird. Man kann aber sagen, daß es das Korrelat einer möglichen kontinuierlichen Wahrnehmung ist, die es vom Anfang bis zum Ende seiner Dauer verfolgt. Dann entspricht jeder Phase der Objektdauer eine Wahrnehmungsphase. Damit ist aber noch nicht gesagt, 1
Zu § 33, S. 72.
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daß der Einsatzpunkt der Objektdauer und der der Wahrnehmung zusammenfallen müssen, daß somit die Zeitpunkte der einander entsprechenden Phasen identisch sein müssen. Dafür ist in Rechnung zu ziehen, daß die Empfindungsdaten, die bei der Konstitution eines transzendenten Objekts ihre Rolle spielen, selbst in einem Zeitverlauf konstituierte Einheiten sind. Mit dem Moment, wo die Auffassung anhebt, setzt die Wahrnehmung ein, vorher kann von Wahrnehmung nicht die Rede sein. Die Auffassung ist „Beseelung“ des Empfindungsdatums. Zu fragen bleibt jedoch, ob sie zugleich mit dem Empfindungsdatum anhebt oder ob dieses nicht – wenn auch nur während eines Zeitdifferentials – konstituiert sein muß, ehe die beseelende Auffassung einsetzen kann. Es scheint, daß dies letztere zutrifft. Dann ist in dem Moment, in dem die Auffassung einsetzt, ein Teil des Empfindungsdatums schon abgelaufen und nur noch retentional erhalten. Die Auffassung beseelt nun nicht nur die jeweilige Urempfindungsphase, sondern das gesamte Empfindungsdatum einschließlich der abgelaufenen Strecke; das besagt aber, daß sie das Objekt in der dem Empfindungsablauf entsprechenden Beschaffenheit für die ganze Dauer des Empfindungsablaufes setzt, also auch für den Zeitabschnitt, der ihr selbst – der Wahrnehmungsauffassung – vorausgeht. Demnach besteht eine zeitliche Differenz zwischen dem Anfangspunkt der Wahrnehmung und dem Anfangspunkt des Objekts. Durch Aufklärung der „äußeren Bedingungen“, unter denen das Auftreten eines Empfindungsdatums steht, läßt sich vielleicht auch die oben erwähnte naturalistische Behauptung von der Ungleichzeitigkeit der Wahrnehmung und des Wahrgenommenen einsichtig machen. Schalten wir jetzt die transzendenten Objekte aus und fragen wir, wie es in der immanenten Sphäre mit der Gleichzeitigkeit von Wahrnehmung und Wahrgenommenem steht. Fassen wir Wahrnehmung hier auf als den Akt der Reflexion, in dem immanente Einheiten zur Gegebenheit kommen, so setzt er voraus, daß bereits etwas konstituiert – und retentional erhalten – ist, worauf er zurückblicken kann: dann folgt also die Wahrnehmung auf das Wahrgenommene und ist nicht mit ihm gleichzeitig. Nun setzen aber – wie wir gesehen haben – Refle-
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xion und Retention das impressionale „innere Bewußtsein“ des betreffenden immanenten Datums in seiner ursprünglichen Konstitution voraus, und dieses ist mit den jeweiligen | Urimpressionen konkret eins, von ihnen untrennbar1: wollen wir auch das „innere Bewußtsein“ als „Wahrnehmung“ bezeichnen, so haben wir hier in der Tat strenge Gleichzeitigkeit von Wahrnehmung und Wahrgenommenem.
Beilage VI: Erfassung des absoluten Flusses – Wahrnehmung in vierfachem Sinn2
Die Objekte, um die es sich hier handelt, sind Zeitobjekte, die sich konstituieren müssen. Der sinnliche Kern (die Erscheinung ohne Auffassung) ist „jetzt“ und ist soeben gewesen und noch früher gewesen usw. In diesem Jetzt ist zugleich die Retention des vergangenen Jetzt aller Stufen der jetzt bewußten Dauer. Jedes vergangene Jetzt birgt retentional in sich alle früheren Stufen. Ein Vogel fliegt soeben durch den sonnigen Garten. In der Phase, die ich eben erhasche, finde ich das retentionale Bewußtsein der vergangenen Abschattungen der Zeitlage, in jedem neuen Jetzt ebenso. Aber der Zeitschwanz jeder Phase ist selbst etwas, was in die Zeit zurücksinkt und seine Abschattung hat. Der ganze Inhalt jedes Jetzt sinkt in die Vergangenheit, dieses Sinken ist aber kein Vorgang, der in infinitum reproduziert würde. Der Vogel ändert seinen Ort, er fliegt. In jeder neuen Lage hängt ihm (d. h. seiner Erscheinung) der Nachhall der früheren Erscheinungen an. Jede Phase dieses Nachhalls klingt aber ab, während der Vogel weiter fliegt, und so gehört zu jeder folgenden Phase eine Serie von „Nachklängen“, und wir haben nicht eine einfache Reihe von Folgephasen (etwa jedes aktuelle Jetzt mit einer Phase), sondern zu jeder einzelnen Folgephase eine Serie. Jede zeitliche Erscheinung löst sich also nach der phänomenologischen Reduktion in einen solchen Fluß auf. Das Be1 2
Über das „innere Bewußtsein“ vgl. Beilage XII, S. 126 ff. Zu §§ 34 ff., S. 73 ff.
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wußtsein, in das sich all das auflöst, kann ich aber nicht selbst wieder wahrnehmen. Denn dieses neue Wahrgenommene wäre wieder ein Zeitliches, das zurückweist auf ein konstituierendes Bewußtsein ebensolcher Art, und so in infinitum. Es erhebt sich also die Frage, woher ich von dem konstituierenden Fluß Kenntnis habe.1 Die Stufen der Beschreibung (und der Konstitution) von Zeitobjekten sind nach den bisherigen Ausführungen die folgenden: wir haben 1. die Wahrnehmung der empirischen Objekte im gewöhnlichen Sinn: da stehen sie usw. 2. In der phänomenologischen Betrachtung nehme ich das Objekt als Phänomen, ich bin gerichtet auf die Wahrnehmung, auf Erscheinung und Erscheinendes in ihrer Korrelation. Das wirkliche Ding ist im wirklichen Raum, dauert und verändert sich in der wirklichen | Zeit usw. Das erscheinende Ding der Wahrnehmung hat einen Erscheinungsraum und eine Erscheinungszeit. Und wiederum haben die Erscheinungen selbst und alle Bewußtseinsgestaltungen ihre Zeit, nämlich ihr Jetzt und ihre Zeitausbreitung in der Form des Jetzt-Vorher: die subjektive Zeit. Dabei ist zu beachten: Das Wahrnehmungsobjekt erscheint in der „subjektiven Zeit“, das Erinnerungsobjekt in einer erinnerten, das Phantasieobjekt in einer phantasierten subjektiven Zeit, das erwartete Objekt in einer erwarteten. Die Wahrnehmung, Erinnerung, Erwartung, Phantasie, das Urteil, Gefühl, der Wille – kurz alles, was Objekt der Reflexion ist, erscheint in derselben subjektiven Zeit, und zwar in derselben, in der die Wahrnehmungsobjekte erscheinen. 3. Die subjektive Zeit konstituiert sich im absoluten zeitlosen Bewußtsein, das nicht Objekt ist. Überlegen wir nun, wie dieses absolute Bewußtsein zur Gegebenheit kommt. Wir haben eine Ton-Erscheinung, wir achten auf die Erscheinung als solche. So wie der (dinglich gedachte) Geigenton, so hat die Ton-Erscheinung ihre Dauer, und in dieser Dauer ihre Unveränderung oder Veränderung. Ich kann auf irgendeine Phase 1
Vgl. § 40, S. 83 f.
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dieser Erscheinung achten: Erscheinung ist hier der immanente Ton oder die immanente Ton-Bewegung, abgesehen von seiner „Bedeutung“. Das ist aber nicht das letzte Bewußtsein. Dieser immanente Ton „konstituiert“ sich, nämlich kontinuierlich mit dem jeweiligen Ton-Jetzt haben wir auch die TonAbschattungen, und zwar stellt sich in diesen die Strecke der Ton-Vergangenheiten, die zu diesem Jetzt gehören, dar. Wir können auf diese Reihe einigermaßen achten. Bei einer Melodie z. B. können wir einen Moment sozusagen zum Stehen bringen und finden darin die Erinnerungsabschattungen der vorangegangenen Töne. Es ist offenbar, daß dasselbe für jeden einzelnen Ton auch schon gilt. Wir haben dann das immanente Ton-Jetzt und die immanenten Ton-Vergangen in ihrer Reihe bzw. Kontinuität. Zudem sollen wir aber folgende Kontinuität haben: Wahrnehmung des Jetzt und Erinnerung des Vergangen, und diese ganze Kontinuität soll selbst ein Jetzt sein. In der Tat: Im Gegenstandsbewußtsein lebend, blicke ich in die Vergangenheit vom Jetztpunkt aus zurück. Andererseits kann ich das ganze Gegenstandsbewußtsein als ein Jetzt fassen und sagen: Jetzt. Ich erhasche den Moment und fasse das ganze Bewußtsein als ein Zusammen, als ein Zugleich. Ich höre soeben einen langen Pfiff. Er ist wie eine gedehnte Linie. In jedem Moment habe ich haltgemacht, und von da aus dehnt sich die Linie. Der Blick dieses Moments umfaßt eine ganze Linie, und das Linienbewußtsein wird als gleichzeitig gefaßt mit dem Jetztpunkt des Pfiffs. Also ich habe in mehrfachem Sinne Wahrnehmung:1 1. Ich habe Wahrnehmung der Dampfpfeife oder vielmehr des Pfiffs der Pfeife. | 2. Ich habe Wahrnehmung des Ton-Inhalts selbst, der dauert, und des Ton-Vorgangs in seiner Dauer, abgesehen von seiner Einordnung in die Natur. 3. Wahrnehmung des Ton-Jetzt und zugleich Achtsamkeit auf das mitverbundene Ton-Soeben-gewesen. 4. Wahrnehmung des Zeitbewußtseins im Jetzt: ich achte auf das Jetzt-Erscheinen des Pfiffs, bzw. eines Tons, und auf 1
Vgl. § 17, S. 40 ff., und § 18, S. 42 ff.
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das Jetzt- Erscheinen eines sich so und so in die Vergangenheit erstreckenden Pfiffs (mir erscheint in diesem Jetzt eine JetztPfiff-Phase und eine Kontinuität der Abschattung). Was für Schwierigkeiten bestehen hinsichtlich der letzten dieser Wahrnehmungen? Natürlich, das Zeitbewußtsein habe ich, ohne daß es selbst wieder Objekt ist. Und wenn ich es zum Objekt mache, so hat es selbst wieder eine Zeitstelle, und wenn ich ihm von Moment zu Moment folge, so hat es eine Zeitausbreitung. Daran ist kein Zweifel, daß solche Wahrnehmung besteht. Ein erhaschender Blick kann, wie auf den Fluß der Tonphasen, so auf die Kontinuität derselben im Jetzt des Erscheinens achten, in dem sich das Dinglich- Objektive darstellt, und wieder auf die Änderungskontinuität dieser Momentankontinuität. Und die Zeit dieser „Änderung“ ist dieselbe wie die Zeit des Objektiven. Handelt es sich z. B. um einen unveränderten Ton, so ist die subjektive Zeitdauer des immanenten Tones identisch mit der Zeiterstreckung der Kontinuität der Erscheinungsänderung. Aber ist nicht hier ein höchst Merkwürdiges? Kann man hier im eigentlichen Sinn von einer Veränderung sprechen, wo doch eine Unveränderung, eine unverändert ausgefüllte Dauer undenkbar ist? Dem stetigen Fluß der Erscheinungsphasen ist keine mögliche Unveränderung an die Seite zu stellen. Im ursprünglichen Fluß gibt es keine Dauer.1 Denn Dauer ist die Form eines dauernden Etwas, eines dauernden Seins, eines Identischen in der Zeitreihe, die als seine Dauer fungiert. Bei Vorgängen wie Gewitter, Bewegung einer Sternschnuppe usw. handelt es sich um einheitliche Veränderungszusammenhänge dauernder Objekte. Die objektive Zeit ist eine Form „beharrlicher“ Gegenstände, ihrer Veränderungen und sonstiger Vorgänge an ihnen. „Vorgang“ ist also ein Begriff, der Beharrlichkeit voraussetzt. Beharrlichkeit ist aber eine Einheit, die sich im Fluß konstituiert, und zu dessen Wesen gehört es, daß in ihm keine Beharrung sein kann. Im Fluß sind Erlebnisphasen und stetige Reihen von Phasen. Aber solch eine Phase ist nichts Beharrliches, und ebensowenig eine stetige Reihe. 1
Zu dem Folgenden vgl. insbes. § 36, S. 74 f.
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Gewiß ist auch sie in einer Art eine Gegenständlichkeit. Ich kann den Blick auf eine sich abhebende Phase im Fluß oder auf eine Strecke des Flusses richten und sie in wiederholter Vergegenwärtigung identifizieren, auf dieselbe immer wieder zurückkommen und sagen: diese | Flußstrecke. Und so auch für den ganzen Fluß, den ich in eigener Weise als diesen einen identifizieren kann. Aber diese Identität ist nicht Einheit eines Beharrlichen und kann nie eine solche werden. Zum Wesen der Beharrlichkeit gehört, daß das Beharrende entweder unverändert oder verändert beharren kann. Jede Veränderung kann idealiter in Unveränderung übergehen, Bewegung in Ruhe und umgekehrt, qualitative Veränderung in Unveränderung. Die Dauer ist dann erfüllt mit „denselben“ Phasen. Im Fluß aber kann prinzipiell kein Stück Nicht-Fluß auftreten. Der Fluß ist nicht ein zufälliger Fluß, wie ein objektiver Fluß es ist, die Wandlung seiner Phasen kann nie aufhören und übergehen in ein Sich-kontinuieren immer gleicher Phasen. Aber hat nicht auch der Fluß in gewisser Weise etwas Verbleibendes, wenn auch kein Stück des Flusses sich in einen NichtFluß verwandeln kann? Verbleibend ist vor allem die formale Struktur des Flusses, die Form des Flusses. D. h. das Fließen ist nicht nur überhaupt Fließen, sondern jede Phase ist von einer und derselben Form, die beständige Form ist immer neu von „Inhalt“ erfüllt, aber der Inhalt ist eben nichts äußerlich in die Form Hineingebrachtes, sondern durch die Form der Gesetzmäßigkeit bestimmt: nur so, daß diese Gesetzmäßigkeit nicht allein das Konkretum bestimmt. Die Form besteht darin, daß ein Jetzt sich konstituiert durch eine Impression und daß an diese ein Schwanz von Retentionen sich angliedert und ein Horizont der Protentionen. Diese bleibende Form trägt aber das Bewußtsein des ständigen Wandels, das eine Urtatsache ist: das Bewußtsein der Wandlung der Impression in Retention, während stetig wieder eine Impression da ist, oder im Hinblick auf das Was der Impression, das Bewußtsein des Wandels dieses Was, während das soeben noch als „jetzt“ bewußte in den Charakter des „soeben gewesen“ sich modifiziert. Wir kommen bei dieser Auffassung also – wie schon früher angedeutet – auf die Frage nach dem Zeitbewußtsein, in dem
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sich die Zeit des Zeitbewußtseins der Ton-Erscheinungen konstituiert. Lebe ich im Ton-Erscheinen, so steht mir der Ton da, und er hat seine Dauer oder Veränderung. Achte ich auf das Ton-Erscheinen, so steht dieses da und hat nun seine Zeiterstreckung, seine Dauer oder Veränderung. Dabei kann Ton-Erscheinen Verschiedenes besagen. Es kann auch besagen das Achten auf die Abschattungskontinuität Jetzt, Soeben usw. Nun soll der Strom (der absolute Fluß) wieder gegenständlich sein und wieder seine Zeit haben. Auch da wäre wieder ein diese Objektivität konstituierendes Bewußtsein nötig und ein diese Zeit konstituierendes. Prinzipiell könnten wir wieder reflektieren, und so in infinitum. Ist der unendliche Regreß hier als unschädlich zu erweisen? 1. Der Ton dauert, konstituiert sich in einer Kontinuität von Phasen. 2. Während oder sofern der Ton dauert, gehört zu jedem Punkt | der Dauer eine Serie von Abschattungen vom betreffenden Jetzt an in das verschwimmende Vergangen. Wir haben also ein stetiges Bewußtsein, von dem jeder Punkt ein stetiges Kontinuum ist. Das ist aber wieder eine Zeitreihe, auf die wir achten können. Also geht das Spiel von neuem los. Fixieren wir irgendeinen Punkt dieser Reihe, so scheint dazu ein Vergangenheitsbewußtsein gehören zu müssen, das sich auf die Serie der vergangenen Reihen bezieht, usw. Wenn nun auch nicht in infinitum Reflexion geübt wird und überhaupt keine Reflexion nötig ist, so muß doch dasjenige gegeben sein, was diese Reflexion möglich macht und, wie es scheint, prinzipiell wenigstens in infinitum möglich macht. Und da liegt das Problem.
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Beilage VII: Konstitution der Gleichzeitigkeit1
a, etwa ein Ton, konstituiert sich, in einem Zeitpunkt einer bestimmten der Phasen, seiner Dauer nach durch eine Urimpression α, an die sich die und die Modifikation zusammen mit der Urzeugung neuer Impressionen (neuer Jetztmomente) anschließt, b sei eine gleichzeitige immanente Einheit, etwa eine Farbe, und es sei ins Auge gefaßt ein mit jenem Ton-Punkt „gleichzeitiger“ Punkt. Dem entspricht in der Konstitution die Urimpression β. Was haben nun α und β gemeinsam? Was macht es, daß sie Gleichzeitigkeit konstituieren und daß zwei Modifikationen α' und β' ein Gleichzeitig-gewesen konstituieren? In eine Schicht des inneren Bewußtseins können mannigfaltige Urimpressionen, Urphantasmen usw., kurz mannigfaltige Ursprungsmomente gehören (wir können auch sagen: Urmomente des inneren Bewußtseins). Alle zu einer Schicht gehörigen Ursprungsmomente haben denselben Bewußtseinscharakter, welcher wesentlich konstitutiv ist für das betreffende „Jetzt“: es ist für alle konstituierten Inhalte dasselbe, die Gemeinsamkeit des Charakters konstituiert die Gleichzeitigkeit, die „ Gleich-Jetzigkeit“. Vermöge der ursprünglichen Spontaneität des inneren Bewußtseins ist jedes Urmoment Quellpunkt für eine Kontinuität von Erzeugungen, und diese Kontinuität ist von einer und derselben Form, die Weise der Erzeugung, der urtemporalen Modifikation, ist für alle Urmomente dieselbe, ein und dieselbe Gesetzmäßigkeit durchherrscht alle Modifikationen. Diese Gesetzmäßigkeit lautet: Die stetige Erzeugung des inneren Bewußtseins hat die Form einer eindimensionalen orthoiden Mannigfaltigkeit, alle Urmomente innerhalb einer Schicht erfahren dieselbe Modifikation (sie erzeugen dieselben Vergangenheitsmomente). Also die Modifikationen zweier zur selben Schicht gehörigen Urmomente, die denselben Abstand von den entsprechenden Urmomenten haben, gehören einer und derselben Schicht an; oder auch Modifikationen, die einer Schicht angehören, erzeugen | aus sich immer wieder nur Modifika1
Zu § 38, S. 76 ff.
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tionen, die einer und derselben Schicht angehören. Die Erzeugung geht immer in derselben Geschwindigkeit vor sich. Innerhalb jeder Schicht haben die verschiedenen Punkte der stetigen Serie von dem Urmoment einen verschiedenen Abstand. Dieser Abstand irgendeines Punktes ist identisch mit dem Abstand, den derselbe Punkt von seinem Urmoment in der früheren Schicht hat. Das konstituierende Urfeld des Zeitbewußtseins ist eine stetige Extension, welche aus einem Urmoment und einer bestimmten Serie von iterierten Modifikationen besteht; iterierten Modifikationen nicht dem Inhalt, sondern der Form nach. Die Bestimmtheiten dieser Modifikationen sind der Form nach in allen Urfeldern (in ihrer Folge) immer wieder dieselben. Jedes Urmoment ist eben Urmoment (Jetztbewußtsein), jedes Vergangene Vergangenheitsbewußtsein, und der Grad der Vergangenheit ist etwas Bestimmtes: ihm entspricht ein fest bestimmter formaler Charakter im urkonstituierenden Bewußtsein. In der Aufeinanderfolge der Schichten können immer wieder Momente von gleichem „Inhalt“, d. h. von gleichem inneren Bestand, als Urmomente auftreten. Diese Urmomente verschiedener Schichten, die einen völlig gleichen inneren Gehalt haben, sind individuell unterschieden.
Beilage VIII: Doppelte Intentionalität des Bewußtseinsstromes1
Wir haben im Bewußtseinsstrom eine doppelte Intentionalität. Entweder wir betrachten den Inhalt des Flusses mit seiner Flußform. Wir betrachten dann die Urerlebnisreihe, die eine Reihe intentionaler Erlebnisse ist, Bewußtsein von … Oder wir lenken den Blick auf die intentionalen Einheiten, auf das, was im Hinströmen des Flusses intentional als Einheitliches bewußt ist: dann steht für uns da eine Objektivität in der objektiven Zeit, das eigentliche Zeitfeld gegenüber dem Zeitfeld des Erlebnisstromes. 1
Zu § 39, S. 80 ff.
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Der Erlebnisstrom mit seinen Phasen und Strecken ist selbst eine Einheit, die identifizierbar ist durch Rückerinnerung mit Blickrichtung auf das Fließende: Impressionen und Retentionen, Auftauchen und gesetzmäßiges Sich-verwandeln und Verschwinden oder Dunkelwerden. Diese Einheit konstituiert sich originär durch die Tatsache des Flusses selbst; nämlich sein eigenes Wesen ist es, nicht nur überhaupt zu sein, sondern Erlebniseinheit zu sein und gegeben zu sein im inneren Bewußtsein, in dem ein aufmerkender Strahl auf ihn gehen kann (der selbst nicht aufgemerkt ist, den Strom bereichert, aber den zu beachtenden Strom nicht ändert, sondern „fixiert“, gegenständlich macht). Die aufmerkende Wahrnehmung dieser Einheit ist ein intentionales Erlebnis mit wandelbarem Inhalt, und es kann Erinnerung auf das Dahingegangene sich richten und es wieder | holt modifizieren, vergleichen mit seinesgleichen usw. Daß diese Identifizierung möglich ist, daß hier ein Objekt konstituiert ist, das liegt an der Struktur der Erlebnisse: daß nämlich jede Phase des Stromes sich in Retention „von …“ wandelt, diese wieder usw. Ohne das wäre ein Inhalt als Erlebnis nicht denkbar, Erlebnis wäre sonst prinzipiell nicht dem Subjekt als Einheit gegeben und zu geben und wäre somit nichts. Das Fließen besteht in einem Übergehen jeder Phase des ursprünglichen Feldes (also eines linearen Kontinuums) in eine retentionale Modifikation von derselben, nur soeben vergangenen. Und so geht es weiter. Bei der zweiten Intentionalität verfolge ich nicht den Fluß der Felder, nicht den der Form „jetzt (original)-retentionale Abwandlung verschiedener Stufe“, als einheitliche Wandlungsreihe, sondern richte mein Augenmerk auf das, was in jedem Feld und in jeder Phase, die das Feld als ein Linearkontinuum hat, intendiert ist. Jede Phase ist ein intentionales Erlebnis. Bei der vorigen Vergegenständlichung waren die konstituierenden Erlebnisse die Akte des inneren Bewußtseins, dessen Gegenstand eben die „Phänomene“ des zeitkonstituierenden Bewußtseins sind. Diese sind selbst also intentionale Erlebnisse, ihr Gegenstand sind die Zeitpunkte und Zeitdauern mit ihrer jeweiligen gegenständlichen Fülle. Während der absolute Zeitfluß fließt, verschieben sich die intentionalen Phasen, aber so,
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daß sie in zusammengehöriger Weise Einheiten konstituieren, ineinander übergehen wie eben Phänomene von Einem, das in den fließenden Phänomenen sich abschattet, so daß wir „Gegenstände im Wie“ und in immer neuem Wie haben. Die Form des Wie ist die Orientierung: das Jetzige, das soeben Vergangene, das Künftige. Im Hinblick auf die Gegenstände können wir dann wieder vom Fluß sprechen, in dem das Jetzt sich in Vergangen wandelt usw. Und das ist notwendig durch die Struktur des Erlebnisflusses als Flusses intentionaler Erlebnisse a priori vorgezeichnet. Die Retention ist eine eigentümliche Modifikation des Wahrnehmungsbewußtseins, das im ursprünglichen zeitkonstituierenden Bewußtsein Urimpression ist und hinsichtlich der Zeitobjekte, sei es der immanenten – wie eines dauernden Tones im Tonfeld oder auch eines Farbendatums im Sehfeld – immanente Wahrnehmung (adäquate) ist. Ist W(t) die Wahrnehmung eines empfundenen Tones, die ihn als dauernden Ton erfaßt, so wandelt sich W(t) in eine Kontinuität von Retentionen Rw(t). W(t) ist aber auch gegeben im inneren Bewußtsein als Erlebnis. Wandelt sich W(t) in Rw(t) so wandelt sich notwendig im inneren Bewußtsein eben das innere Bewußtsein von Rw(t). Denn hier fällt ja Sein und Innerlich-bewußt-sein zusammen. Nun wandelt sich aber auch das innere Bewußtsein von W(t) in die retentionale Modifikation dieses inneren Bewußtseins, und diese ist selbst innerlich bewußt. Also ist bewußt das Soeben-wahrgenommen-haben. Wenn eine Ton-Wahrnehmung in ihre entsprechende Retention übergeht (das Bewußtsein vom soeben gewesenen Ton), so ist ein Be | wußtsein des soeben gewesenen Wahrnehmens da (im inneren Bewußtsein, als Erlebnis), und beides deckt sich, ich kann nicht eines ohne das andere haben. Anders ausgedrückt: Notwendig gehört beides zusammen: der Übergang einer Objektwahrnehmung in eine retentionale Modifikation dieser und der Übergang des Wahrnehmens in eine retentionale Modifikation des Wahrnehmens. Wir haben also notwendig zweierlei retentionale Modifikationen, die mit jeder Wahrnehmung gegeben sind, die nicht Wahrnehmung des inneren Bewußtseins ist. Das innere Bewußtsein ist ein Fluß. Sol-
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len in diesem Erlebnisse möglich sein, die nicht „innere Wahrnehmungen“ sind, so muß es zweierlei retentionale Reihen geben, also neben der Konstitution des Flusses als Einheit durch die „inneren“ Retentionen noch eine Reihe von „äußeren“. Die letztere konstituiert die objektive Zeit (eine konstituierte Immanenz, der ersten äußerlich, aber doch immanent). Dabei ist zu beachten, daß das innere Bewußtsein als Korrelat nicht immanente Daten hat, die dauern (wie ein Tondatum oder dauernde Freuden, Leiden, dauernde Vorgänge, genannt Urteile), sondern die diese Einheiten konstituierenden Phasen.
Beilage IX: Urbewußtsein und Möglichkeit der Reflexion1
Die Retention ist keine Modifikation, in der die impressionalen Daten reell erhalten blieben, nur eben in der abgewandelten Form: sondern sie ist eine Intentionalität, und zwar eine Intentionalität eigener Art. Indem ein Urdatum, eine neue Phase auftaucht, geht die vorangehende nicht verloren, sondern wird „im Griff behalten“ (d. i. eben „retiniert“), und dank dieser Retention ist ein Zurückblicken auf das Abgelaufene möglich; die Retention selbst ist kein Zurückblicken, das die abgelaufene Phase zum Objekt macht: indem ich die abgelaufene Phase im Griff habe, durchlebe ich die gegenwärtige, nehme sie – dank der Retention – „hinzu“ und bin gerichtet auf das Kommende (in einer Protention). Aber weil ich sie im Griff habe, kann ich den Blick darauf lenken in einem neuen Akt, den wir – je nachdem das abgelaufene Erleben sich noch in neuen Urdaten forterzeugt, also eine Impression ist, oder bereits abgeschlossen als Ganzes „in die Vergangenheit rückt“ – eine Reflexion (immanente Wahrnehmung) oder Wiedererinnerung nennen. Diese Akte stehen zur Retention im Verhältnis der Erfüllung. Die Retention ist selbst kein „Akt“ (d. h. eine in einer Reihe von retentionalen Phasen konstituierte immanente Dauereinheit), sondern ein Momentanbewußtsein von der abgelaufenen Phase und zu1
Zu § 39, bes. S. 82 f., und § 40, S. 83 f.
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gleich Unterlage für das retentionale Bewußtsein der nächsten Phase. Indem jede Phase die voranliegende retentional bewußt hat, beschließt sie in einer Kette von mittelbaren Intentionen die gesamte Reihe der abgelaufenen Retentionen in sich: eben dadurch konsti | tuieren sich die Dauereinheiten, die durch die Vertikalreihen des Zeitdiagramms wiedergegeben werden, und die die Objekte der rückschauenden Akte sind. In diesen Akten kommt mit der konstituierten Einheit (z. B. dem dauernd retentional erhaltenen unveränderten Ton) die Reihe der konstituierenden Phasen zur Gegebenheit. Der Retention verdanken wir es also, daß das Bewußtsein zum Objekt gemacht werden kann. Man kann nun die Frage aufwerfen: Wie steht es mit der Anfangsphase eines sich konstituierenden Erlebnisses? Kommt sie auch nur aufgrund der Retention zur Gegebenheit, und würde sie „unbewußt“ sein, wenn sich keine Retention daran schlösse? Darauf ist zu sagen: Zum Objekt werden kann die Anfangsphase nur nach ihrem Ablauf auf dem angegebenen Wege, durch Retention und Reflexion (bzw. Reproduktion). Aber wäre sie nur durch die Retention bewußt, so bliebe es unverständlich, was ihr die Auszeichnung als „Jetzt“ verleiht. Sie könnte allenfalls negativ unterschieden werden von ihren Modifikationen als diejenige Phase, die keine voranliegende mehr retentional bewußt macht; aber sie ist ja bewußtseinsmäßig durchaus positiv charakterisiert. Es ist eben ein Unding, von einem „unbewußten“ Inhalt zu sprechen, der erst nachträglich bewußt würde. Bewußtsein ist notwendig Bewußtsein in jeder seiner Phasen. Wie die retentionale Phase die voranliegende bewußt hat, ohne sie zum Gegenstand zu machen, so ist auch schon das Urdatum bewußt – und zwar in der eigentümlichen Form des „jetzt“ –, ohne gegenständlich zu sein. Eben dieses Urbewußtsein ist es, das in die retentionale Modifikation übergeht – die dann Retention von ihm selbst und dem in ihm originär bewußten Datum ist, da beide untrennbar eins sind –: wäre es nicht vorhanden, so wäre auch keine Retention denkbar; Retention eines unbewußten Inhalts ist unmöglich. Im übrigen ist es nichts aus Gründen Erschlossenes, sondern in der Reflexion auf das konstituierte Erleben als konstituie-
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rende Phase genau so wie die Retentionen erschaubar. Man darf nur dieses Urbewußtsein, diese Urauffassung, oder wie man es sonst nennen will, nicht als einen auffassenden Akt mißverstehen. Abgesehen davon, daß es eine evident falsche Beschreibung der Sachlage wäre, würde man sich dadurch in unlösbare Schwierigkeiten verwickeln. Sagt man: jeder Inhalt kommt nur zum Bewußtsein durch einen darauf gerichteten Auffassungsakt, so erhebt sich sofort die Frage nach dem Bewußtsein, in dem dieser Auffassungsakt, der doch selbst ein Inhalt ist, bewußt wird, und der unendliche Regreß ist unvermeidlich. Ist aber jeder „Inhalt“ in sich selbst und notwendig „urbewußt“, so wird die Frage nach einem weiteren gebenden Bewußtsein sinnlos. Ferner ist jeder Auffassungsakt selbst eine konstituierte immanente Dauereinheit. Indem er sich aufbaut, ist das, was er zum Objekt machen soll, längst vorüber und wäre – wenn wir nicht das ganze Spiel von Urbewußtsein und Retentionen schon voraussetzten – für ihn gar nicht mehr erreichbar. Weil aber Urbewußtsein und | Retentionen vorhanden sind, besteht die Möglichkeit, in der Reflexion auf das konstituierte Erlebnis und auf die konstituierenden Phasen hinzusehen und sogar der Unterschiede inne zu werden, die etwa zwischen dem ursprünglichen Fluß, wie er im Urbewußtsein bewußter war, und seiner retentionalen Modifikation bestehen. Alle Einwände, die gegen die Methode der Reflexion erhoben worden sind, erklären sich aus der Unkenntnis der wesensmäßigen Konstitution des Bewußtseins.
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Beilage X: Objektivation der Zeit und von Dinglichem in der Zeit1
Parallele Probleme sind die Konstitution des einen All-Raumes2, der bei jeder speziellen Wahrnehmung mit wahrgenommen wird, sofern das wahrgenommene Ding seinem Körper nach in ihm liegend erscheint, und die Konstitution der einen Zeit, in der die Zeitlichkeit des Dinges liegt, in die sich seine Dauer einordnet, sowie die Dauer aller zur Dingumgebung gehörigen Dinge und dinglichen Vorgänge. In diese selbe Zeit ordnet sich auch das Ich ein, und nicht nur der Ichleib, sondern auch seine „psychischen Erlebnisse“. Die zu jedem Dinglichen gehörige Zeit ist seine Zeit, und doch haben wir nur eine Zeit: nicht nur, daß sich die Dinge nebeneinander ordnen in eine einzige lineare Extension, sondern verschiedene Dinge bzw. Vorgänge erscheinen als gleichzeitig, sie haben nicht parallele gleiche Zeiten, sondern eine Zeit, numerisch eine. Es verhält sich hier nicht so wie bei mehrfältiger Raumfülle, wo sich visuelle und taktuelle Fülle decken. Vielmehr haben wir getrennte, sich nicht deckende Dinglichkeiten, die doch in der identischen Zeitstrecke sind und dauern. Dinggegebenheit vollzieht sich als ein Prozeß in der phänomenologischen Zeitlichkeit; der gesamte Verlauf von motivierenden Bewegungsempfindungen (K) und durch sie motivierten „Bildern“ (b) ist zeitlich extendiert. Im Übergang von K0 zu K1 haben die dadurch motivierten Bilder ihren Abfluß b0–b1 und stehen mit den K in zeitlicher Deckung. Wie jeder erfüllte Zeitfluß, so hat auch dieser seine Zeitgestalt; und sie kann wechselnde Zeitgestalt sein, es kann der Fluß der K und damit derjenige der b schneller oder langsamer erfolgen, und 1
Der Text der Beilage X fußt auf dem einiger Blätter aus dem Zusammenhange des Manuskripts der Vorlesung über Hauptstücke aus der Phänomenologie und Kritik der Vernunft, die Husserl im Sommersemester 1907 an der Universität Göttingen gehalten hat. Es handelt sich um die sogenannte „Dingvorlesung“, deren Einleitung unter dem Titel Die Idee der Phänomenologie in Bd. II vorliegender Ausgabe veröffentlicht worden ist. – Anm. d. Hrsg. 2 Zu § 43, S. 90 ff.
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dabei in verschiedenster Weise in gleicher oder ungleicher Geschwindigkeit, je nachdem die Zeitfülle sich in der Zeitstrecke ausbreitet, mit größerer oder geringerer „Dichte“ die oder jene Partialstrecke füllt. Es kann ferner der Ablauf der K und damit der Bilderfolge sich umkehren, und wieder in wechselnder Zeit | gestalt. Dem folgen die Zeitgestalten des Gegebenheitsbewußtseins. In gewisser Weise ist all das für das erscheinende und als gegeben dastehende Objekt irrelevant, sowie auch die größere oder geringere Extension des kinästhetischen BilderAbflusses bzw. der größere oder geringere Abfluß der möglichen Erscheinungen aus der ideellen Gesamtmannigfaltigkeit. Ich sage irrelevant, sofern ja immerfort dasselbe, etwa inhaltlich unveränderte und ruhende Ding dasteht, immer in derselben Zeitgestalt seine dingliche Inhaltsfülle ausbreitend, in überall gleichmäßiger Dichte. Und doch hat die Zeitlichkeit des Flusses für die Objektivation etwas zu sagen: es erscheint ja ein Zeitliches, Zeitlichkeit gehört wesentlich zum erscheinenden Gegenstand, und in unserem Fall Zeitlichkeit in Form der Dauer des unveränderten, ruhenden Dinges. Man wird nun sagen: es muß doch die Objektivation der Zeit ihren „darstellenden“ Inhalt haben im Phänomen, und worin sonst als in seiner phänomenologischen Zeitlichkeit? Näher wird natürlich die Erscheinung im engeren Sinn, die unter den jeweiligen motivierenden Umständen stehende Erscheinung, in Frage kommen, und wie in ihr das Bild durch seine Örtlichkeit das objektive örtliche darstellt, durch seine quasiFigur und quasi-Größe die objektive Figur und Größe und weiter durch seine quasi-Färbung die objektive Färbung, so durch seine Zeitlichkeit die objektive Zeitlichkeit. Das Bild ist Bild im Fluß der Bilderkontinuität; jeder Bildphase in diesem Fluß entspricht die erscheinende objektive Zeitphase des Dinges, näher der in diesem Bild sich darstellenden Objektseite; die präempirische Zeitstelle des Bildes ist Darstellung der objektiven Zeitstelle, die präempirische Zeitextension im Ablauf der Bilderkontinuität ist Darstellung der objektiven Zeitausbreitung des Dinges, also seiner Dauer. Das alles ist evident.
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Näher besehen ist freilich diese „Darstellung“ der objektiven Zeit eine wesentlich andere als diejenige des in der objektiven Zeit seienden, in ihr dauernden Dinges als des in der Zeit identischen und die Zeit in der Weise der Dauer erfüllenden. Nehmen wir der Einfachheit halber eine Kontinuität gleicher, also gleich reicher Bilder, innerhalb der engeren Sphäre „deutlichsten Sehens“, so geht ein intentionales Strahlenbündel durch die in der quasi-Zeitlichkeit abfließenden Bilder so hindurch, daß dadurch die Bilder in eindeutige Korrespondenz gesetzt werden. Die auf demselben intentionalen Strahl liegenden Punkte stellen durch ihre Inhalte einen und denselben Objektpunkt dar. Hier geht also ein einheitsetzendes Bewußtsein durch die präempirisch-zeitliche Kontinuität hindurch. Ein Fluß von Inhalten, aufgereiht am intentionalen Strahl, stellt Phase für Phase denselben Dingpunkt dar. Jeder Bildpunkt hat auch seine präempirische Zeitstelle. Durch die aufeinanderfolgenden Zeitstellen geht aber nicht wieder ein sie zu identischer Einheit objektivierendes Einheitsbewußtsein: die in dieser Zeitstellenkontinuität sich ausbreitende Punktreihe der Bilder stellt denselben Dingpunkt dar, aber die Zeitstellenreihe nicht einen identischen Zeitpunkt desselben, son | dern wieder eine Zeitreihe. Und der einzelne Bildpunkt hat dieselbe Zeitstelle wie alle anderen koexistenten Bildpunkte. Das ganze Bild hat eine Zeitstelle, jedes verschiedene eine verschiedene. Jede verschiedene Zeitstelle im präempirischen Bildfluß stellt eine verschiedene objektive Zeitstelle dar. Sonst erschiene ja nicht ein Ding, das als solches seine Dauer hat, eine erfüllte objektive Zeitreihe. Das sich im präempirischen Zeitverlauf ausbreitende Einheitsbewußtsein setzt Einheit im Zeitverlauf der darstellenden Bilder, indem es jedes Bild eben zum darstellenden macht, in ihm Gegebenheit setzt, und mit jedem neuen Bild Gegebenheit „desselben“. Das in jeder Phase Gegebene ist aber gegeben und gesetzt als ein Jetzt mit dem und dem Inhalt, im Übergang zur nächsten Phase wird es in seinem Jetzt festgehalten. So wird die neue und jede neue Phase mit ihrem Jetzt festgehalten gegeben, also im stetigen Übergang werden die Phasen so in Einheit gesetzt, daß jede Phase in der Objektivation ihr
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Jetzt behält und daß die Reihe der Jetztpunkte (als objektiver Zeitpunkte) erfüllt ist mit einem kontinuierlich einheitlichen und identischen Inhalt. Wenn die Phase a aktuell ist, hat sie den Charakter des aktuellen Jetzt. Aber im Zeitfluß schließt sich Phase an Phase an, und sowie wir die neue aktuelle Phase haben, haben die eben „jetzt“ gewesenen ihren Charakter als aktuelle geändert. In diesem Fluß der Veränderungen wird die zeitliche Objektivation vollzogen, sofern im Fluß der phänomenologischen Veränderung, die das a im Zurücksinken erfährt, kontinuierlich Setzung des identischen a mit dem bestimmten Zeitpunkt erfolgt. Im objektivierenden Bewußtsein erscheint der ablaufende Fluß der Bilder als ein Veränderungsfluß von sinnlichen Inhalten, wenn eben jedes Bild mit seinem Jetzt so objektiviert wurde, wie es in sich ist: die Einheit dieser Mannigfaltigkeit wäre die in ihr „liegende“, aus ihr zu entnehmende Einheit. In der Dingobjektivation wird aber der Bildinhalt im Sinne der kinästhetischen Motivationseinheit so und so transzendent aufgefaßt. Er wird also nicht einfach hingenommen, wie er ist, sondern als Darstellung, als Träger eines so und so charakterisierten, sich immerfort in der Weise der reinen Deckung erfüllenden, intentionalen Bündels. Diese Intentionalität geht durch die Bildinhalte hindurch, während jedes Jetztmoment, das zum jeweiligen Bild gehört, dieselbe Zeitpunkt-Objektivation erfährt, die es auch ohne die Dingobjektivation erfahren würde. Es konstituiert sich also eine objektive Zeitreihe überall in derselben Weise. Aber die Erscheinungsreihe, in deren Fluß sich objektive Zeitlichkeit konstituiert, ist ihrer Materie nach eine verschiedene, je nachdem sich dingliche Zeitlichkeit oder nicht-dingliche konstituiert, z. B. je nachdem sich objektive Zeit in der Dauer oder Veränderung eines immanenten Tones oder eines Dinges konstituiert. Beide Erscheinungsreihen haben ein Gemeinsames, eine gemeinsame Form, die den Charakter der Zeitobjektivation als solcher ausmacht. Aber die Erscheinungen sind einmal | Erscheinungen von Immanentem, das anderemal von Dinglichem. So wie die Identität des Tones im Fluß der Tonphasen, deren jede ihre zeitliche Individuation hat, Einheit in der Phasenkontinuität ist, Identität
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des in allen Phasen seienden und somit dauernden Tones, so ist die Identität des Dinges im Fluß der Erscheinungen Identität des in allen Erscheinungen in der Weise der Selbst- und Jetzt-Gegebenheit erscheinenden und in immer neuem Jetzt erscheinenden und somit dauernden Dinges. Dabei ist zu betonen, daß in der transzendenten Wahrnehmung die Phasen der früheren Erscheinung nicht nur retentional erhalten bleiben, wie dies bei jeder Erscheinungsfolge statthat oder wenigstens innerhalb gewisser Grenzen statthat; die jeweils im Jetztpunkt aktuelle Wahrnehmungserscheinung schließt nicht mit dem, was sie zur aktuellen Gegebenheit bringt, die durch die Wahrnehmung als jetzt gesetzte Realität ab. Es ist nicht so, daß die vorangegangenen Erscheinungen als in Retention fortlebende bloß aufbewahrt werden als Erscheinungen von Gewesenem. Das (primäre) Erinnerungsbewußtsein der früheren Phasen ist allerdings Erinnerungsbewußtsein, aber hinsichtlich der früheren Wahrnehmung. Was früher wahrgenommen war, ist jetzt nicht nur gegenwärtig als früher Wahrgenommenes, sondern es ist ins Jetzt hinübergenommen, es ist gesetzt als jetzt noch seiend. Als jetzt gesetzt ist nicht nur das soeben eigentlich Wahrgenommene, sondern zugleich auch das vorhin gegeben Gewesene. Während des Flusses eigentlicher Wahrnehmung ist nicht nur das eigentlich Gesehene als dauerndes Sein im Fluß seiner Erscheinungen gesetzt, sondern auch das Gesehen-gewesene. Und ebenso hinsichtlich der Zukunft: Als jetzt gesetzt ist auch das in der Erwartung der weiteren Phasen eigentlicher Wahrnehmung Wahrgenommen-sein-werdende, es ist jetzt und es dauert und erfüllt dieselbe Zeit. – Eben dasselbe gilt für alles Ungesehene, aber Sichtbare: d. h. alles, was bei möglichem Abfluß der K als zugehörig wahrgenommen werden könnte. Es vollzieht sich hier nur eine Erweiterung der Zeitobjektivierung, die wir in Beschränkung auf immerfort Gesehenes und während des Sehens sich immer wieder anders Darstellendes besprochen haben. Alles Gesehene kann auch ungesehen sein, bleibt aber doch sichtbar. Jeder Wahrnehmungsfluß läßt seinem Wesen nach eine Erweiterung zu, die schließlich das Wahrgenommene in ein Nichtwahrgenommenes verwandelt. Wie aber
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die Zeitsetzung, indem sie das Sehding, das da „vollständig“ erscheint, im Wechsel seiner vollständigen Erscheinungen identifiziert, jede Zeitstelle der Erscheinungsphasen mit objektiviert und ihr die Bedeutung einer objektiven Zeitstelle gibt, so daß also ein objektiv Dauerndes sich in der Erscheinungsserie auseinanderlegt: so vollzieht sich auch, und in ähnlicher Weise, Zeitsetzung hinsichtlich der Gesamterscheinungen, die ein und dieselbe Objektivität in unvollständiger und immer wieder unvollständiger Weise zur Darstellung bringen. |
Beilage XI: Adäquate und inadäquate Wahrnehmung1
Die adäquate Wahrnehmung als rein immanente und adäquate Gegebenheit eines Gegenstandes kann in doppeltem Sinne gefaßt werden, deren einer nahe Analogie mit der äußeren Wahrnehmung hat, der andere nicht. Im immanenten Hören eines Tones kann ich eine doppelte Auffassungsrichtung einnehmen: einmal auf das Empfundene im Zeitfluß, und das andere Mal auf das in diesem Flusse sich Konstituierende und doch Immanente. 1. Der Ton mag nach Qualität oder Intensität schwanken oder aber mag mir als dauernd in völlig unveränderter innerer Bestimmtheit dastehen, jedenfalls finde ich einen Fluß vor, und nur in diesem Fluß kann mir solch eine individuelle Gegenständlichkeit gegeben sein. Der Ton beginnt als tonales Jetzt, und stetig schließt sich daran ein immer neues Jetzt, und jedes Jetzt hat seinen Inhalt, auf den ich, wie er ist, meinen Blick richten kann. So kann ich im Strome dieses Flusses schwimmen, ihm mit meinem schauenden Blick nachgehen; ich kann auch auf den jeweiligen Inhalt nicht allein, sondern auf die ganze Extension, die hier Fluß heißt, achten, mitsamt ihrer konkreten Fülle oder in Abstraktion von dieser. Dieser Fluß ist nicht der Fluß der objektiven Zeit, die ich mit Uhr und Chronoskop bestimme, nicht der Weltzeit, die ich in Relation zur Erde und Sonne fixiere. Denn die verfällt der phäno1
Zu § 44, S. 94 ff.
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menologischen Reduktion. Vielmehr nennen wir diesen Fluß die präempirische oder phänomenologische Zeit. Sie bietet die ursprünglichen Repräsentanten für die Repräsentation der objektiv-zeitlichen Prädikate, in analogischer Rede: die Zeitempfindungen. Bei der beschriebenen Wahrnehmung achten wir also auf den jeweiligen Zeitinhalt in seiner zeitlichen Extension und in der gegebenen Art seiner Ausfüllung dieser Extension, oder auf den Zeitinhalt in abstracto oder die Zeitextension in abstracto: jedenfalls auf das reell Gegebene, reell der Wahrnehmung als ein Moment Einwohnende. Das ist das eine. 2. Andererseits aber: Wenn der Ton, sagen wir der Ton c, dauert, so kann unsere wahrnehmende Meinung gerichtet sein auf den Ton c, der da dauert, d. i. auf den Gegenstand Ton c, der im Zeitfluß der eine und selbe Gegenstand ist, immer derselbe in allen Phasen des Flusses. Und wieder, wenn der Ton sich etwa nach seiten der Intensität ändert oder selbst in seiner Qualität ändert, etwa schwankt, so liegt schon in diesem Reden eine Wahrnehmungsrichtung ausgeprägt, die ein Identisches im Auge hat, das sich verändert, das dasselbe bleibt, während seine Qualität und Intensität sich ändert. Das ist also ein anderer Gegenstand als vorhin. Dort war es der Zeitfluß des Tönens, hier ist es das Identische im Fluß der Zeit. Der Zeitfluß des Tönens ist Zeit, ausgefüllte konkrete Zeit, aber dieser Fluß hat keine Zeit, ist nicht in der Zeit. Der Ton aber ist | in der Zeit, er dauert, er verändert sich. Er ist als Identisches im Wechsel „substantiell“ eins. Aber wie die Zeit präempirische, phänomenologische Zeit ist, so ist die Substanz, von der hier die Rede ist, präempirische, präphänomenale Substanz. Diese Substanz ist das Identische, der „Träger“ des Wechselnden oder Verharrenden, etwa der verharrenden Qualität und der wechselnden Intensität oder der stetig sich verändernden Qualität und abrupt sich ändernden Intensität usw. Bei der Rede von „Substanz“ richtet sich der Blick auf das Identische gegenüber dem von Phase zu Phase des Zeitflusses wechselnden, bald gleichen, bald verschiedenen Zeitinhalt. Es ist ein Identisches, das alle Zeitphasen des Flusses durch Einheit des gemeinsamen Wesens einigt, also des gattungsmäßig
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Gemeinsamen, das aber nicht in einer Wesensabstraktion generell herausgestellt und für sich genommen ist. Das Identische ist das im Flusse kontinuierlich gemeinsam sich erhaltende Wesen in seiner Individuation. Im Schauen der Substanz wird nicht Abstraktion von dem Fluß der im Schauen gegebenen Inhalte geübt und der Blick auf das Generelle gerichtet, sondern der Fluß der Zeitfülle wird im Auge behalten und aus ihm das Identische, das in ihm ist, an ihn gebunden bleibt, herausgeschaut. Die Substanz ist das Identische des vollen, konkreten Flusses. Heben wir abstrahierend ein unselbständiges Moment heraus wie z. B. die Tonintensität, so findet auch hier eine Identifizierung derselben Art statt, wir sagen, die Intensität verharrt oder verändert sich. Diese Identitäten sind phänomenologische Akzidentien. Der Ton, das phänomenologische „Ding“, hat verschiedene „Eigenschaften“, und jede ist wieder ein Identisches im Verharren und Sich-verändern; es ist sozusagen ein unselbständiger Strahl der substanziellen Einheit, eine Seite der Substanz, ein unselbständiges Moment ihrer Einheit, aber selbst ein im selben Sinne Einheitliches. Substanz und Akzidenz in diesem präempirischen Sinne sind phänomenologische Gegebenheiten: sie sind Gegebenheiten in möglichen Wahrnehmungen, und zwar adäquaten Wahrnehmungen. Diese Wahrnehmungen sind, so sagte ich, verwandt mit den äußeren Wahrnehmungen. In der Tat, äußere Wahrnehmungen sind ebenfalls Wahrnehmungen von Dingen oder Akzidentien von Dingen, und der Charakter dieser Wahrnehmungen ist ein analoger wie der Charakter der Wahrnehmungen von immanent phänomenologischer Substanz.1 Wenn wir ein Haus wahrnehmen, so hat dieser Gegenstand, und das gehört zu seinem Wesen (also zum Wesen des Sinnes der Wahrnehmung), seine Zeitausbreitung, erscheint als unverändert fortdauernd, als Identisches in dieser Dauer, als in der Zeitextension verharrend. Nehmen wir ein Sich-veränderndes in der äußeren 1
Substanz natürlich dann nicht verstanden als reale Substanz, Träger realer Eigenschaften, sondern bloß als das identische Substrat der Phantomwahrnehmung.
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Wahrnehmung, einen Vogel im Flug oder eine Flamme, ihre Lichtintensität ändernd, so gilt dasselbe. Das äußere Ding hat seine phänomenale Zeit und | erscheint als das Identische dieser Zeit, und zwar als das Identische der Bewegung und der Veränderung. Aber freilich sind alle diese Wahrnehmungen inadäquat, die Zeit mit ihrer Fülle ist nicht adäquat gegeben, ist nicht aufweisbar als Empfindung. Und ebenso ist die Identität des Dinges und der Eigenschaften nicht adäquat zu realisieren, nicht so wie die Identität des Tones in seinem Tönen, im Fluß des Abklingens und Wiederanschwellens und dgl. Es ist aber evident, daß im Grunde dieselbe Identifizierung oder Substantialisierung, die in der Immanenz adäquat gegeben oder vollzogen ist, in der äußeren Wahrnehmung als eine inadäquate vorliegt, sich vollziehend aufgrund transzendenter Apperzeptionen. Es ist auch klar, daß jede Analyse des Sinnes von Ding und Eigenschaft, von Substanz und Akzidenz, zuerst auf das immanent-phänomenologische Gebiet zurückgehen und hier das Wesen von phänomenologischer Substanz und phänomenologischer Akzidenz herausteilen muß, genau so wie jede Aufklärung des Wesens der Zeit zurückführt auf die präempirische Zeit. Wir haben somit wichtige Typen von adäquater und inadäquater Wahrnehmung kennen gelernt. Mit Beziehung auf die Termini „innere“ und „ äußere“ Wahrnehmung ist jetzt ersichtlich, daß sie gewisse Bedenken erregen. Es ist nämlich nach dem Ausgeführten zu beachten, daß der Titel „innere Wahrnehmung“ doppeldeutig ist. Er besagt beiderseits wesentlich Verschiedenes, nämlich einmal Wahrnehmung eines der Wahrnehmung immanenten Bestandstückes, das anderemal eines immanenten Geschauten, aber nicht eines Stückes. Vergleichen wir die beiden Typen adäquater Wahrnehmung, so ist ihnen gemeinsam, daß sich in ihnen adäquate Gegebenheit ihrer Gegenstände vollzieht; alle Uneigentlichkeit, alle transzendente Deutung ist ausgeschlossen. Aber nur in der einen Wahrnehmungsart ist das Gegenständliche reelles Konstituens des Wahrnehmungsphänomens. Der Zeitfluß des Tönens ist mit allen seinen Komponenten im Wahrnehmungsphänomen da, macht es aus. Jede Phase, jedes Bestandstück dieses Flusses ist
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ein Stück des Phänomens. Dagegen ist das Identische im Zeitfluß, die phänomenologische Substanz und ihre Eigenschaften, das was verharrt oder sich verändert, zwar ein in der zweiten Wahrnehmungsart adäquat zu Erschauendes, aber nicht in ihr als reelles Moment oder Stück zu bezeichnen.
Beilage XII: Das innere Bewußtsein und die Erfassung von Erlebnissen1
Jeder Akt ist Bewußtsein von etwas, aber jeder Akt ist auch bewußt. Jedes Erlebnis ist „empfunden“, ist immanent „wahrgenommen“ (inneres Bewußtsein), wenn auch natürlich nicht gesetzt, gemeint (Wahrnehmen heißt hier nicht meinend-zugewendet-sein und erfassen). Jeder Akt kann reproduziert werden, zu jedem „inne | ren“ Bewußtsein vom Akt als einem Wahrnehmen gehört ein mögliches reproduktives Bewußtsein, eine mögliche Wiedererinnerung z. B. Freilich scheint das auf einen unendlichen Regreß zurückzuführen. Denn ist nun nicht wieder das innere Bewußtsein, das Wahrnehmen vom Akt (vom Urteilen, vom äußeren Wahrnehmen, vom Sich-freuen usw.) ein Akt und daher selbst wieder innerlich wahrgenommen usw.? Dagegen ist zu sagen: Jedes „Erlebnis“ im prägnanten Sinn ist innerlich wahrgenommen. Aber das innere Wahrnehmen ist nicht im selben Sinn ein „Erlebnis“. Es ist nicht selbst wieder innerlich wahrgenommen. Jedes Erlebnis, das der Blick treffen kann, gibt sich als ein dauerndes, dahinfließendes, sich so und so veränderndes. Und das macht nicht der meinende Blick, er blickt nur darauf hin. Dieses gegenwärtige, jetzige, dauernde Erlebnis ist schon, wie wir durch Blickänderung finden können, eine „Einheit des inneren Bewußtseins“, des Zeitbewußtseins, und das ist eben ein Wahrnehmungsbewußtsein. „Wahrnehmen“, das ist hier nichts anderes als das zeitkonstituierende Bewußtsein mit seinen Phasen der fließenden Retentionen und Protentionen. Hinter diesem Wahrnehmen steht nicht wieder ein Wahrnehmen, 1
Zu § 44, S. 94 ff.
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als ob dieser Fluß selbst wieder eine Einheit in einem Flusse wäre. Was wir Erlebnis nennen, was wir Akt des Urteils, der Freude, der äußeren Wahrnehmung nennen, auch Akt des Hinsehens auf einen Akt (was eine setzende Meinung ist) – das alles sind Einheiten des Zeitbewußtseins, sind also Wahrgenommenheiten. Und jeder solchen Einheit entspricht eine Modifikation. Genauer: der originären Zeitkonstitution, dem Wahrnehmen, entspricht ein Reproduzieren, und dem Wahrgenommenen ein Vergegenwärtigtes. Wir setzen also jetzt nebeneinander den originären Akt und seine Vergegenwärtigung. Die Sachlage ist dann folgende: A sei irgendein Akt, der im inneren Bewußtsein bewußt ist (sich in ihm konstituiert hat). Dann haben wir, wenn W1 das innere Bewußtsein ist, W1(A). Von A haben wir eine Vergegenwärtigung V1(A); diese ist aber wiederum ein innerlich Bewußtes, also gibt es W1 [V1(A)]. Innerhalb des inneren Bewußtseins und all seiner „Erlebnisse“ haben wir demnach zwei einander entsprechende Arten von Vorkommnissen, A und V1(A). Die ganze Phänomenologie, die ich in den Logischen Untersuchungen im Auge hatte, war Phänomenologie der Erlebnisse im Sinn der Gegebenheiten des inneren Bewußtseins, und das ist jedenfalls ein geschlossenes Gebiet. Das A kann nun Verschiedenes sein, z. B. ein sinnlicher Inhalt, etwa empfundenes Rot. Empfindung ist hier nichts anderes als das innere Bewußtsein des Empfindungsinhaltes. Empfindung Rot (als Empfinden von Rot) ist also W1(rot), und Phantasma von Rot ist V1(rot), das aber sein Bewußtseinsdasein hat: W1 [V1(rot)]. So versteht es sich, warum ich in den Logischen Untersuchungen Empfinden und Empfindungsinhalt identifizieren konnte. Bewegte ich mich im Rahmen | des inneren Bewußtseins, so gab es dort natürlich kein Empfinden, sondern nur Empfundenes. Es war dann auch korrekt, Akte (intentionale Erlebnisse des inneren Bewußtseins) und Nicht-Akte einander gegenüberzustellen. Die letzteren waren eben die Gesamtheit der „primären“, der sinnlichen Inhalte. Was dagegen die „Phantasmen“ anlangt, so war es natürlich falsch, (im Rahmen des inneren Bewußtseins) von ihnen zu sagen, daß sie
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„Erlebnisse“ seien, denn Erlebnis bedeutete Gegebenheit des inneren Bewußtseins, innerliche Wahrgenommenheit. Wir haben dann zu scheiden die vergegenwärtigten Inhalte, die phantasierten Sinnesinhalte etwa, und die Vergegenwärtigungen derselben, die V1(s), und das sind intentionale Erlebnisse, in den Rahmen des inneren Bewußtseins gehörig. Betrachten wir nun den Fall, wo das A eine „äußere“ Wahrnehmung ist. Sie ist natürlich Einheit des inneren Bewußtseins. Und im inneren Bewußtsein gibt es von ihr eine Vergegenwärtigung wie von jedem Erlebnis. Also Wa(g) als W1 [Wa(g)] hat sein V1 [Wa(g)]. Nun gehört es zum Wesen der Wahrnehmung als solcher, daß ihr eine parallele Vergegenwärtigung entspricht, nämlich ein Akt, der dasselbe vergegenwärtigt, was die Wahrnehmung wahrnimmt. „Reproduktion“ ist die Vergegenwärtigung des inneren Bewußtseins, die im Gegensatz steht zum originären Ablauf, zur Impression. Die Vergegenwärtigung eines dinglichen Vorgangs darf dann nicht Reproduktion heißen. Das Naturereignis wird nicht noch einmal produziert, es wird erinnert, es steht im Charakter des Vergegenwärtigten vor dem Bewußtsein. Betrachten wir nun das merkwürdige Verhältnis der beiden hier zu vergleichenden und offenbar in sich voneinander verschiedenen Vergegenwärtigungen. 1. Dem Wa steht gegenüber V1(Wa) oder, wie wir jetzt auch schreiben können, R(Wa) (die innere Reproduktion der äußeren Wahrnehmung); 2. dem Wa steht gegenüber Va (die Vergegenwärtigung des äußeren Gegenstandes a). Es besteht nun ein Wesensgesetz, wonach R(Wa) = Va ist. Die Vergegenwärtigung eines Hauses z. B. und die Reproduktion der Wahrnehmung dieses Hauses zeigen dieselben Phänomene. Ferner können wir jetzt sagen: Das im spezifischen Sinne „objektivierende“ Meinen kann 1. den Charakter der „inneren Reflexion“, der „inneren Wahrnehmung“ als setzender Meinung aufgrund des „innerlich Bewußten“ haben. Das Meinen kann sich in das Bewußtsein hineinleben, kann das innere Bewußtsein als Substrat nehmen, dann kommen der Möglichkeit
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nach alle im inneren Bewußtsein als solchem implicite vorhandenen Gegenständlichkeiten zur Gegebenheit, sie werden zu „Gegenständen". In dieser Art werden zu Gegenständen die Empfindungen, verstanden als die sinnlichen Inhalte, und andererseits alle im inneren Bewußtsein als Einheiten konstituierten Akte, cogitationes, die intentionalen Erlebnisse des inneren Bewußtseins. | 2. Im inneren Bewußtsein haben wir also auch „intentionale Erlebnisse“, als da sind Wahrnehmungen, Urteile, Gefühle, Begehrungen u. dgl. Diese Einheiten können als Substrate fungieren. Statt sie in der „inneren Reflexion“, d. i. der meinenden inneren Wahrnehmung zu setzen und zu vergegenständlichen, lebt sich ein Meinen in ihre Intentionalität ein, und so „entnimmt“ das Meinen ihnen die in ihnen implicite intendierten Gegenstände und macht sie zu intendierten im prägnanten Sinn der objektivierenden Setzung. Dabei kann der Akt, der als Substrat fungiert, ein leer vergegenwärtigender sein. Es kann natürlich die Erinnerung an eine Freude, an einen Wunsch usw. auftauchen und sich das Meinen richten auf das erfreulich Gewesene, Erwünschte als solches, ohne daß lebendige Vorstellung dabei waltet. Es ist also zu scheiden: das präphänomenale Sein der Erlebnisse, ihr Sein vor der reflektiven Zuwendung auf sie, und ihr Sein als Phänomen. Durch die aufmerkende Zuwendung und Erfassung bekommt das Erlebnis eine neue Seinsweise, es wird zum „unterschiedenen“, „herausgehobenen“, und dieses Unterscheiden ist eben nichts anderes als das Erfassen, und Unterschiedenheit nichts anderes als Erfaßt-sein, Gegenstand der Zuwendung sein. Nun ist aber die Sache nicht so zu denken, als ob der Unterschied bloß darin bestünde, daß dasselbe Erlebnis eben einmal mit Zuwendung, einem neuen Erlebnis, dem des Sich-darauf-hin-richtens, verbunden sei, also eine bloße Komplikation statthabe. Sicherlich unterscheiden wir evident, wenn Zuwendung statthat, zwischen Gegenstand der Zuwendung (dem Erlebnis A) und der Zuwendung selbst. Und sicherlich sprechen wir mit Grund davon, daß wir vorher anderem zugewendet waren, dann die Zuwendung zu A vollzogen und daß A schon vor der Zuwendung „da war“. Es ist
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aber fürs erste zu beachten, daß die Rede von demselben Erlebnis sehr vieldeutig und keineswegs aus ihr ohne weiteres zu entnehmen ist (wo sie berechtigte Anwendung findet), daß sich phänomenologisch in der Weise des Wie dieses „Selben“ für das Erleben nichts geändert habe. Überlegen wir näher: auch die Zuwendung, die, wie wir sagen, einmal dahin, das andere Mal dorthin geht, ist etwas, das durch neue Zuwendung erfaßt und so ursprünglich gegenständlich wird (in ursprünglicher Kenntnisnahme von ihm); somit ist auch das In-Beziehung-setzen von Zuwendungsgegenstand und Zuwendung und das ursprüngliche Kenntnisnehmen von dieser Beziehung ein neues Phänomen, ebenso wie das InBeziehung-setzen der Zuwendung zu dem Gegenstand vor der Zuwendung mit der Kenntnisnahme, daß die Zuwendung zu dem zuwendungsfreien Gegenstand hinzutritt. Wir verstehen ohne weiteres, was es heißt, einem Gegenstande zugewendet sein – etwa diesem Papier und speziell einer Ecke des Papiers, die besonders hervorgehoben ist. Etwas total anderes als das Speziell-Beachtete und Nichtbeachtete am Objekt ist dieser Unterschied auf „subjektiver Seite“, das Aufmerken selbst in seinen | Schritten. Der Gegenstand ist gegeben in einem attentionalen Modus, und auf den Wechsel dieser Modi können wir eventuell selbst wieder die Aufmerksamkeit richten: eben auf das, was wir jetzt beschrieben haben, daß vom Gegenstand bald dies, bald jenes in besonderer Weise gegenständlich ist und daß, was nun bevorzugt ist, vorher schon unbevorzugt da war, daß jedes Bevorzugte einen Hintergrund hat, eine Umgebung in jenem gegenständlichen Gesamtrahmen usw. Zum Wesen dieses Gegenstandes gehört es, daß er ein Unselbständiges ist, daß er nicht sein kann ohne „seine“ Darstellungsweise, d. i. ohne die ideale Möglichkeit, diese zum Gegenstand zu machen und wieder von dieser zu ihm überzugehen; und zum Wesen des „einen und selben“ Gegenstandes, den ich in einer Reihe bewußt habe, gehört es, daß der Blick eben auf diese Reihe von Darstellungsweisen zu richten ist usw. Diese Reflexionen vollziehen sich in der Einheit eines Zeitbewußtseins, das neu Erfaßte war – so heißt es – schon da, gehört zu dem früher Erfaßten als Hintergrund usw. Jede
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„Wandlung der Aufmerksamkeit“ besagt eine Kontinuität von Intentionen, und andererseits liegt in dieser Kontinuität erfaßbar eine Einheit, eine konstituierte Einheit: die Einheit desselben, das sich nur in verschiedenen attentionalen Wandlungen darstellt und von dem verschiedene Momente, Teile jeweils „aufgemerkt“, „im Lichte stehend“ sind. Was ist nun Aufmerksamkeit anderes als der Ablauf von Unterschieden solcher Modi des „Bewußtseins als solchen“ und der Umstand, daß solche Wahrgenommenheiten in eins Zusammengehen, in der Form „dasselbe“, das einmal diesen, das andere Mal jenen attentionalen Modus hat? Was heißt es nun, auf das Moment „Zuwendung auf …“ reflektieren? Einmal laufen die attentionalen Modi „naiv“ ab: ich bin in ihrem Ablauf dem in ihnen erscheinenden Gegenstand zugewendet; das andere Mal ist ein vergegenständlichender Blick auf die Reihe der Modi selbst gerichtet, ich kann sie in der Erinnerung wiederholt durchlaufen, und diese Reihe hat als solche ihre Einheit.
Beilage XIII: Konstitution spontaner Einheiten als immanenter Zeitobjekte – Urteil als Zeitgestalt und absolutes zeitkonstituierendes Bewußtsein1
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Haben wir ein Urteil (z. B. 2 × 2 = 4), so ist das Gemeinte als solches eine unzeitliche Idee; es kann in unzähligen Urteilsakten dasselbe gemeint sein in absolut identischem Sinne, und dieses Selbe kann wahr und falsch sein. Nehmen wir dieses als den „Satz“, und betrachten wir das „Urteil“ als Korrelat des Satzes. Also, wird man sagen, den Urteilsakt? Das Bewußtsein, in dem eben gemeint ist, daß 2 × 2 = 4 ist? Nein. Überlegen wir: Anstatt dem Vermeinten als solchem zugewendet zu sein, richte ich meinen Blick auf das Urteilen, auf den Prozeß, in dem mir zur Gegebenheit kommt, daß | 2 × 2 = 4 ist. Es geht ein Prozeß vonstatten, ich fange an mit dem Bilden des Subjektgedan1
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kens 2 × 2 und bringe diese Bildung zu Ende, und das dient als Grundsetzung für die Daraufsetzung „ist gleich 4“. Also ein spontanes Bilden, das anfängt, fortgeht und endet. Was ich da bilde, ist aber nicht der logische Satz: der ist das hierbei Gemeinte. Das „Gebildete“ ist nicht das Gemeinte, sondern in der Spontaneität gebildet ist zunächst das „2 × 2“ und darauf dann das „2 × 2 = 4“. Es hat sich spontan vollendet (im spontanen Bilden gebildet) das „Bewußtsein“ von 2 × 2 und schließlich das Bewußtsein von 2 × 2 = 4. Ist dieses Gebilde fertig, so ist es als Vorgang auch schon vorüber, es sinkt alsbald in die Vergangenheit zurück. Dabei ist das Gebilde offenbar nicht der Bildungsprozeß (sonst wäre ja die Gleichnisrede vom Bilden falsch angewendet). Auf das stetig fortschreitende Bewußtsein und auf die Einheit des fortschreitenden Prozesses kann ich auch achten (ebenso wie ich beim Wahrnehmen einer Melodie auf das stetige Bewußtsein, auf den stetigen Ablauf der „Phänomene“, nicht der Töne selbst, achten kann). Aber dieser Prozeß ist nicht das an seinem Ende fertige Phänomen, in dem eben gemeint ist „2 × 2 = 4“. Ebenso ist ja der die Erscheinung einer Handbewegung konstituierende Bewußtseinsprozeß nicht die Erscheinung selbst, in der die Handbewegung erscheint. Der Erscheinung entspricht in unserem Falle die Meinung, es sei 2 × 2 = 4, die explizite „Prädikation“, in der sozusagen das „es ist so“ erscheint. In die Einheit der Handbewegungs-Erscheinung gehören nicht die Phasen des Bewußtseinsprozesses, sondern die in ihnen sich konstituierenden Erscheinungsphasen. So konstituieren sich auch im Prozeß des Urteilsbewußtseins (im „Fluß“ desselben) die Bestandstücke der Prädikation, das Subjektglied, das Prädikatglied u. dgl. Und das Subjektglied des Urteils als der einheitlichen Urteilsmeinung gehört, nachdem es sich konstituiert hat, mit zur Urteilsmeinung, obschon das Bewußtsein von ihm sich stetig weiter modifiziert (genau so wie zur Erscheinung einer Bewegung die immerfort im Modus des Zurücksinkens befindliche Erscheinung der Anfangsphase gehört, nicht aber die Bewußtseinsgestaltungen, in denen sie im Zurücksinken sich konstituiert als beständige Phase der Bewegung).
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Man wird also sagen müssen, es sei zweierlei zu unterscheiden: 1. der Bewußtseinsfluß, 2. das in ihm sich Konstituierende, und auf der zweiten Seite wiederum: a) das Urteil als die sich konstituierende „Erscheinung“ oder Meinung von 2 × 2 = 4, die ein Werdensprozeß ist, und b) das, was da wird, das Urteil, das am Ende als Gebildetes, Gewordenes dasteht: die fertige Prädikation. Das Urteil ist hier also eine immanente Vorgangseinheit in der immanenten Zeit, ein Prozeß (nicht ein Fluß des Bewußtseins, sondern ein Vorgang, der sich im Bewußtseinsfluß konstituiert), der anfängt und endet und mit dem Ende auch vorüber ist, so wie die | Bewegung vorüber ist in dem Moment, wo sie sich vollendet hat. Allerdings, während bei einer Erscheinung sinnlich wahrgenommenen Werdens es immer denkbar ist, daß das Werden in beharrendes Sein übergeht oder die Bewegung in einer beliebigen Phase in Ruhe, ist hier Ruhe überhaupt undenkbar. Damit sind aber noch nicht alle Unterscheidungen erschöpft. Mit jedem Aktus der Spontaneität tritt etwas Neues auf, er fungiert sozusagen in jedem Moment seines Flusses als Urempfindung, die ihre Abschattung erfährt nach dem Grundgesetz des Bewußtseins. Die in Schritten zu Werke gehende Spontaneität im Bewußtseinsfluß konstituiert ein zeitliches Objekt, und zwar ein Werdensobjekt, einen Vorgang: prinzipiell nur einen Vorgang und kein dauerndes Objekt. Und dieser Vorgang sinkt in die Vergangenheit zurück. Man muß dabei folgendes überlegen: Fange ich an mit einer Dies-Setzung, so ist die spontane Zufassung und Erfassung ein Moment, der in der immanenten Zeit als Moment dasteht, um alsbald herabzusinken. Daran knüpft sich aber für die Bildung der ganzen Einheit des Urteilsprozesses in der immanenten Zeit eine Festhaltung, kontinuierlich geht die Ursetzung des Dies (das „Einschnappen“, wie Lipps sagt) in das festhaltende Dies-Bewußtsein über, und dieses Festhalten ist nicht das Erhalten der Ursetzung, die ja ihre immanente zeitliche Modifikation erfährt, sondern eine mit diesem Bewußtsein verflochtene Form; und dabei ist das Merkwürdige, daß in diesem stetigen Phänomen sich nicht
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bloß konstituiert das Herabsinken der Einsatzphase, sondern das kontinuierlich sich forterhaltende, fortsetzende DiesBewußtsein konstituiert das Dies als ein dauernd Gesetztes. Das besagt, daß Einsetzen und Fortsetzen eine Kontinuität der Spontaneität ausmachen, die wesentlich gründet in einem Prozeß des zeitlichen Herabsinkens, das die Einsatzphase und die darauffolgenden Forterhaltungsphasen in dem zeitlichen Ablauf heruntersinken läßt und damit auch heruntersinken läßt, was sie als unterliegende Vorstellungen (Anschauungen, Leervorstellungen) und Vorstellungsmodifikationen mit sich führen. Der Akt setzt ein, geht aber in verändertem Modus als Akt (als Spontaneität) weiter, und dann setzt ein neuer, diesen ganzen spontanen Ablauf fortsetzender Akt ein, etwa der der Prädikat-Setzung. Das Resultat ist, wenn die Bildung nicht weiterschreitet, nicht die neue, in ihrer Weise urquellende Spontaneität der Prädikatsetzung, vielmehr ist diese Setzung auf einem Grunde: in derselben immanenten Zeitphase, in der sie auftritt, ist ja in Form einer festhaltenden Spontaneität und in der modifizierten Form, die sie gegenüber der urquellenden Subjektsetzung hat, Setzung des Subjekts wirklich vollzogen, und auf diese gebaut ist die originäre Prädikatsetzung, mit ihr bildet sie eine Einheit, die Einheit des gesamten Urteils: als seiende Phase des zeitlichen Prozesses, als ein zeitliches Moment, in dem das Urteil aktuell „fertig“ ist. Dieser Moment sinkt herab, aber ich höre nicht sofort auf zu urteilen, d. h. eine Strecke der urteilenden Festhaltung schließt | sich stetig, hier wie sonst, an das letzte vollendende Vollzugsmoment an, und damit gewinnt das Urteil als zeitlich so und so gestaltetes eine weitere Strecke. Ev. knüpfe ich daran wieder neue höhere Urteilsbildungen, baue sie darauf usw. Das Urteil ist somit als immanentes Objekt im inneren Zeitbewußtsein eine Einheit eines Prozesses, eine stetige Einheit beständiger „Setzung“ (natürlich Urteilssetzung), in welcher zwei oder mehrere Vollzugsmomente, ursetzende Momente auftreten. Dieser Prozeß läuft aus in einer Strecke ohne solche Momente, in einer Strecke, die in „zuständlicher“ Weise Bewußtsein von ihm ist; Glaube an das, was in „ursprünglicher“ Weise durch die Vollzugsaktmomente zum Bewußtsein
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gekommen ist. Urteil (Prädikation) ist nur in solchem Prozeß möglich, darin liegt schon, daß Retention notwendig ist für die Möglichkeit des Urteils. Scharf scheidet sich die Art, wie eine spontane Einheit, wie ein prädikatives Urteil sich als immanentes Zeitobjekt konstituiert, gegenüber der Art der Konstitution eines sinnlichen Prozesses, eines stetigen Nacheinander. Nämlich dadurch, daß im letzteren Fall das „Ursprüngliche“, das der Urquellpunkt des immer neu erfüllten Zeitmomentes ist, entweder eine schlichte Urempfindungsphase ist (sein Korrelat der primäre Inhalt im Jetzt) oder eine ebensolche, geformt durch eine Auffassung als Urerscheinungsphase. Das Ursprüngliche im Falle des Urteils ist aber Spontaneität der Setzung, die zugrunde liegen hat irgendein Material der Affektion. Der Bau ist also schon in dieser Hinsicht komplexer. Ferner tritt hier eine doppelte Ursprünglichkeit auf. Das für das Urteil als Zeitgestalt „ursprünglich“ Konstituierende ist die Kontinuität der „Setzung“, die in dieser Hinsicht immerfort ursprünglich gebend ist. Im Zeitbewußtsein mit seinen Retentionen konstituieren sich dann die kontinuierlichen Urteilsmomente der Zeitpunkte des Urteils als der Zeitgestalt. Aber wir haben zu unterscheiden die Momente der eigentlich vollziehenden Setzung der leistenden Spontaneität gegenüber den stetigen Momenten der festhaltenden, der das Geleistete forterhaltenden Spontaneität. Das ist ein Unterschied in der konstituierten Zeitgestalt, in der die Quellpunkte ausgezeichnet sind, und natürlich auch ein Unterschied im konstituierenden Zeitbewußtsein, in welchem die originellen Phasen in zwei Arten zerfallen: in schöpferische und in zuständliche. Dürfen wir danach die Idee des Urteils als der Zeitgestalt im Unterschied vom absoluten zeitkonstituierenden Bewußtsein für geklärt erachten (und eben damit die entsprechenden Unterschiede bei anderen spontanen Akten), so ist nun zu sagen, daß dieses Urteil ein Meinen ist, ein Analogon der immanent-objektiven Erscheinung, in welcher etwa ein äußeres raumzeitliches Sein erscheint. Es erscheint gleichsam in der Meinung das Gemeinte, in der Meinung (der Zeitgestalt) „2 × 2 = 4“ eben der propositionale, so und so syntaktisch ge-
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formte Sachverhalt. Dieser aber ist kein Ding, kein ob | jektivzeitliches Sein, weder ein immanentes, noch ein transzendentes. Er ist dauernd Gemeintes, aber nicht selbst Dauerndes, seine Meinung fängt an, aber er fängt selbst nicht an, so wenig als er aufhört. Seinem Wesen nach kann er in verschiedener Weise bewußt bzw. gegeben sein, er kann artikuliert und dann in einer bestimmt gebauten Spontaneität bewußt sein, die als immanente Zeitgestalt „schneller“ oder weniger schnell verlaufen kann, sie kann aber auch in einer zuständlichen Weise bewußt sein usw. Die spontanen Zeitgestalten haben wie alle immanenten Objekte ihr Gegenbild in reproduktiven Modifikationen von ihnen. Die Urteils-Phantasie ist wie jede Phantasie selbst eine Zeitgestalt. Die ursprünglichen Momente für ihre Konstitution sind die „ursprünglichen“ Phantasien im Gegensatz zu den Modifikationen, die sich an sie unmittelbar nach dem Grundgesetz des Bewußtseins anschließen, den retentionalen. Indem sich die Phantasie als immanentes Objekt konstituiert, konstituiert sich auch vermöge ihrer eigenen Phantasieintentionalität, die den Charakter einer neutralisierten Vergegenwärtigung hat, das immanente quasi-Objekt, die Einheit des immanent Phantasierten in der immanenten quasi-Zeit der Phantasie. Und wo die Phantasie vergegenwärtigende Modifikation einer „Erscheinung“ ist, konstituiert sich weiter die Einheit eines transzendenten Phantasierten, sagen wir die Einheit eines phantasierten raumzeitlichen Objektes oder die Einheit eines phantasierten Sachverhaltes: eines solchen, der quasigegeben ist in einem quasi-Wahrnehmungsurteil, oder quasigedacht ist in einem Phantasieurteilen sonstiger Art.
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B. Ergänzende Texte zur Darstellung der Problementwicklung | 〈 I. Zur Einführung der wesentlichen Unterscheidung zwischen „frischer“ und „Wieder“-Erinnerung und über Inhaltsänderung und Auffassungsunterschiede im Zeitbewußtsein 〉1 〈 Nr. 1 〉 Wie kommt es zur Vorstellung der Einheit eines länger fortgesetzten Änderungsverlaufs? 〈 Anschauung und Repräsentation 〉2
Wie kommt es zur Vorstellung der Einheit eines länger fortgesetzten Änderungsverlaufs, einer im Nacheinander sich vollziehenden oder entwickelnden Einheit, z. B. der Einheit einer Melodie? Nur ganz kleine Stücke zeitlicher Folgen und Dehnungen können in einem Blick, in einem momentanen Anschauen übersehen werden; und so können auch nur ganz kleine Teile einer Melodie in irgendeinem Momente angeschaut sein. Eine Melodie ist auch insofern nicht eine Summe gesonderter Anschauungen, als die zu ihr gehörigen Folgen bzw. Auseinanderentwicklungen von Tongestalten in einem (zeitlich dauernden) Akte verlaufen. Mögen den einzelnen Tönen und Gebilden auch besondere Akte entsprechen, ein Akt muß dasein, der übergreifend die inhaltliche Einheit umspannt, soweit sie in jedem Momente Inhalt eines Bemerkens ist. Indem dieser Akt dauert, bleibt seine Einheit erhalten; etwa der Inhalt wechselt und ändert sich von Moment zu Moment und damit in gewisser Weise auch der Akt. Mit der zeitlichen Dehnung geht Hand in Hand eine zeitliche Verkürzung, vermöge deren 1
Etwa 1893 bis etwa 1901. – Anm. d. Hrsg. Nach Husserl: „Alter Versuch aus der Zeit vor der Abhandlung in den Monatsheften, etwa 1893“. Husserl veröffentlichte „Psychologische Studien zur elementaren Logik“ in den Philosophischen Monatsheften, XXX (1894), S. 159–191. – Anm. d. Hrsg. 2
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B. Ergänzende Texte
auch ein Teil | von dem, was in ihm früher angeschaut war, sich ändert oder wieder verschwindet, während andererseits Neues auftaucht. Anschauung im engeren Sinne ist also von Moment zu Moment ein Anderes, und jeweilig nur ein Stück der Melodie mit seinen in einem gewissen Entwicklungsstadium befindlichen Tongestalten. Denken wir uns, eine bekannte Melodie beginne jetzt abzulaufen. Sie beginnt mit einer anschaulichen charakteristischen Tongestalt, die sich vom geräuschigen oder sonstig tonalen „Hintergrunde“ deutlich abhebt; auf sie baut sich eine andere Tongestalt, und so entwickeln sich überhaupt Gestalten aus Gestalten. Hierbei hat aber das Neue nicht neben dem festgehaltenen Alten Bestand. Der Ton oder das Tongefüge, mit dem die Melodie beginnt, bleibt nur eine kleine Zeit t im Bewußtsein, abgesehen von den inhaltlichen Änderungen (der zeitlichen Zurückschiebung und Schwächung), die er erfährt. In der zeitlichen Ordnung des Inhalts prävaliert nach Klarheit und Fülle in jedem Momente das Endstück, und überhaupt das Spätere, dem Jetzt Angenäherte, gegenüber dem Früheren. Wird t überschritten, dann verschwindet der Anfang, und von da an immer neue und neue Teile des Folgenden; ohne daß dies vermöge der Undeutlichkeit der verschwindenden Teile besonders merklich würde, zumal das Interesse am Lebendigeren, Neueren haftet und durchaus nach vorwärts gerichtet ist. Die Tongestalten schwächen sich also und verschwinden allmählich, ohne daß diese Änderung auffiele; man beachtet nur den Gewinn, und nicht den Verlust. Allerdings knüpft sich an den letzteren auch ein dauernder Erwerb. Auf den ästhetischen, also Gefühlscharakter des jeweilig Gegenwärtigen hat die ganze vorgängige Entwicklung, soweit sie mit einheitlichem Interesse verfolgt war, ihren Einfluß. Das Ergebnis wird gewissermaßen festgehalten, obschon das, was es begründete, für die Anschauung dahin ist. Kommt die Melodie zu Ende, dann haben wir eine als solche charakteristische Grenze, das Bewußtsein der Vollendung. Die Art des Endens läßt mich nichts Neues erwarten oder fordern, wie der Schlußpunkt eines Satzes. Ein halb ausgeschriebenes Wort, ein unvollständiger Vordersatz oder gar ein Satzstück, ein Wort (das
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nicht durch die Ausdrucksbetonung als ganzer Satz fungiert), erregt eine Erwartung, die es nicht befriedigt, so wie wenn wir uns zum Mittagessen setzen und nach der Suppe kommt nichts weiter. Eine Tonbewegung, die | abhebt, aber nicht völlig abläuft, besitzt den Charakter des Unvollendeten, Mangelhaften. Wir „fühlen uns weiter fortgezogen“, die Bewegung drängt nach Fortsetzung, oder wie immer wir es ausdrücken mögen. Jedenfalls trägt der momentan angeschaute Inhalt einen eigentümlichen Charakter, eine quasi-Qualität, an welche sich die Gedanken assoziieren können, vermöge deren wir uns explicite zu Bewußtsein bringen, daß neue Tongestalten folgen müßten (oder nicht), die in typischer Weise sich an die eben angeschauten anknüpfen oder aus ihnen herauswachsen. Hierher gehört das, was Kerry und Lipps Fortsetzungstrieb nannten; obschon es nicht dasselbe ist. Die Gewohnheit des Vorstellens bzw. Tuns, das in einförmigen Bahnen verläuft, macht sich einige Schritte geltend, oder erzeugt das „Bewußtsein“ einer möglichen Fortsetzung, die doch nicht vorgestellt wird. Das Fortschreiten in einer gleichförmigen Richtung, in einer Reihe, Ordnung, Harmonie in sachlichen Zusammenhängen erzeugt eben eigentümliche „Empfindungen“, und Dispositionen werden begründet, die, an vorweisende Gehalte geknüpft, die Erweiterung, Ausgestaltung und das Wissen, daß solche möglich ist, möglich machen. Nun ist die Frage: Woher wissen wir, wenn wir am Ende sind, daß überhaupt etwas vorhergegangen sei, daß das zuletzt Gegenwärtige nicht die ganze Melodie sei? Woher wissen wir, falls Wahrnehmung oder Phantasie oder beide die begonnene Melodie fortzusetzen sich weigern, daß überhaupt etwas folgen sollte, daß etwas an der Ganzheit der Melodie fehlt? Läuft die Melodie in Wahrnehmung oder Phantasie glatt ab, dann gibt uns der fortgesetzte Eintritt von neuen und als zugehörig erkannten Tongestalten das Wissen, daß es eben noch nicht zu Ende sei mit der Melodie. Bricht die Wahrnehmung ab, dann mag der weitere Verlauf in der Phantasie ergänzt werden, und sofern, was sie uns bietet, nur als unvollkommener Ersatz empfunden wird, gelangen wir zur Erkenntnis, die wir z. B. im Satze aussprechen: Der Spieler hat in der Mitte
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abgebrochen. Oft tritt solche Fortspinnung in der Phantasie nicht ein, und wir sind gleichwohl befähigt, in dieser Weise zu urteilen. Vielleicht treten einige wenige Takte ganz schattenhaft ins Bewußtsein, vielleicht nicht einmal dies, und wie wissen und sagen wir trotzdem, das Spiel sei lange vor dem Ende abgebrochen worden? | Was das Urteil vermittelt, ist nun ein Gefühl des Mangels, der Unbefriedigung, einer mehr oder minder lebhaften Hemmung, ev. zugleich mit dem Gefühl der Überraschung, des Frappiertseins und der getäuschten Erwartung. Gleich verhält es sich, wenn wir selbst die Melodie bei wirklicher Erzeugung in der Wahrnehmung, oder bei bloßer Einbildung, abbrechen. Nur entfällt hier das sonst wohl eintretende Gefühl der Überraschung, des Frappiertseins. Wir nahmen bisher den Fall bekannter Melodien an; bei unbekannten liegt die Sache analog. Unsere musikalische Erfahrung läßt uns wohl verstehen, was ein abgeschlossenes melodisches Ganzes ist und was nicht. Die Ähnlichkeit ist es, die uns leitet. Jene Gefühle also prägen dem momentan Angeschauten den Charakter der Unvollkommenheit, der Lückenhaftigkeit oder Halbheit auf, und so dient es uns als uneigentliche Vorstellung, als Repräsentant des Ganzen und Vollen. Die psychologische Entstehung solcher Repräsentationen ist keine andere als die irgendwelcher anderen, und hier wie sonst ist ihre Leistung klar. Wollen wir diese Repräsentationen explizieren, dann hilft uns die dispositionelle Verknüpfung der Anschauungen, die den wohlgeordneten und sachlich bestimmten Anschauungsverlauf der Melodie konstituieren. Wir folgen vor- und rückwärts der kontinuierlichen Kette entlang. Wir lassen die Melodie in der Phantasie sich weiterentwickeln; und wir greifen auf zurückliegende Tongestalten zurück. Eine einfache Umkehrung, ein Zurückschreiten von Ton zu Ton ist ja nicht möglich. Die einzelnen Töne interessierten uns bei der wirklichen Erzeugung der Melodie nur als Fundamente für die auf ihnen aufgebauten Tongestalten, und die Komposition dieser zu umfassenderen oder ineinander sich schlingenden Gestalten brachte die Einheit der Zusammenordnung zum Ganzen der
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Melodie. So können wir bei zurückgewendetem Blick auch nur relativ selbständige, sich einheitlich aussondernde Stücke oder Gestalten erfassen, oder besser: neu erzeugen, und kommen so nicht an der Verkettung der einzelnen Töne, sondern an derjenigen der Tongebilde zum Anfang zurück. Dies ist die vollkommenste Explikation, wie sie bei wohlbekannten und unserer Phantasie frei verfügbaren Melodien möglich ist. Natürlich kann die Explikation auch eine mehr oder minder lückenhafte oder ganz uneigentliche sein, und | sie muß es sein, wo die Erinnerung mangelhaft ist oder das gegebene Stück überhaupt nicht einer je gehörten Melodie angehört und das Urteil, es sei ein Stück einer Melodie, nur auf gewisse Indizien hin gefällt wird. All diese Explikationen treten im Falle der Reflexion unwillkürlich oder willkürlich ein, und sie können dann eintreten, weil jene Gefühlsmerkmale, die den jeweilig gegebenen Surrogaten anhaften und sie zu Repräsentationen machen, zu den explizierenden Prozessen in dispositionellem, nämlich erfahrungsmäßigem Zusammenhang stehen. Es scheint mir als unausweichlich, dem Terminus Anschauung eine engere und weitere Bedeutung zu geben. Anschauung im engeren Sinn ist der immanente und primäre Inhalt eines momentanen Vorstellens, oder besser Bemerkens; Anschauung im weiteren Sinne der Inhalt eines einheitlichen andauernden Bemerkens. Bleibt während desselben der Inhalt ungeändert, dann besteht, falls die zeitliche Dehnung nicht beachtet wird, gegenüber deren Momentananschauung kein Unterschied. Ganz anders, wenn der Inhalt sich fortgesetzt ändert oder wenn statt des einen Inhalts eine immerfort wechselnde Mannigfaltigkeit in den einheitlichen Akt des Anschauens tritt. Wir haben dann einen zusammenhängenden Verlauf von Momentananschauungen, umspannt von dem einen andauernden Bemerken. Hierbei bestehen nicht unwesentliche Unterschiede, je nachdem der Inhalt sich kontinuierlich ändert oder diskret; im letzteren Falle stört es die Einheitlichkeit der Gesamtanschauung nicht, daß besondere Akte des Bemerkens das Einzelne herausheben mögen; falls nur der ganze Verlauf von Akten innerhalb eines übergreifenden Aktes statthat. Übrigens, auch wo diskrete Inhaltsänderungen statthaben, sind immer
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auch kontinuierliche da; die natürlichen Inhaltsänderungen durch zeitliche Verschiebung und Dehnung. Ideell können wir den einheitlichen Akt des dauernden Anschauens auch in Momentanakte zerlegen und so von einem kontinuierlichen Anschauungsverlauf sprechen, wie immer der Inhalt sich ändere. Doch ist es besser, unter Anschauungsverlauf die Folge diskreter Akte des Bemerkens 〈 zu 〉 verstehen, in denen die mannigfaltigen Inhaltsänderungen aufgenommen werden; Akte, die alle innerhalb des kontinuierlichen Bemerkens verlaufen. Würde man nur das Momentananschauliche als Anschauung | gelten lassen, so würde man sich von der gemeinüblichen Verwendung des Terminus allzusehr entfernen. Wir haben eine Anschauung von einem räumlichen Gegenstande, wenn wir ihn allseitig betrachten. Der Gegenstand, wie er als objektiv seiend gedacht wird, ist eine supponierte, uneigentlich vorgestellte Gesamtanschauung, die all das, was die von verschiedenen Seiten aufgenommenen Anschauungen gegeneinander Neues bieten, in sich faßt. Wir bringen uns den Gegenstand zur Anschauung, indem wir alles, was an ihm anzuschauen ist, anschauen, „ihn“ also von allen Seiten betrachten. Für jeden Teil und jedes Merkmal des Dinges gibt es einen Standpunkt, auf dem wir es am „besten“ auffassen können, d. h.: In dem Kontinuum von Änderungen, die jedes Moment der Anschauung beim Wechsel des Standpunktes erfährt, ist jeweilig eine Phase, wo das Moment unser Interesse am meisten befriedigt. Der zugehörige Standpunkt ist der „normale“, und das Moment bildet einen Teil oder, als Bestimmung des Ganzen, ein Merkmal in der ideellen Synthese des objektiven Gegenstandes. Alle anderen Phasen dienen als Indizien für die normale. Also: Einen Gegenstand überhaupt, eine objektive Einheit zur Anschauung bringen, das heißt aus der ideellen Vereinigung von Bestandstücken, deren gedanklicher Synthesis er seine Einheit dankt, diese Bestandstücke (Teile oder Merkmale) successive in einer unser Interesse befriedigenden Vollständigkeit zur Anschauung bringen. Ein Gegenstand ist in diesem Sinne unanschaulich, wenn seine Konstituentien nicht anschaulich gemacht sind oder gemacht werden können (unanschaubar 〈 sind 〉). Der Psychologe
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wird hierbei natürlich wirkliche und vermeintliche Anschauung wohl unterscheiden. Von dem Weg von Berlin nach Rom kann ich eine Anschauung nicht gewinnen, auch nicht in Form eines Anschauungsverlaufs, scil. innerhalb eines Aktes; wohl aber von einzelnen Stücken des Weges und von der Einheit hinreichend kleiner angrenzender Stücke. So ist überhaupt relativ nur wenig Räumliches anschaubar, insbesondere nicht im engeren Sinne. Schon bei einer mäßig komplizierten und in einem Blick übersehbaren Figur enthält die unter günstigsten Umständen zu gewinnende Momentananschauung nicht alle Teile und Verhältnisse, die wir damit anzuschauen meinen, wirklich, oder wirk | lich so, wie sie gemeint sind. Die zum größten Teile unklare Vorstellung, die wir haben, indem wir die Figur von irgendeinem Augenpunkte betrachten, ist nicht das, was wir mit der „Anschauung der Figur“ intendieren. Sie dient uns eigentlich nur als Anhalt für die Schaffung der objektiven Einheit, in der ideell alle Teile und Momente so enthalten sind, wie wir sie bei jeweilig günstigster und für jedes Moment zu ändernder Wahl des Augenpunktes gewinnen. Die angebliche Momentananschauung des Objekts, wie es wirklich ist, reduziert sich also auf einen Anschauungsverlauf, in dem wir uns der verschiedenen Seiten, Teile, Relationen in ihren vollkommensten, d. h. unsere vorwiegenden Interessen befriedigendsten Änderungsstadien versichern. Es wird nun unsere Aufgabe sein, diese Anschauungsverläufe und die auf ihnen ruhenden Bildungsprozesse genauer zu studieren, aus denen die Vorstellungen objektiver oder dinglicher Einheiten resultieren. Was sich unserer Analyse als das Nächstgegebene darbietet, ist das Ding. Von ihm müssen wir also ausgehen. Von einem Ding haben wir, auch wenn wir es wahrnehmen, keine Anschauung im strengen Sinn des Wortes; es gibt keinen Momentanakt, der die mannigfaltigen Teile, Beschaffenheiten und Verknüpfungen, aus denen es objektiv besteht, insgesamt als wirklich präsente in sich fassen, sie zugleich bemerken und auffassen würde. Findet in einem Momentanakte Wahrnehmung statt, dann ist diese Mannigfaltigkeit bloße Intention, und diese bedingt es, daß wir hier wie in ähnlichen Fällen sa-
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gen: Wir haben von dem Intendierten nicht wahre Anschauung, sondern bloße Repräsentation (in diesem Sinne bloße „Vorstellung“, nämlich uneigentliche Vorstellung). Ebenso verhält es sich im Falle einer Phantasie-Vorstellung, deren Uneigentlichkeit eine mehr vermittelte ist, sofern sie direkt auf entsprechende Wahrnehmung zurückweist. Alle Repräsentation beruht aber auf Anschauung. Die Anschauungen, in denen die objektive Dingeinheit gründet, gewinnen wir, wenn wir es sehen oder betasten. Halten wir uns zunächst an das Sehen. Soll uns das Sehen eine volle Anschauung des sichtbaren Objekts als solchen liefern, dann bedarf es eines gewissen Anschauungsverlaufs, den wir nun zu betrachten haben. Es wird zu diesem Zwecke nützlich sein, mehreres zu unterscheiden: | I. diejenigen Anschauungsverläufe, die bei unbewegtem Kopf und übrigem Körper möglich sind und nur auf der Bewegung des Auges oder sogar nur auf der Bewegung des inneren Blicks des Bemerkens und Aufmerkens beruhen; II. diejenigen Anschauungsverläufe, die eintreten, wenn überdies Bewegungen des Kopfes und des übrigen Körpers eintreten. Indem wir hier von Bewegung des Auges sowie von derjenigen des Kopfes und übrigen Körpers sprechen, haben wir „Umstände“ des Sehens in Betracht gezogen, die, aus objektiver Erkenntnis herrührend, in eine rein deskriptive und elementare Psychologie nicht hineinzugehören scheinen. Indessen sollen diese Ausdrücke nur als bequeme und schwer vermeidliche Zeichen dienen für die subjektiven Erlebnisse, die der erwähnten objektiven Erkenntnis allzeit zugrunde liegen und durch sie erst ihre Deutung erfahren. Von dieser Deutung sehen wir eben ab. Ein Kind, das seinen Körper noch nicht objektiviert und in diesem Sinne noch 〈 nicht 〉 kennengelernt hat, kann und wird doch die psychischen Erlebnisse besitzen, die es sehr viel später urteilsmäßig als Heben und Senken des Blickes, des Kopfes, als Herumgehen um das Objekt u. dgl. deutet. Jeder bestimmten Haltung und Bewegung des Körpers, des Kopfes, der Augen entspricht ein ganz bestimmter psychischer Gehalt; der, wie komplex er sein, aus wie vielen (der Analyse bekanntlich zugänglichen) Empfindungskomponenten er entstanden
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sein mag, der Analyse zunächst als ein einheitliches Ganzes oder als Bestandteil eines solchen entgegentritt. Je nach den Umständen tritt uns der einzelne Inhalt (z. B. die Bewegung der Augen) als gesonderte Einheit entgegen, oder er bleibt mit den gleichzeitigen anderseitig gegebenen Erlebnissen zu einer unanalysierten Einheit verschmolzen, die aber als Einheit für sich bemerkt wird, oder das Ganze bleibt unbemerkt, ohne jedoch die Wirkungen, die wir betrachten werden und zu denen die einzelnen Komponenten ihren bestimmten Beitrag leisten, einzubüßen. Wir wollen diese konkomitierenden Umstände des Sehens einfach als die subjektiven Umstände U bezeichnen. Beginnen wir nun mit I. Bei unbewegtem Kopf und sonstigem Körper wendet sich der Blick auf ein Objekt, etwa das vor uns stehende Tintenfaß. Sowie das Sehen beginnt, beginnt auch ein Spiel von Inhaltsänderungen und sie besonders aufnehmenden | Akten des Bemerkens, die, innerhalb eines übergreifenden Bemerkens verlaufend, von ihm doch nicht festgehalten werden. Der Blick wandert, sagt man, über das Objekt hin, und bald dieser, bald jener Teil tritt in den Blickpunkt, und damit zugleich in den geistigen Blickpunkt des Bemerkens. Das ist aber eine unpsychologische Redeweise. Subjektiv liegt nichts weiter vor als ein zeitlich-inhaltliches Kontinuum von Anschauungen, in dem einzelne Teile besonders ausgezeichnet sind, während die vermittelnden, die den rasch verlaufenden Übergang zu jenen ausfüllen, nicht besonders beachtet zu werden pflegen. Vermöge der Stetigkeit in dem Wechsel des primär bemerkten Inhalts können wir einfach von einer Inhaltsänderung sprechen, und darin liegt schon die Ähnlichkeit der einzelnen Momentanstadien untereinander ausgesprochen. Ich fixiere also zunächst etwa die eine Ecke des Tintenfasses, dann läuft der Blick flüchtig über die Kante dahin und fixiert die andere Ecke. Der Gesamtinhalt hat sich geändert. In der Änderung ist Anfangs- und Endstadium ausgezeichnet, auf die charakterisierte Inhaltsänderung des Übergangs achten wir nicht besonders. War vorhin die Ecke A primär bemerkt und aus dem einheitlich beachteten Gesamteindruck in gewisser Weise herausgehoben, obschon von ihm nicht losgelöst, und
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war sie vorhin in der charakteristischen Weise des Fixierten deutlich, so gilt all das nicht mehr, während von der Ecke B gilt, was wir eben von A aussagten. A ist jetzt zunächst unselbständigeres, undeutlicheres, und schließlich vielleicht gar nicht mehr herausgehobenes Moment aus der neuen und inhaltlich stark geänderten Gesamtanschauung, die mit der früheren durch die Phänomene des Überganges der erschienenen Veränderung (offenbar ein Bewegungsphänomen) verbunden ist. Beim Wandern des Blicks geht so Änderung auf Änderung vor sich. Ehe der Blick von einem Teil der Anschauung zum anderen wandert und sie in der beschriebenen Weise modifiziert, bemerken wir, falls der Vorgang langsam genug erfolgt, daß von den „indirekt gesehenen“ Teilen des Gesamtinhalts der eine sich hervorhebt (bemerkt wird), und dann empfinden wir ein Streben, das wir als Streben nach Verdeutlichung zu bezeichnen nicht schwanken werden. Das indirekt gesehene Objekt erscheint uns mit einem gewissen Mangel behaftet, der erst beseitigt erscheint, wenn die (wo entgegenwirkende Momente, etwa der Wille, den | Blick nicht zu ändern, fehlen) unausbleibliche Hinwendung des Blickes und die damit gegebene Verdeutlichung erfolgt. Und so haftet, können wir sagen, jedem der indirekt gesehenen und analysierbaren Teile der Anschauung eine gewisse Intention an, die im Falle der Analyse aktuell empfunden wird und als Reiz jene Blickbewegung auslöst, welche die Befriedigung der Intention nach sich zieht; oder rein psychologisch geredet, die im normalen Falle die entsprechende Verdeutlichung unausbleiblich zur Folge hat. Der verdeutlichte Inhalt ist aber ein anderer Inhalt, der dem unverdeutlichten bloß ähnlich 〈 ist 〉, aber durch die größere Fülle 〈 der 〉 Intention, Schärfe der Abgrenzung u. dgl. unser Interesse mehr befriedigt. Halten wir den Blick absichtlich fixiert, dann wird die Intention des seitlich bemerkten Teilinhalts ihre Wirkung oft dahin äußern, daß ein Phantasma des entsprechenden verdeutlichten aufblitzt, ohne jedoch dauernden Bestand zu haben. Andere Intentionen, die den Teilinhalten des Angeschauten anhaften, auch dem direkt Gesehenen, und die nur durch eine geänderte Körperlage Erfüllung finden können, wollen wir jetzt beiseite lassen.
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Es wird nun notwendig sein, in den Inhaltsveränderungen, die wir betrachtet haben, zwei Komponenten zu unterscheiden, die sich auch reell trennen lassen: 1) Die durch den Wechsel der Umstände U, die wir Bewegung des Blickes nannten, erzeugten Inhaltsänderungen; 2) diejenigen, welche durch die Unterschiede des Bemerkens und Aufmerkens eintreten. Im normalen Falle ist der fixierte Punkt, also der Blickpunkt im engsten Sinne des Wortes, zugleich der primär bemerkte, und oft auch Gegenstand eines Aufmerkens, aber nicht immer. Überlegen wir, was für Änderungen mit dem Bemerken und Aufmerken zusammenhängen. Zwischen beidem mache ich den von Marty-Stumpf aufgestellten Unterschied. Nicht jedes Bemerken ist mit Aufmerken verbunden. Aufmerken ist eine Art Gespanntsein auf den Inhalt, dem eine gewisse Intention anhaftet, die nach Befriedigung strebt. Bemerken ist das Vorstellen im eigentlichen Sinne des Wortes; das einfache Aufnehmen eines Inhalts, das Ihm-einfach-zugewendet-sein. Ist uns ein Inhalt präsent, dann bemerken wir ihn. Ob das Bemerken ein besonderer Akt ist oder nicht, darüber wollen wir hier nicht streiten. Hier | bestehen nun aber sehr merkwürdige Inhaltsunterschiede: Unser Gesamtbewußtsein bietet in jedem Augenblick eine Mannigfaltigkeit in der Einheit. Eine ganz unanalysierte Einheit läßt sich nicht bemerken. Immer ist mindestens ein Teilinhalt für sich bemerkt und hebt sich vom „Hintergrund“ des übrigen Bewußtseinsinhalts hervor. Wir können einem Inhalt ganz zugewendet sein; aber niemals ist er ganz isoliert, ihm hängt als „ frange“ der Hintergrund an. Und nur so können wir des Gesamtbewußtseinsinhalts bewußt werden, daß wir irgendeinen Teil oder einige wenige pointieren. Das Pointieren ist aber eine Inhaltsänderung. Je nachdem wir dies oder jenes pointieren, ändert sich der Gesamteindruck. Oft sind wir aber einer Mehrheit zugleich zugewendet; auch dann ist jeweilig ein Glied da, das ausgezeichnet ist dadurch, daß wir ihm „primär“ zugewendet sind, während die übrigen sekundär, der Hintergrund gewissermaßen tertiär bemerkt wird. Das sind aber nicht Unterschiede des Aktes, jedenfalls nicht solche allein. Indem ich auf diese Pfeife achte,
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bemerke ich plötzlich auch das Tintenfaß seitwärts, dann vielleicht noch das nebenliegende Messer u. dgl., oder ich höre zugleich das Rollen des Wagens. Die Unterschiede zwischen dem, was ich im „Blickpunkt“ des Bemerkens habe, und dem, was nicht, sind ganz ähnlicher Art wie diejenigen zwischen dem Gesehenen, das wir fixieren, und dem, was wir nicht fixieren, ebenso zwischen dem, was sich im gelben Fleck abbildet und dem, was durch seitliche Netzhautpartien dargeboten wird. Es sind wieder Unterschiede der Deutlichkeit. Jede Mehrheit, die wir gleichzeitig bemerken, setzt eine Sukzession des Bemerkens voraus, und nur in dieser zeitlichen Verknüpfung kann es „nebenbei“ bemerkt werden. Übrigens bestehen, wie die innere Beobachtung lehrt, auch zwischen dem nebenbei Bemerkten 〈 Unterschiede der 〉 Grade der Deutlichkeit und Undeutlichkeit. Wir haben die Fähigkeit, jedes nebenbei Bemerkte, wenigstens für einen Augenblick, in primär Bemerktes, also Deutliches zu verwandeln. Wieder gilt, daß die Inhaltsänderung, welche statthat, wenn ein Deutliches undeutlich oder umgekehrt wird, eine kontinuierliche ist, die Ähnliches in Ähnliches verwandelt; auch hier die charakteristische Übergangsempfindung. Die Deutlichkeit im Sinne des primär Bemerkten ist im normalen Falle des Sehens zugleich Deutlichkeit im Sinne des Fi | xierten; aber es kann auch sein, daß wir einen Punkt fixieren, aber primär einen seitlichen Punkt beachten. Die gewohnheitsmäßige Verbindung läßt sich also willkürlich lösen. Vom Undeutlichen im Sinne des nebenbei Bemerkten gilt dasselbe, was wir vorhin sagten vom indirekt Gesehenen. Es hat eine gewisse Intention, einen gewissen Mangel, der nach Beseitigung drängt und vermöge dessen das nebenbei Bemerkte eine repräsentative Funktion hat und dadurch eine dispositionelle Beziehung auf das entsprechende primär Bemerkte. – Nach Erörterung der beiden Komponenten, die zu dem Anschauungsverlauf oder der Anschauungsänderung beitragen, müssen wir noch einige weitere Punkte hervorheben. Der Anschauungsverlauf ist ein zeitlicher Verlauf. Gleichwohl spielt das zeitliche Moment hierbei gar keine Rolle; es wird eliminiert; es kommt durch die besonderen Verhältnisse zu gar kei-
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ner Beachtung. Indem bald dieser Teil, bald jener der momentan gegebenen Gesamtanschauung zur Deutlichkeit aufleuchtet und dabei für die gesamte eine entsprechende Änderung resultiert, kommt es wieder und wieder 〈 vor 〉, daß die alte Anschauung mit ihrem ausgezeichneten Teil wiederkehrt; die Stadien des Anschauungsverlaufs fließen also zyklisch in einander über, aber ohne jeden festen Zyklus, ohne jede bestimmte Ordnung. Nach zufälligen Anreizen des Inhalts und der zufälligen Richtung des Interesses nimmt der Verlauf wieder und wieder verschiedene Folgen an. Auch Willkür kann bestimmend sein, indem sie von den indirekt gesehenen und für sich bemerkten Momenten, die in Wettstreit stehen, dieses oder jenes nach Belieben herausgreift und die einmal verfolgten Änderungswege, die sich leicht vereinheitlichen, nach Belieben wiederholt oder abgeändert werden können. Bei jeder Rückkehr gleicher Umstände tritt die gleiche Anschauung ein und wird als solche und 〈 als 〉 Reproduktion wiedererkannt; und jede Rückkehr gleicher Änderungswege (oder Änderungsfolgen der Umstände) führt auch die gleichen und wiedererkannten Anschauungsverläufe mit den wiedererkannten Auszeichnungen herbei. Eine sprachliche Vermittlung ist für diese Akte des Wiedererkennens nicht erfordert; doch ist es die Voraussetzung für unsere Beurteilung des im Anschauungsverlauf Gegebenen als eines mit sich identischen Objekts. Welchen subjektiven „Standpunkt“ wir auch einnehmen mö | gen, immer tritt Wiedererkennen ein, und wie wir ihn auch wechseln, so finden wir nichts absolut Neues, sondern nur Verdeutlichtes, und zwar innerhalb des festen Rahmens Verdeutlichtes. Der Gesamteindruck erleidet ja, mit Ausnahme der Verdeutlichung des bezüglichen Teils, keine fundamentale Änderung, eine solche, die auf ein Neues führen würde, und jedenfalls nur eine solche, die bereits im früheren Eindruck vorgedeutet, intendiert war. Welchen Standpunkt wir auch einnehmen, wir können durch Festhaltung derselben äußeren Umstände des Sehens 〈 aus 〉 dem Gesamteindruck die verschiedenen Teile herausanalysieren, die auf die entsprechenden deutlichen vordeuten, sie intendieren. So findet Schritt für Schritt nur Erfüllung der Intention statt, und damit
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Identifikation, sofern die intendierende Vorstellung mit der intendierten Anschauung in eins fließt. Schritt für Schritt findet also Identifikation statt, denn Identifikation bedeutet ja nichts anderes als das Erlebnis des Wiedererkennens beim Überfließen einer intendierenden Vorstellung in ihre intendierte Anschauung. Nur wo ein Anschauungsverlauf Neues und wieder Neues darbietet, haben wir nicht eins, sondern mehreres, und so vieles, als verschiedenes Neues besonders aufgefaßt wurde. Wo wir aber immer „dasselbe“ wiederfinden, da haben wir eben objektiv eines. Es ist immer dasselbe, weil wir uns immer innerhalb derselben zusammengehörigen Gruppe von Anschauungen bewegen, innerhalb deren ein wohlvertrauter Übergang von Glied zu Glied hinüber führt, von Bekanntem zu Bekanntem, derart daß der Gesamtinhalt, den wir in jedem Augenblick haben, in sich schon die Intention zu all dem weiteren in sich enthält und somit der Übergang in ein beliebiges Glied der Gruppe eine Erfüllung eines Teils der Intention, die es befaßt, darbietet. In gewissem Sinne ist auch eine Melodie eine objektive Einheit; aber hier gehört die zeitliche Folge wesentlich mit zum Inhalt derselben. Nur in einem bestimmten zeitlichen Verlauf tritt das fortgesetzte Wiedererkennen und die fortgesetzte Befriedigung der Intention ein. Auch fehlt hier die Ähnlichkeit jedes für sich bemerkten Anschauungsteils mit jedem anderen, ferner die Identität der Intention, die jeden als Repräsentanten des Ganzen erscheinen läßt. Die Melodie ist eins, aber sie ist nicht ein in allen Teilauffassungen identisch Erkanntes. Jede Teilauffassung | faßt eben einen Teil der Melodie auf; ganz anders in unserem Falle. Jede Teilauffassung faßt das Ding auf, aber von einem besonderen „Standpunkt“. Und das rührt eben davon her, daß jedes Glied der Anschauungsreihe, d. h. jeder ruhende und ausgezeichnete Änderungszustand in der Kette die Intention eines beliebigen anderen in sich fassen und zu dessen Aufleben und Identifikation Anlaß geben kann, nach Zufall und Willkür. Es ist also identisch dasselbe in jedem Stadium gegeben, nicht subjektiv, aber objektiv, d. h. der Intention und der Beurteilung nach. Dem Subjektiven wird Rechnung getragen durch das Standpunkturteil.
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Haben wir also die Kette ABC D …, wo die Buchstaben die verdeutlichten Momente der jeweiligen Momentananschauung bedeuten, dann werden wir, wenn A deutlich aufgefaßt ist, B, C, D entweder undeutlich oder überhaupt nicht herausgehoben, mit dem Hintergrund der Gesamtanschauung in eins verschmolzen haben. Aber bei gehöriger Richtung des Interesses wird B, C … besonders bemerkt, nicht als das, was es verdeutlicht ist, sondern etwa als B' C' …, aber mit der Intention auf B C … begabt, die es respektiv bedeutet, auf die es zielt. Und so faßt das objektive Ding A B C … in sich, jedes in seiner vollen Verdeutlichung, und ohne bestimmte Ordnung des Überganges, in der Weise eines Inbegriffs also? Indem wir von Inbegriff sprechen, möchte es scheinen, als wäre jedes Ding danach eine bloße Menge. Indessen fehlt es ja nicht an Beziehungen und Verbindungen, die wir im Übergang auch auffassen; auch diese gehören zur objektiven Einheit, und sie liefern die Relationsurteile, durch welche wir die Glieder des Inbegriffs absoluter Momente als wechselweise geeinigt anerkennen. Die Verknüpfungen können den Inhalten eine gewisse Ordnung geben, aber dem Anschauungsverlaufe geben sie nicht eine vorbestimmte Ordnung, er bleibt in seinen Formen willkürlich. Zum vollen Bewußtsein bringen wir uns nach alledem die objektive Einheit des Dinges, indem wir in einer beliebigen Folge von Urteilen die einzelnen absoluten Momente und Relationen, die wir in den Inhalten der Gruppe von Momentananschauungen vorfinden, herausheben und auf das durch den jeweiligen Gesamtinhalt repräsentierte Ganze beziehen und es als ihm zugehörig anerkennen. Die objektive Einheit ist also eine Einheit durch Urteil, nicht durch bloße Anschauung, aber auf Grund von Anschauung. | Nun entsteht aber die Frage: Wie kommt es, da mit den jeweiligen Teilinhalten auch gewisse zugehörige Umstände verbunden sind, daß diese nicht mit jenen zusammen zur Einheit des Dinges verschmelzen, vielmehr als ein bloß Subjektives ihm als dem Objektiven entgegengesetzt erscheinen? Deskriptiv-psychologisch ist zunächst bloß ein Unterschied zwischen beiden zu markieren: Die Umstände sind zwar Bewußtseinsphänomene, aber sie sind nicht Gegenstände des primären
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Bemerkens. Direkt bemerken wir ausschließlich die betonten Inhaltsbestandteile, ihnen angeschlossen den übrigen, mit ihnen geeinigten und sie tragenden Inhalt des momentanen Bemerkens, mit einer gewissen Betonung einzelner Momente. Die Umstände sind als unbeachtete Momente den Inhalten in gewisser Weise eingeschmolzen, James würde sagen als „ fringes“, und treten erst in der psychologischen Analyse als unreale Begleiter hervor. Es geht ihnen also ebenso wie den flüchtigen Übergangsempfindungen, die komplexe Phänomene sind, bestehend aus der Bewegung des Inhalts, d. h. dem Phänomen der Inhaltsänderung, die bei der Verwandlung des A in A' und des B' in B eintritt; ferner aus dem Phänomen der Änderung der objektiven Umstände (Bewegungsempfindung, Konvergenzempfindung, Akkommodationsempfindung etc.); endlich aus dem der Änderung des Bemerkens selbst. Diese fringes tragen zum Identitätsbewußtsein wesentlich bei; aber sie gehören nicht zum „Inhalt“, gehören nicht zum Ding, dem nur das primär Bemerkte und Intendierte zugehört.1 〈 Nr. 2 〉 Evidenz der Zeitwahrnehmung, Erinnerung etc.2
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Einen zeitlichen Verlauf wahrnehmen, das heißt ein gegenwärtiges Dasein A zusammen mit einem eben vergan | genen und gegenständlich damit zusammenhängenden B und einem weiter zurückliegenden C etc. wahrnehmen; es heißt A wahrnehmen und im Prozeß der Zurückschiebung das B als nächst 1
Vorstehende Aufzeichnung wurde nach Husserls Notiz, wie bereits angemerkt, „etwa 1893“ niedergeschrieben. Man vergleiche oben den § 3 (S. 10–13), dessen Text fast vollständig auf dem zweier Blätter fußt, die Husserl in das Konzept seiner Zeitvorlesungen von 1905 eingereiht hat, die aber nach seiner eigenen Angabe dem Manuskript der „Vorlesungen über Psychologie“ entnommen sind, die er im Wintersemester 1894/95 in Halle gehalten hat. Man vergleiche auch die zugehörigen Textkritischen Anmerkungen. – Anm. d. Hrsg. 2 Der größte Teil dieser Aufzeichnung ist – abgewandelt – noch in § 22, S. 49 f., wiedergegeben; und zwar der nachstehende Text von S. 152–154, in dem oben abgedruckten von S. 49 f. – Anm. d. Hrsg.
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vergangen erleben usw. Und diese ganze Folge ist wahrgenommen, sie ist ein gegenwärtiger Vorgang, sofern wir auf die gegenständliche Einheit hinblicken und sie wahrnehmen. Die Melodie nehmen wir wahr. Es ist eine Folge von Wahrnehmungen: 1) mit Beziehung auf die einzelnen Töne in dem Moment, wo sie gegenwärtig sind. Das sind Wahrnehmungen gegenwärtiger Töne. 2) mit Beziehung auf die mit den schrittweise gegebenen Tönen auch „erlebten“ zeitlichen Verhältnisse. Sie werden erlebt, indem die geänderten Inhalte, die von den vergangenen Tönen herrühren, in der Weise der Vergangenheit aufgefaßt werden, und diese Auffassung gehört anschaulich zu diesen Inhaltsänderungen. Wo wir hier das Prädikat Vergangen erteilen, oder als vergangen auffassen, da ist das Vergangene auch wirklich vergangen.1 Wie ist es in der ferneren Vergangenheit? Erinnere ich mich an etwas, was ich gestern erfahren habe, so habe ich eine Phantasievorstellung von dem gestern erfahrenen Vorgang, ich reproduziere dabei vielleicht den ganzen, aus den und den Schritten der Sukzession bestehenden Vorgang. Indem ich das tue, habe ich Zeitlichkeitsauffassung. Eines wird zuerst reproduziert, dann in der bestimmten Folge das zweite usw. Aber während die „Vorstellungen“ ihr Zeitlichkeitsverhältnis wirklich haben, wollen sie auch den einen zeitlich verlaufenden Vorgang eben vorstellend abbilden. Das erfahrene etc. zeitliche Verhältnis ist hier Repräsentation für das jetzt nicht erlebte, sondern vergangene. Und es ist sehr wohl möglich, daß nicht nur die einzelnen Vorstellungen von den einzelnen Schritten des Vorgangs abweichen (diese nicht so erfolgt sind, wie sie die einzelne Vorstellung vorgestellt hat), sondern auch, daß die wirkliche Reihenfolge – die Reihenfolge der Vorstellungen ist umspannt von einer Vorstellungseinheit, welche meint, der wirklich vergangene Vorgang sei in dieser Weise, in 1
Nachträglich hat Husserl hier im Ms. hinzugefügt: „(= originäres Bewußtsein von Zeitlichem, von Dauerndem, Sich-veränderndem, von Dauer selbst, Veränderung, Vorgang, Sukzession)“. – Anm. d. Hrsg.
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dieser Folge | erfolgt, wie die Vorstellungen es widerspiegeln wollen – eine andere war, als die meinende Reihenfolge es eben meint. Hier sind also Irrtümer möglich. Irrtümer sind in gewisser Weise aber auch in der Anschauung einer zeitlichen Folge möglich. Wenn ich eine zeitliche Folge „erlebe“, so ist es zweifellos, daß zeitliche Folge stattgehabt hat und statthat. Aber es ist nicht gesagt, daß ein Ereignis wirklich in dem Sinn statthat, wie ich es auffaßte. Die einzelnen Vorstellungen mögen falsche Auffassungen sein, d. h. solche, denen keine Wirklichkeit entspricht. Und bleibt nun in der zeitlichen Zurückschiebung die gegenständliche Intention der Vorstellungen (nach ihrem konstituierenden Gehalt und nach ihrem inhaltlichen Verhältnis zu anderen Gegenständen) in der Tat erhalten, so durchzieht die ganze zeitliche Auffassung, die Auffassung des erscheinenden Vorgangs, der Irrtum. Aber wird dieser Irrtum korrigiert oder beschränken wir uns auf die Folge von präsentierenden „Inhalten“ oder auch auf die Folge von Erscheinungen, so bleibt eine Wahrheit, und zwar eine zeitliche Wahrheit, immer erhalten: Gewiß hat ein Vorgang stattgefunden, mindestens das ist evident, daß diese Folge von Erscheinungen statthatte, obschon vielleicht nicht die Folge von Ereignissen, die mir da erschienen.1 Kann die Sicherheit des „Erlebnisses“ nicht forterhalten werden, auch wenn das Erlebnis nicht mehr bestehen kann? Die Sphäre der anschaulichen Zeitlichkeit ist ja bekanntlich sehr begrenzt. Wenn ich erlebe die Folge von zwei Tönen C D, so kann ich die Folge, während noch die frische Erinnerung besteht2, durch ein Paar Vorstellungen (C) (D) abbildlich, und zwar in gewisser Beziehung adäquat, wiederholen. Ich wiederhole innerlich C D und urteile dabei, es habe zuerst ein Ton C und 1
Nachträgliche Randbemerkung Husserls: „Am einfachsten, man nimmt zunächst einen Ton, der länger dauert, und während der Dauer habe ich die Evidenz, das ist ein Ton, etc.“ – Anm. d. Hrsg. 2 Nachträglicher Zusatz Husserls: „während ich noch Retention, Festhaltung üben kann“. Zu dem hier eingeführten Begriff der „Retention“ vgl. S. 211, Anm. 1. – Anm. d. Hrsg.
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dann ein Ton D stattgefunden. Während dies „noch lebendig“ ist, kann ich wieder so verfahren usw. Sicherlich kann ich | auf solche Weise über das ursprüngliche Gebiet hinauskommen. Zugleich ersehen wir hier die Art, wie sich Vergangenheitsvorstellungen erfüllen. Wenn ich C als früher bezeichne wie D, so habe ich eine begriffliche Vorstellung, die sich an der Anschauung von Vergangenheit erfüllt, und wenn ich wiederhole C–D, so findet diese bildliche Vorstellung (die selbst eine Sukzession ist, die eine andere, ihr inhaltlich sehr ähnliche, darstellt) ihre Erfüllung in der noch eben lebendigen früheren Sukzession. Anders wie mit der Vergangenheit verhält es sich mit der Zukunft. Davon, daß A künftig eintreten wird, kann ich nicht Anschauung gewinnen. Aber es kann sich die Erwartung doch erfüllen, indem A faktisch eintritt. Im Vergleich zu der Gegenwart des A ist nun die frühere Gegenwart Vergangenheit. – Was charakterisiert das Erlebnis der Dauer? A dauert fort, das A eines jeden Moments der Dauer ist nicht ein gesondertes, sondern das identische A. Wie die Zeitpunkte kontinuierlich eins sind, so ist das A kontinuierlich dasselbe. Von der zeitlichen kontinuierlichen Identität haben wir Bewußtsein. Wir haben es so, daß die kontinuierliche Änderung des A, die sich an das stets gegenwärtige A anschließt, mit diesem nicht nur kontinuierlich eins ist, sondern in ihm auch seine Erfüllung findet. Das vergangene A ist kontinuierlich dasselbe wie das gegenwärtige. Es ist ein kontinuierlicher Identitätsinhalt.
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〈 Nr. 3 Adäquate Erwartung 〉
Holla! Es sollte keine adäquate Erwartung geben? Ja weiß ich denn nicht mit Evidenz, daß sich an meine Wahrnehmung eine Erinnerung anknüpfen muß? Nur freilich, wenn ich plötzlich sterbe? Aber bedeutet Auflösung des Ich, dieses lumpigen, vergeßlichen Ich, daß der Inhalt nicht in die Vergangenheit sinkt? Und bedeutet das wieder nicht die Notwendigkeit einer Erinnerung? Oder nur die Möglichkeit einer Erinnerung? Aber schon wieder diese traurigen Möglichkeiten. |
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〈 Nr. 4 〉 Meditation. 〈 Wahrnehmung, Erinnerung und Erwartung 〉
Erinnerung – z. B. ich habe eine ganz frische Erinnerung: Ein Glockenschlag ist eben verklungen und ein neuer erklingt, der vergangene 〈 ist 〉 noch als abklingender im Bewußtsein. Ich wiederhole ihn; eine neue Erinnerungsvorstellung. Ich wiederhole ihn mehrmals. Also verschiedene Erinnerungen (die selbst als zeitlich unterschiedene charakterisiert sind), alle auf dasselbe Vergangene gerichtet. Es ist nur einmal, der Akte sind mehrere. Identifizierung des vergangenen Seins in einer Vielheit von Akten. Wiederholung einer Wahrnehmung, oder wiederholte Wahrnehmung desselben Gegenstandes von verschiedenen Seiten. Identifizierung des dauernd gegenwärtigen Seins, derselbe Gegenstand fortdauernd während aller dieser Wahrnehmungen. Eventuell schließen sich die Dauern nicht zusammen – Lücken. Fortdauer während dieser Lücken. Der Gegenstand dauert. Er ist mit allen seinen Bestimmtheiten unverändert gewesen. Erlebnis der Dauer: Wahrnehmung und Erinnerung, der erinnerte Gegenstand inhaltlich derselbe: Dehnung der Erscheinung, kontinuierlich. Erlebnis der Veränderung: Wahrnehmung, im kontinuierlichen Anschluß Erinnerung: der erinnerte Gegenstand nicht allen Bestimmtheiten nach derselbe, aber im kontinuierlichen Übergang von Akt zu Akt immer partiell derselbe (Bestimmtheiten individuell dieselben, nämlich kontinuierlich dauernd oder sich verändernd). Anschauung von individueller Identität im Fluß der Zeit. Erwartung: Spannung, Phantasievorstellung. Erfahrungsmäßig löst sich die Spannung so, daß der erwartete Gegenstand gegenwärtig und das, was bei Eintritt der Erwartung gegenwärtig war, vergangen ist. Die Reflexion auf erfüllte Erwartungen zeigt uns das Erwartete als später seiend, den Erwartungszustand und die gleichzeitigen Wahrnehmungen als früher. Aber ist das bloß empirisch? Es ist evident, daß wenn ein Erwartetes eintritt, d. i. zu einem Gegenwärtigen geworden ist, der Erwartungszustand selbst, in dem es erwartet worden
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ist, vorübergegangen ist. Es ist evident, daß, wenn das Künftige zum Gegenwärtigen geworden ist, das Gegenwärtige zum relativ Ver | gangenen geworden ist.1 Die Vorstellung der erfüllten Erwartung „schließt“ notwendig „ein“ die Vorstellung, daß die Erwartung selbst vergangen ist. Die Vorstellung eines Künftigen ist die Vorstellung eines Seins, zu welchem das jetzt Seiende ein Vergangenes ist. Mit der bildlichen Vorstellung eines Künftigen geht Hand in Hand 1) die Vorstellung, daß es wirklich ist, 2) die Vorstellung, daß das, was jetzt ist (wirklich jetzt ist, oder als das Jetzt in bezug auf das Künftige vorgestellt ist), vergangen ist. Nimmt die jetzige Wahrnehmung, z. B. dieser meiner Umgebung, den Charakter der Erinnerung an, wenn ich mir das Morgen vorstelle? Nein. Aber die Vorstellung des Morgen ist so, daß ich urteilen kann, daß das jetzt Wahrgenommene vergangen sein wird, oder daß die jetzige Wahrnehmung Gegenstand einer Erinnerung sein wird. Ich kann mir das Jetzt als vergangen vorstellen. Damit erinnere ich es nicht, sondern ich stelle es als erinnerlich vor und urteile, daß es eine Erinnerung brächte. 〈 Nr. 5 Andauernde Wahrnehmung als einfacher Akt 〉2
Ist eine andauernde Wahrnehmung eo ipso eine zusammengesetzte? Nehmen wir die einfachsten Fälle: Es handle sich um die Wahrnehmung eines ungeändert verharrenden Tones, oder einer ungeändert verbleibenden einfachen Farbe; und wiederum um die Wahrnehmung eines gleichmäßig abklingenden Tones, einer zeitlich-kontinuierlich sich ändernden Färbung. In besonderem Sinn besteht hier sicher sowohl Zusammensetzung im Inhalt wie Zusammensetzung im Akt, und doch wer1
Die vorstehenden Sätze von S. 155 („Es ist evident“) an fi nden sich – nur leicht abgewandelt – in § 26, S. 57, wiedergegeben. – Anm. d. Hrsg. 2 Nachträglich notierte Husserl zu dieser Aufzeichnung die ungefähre Datenangabe: „1898–1900“. – Anm. d. Hrsg.
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B. Ergänzende Texte
den wir naturgemäß von einem einfachen Ton, nur von einem dauernden, und werden wir von einem einfachen Wahrnehmungsakt, nur einem dauernden sprechen; ebenso im zweiten Beispiel von einer einfachen Veränderung eines einfachen Tones in einen anderen, und auch da von einem einfachen Akt. Zwar entfällt auf jeden Zeitpunkt, auf jeden kleineren Zeitabschnitt ein Stück des | zeitlich ausgedehnten einfachen Tones. Die einzelnen Stücke des Tones sind, unerachtet der Rede von identisch demselben, nur dauernden Ton, nicht identisch. Hätte der Ton später begonnen, so hätte dies auf das Sein des übrigen Stückes der zeitlichen Tonausbreitung keinen inhaltlichen Einfluß. Würde der Ton früher aufhören, so bliebe jedes frühere Stück dasselbe, was es ist. Und jedenfalls ist jedes Stück des Tones etwas für sich. Die Identität in der Dauer betrifft vielmehr nur den begrifflichen Inhalt, die Gattung und Spezies, das Bestimmende ist identisch dasselbe. Ebenso verhält es sich bei der gleichmäßigen Veränderung. Die Veränderung ist in jedem folgenden Abschnitt der Zeit begrifflich dieselbe; und wieder dasselbe gilt für die entsprechenden kontinuierlichen Wahrnehmungs- und Auffassungsakte. Jede dauernde Wahrnehmung des gleichmäßigen Inhalts läßt sich zeitlich teilen, und jedem Zeitteil entspricht ein Stück der Wahrnehmung; und wie das Zeitstück des Tones Ton ist, so ist das Zeitstück der Wahrnehmung Wahrnehmung. Dabei ist überdies nicht bloß objektiv die Wahrnehmung dauernd, sondern sie erhält phänomenal noch den Charakter der Dauer, der sie keineswegs ganz unverändert läßt. Wenn wir gleichwohl die Wahrnehmung eine einfache nennen, so geschieht es, weil wir diese Art der Zusammensetzung, der alles zeitlich Verlaufende selbstverständlich unterliegt, nicht in Anschlag bringen. Als einen einfachen Akt wollen wir also jeden solchen gelten lassen, in dem sich keine andere Aktunterschiedenheit nachweisen läßt als eine solche, die durch Zeitteilung erwächst. Ein zusammengesetzter Akt ist in Akte gegliedert. Zum Begriff der Gliederung gehört eine gewisse Unterschiedenheit, die mehr ist als die der Teile einer Dauer. (Man wäre versucht, zu sagen, 〈 es gehöre zum Begriff der Gliederung, 〉 daß in einem
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zusammengesetzten Akt eine Mehrheit von qualitativ unterschiedenen Aktcharakteren zu einer Einheit verbunden ist, von qualitativ gleichen höchstens dann, wenn die gleichen durch verschiedene getrennt sind.) | 〈 Nr. 6 Brentano und die Frage nach der Evidenz des Gedächtnisses 〉
Brentano behandelt in seinen Vorlesungen die Frage nach der Evidenz des Gedächtnisses. Z. B. jeder gibt zu, daß nicht jedes Gedächtnis evident ist, das weniger klare sei nicht evident. Bei welchem Klarheitsgrade gilt also die Evidenz? – Er betont auch, daß hier von großer oder geringer Klarheit die Rede ist; aber man könne nicht von mehr oder minder evident sprechen, das sei absurd. Wieder: Wenn uns Gott unmittelbar hervorbrächte, wie wir jetzt sind, so würden wir doch alle Erinnerungen haben; denn diese sind ja die Folgen der Disposition. In diesem Falle würde aber die Erinnerung täuschen. Es gibt keine Garantie, daß etwas wirklich so geschehen sei, wie wir in der Erinnerung glauben. 〈 Nr. 7 〉 Anschauung, Evidenz vom Vergangensein – bloße Vorstellung vom Vergangensein 〈 Scheinbare Notwendigkeit der Annahme einer Inhaltsveränderung in der primären Erinnerung 〉
Inwiefern ist ein früheres Erlebnis einerseits als vergangen in der Erinnerung charakterisiert, und andererseits das Vergangensein nicht evident, inwiefern habe ich keine Anschauung davon, daß es wirklich vergangen ist? Hier muß offenbar der Unterschied bestehen zwischen Vorstellung von Vergangenheit und Erlebnis von Vergangenheit. Ich stelle das vergangene Ereignis als vergangen vor, und glaube auch an das Vergangensein desselben, aber ich erlebe nicht sein Vergehen und sein Eben-vergangen-sein, ich schaue dies nicht an. Eine Melodie, an die ich mich erinnere, mag in der Erinnerung auch ablau-
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B. Ergänzende Texte
fen. Aber der Ablauf ist hier nur repräsentativ. Sie läuft nicht jetzt wirklich ab, und ich habe auch nicht Anschauung von einem gewesenen Ablauf. Dort ist der erscheinende Ablauf repräsentativ, in der Anschauung ist er nicht repräsentativ. In der Wahrnehmung eines Verlaufs habe ich zugleich Anschauung von Vergangenheit; von Wahrnehmung eines Vorganges, einer Veränderung, eines Werdens sprechen wir da, wo mit einem gegenwärtigen Sein in gewisser Weise Vergangensein erlebt ist, und zwar so, daß das Erlebte, Gegebene ganz von der Ein | heit der gegenständlichen Zugehörigkeit umfaßt ist1, es ist Einheit des sich durch alle Veränderung 〈 hindurch 〉 erstrekkenden Gegenstandes. Wenn ein Vorgang abläuft, so sind die Vorstellungen der einzelnen Phasen bildliche Vorstellungen, aber die Einheit dieser Phasen ist selbst erlebt, „gegenwärtig“, in jedem Moment ist die Einheit des just Gegenwärtigen und Wahrgenommenen mit dem in der Kontinuität der Erinnerung Gegebenen eine gegenwärtige Erlebniseinheit. Und in dieser Erlebniseinheit erfassen wir das „Wesen“ der Vergangenheit. Die zu jeder Phase gehörige Vorstellung hat den Charakter einer Anschauung von Eben-gewesenem, genauer der Anschauung davon, daß der Vorgang eben gewesen ist. Die Vorstellung hat eine gewisse Verknüpfungsbestimmtheit, die Vorstellung hat einen eigentümlichen Charakter, den wir eben 〈 als 〉 den des Vergangenseins hinsichtlich des Objekts bezeichnen. In diesem Zusammenhang ist der zeitliche Charakter erlebt, und ein Objekt ist vorgestellt, und zwar so, daß die Vorstellung mit diesem zeitlichen Charakter durchdrungen ist (im Erlebnis), d. h. Erlebnis vom Vergangensein des Objekts hat. Indessen ist zu unterscheiden: a) Ist die Vorstellung eine inadäquate, so kann sie ebenso täuschen wie die Wahrnehmungsvorstellung. b) War die Wahrnehmung eine adäquate, so ist das Vergangensein wirklich. So in betreff der eigenen Erlebnisse. Das Vergehen eines Inhalts, den ich erlebe und den ich vorstellend bloß als das nehme, was er ist, das ist unzweifelhaft. 1
Nachträgliche Randbemerkung Husserls: „Ähnliches sagt auch (nach Meinong?) Stern“; vgl. Nr. 29, S. 216 ff. – Anm. d. Hrsg.
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Kann der vergehende Inhalt im Vergehen genau so erinnert sein, als er war? Das zurückbleibende Erinnerungsbild, wenn es den Inhalt absolut getreu wiederholte, hätte ja den Inhalt selbst in sich. Also wäre der Inhalt gegenwärtig, und zugleich wäre er Repräsentant des ihm gleichen vergangenen Inhalts im Akte der frischen Erinnerung? Aber derselbe Inhalt, der jetzt ist, kann nicht zugleich vergehen und zugleich fortbestehen, nämlich als Repräsentant von 〈 sich 〉 selbst. Wenn der Inhalt vergeht, so schließt sich ja an die Wahrnehmung des Inhalts unmittelbar seine Erinnerung an1. | Wir müssen also eine Inhaltsänderung annehmen. Wird aber etwa aus Rot Blau, und nur das Blau zum Repräsentanten des Rot? Oder wird aus Rot ein anderes Rot? Aus c wäre d 〈 geworden 〉? Nein. Das werden wir nicht annehmen, und dem widerspricht die Erfahrung. Der erinnerte Inhalt ist „derselbe“ wie der wahrgenommene, aber er ist sein Bild. Ist es eine Inhaltsänderung, welche vielleicht sui generis ist? Also 1) das Bewußtsein der Repräsentation, 2) der geänderte Inhalt als Repräsentant des ursprünglichen, und zwar der Abstand der Änderung zugleich als Maß für die Zeitlichkeit. Die Zeitlichkeit selbst als Form des Bildlichkeitsbewußtseins.
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Der erinnerte Inhalt trägt zwar eine andere Zeitbestimmtheit, aber der ganze konkrete Akt der Erinnerung trägt die Zeitbestimmtheit Jetzt, und er ist Jetzt mit allen seinen Bestandstücken. Also wäre der erinnerte Inhalt und das vergangene Jetzt zugleich gegenwärtig, und zwar im Sinne des aktuellen Jetzt. Oder sollen wir sagen, es könnte ein Anschauen mit der Zeitbestimmtheit t bestehen, und das adäquat Angeschaute und in ihm Gegebene könnte die Zeitbestimmtheit t1 haben?
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B. Ergänzende Texte
〈 Nr. 8 〉 Adäquation durch Ähnlichkeit – Vorstellung eines Gegenstandes und Vorstellung von der Wahrnehmung des Gegenstandes 〈 Das „abgeblaßt“ noch Bewußte als bildlicher Ähnlichkeitsrepräsentant des zuvor Wahrgenommenen 〉
Ist es nicht die Aufgabe der psychologischen Zeittheorie, unter Voraussetzung der objektiven Zeit, in der die psychischen Erlebnisse verlaufen, die Entstehung der subjektiven Zeitvorstellung zu erklären? Adäquation durch Ähnlichkeit
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Also Abbildung durch Ähnlichkeit. Bei der zeitlichen Zurückschiebung ändert sich zwar die Erscheinung, beim Eintreten des zweiten Tones einer Melodie ist der erste „noch“ im Bewußtsein, aber nicht mehr selbst, als das, was er war, nur in „abgeblaßter“ Weise. Dies wäre ein adäquater Ähnlichkeitsrepräsentant. Angenommen, die Phantasieinhalte wären in der Tat von den Empfindungsinhalten verschieden, aber so, daß es ein letzter Unterschied ist; jedem abstrakten Moment der Empfindung entspräche ein abstraktes Moment der Phantasie, und die entsprechenden sind einander ähnlich. Ähnlichkeit läßt die Möglichkeit kontinuierlichen Überganges offen, und diese wird ja auch be | hauptet. Andererseits gründet sich sonst jede Ähnlichkeit entweder auf die Form oder auf die Inhalte, die Inhalte von gleicher Gattung, ebenso die Formen. Hier wäre die Ähnlichkeit auf alle möglichen Inhalte und Formen bezüglich, soweit sie empfindbar sind. Aber das wäre keine Schwierigkeit. Es wäre eine primitive Ähnlichkeit, welche alle elementaren Empfindungen und alle ihnen entsprechenden Elemente der Phantasien miteinander verbände. Vorstellung eines Gegenstandes und Vorstellung von der Wahrnehmung des Gegenstandes Stelle ich A vor, so stelle ich damit implicite auch vor, daß ich A wahrnehme? Es ist doch zweierlei: A vorstellen – und die
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Wahrnehmung von A (das Erlebnis der Wahrnehmung) vorstellen. Aber ist nicht doch das eine mit dem anderen in gewisser Weise gegeben? Wenn ich einen Löwen vorstelle, so ist es mir in der Phantasie so, als ob der Löwe mir gegenüberstünde, in der Umgebung, die mit zu dem Löwen gehört oder mit ihm zugleich vorgestellt ist. Die meinende Zuwendung geht auf den vorgestellten Löwen, aber „mitvorgestellt“ bin ich und 〈 ist 〉 die betreffende Löwenumgebung. Ich als den Löwen dieser Umgebung wahrnehmend? Auch dies ist nebenbei mitvorgestellt. Auf all das kann sich also die meinende Zuwendung richten. Nennen wir sie Vorstellung, dann ist allerdings nur der Löwe vorgestellt. In welcher Weise ist aber das implicite gegeben, daß ich den Löwen vorstelle? Offenbar in der, daß ich dem Löwen zugewendet bin, bzw. daß er mir gegenübersteht, gesehen wird (ich habe die Augen auf ihn gerichtet) usw. Dazu aber ist es nicht nötig, daß auf den Wahrnehmungsakt „reflektiert“ wird. Was ist da der Unterschied? Es ist zweierlei, auf den Löwen achten, und wieder, auf die Erscheinung des Löwen, speziell auf die Wahrnehmungserscheinung des Löwen achten, und wieder, auf die Wahrnehmung, auf das Vermeinen, daß ein Löwe mir in der und der Erscheinungsweise gegenwärtig sei. Also das „Reflektieren“ besagt nur das Achten. In jener anderen Weise bloßer Auffassung, aber nicht aufmerksamer Beachtung, ist aber nicht bloß der Löwe vorgestellt, sondern zugleich das Wahrnehmen des Löwen. Und dies ist wohl eine Notwendigkeit. | Einen Gegenstand vorstellen, und wieder, ihn als sich gegenwärtig vorstellen (und somit allerdings auch als existierend), „kommt auf eins hinaus“. Einen Gegenstand in der Phantasie vorstellen, das ist gegenwärtig eine Erscheinung haben, die mit dem Charakter der Repräsentation behaftet ist. Vermöge desselben gilt der erscheinende Gegenstand nicht als gegenwärtig, sondern als vergegenwärtigt, die Erscheinung repräsentiert ihn bloß. Aber wie der im eigentlichen Sinn erscheinende Gegenstand, das Bildobjekt, als Bild fungiert für den intendierten, so besteht a priori die Möglichkeit, auch die jetzt gegebene Erscheinung als Bild aufzufassen für die andere, in welcher das abgebildete Objekt gegenwärtig war, das So-und-so-erscheinen
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B. Ergänzende Texte
des Gegenstandes ist ein Bild für das Wirklich-mir-so-gegenüber-stehen des Gegenstandes. 〈 Nr. 9 〉 Disputatio1 〈 Gegenwärtigkeit der Erinnerung, Vergangensein des Erinnerten 〉
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Jetzt habe ich die Erinnerungsbilder (Phantasiebilder) von unserem Salon. Das Bild des orientalischen Tischchens taucht auf. Die Erscheinung dauert eine Weile, verschwindet wieder, taucht wieder auf, verschwindet wieder. „Der Blick“ wendet sich anderen Gegenständen, dem Jadetischchen zu, dem Bild von van Dyck, dem Bild von Gainsborough, dem Klavier, dem grün überzogenen Sessel mit seiner Musterung, dem Sofa, dem Relief, nun schon dem an 〈 der 〉 entgegengesetzten Wand befindlichen Relief, dem Kästchen usw. Jedes dauert eine Weile (Dauer der Gegenwart), ganz so, wie wenn ich wirklich sehen würde. Also wir haben die Folge der Erinnerungsanschauungen, jede eine Weile dauernd, wechselnd usw., Dauer, Wechsel etc., alles im Erlebnis des Jetzt. a) Es können Erinnerungen sein im prägnanten Sinn, und einzelne haben diesen Charakter deutlich ausgeprägt. | b) Es können Phantasievorstellungen sein, von solchem, das „im Zimmer“ ist. Es handelt sich um Gegenstände, die dauernd im Zimmer sind. Das Zimmer mit seiner Einrichtung 〈 ist 〉 ein dauernder Gegenstand (objektiv fortdauernd, ob er wahrgenommen und erinnert wird und vorgestellt wird oder nicht), und jetzt stelle ich ihn anschaulich vor. – A) Erlebe ich jetzt die Farben, Formen etc.? B) Ich erlebe jetzt die Erinnerung; die Farben sind nicht 1
Husserl hat das hier wiedergegebene, von ihm mit „Disputation“ überschriebene Blatt nachträglich mit dem Datum „1904“ versehen. Es scheint außer Zweifel, daß die Aufzeichnung sehr viel älteren Datums ist. Husserls Eintragung der Jahreszahl „1904“ dürfte entweder lediglich bedeuten, daß er zu dieser Zeit die Aufzeichnung erneut durchgesehen und ihre Aufbewahrung beschlossen hat, oder überhaupt nur im Sinne einer Zuordnung – zum Material für die Vorlesungen des Wintersemesters 1904/05 – zu verstehen sein. – Anm. d. Hrsg.
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jetzt empfundene, nicht gegebene Farben, nicht direkt erschaute und die selbst wirklichen, sondern sind „Vorstellungen“ von wirklichen Farben; das gilt von den Farben der Gegenstände (den Gegenständen natürlich selbst), aber auch von den subjektiven Farben. Sie sind „unwirklich“, ich empfinde sie jetzt nicht. Es sind Vorstellungen von Farben. A) Aber sind denn in der gegenwärtigen Erinnerung nicht Farbeninhalte, ich möge sie nun Vorstellung nennen oder nicht, da? B) Was heißt „da“? Die Erinnerung ist gegenwärtig, sie ist jetzt wahrgenommen, wenn ich sie so nenne und ihre Gegenwart direkt behaupte. Die Farbe aber ist nicht gegenwärtig, sie ist nur in der gegenwärtigen Erinnerung vergegenwärtigt. A) Aber in der „Vergegenwärtigung“, das ist eben in der Erinnerung, ist doch diese schwankende Färbung, Gestaltung, dieses fluktuierende ganze Phänomen gegeben, die Färbungen etc. sind darin Momente. B) Nun ja, aber die Farben, nicht nur des Gegenstandes, sondern auch die der „Erscheinung“, die früher Wahrnehmungserscheinung war, sind bloß repräsentiert. A) Ganz recht. Ich habe nicht jetzt diese einmalige Erscheinung, die Wahrnehmungserscheinung, sondern, schwankend und wechselnd, habe ich, zumeist wenigstens, eine Mannigfaltigkeit von „Erscheinungen“, d. h. wechselnden Phänomenen, die alle der bestimmten Wahrnehmungserscheinung, dem Haus, von da und da gesehen, entsprechen. Und das gilt von jeder Wahrnehmungserscheinung. Also die schwankenden Phantasien haben eine repräsentative Beziehung zunächst zu den festen Seiten, Erscheinungsweisen des Gegenstandes in der Wahrnehmung, die schwankenden Färbungen etc. zu der bestimmten Farbenabschattung der entsprechenden Wahrnehmungserscheinung usw., mittelbar zur Farbe des Gegenstandes. Die Phantasieerscheinung repräsentiert | die Wahrnehmungserscheinung, und mittelbar den Gegenstand. Freilich, in der Phantasieerscheinung erscheint schon der Gegenstand, aber unvollkommen. „Vollkommen“ erschiene er in einer Wahrnehmungserscheinung. Da hätten wir „klares“ Bewußtsein? Wie, wenn wir aber eine klare Phantasievorstellung haben?
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B. Ergänzende Texte
sei 〈 es 〉 auch nur kurze Zeit? Nun, dann repräsentiert sie durch Identität: und ich meine ja nicht, daß die Erscheinung selbst hier und jetzt sei. Wir kommen immer auf Widerstreit mit der Wahrnehmung. Die Wahrnehmung hat nicht bloß die gleiche Erscheinung und das belief-Bewußtsein. Beides hat auch die klare Erinnerung. Aber das ist beiderseits ein anderes. Das eine hat den Charakter des Jetzt und Hier, des Selbst, das andere den Charakter des Nicht-Jetzt, des Widerstreits irgendwie mit dem Jetzt. Das Jetzt gehört wesentlich zur Wahrnehmung, das Nicht-Jetzt wesentlich zur „Vorstellung“. Die Wahrnehmung der Vorstellung ergibt: Die Vorstellung ist jetzt, also jetzt ist die und die schwankende Erscheinung mit dem und dem schwankenden Farbenmoment etc. Aber die Erscheinung, die da „vorschwebt“, oder in der der Gegenstand von der und der Seite vorschwebt, ist nicht jetzt, und das Ich, das sie hatte, das auf sie bezogen war, das ebenfalls jetzt erinnert ist, ist auch nicht jetzt, aber personal dasselbe wie das jetzige. 〈 Nr. 10 〉 Alte und erste Beobachtung darüber, daß ein wesentlicher Unterschied besteht zwischen ursprünglichem Vergangenheitsbewußtsein und Wiedererinnerung
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Ich erinnere mich einer Person, eines Vorganges wieder. Ich erinnere mich eines Tones wieder. Ich „erinnere“ mich aber auch eines Tones „primär“. a) Der Ton wird in der Phantasie „erneuert“ („wiedervergegenwärtigt“, reproduziert). b) Der Ton ist eben verklungen, erscheint aber nicht in der Weise eines Phantasma, einer „Reproduktion“. Trotzdem habe ich ihn „eben gehört“, habe noch ein „Bewußtsein“ davon. Die Intention auf ihn dauert noch fort, ohne daß die Kontinuität des Meinens unterbrochen gewesen sein müßte. Das ist doch ein wesentlicher Unterschied! a) Das Erinnerungsbewußtsein aufgrund einer Phantasieerscheinung, das „Bild“ schwebt mir so vor, wie mir in der Wahr- | nehmung der Gegenstand vorschwebt. Oder: In der Wahrnehmung steht der Gegenstand selbst da, in der Phantasie schaue
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ich ihn „gleichsam“, und nun fasse ich ihn als Bild eines Gewesenen. Z. B. ich habe das auftauchende Tonbild und fasse es als Ton, oder als Melodie, die mein Töchterchen „vorhin“, „kurz zuvor“ auf dem Klavier gespielt. b) Im nächsten Moment ist dieses „Bild“ dahin, der Ton hat seine Zeit gedauert (der Phantasieton, und nicht nur das, sondern das Phantasma desselben), die Melodie in der Phantasie ist abgespielt, und damit ist auch die Phantasie-MelodieErscheinung dahin. Nun habe ich aber das Bewußtsein des eben gehabten Habens dieser Erscheinung. Und genau so: Ich höre die Melodie selbst spielen, ich höre den Ton, der eben selbst angeschlagen ist, und nun ist er dahin, aber ich bin noch auf ihn gerichtet, er ist noch nicht aus meiner Meinung heraus, ich habe ihn noch fest im Bewußtsein „unmittelbarer Erinnerung“. Dies ist aber nicht ein Phantasma. Das ist doch nicht zu konstatieren. Phantasievorstellungen und Phantasmen finde ich nur vor durch „Reproduktion“, als Wiedererinnerung, als neue Erscheinung, nicht als Kontinuierung der Wahrnehmung (Empfindung), dauernd, solange die „frische Erinnerung“ dauert. „Frische Erinnerung“: das Bewußtsein des Eben-gewesen, des Eben-erlebt-habens, genauer des Eben-wahrgenommenhabens, unmittelbar anschließend an die Wahrnehmung. Wiedererinnerung: Wiedererneuerung des Wahrgenommenen in der Phantasie, als eine Neuerscheinung gegenüber 〈 dem zuvor Wahrgenommenen und „frisch Erinnerten“ 〉. Die kontinuierliche Intention der von der Wahrnehmung her fortdauernden Intention, während die Empfindungsinhalte nicht mehr erlebt (jedenfalls nicht mehr in derselben Weise erlebt) sind, identifiziert sich mit der Bildintention der neu hervortretenden Phantasievorstellung, und zwar nicht bloß nach seiten des Gegenstandes: Die „Erscheinung“ lebt auf, wird vergegenwärtigt. Dies kann sich wiederholen und die Identität der Intention sich durch diese Identifikation hindurch erhalten und immer neu an ihnen entzünden. Rhythmus in der Fülle derselben oder „im Wesen“ selben Intention. |
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B. Ergänzende Texte
Haben die Momentanphasen der Wahrnehmung hinsichtlich der abgelaufenen Teile des Zeitobjekts den Charakter von Imaginationen?1
Haben die Momentanphasen der Wahrnehmung hinsichtlich der abgelaufenen Teile des Zeitobjekts den Charakter von Imaginationen? Zunächst erscheint das selbstverständlich. Im Jetzt wird ja ein Nicht-Jetzt vorgestellt. Ist nicht die Vorstellung des NichtJetzt gleichsam ein Bild des Jetzt? Das ist einer der Hauptpunkte. Auch die reproduktive Erinnerung stellt ein Objekt vor, ein Nicht-Jetzt im Jetzt. Wie verhält sich diese Vorstellung zur Vorstellung der primären Erinnerung? Die primäre Erinnerung versetzt mich nicht hinein und läßt mich nicht noch einmal „im Bilde erleben“. Beiderseits, in der Wahrnehmung und der reproduktiven Erinnerung, haben wir zuerst klare Anschauung, dann Nachklänge etc. Im Nachklingen haben wir nicht eigentlich Phantasien (Reproduktionen). Beiderseits, bei primärer und reproduktiver Erinnerung, gemeinsam ist, daß das Vorgestellte „nicht jetzt selbst da“ ist. Aber die primäre Erinnerung 〈 ist 〉 ein originärer Akt, er konstituiert primär in der primär originären Zeit: das Vergangensein des A, so wie die Wahrnehmung (Grenze der primären Erinnerung) Zeit konstituiert: Jetztsein. Eigentlich haben wir nicht gegenüberzustellen primäre und sekundäre Erinnerung, sondern Wahrnehmung, oder vielmehr Wahrnehmung in concreto (mit Jetzt- und Vergangenheitserfassung, eines und das andere untrennbar), und reproduktive Erinnerung, die Modifikation ist: Jetzt-Reproduktion und Vergangenheits-Reproduktion. 1
Husserl notierte am Rand zu dieser Aufzeichnung, sie biete „im wesentlichen nichts Neues gegenüber den Vorlesungen“ über das Zeitbewußtsein vom Februar 1905. Doch wäre es verfehlt, aus dieser Bemerkung schließen zu wollen, es müsse sich um eine erst nach diesen Vorlesungen niedergeschriebene Aufzeichnung handeln. – Anm. d. Hrsg.
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Also wir haben zu achten 1) auf die ursprüngliche Modifikation, welche jedes Erlebnis betrifft, jedes Impressionale modifiziert in ein Reproduktives; | 2) die Modifikation, welche die ursprüngliche Assoziation der Inhalte der Zeitmaterie ausmacht; 3) das ganze Phänomen der sekundären (reproduktiven) Erinnerung ist Modifikation eines Phänomens der Wahrnehmung (der vollen Wahrnehmung); 4) zum Wesen jedes modifizierten Erlebnisses (im Sinne der Abschattung der „ursprünglichen Assoziation“) gehört die Möglichkeit des Bewußtseins einer Reproduktion (Phantasie) bzw. einer Phantasievorstellung, und Zeitvorstellung. 〈 Nr. 12 Die Evidenz des Zeitbewußtseins 〉
Ich nehme einen Takt, eine Melodie wahr. Ich nehme Schritt für Schritt, Ton für Ton wahr. Angenommen, es finden nicht gerade Pausen statt, so höre ich fortwährend, ich nehme fortwährend wahr. Also es ist ein dauerndes, zeitlich extendiertes Wahrnehmen. Was nehme ich wahr? Der erste Ton erklingt. Ich höre diesen Ton. Ich höre aber nicht bloß die Qualität in zeitloser Punktualität. Der Ton dauert und hat dabei die oder jene Anschwellungen der Intensität usw. Und nun schließt sich der zweite Ton an. Ich höre weiter, ich höre jetzt ihn; das Bewußtsein vom vorigen ist aber nicht ausgelöscht. Ich kann doch beobachten, es „sehen“, daß ich noch meine Intention auf den ersten gerichtet erhalte, während der zweite „wirklich erklingt“, „wirklich“ wahrgenommen ist. Und so geht es weiter. Oft haben wir auch bei einem gegebenen Erlebnis, so bei bekannten Melodien oder bei Melodien, die sich etwa wiederholen, anschauliche Erwartungen. Jeder neue Ton erfüllt dann die vorwärts gerichtete Intention. Wir haben hierbei bestimmte Erwartungen. Ganz ohne nach vorwärts gerichtete Auffassung sind wir nicht und können wir nicht sein. Der Zeithof hat auch eine Zukunft.
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B. Ergänzende Texte
Also tatsächlich ist das Wahrnehmen einer Melodie ein zeitlich ausgebreiteter, sich allmählich und stetig entfaltender Akt, der immerfort Wahrnehmen ist, und dieser Akt hat einen immer neu und neuen Punkt des „ Jetzt“, und in diesem Jetzt wird etwas als Jetzt gegenständlich (jetzt gehörter Ton), während zugleich ein Soeben-vergangen, und wieder ein Noch-weiter-vergangen in | einigen Gliedern gegenständlich ist; und vielleicht auch ein oder das andere gegenständlich 〈 als 〉 „künftig“. Das Jetzt ist dabei so wenig ein fiktiver mathematischer Zeitpunkt als der „Ton vorher“, erster, zweiter Ton vorher oder nachher. Jedes hat vielmehr selbst, wie zu konstatieren ist, seine sichtbare Ausdehnung. (Möglich wäre es allerdings, daß die Ausdehnungen von Zeitstellen-Objekten als nicht-ausgedehnt, nämlich ohne Breite erscheinen, die noch teilbar erscheinen würde. Doch ist das Unteilbare dabei eine ideale Grenze, wie der unteilbare Raumpunkt.) Hören wir nur einen einzelnen dauernden Ton, so hören wir fortwährend, in der Regel schwankt der Ton, oder „gleichzeitige“ Sukzessionen geben ihm Abteilungen, so daß wieder Abschnitte, wenn auch unklar sich abhebende, unscharf begrenzte, des Jetzt von dem eben Vergangenen und dem voraus erwarteten Künftigen sich charakterisieren. Das finden wir also vor: Ein Wahrnehmen, das zeitlich ausgedehnt ist, das jetzt A, dann B, dann C wahrnimmt und das jetzt das A in der bevorzugten Weise des Jetzt wahrgenommen, dann das B in dieser bevorzugten Weise hat, wobei A ins Hintertreffen kommt und das „Soeben-vorher“ annimmt, eine Erwartung erfüllend oder eine leere Zukunftsintention ganz unbestimmter Art besetzend; dann hat C den Vorzug Jetzt, das B den Charakter des Soeben-vorher, C den des „Unmittelbar vor B“, usw. Was wir im Einzelfall konstatieren, gilt allgemein und wesentlich. Mit Evidenz erschauen wir generell, daß Meinung und Erscheinung sich in der angegebenen Folge und Weise über das Zeitfeld ausbreitet, daß sie eine Einheit der Kontinuität bildet. Das erfassen wir, diese Evidenz, durch Reflexion. Ich kann ja oft genug gleiche Wahrnehmungen vollziehen, die Melodie oder den visuellen Vorgang wiederholen, und da-
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bei auf die Erscheinung selbst und Meinung achten. Dabei wird der Wesenszusammenhang zwischen Wahrnehmung der Sache und Wahrnehmung der Erscheinung generell erfaßt. Das der Wahrnehmung „Gegebene“ ist notwendig ein zeitlich Ausgedehntes, nicht ein bloß zeitlich Punktuelles. Das ist evident. Zum Wesen der Wahrnehmung gehört hinsichtlich des Zeitcharakters aber die notwendige Bevorzugung eines „ Jetzt“ und eine graduelle Abstufung gegen das | Jetzt hin, eine Art Steigerungsbeziehung gegen den Nullpunkt, in der umgekehrten Richtung ein unklares Verschwimmen, das aber als solches nicht wesentlich erscheint. Sind wir im C-Jetzt, so ist B als nächst vorher (nicht mehr), A als nächst B vorher charakterisiert. Also B hat nicht den Charakter des Jetzt, und in dieser Stellung kann, es ihn nicht haben. Jetzt und Vorher schließen sich evident-wesentlich aus. Wir haben ferner evident die Möglichkeit einer Erinnerung, in welcher B als Jetzt und C als „Noch nicht“ charakterisiert ist, wobei B induziert wird und evident als dasselbe B gemeint ist. Es ist evident, daß, was so als eben vergangenes B erscheint, auch in der Phantasie-Erinnerung als im Jetzt vergegenwärtigtes Bj identisch gemeint sein kann. Es ist evident, daß, was eben „nicht mehr“ ist, ein Jetzt war1. Es ist ferner evident, daß, was Jetzt ist, ein „Nicht mehr“ sein wird: Die Erwartung des mit dem „ Jetzt“ verknüpften „Noch nicht“ erfüllt sich, und identisch dasselbe, das dabei als Nicht-mehr charakterisiert ist, erfüllt die Intention auf das vorgedachte „Nicht mehr“. Dabei kann der Gegenstand dauern, nach dem, was er war, ist er nicht mehr, aber er ist zugleich jetzt als völlig gleicher, als welcher er war, er ist kontinuierlich-identisch derselbe. – Daß alle Realität in dem unteilbaren Jetztpunkt liegt, daß in der Phänomenologie alles auf diesen Punkt reduziert werden sollte, das sind lauter Fiktionen und führt zu Absurditäten. In der Phänomenologie haben wir es nicht mit der objektiven Zeit, sondern mit Gegebenheiten der adäquaten WahrWiederhole ich, so habe 〈 ich 〉 B noch einmal, und als aktuelles Jetzt. Aber nun erscheint das als bloße Wiederholung, und das B im Jetzt erscheint als Bild des früheren B (Ton). 1
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nehmung zu tun. Das fordert, als gegeben die Wahrnehmungen mit ihren erscheinenden Jetzt, Vergangen, Künftig zu betrachten. Reduziert, ergeben sie das evidente Jetzt, Vergangen und Künftig: ferner evidente Möglichkeiten der Phantasie, der reproduktiven Erinnerung, der reproduktiven Erwartung (nicht der unmittelbaren Zukunft des Zeitfeldes – das unmittelbar Künftige des Zeitfeldes ist auch nicht dasselbe wie die Phantasie-Erwartung auf Später-künftiges) und der dadurch bedingten evidenten Zusammenhänge. – Die Evidenz des Zeitbewußtseins: So weit die ungebrochene | Kontinuität reicht, so weit die Evidenz. Dabei aber nicht die letzten spezifischen Differenzen. Wo kontinuierliche Ähnlichkeit, da ist keine Scheidung möglich innerhalb engerer Sphären. Aber das Gattungsmäßige. Evident sind die Identitäten, Unterschiede usw., die auf Beziehungspunkte sich bauen, die hinsichtlich der Identität mit 〈 sich 〉 selbst evident sind, aber nicht Bestimmung voraussetzen, die absolut sind. 〈 Nr. 13 〉 Wahrnehmung eines Zeitlichen und Wahrnehmung der Zeitlichkeit1
Zur Idee der Wahrnehmung gehört, Selbstdarstellung oder Selbststellung zu sein. Das Gegenständliche steht „selbst da“. Ist dieses Selbst allgemeiner zu fassen als das des zeitlichen Selbst? Also das Selbstgegenwärtig im Sinne des Jetzt? Und das Jetzt weist hin auf ein Soeben-vergangen, oder vielmehr wir haben den abstrakten Jetztpunkt zu unterscheiden von dem vollen Jetzt?2 1
Den Text dieser Aufzeichnung hat Husserl nach seiner Anmerkung „abgeschrieben und überlegt in Silvaplana“, d. h. im August 1909; doch handelt es sich eben offenbar um die Abschrift einer sehr viel älteren Aufzeichnung. – Anm. d. Hrsg. 2 1) Wahrnehmung ist Gegenwartsbewußtsein; 2) Gegenwartsbewußtsein ist nicht immer Bewußtsein von individuellem Sein; bei diesem ist Wahrnehmung Bewußtsein, und zwar gebendes, von individuell dauerndem Sein: gegebene individuelle Dauer ist Selbstgegenwart.
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Gegensatz von Glaube und Nichtglaube (bloßer Vorstellung); Gegensatz von Meinen im spezifischen Sinn und Nicht-meinen (Frage, ob das mit Aufmerksamkeit identisch ist); Gegensatz von perception (unmodifizierter Erscheinung) und imagination; Gegensatz von Jetzt, Vergangen – Künftig. Zeitliche Unbestimmtheit.1 Was die Wahrnehmung eines Zeitlichen anlangt und die Wahrnehmung der Zeitlichkeit selbst, so handelt es sich offenbar um Unterschiede des Meinens. Denn was die Erscheinung anlangt, so ist alles da, und es ist Sache des Meinens, das, was „da“ ist, herauszumeinen. | 〈 Nr. 14 〉 Ob die intuitive Modifikation, vermöge deren aus der Wahrnehmung unmittelbare Erinnerung wird, verstanden werden kann als eine bloße Änderung des präsentierenden Inhalts (Brentano mag hier nur als Exempel dienen)2
Nach Brentano bestände die „zeitliche Zurückschiebung“ im wesentlichen in einer Inhaltsänderung. An die Wahrnehmungsvorstellung schließen sich nach einem „ausnahmslosen Gesetz“ durch „ursprüngliche Assoziation“ kontinuierlich neue Vorstellungen, deren jede den Inhalt der vorhergehenden reproduziert und dabei das (stetige) Moment der Vergangenheit hinzufügt (es mögen, heißt es – in einer Darstellung in Martys Vorlesungen3 – sonstige Veränderungen, der Intensität und Fülle, dazu noch Vorkommen, bald in geringerem, bald 1
Das alles im wesentlichen Reproduktion nach einem alten Blatte. 2 Husserl vermerkt zu dieser Aufzeichnung: „Vidi: gut: Silvaplana 1909“. Es handelt sich ohne jeden Zweifel nur um das Datum einer erneuten Durchsicht der Blätter, nicht um das ihrer Abfassung. – Anm. d. Hrsg. 3 Husserl besaß eine Nachschrift der Vorlesungen über „Genetische Psychologie“, wie sie Anton Marty im Sommersemester 1889 in Prag gehalten hat; auf diese Vorlesungen bezieht er sich hier wohl. – Anm. d. Hrsg.
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in merklicherem Grade). Da nach Brentano der Aktcharakter des Vorstellens keine Differenzierung zuläßt, so kommt alles auf die Inhaltsveränderung zurück, die zeitliche Veränderung ist nur eine ganz eigentümliche Inhaltsveränderung. Kann das phänomenale Zurücksinken in die Zeit durch eine bloße Inhaltsveränderung, näher durch Hinzutritt einer zeitlichen „Charakteristik“, eines neuen Inhalts, beschrieben werden? Es sei A eben vergangen. Ist dann A durch ursprüngliche Assoziation erneuert, also, was vermöge der Stetigkeit auf dasselbe hinauskommt, forterhalten, m. a. W.: Ist A da geblieben, sei es auch geschwächt, und besteht der ganze Unterschied darin, daß ein neues Moment aufgetreten ist, das Moment der Vergangenheit? Oder vielleicht so: A ist da mit dem Jetzt-Moment. Dieses verändert sich stetig, während A sich fortdauernd (objektiv gesprochen: auch nach Abwesenheit der äußeren Reize: wenn es sich um eine Wahrnehmung handelt) erhält? Der Ton, den ich höre, ist, solange ich 〈 ihn 〉 höre. Aber wenn ich ihn nicht mehr höre, ist er zwar nicht, aber andererseits doch da, nur mit der Bestimmtheit Vergangen? Brentano sagt: Vergangen sei ein | modifizierendes Prädikat, das Vergangene als solches sei ein nicht Existierendes. Damit will er doch nicht sagen, das Vergangene sei ein nur mit einem anderen Moment Existierendes. Der erlebte Inhalt (wir wollen von aller Transzendenz abstrahieren) existiert doch, und existiert im Sinn dieser Auffassung versehen nur mit einem neuen Moment. Er existiert sogar gegenwärtig, in dieser gegenwärtigen Existenz hat er nur ein neues Moment. Erlebe ich danach nicht gegenwärtig das vergangene A? Wir hätten also: 1) zunächst den objektiven Tatbestand der Wahrnehmung des A, A ist da, und zwar mit der Zeitbestimmtheit des Jetzt; 2) dann den Tatbestand der Erinnerung: A ist da mit der Zeitbestimmtheit Vergangen. Im ersten Falle wird A als Jetzt, d. i. als mit dem JetztMoment behaftet angeschaut, im zweiten wird A als mit der Zeitbestimmtheit Vergangen 〈 behaftet 〉 angeschaut.
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Ist nun A, wie wir voraussetzen wollen, ein immanenter, reell erlebter Inhalt, so hätten wir in 2) die Möglichkeit, das evidente Urteil zu vollziehen: Jetzt ist A mit der Zeitbestimmtheit Vergangen. Wenn aber der Komplex der beiden Momente A und Vergangen jetzt existiert, so existiert auch A jetzt, und zugleich soll A vergangen sein, also nicht jetzt sein. Ursprünglich hatten wir Ai1 (wo i1 das Jetzt-Moment des A bedeutet, in welchem A wahrgenommen war), nachher, A ist inzwischen vergangen, hätten wir (AV1) i2, wo v1 das modifizierte i1 ist. Aber nach Brentano ist vom Jetzt-Moment als einem eigenen Moment keine Rede. Nehmen wir an, es sei kein eigenes Moment. Wir hätten dann A, dann Av (v = vergangen). Die Indexlosigkeit bedeutet das Jetzt. Av als Ganzes ist aber wieder indexlos. A hat den Zeitindex v, aber Av selbst als Ganzes ist wieder ein Gegenwärtiges (etwas durch Wahrnehmung zu Erfassendes). Aber warum sollen wir, wo eine Komplexion gegeben ist, nicht den Teil für sich als gegeben hinnehmen und wahrnehmen können? Und wäre das dann nicht dasselbe A wie vorhin? Also A da – und zugleich vergangen? Es scheint klar, das Verhältnis der – auf das Jetzt bezogenen – „Wahrnehmung“ und derjenigen intuitiven „Erinnerung“, die sich an die Wahrnehmung unmittelbar anschließt, kann nicht | gefaßt werden als ein Verhältnis, das durch Kommen und Gehen neuer primärer Inhalte erklärt werden kann. Beschränken wir uns auf adäquat gegebene Inhalte, die zugleich also als die zeitlichen Gegenstände apperzipiert sind, so kann der Unterschied zwischen jetzt seiendem A und gewesenem A im Erlebnis nicht liegen in Inhaltsmomenten, die sich mit A verknüpfen. Selbstverständlich aber auch nicht in bloßer Modifikation des A selbst. Da 〈 durch 〉 daß ich A jetzt wahrnehme und nachher ein wie immer inhaltlich verändertes A, habe ich noch kein Bewußtsein „vergangenes A“ gewonnen. Worin soll der phänomenologische Unterschied nun liegen? In der Auffassungsweise, in der Weise des Bewußtseins?
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〈 Nr. 15 〉 Zeit und Erinnerung 〈 Jetztwahrnehmung, Erinnerungswahrnehmung und phantastische Erinnerung. Versetzung der Unterschiede in die Apperzeptionsweise 〉1
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Meine Auffassung ist doch folgende: Die gewöhnliche Erinnerung ist eine bildliche Apperzeption, so wie die Erwartung. Die Wahrnehmung ist die Apperzeption, wodurch der Gegenstand als selbst da und jetzt gegenwärtig erscheint. Die adäquate Wahrnehmung gegenwärtigt das Objekt selbst, die Meinung ist nicht bloße Meinung. Die inadäquate Wahrnehmung impliziert bildliche und symbolische Elemente. Die Wahrnehmung im gewöhnlichen Sinn ist Jetztwahrnehmung. Die Erinnerung eines ferner Vergangenen ist symbolische Erinnerung, wenn es z. B. bloß verbale Erinnerung ist. Sie ist phantastische Erinnerung, wenn sie Erinnerung aufgrund einer Phantasievorstellung ist. Sie steht dann auf einer Stufe mit der anschaulichen Jetzt-Setzung eines Nicht-wahrgenommenen. Z. B. ich stelle jetzt die Straße vor, das Bild taucht auf und ich fasse es als Vorstellung der Straße – jetzt. Nun gibt es bei der Erinnerung auch andere Fälle. Es gibt eine Erinnerungswahrnehmung. Darin ist das vergangene Ob | jekt als solches selbst gegeben. Derselbe sinnliche Inhalt wird als Vergangenes aufgefaßt, in Relation zu einem Gegenwärtigen irgendeiner Wahrnehmung2. Das Objekt erscheint vielleicht genau als dasselbe, nur modifiziert, aber die Modifikation betrifft nicht den sinnlichen Inhalt, also nicht das, was das Objekt seiner Materie nach konstituiert. 1
Diese einem tagebuchartig geführten Notizbuch Husserls entnommene Aufzeichnung ist von ihm selbst auf den Tag genau datiert: „20. Dezember 1901“. – Anm. d. Hrsg. 2 Am Rand notiert Husserl hierzu den Namen Brown; vermutlich bezieht er sich auf Thomas Brown, (1778–1820), Lectures on the Philosophy of the Human Mind, 13. Aufl., Edinburgh 1842, S. 260 ff. – Anm. d. Hrsg.
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Ich bin geneigt, diesen Unterschied in die Apperzeptionsweise hineinzuverlegen1. Worin bestand die Objektivität? Einheit der Welt – jetzt = Einheit einer Gesamtwahrnehmung, welche alles Jetzt in der Weise der Jetztwahrnehmung umfaßt. Das heißt: Möglichkeit einer gesamten Jetztwahrnehmung. Natürlich, was sich der Einheit dieser Gesamtwahrnehmung nicht fügt, kann nicht jetzt sein, also was als Jetzt wahrgenommen würde, kann trotzdem jetzt nicht sein, wenn es ausgeschlossen wäre durch andere Jetztwahrnehmungen, mit ihnen in einer Wahrnehmung nicht verträglich. Doch wird man sagen müssen: Jede adäquate Jetztwahrnehmung setzt ein absolutes Jetzt, und innerhalb der Gruppe adäquater Wahrnehmungen besteht nur der mögliche Unterschied, daß irgendeine Teilgruppe α1 … µ1 in einer einzigen Jetztwahrnehmung vereinbar ist, ebenso α2 … µ2, während die Glieder verschiedener Gruppen im allgemeinen unverträglich sind. Wo ein einzelnes Glied verschiedenen Gruppen angehört, da dauert es. Die verschiedenen Gruppen selbst bilden die zeitliche Folge, die Jetzt bilden eine stetige Folge. Wie das? Alle adäquaten Jetztwahrnehmungen sind vereinbar, aber nicht in einer adäquaten Jetztwahrnehmung. Was heißt das? Das heißt: Sind α1 … αµ α2 … αµ adäquate Wahrnehmungen von a1 … aµ a2 … aµ, so ist im allgemeinen nicht eine adäquate Jetztwahrnehmung möglich, welche zugleich a1 … a2 befaßt. Dagegen gibt es notwendig eine Erinnerungswahrnehmung, | eine zeitliche Wahrnehmung, welche a2 jetzt wahrnimmt und in Relation dazu a1 als „vorhin“ wahrnimmt. Oder: Wahrnehmung ist ein Allgemeines gegenüber Jetztund Vorher- und künftiger Wahrnehmung. In einer kollektiven 1
Daß Husserl nach der vorliegenden genau datierten Aufzeichnung also bereits spätestens Ende 1901 – gegen Brentano, vgl. die Aufzeichnung Nr. 14, S. 171 ff. – „diesen Unterschied in die Apperzeptionsweise“ verlegt hat, bietet eines der entscheidenden Kriterien für die chronologische Anordnung der hier wiedergegebenen Aufzeichnungen. Gewiß ist es möglich, das Entstehungsdatum fast der sämtlichen wiedergegebenen Aufzeichnungen von Nr. 2 an dem Jahre 1901 sehr nahe anzunehmen. – Anm. d. Hrsg.
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B. Ergänzende Texte
Jetztwahrnehmung sind die Jetztwahrnehmungen verschiedener Stufe nicht zu vereinigen, aber dann gibt es in Relation zu jeder Jetztgruppe eine Einheit von Erinnerungs- und Erwartungsgruppen, in welchen jeder Gruppe eine andere Jetztstufe entspricht. Oder vielmehr ist. Denn Jetzt ist ein Relatives. Es bezieht sich auf Stufen. Gottes unendliches Bewußtsein umfaßt alle Zeit „zugleich“. Dieses unendliche Bewußtsein ist unzeitlich. Jedem Zeitpunkt entspricht die Gruppe seines Jetzt. Diese Gruppen sind geordnet, geordnet durch die stetige Apperzeptionsweise. Für ihn 〈 für Gott 〉 gibt es kein Vergangen, Gegenwärtig und Künftig. Aber 〈 auch 〉 für ihn gibt es relativ zu jedem Punkt ein Vergangen, Gegenwärtig, Künftig. Die Zeit ist die Form des unendlichen Bewußtseins, als unendliche adäquate Wahrnehmungsreihe. Vom Stande eines bestimmten Jetzt a ¯¯¯j¯¯¯ b ist a vergangen, in Relation zu a ist j künftig, ebenso b. Das göttliche Bewußtsein ist das ideale Korrelat der objektiven Zeit und der objektiven Welt und Weltentwicklung. Subjektives Bewußtsein: Im Jetztbewußtsein, das selbst ein Akt ist, der im Ablauf der subjektiven Erlebnisse jetzt ist (objektiv geredet: also in einer möglichen Jetztwahrnehmung wahrgenommen), kann das vergangene Jetzt natürlich nicht als Jetzt bewußt sein. Aber das Vergangen ist in Form einer adäquaten Erinnerung wahrgenommen: das ist ein Akt, der ein Jetzt ist, aber in seiner neuen Apperzeptionsweise das vergangene Objekt und den Zustand desselben adäquat wahrnimmt. Nun könnte man objektiv sagen: Das frühere Jetztbewußtsein dauert fort und ändert sich mindestens eine sehr kleine Zeitlang nicht, oder nicht merklich, daran schließen sich neue Jetztbewußtsein, aber mit geändertem Jetzt, und das jeweilige Endglied nennen wir Jetzt, das, was vorhin Jetzt war, heißt jetzt Vergangen. Es besteht zwischen diesen Jetzt eine einseitige Relation, und wir fassen immer in der einen Richtung, die den jeweiligen Kulminationspunkt der Jetztreihe enthält, alles in | Relation zu diesem Endpunkt auf. Nun wandelt sich aber jedes Jetzt in sein Vergangen, weil sich an das Jetzt wahrneh-
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men ein neues verschiedener Form anschließt und nun das frühere nicht mehr Kulminationspunkt ist. Dabei verwandelt sich das vergangene Wahrnehmen in ein inadäquates, in ein bloß bildliches, und schließlich in ein unbestimmt Symbolisches. Aber können wir unendlich viele Apperzeptionsweisen annehmen? Ist nicht die Jetztapperzeption etwas immer wieder neu sich in gleicher Weise Erzeugendes, und die Vorhin-Apperzeption eine gewisse Modifikation der Apperzeptionsweise, welche in der Form einer kontinuierlichen Reihe sich ändert und dann, wenn wir in die Vergangenheit zurückgehen, immer nur durch die gleichförmigen Relationen indirekt-symbolisch in eine einzige Reihe geordnet wird? Es sei immer dasselbe Stück aktuell erlebter Relationsform, erfüllt mit verschiedenem materiellen Gehalt, dieselbe Extension, wie beim Raum, der uns in der Idee erwächst mit Hilfe der kleinen ursprünglichen Raumerlebnisse. Das endliche – das unendliche Gesichtsfeld. Punkt des deutlichsten Sehens: Jetzt, usw.1 Nun, das mag so sein. Aber der Punkt deutlichen Sehens ist ja kein Punkt, sondern ein kleines Feld, und der Punkt Jetzt ist auch ein kleines Feld, und das allein kommt in Frage. Innerhalb dieses Feldes verschiedene Apperzeptionsweisen, und diese Verschiedenheit macht die Form aus. Im Fortschritt des Bewußtseins ist immer wieder das ursprüngliche Zeitfeld adäquater Zeitwahrnehmung erfüllt, und das jeweilig auftretende neue Jetzt macht das noch lebendige Jetzt des früheren Augenblicks zum Vergangen vermöge der Form der Relation, der Gestaltform. 〈 Nr. 16 Was in einer Wahrnehmung als gegenwärtig gegeben sein kann 〉
Räumliche Gegenwart – zeitliche Gegenwart, räumliche Abwesenheit – zeitliche Abwesenheit: das wird von Liebmann, 1
Dieser ist beim Raum umgeben von einem Raum, bei der Zeit ist Jetzt nicht Mitte einer gegebenen Zeit, sondern Rand.
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Gedanken und Tatsachen, I, 351, gegenübergestellt1. Es wäre hier folgendes zu unterscheiden: | 1) Das räumlich jetzt nicht Gegenwärtige, aber Seiende; das mit dem Wahrgenommenen Gleichzeitige, obschon nicht Wahrgenommene. Soll man fortfahren: Das, was in einer Wahrnehmung (in einem wahrnehmenden Bewußtsein) als gegenwärtig gegeben sein kann? Was mit dem Wahrgenommenen kompossibel ist. Dann läge darin: Alles Kompossible = alles Reale mit Beziehung auf den gegenwärtigen Jetztpunkt. Was ist aber kompossibel? Was ist mit dem Wahrgenommenen in einer Wahrnehmung vereinbar? Nicht alles im weiteren Sinne Kompossible ist es aber in dem hier fraglichen Sinn. Wir sagen daher besser und ausführlicher: „In einer Wahrnehmung kompossibel“ (in einem Bewußtsein ebenso). Das überhaupt Kompossible ist real ausgeschlossen. Wodurch? Durch die Erfahrung. Was heißt durch die Erfahrung? 1) Wahrnehmung; 2) Erinnerung; 3) Aussagen über beides; 4) Zusammenhang der jetzigen und früheren Wahrnehmungen, erfahrungsmäßige Zusammenhänge (Erfahrungsmotivation) künftiger Wahrscheinlichkeit. 5) Aussagen Anderer und ihre Vereinigung mit meinen Erfahrungen und Erfahrungsaussagen. 〈 Nr. 17 Das Problem des Bewußtseins der Modifikation 〉
Wenn A verklungen ist, so habe ich in einem Punkt des phänomenologischen Zeitfeldes doch nicht nur ein Phantasiebild des A, mit einer gewissen „Modifikation“, d. i. 〈 mit dem 〉 Zeitcharakter A ‥ . Habe ich nicht auch das Bewußtsein des stetigen 1
Husserl bezieht sich auf Otto Liebmann, Gedanken und Tatsachen. Philosophische Abhandlungen, Aphorismen und Studien, Bd. I u. II, Straßburg 1899 u. 1904. Der I. Band enthält S. 346–375 eine Abhandlung über „Das Zeitbewußtsein. Ein Paradoxon“. – Anm. d. Hrsg.
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Zurücksinkens, hat für mich das A nicht immer eine stetige Zeitstrecke? Konstruktion: A erklingt. Nachdem es dahin ist, ist das A ‥ da, stetig knüpft sich ein immer „kleineres“ A ‥ an. Nehmen wir statt der Kleinheit Indices, die aber hier nur ganzzahlig angeschrieben sind. Sie sind stetige Zahlen: |
A0 A1 A2 … An … A0 ist dahin. Stattdessen ist jetzt A1. A1 ist dahin. Stattdessen ist jetzt A2. … … Habe ich dann jederzeit doch nur ein zeitlich punktuelles Moment erlebt? Im Jetzt ein „als vergangen Charakterisiertes“? Wir hätten hier also ein zeitliches punctum. Soll aber etwa die Zurückschiebung wieder eine Zurückschiebung erfahren? Was hieße das? A0 modifiziert sich in A1. Es bleibt von A0 ein Aδ zurück, 〈 von 〉 Aδ ein Aε, bis zu A1. Wie kann da noch Platz sein für das Bewußtsein der Modifikationen? Man könnte aber annehmen, daß, wenn an A0 sich Aδ anschließt, an Aδ Aε, daß das nicht einfach ein Sich-ablösen ist, eins das andere ablösend, sondern das Kontinuum A0 … Aδ … A1 bleibt im Bewußtsein simultan. Aber A0 ist doch vergangen, und nach und nach jedes weitere Moment des Kontinuums. Also das geht nicht. Sollen wir sagen, das Bewußtsein des A ist jederzeit ein Jetzt, es dauert und erfährt seine Dehnung in der Weise der Dauer? Ich habe ein dauerndes Bewußtsein des A, und ein Bewußtsein, daß ich dauernd mich auf dasselbe A beziehe. An A0 schließt sich stetig Aδ an. Identifizierung, und nun fortgesetzt ausdauernde Identifizierung. Ferner: A0 ist als Empfindung und Wahrnehmung dahin. Aber die Phantasmen und Phantasievorstellungen erhalten sich im Bewußtsein, also es bleibt eine Weile das Aδ, während schon Aδ’ eingetreten ist usw. Also es ist simultan: nicht A0, 〈 aber 〉 Aδ … Aδ’ … A1. Wenn aber Aδ (jede Phase) dauert, haben wir nicht von einem Dauern ein Bewußtsein? Oder ist das nicht hier eben schon hineingenommen? Im Zeitpunkt 1 habe ich nicht nur A1, sondern auch alles bis Aδ, aber hätte ich auch vom Dauern des A ein Bewußtsein, so brauchte es neuer Reihen, und so ginge es in infinitum.
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B. Ergänzende Texte
〈 Nr. 18 〉 Der Charakter der Erinnerung – Repräsentation durch Identität: was soll das meinen?1
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Der Charakter der Erinnerung (als Bewußtseins-Charakter) bezieht, gründet sich auf die wiederauflebende | Erscheinung, und eben dadurch erscheint der Gegenstand als vergangen. So gründen sich ja psychische Akte immer auf Erscheinungen, aber die erscheinenden Gegenstände erhalten dann die bezügliche „Bewußtseins“-Bestimmtheit. Z. B. der Wunsch „bezieht sich“, d. i. hat zur „Grundlage“ eine Vorstellung, aber gewünscht ist das Vorgestellte. Ebenso ist erfreulich, wertvoll, angenehm, widerwärtig usw. der Gegenstand der bezüglichen grundlegenden Vorstellung. Ähnlich verhält es sich mit dem Zeitbewußtsein. Gegenwärtig (jetzt) ist der Gegenstand der Wahrnehmungsvorstellung: die Wahrnehmungserscheinung ist eine Erscheinung, welche Grundlage ist eines Wahrnehmungsbewußtseins, d. h. der Wahrnehmungssetzung, 〈 bzw. der 〉 Bewußtseinsart, die das Erscheinende als gegenwärtig setzt.2 Vergangen ist der Gegenstand einer Erinnerungsvorstellung: die Erinnerung ist eine Setzungs- 〈 bzw. 〉 Bewußtseinsart3, welche – vielleicht – eine ganz gleiche Erscheinung zur Grundlage hat, aber dem Gegenstande den Charakter des Vergangen erteilt. Was macht nun den Unterschied aus zwischen dem originären Zeitbewußtsein, in dem das Vergangene in Relation zum Jetzt erlebt wird, und dem reproduktiven Zeitbewußtsein? M. a.W.: Was unterscheidet das Zeitbewußtsein in der „Wahr1
Einen Teil dieser Aufzeichnung scheint Husserl noch in das ursprüngliche Konzept der Zeitvorlesungen des Februar 1905 aufgenommen zu haben, ein geringerer Teil davon fi ndet sich – mehr oder minder abgewandelt – noch in § 27, S. 58 f. und vielleicht auch in § 28, S. 59 wieder. Vgl. genauere Hinweise auf den folgenden Seiten. – Anm. d. Hrsg. 2 Wahrnehmung wird aber zweideutig: zeitliche Gegenwärtigung und Selbstdarstellung! 3 So wie Wahrnehmung und Wahrnehmungsauffassung, so ist Erinnerung und Erinnerungsauffassung zu sondern. Erinnerungsauffassung kann bestehen ohne setzende Erinnerung (Erinnerungsurteil, meinende Erinnerung).
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nehmung“ eines Vorgangs oder einer Dauer1 von dem Zeitbewußtsein in einer Erinnerung an ein ferner Vergangenes? Sollen wir sagen: es sei im letzteren Fall, dem Fall des Gedächtnisses im gewöhnlichen Sinn, eine Erscheinung gegeben bzw. eine Dauer oder ein Vorgang in dauernder Erscheinung oder wechselnder Erscheinungsfolge derart, daß diese ganze „gegenwärtige“ Zeitlichkeit Repräsentant ist, Bild für eine vergangene Zeitlichkeit? In gewisser Weise findet sicher Abbildung 〈 oder jedenfalls 〉 Repräsentation statt. Aber es ist | kein Bildlichkeitsbewußtsein im echten Sinn (wie bei Melodien)2. Nämlich ich fasse die jetzt ablaufende Melodie im jetzigen Erinnerungsbewußtsein nicht als ein anderes gegenüber der erinnerten Melodie, sondern in jener erinnere ich diese. Oder genauer: Es ist nicht so wie im Falle einer Photographie, wo ein Ähnliches, aber doch inhaltlich Verschiedenes, für ein Ähnliches als Repräsentant dient; das erscheinende Figürchen blicke ich an und meine ein damit in gewisser Hinsicht Ähnliches, aber in anderer Verschiedenes; ein Gegenwärtiges oder als gegenwärtig Erscheinendes 〈 dient als 〉 Repräsentant also für ein nicht Gegenwärtiges. Aber das „Erinnerungsbild“ erscheint nicht als gegenwärtig, obschon es gegenwärtig ist. Oder sollen wir vielleicht sagen, hier bestünden keine wesentlichen Unterschiede?3 Jedenfalls „vergegenwärtigt“ mir die jetzige Erscheinung mit ihren jetzigen Zeitverhältnissen, ohne daß ich sie als das, 〈 als 〉 was sie unmittelbar erscheinen könnte, fasse, die frühere Erscheinung und ihre Zeitverhältnisse, und zugleich diese ganze Zeitlichkeit eine Zurückschiebung im Verhältnis zur wirklichen Gegenwart, obschon eine unbestimmte. Es besteht hier also repräsentatives Zeitbewußtsein und Gegenstandsbewußtsein. Im Falle der Wahrnehmung 1
Hier ist Wahrnehmung Selbstdarstellung. 2 Da wäre auch eine doppelte Bildlichkeit: ist das in frischer Erinnerung Erscheinende schon bildlich vorgegeben, so ist das Erscheinende in der späteren Wiedervergegenwärtigung doppelt bildlich: bildliche Vorstellung, die mittels bildlicher Vorstellung sich auf den Gegenstand bezieht! 3 Das ginge kaum an. Aber der Unterschied: Repräsentation durch Bildlichkeit und Repräsentation durch Identität dürfte helfen.
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B. Ergänzende Texte
eines Vorgangs oder einer Dauer ist hingegen das Zeitbewußtsein nicht repräsentativ, sondern originär. Natürlich sind die originären Zeitprädikate nicht willkürlich, obschon sie für den Gegenstand nicht konstitutiv sind. Sie gehören zum Gegenstand. Eine Erscheinung als Grundlage eines originären Zeitbewußtseins des Jetzt oder Vergangen, das ist evidentermaßen: „Der Gegenstand existiert jetzt, oder hat existiert“ (er ist jetzt seiend oder gewesen seiend). – Wie nun mit der Frage, ob Erinnerung dasselbe sei wie Erinnerung an frühere Wahrnehmung? Nach unserer Auffassung ist das originäre Zeitbewußtsein nur ein stetig modifizierbares Bewußtsein bestimmten Charakters (bestimmter Zeitmodi) auf Grundlage einer Erscheinung. | Nun ist aber zu bemerken, daß mit der Erinnerung an einen früheren Vorgang, wo eine Reproduktion der früheren Erscheinung gegenwärtig ist, begreiflicherweise auch die Möglichkeit der Erinnerung an die frühere Wahrnehmung des Vorganges gegeben ist, sofern wir nicht bloß Reproduktion der früheren Erscheinung haben, sondern auch der ganzen früheren Wahrnehmung. Daher die Möglichkeit, nicht bloß die Erscheinung des Vorganges, sondern die Erscheinung der Wahrnehmung einem Erinnerungsbewußtsein zugrundezulegen. Deutlicher gesprochen: Es wird das frühere Bewußtsein ganz reproduziert, und was reproduziert wird, das hat auch den Charakter der Reproduktion, Repräsentation und den Charakter der Vergangenheit.1 Die Evidenz, daß, wenn ich wahrhafte Erinnerung an A habe, ich A wahrgenommen haben muß, kann nur davon herrühren, daß Erscheinung und Zeitsetzung wesentlich eins sind, bildlich fungierende Erscheinung also auch bildliche Zeitsetzung ist. Insofern ist Vorstellung eines Gegenstandes und Vorstellung eines seienden Gegenstandes gleichwertig.2 Bezieht sich nun auf eine bildliche Erscheinung ein Erinnerungsbewußtsein, so ist damit zugleich und notwendig die Setzung 1
Vgl. zu S. 180 § 27, S. 58. – Anm. d. Hrsg. 2 Das Verhältnis von Erscheinung und Setzung ist danach nicht hinreichend geklärt.
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in der Vergangenheit induziert. Denn originäres Bewußtsein und Gegenstand haben notwendig dieselbe Zeitlichkeit. Es ist evident, daß die Wahrnehmung und ihr Gegenstand gleichzeitig sind. Ebenso die erinnerte Wahrnehmung (die Erscheinung, wofür die gegenwärtige Repräsentant ist) und ihr Gegenstand. Ich erinnere mich an das erleuchtete Theater – 〈 das 〉 kann nicht heißen: Ich erinnere mich, das Theater wahrgenommen zu haben1. Sonst hieße letzteres: Ich erinnere mich, daß ich wahrgenommen habe, daß ich das Theater wahrgenommen habe. Ich erinnere mich an A, ich erinnere mich an meine Wahrnehmung des A, ich erinnere mich an meine Wahrnehmung der Wahrnehmung des A. Ich erinnere mich an das erleuchtete Theater = „In meinem Inneren“ schaue ich das erleuchtete Theater als gewesenes. | Im Jetzt schaue ich das Nicht-Jetzt. Das Erinnern ist intuitives Glauben, „geglaubt“ ist nicht das Jetztsein, sondern das Gewesensein. – Im Wahrnehmen steht mir das Objekt als jetzt seiend gegenüber (Jetzt-Gegenwart). Im Erinnern ist das Objekt auch selbstgegenwärtig vorgestellt, aber in einem früheren Jetzt. Sollen wir sagen: Das Erinnern ist auch ein Wahrnehmen, aber es hat gegenüber dem aktuellen Jetzt eine Modifikation, ein „Vergangen“, und die darin angeschaute Zeitbestimmtheit ist eine andere als die zum Akte der Erinnerung gehörige –? Indessen: Wenn ich die Gegenwart ganz vergesse – gesetzt, daß es vollkommen möglich wäre –, so hätte ich ein Wahrnehmen. Wahrnehmen und Wahrgenommenes haben dasselbe Jetzt. „Ich stehe vor dem erleuchteten Theater“. Jetzt ist es, es ist gegenwärtig, und zugleich ist die Wahrnehmung. Das wäre keine Erinnerung mehr, sondern eine (halluzinatorische) Wahrnehmung des Vergangenen, aber nicht als vergangen! Aber die Erinnerung ist nicht bloß Wahrnehmung des Vergangenen. Sonst wäre das Wahrnehmen des Vergangenen gegenwärtig. Aber das Wahrnehmen des Vergangenen ist vergangen, und das Vergangene gilt gar nicht wirklich als selbstgegenwärtig, es schwebt nur selbst vor, aber es schwebt eben nur vor. Die 1
Vgl. von diesem Satz an bis S. 183 § 27, S. 58 f. – Anm. d. Hrsg.
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B. Ergänzende Texte
Erinnerung ist ein gegenwärtiger Akt. Das Bewußtsein der aktuellen Gegenwart habe ich durch meine gleichzeitigen Wahrnehmungen. Ein Bild, die intuitive Vorstellung eines Selbstgegenwärtigen, vergegenwärtigt, repräsentiert dieses selbst. Wahrnehmung konstituiert Gegenwart. Um ein Jetzt als solches zu erleben, damit mir ein Jetztsein evident dasteht, muß ich wahrnehmen. Um ein Jetzt anschaulich vorzustellen, muß ich „im Bilde“, repräsentativ, modifiziert eine Wahrnehmung vollziehen, aber nicht so, daß ich die Wahrnehmung vorstellte, sondern ich stelle das Wahrgenommene (als solches) vor, das in ihr gegenwärtig Erscheinende. Die Erinnerung impliziert also in der Tat eine „Vorstellung“, nämlich eine „bildliche Repräsentation“ der vergangenen Wahrnehmung; aber die Erinnerung ist nicht im eigentlichen Sinn ein Bild, Repräsentation von der vergangenen Wahrnehmung, nämlich eine Vorstellung von ihr. Diese letztere ist nicht das in der Erinnerung Gemeinte, in ihr im eigentlichen Sinne vorgestellt und gemeint | und gesetzt ist der Gegenstand dieser „Wahrnehmung“ und sein Jetzt, das zudem in Bezug gesetzt ist zum aktuellen Jetzt. Ich erinnere mich an das erleuchtete Theater von gestern – d. h.: Ich vollziehe eine „Reproduktion“ der Wahrnehmung des Theaters, somit schwebt mir in der Vorstellung das Theater als gegenwärtiges vor, dieses meine ich im Bilde, fasse dabei aber diese Gegenwart als zurückliegend in Relation zur aktuellen Gegenwart der jetzigen aktuellen Wahrnehmungen auf. Natürlich ist jetzt evident: Die Wahrnehmung des Theaters war, ich habe das Theater wahrgenommen. Das Erinnerte erscheint als gegenwärtig gewesen, und zwar unmittelbar anschaulich; und es erscheint so dadurch, daß intuitiv bildlich eine Gegenwart erscheint, die einen Abstand hat von der Gegenwart des aktuellen Jetzt. Die letztere Gegenwart konstituiert sich in der wirklichen Wahrnehmung; jene intuitiv erscheinende Gegenwart, die intuitive Vorstellung des Nicht-Jetzt, des ehemaligen Jetzt im Jetzt, konstituiert sich in einem Gegenbild von Wahrnehmung (einer „Vergegenwärtigung der früheren Wahrnehmung“). Dadurch kommt es zu einer bildlichen Vorstellung vom „jetzt“ seienden Theater, also das vollzieht sich in einem modifizierten Akte, einer Vergegenwärtigung der Wahrnehmung des Theaters, die
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aber nicht Vorstellung der Wahrnehmung sein soll, nämlich so, daß ich, darin lebend, nicht die Wahrnehmung meine, sondern das Gegenwärtigsein des Objekts. Aber da ist noch eine Schwierigkeit.1 Was ist das für eine sonderbare „Vergegenwärtigung der Wahrnehmung“? Stelle ich gegenüber Wahrnehmung und bloße Vorstellung, so handelt es sich um das belief oder Nicht-belief. In der „Wahrnehmungsvorstellung“ erscheint aber das Objekt noch immer als selbst und jetzt da. In der Phantasievorstellung erscheint er bloß vergegenwärtigt. 〈 Es ist 〉 zu unterscheiden: Bildvorstellung mit bewußter Bildlichkeit – durch Analogie, durch Bildobjekte, z. B. Gemälde, Büsten, Bilder der Phantasie, Nachbeschreibungen, aber nicht mit dem Bewußtsein des Selbst – und Phantasievorstellung als Selbstvergegenwärtigung, aber nicht durch Bilder (Erinnerungen). Dann wieder Unterschiede der Zeit. Wahrnehmungsvorstellung 〈 ist 〉 Selbstvergegenwärtigung im | Sinne des Jetzt, Erinnerungsvorstellung Selbstvergegenwärtigung im Sinne des Vergangen und Erinnerungsvorstellung mit unbestimmter Zeitlichkeit. Ist jenes Gegenbild von Wahrnehmung, jene Vergegenwärtigung, nicht etwa eine bloße Wahrnehmungsvorstellung? In ihr erscheint anschaulich ein Jetzt (aber das tut es auch in der Halluzination), und dieses „anschaulich erscheinende Jetzt“ wird Fundament eines repräsentativen Bewußtseins, genauer, es repräsentiert ein gewisses Jetzt, das Gegenstand des Glaubens ist. Wäre das aber nicht genau so, wie wenn mir ein Bild das Original vergegenwärtigt? Das Gemälde liefert eine Wahrnehmungsvorstellung, das Jetzt ist aber Repräsentant eines Nicht-Jetzt. Freilich, nicht jedes Gemälde repräsentiert eine Zeit, aber denken wir an Gemälde historischer Vorgänge: die Hinrichtung Karls II., die Erstürmung der Bastille u. dgl. Das ist doch keine Erinnerung. Aber freilich, hier haben wir eine bildliche Repräsentation, die Wahrnehmungsvorstellung liefert ein Analogon, ein als Bild Bewußtes. In der Erinnerung ist das nicht der Fall. „Das erleuchtete Theater“ – das will nicht ein mehr oder minder analogisches Bild sein, gemeint ist nicht 1
Vgl. zum Folgenden bis S. 184, § 28, S. 59. – Anm. d. Hrsg.
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B. Ergänzende Texte
etwas dem Ähnliches, dem ähnlich, was da erscheint, gemeint ist das Erscheinende selbst, das erscheinende Theater, das im Charakter des Jetzt erscheinende. Ist das Repräsentation, statt durch bloße Bildähnlichkeit, vielmehr durch Identität? – Repräsentation durch Identität: was soll das meinen?1
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Repräsentation durch Identität: Was soll das meinen? Der Gegenstand ist derselbe, es ist dasselbe erleuchtete Theater, das ich jetzt vergegenwärtigt habe, das Schloß zu Berlin selbst schwebt mir jetzt vor. Der erscheinende Gegenstand selbst ist gemeint, so wie er erscheint. Nur ist der Gegenstand nicht jetzt gegenwärtig, nicht wahrhaft selbst da, er ist vergegenwärtigt. Beim Theater: Es ist das Theater selbst, das mir vorschwebt, nicht ein bloßes Bild, d. h. im Grunde ein anderes Objekt, nur dem Gegenstand selbst, dem Theater, ähnlich. Aber es ist noch | ein Verschiedenes, das Theater sich anschaulich vorstellen und es für wirklich ansetzen, während man es „nicht wirklich sieht“, es nicht wirklich selbst gegenwärtig hat, – und sich an die gestrige Erleuchtung des Theaters erinnern2, sich an das Theater in dem und dem Zeitpunkt erinnern, so wie es damals, vorgestern, gesehen worden ist. Hier kommt es auf die Zeit an; Erinnerung im engeren Sinn. Natürlich handelt es sich nicht um eine objektive Zeitordnung, es genügt das „Vergangen“ und die vergegenwärtigende Erfassung der Zeit, so wie sie „in der damaligen Wahrnehmung empfunden wurde“. Die Identität des Gegenstandes kann von der Zeit absehen. In vielen Erinnerungen kann derselbe Gegenstand selbst gemeint sein, aber jede hat ihre Zeit, und der Gegenstand kann in dieser Zeit als Gegenstand dieser Zeit gemeint sein. Wie ist dieser Gegenstand phänomenologisch zu charakterisieren? Zu jedem Vorstellungsakt gehört hier eine „Erscheinung“. Sie konstituiert den Gegenstand. Und dieser kann ausschließlich gemeint 1
Der nachfolgende Teil der Aufzeichnung ist vermutlich um ein geringes später geschrieben als der vorangehende. – Anm. d. Hrsg. 2 a) Ohne Für-wirklich-halten: Phantasie; b) mit Für-wirklich-halten: Erinnerung; aber ohne Zeitbewußtsein oder Zeitbeachtung.
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sein. Die Erscheinung macht aber die Vorstellung nicht ganz aus. Zum Charakter, in dem die Vorstellung den Gegenstand umkleidet, zum Modus der Auffassung gehört der Unterschied von Wahrnehmung, Erinnerung, bloßer Phantasie. Die Wahrnehmung gibt das Jetzt, die Erinnerung das Vergangen. Achte ich auf den Gegenstand als wahrgenommenen, als solchen, der den Charakter des Jetzt hat, so habe ich den Gegenstand in der Zeitbestimmtheit gemeint. Achte ich bloß auf den Gegenstand, unangesehen der Zeitbestimmung, so ist diese irgendwie doch da, aber sie ist nicht gemeint, und der Gegenstand ist der identische, wie er in verschiedenen Zeiten gegeben sein kann. Das belief setzt ihn darum doch als seiend an. Einer Verbildlichung kann der Gegenstand dienen, aber auch die Zeitbestimmung. Wie nun mit der Erinnerung? Steckt in ihr ein Bildlichkeitsbewußtsein? Man könnte sagen: In der Wahrnehmung gibt sich der Gegenstand als selbst gegenwärtig, und nicht bloß als vergegenwärtigt. In der Erinnerung erscheint auch der Gegenstand selbst (sofern er nicht durch ein Bild indirekt analogisiert wird). Aber er gibt sich eben als „Erscheinung“ des Gegenstandes (Erschei- | nung in etwas anderm Sinn), als Vergegenwärtigung, es ist eine Repräsentation, aber durch Identität. Wie nun mit dem Zeitmoment? Gegeben war das Jetzt dieser Erscheinung in einer Wahrnehmung. Auch dieses Jetzt wird „repräsentiert“, auch dieses ist in die Repräsentation durch Identität hineinbezogen. Also der ganzen Wahrnehmung entspricht eine gewisse Modifikation, die „Repräsentation durch Identität“, die „Vergegenwärtigung“, „Reproduktion der Wahrnehmung“, die aber nicht Vorstellung der Wahrnehmung ist. Sollten wir da sagen: es sei eine Vorstellung der Wahrnehmung da, und darauf gründe sich die Vorstellung von einem mit 〈 dem 〉 ihren identischen Gegenstand? Aber das geht wohl nicht an. Was heißt Vorstellung der Wahrnehmung? Das wäre (wie jede andere anschauliche Vorstellung, etwa die des Theaters) eine Repräsentation durch Identität, ihr entspräche eine (sie wäre die Modifikation von einer) Wahrnehmung der Wahrnehmung. Es handelte sich um eine unnötige Komplikation und eine Zurückschiebung des
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Problems. Also jeder Wahrnehmung entspricht eine gewisse Modifikation, die Umwandlung in eine intuitive Selbstvorstellung. Zum selbst Vorgestellten gehört aber nicht bloß das Jetzt, sondern Gegenwart, Dauer, Aufeinanderfolge etc. Wie weiß ich aber von der Umwandlung der ursprünglichen Wahrnehmung in eine „Modifikation“? Durch Vergleich der Erinnerung (als dieser Modifikation) mit einer aktuellen Wahrnehmung? Schön. Wie nun aber mit der Erkenntnis, daß die Erinnerung, indem sie ein Jetzt vergegenwärtigt, indem sie anschaulich, und dabei nicht bloß indirekt bildlich, ein Gegenwärtig-gewesenes vorstellt, damit etwas vorstellt, das wahrgenommen gewesen ist? Traue ich der Erinnerung, dann bin ich sicher, daß die Erinnerung Vergegenwärtigung einer früheren Wahrnehmung ist. |
〈 II. Die Ausschaltung der objektiven Zeit, das Zeitobjekt, die Phänomenologie der Objektivierung und ihre Aporien 〉1 〈 Nr. 19 Der völlige Ausschluß aller Suppositionen in betreff einer objektiven Zeit 〉2
Das Erste bei einer phänomenologischen Analyse der Zeiterlebnisse ist der völlige Ausschluß aller Suppositionen in betreff einer objektiven Zeit. Objektiv gesprochen mag es sein, daß jedes Erlebnis seine Zeit, seine objektive Zeitstelle hat, wir können erwägen, wie die objektiv-zeitliche Ordnung dieser Erlebnisse, z. B. der Erlebnisse eines Wahrnehmungsaktes im Verhältnis zum Wahrnehmungsinhalt und -objekt, des Erinnerungserlebnisses und des Erinnerten usw. zu beurteilen ist. Aber in der Phänomenologie ist dafür nicht die Stelle, es sei denn, daß wir diese Phänomene des So-urteilens, des Als-so-erscheinens zu beschreiben und dann auszusagen haben, als etwas phänomenologisch Gegebenes, also Evidentes, daß die und die objektiven Zeitverhältnisse intendiert, in der Intention dieser und jener Zeitmeinungen gelegen sind. Die Sache liegt hier ähnlich wie bei einer Phänomenologie der Raum-Erlebnisse. Das neugeborene Kind, das keinen objektiven Raum kennt, wird doch wohl (wenigstens nehmen dies die meisten an) ein erfülltes Gesichtsfeld haben. Kann man nach der objektiven Raumlage dieses Gesichtsfeldes fragen? Hat das Gesichtsfeld den Charakter | einer Fläche, die ihre Stelle im objektiven Raum einnimmt? Und nehmen wir unser eigenes Gesichtsfeld, öffnen wir die Augen, so „sehen wir in den objektiven Raum hinein“, die Auffassung der empfunde1
Die von Husserl selbst datierten unter den hier wiedergegebenen Aufzeichnungen entstammen – seiner Angabe nach – sämtlich dem Jahre 1904 oder den ersten zwei Monaten des Jahres 1905. Nur wenige von den undatierten Aufzeichnungen dürften älter, kaum eine späteren Datums sein. – Anm. d. Hrsg. 2 1904.
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nen Gesichtsinhalte macht eine Raumerscheinung des und des Auffassungsinhaltes (Sinnes), und eine wechselnde Auffassung desselben Inhalts mag sehr verschiedene Raumanschauung ergeben. Reduzieren wir aber auf das „Gesichtsfeld“, schließen wir alles aus von Auffassungsmomenten und Sinn, was über das Empfinden hinausgeht, so resultiert etwas, was keine Fläche, kein Feld im objektiven Raum mehr ist. Ich meine, daß diese Reduktion evident möglich ist, und ebenso mit Evidenz möglich ist das Erfassen von „groben“ Verhältnissen in dieser reduzierten „Räumlichkeit“: Verhältnissen des „Nebeneinander“, des „Ineinander“ usw. Ebenso werden wir bei der Zeit nur das phänomenologisch Gegebene, also die Zeitauffassung (Auffassung als objektive Zeit) und das wirklich gegebene Zeitliche – d. i. nicht die objektive Zeit, sondern das adäquat in der Zeitanschauung Gegebene oder aus ihr zu Reduzierende – zu betrachten haben. Es ist gar nicht die Frage die nach dem „ursprünglich Räumlichen“, nach dem Material, aus dem die objektive Raumanschauung genetisch wird (der Streit zwischen Empirismus und Nativismus und die genetische Ursprungsfrage überhaupt geht den Phänomenologen nichts an), und ebenso ist nicht die Frage 〈 die 〉 nach dem „Ursprünglichen“, aus dem die objektive „Zeitanschauung“ entsteht. Sondern die phänomenologische Aufgabe ist 1) die Beschreibung des gegebenen naiven und wissenschaftlichen Zeitbewußtseins nach seinem Sinn (als was gilt uns die Zeit, als was geben sich zeitliche Verhältnisse, und welche Arten sind sinnvoll im Sinn der Zeitvorstellung, der Zeitanschauung gemeint?): also die Bedeutungsanalyse, die Analyse der „Materie“, des „Inhalts“ der Zeitvorstellung, und zwar nach den wesentlichen Typen, natürlich nicht nach jedem hervorzuhebenden Einzelfall; 2) 〈 die Beschreibung 〉 des gegebenen reellen Inhalts, mit den Scheidungen sinnlicher und Auffassungsinhalt. Dazu gehört aber 3) Herausstellung der besonderen Fälle, wo eventuell „adäquate Zeitanschauung“ gegeben ist, Herausstellung desjenigen | quasi-Zeitlichen (Dauer, Sukzession u. dgl.), das nicht transzendent und „objektiv“ gedeutet ist, über sich hinausrei-
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chend, das nichts in betreff einer „objektiven Zeit“ aussagt, sondern immanent gedeutet ist, nämlich einfach genommen, so wie es ist, und das eigentümliche Material ausmacht, das der objektiven Zeitdeutung als Auffassungsinhalt zugrunde liegt. Wie es entstanden ist, das geht uns nichts an. Freilich: Beim Raum kann jenes adaquät zu Gebende, auf das sich das Objektiv-Räumliche für die Anschauung reduziert, die Zusammenhänge der „Raumempfindung“, der „Lokalzeichen“, nicht als räumlich bezeichnet werden, die „ursprünglichen“ Ortserlebnisse sind nicht Orte im geometrischen, im naiv objektiv-räumlichen Sinn. Ebenso mit dem Zeitlichen, den „Temporalzeichen“. Was immer sie sein mögen, phänomenologisch sind sie das Erschaubare und wirklich Gegebene, und sie sind nicht objektiv-zeitlich. In der objektiven Zeit gibt es kein Jetzt, kein Vergangen usw. Doch ist noch zu beachten, daß diese Ausdrücke einerseits subjektiv gemeint sein können, die Relation zwischen erlebendem Subjekt und objektiver Zeit 〈 bedeutend 〉, und andererseits phänomenologisch, unter Abstraktion von der objektiven Zeit überhaupt und vom objektiven Subjekt überhaupt. Ebenso wie beim Raum. 〈 Nr. 20 Die Wahrnehmung der Sukzession setzt Sukzession der Wahrnehmung voraus 〉1
Das Vorstellen einer Relation setzt voraus das Vorstellen der Fundamente; das anschauliche Vorstellen einer Relation setzt voraus das anschauliche Vorstellen der Fundamente; das Wahrnehmen einer Relation setzt voraus das Wahrnehmen der Fundamente. In demselben Bewußtsein, in dem die Relation „zum Bewußtsein kommt“, müssen die Fundamente zum Bewußtsein kommen. Bedeutet „in demselben Bewußtsein“ hier „in demselben Momentanbewußtsein“, in demselben Zeitpunkt, gar mathematischen Zeitpunkt? Wenn nicht in demselben mathematischen Zeitpunkt, dann in einer Zeitstrecke (ob „klein“ 1
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oder „groß“ | macht prinzipiell keinen Unterschied, Klein und Groß sind ja relative Begriffe). Besagt „in demselben Zeitpunkt“ (in demselben Bewußtsein) in derselben Zeitstrecke derart, daß Relation (und Implikation) gleichzeitig sind mit den Fundamenten für jede noch so kleine Zeitstrecke und jeden mathematischen Zeitpunkt in der fraglichen Strecke? Natürlich, wenn die Relation uneigentlich vorgestellt wird, bedarf es auch nicht eigentlicher Vorstellung der Fundamente. Die Frage betrifft „Anschauung“ von Relationen, und vor allem die Fälle, wo wir Relationen so anschauen, daß wir sagen dürfen, und mit Evidenz sagen dürfen, sie sind (bestehen). Müssen im selben Zeitpunkt (in jedem), in dem die Relation so angeschaut ist, jeweils auch die Fundamente angeschaut, und ebenso angeschaut sein? In der Relation der Sukzession, des zeitlichen Abstandes: Wie da? Ein Bewußtsein: Ich sehe A und dann B und finde, B sei nach A und A war vor B. Natürlich, solange noch nicht B gegeben ist, kann ich den Abstand nicht sehen. Also erst im Zeitpunkt des B kann die Relation gesehen werden. Dann ist aber A vorausgesetztermaßen vergangen. Muß es dann noch intuitiv vorgestellt sein? Gewiß. Wie sollte die Relation intuitiv werden?1 Wie ist es aber mit der Wahrnehmung? Setzt die Wahrnehmung der Relation die Wahrnehmung der Fundamente voraus? „Ich nehme wahr“, daß der Ton B nach dem Ton A ist. Worin besteht die Relation? Besteht sie zwischen zwei Tönen, die beide wahrgenommen sind? Ist das möglich? Das Zusammen-wahrnehmen, ein Wahrnehmen, das beide wahrnimmt – notabene vorausgesetzt, daß unter Wahrnehmen das Als-gegenwärtig = jetzt-gegeben-erfassen verstanden wird –, würde beide als im selben Jetzt gegeben erscheinen lassen. Dann wäre sie eben gleichzeitig. 1
Die Form ist doch, das Anschaulichwerden in generellster Evidenz, durch die Unterlagen fundiert! Also das „Sein“ der Relation setzt Sein der Fundamente voraus: das Gegebensein der Relation das der Fundamente. Aber!
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Die Wahrnehmung einer Sukzession setzt also voraus, daß die Beziehungspunkte, die sie einigt, n i c h t im beziehenden Akte (genauer im voll | endeten Erlebnis der Wahrnehmung der Sukzession) beide „wahrgenommen“ sind (Wahrnehmung im Sinne der Jetzt-Wahrnehmung). Sie setzt andererseits voraus, daß beide eben nacheinander wahrgenommen sind: Die Wahrnehmung der Sukzession setzt Sukzession der Wahrnehmungen voraus.1 Woher diese Evidenz? Wahrnehmung der Sukzession impliziert ihrem Sinne nach nicht bloß den Glauben, daß B selbstgegenwärtig sei (jetzt da sei, im Wahrnehmungsakt nicht bloß gemeint, sondern eben selbst da sei), sondern auch den, daß das vorangegangene A selbstgegenwärtig gewesen, wahrgenommen worden sei. Aber nicht irgendwo und irgendwann einmal, und nicht irgendwem einmal; sondern: Ich meine, A wahrgenommen zu haben, und zwar vor B, und nicht bloß das, ich meine, A-vor-B wahrgenommen zu haben, und darin wieder liegt, daß ich in einem Bewußtsein A wahrnahm und daß ich, während ich es noch, in festgehaltener Intention, in primärer Erinnerung hatte, B wahrnahm, und nun in diesem einheitlichen Bewußtsein das B und die primäre Erinnerung von A einigte, des zeitlichen Verhältnisses von A und B inne wurde.2 Aber ist die Überzeugung, daß ich A wahrnahm, nicht in der frischen Erinnerung schon beschlossen? Sie bedeutet ja: „direktes“ – selbsterfassendes – Bewußtsein des Gegenwärtig1
Aber doch noch mehr. Wahrnehmung der Sukzession setzt gleichwohl, wie Wahrnehmung jeder Relation, Wahrnehmung der Fundamente voraus. Die Fundamente sind aber nicht A–B, sondern gewesenes A und jetziges B. Die Sukzession ist ein Zeitverhältnis. Wahrnehmung ist doppeldeutig: Hier hat sie den Sinn von Selbsterfassung. Das Gewesensein muß selbst-erfaßbar sein und -erfaßt, wenn ich wirklich Sukzession wahrnehme. 2 Indessen genauer: Ich meine nicht nur, ich nehme Sukzession als solche wahr, und somit muß ich nicht irgendwie meinen, A wahrgenommen zu haben, oder, was hier allein in Frage kommt, nicht nur meinen, daß A soeben selbst-dagewesen sei, sondern das unmittelbar „wahrnehmen“. Die „frische Erinnerung“ muß in diesem Akte den Charakter einer Wahrnehmung des „eben gewesen“ haben.
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gewesen-seins (und zwar des Eben-gegenwärtig-gewesen-seins: das „Eben“ weist auf eine gewisse intuitive Zeitstelle hin). Ich kann nun den eben wahrgenommenen Zeitverlauf, die eben erschaute Sukzession, reproduzieren, sei es durch Wiederholung einer ganz gleichen Sukzession in Wahrnehmung oder durch Reproduktion in der Erinnerung, also eine Erinnerungsvorstellung davon im gewöhnlichen Sinn, eine Bild-Erinnerung gewinnen. Während ich noch das Sukzessionsbewußt- | sein habe, d. h. während ich (frisch erinnernd) seine Intention festhalte, wiederhole ich „Wahrnehmung“ von A usw. Ebenso im Falle der Erinnerung: Ich stelle mir vor, daß ich wahrnehme usw., und die vorige Intention erfüllt sich, identifiziert sich in der neue Wahrnehmung gewährenden Wahrnehmung oder Erinnerung. Ich erschaue dabei wieder, daß solch eine Intention nur Erfüllung finden kann in einem solchen Prozeß, worin als Erstes die Wahrnehmung von A steht – das erste A setzt nämlich notwendig Wahrnehmung voraus als Erfüllendes –, dann Erhaltung der Intention und Eintritt von B. Ich sehe mit Evidenz, daß jener Endzustand nur möglich ist als Endzustand und daß ein zeitanschauender Zustand überhaupt nur möglich ist als gedehnter, daß ein Zeitpunkt-anschauender nur möglich ist im Zusammenhang und daß Bewußtsein einer Zeit selbst Zeit, Bewußtsein einer Dauer Dauer, Bewußtsein einer Sukzession Sukzession 〈 erfordert 〉. 〈 Nr. 21 Das Erkennen aufgrund der wiederholten Vergegenwärtigung einer selben Sukzession 〉1
Ich höre das Ticken der Taschenuhr: Tik – Tik – Tik – … Was finde ich hier vor? Was meine ich dabei zu erfassen? Es ist eine gegenständliche Auffassung; ich frage: Was für Auskünfte ergibt mir die Analyse des Sinnes dieser Auffassung und seine getreue Beschreibung? Ich frage nicht: Was ist in „objektiver Wirklichkeit“ gewesen, ich frage nicht nach wirklichen Vorkommnissen in der objektiven Zeit, d. h. hier, nicht nach 1
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wirklichen Vorkommnissen in einem individuellen Bewußtsein mit Bewußtseinserlebnissen, die in einer objektiven Zeit ablaufen und die ich nach den objektiven Verhältnissen in der objektiven Zeit bestimmen will. Ich befrage vielmehr das Erlebnis gegenständlicher Auffassung, als was es das Gegenständliche auffaßt, welche Gegenständlichkeiten und Verhältnisse zwischen ihnen es darin vorzustellen und zu erfassen meint. Die Antwort lautet: Das erste Tik T1 erscheint als selbstgegenwärtig, und zwar jetzt (j1), dann erscheint in gleicher | Weise T2, dann T3 usw. T2 erscheint also ebenfalls als selbst-da, als jetzt; aber sein Jetzt ist ein neues = j2 „Währenddem“ es als jetzt erscheint, erscheint T1 „nicht mehr“ als jetzt, sondern als „vorhin“, T1 erscheint als vergangen in Relation zum Jetzt des T2, sein Jetzt (j1) bedeutet nicht mehr „gegenwärtig“, sondern „gegenwärtig gewesen“. Aber während T1 wahrgenommen ist, erscheint T2 überhaupt nicht. Während T2 wahrgenommen ist (als „ jetzt“ seiend), ist T1 nicht ebenfalls wahrgenommen, wenn „wahrgenommen“ heißt „als jetzt-gegenwärtig erscheinen“. Vielmehr erscheint es als vorhin (in j1) wahrgenommen gewesen. Es erscheint also 1) T1 als vergangen, als „zeitlich zurückliegend“ gegenüber T 2, 2) und evident damit gegeben ist, wenn auch vielleicht 〈 nur 〉 durch Reflexion zu erfassen: Die Wahrnehmung von T1 ist gewesene Wahrnehmung, sie liegt zeitlich zurück gegenüber der T2-Wahrnehmung. Dabei wird die Wahrnehmung von T2 demselben Jetzt zugewiesen wie das wahrgenommene T2 usw. Dies setzt sich fort für die weiteren Glieder. T3 erscheint als gegenwärtig (j3), T2 erscheint „während“ dieser Erscheinung als zeitlich zurückliegend; als zurückliegend erscheint aber 〈 auch 〉 das ganze Verhältnis von T2 und T1 gegenüber dem von T3 T2, und es ordnet sich die Reihe: T1, vergangen gegenüber T2, vergangen gegenüber T3, und dieses Verhältnis gibt sich als Steigerungsverhältnis. Ich finde, daß dieser Prozeß nicht ins Unendliche fortgeht. Wenn die neuen T wahrgenommen werden, sind gleichzeitig noch die anderen T angeschaut, aber nicht beliebig viele, wenn auch die Uhr immerfort tickend erscheint, wenn ich auch sage:
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ich nehme sie fortdauernd als tickend wahr, so erstreckt sich die Einheit der Anschauung, in der wirklich vergangene T mit erscheinen, nicht sehr weit; während neue T auftreten, „verschwinden“ vergangene T aus der Anschauung, obschon ich „weiß“, daß denen, die da sind, andere vorangegangen sind: „längere Zeit hindurch“. Dieses Stück einer gegenständlichen Deskription mag genügen. Sie könnte noch weitergeführt werden. Betrachten wir nun die Erlebnisse, wie sie der Hinblick auf das phänomenologisch Gegebene kennen lehrt. Was ist hier | der Bereich der unmittelbaren Evidenz (oder Gegebenheit)? 1) Zunächst, in bezug auf jedes einzelne T haben wir phänomenologisch gegeben das „Als-Ticken-erscheinen“. Ein erlebter Empfindungsinhalt wird aufgefaßt als Ticken. 2) Ferner, mit Evidenz erfassen wir eine Folge von Erscheinungen. Wir erfassen wahrnehmend T1 als jetzt gegenwärtig, dann wahrnehmend T2 als jetzt, und in einem Bewußtsein damit, und zwar in einem intuitiven Bewußtsein1, erscheint auch als vorhin T1; wir haben die Evidenz, daß es ein Bewußtsein ist, das T2 als jetzt (j2) gegenwärtig wahrnimmt und im selben Jetzt das Gewesensein des T1 erschaut. Die Erschauung des T1 hat einen ähnlichen Charakter wie 〈 die 〉 des T2, und die Reflexion lehrt mit Evidenz, daß, wie das T1 als vergangen erscheint, so der Akt des T1, wenn wir auf ihn hinblicken, als vergangene Wahrnehmung erscheint. Freilich: Das erkennen wir aufgrund der wiederholten Vergegenwärtigung einer selben Sukzession. Wenn wir uns vorstellen (in der Phantasie, im Bilde) eine Sukzession und auf die Akte achten, die dieses Vorstellen ausmachen, so finden wir: die Vorstellung der Wahrnehmung in j2 des T2, in eins damit die Vorstellung der Wahrnehmung des T1 in j1. Und hierbei gilt von diesen vorgestellten Wahrnehmungen: In Relation zu der ersten erscheint die zweite als vergangene Wahrnehmung; nämlich mit dem Akte der vorgestellten „Wahrnehmung von T2“ eins ist ein Akt, der dasteht als „vergangene“ Wahrnehmung von T1. 1
Nachträglich merkte Husserl hierzu am Rand an: „(Da ist ein Haken)“. – Anm. d. Hrsg.
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Spätere Erinnerung Ein anderes Beispiel: Ich erinnere mich, wie zuerst der Personenzug in den Bahnhof einfuhr und sogleich darauf der Eilzug. Da habe ich: Erscheinung des einfahrenden Zuges A, dann Erscheinung des einfahrenden Zuges B; beide Vorgänge vermittelt durch andere Vorgänge (der Zwischenraum ist kurz), die nicht näher interessieren mögen. 1) Lebe ich ganz in den Vorgängen, so habe ich: „Der Zug | braust heran“. Ein schriller Pfiff ertönt. „Göttingen!“ (ruft der Schaffner) … Eins kommt nach dem anderen. Jede Phase hat ihr „ Jetzt“, jetzt das Brausen (in seinen sukzedierenden Phasen), jetzt der Pfiff, ansteigend und abklingend, jetzt der Ruf des Schaffners usw. 2) Ich lebe im Gegenstandsbewußtsein, ich kann aber auch auf das Subjektive, auf die Erscheinung achten, auf „Erlebnisse“. Und da haben diese Akte und ihre Inhalte dieselbe zeitliche Sukzesssion wie die Objekte. Ich habe dann Erscheinungen von Wahrnehmungen, zuerst der Wahrnehmung der heranbrausenden Lokomotive, dann der Wahrnehmung der aussteigenden Leute, dann etc. 3) Endlich kann ich achten auf die Akte, in denen 〈 ich 〉 all das jetzt finde, und die sind alle „gegenwärtig“ und haben eine ganz andere Zeitbestimmung wie die bisher erwähnten. Also die Erinnerungsakte. Vorgang – „der Zug braust heran“. Bewußtsein vom Vorgang, Erscheinung desselben, Wahrnehmung desselben. Jetzige Erinnerung an den Vorgang: Ich erinnere mich, daß der Zug heranbrauste. Jetzt die Erinnerung – damals das Heranbrausen des Zuges. Jetzige Vergegenwärtigung des damaligen Bewußtseins, und zwar als meines Bewußtseins: damals hatte ich die Wahrnehmung.
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〈 Nr. 22 〉 Ist (oder wie ist) adäquate Erinnerung möglich?1
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Erfüllung fordert jede Erinnerung, und sie kann sie nur finden in einer Wahrnehmung, in welcher das Erinnerte wiederum gegenwärtig würde, aber so, daß es dann in „frische“ Erinnerung überginge, und so fort bis zur Wahrnehmung des jetzigen Jetzt. Deutlicher: Ich müßte in einem kontinuierlichen Wahrnehmen und in einem kontinuierlichen Bewußtsein des Zeitverlaufs den ganzen Inhalt der Zeit von damals bis jetzt noch einmal erleben, oder vielmehr adäquat erleben, und zwar im adäquaten Zeitbewußtsein. Da ist aber wieder die Frage: Woher bist du so weise? Woher | weißt du von dieser Erfüllung, die ja nie möglich ist? Soviel kann ich wohl ehrlich sagen: Die Erinnerung weist immer weiter. Die unanschauliche Erinnerung weist hin auf anschauliche, die sie erfüllt, und die anschauliche enthält qua Zeit noch immer unerfüllte Intentionen nach Richtung der Zukunft; diese werden erfüllt, indem der weitere Zeitverlauf anschaulich „wiedervergegenwärtigt“ wird, bis zum aktuellen Jetzt. Wenn ein der Erinnerung entsprechender Zeitverlauf, wenn der frühere Vorgang, das früher dauernde Sein usw. sich „erneuert“, d. h. ein neuer, aber inhaltlich und nach allen Zeitverhältnissen gleicher Vorgang in die Wahrnehmung tritt, so sagen wir: Genau dasselbe kehrt wieder wie das, was früher gegenwärtig war, ich sehe jetzt „genau dasselbe“, was ich früher gesehen hatte. Aber eins fehlt: die Identität der Individualität. Der zeitliche Zusammenhang ist ein neuer. Die jetzige Wahrnehmung folgt auf etwas ganz anderes wie die frühere, subjektiv, als Akt, gegenständlich, nach dem wahrgenommenen Gehalt. Jedes Wahrgenommene ist ein Folgendes, und notwendig, so wie es ein Folgendes hat, und wieder notwendig. Jede Erinnerung hat auch Intentionen, die zurückweisen auf ferner vergangene Erinnerungen: oder es gibt Intentionen, die in ihr zeitliche Erfüllung finden. Würde sich alles erneuern, so müßte 1
Selbstgespräch 1904 Große Ferien.
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alle Zeit noch einmal real werden … Hier sind Unmöglichkeiten. Und wie erfüllt sich die Erinnerung in der Fortführung zum Jetzt? Das ist auch nicht so leicht, Alter! Jetzt präsent ist die „Präsenzzeit“1, die von Moment zu Moment sich inhaltlich verändert (dem Inhaltlichen nach). Indessen läuft die intuitive Erinnerung ab, bis sie herankommt an das jüngst Vergangene (aber nicht mehr Präsente), das zuletzt wiedererinnert wird und anschaulich wird; und daran schließt sich das, was die Präsenzzeit (eine gewisse Präsenzzeit) aktuell bietet. Aber ist das wieder möglich? Kostet die Erinnerung nicht Zeit, und kann die Zeit des Ablaufs der Erinnerungen die aktuelle Zeit einholen? Jetzt ist A wahrgenommen, daran knüpft sich B … Bei B fange die Erinnerung E an. Nun, dann habe ich AB(E1E2 … CD … | Wenn Eκ etwa bei A angekommen ist (das A vorstellt), ist inzwischen immer Neues eingetreten, es müßte dann doch Eπ anfangen, E1 E2 … vorzustellen, und so kämen wir nie zu einem Ende. Nun kämen die Erinnerungen der Erinnerungen, dann wieder die Erinnerungen von den Erinnerungen von den Erinnerungen usw. Also es ist klar, eine wirkliche Reproduktion des Gesamtverlaufs des Bewußtseins bis zu einem aktuellen Jetzt ist unmöglich. Interessant. Nicht wahr. Aber nichts wie Verlegenheiten. Aber wenn ich auch nicht den Gesamtinhalt des Bewußtseins erneuern kann, kann ich nicht vielleicht eine Linie verfolgen, herausgegriffen aus dem breiten Strom der Zeit und der sukzedierenden Wahrnehmungen? Z. B. in der „äußeren“ Wahrnehmung. Ich verfolge, was ich Schritt für Schritt wahrgenommen habe, bis zum Jetzt, und hier besteht doch Kontinuität. Freilich, vorausgesetzt ist dabei, daß die Erinnerung die Wahrnehmung einholen kann, d. i. also einen Vorgang, der 1
Die Anführung dieses Stern’schen Begriffs läßt die Vermutung zu, die vorliegende Aufzeichnung sei genauer auf frühestens September 1904 zu datieren; vgl. Nr. 29, S. 217, Anm. 1 [S. 244, Anm. 1], und S. 218, Anm. 1 [S. 244, Anm. 2]. – Anm. d. Hrsg.
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seiner Zeit nach dem eben erlebten Zeitabstand A–B, überhaupt einem aktuell durcherlebten, gleich ist, in einer Erinnerung wieder anschauen kann, deren Zeitgröße kleiner ist. Eine gewisse Objektivierung der Zeit ist da vorausgesetzt. Ich muß schon sagen können, die eine Zeit sei gleich oder gar sei nur ein Teil der anderen. Nun gut, gesetzt, es gebe Zeitgrößen, es sei Objektivierung berechtigt (wie ich solche subjektiv ja beständig beurteile); so müßte die objektive Zeitgröße der Erinnerung kleiner sein wie die Zeitgröße des Erinnerten. Es könnten dann aber noch alle Verhältnisse erhalten bleiben. Das ginge. Ein absolut vollkommenes Bild ist also nicht möglich, aber ein nach Inhalt und Verhältnissen vollkommenes. Ganz unbedenklich ist es nicht, ob das wirklich mehr ist als Fiktion. Z. B. Erinnerung einer Melodie. Kann ich sie, wenn ich sie wirklich gleich vorstellen will, zeitlich verkürzen? Ändert sich nicht der ganze Eindruck, wenn ich schneller innerlich singe? Kann ich sie in ihrem Tempo anschaulich vorstellen (also nicht als schneller vorstellen), und doch zeitlich absolut gesprochen schneller? Man könnte ja sagen: Wenn ich sie in Gedanken rase, so stelle ich sie als rasend vor. Eine in langsamem Tempo ablaufende Melodie schnell vorstellen heißt nicht, eine schnelle Melodie vorstellen. Aber ist das intuitiv wirklich möglich, in der Weise vollkommener Bildlichkeit? | 〈 Nr. 23 〉 Einheit der Zeit und ihre Unendlichkeit
Die erste impressionale Erinnerung. Die mit einer impressionalen Erinnerung sich identifizierend-deckende Wiedererinnerung. Das modifizierte 〈 Bewußtsein 〉 vom Jetzt (das primäre impressionale Vergangenheitsbewußtsein) und das reproduzierte und vorgestellte Jetzt. Es ist zu unterscheiden: das herabgesunkene (welches in der Regel nicht gemeint, nicht beachtet ist, aber auch beachtet werden kann) und das zugleich sich zugesellende reproduzierte Jetzt, das „noch einmal anfängt“, noch einmal abläuft, aber in der „Phantasie“ (in der „Reproduktion“), und zwar so, daß es
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1) den Charakter der Erinnerung hat und 2) den der Identität mit dem noch festgehaltenen Herabgesunkenen. Zum Wesen der phänomenologischen Sachlage gehört, daß jedes „Vergangen“ reproduktiv in ein reproduktives „ Jetzt“ verwandelt werden kann, das selbst wieder ein Vergangen hat. Und das ist das phänomenologische Fundament aller Zeitgesetze. Aber kann es nicht ein letztes Jetzt geben, das kein Vergangen hinter sich hat? Es ist eine Evidenz, daß kein Zeitpunkt der erste ist. Heißt das bloß, daß zu jedem Jetzt der idealen Möglichkeit nach ein früheres solches gehören kann? Aber dann könnte de facto eine leere Zeit sein. 〈 Nr. 24 〉 Wahrnehmung eines individuellen (zeitlichen) Objekts 〈 Finden wir in einer Phase der Wahrnehmung des Zeitlichen die Wahrnehmungserscheinungen der früheren Phasen? 〉1
Die früheren Wahrnehmungen verschwinden nicht sogleich. Neue Wahrnehmungen gliedern sich an mit neuen „ Jetzt“, und dadurch erscheint die frühere Wahrnehmung zurückgeschoben und sich kontinuierlich immer weiter zurückschiebend. Das neue Jetzt steht immer im Vordergrund der Aufmerksamkeit und gibt den Beziehungspunkt ab, nach dem die zeitlichen Verhältnisse beurteilt werden. Alles eben Vergangene wird vom Standpunkt des Jetzt geschaut. Also wir erleben dabei einen besonderen Prozeß, einen Vor- | gang. Eine Melodie läuft ab. Das ist ein Vorgang. Aber auch der Bewußtseinsverlauf selbst ist ein Prozeß, wir können ihn selbst „wahrnehmen“, wir können auf seine von Moment zu Moment sich verändernden Phasen achten. Nehmen wir an, die Melodie A B C D laufe ab. Also zunächst erscheint A (Wahrnehmung). Dann erscheint B, es ist jetzt (aktuell jetzt), während A nicht mehr aktuell jetzt erscheint, vielmehr als verklungen erscheint (sein Jetzt zurückgeschoben), usw. 1
September 1904.
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A A' B A' B' C A'' B" C' D
Woher weiß ich das? 1, 2, 3, 4 – das sind vier aufeinander folgende Phasen des Bewußtseins. Was da angeschrieben worden, ist das Erscheinen der objektiven Zeitlichkeit, das Erscheinen des A, des darauf folgenden B in seiner Aufeinanderfolge etc. Die Aussagen für diese vier Bewußtseinszeitpunkte: 1) Jetzt ist A, 2) Jetzt ist B, und A ist eben vergangen usw. Diesen Aussagen entsprechen Objektivitäten zeitlicher Art. Und wieder entsprechen ihnen Erlebnisse, in denen diese erscheinen. Halten wir uns an das Gegenständliche (von den Erlebnissen absehend). Wie sieht die Erinnerung aus, in der wir uns diesen Prozeß vergegenwärtigen, durch den wir von ihm wissen? Wir haben etwa an die ersten Takte der Melodie gedacht, sie uns vorgesungen und sie dann wiederholt in der Erinnerung wiedervergegenwärtigt. In der Erinnerung haben wir dann offenbar denselben Prozeß, nur daß wir uns „dachten“, A sei wahrgenommen etc. Wir haben in der reproduktiven Vorstellung die Sukzession der Wahrnehmungen des AB …, oder wir haben die Takte, ev. in wiederholter Wahrnehmung von Vorgesungenem, wir haben dabei auf einzelne Schritte geachtet und suchten zu erforschen, was sie der Aussage darbieten. Festhalten läßt sich keine Phase. Sie läßt sich nur immer wieder neu erzeugen. Ein Querschnitt des sich abschattenden Zeitbewußtseins (bzw. ebenso der zeitlichen Objektivität) ist nichts für sich Re- | produzierbares, nichts für sich dauernd Vorstellbares (Reproduzierbares). Nur eine Strecke des Prozesses kann, und zwar wieder als Prozeß ablaufend, in der Phantasie Objekt der Anschauung werden. Eine Phase 〈 kann 〉 nur im Fluge, d. h. im ablaufenden Prozeß, auf seinem Grunde, herausgeschaut werden. Wie steht es nun, wenn wir einen Zeitabfluß reproduzieren, wenn wir einen Zeitabfluß phantasieren? Finden wir in einer Phase des Phantasierens die Phantasievorstellungen der vorigen?
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Genau ebenso können wir aber auch fragen für den Fall der Wahrnehmung eines zeitlichen (individuellen) Objekts: Finden wir in einer Phase des Zeitlichen die Wahrnehmungserscheinungen der früheren Phasen? Beiderseits scheint nur eine Antwort möglich: Davon ist nichts zu finden. Zunächst wird man sagen: In sehr vielen Fällen ist sicher nichts davon zu befinden. Allerdings in manchen Fällen, bei schnellem Tempo, ist man schwankend, und um so zweifelhafter, je mehr man die Sache ansieht. Zunächst wird man Partei ergreifen für aktuelle Wahrnehmung bzw. Phantasie. Aber näher überlegt: Nehmen wir beim Auftreten des neuen Tones den alten noch wahr? Natürlich ist ein Einheitsbewußtsein des ganzen Taktes, der sich über mehrere Töne erstreckt, vorhanden. Und natürlich sind einheitlich diese Töne wahrgenommen, der ganze Takt ist wahrgenommen. Aber in betreff der Bewußtseinseinheit, die zum Takte gehört, ist zu sagen: Es ist ein einheitliches Bewußtsein, das sich im Wahrnehmen schrittweise aufbaut und in fortschreitendem Wahrnehmen an Inhalt zunimmt. Es vollendet sich im letzten Schritte. Das Bewußtsein, das als einheitliches zum letzten Schritte gehört, kann seinem Wesen nach nur als so sich aufbauendes sein, so muß es erwachsen sein, es ist, was es ist, nur durch Festhaltung der Intentionen bzw. aufgrund dieser, die zu den früheren gehören. Ferner: So wenig der letzte Stein den Bau ausmacht, vielmehr ihn nur vollendet, so wenig macht die letzte Wahrnehmungsphase die gesamte Wahrnehmung des Taktes, der Melodie 〈 aus 〉. Die letzte Phase ist im eigentlichen Sinn nicht die Wahrnehmung des Taktes, sondern eben seine Vollendung, und es ist ein Unselbständiges. Aber eine Wahrnehmung ist kein Unselbständiges, sondern ein konkretes Erlebnis. Das Gleichnis | mit dem Bau paßt nicht, insofern im vollendeten Bau jeder Stein erhalten bleibt. Anders hier. Die Wahrnehmung des Taktes ist eine zeitliche Einheit, und zwar eine zeitverteilte. Die Wahrnehmung der früheren Phasen ist in ihr enthalten, aber in der Weise, wie eben in einer zeitlichen Erstreckungseinheit etwas erhalten ist. Usw.
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〈 Nr. 25 〉 Adäquate Erinnerung. Frühere Wahrnehmung – Wahrnehmung der Vergangenheit. Versuch (Aporie) 〈 Warum ist die frische Erinnerung nicht einfach die fortdauernde ursprüngliche Wahrnehmung? 〉1
Adäquate Erinnerung. Frühere Wahrnehmung
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Ich habe jetzt eine adäquate Erinnerung, d. i., sieht man, eine Anschauung von dem vorher Wahrgenommenen. Ich weiß von der Identität dieser zwei zeitlich getrennten Akte; woher? Nun, ich ordne zeitlich die Sachen vermöge der Phasen der Erinnerung (wir fingieren eine direkt-intuitive Zeitauffassung). Ich schaue also die Zeitordnung der Sachen an, die ursprüngliche. (Nach dieser Ordnung orientiere ich die indirekte Zeitvorstellung.) Ich ordne auch die Akte zeitlich und finde da, daß ich, eine Sache 〈 als 〉 selbstgegenwärtig seiend erschauend, sage, sie sei jetzt und die Wahrnehmung habe dasselbe Jetzt. In der Erinnerung nehme ich wahr: das Selbstgegenwärtig-gewesen. Aber das als Selbstgegenwärtig-gewesen Anschauen ist jetzt, ist selbstgegenwärtig vermöge der Wahrnehmung der Erinnerung. Also habe ich A-gegenwärtig-gewesen (vergangene Gegenwart); Akt der Erfassung des gegenwärtig Gewesenen als gegenwärtig seiend in der vergangenen Gegenwart. Erinnerung an A; jetzige Gegenwart. | Also in der Erinnerung stehen wir im Jetzt, im Gegenstand der Erinnerung stehen wir im vergangenen Jetzt; und ebenso 1
Nr. 25, 26 und 27 sind Aufzeichnungen einer Reihe von Blättern, die Husserl wohl 1904 zusammengestellt hat; das letzte der wiedergegebenen erhaltenen Blätter aus dieser Reihe – siehe Nr. 27, S. 211, Anm. 2 [S. 237, Anm. 1] – hat er selbst auf „1904“ datiert; dieser Umstand allein schließt freilich ein früheres Entstehen der Aufzeichnungen des einen oder anderen Blattes nicht aus. Die Aufzeichnungen sind hier in der Folge der den Blättern von Husserl gegebenen Anordnung wiedergegeben. Auf dem ersten – hier in Nr. 25 wiedergegebenen – der erhaltenen Blätter hat Husserl – wahrscheinlich später, d. h. nach 1904 – notiert; „Die folgenden Blätter für Aporien, aber nur dafür durchzusehen“. – Anm. d. Hrsg.
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im vorangegangenen Akt der Jetzterfassung des vergangenen Gegenstandes. …1 Wahrnehmung der Vergangenheit. Versuch (Aporie)2 Warum ist die frische Erinnerung nicht einfach die forterhaltene ursprüngliche Wahrnehmung? Was sie von der späteren, von der jetzigen Wahrnehmung unterscheidet? Nun, sie setzt als ein Jetzt ein. Jede spätere hat ein anderes Jetzt. D. h. der Wahrnehmungscharakter differenziert sich, und jeder Differenz entspricht ein Jetzt. So wird jedes Jetzt selbst zurückgeschoben, und das neue ist bevorzugt, gibt den Bezugspunkt der Auffassung des Ganzen ab. Woher wissen wir denn, daß wir ein dauerndes Bewußtsein vom früheren Jetzt haben? Bewußtsein von Dauer: Der Inhalt wird dauernd wahrgenommen, aber nicht bloß so allgemein gesprochen, sondern die Wahrnehmung nimmt kontinuierlich einen neuen Charakter an, während die Wahrnehmung mit dem alten Charakter sich noch forterhält, also besser: Kontinuierlich kommen neue Wahrnehmungen, während die alten erhalten bleiben. Vom früheren Jetzt haben wir natürlich in diesem Sinn kein Bewußtsein seiner Dauer, von der Fortexistenz der Wahrnehmung haben wir aber, in der wahrnehmenden Reflexion auf sie, das Dauerbewußtsein, und können es jederzeit haben. Es muß also eigens untersucht werden, ob nicht einfach Wahrnehmung statthat, oder ob es durchaus nötig ist, Repräsentation oder gar Bildbewußtsein … anzunehmen. Nun aber entsteht auch hier das Problem3: Ich sage, die Wahrnehmung mit ihrem Jetzt habe angedauert. (Objektiv 1
Den hier abbrechenden Text hat Husserl von „Nun, ich ordne zeitlich die Sachen …“ an später gestrichen und mit der Randbemerkung versehen: „Lücke“. – Anm. d. Hrsg. 2 Spätere Randbemerkung Husserls: „Der Widerspruch doch aller inneren Erfahrung!“ – Anm. d. Hrsg. 3 Vgl. die fast wörtliche Wiederaufnahme dieses Problems in Nr. 43, S. 294 f. – Anm. d. Hrsg.
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B. Ergänzende Texte
ge | sprochen:) Gibt es davon eine Evidenz, wäre es nicht möglich, daß ich jetzt das Bewußtsein hätte, A wäre gewesen (in der Weise unmittelbarer Erinnerung), während in Wahrheit A gar nicht gewesen ist (keine vorangegangene Wahrnehmung), oder daß ich jetzt „die frische Erinnerung“ hätte und doch vorher keine Wahrnehmung? Nun könnte man sagen: „Ich habe die Evidenz, daß ich die Wahrnehmung A gehabt habe“, ist identisch dasselbe wie: Ich habe die primäre Erinnerung. Aber die Erinnerung ist Wahrnehmung A mit dem damaligen Jetzt; daß die Wahrnehmung selbst eine damalige ist und daß sie den Charakter jenes Jetzt hat, wie erklärt sich das? Oder vielmehr so: Die jetzige Erinnerung ist eben ein Jetzt, d. h. ich erfasse den Akt 〈 der Erfassung 〉 des Damals-gewesen als ein Jetzt: ich nehme ihn eben jetzt wahr. Nun soll aber dieser Akt die verbleibende damalige Wahrnehmung sein? Mit ihrem Jetzt? Das ist doch nicht möglich, da dann im Jetzt die damalige Wahrnehmung wäre und alle früheren Wahrnehmungen gleichzeitig (die ganze Erinnerungsreihe ist in der Tat ein Jetzt). Also das erledigt die Aporie.1 In der Erinnerung „erscheint“ die frühere Wahrnehmung. Nicht diese selbst verbleibt, sondern es schließt sich an sie eben eine „Erinnerung“ an, diese ist ein Gegenbild der früheren Wahrnehmung. Ist die Erinnerung etwa eine Bildvorstellung von der Wahrnehmung? Derart aber, daß die Erinnerung den erinnerten Inhalt vorstellt als Gegenstand der von ihr abgebildeten Wahrnehmung? Dann hätte die Erinnerungsvorstellung zwei Gegenstände: 1) die frühere Wahrnehmung, 2) deren Gegenstand; aber hat diese Hypothese etwas für sich? – Einfacher ist: bloße Umwendung der Wahrnehmung in eine entsprechende Erinnerungs-(Bild-)Vorstellung. Aber woher der Zusammenhang, daß Erinnerung an A äquivalent ist mit dem 1
Später hat Husserl ans Ende dieses Satzes ein Fragezeichen gesetzt und dazu geschrieben: „Nein“, den restlichen Teil der Aufzeichnung eingeklammert und auf die in Nr. 26 wiedergegebene Aufzeichnung verwiesen. – Anm. d. Hrsg.
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Bewußtsein, daß ich A früher wahrgenommen habe? Gesetzt, jede Wahrnehmung sei zugleich wahrgenommen „im inneren Bewußtsein“, so würde auch diese Wahrnehmung der Wahr- | nehmung dem Gesetz aller Wahrnehmung entsprechen müssen, also nicht nur die Wahrnehmung würde sich verwandeln in Erinnerung, sondern auch das innere Bewußtsein, dieses 〈 Erinnerung 〉 aber wieder, und so hätten wir unendliche Verwicklungen (zugleich ein Einwand gegen die Möglichkeit des Brentano’schen inneren Bewußtseins!). Oder muß man sagen, auch die Erinnerung erinnere primär das erinnerte Objekt, „nebenbei“ aber sei sie Erinnerung der früheren Wahrnehmung?1 Ja: Die innere Wahrnehmung erfaßt „nebenbei sich selbst“, und primär wird der Gegenstand derselben erfaßt. Nun schließt sich daran Erinnerung als Modifikation. Das Selbsterfassen in der Wahrnehmung geht über in das Erinnern an dieses selbe „Selbst“, d. i. an die Wahrnehmung, und zugleich geht die Wahrnehmung des Inhalts über in Erinnerung des Inhalts. Das würde Brentano antworten müssen, und das würde ihm wirklich schön helfen. 〈 Nr. 26 〉 Zur Hypothese: daß die Wahrnehmungen „Zeitbestimmtheit“ als je w e i l ige s Jetzt, das sich aber beständig verändert, einschließen und daß die primäre Erinnerung die Bedeutung des Verbleibens dieser Wahrnehmungen hat2
Hören wir die Sukzession a b c … m, so würden die Wahrnehmungen von den a b … die früheren Wahrnehmungen, noch im Bewußtsein sein, wenn m wahrgenommen wird; im Zeitpunkt tm würden wir zugleich Wa(a) Wb(b) … Wm(m) haben, also a b … m zugleich wahrnehmen, sie erschienen also als gleichzeitig. 1
Auch der nachfolgende Text ist ein späterer Zusatz Husserls, doch offenbar früher angebracht als das S. 203, Anm. 1 Verzeichnete. – Anm. d. Hrsg. 2 Vgl. Nr. 25, S. 201, Anm. 1 und S. 203, Anm. 1. – Anm. d. Hrsg.
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B. Ergänzende Texte
Darauf ließe sich aber entgegnen: Was heißt da, a b … m zugleich wahrnehmen? Das heißt, eine Wahrnehmung hat die Linie der a b … m so umfaßt, daß sie ihnen denselben Jetztcharakter verleiht, also eine Wahrnehmung, die, wenn sie ihr Jetzt als π ausgibt, sich fassen läßt als Wπ (a), Wπ (b), …, die alle dasselbe π haben. Das ist aber hier nicht der Fall. Wir haben zwar zugleich die Wahrnehmungen WaWb … Wm, d. h. eine Wahrnehmung ist möglich, welche in der Weise Wπ (Wa … Wm) den Wahrnehmungen die | selbe Zeit zuerteilt (nämlich ihre Zeit π); aber jede der W teilt eine andere Zeit zu, die a b … m erscheinen zugleich, aber als verschiedenzeitig, das m als jetzt, das 1 als vorher, das b noch vorher usw. Jedes hat eine andere Gegenwart. Und die frühere Gegenwart heißt „Vergangenheit“ in Relation zu der späteren. „Ich nehme jetzt a wahr“, das heißt: Ich habe eine Wahrnehmung, in der das wahrgenommene a als Jetzt dasteht, als „ Jetzt“, d. h. als Endglied (oberstes Glied) der lebendigen Zeitreihe. Somit heißt „Ich nehme jetzt wahr“ nicht soviel wie: „Ich habe eine Wahrnehmung der früheren Endglieder, oder ich habe eine Wahrnehmung eines Nicht-Jetzt, eines a, das noch andere nach sich hat“. Wieder wird man einwenden: Die Wahrnehmung des a dauert? Dann muß doch auch a dauern, fortdauernd a wahrnehmen heißt, a als dauernd wahrnehmen. Wie soll die Wahrnehmung a dauern, während a vergeht und nun schon dahin ist? Antwort ebenso: Die Wahrnehmung des a dauert fort, das kann heißen: Das Erlebnis der Wahrnehmung erhält sich kontinuierlich (ohne wesentliche Inhaltsänderung). A dauernd wahrnehmen heißt aber normalerweise: daß a dauere und in dieser Dauer gegenwärtig sei, d. h. daß fortdauernd a als Jetzt, im obersten Zeitpunkt erscheine, während zugleich frühere Jetzt im Bewußtsein verblieben sind. Die Wahrnehmung des a vom Zeitpunkt t dauert fort: solange sie dauert, erscheint a als in der Zeit t seiend. An die Wahrnehmung a schließen sich mitunter neue und neue Wahrnehmungen mit neuen und neuen t, und immerfort Wahrnehmungen
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des Inhalts a. Reichen diese t bis zum aktuellen Jetzt, dem merkwürdigen Gipfelpunkt der Zeitreihe, so haben wir eine Dauerwahrnehmung, die zugleich Wahrnehmung der Dauer ist. Ist das nicht der Fall, reichen sie bloß von t0 – t1, und nicht bis in das aktuelle Jetzt, so haben wir aufgrund der verbleibenden Wahrnehmungen ein aktuelles Bewußtsein der eben vergangenen Dauerwahrnehmung. Wahrnehmung eines dauernden a erfolgt nicht in einer dauernden (unverändert bleibenden) Wahrnehmung, vielmehr in einer sich beständig ändernden Wahrnehmung, einer solchen, die immerfort ein neues Jetzt zeugt, das aber immerfort das höchste | der aktuellen Zeit ist. Weil das Jetzt im prägnanten Sinn ein beweglicher Punkt ist, ist die Wahrnehmung des jetzt Seienden ein sich Veränderndes, auch wenn das Wahrgenommene „unveränderlich“ bleibt.1 Beziehen wir das Wort Wahrnehmung auf einen Akt, der ein jetzt Gegenwärtiges erfaßt, „jetzt“ im Sinne des Gipfelpunktes der jeweiligen Zeitreihe, so heißt „Die Wahrnehmung des a dauert“ soviel wie: Derselbe Gegenstand ist immerfort im Jetzt, er war soeben und ist noch jetzt. Und die Wahrnehmung hört auf, heißt: Jetzt ist er nicht mehr. Während die Wahrnehmung aufgehört hat, sofern das a nicht mehr Gegenstand einer Jetztwahrnehmung ist, bleibt doch die frühere Wahrnehmung mit ihrem „ Jetzt“, das aber nicht mehr der oberste Punkt ist, im Bewußtsein, und die Änderung, die es erfährt, beruht auf der Fortschiebung des Jetzt, das immerfort Beziehungspunkt der Zeitauffassung bleibt. Wie steht es nun mit der Äquivalenz: frische Erinnerung = Eben-wahrgenommen-haben, im Falle der Hypothese verbleibender Wahrnehmung? Ich habe jetzt die Wt(a). Das gibt: a war zur Zeit t, und das nehme ich wahr. Ja, aber die „zurückgebliebene“ Wahrnehmung ist doch jetzt da, sie ist selbst ein jetzt Seiendes. Andererseits soll sie „zurückgeblieben“ sein, sie soll in gewissem Sinne „fortgedauert“ haben. Fällt das ins Bewußtsein? Gewiß. 1
Der ganze vorstehende Absatz ist im Manuskript unterstrichen und am Rand doppelt angestrichen. – Anm. d. Hrsg.
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B. Ergänzende Texte
Aber in welcher Weise? Das ist die Frage. Die Wt schiebt sich zurück, indem immer neue Zeitelemente auftreten, immer neue Wahrnehmungen und neue Sukzessionen, Dauern etc. „Sie“ schiebt sich zurück, sie ist dauernd bewußt: Vergleiche ich das Wt mit der Wahrnehmung einer daran sich schließenden Dauer Wt1 (zuerst a, dann b dauernd), so finde ich, daß die „Erinnerung“ an a und an sein Dauern durch t fortdauernd vorhanden ist, während der Dauer von b (wir bewegen uns innerhalb der primären intuitiven Zeit). Was heißt das: „die Erinnerung“ an die Dauer von a? Heißt es, die Wahrnehmung des a t0–t1 sei im Bewußtsein dauernd vorhanden, und wir hätten davon dauernd ein Bewußtsein, während b abläuft? Wie soll das verstanden werden? | Genügt dies: Die Wt 0–t1 (die Wahrnehmung von a in ihrer Zeiterstreckung, oder vielmehr das selbst uns erscheinende a in seiner Zeiterstreckung) ist noch bewußt, während ich die neuen Inhalte wahrnehme und wieder neue wahrnehme? D. h.: Das a ist erschaut als gewesen, als so und so lange dauernd gewesen im Vergleich mit den b und c … Aber das W(a) ist gleichzeitig mit den W(b) W(c). Oder vielmehr: Das W(a) dehnt sich durch diese ganze Zeit, und dieses gedehnte W ist gleichzeitig nach seinen entsprechenden Partien mit den entsprechenden von b und c. Was heißt das – „dehnt sich“? 〈 Die Wahrnehmung 〉 hat eben selbst eine Dauer und kann in ihrer Dauer wahrgenommen werden. Aber diese Dauer ist nicht Dauer des a, sie verleiht dem a keine neue Zeit, sie verleiht nur dem W(a) Zeit und Dauer. Wie kommt es zum Wissen des Wahrgenommenhabens? Woher das Recht, nachträglich so etwas zu sagen? Woher weiß ich, daß „vorhin“ das t ein Jetzt war, höchste Zeitbestimmung? Sollen wir nicht vielmehr so beschreiben?: Die Zeitbestimmung des Jetzt, der ersten und unmodifizierten Zeit, ist ein eigentümlicher Charakter, der mit dem realen Inhalt (der Materie der Zeit) in unbeschreiblicher Weise verknüpft ist, derart, daß dieser Inhalt um dieses Charakters willen die Zeit hat, „jetzt“ ist, während es von ihm selbst keinen Sinn hat, zu sagen, daß er Zeit habe.
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Wie jedes Reale, so hat auch die konkrete Wahrnehmung des a ihre Zeit, und zwar ist at in einer Wahrnehmung Wt gegeben, die dasselbe ursprüngliche Zeitjetzt hat. Ist aber das Zeitliche nicht etwas, worauf sich achten, was sich wahrnehmen läßt, und ist es als gegebenes „Moment“, als Charakter, nicht auch etwas, was Zeit hat? Wenn ich die Inhalte des Gesichtsfeldes im Jetzt betrachte, so sind sie alle zugleich, sie sind alle jetzt. Aber nicht hat jeder ein eigenes Moment Jetzt, sondern das Gesamtbewußtsein hat ein und dasselbe Jetzt, absolut identisch, und dieses Jetzt ist überhaupt nicht ein Moment, das denkbare Vervielfältigung zuläßt. Es ist total anders wie bei Farbenmomenten, die öfter da sind und nur spezifisch identisch sind. Das Jetzt ist keine Spezies. Und wenn ich, ins Psychologische tretend, von Jetzt-Bewußtsein dieses und vom Jetzt-Bewußtsein jenes Menschen spreche, so geschieht dies mit Beziehung auf ein mögliches Zusammen-Bewußtsein, das wieder nur ein identisches Jetzt hat. | Nicht hat jedes Bewußtsein sein Jetzt. Das ist völlig unausdenkbar. Jedes Bewußtsein ist ein konkretes, und von Fall zu Fall verschiedenes. Jedes hat seine Zeit, das heißt eben: Jeder Akt, jedes Erlebnis ist möglicher Wahrnehmungsgegenstand und ist, wenn er ist, in seinem Jetzt: mit Beziehung auf ein mögliches Bewußtsein. Aber dieses ist vom Jetzt so durchdrungen, daß es allem seinem „Inhalt“ dasselbe Jetzt verleiht, und dasselbe Jetzt hat im weitesten Sinn jedes Gleichzeitige.1 Im at ist das t direkt zum a gehörig. Das Eigentümliche nun ist, daß sich jedem Bewußtseinsmoment entsprechend ein neues t anschließt. Das at bleibt („eine Zeitlang“) im Bewußtsein, aber das Bewußtsein ist ein immer neues, ein kontinuierlich sich zeitlich änderndes, d. h. es verleiht kontinuierlich ein neues Jetzt, ein neues t. Nicht aber so, als ob im at das t abgelöst würde durch ein neues, sondern at nimmt kontinuierlich noch neue t an, in der Art, daß jedes t sich zum vorherigen Gebilde ebenso verhält wie das ursprüngliche t zum a. Also: 1
Der vorstehende Absatz ist vom zweiten Satz an („Ist aber das Zeitliche nicht etwas …“) im Manuskript zwischen eckige Klammern gesetzt. – Anm. d. Hrsg.
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B. Ergänzende Texte
at (at)t1 ((at)t1)t2 … Die Symbolik ist aber schlecht, weil dies ein kontinuierliches Modifizieren ist, also etwa a t —— t1,
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wobei aber jeder ideale Schritt zwischen t und t1 ein t darstellt, das das t vom ganzen Vorhergehenden ist. – Das betrifft also auch die Wahrnehmung selbst, die Auffassung, alles, was in der Weise intentionaler Erlebnisse und Kontinuen derselben real ist. Reflektiere ich auf die Wahrnehmung, so finde ich jetzt in t die Wahrnehmung des fraglichen Wahrnehmungsverlaufes; oder vielmehr, da Wahrnehmung Als-jetzt-Erfassung bedeutet, so finde ich als Jetzt erfaßt den Verlauf, in dem das erste Glied Wahrnehmung von at ist, und dann kontinuierlich weiter Wahrnehmung von a t–t' usw. a ist jetzt nicht: das heißt, a ist nicht gegeben in der direkten und schlichten Zeitpräsentation; a war in einem Jetzt, a war gegenwärtig: es hat ein modifiziertes Jetzt, es hat ein Jetzt, aber dieses „a jetzt“ ist kontinuierlich in anderen und anderen Jetzt wahrgenommen, | und in jedem neuen Jetzt ist die Kontinuität der an das ursprüngliche t angegliederten t' … mitgegeben. Wahrgenommen im normalen Sinn ist das a t 0 –t1, und in der Reflexion das Selbsterfaßte der Wahrnehmung von at 0 und die Kontinuität von Selbsterfassungen, in denen dann weiter a t 0 –t1 … gegeben ist. „Ich habe vor der Zeit t1–t0 a wahrgenommen“, „a war vorhin in der Zeit t0 gegenwärtig“ und „bis jetzt hatte ich fortgesetzt die ‚direkte Erinnerung‘ von a, es blieb immerfort ‚bewußt‘, die Wahrnehmungserscheinung erhielt sich im Bewußtsein fort, ohne daß ich immerfort das a (als dauernd) wahrgenommen hätte“. Nun kommt aber eine Schwierigkeit? Jede Phase jener Kontinuität ist doch ein reales Erlebnis. Sagt man, es sei eine Abstraktion, so nehmen wir jedes Zeitstück t0–t' usw. Das erfährt nun doch auch seine zeitliche Zurückschiebung. Kommen wir nicht zu einem unendlichen Regreß? Nehmen wir das Stück a t 0 –t', das Bewußtsein davon (die frische Erinnerung) ist ein Erlebnis, es hat seine Zeit: das ist die
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Zeit t'. Es erfährt nun seine Zurückschiebung. Die ergibt aber nichts Neues. (at0 –t' ) t'–t1 = at0 –t1 Das sind ja gerade die Zurückschiebungen, die wir in unser Schema aufgenommen haben. 〈 Nr. 27 Versuch einer Übersicht: Die fundamentalen zeitlichen Unterschiede. Selbst-da und Objektivierung 〉1
Das Zeitbewußtsein2 entstammt nicht der Phantasie im Sinne einer Bildlichkeit, sondern rein der Wahrnehmung. Aber das Wahrnehmungsbewußtsein modifiziert sich und stuft sich ab innerhalb einer Gattung. Dieses Bewußtsein ist Gegenwartsbewußtsein, wo ein „selbst gegenwärtig“ dasteht, es stuft sich dann ab zum Eben-gegenwärtig-gewesen, und zwar stetig. Der Modus | der Wahrnehmung stuft sich ab und ergibt das eigentliche Zeitbewußtsein. Der Modus der Phantasie stuft sich parallel ab und ergibt das Phantasie-Zeitbewußtsein. Die Kontinuität der Zeit: Kontinuität der Abstufungen des Auffassungsmodus. Uneigentliches Zeitbewußtsein: vor längerer Zeit abgeflossene Teile einer wahrgenommenen Melodie. Aber nicht symbolisch: Symbolisches geht vom Zeichen zum Bezeichneten, das Zeichen weist vor. Das aktuelle Zeitbewußtsein hat noch eine Franse, es weist zurück. Die Auffassungen noch „dunkel“ vorhanden, potenziell. Verschmolzen in einen einzigen „Hintergrund“. –3 1
Das letzte der hier wiedergegebenen drei von Husserl zusammengeordneten Blätter trägt das Datum „1904“; s. u., S. 211, Anm. 2 [S. 237, Anm. 1], und vergleiche oben, Nr. 25, S. 201, Anm. 1. – Anm. d. Hrsg. 2 Dem wiedergegebenen Text voran steht im Manuskript noch der folgende, jedoch später gestrichene Satz: „Aber ist das richtig? Nein, so ist es nicht“. Der Bezug dieser Frage und Verneinung ist zweifelhaft, da zwischen dem zuletzt in Nr. 26 wiedergegebenen und dem Text der hier in Nr. 27 aufgenommenen Aufzeichnung ein verlorenes oder von Husserl ausgeschiedenes Blatt zu fehlen scheint. – Anm. d. Hrsg. 3 Husserl hat den ganzen zweiten Absatz der Aufzeichnung später ge-
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B. Ergänzende Texte
1) Aufeinanderfolge der Töne A B … bzw. Aufeinanderfolge der Zeitphasen innerhalb jedes Tones, etwa A. Auch Aufeinanderfolge der Takte in der Melodie. 2) Aufeinanderfolge a) der Empfindungen A B C … (oder in A der Teile), b) der Wahrnehmungen von A, von B …, der Töne oder auch der Takte. – 3) Aufeinanderfolge der Momentanphasen der Wahrnehmung der Folge AB … Das sind zeitliche Folgen, die wir alle wahrnehmen können. Die letzte nehmen wir im kontinuierlichen Fluß wahr, wir reflektieren auf den Fluß der Wahrnehmung. Allerdings um beurteilen, vergleichen, unterscheiden zu können, müssen wir die Kontinuen zurückschauen, zu den alten Teilen „zurückkehren“. Dazu gehört „Wiederholung“ und Identifikation. Ebenso zum Folgenden: | 4) Ordnung der Temporalzeichen innerhalb einer Momentanphase: die Ordnung in der simultanen Einheit einer Phase. Das setzt freilich voraus wiederDie Momentanphasen sind ideholte Vergegenwärtigung derselben ale Grenzen. Konkret genomPhase unter beständiger Retention1 men sind es Streifen, die eine und Identifikation. gewisse „Dicke“ haben. strichen, indessen er gleichzeitig im ersten Absatz viele Unterstreichungen anbrachte. – Anm. d. Hrsg. 1 Hier tritt zuerst der Terminus „Retention“ auf, und zwar auf einem Blatt, das nicht eigens datiert ist, dessen Entstehung im Jahre 1904 jedoch wahrscheinlich ist; vgl. S. 201, Anm. 1, S. 209, Anm. 1, und unten, Anm. 2 [S. 237, Anm. 1]. Nochmals tritt der Terminus zunächst in der Aufzeichnung Nr. 28 auf, S. 215 f. Doch ist es fraglich, ob in diesen Fällen der Terminus bereits in dem Sinne gebraucht ist, in dem er später zum Begriff der „primären Erinnerung“ dienen wird. Auch tritt der Gebrauch des Terminus zunächst wieder zurück – er fehlt im ursprünglichen Konzept der Zeitvorlesungen von 1905 –, um erst später – ca. 1908/09 – eine erneute Einführung zu erfahren; siehe Nr. 50, S. 333.
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Also1 wie steht es mit Empfindung und Phantasma, mit Wahrnehmung und Erinnerung/Phantasie? Bedarf es bei den sinnlichen Inhalten irgendwelchen Unterschieds einer neuen Dimension? Die neue Dimension ist wohl nur die Zeitlichkeit, die mehr oder minder bestimmte, der Unterschiede des Jetzt und NichtJetzt, des Da und Nicht-Da. Man wird phänomenologisch wohl unterscheiden müssen: 1) Fundamentalunterschied des Selbst-da und Nicht-selbstda. Das Nicht-selbst-da kann dann aufgefaßt werden als Vergangen oder Zukünftig und als gleichzeitig mit dem Jetzt (objektiven Jetzt) objektiv gegenwärtig. Also Einordnung in die Zeitreihe. Ferner 〈 kann das Nicht-selbst-da 〉 auch als zeitlich unbestimmt, nach der objektiven Zeit nicht orientiert, eine Zeit enthaltend, aber keine solche, die Einordnung in die objektive Zeitreihe gestattete, 〈 aufgefaßt werden 〉. Der Zentaur dauert auch, bewegt sich auch, führt seine Zeitstufen mit sich, aber in welchen Teil der objektiven Zeit gehört er? In keinen. Wie steht er zum subjektiven Jetzt, Soeben-vergangen, Soeben-zukünftig? Er steht gar nicht dazu. 2) Die fundamentalen zeitlichen Unterschiede: Jetzt, Vergangen (Künftig). Wie verhält sich das Jet z t zum Sel bst - d a ? Was aktuell jetzt ist, ist selbst da. Und was individuell selbst da ist, ist aktuell jetzt. Das intuitive Selbst-da und das intuitive Jetzt (das adäquat gegebene) decken sich. | Jetzt überhaupt ist also = Selbst-da + Objektivierung: „gleichzeitig damit“. Tabelle: Die unmittelbar intuitiven Unterschiede: 1) Selbst-da. 2) Nicht-selbst-da. a) Vergangen (evidente Vergangenheit). b) Eingebildet, zum Jetzt nicht orientiert, es sei denn als Nicht-Jetzt. 1
Hier beginnt das von Husserl eigens auf „1904“ datierte Blatt; vgl. Nr. 25, S. 201, Anm. 1 und Nr. 27, S. 209, Anm. 1. – Anm. d. Hrsg.
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B. Ergänzende Texte
Die uneigentlich vorgestellten, die indirekten Unterschiede:
a') Fernere Vergangenheit. b') Nach indirekten Berichten, Bildern etc. vorgestellte Vergangenheit. c') Das uneigentlich vorgestellte Jetzt (Jetzt fährt meine Frau von Halle zurück), das mit dem Jetzt Gleichzeitige, aber nicht selbst als Jetzt Erschaute, d') Das Zukünftige.
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Wie steht es mit dem Nicht-Jetzt? Frische Erinnerung: Das eben Vergangene ist doch ein NichtJetzt, sofern wir es vom Jetzt, dem noch Seienden, noch Dauernden, unterscheiden. Der Vorgang ist jetzt, die Vorstellung des Vorganges ist nicht jetzt. Aber die wahrgenommene Phase des Vorgangs ist jetzt, die eben abgelaufene ist nicht jetzt usw. Der Vorgang ist selbst-da: Wahrnehmung des Vorganges (objektiv jetzt: das, was damit gleichzeitig ist). Der Vorgang ist nicht selbst-gegenwärtig: er ist bloß vorgestellt, er ist erinnert (er war) usw. α) Er ist „soeben“ selbst-gegenwärtig gewesen, er ist noch in unmittelbarer (frischer) Erinnerung. Der (eben gehörte) Ton C ist noch in Form der Erinnerung gegenwärtig, daß er eben verklungen ist, weiß ich, denn ich habe ihn noch in dieser Erinnerung. Er ist mir noch gegenwärtig, obschon nicht mehr selbst-gegenwärtig, sondern nur noch gegenwärtig als ebenvergangen.1 | Er ist nicht selbst-da, er selbst ist ein Nicht-Jetzt. Sein Vergangensein ist ein Jetzt, ist ein Selbst-gegenwärtiges, ein Wahrgenommenes. β) Erinnere 〈 ich 〉 mich seiner in einer repräsentativen Erinnerung, so ist er auch nicht selbst-da, er selbst ist wieder ein Nicht-Jetzt und sein Vergangensein ist ein Jetzt. Aber daß es das ist, das ist nicht ein Selbst-gegenwärtiges, ein Wahrgenommenes. Die Vergangenheit ist angenommen; sie ist nicht bloß 1
Die Intention, das Diesen-Ton-Meinen, dauert fort, dauert länger als der erklingende Ton. Er ist nicht mehr da: keine Wahrnehmung. Aber „er“ wird „noch gemeint“.
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symbolisch gemeint, nicht bloß gesagt, sondern angeschaut, aber nicht wahrgenommen.1 Wahrnehmung des vergangenen A, schließt das nicht Wahrnehmung des A ein? Doch nicht, wie Wahrnehmung der roten A die des A. Vergangensein des A wahrnehmen, das heißt eben das Bewußtsein haben: Wahrnehmung des A übergehend in frische Erinnerung des A. Die Erscheinung dauert fort (eigentlich modifiziert sie sich in Linien der Ähnlichkeit, die hier gestattet ist, sie klingt ab). Aber das Jetzt wandelt sich in NichtJetzt. Die vom Bewußtsein des Nicht-Jetzt getragene Erscheinung repräsentiert die Wahrnehmungserscheinung, das Nicht-Selbst repräsentiert das Selbst, es ist fast noch Selbst und es hat einen Modus, eine Bestimmtheit, die sich kontinuierlich in das „Selbst“, das Jetzt überführt, diese Bestimmtheit wird erlebt; ebenso ihr Abstand vom Jetzt. 〈 Nr. 28 〉 Die Identität des Tones, des Zeitobjekts und jeder Phase des Zeitobjekts im Flusse des Zeitbewußtseins
Die Momentanphasen der Wahrnehmung „sinken“ stetig, sie erfahren fortgesetzt eine Modifikation. Sie erhalten sich nicht | einfach, sondern sie ändern sich stetig. Irgendein Punkt des Zeitobjekts sinkt stetig in der Zeit zurück, d. h. zunächst der präsentierende Inhalt modifiziert sich stetig (er ist also immer wieder ein etwas anderer), und zugleich ändert sich die Auffas1
Kann man wenigstens sagen: Das Nicht-Jetzt ist wahrgenommen, aber das Vergangen ist nicht wahrgenommen? Nein.* Ich glaube nicht. Ich erinnere mich, ich weiß, daß mir das C als vergangen erscheint, aber nichts erscheint mir hier selbstgegenwärtig, es sei denn dies, daß das C im Jetzt, im Wahrnehmungsfeld, wie ich auch sagen kann, nicht ist: also der Widerstreit. Darin liegt aber noch nicht Wahrnehmung des Vergangen, Wahrnehmung eines Seins des C: eines unbestimmten oder eines zeitlich bestimmten. Dieses „Nein“ ist im Manuskript gestrichen. Es scheint, daß der folgende Text der Anmerkung von „Ich glaube nicht“ an gleichzeitig mit dieser Streichung des „Nein“ geschrieben ist, in welchem Falle er also dieses „Nein“ zu ersetzen bestimmt war. – Anm. d. Hrsg. *
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B. Ergänzende Texte
sung. Warum haben wir dann aber denselben Objekt-Punkt, der nur in der Zeit zurücksinkt, der immer mehr vergangen wird? Antwort: Wir müssen unterscheiden 1) Empfindungsinhalt des Objekt-Moments (Zeitpunkt Jetzt), 2) seine temporale stetige Modifikation, dies für jeden Moment. Der Empfindungsinhalt ist in der Zeitfolge ein bald gleicher, bald differenter; 3) die Auffassung, die Objektivation: A) die Objektivation, die ihren Inhalt rein im Empfindungsinhalt des Moments findet; die Objektivation, die ebenso zu jedem modifizierten Auffassungsinhalt der vergangenen Momente gehört; beides verstanden als Objektivation, welche die Zeitmaterie ergibt; B) die Objektivation, welche die Zeitlichkeit, das Dasein in der Zeit – als Jetztsein, Gewesensein – ergibt.
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Die A-〈 Objektivation 〉 ist beim Zurücksinken in der Zeit immerfort dieselbe, genauer: nach dem, was sie „festhält“, nach dem, was bei der Modifikation des Inhalts noch Auffassungsinhalt bleibt, ist sie dieselbe, nach dem Übrigen enthält sie Unbestimmtheitscharakter. Sie meint also immerfort dasselbe und ist ein stetiges Bewußtsein vom Selben. Dieses Selbe tritt aber immer 〈 weiter 〉 in die Vergangenheit, der Zeitcharakter ändert sich stetig. Aber das Objekt ändert nicht immerfort seine Zeit, sondern es behält seine Zeit, es tritt nur immer Neues ein, das Künftig wird zum Jetzt, das Jetzt zum Vergangen usw. Das Veränderliche der Vergangenheit ist nicht Veränderung der objektiven Zeitstelle, sondern Veränderung der relativen Entfernung zu dem veränderlichen Jetzt. Das Jetzt wird zum Vergangen etc. Die Identität in der Kontinuität der Zeitauffassungen gibt den objektiven Zeitpunkt, das identische Zeitobjekt. Die Momente werden identifiziert, aber auch die Strecke. Die Materie des Jetztmoments wird aufgefaßt als α, zurücksinkend in der | Zeit wird es immerfort als a aufgefaßt, die Materie jedes weiteren stetig daran geschlossenen Jetztmoments α' α" in ähnlicher
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Weise. Die stetige Folge der α α' α" … erfährt Einheit des Bewußtseins durch Simultaneität, durch die zeitliche Modifikation und Simultaneisation. α α' α" sinkt nun mitsamt seinen Zeitverhältnissen in die Vergangenheit. Die Zeitmaterien mit ihren Zeitstellen geben die Einheit des Zeitobjekts (oder 〈 einer 〉 Teilstrecke des Zeitobjekts); und dieses als ganzes tritt immer weiter zurück, weil eben jeder Punkt davon als identisch derselbe bewußt ist, aber auch der zeitliche Unterschied und Abstand sind darum dieselben, denn nicht nur die Materien bleiben dieselben, sondern die ganzen Objekte (Objekt-Punkte). Die Zeitform wird mit objektiviert, und wenn ab in die Vergangenheit sinkt, so ist der Abstand derselbe, da a identisch dasselbe ist und b identisch dasselbe. Ob das ausreicht (als Begründung) oder nicht, jedenfalls ist das Objektbewußtsein ein identisches innerhalb der ursprünglichen Zeiterschauung: als identisch werden jeder Punkt und jede Strecke genommen, die sich ursprünglich durch Zurückschiebung modifizieren. So geartet ist natürlich die Objektauffassung, daß sie in dieser Art individuelle Objektivität konstituiert. Wird durch Wiederholung und Retention1 die Zeitstrecke mehrmals durchlaufen, so wird auch durch Vergleichung die Identität zwischen den verschiedenen Phasen des Zeitobjekts vollzogen. Identifikation eines Zeitobjekts, zunächst einer einfachen Tonfolge A B C werden wahrgenommen, d. h. laufen wahrnehmungsmäßig ab. Nach Ablauf können wir reproduzieren, eine reproduktive Erinnerung wiederholt den Ablauf phantasiemäßig, wir stellen ihn, denselben, vor. Denselben stellen wir nicht nur vor, wir identifizieren ihn auch mit der noch vorhandenen primären Erinnerung, und das können wir mehrmals machen. Die Reproduktion gibt sich ja als Vorstellung für das früher Wahrgenommene, wir haben in ihr nicht zweierlei: Reproduktion und Gegenstand, sondern nur eins. Auch bei der Identifika | tion scheint es zunächst, als hätten wir nur eins. Aber bei 1
Vgl. Nr. 27, S. 211, Anm. 1. – Anm. d. Hrsg.
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B. Ergänzende Texte
genauer Beachtung der Sachlage merken wir, daß wir primäres Bewußtsein einer zeitlichen Folge haben. Wiederhole ich dreimal c g e, das erste Mal es singend, dann es reproduzierend und wieder reproduzierend, so erlebe ich primär eine Folge dreier Phänomene, Wahrnehmung, Reproduktion und neue Reproduktion. Ich merke, wie die Reproduktion mit der primären Erinnerung identifiziert ist (es ist, als ob ich dasselbe Stück einer Linie dreimal mit dem Blick durchlaufe), und das ist eben Bewußtsein der Identität der Meinung. Die wiederholenden, reproduzierenden Akte sind dabei zeitlich aufeinanderfolgende und werden in dieser Folge vorgefunden. Durch sie alle hindurch geht die Identitätsdeckung, und mit ihnen vollzieht sich die (willkürliche) Retention, und zwar die reproduktive. Mit der Identifikation erhält sich auch die primäre Erinnerung und wird nach ihrem gegenständlichen Inhalt als immer dieselbe identifiziert. Natürlich setzt jede Aussage, z. B. daß B auf A folgt, diese reproduktive Retention voraus, wenn sie evident sein soll. Mag auch B noch erklingen (fertig ist es allerdings als das objektive B nicht, solange es nicht abgeschlossen ist), ich muß zu A zurückkehren können, damit ich sagen kann „nach A“. Oder „B nach A“ ist erst vollzogen in dem Moment, wo B abgeschlossen ist, also wo nur noch Erinnerung möglich ist. Die Aussage bezieht sich aber auf das Objekt, auf den Sachverhalt, und er muß erst sein, ehe ich angemessen, oder mit Anmessung, ihn ausdrücken kann.
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〈 Nr. 29 〉 Meinongs Unterscheidung in distribuierte und indistribuierte Gegenstände1, 2
a) Der Ton als solcher, die Farbe als solche. b) Eine Melodie, ein Farbenwechsel (auch ein Andauern von Farbe, ein andauernd erklingender Ton). Gegenstände (es heißt Vorstellungsgegenstände 〈 bei Meinong 〉, aber wozu das?), deren Natur der Zeitstrecke bedarf, um sich zu entfalten, gegenüber | solchen, deren Charakteristik sich in einem einzigen Zeitpunkt, gleichsam einem zeitlichen Querschnitt, zusammengedrängt findet. (Ein Ort, ein Ton, eine Farbe. Das Vorstellen, das Urteilen, das Begehren, Gegenstände, die so1
In Nr. 29 bis Nr. 33 sind Aufzeichnungen wiedergegeben, die Husserl in das ursprüngliche Konzept seiner Zeitvorlesungen des Februar 1905 aufgenommen und eingereiht zu haben scheint; zugleich handelt es sich um Blätter dieses ursprünglichen Vorlesungsmanuskripts, die in Edith Steins Ausarbeitung völlig unbenutzt | geblieben sind, wie es der Charakter der fraglichen Aufzeichnungen wohl verständlich macht. Zur genauen Datierung dieser Aufzeichnungen vgl. die nachstehende Anm. 2. Im einzelnen gibt Nr. 29 den Text der ursprünglichen Blätter „27“– „31“ des Vorlesungsmanuskripts wieder, Nr. 30 den von Blatt „32“, Nr. 31 den von Blatt „34“, Nr. 32 den von Blatt „36“, Nr. 33 den von Blatt „33“. Die ursprünglich vorangehenden Blätter „16“ bis „26“ sind nicht erhalten und in der Ausarbeitung unbenutzt geblieben. Das Blatt „35“ ist erhalten, sein Text in leicht abgewandelter Form im zweiten Absatz von § 11 (S. 30 f.) größtenteils wiedergegeben; zur Feststellung der ursprünglichen und vollständigen Fassung dieses Textes siehe die Textkritischen Anmerkungen dazu. Der Text der erhaltenen Blätter von „37“ an ist vom Beginn von § 14 (S. 35) an teilweise wiedergegeben; alles Nähere hierzu ist den betreffenden Textkritischen Anmerkungen zu entnehmen. – Anm. d. Hrsg. 2 Die in Nr. 29 wiedergegebene Aufzeichnung ist von Husserl auf ihrem zweiten Blatt genau datiert auf den „7. I. 05“. Dieses zweite Blatt war sicher ursprünglich das erste: das auch hier zuerst wiedergegebene voranliegende dürfte nachträglich hinzugefügt worden sein, um das Thema etwas deutlicher einzuführen. Daher die Wiederholungen. – Der Zusammenhang läßt vermuten, daß die Aufzeichnungen Nr. 30 bis Nr. 33 um dieselbe Zeit, also unmittelbar vor Beginn der Zeitvorlesungen selbst niedergeschrieben worden sind. – Anm. d. Hrsg.
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zusagen schon als punktuelle Tatsachen gegeneinander wohl charakterisiert sind.) Der Grund: Bei Gegenständen der einen Gruppe ist die Zeitstrecke konstitutiv, bei Gegenständen der anderen Gruppe nicht. Meinong, S. 248: „Der Kern des Unterschieds“ liegt nicht darin, „ob der Gegenstand eine Zeitstrecke einnimmt oder nicht“ (denn das tut er immer), wohl aber darin, ob und wie er zeitverteilt sei. Auch Ruhe sei ein Fall von Zeitverteilung, andauernd klingender Ton, unverändert dauernde Farbe. Aber der Farbe „als solcher“ fehle die Zeitverteilung1. | Stern2 unterscheidet „momentane“ und zeitlich ausgedehnte Bewußtseinsakte. Momentan 〈 seien 〉 solche, die, abgesehen von 1
Husserl bezieht sich auf A. Meinong, „Über Gegenstände höherer Ordnung und deren Verhältnis zur inneren Wahrnehmung“, Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, XXI (1899), S. 182– 272. Die fragliche Stelle S. 248 lautet: Es „möchte der Kern des in Rede stehenden Gegensatzes zwar nicht darin zu suchen sein, ob der Gegenstand eine Zeitstrecke einnimmt, denn die nimmt er immer ein, wohl aber darin, ob und wie der Gegenstand in dieser Zeitstrecke verteilt ist. Der Farbe, dem Tone als solchem fehlt solche Verteilung: der Melodie, dem Farbenwandel kommt sie in bestimmter Weise zu. Redet man aber einmal von einem andauernd erklingenden Tone, von einer unverändert bleibenden Farbe, so ist auch das ein Fall von Zeitverteilung, so gewiß nicht nur Bewegung sondern auch Ruhe einen Fall von Zeitverteilung darstellt. Ich stelle in diesem Sinne im Folgenden den zeitlich distribuierten oder zeitverteilten Gegenständen resp. Tatsachen zeitlich indistribuierte gegenüber …“ In dem erhaltenen Heft der Zeitschrift aus Husserls Besitz ist Meinongs Artikel mit zahlreichen Randbemerkungen, Unterstreichungen usw. von Husserls Hand versehen. Insbes. hat Husserl zu Beginn des vor allem in Frage | kommenden Dritten Abschnitts („Über das Vorstellen und Wahrnehmen des zeitlich Verteilten“, S. 243) am Rand vermerkt: „Gelesen September 1904“. Tatsächlich können in Husserls hier wiedergegebenen Aufzeichnungen zumindest etwa von Nr. 22 (S. 195 ff.) an implizite Bezüge auf den Artikel Meinongs angenommen werden. – Anm. d. Hrsg. 2 Vieles spricht dafür, daß Husserl auf die Arbeiten von William Stern erst durch Meinong aufmerksam geworden ist, der sich mit ihm in dem Artikel „Über Gegenstände höherer Ordnung“ (insbes., a. a. O., S. 245 ff.)
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ihrer etwaigen Dauer, in jedem Moment vollständig sind, d. h. alle zusammengehörigen bzw. zur Erzeugung der Auffassung nötigen Elemente isochron enthalten, so daß in der zeitlichen Ausdehnung kein integrierender Faktor gegeben ist1. (Aber wie, wenn die „Auffassung“ auf die zeitlichen Bestimmtheiten mit geht?) Kritik Gehen wir von der Unterscheidung der Gegenstände in konkrete und abstrakte aus (selbständige und unselbständige), so gehören zu jedem konkreten Gegenstand (besser wohl: individuellen) irgendwelche Zeitbestimmungen, nicht aber zu jedem abstrakten. Wir können gewiß von den Zeitbestimmungen abstrahieren, und zwar so, daß die abstrakten Gegenstände, wie Rot, Ort, Farbe, nun nichts von Zeitbestimmung enthalten. auseinandersetzt. So notiert Husserl in Meinongs Artikel S. 266 am Rand: „Darum handelt es sich, soviel ich sehe, bei Stern nicht, sondern um Scheidung von primärem und sekundärem 〈 Gedächtnis 〉“. Man vergleiche auch die S. 159, Anm. 1 wiedergegebene Randbemerkung Husserls zu Nr. 7: „Ähnliches sagt auch (nach Meinong?) Stern“. – Anm. d. Hrsg. 1 L. W. Stern, „Psychische Präsenzzeit“, Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, XIII (1897), S. 325–349. Nach der fraglichen Stelle S. 326 „sind neben den momentanen Bewußtseinsakten die zeitlich ausgedehnten Bewußtseinsakte als selbständige psychische Einheiten zu betrachten“. In der Anm.1 hierzu führt Stern aus: „Der Ausdruck ‚momentanes Bewußtseinsganzes‘ soll sich nicht so sehr auf solche Inhalte beziehen, die tatsächlich nur einen Moment währen (deren Existenz höchst fraglich ist), sondern ganz allgemein auf solche, die, abgesehen von ihrer etwaigen Dauer, in jedem Moment vollständig sind, d. h. alle zusammengehörigen bzw. zur Erzeugung der Auffassung nötigen Elemente isochron enthalten, so daß in der zeitlichen Ausdehnung kein integrierender Faktor gegeben ist. Der Moment ist auch hier eine Abstraktion, aber eine zulässige. Meinong sagt einmal (diese Zeitschrift, VI, 448): ,Es gibt Vorstellungsobjekte, deren Charakteristisches einer Zeitstrecke bedarf, um sich zu entfalten; es gibt dagegen Objekte, bei denen, was sie kennzeichnet, sich bereits in einem einzigen Zeitpunkte zusammengedrängt fi ndet‘“. Zu diesem Verweis auf Meinong vgl. S. 219, Anm. 3. – Anm. d. Hrsg.
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Natürlich kreuzt sich mit der Einteilung der Gegenstände in selbständige und unselbständige also diejenige in Gegenstände, | welche Zeitlichkeit mit enthalten, und solche, die es nicht tun. Jeder individuelle Gegenstand hat seine Zeit, und er ist entweder ein Zeitganzes oder gehört einem solchen an. Aber nicht jeder Gegenstand enthält Zeit in sich. Unterscheidung zwischen zeitlich distribuierten und indistribuierten Gegenständen1 – dann sind die indistribuierten eben bloße Abstrakta. Dem Ton als solchem, der Farbe als solcher fehlt die zeitliche Verteilung. Eine Melodie ist zeitlich ausgedehnt. In der Abhandlung über „Analyse“, Bd. VI2, wird der Unterschied bezeichnet als der „zwischen Vorstellungsgegenständen oder auch Wirklichkeiten, deren Natur einer Zeitstrecke bedarf, um sich zu entfalten, gegenüber solchen, deren Charakteristik sich in einem einzigen Zeitpunkte, einem zeitlichen Querschnitte gleichsam, zusammengedrängt findet (ohne natürlich der Gebundenheit dieses Schnittpunktes an eine Zeitstrecke irgendwie zu präjudizieren)“ (247)3. Als Beispiele für die letz1
Hier beginnt der Teil der Aufzeichnung, den Husserl – vgl. S. 216, Anm. 2 – auf den „7. I. 05“ datiert hat. – Anm. d. Hrsg. 2 Husserl bezieht sich auf A. Meinong, „Beiträge zur Theorie der psychischen Analyse“, Zeitschrift für Psychologie und Physiologie der Sinnesorgane, VI (1893), S. 340–385 und S. 417–455. Da Husserl einen Sonderdruck der Abhandlung besaß, den er nach seiner eigenhändigen Notiz auf dem Umschlag am 14. II. 1894 empfangen hat, Meinong in ihr – wie übrigens auch in dem Artikel „Über Gegenstände höherer Ordnung“ gelegentlich – verschiedentlich auf Husserls Philosophie der Arithmetik, Bd. I, Halle a. d. S. 1891, verweist, ferner Husserl selbst in Randnotizen zu diesem Artikel sich mehrfach auf dieses sein Buch bezieht, ist anzunehmen, daß Husserl von dem Artikel frühzeitig Kenntnis genommen hat, nämlich bereits um 1894. – Anm. d. Hrsg. 3 A. Meinong, „Beiträge zur Theorie der psychischen Analyse“, a. a. O., S. 447 f.: „Es gibt Vorstellungsobjekte, deren Charakteristisches einer Zeitstrecke bedarf, um sich zu entfalten; es gibt dagegen Objekte, bei denen, was sie kennzeichnet, sich bereits in einem einzigen Zeitpunkte zusammengedrängt fi ndet“. Husserl zitiert nach Meinongs Selbstdarstellung dessen im Artikel „Über Gegenstände höherer Ordnung“, a. a. O., S. 247; das Zitat ist genau, nur die Klammern am Ende sind von Hus-
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tere Gruppe 〈 werden 〉 S. 78 der Abhandlung über „Analyse“ 〈 genannt 〉: ein Ort, ein Ton, eine Farbe1. Weiter unten 〈 sagt Meinong 〉, „daß Vorstellen, Urteilen, Fühlen und Begehren auch bereits als sozusa | gen punktuelle Tatsachen gegeneinander wohl charakterisiert sind und zugleich eine vollständige Disjunktion ausmachen“2. Der Grund: „daß bei 〈 den 〉 Gegenständen der einen Gruppe die Zeitstrecke konstitutiv 〈 ist 〉, bei Gegenständen der anderen Gruppe nicht“ (79)3. Vgl. dazu Stern, „Psychische Präsenzzeit“, S. 326 (XIII, cf. auch Anm.), welcher – im Hinblick auf Meinong – unterscheidet: „momentane“ und „zeitlich ausgedehnte Bewußtseinsakte“. Momentane Bewußtseinsakte 〈 seien 〉 „solche, die, abgesehen von ihrer etwaigen Dauer, in jedem Moment vollständig sind, d. h. alle zusammengehörigen bzw. zur Erzeugung der Auffassung nötigen Elemente isochron enthalten, so daß in der zeitlichen Ausdehnung kein integrierender Faktor gegeben ist“4. Aber wie, wenn die „Auffassung“ (die Meinung) auf die zeitlichen Bestimmtheiten mit geht?! – Diese Unterscheidungen erscheinen mir nicht als befriedigend5. serl eingefügt. Übrigens bemerkt Husserl am Rand: „In der Abhandlung über ,Analyse‘: deren ,Charakteristisches‘ einer Zeitstrecke bedarf …“ und ferner: „S. 262 wird die Ruhe ein zeitlich distribuierter unveränderter Gegenstand genannt“; das bezieht sich wiederum auf den Artikel „Über Gegenstände höherer Ordnung“, wo Meinong S. 262 „von einem zeitlich distribuierten unveränderten Gegenstande wie etwa der Ruhe“ spricht. – Anm. d. Hrsg. 1 „Beiträge zur Theorie der psychischen Analyse“, a. a. O., S. 448; Husserls Stellenangabe „S. 78“ bezieht sich auf die Separatpaginierung des oben Anm. 2 erwähnten Sonderdrucks. – Anm. d. Hrsg. 2 A. a. O., S. 448. – Anm. d. Hrsg. 3 A. a. O., S. 449; Husserls Stellenangabe „79“ bezieht sich auf die Separatpaginierung. – Der wiedergegebenen Angabe des „Grundes“ hat Husserl folgende, später gestrichene Randbemerkung beigefügt: „Das ist das allein Wesentliche und weiter nichts Besonderes. Danach scheint einfach: Die einen sind Zeitgegenstände, die anderen sind Abstrakta, aus bloßen Zeitmaterien bestehend“. – Anm. d. Hrsg. 4 Siehe S. 218, Anm. 2. – Anm. d. Hrsg. 5 Es ist möglich, daß dieser Satz allein auf die Unterscheidungen Mei-
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B. Ergänzende Texte
Geht man aus von der Scheidung der Gegenstände in konkrete und abstrakte (selbständige und unselbständige), so gehören zu jedem konkreten Gegenstand konstitutiv irgendwelche zeitlichen Bestimmungen, nicht aber zu jedem abstrakten. Wir können ja von den Zeitbestimmungen abstrahieren, und zwar so, daß wir Abstrakta wie Rot, Ort, Farbe behalten, die nichts von Zeitbestimmung mit enthalten. Mit der Scheidung der Gegenstände in selbständige und unselbständige kreuzt sich also die Scheidung in solche, die Momente der Zeitlichkeit mit enthalten, und solche, die es nicht tun. A) Jeder Gegenstand hat seine Zeit, er – sein Vorgang – ist entweder ein Zeitganzes oder gehört einem solchen an. Aber nicht jeder Gegenstand enthält Zeitliches in sich1. B) Dazu kommt noch folgende Unterscheidung der zeitlich-| extendierten Gegenstände (mit ihrer Zeit zusammengenommen): a) Es gibt Gegenstände, deren Zeitteilung, wie immer sie vorgenommen werden möge, immer wieder Gegenstände gibt, die mit ihnen alle konstitutiven Bestimmtheiten gemein haben, die Zeiterstreckung ausgenommen: Rot, ein Haus, eine Farbe usw. Wir können auch sagen, es sind Gegenstände, die ihre Zeit so überdecken, daß verschiedenen Zeitteilen immer wieder dieselben Zeitfüllen entsprechen. b) Gegenstände, die ihre Zeiterstreckung so überdecken, daß verschiedenen Zeitteilen im allgemeinen verschiedene Zeitfüllen entsprechen. Danach richten sich auch unsere Begriffsbildungen. Wir können auch sagen: Gegenstände, die ihre Zeit mit ständig identischer Materie erfüllen, und Zeitgegenstände, die sie mit wechselnder Materie erfüllen. Einteilung der Zeitgegenstände (zu deren konstitutivem Inhalte die Zeiterstreckung mit gehört) in Ruhen und Bewegungen, in Unveränderungen und Veränderungen. nongs zu beziehen ist, da Husserl den vorangehenden, Stern betreffenden Absatz mit Blaustiftstrichen abgetrennt hat. – Anm. d. Hrsg. 1 Zu S. 219 bis hierher vgl. den zuvor wiedergegebenen Text des voranliegenden Blattes (vgl. S. 216, Anm. 2) . – Anm. d. Hrsg.
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ad A) bemerke ich noch: Unser Interesse und unsere Begriffsbildung kann bei Gegenständen auf ihre zeitlichen Bestimmungen gehen oder auch auf ihre Zeitmaterie gehen, bzw. auf ihre materiellen Bestimmungen. Bestimmen wir Gegenstände durch Begriffe, die keine Zeitbegriffe als konstitutive Elemente enthalten, so bleibt, in der logischen Vorstellung der Bestimmung, das Zeitliche unbestimmt. Da jede unzeitliche Materie (=A) jede beliebige Zeitstrecke erfüllen kann, so gehören diese Gegenstände, sowie wir ihnen die Zeit, sei es auch unbestimmt, hinzurechnen, zu den Unveränderungen. Sie sind also „ausreichend charakterisiert“ ohne Zeit. Dem stehen Bestimmungen der anderen Art gegenüber, welche Zeitbestimmungen mit heranziehen. Meinong formuliert: „Kann oder muß wohl gar die Vorstellung eines distribuierten Gegenstandes selbst eine distribuierte Tatsache sein?“1 Da zeigt sich die nicht sehr glückliche Erklärung der Begriffe. Wir müssen uns erst tiefsinnig überlegen, was er meint, und doch ist es eine einfache Sache. Meinong spricht zunächst so, als ob er einfach Zeitgegen | stände zu zeitlosen (d. h. hier, von der Zeit abstrahierenden Zeitmaterien) gegenüberstellen würde. In Wahrheit kommt es auf den Unterschied von Gegenständen an, die den Charakter von „Unveränderungen“ haben, im Gegensatz zu solchen, die den Charakter von Veränderungen haben2. Die ersteren sind in jedem Zeitpunkt materiell dieselben: es bedarf also der Zeitverteilung und irgendwelcher Zeitprädikate (mit Ausnahme des allgemeinen, daß sie überhaupt ihre Zeit haben) nicht zu ihrer Charakteristik. Anders die letzteren: hier also bedarf es der Zeit zur Charakteristik. Das Problem ist nun: Ist die Vorstellung von distribuierten Gegenständen in einem noch so kleinen Stück ihrer Dauer vom Charakter der Unveränderungen?
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„Über Gegenstände höherer Ordnung“, a. a. O., S. 248. Die Hervorhebung ist von Husserl. – Anm. d. Hrsg. 2 A) Unterschied der Zeitgegenstände und der von der Zeit abstrahierenden Materien der Zeitpunkte, also der zeitlosen. B) Unterschied zwischen Unveränderungen und Veränderungen.
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Oder noch viel einfacher und durchsichtiger: Ist die Vorstellung (die Wahrnehmung, die Anschauung) einer Veränderung notwendig eine Veränderung, ist die Vorstellung eines Vonstatten-gehens selbst ein Vonstatten-gehen, die Vorstellung eines Werdens selbst ein Werden; oder kann in einem ruhenden, in sich unveränderten Erlebnis ein Sich-verändern anschaulich werden? Die Frage ist aber auch: Ist die Anschauung einer Unveränderung selbst eine Unveränderung, oder ist sie eine Veränderung? Oder kann sie nur eine Unveränderung sein, und kann wieder bald das eine und 〈 bald 〉 das andere sein? – Wieder nicht korrekt erscheint mir eine der späteren, beschränkteren Formulierungen bei Meinong. Allenfalls angängig ist: „Muß dem Nacheinander des Gegenstandes ein Nacheinander des Inhaltes entsprechen?“1 Nicht gut aber die folgende: „Ist Zeit erforderlich, um ein zeitlich Ausgedehntes vorzustellen?“ (248/49)2. Das letztere ist doch außer Frage. Natürlich ist Zeit erforderlich, und notwendig erforderlich. Aber wohl ist die Frage, ob die Vorstellung eines zeitlich Ausgedehnten, und zwar die anschauliche Vorstellung, den Charakter einer Veränderung (eines Vonstatten-gehens) hat. Und das ist auch der | Sinn der gelegentlichen Frage Meinongs, ob wir in einem Zeitpunkte eine „Ausdehnung“ vorstellen können3. Hat nämlich die Vorstellung den Charakter einer Unveränderung, dann ist sie in jedem Momente in sich identisch dieselbe, und wenn das, die Zeitausdehnung vorstellen, ihre Qualität ist, dann bleibt ihr dieser Charakter erhalten, wie man die Zeit, ihre Zeit, auch dehnen oder auf einen Punkt zusammenziehen mag. Etwas besser steht es mit der zuerst genannten der beiden Formulierungen: „Muß dem Nacheinander des Gegenstandes 1
„Über Gegenstände höherer Ordnung“, a. a. O., S. 248. – Nachträglich hat Husserl zu dem Zitat noch angemerkt: „Inhalt = phänomenologischer Inhalt“. – Anm. d. Hrsg. 2 A. a. O., S. 249. – Anm. d. Hrsg. 3 Seinen ursprünglichen Verweis „(irgendwo in der ‚Analyse‘)" – nach den Worten „… Frage Meinongs“ – hat Husserl später gestrichen. In der ihr von Husserl gegebenen Form ist die Frage wohl in der Tat bei Meinong nicht nachweisbar. Man vergleiche jedoch seine „Beiträge zur Theorie der psychischen Analyse“, a. a. O., S. 64 ff. – Anm. d. Hrsg.
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ein Nacheinander des Inhaltes entsprechen?“ Hier tritt uns der Veränderungscharakter der Vorstellung natürlich entgegen, da ja der „Inhalt“ hier gemeint ist als etwas ihr wahrhaft Immanentes (reell sie mit Konstituierendes), und diese Frage ist, wenn wir sie auf die Auffassungsinhalte beziehen, in der Tat eine näher bezeichnende als die allgemeine. Man muß ja fragen: Wie verhält es sich mit den Präsentanten der in der Wahrnehmung der Veränderung präsentierten Momente der Sukzession? Sind diese nacheinander oder gleichzeitig in der Vorstellung; ist diese selbst also, zumindest in dieser Hinsicht, Veränderung oder Unveränderung? Und ebenso für die Wahrnehmung einer Unveränderung. Sind die zu jedem Zeitpunkt der Unveränderung (der Zeitstrecke, während deren sie materiell sich nicht ändert) gehörigen Präsentanten in der Anschauung gleichzeitig oder nacheinander? Meinong, „Gegenstände höherer Ordnung“, S. 249: Wir nehmen eine Bewegung wahr, etwa eine Kugel bewegt sich. Wir unterscheiden die Zeit der Bewegung von der Zeit der Vorstellung der Bewegung (ihrer Wahrnehmung oder anschaulichen Vorstellung überhaupt). (Meinong spricht von „Gegenstandszeit“ und „Inhaltszeit“.) Die Wahrnehmung der Bewegung erfolgt doch so, daß wir dem Beweglichen und Sich-bewegenden Punkt für Punkt mit dem Blick folgen, den Zeitlagen desselben entsprechen die Empfindungen und Wahrnehmungen, und ist die letzte dieser Empfindungen vorüber, dann hat der Beob -| achter aufgehört, die Bewegung zu sehen. Danach scheint mit der Zeit der Bewegung die Zeit der Vorstellung der Bewegung parallel zu laufen, ja die eine und die andere scheinen zu koinzidieren1. (Der Sinn der nicht sehr durchsichtigen weiteren Darstellung ist wohl der: Die Zeit der Bewegung soll identisch sein mit 1
Meinong, a. a. O., S. 249: „Mit der Gegenstandszeit geht hier also allem Anscheine nach die Inhaltszeit durchaus parallel; es scheint ausgeschlossen, letztere auf einen Punkt zusammenzudrängen. So weit geht hier der Parallelismus, daß Gegenstands- und Vorstellungszeit hier geradezu ungefähr zu koinzidieren scheinen. Daß dem nicht überall so ist, lehrt nun freilich die Empirie schon am wachen, noch deutlicher am träumenden Subjekt …“ – Anm. d. Hrsg.
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B. Ergänzende Texte
der Zeit der Wahrnehmung der Bewegung, und zwar unter der Auffassung, daß hintereinander Punkt für Punkt die Zustände des Sich-bewegenden wahrgenommen werden.) Aber wenn in jedem Punkt der Bewegungszeit ein bestimmter Zustand des Beweglichen wahrgenommen wird, so ist damit nicht 〈 ge 〉sagt, daß die Bewegungszeit die Zeit der Wahrnehmungsvorstellung der Gesamtbewegung ist. Die Bewegungszeit ist der Inbegriff der Zeitpunkte für die Wahrnehmung jeder einzelnen Lage des Beweglichen, aber sie ist darum noch nicht die Zeit der Wahrnehmung der Bewegung, d. i. der Gesamtbewegung, oder auch nur irgendeines noch so kleinen Stückes, also einer Bewegung überhaupt. Dieser eine Satz macht die langatmige Ausführung Meinongs, die in unklarer Weise schließlich auf dasselbe hinauskommt1, überflüssig. Deutlicher machen wir unsererseits einige notwendige Scheidungen: Wir scheiden 1) Zeit der Bewegung der Kugel (die objektive Zeit des objektiven Vorgangs, welcher Gegenstand der Wahrnehmung ist); 2) die Zeit der Wahrnehmung. Das ist aber doppelsinnig: a) Das Wahrnehmen einer Bewegung erfordert das Wahrnehmen der kontinuierlich sich ändernden Lagen der Kugel (das Wahrnehmen der kontinuierlichen Phasen des Sich-bewegenden) und | vollendet sich, wenn die letzte Phase erreicht ist. Nennen wir diesen kontinuierlichen Vorgang das Wahrnehmen der Kugelbewegung, so deckt sich die Gegenstandszeit (die Zeit der Bewegung) mit der Zeit der Wahrnehmung der Bewegung (mindestens annähernd), jedenfalls ist die Wahrnehmungszeit eine Zeitstrecke. Wir nennen diese Wahrnehmung extensive Wahrnehmung. 1
Meinong, a. a. O., S. 251 f.: „Handelt es sich … um einen wirklich einheitlichen Gegenstand mit sukzessiven Teilen, dann kann sukzessives Vorstellen eben nur die Teile erfassen, nicht aber das Ganze, so daß sich allgemein behaupten läßt: distribuierte Gegenstände höherer Ordnung können nur mittels indistribuierter Inhalte vorgestellt werden; die zeitlich verschieden bestimmten Inferioria müssen dem Vorstellen zugleich, wenn auch natürlich nicht als gleichzeitig, gegeben sein“. – Anm. d. Hrsg.
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b) Vollendet ist die Wahrnehmung der Bewegung im Endpunkt der Bewegungswahrnehmung, im Endpunkt der zuletzt bezeichneten Strecke. Nennen wir Wahrnehmung der Bewegung AB dasjenige Momentanbewußtsein, in welchem oder mit welchem der Gegenstand AB zum ersten Male fertig bewußt ist, oder denjenigen fertigen Zustand, der in diesem Gegenstand sein intentionales Korrelat hat, dann ist „Wahrnehmung der Bewegung“ die Endgrenze der Wahrnehmung im vorigen Sinn. Sie ist zeitlich unausgedehnt, sie repräsentiert einen Zeitpunkt. Freilich geraten wir hier auf dieselbe idealisierende Fiktion wie beim mathematischen Zeitpunkt. Jedenfalls werden wir sagen, daß dieses Bewußtsein der vollendeten Bewegung nur möglich ist in der Wahrnehmung der Bewegung im ersten Sinn; ebenso ist demnach die anschauliche Vorstellung einer Bewegung nur möglich in einem kontinuierlichen Akt, der zeitlich dauert, der in jeder Phase eine Phase der Bewegung vorstellt, und doch die Bewegung als Ganzes erst zum intentionalen Gegenstand hat im Endpunkt seiner eigenen Veränderung1. Das anschauliche Bewußtsein einer Veränderung vollzieht sich notwendig in einer Veränderung des Bewußtseins2. Doch damit gehen wir schon über Meinong hinaus. Freilich, mit welchem Recht wird denn jenes Momentanbewußtsein, das die Endphase der extendierten Wahrnehmung ausmacht, als Wahrnehmung der Bewegung bezeichnet? Das Bewußtsein, in dem ich den letzten Ton der Melodie vollziehe, | mag intentional eine Strecke der Melodie, und vielleicht die ganze, noch mit befassen, aber kann dies die Wahrnehmung 1
Nachträglich hat Husserl hierzu angemerkt: „In diesem Punkt? In diesem Punkt vollendet sich die Wahrnehmung der ganzen Bewegung, aber damit ist nicht gesagt, daß dieser abstrakte Punkt Wahrnehmung der Bewegung ist. Diese Wahrnehmung ist eben ein sukzessives Ganzes“. Vgl. vier Zeilen weiter im Text den mit „Freilich …“ beginnenden Absatz. – Anm. d. Hrsg. 2 Ursprünglich fuhr Husserl hier mit dem später zwischen eckige Klammern gestellten Satz fort: „In dem ‚notwendig‘ steckt eine Evidenz, und steckt wieder die Hauptsache und Hauptschwierigkeit“. – Anm. d. Hrsg.
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B. Ergänzende Texte
der Melodie heißen? Es ist Wahrnehmung des letzten Tones, und sogar nur einer Phase desselben, aber nicht Wahrnehmung der Melodie. –1 Meinong selbst zeigt im Grunde nur: Die Wahrnehmung einer Bewegung, einer noch so kleinen Strecke (und schließlich der Gesamtbewegung) ist Wahrnehmung dieses ganzen Veränderungsgegenstandes (und er ist immer ein Ganzes). Sie besteht nicht aus den kontinuierlich aufeinander folgenden momentanen Jetztwahrnehmungen, die ergeben jeweilig ihr Jetzt, aber nicht das extendierte Zeitobjekt. Natürlich, das extendierte Objekt, da es kein partielles Jetzt ist, kann auch nicht in einer Jetztwahrnehmung, die eben ein partielles Jetzt gibt, wahrgenommen werden. Es ist eben evident, daß Wahrnehmung des extendierten Objekts jeden Punkt dieser Extension wahrnehmen 〈 heißt 〉, und da evidenterweise Wahrnehmung und Wahrgenommenes phänomenal gleichzeitig ist (es handelt sich nicht um objektive Gleichzeitigkeit), so folgt: Die Wahrnehmung eines Zeitobjekts muß ein Zeitobjekt sein, und beide decken sich nach ihrer phänomenalen Extension. Aber Meinong will ja gerade anderes erschließen. Er glaubt, schließen zu können: Da die Wahrnehmung des Zeitobjekts nicht aus der stetigen Folge der Momentanwahrnehmungen Momentan-Jetzt-Wahrnehmungen besteht, sofern jede dieser nur ihr Jetzt gibt, so muß ein Akt vorliegen, der über das Jetzt hinaus das ganze Zeitobjekt umfaßt. Das Objekt ist für die Wahrnehmung vollendet im Endpunkt: also da muß dieser Akt statthaben und muß, das ganze Objekt umspannend, die Wahrnehmung des Objekts ausmachen. Also distribuierte Gegenstände werden nur mittels indistribuierter „Inhalte“ vorgestellt (soll wohl heißen: Akte mit repräsentierenden Inhalten, die momentan-simultan gegeben sind). Aber das ist falsch oder wahr, je nachdem man es versteht, und falsch, so wie es Meinong zu verstehen scheint. Gewiß, das Bewußtsein muß über das Jetzt hinausgreifen. Das muß es in jedem momentanen Akt, 1
Der ganze Absatz von „Freilich …“ an ist dem Text wohl noch etwas später nachträglich hinzugefügt als die S. 225, Anm.1 vermerkte Randnotiz angebracht ist. Anm. d. Hrsg.
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aber | dieser ist nicht die Wahrnehmung des Zeitobjekts, sondern ein Abstraktum. Damit Wahrnehmung des Zeitobjekts möglich sein können soll, muß nicht nur der Endakt, sondern jeder Momentanakt ein übergreifender sein; in der Verschmelzung dieser übergreifenden Akte besteht die Wahrnehmung, die selbst extendiert, distribuiert ist. Keiner dieser Akte hat ein Anrecht dazu, Wahrnehmung zu heißen.1 Damit glaubt er, als Resultat erwiesen zu haben: das sukzessive Vorstellen sei eben nur Teilerfassen, nicht aber das Ganze, so daß sich allgemein behaupten ließe: Distribuierte Gegenstände höherer Ordnung (Melodien, Bewegungen …) können nur mittels indistribuierter Inhalte vorgestellt werden. Aber ist dies wirklich bewiesen? Ist die Wahrnehmung die Endphase, und ist diese ein mathematischer Punkt? Ist sie es, dann hieße das, diese Wahrnehmung, wenn das die Wahrnehmung der Bewegung sein soll, ist entweder unmöglich, oder sie ist als Ausdehnung nur denkbar. Ein Punkt für sich ist ja nichts. Nun ist die Frage: Ist sie nur denkbar als solche Endphase? Und ist dann nicht der ganze Akt sukzessiver Wahrnehmung das, was in Wahrheit „Wahrnehmung der Bewegung“ heißen muß? Dann ist die Wahrnehmung selbst distribuierter Gegenstand, und das, was Meinong heraushebt, ist eine bloße mathematische Abstraktion. Oder kann man etwa sagen: sie ist, so wie sie in der Endphase geworden ist, fortdauerndes Sein, sie könnte eine Weile ungeändert fortdauern? Aber haben wir die Wahrnehmung der Bewegung noch, wenn die Bewegung dahin ist? Und hieße das nicht, wir könnten sie haben auch ohne Bewegung? Denn jedes dauernde Sein (jede Unveränderung) kann für sich sein, gleichgültig wie es geworden ist; „kann“, d. h. ist denkbar als für sich Seiendes. In der Tat ist es aber (wenn irgend etwas) eine Evidenz, daß die Endphase nur als Endphase, und jede Zeitphase nur als Zeitphase denkbar und möglich ist. Und so ergibt sich das Gegenteil der Meinong’schen Behauptung.
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Der Text von S. 226 „Sie besteht nicht …“ an bis hierher ist der einer nachträglichen Einfügung Husserls. – Anm. d. Hrsg.
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Also der Einwand gegen Meinong: Wenn die Wahrnehmung der Bewegung ein indistribuierter Akt wäre, so wie Farbe, Ort etwas Indistribuiertes ist, so läge darin, daß sie nicht nur als | Phase, sondern als etwas Dauerndes sein könnte. Indistribuierte Gegenstände sind Zeitmaterien und können jede beliebige Zeitstrecke erfüllen. Das ist aber Unsinn. 〈 Nr. 30 Dreierlei Phasen 〉1
Der Klarheit halber sind scharf zu unterscheiden dreierlei Phasen: 1) Momentananschauung oder Anschauungsphase: Die Phasen der Anschauung des Zeitobjekts. Die Anschauung ist selbst ein zeitliches Objekt und hat als solches ihre Phasen. Z. B. die Wahrnehmung der Melodie: Wahrnehmung des ersten Tones, Wahrnehmung der ersten beiden im Nacheinander, als erstes Stück der Melodie, Wahrnehmung des ersten melodiösen Absatzes etc. 2) Das Moment des Objekts, Zeitphase des Objekts: Innerhalb jeder Phase im vorigen Sinn, also, wenn wir aus der Extension der Anschauung einen Punkt herausnehmen, innerhalb dieses Punktes, „erscheint“ eine gewisse Zeitgestalt, erscheint das betreffende Stück der Melodie, und dieses hat seine Phasen: das sind erscheinende Phasen, nicht Phasen der Erscheinung (der Anschauung als Erlebnis). 3) Die gegenständlichen Phasen nach 2), die in einem Momente simultan bewußt sind, sofern die Einheit der Auffassung in diesem Moment sie alle umfaßt, erscheinen in ihrer kontinuierlichen Mannigfaltigkeit eben in der Einheit der Auffassung, und diese hat eine entsprechende Mannigfaltigkeit von Auffassungsmomenten. Das gibt die simultanen Phasen der Auffassung des betreffenden Moments: Auffassungsmomente in der Momentananschauung entsprechen den Momenten des 1
Die Aufzeichnung eines Blattes, das Husserl mit der Bezeichnung „32“ offenbar in das ursprüngliche Konzept der Zeitvorlesungen von 1905 eingereiht hat; vgl. S. 216, Anm. 1. – Anm. d. Hrsg.
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Objekts. Oder auch: Auffassungsphasen in der Anschauungsphase – entsprechend den Zeitphasen des Objekts. Natürlich haben wir dann auch zu scheiden: die Phasen der Repräsentanten in der Anschauungsphase und die Phasen der Auffassungs- und sonstigen Aktcharaktere. Wir haben nun ad 1) zu sagen: Die Anschauungsphasen gehen kontinuierlich ineinander über, aber diese Kontinuität ist nur | gegeben in einer reflexiven Wahrnehmung, die den Identitätsfluß objektiviert. Das führt also zurück auf ad 3): Wir haben zu unterscheiden die Einheit der Auffassung in der Auffassungsphase (in der einzelnen) von der Einheit aller Auffassungsphasen innerhalb der Momentananschauung (der Anschauungsphase). Wenn ich eine Melodie wahrnehme (sie möge ganz in die „Wahrnehmung“ fallen), so habe 〈 ich 〉 in irgendeiner Wahrnehmungsphase gegenständlich die Melodie „bis dahin“, in der Endphase der Melodie die ganze Melodie. Darin ist jede gegenständliche Phase (jeder Ton für sich) aufgefaßt, in einem Moment der Auffassung vertreten. Ebenso, wenn ich im Nacheinander einen Menschen und dann einen Hund sehe, so ist „Mensch“ aufgefaßt für sich und „Hund“ ebenso, und zwar gehört zu dem Bewußtsein des Nacheinander in der EndMomentananschauung beides. Jede solche implizierte Auffassung ist eine Auffassungseinheit. Diese Auffassungen aber sind zusammengeschlossen zum Momentan-Zeitbewußtsein. Ich sage „Momentan-Zeitbewußtsein“, denn wir müssen wieder scheiden: die Anschauung des zeitlichen Objekts, die Anschauung der Melodie, ihre Wahrnehmung; diese erstreckt sich vom Erklingen des ersten Tones bis zu dem des letzten – 1) also das zeitlich extendierte, volle, konkrete Zeitbewußtsein, die volle Wahrnehmung, Anschauung der Zeit; 2) das Momentan-Zeitbewußtsein, Phase von 1). – Worin besteht nun das Momentane? Und wie hängen die momentanen 〈Zeitbewußtseinsphasen〉 zusammen? Im Momentan-Zeitbewußtsein haben die Auffassungsphasen Einheit der Akt-Kontinuität: das Moment der Aktform differenziert sich, stuft sich stetig ab. Die Aktformen decken sich und entfernen sich doch voneinander (Einheit der infinitesimalen Ähnlichkeit
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ist freilich nicht immer solche Einheit: Farbenreihe setzt voraus zeitliche oder räumliche Kontinuität). Oder vielmehr, sie decken sich nicht, aber sie haben Affinität. Sie „nähern“ sich, einigen sich mit Abstand etc. Der Aktform entspricht das kategoriale Moment der Zeit, sie ist die Aktformung des „Objekts“, des Zeitinhalts. Aber ist dieses Moment selbst Zeit? Das ist doch unmöglich. | 〈 Nr. 31 〉 Zeichnung 〈 Jetztauffassung und extensive Wahrnehmung 〉1
Wir betrachten die Tonfolge A B C, jeder Ton seine Zeit dauernd und kontinuierlich an seinen Nachbarn angrenzend. Alle drei in ihrer Folge werden wahrgenommen in der Einheit einer Wahrnehmung. In ihr haben wir ein konkretes, zeitlich extendiertes Bewußtsein von jedem Ton, und nicht nur das, von der Tongestalt, die sie zusammen bilden. Jeder Ton ist nicht nur bewußt im Jetztpunkt, sondern während der ganzen Zeit der extendierten Wahrnehmung. Darin liegt, daß die Auffassung von A nicht im Anfangsmoment von A anfängt und, unverändert dauernd, im Endmoment von A aufhört, sondern es hört nur die Auffassung von A auf, Jetztauffassung des A X
AB
A
B
C
X’
BC
AC
1
Die Aufzeichnung eines Blattes, das Husserl mit der Bezeichnung „34“ offenbar in das ursprüngliche Konzept der Zeitvorlesungen von 1905 aufgenommen hat; vgl. S. 216, Anm. 1. Das mit „33“ bezeichnete Blatt ist unten in Nr. 33, S. 232 ff. wiedergegeben. – Anm. d. Hrsg.
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zu sein. Indem sie diesen Charakter verliert, „sinkt“ das A in die Vergangenheit. Ebenso bei B und C. XX' ist die objektive Zeitlinie. Jedesmal ist darin nur ein Punkt real. Das Zurücksinken in die Vergangenheit zeichnen wir durch Ordinaten, indem wir den Zeitabstand, den das A verflossen ist, auf die in A errichtete Ordinate auftragen. Die schrägen Linien geben dann ein Bild der Inhalte des originären Zeitfeldes. Jede schräge Linie enthält die Zeitstufen des Inhalts für den Endpunkt. Alle Punkte sind darin natürlich simultan. | 〈 Nr. 32 〉 Kontinua1
1) Das Kontinuum der extensiven Wahrnehmung eines Zeitobjekts, z. B. einer Bewegung, umfassend alle Phasen des Wahrnehmens, in denen sich allmählich das Wahrnehmen der Bewegung vollzieht und schließlich vollendet. 2) Das Kontinuum der Zeitstrecke des wahrgenommenen Zeitobjekts, seine Zeitausdehnung ausmachend; a) das Kontinuum der Zeitstrecke des ganzen Zeitobjekts, wie es am Schluß der Wahrnehmung erscheint, b) soweit es während einer Phase der Wahrnehmung erscheint. 3) Das Kontinuum der Auffassung, die sich in einem Momente der Wahrnehmung vollzieht und einen entsprechenden Teil des Zeitobjekts einheitlich und momentan-simultan konstituiert. Dieses Kontinuum ist für jeden Moment ein anderes. 4) Das Kontinuum der Auffassungsinhalte für jede der momentanen Auffassungen, und zwar sowohl nach dem, was in ihnen als Jetzt erscheint, als 〈 auch nach dem 〉, was als eben vergangen erscheint. 5) Das Kontinuum der Auffassungsinhalte, die zu einer bestimmten Phase des Gegenständlichen 〈 gehören 〉, für die ganze 1
Die Aufzeichnung eines Blattes, das Husserl mit der Bezeichnung „36“ offenbar in das ursprüngliche Konzept der Zeitvorlesungen von 1905 aufgenommen hat; vgl. S. 216, Anm. 1. – Anm. d. Hrsg.
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B. Ergänzende Texte
extensive Wahrnehmung sich durchführend, und ebenso die Kontinuität der Auffassungscharaktere und -formen. Also jede Wahrnehmung zerfällt in Querschnitte. In jedem Querschnitt eine Kontinuität von sinnlichen Inhalten, in einer Empfindung terminierend, und eine Kontinuität von Charakteren 〈 der Auffassung 〉, terminierend in der Jetzt-Wahrnehmung. Die Einheit der Gesamtwahrnehmung ist nun ein Kontinuum dieser Kontinua, die eben stetig Phase für Phase (nach ihren Momentanphasen) sich aneinander schließen und dadurch das einheitliche Bewußtsein vom ganzen Zeitgegenstand konstituieren. | 〈 Nr. 33 〉 Ergebnisse der Diskussion Stern-Meinong1
1) Zum Wesen der Wahrnehmung eines Zeitobjekts gehört, daß sie selbst ein Zeitobjekt ist. Sie hat unter allen Umständen eine zeitliche Extension. 2) Zum Wesen solcher Wahrnehmung gehört, daß sie den Charakter eines Veränderungsobjekts hat. Auch die Wahrnehmung eines unveränderten Objekts ist in sich vom Charakter der Veränderung. 3) Jede Wahrnehmungsphase hat intentionale Beziehung auf eine Strecke des Zeitobjekts, und nicht etwa bloß auf einen in ihr notwendig gegebenen und mit ihr simultanen Jetztpunkt. 4) Diese Beziehung umspannt das bisher abgelaufene Stück des Zeitobjekts in bestimmter Weise; in mehr oder minder bestimmter Weise oft auch das unmittelbar angrenzende künftige Stück des Zeitobjekts. Doch ist dieses Letztere nicht wesentlich. Jedenfalls gehört aber wesentlich mit 〈 hinzu 〉 eine Intention auf Künftiges, wenn auch nicht auf Fortsetzungen, die dasselbe Zeitobjekt angehen. 5) Es ist zu scheiden zwischen den Teilen des Zeitobjekts, die in der betreffenden Momentanphase der Wahrnehmung 1
Die Aufzeichnung eines Blattes, das Husserl mit der Bezeichnung „33“ offenbar in das ursprüngliche Konzept der Zeitvorlesungen von 1905 eingereiht hat; vgl. S. 216, Anm. 1, auch S. 230, Anm. 1. – Anm. d. Hrsg.
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noch in die Anschauung fallen, und solchen, die es nicht tun. Den ersteren entsprechen sowohl kontinuierliche Auffassungsinhalte als auch Auffassungscharaktere, den letzteren leere Auffassungsintentionen. 6) Die Wahrnehmung bezieht sich auf das Zeitobjekt in einer doppelten Kontinuität, in einer Kontinuität zweiter Stufe. Wir unterscheiden a) das Kontinuum der Wahrnehmungsphasen, b) 〈 das 〉 Kontinuum der intuitiven Auffassungen innerhalb einer Phase. Dieses Kontinuum terminiert in einer Jetztauffassung, die der Durchgangspunkt der Vergangenheitsauffassungen und Zukunftsauffassungen ist. Jedes solche Kontinuum nennen wir ein intuitives Querschnittkontinuum. An die Kontinuität der intuitiven Querschnittkontinua schließt | sich ein vages Kontinuum leerer Intentionen an, bezüglich auf die nicht mehr intuitiven Teile des Zeitobjekts. 7) Die Wahrnehmung ist danach ein Kontinuum von Kontinua. Verfolgen wir irgendeinen Auffassungsinhalt von der ersten Wahrnehmungsphase an, die notwendig den Charakter einer Jetztwahrnehmung hat, so geht er durch die Kontinuität der Querschnittkontinua hindurch, und zwar a) mindestens ein Stück dieser Kontinuität hindurch ist er ein beständiges Jetzt. Der Auffassungsinhalt ist ein beständiger Präsentant einer Jetztwahrnehmung; die Wahrnehmung hat, soweit er als Präsentant in Frage ist, den Charakter einer Wahrnehmung von unverändert Dauerndem oder von Sichveränderndem. b) Der Auffassungsinhalt nimmt den Charakter eines Phantasma an, jedenfalls eines nicht mehr als Empfindung zu Charakterisierenden. Dabei ist aber folgendes zu beachten. Da jede Wahrnehmungsphase die zurückliegende Strecke des Zeitobjekts anschaulich vorstellt, so wird beispielsweise der Ton, der eine Sekunde lang andauert, nicht bloß in jedem Querschnitt der Sekunden-Wahrnehmung in der Weise des Jetzt wahrgenommen und hat in diesem Querschnitt nicht bloß seinen momentanen Präsentanten; zeitlich gedehnt erscheint der Ton anschaulich durch Koextension des Auffassungsinhaltes, der nur
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B. Ergänzende Texte
einem Punkte nach den Charakter der Empfindung, im übrigen, stetig sich abstufend, einen modifizierten Charakter hat1. Nur in der Anfangsphase der Tonwahrnehmung fehlt diese Koextension, in jedem weiteren Querschnitt dieser Wahrnehmung ist sie da, und sie wächst von Querschnitt zu Querschnitt, bis zu dem End-Querschnitt der Tonwahrnehmung. Hierbei ist immerfort für jeden Querschnitt in dem sinnlichen Kontinuum des Tones ein Steigerungskontinuum gegeben, das in einer Empfindung terminiert. Schreitet die Melodie fort, so hört der Ton auf, empfundener bzw. wahrgenommener zu sein; in jedem weiteren Querschnitt also, solange der Ton noch zu seinem intentionalen Gehalt gehört, ist zwar der Ton in Form einer Extension noch vorgestellt, aber ohne eine Empfindungsgrenze. Was von den | Auffassungsinhalten ausgeführt ist, gilt auch von den Auffassungen: der Empfindung entspricht das Wahrnehmungsbewußtsein als Jetztbewußtsein. Den graduell abgestuften Auffassungsinhalten entspricht die Abstufung der Auffassungen innerhalb einer Phase; und in der Einheit dieser Abstufungen, die eine intentionale Einheit ist, konstituiert sich die originäre Vergangenheit, im kontinuierlichen Anschluß an das wahrgenommene Jetzt. Es ist natürlich das Vergangenheitsbewußtsein hinsichtlich des bis zum Jetzt abgelaufenen Zeitobjekts. In einem kontinuierlich sich entfaltenden Akte konstituiert sich das Zeitobjekt so, daß Moment für Moment ein Jetzt des Zeitobjekts als sein Gegenwartspunkt wahrgenommen wird, während zugleich Moment für Moment ein Vergangenheitsbewußtsein sich mit dem Bewußtsein des Gegenwartspunktes kontinuiert und das bisher abgelaufene Stück des Zeitobjekts als soeben-vergangen erscheinen läßt. Moment für Moment sind Auffassungsinhalte da, Empfindungen für das Jetzt und Phantasmen für das Vergangene, soweit Vergangenheit wirklich anschaulich war: soweit das ursprüngliche Zeitfeld reicht.
1
Nachträglich merkte Husserl hierzu an: „Wozu das? Das ist unwesentlich“. – Anm. d. Hrsg.
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〈 Nr. 34 Zum Problem des Bewußtseins von einer Aufeinanderfolge 〉1
1) Ich nehme wahr A, dann B, dann C. 2) Ich nehme wahr das B, und zwar als nach A kommend, das C nach B, dieses nach A kommend, C just im Jetzt, das B eben gewesen, das A vor B gewesen. 3) Ich erinnere mich an das B (wie es Jetzt war, ich versetze mich in das Jetzt des B) und daran, daß, wie B Jetzt war, A eben vergangen war. 4) Das B, das „ Jetzt“ war, ist dasselbe wie das B1, das in der Charakteristik des Eben-vergangen in der originären Zeitstrecke erschien. Identifikation der Vergegenwärtigung (der „reproduzierten Wahrnehmung“) mit der zeitlichen Zurückschiebung des | B, die aber selbst nur vergegenwärtigt ist, mitsamt der ursprünglichen Zeitstrecke. 5) Das Bewußtsein des A dauert während der ganzen Zeitstrecke bis C. Bei C hat das Momentanbewußtsein eine Erstreckung, die die Form hat: =
-
A B C t0 t1 t2 Aber „A“, das Bewußtsein von A, hat den Charakter einer Zeiterstreckung, eines Zurücksinkens vom Jetzt bis in das Vergangen, derart daß es in der Zeit t1 den Vergangenheitscharakter t1–t0, in der Zeit t2 den Vergangenheitscharakter t2–t0 hat. Es liegt nicht bloß dies vor, daß im Zeitpunkt t2 das A mit dem Charakter „t0“, das B mit dem Charakter „t1“ da ist, den entsprechenden Zeiten selbst. Vielmehr ist
1
Aufzeichnung auf einem Doppelblatt, das Husserl als Umschlag für die Mehrzahl der von Edith Stein für ihre Ausarbeitung der Zeitvorlesungen nicht benutzten Blätter verwendet hat; durch eine Drucksache auf der Rückseite ist die Aufzeichnung indirekt auf frühestens der 15. II. 1905 datiert. Es dürfte sich also um eine der allerletzten vorbereitenden Aufzeichnungen für die Zeit Vorlesungen des Februar 1905 handeln. – Anm. d. Hrsg.
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1) zu bemerken, daß der Charakter des A ein wechselnder ist. Zuerst hat es den Charakter des Jetzt, dann den Charakter Vergangen, und zwar β, nämlich wenn B Jetzt ist, und das β bezeichnet einen gewissen Abstand von B; dann hat – bei gleichen Zeitabständen, wie wir fingieren wollen – C den Charakter Jetzt, das B den Charakter ß und das A den Charakter 2β. 2) Ferner, wir wissen von diesem stetigen Wandel, von diesem stetigen Zurücksinken. Also a) die Auffassungen ändern sich stetig, während A in B in C übergeht. | b) Das heißt: die Auffassung von A vergeht nicht im Moment A sondern A „sinkt“, stetig schließt sich Auffassung an Auffassung an. X
A
C
B
X’
Aα
AB
AC
BC
XX' die objektive Zeitlinie, die Linie der aktuellen Jetzt. Jedesmal ist nur ein Punkt real. Die schrägen Linien geben die Konstruktionen der originären Zeitfeldinhalte für jeden Punkt.* *
Gleiche Zeitabstände
Zu A gehört zur Zeit, da B Jetzt ist, in der Hauptlinie ist, AB. War in der Zwischenzeit zwischen A und B kein Jetztinhalt da, so gehört doch zu jedem Jetztpunkt dazwischen, etwa α, ein Aα. Ist α aber ein Jetztinhalt, so sinkt er auch und in gleichem Maße, so daß die sämtlichen in die gleiche Parallele zu X X' gehörigen Punkte nicht etwa gleichzeitig sind, vielmehr sind gleichzeitig die in der Schrägen liegenden Punkte. Sie drücken das jeweilige Momentanbewußtsein nach seinem Zeitcharakter aus. In der Parallelen haben wir Punkte, von denen, so wie in X X', immer nur ein Punkt auf einmal im Bewußtsein ist.
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3) A; (B, AB); (C, BC, AC); …1 sind aufeinander folgende Bewußtseinsstadien, aufeinander folgende Momentananschauungen. Auch von dieser Aufeinanderfolge haben wir ein Bewußtsein? Freilich eine Schwierigkeit, ob das nicht einen unendlichen Regreß verlangen würde. Ja, sicher haben wir nicht ein Momentanbewußtsein dieser Bewußtseinsstadien. Wir haben sie vielmehr nacheinander, und nur nacheinander. Z. B. wenn ich drei Töne summe. Und im Endbewußtsein habe ich eben nur das Endbewußtsein. Wie unterscheide ich sie, wie vergleiche ich sie? Woher weiß ich von ihrer stetigen Folge? Ich wiederhole A, ich wiederhole A B und beschaue mir das (AB B), ich wiederhole endlich das Ganze und beschaue mir (AC BC C), ich identifiziere A mit AC, wobei bei A in der Erwartung das B C sich schon abspielt. |
1
Husserl bemerkt am Rand: „Besser umgekehrt geschrieben, also von rechts nach links gelesen, oder von oben nach unten schreiben!“ Mit der Umkehrung dürfte die im Folgenden auch benutzte Schreibweise gemeint sein: A; (A B, B); (AC, BC , C). – Anm. d. Hrsg.
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〈 III.〉 Seefelder Manuskripte über Individuation1 〈 Nr. 35 〉 Einheit des Zeitdinges als Identischen der Veränderung oder Unveränderung2
Wovon habe ich Evidenz in der phänomenologischen Wahrnehmung, und wobei habe ich ein indirektes und transzendentes Wissen hinsichtlich derselben Wahrnehmung? Ich sehe eine Bierflasche, die braun ist, ich halte mich an das Braun in seiner Ausbreitung, „so wie es wirklich gegeben ist“, ich schließe alles, was im Phänomen bloß gemeint und nicht gegeben ist, aus. Da ist eine Bierflasche, und sie ist so und so. Ich unterscheide die Bierflaschen-Erscheinungen, ich mache sie zu Gegenständen. Ich finde den Zusammenhang dieser Erscheinungen, ich finde das Bewußtsein der Identität, das durch sie hindurchgeht. Ich finde, daß ich es ausdrücke mit den Worten: Die Bierflasche erscheint immer, erscheint als dauernd dieselbe und als immerfort gleich bestimmte. Und dabei sind verschiedene Erscheinungen; die Erscheinungen sind nicht die Bierflasche, die in ihnen erscheint. Sie sind verschieden, die Flasche ist dieselbe. Die Erscheinungen sind selbst Gegenstände. Eine Erschei1
Sämtliche hier wiedergegebenen Aufzeichnungen sind einem von Husserl selbst zusammengestellten Konvolut mit folgender Aufschrift ent nommen: „Seefelder Manuskripte und ältere über Individuation. Seefeld 1905. Individuation. (Historische Note: In Seefelder Blättern – 1905 – fi nde ich schon Begriff und korrekten Gebrauch der ,phänomenologischen Reduktion‘)“. Nicht wiedergegeben ist nur gerade die einzige „ältere“ Aufzeichnung – aus „Halle“, d. h. vor 1900 –, die dem Konvolut noch beiliegt. Die Aufzeichnung Nr. 35 ist genau und ausdrücklich datiert auf „Seefeld, Sommerferien 1905“, die folgenden – Nr. 36–38 – sind später, allerspätestens jedoch wohl um 1909 niedergeschrieben; vgl. die nachstehende Anm. – Anm. d. Hrsg. 2 Diese Aufzeichnung hat Husserl deutlich datiert auf „Seefeld, Sommerferien 1905“. Er hat ferner zu ihr vermerkt: „Verlegenheiten PfänderDaubert“. Die Aufzeichnung ist also offenbar nach einer Diskussion mit A. Pfänder und J. Daubert in den Sommerferien 1905 in Seefeld entstanden. Über Johannes Daubert siehe H. Spiegelberg, The Phenomenological Movement, Den Haag 1960, I, S. 171. – Anm. d. Hrsg.
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nung, es | ist ein stetig Identisches. Es dauert eine „Zeitlang“. In der Erinnerung festgehalten, sind darin die und die Teile und Momente zu unterscheiden. Sie sind wieder Gegenstände, jeder ist ein und derselbe während seiner Dauer, während der Dauer der Erinnerung erscheint diese Dauer, erscheint das Moment als dauernd identisch gewesenes. Usw. Was soll also die Evidenz der „inneren“, der adäquaten Wahrnehmung? Evidenz ist Sache des „Urteils“. Die transzendente Wahrnehmung, die der Bierflasche, kann „täuschen“. Daß ihr Gegenstand ist, und so ist, kann „bezweifelt“ werden. Die Bierflasche ist vielleicht „anders, als sie erscheint“, sie ist vielleicht „überhaupt nicht“. Was besagt das? Entweder kann die Wahrnehmung Erfüllung erfahren, sie enthält Intentionen, die noch unerfüllt sind, oder „nähere Bestimmung“, oder „Widerlegung“, „Enttäuschung“. Erfüllung etc. erfährt sie in der und jener „Hinsicht“. Die immanente Wahrnehmung enthält nichts von „bloßer Intention“, ihr „Gegenstandsbewußtsein“ ist immerfort erfüllt, das Identitätsbewußtsein ist ein reines, und kein solches von Intention und hinzukommender Erfüllung. Im Dieses des Phänomens erfasse ich alles in erfüllter Weise – „Dieses Braun ändert sich“.1 Wahrnehmung – phänomenologische Wahrnehmung Ich nehme wahr – diesen braunen Inhalt. Er ist ein Dauerndes. Er ist immerfort derselbe. Er bedeckt eine gewisse phäno1
Äußerlich gesehen folgt der hier vorangestellte Text im Manuskript – durch einen Querstrich abgetrennt – auf den hier nunmehr nachgestellten, und zwar nach S. 239 („… derselben identischen Spezies.“), an welcher Stelle aber nach einem Hinweis Husserls der auch hier sodann wiedergegebene Text anzuschließen ist. Die ganze Aufzeichnung beginnt also – so äußerlich gesehen – mit der oben wiedergegebenen Überschrift: „Wahrnehmung – phänomenologische Wahrnehmung“. Doch dürfte in Wirklichkeit Husserl zum ersten bereits den Text von dieser Überschrift an bis S. 239 dem dann folgenden nachträglich vorangestellt haben, sodann zum zweiten auch diesem Vorangestellten das hier am Anfang Wiedergegebene nachträglich noch zur vorgängigen Orientierung beigefügt haben. – Anm. d. Hrsg.
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B. Ergänzende Texte
menologische Ausbreitung. Ich habe ihn gestern gesehen, seiner erinnere ich mich also heute. Er hat bis heute angedauert. Transzendenz! Das Heute und Gestern darf ich natürlich nicht hereinbringen.1 Beschränken wir uns auf das in | der Wahrnehmung Gegebene, phänomenologisch Gegebene: das „jetzt“ gesehene Braun in seiner Dauer. Das Braun. Es dauert. Es bedeckt immerfort dieselbe Ausbreitung. Nun verändert sich dieses Braun, es wird dunkler, es verändert seine Ausbreitung, die Ausbreitung, die es bedeckt. Woher habe ich die absolute Gewißheit, daß 〈 für 〉 jede Phase der Dauer wirklich identisch dasselbe Braun – wenn ich jetzt unter Braun die Spezies (niederste Differenz) verstehe – gegeben ist? und wirklich „dieselbe“ Ausbreitung? Gibt es solch eine absolute Gewißheit? Das Braun, was ist das? Ist es die Spezies? Nein. Ist es das Individuelle, und ist das eine Einzelnheit, Einzelfall der niedersten Differenz Braun? Aber das trifft nur die Momentanphase. Das Braun als Einzelphase der Dauer dauert nicht, es ist ja bloß Phase. Wir haben viele Einzelphasen. Jede ist eine andere. Nicht vieles dauert, sondern eines, das Braun dauert. Das Braun dauert, und ich unterscheide in seiner Dauer Phasen. Das ist eine Abstraktion; ich unterscheide im eigentlicheren Sinn Strecken, Teildauern; in jeder dauert das Braun, und es dauert hindurch durch alle Strecken. Und das Braun, das da dauert, bedeckt eine Ausbreitung, und es, dasselbe Braun, erstreckt sich durch alle Teile der Ausbreitung. Getrennte Ausbreitungen haben „dasselbe“, d. h. hier das gleiche Braun. Getrennte Dauern haben ein gleiches Braun, ein Braun derselben identischen Spezies. Das Braun ist nicht die niederste Spezies, es ist auch nicht der sozusagen mathematisch exakte Einzelfall der niedersten Spezies, das individuelle Moment absolut gesprochen.2 1
Nota! Kann ich aber nicht das Braun, so wie es gegeben war, durch phänomenologische Reduktion der Flaschen-Wahrnehmung jetzt erinnern? 2 Auf dem hier begonnenen Blatt vermerkte Husserl am Rand: „Gesehen 1909“; die Bemerkung erstreckt sich wahrscheinlich auch auf die nachfolgenden Blätter der Aufzeichnung. – Anm. d. Hrsg.
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Und doch ist es das individuelle Moment. Es ist fürs erste ein Individuelles, es ist ein Das, hat seine absolute Individualität, ist als Individualität gemeint, und nicht als Allgemeines. Es ist vorausgesetztermaßen wahrgenommenes Dieses und hat sein Jetzt, ohne daß natürlich dies, daß es jetzt ist, gemeint ist. Fürs zweite ist nicht gemeint ein Individuelles, das Bräune hat, sondern dieses Braun ist gemeint, und es ist auch nicht gemeint das Braun dieses Gegenstandes, das Braun, das ein Individuelles hat; sicherlich muß dies wenigstens nicht gemeint | sein, so wenig, wenn ich dieses Lustgefühl meine, ich mich meinen muß, und das Lustgefühl als meines meinen muß. Also ich meine dieses individuelle Braun, den Einzelfall der Spezies, und, um auch das zu betonen, auch wieder nicht dieses Braun als Einzelfall der Spezies, als ob diese Beziehung zum „allgemeinen Gegenstand“ realisiert wäre. Der Einzelfall der Spezies, dieses Braun, ist hier das Identische der Meinung, der die Braun-Erscheinung zugrunde liegt. Die Braun-Erscheinung zeigt eine Braun-Dauer, sie ist eine extendierte Erscheinung, in der ein extendierter Gegenstand dasteht; und die Meinung geht nicht auf die Dauer, sondern auf das Braun, das dauert und in der Dauer identisch ist, d. i. in Einheit und Selbigkeit gemeint ist. Daß es so gemeint ist, zeigt die „Reflexion“; „zerlegen“ wir die Zeitdauer, oder zerlegen wir das Phänomen, die Erscheinung in zeitlicher Hinsicht, so schauen wir Stücke, die selbst Erscheinungen sind von derselben Art wie das Ganze, und auf dem Grunde dieser Unterschiedenheit (Mehrheit) erschauen wir Gleichheit der damit unterschiedenen Gegenstände: Das eine und das andere Braun ist „dasselbe“, nämlich gleiche. Reflektieren wir aber auf die Einheit der Erscheinung, dann schauen wir die Identität, es ist ein eigentliches Identitätsbewußtsein (ein kategoriales), in dem das Braun als das kontinuierlich identisch Gemeinte, als das in Einheit und Selbigkeit Gemeinte dasteht. Wir haben einmal das kontinuierliche Einheitsbewußtsein, das gibt Einheit, ungebrochene Einheit, Identität in der zeitlichen Kontinuität, das im kontinuierlichen Fluß der Zeit Identische.
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B. Ergänzende Texte
Wir haben das andremal ein gebrochenes Bewußtsein, ein zerstücktes; in der Sonderung der Stücke haben wir eine Mehrheit von Einheiten. Jede Einheit ist Einheit im vorigen Sinne bezüglich der zeitlichen Kontinuität jedes Stückes. Aber es sind verschiedene Einheiten, die sich aber zur Einheit eines Ganzen nicht zusammenschließen, sondern, indem sie auf Einheit kontinuierlicher Erscheinung und eines kontinuierlichen Einheitsbewußtseins beruhen, stellt sich die identische Einheit der Unterschiedenen wieder her: Das Braun dieses und das Braun jenes Stückes der Dauer sind verschieden, sofern sie verschiedenen Zeitstrecken angehören; sofern sie aber eine Zeitstrecke konti | nuierlich erfüllen, ist es ein Gegenstand, der „dauert“, ist es das Eine und Selbe, das durch diese ganze Zeitstrecke hindurchgeht1. Wir müssen vielleicht scheiden: Wir können das kontinuierlich erscheinende Braun verstehen als das extendierte Braun, das ausgedehnte und immerfort eine Braun, das sich durch die Zeit hindurch „erstreckt“, das aber von Phase zu Phase ein anderes ist. Nämlich die BraunAusbreitung ist eine Einheit, die sich der Zeit nach teilt, und jeder Teil ist ein anderer. Die Braun-Ausbreitung ist nicht Dauer eines Gegenstandes, sie dauert nicht, sondern ein Identisches ist es, das dauert, das sich durch die zeitliche Ausbreitung, die immerfort mit einem Braun bedeckt ist, als ein Identisches hindurchzieht. Das durchgehende Einheits- oder Identitätsbewußtsein ist nicht zu verwechseln mit dem ganz anderen Bewußtsein eines Ganzen von zeitlich-stetig aneinandergereihten Momenten. Im Identitätsbewußtsein lebend, haben wir im stetigen Kontinuum, im stetigen Fluß der zeitlichen Dehnung 1
Zum vorstehenden notierte Husserl am Rand: „Vgl. Hume, Treatise, Lipps, 267 f.“ Er bezieht sich damit auf David Humes Traktat über die menschliche Natur, die Übersetzung bearbeitet und mit einem Register versehen von Theodor Lipps; I. Teil: Über den Verstand, Hamburg u. Leipzig 1895. Husserls Exemplar dieser Ausgabe ist erhalten und weist zahlreiche Randbemerkungen, Unterstreichungen usw. von seiner Hand auf. Auf S. 268 fi ndet sich insbes. bei dem Absatz, in dem Hume vom „Prinzip der Individuation“ spricht, folgende Randbemerkung Husserls: „Meine Vorlesungen und Untersuchungen über Zeit!“ – Anm. d. Hrsg.
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immerfort eines. Das Objekt ist nicht die Ausbreitung, sondern das Sich-ausbreitende. Evidenterweise können wir dann immer die Ausbreitung selbst gegenständlich machen, teilen, die Teile unterscheiden. Die Kontinuität der Braun-Momente ist als Kontinuität durchzogen von der Einheit eines Identischen. Kontinuität und Einheit In aller Kontinuität lebt diese Identität, jedes Kontinuitätsbewußtsein1 ist Bewußtsein einer Einheit, und immer ist dabei zu scheiden das Einheitliche, das sich kontinuiert, und die Ein | heit als Ganzheit des Kontinuums selbst. Dieses Kontinuitätsbewußtsein ist ein Zeitbewußtsein (noch nicht Bewußtsein einer „objektiven“ Zeit), und wir haben zwei Fälle zu unterscheiden: das Bewußtsein der Unveränderung, der Dauer, in welchem das Identische als Unverändertes dasteht, die Phasen des kontinuierlichen Einheitsbewußtseins sich, außer zeitlich, überhaupt nicht unterscheiden; und das Bewußtsein der Veränderung, in welchem das immerfort Einheitliche, das Identische, sich verändert. Das Braun erhält sich immerfort, es dauert – hier ist die Einheit im stetigen Fluß der Braun-Momente gemeint, das, was bei der Auffassung eines braunen Gegenstandes die Einheit des identischen Merkmals Braun ausmacht: Der Gegenstand hat die Bestimmtheit Braun, er ist dauernd braun. Das Braun ändert sich (von einer Braun-Nuance in eine andere); es ist immerfort Braun, es ist ein Identisches in der zeitlich extendierten Kontinuität der Braun-Momente, es ist (in der ideierenden Abstraktion) identisch immerfort die Art Braun als Art, die aber nicht gemeint ist. Es wird keine ideierende Abstraktion vollzogen; es ist ein Moment, das „sich“ ändert und immer wieder ändert, durch die zeitliche Kontinuität geht eine Identität hindurch. Die Farbe des Gegenstan1
Es ist Kontinuität eben eines Identischen (eines Seins) in der Zeiterstreckung; gemeint ist nicht „qualitative Kontinuität“, stetige Abstufung von Farbenmomenten etc.
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B. Ergänzende Texte
des ändert sich, sie ist ein individuell Identisches, aber „Sich“qualitativ-veränderndes. So bei einfachen Momenten, im phänomenologischen Gebiet. Wahrnehmung einer kontinuierlichen Einheit (Identität) in Unveränderung und Veränderung: darauf gebaut Wahrnehmung der Strecke und von Unterschiedenheiten (ich unterscheide die kontinuierliche Strecke in Teile, in Mehrheiten), Wahrnehmung von Gleichheiten etc. Wahrnehmung eines „Moments“: Braun – und „Wahrnehmung“ eines Einheitlichen, Vollzug des Einheitsbewußtseins; das Moment Braun gegeben – und dann in wiederholten Erinnerungen identifiziert. Dann bei Komplexionen. Doch müssen wir besser sagen: Das Ausgeführte gilt schon für niederste Differenzen (metaphysiche Teile). Die räumliche Ausdehnung dauert, ändert sich. Der Ton dauert, ändert sich usw., die Intensität, die Klangfarbe. Gehen wir an die konkreten Ganzen, so tritt hier neu hinzu die Identität des Ganzen, in der | spezifischen Identität des Gesamtcharakters gründend. Zu beachten: Gegenstände höherer Stufe: Die Melodie ändert sich nicht, sie dauert so und so lange, sie dauert, indem sie sich „abwickelt“, während immer neue Töne auftreten. Was macht die „Wiederholung“ der Melodie („dieselbe“ ist hier spezifisch selbe) aus? – ad oben: Ich kann sagen: Das Braun dauert, das Braun ändert sich, es dauert, bleibt unverändert als „Braun“, qualitativ: es ändert sich „qualitativ“, seinem Wesen nach als Braun, es ändert sich hinsichtlich seiner Ausdehnung, oder es bleibt unverändert hinsichtlich seiner „Ausdehnung“ (es bleibt qualitativ unverändert, ändert sich hinsichtlich seiner Ausdehnung; es ändert sich sowohl als Braun als 〈 auch 〉 hinsichtlich der Ausdehnung). Und analog hier. Andererseits, kann man sagen: Die Ausdehnung verharrt oder ändert sich, als räumliche Ausdehnung, in demselben Sinn? Muß man bei Ausdehnung nicht sagen: Die Ausdehnung der Qualität, irgendeines Ausgedehnten, bleibt dieselbe oder ändert sich? Bestehen hier nicht Unterschiede und Schwierigkeiten? –1 1
Husserl vermerkte am Rand zum Vorangehenden: „Ausführung
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Kontinuität und Einheit Wir haben zu unterscheiden 1) zeitliche Kontinuität, verstanden als Kontinuum der Zeitpunkte (der Zeitpunkte als solcher); 2) die Kontinuität in der Zeit, verstanden als Einheit des Zeitinhalts, Einheit als kontinuierliche Einheit und als „reale Einheit“. Die Zeitinhalte erfüllen „stetig“ die Zeitstrecke, und indem sie es tun, verbindet sie die Identität des „Realen“, desjenigen, welches sich durch die Zeitdauer als das Einheitliche hindurchzieht, das sich verändert oder in dieser Zeit unverändert dauert (verharrt in Unveränderung oder Veränderung); 3) das Kontinuum einer „stetigen“ Veränderung. | Das Zeitkontinuum ist erfüllt durch ein Kontinuum von „stetig“ sich differenzierenden Momenten, in denen die niedersten Differenzen einer Art sich vereinzeln. Die stetige Veränderung einer Farbe: Die Farbendifferenzen variieren stetig, und die Differenzierung der Farbenmomente „deckt“ sich mit der Differenzierung der Zeit. Ein „qualitatives“ Kontinuum kann zum eigentlichen Kontinuitätsbewußtsein nur kommen in einer zeitlichen Ausbreitung, in welcher dann ein Identisches erfaßt wird oder erfaßbar ist, das „sich ändert“; und zwar „stetig“, ohne „Sprung“. Der Sprung, die Diskontinuität, zerreißt die Einheit, die aber auch durch ein anderes, sich deckendes Moment erhalten und hergestellt sein kann; z. B. die räumliche Kontinuität, sich deckend mit einer Farbenkontinuität. Erfährt die einen Sprung, so teilt sich die Ausdehnung, aber sie verbleibt doch eine Einheit.
dieser Andeutung im Beiblatt“, korrigierte später „im Beiblatt“ in „in anderen Blättern“. Das Nachstehende hat neuerlich die wiedergegebene Überschrift „Kontinuität und Einheit“. – Anm. d. Hrsg.
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Dehnung eines „räumlichen“ und qualitativen Kontinuums über ein Zeitkontinuum
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Das Zeitkontinuum ist kein „Reales“, die Zeit als solche ist nichts, das dauert oder sich verändert, eine Reihe von Zeitdifferenzen ist nicht wieder in der Zeit, enthält nichts Identisches, das sich durch die Reihe hindurch erstreckt (etwas anderes ist das Allgemeine „Zeit“). Aber jedes sich durch die Zeit hindurch Erstreckende ist real, real ist der Zeitinhalt, der „stetig“ Zeit erfüllt, und indem er es tut, in dieser Stetigkeit Identität begründet. Das Identische ist das Reale. Das Reale dauert oder verändert sich, und „bestimmt sich“ als so und so geartet, als α in dem Zeitmoment t, als α' in t'. Es dauert unverändert, wenn die Bestimmtheit in der Zeitstrecke t0–t1 immerfort identisch in der niedersten Differenz geartet ist, es verändert sich, wenn sie wechselt, sich stetig abstuft oder diskret springt: im letzteren Fall muß die Identität gewahrt bleiben durch andere Bestimmtheiten –?1 | Persönliche Identität; Identität desselben Dinges, das Identische in der Veränderung Sokrates. Ist das Individuelle eine Beschaffenheit, die sich im Wechsel identisch erhält? Natürlich Unsinn, zu jeder Beschaffenheit sind unendlich viele Träger denkbar. In der anschaulichen Vorstellung ist das Individuelle nicht auffindbar; Komplex von Beschaffenheiten, kontinuierlich veränderlich, aber in der Kontinuität der Veränderung „konstatieren“ wir Identität. (Das Konstatieren ist natürlich nicht Vorfinden eines Inhalts.) Ein und dasselbe ändert sich; wo wir kontinuierliche Veränderung wahrnehmen, da supponieren 1
Es folgt der später gestrichene Satz: „Die Frage ist nun, wie weit wir damit reichen zur Analyse der ‚empirischen‘ Realität“. Darunter hat Husserl, anscheinend im Augenblick der Streichung des Satzes, angemerkt: „Begriff des ‚Realen‘ als des Identischen, das dauert. ‚Dauernd‘ heißt hier oft sich-nicht-verändernd, Dauer oft soviel wie Unveränderung“. – Anm. d. Hrsg.
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wir Identität des Sich-ändernden, des Objekts, nicht der Beschaffenheit. Die Beschaffenheit ist nicht identisch dieselbe, Rot verwandelt sich in Orange, aber Orange ist nicht identisch mit Rot. Nur die aristotelische Gattung bleibt identisch dieselbe. Das früher rote Objekt ist jetzt orange, das Objekt ist dasselbe. Ist das Identische etwa doch ein Abstraktes; die komplexe Form des Objekts, die aristotelische Gattung (in einer gewissen Erweiterung) für die geänderte und ursprüngliche Form ist identisch dieselbe? Aber damit wird man nicht zufrieden sein: Das Ding ist dasselbe. Abhängigkeit der Veränderungen an verschiedenen Dingen. Kausalität. Wenn aα in aβ übergeht, so muß bα' in bβ' übergehen. Das Identische in der Zeitlichkeit, in der Kontinuität des Zeitflusses, das Identische im Sinne des individuellen oder, was dasselbe, des zeitlichen Seins. Das Subsistierende (Verharrende) in der Zeit. Das phänomenologisch Subsistierende in der phänomenologischen „Zeit“, das phänomenologisch Ruhende und Sich-verändernde (Das „Immanente“) 1 Dieses: diese Farbe, diese farbige Ausbreitung, diese Einheit von Farbe und Ausbreitung dauert, verändert sich. Reflexion: Ich „finde“ die zeitliche Kontinuität, die Dauer, | in der ich fließende „Teile“ unterscheiden kann. Keine strenge Teilung, ich finde „Farbe“ und immer wieder Farbe. Die Farbe dauert. Die Gattung Farbe oder die Komplexionsgattung (Farbe – Ausdehnung), das Spezifische in den verschiedenen Erstreckungen der Dauer 〈 ist 〉 „immer dasselbe“. Die Farbe (oder die Farb-Ausdehnung) ist „zeitlich gedehnt“, teilbar nach der zeitlichen Dehnung. Das ist
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Die so überschriebene nachfolgende Untersuchung – bis S. 249 – bezeichnet Husserl im besonderen als „Die Seefelder Fundamentalbetrachtung“; das Doppelblatt, auf dem sie niedergeschrieben ist, als das „Hauptblatt“ der Aufzeichnung. – Anm. d. Hrsg.
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B. Ergänzende Texte
1) die Farbe als die Zeitfülle. Dagegen 2) die Farbe, die dauert, die sich durch die Zeit hindurchzieht, ist das Identische in der zeitlichen Farben-Kontinuität, das Identische, das sich durch sie hindurchzieht: Das Individuelle, als Farbe gattungsmäßig bestimmt, ist dasselbe während oder in der Extension der Dauer, es dauert, es ist das durch die kontinuierliche Zeitfülle hindurch – und kontinuierlich – in ihr Subsistierende, oder es ist als räumliche Farbausdehnung bestimmt, und es hat „jederzeit“ Farbenbestimmtheit und räumliche Ausdehnungsbestimmtheit, und letzte Bestimmtheit: in jeder Zeitstrecke und jeder Zeitphase dieselbe Differenz von Farbe und von Ausdehnung. Phase – das ist bloß Grenzfall: Beliebig kleine Zeitstrecken (das ist Dauern, die Teile der Dauer sind dem Ganzen ähnlich: „spezifisch“ gleich) sind auch inhaltlich spezifisch gleich, sei es bloß der allgemeinen Gattung nach oder auch der Differenz nach. Abgesehen von der Ordnung der Zeitteile und von jener Extension, die zeitliche heißt, und die verschiedene Grade („Größe“) haben kann, ist immer ein Gleiches – im Falle der Unveränderung. Veränderung und Wechsel (Sprung)
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Die Fülle in der zeitlichen Kontinuität. Die konkrete Kontinuität: die Fülle mit der zeitlichen Dehnung1. Die inhaltliche Kontinuität. Der Inhalt in concreto läßt eine Vergleichung zu nach größerer und geringerer Zeiterstreckung; dem gegenüber das, was den Inhalt der Erstreckung ausmacht2. „Derselbe“ Inhalt erstreckbar über verschiedene Zeitstrecken, z. B. dieselbe Kontinuität Rot-Grün. Wir halten die Zeitstrecke fest, oder sehen von den graduellen | Unterschieden der Zeitdehnung des Inhalts ab. Wir vollziehen andere Richtungen der Vergleichung und Abstraktion. a) Unveränderung. Bei der Unveränderung sind diese Inhalte bei beliebiger „Teilung“ der Dauer immer wieder gleich, 1
„Mit“ kann man nicht gut sagen, „in“, die zeitliche Dehnung: alles nur bildlich. 2 So müßte schon bei der Dauer ausgeführt werden.
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und ohne andere Unterschiede als die der Zeitlage (Ordnung) und Zeit-„Größe“. In der Kontinuität des Zeitbewußtseins immerfort Selbigkeit, die ohne Unterschiedenheit bestimmt ist, völlig gleich bestimmt, reine Gleichheit hinsichtlich der „Qualität“ (des gesamten zeitfüllenden Wesens). b) Veränderung. Bei der Veränderung finden wir hingegen (wenn die Farbe sich ändert) hinsichtlich der Zeitfülle – abgesehen von dem Grade der zeitlichen Dehnung und der Zeitordnung – Verschiedenheit der Fülle, andererseits Identität als Selbigkeit dessen, was „sich verändert“. Dieses Was verbleibt innerhalb der oberen Gattung „Farbe“, die Gemeinsamkeit herstellt, verschieden „bestimmt“. Bei beliebiger Teilung hat jeder Teil für sich betrachtet seine Einheit, und all diese Einheiten (Substrate) sind von derselben Gattung Farbe, wie das in ihnen gründende Gesamtsubstrat, während andererseits die niedersten Differenzen der Partialeinheiten verschieden sind. Gehen wir zum Limes, so haben wir punktuelle Teilungen und punktuelle Differenzen, die in sich keine Teilung und keinen Unterschied von Differenzen in verschiedenen Teilen 〈mehr〉 zulassen. (Farbe darf hier nicht genommen werden als obere Gattung für Farben – Qualitätsdifferenzen im gewöhnlichen Sinn (als reine Qualitäten, reines Rot, reine Nuance), sondern für die Einheit der Zeitfüllen. Wir abstrahieren von der Größe der Zeitdehnung, von graduellen Unterschieden, die verschiedene Zeitdehnung oder Teilung innerhalb der Zeitdehnung bewirkt: da bleibt uns die Zeitfülle als Einheit (als irgendwie zeitlich Gedehntes) übrig. Die Zeit ist mit dabei, nur kommt es auf sie in ihrer Größe nicht an. Es ist so wie bei der „Färbung“ einer räumlichen Ausdehnung.) Teilen wir die Füllen nach der Zeitdehnung, so finden wir bei der stetigen Veränderung immer wieder gattungsallgemeine Gleichheit – es ist immer Färbung –, andererseits Verschiedenheit – immer wieder eine andere 〈 Färbung 〉. Aber nicht bloß | das Allgemeine: Färbung ist gleich – das wäre auch im Falle eines „Farbensprunges“ 〈 so 〉 –, sondern es besteht qualitative Kontinuität, es besteht kein Sprung, in keinem Teil.1 1
Nachträglich merkte Husserl an: „Hier fehlt die Defi nition (Klärung)
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B. Ergänzende Texte
Es besteht noch eine Gleichheit: Beliebig zeitlich abgegrenzte Füllen zeigen eine Ähnlichkeit und innerhalb dieser Ähnlichkeit Steigerungsverhältnisse, die nicht Hand in Hand zu gehen brauchen mit zeitlichen Steigerungsverhältnissen, und ebenso Ordnungsverhältnisse. Das bedürfte weiterer Beschreibungen. Bei verschiedener Änderungsgeschwindigkeit sind zeitlich ungleiche Strecken qualitativ „gleich geändert“, sie haben eine Verschiedenheit der Qualität, aber dabei doch eine Gleichheit. Gleiche Teilung nach dieser Kontinuität 〈 ist 〉 eine andere als die nach der zeitlichen, obwohl mit der einen Teilung auch immer eine Teilung in der anderen Kontinuität statthat. Sprünge: 1) Sprünge zwischen zwei Dauern; 2) Sprünge zwischen zwei stetigen Veränderungen, die sich nicht zur Einheit einer stetigen Veränderung zusammenschließen; 3) Sprünge von einer Unveränderung zu einer stetigen Veränderung oder umgekehrt. Schnelligkeit und Langsamkeit der qualitativ stetigen Abschattung. Je langsamer die qualitative Abschattung, um so größer die Ähnlichkeit mit einer qualitativen Konstanz (UnVeränderung); qualitative Konstanz Grenzfall der stetigen qualitativen Abschattung. Zur Klärung des Unterschieds von Substrat und Fülle1 Reflektieren wir auf die Zeitstrecke und betrachten wir sie als ein Ganzes, als eine Form, durch die sich Inhalt breitet, so ist die sich verbreitende Fülle nichts anderes als das Kontinuum der Substrate, die zu den fließend herausgehobenen Zeitteilen des Begriffes Sprung“. Diese Anmerkung dürfte noch später angebracht sein als die weiter unten folgenden Zeilen über „Sprünge“ geschrieben wurden, welche freilich ihrerseits möglicherweise einen späteren Zusatz zum Text darstellen. – Anm. d. Hrsg. 1 Den so überschriebenen nachfolgenden Absatz hat Husserl nachträglich am Rand zum Vorangehenden hinzugefügt. – Anm. d. Hrsg.
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und zuletzt zu den Zeitmomenten gehören. Wir haben also | auch zu sagen: Momentan-Substrate (die Limites von Strekken-Substraten sind) konstituieren, wenn sie die Bedingungen einer gewissen inhaltlichen (also Substrat-)Kontinuität innerhalb einer kontinuierlichen Zeitfolge erfüllen, ein Substrat, das nicht selbst das Kontinuum dieser Momentan-Substrate ist, sondern durch sie hindurchgeht und dadurch die Zeitstrecke lang währt. Die „Zeitspezies“ (a) – die Spezies der Zeitfülle (b) Phänomenologisch: ad b) Ich finde im Gesichtsfeld mehrere Momente „Weiß“, sie haben ein spezifisch Gemeinsames. Das Gesichtsfeld – wir nehmen an bei ruhendem Blick – 〈 ist 〉 eine phänomenologische Dauereinheit. Es wird als unveränderte Einheit im Einheitsbewußtsein „festgehalten“. An oder in ihm finde ich ein Weiß und noch ein Weiß; jedes zu einer anderen „Zeit“ innerhalb der Dauerstrecke erfaßt, aber nicht mit dieser Zeit gemeint, sondern als Dauer-Einheiten. Nun kommt es auf die Dauer nicht an, sie sind beide „spezifisch identisch“: Einheit in der Identifikation. Jedes ist individuell verschieden: dieses ist ein anderes als jenes. Sie haben jedes eine andere „Stelle“ im Gesichtsfeld: jeder Teil des Gesichtsfeldes ist ein anderer, und diese Teile haben einen gewissen Ordnungszusammenhang. Ich kann davon sprechen, daß ein Teil „sich verschiebt“ im Gesichtsfeld. Da hat der Teil neben der Farbe seine „Figur“, die wieder ein spezifisch zu Fassendes ist. Das ist eine Identität in der Veränderung. Eigentliche Veränderung: Im Wechsel hat dieselbe Einheit immer wieder eine andere „Lage“. Aber auch uneigentliche Veränderung: Ich kann mir dieselbe Einheit aus Figur und Farbe bald da, bald da denken (hier ist aber die Individualität nicht mehr dieselbe). Frei variierbar bleibt hier die Zeitdauer. Das Weiß dauert länger oder kürzer, es verändert sich, und schneller oder langsamer, in einer größeren oder geringeren Zeitstrecke. ad a) und b) Die Zeitdehnung ist eine Bestimmtheit dessen, was sich dehnt, was die Zeit „erfüllt“. Das Identische in der
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Zeit, das ist das Individuelle. Das gemeinsame Allgemeine verschiedener Individuen ist die Spe | zies, innere (konstitutive) Bestimmtheit des Individuums, das, was dieses Individuum mit anderen gemein haben kann: unabhängig von der Zeit. Das Individuum ist ja das Identische in der Zeit, also die Einheit, die die Zeitfülle unabhängig von der Zeiterstreckung begründet. Das Konstitutive des Individuums liegt also im Identischen der Zeitfülle, und danach ergibt sich der Begriff der Spezies konstitutiver Bestimmtheiten, die verschiedene Individuen in derselben oder in verschiedenen Zeitstrecken gemein haben können. Also α) das Identische in der Zeit, das im Zeitfluß kontinuierlich Identische; β) das Identische der Spezies ist das Identische der Spezifikation, die das „Gemeinsame“ verschiedener Individuen ansetzt. ad b) Wie aber mit den Zeitbestimmtheiten, die doch Allgemeinheiten sind? Die Identifikation kann den Inhalt zweier Individuen betreffen; das gibt konstitutive Spezies (reale Spezies). Sie kann aber auch die Individuen nach ihrer „Zeitform“ betreffen, nach ihrer zeitlichen Extension; die beiden können dieselbe Zeitstrecke erfüllen, sie sind gleichzeitig. Die Zeitstrecke ist nicht zweimal da, während die Zeitfülle völlig gleich (spezifisch identisch) zweimal da sein kann in derselben Zeitstrecke. Natürlich sind die Individuen, da zu ihrem konstituierenden Inhalt nicht die Zeit gehört, nicht „zusammengewachsen“, wenn sie gleichzeitig sind. Die Zeitstrecke ist etwas Abstraktes. Sie ist notwendig Zeitstrecke irgendeiner Individualität. Sie ist aber kein individuelles Moment, und sie ist kein Zu-vervielfältigendes, kein Zu-spezifizierendes. Sie ist nicht individuell. In ihr ist, und ist notwendig, die Individualität. Sie macht nicht Individualität so, als ob die absolute einzelne Zeitstrecke in abstracto (was allerdings voraussetzt eine Individualität, die sie füllt, und von der abstrahiert wird) durch die Annahme, sie sei durch ein einzelnes der Spezies Farbe erfüllt, diese Spezies individuierte. Denn mehrere Einzelfälle von Farbe können dieselbe Zeitstrecke erfüllen. Die Identität der Zeitstrecke ist ein Identisches mehrerer Individuen, aber kein Spezifisches, das sich in den In | dividuen
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(die alle diese selbe Zeit erfüllen) vervielfältigt. Das Mehrheitsbewußtsein ist hier ausgeschlossen. Darum läßt sich die Zeit doch spezifizieren: nämlich verschiedene Zeitstrecken können in der identischen Einheit einer umfassenden Zeitstrecke gleich und ungleich sein – Gattung Zeitgröße, Zeitstrecke, Spezies der Zeitgrößen. Spezies haben auch die Zeitausdehnungen von Individuen und konstituierenden Momenten von Individuen, nach Dauer und Veränderung; Geschwindigkeit, Beschleunigung etc. Wir können die Zeitfülle mit ihrer Zeit in Einheit nehmen und spezifizieren. Raumspezies Wie ist es mit dem „Raum“? In der Einheit einer phänomenologischen – präempirischen – Ausdehnung kann die sinnliche Qualität mehrmals gegeben sein. Der Raumteil aber kann nur einmal sein. Die letzte spezifische Differenz der sinnlichen Qualität läßt sich vervielfältigen, der Ort aber, die Ausdehnung, die eine Qualität erfüllt, läßt sich nicht vervielfältigen. Die Ausdehnung ist ein Einmaliges, und doch Abstraktes. Wodurch unterscheidet sich eine sinnliche Qualität von einer anderen, ihr spezifisch völlig gleichen, wenn beide zur selben konkreten Ausdehnungseinheit gehören, die unverändert dauert? Durch die Ausdehnungsteile, durch die „Orte“. Sie sind räumlich verschieden. Die Ausdehnungsteile bzw. Orte aber unterscheiden sich nicht durch die Farben, die ja dieselben sind! Der Ort kann nie durch zwei zu derselben Gattung gehörige (visuelle, oder taktile) Qualitäten auf einmal überdeckt sein, weder durch zwei gleiche noch durch zwei verschiedene. Ist die Spezies der Qualität bestimmt und ist der Ort bestimmt, so ist (vorläufig innerhalb der Einheit einer umfassenden dauernden räumlichen Konkretion) das individuelle Stück bestimmt. Der Ort „macht“ die niederste Differenz von Qualität zur individuellen. Der Ort ist die individuell bestimmende Bestimmung. Innerhalb derselben Dauer können zwei Individuen sein, zu ihrem konstitutiven Inhalt gehört Ort und Qualität (Raumform und Raumfülle). Aber zwei Orte innerhalb einer und der-
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B. Ergänzende Texte
selben Dauer gehören zu einem „Raum“. Besser statt „Ort“: Zwei einmalige Ausdehnungen gehören zu einer einzigen | sie umfassenden einmaligen Ausdehnung als Teile, und zwar als sich ausschließende, wenn die Individuen getrennt sind.1 Einmalige Ausdehnungen sind immer Ausdehnungen von etwas; in abstracto genommen sind sie letzte Einmaligkeiten, Einzelnheiten, die sich in einer Dauer nicht vervielfältigen lassen. Diese Einmaligkeiten (Raum-Individuen gleichsam) lassen sich vergleichen, spezifizieren; es erwachsen die Raumspezies; die Gattung Ausdehnung, Größe, Figur etc. Das Raumindividuum Es gibt noch eine Identifikation, welche die Identität des Individuums über den absoluten Ort emporhebt. Das räumliche Individuum ist das Identische im Wechsel des Orts, das Identische der Ortsveränderung (Veränderung, eine beliebige zeitliche Veränderung). Erhält sich die Raumfülle identisch (spezifisch) und bewegt sie sich bei Erhaltung des Spezifischen der erfüllten Raumform (Figur), so ist das Raumindividuum dasselbe. Ebenso: Wir können absehen von der Raumfülle. Das Identische also in der Ortsveränderung. Der konstitutive Inhalt ist: spezifische Figur und spezifische Qualitäten. Das Individuum ist das immer spezifisch gleich Bestimmte und den absoluten Ort Verändernde. Es gibt natürlich kein qualitatives Individuum; die Möglichkeit des Raumindividuums hängt an den Eigenheiten von Raum und Zeit.2 〈 Das 〉 Raumindividuum, das ist ein starres Raumding, unter Absehung vom erfüllenden Inhalt, oder „geometrischer“ Körper. Halte ich den erfüllenden Inhalt fest, so habe ich einen starren Körper = das Identische der Ortsveränderung.3 1
Ich sage hier „einmalige“ Ausdehnungen, d. h. einzelne, von (möglichen?) bestimmten Einzel-Individuen, oder niederste Abstrakta von Ausdehnung überhaupt. 2 Kants Raum- und Zeitargumente zu vergleichen! 3 Der letzte Absatz ist nachträglich zum Vorangehenden hinzugefügt. – Anm. d. Hrsg.
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Im Tongebiet gibt es keinen Raum. Zwei spezifisch identische Töne können nur zu verschiedenen Zeiten auftreten. In derselben Zeit gibt es nur einen Ton von derselben spezifischen Bestimmtheit. Es gibt hier Gleichzeitigkeit nur von Verschiedenem, und auch das verwandelt sich zu einer Einheit, | zu einer Verschmelzung. Töne konstituieren nicht sinnliche Dinge, sie werden von diesen nur geweckt, und nur indirekt ihnen und dem Raum, in dem sie sich „verbreiten“, eingelegt. – Wir haben bisher versucht, möglichst phänomenologisch zu verfahren. (Natürlich bedarf alles in dieser Hinsicht der Nachprüfung.) Sind Zeitlichkeit und Räumlichkeit, wofern diese phänomenologisch und nicht empirisch-transzendent verstanden werden, wirklich volle Prinzipien der Individuation? Wie ist der Schritt vom Phänomenologischen zum Empirischen zu machen? Und vor allem: Wie verhält sich Individualität des Ich und „seiner“ Phänomene, seiner sinnlichen Erscheinungen und seiner psychischen Erlebnisse im engeren Sinn, zur phänomenologischen Individualität? Da ist es natürlich schwierig, zu sagen, was das Phänomenologische des „Ich“ ausmacht. 〈 Nr. 36 Zur 〉 Seefelder Reflexion 〈 Typisches, Mathematisches und die Einheit des Zeitgegenstandes 〉1
Ich nehme dieses Braun wahr; ich vollziehe phänomenologische Reduktion, nehme also das pure Empfindungsdatum, so wie es phänomenologisch gegeben ist, als „jetzt“ dauernd. Es, dieses Braun, dauert, es verharrt unverändert, es hat während seiner Dauer immerfort dieselbe Ausbreitung. Es verändert sich, es, dieses Braun, es verändert seine Qualität, seine Helligkeit, es wird dunkler, es verändert seine Ausbreitung, die Ausbreitung, die es erfüllt, bedeckt.
1
Der Umstand selbst, daß diese Aufzeichnung – und zwar nicht erst nachträglich – von Husserl mit den Worten „Seefelder Reflexion“ überschrieben ist, deutet darauf hin, daß sie jedenfalls später als Nr. 35 niedergeschrieben wurde. – Anm. d. Hrsg. [R. Bernet: Datierung 1917.]
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B. Ergänzende Texte
Es handelt sich – vorausgesetztermaßen – um eine Wahrnehmung. Inwiefern liegen in ihr, der phänomenologischen Wahrnehmung, absolute Gewißheiten? Sei es eine Wahrnehmung, in der ich das Braun unverändert andauernd finde – habe ich, und kann ich haben, absolute Gewißheit, daß das Braun nach Qualität, Helligkeit, Ausbreitung, nach all dem oder nach einem dieser Momente, unverändert sei, bzw. daß die Ausbreitung immerfort dieselbe unveränderte sei? | In der Wahrnehmung haben wir evident gegeben das Wahrgenommene, so wie es Wahrgenommenes ist, daß es nicht verändert oder andererseits (im Gegenfall) Verändertes ist, von Phase zu Phase oder von Dauerteil zu Dauerteil einerlei oder anders; das setzt Teilung und Vergleichung voraus. Wir werden sagen können: Vor der Teilung ist erfaßbar, und zwar wieder durch Vergleichung ähnlicher Fälle, der Typus „Unveränderung“ und der Typus „Veränderung“, und in Evidenz scheidet sich der eine Typus vom anderen. Zum Typus (dem typischen Wesen) „Unveränderung“ gehört, daß „irgendeine“ Teilung das Ergebnis hat, daß die unterschiedenen Teile selbst wieder vom Typus Unveränderung sind und dabei „gleich“ sind dem Inhalte nach, oder daß, wenn die Zeitteile gleich gewählt sind (und jede Dauer kann in gleiche Teile geteilt werden), die erfüllten Teile in bezug auf einander bloß Wiederholungen sind. Zum Typus Veränderung gehört, daß gleichen Zeitteilen ungleiche Konkreta entsprechen; und wie ungleich, welche Typen der Ungleichheit hierbei möglich sind, das wäre noch apriorisch zu erwägen. Ich spreche vom Typus „Unveränderung“ und Typus „Veränderung“. Bleibe ich im Typischen, so hätte ich zu sprechen vom Typus „gleiche Dauer“, vom Typus „Verschiedenheit von Zeitgegenständen bei gleicher Dauer“ oder „gleiche Dauer bei verschiedener Fülle der Dauer“; andererseits 〈 vom 〉 Typus „gleiche Dauer bei gleicher Fülle der Dauer“, oder „gleiche Zeitgegenstände, gleich nach Dauer und Fülle“. Dann im Falle der Verschiedenheit: Die gleich dauernden oder gleiche Dauer füllenden Zeitgegenstände sind verschieden, aber gleich hinsichtlich ihrer Ausbreitung, aber verschieden hinsichtlich der qualitativen Fülle dieser („räumlichen“) Ausbreitung. Sie sind
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gleich hinsichtlich der Qualität im engeren Sinn, aber wechselnd hinsichtlich ihrer Intensität (Helligkeit usw.). Das wären zunächst typische Vorkommnisse, von einer Zeitteilung in infinitum wäre hier also keine Rede, sondern nur 〈 davon 〉, daß Teilung ein typisches Vorkommnis sei und daß zu diesem die Typen Gleich-Teilung und Verschieden-Teilung gehören. Doch vorher die Vergleichsfälle mehrerer Zeitgegenstände und die zugehörigen typischen Einheitsformen. | Wir finden je zwei Zeitgegenstände hinsichtlich der Dauer in dem typischen Verhältnis Länger-Kürzer (oder das eine relativ lang, das andere relativ kurz: in ihrem Zusammen). Oder: Vor dem In-Bezug-setzen gehört zu zwei in der Einheit einer Wahrnehmung einheitlich gegebenen „Zeitgrößen“ eine typische sinnliche Einheit, die Einheit, die das Fundamentum der Verschiedenheit der „Zeitgröße“ ist und wozu die Verhältnisse „a länger b“, „b kürzer a“ gehören. Dabei gehört zu diesem sinnlichen Einheitstypus eine Gradualität, die ihn annähert, ihn kontinuierlich übergehen läßt in den Einheitstypus der „Gleichheit als Zeitgrößen-Gleichheit“. Diese Vorkommnisse gehen dann selbstverständlich über auf die aus einer Teilung hervorgehenden Teile irgendeiner Zeitstrecke. Im Wesenszusammenhang mit dem typischen Vorkommnis der Teilung steht folgendes: Jedes Zeitobjekt hat eine Dauer, so heißt es. Aber im Typus einer Dauer haben wir einen Unterschied zwischen sich hindehnenden, hinströmenden Dauern und Momentan-Dauern, und zwar vor den Versuchen einer Teilung. Das ist ein gleichsam qualitativer Unterschied des Gesamt-Typus. Korrelativ gesprochen: die sich hindehnende oder hinströmende Dauer – und die Momentan-Dauer, das Blitzartige. Dazu gehören freilich Relationen und relationelle Vorkommnisse, bzw. Typen der fundierenden sinnlichen Einheitsformen. Eine 〈 sich 〉 hindehnende Dauer kann 〈 eine 〉 länger oder kürzer sich dehnende sein, oder zwei sich dehnende Dauern können sich gleich lang dehnende sein. Sie haben gleiche Zeitlänge. Alle Dehnungen, die eine Gleichheitsgruppe bilden, haben dieselbe Zeitgröße oder -strecke (dieselbe Differenz von Strecke
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überhaupt). Dagegen Momentan-Dauern, Momente, haben keine Zeitgröße, keine Erstreckung, obschon wir gleichwohl auch bei ihnen graduelle Unterschiede finden. Auch da sprechen wir, wie bei Steigerungen überhaupt, von „Größe“, größer oder kleiner. Auch da können wir begriffliche Klassen gebildet denken von derselben „Größe“. Aber nicht können wir von Strecken sprechen, von Ausdehnungen. Zum Wesen der phänomenologischen Ausdehnungen, Strekken, gehört die Teilbarkeit. Dabei kann man nicht sagen, daß bei der Teilung Strecken immer wieder in Strecken zerfallen müssen, wir kommen zuletzt auf Momente. Jede Strecke läßt | sich in eine größere oder geringere Zahl, je nachdem größerer oder geringerer Momente teilen. Andererseits führt eine Gradualität von Momenten über in Strecken. Kleine Strecken geben sich zwar noch als Dehnungen, stehen aber Momenten nahe, und die Gradualität, die größere und kürzere Momente scheiden läßt, führt in der Moment-Vergrößerung über in kleine Strecken. Endlich ist noch zu behandeln der quasiqualitative Unterschied des Lang und Kurz außerhalb einer Vergleichung oder Verbindung der sinnlichen Gemeinschaft, mindestens bei Dehnungen. Doch da ordnen sich die Momente als „kurz“ ein, wobei aber die Frage ist, inwiefern eine verborgene Intentionalität auf Vergleichung mitspielt. Wie führt nun das Typische uns über in die Ideensphäre, in die reinen Grenzbegriffe mathematischer Art: mathematischer Punkt, mathematische Länge oder Strecke, Teilung in infinitum? Hume’sche Probleme. Doch kehren wir zurück zu den Seefelder Problemen. Das Braun, was ist das eigentlich? Ist es die Spezies? Dann wäre die Frage: Wie steht „Spezies“ zu den hier auftretenden typischen und mathematischen Vorkommnissen? Offenbar setzt der Begriff denselben Prozeß der Mathematisierung voraus, er ist exakt, logisch verstanden ein mathematischer Grenzbegriff. Wir scheiden ja heraus das typisch Gleiche, typische Totalgleichheit und typische Gleichheit in verschiedener „Hinsicht“, gewinnen dann als Limesbegriffe die exakten Gleichheiten und das exakte Allgemeine oder Wesen, das konkrete oder abstrakte – all das exakt „logisch“ verstanden. Denn die Logik
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ist die Sphäre des Idealen, und nicht des bloß Typischen. Diese Ideen reduzieren wir aber wieder in der mathematischen Einstellung. Nämlich der Zeitteilung entsprechen konkrete Teile, und zwar Konkreta, die eine mathematische Zeitstrecke und eine mathematische erfüllte Strecke haben bzw. sind. Und die Mathematisierung stellt hier gegenüber das exakt Gleiche der Zeitform und das exakt Gleiche der Zeitfülle. Die Teilung in infinitum führt auf unteilbare Zeitpunkte als Grenzen, und diese Punkte haben „keine Größe“, sie sind mathematisch unteilbar als Größen (eben Punkte) und haben darin, in der Punktualität, ihre Größe. Zu ihnen gehört die punktuelle Fülle, als entsprechender Grenzbegriff: d. i. die Punktspezies der Fülle, und dieses punk | tuelle Residuum des Konkretums zerfällt wie jedes Strecken-Konkretum in seine abstrakten „Momente“, in die verschiedenen Spezies der Farbe, Intensität, Ausbreitung oder was immer bei den jeweiligen Inhalten in Betracht kommen mag. Haben wir nun diese Mathematisierungen schon hinter uns und fassen wir mit solchen Idealbegriffen die gegebenen sinnlichen Daten auf, so haben wir zu sagen: Das Braun ist nicht die Spezies, weder die Punktspezies der Zeitstreckenpunkte (der Punkte der Dauer) noch die Spezies der konkreten Dauerfülle, die sich in der Mathematisierung auffaßt als kontinuierliche Verschmelzung der Punktspezies in ihrer Ordnung nach den Punkten der Dauer. Das Braun ist auch nicht das konkrete Individuum. Das Braun als punktuelle Phase der Dauer dauert nicht, und das Kontinuum der Braun-Momente im Kontinuum der Zeitpunkte dauert nicht, sondern die Zeitstrecke ist in bestimmter Ordnung ausgefüllt mit den punktuellen Füllen: eben Punkt für Punkt. Die Zeitstrecke heißt eigentlich Dauer nicht hinsichtlich dieser Füllen. Das Braun dauert während dieser Zeit, erstreckt sich durch sie hindurch und ist dabei immerfort, durch alle Punkte hindurch und durch alle Füllen dieser Punkte hindurch, die als zeitlich unterschiedene selbst unterschiedene sind, dasselbe. Ideell kann ich die Zeitstrecke, die Zeit des Dauerns, teilen, dann hat jeder Teil seine Füllen; aber nicht nur das: Jeder Teil hat seine Farbe (sein Braun), das durch ihn, durch seine Zeitstrecke hindurch dauert, und das
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sagt wieder: Dasselbe, dieselbe Farbe, ist durch all die füllenden Inhalte hindurch. Das Braun möge dabei je nachdem „sich“ veränderndes oder sich nicht veränderndes, immerfort gleichbleibendes sein. Die Identität, von der hier die Rede war, ist also nicht die Identität der Spezies, die eventuell alle Teile und Punkte der Dauer verbindet. Das trifft den Fall der Unveränderung. Aber nicht nur, daß wir auch in ihm gegenüber der Identität der Spezies als ein anderes finden die Identität des Dauernden, das in allen Zeitpunkten „sich selbst gleichbleibt“, nämlich sich durch verschiedene, aber der Spezies nach identische Füllen hindurcherstreckt, müssen wir ja sehen; 〈 sondern auch, 〉 daß im Falle der Veränderung das „Sich“-verändernde durch die ganze Veränderung 〈 hindurch 〉 eines und dasselbe ist, das eine Gegenständ | liche, die eine „Farbe“, das eine Braun, das sich verändert und dabei in jedem Zeitpunkt ein anderes ist. Das scheint nur ein Widerspruch zu sein. Was wir das eine Braun nennen, nämlich das eine Sich-verändernde, ist eben auch hier nicht die Braunfülle des Zeitpunktes, sondern etwas sich in ihr gleichsam Darstellendes, ein Identisches, das in immer neuen Füllen dasselbe ist, und nur ist, was es ist, als in solchen geordneten Zeitfüllen seiend. Das Braun, könnte man sagen, 〈 ist 〉 das Eine und Selbige, das in den kontinuierlichen mannigfaltigen Braun-„Erscheinungen“ (den Füllen der Zeitphasen) „erscheint“ und das als „Erscheinungseinheit“ auch hindurchgeht durch die Stücke der erfüllten Dauer. Wir haben ein kontinuierliches Einheitsbewußtsein, dessen Korrelat eine ungebrochene Einheit ist, Identität in der zeitlichen Kontinuität, ein im kontinuierlichen Fluß der Zeit und im kontinuierlichen Fluß der Zeitfülle Identisches. Wir haben ein andermal ein gebrochenes Bewußtsein, in der Sonderung der Zeitstücke bzw. der Stücke der erfüllten Zeit; wir haben damit eine Mehrheit von ebensolchen Einheiten, die sich aber nicht summarisch zur Einheit eines Ganzen zusammenschließen. Sondern indem diese Teilung eine Einheit betrifft, nämlich ihre erfüllte Zeitstrecke zerlegt, stellt sie darin dieser zugehörige Einheiten heraus, in denen die Gesamteinheit in gewisser Weise ist.
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Das Braun dieses und das jenes Stückes der Zeitstrecke sind verschieden, sofern sie verschiedenen Zeitstrecken angehören; sofern sie aber in gewisser Weise eine Zeitstrecke kontinuierlich erfüllen, ist es „ein Gegenstand“, der dauert, das Eine und Selbe, das durch diese ganze Zeitstrecke hindurch währt. Ich sagte, „in gewisser Weise erfüllen“. Nämlich in einem Sinn haben wir für jeden Zeitpunkt und für jede Zeitstrecke eine Fülle, und die Zeitstreckenfülle ist die kontinuierliche Summe der Zeitpunktfüllen dieser Strecke, und ebenso die Summe der Füllen für die Teilstrecken irgendeiner disjunkten Teilung. Im anderen Sinn nennen wir die Einheit des Zeitgegenstandes das, was dauert und sich in der Fülle nur bekundet, erscheint, durch ihre Mannigfaltigkeit durchwährend ist (währt), auch als zeiterfüllend, kontinuierlich in der Zeit seiend, in ihr eben während. | Oder auch wir scheiden: 1) den Zeitgegenstand, das Dauernde, das in der Zeit durch sie hindurch kontinuierlich Währende; 2) die sich ausbreitende Zeitfülle, die Braun-Ausbreitung, als die Einheit, die sich der Zeit nach zerstückt, so daß jedes Stück ein anderes ist. Die Braun-Ausbreitung dauert nicht. Sie ist eine Zeitstrecke, die kontinuierlich mit Braun ausgefüllt ist, bedeckt ist. Aber durch solch eine Zeitausbreitung zeigt sich hindurch ein Identisches, der Zeitgegenstand. Korrelativ ist das durchgehende Einheits- oder Identitätsbewußtsein, das wir als Bewußtsein „Etwas dauert“ (eine Farbe, ein Ton dauert) haben, zu scheiden von dem Bewußtsein eines Ganzen von zeitlich-stetig aneinander gelagerten Momenten. Beides gehört zusammen, ist untrennbar eins, aber es erfordert eine verschiedene Blickrichtung, um die Einheit oder das Ganze thematisch zu erfassen. Zeitobjekt ist das Sich-ausbreitende, und nicht die Ausbreitung; oder das in der Zeit Verharrende. Was gehört zur Möglichkeit der Konstitution eines solchen Verharrenden (des Zeitrealen)? Ein Kontinuum der Zeitfülle; deutlicher: Was wir notwendig finden zur Einheit in unserem Beispiel, ist, daß das Braun nicht diskontinuierlich übergeht
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B. Ergänzende Texte
in ein anderes Braun, oder gar in ein Blau etc. Dann ist eben kein Übergehen mehr vorhanden. 〈 Nr. 37 〉 Das Zeitobjekt1
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Ich habe ein Phänomen „Braun“, oder sagen wir, ein Datum der Sinnlichkeit, in voller Konkretion genommen. Es verharrt (dauert im Sinn des Verharrens), es ist Einheit einer Unveränderung oder Veränderung. Es verharrt, unverändert hinsichtlich seiner Qualität, Intensität, Ausdehnung (quasi-räumlich) oder verändert sich hinsichtlich seiner Qualität, Intensität, Ausdehnung. Kann man auch sagen: Die Qualität verharrt, oder die Intensität, die Ausdehnung –? Man sagt: Die Qualität bleibt ungeändert, dann ändert sie sich etc. Die Größe und Gestalt (die Raumkörperlichkeit) bleibt unverändert oder ändert sich. | Achte ich auf die Qualität, so erfasse ich ihre Identität mit sich selbst in Veränderung oder Unveränderung. Ich vollziehe keine „ideierende Abstraktion“, ich erfasse nicht das reine Wesen, sondern die individuelle Einheit, die durch diese zeitliche Kontinuität der Qualität hindurchgeht. Ebenso für jedes Moment? Ich achte auf die Ausdehnung, auf die Raumkörperlichkeit, sie bleibe etwa ungeändert, sie deformiert sich dann etc. Ebenso, ich achte auf die Intensität und spreche mich ähnlich über sie aus. Andererseits stehen die Momente einander nicht gleich, und sind Momente in der gesamten sich kontinuierlich durchhaltenden Einheit. Gegeben (konstituiert) ist dieses konkrete Tondatum, als dauerndes. Es bleibt ungeändert, und „darin liegt“, es ändert sich nicht hinsichtlich all seiner Momente, und darin liegt wieder, jedes dieser Momente ist in sich selbst ein Verharrendes, aber Unselbständiges. Die konkrete Einheit ist das Substrat, das Hauptsubstrat; es trägt in sich die „eigenschaftlichen“ Substrate. Sein Sein, das Verharrend-sein ist, „ist“ in den Eigenschaften, deren Sein wie1
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der Verharrend-sein ist, aber Verharrend-sein in der Weise von Eigenschaften, die nur sind als Eigenschaften von etwas. Das Etwas aber ist eine Einheit, die Einheit aller Eigenschaften ist, nicht eine Verbindung von Gegenständen, sondern eine Mehrfaltigkeit im Sein des verharrenden Substrats, das eben in den verharrenden Eigenschaften ist. So nimmt das Verharren der Eigenschaft einen besonderen Sinn an vermöge ihrer Unselbständigkeit, die andererseits doch nicht Unselbständigkeit in einem sozusagen äußerlichen Sinn ist, wonach irgendein Gesetz für das Sein des einen mit fordert das Sein von anderem, irgendwelcher korrelativen Gattung oder Art. Die Unselbständigkeit, die konkrete Individuen im Zusammenhang mit anderen konkreten 〈 Individuen 〉 haben, ist eine ganz andere als die Unselbständigkeit von Eigenschaften. Eigenschaften sind Substratgegenstände, aber sind Erzeugungen eines Substrats, das in ihnen sozusagen lebt und webt, und das, was es ist, nur in ihnen ist. Aber nun beobachten wir noch wesentliche Unterschiede in der Stufenfolge der Aufeinandergründung der Momente, die hier unter dem Titel Eigenschaften zusammengefaßt erscheinen. Im Beispiel der Substrateinheit Tondatum schieden wir die | Dauer, die im wahren Sinn keine Eigenschaft ist (die Dauer dauert selbst nicht, verharrt nicht) von den ihrem Wesen nach dauernden Eigenschaften bzw. von dem gesamten Eigenwesen des Gegenstandes, der da verharrt. Was besagt diese Scheidung zwischen Gegenstand und Eigenwesen? Ehrlich gesprochen, entweder es ist eine bloß verbale Scheidung, d. h. der Gegenstand selbst ist identisch dasselbe wie das, was hier Eigenwesen genannt wird, nämlich das Verharrende in der Dauer; oder es besagt die Verschmelzung der eigenschaftlichen Wesen (das verschmolzene Ganze) und drückt damit den „Gegenstand“, das Zeitobjekt als Einheit seiner Eigenschaften aus, oder es drückt aus das eidetische Wesen, das viele Zeitgegenstände identisch gemein haben können und das sich in ihnen vereinzelt. Das individuelle Einzelwesen (die Vereinzelung des εἶδος) ist das Zeitobjekt selbst, es ist selbst das Verharrende, und es verharrt eben nach dem Obigen so, daß an ihm Komponenten unterscheidbar sind, die also verhar-
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B. Ergänzende Texte
rende Komponenten sind; und sofern sie zur Einheit eines Verharrenden zusammengeschlossen sind (aber nicht verbunden sind, sondern an ihm unterschieden), ist dieses Verharrende, das konkret-individuelle Zeitobjekt, in den verharrenden Eigenschaften, es legt sich in ihnen auseinander und greift in seinem Sein doch über jede hinaus. Und umgekehrt: Sie sind in ihm notwendig verbunden nicht nur, sondern sie sind, sofern es ist, das in ihnen eigenschaftlich so und so ist. Doch kehren wir zum Tondatum zurück: Es ist in seiner Tonqualität, Intensität, Klangfarbe usw. – aber diese Eigenschaften stehen sich nicht gleich. Wir sagen, die Qualität, etwa c, ist mehr oder minder intensiv; das c habe eine gewisse Intensität, und eventuell eine wechselnde; nicht aber, die Intensität habe eine Qualität, und eventuell eine wechselnde Qualität. (Geht eine Qualität in eine andere stetig über, so mag die Intensität immerfort die gleiche bleiben. Aber wir sagen und sehen nicht, daß eine verharrende Intensität sich verschieden qualifiziert, wie wir umgekehrt sehen, daß eine verharrende Qualität verschiedene Intensitäten annimmt, oder sich ihrer Intensität nach ändert.) Ebenso verhält es sich mit der Klangfarbe und anderen Bestimmungen, die immerfort auf die Qualität als Grundeigenschaft 〈 bezogen sind 〉, die sich in ihnen nur | näher bestimmt, ohne selbst dabei Änderungen erfahren zu müssen (nämlich „als“ Qualität). Nehmen wir als ein anderes Beispiel ein Farbendatum, so gilt ähnliches für die Qualität Farbe, und näher Rot u. dgl. Wie aber mit der räumlichen (oder quasi-räumlichen) Ausdehnung? Offenbar hat diese eine wieder andere Stellung. 〈 Der Raum 〉 individualisiert das, was sich in der Ausdehnung ausdehnt. Das Farbendatum ist ausgedehntes, wie es eine Farbenqualität mit Intensität etc. hat. Die Ausdehnung gehört als „Eigenschaft“ zum Farbendatum (als verharrendem), aber sie gehört nicht so zur Qualität wie eine Intensität etc. Die 〈 sich 〉 um die Qualität, als ihre Determinationen, gruppierenden Beschaffenheiten geben eine relativ konkrete Einheit, die sich als Ganzes über die Ausdehnung „dehnt“, breitet, mit ihr teilt, verlängert, erweitert. Jeder Teil hat seine besondere Qualität, und demnach auch seine besondere Intensität etc.; und die ganze Aus-
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dehnung hat eine Qualität (eine Einheit der Qualifizierung), zu der Einheit einer Gesamtintensität und Gesamteigenschaft nach jeder anderen qualitativen Hinsicht gehört. – Wie wird die Kontinuität Thema, wie kann ich 〈 sie 〉, sie selbst durchlaufend, betrachten? Ich durchlaufe in der Erinnerung einen Vorgang, und zwar etwa die Veränderungsreihe eines Gegenstandes, halte aber jede Phase, jedes Phasenkontinuum fest im Griff, die ganze Kontinuität des Nacheinander. Und so habe ich in jedem Augenblick ein Kontinuum in der „Koexistenz“, gleichzeitig im Griff, nur in jedem Jetzt ein anderes, nämlich das alte mit den neuen Erstreckungen. Bin ich fertig, so habe ich das Ganze im Jetzt im Griff und als Thema. Ich kann, auch wenn ich den Änderungsvorgang nicht zum Thema gemacht hatte, in der Erinnerung reflektieren und auf ihn mich richten und in einer erzeugenden Wiedererinnerung den Vorgang erinnerungsmäßig sich wiedererzeugen lassen, wobei ich eine kontinuierliche Reihe von Koexistenz-Kontinua erhalte, die in kontinuierlichem Wachstum das Thema wieder ursprünglich entstehen lassen. Ich habe freilich nicht – wie bei der räumlichen Ausdehnung (einer erfüllten) – die stetige Sukzession, konkret gemeint, den Vorgang, in einem Zeitpunkt und einer Zeitstrecke zugleich gegeben als eine ausgedehnte Gegenwart, aber ich habe in einer Gegenwart ausgedehnt gegeben das Kontinuum der Vergangenheiten als | Vergangenheiten, und gegeben, wie dergleichen gegeben sein kann. Eine gewisse Analogie mit einer 〈 ko〉existierenden Kontinuität (einer räumlichen) ist vorhanden, sofern eben auch nun im Jetzt und in einer Zeitstrecke dauernd durch sie hindurch (in gewisser Weise verharrend) das Kontinuum der Vergangenheiten gemeint, und in einer gewissen Ursprünglichkeit gemeint 〈 ist 〉. Umgekehrt kann ein Kontinuum, und überhaupt eine Mehrheit und eine Veränderung, in „expliziter“ Form nur im Durchlaufen, also sukzessiv gegeben sein. Im Nacheinander vollzieht sich das Einzel-erfassen, In-Bezug-setzen, Zusammenfassen etc., auf dem Grunde der inexpliziten Koexistenz. Die Einheit der kontinuierlichen Folge der Zeitinhalte, die Einheit zeitlicher Folge der Phasen des Zeitgegenstandes; die zeitliche Folge selbst als Form des Seins des Zeitgegenstandes,
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B. Ergänzende Texte
das ein Nacheinandersein von „Gegenstandspunkten“ ist, die ein Kontinuum bilden vermöge dieser kontinuierlichen Seinsform – : Was sagt Phasen? Die Einheit des Gegenstandes als eines verharrenden ist Einheit von einer kontinuierlichen Form, und wir können achten auf die Einheit und achten auf die Teile dieser Form, und ihnen entsprechend finden wir unselbständige Gegenstände, die Einheiten ihrer Teilformen sind, und derart, daß der Gegenstand der Gesamtdauer ist in diesen Teilen, und sich in eigener Art aus ihnen zusammensetzend. Die kontinuierliche Folge dieser Partialeinheiten ist eine verbundene Folge von Gegenständen. Die Einheit des Gegenstandes der Gesamtdauer ist aber nicht nur die Einheit einer Verbindung, sondern ist eine Einheit, die sich durch die ungebrochene Kontinuität (Verschmelzung) der Phasen hindurcherstreckt, in jeder Phase ist und aus jeder Phase Nahrung zieht, seinen Seinsgehalt bereichert, aber nicht selbst das bloße kontinuierliche Nacheinander der Phasen (und aus den Phasen sich 〈 auf 〉bauenden oder durch Teilung aus dem kontinuierlichen Ganzen herauszuhebenden Stücke) 〈 ist 〉. Durchlaufe ich die Zeit nach dem gegenständlichen Inhalt, so habe ich eine gegenständliche Kontinuität. Durch sie hindurch erstreckt sich die Einheit des Zeitobjekts, aber sie ist nicht das Thema. Lebe ich im Zeitstrom, so verläuft die gegenständliche Kontinuität (der Vorgang), aber sie ist nicht Thema. Eins und das andere ist untrennbaren Seins. | Daher die Übertragung von Raumbegriffen auf die Zeitlichkeit, die Auffassung der Zeit im Bilde einer Linie, einer Dauer im Bilde einer Strecke, wobei die eindimensionale Ordnung in der Zeit zugleich ihre Verbildlichung findet. Umgekehrt sprechen wir bei einer Reihe in der Koexistenz von einer Punktfolge, von einer stetigen Farbenfolge, Tonfolge: also Zeitbegriffe in die Koexistenz hineintragend. Eine Zeitreihe hat, wenn das zeitlich Folgende gewisse Bedingungen erfüllt, Einheit in sich; wenn das Folgende eine gewisse inhaltliche Kontinuität zeigt und diese Weise kontinuierlichen Übergehens hat, die, in einen konstant dauernden Blick gefaßt, jene Analogie mit dem Kontinuum der Koexistenz hat.
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Die Einheit ist die des identischen Substrats für dieses Kontinuum als Vorgang. Aus dem Seefelder Blatt wörtlich: Wir haben einmal ein kontinuierliches Einheitsbewußtsein, und es ergibt uns (das Substrat als) ungebrochene und auch eigentlich unteilbare Einheit, ein Identisches in der zeitlichen Kontinuität: das im kontinuierüchen Zeitfluß Identische. Wir haben ein andermal (Teilung der Zeitstrecke des dauernden Braun) ein gebrochenes Bewußtsein, ein zerstücktes, und bei Sonderung der Stücke haben wir eine Mehrheit von Einheiten im vorigen Sinn. Diese Einheiten summieren oder kontinuieren sich nicht zu der Einheit des dauernden Substrats Braun, des Braun der gesamten Strecke1, sondern wir haben hier eben dieses Zweierlei: einmal ungebrochenes Einheitsbewußtsein im ungeteilten Durchlaufen, das andremal Teilung und mehrfältiges Einheitsbewußtsein, den Teilen entsprechend. Heben wir gleichsam die Teilung wieder auf, so gewinnen wir das Substrat der Gesamtstrecke, und sofern sie sich teilt und das Vollziehen der geordneten Folge von Partial-Einheitserfassungen wesensmäßig sich „deckt“ mit dem Vollziehen des ungebrochenen Bewußtseins, deckt sich auch das Gesamtsubstrat mit den Partialsubstraten; aber nicht so, daß es sich mit ihnen zer | stückt. Im kontinuierlichen Durchlaufen, kontinuierlich im Bewußtsein, das dauert, lebend, habe ich in jedem Moment das Dauernde, und in jedem Moment ist es mit dem 〈 dem 〉 entsprechenden Teil zugehörigen Substrat identisch, aber in keinem Moment ist es die Summe der verlaufenen Substrate. Das Braun dieses und das Braun jenes Stückes der fraglichen Dauer sind verschiedene Substrate, sofern sie aber kontinuierlich eine Zeitstrecke erfüllen, ist ein Substrat, ein Dauerndes, das durch diese Zeitstrecke und ihre Substrate hindurchgeht. 1
Vgl. das Vorstehende von der Überschrift „Aus dem Seefelder Blatt wörtlich“ an mit Nr. 35, S. 240 („Wir haben … zusammenschließen“). Das oben Folgende hat Husserl in eckige Klammern gesetzt, die jedoch bereits S. 265 nach „Substrate“ schließen. – Anm. d. Hrsg.
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B. Ergänzende Texte
„Das durchgehende Identitätsbewußtsein ist nicht zu verwechseln mit dem ganz anderen Bewußtsein eines Ganzen von zeitlich stetig aneinander gereihten Momenten (oder ohne Teilung: eines kontinuierlichen Flusses). Im Identitätsbewußtsein lebend, haben wir im stetigen Fluß der erfüllten Zeit ‚immerfort‘ eines. Das Zeitobjekt ist nicht die Ausbreitung, der Fluß, sondern das Sich-ausbreitende. Evidenterweise können wir aber die Ausbreitung selbst gegenständlich machen, teilen, unterscheiden. Die Kontinuität der Braun-Ausdehnung mit ihren Braun-Momenten ist durchzogen von der Einheit des identischen Substrats.“1 〈 Nr. 38 〉 Einwand gegen diese ganze Seefelder Betrachtungsweise2
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Eine Farbe erscheint und dauert an, sie ändert sich eine Zeitlang nicht, dann ändert sie sich. Ein Ton erklingt eine Zeitlang, eine Weile lang bleibt er ungeändert, dann ändert er sich, er wird ein anderer, geht in einen zweiten Ton über oder geht stetig in kontinuierlich neue Töne über; besser sagen wir da, der Ton c verbleibt immerfort Ton c und dann geht er über in ein eigentümlich gleitendes Phänomen, in einen Qualitätsfluß, eventuell kann er in ein neues gleitendes Tonphänomen übergehen, etwa in h. Sehen wir uns die typischen Vorkommnisse hier etwas näher an. Alle kontinuierlich tonal erfüllten Zeitstrecken liefern uns Konkreta3, die eine allgemeine typische Gemeinsamkeit ha | ben; wir nennen diese Tonalphänomene. Alle kontinuierlich mit Tonalem erfüllten Strecken, die (wie nachträgliche Analyse lehrt) dabei in der Zeitzerstückung in gleiche Zeit1
Vgl. den vorstehenden von Husserl in Anführungszeichen gesetzten Absatz mit Nr. 35, S. 241. – Anm. d. Hrsg. 2 [R. Bernet: Datierung 1917.] 3 Besser gehe ich wohl von Beispielen aus, von sogenannten Tönen, die in voller Konkretion genommen werden; sinnliche Konkreta, z. B. Tonalkonkreta, und tonale konkrete Individuen.
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teile gleich sind im Sinne der bloßen „Wiederholung“, haben ein gemeinsames typisches Wesen besonderer Art, das vor der Analyse eine eigentümliche Gleichheit ergibt; und jedes solche individuelle Konkretum nennen wir denselben Ton, ein TonIndividuum von demselben sachlichen Wesen, und zwei solch Töne heißen inhaltlich identisch. Sie unterscheiden sich dann höchstens nach Lage und nach Zeitgröße (oder -dauer). Zwei individuelle konkrete Töne von derselben Dauer heißen Töne von demselben konkreten Wesen, sie sind bloß 〈 nach ihren 〉 Zeitlagen verschieden. (Doch sagen wir eventuell auch, zwei Töne seien bloße Wiederholungen desselben Tones, nur von verschiedener Lage und Zeitdauer.) Doch scheidet sich im Inhalt noch die Qualität im besonderen Sinn ab von anderen Inhaltsmomenten. Derselbe Ton ist, abgesehen von den Bestimmungen der Zeitgröße und Zeitlage, nach gewöhnlicher Rede nicht konkret-inhaltlich derselbe (d. i. in der bezeichneten Abstraktion von jenen zeitlichen Bestimmungen, die variabel bleiben), sondern wir sprechen von demselben Ton bei mehreren Tönen, demselben, nur wiederholten Ton, wo es zugleich heißt, nur sei der eine laut oder lauter und 〈 der 〉 andere leise oder leiser; und wieder: nur hat der eine die Klangfarbe der Geige, der andere die der Flöte1. Ein identisches Wesen tritt hierbei im Inhalt als bestimmend auf, oder als das auf, was im ausgezeichneten Sinn das quale ausmacht, das aber nach verschiedenen Seiten wechselnde Bestimmungsstücke hat, durch deren Fixierung es erst konkret wird, während es bei ihrer Wandlung identisch bleibt. Dieses quale hat seine Gattung (Gattung Tonqualität, Farbenqualität). Es scheidet sich aber weiteres; oder vielmehr die ganze Darstellung gerät ins Schwanken. Bezieht sich nicht das oben Ausgeführte auf die Fälle, wo die Teilung immer wieder gleiche konkrete Teile ergibt? Kann man sonst einen Begriff des quale gewinnen? | 1
Also derselbe Ton: a) wenn das volle konkrete Wesen identisch ist (Lage verschieden), b) wenn nur die Zeitdauer verschieden ist, der „Inhalt“ derselbe, c) wenn das ausgezeichnete Wesen, das da Qualität heißt, identisch ist.
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B. Ergänzende Texte
Gehen wir von dem Typus stetig gleich qualifizierter Strekken aus, so reduzieren sie sich mathematisch auf Kontinuen von Zeitpunkten derselben Qualität, und Qualität ist ein Punktbegriff. Das Erstreckte hat nicht eine Qualität, sondern eine Qualifizierung, eine Färbung, eine Tönung, die sich aufbaut aus Punktqualitäten; oder das Konkretum ist eine verschmolzene Einheit aus Qualitätspunkten, oder vielmehr aus Zeitpunkten mit ihrer „konkreten“ Zeitfülle. Die Qualifizierung, im weiteren Sinn von Qualität (nicht das quale im spezifischen Sinn), ist eine isotrope – Punkt für Punkt immerfort gleiche – oder eine anisotrope. Gehen wir von irgendeiner „Stelle“, irgendeinem Moment oder Stück der erfüllten Zeitstrecke aus und durchlaufen die angrenzenden Momente, Stücke, so verläuft alles im Sinne der Deckung, der Gleichheit, oder nicht immerfort in diesem Sinn. Fange ich an mit dem Ton c, der eine Strecke lang stetig derselbe ist, d. h. seinem konkreten Wesen, und zwar auch seiner Qualitätsspezies nach derselbe, so ändert „sich“ der Ton c, die Spezies ist im Fortgange nicht mehr dieselbe, sondern eine andere und wieder andere. Der Ton c ändert sich – er bleibt derselbe. Er hält sich durch, dauert an. Die Qualität bleibt dieselbe, in der fortlaufenden Deckung der Qualität nach erfahre ich „dasselbe“1. – Individueller Gegenstand: Er hat sein konkretes Eigenwesen, das sich aus „konstitutiven“ Momenten, aus Eigenschaften, „aufbaut“ oder sich „abstraktiv“ in solche scheidet. Er „hat“ sein konkretes Wesen, er ist selbst die Individuation dieses Wesens; und ihm kommt eine Stellung in der Zeit, eine Lage zu, und wieder ihm kommt eine Dauer zu, und ihr gemäß eine kontinuierliche Folge von ihm zugehörigen Wesen: ihm kommt ein Vorgang zu. Er ist als Einheit eines Vor-sichgehens, er ist als dauernd.
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Später hat Husserl hieran anschließend vermerkt: „Auf dem Seefelder Blatt: Gegenstände höherer Stufe – eine Melodie ändert sich nicht, sie dauert so und so lange, sie dauert, indem sie sich ,abwickelt‘, indem immer neue und neue Töne auftreten“. Siehe Nr. 35, S. 243. – Anm. d. Hrsg.
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Jeder Gegenstand hat Inhalt und Form, oder er ist der Inhalt, aber nur als Inhalt der Form. Wie steht nun zu all diesen Ausführungen über konstitutive Inhalte, Eigenschaften etc. die alte Lehre von den selbstän | digen und unselbständigen Inhalten? Hat sie einen Sinn über die eigentliche Wesenssphäre hinaus, d. h. über die Sphäre der individuellen Wesen 〈 hinaus 〉? Die Lage ist doch kein unselbständiger Inhalt (als ob sie im eigentlichen Sinn „gegenständliches Moment“ wäre). Andererseits, haben wir nicht verschiedene allgemeine Zeitbestimmungen, mit Gattung und Art? Hier ist jetzt noch alles unklar. Das muß ein nächstes Thema sein! – Kann man sich Gegenstände aus „Momenten“ aufgebaut denken? Als ob eine Verbindung oder Verschmelzung von Momenten solange unselbständig wäre, als bis ein letztes Moment hinzutritt. Ist nach diesem Schema, bei dem schließlich jedes solche „letzte“ Moment individualisierend wäre, zu verfahren, oder ist es nicht vielmehr ein verkehrtes Schema? Selbständig 〈 sei 〉 das, was für sich sein kann, unabhängig von jedem anderen: ohne Ergänzung durch ein gewisses anderes. Inwiefern ist das eine sinnvolle Vorstellungsweise? Ist Zeitdauer ein Moment, bei dem ich fragen kann, ob es für sich sein oder nicht sein kann? Und wie steht es mit dem Ort und räumlicher Ausdehnung, als Form gegenüber Inhalt? Begriff der „Form“. |
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〈 IV. Zur Auflösung des Schemas Auffassungsinhalt – Auffassung 〉1 〈 Nr. 39 〉 Zeit in der Wahrnehmung2
Wir richten unser Augenmerk auf einige wichtige Punkte, die sowohl der darstellenden Wahrnehmung als der nicht darstellenden (der reell immanenten, wie wir sie bisher verstanden hatten) gemeinsam sind, und die Abwandlungen, die sich aus der verschiedenen Natur dieser Wahrnehmungen dann ergeben. Wahrnehmung, sei es darstellende oder nicht-darstellende, geht auf einen leibhaften Gegenstand, und dieser Gegenstand ist ein Individuelles. Wir können hinzufügen – wenigstens in Hinblick auf die Wahrnehmungstypen, die wir unterschieden hatten –, der individuelle Gegenstand ist jeweils eine Einheit, Einheit gegenüber einer Mannigfaltigkeit. Zunächst ist das unklar. Wir sagen lieber: Das Individuelle, das leibhaft zur Vor1
Anfang 1907 bis Anfang 1909. – Anm. d. Hrsg. 2 Die so von Husserl selbst überschriebene Aufzeichnung ist vom Hrsg. dem Manuskript der Vorlesungen entnommen, die Husserl im Wintersemester 1906/07 unter dem Titel Einführung in die Logik und Erkenntniskritik an der Universität Göttingen gehalten hat. Der erste Teil des Vorlesungsmanuskripts liegt im Husserl-Archiv unter den Signaturen F I 25, F I 16 (im ersten Teil) und F I 10, der zweite Teil mit einigen Blättern noch in F I 17 und ferner in F I 7 vor. Diesen zweiten Teil hat Husserl offenbar ohne wesentliche Änderungen in das Manuskript der Vorlesungen übernommen, die er im Sommersemester 1909 als Einführung in die Phänomenologie der Erkenntnis (F I 18, F I 17 und F I 7) gehalten hat. Der hier wiedergegebene Ausschnitt entstammt diesem zweiten, zuerst Anfang 1907 vorgetragenen und dann 1909 wiederholten Teil der Vorlesung des Wintersemesters 1906/07. Im Manuskript gelegentlich der Wiederholung 1909 angebrachte Zusätze und Korrekturen verzeichnen wir im Folgenden in Fußnoten. – Anm. d. Hrsg. [R. Bernet: Der Text stammt sicher nicht aus der in Husserliana XXIV veröffentlichten Vorlesung von 1906/07. Datierung 1909.]
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stellung zu bringen die Funktion der Perzeption ist, ist eine zeitliche Einheit. Das Individuelle ist notwendig sei es individuelles „Ding“ oder individueller „Vorgang“. Es ist ein Ding, ein Ding, das | dauert und mit seinem dinglichen Inhalt die Zeitdauer, seine Dauer, ausfüllt, und sie bald ausfüllt in der Weise des Sichveränderns, oder in der Weise der Unveränderung, der Ruhe. Oder das Individuelle ist ein Vorgang, von dem wir wieder – obschon in merklich anderem Sinn – sagen, daß er dauert und in der Dauer entweder selbst Unveränderung ist oder Veränderung. Das Wahrgenommene als solches betrachten wir nach diesen wesentlichen zeitlichen Vorkommnissen, ohne die es als wahrgenommenes Individuelles nicht denkbar ist. Z. B.: Das Ding ist Einheit, es dauert, und in seiner Zeitdauer. In ihr sind zu unterscheiden die mannigfaltigen Phasen, jede Phase ist Phase des zeitlichen Daseins des Dinges. Das Ding ist aber nicht die Vielheit der Phasen, auch nicht die Kontinuität der Phasen, sondern das eine und selbe Ding, das eben während seiner Zeit dasselbe ist, in jeder Phase dasselbe. Das Ding mag während seiner Dauer unverändert bleiben, es mag jedem Zeitpunkt gleiche Inhaltsfülle verleihen; aber es ist nicht dasselbe im Sinne bloß der Gleichheit, sondern es, das eine identische Ding, bleibt sich gleich; ebenso bei der Veränderung: das eine identische Ding bleibt sich qualitativ nicht gleich, nämlich sofern es immer wieder anders wird, und doch ist es dasselbe Ding, ein Selbes wird gefaßt, das aber sich verändert. Einheit gegenüber der Mannigfaltigkeit besagt hier also diese in der Perzeption von Individuellem zu erfassende Identität, die wir ganz allgemein als Identität des Dinges bezeichnen gegenüber der kontinuierlichen zeitlichen Mannigfaltigkeit von Dingphasen. Diese Kontinuität kann ebensowohl beachtet, gemeint und in diesem Sinn erfaßt werden, sie ist in anderem Sinn Einheit als das Ding, sie ist eben Einheit der Phasenkontinuität, und ist näher Dauer oder Veränderung des Dinges, die konkret erfüllte Zeit selbst, durch die sich das Ding als das Identische aller Phasen hindurcherstreckt, oder in der es in eigener Weise liegt, aus deren Gegebenheit es evident zu entnehmen ist. Auf dieser Seite liegt offenbar das, was wir
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B. Ergänzende Texte
Einheit des Vorganges nennen, wofern damit nicht der Sachverhalt, daß das Ding ruht oder sich verändert, gemeint ist. Zur Einheit des Vorgangs gehört die Einheit des Dinges, mit dem etwas vorgeht, das da ruht oder sich in der oder | jener Veränderungsgestalt verändert. Bei der Weite, in der hier das Wort Ding gebraucht ist (wir werden darüber noch sprechen), brauchen wir nicht einzelnes Ding und zusammenhängende Dingkomplexion zu unterscheiden. Auch sie ist ein IdentischEinheitliches in der Zeit, insgesamt ein „Ding“. Aber wie weit gebrauchen wir dann eigentlich die Rede von Ding, und damit auch von Vorgang und von Zeit, Dauer, Ruhe, Veränderung? Wir haben ausdrücklich gesagt, daß nicht bloß von den darstellenden Wahrnehmungen die Rede ist, sondern auch von den nicht-darstellenden, nicht bloß von transzendenten, sondern auch von immanenten und adäquaten, kurzum von jederlei Wahrnehmungen individuell einheitlicher Objekte. Es ist also nicht bloß die Rede von Dingobjekten im gewöhnlichen Sinn von Naturobjekten. Gehen wir zur spezielleren Betrachtung der Sachlage bei den reell immanenten Wahrnehmungen über, in denen ein Individuelles, aber kein Naturobjekt, zur adäquaten Gegebenheit kommt, so wird sich dabei nicht nur die allgemeinere Rede von Dingeinheit und zeitlicher Mannigfaltigkeit rechtfertigen, sondern wir werden bald auch darauf kommen, daß der Gegensatz von Einheit und Mannigfaltigkeit einen neuen Sinn bekommt, der uns auf eine tiefer liegende Schicht von konstituierenden Bewußtseinsvorkommnissen zurückführen wird. In reeller Immanenz ist uns jede cogit a ti o gegeben, auf die wir in der Reflexion hinblicken und die wir, in der Art, wie es die reduzierte cartesianische Evidenz erfordert, so nehmen, wie eben 〈 sie 〉 zur absoluten Selbstgegebenheit kommt. So gegeben ist uns in der phänomenologischen Analyse, soweit sie sich innerhalb der Reflexion vollzieht, etwa äußere Wahrnehmung, und in ihr der Komplex der darstellenden physischen Inhalte, die Empfindungsfarbe, der Empfindungston, die Empfindungsrauhigkeit usw. Nehmen wir etwa einen Ton-Inhalt. Es sei der Ton einer Geige gehört, wir leben aber nicht im Hören des Geigentones, sondern wir blicken auf das Ton-Erscheinen
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hin, und darin auf den Ton als physischen Inhalt, so wie er in 〈 sich 〉 selbst ist, und unter Abstraktion von dem, was mit ihm erscheint und was in der Weise der äußeren Dingwahrnehmung als Erzeugnis der gestrichenen Geigensaite in räumlicher Wirklichkeit dasteht. M. a.W., wir abstrahieren von dem, | was der Ton darstellt, und nehmen ihn als Empfindungston. Dann müssen wir offenbar sagen: In der reell immanenten Wahrnehmung, in der uns dieser Ton zur Gegebenheit kommt, ist er eine Einheit im Fluß seiner Zeitphasen. Der Ton dauert, und inhaltlich steht er bald als unverändert da, bald als sich verändernd, z. B. es schwankt seine Intensität, sie schwillt an und klingt wieder ab, oder es verändert sich auch seine sogenannte Qualität, seine Klangfarbe usw. Der Ton, als diese zeitliche Einheit, ist ein adäquat gegebenes Objekt, wir können auch sagen, ein immanent gegebenes Objekt, und zwar haben wir daran ein Beispiel von dem, was wir in einem allgemeineren Sinn Ding nennen. Es ist ein Ding-Gegebenes in der immanenten Sphäre, nämlich eben als ein zeitlich Dauerndes, und in seiner Dauer, sei es Unverändertes, sei es Sich-veränderndes, ein Identisches der Zeit, das seine Eigenschaften hat, die Eigenschaften der Qualität, der Klangfarbe, der Intensität, die ihrerseits dauernd ihm verbleiben oder an ihm, demselben Ding, kontinuierlich oder diskret wechseln. Auch die Eigenschaften sind Einheiten in der Zeit, analog wie das Ding selbst, das Eigenschaften hat. Die Intensität des Tones, sagen wir etwa, dauert und schwillt jetzt an und jetzt wieder ab, sie hält sich eine Strecke lang unverändert u. dgl. Der Ton in seiner vollen Konkretion, sich von seinem Hintergrund als In-sich-geschlossenes abhebend, ist das Ding; die Intensität aber ist Intensität des Tones, sie ist auch zeitliche Einheit, Identisches in der Kontinuität ihrer Zeitphasen, aber sie ist eben Intensität des Tones, sie ist ein Unselbständiges, das am Ton ist, als zu ihm gehörig in der adäquaten Eigenschaftswahrnehmung erfaßt wird. Einheiten von der Art dieser „Eigenschaften“ haben das Charakteristische, daß sie evidenterweise in eigentümlicher Weise nur sein können an einem anderen, das sie eben „hat“ und das seinerseits in sich oder für sich ist, und nicht in diesem eigentümlichen Sinn von einem
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B. Ergänzende Texte
anderen gehabt wird. Natürlich ist hier, ebenso wie Ding, auch Eigenschaft ein Immanentes, und unterschieden von dem, was wir Eigenschaft nennen in der Natursphäre und überhaupt in der Sphäre der Transzendenz. Beiderseits aber bezeichnen die Worte Ding und Eigenschaft ein Gemeinsames – die gegebenen Beschreibungen passen beiderseits: Naturdinge wie Immanenzdinge sind | zeitliche Einheiten, die Eigenschaften haben, aber nicht Eigenschaften sind, und die Eigenschaften sind zeitliche Einheiten, die zurückweisen auf Einheiten, an denen sie sind, von denen sie gehabt werden. Beiderseits hängen die Wahrnehmungen von Ding und Eigenschaften wesentlich zusammen; wir werden versucht sein, zu sagen: Dieselbe Wahrnehmung liege vor, und einmal sei die Aufmerksamkeit gerichtet auf das identische Ding, das andremal auf die oder jene Eigenschaft des Dinges. Insoweit ist das richtig, als beim Achten auf das Ding die Eigenschaften einheitlich sind und verbleiben, und daß umgekehrt beim Achten auf diese oder jene einheitliche Eigenschaft das Ding immerfort als Einheit dasteht. Wahrnehmung im vollen Sinn befaßt die Achtsamkeit auf …, also mehr als die bloße Perzeption, die mit anderen attentionalen Modi verknüpft sein kann. (Wort „Wahr“-nehmung.) Wie beiderseits Ding und Eigenschaft, ist auch beiderseits gegeben die Einheit des Vorgangs; die Einheit des Vorgangs ist Einheit der real erfüllten Zeit. Aber in der real erfüllten Zeit ist eo ipso ein Ding da, das in ihr dauert, und mit seinen konstituierenden Eigenschaften in ihr dauert. Vom Vorgang selbst heißt es, daß er dauert und sich verändert. Aber der Vorgang hat in einem anderen Sinn eine Dauer als das Ding-Einheitliche, er ist erfüllte Dauer, das Ding aber ist das Identische in jedem Punkt der Dauer, in jeder Phase der Fülle. Und sagt man vom Vorgang, 〈 auch 〉 er sei doch in jedem Punkt, so ist das Sein-in-einem-Punkt hier etwas wesentlich anderes als das Sein des Dinges in diesem Punkt. Jeder Punkt trägt zum Vorgang bei, baut ihn auf, aber ein Punkt trägt nichts zum Ding bei, sondern in ihm ist ganz und gar das Ding, nur das Ding dieses Moments. Auch der Vorgang ist eine Identität, und wir sagen sogar, der Vorgang bleibe immer sich gleich hinsichtlich seiner Form, er verändere sich nicht, und er verändere sich,
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er ändere seine Gestalt, er werde langsamer und dann wieder schneller. Auch der Vorgang ist eine Einheit und hat seine Eigenschaften. Aber all das in einem wesentlich anderen Sinn als das Ding mit seinen konstituierenden Ding-Eigenschaften. Mit all dem hängt zusammen, daß evidenterweise nicht edle Prädikabilien eines Dinges über denselben Kamm zu scheren sind; konstituierende Ding-Eigenschaften und Beschaffenheiten | des Dinges mit Beziehung auf seine Veränderungsart, auf die Form und den Ablauf seiner Veränderung sind z. B. wesentlich verschieden. Auf beiden Seiten, nämlich sowohl in der immanenten als in der transzendenten Realitätssphäre, ist die Zeit die unaufhebbare Form der individuellen Realitäten in ihren beschriebenen Modi. Das Moment der Zeitlichkeit fassen wir dabei am perzipierten Realen, und somit müssen wir sagen: Ist etwa das Jetzt oder ist die Dauer Jetzt oder Dauer eines immanent Gegebenen, so ist das zeitliche Moment selbst immanent gegeben, wieder ist es transzendent gegeben als zeitlicher Modus eines Transzendenten. Andererseits scheint „die Zeit“ in gewissem Sinn und evidentermaßen eine einzige zu sein: zwei Realien, zwei Dinge, Eigenschaften, Vorgänge können, nach entsprechenden Zeitmodi betrachtet, zeitlich identisch sein. Als Beispiel: Die Wahrnehmung eines Realen ist selbst ein Reales, und ihre Zeiten decken sich. Das Jetzt der Wahrnehmung ist identisch dasselbe wie das Jetzt des Wahrgenommenen, die Dauer der Wahrnehmung identisch mit der Dauer des Wahrgenommenen, usw. Ist das Wahrgenommene ein Transzendentes, so erscheint es eben, auch wenn es nicht reell gegeben ist, in demselben Jetzt, in dem die Wahrnehmung ist, die selbst zur reellen Gegebenheit kommt. Reflektieren wir und erfassen wir die Wahrnehmung als ein Eben-gewesenes, so erscheint ihr Wahrgenommenes in demselben Zeitpunkt des Gewesenseins. Ist das Wahrgenommene ein Immanentes und somit auch nach seiner Existenz Gegebenes, so decken sich die beiden realen Individuen: Wahrnehmung und Wahrgenommenes (z. B. der Empfindungston) in ihrem – ebenfalls adäquat gegebenen – zeitlichen Modus, in ihrer Dauer und in den Punkten dieser Dauer. Die Zeit ist nicht doppelt da, Gleichzeitigkeit
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ist Identität der Zeit, obschon das Zeitmoment am Realen zur Gegebenheit kommt. Ohne all die schwierigen Analysen, welche in den bisher angedeuteten Richtungen erforderlich sind, näher andeuten zu können, gehen wir zu einer besonders wichtigen Betrachtung über. Führen wir folgende Überlegung zunächst in Beschränkung auf rein immanente physische Daten durch. | Der physische Inhalt Ton steht in der reduzierten phänomenologischen Wahrnehmung als immanentes „Ding“ da, er ist Einheit einer fließenden Mannigfaltigkeit von Tonphasen. Dieses Ding Ton hat – das gehört zum Wesen der Dinglichkeit überhaupt – eine Zeitform und den zeitfüllenden Inhalt. Die Zeitform 〈 ist 〉 eine Kontinuität von Zeitpunkten, deren jeder seine Fülle hat. Der füllende Inhalt des Objekts breitet sich aus über die Zeitdauer, die seine Dauer ist. Der Ton dauert, er ist jetzt und immer wieder jetzt. Das Jetzt ist immer wieder ein neues, und im neuen Jetzt ist der Ton nicht mehr zugleich im alten Jetzt, sondern im alten Jetzt gewesen. Dies führt uns auf eine neue Kontinuität, nicht die Kontinuität der Tonphasen bzw. der Zeitpunkte, welche die Dauer des Objekts ausmacht, sondern auf die Kontinuität der temporalen Abschattungen des Tones. Blicken wir auf das Ton-Jetzt (das freilich immer wieder ein neues ist). Das Jetzt ist Grenze einer Kontinuität von Ton-Gewesenheiten, und es ist hier offenbar eine Blickstellung möglich, in der wir nicht hinblicken auf die Tonphasen, die gewesen sind und die, während sie gegenüber dem immer neuen Jetzt immer weiter zurückrücken, mit ihrer individuellen Identität auch die Identität ihres Zeitpunktes bewahren, sondern hinblicken auf das „Phänomen“ ihrer Gegebenheit.1 Was heißt das? Nun, wir müssen offenbar unterscheiden das jedem JetztMomente der Ton-Wahrnehmung reell Immanente von dem in ihm objektiv Erscheinenden. Der Ton in seiner Dauer ist immanent gegeben in der Ton-Wahrnehmung, und diese TonWahrnehmung ist selbst ein Dauerndes. Jedes Jetzt der TonWahrnehmung erfaßt eine Tonphase, und zwar diejenige des 1
Zum Vorangehenden merkte Husserl am Rand an: „Zeitbewußtsein“. – Anm. d. Hrsg.
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betreffenden aktuellen Jetzt. Aber nicht bloß das. Eine Kontinuität von abgelaufenen Tonphasen ist im selben Jetzt bewußt. Diese abgelaufenen Tonphasen sind nicht so wahrgenommen in dem betreffenden Jetztpunkt der Wahrnehmung wie diejenige Tonphase, die in ihm als ein Jetzt dasteht. Sie sind noch bewußt, sie erscheinen noch, aber in modifizierter Weise. Das verflossene Jetzt mit seiner Fülle verbleibt nicht aktuelles | Jetzt, sondern stellt sich im neuen aktuellen Jetzt in einer gewissen Abschattung dar, und jede solche Abschattung vertritt sozusagen das Gewesene im aktuellen Jetzt. Sie macht einen reell immanenten Inhalt aus in dem betreffenden aktuellen Jetztpunkt der Wahrnehmung des Tones; und das gilt für die ganze Kontinuität der abgeflossenen und noch lebendig bewußten Tonphasen. Richten wir also den Blick auf das Tonwahrnehmen im aktuellen Jetzt, so ist es eine Kontinuität von Zeitabschattungen des Tones, die terminiert in einer Randphase, welche das Jetzt des Tones nicht bloß abschattet, sondern absolut selbst faßt. Und rückt nun der aktuelle Jetztpunkt vor, so ist ein neues Ton-Jetzt absolut gefaßt, und was soeben in dieser Weise gegeben war, ist vertreten durch eine Abschattung. Aber die ganze Kontinuität der früheren Abschattungen erfährt abermals Abschattungen. Der gesamte reelle Gehalt des Wahrnehmungs-Jetzt mit allen reell in ihm enthaltenen Abschattungen „sinkt in die Vergangenheit“, und so wird jede Phase, jede Abschattung von neuem abgeschattet usw. Ich will diese Analyse keineswegs als eine letzte ausgeben, es kann unsere Aufgabe hier nicht sein, das schwierigste aller phänomenologischen Probleme, das der Zeitanalyse zu lösen. Worauf es mir ankommt, ist hier nur, ein wenig den Schleier zu lüften von dieser uns bisher verborgenen Welt des geheimnisreichen Zeitbewußtseins, und insbesondere pointieren möchte ich den neuen Sinn von Einheit gegenüber der Mannigfaltigkeit, womit zusammenhängt ein mehrfacher Sinn von immanenter Wahrnehmung, von adäquater, ja sogar von Darstellung gegenüber absoluter Selbststellung. Nach dem Vorangegangenen werden Sie leicht folgendes verstehen. Wir hatten als Beispiel einen Empfindungston, so und so nach Intensität, Qualität, Klangfarbe sich modifizierend und
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emporschwellend oder abschwellend u. dgl. Eine immanente Wahrnehmung, eine Wahrnehmung, die transzendente Auffassungskomponenten ausschaltet, erfaßt selbst, leibhaftig, diesen Empfindungston als zeitliche Einheit, als Einheit des dauernden, anschwellenden und abschwellenden Tones. Die Mannigfaltigkeit ist hier die zeitliche Mannigfaltigkeit der Tonphasen, die in ihrer Einheit als Vorgang ebenfalls gegenständlich | werden kann, und zwar ebenfalls wahrnehmungsmäßig. Wieder davon unterschieden ist aber eine offenbar ganz andersartige „immanente Wahrnehmung“, nämlich diejenige, welche auf den Fluß der Tonabschattungen gerichtet ist, nämlich der Abschattungen, in denen sich der identische Ton „darstellt“, in denen er in jedem Wahrnehmungs-Jetzt sich in immer neuer Weise in seinem Jetzt und nach seiner abgeflossenen Dauer durch eine Kontinuität von nachklingenden Modifikationen repräsentiert. Es ist offenbar eine ganz andere Wahrnehmung, die hier in Frage ist; nicht die Wahrnehmung der Tonphasen in ihrer Kontinuität, also des tonalen Vorganges, sondern die Wahrnehmung der Kontinuität, die für den TonVorgang darstellend ist, die ihn repräsentiert. Reflektieren wir auf die Wahrnehmung des einheitlichen Tones oder auch auf die Wahrnehmung des Ton-Vorgangs und erhaschen wir ihr Jetzt und das, was ihr in diesem Jetzt reell zugehört, so finden wir sie als eine Kontinuität, und speziell in Hinsicht auf die physischen Inhalte, die ihr einwohnen und die AuffassungsKontinuität erfahren, finden wir eine Kontinuität: die JetztPhase der Tonempfindung und einen Fluß von Abklängen, in denen sich in diesem selben Wahrnehmungs-Jetzt das abgeflossene Sein, das gewesene und dauernd gewesene Sein des Tones stetig abschattet. Die Abschattung steht offenbar im Charakter der Abschattung da, im Charakter einer Darstellung, d. i. der physische Inhalt in seinen eigentümlichen Modifikationen hat einen stetigen Bewußtseinscharakter, etwas von der Art Auffassung, was eben die Darstellung als Darstellung charakterisiert.1 | 〈 Zusatz aus dem Sommersemester 1909: 〉 Wir haben früher schon gelegentlich den Ausdruck phansiologisch gebraucht, um innerhalb der 1
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Rekapitulieren wir.1 Ausgehend vom Beispiel eines adäquat in reell immanenter Wahrnehmung gegebenen Tones hatten wir festgestellt, daß dieser Ton ein individuell Einheitliches ist, einheitlich, sofern er dasteht als dauernder Ton, welcher der eine und selbe ist während der Dauer. Während der Dauer: also in allen unterscheidbaren Teilen der Dauer und in allen abstraktiv zu unterscheidenden Phasen der Dauer. Die Phasen sind dabei erfüllte Phasen, und was sie erfüllt, ist der Toninhalt, der Ton durch seinen Inhalt, welcher von Phase zu Phase ein anderer ist. Toninhalt ist aber nicht identischer Ton phänomenologischen Analyse scharf pointieren zu können den Unterschied zwischen dem, was Sache der cogitatio ist, und 〈 dem, was 〉 Sache des Kogitierten als solchen, das ja auch evident zu beschreiben ist. Den Ausdruck cogitatio haben wir in Anlehnung an die Cartesianische Betrachtung festgehalten. Phansiologisch nennen wir eine Untersuchung, welche die cogitatio nach ihrem reellen Bestande erforscht. Dabei aber stellt es sich heraus, daß die cogitatio in der reflexiven Wahrnehmung zur Einheit wird, da evidente Einheitsgegebenheiten hier zu fassen und zu beschreiben sind; wie wenn wir die Wahrnehmung, die Erinnerung, das Urteil als Einheiten nehmen und in einheitlicher Weise von der Erscheinung als Wahrnehmungs- oder Erinnerungserscheinung sprechen, von dem Charakter der Setzung, der Aufmerksamkeit usw. Andererseits aber sind diese Einheiten Einheit von Mannigfaltigkeit, nämlich von Einheiten, die notwendig zurückweisen auf Mannigfaltigkeiten des letzten Zeitflusses, in dem sie sich notwendig darstellen, sich im Fluß phansiologischer Zeit abschatten. Hier in | diesem Fluß liegt das Absolute, auf das alle phänomenologische Analyse zurückführt. Wir sprechen von dem abso1uten phansiologischen Zeitfl uß und sagen, daß sich in ihm alle Einheiten konstituieren. All diese Objektivitäten sind in gewissem Sinn bloß intentionale der 〈 angedeuteten 〉 Art, sind Einheiten und aus Einheiten gleichsam aufgebaut, und alle Einheiten in diesem Sinn, zeitliche Einheiten, reale Einheiten, sind in gewissem Sinn bloß intentionale Einheiten. Jeder solchen Einheit korrespondiert nun a priori, d. i. wesentlich, ein konstituierender Bewußtseinsfluß. 1 Husserl hat am Rand notiert, daß es sich um eine Rekapitulation der Betrachtung „von 87 an“ handelt, d. h. genau von der – im Ms. bezeichneten – Stelle an, mit der die Wiedergabe vorliegender Aufzeichnung Nr. 39 – S. 269 – beginnt. – Anm. d. Hrsg.
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selbst, ist nicht das Identische, von dem wir sagen, 〈 daß 〉 es dauert und in seiner Dauer bald ruht und bald sich wieder verändert. Dieses Identische ist nichts ohne Inhalt, es ist, was es ist, mit seinem Inhalt. Das Identische ist nicht in den Inhalt bloß hineingesetzt, als ob es wieder herausgenommen und für sich gedacht werden könnte. Durch alle Phasen und all den in der Phasenkontinuität herausgebrachten Inhalt hindurch geht die Identität des Dinges Ton, der als dieses Identische nur denkbar ist als das sich durch diese Kontinuität hindurch Erstreckende, in ihr Dauernde, ein Selbiges, das ruht und wieder sich verändert. Wir sahen, daß hier verschiedene andere – analoge – Einheiten in Wesensbeziehungen stehen: Die Einheit des Tones war Ding-Einheit, davon unterschieden wir die zugehörigen Einheiten, die wir die Ding-Eigenschaften nannten; auch dingliche Relationen wären hier zu nennen. Ferner hoben wir auch hervor die Einheiten, die Vorgänge heißen. Jede Wahrnehmung setzt derartige Einheiten, und eigentlich entsprechen den Grundformen dieser Einheiten auch Formen und Typen der Wahrnehmung. Wesensgesetzlich hängen diese Wahrnehmungstypen zusammen, von der einen kann zur anderen | übergegangen 〈 werden 〉, mit der Gegebenheit einer Gegenständlichkeit sind andere Gegenständlichkeiten mit gegeben, nämlich in entsprechender Wendung der Wahrnehmung, in entsprechendem Übergang von einem Wahrnehmungstypus zum anderen zu erfassen. Das gilt nun, ob die Einheiten immanente, adäquat gegebene Einheiten sind oder transzendente, also äußere Dinge, äußere Eigenschaften, Naturvorgänge im gewöhnlichen Sinn u. dgl. Gehen wir von einer gewöhnlichen äußeren Wahrnehmung zu einer immanenten Wahrnehmung ihres Empfindungsinhalts über, so ist das ein Übergang, dessen Möglichkeit a priori im Wesen der äußeren Wahrnehmung gründet. Z. B. wir nehmen das Heranfahren eines Postwagens wahr und achten auf das Geräusch des Rollens oder auf den Klang des Posthorns, unter Abstraktion von allem, was es transzendent bedeutet. Wir sagen dann von diesem Inhalt, er sei ein immanentes Objekt; der Vorgang des Rollens, der Klang des Posthorns, das sind hier
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adäquate Gegebenheiten. Was besagt hier die Immanenz? Besagt es, daß das Objekt nicht außerhalb, sondern im Bewußtsein ist und daß das Bewußtsein gleichsam ein Sack ist, in dem das einheitliche immanente Objekt darinsteckt? Natürlich haben wir die Lehren phänomenologischer Reduktion zu beachten. Der Klang des Posthorns ist in äußerer Wahrnehmung ein transzendentes Reales, in der wesentlich geänderten Einstellung der immanenten Wahrnehmung ist er nichts Transzendentes, sondern Immanentes, und darin liegt – wie der erste Aspekt zu lehren scheint – in der Tat ein reales Enthaltensein des Objekts in der Wahrnehmung. Indessen, wie aus den Betrachtungen am Schluß der letzten Vorlesung hervorgeht, die wir jetzt fortführen, bedarf es hier großer Vorsicht. Die äußere Wahrnehmung des Klanges ist nicht Klang, und dazu ein im übrigen unterschiedloses, leeres Hinschauen darauf. Da ist das ganz selbstverständlich. Bei der immanenten Wahrnehmung, wo der Klang als bloßer physischer Inhalt Objekt und als das adäquat gegeben ist, da ist die Versuchung größer, die Sachlage so anzusehen und das Wahrnehmen als ein unterschiedloses Fassen oder Haben des Inhalts, der ihm nun reell einwohnt, zu interpretieren. Vollziehen wir aber einen neuen und im Wesen der Wahrnehmung als ideale Möglichkeit begründeten Schritt der Reflexion, | gehen wir nämlich von der Wahrnehmung des immanenten Klanges über zur Wahrnehmung dieser Wahrnehmung, so eröffnen sich die Wunder des Zeitbewußtseins. Die Wahrnehmung des Tones in ihrem immer neuen Jetzt ist nicht ein bloßes Haben des Tones, sei es auch des Tones in der Jetztphase. Vielmehr finden wir in jedem Jetzt neben dem wirklichen physischen Inhalt eine Abschattung, oder besser: wir finden eine eigentümliche TonAbschattung, die in dem aktuell empfundenen Ton-Jetzt terminiert. Achten wir reflexiv auf das, was vom Ton des geblasenen Posthorns oder vom Rollen des Wagens jetzt, in dem aktuellen Jetzt, gegeben ist, und 〈 darauf 〉, wie es gegeben ist, so merken wir den Erinnerungs-Schweif, der den Jetztpunkt der Tones oder des Rollens extendiert. Es ist dabei evident, daß das immanente Ding gar nicht in seiner Einheit gegeben sein könnte, wenn nicht das Wahrnehmungsbewußtsein mit dem Punkt
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aktueller Empfindung auch die Kontinuität der abklingenden Phasen der Empfindungen der früheren Jetzt mit umspannte. Das Vergangene wäre für das Bewußtsein des Jetzt nichts, wenn es sich nicht im Jetzt repräsentierte1, und das Jetzt wäre nicht Jetzt, nämlich für das wahrnehmende Bewußtsein des betreffenden Moments, wenn es in ihm nicht als Grenze eines vergangenen Seins dastünde; das vergangene Sein muß sich in diesem Jetzt als solches repräsentieren2, und das tut es durch die im Empfindungspunkt terminierende, nach der anderen Seite vage verschwimmende Abschattungskontinuität3. Offenbar ist aber diese Abschattungskontinuität4 nicht eine Kontinuität von Empfindungspunkten. Die der Jetztphase des Tones entsprechende Empfindungsphase ist die einzige Empfindungsphase dieses Jetzt. Die vergangenen Empfindungen sind nicht aufbehalten als Empfindungen. Nur Nachklänge der | selben, eigentümliche Modifikationen5, die den impressionalen Charakter des Tondatums wesentlich verändern, sind im Jetzt als einheitliche Kontinuität gegenwärtig. Und darin wieder ist jede Phase von jeder dem Charakter nach unterschieden, die Kontinuität steht ja als Kontinuität da; als eine Abklingungsreihe, Abschattungsreihe6. Diese Kontinuität ist in jedem Moment der Wahrnehmung im echtesten Sinn reell immanent, während wir in der Wahrnehmung, wofern wir ihren Phasen von Jetztpunkt zu Jetztpunkt nachgehen, nirgends den Ton finden, das phänomenologische Ding, ja im eigentlichen Sinn 1
Das Wort „repräsentierte“ hat Husserl später – spätestens wohl 1909 – verbessert in „vergegenwärtigte“. – Anm. d. Hrsg. 2 Das Wort „repräsentieren“ hat Husserl später verbessert in „vergegenwärtigen“, die vorangehenden Worte von „sich“ an durch unterbrochene Unterstreichung als bedenklich bezeichnet. – Anm. d. Hrsg. 3 Das Wort „Abschattungskontinuität“ hat Husserl später verbessert in „retentionale Kontinuität“. – Anm. d. Hrsg. 4 Den Wortteil „Abschattungs-“ hat Husserl später gestrichen. – Anm. d. Hrsg. 5 Nach dem Wort „Modifi kationen“ hat Husserl später eingefügt:„Vergegenwärtigungsmodifi kationen, näher retentionale“. – Anm. d. Hrsg. 6 Die Worte „Abklingungsreihe, Abschattungsreihe“ hat Husserl später gestrichen. – Anm. d. Hrsg.
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nicht einmal die entsprechenden Jetztphasen der Tones. Das letztere wird deutlich, wenn wir darauf achten, daß die Wahrnehmung des identischen Tones nicht etwa sich bloß auflöst in die fließende und sich abschattende Folge der Abschattungsreihen, die in jedem neuen Jetzt in einem neuen Empfindungsinhalte terminieren. Es ist nicht bloß so, daß die Wahrnehmung in ihrem Anfangs- und ersten Jetzt bloß Empfindungsinhalt ist, daß nun alsbald dieser Empfindungsinhalt anfängt sich abzuschatten und zugleich ein neuer Empfindungsinhalt kontinuierlich auftritt, der seinerseits alsbald in Abschattung übergeht usw. Auch das genügt nicht, daß im Fortgang dieses Flusses jede Abschattung sich weiter abschattet, diese neu erwachsende Abschattung sich abermals abschattet usw.; womit wieder zusammenhängt, daß jede Abschattungskontinuität, die zu irgendeinem Jetzt gehört, als ganze genommen einheitliche Abschattung erfährt und der ganze Prozeß auch als Abschattung von Abschattungskontinuen angesehen werden kann, die hierbei stetig durch neue Empfindungspunkte sich erweitern, um sie alsbald in Form von Abschattungsphasen umzuwandeln. Das alles reicht nicht aus. Dieser komplizierte Fluß von sich modifizierenden Kontinuen ist in sich doch noch nicht Wahrnehmung von dem dauernden, so und so anschwellenden und verklingenden Ton. Diese einheitliche Gegenständlichkeit steht in der Wahrnehmung da, und nicht steht jene verwirrende Mannigfaltigkeit da. Das Posthorn tönt. Der | Ton dauert fort, schwillt empor usw. Das Bewußtsein vom Ton ist Bewußtsein von ihm in der Zeitdauer, und damit steht er da als fortgehende Gegenwart gegenüber einer Kontinuität von Gewesenheiten, die seine eigenen Gewesenheiten sind. Darin liegt offenbar, daß im Bewußtsein des daseienden Tones mit dem aktuellen Gegenwartspunkt des Tones jeweils auch die Vergangenheiten, d. h. die gewesenen Gegenwartspunkte desselben Tones, und zwar als desselben, intentional umspannt sind. Hierbei rückt zwar jeder Zeitpunkt dieser aktuell mit befaßten Vergangenheit des Tones in Relation zum immer neuen Gegenwartspunkt stetig zurück, aber in seiner individuellen Einheit bleibt er dabei beständig intentional, er steht immerfort als derselbe da. Tritt das aktuelle Ton-Jetzt in die Vergan-
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genheit über und sinkt es immer weiter zurück, so gilt es sozusagen dem wahrnehmenden Bewußtsein doch immerfort als dasselbe, als dieselbe, nur eben in Relation zum immer neuen Jetzt immer weiter zurücktretende Tonphase. So ist also das dauernde Objekt eine zeitliche Einheit, und seine Dauer eine Kontinuität von Zeitpunkten des Objekts, die selbst Einheiten sind, nämlich Einheiten gegenüber dem Fluß der Wahrnehmung. Die Einheit jeder Dingphase tritt hier in Kontrast mit der Mannigfaltigkeit von Abschattungen, die wesentlich zu dieser Dingphase gehören und ohne die das Bewußtsein der einen und selben Dingphase nicht möglich wäre. Gehen wir vom Gegenwartspunkt des Tones aus und lassen wir ihn in die Vergangenheit rücken, so entspricht seiner intentionalen Identität ein Kontinuum von tonalen Empfindungsabschattungen1; das Wahrnehmungsbewußtsein nimmt aber nicht diese Abschattungen2 wahr, sondern (abstraktiv gesprochen) die identische Tonphase. Das Abschattungskontinuum3 hat also den Charakter eines Kontinuums von Repräsentationen4 für die intentionale Einheit des Zeitpunktes bzw. der parallelen Phase des Objekts Ton. Eine „Einheit | des Bewußtseins“ in einem spezifischen Sinn, wir können auch sagen eine Einheit der Auffassung, erfaßt eben in dieser Abschattungskontinuität5 die identisch einheitliche Zeitphase. Das war natürlich in abstracto gesprochen. Wir hatten die Mannigfaltigkeit herausgehoben, die zu einem temporalen Objektpunkt gehörte. Aber die ganze Dauer ist eben stetige Einheit dieser Punkte, und so ist es Einheit der Auffassung, welche aufgrund der ganzen Komplikation von Abschattungsreihen die ganze Dauer, und in anderer Auffassungsweise das einheitliche Objekt, das da dauert, erfaßt. 1
„Empfi ndungsabschattungen“ hat Husserl später verbessert in „Empfi ndungsretentionen“. – Anm. d. Hrsg. 2 „Abschattungen“ hat Husserl später gestrichen. – Anm. d. Hrsg. 3 „Abschattungs-“ hat Husserl später gestrichen. – Anm. d. Hrsg. 4 „Repräsentationen“ hat Husserl später verbessert in „Vergegenwärtigungen“. – Anm. d. Hrsg. 5 „Abschattungs-“ hat Husserl später gestrichen. – Anm. d. Hrsg.
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In jedem Wahrnehmungsmomente dient die Reihe der Abschattungen, die in ihm von jedem vergangenen Jetzt des Tones vorhanden ist, als Repräsentation1 für die Reihe der vergangenen Tonphasen bis zum Ton-Jetzt. Im Fluß der Wahrnehmung wird durch die stetige Veränderung dieser Repräsentationen2 hindurch Einheit der Auffassung so bewahrt, daß immerfort die Auffassungseinheit stetig hindurchgeht durch die Linien der Modifikationen, die jeweils demselben Tonpunkt im Abfluß der Wahrnehmung entsprechen.3 – Wir sehen da, was für 〈 eine 〉 wunderbare Sache die scheinbar schlichteste Wahrnehmung, die eines immanenten Tones ist. Und wir sehen zugleich, daß diese Immanenz des identischen Zeitobjekts Ton wohl zu unterscheiden ist von der Immanenz der Ton-Abschattungen und der Auffassungen dieser Abschattungen4, die das Gegebenheitsbewußtsein des Tones ausmachen. Was als Einheit gegeben, und, wie wir hier voraussetzen, adäquat gegeben ist als individuelles und damit zeitliches Sein, das | ist im letzten absoluten Sinn nicht reell immanent gegeben, nämlich nicht gegeben als Bestandstück des absoluten Bewußtseins. Immanent kann besagen den Gegensatz zu transzendent, dann ist das Zeitding Ton immanent; es kann aber auch besagen das Seiende im Sinn des absoluten Bewußtseins, dann ist der Ton nicht immanent.
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„Repräsentation“ hat Husserl später verbessert in „retentionale Vergegenwärtigung“. – Anm. d. Hrsg. 2 „Repräsentationen“ hat Husserl später gestrichen. – Anm. d. Hrsg. 3 Hier hat Husserl zum Vorangehenden später – spätestens wohl 1909 – angemerkt: „Repräsentation, Auffassung – das sind hier unpassende Worte. Es handelt sich doch nicht um Darstellung, sondern um Retentionen. Es ist ja 95 〈 d. h. S. 279–282 〉 betont, daß es keine Empfindungen (also nicht etwa schwächere Empfindungen, ‚abklingende‘, wie das schlechte Bild besagt) sind. ‚Auffassung‘ – das wird wohl unvermeidlich sein. Die originäre Auffassung im Jetzt erfährt selbst retentionale Modifikationen, aber diese Modifikationen kommen zur Einheit.“ – Anm. d. Hrsg. 4 Die Worte „-Abschattungen und der Auffassungen dieser Abschattungen“ hat Husserl später gestrichen. – Anm. d. Hrsg.
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Wir können auch so ausführen: Was immer wahrgenommen ist, was immer selbstgegeben ist1 als individuelles Objekt, ist gegeben als Einheit einer absoluten nicht gegebenen2 Mannigfaltigkeit. Zum Wesen dieser Einheit als zeitlicher Einheit gehört es, daß sie sich im absoluten Bewußtsein „konstituiert“. Speziell was die adäquat gegebenen Einheiten, wie jene Toneinheit es war, anlangt, so erkennen wir die wunderbare Tatsache, daß das Dasein solch einer Einheit nicht denkbar ist, ohne daß sie sich konstituierende Einheit von gewisser Art ist, nämlich zurückweisend auf einen gewissen eigentümlich geformten und verbundenen Bewußtseinsfluß. Ist dieser Bewußtseinsfluß, so ist das einheitliche Zeitobjekt da, und steht es da, so muß ein absoluter Bewußtseinsfluß dieses Gehalts sein, in dem es einheitliche Gegebenheit ist oder aus dem es als Einheit zu geben ist. Das esse des immanenten Ton-Dinges geht in gewissem Sinne auf in seinem percipi. Dieses percipi ist nicht selbst ein Ding und hat eine andere Seinsweise, aber die eine ist mit der anderen a priori gegeben. Das percipi im Sinne jenes Bewußtseinsflusses und der damit als Möglichkeit gegebenen EinheitWahrnehmung „schafft“ das Ding, sofern das absolute Sein dieses Bewußtseinsflusses das mögliche Haben und Fassen des Tones ist, ohne welche Möglichkeit er nichts wäre. Das Objekt selbst ist, was es ist, nur als intentionales der adäquaten Wahrnehmung, bzw. als ein gewisser Fluß absoluten Bewußtseins, der solche adäquate Wahrnehmung ermöglicht. – Die wesentliche Beziehung des immanenten Objekts auf ein gebendes Bewußtsein fordert hier die Lösung des Problems dieser Gegebenheit, d. h. es müssen genau die Bewußtseinsmannig | faltigkeiten und ihre Einheiten studiert werden, in denen sich das Objekt „konstituiert“, in denen es intentional als adäquat gegebenes dasteht und ohne die es nichts wäre.3 1
Die Worte „was immer selbstgegeben ist“ hat Husserl später verbessert in „was immer als selbstgegeben erfaßt ist“. – Anm. d. Hrsg. 2 Die Worte „nicht gegebenen“ hat Husserl später verbessert in „nicht erfaßten“. – Anm. d. Hrsg. 3 Man kann allerdings fragen, ob nicht geradezu gesagt werden muß, das Sein eines solchen Objekts ist Sein in der adäquaten Wahrnehmung,
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Wir müssen, ehe wir weiter gehen, nun aber gewisse Schwierigkeiten erörtern, die sich Ihnen vielleicht schon aufgedrängt haben. Der individuelle Ton, diese zeitliche Einheit, ist gegeben in einer eigentümlich gebauten adäquaten Wahrnehmung. Auf diese gingen wir zurück und studierten, wenn auch nur im Rohen, die Weise, wie die immanente Einheit in der absoluten Bewußtseinsmannigfaltigkeit solcher Wahrnehmung sich intentional konstituiert. Wenn wir so die Wahrnehmung des Tones studieren, kommt sie uns doch selbst zur Gegebenheit in einer reflexiven Wahrnehmung zweiter Stufe, und in dieser ist die Ton-Wahrnehmung Objekt, individuelles, zeitliches Objekt, abermals immanent Gegebenes. Was von der Einheit des Tones gilt, gilt doch auch von der Einheit der Wahrnehmung des Tones. Dieser ganzen Dauer-Einheit nach allen inhaltlichen Zeitpunkten entspricht also wieder ein konstituierender Fluß von Mannigfaltigkeiten, welche dem absoluten Bewußtsein angehören, und zwar in Form der Wahrnehmung zweiter Stufe. Die Reflexion auf diese läßt aber auch sie wieder als ein Zeitobjekt dastehen, das nicht sein kann ohne einen konstituierenden Fluß von Mannigfaltigkeiten, der selbst wieder ein Zeitfluß ist und eine zeitliche Einheit konstituiert, und so in infinitum. Darauf ist folgendes zu sagen. Wenn wir von der Wahrnehmung des Tones sprechen, so ist hier wie überall zu unterscheiden zwischen dieser Wahrnehmung als absolutem Bewußtsein und der objektivierten Wahrnehmung, näher der Wahrnehmung als Gegenstand der auf sie reflektierenden Wahrnehmung. Reflektieren wir, so erfassen wir die Wahrnehmung und nicht bloß in der möglichen adäquaten Wahrnehmung. Mein Gedanke ist der: Wenn im absoluten Bewußtsein die Abschattungsmannigfaltigkeit ist, so braucht darum nicht eine entsprechende immanente Auffassung * zu sein, die das immanente Objekt erst da hinstellt. Ob im Falle der äußeren Wahrnehmung z. B. die immanenten Empfi ndungen wirklich objektiviert sind als immanente Objekte? Abgesehen davon, ob sie gemeinte Objekte im Sinne der herausgemeinten sind. *
Das Wort „Auffassung“ hat Husserl später verbessert in „Erfassung“; über fast den ganzen restlichen Text der Anmerkung hat er später ein Fragezeichen geschrieben. – Anm. d. Hrsg.
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B. Ergänzende Texte
nicht | nur als Jetzt, sondern auch als evident Gewesenes; während sie jetzt aber als beachtete und speziell gegenständliche dasteht, steht der Abschnitt der Vergangenheit dieser Wahrnehmung nicht da als beachtet Gewesenes. Ferner: Wenn wir auf die Ton-Wahrnehmung reflexiv achten, so finden wir die Abschattungsreihen und die Auffassungen derselben als zum Wesen der Ton-Gegebenheit gehörig vor. Wenn wir auf die dabei vollzogene reflexive Wahrnehmung zweiter Stufe achten, so gilt natürlich das Entsprechende. Aber die Auffassungen, die zu dieser gehören, finden wir natürlich nicht in der Wahrnehmung unterer Stufe, sie werden vielmehr erst in der höheren Stufe vollzogen. Eine tiefere Analyse der Sachlagen ist sicherlich von großer Schwierigkeit. Es wird sich dabei müssen klarlegen lassen, daß zum Wesen des absoluten Bewußtseins das Ständig-sichabschatten gehört, und daß im Wesen desselben die ideale Möglichkeit von Wahrnehmungsauffassungen liegt, welche aus diesem absoluten Fluß der Abschattungen die zeitliche Einheit als eine immanent-intentionale Einheit sozusagen entnehmen oder sie darin konstituieren. Im Wesen alles absoluten Bewußtseins gründet das, somit auch im Wesen jeder vollzogenen Einheitssetzungen, jeder vollzogenen Wahrnehmungen. Auch sie schatten sich ab, auch hier gründet in diesem absoluten Fluß der Abschattungen die ideale Möglichkeit neuer Auffassungen, die aus diesen Abschattungsmannigfaltigkeiten die zu ihnen gehörigen, sich in ihnen abschattenden Einheiten entnehmen, das sind die absoluten Wahrnehmungen zweiter Stufe. Für diese gilt dasselbe usw. Gewissermaßen vor aller Einheitssetzung, d. i. aller Objektivation, liegt das absolute Bewußtsein. Einheit ist Einheit der Objektivation, und Objektivation ist eben objektivierend, aber nicht objektiviert. Alle nicht objektivierte Objektivation gehört in die Sphäre des absolutes Bewußtseins.
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〈 Nr. 40 〉 Stufen der Objektivität1
1. Der Fluß des „Bewußtseins“. 2. Die präempirische „Zeit“ mit Vergangenheit, „ Jetzt“, | Nachher; und das präempirisch „Seiende“, das dauernde und sich verändernde (Ton als „Bewußtseinsinhalt“). 3. Die Stufen des empirischen Seins, des Seins der Erfahrung, das erfahrungsmäßig Gegebene und Gedachte, das Sein, das wir reale Wirklichkeit nennen. Das Reale sich im Vorrealen konstituierend. A. Das Ding der Wahrnehmung und vorlogischen Erfahrung, die Einheit der empirischen Anschauungen, noch vor dem „Denken“ – dem logischen oder vorlogischen – der Schicht der Objektivierung; insbesondere, wir abstrahieren von der Konstitution des empirischen Ich als der Person, und somit auch „anderer Personen“. Das Ding ist also noch nicht das identische der intersubjektiven, der kommunikativen Welt; und noch nicht das Ding der Wissenschaft. Eigentlich hätten wir zweierlei: 1) intuitiv – logisch; 2) Bewußtsein vor der Geistesobjektivierung – kommunikatives Bewußtseins und Individualbewußtsein nach der Geistesobjektivierung. Fragen wir also: Wie weit reicht die Schicht der Ding-Objektivierung (oder welchen Sinn erhält ein sich konstituierendes „Ding“), wenn wir uns auf das einzelne Bewußtsein beschränken und noch die Personen-Objektivierung, Ich und andere Ich, nicht heranziehen, so haben wir 〈 die Fragen 〉: a) Was enthält die rein intuitive Ding-Objektivierung? und b) was die logische (erfahrungslogische)? –, soweit dergleichen ohne kommunikative Gemeinschaft zu leisten ist. (Inwiefern oder wie weit ist Wissenschaft als nichtkommunikativ aufzubauen?)
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Nach einem Vermerk von der Hand Edith Steins auf dem Blatt dieser Aufzeichnung hat sie diese „verwendet“ für die Redaktion des § 34, S. 73. – Anm. d. Hrsg.
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B. Hinzutreten der Einfühlung in Dinge als Leiber. Leib und Seele (Geist). Eigenes Ich – fremde Ich. Das commercium der geistigen Dinge, der Menschen, der Personen, bzw. der Seelen, durch ihre Leiber. Konstitution der identischen Dinge, der identisch einen Welt mit einem Raum und einer Zeit als einer kommunikativen identischen Welt, als einer Natur, der einer Naturwissenschaft. – Der einen Zeit gehören Dinge (Körper) und körperliche Vorgänge an, darunter leibliche, und andererseits die geistigen Vorgänge, die Seelenregungen. Es besteht also zwischen Erscheinung und Erscheinendem ein | Zeitverhältnis, und zwar, wenn wir der Intuition folgen, so erscheint jeweils Erscheinung und Erscheinendes in jedem Falle der Wa h r n ehm ung als gleichzeitig. (Andererseits Erinnerung und Erinnertes erscheinen als nicht gleichzeitig; perzeptive Bildvorstellung und Vorgestelltes erscheinen wieder als gleichzeitig, aber das Vorgestellte als Bildvorgestelltes ist doch wieder nicht hier und jetzt – also eigentlich nur Vorstellung und Bildobjekt, nicht Bild-sujet; Erwartung und Erwartetes natürlich nicht gleichzeitig.) Problem: Ist diese Gleichzeitigkeit etwas Ursprüngliches, Urwesentliches, oder ist sie erst aus der Objektivierung der geistigen Dinge und Seelen erwachsen? Setzt diese Objektivierung jene Gleichzeitigkeit voraus, oder umgekehrt? Diese Gleichzeitigkeit „erscheint“, aber im allgemeinen besteht sie „in Wahrheit“ gar nicht, wie selbstverständlich. Der Stern, den ich jetzt sehe, ist vielleicht Tausende von Jahren nicht mehr (natürlich ebenso bei uneigentlicher Erscheinung: der gehörte Schlag des Hammers). Gehört es wesentlich zu dem absoluten Bewußtsein, daß „Erscheinung“ (wovon wir hier eigentlich nicht sprechen können), also besser daß die immanente Auffassung und Aufgefaßtes zugleich ist im identischen präsenten Jetzt? Der sich konstituierende identische immanente Ton ist gleichzeitig mit dem ihn konstituierenden Akt. Fluß der Auffassung und Identifizierung und Kontinuität der konstituierten Ton-Jetzt.
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〈 Nr. 41 〉 Erscheinung und Zeit – Erleben und Erlebnis. Das Bewußtsein als das Erleben, in dem die Bewußtseinserlebnisse im Plural erlebt sind
Erscheinung und Zeit In den ersten Göttinger Jahren machte mir der Begriff der Erscheinung einige Beschwerden. Ein Begriff der Erscheinung schien sich abzugrenzen, welcher „jeden Zeitcharakter auszuschließen schien“, nämlich: Dieselbe Erscheinung habe ich, so kann man in gewissem Sinne sagen, in der Wahrnehmung, dieselbe in einer entsprechenden Erinnerung, dieselbe in einer puren Phantasie. Es erscheint mir eben das Haus von derselben Seite, | in denselben Farben usw., und dabei von derselben Stelle aus, also in denselben Abschattungen der Farben, in denselben Abschattungen der Formen usw. – dieselbe Erscheinung, „nur“ einmal perzeptive Erscheinung, einmal imaginative usw. Indessen, ist da nicht ein Unterschied wie der zwischen demselben Haus, nur einmal perzipiert, das andremal imaginiert usw.? Machen wir die Erscheinung zum Objekt, so haben wir in der Tat einmal eine aktuelle perzeptive Erscheinung als Objekt, einmal eine imaginierte Erscheinung, die natürlich dieselbe Erscheinung ist, nur imaginiert. So wie es nicht zweierlei Häuser gibt, wahrgenommene Häuser und eingebildete oder erinnerte Häuser, so gibt es nicht zweierlei Erscheinungen; Erscheinung ist eo ipso perzeptive Erscheinung, eine imaginative Erscheinung ist die Imagination von einer Erscheinung. Die Erinnerungserscheinung ist Erinnerung v o n einer Erscheinung. Nun wird man allerdings sagen: In der Erinnerung erinnern wir uns des Hauses, der und der Vorgänge, aber wir erinnern uns dabei nicht der entsprechenden Erscheinungen. Darauf lautet natürlich die Antwort: Es fragt sich, was man Wahrnehmung, was man Phantasievorstellung, Erinnerung nennt. Die Begriffe sind hier verschieden zu orientieren: „Gerichtet“ sind wir nicht auf beides, auf das Haus und die Hauserscheinung. Aber beides ist gewissermaßen da. Rechnen wir zu den Akten dieses Gerichtetsein, oder verstehen wir un-
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B. Ergänzende Texte
ter Wahrnehmung als Akt, Erinnerung als Akt eben dies: nun, dann brauchen wir ein eigenes Wort für die bloße Erscheinung und ihre imaginative, erinnerungsmäßige Modifikation. Freilich ist das jetzt näher zu studieren: Sich des Hauses erinnern, das ist eine Erinnerungserscheinung haben, aber nicht, diese zum Objekt machen, nicht, auf die Erscheinung gerichtet sein, sie meinen im prägnanten Sinn. Problem ist hier: 1) Wir haben eine fundamentale Modifikation, welche Erscheinung (unmodifizierte Erscheinung) in modifizierte (Phantasie) überführt. Der Unterschied des Meinens gehört dann in eine andere Dimension, er ist ein fundierter. 2) Was gibt den Unterschied zwischen bloßer Phantasie und | Erinnerung, und wieder das Verhältnis der frischen Erinnerung, die ein Bestandstück der „Wahrnehmung“ ist, und der Wiedererinnerung? Erleben und Erlebnis. Das Bewußtsein als das Erleben, in dem die Bewußtseinserlebnisse im Plural erlebt sind Das Erleben als die Einheit1 des Flusses, in dem sich die originäre phansiologische Zeit konstituiert, mit der Konstitution der Erlebnisse als phansiologisch-zeitlicher Einheiten. Jedes Erlebnis gehört also als Einheit in die Ordnung der konstituierten Einheiten hinein; jede solche Einheit kann zum Objekt einer immanenten Wahrnehmung gemacht werden, welche Wahrnehmung dann wieder ein einheitliches Erlebnis ist und in die Ordnung der konstituierten Einheiten hineingehört. Daneben kann der Fluß, in dem eine Einheit sich konstituiert, ebenfalls in einem Blick des Schauens gefaßt, in einer Reflexion erhascht werden (wofür dann dasselbe gilt, das Erhaschen ist wieder Einheit etc.). Indem ein Erlebnis zum Objekt immanenter Wahrnehmung gemacht wird, steht es als ein selbstgegenwärtiges, absolut Gegebenes da, als ein Jetzt, und zugleich hat dieses Jetzt sein 1
Nicht Einheit im konstituierten Sinn.
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eigentliches Jetzt, das sein Vorher hat und sein Nachher. Das gehört zur Zeitkonstitution. Unter den Erlebnissen gibt es aber auch solche, die den Wahrnehmungen parallel sind, sofern in ihnen auch etwas „dasteht“ in analoger Weise, nur nicht als selbstgegenwärtig, sondern als q u a si -gegenwärtig. Jeder Wahrnehmung entspricht nach idealer Möglichkeit eine Phantasievorstellung, und wieder eine Erinnerung (wenn wir Erinnerung von Phantasie unterscheiden), ebenso Erwartung. Auch jeder immanenten Wahrnehmung entspricht eine immanente Phantasie. Ferner, wie der immanenten Wahrnehmung entspricht ein Erlebnis, von dem es heißt, daß es „durch Hinblick darauf“ zur immanenten Wahrnehmung wird, so entspricht der immanenten Phantasie ein modifiziertes Erlebnis. Wir unterscheiden nun die Erlebnisse in solche, die originär | sind, und solche, die nicht originär sind. Originär ist jedes Selbstgegenwarts-Bewußtsein, sei es, daß es ein solches ist, das erst durch einen meinenden Blick in ein Wahrnehmen verwandelt werden kann, sei es, daß es schon Wahrnehmen ist. Oder jedes Erlebnis1 ist „Bewußtsein“, und Bewußtsein ist Bewußtsein von … Jedes Erlebnis ist aber selbst erlebt, und insofern auch „bewußt“. Dieses Bewußt-sein ist Bewußtsein vom Erlebnis, und ist entweder primäres, originäres, nämlich Bewußtsein vom Erlebnis selbst als der Erlebnis-Gegenwart; oder es ist sekundäres, d. i. es ist Erlebnis zwar von einer ErlebnisGegenwart, aber das gegenwärtige Erlebnis ist Erlebnis, das Bewußtsein von einer Nicht-Selbstgegenwart ist, ein vergegenwärtigendes, und zwar vergegenwärtigend ein Erlebnis, und dieses kann dann weiter Bewußtsein von etwas sein, ev. von etwas, das quasi-gegenwärtig ist, z. B. ein Haus. Es gehört eine fundamentale Modifikation zu jedem Erlebnis, wonach es „Phantasma“ ist, Phantasma von Erlebnis, Phantasma von Bewußtsein. Es kann aber die Vergegenwärtigung „wirkliche“ Vergegenwärtigung sein, den Charakter der 1
Zu der Endsilbe „-nis“ hat Husserl hier nachträglich ein Fragezeichen gesetzt und gleichzeitig am Rand vermerkt: „Dagegen Zeitfluß“. – Anm. d. Hrsg.
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B. Ergänzende Texte
Erinnerung haben (überhaupt den echten vergegenwärtigenden Charakter), oder den Charakter bloßer Phantasie. Wir hätten also: originäre Erlebnisse (Empfindungen) – nichtoriginäre: bloße Phantasmen – Erinnerungen; entsprechend: immanente Wahrnehmung – immanente bloße Phantasievorstellung – immanente Erinnerungsvorstellung; dann transiente1. Jede transiente Wahrnehmung setzt Empfindungen voraus, die originäre Auffassung erfahren; jede transiente Phantasievorstellung Phantasmen, die phantastische Auffassung erfahren; jede transiente Erinnerung Erinnerungen, die Erinnerungsauffassung erfahren. | Nochmalige Überlegung: Fluß der Fluentien (Fluxionen?) – Konstitution der „immanenten“ zeitlichen Einheiten, der Inhalte des absoluten Bewußtseins: der empfundenen Inhalte – Farbenabschattung, „Ton“; der empfundenen Erscheinungen von Dingen – Hauserscheinung, Dingerscheinung; der „Akte“ im besonderen Sinn (als Empfundenheiten) – die „Zuwendung des Blickes“ und Meinung. Die Freude (über das wieder eingetretene schöne Wetter), der Wunsch, die Prädikation etc. All das als Einheiten in der immanenten Zeit, und Einheiten, „ob auf sie geachtet wird oder nicht“. Das Gesamtbewußtsein konstituiert eine Gesamteinheit: d. h. Gesamtbewußtsein ist durch und durch Bewußtsein, ist durch und durch ein Fluß 1
Mit der folgenden Bestimmung führte Husserl in der Vorlesung zur Einführung in die Logik und Erkenntnistheorie des Wintersemesters 1906/07 (vgl. oben S. 269, Anm. 2) den Begriff des „Transienten“ ein: „Wir nennen Wahrnehmungen, zu deren Wesen es gehört, das Wahrgenommene reell zu fassen und somit mit ihm reell eins zu sein, ,reell immanente’. Die adäquaten Wahrnehmungen, die wir als Wahrnehmungen von cogitationes in verschiedenen Beispielen kennen gelernt haben, sind also zugleich reell immanente. Wahrnehmungen, die ihre Objekte nicht im angegebenen Sinn reell fassen, nennen wir transiente. Gehört es zu ihrem Wesen, ihre Objekte nur inadäquat und transient fassen zu können, so nennen wir die Wahrnehmungen transzendent“. – Anm. d. Hrsg.
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von Fluentien, und jede solche Fluenz gehört zu einer Einheit. Das sind also die Bewußtseinsinhalte im ersten Sinn, die Erlebnisse als Erlebtheiten (Einheiten) oder Bewußtheiten (Empfundenheiten). Unter diesen finden wir nun eine besondere Gruppe: die Apperzeptionen, und darunter die Dingauffassungen oder besser Dingerscheinungen. Die Dingerscheinungen sind Bewußtheiten, Inhalte, immanente Zeiteinheiten. Sie konstituieren aber grundwesentlich neue Einheiten. Nämlich Erscheinungen, in gewissen ihnen zugehörigen Erscheinungsmannigfaltigkeiten ablaufend, machen aus ein Einheitsbewußtsein im zweiten Sinn. Sie sind nicht Bewußtsein im ursprünglichen Sinn, vielmehr schon Konstituiertes. Wenn wir also Erscheinungen und Erscheinungsmannigfaltigkeiten Bewußtsein nennen, müßten wir eigentlich auf das sie konstituierende Urbewußtsein zurückgehen und dieses als konstituierend bezeichnen. Dann hätten wir zu sagen: Dieses konstituiert Einheiten in zweiter Stufe. Oder wir nennen Erscheinungen nicht Bewußtsein und Erscheinungsmannigfaltigkeiten nicht Bewußtseinszusammenhänge, vielmehr eben Apperzeptionen von …, Erscheinungen von … Wesentlich ist: Jeder Inhalt kann zum gemeinten und als ein Dieses gesetzten werden, nach idealer Möglichkeit. Jeder Inhalt kann zur Gegebenheit gebracht werden: das Ihn-meinendsetzen ist das Gebende. Das Meinen, als Inhalt verstanden, ist wieder kein Bewußtsein im ursprünglichen Sinn, aber der ihm zugehörige | Fluß. Das Meinen ist ein „Akt“ (ein Akt ist schon Einheit), und das ist Bewußtsein in einem neuen Sinn. Jeder erscheinende Gegenstand (Einheit zweiter Stufe) kann gemeinter werden und gesetzter. Auf ihn kann hingeblickt, er kann als Dies angesetzt werden (ideale Möglichkeit). Er wird dann Gegenstand eines Bewußtseins im zweiten Sinn. Wenn wir dieses Als-Dieses-setzen, im Hinblick darauf, Akt nennen, so ist die Erscheinung selbst kein Akt. Zu den Erlebtheiten, Bewußtheiten gehört der fundamentale Unterschied zwischen originären Bewußtheiten oder Impressionen und reproduktiven Bewußtheiten (Reproduktionen, Phantasmen). Wir haben hier zu erforschen die Erinnerungen und die bloßen Phantasmen, und wieder eine Modifikation
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B. Ergänzende Texte
sind die leeren Bewußtheiten, Leererinnerungen, Leerphantasmen sozusagen. Die Erscheinungen als Komplex von vollen und leeren Bewußtheiten, und dabei doch neue Einheiten konstituierend. Der gradus ad Parnassum. Symbolische Vorstellungen als höhere Apperzeptionen. Also Apperzeption ein weiterer Begriff gegenüber den schlichten Erscheinungen. Das Symbol (Bild oder Objekt) abbildend, analogisierend oder signierend ein anderes Objekt. Synthesis. Der Parnaß ist leider noch im Nebel. 〈 Nr. 42 〉 Evidenz
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Jeder erlebte Inhalt gehört einer Inhaltskontinuität an (Kontinuität der abklingenden Phasen eines Inhalts), die auffaßbar ist als individuelle (zeitliche) Gegenständlichkeit, und zwar als Kontinuität der Phasen eines dauernden Gegenstandes. Ich ordnete ein: 1) Kontinuität der Inhalte selbst (ob Auffassungen eintreten oder nicht). Nun wird man sagen: Die Inhalte selbst dauern, und verändern sich dabei oder verändern sich nicht. Hierbei aber ist nicht zu verwechseln: die Inhalte im Sinne immanenter Zeitdinge, individueller Gegenstände in der Zeit – und die Inhalte des letzten Zeitflusses, die nicht dauern und nicht Zeitobjekte sind, sondern eben letzter Fluß des Bewußtseins. Ursprüngliche Modifikation, die überall Jetzt-Inhalte (die, aufgefaßt, zu Jetzt-|Phasen „werden“) 〈 wandelt in 〉 die Abschattungen, die ihrem Wesen nach Darstellungen für Nicht-Jetzt sind. 2) Kontinuität der Auffassungscharaktere. Das Zeitbewußtsein als Form der individuellen Objektivation, als Form jeder möglichen Erscheinung. Dabei haben wir wieder zu unterscheiden: Erscheinungen schlechthin (impressionale) – und ihre reproduktiven Modifikationen. Das Zeitbewußtsein ist also entweder impressionales oder reproduktives.
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Wir haben also grundverschiedene Unterschiede: 1) Der letzte Unterschied des Ursprungs (Impression und Reproduktion). 2) Die Unterschiede, die zur Erscheinungsform gehören (da bewegen wir uns von vornherein in der impressionalen Sphäre, in der reproduktiven „kehrt alles wieder“, „nur modifiziert“). 〈 Nr. 43 〉 Problem
Ich sage jetzt: „Soeben habe ich A wahrgenommen, A ist soeben gewesen, und das habe ich selbst gesehen“. Wäre es nicht möglich, daß ich jetzt diese primäre Erinnerung hätte, während A in Wahrheit gar nicht gewesen ist, daß in Wahrheit gar keine Wahrnehmung des A vorangegangen wäre? Wie verbürgt die „frische“ Erinnerung eine vorangegangene JetztWahrnehmung? –1 Aus den Zeitanalysen geht hervor, daß die Art, wie ich früher die „Evidenz“ besprach, vage ist. Oft gebrauchte ich „Evidenz“ im gleichen 〈 Sinn 〉 mit Selbstgegebenheit. Man muß schon scheiden: Evidenz als Einsicht, die zum Urteil gehört, 〈 zum 〉 Urteil, daß 〈 etwas 〉 selbst da sei, das sei und wieder 〈 als 〉 das gegeben sei – und andererseits das Gegebensein selbst. Ich meine etwas, und das ist selbst, so wie und als was es gemeint ist, gegeben. Evidenz = Gegebensein = Gegebensein in der Weise der „Immanenz“, „Adäquat-gegeben-sein“. Da wird man sich nun, wenn man von den bekannten Vorurteilen ausgeht, sagen: Wie kann ich Evidenz der Dauer haben? des | Eben-gewesen-seins? Evidenz dessen, was die „frische Erinnerung“ darstellt? Vgl. das obige Problem. Natürlich ist Evidenz nicht Evidenz der „inneren Wahrnehmung“, wie Brentano sie faßt, als punktuelle Jetztwahrnehmung. Jede Identifizierung, Unterscheidung, jedes Urteil setzt Sukzession, setzt ausgedehnte Wahrnehmung, Wahr1
Dieser erste Abschnitt der vorliegenden Aufzeichnung nimmt fast wörtlich eine ältere Aufzeichnung des „Problems“ wieder auf; siehe oben, Nr. 25, S. 202 f. – Anm. d. Hrsg.
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B. Ergänzende Texte
Erfassung voraus. Das ist doch selbst wesensgesetzliche Einsicht. Die Beziehung der Evidenz auf den Punkt des Jetzt muß eine Fiktion sein. Evidenz der cogitatio ist doch schon Evidenz eines Dauernden als solchen. 〈 Nr. 44 〉 Die Zeitform des Bewußtseins
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Es kommt hier unterscheidend in Betracht: 1) Der Unterschied zwischen Empfindungen und Phantasmen in dem Sinn der auf alle Phänomene sich erstreckenden Einteilung „Impression“ und Reproduktion. 2) Das kontinuierliche Abklingen, das sowohl die Impressionen angeht als 〈 auch 〉 die Reproduktionen. Jedes Phänomen hat seinen Kometenschweif, oder jedes Phänomen ist eine Kontinuität von Phasen, mit einer obersten Phase, von der wir sagen, daß sie abklinge. Jedes Phänomen „entsteht“, „dauert, verändert sich“ – objektiv gesprochen. Andererseits ist aber alles in Veränderung (in einem neuen Sinn). Das Entstehen eines Phänomens in der objektiven Auffassung ist Auftreten eines Neuen, das Dauern des Phänomens ein Sich-verändern, weil mit dem Gleichbleibenden ein Kometenschweif von abklingenden Phasen „desselben Inhalts“ gegeben ist usw. In der Sphäre der Phänomene im absoluten Sinn (der phansiologischen Mannigfaltigkeiten, der Erlebnissen vor der Objektivation) gibt es also nur Veränderungen, einen ewigen Fluß. Wenn es heißt, Impressionen, ebenso aber auch Reproduktionen, klängen ab, so ist zu beachten, daß die Serie der Reproduktionen mit ihren Abklängen immerfort eine Einheit der Reproduktion ist und bleibt und daß es zum Wesen jeder Reproduktion gehört, daß sie auffaßbar ist als Darstellung von … (ev. Erinnerung von …: wann das letztere, das ist genauer zu überlegen). Das ist nun mißdeutlich. Aber wir müssen unterscheiden die Reproduktion selbst und die reproduktive Vorstellung, | genau so wie wir unterscheiden müssen die Impression selbst und die impressionale Vorstellung = die Wahrnehmungsvorstellung.
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3) Das Abklingen der Empfindungen kann nicht Phantasmen ergeben. Das Abklingen der Phantasmen ergibt immer wieder Phantasmen, aber in bestimmter Weise modifizierte, genau so wie das Abklingen der Impressionen immer wieder Impressionen ergibt, aber in temporaler Weise modifizierte. Die temporale Modifikation und die Modifikation von Impression in Idee ist grundverschieden. Die letztere ist diskret, die erstere stetig. 4) Nach 2) gehört zum Wesen der „Phänomenalität“ (zum Wesen alles absolut Phansiologischen) ein „Werden“. Dieses ist für uns Werden in der Weise des Entstehens, des Vergehens, des Dauerns und Sich-darin-veränderns erst durch die Zeitauffassung. Dieses absolute Werden ist das Fundament für alle Zeitauffassung, nicht aber sie selbst. Zeit ist Form aller individuellen Objektivität. Objektvität ist noch nicht gegeben in bloßen „Inhalten“ und bloßem Fluß der Inhalte. Wo das Bewußtsein nicht Synthesis vollzieht und z. B. in der Dauer nicht Identität eines Dauernden identifizierend setzt, da ist auch keine Dauer, sondern nur ein bestimmt zu charakterisierender Fluß von Inhalten. Dieses Charakterisieren geschieht wieder durch ein Objektivieren der Inhalte als solcher, und durch Akte, die eben Objektivität konstituieren. Zeit ist nicht die Form der Erlebnisse, der „Inhalte“, die das Bewußtsein selbst ausmachen. Andererseits muß man natürlich sagen, daß auch die Inhalte 〈 ihre Zeit haben 〉, daß der Fluß des Bewußtseins seine Zeit hat und daß in ihm alles zeitlich geordnet ist. Aber es ist eben zu unterscheiden: Diejenige Ordnung des Bewußtseins, die zum Wesen des Bewußtseins überhaupt gehört, nämlich die zum Wesen aller Erlebnisse und Erlebniszusammenhänge gehört – und die Zeitordnung, die den Erlebnissen objektiv zukommt. Die Zeitform ist keine phansiologische Form im letzten Sinn, keine Form des absoluten Seins, sondern nur eine Form der „Erscheinungen“, d. h. aber nur eine Form der individuellen Objekte. Wir müssen sagen: Sie ist keine absolute, sondern nur eine kategoriale Form. – | Das Zeitbewußtsein ist also ein objektivierendes Bewußtsein. Ohne Identifizierung und Unterscheidung, ohne JetztSetzung, Vergangenheits-Setzung, Zukunfts-Setzung etc. kein
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Dauern, kein Ruhen und Sich-verändern, kein aufeinanderfolgendes Sein etc. Das heißt: Ohne all das bleibt der absolute „Inhalt“ blind, bedeutet nicht objektives Sein, nicht Dauern etc. Und hierher gehört auch der Unterschied zwischen Gegenwärtigung und Vergegenwärtigung, verworrener Meinung. Etwas ist in der objektiven Zeit. Etwas! Das liegt an objektiver Auffassung etc. 〈 Nr. 45 Die doppelte Intentionalität der Bewußtseinsflüsse 〉1
Das immanente zeitliche Objekt, dieser immanente Ton-Inhalt da, ist, was er ist, nur insofern, als er während seiner „aktuellen“ Dauer verweist auf ein Künftiges und zurückweist auf ein Vergangenes. Der Ton, der jetzt bewußt ist, ist es 〈 in 〉 einer Weise, tut es in einem zu konstituierenden Phänomen so, daß dieses die ideale Möglichkeit zuläßt, den vergangenen Verlauf eben dieses Tones neu zu vergegenwärtigen, ihn in der Weise der Vergegenwärtigung wieder zu konstituieren. Und ebenso geht eine beständige „Intention“ in die Zukunft: Das aktuell gegenwärtige Stück der Dauer setzt immer wieder ein neues Jetzt an, und eine Protention haftet an den Ton-konstituierenden „Erscheinungen“, eine Protention, die sich erfüllt, solange der Ton eben dauert, als Protention auf diesen Ton, und die sich aufhebt und verändert, wenn stattdessen etwas Neues anfängt2. – Die Erinnerung an Immanentes ist selbst immanent, das originäre Bewußtsein von Immanentem ist nicht selbst immanent, nämlich im Sinne eines Zeitlichen des inneren Zeitbewußtseins. Ist das nicht anstößig? Man möchte sagen: Das Vergegenwär1
Große Teile der vorliegenden Aufzeichnung sind, wie weiter unten noch im einzelnen vermerkt wird, in den Paragraphen 23, 25, 26, 27, 28 und 29 wiedergegeben. – Anm. d. Hrsg. 2 Am Rand hat Husserl hier nachträglich hinzugefügt: „Wesentlicher Unterschied aber zwischen Protention, die offen läßt, wie das Kommende sein mag und ob nicht die Objektdauer aufhören und ,wann‘ sie aufhören mag, und der Retention, die gebunden ist“. – Anm. d. Hrsg.
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tigungsbewußtsein ist doch „genau dasselbe“ wie das Gegenwärtigungsbewußtsein, nur „modifiziert“. Sollte es einen ganz anderen Bau haben? Liegt hier nicht ein Problem? | Vergegenwärtige ich den Ton C, so steht er als vergangen da. Ich höre „während“ der Vergegenwärtigung andere Töne, ich sehe meine Umgebung etc. Die Vergegenwärtigung steht da als ein Jetzt, in dem immanenten Zeitpunkt anfangend, etwa anfangend mit dem soeben gehörten Geräusch X und endend mit ihm zugleich. Sie dauert, und dauert solange wie das X, das ein immanentes sinnliches Objekt ist. Der Ton C schwebt mir „in mehr oder minder klarer Weise“ vor, als Immanentes, aber Vergegenwärtigtes, als Gewesenes und zugleich quasi-Ablaufendes oder soeben Abgelaufenes, und die verschiedenen Modi dieser Unklarheit beziehen sich auf das ganze Immanente, das vergegenwärtigt ist, und seine Bewußtseinsmodi. (Auch für das originäre Bewußtsein vom C gilt, daß der Ton C zuerst lebendig, wirklich, klar erscheint, dann mit abnehmender Klarheit ins „Leere“ übergeht. Diese Modifikationen gehören zum Fluß. Aber während dieselben Modifikationen eben in der Vergegenwärtigung des Flusses auftreten, treten da noch andere „Unklarheiten“ auf, nämlich schon das „Klare“ steht wie durch einen Schleier unklar da, und zwar mehr oder minder unklar usw. Also die einen und anderen Unklarheiten sind nicht zu verwechseln.) Die spezifischen Modi der Lebendigkeit oder Unlebendigkeit, Klarheit oder Unklarheit der Vergegenwärtigung gehören nicht zum Vergegenwärtigten oder zu ihm nur vermöge des Wie der Vergegenwärtigung, sondern gehören zum aktuellen Erlebnis der Vergegenwärtigung. Der Bau der Vergegenwärtigung folgt offenbar dem Allgemeinen nach genau dem Bau der originären Gegenwärtigung: d. h. die Gegenwärtigung ist der von uns beschriebene Fluß von lauter Gegenwärtigungsphasen, dessen Intentionalität darin besteht, daß so geartete Phasen Bewußtsein von einem und demselben sind, und zwar einem immanent Zeitlichen. Die Erinnerung an C ist nun wiederum ein Fluß, aber ein Fluß von Vergegenwärtigungsphasen, die „Modifikationen“, „Reproduktionen“ der entsprechenden Gegenwärtigungspha-
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sen sind und in dieser Weise genaue „Spiegelungen“ derselben sind, wie auch der ganze Fluß. Die Vergegenwärtigung hat eine andere Intentionalität wie die Gegenwärtigung. Durch und durch besteht insofern ein Unter | schied, als die Elemente und Momente der Flüsse beiderseits verschieden sind. Der gegenwärtigende Fluß besteht aus Erlebnismomenten, der vergegenwärtigende Fluß auch aus Erlebnismomenten. Was besagt da Erlebnismoment? Wir können hier nur darauf hinweisen, daß ein Unterschied besteht zwischen Vergegenwärtigtem und Nicht-Vergegenwärtigtem (Originärem) und daß dieser Unterschied auch für den Bewußtseinsfluß besteht : Ein Bewußtseinsfluß, den der reflektierende Blick als originär erfaßt, ist Erlebnis, eben originärer Fluß von solchem, was wir Erlebnis nennen, und nach dem Modus des Flusses weiter benennen als Jetzt-Erlebnis, abklingendes Erlebnis usw. Der Vergegenwärtigungsfluß ist auch Erlebnisfluß, aber seine Erlebnisse sind vergegenwärtigende, d. i. jedes ist Vergegenwärtigung von …, während die Gegenwärtigung in diesem Sinn nicht Gegenwärtigung von … ist. Gegenwärtigend ist die Gegenwärtigung in bezug auf ein sich in ihr konstituierendes immanentes Objekt. Vergegenwärtigend ist ein Erlebnis aber in doppeltem Sinne, sofern es Vergegenwärtigung (Reproduktion) einer entsprechenden Gegenwärtigung ist und sofern sie im Kontinuum des Vergegenwärtigungsflusses analog wie die Gegenwärtigung ein immanentes Objekt gegenwärtigt, so das immanente Objekt vergegenwärtigt. Sind wir damit fertig? Es wäre dann zu sagen: Der1 Vergegenwärtigungsfluß ist ein Fluß von Erlebnissen, der genau so wie jeder zeitkonstituierende Fluß von Erlebnissen gebaut, also selbst ein zeitkonstituierender ist. All die Abschattungen, Modifikationen, die die Zeitform konstituieren, finden sich hier 〈 wieder 〉, und genau so, wie sich im Fluß der Ton-Erlebnisse der immanente Ton (der selbst kein Erlebnis ist) konstituiert, so konstituiert sich im Fluß der Ton-Vergegenwärtigungserlebnisse die Einheit der Ton-Vergegenwärtigung, 1
Der Text der Aufzeichnung von hier an bis S. 300, ist mit geringen Abwandlungen als Schluß von §23, S. 51 f. wiedergegeben.
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also die Einheit der Ton-Erinnerung (und genau so die Einheit einer Ton-Phantasie) . Es gilt eben allgemein, daß wir von allem im weitesten Sinn Erscheinenden, Vorgestellten, Gedachten usw. zurückgeführt werden in der phänomenologischen Reflexion auf Erlebnisse und daß alle Erlebnisse im zeitkonstituierenden Fluß stehen, also eine | immanente Objektivation erfahren: eben die zu Wahrnehmungserscheinungen (äußeren Wahrnehmungen), Erinnerungen, Erwartungen, Wünschen etc., als Einheiten des inneren Bewußtseins; also auch die Vergegenwärtigungen jeder Art, sofern sie Erlebnisse sind, Erlebnisabflüsse von der universellen zeitkonstituierenden Gestaltung konstituieren: das immanente Objekt „dauernder, so und so abfließender Vorgang der Vergegenwärtigung“. Andererseits haben aber die Vergegenwärtigungen das Eigene, daß sie in 〈 sich 〉 selbst und nach allen Erlebnisphasen Vergegenwärtigungen von … in dem anderen Sinne sind, daß sie eine zweite, andersartige Intentionalität haben, eine solche, die ihnen, und nicht allen Erlebnissen eigen ist. Diese neue Intentionalität hat nun aber das Eigene, daß sie der Form nach ein Gegenbild der zeitkonstituierenden Intentionalität ist, und wie sie in jedem Elemente ein Moment eines Gegenwärtigungsflusses und im Ganzen einen ganzen Gegenwärtigungsfluß reproduziert, so stellt sie ein reproduktives Bewußtsein von einem vergegenwärtigten immanenten Objekt her. Sie konstituiert also Doppeltes: einmal durch ihre Form des Erlebnisflusses die Vergegenwärtigung als immanente Einheit; und dadurch, daß die Erlebnismomente dieses Flusses reproduktive Modifikationen von Momenten eines parallelen Flusses sind (der im gewöhnlichen Fall aus nicht-reproduktiven Momenten besteht) und dadurch, daß diese reproduktiven Modifikationen eine Intentionalität bedeuten, schließt sich der Fluß zusammen zu einem konstituierenden Ganzen, in dem eine intentionale Einheit bewußt ist: die Einheit des Erinnerten. Natürlich wäre, um den Fall der Vergegenwärtigung von Transientem zu klären, notwendig erst die doppelte Intentionalität der Bewußtseinsflüsse zu klären, in welchen durch die Form des Flusses einerseits die Einheit einer äußeren Erscheinung oder eines äußeren Erscheinungsverlaufs konstituiert ist
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und andererseits durch die Intentionalität, die den Erlebniselementen dieses Flusses eigen ist (vermöge deren jedes Erscheinungserlebnis als Erlebnismoment des Flusses eine äußere Intentionalität hat), sich ein äußeres und selbst wieder zeitliches Objekt konstituiert, dessen Zeit die objektive Zeit ist. Hier wie im Falle der Vergegenwärtigung sind die in der Zeitkonstitution konstituierten immanenten Gegenstände „Erschei | nungen“. Aber hier sind sie gegenwärtigende Erscheinungen, nicht vergegenwärtigende. Aber das führt darauf zurück, daß die Erscheinungserlebnisse einmal Intentionalitäten sind, die den Charakter der Vergegenwärtigung haben, das andremal den Charakter originärer Intentionalitäten. Es ist nun die große Frage: Was charakterisiert solche originären Intentionalitäten bzw. originäre „Erscheinungen von …“ (Immanenzen), die nicht nur immanente Zeitlichkeiten sind, sondern (transiente) Zeitlichkeit konstituieren? Macht es die „Schlichtheit“, die Passivität gegenüber den Spontaneitäten? Und wie ist es mit einem Vergegenwärtigten, aber als Jetzt Gesetzten? Wie mit der Intentionalität der Einfühlung? Ist nicht im voraus 〈 heraus 〉zustellen die schlichteste transiente Objektivation der äußeren Wahrnehmung? Das führt also in die Konstitution der Dinglichkeit mit Raum und Zeit in eins. – Daß jedes Erlebnis seine Zusammenhangsintentionen hat, das ist sicher, und das gehört mit zu seiner Konstitution als zeitlicher Einheit. Ich bin aber zweifelhaft, wie das zu verstehen ist und ob hier in jeder Hinsicht volle Klarheit waltet. Es konstituiert sich notwendig ein dauerndes Sein, und zwar zunächst ein Erlebnis-Sein. Und insofern ist jedes Leben Entgegenleben. Leben ist aber nicht Erlebnis. Leben ist der Strom des konstituierenden Bewußtseins. Weist aber jedes Erlebnis auf Kommendes hin und zurück auf Gewesenes? Es gehört zu jedem Erlebnis, z. B. einem Wunscherlebnis, daß es bewußt ist als Jetzt und daß im Jetzt eine Intention auf das Nicht-Jetzt, auf das Kommende geht. Aber diese Intentionen gehören doch zum Seinsmodus als Seins im Zeitbewußtsein, also zum Leben, und nicht zum seienden Erlebnis selbst in sich selbst. Was gehört zum Seienden? Die zeitliche Folge und die Bestimmtheit der zeitlichen Folge, die Notwendigkeit: Nach A folgt B, dann
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C – B gehört in den Zusammenhang. Zum ursprünglichen Zeitbewußtsein, zum Leben, gehört nun der „Zusammenhang“ mit dem aktuellen Jetzt-konstituierenden Leben: d. i. jede Erinnerung enthält Intentionen, deren Erfüllung zur Gegenwart führt. Objektive Möglichkeit, die Folge aufzustellen: Damals war das, dann kam das, bis zum Jetzt. Folge in der Zeit: Das ist nicht ein Unterschied, der im Inhalte der Phantasie so begründet ist, wie etwa ein Farbenunter- | schied, eine Farbenordnung in der Erscheinung der betreffenden Farben. Die Reproduktion gibt reproduktiv ein Jetzt, ein Soeben-vorher und ein Soeben-kommend. Aber das reproduzierte Jetzt soll ein Vergangen sein oder Zukünftig oder Jetzt (vergegenwärtigtes); und dabei kann die Reproduktion direkte Anschauung sein in Form der Erinnerung und Erwartung oder in Form der nicht retinierenden und erwartenden, unmittelbaren Zeitanschauung, endlich in mittelbarer Form1. Und eine dieser Möglichkeiten muß, meinen wir, bestehen. Es gibt kein reproduziertes Jetzt, das gesetzt werden könnte, und das nicht Wirklichkeit wäre in der Einheit der Zeit, der das aktuelle Jetzt angehört; überhaupt kein reproduziertes Zeitliches. Andererseits kann ein reproduziertes Zeitliches in jeder Zeit sein, abgesehen von der Gegenwart. Und die Zeitstelle ist nicht etwas, das man in diesem Inhalt irgendwie finden könnte: als Gegebenes. Andererseits kann die Zeitstellung doch ausgewiesen werden, z. B. in der Erinnerung: Ich gehe dem Zusammenhang der Erinnerung nach. Und es ist klar, daß jede Erinnerung schon eine gewisse „Intention“ auf die Stellung ihres Erinnerten hat, sei es auch eine etwas unbestimmte; aber es ist dann eine Unbestimmtheit, die sich bestimmen läßt, und nicht willkürlich 〈 zur Bestimmtheit 〉 machen 〈 läßt 〉. So bin ich z. B. bei der Erinnerung an die Vergangenheit gebunden, und ev. an vorgestern etc. Also (zunächst für Erinnerung und Erwartung) wir haben: 1
Die Worte „und dabei“ bis „in mittelbarer Form“ sind nachträglich in einer Randbemerkung hinzugefügt, die ferner noch fortfährt: „Cf. darüber später. Überhaupt habe ich in Hinblick auf Erinnerung und Erwartung alles 〈 gleichwie? 〉 Erinnertes 〈 behandelt? 〉 und dieses gleich verallgemeinert. Aber das ist leicht zu bessern.“ – Anm. d. Hrsg.
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1) für jede Reproduktion, und zwar setzende Reproduktion, einen Inhalt, und zwar einen Bestand an Intentionen, die das reproduzierte Sein seiner Dauer nach 〈 betreffen 〉; 2) jede Dauer hat einen Inhalt, bzw. jedes dauernde Sein hat seine Form in der Dauer, seinen Inhalt in der Fülle der Dauer – diese selbe Form und Fülle kann aber eine verschiedene Zeitstelle1 im Zusammenhang „der“ Zeit haben. In der Reproduktion eines dauernden Seins haben wir nun | neben der Reproduktion der erfüllten Dauer die Intentionen, welche die Stellung betreffen, und zwar notwendig. Eine Dauer ist gar nicht vorstellbar bzw. nicht setzbar, ohne daß sie gesetzt wird in einen Zeitzusammenhang, d. i. ohne daß Intentionen des Zusammenhanges da sind. Und dabei ist es notwendig, daß diese Intentionen (im Falle der Erinnerung und Erwartung, was aber nur ein besonderer Fall ist) entweder die Form von Vergangenheitsintentionen haben oder die Form von Zukunftsintentionen. Dann gehört zu ihrem Wesen, daß sie, in eins gesetzt mit dem Bewußtsein „ Jetzt“, sich „in entgegengesetzter Richtung“ mit diesem einigen. Diese Einigung ist aber eine allgemeine und uneigentliche. Es ist nicht Erfüllung. Die Intentionen sub 1), d. i. der Gesamtkomplex von Intentionen, die die Erscheinung des vergangenen dauernden Objekts ausmachen, haben ihre mögliche Erfüllung in dem System von Erscheinungen, die zu demselben Dauernden gehören (derselben Dauer, mit demselben objektiven Bestimmungsgehalt ausgefüllt). All diese Erscheinungen hätten dann aber notwendig ihre Zusammenhangsintentionen der Art 2). Die Intentionen des Zusammenhangs in der Zeit gehen in eine ganz andere Richtung. Da handelt es sich um Herstellung erfüllter Zusammenhänge bis zur aktuellen Gegenwart. Insofern haben wir allerdings zu unterscheiden – für die Erinnerung (aber nicht überall in gleicher Weise): die Reproduktion des Bewußtseins, in dem das vergangene dauernde Objekt gegeben, also wahrgenommen war; und das, 1
Von etwa hier ab bis S. 307 ist der Text der Aufzeichnung mit einigen Abwandlungen in § 25–26 und im 1. Absatz von § 27, S. 53–58, wiedergegeben. – Anm. d. Hrsg.
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was dieser Reproduktion als konstitutiv für das Bewußtsein „Vergangen“ oder „Gegenwärtig“ (mit dem aktuellen Jetzt gleichzeitig) und „Zukünftig“ anhängt. Was ist nun das Letztere? Ist es auch Reproduktion? Das ist eine leicht irreführende Frage (bei der Versuchung, Aktualität und Impression zu verwechseln). Natürlich, das Ganze ist Reproduktion. Es wird nicht nur die damalige Bewußtseinsgegenwart mit ihrem Fluß „reproduziert“, sondern „implicite“ der ganze Strom des Bewußtseins bis zur lebendigen Gegenwart. „Implicite“: das sagt psychologisch: Die Erinnerung ist in einem beständigen Fluß, weil das Bewußtseinsleben in beständigem Fluß ist, und nicht nur Glied an Glied in der Kette sich fügt. Vielmehr jedes Neue wirkt zurück auf das Alte: seine vorwärts | gehende Intention erfüllt sich und bestimmt sich dabei, und das gibt der Reproduktion eine bestimmte Färbung. Da haben wir also eine Rückwirkung. Das Neue weist wieder auf Neues, das eintretend sich bestimmt und für das Alte reproduktive Möglichkeiten modifiziert usw. Und dabei geht die rückwirkende Kraft der Kette nach zurück. Denn die Reproduktion eines Vergangenen trägt den Charakter Vergangen und eine unbestimmte Intention einer gewissen Zeitlage zum Jetzt. Es ist also nicht so, daß wir eine bloße Kette „assoziierter“ Intentionen hätten, eines an das andere, dieses an das nächste etc. (Strömende) erinnernd, sondern eine Intention, die in sich Intention auf diese Reihe von möglichen Erfüllungen ist. Aber diese Intention ist eine unanschauliche, eine „leere“ Intention, und ihr Gegenständliches ist die objektive Zeitreihe von Ereignissen, und diese ist „Umgebung“. Charakterisiert das nicht überhaupt Umgebung: eine einheitliche Intention, die auf eine Vielheit zusammenhängender Gegenständlichkeiten geht und in deren gesonderter und vielfältiger allmählicher Gegebenheit zur Erfüllung kommt? So auch bei einem räumlichen „Hintergrund“. Und so hat auch jedes Ding in der Wahrnehmung seine Hinterseite als Hintergrund (denn es handelt sich nicht um Hintergrund der Aufmerksamkeit, sondern der Auffassung). Was ich 〈 als 〉 uneigentliche Wahrnehmung, Mitwahrnehmung in den Vorlesun-
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gen1 beschrieb, das ist eine „komplexe“ Intention, die erfüllbar ist in Zusammenhängen bestimmter Art, in Zusammenhängen von Gegebenheit. Vordergrund ist nichts ohne Hintergrund. Die erscheinende Seite ist nichts ohne 〈 die 〉 nicht erscheinende. Ebenso in der Einheit des Zeitbewußtseins: Die reproduzierte Dauer ist Vordergrund, die Einordnungsintentionen machen einen Hintergrund, einen zeitlichen, bewußt. Und in gewisser Weise setzt sich das in der Konstitution der Zeitlichkeit des Dauernden selbst mit seinem Jetzt, Vorher, Nachher fort. Wir haben die Analogien: Die Einordnung des Raumdings in den umfassenden Raum und die Raumwelt – andererseits das Raumding selbst und seinen Vordergrund und Hintergrund (wenigstens als Phantome). Für das Zeitding: Die | Einordnung in die Zeitform und die Zeitwelt – andererseits das Zeitding selbst und seine wechselnde Orientierung zum lebendigen Jetzt. Doch dürfen diese Analogien nicht ganz wörtlich genommen und nicht einfach hingenommen werden. Wie weit sie wirklich reichen als strenge Analogien, das muß sich durch genaue Untersuchung herausstellen. Wichtig zu untersuchen ist aber, ob sich wirklich Erinnerung und Erwartung gleichstehen können. Die anschauliche Erinnerung bietet mir die lebendige Reproduktion der ablaufenden Dauer eines Ereignisses, und unanschaulich bleiben nur die Intentionen, die zurückweisen auf das Vorher und vorweisen bis zum lebendigen Jetzt. Wie steht es mit der anschaulichen Vorstellung eines künftigen Ereignisses? Ich werde „nachher die Treppe hinuntergehen und in das Sitzzimmer eintreten …“ Ich „werde nachher das Abendbrot einnehmen“. Ich habe jetzt anschaulich das reproduktive „Bild“ eines Vorgangs, es läuft reproduktiv ab. Daran knüpfen sich unbestimmte Zukunftsintentionen und Vergangenheitsintentionen, d. i. Intentionen, die vom Anfang des Vorgangs die Zeitumgebung, betreffen, die im lebendigen Jetzt terminiert. Insofern ist die Erwartungsanschauung umgestülpte Erinne1
Gemeint sind vermutlich die Vorlesungen zur Einführung in die Logik und Erkenntnistheorie des Wintersemesters 1906/07; vgl. oben S. 269, Anm. 2. – Anm. des Hrsg.
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rungsanschauung, denn bei dieser gehen die Jetztintentionen dem Vorgang nicht „vorher“, sondern folgen nach. Sie liegen als Umgebungsfärbung „in entgegengesetzter Richtung“. Wie steht es mit der Gegebenheitsweise des Vorgangs selbst? Macht das einen wesentlichen Unterschied aus, daß in der Erinnerung der Gehalt des Vorgangs bestimmter ist? Nun, die Erinnerung kann anschaulich, aber doch nicht sehr bestimmt sein, sofern manche anschaulichen Komponenten gar nicht wirklich Erinnerungscharakter haben. Bei vollkommener Erinnerung würde alles bis ins einzelne klar und als Erinnerung charakterisiert sein. Aber idealiter könnte es doch bei der Erwartungsanschauung genau ebenso sein. Im allgemeinen läßt sie viel offen, und das Offenbleiben ist wieder ein Charakter der betreffenden Komponenten. | Bildlichkeit, Erinnerungsbilder, Erwartungsbilder Die ganze Anschauung bietet gewissermaßen nur ein Schema des Künftigen, ja ein Bild, da ich in dem anschaulich Gegebenen etwas sehe, was mir nicht gegeben ist, und mir gegeben wäre, wenn eben nichts in dem „Bild“ mir etwas offen ließe. Aber bietet mir die Erinnerung nicht ebenso, wenigstens im allgemeinen, ein bloßes Bild, nämlich überall da, wo ich zwar eine Erscheinung habe, aber mit dem Bewußtsein, daß sich in ihr das Gewesene in einzelnen Zügen selbst stellt, in anderen nur darstellt? Das Eigentümliche ist aber beiderseits, daß prinzipiell eine vollkommene Vorstellung möglich ist, d. i. eine solche, die nichts mehr von einer Diskrepanz zwischen Gegebenem und Intendiertem, also nichts mehr von einem Unterschied von Bildobjekt und sujet enthält. – Ist denn nicht prinzipiell ein prophetisches Bewußtsein (ein Bewußtsein, das sich selbst für prophetisch ausgibt) denkbar? Und kann man sagen, daß wir nicht mitunter de facto einen bestimmten Plan haben und, anschaulich das Geplante vorstellend, in der Tat es sozusagen mit Haut und Haar für die künftige Wirklichkeit hinnehmen? Ferner, das Stück Strecke zum aktuellen Jetzt ist beiderseits unbestimmt, und kann mehr oder weniger unbestimmt sein (in der δύναμις).
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B. Ergänzende Texte
Prinzipielle Unterschiede aber liegen in der Weise der Erfüllung. Vergangenheitsintentionen erfüllen sich notwendig durch Herausstellung der Zusammenhänge anschaulicher Reproduktionen. Die Reproduktion des vergangenen Ereignisses selbst läßt hinsichtlich ihrer Gültigkeit, sagen wir hinsichtlich der Reproduktion selbst und ihrer Gültigkeit (im inneren Bewußtsein), nur Bestätigung der Erinnerungsunbestimmtheiten und Vervollkommnung durch Verwandlung in eine Reproduktion, in der alles und jedes an Komponenten als reproduktiv charakterisiert ist, zu. Hier handelt es sich darum: Habe ich das wirklich gesehen, wahrgenommen, habe ich diese Erscheinung wirklich gehabt, genau mit dem Inhalt? (Eine andere Frage ist die: War das eine Wirklichkeit, war das Erscheinende wirklich?) Und das muß sich einfügen einem Zusammenhang ebensolcher Erscheinungen bis zum Jetzt. Dagegen Treue der Erwartung: Erfüllung der Erwartung ist | Erfüllung durch eine Wahrnehmung. Zum Wesen des Erwarteten gehört ja, daß es ein Wahrgenommen-sein-werdendes ist, oder Wahrnehmen im Werden. Und ebenso mit den Umgebungsintentionen. Das alles erfüllt sich durch Aktualität des Erlebens und impressionalen Erlebens. Aber alles in allem ist Erwartungsanschauung genau etwas so Ursprüngliches und Eigenartiges wie Vergangenheitsanschauung. Wohl zu beachten ist, daß unter den Modi des durch Reproduktion sich vollziehenden Zeitbewußtseins Erinnerung und Erwartung nur eine ausgezeichnete Gruppe ausmachen. Zum Wesen dieser reproduktiven Erlebnisse gehört nicht bloß reproduktive Setzung von zeitlichem Sein, sondern eine gewisse Beziehung zum inneren Bewußtsein. Zum Wesen der Erinnerung gehört primär und als Grundsache, daß es Bewußtsein vom Wahrgenommen-gewesen-sein ist. Erinnere ich mich anschaulich an einen äußeren Vorgang, so habe ich eine reproduktive Anschauung von ihm. Und es ist eine setzende Reproduktion. Diese äußere Reproduktion ist aber notwendig bewußt durch eine innere Reproduktion. (Ein äußeres Erscheinen muß reproduziert sein, indem der äußere Vorgang in bestimmter Erscheinungsweise gegeben ist. Das äußere Erscheinen als Erlebnis ist Einheit eines inneren
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Bewußtseins, und dem inneren Bewußtsein entspricht innere Reproduktion.) Es bestehen nun aber zwei Möglichkeiten. Es kann die innere Reproduktion eine setzende sein und demnach die Erscheinung des Vorgangs gesetzt sein, und dann gesetzt in der Einheit der „inneren“ Zeit; oder es kann die äußere Reproduktion eine setzende sein, gesetzt der zeitliche Vorgang in der objektiven Zeit, nicht aber die innere Reproduktion setzend, also nicht die Erscheinung selbst als Vorgang der inneren Zeit, und damit weiter nicht der entsprechende zeitkonstituierende Strom gesetzt in der Einheit des Gesamtlebensstromes. Das1 Wesentliche der Erinnerung und Erwartung (der direkt anschaulichen, cf. unten) liegt in der Einordnung der reproduzierten Erscheinung in den Seinszusammenhang der inneren Zeit, der abfließenden Reihe meiner Erlebnisse. | Die Setzung erstreckt sich zwar normalerweise weiter, auch auf das Gegenständliche der äußeren Erscheinung, aber diese Setzung kann aufgehoben, ihr kann widersprochen werden, und dann bleibt immer noch Erinnerung bzw. Erwartung übrig, d. h. wir werden nicht aufhören, Erinnerung und Erwartung als solche zu nennen. Nur werden wir dann sagen: Ich erinnere mich, daß ich damals „vermeintlich“ das wahrgenommen habe, es war aber eine Täuschung. Ich erwarte, das und das zu sehen (ich erwartete es früher, und meinte, daß es Wirklichkeit sei, jetzt weiß ich, daß es ein illusionäres Sehen sein wird.). Normalerweise heißt „Ich erwarte das Ereignis – ich erinnere mich des Ereignisses“ aber beides: „Ich werde das Ereignis sehen“ (bzw. „Ich werde Nachricht bekommen, daß es Wirklichkeit ist“) – „Ich habe das Ereignis gesehen“ (bzw. „Ich habe Nachricht bekommen, daß es sei“). Es bedarf hier, wie ich jetzt sehe, einer Ergänzung: Direkt anschauliche Erinnerungen und direkt anschauliche Erwartungen – gegenüber unanschaulichen oder mittelbar anschaulichen, indirekt symbolisierenden, auf indirekter Kenntnis beruhenden etc. Direkt anschauliche sind in diesem Sinn gleich1
Von hier ab bis S. 308 ist der Text der Aufzeichnung mit einigen Abwandlungen im 2. Absatz von § 28, S. 59 f. wiedergegeben. – Anm. d. Hrsg.
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geordnete Akte, direkt anschauliche Wahrnehmung, direkt anschauliche Erinnerung und Erwartung von Äußerem alle gleich gebaut, nämlich Setzung nicht bloß des angeschauten Äußeren, sondern Setzung des Anschauens, und zwar innerer Wahrnehmung, innerer Erinnerung, innerer Erwartung. Handelt es sich von vornherein um Anschauung von Psychischem, und zwar direkte, so fällt der Unterschied von Stufenreihen fort, und wir haben von vornherein Gleichordnung. Bleiben wir1 bei reproduktiver Anschauung von Äußerem stehen, von äußerer Zeitlichkeit und Gegenständlichkeit, so haben wir nun aber noch andere Typen der Anschauung, und zwar unmittelbarer, von zeitlichen Gegenständen. Ich stelle mir jetzt den Roons vor; aber nicht als Erinnerung an den vorher gesehenen, sondern als den jetzt seienden, wie er jetzt ist. Und ich stelle mir vor, anschaulich, ein gewesenes Ereignis; aber nicht erinnere ich mich desselben, ich nehme es doch als wirklich ver | gangen: ich mache mir eine Anschauung davon nach einer Beschreibung; und ebenso bezüglich der Zukunft. Auch vom Gegenwärtigen, als gegenwärtig Gesetzten, mache ich mir, obschon ich es ev. nie gesehen habe, Anschauungen. Im ersten Fall habe ich zwar Erinnerungen, aber ich gebe dem Erinnerten Dauer bis zum aktuellen Jetzt, und für diese Dauer habe ich keine innerlich erinnerte „Erscheinung“. Das „Erinnerungsbild“ dient mir, aber ich setze nicht das Erinnerte (das Gegenständliche der inneren Erinnerung in seiner parallelen Dauer: wie es da gegenständlich war). Wie setze ich da, und was setze ich? Nun, jedenfalls das Dauernde als sich in dieser Erscheinung darstellend und das erscheinende Jetzt setzen wir, und das immer neue Jetzt etc. Aber wir setzen es nicht als „vergangen“. Wir wissen, das „vergangen“ bei der Erinnerung sagt auch nicht, daß wir im jetzigen Erinnern uns ein Bild machen von dem Früheren, und was dergleichen Konstruktionen mehr sind. Sondern wir setzen einfach das Erscheinende, das Angeschaute, das natürlich nach seiner Zeitlichkeit nur anschaubar 1
Von etwa hier ab bis S. 310 ist der Text der Aufzeichnung mit einigen Abwandlungen in § 29, S. 60 f. wiedergegeben. – Anm. d. Hrsg.
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ist in den temporalen Modis. Und dem dabei Erscheinenden geben wir in der Weise der Erinnerung durch die Umgebungsintention der Erscheinung Stellung zum Jetzt der Aktualität. Also müssen wir auch bei der Vergegenwärtigung eines abwesenden Gegenwärtigen nach den Umgebungsintentionen der Anschauung fragen, und diese sind hier natürlich von ganz anderer Art: sie haben gar keine Beziehung zum Jetzt durch eine stetige Reihe von inneren Erscheinungen, die sämtlich gesetzte wären. Freilich, ohne Zusammenhang ist diese reproduktive Erscheinung nicht. Es soll ein Dauerndes sein, das da erscheint, das gewesen ist und jetzt ist und sein wird. Ich „kann“ also auf irgendeinem Wege hingehen und sehen, das Ding noch finden, und kann dann wieder zurückgehen und in wiederholten „möglichen“ Erscheinungsreihen zu ihm hin mich schauen. Und wenn ich vorhin aufgebrochen und dahin gegangen wäre (und das ist möglich und dem entsprechen „mögliche“ Erscheinungsreihen), dann hätte ich jetzt diese Anschauung als Wahrnehmungsanschauung usw. Also die Erscheinung, die mir reproduktiv vorschwebt, ist zwar nicht charakterisiert als innerlich impressional gewesen, das Erscheinende nicht als in seiner Zeitdauer wahrgenommen gewesenes; aber Beziehung zum hic et nunc besteht auch hier, und wir können sagen, die | Erscheinung trägt auch einen gewissen Setzungscharakter: sie gehört in einen bestimmten Erscheinungszusammenhang hinein (und von Erscheinungen, die durchaus „setzende“, stellungnehmende Erscheinungen wären), und in bezug auf diesen hat sie motivierende Charaktere: die Umgebungsintention besagt für die Erlebnisse selbst einen Hof von Intentionen. Ebenso ist es für die Anschauung von Vergangenem, das ich damals nicht gesehen habe (z. B. des Hauses vor einer Stunde, während ich es jetzt zum ersten Mal sehe), und ebenso für die Zukunft. Das alles sind unmittelbare Anschauungen. Dazu kommen dann die verbildlichenden Anschauungen, nach Erscheinungen etc., also indirekte: Hier erst recht ist natürlich die zeitliche Setzung und die Setzung des nicht Erinnerten oder nicht Erwarteten nicht etwa ein bloßer Setzungscharakter, der zur Anschauung hinzu sich fügt. Ferner die Einfühlung, die Introjektion, die wieder ihre Mittelbarkeit hat.
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〈 Nr. 46 Fraglichkeit der Rückführung aller Unterschiede auf die Auffassungsweise 〉1
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Erinnerung im gewöhnlichen Sinn steht auf gleicher Stufe mit der Erwartung, und beide mit der Phantasievorstellung. Wahrnehmung im gewöhnlichen Sinn oder in einem gewissen prägnanten Sinn ist Jetztwahrnehmung. Es gibt aber auch Erinnerungswahrnehmung (primäre Erinnerung). Erinnerung eines ferner Vergangenen ist entweder leere (evtl. symbolische) Erinnerung, oder sie ist phantastische Erinnerung. Die letztere (die anschauliche Wiedererinnerung) steht auf einer Stufe mit der anschaulichen Vergegenwärtigung einer unwahrgenommenen Gegenwart (eines „bekannten“ jetzt Seienden), der Wiedervergegenwärtigung der mir bekannten Straße an meinem Haus, deren ich mich erinnere; das ist also Erinnerung an etwas, aber so, daß dieses Etwas nicht als Gewesenes, sondern als (nicht wahrgenommenes) Gegenwärtiges gesetzt ist und anschaulich dasteht. Erinnerung kann aber auch sein Erinnerungswahrnehmung. | Das vergangene Objekt als vergangenes „gegeben“. Das vergangene Objekt „erscheint“ anschaulich, aber nicht im eigentlichen Sinne der Perzeption. Ich war früher geneigt, hier bloß einen Unterschied der Auffassung anzunehmen und zu sagen, dieselben sinnlichen Inhalte, die als perzeptive Präsentanten fungieren, erfahren hier eine modifizierte Auffassung.
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Man bemerke die wörtlichen Anklänge dieser Aufzeichnung an die oben unter Nr. 15 wiedergegebene, besonders S. 173 f. Die hier vorliegende Aufzeichnung ist gleichwohl offenbar – im Rückblick auf jene – wesentlich später niedergeschrieben, wie jedenfalls aus ihrem Schlußsatz hervorgeht. – Anm. d. Hrsg.
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〈 Nr. 47 „Inhalts-“ und „Auffassungsmomente“ und die Evidenz der frischen Erinnerung 〉1
Man2 spricht vom Abklingen, Verblassen etc. der Empfindungsrepräsentanten, wenn eigentliche Wahrnehmung in frische Erinnerung übergeht. Nach den vorstehenden Untersuchungen ist es aber klar, daß die blaß gewordenen, abgeklungenen Inhalte gar nicht mehr Empfindungsinhalte, und überhaupt nicht „Inhalte“ im originären Sinne sind. Es ist hier freilich schwer, sich auszukennen. Was soll die Rede von „Inhalten“? Wenn ein Ton abklingt, so ist der Ton selbst zunächst mit besonderer Fülle (Intensität) empfunden, und daran schließt sich ein rasches Nachlassen der Intensität, der Ton ist noch da, ist noch empfunden, aber im bloßen Nachhall. Diese echte Ton-Empfindung ist zu unterscheiden von dem tonalen Moment in der frischen Erinnerung. Der frisch erinnerte Ton ist kein gegenwärtiger, sondern eben im Jetzt erinnerter: er ist in dem Erinnerungsbewußtsein reell nicht vorhanden. Das tonale Moment, das zu diesem gehört, kann aber 〈 auch 〉 nicht ein reell vorhandener anderer Ton sein, auch nicht ein sehr schwacher qualitätsgleicher Ton (als Nachhall). Ein gegenwärtiger Ton kann zwar „an“ einen vergangenen erinnern, ihn darstellen, verbildlichen. Aber das setzt schon eine andere Vergangenheitsvorstellung voraus. Die Vergangenheitsanschauung selbst kann nicht Verbildlichung sein. Sie ist ein originäres Bewußtsein. Es soll nicht geleugnet | werden, daß es Nachklänge gibt. Aber wo wir sie erkennen und unterscheiden, da können wir bald konstatieren, daß sie nicht etwa zur Erinnerung als solcher gehören, sondern zur Wahrnehmung. Der Nachklang des Geigentones 1
Die vorliegende Aufzeichnung hat Husserl später schätzungsweise auf „Silvaplana oder nachher“ datiert; in Silvaplana hielt er sich im August 1909 auf. Dem sachlichen Inhalt nach dürfte die Aufzeichnung jedoch schwerlich später als im Herbst 1908 niedergeschrieben sein. – Der größte Teil der Aufzeichnung ist – mit zahlreichen Abwandlungen – in den Paragraphen 12 und 13, S. 31–34, wiedergegeben; nähere Verweise siehe in den folgenden Anmerkungen. – Anm. d. Hrsg. 2 Von hier ab bis S. 314 ist der Text der Aufzeichnung – mit Abwandlungen – in §§ 12–13, S. 31–34 wiedergegeben. – Anm. d. Hrsg.
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ist eben schwacher gegenwärtiger Geigenton, und hat mit der Erinnerung des eben gewesenen lauten Tones an sich gar nichts zu tun. Das Nachklingen selbst, die Nachbilder überhaupt, die von den stärkeren Empfindungsgegebenheiten (nach Aufhören des Reizes, physikalisch gesprochen) Zurückbleiben, haben mit dem Wesen der Erinnerung gar nichts zu tun, geschweige denn, daß sie notwendig zu ihm zu rechnen wären. Aber wohl gehört es zum Wesen der Zeitanschauung, daß sie in jedem Punkt ihrer Dauer (die wir reflektiv zum Gegenstand machen können) Bewußtsein vom Eben-gewesenen ist, und nicht bloß Bewußtsein vom Jetztpunkt des als dauernd erscheinenden Gegenständlichen. Und in diesem Bewußtsein ist das Eben-gewesene in gehöriger Kontinuität bewußt, und in jeder Phase in bestimmter „Erscheinungsweise“: mit den Unterschieden von „Inhalt“ und Auffassung. Man achte auf die eben ertönende Dampfpfeife: In jedem Punkt steht eine Extension da, und da in einer Extension der „Erscheinung“, die doch in jeder Phase dieser Extension ihr Qualitätsmoment und Auffassungsmoment hat. Andererseits ist das Qualitätsmoment keine reelle Qualität, kein Ton, der jetzt reell wäre, d. h. der als jetzt seiender, wenn auch immanenter Ton-Inhalt angesprochen werden könnte. Der reelle Gehalt des Jetztbewußtseins enthält allenfalls empfundene Töne, die dann notwendig zu bezeichnen sind als wahrgenommen, als gegenwärtig, und in keiner Weise als Vergangenheiten. Das Erinnerungsbewußtsein enthält reell Vergangenheitsbewußtsein von Ton, Ton-Erinnerung, anschauliche, primäre Ton-Erinnerung, und das ist nicht zu zerlegen in „empfundener Ton“ und „Auffassung als Erinnerung“. So wie ein Phantasie-Ton kein Ton, sondern Phantasie von Ton ist, oder so wie Ton-Phantasie und Ton-Empfindung etwas prinzipiell Verschiedenes ist, und nicht etwa dasselbe, nur verschieden interpretiert, aufgefaßt, oder was immer man da sagen wollte: ebenso ist primär anschaulich erinnerter Ton prinzipiell etwas anderes als wahrgenommener, bzw. primäre Erinnerung von Ton etwas anderes als Empfindung von Ton. | Besteht nun das Gesetz, daß primäre Erinnerung nur in kontinuierlicher Anknüpfung an vorgängige Empfindung bzw.
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Wahrnehmung möglich ist? Daß jede Phase primärer Erinnerung nur als Phase denkbar ist, d. h. nicht auszubreiten ist in eine Strecke, die in allen Phasen identisch wäre? Man wird entschieden sagen: Das ist durchaus evident. Der empirische Psychologe, der gewohnt ist, alles Psychische als bloße Faktizität zu behandeln, wird dies freilich leugnen; er wird sagen: Warum soll ein anfangendes Bewußtsein nicht denkbar sein, das mit einer frischen Erinnerung anfängt, ohne vorher eine Wahrnehmung gehabt zu haben? Es mag faktisch Wahrnehmung notwendig sein, um frische Erinnerung zu erzeugen. Es mag faktisch so sein, daß menschliches Bewußtsein Erinnerungen, auch frische, erst haben kann, nachdem es Wahrnehmungen gehabt hat. Aber denkbar ist auch das Gegenteil. Dem gegenüber vertreten wir die apriorische Notwendigkeit des Vorangehens einer entsprechenden Wahrnehmung vor der frischen Erinnerung. Man wird zunächst darauf bestehen müssen, daß eine Phase nur als Phase denkbar ist, und ohne Möglichkeit einer Extension. Und die Jetztphase ist nur denkbar als Grenze einer Kontinuität frischer Erinnerung, so wie jede Phase der frischen Erinnerung selbst nur denkbar ist als Punkt eines solchen Kontinuums; und zwar für jedes Jetzt des Zeitbewußtseins. Nun soll aber auch eine ganze stetige Serie frischer Erinnerung nicht denkbar sein ohne vorgängige entsprechende Wahrnehmung. Darin liegt: Die Serie frischer Erinnerung, die da ein Jetzt ist, 〈 ist 〉 selbst Grenzpunkt, und wandelt sich notwendig ab: das Erinnerte „sinkt immer weiter in die Vergangenheit, ohne seine Zeitlichkeit zu verändern“, aber nicht nur das: es ist notwendig etwas Gesunkenes, etwas, das notwendig eine evidente Wiedererinnerung gestattet, die es auf ein wiedergegebenes Jetzt zurückführt, das in gleicher Weise auf diese gleiche Serie sich, zurücksinkend (aber wieder-zurücksinkend), reduziert. Nun wird man aber sagen: Kann ich nicht eine Erinnerung, auch eine frische Erinnerung an ein A haben, während A in Wahrheit gar nicht stattgehabt hat? Gewiß. Es gilt ja sogar mehr. Ich kann auch eine Wahrnehmung von A haben, während A in Wirklichkeit nicht stattgehabt hat. |
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Und somit behaupten wir nicht etwa dies als Evidenz, daß, wenn wir eine frische Erinnerung an A haben, A vorangegangen sein muß, aber wohl, daß A wahrgenommen gewesen sein muß (mag es nun primär beachtet worden sein oder nicht: etwas stand leibhaft in bewußter, wenn auch unbemerkter oder nebenbei bemerkter Weise da). Freilich, eine Evidenz der frischen Erinnerung besteht auch nach uns: die sich aus der Reduktion auf das Immanente ergibt, und natürlich auch auf den Inhalt der immanenten Erinnerung in bezug auf den entsprechenden Inhalt der immanenten Wahrnehmung. All die hier vorliegenden Evidenzen phänomenologischerkenntnistheoretischer Art sind aufs gründlichste zu studieren. – Man könnte nun folgenden Einwand machen: Das ganze Verfahren unserer phänomenologischen Zeitanalyse stehe unter einer empirischen Supposition. Wir haben, könnte man sagen, den objektiven Zeitverlauf angenommen, und dann im Grunde nur die Bedingungen der Möglichkeit einer Zeitanschauung und einer eigentlichen Zeiterkenntnis studiert; bzw. uns konstruiert. Wir haben zugleich im voraus angenommen, daß die in der Anschauung der Zeitverhältnisse – auch der phänomenologisch-reflektiven Anschauung, gerichtet auf den Verlauf des Zeitbewußtseins – vorhandenen Zeitdaten und Zeitordnungen wirklich vorgefunden sind. Wir haben also die Triftigkeit der Zeitanschauung überall vorausgesetzt. Doch da ist zu überlegen: Inwiefern haben wir im voraus einen objektiven Zeitverlauf angenommen? Nun, genau in dem Sinn, wie wir bei der Analyse des Dinges ein Ding angenommen, in der Analyse der Wahrnehmung ein Wahrgenommenes angenommen haben usw. Die Wahrheit irgendeiner Weltzeit und einer Welt, die wahre Existenz irgendeines Dinges und einer dinglichen Dauer haben wir doch nicht angenommen. Aber wohl nehmen wir die erscheinende Dauer als solche hin, die erscheinende Dinglichkeit als solche usw. Das sind nun absolute Gegebenheiten, deren Bezweiflung sinnlos wäre. Nicht die Bedingungen der Möglichkeit einer im voraus angenommenen wirklich existierenden Weltzeit und Welt und ihrer Er-
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kenntnis, sondern | einer Weltzeit als solcher, einer Dingdauer als solcher usw. sind erforscht worden. Weiter ist es allerdings richtig, daß wir auch seiende Zeit, nämlich nicht die Zeit der Erfahrungswelt, aber wohl die phänomenologische Zeit (besser phansiologische), die immanente Zeit im Bewußtseinsverlauf vorausgesetzt haben; z. B. daß das Bewußtsein dieses Ton-Vorgangs, dieser Melodie, die ich eben höre, ein Nacheinander des anschauenden Bewußtseins wirklich ist. „Wirklich“ aber nicht im vollen psychologischen Sinn, sondern nacheinander im immanenten Sinn. Dafür nahmen 〈 wir 〉 aber eine Evidenz in Anspruch, die dieser wie jeder schlechthin absoluten Gegebenheit zugute kommt. Und hier, meinen wir, hat es keinen Sinn, zu zweifeln und zu leugnen. Was vernünftig bezweifelt werden kann, kann auch, prinzipiell betrachtet, vernünftigerweise als nicht-seiend gedacht werden. Es ist also möglich, daß es vernünftigerweise nicht sei und geleugnet werde. Trifft das für jede frische Erinnerung, auch für die von Immanentem zu? Ich möchte sagen: Ist eine immanente Erinnerung zu negieren, so eine jede, ist eine triftig, so jede. Die Motive für Zweifel, Annahme, Leugnung sind überall die gleichen. Man sagt, das Sein der cogitatio sei unzweifelhaft. Kann das meinen: das Jetztsein der cogitatio im Sinne eines mathematischen Punktes? Ist es weniger evident, daß eine cogitatio ihrem Wesen nach, notwendig, eine Zeitlang dauert, als daß sie ist? Und wenn wir Evidenz für eine noch so kleine Dauer haben, haben wir damit nicht schon Evidenz für frische Erinnerung? Oder soll man sich mit berechtigter Wahrscheinlichkeit herausreden? Man wird doch sagen: Wenn irgendein Zeitverhältnis a vor b überhaupt bestehen soll, so muß es prinzipiell möglich sein, es anzuschauen, es zur ausweisenden Gegebenheit zu bringen. Zum Sinn jedes Seins gehört es a priori, daß ein Gegebensein möglich ist. Wie soll hier dieses mögliche Gegebensein aussehen? Kann es ein mittelbares Gegebensein sein? Setzt nicht die Triftigkeit irgendeines mittelbaren Gegebenseins in gewisser Weise die Möglichkeit, seine Zeitlichkeit zu erfassen, voraus? Jedes Individuelle ist ja notwendig ein Zeitliches. Was ich erst begründen muß, ist, solange es nicht begründet ist,
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zweifelhaft. Ist jede frische Erinnerung zweifelhaft und, solange sie unbegründet ist, ohne Recht, so ist es zweifelhaft, ob die Begründung überhaupt | nach den abgelaufenen Schritten gewesen ist, und kann das in Zweifel gestellt werden, wie kann ich behaupten, daß ich überhaupt begründet habe? Jedenfalls, was kann ein höheres Recht beanspruchen als die Behauptung: Wenn1 eine Folge, ein Wechsel, eine Veränderung erscheint, so ist die zur Erscheinung dieser Folge etc. wesentlich gehörige immanente Folge, Veränderung etc. absolut gewiß. Es ist grundverkehrt, zu argumentieren: Wie kann ich im Jetzt von einem Nicht-Jetzt wissen, da ich das Nicht-Jetzt, das ja nicht mehr ist, nicht vergleichen kann mit dem Jetzt (nämlich in dem im Jetzt vorhandenen Erinnerungsbild). Als ob zum Wesen der Erinnerung gehörte, daß 〈 ich 〉 ein im Jetzt vorhandenes Bild für eine andere, ihm ähnliche Sache supponierte und ich wie bei bildlicher Vorstellung vergleichen könnte und vergleichen müßte. Erinnerung ist nicht Bildbewußtsein, sondern etwas total anderes. Das Erinnerte ist freilich jetzt nicht, sonst wäre es nicht Gewesenes, sondern Gegenwärtiges, und in der Erinnerung ist es freilich nicht als Jetzt gegeben, sonst wäre Erinnerung eben nicht Erinnerung, sondern Wahrnehmung. Ein Vergleichen des nicht mehr Wahrgenommenen und bloß Erinnerten mit etwas außer sich hat keinen Sinn. Wie ich 〈 in 〉 der Wahrnehmung das Jetztsein erschaue und in der extendierten Wahrnehmung, so wie sie sich konstituiert, das dauernde Sein, so erschaue ich in der Erinnerung, wofern sie primäre ist, das Vergangen, es ist darin gegeben, und Gegebenheit von Vergangenheit ist Erinnerung (originäre Gegebenheit als primäre Erinnerung, Wiedergegebenheit als Wiedererinnerung). Aber wie ist es mit dem Wahrscheinlichkeitsstandpunkt? Die immanente Jetzterfassung, der Punkt der Jetztwahrnehmung gebe volle Evidenz der Gewißheit, die Gewißheit stufe sich der Erinnerungskontinuität entsprechend ab im Sinne der 1
Von etwa hier ab ist der Text der Aufzeichnung mit geringen Abwandlungen in § 13, S. 34, wiedergegeben. – Anm. d. Hrsg.
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Wahrscheinlichkeit. Aber kann ich Wahrscheinlichkeit von etwas haben, von dem eine wahre Intuition nicht möglich ist? Und wie wäre überall, wo Intuition möglich ist, nicht auch Gegebenheit möglich? So könnte man versuchen zu antworten. Aber wie ist es im Falle äußerer Wahrnehmung? für Dinge? Gegebenheit ist hier mög | lich, aber adäquate Gegebenheit? Ist nicht jede äußere Wahrnehmungssetzung bloß wahrscheinliche? Das geht also wohl nicht. Und doch, hat es einen Sinn, von Wahrscheinlichkeit zu sprechen, wo nicht schon Gegenmotive ihre rechtmäßige Setzung gegen andere haben? Und hat all das einen Sinn, wo nicht einmal das immanente Nacheinander und Miteinander zu Recht gesetzt werden dürfte? Ich meine aber, all diese Dinge müßten viel schärfer durchdacht und aufs genaueste formuliert werden. Ganz zufrieden bin ich noch nicht. – Als Beispiel diene uns ein Ton. Während wir ihn hören, „klingt er ab“, und das Zeitbewußtsein verleiht ihm seine sinkende Stellung zum Jetzt der jeweiligen Wahrnehmungen. Wir leben dabei, auf das Zeitliche achtend, auf die oder jene ausgezeichneten Phasen des Vorgangs, oder auf den dauernden, sich so und so verändernden Ton, in den Erinnerungen. Wir können aber auch auf die Erinnerungen selbst gegenständlich achten, sie wahrnehmen, und indem wir das tun, finden wir sie unterstehend dem Gesetz der Zeit, sie sinken in der Zeit: d. h. die Wahrnehmungen der Erinnerungen kontinuieren sich, weiten sich aus zu Erinnerungen von Erinnerungen, und wir können dann ein Bewußtsein des Nacheinander der ursprünglichen Erinnerungen gewinnen. Dabei besteht das Gesetz: daß der Abstand zweier Phasen, während sie sinken, stets derselbe bleibt. Vermöge des stetigen Identitätsbewußtseins, das im Sinken das A als dasselbe A, das B als dasselbe B festhält, behalten sie beide immerfort denselben zeitlichen Abstand. – Wir dachten uns hier überall das Zeitliche konstituiert durch einen im Zeitbewußtsein reell erlebten Inhalt, der beseelt ist von der zeitlichen Repräsentation, von der Zeitauffassung. Dann ist die Frage: Kann nicht derselbe Inhalt, der soeben Präsentant einer Wahrnehmung ist, willkürlich als Re-
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präsentant einer Erinnerung fungieren? Oder ist es Zufall, welcher Charakter sich anknüpft, d. h. ist es ein psychisches Faktum, etwa nach bloß psychologisch-empirischen Gesetzen bestimmt? Die Antwort lautet: Nein. Die Erinnerungsphase ist nur möglich als Phase, „primäre“ Erinnerung kann nur als Anhang, als Kon | tinuierung eines Wahrnehmungsbewußtseins auftreten. Woher wissen wir das? Wir haben die Evidenz, daß „Vergangen“ hinweist auf „ Jetzt“, und daß Jetzt und Vergangen sich ausschließen. Identisch dasselbe kann zwar jetzt und vergangen zugleich sein: aber nur dadurch, daß es zwischen Jetzt und Vergangen gedauert hat. Wir haben die Evidenz, daß eine Erinnerungsphase nicht dauern kann, und daß sie nur sein kann im Zusammenhang einer Erinnerungskontinuität, die von einer Wahrnehmung ausgeht. Ebenso wie es ein evidentes Gesetz ist, daß eine Wahrnehmung nicht dauern kann ohne eine sich daran anschließende Erinnerungskontinuität. Darin liegt auch: Nicht jede Wahrnehmung kann dauern: nämlich die Wahrnehmung einer zeitkonstituierenden Erinnerung nicht. Was macht solche Evidenzen möglich? Wie sieht die adäquate Erschauung aus, die diese evidenten Gesetze einlöst? Noch eins: Das direkte Bewußtsein der Vergangenheit ist nicht bloß objektiv geredet ein kontinuierliches, sondern auch Bewußtsein von dieser Kontinuität. Stammt dieses Bewußtsein aus der Reflexion auf die Erinnerungen, die eben damit wahrgenommen sind und somit selbst ihre Phasen gewinnen, in jedem Moment zu jeder Erinnerungsphase gehörige Phasen zweiter Stufe, die dann kontinuierlich-einheitlich sich abstufen? Offenbar. 〈 Nr. 48 〉 Ursprüngliche zeitliche Zurückschiebung
Thema: „Repräsentation“. Bewußtseins-seiende sinnliche Inhalte „präsentieren, repräsentieren“ etc., kurz, sie sind „einmal da, und wenn, je nachdem so oder so aufgefaßt“. – Nehmen wir an, Rot erscheint. Und nun ist es eben-gewesen. Noch anschaulich. Kann da ein aktuell gegenwärtiges Rot
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sich forterhalten und als „Repräsentant“ fungieren? Kann man mit der Repräsentationstheorie auskommen? Wäre noch ein Rot da, wirklich erlebt, im selben Sinn wie das frühere Rot, so würde ja das Rot einfach dauern, höchstens abklingen, an Fülle, Intensität abnehmen u. dgl. Und ebenso, wenn wir eine beliebige Phase in der ursprünglichen zeitlichen Zurückschiebung nehmen und fragen, wie da die „abklingenden Inhalte“ Repräsentanten | sein können, wenn wir das Abklingen als eine „Inhaltsveränderung“ annehmen. Die Schwierigkeit wird besprochen auf ältesten Blättern. Jedenfalls liegen hier Einwände gegen meine ursprüngliche Ansicht, meine Repräsentationstheorie, die mit erlebten „Inhalten“ (z. B. sinnlichen Inhalten) operierte und sie je nachdem als so oder so aufgefaßt ansah. Alles bloß Unterschiede der Auffassung, die sich an den übrigens erlebten und im Bewußtsein seienden Inhalt nur anschließe, ihn „beseelend“. Aber eine solche Interpretation dürfte ganz unhaltbar sein, und es ist die besondere Aufgabe, hier völlig Klarheit zu schaffen. 〈 Nr. 49 Haben wir im Jetztpunkt ein Kontinuum von primären Inhalten gleichzeitig und d a z u gleichzeitig ein „Auffassungs“-Kontinuum? 〉1
Faßt man Wahrnehmung und Vergegenwärtigung, wie es in den hier vorliegenden alten Blättern noch geschieht, als eine Art Produkt von Auffassungsinhalten und besonderer Auffassung auf, so ergibt die Kontinuität der Wahrnehmungsauffassung ( Jetztauffassung und Kontinuum der primären Erinnerungsauffassungen) den gegenwärtig dauern den Gegenstand; und in modifizierter Weise den wiedererinnerten Gegenstand, in einer vergangenen Gegenwart dauernd gewesen. Sogleich erhebt sich die Frage: Kann wirklich prinzipiell derselbe Inhalt in zeitlich verschiedener Weise aufgefaßt werden, und dann z. B. auch identisch derselbe Inhalt zugleich in diesen verschiedenen 1
[R. Bernet: Datierung: Nr. 49 und Nr. 50 sind nicht vor September 1909 und somit sicher später als Nr. 51 und Nr. 52 entstanden.]
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Weisen aufgefaßt werden? Ein und derselbe Inhalt, derselben Inhaltsbestimmtheit, wird einmal in der Weise des Jetzt, und zugleich in der Weise des Primär-vergangen aufgefaßt. Überlegen wir zunächst Allgemeineres. Im Kontinuum der Wahrnehmung eines dauernden Gegenstandes entspricht jeder Phasen der Dauer ein eigener Inhalt. Der Gegenstand breitet sich in der Zeit aus, in der Dauer ist er derselbe Gegenstand, aber derselbe dauernde Gegenstand ist zeitlich ausgedehnt, und dieser Ausdehnung entsprechend ist er zeitlich zu teilen, jedem Zeitteil entspricht ein anderes Zeitstück des Gegenstandes. Das Vergangene ist vergangen mit allen Bestimmtheiten, die die Zeitfülle ausmachen. Die Zeitfülle ist von Phase zu Phase eine andere, höchstens eine völlig gleiche, | nämlich im Falle der Unveränderung. Der Gegenstand ist derselbe. Aber er ist die Einheit der Dauer seines sich – sei es unverändert erhaltenden, sei es sich verändernden – Zeitinhalts. Notwendig muß daher auch jedem Zeitinhalt, dem Inhalt jeder Zeitstrecke und jedes Zeitpunktes, eine andere Repräsentation entsprechen. Denn in der Anschauung der gegenständlichen Dauer bzw. des Gegenstandes in seiner Dauer soll das Kontinuum seiner Stücke und Phasen einheitlich angeschaut und gegeben sein. Anschauung eines Kontinuierlichen ist selbst notwendig ein Kontinuum, Anschauung einer Dauer ist selbst gewissermaßen dauernd, sie ist ausgebreitete Anschauung, und jeder Phase der angeschauten Dauer entspricht eine Phase der Anschauung, als Anschauung von ihr. Also jedem Stück, jeder Phase der angeschauten dauernden Gegenständlichkeit entspricht eine eigene „Repräsentation“, eine eigene Teilanschauung, mit „Auffassung“ und „repräsentierenden Inhalten“. Doppelte „Auffassung“ würde besagen, daß die Zeit sich sozusagen schneidet, daß eine vergangene Phase des Gegenstandes identisch ist mit der gegenwärtigen. Der Gegenstand ist in der Dauer derselbe, aber der „vergangene Gegenstand als solcher“, sein Vergangensein, nicht identisch mit seinem Jetztsein. Der Hauptsache nach gilt das Gesagte von jeder Interpretation unabhängig: nämlich ob wir die Zeitanschauung nach dem Schema „Auffassungsinhalt – Auffassung“ interpretie-
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ren oder nicht. Unter allen Umständen haben wir die apriorische Notwendigkeit anzuerkennen, daß die Anschauung der Dauer ein Kontinuum in phansischer Hinsicht ist, und in jeder Phase haben wir Anschauung einer Zeitphase des Gegenstandes und dabei in gewisser Weise zu unterscheiden den immanenten Inhalt, der den gegenständlichen Inhalt „repräsentiert“, zur Erscheinung bringt, und die „Auffassung“, in der sich das Erscheinen bekundet. Das betrifft aber die „Erscheinung“ abgesehen von der Zeitlichkeit – es wird ein Haus (das dauernd dasteht) zur Erscheinung gebracht, in jeder Phase der Zeitanschauung, oder ein Baum usw., oder der Ton einer Geige (mag für solche Gegenstände die „Erscheinung“ auch ihre wesentlichen Unterschiede haben, gegenüber den primären Dinglichkeiten). Jedenfalls ist das, was nachher den Zeitunterschied konstituiert, | eine „Auffassung“ in einem grundwesentlich anderen Sinn, und doch wieder etwas von der gegenständlichen Auffassung prinzipiell Unabtrennbares. Der Gegenstand konstituiert sich als solcher nur in der Zeitauffassung, im Zeitbewußtsein, als dauernder, sich verändernder oder nicht verändernder. Welchen Sinn soll es nun haben, daß die im jeweiligen Jetzt vorhandenen Inhalte durch die Auffassung, die sie erfahren, als zeitliche Gegenständlichkeit dastehen? Zunächst, das Jetzt des Bewußtseins wird gegenübergestellt dem Jetztpunkt des Gegenstandes. Das Haus steht da als gegenwärtig, als gegenwärtig dauernd. Und das Bewußtsein vom Jetzt ist selbst ein Jetzt, und das Bewußtsein von der dauernden Gegenwart selbst eine dauernde Gegenwart. Ich kann aber auch so sagen: Dieser Becher erscheint dauernd. Aber nicht nur das. Die Bechererscheinung, die Darstellung des dauernden Bechers von dieser bestimmten Seite und alles, was dazu gehört, die Darstellungen der Bestimmtheiten dieser Becherseite, die Darstellungsinhalte und ihr Darstellen selbst, das erscheint dauernd. Dieses Erscheinen ist Erscheinen eines „Immanenten“. Der Blick ist jetzt anders gewendet, nicht auf den Becher, sondern auf die Becherdarstellung (Bechererscheinung). Was ist da der „Inhalt“, der im Zeitbewußtsein verschiedene „Auffassung“ erfährt? „Sinnlicher Inhalt“ und „Erscheinungsbewußt-
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sein“ (Darstellen), und ebenso im anderen Fall, nur daß der „Blick“ anders gewendet ist. Der dauernde Becher steht immer als solcher da, auch wenn ich die dauernde Erscheinung von ihm „beachte“, und umgekehrt, dauernde Erscheinung ist immer da, auch wenn ich den Becher als solchen beachte. Auch dieses Beachten, dieses Hinblicken und Meinen ist etwas, was Objekt der Reflexion sein kann und seine „Zeitstelle“ hat. Zum Jetzt des beachteten Bechers gehört des Jetzt des Beachtens, und zum Vorhin des beachteten Bechers das Vorhin-beachtetgewesen-sein; usw. Indem Reflexion auf das Beachten statthat, ein Beachten des Beachtens, so ist auch dieses Beachten zweiter Stufe ein Jetzt und hat seine Einordnung in einen zeitlichen Zusammenhang, in das Zeitfeld, und notwendig haben all diese Zeitfelder Beziehung aufeinander: Das Jetzt des Beachtens ist nicht ein anderes als das Jetzt des Beachteten – es gibt sich als dasselbe, das Jetzt | der Erscheinung des Bechers wieder als dasselbe mit dem Jetzt des Bechers; und ebenso für die Vergangenheitspunkte. Zum Wesen der Erscheinung des Bechers, der da dauert bzw. als dauernder dasteht, gehört, daß sie eine kontinuierliche Ausbreitung hat, und zwar zum Jetztpunkt des Bechers gehört schon ein Kontinuum der Erscheinung, in dem das anschauliche Nicht-Jetzt zur momentanen Anschauung kommt. Der primäre Kern der Erscheinung hat darin mit seine Ausbreitung. Was ist das für eine Ausbreitung? Haben wir im Jetztpunkt ein Kontinuum von primären Inhalten gleichzeitig und d a z u gleichzeitig ein „Auffassungs“-Kontinuum? Indem wir in dem ins Auge gefaßten Jetztpunkt dem „Bewußtsein“ von der Gegenständlichkeit, von unserem Becher, selbst ein Jetzt zuschreiben, ist sicher alles darin gleichzeitig, und zwar „jetzt“, was zu diesem Bewußtsein „reell“ gehört. Darf man nun sagen, daß reelle Bestandstücke darin seien: eine Ausbreitung von primären Inhalten (nämlich der primären Inhalte, die den Phasen der anschaulichen Dauerstrecke des Bechers entsprechen) – und die damit einige Ausbreitung von Auffassungen, die das Sich-darstellen des Bechers besorgen? Und ist das, was die Zeitausbreitung zum Bewußtsein bringt, ein sich modifizierender Bewußtseinscharakter, so
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etwas wie eine höhere Auffassung oder etwas der Auffassung Analoges? Zunächst ist zu bemerken, daß dieselben primären Inhalte Verschiedenes darstellen, durch verschiedene Dingauffassung verschiedene Dinge zur Erscheinung bringen können. Von der Kontinuität der Zeit-„Auffassung“ gilt das nicht. Ganz im Gegenteil: Die primären Inhalte, die im Jetzt sich ausbreiten, können ihre Zeitfunktion nicht vertauschen, das Jetzt kann nicht als Nicht-Jetzt, das Nicht-Jetzt nicht als Jetzt dastehen. Schließlich könnte ja 〈 andernfalls 〉 das ganze Kontinuum der Inhalte als Jetzt und somit als eine Koexistenz angesehen werden, und dann wieder als eine Sukzession. Das ist evident unmöglich. Sehen wir aber genauer zu. Wir sprechen von den primären Inhalten, die alle im Jetztpunkt vereinigt sind, und darin auch vereinigt mit ihren Auffassungen: beiderseits eine zur Deckung kommende Kontinuität. In dieser Kontinuität soll der Grenzpunkt das Jetzt des Gegen | standes als Repräsentant zur anschaulichen Darstellung bringen, die übrigen Punkte der kontinuierlichen Reihe nach die Gewesenheitsphasen des Gegenstandes. Kann aber eine Serie von koexistenten primären Inhalten jemals eine Sukzession zur Anschauung bringen? eine Serie gleichzeitiger Rot-Inhalte eine Dauer eines Rot, eines Tones c u. dgl.? Ist das prinzipiell möglich? Nehmen wir eine immanente dauernde Gegenständlichkeit, wie sie ja überall auch im Falle transienter Gegebenheiten (in Form der Erscheinung von ihnen) vorliegt. Dann würde der ausgewählte Jetztpunkt der Zeitanschauung etwa des dauernden Tones c simultan enthalten eine Kontinuität von c-Phasen. Und die wären simultan, sie wären alle zumal jetzt. Und ebenso im Falle des Rot: wir hätten simultan eine Kontinuität von Rot-Punkten, etwa wie Rot-Punkte kontinuierlich eine Fläche (im Jetztpunkt ihres Seins) ausfüllend. Wären nun diese simultanen Inhalte zugleich auch als sukzessive auffaßbar, so wäre also aufgrund identischer Inhalte sowohl Anschauung von Koexistenz als von Sukzession möglich, und evidenterweise auch möglich, daß dieselben Inhalte, die da simultan
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koexistierten (und das sollten sie hier überall im Bewußtsein des Jetzt), zugleich auch sukzessiv wären, und das ist absurd. Das gilt nicht nur von den primären Inhalten, sondern auch von den Dingauffassungen, und somit von den ganzen Erscheinungen. In Wahrheit zeigt keine Analyse, die sich an die Phänomene selbst hält, daß in einem Jetztpunkt des Bewußtseins vom Gegenstand eine solche Kontinuität der Erscheinung mit ihren primären Inhalten und Auffassungscharakteren vorliegt, die es zu sagen gestattete, es sei reell in diesem Jetzt eine Kontinuität der Erscheinung gegeben, und dies so verstanden, daß die dem Jetztpunkt des Gegenstandes entsprechende Erscheinung (Wahrnehmungserscheinung in einem engsten Sinn) eine Ausbreitung in Form der Simultaneität hätte: oder als ob die verschiedenen Phasen der im betreffenden Jetzt lebendigen Daueranschauung alle wirklich reell gleich, und gleich jener Grenzerscheinung, der Erscheinung des gegenständlichen Jetzt wären. Vielleicht ist es besser, das an einer Melodie zu exemplifizieren, | wo ja die Verhältnisse wesentlich analog liegen müssen. Der eben vergangene Ton, sofern er in die Präsenzzeit (in das aktuell anschauliche Stück der Melodie in dem ausgewählten Jetztpunkt) fällt, ist noch bewußt, aber nicht in dem Sinne, als ob er wirklich reell „empfunden“, in der Weise eines Jetzt-Tones da wäre. Ein Jetzt-Ton, der dinglich als Jetzt dasteht, ist notwendig repräsentiert durch einen Jetzt-Ton-Inhalt, der ebenfalls als Jetzt charakterisiert ist. Der noch lebendige, „noch“ im Blick des Zeitanschauens stehende Ton ist nicht mehr, und was zu seiner Erscheinung gehört, ist nicht „Ton-Empfindung“ (ein aktuelles Jetzt), sondern „Nachklang“ der Empfindung, eine Modifikation, die kein primärer Inhalt im aktuellen Sinn mehr ist (kein immanentes Ton-Jetzt), sondern etwas Modifiziertes: ein Bewußtsein vergangener Empfindung. Darin ist aber kein wirklicher Ton zu finden, sondern Ton-Gewesenes. Kurzum, es ist eine radikale Änderung, und eine Änderung, die nie und nimmer beschrieben werden kann in der Weise, wie wir Empfindungsveränderungen beschreiben, die wieder zu Empfindungen führen. Empfindung ist ihrem Wesen nach
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Jetztbewußtsein (oder Erscheinung einer Dauer, die ein Jetzt einschließt). Die Kontinuität ist eine Kontinuität von Bewußtseinsänderungen, die nicht etwa angesehen werden dürfen als Produkte, die einen überall gemeinsamen Bestandteil – etwa Ton c, Rot u. dgl. – enthalten, während die Veränderung auf Rechnung von neuen Momenten, genannt Auffassung, zurückzuführen ist. Es verhält sich hier genau so wie mit dem Unterschied zwischen Empfindungs-Rot und reproduktiver Wiedervergegenwärtigung von Rot. Man darf den Bewußtseinsgehalt nicht verdinglichen, man darf Bewußtseinsmodifikationen nicht umfälschen in prinzipiell andere Modifikationen etc. 〈 Nr. 50 〉 Die primäre Erinnerungsmodifikation1
Der Ton c setzt ein und dauert, so und so sich nach Intensität verändernd. Die Dauer 〈 ist 〉 ausgefüllt mit „Ton wechselnder | Intensität“, stetig. Zu jedem Punkt der Dauer 〈 ist 〉 ein TonInhaltspunkt gehörig. Dabei aber schließt sich an das Empfindungsbewußtsein von diesem Punkt (wir nehmen irgendeinen beliebigen, ausgenommen den ersten Einsatzpunkt) eine Serie 1
Die Aufzeichnung ist mit Sicherheit zu datieren auf den Zeitraum zwischen dem 15. Oktober 1908 und dem Sommersemester des Jahres 1909. Denn Husserl bezieht sich einerseits in ihr auf die Schrift von Hugo Bergmann, Untersuchungen zum Problem der Evidenz der inneren Wahrnehmung, Halle a. S. 1908; und auf dem Umschlag seines Exemplars dieser Schrift, das im Husserl-Archiv zu Löwen erhalten ist, hat Husserl vermerkt: „Vom Verf. 15. X. 08“. Andererseits hat Husserl von einer bestimmten Stelle der Aufzeichnung ab (siehe unten, S. 333) den Begriff der „Retention“ in einem Sinne eingeführt (und dann nachträglich auch in den vorangehenden Teil der Aufzeichnung eingetragen), wie er in seinen Vorlesungen des Sommersemesters 1909 bereits festgelegt erscheint (siehe Nr. 51, S. 335 ff.). Husserl selbst scheint die Blätter dieser Aufzeichnung zur Einfügung in das ursprüngliche Manuskript seiner Vorlesungen über das Zeitbewußtsein vom Februar 1905 bestimmt zu haben; ein Stück der Aufzeichnung ist auch im ersten Absatz von § 11, S. 29 f., noch wiedergegeben, wie des näheren unten vermerkt wird. – Anm. d. Hrsg. [R. Bernet: Datierung nicht vor September 1909.]
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von Abschattungen der früheren Punkte an (ein kontinuierliches Urerinnerungsbewußtsein), und zum Einsatzpunkt gehört, wenn wir der Dauer entlang gehen, eine kontinuierliche Abschattungsreihe von Erinnerungen an ihn. Für jeden Zeitpunkt der Dauer haben wir eine Bewußtseinskontinuität, die befaßt: die Bewußtseinsphase Urempfindung-vom-Jetztpunktdes-Tones (den Ton-Inhalt, der in diesem Punkt „jetzt“ ist, in ihm „empfunden“ ist), und die Serie der Erinnerungen an ihn (in denen er kontinuierlich als immer mehr „vergangen“ bewußt ist), und diese Serie der Erinnerungen ist für jedes Jetzt eine andere und ist selbst stetig abgewandelt. Halten wir zunächst einen Jetztpunkt (einen Punkt der objektiven Dauer, die zur Erscheinung kommt) fest. Wie sieht etwa die „primäre“ Erinnerung an den Einsatzpunkt aus? (Das ursprüngliche Vergangenheitsbewußtsein.) Der Terminus „Erinnerung“ befaßt normalerweise „Meinung“. Die Meinung richtet sich etwa eben auf diesen Einsatzpunkt. Die Meinung lebt im Erinnerungsphänomen. Das ist aber ein Stetiges im konkreten Fluß des Bewußtseins, und so lebt die Meinung darin, daß sie intentional durch diese stetige Serie hindurch auf den Anfangspunkt gerichtet ist; und so für jeden Punkt. Wie ist das nun zu verstehen? Wir haben erstens das Urempfindungsbewußtsein, das absolut originäre Bewußtsein, das, in dem der jeweilige | TonPunkt als selbstgegenwärtig, als jetzt leibhaft dasteht.1 Dieses ist in beständiger Wandlung begriffen. Darin besteht der Fluß, der eine absolute Gegebenheit ist. Und die Konstitution eines Selbstgegenwärtigen, eines Selbst in der Form Jetzt, setzt die Kontinuität voraus. Urempfindung ist etwas Abstraktes.2 Und beschreiben wollen wir etwas als absolute Gegebenheit, zu fin1
Nachträgliche Randbemerkung im Manuskript: „Ich sage Urempfindung, das bezeichnet die unselbständige Phase der Originarität; Empfi ndung schlechthin bezeichnet das ganze zeitkonstituierende Bewußtsein, in dem sich ein immanenter sinnlicher Inhalt konstituiert“. – Anm. d. Hrsg. 2 Die beiden vorangehenden Sätze sind vermutlich nachträglich in das Manuskript eingefügt. – Anm. d. Hrsg.
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den in dem Erscheinen der betreffenden Dauer, und für jeden zu erhaschenden Punkt dieser Dauer. Die Wandlung besteht darin, daß das leibhafte Ton-Jetzt stetig1 sich modifiziert (scil. bewußtseinsmäßig: „im“ Bewußtsein) in ein Gewesen, und daß stetig ein immer neues Ton-Jetzt das in Modifikation übergegangene ablöst. Aber wenn das Bewußtsein vom Ton-Jetzt, die Urempfindung, übergeht in retentionale2 Erinnerung, so ist diese Erinnerung selbst wieder ein Jetzt, nämlich gehörig zu einem neuen Ton-Jetzt3, d. i. die Erinnerung ist selbstgegeben, aktuell4, Leibhaftiges. Ihr Wesen besteht darin, daß, während sie selbst Aktuelles4, Leibhaftiges ist, und nicht selbst Ton, sie Erinnerung von gewesenem Ton ist. Die Meinung kann sich auf das Jetzt richten: die „Erinnerung“. Die Meinung kann sich richten auf das Erinnerte. Jedes Jetzt, 〈 jedes 〉 Aktuelle des Bewußtseins4, unterliegt aber dem Gesetz der Modifikation: es wandelt sich in primäre „Erinnerung“ von „Erinnerung“; und das stetig, d. h. es ist ein stetiges Kontinuum der „Erinnerung“ (Retention2) derart, daß jeder spätere Punkt Erinnerung, Retention2 ist für jeden früheren. Und jede Erinnerung ist schon Kontinuum; nämlich der Ton setzt ein, und stetig setzt „er“ | sich fort. Das Ton-Jetzt wandelt sich in Ton-Gewesen (das Empfindungsbewußtsein, das der Ton-Gegebenheit, geht der Folge des Flusses entsprechend fließend über in immer neues Erinnerungsbewußtsein). Da haben wir, den Fluß entlang gehend oder mit ihm gehend, eine stetige Serie der Erinnerung, Retention5, die zum Einsatzpunkt des Tones gehört. Aber nicht nur das. Jeder frühere Punkt dieser 1
Von etwa hier ab bis S. 327 ist der Text der Aufzeichnung mit einigen Abwandlungen in § 11, S. 29 f., wiedergegeben. – Anm. d. Hrsg. 2 Die Worte „retentional“ und „Retention“ sind hier überall nachträglich von Husserl zwischen den Zeilen eingefügt; vgl. unten, S. 333, Anm. 2. – Anm. d. Hrsg. 3 〈 Spätere Bleistift-Randbemerkung: 〉 Aber das ist nicht Jetzt im selben Sinn, und nicht beides gleichartig zeitlich. 4 Die Worte „aktuell“, „Aktuelles“ und „〈 jedes 〉 Aktuelle des Bewußtseins“ sind hier überall nachträglich von Husserl mit Bleistift zwischen den Zeilen eingefügt. – Anm. d. Hrsg. 5 Siehe S. 326, Anm. 4 [s. o., Anm. 2]. – Anm. d. Hrsg.
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Serie schattet sich als ein Jetzt wieder ab im Sinne der „Erinnerung“, und stetig also schließt sich an jede solche Erinnerung eine Kontinuität von Erinnerungsabschattungen an, und diese Kontinuität ist selbst wieder ein Punkt der Aktualität1, ein „ Jetzt“, das sich erinnerungsmäßig abschattet. Das führt auf keinen unendlichen Regreß dadurch, daß jede Erinnerung in sich selbst kontinuierliche Modifikation ist, die sozusagen in Form einer Abschattungsreihe das Erbe der ganzen vorangegangenen Entwicklung in sich trägt. Es ist nicht so, daß bloß in der Längsrichtung des Flusses jede frühere Erinnerung durch eine neue ersetzt ist, sei es auch stetig; sondern jede spätere Erinnerung ist nicht nur kontinuierliche Modifikation, hervorgegangen aus der Urempfindung, sondern kontinuierliche Modifikation aller früheren stetigen Modifikationen desselben Einsatzpunktes, d. h. sie ist selbst, dieser Erinnerungspunkt, ein Kontinuum. Muß man nicht vielmehr sagen: Bewußtsein von einem Kontinuum? Bewußtsein, das stetig alles frühere Erinnerungsbewußtsein in Vergangenheitsmodifikation intentional in sich birgt? nicht aber reell? Das gewiß. Aber dann ist es selbst eine Stetigkeit des Bewußtseins: Jede Phase darin ist Bewußtsein einer früheren Erinnerungsphase des EinsatzTones, und so, daß, wenn wir zwei solche Phasen vergleichen, die spätere in gewisser Weise mit auf das Gegenständliche der früheren bezogen ist. Die Erinnerung, die ich jetzt an den Einsatzpunkt des Tones habe, ist eine Einheit der Erinnerung, zu der auch die Erinnerungen an die Erinnerungen, die ich soeben an dieselbe Tonphase hatte, gehören. Und jede so erinnerte Erinnerung ist, voll genommen, eine Einheit, die auch die Erinnerungen an die Erinnerungen 〈 umfaßt 〉, die in bezug auf dieselbe Tonphase vorangegangen | waren. (Dabei ist immer zwischen Erinnerung selbst und Erinnerungsmeinung wohl zu unterscheiden.) Die Sache ist natürlich noch viel komplizierter, weil, was vom Einsatz-Ton-Punkt gilt, auch für jeden neuen Punkt des Tones in seiner Dauer gilt. 1
Die Worte „ein Punkt der Aktualität“ sind nachträglich von Husserl mit Bleistift zwischen den Zeilen eingefügt. – Anm. d. Hrsg.
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Die Unendlichkeit – worin soll sie bestehen? Vgl. Brentanos Einwand bei Hugo Bergmann, 〈 S. 〉 82 (Schrift über die „innere Wahrnehmung“)1: Ein Kontinuum von unendlich vielen Dimensionen soll sich ergeben, wenn die „innere Wahrnehmung“ in jedem Zeitpunkt auf Gegenwärtiges und Vergangenes gerichtet ist: Meine innere Wahrnehmung ist auf Gegenwärtiges und Vergangenes gerichtet, die von ihr erfaßte vergangene innere Wahrnehmung wieder auf Gegenwärtiges und Vergangenes etc.2 Da sind Unendlichkeiten ineinander geschachtelt, und unendlich viele Male. Das aktuelle Jetzt umschließt erinnerungsmäßig ein Kontinuum der Vergangenheit. Jedes neue Jetzt schließt diese Kontinuität der Erinnerung wieder ein, das wieder neue Jetzt das neue Erinnerungskontinuum etc., und so stetig. Wir haben ein Kontinuum von Kontinuen, und jedes angeschlossene Kontinuum ist von jedem anderen verschieden: Die Erinnerung an eine Erinnerung ist niemals identisch mit einer schlichten Erinnerung. Ist das nicht eine Absurdität? Eine Kontinuität, die andere Kontinua einschließt, ist möglich, und sogar unendlich viele Kontinua. Die Kontinuität der Strahlen in einem Strahlenbündel: es ist ein Kontinuum, dessen Punkte selbst Kontinua sind. Hier haben wir ein zweidimensionales Kontinuum; bzw. dreidimensionales. Wie in unserem Falle? Haben wir wirklich ein Kontinuum von unendlich vielen Dimensionen? Haben wir nicht vielmehr ein zweidimensionales | Kontinuum? Was ändert sich konti1
Siehe oben, S. 324, Anm. 1. – Anm. d. Hrsg. 2 Die fragliche Stelle, a. a. O., lautet: „Denn nicht nur meine gegenwärtige, auch meine vergangene innere Wahrnehmung war danach teils auf Gegenwärtiges, teils auf Vergangenes gerichtet, und ebenso die von dieser als vergangen erfaßte und so weiter in stetiger Folge. Ein Kontinuum von unendlich vielen Dimensionen scheint sich schon daraus zu ergeben. Und weiters scheint zu folgen, daß unsere innere Wahrnehmung, wenn sie stets eine noch so kleine Zeitspanne umfaßt, unser ganzes psychisches Leben umfassen muß“. Bergmann vermerkt dazu in einer Fußnote: „Ich hörte diesen Einwand im Sommer 1906 von Herrn Professor Brentano“; a. a. O., S. 82, Anm. 1. – Anm. d. Hrsg.
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nuierlich? Der Ton-Punkt (Einsatzpunkt) ist empfunden. Die Empfindungsgegebenheit geht stetig über (in der Linie des Flusses) in Erinnerungsgegebenheit. Also das stetige Kontinuum der Erinnerungen, das nur die Eigentümlichkeit hat, daß stetig auch jede Erinnerung Erinnerung der vergangenen Erinnerung ist. „Nur“ – liegt etwa da die Schwierigkeit? Wie kann dasselbe Phänomen Erinnerung an t0 und Erinnerung an die Erinnerung von t0 sein?1 Bei jeder gewöhnlichen Bewegung ist die „Erzeugung“ irgendeiner Phase aus der Anfangsphase t0 (wie wir 〈 sie 〉 der Einfachheit halber bezeichnen wollen) zugleich Erzeugung aus jeder beliebigen vermittelnden Phase. Diese Analogie zeigt, worauf wir hinaus wollen. Das Bewußtsein der Erinnerung, das ich jetzt von dem Einsatzpunkt t0 habe, zeigt mir ihn in einer gewissen Vergangenheit (ein gewisses „Vorhin“), und es ist notwendig auch Erinnerung von allen früheren primären Erinnerungen davon, deren jede stetig ein anderes „Vorhin“ hat. Und das Objekt dieser Erinnerungen ist immer der Einsatzpunkt, nur daß jeweils dieser in einer jeden ein anderes relatives Vorhin erinnerungsmäßig mit sich führt, da eine jede ihr Jetzt hat, das auch ein erinnertes Jetzt ist. Besteht nun die Unendlichkeit von Unendlichkeiten nicht darin, daß, was reell von der jetzigen Erinnerung an t0 gilt, erinnerungsmäßig und intentional von jeder Erinnerung an 〈 diesen Punkt 〉 gilt, die in der jetzigen Erinnerung beschlossen sein soll? Ich glaube nicht. Das sieht man aus der Zeichnung, die ich jetzt passender als im Kolleg2 so machen möchte: Die objektive Dauer zeichnen wir mit ihren Punkten auf die Abszissenachse O X, und zeichnen unter irgendeinem Winkel, der keine symbolische Bedeutung gewinnen soll, eine Gerade O E. Die Kontinuität in dieser Richtung soll die Erinnerungskontinuität in folgender Weise andeuten: | 〈 Spätere Bleistift-Randbemerkung: 〉 Ich muß scheiden zwischen Erinnerung an t0 und Retention der Urempfindung von t0. Diese Retention verwandelt sich stetig in neue Retentionen, von selbst. In bezug auf t0 sind sie Erinnerungen von immer mehr Herabsinkendem. 2 Nämlich offenbar in den Zeitvorlesungen des Februar 1905. – Anm. d. Hrsg. 1
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t 20 t 10 O
t0
t1
t 21
t2
t3
t4
X
Die Ordinate gibt das Erinnerungskontinuum. In t1 z. B.: Der Endpunkt ist die Abschattung, die in t1 der Einsatzpunkt des Tones, der in t0 zu tönen beginnt, hat. In t2 hat derselbe Tonpunkt die Modifikation t 02 = erfahren, inzwischen der t1-Punkt die Modifikation t 12. t 01 (die Erinnerung, die ich 〈 in 〉 t1 von t0 habe) hat die Modifikation t 02 erfahren. Und so hat die ganze Ordinate t1 – t 01 eine Verschiebung, d. i. eine Modifikation erfahren 〈 nach 〉 t 12 – t 02. Die Ordinate im ganzen ist ein Erinnerungskontinuum, und jede spätere enthält die Erinnerung jeder früheren in sich. Alles, was die Ordinate an Punkten enthält (an Erinnerungen), ist in ihrem Zeitpunkt „gleichzeitig“ (aktuelles Erlebnis). Die Modifikation in der E-Richtung ist dem Allgemeinen und Prinzipiellen (sozusagen) nach immerfort dieselbe. Und so kann t 03 auch als Erinnerung von t 02 von t 01 etc. gefaßt werden; und ebenso für die ganzen Ordinaten. Denn die sind ja ein „ Jetzt“, z. B. in t2 ist die Ordinate die „empfundene“ Erinnerung an das vorgängige Tonstück, und dieses Ganze geht in Erinnerung über in A A'. Aber ist das richtig? Kann, beliebig, jede solche Strecke als Erinnerung jeder vorgängigen aufgefaßt werden? Nun, ich denke so: Ganz beliebig können wir das nicht. Aber wenn 〈 ich 〉 in t3 auf die Erinnerung von t2 achte, wo ein Ton wirklich der
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Beachtung | sich aufdrängte, so erscheint mir in eins mit 〈 der 〉 Erinnerung an diesen Ton wirklich als mit ihm „gleichzeitig“ eine Erinnerung an das Vorangegangene. Also in A achte ich auf das vergangene t und fasse zugleich in dem übrigen Erinnerungskontinuum mit dem Meinen so Stellung, daß ich es als Erinnerung an t2 – t 02 ansehe. Ich bin normalerweise – oder oft – in t3 auf die ganze Tonreihe t0 – t3 gerichtet: dann habe ich das Bewußtsein eben dieser Tonreihe. E t 30 E
E-
t0
R
t ich
un
t 20 = E(t 0 in t 2)
g
t 10
t1
t 21 = E(t in t ) 1 2
t2
A
t3
Die Fächerung wäre noch besser nach unten umgeklappt, um etwas vom Heruntersinken bildlich anzudeuten.1
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Die Frage ist nun, ob all das ganz korrekt ist. Habe ich in der Erinnerung (und zwar der „primären“, 〈 in der 〉 Retention2), die ich von einem Stück Melodie oder Tonbewegung habe, damit zugleich eine Erinnerung an die Erinnerungen, die zu jedem Tonpunkt oder einzelnen Ton gehörten? nämlich als etwas zu Unterscheidendes? Nach meiner jetzigen | Darstellung nicht. Das Erinnerungsbewußtsein 1
Es handelt sich um eine Randbemerkung Husserls zu der Zeichnung. – Anm. d. Hrsg. 2 Das Wort „Retention“ ist nachträglich zwischen den Zeilen eingefügt. – Anm. d. Hrsg.
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der Tonreihe ist in sich selbst zugleich Erinnerungsbewußtsein an die Erinnerungen, die zu jedem Ton-Jetzt gehört hatten1. De facto: Kann ich in der Erinnerung der Tonreihe, wenn ich ihr zugewendet bin, diese Erinnerungen extra finden? Doch wohl nicht. Und nun ergibt sich die Schwierigkeit: Habe ich nicht auch eine Erinnerung an die Bewegung des Flusses, an das Aufkommen immer neuer Jetzt, an die Entwicklung, die aus dem t0 die Kontinuität der Ordinaten hervorgehen ließ? Droht hier nicht der unendliche Regreß? Um das Bewußtsein der Tonfolge zu haben, muß ich das Bewußtsein der Folge der Erinnerungskontinua (der Ordinaten) haben. Muß ich nicht, um dieses zu haben, wieder eine zweite Zeichnung machen, und so in infinitum? Aber ich meinte ja gerade, daß es das Wesen der Modifikationsart ist, daß sie diesen unendlichen Regreß nicht aufkommen läßt. Das geht ja auch aus der Zeichnung hervor. Indem t0 in t1 t2 … übergeht, bilden sich eben die Erinnerungsreihen, die wir als Ordinaten bezeichnen, heraus, und es gehen zugleich die Ordinaten ineinander über. Geht objektiv t0 in t3 über, und wieder, ebenso objektiv, der Inhalt der Ordinaten in der Abszissenrichtung, so geht bewußtseinsmäßig t0 in t 01 t 02 … über, dann t1 – t 01 in t 12 t 02, und da sich immer neue Ordinaten bilden, so gehen eben dadurch die gebildeten diesen selben Weg der Bewußtseinsmodifikation. Aber heißt das etwas anderes, als daß eben die Ordinaten ineinander übergehen und daß hier das Übergehen selbst nichts anderes ist als Übergehen der Erinnerungsmodifikation? Oder besser: Der Fluß des Bewußtseins ist zwar selbst wieder Au fein a n de r folge , aber er erfüllt von selbst die Bedingungen der Möglichkeit des Be w u ß t se i n s d e r Fol ge . Eine Empfindungsreihe, die keine Erinnerungsreihe ist, kann aber nur dadurch als zeitliche Folge bewußt werden, daß sie in angegebener Weise Erinnerungsreihen begründet. An die Empfindung muß sich primäre Erinnerung als ein Neues anschließen, damit das Bewußtsein von ihr nicht | 〈 Spätere Bleistift-Randbemerkung: 〉 Hier wird Erinnerung in Doppelsinn genommen: Erinnerung an die Gegenstände – Reproduktion der Akte. 1
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verloren gehe, damit sich Dauer des Empfindungsinhalts und zeitlicher Gegenstände, etwa Empfindungsveränderung (reale Veränderung), soll konstituieren können. Dagegen, was den Fluß der Erinnerung anlangt, so braucht sich an die neu eintretende Erinnerung nichts weiter anzuschließen, weil sie selbst schon in sich die „Erinnerung“ der vorgängigen Erinnerung impliziert. (Retention.1) Indessen, ist das ganz richtig? Die Frage ist doch, wie ich „Wahrnehmung“ vom Fluß gewinnen soll, analog wie die Wahrnehmung von der Tonbewegung. Habe ich nun jemals Wahrnehmung vom Fluß? Kann ich nicht phänomenologisch eine Stellung einnehmen, derart daß ich statt auf die Töne auf das Bewußtsein, auf die Folge der Ton-Jetzt mitsamt ihren Erinnerungsschwänzen achte? Es scheint also doch, daß wir die Zeichnung ins Unendliche wiederholen müßten. Das ist unausdenkbar. Liegt eine Absurdität darin, daß der Zeitfluß wie eine objektive Bewegung angesehen wird? Ja! Andererseits ist doch Erinnerung etwas, das selbst sein Jetzt hat, und dasselbe Jetzt etwa wie ein Ton. Nein. Da steckt der Grundfehler. Der Fluß der Bewußtseinsmodi ist kein Vorgang, das Jetzt-Bewußtsein ist nicht selbst jetzt. Das mit dem Jetzt-Bewußtsein „zusammen“ Seiende der Retention2 ist nicht „jetzt“, ist nicht gleichzeitig mit dem Jetzt, was vielmehr keinen Sinn gibt: Der Fehler wird schon gemacht, wenn man die Retention in bezug auf die früheren Bewußtseinsphasen als Erinnerung bezeichnet. Erinnerung ist ein Ausdruck, der immer nur Beziehung hat auf ein konstituiertes Zeitobjekt; Retention aber ein Ausdruck, der verwendbar ist, um die intentionale Beziehung (eine grundverschiedene) von Bewußtseinsphase auf Bewußtseinsphase zu bezeichnen, wobei Bewußtseinsphasen und Bewußtseinskontinuitäten selbst nicht selbst wieder angesehen werden dürfen als Zeitobjekte. 1
Das Wort „Retention“ ist hier noch nachträglich zwischen den Zeilen eingefügt. – Anm. d. Hrsg. 2 Von hier ab erscheint das Wort „Retention“ im ursprünglich niedergeschriebenen Text des Manuskripts selbst. – Anm. d. Hrsg.
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Also Empfindung, wenn damit das Bewußtsein ver | standen wird (nicht das immanente dauernde Rot, Ton etc., also das Empfundene), ebenso Retention, Wiedererinnerung, Wahrnehmung etc. ist unzeitlich, nämlich nichts in der immanenten Zeit. (Inwiefern es objektivierbar ist in der Natur, in der „objektiven Zeit“, ist eine eigene Frage.) Das sind höchst wichtige Sachen, vielleicht die wichtigsten der ganzen Phänomenologie. |
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〈V. Zum ersten Abschluss der Untersuchungen 〉1 〈 Nr. 51 Das Zeitproblem in der phänomenologischen Fundamentalbetrachtung 〉2
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Vermöge der Intentionalität der cogitatio oder des „Bewußtseins“, wie wir auch sagten, umspannt die Phänomenologie, die wir auch als Wissenschaft vom reinen Bewußtsein bezeichnen könnten, in gewisser Weise all das, was sie sorgfältig ausgeschaltet hat, sie umspannt alle Erkenntnis, alle Wissenschaften, und in gegenständlicher Hinsicht alle Gegenständlichkeiten, auch die gesamte Natur. Die Wirklichkeit der Natur, die Wirklichkeit von Himmel und Erde, von Menschen und Tieren, von eigenem Ich und fremdem Ich schaltet sie freilich aus, aber sozusagen ihre Seele, ihren Sinn behält sie zurück. Die Natur, bzw. Dinge, reale Vorgänge, Zusammenhänge, sind für uns Objekte der vorwissenschaftlichen oder wissenschaftlichen Erkenntnis, der Erkenntnis in ihren vielgestaltigen Besonderungen, als Selbstwahrnehmung, Wahrnehmung von anderen psychischen Wesen, Wahrnehmung von physischen Dingen, Erinnerung, Erwartung, dann Wahrnehmungs- und Erinnerungsurteil, dann mittelbares Denken in seinen verschiedenen Besonderungen usw. Nun, all das sind Erlebnisse und Erlebniszusammenhänge, die, wie ihren reellen, so ihren intentionalen | Gehalt besitzen und die in diesen Hinsichten 1
Anfang 1909 bis Ende 1911. – Anm. d. Hrsg. 2 Diese Aufzeichnung ist vom Hrsg. dem Manuskript der Vorlesungen entnommen, die Husserl im Sommersemester 1909 unter dem Titel Einführung in die Phänomenologie der Erkenntnis an der Universität Göttingen gehalten hat. Das vollständige Manuskript dieser Vorlesung liegt im Husserl-Archiv zu Löwen unter den Signaturen FI 18, F I 17 und F I 7 vor; vgl. dazu S. 269, Anm. 2. Der hier wiedergegebene Ausschnitt wurde nach unten wiedergegebenen Datennotizen Husserls niedergeschrieben bzw. erstmals vorgetragen im Mai und Juni 1909. – Anm. d. Hrsg.
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nach phänomenologischer Reduktion studiert werden. Jede Gegenständlichkeit kommt da als intentionale vor, ebenso wie jede Erkenntnisart, die auf solche Gegenständlichkeit ihrem Wesen nach sich bezieht. Dinge als Wirklichkeiten mögen dahingestellt bleiben, aber Dinge als Phänomene, könnten wir sagen, gehören in die Phänomenologie. Allerdings tritt dabei ein unvermeidlicher Doppelsinn des Wortes Phänomen uns entgegen. Einerseits heißt Phänomen (im Sinne der Phänomenologie immer verstanden) die jeweilige reelle cogitatio, das reelle Bewußtsein, und fürs zweite aber auch der intentionale Inhalt des Bewußtseins, das in der betreffenden Wahrnehmung, Vorstellung, Meinung Gemeinte, Wahrgenommene, Vorgestellte als solches. Dem eigentlichen Wortsinn besser entspricht der zweite Begriff von Phänomen. Es ist eben das φαινόμενον, das, was erscheint, und erweitert, das Gemeinte, auch das unanschaulich Gedachte, als solches, abgesehen aber von Wirklichkeit oder Unwirklichkeit. So sprechen wir im gewöhnlichen Leben davon, es sei der Regenbogen nichts Wirkliches, sondern bloß Erscheinung, oder es sei ein im Stereoskopbild, ein im Kunstwerk Dargestelltes ein bloßes Phänomen, eine bloße Erscheinung. Erscheinung ist also hier das Erscheinende als solches; freilich wird man nicht jedes Gemeinte als solches im gewöhnlichen Leben als Erscheinung bezeichnen, z. B. ein Gedachtes, aber nicht Angeschautes. Es liegt also eine sehr starke Extension des Ausdrucks vor, wenn wir in der Phänomenologie unter dem Titel Phänomen auch Gedachtes als solches befassen. Auf der anderen Seite nun hat sich von der Psychologie her der Sprachgebrauch eingebürgert, die psychischen Akte selbst, die Wahrnehmungen, Vorstellungen, Urteile usw., als psychische Phänomene zu bezeichnen, und demgemäß ergibt sich auch nach der phänomenologischen Reduktion der Name Phänomen zur Bezeichnung der reduzierten Akte selbst. Es heißt also Erscheinung bald soviel wie Erscheinen (Bewußtsein, in dem erscheint) und bald wieder soviel wie Erscheinendes. Wo eine scharfe Bezeichnung des Phänomens im Sinne des Aktes selbst nötig ist, als des Bewußtseins, dem etwas erscheint, wer-
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den wir von Phansis sprechen, und jede reelle Analyse von | Bewußtsein scharf pointieren als phansiologische Analyse. Für die Phänomene im ursprünglicheren und naturgemäßeren Sinne werde ich wohl einen besonderen Namen ersparen müssen; man könnte ja freilich sagen Phantom oder Phantasma, was aber seine starken Unzuträglichkeiten hätte. In meinen Logischen Untersuchungen habe ich bei der Rede von Phänomenologie immer an die Akte gedacht und sie als Wissenschaft von den Akten in rein immanenter Betrachtung verstanden. Eine Wissenschaft von den Akten führt nun von selbst auf nicht nur reelle, sondern auch intentionale Analysen, also auf Sinnesanalysen. – Wir beginnen heute mit der Frage, ob denn mit den Betrachtungen der letzten Vorlesungen genug geschehen ist, um die allgemeine Möglichkeit einer Wissenschaft vom reinen Bewußtsein zu sichern. Scheinbar haben wir durch passende Interpretation der cartesianischen Fundamentalevidenz ein grenzenloses Feld von absoluten Gegebenheiten, reellen und ideellen, bezeichnet, und es erscheint als selbstverständlich, daß dieses wissenschaftlicher Behandlung fähig sei. Indessen, Etablierung von phänomenologischer Wissenschaft hat ihre besonderen Schwierigkeiten, welche natürliche Wissenschaft nicht kennt. Haben wir irgendeine Sorte von Naturobjekten oder Naturvorkommnissen im einzelnen exemplarisch aufgewiesen und erregen sie unser theoretisches Interesse, so werden wir uns nicht lange besinnen, ob wir sie wissenschaftlich erforschen können. Wir werden einfach anfangen. Das ist ja selbstverständlich, daß, nachdem solche Objekte als existierend aufgewiesen sind, sie sich in der Natur, im raum-zeitlichen Zusammenhang unabhängig von der zufälligen Erkenntnis des Erkennenden fixieren, daß sie sich als Beziehungspunkte naturgesetzlicher Abläufe von Veränderungen bestimmen lassen. Wir können hier zunächst an eine objektiv fixierende Beobachtung herangehen, dann weiter Aufgaben der Klassifikation, der Feststellung empirisch allgemeiner Zusammenhänge in Angriff nehmen, desgleichen dann die Aufgaben der kausalen Analyse, in der sich die funktionellen Abhängigkeiten der Veränderungen herausstellen, wir wer-
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den aufsteigen zu den allgemeinen Naturgesetzen und mittels derselben kausale Erklärung | individuell gegebener und bestimmter Objekte vollziehen oder von den gegebenen aus noch nicht gegebene der Zukunft im voraus bestimmen oder objektiv vergangene Vorgänge, die uns nicht gegeben waren, feststellen. Wie steht es aber in der phänomenologischen Sphäre? Hier ist das einzelne Bewußtsein, der Akt, nicht gemeint als psychologische Einzelheit. Wäre er so gemeint, dann wäre er etwas objektiv Fixierbares und in seiner Identität, gegenüber den auf ihn bezüglichen wechselnden Erlebnissen, ein für allemal Bestimmbares. Er wäre es als Bestandstück der einen raumzeitlichen Natur; er hat ja Anknüpfung an einen Leib, ein physisches Ding so gut wie ein anderes, mit bestimmbarer Stellung in Raum und Zeit. Durch die Beziehung auf den Leib gewinnen die Raum und Zeit messenden Apparate Anwendbarkeit auf das Psychische, das nun objektiv bestimmbar ist nach seiner Zeitstelle, Zeitdauer, nach seinen inhaltlichen Momenten und ihrer funktionellen Abhängigkeit von dem Zentralnervensystem usw. Auch hier die Möglichkeiten der Vorausbestimmung des künftig eintretenden Psychischen oder der Rekonstruktion des Vergangenen. Jede Bestimmung findet ihren objektiven Ausdruck in Aussagen, die aufgezeichnet und immer wieder in Identität ihrer gegenständlichen Bedeutung in Anspruch genommen werden können. Diese Inanspruchnahme vollzieht sich in immer neuen Akten verschiedener psychophysischer Individuen, Akten und Individuen, die aber zufällig sind gegenüber dem objektiv Festgestellten, gegenüber dem identischen Sinn der objektiv gültigen Aussage. Wie aber, wenn wir phänomenologische Reduktion vollziehen, und unter Ausschaltung der Natur sowie aller problematischen transzendenten Setzung uns auf die absolute Gegebenheit der cogit a tio zurückziehen? Bleibt da noch eine Möglichkeit für objektiv gültige Urteile? Wir vollziehen also irgendwelche Akte (cogitationes), Akte der Wahrnehmung, Erinnerung, Erwartung, des Urteils u. dgl. Rein in ihrer Selbstgegebenheit fassen wir sie, nicht bloß die in der cogitatio gesetzte Natur, sondern auch die Naturexistenz des eigenen Ich
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B. Ergänzende Texte
und des | Aktes als seines Zustandes schalten wir aus. Damit sind offenbar alle Bestimmungsmittel der Naturwissenschaft ausgeschaltet, kein Maßstab, kein Theodolith oder Katheter, keine Uhr, kein Chromoskop bleiben uns erhalten. Sie alle verfallen dem Bann der phänomenologischen Reduktion. Was behalten wir übrig? Die reine cogit atio, das Dies-da! Diese Wahrnehmung etwa, und nicht einmal als die unsere. Die Anknüpfung an das empirische menschliche Ich ist also verloren gegangen, damit die Beziehung zum Raum. Aber auch seine Beziehung zur objektiven Zeit. 〈 Der Wahrnehmungsakt etwa 〉 ist zwar ein Jetzt, und ein vom Jetzt zum immer neuen Jetzt sich Forterstreckendes, er dauert. Und er dauert, indem er sich zugleich nach seinen reellen Bestandstücken so oder so verändert, und dabei etwa auf ein so und so sich veränderndes Objekt als Gemeintes gerichtet ist. Die Zeit, die da auftritt, ist keine objektive und keine objektiv bestimmbare Zeit. Die läßt sich nicht messen, für die gibt es keine Uhr und keine sonstigen Chronometer. Da kann man nur sagen: Jetzt, vorher, und weiter vorher, in der Dauer sich verändernd oder nicht verändernd etc. Wie sollen sich, wenn alle naturwissenschaftlichen Hilfsmittel, als Mittel erfahrungsmäßiger Bestimmung, ausgeschaltet sind, wissenschaftliche Aussagen etablieren? Sie sollen sich auf die reinen Selbstgegebenheiten der cogitatio beschränken. Wie weit reicht denn der Umfang der Selbstgegebenheit? Man wird doch nicht den Gesamtbereich von cogit a tio n es, den das betreffende Ich gehabt hat, und nun gar haben wird, als den Umfang seiner zu phänomenologischen Forschungen verfügbaren und wissenschaftlich bestimmbaren cogitationes ansehen. Sind denn so weit reichende Aussagen als phänomenologische überhaupt zu machen? Eine Wahrnehmung aktuell vollziehend, kann ich in der Reflexion sagen: Dies-da, und kann sie mit dem schauenden Blick in reiner Immanenz verfolgen, solange sie eben dauert. Ich kann auf ihre reellen Gliederungen, soweit sie sich immanent abheben, achten, dann auch auf das Gemeinte als solches und seine sich dabei abhebenden Bestandstücke; und kann das zum Ausdruck bringen. Aber ist die Aus | sage nicht völlig gebunden an das aktuelle Phänomen während seiner Dauer? Mit ihm kommend und mit ihm ver-
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schwindend, jedenfalls ihre in Anspruch zu nehmende Geltung alsbald wieder verlierend? Die Wahrnehmung dauert ihre Zeit, phänomenologisch gesprochen, sie fängt an, dauert, und verschwindet wieder, wie wenn ich z. B., es empirisch auszudrükken, meinen Blick wegwende. Dahin ist dahin. Kehrt der Blick in die alte Lage zurück, so ist es eben eine neue Wahrnehmung. Was bleibt also von der alten Aussage, die ja nicht von dieser jetzigen Wahrnehmung spricht, übrig? Nun wird man sagen, es schließt sich an die Wahrnehmung nach Abwendung des Blikkes, und so an jedes abgelaufene Bewußtsein, ein Bewußtsein der Retention an, und zudem können in späteren Momenten des Bewußtseinsstromes Wiedererinnerungen auftauchen, die sich auf die früher gehabte Wahrnehmung, auf das früher vollzogene Urteils-, Gefühls-, Willensbewußtsein zurückbeziehen. Werden diese Wiedererinnerungen in passender Weise phänomenologischer Reduktion unterzogen, wird also auch in ihnen nicht Gebrauch gemacht von der Wirklichkeit des früher wahrgenommenen Blütenbaumes, von meinem früheren Ich und dem zu ihm gehörigen Naturzusammenhang, so erstreckt sich nun der phänomenologische Blick über den früheren Bewußtseinsstrom, über das früher stattgehabte Kommen und Gehen, Dauern, Sich-verändern der Akte. Und das ist das Feld der Phänomenologie. Aber nun kommt die Skepsis. Die Wiedererinnerung ist ein aktuelles Phänomen, das wir in seinem Dies-da! fassen können. Sie bezieht sich etwa auf eine frühere, phänomenologisch reduzierte Wahrnehmung. Daß sie das tut, das macht ihren intentionalen Gehalt aus, und auch den können wir als das Wiedererinnerte fassen, es ist ein zur Wiedererinnerung gehöriges, und zwar als Absolutes Gegebenes. Aber wie steht es denn mit der Frage, ob das Wiedererinnerte wirklich gewesen sei? Mit der Frage der Geltung der Wiedererinnerung? Sie bezieht sich auf die frühere Wahrnehmung, und setzt | sie als wirklich gewesen. Das sehen wir ihr an, das ist gegeben. Aber muß denn diese Setzung eine gültige sein? So wie die Wahrnehmung eines Naturseins Setzung einer Natur ist, welche Setzung wir aber ausschalten (nämlich ihrer Geltung nach in der Phänomenologie dahingestellt sein lassen), weil
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hier ein Rätsel vorliegt, genau so scheint doch die Geltung der Wiedererinnerung in unsere phänomenologische Klammer gestellt werden zu müssen, da auch sie das Phänomen der Wiedererinnerung transzendiert und uns zum Rätsel werden läßt. Dasselbe, was von der Wiedererinnerung gilt, scheint auch gelten zu müssen von dem unmittelbar auf das abfließende Phänomen folgenden Bewußtsein, das wir Retention nennen. Somit scheint es, daß wir in unseren phänomenologischen Aussagen ganz gebunden sind an die aktuellen Phänomene, an die Phänomene in ihrer wirklichen Präsenz; solange das Phänomen dauert, solange ist das da, was sie als phänomenologisch seiend setzen, und als so und so beschaffen. Und ist das Phänomen vorüber, so verliert die Aussage das Geltungssubstrat. Wir hätten also phänomenologisch nicht einmal das Recht, von einem Bewußtseinsfluß, von einem Ablauf von immer neuen Akten zu sprechen. Von einem gegebenen Akt zurückblickend, dürften wir nur diesen Akt des Rückblickens feststellen und das in ihm Erschaute nur als Gemeintes in Anspruch nehmen, nicht aber als wahrhaft Gewesenes. Somit ist alles Aussagen gleichgültig, wir haften ja doch nur am Dies-da!, das jeweils das einzige ist, wovon wir sprechen dürften. Und natürlich wäre unsere ganze bisherige Reflexion mit betroffen. Die Ausschaltung der Natur hätten wir vollzogen, fordert man aber von uns auch Ausschaltung derjenigen Transzendenz, die in der Erinnerung und Retention liegt, dann sind wir zu Ende in dem Moment, wo wir angefangen haben. Es ist ja leicht zu sehen, daß wir eine gewisse Gültigkeit der Erinnerung und Retention vorausgesetzt haben. Im übrigen führt der Zug der Skepsis noch immer weiter. Wie steht es denn mit dem aktuellen Phänomen, dem wirklich vollzogenen Bewußtsein, und dem darauf gerichteten Schauen? | Eine Wahrnehmung möge anfangen. Aber schon geht das Jetzt in das Nicht-Jetzt über und ein neues Jetzt ist da. Wir sagen, die Wahrnehmung dauere. Diese Dauer hat einen Endpunkt, das fließende Jetzt, und eine Strecke von gewesenen Jetzt, eine Extension also in die Vergangenheit. Überall also haben wir Retention. Transzendiert nun nicht der schauende Blick, indem er die dauernde Wahrnehmung als solche setzt,
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das reell allein Gegebene, das Jetzt, und setzt etwas mit, was nicht mehr reell gegeben ist: die Kontinuität der gewesenen Wahrnehmungs-Jetzt? Müssen wir nicht auch das ausschalten, und uns zurückziehen auf das wahrhaft Gegebene, das absolute Jetzt und immer neue Jetzt? Natürlich hat es dann auch mit allem Aussagen ein Ende. Denn worauf bezieht sich die Wahrnehmung, wenn ich sage, sie richte sich auf das intentionale Objekt des blühenden, jetzt im Winde so und dann so bewegten Objekts? Können wir nicht die Einheit in der Dauer durchhalten, die Einheit, als Einheit der Veränderung und Unveränderung sich erstreckend durch die Kontinuität der soeben gewesenen Jetzt, dann ist auch nichts auszusagen. Das Aussagen fließt ja selbst, wie soll es das Jetzt fixieren, das im Fixieren immer wieder ein neues wird? Viel weniger als absoluter Skeptizismus ist also das nicht. Ja wir können getrost sagen, es ist absoluter Skeptizismus. Wir sind offenbar auf Irrwege geraten. Wie finden wir uns zur Vernunft und Klarheit wieder zurück? Da heißt es natürlich, auf den Sinn der ursprünglichen Fragestellungen und auf den Sinn der Evidenzen, welche das Fraglose aussondern, rekurrieren. Naturerkenntnis ist problematisch. Aus welchen Gründen? Weil sie auf unmittelbare Natur Setzungen rekurriert, die prinzipiell, ihrem Wesen nach, nicht den Charakter von selbstgebenden Setzungen haben, oder was dasselbe, weil sie prinzipiell die Möglichkeit offen lassen, daß Naturwahrnehmung, trotz ihrer Prätention, Natur zur Gegebenheit zu bringen, täusche, also in Wahrheit keine | Natur zur Gegebenheit bringe. Diese ganze Fragestellung wäre in sich sinnlos, wenn nicht Erkenntnis selbst zur absoluten Gegebenheit zu bringen wäre und wenn es nicht fest und zweifellos wäre, daß sie Erkenntnis des und des jeweiligen Inhalts wäre, Erkenntnis von Naturdasein, z. B. daß die Wahrnehmung Wahrnehmung gerade von dem blühenden Baum ist u. dgl.; und wenn sich darüber nicht Aussagen machen ließen, die, ungleich den Aussagen über Natur, nicht nur gültige, sondern fraglos gültige Aussagen wären, fraglos, sofern sie eben nichts weiter tun als absolut Gegebenes zum absoluten Ausdruck zu bringen. Nun half uns die cartesianische Evidenz dazu, uns dessen zu versichern, daß diese
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Voraussetzungen für die Vernunftproblemstellung erfüllt sind, die ja evidenterweise auch Voraussetzung für jede Problemstellung überhaupt sind. Ist mir irgendetwas problematisch, so ist mir das mindestens absolut gewiß, daß es problematisch ist, und von da geht es weiter zur Evidenz der cogitatio überhaupt und des darin Cogitierten. Absolute Selbstgegebenheit ist also sicher kein leeres Wort. Wir haben sie, auch wenn wir alle Naturexistenz, auch die empirische Ich-Existenz, in der phänomenologischen Reduktion ausschalten. Die Frage wird also sein, wie weit sie reicht. Und da ist es ganz offenbar, daß der schauende Blick, indem er z. B. auf Wahrnehmungserscheinung und das Wahrgenommene als solches gerichtet ist, er dieses in seiner Dauer immanent faßt, als absolute Selbstgegebenheit, und daß die Beschränkung auf das Jetzt, das im stetigen Fluß ist, eine Fiktion wäre. Damit ist schon gesagt, daß die in der Erfassung der Dauer abklingenden Phasen des eben verflossenen Jetzt nicht verloren gegangen sind, und es ist offenbar als absolute Selbstgegebenheit in Anspruch zu nehmen, daß der Wahrnehmung schon eine Retention einwohnt, in der Eben-Vergangenes in seiner Einheit mit dem Jetzt und dem immer neuen Jetzt zur absoluten Selbstgegebenheit kommt. Blikken wir den blühenden Baum entlang, so kommt der Baum in einer Zeitgestalt zur Gegebenheit, und hören wir ein Stück Melodie, so hören wir nicht, den abstraktiv herauszudenkenden Jetztpunkten gemäß, | bloß einzelne Töne oder gar Momente von einzelnen Tönen, gar mathematische Ton-Jetzte, sondern wir hören dauernde Töne, und zwar Töne, sich verbindend zu einer Tongestalt, und diese ganze Tongestalt erfassen wir als stetig sich aufbauende und als das Gehörte, und die Einheit der gesamten Wahrnehmungserscheinung dieser Tongestalt erfassen wir als absolute Selbstgegebenheit in dem auf sie gerichteten stetig einheitlichen Blick. Und ist die ganze Tonphrase dahin, so faßt die Retention noch das Eben-gewesen der gesamten Phrase, die da abgelaufen ist, und die gesamte Wahrnehmungserscheinung in der Weise einer eben gewesenen und nicht mehr Momente der aktuellen Wahrnehmung enthaltenden. Dabei trifft die Evidenz das Eben-gewesen-sein, wodurch eine Beziehung des Gegenständlichen zum fließen-
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den Jetzt mitgegeben ist, und von diesem ist es nicht ablösbar. Das alles in phänomenologischer Reduktion, unter beständiger Ausschaltung gegenwärtiger oder gewesener Naturwirklichkeit. Sagt man, in reeller Wirklichkeit ist nur das Jetzt gegeben, so antworten wir: Hier wollen wir nicht um reelle Wirklichkeit oder Nichtwirklichkeit streiten, sondern nur absolute Feststellungen, wahrhafte Selbstgegebenheiten, die gegen allen vernünftigen Zweifel gesichert sind, gewinnen, und die haben wir. Das Vergangene prätendiert hier nur als Vergangenes, das Jetzt nur als Jetzt, in der Einheit des selbstgebenden Bewußtseins selbstgegeben zu sein. Das sagen wir aus, ehrlich wie wir es schauen und haben. Es mag hier eine Sphäre von Problemen sein, nämlich gerichtet auf analytische Herausstellung der Arten und Komponenten solcher Selbstgegebenheit, aber problematisch im Sinne, in dem die Naturerkenntnis problematisch ist, ist hier nichts. Gewiß transzendiert die Retention, die ein jetzt lebendiger und zur Selbstgegebenheit zu bringender Akt ist, 〈 sich 〉 selbst und setzt etwas als seiend, nämlich als vergangen seiend, was ihr nicht reell einwohnt. Aber was hier zu lernen ist, ist dies, daß innerhalb der Sphäre absoluter Selbstgegebenheit eine transzendente Geltung auftritt, die unbestritten ist und bleiben muß, sofern sie das ihr reell Transzendente nicht nur meint, sondern in | offenbar gültiger Weise setzt, in absolut gültiger Weise, und nicht, wie es bei der äußeren Wahrnehmung statthat, in einer Weise, die immer Möglichkeiten der Nichtgeltung offen läßt. Nicht ganz so gut steht es freilich mit der Wiedererinnerung, wie wenn eine Erinnerung auf taucht, die nicht in der Weise der Retention das eben Gewesene als solches nur festhält in seiner Kontinuität zum fortfließenden aktuellen Jetzt. Auch in ihr können wir phänomenologische Reduktion üben, sofern wir das Naturdasein, das in die Wiedererinnerung eintritt, ausschalten, aber das bewahrt sie, allgemein zu reden, nicht von der prinzipiellen Möglichkeit der Täuschung. Andererseits wird man auch innerhalb der phänomenologischen Reduktion sich überzeugen, daß Wiedererinnerung nicht immer vernünftig zweifelhaft ist, mindestens in jeder Hinsicht zweifelhaft ist,
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nämlich wenn wir 〈 durch 〉 einen kontinuierlichen Weg der Erinnerung von ihr zum Jetzt und vom Jetzt durch Retention hindurch und durch stetig wiederauflebende Retention hindurch wieder zurückgelangen zu dem in der Wiedererinnerung Gesetzten. Doch das ist Sache besonderer Untersuchung. –1 Vergegenwärtigen wir uns den Stand unserer Meditationen vor den Pfingstferien2. Das Leitproblem, das über die Stufe der natürlichen Erkenntnis und Wissenschaft hinaustrieb, war das „Problem der Transzendenz“, und zunächst das der Transzendenz der Natur. Oder, um den lässigen und mißdeutlichen Ausdruck zu erläutern: Es war das Problem, wie das erkennende Bewußtsein in seinem Fluß mannigfach gestalteter und ineinander gewobener Erkenntnisakte 〈 sich 〉 selbst transzendieren und in gültiger Weise eine Gegenständlichkeit setzen und bestimmen kann, die in 〈 ihm 〉 nach keinem Bestandstück reell zu finden ist, in 〈 ihm 〉 nie und nirgends zu absolut zweifelloser Selbstgegebenheit kommt, während sie doch dem Sinn der Naturerkenntnis gemäß an sich existieren soll, ob sie zufällig erkannt wird oder nicht. Von da aus schien sich das Problem in unbestimmt allgemeiner Weise zu erweitern: Wie ist Erkenntnis von irgendeinem | in ähnlichem Sinn an sich Seienden möglich, wie ist ihr objektiver Geltungsanspruch zu verstehen und vor der widersinnigen Skepsis, zu der die Reflexion immer wieder zu drängen scheint, zu schützen? Wir sahen, daß Untersuchungen, die uns in diesen Beziehungen helfen sollen, der Forderung der phänomenologischen Reduktion unterstehen. Es ist nichts anderes als die Forderung, des hier bewegenden Problems und seines eigentlichen Sinnes beständig eingedenk zu bleiben und dem kein anderes Erkenntnisproblem zu unterschieben. Darin liegt aber, daß wir nichts als vorgegeben voraussetzen, nichts als Prämisse verwenden, keine Untersuchungsmethode zulassen dürfen, welche selbst mit dem Problem behaftet ist. Hinsichtlich der Naturerkenntnis besagt das: Die Untersuchung, welche die Möglichkeit der 〈 Am Rand: 〉 26. 5. 1909. Pfi ngstferien. 2 〈 Am Rand: 〉 9. 6. 1909. Rekapitulation des bisherigen Ganges der Vorlesungen. Wiederholung. 1
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Naturerkenntnis in dem vorhin bezeichneten Sinn betrifft, kann nicht selbst den Charakter naturwissenschaftlicher Erkenntnis haben, kann nicht selbst naturwissenschaftliche Untersuchung sein. Ohne ernstlich Skeptiker zu sein, müssen wir genau so verfahren, als wären wir hinsichtlich aller Naturexistenz skeptisch: Keine Existentialsetzung von Natur darf in Anspruch genommen werden. Physiologie, Biologie, Psychologie, alle Naturwissenschaften überhaupt sind in gleicher Weise in Frage, bleiben in gleicher Weise ausgeschaltet. Einen Anfang bot nun die cartesianische Fundamentalbetrachtung. Die cogitatio ist eine absolute Gegebenheit, die nicht mit dem Problem der Transzendenz behaftet ist. Gegenüber Descartes’ Abirrung und gegenüber der sich auf Descartes berufenden Lehre von der Evidenz der inneren Wahrnehmung und ihrer angeblich grundlegenden Bedeutung für die Erkenntnistheorie stellten wir fest: Die absolute Gegebenheit der cogit a tio besagt nicht cogit o, sum und bedeutet auch nicht Existenz des sogenannten psychischen Phänomens im Sinne der Psychologie. Das Schauen der phänomenologischen Reflexion, die, auf das Erlebnis des Zweifelns, der Urteilens, Wollens u. dgl. hinblickend, gleichsam sagt: Dies, und es damit schauend faßt und setzt, ist nicht psychologische Selbstwahrnehmung. | Es schien nun, daß wir mit dem Feld der reinen cogit a tion es, befreit von aller mitverflochtenen empirischen Existenzsetzung, sei es der Setzung der cogitierten Natur, sei es derjenigen des cogitierenden ego, ein brauchbares und independentes Forschungsgebiet gewonnen hätten, eine Phänomenologie, wenn wir jene reinen cogitationes Phänomene nennen. Es schien, daß wir diese Phänomene analysieren, die Ergebnisse der Analyse zu adäquat beschreibendem Ausdruck bringen, daß wir sie getreu klassifizieren können u. dgl. Die Sphäre solcher Forschung schien dabei alsbald sehr viel umfassender zu sein, als wir es zunächst dachten. Es schieden sich reelle Analysen von intentionalen Analysen. Es zeigte sich, daß an den cogitationes nicht bloß reelle Bestandstücke aufgewiesen werden können, und zwar als solche, die in der Analyse zu absoluter Selbstgegebenheit gebracht werden können; zum
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Wesen der cogitationes gehört, daß sie sich „intentional“ auf etwas beziehen, daß in ihnen ein Gegenständliches erscheint oder sonstwie in ihnen „gemeint“ 〈 ist 〉, und das Erscheinende als solches, das Gemeinte als solches kann evident beschrieben, kann in intentionaler Analyse zu absoluter Selbstgegebenheit gebracht werden, sei es auch in bezug zur cogitatio. Wahrnehmend, können wir das Wahrgenommene beschreiben, so wie es da erscheint, als dasjenige, als welches es diese Wahrnehmung gleichsam meint, als welches es in ihr dasteht: mag es sich nun mit Existenz oder Nichtexistenz und mit Möglichkeit der Wahrnehmungserkenntnis verhalten wie immer. Und ebenso bei anderen cogitationes. In gewisser Weise gehört also das 〈 Sich- 〉selbst-transzendieren zum Wesen der cogit a tio nes, es ist jeweils eine absolute Gegebenheit, daß sogenannte Dingwahrnehmungen, Urteile u. dgl. etwas meinen, was sie nicht selbst sind, oder daß zweierlei absolute Urteile, Selbstgegebenheit ausdrückend, möglich sind, solche, die das Sein der cogit ationes mit ihrem reellen Bestande setzen, und solche, die ihre Beziehung auf ihnen nicht reell Immanentes und den Inhalt des nicht Immanenten betreffen. Verschiedene Begriffe von Seiendem scheinen sich da zu spalten: Das Seiende im Sinn der Wirklichkeit oder Natur, | das wir aber hier in seiner Wirklichkeit nicht in Anspruch nehmen dürfen. Das Seiende im Sinn des Bewußtseins, nämlich der cogitatio, endlich das Cogitiert-seiende, z. B. das Fingiertsein in der Fiktion, das wir zwar nicht als wahrhaftes Sein gelten lassen, das wir aber andererseits als Fingiertes, als Cogitiertes doch mit Evidenz bezeichnen und seinem Inhalt nach, so wie es da gemeint ist, beschreiben können. Nach Erkenntnis dieser Doppelseitigkeit der cartesianischen Evidenz (nach ihrer passenden Reduktion), also auch nach Erkenntnis der wesentlichen Doppelseitigkeit der unter dem Titel reines Phänomen oder reines Bewußtsein bezeichneten absoluten Gegebenheiten, schien sich zu ergeben, daß die Phänomenologie einen immens erweiterten, ja allumfassenden Rahmen erhalten habe. Sie schien alle Erkenntnis und Wissenschaften und in gegenständlicher Hinsicht alle erdenklichen Gegenständlichkeiten, darunter auch die Naturgegen-
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ständlichkeiten zu umspannen. Freilich, die Wirklichkeit der Natur durfte nicht in Anspruch genommen werden, naturwissenschaftliche Feststellungen durften nicht als Prämissen fungieren. Andererseits sind doch absolute Gegebenheiten alle cogit ationes, somit alle unter dem Titel Erkenntnis zu befassenden, alle Wahrnehmungen, Vorstellungen, Erinnerungen, alle Meinungen, welcher Art immer, alle richtigen und falschen, einsichtigen und uneinsichtigen Urteile, und mit all dem natürlich auch all die vorgestellten, gemeinten, eventuell einsichtig erkannten Gegenständlichkeiten, als intentionale Gegenständlichkeiten der betreffenden Erkenntnis-cogitationes. Mit jeder cogitatio ist eben gegeben ihr Sinn, und der Sinn macht eben ihre wesentliche Eigentümlichkeit aus, sich auf die oder jene Gegenständlichkeit zu beziehen. Somit schienen die Auspizien nicht nur für eine Phänomenologie als immanente Analyse des reinen Bewußtseins in reeller und intentionaler Hinsicht, sondern auch für die Lösung des anführenden erkenntnistheoretischen Problems die günstigsten. Denn nun bietet sich folgender Gedanke dar: Ist die Möglichkeit transzendenter Erkenntnis, oder im Sinne des engeren Ausgangsproblems: ist die Möglichkeit der Natur -| erkenntnis ein Problem, so müssen wir im Rahmen der phänomenologischen Reduktion die verschiedenen Erkenntnisarten studieren, in denen Natur zur Gemeintheit, zur bald begründeten, bald unbegründeten Ansetzung und Bestimmung kommt. Durch die Erforschung des phänomenologischen Wesens der Erkenntnis in allen Beziehungen, nach reellem Bestand, nach Sinn, nach Rechtsbegründung oder -entgründung, nach Bestätigung und Widerlegung, müssen sich alle auf die Möglichkeit der Erkenntnis bezüglichen Probleme lösen. Und ein anderer Weg ist durch den Sinn des Erkenntnisproblems gar nicht denkbar. Und ich sagte gleich, alle auf Erkenntnis bezüglichen Probleme, ich meine nämlich alle irgendwie analogen, alle Rätsel der Transzendenz, die Erkenntnis in irgendeiner Sphäre bieten mag. Nun kam aber die Peripetie. Eine neue Meditation lehrte, daß die Möglichkeit einer phänomenologischen Wissenschaft mit all dem Bisherigen nicht hinreichend vorbereitet ist, ja
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daß ihr Schwierigkeiten im Wege stehen, die auf eine absolute Skepsis hinzudrängen scheinen. Die cogitationes nach ihrem reellen und intentionalen Bestande sollen ein Feld der Phänomenologie sein. Aber was für cogitationes? Doch die in cartesianischer Evidenz und phänomenologischer Reduktion gegebenen, also die Erlebnisse im Momente der phänomenologischen Reflexion. Z. B. wenn ich zweifle und mir reflexiv dessen bewußt bin, daß ich zweifle, ist das Gegebensein des Zweifels absolut gewiß, wenn ich wahrnehme, daß ich wahrnehme, wenn ich will, daß ich will. Aber alle Erlebnisse fließen dahin, Bewußtsein ist ein ewiger heraklitischer Fluß, was eben gegeben ist, sinkt in den Abgrund der phänomenologischen Vergangenheit, und ist nun für immer dahin. Nichts kann wiederkehren und zum zweitenmal in Identität gegeben sein. Haben wir also wirklich ein unendliches Feld, und nicht vielmehr immer nur einen Punkt, der kommend alsbald wieder flieht? Nicht die unendliche Fülle von Phänomenen, die der Phänomenologe gehabt hat, und gar die alle anderen Menschen haben und gehabt haben, kommt für uns als Gegebenheit in Frage. Die Natur schalteten wir aus, das eigene Ich wie die fremden Ich, und wir schalteten sie aus um des Rätsels der Transzendenz willen. Aber müssen wir nicht konsequent sein und | diesem Rätsel überall, in allen seinen analogen Gestaltungen nachgehen? Nutzt es etwas, sogenannte Natur ihrer Existenz nach in Frage zu stellen, und gleichstehende Fraglichkeiten unberührt zu lassen? Nie und nirgends ist Natur absolute Gegebenheit, ich verstehe nicht, wie sie angesetzt werden kann, und mit Recht angesetzt werden, dann weiter wissenschaftlich bestimmt werden kann. Bei der cogit atio, in dem Moment ihres reflexiven Gegebenseins, habe ich andererseits absolute Gegebenheit: bei meiner cogitatio, nur daß ich mich selbst ausschalte. Von den cogitationes eines Anderen habe ich natürlich keine absolute Gegebenheit. Der Andere mag sie haben. Aber was nützt seine absolute Setzung, wenn ich sie mit seiner Existenz notwendig mitausschalten muß. Und komme ich nun über eine absolute Gegebenheit und ihre Setzung – Jetzt-Setzung – hinaus? Wir besprachen die Probleme der Retention und Wiedererinnerung. Schon die un-
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mittelbare Retention, die das eben abgeflossene Erlebnis noch im Fliehen hält, aber nur in der Weise des Eben-gewesenen hält, schien mit dem Problem der Transzendenz behaftet zu sein. Die Retention hat ja nicht mehr die cogitatio selbst, die gewesen war. Was nützt mir also die Setzung der cogitatio und das eventuelle beschreibende Urteil, wenn dieses Urteil der eigentlichen Objektivität ermangelt, in den Fluß der cogitationes mit einbezogen ist und, sowie sie dahin ist, nicht mehr statthaben kann? Oder sollen wir nur ein Erinnerungsurteil daraus machen? Aber transzendiert nicht die Retention das Gegebene, indem sie, statt zu setzen „Dieses ist“, vielmehr setzt „Dieses ist eben gewesen“? Und nun gar die Wiedererinnerung. Könnte nicht alle Wiedererinnerung Täuschung sein, könnte sie uns nicht gleichsam versichern, es sei früher einmal etwas gegeben gewesen, während es nie und nimmer etwas gab? Diese Zweifel scheinen sogar die phänomenologische Wahrnehmung zu tangieren. Jede Erfassung eines dauernden Phänomens impliziert mit der Dauererfassung auch Retention. Sollen wir also sagen, nur das absolute Jetzt sei wirkliche Gegebenheit und sei frei vom Problem der Transzendenz, und schon die geringste Erstreckung in die Vergangenheit, die doch zur Dauer wesentlich gehört, sei problematisch? So geraten wir in einen extremen Skeptizismus. | Schließlich dürften wir nicht einmal wagen, von einem Fluß des Bewußtseins zu sprechen und von irgendetwas überhaupt zu sprechen, da das absolute Jetzt nirgends faßbar zu sein scheint, wenn wir den Fluß abstraktiv abzutun und sogar in Frage zu stellen versuchen. Gesetzt aber, jemand würde sich trotzig auf den Boden der cartesianischen Evidenz stellen und sagen, da ist ein wirklicher archimedischer Punkt, den Descartes für alle Zeiten festgestellt habe, an allem mögen wir zweifeln, nur nicht am Sein der cogit a tio, die wir reflexiv als Gegebenheit erfassen, so würden wir auch fragen können, was er denn damit anfangen wolle. Etwa Schlüsse daraus ziehen wie Descartes, die gar zum Dasein Gottes, einer körperlichen und geistigen Außenwelt, einer für sie gültigen Mathematik und Naturwissenschaft führen sollten u. dgl.? Aber ist nicht jeder Schluß, der vom Gegebenen auf Nicht-Gegebenes führt, wieder mit dem Problem der
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Transzendenz behaftet? Der Schluß als cogitatio mag in der Reflexion absolute Gegebenheit sein, aber daß das Erschlossene und Nicht-Gegebene wirklich ist, das gibt wieder ein Rätsel, wie Bewußtsein triftig 〈 sich 〉 selbst transzendieren kann. Am Ende entspricht gar nichts dem Erschlossenen. Sagt man, der Schluß, als richtiger und einsichtiger Schluß, sei begabt mit einem auszeichnenden Charakter der Notwendigkeit oder notwendigen Gültigkeit, einem Gefühl, das beim Fehlschluß mangele, einem Gefühl, das schlechthin untrüglich sei, so werden wir natürlich sagen: Ja das ist eben das Rätsel. Wir wollen nicht etwa Triftigkeit der Schlüsse leugnen, wir sind ja nicht dogmatische Skeptiker, aber wir sind kritische Skeptiker. Wir erkennen an, daß einsichtiger Schluß sich von uneinsichtigem im Bewußtsein irgendwie scheiden muß, wir sind auch herzlich gern bereit, anzuerkennen, daß das Einsichtige objektiv gültig sei und daß der Charakter der Einsichtigkeit objektive Gültigkeit verbürge. Aber wir verstehen nicht, wie es das tue und tun könne. Was kümmert sich nicht-gegebenes Sein um die unseren Schlußerlebnissen anhängenden Charaktere? Und ist, wie man sagt, Einsichtigkeit ein Gefühl und im einsichtig werdenden Irrtum der Falschheitscharakter ein anderes, negatives Gefühl, so fragen wir, ob diese Gefühle nicht ihre Funktionen umkehren | könnten, und wie wir dann dazu kommen sollen, mehr auszusagen, denn es sei einmal das Gefühl a da und das andremal das Gefühl b. Wir aber sagen einmal, das Nicht-Gegebene und Erschlossene sei wirklich, und das andremal, es sei nicht wirklich. All solchen Fragen, Problemen, Zweifeln gegenüber gibt es zunächst nur eine Stellung: Was uns irgendwie bei unserer Denkrichtung hier fraglich ist, müssen wir als fraglich behandeln, und nur festhalten, was unserem Fragen und Erwägen als sinnvollem Fragen zugrundeliegt. Also die cartesianische Evidenz dürfen wir nicht preisgeben, wir müssen sie aber andererseits richtig verstehen, richtig fassen und begrenzen. Auch nicht zu eng begrenzen. Sie appelliert an die absolute Selbstgegebenheit des Zweifels im Zweifel, des Wahrnehmens im Wahrnehmen usw., sie mahnt uns dadurch an das prinzipiell Nicht-Problematische und bezeichnet damit im voraus der Form nach das
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Feld, in dem Problemlösung vonstatten gehen muß. Absolute Selbstgegebenheit ist prinzipiell das Nicht-Problematische im Sinn eben des Transzendenzproblems. Setzung eines Daseins, das nicht im absoluten Sinne selbstgegeben ist, ist rätselhaft, eben weil es nicht selbstgegeben ist. Haben wir und fassen wir etwas selbst, ohne in unserem Meinen, Aussagen, Urteilen über das wahrhaft Selbstgegebene hinaus zu gehen, so hat ein Zweifel keinen Sinn. Wir reden und urteilen ja vielerlei, und nicht bloß in den Tag hinein, sondern aus guten Gründen. Wenn wir Gründe anfordern, wenn wir sie aufgewiesen haben wollen, ist dann nicht überall der Sinn der Forderung eben der, vom gegebenheitsfernen Meinen zurückzugehen auf das ausweisende, selbstgebende Meinen? Wir fühlen mindestens, daß das der Sinn sei. Selbst in der Erfahrungssphäre, wo wir Rückgang der Erfahrungsurteile auf aktuelle Wahrnehmung oder Erinnerung fordern. Das ist so, ich habe es gesehen: damit wird der Zweifel abgeschnitten. Nur freilich, daß sich bei näherer Betrachtung zeigt, daß das empirische Wahrnehmen kein absolut selbstgebender Akt ist und seinerseits wieder | mit dem Problem der Transzendenz behaftet ist. Und nur darum die weitere Untersuchung. Das cogito ist ein absoluter Ausgangspunkt, nicht weil es sich um unsere eigenen psychischen Erlebnisse handelt, sondern weil wir von diesen cogit ationes, wie Descartes sagt, cl a ra e et distinct a e perceptiones haben. Richtiger aber heißt es, weil das hierbei Gesetzte in reiner Selbstgegebenheit gesetzt ist, und damit ist der erste Boden der Untersuchung bezeichnet insofern, als eben alle Transzendenzprobleme der Erkenntnis von der Gegebenheit der Erkenntnis selbst ausgehen müssen, und von all dem, was in ihr selbst, sei es reell, sei es intentional, absolut gegeben ist. Aber da muß man weiter gehen und eben fragen, wie weit diese Selbstgegebenheit reicht, und man darf nicht etwa meinen, das Selbstgegebene biete überhaupt keine Probleme. Das Wesentliche ist, daß es selbstgegeben ist, und daß in der Selbstgegebenheit die Probleme, die sie stellt, selbst, also durchaus immanent zu lösen sind. In diesem Sinn stellten wir schon als absolute Selbstgegebenheit das Dauern und Eben-gewesen-sein in Wahrnehmung, aber auch Retention fest, die Retention ist ebenso ein
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absolut gebender Akt wie die Wahrnehmung, und es ist Sache eines besonderen Studiums, alle in die Sphäre absoluter Gegebenheit fallenden Verhältnisse in diesen Akten zu erforschen. Und von da aus wäre weiter zu gehen. Schon Descartes fragte sich, warum kann die Evidenz des cogito absolut gelten, und was wäre ihr gleichzustellen? Und er sagt, alles, was wir in demselben Sinn clare et distincte percipimus. Aber er hat den eigentlichen Sinn der Sachen nicht erfaßt. Die perceptio, um die es sich hier handelt, ist das reine, zum absoluten Selbst des Gemeinten vordringende oder allen Gestaltungen rein selbstgebender Akte nachgehende Schauen, und wie groß das Feld ist, das werden wir noch ausreichend sehen. | 〈 Nr. 52 〉 Bloße Vorstellungen von Vorgängen oder von individuellen (dauernden) Gegenständen. Evidenz der Gedächtniswahrnehmung, Evidenz der Wahrnehmung von Gegenwärtigem1
Aber die Wahrnehmung von Gegenwärtigem ist doch nur eine Grenze in einer Dauerwahrnehmung, oder vielmehr wir haben zu unterscheiden das Meinen und die Wahrnehmungserscheinung, die immer eine kontinuierliche ist, eine ganze erfüllte Zeitstrecke erscheint, und gemeint ist das Identische, das jetzt ist und im neuen Jetzt immer dasselbe ist. Andererseits meine ich doch nicht die bloße Phase. Ich meine den Ton, und nicht die unauffaßbare flüchtige Jetztphase des Tones, diese bloße Abstraktion. Wenn ich also von adäquater Wahrnehmung spreche – was ist da eigentlich in Frage? Hat es einen Sinn, zu sagen, adäquate Wahrnehmung meint den Präsentanten, so wie er da ist, ein reell in der Wahrnehmung Gegebenes? Der Ton ist adäquat wahrgenommen. Was besagt das? Der Ton bedeutet nichts anderes als 〈 sich 〉 selbst. Aber der Ton ist schon Einheit. Wir haben in jeder äußeren Wahrnehmung einen „sinnlichen 1
Sils-Baselgia, Ende August 1909.
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Inhalt“, wir können darauf hinsehen und finden da einen Gegenstand wie Ton, Farbe etc., der dauert oder sich verändert. Oder vielmehr wir finden mehrere solche Inhalte, eine Ton-, eine Farbeneinheit, 〈 einen 〉 Taktilkomplex. Was gibt denen Einheit? „Das Bewußtsein“, die Einheit der Dingauffassung. Jeden können wir für sich nehmen, wenn wir von der vereinheitlichenden Auffassung absehen, und dann ist er ein präempirisches Ding, wieder eine Einheit, die aber, vom Herausgreifen (insoweit Herausgrenzen) abgesehen, keine Einheit ist wie die empirische Dingeinheit, keine zusammendenkende Apprehension. Die Einheit hegt hier im Inhalt selbst. Er selbst ist ein Inhalt. Und die Wahrnehmung selbst, ist sie nicht auch eine Einheit? Wir haben hier viele Einheiten, aber in der Wahrnehmungseinheit zusammengeflochten, in all dem erscheint ein Ding, steht eines da, etwa eine schwer dahinschreitende Kuh. Einheit der Gesamterscheinung (visuell, taktil etc.) in all der Erscheinungsveränderung. Also Einheit. Diese Einheit ist | immanent gegeben. Jede solche Einheit. Was heißt da „immanent gegeben“? Und wenn ich all die fließenden Momente nehme, in denen sich diese Einheiten konstituieren, so kann man doch nicht wieder sagen, sie seien eben solche Einheiten. Z. B. die TonPhasen, in denen sich der Ton als identischer darstellt, und zwar nicht nur die Jetztphasen, sondern die Vergangenheitsphasen. So eine Phase, und eine Kontinuität von solchen Phasen, ist nicht eine Einheit wie „der Ton“, die Farbe, die jetzt den Gehalt haben und jetzt jenen, die unverändert von der Natur sind und dann wieder von jener. Wir haben also Wahrnehmung, und zwar adäquate Wahrnehmung, als Erfassung von solchen Einheiten, frei von aller „Transzendenz“, was erst festzustellen ist, wie das gemeint sein darf und was darin eigentlich liegt, und andererseits das Erhaschen jener Phasen, jener konstituierenden Inhalte, des Gehalts an lebendig fließendem Bewußtsein. Es ist in gewisser Weise auch Einheit: aber nicht Einheit, die im Fluß als durch 〈 die 〉 Phasen des Flusses, durch die Flußkontinuität hindurch Identisches, Eines gefaßt ist, sondern Einheit in dem Sinn, daß ich den Blick darauf richte und es im Zurücksinken im Fluß
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festhalte und dann in Wiedererinnerung und neuer Wiedererinnerung immer wieder identifiziere. Freilich wird man sagen: Also auch so eine Phase ist Einheit, sie ist gefaßt als Dieses, und indem ich es fasse, sinkt es auch wieder zurück, es hat auch seinen Nachklang, seinen Kometenschweif von Phasen etc., in denen es als dasselbe und eine im Blick gefaßt, gesetzt ist. Und wieder kann ich, möchte man sagen, auf so eine Phase den Blick richten, und auch sie wieder fließt ab. Geht das in infinitum fort? Da liegt eine Schwierigkeit. Es kann nicht in infinitum weitergehen. Ist es nicht das Letzte, wenn ich bei dem Schellen der Postpferde, auf eine Phase eingestellt, nun fest achte auf das Abklingen? Auf die Phasen des Abklingens kann ich nicht in einer neuen Reihe achten. Ich kann wiedererinnern und mich auf solche Abflüsse und Momente darin (abstraktiv) einstellen. Das ist alles. Dann kann ich in der Wiedererinnerung immer wieder sagen „Das da, dieses eine und selbe“. Das ist das Primitivste der Einheit. | Im anderen Falle habe ich aber die Einheit, die sich im Fluß durchlebt, und fürs zweite, diese wie jede Einheit kann ich in der Reproduktion als 〈 die 〉selbe feststellen. Nun Adäquation kann nur bedeuten: Die Einheit wird so erfaßt, „wie sie ist“, und das wird sie, wenn sie in einer Wahrnehmung gefaßt wird, die keine Intention in sich enthält, welche noch erfüllungsbedürftig ist. Die Einheit ist eine geschlossene Einheit, geschlossen, sofern sie in einem Bewußtsein voll und ganz zu geben ist. Einheiten können geschlossen und ungeschlossen sein, sie können über sich hinaus weisende und in immer neuen Akten sich entfaltende Einheiten sein und solche, bei denen das nicht der Fall ist. Wir haben dann die Wahrnehmungen zu scheiden in solche, die auf geschlossene Einheiten gehen, und darin liegt, daß diese Wahrnehmungen von einem Typus sind, daß sie selbst geschlossene Einheiten sind, die ihr Wahrgenommenes zu geschlossener Darstellung bringen; und andererseits in Wahrnehmungen wie die Dingwahrnehmungen, die in infinitum erweitert werden können und erweitert werden müssen, um das Ding angemessen und voll zu geben,
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weil es zum Wesen des Dinges gehört, in infinitum bestimmbar und neu bestimmbar zu sein. Inadäquat heißt hier, die Wahrnehmung geht auf eine Einheit, die ungeschlossen ist, die Wahrnehmung meint die Einheit, aber sie ist nicht voll dargestellt. Die Wahrnehmung ist unvollständig. Andererseits ist nicht etwa die Wahrnehmung selbst evident, sondern nur das Urteil. Und das Urteil ist nicht evident, wenn die Wahrnehmung, die ihm zugrunde liegt, unvollständig ist. Es hat aber einen Evidenzgrad, nämlich gemäß der Vollständigkeit, und evidentes Urteil ist Urteil, das sich nach Gegebenheit richtet, und sofern solche Wahrnehmung Gegebenheit vollzieht (Gegebenheitsbewußtsein ist) und nur im Zusammenhang solcher Wahrnehmung Nach-Gegebenheit-richten sich vollzieht, hat es keinen Sinn, hier mehr zu verlangen als eben dies: Urteilen, und das, was das Urteil sagt (das Ding-Urteil), an der Wahrnehmung ausweisen, soweit eben das Urteil irgend Ausweis fordert. Andererseits, wo kein Ding, sondern ein in sich „geschlossenes“ Objekt das Urteilsobjekt ist, da ist das Urteil evident, wenn | die Wahrnehmung dieses Objekts eben da ist, und sofern die Wahrnehmung hier nichts Unerfülltes enthalten kann (da bei solchen Objekten das keinen Sinn gibt), so hat es keinen Sinn, hier mehr zu fordern etc. Verkehrt ist es auch, bei Dingen Möglichkeiten der geschlossenen Wahrnehmung zu erwägen, ebenso wie es verkehrt wäre, bei solchen individuellen Einheiten, wie es „der Ton“ ist, „inadäquate“, ungeschlossene Wahrnehmungen für möglich zu halten. Die Terminologie wird freilich noch zu bessern sein. In der adäquaten Wahrnehmung ist im „Wahrnehmungsakt“ reell gegeben, was in ihm wahrnehmenderweise gesetzt und gemeint ist. Die Wahrnehmung, dafür können wir sagen: die Erscheinung in concreto, und die ist selbst eine immanente Gegebenheit, und das Erscheinende ist in der immanenten Wahrnehmung die Erscheinung selbst. In der Ton-Erscheinung erscheint was? Nun, er selbst erscheint. Verstehen wir unter Ton-Erscheinung den Fluß der Jetztund Gewesenheitsgegebenheit, in dem der Ton als der eine und
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selbe dasteht (aus dem er als der eine zu entnehmen, in ihm zu setzen ist), so ist dieses Ton-Erscheinen zu unterscheiden von dem erscheinenden Ton. Beim äußeren Ding: Die Erscheinung, das ist hier die Einheit (nicht der Fluß), ev. die Änderungseinheit, wie wenn wir sagen, die Erscheinung ändere sich, es sei eine Kontinuität der Erscheinung. Das alles ist nicht der Fluß des Erscheinens. Scheiden wir also: Nennen wir Erscheinung die Einheit (die individuelle zeitliche Einheit), in der sich ein Objekt „vorstellt“, darstellt, so ist zu sagen: Beim äußeren Ding haben wir Einheit der Erscheinung, welche etwas von ihr Verschiedenes darstellt, sofern das Wahrnehmungsbewußtsein ein solches ist, daß einerseits Erscheinung als ihm zugehörig, einheitlich in ihm vorhanden „konstatiert werden kann“, und doch das Objekt nicht die Erscheinung ist. Erscheinung in diesem Sinn hat nur die „äußere Wahrnehmung“, nämlich unterschieden vom erscheinenden Objekt. Bei der immanenten Wahrnehmung ist Erscheinung in diesem Sinn zusammenfallend mit dem Objekt selbst. | Bei der äußeren Wahrnehmung haben wir: 1) das Erscheinen (Fluß), 2) die Erscheinungen, 3) erscheinendes Objekt. „Adäquate Anschauung (Wahrnehmung) von Vergangenem ausgeschlossen“ – „In der Gedächtniswahrnehmung kann der präsentierende Inhalt hinsichtlich des Eben-vergangenen niemals identisch sein mit dem Präsentierten“ – ist das nicht schief ? In keiner Wahrnehmung, weder in der Wahrnehmungsphase, die wir Jetztwahrnehmung nennen, noch in einer anderen, kann der „präsentierende Inhalt“ und das Präsentierte identisch sein, es sei denn, das wäre die einzige Ausnahme, „das Erhaschen“ einer Flußphase. Doch ist es fraglich, ob man dies noch Wahrnehmung nennen soll, und nicht Abstraktion. Was ist das, präsentierender Inhalt, nach meinen jetzigen Einsichten? Natürlich müßte die ganze Terminologie jetzt umgeändert werden. Bei der äußeren Wahrnehmung ist der Komplex der physischen Inhalte, jeder als Einheit genommen, „präsentierend“? Das kann man wohl sagen. Denn die Einheit
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ist „Erlebnis“, d. h. es ist nicht gemeinte, aber wohl doch erscheinende Einheit (was wiederholt zu überlegen ist). Wir haben Beziehungen zwischen diesem präsentierenden Inhalt und dem Inhalt des Gegenstandes. Fürs zweite kann aber präsentierend genannt werden der Jetzt-Inhalt (nicht als Einheit) des Flusses. Dann hat jede Wahrnehmungserscheinung einerseits einen präsentierenden, andererseits einen repräsentierenden, zeitliche Vergangenheit, Dauer etc. konstituierenden Inhalt. Der gesamte zur Darstellung berufene Inhalt (Inhalt im Sinne des Flusses) stellt nicht dar in dem Sinne, wie Einheit Einheit darstellt (im ersten Sinn kann man so sprechen), und teilen wir nun in präsentierenden und repräsentierenden (repristinierenden1), so kann der erstere natürlich nicht identisch sein mit dem konstituierten Inhalt des Gegenstandes und hat darin gar keinen Vorzug vor dem letzteren. | „Die adäquate Anschauung eines Vergangenen, auch eines jüngst Vergangenen, in der Gegenwart ist ausgeschlossen“ – ist adäquate Anschauung eines Gegenwärtigen nicht ausgeschlossen? Adäquate Wahrnehmung, adäquate Anschauung – was soll das? Es ist eine Wahrnehmung möglich, in der Gegenstände (die ihrer Natur nach es ermöglichen, aber auch fordern) zur Selbstgegebenheit kommen voll, ganz, nicht über sich hinaus weisend, nicht durch „bloße Erscheinungen“. Da ist aber der präsentierende Inhalt: das Empfindungsjetzt: nicht etwa der Gegenstand, die Einheit. Darstellen kann sich Einheit nur in Einheit. Der reprist. Inhalt ist auch nur Flußinhalt. Also was hat es für einen brauchbaren Sinn, zu sagen: Das Vergangene kann im Jetzt nicht zur adäquaten Darstellung kommen? Das Vergangene kann im Jetzt nicht als Jetzt dastehen. Das ist selbstverständlich. Es kann nur als gewesen dastehen, durch ur1
Der hier und im Folgenden dreimal vorkommende Ausdruck ist im Manuskript an der ersten Stelle deutlich ausgeschrieben „repristinierenden“, an der zweiten Stelle abgekürzt „reprist.“, an der dritten Stelle abgebrochen mit drei Punkten geschrieben „reprist… “, also jedesmal so wie hier wiedergegeben. – Anm. d. Hrsg.
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sprüngliche reprist… Zu überlegen, was da noch übrig bleiben könnte. Hat es einen Sinn, von einer Wahrnehmung eines Vorgangs einer Sukzession mehr zu verlangen als 〈 sie 〉, wie wir finden, leistet? 〈 Nr. 53 〉 Die Intentionalität des inneren Bewußtseins1
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Wir versuchen eine Beschreibung: Ich höre einen Ton, etwa einen kurz dauernden2. Alle transiente Deutung3 schalte ich aus, ich nehme das reine hyletische Ton-Datum. Er fängt an und hört auf, und seine ganze Dauereinheit, die Einheit des ganzen Vorgangs, in dem er anfängt und endet, „rückt“ nach dem Enden in die immer fernere Vergangenheit. Seine eigene Zeitlichkeit behält er, solange ich ihn in der Retention verfolgen kann, ist er derselbe, seine Dauer ist dieselbe. Ich kann die Aufmerksamkeit richten auf die Weise seines Gegebenseins. Er und seine Dauer, | die er erfüllt, sind in einer Kontinuität von „Weisen“ bewußt, bewußt in einem „beständigen Flusse“, und ein Punkt, eine Phase dieses Flusses heißt „Bewußtsein vom anhebenden Ton“, und darin ist der erste Zeitpunkt der Dauer des Tones in der Weise des „ Jetzt“ bewußt. Der Ton ist gegeben, das ist: er ist als Jetzt bewußt; er ist aber als Jetzt bewußt, „solange“ irgendeine Zeitphase von ihm als Jetzt bewußt ist. Ist aber irgendeine Zeitphase, ein objektiver Zeitpunkt der TonDauer aktuelles Jetzt (ausgenommen die Anfangsphase), so ist eine Kontinuität von Zeitpunkten als „vorhin“ bewußt, und die 1
Diese Aufzeichnung, von Husserl genau datiert auf den „ 10.–13. November 1911“, ist offenbar von ihm selbst noch zur Aufnahme in das ursprüngliche Manuskript der Zeitvorlesungen des Februar 1905 bestimmt worden. Der Text der Aufzeichnung ist, wie im einzelnen unten angegeben, mit einigen Abwandlungen zum großen Teil in den Paragraphen 8, 9, 10 und 20 wiedergegeben. – Anm. d. Hrsg. 2 Zu beginnen: Der Ton sei nicht ein im voraus erwarteter. 3 Von etwa hier ab bis S. 362 ist der Text der Aufzeichnung mit einigen Abwandlungen wiedergegeben in § 8 und im ersten Absatz von § 9, S. 24–26. – Anm. d. Hrsg.
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ganze Strecke der Zeitdauer vom Anfangspunkt bis zum Jetztpunkt ist bewußt als abgelaufene Dauer, die übrige Strecke der Dauer ist aber noch nicht bewußt. Im Endpunkt ist dieser selbst Jetztpunkt, und die ganze Dauer ist bewußt als abgelaufen (bzw. so ist es im Anfangspunkt der neuen Strecke der Zeit, die nicht mehr Ton-Strecke ist). „Während“ dieses ganzen ,.Bewußtseinsverlaufs“ oder Flusses ist der eine und selbe Ton als dauernder bewußt, als jetzt dauernder. „Vorher“ (falls er nicht etwa erwarteter war) ist er nicht bewußt. Nachher ist er „eine Zeitlang“ in der „Retention“ als gewesener „noch“ bewußt, er kann auch festgehalten und im fixierenden Blick stehend bzw. verbleibend sein. Die ganze Dauerstrecke des Tones, oder „der“ Ton in seiner Erstreckung, steht dann als ein sozusagen „Totes“, sich nicht mehr lebendig Erzeugendes, von keinem Erzeugungspunkt des Jetzt beseeltes Gebilde da, das aber stetig sich modifiziert und ins „Leere“ zurücksinkt. Die Modifikation der ganzen Strecke ist dann eine analoge, wesentlich identisch mit derjenigen, die während der Aktualitätsperiode das abgelaufene Stück der Dauer im Übergang des Bewußtseins zu immer neuen Erzeugungen erfährt. Was ist da zu beschreiben? Die Weise, wie in einem beständigen Fluß das objektiv Zeitliche „erscheint“, die Weise, wie es „gegeben“ ist. Und diese Weise beschreiben heißt nicht, die erscheinende Zeitdauer selbst beschreiben. Denn es ist derselbe Ton mit der ihm zugehörigen Dauer, der zwar nicht beschrieben wird, aber in der Beschreibung vorausgesetzt ist. Dieselbe Dauer ist jetzige, aktuell sich aufbauende Dauer und ist vergangene, „abgelaufene“, noch bewußte oder in der Wiedererinnerung „gleichsam“ neu erzeugte Dauer. Derselbe Ton, der jetzt erklingt, ist es, von dem es im „späteren“ Bewußtseins | fluß heißt, er sei gewesen, seine Dauer sei abgelaufen. Die Punkte der Zeitdauer entfernen sich für mein Bewußtsein analog, wie sich die Punkte des ruhenden Gegenstandes im Raum für mein Bewußtsein, für mein Erscheinen entfernen, wenn „ich mich“ vom Gegenstande entferne. Der Gegenstand behält seinen Ort – ebenso behält der Ton seine Zeit, jeder Zeitpunkt ist unverrückt, aber entfließt in Bewußtseinsfeme, der Abstand vom erzeugenden Jetzt wird immer größer. Der Ton selbst ist derselbe, aber der Ton „in der
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Weise, wie“ er erscheint, ein immer anderer. Genauer besehen, können wir nun folgende Unterschiede machen hinsichtlich dieses „einen immanenten Gegenstandes Ton, beschrieben hinsichtlich der verschiedenen Weisen, in denen er erscheint“ (genau so wie bei einem Raumgegenstand, beschrieben hinsichtlich der verschiedenen Erscheinungsweisen); nämlich: 1) Ich kann beschreibend evidente Aussagen machen über das immanente Objekt in sich selbst und darüber, daß es „jetzt“ dauere, daß ein gewisser Teil der Dauer verflossen sei, daß der im Jetzt erfaßte Dauer-Punkt des Tones (mit seinem Ton-Inhalt natürlich) stetig in das Vergangen rücke und ein immer neuer Punkt der Dauer ins Jetzt trete oder Jetzt sei, daß die abgelaufene Dauer sich vom aktuellen Jetztpunkt, der immerfort ein irgendwie erfüllter ist, entferne, in immer „fernere“ Vergangenheit rücke u. dgl. 2) Ich kann aber auch sprechen von der parallelen Bewußtseinsweise, von der Weise, wie all solche Unterschiede der „Erscheinungsweise“ des immanenten Tones und seines Dauerinhalts „bewußt“ sind: Wir sprechen hinsichtlich der in das aktuelle Jetzt hineinreichenden Ton-Dauer von Wahrnehmung und sagen, der Ton, der dauernde, sei wahrgenommen, und jeweils sei von der Dauer-Erstreckung des Tones nur der als Jetzt charakterisierte Punkt der Dauer voll, eigentlich wahrgenommen. Von der abgelaufenen Strecke sagen wir, sie sei in Retentionen bewußt, und zwar seien die „nächsten“, nicht scharf zu begrenzenden Teile der Dauer oder Phasen der Dauer, die dem aktuellen Jetztpunkt am nächsten liegen, mit absteigender Klarheit bewußt; die ferneren, weiter zurückliegenden Vergangenheitsphasen seien ganz unklar, leer bewußt. Und ebenso nach Ablauf der ganzen Dauer: Je nach der Ferne vom aktu | ellen Jetzt habe ev. das ihm noch nächstliegende ein wenig Klarheit, das Ganze verschwinde ins Dunkel, in ein leeres retentionales Bewußtsein, und verschwinde ganz aus ihm (wenn man das behaupten darf), wenn Retention nicht mehr statthat. Wir können wiederholt eine Ton-Dauer ablaufen lassen, in wiederholter Erinnerung, und können dann auch die Erinnerungsweise beschreiben, die Art, wie in ihr all die bezeichneten Vorkommnisse, aber als Erinnerungsvorkommnisse be-
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wußt sind, wir können aufgrund dessen aber auch das Wesen des Bewußtseins studieren, in dem notwendig ein immanentes zeitliches Sein „sich konstituiert“, und zwar mit jenen Erscheinungsweisen nach 1). Es ist ein anderes, das Gegenständliche in seiner Objektivität beschreiben, wieder ein anderes, das Gegenständliche im Wie seiner „Erscheinung“ beschreiben, und endlich wieder ein anderes, das „Bewußtsein“ beschreiben, in dem das Gegenständliche, das notwendig in einem Wie erscheint, bewußt wird. Analogie für Raumdinge, räumliche Erscheinung und Raumbewußtsein1 Was ist das Analoge hinsichtlich des Raumdinges? 1) Ich kann es beschreiben nach seinem eigenen Sein, nach seinem gegenständlichen Inhalt. 2) Ich kann aber auch Aussagen machen über seine Entfernung, und zwar nicht als „objektive“ Aussagen, sondern ich sage rein „erscheinungsmäßig“ aus, der Gegenstand (der seinen Ort behält) erscheine einmal hier, ganz nahe, das andremal ferner, er rücke in die Ferne, er erscheine seitwärts u. dgl. Auch: In die Ferne rückend, erscheinen er sich zusammenziehend, in die Nähe kommend, sich ausdehnend. Einmal zeige er die Seite, das andremal jene. Ich kann da die „Erscheinungen“ des Gegenstandes beschreiben und den Gegenstand als den so und so erscheinenden beschreiben, ohne Rücksicht darauf, daß mit diesen Erscheinungsweisen, wie erst die Erfahrung lehrt, sich parallel verflechten Relationen des erscheinenden Gegenstandes zu meinem Leib | und meinen Sinnesorganen, der nicht erscheint (wenigstens nicht visuell, während ich mich etwa ans Visuelle rein halte). 3) Endlich kann ich für das Raumding das „Bewußtsein“ beschreiben; nicht die Erscheinung des Dinges, sondern das, wie die Erscheinungsweise bewußt ist, wie in der „Wahrnehmung“, wie in der „Erinnerung“ oder Phantasie, wie, wenn das Ding 1
Vgl. hierzu [§ 9,] S. 26, Anm. 1. – Anm. d. Hrsg.
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von einer Seite, von der und der erscheint, das dabei „eigentlich nicht Erscheinende“ bewußt ist, wie die Unterschiede der Erscheinungsweisen derselben Vorderseite Unterschiede des Bewußtseins ergeben usw. Die Raumdinge sind auch Zeitdinge, und so ergeben sich auch hinsichtlich ihrer Zeitlichkeit Erscheinungsweisen und 〈 Möglichkeit für ein 〉 Studieren der Bewußtseinsweisen. – Doch gehen wir wieder in die immanente Sphäre zurück. Was ist es, was wir da1 als Phänomene des zeitkonstituierenden Bewußtseins, desjenigen, in dem sich die zeitlichen Gegenstände mit ihren zeitlichen Bestimmungen konstituieren, vorfinden und beschreiben können? Auch sie könnte man „Erscheinungen“ nennen; wir nannten vorhin das dauernde Objekt (bzw. auch den Dauervorgang) im Wie des Ablaufs eine Erscheinung, und das „im Wie“ besagte dabei, daß das Objekt (bzw. der Vorgang) jetzt dauere oder gedauert habe (jetzt ablaufe oder abgelaufen sei), daß er als aktuell gegenwärtiger oder als vergangener erscheine: und dasselbe, so sagen wir, was gegenwärtig ist, läuft ab und ist nach seinem Ablauf vergangen und immer mehr vergangen. Jedes zeitliche Sein „erscheint“ in irgendeinem, und einem kontinuierlich sich wandelnden Ablaufsmodus (wenn es überhaupt bewußt ist), und das „Objekt im Ablaufsmodus“ ist in dieser Wandlung eben immer wieder ein anderes, während wir doch sagen, das Objekt und jeder Punkt seiner Zeit und diese selbst seien ein und dasselbe. Diese Erscheinung „Objekt im Ablaufsmodus“ werden wir nicht Bewußtsein nennen können, so wenig wir das Raumphänomen, die Körpererscheinung als Körper im Wie der Erscheinung „von der Seite“ oder „jener Seite“, von nahe oder ferne, ein Bewußtsein nennen werden. | Das „Bewußtsein“, das „Erlebnis“, bezieht sich auf das Objekt, und bezieht sich auf das Objekt, das erscheint, notwendig durch die Erscheinung: Das Bewußtsein, das ist a priori klar, kann sich nur auf das identische Objekt beziehen, wenn 1
Von etwa hier ab bis S. 366 ist der Text der Aufzeichnung mit einigen Abwandlungen in §§ 9 und 10, S. 26–29, wiedergegeben. – Anm. d. Hrsg.
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es „immanent“ hat eine Erscheinung des Objekts, in der eben das „Objekt im Wie “ dasteht. Offenbar müssen wir die Rede von der „Bezogenheit auf den Gegenstand“ und die von der „Intentionalität“ nun als doppelsinnig erkennen: je nachdem wir nämlich im Auge haben die Beziehung der „Erscheinung“ auf das Erscheinende oder die Beziehung des Bewußtseins einerseits auf das „Erscheinende im Wie“ (also die Erscheinung im ontischen Sinn), andererseits auf das Erscheinende schlechthin. Definition: Sprechen wir jetzt unterscheidend von „Bewußtseinsphänomenen“, zeitkonstituierenden Phänomenen, und 〈 auf der anderen Seite 〉 von solchen 〈 Phänomenen 〉, welche immanente Zeitobjekte konstituieren. Die Rede von „Erscheinungen“ für diese Zeitobjekte-im-Ablaufsmodus können wir schwerlich gebrauchen. Denn es stellt sich ja heraus, daß immanente Objekte selbst wieder – und in einem doch wohl ganz anderen Sinn – Erscheinungen, etwa von äußeren Objekten sind. Am besten sagen wir „Ablaufsphänomene“1 und sprechen wir hinsichtlich der immanenten Objekte selbst von ihren „Ablaufscharakteren“ (z. B. Jetzt, Vergangen). Von dem Ablaufsphänomen wissen wir, daß es eine Kontinuität steter Wandlungen ist, die eine untrennbare Einheit bildet, unteilbar in Stücke, die für sich sein könnten, und unteilbar in Phasen, die für sich sein könnten, in Punkte der Kontinuität. Die Stücke, die wir abstraktiv herausheben, können nur im ganzen Ablauf sein, und ebenso die Phasen (die Punkte der Ablaufskontinuität). Auch können wir evidentermaßen von dieser Kontinuität sagen, daß sie in gewisser Weise ihrer Form nach unwandelbar ist. Es ist undenkbar, daß die Kontinuität der Phasen eine solche wäre, die denselben Phasenmodus zweimal enthielte, oder gar ausgebreitet enthielte über eine ganze Teilstrecke. So wie jeder Zeitpunkt und jede Zeitstrecke von jedem 〈 bzw. jeder anderen 〉 „individuell“ sozusagen verschieden ist, keiner zweimal Vorkommen kann, so kann kein Ablaufsmodus zweimal Vorkommen. | 1
Besserer Terminus für Ablaufsmodi, Modi der zeitlichen Orientierung.
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Doch wir werden hier noch zu unterscheiden und deutlicher zu fassen haben. Zunächst heben wir hervor, daß die Ablaufsmodi eines immanenten Zeitobjekts einen Anfang haben, sozusagen einen Quellpunkt. Es ist derjenige Ablaufsmodus, mit dem das Objekt zu sein anfängt, und ist charakterisiert als Jetzt. Reihe der Jetzt (immer neues Leben)
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Herabsinken in die Vergangenheit (Zug des Todes) Reihe der mit anderen Objekten ev. erfüllten Jetzt
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Im steten Fortgang der Ablaufsmodi finden wir dann das Merkwürdige, daß jede spätere Ablaufsphase selbst eine Kontinuität ist, und eine stetig sich erweiternde, eine Kontinuität von Vergangenheiten. Der Kontinuität der Ablaufsmodi der Objektdauer stellen wir gegenüber die Kontinuität der Ablaufsmodi eines jeden Punktes der Dauer: sie ist selbstverständlich beschlossen in der Kontinuität jener ersteren Ablaufsmodi: also die Ablaufskontinuität eines dauernden Objekts ist ein Kontinuum, | dessen Phasen die Kontinua der Ablaufsmodi der verschiedenen Zeitpunkte der Objektdauer sind. –
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Gehen wir der, sagen wir konkreten Kontinuität entlang, so schreiten wir in den steten Abwandlungen fort, und es wandelt sich darin stetig der Ablaufsmodus, d. i. die 〈 Ab〉 laufskontinuität der betreffenden Zeitpunkte: Indem immer ein neues Jetzt auftritt, wandelt sich das Jetzt in ein Vergangen, und dabei rückt die ganze Ablaufskontinuität der Vergangenheiten des vorangegangenen Punktes entsprechend „herunter“, gleichmäßig in die Tiefe der Vergangenheit. In unserer Figur illustriert die stetige Reihe der Ordinaten die Ablaufsmodi des dauernden Objekts, sie wachsen von O an (einem Punkt) bis zu einer bestimmten Strecke, die das letzte Jetzt zum Kulminationspunkt hat. Dann geht die Reihe der Ablaufsmodi an, die kein Jetzt mehr enthalten, die Dauer ist nicht mehr wirkliche Dauer (das Wort drückt normalerweise das Allgemeine der Ablaufsmodi der Reihe zwischen A und E aus), sondern eine vergangene, stetig in die Vergangenheit sinkende Dauer. Die Figur gibt also ein vollständiges Bild der Doppelkontinuität der Ablaufsmodi. – Es handelt sich nun um die Beschreibung der konstituierenden Bewußtseinsphänomene. Die Ablaufsphänomene laufen im Fluß der konstituierenden Bewußtseinsphänomene ab, in einer Einheit des Bewußtseins, in dem stetig das dauernde Objekt erscheint. Es erscheint stetig, aber eben in Form einer als lebendige Gegenwart sich abspielenden Dauer, an die sich die Kontinuität der Erscheinung der abgelaufenen Dauer anschließt. Was heißt das: dergleichen erscheint, dergleichen läuft im konstituierenden Bewußtsein ab –? Wie wir eingestellt sein können auf die Ablaufsphänomene, auf das Dauern und Gedauerthaben des Objekts, so können wir eingestellt sein auf ein weiteres Wie, auf das Wie des Sich-abspielens dieses Ablaufs; er ist nicht einfach, er ist in einem Wie. Es ist nicht nur das dauernde Objekt jetzt dauernd, und hat einen Zeitpunkt als jetzt seiend und kontinuierlich die übrigen Punkte der abgelaufenen Dauer als abgelaufene Vergangenheiten charakterisiert, sondern der Ton im Jetztpunkt hat in gewisser Weise größere Klarheit als der Ton in den übrigen Phasen des zum Jetzt gehörigen „Momentan“-Ablaufsmodus, genau gesprochen, die Klar | heit stuft sich ab und geht schließlich ins „Leer“ über, ins
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„Dunkel“. Dabei1 finden wir innerhalb der klaren Sphäre, und je näher sie dem aktuellen Jetzt liegt, eine um so größere Deutlichkeit und Auseinandergehaltenheit, und je weiter wir 〈 uns 〉 von ihm entfernen, um so größere Verflossenheit und Zusammengerücktheit. Eine reflektive Versenkung in die Einheit eines gegliederten Vorgangs läßt uns beobachten, daß ein artikuliertes Stück des Vorgangs beim Zurückrücken in die Vergangenheit sich „zusammenzieht“, ein Analogon der räumlichen Perspektive ist (innerhalb der Sphäre der originären zeitlichen Erscheinung) die zeitliche Perspektive; indem das zeitliche Objekt in die Vergangenheit rückt, zieht es sich zusammen und wird dabei zugleich dunkel. Nun ist aber das zeitliche Objekt, und zwar die erfüllte Dauer, ein Vorgang, nicht nur in der originär konstituierenden Zeit-Wahrnehmung bewußt; d. h. er ist nicht nur bewußt in diesem Werdensprozeß des Abfließens der Dauer und Zurücksinkens, in welchem die objektiven Ablaufsmodi in der Weise der immer größeren Dunkelheit und Zusammengezogenheit bewußt sind; sondern auch in der Weise der Wiedererinnerung. Diese kann schon erfolgen, während das zeitliche Objekt noch bewußt ist, noch zurücksinkt, und es kann in der „Erneuerung“, die die Vergegenwärtigung vollzieht2, das Bewußtsein der Identität des wiedererinnerten Anfangs der Dauer und des im Zurücksinken begriffenen Dunklen erfolgen. Oder vielmehr: Die Wiedererinnerung „deckt“ sich notwendig mit dem dunklen Modus, aber es kann ein Blick der Aufmerksamkeit dahin gerichtet sein und der Aussage zugrunde liegen, die sich in den Worten ausspricht: „Ich vollziehe die Wiedervergegenwärtigung von dem, was soeben abgeflossen ist und noch weiter zurücksinkt“. Das vergegenwärtigte Jetzt ist kein Jetzt, wie das vergegenwärtigte Hier kein Hier ist, es vergegenwärtigt ein Jetzt, das aber ein Jetzt war, d. i. es läßt in neuer Weise einen Zeitpunkt bewußt werden, dessen Ablaufsmodus ein gewisses Vergangen ist. Es kann in einem gewissen Umkreis ein 1
Von hier ab ist der Text der Aufzeichnung mit geringen Abwandlungen in § 9, S. 26–28, wiedergegeben. – Anm. d. Hrsg. 2 Diese Vergegenwärtigung ist qualitativ Urdoxa.
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Zeitpunkt, der in einem veränderlichen Vergangenheitsmodus bewußt ist, in doppelter | Weise bewußt sein, einmal in der originären Retention, dem originären Bewußtsein vom Zurücksinkenden, und zugleich in einem reproduktiven Modus, als Vergegenwärtigung, die das frühere originäre Erscheinen vergegenwärtigt und damit zugleich das originäre Zurücksinken, das sich daran schließt. Das1 originäre Erscheinen und Abfließen der Ablaufsmodi im Erscheinen ist etwas Festes, etwas durch „Affektion“ Bewußtes, auf das wir nur hinsehen, dem wir nur zusehen können (wenn wir überhaupt die Spontaneität des Zusehens vollziehen). Dagegen das Vergegenwärtigen ist etwas „Freies“ 2, es ist ein freies Durchlaufen, wir können die Vergegenwärtigung „schneller“ oder langsamer, deutlicher und expliziter oder verworrener, blitzschnell in einem Zuge oder in artikulierten Schritten usw. vollziehen. Die Vergegenwärtigung ist dabei selbst ein Ereignis des inneren Bewußtseins: wenn sie erfolgt, so hat sie ihr aktuelles Jetzt, ihre Ablaufsmodi usw., und in derselben immanenten Zeitstrecke, in der sie wirklich erfolgt, können wir in „Freiheit“ größere oder kleinere Stücke des vergegenwärtigten Vorgangs mit seinen Ablaufsmodi unterbringen und somit ihn schneller oder langsamer durchlaufen. Dabei bleiben die relativen Ablaufsmodi (unter Voraussetzung der fortgesetzten identifizierenden Deckung) der vergegenwärtigten Punkte der Zeitstrecke unverändert. Ich vergegenwärtige immer dasselbe, immer dieselbe Kontinuität der Ablaufsmodi der Zeitstrecke, immer sie selbst, im Wie. Aber wenn ich so immer wieder zu demselben Anfangspunkt zurückkehre und zu derselben Folge von Zeitpunkten, so sinkt doch derselbe Anfangspunkt selbst immer weiter und stetig zurück.
1
Von hier ab bis zum Ende der Aufzeichnung, ist ihr Text mit geringen Abwandlungen in § 20, S. 47 f., wiedergegeben. – Anm. d. Hrsg. 2 Aber bezogen auf das Feld der Vorgegebenheit.
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B. Ergänzende Texte
〈 Nr. 54 Bewußtsein (Fluß), Erscheinung (immanentes Objekt) und Gegenstand 〉1
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Diese Erzeugungsreihe ist ein erzeugendes Bewußtsein, in dem stetig die Dauer zum Bewußtsein kommt, indem der | erste Objektpunkt als Jetzt, dann der nächste als Jetzt und der vorige als Vorher bewußt wird usw. Und dabei erweitert sich kontinuierlich die erfüllte Zeitreihe, in der als objektive Zeitreihe das Dauernde erscheint, und jeweils als eine Dauer erscheint, in der das Einheitliche bis ins Jetzt dauert, bis ins Jetzt, das sich immer neu erfüllt, womit die bewußte Dauer sich immer 〈 mehr 〉 erweitert. Nun wird man aber in der natürlichen Einstellung ganz selbstverständlich sagen und es ganz selbstverständlich finden, zu sagen: Jetzt erfasse ich einen Ton, der sich seine Dauer hindurch erhält, oder ein inneres Erlebnis, etwa das Erlebnis der Dingerscheinung und eines daran geknüpften, über seine Dauer hin sich erstreckenden Gefallens. Indem ich nun auf die konstituierenden Erscheinungen des inneren Bewußtseins achte, erfasse ich sie als jetzt seiend, ich erfasse jetzt das Bewußtsein vom Jetzt und die ganze Kontinuität des VorherBewußtseins, und diese ganze Kontinuität ist gleichzeitig, sie gehört zum Jetzt, findet jetzt statt, steht als das da. Und gehe ich dem Fluß dieser Kontinuitäten nach, so finden sie nacheinander statt, und das Ganze erfüllt eine Dauer. Natürlich ist diese Dauer dieselbe wie die des innerlich Erscheinenden, die Dauer des immanenten Tones ist dieselbe wie die des Bewußtseins, in dem es sich seiner Dauer nach stetig konstituiert. Es fragt sich aber, ob es einen Sinn hat, im wirklichen und eigentlichen Sinn zu sagen, daß die konstituierenden Erscheinungen des Zeitbewußtseins (des inneren Zeitbewußtseins) selbst in die (immanente) Zeit fallen. Es fällt uns doch folgendes sogleich auf:
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Große Teile der Aufzeichnung sind, wie im einzelnen unten vermerkt, mit einigen Abwandlungen in §§ 35–39 wiedergegeben. – Anm. d. Hrsg.
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1) Jedes1 individuelle Objekt dauert, und dauert notwendig, und es dauert, das heißt: es ist kontinuierlich in der Zeit und ist Identisches in diesem kontinuierlichen Sein, das zugleich als Vorgang angesehen werden kann. Umgekehrt, was in der Zeit ist, ist kontinuierlich in der Zeit und ist als Einheit des Vorganges, der Einheit des Dauernden im Vorgehen unabtrennbar mit sich führt. Ich muß auch formulieren: Ist ein Vorgang in der Zeit | bewußt, so ist das nur denkbar, wenn in dem Vorgang etwas vorgeht. Im Ton-Vorgang liegt Einheit des Tones, der während des Vorgangs dauert, und Einheit des Tones umgekehrt ist Einheit in der erfüllten Dauer, d. i. im Vorgang. Ist also irgendetwas bestimmt als in einem Zeitpunkt seiend, so ist es nur denkbar als Phase eines Vorgangs, in welcher Phase zugleich die Dauer eines individuellen Seins ihren Punkt hat. 2) Prinzipiell ist individuelles oder zeitlich konkretes Sein Unveränderung oder Veränderung (der Vorgang ein Veränderungs-Vorgang oder eine Ruhe, das dauernde Objekt selbst ein sich veränderndes oder ruhendes). Jede Veränderung hat dabei ihre Veränderungsgeschwindigkeit oder -beschleunigung (im Gleichnis) mit Beziehung auf dieselbe Dauer. Prinzipiell ist jede Phase einer Veränderung in eine Ruhe auszubreiten, jede Phase einer Ruhe in eine Veränderung überzuleiten. Nun, sehen wir uns die konstituierenden Erscheinungen des inneren Zeitbewußtseins an, so finden wir hier: Sie bilden einen Fluß, und jede Phase dieses Flusses ist eine Abschattungskontinuität. Aber prinzipiell ist im Widerspruch zu 2) keine Phase dieses Flusses auszubreiten in eine kontinuierliche Folge (also der Fluß so umgewandelt zu denken), daß diese Phase sich perpetuierte in Identität mit sich selbst. Umgekehrt finden wir prinzipiell notwendig den Fluß stetiger „Veränderung“, aber diese Veränderung hat das Absurde, daß sie genau so läuft, wie sie läuft, und weder „schneller“ noch „langsamer“ laufen kann. Aber weiter: Wo ist das Objekt, das in diesem Fluß sich verändert? In jedem Vorgang geht doch a priori etwas vor? Hier geht aber nichts vor. Die Veränderung ist keine Veränderung, 1
Von hier ab bis S. 372 ist der Text der Aufzeichnung mit geringen Abwandlungen in den §§ 35–37, S. 73–76 wiedergegeben. – Anm. d. Hrsg.
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B. Ergänzende Texte
und darum ist auch von etwas, das da dauert, sinnvoll keine Rede und ist es unsinnig, hier etwas finden zu wollen, was in einer Dauer einmal sich nicht verändert. Also ist es evident, daß die zeitkonstituierenden Erscheinungen prinzipiell andere Gegenständlichkeiten sind als die in der Zeit konstituierten, daß sie keine individuellen Objekte sind bzw. keine individuellen Vorgänge und daß Prädikate solcher sinnvoll ihnen nicht zugeschrieben werden können. Also kann es auch keinen Sinn haben, von ihnen zu sagen (und in gleicher Bedeutung zu sagen), sie seien im Jetzt und waren vorher, sie folgten einander zeitlich nach oder seien miteinander gleichzeitig usw. Wohl aber | kann und muß man sagen: Eine gewisse Erscheinungskontinuität, nämlich eine solche, die Phase des zeitkonstituierenden Flusses ist, gehöre zu einem Jetzt: nämlich zu dem, das sie konstituiert, und gehöre zu einem Vorher, nämlich zu dem, das konstitutiv ist (wir können nicht sagen: „war“) für das Vorher. Aber ist nicht der Fluß ein Nacheinander, hat er nicht doch ein Jetzt, eine aktuelle Phase, und eine Kontinuität von Vergangenheiten, in Retentionen jetzt bewußt? Wir können da nicht helfen und nur sagen: Dieser Fluß ist etwas, das wir nach dem Konstituierten so nennen, aber es ist nichts zeitlich „Objektives“. Es ist die absolute Subjektivität, und hat die absoluten Eigenschaften eines im Bilde als „Fluß“ zu Bezeichnenden, eines Aktualitätspunktes, Urquellpunktes „ Jetzt“ etc. Im Aktualitätserlebnis haben wir den Urquellpunkt und eine Kontinuität von Nachhallmomenten. Für all das haben wir keine Namen. Es ist noch zu bemerken, daß, wenn wir vom „Wahrnehmungsakt“ sprechen und sagen, er sei eigentlich ein Punkt eigentlichen Wahrnehmungsaktes, dem eine kontinuierliche Folge von „Retentionen“ angeschlossen sei, wir damit keine zeitlichen immanenten Einheiten beschrieben haben, sondern gerade Momente des Flusses. Nämlich die Erscheinung, etwa die des Hauses, ist ein zeitliches Sein, dauerndes, sich veränderndes etc., ebensogut als der immanente Ton, der keine Erscheinung ist. Andererseits aber ist die Hauserscheinung nicht das Wahrnehmungsbewußtsein und retentionale Bewußtsein. Dieses kann nur verstanden werden als das zeitkonstituierende,
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als Moment des Flusses. Ebenso, die Erinnerungserscheinung (oder das erinnerte Immanente, ev. der erinnerte immanente primäre Inhalt) ist zu unterscheiden von dem Erinnerungsbewußtsein mit seinen Erinnerungsretentionen. Wir haben überall zu unterscheiden: Bewußtsein (Fluß), Erscheinung (immanentes Objekt) und Gegenstand (wenn nicht 〈 ein 〉 primärer Inhalt immanentes Objekt ist). Nicht alles Bewußtsein hat Beziehung auf objektiv Zeitliches, auf objektive Individualität, wie z. B. das der äußeren Wahrnehmung. In jedem Bewußtsein finden wir einen „immanenten Inhalt“, dieser ist bei den Inhalten, die „Erscheinungen“ heißen, entweder Erscheinung vom In | dividuellen (einem äußeren Zeitlichen) oder Erscheinung von Nicht-Zeitlichem. Z. B. im Urteilen haben wir die Erscheinung „Urteil“, nämlich als immanente zeitliche Einheit, und darin „erscheint“ das Urteil im logischen Sinn usw. Das Urteilen ist immer der Fluß, und so überall ist das, was wir Akt nennen, ein Fluß, in dem eine immanente Zeiteinheit sich konstituiert (das Urteil, der Wunsch etc., 〈 solches, 〉 das seine immanente Dauer hat und ev. schneller und weniger „schnell“ 〈 vonstatten geht 〉). Dabei ist die immanente Zeit eine, nämlich es gibt da Gleichzeitig 〈keit 〉, gleichlange Dauer (oder dieselbe Dauer für zwei Phänomene), auch eine gewisse objektive Bestimmbarkeit, ob vorher, nachher oder „gleichzeitig“. – Ein Ton c setzt ein1, dauert so und so lange, sich nach Intensität zeitweise gleich verhaltend, zeitweilig springend etc. Der Ton ist eine Einheit in seiner Zeitdauer, und diese Zeitdauer ist erfüllt vom Ton-Vorgang, von dem Ablauf des Tones c in wechselnder Intensität. Zu jedem Punkt der Dauer gehört ein Ton-Inhaltspunkt, ein Punkt des Ton-Vorganges (dazu die Beschreibung der Ablaufsmodi der Dauer und ihrer Teile und Punkte). Wir beginnen mit dem ersten Punkt, dem Einsatzpunkt. Er ist als Jetzt charakterisiert. Wir nennen das Bewußt1
Zu dem hier beginnenden Stück der Aufzeichnung bis etwa S. 373 hat Husserl am Rand vermerkt: „Sachlich richtig, aber ungeschickt in der Darstellung; es ist sehr wichtig, das neu auszuarbeiten“. – Anm. d. Hrsg.
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sein von ihm Urempfindungsbewußtsein, ohne sagen zu wollen, daß hier wirklich zweierlei zu unterscheiden sei, Urempfindungsbewußtsein und Ton-Jetzt. Wir lassen es offen, daß beides dasselbe sei, nur unter verschiedenen Gesichtspunkten bezeichnet. Das Ton-Jetzt ist Anfang einer Ton-Dauer, und kontinuierlich ist jeder Punkt dieser Dauer als Jetzt in Form einer Urempfindung bewußt, aber in einem „Fluß“ des Bewußtseins. Das Urempfindungsbewußtsein fließt, das sagt: Ist eine Urempfindung des Flusses, so sind hinsichtlich der ganzen Reihe die einen in stetiger Reihe „noch nicht“, die anderen „nicht mehr“, und die Urempfindung, die wirklich ist, ist ein Grenzpunkt zweier Kontinuen, des Noch-nicht und Nicht-mehr. Und weiter besagt das Fließen: „Zuerst“ ist die Urempfindung, die den Einsatzpunkt ausmacht, und alle anderen Punkte sind noch nicht. In „stetiger Folge“ ist immer | eine neue Urempfindung, und jede neue verschlingt die früheren und verwandelt ihren Modus in den des „Nicht-mehr“. Sie ist dann nicht mehr Urempfindung, sondern Nicht-mehr-Empfindung. Sie hat dann eine Strecke des Nicht-mehr, und vor sich eine Strecke des Noch-nicht, bis zum Endpunkt der Dauer. Ist sie in Urempfindung bewußt, so sind alle anderen ihrer Punkte in der Form des „Nicht-mehr“ bewußt, und das „Nicht-mehr“ ist in der Tat eine Bewußtseinsform so wie das „ Jetzt“. Die ganze Dauer des Tones ist aber etwas Verfließendes: An die Urempfindung des Ton-Endes schließt sich eine Urempfindung, die nicht mehr Urempfindung von demselben dauernden Ton ist, sondern von einem anderen Gegenstand, der etwa partiell einem Stück seiner Dauer nach gleichzeitig war mit dem Ton und fortdauert, während dieser nicht mehr ist. – 1) Die eine immanente Zeit; 2) der einzige Fluß des Zeitablaufs; 3) die Einheit des zeitkonstituierenden Bewußtseins. Wir1 finden in der Reflexion einen einzigen Fluß, der in viele Flüsse zerfällt, die aber doch eine Einheitlichkeit haben, die 1
Von hier ab bis S. 376 ist der Text der Aufzeichnung mit einigen Abwandlungen in § 38, S. 76–78 wiedergegeben. – Anm. d. Hrsg.
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die Rede von einem Fluß zuläßt. Wir finden viele Flüsse, sofern viele Reihen von Urempfindungen anfangen und enden, aber wir finden eine verbindende Form, sofern für alle nicht nur gesondert das Gesetz der Umwandlung von Jetzt in Nicht-mehr und andererseits von Noch-nicht in Jetzt statthat, sondern sofern es so etwas wie gemeinsame Form des Jetzt, Gleichheit überhaupt im Flußmodus gibt. Mehrere, viele Urempfindungen sind „auf einmal“, und wenn jede fließt, so fließt die Vielheit „zugleich“, und in völlig gleichem Modus, mit völlig gleichen Abstufungen, in völlig gleichem Tempo: nur daß die eine aufhört, während die andere noch ihr Noch-nicht, ihre neuen Urempfindungen hat, die die Dauer des in ihr Bewußten noch fortsetzen. Oder besser beschrieben: Die vielen Urempfindungen fließen und verfügen von vornherein über dieselben Ablaufsmodi, nur setzen sich die Urempfindungsreihen, die konstitutiv sind für die dauernden immanenten Objekte, verschieden weit fort, | der verschiedenen Dauer der immanenten Objekte entsprechend. Sie machen nicht alle in gleicher Weise von den formalen Möglichkeiten Gebrauch. Das ist das Erste, das genau und noch viel besser beschrieben werden muß. Wir haben objektiv hinzuweisen auf die Einheiten der immanenten Zeit für alle immanenten Objekte und Vorgänge mit der Einheit des zur Zeit wesentlich gehörigen Flusses von Ursprungs- und Ablaufsmodis; wir haben korrelativ hinzuweisen auf die Einheit (Alleinheit) des Zeit-Bewußtseins vom Immanenten. Und dabei wieder auf die Modi: das allumfassende „Zusammen“, „Zugleich“ der aktuellen Urempfindungen, das allumfassende Vorhin, Vorangegangensein aller eben vorangegangenen Urempfindungen, die stete Umwandlung jedes Zusammen von Urempfindungen in ein solches Vorhin, daß dieses Vorhin eine Kontinuität ist, deren jeder Punkt eine gleichartige, identische Ablaufsform für das gesamte Zusammen ausmacht. Es unterliegt das ganze „Zusammen“ von Urempfindungen dem Gesetz, daß es sich in ein stetiges Kontinuum von Bewußtseinsmodi, von Modi der „Abgelaufenheiten“ verwandelt und daß in derselben Stetigkeit ein immer neues Zusammen vonUrempfindungen originär entspringt, um stetig wieder in 〈 Ab〉 gelaufenheiten überzugehen. Was ein
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Zusammen ist als Urempfindungs-Zusammen, das verbleibt ein Zusammen im Modus der Abgelaufenheit. Urempfindungen haben ihr kontinuierliches Nacheinander im Sinne eines kontinuierlichen Ablaufs, und Urempfindungen haben ihr Zusammen, ihr Zugleich. Die zugleich sind, sind wirkliche Urempfindungen, im Nacheinander ist aber eine – oder eine Gruppe des Zusammen – wirkliche Urempfindung, die anderen sind abgelaufene Urempfindungen, und das sind nicht wirkliche. Was besagt das aber? Man kann da nichts weiter sagen als: Siehe! Eine Urempfindung oder eine Gruppe von Urempfindungen, die ein immanentes Jetzt bewußt hat 〈 bzw. haben» (ein Ton-Jetzt, im selben Jetzt eine Farbe etc.), wandelt sich stetig in das Vorhin, in Modi des Vorhin-Bewußtseins, in dem das immanente Objekt als vergangen und immer mehr vergangen bewußt ist, und „zugleich“, zusammen damit tritt eine neue und immer neue Urempfindung und Urempfindungsgruppe auf, ein immer neues Jetzt ist etabliert, und | dabei ist ein immer neues Ton-Jetzt, Gestalt-Jetzt etc. bewußt. Eine Gruppe von Urempfindungen sind zugleich, zusammen – sagt das „Zusammen“: und es sind alle wirkliche Urempfindungen oder Jetzt-Empfindungen? Aber Zusammen besagt nicht Zusammen-in-einem-Jetzt; Urempfindung ist das Bewußtseins-Jetzt, und Urempfindung unterscheidet sich von Urempfindung nur durch den Inhalt: Das Jetzt ist dasselbe, nicht das objektiv jetzt Seiende, sondern das Bewußtsein Jetzt. Das Bewußtsein, seiner Form nach als Urempfindungsbewußtsein, ist identisch. Aber „zusammen“ mit dem Urempfindungsbewußtsein sind kontinuierliche Reihen von Verlaufsmodi „früherer“ Urempfindungen, früherer Jetztbewußtsein. Dieses Zusammen ist ein Zusammen von der Form nach kontinuierlich abgewandelten Bewußtseinsmodi, während das Zusammen der Urempfindungen ein Zusammen von lauter formidentischen Modi ist. In der Kontinuität der Ablaufsmodi können wir einen Punkt herausnehmen, dann finden wir in diesem auch ein Zusammen im Sinne eines Zusammen von formgleichen oder vielmehr -identischen Ablaufsmodi.
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Diese beiden Zusammen muß man wesentlich unterscheiden. Das eine ist ein Grundstück für die Konstitution der Gleichzeitigkeit, das andere Grundstück für die Konstitution der zeitlichen Folge, obschon andererseits Gleichzeitigkeit nichts ohne zeitliche Folge und zeitliche Folge nichts ohne Gleichzeitigkeit ist und somit korrelativ Konstitution der Gleichzeitigkeit und die der zeitlichen Folge unabtrennbar sind, also die Grundstücke doch wieder wesentlich zusammengehören. Wir unterscheiden terminologisch etwa: das phansische Momentan-Zugleich, das phansische Zeitstrecken-Zugleich. Dabei ist hinsichtlich der schwerfälligen Ausdrucksweise zu beachten: Wir nennen nicht etwa eines oder das andere Zugleich ein Gleichzeitig. Wir sprechen aus sehr ernsten Gründen nicht von einer Zeit des Bewußtseins, fassen die Urempfindungen als Bewußtsein von einer Gleichzeitigkeit, nämlich des Tones, der Farbe und was es immer sei in einem und demselben „aktuellen Jetzt“, nennen sie selbst aber nicht gleichzeitig, und erst recht nennen wir die Phasen des ZeitstreckenZugleich nicht gleichzeitige Bewußtseinsphasen, ebenso | wenig wie wir die Aufeinanderfolge des Bewußtseins eine zeitliche Folge nennen. Schreiten wir in der Deskription weiter. Wir sprechen von der Aufeinanderfolge der Urempfindungen, und näher derjenigen, die zu einer immanenten Dauereinheit gehören, „während ihrer Dauer“. Diese Aufeinanderfolge bezeichnen wir nicht als zeitliche Folge, so wie die Aufeinanderfolge der „empfundenen“ Phasen des Zeitobjekts (der im fließenden Jetzt immer neu als Jetzt bezeichneten). Mit jeder Urempfindung ist momentan-zugleich die oder jene Urempfindung von anderen Objekten, und auch die Urempfindung eines Objekts kann ev. als Komplex angesehen werden, dessen Elemente momentanzugleich sind. Mit jeder Urempfindung in der phansischen Aufeinanderfolge von Urempfindungen finden wir ein phansisches Strecken-Zugleich, und dieses ist eine Strecke von Modi, wie das Wort Strecke andeutet, eine kontinuierliche eindimensionale Reihe (deren Punkte wieder das Momentan-Zugleich in sich bergen). Wir studieren das Wesen des Strecken-Zugleich und seiner Phasen. Jede dieser Phasen hat das Eigentümliche,
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daß sie Bewußtsein vom früheren Jetzt ist, „ursprüngliche Erinnerung“ von ihm oder an es, es „vergegenwärtigt“ nicht in der Weise einer Wiedererinnerung, aber es vergegenwärtigt oder hält zurück, was vorher in der Weise des Jetzt, in einer Urempfindung bewußt war, es hält es zurück in Form eines neuen und stetig aus dem Urempfinden hervorgehenden Modus. In gewisser Weise vergegenwärtigt es aber den früher im Modus des Jetzt bewußten Zeitpunkt dadurch, daß es die Urempfindung vorstellig macht. Das ist so zu verstehen: Wenn1 die Urempfindung zurücktritt, sich stetig modifiziert, so haben wir nicht nur überhaupt ein Erlebnis, das eine Modifikation des früheren ist, sondern wir können, wenn es ist, den Blick so in es hinein gewendet haben, daß wir im Modifizierten sozusagen auf das früher nicht Modifizierte hinsehen. Wenn eine nicht zu schnelle Tonfolge abläuft, können wir nach dem Ablauf des ersten Tones nicht nur auf ihn hinsehen als einen noch gegenwärtigen, obschon nicht mehr empfundenen, sondern auch darauf achten, daß der Bewußtseinsmodus, den | soeben dieser Ton hat, eine „Erinnerung“ ist an den Bewußtseinsmodus der Urempfindung, in dem er als Jetzt gegeben war. Ist das richtig, dann muß andererseits doch scharf unterschieden werden: Wir nennen Erinnerung das Bewußtsein vom immanenten Zeitobjekt, sofern es als ein vorhin gegebenes bewußt ist, und besser vielleicht noch Vergangenheitsbewußtsein (mit dem Unterschied des „retentionalen“ und des „wiedervergegenwärtigenden“, „erinnernden“); dagegen nennen wir das Vergangenheitsbewußtsein niemals Vergangenheitsbewußtsein von der früheren Urempfindung (Jetztbewußtsein), sondern Retention von ihr, wenn es sich um ein Bewußtsein im ursprünglichen Fluß der Empfindungsmodifikationen handelt, sonst eine Reproduktion von ihr. Das muß konsequent festgehalten werden. Also ist irgendeine Phase der Dauer eines immanenten Objekts Jetztphase, also in Urempfindung bewußt, so sind im Strecken-Zugleich mit ihr vereint kontinuierlich sich anein1
Von hier ab bis S. 377 ist der Text der Aufzeichnung mit einigen Abwandlungen in § 38, S. 79, wiedergegeben. – Anm. d. Hrsg.
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ander schließende Retentionen, und zwar Retentionen der Urempfindungen, die zu den sämtlichen übrigen zeitlich abgelaufenen Punkten der Dauer gehören. Jede dieser Retentionen hat einen bestimmten Modus, der dem Zeitabstand vom Jetztpunkt entspricht. Jede ist Vergangenheitsbewußtsein von dem entsprechenden früheren Jetztpunkt und gibt ihm den Modus des Vorhin, der seiner Stellung in der abgelaufenen Dauer entspricht (seinen ontischen zeitlichen Ablaufsmodus).1 Überlegen wir: Ich höre einen Ton, er erscheint jetzt, er erscheint im nächsten Moment als derselbe, nach Qualität und Intensität selbe Ton, aber „vergangen“ und immer weiter in die Vergangenheit zurückrückend. Dem gegenüber sprechen wir von dem immanenten Zeitbewußtsein dieses Tones: das Bewußtsein vom präsenten Ton, vom soeben gewesenen und immer weiter zurücksinkenden Ton. Auf diese Bewußtseinsweisen kann ich achten, ich kann es „sehen“, wie das Phänomen des gegenwärtigen Tones sich stetig ändert, wie ein immer neues Jetzt auftritt, wie sich stetig ein Erinnerungsschwanz, ein Kometen | schweif der „Erinnerung“ der Urerinnerung anschließt und wie dieser sich stetig ändert. In diesem Bewußtsein finde ich ein „Nacheinander“, ich finde es als einen „Fluß“, und darin finde ich eine Phase des „ Jetzt“, nämlich eine Phase, die das Ton-Jetzt originär bewußt macht: die ursprünglich präsentierende Phase. Aber ich finde „zugleich“ damit eine Kontinuität von Phasen, die das FrüherBewußtsein 〈 aus〉 machen. Und dieses ganze „Zugleich“ aus ursprünglicher Präsentierung und der Kontinuität von präteritalen Phasen macht das bewegliche Moment der Bewußtseinsaktualität aus, die in unaufhörlicher Veränderung das immanente Objekt konstituiert. Aber nun ergibt sich die Schwierigkeit: Ich weiß doch vom Bewußtseinsfluß als Fluß, ich kann auf ihn hinsehen, ich habe also in einem erfassenden Bewußtsein die Aktualitätsphase des Flusses und zugleich eine Serie von Erinnerungen an die frü-
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Wenn nicht ein Irrtum in Husserls Paginierung vorliegt, so fehlt an dieser Stelle ein Blatt der Aufzeichnung. – Anm. d. Hrsg.
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heren Phasen. Ist1 ein geschlossener (zu einem dauernden Vorgang oder Objekt gehöriger) Fluß abgelaufen, so kann ich darauf zurückblicken, er bildet, wie es scheint, in der Erinnerung eine Einheit. Also konstituiert sich nicht auch der Bewußtseinsfluß im Bewußtsein als Einheit? In ihm konstituiert sich also die Einheit der Ton-Dauer, er selbst aber als Einheit des Ton-Dauer-Bewußtseins konstituiert sich wieder. Und müssen wir dann nicht weiter auch sagen, sie konstituiert sich in ganz analoger Weise, und ist ebensogut eine konstituierte Zeitreihe, man muß also doch von zeitlichem Jetzt, Vorhin und Nachher sprechen? Für diese Schwierigkeit habe ich folgende Lösung versucht: Es ist der eine, einzige Bewußtseinsfluß (ev. innerhalb eines „letzten“ Bewußtseins), in dem sich die immanent-zeitliche Einheit des Tones konstituiert und zugleich die Einheit des Bewußtseinsflusses selbst. So anstößig (wo nicht anfangs sogar widersinnig) es erscheint, daß der Bewußtseinsfluß seine eigene Einheit konstituiert, so ist es doch so, und aus seiner Wesenskonstitution verständlich zu machen. Der Blick kann sich einmal durch die im stetigen Fortgang des Flusses sich „deckenden“ | Phasen, als Intentionalitäten vom Ton, richten. Der Blick kann aber auch dem Fluß entlang gehen, auf eine Strecke des Flusses, auf den Übergang des fließenden Bewußtseins vom Ton-Einsatz zum Ton-Ende. Was sagt das letztere für die Konstitution? Wie ist es möglich? Jede Bewußtseinsabschattung der Art „Retention" hat, antworte ich, eine doppelte Intentionalität: einmal die für die Konstitution des immanenten Objekts, des Tones dienende, d. i. diejenige, die wir „Erinnerung“ an den (soeben empfundenen) Ton nennen; die andere ist die für die Einheit dieser primären Erinnerung im Fluß konstitutive, nämlich die Retention ist in eins damit, daß sie Erinnerung an den Ton ist, Reproduktion der verflossenen Ton-Empfindung, genauer der Urempfindung. Und noch genauer: Sie ist in ihrem stetigen Sich-abschatten im Fluß stetige Reproduktion von den stetig vorangegangenen Phasen. Fassen 1
Von hier ab bis S. 382 ist der Text der Aufzeichnung mit einigen Abwandlungen in § 39, S. 80–83, wiedergegeben. –Anm. d. Hrsg.
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wir irgendeine Phase des Bewußtseinsflusses ins Auge (an der Stelle erscheint ein Ton-Jetzt und eine Strecke der Ton-Dauer in dem Modus der soeben abgeflossenen), so befaßt sie eine im Momentan-Zugleich einheitliche Kontinuität von Reproduktionen; diese ist Reproduktion von der gesamten MomentanKontinuität der kontinuierlich vorangegangenen Phase des Flusses (im Ansatzglied ist sie neue Urempfindung, im stetig ersten Glied, in der ersten Abschattungsphase, die nun folgt, unmittelbare Reproduktion der vorangegangenen Urempfindung, in der nächsten Momentanphase Reproduktion der Reproduktion der vor-vorangegangenen Urempfindung usw.). Lassen wir nun den Fluß fortfließen, so haben wir das Flußkontinuum im Ablauf, das die eben beschriebene Kontinuität sich reproduktiv abwandeln läßt, und dabei ist jede neue Kontinuität von momentan-zugleich seienden Phasen Reproduktion in bezug auf die gesamte Kontinuität des Zugleich in der vorangegangenen Phase. So geht also durch den Fluß eine Längsintentionalität, die im Lauf des Flusses in stetiger Deckungseinheit mit sich selbst ist. Im absoluten Übergehen, fließend, wandelt sich die erste Urempfindung in Reproduktion von ihr, diese Reproduktion in Reproduktion von dieser Reproduktion usw. Zugleich aber mit der ersten Reproduktion ist ein neues „ Jetzt“, eine neue Urempfindung da, und mit jener kontinuierlich-momentan verbunden, so daß die zweite Phase des Flusses Urempfindung des neuen Jetzt und Repro | duktion des früheren ist. Die dritte Phase 〈 ist 〉 also weiter abermals neue Urempfindung mit Reproduktion der zweiten Urempfindung und Reproduktion von der Reproduktion der ersten usf. Hierbei ist mit in Rechnung zu ziehen, daß Reproduktion von einer Reproduktion nicht nur Intentionalität hat in bezug auf das Reproduzierte, sondern auch in bezug auf das im Reproduzierten Reproduzierte zweiter Stufe, analog wie eine Vergegenwärtigung einer Dingerscheinung nicht nur Intentionalität hat in bezug auf die Dingerscheinung, sondern auch in bezug auf das erscheinende Ding; oder besser noch, wie eine Erinnerung an eine Erinnerung von A nicht nur die Erinnerung, sondern auch das A als Erinnertes der Erinnerung bewußt macht.
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Demnach, meinen wir, konstituierte sich im Fluß des Bewußtseins vermöge der Stetigkeit der reproduktiven Abwandlungen und des Umstandes, daß sie stetig Reproduktionen von einander, von den stetig vorangegangenen sind, die Einheit des Flusses selbst, als eine eindimensionale quasi-zeitliche Ordnung. Nehme ich die Richtung auf den Ton, also lebe ich mich aufmerkend in die Querintentionalität ein (in die Urempfindung als Empfindung vom jeweiligen Ton-Jetzt, in die reproduktiven Abschattungen als primäre Erinnerungen der Reihe der abgelaufenen Ton-Punkte und im Fluß der reproduktiven Abwandlungen der Urempfindungen und der schon vorhandenen Reproduktionen die Einheit immerfort erfahrende), so steht der dauernde Ton da, sich in seiner Dauer immerfort erweiternd. Stelle ich mich auf die Längsintentionalität ein und auf das in ihr sich Konstituierende, so werfe ich den reflektierenden Blick vom Ton (der so und so lange gedauert hat) auf das im Momentan-Zugleich nach einem Punkt Neue der Urempfindung und nach einer stetigen Momentanreihe „zugleich“ damit Reproduzierte. Das Reproduzierte ist das vergangene Bewußtsein nach seinen Phasenreihen (zunächst seiner nächst vorangegangenen Phase), und nun, im stetigen Fortfluß des Bewußtseins, erfasse ich die reproduzierte Reihe des abgelaufenen Bewußtseins mit dem Grenzpunkt der aktuellen Urempfindung und der stetigen Zurückschiebung dieser Reihe mit der Neuansetzung von Reproduziertem und Neuem von Urempfindungen. Doch kann man hier fragen: Kann ich in einem Blick in der Momentankontinuität etwa gar gleich das ganze in ihr repro- | duktiv beschlossene Bewußtsein des vergangenen Bewußtseinslaufs finden und erfassen? Ist nicht vielmehr das der notwendige Prozeß, daß ich erst das Momentan-Zugleich selbst erfassen muß1; und das modifiziert sich stetig in der Reproduktion, es ist ja nur, was es ist, im Fluß, und nun ist der Fluß, 1
Husserl hat später zu dem ganzen Absatz mit Bleistift am Rand angemerkt: „Überall habe ich leider den Ausdruck Momentan-Zugleich gerade für das Strecken-Zugleich verwendet. Also überall zu verbessern. – Anm. d. Hrsg.
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soweit er dieses Momentan-Zugleich abwandelt, intentional mit 〈 sich 〉 selbst in Deckung, konstituiert Einheit im Fluß, und das Eine und Identische erhält einen stetigen Modus der Zurückschiebung, immer Neues setzt sich vorne ja an, um ebenso alsbald wieder zu verfließen in seinem Momentanzusammenhang. Während dieses Prozesses kann der Blick fixiert bleiben auf das Momentan-Zugleich, das herabsinkt, aber die Konstitution der reproduktiven Einheit reicht über 〈 dieses 〉 hinaus, fügt immer Neues hinzu, und auf das kann sich in diesem Prozeß der Blick lenken, und das ist immer Bewußtsein im Fluß als konstituierte Einheit. Es scheint also, daß sich das alles, so schwierig es ist, wirklich verstehen läßt. Es sind danach zwei untrennbar einheitliche, wie zwei Seiten einer und derselben Sache einander fordernde Intentionalitäten miteinander verflochten in dem einen, einzigen Bewußtseinsfluß; vermöge der einen konstituiert sich die immanente Zeit, eine objektive Zeit, eine echte, in der es Dauer und Veränderung von Dauerndem gibt; in der anderen die quasi-zeitliche Einordnung der Phasen des Flusses, der immer und notwendig den fließenden „Jetzt“-Punkt, die Phase der Aktualität hat und die Serien der voraktuellen und nachaktuellen Phasen (der noch nicht aktuellen). Diese präphänomenale, präimmanente Zeitlichkeit konstituiert sich intentional als Form des zeitkonstituierenden Bewußtseins und in ihm selbst: Der Fluß des immanente Zeit konstituierenden Bewußtseins ist nicht nur, sondern, so merkwürdig und doch verständlich geartet ist er, daß in ihm notwendig eine Selbsterscheinung des Flusses bestehen und daher der Fluß selbst notwendig im Fließen erfaßbar sein muß. Die Selbsterscheinung des Flusses fordert nicht einen zweiten Fluß, sondern als Phänomen konstituiert er sich in 〈 sich 〉 selbst. Das Konstituierende und Konstituierte decken sich, und doch können sie sich natürlich nicht in | jeder Hinsicht decken. Die Phasen des Bewußtseinsflusses, in denen Phasen desselben Bewußtseinsflusses sich phänomenal konstituieren, können nicht mit diesen konstituierten Phasen identisch sein, und sind es natürlich nicht. Was im MomentanAktuellen des Bewußtseinsflusses zur Erscheinung gebracht
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B. Ergänzende Texte
wird, das sind in der Serie der reproduktiven Momente desselben vergangene Phasen des Bewußtseinsflusses. Es fragt sich nun aber, ob wir nicht sagen müssen, es walte über allen Bewußtsein im Fluß noch das letzte Bewußtsein. Danach wäre die jeweils aktuelle Phase des inneren Bewußtseins ein durch das letzte Bewußtsein Bewußtes, und dieses letzte Bewußtsein wäre es, was in die reproduktive (retentionale) Modifikation übergeht, welche dann selbst wieder etwas im letzten Bewußtsein Bewußtes wäre. Diese letzte Intentionalität kann den Stil des Aufmerkens in sich aufnehmen, und dadurch kann ihr Inhalt bewußt werden in der Weise des Aufgemerkten. Wir finden sonst, daß, wo Aufmerken auf etwas statthat, immer schon etwas „erscheint“, der Stil der Aufmerksamkeit geht immer durch eine Intentionalität hindurch. Wenn ich aber auf eine aktuelle Momentanphase des Flusses den Blick richte? Es ist aber ernstlich zu überlegen, ob man solch ein letztes Bewußtsein annehmen muß, das ein notwendig „unbewußtes“ Bewußtsein wäre; nämlich als letzte Intentionalität kann sie (wenn Aufmerken immer schon vorgegebene Intentionalität voraussetzt) nicht Aufgemerktes sein, also nie in diesem besonderen Sinn zum Bewußtsein kommen. – Die Urempfindung, mit der sich das Jetzt des Tones konstituiert, kann nicht das Jetzt-Rot1 selbst sein. Das zeigt die Abwandlung der Urempfindung Rot1 in die retentionale Reproduktion. Nur Intentionalität kann sich in Intentionalität modifizieren.
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Sic im Manuskript. – Anm. d. Hrsg.
Sachregister zu Teil A *
Ablauf, Ablaufsphänomene = Ablaufsmodi als die zeitkonstituierenden Phänomene 30 Quellpunkt und Kontinuum der Ablaufsmodi 31 f. Ähnlichkeit, Gegebenheit der ~ 47 f. Begriff der ~ 94 f. Akt, zeitkonstituierender 43 f. ~ als konstituierte Einheiten im Fluß 82 f., 134 f., 150 ff. originärer ~ und Vergegenwärtigung 146 Akte und Nicht-Akte 146 Aktimpression s. Impression Apparenz als der identische Kern aller anschaulichen Akte 112 imaginäre ~ bleibt unmodifiziert in allen Reproduktionsstufen 113 ff. Assoziation, Brentanos Auffassung von der ursprünglichen ~ 11 ff. Auffassung, konstituiert in Aktimpressionen 97 f. konstituierte ~ und Ur-~ 99 Gleichzeitigkeit von ~ und Empfindungsdatum 121 f. ~ von Erlebnissen durch Zuwendung 148 ff. ~sakte als konstituierte immanente Dauereinheiten 135, 150 ff. Aufmerksamkeit 149 f. Bewußtsein und Erscheinung 29 anfangendes ~ 36 inneres ~ in der Retention 132 f. inneres ~ von Erlebnissen 144 ff. immanenter Inhalt des ~s 82 f. impressionales ~ (s. a. Impression) als Einheits-~ immanenter und transzendenter Art 98 Scheidung alles ~s in Empfindung und Phantasma 112 f. waches ~ als Leben von Jetzt zu neuem Jetzt 117 Ur-~ des Jetzt 134 f. Zeitbewußtsein (s. a. Zeit) und Apriori der Zeit 10 Dieses von Ludwig Landgrebe für den Erstdruck des Textes im „Jahrbuch für Philosophie ...“ erarbeitete Sachregister zum Teil A wird hier mit den Seitenangaben der vorliegenden Ausgabe wiedergegeben. *
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Sachregister zu Teil A
ursprüngliches ~ und Empfinden 117 f. die wesentlichen Modi des ~s 118 zeitkonstituierendes ~ als Fluß stetiger Erzeugung von Modifikationen 108 f. zeitkonstituierendes ~ als eindimensionale orthoide Mannigfaltigkeit 129 Bewußtseinsstrom, Reproduktion des ganzen ~s in der Wiedererinnerung 58 ff. absoluter zeitkonstituierender ~ im Unterschied von Erscheinungen und Dingen 79 ff., 82 f. Notwendigkeit stetiger Veränderung im ~ 80 f., 126 ff. zeitkonstituierender ~ als die absolute Subjektivität 81 f. Gegebenheit des absoluten ~s 123 ff. doppelte Intentionalität des ~s und Identifizierung des Stromes als Einheit 89 f., 130 ff. Einheit des ~s 83 f., 85 ff. Selbsterscheinung des ~s 89 f. ~ und immanente Zeitobjekte 150 ff. Einheitsbewußtsein hergestellt in der Reihe von Urimpressionen und stetigen Modifikationen 119 ff. Bildbewußtsein und Retention 37 f. ~ und Erinnerung 65 f. Verbildlichung und Phantasie 110 f. kinästhetische Bilder 121 f. Dauer, dauernd, ~ und Kontinuität ihrer Erscheinungsweisen 25 ff. Bewußtsein der gegenwärtigen und der abgelaufenen ~ 26 f., 34 f., 119 ff. Gegebenheit der ~ 46 ff. Evidenz der ~ 91 ff. ~ nur setzbar im Zeitzusammenhang 58 f. Unmöglichkeit der ~ im zeitkonstituierenden Fluß 80 ff., 126 ff. Ablaufskontinuität ~ Objekte als Doppelkontinuität 30 f. ~ der Wahrnehmung und ~ des Wahrgenommenen 121 f. Deckung von Wiedererinnertem mit Retiniertem 40 f., 67 f., 76 f. ~ in der Folge gleicher Objekte als Voraussetzung des Unterschiedes 47 ff. ~ von phänomenaler und objektiver Zeit 100 ff. ~ als homogenes Einheitsbewußtsein und ~ im Bewußtsein der Veränderung 92 ff.
Sachregister zu Teil A
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Diagramm der Zeit 30 f. Dingkonstitution 78 f., 82 f., 97 ff., 102 ff., 136 ff. Empfindung, empfinden, zeitliche Modifikation der ~ 12 ff. ursprüngliche Temporalform der ~ 73 f. ~ und Phantasma 95 f., 112 f. ~ als primärer Inhalt und „Bewußtsein von“ 97 ~s-Inhalt konstituiert in sinnlichen Impressionen 98 Empfinden als das ursprüngliche Zeitbewußtsein 118 Gleichzeitigkeit von ~-datum und Auffassung 122 ~ als inneres Bewußtsein des ~sinhaltes 145 f. ~ als Gegenstand der inneren Wahrnehmung 147 f. Empfundenes, Begriff des ~n 7 Erinnerung, primäre s. Retention Allgemeines: ~ und Bildbewußtsein 37 f., 65 f. Unterschied von primärer und sekundärer ~ 49 ff. ~ und Erwartung 60 ff. Gegenwarts-~ 66 f. jede ~ zugleich ~ von Immanentem 103 f. ~ an Erinnerung 113 f. Ur-~ 95 f., 109 sekundäre Erinnerung = Wiedererinnerung: ~ analog der Wahrnehmung aufgebaut; Unterschiede gegenüber der primären ~ 38 ff., 49 ff. Vollzugsformen der ~ 40 f. ~ als „Gleichsam“-Bewußtsein 45, 117 ~ als Sphäre des „Ich kann“; Bedeutung der ~ für die Gegebenheit von Dauer und Folge 46 ff. ~ und Retention 49 ff. Evidenz der ~ an Zeitobjekte 53 ff., 107 ff. ~ als setzendes Bewußtsein im Gegensatz zur Phantasie 55 ff., 109 ff. doppelte Intentionalität der ~ 58 f. ~ und Erwartung 60 ff. äußere und innere Reproduktion in der ~; ihre Beziehung zum inneren Bewußtsein 62 ff. Einordnung der ~ in den inneren Zeitzusammenhang 66 ff. Beziehung der ~ auf das aktuelle Jetzt und Zusammenhangsintentionen der ~ 114 ff., 116 ff. ~ und Konstitution der einen objektiven Zeit 76 f. ~ als Erfüllung der Retention 133 f.
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Sachregister zu Teil A
~ und imaginäre Apparenz 112 Erlebnis (s. a. Akt und Bewußtsein), jedes ~ entweder Impression oder Reproduktion; alle ~se bewußt durch Impression 96 die beiden ~-Grundklassen 97 inneres Bewußtsein von ~ 145 ff. präphänomenales und phänomenales Sein der ~ 148 f. Erscheinung, ~smannigfaltigkeit gegenüber Ding und absolutem zeitkonstituierenden Bewußtsein 79 ff., 82 f., 89 ff. transzendente ~ konstituiert im inneren Bewußtsein 99 f. ~ und Erscheinendes in eins konstituiert 100 ff. äußere ~ als immanentes Objekt 103 ~ als Präsentation 105 Wahrnehmungs-~ und Phantasie-~ 110 ff. ~ der objektiven Zeit 142 ff. ~ von Immanentem und von Dinglichem 139 f. Erwartung und Erinnerung 60 ff. Einordnung der ~ in den inneren Zeitzusammenhang 65 f. Folge, Gegebenheit der ~ 13, 46 ff. ~ und Gleichzeitigkeit 83 ff. Gegenwart als Grenzpunkt 75 (s. a. Jetzt) Gegenwärtigung und Erinnerung 40 ff. Jetzt-~ und Soeben-~ 118 Gleichheit, Gegebenheit der ~ 48 f. Begriff der ~ 95 f. Gleichzeitigkeit, Konstitution der ~ 83 ff., 129 ff. ~ von Wahrnehmung und Wahrgenommenem 121 ff. Identität, Herstellung des ~-Bewußtseins in der Deckung von Retention und Wiedererinnerung 67 ff., 133 f. ~ und spezifischer Bestand des Objektes 69 ~ der Zeitpunkte in der objektiven Zeit 69 ff., 76, 119 ff. ~ von Materie und Zeitstelle in der Vergangenheitsgegebenheit 67 ff. ~ des Individuums als ~ der Zeitstelle 74 ~ der Zeitfelder in der Überschiebung 76 f. ~ von objektivierter und vorobjektivierter Zeit 78 f. ~ als Voraussetzung des Veränderungsbewußtseins 94 f. ~ von Zeitobjekten nur durch Wiedererinnerung zu geben 118 f. ~ des Dinges nicht adäquat zu realisieren 144
Sachregister zu Teil A
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Imagination siehe Phantasie Impression, apriorische Notwendigkeit des Vorangehens einer ~ vor der Retention 36 ff. ~ und Phantasma 73 f., 112 f. jedes Erlebnis bewußt durch ~; doppelter Begriff von ~ 95 ff. ~ als primäres Bewußtsein 97 Akt-~ und sinnliche ~ 98 Unterschied zwischen ~ und Imagination 112 f. Urimpression: ~ und Übergang in die Retention 31 ff., 107 ff. Unterscheidung einer ~ von der anderen durch das Jetzt 73 f. das Zugleichsein von Urempfindungen 83 ff. ~ als Urschöpfung 108 f. Individualität konstituiert durch die Zeitstelle 72 f., 74 f. Erhaltung der ~ der Zeitfelder 76 f. individuelles Sein als veränderlich oder unveränderlich 80 Inhalt, immanenter Inhalt 82 f., 90 f. Evidenz des immanenten ~s 91 ff. Bewußtsein des immanenten ~s 134 ff. primärer ~ und „Bewußtsein von“ als Erlebnisgrundklassen 97 primärer ~ als Träger von Auffassungsstrahlen 115 primärer ~ als Nicht-Akt 146 Urinhalte als Träger von Urauffassungen 99 Intention, Intentionalität, Doppelsinn der Rede von Intentionalität 29 transzendente Intentionalität nur durch immanent Konstituiertes möglich 97 f. gegenständliche Intention als identische durch die Zeitmodifikationen 67 ff. originäre Intentionalität von Jetzt zu Jetzt 115 f. doppelte Intentionalität der Wiedererinnerung 58 ff. ~ der Retention 85 ff. ~ des Bewußtseins 89 f., 130 ff. Umgebungsintentionen: Bedeutung der ~ für die Konstitution von Zeitobjekten 59 f. ~ der Gegenwartserinnerung 66 f. Zusammenhangsintentionen von Wahrnehmung und Erinnerung 113 ff. Jetzt, Brentanos Bestimmung des ~ 15 f. ~bewußtsein von Dauerndem 25 ff. Wandlung des ~ in Gewesen 31 f., 107 ff.
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Sachregister zu Teil A
„grobes“ und „feineres“ ~; ~auffassung als ideale Grenze 43 ff., 74 ff. Phantasie-~ 45 Verschiedenheit eines ~ von anderen 71 Identität des ~ im Zurücksinken in die Vergangenheit 68, 72 f. ~punkt als Urquell der Individualität, definiert durch die ursprüngliche Empfindung 67 f. das ~ als einheitliches, eine Zeitstelle konstituierend 77 ff. ~ als Modifikationsergebnis 107 f. originäre Intention von ~ zu ~ 115 f. ~ in sich intentional enthaltend alle früheren Stufen 123 Bewußtsein des ~ kein auffassender Akt 134 f. Kontinuität, Kontinuum, Kontinuität der Ablaufsphänomene und ihr Quellpunkt 30 ff. ~ der Empfindungen und der Phantasmen 51 f. Abschattungs-~ 81 Kontinuum von Phasen als Vor-zugleich 85 f. Kontinuität als Voraussetzung der Diskontinuität 93 f. Kontinuum der zeitlichen Modifikationen als einseitig begrenzte orthoide Mannigfaltigkeit 107 ff., 129 f. Modifikation, Wesen der temporalen ~ 107 f. Phantasie-~, Erinnerungs-~ s. Phantasie usw. Nachklang und Retention 34 f. Serie von Nachklängen 123 Objekt (= Gegenstand), dauerndes immanentes ~ und ~ im Wie 28 f. außerzeitliche und zeitliche Komponenten der Gegenstands(Objekt-)Konstitution 69 zeitliche ~e als dauernde, unveränderliche oder veränderliche 80 f. (s. a. Zeitobjekt unter Zeit) Unterscheidung von Gegenstand, Bewußtsein, Erscheinungen 82 f. Erscheinende ~e konstituiert in transzendenten Erscheinungen 99 f. ~ als Identisches der Intentionen 119 f. ~-Dauer und Dauer der Wahrnehmung 121 f. Konstitution von nichtzeitlichen ~en 104 f. spontane Einheiten als immanente ~e 150 ff. Phantasie als Ursprung der Zeitvorstellung nach Brentano 12 ~ und Vorstellung der Zukunft 14 f.
Sachregister zu Teil A
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~ als „Gleichsam“-Bewußtsein 44 f. ~ als nicht selbstgebendes Bewußtsein 49 Unterschied der ~ gegenüber der Retention 49 ff. Unterschied der ~ gegenüber der Wiedererinnerung 55 ff. Einordnung der ~-Zeit in die objektive Zeit 77 Ur~ als Ursprungsmoment eines Kontinuums 108 f. ~ und Vergegenwärtigung bzw. Erinnerung 101 ff. 114 ff. Phantasma, Bedeutung des ~ für das vergegenwärtigende Bewußtsein 50 f. ~ als Kontinuum 51 f. ~ und Impression 73 f., 96 f., 112 f. ~ und Empfindung 95 f. ~ kein intentionales Erlebnis 96 f. ~ als Auffassungsmaterial 111 ~ und Erinnerung 113 f. Phase, Unwiederholbarkeit der ~ 30 f. retentionale ~ ohne Möglichkeit einer Extension 35 f. ~ des zeitkonstituierenden Flusses als Abschattungskontinuitäten 80 f. Protention 57 f. Raum, objektiver und erscheinender 5 ff., 134 f. Reflexion, Möglichkeit der ~ 37 ff., 127 f., 133 ff., 147 ff. Regreß, unendlicher, Vermeidung des u. ~ in der Erfassung des Zeitbewußtseins 127 f., 132 ff. Reproduktion, Repräsentation s. Vergegenwärtigung Retention (= primäre Erinnerung) als Noch-Bewußtsein 26 f. ~ als kontinuierliche Modifikation aller früheren Modifikationen und als aktuell Daseiendes 31 ff. ~ als Intentionalität, ~ und Nachklang 34 ff. ~ und Bildbewußtsein; ~ weist auf Impression zurück 37 f., Evidenz der ~ 37, 53 f. ~ und sekundäre Erinnerung 38 ff., 49 f. Erfassung des Retinierten in der Wiedererinnerung 40 f. ~ als Wahrnehmung 45 f. Bedeutung der ~ für die Gegebenheit von Dauer und Folge 46 f. ~ und Vergangenheitsbewußtsein 85 f. doppelte Intentionalität der ~ 86 ff. innere und äußere ~ 132 f. Unmöglichkeit der Retention von Unbewußtem 134 f.
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Sachregister zu Teil A
Sachverhalt, „Erscheinung“ von 43 f. Soeben gewesen, erschaubar in der Retention 45 Spontaneität, ursprüngliche ~ des inneren Bewußtseins 129 Gebilde der ~ als immanente Zeitobjekte 150 ff. Subjektivität, absolute 81 f. Substanz als das Identische im Wechsel des Zeitflusses 142 ff. Sukzession, Möglichkeit der Wahrnehmung von ~ 12 f., s. a. Folge Temporalzeichen 7 f. Urempfindung s. Urimpression unter Impression Urimpression s. unter Impression Ursprungsfrage, psychologische und phänomenologische 9 f. Urteil, Konstitution des ~s als immanenten Zeitobjektes 104 ff., 150 f. Veränderung, stetige 80 ff., 93 f., 125 ff. Bewußtsein der ~ Einheit voraussetzend 94 f. Vergangenheit, gegeben durch Phantasie nach Brentano 12 Kritik dieser Auffassung 16 ff. Vergangenheitsanschauung als originäres Bewußtsein 35 Wahrnehmung des Vergangenen 36 ff., 42 ff., 45 Erfüllung von Vergangenheitsintentionen 60 ff. ~ als Modifikation der identischen Zeitmaterie und Zeitstelle 73 ff., 108 ff. Vergangenheitsbewußtsein und Retention 85 f. Vergangenheitsintentionen von Wahrnehmung und Erinnerung 114 ff. Vergegenwärtigung (= Reproduktion; als Obertitel für sekundäre Erinnerung und Phantasie, s.d., an dieser Stelle sind nur die für beide gemeinsam geltenden Ausführungen zitiert) Unterschiede der ~ gegenüber der Retention 49 ff. Freiheit der ~ 52 Klarheitsstufen und Evidenz der ~ 53 ff. Vergegenwärtigungsfluß als zeitkonstituierender; doppelte Intentionalität der ~ 56 f. Scheidung von setzenden und nichtsetzenden ~ 65 setzende Reproduktion s. Wiedererinnerung ~ und Impression; ~ als sekundäres Bewußtsein 95 f., 146 f. ~ als gegenwärtiges Bewußtsein 96 Vergegenwärtigungsbewußtsein als immanentes Objekt 104
Sachregister zu Teil A
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~ und Phantasie 110 f. durchgängige Korrelation von ~ und Wahrnehmung 147 f. Vergleichung 49 f. Vorstellung 110 ff. Wahrnehmung als Gegenwärtigung 40 ff. ~ als selbstgebender Akt im Gegensatz zur Reproduktion 44 f. ~ als Erfüllung der Erwartung 62 Zeit der ~ und Zeit des Wahrgenommenen 79, 121 ff. Zweifellosigkeit der ~ von zeitlich Extendiertem 92 ~ und Wahrgenommenes im selben impressionalen Bewußtsein konstituiert 97 f. ~-Erscheinung und Phantasieerscheinung 110 ff. Zusammenhangsintentionen der ~ 113 ff. ~ in vierfachem Sinne 123 ff. adäquate und inadäquate ~ 141 ff. durchgängige Korrelation von ~ und Vergegenwärtigung 147 f. innere Wahrnehmung; äußere und ~ 102 ff. Evidenz der ~ 37 ff. ~ von Erlebnissen 145 ff. Doppeldeutigkeit im Begriff der ~ 143 ff. ~ als setzende Meinung 147 f. Wiedererinnerung, Wiedervergegenwärtigung s. Erinnerung Zeit, Allgemeines: empfundenes und wahrgenommenes Zeitliches 7 der „Ursprung“ der ~ 9 f. Vermengung von subjektiver und objektiver ~ in der Psychologie vor Brentano 12 Gewinnung der Vorstellung der unendlichen ~ 14 ff. die Zeitcharaktere als alterierende irreale und reale ~prädikate nach Brentano 15 f. Unterschied von ~-Wahrnehmung und ~-Phantasie bei Brentano nicht berücksichtigt 16 ff. „Unmöglichkeit“ der Auffassung des ~moments als ~inhalt 17 ff. zeitliche Perspektive 29 ~anschauung und Retention 34 f., 131 ff. apriorische ~gesetze 77 f. ~ der Erfassung des ~bewußtseins 127 f. immanente und objektive ~: erscheinende ~ als absolute Gegebenheit 5
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Sachregister zu Teil A
Ausschaltung der objektiven ~ als Transzendenz 5 ff. Konstitution der objektiven ~ 69 ff., 120 f., 139 ff. Anteil der Wiedererinnerung an der Konstitution der objektiven ~ 76 f. Identität vorobjektivierter und objektivierter ~ 78 f. immanente und präimmanente ~ 89 f. Objektivierung der immanenten ~ 99 ff. Deckung von phänomenologischer und objektiver ~ 100 f. Subjektive ~ als ~ der Erscheinungen konstituiert im absoluten Bewußtsein 124 f. objektive ~ konstituiert durch „äußere“ Retention 133 die „Darstellung“ der objektiven ~ 137 ff. Fluß der objektiven und der phänomenologischen ~ 141 ff. Zeitobjekte, Begriff des ~s 148 ff. Erscheinungsweisen der immanenten ~ 25 ff. Auffassung von Zeitlichem in einem Aktkontinuum 25 f., 74 f. Reproduktion von ~n 38 ff. adäquate Wahrnehmung von ~n 42 Umgebungsintentionen und Konstitution von ~n 59 f. Objektivation von ~n 72 f. Stufen der Konstitution von ~n 79 ff. Identität von ~n und objektiven Zeitpunkten in der Wiedererinnerung 118 ff. Konstitution von immanenten ~n 150 ff. Phantasiezeit: Einordnung der ~ in die objektive Zeit 77 Zeitbewußtsein s. Bewußtsein Zukunft, Vorstellung der 14 f. Zukunftsintentionen der Erinnerung 116 Zusammen von formidentischen und kontinuierlich abgewandelten Modis 85 Zusammenhangsintentionen der Wahrnehmung und Erinnerung 113 ff. Erfassung des ~ des Gegenstandsbewußtseins 125 f. Zuwendung auf Erlebnisse 148 ff.
Sachregister zu Teil B*
Absolutes Bewußtsein als Bewußtsein von immanenten Zeitgegenständen (doppelter Begriff der Immanenz) 315 f., 322 f., 324 f., 334 f., 355 f., 394 ff., 398-403 ~ und unendlicher Regress 317 f., 367-369, 390 ~ als unzeitlicher Fluß 326, 329 f., 368 f., 404-409 ~ als Form des Fließens und als Fluß von Inhalten (Urimpressionen, Retentionen) 408-413 ~ ist Bewußtsein sowohl von der Einheit eines immanenten Zeitgegenstandes als auch von der Einheit des Flusses selbst 413-418 Erfassung des einheitlichen Flusses des ~ 317 f., 367 f., 389 f., 413418 vgl. auch Konstitution, Retention Auffassung und Auffassungsinhalt, Kritik an der Anwendung des Schemas ‚~‘ auf die Analyse des Zeitbewußtseins 353 f., 356-359 vgl. auch Retention Aufmerksamkeit und Bemerken 167 ~ und Meinen 193 Bildbewußtsein und Retention 180 f., 186 f. ~ und Wiedererinnerung 187, 196, 204 f., 207-210, 215 f., 339-344, 350 ~ und Phantasie 207 Dauer (Kontinuität) der Zeit und ~ (Kontinuität) des Zeitgegenstandes 270-274, 294 ff., 306-308, 311-315 ~ der Zeit 285 ff. ~ eines Zeitgegenstandes 157 f., 286-292, 293 ff., 296-299, 303 ff. ~ eines Zeitgegenstandes und ~ eines räumlichen Gegenstandes 301-306 vgl. auch Wahrnehmung Erwartung und Erfüllung 176 f., 339 f. In diesem von Rudolf Bernet für Teil B erarbeiteten Register sind besonders wichtige Belegstellen kursiv gesetzt. *
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Sachregister zu Teil B
~ und Täuschung 175 ~ und Wiedererinnerung 338-341 Gegenwärtigung vgl. Vergegenwärtigung Gegenstände in der Zeit, Meinongs und Sterns Unterscheidung zwischen zeitlich distribuierten und indistribuierten Gegenständen 243-247; Husserls Neuformulierung dieser Unterscheidung und Kritik 248-250 vgl. auch Wahrnehmung, Dauer Gleichzeitigkeit im Verhältnis von Wahrnehmung und wahrgenommenem Gegenstand 205 f., 226, 232 f., 254, 305 f., 320 ~ im Verhältnis von absolutem Bewußtsein und seinen Gegenständen 320 Kritik an der ~ im Verhältnis von absolutem Bewußtsein und seinen Gegenständen sowie von Urimpression und zugehöriger Retention 368 f., 405 ff. ~ und ihre Konstitution im absoluten Bewußtsein 410 f. Ich und Zeitbewußtsein 175 ~ und Retention 215 ~ und Wiedererinnerung 219 f. Ausschaltung des empirischen ~ 319, 370, 373 f., 377 f. Identität durch Wiederholung und Reproduktion 168 ff., 176, 241 f., 389 f. Individuation und ~ des Zeitgegenstandes 220 f., 268-271, 295 f., 303 ff. individuelle ~ des Zeitgegenstandes und abstrakte ~ der Zeitstrecke 274 ff., 279-281 Individuation und ~ des Raumgegenstandes 281 f., 301 f. Individuation vgl. Identität Jetzt, Selbstgegebenheit des ~ 237 f. Unselbständigkeit der jetzigen Phase (Querschnitt) eines zeitlichen Prozesses 223 ff. ~ als Grenzpunkt mit retentionalem sowie protentionalem Horizont 189-192, 198 f., 266, 306 f., 311 f., 329 ff., 347, 349 ~ und absolutes (urimpressionales) Bewußtsein 368 f., 405-408 ~ und Urempfindung 359-362, 407-418 vgl. auch Wahrnehmung
Sachregister zu Teil B
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Konstitution und absolutes Bewußtsein 309 (Anm.), 315 ff., 322 f., 416 ff. ~ und Wiedererinnerung 166 Objektive Zeit und göttliches Bewußtsein 198 phänomenologische Ausschaltung der ~ 191 f., 211-213, 348, 374 phänomenologische Konstitution der ~ 239 ff. Phänomenologie vgl. Reduktion Phantasie und Wahrnehmung 185 f. ~ und Wiedererinnerung 172-175, 183-186 ~ und Bildbewußtsein 207, 341 f. ~ als Vergegenwärtigung 207, 321 f., 341-344, 346 Protention als „Fortsetzungstrieb“ 158 ff. ~ und Jetzt 189-192, 330 ~ im absoluten Bewußtsein 330, 334 f. Reduktion, phänomenologische ~ und Doppelbegriff des Phänomens 371 f., 381 f. phänomenologische ~ und Umgrenzung des Forschungsgebietes der Phänomenologie 370 f., 373 f., 380-383 phänomenologische ~ und Analyse des Zeitbewußtseins 348 f. phänomenologische ~ und die zeitlichen Bedingungen einer phänomenologischen Wissenschaft 374-377 vgl. auch Ich, Objektive Zeit Reflexion und vor-reflexives Bewußtsein eines Bewußtseinsaktes 182 f. ~ und Retention 415 f. ~ und Analyse des Zeitbewußtseins 190 f., 269 f., 317 f., 322 f. vgl. auch Wiedererinnerung Retention und Jetztbewußtsein 189-192, 359 ff. ~ setzt Wahrnehmungsbewußtsein voraus 347 f., 351 f. (begrenzte) Anschaulichkeit der ~ 217 f., 260 ff., 327 f., 349-351, 378 f., 387 f. ~ und Wiedererinnerung 179 ff., 186-189, 222 f., 238 f., 327 f., 368, 402 f., 411 ff. ~ als Auffassung von (bildlich) modifizierten Inhalten 173, 180 f., 196-199, 234 ff., 239 ff., 261 f., 307, 311 ff., 352 ff. ~ ist keine aktuelle Auffassung von einem (aktuellen) modifizierten Inhalt (= Phantasma) 329, 345 f., 356-359 ~ als eine Art von Vergegenwärtigung 312 (Anm.), 358 f., 411 f., 418
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Sachregister zu Teil B
~ einer vergangenen Dauer und ~ eines vergangenen Zeitpunktes 359 f. ~ eines vergangenen (Zeit-)Gegenstandes und ~ der vergangenen Wahrnehmung von ihm 217 f., 228 f., 262-265 stetige retentionale Modifikation 233-236, 239 ff., 307 f., 312 f., 347, 361-367, 400 f. ~ der Folge von immanenten Zeitgegenständen und Zeitpunkten sowie ~ der Folge des (absoluten) Bewußtseins (= retentionale Querund Längsintentionalität) 364-368, 414-418 Kritik an Brentanos Bestimmung des ursprünglichen Bewußtseins der Vergangenheit 193-196 Selbstbewußtsein und Wahrnehmung eines Gegenstandes 182 f. Stufen des Zeitbewußtseins vgl. Absolutes Bewußtsein, Objektive Zeit Sukzession, sukzessive Wahrnehmung und Wahrnehmung der ~ 172 ff., 214 f., 217-220, 356 ff. absolutes Bewußtsein und Bewußtsein der ~ 367, 410 ff. Urempfindung vgl. Jetzt Vergegenwärtigung und Gegenwärtigung 208 ff., 262, 323 f., 329-335, 343 f., 402 f. vgl. auch Phantasie, Retention, Wahrnehmung, Wiedererinnerung Wahrnehmung als ursprünglich-intuitive Erfahrung der Wirklichkeit 319 f. ~ konstituiert Gegenwart 205 f. ~ und Phantasie 185 f., 320-324 ~ und Wiedererinnerung 238 f., 320-324 ~ von immanenten und transzendenten Gegenständen 266 f., 300305, 309 ff., 388-393, 395 ff. gegenwärtige ~ und ihr retentionaler sowie protentionaler Horizont 189-192, 214 f., 259 f. ~ eines Zeitgegenstandes 169 ff., 230 ff. ~ eines Zeitgegenstandes (in Veränderung und Unveränderung) 267-273, 275-279, 283 ff. ~ eines Zeitgegenstandes und ~ der Zeitlichkeit 192 f., 306-308, 311-315 ~ eines Jetztpunktes und ~ einer Dauer 161 f.
Sachregister zu Teil B
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~ als ein zeitlicher Prozeß 168 ff., 174 f., 177 ff., 189 ff., 200 f., 214 f., 223 ff., 249-251, 353-356 ~ eines räumlichen Gegenstandes 162 ff. ~ eines räumlichen Gegenstandes und die Kinästhesen 164-167, 171 f. ~ eines räumlichen Gegenstandes als ein Erfüllungsprozeß 169 f. vgl. auch Vergegenwärtigung Wiedererinnerung und mögliche Täuschung 174 f., 179 f., 219-222, 341 f., 375 f., 379 f. ~ und Phantasie 173-175, 183-186, 196 ~ ist kein Bildbewußtsein 203 f., 207-210, 342 ff., 350 ~ und Wahrnehmung vgl. Wahrnehmung ~ und Erwartung 338-341 ~ und Retention vgl. Retention ~ als Vergegenwärtigung 203-206, 208 f., 321 f., 323 f., 331-334, 336 f., 340 f., 358 f., 402 f. Zusammenhang von aktueller und reproduzierter Gegenwart in der ~ 203-208, 334-339, 342 f., 350, 402 ~ und die Möglichkeit einer Analyse des Zeitbewußtseins 223 ff., 235 ff., 292 ff. vgl. auch Konstitution Zeit und Raum, Wahrnehmung eines Dinges und Wahrnehmung eines Zeitgegenstandes 169 ff. parallele Scheidung von Gegenstand, Erscheinungsweisen und letztem Bewußtsein in der Wahrnehmung von ~ 395 ff. Horizont in ~ 199, 337 ff. zeitliche Dauer und räumliche Ausdehnung 286-293 räumliche Darstellung der Zeit 294 f. vgl. auch Wahrnehmung, Dauer
Edmund Husserl in der PhB Cartesianische Meditationen PhB 644. 2012. Ca. XX, 170 Seiten. 978-3-7873-2267-1. Kartoniert Die Idee der Phänomenologie Fünf Vorlesungen PhB 392. 1986. XLVI, 88 Seiten. 978-3-7873-0685-5. Kartoniert Die Konstitution der geistigen Welt PhB 369. 1984. XLIV, 145 Seiten. 978-3-7873-0618-3. Kartoniert Die Krisis der europäischen Wissenschaften und die transzendentale Phänomenologie PhB 641. 2012. XXVIII, 328 Seiten. 978-3-7873-2259-6. Kartoniert Die Phänomenologie und die Fundamente der Wissenschaften PhB 393. 1986. XXXV, 114 Seiten. 978-3-7873-0686-2. Kartoniert Ding und Raum Vorlesungen 1907 PhB 437. 1991. LXXXII, 316 Seiten. 978-3-7873-1013-5. Kartoniert Erfahrung und Urteil Untersuchungen zur Genealogie der Logik. PhB 280. 7. Auflage 1999. XXVIII, 492 Seiten. 978-3-7873-1352-5. Kartoniert
Grundprobleme der Phänomenologie (1910/1911) PhB 348. 2., durchgesehene Aufl. 1992. XIII, 144 Seiten. 978-3-7873-1102-6. Kartoniert Ideen zu einer reinen Phänomenologie und phänomenologischen Philosophie PhB 602. 2009. XXXVIII, 424 S. 978-3-7873-1919-0. Kartoniert Logische Untersuchungen PhB 601. 2009. LXXIV, 1.076 S. 978-3-7873-1893-3. Leinen V. Logische Untersuchung Über intentionale Erlebnisse und ihre »Inhalte« PhB 290. 2., durchges. Auflage 1988. XXXVII, 162 S. 978-3-7873-0786-9. Kartoniert Phantasie und Bildbewußtsein PhB 576. 2006. L, 256 Seiten. 978-3-7873-1771-4. Kartoniert Philosophie als strenge Wissenschaft PhB 603. 2009. XLVIII, 87 Seiten. 978-3-7873-1926-8. Kartoniert Phänomenologische Psychologie PhB 538. 2003. XXX, 234 Seiten. 978-3-7873-1603-8. Kartoniert
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