Zulässigkeit und Grenzen polizeilicher Verweisungsmaßnahmen [1 ed.] 9783428509669, 9783428109661

Mit polizeilichem Aufenthaltsverbot zur Verhütung von Straftaten, Wohnungsverweisung zur Bekämpfung häuslicher Gewalt ha

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German Pages 283 [284] Year 2003

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Zulässigkeit und Grenzen polizeilicher Verweisungsmaßnahmen [1 ed.]
 9783428509669, 9783428109661

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CLAUDIA NEUNER

Zulässigkeit und Grenzen polizeilicher Verweisungsmaßnahmen

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 928

Zulässigkeit und Grenzen polizeilicher Verweisungsmaßnahmen

Von Claudia Neuner

Duncker & Humblot • Berlin

Die Juristische Fakultät der Universität Mannheim hat diese Arbeit im Jahre 2002 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten © 2003 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-10966-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706©

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Wintersemester 2001/2002 von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Mannheim als Dissertation angenommen. Das im wesentlichen im Sommer 2001 abgeschlossene Manuskript wurde für die Drucklegung leicht überarbeitet und aktualisiert. Neuere Literatur wurde, soweit möglich, bis März 2002 berücksichtigt, Rechtsprechung und Gesetzgebung auch darüber hinaus. Mein besonderer Dank gilt Herrn Professor Dr. Wolf-Rüdiger Schenke, der die Arbeit betreut und durch Diskussionen und wertvolle Ratschläge gefördert hat. Herzlich danke ich auch Herrn Professor Dr. Josef Ruthig, jetzt Universität Mainz, für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Herrn Professor Dr. Norbert Simon danke ich für die Aufnahme der Arbeit in die Schriftenreihe zum Öffentlichen Recht. Herzlicher Dank gilt auch meiner Familie und meinen Freunden, die mir durch ihre Bereitschaft zu Gesprächen, durch Korrekturlesen oder auf andere Weise bei der Erstellung der Arbeit hilfreich zur Seite standen. Insbesondere danke ich meinen Eltern für die vielfältige und großzügige Unterstützung. Karlsruhe, im Januar 2003

Claudia Neuner

Inhaltsverzeichnis Einleitung

15

A. Verweisungsmaßnahmen als Mittel der Gefahrenabwehr

15

B. Ziel und Gang der Untersuchung

18

Erster Teil Verfassungsrechtliche Maßstäbe polizeilicher Verweisungsmaßnahmen

21

A. Das Grundrechtsverständnis zu polizeilichen Verweisungen in Rechtsprechung und Literatur

21

B. Die Freiheit der Person, Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG

23

I. Unstreitiger Schutzbereich II. Die Frage nach der negativen Seite des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG

23 24

1. Stellungnahmen in der Literatur

24

2. Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts

26

3. Stellungnahme

28

C. Das Grundrecht der Freizügigkeit, Art. 11 GG I. Problemstellung II. Der Schutzbereich des Art. 11 GG 1. Das Recht des freien Abzugs, des freien Zuzugs und die Bleibefreiheit 2. Die Bestimmung des freizügigkeitsrelevanten Aufenthalts

30 30 34 34 35

a) Auslegungsrelevante Faktoren

35

b) Historische Auslegung

36

c) Systematische Auslegung

37

aa) Bedeutung und Gesetzesvorbehalte

37

bb) Abgrenzung zu anderen die Bewegungsfreiheit thematisierenden Rechten

39

3. Platzverweis und Aufenthaltsverbot als Beschränkungen der Freizügigkeit? .

42

III. Ergebnis

47

8

Inhaltsverzeichnis

D. Die Verweisung aus Wohnungen

47

I. Stand in der polizeirechtlichen Diskussion II. Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung des Platzverweises im Hinblick auf Art. 13 GG? 1. Der Schutzbereich des Art. 13 GG

48

50 51

a) Der Schutz der Privatheit

51

b) Schutz vor substantiellen Eingriffen?

53

2. Ergebnis

54

III. Folgerungen für Verweisungen aus Wohnungen, insbesondere im Hinblick auf Art. 14 GG und Art. 2 Abs. 1 GG

54

Zweiter Teil Rechtsgrundlagen für polizeiliche Verweisungsmaßnahmen A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen I. Der polizeiliche Platzverweis 1. Der Platzverweis zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nach § 12 S. 1 MEPolG und den Landespolizeigesetzen a) Die Regelung des Platzverweises in den Landespolizeigesetzen b) Die Tatbestandsvoraussetzungen

57 57 57 57 57 61

aa) Das Erfordernis der konkreten Gefahr

61

bb) Die polizeilichen Schutzgüter

63

(1) Das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit

63

(2) Das Schutzgut der öffentlichen Ordnung

67

cc) Schlußfolgerungen für Platzverweise c) Die Rechtsfolge des Platzverweises aa) Der Begriff „vorübergehend" - die örtliche Begrenzung des Platzverweises

70 71 71

bb) Der Begriff des „Ortes" - die räumliche Begrenzung des Platzverweises

76

cc) Die zulässige Verweisung und das Betretungsverbot

79

d) Erstreckung des Platzverweises auch auf Sachen? e) Der Adressat des Platzverweises

82 84

aa) Problemstellung

84

bb) Stellungnahme

85

(1) Wortlaut und Systematik

85

(2) Die Rechtsfolge als Korrektiv?

88

Inhaltsverzeichnis (3) Die Anwendung der allgemeinen Störervorschriften auf den Platzverweis

90

(4) Der Platzverweis gegen eine Menschenmenge

92

(5) Entschädigungsansprüche des Nichtstörers?

93

2. Der Platzverweis zum Schutz der Einsätze von Feuerwehr, Hilfs- und Rettungsdiensten nach § 12 S. 2 MEPolG a) Problemstellung

94 94

b) Vergleich der Platzverweise nach § 12 S. 1 MEPolG und § 12 S. 2 MEPolG

96

aa) Das Schutzgut in § 12 S. 2 MEPolG

96

bb) Die Gefahr für die öffentliche Sicherheit

97

cc) Der Adressat

98

dd) Ergebnis

99

II. Polizeigesetzliche Aufenthalts verböte zwecks Verhütung von Straftaten

100

1. Offene Szenen und gewaltbereite Gruppierungen als polizeiliches Problem .. 100 2. Die Kompetenz des Landesgesetzgebers zur Regelung von Eingriffen in Art. 11 GG

103

3. Die Ermächtigungsgrundlage eines polizeigesetzlichen Aufenthalts Verbots .. 107 a) Der Kriminalvorbehalt des Art. 11 Abs. 2 GG

107

b) Das Aufenthaltsverbot als Standardbefugnis

110

aa) Zum Verhältnis von Generalklausel und Standardbefugnis

110

bb) Eingriffe in Art. 11 GG aufgrund der Generalklausel?

112

cc) Abschließender Charakter der Standardbefugnis Platzverweis?

113

dd) Funktion und Reichweite der Generalklausel

116

c) Regelungskriterien der Standardbefugnis „Aufenthaltsverbot"

119

aa) Die bisherigen Normierungen eines Aufenthaltsverbots

119

bb) Wertung

122

(1) Der Gesetzeszweck

122

(2) Die Eingriffsvoraussetzungen

123

(3) Die Rechtsfolgen

128

(4) Regelungsvorschlag

131

d) Die Notwendigkeit einer Zitierung des Art. 11 GG III. Wohnungs-und Umfeldverweise bei häuslicher Gewalt

132 134

1. Problemstellung

134

2. Ziel polizeilicher Maßnahmen im Bereich häuslicher Gewalt

136

3. Eingriffsmöglichkeiten de lege lata

137

4. Verfassungsrechtliche Problematik von Wohnungs- und Umfeldverweisen ... 138

10

Inhaltsverzeichnis 5. Notwendige Regelungsdichte des Wohnungs- und Umfeldverweises

140

a) Die Generalklausel als Rechtsgrundlage für den Wohnungs- und Umfeldverweis?

140

b) Regelungskriterien einer Standardbefugnis „Wohnungs- und Umfeldverweis"

142

6. Verweisungen bei Nachstellungen

147

IV. Die zwangsweise Durchsetzung polizeilicher Verweisungen und der Gewahrsam zwecks Durchsetzung einer Platzverweisung 148 1. Zwangsweise Durchsetzung polizeilicher Verweisungen 2. Gewahrsam zur Durchsetzung eines Platzverweises

148 149

a) Rechtsnatur

149

b) AnwendungsVoraussetzungen

150

c) Die Dauer des Durchsetzungsgewahrsams

151

3. Erforderlichkeit des Durchsetzungsgewahrsams und Ausweitung der Vorschrift auf Aufenthaltsverbote sowie Wohnungs-und Umfeldverweise? 154 B. Spezialgesetzliche Verweisungsmaßnahmen außerhalb des allgemeinen Polizeirechts 157 I. Überblick über die spezialgesetzlichen Verweisungsmaßnahmen II. Verweisungsmaßnahmen nach dem Jugendschutzgesetz

157 158

1. Der Regelungsbereich des § 1 JÖSchG

159

2. Anwendungskriterien und Verhältnis zur polizeilichen Verweisung

161

III. Der strafprozessuale Platzverweis

162

1. Problemstellung

162

2. Rechtsnatur des § 164 StPO

164

3. Abschließender Charakter des § 164 StPO

165

4. Reichweite des § 164 StPO und sein Verhältnis zum allgemeinpolizeilichen Platzverweis 166 IV. Platzverweise und Evakuierungen nach den Brand- und Katastrophenschutzgesetzen der Länder 168 1. Reichweite der Landesbrand- und Katastrophenschutzgesetze

168

2. Verhältnis zu allgemeinpolizeilichen Verweisungen

170

C. Die Anwendung polizeilicher Verweisungsmaßnahmen bei Ausübung der Grundrechte Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 8 GG

171

I. Polizeiliche Verweisungen und das Recht der Informations- und Pressefreiheit . 171 1. Das Recht auf freien Zugang zur Information, Art 5 Abs. 1 GG

171

Inhaltsverzeichnis 2. Platzverweise gegenüber Schaulustigen als Eingriff in die Informationsfreiheit

172

3. Platzverweise gegenüber Journalisten

174

a) Das Verhältnis von Presse und Polizei

174

b) Polizeifestigkeit der Pressefreiheit?

175

c) Der Ausgleich von Informationsauftrag und Rechtsgüterschutz im Rahmen des polizeilichen Ermessens 177 II. Polizeiliche Verweisungen im Bereich grundrechtlich geschützter Versammlungen und Demonstrationen 178 1. Die Bedeutung von Platzverweis und Aufenthaltsverbot im Versammlungsrecht 178 2. Der Schutzbereich des Art. 8 GG

181

a) Der Begriff der Versammlung

181

b) Die Reichweite des Art. 8 GG

186

aa) Erstreckung auf das Vorfeld

186

bb) Beendensschutz und Nachwirkung

187

cc) Das Selbstbestimmungsrecht über den Versammlungsort

191

c) Polizeiliche Maßnahmen und Art. 8 Abs. 1 GG 3. Das Verhältnis von Polizei- und Versammlungsgesetz

191 193

a) Allgemeines

193

b) Die Auslegung des Versammlungsgesetzes in der Rechtsprechung

194

aa) Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts

194

bb) Die Rechtsprechung der Instanzgerichte

195

c) Stellungnahmen in der Literatur

197

aa) Gründe für einen abschließenden Charakter des Versammlungsgesetzes 197 bb) Gründe für einen nur partiell abschließenden Charakter des Versammlungsgesetzes 199 d) Stellungnahme

200

4. Anwendungsfälle von Platzverweis und Aufenthaltsverbot im Zusammenhang mit Versammlungen 204 a) Maßnahmen gegenüber der gesamten Versammlung vor und während der Veranstaltung

204

aa) Versammlungsbeendende und -verhindernde Maßnahmen

204

bb) Räumliche Beschränkung der gesamten Versammlung

206

b) Platzverweise gegenüber einzelnen Teilnehmern während der Versammlung 208 c) Platzverweise gegenüberNichtteilnehmern undNochnichtteilnehmern ... 211

12

Inhaltsverzeichnis d) Platzverweis als konkludente AuflösungsVerfügung?

214

e) Verweisungsmaßnahmen zur Durchsetzung von Verbot und Auflösung ... 217 aa) Platzverweis und Aufenthaltsverbot zur Durchsetzung des Versammlungsverbots? 217 bb) Platzverweis zur Durchsetzung einer erfolgten Auflösung

219

(1) Maßnahmen zur Konkretisierung und Durchsetzung der Entfernungspflicht nach § 13 Abs. 2 VersG 219 (2) Zeitpunkt allgemeinpolizeilicher Maßnahmen f) Polizeiliche Verweisungen zwecks allgemeinen Rechtsgüterschutzes

220 221

Dritter Teil Zuständigkeit A. Die Zuständigkeitsordnung der Polizeigesetze

225 225

B. Die Erteilung von Platzverweisen und Aufenthaltsverboten aufgrund der Eilkompetenz 227 C. Übertragung polizeigesetzlicher Zuständigkeiten und Aufgaben zur Bewältigung der Zuständigkeitsprobleme in Baden-Württemberg? I. Vollzugs-und Amtshilfe

229 229

II. Weisung

230

III. Das organisationsrechtliche (zwischenbehördliche) Mandat 1. Der Begriff des organisationsrechtlichen Mandats 2. Rechtliche Voraussetzungen

231 231 232

IV. Ergebnis

234

Vierter Teil Rechtsschutz

235

A. Qualifizierung des Verwaltungshandelns bei polizeilichen Verweisungen

235

I. Verweisungen als Verwaltungsakte im Sinne des § 35 S. 1 LVwVfG

235

II. Verweisungen als Allgemeinverfügung im Sinne des § 35 S. 2 LVwVfG

236

B. Das statthafte Rechtsmittel gegen Platzverweis, Aufenthaltsverbot sowie Wohnungsund Umfeldverweis 239 I. Der Begriff der Erledigung eines Verwaltungsakts

240

Inhaltsverzeichnis II. Erledigung polizeilicher Verweisungsmaßnahmen

242

1. Erledigung durch Zeitablauf

242

2. Erledigung nach Anwendung von Zwangsmaßnahmen?

243

III. Prozessuale Möglichkeiten bei Erledigung polizeilicher Verweisungen 1. Erledigung im Hauptsacheverfahren

245 245

a) Erledigungsstreit und Fortsetzungsfeststellungsklage

245

b) Das Fortsetzungsfeststellungsinteresse

246

2. Vorläufiger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO

Zusammenfassung

250

252

Anhang Vorschriften polizeilicher Verweisungsmaßnahmen

257

A. MEPolG und AEPolG

257

B. Polizeigesetze der Länder

257

Literaturverzeichnis

265

Sachwortverzeichnis

277

Einleitung A. Verweisungsmaßnahmen als Mittel der Gefahrenabwehr Die Möglichkeit, überall Aufenthalt zu nehmen und an allem teilhaben zu können, gilt als Selbstverständlichkeit der heutigen Zeit. Nahezu alle Grundrechte spiegeln Teilbereiche dieser Freiheiten wieder. So gewährt Art. 2 Abs. 2 GG als Voraussetzung hierfür die körperliche Bewegungsfreiheit, Art. 11 GG die Freizügigkeit im gesamten Bundesgebiet. Daneben vermag auch die von Art. 2 Abs. 1 GG erfaßte allgemeine Handlungsfreiheit das Aufsuchen eines Ortes und den Verbleib dort zu schützen. Schließlich beinhaltet Art. 8 GG das Recht, sich an einem frei gewählten Ort zu versammeln, Art. 4 GG ermöglicht die Teilnahme an Prozessionen und religiösen Veranstaltungen, Art. 5 GG den Zugang zu Information und Informationsquellen, Art. 6 Abs. 1 GG die Wohnortbestimmung für die Familie. Trotz der grundrechtlichen Relevanz des Aufenthalts für den einzelnen liegt aber die Bedeutung eines Aufenthaltsverbots gerade für den Bereich der Gefahrenabwehr auf der Hand. Bestehen an bestimmten Orten für Menschen Gefahren oder gehen dort von Menschen Gefahren aus, läßt sich die Situation oftmals schnell und einfach klären oder zumindest entschärfen, indem die störende bzw. gefährdete Person weggewiesen und ihr das Betreten dieses Bereichs untersagt wird. So existieren in vielen rechtlich ausgestalteten Lebensbereichen spezialgesetzliche Ermächtigungsgrundlagen zum Aufenthaltsverbot bzw. zur Verweisung, wie z. B. im Katastrophenschutzrecht 1, Jugendschutzrecht2, Seuchenschutzrecht3, Naturschutzrecht 4, Ausländerrecht 5 sowie im Bereich der strafrechtlichen Spezialprävention6.

1

Vgl. § 12 BKatSG, der im Verteidigungsfall zum Schutze der Bevölkerung die Möglichkeit eines Betretungsverbotes (Abs. 1 Nr. 1) und der vorübergehenden Evakuierung vorsieht (Abs. 1 Nr. 2). Bei Unglücks- und Katastrophenfällen ermöglichen die Landeskatastrophenschutzgesetze (LKatSG) Aufenthaltsverbote und Evakuierungsmaßnahmen zumeist über die Generalklausel dieser Gesetze. 2 § 1 S. 2 Nr. 1 JÖSchG (künftig: § 8 S. 2 Nr. 1 JuSchG, vgl. dazu 2. Teil, Fn. 535). 3 Z. B. Absperrungen aufgrund § 22 TierseuchenG, dessen Notwendigkeit sich aktuell bei den Verdachtsfällen der Maul-und-Klauen-Seuche (MKS) im Frühjahr 2001 zeigte. 4 Z. B. das Sperren von Wald nach § 38 BWWaldG. Niedersachsen erwägt ein nächtliches Betretungsverbot von Wäldern, vgl. NJW 5/2001, XLIV. 5 Vgl. die Möglichkeit der räumlichen Beschränkung nach § 56 AsylVfG; die Verlassenspflicht nach § 36 AuslG für den Teil der Bundesrepublik, in dem der Ausländer sich einer

16

Einleitung

I m allgemeinen Polizeirecht sind Verweisungsmaßnahmen i n der rechtswissenschaftlichen Diskussion und der Landespolizeigesetzgebung derzeit von besonderer Aktualität. Dies nicht nur, weil das Instrument der Verweisung seit geraumer Zeit extensiv i m Zuge der Stärkung der inneren Sicherheit in Städten und Gemeinden zum Einsatz kommt und Mitglieder von Drogenszenen und gewaltbereiter Gruppierungen mit teilweise mehrmonatigen Aufenthaltsverboten mitunter für ganze Städte belegt werden 7 . Auch die Ausweitung des Instruments für den Bereich häuslicher Gewalt ist in Planung, um damit einem gewalttätigen Familienmitglied oder Mitbewohner für eine gewisse Zeit den Aufenthalt in der Wohnung und dem Umfeld der gefährdeten Personen zu versagen 8 . Die Reihe der Anwendungsmöglichkeiten eines Aufenthaltsverbots ließe sich, gerade um bestimmten Kriminalitätsfeldern oder gesellschaftlichen Mißständen zu begegnen, beliebig fortführen, etwa als Maßnahme gegen Obdachlose in Städten oder in Form eines nächtlichen Aufenthaltsverbots für Jugendliche in besonders kriminogenen Bezirken. Die ausdrücklichen Ermächtigungsgrundlagen für polizeigesetzliche Verweisungen sind jedoch de lege lata begrenzt. M i t dem einfachen „Platzverweis", auch „Platzverweisung" genannt 9 , besteht zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche

räumlichen Beschränkung zuwider aufhält; Aufenthaltsverbote durch Beendigung der Rechtmäßigkeit des Aufenthalts nach § 44 AuslG. Auch die Ausweisungstatbestände nach § 45 ff. AuslG bewirken ein Aufenthalts verbot, vgl. § 8 Abs. 2 AuslG, wonach sich ein Ausländer, der ausgewiesen oder abgeschoben wurde, nicht mehr im Bundesgebiet aufhalten darf. 6

Vgl. § 56 c Abs. 2 Nr. 1 StGB, der aufenthaltsbezogene Weisungen für die Zeit der Bewährung ermöglicht, sowie § 68 b StGB, der aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen für die Dauer der Führungsaufsicht zuläßt. 7 Z. B. 6-monatiges Aufenthalts- und Durchquerungsverbot für bestimmte Bereiche der Stadt Bremen, VG Bremen, Urt. v. 29. 05. 1997 - Az.: 2 A 149/96, 2. Instanz: OVG Bremen, NVwZ 1999, 314 ff.; 3 Monate: VGH Mannheim, VB1BW 1996, 418 f.; 12 Monate: VGH München, NVwZ 2000,454 ff. 8 Vgl. den Abschlußbericht über den Modellversuch Platzverweis bei häuslicher Gewalt in Baden-Württemberg, in: Sozialministerium BW, Abschlußbericht; vgl. auch die zwischenzeitlichen Normierungen zum Wohnungsverweis bei häuslicher Gewalt in § 14 a BremPolG, § 12 a Abs. 2 HambSOG, § 52 Abs. 2 MVSOG, § 34 a NWPolG und § 31 Abs. 2 HSOG. Der Text der Vorschriften befindet sich im Anhang. 9 Bzgl. der Terminologie bestehen Meinungsverschiedenheiten: So hat Samper bereits in den 70er Jahren in BayVBl. 1970, 391 (293 Fn. 1), dersPAG, Art. 16 Rdnr. 3 den Terminus „Platzverweis" bemängelt, da die Substantivform von „weisen" „Weisung" heiße. Demgegenüber meint Vultejus, in: Stokar/Gössner, S. 58, mit dem Hinweis darauf, daß „die Amtssprache noch immer »deutsch4" sei, es müsse von einem „Platzverweis" gesprochen werden. Ein Blick in die einschlägige Literatur, Judikatur und Gesetzgebung zeigt, daß zwar die amtlichen Überschriften in den Polizeigesetzen der Länder mit Ausnahme des Sächsischen Polizeigesetzes „Platzverweisung" lauten, Rechtsprechung und Literatur aber ebenso den Begriff „Platzverweis" verwenden. Die deutsche Sprache selbst läßt beide Begriffe zu. Sowohl „Verweisung" als auch „Verweis" werden von dem Verb „verweisen" abgeleitet, dem unter anderem die Bedeutung »jemandem das Verbleiben an einem bestimmten Ort verbieten" (Duden, Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 9) zukommt. Während die grammatikalisch regelmäßige Nachsilbe ,,-ung" und der verselbständigte Begriff „Verweis" der semantischen Differenzierung dienen, ist eine solche bei (Wort-)Zusammensetzungen wie dem Platzverweis nicht

A. Verweisungsmaßnahmen als Mittel der Gefahrenabwehr

17

Sicherheit und Ordnung die Möglichkeit zu einem vorübergehenden Aufenthaltsverbot. Eine entsprechende Befugnis ist derzeit mit Ausnahme in Baden-Württemberg in den Polizeigesetzen der Länder standardisiert 10 und geht weitgehend auf § 12 des Musterentwurfs eines einheitlichen Polizeigesetzes von 1976 (MEPolG) 11 zurück. Danach kann die Polizei „zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Orts verbieten". Wie lange „vorübergehend" aber andauern darf, ist umstritten und bedarf als unbestimmter Rechtsbegriff der ausfüllenden Interpretation. Fest steht lediglich, daß es sich beim Platzverweis um ein „zeitlich und räumlich eng begrenztes" Aufenthalts verbot handelt12. Fest steht auch, daß jedenfalls ein Aufenthalts verbot über mehrere Monate nicht mehr nur „vorübergehend" ist. Längerfristige Verweisungsbefugnisse zur Verhütung von Straftaten sind derzeit nur in den Polizeigesetzen Niedersachsens, Sachsens, Sachsen-Anhalts, Berlins und neuerdings Bremens, Mecklenburg-Vorpommerns, Brandenburgs und Thüringens 13 ausdrücklich geregelt. Soweit die Bundesländer keine ausdrücklichen Regelungen für längerfristige Verweisungsmaßnahmen vorsehen, wird ein Rückgriff auf die polizei- und ordnungsrechtliche Generalklausel zwar zumeist praktiziert, seine Zulässigkeit aber häufig bereits mit Verweis auf einen abschließenden Charakter des Platzverweises und damit aus Gründen des Vorrangs des speziellen Gesetzes verneint. Soweit wie in Niedersachsen, Sachsen, Berlin oder Sachsen-Anhalt ausdrückliche Regelungen existieren, stehen diese gleichwohl, insbesondere aus verfassungsrechtlichen Gründen und wegen ihrer rechtsstaatlichen Ausgestaltung, in der Kritik: Darf jemandem nach den Landespolizeigesetzen überhaupt der Aufenthalt für längere Zeit verwehrt werden und wenn ja, wie lange und für welchen räumlichen Umfang? Ein Straßenviertel, ein Stadtteil oder auch ein ganzes Stadtgebiet? Welche Grundrechte sind zu beachten? Welche Ausnahmen von dem Verbot sind zu gewähren? Dieselben Fragen stellen sich freilich auch bei solchen Verweisungsmaßnahmen, die nicht die Verhütung von Straftaten zum Ziel haben, sondern durch andere Gefahren für die öffentliche Sicherheit bedingt sind. Für bestimmte Maßnahmen mit Endgültigkeitscharakter, wie etwa die Verweisung von Hausbesetzern, wird die Zulässig-

erforderlich (so die Auskunft der Sprachberatungsstelle des Duden-Verlags in Mannheim). So finden sich in Nachschlagewerken neben dem „Platzverweis" (Duden, Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 7; Brockhaus/Wahrig, Bd. 5) auch Begriffe mit ähnlicher Bedeutung wie „Feldverweis" oder „Stadtverweis". io Vgl. Art. 16 BayPAG; § 29 Abs. 1 BlnASOG; § 16 Abs. 1 BbgPolG; § 14 Abs. 1 BremPolG; § 12 a Abs. 1 HambSOG; § 31 Abs. 1 HSOG; § 52 Abs. 1 MVSOG; § 17 Abs. 1 NGefAG; § 34 NWPolG; § 13 RhPfPOG; § 12 SaarPolG; § 21 Abs. 1 SächsPolG; § 36 Abs. 1 SOG LSA, § 210 SchlHVwG; § 18 Abs. 1 ThürPAG. Der Text der Vorschriften befindet sich im Anhang. » Heise /Riegel, § 12 MEPolG; s. Anhang. So die häufige Umschreibung des vorübergehenden Platzverweises, vgl. 2. Teil, A. 1.1. c). 13 Vgl. § 17 Abs. 2 NGefAG; § 21 Abs. 2 SächsPolG; § 36 Abs. 2 SOG LSA; § 29 Abs. 2 BlnASOG; § 14 Abs. 2 BremPolG; § 52 Abs. 3 MVSOG; § 16 Abs. 2 BbgPolG; § 18 Abs. 2 ThürPAG. Der Text der Vorschriften befindet sich im Anhang. 12

2 Neuner

18

Einleitung

keit aufgrund der polizei- und ordnungsrechtlichen Generalklausel kaum angezweifelt. Weitgehend akzeptiert werden auch Verweisungsmaßnahmen als polizeiliches Reaktionsmittel auf katastrophenähnliche Gefahrenlagen 14. Allgemeinpolizeiliche Verweisungsmaßnahmen sind aber nicht nur als Reaktionsmittel wachsender Gewalt und Kriminalität von Bedeutung. Ein zunehmend geschärftes Bewußtsein eigener Rechtspositionen der Bürger und die damit verbundene Grundrechtsausübung auch unter Inanspruchnahme des öffentlichen Raums können zwangsläufig zu Konflikten mit Rechtsgütern Dritter führen, zu deren Lösung auch polizeiliche Verweisungsmaßnahmen herangezogen werden. So hielt der niedersächsische Gesetzgeber eine Konkretisierung der dortigen Platzverweisvorschrift im Hinblick auf die Adressatenfrage für erforderlich, um gegen Journalisten oder andere Personen, die ein Gefahrengebiet, etwa bei Hochwasser oder Explosionsgefahren, nicht verlassen wollen, vorgehen zu können15. In diesem Zusammenhang stellt sich auch die zumeist verneinte Notwendigkeit einer ausdrücklichen Normierung der Verweisung von Schaulustigen, die an Unglücksstellen zusammenströmen, um das Geschehen aus nächster Nähe zu betrachten, neu. Denn eine solche Regelung zum Schutz der Einsätze von Hilfs- und Rettungsdiensten könnte zumindest unter dem Gesichtspunkt der Rechtsklarheit dem Bürger seine Pflichten aufzeigen. Terminologisch ist bei polizeilichen Verweisungsmaßnahmen zu differenzieren: Zwar handelt es sich sowohl beim „Platzverweis" als auch bei der dauerhaften und weiträumigen Verweisung um Aufenthaltsverbote. Nur für die längerfristige Verweisung wird aber im Polizeirecht der Begriff des „Aufenthaltsverbots" auch verwendet. Diese sprachliche Differenzierung ist vor allem bezogen auf die erhebliche Eingriffsintensität des andauernden Aufenthaltsverbots sachgerecht16. Bei Verweisungsmaßnahmen aus der Wohnung und dem Umfeld der Familie in den Fällen häuslicher Gewalt bietet sich zur besseren Unterscheidung die Bezeichnung „Umfeld- oder Wohnungsverweis" an. Als Oberbegriff sollen die Begriffe der „Verweisung" oder der „Verweisungsmaßnahme" dienen.

B. Ziel und Gang der Untersuchung Die vorangegangene Übersicht über die derzeit praktizierten und normierten allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen konnte nur einen Teilbereich der mit »4 Kritisch Alberts/Merten/Rogosch, § 12 a Rdnr. 2. 15 Entwurf des NGefAG 1994 zu Art. I Nr. 13, Nds. LT-Drs. 12/4140, S. 54. 16 Insoweit bezeichnen die amtlichen Überschriften von § 17 NGefAG und § 36 SOG LSA das Aufenthaltsverbot unzutreffend als Platzverweis. Häufig wird von „qualifiziertem" oder „erweitertem" Platzverweis gesprochen. Vgl. auch Waechter, NdsVBl. 1996, 197 Fn. 1; Lesting, KJ 1997, 214 (221).

B. Ziel und Gang der Untersuchung

19

dem Instrument der polizeilichen Verweisung zusammenhängenden Rechtsprobleme andeuten. Sie hat aber bereits gezeigt, daß die möglichen Verweisungsmaßnahmen rechtlich in vielen Bereichen nicht abschließend geklärt und insbesondere hinsichtlich der gesetzestechnischen Ausgestaltung im Fluß sind. Dies gilt nicht nur für die „neuen" Verweisungsbefugnisse „Aufenthaltsverbot" und den in Planung befindlichen „Umfeld- und Wohnungsverweis", sondern auch für den einfachen Platzverweis, der in der Vergangenheit zwar als wichtige und häufig einzusetzende, aber gleichwohl eher unproblematische Eingriffsbefugnis eingestuft wurde 17 . Die zunehmende Ausweitung der polizeilichen Verweisungen in zeitlicher und räumlicher Sicht sowie das zunehmende Bedürfnis nach Konkretisierung auch der Vorschrift Platzverweis machen eine Abgrenzung notwendig und sind daher Anlaß genug, sich mit Zulässigkeit und Grenzen dieser polizeilichen Eingriffsinstrumente auseinanderzusetzen. Die vorliegende Untersuchung soll einen Beitrag dazu leisten. Im Vordergrund der Arbeit stehen Zulässigkeit und Grenzen von Platzverweis, Aufenthaltsverbot und Wohnungs- bzw. Umfeldverweis in verfassungsrechtlicher, systematischer sowie in gesetzestechnischer Hinsicht. Rechtspolitische Aspekte, gerade im Hinblick auf die langfristigen Aufenthaltsverbote, soweit sie der Bekämpfung offener Drogenszenen dienen, müssen jedoch weitgehend außer Betracht bleiben. Die insofern von den Gesetzgebern befundene Notwendigkeit eines Eingreifens mittels längerfristiger Verweisungen kann im Rahmen dieser Arbeit nicht erörtert werden. Die Untersuchung beginnt im ersten Teil mit der Klärung der verfassungsrechtlichen Maßstäbe polizeilicher Verweisungsmaßnahmen im Allgemeinen. Im zweiten Teil der Arbeit werden zunächst die Rechtsgrundlagen der einzelnen gesetzlich normierten allgemeinpolizeilichen Verweisungsbefugnisse untersucht. Dies soll insbesondere auch unter der Fragestellung erfolgen, ob und in welchem Umfang spezielle Regelungen von Verweisungsmaßnahmen in den Landespolizeigesetzen zulässig oder erforderlich sind und inwieweit die bislang in einigen Landespolizeigesetzen erfolgten Änderungen und Ergänzungen auch des einfachen Platzverweises tatsächlich geboten und für die übrigen Bundesländer empfehlenswert sind. Sodann werden einige spezialgesetzliche Verweisungsmaßnahmen außerhalb des allgemeinen Polizeirechts, die mit den landespolizeigesetzlichen Verweisungsmaßnahmen konkurrieren und damit deren Anwendungsbereich begrenzen, genauer betrachtet. Besonderheiten, die sich für die Anwendung allgemeinpolizeilicher Verweisungsmaßnahmen ergeben, wenn diese gegenüber Personen erfolgen, die von besonderen Freiheitsrechten Gebrauch machen, sollen anhand Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 8 GG im letzten Abschnitt des zweiten Teils untersucht werden. Art. 5 Abs. 1 GG ist von Interesse, weil das Recht, sich über ein Ereignis direkt an der Informationsquelle live zu informieren, mit dem allgemei17 Dies zeigt bereits die bis Ende der 90er Jahre - von wenigen Ausnahmen wie z. B. bei Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 92; Wagner, § 12 MEPolG; Samper, PAG, Art. 16; Berner/Köhler, Art. 16, abgesehen - eher stiefmütterliche Behandlung der Vorschrift in der Kommentarliteratur. 2*

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Einleitung

nen Rechtsgüterschutz kollidieren kann. Das in Art. 8 GG gewährleistete Versammlungsrecht soll zwar nach den neueren Vorschriften zum Aufenthaltsverbot „unberührt" bleiben 18 , was - im Hinblick auf das Versammlungsgesetz als spezialgesetzliche Materie - der Klarstellung dient. Angesichts der in letzter Zeit zunehmenden Zahl von Versammlungen und Aufmärschen gewaltbereiter Gruppierungen steigt jedoch das Bedürfnis nach polizeilichen Reaktionsmitteln. Die Frage, wann im Zusammenhang mit grundrechtlich geschützten Versammlungen rechtmäßig ein Platzverweis ergehen kann, ist also für die vorliegende Untersuchung, die den Grenzen allgemeinpolizeilicher Verweisungen nachgeht, von besonderer Bedeutung. Die Untersuchung schließt in den Teilen drei und vier mit der Behandlung einiger im Zusammenhang mit den Verweisungsmaßnahmen wichtiger Zuständigkeits- und Rechtsschutzprobleme.

18 Vgl. z. B. § 17 Abs. 2 S. 3 NGefAG; § 21 Abs. 2 S. 3 SächsPolG; § 36 Abs. 2 S. 4 SOG LSA.

Erster Teil

Verfassungsrechtliche Maßstäbe polizeilicher Verweisungsmaßnahmen A. Das Grundrechtsverständnis zu polizeilichen Verweisungen in Rechtsprechung und Literatur Die Grundrechte sind für die polizeilichen Eingriffsbefugnisse von großer Bedeutung, da sie dem polizeilichen Tätigwerden materiell- und formellrechtliche Maßstäbe und damit Grenzen setzen. Grundrechtseingriffe dürfen zum einen nur zu den im betroffenen Grundrecht vorbehaltenen Zwecken erfolgen, zum anderen strahlen die in den Grundrechten zum Ausdruck kommenden Wertvorstellungen auf das einfache Recht aus und nehmen so Einfluß auf Anwendung und Auslegung polizeilicher Maßnahmen1. Das Grundrechtsverständnis bei Eingriffen durch polizeiliche Verweisungen hat sich in der vergangenen Zeit, nicht zuletzt im Zuge der Diskussion um die Zulässigkeit langfristiger Aufenthaltsverbote, gewandelt. Wurde insbesondere dem einfachen Platzverweis bislang zumeist eine nur geringe Grundrechtsintensität nachgesagt2, mehren sich nunmehr die Stimmen derer, die auch hierin eine diffizilere Grundrechtsproblematik erkennen3. Mit der Aufforderung einen bestimmten Ort zu verlassen bzw. ihn nicht zu betreten, wird von dem Betroffenen eine Aufenthaltsveränderung bzw. die Änderung der Absicht, an einem bestimmten Ort Aufenthalt zu nehmen, verlangt. Die Sachverhalte der Fortbewegung und des Aufenthalts werden, wie einleitend dargelegt, in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, Art. 2 Abs. 1 GG und in Art. 11 GG thematisiert. Entsprechend breit ist das Spektrum der hierzu vertretenen Auffassungen. Vor allem in der polizeirechtlichen Literatur wird der einfache Platzverweis - wenn auch zumeist ohne nähere Begründung - als Eingriff in die Freiheit der Person nach Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG geweitet4. Andere nehmen le1 Stern, III/1, § 69 III, S. 923 f.; BVerfGE 39, 1 (41). 2 Z. B. Schütz, § 13 PVG Anm. 1. 3 Z. B. Hecker, Die Regelung des Aufenthalts, S. 61 ff.; Pieroth, JuS 1985, 81 (85). 4 Alberts/Merten/Rogosch, § 12 a Rdnr. 1; Bernet/Groß/Mende, § 31 Rdnr. 1; Fischer / Hitz/Laskowski / Walter, § 38 Rdnr. 1; Haus/Wohlfahrt, Rdnr. 250; Hornmann, § 31 Rdnr. 1; Kay/Böcking, B Rdnr. 234; Latzel/Lustina, Die Polizei 1995, 131; Maaß, NVwZ 1985, 151 (153); Mandelartz/Sauer/Strube, § 12 Anm. 4; Möller/Wilhelm, S. 166; Rachor, in: Lis-

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1. Teil: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

diglich einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG an5. Vereinzelt wird behauptet, der Platzverweis sei zumindest auch am Maßstab des Grundrechts der Freizügigkeit, Art. 11 GG, zu messen6. Bezüglich langfristiger Aufenthaltsverbote ergibt sich ein ähnliches Bild, wenngleich hier zunehmend ein Eingriff in Art. 11 GG bejaht wird 7 . Eine genaue Abgrenzung und sorgfältige Bestimmung der Reichweite dieser Grundrechte ist unerläßlich, da die in Frage kommenden Grundrechte unterschiedliche Gesetzesvorbehalte normieren und damit unterschiedliche Anforderungen an eine Ermächtigungsgrundlage stellen. Daneben wird zu klären sein, ob sich bei einer Verweisung aus der eigenen Wohnung im Hinblick auf Art. 13 GG und Art. 14 GG verfassungsrechtliche Besonderheiten ergeben. Soweit bestimmte polizeiliche Verweisungsmaßnahmen andere Grundrechte tangieren, erfolgt die Begutachtung im Zusammenhang mit der jeweiligen Maßnahme. Dies gilt etwa für die Frage, ob in den Fällen häuslicher Gewalt Art. 6 Abs. 1 GG bei einer Wegweisung heranzuziehen ist oder inwieweit sich die Kommunikationsrechte aus Art. 5 und Art. 8 GG, die auch das Recht auf räumliche Zusammenkunft enthalten8, auf die Wegweisung und das Betretungsverbot auswirken.

ken/Denninger, F Rdnr. 442; Schmidbauer, in: Schmidbauer/Steiner/Roese, Art. 16 Rdnr. 31; Tegtmeyer, § 3 Rdnr. 1; Wagner, § 12 MEPolG Rdnr. 5; Ziekow, S. 562; unklar: Honnacker/Beinhofer, Art. 16 Anm. 1. Aus der älteren polizeirechtlichen Literatur: König, Hans-Günther, Art. 16 Anm. I.; vgl. auch die Verhandlungen des Bayr. LT, 4. Tagung 1953 — 1954, Beilagenband 6,4660 v. 06. 10. 1954, Stb BB V I I Nr. 220 zu Art. 16 PAG 1954, S. 2. 5 Beiz/Mußmann, § 4 Rdnr. 15; Deger, VB1BW 1996,90 (93); Gallwas/Mösle, Rdnr. 667; Jochum/Rühle, H Rdnr. 46; Merten, Freizügigkeit, S. 52 ff.; Schipper, Rdnr. 318; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Rdnr. 201 a; VGH München, NVwZ 2000,454 (455 f.). 6 Samper, PAG, Art. 16 Rdnr. 1; Meixner/Fredrich, § 31 Rdnr. 11; Pieroth, JuS 1985, 81 (85). 7 Für einen Eingriff in Art. 11 GG: OVG Bremen, NVwZ 1999, 314 (315); Waechter, NdsVBl. 1996, 197 (202); ders., Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 702; Saipa, § 17 Rdnr. 2; Lisken, Polizei-heute 1996, 110 (114); Lesting, KJ 1997, 214 (219); Hecker, Die Regelung des Aufenthalts, S. 59 ff.; ders., NVwZ 1999, 261 (262); Bizer, S. 62 (68); Robrecht, SächsVBl. 1999, 232 (234); Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 135. Gegen einen Eingriff in Art. 11 GG: VGH Mannheim, VB1BW 1997, 66 (67), der einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit annimmt; VG Sigmaringen, NVwZ-RR 1995, 327 (329); Latzel/ Lustina, Die Polizei 1995, 131 (132); Haseloff-Grupp, VB1BW 1997, 161 (162); Deger, VB1BW 1996, 90 (92); Götz, NVwZ 1998, 679 (683); Würtenberger/Heckmann/Riggert, Rdnr. 201 a (Fn. 98). 8 Bleckmann, § 32 Rdnr. 12; Ziekow, S. 468.

B. Die Freiheit der Person, Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG

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B. Die Freiheit der Person, Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG I. Unstreitiger Schutzbereich Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG erklärt die Freiheit der Person für unverletzlich. Nahezu einhellig wird dieses Grundrecht wegen seiner historischen Anlehnung an das Habeas-Corpus-Recht sowie seiner systematischen Stellung zu Art. 104 GG und zur allgemeinen Handlungsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG als Garantie der körperlichen Bewegungsfreiheit verstanden9. Die Reichweite dieser Garantie ist jedoch umstritten. Ausgangspunkt nahezu jeden Versuchs, den Begriff der körperlichen Bewegungsfreiheit zu konkretisieren, ist die Beschreibung als das Recht, jeden (beliebigen) Ort aufzusuchen oder zu verlassen 10. Diese Beschreibung der körperlichen Bewegungsfreiheit läßt auf den ersten Blick vermuten, der Schutzbereich werde durch eine Wegweisung oder ein Betretungsverbot berührt. Gleichwohl ist eine genauere Prüfung unumgänglich, da keineswegs geklärt ist, daß Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG - wie es die Umschreibung suggeriert - tatsächlich zu einem bestimmten Tun, etwa einen bestimmten Ort aufzusuchen, berechtigt. Unstreitig gewährleistet Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG „die Freiheit, den gegenwärtigen Aufenthaltsort jederzeit verlassen zu können" 11 . Hierfür spricht die Entstehungsgeschichte des Grundrechts, die einen deutlichen Bezug zum Habeas-Corpus-Recht aufweist 12. Körperliche Bewegungsfreiheit meint in erster Linie die Freiheit der „Fort-Bewegung" oder, wie Ziekow 13 es formuliert, „das Recht zur beliebigen Flüchtigkeit". Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG schützt daher vor willkürlicher Freiheitsentziehung, Einsperrung, Verhaftung, also vor unmittelbarem Zwang und ähnlichen Eingriffen entsprechend dem klassischen Habeas-Corpus-Gedanken14. Vereinzelt wird die Gewährleistung sehr restriktiv auf diese Fälle der physischen Beschränkung der Bewegungsfreiheit begrenzt 15. Eine solche Betrachtungsweise läßt sich 9 Kunig, in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 2 Rdnr. 73; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 2 I I Rdnr. 60; Ziekow, S. 463; BVerfGE 94,166 (198). 10 Statt vieler Grabitz, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 130 Rdnr. 4; BVerfGE 94, 166 (198). 11 Kunig, in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 11 Rdnr. 28; Ziekow, S. 464. Der Schwerpunkt liegt damit auf der Möglichkeit des Verlassens, daß „man dort, wo man nicht bleiben will, auch nicht bleiben muß", Piewth/Schlink, Rdnr. 413. 12 Vgl. die Beratungen des Parlamentarischen Rats, Doemming/Füßlein/Matz, JöR N.F. Bd. 1 (1951), 63 f. 13 Ziekow, S. 464. 14 Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rdnr. 229; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 2 I I Rdnr. 6; Ipsen, Rdnr. 248. Gegen eine entsprechende historische Argumentation Podlech, in: AK-GG, 2. Aufl., Bd. 1, Art. 2 Abs. 2 Rdnr. 45. 15 So etwa Grabitz, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 130 Rdnrn. 5 ff.; enger Merten, Freizügigkeit, S. 52 ff. (56) und Deger, VB1BW 1996, 90 (93).

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1. Teil: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

jedoch aus systematischen Gründen nicht rechtfertigen. Art. 104 GG nennt neben den erwähnten Möglichkeiten der physischen Freiheitsentziehung an einem eng begrenzten Ort auch die Freiheitsbeschränkung als Eingriff in die Freiheit der Person. Der Begriff der Freiheit der Person umfaßt daher auch räumliche Beschränkungen, die keine physischen Freiheitsentziehungen im genannten Sinne darstellen. In Betracht kommt etwa die Unterbringung in einem offenen Heim, wobei allerdings der räumliche Umfang, bei dem noch von einer Freiheitsbeschränkung zu sprechen ist, nicht abschließend geklärt ist 16 . Als gesichert kann nach dem bisher Gesagten aber festgehalten werden, daß Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG jedenfalls die Freiheit schützt, nicht auf einen bestimmten Raum begrenzt zu sein. Bei Platzverweis und Aufenthaltsverbot geht es jedoch nicht um das Recht, einen Ort verlassen zu können, sondern umgekehrt um die Möglichkeit, einen bestimmten Ort aufsuchen und dort bleiben zu dürfen. Freilich beinhaltet die Möglichkeit, einen Ort verlassen zu können - logisch konsequent - auch immer die Möglichkeit, sich irgendwo anders hin begeben zu dürfen 17. Der Platzverweis verbietet aber den Aufenthalt an einem bestimmten, genau umgrenzten Ort. Entscheidend ist daher, ob die körperliche Bewegungsfreiheit auch das Recht umfaßt, seinen gegenwärtigen Aufenthaltsort nicht verlassen zu müssen, also einen bestimmten Ort - und nicht nur einen beliebigen - aufsuchen und dort bleiben zu dürfen. Mit anderen Worten: Gewährt Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG auch das Recht, sich in einem bestimmten begrenzten Raum aufzuhalten?

II. Die Frage nach der negativen Seite des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG 1. Stellungnahmen in der Literatur

In der verfassungsrechtlichen Literatur wird diese Frage zumeist mit Verweis auf den rein abwehrrechtlichen Charakter des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG verneint 18. Die körperliche Bewegungsfreiheit sei die „Freiheit des ,Heraus-und-weg'" und „nicht die des ,Dazu-und-hinein'", weshalb beispielsweise Zutritts verböte für Ju16 Nach Auffassung des BVerfG, NVwZ 1983, 603 scheidet Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG als Prüfungsmaßstab aus, wenn dem räumlich Beschränkten noch ausreichend Raum verbleibt, innerhalb dessen er sich frei bewegen kann. A. A. Tiemann, NVwZ 1987, 10 (15), der durch Art. 2 Abs. 2 GG die schlichte Fortbewegungsfreiheit im gesamten Bundesgebiet als dem Geltungsbereich des Grundgesetzes geschützt sieht. 17

So die Argumentation von Pieroth/Schlink, Rdnr. 414 in der 15. Auflage. Kunig, in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 2 Rdnrn. 76 f.; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 2 Rdnr. 61; Hellermann, S. 137; Herzog, S. 373; Ipsen, Rdnr. 248. Ohne nähere Begründung: Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 2 I I Rdnr. 60; Rengeling, 2. Abschnitt, § 7, S. 73. Im Ergebnis ebenso diejenigen Autoren, die in der körperlichen Bewegungsfreiheit den Schutz vor physischer Beschränkung sehen, vgl. Grabitz, in: Isensee / Kirchhof, HdbStR VI, § 130 Rdnr. 7; Merten, Freizügigkeit, S. 56 f.; Deger, VB1BW 1996, 90 (93). 18

B. Die Freiheit der Person, Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG

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gendliche nach dem Jugendschutzgesetz oder aber die Verweisung Schaulustiger vom Unfallort - mithin Aufenthaltsverbote - nicht vom Schutzbereich erfaßt seien19. Dogmatisch verbirgt sich dahinter die umstrittene Problematik der Anerkennung einer negativen Seite der körperlichen Bewegungsfreiheit. Es geht dabei um die Frage, inwieweit die Grundrechte auch die Möglichkeit gewähren, die positiv durch ein Grundrecht gewährleistete Freiheit nicht auszuüben. Eine solche negative Freiheit wird reinen Abwehrrechten - im Gegensatz zu den sogenannten Handlungsrechten20 - nicht oder jedenfalls nur dann zuerkannt, wenn bei Nichtbefolgung der das Abwehrrecht beschränkenden Verpflichtung unmittelbarer Zwang angewendet werden würde 21 . Denn sie geben lediglich einen gegen den Staat gerichteten Anspruch auf Unterlassung rechtswidriger Beeinträchtigungen 22. Sie gewährleisten jedoch nicht eine bestimmte Handlung innerhalb des geschützten Lebenssachverhalts, sondern die Integrität eines bestimmten Rechtsgüterbestands an sich. So besitzen die Grundrechte aus Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG, Art. 10 GG, Art. 13 GG sowie Art. 16 a GG unstreitig als reine Abwehrrechte keine negative Seite 23 . So verleiht etwa Art. 10 GG nicht die Befugnis zu schreiben oder zu telefonieren 24, Art. 2 Abs. 2 S. 1 GG nicht die Befugnis zur Selbsttötung25. Für das Grundrecht der körperlichen Bewegungsfreiheit ist die Einordnung umstritten. Teile des Schrifttums wollen den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG durch eine negative Freiheit vervollständigt wissen, stehen aber dann vor der Schwierigkeit, den Inhalt dieser negativen Seite zu beschreiben. Die diesbezüglichen Auffassungen sind uneinheitlich, was nicht zuletzt daraus resultiert, daß von unterschiedlichen positiven Gewährleistungen ausgegangen wird. So sehen Pieroth / Schlink 26 in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG das Recht, „jeden beliebigen nahen oder fernen Ort aufzusuchen" und die negative Entsprechung darin, „jeden beliebigen Ort zu meiden". Auch Lübbe-Wolff 27 versteht als negative Freiheit das Recht, „beliebige Orte zu meiden". Dürig 28 scheint in der negativen Freiheit das Recht zu sehen, einen „er19 Tiemann, NVwZ 1987, 10 (12 Fn. 25). 20 Begriff bei Merten, VerwArch 73 (1982), 103 ff.; Herzog, S. 373 spricht von „Freiheitsrechten im engeren Sinne". 21 Kunig, in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 2 Rdnr. 76; Jarass, in: Jarass / Pieroth, Art. 2 Rdnr. 61. Vgl. auch VGH Mannheim, DÖV 1984, 766 (767) - schulisches Nachsitzen. 22 Gentz, S. 38; Merten, VerwArch 73 (1982), 103. 23 Dazu statt vieler Hellermann, S. 35. 24 Merten, VerwArch 73 (1982), 103. 25 Diese ergibt sich allenfalls aus Art. 2 Abs. 1 GG, vgl. Kunig, in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 2 Rdnr. 50; Hellermann, S. 33; a. A. nunmehr Pieroth/Schlink, Rdnr. 392. 26 Pieroth/Schlink, Rdnr. 413. Ebenso Stern, III/1, § 66 II 3 b, S. 645. 27 Lübbe-Wolff, DVB1. 1996, 825 (837 Fn. 119); ähnlich Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rdnr. 230; auch Correll, in: AK-GG, 3. Aufl., Art. 2 Abs. 2 Rdnr. 153. 28 Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 2 Rdnr. 50 differenziert allerdings nicht zwischen negativer und positiver Bewegungsfreiheit, sondern zwischen Freiheitsentziehung als das Festgehaltenwerden und Freiheitsbeschränkung als das Verbot, den erstrebten Ort aufzusuchen; ähnlich Podieck, in: AK-GG, 2. Aufl., Bd. 1, Art. 2 Abs. 2 Rdnr. 44.

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1. Teil: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

strebten Ort aufzusuchen". Letzterem kann die Möglichkeit gleichgesetzt werden, den gegenwärtigen Aufenthaltsort nicht verlassen zu müssen. Schließlich erschöpft sich nach Geis 29 die negative Seite der körperlichen Bewegungsfreiheit in dem „Recht, sich nicht zu bewegen". Vereinzelt wird die umfassende Garantie der Bewegungsfreiheit begründet, ohne jedoch das Instrument der negativen Seite der Grundrechte zu bemühen. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG schütze in Abgrenzung zu Art. 11 GG Bewegungen innerhalb des Lebenskreises, der sich als „der unmittelbare Bewegungsspielraum als Ausdruck alltäglicher Abläufe in und um den Wohnsitz" definiere 30. Murswiek 31 schlägt vor, anstatt die negative Seite auszuschließen, auf den Zweck des Eingriffs abzustellen, wobei nur solche Maßnahmen Eingriffe in die körperliche Bewegungsfreiheit darstellten, die eine Beschränkung der Bewegungsfreiheit bezweckten und nicht lediglich zwangsläufige Nebenfolge der Verfolgung eines anderen Primärzweckes seien. Das Problem der beiden zuletzt genannten Auffassungen ist jedoch, daß sie über den eigentlichen Umfang der Gewährleistung nichts aussagen. Sie setzen ihn vielmehr voraus.

2. Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht hat zu der Frage, ob Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG auch das Recht gewährt, sich an einem bestimmten begrenzten Ort aufhalten zu dürfen, noch nicht Stellung genommen. Es hat sich bisher - soweit ersichtlich - mit Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG nur befaßt, wenn es um Beschränkungen auf einen bestimmten räumlichen Bereich ging 32 . In früheren Entscheidungen hatte das Bundesverfassungsgericht daher regelmäßig darauf abgestellt, Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG schütze „die körperliche Bewegungsfreiheit vor Verhaftung, Festnahme und ähnlichen Eingriffen, also vor unmittelbarem Zwang" 33 . In dieser Tradition sind auch die jüngeren bundesverfassungsgerichtlichen Entscheidungen zu Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG zu sehen. So hat das Gericht Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG in einer Entscheidung über die Verfassungsmäßigkeit des § 20 AsylVerfG a. F., wonach die Aufenthaltsberechtigung der Asylsuchenden auf den Bezirk der Ausländerbehörde (Landkreis oder größere Stadt) beschränkt wurde, angesichts des räumlichen Umfangs, innerhalb dessen sich der Ausländer frei bewegen dürfe, als Prüfungsmaßstab abgelehnt34. Auf das umgekehrte Problem, daß der Asylsuchende sich im übrigen Bereich der 29 Geis, Verwaltungsrecht, S. 84. 30 Randelzhof er, in: BK, Art. 11 Rdnr. 29; Ziekow, S. 465 ff., der ausdrücklich den Platzverweis als einen Eingriff in den alltäglichen Lebenskreis wertet, vgl. S. 562. Ausführlich hierzu in diesem Teil, C. II. 2. c) bb). 31 Murswiek, in: Sachs, GG, Art. 2 Rdnr. 233. 32 Z. B. Untersuchungshaft (BVerfGE 35, 185 ff.); Anstaltsunterbringung (BVerfGE 58, 208 ff.); räumliche Beschränkung auf den Flughafen-Transitbereich (BVerfGE 94, 166 ff.). 33 BVerfGE 22, 21 (26) - Verkehrsunterricht. 34 BVerfG, NVwZ 1983, 603. Zustimmend VGH München, NVwZ 2000,455 (456).

B. Die Freiheit der Person, Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG

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Bundesrepublik nicht aufhalten dürfe, ist das Gericht nicht eingegangen. Dagegen hat das Bundesverfassungsgericht Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG als Prüfungsmaßstab noch nicht einmal in Erwägung gezogen, als die grundrechtliche Vereinbarkeit einer aufenthaltsbeschränkenden Weisung im Rahmen der Strafaussetzung zur Bewährung nach § 56 c StGB zur Entscheidung stand35. Im entschiedenen Fall wurde es dem Betroffenen unter anderem untersagt, Orte, an denen Betäubungsmittel konsumiert werden, aufzusuchen. Auch aus der neueren Judikatur zur Frage der Zulässigkeit der Begrenzung des Aufenthalts der Asylsuchenden während des Flughafenverfahrens auf vorgesehene Räumlichkeiten im Transitbereich ergibt sich nichts Gegenteiliges36. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht die eingangs erwähnte gängige Definition der körperlichen Bewegungsfreiheit aufgegriffen, aber einschränkend ausgeführt, der sachliche Gewährleistungsinhalt des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG umfasse „von vornherein nicht eine Befugnis, sich unbegrenzt überall aufhalten und überall hin bewegen zu dürfen." 37 Eine Freiheitsbeschränkung läge demgemäß nur vor, wenn jemand „durch die öffentliche Gewalt gegen seinen Willen daran gehindert wird, einen Ort oder Raum aufzusuchen oder sich dort aufzuhalten, der ihm an sich (tatsächlich und rechtlich) zugänglich ist." 3 8 Das Bundesverfassungsgericht nimmt insoweit eine Tatbestandsbegrenzung aufgrund der allgemeinen Rechtsordnung vor 39 , so daß Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG von vornherein nicht die Freiheit gewähre, fremdes Staatsgebiet oder Eigentum zu betreten. Die tatsächlich empfundene Freiheitsbeschränkung könne nach Auffassung des Gerichts daher nicht der Bundesrepublik zugerechnet werden, zumal der Betroffene sich im Ausland überall bewegen könne. Für die hier gestellte Frage, ob Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG auch tatsächlich das Recht umfaßt, einen bestimmten Ort im Geltungsbereich des Grundgesetzes aufzusuchen, ist die Entscheidung nicht ergiebig. Denn auch wenn das Gericht in seiner Begründung auf die Auffassung Dürigs 40 , der die körperliche Bewegungsfreiheit weit interpretiert, verweist, muß gesehen werden, daß ausschließlich die Frage des „NichtverlassenDürfens" zur Entscheidung stand, nicht aber die hier interessierende Frage des Aufenthaltsverbots für einen bestimmten begrenzten Bereich innerhalb des Bundesgebietes. Mit ihr hat das Gericht sich auch nicht auseinandergesetzt.

35 BVerfG, NJW 1993, 3315 = StV 1993, 465 f. Das Bundesverfassungsgericht ist aber zu einer umfassenden Prüfung aller Grundrechte verpflichtet, für deren Verletzung nach dem vorgetragenen Sachverhalt Hinweise vorliegen, so Müller-Franken, DÖV 1999, 590 ff. 36 BVerfGE 94, 166 ff. 37 BVerfGE 94,166(198). 38 BVerfGE 94, 166 (198); bestätigt in BVerfG, DVB1. 1997, 895 ff. 39 Lübbe-Wolff, DVB1. 1996, 825 (837). 40 S. oben 1. Teil, Fn. 28.

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1. Teil: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

3. Stellungnahme Das Grundrecht auf Freiheit der Person ist ein reines Abwehrrecht. Es schützt vor räumlicher Begrenzung auf einen bestimmten Bereich, nicht aber davor, sich in bestimmten begrenzten Räumen nicht aufhalten zu dürfen. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG gewährleistet nicht ein bestimmtes Handeln, dem ein entsprechendes Unterlassen gegenübersteht. Die körperliche Bewegungsfreiheit beschreibt vielmehr einen Zustand, in dem sich der einzelne befindet. Die Anerkennung der grundrechtsdogmatischen Figur der negativen Seite führt zu einer Erweiterung des jeweiligen Schutzbereichs eines Grundrechts um das Unterlassen der im Schutzbereich beschriebenen Verhaltensweise. Diese Erweiterung ist vom Wortlaut der Grundrechte her nicht zwingend, sie folgt aber aus deren Zweck, bestimmte Lebensbereiche vor staatlicher Einflußnahme zu schützen. Dieser Schutz wäre unvollständig, würde zwar die Vornahme einer bestimmten Handlung vom Gewährleistungsgehalt eines Grundrechts erfaßt, nicht aber auch die Entscheidung, hiervon keinen Gebrauch zu machen41. Der Schluß auf eine negative Seite kann aber nur bei solchen Freiheitsrechten Anwendung finden, die auch tatsächlich eine bestimmte Handlung zum Schutzgut haben42. So schützt Art. 8 GG die Verhaltensweise, sich zu versammeln, Art. 5 GG, seine Meinung zu äußern und sich zu informieren. Diese Grundrechte werden daher durch die Vornahme entsprechender Handlungen verwirklicht. Anders als bei reinen Abwehrrechten ist es dem Staat hier nicht nur verwehrt, in den grundrechtlich geschützten Bereich einzugreifen, er muß auch die Vornahme dieser Handlungen durch die Bürger hinnehmen43. Wollte man die körperliche Bewegungsfreiheit als Handlungsrecht umschreiben, liegt es nahe, die positive Gewährleistung - die Handlung - in der Möglichkeit zu sehen, seinen Aufenthaltsort verlassen zu dürfen. Für diesen Ausgangspunkt spräche nicht nur der dem Habeas-Corpus-Gedanken angelehnten unstreitige Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG, auch Art. 104 Abs. 1 GG, der von „festgehaltenen Personen" spricht, stützt diese Auslegung. Abgesehen davon, daß aber bereits diese Bestimmung der positiven Gewährleistung keineswegs unstreitig ist, bereitet es, wie dargelegt, noch erheblichere Schwierigkeiten, die negative Seite exakt zu definieren. Während sich aus den Verhaltensgarantien der Art. 8 GG und Art. 5 GG die negative Komponente unproblematisch als das Recht, an einer Versammlung nicht teilnehmen bzw. seine Meinung nicht äußern zu müssen, ableiten läßt, ist weniger deutlich, welches Recht Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG garantieren soll. Das Recht, einen bestimmten Ort aufzusuchen oder nur einen beliebigen? Einen bestimmten Ort zu meiden oder sich schlicht nicht bewegen zu müssen? Handlungsrechte sind, wie Hellermann 44 darlegt, als Erlaubnissätze formuliert oder lassen sich in solche

41 Merten, VerwArch 73 (1982), 103 (106) und Hellermann, S. 45 ff. 42 Hellermann, S. 134. 43 Merten, VerwArch 73 (1982), 103 f. 44 Hellermann, S. 134.

B. Die Freiheit der Person, Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG

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„umformulieren (..), ohne daß (ihr) Schutzbereich inhaltlich unzulässig verändert, erweitert oder verkürzt wird." Eine solche Bestimmung ist bei dem Grundrecht der körperlichen Bewegungsfreiheit nicht eindeutig möglich. Die Schwierigkeiten bei der Festlegung sowohl der positiven als auch der negativen Gewährleistung als Handlung machen vielmehr deutlich, daß es sich hierbei nicht um ein sogenanntes Handlungsrecht handeln kann. Der Schutzbereich würde bei Erweiterung um die negative Seite zudem überdehnt, weil dann die Gefahr bestünde, daß auch jede mit der Anwesenheit an einem bestimmten Ort verbundene hoheitliche Verpflichtung einen Eingriff in die Freiheit der Person darstellen würde 45 . Für die Einordnung der Bewegungsfreiheit als reines Abwehrrecht, das ausschließlich vor dem räumlichem Begrenztsein auf einen bestimmten Ort schützt, sprechen auch systematische, historische und rechtsvergleichende Erwägungen. Das Mißhandlungsverbot in Art. 104 Abs. 1 S. 2 GG für „festgehaltene Personen" ist zwar „keine Legaldefinition des Begriffs der Freiheit der Person" 46. Es steht jedoch in engem Zusammenhang mit dem Grundrecht auf Freiheit der Person, was sich nicht zuletzt dadurch bestätigt, daß beide Vorschriften ursprünglich in einem Grundrecht vereint werden sollten 47 . Bei den Beratungen zu dem Grundrecht auf Freiheit der Person ging es aber ausschließlich um den Schutz der „persönlichen Bewegungsfreiheit im engeren Sinn", also um Schutz vor Umgrenzung durch Verhaftung und vor sonstiger außerstrafrechtlicher Beschränkung der persönlichen Freiheit wie etwa der zwangsweisen Unterbringung, nicht aber um die Befugnis, einen bestimmten Ort aufzusuchen 48. Freiheitsbeschränkung wurde also wie Freiheitsentziehung auch als Beschränkung der Möglichkeit gesehen, einen Ort zu verlassen49. Ein weitergehender Schutz ist neben den Grundrechten auf allgemeine Handlungsfreiheit und Freizügigkeit nicht geboten. In dieser an das Habeas-Corpus-Recht angelehnten Tradition verstehen im übrigen auch die meisten anderen europäischen Verfassungen sowie Art. 5 EMRK das Menschenrecht auf Freiheit der Person 50. Die Auslegung des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG als reines Abwehrrecht wird letztlich auch durch den Wortsinn gestützt. Indem der Gesetzgeber die Freiheit der Person, ebenso wie die unstreitig als Abwehrrechte zu qualifizierenden Art. 10 GG und Art. 13 GG als „unverletzlich" erklärt, hat er den Charakter des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG als reines Abwehrrecht auch sprachlich deutlich gemacht. Bereits der Begriff der „Unverletzlichkeit" impliziert, daß ein bestimmter Rechtsgüterbestand nicht 45 VGH Mannheim, DÖV 1984, 766 (767) - schulisches Nachsitzen; auch Hellermann, S. 137. 46 Ziekow, S. 464. 47 Vgl. den Herrenchiemsee-Entwurf (Art. 3) bei Doemming/Füßlein/Matz, JöR N.F. Bd. 1 (1951), 63. 48 Vgl. Doemming/Füßlein/Matz, JöR N.F. Bd. 1 (1951), 63 ff. 49 Zwischen Freiheitsentziehung und Freiheitsbeschränkung besteht also ein fließender Übergang, Ziekow; S. 464. 50 Vgl. Rengeling, 2. Abschnitt, § 7 I.

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1. Teil: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

mißachtet werden darf. Ebenso wie der strafgesetzliche Tatbestand der Freiheitsberaubung nach § 239 StGB ist also auch Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG als „Freiheit zur Ortsveränderung" im Sinne der Möglichkeit, „sich von einem bestimmten Ort wegbewegen zu können", zu verstehen 51. Auch § 239 StGB meint nicht die Freiheit, sich an einen Ort zu bewegen oder an einem Ort zu verweilen. Der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG wird daher durch polizeiliche Verweisungen, die es verbieten, einen bestimmten Ort aufzusuchen oder gebieten, einen bestimmten Ort zu verlassen, nicht berührt. Freilich darf ein Aufenthaltsverbot für einen bestimmten Bereich, etwa um die Wohnung des Betroffenen herum, nicht zu einer „QuasiAusgangssperre" führen.

C. Das Grundrecht der Freizügigkeit, Art. 11 GG I. Problemstellung Der Arbeitskreis Polizeirecht äußerte 1979 in seinem Alternativentwurf einheitlicher Polizeigesetze des Bundes und der Länder (AEPolG) 52 Bedenken gegenüber dem Platzverweis nach § 12 MEPolG vor allem aus verfassungsrechtlicher Sicht: Der Platzverweis verstoße gegen das Grundrecht der Freizügigkeit - traditionell verstanden als das Recht, an jedem Ort innerhalb des Bundesgebietes Aufenthalt und Wohnsitz zu nehmen53. Die Auffassung des AEPolG ist von einem sehr weiten, liberalen Verständnis der Freizügigkeit, insbesondere des hier relevanten Begriffs „Aufenthalt", geprägt, wonach jedes Verweilen unabhängig von einem Zweck oder einer Dauer ein freizügigkeitsrelevanter Aufenthalt im Sinne des Art. 11 GG sei 54 . Dem wurde in den 70er und 80er Jahren nur vereinzelt zugestimmt 55 . Vorherrschend war die Meinung, Aufenthalt im Sinne des Art. 11 Abs. 1 GG setze eine gewisse Mindestverweildauer voraus 56. Da durch einen Platzver-

51 Tröndle/Fischer, 52

§ 239 Rdnr. 2; BGHSt 32, 189.

Denninger u. a., § 19 Anm. 1 ff. 53 So die allgemein anerkannte Definition der Freizügigkeit seit BVerfGE 2, 266 (273); 8, 95 (97); 43, 203 (211); 80, 137 (150). Diese Begriffsbestimmung geht auf das Freizügigkeitsgesetz des Norddeutschen Bundes v. 01. 11. 1867 (BGBl. S. 55) zurück und wurde von Art. 111 WRV v. 11.08. 1919 (RGBl. S. 1383), wonach Freizügigkeit das Recht erfaßte, „sich an beliebigem Orte des Reichs aufzuhalten und niederzulassen", aufgegriffen. Sie lag schließlich auch den Beratungen über das Grundrecht der Freizügigkeit im Parlamentarischen Rat zugrunde, vgl. Doemming/Füßlein/Matz, JöR N.F. Bd. 1 (1951), 128. 54 Denninger u. a., § 19 Anm. 3; vgl. auch Dürig, in: Maunz/Herzog/Dürig/Scholz, Art. 11 Rdnrn. 37 ff. 55 So etwa Riegel BayVBl. 1980, 577 (579); Pieroth, JuS 1985, 81 (85); Samper, PAG, Art. 16 Rdnr. 1. Zur damaligen verfassungsrechtlichen Diskussion vgl. auch Martens, in: Arbeitstagung der Polizei-Führungsakademie, S. 47 f. und 67 f.

C. Das Grundrecht der Freizügigkeit, Art. 11 GG

31

weis dem Betroffenen aber nur vorübergehend das Betreten eines eng umgrenzten Ortes verwehrt werde, könne ein Verstoß gegen Art. 11 GG nicht vorliegen 57. Die Annahme, polizeiliche Verweisungsmaßnahmen stellten immer Eingriffe in Art. 11 GG dar, hätte zugegeben - ohne eine Wertung vorwegzunehmen - weitreichende polizei- und verfassungsrechtliche Konsequenzen: Insbesondere die Maßnahme Platzverweis, die nach dem bisher Gesagten häufig und vielfältig einsetzbar sowie äußerst praktikabel sein soll, wäre nur noch in den engen Grenzen des Art. 11 Abs. 2 GG zulässig. Überdies ist zweifelhaft, ob der Landesgesetzgeber überhaupt Eingriffe in Art. 11 GG regeln darf, da Art. 73 Nr. 3 GG die „Freizügigkeit" als Gegenstand der ausschließlichen Regelungskompetenz des Bundesgesetzgebers nennt. Schließlich und für den Fall, daß landesrechtliche Kompetenzen gleichwohl möglich sind, bestünde das Problem, daß nicht alle Polizeigesetze der Länder Art. 11 GG als einschränkbares Grundrecht zitieren 58 . Aus Sicht der Maßnahme Platzverweis schien das Kriterium der Dauer geeignet, klare Ergebnisse zu erzielen. Die vorübergehende Dauer des Platzverweises und die notwendige Mindestverweildauer eines freizügigkeitsrelevanten Aufenthalts sollten sich nicht überschneiden. Die Forderung nach einer gewissen Mindestverweildauer zur Bestimmung des „Aufenthalts" im Sinne der Freizügigkeit als das alleinige tatbestandseingrenzende Kriterium ist in der verfassungsrechtlichen Diskussion jedoch zunehmend in Kritik geraten 59. Zwar impliziert der Begriff des Aufenthalts, verstanden als das „tatsächliche Sein an einer Stelle" 60 , die Frage nach der Dauer. In Abgrenzung zu der ständigen Wohnsitzbegründung wird der Begriff daher auch definiert als das „vorübergehende oder längerfristige Verweilen" an einem bestimmten Ort, ohne dort einen Wohnsitz zu begründen 61. Man wird demnach auch den Aspekt der Dauer des freizügigkeitsrelevanten Aufenthaltes nicht völlig außer Acht lassen können. Alle Vorschläge aber, das Kriterium der Mindestverweildauer zu präzisieren, haben sich entweder als zu unbestimmt, wie etwa die Forderung nach „einer gewissen Dauer" 62 , „wenigen Minuten" 63 bzw. 56 Ule/Rasch, Teil A, § 7 Rdnr. 32 a; Rasch, DVB1. 1987, 194 (196); Dicke, in: v.Münch, GG, Art. 11 Rdnr. 7; Merten, Freizügigkeit, S. 44 und 52. 57 So die Begründung zu § 12 MEPolG, vgl. Heise /Riegel, § 12 Anm. 2. 58 So zitiert z. B. § 8 RhPfPOG Art. 11 GG nicht. Anders dagegen diejenigen Bundesländer, die das Aufenthaltsverbot als Standardbefugnis normieren. 59 Für das Dauerargument als alleiniges tatbestandseingrenzendes Kriterium in der neueren Literatur noch: Jarass, in: Jarass / Pieroth, Art. 11 Rdnr. 2; Sommer, S. 202; Deger, VB1BW 1996, 90 (93); Rachor, in: Lisken/Denninger, F Rdnr. 442; Schipper, Rdnr. 318; Wagner, § 12 MEPolG Rdnr. 4; Wolf/Stephan, § 4 Rdnr. 14; wohl auch Dolderer, NVwZ 2001,130 (133). 60 Ziekow, S. 6. Vgl. auch Duden, Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 1: „eine gewisse Zeit an einem Ort verweilen", Stichwort: Aufenthalt nehmen. 61 Hailbronner, in: Isensee / Kirchhof, HdbStR VI, § 131 Rdnr. 24; ähnlich Randelzhofer, in: BK, Art. 11 Rdnr. 20; Pieroth, JuS 1985, 81 (83); Pieroth/Schlink, Rdnr. 791. 62 Rasch, DVB1. 1987, 194 (196). 63 Dicke, in: v.Münch, GG, Art. 11 Rdnr. 8.

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1. Teil: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

„eines mehr als flüchtigen Aufenthaltes" 64, oder als zu willkürlich und damit für die Grundrechtsinterpretation ebenfalls ungeeignet erwiesen. So ist der Vorschlag Mertens 65, als zeitliche Untergrenze „die Übernachtung in einem Ort" zu fordern, um so „eine gewisse Intensität der Beziehung zum Aufenthaltsort" zu dokumentieren, zwar bestimmt, es führte aber in einer Gesellschaft, die auf hohe Mobilität angelegt ist, zu zufälligen und damit nicht akzeptablen Ergebnissen, wenn die Eröffnung des Schutzbereiches von der Tageszeit abhängig gemacht würde. Eine wichtige Geschäftsreise am Tag in eine andere Stadt wäre nicht von Art. 11 GG geschützt, eine Übernachtung bei Freunden dagegen schon66. Andere das Grundrecht der Freizügigkeit eingrenzende Kriterien lassen sich nur schwer finden, ohne für sich genommen ebenfalls dem Vorwurf der Willkürlichkeit und Unbestimmtheit ausgesetzt zu sein. Teilweise wird versucht, die Reichweite des Art. 11 GG räumlich einzugrenzen, indem die interlokale Freizügigkeit, also der Zug innerhalb einer Gemeinde, von dem Schutzbereich des Art. 11 GG ausgenommen wird 6 7 , während der Zug von Gemeinde zu Gemeinde und von Bundesland zu Bundesland von Art. 11 GG erfaßt sein soll. Platzverweise, die für eng umgrenzte Bereiche ausgesprochen werden, ergehen in der Regel interlokal. Auch die polizeilichen Aufenthaltsverbote beziehen sich regelmäßig auf Stadtteile, gelegentlich auch auf ganze Stadtgebiete. Selbst diese wird man daher noch als interlokal bezeichnen können. Allenfalls in sehr kleinen Gemeinden könnte je nach Gefahrenlage durch eine Verweisung auch die interkommunale Freizügigkeit betroffen sein. Damit ist aber zugleich auch die Schwäche dieser Auffassung angedeutet: In Anbetracht der unterschiedlichen Gemeindegrößen sowie „der Zufälligkeiten gemeindlicher Grenzziehungen ( . . . ) würde (es) zu willkürlichen Ergebnissen führen, wenn erst das Überschreiten einer Gemeindegrenze den Grundrechtsschutz (des Art. 11 GG) eröffnete." 68 Schließlich birgt auch die Forderung eines „bedeu-

64 Rittstieg, in: AK-GG, 3. Aufl., Art. 11 Rdnr. 33. 65

Merten, Freizügigkeit, S. 44 und 52; zustimmend Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 11 Rdnr. 2. 66 Ausführlich zur Kritik an dem Dauerargument vgl. Randelzhofer, in: BK, Art. 11 Rdnr. 26; Grabitz, in: Isensee / Kirchhof, HdbStR VI, § 130 Rdnr. 9; Mußmann, VB1BW 1986, 52 (56); Kunig, Jura 1990, 306 (308); ders., in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 11 Rdnr. 14; Pieroth, JuS 1985, 81 (83); Ziekow, S. 461 und 464 f. 67

Dürig, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 11 Rdnr. 28; Hesse, Rdnr. 371; Gusy, in: v.Mangoldt/Klein/Stark, Art. 11 Rdnr. 26; sowie wohl BVerwG, Buchholz Art. 11 GG, 401.63 Kurabgabe Nr. 5. 68 Kunig, Jura 1990, 306 (308). Ähnlich ders., in: v.Münch / Kunig, GG Bd. 1, Art. 11 Rdnr. 12; Randelzhofer, in: BK, Art. 11 Rdnr. 41; Hailbronner, in: Isensee /Kirchhof, HdbStR VI, § 131 Rdnr. 27; Dicke, in: v.Münch, GG, Art. 11 Rdnr. 7; Pernice, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 11 Rdnr. 12; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 11 Rdnr. 3; Merten, Freizügigkeit, S. 29 ff.; Mußmann, VB1BW 1986, 55 (57); Pieroth, JuS 1985, 81 (83); Rittstieg, AK-GG, 3. Aufl., Art. 11 Rdnr. 30; VG Bremen, Urt. v. 29. 05. 1997, Az.: 2 A 149/96, S. 9 f.; OVG Bremen, NVwZ 1999, 314 (315). Im Ergebnis auch Ziekow, S. 237 ff. und 479, der nachweist, daß das Freizügigkeitsrecht traditionell auch die interlokale Umzugsfreiheit gewährleistete.

C. Das Grundrecht der Freizügigkeit, Art. 11 GG

33

tenden Zwecks" des Aufenthalts 69 ähnliche Probleme wie die Forderung nach einer bestimmten Dauer, denn die Bestimmung dessen, welche Zwecke bedeutend genug sind, kann in einer pluralistischen Gesellschaft nur ebenso willkürlich ausfallen. Der Vorschlag, den Schutz des Art. 11 GG von dem Bestreben, einen neuen Lebensmittelpunkt zu erlangen 70, abhängig zu machen, würde zwar wiederum zu klaren Ergebnissen führen, er ist aber zu eng und würde letztlich den Begriff des bloßen Aufenthalts neben dem des Wohnsitzes entbehrlich machen. Überwiegend wird daher vertreten, Art. 11 Abs. 1 GG sei zweckneutral - einziger Zweck sei es, Aufenthalt oder Wohnsitz zu nehmen71. Angesichts dieser definitorischen Schwierigkeiten findet sich im neueren Schrifttum zunehmend die Tendenz, den Schutzbereich des Art. 11 Abs. 1 GG wie die Verfasser des AEPolG weit zu interpretieren 72. Argumente, weshalb der Platzverweis nach § 12 MEPolG gleichwohl nicht in Art. 11 GG eingreife, gibt es zahlreiche: der Platzverweis beschränke den freien Zug nicht mit dem erforderlichen Gewicht 73 , es fehle die Eingriffsqualität 74, eine Beeinträchtigung liege nicht vor, weil sich das Verbot, den Ort zu betreten, an jedermann richte75, der Platzverweis greife lediglich in den Lebenskreis des Betroffenen ein 76 . Denninger 77 fordert indes, polizei- und ordnungsrechtliche Verweisungsmaßnahmen dürften nie die Qualität einer Freizügigkeitsbeschränkung erreichen. 69 Braun, S. 56 ff. fordert, der Zielort müsse ein bestimmtes Maß an „Persönlichkeitsrelevanz" in dem Sinne aufweisen, daß der Zielort geradezu konstituierend für die Selbstbestimmung sei. 70 So noch BVerwGE 3, 308 (312) mit Verweis auf eine frühere Auffassung Dürigs, in: Neumann/Nipperdey/Scheuner, S. 528, wonach das Recht des freien Zuges ein finales Grundrecht sei, „dessen immanenter Zweck nicht das »Umherziehen' als solches" sei, „sondern das Bestreben, zu einem neuen dauernden Lebensmittelpunkt zu gelangen." Einem Landstreicher könne daher die Berufung auf Art. 11 GG verwehrt sein. Ebenfalls für die Begründung des Lebensmittelpunkts als Voraussetzung für den Schutz des Art. 11 GG: Latzel/ Lustina, Die Polizei 1995, 131 (132); Schmidbauer, in: Schmidbauer/Steiner/Roese, Art. 11 Rdnr. 155. Ähnlich Tegtmeyer, § 34 Rdnr. 1 und Bernet/Groß/Mende, § 31 Rdnr. 1, die Art. 11 GG auf die Wohnsitz- und Niederlassungsfreiheit reduzieren. 71 Jarass, in: Jarass / Pieroth, Art. 11 Rdnr. 2; Kunig, in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 11 Rdnr. 14; ders., Jura 1990, 306 (308); Pernice, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 11 Rdnr. 12; Randelzhof er, in: BK, Art. 11 Rdnr. 22; Hailbronner, in: HdbStR VI, § 131 Rdnr. 29; Mußmann, VB1BW 1986, 52 (56 f.); Ziekow, S. 458. 72 Pernice, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 11 Rdnr. 14, der unter Berufung auf Vergleiche internationaler Verfassungen Art. 11 GG als räumliche Bewegungsfreiheit sieht; Mußmann, VB1BW 1986, 52 (56); Pieroth, JuS 1985, 81 (83); Ziekow, S. 461. 7 3 Kunig, in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 11 Rdnr. 20, Stichwort: Polizeiliche Maßnahmen.

™ Mußmann, VB1BW 1986,52 (56); Reichert/Ruder/Fröhler, Rdnr. 203 a. 7 5 Pernice, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 11 Rdnr. 20; Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 11 Rdnr. 7. 7 6 Ziekow, S. 562. 77

Denninger, in: Lisken / Denninger, E Rdnr. 15.

3 Neuner

34

1. Teil: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

Bisher wurden die Schwierigkeiten einer Interpretation des Grundrechts der Freizügigkeit - auch mit Blick auf die polizeilichen Maßnahmen Platzverweis und Aufenthaltsverbot - aufgezeigt. Grundrechtliche Schutzbereiche dürfen jedoch nicht nach den jeweiligen Eingriffsbedürfnissen des Staates bestimmt werden, weil andernfalls deren Schutz unzulässig verkürzt werden könnte 78 . Im folgenden muß daher zunächst die Reichweite des Grundrechts der Freizügigkeit, soweit der für diese Untersuchung relevante Begriff des Aufenthalts betroffen ist, geklärt werden, ehe dann Konsequenzen für die polizeilichen Verweisungsmaßnahmen gezogen werden können.

II. Der Schutzbereich des Art. 11 GG 1. Das Recht des freien Abzugs, des freien Zuzugs und die Bleibefreiheit Das Grundgesetz definiert den Begriff der Freizügigkeit nicht. Präzisierungen der eingangs aufgezeigten „»Aufenthalt und Wohnsitz'-Formel" 79, insbesondere durch das Bundesverfassungsgericht, finden sich kaum und helfen - soweit erfolgt bei der hier interessierenden Frage nach der Reichweite des Begriffs „Aufenthalt" wenig weiter. Die Rechtsprechung hatte bislang ohnehin selten Anlaß, sich eingehend mit dem Gewährleistungsgehalt des Art. 11 GG auseinanderzusetzen. Den bisherigen Stellungnahmen zufolge ist Freizügigkeit das Recht, jeden Ort des Bundesgebietes aufzusuchen und sich dort - ungehindert von Aufenthaltsverboten 80 - aufzuhalten und einen Wohnsitz zu begründen 81. Geschützt wird auch das Recht, den bisherigen Aufenthaltsort 82 und Wohnsitz83 beizubehalten sowie das Ziehen an sich 84 . Maßgebend ist die Möglichkeit, einen Ort erreichen zu können, nicht jedoch mit einem bestimmten Beförderungsmittel, weshalb Art. 11 GG den Staat auch nicht verpflichtet, für jedes Beförderungsmittel geeignete Wege und Straßen bereitzustellen85. Art. 11 GG erfaßt mithin den Lebenssachverhalt des freien Zuges, worunter der freie Abzug, der freie Zuzug als auch die Bleibefreiheit 86 fallen. Der 78 BVerfG, DÖV 1992, 704 (705). 79

Begriff bei Ziekow, S. 456. Weitere Nachweise hierzu s. oben 1. Teil, Fn. 53. so VGH München, BayVBl. 1968,402 f. - Aufenthaltsverbot für mehrere Großstädte.

81 BVerfGE 43, 203 (211); 80, 137 (150). 82 VGH Mannheim, FEVS 33,426 (427). 83 Ziekow, S. 443 mit Verweis auf BVerfG, HFR 1981, 579. 84 Nach VGH Mannheim, FEVS 32, 377 (380), werden auch Wanderbewegungen von Nichtseßhaften vom Schutzbereich des Art. 11 GG erfaßt. 85 BVerfGE 80, 137 (150) - Reiten im Walde. 86 Es kann hier offenbleiben, ob man diese Bleibefreiheit mit Ziekow, S. 460 ff. und Hellermann, S. 32 als negative Seite des Art. 11 GG ansehen möchte oder ob man mit Kloepfer, S. 84 diese Gewährleistung als Bestandteil des Entstehensschutzes betrachtet, in diese Richtung wohl auch Gusy, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Art. 11 Rdnr. 34.

C. Das Grundrecht der Freizügigkeit, Art. 11 GG

35

freie Zug wird im ganzen Bundesgebiet gewährleistet als Zug von Bundesland zu Bundesland, von Gemeinde zu Gemeinde und auch als Umzugsfreiheit innerhalb einer Gemeinde. Man kann diesen Lebenssachverhalt mit weiten Teilen der Literatur auch als Ortswechsel 87 bezeichnen, der die Elemente der Freizügigkeit gleichermaßen zu erfassen vermag. Art. 11 GG schützt damit in erster Linie vor Wegzugs- und Aufenthaltsverboten. Fraglich aber ist, ob Art. 11 GG vor jeder Art der Versagung des Aufenthalts schützen will, da auch andere Grundrechte die Fortbewegung und den Aufenthalt thematisieren. Dies ist im folgenden durch Auslegung zu ermitteln.

2. Die Bestimmung des freizügigkeitsrelevanten Aufenthalts a) Auslegungsrelevante Faktoren Der Wortlaut des Art. 11 GG hat sich bisher für die Auslegung als wenig ergiebig erwiesen. Wenn Art. 11 GG garantiert, daß alle Deutschen im Bundesgebiet Freizügigkeit genießen, setzt das Grundgesetz diesen Begriff voraus. Auch der Begriff „Aufenthalt nehmen" hilft kaum weiter. Er impliziert zwar das „Bleiben an einem Ort oder einer Stelle" und damit eine gewisse Dauer, alle Vorschläge, die Dauer dieses Bleibens exakt zu fixieren, haben sich aber als willkürlich gezeigt. Rückschlüsse für die Deutung des durch Art. 11 GG gesicherten Freiheitsbereichs können sich daher in erster Linie aus systematischen Aspekten, wie der Abgrenzung zu anderen die Bewegungsfreiheit thematisierenden Grundrechten, sowie aus den Besonderheiten der Schranken des Art. 11 Abs. 2 GG selbst ergeben. Daneben kommen aber auch historische Anhaltspunkte für die Interpretation des Begriffs „Aufenthalt" in Betracht. Immerhin galt das Freizügigkeitsgesetz des Norddeutschen Bundes vom 1. November 186788 (FreizG), auf das die „»Aufenthalt und Wohnsitz'-Formel" zurückgeht, bis 1974 unter dem Grundgesetz fort 89 . Nicht zuletzt kann aber auch die Bedeutung, die das „Recht zu ziehen" für den einzelnen hat, für die Interpretation der Reichweite des Aufenthalts im Sinne des Art. 11 GG 87 So Grabitz, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 130 Rdnr. 9; Hailbronner, in: Isensee/ Kirchhof, HdbStR VI, § 131 Rdnr. 25; Kunig, in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 11 Rdnr. 13; ders., Jura 1990, 306 (308); Pieroth, JuS 1985, 81 (83). 88 Gesetz über die Freizügigkeit, Norddeutscher Bund, BGBl. 1867, S. 55 ff. 89 Das Freizügigkeitsgesetz wurde nach Gründung der Bundesrepublik, wenn auch mit gewissen Einschränkungen, in die Sammlung des Bundesrechts übernommen (vgl. BGBl. III, Sachgebiet 2: Verwaltung, 2181-1, S. 62). Vielfach wird angenommen es gelte auch heute noch fort, so z. B. Dürig, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 11 Rdnr. 16 und Hailbronner, in: Isensee /Kirchhof, HdbStR VI, § 131 Rdnr. 4. Da allerdings für die Aufrechterhaltung des Freizügigkeitsgesetzes aus dem Jahre 1867 kein Bedürfnis mehr gesehen wurde (vgl. den Bericht der Abgeordneten Dr. Eyrich und Dr. Penner zum Entwurf eines EGStGB im Rahmen der Strafrechtsreform zu Art. 71 des Entwurfes, BT-Drs. 7/1261, S. 44 (45)), trat es durch Art. 287 Nr. 14 EGStGB v. 02. 03. 1974 (BGBl. I, S. 469 (632)) mit Wirkung zum 01.01. 1975 außer Kraft. 3*

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1. Teil: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

von Nutzen sein. Insofern ist es, weil Schutzbereich und Eingriff aufeinander bezogen sind, zulässig, danach zu fragen, wovor Art. 11 GG eigentlich schützt90.

b) Historische Auslegung § 1 Abs. 1 Nr. 1 FreizG gewährte jedem Bundesbürger das Recht, „sich innerhalb des Bundesgebietes (..) an jedem Orte aufzuhalten oder niederzulassen, wo er eine eigene Wohnung oder ein Unterkommen sich zu verschaffen im Stande (war)". Daneben gewährte das Freizügigkeitsgesetz in § 1 Abs. 1 Nr. 2 und 3 FreizG auch das Recht, an jedem Orte Grundeigentum zu erwerben und Gewerbe zu betreiben - einen Bereich, der unter dem Grundgesetz von Art. 12 GG und Art. 14 GG erfaßt wird. In Ausübung dieser Befugnisse durfte der Bundesangehörige nach § 1 Abs. 2 FreizG „weder durch die Obrigkeit seiner Heimath noch durch die Obrigkeit des Ortes, in welchem er sich aufhalten oder niederlassen (wollte), gehindert oder durch lästige Bedingungen beschränkt werden." Das Freizügigkeitsgesetz zielte damit auf die Verwirklichung der inneren Einheit zwischen den einzelnen Staaten des Norddeutschen Bundes91, indem es zwar nicht einheitliche Rechtsverhältnisse, aber die Gleichbehandlung Fremder wie Einheimischer gebot. Wie in mehreren Bestimmungen des Freizügigkeitsgesetzes zum Ausdruck kam, sollte dieser Schutz nicht von einer bestimmten Dauer des Verweilens abhängig sein 92 : So nannte § 12 Abs. 1 FreizG ausdrücklich den „dauernden" und „vorübergehenden" Aufenthalt. § 12 Abs. 2 FreizG verwies zudem „im Uebrigen" auf die Regelungen der Fremdenpolizei, was deutlich machte, daß das Freizügigkeitsgesetz selbst auch Bereiche der Fremdenpolizei erfaßte und somit zwangsläufig auch den bloßen Reiseaufenthalt behandelte93. Schließlich erlaubte § 8 FreizG die Erhebung von Abgaben erst ab einer Aufenthaltsdauer von drei Monaten. Kürzere Aufenthalte waren damit ebenfalls, jedoch abgabenfrei, vom Schutz des Freizügigkeitsgesetzes erfaßt. Das Freizügigkeitsverständnis der Weimarer Reichsverfassung erfuhr im wesentlichen nur insoweit eine Änderung, als die Gewährung der Freizügigkeit in Art. 111 WRVals Grundrecht verfaßt wurde. Das inhaltliche Verständnis änderte sich nicht 94 . Wie das Freizügigkeitsrecht im Norddeutschen Bund wurde auch Art. 111 WRV von dem Recht auf „Freiheit der Person", das durch Art. 114 WRV gewährleistet und als Schutz vor räumlicher Begrenzung verstanden wurde, abgegrenzt 95. Die durch das Freizügigkeitsrecht gewährleistete „räumliche Bewegungsfreiheit" war im Freizügigkeitsgesetz und in der Weimarer Verfassung also nur erfaßt, soweit sie nicht bereits anderweitig geschützt wurde. Da das 90 Pieroth/Schlink, 92 93 94 95

Rdnr. 236.

Gusy, in: v.Mangoldt/Klein/Stark, Art. 11 Rdnr. 3. Ziekow, S. 236. Ziekow, S. 236. Ziekow, S. 292 ff. Ziekow, S. 237 und 293.

C. Das Grundrecht der Freizügigkeit, Art. 11 GG

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Grundgesetz grundsätzlich an die Rechte der Weimarer Reichsverfassung anknüpft, ist dieses Vorverständnis für die Interpretation der Freizügigkeit nach Art. 11 GG hilfreich. Auch Art. 11 GG kommt nicht umhin, seinen spezifischen Gehalt durch eine Abgrenzung zu Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG und Art. 2 Abs. 1 GG zu ermitteln. Zu beachten ist allerdings, daß es ein der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG vergleichbares Recht in der Weimarer Verfassung nicht gab 96 . Unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Verfassung könnte das Recht auf Freizügigkeit unter dem Grundgesetz daher enger als in der Weimarer Reichsverfassung auszulegen sein. Diese Überlegung wird dadurch bekräftigt, daß Beschränkungen der Freizügigkeit unter dem Freizügigkeitsgesetz, wie etwa durch das Sozialistengesetz, bereits zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung möglich waren 97 . Demgegenüber enthält Art. 11 Abs. 2 GG, wie zu zeigen sein wird, keinen allgemeinen Vorbehalt zugunsten der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Dies wird bei Rückschlüssen über die Reichweite des Art. 11 GG zu beachten sein.

c) Systematische Auslegung aa) Bedeutung und Gesetzesvorbehalte Der Möglichkeit der freien Wahl des Aufenthalts, des Zu- und des Abzugs wird allgemein eine herausragende Bedeutung für den einzelnen und das freiheitlich-demokratische Verständnis beigemessen: Sie verhilft dem einzelnen, seine Lebensvorstellungen und Interessen an dem Ort seiner Wahl zu verwirklichen und ermöglicht ihm dadurch die effektive Ausübung zahlreicher Grundrechte 98. Freizügigkeit wird daher als Grundvoraussetzung für die menschliche Selbstbestimmung, als die Möglichkeit, „seines Weges zu gehen", verstanden 99, als „elementare Voraussetzung personaler Lebensgestaltung"100. Indem Art. 11 GG den Zuzug garantiert, kommt dem Grundrecht der Freizügigkeit schließlich auch eine gewisse integrative Funktion sowohl in politischer als auch gesellschaftlich-kultureller Hinsicht zu 1 0 1 . 96 Kunig, in: v.Münch /Kunig, GG Bd. 1, Art. 2 Rdnr. 2. 97 Nach § 28 des Gesetzes gegen die gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie v. 21. 10. 1878 (RGBl. S. 351) konnte Personen, von denen eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu besorgen war, der Aufenthalt in bestimmten Bezirken und Ortschaften versagt werden. 98 Randelzhofer, in: BK, Art. 11 Rdnr. 9; Bleckmann, § 32 Rdnr. 1; Kunig, in: v.Münch/ Kunig, GG Bd. 1, Art. 11 Rdnr. 1. 99 Zippelius, § 17 III 4; Kunig, in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 11 Rdnr. 1; Randelzhofer, in: BK, Art. 11 Rdnrn. 9 f. 100 Jarass, in: Jarass / Pieroth, Art. 11 Rdnr. 1; Pernice, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 11 Rdnrn. 10 f. 101 Kunig, in: v.Münch / Kunig, GG Bd. 1, Art. 11 Rdnrn. 1 und 17; Pernice, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 11 Rdnr. 10. Weitergehend Alberts, NVwZ 1997, 45 (46 f.), der Art. 11 GG als

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1. Teil: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

Dies galt bereits unter dem Freizügigkeitsgesetz und der Weimarer Reichsverfassung und gilt in einer mobilen Gesellschaft auch heute noch. Im so verstandenen Sinne ist Freizügigkeit ein sehr demokratisches Grundrecht und „Kennzeichen des freiheitlichen Staates"102. Für die Frage nach der Reichweite des Schutzbereichs wird deutlich, daß Art. 11 GG Gefahren begegnen will, die sich bei objektiver Betrachtung für diese Funktionen der Freizügigkeit gerade durch Beschränkungen der freien Ortswahl ergeben. Art. 11 Abs. 2 GG läßt in diese hochrangige Freiheit daher Beschränkungen nur in besonderen, abschließend aufgeführten Fällen zu, nämlich wenn eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und dieser Umstand zu einer Belastung der Allgemeinheit führen würde, wenn eine Gefahr für den Bestand oder die freiheitlich-demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes droht, wenn die Grundrechtsbeschränkung zur Bekämpfung von Seuchen, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen sowie zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung oder zur Vorbeugung strafbarer Handlungen erforderlich ist. Die Schranken des Art. 11 GG behandeln damit auch in heutiger Zeit hauptsächlich Sondersituationen, die mit besonders erheblichen Gefahren für die Allgemeinheit und die Gesellschaft verbunden sind. Verglichen mit den Gesetzesvorbehalten anderer Grundrechte sind die des Art. 11 GG ungewöhnlich eng. v.Mangoldt 103 betonte in den Beratungen zum Freizügigkeitsgrundrecht, die Freizügigkeit könne durch Gesetz überhaupt nicht eingeschränkt werden. Demgemäß waren die Einschränkungsvorbehalte ursprünglich enger gefaßt und erst durch die Notstandsgesetzgebung im Jahre 1968 um die Vorbehalte zugunsten der freiheitlich-demokratischen Grundordnung sowie Katastrophen- bzw. Unglücksfälle erweitert worden 104 . Sowohl der hohe Rang des Grundrechts als auch die engen Schranken des Art. 11 Abs. 2 GG legen den Schluß nahe, daß es sich bei Art. 11 GG nicht nur um eine allgemeine Mobilitätsgarantie handelt. Hierfür wären die Schrankenvorbehalte tatsächlich auch nicht ausreichend 105, da auch die öffentliche Sicherheit und Ordnung grundsätzlich legitimer Zweck einer Aufenthaltsbeschränkung sein muß. Für die Frage der Qualität freizügigkeitsbeschränkender Maßnahmen bleibt festzuhalten, daß diese geeignet sein müssen, den in Art. 11 Abs. 2 GG genannten Gefahren ernstlich zu begegnen.

Schutz vor Ausgrenzung bestimmter Gruppen aus dem gesellschaftlichen Miteinander versteht. 102 Kunig, in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 11 Rdnr. 29. 103 Vgl. Doemming/Füßlein/Matz, JöR N.F. Bd. 1 (1951), 128 (129). 104 17. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 24. 06. 1968 (BGBl. I, S. 709). los Rückschlüsse aus den engen Schranken des Art. 11 Abs. 2 GG zieht auch BVerfGE 6, 32 (35) - Elfes.

C. Das Grundrecht der Freizügigkeit, Art. 11 GG

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bb) Abgrenzung zu anderen die Bewegungsfreiheit thematisierenden Rechten Bisher wurde anhand der systematischen und historischen Auslegung festgestellt, daß es sich bei Art. 11 GG nicht um eine allgemeine Mobilitätsgarantie handeln kann. Art. 11 GG ist damit von anderen, die Bewegungsfreiheit thematisierenden Grundrechten abzugrenzen. Zur Abgrenzung des Art. 11 GG von Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG hat Randelzhofer 106 vorgeschlagen, den Gewährleistungsbereich des Art. 11 GG auf Ortswechsel im Sinne eines Wechsels von einem Lebenskreis in den anderen zu beschränken. Bewegungen innerhalb eines Lebenskreises würden dagegen von Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG erfaßt. Der Begriff des Lebenskreises sei eng zu verstehen; er umfasse „nur den unmittelbaren Bewegungsspielraum als Ausdruck alltäglicher Abläufe in und um den Wohnsitz." Grabitz 107 hat diese Definition aufgegriffen, ergänzend jedoch auch Bewegungen und alltägliche Abläufe am Aufenthaltsort und nicht nur am Wohnsitz selbst in den Begriff des Lebenskreises einbezogen. Ortswechsel von einem in den anderen Lebenskreis kann danach auch der Wechsel vom Wohnsitz zum Aufenthaltsort sein, wobei dann alltägliche Bewegungen am „ständigen" Aufenthaltsort wiederum vom Lebenskreis erfaßt werden. Dies ist konsequent. Andernfalls käme es zu dem merkwürdigen Ergebnis, daß mitunter gleiche Abläufe, je nachdem, ob sie am Wohnsitz oder am Aufenthaltsort vorgenommen werden, unterschiedlich bewertet würden. Die „Lebenskreistheorie" ist jedoch nicht ohne Kritik geblieben. Gegner werfen ihr vor allem mangelnde Bestimmtheit vor 1 0 8 . Angesichts der Vielzahl unterschiedlicher Lebenskreise, die zudem wandelbar seien, sei ein Abstellen darauf ebenso willkürlich wie das Festlegen einer bestimmten Zeitgrenze 109 . Ziekow 1 1 0 konkretisiert daher den Begriff des Lebenskreises: Dieser Lebenskreis sei „nicht räumlich abgrenzbar auf den Bereich, in dem sich der Grundrechtsberechtigte gewöhnlich" bewege. Deshalb sei es nicht maßgeblich, „ob dieser gewöhnliche Bewegungsbereich sich auf die Gemeindegrenzen eines kleinen Dorfes oder weiträumig über mehrere wechselnd genutzte Wohnungen im ganzen Bundesgebiet" erstrecke. Der Lebenskreis sei „vielmehr der unmittelbare Bewegungsspielraum der beliebigen Flüchtigkeit, welcher unter zeitlichen, räumlichen und finalen Gesichtspunkten der Alltäglichkeit zuzuordnen" sei. Geboten sei eine „objektivierende Gesamtbetrachtung, die die Bewegung als Ausdruck der unmittelbaren Beliebigkeit" typisiere. Charakteristisch sei ferner, daß „der Endpunkt der Bewegung nicht zu einer verfestigten Person-Ort-Beziehung" würde, sondern „nur 106 Randelzhofer, in: BK, Art. 11 Rdnr. 28. 107 Grabitz, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 130 Rdnr. 9. los Kunig, Jura 1990, 306 (308): mangelnde Trennschärfe; Mußmann, VB1BW 1986, 52 (57): zu unbestimmt; Pieroth, JuS 1985, 81 (83): zu vage. 109 Pernice, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 11 Rdnr. 13. HO Ziekow, S. 466 f.

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1. Teil: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

Zwischenstation für eine weitere Bewegung" sei, „die unmittelbar oder über eine weitere Zwischenstation zum Ausgangspunkt" zurückführe. Nach Auffassung Ziekows 111 greifen polizeiliche Platzverweise „in den alltäglichen Lebenskreis des Betroffenen" ein und seien daher „ausschließlich an Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG zu messen". Anders als Randelzhofer und Grabitz nimmt Ziekow die Abgrenzung zwischen Art. 11 GG und Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG aber allein auf der Ebene der Grundrechtskonkurrenzen vor. Er geht dabei von einem sehr weiten Verständnis der Freizügigkeit aus. Gewährleistet sei die „natürliche Bewegungsfreiheit", verstanden als das Recht, „die Stelle der Erdoberfläche innerhalb des Bundesgebietes, die der Betreffende tangieren möchte, frei zu wählen." 112 Eine Verdrängung des Art. 11 GG als Reaktionsanspruch könne daher nur im Wege der Spezialität in Betracht kommen. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG und Art. 11 Abs. 1 GG stünden im Verhältnis zweier „konzentrischer Kreise", wobei Art. 2 GG der kleinere beider Kreise sei. Soweit der Schutz des Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG nun reiche, sich die Kreise also deckten, sei Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG lex specialis zu Art. 11 GG 1 1 3 . Art. 11 GG sei zwar an sich einschlägig, komme aber nicht zum Tragen 114 . Geht man aber, wie hier vertreten, davon aus, daß Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG nicht jegliche Bewegungsabläufe innerhalb eines Lebenskreises schützt, sondern sein Schutz sich darauf beschränkt, nicht auf einen bestimmten Bereich räumlich begrenzt zu sein 115 , kann es ein solches Spezialitätsverhältnis wie von Ziekow befürwortet für den Bereich des freien Zuzugs und des Aufenthalts nicht geben. Ein Spezialitätsverhältnis besteht nur insoweit, als der Wegzug, also das Recht betroffen ist, seinen Aufenthaltsort verlassen zu dürfen. Insoweit ist auch anerkannt, daß Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG lex specialis zu Art. 11 GG ist - Freizügigkeit also die Freiheit der Person voraussetzt 116. Art. 11 GG ist daher sowohl von Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG als auch von der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG abzugrenzen. Fällt das Recht, einen bestimmten Ort zu betreten oder sich dort aufzuhalten, zumindest unter die allgemeine Handlungsfreiheit, ist eine Konkurrenzlösung aber nicht möglich, da Art. 2 Abs. 1 GG anerkanntermaßen ein reines Auffanggrundrecht ist. Art. 2 Abs. 1 GG kann daher nur bedingt Rückschlüsse auf den Umfang der Freizügigkeit geben 117 . D. h. der Schutzbereich des Art. 11 GG - insbesondere die Reichweite des Lebenskreises - muß positiv bestimmt werden. Das Grundgesetz als Einheit kann hierzu nur insoweit Anhaltspunkte bieten, als es anders als die Weimarer Reichsverfassung - eine allgemeine Handlungsfreiheit ge-

rn Ziekow, S. 562. 112 Ziekow, S. 461. 113 Ziekow, S. 467. 114 Ziekow, S. 462. 115 Vgl. dazu in diesem Teil, B. 116 Pernice, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 11 Rdnr. 30; Gusy, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Art. 11 Rdnr. 25; Jarass, in: Jarass / Pieroth, Art. 11 Rdnr. 2. 117 Kunig, in: v.Münch / Kunig, GG Bd. 1, Art. 11 Rdnr. 11.

C. Das Grundrecht der Freizügigkeit, Art. 11 GG

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währt. Dies entspricht letztlich auch dem bisherigen Ergebnis der Auslegung, wonach Art. 11 GG gerade nicht als allgemeine Mobilitätsgarantie befunden wurde. Eine ebenfalls wertende Gesamtbetrachtung, jedoch ohne Beschränkung auf den Lebenskreis, nehmen Kunig 1 1 8 , Hailbronner 119 und auch Pieroth/Schlink 120 zur Bestimmung der Reichweite des Art. 11 GG vor. Elemente wie Zeit und Zweck werden zwar als allein tatbestandseingrenzende Kriterien abgelehnt, jedoch könne diesen Aspekten indizielle Wirkung bei der Feststellung eines freizügigkeitsrelevanten Ortswechsels bzw. Aufenthalts zukommen. Erforderlich sei eine kombinierende Betrachtung, weshalb ein freizügigkeitsrelevanter Aufenthalt immer dann anzunehmen sei, „wenn bei objektiver Betrachtungsweise unter zeitlichen, räumlichen und finalen Gesichtspunkten ein Fortbewegungsvorgang eine solche Bedeutung aufweist, daß er auch unter Berücksichtigung der Persönlichkeitsrelevanz den besonderen (über Art. 2 Abs. 1 GG hinausweisenden) Schutzgehalt des Art. 11 Abs. 1 GG aktiviert." 121 Diese Sichtweise ist der Lebenskreistheorie vorzuziehen. Betrachtet man den Lebenskreis - worauf der Begriff zunächst hindeutet - individualisierend, fehlt es an einem für die Grundrechtsinterpretation erforderlichen Bestand verallgemeinerungsfähiger Kriterien 122 . Betrachtet man ihn objektivierend, kommt auch diese Auffassung letztendlich bei der Feststellung des „unmittelbaren Bewegungsspielraumes alltäglicher Abläufe" oder der „verfestigten Person-Ort-Beziehung" nicht ohne eine wertende Gesamtbetrachtung unter „zeitlichen, räumlichen und finalen Gesichtspunkten" aus 123 . Ziekow vermeidet die direkte Anwendung dieser Kriterien lediglich dadurch, daß er die Abgrenzung auf Ebene der Konkurrenzen vornimmt. Die Lebenskreistheorie wird daher vielfach zu gleichen Ergebnissen gelangen. Der objektivierte „alltägliche Lebenskreis" ist mithin nur scheinbar ein klar abgrenzbares Kriterium. Die Festlegung auf den Bereich des „Alltäglichen" erscheint aber auch zu eng. Sie versucht zwar dem hohen Stellenwert der Freizügigkeit gerecht zu werden, indem sie gewisse normale Bewegungsabläufe vom Schutz des Art. 11 GG ausklammert 124, sie stellt aber die mit dem Ortswechsel oder dem Iis Kunig, in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 11 Rdnrn. 13 f. 119 Hailbronner, in: Isensee/ Kirchhof, HdbStRVI, § 131 Rdnr. 25. 120 Pieroth/Schlink, Rdnr. 791, die eine „gewisse Dauer oder Bedeutung als Merkmal des durch Art. 11 Abs. 1 geschützten Aufenthalts" fordern. Ähnlich wohl auch Rittstieg, in: AKGG, 3. Aufl., Art. 11 Rdnr. 33. 121 Kunig, in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 11 Rdnrn. 13 f.; ähnlich dersJura 1990, 306 (308). 122 „Richtmaß der Auslegung im Einzelfall ist die Verallgemeinerungsfähigkeit des Ergebnisses", Isensee, in: Isensee / Kirchhof, HdbStR V, § 111 Rdnr. 57; Kriele, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 110 Rdnr. 31. 123 Dies gilt übrigens auch für die von Braun, S. 56 ff., insbesondere S. 64 ff., vorgeschlagene „Persönlichkeitsrelevanztheorie", wonach Art. 11 GG nur Zielorte schütze, die „für den einzelnen von solcher Bedeutung sind, daß sie geradezu konstituierend für seine Selbstbestimmung sind." Auch diese Theorie ist zur Ermittlung der Persönlichkeitsrelevanz auf eine weitende Gesamtbetrachtung unter Verwendung ähnlicher Kriterien angewiesen, S. 67.

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1. Teil: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

Aufenthalt verbundene Handlung in den Vordergrund. So mag ein Besuch der Innenstadt etwas Alltägliches sein. Soll Art. 11 GG aber von vornherein auch ausgeschlossen sein, wenn diese Möglichkeit, etwas Alltägliches zu tun, über Monate hinweg verwehrt wird? Es erscheint, insbesondere auch im Hinblick auf die von Art. 11 GG geschützte Möglichkeit, interlokal Aufenthalt zu nehmen, unbefriedigend, hier den Schutz des Art. 11 GG allein mit Verweis auf den Lebenskreis zu versagen 125. Vielmehr ist hier unter zeitlichen, räumlichen und finalen Gesichtspunkten zu prüfen, ob die Möglichkeit des Aufenthalts gerade des Schutzes des Freizügigkeitsrechts bedarf. Neben zeitlichen, räumlichen und finalen Aspekten des Aufenthalts kann auch das Verlassen der Sphäre des Alltäglichen indiziell auf einen freizügigkeitsrelevanten Aufenthalt hindeuten 126 . Eine solche Einzelfallbetrachtung sorgt, ohne sich zugleich auf den Lebenskreis als den Bereich des Alltäglichen zu beschränken, für mehr Einzelfallgerechtigkeit. Kunig 1 2 7 gibt zwar zu bedenken, daß solche Abgrenzungsformeln „nicht in jedem Einzelfall zu eindeutigen Ergebnissen führen" können. Angesichts der Schwierigkeiten, geeignete tatbestandseingrenzende Kriterien zu finden, gewinnt eine auf den Einzelfall abstellende, gesamtbetrachtende Methode an Überzeugungskraft, weil sie die größtmögliche Realisierung der Wirkungschancen des Grundrechts zuläßt. Auch andere Grundrechte, wie etwa Art. 5 Abs. 3 GG und Art. 4 GG, sind zur Bestimmung ihres Gehaltes auf objektivierte, wertende Kriterien angewiesen.

3. Platzverweis und Aufenthaltsverbot als Beschränkungen der Freizügigkeit? Die Möglichkeit des freizügigkeitsrelevanten Aufenthalts gerät vor allem dann ins Bewußtsein, wenn es um die Beschränkung von Aufenthalt geht. Solange Aufenthalt nicht beschränkt wird und Bewegungsvorgänge damit selbstverständlich sind, stellt sich die Frage, ob der ein oder andere Ortswechsel oder Aufenthalt von Art. 11 GG erfaßt ist, im liberalen Rechtsstaat in der Regel nicht oder nur theoretisch, weshalb dem Grundrecht mitunter auch ein „Schattendasein"128 nachgesagt wird. Es ist daher gerechtfertigt, bei Bestimmung des Freiheitsbereiches des Art. 11 GG mit Blick auf den Eingriff zu fragen, wovor Art. 11 GG im einzelnen schützt 129 . Grundrechtliche Schutzbereiche werden berührt, wenn ein staatlicher Befehl die Ausübung der grundrechtlich gewährleisteten Tätigkeit in der gewünschten Weise 124

Zu einer Geringfügigkeitsgrenze bei der Bestimmung der Schutzbereiche, vgl. Stern, III/2, § 78 IV1,S. 207. 125 So aber wohl Würtenberger/Heckmann/Riggert, Rdnr. 201 a (Fn. 98); wohl auch Riedinger, VB1BW 2000, 332 (334 Fn. 25). 126 Kunig, in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 11 Rdnr. 13. ™ Kunig, Jura 1990, 306 (308). i 2 * Pieroth, JuS 1985, 81. ™ Hierzu Pieroth/Schlink, Rdnr. 236.

C. Das Grundrecht der Freizügigkeit, Art. 11 GG

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verhindert, den grundrechtlich gesicherten Freiheitsbereich also verkürzt 130 . Eine solche Verkürzung des grundrechtlich gesicherten Freiheitsbereichs wird dann als Eingriff im klassischen Sinne bezeichnet, wenn sie beabsichtigte und unmittelbare Folge einer imperativen und rechtsverbindlichen staatlichen Maßnahme ist 1 3 1 . Neben diesen „klassischen Grundrechtseingriffen" können grundsätzlich - im Interesse eines effektiven Grundrechtsschutzes - auch sonstige staatliche Maßnahmen, die in zurechenbarer, aber unbeabsichtigter Weise eine Verkürzung der grundrechtlichen Freiheit herbeiführen, rechtfertigungsbedürftig sein. Gezielte Beschränkungen des durch Art. 11 GG geschützten Zu- und Abzugs sind grundsätzlich als typisch klassische Eingriffe zu werten 132 . Polizeiliche Maßnahmen, die als Rechtsfolge gezielt den Aufenthalt verbieten, wären daher, vorausgesetzt, der Schutzbereich des Art. 11 GG ist tangiert, klassische Eingriffe. Eine umfassende Auseinandersetzung mit der Frage, ob und wann auch „nichtklassische" bzw. „faktische" Eingriffe im Rahmen des Art. 11 GG zu berücksichtigen sind, ist daher an dieser Stelle nicht geboten 133 . Für die Beschränkung auf gezielte Eingriffe sprechen die Schrankenvorbehalte, die auf klassische Eingriffe in Form von Aufenthalts- oder Wegzugsverboten zugeschnitten sind. Allerdings können staatliche Maßnahmen, die nicht ausdrücklich das Gebot des Wegzugs oder das Verbot des Zuzugs beinhalten, den einzelnen aber dennoch faktisch zum Abzug oder zum Bleiben zwingen und somit dieselbe Wirkung erreichen. Ziekow 1 3 4 ist daher zuzustimmen, wenn er, bezogen auf Art. 11 GG, auch solche nichtklassischen Eingriffsmaßnahmen an Art. 11 GG mißt, die in ihrer Zwangswirkung einem strikten Verbot oder Gebot gleichkommen. Zu ähnlichen Ergebnissen gelangt man, wenn man mit Kunig 1 3 5 auf die objektiv-wertsetzende Funktion des Art. 11 GG abstellt, welche die staatlichen Maßnahmen zur „Berücksichtigung des Umstandes zwingt, daß die selbstbestimmte Entscheidung über Abzug und Verbleib einen grundrechtlich geschützten Wert darstellt." Staatliche Maßnahmen dürften daher die freie Willensentscheidung des Betroffenen nicht derart beeinflussen, daß dies bei wertender Betrachtung einem unmittelbaren Eingriff gleiche. Für die Beurteilung, ob eine polizeiliche Verweisungsmaßnahme das Grundrecht des Art. 11 GG tangiert, ist generell folgendes zu berücksichtigen: Die Ausübung der Freizügigkeit bedarf, wie etwa Art. 8 GG auch, der Inanspruchnahme von Grund und Boden. Der freie Zuzug und das Bleiberecht im gesamten Bundesgebiet 130 Ziekow, S. 533 f f ; Sachs, JuS 1995, 303 (304); Pieroth/Schlink, Rdnrn. 238 ff. 131 Sachs, JuS 1995, 303 (304); v.Münch, in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 1, Vorb. Art. 1 - 1 9 Rdnr. 51 a; Pieroth/Schlink, Rdnr. 238. 132 Ziekow, S. 541. 133 Überwiegend wird angenommen, Art. 11 Abs. 2 GG sei allein auf klassische Eingriffe zugeschnitten, vgl. Kunig, in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 11 Rdnr. 19; Pieroth/Schlink, Rdnr. 801; Randelzhof er, in: BK, Art. 11 Rdnr. 29. 134 Ziekow, S. 545 f. mit Verweis auf BVerfG, HFR 1981, 579 und BVerwG, Buchholz 401.63 Kurabgabe Nr. 5. 135 Kunig, in: v.Münch /Kunig, Art. 11 Rdnr. 19.

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1. Teil: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

lassen sich aber tatsächlich im Rahmen der allgemeinen Rechtsordnung nur insoweit realisieren, als nicht fremde Eigentums- oder Besitzrechte betroffen sind. Dies scheint in einer Gesellschaftsordnung, die verfassungsmäßig das Eigentum auch an Grund und Boden gewährleistet, an sich selbstverständlich 136. So gewährt nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts auch Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG nicht von vornherein das Recht, sich überall aufzuhalten, insbesondere fremdes Staatsgebiet zu betreten 137. Noch deutlicher äußerte sich das Bundesverfassungsgericht zur vorbehaltlos geschützten Kunstfreiheit, deren Reichweite „sich von vornherein nicht auf die eigenmächtige Inanspruchnahme ( . . . ) fremden Eigentums" erstrecke 138. Auch Art. 8 GG berechtigt nicht, sich eigenmächtig auf fremden Grundstücken zu versammeln. Art. 11 GG kennt jedoch einen Vorbehalt zugunsten des Eigentums nicht. Ob das Bundesverfassungsgericht zur Begründung der Grenzen des Grundrechtsgebrauchs von der Eingebundenheit der Grundrechte in die einfache Rechtsordnung ausgeht139 oder ob es hierfür kollidierendes Verfassungsrecht heranzieht, wird nicht ganz deutlich. Jedenfalls sichert das Bundesverfassungsgericht dieses Ergebnis mit kollidierenden Rechtsgütern ab, wenn es zur Kunstfreiheit weiter ausführt, daß „überdies" das Eigentumsrecht auch eine Verbürgung von Freiheit enthalte 140 . Die Rechte Dritter und andere mit Verfassungsrang ausgestattete Rechtswerte sind also in besonderen Kollisionsfällen imstande, auch Grundrechte mit qualifiziertem Gesetzesvorbehalt zu begrenzen 141. Dies bereits deshalb, weil andernfalls, worauf Jarass 142 hinweist, die vorbehaltlosen Grundrechte stärker relativiert werden könnten als Grundrechte mit Gesetzesvorbehalt, zum anderen, weil allein die Tatsache, daß die Verfassung sich von dem Volk als Gemeinschaft gegeben wurde, darauf schließen läßt, daß die Grundrechte auch gemeinschaftsverträglich ausgeübt werden müssen. Im Falle der Grundrechtskollision wird daher die Grundrechtsausübung des einen zur Schranke der Grundrechtsausübung des anderen 1 4 3 . Eingriffe in Art. 11 GG aufgrund kollidierenden Verfassungsrechts sind dann jedenfalls durch die polizeiliche Generalklausel möglich. Polizeiliche Räumungen besetzter Häuser oder Grundstücke sind daher nicht an den Schranken des Art. 11 Abs. 2 GG zu messen144. Regelungen über die Vergabe und Privatisierung 136

Zur Verpflichtung des Gesetzgebers, privates Eigentum zu schaffen, Bryde, in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 14 Rdnr. 60. Art. 14 Abs. 1 GG konkretisieren z. B. die §§ 903, 862,1004 BGB. 137 BVerfGE 94, 166 (189). Vgl. in diesem Teil, B. II. 2. 138 BVerfG, NJW 1984,1293 (1294) - Sprayer von Zürich. 139 So das Grundrechtsverständnis von Kriele, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 110 Rdnrn. 71 ff. 140 BVerfG, NJW 1984, 1293 (1294). 141 Ziekow, S. 557 und 614 (These 64); Jarass, in: Jarass /Pieroth, Art. 11 Rdnr. 13; a. A. Pieroth/Schlink, Rdnr. 331. 142 Jarass, in: Jarass / Pieroth, Vorb. 45 vor Art. 1. 143 Gelegentlich wird kollidierendes Verfassungsrecht als Schutzbereichsbegrenzung verstanden, vgl. wohl BVerfGE 94, 166 (189). 144 A. A. Alberts, Die Polizei 1991, 70.

C. Das Grundrecht der Freizügigkeit, Art. 11 GG

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von Grund und Boden betreffen grundsätzlich die Freizügigkeit nur mittelbar, sie sind in einem Staat, der Eigentum an Grund und Boden gewährleistet, deren Voraussetzung145. Insoweit ist aber die wertsetzende Funktion der Freizügigkeit zu beachten. Boden- und besitzregelnde Maßnahmen dürfen daher nicht faktisch zu einer Zuzugssperre zu einer ganzen Gemeinde führen 146 . Was die Einschränkung der Freizügigkeit durch kollidierendes Verfassungsrecht im übrigen betrifft, etwa zum Schutze der Funktionsfähigkeit des grundrechtsschützenden Staates und seiner Einrichtungen 147 , ist zu beachten, daß Art. 11 GG bereits viele Konfliktlagen erfaßt, die der Gesetzgeber als zulässigen Grund für eine Einschränkung des Schutzes von Art. 11 GG geweitet hat. Vor Heranziehung kollidierenden Verfassungsrechts ist daher zu klären, ob sich der Eingriff nicht bereits über Art. 11 Abs. 2 GG rechtfertigen läßt. Kollidierendes Verfassungsrecht wird schließlich nur geeignet sein, die Freizügigkeit zu beschränken, wenn es sich um mindestens gleichwertige Schutzgüter handelt. Sofern der öffentliche Raum bestimmten Zwecken gewidmet ist, die den Aufenthalt zeitlich, personell oder auf bestimmte Verhaltensweisen begrenzen oder von bestimmten Voraussetzungen abhängig machen, ihn also regeln, ist auch hierin keine unzulässige Einschränkung der Freizügigkeit zu sehen, da diese Regelungen letztlich auch Grundvoraussetzung für ein Funktionieren des Staates und des gesellschaftlichen Miteinanders sind. Sie beschränken die Freizügigkeit auch nicht final und führen nicht zu einer entsprechenden Zwangswirkung 148 . Reine Verhaltensgebote bzw. -verböte, die sich auf einen örtlichen Bereich beziehen, wie etwa das Verbot, innerhalb der Bannmeile zu demonstrieren, sind bereits deshalb vom Schutzbereich der Freizügigkeit nicht erfaßt, weil an diesen Orten lediglich diese bestimmte Handlung untersagt wird, nicht aber der Aufenthalt als solcher. Mit dem freien Zug gewährleistet Art. 11 GG auch, den gewünschten Zielort zu erreichen. Straßenrechtliche Maßnahmen betreffen die Freizügigkeit aber grundsätzlich nicht, weil ein angestrebter Ort in der Regel auch über andere Wege oder Verkehrsmittel erreichbar ist 1 4 9 . Die zeitweise Sperrung einer Autobahn wegen eines Staatsbesuchs oder wegen Bauarbeiten ist damit grundsätzlich freizügigkeitsneutral und entfaltet keine dem Gebot oder Verbot entsprechende Zwangswirkung 1 5 0 . Auch zeitliche Verzögerungen, die durch verkehrspolizeiliche Regelungen entstehen können, berühren die Freizügigkeit nicht, da auch hierdurch die 145 Gusy, in: v.Mangoldt/Klein/Starck, Art. 11 Rdnr. 29. 146 v.Münch, in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 1, Vorb. Art. 1 - 1 9 Rdnr. 22. Kunig, in: v.Münch /Kunig, GG Bd. 1, Art. 11 Rdnr. 20, Stichwort: Bauleitplanung. Bedenklich dürfte daher auch die Privatisierung oder Verpachtung ganzer Innenstädte sein, um privatrechtliche Vorschriften, insbesondere das Hausrecht, zur Anwendung zu bringen, vgl. Der Spiegel, Heft 24/1997, S. 48 (50). 147 Kriele, in: Isensee / Kirchhof, HdbStR V, § 110 Rdnr. 68. 148 Ziekow, S. 545. 149 So auch Ziekow, S. 542. 150 Ziekow, S. 542 und 545.

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1. Teil: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

Möglichkeit eines freizügigkeitsrelevanten Aufenthalts an sich nicht untersagt oder wesentlich erschwert wird. Allerdings dürfen sich auch das „Aufgehaltenwerden" oder sonstige verkehrspolizeiliche Maßnahmen nicht als faktische Zuzugs- oder Abzugssperre auswirken 151 . Polizeiliche Verweisungsmaßnahmen werden daher in vielen Fällen den Schutzbereich des Art. 11 GG weder final noch mittelbar berühren. Zudem ist anhand der dargestellten wertenden Gesamtbetrachtung zu ermitteln, ob durch die jeweilige Verweisung gerade das Spezifische der Freizügigkeit beeinträchtigt wird 1 5 2 , ob also die jeweilige Verweisungsmaßnahme gerade des Schutzes des Art. 11 GG bedarf. Dies ist in der Regel zu verneinen bei Verweisungen, die auf wenige Stunden und räumlich eng auf einen Platz, einen Straßenzug, ein Grundstück oder Grundstücksteil begrenzt sind. Hier wird die Möglichkeit eines freizügigkeitsrelevanten Aufenthalts, das Spezifische der Freizügigkeit, nicht berührt. Diese Möglichkeit besteht vielmehr nach wie vor, sei es, weil der gewünschte Ort auch auf anderem Wege zu erreichen ist, sei es, weil der gewünschte Ort, wenn auch mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung, weiterhin zugänglich bleibt. So muß eine mehrtägige Absperrung eines Grundstücksteils oder eng begrenzten Platzes Art. 11 GG auch nicht zwingend tangieren. Umgekehrt kann aber eine Freizügigkeitsbeschränkung bei weitender Betrachtung dann vorliegen, wenn jemandem das Betreten einer Stadt oder eines Stadtteil untersagt wird, und sei es auch nur für einen Tag. Die Freizügigkeit wird bei wertender Betrachtung in der Regel auch beeinträchtigt sein, wenn einer Person für eine längere Zeit oder ganz der Aufenthalt in einem bestimmten räumlich ausgedehnten Bereich untersagt wird 1 5 3 . Denn vor derartigen Aufenthaltsverboten will Art. 11 GG schützen, weil die Teilhabe am Gemeingebrauch essentiell für die Teilhabe am öffentlichen Leben, die eigene Selbstentfaltung sowie die kulturelle und politische Integration ist. Sie sind an Art. 11 Abs. 2 GG zu rechtfertigen. Dies entspricht auch der Wertung bei sonstigen Aufenthaltsverboten zu strafpräventiven Zwecken außerhalb des Polizeirechts, die vom räumlichen und zeitlichen Umfang her häufig dem polizeilichen Aufenthaltsverbot gleichen. Auch sie werden regelmäßig an Art. 11 Abs. 2 GG gemessen, wie z. B. die aufenthaltsbeschränkenden Weisungen und Maßnahmen nach § 68 b und § 56 c StGB sowie die früher bestehende Möglichkeit der Erteilung eines Aufenthaltsverbots nach § 39 StGB a. F. mitunter für ganze Städte 154 . Grenzfälle sind schließlich solche Maßnahmen, die ein Betretungsverbot für einen Häuserblock und mehrere Straßen, etwa wegen Explosionsgefahren, gebieten, insbesondere wenn die Beschränkung nur ein bis zwei Stunden andauert. Eine feste Grenze, wie lange der Aufenthalt maximal unterbunden werden darf, ohne Art. 11 Abs. 1 GG zu beeinträchtigen, läßt sich daher kaum festmachen, da eben neben zeitlichen auch räum151 Pieroth, JuS 1985, 81 (83); zustimmend Ziekow, S. 542. 152 Vgl. Kunig, in: v.Münch / Kunig, GG Bd. 1, Art. 11 Rdnr. 28. Vgl. auch in diesem Teil, C II. 2. c) bb). 153 A. A. Götz, NVwZ 1998, 679 (683). 154 So auch Ziekow, S. 542; VGH München, BayVBl. 1968, 402.

D. Die Verweisung aus Wohnungen

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liehe und finale Kriterien eine Rolle spielen. Je länger aber eine Verweisung andauert und je größer der räumliche Umfang ist, desto genauer wird die Prüfung erfolgen müssen. Insoweit strahlt Art. 11 GG auf die Anforderungen der Feststellung eines freizügigkeitsrelevanten Aufenthalts aus. Bei Anwendung des als vorübergehendes Verbot ausgestalteten Platzverweises nach § 12 MEPolG und Auslegung seiner tatbestandlichen Reichweite ist allerdings zu berücksichtigen, daß die Verfasser des MEPolG einen Eingriff in Art. 11 GG nicht beabsichtigt haben 155 . Wie lange eine Platzverweisung letztendlich andauern darf, welchen räumlichen Umfang sie haben darf, ist daher an den Grenzen des Art. 11 GG, die anhand der wertenden Gesamtbetrachtung zu ermitteln sind, aber auch an den einfachgesetzlichen Tatbestandsmerkmalen der Vorschrift gesondert zu klären. Damit kommt Art. 11 GG bei der Abgrenzung des vorübergehenden Platzverweises von anderen Verweisungsmaßnahmen, insbesondere von Aufenthaltsverboten, besondere Bedeutung

I I I . Ergebnis Polizeiliche Verweisungsmaßnahmen sind, je nach Dauer und räumlichem Umfang, in erster Linie an Art. 11 GG bzw. Art. 2 Abs. 1 GG zu messen. Welche Auswirkungen diese Grundrechte auf die Gestaltung und Anwendung polizeilicher Verweisungsmaßnahmen im einzelnen haben, auch im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz als Schranken-Schranke des Art. 2 Abs. 1 GG, soll im zweiten Teil dieser Arbeit neben den einfachgesetzlichen Anwendungsvoraussetzungen von Platzverweis, Aufenthaltsverbot und Wohnungs- bzw. Umfeldverweis untersucht werden. Zuvor ist aber noch die Frage zu klären, ob sich bei der Verweisung aus der eigenen Wohnung verfassungsrechtliche Besonderheiten ergeben.

D. Die Verweisung aus Wohnungen Polizeiliche Verweisungen können auch aus Wohnungen erfolgen. Zahlreiche Gefahrensituationen sind hier denkbar, wie beispielsweise die Evakuierung der Bewohner eines hochwassergefährdeten Gebietes, die Räumung eines Gebäudes wegen Bombendrohungen 157 oder wegen Entschärfung einer Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg. Verweisungen können ebenso erforderlich sein, um außenstehende Personen bei Razzien 158 oder gewaltbereite Personen von Versammlungen in geschlossenen Räumen 159 fernzuhalten. Schließlich besteht häufig 155 156 157 158

Vgl. Heise/Riegel, § 12 MEPolG Anm. 2. Hierzu ausführlich unten im 2. Teil, A. I. 1. c) aa). Vgl. OLG Stuttgart, NJW 1992, 1396 - Räumung einer Diskothek. Dazu Schwan, AöR 102 (1977), 243 (248).

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1. Teil: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

auch Bedarf, jemanden aus einer Räumlichkeit zu verweisen, weil er, wie etwa in den Fällen häuslicher Gewalt, eine Gefahr für andere darstellt. Wird jemand aus der eigenen Wohnung verwiesen oder an deren Betreten gehindert, ist umstritten, ob die Verweisungsmaßnahme an dem in Art. 13 Abs. 1 GG gewährleisteten besonderen Schutz der Wohnung zu messen ist.

I. Stand in der polizeirechtlichen Diskussion Eine breite Meinung nimmt in diesen Fällen einen Eingriff in Art. 13 Abs. 1 GG an, so daß eine Verweisung gegen den Willen des an der Wohnung Berechtigten nur bei Vorliegen einer qualifizierten Gefahr im Sinne des Art. 13 Abs. 7 GG zulässig wäre 160 . Der niedersächsische Gesetzgeber ist dieser Auffassung bei der Platzverweisung in § 17 Abs. 1 S. 2 NGefAG gefolgt 161 . Personen, die sich dagegen unberechtigt in der Wohnung aufhalten, sollen bereits bei einer einfachen konkreten Gefahr aus der Wohnung verwiesen bzw. an deren Betreten gehindert werden können 162 . Innerhalb dieser Auffassung wird das Betretungsverbot oder die Verweisung aus der Wohnung allerdings von unterschiedlichen Gefahrenstufen abhängig gemacht. Vereinzelt wird eine „gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben oder Sachen von besonderem Wert" 1 6 3 gefordert, zumeist aber eine „dringende erhebliche Gefahr" 164 oder - wie im Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetz - eine „gegenwärtige erhebliche Gefahr" 165 . Im Gegensatz dazu läßt Art. 13 Abs. 7 GG

159 BVerfGE 84, 203 ff. 160 So etwa Böhrenz/Franke, § 17 Anm. 5; Meixner/Fredrich, § 31 Rdnr. 4; Bernet/ Groß/Mende, § 31 Rdnr. 4; wohl auch Schumann, 18.2.3; Helle, NJW 1991, 212 (213). Ebenso VG Stuttgart, B. v. 17. 05. 2001, Az.: 5 K 1912/01, S. 2 f. 161 Eingeführt im Jahre 1994 durch NGefAG v. 01. 06. 1994, GVB1. S. 172 (178); vgl. die Begründung zum Entwurf des NGefAG 1994, Nds. LT-Drs. 12/4140, S. 54 f. sowie Drs. 12/ 6395, S. 9. Vgl. auch Nr. 16.2 Abs. 1 VollzBek zu Art. 16 BayPAG, wonach ein Platzverbot aus einer Wohnung eine „gegenwärtige erhebliche Gefahr" erfordert (abgedruckt bei Honnacker/Beinhofer zu Art. 16). Ähnlich Nr. 31.1 VVHSOG zu § 31 HSOG, wonach eine „dringende erhebliche Gefahr" verlangt wird (abgedruckt bei Meixner/Fredrich, Anhang 4); Nr. 36.1 AB SOG LSA zu § 36 SOG LSA fordert eine „dringende Gefahr" (abgedruckt bei Meixner/Martell, Anhang 6). Nr. 34.01 VVPolG zu § 34 NWPolG stellt dagegen auf den Fall ab, daß eine Wohnung zum Zwecke einer anschließenden Platzverweisung betreten werden muß (abgedruckt bei Tegtmeyer zu § 34). Vollzugsbekanntmachungen sind wie Ausführungsvorschriften Verwaltungsvorschriften, die - an nachgeordnete Behörden gerichtet - den einheitlichen Vollzug von Gesetzen und Rechtsvorschriften sichern sollen, ohne aber Gesetzeswirkung zu haben. 162 Vgl. Entwurf NGefAG 1994, Nds. LT-Drs. 12/4140, S. 54. 163 Mandelartz/Sauer/Strube, § 12 Anm. 14. 164 Fischer/Hitz/Loskowski/Walter, § 39 Rdnr. 7; Meixner/Fredrich, § 31 Rdnr. 4; Bernet/Groß/Mende, § 31 Rdnr. 4; Hornmann, § 31 Rdnr. 1. 165 § 17 Abs. 1 S. 2 NGefAG; Nr. 16.2 Abs. 1 VollzBek zu Art. 16 BayPAG; Kay/Böcking, B Rdnr. 239; Böhrenz/Franke, § 17 Anm. 5.

D. Die Verweisung aus Wohnungen

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Eingriffe in Art. 13 Abs. 1 GG neben der Abwehr von gemeinen oder Lebensgefahren nur zur Verhütung „dringender Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung" zu. Die Unterschiede zum Wortlaut des Art. 13 Abs. 7 GG sind jedoch weitgehend terminologischer Art, je nachdem, ob man die „dringende Gefahr" im Sinne des Art. 13 Abs. 7 GG auf eine besondere zeitliche Nähe zum Schadenseintritt bezieht und damit der „gegenwärtigen Gefahr" gleichsetzt 166 oder ob es sich dabei um eine qualitative Steigerung der Gefahr, bezogen auf das Schadensausmaß oder die Bedeutung des zu schützenden Rechtsguts, handelt 167 und damit der „erheblichen Gefahr" nahesteht168. Vom Wortsinn her kämen in der Tat beide Auffassungen in Betracht. „Dringend" kann sowohl „eilig" als auch „sehr wichtig" bedeuten 169 . Gegen eine rein zeitliche Auslegung der „dringenden Gefahr" in Art. 13 Abs. 7 GG sprechen jedoch zum einen die dort beispielhaft genannten Schutzgüter wie Seuchengefahr und Jugendschutz, denen - worauf Gentz 170 zutreffend hinweist - eine gewisse Wichtigkeit zukommt und deren Schutz nicht notwendig eine besonders zeitliche Nähe der Gefahr voraussetzt. Diese Interpretation läßt sich auch dem textlichen Kontext entnehmen. Art. 13 Abs. 7 GG spricht im Zusammenhang mit der dringenden Gefahr nämlich von „Gefahrenverhütung" statt von „Gefahrenabwehr" und verlangt damit gerade nicht eine besondere zeitliche Nähe 171 . Die dringende Gefahr braucht also noch nicht eingetreten zu sein, es genügt vielmehr, „daß die Beschränkung des Grundrechts dem Zweck dient, einen Zustand nicht eintreten zu lassen, der seinerseits eine dringende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen würde." 172 In Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts liegt daher eine dringende Gefahr vor, „wenn mit hinreichender Wahrscheinlichkeit ein Schaden für ein besonders wichtiges Rechtsgut droht" 1 7 3 , wobei sich die Wahrscheinlichkeitsanforderungen nach der Bedeutung des zu schützenden Rechtsgutes richten. Es geht also um die Abwehr „erheblicher Schäden"174. Zutreffend dürfte es daher sein, im Zusammenhang eines poli166 So Ule/Rasch, Teil A, § 7 Rdnr. 40; wohl auch Mandelartz/Sauer/Strube, § 12 Anm. 14. Zu den einzelnen Gefahrenstufen vgl. Hansen-Dix, S. 46 ff.; Schock, JuS 1994, 667 (670). Die gegenwärtige Gefahr wird zuweilen auch als „unmittelbar bevorstehende Gefahr" bezeichnet. 167 So Mußmann, Polizeirecht, Rdnr. 233; Schock, JuS 1994, 667 (670); Kunig, Jura 1992, 476 (483). 168 Eine erhebliche Gefahr meint eine Gefahr für ein besonderes Rechtsgut, wie Leben, Gesundheit, Freiheit, wesentliche Vermögenswerte, Bestand des Staates etc., vgl. Schock, JuS 1994, 667 (670). 169 Brockhaus/Wahrig, Bd. 2, Stichwort: „dringend". 170 Gentz, S. 117. 171 Drews/Wacke/Vogel/Martens, § 12, 10 c (S. 205 f.); Gentz, S. 117; Kunig, in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 13 Rdnr. 67; Rachor, in: Lisken/Denninger, F Rdnr. 627. 172 BVerfGE 17, 232 (251 f.). 173 BVerwGE 47, 31 (40); Hansen-Dix, S. 54; Kunig, Jura 1992, 476 (483); Schock, JuS 1994, 667 (670); jetzt auch Götz, Polizeirecht, 12. Aufl., Rdnr. 304. 174 Gentz, S. 118; Kunig, Jura 1992,476 (483). 4 Neuner

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1. Teil: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

zeirechtlichen Eingriffs in Art. 13 Abs. 1 GG vom Erfordernis einer „erheblichen Gefahr" oder einer „dringenden Gefahr" zu sprechen. Wenn darüber hinaus für polizeirechtliche Maßnahmen noch das Kriterium „gegenwärtig" verlangt wird, so widerspricht dies Art. 13 Abs. 7 GG grundsätzlich nicht, ein polizeiliches Einschreiten ist dadurch lediglich zeitlich später gerechtfertigt.

II. Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung des Platzverweises im Hinblick auf Art. 13 GG? Bei der Frage nach der Notwendigkeit einer im Hinblick auf Art. 13 Abs. 7 GG verfassungskonformen Auslegung der Standardbefugnis Platzverweis bzw. der Generalklausel ist zunächst zu differenzieren: Eine entsprechend Art. 13 Abs. 7 GG gesteigerte Gefahr wird immer dann vorliegen müssen, wenn die Polizei eine Wohnung gegen den Willen des Berechtigten betreten muß, um anschließend einen Platzverweis aus der Wohnung auszusprechen oder ihn durchzusetzen 175. Allein das Betreten der Wohnung ist unstreitig ein „sonstiger Eingriff 4 im Sinne des Art. 13 Abs. 7 GG und damit ein Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung 176 . Die tatbestandlichen Voraussetzungen richten sich insoweit nach den Vorschriften über das Betreten von Wohnungen177, denn nach allgemeiner Auffassung berechtigen die Vorschriften des Platzverweises nicht dazu, die Wohnung zu betreten 178 . Kann der Platzverweis nicht von außen, etwa mittels Megaphons oder schriftlich, ausgesprochen werden, müssen die Voraussetzungen für das Betreten von Wohnungen vorliegen. Ob daneben der Platzverweis selbst einen Eingriff in Art. 13 Abs. 1 GG darstellt, ist im folgenden zu klären. Das Bundesverwaltungsgericht hatte 1974 im „Studentenwohnheim-Fall"179 über beide Maßnahmen - Betreten der Wohnung und anschließenden Platzverweis - zu entscheiden. Vorangegangen waren mehrstündige Ausschreitungen anläßlich einer Truppenparade der Alliierten in Berlin, wobei Polizeibeamte von Personen, die sich in einem Studentenwohnheim befanden, mit Steinen und Flaschen beworfen wurden. Einige Polizeibeamte verschafften sich daraufhin gegen den Willen des Hausmeisters Zutritt zu dem Wohnheim und forderten die dort angetroffenen Personen 175 Vgl. auch Tegtmeyer, § 34 Rdnr. 6 sowie die ebenda abgedruckte VVPolGNW zu § 34, Nr. 34.01 S. 2 mit Verweis auf § 41, der das Betreten von Wohnungen regelt. Ebenso Berg/ Knape/Kiworr, § 29 A. 3; Niehörster, S. 52; Schumann, 18.2.3. 176 BVerfGE 65, 1 (40); 89, 1 (12), wonach der Schutzbereich des Art. 13 GG berührt ist, wenn in die Wohnung eingedrungen wird, um eine hoheitliche Maßnahme zwangsweise durchzusetzen; vgl. auch Hermes, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 13 Rdnr. 42. 177 Vgl. u. a. § 19 MEPolG; § 31 Abs. 1 S. 1 BWPolG; Art. 23 BayPAG; § 16 HambSOG; § 38 HSOG; § 41 NWPolG; § 25 SächsPolG. 178 Böhrenz/Franke, § 17 Anm. 5; Scholler/Schioer, S. 96. 179 BVerwGE 47, 31 ff.

D. Die Verweisung aus Wohnungen

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zum Verlassen des Wohnheims auf. Das Bundesverwaltungsgericht führte zwar aus, daß durch die polizeilichen Maßnahmen in Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG sowie in Art. 13 Abs. 3 GG (Art. 13 Abs. 7 GG n. F.) eingegriffen werde und die strittigen Maßnahmen daher am Maßstab des Art. 13 Abs. 3 GG (a. F.) zu messen seien 180 . Jedoch ist diese Aussage im Gesamtkontext der Entscheidung in erster Linie als Abgrenzung dahingehend zu verstehen, daß beide Maßnahmen jedenfalls keine Durchsuchung im Sinne des Art. 13 Abs. 2 GG darstellten. Eine differenzierte Prüfung beider Maßnahmen - Betreten und Platzverweis - nahm das Bundesverwaltungsgericht dann nicht mehr vor; dies war auch nicht notwendig, weil jedenfalls das Betreten des Wohnheims durch das Vorliegen einer dringenden Gefahr gerechtfertigt wurde und diese bei Anordnung des Platzverweises noch anhielt, so daß dieser aus den gleichen Gründen ausgesprochen werden konnte 181 . Angesichts der eingangs genannten typischen Gefahrensituationen eines Platzverweises aus Wohnungen wird sicherlich häufig eine erhöhte Gefahrenstufe vorliegen. Im folgenden wird aber zu untersuchen sein, ob eine solche erhöhte Gefahrenstufe dogmatisch stets erforderlich ist und eventuell sogar zu einer Gesetzeskorrektur zwingt.

1. Der Schutzbereich des Art. 13 GG a) Der Schutz der Privatheit Wenn Art. 13 Abs. 1 GG die Wohnung für unverletzlich erklärt, wird damit der Bestand einer Wohnung vorausgesetzt. Art. 13 Abs. 1 GG gewährleistet nicht das Besitzrecht an einer Wohnung 182 , auch nicht einen durchsetzbaren Anspruch auf Verschaffung einer Wohnung 183 , sondern ausschließlich die Privatheit in der Wohnung 184 . Dem einzelnen soll das Recht, in seinen Wohnräumen „in Ruhe gelassen zu werden", gesichert werden 185 . Art. 13 GG steht damit in Zusammenhang mit dem Privatsphärenschutz und garantiert den Teilbereich der Privatsphäre in räumlicher Hinsicht 186 oder - wie neuerdings mit Worten des Bundesverfassungsgerichts - den Schutz der „räumlichen Lebenssphäre" 187. In diese soll der Staat 180 BVerwGE 47, 31 (38). 181 Eine Eingriffsermächtigung zum Betreten von Wohnungen und zum Platzverweis enthielt das Berliner Polizeigesetz damals nicht. Maßgebliche Rechtsgrundlage war somit für beide Maßnahmen die polizei- und ordnungsrechtliche Generalklausel. 182 BVerfGE 89, 1 (11 ff.). 183 Bleckmann, § 34 Rdnr. 7. 184 BVerfGE 89, 1 (12); aus der Literatur z. B. Bleckmann, § 34 Rdnr. 7; Kunig, in: v.Münch /Kunig, GG Bd. 1, Art. 13 Rdnrn. 1 f. iss BVerfGE 51, 97 (107); 75, 318 (328); 89, 1 (12); BVerfG, NJW 2001, 1121 (1122). 186 BVerfGE 65, 1 (40); BVerfGE 97, 228 (265). 187 BVerfGE 96, 44 (51); BVerfG, NJW 2001, 1121 (1122) spricht von „persönlicher Lebenssphäre". 4*

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1. Teil: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

grundsätzlich nicht gegen den Willen der Bewohner eindringen dürfen 188 . Diese Interpretation folgt nicht zwingend aus Art. 13 GG und seinen Schranken. Zugunsten der dort abschließend aufgeführten Schutzgüter ließe sich auch an eine andere Interpretation denken. Die Entwicklung des Grundrechts der Wohnungsfreiheit einerseits und das systematische Verhältnis zu Art. 14 GG andererseits lassen jedoch auf den Schutz des Grundrechts vor staatlichen Einblicken in die Wohnung schließen. Bereits die Weimarer Reichsverfassung betrachtete die Wohnung im Sinne des Art. 115 WRVals „eine Freistätte und unverletzlich". Entsprechend wurde das Grundrecht der Wohnungsfreiheit auch bei den Beratungen zum Grundgesetz verstanden. Wie die entstehungsgeschichtlichen Nachweise zeigen, wurde in der Diskussion über die Wohnungsfreiheit ausschließlich davon ausgegangen, daß „die öffentliche Gewalt in einer Wohnung nichts zu suchen" habe 189 , weshalb die Regelung der möglichen Zwangseingriffe durch Eindringen in eine Wohnung im Vordergrund stand. Gemeint waren daher neben der Durchsuchung vornehmlich Eingriffe wie Nachschau oder Informationsbeschaffung durch staatliche Organe, die notwendigerweise mit dem Eindringen in eine Wohnung verbunden waren. Ausdrücklich ging es in der Diskussion aber nicht um die Frage des Entzugs einer Wohnung 190 . Gentz 191 beschreibt die Zielsetzung des Wohnungsgrundrechts daher treffend: „Der Individualbereich des Bürgers soll durch die Wohnung mit einem Schutzwall umgeben werden, der das Leben in der Wohnung der Kenntnisnahme durch den Staat oder durch staatlich legitimierte Dritte entzieht." Art. 13 GG schützt damit vor allem gegen das Eindringen und Verweilen staatlicher Organe in der Wohnung, aber auch vor anderen Maßnahmen, die, wie z. B. der Lauschangriff, Einblick in die „räumliche Privatsphäre" geben 192 . Der Privatsphärenschutz des Art. 13 GG ist damit in erster Linie „Informationenschutz" 193. Entsprechend weit ist daher der verfassungsrechtliche Begriff der Wohnung zu verstehen als eine Räumlichkeit, in der Privatheit in Anspruch genommen wird 1 9 4 . Dies können neben der Wohnung im eigentlichen Sinne auch Geschäftsräume und sonstige Örtlichkeiten sein, sofern sie erkennbar zur alleinigen Zugänglichkeit und damit der bloßen privaten, im Gegensatz zur „öffentlichen" Nutzung bestimmt sind 195 .

iss BVerfGE 97, 228 (265). 189 So v.Mangoldt, in: Doemming/Füßlein/Matz, JöR N.F. Bd. 1 (1951), 138 ff. (140). 190 Vgl. die Ausführungen von Prof. Thoma, in: Doemming/Füßlein/Matz, JöR N.F. Bd. 1 (1951), 138(140). 191 Gentz, S. 152. 192 Hierzu Bleckmann, § 34 Rdnrn. 10 und 15 f.; Herdegen, in: BK, Art. 13 Rdnr. 42. 193 Schmitt Glaeser, in: Isensee / Kirchhof, HdbStR V, § 129 Rdnr. 4. 194 Kunig, Jura 1992, 476 (478). 195 Pieroth/Schlink, Rdnr. 874; weiter Kunig, in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 13 Rdnrn. 11 und 60. Hierzu gehört z. B. auch ein Stall, vgl. VG München, DWW 1997, 190 ff. - Verbot, einen Stall zu betreten.

D. Die Verweisung aus Wohnungen

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b) Schutz vor substantiellen Eingriffen? Eingriffe in Art. 13 GG sind dementsprechend „Verletzungen der Privatheit der Wohnung" 196 . Wird eine Person aus einer Wohnung, in der sie sich berechtigterweise aufhält, verwiesen oder wird ihr der Zutritt zu dieser verweigert, ist daher in der Tat fraglich, ob der Schutzbereich des Art. 13 GG berührt ist. Denn beim Platzverweis wird dem Betroffenen in erster Linie die Verfügung und Nutzungsmöglichkeit der Wohnung für eine gewisse Zeit entzogen. Ob darin auch eine Verletzung der Privatheit der Wohnung zu sehen ist, ist streitig. Berkemann 197 sieht auch in Maßnahmen, durch die „die räumliche Privatsphäre der eigenen Verfügung, Nutzung oder Kontrolle ganz oder teilweise entzogen wird" - also auch in einer vorübergehenden Räumung oder einem Zutrittsverbot einen Eingriff in die Privatheit der Wohnung und damit einen Eingriff in Art. 13 GG. Das Bundesverfassungsgericht schließt zwar ebenfalls nicht von vornherein aus, daß auch substantielle Eingriffe, „bei denen die Wohnung der Verfügung und Benutzung des Inhabers ganz oder teilweise entzogen wird", Art. 13 GG berühren können 198 . Dies kann in Einklang mit der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts jedoch nur dann gelten, wenn gerade die Privatheit der Wohnung durch einen solchen Eingriff verletzt wird 1 9 9 . Es bedarf an dieser Stelle keiner eingehenderen Erörterung, ob und unter welchen Umständen bei substantiellen Eingriffen die Privatheit der Wohnung im Sinne des Art. 13 GG beeinträchtigt wird. Denkbar ist dies jedenfalls dann, wenn die Gebrauchsbeeinträchtigung mit Anwesenheitsrechten Dritter verbunden ist, wie z. B. bei der Einweisung eines Obdachlosen. Durch einen Platzverweis oder ein Zutrittsverbot allein wird die Privatheit der Wohnung im Sinne des Art. 13 Abs. 1 GG aber nicht beeinträchtigt, weil dadurch gerade nicht das Spezifische des Art. 13 Abs. 1 GG berührt wird 2 0 0 . Beeinträchtigt wird vielmehr nur das Nutzungs- und Besitzrecht oder das Eigentum an der Wohnung 201 . Dadurch kann zwar auch die Entfaltung der Persönlichkeit in der Wohnung gestört werden - für den Moment wird beim Platzverweis diese Entfaltung tatsächlich verhindert; Art. 13 GG erfaßt aber, wie oben bereits dargelegt, nur einen Teilbereich des Privatsphärenschutzes. Maßnahmen, die einem Dritten den Lebensbereich in der Wohnung nicht offenlegen, werden hiervon nicht erfaßt 202 . 196 Bleckmann, § 34Rdnr. 13. 197 Berkemann, in: AK-GG, 2. Aufl., Art. 13 Rdnrn. 31 f.; ähnlich ders., in: AK-GG, 3. Aufl., Art. 13 Rdnr. 64.; vgl. auch Böhmer, Mindermeinung zu BVerfGE 49, 228 (238); wohl zustimmend Alberts, Die Polizei 1991, 70. 198 BVerfGE 89, 1 (12). 199 BVerfGE 89, 1 (12); vgl. auch Bleckmann, § 34 Rdnr. 14. 200 Pieroth/Schlink, Rdnr. 881. 201 Bleckmann, § 34 Rdnr. 13; Gentz, S. 154; Hermes, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 13 Rdnr. 57; Kunig, Jura 1992, 476 (479); wohl auch Jarass, in: Jarass / Pieroth, Art. 13 Rdnr. 4; im Ergebnis auch Herdegen, in: BK, Art. 13 Rdnr. 43; Gornig, in: v.Mangoldt/Klein/Stark, Art. 13 Rdnrn. 43 und 45.

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1. Teil: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

Für diese Auslegung spricht auch der abwehrrechtliche Charakter des Wohnungsgrundrechts 203. Art. 13 GG schützt nicht bestimmte Verhaltensweisen innerhalb der Wohnung oder im Umgang mit ihr, wie etwa das „Sichaufhalten" in einer Wohnung und - damit einhergehend - die geschützte „Privatheit in der Wohnung" stets in Anspruch zu nehmen. Abwehrrechte garantieren einen Zustand, nämlich hier den Schutz der Wohnung vor Einblicknahme. Auch sonstige Teilgarantien der Privatsphäre, wie etwa Art. 10 GG, garantieren nicht das Privatsein zu jeder Zeit.

2. Ergebnis Eine dogmatische Notwendigkeit der verfassungskonformen Auslegung bzw. Gesetzeskorrektur im Hinblick auf Art. 13 GG besteht bei einer Verweisung aus der Wohnung nicht, da die von Art. 13 GG geschützte Privatheit in der Wohnung durch die Verwehrung des Aufenthalts in der Wohnung nicht tangiert wird. Es verbleibt daher die Frage, wie die Möglichkeit der Zugänglichkeit und Nutzung der Wohnung, die während einer polizeilichen Verweisung aus derselben eingeschränkt wird, verfassungsrechtlich geschützt ist.

i n . Folgerungen für Verweisungen aus Wohnungen, insbesondere im Hinblick auf Art. 14 GG und Art. 2 Abs. 1 GG Das Recht, eine Wohnung zu nutzen, folgt in der Regel einem Besitzrecht, etwa aufgrund des Eigentums oder eines Mietvertrages. Verfassungsrechtlich wird die Nutzung von Eigentum teilweise als eine von Art. 14 GG geschützte Rechtsposition aufgefaßt, teilweise aber auch als Ausdruck des jeweiligen mit der Nutzungshandlung verbundenen Freiheitsrechts gewertet 204 . So soll das Lesen einer gekauften Zeitung von Art. 5 Abs. 1 GG erfaßt sein, das Fahren des eigenen Autos von Art. 2 Abs. 1 GG. Die Nutzung des Eigentums wird dagegen dann von Art. 14 GG erfaßt, wenn die soziale Funktion sie gerade dem Eigentums- oder Vermögensrecht zuweist . Die Nutzung von Grundstücken und Wohnungen wird überwiegend der Eigentumsgarantie des Art. 14 GG zugewiesen206. Dies gilt für die typisch eigentumsbe202 Gentz, S. 144 und 152. 203 Hellermann, S. 35. 204 Pieroth/Schlink, Rdnr. 915; Bryde, in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 14 Rdnr. 13; Wieland, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 14 Rdnr. 150. 205 Pieroth/Schlink, Rdnr. 915; Wieland, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 14 Rdnr. 150. Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 14 Rdnr. 5 läßt Art. 14 GG dann zum Zuge kommen, wenn geldwerte Aspekte dominieren. 206 Bryde, in: v.Münch / Kunig, GG Bd. 1, Art. 14 Rdnr. 13.

D. Die Verweisung aus Wohnungen

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dingten Nutzungen wie die Veräußerung des Grundstücks oder dessen Belastung mit Sicherheiten. Es gilt aber auch für den Besitz als solchen, verbunden mit der Befugnis, sich auf dem Grundstück oder in der Wohnung aufzuhalten, und zwar auch dann, wenn es sich um eine Mietwohnung handelt. Die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 S. 1 GG will dem Grundrechtsträger einen Freiraum im vermögensrechtlichen Bereich erhalten. Das Bundesverfassungsgericht faßt daher unter den Schutz der Eigentumsgarantie im Bereich des Privatrechts grundsätzlich „alle Vermögenswerten Rechte, die ihrem Inhaber von der Rechtsordnung in der Weise zugeordnet sind, daß er die damit verbundenen Befugnisse nach eigenverantwortlicher Entscheidung zu seinem privaten Nutzen ausüben darf." 207 Da die Wohnung für jedermann Mittelpunkt der privaten Existenz ist, hat das Besitzrecht eines Mieters die gleiche Funktion wie üblicherweise das Sacheigentum208. Polizeiliche Verweisungsmaßnahmen, die mit einem vorübergehenden Entzug der Nutzungsmöglichkeit der Wohnung verbunden sind, berühren Art. 14 Abs. 1 GG daher zumindest faktisch und sind an ihm zu messen209. Die Verweisungsmaßnahme stellt sich als Inhalts- und Schrankenbestimmung des Eigentums im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG dar 2 1 0 . Denn sie legt generell und abstrakt die Rechte und Pflichten des Eigentümers im Sinne des Art. 14 GG fest. Eine Enteignung im Sinne des Art. 14 Abs. 3 GG liegt deswegen nicht vor, weil durch die Verweisung als solche nicht gezielt zwecks Erfüllung öffentlicher Aufgaben auf die Wohnung zugegriffen wird, sondern vielmehr die Grenzen des Aufenthalts in der Wohnung bei bestimmten Gefahren für die Allgemeinheit festgelegt werden. Dem steht auch nicht entgegen, daß - gerade in Fällen häuslicher Gewalt - die Wohnung vorübergehend der gefährdeten Person überlassen wird. Der Staat ist hier nicht primär an der Entziehung des Eigentums interessiert, um es zur Erfüllung bestimmter Aufgaben zu nutzen 211 , sondern im Vordergrund steht die Gefahrenabwehr 212 durch Trennung von Opfer und Täter. Im Rahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle einer Verweisungsmaßnahme aus Wohnungen kommt daher dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wie bei jeder Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG, maßgebende Bedeutung zu. Die „Einschränkung der Eigentümerbefugnisse muß zur Erreichung des angestrebten Zieles geeignet und notwendig, darf aber nicht übermäßig belastend und deshalb unzumutbar sein." 213 Gesetzgeber und Rechtsanwender haben dabei „die Interessen der Beteiligten in einen gerechten Ausgleich und ein 207 BVerfGE 89, 1 (6); 83, 201 (209). 208 BVerfGE 89, 1 (6). 209 Bleckmann, § 34 Rdnr. 14; Gentz, S. 145 ff.; Hermes, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 13 Rdnr. 57. Kunig, in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 13 Rdnr. 72 geht dagegen von einem Eingriff in Art. 2 Abs. 1 GG aus. 210 Dazu ausführlich Gentz, S. 146 f. 211 BVerfGE 100, 226 (240). 212 In diesem Sinne BVerfGE 20, 351 (359). 213 BVerfG, NJW 1996, 246.

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1. Teil: Verfassungsrechtliche Maßstäbe

ausgewogenes Verhältnis zu bringen." 214 Kurzfristigen Verweisungen, die lediglich die Zugänglichkeit zur Wohnung für nur wenige Stunden verwehren, stellen relativ geringfügige Eingriffe dar, die grundsätzlich auf Grundlage der Generalklausel erfolgen können. Je nach Dauer und Intensität einer Verweisung aus der Wohnung können aber zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit weitergehende Regelungen, insbesondere bezüglich der zulässigen Dauer der Nutzungsbeschränkung, etwaiger finanzieller Ausgleiche sowie der Gestattung von Ausnahmen, erforderlich sein 215 . Daneben kann Art. 2 Abs. 1 GG in Betracht kommen, jedoch nicht unter dem Aspekt der allgemeinen Handlungsfreiheit, sondern unter dem Aspekt der allgemeinen Persönlichkeitsentfaltung als dem sonstigen grundrechtlichen Privatsphärenschutz, soweit die freie Entfaltung durch die verwehrte Rückzugsmöglichkeit in die Privatheit betroffen ist und diese nicht durch speziellere Grundrechte abgedeckt ist. Art. 2 Abs. 1 GG verlangt aber keine erhöhte Gefahrenstufe. Der Umstand, daß jemand aus seiner Wohnung und damit aus dem abgeschirmten Bereich privater Lebensgestaltung herausgerufen wird bzw. zu diesem keinen Zugang hat, ist daher im Rahmen des polizeilichen Ermessens zu berücksichtigen. Von Bedeutung ist insoweit wiederum der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit als SchrankenSchranke des Art. 2 Abs. 1 GG. Die Räumung der Wohnung muß zur Gefahrenabwehr geeignet, erforderlich und verhältnismäßig im engeren Sinne sein. Zu berücksichtigen sind daher die Umstände des Einzelfalls wie die notwendige Dauer der Verweisung, wobei im Rahmen der Erforderlichkeit der Maßnahme je nach Gefahrenlage auch zu berücksichtigen sein könnte, ob sich jemand bereits in der Wohnung befindet, die dortigen Annehmlichkeiten bereits nutzt oder ob der Zutritt zu der Wohnung für relativ kurze Zeit verhindert werden soll. Schließlich kann, insbesondere bei im Vorfeld planbaren Verweisungsmaßnahmen, auch die Tageszeit bei der Abwägung der Zulässigkeit des Eingriffs eine Rolle spielen. Gerade bei kurzfristigen Platzverweisen aus der Wohnung wird häufig ohnehin der Nichtstörer betroffen sein, so daß insofern die Voraussetzungen einer gesteigerten Gefahrenstufe vorliegen müssen. Sofern die Wohnung als Ort des Familienlebens betroffen ist, kann darüber hinaus Art. 6 Abs. 1 GG zu berücksichtigen sein 216 . Dieser grundrechtlichen Einordnung von Verweisungen aus Wohnungen steht auch Art. 8 EMRK nicht entgegen. Soweit Art. 8 EMRK weiter reicht als Art. 13 Abs. 1 GG und auch die Vertreibung und Umsiedlung sowie Rückkehrverbote in die Wohnung erfaßt 217 , werden diese Sachverhalte unter dem Grundgesetz von Art. 14 GG und Art. 11 GG bzw. Art. 2 Abs. 1 GG aufgefangen.

214 215 216 217

BVerfGE 87, 114 (138); 101, 239 (259); ähnlich BVerfGE 100, 226 (240). BVerfGE 100, 226 (243 ff.). Kunig, Jura 1992,476 (483). S. dazu unten 2. Teil, A. III. 4. Frowein/Peukert, Art. 8 EMRK Rdnr. 29.

Zweiter Teil

Rechtsgrundlagen für polizeiliche Verweisungsmaßnahmen A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen I. Der polizeiliche Platzverweis 1. Der Platzverweis zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung nach § 12 S. 1 MEPolG und den Landespolizeigesetzen a) Die Regelung des Platzverweises

in den Landespolizeigesetzen

Mit Ausnahme Baden-Württembergs regeln die Länder den Platzverweis als Standardbefugnis 1. Inhaltlich gehen die jeweiligen landesrechtlichen Regelungen des Platzverweises weitgehend auf § 12 des Musterentwurfs eines einheitlichen Polizeigesetzes von 1976 (MEPolG)2 zurück. Danach kann die Polizei „zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten." Der Alternativvorschlag des Arbeitskreises Polizeirecht aus dem Jahre 1979 (AEPolG)3, der den Platzverweis aus verfassungsrechtlichen Gründen4 ausschließlich gegen Personen zulassen wollte, „die eine Gefahr verursachen", konnte sich dagegen längerfristig nur im Bremischen Polizeigesetz durchsetzen5. In Baden-Württemberg wird die Maßnahme mangels spezialgesetzlicher Regelung auf die polizeirechtliche Generalklausel gemäß §§ 1, 3 BWPolG gestützt6. Allerdings sollen die im Formulierungsvor1 Nachweise vgl. Einleitung, Fn. 10. 2 Heise/Riegel, § 12 MEPolG. 3

Denninger u. a., § 19 AEPolG. Die Vorschrift ist im Anhang abgedruckt. 4 S. oben 1. Teil, C. I. 5

So die bis zur Änderung des BremPolG v. 04. 09. 2001 (GBl. der freien Hansestadt v. 12. 09. 2001, S. 267 ff.) geltende Fassung des § 14 S. 1 BremPolG. Anfänglich folgte auch Niedersachsen dem AEPolG, vgl. § 15 NdsSOG v. 17. 11. 1981, GVB1. 1981, 347 (351). Auch hier besteht jedoch eine umfassende Neuregelung, die mit der ursprünglich auf den AEPolG zurückgehenden Vorschrift nur noch wenig gemein hat. 6 Vgl. VGH Mannheim, VB1BW 1995, 289 ff.; 1986, 299 (302); NVwZ-RR 1990, 602 (603 f.) - Fernhalten eines Störers.

2. Teil: Rechtsgrundlagen

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schlag des § 12 MEPolG enthaltenen Maßstäbe bei der Anordnung und Vollstreckung eines Platzverweises Berücksichtigung finden 7. Trotz der weitgehenden inhaltlichen Übereinstimmung weist insbesondere die niedersächsische Ermächtigung zum Platzverweis gewisse Unterschiede auf. Diese betreffen in erster Linie den Adressaten des Platzverweises, der in Niedersachsen seit der Novellierung des Gefahrenabwehrgesetzes (NGefAG) im Jahre 1994 gemäß § 17 Abs. 1 S. 1 NGefAG gegen „jede Person" ausgesprochen werden kann8. Eine entsprechende Regelung sieht nunmehr auch der neu gefaßte § 14 Abs. 1 BremPolG vor 9 . Die Vorschrift enthält somit eine eigenständige Adressatenregelung, losgelöst von dem im Polizeirecht allgemein geltenden Verursacherprinzip. Mit ihr entzieht sich der niedersächsische Gesetzgeber der zu § 12 MEPolG bestehenden Streitfrage, ob der Adressat des Platzverweises dem Sinn und Zweck der Vorschrift selbst zu entnehmen ist oder aber den allgemeinen Regelungen über die polizeiliche Verantwortlichkeit. Die weitere Änderung betrifft den Platzverweis aus Wohnungen. Wie im ersten Teil der Untersuchung ausgeführt, verlangt § 17 Abs. 1 S. 2 NGefAG für eine Platzverweisung aus Wohnungen eine erhöhte Gefahrenstufe, nämlich eine „gegenwärtige erhebliche Gefahr" 10 . Eine entsprechende Regelung besteht zwar bisher ausdrücklich nur im Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetz, die Vollzugsbekanntmachungen zu den Polizeigesetzen Bayerns, Hessens, Nordrhein-Westfalens und Sachsen-Anhalts thematisieren diese Problematik jedoch ebenfalls, wenn auch teilweise mit unterschiedlichen Ansätzen und Lösungen 11 . Wie im vorangegangenen verfassungsrechtlichen Teil der Untersuchung festgestellt, besteht eine verfassungsrechtliche Notwendigkeit für diese erhöhte Gefahrenstufe im Hinblick auf Art. 13 GG jedoch nicht. Als Standardbefugnis ist die Vorschrift „Platzverweisung" noch relativ jung, sie hielt erst infolge der Vorschläge zur Vereinheitlichung der Polizeigesetze des MEPolG und des AEPolG nach und nach Einzug in die Polizeigesetze der Länder 12 . Bis dahin wurde die Maßnahme, wie in Baden-Württemberg heute noch, auf die polizeiund ordnungsrechtliche Generalklausel gestützt13. Lediglich das Bayerische Poli7 Reichert/Ruder/Fröhler, Rdnr. 302. 8 Vgl. NGefAG v. 01. 06. 1994, GVB1. 1994, 172. Bis dahin war, dem AEPolG folgend, ein Platzverweis nur gegen den Verursacher der Gefahr möglich, vgl. § 15 NSOG v. 17. 11. 1981, GVB1. 1981, 347 (351). 9 BremPolG v. 04. 09. 2001, GBl. der freien Hansestadt v. 12. 09. 2001, S. 267 ff. 10 NGefAG v. 01. 06. 1994, GVB1. S. 172 (178). Vgl. auch die Begründung im Gesetzgebungsverfahren zum Entwurf des NGefAG 1994, Nds. LT-Drs. 12/4140, S. 54 f. sowie LTDrs. 12/6395, S. 9. h S. dazu oben 1. Teil, D. I., insbesondere 1. Teil, Fn. 161. Zunächst führte Nordrhein-Westfalen im Jahre 1979, gefolgt von Niedersachsen und Rheinland-Pfalz 1981 sowie Bremen 1983, eine entsprechende Standardbefugnis ein. Im Zuge der Änderungen der Polizeigesetze hinsichtlich der Vorschriften über die Datenverarbeitung glichen in einer zweiten Phase 1989 das Saarland, 1990 Hessen, 1991 Hamburg und im Jahre 1992 Berlin und Schleswig-Holstein auch die Platzverweisung an den MEPolG an. Schließlich haben auch die fünf östlichen Bundesländer die Befugnis standardisiert. 12

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

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zeiaufgabengesetz (BayPAG) enthielt bereits 1954 eine spezielle Befugnis zur Platzverweisung, allerdings mit weitaus strengeren Eingriffsvoraussetzungen 14. Die Platzverweisung nach Art. 16 des Bayerischen PAG 1954 diente der Verhinderung und Unterbindung von mit Strafe bedrohter und verfassungsfeindlicher Handlungen 15 . Dabei hatte der bayerische Gesetzgeber, wie der Gesetzesbegründung zu entnehmen ist, vornehmlich die Geschehnisse bei Versammlungen und größeren Menschenaufläufen im Blick 1 6 . Als im Jahre 1970 § 116 StGB a. F., der das „Sich-nichtEntfernen" aus einer unerlaubten Ansammlung unter Strafe stellte, im Zuge der Strafrechtsreform in den Ordnungswidrigkeitentatbestand § 113 OWiG gewandelt wurde, mußte der Platzverweis angepaßt und auf Ordnungswidrigkeiten erstreckt werden 17. Nachdem 197418 schließlich die Möglichkeit des Platzverweises zur Sicherung der Einsätze von Feuerwehr, Hilfs- und Rettungsdiensten hinzugefügt wurde, diente Art. 16 BayPAG in dieser Fassung dem MEPolG als Vorlage 19. Die Notwendigkeit, den Platzverweis als Standardbefugnis zu regeln, wird allerdings häufig in Zweifel gezogen20. Der mit der Maßnahme verbundene Grundrechtseingriff sei „geringfügig" 21 , überdies normiere § 12 MEPolG ohnehin nur dieselben Voraussetzungen wie die Generalklausel, nämlich lediglich das Vorliegen einer „konkreten Gefahr" 22 . Eine gesonderte Norm sei daher an sich überflüssig 23 . Tatsächlich enthalten die speziellen Eingriffsbefugnisse im Katalog der Stan13

So läßt § 116 StGB a. F. (Auflauf auf öffentlichen Straßen) erkennen, daß es die Verweisung als polizeiliche Maßnahme gegeben hat, vgl. dazu Drews/Wacke, § 11, 8 (S. 188). 14 Bayerisches GVB1. 1954 zu Art. 16 PAG 1954, S. 237 (238). 15 Vgl. dazu auch die Begründung zu Art. 16 PAG 1954, Verhandlungen des Bayr. LT, 4. Tagung 1953-1954, Beilagenband 6,4660 v. 06. 10. 1954, Stb BB VII Nr. 220, S. 21. 16

Vgl. die Begründung zu Art. 16 PAG 1954, Verhandlungen des Bayr. LT, 4. Tagung 1953-1954, Beilagenband 6,4660 v. 06. 10. 1954, Stb BB VII Nr. 220, S. 21. 17 Der durch das Strafrechtsbereinigungs- und Anpassungsgesetz v. 31. 07. 1970 (GVB1. S. 345) geänderte Art. 16 BayPAG lautete nunmehr: „Die Polizei kann unter den Voraussetzungen des Art. 5 Abs. 2 jemanden vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihm vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten (Platzverweis)." Ausführlich hierzu die Diskussion zur Strafrechtsreform im Deutschen Bundestag, Sonderausschuß Strafrechtsreform, BT-Prot., 5. WP, 137. und 138. Sitzung, S. 2948 ff. und S. 3005 ff. sowie die dort von den bayerischen Vertretern geäußerten Bedenken im Hinblick auf das Vorhaben, die unerlaubte Ansammlung als Ordnungswidrigkeit zu normieren. Vgl. auch Baumann/Frosch, JZ 1970, 113 ff. und Samper, BayVBl. 1970, 391 ff. i» Bayerisches GVB1. 1974,739 (741); Bayr. LT-Drs. 7/5912, S. 11. 19 Vgl. die Begründung zu § 12 MEPolG bei Heise/Riegel. 1978 wurde der Platzverweis des bayerischen PAG dann endgültig an den MEPolG angeglichen (GVB1. 1978, 561, 564); Bayr. LT-Drs. 8/8134. 20 So vermutlich auch der Gesetzgeber des Landes Baden-Württemberg, der auch bei Neufassung des BWPolG v. 22. 10. 1991 (GBl. S. 625) auf eine spezielle Ermächtigung verzichtete. Es bleibt abzuwarten, ob die Vorschrift bei der anstehenden Novelle aufgenommen wird. 21 So Schütz, zu § 13 PVG, Anm. 1. 22 So Schioer, DÖV 1991, 955 ff., der im übrigen auch in § 19 AEPolG keine Adressatenregelung sieht und deshalb die Vorschrift insgesamt für überflüssig erachtet.

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

dardmaßnahmen im Vergleich zur Generalklausel vielfach eine tatbestandlich präzisere Umschreibung und legen speziellere Eingriffsvoraussetzungen, etwa eine gesteigerte Gefahrenstufe oder eine weitere bzw. engere Adressatenregelung, fest 24 . Allerdings ist die grundrechtliche Relevanz keineswegs der alleinige Grund für die Normierung typisierter Einzelfallregelungen in den Polizeigesetzen. Neben der Grundrechtsrelevanz sind auch die Häufigkeit einer Maßnahme oder deren Praktikabilität in der Verwaltungspraxis Grund für eine Standardisierung. In diesen Fällen dienen die Standardmaßnahmen vor allem dazu, in „alltägliche(n) Entscheidungssituationen ( . . . ) griffigere Normvorgabe(n)" zur Verfügung zu haben25. Zu den Maßnahmen, die vorwiegend wegen ihrer Häufigkeit in den Katalog der Standardbefugnisse aufgenommen wurden und weniger wegen ihrer Grundrechtsintensität, gehört auch der Platzverweis 26. Dieser Regelungsanlaß läßt sich bereits den Materialien zum Bayerischen PAG von 1954 entnehmen: „Art. 16 regelt in der Platzverweisung eine Maßnahme, die der Polizei häufig auf einfache Weise einen Erfolg verbürgt, von ihr deshalb stets angewandt wurde und nun auf eine besondere Rechtsgrundlage gestellt werden soll." 27 Liest man die Begründung zu Art. 16 BayPAG 1954 weiter, so wird deutlich, daß der Platzverweis in erster Linie eine Reaktion auf kurzfristig und punktuell auftretende Gefahrenlagen ermöglichen soll, wie etwa ein Vorgehen gegen hartnäckige Versammlungsstörer. Angesichts dessen ist die spezielle Normierung ein „rechtsstaatlicher Gewinn" 28 . Die Klärung der Reichweite des Platzverweises ist daher, insbesondere in Abgrenzung zu anderen Verweisungsmaßnahmen, von besonderem Interesse. Als Grundlage für die folgende Untersuchung des einfachen Platzverweises dient die Regelung des § 12 MEPolG, wobei jedoch der Blick für die landesrechtlichen Regelungen immer offen bleiben muß. Ein solches Vorgehen bietet sich nicht nur deshalb an, weil derzeit noch die meisten Landespolizeigesetze der Regelung des MEPolG folgen, sondern auch, weil - im Hinblick auf die bisherigen Gesetzgebungsinitiativen der Länder - von diesem Ausgangspunkt aus untersucht werden kann, ob und inwieweit die Vorschrift selbst sowie deren Neuerungen sich tatsächlich als notwendig und sinnvoll oder verfassungsrechtlich geboten erweisen.

23 Wagner, § 12 MEPolG Rdnr. 3. 24 Dazu Heise/Riegel, S. 16 ff.; Riegel, NJW 1980, 1435; Schock, JuS 1994, 479 (483); Götz, NVwZ 1984, 211 (215); Rachor, in: Lisken/Denninger, F Rdnr. 253. 25 Gallwas/Mösle, Rdnr. 614. Schipper, Rdnr. 171. 26 Samper, PAG, Art. 16 Rdnr. 1; Berner, PAG 1969, Anm. 1; Schmidbauer, in: Schmidbauer/Steiner/Roese, Art. 16 Rdnr. 2; Saipa, § 17 Rdnr. 1. 27 Begr. zu Art. 16 PAG 1954, Verhandlungen des Bayr. LT, 4. Tagung 1953-1954, Beilagenband 6,4660 v. 06. 10. 1954, Stb BB VII Nr. 220, S. 21. 28 Vgl. auch Wagner, § 12 MEPolG Rdnr. 3.

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

61

b) Die Tatbestandsvoraussetzungen Nach § 12 MEPolG und den ihm nachgebildeten Vorschriften in den Landespolizeigesetzen kann die Polizei „zur Abwehr einer Gefahr" eine Platzverweisung aussprechen. § 12 S. 1 MEPolG verlangt damit als einzige Eingriffs Voraussetzung das Vorliegen einer Gefahr. Gemeint ist eine einfache, konkrete Gefahr, wie sie Voraussetzung für einen Eingriff in die Freiheitssphäre des Bürgers mittels einer Polizeiverfügung ist. § 8 MEPolG nennt als Eingriffsvoraussetzung eine „im einzelnen Falle bestehende Gefahr", die Polizeigesetze Hamburgs, Mecklenburg-Vorpommerns und Schleswig-Holsteins sprechen von einer „bevorstehenden Gefahr" 29 . Inhaltlich besteht jedoch zu dem Begriff der „konkreten Gefahr" kein Unterschied. Bei beiden Begriffen handelt es sich um eine im einzelnen Falle „bestehende Gefahr" und damit um eine Gefahr, die „konkret" ist 3 0 . Mit dem Begriff der „bevorstehenden Gefahr", zuweilen auch „drohende Gefahr" genannt, wird lediglich die normale zeitliche Nähe des Schadenseintritts bezeichnet in Abgrenzung zu „gesteigerten Gefahren", wie etwa der „unmittelbar bevorstehenden" oder „dringenden Gefahr", die erhöhte Anforderungen an die zeitliche Nähe des Schadenseintritts oder an das gefährdete Rechtsgut dokumentieren 31. Diese, im einzelnen Fall bestehende Gefahr muß, wie den jeweiligen Aufgabenzuweisungsnormen zu entnehmen ist, für ein polizeiliches Schutzgut bestehen32. Die Vorschrift Platzverweis nach § 12 MEPolG normiert damit die klassischen Voraussetzungen eines polizeilichen Eingriffs.

aa) Das Erfordernis der konkreten Gefahr Mit „konkreter Gefahr" ist eine Sachlage gemeint, die im Einzelfall bei ungehindertem Ablauf des Geschehens in absehbarer Zeit die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts für ein polizeiliches Schutzgut in sich birgt 33 . Ist der Schaden bereits eingetreten, liegt eine Störung vor, zu deren Abwehr die Polizei ebenfalls befugt ist, solange von der Störung in die Zukunft wirkende rechtsgutmindernde Gefahren ausgehen34. Schaden im polizeirechtlichen Sinne bedeutet 29 § 3 HambSOG; § 52 Abs. 1 MVSOG; § 201 S. 1 SchlHLVwG. 30 Hansen-Dix, S. 46 f. 31 Habermehl, Rdnr. 67; Hansen-Dix, S. 46. 32 Legaldefinitionen des Begriffs der Gefahr enthalten § 2 Nr. 3 BremPolG, § 54 Nr. 3 ThürOBG und § 3 Nr. 3 a SOG LSA. 33 Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 46. So und ähnlich die allgemein geläufige Definition der Rechtsprechung und Literatur, vgl. BVerwGE 45, 51 (57); VGH Mannheim, VB1BW 1983, 302 (304); NVwZ-RR 1991, 24 (26); Drews/Wacke/Vogel/Martens, § 13, 1 (S. 220); Schoch, JuS 1994, 667; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Rdnr. 278. 34 Schoch, JuS 1994, 667. Zur Abgrenzung zur repressiven Tätigkeit, die nicht mehr Gefahrenabwehr ist, vgl. VGH München, NVwZ 1986, 655 - Platzverweis nach Kirchenbesetzung.

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

eine nicht unerhebliche Minderung eines tatsächlich vorhandenen Bestands von Rechtsgütern durch regelwidrige äußere Einflüsse 35. Bloße Nachteile, etwa der des entgangenen Gewinns, sind daher nicht vom Begriff des Schadens erfaßt 36. Ebenso sind bloße Belästigungen, Unbequemlichkeiten und Geschmacklosigkeiten von dem Begriff des Schadens abzugrenzen37. Sie sind als „unmittelbare Folgen des menschlichen Zusammenlebens" von dem einzelnen hinzunehmen38. Ob eine Beeinträchtigung als schädigend oder bloß belästigend zu qualifizieren ist, läßt sich nur im Einzelfall beurteilen 39, wobei auf das einem „normal empfindsamen Menschen" als zumutbar Erscheinende abzustellen ist 40 . Die Behauptung, insbesondere zum Platzverweis, es müsse „zumindest die Lästigkeitsgrenze überschritten werden" 41 , um von einer Gefahr sprechen zu können, ist wenig ergiebig, wird doch lediglich ein unbestimmter Rechtsbegriff durch einen anderen ersetzt. In die Einzelfallbewertung dessen, was letztlich zumutbar ist, fließen daher Kriterien wie die örtliche Umgebung, die Tageszeit sowie Art und Dauer der Beeinträchtigung ein 42 . Entsprechend dem Zweck polizeilicher Gefahrenabwehr ist für ein Eingreifen maßgebend, ob aus Sicht des handelnden Polizeibeamten eine Gefahr objektiv angenommen werden konnte. Eine Anscheinsgefahr, bei der zum Zeitpunkt des polizeilichen Handelns bei verständiger Würdigung objektive Anhaltspunkte für eine Gefahr vorlagen, es sich im nachhinein aber herausstellt, daß tatsächlich ein Schaden nicht gedroht hat 43 , ist also ausreichend. Die konkrete und auch die Anscheinsgefahr müssen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit drohen. An die Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts sind aber um so geringere Anforderungen zu stellen, je größer und folgenschwerer der mögliche Schaden ist, mit anderen Worten: je bedeutsamer und wertvoller das Rechtsgut des Betroffenen ist 44 . In bestimmten Spezialnormen berücksichtigt der Gesetzgeber umgekehrt auch das Eingriffsgut, indem er bei besonders schutzwürdigen Rechtsgütern als Eingriffsvoraussetzung das Vorliegen einer gesteigerten Gefahr verlangt. Qualifizierte Gefahrenstufen sind Folge einer besonderen Grundrechtsbetroffenheit und damit des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Platzverweis und Generalklausel, deren Anwen35 Drews/Wacke/Vogel/Martens, § 13, 2 a (S. 223); Habermehl, Rdnr. 63; Schenke, in: Steiner, II, Rdnrn. 46 und 53; Schoch, JuS 1994, 667. 36 Drews/Wacke/Vogel/Martens, § 13, 2 a (S. 221 f.); Hansen-Dix, S. 24. 37 Drews/Wacke/Vogel/Martens, § 13, 2 a (S. 221 f.); Denninger, in: Lisken/Denninger; E Rdnr. 30. 38 Adamaschek, S. 102; Ule/Rasch, Teil A, § 1 MEPolG Rdnr. 30. 39 Hansen-Dix, S. 26 ff. sowie Ule/Rasch, Teil A, § 1 MEPolG Rdnr. 30, die zu Recht darauf verweisen, daß sich feste brauchbare Kriterien nicht finden lassen. 40 Hansen-Dix, S. 29; Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 52. 41 Wolf/Stephan, § 3 Rdnr. 26 mit Verweis auf VGH Mannheim, VB1BW 1983, 302 (304). 42 Hansen-Dix, S. 29; vgl. auch Ule/Rasch, Teil A, § 1 MEPolG Rdnr. 30. 43 Zur Anscheinsgefahr siehe bei Schenke, in: Steiner, II, Rdnrn. 57 f. 44 Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 54; BVerwGE 45, 51 (61); 47, 31 (40) - Studentenwohnheim-Fall.

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

dungsvoraussetzungen sich insoweit nicht unterscheiden, müssen daher gegebenenfalls - bei besonderen Rechts- oder Eingriffsgütern - verfassungskonform ausgelegt werden 45.

bb) Die polizeilichen Schutzgüter Die konkrete Gefahr muß für ein polizeiliches Schutzgut bestehen. Polizeiliche Schutzgüter sind die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Der Begriff der öffentlichen Ordnung ist jedoch, insbesondere im Hinblick auf seine dogmatische Berechtigung und praktische Bedeutung, nicht unumstritten. Einige Länder haben auf dieses Schutzgut daher verzichtet 46; ein Platzverweis zur Beseitigung einer Gefährdung oder Verletzung der öffentlichen Ordnung ist dann von vornherein nicht zulässig. (1) Das Schutzgut der öffentlichen

Sicherheit

Der Begriff der öffentlichen Sicherheit umfaßt nach allgemeiner Auffassung die Unverletzlichkeit der geschriebenen Rechtsordnung, die subjektiven Rechte und Rechtsgüter des einzelnen sowie den Bestand und die Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen 47. Schutz der öffentlichen Sicherheit bedeutet zunächst, Sorge dafür zu tragen, daß die objektiv-rechtlichen Ge- und Verbote eingehalten werden. Dieser Schutz bezieht sich in erster Linie auf Normen des öffentlichen Rechts sowie auf drohende Verstöße des Straf- und OrdnungsWidrigkeitenrechts 48. Angesichts der umfassenden Verrechtlichung nahezu aller Lebensbereiche kommt diesem Schutzgut auch für polizeiliche Verweisungen maßgebende Bedeutung zu. Das Wegweisen einer Person zum Schutze der objektiven Rechtsordnung ist nicht nur denkbar als Schutz vor Straftaten, etwa bei gewalttätigen Auseinandersetzungen, häuslicher Gewalt oder bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz auf öffentlichen Plätzen49,

45

Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 26; vgl. auch Kunig, in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 13 Rdnrn. 63 und 68 im Hinblick auf die in Art. 13 Abs. 7 geregelte Voraussetzung einer „dringenden Gefahr". 4 6 So § 1 Abs. 1 BremPolG; § 1 NWPolG (nicht dagegen im NWOGB); § 1 Abs. 2 SaarPolG; § 162 Abs. 1 SchlHVwG; §§ 1 Abs. 2, 2 Abs. 1 NGefAG. Die neuen Bundesländer haben in ihren Polizei- und Ordnungsgesetzen dieses Schutzgut aufgenommen. 47 Denninger, in: Lisken / Denninger, E Rdnr. 6; Drews/Wacke/ Vogel /Martens, § 15, 1 (S. 232); Mußmann, Polizeirecht, Rdnr. 143; Schenke, in: Steiner, II, Rdnrn. 30 ff.; Schoch, JuS 1994, 570 ff.; Gusy, Polizeirecht, Rdnr. 83; Möller/Wilhelm, S. 32; Würtenberger/Heckmann/ Riggert, Rdnr. 272. Vgl. auch VG Bremen, Urt. v. 29. 05. 1997, Az.: 149/96 (S. 12). Die Polizeigesetze Bremens und Sachsen-Anhalts enthalten entsprechende Legaldefinitionen, vgl. § 2 Nr. 2 BremPolG und § 3 Nr. 1 SOG LSA. 48

Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 36; Würtenberger/Heckmann/Riggert,

Rdnr. 276.

. Teil: Rechtsgrundlagen

sondern ebenso zur „Durchsetzung" bestimmter Verhaltensgebote oder Konkretisierung spezialgesetzlich geregelter Betretungs- oder Entfernungsgebote. Als Teil der objektiven Rechtsordnung werden freilich auch Privatrechtsnormen sowie die Grundrechte 50 vom Schutzgut der öffentlichen Sicherheit erfaßt. Beeinträchtigungen der Individualrechtsgüter wie Leben, Gesundheit, Freiheit, Eigentum und Vermögen gefährden ebenso die öffentliche Sicherheit. Der Schutz individueller Rechte und Rechtsgüter ist jedoch, soweit sie sich in subjektiven Privatrechten finden, primär den ordentlichen Gerichten vorbehalten. Polizei- und ordnungsbehördliches Handeln ist daher subsidiär 51, wenn nicht zugleich ein Verstoß gegen öffentlichrechtliche Normen, insbesondere gegen Strafrechtsnormen, vorliegt. Der Schutz der Individualrechtsgüter verlangt überdies, daß hieran ein öffentliches Interesse besteht52. Ein solches liegt immer dann vor, wenn die Individualrechtsgüter einer unbestimmten Vielzahl von Personen bedroht werden, aber auch dann, wenn ein einzelner „quasi als Repräsentant der Allgemeinheit gefährdet ist" 5 3 . Grund für das Verlangen eines öffentlichen Interesses ist, daß im Hinblick auf das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG in gewissen Grenzen ein Recht zur Selbstgefährdung zugestanden wird 5 4 . Die Grenze selbstgefährdenden Verhaltens liegt jedoch dort, wo „sich der Selbstgefährdende in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Geisteszustand oder in hilfloser Lage befindet" oder wo mit der Gefährdung eigener Rechte eine Gefährdung Dritter einhergeht 55 . Unter dem Aspekt des Schutzes von Individualrechtsgütern kommen Aufenthaltsbeschränkungen zum Schutze des von der Maßnahme Betroffenen selbst in Betracht. So etwa bei der Absperrung eines Bereichs zwecks Entschärfung explosiver Gegenstände56, bei Bombenalarm 57, aber auch bei einer Selbstgefährdung des49 Dies gilt sowohl für die einzelnen Verstöße gegen das BtmG als auch für die offenen Drogenszenen an sich, die überwiegend als polizeiliche Gefahr eingestuft werden, vgl. VGH Mannheim, VB1BW 1997, 66 (67); Haseloff-Grupp, VB1BW 1997, 161 (162); Alberts/Merten/Rogosch, § 3 Rdnr. 20; auch Cremer, NVwZ 2001,1218 (1219). Vgl. dazu 2. Teil, A. II. 1. 50 Für die Grundrechte ist dies streitig. Grundrechte sind eigentlich Abwehrrechte gegen den Staat. Gleichwohl wird man auch die ungestörte Ausübung der Grundrechte als Schutzgut der öffentlichen Sicherheit ansehen müssen, zumindest bei denjenigen Grundrechten, deren Ausübung durch Dritte gestört werden kann, vgl. dazu Möller/Wilhelm, S. 33 und 38; Götz, Polizeirecht, 11. Aufl., Rdnr. 87. 51 Ausdrückliche Regelungen treffen insoweit § 2 Abs. 2 BWPolG; Art. 2 Abs. 2 BayPAG; § 4 Abs. 2 BlnASOG; § 1 Abs. 2 BbgPolG; § 1 Abs. 2 BremPolG; § 1 Abs. 3 HSOG; § 1 Abs. 3 NGefAG; § 1 Abs. 2 NWPolG; § 1 Abs. 2 RhPfPOG; § 1 Abs. 3 SaarPolG; § 2 Abs. 2 SächsPolG; § 175 SchlHVwG; § 2 Abs. 2 ThürPAG; § 1 MEPolG; § 3 AEPolG. 52

Vgl. z. B. § 1 Abs. 1 S. 1 BWPolG. Das Erfordernis eines öffentlichen Interesses folgt aber bereits aus dem Begriff der öffentlichen Sicherheit, vgl. Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 33. 53 Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 33. 54 Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 34; VGH Mannheim, VB1BW 1998, 25 (26) - Tauchverbot am Teufelstisch. 55 Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 34; BVerfGE 58, 208 (225); VGH Mannheim, VB1BW 1998, 25 ( 26). Vgl. auch in diesem Teil, A. I. 1. e).

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen jenigen, der trotz einer ernsthaft bestehenden Gefahr ein gefährdetes Gebiet betritt oder zu betreten beabsichtigt. Schließlich schützt das Schutzgut der öffentlichen Sicherheit auch den Bestand des Staates, seiner Einrichtungen und die von ihm abgehaltenen Veranstaltungen vor Gefahren, die dem Staat von außen drohen. Platzverweise sind denkbar in Form von Absperrungen bei Staatsbesuchen 58 , Manövern und Paraden 59 . Daneben kommen, beispielsweise bei Blockadeaktionen vor öffentlichen Einrichtungen, Platzverweise und Zutrittsverbote in Betracht, um die Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen zu gewährleisten oder wiederherzustellen 60 . Der Schutz zielt also auch auf die Gewährleistung des ordnungsgemäßen Betriebs dieser Einrichtungen 6 1 . Ebenso wie der Schutz von Individualrechtsgütern ist auch dieses Schutzgut größtenteils über die geschriebene Rechtsordnung Bestandteil der öffentlichen Sicherheit und sein originärer Anwendungsbereich daher entsprechend gering 6 2 . A u f einen klassischen Anwendungsbereich des Platzverweises zum Schutze der Funktionsfähigkeit staatlicher Organe weist § 12 S. 2 MEPolG hin, wobei allerdings hier eine entsprechende Verweisung gegenüber Schaulustigen auch i m Hinblick auf § 323 c StGB in Betracht käme. Für Störungen repressiver Amtshandlungen enthält § 164 StPO eine Spezialvorschrift.

56

Häufig müssen aufgefundene Fliegerbomben aus dem 2. Weltkrieg entschärft werden. Dies erfordert, daß der gesamte Umkreis des Gebietes, in dem sich die Bombe befindet, für einige Stunden vollständig abgesperrt und geräumt wird. Anwohnern wird in der Regel eine Möglichkeit des vorübergehenden Aufenthalts, etwa in Schulen oder Turnhallen, zur Verfügung gestellt. 57

Vgl. OLG Stuttgart, NJW 1992, 1396 - Räumung einer Diskothek nach Bombendrohung; dazu Heckmann/Klein, JuS 1995, 327 ff. 58 Z. B. die vorübergehende Absperrung eines Streckenabschnittes der Autobahn beim Besuch von Staatsoberhäuptern; vgl. auch BVerfG, VB1BW 1988, 56 ff. - Honecker-Besuch. Hier wurde der Bereich vor dem Wohnhaus der Schwester Erich Honeckers polizeilich abgesperrt, nachdem anläßlich des Besuches des ehemaligen Staatsoberhauptes der DDR eine Mahnwache vor dem Haus der Schwester angekündigt worden war. 59 Lorentz-Link, S. 85; Götz, Polizeirecht, 12. Aufl., Rdnr. 118; Habermehl, Rdnr. 90; Schoch, JuS 1994, 570 (571). 60 Vgl. VGH Mannheim, VB1BW 1986, 305 (306); Belz/Mußmann, § 1 Rdnr. 13. 61 Umstritten ist, ob gegen denjenigen, der am Straßenrand andere Autofahrer vor Radarkontrollen warnt, ein Platzverweis zum Schutze der Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen erteilt werden darf. Dies wird häufig mit der Begründung bejaht, die Warnung beeinträchtige die ordnungsgemäße Durchführung präventiv-polizeilicher Aufgaben auf dem Gebiet der Verkehrsüberwachung und stelle daher eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar, so das OVG Münster, NJW 1997, 1596. Die Gegenauffassung verneint eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit mit der plausiblen Begründung, daß dieses Verhalten ebenso wie die Tätigkeit der Polizei dazu diene, Rechtsverstöße zu vermeiden, vgl. Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 37; kritisch auch Schoch, JuS 1994, 570 (572). 62 So z. B. die §§ 81 ff., 113 f., 123 ff. StGB; ausführlich dazu Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 38, der als einen echten Anwendungsfall der Funktionsfähigkeit des Staates die Auslösung eines Fehlalarms nennt.

5 Neuner

2. Teil: Rechtsgrundlagen

Von polizeilichen Maßnahmen zum Schutze staatlicher Einrichtungen und deren Funktionsfähigkeit sind diejenigen Maßnahmen zu unterscheiden, die eine Behörde aufgrund eigener Befugnis zur Abwehr funktionsbeeinträchtigender Störungen treffen kann. Gemeint sind das öffentlich-rechtliche Hausrecht und die öffentlichrechtliche Ordnungsgewalt 63. Es handelt sich dabei um das Recht eines Behördenvorstandes, über die Abwehr von Störungen sowie über Zutritt und Verweildauer von Besuchern in den Räumlichkeiten seiner Herrschaftsgewalt zu entscheiden, um den geordneten Verwaltungsablauf zu sichern 64. Teilweise existieren hierfür ausdrückliche Rechtsgrundlagen, im übrigen ist das Hausrecht gewohnheitsrechtlich anerkannt 65. Ein auf das öffentlich-rechtliche Hausrecht gestütztes Zutritts verbot ist, wie der Platzverweis auch, ein Verwaltungsakt 66. Da das Hausrecht jedoch ausschließlich dem Behördenleiter zusteht, ist es keine allgemeinpolizeiliche Maßnahme67 und damit vom Platzverweis abzugrenzen. Diese Abgrenzung soll an dieser Stelle kurz skizziert werden, weitergehend ist auf die bereits ausführlichen Darstellungen des behördlichen Hausrechts in der Literatur zu verweisen 68. Aufschluß darüber, ob eine hausrechtliche Maßnahme oder ein Platzverweis vorliegt, kann zunächst die handelnde Person geben. Die Maßnahme eines nicht den allgemeinen Polizeibehörden angehörenden Hoheitsträgers kann kein Platzverweis sein 69 . Das behördliche Hausrecht ist zudem auf Maßnahmen innerhalb der Behördenräume beschränkt. Zum Erlaß von Maßnahmen, die der Abwehr von außen herrührender Störungen des ordnungsgemäßen Ablaufs der Verwaltung dienen, sind ausschließlich die Polizei- und Ordnungsbehörden befugt 70 . Polizeiliche Verweisungen sind daher möglich gegenüber Personen, die den Verwaltungsbetrieb von außen, etwa durch wiederholte Ruhestörungen, beeinträchtigen. Das Hausrecht als solches kann jedoch im Rahmen allgemeinpolizeilicher Gefahrenabwehr unter dem Aspekt der Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen Schutzgut der öffentlichen Sicherheit sein, wenn es selbst oder seine Durchsetzung gefährdet ist. Ein Tätigwerden der Polizei kommt allerdings nur bei Gefahr im Verzug oder auf Anforderung der Behörde in Betracht, um ein Einmischen in den Kompetenzbereich der Behörde zu vermeiden 71.

63 Dazu OVG Bremen, NJW 1990, 931 ff. - Zutrittsverbot zum Bremer Rathaus. 64 Ule/Rasch, Teil A, § 1 MEPolG Rdnr. 34; Wagner, § 12 MEPolG Rdnr. 11; Götz, Polizeirecht, 11. Aufl., Rdnr. 85. 65 Vgl. § 89 VwVfG und § 36 Abs. 1 BWGemO. Seinen Rechtsgrund hat das Hausrecht in erster Linie in den Besitzschutzbestimmungen des BGB, vgl. Engeln, S. 138. 66 Ule/Rasch, Teil A, § 1 MEPolG Rdnr. 34. 67 Der Behördenleiter ist insoweit spezielle Ordnungsbehörde, vgl. Engeln, S. 138. 68 So z. B. bei Engeln, hierzu insbesondere S. 127 ff. 69 Engeln, S. 138 f. 70 Wagner, § 12 MEPolG Rdnr. 17; Ule/Rasch, Teil A, § 1 MEPolG Rdnr. 35. 71 Denninger, in: Lisken/Denninger, E Rdnr. 12; Engeln, S. 138; Götz, Polizeirecht, 11. Aufl., Rdnr. 86; Ule/Rasch, Rdnr. 35.

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

(2) Das Schutzgut der öffentlichen

67

Ordnung

Während sich der mögliche Anwendungsbereich für polizeiliche Verweisungen bei Gefahren für die öffentliche Sicherheit noch relativ leicht bestimmen ließ, wirft das Schutzgut der öffentlichen Ordnung, das gemeinhin „die Regeln der Sitte und Moral" verteidigt, größere Probleme auf. Einerseits ist fraglich, ob und inwieweit das Festhalten am Schutzgut der öffentlichen Ordnung im Hinblick auf seine praktische Bedeutung und die ihm entgegengebrachte Kritik überhaupt noch zeitgemäß ist. Andererseits wird derzeit zunehmend auf dieses Schutzgut zur Rechtfertigung polizeilicher Maßnahmen zurückgegriffen, wenn auch - worauf Kritiker zu Recht hinweisen - oftmals ohne Not, da sich häufig zusätzlich ein Eingriff in die öffentliche Sicherheit bejahen läßt 72 . Es sind vornehmlich die sozial- und gesellschaftspolitischen Konflikte, wie der Daueraufenthalt von Stadtstreichern, Mitgliedern der innerstädtischen Drogenszenen sowie die Aufmärsche rechtsextremistischer Gruppierungen, zu deren Lösung das Schutzgut der öffentlichen Ordnung derzeit bemüht wird 7 3 . Insoweit werden auch Maßnahmen wie Platzverweise und Aufenthaltsverbote als mögliche Eingriffsmaßnahmen diskutiert und praktiziert. Nach tradiertem Verständnis umfaßt das Schutzgut der öffentlichen Ordnung „die Gesamtheit der ungeschriebenen Regeln, deren Befolgung nach den jeweils herrschenden sozialen und ethischen Anschauungen als unerläßliche Voraussetzung für ein geordnetes menschliches Zusammenleben innerhalb eines bestimmten Gebietes angesehen wird." 7 4 Der Begriff der öffentlichen Ordnung wird also durch Sozialnormen ausgefüllt, die die Moral- und Wertvorstellungen der Mehrheit in einer Gemeinschaft zum Ausdruck bringen 75. Sie können daher nicht nur örtlich unterschiedlich geprägt sein, sondern auch angesichts der von Generation zu Generation veränderten Anschauungen einem ständigen zeitlichen Wandel unterliegen. Wegen der daraus resultierenden mangelnden Vörhersehbarkeit verbotenen Handelns sind Bedenken im Hinblick auf das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot76 nicht ungeprüft von der Hand zu weisen. Im Zentrum der Kritik an dem Begriff 72 So bejahen auch die meisten Entscheidungen zunächst eine Verletzung der öffentlichen Sicherheit und stellen daneben einen Eingriff in die öffentliche Ordnung fest, vgl. z. B. VG Halle, NVwZ 1994, 719 (720) bzgl. der Verharmlosung der nationalsozialistischen Diktatur bei einer rechtsextremistischen Versammlung; ebenso VGH Kassel, NVwZ 1994, 87; vgl. dazu auch Alberts/Merten/Rogosch, § 3 Rdnr. 20. 73 Für die offene Drogenszene: VG Hamburg, Urt. v. 07. 12. 1994, Az.: VG 3235/92, S. 11 f., dazu Alberts/Merten/Rogosch, § 3 Rdnr. 20. Für rechtsextremistische Versammlungen: BVerfG, NJW 2001, 1409 ff. 74 Diese Definition geht auf die Begründung zu § 14 PreußPVG zurück, Schoch, JuS 1994, 570 (574); vgl. auch Drews/Wacke/Vogel/Martens, § 16,1 (S. 245); Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 40; BVerfGE 69, 315 (552); BVerwG, NJW 1980, 1640 (1641). Ähnlich lautende Legaldefinitionen finden sich mittlerweile in den neueren Polizeigesetzen z. B. in § 3 Nr. 2 SOG LSA sowie in § 54 Nr. 2 ThürOBG. 7 5 Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 40; Schoch, JuS 1994, 570 (574 f.). 7 * Götz, Polizeirecht, 12. Aufl., Rdnr. 127; Lisken, ZRP 1990, 15 (17); Mußmann, Polizeirecht, Rdnr. 159. 5*

2. Teil: Rechtsgrundlagen

steht aber der Gedanke, es sei mit dem Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG nicht vereinbar, daß „eine Mehrheit den Minderheiten ihre sozialethischen Auffassungen" aufzuzwingen versuche, ohne daß diese durch ein verfassungsmäßiges Gesetz beschlossen seien77. Das Demokratieprinzip verpflichte den Gesetzgeber, die wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen und nicht der Verwaltung zu überlassen78. Die Regelung des geordneten sozialen Zusammenlebens obliege daher dem Gesetzgeber, nicht etwa der Polizei 79 . Insgesamt hat die öffentliche Ordnung als Schutzgut der Gefahrenabwehr in den letzten Jahren an Bedeutung verloren 80. Angesichts der im modernen pluralistischen Staat anzutreffenden Vielfalt an Wertvorstellungen und einer zunehmenden Toleranz und auch Akzeptanz gegenüber Andersdenkenden und -handelnden lassen sich die ungeschriebenen mehrheitlichen Anschauungen oft nur schwer oder gar nicht ermitteln 81 . Bestehende mehrheitlich anerkannte sozialethische Vorstellungen werden überdies zumeist verrechtlicht 82, so daß entsprechende polizeiliche Gefahren ohnehin vom Schutzgut der öffentlichen Sicherheit erfaßt werden. Daneben engen verfassungsrechtliche Erwägungen den Raum für eine Anwendung des Schutzgutes der öffentlichen Ordnung ein. So können Verhaltensweisen, die grundrechtlich vorbehaltlos geschützt sind und daher nur durch kollidierendes Verfassungsrecht einschränkbar sind, von vornherein nicht gegen die ungeschriebenen Regeln der öffentlichen Ordnung verstoßen 83. Darüber hinaus sehen selbst prinzipielle Befürworter des Schutzguts der öffentlichen Ordnung dieses als nicht geeignet an, besonders schwerwiegende Grundrechtseingriffe, wie etwa den Gewahrsam oder die Auflösung und das Verbot einer Versammlung, zu rechtfertigen 84, da das Schutzgut zumindest gleichwertig sein muß. Gleiches gilt entgegen dem Wortlaut

77 Denninger, in: Lisken / Denninger, E Rdnr. 26; Hecker, Die Regelung des Aufenthalts, S. 8; Störmer, Die Verwaltung 1997, 233 ff. 7 « BVerfGE 34, 165 (192); 40, 237 (249); 45, 400 (418); 47, 46 (79); 58, 257 (272). Zur Wesentlichkeitsrechtsprechung unten 2. Teil, A. II. 3. b) aa). 79 Hecker, Die Regelung des Aufenthalts, S. 8 ff.

so Allgemein dazu Götz, NVwZ 1994, 652 (656). 81 Schenke, in: Steiner, II, Rdnrn. 42 ff.; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Rdnr. 277. 82 Z. B. die Vorschriften des StGB; des OWiG, insbesondere normiert § 118 OWiG den Schutz der öffentlichen Ordnung; die Lärmschutzvorschriften des BImSchG; Feiertagsgesetze. 83 Dies ist allgemein anerkannt, vgl. bei Schoch, JuS 1994, 570 (575); Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 42; Stern, III /1, § 74, II 4, S. 1352. 84 Für den Gewahrsam: Stoermer, S. 69; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Rdnr. 236 (Fn. 158); Drews/Wacke/Vogel/Martens, § 12, 6 a (S. 197 f.); Rachor, in: Lisken/Denninger, F Rdnr. 496; vgl. auch die Landespolizeigesetze, die, mit Ausnahme von § 28 Abs. 1 Nr. 1 BWPolG, vom Schutzgut der öffentlichen Ordnung in den Gewahrsamsvorschriften Abstand genommen haben. Für die Auflösung und das Verbot einer Versammlung: BVerfGE 69, 315 (353) - Brokdorf. Nach neuerer BVerfG-Rspr., 1 BvQ 9/01 v. 26. 1. 2001, NJW 2001, 1409 (1410) gilt dies jedoch nicht für unterhalb der Schwelle von Auflösung und Verbot angesiedelte Auflagen und beschränkende Verfügungen.

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

auch für Eingriffe in Art. 13 GG 8 5 . Soweit mit einer aufenthaltsbeschränkenden Maßnahme ein Eingriff in das Grundrecht der Freizügigkeit verbunden ist, ergibt sich die Unzulässigkeit eines Eingriffs zugunsten der öffentlichen Ordnung bereits daraus, daß Art. 11 Abs. 2 GG keinen allgemeinen Vorbehalt zugunsten der öffentlichen Sicherheit und Ordnung enthält. Schließlich sind im Umgang mit dem Schutzgut der öffentlichen Ordnung noch zwei weitere Aspekte zu berücksichtigen: Zum einen hat der Gesetzgeber durch Aufgabe bestimmter Straftatbestände zu erkennen gegeben, daß er bestimmte Verhaltensweisen als entkriminalisiert betrachtet. Als Beispiel dient die Streichung des Straftatbestandes der Landstreicherei 86. Die Verbannung der Landstreicherei aus den Innenstädten darf nun nicht über die Schiene des Polizeirechts versucht werden 87. Dies gilt auch an Orten, die wegen ihrer besonderen wirtschaftlichen Struktur, wie etwa Kurorte, „besonderen Wert auf die Erhaltung und Anziehungskraft für Besucher und Gäste legen" 88 . Zum anderen muß genau geprüft werden, ob überhaupt eine Gefahr im polizeirechtlichen Sinne vorliegt. Wie bereits dargelegt, stellt nicht jede Beeinträchtigung zugleich eine polizeirechtliche Gefahr dar. Vielfach wird nämlich in einem Verhalten, das gerade die öffentliche Ordnung betrifft, lediglich eine bloße Belästigung liegen. Konflikte mit politisch und gesellschaftlich Andersdenkenden, die oftmals als unangenehm empfunden werden können, sind als Bestandteil der Gesellschaft vom einzelnen grundsätzlich hinzunehmen. Allein das äußere Erscheinungsbild rechtfertigt daher mangels konkreter Gefahr kein polizeiliches Einschreiten mittels Platzverweises 89. Die Häufigkeit und Dauer von Belästigungen können jedoch die Grenze zur Gefahr überschreiten 90. Gerade beim Schutzgut der öffentlichen Ordnung ist daher eine genaue Differenzierung zwischen Belästigung und Gefahr erforderlich. Das Schutzgut der öffentlichen Ordnung erfüllt derzeit eine - wie neuere Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts zu rechtsextremistischen Versammlungen zeigen91 - nicht unwichtige „Reservefunktion" im Bereich gesetzlicher Lücken 92 . Prophylaktische Gründe sprechen daher für die Beibehaltung dieses Schutzguts, „um neuartige und atypische Gefährdungen polizeirechtlich zu be-

85 Kunig, in: v.Münch / Kunig, GG Bd. 1, Art. 13 Rdnr. 66. 86 Vgl. 2. schriftlicher Bericht des Sonderausschusses Strafrechtsreform v. 23. 04. 1969, BT-Drs. 5/4095, S. 48. 87 So auch VGH Mannheim, NVwZ 1984, 509 ff. = VB1BW 1983, 302 (304). 88

VGH Mannheim, NVwZ 1984, 509 = VB1BW 1983, 302. S9 So bzgl. Drogenabhängiger VG Hamburg, Urt. v. 07. 12. 1994, Az.: 14 VG 3235/92; bzgl. Landstreichern vgl. Jochum/Rühle, H Rdnr. 51; bzgl. Punks VG Karlsruhe, B. v. 07. 08. 2002, Az.: 12 K 2595/02. 90 Lesting, KJ 1997, 214 (217). Vgl. auch oben 2. Teil, A. I. 1. b) aa). BVerfG, NJW 2001, 1409 (1410) - rechtsextremistische Versammlung am HolocaustGedenktag. 92 So z. B. Schoch, JuS 1994, 570 (575).

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

kämpfen, ehe daß erst der Gesetzgeber bemüht werden muß." 93 Dieser Auffassung stehen auch verfassungsrechtliche Gründe nicht entgegen. Unbestimmte Rechtsbegriffe rufen regelmäßig gewisse rechtsstaatliche Bedenken hervor. Der Begriff der öffentlichen Ordnung hat jedoch durch das Polizeirecht einen hinreichend klaren Inhalt erlangt. Das Bundesverfassungsgericht hält, ebenso wie die Instanzgerichte, die polizeiliche Generalklausel insgesamt für unbedenklich, „weil sie in jahrzehntelanger Entwicklung durch die Rechtsprechung und Lehre nach Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend präzisiert, in ihrer Bedeutung geklärt und im juristischen Sprachgebrauch verfestigt ist." 9 4 Darüber hinaus ist es gesetzgebungstechnisch nicht ungewöhnlich, daß ein Tatbestand an gesellschaftliche Wertvorstellungen anknüpft, sei es über die „guten Sitten" des § 138 BGB oder über „Treu und Glauben" nach § 242 BGB. Der Begriff der öffentlichen Ordnung wird im übrigen auch im Verfassungsrecht 95, einfachen Gesetzesrecht96 und Internationalen Recht 97 ohne Bedenken verwendet. Die bei der Feststellung der Mehrheitsauffassungen auftretenden Schwierigkeiten gebieten aber eine zurückhaltende Handhabung im Umgang mit dem Schutzgut der öffentlichen Ordnung 98. Läßt sich eine eindeutige Mehrheitsauffassung nicht ermitteln, ist ein Eingriff zugunsten der öffentlichen Ordnung nicht gerechtfertigt.

cc) Schlußfolgerungen für Platzverweise Der weit gefaßte Tatbestand eröffnet einen scheinbar breiten Anwendungsbereich für die Maßnahme Platzverweis. Der Wortlaut der Vorschrift ist offen für Verweisungen, gleichgültig, wovon die Gefahr ausgeht - von Menschen, Sachen oder Naturereignissen 99. Insoweit besteht zu der Generalklausel kein Unterschied. Lediglich weist der Umstand, daß das Mittel der Gefahrenabwehr die Entfernung eines Menschen ist, darauf hin, daß die Gefahr und die zu verweisende Person in einer räumlichen Beziehung stehen müssen. Die Person muß also an dem Ort, von dem sie verwiesen wird, anwesend sein oder sie muß im Begriff sein, diesen Ort zu betreten. Ansonsten sieht der Tatbestand, wie die Generalklausel, keine explizite Einschränkung vor. 93 Tettinger, Rdnr. 307; Stornier, Die Verwaltung 1997, 233 (237). 94 BVerfGE 54, 143 (144 f.); bestätigend zu § 15 VersG in BVerfGE 69, 315 (352 ff.) Brokdorf. Entsprechendes gilt auch für § 118 OWiG, wonach Verstöße gegen die öffentliche Ordnung bußgeldbewährt sind. 95 Vgl. Art. 35 Abs. 3 GG; Art. 13 Abs. 7 GG, hierzu aber, Kunig, in: v.Münch /Kunig, GG Bd. 1, Art. 13 Rdnr. 66. 96 Vgl. § 15 VersG; § 45 Abs. 1 AuslG; § 71 a GewO; § 19 GaststättenG. 97 Z. B. Art. 8 Abs. 2 und Art. 9 Abs. 2 EMRK; Art. 2 Abs. 3 des 4. Protokolls zur EMRK; Art. 36 EGV Art. 48 EGV (Freizügigkeit der Arbeitnehmer). Vgl. hierzu auch Schock, JuS 1994,570 (575). 98 Schock, JuS 1994, 570 (575); Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 42. 99 Anders in § 19 AEPolG.

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

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Der bloße Aufenthalt kann dann zu einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung führen, wenn durch ihn gegen Normen des öffentlichen Rechts verstoßen wird, etwa gegen gesetzlich normierte Aufenthaltsverbote oder Widmungszwecke bestimmter Plätze. Die Wahl des Aufenthaltsorts kann auch zu einer Gefahr in Form der Fremd- oder Selbstgefährdung führen 100 , etwa weil an dem gewählten Ort für Menschen eine Gefahr besteht oder der Aufenthalt mit Rechtsgütern anderer kollidiert. Gefahrenlagen, die sich durch die Entfernung von Personen beseitigen ließen, sind zahlreiche denkbar. Tagelang andauernde Naturkatastrophen verlangen ebenso eine Absperrung des betroffenen Gebietes wie ein Rettungseinsatz von nur wenigen Stunden an einer Unfallstelle. Gleichwohl ist es - trotz der Weite des Tatbestandes - nicht zwingend, daß die Vorschrift Platzverweis jede dieser Gefahrenlagen, insbesondere auch solche, die von längerer Dauer sind, erfassen will. Es wird nun zu klären sein, ob sich durch die Rechtsfolge des §12 MEPolG, der den Platzverweis nur „vorübergehend" zuläßt, die Reichweite und der Anwendungsbereich der Vorschrift konkretisieren lassen. Darüber hinaus können sich Begrenzungen der Vorschrift aus Sinn und Zweck, den spezialgesetzlich geregelten Verweisungsmaßnahmen und vor allem aus Art. 11 GG ergeben.

c) Die Rechtsfolge des Platzverweises Ausnahmslos alle Bundesländer sehen entsprechend § 12 MEPolG als Rechtsfolge des einfachen Platzverweises die Möglichkeit vor, eine Person vorübergehend von einem Ort zu verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes zu verbieten. Über den genauen Inhalt dieser Rechtsfolge herrscht jedoch wenig Klarheit: Wie lange darf ein Platzverweis andauern, was bedeutet „vorübergehend"? Wohin darf der Betroffene verwiesen werden? Welchen Umfang darf der abgesperrte Bereich haben - ein Platz, eine Straße, ein Stadtteil oder auch ein ganzes Stadtgebiet? Die Rechtsfolge enthält unbestimmte Rechtsbegriffe, die der Konkretisierung bedürfen. Ihre Klärung ist angesichts der tatbestandlichen Weite der Vorschrift von erheblicher Bedeutung. aa) Der Begriff „vorübergehend" die örtliche Begrenzung des Platzverweises Das Adjektiv „vorübergehend" bedeutet „nur zeitweilig, nur eine gewisse Zeit dauernd" 101 . Der Begriff der vorübergehenden Maßnahme ist daher zunächst weit abzugrenzen als Gegensatz zu endgültigen Maßnahmen102. Nicht unter die Stan100

Hecker, Die Regelung der Aufenthalts, S. 34. Duden, Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 10. 102 Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 92; Alberts/Merten/Rogosch, § 12 a Rdnr. 1; Berg/ Knape/Kiworr, § 29 A. 2; Bernet/Groß/Mende, § 31 Rdnr. 2; Wagner, § 12 MEPolG Rdnr. 6; Honnacker / Beinhof er, Art. 16 Anm. 4; Knemeyer, Rdnr. 40. 101

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

dardmaßnahme Platzverweis fallen damit Maßnahmen, die zwar auch eine Verweisung bezwecken, aber nicht „vorüber-gehend" sind, weil sie einen endgültigen, abschließenden Charakter haben. Die gegenüber Hausbesetzern verfügte Räumung ist daher kein Platzverweis 103. Eine weitere Einengung des Begriffs ergibt sich aus dem allgemeinen Sprachgebrauch. „Vorübergehend" hat auch die Bedeutung von „kurzfristig", „nicht lange dauernd" oder „nur für den Übergang" 104 . Ausgeschlossen sind demnach auch dauerhafte Maßnahmen, also solche, die „beständig" sind oder „einen langen Zeitraum überdauern", ohne endgültig zu sein 105 . Fest steht damit, daß Aufenthaltsverbote von mehreren Monaten Dauer nicht mehr unter den Begriff „vorübergehend" subsumiert werden können. Dies ist, wie einleitend ausgeführt, nahezu unstreitig. Eine genaue Aussage über die exakte zeitliche Obergrenze des nur vorübergehenden - kurzfristigen - Platzverweises ist damit aber noch nicht gewonnen, denn es wird lediglich ein unbestimmter Rechtsbegriff durch einen anderen ersetzt. Teilweise wird versucht, den zeitlichen Umfang durch eine konkrete Zeitangabe exakt zu bestimmen. Während Denninger 106 und Berner/Köhler 107 einen Platzverweis oder ein Betretungsverbot für nur kurze Dauer, „allenfalls wenige Stunden" zulassen wollen, halten Latzel/Lustina 108 in Anlehnung an die zulässige Höchstgrenze einer polizeilichen Freiheitsentziehung ein Betretungsverbot von zwei Wochen noch auf der Rechtsgrundlage des polizeilichen Platzverweises für zulässig. Dazwischen werden Platzverweise, die etwa 24 Stunden umfassen 109 oder „wenige Tage" andauern 110, als „vorübergehend" betrachtet. Von einem zeitlich sehr engen Verständnis des Begriffs „vorübergehend" scheint auch der Gesetzgeber in Sachsen-Anhalt auszugehen, wenn selbst ein Aufenthaltsverbot nach § 36 Abs. 2 SOG LSA je nach Art der Gefahr nur maximal drei bis vierzehn Tage andauern darf. Anderer Auffassung nach lasse sich eine zeitliche Obergrenze des vorübergehenden Platzverweises nicht generell festlegen. Entsprechend dem allgemeinen Rechtsgedanken, daß der Dauer einer polizeilichen Maßnahme durch die Erreichung des mit ihr verfolgten Zwecks eine Grenze gezogen werde, hinge auch die Dauer eines Platzverweises von der Dauer der Gefahrenlage bzw. von der Dauer

103 A. A. Degenhart, JuS 1982, 330 (332). 104 Vgl. Der Duden, Bd. 10; Der Duden, Bd. 8. i° 5 Vgl. Duden, Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 2, Stichwort: „dauerhaft". 106 Denninger, in: Lisken / Denninger, E Rdnr. 15 „höchstens einige Stunden, es sei denn, es handelt sich um länger andauernde Rettungsarbeiten." 107 Berner/Köhler, 16. Aufl., Art. 16 Rdnr. 1; ebenso Sommer, S. 199. i° 8 Latzel/Lustina, Die Polizei 1995, 131 (134); zustimmend Stephan, in: Stokar/Gössner, S. 51. 109 Hecker, Die Regelung des Aufenthalts, S. 64; Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 92. ho Beiz, § 21 Rdnr. 4; vgl. auch BayObLG, NVwZ 2000, 467 - dreitägiges Verbot aufgrund Art. 16 BayPAG, die Insel Lindau zu betreten.

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

des Einsatzes der Rettungsdienste nach § 12 S. 2 MEPolG ab 1 1 1 . „Vorübergehend" bedeute danach, „bis der Zweck erreicht ist". Der Platzverweis könne daher durchaus auch tagelang andauern 112 oder sich auf einige Wochen erstrecken, wobei Kay 1 1 3 eine Verfügung an einen Dealer, eine bestimmte Straße in den nächsten vier Wochen nicht zu betreten, als noch von der Vorschrift Platzverweis nach § 12 MEPolG erfaßt sieht. Auch Altschaffel 114 mißt dem Begriff „vorübergehend" keine über den allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hinausgehende Bedeutung zu. Der Begriff sei redaktioneller Natur, denn alle polizeilichen Eingriffsmaßnahmen seien nur vorübergehend, da die Erforderlichkeit der Maßnahme der zulässigen Dauer Grenzen setze. Zutreffend ist, daß eine polizeiliche Maßnahme nur solange andauern darf, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, daß er nicht erreicht werden kann. Dies ist eine Ausprägung des verfassungsmäßig im Rechtsstaatsprinzip verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und findet sich so oder ähnlich ausdrücklich auch in den Polizeigesetzen der Länder 115 . Effektive Gefahrenabwehr einerseits und wirksamer Grundrechtsschutz andererseits gebieten, daß eine Maßnahme nur so lange wie unbedingt nötig andauert. Ob der Begriff „vorübergehend" in § 12 MEPolG allerdings tatsächlich nur diese allgemeine Geltung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit klarstellen will, ist fraglich. Er wäre in der Rechtsfolge des § 12 MEPolG an sich überflüssig und hätte nur deklaratorische Bedeutung, weil er nur wiederholen würde, was ohnehin kraft Verfassung und Polizeigesetz bereits gilt. Gleichwohl haben die Verfasser des MEPolG und der Polizeigesetze der Länder in einigen polizeilichen Standardbefugnissen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in seiner zeitlichen Ausprägung ausdrücklich in den Normtext aufgenommen. So heißt es in § 16 Abs. 1 MEPolG zur Dauer der Ingewahrsamnahme, „die festgehaltene Person ist zu entlassen, sobald der Grund für die Maßnahme der Polizei weggefallen ist", und § 24 MEPolG bestimmt die Herausgabe der sichergestellten Sachen, „sobald die Voraussetzungen für die Sicherstellung weggefallen sind." In beiden Fällen ist die Terminologie jedoch eine andere als beim Platzverweis. Wollte der Gesetzgeber also auch bei § 12 MEPolG lediglich auf den allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz besonders hinweisen, hätte er dies vermutlich ähnlich formuliert, etwa als die Befugnis, „eine Person solange vom Platz zu verweisen, bis die Gefahr beseitigt ist", oder die Platzverweisung „zeitlich auf den zur m Samper, PAG, Art. 16 Rdnr. 10; Berg/Knape/Kiworr, § 29 A. 2; Haus/Wohlfahrt, § 12 Rdnr. 250; Kay/Böcking, B Rdnr. 237; Honnacker/Beinhofer, Art. 16 Anm. 4; Niehörster, S. 51; Schmidbauer, in: Schmidbauer/Steiner/Roese, Art. 16 Rdnr. 19. 112 Vgl. Samper, PAG, Art. 16 Rdnr. 10. Vgl. auch die Begründung zum Gesetzesentwurf zu § 31 Abs. 1 ThürPAG v.15. 01. 2002, LT-Drs. 3/2128, S. 25: max. 14 Tage. 113 Kay, 1. Kap., 1. Abschnitt, II. 1.1 (S. 27).

114 Altschaffel,

15.16 (S. 189).

115 Art. 4 BayPAG; § 5 BlnASOG; § 3 BremPolG; § 4 HambSOG; § 4 HSOG; § 15 MVSOG; § 2 NWPolG; § 4 SaarPolG; § 3 SächsPolG; § 5 SOG LSA; § 4 ThürPAG; § 2 Abs. 3 MEPolG.

2. Teil: Rechtsgrundlagen

Beseitigung der Gefahr erforderlichen Umfang" beschränkt, wie dies jetzt in den Vorschriften zum Aufenthaltsverbot sprachlich gefaßt ist 1 1 6 . Bei der Vorschrift Platzverweis wurde statt dessen der Begriff „vorübergehend" verwendet. Bereits diese unterschiedliche Begrifflichkeit läßt vermuten, daß die Normverfasser hier dem Begriff „vorübergehend" eine andere Bedeutung beigemessen haben. Darüber hinaus wäre die Aussage, mit dem Begriff „vorübergehend" werde lediglich auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hingewiesen, in dieser Allgemeinheit nur zutreffend, wenn bereits zuvor festgestellt worden wäre, daß die Vorschrift Platzverweis auch tatsächlich beabsichtige, jegliche Gefahrenlage, gleichgültig ob von längerer oder kürzerer Dauer, zu erfassen. Diese Frage ist daher vorab zu beantworten. Auch der Versuch von Latzel/Lustina, die zulässige Dauer eines Platzverweises an der Höchstgrenze der Ersatzzwangshaft festzumachen, erscheint fragwürdig und findet in den Polizeigesetzen keine Stütze. Denn allein die Tatsache, daß einige Polizeigesetze die zulässige Höchstdauer für den Gewahrsam oder die Ersatzzwangshaft auf zwei Wochen festlegen 117, läßt diese Zwei-Wochen-Frist noch nicht unter den Begriff „vorübergehend" subsumieren - auch, wenn es sich dabei, wie Latzel /Lustina begründen, um eine Frist handelt, die im Einzelfall durch Richterentscheid angeordnet werden muß. Die zulässige Dauer der Freiheitsentziehung und die Maßnahme Platzverweis stehen insoweit in keinem näheren Zusammenhang, der einen Schluß auf den Begriff „vorübergehend" rechtfertigen würde. Ersatzzwangshaft ist ein Beugemittel, das richtigerweise nicht mehr vollstreckt werden darf, sobald sich die Geltungsdauer der zu vollstreckenden Maßnahme erledigt hat 1 1 8 . Die Ersatzzwangshaft besagt also nichts über die zulässige Geltungsdauer des zu vollstreckenden Verwaltungsaktes. Auch aus Art. 20 Abs. 2 BayPAG, wonach ein Gewahrsam zur Durchsetzung einer Platzverweisung für die Dauer von vierzehn Tagen prinzipiell angeordnet werden könnte, lassen sich keine Rückschlüsse dahingehend ziehen, daß der bayerische Gesetzgeber einen Zeitraum von zwei Wochen noch als „vorübergehend" betrachte. Dies verbietet sich bereits deshalb, weil die bayerische Regelung den vierzehntägigen Gewahrsam undifferenziert für alle Gewahrsamsgründe zuläßt. Darüber hinaus ist die Dauer der Ingewahrsamnahme in den einzelnen Bundesländern auch unterschiedlich geregelt und reicht von einem bis zu vierzehn Tagen 119 . Bei Auslegung des Begriffs „vorübergehend" ist aber zu berücksichtigen, daß durch den Platzverweis ein Eingriff in Art. 11 GG weder seitens der Verfasser des MEPolG noch seitens der Verfasser des AEPolG beabsichtigt war. Vielmehr zeigt die Diskussion um den MEPolG, daß gerade ein Eingriff in Art. 11 GG vermieden werden sollte. So betont die Begründung zu § 12 MEPolG, daß der Platzverweis n6 Vgl. die einzelnen Vorschriften oben, Einleitung, Fn. 13. 117 z. B. Art. 33 Abs. 2 BayVwZVG. HS S. dazu unten im 4. Teil, B. II. 2. ii9 S. dazu unten in diesem Teil, A. IV. 2. c).

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

nicht in Art. 11 GG eingreife, „da dem Betroffenen nur vorübergehend das Betreten eines eng begrenzten Ortes verwehrt" werde 120 . Auch der Arbeitskreis Polizeirecht hielt in seinem AEPolG einfache Platzverweise nur dann mit Art. 11 GG vereinbar, wenn die Dauer des Verbots äußerst kurz bemessen sei 1 2 1 . Diese Sichtweise entsprach auch der Auffassung über den Platzverweis im Bayerischen Polizeiaufgabengesetz, da der bayerische Gesetzgeber, wie die Begründung zu Art. 16 BayPAG 1954 zeigt, in dem Platzverweis ausschließlich einen Eingriff in Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG sah 122 . Der Begriff „vorübergehend" im Sinne des Platzverweises ist daher im Hinblick auf Art. 11 GG verfassungskonform zu interpretieren 123. Das heißt, die zeitliche Dauer wird, je nach Gefahrenlage und räumlichem Umfang des Verbots, in der Regel nicht über ein bis zwei Tage hinausgehen124. Von weitergehenden Gefahrenlagen geht auch § 12 MEPolG nicht aus. Da die bayerische Befugnis zur Platzverweisung ausdrücklich dem MEPolG als Vorlage diente 125 , ist es naheliegend, die Materialien des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes zur Auslegung des Begriffs „vorübergehend" heranzuziehen. Der Begriff „vorübergehend" wurde erstmals bei Neufassung des Platzverweises im Jahre 1970 hinzugefügt. Dies sollte jedoch keine rechtliche Änderung des seit 1954 standardisierten Platzverweises bewirken, sondern lediglich „klärenden Charakter" haben 1 2 6 . Bereits aus den Materialien zum Bayerischen Polizeiaufgabengesetz von 1954 ergibt sich aber, daß der Anwendungsbereich der Vorschrift keineswegs jegliche Gefahren erfassen wollte, sondern vielmehr ausschließlich solche, die naturgemäß nur über einen kurzen Zeitraum hinweg punktuell auftreten. Wenn nämlich als Anwendungsfälle des Platzverweises das Vorgehen gegen „hartnäckige Versammlungsstörer" oder die Tatbestände des § 116 StGB a. F., der „die Befugnis der Polizei zu derartigen Maßnahmen schlechthin voraus (setzte)", genannt werden 127 , sind damit Gefahrenlagen gemeint, die in der Regel nicht länger als einen Tag andauern und in diesem Zeitraum auch zu beseitigen sind. § 116 StGB a. F. zielte vornehmlich auf Störungen durch Schaulustige, Neugierige und Passanten ab 1 2 8 , die sich auf öffentlichen Wegen, Straßen und Plätzen ansammelten. Hierbei handelt es sich in der Regel um Ereignisse, die nur für einen kurzen Zeitraum eine Ge120 Heise/Riegel,

§ 12 Anm. 2.

121

Denninger, u. a., § 19 Anm. 4. 122 Begründung zu Art. 16 PAG 1954, Verhandlungen des Bayr. LT, 4. Tagung 19531954, Beilagenband 6,4660 v. 06. 10. 1954, Stb BB V I I Nr. 220, S. 21. 123 Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 92; Denninger, in: Lisken/Denninger, E Rdnr. 15. 124 S. dazu oben 1. Teil, C. II. 3. 125 Vgl. 2. Teil, A. I. 1. a). 126 Samper, BayVBl. 1970, 391 (392). 127 Begründung zu Art. 16 PAG 1954, Verhandlungen des Bayr. LT, 4. Tagung 19531954, Beilagenband 6,4660 v. 06. 10. 1954, Stb BB V I I Nr. 220, S. 21. 128 Werner, in: LK, 8. Aufl., § 116 Anm. I.; vgl. auch die 137. und 138. Sondersitzung des Sonderausschusses für die Strafrechtsreform, 12. 03. 1969, BT-Prot., 5. WP, S. 2948 ff. und S. 3005 ff.

2. Teil: Rechtsgrundlagen

fahr darstellen und daher kurzfristig beseitigt werden können. Auch der heutige §113 OWiG, der § 116 StGB a. F. ablöste, dient dem Schutz der öffentlichen Sicherheit vor punktuellen Gefahren, die von Personenansammlungen ausgehen 1 2 9 . Der Hinweis auf § 116 StGB a. F. stützt daher die These, die Vorschrift Platzverweis erfasse nur aktuelle und augenblickliche Gefahrenlagen, die kurzfristig zu beseitigen sind. Zudem deutet auch die Bezeichnung des Art. 16 BayPAG 1954 als „Platzverweis" daraufhin, daß es sich nach Meinung der Gesetzgeber gerade nicht um ein dauerhaftes Aufenthaltsverbot handeln sollte, das zum Beispiel nach § 39 Nr. 1 StGB a. F. gegenüber Personen, die unter Polizeiaufsicht standen, für die Dauer der Bewährungszeit von maximal fünf Jahren ausgesprochen werden konnte 130 . Im polizeirechtlichen Schrifttum differenzierte man nämlich streng zwischen den Begriffen Aufenthalts- bzw. Ortsverbot und Platzverweis als dem kurzfristigen Ortsverbot 131. Für diese Auffassung spricht auch der Umstand, daß der Platzverweis vorwiegend wegen seiner Häufigkeit als Standardbefugnis normiert wurde. Die Maßnahme will also vor allem Gefahren begegnen, die mit einem gewissen „Alltäglichkeits-Charakter" gezielte Vorgaben für ein rasches polizeiliches Handeln erfordern. Ziel einer Platzverweisung ist daher die Abwehr von Gefahren, die nur über einen kurzen Zeitraum hinweg - punktuell auftreten 132. Zur Beseitigung dauerhafter Gefahren ist der Platzverweis ungeeignet. Dies gilt sowohl für über mehrere Tage andauernde Betretungsverbote bei Katastrophen oder Seuchengefahren als auch bei langfristigen Gefahrenlagen, wie sie durch offene Drogenszenen entstehen.

bb) Der Begriff des „Ortes" die räumliche Begrenzung des Platzverweises Nach dem Wortlaut der Vorschrift kann eine Person von jedem beliebigen Ort verwiesen werden, an dem eine Gefahr droht. Sinn und Zweck der Vorschrift verlangen zunächst nur eine räumliche Beziehung des Betroffenen zu der Gefahr, da diese Gefahr durch den Platzverweis beseitigt werden soll. Eine Verweisung ist daher grundsätzlich von allen „Orten" möglich, gleichgültig, ob es sich um öffentliches oder privates Gelände handelt, ob unter freiem Himmel oder in Räumen 133 . Ebenso kann auch ein Betretungsverbot als Zutrittsverbot zu öffentlichen oder privaten Gebäuden oder Grundstücken ausgesprochen werden. Bei der Verweisung aus Gebäuden ist allerdings die bereits aufgezeigte Konkurrenz des Platzverweises zum behördlichen Hausrecht zu beachten. Wird der Platzverweis in Gebäuden ausgesprochen, kann die Person zum Verlassen des Gebäudes insgesamt oder auch nur 129 Rogall, in: KK-OWiG, § 113 Rdnr. 2. 130 Jagusch, in: LK, 8. Aufl., § 39 Anm. 1. 131 Vgl. Drews /Wacke, § 11 (S. 188). 132 So zutreffend OVG Bremen, NVwZ 1999, 314 (315). 133 Meixner/Fredrich, § 31 Rdnr. 3; Tegtmeyer, § 34 Rdnr. 5.

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

zum Verlassen bestimmter Räumlichkeiten, etwa eines Zimmers, angehalten werden. Über den zulässigen räumlichen Umfang des Ortes, der abgesperrt oder geräumt werden darf, besteht wenig Einigkeit. Es bietet sich vielmehr ein ähnliches Meinungsspektrum wie bei dem Begriff „vorübergehend". Zumeist wird die Auffassung vertreten, ein Platzverweis könne nur für einen räumlich eng begrenzten Ort ausgesprochen werden. In Betracht kämen daher nur innerörtliche Teilbereiche wie Straßenabschnitte, Plätze, Grundstücke oder Gebäudeteile134. Entsprechend dieser Auffassung haben die Gesetzgeber Niedersachsens, Sachsens, Berlins, SachsenAnhalts, Brandenburgs, Bremens, Mecklenburg-Vorpommerns und Thüringens zur Verweisung aus einem größeren Bereich, etwa einem Stadtteil oder Stadtgebiet, eine eigenständige Befugnis geschaffen. Dagegen halten Meixner/Fredrich 135 und Hecker 136 im begründeten Einzelfall auch einen Platzverweis aus einem Gemeindeteil für zulässig; ein das gesamte Gemeindegebiet umfassender Platzverweis sei aber auf Grundlage des § 12 MEPolG unzulässig. Kay/Böcking 1 3 7 definieren den Ort, von dem verwiesen werden darf, bezogen auf die Auswirkungen der jeweiligen Gefahrenlage; er könne daher, etwa bei einem Chemieunfall, durchaus auch das gesamte Gemeindegebiet umfassen. Von einem an der Gefahrenlage orientierten - allerdings sehr weitreichenden - räumlichen Umfang des Ortes für das Platzverbot geht auch Schmidbauer 138 aus. Der räumliche Umfang einer Platzverweisung müsse jedenfalls kleiner als der Geltungsbereich des BayPAG sein, da „Art. 16 PAG keine Rechtsgrundlage, um Störer oder Illegale abzuschieben", biete 139 . In der Verwaltungspraxis kommen neuerdings auch häufiger Verweisungen bezogen auf ein ganzes Stadtgebiet vor. Das VG Frankfurt a. M. hat die Frage, ob das Betretungsverbot für ein ganzes Stadtgebiet gegenüber Anhängern der rechtsextremistischen Szene auf die hessische Befugnis zum Platzverweis nach § 31 HSOG zu stützen ist, ausdrücklich offen gelassen, da die Maßnahme bereits deswegen rechtswidrig war, weil nach Identitätsfeststellung und Durchsuchung der Betroffenen Anhaltspunkte für das Fortbestehen einer polizeirechtlich relevanten Gefahr nicht mehr vorgelegen hätten 140 . Das Bayerische Oberlandesgericht subsumierte dagegen ein knapp dreitägiges Aufenthaltsverbot für die gesamte Insel

134 So VG Bremen, NVwZ 1986, 862 (863); VG Hannover, NdsVBl. 1998, 147; Heise/ Riegel, § 12 Anm. 2; Böhrenz/Franke, § 17 Anm. 2; Möller/Wilhelm, S. 166; Wagner, § 12 MEPolG Rdnr. 6; Bernet/Groß/Mende, § 31 Rdnr. 4; Habermehl, Rdnr. 576; Rommelfanger /Rimmele, § 21 Rdnr. 7. 135 Meixner/Fredrich, § 31 Rdnr. 2; ebenso Meixner/Martell, § 36 Rdnr. 2. 136 Hecker, Die Regelung des Aufenthalts, S. 50. 137 Kay/Böcking, B Rdnr. 236. 138 Schmidbauer, in: Schmidbauer/Steiner/Roese, Art. 16 Rdnr. 20. 139 Schmidbauer, in: Schmidbauer/Steiner/Roese, Art. 16 Rdnr. 21. 140 VG Frankfurt a. M., NVwZ 1998, 770 (771) zu § 31 HSOG a. F., nunmehr § 31 Abs. 1 HSOG, GVB1.1, 2002, S. 547.

2. Teil: Rechtsgrundlagen

Lindau unter den einfachen Platzverweis nach Art. 16 S. 1 und 17 Abs. 1 Nr. 3 BayPAG 141 . Der Begriff „Ort" selbst sagt noch wenig über dessen räumliche Begrenzung aus. „Ort" kann sowohl einen Platz, eine Stelle, aber eben auch eine Ortschaft oder eine Siedlung meinen. Aufschluß bieten die amtlichen Überschriften der Landespolizeigesetze und des MEPolG, die die Maßnahme als „Platz"-Verweis bezeichnen. Im allgemeinen Sprachgebrauch dürfte der Begriff „Platz" bereits für eine begrenztere Örtlichkeit sprechen. Der Begriff des Ortes erfährt also durch die Bezeichnung als Platzverweis sprachlich eine Konkretisierung, wobei freilich nicht nur Plätze im städtebaulichen Sinne, als umbaute Freiflächen, gemeint sind. Die Vorschrift Platzverweis des Bayerischen PAG von 1954 verwendete den Begriff des „Platzes" im Normtext 142 . Der Begriff „Platz" wurde erst im Jahre 1970 in den Begriff „Ort" geändert. Wie beim Begriff „vorübergehend" ging man aber auch hier nicht von einer anderen sachlichen Bedeutung des Begriffs aus. Der Begriff „Ort" sei allenfalls allgemeiner und umfassender zu verstehen 143. Auch für die Definition dieses Begriffs bietet die amtliche Begründung zu Art. 16 BayPAG 1954 wertvolle Hinweise. Weil die amtliche Begründung ausdrücklich auf § 116 StGB a. F. Bezug nahm, sind unter „Platz" und „Ort" im Sinne des Art. 16 BayPAG 1954 nur „Straßen, Wege, Plätze" und dergleichen zu verstehen 144. Demgegenüber existierten spezielle Rechtsgrundlagen, wenn jemandem der Aufenthalt für eine bestimmte Ortschaft versagt werden sollte. So wurde die Ortsverweisung als Ausweisung aus einem Ort durch den damals noch gültigen § 12 des Freizügigkeitsgesetzes vom 01. 11. 1867 geregelt. Danach sollte „die polizeiliche Ausweisung Bundesangehöriger aus dem Orte ihres dauernden oder vorübergehenden Aufenthalts in anderen als in den durch dieses Gesetz vorgesehenen Fällen" unzulässig sein. Daraus wird deutlich, daß der Platzverweis jedenfalls keine Rechtsgrundlage für die Verweisung aus einem gesamten Gemeindegebiet darstellt. „Ort" im Sinne des § 12 MEPolG sind daher einzelne Straßen, Plätze, Grundstücke und dergleichen. Die Verweisung aus einer ganzen Stadt, und sei es auch nur für einen Tag, wie im erwähnten Fall des VG Frankfurt a. M., ist daher kein Platzverweis im Sinne des § 12 MEPolG mehr. Gleiches gilt für das dreitägige Insel verbot für Lindau. Auch hier ist der Platzverweis nicht einschlägig.

141 BayObLG, NVwZ 2000,467 (468) - 7. Lindauer Chaos-Tage. 142 Art. 16 BayPAG 1954 lautete: „Die Polizei kann eine Person vom Platz verweisen, 1. wenn dies erforderlich ist, um eine mit Strafe bedrohte oder eine verfassungsfeindliche Handlung zu verhüten, aufzuklären oder zu verhindern, 2. in den in Art. 5 Abs. 2 Ziff. 3 Buchst, b und c genannten Fällen." 143 Samper, PAG, Art. 16 Rdnr. 7. 144 § 116 StGB a. F. lautete: „Wird eine auf öffentlichen Wegen, Straßen oder Plätzen versammelte Menschenmenge von dem zuständigen Beamten oder Befehlshaber der bewaffneten Macht aufgefordert, sich zu entfernen, so wird jeder der Versammelten, welcher nach der dritten Aufforderung sich nicht entfernt, wegen Auflaufs mit Gefängnis bis zu drei Monaten oder mit Geldstrafe bestraft."

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

cc) Die zulässige Verweisung und das Betretungsverbot Soweit § 12 MEPolG bestimmt, daß eine Person „verwiesen" oder ihr „das Betreten eines Ortes verboten" werden darf, liegt darin nach allgemeinem Begriffsverständnis die Befugnis, jemandem den gewünschten Aufenthalt oder den weiteren Verbleib an einem bestimmten Ort zu verbieten. Die Befugnis der Polizei, anzuordnen, wie weit sich die Person zu entfernen hat, ergibt sich dabei zwangsläufig aus der rechtsstaatlichen Notwendigkeit, den räumlichen Umfang des Ortes, für den das Platzverbot gilt, hinreichend bestimmt zu umschreiben 145. Der Betroffene hat sich daher aus dem räumlichen Geltungsbereich des Platzverweises zu entfernen. Ein darüber hinausgehender Befehl ist, zumindest aufgrund der Maßnahme Platzverweis, nicht möglich. Nach weit überwiegender Auffassung ermächtigt der Platzverweis aber nicht dazu, eine Person in eine bestimmte Richtung zu verweisen 146 . Ebensowenig ist die Aufforderung, einen bestimmten Ort aufzusuchen, von der Ermächtigungsgrundlage Platzverweis erfaßt 147 . Platzanweisungen oder Platzzuweisungen sowie Richtungsanweisungen sind eigenständige Maßnahmen, die einer gesonderten Rechtsgrundlage bedürfen und eigenständig zwangsweise durchgesetzt werden. Erfordern es gefahrenabwehrrechtliche Gründe, daß sich der vom Platz Verwiesene nach einer Platzverweisung an einen bestimmten Ort oder in eine bestimmte Richtung begibt, sind diese Maßnahmen zusätzlich auf die Generalklausel zu stützen 148 . Ein Rückgriff auf die polizeiliche Generalklausel ist hier mangels spezialgesetzlicher Regelung ohne weiteres möglich, da Platzverweis und Platzanweisung in unterschiedliche Richtungen zielen. Die Richtung, in die sich der Weggewiesene entfernt, wird in der Regel entweder unerheblich oder durch die tatsächlichen Gegebenheiten bestimmt sein, etwa weil die Räumlichkeit, aus der verwiesen wird, nur einen Ausgang hat. Demgegenüber meint Schmidbauer 149, daß auch die Richtung des Entfernens vorgegeben werden müßte, wenn die Gefahrenlage dies erfordere; die Notwendigkeit einer weiten Auslegung folge aus Sinn und Zweck der Vorschrift als Gefahrenabwehrbefugnis. Diese Auffassung findet in § 12 MEPolG jedoch keine Stütze. Der klare Wortlaut der Vorschrift, der „verweisen" lautet, nicht aber auch „hin"- oder „anweisen", läßt eine weite Auslegung nicht zu. Die Maßnahme Platzverweis bezweckt allein, daß der Betroffene sich aus dem räumlichen Bereich der Gefahr und damit aus dem Geltungsbereich des Platzverweises 145 A. A. Berner/Köhler, 16. Aufl., Art. 16 Rdnr. 1; Fischer/Hitz/Laskowski/Walter, § 38 Rdnr. 9. 146 Berner/Köhler, 16. Aufl., Art. 16 Rdnr. 1; a. A. Schmidbauer, in: Schmidbauer/Steiner/Roese, Art. 17 Rdnr. 61; Scholler/Schioer, S. 96; früher auch König, Hans-Günther, Art. 16 Anm. II. 1. 147 Berner/Köhler, 16. Aufl., Art. 16 Rdnr. 1; Rachor, in: Lisken/Denninger, F Rdnr. 444; Mußmann, VB1BW 1986, 52 (53); Maaß, NVwZ 1985, 151 (154); Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 92; Scholler/Schioer, S. 96. 148 Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 94; Sommer, S. 200. 149 Schmidbauer, in: Schmidbauer/Steiner/Roese, Art. 16 Rdnrn. 22 f.

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

entfernt bzw. diesen nicht betritt. Wohin er sich nach Erhalt des Platzverweises begibt, ist grundsätzlich seine Sache. Zwar mag es Fälle geben, in denen es zweckmäßig ist, daß der Betroffene sich in eine bestimmte Richtung entfernt 150 , allein aus Gründen der Praktikabilität ist jedoch eine Rechtsfindung contra legem nicht zulässig, zumal eine solche auch bereits deshalb nicht in Betracht kommt, weil es hier durch die Anwendbarkeit der Generalklausel an einer Gesetzeslücke fehlt 151 . Im übrigen könnte durch die Anweisung in eine bestimmte Richtung auch der räumliche Umfang der Maßnahme unzulässig erweitert werden. Oftmals werden auch bloße Richtungsempfehlungen, die nicht Verwaltungsaktscharakter haben, ausreichen. Ist es aus gefahrenabwehrrechtlichen Gründen dennoch geboten, die Richtung des Abzugs vorzuschreiben, ist die entsprechende Maßnahme auf die Generalklausel zu stützen. Daher vermag auch die Auffassung von Honnacker/Beinhofer 152 nicht zu überzeugen, wonach zwar die Richtung aufgrund der Vorschrift Platzverweisung nicht vorgegeben werden dürfe, eine Person aber „so lange vom Platz verwiesen werden" könne, bis ihr nur noch die Möglichkeit, sich in eine bestimmte Richtung zu entfernen, bleibe. Abgesehen davon, daß diese Vörgehensweise nicht nur unpraktisch erscheint, besteht für sie angesichts der Möglichkeiten über die Generalklausel kein Bedürfnis. Weil die Vorschrift „Platzverweis" nicht zur Richtungsanweisung berechtigt, ist der sogenannte Verbringungsgewahrsam auch weder ein Platzverweis nach § 12 MEPolG noch die zwangsweise Durchsetzung eines solchen. Beim Verbringungsgewahrsam wird eine Person, die an einem bestimmten Ort eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung darstellt, aufgegriffen, an einen weiter entfernten Ort, meist an den Stadtrand, verbracht und dort „ausgesetzt", um dadurch die Gefahr oder Störung zu beseitigen und ihre baldige Rückkehr zu verhindern 153 . Die Maßnahme beinhaltet in erster Linie eine „Umsetzung" an einen anderen Ort 1 5 4 und geht damit weiter als der Platzverweis, wenngleich dem Verbringungsgewahrsam häufig ein - nicht befolgter - Platzverweis vorausgegangen sein wird. In der Praxis wird der Verbringungsgewahrsam typischerweise gegenüber Obdachlosen, Demonstranten und Angehörigen der Drogenszene angewendet155. Die rechtliche Zulässigkeit des Verbringungsgewahrsams ist allerdings umstritten. Als mögliche Rechtsgrundlagen werden neben der Platzverweisung der Gewahrsam, 150 In vielen Fällen stellen die Behörden bei Evakuierungen mehrerer Personen Ersatzunterkünfte, beispielsweise Turnhallen, zur Verfügung. Dies können jedoch nur Empfehlungen sein. 151 Larenz/Canaris, S. 251. 152 Honnacker/Beinhofer, Art. 16 Anm. 3; ebenso auch Samper, PAG, Art. 16 Rdnr. 6. 153 Dazu ausführlich Mußmann, VB1BW 1986, 52; Stoermer, S. 122 ff.; Fuchs, S. 63 ff. 154 Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 94. 155 Vgl. LG Mainz, MDR 1983, 1044 ff. (Verbringung eines Stadtstreichers aufs Land); VG Bremen, NVwZ 1986, 683 f. (Verbringung von Versammlungsteilnehmern); BayObLG, BayVBl. 1990, 344 (350) (Verbringung von Versammlungsteilnehmern); LG Hamburg, NVwZ-RR 1997, 537 ff. (Verbringung eines Angehörigen der Drogenszene).

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

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insbesondere der Gewahrsam zur Durchsetzung einer Platzverweisung, und schließlich die Generalklausel diskutiert 156 . Überwiegend wird diese Vorgehensweise, die vor allem in den 80er Jahren praktiziert wurde, aber auch heute noch aktuell ist, für unzulässig gehalten 157 . Unter Gewahrsam versteht man „jedes Festhalten an einem eng umgrenzten Ort, wodurch die Freiheit sich fortzubewegen, nicht nur kurzfristig eingeschränkt wird" 1 5 8 . Die Ingewahrsamnahme ist eine Freiheitsentziehung im Sinne des Art. 104 Abs. 2 GG. Hieran fehlt es in der Regel aber beim Verbringungsgewahrsam 159. Zwar wird der Betroffene regelmäßig in einem Polizeifahrzeug an den abgelegenen Ort gebracht. Da diese Fahrt zumeist aber nur kurze Zeit in Anspruch nimmt, wird bereits wegen dieser Kurzfristigkeit nicht von einer Freiheitsentziehung ausgegangen160. Ungeachtet dessen, ob man aber im Einzelfall der Fahrt zum Verbringungsziel die Qualität einer Freiheitsentziehung beimißt und damit eine Ingewahrsamnahme befürwortet oder ob man eine solche auch deshalb ablehnt, weil das eigentliche und vorrangige Ziel der Maßnahme nicht die Freiheitsentziehung als solche ist, sondern die räumliche Veränderung, ist in jedem Falle eine eigenständige Rechtsgrundlage für die Umsetzung erforderlich 1 6 1 . Denn auch die Befugnis zur Ingewahrsamnahme berechtigt nur insoweit zu einer Ortsveränderung, als diese notwendig ist, den Betroffenen in Gewahrsam zu nehmen 162 . Als Rechtsgrundlage für die „Umsetzung" kommt derzeit nur die polizei- und ordnungsrechtliche Generalklausel in Betracht 163 . Gründe der Spezialität stehen hier einem Rückgriff auf die Generalklausel nicht entgegen, weil die „Umsetzung" selbst kein Tatbestand der Freiheitsentziehung ist, der Sachverhalt mithin nicht spezialgesetzlich geregelt ist. Der Verbringungsgewahrsam mag allerdings nur in gewissen Ausnahmefällen eine berechtigte Funktion haben, insbesondere wenn es darum geht, eskalierende Gefahrensituationen zu entschärfen, wenn etwa bei unfriedlichen Ansammlungen gewaltbereiter Versammlungsteilnehmer oder Hooligans die Zahl der Störer groß ist, einem Platzverweis bzw. Aufenthaltsverbot freiwillig nicht Folge geleistet wird und die Kapazitäten der örtlichen Gewahrsamseinrichtungen ausgeschöpft sind. In derartigen Fällen kann das Schaffen einer räumlichen Distanz zur Gefahrenabwehr beitragen. Die Maßnahme ist aber, sowohl was das Entschließungsermessen als auch das Auswahlermessen sowie die

156 Mußmann, VB1BW 1986, 52 (53 ff.); Maaß, NVwZ 1985, 151 (156). 157 LG Mainz, MDR 1983, 1044 ff.; LG Hamburg, NVwZ-RR 1997, 537 ff.; Fuchs, S. 63 ff. (69); Rachor, in: Lisken/Denninger, F Rdnr. 494; Mußmann, VB1BW 1986, 52 ff.; Maaß, NVwZ 1985, 151 ff. 158 Mußmann, Polizeirecht, Rdnr. 202. 159 Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 140. A. A. Kappeler, DÖV 2000, 227 (229 ff.); LG Hamburg, NVwZ-RR 1997, 537 (539). 160 Mußmann, Polizeirecht, Rdnr. 202; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 140; Stoermer, S. 128. 161 Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 140. 162 Kappeler, DÖV 2000, 227 (233 f.). 163 Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 94; Stoermer, S. 130 f.; Götz, NVwZ 1998, 679 (683). 6 Neuner

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

Wahl des „Aussetzungsortes" angeht, streng an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden. Insbesondere haben die Polizeibeamten darauf zu achten, daß die Betroffenen nicht der Hilf- und Schutzlosigkeit ausgesetzt werden. Voraussetzung für jede Verbringung ist, daß die Gefahr für die öffentliche Sicherheit von dem Betroffenen ausgeht und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, die Gefahr könne aus Gründen, die der Störer zu verantworten hat, nicht mit milderen Mitteln beseitigt werden. Eine Verbringung von Obdachlosen erscheint dagegen fragwürdig und ist daher sehr restriktiv zu handhaben164.

d) Er Streckung des Platzverweises

auch auf Sachen?

Die Platzverweisvorschriften ermächtigen ihrem Wortlaut zufolge zu Anordnungen gegen „Personen". In der Vollzugsbekanntmachung zum Bayerischen Polizeiaufgabengesetz heißt es in Nr. 16.1 165 darüber hinausgehend, „die Anordnung ( . . . ) kann sich auch auf Fahrzeuge oder andere Sachen (z. B. Tiere) erstrecken, die die Betroffenen bei sich haben." Dieser weiten Auffassung ist ein Teil der Literatur - allerdings ohne nähere Begründung - gefolgt 166 . Angesichts des eindeutigen Wortlauts der Vorschrift „Platzverweis" ist diese Auffassung fraglich. Wegen des eindeutigen Wortlauts der Vorschrift Platzverweis muß jedenfalls von vornherein differenziert werden: Die Vorschrift enthält keine Ermächtigung, wenn nur die Sache stört. Voraussetzung ist immer, daß die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Platzverweises gegen eine Person vorliegen. Deshalb kann der Platzverweis nicht etwa als Rechtsgrundlage für das Abschleppen von Fahrzeugen herangezogen werden. In diesen Fällen stört nur das Fahrzeug. Sein Besitzer darf sich aber durchaus an dem Ort aufhalten, er hat nur dafür zu sorgen, daß das störende Fahrzeug entfernt wird. Die Frage der Erweiterung der Vorschrift auf Sachen stellt sich daher nur dann, wenn neben der Person auch die Sache „stört", diese also auch für den Fall ihres Verbleibs an dem Ort eine eigenständige Gefahr darstellen würde. Für eine gleichzeitig bestehende Entfernungspflicht auch von Sachen könnten Praktikabilitäts- und Effektivitätsgründe sprechen 167. Zweck eines Platzverweises ist das Freihalten eines Bereichs von Personen, um Gefahren, die bei Anwesenheit des Betroffenen bestehen, abzuwehren, sei es, daß die Gefahr für die zu verweisende Person selbst besteht, sei es, daß die Gefahr von 164 Vgl. den Fall des LG Mainz, MDR 1983, 1044 f. 165 Abgedruckt bei Honnacker/Beinhofer zu Art. 16 PAG. Vgl. auch Nr. 36.1 AB SOG LSA zu § 36 SOG LSA (abgedruckt bei Meixner / Martell, Anhang 6). 166 So etwa Honnacker/Beinhofer, Art. 16 Anm. 3; Hornmann, § 31 Rdnr. 10; Kay/ Böcking, B Rdnr. 238; Knemeyer, Rdnr. 214; Meixner/Fredrich, § 31 Rdnr. 5; Pausch/Pöllwitz, S. 205; Samper, PAG, Art. 16 Rdnr. 5; Schmidbauer, in: Schmidbauer/Steiner/Roese, Art. 16 Rdnr. 18; Sommer, S. 198; Ebert/Honnacker, § 18 Rdnr. 3; Rommelfanger/Rimmele, § 21 Rdnr. 8. 167 Dies vermuten Schieferdecker, S. 88 und Hiltl, S. 44.

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

83

dieser Person ausgeht. Wie der vom Platzverweis Betroffene diesem Gebot nachkommt, was er mitnimmt, bleibt zunächst ihm überlassen. Maßgeblich ist, daß er sich entfernt und dem Ort fernbleibt. Eine weitergehende Ermächtigung zur Beseitigung von sonstigen Hindernissen und Gefahren, die aus dem Verantwortungsbereich des Betroffenen stammen, ist dem § 12 MEPolG nicht zu entnehmen. Ebensowenig dient die Vorschrift dazu, eine Person vor dem Verlust ihres Eigentums, das sich im Gefahrenbereich befindet, zu bewahren. Dies folgt aus dem rein personenbezogenen Charakter der Vorschrift, der sich neben dem klaren Wortlaut auch aus einer systematischen Gesamtschau der polizeigesetzlichen Standardbefugnisse ergibt. Denn diese differenzieren deutlich zwischen Personen und Sachen und enthalten für Maßnahmen, die Sachen oder Tiere betreffen, gesonderte Eingriffsermächtigungen168. Geht von der mitgeführten Sache eine eigenständige Gefahr aus oder besteht für diese eine polizeiliche Gefahr, ist die Sache aufgrund anderer Rechtsgrundlagen, etwa der polizeilichen Generalklausel oder der Sicherstellung, zu beseitigen, nicht aber mittels des Platzverweises. H i l t l 1 6 9 und Schieferdecker 170 ist daher zuzustimmen, wenn sie die „Einheitsanordnung" der bayerischen Vollzugsbekanntmachung aus dogmatischen Gründen ablehnen und eine „Doppelanordnung" fordern 171 . Im übrigen sprechen auch die eingangs in Erwägung gezogenen Überlegungen einer effektiven Gefahrenabwehr nicht für die „Einheitsanordnung" der bayerischen Vollzugsbekanntmachung. Der eindeutige Wortsinn läßt für eine Contra-legem-Entscheidung keinen Raum. Hierfür besteht letztlich auch kein Bedürfnis, da im Hinblick auf die Entfernung von Sachen bestehende Lücken über die polizeigesetzliche Generalklausel geschlossen werden können. Reine Praktikabilitätserwägungen rechtfertigen jedenfalls eine Normfindung über den Wortlaut hinaus nicht 1 7 2 . Abgesehen davon erscheint die Gefahrenabwehr durch die „Doppelanordnung" nicht weniger wirkungsvoll. Der Platzverweis und die Aufforderung, eine mitgeführte Sache zu entfernen, werden in der Regel ohnehin gemeinsam - ausdrücklich oder konkludent - erfolgen können. So beinhaltet die Aufforderung an einen Autofahrer, an der Unfallstelle vorbeizufahren, sowohl das Gebot an den Fahrer, den Ort zu verlassen, als auch konkludent das Gebot, sein Fahrzeug mitzunehmen. In Zweifelsfällen kommen aber auch Vertreter der Einheitslösung nicht ohne weiteren Hinweis auf die Erstreckung auf Sachen aus. Die Vollzugsbekanntmachung zu Art. 16 BayPAG verlangt in Nr. 16.1, 2. Halbs, daher, daß die

168 So auch Schieferdecker, S. 88. Vgl. etwa § 32 BWPolG - Sicherstellung; § 33 BWPolG - Beschlagnahme. 169 Hiltl, S. 44 f. 170 Schieferdecker, S. 88 f. 171 Für diese Ansicht auch Ule/Rasch, Teil A, § 12 MEPolG Rdnr. 3; Bernet/Groß/Mende, § 31 Rdnr. 4; Sukow/Hage, Rdnr. 155; die Verwaltungsvorschriften zu den Polizeigesetzen der Länder Niedersachsen (17.1 zu § 17 NGefAG) und Nordrhein-Westfalen (34.01 zu § 34), worin es sinngemäß heißt: „Die Platzverweisung ist erforderlichenfalls mit der Anordnung zu verbinden, mitgeführte Sachen oder Tiere zu entfernen." 172 Schieferdecker, S. 88; Larenz/Canaris, S. 251 f. 6*

2. Teil: Rechtsgrundlagen

Betroffenen „erforderlichenfalls" auf die Erstreckung der Vorschrift auf Sachen „ausdrücklich hinzuweisen" sind.

e) Der Adressat des Platzverweises aa) Problemstellung Die polizei- und ordnungsrechtlichen Generalklauseln enthalten nach allgemein anerkannter Auffassung keine Regelung darüber, gegen wen die jeweilige Maßnahme zu richten ist. Angesichts der Vielzahl noch unbestimmter Gefahrenlagen, auf die eine polizeiliche Generalklausel reagieren muß, wäre eine spezielle Adressatenbestimmung auch tatsächlich nicht möglich. Gefahrenabwehrmaßnahmen, die sich auf die Generalklausel stützen, haben daher die allgemeinen Grundsätze über die polizeirechtliche Verantwortlichkeit zu beachten. Adressaten können danach Verhaltens- und Zustandsverantwortliche nach den §§4 und 5 MEPolG und unter den engen Voraussetzungen des § 6 MEPolG auch an der Gefahr Unbeteiligte - die sogenannten Nichtstörer - sein. Polizeirechtliche Spezialbefugnisse, insbesondere auch die Standardmaßnahmen, regeln dagegen den Kreis der Adressaten oftmals eigenständig, indem entsprechend der abzuwehrenden Gefahrenlage der Kreis der in Anspruch zu Nehmenden auf „jedermann" erweitert 173 oder auf Personen, die bestimmte Kriterien erfüllen, begrenzt wird 1 7 4 . Auf die Verantwortung einer Person für die Gefahr kommt es dann nicht entscheidend an 1 7 5 . Der Platzverweis nach § 12 S. 1 MEPolG stellt wie die polizei- und ordnungsrechtlichen Generalklauseln lediglich auf die „Abwehr einer Gefahr" ab und unterscheidet sich damit von der Generalklausel nur durch seinen Anwendungsbereich, der durch die zeitlich und räumlich begrenzte Rechtsfolge bestimmt wird. Überwiegend wird daher angenommen, § 12 MEPolG treffe ebenfalls keine Bestimmung des Adressaten, so daß die allgemeinen Regelungen über die polizeirechtliche Verantwortlichkeit heranzuziehen seien 176 . Die Gegenauffassung entnimmt den Adressaten eines Platzverweises unmittelbar dem Wesen und Zweck der Vorschrift 177 , ist im übrigen aber uneinheitlich. 173 So z. B. bei der Identitätsfeststellung nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 - 4 MEPolG, die grundsätzlich gegenüber allen Personen vorgenommen werden kann, die sich an bestimmten Orten aufhalten. 174 Z. B. der Gewahrsam nach § 13 MEPolG sowie die Vorladung nach § 11 MEPolG. 175 Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 143.

™ Vgl. Altschaffel, 13.4 (S. 92) und 15.16 (S. 190); Berg/Knape/Kiworr, § 29 B 1 b); Bernet/Groß/Mende, § 31 Rdnr. 4; Ebert/Honnacker, § 18 Rdnr. 6; Götz, Polizeirecht, 12. Aufl., Rdnr. 386; Honnacker/Beinhofer, Art. 16 Anm. 6; ebenso Nr. 16.2 Abs. 2 VöllzBek zu Art. 16 BayPAG; Jochum/Rühle, H Rdnr. 50; Kay/Böcking, B Rdnr. 234; Kay, 1. Kap., 1. Abschnitt, II. 1.2.; Möller/Wilhelm, S. 166; Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 92; Scholler/ Schioer, S. 218 (Fn. 10); Schioer, DÖV 1991, 995 ff.; Tegtmeyer, § 34 Rdnr. 3; VG Schleswig, NVwZ 2000,464 f.; VG Frankfurt a. M., NVwZ 1998, 770 f.

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

Teilweise wird der Adressatenkreis eng gezogen und in Anlehnung an § 19 AEPolG auf diejenigen Personen beschränkt, die die Gefahr tatsächlich verursacht haben 178 . Dem wird - zutreffend - entgegengehalten, ein Platzverweis setze nicht voraus, daß die Gefahr von derjenigen Person, die weggewiesen wird, ausgehen müsse. Bei dem Verwiesenen könne es sich zwar um den Verursacher der Gefahr handeln, er würde jedoch nicht deshalb verwiesen werden, weil er die Gefahr verursacht habe, sondern weil seine Verweisung das geeignete Mittel zur Abwehr der Gefahr sei 1 7 9 . So ist die Wegweisung eines Brandstifters allein sicherlich nicht geeignet, die durch den Brand entstandene Gefahr für Passanten und Anwohner zu beseitigen. Die Vorschrift sei vielmehr absichtlich weit gefaßt, um „schwierige Subsumierungen unter den Begriff der Verantwortlichkeit entbehrlich" zu machen 180 . Für eine unbeschränkte Inanspruchnahme spreche zudem die andernfalls bestehende Gefahr, der Nichtstörer werde nach seiner Inanspruchnahme Ersatzansprüche geltend machen 181 . Adressat eines Platzverweises könne danach grundsätzlich „jede Person" sein, sofern sie zu der Gefahr in einer gewissen räumlichen Beziehung stehe 182 . Dem sind die Länder Niedersachsen in § 17 Abs. 1 S. 1 NGefAG und Bremen in § 14 Abs. 1 S. 1 BremPolG gefolgt 183 .

bb) Stellungnahme (1) Wortlaut

und Systematik

§ 12 MEPolG nennt als „Adressaten" eines Platzverweises „eine Person". Der Musterentwurf und die ihm folgenden Landespolizeigesetze verwenden diesen Begriff regelmäßig bei denjenigen Eingriffsbefugnissen, die unmittelbar an Menschen vorgenommen werden. So kann die Polizei die Identität „einer Person" feststellen (§ 9 MEPolG), „eine Person" in Gewahrsam nehmen (§13 MEPolG) oder „eine Person" durchsuchen (§ 17 MEPolG). Entsprechend werden Begriffe wie „eine Sache" (§ 18 MEPolG) oder „eine Wohnung" (§ 19 MEPolG) verwendet, wenn die 177 Samper, PAG, Art. 16 Rdnr. 12; Schmidbauer, in: Schmidbauer/Steiner/Roese, Art. 16 Rdnr. 15; Alberts/Merten/Rogosch, § 12 a Rdnr. 5. 178 Denninger, u. a., § 19 AEPolG. Zustimmend Knemeyer, Rdnr. 218. Knemeyers Auffassung ist jedoch inkonsequent, da er den Platzverweis zum Schutze des Betroffenen anerkennt, was aber nur dann möglich wäre, wenn man auch diesen als Störer und damit als Verursacher der Gefahr ansieht. Der sich selbst Gefährdende ist jedoch grundsätzlich kein Störer, Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 152. ™ Samper, PAG, Art. 16 Rdnrn. 12 ff. 180 So noch Berner/Köhler, 13. Aufl., Art. 16 Rdnr. 2, die diese Auffassung aber mittlerweile aufgegeben haben; Schmidbauer, in: Schmidbauer/Steiner/Roese, Art. 16 Rdnr. 15; Hans, Jura 1985, 431 (433); im Ergebnis auch Alberts/Merten/Rogosch, § 12 a Rdnr. 5 für die Regelung im HambSOG. 181 So die Bedenken im Niedersächsischen Landtag, vgl. Nds. LT-Drs. 9/2908, S. 9. 182 Gallwas/Mösle, Rdnr. 670. 183 S. oben 2. Teil, A. I. l.a).

2. Teil: Rechtsgrundlagen

Maßnahme unmittelbar an Gegenständen vorzunehmen ist. Rein sprachlich kennzeichnen die Polizeigesetze damit den personen- bzw. sachbezogenen Charakter einer Vorschrift. Gegen welche Person sich die Maßnahme im einzelnen aber richten soll, ergibt sich aus der bloßen Bezeichnung „eine Person" nicht. Insbesondere läßt sich dem Umstand, daß es Ziel zahlreicher Standardbefugnisse war, die Eingriffsvoraussetzungen möglichst konkret zu bestimmen 184 , nicht die Aussage entnehmen, jede Standardbefugnis enthalte auch tatsächlich eine Adressatenregelung 185. Der genaue Adressat einer Maßnahme wird vielmehr auch bei denjenigen Befugnisnormen, die ein Eingreifen gegenüber „jedermann" zulassen, anhand weiterer Tatbestandsmerkmale umschrieben. Ob eine Befugnisnorm die Frage des Adressaten tatsächlich regelt, ist daher im Einzelfall anhand der Tatbestandsvoraussetzungen durch Auslegung zu ermitteln 186 . Als Tatbestandsmerkmal nennt § 12 MEPolG jedoch nur die „Abwehr einer Gefahr". Daraus folgt, daß zwischen der zu verweisenden Person und der abzuwehrenden Gefahr ein bestimmter räumlicher Zusammenhang bestehen muß 1 8 7 , da anderenfalls die Gefahr nicht durch die Wegweisung beseitigt werden könnte. Daraus folgt auch, daß diejenigen, die mit der Gefahr nicht in einem räumlichen Zusammenhang stehen, als Adressaten ausscheiden. Dem Tatbestandsmerkmal „Abwehr einer Gefahr" kann aber eine weitergehende Bestimmung des Adressatenkreises nicht entnommen werden. Schon gar nicht läßt sich ohne weiteres schlußfolgern, der Platzverweis müsse gegenüber jeder im Gefahrenbereich anwesenden Person ungeachtet ihrer Verantwortlichkeit für die Gefahr möglich sein. Dies wird besonders deutlich, wenn man sich Sinn und Zweck der Adressatenregelungen klar macht. Gefahrenabwehrmaßnahmen sind mit Eingriffen in den Rechtskreis einer Person verbunden, insbesondere dann, wenn die in Anspruch genommene Person die Gefahr nicht ausgelöst hat. Die Inanspruchnahme des Verursachers einer Gefahr erklärt sich dagegen daraus, daß dieser die allgemein geltende Rechtspflicht, andere nicht zu gefährden 188, mißachtet hat. Seine Inanspruchnahme konkretisiert diese allgemeine Rechtspflicht und weist ihn in seine grundrechtlichen Schranken 1 8 9 . Der Nichtstörer dagegen hat mit dem Entstehen der Gefahr nichts zu tun. Rechtsstaatliche Gründe gebieten es daher, ihn nur ausnahmsweise und vorrangig den Verursacher zur Abwehr der Gefahr heranzuziehen. Diesen rechtsstaatlichen Anforderungen tragen die allgemeinen Vorschriften über die polizeirechtliche Verantwortlichkeit nach den §§ 4, 5 und 6 MEPolG unter Wahrung des Verhältnismä-

184 Riegel, NJW 1980, 1435. 185

So aber Alberts/Merten/Rogosch, § 12 a Rdnr. 5, die deshalb die Auffassung vertreten, jede Standardbefugnis enthalte eine Adressatenregelung, so daß „Person" im Sinne der Vorschrift Platzverweis , jede Person, auf die Merkmale der Norm zutreffen" bedeute. 186 Drews/Wacke/Vogel/Martens, § 19, 2 (S. 292). 187 So auch Schioer, DÖV 1991,955 (958). 188 Isensee, in: Isensee / Kirchhof, HdbStR V, § 111 Rdnr. 102. 189 Schoch, JuS 1994, 849 (851); Drews/Wacke /Vogel/Martens, § 19, 3 (S. 293).

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

ßigkeitsgrundsatzes Rechnung. Ein Vorgehen gegen Nichtverantwortliche ist danach nur zur Abwehr einer gegenwärtigen bzw. unmittelbar bevorstehenden erheblichen Gefahr für ein wichtiges Rechtsgut zulässig, und auch nur dann, wenn diese Gefahr nicht bereits durch die Inanspruchnahme des Gefahrenverursachers abgewehrt werden kann. Entsprechend beschreiben diejenigen Standardbefugnisse, die den Adressatenkreis eigenständig benennen, detailliert die Voraussetzungen und Umstände eines Eingreifens. Sie berücksichtigen, losgelöst von den Begriffen Störer und Nichtstörer, die Schwere des Eingriffs, die Art des zu schützenden Rechtsgutes sowie die Art der Gefahr und geben darüber hinaus häufig eine genaue Umschreibung der in Anspruch zu nehmenden Person. So wird der Kreis der Betroffenen, wie etwa beim Gewahrsam oder bei bestimmten Dateninformationseingriffen 190 , auf bestimmte Personen, die bestimmte Normmerkmale erfüllen, begrenzt. Andere Tatbestände lassen dagegen Eingriffe gegenüber „jedermann" zu, der sich an bestimmten, konkret beschriebenen Aufenthaltsorten befindet. So kann sich die Identitätsfeststellung nach § 9 Nr. 2 - 4 MEPolG gegen alle Personen an einem gefährlichen oder gefährdeten Ort richten und nicht nur gegen Störer der öffentlichen Sicherheit. Dies gilt gleichermaßen nach § 17 Abs. 1 Nr. 4 MEPolG für die Durchsuchung von Personen, die sich an gefährlichen Orten befinden, oder nach den §§ 17 Abs. 1 Nr. 5 und 18 Abs. 1 Nr. 3 MEPolG von Personen und Sachen, die sich an gefährdeten Orten befinden 191 . Im Unterschied zum Platzverweis knüpfen diejenigen Vorschriften, die tatbestandlich Eingriffe gegenüber „jedermann" zulassen, aber nicht an das Bestehen einer konkreten Gefahr an. Sie können sich daher zwangsläufig nicht an einen „Störer der öffentlichen Sicherheit" richten. Stellt eine Befugnisnorm dagegen generalklauselartig allein auf die „Abwehr einer Gefahr" ab, ohne die Art der Gefahr und die Umstände des Eingreifens näher zu umschreiben, kann eine eigenständige Adressatenregelung in der Regel nicht angenommen werden 192 . In diesen Fällen sind, ähnlich wie bei der Generalklausel, die möglichen Gefahrenlagen zu unbestimmt, um bereits im Vorfeld einen bestimmten Adressaten festzumachen. Für die Identitätsfeststellung nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 MEPolG 1 9 3 , die eine Feststellung der Personalien lediglich „zur Abwehr einer Gefahr" ermöglicht und damit ebenfalls der Generalklausel gleicht, ist dies allgemein anerkannt 194. Ebenso enthält § 21 Nr. 1 MEPolG, der die Sicherstellung „einer Sache" zur Abwehr einer Gefahr erlaubt, keine Bestimmung des Adressaten 1 9 5 . Wortsinn, Systematik, aber auch die rechtsstaatlichen Gebote der Bestimmt-

et) z. B. § 20 Abs. 1 und Abs. 3 - 4 , § 21 Abs. 1 und 2, § 22 und § 25 Abs. 1 BWPolG. 191 Vgl. auch § 29 Abs. 1 Nr. 4 und 5, § 30 Abs. 1 Nr. 4 und 5 BWPolG. 192 Altschaffel, 13.4 (S. 91); Götz, Polizeirecht, 12. Aufl., Rdnr. 194. 193 Vgl. auch § 261 Nr. 1 BWPolG. 194 Spießhofer, S. 57; Schwan, AöR 102 (1977), 243 (253); Ule/Rasch, Teil A, § 9 MEPolG Rdnr. 6; Scholler/Schioer, S. 111; Reichert/Ruder/Fröhler, Rdnr. 537. 195 So auch Honnacker/Beinhofer, zu Art. 25 BayPAG Anm. 8.

2. Teil: Rechtsgrundlagen

heit und Rechtsklarheit sprechen daher dafür, daß der richtige Adressat auch bei der Platzverweisung nach § 12 MEPolG den allgemeinen Vorschriften über die polizeirechtliche Verantwortlichkeit im Einzelfall zu entnehmen ist. Diese Auslegung steht schließlich auch mit der Gesetzgebungsgeschichte des Platzverweises in Einklang. Im Gegensatz zu § 12 MEPolG, der schlicht auf die Abwehr einer Gefahr abstellt, nannte der Platzverweis des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes von 1954 bis 1974 ausdrücklich bestimmte Rechtsgüter, zu deren Schutz eine Platzverweisung erfolgen durfte. Dabei handelte es sich durchweg um hochwertige Rechtsgüter wie die Abwehr von Straftaten und verfassungsfeindlichen Handlungen sowie den Schutz des Lebens, der Gesundheit und hochwertiger Sachen. Diese sind zwar ebenfalls Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit im Sinne der heutigen Polizeigesetze, ihr Schutz würde aber regelmäßig auch nach heutigem Polizeirecht die Inanspruchnahme des sogenannten Nichtstörers rechtfertigen 196 . Wegen dieser engen Voraussetzungen nimmt Schioer 197 an, daß sich bereits in der frühen bayerischen Kommentarliteratur die Meinung gebildet habe, beim Platzverweis komme es nicht auf die Verantwortung für die Gefahr an, der Adressat sei vielmehr dem Wesen und Zweck der Maßnahme selbst zu entnehmen. Allerdings verwendete die Begründung zu Art. 16 BayPAG 1954 bereits die Begriffe des „Störers" und des „Nichtstörers" im Zusammenhang mit der Adressatenfrage 198 . Daraus ist zu schließen, daß auch der Platzverweis von 1954 bis 1974 an die allgemeinen Vorschriften über die Verantwortlichkeit anknüpfen wollte 1 9 9 , insbesondere deshalb, weil nach Auffassung des bayerischen Gesetzgebers 1954 die Platzverweisung nur „nötigenfalls", also nur als ultima ratio, gegen den Nichtstörer zulässig sein sollte.

(2) Die Rechtsfolge als Korrektiv? Es verbleibt die Frage, ob die besondere Rechtsfolge - die Verweisung - zu einem anderen Ergebnis führt oder - entsprechend niedersächsischem und neuerdings bremischem Vorbild - de lege ferenda zu einem anderen Ergebnis führen sollte. Vertreter beider Auffassungen behaupten, der Begriff der Verantwortlichkeit

196 So Schioer, DÖV 1991, 955 (958). 197 Schioer, DÖV 1991, 955 (958) vermutet, daß aufgrund dieser engeren Voraussetzungen die Differenzierung zwischen Störer und Nichtstörer praktisch vernachlässigt werden konnte. Diese Auffassung vertraten u. a. Samper, PAG, Art. 16 Rdnr. 12; Berner/Köhler, 13. Aufl., Art. 16 Rdnr. 2. Berner/Köhler haben diese Auffassung seit der 14. Aufl. 1995, Art. 16 Rdnr. 2, aufgegeben und entnehmen den Adressaten der Vorschrift nunmehr den allgemeinen Störerregelungen, vgl. 16. Aufl., Art. 16 Rdnr. 2. Auch Honnacker/Beinhof er, Art. 16 Anm. 6, die die Kommentierung Sampers fortführen, haben an dessen Auffassung nicht weiter festgehalten, weil § 12 MEPolG nunmehr nur noch auf die „Abwehr einer Gefahr" abstelle. 198 Begründung zu Art. 16 PAG 1954, Verhandlungen des Bayr. LT, 4. Tagung 19531954, Beilagenband 6,4660 v. 06. 10. 1954, Stb BB VII Nr. 220, S. 21. 199 So auch König, Hans-Günther, Art. 16 Anm. II. 1; Schioer, DÖV 1991, 955 (958).

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

lasse sich aus § 12 MEPolG für alle Fälle des Platzverweises eigenständig definieren: Bereits die bloße Anwesenheit einer Person könne eine für den Platzverweis relevante Gefahr verursachen 200. Die Inanspruchnahme des Nichtstörers wäre danach praktisch ausgeschlossen201, der Platzverweis quasi gegenüber jedem, der sich im Bereich einer Gefahr aufhält, möglich. Es sind jedoch keine Gründe ersichtlich, weshalb der Begriff der Verantwortlichkeit bei § 12 MEPolG anders interpretiert werden sollte als bei den sonstigen Eingriffsbefugnissen. Der Platzverweis stellt auf eine konkrete Gefahr ab. Es kann also grundsätzlich zwischen Störer und Nichtstörer differenziert werden. Durch Gleichstellung von Anwesenheit und Verursachung bzw. Verantwortlichkeit würde aber häufig der eigentliche Nichtstörer zum Störer. Beispielsweise wären alle Anwesenden an einem Ort, an dem eine Explosions- oder Bombengefahr besteht, Störer. Schioer 202 bezeichnet sie als Störer ihrer „eigenen Lebensgüter". Der eigentlich Gestörte ist jedoch nicht ohne weiteres Störer. Ihn trifft grundsätzlich keine Verpflichtung zum Handeln, da es Aufgabe der Polizei ist, ihn zu schützen203. Im Sinne der Verhaltens Verursachung ist daher grundsätzlich kein Störer, wer sich trotz einer für ihn bestehenden Gefahr ohne besondere Rechtspflicht zum Handeln aus dem Gefahrenbereich nicht entfernt. Aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsstaatlichkeit sind daher auch beim Platzverweis keine anderen Maßstäbe an die Verhaltensverantwortlichkeit anzulegen. Die Gegenauffassung ist zudem - insbesondere aus Sicht der Befürworter der Auffassung, § 12 MEPolG enthalte keine Adressatenbestimmung - inkonsequent, weil sie letztlich doch zu einer Adressatenbestimmung führt, indem alle Anwesenden zu Verhaltensverantwortlichen und damit zu Adressaten erklärt werden. Für eine Gleichstellung von Anwesenheit und Verantwortlichkeit besteht schließlich kein Bedürfnis, weil - wie zu zeigen sein wird - sich sämtliche Fälle der Platzverweisung problemlos und sachgerecht über die allgemeinen Störerregelungen lösen lassen. Auch die vereinzelt geäußerten Bedenken, der Begriff der Verantwortlichkeit würde bei Anwendung der allgemeinen Störervorschriften überdehnt, da die polizeiliche Verantwortung im Falle der Platzverweisung das Erkennen einer polizeilichen Gefahr und damit der Pflicht, sich zu entfernen, voraussetze 204, sind unbegründet. Effektive Gefahrenabwehr macht es erforderlich, die Störereigenschaft ausschließlich durch ein objektiv störendes Verhalten zu begründen 205. Der Verursacher einer Gefahr muß sich seiner Störereigenschaft daher nicht bewußt sein. 200 So etwa Berner/Köhler, 16. Aufl., Art. 16 Rdnr. 2; Jochum/Rühle, H Rdnr. 50. 201 Dies betonen Berner/Köhler, 16. Aufl., Art. 16 Rdnr. 2 und Hornmann, § 31 Rdnr. 10. 202 Schioer, DÖV 1991, 955 (958). 203 Drews/Wacke/Vogel/Martens, § 20, 1 (S. 308); Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 153; Schoch, JuS 1994, 849 (853). 204 So Schmidbauer, in: Schmidbauer/Steiner/Roese, Art. 16 Rdnr. 15 im Anschluß an die von Berner/Köhler zwischenzeitlich aufgegebene Auffassung in der 13. Aufl., Art. 16 Rdnr. 2. 205 Drews/Wacke/Vogel/Martens, § 19, 3 (S. 293).

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

(3) Die Anwendung der allgemeinen Störervorschriften auf den Platzverweis Bei Ermittlung des Störers ist allerdings sorgfältig zu prüfen, um welche Gefahr es im konkreten Fall geht. Insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Funktionsfähigkeit des Staates kann neben einer bereits bestehenden Gefahr für die öffentliche Sicherheit eine weitere für die Durchführung einer Amtshandlung hinzukommen. Als Störer wegzuweisen sind damit Personen, die Amtshandlungen beeinträchtigen. Störer sind daher auch Journalisten, die, etwa wie beim „Gladbecker-Geiseldrama" im Jahre 1988, mit den Geiselnehmern vor Ort Presseinterviews führten und so die Arbeit der Polizei und das Leben der Geiseln gefährdeten. Weil § 12 MEPolG aber nicht nur die Wegweisung, sondern auch das Zutrittsverbot erfaßt, sind auch diejenigen Personen Störer und nicht bloße Nichtstörer, deren Anwesenheit an einem bestimmten Ort eine Gefahr für die Funktionsfähigkeit des Staates bedeuten würde. So sind Personen als Störer durch Zutrittsverbote an dem Betreten von Orten zu hindern, an denen die Polizei Spuren oder Schäden aufnimmt. Ebenso kann ein Platzverweis im Rahmen einer Razzia als Zutrittsverbot gegenüber Personen ausgesprochen werden, die sich außerhalb des Razziagebietes befinden, um diese an dem Betreten des Gebietes während der Durchführung der Razzia zu hindern. In allen Fällen würde die Anwesenheit von Personen eine konkrete Gefahr für die ordnungsgemäße Durchführung der Amtshandlungen darstellen. Die Gefahr geht mithin von den verwiesenen Personen selbst aus. Ein Vorliegen der engen Voraussetzungen des polizeilichen Notstands bedarf es dann nicht 2 0 6 . Nichtstörer im Rahmen einer Platzverweisung sind grundsätzlich all diejenigen, die weggewiesen werden, weil ihnen selbst Gefahren drohen, die sie nicht verursacht haben 207 . Räumungen bei Explosionsgefahren und Bombendrohungen, Absperrungen bei Gefahren durch umstürzende Bäume sind als einige wenige Beispiele zu nennen. In den genannten Beispielen werden in der Regel auch die engen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes vorliegen, zumal sich die Gefahr zumeist nicht anders als durch Entfernung der Gefährdeten kurzfristig beseitigen läßt. Der Schutz der eigenen Rechtsgüter hat jedoch Grenzen. Das allgemeine Persönlichkeitsrecht nach Art. 2 Abs. 1 GG gewährleistet dem einzelnen grundsätzlich frei zu entscheiden, welchen Gefahren er sich aussetzen w i l l 2 0 8 . Das Bundesverfassungsgericht stellt dem Gefährdeten darüber hinaus die Zurückweisung der Hilfe frei, solange durch seine Selbstgefährdung nicht Rechtsgüter anderer oder der Allgemeinheit in Mitleidenschaft gezogen werden 209 . Die freiwillige Selbstgefährdung 206 So auch Schwan, AöR 102 (1977), 243 (263). 207 VG Schleswig, NVwZ 2000, 464 (465): Die Anwesenheit von Mitgliedern einer rechtsextremistischen Gruppierung bei einem Schützenfest führte zu Aggressionen anderer Festbesucher. Die Polizei verfügte nicht über genügend Einsatzkräfte, um die Nichtstörer zu schützen, so daß diese vom Platz verwiesen wurden. 208 VGH Mannheim, VB1BW 1998, 2235 (2236) und VB1BW 1998, 25. 209 BVerfGE 58, 208 (225).

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

1

ist damit bis zu einem gewissen Grad polizeirechtlich irrelevant. Hierunter fallen aber nur diejenigen Fälle, in denen jemand trotz Kenntnis der Gefahr, etwa nachdem er durch eine Räumungsempfehlung auf die Gefahr aufmerksam gemacht wurde, sei es aus Neugier, sei es wegen des Nervenkitzels, sich gleichwohl nicht aus dem Gefahrenbereich entfernt 210 . Für die Platzverweisung bedeutet dies, daß der sich ausschließlich Selbstgefährdende aus verfassungsrechtlichen Gründen grundsätzlich nicht in Anspruch genommen werden könnte, es sei denn, er befindet sich in einem die freie Willensbildung ausschließenden Zustand. Gefährdet er durch sein Verhalten die Rechtsgüter Dritter, stellt er eine eigenständige Gefahr dar und ist deshalb als Störer in Anspruch zu nehmen. Wer während einer polizeilichen Suchaktion nach einer versteckten Bombe trotz Aussperrung der Allgemeinheit anwesend sein möchte, gefährdet nicht nur sich selbst, sondern auch die Suchaktion, selbst wenn nur die Gefahr der Nachahmung durch andere besteht211. Die Interessen der Allgemeinheit sind auch berührt, wenn die Selbstschädigung der Solidargemeinschaft der Versicherten zur Last fallen würde 212 . Dann besteht ein öffentliches Interesse an einem polizeilichen Einschreiten. Die Notwendigkeit einer genauen Differenzierung stellt sich für das Recht der allgemeinpolizeilichen Gefahrenabwehr jedoch in der Regel nicht, da es für die vor Ort entscheidenden Polizeibeamten in der Kürze der Zeit nicht möglich sein wird, zu erkennen, ob sich der sich selbst Gefährdende in einem Zustand freier Willensentscheidung befindet oder nicht und ob Interessen der Allgemeinheit gefährdet sind. Aus ex ante Sicht wird ein Eingreifen der Polizei gegen einen möglichen Nichtstörer dann berechtigt sein. Diese grundlegende Auffassung kommt auch in den Vorschriften zum Schutzgewahrsam in den Polizeigesetzen zum Ausdruck, wonach ein Eingreifen zulässig ist, wenn eine Person Selbstmord verüben will. Diskutiert wird auch die Möglichkeit der Verweisung des sogenannten Zweckveranlassers. Der Zweckveranlasser provoziert ein bestimmtes Verhalten anderer, welches - als zwangsläufige Folge - eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellt. Nach der von der herrschenden Auffassung befürworteten Theorie der unmittelbaren Verursachung, die die Ursächlichkeit eines Verhaltens danach bemißt, ob dadurch die polizeirechtliche Gefahrenschwelle überschritten und damit die hinreichende Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts begründet oder erhöht wurde, ist auch der Zweckveranlasser Störer. Denn nach der Theorie der unmittelbaren Verursachung muß nicht zwingend derjenige Störer sein, der die zeitlich letzte Ursache einer Gefahr gesetzt hat 2 1 3 . Um verfassungsrechtlichen Bedenken 214 gegen die Anwendung der Rechtsfigur des Zweckveranlassers entgegenzutreten, setzt 210 Fischer, Kai, S. 22. 211 Heckmann/Klein, JuS 1995, 327 (330). 212 v.Münch, in: v.Münch/ Kunig, GG Bd. 1, Vorb. Art. 1-19, Rdnr. 63; Schwabe, JZ 1998, 66 (72 ff.). 213 Schenke, in: Steiner, II, Rdnrn. 156 f.; Schoch, JuS 1994, 932. 214 Offengelassen von BVerfG, NVwZ 2000, 1406 (1407) - Zweckveranlasser im Versammlungsrecht.

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

dessen Inanspruchnahme konkrete Anhaltspunkte dafür voraus, daß der Zweck seines Verhaltens nur die gezielte Provokation einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit war. Dann verhält sich der Zweckveranlasser nämlich zumindest auch polizeiwidrig, weil sein provozierendes Verhalten gegen die allgemeine Nichtstörungspflicht verstößt. Auch hier wird die bloße Anwesenheit etwa einer politischen Reizfigur nicht für eine Inanspruchnahme ausreichen. So reichte die Anwesenheit von Angehörigen einer rechtsextremistischen Gruppierung bei einem öffentlichen Fest nicht zum Nachweis der Zweckveranlassung der erfolgten Auseinandersetzungen mit anderen Festbesuchern aus, so daß eine Wegweisung nach Auffassung des VG Schleswig nur als Nichtstörer in Betracht kam 2 1 5 . Ein Platzverweis gegenüber einem Zustandsverantwortlichen erscheint nach der hier vertretenen Auffassung ungeeignet. Bildet eine Sache eine Gefahr, macht Gefahrenabwehr nur dann einen Sinn, wenn die Sache selbst entfernt wird oder der Inhaber der tatsächlichen Gewalt anwesend sein darf, um an Ort und Stelle seine Sachherrschaft über den gefahrverursachenden Gegenstand auszuüben. Allenfalls kann der Zustandsstörer mit der weitergehenden Verpflichtung, auch die gefahrverursachende Sache mitzunehmen, weggewiesen werden 216 . (4) Der Platzverweis

gegen eine Menschenmenge

Soll eine Menschenmenge von einem Ort verwiesen werden, weil einzelne Personen in der Menschenmasse durch ihr Verhalten eine konkrete Gefahr verursachen, so sind nach Nr. 16.2 Abs. 2 der Völlzugsbekanntmachung zu Art. 16 BayPAG auch die anderen Personen in der Menschenmenge im Sinne der Verhaltensverantwortlichkeit verantwortlich, „weil sie durch ihre Gegenwart die Gefahr verstärken" würden. Dieser Auffassung kann nicht zugestimmt werden. Dem Polizeirecht als Eingriffsrecht ist eine Einstandspflicht für andere - unabhängig von den Regelungen des polizeilichen Notstands - fremd. Grundsätzlich müssen die polizeilichen Eingriffsvoraussetzungen bei jedem einzelnen vorliegen. Ein pauschaler Platzverweis gegenüber einer „Menschenmenge" ist daher nur möglich, wenn jeder einzelne in der Menge die Eingriffsvoraussetzungen des Platzverweises erfüllt. Verstoßen etwa sämtliche Personen in einer Menschenansammlung gegen ein gesetzliches Entfernungsgebot oder behindern sie alle die Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen, ist ein Platzverweis gegenüber allen erforderlich. Hier kann sich wegen des möglichen Nachahmungseffekts auch der einzelne nicht darauf berufen, er selbst störe nicht 2 1 7 . In den übrigen Fällen ist die Polizei gezwungen, einzelne Störer herauszugreifen und in die Pflicht zu nehmen.

215 VG Schleswig, NVwZ 2000,464 (465) - Schützenfest. 216 S. oben in diesem Teil, A. I. 1. d). 217 Heckmann/Klein, JuS 1995, 327 (330 mit Fn. 24).

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

(5) Entschädigungsansprüche

des Nichtstörers?

Schließlich sind auch Bedenken im Hinblick auf etwaige Ersatzansprüche der Nichtstörer unbegründet. Nach § 45 Abs. 1 S. 1 MEPolG hat der Nichtstörer einen Anspruch auf eine Entschädigung, wenn er durch seine Inanspruchnahme einen Schaden erlitten hat. § 46 MEPolG und ihm folgend die meisten Landespolizeigesetze beschränken diese Ersatzpflicht in der Regel auf entstandene Vermögensschäden. Lediglich bei Verletzungen des Körpers, der Gesundheit oder bei Freiheitsentziehung sollen nach § 46 Abs. 2 MEPolG auch immaterielle Schäden ersetzbar sein. Bei den meisten Platzverweisen wird in aller Regel ein fühlbarer Vermögensschaden nicht eintreten, weil die allgemeine Handlungsfreiheit nach Art. 2 Abs. 1 GG für nur kurze Zeit und für einen eng begrenzten Raum beschränkt wird. Finanzielle Schäden könnten etwa bei Versäumung eines Geschäftstermins oder öffentlichen Verkehrsmittels entstehen. Finanzielle Schäden können auch entstehen, wenn die Polizei den Bürger an der Sicherung und Rettung seines Eigentums hindert, in dem der Aufenthalt in einem Gebiet, etwa wegen Hochwassers, verboten wird 2 1 8 . In einem vom OLG Stuttgart 219 entschiedenen Fall ist ein Vermögensschaden eines Diskothekenbetreibers, der zur Duldung einer Platzverweisung gegenüber seinen Gästen verpflichtet war, anerkannt worden. Die Diskothek mußte wegen einer ernst zu nehmenden Bombendrohung geräumt werden, woraufhin die weggewiesenen Gäste ihre Getränke nicht mehr bezahlten. Der Entschädigungsanspruch des Nichtstörers ist jedoch in zweierlei Hinsicht begrenzt: Zum einen handelt es sich tatsächlich um einen Entschädigungsanspruch, nicht um einen Schadensersatzanspruch. Gewährt wird also, wie bei sonstigen Aufopferungsansprüchen auch, ein Ausgleich für das erbrachte Sonderopfer 220. Zum anderen wird aufgrund der meisten Polizei- und Ordnungsgesetze der Länder eine Entschädigung entsprechend dem Rechtsgedanken der Vorteilsausgleichung dann nicht gewährt, wenn die Maßnahme ausschließlich oder weit überwiegend dem Schutz der Person oder des Vermögens des in Anspruch genommenen Nichtstörers gedient hat 2 2 1 . Ein Entschädigungsanspruch kommt in diesen Fällen also nur in Betracht, wenn die Maßnahme zugleich überwiegend dem Interesse der Allgemeinheit diente 222 . Mögliche Entschädigungsansprüche des Nichtstörers werden sich nach alledem in tragbaren Grenzen halten. Abgesehen davon besteht nach richtiger Auffassung die Gefahr der Geltendmachung von Entschädigungsansprüchen auch dann, wenn man den Platzverweis - wie von der Gegenauffassung 218 Vgl. Schwabe, JZ 1998, 66 (67), wobei in diesen Fällen der kurzfristige Platzverweis aber ohnehin als Rechtsgrundlage nicht ausreichen wird. 219 OLG Stuttgart, NJW 1992, 1396. 220 Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 348.

221 Z. B. § 46 Abs. 5 S. 1 MEPolG; § 55 Abs. 1 S. 2 BWPolG; Art. 70 Abs. 4 BayPAG; § 10 Abs. 3 S. 2 HambSOG; § 64 Abs. 2 HSOG; § 67 i. V. m. § 39 Abs. 2 b NWPolG; § 53 Abs. 5 SächsPolG. 222 OLG Stuttgart, NJW 1992, 1396.

. Teil: Rechtsgrundlagen

befürwortet - gegenüber „jedermann" zuließe. Erbringt der eindeutig als „Nichtstörer" zu qualifizierende „jedermann" durch seine Inanspruchnahme zur Gefahrenabwehr ein Sonderopfer, ist seine Situation durchaus mit der eines Nichtstörers im Sinne der §§ 6, 45 MEPolG vergleichbar. Dies gilt um so mehr dann, wenn wie hier als Eingriffsvoraussetzung das Vorliegen einer konkreten Gefahr verlangt wird - ein Gefahrenverursacher also häufig existieren wird. Die insbesondere von Rachor 223 vertretene Auffassung, die Inanspruchnahme „jedermanns" schließe eine Ungleichbehandlung, wie sie bei einer Sonderopferlage definitionsgemäß vorliege, aus, weil die Allgemeinheit betroffen sei, ist daher mit der vorliegenden Fallkonstellation nicht vergleichbar. Anders als beim Platzverweis knüpfen die von Rachor genannten Fälle nämlich nicht an das Vorliegen einer Gefahr an und richten sich daher zwangsläufig an die Allgemeinheit. Auch hier sprechen also verfassungsrechtliche Gründe für eine Entschädigung und damit für eine Gleichbehandlung beider Fälle, so daß dem als „jedermann" in Anspruch genommenen Nichtstörer nach zutreffender Ansicht jedenfalls ein Entschädigungsanspruch „unter dem Gesichtspunkt des verfassungsgewohnheitsrechtlich anerkannten Rechtsinstituts der Aufopferung" befürwortet werden muß 2 2 4 .

2. Der Platzverweis zum Schutz der Einsätze von Feuerwehr, Hilfs- und Rettungsdiensten nach § 12 S. 2 MEPolG a) Problemstellung Nach § 12 S. 2 MEPolG kann die Platzverweisung „ferner gegen Personen angeordnet werden, die den Einsatz der Feuerwehr oder von Hilfs- und Rettungsdiensten behindern." Die Vorschrift, die mit Ausnahme Hamburgs und Baden-Württembergs in allen Landespolizeigesetzen geregelt ist 2 2 5 , zielt in erster Linie auf die Verweisung von Schaulustigen und Neugierigen, die an Unfallstellen oder bei sonstigen spektakulären Ereignissen zusammenströmen, um das Geschehen aus nächster Nähe zu betrachten. Ungeachtet der praktischen Notwendigkeit einer solchen Regelung ist deren dogmatische Berechtigung neben der Befugnis zur allgemeinen Platzverweisung nach Satz 1 umstritten. Obwohl der Wortlaut „ferner" in § 12 S. 2 MEPolG auf eine erweiterte Befugnis im Vergleich zur Platzverweisung nach Satz 1 hindeutet, wird darin häufig lediglich ein spezieller Anwendungsfall des Platzverweises nach Satz 1 gesehen. Der Einsatz der Feuerwehr und sonstiger Hilfs- und Rettungsdienste erfolge immer in Gefahrensituationen, Behinderungen 223 Rachor, in: Lisken/Denninger, L Rdnr. 54; zustimmend Würtenberger/Heckmann/ Riggert, Rdnr. 545. 224 Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 81, vgl. auch Rdnr. 351. Ebenso Mußmann, Polizeirecht, Rdnr. 527; Waechter, Polizeirecht, Rdnr. 702. 225 Nachweise vgl. Einleitung, Fn. 10, jeweils Satz 2 der Vorschriften. § 31 Abs. 1 S. 2 HSOG und § 36 Abs. 1 S. 2 SOG LSA sprechen von der Behinderung der Feuerwehr oder „anderer Hilfs- oder Rettungsmaßnahmen".

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

dieser Rettungsaktionen stellten damit immer eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. Die Vorschrift diene folglich allein der Klarstellung und Verdeutlichung der Platzverweisung nach Satz l 2 2 6 . So forderten Priimm/ Stubenrauch 227 auch, es müsse in Satz 2 statt „ferner" besser „insbesondere" heißen. Dieser Auffassung haben sich zwischenzeitlich die Gesetzgeber von RheinlandPfalz 228 , dem Saarland 229 und Sachsen230 angeschlossen. Andere dagegen sehen in § 12 S. 2 MEPolG eine eigenständige und durchaus berechtigte Regelung 231 . Berlin hat sogar den Kreis der vom Erlaß einer Platzverweisung nach § 29 Abs. 1 S. 2 BlnASOG Begünstigten um den Zusatz „die Polizei" erweitert 232 . Der Blick in die Materialien zum Bayerischen Polizeiaufgabengesetz hilft zur Klärung der Notwendigkeit des Satzes 2 allerdings nicht weiter. Der Platzverweis wurde im Jahre 1974 um die Möglichkeit des Schutzes von Rettungs- und Hilfseinsätzen ergänzt. In der Begründung zum Entwurf des Art. 16 S. 2 BayPAG 1974 233 heißt es, es habe sich in bestimmten Situationen die Erforderlichkeit herausgestellt, „daß eine Örtlichkeit - beispielsweise von Schaulustigen nach einem Unglücksfall verlassen wird, damit die Polizei überhaupt zum Tatort gelangen kann." Ferner hätte sich gezeigt, „daß auch nicht selten die Feuerwehr und andere Hilfs- oder Rettungsdienste durch Schaulustige behindert" würden. Mit der Änderung des Polizeiaufgabengesetzes sollte für diese Fälle daher eine Rechtsgrundlage geschaffen werden. Man ging also offenbar davon aus, daß diese Fälle von der bisherigen Befugnis zum Platzverweis nicht erfaßt waren. Zu beachten ist allerdings, daß Art. 16 BayPAG 1974, anders als der MEPolG, nicht pauschal die öffentliche Sicherheit und Ordnung zum Schutzgut hatte, sondern auf bestimmte Eingriffsvoraussetzungen wie die Verhütung von mit Strafe oder Geldbuße bedrohter Handlungen und die Abwehr von Gefahren für Leben, Freiheit, Eigentum etc. verwies. Diese sind zwar auch Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, sie sind aber nicht so weitgehend, weil sie beispielsweise nicht das Schutzgut der Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen umfassen. Im folgenden soll daher der Platzverweis nach Satz 2 mit

226

Bernet/Groß/Mende, § 31 Rdnr. 6; Böhrenz/Franke, § 17 Anm. 6; Tegtmeyer, § 34 Rdnr. 8; Honnacker/Beinhof er, Art. 16 Anm. 8; Jochum/ Rühle, H Rdnr. 48 zur Neufassung des § 13 RhPfPOG; Kay, 1. Kap., 1. Abschnitt, II. 2.1; Knemeyer, Rdnr. 217; Meixner/Fredrich, § 31 Rdnr. 13; Meixner/Martell, § 36 Rdnr. 11; Möller/Wilhelm, S. 166; Niehörster, S. 52; Scheffler, NJW 1995, 232 (233); Schmidbauer, in: Schmidbauer/Steiner/Roese, Art. 16 Rdnr. 26; Sommer, S. 200. 22 ? Prümm/Stubenrauch, § 13 Rdnr. 6. 22 « Änderungsgesetz PVG Rheinland-Pfalz v. 08. 06. 1993, Art. 1 Nr. 13 zu § 13 PVG, GVB1. 1993,315. 22 9 Saarländisches Polizeigesetz, Amtsblatt des Saarlandes 1989,1750 ff. (1753). 2 30 § 21 SächsPolG v. 30. 06. 1991 i. d. F. v. 24. 05. 1994 (GVB1. S. 292). 2 31 Vgl. Mußmann, in: Stephan/Zeitler, S. 154; Berg/Knape/Kiworr, § 29 B 2; Rachor, in: Lisken / Denninger, F Rdnr. 445. 2 2 3 Berlinisches GVB1. 1992,119(125). 23 3 Entwurf eines 2. Strafrechtsanpassungsgesetzes, Bayr. LT-Drs. 7/5912, S. 30.

2. Teil: Rechtsgrundlagen

dem des Satzes 1 verglichen werden, um so feststellen zu können, ob mit Satz 1 tatsächlich ein entsprechender Schutz erreicht werden kann.

b) Vergleich der Platzverweise nach § 12 S.l MEPolG und § 12 S. 2 MEPolG aa) Das Schutzgut in § 12 S. 2 MEPolG „Personen, die den Einsatz der Feuerwehr oder von Hilfs- und Rettungsdiensten behindern", können nach Satz 2 verwiesen werden. Damit konkretisiert § 12 S. 2 MEPolG im Vergleich zu § 12 S. 1 MEPolG nicht nur den Adressaten der Maßnahme, sondern auch die Gefahr und das Schutzgut. Vom Wortlaut her geht es nur mittelbar um den Schutz des zu rettenden Rechtsguts, etwa das Leben eines Verletzten oder Sachwerte, vorrangig stellt Satz 2 auf die Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Durchführung der Rettungseinsätze ab. Die „Gefahr" liegt also in der Behinderung der Einsatzkräfte. Systematisch erinnert die Vorschrift damit an das Schutzgut der Funktionsfähigkeit des Staates und seiner Einrichtungen. Soweit es sich bei den Einsatzkräften um staatliche Behörden oder Einrichtungen handelt, würde sich die Gefahr für die öffentliche Sicherheit unter dem Gesichtspunkt der Funktionsfähigkeit staatlicher Organe und seiner Einrichtungen auch relativ unproblematisch nach Satz 1 ergeben. Dies trifft auf die freiwillige und die Berufsfeuerwehr 2 3 4 sowie das technische Hilfswerk zu, nicht aber auf private Hilfsorganisationen. Mit Ausnahme des Bayerischen Roten Kreuzes, das als Körperschaft des öffentlichen Rechts organisiert ist 2 3 5 , stehen Hilfs- und Rettungseinrichtungen wie Rotes Kreuz, Bergwacht, Malteser oder Johanniter Unfallhilfe unter privatrechtlicher Trägerschaft 236. Diese Einrichtungen sind zwar durch öffentlich-rechtliche Verträge verpflichtet 237 und nehmen damit eine öffentliche Aufgabe wahr. Dies macht sie aber noch nicht zu einer Einrichtung des Staates. Gleiches gilt für die Werksfeuerwehren, die zwar Feuerwehr im Sinne des Satzes 2 sind, nicht aber Einrichtungen des Staates238. Satz 2 bezieht diese gleichwohl in den Anwendungsbereich mit ein. Im Falle der Anwendung des § 12 S. 1 MEPolG müßte die konkrete Gefahr, die wegen Behinderung der Rettungsdienste für die öffentliche Sicherheit droht, anderweitig begründet werden 239 . Satz 2 wäre also zumindest für den Rechtsanwender eine Erleichterung, die Vorschrift letztlich aber überflüssig, wenn, wie von der herrschenden Auffassung behauptet, das Behindern der Hilfseinsätze

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Vgl. z. B. § 1 Baden-Württembergisches Feuerwehrgesetz (FWG). 5 Gesetz v. 16. 07. 1986, Bayerisches GVB1. S. 134. 23 6 So auch Berg/Knape/Kiworr, § 29 Anm. B 2 a) bb). 23

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Vgl. etwa § 2 Abs. 1 Baden-Württembergisches Rettungsdienstgesetz (RDG). Berg/Knape/Kiworr, § 29 B 2 a) aa). 23 9 So auch Berg/Knape/Kiworr, § 29 B 2 a) bb). 238

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

unabhängig von dem Schutzgut der Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen stets eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit darstellen würde. bb) Die Gefahr für die öffentliche Sicherheit Stellt man allein auf die ohnehin für das zu rettende Rechtsgut bestehende Gefahr ab, läge eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit vor. Da Satz 2 aber bei dem „Behindern" der Rettungsdienste ansetzt, müßte dieses „Behindern" für das zu rettende Rechtsgut eine eigenständige, darüber hinausgehende Gefahr darstellen. Je nachdem, wie der Begriff „behindern" interpretiert wird, scheint dies nicht zwingend. „Behindern" der Rettungseinsätze verlangt kein aktives Behindern im Sinne eines aktiven Eingreifens in die Arbeit der Einsatzdienste. Rettungsdienste werden im Rahmen ihres Einsatzes bereits dann behindert, wenn jemand die Hilfsmaßnahmen erschwert oder vereitelt. Es reicht also aus, daß die Anwesenheit einer Person für die Hilfsmaßnahmen ein Hindernis darstellt, etwa weil durch sie die Zu- und Abfahrtswege blockiert werden. Ein „im Wege sein" - so auch die Definition im Duden 240 - reicht daher aus. Wie Kay 2 4 1 allerdings zutreffend ausführt, genügt die Abwehr bloßer Neugier hierfür nicht. Das Betrachten eines Ereignisses aus nächster Nähe ist, wie im Verlauf der Untersuchung zu zeigen sein wird, grundsätzlich rechtlich zulässig, soweit dadurch die Interessen anderer nicht gestört werden. Werden Rettungsmaßnahmen erschwert oder vereitelt, wird aber regelmäßig die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines weitergehenden Schadens für das zu rettende Rechtsgut vorliegen, weil nämlich dann die konkrete Gefahr oder zumindest die Anscheinsgefahr besteht, daß Hilfsmaßnahmen nicht rechtzeitig oder ordnungsgemäß erfolgen können und somit das in Gefahr geratene Rechtsgut weiter gefährdet ist. Der Begriff „behindern" führt also ebenfalls zu einer konkreten Gefahr für das zu rettende Rechtsgut242. Ein Teil des strafrechtlichen Schrifttums sieht überdies in dem Behindern der Rettungseinsätze an Unglücksstellen durch neugierige Zuschauer den Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung nach § 323 c StGB verwirklicht 243 . § 323 c StGB begründet eine Handlungspflicht zur Hilfeleistung bei Unglücksfällen, gemeiner Gefahr oder Not. Unglücksfall ist ein „plötzlich eintretendes Ereignis, das eine erhebliche Gefahr für ein Individualrechtsgut mit sich bringt oder zu bringen droht." 244 Solche Ereignisse sind Verkehrsunfälle 245, unter 240

Duden, Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 2, Stichwort: „behindern", auch „hemmen, störend aufhalten". Vgl. zum Begriff des „Behinderns" Wagner, § 12 MEPolG Rdnr. 2; Kay, 1. Kap., 1. Abschnitt, II. 2.1. Kay, 1. Kap., 1. Abschnitt, II. 2.1. 242 A. A. wohl Rachor, in: Lisken / Denninger, F Rdnr. 445. 24 3 Scheffler, NJW 1995, 232 (234); Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke / Schröder, § 323 c Rdnr. 16. 244

Tröndle/Fischer, § 323 c Rdnr. 2 a; BGHSt 6, 147 (152), wobei allerdings streitig ist, ob auch Sachgüter ausreichen. 7 Neuner

2. Teil: Rechtsgrundlagen

dem Gesichtspunkt der gemeinen Gefahr auch Brände und Naturkatastrophen, also Situationen, bei denen häufig Feuerwehr und sonstige Hilfs- und Rettungseinrichtungen im Sinne des § 12 S. 2 MEPolG zum Einsatz kommen. § 323 c StGB sanktioniert das Nichterbringen einer Hilfeleistung, obwohl diese tatsächlich möglich und zumutbar gewesen wäre. Die geforderte Hilfeleistung kann einmal in einem aktiven „Zupacken" bestehen, aber auch darin, die Hilfeleistung anderer nicht unnötig zu behindern 246 . Letzteres gilt insbesondere dann, wenn zur Hilfeleistung nicht beigetragen wird oder beigetragen werden kann. So konstatiert Spendel 247 zutreffend, daß „das wenigste, was man bei einem Notfall von den sich ansammelnden Schaulustigen oder sensationslüsternen »Gaffern 4, die dem herbeieilenden Rettungspersonal ( . . . ) ,im Wege stehen4 und so die Rettungsarbeiten sogar behindern und einschränken, verlangen muß, (die Pflicht ist), beiseitezutreten und die Hilfsmaßnahmen nicht noch zu erschweren." Folgt man dieser Auffassung, wofür gute Gründe sprechen, würde also auch unter dem Gesichtspunkt der Verletzung von Rechtsnormen in der Regel eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit bestehen.

cc) Der Adressat Abschließend verbleibt die Frage, ob sich beide Vorschriften im Hinblick auf den Adressaten unterscheiden. Wie im vorangegangen Abschnitt über den Adressaten des einfachen Platzverweises ausgeführt, ist die Maßnahme in erster Linie gegen den Verursacher der Gefahr zu richten, also gegen denjenigen, der durch sein Verhalten für die Gefahr verantwortlich ist, und nur unter den engen Voraussetzungen des polizeilichen Notstands gegen den Nichtbeteiligten. Eine Gefahr kann entweder durch aktives Tun oder durch ein Unterlassen verursacht werden. Ein Unterlassen ist gefahrenabwehrrechtlich allerdings nur dann relevant, wenn eine Rechtspflicht zur Abwehr der Gefahr besteht 248 . Besteht keine Gebotsnorm, die jemanden zu einem bestimmten Handeln verpflichtet, kann er für seine Untätigkeit nicht polizeirechtlich zur Verantwortung gezogen werden 249 . Ein Vorgehen ist dann nur über die Regeln des polizeilichen Notstandes möglich. Stimmt man mit der Auffassung überein, daß Schaulustige gegen die aus § 323 c StGB resultierende Hilfeleistungspflicht verstoßen, folgt hieraus eine polizeilich relevante öffentlich-rechtliche Pflicht des einzelnen zur Hilfeleistung in Notfällen 250 . Derjeni245 B G H S t l l , 135 (136). 246 Spendel, in: LK, 11. Aufl., § 323 c Rdnr. 92; Scheffler, NJW 1995, 232 (234). 247 Spendel, in: LK, 11. Aufl., § 323 c Rdnr. 92. 248 Diese Rechtspflicht ergibt sich aus öffentlich-rechtlichen Normen. Streitig ist, ob darüber hinaus auch privatrechtliche Verträge eine solche Rechtspflicht begründen können. Dies wird überwiegend mit der Begründung verneint, bei der Polizeipflicht handele es sich um eine verwaltungsrechtliche Pflicht, vgl. Schock, JuS 1994, 849 (853); Drews/Wacke/Vogel/ Martens, § 20, 1 (S. 307); a. A. Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 152. 249 Drews/Wacke/Vogel/Martens,

§ 20, 1 (S. 307).

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

ge, der Rettungskräften behindernd im Wege steht, verletzt diese Handlungspflicht und verursacht damit eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Er ist (Anscheins-) Störer im Sinne der allgemeinen Regelungen über die Verantwortlichkeit. Da der einzelne sich auch nicht auf ein Fehl verhalten anderer berufen kann 251 , kann so nahezu pauschal die Menschenmenge verwiesen werden. Dies entspricht dem Wortlaut der Vorschrift, der im Unterschied zu Satz 1 nicht von „einer Person", sondern von „Personen" spricht, was darauf hindeutet, daß die Vorschrift auch die Möglichkeit erfassen will, eine größere Personenansammlung, die möglicherweise kollektiv stört, zu verweisen. Berg/Knape/Kiworr 252 verneinen demgegenüber eine allgemeine, aus öffentlich-rechtlichen Normen ableitbare Pflicht des Bürgers, im Falle eines Rettungsdiensteinsatzes nicht stehenzubleiben, sondern beiseite zu gehen: „Wer als Schaulustiger lediglich anwesend ist und nicht durch aktives Tun den Einsatz der Hilfskräfte behindert oder auf andere Weise die öffentliche Sicherheit gefährdet," sei folglich nicht Störer im Sinne der allgemeinen Regelungen über die Verantwortlichkeit. Da aber Satz 2 weder auf ein aktives Tun noch auf eine Rechtspflicht zum Sichentfernen abstelle, sondern allein darauf, ob die Anwesenheit von Personen zu einer Behinderung des Rettungseinsatzes führe, erweitere die Vorschrift den Kreis der Adressaten auch auf Personen, die die Gefahr nicht verursacht haben 253 . Satz 2 wäre nach dieser Auffassung tatsächlich weitergehend als Satz 1.

dd) Ergebnis Die Fälle des Platzverweises zum Schutz der Einsätze von Feuerwehr, Hilfsund Rettungsdiensten lassen sich weitgehend auch über Satz 1 lösen. Eine eigenständige Befugnis wäre daher nicht zwingend erforderlich. Es ist jedoch zuzugeben, daß dieses Ergebnis letztlich in allen Bereichen von bestimmten - kontrovers diskutierten - Rechtsauffassungen abhängig ist. Situationen, die den Einsatz von Hilfs- und Rettungsdiensten erfordern, können sich aber solche unterschiedlichen Rechtsauffassungen und damit schwierige Subsumtionen nicht leisten. Satz 2 ermöglicht daher einen Platzverweis gegenüber allen Personen, die Rettungseinsätzen, gleichgültig ob staatlicher oder privater Natur, behindernd im Wege stehen, zugunsten eines praktikablen und zweckmäßigen Vorgehens in Situationen, die eine schnelle und unbürokratische Hilfeleistung erfordern, und zwar unabhängig davon, ob die verwiesene Person im Einzelfall tatsächlich verantwortlich ist oder 250 Lisken, in: Lisken/Denninger, C Rdnr. 29. 251 Cramer/Sternberg-Lieben, in: Schönke/ Schröder, § 323 c Rdnr. 16; Scheffler, NJW 1995, 232 (234). 252 Berg/Knape/Kiworr, § 29 B 2 b) aa) (3). 253 Berg/Knape/Kiworr, § 29 B 2 b) aa) (3). Ähnlich Jochum/Rühle, H Rdnr. 50, die der Auffassung sind, Satz 2 verzichte auf den Kausalzusammenhang im Sinne einer unmittelbaren Verursachung. 7*

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

nicht. Bestehende Rechtsunsicherheiten sprechen daher für eine Normierung des Satzes 2. Auch sprechen die gemachten Erfahrungen mit Schaulustigen an Unfallund sonstigen Gefahrenstellen für die Beibehaltung des Satzes 2 2 5 4 , denn Rechtsvorschriften haben nicht nur die Aufgabe, dem Rechtsanwender Handlungsvorgaben zu bieten, sie informieren auch den Bürger über bestehende Pflichten und Grenzen seines Tuns. Im Sinne der Rechtsklarheit ist Satz 2 daher geboten. Da es sich bei dem Rettungspersonal nicht nur um Feuerwehr und Sanitäter handelt, sondern ebenso um die Polizei selbst, ist die Erweiterung der Vorschrift im Berlinischen ASOG um „die Polizei" unter diesem Gesichtspunkt konsequent.

II. Polizeigesetzliche Aufenthaltsverbote zwecks Verhütung von Straftaten 1. Offene Szenen und gewaltbereite Gruppierungen als polizeiliches Problem Von den Gefahrenlagen des einfachen Platzverweises unterscheiden sich diejenigen, die mit polizeilichen Aufenthaltsverboten bewältigt werden sollen. Die in einigen Ländern zwischenzeitlich standardisierten „Aufenthaltsverbote" dienen vorwiegend der Verhütung von Straftaten und sollen letztlich die Stärkung der inneren Sicherheit fördern. Hauptsächlich richten sich die Aufenthaltsverbote derzeit - auch in den Ländern, die das Aufenthaltsverbot nicht standardisiert haben - gegen Drogenkonsumenten und -dealer, die sich in zentralen Bereichen der Innenstädte versammeln und dort in aller Öffentlichkeit und für alle sichtbar ihre Drogengeschäfte tätigen, sowie gegen Gruppierungen vor allem rechter und linker Gewalt, die „Chaos-Tage" veranstalten und gewalttätige Auseinandersetzungen öffentlich austragen 255. Die Anwendung des Aufenthalts V e r b o t s ist grundsätzlich nicht auf diese Kriminalitätsfelder beschränkt, sie ist beispielsweise ebenso denkbar zur Verhütung von Gewalttaten durch Hooligans. Nicht zu verkennen ist, daß es sich bei den meisten dieser Konflikte auch um soziale und gesellschaftliche Problemfelder handelt, die von einer gewissen Beständigkeit sind und ihren Ursprung mitunter in tiefgreifenden gesellschaftlichen Mißständen haben. Ursachen- und Symptombekämpfung ist daher vorrangig eine Aufgabe der sozialen Fürsorge und der Sozialpolitik, aber auch des Strafrechts 256. In neuerer Zeit wird verstärkt versucht, zur Bewältigung dieser Gefahrenlagen auch die Mittel des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts, insbesondere die polizeiliche Verweisung, fruchtbar zu machen 257 . 254 Vgl. a u c h die Verweisungsmaßnahmen nach den Landeskatastrophenschutzgesetzen, 2. Teil, B. IV. 255 Vgl. etwa die alljährlichen Punkertreffen „Chaos-Tage", BayObLG, NVwZ 2000, 467 ff.; VG Hannover, NVwZ-RR 1997, 622. 256 Lesting, KJ 1997, 214 ff.; Dolderer, NVwZ 2001, 130.

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

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Das Vorliegen einer konkreten Gefahr für die öffentliche Sicherheit als grundsätzliche Voraussetzung für ein polizeiliches Einschreiten wird bei offenen Drogenszenen jedoch gelegentlich in Frage gestellt. Die Störung werde vielfach nur symbolisch als Unsicherheitsgefühl wahrgenommen, weil mit derartigen Szenerien unmittelbar kriminelle Folgen assoziiert würden, auch ohne daß in jedem Einzelfall tatsächlich eine Gefahr vorliege 258 . Die Verwaltungsgerichte sehen dagegen nahezu einhellig in der offenen Drogenszene als kollektives Geschehen eine Störung der öffentlichen Sicherheit, die - unabhängig von den darin vorgenommenen Einzelhandlungen - ein polizeiliches Einschreiten rechtfertige 259: Offene Drogenszenen seien Anlaufstellen zum Erwerb und Handel von Rauschgift. Hier würden Drogengeschäfte angebahnt und vermittelt, also Straftaten im Sinne der §§ 29 ff. BtmG begangen. Im Umkreis einer offenen Drogenszene bestehe eine hohe Beschaffungskriminalität, durch achtlos weggeworfene Spritzen überdies ein erhebliches Verletzungsrisiko. Schließlich sei eine offene Drogenszene geeignet, neue Drogenkonsumenten und Händler anzulocken260. Drogenabhängigkeit erhielte den „Anschein des Normalen" 261 . Ziel eines Vorgehens gegen offene Szenen im innerstädtischen Raum muß aus polizeilicher Sicht in erster Linie die präventive Verhinderung konkret drohender Straftaten oder die Beseitigung bereits eingetretener Störungen sein. Hierzu zählt die Zerschlagung solcher Szenen. Auch die Aufrechterhaltung der Integrität öffentlicher Räume und der inneren Sicherheit ist ein legitimer gefahrenabwehrrechtlicher Zweck, da auch diese Schutzgut der öffentlichen Sicherheit sind 262 . Das Instrument des einfachen Platzverweises ist hierzu wegen seiner zeitlich und räumlich engen Begrenzung nur bedingt geeignet 263 . Ungeachtet dessen, daß sich die tatsächliche Dauer eines Platzverweises - eine, zwei Stunden oder länger - zur Beseitigung der genannten Gefahren kaum plausibel begründen ließe, würden die Mitglieder der Drogenszene sich kurze Zeit später wieder an den Szenetreffpunkten versammeln können; gewaltbereite Gruppierungen würden ihre Auseinandersetzungen anderswo austragen. Das Instrument des Platzverweises kann also nur dazu dienen, eine akute Situation zu entschärfen. An Sicherheitsgefühl wäre nichts

257 Volkmann, NVwZ 1999, 225 ff.; Götz, NVwZ 1998, 679. 258 Volkmann, NVwZ 1999, 225 (228 f.) zum Begriff der Gefahr beim „Null-Toleranz"Prinzip; ähnlich Lesting, KJ 1997, 214 (216). Gegen die Qualifizierung der offenen Drogenszenen als Gefahr jetzt auch ausführlich Rachor, in: Lisken/Denninger, F Rdnrn. 467 ff. 259 OVG Münster, DÖV 2001, 216; VG Hamburg, Urt. v. 07. 12. 1994, Az.: 14 VG 3235/ 92; OVG Bremen, NVwZ 1999, 314 (317); VGH Mannheim, NVwZ-RR 1998, 428. 260 OVG Münster, DÖV 2001, 216; OVG Bremen, NVwZ 1999, 314 (317). Kritisch Lesting, KJ 1997, 214 (216 Fn. 9), da insoweit keine empirischen Belege existierten. 261 AG Stuttgart, NVwZ-RR 1998, 105. 262 Isensee, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR V, § 79 Rdnrn. 1 ff.; Volkmann, NVwZ 1999, 225 (227 ff.). 263 Mittlerweile allgemeine Meinung, statt vieler Lesting, KJ 1997, 214 (217). Vgl. auch 2. Teil, A. I. 1. c) aa).

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

gewonnen, das Problem lediglich um wenige Stunden verlagert oder ausgesetzt, die beständige Gefahr also nicht wirklich gemindert. In nahezu allen Bundesländern hat sich daher zwischenzeitlich die Praxis der Verhängung langfristiger Aufenthaltsverbote durchgesetzt. Die Rechtsgrundlagen dieser sowohl zeitlich als auch räumlich über den Platzverweis hinausgehenden Verweisungsmaßnahmen sind allerdings umstritten. Ausdrückliche Regelungen finden sich in Niedersachsen, Berlin, Sachsen und Sachsen-Anhalt sowie neuerdings in Brandenburg, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen 264 . In den übrigen Bundesländern werden Aufenthaltsverbote gegenüber Mitgliedern von Drogenszenen sowie gewaltbereiter Gruppierungen auf die polizei- und ordnungsrechtliche Generalklausel gestützt 265 , die auch größtenteils als ausreichend erachtet wird 2 6 6 . Im folgenden soll der Frage der rechtlichen Zulässigkeit langfristiger Verweisungen nachgegangen werden. Dabei ist zu berücksichtigen, daß, wie bereits im ersten Teil dieser Untersuchung festgestellt wurde, insbesondere wegen der zeitlichen und räumlichen Ausdehnung des Aufenthaltsverbots, das Grundrecht der Freizügigkeit betroffen ist. Die Ermächtigungsgrundlage muß daher den formellen und materiellen Anforderungen des Art. 11 Abs. 2 GG entsprechen. Auf die Frage, inwieweit langfristige Aufenthaltsverbote geeignet sind, die gesetzten Ziele tatsächlich zu erreichen, kann jedoch nur am Rande eingegangen werden. Mit der Maßnahme verbundene Verlagerungseffekte und die damit einhergehende Gefährdung derselben Rechtsgüter an anderen Orten werden als beachtliche Gegenargumente vorgebracht 267. Dies hat vor allem dann eine gewisse Plausibilität, wenn nicht gleichzeitig die Ursachen der Probleme effektiv bekämpft werden. Auch muß die Frage möglicher Alternativen zum Aufenthaltsverbot, wie die Bewältigung der Lage durch eine verstärkte Polizeipräsenz 268, eine ausgedehnte Anwendung der neuerdings in einigen Ländern eingeführten Befugnis zur Videoüberwachung an gefährdeten Plätzen 269 oder die vermehrte Einrichtung von Fixerstuben zur Entlastung des öffentlichen Raums, im Rahmen dieser Arbeit ohne eine tiefgehendere Auseinandersetzung bleiben.

264 Vgl. Einleitung, Fn. 13. 265 Vgl. VG Sigmaringen, NVwZ-RR 1995, 327 ff.; VGH Mannheim, VB1BW 1997, 66 (67); OVG Bremen, NVwZ 1999, 314 (315). 266 OVG Bremen, NVwZ 1999, 314 (315); VGH Mannheim, VB1BW 1997, 66 (67). 267 Bizer, S. 70; Gusy, Polizeirecht, Rdnr. 254; Lesting, KJ 1997, 214 (220); Rachor, in: Lisken/Denninger, FRdnr. 122; Waechter, NdsVBl. 1996,197. 268 Dies schlägt Lisken, Polizei-heute 1996, 138 (139) vor, der daraufhinweist, daß auch die Überwachung der verhängten Aufenthaltsverbote eine größere Polizeipräsenz erfordern würde. 269 z. B. § 21 Abs. 3 BWPolG; § 39 Abs. 3 BremPolG. Dazu Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 184.

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

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2. Die Kompetenz des Landesgesetzgebers zur Regelung von Eingriffen in Art. 11 GG Art. 11 Abs. 1 GG darf nur unter bestimmten, abschließend aufgeführten Voraussetzungen durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes eingeschränkt werden. Das die Freizügigkeit einschränkende Gesetz muß daher ein formelles sein 270 , jedoch verlangt Art. 11 Abs. 2 GG seinem Wortlaut nach nicht zwingend ein Bundesgesetz. Demgegenüber hat der Verfassungsgeber den Regelungsgegenstand der „Freizügigkeit" in Art. 73 Nr. 3 GG dem Katalog der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz zugeordnet. Es stellt sich daher die Frage nach der Kompetenz des Landesgesetzgebers zur Regelung von Eingriffen in die Freizügigkeit. Nach Art. 11 Abs. 2 GG darf das Grundrecht der Freizügigkeit ausnahmslos in Fällen eingeschränkt werden, in denen eine ausreichende Lebensgrundlage nicht vorhanden ist und der Allgemeinheit daraus besondere Lasten entstehen würden oder in denen es zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes, zur Bekämpfung von Seuchengefahren, Naturkatastrophen oder besonders schweren Unglücksfällen, zum Schutze der Jugend vor Verwahrlosung oder um strafbaren Handlungen vorzubeugen, erforderlich ist. Die angesprochenen Sachmaterien sind, bis auf den Jugendschutz und die Seuchengefahr, zumindest auch Materien der Landeskompetenz. Tatsächlich gibt es auch einige Landesgesetze, die das Regelungsgebiet der Freizügigkeit im Sinne des Art. 11 Abs. 2 GG betreffen. So sind nach den Brand- und Katastrophenschutzgesetzen der Länder auch aufenthaltsregelnde Maßnahmen, die das Ausmaß einer Freizügigkeitsbeschränkung erreichen können, traditionell normiert 271 . Freizügigkeitsbeschränkende Maßnahmen sind darüber hinaus bei Unglücksfällen und im Rahmen der allgemeinen Prävention aufgrund der Landespolizeigesetze zwecks Vorbeugung strafbarer Handlungen wie zum Beispiel die Aufenthaltsverbote - denkbar 272 . Die Frage der Gesetzgebungskompetenz des Landesgesetzgebers hängt also davon ab, ob Art. 73 Nr. 3 GG die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für Eingriffe in die Freizügigkeit abschließend regelt oder ob daneben freizügigkeitsregelnde Normen auch im Rahmen des jeweiligen Sachgebiets erfolgen dürfen. Als Argument für einen abschließenden Charakter des Art. 73 Nr. 3 GG wird vorgebracht, daß andernfalls die Gesetzgebungskompetenz des Art. 73 Nr. 3 GG weitgehend leer liefe 2 7 3 . Denn jede der in Art. 11 Abs. 2 GG genannten Materien

270 Vgl. Hailbronner, in: Isensee / Kirchhof, HdbStR VI, § 131 Rdnr. 46; Kunig, Jura 1990, 306 (311); Pernice, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 11 Rdnr. 22; Gusy, in: v.Mangoldt/Klein/ Stark, Art. 11 Rdnr. 52; Randelzhofer, in: BK, Art. 11 Rdnr. 142. 271 Z. B. § 26 Abs. 2 NKatSG; § 29 BWKatSG; § 51 HBKSG. Vgl. dazu ausführlich im 2. Teil, B. IV. 272 So auch Waechter, NdsVBl. 1996, 197 (199).

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

würde sich unproblematisch auch durch eine andere Gesetzgebungskompetenz des Katalogs der Art. 70 ff. GG regeln lassen. Freizügigkeitsbeschränkende Normen zum Schutze der Jugend wären unter dem von Art. 73 Nr. 7 GG erfaßten Aspekt der öffentlichen Fürsorge möglich, Maßnahmen zur Bekämpfung der Seuchengefahr über Art. 74 Nr. 19 GG und Einschränkungen zur Verhütung strafbarer Handlungen durch das Polizeirecht. Eine originäre Regelung des Art. 73 Nr. 3 GG käme praktisch nur noch in den wenig bedeutsamen Fällen der Beschränkung der Freizügigkeit wegen Fehlens einer ausreichenden Lebensgrundlage in Betracht 274 . Einschränkungen der Freizügigkeit zur Vorbeugung strafbarer Handlungen seien daher „nicht Polizeirecht im Sinne des Kompetenzkatalogs, sondern Freizügigkeitsrecht" im Sinne des Art. 73 Nr. 3 GG 2 7 5 . Da der Bundesgesetzgeber von der nach Art. 71 GG bestehenden Möglichkeit, Gesetzgebungszuständigkeiten an die Länder ausdrücklich zu delegieren, bisher keinen Gebrauch gemacht habe, müßten Gesetze, die gezielt die Freizügigkeit beschränken, stets Bundesgesetze sein 276 . Polizei- und ordnungsrechtliche Verweisungsmaßnahmen dürften folglich nicht die Qualität einer Freizügigkeitsbeschränkung erreichen 277. Dieser Auffassung wird entgegengehalten, daß sich der Kompetenzzuweisung in Art. 73 Nr. 3 GG nicht zwingend ein Ausschluß landesrechtlicher Regelungen entnehmen lasse. Landespolizeigesetzliche Freizügigkeitsbeschränkungen seien vielmehr unbedenklich. Dogmatisch wird dieses Ergebnis allerdings unterschiedlich hergeleitet. Alberts 278 erkennt aus teleologischen Gründen eine abschließende Bundeskompetenz nur im Hinblick auf die interterritoriale Freizügigkeit. Der freie Zug zwischen und innerhalb Gemeinden, also der Gegenstand der interkommunalen und interlokalen Freizügigkeit, könne durchaus auch durch die Länder geregelt werden. Randelzhofer 279 argumentiert dagegen mit dem Gesetzesvorbehalt des Art. 11 Abs. 2 GG selbst. Die Prävention strafbarer Handlungen sei eine typische Funktion des Polizeirechts, welches wiederum eine der wesentlichen Materien der Landesgesetzgebung sei. Diese Argumentation verleiht allerdings die Gesetzgebungskompetenzen aufgrund der materiellen Schrankenvorbehalte eines Grund273 Waechter, NdsVBl. 1996, 197 (201); Hecker, Die Regelung des Aufenthalts, S. 66; ders., JuS 1998, 575 (576); Hetzer, ThürVBl. 1997, 241 (248); im Ergebnis gegen die Gesetzgebungskompetenz der Länder auch Scholler/Schioer, S. 233. 274 So noch Schenke, in: Steiner, 5. Aufl., II, Rdnr. 93; zustimmend Hecker, Die Regelung des Aufenthalts, S. 65 f. Schenke hat zwischenzeitlich diese Auffassung aufgegeben, vgl. Schenke, in: Steiner, 6. Aufl., II, Rdnr. 93. 275 Waechter, NdsVBl. 1996, 197 (201). 276 Dürig, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 11 Rdnr. 56; Hecker, Die Regelung des Aufenthalts, S. 65; Bizer, S. 63. 277 Denninger, in: Lisken / Denninger, E Rdnr. 15. 278 Alberts, NVwZ 1997,45 (47); zustimmend Robrecht, SächsVBl. 1999, 232 (236). 279 Randelzhofer, in: BK, Art. 11 Rdnr. 142; ebenso Burgi, JuS 1997, 1106 (1109); wohl auch Braun, S. 80, der zudem auf ein Zitat von v.Mangoldt hinweist, wonach die Freizügigkeit durch Bundes- und Landesgesetze einschränkbar sei; BayVerfGH, NVwZ 1991, 664

(666).

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

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rechts und nicht gemäß Art. 70 Abs. 2 GG aufgrund der Vorschriften über die ausschließliche und konkurrierende Gesetzgebung280. Zu Recht konstatiert daher Ziekow 2 8 1 , daß dieses Argument keine Begründung für eine Landeskompetenz entgegen Art. 73 Nr. 3 GG liefere, sondern allenfalls - in einem weiteren Schritt eine Rechtfertigung für einen auf das Polizeirecht gestützten Eingriff. Die grundsätzliche Möglichkeit freizügigkeitsbeschränkender Regelungen aufgrund der Landespolizeigesetze ergebe sich nach Auffassung Ziekows 282 vielmehr aus dem historischen Argument, weil die Länder Beschränkungen der Freizügigkeit, insbesondere im Bereich des Polizeirechts, in den Grenzen des Art. 11 Abs. 2 GG traditionell vorgenommen hätten und diese Zuständigkeit den Ländern auch weiterhin zustehe, ohne daß es einer ausdrücklichen Ermächtigung nach Art. 71 GG bedürfe. Hiergegen wenden Waechter 283 und Bizer 2 8 4 mit Verweis auf § 3 Abs. 1 FreizG sowie Art. 6 Abs. 3 WRV ein, die Sachmaterie Freizügigkeit habe schon immer ausnahmslos in der Kompetenz des Reiches gelegen und der Reichsgesetzgeber habe in § 3 FreizG seine Regelungskompetenz lediglich in bezug auf bestrafte Personen an die Länder delegiert. Dieses Argument ist von Ziekow 2 8 5 überzeugend widerlegt worden: § 3 FreizG enthalte zwar eine Klausel, wonach landesrechtliche Regelungen mit Ausnahme gegenüber bestraften Personen nicht mehr möglich sein sollten. Tatsächlich habe es aber in der Folgezeit zahlreiche Beschränkungen der Freizügigkeit durch Landesrecht gegeben, deren Gültigkeit trotz des Freizügigkeitsgesetzes nicht in Zweifel gezogen worden seien. Das Freizügigkeitsgesetz galt dann unter der Weimarer Reichs Verfassung auf der Grundlage des Art. 111 S. 3 WRV fort, diskutiert wurde jedoch, worauf Ziekow 2 8 6 hinweist, landesrechtlich weitere Aufenthaltsbeschränkungen einzuführen. Die herrschende Meinung habe in jener Zeit die Gültigkeit landesrechtlicher Aufenthaltsbeschränkungen daher bejaht 2 8 7 . Diese herkömmliche Staatspraxis ist bei Auslegung der grundgesetzlichen Kompetenzen zu berücksichtigen. Der Grundrechtskatalog wurde, wie das Bundesverfassungsgericht betont, weitgehend im Hinblick auf die Weimarer Reichsverfassung formuliert 288 . Soweit der Gesetzgeber Materien aus der Weimarer Reichsver-

280 Ziekow, S. 561; Bizer, S. 63 f. 281 Ziekow, S. 561. 282 Ziekow, S. 561, ausführlich zum historischen Argument S. 394 ff.; so auch Hailbronner, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 131 Rdnr. 47; Kunig, Jura 1990, 306, (311); Rittstieg, in: AK-GG, 3. Aufl., Art. 11 Rdnr. 52; Riegel, BayVBl. 1980, 577 (579); Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 93. Aus der Rechtsprechung: OVG Bremen, NVwZ 1999, 314 (316), ebenso Vörinstanz: VG Bremen, Urt. v. 29. 05. 1997, Az.: 2 A 149/96, S. 11. 283 Waechter, NdsVBl. 1996, 197 (200). 284 Bizer, S. 64. 285 Ziekow, S. 245. 286 Ziekow, S. 297. 287 Ziekow, S. 297 f. mit ausführlichen Literaturnachweisen (insbesondere in Fn. 197). 288 BVerfGE 33, 52 (61); 42, 20 (29); zur Bedeutung der bisherigen Staatspraxis BVerfGE 77, 308 (331).

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

fassung übernommen hat, sind diese daher in demselben Sinne zu verstehen, wie dies dort der Fall war 2 8 9 . Bestehende Kompetenzverteilungen sollten also durch das Grundgesetz nicht aufgehoben werden. Aufgrund dieser Tatsache ist davon auszugehen, daß auch der Grundgesetzgeber landesrechtliche Beschränkungen der Freizügigkeit in den traditionellen Bereichen nicht ausschließen wollte. Entsprechend bestehen auch mit den Landeskatastrophenschutzgesetzen aufenthaltsbeschränkende Regelungen der Länder. Deren Gültigkeit wird, soweit ersichtlich, aber nicht in Zweifel gezogen. Für die Möglichkeit freizügigkeitsbeschränkender Maßnahmen durch den Landesgesetzgeber spricht nicht zuletzt auch der systematische Aspekt des Art. 73 Nr. 3 GG selbst, der mit dem „Paßwesen", der „Ein- und Auswanderung" sowie der „Auslieferung" neben der Freizügigkeit Regelungsgegenstände nennt, die vornehmlich interterritoriale und internationale Bereiche betreffen und sinnvollerweise der ausschließlichen Bundesgesetzgebung zugewiesen sind, um eine Rechtszersplitterung zu vermeiden. Dies gilt im übrigen für alle in Art. 73 GG aufgeführten Regelungsgegenstände290. Für freizügigkeitsregelnde Maßnahmen im kommunalen und interlokalen Bereich besteht diese Notwendigkeit jedoch nicht zwingend. Freizügigkeitsbeschränkungen auf dem Gebiet des Landesrechts werden jedenfalls in Notsituationen einhellig befürwortet. Im übrigen ist die Reichweite der landesrechtlichen Regelungskompetenz aber umstritten. Da bereits zahlreiche bundesrechtliche Vorschriften auf dem Gebiet der Freizügigkeit dem Schutze der öffentlichen Sicherheit dienen, werden verbreitet landesrechtliche Maßnahmen außerhalb von Notsituationen abgelehnt291. Danach wären die aufenthaltsregelnden Maßnahmen aufgrund der landesrechtlichen Brand- und Katastrophenschutzgesetze kompetenzgerecht erlassen, zulässig wären ebenfalls freizügigkeitsbeschränkende Maßnahmen im Rahmen des Art. 11 Abs. 2 GG bei Notsituationen aufgrund der polizei- und ordnungsrechtlichen Generalklausel, etwa Evakuierungsmaßnahmen unterhalb der Schwelle einer Katastrophe. Nicht erfaßt wären jedoch die städtischen Aufenthaltsverbote gegenüber Mitgliedern der Drogenszene, da keine akute Notsituation vorliegt. Die Beschränkung auf Notsituationen ist allerdings nicht überzeugend. Die bisherigen bundesrechtlichen Regelungen im Bereich der Freizügigkeit sind ausschließlich Gegenstand der speziellen Gefahrenabwehr, wie z. B. der Katastrophenschutz im Rahmen der Verteidigung, Seuchenschutz und Jugendschutz. Akzeptiert man aber die traditionell bestehende Möglichkeit freizügigkeitsbeschränkender Maßnahmen auf dem Gebiet der landesrechtlichen Gefahrenabwehr, ist im Bereich der allgemeinen Gefahrenabwehr der Länder kein Grund für 289 BVerfGE 42, 20 (29); vgl. auch Stettner, in: Dreier, GG Bd. II, Art. 70 Rdnr. 26. 290 Lediglich das Sachgebiet „gewerblicher Rechtsschutz, Urheberrecht und Verlagsrecht", Nr. 9, wird gelegentlich anders beurteilt, wobei in einem Bundesstaat auch dieser Bereich sinnvollerweise einheitlich geregelt ist, weil er überregionale Auswirkungen hat. 291 Drews/Wacke/Vogel/Martens, § 18, 2 f (S. 278); zustimmend Rasch, DVB1. 1987, 194 (197); Ule/Rasch, Teil A, § 7 Rdnr. 35; Hailbronner, in: Isensee/ Kirchhof, HdbStR VI, §131 Rdnr. 47.

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

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eine Begrenzung auf Notsituationen ersichtlich. Die Gefahr, daß einzelne Länder auf Kosten der anderen freizügigkeitsbeschränkende Regelungen treffen könnten, um sich gesellschaftlicher Problemfälle zu entledigen 292 , scheint gering, da entsprechende Gesetze oder Maßnahmen an Art. 11 GG zu messen wären und insoweit für alle Länder die gleichen Maßstäbe gelten. Eine derartige höherrangige Norm gab es zunächst für das Freizügigkeitsgesetz aber nicht. Für Art. 73 GG selbst verbleibt ein Anwendungsbereich in allen anderen Sachmaterien, darüber hinaus umfaßt Art. 73 Nr. 3 GG weitergehend als Art. 11 GG auch die Ausreisefreiheit.

3. Die Ermächtigungsgrundlage eines polizeigesetzlichen Aufenthaltsverbots Ist der Landesgesetzgeber zu Beschränkungen des Grundrechts der Freizügigkeit grundsätzlich im Bereich der allgemeinen Gefahrenabwehr befugt, sind nun die Anforderungen an eine Ermächtigungsgrundlage für ein polizeiliches Aufenthaltsverbot zu klären. Die notwendige Regelungsdichte ergibt sich dabei aus verschiedenen Kriterien: Die Vorschrift muß den Anforderungen, die Art. 11 GG an die Bestimmtheit, Normenklarheit und das Verfahren von Eingriffen in die Freizügigkeit stellt, entsprechen. Formell ist dazu neben der bereits geklärten Frage der Gesetzgebungskompetenz das Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG zu beachten. Materiell werden die Eingriffsvoraussetzungen in erster Linie durch Art. 11 Abs. 2 GG bestimmt. Für den hier interessierenden Bereich der Abwehr beständiger Gefahren ist vor allem der sogenannte Kriminalvorbehalt des Art. 11 Abs. 2 GG relevant, wonach Beschränkungen der Freizügigkeit, „um strafbaren Handlungen vorzubeugen", zulässig sind. Da die Polizeigesetze mit dem Platzverweis bereits den Tatbestand des Aufenthaltsverbots aufgreifen, sind ferner die aus Art. 20 GG folgenden rechtsstaatlichen Prinzipien des Vorrangs und des Vorbehalts des Gesetzes von Bedeutung.

a) Der Kriminalvorbehalt

des Art. 11 Abs. 2 GG

Der Kriminalvorbehalt, er wird auch Präventivvorbehalt genannt, ist nach allgemeiner Auffassung eng auszulegen, da andernfalls die bewußte tatbestandliche Ausdifferenzierung des Art. 11 Abs. 2 GG leerliefe 293 . Teile des Schrifttums wollen den Kriminalvorbehalt auf Fürsorgemaßnahmen gegenüber Tätern, die Straftaten bereits begangen haben, reduzieren 294. Die Beschränkung auf bereits vorbe-

292 Dazu Waechter, NdsVBl. 1996, 197 (200). 293 Statt vieler Pieroth/Schlink, Rdnr. 803; Kunig, in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 11 Rdnr. 27.

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

strafte Personen ist aber weder mit Wortlaut noch mit Sinn und Zweck des Art. 11 Abs. 2 GG zu vereinbaren. Entsprechende Beschränkungen wurden in den Beratungen zum Grundgesetz zwar seitens v.Mangold 295 angeregt, konnten sich letztendlich aber nicht durchsetzen. Die Gefahr strafbarer Handlungen droht nicht nur bei bereits einmal straffällig gewordenen Personen. Soll künftigen Straftaten effektiv vorgebeugt werden, ist eine Beschränkung auf bereits vorbestrafte Täter abzulehnen 296 . Eine frühere Straffälligkeit kann allenfalls bei Hinzukommen weiterer Umstände indiziell auf die Begehung weiterer Straftaten hindeuten 297 . Der gebotenen engen Auslegung des Kriminalvorbehalts muß daher durch andere Kriterien Rechnung getragen werden. Der systematische Vergleich der Fallgruppen des Art. 11 Abs. 2 GG sowie die große Bedeutung des Grundrechts der Freizügigkeit deuten darauf hin, daß nicht jede strafbare Handlung eine Freizügigkeitsbeschränkung rechtfertigen kann 298 . Sämtliche in Art. 11 Abs. 2 GG vorbehaltenen Schranken betreffen hochrangige Gemeinschaftsanliegen. Sie machen außerdem deutlich, daß nicht jede Gefährdung eines Gemeinschaftsanliegens ausreicht, sondern vielmehr nur solche von besonders schwerwiegender Art. So läßt nicht jede sittliche Gefährdung einen Eingriff zugunsten des Jugendschutzes zu, sondern nur, wenn dies zum Schutze „vor Verwahrlosung" des Jugendlichen erforderlich ist. Der sogenannte Katastrophenvorbehalt, der auf Naturkatastrophen, Seuchen und besonders schwere Unglücksfälle abstellt, betrifft bereits vom Wortsinn her nur schwerwiegende Schadensereignisse technischer oder natürlicher Art. Ein ebenso bedeutsames Anliegen ist die Wahrung der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Es liegt daher nahe, daß auch der Kriminalvorbehalt nicht dazu dient, Straftaten generell zu verhindern. Dies ist vorrangig eine Aufgabe des einfachen Rechts, insbesondere des Strafrechts. Richtig dürfte daher sein, im Einklang mit den anderen Vorbehalten des Art. 11 Abs. 2 GG auch bei dem Kriminalvorbehalt auf das schwerwiegend bedrohte Rechtsgut und die Intensität der Gefährdung des Gemeinschaftsanliegens abzustellen. Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts führe die Abwägung zwischen der Bedeutung eines Eingriffs in das Recht der Freizügigkeit und des Rechts der staatlichen Gemeinschaft auf Schutz vor Gefährdung ihrer lebenswichtigen Belange dazu, daß nur Straftaten in Betracht kämen, die geeignet seien, die „Grundlagen des Gemeinschaftslebens zu gefährden" 299. Zur Bestimmung dieser Straftaten orientierte sich das Gericht an denjenigen Straftaten, „bei denen die Anordnung 294 So z. B. Bleckmann, § 32 Rdnr. 22; Dürig, in: Maunz/Dürig/ Herzog/ Scholz, Art. 11 Rdnrn. 78 und 81. Solche Vorschriften wären z. B. § 56 c und § 68 b StGB. 295 Doemming/Füßlein/Matz, JöRN.F. Bd. 1 (1951), 132. 296 Hailbronner, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 131 Rdnr. 58; Kunig, in: v.Münch/ Kunig, GG Bd. 1, Art. 11 Rdnr. 27; Randelzhofer, in: BK, Art. 11 Rdnr. 168; Ziekow, S. 570. 297 So BVerwGE 6, 173(176). 298 Anders aber Robrecht, SächsVBl. 1999, 232 (235); Braun, S. 85 f., der aber eine strikte Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes fordert. 299 BVerwGE 6, 173 (176).

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

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der Polizeiaufsicht oder sonstiger Maßregeln der Sicherung und Besserung oder die Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte" neben der Strafe angeordnet werden dürften 300 . Für die derzeit geltende Rechtslage hilft diese Einordnung jedoch nur bedingt als Interpretationshilfe weiter: Die Polizeiaufsicht und der Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte als Nebenstrafe wurden zwischenzeitlich abgeschafft; Bewährungsauflagen nach §§ 56 c ff. StGB knüpfen nicht an bestimmte Straftaten, sondern an einen Tätertyp bzw. die Möglichkeit der Schadenswiedergutmachung an 3 0 1 . Gewisse Parallelen lassen sich aber der Führungsaufsicht nach § 68 b StGB entnehmen, wonach die Weisung, „sich nicht an bestimmten Orten aufzuhalten", zulässig ist, da diese sich, abgesehen von den gesetzlich angeordneten Fällen, in erster Linie auf eine ungünstige Sozialprognose des Täters im Hinblick auf dessen Rückfälligkeit bezüglich bestimmter Taten bezieht 302 . Eine ungünstige Sozialprognose wird nach § 68 StGB bescheinigt, wenn - wie von Art. 11 Abs. 2 GG gefordert - die Gefahr besteht, daß der Täter künftig (weitere) Straftaten begehen wird. Ein Aufenthaltsverbot als führungsaufsichtsrechtliche Maßnahme soll danach vor allem gegenüber Tatern spezifischer Delikte, wie Rauschgiftdelikte und Gewalttaten, in Betracht kommen, um kriminogene Reize bezüglich bestimmter Orte auszuschließen303. Dem polizeilichen Aufenthaltsverbot lassen sich zwar ähnliche Zielsetzungen entnehmen, eine abschließende Definition des Begriffs der Straftat im Sinne des Art. 11 Abs. 2 GG ergibt sich daraus jedoch nicht. Das Strafrecht kann als einfaches Gesetzesrecht allenfalls Anhaltspunkte für die Interpretation liefern. Ob im Einzelfall die vom Bundesverwaltungsgericht geforderte, für die gesellschaftlichen Belange erhebliche Straftat vorliegt, ist daher im Einzelfall dadurch zu ermitteln, daß auf der einen Seite „die Bedeutung des Eingriffs in das Recht der Freizügigkeit", auf der anderen Seite „das Recht der staatlichen Gemeinschaft auf Schutz vor Gefährdung lebenswichtiger Belange gegeneinander abgewogen werden." 304 Im Polizeirecht könnte hierfür der Begriff der „Straftat mit erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit" verwendet werden 305 . Diese Formulierung bezeichnet üblicherweise solche Straftaten, die wegen „ihrer Begehungsweise oder ihrer Dauer eine Gefahr für die Allgemeinheit darstellen" und daher „geeignet sind, die Rechtssicherheit der Bevölkerung zu beeinträchtigen" 306. Zur Verhinderung eines einfachen Ladendiebstahls dürfte danach ein Eingriff in das Grundrecht der Freizügigkeit unzulässig sein, nicht aber zur Abwehr permanenter

300 BVerwGE 6, 173 (177). 301 So auch Waechter, NdsVBl. 1996, 197 (201). 302 Tröndle/Fischer, § 68 Rdnrn. 3 ff.; Stree, in: Schönke/Schröder, § 68 Rdnr. 5. 303 Hanack, in: LK, 11. Aufl., § 68 b Rdnr. 20. 304 Randelzhof er, in: BK, Art. 11 Rdnr. 168. Kunig, in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 11 Rdnr. 27. 305 So auch Waechter, NdsVBl. 1996, 197 (202); zustimmend Hetzer, ThürVBl. 1997, 241 (246). 306 Denninger, in: Lisken / Denninger, E Rdnr. 49.

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

Straftaten gegen das Betäubungsmittelgesetz oder von Gewalttaten durch politisch motivierte Täter oder Hooligans.

b) Das Aufenthaltsverbot

als Standardbefugnis

aa) Zum Verhältnis von Generalklausel und Standardbefugnis Ob eine Eingriffsmaßnahme als Standardbefugnis geregelt werden sollte oder ob sie auf die Generalklausel gestützt werden kann, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Es ist daher notwendig, sich zunächst Klarheit über das Verhältnis beider Regelungsmöglichkeiten zu verschaffen. Standardmaßnahmen sind konkret ausgestaltete Eingriffsbefugnisse zur einheitlichen Behandlung typisch vorkommender polizeilicher Gefahrenlagen. Sie legen die Voraussetzungen für Grundrechtseingriffe so exakt wie möglich fest und regeln in Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, wann welche Maßnahme getroffen werden darf. Standardbefugnisse sorgen damit für Gleichbehandlung und machen polizeiliches Handeln vorhersehbar 307. Generalklauseln dagegen sind offen und allgemein gehaltene Rechtssätze, die die Polizei zur Vornahme der „erforderlichen Maßnahmen" berechtigen und damit eine möglichst breitgefächerte und flexible Anwendung gewährleisten sollen. Der polizei- und ordnungsrechtlichen Generalklausel als allgemeine Befugnisnorm zur Abwehr von Gefahren und Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung kommt neben den Standardbefugnissen eine subsidiäre Funktion zu. Sie findet Anwendung, wenn ein Eingriffssachverhalt nicht oder nicht abschließend durch eine Standardmaßnahme oder ein Spezialgesetz geregelt ist. Es gilt der Grundsatz des Vorrangs des speziellen Gesetzes. Dieser versagt den Rückgriff auf die Generalklausel, soweit ein bestimmter Eingriffssachverhalt bereits durch eine Standardbefugnis geregelt ist. Ein Rückgriff auf die allgemeinpolizeiliche Generalklausel verbietet sich und zwar selbst dann, wenn im konkreten Fall die tatbestandlichen Voraussetzungen für ein Vorgehen nach der Standardbefugnis im einzelnen nicht erfüllt wären 308 . Das spezielle Gesetz entfaltet insoweit eine Sperrwirkung. Eine solche Sperrwirkung könnte der Platzverweis nach § 12 MEPolG als ein spezialgesetzlich geregeltes Aufenthaltsverbot im Hinblick auf längerfristige Verweisungen entfalten. In Baden-Württemberg könnte sich die bisher nicht vorgenommene Standardisierung des Platzverweises daher als Vorteil erweisen 309 . Ungeachtet des Grundsatzes des Vorrangs des Gesetzes hängt die notwendige Regelungsdichte einer Ermächtigungsgrundlage aber auch von den Anforderungen 307 Würtenberger/Heckmann/Riggert, Rdnrn. 202 ff.; Hill, Jura 1986, 57 (65). 308 Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 21; Scholler/Schioer, S. 217. 309

So wohl Zeitler, Polizeirecht, Rdnr. 358; ähnlich Würtenberger/Heckmann/Riggert, Rdnr. 201 a (Fn. 91), wonach der Grundsatz der Spezialität „mangels ausdrücklicher Regelung des Platzverweises in Baden-Württemberg nicht zum Tragen komme."

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

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ab, die das durch die Maßnahme betroffene Rechtsgut an eine Eingriffsbefugnis stellt. Nach der Wesentlichkeitstheorie des Bundesverfassungsgerichts ist der Gesetzgeber verpflichtet, in grundlegenden normativen Bereichen alle wesentlichen Entscheidungen freiheitsmindernder Regelungen selbst zu treffen 310 . Danach sind „wesentlich" vor allem diejenigen Regelungsgegenstände, die Grundrechtseingriffe darstellen oder wegen ihrer Bedeutung für das Volk einer parlamentarischen Entscheidung bedürfen und deshalb nicht der Verwaltung überlassen bleiben sollten 3 1 1 . Im grundrechtsrelevanten Bereich bedeutet „wesentlich" „wesentlich für die Verwirklichung der Grundrechte" 312. Wesentlich sind also Maßnahmen, die den Grundrechtsgebrauch unmöglich machen, ihn beträchtlich erschweren oder eine sonst erhebliche Gefahr für die grundrechtlich geschützte Freiheit darstellen 3 1 3 . Dieser Grundsatz enthält in erster Linie Anforderungen an den Vorbehalt des Gesetzes. Da die meisten Grundrechtsartikel - so auch Art. 11 GG - ohnehin nur durch oder aufgrund eines förmlichen Gesetzes einschränkbar sind, wäre insoweit auch die Generalklausel ausreichend. Die Wesentlichkeitstheorie geht jedoch weiter. Wenn der Gesetzgeber eine wesentliche Entscheidung in Tatbestand und Rechtsfolge selbst regeln soll, führt dies zu der Konsequenz, daß sich auch die notwendige Regelungsdichte der Vorschrift durch den parlamentarischen Gesetzgeber „nach der Intensität, mit der die Grundrechte des Regelungsadressaten durch die jeweilige Maßnahme betroffen sind", richtet314. Die Wesentlichkeitstheorie bedeutet daher zum einen die Prüfung, ob ein bestimmter Gegenstand - etwa ein Eingriff im Bereich der Grundrechtsausübung - überhaupt eine Rechtsgrundlage erfordert, zum anderen die Klärung, wie detailliert diese Regelung sein muß 3 1 5 . Auch das durch den Eingriff betroffene Grundrecht selbst stellt Anforderungen an eine verfassungsmäßige Rechtsgrundlage. Das Bundesverfassungsgericht hat sie im Volkszählungsurteil aus dem Jahre 1983, das Ausgangspunkt für weitere zahlreiche Standardbefugnisse, insbesondere im Bereich der Datenverarbeitung, war, formuliert: „Diese Beschränkungen bedürfen nach Art. 2 Abs. 1 GG ( . . . ) einer (verfassungsmäßigen) gesetzlichen Grundlage, aus der sich die Voraussetzungen und der Umfang der Beschränkung klar und für den Bürger erkennbar ergeben und die damit dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspricht. Bei seinen Regelungen hat der Gesetzgeber ferner den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Dieser mit Verfassungsrang ausgestattete Grundsatz folgt bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst, die als Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers gegenüber dem Staat von der öffentlichen Gewalt jeweils nur soweit beschränkt werden dürfen, als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerläßlich ist." 3 1 6 Aus der Befugnisnorm selbst oder zumindest aus der Systematik 310 BVerfGE 41, 251 (260); 40, 237 (249); 58, 257 (272). 311 BVerfGE 33, 125 (159). 312 BVerfGE 45, 400 (418); 47,46 (79); 98, 218 (251) - Rechtschreibereform. 313 BVerfGE 80, 124(132). 314 BVerfGE 98, 218 (252) - Rechtschreibereform. 315 Vgl. BVerfGE 83, 130 (152) - Josefine Mutzenbacher.

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

des Gesetzes müssen also der Adressat, die Art und die Voraussetzungen des Einschreitens erkennbar sein 317 , wobei sich die Anforderungen an die Bestimmtheit wiederum mit der Intensität, mit der in grundrechtlich geschützte Bereiche eingegriffen werden kann, erhöhen 318 . Speziell das Polizeirecht, das häufig intensive Eingriffe zuläßt, ist aber naturgemäß darauf angewiesen, auf verschiedenste Situationen reagieren zu müssen. Dies erfordert oftmals im Hinblick auf Regelungsintensität, Bestimmtheit und Normenklarheit Kompromisse. Im Interesse einer flexiblen und effektiven Verwaltung wird bei nicht vorhersehbaren, neuen und atypischen oder komplexen Gefahrenlagen, die im Vorfeld nicht oder nur schwer regelbar sind, ein Rückgriff auf die „offenere" und damit flexiblere polizeiliche Generalklausel nötig 3 1 9 . Hier verläuft die Grenze der Wesentlichkeitstheorie. Die strikte Anwendung der Wesentlichkeitsrechtsprechung hätte letztendlich die Lähmung der Verwaltung zur Folge, so daß die Generalklausel durchaus auch bei schwerwiegenderen Grundrechtseingriffen einschlägig sein kann. Dem entspricht, daß das Bundesverfassungsgericht die polizeiliche Generalklausel grundsätzlich als verfassungsmäßige Rechtsgrundlage ansieht, da die in ihr enthaltenen Ermächtigungen durch Judikatur und Literatur hinsichtlich Inhalt, Zweck und Ausmaß hinreichend präzisiert und verfestigt sind 320 .

bb) Eingriffe in Art. 11 GG aufgrund der Generalklausel? Die Zulässigkeit eines Rückgriffs auf die polizei- und ordnungsrechtliche Generalklausel zur Rechtfertigung eines Aufenthaltsverbots wird häufig und aus verschiedenen Gründen verneint. Nach Auffassung des VG Bremen 321 scheide die Generalklausel als gesetzliche Grundlage für Eingriffe in die Freizügigkeit bereits deshalb aus, weil sie den Anforderungen des Art. 11 Abs. 2 GG nicht entspreche und eine einschränkende verfassungskonforme Auslegung der polizeilichen Generalklausel insoweit nicht möglich sei. Das VG Bremen begründet seine Auffassung damit, daß die in Art. 11 Abs. 2 GG aufgeführten Schranken der Freizügigkeit, die aus systematischen und rechtsstaatlichen Gründen eng ausgelegt werden müßten, den Vorbehalt der öffentlichen Sicherheit nicht enthielten. Die tatbestandliche Dif-

316 BVerfGE 65, 1 (44). 317 Prinzip der Normenklarheit, BVerfGE 34, 165 (192); 65, 1 ff. 318 BVerfGE 83, 130 (145) - Josefine Mutzenbacher. 319 Vgl. Rachor, in: Lisken/Denninger, F Rdnr. 700; Schmidbauer, in: Schmidbauer/Steiner/Roese, Art. 11 Rdnr. 2; OVG Bremen, NVwZ 1999, 314 (315). 320 BVerfGE 49, 89 (133) - Kalkar; Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 26. 321 VG Bremen, Urt. v. 29. 05. 1997, Az.: 2 A 149/96, S. 11 f.; Gegenstand der Entscheidung war die Feststellung der Rechtswidrigkeit eines für die Dauer von sechs Monaten auf bestimmte Bereiche des Stadtgebiets Bremens verhängten Aufenthalts- und Durchquerungsverbotes gegenüber einem Angehörigen der offenen Drogenszene.

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

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ferenzierung in Art. 11 GG wolle aber gerade generalklauselartige Ermächtigungen zur Einschränkung der Freizügigkeit vermeiden 322 . Die abschließend normierten Einschränkungstatbestände in Art. 11 Abs. 2 GG dienen sicherlich als Schutz gegen „allzu leichtfertige und weite gesetzliche Einschränkungen" des Grundrechts der Freizügigkeit 323 . Aus dieser tatbestandlichen Differenzierung folgt jedoch noch nicht die generelle Unzulässigkeit eines Rückgriffs auf die Generalklausel. Die in Art. 11 Abs. 2 GG genannten Schutzgüter, insbesondere der Kriminalvorbehalt, sind letztlich Schutzgüter der öffentlichen Sicherheit. Zwar geht der Begriff der öffentlichen Sicherheit weiter als der Kriminalvorbehalt des Art. 11 Abs. 2 GG, der sich ausschließlich auf Straftaten mit für die Gemeinschaft erheblicher Bedeutung bezieht. Eine verfassungskonforme Einschränkung der Generalklausel ist aber im Hinblick auf die Anforderungen der einzelnen Grundrechte zulässig und bedenkenfrei, weil sich die Voraussetzungen eines Eingriffs ergänzend durch die Voraussetzungen des Art. 11 Abs. 2 GG rechtsstaatlich hinreichend bestimmen lassen 324 . Ob die Generalklausel als Ermächtigungsgrundlage für Aufenthaltsverbote ausreicht, ist daher weniger eine Frage der Vorbehalte des Art. 11 Abs. 2 GG als vielmehr eine Frage des abschließenden Charakters der Vorschrift „Platzverweis" sowie der Funktion und Grenzen der Generalklausel.

cc) Abschließender Charakter der Standardbefugnis Platzverweis? Zu prüfen ist also zunächst, ob und inwieweit der Eingriffssachverhalt „Aufenthaltsverbot" im jeweiligen Polizeigesetz abschließend geregelt ist. Soweit der Platzverweis als Standardbefugnis normiert ist, ist er nach dem bisher Ausgeführten als vorübergehendes, zeitlich und örtlich eng begrenztes Aufenthaltsverbot ausgestaltet. Hieraus wird verbreitet geschlossen, der Platzverweis regele damit die Möglichkeit eines Aufenthaltsverbots abschließend. Zur Begründung wird zumeist auf die - im Grundsatz nicht unzutreffende - Auffassung 325 verwiesen, wonach „im Zweifel" die Standardbefugnisse abschließend geregelt seien 326 . Hecker 327 sieht darüber hinaus in der Normierung des Platzverweises als Standardbefugnis 322 v g Bremen, Urt. v. 29. 05. 1997, Az.: 2 A 149/96, S. 12. 323 Randelzhofer, in: BK, Art. 11 Rdnr. 139. 324 Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 26. Vgl. auch Kunig, in: v.Münch / Kunig, GG Bd. 1, Art. 13 Rdnrn. 63 und 68 im Hinblick auf die in Art. 13 Abs. 7 GG geregelte Voraussetzung einer „dringenden Gefahr". Jetzt auch Rittstieg, in: AK-GG, 3. Aufl., Art. 11 Rdnr. 52. Im Ergebnis auch Cremen NVwZ 2001, 1218 (1222). 325 Drews/Wache/Vogel/Martens, §11,1 (S. 154 f.); Ule/Rasch, Teil A, § 1 Rdnr. 74. 326 So etwa Alherts / Merten / Rogosch, Vorb. § 3 ff. Rdnr. 7; Roggan, Cilip 60 (1998), 60 (61); Roggan/Sürig, KJ 1999, 307 (309); offengelassen von VG Frankfurt a. M., NVwZ 1998, 770 (771). 327 Hecker, Die Regelung des Aufenthalts, S. 54 f.; ders., NVwZ 1999, 261 (262). Ähnlich Rachor, in: Lisken / Denninger, F Rdnr. 710. 8 Neuner

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

die „eindeutige Entscheidung des Gesetzgebers für einen nur vorübergehenden Platzverweis", so daß eine endgültige oder langfristige Verweisung nicht über die Generalklausel eingeführt werden könne. Ähnlich argumentieren Roggan/Sürig328, die dem Umstand, daß der Gesetzgeber bisher von seiner Möglichkeit zur Normsetzung in Kenntnis der Drogenproblematik über Jahre hinweg keinen Gebrauch gemacht habe, die gesetzgeberische Wertung entnehmen, eine Befugnis zum Aufenthaltsverbot sei bislang nicht erwünscht gewesen. Die Gegenauffassung schließt dagegen die Möglichkeit weitergehender aufenthaltsbeschränkender Maßnahmen neben dem Platzverweis nicht aus. Den Verfassern des MEPolG müsse unterstellt werden, die Notwendigkeit der Regelung eines auf einen längeren Zeitraum befristeten Aufenthaltsverbots zu präventiven Zwekken nicht erkannt zu haben 329 . Nach Meinung des OVG Bremen 330 würdige die Gegenauffassung nicht ausreichend, daß es sich bei Platzverweis und Aufenthaltsverbot um „qualitativ unterschiedliche Maßnahmen" handele, die auf „nach Art und Ausmaß nicht vergleichbare Gefahrenlagen" reagierten. Platzverweis und Aufenthaltsverbot unterscheideten sich demnach nicht nur bezüglich der zeitlichen Länge einer Aufenthaltsbeschränkung 331. Gefahrenlagen, die etwa durch die Bildung offener Drogenszenen entstünden, erforderten komplexe Reaktionsmöglichkeiten, die über die Beschränkung durch eine einfache Platzverweisung hinausgingen und mit der Generalklausel bewältigt werden könnten 332 . Die Frage, wann eine Norm als abschließend anzusehen ist, ist durch Auslegung zu ermitteln 333 . Der Regelungswille des Gesetzgebers ist dabei einer Gesamtwürdigung der maßgeblichen Bestimmungen und Umstände zu entnehmen334. Wenig ergiebig zur Begründung des nicht abschließenden Charakters ist allerdings die Aussage, dem Gesetzgeber seien derartig langfristige Gefahrenlagen wie die Drogenszene, deren Ausmaß sich sicherlich in den 70er Jahren noch nicht gezeigt hat, unbekannt gewesen. Die Problematik der Rechtmäßigkeit eines langfristigen Aufenthaltsverbots sollte nicht allein an der Drogenszene festgemacht werden. Die Möglichkeit und Notwendigkeit langfristiger oder gar endgültiger Verweisungen auch zu präventivpolizeilichen Zwecken im Rahmen des Grundrechtsvorbehalts 328 Roggan/Sürig, KJ 1999, 307 (310); ebenso Roggan, Cilip 60 (1998), 60 (63). Ähnlich Cremer, NVwZ 2001, 1218 (1220). 329 Latzel/Lustina, Die Polizei 1995, 131 (135), die darauf hinweisen, daß die Bildung offener Drogenszenen erst in den 80er Jahren deutlich wurde, so daß für den Gesetzgeber die Anwendungsmöglichkeiten einer solchen Ermächtigung zum damaligen Zeitpunkt noch nicht abzusehen gewesen wären. 330 OVG Bremen, NVwZ 1999, 314 (315), Berufung zu VG Bremen, Urt. v. 29. 05. 1997, Az.: 2 A 149/96. 331 A. A. Roggan/Sürig, KJ 1999, 307 (309). 332 OVG Bremen, NVwZ 1999, 314 (315); ebenso Götz, NVwZ 1998, 679 (683); Schmidbauer, in: Schmidbauer/Steiner/Roese, Art. 11 Rdnrn. 151 und 154; Tettinger, Rdnr. 402. 333 Vgl. v.Mutius, Jura 1986, 649 (652). 334 BVerfGE 7, 342 (347); 32, 319 (328); 49, 343 (358); 67, 299 (324).

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des Art. 11 Abs. 2 GG gab es immer schon. Evakuierungsmaßnahmen und großräumige Absperrungen bei Unglücksfällen oder Katastrophen waren ebenso bekannt wie die Möglichkeit, zum Schutze der öffentlichen Sicherheit bestimmten Personen den Aufenthalt in bestimmten Bezirken und Ortschaften zu versagen, sei es aus präventiven, sei es aus repressiven Gründen 335 . Aus der Standardisierung des vorübergehenden Platzverweises daher zu folgern, der Gesetzgeber habe darüber hinausgehende Aufenthaltsbeschränkungen generell ausschließen wollen, wäre zu eng. Systematik und Entwicklungsgeschichte sprechen vielmehr dafür, daß ein polizeiliches Tätigwerden in diesen Bereichen nach wie vor möglich sein sollte. Dies ergibt sich aus folgenden Überlegungen: Zunächst ist nicht anzunehmen, der Gesetzgeber habe zugunsten der Standardisierung des Platzverweises bewußt eine Regelungslücke in Kauf genommen und mit dem Platzverweis sämtliche präventivpolizeiliche Aufenthaltsverbote als Reaktion auf dauerhafte Gefahren, die längerfristige oder endgültige Verweisungen erfordern, ausschließen wollen 336 . Dem steht schon entgegen, daß Regelungsgrund des Platzverweises allein seine Häufigkeit und Praktikabilität war 3 3 7 . Atypische Gefahrenlagen, wie sie bei Naturkatastrophen oder Unglücksfällen vorkommen, schließen daher daneben Verweisungsmaßnahmen grundsätzlich nicht aus. Folgte man der Gegenauffassung, wären außerdem selbst Verweisungsmaßnahmen gegen Hausbesetzer, die auch aufenthaltsbeschränkend sind, aber endgültigen Charakter haben, nicht mehr aufgrund der Landespolizeigesetze möglich. Auch aus dem Umstand, daß im Zuge der Entstehung beider polizeigesetzlicher Musterentwürfe ausführlich die Grenzen des Art. 11 GG und die landesrechtliche Gesetzgebungskompetenz diskutiert wurden 3 3 8 , ist nicht zwingend zu schließen, der Gesetzgeber habe den Eingriffssachverhalt „Aufenthaltsbeschränkung" mit dem Platzverweis abschließend regeln wollen. Die überwiegende Auffassung vertrat zu diesem Zeitpunkt die auch hier vertretene Auffassung, der Landesgesetzgeber dürfe zulässigerweise in Art. 11 GG eingreifen 339 . Die seinerzeit angestellte Überlegung, ob der Platzverweis in Art. 11 GG eingreife, muß daher in erster Linie vor dem Hintergrund gesehen werden, daß die Vorschrift Platzverweis dann - gedacht als kurzfristige Sofortmaßnahme zum Schutze der öffentlichen Sicherheit und Ordnung - wegen Art. 11 Abs. 2 GG weitgehend ins Leere liefe. Es ging aber weniger um die Frage, ob darüber hinaus längerfristige Maßnahmen in den Grenzen des Art. 11 Abs. 2 GG möglich wären 340 . Schließlich spricht für den nicht abschließenden Charakter der Standardbefugnis Platzverweis die Tatsache, daß dennoch einige Bundesländer Art. 11 GG zitieren, freizügigkeitsbeschränkende Maßnahmen nach dem Willen der Gesetzgeber also 335 Nachweise bei Merten, Freizügigkeit, S. 26. Vgl. auch 1. Teil, Fn. 97 und in diesem Teil, Fn. 424. 336

Zu endgültigen Verweisungsmaßnahmen vgl. 2. Teil, A. I. 1. c) aa). ? S. oben 2. Teil, A. I. l.a). 33 « S. oben l.Teil,C. 339 S. oben 2. Teil, A. II. 2. 3 *o Anders freilich die Verfasser des AEPolG, vgl. dazu oben 1. Teil, C. I. 33

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

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doch über den Platzverweis hinaus möglich sein sollten. Daß der MEPolG selbst in § 7 MEPolG auf ein Zitieren des Art. 11 GG verzichtete, wurde in der damaligen rechtswissenschaftlichen Diskussion mit Verweis auf die Notwendigkeit von über den Platzverweis hinausgehenden Aufenthaltsbeschränkungen teilweise als Unsicherheit im Hinblick auf die bestehenden Gesetzgebungskompetenzen, teilweise als Versehen gewertet 341 . Für einen Argumentum-e-contrario-Schluß dahingehend, wegen der Standardisierung des Platzverweises sei der Eingriffssachverhalt „Aufenthaltsverbot" abschließend normiert, ist daher kein Raum. Normiert der Platzverweis den Eingriffssachverhalt „Aufenthaltsbeschränkung" nicht abschließend, verbleibt die Frage, ob die derzeit gegenüber Angehörigen offener Szenen oder gewalttätigen Personen verfügten mehrwöchigen und mehrmonatigen Aufenthaltsverbote noch von der Funktion und Reichweite der polizei- und ordnungsrechtlichen Generalklausel erfaßt werden. dd) Funktion und Reichweite der Generalklausel Die Generalklausel hat, wie bereits dargelegt, eine Auffangfunktion für bisher unbekannte, atypische und komplexe Gefahrenlagen. Wegen ihrer weiten sprachlichen Fassung wird im Schrifttum gelegentlich eine Einschränkung der Generalklausel gefordert, weil andernfalls die Standardbefugnisse überflüssig seien 342 . Sei ein Eingriffstatbestand nicht abschließend als Standardbefugnis geregelt, könne die insoweit atypische Maßnahme nur dann auf die Generalklausel gestützt werden, wenn sie die Eingriffsintensität der vergleichbaren Standardbefugnis als typische Maßnahme nicht übersteige 343. Was das Aufenthaltsverbot angehe, sei es nämlich wenig verständlich, wenn die weniger schwerwiegende Maßnahme - der Platzverweis - speziell geregelt sei, während der schwerwiegendere Eingriff - das Aufenthaltsverbot - auf die Generalklausel gestützt werden dürfe 344 . Diese Auffassung läßt allerdings unberücksichtigt, daß den Standardbefugnissen - was den Regelungsgrund angeht - „kein einheitliches Konzept zugrunde (liegt)" 3 4 5 . Anlaß einer Standardisierung des einfachen Platzverweises war, wie ausgeführt, vorrangig dessen Häufigkeit und Praktikabilität, nicht aber dessen Grundrechtsintensität. Der Polizei sollte für die alltägliche Entscheidungssituation eine besondere Rechtsgrundlage zur Verfügung gestellt werden. Die Standardisierung eines Lebenssach341

Vgl. Martens, in: Arbeitstagung der Polizei-Führungsakademie, S. 47 f. und 67 f. 42 Roggan, Cilip 60 (1998), 60; Roggan/Sürig, KJ 1999, 307 (309); wohl auch Knemeyer, Rdnr. 157. 343 Roggan, Cilip 60 (1998), 60 (61); ähnlich Alberts/Merten/Rogosch, Vorb. §§ 3 ff. Rdnr. 7 sowie Vorb. § 11 ff. Rdnr. 2; Hecker, Die Regelung des Aufenthalts, S. 56; Rachor, in: Lisken/Denninger, F Rdnr. 703; Gusy, Polizeirecht, Rdnr. 254. 344 Alberts /Merten /Rogosch, Vorb. §§ 3 ff. Rdnr. 7 sowie Vorb. § 11 ff. Rdnr. 2; Lesting, KJ 1997, 214 (221); Cremer, NVwZ 2001, 1218 (1220). 3

345 Gallwas/Mösle, Rdnrn. 614 ff. (S. 165). Ähnlich Reichert/Ruder/Fröhler, S. auch oben 2. Teil, A. I. 1. a).

Rdnr. 541.

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

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Verhalts hat daher nicht zwingend etwas mit Eingriffsintensität zu tun. Der Rückgriff auf die Generalklausel kann folglich gerade beim Platzverweis nicht mit dem Argument verneint werden, das Aufenthaltsverbot habe eine weitergehendere Eingriffsintensität 346. Die Bestimmung des Anwendungsbereichs der Generalklausel erfordert aber eine genaue Beurteilung, ob ein Fall einer atypischen, bisher unbekannten oder komplexen Gefahrenlage vorliegt. Eine solche Gefahrenlage liegt gewiß bei Naturkatastrophen und sonstigen Unglücksfällen vor, die eine spontane Verweisung von Personen auch über einen längeren Zeitraum hinweg erfordern können. Atypisch ist auch der Fund einer drei Meter langen und 1800 Kilogramm schweren Fliegerbombe, deren Entschärfung die vorübergehende Evakuierung von 77000 Menschen, zwei Drittel der Stadtbevölkerung der italienischen Stadt Vicenza, erforderte 347 . Solche Gefahrenlagen sind, weil ihr Ausmaß im Vorfeld unklar und ihr Auftreten zumeist unerwartet ist, im Detail nur schwer durch Spezialvorschriften zu regeln. Roggan/Sürig und Hecker 348 ist aber zuzustimmen, wenn sie darauf hinweisen, daß gerade die Gefahrenlage „offene Drogenszene" bereits seit Jahren bekannt ist und diskutiert wird. Der Versuch, dem Problem mit neuen Mitteln zu begegnen, rechtfertigt den Rückgriff auf die polizeiliche Generalklausel daher allenfalls für eine Übergangsperiode, in der die Tauglichkeit des Mittels erprobt und eine gesetzgeberische Entscheidung getroffen werden kann 349 . Der Rückgriff auf die Generalklausel ist vor allem dann für eine Übergangszeit zulässig, wenn andernfalls ein Zustand entstehen würde, der den verfassungsrechtlichen Anforderungen noch entfernter stünde als durch das Fehlen einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage „eines materiell an sich zulässigen Eingriffs" 350 . Die rechtlichen Voraussetzungen sind dann anhand der gemachten Erfahrungen und empirischer Erhebungen auch hinsichtlich des räumlichen und zeitlichen Umfangs der Maßnahme planbar. Während dieser Übergangszeit kann die Notwendigkeit und Geeignetheit einer Maßnahme festgestellt und die Notwendigkeit von Folgemaßnahmen ermittelt werden. In Betracht kämen insoweit Anschlußmaßnahmen, die innerhalb der Geltungsdauer des Aufenthaltsverbots veranlaßt werden müßten, beispielsweise könnten im Falle der Bekämpfung offener Drogenszenen Maßnahmen angeschlossen werden, die effektiv dem einzelnen die Möglichkeit der Suchtbekämpfung bieten, etwa Therapieangebote, Suchtberatung etc. Mittlerweile hat sich aber 346

Im Ergebnis auch Schmidbauer, in: Schmidbauer/Steiner/Roese, Art. 11 Rdnr. 3. S. oben 2. Teil, A. I. 1. a). 3 47 Quelle: Badische Neueste Nachrichten v. 30. 4. 2001. 3 48 Roggan/Sürig, KJ 1999, 307 (310) mit Verweisen auf die Diskussionen in der Hamburger und Bremer Bürgerschaft; die Lage sei daher mit Naturkatastrophen nicht vergleichbar. Hecker, Die Regelung des Aufenthalts, S. 56. 34 9 Hecker, Die Regelung des Aufenthalts, S. 56, der zu Recht daraufhinweist, daß gerade im Bereich der Bekämpfung offener Drogenszenen die Übergangszeit bereits abgelaufen sein dürfte. Zur Übergangszeit BVerfG, DÖV 1992, 704 (706). 550 BVerfG, DÖV 1992, 704 (706).

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

das Aufenthaltsverbot zur Verhütung von Straftaten als polizeiliche Maßnahme etabliert 351 . Eine entsprechende Vorschrift ist im Vorfeld auch durchaus sinnvoll regelbar, selbst wenn sich die Drogenproblematik als Ganzes komplex darstellt. Gleiches gilt auch für Aufenthaltsverbote gegenüber Tätern politisch motivierter Gewalt oder bei gemeinschaftlich zu begehenden Straftaten. Auf Dauer dürfen Aufenthaltsverbote zu den genannten Zwecken daher nicht auf die Generalklausel gestützt werden. Die Notwendigkeit einer speziellen Regelung folgt auch aus der Wesentlichkeitsrechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts sowie den rechtsstaatlichen Grundsätzen der Bestimmtheit und Rechtsklarheit. Je wesentlicher die zu treffende Entscheidung ist, desto konkreter muß die Ausgestaltung der Regelung sein. Die notwendige Regelungsdichte richtet sich, wie bereits ausgeführt, „nach der Intensität, mit der die Grundrechte des Regelungsadressaten durch die jeweilige Maßnahme betroffen sind" 3 5 2 . Ein Aufenthaltsverbot für mitunter mehrere Monate kann einen empfindlichen Grundrechtseingriff bedeuten. Die Möglichkeit, bestimmte Orte aufsuchen zu dürfen, ist Grundvoraussetzung für die Teilnahme an der gesellschaftlichen Wirklichkeit und am familiären und sozialen Leben und damit Grundvoraussetzung für die Verwirklichung der Grundrechte. Dabei ist es von entscheidender Bedeutung, wie das Aufenthaltsverbot im einzelnen ausgestaltet ist, welchen Umfang es hat und welche Ausnahmen vom Verbot zugelassen werden. Diese Entscheidungen allein der Verwaltung zu überlassen, würde der Grundrechtsintensität der Maßnahme nicht ausreichend Rechnung tragen 353 . Die kontrovers geführte, teilweise emotionsgeladene politische und rechtliche Diskussion über die Zulässigkeit von Aufenthaltsverboten sowie die stark divergierenden Anwendungsvoraussetzungen innerhalb der einzelnen Länder und Gemeinden, die - allein die Dauer des Verbots betreffend - von vier Tagen in Sachsen-Anhalt und drei bis zwölf Monaten in manchen Großstädten reichen 354 , belegen, daß der Frage eines Aufenthaltsverbots über die Grundrechtsintensität hinaus auch politisch ein nicht zu verkennender Stellenwert zukommt. Diese politische Bedeutung ist ein weiteres Indiz für die Wesentlichkeit der Entscheidung355. Schließlich verlangen

351 Z. B. wurden allein an den Chaos-Tagen 1996 an einem Wochenende 2000 Verweisungen ausgesprochen, VG Hannover, NdsVBl. 1998, 147; vgl. auch die Aufenthaltsverbote in Berlin gegenüber gewaltbereiten Personen anläßlich der 1.-Mai-Demonstration, VG Berlin, B. v. 30. 04. 2001, Az.: VG 1 A 136.01 u. a.; zu den Aufenthaltsverboten gegenüber Mitgliedern der Drogenszenen vgl. die hierzu in diesem Abschnitt zitierte Rechtsprechung sowie in der Einleitung, Fn. 7. 352 BVerfGE 98, 218 (252). 353 im Ergebnis auch Berner/Köhler, 16. Aufl., Art. 16 Rdnr. 1; Bizer, S. 68 ff.; Cremer, NVwZ 2001, 1218 (1222); Haus/Wohlfahrt, Rdnr. 251; Hecker, Die Regelung des Aufenthalts, S. 55 ff.; Roggan, Cilip 60 (1998), 60 (63 f.); Rachor, in: Lisken/Denninger, F Rdnr. 454; Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 134. 354 Nachweise vgl. Einleitung, Fn. 7 sowie die gesetzlichen Regelungen zum Aufenthaltsverbot.

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

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die Gebote der Bestimmtheit und Normenklarheit nach einer detaillierteren Regelung. Auch früher waren derartige Aufenthaltsverbote spezialgesetzlich geregelt 3 5 6 . Angesichts dessen, daß diese vermutlich nicht zuletzt wegen ihrer Grundrechtsintensität im Laufe der Zeit aufgehoben wurden, ist die Möglichkeit der Verhängung von Aufenthaltsverboten außerhalb des Notfalls aufgrund der Generalklausel für den Bürger nicht ausreichend vorhersehbar. Dies ergibt sich schon aus der kontrovers geführten rechtswissenschaftlichen Diskussion, ob über den Platzverweis hinausgehende Maßnahmen überhaupt aufgrund der Generalklausel zulässig sind. Zumal der Platzverweis selbst auch die Verhütung von Straftaten im Rahmen der öffentlichen Sicherheit zu erfassen vermag, aber eben nur durch eine kurzfristige Verweisung. Es empfiehlt sich daher eine spezialgesetzliche Regelung in Form der Standardbefugnis, die die tatbestandlichen Eingriffsvoraussetzungen und die Grenzen der Rechtsfolge exakt festlegt. Welche Anforderungen an eine solche Rechtsgrundlage aus Sicht des Art. 11 GG zu stellen sind, soll im folgenden geklärt werden.

c) Regelungskriterien

der Standardbefugnis

„ Aufenthaltsverbot"

aa) Die bisherigen Normierungen eines Aufenthaltsverbots Die Polizeigesetze Niedersachsens 357, Sachsens358, Sachsen-Anhalts359, Berlins 3 6 0 , Bremens 361 , Mecklenburg-Vorpommerns 362, Brandenburgs 363 und Thüringens 364 lassen ein Aufenthaltsverbot zwecks Verhütung von Straftaten zu, wenn Tat355 Vgl. BVerfGE 68, 1 (109); im Ergebnis auch VG Bremen, Urt. v. 29. 05. 1997, Az.: 2 A 149/96, S. 13; BVerfGE 98, 218 (251), wonach die politische Bedeutung allein jedoch nicht ausreicht. Ebenso Cremer, NVwZ 2001, 1218 (1222). 356 Vgl. bei Drews/Wacke, § 11 (S. 188) und oben 1. Teil, Fn. 97. 357 § 17 Abs. 2 NGefAG, eingeführt durch Änderungsgesetz v. 20. 06. 1996, GVB1. S. 230, Text s. Anhang. 358 § 21 Abs. 2 SächsPolG, eingeführt durch Änderungsgesetz v. 21. 06. 1999, GVB1. S. 330, Text s. Anhang. Vgl. auch Gesetzesentwurf der Staatsregierung v. 15. 01. 1998, LTDrs. 2/7794 zu § 21 Abs. 2 SächsPolG-E. 359 § 36 Abs. 2 SOG LSA, eingeführt durch Änderungsgesetz v. 20.07.2000, GVB1. S. 444, Text s. Anhang. Vgl. Begründung zum Gesetzesentwurf v. 26.04.2000, LT-Drs. 3/3023. 360 § 29 Abs. 2 BlnASOG, eingeführt durch Änderungsgesetz v. 22. 05. 1999, GVB1. S. 164, Text s. Anhang. 361 § 14 Abs. 2 BremPolG, eingeführt durch Änderungsgesetz v. 04. 09. 2001, GBl. v. 12. 09. 2001, S. 267 ff., Text s. Anhang. 362 § 52 Abs. 3 MVSOG, eingeführt durch Änderungsgesetz v. 24. 10. 2001, GVOB1. S. 386, Text s. Anhang. 363 § 16 Abs. 2 BbgPolG, eingeführt durch Änderungsgesetz v. 18. 12. 2001, GVB1. I S. 298 (299), Text s. Anhang. 364 § 18 Abs. 2 ThürPAG, eingeführt durch Änderungsgesetz v. 20. 06. 2002, GVB1. S. 247, Text s. Anhang.

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

sachen die Annahme rechtfertigen, eine Person werde in einem bestimmten Bereich eine Straftat begehen. Im übrigen unterscheiden sich die Vorschriften sowohl hinsichtlich der Eingriffsvoraussetzungen als auch hinsichtlich der Rechtsfolgen. § 17 Abs. 2 NGefAG, § 21 Abs. 2 SächsPolG, § 29 Abs. 2 BlnASOG, § 14 Abs. 2 BremPolG, § 52 Abs. 3 MVSOG, § 16 Abs. 2 BbgPolG und § 18 Abs. 2 ThürPAG knüpfen das Aufenthaltsverbot an die Gefahr der Begehung „einer Straftat" in einem bestimmten örtlichen Bereich. Welche Straftat ein Aufenthaltsverbot rechtfertigen soll, bleibt im Normtext offen. Wesentlich restriktiver ist dagegen die Regelung Sachsen-Anhalts. Nach § 36 Abs. 2 S. 1 SOG LSA darf ein Aufenthaltsverbot nur bei einer Straftat von erheblicher Bedeutung, bei Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz, politischen Straftaten nach §§ 86, 86 a StGB, schwerem Haus- und Landfriedensbruch nach §§ 124,125 StGB, Volksverhetzung nach § 130 StGB oder bei Straftaten nach dem Versammlungsgesetz gemäß § 27 VersG ausgesprochen werden 365 . Damit nennt der Gesetzgeber Sachsen-Anhalts ausdrücklich auch diejenigen Straftaten, die Anlaß für die Diskussion um ein langfristiges Aufenthaltsverbot waren, nämlich Straftaten im Rahmen der Drogenszenen, politisch motivierte und gemeinschaftlich begangene Straftaten. Eine solche Einschränkung auf bestimmte Straftaten kennen die Vorschriften der anderen Länder nicht, sie läßt sich allenfalls den Gesetzgebungsmotiven und Art. 11 GG entnehmen. § 21 Abs. 2 SächsPolG und § 16 BbgPolG lassen neben der Gefahr der Begehung einer Straftat bereits den „Beitrag zur Begehung einer Straftat" genügen. Eine entsprechende Vorschrift war zunächst auch in Niedersachsen vorgesehen 366, konnte sich jedoch nicht durchsetzen. „Aufenthaltsverbot" meint wiederum das Verbot, sich in einem bestimmten Bereich aufzuhalten oder diesen zu betreten. Die Regelungen Niedersachsens, Berlins und Sachsen-Anhalts halten dies ausdrücklich fest. Das Aufenthaltsverbot kann nach allen Vorschriften für einen bestimmten örtlichen Bereich ausgesprochen werden. Entsprechend der Zuständigkeit der Ortspolizeibehörden kann dieser Bereich ein Gemeindegebiet oder ein Gebietsteil sein, nicht aber das gesamte Bundesland. Der Wortlaut des § 29 Abs. 2 S. 1 BlnASOG, der die Verweisung für ein bestimmtes Gebiet „innerhalb Berlins" zuläßt, deutet darauf hin, daß auch hier ein Aufenthaltsverbot für den gesamten Stadtstaat Berlin unzulässig ist. Für ein auf ein 365

§ 36 Abs. 2 SOG LSA enthält dem Wortlaut nach damit einen abschließenden Straftatenkatalog bezogen auf Straftaten von erheblicher Bedeutung (vgl. § 3 SOG LSA), erweitert um die zusätzlich aufgeführten Straftaten, sofern man darin nicht bereits Straftaten von erheblicher Bedeutung sieht. Enger wohl Meixner/Martell, § 36 Rdnr. 12. Nach Auffassung der sachsen-anhaltischen Landesregierung werde jedoch die Beschränkung auf den bisherigen Straftatenkatalog den praktischen Bedürfnissen und den Anforderungen an eine wirksame Gefahrenabwehr nicht gerecht. In Planung befindet sich daher die Änderung des § 36 Abs. 2 SOG LSA, wonach - wie in anderen Bundesländern auch - die Gefahr der Begehung „einer Straftat" für ein Aufenthaltsverbot ausreichen soll, vgl. den Gesetzesentwurf zur Änderung des SOG LSA v. 04. 12. 2002, LT-Drs. 4/400, S. 9 und 20 sowie PIProt. LT LSA 4/12 v. 13. 12. 2002, S. 818 f. 3 66 Vgl. Gesetzesentwurf der SPD-Landtagsfraktion, Nds. LT-Drs. 13/1723, Art. 1 Nr. 5, S. 2.

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

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Bundesland bezogenes Aufenthaltsverbot ist überdies die Kompetenzfrage wiederum problematisch, da hierdurch die interterritoriale Freizügigkeit betroffen wäre. Von dem Aufenthaltsverbot ausgenommen ist der Bereich der eigenen Wohnung 367 bzw. der Zugang zur Wohnung 368 . Die bremische Regelung verbietet das Aufenthaltsverbot darüber hinaus für Orte, auf deren Betreten die betroffene Person aus vergleichbar wichtigen Gründen angewiesen ist. Zeitlich und räumlich ist das Aufenthaltsverbot „auf den zur Verhütung der Straftat erforderlichen Umfang zu beschränken." 369 Exakte zeitliche Höchstgrenzen legen nur Sachsen, Sachsen-Anhalt und neuerdings Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Thüringen ausdrücklich fest. § 21 Abs. 2 SächsPolG, § 16 Abs. 2 BbgPolG und § 18 Abs. 2 ThürPAG beschränken die höchst zulässige Dauer eines Aufenthaltsverbots auf drei Monate, § 52 Abs. 3 MVSOG auf zehn Wochen. Wesentlich restriktiver - auch im bundesweiten Vergleich im Umgang mit Aufenthaltsverboten - bestimmt § 36 Abs. 2 SOG LS A, daß Aufenthaltsverbote in der Regel nicht länger als vier Tage, im Falle einer Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz maximal 14 Tage andauern dürfen 3 7 0 . Nach den offenen Regelungen in Niedersachsen, Berlin und Bremen wäre dagegen ein Aufenthaltsverbot theoretisch - im Rahmen der Verhältnismäßigkeit unbegrenzt möglich. § 21 Abs. 2 S. 3 SächsPolG, § 14 Abs. 2 BremPolG und § 16 Abs. 2 BbgPolG betonen zudem, daß im Falle der Wahrnehmung berechtigter Interessen Ausnahmen vom Aufenthaltsverbot zulässig sein müssen. Nach der brandenburgischen Regelung ist das Aufenthaltsverbot schriftlich zu erteilen. Die Schriftform des Aufenthaltsverbotes ist aus Praktikabilitäts- und Beweisgründen, vor allem aber aus rechtsstaatlichen Gründen geboten. Abschließend weisen alle Regelungen darauf hin, daß die Vorschriften des Versammlungsrechts „unberührt bleiben" 371 . Im Hinblick auf das Versammlungsgesetz als Spezialmaterie kommt dieser Vorschrift wiederum nur deklaratorische Bedeutung zu.

367 So § 17 Abs. 2 NGefAG; § 36 Abs. 2 SOG LSA; § 14 Abs. 2 BremPolG. 368 So § 21 Abs. 2 SächsPolG; § 29 Abs. 2 BlnASOG; § 52 Abs. 2 MVSOG; § 16 Abs. 2 BbgPolG; § 18 Abs. 2 ThürPAG. 369 § 29 Abs. 2 S. 2 BlnASOG; § 17 Abs. 2 S. 3 NGefAG; § 21 Abs. 2 S. 2 SächsPolG; § 14 Abs. 2 S. 3 BremPolG; § 52 Abs. 3 S. 3 MVSOG; § 16 Abs. 2 S. 2 BbgPolG. Ähnlich § 36 Abs. 2 S. 1 SOG LSA, wonach der Aufenthalt für die zur Verhütung der Straftat erforderliche Zeit verboten werden kann. 370 Nach einem neuen Gesetzesentwurf der Landesregierung Sachsen-Anhalts soll die Höchstdauer eines Aufenthaltsverbots auf 12 Monate ausgedehnt werden, da sich die zeitliche Begrenzung auf maximal 14 Tage als unzureichend erwiesen habe, vgl. den Gesetzesentwurf zur Änderung des SOG LSA v. 04. 12. 2002, LT-Drs. 4/400, S. 9 und 20 sowie PlProt. LT LSA 4/12 v. 13. 12. 2002, S. 818 f. 371 Vgl. § 17 Abs. 2 S. 3 NGefAG; § 21 Abs. 2 S. 3 SächsPolG; § 36 Abs. 2 S. 4 SOG LSA; § 14 Abs. 2 S. 4 BremPolG; § 52 Abs. 3 S. 4 MVSOG; § 16 Abs. 2 S. 4 BbgPolG.

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

bb) Wertung Die Standardbefugnisse „Aufenthaltsverbot" stehen teilweise in heftiger Kritik. Von „uferlosen Scheintatbeständen"372 ist die Rede, von einer „aufgrund der tatbestandlichen Weite gegebenen Unverhältnismäßigkeit" 373. Überdies seien die Eingriffsvoraussetzungen zu „unbestimmt" 374 und letztlich daher „verfassungsrechtlich kaum haltbar" 375 . In der Tat ist fraglich, ob es sich um „griffige Eingriffsvoraussetzungen", die die Standardbefugnisse leisten sollen, handelt und ob diese den Anforderungen des Art. 11 GG gerecht werden. Ein großer Teil der Normmerkmale ist klarstellender Natur oder wiederholt den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in seiner allgemeinen verfassungsrechtlichen Geltung. Der hochrangige Charakter von Schutz- und Eingriffsgut im einzelnen scheint nur selten berücksichtigt. Die Eingriffsvoraussetzungen im übrigen zeichnen sich, mit Ausnahme der Regelung in Sachsen-Anhalt, durch ihre tatbestandliche Weite aus. Für den Gesetzesanwender lassen sich aus dem Normtext allein keine speziellen Verhaltensdirektiven entnehmen. De facto leisten die Regelungen, von einigen Ausnahmen abgesehen, nicht viel mehr als die verfassungskonform angewendete polizeiliche Generalklausel. Im folgenden soll überprüft werden, ob diese Eingriffsvoraussetzungen ausreichend sind oder ob aus verfassungsrechtlichen Gründen eine detaillierte Ausgestaltung erforderlich ist.

(1) Der Gesetzeszweck Gefahrenabwehrziel aller Regelungen des Aufenthaltsverbots ist die „Verhütung von Straftaten". Aus § 29 Abs. 2 BlnASOG und § 36 Abs. 2 SOG LSA ergibt sich diese Zielsetzung ausdrücklich. Es handelt sich mithin nicht um eine allgemeine Befugnis zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit, nur mittelbar geht es um den Schutz der inneren Sicherheit als Schutzgut der öffentlichen Sicherheit. Die Vorschrift greift in den Bereich der vorbeugenden Straftatenbekämpfung, was insoweit plausibel ist, wenn man bedenkt, daß mit der jeweiligen Vorschrift mitunter mehrmonatige Aufenthaltsverbote verhängt werden sollen. Die Begehung der Straftat steht also nicht notwendig zeitlich nahe bevor. Der Kriminalvorbehalt des Art. 11 Abs. 2 GG steht dieser Zielsetzung nicht entgegen, da auch er Freizügigkeitsbeschränkungen zuläßt, „um strafbaren Handlungen vorzubeugen". Die Beschränkung des Gesetzeszwecks auf den Kriminalvorbehalt des Art. 11 GG stellt zudem klar, daß der Sachverhalt Aufenthaltsverbot nur insoweit abschließend ist und Beschränkungen aufgrund anderer Zielsetzungen, etwa im Bereich von Katastrophen oder Unglücksfällen, nach wie vor aufgrund der Gene372 Denninger, in: Stokar/Gössner, S. 35 (36). 373 Bizer, S. 70 ff. und 78. 374 Lisken, Polizei-heute 1996, 138 (140). 375 Asbrock, in: Stokar/Gössner, S. 47; Robrecht, SächsVBl. 1999, 232 (236).

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

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ralklausel möglich sind. Der Gesetzeszweck sollte daher im Normtext aus Gründen der Rechtsklarheit festgelegt sein. (2) Die Eingriffsvoraussetzungen Die Vorschrift „Aufenthaltsverbot" muß als freizügigkeitsbeschränkende Maßnahme zum Ausdruck bringen, daß, entsprechend dem Kriminalvorbehalt des Art. 11 Abs. 2 GG, ein Eingreifen nur bei der Gefahr der Begehung von „Straftaten mit erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit" zulässig ist 3 7 6 . Fraglich ist, ob es hierzu aus Gründen der Bestimmtheit und Rechtsklarheit eines ausdrücklichen Straftatenkatalogs bedarf. Die Anforderungen an die Bestimmtheit erhöhen sich, wie dargelegt, mit der Intensität, mit der aufgrund der betreffenden Regelung in grundrechtlich geschützte Bereiche eingegriffen werden kann. Verlangt wird nicht, daß gar keine Auslegungsnotwendigkeit mehr besteht. Es genügt vielmehr, daß die Norm mit „herkömmlichen juristischen Methoden" ausgelegt werden kann 377 . Eine solche Auslegung ist beim Aufenthaltsverbot anhand der Gesetzesmaterialien, die alle den Anlaß und die Art der zu bekämpfenden Kriminalität beschreiben, möglich 378 . Der Begriff der „Straftat von erheblicher Bedeutung" dürfte außerdem auch durch Rechtsprechung und Verwaltung mittlerweile konkretisiert sein, da ihn auch andere Vorschriften, wie z. B. der Gewahrsam, in ähnlicher Form verwenden 379. Einige Gesetze und Ausführungsvorschriften enthalten darüber hinaus entsprechende Begriffsbestimmungen oder Umschreibungen 380. Ein abschließender Katalog hätte dagegen den Nachteil, daß wegen des Grundsatzes des Vorrangs des Gesetzes eine Erweiterung der Vorschrift auf andere Straftaten mit erheblicher Bedeutung als den im Katalog genannten von vornherein versagt wäre. Polizeirecht muß aber grundsätzlich in der Lage sein, auf verschiedene Situationen angemessen zu reagieren. Eine absolute Bestimmtheit der Vorschrift ist daher ohnehin nicht erforderlich 381 . Ein Straftatenkatalog sollte daher, wenn überhaupt, in Form von Regelbeispielen ausgestaltet und offen für vergleichbare Gefahrenlagen, wie sie sich z. B. jetzt durch die Fälle der Gewalt im sozialen Nahraum ergeben, sein. Eingriffe aufgrund der polizei- und ordnungsrechtlichen Generalklausel verlangen grundsätzlich das Vorliegen einer konkreten Gefahr. Der Wortlaut des Krimi376 Vgl. in diesem Teil, A. II. 3. a). 377 BVerfGE 83, 130 (145); Kunig, Jura 1990,495. 378 Vgl. z. B. die Begründung zum Gesetzesentwurf Sächs. LT-Drs. 2/7794, S. 18; ebenso die Motive in Niedersachsen, vgl. Nds. LT, 13. WP, StenoProt. 37. Sitzung v. 25. 10. 1995, S. 4143 ff. sowie die Entwürfe der SPD-Fraktion, Nds. LT-Drs. 13/1723, S. 3 ff. sowie der CDU-Fraktion, Nds. LT-Drs. 13/1440 (neu), S. 13 f. 379 s. unten 2. Teil, A. IV. 3. 380 So z. B § 36 Abs. 1 SächsPolG, § 2 BremPolG sowie Nr. 17.3.1 VollzBek zu Art. 17 BayPAG. 381 S. oben 2. Teil, A. II. 3. b) aa).

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

nalvorbehalts, der von „vorbeugen" spricht, verlangt eine solche zeitliche Nähe zum möglichen Schadenseintritt jedoch nicht zwingend. Notwendig ist vielmehr eine besondere Wahrscheinlichkeit, daß eine Person künftig eine erhebliche Straftat begehen wird 3 8 2 . Die Notwendigkeit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit folgt aus dem Umstand, daß bei Art. 11 GG ein hochrangiges Schutzgut auf der einen Seite, einem hochrangigen Eingriffsgut auf der anderen Seite gegenübersteht, wobei allerdings auch hier um so geringere Anforderungen an die Wahrscheinlichkeit zu stellen sind, je hochrangiger das gefährdete Schutzgut ist. Die erhöhte Wahrscheinlichkeit folgt auch daraus, daß die freizügigkeitsbeschränkende Maßnahme „erforderlich" sein muß, da eine freizügigkeitsbeschränkende Maßnahme zur Vorbeugung einer Straftat nur erforderlich sein kann, wenn die Straftat annähernd sicher droht. Fraglich ist, wie diese erhöhte Wahrscheinlichkeit gesetzestechnisch zu bewältigen ist. Das Versammlungsgesetz, das gemäß dem hohen Rang der Versammlungsfreiheit ein im Vorfeld ergehendes Verbot nur dann zuläßt, wenn der Schadenseintritt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist 3 8 3 , beschreibt diese hohe Wahrscheinlichkeitsstufe mit dem Begriff der „unmittelbaren Gefahr". Dieser ist von dem allgemeinpolizeilichen Begriff der „unmittelbar bevorstehenden Gefahr", der rein zeitlich zu verstehen ist, abzugrenzen. Auch das Aufenthaltsverbot könnte die erforderliche hohe Wahrscheinlichkeit der Straftatenbegehung mit den Begriff der „unmittelbaren Gefahr" kennzeichnen384. Gegebenenfalls müßte dieser Begriff in einer gesonderten Begriffsbestimmung im Unterschied zur „unmittelbar bevorstehenden Gefahr" klargestellt werden. Voraussetzung für ein Eingreifen mittels Aufenthaltsverbots ist übereinstimmend, daß Tatsachen die Annahme einer Straftatenbegehung rechtfertigen. Gesetzestechnisch handelt es sich auch hier um eine Eingriffsvoraussetzung, die üblicherweise im Bereich der vorbeugenden Straftatenbekämpfung verwendet wird 3 8 5 . Diese Tatsachen müssen die hohe Wahrscheinlichkeit der Begehung einer Straftat rechtfertigen 386. Entgegen der Auffassung Liskens 387 ist dieser Begriff nicht zu beanstanden. Wie bei der Abwehr konkreter Gefahren auch, basiert das polizeiliche Tätigwerden auf einer Prognose über den künftigen Geschehensablauf, die auf bestimmte - justitiable - Tatsachen, Sachverhalte und sonstige Einzelheiten gestützt wird 3 8 8 . Die Tatsachen müssen sichtbar und beweisbar sein und ohne weitere Bewertung „die Annahme rechtfertigen", also den Schluß ziehen lassen, eine Person werde eine Straftat in einem bestimmten Gebiet begehen389. Bloße Behauptungen, 382 So auch Waechter, NdsVBl. 1997, 197 (202). 383 Vgl. die Begründung des Rechtsausschusses zur VersG-Novelle 1978, BT-Drs. 8/ 1845, S. 10 f. 384 So auch Robrecht, SächsVBl. 1999, 232 (235, Fn. 62). 385 Rachor, in: Lisken / Denninger, F Rdnrn. 172 ff. 386 Waechter, NdsVBl. 1997, 197 (202). 387 Lisken, Polizei-heute, 1996, 138 (140). 388 Denninger, in: Lisken / Denninger, E Rdnr. 36; BVerfGE 69, 315 (354) zu § 15 VersG Brokdorf.

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

Indizien und Vermutungen oder sonstige vage Annahmen genügen hierfür nicht 3 9 0 . Es muß sich um äußere Tatsachen handeln, also um Zustände und Ereignisse, die vom menschlichen Wissen und Wollen unabhängig sind 391 . Gewißheit über die weitere Entwicklung wird dadurch nicht verlangt. Der Normtext überläßt dem Gesetzesanwender bei der Beurteilung, ob einer Tatsache eine Indizwirkung für die Begehung einer Straftat zukommt, daher einen gewissen Spielraum, welche Anforderungen im einzelnen für diese Prognose geboten sind 392 . In Abgrenzung zu bloßen Vermutungen ist das Tatbestandsmerkmal der „Tatsachen, die die Annahme der Straftatenbegehung rechtfertigen" als etwas Beweisbares mangels geeigneterer Alternativen hinzunehmen. Die Polizei muß letztlich auch bei der Beurteilung einer konkreten Gefahr immer auf äußere Tatsachen zurückgreifen. Zudem benötigen Eingriffsbefugnisse eine gewisse Flexibilität und es dürfte gesetzestechnisch schwierig sein, einzelne bestimmte Tatsachen, die auf eine Straftatenverwirklichung hindeuten, von vornherein detailliert festzumachen. Das Bayerische Polizeiaufgabengesetz und das Brandenburgische Polizeigesetz verwenden beim Unterbindungsgewahrsam in Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 BayPAG bzw. § 17 Abs. 1 Nr. 2 BbgPolG Prognosekriterien, die die Annahme des unmittelbaren Bevorstehens einer Straftat oder Ordnungswidrigkeit als Voraussetzung für eine Ingewahrsamnahme stützen sollen. Dies soll etwa dann der Fall sein, wenn die Straftat angekündigt oder hierzu aufgefordert wird, wenn bei einer Person Waffen gefunden werden, die ersichtlich zur Tatbegehung bestimmt sind oder wenn eine Person bereits mehrfach in der Vergangenheit aus vergleichbarem Anlaß als Störer betroffen worden ist und nach den Umständen eine Wiederholung zu erwarten ist. Derartige Kriterien können auch für die Begehung einer Straftat im Sinne des Art. 11 GG Indiz sein. Gerade die Wiederholungsgefahr der Straftatenbegehung war in neueren verwaltungsgerichtlichen Entscheidungen maßgebendes Kriterium für ein Aufenthaltsverbot 3 9 3 . Erfahrungen aus dem früheren Verhalten des Betroffenen dürfen jedoch grundsätzlich nicht die einzige Tatsache sein, da dies andernfalls der Grundrechtsverwirkung und Vorverurteilung gleichkäme. Auf der anderen Seite darf ein polizeiliches Aufenthaltsverbot im Falle einer gerichtlichen Verurteilung nicht zu einer Umgehung der Vorschriften des § 56 c und des § 68 b StGB führen, wenn der Richter hiervon keinen Gebrauch gemacht hat. Vielmehr muß die konkrete Wieder389 Wolf/Stephan, § 21 Rdnr. 7; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht Bd. 1, § 36 Rdnr. 4; Robrecht, SächsVBl. 1999, 232 (235); Lisken, Polizei-heute 1996, 138 (140). 390 Berner/Köhler, 16. Aufl., Art. 23 Rdnr. 12; Rachor, in: Lisken / Denninger, F Rdnr. 177; BVerfGE 69, 315 (354) zu § 15 VersG - Brokdorf. 391 Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht Bd. 1, § 36 Rdnr. 5. 392 Robrecht, SächsVBl. 1999, 232 (235); Rachor, in: Lisken / Denninger, F Rdnr. 178. 393 OVG Lüneburg, NVwZ 2000, 454 (dreimaliges Antreffen eines Dealers bei Kontaktsuche zu Drogenkonsumenten); VG Göttingen, NVwZ-RR 1999, 169 f. (rechtskräftige Verurteilung wegen Btm-Erwerbs und weiterer Tatsachen); VG Berlin, B. v. 30. 04. 2001, Az.: VG 1 A 136.01 (Aufenthaltsverbot für 1 .-Mai-Demonstration: dreimalige Beteiligung an gewalttätigen Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern sowie Zugehörigkeit zu einer linksextremistischen Gruppierung).

2. Teil: Rechtsgrundlagen

holungsgefahr dann auch aus anderen tatsächlichen und präventivpolizeilichen Gründen zu erwarten sein. Bloße Äußerlichkeiten wie Haartracht oder das sonstige Erscheinungsbild reichen keinesfalls aus 394 . Ein starkes Indiz ist dagegen die ernsthafte Ankündigung von Gewalttaten. Polizeigesetzliche Prognosekriterien können, weil ein Gesetz nicht alle möglichen Tatsachen, die auf eine Straftat hindeuten, erfassen kann, lediglich als Auslegungshilfe für die Gewichtigkeit einer in Frage kommenden Tatsache dienen. Bei den Prognosekriterien soll es sich nach Auffassung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofes um die Festlegung typischer Anhaltspunkte handeln, bei deren Vorliegen nach der Lebenserfahrung mit Straftaten gerechnet werden könne 395 . Sie dürfen jedoch keinesfalls als abschließend oder als Regelbeispiel mißverstanden werden und die konkrete Feststellung im Einzelfall, ob eine Straftat tatsächlich zu erwarten ist, ersetzen 396. Der indizielle Charakter der Prognosekriterien und die nach wie vor bestehende Notwendigkeit einer Einzelfallfeststellung müßten daher im Gesetzestext kenntlich gemacht werden. Angesichts der Vielgestaltigkeit der Situationen, die Aufenthaltsverbote im Einzelfall erfordern können, sollte auf solche vereinzelten Prognosekriterien verzichtet werden, zumal sie die mitunter schwierige Feststellung im Einzelfall nicht ersetzen. Das Aufenthaltsverbot muß schließlich zur Verhütung von Straftaten „erforderlich" sein. Dieses Tatbestandsmerkmal ist zu befürworten, weil es nicht nur auf eine erhöhte Wahrscheinlichkeit hinweist, sondern auch den verfassungsrechtlich verankerten Verhältnismäßigkeitsgrundsatz hervorhebt. Ein polizeiliches Aufenthaltsverbot ist auch nicht für die Vorbeugung jeglicher Straftaten von erheblicher Bedeutung geeignet. Die relativ sichere Aussage, die eine offene Drogenszene über künftige Straftatenbegehung zuläßt, ist eher die Ausnahme. Auch Straftaten, die von rechter oder linker Gewalt ausgehen oder im Rahmen verbotener Versammlungen stattfinden, werden häufig vorher angekündigt oder deuten sich an. In den meisten anderen Fällen der Straftatenbegehung dürfte die Polizei im Vorfeld zumeist aber keine Kenntnis haben. Abgesehen davon, daß dann auch fraglich ist, ob ein Aufenthaltsverbot zur Vorbeugung einer Straftat beitragen würde. Abschließend ist auf Tatbestandsseite zu klären, ob die im Sächsischen und nunmehr auch im Brandenburgischen Polizeigesetz erfolgte Erweiterung der Vorschrift auf Personen, die „zur Begehung einer Straftat beitragen", auch für andere Polizeigesetze geboten ist. Diese Eingriffsvoraussetzung ist in der Tat nicht unproblematisch. Wann leistet jemand einen Beitrag zur Begehung einer Straftat? Soll die Vorschrift auch solche Personen treffen, die allein durch ihre Anwesenheit oder sonstige Nähe einen - nicht notwendig kriminellen - Bezug zu einem potentiellen Straftäter haben?397 Eine Mutter, die regelmäßig ihr Kind in der Szene aufsucht, oder 394 v g Hannover, NdsVBl. 1998, 147 (äußeres Erscheinungsbild eines Punks); VG Bremen, B. v. 02. 08. 1996, Az.: 2 V 86/96. 395 BayVerfGH, NVwZ 1991, 664 (667). 396 BayVerfGH, NVwZ 1991, 664 (667). 397 Diese Frage stellt zu Recht Denninger, in: Stokar/Gössner, S. 35 (36).

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

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Freunde und Bekannte wären dann unter Umständen ebenfalls zu verweisen. Die Verwaltungsgerichte scheinen zu dieser Auffassung zu neigen, wenn auch solche Personen mit einem sechsmonatigen Aufenthaltsverbot belegt werden können, die, ohne selbst Drogenkonsument oder -händler zu sein, durch häufige Kontakte zur „Etablierung und Verfestigung der offenen Drogenszene" beitragen 398 . Die Gerichte stellen also auf die mittelbare Vorbeugung von Straftaten ab 3 9 9 . Eine solche Vorgehensweise würde aber dazu führen, daß Personen, bei denen im Einzelfall hinreichende Tatsachen, die die Annahme einer Straftatenbegehung rechtfertigen, nicht vorliegen, allein wegen ihrer Anwesenheit verwiesen werden könnten. Aus Art. 11 GG ergibt sich zwar nicht ausdrücklich, daß nur diejenige Person, die eine Straftat zu begehen beabsichtigt, einer Freizügigkeitsbeschränkung unterliegen kann. Aus Sicht des Polizeirechts, das grundsätzlich dem Verursacherprinzip folgt, erscheint eine Erweiterung auf Personen, von denen eine Straftatenbegehung nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, jedoch nicht gerechtfertigt und willkürlich. Die Eingriffsvoraussetzung ist daher nicht nur wegen ihrer konturlosen Weite bedenklich, sondern auch im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Angesichts des empfindlichen Grundrechtseingriffs käme eine Erweiterung auch auf Personen, die die Straftat nicht begehen, allenfalls in extremen Ausnahmefällen und nur zu deren Schutz, etwa im Falle des polizeilichen Notstands, in Betracht. Da Art. 11 GG die Gefahr der Begehung einer Straftat verlangt, kann sich die Eingriffsvoraussetzung des „Beitrags zur Begehung einer Straftat" daher nur auf die strafrechtlichen Tatbestände der „Beihilfe" und „Anstiftung" beziehen. Die Klausel kann somit nur klarstellende Bedeutung haben. Auf sie ist, da sie zu interpretatorischen Unklarheiten führt, aus Gründen der Normbestimmtheit zu verzichten 400 . Personen, die allein an bestimmten Treffpunkten anwesend sind, von denen aber keine Straftaten mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind, mögen bei Vorliegen weiterer Voraussetzungen unter Umständen zu einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit beitragen. Ihnen kann daher gegebenenfalls mit einem einfachen Platzverweis begegnet werden. Eine tatsächliche Gefahr kann auch nicht bereits durch die bloße Anwesenheit von Mitgliedern extremer Szenen angenommen werden 401 . Schon gar keine polizeiliche Gefahr liegt in der bloßen Anwesenheit von Obdachlosen vor. Es muß vielmehr ein Verhalten hinzukommen, das eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit darstellt.

398 So OVG Münster, DÖV 2001, 216; enger dagegen OVG Bremen, NVwZ 1999, 314 (317). 399 Robrecht, SächsVBl. 1999, 232 (236). 400 So im Ergebnis auch Denninger, in: Stokar/Gössner, S. 35 (36); Robrecht, SächsVBl. 1999, 232 (236); kritisch auch Alberts, NVwZ 1997,45 (48). 401 Vgl. den Fall des VG Schleswig, NVwZ 2000,464 ff. - Schützenfest.

2. Teil: Rechtsgrundlagen

128 (3) Die Rechtsfolgen

Eine inhaltliche Beschreibung eines Aufenthaltsverbots als das „Verbot, sich in einem bestimmten Bereich aufzuhalten oder diesen Bereich zu betreten", ist aus Gründen der Rechtsklarheit im Normtext sinnvoll. In den Polizeigesetzen der Länder wird mit dem Begriff der „Verweisung" zwar stets die Wegweisung und das Betretungsverbot ausgedrückt. Dies ist aber nicht in allen Rechtsgebieten der Fall. So wird bei einem Aufenthaltsverbot im Rahmen der strafrechtlichen Führungsaufsicht einhellig angenommen, daß dieses nur den Aufenthalt als solchen, also das Verweilen in dem verbotenen Bereich, nicht aber auch das Durchqueren dieses Gebietes erfaßt 402 . In der polizeirechtlichen Verwaltungspraxis und Rechtsprechung wird dies für das polizeiliche Aufenthalts verbot aber anders gesehen403. Aus dem Erfordernis der „Erforderlichkeit" der freizügigkeitsbeschränkenden Maßnahme einerseits, aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit andererseits folgt auf der Rechtsfolgenseite, daß die Maßnahme sowohl zeitlich als auch örtlich zu begrenzen ist, bis die Gefahr beseitigt ist. Die standardisierten Aufenthaltsverbote sprechen insoweit von einer Beschränkung der Maßnahme auf „den zur Verhütung der Straftat erforderlichen Umfang". Dieser Passus wiederholt an sich nur ohnehin geltendes Recht, da das Übermaßverbot in der Verfassung verankert und überdies in den Polizeigesetzen ausdrücklich festgelegt ist 4 0 4 . Die ausdrückliche Erwähnung hat aber eine „Signalwirkung" für das Handeln im Einzelfall, also für den Rechtsanwender 405. Sie allein reicht jedoch nicht aus, den Anforderungen an die Befugnis „Aufenthaltsverbot", die sich aus Art. 11 GG sowie der Wesentlichkeitsrechtsprechung und dem Bestimmtheitsgebot ergeben, gerecht zu werden. Die Beschränkung des Aufenthaltsverbots in zeitlicher und räumlicher Hinsicht auf „den zur Verhütung der Straftat erforderlichen Umfang" wirft allerdings Fragen im Hinblick auf die Geeignetheit eines Aufenthaltsverbots gerade für den Bereich offener Drogenszenen auf. Hier spielt nicht nur die Problematik der Verlagerung der Drogenszene an einen anderen Ort eine Rolle, auch die Tatsache, daß nach Beendigung des Aufenthaltsverbots die Straftat an diesem Ort wieder begangen werden kann, läßt an einer Verhinderung der Straftat Zweifel aufkommen. Der Begriff „Vorbeugung" im Sinne des Art. 11 GG verlangt jedoch keine Erfolgsgarantie im Sinne einer tatsächlichen Verhütung einer Straftat. Vorbeugen meint vielmehr den Versuch, etwas durch bestimmte Maßnahmen zu verhindern. Schon der Beitrag zur Verhinderung einer Straftat reicht für die Erforderlichkeit im Sinne des Art. 11 Abs. 2 GG aus. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts genügt es auf Gesetzesebene, „wenn die abstrakte Möglichkeit der Zweckerreichung besteht, die zugelassenen Maßnahmen also nicht von vornherein untauglich sind, sondern dem gewünschten Erfolg förderlich sein können." 406 Allerdings verbleibt die schwieri402 403 404 405

Hanack, in: LK, 11. Aufl., § 68 b Rdnr. 21. Vgl. Durchquerungs- und Betretungsverbot, OVG Bremen, NVwZ 1999, 314 ff. S. oben 2. Teil, A. I. l.c)aa). Rachor, in: Lisken / Denninger, FRdnr. 161.

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

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ge Frage, wie lange dann ein solches vorbeugendes Aufenthaltsverbot maximal andauern darf: einige Tage oder Wochen wie in Sachsen-Anhalt, zehn Wochen wie in Mecklenburg-Vorpommern, drei Monate wie in Sachsen, Brandenburg und Thüringen, oder sogar ein ganzes Jahr? Wurden für eine Veranstaltung Gewalttaten angekündigt, wie etwa bei den Chaos-Tagen oder anläßlich eines sportlichen Ereignisses, dürfte die Dauer der Gefahr im großen und ganzen mit der Dauer der Veranstaltung übereinstimmen, wobei eine Feststellung im Einzelfall jedoch unentbehrlich ist. In diesen Fällen wird das Aufenthaltsverbot im wesentlichen einen Tag, ein Wochenende, im Einzelfall aber auch länger, etwa für die Zeit einer FußballWM, andauern dürfen. Anders verhält es sich aber bei Angehörigen einer Drogenszene. Die sich für einen Drogenabhängigen stellende Notwendigkeit, Drogen zu beschaffen, ist nach einem Aufenthaltsverbot von drei Monaten zumeist nicht hinfällig, es sei denn, er nimmt Therapieangebote in Anspruch. Er wird also als Folge seiner Sucht Straftaten begehen müssen. Ist es daher gerechtfertigt, hier diese Frage dem Rechtsanwender zu überlassen, oder ist eine zeitliche Beschränkung durch Gesetz, wie in den Polizeigesetzen einiger Länder erfolgt, geboten? Für eine detaillierte Regelung sprechen wiederum die bisherigen Ergebnisse aufgrund der Wesentlichkeitstheorie und des Bestimmtheitsgrundsatzes. Eine detaillierte Regelung ist auch sinnvoll, um dem Rechtsanwender klare Richtlinien vorzugeben und dem Bürger polizeiliches Handeln transparent zu machen. Auch den strafpräventiven Aufenthaltsverboten ist eine zeitliche Bestimmtheit zu entnehmen, wie etwa in § 56 c StGB, der ein Aufenthaltsverbot nur für die Zeit der Bewährung zuläßt. Dieses wird durch Gesetz und Richter festgesetzt. Daher sollte auch hier eine gesetzliche Höchstgrenze annähernd festgelegt werden. Art. 11 GG selbst gibt zu der zulässigen Höchstdauer einer freizügigkeitsbeschränkenden Maßnahme keine Antwort. Die Dauer einer Freizügigkeitsbeschränkung ist daher dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu entnehmen, wobei insbesondere das zu schützende Rechtsgut, die Art der Freizügigkeitsbeschränkung sowie Sinn und Zweck der Aufenthaltsbeschränkung zu berücksichtigen sind. Die zu normierende Höchstgrenze könnte daher Erfahrungsweiten zu entnehmen sein, die belegen, daß die jeweilige Dauer eines Aufenthalts Verbots der polizeigesetzlichen Zielsetzung gerecht wird. Um nicht ganz auf eine flexible Regelung verzichten zu müssen, könnte eine zeitliche Begrenzung für ein erstmaliges Aufenthaltsverbot auf einen Monat festgelegt werden, jedoch mit einer Verlängerungsmöglichkeit für den Fall, daß die unmittelbare Gefahr wegen derselben Straftat weiterhin anhält. Gegebenenfalls könnte das Aufenthaltsverbot auch erneut ausgesprochen werden. Schließlich wäre auch zu erwägen, für begründete Ausnahmefälle ein weitergehendes Aufenthaltsverbot zuzulassen. Diese zeitliche Staffelung würde Vermutungen Einhalt gebieten, die Polizei wolle sich gerade bei dem Vorgehen gegenüber Drogenszenen die eigene Arbeit erleichtern 407 . Der Rechtsanwender sollte zu-

406 BVerfGE 100, 313 (373). 407 Riedinger, VB1BW 2000, 332 (334). 9 Neuner

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

dem bei sehr langen Aufenthaltsverboten zur regelmäßigen Überprüfung der Berechtigung des Verbotes verpflichtet werden. Was den räumlichen Umfang der bisher normierten Aufenthaltsverbote angeht, so ist dieser hinreichend bestimmt. Es sind tatsächlich auch Gefahrenlagen denkbar, die eine Verweisung aus einem Stadtgebiet oder sogar einer ganzen Stadt rechtfertigen. Aber auch der räumliche Umfang unterliegt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Eine einzelfallbezogene Feststellung des räumlichen Umfangs ist daher ebenso unumgänglich. Durch den Ausschluß des Zugangs zur eigenen Wohnung wird sichergestellt, daß ein Aufenthaltsverbot für das gesamte Stadtgebiet gegenüber einem Einwohner jedenfalls nicht möglich ist. Da Art. 13 GG insoweit nicht einschlägig ist, handelt es sich bei dieser Klausel um eine Normierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sowohl im Hinblick auf Art. 11 GG als auch auf Art. 2 Abs. 1 GG. Freilich darf im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG sich das Aufenthaltsverbot auch nicht als faktische Ausgangssperre aus der Wohnung erweisen. Ein Verbot, ein gesamtes Gemeindegebiet zu betreten, kommt beispielsweise in Betracht, wenn Gewalttätigkeiten in einer ganzen Stadt ernsthaft angekündigt werden, sofern Tatsachen belegen, daß die betroffene Person sich daran beteiligen w i l l 4 0 8 . Sinnvoll kann ein derart großräumiges Aufenthaltsverbot auch gegenüber Hooligans, etwa anläßlich eines Fußballspieles, sein. Seltener dürfte ein Aufenthaltsverbot für ein ganzes Gemeindegebiet gegenüber einem Angehörigen der Drogenszenen notwendig sein. In begründeten Einzelfällen kann es etwa gegenüber einem Drogendealer ausgesprochen werden, der nicht in der betreffenden Stadt wohnt 409 . Dieses Stadtverbot muß aber besonders begründet werden, da allein die Tatsache, daß jemand nicht in einer Stadt wohnt, aus Gleichbehandlungsgründen nicht ausreichen kann. Im übrigen ist das Aufenthaltsverbot auf den Bereich der Gefahr zu beschränken. Dabei handelt es sich zunächst um den Bereich, in dem sich die offene Drogenszene etabliert hat. Das VG Göttingen und das OVG Lüneburg haben darüber hinaus eine Ausweitung des verbotenen Bereichs auf andere Stadtteile bis hin zum gesamten Stadtgebiet akzeptiert, weil ein Ausweichen der Szene in bisher nicht frequentierte Bereiche anzunehmen sei, diese jedoch im voraus nicht bekannt seien 410 . Dies ist problematisch. Die Möglichkeit der Verlagerung der Szene rechtfertigt es nicht, den Verbotsbereich unverhältnismäßig auszudehnen. Zum einen dürfte diese Gefahr ohnehin bestehen411, was wiederum Zweifel an der Geeignetheit der Maßnahme erweckt. Diese Gefahr der Verlagerung allein rechtfertigt es daher nicht, jemanden pauschal aus dem gesamten Stadtgebiet zu verweisen. Zum anderen ist diese Ausdehnung noch nicht „erforderlich" im 408 Mangels ausreichenden Nachweises abgelehnt von VG Bremen, B. v. 02. 08. 1996, Az.: 2 V 86/96. 409 z. B. OVG Münster, DÖV 2001, 216.

410 VG Göttingen, NVwZ-RR 1999, 169 (170); OVG Lüneburg, NVwZ 2000,454. 411 So zu Recht Riedinger, VB1BW 2000, 332 (334).

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

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Sinne des Art. 11 Abs. 2 GG, da noch gar nicht feststeht, in welchen Bezirk sich die Szene verlagert. Es steht also noch gar nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit fest, daß eine Straftat in einem bestimmten Bezirk überhaupt begangen wird. Verlagert sich die Szene, kann für diesen Bereich ein Aufenthaltsverbot ausgesprochen werden, wenn die Gefahr akut ist. Solange das nicht der Fall ist, mutet auch eine derartige räumliche Ausdehnung an, lediglich der Erleichterung polizeilicher Aufgaben zu dienen. Schließlich ist auch eine Regelung wie in § 21 Abs. 2 S. 3 SächsPolG, wonach bei Wahrnehmung berechtigter Interessen Ausnahmen vom Verbot zuzulassen sind, aus Gründen der Rechtsklarheit geboten. Eine solche Ausnahmeregelung verschafft dem Verhältnismäßigkeitsprinzip Geltung und enthält somit einen Warnhinweis für den Gesetzesanwender. Sie ist daher in den Normtext aufzunehmen. Im Rahmen dieser Regelung können beispielsweise - wie im Bremischen Polizeigesetz bereits als echte räumliche Begrenzung des Aufenthaltsverbotes geregelt Ausnahmen für den Zugang zu solchen Orten gemacht werden, auf deren Betreten die betroffene Person angewiesen ist. Dies können Arbeitsstellen, Lehranstalten und Behörden sein. Freilich kommen auch weitere Ausnahmen in Betracht. Ebenfalls nur klarstellende Wirkung hat der Hinweis darauf, daß das Versammlungsrecht vom Aufenthaltsverbot „unberührt bleibt". Die Vorschrift weist auf das schwierige Verhältnis von Polizei- und Versammlungsrecht hin und dient dem Bürger wie dem Rechtsanwender zur Information über die Reichweite der Aufenthaltsverbote gerade im Hinblick auf die Ausübung seiner demokratischen Rechte. Der Betroffene sollte daher auf die Möglichkeit der Ausübung des Versammlungsrechts hingewiesen werden 412 . Dabei sollte die Polizei auch angewiesen werden, dem Betroffenen mitzuteilen, wo Ausnahmen vom Verbot beantragt und unter welchen Umständen sie grundsätzlich bewilligt werden können. Im Falle eines Aufenthaltsverbots zur Verhütung von Straftaten im Bereich des Betäubungsmittelrechts wäre schließlich zu erwägen, daß die Polizei die Betroffenen auf Therapiemöglichkeiten und Beratungsstellen schriftlich hinweist. Denn nur bei umfassender Ausschöpfung geeigneter Anschlußmaßnahmen kann eine Zerschlagung offener Szenen annähernd Erfolg haben 413 . Eine Aufnahme dieser Hinweispflicht in den Gesetzestext ist nicht zwingend, sie sollte aber in Ausführungsvorschriften und Vollzugsbekanntmachungen zu den Polizeigesetzen festgehalten sein. (4) Regelungsvorschlag „Aufenthaltsverbot" Rechtfertigen Tatsachen die Annahme der unmittelbaren Gefahr, daß eine Person in einem bestimmten Bereich innerhalb eines bestimmten Zeitraums eine 412

Ausführlich zum Aufenthaltsverbot und Versammlungsrecht s. 2. Teil, C. II. 4. *3 So auch Waechter, Polizeirecht, Rdnr. 707.

4

*

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

Straftat von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit begehen wird, kann ihr für diese Zeit untersagt werden, sich in diesem Bereich aufzuhalten oder diesen zu betreten, sofern das Aufenthaltsverbot zur Verhütung der Straftat erforderlich ist. Das Aufenthaltsverbot ist räumlich und zeitlich auf den für die Verhütung der Straftat erforderlichen Umfang zu beschränken. Das Verbot darf sich räumlich auf ein Gemeindegebiet oder Gemeindegebietsteil erstrecken, es darf jedoch nicht den Zugang zu der eigenen Wohnung umfassen. Ein erstmaliges Aufenthaltsverbot zur Verhütung einer bestimmten Straftat im Sinne des Satzes 1 darf nicht länger als einen Monat andauern. Es kann in begründeten Fällen zunächst auf maximal drei Monate verlängert werden, wenn dies zur Gefahrenverhütung unerläßlich ist. Die Vorschriften des Versammlungsgesetzes sowie die Wahrnehmung berechtigter Interessen durch die betroffene Personen bleiben unberührt. Die betroffene Person ist hierauf ausdrücklich hinzuweisen.

d) Die Notwendigkeit

einer Zitierung des Art. 11 GG

Gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG müssen Gesetze, durch die ein Grundrecht gezielt eingeschränkt wird, das betreffende Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen. Diesem Zitiergebot kommt zum einen eine Warn- und Besinnungsfunktion zu, die den Gesetzgeber dazu zwingt, seine Entscheidung einer Grundrechtseinschränkung ausreichend zu bedenken. Zum anderen dient es der Information der Öffentlichkeit und des Gesetzesanwenders414. Obwohl derzeit nahezu alle Bundesländer längerfristige Aufenthaltsverbote aufgrund der Landespolizeigesetze verfügen, zitieren einige Art. 11 GG nicht 4 1 5 . Dies könnte seinen Grund darin haben, daß der betreffende Landesgesetzgeber einen Eingriff diesbezüglich verneint, ein Eingriff in Art. 11 Abs. 1 GG also nicht beabsichtigt wird. Die fehlende Zitierung kann aber auch darin begründet sein, daß sie für überflüssig erachtet wurde. Der Anwendungsbereich des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG ist seit seiner Einführung in das Grundgesetz umstritten. Befürchtet wird insbesondere, die Vorschrift könne die Arbeit des Gesetzgebers unnötig erschweren und angesichts der gravierenden Folgen eines Verstoßes - Nichtigkeit des Gesetzes - zu einer bloßen Förmelei verkommen 416 . Das Bundesverfassungsgericht befürwortet daher ebenfalls eine enge Auslegung des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG. Die Anwendung des Zitiergebotes wird von vornherein durch rechtslogische Faktoren begrenzt. Bereits vom Wortlaut her ist das Zitiergebot auf Grundrechte be414 Krebs, in: v.Münch / Kunig, GG Bd. 1, Art. 19 Rdnr. 14; Pieroth/Schlink, Rdnr. 310. 415 So z. B. § 8 RhPfPOG. § 7 NWPolG und § 31 HambSOG zitieren Art. 11 GG seit Einführung der Befugnis zum Wohnungsverweis bei häuslicher Gewalt, eine spezielle Regelung des Aufenthaltsverbotes besteht dagegen nicht. Ebenfalls im Hinblick auf Verweisungen im Falle häuslicher Gewalt wird Art. 11 GG nunmehr in Art. 74 BayPAG zitiert, vgl. Honnacker/Beinhofer, Ergänzungsblatt 2002 zu Art. 74. 416 BVerfGE 35, 185 (188); hierzu auch Alberts, JA 1986, 72.

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

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schränkt, die „durch oder aufgrund eines Gesetzes" eingeschränkt werden können. So fallen diejenigen Grundrechte nicht unter das Zitiergebot, die das Grundgesetz ohnehin nur eingeschränkt gewährleistet, also Art. 2 Abs. 1, Art. 5 Abs. 2 sowie Art. 6 Abs. 2 S. 2 GG 4 1 7 . Zudem werden vorbehaltlose Grundrechte und solche, die lediglich Regelungsaufträge oder Ermächtigungen zu Inhaltsbestimmungen und Ausgestaltungen enthalten, wie etwa Art. 12 Abs. 1 S. 2 und Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG, nicht vom Zitiergebot erfaßt 418 . Die Zitierpflicht besteht daher grundsätzlich nur dort, wo das Gesetz ein Grundrecht über die im Grundgesetz selbst angelegten Schranken hinaus einschränkt. Dies ist bei Eingriffen in Art. 2 Abs. 2, Art. 6 Abs. 2 S. 1, Art. 8, Art. 10, Art. 11 und Art. 13 GG der Fall. Naturgemäß gilt das Zitiergebot nicht bei vorkonstitutionellen Gesetzen. Das Bundesverfassungsgericht verneint die Zitierpflicht entgegen dem Wortlaut des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG aber auch bei nachkonstitutionellen Gesetzen, wenn diese eine „bereits geltende Grundrechtsbeschränkung unverändert oder mit geringen Abweichungen wiederholen." 4 1 9 Das Zitiergebot soll nur für „neuartige, dem bisherigen Recht fremde" Grundrechtseingriffe gelten. Schließlich hat das Bundesverfassungsgericht den einfachen Gesetzgeber sogar bei „offenkundigen" Eingriffen von der Zitierpflicht entbunden 420 . Diese sehr restriktive Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erweckt gewisse Bedenken, weil sie scheinbar die dargelegten Funktionen des Zitiergebotes unberücksichtigt läßt 4 2 1 . Die Informationsfunktion des Zitiergebotes ermöglicht es nicht zuletzt dem Bürger, Auskunft über grundrechtsbeschränkende Gesetze zu erhalten, um sich effektiv gegen Grundrechtsverletzungen zur Wehr setzen zu können 422 . Die Bedenken einer bloßen Förmelei durch eine allzu strikte Anwendung des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG sollen lediglich davor bewahren, daß der Gesetzgeber vorsichtshalber alle Grundrechte zitiert, um das neue Gesetz nicht dem Vorwurf der Nichtigkeit auszusetzen, ohne sich über die Grundrechtsrelevanz des jeweiligen Eingriffs und damit auch über die Anforderungen im einzelnen im klaren zu sein. Diese Erwägungen dürfen aber nicht darüber hinwegsehen lassen, daß der Gesetzgeber Klarheit darüber haben muß, welche Grundrechte durch sein Gesetz tangiert werden. Dies ist bereits deshalb erforderlich, um den jeweiligen materiellen Maßstäben, insbesondere dem Gesetzesvorbehalt des eingeschränkten Grundrechts, gerecht werden zu können. Hat der Gesetzgeber diese Klarheit, dürfte es aber, und dies gilt gerade für offenkundige Eingriffe, unproblematisch möglich sein, den betreffenden Grundrechtsartikel auch zu zitieren.

417 BVerfGE 418 BVerfGE 419 BVerfGE 16, 194(199). 420 BVerfGE

10, 89 (99) zu Art. 2 Abs. 1 GG; Alberts, JA 1986, 72. 21, 92 (93); 64,72 (80). 5, 13 (16); 15, 288 (293); 35, 185 (189); 61, 82 (113); sinngemäß BVerfGE 35, 185 (189); 64, 72 (80).

421 Vgl. dazu Herzog, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 19 Abs. 1 Rdnr. 56; Alberts, JA 1986, 72. 422 Selk, JuS 1992, 816 (817), der zutreffend auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG hinweist. Vgl. auch Alberts, JA 1986, 72 (73 f.).

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

Letztlich würden aber auch das Bundesverfassungsgericht und die herrschende Meinung hier richtigerweise zu einer Notwendigkeit der Zitierung des Art. 11 GG gelangen, da es sich bei polizeilichen Aufenthaltsverboten zur Verhütung von Straftaten entgegen einer vereinzelt vorgebrachten Auffassung nicht um bereits bekannte Grundrechtseingriffe handelt. Eingriffe in Grundrechte durch aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen hat es im vorkonstitutionellen Recht zwar häufig gegeben. Die Möglichkeit eines Platzverweises bestand bereits, der durch den MEPolG - nachkonstitutionell - standardisierte Platzverweis nach den Polizeiund Ordnungsgesetzen der Länder greift aber, wie aufgezeigt, ohnehin nicht in Art. 11 Abs. 1 GG ein 4 2 3 . Anders verhält es sich jedoch bei den langfristigen Aufenthaltsverboten zwecks Bekämpfung offener Drogenszenen oder sonstiger gewaltbereiter Gruppierungen und Verweisungen zum Schutz vor häuslicher Gewalt. Diese Eingriffe sind vom Zweck und der Tendenz der Beschränkung her neuartig. Zu beachten ist auch, daß die meisten von der Intention vergleichbaren vorkonstitutionellen Aufenthaltsbeschränkungen zwischenzeitlich aufgehoben wurden und daher nicht mehr bei der Beurteilung, ob ein Grundrechtseingriff bereits bekannt und ausgeübt wird, herangezogen werden können 424 . Eine Zitierung des Art. 11 GG ist somit bei langfristigen Aufenthaltsverboten, wie in Niedersachsen, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Berlin, Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen erfolgt, unverzichtbar.

III. Wohnungs- und Umfeldverweise bei häuslicher Gewalt 1. Problemstellung Laut Mitteilung der Bundesregierung handelt es sich bei der Gewalt im häuslichen Bereich um die am häufigsten auftretende Form der Gewalt 425 . Häusliche Gewalt meint Angriffe des einen Mitbewohners auf Leib, Leben und Freiheit des anderen. In der Regel geht es um Gewalt in sozialen Beziehungen, Opfer sind zumeist Frauen und Kinder 426 . Anders als bei Straftaten, die im öffentlichen Raum begangen werden, vollzieht sich die häusliche Gewalt im privaten Bereich hinter verschlossenen Türen und wird in der Regel allenfalls von Nachbarn wahrgenommen. Familiärer Scham, mangelnder Mut oder fehlendes Interesse an einer Einmi423 s. oben 1. Teil, C. II. 3., und 2. Teil, A. I. 1. c) aa). 424 Z. B. § 28 des Gesetzes gegen die gefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie (vgl. 1. Teil, Fn. 97) und Polizeiaufsicht nach § 39 StGB a. F. 425 Vgl. die Begründung zum Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung v. 05. 03. 2001 (GewSchG-E), BT-Drs. 14/5429, S. 1 und 10. 426 Zum Ausmaß der häuslichen Gewalt vgl. Begründung zum GewSchG-E v. 05.03.2001, BT-Drs. 14/5429, S. 1; vgl. auch Maier, Die Polizei 1999, 329 ff.; Hesse/Queck/Lagodny, JZ 2000, 68 ff.

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

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schung durch Außenstehende lassen die häusliche Gewalt oftmals im verborgenen bleiben; häusliche Gewalt wird somit tabuisiert. Häusliche Gewalt ist jedoch mehr als eine bloße Familienstreitigkeit. Es werden nicht unerhebliche Straftatbestände, die von der Beleidigung und Sachbeschädigung über Körperverletzung bis hin zur Vergewaltigung reichen, verwirklicht 427 . Häusliche Gewalt ist damit ein gesamtgesellschaftliches Problem, dessen Bewältigung im öffentlichen Interesse steht. Bisher waren zumeist die Opfer aus Gründen des Selbstschutzes gezwungen, die gemeinsame Wohnung zu verlassen, wenn die familiäre Gewalt so eskalierte, daß eine Trennung von Täter und Opfer erforderlich war. Um den Opfern in Zukunft den Verbleib in der Wohnung als der gewohnten Umgebung zu ermöglichen und ihnen den sozialen Standard zu sichern, wird die Möglichkeit der Verweisung des Täters aus der Wohnung und dem Umfeld der Familie diskutiert. Der Bundestag hat sich dieses Problems nunmehr im Bereich des Zivilrechts angenommen und das Gewaltschutzgesetz (GewSchG) beschlossen428. Es ist am Ol. Ol. 2002 in Kraft getreten 429. Das Gesetz soll zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen (stalking), vor allem für Fälle bieten, in denen zwischen Täter und Opfer soziale Beziehungen bestehen430, indem es die Voraussetzungen für Schutzanordnungen zur Trennung von Täter und Opfer regelt und für bestimmte häusliche Gemeinschaften Anspruchsgrundlagen für die Wohnungsüberlassung vorsieht (§§ 1 und 2 GewSchG). So soll dem Täter nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 - 3 GewSchG für eine befristete Zeit unter anderem verboten werden können, die Wohnung der verletzten Person zu betreten, sich in einem bestimmten Umkreis der Wohnung der verletzten Person aufzuhalten oder bestimmte andere Orte, an denen sich die verletzte Person regelmäßig aufhält, wie Arbeitsstelle, Kindergarten oder Schule, aufzusuchen. Zwar bestanden auf zivilrechtlicher Ebene auch nach bisherigem Recht in gewissem Umfang Möglichkeiten, eine Trennung von Täter und Opfer herbeizuführen 431, diese wurden jedoch, vor allem im Hinblick auf nichteheliche Lebensgemeinschaften und Kinder, als nicht ausreichend empfunden 4 3 2 . Darüber hinaus werden die Möglichkeiten einer Wohnungszuweisung mit dem bisherigen § 1361 b BGB auch im ehelichen Bereich als zu eng aufgefaßt 433. 427 Maier, Die Polizei 1999, 329 (330). 428 Art. 1 (Gesetz zum zivilrechtlichen Schutz vor Gewalttaten und Nachstellungen GewSchG) des Gesetzes zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung v. 11. 12. 2001, BGBl. I, 3513. 429 Vgl. Art. 13 des Gesetzes zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes bei Gewalttaten und Nachstellungen sowie zur Erleichterung der Überlassung der Ehewohnung bei Trennung v. 11. 12. 2001, BGBl. I, 3513 ff. 430 Vgl. Begründung zum GewSchG-E v. 05. 03. 2001, BT-Drs. 14/5429, S. 18. 431 Vgl. z. B. LG Bochum, NJW-RR 1990, 896 - Betretungsverbot im Rahmen einer einstweiligen Verfügung. 432 Schwab, FamRZ 1999, 1317 ff.; Begründung zum GewSchG-E, BT-Drs. 14/5429, S. 11 ff. 433 Vgl. Begründung zum GewSchG-E, BT-Drs. 14/5429, S. 15 f.

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

Beweiserleichterungen für die Opfer sollen letztlich zur Verbesserung des zivilgerichtlichen Schutzes auch in zeitlicher Hinsicht führen 434 . Zivilgerichtlicher Schutz bietet jedoch keinen Sofortschutz. Ist ein sofortiges Einschreiten erforderlich, ist grundsätzlich die Polizei zur Gefahrenabwehr berufen. Die Bundesregierung hat daher die Bundesländer aufgefordert, die bestehenden polizeirechtlichen Möglichkeiten zu überprüfen und gegebenenfalls begleitend zur Verbesserung des zivilrechtlichen Schutzes im Bereich der häuslichen Gewalt und des sogenannten Nachstellens Eingriffsbefugnisse einzusetzen und auszugestalten 435 .

2. Ziel polizeilicher Maßnahmen im Bereich häuslicher Gewalt Eine polizeiliche Intervention im Bereich häuslicher Gewalt kann mehrere Ziele verwirklichen. Erhält die Polizei Kenntnis von einer aktuellen Gewalttat im häuslichen Bereich, steht zunächst die Beseitigung einer akuten Störung im Vordergrund, um weitere Gefahren und Schäden für die Opfer häuslicher Gewalt zu verhindern. Das Einschreiten der Polizei zeigt dem Täter aber auch die Grenzen seines Verhaltens und die Konsequenzen seiner Tat auf 4 3 6 . Die räumliche Entfernung des Täters aus dem Umfeld der verletzten Person ermöglicht es dieser zudem - ohne Gefahr weiterer Repressalien und Gewalt durch den Partner oder die Partnerin zivilgerichtliche Schritte einzuleiten oder aber die weitere Zukunft im Hinblick auf die Beziehung zum Täter zu bedenken und entsprechende Maßnahmen im sozialen Bereich zu ergreifen 437. Insoweit könnte die polizeiliche Intervention auch dem Schutze der Familie dienen. Schließlich müßte das polizeiliche Eingreifen geeignet sein, die in zeitlicher Hinsicht bestehende zivilrechtliche Schutzlücke zwischen Antragstellung und Erlaß einer einstweiligen Verfügung zu schließen. Um diese Ziele zu erreichen, bedarf es grundsätzlich einer längerfristigen Trennung von Täter und Opfer, die - bei anhaltender Gefahr für die verletzten Personen - zumindest solange wirkt, bis zivil- oder strafrechtlicher Schutz greift. Es ist allerdings fraglich, ob nach dem bisher zu den Möglichkeiten polizeilicher Verweisungsmaßnahmen Ausgeführten de lege lata ausreichende Ermächtigungsgrundlagen hierfür in den Polizeigesetzen der Länder zur Verfügung stehen.

434 Vgl. die Begründung zum GewSchG-E, BT-Drs. 14/5429, u. a. S. 19. 435 Begründung zum GewSchG-E, BT-Drs. 14/5429, S. 24. 436 Schweikert, S. 276; VG Stuttgart, B. v. 17. 05. 2001, Az.: 5 K 1912/01, S. 4, wobei allerdings „ein Zeichen zu setzen" als der alleinige Grund des Einschreitens im Rahmen der Gefahrenabwehr nicht ausreiche. 437 Schweikert, S. 276.

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

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3. Eingriffsmöglichkeiten de lege lata Ausdrücklich normierte polizeigesetzliche Eingriffsbefugnisse, die eine Entfernung des gewalttätigen Familienmitglieds aus der Wohnung und dem Umfeld der Opfer bewirken können, sind grundsätzlich der Platzverweis und die Ingewahrsamnahme. Der einfache Platzverweis ist allerdings wegen seiner räumlichen und zeitlichen Befristung wenig geeignet, die oben genannten Ziele wirksam zu erreichen. Zwar ließe sich der Täter aus seiner Wohnung verweisen, jedoch nur für eine relativ kurze Zeit. Bereits wenige Stunden später könnte er in die gemeinsame Wohnung zurückkehren und - möglicherweise gerade wegen „Einmischung" der Polizei - erst recht Gewalt ausüben438. Dem Täter wäre zwar die Möglichkeit staatlichen Eingreifens angezeigt, dem Opfer aber gerade im Hinblick auf eine mögliche Anschlußunterstützung im sozialen und zivilrechtlichen Bereich nicht wirklich geholfen. Auch die Ingewahrsamnahme erscheint in den meisten Bundesländern wegen ihrer zeitlichen Begrenzung nur bedingt geeignet. Die Voraussetzungen eines Unterbindungsgewahrsams lägen bei unmittelbar bevorstehenden Gewalttaten gegen Leib und Leben zwar grundsätzlich vor, die zeitliche Dauer des Polizeigewahrsams ist jedoch überwiegend auf einen Tag begrenzt. Lediglich Thüringen, Bayern und Baden-Württemberg sehen eine Freiheitsentziehung bis zu zehn bzw. vierzehn Tagen vor 4 3 9 . Effektiver Schutz, der das zivilgerichtliche Verfahren unterstützt, ließe sich also nur äußerst bedingt erreichen. Die Ingewahrsamnahme könnte sich darüber hinaus in vielen Fällen als unverhältnismäßig erweisen, insbesondere im Hinblick darauf, daß der Täter eventuell einer geregelten Arbeit nachgehen muß. Für eine längerfristige Verweisung aus der eigenen Wohnung bieten die meisten Polizeigesetze der Länder aber derzeit noch keine Rechtsgrundlagen. Neuerdings sehen die Polizeigesetze Bremens, Hamburgs, Mecklenburg-Vorpommerns, Nordrhein-Westfalens und Hessens entsprechende Eingriffsbefugnisse zur Wegweisung des Täters aus der Wohnung und dem an diese angrenzenden Bereich vor 4 4 0 . In den übrigen Bundesländern scheidet der Rückgriff auf den nur vorübergehenden Platzverweis, auch wenn er in einigen Bundesländern bei Verweisungen aus Wohnungen erhöhten Anforderungen unterliegt, wegen seiner räumlichen und zeitlichen Begrenzung für eine über ein bis zwei Tage hinausgehende Verweisung aus 441 . Die Befugnisse zum Aufenthaltsverbot zwecks Verhütung von Straftaten

438 Maier, Die Polizei 1999, 329 (330); Schweikert, S. 261 und 275. «9 Vgl. in diesem Teil, A. IV. 2. c). 440 Vgl. § 14 a BremPolG, eingefühlt durch Gesetz v. 25. 10. 2001, GBl., S. 341; § 12 a Abs. 2 HambSOG; § 52 Abs. 2 MVSOG, eingeführt durch Gesetz v. 24. 10. 2001, GVOB1., S. 386; § 34 a NWPolG, eingefühlt durch Gesetz v. 18. 12. 2001, GVBL, S. 870; § 31 Abs. 2 HSOG, eingeführt durch Gesetz v. 06. 09. 2002, GVB1.1, S. 547 ff. Zum Text der Vorschriften s. Anhang. In Sachsen-Anhalt ist eine entsprechende Befugnis geplant, vgl. den Entwurf eines § 36 a SOG LSA v. 28. 05. 2002, LT-Drs. 4/15 sowie den Entwurf der Landesregierung eines § 36 Abs. 3 SOG LSA v. 04. 12. 2002, LT-Drs. 4/400, S. 9 und 20.

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

schließen ihrem Wortlaut nach eine Verweisung für den Bereich der eigenen Wohnung aus 442 . Aufgrund dieser Vorschriften käme allenfalls ein Aufenthaltsverbot für diejenigen Orte im öffentlichen Raum in Betracht, an denen sich die verletzte Person regelmäßig aufhält. Es verbleibt dann de lege lata die polizei- und ordnungsrechtliche Generalklausel.

4. Verfassungsrechtliche Problematik von Wohnungs- und Umfeldverweisen Bevor die Möglichkeit eines Wohnungs- und Umfeldverweises aufgrund der Generalklausel sowie die Ausgestaltung der Vorschrift „Wohnungsverweisung" einiger Bundesländer untersucht werden, ist es sinnvoll, die verfassungsrechtlichen Konsequenzen einer derartigen Maßnahme zu untersuchen. Wie bereits im ersten Teil dieser Untersuchung festgestellt, ist die Verweisung aus der eigenen Wohnung nicht an Art. 13 GG zu messen, da Art. 13 GG ausschließlich die Privatheit in der Wohnung vor Einblicknahme schützt, nicht aber die Möglichkeit, sich jederzeit darin aufhalten zu können 443 . Die Voraussetzungen des Art. 13 GG müssen jedoch vorliegen, wenn die Polizeibeamten zwecks Durchsetzung der Verweisung die Wohnung betreten müssen. Der Entzug der Wohnung und die vorübergehende Zuweisung der Wohnung an die verletzte Person sind aber an Art. 14 GG und Art. 2 Abs. 1 GG zu messen444. Da sich die Verweisung aus der Wohnung als Inhalts- und Schrankenbestimmung im Sinne des Art. 14 Abs. 1 S. 2 GG erweist, setzt Art. 14 GG vor allem über den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Maßstäbe für eine gesetzliche Ausgestaltung. Gerade bei länger andauernden Verweisungen bedarf es zur Sicherung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes daher Regelungen über die Dauer der Nutzungsbeschränkung, über etwaige finanzielle Ausgleiche sowie über mögliche Ausnahmen vom Verbot in besonderen Fällen und den Erhalt sonstiger Rechte aus dem Eigentum, sofern dadurch die Interessen des Mitbesitzers nicht berührt werden 445 . Da die Wohnungsverweisung auch eine besitzzuweisende Maß441 A. A. der bayerische Gesetzgeber, vgl. Honnacker/Beinhofer, Ergänzungsblatt 2002 zu Art. 74 BayPAG. Zu den Anforderungen der Gefahr beim einfachen Platzverweis aus Wohnungen oben 1. Teil, D. I. Auch der thüringische Gesetzgeber befürwortet eine Wegweisung des Täters häuslicher Gewalt bis zu 14 Tagen auf Grundlage des einfachen Platzverweises nach § 18 Abs. 1 ThürPAG, vgl. die Begründung zum Entwurf des Änderungsgesetzes v. 15. 01. 2002, Thür. LT-Drs. 3/2128, S. 25. 442 Vgl. in diesem Teil, A. II. 3. c). 443 Vgl. im 1. Teil, D. II.; a. A. Schweikert, S. 235 und Helle, NJW 1991, 212 (213); OVG Münster, NJW 2002, 2195; wie hier Ruder, VB1BW 2002, 11 (14); offengelassen BVerfG, NJW 2002, 2225 (2226). 444 Dazu oben 1. Teil, D. III. 445 Das Gewaltschutzgesetz trägt dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz im Hinblick auf Art. 14 GG dadurch Rechnung, daß es die Dauer der Wohnungsüberlassung auf sechs Monate begrenzt und die Voraussetzungen einer Nutzungsvergütung regelt, § 2 Abs. 2 und 5 GewSchG.

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

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nähme enthält, geht Art. 14 GG dem Art. 11 GG dann vor, denn Art. 11 GG berechtigt nicht, unbefugt fremden Besitz zu betreten. Bei der Ausgestaltung des Verbots ist allerdings die objektiv-wertsetzende Funktion des Art. 11 GG zu berücksichtigen. Das Grundrecht der Freizügigkeit kommt als Prüfungsmaßstab in Betracht, soweit über den Wohnungsverweis hinaus dem Täter verboten wird, einen bestimmten Bereich im öffentlichen oder öffentlich zugänglichen Raum, in dem die verletzte Person sich regelmäßig aufhält, zu betreten. Die Verweisung aus der Wohnung und die damit verbundene Trennung der Familie stellt zudem einen empfindlichen Eingriff in die Privatsphäre des Betroffenen dar. Privatsphäre ist das Recht, eine Sphäre der Intimität, die der Entwicklung der Persönlichkeit dient, zu begründen und sie dem „Einblick und Zugriff anderer zu entziehen" 446 . Der rechtliche Schutz der Privatsphäre ist auf verschiedene Grundrechte verteilt. Neben Art. 13 GG und Art. 10 GG, die den Aspekt der räumlichen Privatsphäre und die Privatheit im kommunikativen Verkehr erfassen 447, gehört hierzu auch der Schutz der Ehe und Familie durch Art. 6 Abs. 1 GG, indem er das ungestörte Zusammenleben der Familie 448 in familiärer Selbstverantwortung 449 fördert. Ehe und Familie gelten grundsätzlich als ein „von öffentlicher Kontrolle freier Raum" privater Lebensgestaltung450. Gleichzeitig verlangt auch Art. 8 Abs. 1 EMRK die Achtung des Privat- und Familienlebens. Bereits die staatliche Intervention zur Feststellung der Frage, ob ein harmloser Familienstreit oder häusliche Gewalt vorliegt, kann daher, insbesondere wenn der Hinweis auf Gewalt von Außenstehenden kam, Art. 6 Abs. 1 GG tangieren. Ebenso sind die räumliche Trennung der Ehepartner und die damit einhergehenden familiären Kontaktverbote grundsätzlich als die „zeitlich befristete staatliche Aufhebung der Lebensgemeinschaft" im Hinblick auf Dauer und Modalitäten an Art. 6 Abs. 1 GG und Art. 8 EMRK zu messen. Der familiäre Bereich und die Privatsphäre eröffnen aber „keine Freiräume für Gewaltausübung"; der Staat hat sich vielmehr schützend vor die Rechtsgüter Leben und Gesundheit zu stellen 451 . Dabei haben Gesetzgeber und Rechtsanwender den schwierigen Grat zwischen „Gewaltvermeidung durch staatliche Intervention und Zerstörung familiärer Beziehungen" zu bewältigen 452 . Allerdings sind die hochwertigen kollidierenden Rechtsgüter Leben und Gesundheit der verletzten Personen in der Regel geeignet, einen Eingriff in das ansonsten vorbehaltlos gewährleistete Grundrecht auf Ehe und Familie nach Art. 6 Abs. 1 GG zum Schutze der Betroffenen zu rechtfertigen. Gleichwohl werden die Anfor-

446 Kunig, in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 2 Rdnr. 32; Frowein/Peukert, EMRK Rdnr. 3. 447 Vgl. dazu oben 1. Teil, D. II. 1. b). 448 BVerfGE 31, 58 (67); 33,236 (238); 66, 84 (94); 79, 256 (273). 449 BVerfGE 80, 81 (92 f.); Schmitt-Kammler, in: Sachs, GG, Art. 6 Rdnr. 20. 450 BVerfGE 57, 170 (178). 451 Schwab, FamRZ 1999, 1317 f.; BVerfGE 56, 54 (73). 452 Schwab, FamRZ 1999, 1317.

Art. 8

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

derungen für ein Einschreiten recht hoch anzusetzen sein 453 , indem man eine hohe Wahrscheinlichkeit bezüglich der weiteren Gefährdung, die ein mehrtägiges oder mehrwöchiges Aufenthaltsverbot rechtfertigt, verlangt. Auch hier kommt der Begriff der „unmittelbaren" Gefahr in Betracht 454 .

5. Notwendige Regelungsdichte des Wohnungs- und Umfeldverweises a) Die Generalklausel als Rechtsgrundlage fiirden Wohnungs- und Umfeldverweis? Das Land Baden-Württemberg praktiziert seit dem Jahr 2000/2001, anfänglich als Modellversuch in 86 Städten, auf Grundlage der polizei- und ordnungsrechtlichen Generalklausel - allerdings unzutreffend als Platzverweis bezeichnet - die Verweisung gewalttätiger Ehegatten oder Lebenspartner aus der gemeinsamen Wohnung und dem Umfeld der verletzten Person: Besteht eine erhebliche Gefährdung von Leib und Leben für einen Bewohner durch einen Mitbewohner, sind die baden-württembergischen Polizeibeamten berechtigt, den Täter aus der Wohnung zu verweisen, ihm den Wohnungsschlüssel abzunehmen und ein Betretungsverbot im Umkreis von mindestens hundert Meter zur gemeinsamen Wohnung auszusprechen. Von dem Vorgang wird umgehend die zuständige Ordnungsbehörde informiert, die daraufhin die Maßnahme und deren Fortdauer überprüft. Die Verweisung konnte zu Beginn des Projekts für sieben Tage ausgesprochen und um maximal zehn Tage verlängert werden, zwischenzeitlich wurde die zeitliche Geltungsdauer - abhängig von der Situation und der Gefahr weitergehender Gewalttaten - auf eine Woche bis drei Monate ausgedehnt455. Die Voraussetzungen sind in einer Direktive der Landesregierung festgehalten 456 und gehen hinsichtlich der Eingriffsvoraussetzungen und der Regelungsdichte weit über die Anforderungen der Generalklausel hinaus. Gleichwohl wird der Rückgriff auf die Generalklausel von der Landesregierung und Teilen der Verwaltungsgerichtsbarkeit als zulässig angesehen 457 . Mangels spezialgesetzlicher Normierung polizeilicher Verweisungen 453 So auch Hesse/Queck/Lagodny, JZ 2000, 68 (72). 454 s. auch im folgenden unter 5. b) sowie oben in diesem Teil, A. II. 3. c) bb) (2). 455 Vgl. Meldung der Landesregierung Baden-Württemberg v. 18. 06. 2001 „Ein Jahr ,Rote Karte für häusliche Gewalttäter 4", http://www.baden-wuerttemberg.de. Tatsächlich wurden in dieser Zeit laut Abschlußbericht der interministeriellen Arbeitsgruppe über den „Modellversuch Platzverweis in Fällen häuslicher Gewalt" in 58 (7,2%) von insgesamt 803 Fällen Verweisungen von einem bis zu drei Monaten oder länger ausgesprochen, der Schwerpunkt lag mit 607 Fällen (75, 6%) bei Verweisungen bis zu zwei Wochen, vgl. Sozialministerium BW, Abschlußbericht, S. 17 und 20. 456 Vgl. die Verhaltensdirektive des Landesinnenministeriums „Polizeiliches Einschreiten bei Gewaltkonflikten im sozialen Nahraum", Quellen: Badische Neueste Nachrichten v. 30. 10. 2000, S. 13 und v. 13. 12. 2000, S. 20.

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

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werden in Baden-Württemberg auch sonstige mehrmonatige Aufenthaltsverbote auf die Generalklausel gestützt. Das VG Stuttgart 458 hat jetzt jedoch in einem Eilverfahren Bedenken gegen die Zulässigkeit der Generalklausel als Eingriffsbefugnis für einen dreiwöchigen Wohnungs- bzw. Umfeldverweis angemeldet. Gegen die Generalklausel als dauerhafte Eingriffsbefugnis sprechen ähnliche Argumente wie gegen die Zulässigkeit sonstiger Aufenthaltsverbote aufgrund der Generalklausel 459. Der Grundsatz des Vorrangs des speziellen Gesetzes dürfte allerdings wiederum nur in denjenigen Ländern Probleme bereiten, die das Aufenthaltsverbot zur Verhütung von Straftaten standardisiert haben. Zwar geht es bei der häuslichen Gewalt um Gefahren im privaten Bereich, es geht aber ebenso wie beim Aufenthaltsverbot um die Verhütung von Straftaten, so daß dieser Sachverhalt an sich abschließend geregelt sein dürfte. Gegen die Generalklausel als dauerhafte Eingriffsbefugnis für längerfristige Verweisungen im häuslichen Bereich sprechen aber, wie beim Aufenthaltsverbot, die Funktion der Generalklausel, die Anforderungen durch die Wesentlichkeitsrechtsprechung, der Grundsatz des Vorbehalts des Gesetzes sowie das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot. Durch die Verweisung des Ehepartners aus dem Umfeld seiner Familie wird dem Betroffenen je nach Umfang der Verweisung das Betreten eines nicht unerheblichen räumlichen und sozialen Bereichs für einen nicht unerheblichen Zeitraum verwehrt. Die Trennung von Täter und Opfer im Falle häuslicher Gewalt ist, wie oben dargelegt, mit erheblichen Grundrechtseingriffen verbunden, insbesondere auch im familiären Bereich. Die Regelung der Eingriffsschwelle, insbesondere der Wahrscheinlichkeitsprognose, sowie der Rechtsfolge, insbesondere in zeitlicher Hinsicht, und des Verfahrens ist daher von dem förmlichen Gesetzgeber vorzunehmen. Auch die Überlegung, daß eine polizeirechtliche Intervention durch Trennung der Lebenspartner das zivilgerichtliche Verfahren in puncto Sofortschutz ergänzen soll, spricht für eine detaillierte Regelung durch den förmlichen Gesetzgeber. Eine verfassungskonforme Auslegung der Generalklausel im Hinblick auf die betroffenen Grundrechte wäre zwar grundsätzlich möglich, sie geht aber, wie schon der nach österreichischem Vorbild 460 gestaltete Modellversuch in Baden-Württemberg beweist, im 457 Vgl. VG Karlsruhe, B. v. 02. 02. 2001, Az.: 12 K 206/01, S. 4. In Baden-Württemberg ist jedoch eine spezielle Regelung geplant, Quelle: Information des Sozial-, Innen-, und Justizministeriums Baden-Württembergs v. 21. 11. 2001: „,Rote Karte 4 wird landesweit eingeführt", http.//.www.baden-wuerttemberg.de. Vgl. auch den Abschlußbericht zum Modellversuch Platzverweis, Sozialministerium BW, Abschlußbericht, S. 43. Als grundsätzlich zulässige Rechtsgrundlage für Wohnungsverweise sieht auch Ruder die Generalklausel an, er befürwortet jedoch aus rechtsstaatlichen Gründen eine Spezialermächtigung, VB1BW 2002, 11 (14 und 16). 458 VG Stuttgart, B. v. 17. 05. 2001, Az.: 5 K 1912/01, S. 3 ff. Ebenfalls gegen ein auf die Generalklausel gestütztes Aufenthaltsverbot aus Wohnungen Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 134. Kritisch gegenüber einem polizeilichen „Hausverbot" überhaupt Rachor, in: Lisken / Denninger, F Rdnr. 480. 459 s. oben 2. Teil, A. II. 3. b) dd). 460 Wegweisung nach § 38 a Österr. SPG, vgl. dazu im folgenden unter b).

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

konkreten Fall zu weit und wäre mit dem rechtsstaatlichen Gebot der Bestimmtheit der Norm und Vorhersehbarkeit von Maßnahmen nicht mehr vereinbar. Schließlich würde eine spezialgesetzliche Regelung auch zur Anwendungssicherheit im Umgang mit polizeilichen Maßnahmen bei häuslicher Gewalt beitragen und den zuständigen Polizeibeamten Klarheit über die bestehenden Befugnisse verschaffen 4 6 1 . Der Aspekt der Vermeidung von Rechtsunsicherheiten, vor allem hervorgerufen durch kontrovers diskutierte Reichweiten der Rechtsgrundlagen, spielte im übrigen auch für den Entwurf des Gewaltschutzgesetzes eine wichtige Rolle 4 6 2 . Auf die Generalklausel können Wohnungs- und Umfeldverweis nach dem bisher zum Verhältnis von Standardbefugnis und Generalklausel Gesagten nur für eine Übergangszeit gestützt werden. Dies insbesondere deshalb, weil hochrangige Rechtsgüter bedroht sind und ein Schaden daher schwerer wiegen würde als der Rückgriff auf eine unzureichende Rechtsgrundlage 463. Darüber hinaus wäre die Verweisung im Vergleich zu einer Ingewahrsamnahme auch das mildere Mittel 4 6 4 . Eine gesetzliche Spezialregelung ist aber unabdingbar, denn auch in den Fällen häuslicher Gewalt handelt es sich der Art und dem Ausmaß zufolge weder um atypische Gefahrenlagen noch um „unwesentliche" Regelungsbereiche 465.

b) Regelungskriterien einer Standardbefugnis „ Wohnungs- und Umfeldverweis " Bei der Frage, wie die gesetzliche Regelung des polizeirechtlichen Wohnungsund Umfeldverweises ausgestaltet werden kann, hilft der Blick nach Österreich. Dort existiert mit § 38 a des Österreichischen Sicherheitspolizeigesetzes (SPG) seit 1997 eine entsprechende spezialgesetzliche Regelung, die dem Modellversuch zur Abwehr häuslicher Gewalt in Baden-Württemberg als Vorbild diente. Nach § 38 a Abs. 1 SPG 466 ist die Polizei ermächtigt, einen Störer aus einer Wohnung, in der ein Gefährdeter wohnt, und deren unmittelbarer Umgebung wegzuweisen, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen, insbesondere wegen eines vorangegangenen gefährlichen Angriffs, anzunehmen ist, es stehe ein gefährlicher Angriff auf Leben, Gesundheit oder Freiheit bevor. Nach § 38 a Abs. 2 SPG ist die Polizei überdies ermächtigt, ein Rückkehrverbot gegen den potentiellen Angreifer für einen bestimmten Bereich festzulegen. Dieses Verbot konnte nach § 38 a Abs. 7 SPG ursprünglich sieben Tage andauern und durfte auf vierzehn Tage verlängert werden. 461

Schweikert, S. 280, wonach das Einsatzverhalten der Polizei bei Gewalttaten im häuslichen Bereich häufig von Unwissen und Unsicherheit bezüglich der rechtlichen Befugnisse bestimmt sei. 462 Vgl. Begründung zum GewSchG-E, BT-Drs. 14/5429, S. 1 und 10 ff. Vgl. dazu in diesem Teil, A. II. 3. b) dd). 464 Vgl. auch VG Stuttgart, B. v. 17. 05. 2001, Az.: 5 K 1912/01, S. 3. 4

65 So auch VG Stuttgart, B. v. 17. 05. 2001, Az.: 5 K 1912/01, S. 2 f. 466 Vgl. österr. BGBl. 1759/1996, http://www. ris.bka.gv.at.

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

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Da sich dieser Zeitraum jedoch für eine effektive zivilgerichtliche Anschlußunterstützung als nicht ausreichend erwiesen hatte, wurde die zulässige Geltungsdauer des Rückkehrverbots auf zehn Tage und, bei Stellung eines Antrags auf einstweilige Verfügung, auf maximal zwanzig Tage verlängert 467 . Der Betroffene muß nach § 38 a Abs. 2 SPG Gelegenheit erhalten, dringend benötigte Gegenstände mitzunehmen. Die Wohnungsschlüssel hat er bei der Polizei abzugeben. Im übrigen darf er gemäß § 38 a Abs. 2 SPG bei einer dringenden Notwendigkeit die Wohnung, deren Betreten ihm untersagt ist, in Gegenwart eines Organs des öffentlichen Sicherheitsdienstes betreten. Gemäß Abs. 4 und 5 der Vorschrift ist das Opfer über die bestehenden Möglichkeiten einer zivilgerichtlichen Anschlußunterstützung zu informieren, die Polizei hat gleichzeitig diejenigen Umstände, die für ein einstweiliges Verfügungsverfahren von Bedeutung sein können, zu dokumentieren. Das Aufenthaltsverbot muß schließlich nach § 38 a Abs. 6 SPG der Sicherheitsbehörde unverzüglich bekanntgegeben werden und ist von dieser binnen 48 Stunden zu überprüfen. Nach § 84 Abs. 1 SPG hat das Nichtbeachten des Rückkehrverbotes eine empfindliche Geld- bzw. Freiheitsstrafe zur Folge. Unmittelbarer Zwang zur Durchsetzung des Rückkehrverbotes ist dagegen nach § 38 a Abs. 2 SPG unzulässig. Die österreichische Regelung erscheint im Vergleich zum bundesdeutschen Regelungsstandard sehr detailliert. Dies dürfte zum einen an der sicherlich sensiblen Thematik liegen, zum anderen ist aber auch der gesamte Regelungsbereich der „Wegweisung" in Österreich umfassender als in den deutschen Landespolizeigesetzen468. Gleichwohl gibt die Vorschrift auch für die hiesigen Landespolizeigesetze wichtigen Aufschluß über den Mindeststandard einer Regelung zur Verhütung von Straftaten im Bereich häuslicher Gewalt. Dem tragen die aktuellen Neuregelungen der Wohnungsverweisung zum Schutz vor häuslicher Gewalt in den Ländern Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Hessen nur teilweise Rechnung. Die einzelnen Befugnisse zum Wohnungsverweis unterscheiden sich nicht nur durch ihre Regelungsdichte. Während die Polizeigesetze Hamburgs, Mecklenburg-Vorpommerns und Hessens die Befugnis als einen weiteren Absatz unter die amtliche Überschrift „Platzverweisung" normieren, wird in Bremen und Nordrhein-Westfalen die Maßnahme in einem gesonderten Paragraphen treffender als „Wohnungsverweisung und Rückkehrverbot zum Schutz vor häuslicher Gewalt" bezeichnet. Eine Standardbefugnis „Wohnungs- und Umfeldverweis" sollte, wie bei sonstigen Verweisungsmaßnahmen üblich und in den bisherigen Neuregelungen auch erfolgt, die Möglichkeit der Wegweisung und des Rückkehr- bzw. Betretungsverbotes beinhalten. Wie bereits dargelegt, stellen die durch eine Verweisung im häuslichen Bereich tangierten Grundrechte sowie der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hohe Anforderungen an ein Eingreifen. Zu berücksichtigen sind auf der einen Seite 467 Vgl. SPG-Novelle, österr. BGBl. 1 146/1999. 4 68 Vgl. zuletzt die Ergänzung der Vorschrift „Wegweisung" des § 38 Abs. 4 SPG, der die Wegweisung von Personen aus dem Bereich gefährlicher Anlagen und Einrichtungen ausdrücklich normiert.

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

der Freiheitsbereich der Familie, der weitgehend geschont bleiben soll, die Eigentumsbeeinträchtigung durch die Nutzungsbeschränkung der Wohnung sowie das Grundrecht der Freizügigkeit zumindest in seiner objektiv-wertsetzenden Funktion. Auf der anderen Seite stehen die hochrangigen Rechtsgüter der gefährdeten Personen, deren Schutz Aufgabe des Staates ist. Ein Eingreifen verlangt daher, wie beim Aufenthaltsverbot auch, die hohe Wahrscheinlichkeit, daß es innerhalb des Verbotszeitraums zu weiteren erheblichen Gewalttätigkeiten und damit einer erheblichen Gefährdung für ein hochrangiges Rechtsgut des Mitbewohners kommen wird. Insoweit kommen Angriffe auf das Leben, die Gesundheit und Freiheit in Betracht 469 . Grundsätzlich könnte auch der Schutz von Sachen von bedeutendem Wert eine Verweisung des Täters aus der Wohnung rechtfertigen, allerdings in der Regel nicht für eine derart lange Zeit 4 7 0 . Wie beim Aufenthaltsverbot sollte diese hohe Wahrscheinlichkeit mit dem Begriff der „unmittelbaren Gefahr" beschrieben werden 471 . Auch diese Wahrscheinlichkeit muß wiederum durch Tatsachen belegt sein. Indizien und bloße Vermutungen reichen nicht aus 472 . Für die anzustellende Prognose, ob ein Aufenthaltsverbot im häuslichen Bereich gerechtfertigt ist, spielt das frühere Verhalten eine wichtige Rolle, insbesondere „wie oft, mit welchem zeitlichen Abstand und aus welchen Anlässen es in der Vergangenheit bereits zu Gewalttätigkeiten gekommen ist (und) welche Intensität die Gewalttätigkeiten hatten." 4 7 3 Allerdings wird das frühere Verhalten allein für eine Beurteilung nicht ausreichen. Vielmehr könnte auch ein erstmaliges Fehlverhalten einen Wohnungsverweis rechtfertigen, wenn aufgrund von Tatsachen die sichere Erwartung besteht, daß sich die Übergriffe wiederholen werden. Hierfür können die Art der Verletzung 474 , der Grund des Streits, aber auch ernsthafte Drohungen seitens des Täters sprechen. Räumlich ist das Verbot auf die gemeinsame Wohnung und, wenn im Einzelfall hierfür die Notwendigkeit besteht, entsprechend § 1 GewSchG auf das ständige 469 So § 38 a Abs. 1 Österr. SPG und die bisherigen landesrechtlichen Regelungen in § 14 a BremPolG, § 12 a Abs. 2 HambSOG, § 52 Abs. 2 MVSOG, § 34 a NWPolG, § 31 Abs. 2 HSOG. 470 Eine Ausweitung auf Sachen vertritt Schweikert, S. 501 in ihrem Regelungsvorschlag. § 1 GewSchG sieht jedoch nur persönliche Beeinträchtigungen vor. 4 ?i So wohl auch VG Stuttgart, B. v. 17. 05. 2001, Az.: 5 K 1912/01, S. 4. Belz/Mußmann, § 3 Rdnr. 10 c verlangen eine „dringende Gefahr", wie sie für das Betreten von Wohnungen erforderlich ist; ebenso § 12 a Abs. 2 HambSOG. § 14 a Abs. 1 BremPolG, § 52 Abs. 2 MVSOG, § 34 a Abs. 1 NWPolG sowie § 31 Abs. 2 HSOG setzen eine von der zu verweisenden Person ausgehende „gegenwärtige Gefahr" voraus. Ruder, VB1BW 2002, 11 (15) verlangt eine „unmittelbar bevorstehende erhebliche Gefahr". 472 Vgl. zu den Anforderungen im einzelnen oben 2. Teil, A. II. 3 c) bb) (2). 47 3 VG Stuttgart, B. v. 17. 05. 2001, Az.: 5 K 1912/01, S. 5 - ein Wohnungsverweis wurde abgelehnt, weil das Opfer nur einmal in den letzten fünf Monaten Verletzungen durch ihren Ehemann erlitt und der fünf Monate zurückliegende Vorfall nicht die Annahme rechtfertige, es werde innerhalb von drei Wochen nach dem zweiten Vorfall erneut zu Gewalttätigkeiten kommen. Zur Gefahrenprognose auch OVG Münster, NJW 2002, 2195 f. 474

Z. B. VG Karlsruhe, B. v. 02. 02. 2001, Az.: 12 K 206/01.

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

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Umfeld des Opfers, wie Arbeitsplatz und Schule, zu erstrecken. Die neuen Standardermächtigungen bleiben hinter diesem Erfordernis zurück, wenn sie lediglich die Verweisung aus der Wohnung sowie aus deren unmittelbar angrenzendem Bereich bzw. deren unmittelbar angrenzender Umgebung zulassen. Lediglich das Bremische Polizeigesetz verweist in § 14 Abs. 1 auf die ergänzende Anwendung des Aufenthaltsverbots, welches sich grundsätzlich auch als Ermächtigungsgrundlage für ein Betretungsverbot des Täters im öffentlichen Raum heranziehen ließe. Die ausdrückliche Erwähnung in der Vorschrift Wohnungsverweisung gibt damit Aufschluß über die bestehenden Befugnisse. § 14 a Abs. 1 S. 3 BremPolG und § 34 a Abs. 1 S. 2 NWPolG stellen - in Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes - klar, daß der räumliche Bereich, auf den sich die Wohnungsverweisung bezieht, nach „dem Erfordernis eines wirkungsvollen Schutzes der gefährdeten Person" zu bestimmen ist. Der verbotene Bereich ist in der Verfügung genau zu bezeichnen, was aber allgemeine Voraussetzung der Bestimmtheit von Verwaltungsakten ist. Ein entsprechender Passus muß daher nicht zwingend im Gesetzestext enthalten sein, sondern er hätte klarstellende Funktion. Der zeitliche Umfang des Verbots hängt davon ab, innerhalb welcher Zeit zivilgerichtlicher Rechtsschutz im Wege des Eil Verfahrens erreicht werden kann. Gemäß § 14 a Abs. 4 BremPolG, § 12 a Abs. 2 HambSOG und § 34 a Abs. 5 NWPolG enden Wohnungsverweisung und Rückkehrverbot spätestens zehn Tage nach ihrer Anordnung, wobei eine kürzere Anordnung der Geltungsdauer freilich möglich ist. Dies halten § 34 a Abs. 5 S. 1 NWPolG und § 14 a Abs. 4 S. 1 BremPolG ausdrücklich fest. Für die Einleitung zivilgerichtlicher Maßnahmen, etwa die Stellung des Antrags auf Erlaß einer einstweiligen Verfügung, ist diese erste Frist von zehn Tagen entsprechend der österreichischen Regelung sinnvoll, aber auch ausreichend. Leitet die verletzte Person keine zivilgerichtlichen Anschlußmaßnahmen ein, ist die Aufrechterhaltung des Verbotes nicht mehr gerechtfertigt. Beantragt die gefährdete Person zivilgerichtlichen einstweiligen Rechtsschutz, kann die Anordnung nach den Regelungen in Bremen, Hamburg und Nordrhein-Westfalen bis zum Tag der Entscheidung verlängert werden, längstens jedoch um weitere zehn Tage, so daß ein Wohnungsverweis maximal zwanzig Tage Gültigkeit haben kann. § 52 Abs. 2 MVSOG läßt dagegen die Verweisung „bis zu einer richterlichen Entscheidung über zivilrechtliche Schutzmöglichkeiten" zu, längstens jedoch 14 Tage 475 . Im Unterschied zu den Regelungen in den anderen Bundesländern läßt die Vorschrift ihrem Wortlaut nach damit eine Verweisung über zehn Tage hinaus zu, unabhängig davon, ob die Person einen Antrag auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung gestellt hat oder nicht. Denn es ist nicht anzunehmen, daß der Antrag auf zivilgerichtliche Schutzmaßnahmen Tatbestandsvoraussetzung für eine Wohnungsverweisung überhaupt sein soll, weil andernfalls den oben genannten Zielen der polizeilichen Maßnahme - sofortige Gefahrenbeseitigung und Zeit für die Ent475 Ähnlich die Regelung in § 31 Abs. 2 HSOG, wobei dort allerdings eine Verlängerungsmöglichkeit um weitere 14 Tage besteht, falls bis zum Ablauf der ersten Frist keine wirksame richterliche Entscheidung über den zivilrechtlichen Schutz getroffen worden ist.

10 Neuner

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

scheidungsfindung, ob überhaupt zivilgerichtliche Schritte eingeleitet werden sollen - nicht ausreichend Rechnung getragen würde. Innerhalb einer Frist von insgesamt zwanzig Tagen dürfte im Regelfall eine einstweilige Verfügung bzw. Anordnung zu erreichen sein. Die Ausdehnung der Maßnahme in Baden-Württemberg auf drei Monate erscheint, angesichts der Möglichkeiten eines auch bisher bestehenden zivilrechtlichen Schutzes, unverhältnismäßig und im Hinblick auf die subsidiäre Zuständigkeit der Polizei zum Schutz privater Rechte nach § 1 Abs. 2 MEPolG unzulässig. Eine gleichwohl entstehende Schutzlücke, insbesondere bei Anberaumung einer mündlichen Verhandlung, könnte - bei anhaltender Gefährdung - durch die Mittel des Polizeirechts im Wege einer Verlängerung der Verweisung geschlossen werden. Alternative wäre, wie von Schweikert 476 vorgeschlagen, nach australischem Vorbild die Interimslösung einer befristeten zivilgerichtlichen einstweiligen Verfügung bis zur mündlichen Verhandlung. Das Gewaltschutzgesetz hat jedoch diese Möglichkeit nicht aufgegriffen. Unabhängig von der tatsächlich möglichen Dauer eines Wohnungsverweises im Einzelfall ist aber stets Voraussetzung, daß die unmittelbare Gefahr während der gesamten Dauer der Verweisung anhält. Sind die Voraussetzungen des Verbotes zwischenzeitlich entfallen, hat die Polizeibehörde das Verbot umgehend aufzuheben 477. Dies ist Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und sollte als besonderer Hinweis in den Gesetzestext aufgenommen werden. Die Behörde sollte daher auch zur regelmäßigen Überprüfung der Notwendigkeit einer Aufrechterhaltung des Betretungsverbotes angehalten werden. Sobald zivilgerichtlicher Schutz erreicht ist und die polizeiliche Wohnungsverweisung daher beendet ist, kommen polizeiliche Maßnahmen insoweit nur noch bei Verstößen gegen das zivilrechtliche Verbot selbst in Betracht. Daneben gebieten Gründe der Rechtsklarheit und Rechtsstaatlichkeit bei einer gesetzlichen Ausgestaltung des Wohnungsverweises auch Regelungen zum Ablauf des Wohnungs- und Umfeldverweisungsverfahrens. Solche über den räumlichen und zeitlichen Umfang hinausgehende Verfahrensfragen regeln derzeit nur die Polizeigesetze Bremens und Nordrhein-Westfalens. Sie sind teilweise an das Österreichische SPG angelehnt. So ist dem vom Wohnungsverweis Betroffenen Gelegenheit zu geben, dringend benötigte Gegenstände des persönlichen Bedarfs mitzunehmen. Außerdem hat der Betroffene eine Anschrift zu nennen, da nur so Zustellungen an ihn während des weiteren Verlaufs des Verfahrens möglich sind 478 . Die gefährdete Person ist nach § 34 a Abs. 4 NWPolG auf die Möglichkeit der Beantragung zivilgerichtlichen Schutzes hinzuweisen und über soziale Beratungsangebote zu informieren, wobei auf Wunsch die Daten der gefährdeten Person an Beratungsstellen weitergegeben werden können 479 . Weitergehend als die österreichische Regelung ver476 Schweikert, S. 502 (Fn. 17) und S. 505 (Fn. 22). 477 So auch § 38 a Abs. 6 SPG. 478 § 14 a Abs. 2 und 3 BremPolG sowie § 34 a Abs. 2 und 3 NWPolG. 479 Vgl. insbesondere zu den Rechtsproblemen bei der Weitergabe der Daten den Abschlußbericht der interministeriellen Arbeitsgruppe über den Modellversuch „Platzverweis in Fällen häuslicher Gewalt", in: Sozialministerium BW, Abschlußbericht, S. 22.

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

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pflichten § 14 a Abs. 5 BremPolG und § 34 a Abs. 6 NWPolG die Zivilgerichte schließlich zur Datenübermittlung, ob und wann die gefährdete Person den Antrag auf zivilgerichtlichen Eilrechtsschutz gestellt hat. Diese Information ist notwendig für die Frage der Verlängerung des polizeirechtlichen Betretungsverbotes. Zu befürworten ist auch, wie nun in § 34 a Abs. 7 NWPolG vorgesehen, daß die Einhaltung des Rückkehrverbotes während seiner Geltung mindestens einmal zu überprüfen ist. Die Verpflichtung zur Abgabe des Wohnungsschlüssels hat bisher keine Aufnahme in die landespolizeigesetzlichen Standardbefugnisse „Wohnungsverweisung" gefunden, obgleich dies zur Abwehr der Gefahr beitragen würde. Die Wohnungsschlüssel könnten allerdings auch nach den jeweiligen landespolizeigesetzlichen Vorschriften beschlagnahmt oder sichergestellt werden 480 . Eine Regelung in der Vorschrift Wohnungsverweisung selbst könnte jedoch der Rechtsklarheit über die bestehenden Befugnisse dienen. Je nach Sachlage sollten die Polizeibeamten dem Betroffenen die Möglichkeiten eines vorübergehenden Unterkommens nennen und die Möglichkeiten sozialer Beratungsangebote aufzeigen. Zwingend muß in einer Standardbefugnis zum Wohnungsverweis geregelt werden, ob und unter welchen Voraussetzungen Ausnahmen vom Verbot und damit Betretungsrechte der Wohnung gewährt werden können, für den Fall, daß der Betroffene die Wohnung aus wichtigen Gründen betreten muß, etwa, weil er aus der Wohnung Unterlagen etc. benötigt. Derzeit enthält jedoch keine der landesgesetzlichen Wohnungsverweisungsbefugnisse eine entsprechende Regelung. Die Regelung von Ausnahmen sichert, wie bereits dargelegt, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz insbesondere im Hinblick auf Art. 14 G G 4 8 1 und ist daher in den Gesetzestext aufzunehmen. Abschließend sei erwähnt, daß sich aus dem Zitiergebot des Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG für die Maßnahmen „Wohnungs- und Umfeldverweis" keine weitergehenden Anforderungen als für die Maßnahme „Aufenthaltsverbot" ergeben 482.

6. Verweisungen bei Nachstellungen Das Gewaltschutzgesetz beschränkt den Regelungsbereich des Gesetzes nicht auf die Fälle häuslicher Gewalt, sondern erstreckt die möglichen Schutzanordnungen nach § 1 Abs. 2 GewSchG auch auf Täter, die ihren Opfern mit Gewalttaten gegen Leib, Leben und Freiheit drohen oder ihnen wiederholt nachstellen und sie damit unzumutbar belästigen. Es ist daher zu prüfen, ob die derzeit bestehenden Verweisungsinstrumente für diesen Bereich geeignet sind. Soweit ein Betretungs480 z. B. nach § 33 BWPolG oder § 21 MEPolG; vgl. dazu Sozialministerium BW, Abschlußbericht, S. 43. 481 S. oben 1. Teil, D. III. sowie in diesem Teil, A. III. 4. Ebenso Ruder, VB1BW 2002, 11 (15). 482 Art. 11 GG muß daher zumindest dann zitiert werden, wenn ein Umfeldverweis möglich ist, vgl. jetzt auch § 31 HambSOG und § 7 NWPolG. Art. 14 GG enthält eine Ermächtigung zur Inhaltsbestimmung, Art. 6 Abs. 1 GG ist vorbehaltlos geschützt; beide Grundrechte müssen daher nicht zitiert werden. Zum Zitiergebot s. oben 2. Teil, A. II. 3. d). 10*

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

verbot für den Bereich der Wohnung des Opfers ausgesprochen werden soll, könnte dieses auf die Generalklausel gestützt werden, da es sich um eine Verweisung von fremden Grundstücken mit Endgültigkeitscharakter handelt 483 . Für den Bereich des öffentlichen Raums käme grundsätzlich das polizeiliche Aufenthaltsverbot in Betracht, sofern der Nachweis einer unmittelbaren Gefahr der Begehung einer Straftat für Leib, Leben und Freiheit gelingt 484 . Die Schaffung der Vorschrift „Umfeldverweis" hätte daher für die Frage des Nachstellens vorwiegend die klarstellende Bedeutung, daß die Polizei auch in derartigen Fällen zum Eingreifen grundsätzlich berechtigt ist. Polizeiliche Maßnahmen sind aber auch in den Fällen des Nachstellens nur solange zulässig und notwendig, bis zivilgerichtlicher Schutz eingeholt wurde oder hätte eingeholt werden können.

IV. Die zwangsweise Durchsetzung polizeilicher Verweisungen und der Gewahrsam zwecks Durchsetzung einer Platzverweisung 1. Zwangsweise Durchsetzung polizeilicher Verweisungen Eine nicht befolgte Verweisung kann nach den Vorschriften der Polizei- und Verwaltungsvollstreckungsgesetze der Länder unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mit Zwangsmitteln vollstreckt werden. Klassische Möglichkeiten sind, da es sich um die Erzwingung unvertretbarer Pflichten handelt, das Zwangsgeld, ersatzweise Zwangshaft, oder die Anwendung unmittelbaren Zwangs. Nach den Polizeigesetzen der Länder darf unmittelbarer Zwang jedoch nur angewendet werden, wenn der polizeiliche Zweck auf andere Weise nicht erreichbar erscheint 485 . Da aber gerade der Platzverweis eine kurzfristige Maßnahme ist, wird die Anwendung unmittelbaren Zwangs bei Nichtbefolgung in der Regel unvermeidbar sein. Andere Zwangsmaßnahmen wie die Androhung, Festsetzung und Beitreibung eines Zwangsgelds und, falls dieses nicht beigetrieben werden kann, die ersatzweise Zwangshaft, nehmen schon aus verfahrensrechtlichen Gründen einige Zeit in Anspruch und sind daher zur Beseitigung aktueller Gefahren eher ungeeignet. Unmittelbarer Zwang kann beim Platzverweis durch Zurückdrängen der Betroffenen mittels einer Polizeikette 486 oder Wasserwerfern 487, durch Wegtragen der Verwiesenen 488 oder Festhalten beim Zutrittsverbot 489 erfolgen. Zwangs483 Vgl. Einleitung, A., und in diesem Teil, A. II. 3. b) cc). 484 Vgl. dazu oben 2. Teil, A. II. 3. c) bb) (2). 485 z. B. § 52 Abs. 1 BWPolG. Allerdings geht je nach Situation die Anwendung unmittelbaren Zwangs einer Zwangshaft vor. 486 So geschehen beim „Münchner Kessel", ArbuR 1994, 384 ff.; VG Schleswig, NVwZ 2000, 464 ff. - Schützenfest. 487 BVerwG, NVwZ 1989, 872. Zur Verfassungsmäßigkeit eines Wasserwerfereinsatzes vgl. BVerfG, NVwZ 1999, 290 (292 f.). 488 VGH Mannheim, NVwZ 1985, 202 ff.; VB1BW 1986, 299 ff.

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

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geld 4 9 0 und ersatzweise Zwangshaft 491 kommen dagegen in Betracht, um einem dauerhaften Betretungsverbot oder einem Umfeldverweis Nachdruck zu verleihen. In diesen Fällen vermag unmittelbarer Zwang unter Umständen keinen langfristigen Erfolg zu verbuchen, weil der Betroffene sogleich an den verbotenen Ort zurückkehren könnte. Vollstreckungsvoraussetzung ist eine wirksame Verweisungsmaßnahme, die gemäß den Völlstreckungsgesetzen der Länder entweder unanfechtbar oder sofort vollziehbar ist 4 9 2 . Grundsätzlich keine Vollstreckungsvoraussetzung ist dagegen die Rechtmäßigkeit des Grundverwaltungsakts. Einwendungen hiergegen hat die Völlstreckungsbehörde, die sich oftmals von der den Verwaltungsakt erlassenden Behörde unterscheidet, nicht zu beachten493. Für die insoweit differenzierende Betrachtungsweise der Gegenauffassung 494, wonach die Rechtmäßigkeit der Grundverfügung nur dann unbeachtlich sei, wenn der Verwaltungsakt unanfechtbar geworden ist, nicht aber, wenn die Vollstreckung aufgrund des Wegfalls der aufschiebenden Wirkung gemäß § 80 Abs. 2 VwGO erfolge und der Betroffene die Rechtmäßigkeit des Grundverwaltungsakts noch in einem Rechtsschutzverfahren bestreiten könne, finden sich im Gesetz keine Anhaltspunkte. Vielmehr zwingen das klar aufgebaute System der Verwaltungsvollstreckung sowie das Bedürfnis nach Effektivität der Verwaltungsvollstreckung dazu, Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit des Grundverwaltungsakts in diesem Verfahren außer Betracht zu lassen 495 . Hierin ist auch kein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 4 GG zu sehen, da die Verwaltungsgerichtsordnung mit der Anfechtungsklage gegen den Grundverwaltungsakt ausreichend Möglichkeiten eines gerichtlichen Rechtsschutzes bereithält.

2. Gewahrsam zur Durchsetzung eines Platzverweises a) Rechtsnatur Von den Möglichkeiten der Durchsetzung einer Platzverweisung im Wege der Zwangsvollstreckung ist die Befugnis zum Gewahrsam zwecks Durchsetzung einer 489 v g München, DWW 1997, 190 (193). 490 VGH Mannheim, NVwZ-RR 1998, 428 f. (Androhung von DM 1000,-); OVG Münster, NVwZ-RR 1997,763 (Androhung von DM 2000,-), jeweils bei Aufenthalts verboten. 491 VGH München, NVwZ-RR 1998, 310. Ersatzzwangshaft ist grundsätzlich von mindestens einem Tag bis zu zwei Wochen möglich. 492 Vgl. etwa in Baden-Württemberg: § 2 LVwVG. 493 Vgl. auch BVerfG, NVwZ 1999, 291 (292); Schenke/Baumeister, NVwZ 1993, 1 (2); Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 283; Mußmann, Polizeirecht, Rdnr. 479. Dazu auch unten 4. Teil, B. I. 494 Schoch, JuS 1995, 307 (309). Vgl. auch Götz, Polizeirecht, 12. Aufl., Rdnr. 382; VGH Mannheim, VB1BW 1986, 299 (303); VGH Mannheim, NVwZ 1989, 163. 495 So zu Recht Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 283; Schenke/Baumeister, NVwZ 1993,1 (2).

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

Platzverweisung zu unterscheiden. Die Befugnis, die eine Ingewahrsamnahme zuläßt, „wenn diese Maßnahme unerläßlich ist, um eine Platzverweisung durchzusetzen", ist in zahlreichen Bundesländern als Standardbefugnis geregelt 496 . Richtigerweise handelt es sich hierbei nicht um eine Vollstreckungsmaßnahme im Sinne des Verwaltungsvollstreckungsrechts, sondern um eine selbständige Eingriffsbefugnis 4 9 7 . Der Durchsetzungsgewahrsam ermächtigt zur Verwendung eines anderen, stärkeren Mittels für den Fall, daß der Platzverweis nicht befolgt wird. Die Vorschrift beinhaltet damit eine Steigerung der Mittel in Konsequenz des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit, Art. 20 Abs. 2 und 3 GG. „Durchsetzung" bedeutet daher nicht Anwendung eines Zwanges, sondern das Durchsetzen des mit der Platzverweisung verfolgten Zwecks, nämlich den Störer von einem bestimmten Ort zu entfernen oder fernzuhalten. Der Gewahrsam wird wiederum mit allgemeinen Zwangsmitteln vollstreckt.

b) Anwendungsvoraussetzungen Mit der Möglichkeit der Ingewahrsamnahme enthalten die Polizeigesetze der Länder ein Eingriffsinstrument für den Fall, daß ein Bereich allein mittels Platzverweises nicht freigehalten werden konnte. Adressat der Maßnahme kann daher zum einen nur der mit einem rechtmäßigen Platzverweis bereits belastete Bürger sein. Die bloße Wirksamkeit der Verfügung reicht nicht aus, da es sich nicht um eine Maßnahme der Verwaltungsvollstreckung handelt. Zum anderen ist das Mittel der Ingewahrsamnahme zur Durchsetzung der Platzverweisung restriktiv - als ultima ratio - zu handhaben. Hierauf deutet der Wortlaut der Vorschrift hin, wonach die Ingewahrsamnahme „unerläßlich" sein muß. Zudem stellt auch der Gewahrsam zur Durchsetzung des Platzverweises einen tiefgreifenden Grundrechtseingriff dar 4 9 8 . Die Ingewahrsamnahme ist daher nicht nur auf die Verhinderung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit beschränkt 499, der Begriff „unerläßlich" verlangt auch, daß zunächst weniger einschneidende Maßnahmen, soweit sie tatsächlich geeignet sind, die Störung zu unterbinden und die betreffende Person von dem Ort fernzuhalten, angewandt werden. Zu den milderen Maßnahmen zählen grund496 Art. 17 Abs. 1 Nr. 3 BayPAG; § 30 Abs. 1 Nr. 3 BlnASOG; § 17 Abs. 1 Nr. 3 BbgPolG; § 13 Abs. 1 Nr. 3 HambSOG; § 32 Abs. 1 Nr. 3 HSOG; § 55 Abs. 1 Nr. 5 MVSOG; § 18 Abs. 1 Nr. 3 NGefAG; § 35 Abs. 1 Nr. 3 NWPolG; § 14 Abs. 1 Nr. 3 RhPfPOG; § 22 Abs. 1 Nr. 4 SächsPolG; § 37 Abs. 1 Nr. 3 SOG LSA; § 204 Abs. 1 Nr. 4 SchlHVwG; § 19 Abs. 1 Nr. 3 ThürPAG. Ebenso § 39 Abs. 1 Nr. 2 BGSG. 497 Insofern ist es etwas mißverständlich, wenn im Gesetzestext von „Durchsetzung der Platzverweisung" gesprochen wird, vgl. dazu Alberts/Merten/Rogosch, § 13 Rdnr. 15; Bernet / Groß / Mende, § 31 Rdnr. 5; Sommer, S. 204; Tegtmeyer, § 34 Rdnr. 4; a. A. Rachor, in: Lisken/Denninger, F Rdnr. 528. 498 BVerfG, NJW 1999, 3773 - Unterschriftensammlung; BayObLG, NVwZ 2000, 467 (468). 499 Vgl. in diesem Teil, A. I. 1. b) bb) (2).

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

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sätzlich auch die Zwangsmaßnahmen. Kann der Platzverweis im Wege der Zwangsvollstreckung durchgesetzt werden, ist eine Ingewahrsamnahme nicht „unerläßlich". Zunächst ist also zu versuchen, Personen durch Absperrungen, unmittelbaren Zwang oder auf sonstige Weise von dem verbotenen Ort fernzuhalten. In den meisten Fällen wird die Anwendung unmittelbaren Zwangs zur Durchsetzung des Platzverweises ausreichen. Die Notwendigkeit eines Gewahrsams zur Durchsetzung einer Platzverweisung dürfte daher auf relativ wenige Fälle begrenzt sein. Dies könnte etwa in Fällen angenommen werden, in denen unmittelbarer Zwang nicht fruchtet, weil die störende Person immer wieder zurückkehrt, eine Absperrung des Gebiets wegen der örtlichen Lage oder fehlenden Personals nicht möglich ist und eine Zwangsgeldbeitreibung bzw. Vollstreckung einer Ersatzzwangshaft wegen der Aktualität der Platzverweisung aus rein zeitlichen Gründen nicht in Betracht kommt. Zu beachten ist, daß im Einzelfall auch der Verbringungsgewahrsam, soweit dessen enge Voraussetzungen vorliegen 500 , im Verhältnis zur Ingewahrsamnahme noch das geringere Mittel sein kann und daher vorrangig anzuwenden ist. Schließlich ist bei Anwendung der Standardbefugnis eine Abwägung zwischen „verfassungsrechtlich geschütztem Freiheitsanspruch" und dem „öffentlichen Interesse an der Wahrung von Recht und Ordnung" geboten 501 . Zu berücksichtigen sind dabei die Bedeutung der Rechtsgüter, zu deren Schutz der Platzverweis ergeht, sowie der Grad der Wahrscheinlichkeit und Intensität ihrer Verletzung. Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz setzt der Möglichkeit einer Ingewahrsamnahme daher weitere Grenzen.

c) Die Dauer des Durchsetzungsgewahrsams Hinsichtlich der zulässigen Dauer der Ingewahrsamnahme bestehen teilweise erhebliche landesrechtliche Unterschiede. Während zumeist ein Gewahrsam längstens bis zum Ende des Tages nach dem Ergreifen 502 andauern darf, besteht in einigen Bundesländern die Möglichkeit zu einem längeren Gewahrsam durch richterliche Anordnung. Hessen und Sachsen differenzieren mittlerweile nach den Gründen für die Ingewahrsamnahme und lassen eine Freiheitsentziehung zur Durchsetzung einer Platzverweisung bis zu zwei bzw. drei Tagen zu 5 0 3 . Brandenburg erlaubt eine über den Tag des Ergreifens hinausgehende Ingewahrsamnahme nur bei Vorliegen von Anhaltspunkten für bestimmte Straftaten 504. In Thüringen ist der Gewahrsam 500 Vgl. 2. Teil, A. I. 1. c) cc). 501 BayObLG, NVwZ 2000,467 (468) - 7. Lindauer Chaos-Tage. 502 § 13 c HambSOG; § 17 NWPolG; § 35 HSOG; § 40 SOG LSA; § 21 NGefAG; § 204 Abs. 5 SchlHVwG; § 33 Abs. 1 Nr. 3 BlnASOG; § 55 Abs. 5 MVSOG; § 16 SaarlPolG. 503 § 35 Abs. 1 Nr. 4 i. V. m. § 32 Abs. 1 Nr. 3 HSOG (2 Tage); § 22 Abs. 7 S. 3 i. V. m. Abs. 1 Nr. 4 SächsPolG (3 Tage). 504 § 20 Abs. 1 Nr. 3 BbgPolG: bei Verdacht von Straftaten gegen Leib und Leben, nach §§ 125, 125 a StGB oder nach §§ 26, 27, 28 VersG.

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

generell bis zu zehn Tagen 505 zulässig, in Bayern und Baden-Württemberg sogar bis zu zwei Wochen 506 . Da insbesondere Bayern und Thüringen nicht nach den Gründen für die Ingewahrsamnahme differenzieren, ist die Frage von Interesse, wie lange ein Freiheitsentzug zur Durchsetzung einer Platzverweisung andauern darf. Ist eine bis zu vierzehntägige Ingewahrsamnahme zur Durchsetzung einer kurzfristigen Platzverweisung zulässig? Oder ist die Kurzfristigkeit der Platzverweisung quasi ungeschriebenes Tatbestandsmerkmal auch des Durchsetzungsgewahrsams? Die Verfassungsgerichtshöfe Bayerns und Sachsens hatten sich im Rahmen von Normprüfungsverfahren mit dieser Thematik zu befassen und gelangten jeweils zu unterschiedlichen Beurteilungen: Gegen einen vierzehntägigen Gewahrsam an sich bestünden zwar übereinstimmend keine Bedenken, da die zeitliche Beschränkung des Art. 104 Abs. 2 S. 3 GG nur für den polizeilichen Gewahrsam gelte, nicht auch für den Fall, daß dieser durch den Richter angeordnet werde 507 . Der Sächsische Verfassungsgerichtshof hielt jedoch die Möglichkeit eines vierzehntägigen Gewahrsams gerade zur Durchsetzung eines Platzverweises für verfassungswidrig, der Bayerische Verfassungsgerichtshof dagegen nicht. Nach Auffassung des Sächsischen Verfassungsgerichtshofs müsse der Gesetzgeber, wenn er sich in § 22 Abs. 1 Nr. 1 - 4 SächsPolG dazu entschieden habe, die Eingriffsermächtigungen für den polizeilichen Gewahrsam in Tatbestandsvarianten aufzufächern, aus Gründen des verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgebots und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, auch bei den Rechtsfolgen, etwa bei der höchstzulässigen Dauer des Gewahrsams, differenzieren 508. Die Möglichkeit eines bis zu vierzehn Tagen andauernden Gewahrsams zwecks Durchsetzung eines Platzverweises gemäß § 22 Abs. 1 Nr. 4 SächsPolG sei nicht erforderlich und damit verfassungswidrig 509. Zum einen seien bei dieser Tatbestandsvariante keine Anwendungsfälle eines derart langen Gewahrsams denkbar, zum anderen ergebe sich bereits aus dem vorübergehenden Charakter des Platzverweises ein „normativer Widerspruch zu der gesetzlich bestimmten Höchstfrist von 14 Tagen" 510 . Langfristiger Gewahrsam, um eine Person zwecks Abwehr einer Störung für die öffentliche Sicherheit von einem Ort fernzuhalten, käme aus systematischen Gründen nur unter dem Gesichtspunkt des Unterbindungsgewahrsams in Betracht, weil andernfalls die strengen Voraussetzungen des § 22 Abs. 1 Nr. 1 SächsPolG unterlaufen werden könnten. Schließlich wirke die „totale Freiheitsentziehung durch 505 § 22 ThürPAG. 506 § 28 Abs. 3 BWPolG; § 20 BayPAG. 507 BayVerfGH, NVwZ 1991, 664 (669); SächsVerfGH, DVB1. 1996, 1423 (1425). Anzumerken ist, daß die Festlegung von vierzehn Tagen als Obergrenze Erfahrungswerten entsprach und man sich dabei an der älteren Regelung von Baden-Württemberg orientierte. 508 SächsVerfGH, DVB1. 1996,1423 (1426). 509 SächsVerfGH, DVB1. 1996, 1423 (1427). 510 SächsVerfGH, DVB1. 1996, 1423 (1426 und 1427).

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

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Gewahrsam grundsätzlich weit über den engen Zweck der Freiheitsbeschränkung durch den auf einen bestimmten Ort eingegrenzten Platzverweis" hinaus 511 . Der sächsische Gesetzgeber hat die Vorschrift zwischenzeitlich diesen Vorgaben angepaßt 512 . Nach der gegenteiligen Auffassung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs seien Fälle, in denen ausnahmsweise ein Gewahrsam bis zur Dauer von zwei Wochen erforderlich sei, nicht generell auszuschließen. Die diesbezügliche Einschätzung des Gesetzgebers sei weder „eindeutig widerlegbar" noch „offensichtlich fehlerhaft". Der gesetzliche Rahmen einer zeitlichen Höchstfrist von zwei Wochen in allen Tatbestandsvarianten sei aber auch nicht schon deswegen verfassungswidrig, weil sich erst bei einer sorgfältigen Prüfung im Einzelfall ergebe, wie weit dieser Rahmen letztlich in Anspruch genommen werden dürfe 513 . Aus den rechtsstaatlich hinreichend bestimmten Gewahrsamsvoraussetzungen sowie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit lasse sich hinreichend bestimmt ableiten, für welche Zeitdauer ein Gewahrsam im Einzelfall unerläßlich sei 5 1 4 . Die Freiheitsentziehung ist zu beenden, sobald der Grund für die Maßnahme entfallen ist. Dies ist als Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in allen Polizeigesetzen ausdrücklich normiert 515 . Der Gewahrsam ist also zu beenden, sobald sein Zweck, nämlich Durchsetzung der Platzverweisung, erreicht wurde. Es geht also darum, eine Person bis zur Beseitigung der Gefahr von einem Ort fernzuhalten. Da der Platzverweis selbst zeitlich befristet ist, kann der Gewahrsam zur Durchsetzung des Platzverweises in der Regel nur entsprechend lange dauern 516 . Er wird daher keinesfalls vierzehn Tage andauern, sondern allenfalls in besonderen Situationen über einen Tag hinausgehen dürfen 517 . Da es sich beim Gewahrsam auch nicht um eine Vorschrift mit Beugecharakter handelt, mit der ein künftiges Verhalten erzwungen werden soll, ist die Maßnahme spätestens zu beenden, sobald die Gefahr, die durch Entfernung der betroffenen Person beseitigt werden sollte, abgewehrt ist. Gleichwohl ist damit noch nichts über die Zulässigkeit einer undifferenziert für alle Gewahrsamsfälle geltenden gesetzlichen Höchstdauer ausgesagt. Ob ein Gesetz hinreichend bestimmt und klar ist, hängt nicht zuletzt von den Besonderheiten des Regelungsgegenstandes und des Normzwecks ab. So ziehen die Offenheit und Flexibilität einer Regelung nicht zwingend deren Verfassungswidrigkeit nach sich. Normen müssen in ihren Voraussetzungen und ihrem Inhalt zwar so formuliert sein, „daß die von ihr Betroffenen die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten 511 SächsVerfGH, DVB1. 1996, 1423 (1427). 512 Änderungsgesetz v. 13. 08. 1999, SächsGVBl., S. 466, § 22 Abs. 7 S. 3 i. V. m. § 22 Abs. 1 Nr. 4 SächsPolG: maximal 3 Tage. 513 BayVerfGH, NVwZ 1991, 664 (670 f.). 514 BayVerfGH, NVwZ 1991, 664 (671). 515 S. oben 2. Teil, A. I. l.c)aa). 516 So auch BVerfG, NJW 1999, 3773. 517 A. A. Schenke, DVB1. 1996, 1393 (1394).

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

danach richten können." 518 Die Auslegungsbedürftigkeit eines Gesetzes steht seiner Klarheit und Bestimmtheit aber grundsätzlich nicht entgegen519. Vielmehr genügt eine „möglichste" Bestimmtheit 520 . Alternative einer undifferenzierten Festlegung der zeitlichen Höchstgrenze wäre, wie nun in § 22 Abs. 7 SächsPolG erfolgt, eine nach den Gewahrsamsgründen gestaffelte Bestimmung der Dauer. Allerdings ist die plausible Bestimmung der Obergrenze der einzelnen Tatbestandsvarianten schwierig. Auch die Dauer des Platzverweises ist nicht starr auf einige Stunden zu begrenzen, sondern er kann in begründeten Einzelfällen durchaus auch über einen Tag hinausgehen. Die Begrenzung auf drei Tage, wie in Sachsen, mag zwar wegen der Kurzfristigkeit der Platzverweisung vertretbar sein, der Gesetzesanwender kommt aber auch in diesem Fall nicht um eine sorgfältige Einzelfallabwägung im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zur Bestimmung der tatsächlich angemessenen Dauer des Gewahrsams umhin. Eine solche ist aber auch ohne ausdifferenzierte Höchstgrenze der zeitlichen Dauer des Gewahrsams anhand der rechtsstaatlich bestimmten Gewahrsamsvoraussetzungen, den Vorschriften des Gewahrsams selbst, des Platzverweises sowie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, problemlos möglich. Die Bestimmtheit der Vorschrift läßt sich durch Auslegung mit herkömmlichen Methoden erreichen. Schenke521 konstatiert daher zu Recht, daß es schwerlich einleuchten wolle, „weshalb der Einsatz des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes mit der ihm eigenen, den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung tragenden Elastizität, anders als sonst im Polizeirecht, im vorliegenden Zusammenhang unter dem Aspekt des Bestimmtheitsgebots zu beanstanden sein soll." Angesichts der Vielgestaltigkeit der Gewahrsamsmöglichkeiten ist eine pauschale Höchstgrenze auch im Hinblick auf die Normenklarheit gesetzestechnisch und verfassungsrechtlich unbedenklich.

3. Erforderlichkeit des Durchsetzungsgewahrsams und Ausweitung der Vorschrift auf Aufenthaltsverbote sowie Wohnungs- und Umfeldverweise? Die Notwendigkeit einer eigenständigen Befugnis zum Gewahrsam zur Durchsetzung einer Platzverweisung ist nicht unumstritten. Ihre Befürworter sehen in ihr die erforderliche Handhabe gegenüber Personen, die trotz mehrfacher Aufforderung dem Platzverweis nicht nachkommen oder als „Wiederholungstäter" nach erfolgter zwangsweiser Durchsetzung an den verbotenen Ort zurückkehren 522. In518 BVerfGE 21, 79; 73, (79). 519 Degenhart, Staatsrecht I, Rdnr. 349. 520 Lücke, ZG 2001, 1 (15). 521 Schenke, DVB1. 1996, 1393 (1394). 522 Oft erwähnt wird das „Gladbecker-Geiseldrama" vom August 1988, bei dem Journalisten Platzverweise mißachteten, vgl. Stoermer, S. 144 f. Auf die Gefahr vor „Rundläufen" weist die amtliche Begründung zu Art. 16 Abs. 1 Nr. 3 BayPAG, Bayr. LT-Drs. 11/9078, S. 5,

A. Die allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen

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soweit wurde vorstehend ein gewisser Anwendungsbereich der Vorschrift bereits bejaht, insbesondere in Fällen, in denen der unmittelbare Zwang aus tatsächlichen Gründen erfolglos bleiben muß. Allerdings enthalten die Polizeigesetze der Länder mit dem Unterbindungs- bzw. Beseitigungsgewahrsam eine Gewahrsamsbefugnis zur Abwehr einer „erheblichen Störung der öffentlichen Sicherheit" 523 bzw. zur Abwehr von „Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit" 524 . Handelt es sich bei der mit dem Platzverweis abzuwehrenden Störung um eine solche, käme als stärkeres Mittel bei Nichtbeachtung der Platzverweisung grundsätzlich auch der Beseitigungsgewahrsam in Betracht. In den übrigen Fällen, in denen der Verstoß gegen den Platzverweis keine erhebliche Störung der öffentlichen Sicherheit bzw. weder eine Straftat noch eine Ordnungswidrigkeit darstellt, soll dem Durchsetzungsgewahrsam eine lückenschließende Funktion zukommen 525 . Die Herabsetzung der Eingriffsvoraussetzungen im Vergleich zum Beseitigungs- und Schutzgewahrsam ließe sich daher aus der zwingenden Notwendigkeit, kurzfristig einen bestimmten Ort freizuhalten, rechtfertigen. Einer allzu großen Ausweitung der Vorschrift wird jedoch durch die engen Gewahrsamsvoraussetzungen Rechnung getragen. Auch eine bloße Gefährdung der öffentlichen Ordnung reicht wiederum nicht aus. Daran anschließend stellt sich die Frage, ob eine Ausweitung der Vorschrift auf die Fälle der Durchsetzung von Aufenthaltsverboten sowie Wohnungs- und Umfeldverweisen geboten ist. Diejenigen Länder, die das Aufenthaltsverbot bzw. die Wohnungsverweisung als Standardbefugnis geregelt haben, erstrecken die Befugnis zum Durchsetzungsgewahrsam auch hierauf 526 . Soweit die Maßnahme Aufenthaltsverbot nicht standardisiert ist und eine Erweiterung auf den Durchsetzungsgewahrsam nicht ausdrücklich vorgenommen wurde, gilt der Durchsetzungsgewahrsam seinem eindeutigen Wortlaut nach nicht auch für sonstige Verweisungsmaßnahmen aufgrund der polizei- und ordnungsrechtlichen Generalklausel. Der vereinzelt in der Literatur befürworteten A-maiore-ad-minus-Argumentation, wonach ein Gewahrsam „erst recht" beim schwerwiegenderen Eingriff „Aufenthaltsverbot" zulässig sein müsse 527 , kann nicht ohne weiteres gefolgt werden. Denn zum einen wurde beim Platzverweis die Notwendigkeit eines stärkeren Mittels zur Erreichung des Ziels, eine Person von einem Ort fernzuhalten, damit begründet, daß gewisse Zwangsmaßnahmen wegen der Kurzfristigkeit und Aktualität des hin, wobei allerdings zu beachten ist, daß die dort aufgeführten Beispiele gerade keine Platzverweise sind, da die Räumung besetzter Häuser nicht bloß vorübergehender Art ist. 523 § 28 Abs. 1 Nr. 1 BWPolG; § 22 Abs. 1 Nr. 1 SächsPolG. 524 So und ähnlich die übrigen Bundesländer, z. B. Art. 17 Abs. 1 Nr. 2 BayPAG; § 32 Abs. 1 Nr. 2 HSOG. 525 Riegel, NJW 1980, 1435 (1438); Stoermer, S. 145. 526 Vgl. z. B. § 17 Abs. 1 Nr. 3 BbgPolG; § 15 Abs. 1 Nr. 4 BremPolG; § 13 Abs. 1 Nr. 3 HambSOG; § 55 Abs. 1 Nr. 5 MVSOG; § 18 Abs. 1 Nr. 3 NGefAG; § 35 Abs. 1 Nr. 4 NWPolG; § 19 Abs. 1 Nr. 3 ThürPAG. 527 Lützel/Lustina, Die Polizei 1995, 131 (138); Robrecht, SächsVBl. 1999, 232 (233).

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

Platzverweises nicht zur Verfügung stehen. Zum anderen können nicht alle Fälle der Platzverweisung zufriedenstellend über den Beseitigungsgewahrsam gelöst werden. Beide Gründe liegen beim langfristigen Aufenthaltsverbot nicht zwingend vor. Zum einen sind hier die Zwangsmaßnahmen Zwangsgeld und ersatzweise Zwangshaft als Beugemittel durchaus erfolgversprechend und, da sie wiederholt angewendet werden können, flexibler. Zum anderen liegen die Eingriffsvoraussetzungen beim Beseitigungsgewahrsam ähnlich hoch wie bei einem Aufenthaltsverbot. Auch das Aufenthaltsverbot darf nach dem bisher Gesagten nur zum Schutz vor Straftaten mit erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit erfolgen. Läßt sich die Gefahr durch ein Aufenthaltsverbot nicht ernsthaft bannen, könnte die erhebliche Störung also auch im Wege des Unterbindungsgewahrsams beseitigt werden. Im übrigen eröffnet auch der „Ausspruch eines zusätzlichen Platzverweises" zu einem bereits bestehenden Aufenthaltsverbot nicht ohne weiteres den Anwendungsbereich des Durchsetzungsgewahrsams 528. Denn auch in diesem Fall ist der Gewahrsam an die engen Voraussetzungen der Vorschrift, insbesondere an die vorrangige Anwendung unmittelbaren Zwangs, gebunden und darf freilich nur zur Durchsetzung der Platzverweisung, nicht auch des daneben bestehenden Aufenthaltsverbots ausgesprochen werden. Der Betroffene müßte also alsbald wieder entlassen werden. Schließlich ist fraglich, ob der Gewahrsam zur Durchsetzung eines Aufenthaltsverbots das geeignete Mittel ist. Bei Aufenthaltsverboten und Umfeldverweisen bis zu einer Dauer von maximal vierzehn Tagen ist dies wohl zu bejahen. Lassen sich etwa Hooligans oder auch der gewalttätige Lebenspartner nicht durch ein Zwangsgeld oder andere Maßnahmen von dem Betreten des verbotenen Bereichs abhalten, könnten diese - bei Vorliegen der Voraussetzungen - durch die Ingewahrsamnahme zum Fernbleiben gezwungen werden. Bei länger andauernden Aufenthaltsverboten vermag eine maximal vierzehntägige Freiheitsentziehung jedoch nur zeitweilig das Betretungsverbot zu erfüllen. Ein Gewahrsam könnte in diesem Fall ebenso wie die Beugemittel Zwangsgeld und ersatzweise Zwangshaft als besondere Störung der Freiheit empfunden werden und den Betroffenen dadurch zur Befolgung der Pflicht anhalten 529 , obwohl das Erzwingen eines künftigen Verhaltens nicht unbedingt Aufgabe des Durchsetzungsgewahrsams ist. Da aber Ersatzzwangshaft bereits bei offenkundiger Zahlungsunfähigkeit möglich ist 5 3 0 , läßt sich eben diese Wirkung auch durch die Zwangsmittel erreichen. Die Vorteile einer Erweiterung des Durchsetzungsgewahrsams auch auf Aufenthaltsverbote und Umfeldverweise liegen daher nicht in einer Lückenschließung, sondern vor allem in Kriterien der Praktikabilität für den Rechtsanwender und dem Gedanken der Rechtsklarheit für den betroffenen Bürger, da ihm deutlich gemacht wird, daß das Instrument des Gewahrsams nicht nur bei Platzverweisen, sondern auch bei länger andauernden Verweisungen möglich ist. Eine Erweiterung der Vorschrift ist zwar tatsächlich 528 So aber Robrecht, SächsVBl. 1999, 232 (233); Latzel/Lustina, (138). 529 VGH München, NVwZ-RR 1998, 310 f. 530 Mußmann, Polizeirecht, Rdnr. 466.

Die Polizei 1995, 131

B. Spezialgesetzliche Verweisungsmaßnahmen

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nicht unbedingt unverzichtbar, aber verfassungsrechtlich, insbesondere aus Gründen der Rechtsklarheit, grundsätzlich nicht zu beanstanden. Für die Anordnung des Gewahrsams eines Aufenthaltsverbots gelten dann die gleichen engen Voraussetzungen wie bei der Durchsetzung eines Platzverweises.

B. Spezialgesetzliche Verweisungsmaßnahmen außerhalb des allgemeinen Polizeirechts I. Überblick über die spezialgesetzlichen Verweisungsmaßnahmen Der Anwendungsbereich allgemeinpolizeilicher Verweisungen wird durch zahlreiche spezialgesetzliche Ermächtigungen, die dem allgemeinen Polizeirecht vorgehen, begrenzt. Auf einige spezialgesetzlich geregelte Verweisungen und Betretungsverbote wurde bereits in der Einleitung hingewiesen, wie die Verweisung Kinder und Jugendlicher nach dem Jugendschutzgesetz, Aufenthaltsverbote nach §12 BKatSG und den Landeskatastrophenschutzgesetzen sowie nach § 28 InfektionsschutzG oder § 22 TierseuchenG. Eine Befugnis zum Platzverweis enthält auch das Bundesgrenzschutzgesetz in § 38 BGSG. Gelegentlich werden die §§ 1666 ff. BGB als „Quasi-Evakuierungsmaßnahmen" in diesem Zusammenhang erwähnt 531 und schließlich können auch die verkehrsregelnden Maßnahmen nach §§ 36 und 45 Abs. 1 S. 1 StVO Verweisungen beinhalten. Räumungen sind ferner aufgrund der Landesbauordnungen möglich, etwa als baupolizeiliche Maßnahme bei einsturzgefährdeten Bauwerken. Handelt die Polizei im Rahmen der Strafverfolgung oder Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten, soll nach § 164 StPO bzw. § 46 OWiG der Platzverweis als Minusmaßnahme gegenüber der Festnahme zulässig sein. Auch das Versammlungsgesetz enthält eine Reihe Vorschriften, die ähnliche Rechtsfolgen wie der Platzverweis vorsehen und zum Teil sogar als Platzverweise qualifiziert werden 532 . So ist an die Auflösung einer Versammlung nach § 13 bzw. §15 Abs. 2 VersG die Pflicht geknüpft, sich zu entfernen. Gleiches gilt für den Ausschluß von Versammlungsteilnehmern nach §§18 Abs. 3 und 19 Abs. 4 VersG bei gröblichen Störungen sowie nach § 17 a Abs. 4 VersG bei Verstößen gegen das Vermummungs- und Passivbewaffnungsverbot. Bei diesen Vorschriften handelt es sich jedoch nicht um Platzverweise. Sie sind vielmehr vom polizeilichen Platzverweis abzugrenzen, weil es sich bei diesen versammlungsrechtlichen Vorschriften 531 Schütz, zu § 13 PVG Anm. 2. 532 Vgl. Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 92; Drews/Wacke/Vogel/Martens, § 12, 8 (S. 202, Fn. 125); Ule/Rasch, Teil A, § 12 MEPolG Rdnr. 6; Schioer, DÖV 1991, 955 (957); differenzierend Benfer, Rdnr. 174 (S. 34); a. A. Honnacker / Beinhof er, Art. 16 Anm. 9; Gusy, Rdnr. 254 (S. 166).

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

um rechtsgestaltende Verfügungen handelt, die dem Betroffenen das Teilnahmerecht an der aktuellen Veranstaltung nehmen, nicht jedoch ein durchsetzbares Gebot beinhalten. Die genaue Abgrenzung soll einem gesonderten Kapitel vorbehalten bleiben 533 . Im Rahmen dieser Untersuchung kann nicht jede der genannten Rechtsgrundlagen, die die Anwendung allgemeinpolizeilicher Verweisungsmaßnahmen begrenzen, eingehend behandelt werden - dies ist weitgehend auch nicht erforderlich. § 38 BGSG wirft im Verhältnis zum polizeilichen Platzverweis der Landespolizeigesetze keine besonderen Rechtsfragen auf, da sein Anwendungsbereich durch den klar definierten Zuständigkeitsbereich des Bundesgrenzschutzgesetzes mit dem des allgemeinen Polizeirechts nicht kollidiert. Außerdem entspricht § 38 BGSG im wesentlichen dem Platzverweis nach § 12 MEPolG, so daß auf die dortigen Ausführungen verwiesen werden kann 534 . Ebenso erweisen sich die Anwendungsbereiche der Zutritts- oder Aufenthaltsverbote nach § 28 InfektionsschutzG und § 12 BKatSG als weniger problematisch, da auch ihr Anwendungsbereich klar definiert ist. Eine genauere Beschäftigung ist dagegen mit den Möglichkeiten einer Verweisung nach dem Jugendschutzgesetz, dem strafprozessualen Platzverweis sowie mit den aufenthaltsbeschränkenden Regelungen nach den Landeskatastrophenschutzgesetzen geboten. Die Abgrenzung bzw. das Verhältnis dieser Vorschriften zum allgemeinpolizeilichen Platzverweis ist teilweise unklar, insgesamt aber von praktischer Relevanz. Im folgenden soll daher der jeweilige Anwendungsbereich der Spezialvorschriften bestimmt und der Frage nachgegangen werden, ob und inwieweit daneben noch Raum für eine Anwendung des polizeilichen Platzverweises oder sonstiger polizeilicher Verweisungen verbleibt.

IL Verweisungsmaßnahmen nach dem Jugendschutzgesetz535 § 1 JÖSchG 536 betrifft den Aufenthalt von Kindern und Jugendlichen an jugendgefährdenden Orten. Die Vorschrift ermächtigt die zuständigen Behörden zum Ergreifen der notwendigen Maßnahmen, wenn sich Kinder oder Jugendliche an Orten 533 Vgl. dazu unten, 2. Teil, C. II. 4. d). 534 Vgl. die amtliche Begründung zu § 38 BGSG 1994, BT-Drs. 12/7562, S. 69. Die in § 12 MEPolG vorgesehene Möglichkeit des Platzverweises bei Behinderung der Feuerwehr oder von Hilfs- und Rettungsdiensten wurde bewußt nicht aufgenommen, da es sich nach Auffassung des Bundesgesetzgebers hierbei nur um „Unterfälle der Gefahrenabwehr" handele; dazu auch oben 2. Teil, A. I. 2. 535 Das derzeit geltende Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit (JÖSchG), BGBl. I 1985, S. 425 mit zwischenzeitlichen Änderungen, wird mit Inkrafttreten des Staatsvertrages der Länder über den Schutz der Menschenwürde und den Jugendschutz in Rundfunk und Telemedien - voraussichtlich zum 1. April 2003 - durch das Jugendschutzgesetz v. 23. 07. 2002 (JuSchG), BGBl. I, S. 2730, abgelöst. Die hier relevanten Vorschriften zum Jugendschutz in der Öffentlichkeit, insbesondere die Verweisung Kinder und Jugendlicher von jugendgefährdenden Orten, bleiben inhaltlich im wesentlichen unverändert.

B. Spezialgesetzliche Verweisungsmaßnahmen

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aufhalten, an denen ihnen eine unmittelbare Gefahr für ihr körperliches, geistiges oder seelisches Wohl droht. Wenn nötig, können die Kinder und Jugendlichen nach § 1 S. 2 Nr. 1 JÖSchG zum Verlassen des Ortes angehalten werden. Thematisch handelt es sich um einen Platzverweis zum Schutze der Betroffenen. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genießt der Jugendschutz als wichtiges Gemeinschaftsanliegen und über Art. 1 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 2 GG Verfassungsrang 537. Ein polizeirechtlicher Platzverweis käme daher auch unter dem Aspekt der öffentlichen Sicherheit in Betracht. Jugendschutz ist jedoch als Teilbereich der öffentlichen Fürsorge im Sinne des Art. 74 Nr. 7 GG Gegenstand der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz538. Soweit der Anwendungsbereich des § 1 JÖSchG reicht, ist ein landesrechtlicher Platzverweis nach Art. 72 GG daher nicht möglich.

1. Der Regelungsbereich des § 1 JÖSchG Das Gesetz zum Schutze der Jugend in der Öffentlichkeit hat die vielfältigen Gefahren, mit denen Kinder und Jugendliche durch ihre Teilnahme am öffentlichen Leben konfrontiert werden können, im Blick. Der Minderjährige soll vor beeinträchtigenden Einflüssen auf seine „gesunde, leibliche, geistige oder seelische Entwicklung" 5 3 9 geschützt werden. Dabei stellt nicht jede, das Kindes- und Jugendwohl störende Situation sogleich eine Gefahr im Sinne des § 1 JÖSchG dar. Dem systematischen Gesamtkontext des Gesetzes ist zu entnehmen, daß vielmehr nur solche Gefahren gemeint sind, die gerade einem Minderjährigen aufgrund seiner Entwicklung und durch seine Teilnahme am öffentlichen Leben drohen. Gesetzgeber und Gesetzesanwender müssen dabei den eigenen Erziehungsauftrag und den Erziehungsanspruch der Eltern sachgerecht in Ausgleich bringen. Wie im allgemeinen Polizeirecht auch, reichen, in Abgrenzung zur Gefahr, bloße Belästigungen für ein Eingreifen nicht aus. Soweit Art. 11 GG durch die Maßnahme betroffen ist, muß die Gefahr der Verwahrlosung bestehen. Das Jugendschutzgesetz nennt explizit bestimmte Orte, an denen nach Auffassung des Gesetzgebers offensichtlich solche, über die Belästigung hinausgehende Gefahren drohen können und legt deshalb dort Aufenthalts- und Anwesenheitsbeschränkungen für Minderjährige fest. Dies sind unter anderem Gaststätten, öffentliche Tanzveranstaltungen, Spielhallen sowie sonstige jugendgefährdende Veranstaltungen 540. Die Aufzählung hat beispielhaften 536 Nach dem neu gefaßten Jugendschutzgesetz v. 23. 07. 2002 (JuSchG), BGBl. I, S. 2730 ff.: § 8 JuSchG. 537 BVerfGE 83, 130 (139 f.) - „Josefine Mutzenbacher". 538 BVerfGE 31, 113 (177): „auch vorbeugende Maßnahmen im Bereich des Jugendschutzes werden (von der öffentlichen Fürsorge) abgedeckt." 539 Scholz, § 1 Anm. 1. 540 Vgl. §§ 3, 5, 8 und 10 JÖSchG. Nach JuSchG v. 23. 07. 2002, BGBl. I, S. 2730 ff: § § 4 - 7 . Die Gestattung der Anwesenheit ist für die Betreiber und Veranstalter als Ordnungswidrigkeit bußgeldbewährt, § 12 JÖSchG.

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

Charakter und ist, was die Charakterisierung als jugendgefährdender Ort angeht, keineswegs abschließend. In § 1 JÖSchG enthält das Jugendschutzgesetz vielmehr eine Generalklausel, die zu einem Eingreifen an all denjenigen Orten ermächtigt, an denen Kindern und Jugendlichen eine unmittelbare Gefahr für ihr körperliches, geistiges oder seelisches Wohl droht. Der Begriff der „unmittelbaren Gefahr" wird allerdings unterschiedlich verstanden. Im Polizeirecht wird er häufig synonym zu dem Begriff der „unmittelbar bevorstehenden Gefahr" bzw. der „gegenwärtigen Gefahr" verwendet und meint eine Sachlage, bei der das schädigende Ereignis bereits begonnen hat oder unmittelbar bzw. alsbald mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit bevorsteht 541. Der Gesetzgeber verwendet den Begriff also regelmäßig, wenn der Eingriff wegen der Bedeutung des Eingriffsgutes möglichst weit hinausgeschoben werden soll. Hintergrund einer zeitlich gesteigerten Gefahr ist also die Respektierung eines möglichst weiten Individualrechtsbereichs der betroffenen Eingriffsgüter 542. Doch ist der Begriff der unmittelbaren Gefahr auch bei § 1 JÖSchG als das unmittelbare Bevorstehen des Schadenseintritts zu interpretieren? In Anbetracht der Besonderheit und Gewichtigkeit des Schutzgutes, nämlich des körperlichen, geistigen und seelischen Wohls eines Kindes, erscheint dies nicht zwingend. Eine andere Auffassung plädiert daher dafür, den Begriff der Unmittelbarkeit der drohenden Gefahr allein im Zusammenhang mit der Bestimmung des jugendgefährdenden Ortes zu sehen 543 . Ein Ort sei daher dann im Sinne des § 1 S. 1 JÖSchG jugendgefährdend, wenn dort eine Gefahr von bestimmter Intensität drohe, die sich „direkt auf das Kind ( . . . ) auswirken" könne 544 . Das Erfordernis der „unmittelbaren Gefahr" grenze also den Begriff der jugendgefährdenden Orte ein. Hierfür sprechen die exemplarisch in § § 3 - 8 JÖSchG bzw. künftig in §§ 4 - 7 JuSchG aufgezählten Örtlichkeiten, die nicht notwendig eine zeitliche Nähe des Schadens indizieren. Betrachtet man das hohe Schutzgut einerseits und die gebotene Zurückhaltung des Staates im Hinblick auf den elterlichen Erziehungsanspruch andererseits, spricht jedoch einiges dafür, den Begriff der unmittelbaren Gefahr, wie im Versammlungsrecht, bezogen auf den Wahrscheinlichkeitsgrad der Gefährdung anzusehen545. Eine unmittelbare Gefahr meint daher, daß der Schadenseintritt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit an dem bestimmten Ort für den Jugendlichen zu erwarten ist 5 4 6 . Es genügt, daß

541 VGH Mannheim, NVwZ-RR 1994, 52; BVerwGE 45, 51 (58); Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 55; Schock, JuS 1994,667 (670). Zeitlich verstehen Steindorf, in: Erbs / Kohlhaas, J 215, § 1 Anm. 4 und Scholz, § 1 Anm. 1 den Begriff der unmittelbaren Gefahr in § 1 JÖSchG (§ 8 JuSchG). 542 Eine „unmittelbar bevorstehende Gefahr" verlangen z. B. die Vorschriften über die Inanspruchnahme von Nichtstörern. Hier soll der Individualbereich der Betroffenen so lange wie möglich unangetastet bleiben. 543 Gernert/Stoffers, § 1, S. 46. 544 Gernert/Stoffers, § 1, S. 46. 545 Vgl. Kunig, in: v.Münch/ Kunig, GG Bd. 1, Art. 8 GG Rdnr. 33.

B. Spezialgesetzliche Verweisungsmaßnahmen

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die Beschränkung dem Zweck dient, einen Zustand, bei dem für den Jugendlichen eine Gefahr bestehen würde, nicht eintreten zu lassen. Die zuständige Behörde 547 kann also einschreiten, unabhängig davon, ob der Gefahreneintritt zeitlich besonders nahe bevorsteht. Ob ein bestimmter Ort, an dem sich ein Jugendlicher aufhält, letztlich eine Gefahr für ihn darstellt, hängt von den Gesamtumständen des Einzelfalles ab. Maßgeblich kann die Tageszeit sein oder auch die Anwesenheit anderer Personen, die einen an sich harmlosen Ort dann als gefährlich erscheinen lassen können. Als jugendgefährdend können Umschlagplätze für Drogen oder Hehlerware, das Rotlichtmilieu, Treffpunkte von Drogensüchtigen oder Kriminellen und unter Umständen auch Bahnhöfe 548 und gegebenenfalls auch besonders kriminogene Stadtbezirke betrachtet werden.

2. Anwendungskriterien und Verhältnis zur polizeilichen Verweisung Allgemeinpolizeiliche Platzverweise und Aufenthaltsverbote sind demnach unzulässig, wenn Gefahren für das Kindes- und Jugendwohl wegen des Aufenthalts an einem bestimmten Ort drohen. In diesen Fällen darf ausschließlich nach § 1 S. 2 Nr. 1 JÖSchG vorgegangen werden. Allerdings ist die Verweisung gegenüber Jugendlichen und Kindern nur „wenn nötig" zulässig. Vielfach werden andere Gefahrenabwehrmaßnahmen aber schon deshalb nicht in Betracht kommen, weil sich das Kind an einem für Erwachsene an sich legal zugänglichen Ort aufhält. Die unmittelbare Gefahr besteht in einem solchen Fall nur durch die Anwesenheit des Minderjährigen selbst und nur für ihn. Sie ist daher nur durch dessen Entfernung abzuwenden. Ein Platzverweis ist dagegen nicht nötig, wenn die Gefahr anders abgewendet werden kann. Die Generalklausel des § 1 S. 1 JÖSchG enthält unter der Voraussetzung einer unmittelbaren Gefahr für das Wohl des Kindes eine Ermächtigungsgrundlage für entsprechende Maßnahmen, die sich gegebenenfalls auch an den Gefahrenverursacher richten können. Etabliert sich eine Drogenszene im Bereich eines Kinderspielplatzes, ist eine Verweisung der Gefahrenverursacher zur Abwehr der Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung aber bereits aufgrund allgemeinen Polizeirechts zulässig, ohne daß es des Rückgriffs auf das Jugendschutzgesetz bedarf, weil insoweit Verstöße gegen Rechtsnormen, etwa dem Widmungszweck der Anlage, Gefahren für die körperliche Unversehrtheit etc., vorliegen. Insgesamt ist die Polizei berechtigt, bei nicht im Sinne des § 1 JÖSchG spezifischen Gefahrenlagen für die Gesundheit oder das Leben mittels 546 Vgl. die Begründung des Rechtsausschusses zur VersG-Novelle 1978, BT-Drs. 8/ 1845, S. 11. 547 Nach den Zuständigkeitsverordnungen der Länder zum JÖSchG sind zumeist die Polizei- und Ordnungsbehörden zum Erlaß von Platzverweisen aufgrund § 1 JÖSchG primär befugt, vgl. etwa in Nordrhein-Westfalen § 1 der VO zur Regelung von Zuständigkeiten nach dem Jugendschutzgesetz v. 23. 09. 1985 (GVB1., S. 592). 548 Beispiele bei Steindorf, 11 Neuner

in: Erbs / Kohlhaas, J 215, § 1 Anm. 5 und Scholz, § 1 Anm. 1.

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

polizeilichen Platzverweisen auch gegenüber Minderjährigen einzuschreiten. Es verbleibt daher ein großer Raum für polizeiliche Verweisungsmaßnahmen neben dem Jugendschutzgesetz. Wird die Aufforderung, den Ort zu verlassen, nicht befolgt, kann nach Landesrecht vollstreckt werden, da das Jugendschutzgesetz insoweit keine Regelungen enthält.

I I I . Der strafprozessuale Platzverweis 1. Problemstellung Auf die Funktion des polizeilichen Platzverweises bei Störungen polizeilicher Amtshandlungen wurde bereits hingewiesen549. Handelt es sich bei diesen Amtshandlungen um strafprozessuale Ermittlungshandlungen, ist allerdings fraglich, ob der polizeiliche Platzverweis Anwendung findet. Der polizeiliche Platzverweis dient zum einen der Gefahrenabwehr, nicht auch der Ermittlung und Aufklärung von Straftaten 550. Zum anderen ist die Gefahr der Störung strafprozessualer Amtshandlungen durch Dritte sachlich in § 164 StPO geregelt. Danach ist bei Amtshandlungen an Ort und Stelle der „Beamte, der sie leitet, befugt, Personen, die seine amtliche Tätigkeit vorsätzlich stören oder sich den von ihm innerhalb seiner Zuständigkeit getroffenen Anordnungen widersetzen, festnehmen und bis zur Beendigung seiner Amtsverrichtungen ( . . . ) festhalten zu lassen." Zwar ermächtigt §164 StPO seinem Wortlaut nach nur zur Festnahme und zum anschließenden Festhalten, nicht auch zur Verweisung. Die Vorschrift weist jedoch wie der gefahrenabwehrrechtliche Platzverweis in die gleiche Richtung: beide bezwecken eine sachgemäße, von äußeren Einflüssen ungestörte Durchführung der jeweiligen Amtshandlung 551. Es besteht im Schrifttum Einigkeit darüber, daß das Festhalte- und Festnahmerecht nach § 164 StPO nur ausgeübt werden darf, wenn die ordnungsgemäße Durchführung der strafprozessualen Amtshandlung nicht mit weniger einschneidenden Maßnahmen gewährleistet werden kann 552 . Dies ist Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Als mildere Maßnahmen sollen z. B. ein „energischer Schweigebefehl" 553, aber auch die Absperrung eines Geländes sowie die Aufforderung des Störers, den Ort der Amtshandlung zu verlassen oder nicht zu betreten 554 , - mithin Platzverweise - in Betracht kommen. Die StPO hält jedoch 549 Vgl. dazu oben, 2. Teil, A. I. 1. b) bb) (1). 550 Die Möglichkeit eines Platzverweises zur Aufklärung von Straftaten sah das BayPAG bis zur Neufassung im Jahre 1972 vor, vgl. Art. 16 BayPAG 1954; dazu Samper, PAG, 2. Aufl., Art. 16 Rdnr. 12. 551 Für den polizeirechtlichen Platzverweis vgl. oben, 2. Teil, A. I. 1. b) bb); für § 164 StPO vgl. Geerds, S. 519 und 527; Schmidt, NJW 1969, 393 ff. 552 Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 164 StPO Rdnr. 1; Geerds, S. 522. 553 Beispiel bei Schmidt, NJW 1969, 393 (396).

B. Spezialgesetzliche Verweisungsmaßnahmen

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hierfür keine ausdrücklichen Ermächtigungsgrundlagen bereit, so daß die Frage nach der jeweiligen Rechtsgrundlage dieser milderen Maßnahmen umstritten ist. Die weit überwiegende Auffassung leitet aus § 164 StPO auch die Befugnis zum Platzverweis als mildere oder Minusmaßnahme ab, wobei diese Rechtsfolge entweder mit dem argumentum a maiore ad minus bzw. dem Grundsatz plus minus continet 555 oder mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 556 begründet wird. Der strafprozessuale Platzverweis gehe dann als Bundesrecht dem allgemeinpolizeilichen Platzverweis vor. Die Gegenauffassung will auch im Falle der Störung strafprozessualer Amtshandlungen auf die Rechtsgrundlagen des allgemeinen Polizeirechts zurückgreifen. Berg / Knape / Kiworr 5 5 7 bezweifeln die Anwendbarkeit des Grundsatzes a maiore ad minus, da die „Stoßrichtung" der minderschweren Platzverweisung gegenüber der Festnahme eine andere sei. Außerdem sei der Landesgesetzgeber befugt, in der StPO vorhandene Lücken zu schließen, da es sich bei § 164 StPO eigentlich um eine materiell-polizeirechtliche Maßnahme handele und das Polizeirecht nicht zu den Gegenständen der konkurrierenden Gesetzgebung gehöre. Berner/Köhler 558 halten den Platzverweis im Wege des Erst-recht-Schlusses aufgrund der StPO zwar für zulässig, weisen aber darauf hin, daß die StPO bezüglich der Minusmaßnahmen nicht abschließend geregelt sei. § 164 StPO regele zudem nur die vorsätzliche Störung, so daß ein Rückgriff auf den polizeilichen Platzverweis jedenfalls bei fahrlässigen Störungen notwendig in Betracht komme 559 . Die Klärung der Rechtsgrundlage ist in vielfacher Hinsicht von Bedeutung: So bestehen unterschiedliche Eingriffsvoraussetzungen und unterschiedliche Anordnungskompetenzen. Auf der einen Seite ist zum Erlaß einer Maßnahme nach § 164 StPO der die Amtshandlung leitende Beamte zuständig. Dies kann der leitende Polizeibeamte sein, der nicht zwingend Hilfsbeamter der Staatsanwaltsschaft sein muß 5 6 0 , aber auch nach den §§ 160, 161 StPO ein Staatsanwalt oder nach § 162 StPO ein Richter 561 . Zum Erlaß eines Platzverweises nach Polizeirecht sind hingegen nur die Polizeibeamten berechtigt 562 . Des weiteren bestehen unterschiedliche Rechtsschutzmöglichkeiten. Ist die Maßnahme auf die StPO gestützt, ist der or554 Beispiele bei Rieß, in: Löwe/Rosenberg, 2. Bd., § 164 StPO Rdnr. 12; Wache, in: KKStPO, § 164 Rdnr. 7. 555 Rieß, in: Löwe/Rosenberg, 2. Bd., § 164 StPO Rdnrn. 1 und 11; Samper, PAG, Art. 16 Rdnr. 17; Schenke, JR 1970, 48 (50); Schmidbauer, in: Schmidbauer/Steiner/Roese, Art. 16 Rdnr. 5; Berner/Köhler, 16. Aufl., Art. 16 Rdnr. 4. 556 Benfer, Rdnr. 171; Kay, 1. Kap., 1. Abschnitt, III. 3; Tegtmeyer, 557 Berg/Knape/Kiworr, 558 Berner/Köhler,

§ 34 Rdnr. 13.

§ 29 C 2.

16. Aufl., Art. 16 Rdnr. 4.

559 Berner/Köhler, 16. Aufl., Art. 16 Rdnr. 4; ebenso Kay, 1. Kap., 1. Abschnitt, III. 4; ähnlich wohl auch Altschaffel, 15.16 (S. 192). 560 Statt vieler Wache, in: KK-StPO, § 164 Rdnr. 10. 561 Streitig im Hinblick auf § 180 GVG, vgl. Wache, in: KK-StPO, § 164 Rdnr. 10; a. A. Geerds, S. 528. 562 Zur Frage der Zuständigkeit für den Erlaß von Platzverweisen s. unten 3. Teil. Ii*

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

dentliche Rechtsweg zu beschreiten 563, wird sie auf die Polizeigesetze der Länder gestützt, muß der Verwaltungsrechtsweg gemäß § 40 ff. VwGO eingeschlagen werden.

2. Rechtsnatur des § 164 StPO Die Festnahme nach § 164 StPO dient in erster Linie dazu, die eigentliche repressive Ermittlungsmaßnahme, etwa die Beweissicherung, „präventiv" zu schützen. Bei § 164 StPO handelt es sich daher tatsächlich nicht um eine Strafverfolgungsmaßnahme im eigentlichen Sinne, sondern um eine präventivpolizeiliche Maßnahme innerhalb der StPO 564 . Die Vorschrift müßte daher in den Regelungsbereich des Polizeirechts und damit in den Zuständigkeitsbereich der Landesgesetzgebung gehören. Im Hinblick auf die Gesetzgebungszuständigkeit hat der Bund hier jedoch von seiner Annexkompetenz zu Art. 74 Nr. 1 GG Gebrauch gemacht. Nach Art. 74 Nr. 1 GG steht dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungszuständigkeit im Bereich des Strafrechts und der gerichtlichen Verfahren zu, wozu auch die Strafprozeßordnung einschließlich der polizeilichen Befugnisse im Ermittlungsverfahren zählt 565 . Regelungen, die der „Vorbereitung und Durchführung" dieses Sachbereichs dienen und insoweit mit der Strafverfolgung in engem Zusammenhang stehen, werden durch das ungeschriebene Rechtsinstitut der Annexkompetenz von der Kompetenz der „Hauptsache" erfaßt und können mitgeregelt werden 566 . Der geregelte Gegenstand führt dann automatisch zur Kompetenz der „Hauptsache" 567 . Die Folgerung von Berg / Knape / Kiworr 5 6 8 , das Polizeirecht gehöre nicht zur konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz, weshalb der Landesgesetzgeber „in der StPO vorhandene Lücken schließen oder lückenhafte Regelungen vervollständigen" könne, ist daher insoweit unzutreffend. Regelt der Bundesgesetzgeber im Rahmen seiner Annexkompetenz präventive Eingriffsbefugnisse, sind diese nicht Landespolizeirecht, sondern Strafprozeßrecht. Der Bundesgesetzgeber hat übrigens im Rahmen seiner Annexkompetenz mehrfach Eingriffsmaßnahmen zu präventivpolizeilichen Zwecken geregelt, wie z. B. in § 81 b 2. Alt. StPO 569 . Ergänzende landesrechtliche Bestimmungen sind daneben nach Art. 72 563 Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 23 ff. EGGVG. Vgl. VGH München, NVwZ 1986, 655. Nach herrschender, aber umstrittener Auffassung sind die Beamten der Kriminalpolizei Justizbehörde i. S. d. § 23 EGGVG, da sie funktionell Justizaufgaben der Strafrechtspflege wahrnehmen, vgl. Schenke, in: Steiner, II, Rdnrn. 228 ff. 564 Götz, Polizeirecht, 10. Aufl., Rdnrn. 407 und 42; Fuchs, S. 20 f.; Berg IKnape I Kiworr, § 29 C 2. 565 ßothe, in: AK-GG, 2. Aufl., Bd. 2, Art. 74 Rdnr. 6; Götz, Polizeirecht, 10. Aufl., Rdnr. 407. 566 Degenhart, Staatsrecht I, Rdnr. 135. 567 Kunig, in: v.Münch / Kunig, GG Bd. 3, Art. 70 Rdnr. 26. 568 Berg/Knape/Kiworr, § 29 C 2. 569 Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 81 b StPO Rdnr. 3.

B. Spezialgesetzliche Verweisungsmaßnahmen

165

Abs. 1 GG ausgeschlossen, solange und soweit der Bundesgesetzgeber tätig geworden ist. Für einen Anwendungsbereich des polizeilichen Platzverweises neben §164 StPO ist also entscheidend, ob und inwieweit der Bundesgesetzgeber Eingriffsbefugnisse bzw. den Fall der Störung repressiver Amtshandlungen durch Dritte abschließend in § 164 StPO geregelt hat. Dies hängt davon ab, ob der Bundesgesetzgeber das Sachgebiet abschließend regeln wollte und es auch tatsächlich so geregelt hat, daß kein Raum für landesrechtliche Regelungen verbleibt 570 .

3. Abschließender Charakter des § 164 StPO Die Frage, ob die strafprozessualen Eingriffsbefugnisse der StPO abschließend geregelt sind, ist bereits ausführlich, insbesondere von Schenke571, diskutiert worden. Sie wird überwiegend und zutreffend bejaht 572 . Die strafprozessualen Eingriffsbefugnisse der StPO bleiben zwar im allgemeinen hinter denjenigen der Landespolizeigesetze zurück. Angesichts der detaillierten Regelung der polizeilichen Befugnisse innerhalb der StPO ist die Zulässigkeit weiterer landespolizeigesetzlicher Eingriffsbefugnisse aber zweifelhaft 573 . Denn es ist nicht ersichtlich, weshalb der Gesetzgeber die Regelung der polizeilichen Befugnisse in der StPO nur auf einzelne Bereiche beschränkt haben sollte. Vielmehr ist davon auszugehen, daß spätestens im Rahmen der StPO-Novelle im Jahre 1978 574 die bekannten Lücken, soweit es erforderlich erschien, geschlossen wurden 575 . Die abschließende Regelung präventivpolizeilicher Eingriffsbefugnisse in der StPO verdeutlicht zudem die Regelung des § 6 Abs. 1 EGStPO, wonach die „prozeßrechtlichen Vorschriften der Landesgesetze" mit Inkrafttreten der StPO außer Kraft traten. Der Begriff der „prozeßrechtlichen Vorschriften" ist, worauf Schenke 576 hinweist, nicht eng zu interpretieren, sondern auf den gesamten Regelungsbereich der StPO zu beziehen, was daraus folge, daß sich der StPO selbst ein Sonderstatus bezüglich der prozeßrechtlichen Vorschriften im engeren Sinne nicht entnehmen lasse. Für diese Sichtweise spricht auch die Zielsetzung des § 6 EGStPO, nämlich die Vermeidung einer Rechtszersplitterung auf dem Gebiet der Straf5vo BVerfGE 56, 110(119). 571 Schenke, JR 1970, 48 ff. 572 Stettner, in: Dreier, GG Bd. II, Art. 74 Rdnr. 24; Götz, NVwZ 1984, 211 (212); ders., Polizeirecht, 12. Aufl. Rdnr. 541 \ Mußmann, Polizeirecht, Rdnr. 536. 573 Schenke, JR 1970,48 (49). 574 BGBl. I, S. 1645. 575 So Götz, NVwZ 1984, 211 (212); Habermehl, Rdnr. 524; Denninger, in: Lisken/Denninger, E Rdnr. 163. 576 Schenke, JR 1970, 48 (50); auch Hilgen in: Löwe/Rosenberg, 5. Bd., § 6 EGStPO Rdnr. 1; a. A. wohl Kleinknecht/Meyer-Goßner, § 164 StPO Rdnr. 1, wonach das nach den Polizeigesetzen bestehende Recht der Polizei zur Platzverweisung zwecks Abwehr einer Gefahr unberührt bleibe; ebenso Wache, in: KK-StPO, § 164 Rdnr. 1.

166

2. Teil: Rechtsgrundlagen

Verfolgung 577. § 6 EGStPO schließt also auch die polizeilichen Zwangsbefugnisse, die im Rahmen der Annexkompetenz erlassen wurden, mit ein. Andernfalls wäre auch die ausdrückliche Öffnungsklausel zugunsten der Landesgesetzgeber in § 6 Abs. 2 EGStPO in weiten Bereichen überflüssig 578. Der bisherigen Argumentation widerspricht es nicht, wenn die herrschende Meinung einen Rückgriff auf die Landespolizeigesetze im Hinblick auf die Vorschriften über den unmittelbaren Zwang zuläßt 579 . Außer in § 119 Abs. 5 StPO enthält die StPO keine Regelung zur zwangsweisen Durchsetzung polizeilicher Maßnahmen. Es ist aber nicht anzunehmen, daß der Gesetzgeber die Nichtvollziehbarkeit seiner polizeilichen Befugnisse beabsichtigt hat. Vielmehr ist davon auszugehen, daß er - wie übrigens bei zahlreichen anderen Bundesgesetzen auch - hier bewußt keine Regelung getroffen hat, weil er den Rückgriff auf die landesrechtlichen Regelungen über die Anwendung des unmittelbaren Zwanges für zulässig erachtete. Lediglich die insoweit bestehende Gesetzeslücke ist daher durch Rückgriff auf die Vorschriften des Landesrechts zu schließen. Die Richtigkeit dieses Ergebnisses wird letztlich auch durch die Überlegung bekräftigt, daß ein Rückgriff auf die Regelungen des allgemeinen Polizeirechts die untragbare Konsequenz hätte, daß die Polizei mit mehr Rechten ausgestattet wäre als die Staatsanwaltschaft, die nach den §§ 160, 152 StPO aber „Herrin des Verfahrens" ist. Denn nur die Polizeibeamten können auf die Rechtsgrundlagen der Polizeigesetze der Länder zurückgreifen, nicht aber der Staatsanwalt oder der Richter. Argumentum e contrario sind die in der Strafprozeßordnung enthaltenen polizeilichen Zwangsbefugnisse abschließend geregelt.

4. Reichweite des § 164 StPO und sein Verhältnis zum allgemeinpolizeilichen Platzverweis Eine Festnahme nach § 164 StPO soll die Durchführung strafprozessualer Ermittlungshandlungen sichern. Die Vorschrift gilt daher für alle Amtshandlungen, „die aufgrund des Strafverfahrensrechts und zu strafprozessualen Zwecken vorgenommen werden", wie etwa Durchsuchungen, Vernehmungen, Spurensuchen, Augenscheinseinnahmen und Beweissicherungen 580. Soweit eine Festnahme zur Erreichung dieses Zwecks nicht nötig erscheint, bestehen auch keine Bedenken, die Befugnis zum Platzverweis im Wege des Erst-recht-Schlusses aus § 164 StPO herzuleiten. Wenn der leitende Beamte eine vorsätzlich störende Person sogar festnehmen darf, dann kann er ihr erst recht einen Platzverweis erteilen oder das Betreten des Ortes der Amtshandlung verbieten 581 . Die Richtung beider Maßnahmen 577 Schwan, VerwArch 70 (1979), 109 (115). 578 Schenke, JR 1970,48 (50). 579 BGHSt 26, 99 (101); a. A. Schwan, VerwArch 70 (1979), 109 (129). 580 Rieß, in: Löwe/Rosenberg, 2. Bd., § 164 StPO Rdnr. 2. Die Festnahme zum Schutz von Ermittlungsmaßnahmen in bezug auf Ordnungswidrigkeiten ist auf § 46 OWiG i. V. m. § 164 StPO zu stützen.

B. Spezialgesetzliche Verweisungsmaßnahmen

167

ist durchaus die gleiche. Denn beide Maßnahmen erzielen dieselbe Wirkung an Ort und Stelle der Amtshandlung: sie unterbinden die weitere Anwesenheit des Störers und damit auch die Störung selbst 582 . Das Festnahmerecht zum Zwecke der Gewährleistung einer ordnungsgemäßen Durchführung der Amtshandlung schließt daher das Recht zur Platzverweisung als geringfügigeren Eingriff mit ein. Dies ist aber weniger eine Folge des Gebots der Gerechtigkeit, das dem argumentum a maiore ad minus zu Grunde liegt 5 8 3 , als vielmehr eine Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Platzverweise nach den Landespolizeigesetzen sind neben dem strafprozessualen Platzverweis zulässig, solange auch noch präventivpolizeiliche Gefahren beseitigt werden müssen 584 . Geht beispielsweise von dem bewaffneten Täter eines Bankraubs noch eine polizeirechtliche Gefahr für Passanten aus, ist ein Platzverweis aufgrund der Landespolizeigesetze möglich. Die weiträumige Absperrung des Tatorts dient dann zumindest auch der Durchführung präventiver Maßnahmen und dem Schutz der Passanten. Nach § 164 StPO darf eine Festnahme jedoch nur dann erfolgen, wenn die Amtshandlung vorsätzlich gestört wird oder der Betroffene sich den Anordnungen des leitenden Beamten widersetzt. Bedingter Vorsatz reicht aus, d. h. dem Störer muß in beiden Alternativen bewußt sein oder „durch einen Hinweis des die Amtshandlung leitenden Beamten deutlich gemacht (werden), daß sein Verhalten eine Störung darstellt." 585 Bloß fahrlässiges Handeln rechtfertigt eine Festnahme nicht. Gleichwohl besteht auch in dem Fall der fahrlässigen Störung entgegen der aufgezeigten Auffassung Berner/Köhlers nicht das Bedürfnis für einen ergänzenden landespolizeigesetzlichen Platzverweis. Stört ein Verhalten eine Amtshandlung fahrlässig, hat der leitende Beamte nach § 164 2. Alt. StPO die Möglichkeit, innerhalb seiner Zuständigkeit Anordnungen zu erteilen. Er muß sogar Anordnungen erteilen, ehe er eine Festnahme verfügen kann. Aus dem Kontext der Vorschrift ergibt sich, daß die Anordnung bereits darauf gerichtet sein muß, eine bestehende oder unmittelbar bevorstehende Störung der Amtshandlung zu beseitigen586. Erst dann, wenn sich der Betroffene diesen Anordnungen widersetzt, liegen die Voraussetzungen für eine Festnahme nach § 164 StPO vor. Widersetzlichkeit bedeutet aber wiederum Vorsatz. Die nur fahrlässige Störung wurde als noch nicht ausreichend für eine Entfernung vom Ort der Amtshandlung erachtet und damit bewußt nicht geregelt. Der Gesetzgeber hat die Möglichkeit der fahrlässigen Störung gese581

Bei Störungen innerhalb der Diensträume kommen auch Maßnahmen aufgrund des Hausrechts in Betracht. 582 Etwaige Anwesenheitsrechte, z. B. die des Verteidigers, ruhen während der Dauer des Festhaltens oder der Verweisung, vgl. dazu Wache, in: KK-StPO, § 164 Rdnr. 7. 553 Larenz/Canaris, S. 209. 554 So auch Hilger, in: Löwe/Rosenberg, 5. Bd., § 6 EGStPO Rdnr. 1. 555 Rieß, in: Löwe / Rosenberg, 2. Bd., § 164 StPO Rdnr. 7. 586 Rieß, in: Löwe / Rosenberg, 2. Bd., § 164 StPO Rdnr. 10: Dies kann lediglich der Hinweis sein, daß das Verhalten des Betroffenen als störend empfunden wird oder die schlichte Aufforderung, Platz für die Durchsuchung zu machen.

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

hen und für diesen Fall die Möglichkeit der vorherigen Anordnung geschaffen. Rechtsgrundlage dieser Anordnungen ist, insbesondere aus dem Gedanken der Vermeidung einer Rechtszersplitterung heraus, wiederum § 164 StPO. Schließlich muß beachtet werden, daß es bei Ermittlungshandlungen der Staatsanwaltschaft oder der Polizei grundsätzlich keine Öffentlichkeit gibt. Zum einen bezieht sich der im Strafprozeß nach § 169 GVG geltende Grundsatz der Öffentlichkeit ausschließlich auf Verhandlungen vor dem erkennenden Gericht und nicht auch auf Amtshandlungen im Sinne des § 164 StPO. Zum anderen folgt die Nichtöffentlichkeit strafprozessualer Ermittlungshandlungen argumentum e contrario aus § 168 c Abs. 2 StPO auch i.V.m § 163 a Abs. 3 S. 2 StPO, die vereinzelte Anwesenheitsrechte für Verteidiger bei den Ermittlungshandlungen normieren. Diese Vorschriften wären überflüssig, wenn ohnehin eine allgemeine Öffentlichkeit bestünde. Die „Öffentlichkeit" kann daher von vornherein, etwa durch Absperrungen, ausgeschlossen werden, ohne daß es hierzu des § 164 StPO bedarf. Dieser Fall wird nämlich entgegen der Auffassung Sampers 587 von § 164 StPO gar nicht erfaßt. Der leitende Beamte braucht mit der Absperrung in diesen Fällen also nicht abzuwarten, bis die Zuschauer seine polizeilichen Ermittlungshandlungen vorsätzlich stören 588 . Der Grundsatz der NichtÖffentlichkeit kann daher auch unter dem Aspekt des Schutzgutes der öffentlichen Sicherheit polizeirechtlich durchgesetzt werden. Es fehlt also speziell im Hinblick auf den Platzverweis auch an der Notwendigkeit eines Rückgriffs auf die landespolizeigesetzlichen Vorschriften. § 164 StPO bezieht sich vorrangig auf Personen, die Anwesenheitsrechte bei strafprozessualen Amtshandlungen haben.

IV. Platzverweise und Evakuierungen nach den Brand- und Katastrophenschutzgesetzen der Länder 1. Reichweite der Landesbrand- und Katastrophenschutzgesetze589 Die Notwendigkeit eines Platzverweises oder sogar längeren Aufenthaltsverbots bei Katastrophen, Unglücksfällen oder Großbränden liegt auf der Hand. Verweisungen sind einmal erforderlich, um im Katastrophengebiet einen reibungslosen Einsatz der Hilfs- und Rettungskräfte zu gewährleisten. Zum anderen können Evakuierungsmaßnahmen auch zum Schutz der im Krisengebiet befindlichen Bevölkerung geboten sein. Als Katastrophe wird ein Geschehen bezeichnet, das Leben, Gesundheit, die lebensnotwendige Versorgung der Bevölkerung, Tiere, erhebliche Sachwerte oder die Umwelt in so ungewöhnlichem Maße gefährdet oder schädigt, daß zu seiner 587 Samper, PAG, Art. 16 Rdnr. 17. 588 So auch Schmidt, NJW 1969, 393 (395). 589 Die Darstellung wird exemplarisch auf die Gesetze einiger Bundesländer beschränkt.

B. Spezialgesetzliche Verweisungsmaßnahmen

169

Abwehr und Bekämpfung ein Zusammenwirken aller beteiligten Behörden unter einheitlicher Leitung einer Katastrophenschutzbehörde erforderlich ist 5 9 0 . Die Katastrophenschutzgesetze sollen also einen reibungslosen Ablauf der Gefahrenbekämpfung in Situationen gewährleisten, wo für etwaige Kompetenzkonflikte zwischen den einzelnen Gefahrenabwehrbehörden kein Raum ist. Ausdrückliche Rechtsgrundlagen für Verweisungen finden sich in den Brandund Katastrophenschutzgesetzen der Länder jedoch nur selten. § 26 Abs. 2 NKatSG enthält die ausdrückliche Befugnis der Katastrophenschutzbehörde, anzuordnen, daß „Bewohner sowie andere Personen ein durch den Katastrophenfall betroffenes oder unmittelbar gefährdetes Gebiet vorübergehend zu verlassen haben." Ihrem Wortlaut nach gleicht die Vorschrift annähernd dem Platzverweis nach § 12 MEPolG. Sie dürfte allerdings im Hinblick auf die im Katastrophenfall zu beseitigende Gefahr zu interpretieren sein und daher auch länger andauernde Verweisungen zulassen. Der Begriff „vorübergehend" ist also mit dem des § 12 MEPolG nicht identisch. Im übrigen existieren in den einzelnen Ländern generalklauselartige Befugnisse, wie etwa in § 1 BWKatSG oder § 33 HBKSG, und nicht abschließende Maßnahmenkataloge, etwa in § 3 BWKatSG, die vor allem auf den Schutz gefährdeter Rechtsgüter abzielen und die erforderlichen organisatorischen Maßnahmen beschreiben. Die Beschränkung im großen und ganzen auf eine Generalklausel ist insoweit plausibel, als es sich bei Katastrophen um komplexe, atypische Gefahrenlagen handelt, deren Bekämpfung nicht im vorhinein in allen Ausmaßen regelbar ist. Die Zulässigkeit von Platzverweisen, Räumungen und Absperrungen des Katastrophengebietes ergibt sich aus § 29 BWKatSG, § 51 HBKSG und § 30 S. 1 RhPfBKSG, wonach alle am Einsatzort oder im Katastrophengebiet anwesenden Personen „Anordnungen über Räumung, Absperrung oder Sicherung des Einsatzortes oder Katastrophengebiets unverzüglich zu befolgen" haben. Bei diesen Vorschriften handelt es sich jedoch nicht um Befugnisnormen, sondern um eine ausdrückliche Normierung der Hilfs- und Leistungspflichten der im Katastrophengebiet Anwesenden591. Dies folgt nicht nur aus dem Regelungsstandort der Maßnahme, sondern auch aus dem Wortlaut der Vorschrift selbst, der lediglich von der „Befolgung von Anordnungen" spricht. Ermächtigungsgrundlage für diese Anordnungen sind daher die Generalklauseln der Katastrophenschutzgesetze. § 30 RhPfBKSG stellt zudem ausdrücklich klar, daß Personen, die an Hilfsmaßnahmen nicht beteiligt sind, den Einsatz nicht behindern dürfen. Die Vorschrift - an sich eine Selbstverständlichkeit - wurde aufgrund schlechter Erfahrungen in der Vergangenheit für erforderlich gehalten 592 . Daneben normieren die Landeskatastrophenschutzgesetze Duldungspflichten der Grundstückseigentümer, ihr Grundstück gegebenenfalls zu räumen 593 . Es handelt sich um eine gesetzliche Räumungs-

590 Vgl. die Legaldefinitionen in § 1 BWKatSG, § 24 HBKSG und § 1 Abs. 2 NKatSG. 591 A. A. wohl Vogt/Vogt, § 29 Rdnr. 3; wohl auch Jochum/Rühle, H Rdnr. 46. 592 Hinket, Anm. zu § 30; Klab/Zachertz, § 51 Rdnr. 1. Einen Einblick in die Situation bei Hochwasserkatastrophen gibt: Der Spiegel, 2/1994, S. 39; vgl. auch 2. Teil, A. I. 2.

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

pflicht, die an die dingliche Stellung als Eigentümer oder Besitzer eines Grundstücks geknüpft ist. Es bedarf hierzu keiner gesonderten Maßnahme mehr 594 . Evakuierungsmaßnahmen aus dem Schadensgebiet zum Schutze der Bevölkerung sind auch auf die katastrophenschutzrechtliche Generalklausel zu stützen. Auch diese Maßnahmen dienen in erster Linie der Erleichterung der Durchführung von Katastrophenbekämpfungsmaßnahmen und können räumlich das Schadensgebiet sowie die vom Schadensgebiet abgesetzten Einsatzorte betreffen 595. Sinnvollerweise ist die Vorschrift auf sonstige gefährdete Personen zu erstrecken, weil auch deren Schutz zu den Katastrophenbekämpfungsmaßnahmen gehört.

2. Verhältnis zu allgemeinpolizeilichen Verweisungen Zuständig für die Koordinierung und den Erlaß von Maßnahmen im Katastrophenfall sind die Katastrophenschutzbehörden. Dies sind in der Regel die Stadtoder Landkreise 596 . Daneben hat der Polizeivollzugsdienst eine Eilzuständigkeit, bei der ihm die Befugnisse der Katastrophenschutzbehörden bis zu deren Tätigwerden nach dem Katastrophenschutzgesetz zustehen, § 24 BWKatSG. Solange eine Katastrophe festgestellt ist, haben alle im Katastrophenschutz mitwirkenden Dienststellen den Weisungen der Katastrophenschutzbehörden Folge zu leisten, §19 BWKatSG. Der Polizeivollzugsdienst führt jedoch Weisungen eigenständig aufgrund der Ermächtigungsgrundlagen der Landespolizeigesetze aus 597 . Er ist also auch, wenn nötig, zum Erlaß polizeilicher Verweisungen befugt 598 . Die Schwelle für die Annahme einer Katastrophe nach den Landeskatastrophenschutzgesetzen ist nach der eingangs aufgezeigten Definition der Katastrophe jedoch sehr hoch angesetzt. Die Landeskatastrophenschutzgesetze sind zudem erst einschlägig, wenn erstens eine Katastrophe vorliegt und zweitens, die Katastrophe nach § 18 BWKatSG festgestellt oder Voralarm nach § 22 BWKatSG ausgelöst wurde. Es verbleibt daher bei Schadenssituationen unterhalb der Schwelle einer Katastrophe und bis zur Auslösung des Katastrophenalarms ein breiter Anwendungsbereich allgemeinpolizeilicher Verweisungsmaßnahmen nach den Landespolizeigesetzen zwecks allgemeiner Gefahrenbekämpfung.

593 594 595 596

z. B. § 29 RhPf BKSG; § 28 Abs. 2 BWKatSG; § 46 HBKSG. Klab/Zachertz, § 46 Rdnr. 1. Vogt /Vogt, § 29 Rdnr. 1; Klab/Zachertz, § 51 Rdnr. 1. Z. B. § 4 BWKatSG; § 25 HBKSG; § 2 NKatSG.

597 Vogt/Vogt, § 1 Rdnr. 1. 598 in Baden-Württemberg ist zu beachten, daß dem Polizeivollzugsdienst zum Erlaß von Maßnahmen aufgrund der Generalklausel, auf die die Verweisungsmaßnahmen dort gestützt werden, nur eine Eilzuständigkeit zukommt, s. unten 3. Teil, A.

C. Verweisungsmaßnahmen bei Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 8 GG

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C. Die Anwendung polizeilicher Verweisungsmaßnahmen bei Ausübung der Grundrechte Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 8 GG I. Polizeiliche Verweisungen und das Recht der Informations- und Pressefreiheit 1. Das Recht auf freien Zugang zur Information, Art. 5 Abs. 1 GG Art. 5 Abs. 1 GG gewährleistet neben der Meinungsfreiheit auch das Recht auf freien Zugang zur Information. Beide Rechte stehen gleichwertig nebeneinander, da sich eigene Meinungen ohne gute Information nur schwer bilden lassen 599 . Geschützt wird sowohl die schlichte Informationsaufnahme als auch die Möglichkeit, sich aktiv Informationen zu verschaffen. Art. 5 Abs. 1 GG beschränkt dieses Informationsrecht auf „allgemein zugängliche Quellen". Informationsquelle kann jeder denkbare Träger von Informationen sein. Nicht nur die Information aus Informationsquellen, wie Zeitung, Fernsehen und Akten wird garantiert, sondern auch die Information an der Informationsquelle, also dem Gegenstand der Information, selbst 600 . Die eigene Inaugenscheinnahme eines Verkehrsunfalls, einer Naturkatastrophe, spektakulärer Straftaten oder eines Brandes ist also grundrechtlich ebenso geschützt wie die Information hierüber über die Medien 601 . Solche Ereignisse sind als Informationsquellen auch „allgemein zugänglich". Denn die allgemeine Zugänglichkeit einer Informationsquelle wird bejaht, wenn sie „technisch geeignet und bestimmt ist, der Allgemeinheit, d. h. einem individuell nicht bestimmbaren Personenkreis, Informationen zu verschaffen." 602 Ob eine Information zur Kenntnisnahme durch jedermann bestimmt sein soll oder nicht, bestimmt in der Regel ihr Urheber oder Autor. Der Staat hat nicht das Recht über die allgemeine Zugänglichkeit einer Informationsquelle, deren Urheber er nicht ist, durch rechtliche Regelungen oder Maßnahmen zu entscheiden603. Die hier interessierenden Ereignisse, wie Unglücksfälle oder Naturkatastrophen, sind jedoch aus sich heraus infor-

599 BVerfGE 27, 71 (81); 27, 88 (98 ff.). 600 Herzog, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 5 Abs. 1, 2 Rdnr. 87; Wendt, in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 5 Rdnr. 22; Pieroth/Schlink, Rdnrn. 562 f.; BVerfG, NJW 2001,1633 (1634). 601 Herzog, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 5 Abs. 1, 2 Rdnr. 87; a. A. wohl Löffler/Ricker, 7. Kap., I. Rdnr. 3, nach deren Auffassung praktische Gründe gegen eine Ausweitung des Begriffs der Informationsquelle zugunsten von jedermann sprechen. 602 BVerfGE 27, 71 (83); 28, 175 (188); 33, 52 (65); 90, 27 (32); NJW 2001, 1633 (1634); BVerwGE 47, 247 (252). 603 BVerfGE 27, 71 (83); 90, 27 (32) - Parabolantenne.

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

mativ. Sie haben „von Natur aus keinen Kommunikator", der über die Frage der Kenntnisnahme entscheiden könnte 604 . Sie sind daher per se allgemein zugänglich 6 0 5 . Mit dieser Auffassung im Grundsatz übereinstimmend, lasse es sich nach Meinung Herzogs 606 gleichwohl nicht umgehen, daß „der Gesetzgeber und aufgrund seiner Ermächtigung auch einzelne Organe der zweiten oder dritten Gewalt den vom GG vorgegebenen Begriff der Allgemeinzugänglichkeit interpretieren" und „dadurch die objektiv gegebene Allgemeinzugänglichkeit" ausschließen, „etwa bei Naturkatastrophen oder Unglücksfällen dadurch, daß die Polizei Neugierige zurückdrängt, um die Rettungsarbeiten vor Behinderung zu schützen". Diese Auffassung vermag dogmatisch nicht zu überzeugen. Sie basiert auf rein praktischen Erwägungen und führte letztlich zu Konsequenzen, vor denen auch Herzog selbst warnt: Durch eine einengende Interpretation des Begriffs der „allgemein zugänglichen Quelle" könnten die Grundrechtsschranken des Art. 5 Abs. 2 GG unterlaufen werden 607 . Polizeiabsperrungen oder Verweisungen - etwa zum Zwecke ungestörter Hilfeleistung und Beweissicherung etc. durch die Polizei - schließen nicht die Allgemeinzugänglichkeit aus, sind also keine Tatbestandsbegrenzung, sondern stellen, wie Schmidt-Jortzig 608 zu Recht feststellt, Eingriffe in die Informationsfreiheit dar, die an den Schranken der Informationsfreiheit zu messen sind. Auch wenn es befremdend anmutet, so macht doch ein Schaulustiger - ungeachtet einer moralischen oder ethischen Verwerflichkeit - auch von seinem Informationsrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG Gebrauch.

2. Platzverweise gegenüber Schaulustigen als Eingriff in die Informationsfreiheit Art. 5 Abs. 1 GG gewährt das Recht, sich ungehindert, d. h. „frei von rechtlich angeordneter oder faktisch verhängter staatlicher (..) Behinderung" 609 , aus den allgemein zugänglichen Informationsquellen zu unterrichten. Eingriffe in dieses Recht sind nach Art. 5 Abs. 2 GG nur durch die Vorschriften der allgemeinen Gesetze, den Jugendschutz und das Recht der persönlichen Ehre zulässig. Die Vorschriften der Landespolizeigesetze, insbesondere die polizei- und ordnungsrechtliche Generalklausel, sind allgemeine Gesetze im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG 6 1 0 . 604 Schmidt-Jortzig, in: Isensee / Kirchhof, HdbStRVI, § 141 Rdnr. 32. 605 Schmidt-Jortzig, in: Isensee/Kirchhof, HdbStRVI, § 141 Rdnr. 32; Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 5 Rdnr. 58; Jarass, in: Jarass /Pieroth, Art. 5 Rdnr. 15. 606 Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 5 Abs. 1, 2 Rdnr. 89. Im Ergebnis Löffler/Ricker, 7. Kap., I Rdnr. 3. 607 Herzog, in: Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 5 Abs. 1, 2 Rdnr. 89; Pieroth/Schlink, Rdnr. 564 mit Verweis auf BVerfGE 27, 71 (83). 608 Schmidt-Jortzig, in: Isensee / Kirchhof, HdbStRVI, § 141 Rdnr. 32; ebenso SchulzeFielitz, in: Dreier, GG Bd. I, Art. 5 I, II, Rdnr. 58. 609 Wendt, in: v.Münch / Kunig, GG Bd. 1, Art. 5 Rdnr. 27.

C. Verweisungsmaßnahmen bei Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 8 GG

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Sie richten sich weder gezielt gegen eine bestimmte Meinung oder einen Kommunikationsinhalt noch gegen die Aufnahme von Informationen an sich, sondern dienen „dem Schutze eines schlechthin, ohne Rücksicht auf eine bestimmte Meinung, zu schützenden Rechtsguts"611. Meinungsneutral ist damit auch § 12 S. 2 MEPolG. Durch einen Platzverweis wird zwar die Möglichkeit der Informationsaufnahme für eine gewisse Zeit an einem bestimmten Ort verhindert. § 12 MEPolG untersagt den Zugang zu einem bestimmten Ort aber nicht um einer bestimmten Meinung oder Information Willen, noch dient die Vorschrift dazu, den Prozeß der Meinungsbildung als solchen gezielt zu beeinträchtigen. Sie sucht vielmehr den Schutz der Rechtsgüter Leben, Gesundheit und Eigentum oder der Funktionsfähigkeit des Staates zu gewährleisten. Zur verfassungsrechtlichen Rechtfertigung eines Eingriffs in die Meinungsfreiheit aufgrund der allgemeinen Gesetze muß nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das allgemeine Gesetz im Lichte der besonderen Bedeutung des Art. 5 Abs. 1 GG ausgelegt werden, damit der besondere Wertgehalt dieses Rechts in der freiheitlichen Demokratie gewahrt bleibt 612 . „Die gegenseitige Beziehung zwischen Grundrecht und allgemeinem Gesetz4 ist also nicht als einseitige Beschränkung der Geltungskraft des Grundrechts durch die »allgemeinen Gesetze' aufzufassen; es findet vielmehr eine Wechselwirkung in dem Sinne statt, daß die ,allgemeinen Gesetze' zwar dem Wortlaut nach dem Grundrecht Schranken setzen, ihrerseits aber aus der Erkenntnis der wertsetzenden Bedeutung dieses Grundrechts im freiheitlichen demokratischen Staat ausgelegt und so in ihrer das Grundrecht begrenzenden Wirkung selbst wieder eingeschränkt werden müssen." 613 Das Bundesverfassungsgericht verlangt also eine Rechtsgüterabwägung, die danach fragt, ob die Einschränkung des durch Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Grundrechts geeignet und erforderlich ist, den durch das einfache Gesetz bezweckten Schutz zu erreichen. Dieser muß in einem angemessenen Verhältnis zu den Einbußen stehen, die die Beschränkung für die Freiheit des Art. 5 Abs. 1 GG mit sich bringt 614 . Bei dieser Wechselwirkungslehre handelt es sich somit um eine, den inhaltlichen Besonderheiten des Art. 5 Abs. 1 GG Rechnung tragende Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes 615. Inwieweit Betrachter eines Ereignisses weggewiesen werden können, ist daher im Rahmen des polizeirechtlichen Ermessens anhand einer am jeweiligen Einzel-

610 Wendt, in: v.Münch / Kunig, GG Bd. 1, Art. 5 Rdnr. 74, Stichwort: Polizei- und Ordnungsrecht. 611 BVerfGE 7, 198 (209) - Lüth. 612 BVerfGE 7, 198 (208 f.); 71, 206 (214). 613 BVerfGE 7, 198 (208 f.); 71, 206 (214). 6H BVerfGE 59, 231 (265); 77, 65 (75). Ähnlich BVerfGE 85, 1 (16); 85, 23 (33); 86, 1 (10 f.). 615 Misera-Lang, S. 40; Pieroth/Schlink, Rdnr. 594; Schmidt-Jortzig, in: Isensee / Kirchhof, HdbStR VI, § 141 Rdnr. 43.

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

fall orientierten Abwägung der widerstreitenden rechtlichen Interessen zu beurteilen. Die Anwesenheit einer Person, die ein Geschehen betrachtet, muß zu einer Störung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung führen können. Gehen vom Zuschauer keinerlei Gefahren aus, kann ihm das Betrachten des Ereignisses nicht verboten werden 616 . Liegt eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit vor, wird die Informationsfreiheit dann zurücktreten, wenn, wie etwa bei Unglücksfällen oder Naturkatastrophen, Rechtsgüter von höherem Rang bedroht sind. § 12 S. 2 MEPolG enthält insoweit eine gesetzgeberische Wertentscheidung zugunsten der durch diese Vorschrift mittelbar geschützten Rechtsgüter Leben, Gesundheit, Menschenwürde und Eigentum, aber auch zugunsten der Funktionsfähigkeit des Staates. Dies ist gerechtfertigt, zum einen, weil es sich um akute Gefahren handelt, die schnelle Entscheidungen erfordern, zum anderen, weil dem Bürger die Möglichkeit der Information durch andere Informationsquellen verbleibt, ohne daß hierdurch der Zugang zur Information vereitelt oder unzumutbar verzögert würde. Absperrungen zum Zwecke der Beweissicherung sind ebenfalls unter dem Aspekt der Funktionsfähigkeit und zudem an dem Strafverfolgungsinteresse des Staates zu rechtfertigen. Sobald die Umstände es zulassen und die öffentliche Sicherheit wiederhergestellt ist, ist dem Bürger der Zugang zu der Informationsquelle zu ermöglichen.

3. Platzverweise gegenüber Journalisten Presse- und Medienvertreter leiten ihre Rechte aus der in Art. 5 Abs. 1 S. 2 GG gewährleisteten Pressefreiheit, die von der Beschaffung der Information bis zu deren Verbreitung reicht, ab. Zwar sind die Pressevertreter bei der Informationsbeschaffung im wesentlichen wie der Normalbürger auch auf die allgemein zugänglichen Informationsquellen angewiesen617. Das Bundesverfassungsgericht stuft jedoch den Informationsauftrag der Presse und deren Bedeutung als Kontrollfunktion und Gradmesser der Demokratie hoch ein 6 1 8 , so daß im Umgang mit Pressevertretern bei Absperrungen und Verweisungen andere Maßstäbe gelten können.

a) Das Verhältnis von Presse und Polizei „Es gehört zu den Aufgaben der Medien, mithin zur Pressefreiheit, die Allgemeinheit über Ereignisse von öffentlichem Interesse, u. a. Großveranstaltungen, Unglücksfälle, Demonstrationen, gewalttätige Aktionen oder spektakuläre Krimi616 Bredel S. 10. 617 Zu unterscheiden hiervon ist die vorliegend nicht relevante Frage, ob die Presse auch einen Informationsanspruch gegenüber dem Staat hat, dazu Wendt, in: v.Munch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 5 Rdnr. 35, Stichwort: Informationsanspruch. 618 BVerfGE 20, 162 (174); 50, 234 (239); 52, 283 (296); 66,116 (133).

C. Verweisungsmaßnahmen bei Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 8 GG

175

nalfalle aus unmittelbarer Kenntnis und Beobachtung der Vorgänge zu unterrichten. Die Medien entscheiden in eigener Verantwortung, in welchem Umfang und in welcher Form sie berichten. Aufgabe der Polizei ist es, Gefahren abzuwehren und Straftaten zu verfolgen. Im Spannungsfeld zwischen journalistischer und polizeilicher Tätigkeit kann es zu Situationen kommen, in denen sich jede Seite durch die jeweils andere behindert fühlt." Mit diesen Worten beschreiben die „Verhaltensgrundsätze zwischen Presse und Polizei zur Vermeidung von Behinderungen bei der Durchführung polizeilicher Aufgaben und der freien Ausübung der Berichterstattung" 619 das Verhältnis zwischen Presse und Polizei. Bredel 620 fügt hinzu: „Journalisten wollen mit den Ereignissen auf Tuchfühlung gehen, filmen, fotografieren, mit Beteiligten sprechen, Atmosphäre einfangen und Details erkennen. Die Polizei will Beweise sichern, Straftäter festnehmen, dem Recht zum Durchbruch verhelfen. Dabei steht man sich zunächst einmal ganz vordergründig betrachtet oft räumlich im Weg." Beispiele, bei denen der Interessenkonflikt zwischen Presse und Polizei mit Platzverweisen gelöst werden mußte, gibt es zahlreiche. So ignorierten Journalisten beim „Gladbecker Geiseldrama" am 18. August 1988 den Platzverweis, während die Geiselnehmer in der Kölner Fußgängerzone Presseinterviews gaben. Journalisten erhalten Platzverweise, wenn sie Rettungsmannschaften behindern 621 . Bombendrohungen gegenüber öffentlichen Einrichtungen verlangen nach einer weiträumigen Absperrung, auch für Journalisten 622. Schließlich zielte der niedersächsische Gesetzgeber bei der Neufassung der Vorschrift Platzverweisung darauf ab, mit dem Platzverweis eine Handhabe gegenüber Journalisten zu haben, sei es um die Journalisten vor eigener Gefährdung zu schützen, sei es um Störungen durch die Pressevertreter zu verhindern 623 .

b) Polizeifestigkeit

der Pressefreiheit?

Die Möglichkeit einer Platzverweisung gegenüber Journalisten ist nicht unumstritten. Nach Auffassung Alberts 624 scheitere ein Platzverweis gegenüber Pressevertretern an der Polizeifestigkeit der Pressegesetze625. Soweit dieses Privileg rei619 AfP 1993, 646 f.; die Verhaltensgrundsätze wurden von den Innenministern des Bundes und der Länder erarbeitet. Vgl. auch die gleichlautende VerwaltungsVorschrift des Innenministeriums Baden-Württemberg v. 24. 02. 1994, abgedruckt in GABI. BW 1994, 149 f. 620 Bredel, S. 88.

621 Bredel, S. 88 mit Verweis auf das Grubenunglück in Borken am 01. 06. 1988. 622 Vgl. die Absperrung bei Bombendrohung anläßlich der Wehrmachtsausstellung in Saarbrücken, Quelle: SWR 3 am 09. 03. 1999; Verweisungen auch der Journalisten bei Bombenbedrohung der Frankfurter Börse am 26.04. 2001, Quelle: n-tv, vom selben Tag. 623 Vgl. Entwurf NGefAG 1994, Nds. LT-Drs. 12/4140, zu Art. I Nr. 13, S. 54. 624 Alberts/Merten/Rogosch, § 12 a Rdnr. 3. 625 Speziell an § 1 Abs. 2 HambPressG.

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

che, seien Maßnahmen nach Landesrecht ausgeschlossen. Dies gelte auch bei Selbstgefährdungen durch Pressevertreter, die - außer in dem engen Bereich konkreter Lebensgefährdung - von der Polizei hingenommen werden müßten. Etwas anderes gelte jedoch, wenn Pressevertreter strafprozessuale Ermittlungshandlungen störten, da § 164 StPO als Bundesrecht nicht von dem landesrechtlichen Privileg der Presse erfaßt werde 626 . Dieser Auffassung kann nicht gefolgt werden. Weder Verfassungsrecht noch die Landespressegesetze schließen generell polizeiliche Maßnahmen gegenüber Presseorganen aus. Zutreffend ist zwar, daß die Pressegesetze speziell sind und, soweit ihr Anwendungsbereich reicht, eine Anwendung des allgemeinen Polizeirechts ausgeschlossen ist. Die Landespressegesetze betreffen jedoch nur den geistigen Inhalt der Presseerzeugnisse und die davon ausgehenden Gefahren für die öffentliche Sicherheit 627 . Nur insoweit sind sie abschließend und schließen allgemeines Polizeirecht aus. Im übrigen ist die Presse denjenigen Gesetzen unterworfen, die für jedermann gelten. Dies stellen die Landespressegesetze zum Großteil ausdrücklich klar 6 2 8 . Beschränkungen, die den äußeren Rahmen der Pressetätigkeit und nicht deren Inhalt betreffen, sind also nach Polizeirecht, auch mit Hilfe der Generalklausel, möglich. Ein Platzverweis aus Gründen der Gefahrenabwehr für die öffentliche Sicherheit betrifft grundsätzlich die äußeren Umstände der Pressetätigkeit 629. Der Platzverweis kann sich allenfalls dadurch auf den Inhalt der Berichterstattung auswirken, daß die Presse nicht aus eigener Kenntnis über ein Ereignis berichten kann, sondern auf Informationen der Polizei angewiesen ist. In Ziffer 5 der Verhaltensgrundsätze zwischen Presse und Polizei 630 wird die Geltung polizeilicher Verweisungsmaßnahmen für Presse- und Medienvertreter auch ausdrücklich klargestellt: „Insbesondere bei Unglücksfällen, Katastrophen und Fällen von Schwerstkriminalität beachten die Medien, daß die Rechtsgüter Leben und Gesundheit von Menschen Vorrang vor dem Informationsanspruch der Öffentlichkeit haben." Und weiter heißt es in Ziffer 10 der Verhaltensgrundsätze: „Die Polizei unterstützt bei ihren Einsätzen, auch bei Geiselnahmen und Demonstrationen, die Medien bei ihrer Informationsgewinnung. Andererseits sollen die Medienvertreter polizeiliche Einsätze nicht behindern. Auch für sie gelten die polizeilichen Verfügungen, wie z. B. Absperrmaßnahmen und Räumungsaufforderungen, es sei denn, daß Ausnahmen zugelassen werden." Auch wenn den Verhaltensgrundsätzen lediglich der Charakter einer Verhaltensempfehlung bzw. Verwal626 Alberts/Merten/Rogosch, § 12aRdnr. 3. 627 Drews/Vogel/Wacke/Martens, § 18, 2 c (S. 275); Löffler, zu § 1 LPG Rdnr. 193; Würtenberger/Heckmann/Riggert, Rdnr. 199. 628 Vgl. z. B. § 1 Abs. 5 BWPressG; weitere Nachweise bei Löffler, § 1 LPG Rdnrn. 1 -

16.

629 So auch Degenhart, in: BK, Art. 5 Abs. 1 u. 2, Rdnr. 574, ausdrücklich mit Bezug auf Anwesenheitsbeschränkungen von Reportern bei Katastrophenfällen noch in der Vorauflage, Stand Juni 1988, Rdnr. 470; Rasch, DVB1. 1987, 194 (198). 630 AfP 1993, 646 f.; vgl. auch in diesem Teil Fn. 619.

C. Verweisungsmaßnahmen bei Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 8 GG

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tungsvorschrift zukommt, so wiederholen die Ziffern 5 und 10 der Verhaltensgrundsätze jedoch geltendes Recht und weisen zugleich auf die bestehende Verpflichtung der Polizei hin, im Rahmen ihres Ermessens zu prüfen, ob und inwieweit Ausnahmen von der Geltung der allgemeinen Vorschriften im Interesse der Pressefreiheit möglich sind.

c) Der Ausgleich von Informationsauftrag und Rechtsgüterschütz im Rahmen des polizeilichen Ermessens Der Informationsauftrag privilegiert also Journalisten gegenüber der Allgemeinheit. Die Abwägung kann im Einzelfall daher anders als gegenüber der Allgemeinheit ausfallen. Diese Ungleichbehandlung rechtfertigt sich neben der hohen Bedeutung der Pressefreiheit für die Demokratie auch dadurch, daß die Anwesenheit einzelner Journalisten nicht zwingend eine Störung darstellt. Anders als bei Schaulustigen besteht die Gefahr der Nachahmung vielfach nicht, so daß ein Journalist trotz einer allgemeinen Absperrung im Einzelfall zur Berichterstattung anwesend sein darf 631 . Zudem besteht für die Allgemeinheit anschließend die Möglichkeit, sich aus der Presse als einem vom Staat unabhängigen Organ zu informieren, so daß dem Informationsanspruch Rechnung getragen werden kann. Angesichts der hohen Bedeutung der Pressefreiheit darf der Platzverweis oder das Betretungsverbot für den Journalisten nur ultima ratio sein. Die Gründe, die eine Abwesenheit auch der Journalisten erfordern, sind jedoch die gleichen wie bei einer Einschränkung der Informationsfreiheit gegenüber der Allgemeinheit. Auch hier können im wesentlichen Beweissicherungsmaßnahmen, die Funktionsfähigkeit des Staates oder Gefahren für höherrangige Rechtsgüter Dritter als Grund für die Absperrung in Betracht kommen. Ein gewisser Unterschied besteht allerdings bei Gefährdung eigener Rechtsgüter. Zwar wurde auch der Allgemeinheit ein bestimmtes Maß an Selbstgefährdung zugebilligt, eine gewisse Selbstgefährdung gehört jedoch zum Berufsrisiko eines Journalisten. Da dieses Risiko auch durch entsprechende Versicherungen abgedeckt ist 6 3 2 , ist anders als bei sonstigen Selbstgefährdungen auch nicht die Allgemeinheit betroffen. Journalisten kann daher auf eigene Gefahr zu einem Gefahrengebiet Zutritt gewährt werden, wenn sie über die Gefahr aufgeklärt wurden oder imstande waren, diese Gefahr objektiv zu erkennen 6 3 3 . Bei akuter Lebensgefahr, etwa bei einer Bombendrohung oder Einsturzgefahr eines Gebäudes, dürfte die Polizei gleichwohl verpflichtet sein, dem Pressevertreter einen Platzverweis zu erteilen und diesen gegebenenfalls auch mit ent-

631 Ausführlich dazu bei Bredel, S. 87 ff., der daraufhinweist, daß die Presse häufig durch die Polizei von einem Ereignis informiert wird, was deutlich macht, daß eine Absperrung nicht zwingend auch für Journalisten gelten muß. 632 Vgl. Alberts/Merten/Rogosch, § 12 a Rdnr. 3; Bredel, S. 89. 633 Bredel, S. 89.

12 Neuner

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

sprechenden Zwangsmitteln durchzusetzen 634. Dies gilt freilich dann in jedem Falle, wenn etwa bei akuter Seuchengefahr in einem Hochwassergebiet eine Ansteckungsgefahr darüber hinaus auch für Dritte besteht. Das Anwesenheitsverbot darf jedoch keinesfalls dazu führen, daß die Journalisten gar nicht über das Ereignis berichten können. Andernfalls würde unzulässig auf Presseinhalte Einfluß genommen werden. Dies ist jedoch eine hier nicht weiter zu verfolgende Frage der Zulässigkeit von Informationssperren. Journalisten sind daher, sobald es die zu schützenden Rechtsgüter zulassen, über das Ereignis zu informieren und gegebenenfalls zum Ort des Geschehens zuzulassen. Die Entscheidung über den Platzverweis sowie dessen zeitliche und räumliche Ausdehnung hat entsprechend der Wechselwirkungstheorie des Bundesverfassungsgerichts auch hier im Lichte der Pressefreiheit und unter strikter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Das Bundesverfassungsgericht hat für die Informationsfreiheit ausgeführt, daß auch eine unzumutbare Verzögerung des Informationszugangs einen Eingriff in Art. 5 GG darstellt 635 . Stellt nur die Anwesenheit der Journalisten unmittelbar vor Ort eine Gefahr oder Störung dar, kann es im Einzelfall dem Pressevertreter erlaubt sein, aus weiterer Entfernung, etwa hinter der Absperrung, zu berichten 636 . Auch in diesem Fall sind nur die äußeren Umstände der Berichterstattung betroffen. Zu berücksichtigen innerhalb des Ermessens ist auch, daß die Polizei nicht nur einzelnen Pressevertretern den Zutritt gewähren darf und anderen nicht, es sei denn, es lägen für die mit dem Ausschluß einiger Journalisten einhergehende Ungleichbehandlung sachliche Gründe vor. Die Polizei muß daher im Rahmen ihres Ermessens beurteilen, ob und gegebenenfalls wie lange der Platzverweis andauern muß und wie lange der Journalist die Absperrung zu beachten hat.

II. Polizeiliche Verweisungen im Bereich grundrechtlich geschützter Versammlungen und Demonstrationen 1. Die Bedeutung von Platzverweis und Aufenthaltsverbot im Versammlungsrecht Im Bereich des Demonstrations- und Versammlungsrechts wird dem polizeilichen Platzverweis eine besondere Bedeutung nachgesagt637. In der Tat ergeht kaum eine Nachrichtenmeldung über Versammlungen oder Demonstrationen, die 634 BVerfGE 46, 160 (164): der Staat hat sich schützend vor das Leben zu stellen. 635 BVerfGE 27, 88 (98); Jarass, in: Jarass/Pieroth, Art. 5 Rdnr. 19. 636 So auch Bredel S. 89 f. 637 Berner/Köhler, 16. Aufl., Art. 16 Rdnr. 1; Knemeyer, Rdnr. 216; vgl. auch Schioer, DÖV 1991, 955 ff., der den typischen Anwendungsbereich des polizeilichen Platzverweises bei Versammlungen und Demonstrationen sieht. Auffallend auch die breiten Ausführungen

C. Verweisungsmaßnahmen bei Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 8 GG

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nicht über die Anzahl der dabei erteilten Platzverweise und Ingewahrsamnahmen berichtet. Zahlreiche Beispiele aus der Rechtsprechung zeigen zudem, daß die Frage, wann im Zusammenhang mit Versammlungen ein Platzverweis rechtmäßig ergehen kann, für die Verwaltungspraxis von großem Interesse ist 6 3 8 . Schließlich zeigt sich auch die Gesetzgebung der Landespolizeigesetze durch das Versammlungsrecht beeinflußt: So war es ein erklärtes Ziel des bayerischen Gesetzgebers im Jahre 1954, mit dem Platzverweis der Polizei ein Instrument zur Verfügung zu stellen, um gegen „hartnäckige Versammlungsstörer" vorzugehen 639 - und dies, obwohl das Versammlungsgesetz zu diesem Zeitpunkt bereits in Kraft getreten war 6 4 0 . Nach den neueren Vorschriften zum Aufenthaltsverbot soll das Versammlungsrecht zwar „unberührt bleiben" 641 , letztlich gaben aber gerade versammlungsartige Veranstaltungen wie die „Chaos-Tage" Anlaß, über die Einführung eines über den einfachen Platzverweis hinausgehenden Aufenthaltsverbots nachzudenken 642 . Ist daher, wie Schoch 643 meint, der grundrechtliche Bezug der Maßnahme Platzverweis in Art. 8 GG, dem Recht, sich friedlich und ohne Waffen zu versammeln, zu suchen?

zum Versammlungsrecht im Rahmen der Kommentierungen des Platzverweises z. B. bei Berner/Köhler, 16. Aufl., Art. 16 Rdnrn. 6 ff.; König, Hans-Günther, Art. 16 Anm. II. 3. 638 Vgl. BVerfGE 84, 203 ff., Vorinstanz: VGH Mannheim, NVwZ-RR 1990, 602 f. (Platzverweis gegenüber externen Störern); BVerfG, NVwZ 1999, 290 ff. (Platzverweis und Wasserwerfereinsatz nach Versammlungsauflösung); VG Bremen, NVwZ 1986, 862 ff.; 2. Instanz: OVG Bremen, NVwZ 1987, 235 ff., 3. Instanz: BVerwG, NVwZ 1988, 250 f. (Platzverweis statt Auflösung); LG München, ArbuR 1994, 384 ff. - Weltwirtschaftsgipfel (Abdrängen als konkludenter Platzverweis statt Auflösung); VGH Mannheim, NVwZ 1990, 163 ff. („Platzverweis" während einer Versammlung); VG Frankfurt a. M., NVwZ 1998, 770 ff. (Platzverweis für das gesamte Stadtgebiet gegenüber Teilnehmern einer Versammlung). 639 Begründung zu Art. 16 PAG 1954, Verhandlungen des Bayr. LT, 4. Tagung 19531954, Beilagenband 6, Beilage 4660 v. 06. 10. 1954, Stb BB V I I Nr. 220, S. 21. 640 Gesetz über Versammlungen und Aufzüge (Versammlungsgesetz) v. 24. 07. 1953 (BGBl. I, S. 684), mit zwischenzeitlichen Änderungen, Neufassung BGBl. I 1989, S. 1059 mit Änderungen. 641 Vgl. § 17 Abs. 2 S. 4 NGefAG; § 29 Abs. 2 S. 4 BlnASOG; § 21 Abs. 2 S. 3 SächsPolG; § 36 Abs. 2 S. 4 SOG LSA; § 16 Abs. 2 S. 4 BbgPolG; § 14 Abs. 2 S. 4 BremPolG; § 52 Abs. 3 S. 4 MVSOG. Diese Vorschrift ist Konsequenz einer vorangegangen heftigen Diskussion über die Verträglichkeit eines Aufenthaltsverbots mit den Vorschriften des Versammlungsrechts, vgl. dazu Denninger, in: Stokar/Gössner, S. 35 (36); Vultejus, in: Stokar/Gössner, S. 58 (60); Seifert, KJ 1996, 356 ff. 642 Vgl. die Gesetzesentwürfe der SPD-Fraktion, Nds. LT-Drs. 13/1723, S. 3 ff. und der CDU-Fraktion, Nds. LT-Drs. 13/1440 (neu), zu § 17 Abs. 2 NGefAG, S. 13 f., sowie die stenogr. Prot. Nds.-LT, 13. WP, 37. Sitzung, v. 25. 10. 1995, S. 4142 ff.; vgl. auch VG Hannover, NVwZ-RR 1997, 622 f., das die Chaos-Tage als Versammlung i. S. d. Art. 8 GG qualifiziert hat, sowie die Begründung zum Entwurf zu § 21 SächsPolG, Sächs. LT-Drs. 2/7794, S. 18. 643 Schoch, JuS 1994,479 (483). 12*

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

Anwendungsbereiche für einen Platzverweis vor, während und nach einer Versammlung gäbe es genug: gegenüber einzelnen unfriedlichen Teilnehmern, gegenüber Personen, die eine Versammlung von außen verhindern oder stören wollen, gegenüber der gesamten Versammlung, um die Versammlung an einem bestimmten Ort zu verhindern oder um Versammlungsverboten von vornherein Nachdruck zu verleihen. Die Anwendung des präventivpolizeilichen Platzverweises im Zusammenhang mit Versammlungen ist jedoch in mehrfacher Hinsicht problematisch. Zum einen enthält das Versammlungswesen mit dem Versammlungsgesetz ein echtes Spezialgesetz im Sinne des Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG, das im Rahmen seiner Reichweite den Vorschriften des allgemeinen und besonderen Polizeirechts vorgeht, den Rückgriff auf den allgemeinpolizeilichen Platzverweis der Landespolizeigesetze also in Frage stellt. Dies gilt um so mehr, als das Versammlungsgesetz mit Teilnehmerausschluß und Auflösung selbst Eingriffsinstrumente zur Verfügung stellt, die - ähnlich wie der Platzverweis - eine Entfernungspflicht nach sich ziehen. Zum anderen prägt die Bedeutung des Art. 8 GG die Diskussion um die Anwendbarkeit allgemeinpolizeilicher Maßnahmen. Behauptungen wie, das Grundrecht der Versammlungsfreiheit sei „polizeifest", lassen von vornherein Zweifel an der Zulässigkeit von Platzverweisen bei Versammlungen aufkommen. Nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts im Brokdorf-Beschluß 644 werden überdies behördliche Maßnahmen, „die über die Anwendung grundrechtsbeschränkender Gesetze hinausgehen und etwa den Zugang zu einer Demonstration" beschränken oder erschweren, wegen Art. 8 GG für unzulässig erachtet. Gerade der Platzverweis kann aber faktisch zu einem vorübergehenden oder endgültigen Versammlungsausschluß führen. Und schließlich scheint auch derzeit das Zitiergebot Eingriffen in Art. 8 GG aufgrund der Landespolizeigesetze Grenzen zu ziehen. Denn diese nennen allesamt Art. 8 GG nicht als einschränkbares Grundrecht mit der Folge, daß Eingriffe aufgrund der Polizeigesetze wegen Verstoßes gegen Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG nichtig sein könnten. Im folgenden wird zu klären sein, inwieweit im Rahmen des Versammlungswesens polizeiliche Verweisungen zulässig sind und ob hierfür neben den versammlungsgesetzlichen Eingriffsbefugnissen überhaupt ein Bedürfnis besteht. Diese Frage läßt sich jedoch nicht beantworten, ohne zuvor auf das grundsätzliche Verhältnis von Versammlungsrecht und allgemeinem Polizeirecht einzugehen. Zunächst muß daher die Reichweite der grundrechtlichen Gewährleistung der Versammlungsfreiheit abgesteckt und gleichzeitig geprüft werden, welche Maßstäbe Art. 8 GG für polizeiliche Eingriffsbefugnisse setzt (unter 2.). Anschließend wird das Verhältnis von Versammlungs- und Polizeirecht allgemein beleuchtet (unter 3.), ehe dann die möglichen Anwendungsfelder des Platzverweises und sonstiger Verweisungsmaßnahmen bei Versammlungen und Demonstrationen bestimmt werden können (unter 4.).

644 BVerfGE 69, 315 (349); Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 142.

C. Verweisungsmaßnahmen bei Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 8 GG

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2. Der Schutzbereich des Art. 8 GG a) Der Begriff der Versammlung Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistet allen Deutschen das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. Die Abgrenzung einer Versammlung im Sinne des Art. 8 GG bzw. des Versammlungsgesetzes645 von bloßen Menschenansammlungen bereitet zunehmend Schwierigkeiten. Klarheit über den Versammlungsbegriff ist aber notwendig, weil sowohl Art. 8 GG als auch das Versammlungsgesetz Maßstäbe für ein Vorgehen gegen eine Versammlung und deren Teilnehmer setzen. Die Abgrenzung ist für die Veranstalter und Teilnehmer aber auch wegen eventuell entstehender Polizei- und Straßenreinigungskosten von Bedeutung. Während gegenüber zufällig zusammengefundenen Menschenansammlungen, etwa Schaulustigen, ein Vorgehen mittels Platzverweises nach den Landespolizeigesetzen unproblematisch zulässig ist 6 4 6 , bestehen Zweifel dann, wenn die Menschenansammlung als Versammlung im Sinne des Art. 8 GG bzw. des Versammlungsgesetzes qualifiziert werden könnte. Probleme bereitet weniger das Bild klassischer Versammlungen, wie Friedensdemonstrationen, Protesten gegen Atomkraftwerke oder Castor-Transporte, Kundgebungen gegen die Arbeitslosigkeit oder für eine bessere Bildung: sie alle befassen sich mit politisch brisanten und damit öffentlichen Themen - einem Bereich, der dem Versammlungsrecht historisch bedingt immanent ist 6 4 7 . Neue demonstrative Ausdrucksformen und Themen, spektakuläre Aktionen, mit denen Bürger versuchen, ihrem Unmut Luft zu machen oder eigene Lebensprinzipien aufzuzeigen, fordern aber, nicht zuletzt wegen der vom Bundesverfassungsgericht immer wieder betonten herausragenden Bedeutung der Versammlungsfreiheit, eine sorgfältige Auseinandersetzung mit dem Versammlungsbegriff. Ist ein Zeltlager gegen ihre Abschiebung demonstrierender Roma eine Versammlung 648? Steht die demonstrative Erzwingung eines Sozialplans unter dem Schutze des Art. 8 GG 6 4 9 ? Und wie ver645

Beide Versammlungsbegriffe sind identisch (str.), dazu Zeitler, Rdnr. 11.

Versammlungsrecht,

646 Unstreitig müssen die Versammelten nämlich eine innere Verbindung haben, diese auch wollen und sich dieser bewußt sein. Demzufolge ist ein zufälliges Zusammenkommen vom Versammlungsbegriff von vornherein auszuklammern. Allerdings kann sich aus einer Ansammlung spontan eine Versammlung bilden, etwa bei gemeinsamem Protest der Zuschauer gegen das Vorgehen eines Polizeibeamten, vgl. dazu Zeitler, Versammlungsrecht, Rdnrn. 8 f.; Pieroth/Schlink, Rdnr. 689. 647 Vgl. Bertuleit/Steinmeier, in: Ridder u. a., § 1 Rdnr. 16. Aus der Rechtsprechung vgl. BVerfGE 69, 315 ff. (Atomenergie); BVerfGE 73, 206 ff. (Rüstpolitik); BVerfGE 56, 63 ff. (Politische Partei). 648 Bejahend: OVG Münster, NVwZ 1992, 857 (859); VG Düsseldorf, NVwZ-RR 1992, 185. Ablehnend, wenn das in näherer Umgebung des Versammlungsortes errichtete Zeltlager nur der „Übernachtungsmöglichkeit mit Verpflegung" dient: VG Karlsruhe, Urt. v. 14. 02. 2001, Az.: 4 K 3227/00, S. 11 ff. 649 Bejahend: VGH Kassel, NJW 1994, 1750.

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

hält es sich mit Straßenfesten 650, Infoständen 651, Veranstaltungen mit unterhaltendem oder religiösem Charakter 652 oder neuerdings den Chaos-Tagen653, TechnoParaden und Wagenburgen 654? Es bedarf keiner besonderen Erwähnung, daß gerade die zuletzt genannten Lebensformen Anlaß für rechtliche und gesellschaftliche Auseinandersetzungen bieten können und ein polizeiliches Einschreiten, mitunter auch mit dem Instrument der Verweisung, notwendig machen. Die Beantwortung der aufgeworfenen Fragen hängt davon ab, ob man als Voraussetzung für die Eröffnung des Grundrechtsschutzes des Art. 8 GG ausschließlich die Kundgabe und Erörterung von Meinungen fordert - so die Vertreter des engen und des vermittelnden Versammlungsbegriffs - oder ob man, einem extensiven Freiheitsverständnis folgend, auf das meinungsäußernde und -darstellende Element verzichtet und zweckfrei jedes Zusammenkommen genügen läßt - so der weite Versammlungsbegriff 655. Die Vertreter des engen und des vermittelnden Versammlungsbegriffs verstehen Art. 8 GG als Komplementärgarantie zum Grundrecht der Meinungsfreiheit in Art. 5 Abs. 1 GG, wobei allerdings Uneinigkeit darüber besteht, ob sich die Versammlung mit ausschließlich öffentlichen Angelegenheiten befassen muß (enger Versammlungsbegriff) 656 oder ob die Kundgabe jeglicher, also auch privater Themen genügt (vermittelnder Versammlungsbegriff) 657. Die Befürworter des weiten Versammlungsbegriffs interpretieren Art. 8 GG dagegen als Komplementärgarantie zu Art. 2 Abs. 1 GG und wollen die individuelle Selbstentfaltung in Gruppenform gesichert wissen, um so dem menschlichen Bedürfnis nach Gemeinschaft Rechnung zu tragen 658 . Erfaßt seien danach auch das

650 Ablehnend: VGH München, NVwZ-RR 1994, 581 (L); kritisch dazu Kniesel, NJW 1996, 2606 (2611). Bejahend: VGH Mannheim, DVB1. 1995, 361; wohl auch BVerwGE 82, 34 (39). 651 Ablehnend: BVerfG, NJW 1977,671. 652 z. B. Fußballspiele, Konzerte oder Kirchentage. 653 Dazu VG Hannover, NVwZ-RR 1997, 622; NdsVBl. 1998, 147 (148). 654 Dazu Deger, NJW 1997, 923 ff. und jetzt BVerfG, NJW 2001, 2459 ff. - Love-Parade. 655 Dem weiten Versammlungsbegriff folgen Herzog, in: Maunz/Dürig/ Herzog /Scholz, Art. 8 Rdnrn. 13 ff. und 49 ff. (51); Benda, in: BK, Art. 8 Rdnrn. 28 ff.; Bleckmann, § 29 Rdnrn. 14 f.; Pieroth/Schlink, Rdnr. 693; Kniesel, NJW 1992, 857 (858), der aber zwischen dem verfassungsrechtlichen und versammlungsgesetzlichen Versammlungsbegriff differenziert. 656 So vertreten von BayVGH, BayVBl. 1979, 629 (630); KG Berlin, NJW 1985, 209; wohl auch VG Hamburg, NVwZ 1987, 829 (830). Weitere Nachweise bei Dietel/Gintzel/ Kniesel, § 1 Rdnr. 9. 657 So die h. M., vgl. Frowein, NJW 1969, 1081 (1082); Hesse, Rdnr. 405; Kunig, in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 8 Rdnr. 17; Ehrentraut, S. 103 ff.; Zeitler, Versammlungsrecht, Rdnr. 23; Ott/Wächtler, § 1 Rdnr. 1; Berner/Köhler, 16. Aufl., Art. 16 Rdnr. 6. Aus der Rechtsprechung: BVerwGE 82, 34 (38 f.); VGH Mannheim, NVwZ-RR 1995, 271 f.; OVG Weimar, NVwZ-RR 1998,498. 658 Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 8 Rdnrn. 13 und 49 ff.; zustimmend Pieroth/Schlink, Rdnr. 690 (693); Benda, in: BK, Art. 8 Rdnr. 28.

C. Verweisungsmaßnahmen bei Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 8 GG

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gemeinsame Musizieren oder sonstige Veranstaltungen, bei denen die Teilnehmer eine innere Verbindung haben. Das Bundesverfassungsgericht tendiert zu dem vermittelnden, am Grundrecht der Meinungsfreiheit orientierten Versammlungsbegriff, wenn es die Versammlungsfreiheit im Brokdorf-Beschluß zwar als „Ausdruck gemeinschaftlicher, auf Kommunikation angelegter Entfaltung" 659 ansieht, im weiteren Kontext der Entscheidung das Grundrecht aber als „Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe" und als die „gemeinsame körperliche Sichtbarmachung von Überzeugungen" bezeichnet660. In neueren Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht diese Auffassung bestätigt und sieht in Art. 8 GG das Recht gewährleistet, sich „im Interesse einer gemeinschaftlichen Meinungsbildung und Meinungskundgabe" friedlich und waffenlos zu versammeln 661. Für die Eröffnung des Schutzbereichs des Art. 8 GG reiche es nicht aus, daß „die Teilnehmer bei ihrem gemeinschaftlichen Verhalten durch irgendeinen Zweck miteinander verbunden" seien 662 . Im Rahmen dieser Arbeit ist eine tiefergehende Auseinandersetzung mit dem Für und Wider der unterschiedlichen Auffassungen nicht geboten 663 . Es sprechen jedoch gute Gründe für den auch vom Bundesverfassungsgericht favorisierten vermittelnden Versammlungsbegriff. Die Komplementärfunktion der Versammlungsfreiheit zur Meinungsfreiheit wird an der historischen Entwicklung des Grundrechts deutlich, denn es waren gerade die politischen, also die der Meinungsbildung dienenden Versammlungen, die wegen des in ihnen liegenden Gefährdungspotentials 664 einerseits und ihrer Unerwünschtheit andererseits der Gefahr staatlicher Reaktionen ausgesetzt waren. Bis in die jüngste Vergangenheit sind politische Versammlungen immer wieder Anlaß heftiger Auseinandersetzungen zwischen Staat und Bürger oder auch politisch Andersdenkenden. Zusammenkünfte, die sich in dem gemeinsamen Willen zum Beieinandersein erschöpften, mithin Veranstaltungen rein gesellschaftlicher Art, waren solchen staatlichen Übergriffen dagegen nicht oder in nur geringem Maße ausgesetzt; ihnen fehlt daher die besondere Schutzbedürftigkeit der Versammlung politischen oder meinungsbildenden Inhalts. Art. 1 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG vermag sie ausreichend zu schützen665. Der weite Versammlungsbegriff trägt zudem der Funktion von Versammlungen als Forum „zur öffentlichen Einflußnahme auf den politischen Prozeß, zur Entwicklung pluralistischer Initiativen und Alternativen oder auch zu Kritik und Protest" 666 659 BVerfGE 69, 315 (343). Wegen dieser Passage nehmen übrigens auch die Vertreter des weiten Versammlungsbegriffs das Bundesverfassungsgericht für sich ein, vgl. Pieroth/ Schlink, Rdnr. 693. 660 BVerfGE 69, 315 (345).

661 BVerfGE 84, 203 (209). 662 BVerfG, NJW 2001, 2459 (2460) - Love-Parade. 663 Umfassend dazu und interessant wegen des Vergleichs zum amerikanischen Recht Ehrentraut, S. 96 ff. 664 Ehrentraut, S. 98. 665 Ehrentraut, S. 100; Zeitler, Versammlungsrecht, Rdnr. 26.

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

nicht ausreichend Rechnung. Diese für die freiheitlich demokratische Grundordnung und die politische Willensbildung hohe Bedeutung des Versammlungsgrundrechts hat das Bundesverfassungsgericht mehrfach betont 667 . Gleichwohl verbietet es sich, mit den Vertretern des engen Versammlungsbegriffs ausschließlich auf „öffentliche Angelegenheiten" abzustellen. „Öffentlich" sind Angelegenheiten nämlich nur, wenn sie vom lokalen bis internationalen Bereich im Interesse der Allgemeinheit liegen oder für diese von Bedeutung sind 668 . Dieser Begriff besitzt nicht nur wenig klare Konturen, so daß im Hinblick auf das rechtsstaatliche Bestimmtheitsgebot Bedenken bestehen. Er vermag auch entgegenstehende oder unpopuläre Auffassungen von Minderheiten und Meinungen einzelner nicht zu erfassen. Gerade das Einbringen dieser Auffassungen in die öffentliche Diskussion ist aber für die demokratische Willensbildung unverzichtbar 669. Eine Beschränkung auf rein öffentliche Angelegenheiten würde überdies auch den heutigen Vorstellungen der pluralistischen Gesellschaft zuwiderlaufen. Bestätigt wird dieses Ergebnis durch einen systematischen Vergleich zur Meinungsfreiheit: auch Art. 5 Abs. 1 GG schützt jede Art der Meinungsäußerung, ob politisch oder unpolitisch, ob öffentlich oder privat 670 . Der Schutz des Art. 8 GG wird schließlich „nicht auf Veranstaltungen beschränkt, auf denen argumentiert und gestritten wird, sondern er umfaßt vielfältige Formen gemeinsamen Verhaltens bis hin zu nichtverbalen Ausdrucksformen", soweit dadurch Meinungen zum Ausdruck gebracht werden 6 7 1 . Musik- und Tanzveranstaltungen, wie etwa Techno-Paraden, haben demnach den Charakter einer Versammlung, wenn sie dazu dienen, Meinungen gleich welcher Art zum Ausdruck zu bringen. Alljährlich stehen einige dieser Paraden unter Mottos wie „Toleranz", „Frieden" oder „Völkerverständigung". Ihnen kann dann nach allen drei Versammlungsbegriffen der Versammlungscharakter nicht ungeprüft abgesprochen werden. Erschöpft sich der tatsächliche Gehalt einer solchen Veranstaltung aber in dem gemeinsamen Musikhören und Tanzen, ohne daß ein bestimmtes Anliegen zur Meinungsäußerung oder -bildung erkennbar ist, kann nach dem hier vertretenen Versammlungsbegriff keine Versammlung angenommen werden 672 . Dann reichen auch schlagwortartige Mottos politischen Inhalts nicht aus, den Schutzbereich des Art. 8 GG zu eröffnen. Auch das Demonstrieren einer 666 667 668 669 670

Hesse, Rdnr. 404. BVerfGE 20, 56 (98); 69, 315 (348 ff.). Ehrentraut, S. 105; Zeitler, Versammlungsrecht, Rdnr. 17. Zeitler, Versammlungsrecht, Rdnr. 18. Pieroth/Schlink, Rdnr. 550.

671 BVerfGE 69, 315 (343). Vgl. auch BVerwGE 82, 34 ff. - „Europa von unten", Versammlung in Form eines Volksfestes mit Info- und Imbißständen sowie kulturellen Darbietungen. 672 So verhält es sich zum Beispiel mit einer „Abi-Parade", bei der Abiturienten im Stil einer Techno-Parade tanzend durch die Innenstadt ziehen und ihr Abitur feiern. Eine solche Veranstaltung ist von Art. 2 Abs. 1 GG ausreichend geschützt.

C. Verweisungsmaßnahmen bei Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 8 GG

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bestimmten Lebensart oder -einstellung könnte unter Umständen meinungskundgebenden Charakter haben. Das VG Hannover 673 hat die sogenannten „Chaos-Tage" als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes angesehen, da die Besucher mit ihrer Teilnahme die Absicht verbinden würden, „durch eine Vielzahl von gemeinsam angeführten Aktionen ihre Auffassung von Leben bzw. Zusammenleben darzustellen" und dadurch „bürgerliche Ordnungsvorstellungen in Frage zu stellen." Dient die Veranstaltung allerdings einzig dem Zweck, gemeinsam Chaos anzurichten, wird es in der Regel an der Kundgabe einer Meinung oder eines Anliegens fehlen 674 . Soweit das Ausdrucksmittel ausschließlich in Gewalt besteht, fehlt es zudem an einem Einsatz eines kommunikativen Mittels 6 7 5 , ganz abgesehen davon, daß auch dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit immanente Grenzen gesetzt sind und der Schutz des Art. 8 GG bei gewalttätigen Veranstaltungen versagt. Ebenso sind reine Spaßveranstaltungen oder kommerzielle Veranstaltungen keine Versammlungen im Sinne des Art. 8 GG 6 7 6 . In jedem Falle sind aber an die Überprüfung der Frage, ob eine Versammlung vorliegt, strenge Anforderungen zu stellen. Das Bundesverfassungsgericht hat es als verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden angesehen, wenn die Beurteilung, ob eine Versammlung vorliegt oder nicht, nach dem Gesamtgepräge und damit nach dem Schwerpunkt der Veranstaltung vorgenommen wird, wobei bei Zweifeln allerdings die Veranstaltung als Versammlung zu qualifizieren sei 6 7 7 . Überwiegend unterhaltende oder kommerzielle Veranstaltungen genießen daher nicht den Schutz des Art. 8 GG. Die Beurteilung hat aber im Einzelfall und im Lichte des Grundrechts der Versammlungsfreiheit zu erfolgen. Hierzu darf im Zweifel nicht unkritisch das Selbstverständis der Veranstalter hingenommen werden, sondern das Anliegen einer Zusammenkunft ist anhand tragfähiger tatsächlicher Anhaltspunkte sorgfältig zu ermitteln, so daß die Beurteilung, ob eine Versammlung im Sinne des Art. 8 GG vorliegt oder nicht, rechtsfehlerfrei erfolgen kann. Andernfalls würde dem hohen Rang der Versammlungsfreiheit und ihrer Bedeutung für die politische Willenbildung nicht ausreichend Rechnung getragen werden. Bei begründeten Zweifeln liegt trotz des im Verwaltungs- und Verfassungsprozeß geltenden Untersuchungsgrundsatzes eine gewisse Darlegungs- oder Artikulierungslast auch bei den Veranstaltern.

673 VG Hannover, NVwZ-RR 1997, 622 (623); bestätigt in NdsVBl. 1998, 147 (148). 674 So etwa bei den „7. Lindauer-Chaos-Tagen", vgl. BayObLG, NVwZ 2000, 467 f., zu denen mit Parolen wie „Besäufnis, Chaos, Terror, Punk und Bullenstress" eingeladen wurde. Zwar wurde noch zur „Anarchie" aufgerufen, eine politische Parole allein reicht aber nicht aus, der Veranstaltung das gewalttätige Gesamtgepräge zu nehmen. 675 Ähnlich wohl BVerfG, DVB1. 1991, 871 (872) = BVerfGE 84, 203 (209). 676 Vgl. VG Berlin, Az.: VG 1 A 195.01, Mitteilung des Gerichts Nr. 25/2001, http:// www.berlin.de (29. 06. 01). 677 BVerfG, NJW 2001, 2459 (2461) - Love-Parade.

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

b) Die Reichweite des Art. 8 GG aa) Erstreckung auf das Vorfeld Weitgehend anerkannt ist mittlerweile, daß der sachliche Schutzbereich des Art. 8 GG sich auch auf den Zugang zu einer Versammlung erstreckt 678 und dies auch dann, wenn die Anreise nicht selbst den Charakter einer Versammlung hat. Diese Auffassung wurde vom Bundesverfassungsgericht bereits im Brokdorf-Beschluß angedeutet, indem es die verfassungsrechtlichen Grenzen zugangserschwerender behördlicher Maßnahmen aufzeigte 679 . In einer neueren Entscheidung zum Platzverweis gegenüber Personen, die versucht hatten, eine Versammlung von außen zu verhindern, hat es ausdrücklich den Vorfeldbereich einer Versammlung unter den Schutz des Art. 8 Abs. 1 GG gestellt 680 . Die Gegenauffassung klammert aufgrund des Umstandes, daß anreisende potentielle Versammlungsteilnehmer grundsätzlich noch keine Versammlung bilden, den Vorfeldbereich einer Versammlung generell aus dem Schutzbereich des Art. 8 GG aus 681 . Sie definiert damit den Schutzbereich des Art. 8 GG ausschließlich über den eine existierende Versammlung voraussetzenden Versammlungsbegriff 682, läßt aber unberücksichtigt, daß Art. 8 GG nicht nur die Versammlung selbst, sondern in erster Linie das Recht der Teilnahme, das Sichversammeln, gewährleistet 683. Bereits der Begriff „sich versammeln" schließt nicht nur das tatsächliche Zusammensein mehrerer Personen, sondern auch den Prozeß des Zusammenkommens als Voraussetzung der Teilnahme mit ein. Diese Teilnahmefreiheit läßt sich überdies effektiv nur schützen, wenn auch die Zugänglichkeit des Versammlungsorts in den Schutzbereich einbezogen wird 6 8 4 . Denn gerade in dieser Phase ließe sich bereits 678 BVerfGE 84, 203 (209); VG Hamburg, NVwZ 1987, 829 (830) - „Hamburger Kessel"; Bleckmann, § 29 Rdnr. 34; Benda, in: BK, Art. 8 Rdnrn. 34 f.; v.Mutius, Jura 1988, 30 (38); Alberts/Croppenstedt, Die Polizei 1991, 85 (87); Gallwas, JA 1986, 484 (486); Kniesel, NJW 1992, 857 (860); Dietel/Gintzel/Kniesel, § 1 Rdnr. 70; Hainas, S. 16 f.; Höfling, in: Sachs, GG, Art. 8 Rdnr. 23; Kunig, in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 8 Rdnr. 18. Mit der Ausweitung des Schutzbereiches auf den Zugang zur Versammlung geht jedoch keine Ausweitung des Versammlungsbegriffs einher. 679 BVerfGE 69, 315 (349). 680 BVerfGE 84, 203 (209). 681 So etwa Hofmann, NVwZ 1987, 769 f., der jedoch wegen des hohen Ranges der Versammlungsfreiheit bei polizeilichen Maßnahmen für eine systematisch-teleologische Reduktion der Befugnisnormen dergestalt plädiert, daß mit ihnen keine „wesentliche Erschwerung oder gar Verunmöglichung der Demonstrationsteilnahme" einhergeht. 682 Dazu Dietel/Gintzel/Kniesel, § 1 Rdnr. 72; auch Hofmann, NVwZ 1987, 769. 683 Benda, in: BK, Art. 8 Rdnr. 35; Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 8 Rdnrn. 36 und 116. 684 Nach dem Grundsatz grundrechtseffektiver Auslegung ist in Zweifelsfällen diejenige Auslegung zu wählen, welche die juristische Wirkungskraft der Grundrechtsnorm am stärksten entfaltet, vgl. BVerfGE 32, 54 (71) zu Art. 13 GG; vgl. auch Bleckmann, § 8 Rdnr. 39; Ziekow, S. 433 f.

C. Verweisungsmaßnahmen bei Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 8 GG

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das Entstehen der Versammlung unterbinden und damit der Grundrechtsschutz des Art. 8 GG leicht aushöhlen685. Der Zugang zu der Versammlung und damit die Möglichkeit der Teilnahme ist also, wie die Akte der Vorbereitung und Organisation vieler anderer Grundrechte auch, als notwendiges Element der „Entstehenssicherung" 686 der eigentlichen Grundrechtsausübung ebenso schutzbedürftig wie die Versammlung selbst. Nur diese Auslegung des Grundrechts entspricht auch seiner Bedeutung und Funktion im Rahmen der politischen Willensbildung 687 .

bb) Beendensschutz und Nachwirkung Der Grundrechtsschutz des Art. 8 GG endet gewöhnlich mit Beendigung der Versammlung. Entscheidungen des VG Hamburg sowie des VG Berlin 6 8 9 über 690 die Zulässigkeit polizeilicher Einschließungen von Demonstranten haben die Diskussion ausgelöst, ob und inwieweit Art. 8 GG auch nachwirkenden Schutz entfalte, der es den Versammlungsteilnehmern ermögliche, sich nach Beendigung der Versammlung frei zu entfernen. Das VG Hamburg 691 nimmt in seiner Entscheidung zum „Hamburger Kessel" einen nachwirkenden Schutz des Art. 8 GG auch nach der Auflösung einer Versammlung an. Das Gericht beruft sich dabei auf die Auffassung v.Simsons692, der in einer aufgelösten Versammlung noch keine Ansammlung sieht, sondern eine „privilegierte Bürgermenge", die weiterhin den Schutz des Art. 8 GG genieße. Diese extensive Auffassung wird in weiten Teilen der Literatur - allerdings nur im Ansatz - geteilt. Der Schutz des Art. 8 GG ende zwar nicht abrupt, da aus Art. 8 GG das Recht abzuleiten sei, der aus dem Versammlungsgesetz folgenden Entfernungspflicht in angemessener Zeit nachkommen zu können. Der Schutzbereich des Art. 8 GG könne jedoch nicht auch das freie Auseinanderströmen erfassen, da andernfalls nach Auflösung der Versammlung ein „rechtsfreier Raum" entstünde: die Möglichkeiten des Versammlungsge685 BVerfGE 84,203 (209); Geis, Die Polizei 1993, 293 (294); Kloepfer, S. 89; Ehrentraut, S. 114; VG Hamburg, NVwZ 1987, 829 (830); Zeitler, Versammlungsrecht, Rdnr. 437. 686 Kloepfer, S. 24 ff. und 89; ebenso Ehrentraut, S. 114. Zustimmend Stern, Bd. I I I / l , § 66 II. 5, S. 670 f.; Kniesel, in: Lisken/Denninger, H Rdnr. 69; Herzog, in: Maunz/Dürig/ Herzog/Scholz, Art. 8 Rdnr. 58. 687 VG Hamburg, NVwZ 1987, 829 (830). 688 VG Hamburg, NVwZ 1987, 829 (830) - „Hamburger Kessel": eine Demonstration, die sich auf dem Heiligengeistfeld eingefunden hatte, wurde von der Polizei ohne vorherige Auflösung durch Polizeiketten eingekesselt. 689 VG Berlin, NVwZ 1990, 188 ff. - „Berliner Kessel"; anders als beim Hamburger Kessel wurde hier die eigentliche Versammlung zuvor nach den Vorschriften des Versammlungsgesetzes aufgelöst. 690 Beim „Polizeikessel" umstellen Polizeibeamte eine Störergruppe, um diese festzuhalten oder unter Polizeischutz wegzugeleiten (Wanderkessel); zum Instrument des Polizeikessels ausführlich Stoermer, S. 116 f. 691 VG Hamburg, NVwZ 1987, 829 (833). Ebenso Hase, in: Ridder u. a., § 12 a Rdnr. 49. 692 v.Simson, ZRP 1968, 10 (11).

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

setzes wären „nach der Auflösung »verbraucht'", die der Polizeigesetze könnten wegen des fortwirkenden Schutzes des Art. 8 GG noch nicht greifen 693 . Zur Klärung der Frage ist zunächst zu differenzieren zwischen der Reichweite eines grundrechtlichen Schutzbereichs einerseits und der Reichweite des Versammlungsgesetzes andererseits. Beide Bereiche dürfen nicht vorschnell gleichgesetzt werden. Der Regelungsbereich des Versammlungsgesetzes geht teilweise weiter als der des Art. 8 GG. So werden auch unfriedliche Versammlungen vom Versammlungsgesetz erfaßt, die aber unstreitig nicht den Schutz des Art. 8 GG genießen. Gleiches gilt für die Versammlungen ausländischer Mitbürger, während Art. 8 GG ein Deutschengrundrecht ist. Umgekehrt bleibt das Versammlungsgesetz in seinem Schutz hinter Art. 8 GG zurück, weil es keine Regelungen für nichtöffentliche Versammlungen bereithält. Der Umstand, daß § 13 Abs. 2 VersG nach der polizeilichen Auflösung einer Versammlung eine Entfernungspflicht vorsieht, führt daher nicht zwingend zu dem Schluß, das „freie" Entfernen sei auch von dem Schutzbereich des Art. 8 GG erfaßt. Umgekehrt verbietet es sich aber auch, eine Nachwirkung des Art. 8 GG allein mit der Begründung abzulehnen, das Versammlungsgesetz stelle für diesen Zeitraum keine ausreichenden Rechtsgrundlagen zur Verfügung, so daß andernfalls ein rechtsfreier Raum entstünde694. Zwar können die einfachgesetzliche Rechtslage und die herkömmliche Staatspraxis Anhaltspunkte für das Grundrechtsverständnis und die Grundrechtsinterpretation bieten, da die Grundrechte aus der gesamten Wertordnung der Rechtsordnung heraus auszulegen sind 695 . Rückschlüsse aus den mangelnden Rechtsgrundlagen des Versammlungsgesetzes zu schließen, hieße aber, den Schutzbereich nach notwendigen Eingriffsbefugnissen auszulegen. Dies könnte unter Umständen zu einer nicht gerechtfertigten Verkürzung des Grundrechtsschutzes führen. Die Reichweite eines Grundrechts ist daher zunächst anhand gängiger Auslegungsmethoden zu entwickeln. Die Versammlungsteilnehmer haben - wie jeder Grundrechtsausübende auch das Recht, ihren Grundrechtsschutz zu beenden. Dogmatisch geht es dabei um die Frage nach dem verfassungsrechtlichen Schutz gerade auch des Akts der Beendigung grundrechtlich geschützter Positionen 696 . Ebenso wie der einzelne von seinem Recht aus Art. 8 GG Gebrauch macht, indem er an der Versammlung teilnimmt oder sie veranstaltet, kann er - gleichfalls grundrechtlich geschützt dieses Recht nicht ausüben, indem er die Versammlung verläßt oder sie beendet. Es ist Ausfluß des von Art. 8 GG erfaßten Selbstbestimmungsrechts, daß Inhalt und Dauer der Veranstaltung im Ermessen der Versammlungsteilnehmer bzw. der Veranstalter liegen. Die Beendigung der Versammlung hat daher grundsätzlich 693 Alberto, VR 1987, 298 (299). Ebenso Kniesel, NJW 1992, 857 (860); Halwas, S. 18; Deger, NVwZ 1999, 265 (267). 694 A. A. Alberts, VR 1987, 298 (299); ebenso Halwas, S. 18. 695 Bleckmann, § 8 Rdnr. 9. 696 Kloepfer, S. 25 in Abgrenzung zu der negativen Seite des Grundrechts.

C. Verweisungsmaßnahmen bei Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 8 GG

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ohne staatlichen Einfluß zu erfolgen. Sie wird im Normalfall dadurch beendet, daß der Leiter die Versammlung nach § 8 VersG schließt oder die Teilnehmer sie beenden. Staatliche Beendigungsmaßnahmen, wie etwa die in den §§13 bzw. 15 Abs. 2 VersG geregelte Auflösung, sind an Art. 8 GG zu messen. Diese müssen sich als Grundrechtskonkretisierungen, verfassungsimmanente Schranken oder aber als zulässige Eingriffe im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG erweisen. Ob über den Beendensschutz hinaus ein weitergehender Schutz - etwa der eines „Rechts auf freien Abzug" - besteht, läßt sich nur im Einzelfall anhand der einzelnen Teilrechte des Art. 8 GG beantworten. So stellte es sicherlich einen Eingriff in Art. 8 GG dar, müßte der versammlungswillige Bürger von vornherein damit rechnen, den Versammlungsort nicht verlassen zu können. Derartige Maßnahmen sind allein schon deshalb an Art. 8 Abs. 1 GG zu messen, weil sie die Entschlußfreiheit und damit auch das Teilnahmerecht berühren 697. Sind aber keine weitergehenden staatlichen Maßnahmen gerade wegen der Teilnahme zu befürchten, ist ein weitergehender Schutz des Art. 8 GG zweifelhaft. Art. 8 GG selbst enthält für den einzelnen Bürger keine ausdrückliche Verlassenspflicht des Versammlungsorts nach Beendigung einer friedlichen Versammlung. Das weitere Zusammensein oder das Sichentfernen hat aber weder Kundgabecharakter, noch dient es der Grundrechtsverwirklichung, wie dies beim Zugang zu der Versammlung der Fall ist. Die besondere Schutzbedürftigkeit der Ansammlung, frei von staatlichen Einflüssen zu sein, besteht in dieser Phase grundsätzlich nicht mehr. Mit der Beendigung der Versammlung ändert sich daher deren Qualität in eine Ansammlung, die primär dem Schutze des Art. 2 Abs. 1 GG unterliegt 698 . Verlassen die Mitglieder einer Ansammlung einen Platz nach Beendigung der Versammlung nicht, kann es im Hinblick auf die Interessen anderer Grundrechtsberechtigter, die während der Versammlung zurückstehen mußten, erforderlich sein, den Versammlungsort zu räumen und anderen Verkehrsteilnehmern oder Bürgern zur Verfügung zu stellen. Die Räumung des Versammlungsorts kann auch erforderlich sein, wenn nach Beendigung der Versammlung durch die Veranstalter einige Personen gewalttätig werden. So verhielt es sich in einem Fall des Bundesverfassungsgerichts, bei dem einige Personen nach Beendigung einer friedlichen Demonstration auf dem Baugelände des atomaren Zwischenlagers Gorleben versuchten, die die Baustelle umgrenzenden Drahtrollen aus ihrer Verankerung zu ziehen 699 . Sie konnten mittels Platzverweisen und anschließender Zwangsmaßnahmen verwiesen werden. Eine unter den Teilnehmern zufällig gebildete Spontandemonstration stand schon wegen Unfriedlichkeit nicht unter dem Schutze des Art. 8 GG. Es versteht sich freilich, daß mit einer Verneinung des Schutzes des Art. 8 GG polizeilichen Zwangsmaßnahmen nicht willkürlich Tür und Tor offensteht - dies ist aber

697 Alberts , NVwZ 1992, 38 (39); Alberts / Croppenstedt, Benda, in: BK, Art. 8 Rdnr. 36. 698 Zeitler, Versammlungsrecht, Rdnr. 545. 699 BVerfG, NVwZ 1999, 290 ff.

Die Polizei 1991, 85 (90);

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

eine grundsätzliche Frage der Verhältnismäßigkeit polizeilicher Maßnahmen im Rahmen der betroffenen Freiheitsrechte, etwa des Art. 2 Abs. 1 GG, und des grundrechtlichen Willkürverbots. So muß das Ermessen der Polizei unter anderem berücksichtigen, daß es sich hier um eine Menschenmenge handelt, die gegebenenfalls längere Zeit benötigt, um sich zu entfernen, als einzelne Personen. Bei genauem Hinsehen geht hiervon auch das VG Berlin 7 0 0 in seiner Entscheidung zum „Berliner Kessel" aus, wenn es ausführt, daß die bereits aufgelöste Versammlung „nicht den formalen Schutz des Versammlungsrechts" genoß. Allerdings nimmt das Gericht gleichwohl eine Ausstrahlung des Art. 8 GG auf die sich entfernende Ansammlung an. Angesichts dessen, daß die Menschenmenge eben noch durch ihr gemeinsames Auftreten nach außen eine Meinung kundgetan habe, sei „die überragende Bedeutung des durch Art. 8 GG geschützten Versammlungsrechts ( . . . ) auch in diesen Fällen zu beachten und insbesondere bei der Anwendung einfachgesetzlicher Vorschriften zur Geltung zu bringen." Im Anschluß an Versammlungen könnten sich daher „der Schutz des Art. 8 GG und die im Versammlungsgesetz geregelten Grundsätze auswirken." 701 Eine solche Ausstrahlungswirkung des Art. 8 GG auf die polizeiliche Ermessensausübung wird auch von Teilen der Literatur befürwortet 702 . Sie besagt, daß die in den Grundrechten zum Ausdruck kommende objektive Wertordnung „Richtlinien und Impulse für Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung gibt", wodurch die einfachgesetzliche Rechtslage der gesamten Rechtsordnung beeinflußt werde 703 . Das einfache Recht und seine Umsetzung müssen daher den Wertorientierungen der Grundrechtsbestimmungen entsprechen. Hält man den Grundrechtsschutz des Art. 8 GG allerdings nach Beendigung der Versammlung für erloschen, ist fraglich, ob dann noch Raum für eine Ausstrahlung des Art. 8 GG auf polizeiliche Maßnahmen verbleibt. Sämtliche Fälle, in denen eine Ausstrahlungswirkung eines Grundrechts auf das einfache Recht anerkannt wurde, bezogen sich entweder auf die Anwendung und Auslegung einfachen Rechts im Geltungsbereich eines Grundrechts 704 oder aber setzten Maßstäbe für die Ermittlung, ob ein Sachverhalt im Wirkungskreis eines Grundrechts liegt oder nicht. Werden diese Fragen aber wie hier grundsätzlich verneint, kann das Grundrecht auch nicht auf das Handlungsermessen nachfolgender polizeilicher Maßnahmen ausstrahlen 705. Eine Ausstrahlung kommt lediglich insoweit in Betracht, als es um die rechtliche Ausgestaltung einfachgesetzlicher Beendigungstatbestände der Versammlung geht und die Entschlußfreiheit, eine 700 VG Berlin, NVwZ-RR 1990, 188 (190). 701 VG Berlin, NVwZ-RR 1990, 188 (190). 702 So Hoffmann-Riem, in: AK-GG, 3. Aufl., Art. 8 Rdnrn. 42 ff.; Kniesel, NJW 1992, 857 (860); Alberts/Croppenstedt, Die Polizei 1991, 85 (90). 703 BVerfGE 39, 1 (41); Stern, III/1, § 69 III, S. 924. 704 Beispiele bei Hoffmann-Riem, in: AK-GG, 3. Aufl., Art. 8 Rdnrn. 42 ff.; z. B. dürfen Kosten anläßlich einer Versammlung nicht in dem Maße festgesetzt werden, daß Einschüchterungseffekte entstehen, die dann von dem Gebrauch des Versammlungsrechts abhalten. 705 Ebenso Geis, Die Polizei 1993, 293 (296 und Fn. 63).

C Verweisungsmaßnahmen bei Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 8 GG

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Versammlung zu besuchen, berührt sein könnte. Dies ist besonders dann plausibel, wenn die Versammlung wegen Unfriedlichkeit aufgelöst wurde. Hier haben die Versammlungsteilnehmer ihren Grundrechtsschutz für die aufgelöste Versammlung verwirkt. Wird die Versammlung seitens der Teilnehmer beendet, reicht der Grundrechtsschutz des Art. 2 Abs. 1 GG aus. Eine andere Frage ist, welche Maßstäbe die Entfernungspflicht des Versammlungsgesetzes für das polizeiliche Vorgehen setzt. Dies soll an anderer Stelle bei der einfach-rechtlichen Lage geprüft werden.

cc) Das Selbstbestimmungsrecht über den Versammlungsort Als aufenthaltsbeschränkende Maßnahme kann eine Verweisung nicht nur eine die Teilnahme beendende Wirkung haben, sie ist auch geeignet, sich auf die Ortswahl der Versammlung auszuwirken. Dem Versammlungsort kommt, insbesondere bei Demonstrationen unter freiem Himmel, besondere Bedeutung zu. Dessen Auswahl kann symbolische Wirkung haben, weil die Versammlungsteilnehmer dadurch bereits ihre Meinung dartun und „im eigentlichen Sinne des Wortes Stellung nehmen und ihren Standpunkt bezeugen" können 706 . Die Wirkungschancen einer Versammlung werden gesteigert. Das Bundesverfassungsgericht bezieht daher das Selbstbestimmungsrecht über den Ort der Veranstaltung zu Recht in den Schutzbereich des Art. 8 GG mit ein 7 0 7 . Eine Verweisung der gesamten Versammlung oder auch die Verlegung der Demonstrationsroute an einen anderen Ort als den gewählten könnte daher Art. 8 GG verletzen. Das Selbstbestimmungsrecht über den Ort der Versammlung gilt aber nicht uneingeschränkt. Es erlaubt dem Veranstalter zwar grundsätzlich „eigenständig zu konkretisieren, wie er sein Versammlungsinteresse umsetzen möchte." 708 Gefährdet die Durchführung der Versammlung am gewünschten Ort aber kollidierende Rechtsgüter Dritter, „ist es Aufgabe der Behörde, die wechselseitigen Interessen unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zum Ausgleich zu bringen" 709 .

c) Polizeiliche Maßnahmen und Art. 8 Abs. 1 GG Eine der zentralen Thesen in der Diskussion über das Verhältnis von Versammlungs- und Polizeirecht besagt, Eingriffe in Art. 8 GG könnten nur aufgrund des Versammlungsgesetzes erfolgen. Zur Begründung wird häufig auf das Schlagwort

706 BVerfGE 69, 315 (345) - Brokdorf. 707 BVerfGE 69, 315 (343) - Brokdorf; BVerfGE 73, 206 (230 ff.) - Sitzblockaden-Urteil; BVerfG, NJW 2001, 1411 (1412) - Castor-Transport; vgl. auch Kunig, in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 8 Rdnr. 19. 708 BVerfG, NJW 2001,1411 (1412). 709 BVerfG, NJW 2001, 1407 (1408); vgl. auch BVerfG, NJW 2001, 1409 (1410); 1411 (1412).

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

der „Polizeifestigkeit" des Versammlungsgrundrechts zurückgegriffen 710. Als „polizeifest" wurde ursprünglich ein Grundrecht bezeichnet, wenn es nicht oder zumindest nicht durch allgemeinpolizeiliche Vorschriften beschränkt werden konnte 711 . Art. 8 Abs. 2 GG enthält nur für Eingriffe in Versammlungen unter freiem Himmel einen Gesetzesvorbehalt. Eingriffe müssen danach „durch Gesetz" oder „aufgrund eines Gesetzes" erfolgen. Maßgebliches Vorbehaltsgesetz ist das Versammlungsgesetz712. Von seinem Wortlaut her verlangt Art. 8 Abs. 2 GG aber nicht ausdrücklich ein Bundesgesetz. Grundsätzlich könnte die Versammlungsfreiheit also auch durch ein Landesgesetz eingeschränkt werden, vorausgesetzt, es genügt den formellen und materiellen Anforderungen des Art. 8 Abs. 2 GG. Dies wird im großen und ganzen bejaht für die Feiertagsgesetze der Länder, die Störungen der Sonntagsruhe und kirchlicher Veranstaltungen verhindern wollen 7 1 3 , sowie für die Bannmeilengesetze des Bundes und der Länder, die die Arbeits- und Funktionsfähigkeit der Parlamente und des Bundesverfassungsgerichts gewährleisten sollen 714 . Diese werden in der Regel nicht wegen ihrer Eigenschaft als Landesgesetze für verfassungswidrig befunden, sondern weil sie eine generelle gesetzgeberische Abwägung zu Lasten der Versammlungsfreiheit enthalten und damit die Tätigkeit des Parlaments bzw. die religiösen Feiertage pauschal privilegieren 715 . Die Qualifizierung der Landespolizeigesetze als Vorbehaltsgesetze im Sinne des Art. 8 GG wird allerdings begründet in Zweifel gezogen. Formell kommt eine gezielte Einschränkung des Art. 8 GG durch die Landespolizeigesetze derzeit allein deswegen nicht in Betracht, weil Art. 8 GG nicht als einschränkbares Grundrecht zitiert wird 7 1 6 . Materiell müßte das Vorbehaltsgesetz dem hohen Eingriffsgut Rechnung tragen, indem es die Versammlungsfreiheit nur zum Schutze gleichgewichtiger anderer Schutzgüter unter strikter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zuläßt 717 und eine erhöhte Wahrscheinlichkeits- und Gefahrenstufe festlegt 718 . Speziell in bezug auf den Platzverweis muß nochmals festgehalten werden, daß das Bundesverfassungsgericht zugangsbeschränkende Maßnahmen zu Demonstrationen und Versammlungen grundsätzlich mit Art. 8 GG nicht für vereinbar hält. Das Ver710 Drews/Wacke/Vogel/Martens, § 1, 5 a (S. 9) und § 11, 2 g (S. 176 f.); Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 8 Rdnr. 125; Drosdzol, JuS 1983,409 (412). 711 Hainas, S. 83; Rasch, DVB1. 1987, 194 (197); Mußmann, Polizeirecht, Rdnr. 80. 712 Gesetz über Versammlungen und Aufzüge, BGBl. I 1989, S. 1059 mit zwischenzeitlichen Änderungen. 713 Meyer/Köhler, Art. 8 Anm. 6 b. 714 Kniesel, NJW 1992, 857 (862). 715 v.Mutius, Jura 1988,79 (89); Höfling, in: Sachs, GG, Art. 8 Rdnrn. 62 f.; a. A. Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 143 Rdnr. 56. 716 Alberts, JA 1986, 72 (74 ff.), str. Ausführlich zum Zitiergebot auch oben 2. Teil, A. II. 3. d). 717 BVerfGE 69, 315 (349). 718 Vgl. Begründung zu § 15 Abs. 1 VersG, BT-Drs. 8/1845, S. 10 f.

C. Verweisungsmaßnahmen bei Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 8 GG

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sammlungsrecht darf also nicht durch den Platzverweis oder sonstige Aufenthaltsverbote gezielt unterlaufen werden. Ungeachtet dieser derzeit bestehenden - aber überwindbaren - formellen und materiellen Einwände gegen die Einschränkbarkeit des Art. 8 GG durch Normen des Landespolizeirechts könnte der Anwendbarkeit der Landespolizeigesetze aber das Versammlungsgesetz als höherrangiges Spezialgesetz entgegenstehen. Bei der Frage nach der Anwendbarkeit von allgemeinem Polizeirecht im Zusammenhang mit Versammlungen handelt es sich daher nicht um ein Problem der Polizeifestigkeit des Art. 8 GG, sondern vielmehr um eine Frage des Vorrangs des speziellen Gesetzes. Soweit ein Spezialgesetz reicht, schließt es einen Rückgriff auf andere Normen, insbesondere die des allgemeinen Polizeirechts, aus. Der Begriff der „Polizeifestigkeit" ist daher, wenn überhaupt, auf dieses Verhältnis von Spezialität und Generalität zu beziehen719. Die Spezialität des Versammlungsgesetzes ist in zweifacher Hinsicht von Bedeutung: Einmal können die Eingriffsbefugnisse des allgemeinen Polizeirechts lediglich gesperrt sein, soweit das Versammlungsrecht den fraglichen Tatbestand selbst regelt. Zum anderen könnte aber das Versammlungsgesetz als Ganzes eine das Versammlungswesen abschließende Regelung darstellen und im Sinne einer Kodifikationssperre weitergehende Eingriffe generell verbieten.

3. Das Verhältnis von Polizei- und Versammlungsgesetz a) Allgemeines Das Verhältnis von Versammlungsgesetz und den Polizeigesetzen der Länder gehört wohl zu den umstrittensten Fragen des Versammlungsrechts 720. Unstreitig ist das Versammlungsgesetz ein echtes Spezialgesetz im Sinne des Art. 72 GG, das im Rahmen seiner Reichweite den Vorschriften des besonderen und allgemeinen Polizeirechts vorgeht. Wie weit sein Anwendungsbereich reicht, ist allerdings unklar. Die Schwierigkeiten bei der Auslegung des Versammlungsgesetzes resultieren vor allem daraus, daß das Versammlungsgesetz insgesamt unvollständig erscheint. Gerade im Bereich der Gefahrenabwehr sind Eingriffsbefugnisse in weiten Teilen überhaupt nicht oder oft nur punktuell ausdrücklich geregelt, weshalb wohl einhellig ein rechtspolitisches Bedürfnis für eine Neuregelung besteht 721 . So nennt das Versammlungsgesetz als Eingriffsbefugnisse ausdrücklich nur Verbot und Auflö719 So auch Jahn, DVB1. 1989, 1038 (1041); Kniesel, in: Lisken / Denninger, H Rdnr. 206; wohl auch VG Hamburg, NVwZ 1987, 829 (831). 720 Vgl. statt vieler Alberts, VR 1987, 298 (300); Geis, Die Polizei 1993, 293 (294 f.); Halwas, S. 26 ff.; Hase, in: Ridder u. a., § 12 a Rdnr. 25. 721 Einige Autoren räumen einer Problemlösung anhand dieses Gesetzes überhaupt keine Chance ein, vgl. Alberts, NVwZ 1992, 38 (49); Bergmann, S. 97; Jahn, DVB1. 1989, 1038 (1042); a. A. Halwas, S. 96. 13 Neuner

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

sung der Versammlung sowie den Ausschluß von einer Versammlung. Für den Vorfeldbereich hält das Versammlungsgesetz neben dem Versammlungsverbot ausdrücklich nur die nachträglich eingeführten § 17 a Abs. 4 und § 12 a VersG bereit. Im übrigen verweist das Gesetz auf die Erteilung nicht näher bestimmter „Auflagen" zur Beseitigung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Unstreitig enthält es keine Regelungen zur Polizeipflicht 722 und zur Durchsetzung seiner Maßnahmen723. Der fragmentarische Charakter des Versammlungsgesetzes scheint im Regelwerk angelegt zu sein, er ist aber teilweise auch auf die im Laufe der Zeit erkannte Notwendigkeit weitergehender Maßnahmen zurückzuführen. Schließlich läßt die aufgezeigte Fortentwicklung der Dogmatik des Art. 8 GG es auch unter dem Aspekt des Gesetzes als Vörbehaltsgesetz lückenhaft erscheinen.

b) Die Auslegung des Versammlungsgesetzes in der Rechtsprechung aa) Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts Das Bundesverfassungsgericht hat zum Verhältnis von Versammlungsgesetz und den Polizeigesetzen der Länder nicht ausdrücklich Stellung genommen. Seinen bisherigen Ausführungen zu Art. 8 GG, insbesondere im Brokdorf-Beschluß, lassen sich jedoch gewisse Vorgaben entnehmen. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts müsse der grundrechtlich garantierte Schutz der Versammlungsfreiheit für jeden friedlichen Versammlungsteilnehmer auch dann erhalten bleiben, wenn zwar einzelne Demonstranten Ausschreitungen begingen, eine kollektive Unfriedlichkeit jedoch nicht zu befürchten sei 7 2 4 . Andernfalls hätte es eine Minderheit in der Hand, den Grundrechtsschutz der friedlichen Versammlungsteilnehmer zu vereiteln; Art. 8 GG liefe letztlich, insbesondere bei Großdemonstrationen, wo derartige Ausschreitungen zumeist vorkommen, leer 725 . Der für die friedlichen Versammlungsteilnehmer fortwirkende Grundrechtsschutz müsse sich „auf die Anwendung grundrechtsbeschränkender Rechtsnormen auswirken." Dazu gehöre vor einer Auflösung oder einem Verbot der gesamten Versammlung als ultima ratio „die vorherige Ausschöpfung aller sinnvoll anwendbarer Mittel, die eine Grundrechtsverwirklichung der friedlichen Demonstranten" ermöglichten 726 . Verbot und Auflösung müssen außerdem durch das Vorliegen strenger Voraussetzungen gerechtfertigt sein. Verlangt ist eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit, wobei die Rechtsgüter, zugunsten derer die Versammlungsfreiheit eingeschränkt wird, der Bedeutung des Art. 8 GG zumindest gleichwertig sein müssen727. Das Bundesverfassungsgericht stellt zu722 Drews/Wacke/Vogel/Martens, § 11, 2 g (S. 179). 723 Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 142. 724 BVerfGE 69, 315 (361). 725 Schenke, JZ 1986, 35 (36). 726 BVerfGE 69, 315 (361 f.).

C. Verweisungsmaßnahmen bei Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 8 GG

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dem hohe Anforderungen an die Gefahrenprognose. Unter Berücksichtigung des Schutzgehalts des Art. 8 GG müssen die herangezogenen Tatsachen in nachvollziehbarer und vertretbarer Weise die hinreichende Wahrscheinlichkeit einer unmittelbaren Gefahr ergeben 728. Dieser eingeforderte Schutz der Versammlung vor Teilnehmern oder sonstigen Personen, die sich auf Art. 8 GG wegen Unfriedlichkeit nicht berufen können, ist im Versammlungsgesetz, insbesondere im Vorfeldbereich, nur unvollständig geregelt. Folgt man den Vorgaben des Verfassungsgerichts, scheint derzeit zum Schutz der Versammlung eine ergänzende Anwendung des Polizeirechts unumgänglich.

bb) Die Rechtsprechung der Instanzgerichte Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Beschluß vom 14. Januar 1987 729 das Versammlungsgesetz als „die umfassende bundesgesetzliche Ordnung des Versammlungswesens" bezeichnet, „die ihrerseits nach Maßgabe der Art. 70, 72 GG landesrechtliche Regelungen ausschließt." Eine ähnlich weitgehende Aussage findet sich in dem bereits erwähnten Urteil des VG Hamburg 730 zum „Hamburger Kessel", wonach „das Versammlungsgesetz als spezialgesetzliche Regelung der Materie Vorrang vor dem allgemeinen Polizeirecht" habe und dieses „abschließend die möglichen Maßnahmen der Polizei gegenüber Versammlungen, unabhängig davon, ob sie friedlich oder unfriedlich sind", regele. Beide Gerichte hatten jedoch keinen Anlaß, derart weitreichend zur Frage des abschließenden Charakters des Versammlungsgesetzes als Ganzes Stellung zu nehmen. So mußte das Bundesverwaltungsgericht im erwähnten Beschluß entscheiden, ob eine bestehende Versammlung ohne versammlungsgesetzlichen Auflösungsbeschluß auch durch polizeilichen Platzverweis beendet werden durfte. Dies verneinte das Bundesverwaltungsgericht zu Recht mit Hinweis auf § 15 Abs. 2 VersG, der mit der Auflösung die Möglichkeiten der Beendigung einer Versammlung unstreitig abschließend normiert. Dementsprechend fügte es relativierend hinzu, daß diese Spezialität „insbesondere für § 15 II VersammlG" gelte 731 . Die abschließende Regelung allein des § 15 Abs. 2 VersG war auch das eigentliche Problem im Falle des „Hamburger Kessels". Bejahte man das Vorliegen einer Versammlung, hätte diese allein durch Auflösung nach § 15 Abs. 2 VersG beendet werden müssen und nicht - wie geschehen - mit Mitteln des allgemeinen Polizeirechts. Beiden Entscheidungen darf daher keine zwingende Aussage dahingehend entnommen werden, daß allgemeines 727 BVerfG, NJW 2001, 1409 (1410) - Holocaust-Gedenktag; BVerfGE 69, 315 (349) Brokdorf. 728 BVerfG, NJW 2001, 1407 (1408). 729 BVerwG, NVwZ 1988, 250 f., Rechtszug: OVG Bremen, NVwZ 1987, 235 ff. und VG Bremen, NVwZ 1986, 862 ff. (Platzverweis statt Auflösung). 730 VG Hamburg, NVwZ 1987, 829 (831) - „Hamburger Kessel". 731 BVerwG, NVwZ 1988, 250 (251). 1*

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Polizeirecht gänzlich ausgeschlossen sein sollte. Differenzierter in diesem Sinne sind dagegen die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in seinem Urteil vom 21. April 1989 732 , wonach „die §§ 14,15 VersammlG (..) ein in sich geschlossenes und abschließendes Regelungswerk" bildeten. Der VGH Mannheim weist dagegen in einer neueren Entscheidung darauf hin, daß Maßnahmen der Polizei gegenüber einzelnen Teilnehmern „nicht schlechthin ausgeschlossen" seien 733 . So sei die Polizei rechtlich nur gehindert, polizeiliche Maßnahmen „in den Räumen durchzuführen, in denen die Veranstaltung als Versammlung im Sinne des Versammlungsgesetzes den besonderen Schutz des Art. 81 GG genoß." „Außerhalb der Versammlung, wo dieser Schutz nicht besteht", seien polizeiliche Maßnahmen dagegen zulässig. Der VGH Mannheim bezieht das Verhältnis Polizeirecht und Versammlungsgesetz damit stark auf Art. 8 GG, wobei aber der Umstand, daß Art. 8 GG bereits auch im Vorfeld wirkt, unberücksichtigt zu bleiben scheint. In einer früheren Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 8. September 1981 734 ging das Gericht ebenfalls von einer ergänzenden Anwendbarkeit des allgemeinen Polizeirechts bei Versammlungen aus. Zur Entscheidung stand die Frage, ob die Sicherstellung eines Spruchbandes, das wegen seines herabsetzenden Inhalts gegen die öffentliche Sicherheit verstoßen hatte 735 , mit allgemeinpolizeilichen Mitteln während einer Versammlung zulässig war. Ausgehend von dem Grundsatz, daß die Auflösung einer ordnungsgemäß angemeldeten und nicht verbotenen Versammlung nach § 15 VersG das äußerste Mittel zur Abwehr der von ihr ausgehenden Gefahren darstellt, bestand hier das Problem, daß das Versammlungsgesetz als Maßnahme zur Beseitigung von Gefahren für die öffentliche Sicherheit nur die Auflösung nennt, diese sich hier aber allein wegen eines Spruchbandes strafbaren Inhalts als unverhältnismäßig erwiesen hatte. Das Bundesverwaltungsgericht löste das Problem mit folgender Erklärung: „Die Vorschrift des § 15 Abs. 1 VersG verweist insofern mit der Wendung, daß die zuständige Behörde die Versammlung von ,bestimmten Auflagen' abhängig machen kann, auf den Katalog der dieser Behörde zur Abwehr unmittelbarer Gefahren zustehenden auch landesrechtlichen - Befugnisse und läßt deren Anwendung als Mittel zur Abwehr unmittelbarer Gefahren im Sinne von § 15 VersG zu." 7 3 6 Über den Begriff der Auflage als „Einfallstor" sind also mildere Maßnahmen nach den Landespolizeigesetzen möglich, um so dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu genügen. 732

Vgl. BVerwGE 82, 34 (40) - Europa von unten. Hier war über das Verhältnis des Versammlungsgesetzes zu den Regelungen des Straßenverkehrsrechts, insbesondere der Erlaubnispflicht nach § 29 Abs. 2 StVO, zu entscheiden. 733 VGH Mannheim, NVwZ 1998, 761 (764). 734 BVerwGE 64, 55 ff. - Mörderbande-Fall. 735 Ein Spruchband vor der chilenischen Botschaft, mit dem die chilenische Regierung als „Mörderbande" bezeichnet wird, erfüllt den Straftatbestand des § 103 StGB (Beleidigung von Organen und Vertretern ausländischer Staaten). 736 BVerwGE 64, 55 (58).

C. Verweisungsmaßnahmen bei Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 8 GG

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Ausdrücklich weist das Bundesverwaltungsgericht jedoch darauf hin, daß die Anwendung milderer Mittel nur bei unmittelbaren Gefahren im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG in Betracht komme 737 . Nach der Wortwahl des Bundesverwaltungsgerichts könnte man annehmen, daß nur diejenigen Befugnisse zulässig seien, die der zuständigen Behörde nach geltendem Recht „zur Abwehr unmittelbarer Gefahren" zustünden. Hier wird man aber bei Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG auch diejenigen Standardmaßnahmen anwenden können, die eine unmittelbare Gefahr tatbestandsmäßig nicht voraussetzen 738. Das einfache Recht ist insoweit verfassungskonform auszulegen. Immerhin verlangt auch die polizeiliche Sicherstellung, um die es in der fraglichen Entscheidung ging, nicht das Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr. Dieser Lösungsweg wird in Rechtsprechung und Literatur zumeist wegen seiner „sachgerechten Ergebnisse" fortgeführt 739 und wohl auch auf den Vorfeldbereich erstreckt 740 . Diese Auffassung wird den - später erfolgten - Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur Grundrechtsverwirklichung gerecht. Sie ist aber nicht ohne Kritik geblieben.

c) Stellungnahmen in der Literatur aa) Gründe für einen abschließenden Charakter des Versammlungsgesetzes Die in der Literatur weitestgehende Auffassung sieht das Versammlungsgesetz als abschließende Regelung des gesamten Versammlungswesens im Sinne der Art. 72, 74 GG, und zwar unabhängig vom Grundrechtsschutz sowohl in bezug auf die möglichen Gefahrenabwehrbefugnisse während der Versammlung als auch in ihrem Vorfeld 741 . Ein unmittelbarer Rückgriff auf das allgemeine Polizei- und Ordnungsrecht beim Einschreiten gegen Versammlungen scheidet nach dieser Auffassung aus 742 . Zur Begründung führt Halwas 743 vorwiegend historische und systematische Gründe an. Der Bundesgesetzgeber habe eine umfassende Spezialregelung 737 BVerwGE 64, 55 (58). 738 A. A. Vahle/Kniesel, DNP 1991, 225. 739 So etwa OVG Bremen, NVwZ 1990, 1188 (1189); VGH Mannheim, NVwZ 1989, 163; VG Bremen, NVwZ 1989, 895 (898); zustimmend aus der Literatur: Götz, NVwZ 1990, 725 (731); Halwas, S. 90; Kniesel, DÖV 1992, 470 (475); wohl auch Kloepfer, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR VI, § 143 Rdnr. 59; Zeitler, Versammlungsrecht, Rdnrn. 59 ff.; Geis, Die Polizei 1993, 293 (294), der von einer „pfiffigen Konstruktion" spricht. 740 BVerwG, B. v. 23. 08. 1991 - Az.: 1 B 77.91, S. 3 f. 741 So Halwas, S. 51 ff. und S. 103 ff.; Bertuleit/Steinmeier, in: Ridder u. a., § 1 Rdnrn. 39 f. 742 Halwas, S. 58 ff. und 103. 743 Halwas, S. 50 mit Verweis auf die Einbringungsrede des damaligen Innenministers Heinemann, BT-Prot., 1. WP, 83. Sitzung v. 12. 09. 1950, S. 3124.

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auch im Hinblick auf die Gefahrenabwehrbefugnisse schaffen wollen, um „Mißbräuchen bzw. Mißständen im Zusammenhang mit öffentlichen Versammlungen umfassend abzuhelfen." Dem stehe die geringe Regelungsdichte des Versammlungsgesetzes nicht entgegen, da sich die Notwendigkeit polizeilicher Einzelmaßnahmen erst erhebliche Zeit nach Inkrafttreten des Gesetzes im Jahre 1953, etwa durch die Demonstrationen Ende der 60er und 80er Jahre, gezeigt habe 744 . Auch seien die jüngsten Gesetzesänderungen, wie die Einführung der §§ 12 a, 17 a und 19 a VersG, Beleg dafür, daß versammlungsbezogene Gefahrenabwehrbefugnisse stets im Versammlungsgesetz angesiedelt würden 745 . Dieses Ergebnis werde letztlich dadurch bestätigt, daß der Bundesgesetzgeber von dem Vorhaben, das Versammlungswesen in die Rahmengesetzgebung zu überführen, Abstand genommen habe, um eine zu starke Rechtszersplitterung zu vermeiden 746 . Eine im Ergebnis ähnliche Auffassung bejaht den abschließenden Charakter des Versammlungsgesetzes im Hinblick auf „versammlungsspezifische Gefahren" 747 . Darunter werden solche Gefahren verstanden, die „typischerweise von einer Versammlung ausgehen oder ihr drohen" 748 . Sie resultieren aus der kollektiven Zweckverfolgung und Meinungskundgabe und nicht lediglich aus der bloßen Anwesenheit einer größeren Menschenmenge749. Allgemeines Polizeirecht soll dagegen anwendbar sein, soweit es um die Durchsetzung versammlungsrechtlicher Anordnungen geht sowie bei Regelungslücken des Versammlungsgesetzes, die nicht die Abwehr versammlungsspezifischer Gefahren betreffen 750. Jahn 751 begründet diese Auffassung ebenfalls mit einer Gesamtwürdigung der Regelungen des Versammlungsgesetzes, die sowohl dem Schutze friedlicher Versammlungen als auch der ordnungsgemäßen Durchführung dienten. Habe der Bundesgesetzgeber von der konkurrierenden Regelungskompetenz Gebrauch gemacht, sei im Zweifel davon auszugehen, daß er diese Materie erschöpfend geregelt habe und regeln wollte. Folgt man dieser Auffassung, die konsequenterweise auch auf den Vorfeldbereich bezogen werden muß, wäre gegenüber bewaffneten Anreisenden ein polizeilicher Platzverweis unmittelbar nicht möglich. Darüber hinaus dürften sich auch polizeiliche Maßnahmen gegenüber externen Störungen nicht begründen lassen. 744 Hainas, S. 51. 745 Hainas, S. 51. 746 Hainas, S. 52 f. mit Verweis auf Jahn, Friedrich-Adolf, Empfehlungen der gemeinsamen Verfassungskommission zur Änderung und Ergänzung des Grundgesetzes, DVB1. 1994, 177(181). 747 Vgl. Jahn, DVB1. 1989, 1038 (1041); Habermehl, Rdnr. 124; Bergmann, S. 47; wohl auch Schoch, JuS 1994,479 (480), der von „versammlungstypischen" Gefahren spricht. 748 Jahn, DVB1. 1989,1038 (1042). 749 Habermehl, Rdnr. 124; vgl. auch Bergmann, S. 47. 750 Jahn, DVB1. 1989, 1038 (1042); Bertuleit/Herkströter, in: Ridder u. a., § 17 a Rdnr. 49. 751 Jahn, DVB1. 1989, 1038 (1042) mit Verweis auf BVerfGE 32, 319 (327).

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Denn auch Gegendemonstrationen und sonstige Übergriffe Andersdenkender sind in diesem Sinne „versammlungsspezifisch". Überwiegend folgen die Vertreter dieser Auffassung zur Lückenschließung dem vom Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 8. September 1981 eingeschlagenen Weg und lassen polizeiliche Maßnahmen nach den Landespolizeigesetzen über den Begriff der „Auflage" in § 15 Abs. 1 VersG zu 7 5 2 .

bb) Gründe für einen nur partiell abschließenden Charakter des Versammlungsgesetzes Vor allem wegen seines fragmentarischen Charakters 753 sowie seiner Funktion als Sicherheitsgesetz 754 wird das Versammlungsgesetz häufig nur partiell als abschließend verstanden. Welche Bereiche abschließend geregelt sein sollen, wird uneinheitlich beantwortet. Im Vordergrund der Überlegungen steht weniger der Charakter der Gefahr als vielmehr die Zielrichtung der Maßnahmen im Hinblick auf Art. 8 GG. So wird teilweise der abschließende Charakter nur in bezug auf (unmittelbare) Eingriffe in Art. 8 G G 7 5 5 bzw. unmittelbar versammlungsbezogene Eingriffe 756 oder auf gezielte Eingriffe 757 in das Versammlungsrecht angenommen. Das Versammlungsgesetz sei demnach abschließend, soweit durch die Maßnahmen unmittelbar die Ausübung der Versammlungsfreiheit beeinträchtigt werde. Allgemeines Polizeirecht komme dagegen bei Maßnahmen zur Anwendung, die nicht auf die Verhinderung der Versammlung, sondern auf deren Schutz zielten 758 . Teilweise wird aber auch die generelle Sperrwirkung des Versammlungsgesetzes überhaupt verneint und ein abschließender Charakter nur im Hinblick auf einzelne Tatbestände, wie die Auflösung oder das Verbot, anerkannt 759. Die im Hinblick auf die Gefahrenabwehrmaßnahmen vor und während der Versammlung bestehenden Lücken werden nach dieser Auffassung durch allgemeines Polizeirecht geschlossen. Polizeirecht könne das Versammlungsgesetz ergänzen, problemlos dann, wenn Art. 8 GG nicht einschlägig sei und das Versammlungsgesetz keine entsprechende Regelung treffe. Eingriffe in Art. 8 GG dagegen könnten nur dann durch Polizei-

752 Drews/Wacke/Vogel/Martens, § 11, 2 g (S. 178); Hainas, S. 74 ff.; Zeitler, Versammlungsrecht, Rdnrn. 58 f. und 646 ff. A. A. Bergmann, S. 97. 753 So Alberts, NVwZ 1992, 38 (40). 754 So Geis, Die Polizei 1993, 293 (294). 755 Geis, Die Polizei 1993, 293 (294); Drosdzol, JuS 1983, 409 (412). 756 Dietel/Gintzel/Kniesel, § 1 Rdnr. 188; Kniesel, in: Lisken / Denninger, H Rdnr. 206. 757 VGH Mannheim, NVwZ-RR 1990, 602 (603). 758 Drosdzol, JuS 1982, 409 (412); Geis, Die Polizei 1993, 293 (295); ähnlich Berner/ Köhler, 16. Aufl., Art. 16 Rdnr. 7. Aus der Rspr. vgl. BVerwG, DVB1. 1989, 995; NJW 1989, 52. 759 Hase, in: Ridder u. a., § 12 a Rdnrn. 27 f.; Höfling, in: Sachs, GG, Art. 8 Rdnr. 56; Alberts, JA 1986, 72 (75).

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

recht erfolgen, wenn sie den formalen und materiellen Anforderungen entsprächen 760 .

d) Stellungnahme

Nach Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 GG besitzt der Bund die Zuständigkeit der konkurrierenden Gesetzgebung auf dem Gebiet des Versammlungsrechts. Landesgesetze sind nach Art. 72 GG ausgeschlossen, wenn und soweit die bundesrechtlichen Vorschriften erschöpfend sind und die Rechtsmaterie damit abschließend im Sinne einer »„Kodifikation' als ,Kompetenzsperre'" geregelt ist 7 6 1 . Ob eine solche abschließende Regelung, die ergänzende, der Sache nach zwar mögliche und rechtspolitisch erwünschte Vorschriften ausschließt, vorliegt, ist durch Auslegung zu ermitteln. Dabei ist der Regelungswille des Gesetzgebers einer Gesamtwürdigung der maßgeblichen Bestimmungen und Umstände zu entnehmen762. Das Sachgebiet „Versammlungsrecht" meint öffentlich-rechtliche Normierungen des Versammlungswesens, worunter neben der Ausgestaltung der grundrechtlichen Gewährleistung auch die Planung und Durchführung der Versammlung, einschließlich ihrer Nachwirkungen, sowie die damit einhergehenden versammlungsspezifischen Gefahren fallen 763 . Das Versammlungsgesetz regelt das so bezeichnete Versammlungswesen jedoch nur in Teilbereichen umfassend. Wie bereits erwähnt, enthält es unstreitig keine Regelungen über die Polizeipflicht sowie über die zwangsweise Durchsetzung von Maßnahmen. Ein abschließender Regelungswille ist allerdings erkennbar, soweit das Versammlungsgesetz als Vorbehaltsgesetz im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG Eingriffe in Art. 8 Abs. 1 GG legitimiert, sei es durch eigene Vorschriften, sei es durch Verweisungen wie etwa in § 16 VersG. Es war sicherlich ein Anliegen des Versammlungsgesetzgebers, den Gesetzesvorbehalt des Art. 8 Abs. 2 GG, der auf gezielte Eingriffe in Art. 8 GG zugeschnitten ist 7 6 4 , auszugestalten765. Dies bestätigen auch die zuletzt ergangenen Neuerungen im Versammlungsgesetz. Das Verbot der Passivbewaffnung und Vermummung sowie die Möglichkeit des Teilnehmerausschlusses zur Durchsetzung dieser Verbote nach § 17 a VersG stellen nach richtiger Auffassung Eingriffe in Art. 8 Abs. 1 GG dar und nicht lediglich Konkretisierungen der 760 Alberts, JA 1986, 72 (75). 761 Degenhart, Staatsrecht I, Rdnr. 144; BVerfGE 7, 342 (347). 762 BVerfGE 7, 342 (347); 32, 319 (328); 49, 343 (358); 67, 299 (324); auch BVerfGE 20, 238 (248); 56, 118 f. 763 Kunig, in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 3, Art. 74 Rdnr. 26; v.Mangoldt/Klein/Pestalozza, Art. 74 Abs. 1 Nr. 3 Rdnrn. 211 f.; Rengeling, in: Isensee/Kirchhof, HdbStR IV § 100, Rdnr. 143. 764 VGH Mannheim, NVwZ-RR 1990, 602 (603). 765 Geis, Die Polizei 1993, 293 (294); Kloepfer, Rdnr. 52; Zeitler, Versammlungsrecht, Rdnr. 11.

in: Isensee / Kirchhof, HdbStR VI, § 143

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Gewährleistungsschranke der Friedlichkeit und Waffenlosigkeit 766. Denn allein die Tatsache der Vermummung vermag die Unfriedlichkeit noch nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit zu belegen. Entsprechendes gilt übrigens auch für § 12 a VersG, der Bild- und Tonaufnahmen durch die Polizei bei Versammlungen regelt 767 . Demgegenüber hat der Gesetzgeber auf andere, ebenfalls notwendige, aber nicht in das Versammlungsgrundrecht eingreifende Befugnisnormen, insbesondere für den Vorfeldbereich, verzichtet. Bezüglich bewaffneter oder gewalttätiger Personen, die sich nicht auf Art. 8 GG berufen können, enthält das Gesetz zwar in § 2 VersG eine Verbotsvorschrift 768, jedoch für den Vorfeldbereich keine entsprechende Befugnis zur Durchsetzung des Waffentragungsverbotes. Hier versagt auch die Konstruktion einer Befugnis über den Begriff der Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG, denn rein gesetzeswiederholende Verfügungen sind keine Auflagen in diesem Sinne, sondern stellen lediglich „Hinweise auf die Rechtslage" dar 7 6 9 . Für eine abschließende Regelung gerade im Hinblick auf gezielte Eingriffe in Art. 8 GG spricht zudem die Bedeutung des Grundrechts für die Demokratie und politische Willensbildung. Um dieser Bedeutung hinreichend Rechnung zu tragen, bedürfen Eingriffe in die ansonsten vorbehaltlos gewährleistete Versammlungsfreiheit einer einheitlichen Regelung sowohl unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der Rechtseinheit als auch der Wahrung einheitlicher Lebensverhältnisse im Sinne des Art. 72 Abs. 2 GG. Im übrigen ist das Versammlungsgesetz, wie bereits mehrfach erwähnt, de lege lata die einzige Kodifikation, die den formellen und materiellen Anforderungen des Vorbehalts des Art. 8 Abs. 2 GG entspricht 770 . Auch dies bekräftigt die Annahme, daß gezielte Eingriffe in Art. 8 GG im Versammlungsgesetz abschließend geregelt sind, was von den Landespolizeigesetzgebern respektiert wird bzw. respektiert werden muß 7 7 1 . Das Versammlungsgesetz ist aber nicht nur Vorbehaltsgesetz im Sinne des Art. 8 Abs. 2 GG. Mit dem Versammlungsgesetz wurde zugleich dem Anliegen des 766 Vgl. Kunig, in: v.Münch/ Kunig, GG Bd. 1, Art. 8 Rdnr. 35; Herzog, in: Maunz/ Dürig/Herzog/Scholz, Art. 8 Rdnr. 75; Gallwas, JA 1986, 484 (489); Bertuleit / Herkströter, in: Ridder u. a., § 17 a Rdnrn. 13 ff.; Ehrentraut, S. 149, der zumindest dann einen Eingriff annimmt, soweit identitätsverhüllende Aufmachungen meinungsdarstellenden Charakter haben; a. A. VG Minden, NVwZ 1984, 331. 767 Geis, Die Polizei 1993, 293 (295); OVG Bremen, NVwZ 1990, 1188 (1189). 768 § 2 Abs. 2 und 3 VersG enthalten keine Ermächtigungsgrundlage, ausführlich dazu Hainas, S. 62 ff.; Breitbach, in: Ridder u. a., § 2 Rdnrn. 31 ff.; Ott/Wächtler, § 2 Rdnr. 5; Dietel/Gintzel/Kniesel, § 2 Rdnrn. 49 ff. 769 Breitbach/Deiseroth/Rühl, in: Ridder u. a., § 15 Rdnr. 161. 770 Vgl. dazu Alberts, JA 1986, 72 (74 ff.); Hainas, S. 26; Kunig, in: v.Münch/Kunig, GG Bd. 1, Art. 8 Rdnr. 30. Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 8 Rdnr. 94, wonach die Polizeigesetze kein versammlungsspezifisches Recht seien, da das Versammlungsgesetz eine Güterabwägung vorgenommen habe, indem es Eingriffe in Art. 8 GG nur bei unmittelbarer Gefahr für die öffentliche Sicherheit zulasse. 771 Kritisch sind daher die Regelungen zur Videoüberwachung in den Landespolizeigesetzen, soweit sie auch bei Versammlungen anwendbar sein sollen. Insoweit sind die Polizeigesetze verfassungskonform auszulegen.

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Gesetzgebers Rechnung getragen, Mißbräuchen der Versammlungsfreiheit, bedingt durch „undemokratische Versammelte", zu begegnen772. Die Rechte und Pflichten der Versammelten sollten festlegt werden, um so das Verhalten der Versammlungsteilnehmer und die Handhabung der Versammlungsleitung zu bestimmen 773 . Man wollte „Spielregeln" aufstellen, um die Durchführung der Versammlung zu gewährleisten und Störungen und Sprengungen zu unterdrücken 774. Unter Sprengung werden dabei Störungen zwischen einzelnen Versammlungsteilnehmern verstanden 7 7 5 . Im Vordergrund stand also die ordnungsgemäße Durchführung der Versammlung gerade im Hinblick auf das Verhalten der Versammelten. Diese Intention spiegelt sich deutlich in den einzelnen Vorschriften wieder. So enthält das Versammlungsgesetz eine umfassende Regelung zu Organisation und Ablauf der Versammlung (§§ 6 - 1 2 , 14 VersG). Auch insoweit ist die Regelung daher abschließend776. Zugleich ist das Versammlungsgesetz aber auch Gefahrenabwehrgesetz und stellt einzelne spezielle Eingriffsbefugnisse gerade für Störungen, die aus der Versammlung heraus resultieren, zur Verfügung 777. So können nach § 18 Abs. 3 VersG und § 19 Abs. 4 VersG gröblich störende Teilnehmer von der Versammlung ausgeschlossen werden. Im Falle einer Gefahr oder Störung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung durch die gesamte Versammlung kann diese nach den §§5, 13 und 15 VersG präventiv verboten oder nachträglich aufgelöst werden. Bei unmittelbaren Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung besteht zudem die Möglichkeit der Auflagenerteilung im Sinne einer beschränkenden Verfügung. Allenfalls insoweit sind die Eingriffsbefugnisse auch abschließend im Sinne der Art. 70 und 72 GG geregelt, auch wenn heute weitgehend Einigkeit darüber besteht, daß diese Eingriffsbefugnisse zur Erreichung des Ziels einer ordnungsgemäßen Durchführung der Versammlung unzureichend sind und den Versammlungssituationen der heutigen Zeit nicht mehr gerecht werden. Zur Schließung dieser Lücken hat das Bundesverwaltungsgericht mit der Anwendung milderer Maßnahmen im Rahmen des Verhältnismäßigkeitsprinzips einen, wenn auch nicht dogmatisch einwandfreien, aber gangbaren Weg aufgezeigt. Was jedoch die Gefahren im Vorfeldbereich sowie Störungen, die von außen auf die Versammlung einwirken, angeht, kann dem Versammlungsgesetz ein abschlie772 Vgl. Innenminister Lehr, BT-Prot., 1. WP, 2. und 3. Beratung des Versammlungsgesetzes, 264. Sitzung v. 06. 05. 1953, S. 12852. 773 Vgl. Innenminister Lehr, BT-Prot., 1. WP, 2. und 3. Beratung des Versammlungsgesetzes, 264. Sitzung v. 06. 05. 1953, S. 12852 f. 774 Vgl. Innenminister Heinemann, 1. Beratung des Versammlungsgesetzes, BT-Prot., 1. WP, 83. Sitzung v. 12. 09. 1950, S. 3123. Ebenso Innenminister Lehr, 2. und 3. Beratung des Versammlungsgesetzes, BT-Prot., 1. WP, 264. Sitzung v. 06. 05. 1953, S. 12852. 77 5 Zur Terminologie Pieroth/Schlink, Rdnr. 701 sowie Rühl, NVwZ 1988, 577 (580). 77 6 Würtenberger/Heckmann/Riggert, Rdnr. 197; Geis, Die Polizei 1993, 293 (294); ähnlich auch BVerwGE 80, 158 (159). 77 7 Kniesel, in: Lisken/Denninger, H Rdnr. 207; Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog/ Scholz, Art. 8 Rdnr. 105; Rühl, in: Ridder u. a., § 13 Rdnr. 17.

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ßender Charakter nicht entnommen werden. Bei diesen Gefahren handelt es sich ebenfalls um versammlungsspezifische Gefahren, für die das Versammlungsgesetz jedoch keine ausreichenden Regelungen bereithält. Dies wird besonders daran deutlich, daß das Versammlungsgesetz in § 2 Abs. 2 und 3 VersG zwar Störungsund Waffentragungsverbote auch für auf dem Weg zu einer Versammlung befindliche Personen enthält, jedoch keine entsprechenden Befugnisregelungen normiert. Es ist mit den Worten von Geis 778 daher nicht anzunehmen, „daß das Versammlungsgesetz seine eigene Nichtvollziehbarkeit zum Prinzip erheben will." Die Untätigkeit des Gesetzgebers trotz Bewußtseins der prinzipiellen Lückenhaftigkeit des Versammlungsgesetzes deutet vielmehr darauf hin, daß er von der Möglichkeit der ergänzenden Anwendung des Polizeirechts zur Lückenschließung ausgeht. Der Rückgriff auf die Gefahrenabwehrbefugnisse der allgemeinen Polizei- und Ordnungsgesetze ist daher insoweit grundsätzlich zulässig 779 . Die Auffassung, das Versammlungsgesetz regele sämtliche versammlungsspezifischen Gefahren abschließend, ist daher abzulehnen. Die Systematik und die Funktion des Versammlungsgesetzes gerade auch als ein Gefahrenabwehrgesetz lassen eine solche Auslegung nicht zu. Das Versammlungsgesetz ist abschließend, soweit gezielte Eingriffe in Art. 8 GG geregelt sind. Die Eingriffsermächtigungen des Versammlungsgesetzes sind überwiegend auf die laufende Versammlung und deren Teilnehmer zugeschnitten, unabhängig davon, ob diese friedlich oder unfriedlich sind und daher den Schutz des Art. 8 GG genießen780. Auch insoweit ist es abschließend. Schließlich ist es abschließend, soweit die Durchführung der Versammlung betroffen ist. In den übrigen Bereichen ist das Versammlungsgesetz nur abschließend, wenn es einzelne Tatbestände explizit regelt. Andernfalls ist die Anwendung des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts zulässig. Das allgemeine Polizeirecht kann ferner zur Konkretisierung der verfassungsimmanenten Schranken der Friedlichkeit und Waffenlosigkeit herangezogen werden 781 . Ebenfalls nicht ausgeschlossen sind die Vorschriften des allgemeinen Polizeirechts zur Durchsetzung nicht versammlungsspezifischer Gefahren 782 und, wie bereits ausgeführt, zur Durchsetzung versammlungsrechtlicher Verfügungen. Schließlich sind die Rechtsgrundlagen des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts auch gegenüber nichtöffentlichen Versammlungen, für die das Versammlungsgesetz keine abschließende Regelung bereithält, anwendbar 783. Soweit polizeiliche Maßnahmen in dem nicht vom Versammlungsrecht abschließend geregelten Bereich Art. 8 GG tangieren, sind die Vorschriften des Polizei- und Ordnungsrechts verfassungskonform anzu-

778 Geis, Die Polizei 1993, 293 (294). 779 Ebenso Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 142. 780 Kniesel, in: Lisken / Denninger, H Rdnr. 207. 781 Drosdzol, JuS 1983,409 (412 f.). 782 Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 142; vgl. auch MdB Becker, BT-Prot., 1. WP, 220. Sitzung v. 26. 06. 1952, S. 9735. 783 Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 343.

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wenden. Dabei können die Grundsätze der Vorschriften des Versammlungsgesetzes, soweit diese Konkretisierungen des Art. 8 Abs. 1 GG enthalten, durchaus herangezogen werden. In der Praxis ergibt sich daher kein großer Unterschied, wenn man in diesen Fällen eine entsprechende Heranziehung der Vorschriften des Versammlungsgesetzes befürwortete.

4. Anwendungsfalle von Platzverweis und Aufenthaltsverbot im Zusammenhang mit Versammlungen Staatliche Maßnahmen bei Versammlungen können die Durchführung der gesamten Versammlung betreffen, also versammlungsbezogen sein. Hierzu gehören das Verbot und die Auflösung einer Versammlung sowie die die Versammlungsfreiheit beschränkende Verfügung. Maßnahmen können sich aber auch personenbezogen nur gegen bestimmte Teilnehmer oder Teilnahmewillige richten, wie etwa der Versammlungsausschluß. Versammlungsteilnehmer sind entsprechend dem Regelungsbereich des Versammlungsgesetzes sowohl friedliche als auch unfriedliche Versammelte innerhalb einer laufenden Versammlung, obwohl letztere den Grundrechtsschutz für die aktuelle Versammlung verwirkt haben. Im folgenden werden zunächst die Möglichkeiten einer polizeilichen Verweisung der gesamten Versammlung vor und während der Veranstaltung (unter a) sowie gegenüber einzelnen Teilnehmern (unter b) untersucht. Da das Versammlungsgesetz anreisende Versammlungswillige nicht als Teilnehmer bezeichnet, wie sich aus der klaren Differenzierung in § 17 a VersG zwischen Teilnehmern und Personen, die sich auf dem Weg zu einer Versammlung befinden, ergibt, werden etwaige Anwendungsbereiche des Platzverweises oder sonstiger Verweisungsmaßnahmen gegenüber den sogenannten „Nochnichtteilnehmern" 784 gesondert in Verbindung mit solchen Personen behandelt, die nicht an der Versammlung teilnehmen wollen, diese aber dennoch stören (unter c). Daran anschließend wird der Zulässigkeit polizeilicher Verweisungen in und nach der Auflösungsphase nachgegangen (unter d und e). Abschließend werden die Anforderungen an polizeiliche Verweisungen, die nicht gezielt das Versammlungsgrundrecht beeinträchtigen, untersucht (unter f).

a) Maßnahmen gegenüber der gesamten Versammlung vor und während der Veranstaltung aa) Versammlungsbeendende und -verhindernde Maßnahmen Im vorangegangenen Abschnitt wurde bereits darauf hingewiesen, daß das Versammlungsgesetz mit Verbot und Auflösung die Möglichkeiten einer staatlichen Verhinderung oder Beendigung der Versammlung abschließend normiert. Nach 784 Begriff auch bei Kniesel, DÖV 1992, 470 (474).

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dem Willen des Gesetzgebers soll eine Versammlung nur durch ein förmliches Verbot nach § 5 VersG bzw. § 15 Abs. 1 VersG von vornherein untersagt oder durch eine förmliche Auflösung nach § 15 Abs. 2 VersG bzw. § 13 VersG wirksam beendet werden können 785 . Platzverweise oder Aufenthaltsverbote, die gezielt gegen die Versammlungsteilnehmer eingesetzt werden und damit zur Beendigung der Versammlung führen, sind daher aus Gründen der Spezialität auch gegenüber einer kollektiv unfriedlich gewordenen Versammlung unzulässig786. Dies ist weitgehend unstreitig 787 . Ebenso unzulässig wäre es, eine mißliebige Versammlung ohne förmliches Verbot bereits im Vorfeld durch Absperrung des gewünschten Versammlungsortes zu unterbinden. Ähnlich verhielt es sich aber in einem Fall des VG Weimar 788 , das über die Rechtmäßigkeit der durch polizeiliche Absperrung des Versammlungsortes erfolgten Unterbindung einer zunächst unter Auflagen gestatteten Mahnwache anläßlich eines Besuchs des chinesischen Ministerpräsidenten zu entscheiden hatte. Durch die Absperrung des Platzes war es den angemeldeten Versammlungswilligen nicht mehr möglich, die Mahnwache abzuhalten. Das VG Weimar ging hier von einem Quasi-Versammlungsverbot aus, weil die Mahnwache an einem anderen Ort sinnlos war. Das Verbot wurde für rechtswidrig befunden, weil eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht vorgelegen habe. Geht man mit dem VG Weimar aber von einer versammlungsrechtlichen Maßnahme im vorliegenden Fall aus, wäre das Versammlungsverbot bereits deswegen rechtswidrig gewesen, weil die Versammlung nicht förmlich verboten wurde 789 . Die bloße Absperrung des Versammlungsortes reicht nicht

785 OVG Bremen, NVwZ 1987, 235 (236); VGH Mannheim, VB1BW 1986, 299 (304). Vgl. auch oben 2. Teil, C. II. 3. b) bb). 786 Gleichwohl geschehen bei VG Bremen, NVwZ 1986, 862 ff.; LG München, ArbuR 1994, 384 ff. - Weltwirtschaftsgipfel. 787 Vereinzelt wird dem BayObLG eine gegenteilige Auffassung unterstellt, wenn es bzgl. der Anwendung allgemeinpolizeilicher Maßnahmen in NVwZ 1990, 194 (196) ausführt, es sei „nicht von vornherein unzulässig, eine Menschenmenge, aus der heraus Gewalttätigkeiten zu befürchten sind und die nicht anders zerstreut werden kann, zwangsweise dadurch aufzulösen, daß die Teilnehmer kurzfristig festgenommen werden, um den Zusammenhalt der Menschenmasse und damit die Begehung von Gewalttätigkeiten zu unterbinden." Betrachtet man diese Aussage im Kontext der Entscheidung wird aber deutlich, daß hier bereits eine ordnungsgemäße versammlungsgesetzliche Auflösung vorangegangen war und es nur noch um Folgemaßnahmen aufgrund allgemeinen Polizeirechts gegenüber der Menschenmenge ging. Vgl. auch jetzt KG Berlin, NVwZ 2000,468 ff. zum „Berliner Kessel" von 1987. 788 VG Weimar, ThürVBl. 1995,43 ff. 789 VG Weimar, ThürVBl. 1995, 43 (44). Da Grund der Absperrung nicht eine Gefahr durch die Versammlung war, sondern der allgemeine Schutz des chinesischen Ministerpräsidenten, könnte man auch an eine nicht in Art. 8 GG gezielte Eingriffsmaßnahme denken, s. dazu unten in diesem Teil, C. II. 4. f). 790 Zur Frage der konkludenten Auflösung durch Platzverweis, s. unten in diesem Teil, C. II. 4. d).

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bb) Räumliche Beschränkung der gesamten Versammlung Da polizeiliche Verweisungen in erster Linie den Versammlungsort betreffen, müssen sie im Zusammenhang mit Versammlungen nicht zwingend eine versammlungsbeendende Wirkung haben. Ihnen kann vielmehr eine die Versammlung lenkende Wirkung zukommen, ohne deren Bestand an sich in Frage zu stellen 791 . In einem vom VGH Mannheim 792 entschiedenen Fall wurden die Versammlungsteilnehmer von der Polizei aufgefordert, die von ihnen blockierte Zufahrt zu einem US-Militärgelände unverzüglich zu räumen und an den Fahrbahnrand zurückzutreten. Vorangegangen waren Protestaktionen von Anhängern verschiedener Friedensbewegungen anläßlich des Jahrestages des sogenannten Nato-Doppelbeschlusses. Einige der Demonstranten setzten sich auf die Fahrbahn, um die ankommenden Fahrzeuge der US-Armee an der Einfahrt in das Gelände zu hindern. Mit der behördlichen Aufforderung, die Fahrbahn freizumachen, sollte aber nicht das Recht der Teilnehmer zur kollektiven Bekundung ihrer politischen Meinung unterbunden werden, sondern nur der Aufenthalt an einem bestimmten eng begrenzten Ort - der Fahrbahn. Demzufolge sah der Mannheimer VGH in dem Räumungsbefehl auch keine Auflösung, sondern eine die Versammlung „räumlich beschränkende Verfügung", die die Meidung eines Versammlungsortes gebiete, die Fortsetzung der Versammlung an einem anderen Ort - hier dem Fahrbahnrand - aber unberührt lasse. Als Rechtsgrundlage zog das Gericht mit Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts § 15 Abs. 2 VersG heran, wonach die Versammlung noch nachträglich von „bestimmten Auflagen" als Minusmaßnahmen abhängig gemacht werden könne 793 . Aus Gründen der Verhältnismäßigkeit dürfe die Behörde daher auch von dem Mittel einer räumlichen Beschränkung der Versammlung Gebrauch machen 794 . Anders als das Bundesverwaltungsgericht entnimmt der VGH Mannheim die Rechtsgrundlage aber allein § 15 Abs. 2 i. V. m. § 15 Abs. 1 VersG und nicht ergänzend aus dem Katalog der der zuständigen Behörde zustehenden - landesrechtlichen - Befugnisse 795. An sich ist die Aufforderung, von der Fahrbahn zurückzutreten, ein klassischer Platzverweis. Dieser ist jedoch in BadenWürttemberg nicht standardisiert und der hier anstelle der zuständigen Kreispolizeibehörde handelnde Polizeivollzugsdienst hat zum Erlaß von Maßnahmen aufgrund der polizeilichen Generalklausel keine eigene Zuständigkeit. Es wurde zwar eine Eilfallzuständigkeit wegen Gefahr im Verzug festgestellt, die Einbeziehung der Generalklausel in den Katalog der zulässigen Auflagen im Sinne des § 15 791 Zu dem aus Art. 8 GG fließenden Selbstbestimmungsrecht in örtlicher Hinsicht, oben in diesem Teil, C. II. 2. b) cc). 7 92 VGH Mannheim, NVwZ 1989, 163 f. 793 VGH Mannheim, NVwZ 1989, 163 f. 794 Vgl. VGH Mannheim, NVwZ 1989, 163 f.; VB1BW 1986, 299 (304); zustimmend Götz, NVwZ 1990, 725 (731); Habermehl, Rdnr. 126; Ott, NJW 1985, 2384 (2385); Zeitler, Versammlungsrecht, Rdnrn. 646 ff. Ähnlich der Fall des KG Berlin, NJW 1985, 209 ff. 795 Hierzu ausführlich in diesem Teil, C. II. 3. b) bb).

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VersG schien aber möglicherweise aus Bestimmtheitsgründen zweifelhaft. Entsprechend dem Grundsatz a fortiori bot es sich daher für den VGH Mannheim an, die Rechtsgrundlage allein in § 15 Abs. 2 VersG zu suchen. Dies entspricht insoweit auch der Auslegung des ebenfalls für abschließend befundenen § 164 StPO, der auch direkt als Rechtsgrundlage für mildere Maßnahmen dient 796 . Voraussetzung der räumlichen Beschränkung als Minusmaßnahme ist das Vorliegen einer unmittelbaren Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Verlangt wird die hohe Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts eines kollidierenden Schutzgutes, welches zumindest der Versammlungsfreiheit gleichwertig ist. Bei Abwägung der kollidierenden Interessen 797 steht auf Seiten der Versammelten Art. 8 Abs. 1 GG, da auch eine Sitzblockade, die bewußt zur Steigerung der Wirkungschancen der Meinungskundgabe eingesetzt wird, nicht unfriedlich ist 7 9 8 . Auf der anderen Seite steht das Interesse an der Einfahrt in das Militärgelände und damit die Nutzungsmöglichkeit des Besitzes oder Eigentums sowie die Funktionsfähigkeit staatlicher Einrichtungen 799 . Bei Abwägung der widerstreitenden Interessen wird man eine kurzfristige Blockade grundsätzlich als zulässig ansehen müssen. Denn zum einen war der Dienstbetrieb der Kaserne nicht oder nur geringfügig gefährdet. Im konkreten Fall wartete die Polizei etwa fünfzehn Minuten, bis sie die räumliche Beschränkung zwangsweise durchsetzte. Längerfristige Blockadeaktionen sind jedoch im Hinblick darauf, daß durch sie der Besitz gestört werden kann, bedenklich. Zum anderen wurde durch die räumliche Beschränkung auf den Fahrbahnrand der Versammlungsort selbst und die mit ihm verbundene Ausdrucksform aufgrund der weiterhin bestehenden räumlichen Nähe zum Militärgelände nicht wesentlich beeinträchtigt 800. Das Selbstbestimmungsrecht über die Modalitäten der Versammlung durfte daher zugunsten der Rechte der Angehörigen der US-Armee eingeschränkt werden. Ebenso bestätigte das Bundesverfassungsgericht in einer neueren Entscheidung die Zulässigkeit einer per Allgemeinverfügung erteilten räumlichen Beschränkung von Versammlungen für den Bereich eines Korridors im engeren Umfeld der Verladestelle von Castorbehältern 801. Versammlungen seien in Sicht- und Hörweite des Korridors weiterhin möglich, so daß der Kommunikationszweck der Versammlung durch die räumliche Beschränkung nicht „notwendig verfehlt oder auch nur erheblich beeinträchtigt" würde. Dem Verhältnismäßigkeitsprinzip wurde zudem dadurch Rechnung getragen, daß nach dem Passieren des Zuges die einzelnen Flächenabschnitte wieder freigegeben wurden. Generell ist die Abgrenzung zwischen 796 s. oben 2. Teil, B. IU. 797 s. oben 2. Teil, C. II. 2. b) cc). 798 Zeitler, Versammlungsrecht, Rdnr. 570. 799 VGH Mannheim, NVwZ 1989, 163 (164); Zeitler, Versammlungsrecht, Rdnr. 571. 800 VGH Mannheim, NVwZ 1989, 163; zustimmend auch Zeitler, Versammlungsrecht, Rdnr. 652. 801 BVerfGE, NJW 2001, 1411 (1412 f.) - Castor-Transport.

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der räumlichen Beschränkung einer Versammlung und einem Verbot im Einzelfall streng an dem Zweck der Versammlung und den nach einer räumlichen Verlegung verbleibenden Wirkungschancen vorzunehmen 802. Die Auflage nach § 15 Abs. 1 VersG, einen bestimmten Ort während der Versammlung nicht zu betreten, ist zur Vermeidung von Kollisionen mit Rechtsgütern anderer auch denkbar, soweit es um Gegendemonstrationen oder konkurrierende Versammlungen geht. Voraussetzung ist aber auch hier die unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Da allerdings im Versammlungsrecht das „Prinzip der ersten Anmeldung" gilt, kommt die Verlegung der Demonstrationsroute der zuerst angemeldeten Versammlung nur im Rahmen der Kooperation oder dann in Betracht, wenn andernfalls die zuletzt angemeldete Veranstaltung „um ihren Versammlungszweck überhaupt gebracht würde" 803 . Allgemeinpolizeiliche Verweisungsmaßnahmen gegenüber der gesamten Versammlung bzw. gegenüber allen Versammlungsteilnehmern sind daneben dann möglich, wenn die Veranstaltung auf fremden Privatgrundstücken abgehalten wird 8 0 4 . Hier geht die Störung zwar auch von der Versammlung aus, die Verweisung richtet sich aber nicht gegen die Durchführung der Versammlung und ihre Modalitäten, sondern sie ergeht in erster Linie zum Schutze des grundrechtlich geschützten Eigentums. b) Platzverweise gegenüber einzelnen Teilnehmern während der Versammlung Läßt man mit dem Bundesverwaltungsgericht weniger einschränkende Maßnahmen im Vergleich zu Verbot und Auflösung über den Begriff der „Auflage" im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG zu, ist fraglich, ob dann nur die gesamte Versammlung betreffende Maßnahmen zulässig sind oder auch unmittelbar teilnehmerbezogene. Nach dem Wortlaut des § 15 Abs. 1 VersG ist letzeres nicht zwingend. Für den Zeitraum vor Beginn der Veranstaltung, also dem eigentlichen Anwendungsbereich des § 15 Abs. 1 VersG, sind Auflagen grundsätzlich versammlungsbezogen und auch nur über den Veranstalter durchsetzbar, da die potentiellen Teilnehmer noch nicht bekannt sind. Nach Beginn der Veranstaltung ist die Situation aber eine andere. Es ist hier durchaus möglich und sachgerecht, unmittelbar einzelnen Teilnehmern gegenüber Anordnungen als mildere Maßnahmen im Vergleich zur Auflösung zu erlassen 805 . Dies gebietet schon der Schutz der Versammlung zugunsten friedlicher Teilnehmer. 802 So hatte im Fall des VG Weimar, ThürVBl. 1995, 43 ff. die geplante Mahnwache an einem anderen Platz als den, den auch der chinesische Ministerpräsident besuchte, überhaupt keine Wirkungschancen. 803 Breitbach/Deiseroth/Rühl, in: Ridderu. a., § 15 Rdnr. 215. 804 So auch Gusy, JuS 1993, 555 (556); Breitbach/Deiseroth/Rühl, in: Ridder u. a., § 15 Rdnr. 197. S. dazu im 1. Teil, C. II. 3. und unten in diesem Teil unter f). 805 Kniesel, in: Lisken / Denninger, H Rdnr. 560; ders., DÖV 1992, 470 (475).

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Die Möglichkeit eines polizeilichen Platzverweises gegenüber einzelnen Teilnehmern einer Versammlung erscheint allerdings fraglich, da dieser faktisch einem endgültigen oder zumindest vorübergehenden Ausschluß von der Versammlung und damit einer Beendigung der Teilnahme für den Betroffenen gleichkommen würde. Die Möglichkeiten des Teilnehmerausschlusses sind jedoch im Versammlungsgesetz mehrfach ausdrücklich geregelt. So können Teilnehmer, die die Ordnung einer Versammlung unter freiem Himmel oder eines Aufzuges gröblich stören, nach § 18 Abs. 3 VersG bzw. § 19 Abs. 4 VersG von der Versammlung ausgeschlossen werden. Zudem besteht nach § 17 a Abs. 4 VersG die Möglichkeit, Personen, die gegen das Vermummungs- und Passivbewaffnungsverbot verstoßen, auszuschließen. Der Ausschluß begründet - wie der Platzverweis - die Pflicht, die Versammlung sofort zu verlassen 806. Schließlich wurde bereits dargelegt, daß das Versammlungsgesetz die Tatbestände einer förmlichen Beendigung der laufenden Versammlung abschließend normiert. Angesichts der im Verhältnis zu anderen Eingriffsbefugnissen vergleichsweise detaillierten Regelung des Versammlungsausschlusses liegt es nahe, daß auch der Versammlungsausschluß, der ebenfalls zu einer Beendigung der Versammlung für den betroffenen Teilnehmer führt, abschließend geregelt ist. Es sind auch keine Gründe ersichtlich, weshalb der Gesetzgeber die Regelung des Teilnehmerausschlusses nur auf einzelne Tatbestände beschränkt haben sollte. Es spricht daher viel für die von Teilen der Literatur vertretene Auffassung, im Rahmen des § 15 Abs. 2 VersG könnten nur solche Standardbefugnisse herangezogen werden, die eine Teilnahme an der Versammlung weiterhin ermöglichen 807 . Demgegenüber lassen Halwas und Zeitler 808 über § 15 Abs. 2 VersG einen teilnehmerbezogenen Platzverweis als milderen Eingriff neben den versammlungsgesetzlichen Ausschluß Vorschriften zu. § 15 VersG einerseits und den Ausschlußtatbeständen in §§ 18 und 19 VersG andererseits lägen unterschiedliche Schutzgüter zugrunde. Die Ausschlußvorschriften schützten allein die innere Ordnung der Versammlung, Störungen der öffentlichen Sicherheit seien hiervon nicht erfaßt 809 . Ein polizeilicher Platzverweis i. V. m. § 15 Abs. 2 VersG würde sich aber gegen unmittelbare Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung richten. Solche könnten zwar auch von Versammlungsteilnehmern ausgehen, sie gefährdeten den Fortbestand der Versammlung aber nur mittelbar - etwa durch eine Auflösung - , so daß die §§ 18 Abs. 3 und 19 Abs. 4 VersG vom Sinn und Zweck her zur Beseitigung derartiger Gefahren nicht anwendbar seien 810 . 806

Anders als § 18 Abs. 1 VersG verweist § 19 VersG jedoch nicht auf das gesetzlich normierte Entfernungsgebot des § 11 Abs. 2 VersG. Dies wird als redaktionelles Versehen gewertet. Bei Ausschluß des Teilnehmers nach § 19 Abs. 4 VersG ist die Entfernungspflicht daher mit der Ausschlußverfügung auszusprechen, vgl. dazu Dietel/Gintzel/Kniesel, § 19 Rdnr. 27. 807 Kniesel, DÖV 1992, 470 (475); ders., in: Lisken/Denninger, H Rdnr. 562; Geis, Die Polizei 1993, 293 (297); dazu auch Breitbach, in: Ridder u. a., § 2 Rdnr. 31. 808 Halwas, S. 166 f. und Zeitler, Versammlungsrecht, Rdnr. 434. 809 Halwas, S. 166. 14 Neuner

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

Die Polizei kann nach § 18 Abs. 3 VersG und § 19 Abs. 4 VersG einen Teilnehmer von der Versammlung ausschließen, welcher „die Ordnung der Versammlung gröblich stört". Über den Begriff der gröblichen Störung der Ordnung einer Versammlung besteht weitgehende Einigkeit. § 8 VersG bestimmt, daß der Leiter während der Versammlung für Ordnung zu sorgen hat. Bei den Ausschlußtatbeständen muß es sich folglich um Störungen handeln, die zeitlich, örtlich, teilnehmerbezogen und sachlich in einer Versammlung geschehen. Die Versammlung soll also vor Verhaltensweisen ihrer Teilnehmer geschützt werden, die sich gegen den Fortbestand der Versammlung richten, weil sie eine „Unterbrechung, Behinderung, Auflösung oder Aufhebung bezwecken" und so den ordnungsgemäßen Ablauf der Versammlung gefährden 811. Als Beispiel nennt Halwas 812 Teilnehmer, die beabsichtigen, eine Versammlung von innen zu sprengen. Des weiteren werden das Niederrufen des Versammlungsredners oder lautstarke Parolen bei einem Schweigemarsch genannt 813 . Der Fortbestand der Versammlung ist aber nicht weniger gefährdet, wenn gesetzliche Verbote - etwa das Waffentragungsverbot nach § 2 VersG - und behördliche Auflagen von Teilnehmern mißachtet werden. Denn solche Verstöße stellen Gefahren für die öffentliche Sicherheit dar, die wiederum zu einer Auflösung der Versammlung führen können. Störungen der öffentlichen Sicherheit in einer Versammlung sind daher regelmäßig auch Ordnungsstörungen, die grundsätzlich der Leiter zu unterbinden hat 8 1 4 . Der Begriff der gröblichen Störung ist insoweit weitergehend, weil er auch Störungen unterhalb der Schwelle der Gefährdung der öffentlichen Sicherheit erfaßt. Dies schließt aber Störungen der öffentlichen Sicherheit selbst nicht aus. Es ist daher nicht überzeugend, jegliche Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit von dem Begriff der gröblichen Störung auszunehmen. Bewaffnete und gewaltbereite Teilnehmer stellen darüber hinaus auch für die übrigen Versammlungsteilnehmer eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. Sie stören die Ordnung der Versammlung daher gröblich und sind nach § 18 Abs. 3 bzw. § 19 Abs. 4 VersG auszuschließen815. Einer Herleitung dieses Ergebnisses über den Begriff der Auflage im Sinne des § 15 Abs. 1 VersG bedarf es indes nicht. Dieses Ergebnis vermag auch die ausdrückliche Normierung des Ausschlusses in § 17 a Abs. 4 VersG nicht in Frage zu stellen. Nach § 17 a Abs. 4 VersG können Personen von der Veranstaltung ausgeschlossen werden, wenn sie dem gesetzlich normierten Passivbewaffnungs- und Vermummungsverbot zuwider handeln. Die Vermummung oder Passivbewaffnung an sich wäre zwar noch keine „gröbliche

810 Halwas, S. 166. 811 Halwas, S. 47 und S. 166; Meyer/Köhler, § 11 Anm. 2; Breitbach, in: Ridder u. a., § 11 Rdnr. 11. 812 Halwas, S. 166. 813 Beispiele bei Kniesel, in: Lisken/Denninger, H Rdnr. 577. 814 So zu Recht Dietel/Gintzel/Kniesel, § 8 Rdnr. 16. 815 So wohl auch Ott/Wächtler, Einführung Rdnr. 70 (2. Beispiel).

C. Verweisungsmaßnahmen bei Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 8 GG

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Störung" der Ordnung einer Versammlung 816. Als Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot ist sie aber eine Störung der öffentlichen Sicherheit, die wiederum eine Auflösung zur Folge haben könnte. Einer gesonderten Vorschrift hätte es dann eigentlich nicht bedurft. § 17 a Abs. 4 VersG greift aber - anders als die übrigen Ausschlußtatbestände - in den Vorfeldbereich hinein. Als Eingriff in Art. 8 GG bedurfte es daher einer Regelung im Versammlungsgesetz. Darüber hinaus wurde § 17 a VersG mit Blick auf die Rechtsklarheit ausdrücklich und gesondert nor.817

miert Im Rahmen des § 15 Abs. 2 VersG können somit gegenüber einzelnen Teilnehmern nur solche Maßnahmen herangezogen werden, die die Möglichkeit der Teilnahme an der Versammlung weiterhin erhalten. Verstößt ein Teilnehmer unabhängig von dem Ablauf der Versammlung gegen die öffentliche Sicherheit - wenn sich etwa ein Taschendieb unter den Versammlungsteilnehmern befindet - muß gegen ihn in erster Linie repressiv vorgegangen werden. Zulässig wäre bei Vorliegen der Voraussetzungen auch der Einsatz präventivpolizeilicher Mittel, da entsprechende Gefahrenabwehrmaßnahmen sich nicht gegen die Versammlung als solche richten, sondern dem allgemeinen Rechtsgüterschutz dienen 818 . Präventive Platzverweise kommen nach Erledigung der repressiven Maßnahmen in Betracht, um den Betroffenen für den Rest der Veranstaltung von der Versammlung fernzuhalten, falls weiterhin eine allgemeinpolizeiliche Gefahr von ihm ausgeht.

c) Platzverweise gegenüber Nichtteilnehmern und Nochnichtteilnehmern Hinsichtlich versammlungsspezifischer Gefahren, die von außenstehenden Personen, die sich nicht auf Art. 8 GG berufen können, ausgehen, wurde das Versammlungsgesetz als nicht abschließend befunden. Die Anwendung allgemeinen Polizeirechts ist daher grundsätzlich zulässig und zum Schutze der Versammlung auch geboten, es sei denn, das Versammlungsgesetz enthält im Einzelfall hierfür eine spezielle Regelung. Da das Versammlungsgesetz vorrangig auf die existente Versammlung abstellt, werden zum einen solche Personen als „Nichtteilnehmer" bezeichnet, die von vornherein nicht die Teilnahme an der Versammlung, sondern vielmehr deren Störung beabsichtigen. Zum anderen sind auch diejenigen Personen „noch nicht Teilnehmer", die zu einer Versammlung anreisen. Dies ergibt sich deutlich aus § 17 a Abs. 4 VersG, der zwischen Teilnehmern und solchen „Personen, die sich 816 So Kniesel, in: Lisken/Denninger, H Rdnr. 750; Bertuleit/Herkströter, in: Ridder, u. a. § 17 a Rdnr. 44. 817 Vgl. auch den Bericht des Rechtsausschusses zum Entwurf des Strafrechtsänderungsgesetzes zu § 17 a VersG, BT-Drs. 10/3580, S. 5. 818 S. dazu unten in diesem Teil unter f). 14*

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

auf dem Weg zu einer Versammlung befinden", unterscheidet. § 17 a Abs. 4 VersG ist die einzige Regelung, die eine gefahrenabwehrrechtliche Maßnahme - den Ausschluß - gegenüber „Nochnichtteilnehmern" im Versammlungsvorfeld enthält, obwohl gerade dieser Bereich aus gefahrenabwehrrechtlicher Sicht von besonderer Bedeutung erscheint 819. Je frühzeitiger der sich im Vorfeld andeutenden Gewaltbereitschaft einzelner begegnet werden kann, desto effektiver dürfte sich der Schutz der friedlichen Teilnehmer und die Durchführung der Versammlung realisieren lassen. Im übrigen enthält das Versammlungsgesetz in bezug auf bewaffnete oder unfriedliche Anreisende Verbots- und entsprechende Strafvorschriften, z. B. § 2 Abs. 3 VersG und § 27 VersG, jedoch keine entsprechenden präventivpolizeilichen Befugnisnormen, die zum Ausschluß dieser Personen berechtigen. Insbesondere ist der Ausschluß eines sich bereits auf dem Weg zu einer Versammlung befindlichen Bewaffneten und Unfriedlichen nicht nach § 18 Abs. 3 VersG möglich 820 , da die Vorschrift ihrem eindeutigen Wortlaut nach auf die Teilnehmereigenschaft abstellt und damit eine existente Versammlung voraussetzt. Lediglich für Versammlungen in Räumen sieht das Versammlungsgesetz die Möglichkeit vor, potentielle Teilnehmer nach § 6 VersG bereits in der Einladung von der Versammlung auszuschließen. Ist dies nicht geschehen, haben die Teilnehmer ein Zutrittsrecht. Der Leiter könnte dann Personen, die die Versammlung verhindern wollen, gestützt auf sein Hausrecht nach § 7 Abs. 4 VersG den Zutritt verweigern. Dieses Mittel wird jedoch nicht immer ausreichen und besteht bei öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel schon deshalb nicht, weil der öffentliche Straßenraum nicht zur Disposition des Versammlungsleiters stehen kann. Trägt eine Person auf dem Weg zu einer Versammlung Waffen mit sich oder deuten sich bereits hier Gewalttaten an, ist ihre Gewaltbereitschaft und Unfriedlichkeit indiziert 821 . Sie kann sich nicht auf Art. 8 GG berufen. Da das Versammlungsgesetz keine speziellen Gefahrenabwehrvorschriften enthält, sind Maßnahmen wie der präventivpolizeiliche Platzverweis zulässig 822 . Allerdings erscheint der Platzverweis nicht immer zwingend das geeignete Mittel. Zwar wäre die Verweisung als vorgezogener Ausschluß von der Versammlung grundsätzlich möglich und geboten, wenn es lediglich um die Verhinderung der Anwesenheit einer offensichtlich gewaltbereiten Person geht. Soll aber die Person für den Verstoß gegen das Bewaffnungsverbot zur Verantwortung gezogen werden, sind vorrangig repressive Maßnahmen notwendig 823 . Im Anschluß daran kann ein präventivpolizeilicher Platzverweis für den Versammlungsort ausgesprochen werden, wenn dieser geeig819 Hase, in: Ridder u. a., § 12 a Rdnr. 40; Kniesel, Die Polizei 1989, 231 (238). 820 a . A. VG Hamburg, NVwZ 1 9 8 7 , 8 2 9 ( 8 3 1 ) , wonach § 18 Abs. 3 VersG sich - wie die Schutzwirkung der Versammlungsfreiheit - auch auf die Ansammlungsphase beziehe. 821 Zeitler, Versammlungsrecht, Rdnr. 463. 822 Drews / Wacke / Vogel /Martens, § 11, 2 g (S. 177); Geis, Die Polizei 1993, 293 (294); Hase, in: Ridder u. a., § 12 a Rdnm. 40 ff.; Kniesel, in: Lisken / Denninger, H Rdnr. 207. A. A. Jahn, DVB1. 1989, 1038 (1041). 823 Hase, in: Ridder u. a., § 12 a Rdnr. 42.

C. Verweisungsmaßnahmen bei Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 8 GG

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net ist, das Fernbleiben des Störers von der Versammlung zu erreichen. Gegebenenfalls wird im Einzelfall eine Ingewahrsamnahme oder ein Verbringungsgewahrsam dem Platzverweis vorzuziehen sein. Das Bundesverfassungsgericht verweigert ein Zutrittsrecht zu einer Versammlung ferner denjenigen Personen, die eine Versammlung in ihrem Bestand nicht hinnehmen wollen und auch keine Absicht der Teilnahme haben. Damit zieht das Bundesverfassungsgericht die Grenze des Grundrechtsschutzes des Art. 8 GG dort, wo es dem einzelnen „nicht um die - wenn auch kritische - Teilnahme an der Versammlung, sondern um deren Verhinderung geht." 8 2 4 Das Grundgesetz gewährleiste die Versammlungsfreiheit „im Interesse einer gemeinschaftlichen Meinungsbildung und Meinungskundgabe." Dies verlange zwar keine völlig übereinstimmenden Meinungen und Ziele. Notwendig sei aber „die Bereitschaft, die Versammlung in ihrem Bestand hinzunehmen und abweichende Ziele allein mit kommunikativen Mitteln zu verfolgen. Wer dagegen eine Versammlung in der Absicht aufsucht, sie durch seine Einwirkung zu verhindern, kann sich nicht auf das Grundrecht aus Art. 8 GG berufen." 825 Deshalb, und nicht etwa weil mögliche Teilnehmer unfriedlich sind, besteht kein Schutz des Art. 8 GG. Wer die Versammlung von vornherein nicht will, ist kein Teilnehmer, auch kein unfriedlicher. Er stört die Veranstaltung im Sinne des § 2 Abs. 2 VersG. Sofern Personen die Versammlung verhindern wollen, ohne sich mit ihr argumentativ auseinanderzusetzen, ist ein Zutrittsverbot, das qualitativ einen Platzverweis darstellt, als polizeiliche Maßnahme zum Schutze der Versammlung geeignet, erforderlich und in der Regel auch das verhältnismäßige Mittel 8 2 6 . Sowohl störende „Nichtteilnehmer" als auch unfriedliche und bewaffnete „Nochnichtteilnehmer" können sich daher nicht auf den Grundrechtsschutz des Art. 8 GG berufen. Allgemeinpolizeiliche Platzverweise sind folglich ohne Rücksicht auf die besonderen Voraussetzungen des Art. 8 GG zulässig 827 . Die hohe Bedeutung des Versammlungsgrundrechts stellt allerdings an die Feststellung, ob eine Person Teilnehmer im Sinne des Art. 8 GG ist und sich daher auf Art. 8 GG berufen kann oder nicht, strenge Anforderungen. Gleiches gilt für die Feststellung, ob sich die Gewaltbereitschaft oder Unfriedlichkeit eines potentiellen Teilnehmers bereits im Vorfeld andeutet. Da die Feststellung der Beteiligungs- oder Verhinderungsabsicht sowie der Gewaltbereitschaft zugleich über den Grundrechtsschutz entscheidet, hat sie im Lichte des Art. 8 GG zu erfolgen 828 .

824 825 826 827 828

BVerfGE 84, 203 (209); ebenso VGH Mannheim, NVwZ-RR 1990, 602 (603). BVerfGE 84, 203 (209). VGH Mannheim, NVwZ-RR 1990, 602 (603) für Versammlungen in Räumen. BVerfGE 84, 203 (210). BVerfGE 84, 203 (210 f.).

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

d) Platzverweis

als konkludente Auflösungsverfiigung?

Versammlungen unter freiem Himmel können aufgelöst werden, wenn sie trotz eines Verbotes stattfinden, gegen Auflagen verstoßen oder sonst die öffentliche Sicherheit gefährden. Versammlungen in Räumen können unter den Voraussetzungen des § 13 VersG aufgelöst werden. Die Auflösung führt zur Beendigung der Versammlung mit dem Ziel, die Teilnehmer zu zerstreuen. Die Auflösungsverfügung ergeht in der Regel mündlich - meist über Lautsprecher - direkt am Ort der Versammlung. In der Praxis ist es jedoch hin und wieder vorgekommen, daß die Auflösung nicht ausdrücklich erklärt wurde 829 , sondern die Versammlungsteilnehmer statt dessen aufgefordert wurden, „sich zu entfernen", „die Straße zu räumen" 8 3 0 oder kurzerhand abgedrängt wurden 831 . Ob in einer solchen, als Platzverweis zu qualifizierenden Maßnahme, konkludent eine Auflösungsverfügung nach § 15 Abs. 2 VersG enthalten sein kann, ist umstritten. Die Frage stellt sich entsprechend bei polizeilichen Einschließungen der Versammlungsteilnehmer, wie in Hamburg, Berlin oder Mainz geschehen832. Im Unterschied zu Platzverweisen ist sie aber schon deswegen zu verneinen, weil das „Einschließen" der Versammlungsteilnehmer der durch § 13 Abs. 2 VersG angeordneten Rechtsfolge - der Pflicht, sich zu entfernen - entgegensteht833. Die eingeschlossenen Personen haben nämlich gar nicht die Möglichkeit, sich zu entfernen und damit ihrer gesetzlichen Pflicht nachzukommen834. Dagegen steht ein Platzverweis der gesetzlichen Entfernungspflicht des § 13 Abs. 2 VersG grundsätzlich nicht entgegen. Eine verbreitete Auffassung in Literatur und Rechtsprechung nimmt daher an, daß im Einzelfall die Aufforderung, den Versammlungsort zu räumen, zugleich auch den Charakter einer Versammlungsauflösung haben kann 835 . Diese Annahme ist nicht ohne Bedenken. Die Auflö829 Wie etwa: „Achtung, hier spricht die Polizei, Ihre Versammlung ist hiermit aufgelöst. Sie haben sofort auseinanderzugehen!", Beispiel bei Ott /Wächtler, § 15 Rdnr. 14. 830 v g Bremen, NVwZ 1986, 862 ff.; 2. Instanz: OVG Bremen, NVwZ 1987, 235 ff.; 3. Instanz: BVerwG, NVwZ 1988, 250 f. 831 LG München, ArbuR 1994, 384 ff. - Weltwirtschaftsgipfel. 832 Siehe in diesem Teil, C. II. 2. b) bb). 833 VG Hamburg, NVwZ 1987, 829 (831); Hofmann, NVwZ 1987, 769 (771); Kniesel, in: Lisken/Denninger, H Rdnr. 564. 834 Hiervon zu unterscheiden ist die Frage, inwieweit Einkesselungen im Anschluß an eine ordnungsgemäße Versammlungsauflösung zulässig sind, dazu KG Berlin, NVwZ 2000, 468 ff.; BayObLG, NVwZ 1990, 194 ff. 835 VG Bremen, NVwZ 1986, 862 zur Aufforderung an Versammlungsteilnehmer, die Straße zu räumen: „Insofern ist denkbar, daß sich die Aufforderung darstellt als Auflösung der Versammlung verbunden mit dem Hinweis auf die gesetzliche Pflicht, sich zu entfernen ( . . . )". Ähnlich Götz, NVwZ 1990, 725 (731), sofern der Auflösungswille in dem Platzverweis eindeutig zum Ausdruck kommt; Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 137, sofern besondere Umstände hinzukommen, anders aber ders., Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 375; Burfeind, S. 109, der darin eine gewisse (zulässige) Verknüpfung von Versammlungsrecht und allge-

C. Verweisungsmaßnahmen bei Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 8 GG

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sungsverfügung ist ein gestaltender Verwaltungsakt, der die Versammlung beendet. Sie führt also zu einer Rechtsänderung. Aus der Versammlung wird eine Ansammlung, der, wie bereits dargelegt, mit den Mitteln des allgemeinen Polizeirechts begegnet werden kann 836 . Die Versammlungsauflösung hat für den einzelnen Versammlungsteilnehmer einschneidende Rechtsfolgen: Sie nimmt dem Teilnehmer den grundrechtlich verbürgten Schutz des Art. 8 GG für die aktuelle Veranstaltung und für unmittelbare Folgeversammlungen. Einhergehend entsteht gemäß § 13 Abs. 2 VersG die gesetzliche Pflicht, sich zu entfernen. Dabei verlangt der Begriff „Auflösen" einer Versammlung bereits sprachlich, daß die Versammlungsteilnehmer sich zerstreuen und ihre innere Bindung als Versammlung lösen 837 . Verlangt ist also nicht nur ein Entfernen, sondern ein Auseinandergehen. Entfernen sich die Versammlungsteilnehmer nicht, kann dies gemäß § 29 Abs. 1 Nr. 2 VersG ordnungswidrigkeitenrechtliche und mitunter nach § 125 StGB strafrechtliche Folgen für Teilnehmer und Veranstalter nach sich ziehen. Ein an alle Versammlungsteilnehmer gerichteter einfacher polizeilicher Platzverweis, der lediglich das Gebot enthält, sich zu entfernen, kennt derartige Rechtsfolgen nicht 8 3 8 . Platzverweis und Auflösung haben mithin eine unterschiedliche Qualität und unterschiedliche Rechtsfolgen. Diese Unterschiede stehen der Annahme, die Auflösung könne in einem Platzverweis konkludent enthalten sein, vor allem im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz entgegen. Ein Verwaltungsakt kann zwar nach § 37 Abs. 2 VwVfG grundsätzlich formfrei, also auch konkludent, ergehen, aber auch einem konkludenten Verwaltungsakt darf es nicht an Bestimmtheit und Eindeutigkeit mangeln. Das aus dem Rechtsstaatsprinzip folgende Bestimmtheitsgebot fordert Verläßlichkeit und Klarheit hinsichtlich staatlicher, vor allem polizeirechtlicher Verfügungen 8 3 9 . Dies gilt im besonderen für rechtsgestaltende Verwaltungsakte, da bei diesen mangels Vollstreckung eine nachträgliche Konkretisierung ausscheidet840. § 37 Abs. 1 VwVfG verlangt keine absolute, sondern nur hinreichende Bestimmtheit. Die Anforderungen an das Maß der Bestimmtheit im einzelnen richten sich nach den jeweiligen Umständen. Von Bedeutung sind neben der Art des Verwaltungsmeinem Polizeirecht sieht. Offengelassen in BVerwG, NVwZ 1988, 250 (251 a. E.); etwas anders gelagert und daher nicht vergleichbar BayObLG, NJW 1969, 63 (65), da hier die Demonstranten zusätzlich aufgefordert wurden, auseinanderzugehen und auf die strafrechtlichen Konsequenzen des Nichtentfernens hingewiesen wurden. 836 s. oben 2. Teil, C. II. 2. b) bb). 837 Dietel/Gintzel/Kniesel, § 18 Rdnr. 15. Ebenso Breitbach, in: Ridder u. a., § 18 Rdnr. 10. Vom Wortsinn bedeutet „auflösen": „zerstreuen" oder „verteilen", vgl. Duden, Wörterbuch der deutschen Sprache, Bd. 10. 838 Vgl. zur fehlenden Pflicht auseinander zu strömen, vgl. 1. Teil, A. I. 1. c) cc).; zu den fehlenden straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlichen Konsequenzen, Scheffler, NJW 1995, 323 (324). 839 Forsthoff, § 11 S. 219; Schoch, JuS 1995, 215 (217); Ott/Wächtler, Einführung Rdnr. 65. 840 Forsthoff, § 12 S. 249.

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

akts die Umstände seines Erlasses, sein Zweck sowie sein Regelungsgehalt, wobei sich Besonderheiten aus dem jeweils anzuwendenden und mit dem Verwaltungsakt umzusetzenden materiellen Recht ergeben können 841 . Maßgebend ist aber, daß der Inhalt des Verwaltungsaktes eindeutig erkennbar ist 8 4 2 . Dies ist grundsätzlich nur dann der Fall, wenn das Ziel der Regelung klar und unzweideutig zum Ausdruck kommt, so daß der Adressat der Verfügung sein Verhalten danach ausrichten kann und weiß, welches Recht nun gelten soll 8 4 3 . Eine solche Beurteilung ist allein bei der Aufforderung, „sich zu entfernen", nicht immer möglich. Die Auflösungsverfügung ergeht als ultima ratio, wenn keine milderen Mittel mehr zur Verfügung stehen. Ob als milderes Mittel auch die Teilauflösung in Betracht kommt, mag offen bleiben 844 . Jedenfalls kommt die ähnlich lautende räumliche Beschränkung der Versammlung in Betracht. Gerade letztere beabsichtigt aber nicht die Beendigung der Versammlung im gesamten. Wegen dieser vom Wortlaut her ähnlich lautenden Verfügungen ist eine Mehrdeutigkeit, wenn nicht sogar Widersprüchlichkeit, nicht auszuschließen. Läßt der Verwaltungsakt aber Raum zu Zweifeln, ist er zwar nur bei Widersprüchlichkeit unwirksam, Unklarheiten gehen jedoch in jedem Falle zu Lasten der Behörde, d. h. die Behörde muß den Verwaltungsakt so, wie ihn der Betroffene aufgefaßt hat, gegen sich gelten lassen 845 . Und es besteht kein Grund für den Betroffenen, von einer für ihn ungünstigen Auslegung auszugehen. In einem solchen Fall wäre dann im Zweifel keine Auflösungsverfügung ergangen, sondern ein für den Betroffenen günstigerer Platzverweis bzw. eine räumliche Beschränkung. Kann der Versammlungsteilnehmer der Anordnung nicht mit Bestimmtheit entnehmen, ob die Versammlung nun fortbesteht und welche Konsequenzen sein weiteres Verhalten hat, bestehen auch Unsicherheiten in bezug auf seinen Grundrechtsschutz. Die gegenüber der räumlichen Beschränkung einschneidenderen Konsequenzen einer nicht beachteten Auflösungsverfügung gebieten deren ausdrückliche und unmißverständliche Kundgebung846. Umgekehrt muß es für den Versammlungsteilnehmer ebenso eindeutig verständlich sein, wenn nur die räumliche Beschränkung gemeint ist, weil andernfalls der Grundrechtsschutz bei Mißverständnissen unzulässig verkürzt würde. Unklarheiten dürfen auch hier nicht zu 841 BVerwGE 84, 335 (338); OVG Münster, NVwZ 1993, 1000; Stelkens/Bonk/Sachs, § 37 Rdnr. 12; Kopp/Ramsauer, § 37 Rdnr. 6; Wolf/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht Bd. 2, § 48 Rdnr. 34. 842 Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 275; Kunig, Jura 1990,495 (497 f.). 843 Schoch, JuS 1995, 215 (217); Kopp/Ramsauer, § 37 Rdnrn. 5 und 12. 844 Die Zulässigkeit der Teilauflösung ist zweifelhaft. Die Auflösung ist eine Maßnahme, die als ultima ratio gegenüber der gesamten Versammlung zu ergehen hat. Stören nur einzelne Teilnehmer ist diesen mit teilnehmerbezogenen Maßnahmen wie dem Versammlungsausschluß zu begegnen, a. A. VGH Mannheim, NVwZ 1989, 163; Götz, NVwZ 1990, 715 (731). 845 Forsthoff, § 11 S. 219 und § 12 S. 249; Ott, NJW 1985, 2384 (2385); Kopp/Ramsauer, § 37 Rdnr. 8; Wolff/Bachof/Stober, Verwaltungsrecht Bd. 2, § 48 Rdnr. 34. 846 So auch Kniesel, in: Lisken / Denninger, H Rdnr. 539; Zeitler, Versammlungsrecht, Rdnr. 562; LG München, ArbuR 1994, 384 (386); VG Hamburg, NVwZ 1987, 829 (831).

C. Verweisungsmaßnahmen bei Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 8 GG

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Lasten der Versammlungsteilnehmer gehen. Das Erfordernis einer eindeutigen Auflösung besteht um so mehr, als die Situation der zwangsweisen Auflösung, die zumeist gereizt und turbulent sein wird, unklar ist. Schließlich zwingt die unterschiedliche Qualität von Platzverweis und Auflösung zu einer eindeutigen Trennung beider Erklärungen. Das Versammlungsgesetz hat mit der rechtsgestaltenden Auflösung gerade nicht die Voraussetzung für eine sofortige zwangsweise Durchsetzung geschaffen. § 13 VersG formuliert eine Rechtspflicht, nicht aber eine Befugnisnorm. Die zwangsweise Durchsetzung der Auflösung soll vielmehr erst aufgrund eines darauffolgenden Platzverweises möglich sein, wenn die Versammlungsteilnehmer ihrer aus § 13 VersG folgenden Pflicht, sich sofort zu entfernen, nicht nachkommen. In der Regel muß daher die Auflösungserklärung zeitlich vorangehen, ehe dann polizeirechtliche Folgemaßnahmen ergehen können. Platzverweis und Auflösung sind nach alledem klar auseinanderzuhalten. Dies ist aber nur möglich, wenn an die Erklärung der Auflösungsverfügung strenge Anforderung gestellt werden. Die Besonderheiten einer Auflösungsverfügung gebieten eine ausdrückliche und eindeutige Erklärung. Das normalerweise im Hinblick auf die Art der Kundgabe eines Verwaltungsakts bestehende Ermessen der Behörde reduziert sich hier aus rechtsstaatlichen Gründen auf eine ausdrückliche Bekanntgabe. Je nach den Umständen wird es nicht zwingend erforderlich sein, daß der Begriff „Auflösung" fällt. Erforderlich ist aber in jedem Falle, den Versammlungsteilnehmern deutlich zu machen, daß ihre Versammlung nunmehr beendet ist, sie auseinanderzugehen haben und das Nichtbefolgen straf- und bußgeldbewährt ist. Anschließend sind, da das Versammlungsgesetz selbst keine Vorschriften zur Durchsetzung der aufgrund des Versammlungsgesetzes ergangenen Verwaltungsakte enthält, allgemeinpolizeiliche Folgemaßnahmen möglich.

e) Verweisungsmaßnahmen zur Durchsetzung von Verbot und Auflösung aa) Platzverweis und Aufenthaltsverbot zur Durchsetzung des Versammlungs Verbots? Wird eine Versammlung im Vorfeld gemäß § 15 Abs. 1 VersG verboten, ist fraglich, wie dieses Verbot durchgesetzt werden kann. Denkbar wäre ein mit dem Versammlungsverbot gleichzeitig ergehendes, als Allgemeinverfügung ausgestaltetes, polizeiliches Aufenthaltsverbot oder ein polizeilicher Platzverweis für den geplanten Versammlungsort, um dem Verbot von vornherein präventiv Nachdruck zu verleihen. Der Zulässigkeit eines solchen Aufenthaltsverbots stehen jedoch folgende Überlegungen entgegen: Im Vorfeld dürfte es häufig an konkret nachweisbaren Anhaltspunkten für die Abhaltung einer Versammlung trotz Verbots und damit an einer polizeirechtlich relevanten Gefahr als Voraussetzung für ein Aufenthaltsverbot oder einen Platzverweis fehlen. Wird die Abhaltung der Versammlung nicht

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

ausdrücklich angekündigt, dürfte sich das tatsächliche Stattfinden der Versammlung frühestens bei der Anreise einzelner Teilnehmer zeigen oder aber erst in der Ansammlungsphase am Versammlungsort selbst. Hat sich eine verbotene Versammlung trotz Verbots eingefunden oder wurde eine Veranstaltung erst in der Ansammlungsphase verboten, bestimmt § 15 Abs. 3 VersG zudem, daß auch eine verbotene Veranstaltung versammlungsrechtlich aufzulösen ist. Das Versammlungsgesetz ist also auch in diesem Fall einschlägige und vorrangige Rechtsgrundlage. Ein generelles Aufenthaltsverbot für einen Bereich, an dem möglicherweise eine Versammlung abgehalten wird, wäre letztlich auch unverhältnismäßig, denn verboten wird nur das Versammeln an sich, nicht aber der grundsätzliche Aufenthalt. Die Polizei kann jedoch gegen einzelne versammlungswillige Personen individuell einschreiten, wenn von ihnen eine polizeirechtliche Gefahr ausgeht. Wie gegenüber anreisenden unfriedlichen Teilnehmern zu angemeldeten und nicht beanstandeten Versammlungen ist die Polizei berechtigt, potentielle Teilnehmer der verbotenen Veranstaltung an Kontrollstellen oder bei Personenkontrollen mit individuellen Aufenthaltsverboten oder Platzverweisen zu belegen, sofern die Voraussetzungen hierfür vorliegen 847 . Soweit es um einen größeren räumlichen Bereich geht, reicht der mögliche Verstoß gegen das Versammlungsverbot für den Erlaß eines Aufenthaltsverbots aber nicht aus, da es sich hierbei nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 VersG lediglich um eine Ordnungswidrigkeit handelt. Ein Aufenthaltsverbot setzt aber grundsätzlich die unmittelbare Gefahr der Begehung einer Straftat von erheblicher Bedeutung voraus. Diese kann sich aus der Begründung des Versammlungsverbotes ergeben, muß es aber nicht, da hierfür auch sonstige Gefahren für die öffentliche Sicherheit, die nicht Straftaten sind, in Betracht kommen können. So hatte, gemäß einer Entscheidung des VG Berlin, der Polizeipräsident in Berlin anläßlich der für linksextremistische Gruppierungen verbotenen Demonstration zum 1. Mai gegenüber Personen, die als „linksextremistisch motivierten Straf- und Gewalttaten jedenfalls nicht abgeneigt" gegenüberstehend eingestuft wurden, Aufenthaltsverbote für verschiedene Bezirke Berlins für die Zeit vom 30. April bis 2. Mai 2001 erlassen 848. Das VG Berlin hat das Aufenthaltsverbot bestätigt. Allerdings bedarf es für ein solches Aufenthaltsverbot des Vorliegens von Tatsachen, die mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit den Schluß zulassen, die betreffende Person werde in diesem Zeitraum ohne das Aufenthaltsverbot Straftaten begehen. Dabei kann ein früheres Verhalten indiziell wirken, es reicht jedoch allein für die Erteilung eines Aufenthaltsverbots nicht aus. Ein generelles polizeiliches Aufenthaltsverbot in Form der Absperrung eines größeren Bereichs wäre jedoch gleichzeitig mit einem Versammlungsverbot denk847 Vgl. VG Hannover, NdsVBl. 1998, 147 f.; BayOblG, BayVBl. 1999, 349 f. - 7. Lindauer Chaos-Tage. Zu den Voraussetzungen von Platzverweis und Aufenthaltsverbot im einzelnen vgl. 2. Teil, A. 848 VG Berlin, B. v. 30. 04. 2001, Az.: VG 1 A 136/01, S. 5 - 1 .-Mai-Demonstration.

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bar, wenn - unabhängig von versammlungsrechtlichen Gründen - in einem bestimmten Bereich Gefahren für die öffentliche Sicherheit bestünden. Diese müssen jedoch besonders begründet werden. So reicht allein die Tagung hochrangiger Politiker zur Begründung eines Sicherheitsbereichs nicht aus, wenn nicht deren Sicherheit konkret zu befürchten ist. Dies auch bereits deshalb, weil die Zulässigkeit der Bildung von Bannmeilen zum Schutze der Arbeits- und Funktionsfähigkeit der Parlamente in den Bannmeilengesetzen des Bundes und der Länder abschließend geregelt sein dürfte. Ein allgemeinpolizeiliches Aufenthaltsverbot dürfte einhergehend mit Versammlungsverboten zulässig sein, wenn in einem Bereich aufgrund seiner politischen Brisanz, wie bei den Castor-Transporten der Bereich um die Gleise, Bahnhöfe und Verladestellen, zusätzlich mit Handlungen einzelner Aktivisten, die zu Straftaten, wie Eingriffe in den Bahnverkehr, oder zu sonstigen erheblichen Gefahren für die Allgemeinheit, führen, zu rechnen ist.

bb) Platzverweis zur Durchsetzung einer erfolgten Auflösung (1) Maßnahmen zur Konkretisierung und Durchsetzung der Entfernungspflicht nach § 13 Abs. 2 VersG Wird die Versammlung nach § 15 Abs. 2 VersG oder nach § 13 VersG aufgelöst, schließt sich an die wirksame Auflösungsverfügung gemäß § 13 Abs. 2 i.V.m. § 18 Abs. 1 VersG für die Versammlungsteilnehmer die gesetzliche Pflicht an, sich zu entfernen. Diese Entfernungspflicht ist jedoch lediglich abstrakt formuliert, die Auflösung überdies ein gestaltender Verwaltungsakt und daher nicht vollstreckbar 8 4 9 . Um die Auflösung nicht wirkungslos erscheinen zu lassen, bedarf es einer Verfügung, die die gesetzliche Entfernungspflicht konkretisiert und als Grundlage der weiteren Vollstreckung dient. Überwiegend wird der polizeiliche Platzverweis als geeignetes Eingriffsinstrument gesehen850. Fraglich ist allerdings, ob nach dem zuvor über das Verhältnis von Platzverweis und Auflösung Gesagten das Instrument des Platzverweises ausreicht, um die ergangene versammlungsgesetzliche Auflösung durchzusetzen. Der Platzverweis ist inhaltlich von der Auflösung abzugrenzen. Die Auflösung verlangt mehr als der Platzverweis, da das Entfernen im Sinne des § 13 Abs. 2 VersG nicht nur bedeutet, den Standort zu wechseln, sondern die Auflösung einer Versammlung macht nur Sinn, wenn die Versammlungsteilnehmer die sie einigende Beziehung aufgeben 851. Die Versammlungsteilnehmer müssen also auseinandergehen und den räumlichen Zusammenhang zu der Menge aufgeben. Dies kann einzeln oder in Kleingruppen geschehen852. Andernfalls 849 So die überwiegend vertretene Auffassung: vgl. Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 142; Zeitler, Versammlungsrecht, Rdnrn. 585 und 603; a. A. Gusy, JuS 1993, 555 (558, Fn. 27). 850 Vgl. Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 142; Zeitler, Versammlungsrecht, Rdnr. 591; VGH Mannheim, VB1BW 1986, 299 (301 f.); VB1BW 1986, 305. Kniesel, Die Polizei 1989, 231 (239) bzgl. Betretungsverbot.

S5i S. oben in diesem Teil, C. II. 4. d), auch Fn. 837.

220

2. Teil: Rechtsgrundlagen

könnte die nunmehr unzulässige Versammlung geschlossen an einem beliebig anderen Ort fortgeführt werden. Solche zeitlich und sachlich zusammenhängenden Folgeveranstaltungen sind aber nach der staatlichen Auflösung der Versammlung nicht mehr zulässig. Strenggenommen wird aber nur diese Rechtsfolge mit einem Platzverweis erreicht. Ein Platzverweis gebietet lediglich, sich zu entfernen. Sein Ziel ist es, einen bestimmten Raum von Personen freizumachen. Die Vorschrift ermächtigt aber nicht dazu, in eine bestimmte Richtung zu verweisen 853 . Der Platzverweis wird also nicht in allen Fällen ausreichen, um die Ansammlung zu zerstreuen. Richtigerweise verlangen Sinn und Zweck der Auflösung daher im Zweifel neben einer Platzverweisung noch eine weitere Anordnung, die das Zerstreuen der Teilnehmer zum Gegenstand hat. Diese Aufforderung zum Auseinandergehen kann gegebenenfalls konkludent ergehen, wenn zuvor eine ausdrückliche Auflösungsverfügung erteilt und den Versammlungsteilnehmern damit klar und deutlich zum Ausdruck gebracht wurde, daß sie ihre Verbindung als Versammlung aufzugeben haben. Eine solche Maßnahme ist mangels spezialgesetzlicher Regelung auf die polizeiliche Generalklausel zu stützen. Ähnlich gelagert ist übrigens auch § 113 OWiG, der die Auflösung einer unerlaubten Ansammlung normiert. Um eine solche Ansammlung aufzulösen, verlangt der Gesetzgeber ausdrücklich, daß die Angesammelten aufgefordert werden, „auseinanderzugehen" und deutet damit schon durch den Wortlaut an, daß ein bloßer Platzverweis im Zweifel nicht ausreichend sein wird. Ein Platzverweis wird allenfalls dann ausreichen, wenn bereits durch das Freimachen des Versammlungsortes der Grund für die Auflösung entfällt 854 . Dies wird bei Auflösung wegen Unfriedlichkeit jedoch in der Regel nicht der Fall sein. Anders verhält es sich bei dem Ausschluß eines Teilnehmers von der Versammlung. § 11 Abs. 2 VersG bestimmt, daß der ausgeschlossene Versammlungsteilnehmer die Versammlung sofort zu verlassen hat. Zumindest bei ruhenden Versammlungen wird ein Platzverweis zur Konkretisierung dieser Entfernungspflicht aus der Versammlung ausreichen.

(2) Zeitpunkt allgemeinpolizeilicher

Maßnahmen

Streitig in diesem Zusammenhang ist, wann polizeiliche Maßnahmen ergehen dürfen. Die Thematik wurde bereits weiter oben bei der Frage, ob Art. 8 GG einen nachwirkenden Grundrechtsschutz entfalte, angesprochen. Beide Bereiche sind jedoch streng auseinanderzuhalten. Während ein nachwirkender Schutz des Art. 8 GG nach Beendigung der Versammlung grundsätzlich verneint wurde, enthält das Versammlungsgesetz mit § 13 Abs. 2 VersG eine Regelung, die über den Zeitpunkt der Beendigung der Versammlung hinausgeht. § 13 Abs. 2 VersG verpflichtet die 852 So Rebmann/Roth/Herrmann, zu § 113 OWiG, Rdnr. 29. 853 S. dazu auch oben 2. Teil, A. I. 1. c) cc). Beachte aber Berner/Köhler, 16. Aufl., Art. 16 Rdnr. 1, die in der Aufforderung an eine Menschenmenge, auseinanderzugehen, einen Platzverweis sehen. 854 So auch Rebmann /Roth/Herrmann, zu § 113 OWiG, Rdnr. 10.

C. Verweisungsmaßnahmen bei Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 8 GG

221

Teilnehmer einer aufgelösten Versammlung, sich „sofort" zu entfernen. § 29 Abs. 1 Nr. 2 VersG spricht im selben Zusammenhang von „unverzüglich". Die Rechtswissenschaft versteht gemäß der Legaldefinition des § 121 BGB darunter „ohne schuldhaftes Zögern". Allein das Versammlungsgesetz, nicht etwa Art. 8 GG, gebietet also, mit allgemeinpolizeilichen Folgemaßnahmen wie dem Platzverweis abzuwarten, um den Teilnehmern einer aufgelösten Versammlung Gelegenheit zu geben, unverzüglich abzuziehen. Soweit das Versammlungsgesetz Anwendung findet, ist die gleichzeitige Anwendung der Landespolizeigesetze ausgeschlossen. Welcher Zeitraum zum Auseinandergehen im einzelnen zur Verfügung gestellt werden muß, und damit die Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs „unverzüglich", liegt im Ermessen der Polizei und wird sich nach der jeweiligen Situation vor Ort, insbesondere der Größe der Menschenmenge und dem Ausmaß der Unfriedlichkeit, richten. So lassen sich sicherlich Situationen denken, in denen der vollstreckbare Platzverweis und die Aufforderung, „auseinanderzugehen", unmittelbar nach der Auflösungsverfügung ergehen können, insbesondere dann, wenn die Menschenmenge nach der Auflösung zu eskalieren droht und sich offensichtlich die Weigerung abzeichnet, den Ort freiwillig zu verlassen. Generell gilt aber für polizeiliche Maßnahmen, daß nur derjenige sie gegen sich gelten lassen muß, der nach den allgemeinen Störervorschriften verantwortlich ist. Anders als versammlungsgesetzliche Maßnahmen, die mitunter auch ein pauschales Vorgehen gegenüber allen Versammlungsteilnehmern erlauben, sind polizeiliche Maßnahmen daher primär an denjenigen zu richten, der die Gefahr tatsächlich verursacht hat 8 5 5 .

f) Polizeiliche Verweisungen zwecks allgemeinen Rechtsgüterschutzes Abschließend verbleibt die Frage zu klären, wie auf Gefahren zu reagieren ist, die mit der Versammlung eigentlich in keinem inneren Zusammenhang stehen, sich aber tatsächlich auf diese auswirken können. Gemeint sind Gefahrenlagen, die unabhängig von dem Stattfinden der Versammlung bestehen und daher - neben anderen Personen - auch die Teilnehmer einer Versammlung betreffen. Typische Situationen sind die Räumung eines Gebäudes wegen Einsturzgefahr oder Baufälligkeit, wegen Feuergefahr oder einer Bombendrohung. Auch seuchenpolizeiliche Gründe könnten Ansammlungen von Menschen entgegenstehen, weil durch das Zusammenkommen mehrerer Menschen in seuchengefährdeten Gebieten das Risiko der Verbreitung der Seuche steigt. Gleiches gilt für sonstige Gefahren, die an bestimmten Orten der öffentlichen Sicherheit und Ordnung drohen und es rechtfertigen, einen bestimmten Bereich aus allgemeinpolizeilichen Gründen abzusperren. Ein polizeiliches Eingreifen ist in all diesen Fällen erforderlich, gleichgültig, ob die Menschen zwecks gemeinsamer kollektiver Meinungskundgabe oder zu einem 855

Vgl. auch Alberts/Croppenstedt, Platzverweises s. oben 2. Teil, A. I. 1. e).

Die Polizei 1991, 85 (90); zum Adressaten eines

222

2. Teil: Rechtsgrundlagen

anderen Zweck, etwa einem Fußballspiel oder einem Fest, zusammenkommen856. Derartige Gefahren treten zwar auch in dem spezialgesetzlich geregelten Lebensbereich des Versammlungsgesetzes auf, sie sind für diesen aber untypisch. Wo solche Beschränkungen im Einzelfall die Ausübung des Versammlungsrechts tangieren, geschieht dies „zufällig", als bloße Nebenfolge 857. Gleichwohl stellt sich die Frage, ob entsprechende Eingriffsmaßnahmen zur Beseitigung der Gefahr auf die §§5 und 13 Abs. 1 Nr. 2 bzw. § 15 VersG zu stützen sind. Denn diese Vorschriften decken vom Wortlaut her die aufgezeigten Gefahrenlagen zumindest teilweise ab. So normiert § 13 Abs. 1 Nr. 2 VersG als Eingriffsvoraussetzung für die Auflösung die Gefahr für Leben oder Gesundheit, § 15 VersG knüpft an eine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Sicherheit „bei Durchführung" der Versammlung an. Die Anwendung der versammlungsgesetzlichen Vorschriften zur Beseitigung von Gefahren, die nur zufällig auch die Versammlung betreffen, wird daher von Teilen der Literatur befürwortet 858 . Die Versammlung müsse in diesen Fällen ebenfalls nach dem Versammlungsgesetz unter der Voraussetzung einer unmittelbaren Gefahr verboten oder aufgelöst werden 859 . Dies wird neben dem Wortlaut der Vorschriften auch damit begründet, daß andernfalls die Gefahr einer mißbräuchlichen Berufung auf allgemeinpolizeiliche Gefahrenlagen und somit die Gefahr der Aushöhlung des Art. 8 GG bestünde860. Außerdem lasse sich so vermeiden, daß Polizei und Versammlungsbehörden unterschiedliche Anordnungen treffen 861 . Diese Bedenken sind jedoch weitgehend unbegründet. Wie die bisherige Auslegung des Versammlungsgesetzes ergeben hat, reagieren die Vorschriften des Versammlungsgesetzes thematisch nur auf solche Gefahren für die öffentliche Sicherheit, die aus dem Verlauf der Versammlung resultieren oder resultieren können 862 . Mit der Verneinung einer Ermächtigungsgrundlage aus dem Versammlungsgesetz ist einer möglichen Schikanepraxis auch nicht Tür und Tor geöffnet, da mit der grundsätzlichen Zulassung des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts noch nichts über die notwendigen Eingriffsvoraussetzungen ausgesagt ist. Außerdem gilt diesbezüglich auch das verfassungsrechtliche Willkürverbot. Schließlich besteht in diesen Fällen in der Regel überhaupt kein Bedürfnis, die Versammlung formell aufzulösen. Betroffen wird in der Regel nur das Selbstbestimmungsrecht sein, es sei denn, die Versammlung würde anderswo um ihre Wirkungschance gebracht werden. Schließlich ist die Gefahr gegensätzlicher Anweisungen durch die Versammlungs- und die

856 Hoffmann-Riem, in: AK-GG, 3. Aufl., Art. 8 Rdnr. 36. 857 Schwäble, S. 177; Dietel/Gintzel/Kniesel, § 5 Rdnr. 8, § 13 Rdnr. 17; BayVerfGH, NVwZ 1991, 664 (666). 858 Kniesel, in: Lisken/Denninger, H Rdnrn. 175 ff.; Pieroth/Schlink, Rdnr. 714; Breitbach/Deiseroth/Rühl, § 15 VersG Rdnrn. 51 ff. 859 Kniesel, in: Lisken/Denninger, H Rdnr. 181. 860 Kniesel, in: Listen / Denninger, H 175; Breitbach/Deiseroth/Rühl, § 15 VersG Rdnr. 52. 861 Kniesel, in: Lisken/Denninger, H Rdnr. 176. 862 Vgl. Rühl, in: Ridder u. a., § 13 Rdnr. 17; Dietel/Gintzel/Kniesel, vMutius, Jura 1986, 649 (651). Vgl. 2. Teil, C. II. 3. d).

§ 13 Rdnrn. 14 ff.;

C. Verweisungsmaßnahmen bei Art. 5 Abs. 1 GG und Art. 8 GG

223

Ortspolizeibehörde gering, da bei akuten Gefahren in Eilfällen ohnehin die Ortspolizeibehörde auch die versammlungsrechtlichen Anordnungen treffen kann und im übrigen eine Absprache beider Behörden möglich ist. Drohen der Versammlung Gefahren aus nicht versammlungsspezifischen Gründen, läßt sich eine Kooperation der verschiedenen Gefahrenabwehrbehörden ohnehin nicht umgehen. Da durch die insoweit notwendigen Maßnahmen auch Art. 8 Abs. 1 GG nicht gezielt eingeschränkt wird, muß eine Regelung nicht im Versammlungsgesetz erfolgen. Für derartige Maßnahmen finden also die Vorschriften des allgemeinen und besonderen Polizeirechts Anwendung 863 . Damit sind allerdings die Anwendungsvoraussetzungen im Einzelfall noch nicht geklärt. Diese hängen zunächst davon ab, ob die jeweilige Maßnahme am Grundrecht des Art. 8 GG zu messen ist. Reaktionsansprüche des Art. 8 GG können grundsätzlich auch nichtklassische Eingriffe auslösen. Eingriffe sind jedes staatliche Handeln, das dem einzelnen ein Verhalten, das in den Schutzbereich eines Grundrechts fällt, ganz oder teilweise unmöglich macht, „gleichgültig ob diese Wirkung final oder unbeabsichtigt, unmittelbar oder mittelbar, rechtlich oder tatsächlich, mit oder ohne Befehl und Zwang erfolgt" 864 . Voraussetzung ist jedoch, daß die Wirkung von einem zurechenbaren Verhalten der öffentlichen Gewalt ausgeht 865 . Dies ist jedenfalls dann zweifelhaft, wenn die Versammlung nach einer polizeilichen Verweisung aus dem Versammlungsgebäude oder von dem Versammlungsort nur deshalb nicht fortgeführt werden kann, weil Ersatzräumlichkeiten zur Fortführung der Versammlung aktuell nicht zur Verfügung stehen oder die Versammlung wegen der Symbolhaftigkeit der Örtlichkeit anderswo keinen Sinn macht. Diese Folgen haben ihre Ursache vielmehr in anderen Gründen, die nicht unbedingt dem staatlichen Handeln zuzurechnen sind. Allerdings wird regelmäßig das ebenfalls von Art. 8 GG erfaßte Selbstbestimmungsrecht in örtlicher und zeitlicher Hinsicht der Versammlung faktisch betroffen sein. Die Prüfung der Feststellung, ob ein Eingriff vorliegt, hat, da sie wiederum darüber entscheidet, ob der Grundrechtsschutz eröffnet ist oder nicht, wie bei allen Tatbestandsmerkmalen der Versammlungsfreiheit im Lichte des Versammlungsgrundrechts zu erfolgen. Gelangt man so zu einer faktischen Betroffenheit eines der Teilrechte des Art. 8 GG, ist die Ausübung der Befugnisse des allgemeinen oder besonderen Polizeirechts stets an Art. 8 GG zu messen866. Dies gilt insbesondere für die Anforderungen an 863 BVerwGE 80,158 (159); Gusy, JuS 1993, 555 (556); Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 142; ders., Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 382; Schoch, JuS 1994, 479 (480); Dietel/Gintzel/ Kniesel, § 5 Rdnr. 8 und § 13 Rdnr. 17; Kühl, in: Ridder u. a., § 13 Rdnr. 17; Bergmann, S. 47; v.Mutius, Jura 1986, 649 (651); Mußmann, Polizeirecht, Rdnr. 105; Meyer/Köhler, Art. 8 GG Anm. 5; Jahn, DVB1. 1989, 1038 (1042); Herzog, in: Maunz/Dürig/Herzog/Scholz, Art. 8 Rdnr. 104; Kunig, in: v.Münch / Kunig, GG Bd. 1, Art. 8 Rdnr. 30. In diese Richtung wohl auch die Stellungnahme von Dr. Becker, Verhandlungen des BT-Prot, 1. WP, 220. Sitzung v. 26. 06. 1952, S. 9735 f., wonach sich die Zulässigkeit feuer- oder veterinärpolizeilicher Maßnahmen „aus der allgemeinen gesetzlichen Grundlage heraus" ergebe. 864 Pieroth/Schlink, Rdnr. 240. 865 BVerfGE 66, 39 (60); Pieroth/Schlink, Rdnr. 240.

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2. Teil: Rechtsgrundlagen

die Gefahr und das Übermaß verbot 867 . Vor einer Verweisung der Versammlung vom Versammlungsort ist daher im Einzelfall die Anwendung milderer Maßnahmen zu erwägen. Soweit der Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG tangiert ist, kann, wie bereits mehrfach erwähnt, nur zugunsten gleichwertiger Rechtsgüter eingeschritten werden. Insoweit werden auch die Bedenken, polizeiliche Gefahrenlagen könnten vorgeschoben werden, um mißliebige Versammlungen zu unterbinden, entkräftet, weil die kollidierenden Rechtsgüter justitiabel sind. Für deren Bestehen müssen tragfähige Anhaltspunkte vorliegen, die nicht auf bloßen Vermutungen basieren dürfen. Insoweit strahlt Art. 8 GG auch auf die Feststellung der kollidierenden Rechtsgüter aus. Außerdem ist dem besonderen Stellenwert des Art. 8 GG und dem Schutze der Versammlung dadurch Rechnung zu tragen, daß eine hohe Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts gefordert wird. Allerdings muß auch hier wie im allgemeinen Polizeirecht gelten, daß an die Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts um so geringere Anforderungen zu stellen sind, je gewichtiger das Schutzgut ist. Soweit individuelle Aufenthaltsverbote etwa zwecks Verhütung von Straftaten aus dem Bereich des Betäubungsmittelgesetzes bereits bestehen, gelten diese grundsätzlich auch für den Fall, daß in dem verbotenen Bereich eine Versammlung abgehalten wird. Zwar soll nach den Polizeigesetzen das Versammlungsrecht „unberührt bleiben", das Aufenthaltsverbot richtet sich aber nicht gezielt gegen die Beeinträchtigung der Versammlungsfreiheit des Betroffenen, so daß Art. 8 GG nur mittelbar betroffen ist 8 6 8 . Allerdings bedarf es auch hier wegen der hohen Bedeutung des Versammlungsgrundrechts einer Abwägung zwischen der Notwendigkeit der Aufrechterhaltung des Aufenthaltsverbots für den Zeitraum der Versammlung und dem Recht des Betroffenen auf Teilnahme an der Versammlung. Auf die Möglichkeit der Ausnahme wegen der Teilnahme an einer Versammlung ist der Betroffene grundsätzlich bei Erteilung des Aufenthaltsverbots hinzuweisen, weil andernfalls sein Grundrechtsschutz unzulässig verkürzt würde 869 .

866 Vgl. auch Gallwas, JA 1986, 484 (488); Hoffmann-Riem, in: AK-GG, 3. Aufl., Art. 8 Rdnr. 33. 867 So auch Dietel/Gintzel/Kniesel, § 5 Rdnr. 8; Bergmann, S. 47. 868 So auch Waechter, NdsVBl. 1996, 197 (203). 869 s. oben 2. Teil, A. II. 3. c) bb) (3).

Dritter Teil

Zuständigkeit A. Die Zuständigkeitsordnung der Polizeigesetze Die Wahrnehmung polizeilicher Gefahrenabwehraufgaben obliegt grundsätzlich der verwaltenden Polizei, zumeist den Gemeinden als Ortspolizeibehörden 1. Die Vollzugspolizei ist in der Regel subsidiär zuständig und auf ein Handeln im Rahmen der sogenannten Eilzuständigkeit und der Vollzugshilfe ausgerichtet. Diese grundsätzliche Zuständigkeitsverteilung gilt sowohl in denjenigen Ländern, die dem Trennungssystem folgen 2, als auch in denjenigen Ländern, die das Einheitssystem beibehalten haben3. Im Einheitssystem fallen unter den Begriff „Polizei" die verwaltende Polizei, zumeist Polizeibehörden genannt4, sowie der Polizeivollzugsdienst. Das Trennungssystem differenziert dagegen zwischen Verwaltungsbehörden bzw. Ordnungsbehörden 5 und Polizeibehörden6 (Polizeivollzugsdienst) von vornherein. Bayern, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen und Thüringen dokumentieren die Durchführung des Trennungssystems durch jeweils getrennte Rechtsgrundlagen für beide Behörden. Zur Durchführung einiger klassischer Standardmaßnahmen ist in den Ländern mit Trennungssystem ausschließlich die Polizeibehörde (Polizeivollzugsdienst) zuständig7. Dies erklärt sich aus dem Charakter der Standardmaßnahmen, die zwar Verwaltungsakte sind, in der Regel aber „mit der Ausführung derart eng verbunden sind, daß sie insgesamt als vollzugstypische Maßnahmen erscheinen"8. Für den Erlaß und die Durchführung solcher Maßnahmen ist der Polizeivollzugsdienst per1 Dazu Schenke, in: Steiner, II, Rdnrn. 252 und 255; VG Sigmaringen, NVwZ-RR 1995, 327 = VB1BW 1995, 289 ff. 2 So Bayern, Brandenburg, Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Berlin, Hamburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. 3 So Baden-Württemberg, Bremen, Saarland und Sachsen. 4 Im Saarland: Polizeiverwaltungsbehörde. 5 In Bayern: Sicherheitsbehörde, Art. 6 Bayr. LStVG; in Hessen: Gefahrenabwehrbehörde, § 1 HSOG. 6 Die Polizeibehörden entsprechen dem Polizeivollzugsdienst im Einheitssystem, Polizeibehörden im Einheitssystem sind im Trennungssystem die Ordnungsbehörden. 7 Z. B. Gewahrsam nach § 32 HSOG. 8 Wolf/Stephan, § 60 Rdnr. 12. 15 Neuner

226

3. Teil: Zuständigkeit

sonell und sachlich ausgerüstet9 und aufgrund seiner Präsenz vor Ort zur schnellen Bekämpfung akuter Gefahren, wie etwa bei Unfällen oder Explosionsgefahren, in der Lage 10 . Die Befugnis zum Erlaß eines Platzverweises ist jedoch grundsätzlich auch den Verwaltungsbehörden zugewiesen11. Dies gilt gleichermaßen für die Befugnis zum Erlaß von Aufenthaltsverboten. Die Abgrenzung, welche der beiden Behörden letztendlich zuständig ist, richtet sich daher nach der grundsätzlichen Zuständigkeitsverteilung, wonach der Polizeivollzugsdienst in der Regel nur insoweit zuständig ist, als die Gefahrenabwehr durch die Verwaltungsbehörde nicht oder nicht rechtzeitig möglich erscheint 12. Es handelt sich dabei jedoch nicht nur um eine Eilkompetenz im wörtlichen Sinne, sondern die Zuständigkeit besteht auch dann, wenn die Verwaltungsbehörde rechtlich oder tatsächlich nicht in der Lage ist, akuten Gefahren im gewöhnlichen Verwaltungsgang zu begegnen13. Sobald die Ordnungsbehörde über die Gefahrenlage unterrichtet und tatsächlich handlungsfähig ist, kommt eine Tätigkeit des Vollzugsdienstes aufgrund der Eilkompetenz nicht mehr in Betracht 14. Diese Zuständigkeitsverteilung für den Erlaß von Platzverweisen entspricht im wesentlichen derjenigen der Länder mit Einheitssystem, die ebenfalls eine originäre Eilfallzuständigkeit des Polizeivollzugsdienstes kennen, wie z. B. in § 60 Abs. 2 BWPolG und § 60 Abs. 2 SächsPolG. In Baden-Württemberg und Sachsen besteht für die meisten Standardbefugnisse mittlerweile neben der Eilfallkompetenz auch eine eilfall-unabhängige Zuständigkeit des Polizeivollzugsdienstes, vgl. § 60 Abs. 3 BWPolG und § 60 Abs. 3 SächsPolG. Es kommt hier zu einer parallelen Zuständigkeit, wobei sich die Beantwortung der Frage, wer im Einzelfall tätig wird, wiederum nach den Umständen, wie „Zweckmäßigkeit, Organisation und Kapazität", richtet15. Da der Platzverweis in Baden-Württemberg jedoch nicht standardisiert ist und die Parallelzuständigkeit des § 60 Abs. 3 BWPolG für Maßnahmen aufgrund der Generalklausel nicht in Betracht kommt 16 , verbleibt es bei der bloßen Eilzuständigkeit des baden-württembergischen Polizeivollzugsdienstes nach § 60 Abs. 2 BWPolG für die Erteilung von Platzverweisen.

9 Habermehl, Rdnr. 43. 10

Lisken, in: Lisken/Denninger, C Rdnr. 105. Z. B. für Niedersachsen: Sukow/Hage, Rdnr. 48; für Rheinland-Pfalz: Jochum/Rühle, H Rdnrn. 4 und 52. 12 Vgl. Z. B. Art. 3 BayPAG; § 2 HSOG. 11

13

Tegtmeyer, § 1 Rdnrn. 16 ff.; Lisken, in: Lisken/Denninger, C Rdnr. 105. 14 VGH Mannheim, VB1BW 1984, 20 (21); 1986, 299 (302).

15 Würtenberger/Heckmann/Riggert, Rdnr. 154. Das Risiko widersprüchlicher Entscheidungen sieht allerdings Stephan, in: Stephan/Zeitler, S. 11. 16 Dies folgt argumentum e contrario daraus, daß § 60 Abs. 3 BWPolG die Generalklausel nicht erwähnt. Vgl. auch König, Josef, Rdnr. 59 (S. 72); Wolf/Stephan, § 60 Rdnr. 2.

B. Platzverweise und Aufenthaltsverbote aufgrund der Eilkompetenz

227

B. Die Erteilung von Platzverweisen und Aufenthaltsverboten aufgrund der Eilkompetenz Die Beschränkung des Vollzugsdienstes auf Eilfälle oder sonstige Gefahrenlagen, in denen ein Handeln der Ordnungsbehörden nicht möglich erscheint, hat für die Maßnahme Platzverweis nur geringe Auswirkungen. Er muß wegen der Aktualität der Gefahr häufig und sofort direkt vor Ort ergehen. Freilich werden auch Platzverweise „vom Schreibtisch aus" angeordnet. Dies setzt aber voraus, daß der verwaltenden Polizei die den Platzverweis erfordernde Situation rechtzeitig und in ihren wesentlichen Einzelheiten hinreichend bekannt ist. Problematisch ist ein Vorgehen dann, wenn kein Eilfall vorliegt, der Ordnungsbehörde aber die notwendigen Daten, die eine Entscheidung im Einzelfall möglich machen, noch nicht vorliegen. Der Vollzugsdienst, der vor Ort mit der Gefahrenlage konfrontiert wird, ist dann zunächst darauf beschränkt, die notwendigen Daten zur Feststellung der Gefahrenlage aufzunehmen, gegebenenfalls die Identität des Störers nach § 26 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BWPolG festzustellen und die Ordnungsbehörde hiervon zur weiteren Veranlassung zu informieren 17. Bei beständigen Gefahren, wie sie beispielsweise von offenen Drogenszenen ausgehen, kann es an einem Eilfall fehlen. Das VG Sigmaringen hat bei einem fünfmonatigen Aufenthaltsverbot für den Bereich des Botanischen Gartens in Tübingen die Notwendigkeit sofortigen polizeilichen Einschreitens - allerdings ohne nähere Begründung - verneint 18. Deger 19 hält dagegen ein Einschreiten des Polizeivollzugsdienstes aufgrund der Eilzuständigkeit auch bei diesen Gefahrenlagen für geboten. Seiner Auffassung nach müsse ein Aufenthaltsverbot, um auch tatsächlich wirksam gegen Szenemitglieder zu sein, sofort ausgesprochen werden. Die bloße Personalienfeststellung, gegebenenfalls verbunden mit einem einfachen Platzverweis durch den Völlzugsdienst und anschließendem schriftlichen Betretungsverbot durch die Ordnungsbehörde, würde sich hierfür als ungeeignet erweisen, da die Betroffenen häufig postalisch nicht oder erst wesentlich später erreichbar seien. Zu bedenken ist jedoch, daß es sich gerade bei den durch offene Drogenszenen bedingten Gefahren um langfristige Gefahren handelt, die zudem bereits seit geraumer Zeit bestehen. Darüber hinaus darf der Vollzugsdienst im Rahmen seiner Eilkompetenz nur diejenigen Maßnahmen treffen, die bis zum Erreichen der zuständigen Ordnungsbehörde erforderlich sind. Die Rechtfertigung einer Eilsituation, die gerade jetzt ein sofortiges Eingreifen notwendig macht, ist daher sowohl im Hinblick auf die Geltungsdauer eines Aufenthaltsverbots als auch im Hinblick

17 So der Vorschlag des VG Stuttgart, NVwZ-RR 1998, 103 (104); ebenso VGH Mannheim, VB1BW 1997, 66 (68). 18 VG Sigmaringen, NVwZ-RR 1995, 327 (328). 19 Deger, VB1BW 1996, 90 (92). 15*

228

3. Teil: Zuständigkeit

auf die bereits andauernde Gefahrenlage in der Tat sehr fraglich. Zudem mag auch die fehlende postalische Erreichbarkeit etc. auf Obdachlose zutreffen, für Szenemitglieder dürfte sie als Regel jedoch nicht belegt sein. In Baden-Württemberg hat man de lege lata zur Bewältigung des Problems versucht, beide Behörden an der Erteilung eines Aufenthaltsverbots zu beteiligen. Die an sich zuständige Ortspolizeibehörde stattet den Vollzugsdienst mit vorgefertigten Schreiben, den sogenannten „Blanko-Verfügungen", aus, die vom Amtsleiter unterzeichnet, in persönlicher Anrede gehalten, aber noch unandressiert sind und ein Aufenthaltsverbot beinhalten20. Treffen die Beamten des Polizeivollzugsdienstes nunmehr einen ihrer Auffassung nach potentiellen Adressaten der Verfügung an, ergänzen sie - nach einer Personenkontrolle und Abfrage polizeilicher Erkenntnisse - die maßgebenden Daten im Adreßfeld und der Anrede und händigen dem oder der Betroffenen den „Platzverweis" im Namen der Ordnungsbehörde aus 21 . Dieses Vorgehen wirft gewisse formellrechtliche Fragen auf. Zu prüfen ist, welche Behörde den Verwaltungsakt erlassen hat und damit Zurechnungssubjekt des Aufenthaltsverbots ist. Zwingendes Rechtmäßigkeitskriterium einer schriftlichen Verfügung ist nach § 44 Abs. 2 Nr. 1 LVwVfG die Erkennbarkeit der die Verfügung erlassenden Behörde, weil andernfalls das Einlegen von Rechtsmitteln erschwert wird und damit der Rechtsschutz beeinträchtigt werden könnte 22 . Beim Blanko-Verfügungs-Verfahren obliegt die eigentliche Ermessensentscheidung, nämlich auszuwählen, wer ein Aufenthaltsverbot erhält, dem Polizeivollzugsdienst. Aus Sicht des betroffenen Bürgers dürfte der Verwaltungsakt aber der Ordnungsbehörde - der eigentlichen Kompetenzinhaberin - zuzurechnen sein, da sie als Ausstellerin hervorgeht und der Vollzugsdienst auch in ihrem Namen auftritt 23 . Dieser eindeutige äußere Anschein reicht zur Annahme der Passivlegitimation der Ordnungsbehörde aus 24 , da für den Betroffenen die rechtliche Trennung beider Behörden nicht ersichtlich ist und die Ordnungsbehörde auch gewollt Zurechnungsobjekt der Verfügung ist. Diese Zurechnung der Verfügung der ausstellenden Ordnungsbehörde ist übrigens ein weiterer Grund, weshalb speziell im Blanko-Verfügungs-Verfahren ein Handeln des Polizeivollzugsdienstes im Wege der Eilzuständigkeit von vornherein verneint werden muß. Fraglich ist außerdem, aufgrund welcher Rechtsgrundlage der Vollzugsdienst seine Ermessensentscheidung trifft. Das Prinzip des Vorbehalts des Gesetzes verlangt für das Handeln des Polizeivollzugsdienstes eine gesetzliche Ermächtigung. Wie bereits festgestellt, hat der Poli20 So z. B. bei VG Sigmaringen, NVwZ-RR 1995, 327 ff.; ebenso VG Karlsruhe, B. v. 20. 09. 1995, Az.: 12 K 2756/95, S. 7. 21 VG Sigmaringen, NVwZ-RR 1995, 327 ff. 22 Kopp/Ramsauer, § 44 Rdnr. 32. 23 Zur Frage der Zulässigkeit von Verwaltungsakten zweier Behörden, vgl. HaseloffGrupp, VB1BW 1997, 161, die jedoch zu Recht daraufhinweist, daß hierzu eine gesetzliche Ermächtigung erforderlich wäre. 24 Ebenso VG Sigmaringen, NVwZ-RR 1995, 327; VGH Mannheim, B. v. 12. 03. 1996, Az.: 1 S 2856/95, S. 4.

C. Übertragung polizeigesetzlicher Zuständigkeiten in Baden-Württemberg

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zeivollzugsdienst für Maßnahmen aufgrund der Generalklausel aber lediglich eine Eilfallkompetenz. Im folgenden soll daher geklärt werden, ob ein Aufenthaltsverbot de lege lata durch den baden-württembergischen Polizeivollzugsdienst kompetenzgerecht erlassen werden kann.

C. Übertragung polizeigesetzlicher Zuständigkeiten und Aufgaben zur Bewältigung der Zuständigkeitsprobleme in Baden-Württemberg? Die Polizei- und Verwaltungsverfahrensgesetze der Länder enthalten gewisse Möglichkeiten, Zuständigkeiten oder Aufgaben von einer auf die andere Behörde zu übertragen. Die Übertragung der Kompetenzen und Aufgaben steht jedoch nicht im Belieben der Behörde. Vielmehr bestehen klare rechtliche Voraussetzungen.

I. Vollzugs- und Amtshilfe Den Rechtsinstituten der Vollzugs- und Amtshilfe ist gemeinsam, daß eine Behörde eine andere um die Erledigung bestimmter Aufgaben ersucht. Bei der Vollzugshilfe führt der Polizeivollzugsdienst auf Ersuchen von Behörden und Gerichten Vollzugshandlungen aus, soweit hierfür dessen besondere Fähigkeiten, Kenntnisse oder Mittel benötigt werden 25. Damit setzt das Institut der Vollzugshilfe eine im Rahmen der Zuständigkeit getroffene behördliche Anordnung - also in der Regel einen Verwaltungsakt, der vollzogen werden soll - voraus. Im Blanko-Verfügungs-Verfahren existiert jedoch ein solcher Verwaltungsakt noch nicht. Er kann auch nicht existieren, weil der Ordnungsbehörde die für die Erteilung eines Verwaltungsakts wesentlichen Informationen bisher fehlen. Ebensowenig kann die Ordnungsbehörde den Vollzugsdienst im Wege der Amtshilfe gemäß § 4 Abs. 1 LVwVfG verpflichten. Danach hat eine Behörde auf Ersuchen einer anderen bei einer Maßnahme „ergänzende Hilfe" zu leisten. Dabei macht sich die ersuchende Behörde die Fähigkeiten und Handlungsmöglichkeiten der ersuchten Behörde zu eigen 26 . Herrin des Verfahrens bleibt die ersuchende Behörde, so daß sich nach § 7 Abs. 1 LVwVfG die rechtliche Zulässigkeit der Gesamtmaßnahme nach den ihr zustehenden Befugnissen richtet27. Aber auch die ersuchte Behörde hat den von ihr zu leistenden Teilbeitrag gemäß § 7 Abs. 1, 2. Halbs. LVwVfG nach dem für sie

25 Vgl. z. B. § 60 Abs. 4 BWPolG. In den meisten anderen Bundesländern wird die Vollzugshilfe - entsprechend § 25 ff. MEPolG - jedoch enger verstanden und auf die Anwendung unmittelbaren Zwangs beschränkt. 26 Würtenberger/Heckmann/Riggert, Rdnr. 118. 2 ? Stelkens/Bonk/Sachs, § 7 Rdnr. 2; Drews/Wacke/Vogel/Martens, § 10, 1 b (S. 145).

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3. Teil: Zuständigkeit

geltenden Recht durchzuführen. Abgesehen davon, daß im Blanko-VerfügungsVerfahren der Polizeivollzugsdienst nicht nur einen Teilbeitrag leistet, sondern die eigentliche Ermessensentscheidung trifft, fehlt dem Polizeivollzugsdienst gerade für diese Entscheidung die Kompetenz. Amts- und Vollzugshilfe übertragen also keine Kompetenzen, sondern lediglich Aufgaben. Typisch für die Amtshilfe ist auch, daß die ersuchte Behörde die Amtshilfe in eigenem Namen aufgrund einer eigenen Kompetenz leistet 28 . Im Blanko-Verfügungs-Verfahren nimmt der Polizeivollzugsdienst jedoch gerade eine ihm an sich nicht zustehende Kompetenz im Namen der Ordnungsbehörde wahr.

II. Weisung Die Polizeigesetze räumen den Ortspolizeibehörden das Recht ein, dem Polizeivollzugsdienst im Rahmen ihrer Zuständigkeit Weisungen zu erteilen 29. Diesen haben die Polizeidienststellen Folge zu leisten. Da die Weisung im Rahmen der Zuständigkeit erfolgen muß, darf nur eine Weisung erteilt werden, die sich an die bestehenden Kompetenzen der anweisenden und der nachgeordneten Stelle hält 30 . Der Polizeivollzugsdienst darf also nicht zu Maßnahmen angewiesen werden, die in den Zuständigkeitsbereich der Ortspolizeibehörde nach § 60 Abs. 1 BWPolG gehören. Das Institut der Weisung führt damit ebenfalls nicht zu einer Delegation oder Erweiterung der Kompetenzen der angewiesenen Behörde. Deswegen handelt es sich auch dann nicht um eine Weisung, wenn der Beamte des Polizeivollzugsdienstes, wie in dem von Riedinger 31 gebildeten Fall, vor Aushändigung der Blanko-Verfügung der zuständigen Behörde den Sachverhalt telefonisch mitteilt und diese den Beamten des Vollzugsdienstes umgehend zur Veranlassung entsprechender Maßnahmen auffordert. Vollzugshilfe kommt in diesem Fall ebenfalls nicht in Betracht, weil das Aufenthaltsverbot durch die zuständige Ordnungsbehörde noch nicht nach § 43 Abs. 1 LVwVfG gegenüber dem Betroffenen bekannt gemacht wurde und damit noch nicht existent ist. Die Bekanntgabe eines Verwaltungsakts gehört nicht zu den Vollzugshandlungen des Vollzugsdienstes. Denn bei den Völlzugshandlungen handelt es sich ausschließlich um solche polizeiliche Tätigkeiten, „die unmittelbar der Durchführung ( . . . ) von Rechtsvorschriften oder behördlichen Anordnungen dienen" und hierzu der besonderen Kenntnisse und Fähigkeiten des Polizeivollzugsdienstes bedürfen 32.

28 Stelkens/Bonk/Sachs, § 7 Rdnr. 3. 29 Z. B. § 74 BWPolG und § 75 SächsPolG. 30 VG Sigmaringen, NVwZ-RR 1995, 327 (328); Belz/Mußmann, ebenso Rommelfanger/Rimmele zu § 75 Rdnr. 4.

§ 74 Rdnrn. 1 und 6;

31 Riedinger, VB1BW 2000, 292 ff. und 332 (333). 32 Wolf/Stephan, § 60 Rdnr. 15 mit Verweis auf BW LT-Drs. 10/5230.

C. Übertragung polizeigesetzlicher Zuständigkeiten in Baden-Württemberg

231

III. Das organisationsrechtliche (zwischenbehördliche) Mandat 1. Der Begriff des organisationsrechtlichen Mandats Beim organisationsrechtlichen Mandat beauftragt und bevollmächtigt der Inhaber einer Zuständigkeit in einem oder mehreren Einzelfällen ein anderes öffentlich-rechtliches Subjekt, die Kompetenz des Mandanten in dessen Namen auszuüben 33 . Es handelt sich dabei um eine Art Stellvertretung des öffentlichen Rechts. Der Mandatar - wie hier der Völlzugsdienst - trifft eine eigene hoheitliche Entscheidung, während der Mandant - die Ordnungsbehörde - formales Zurechnungssubjekt bleibt, so daß es allein auf dessen Kompetenzen ankommt 34 . Das Zuständigkeitsproblem wäre gelöst. Das zwischenbehördliche organisationsrechtliche Mandat ist gesetzlich nicht geregelt. Seine Zulässigkeit und Grenzen werden unterschiedlich beurteilt. Einigkeit dürfte insofern bestehen, als das Mandat nicht derart weit reichen kann wie die zivilrechtliche Stellvertretung, da andernfalls die bestehende Zuständigkeitsordnung unterlaufen werden könnte. Einigkeit besteht auch über die formellen Voraussetzungen der Mandatierung. So muß die Kompetenz tatsächlich übertragen worden sein und der Beauftragte das Auftragsverhältnis zum Ausdruck bringen 35 . Letzteres ist wiederum beim Blanko-Verfügungs-Verfahren zweifelhaft. Strenggenommen tritt dort nämlich der Polizeivollzugsdienst nicht nach außen hin im Auftrag der Ortspolizeibehörde auf, da das Formular von dieser unterzeichnet ist und die Vertretung somit nicht nach außen kundgetan wird. Richtig wäre daher die Unterzeichnung durch den Vollzugsdienst im Namen oder im Auftrag der Behörde. Umstritten ist aber, ob das Mandat zu einer Abweichung von der gesetzlich festgelegten Zuständigkeitsordnung führt und es für die Erteilung eines Mandats einer ausdrücklichen Rechtsgrundlage bedarf. Das organisationsrechtliche Mandat differenziert häufig zwischen generellem Mandat und Singularmandat. Beim generellen Mandat ermächtigt der gesetzliche Kompetenzinhaber ein anderes Rechtssubjekt, in dessen Namen in einer unbestimmten Zahl von Fällen gegenüber einem unbestimmten Adressatenkreis Hoheitsakte zu erlassen 36. Beim Singularmandat gilt die Ermächtigung des Mandatars nur hinsichtlich der Entscheidung eines bestimmten Einzelfalls 37 . Das Blanko-Verfügungs-Verfahren ist als generelles Mandat ausge33 Wolff/ Bachof, Verwaltungsrecht II, § 72, IV b 5 (S. 26); Schenke, VerwArch 68 (1977), 118 (148); Schwabe, DVB1. 1974, 69 (70); Hufeid, VB1BW 1999, 130; VGH Mannheim, VB1BW 1984, 20 (21); BDiszG, DÖV 1985,450 (451). 34 Schenke, VerwArch 68 (1977), 118 (148); ders., DÖV 1985, 452; Wolff /Bachof, Verwaltungsrecht II, § 72, IV b 5 (S. 26). 35 Vgl. Wolff /Bachof, Verwaltungsrecht II, § 72, IV b 5 (S. 26); Rasch, DÖV 1957, 337 (339); VGH Kassel, DÖV 1974, 69 ff. 36 Schenke, VerwArch 68 (1977), 118 (153). 37 Schenke, VerwArch 68 (1977), 118 (123 und 162).

232

3. Teil: Zuständigkeit

staltet38. Auch wenn die Ermächtigung zum Erlaß von Aufenthalts verboten von der Thematik her gleich gelagerte Fälle trifft, handelt es sich gleichwohl um eine Vielzahl von unvorhersehbaren Einzelfällen gegenüber einem noch unbestimmten Personenkreis. Zum Zeitpunkt der Beauftragung steht weder der jeweilige Einzelfall konkret fest noch die tatsächliche Anzahl der zu erlassenden Verwaltungsakte.

2. Rechtliche Voraussetzungen Die rechtlichen Anforderungen an ein generelles Mandat hängen davon ab, ob man in der Mandatierung eine Abänderung der Zuständigkeitsordnung sieht, da nur dann im Hinblick auf die Grundsätze des Vorrangs und des Vorbehalts des Gesetzes (Art. 20 Abs. 3 GG) eine gesetzliche Rechtsgrundlage für die Mandatierung erforderlich ist. Mit einer Zuständigkeitsordnung trägt der Gesetzgeber verschiedenen Interessen Rechnung. Sie dient der Organisation der Verwaltung und bewirkt die formale Zurechnung einer Entscheidung an ein Verwaltungsorgan 39. Wie Schenke40 darlegt, wird durch die Zuständigkeitsregelung aber primär zum Ausdruck gebracht, daß der jeweilige Kompetenzinhaber die ihm eingeräumten Kompetenzen selbst durchführen solle, weil der Gesetzgeber gerade ihn aufgrund seiner Stellung und Funktion im Staatsgefüge für besonders geeignet und sachkundig gehalten habe, eine bestimmte staatliche Aufgabe wahrzunehmen. Dies gilt insbesondere dann, wenn es sich, wie hier, um die Einräumung einer Kompetenz zu Ermessensentscheidungen handelt, da dann auch die inhaltliche Entscheidungsmacht vom eigentlichen Zuständigkeitsinhaber auf den Mandatar verlagert wird, der Mandatar also eine Entscheidung trifft, die dem Gesetze nach allein dem Mandanten zusteht41. Die gesetzliche Zuständigkeitsordnung wird, zumindest partiell, durchbrochen. Aus dem Sinn gesetzlicher Zuständigkeitsordnungen folgt zugleich, daß die einer Behörde durch Gesetz zugewiesenen Kompetenzen nicht zur Disposition der Verwaltung stehen42. Hufeid 43 verweist zur Verdeutlichung hierfür auf die Regelung der Amtshilfe in § 4 LVwVfG, die Aufschluß über die Zulässigkeit von Kompetenzverschiebungen gebe. Das Institut der Amtshilfe beschränke die Aufgabenwahrnehmung der ersuchten Behörde lediglich auf eine ergänzende Hilfe, die darüber hinaus von den engen Voraussetzungen in § 5 LVwVfG abhängig gemacht werde. Dadurch solle die gesetzliche Zuständigkeitsordnung weitmöglichst gewahrt und die Pflicht 38 A. A. Deger, VB1BW 1996, 90 (92). 39 Maurer, § 21 Rdnr. 46. 40 Schenke, VerwArch 68 (1977), 118 (153 f.); ders., DÖV 1985,452; ebenso Maurer, § 21 Rdnr. 46. 41 Schenke, VerwArch 68 (1977), 118 (154); BDiszG, DÖV 1985,450 (452). 42 Hufeid, VB1BW 1999, 130 (131); VG Sigmaringen, NVwZ-RR 1995, 327 (328); BTDrs. 7/901, S. 38. 43 Hufeid, VB1BW 1999, 130 (131, 132).

C. Übertragung polizeigesetzlicher Zuständigkeiten in Baden-Württemberg

233

der ersuchenden Behörde statuiert werden, „Herrin des Verfahrens" zu bleiben. Deger 44 sieht zwar gerade in der polizeigesetzlichen Zuständigkeitsabgrenzung zwischen Polizeibehörde und Vollzugsdienst keine „strikte Trennung der Sachaufgaben und Zuständigkeiten". Ein Mandat bei der Aufgabe der Gefahrenabwehr führe seiner Auffassung nach nicht zu einer Zuständigkeitsverschiebung, da der Regelfall in diesem Bereich ohnehin das Zusammenwirken von Ordnungsbehörde und Vollzugsdienst sei, wie sich vor allem aus der Parallelzuständigkeit des § 60 Abs. 3 BWPolG ergebe. Entgegen der Auffassung Degers enthält das Baden-Württembergische Polizeigesetz in § 60 BWPolG jedoch eine fein abgestufte Zuständigkeitsverteilung zwischen Völlzugsdienst und Ordnungsbehörde, die von einer grundsätzlichen subsidiären Zuständigkeit des Polizeivollzugsdienstes ausgeht und lediglich in besonderen Situationen, denen der Polizeivollzugsdienst aufgrund seiner Organisation und Ausstattung besser gerecht werden kann, dessen originäre Zuständigkeit begründet. Dies gilt auch für die zuletzt eingeführte Parallelzuständigkeit, die nicht die Zusammenarbeit beider Behörden fördert, sondern zu einer „konkurrierenden Zuständigkeit" führt 45 und damit lediglich die Aufgaben des Vollzugsdienstes bezüglich einzelner Maßnahmen stärkt. Wie bereits dargelegt, richtet sich aber auch die Parallelzuständigkeit im Einzelfall nach Zweckmäßigkeit, Organisation und Kapazität. Argumentum e contrario ist daher nicht anzunehmen, daß weitere Abweichungen von dieser grundsätzlichen Zuständigkeitsverteilung vom Polizeigesetzgeber beabsichtigt waren. Andernfalls wäre nämlich die klare Zuständigkeitsverteilung in den Polizeigesetzen entbehrlich. Die Regelungen über die Zuständigkeiten sind folglich abschließend. Folgerichtig führt auch der Verstoß gegen die gesetzlichen Bestimmungen über die sachliche Zuständigkeit zur unheilbaren Rechtswidrigkeit der Maßnahme mit der Folge ihrer Aufhebbarkeit und Rücknehmbarkeit 46. Eine Abweichung von der gesetzlichen Zuständigkeitsordnung ist daher nicht durch ein formloses Mandat möglich. Sie bedarf einer gesetzlichen Ermächtigung, die konsequenterweise mindestens den gleichen Rang besitzt wie die Zuständigkeitsregelung selbst47. Eine solche Gesetzesgrundlage existiert jedoch de lege lata in den Polizeigesetzen nicht. Sie kann nach dem bisher Ausgeführten auch weder der Parallelzuständigkeit des § 60 Abs. 3 BWPolG noch dem Weisungsrecht nach § 74 BWPolG entnommen werden 48. Die Gegenauffassung 49 verneint eine Zuständigkeitsverschiebung und damit die Notwendigkeit einer Rechtsgrundlage im wesentlichen mit der Begründung, das ausgeübte Verwaltungshandeln des Mandatars werde nach wie vor derjenigen Be44 Deger, VB1BW 1996, 90 (92). 45 Beiz/Mußmann, § 60 Rdnr. 7. 46 Wolff/ Bachof/Stober, Verwaltungsrecht Bd. 2, § 49 Rdnr. 50. 47 Schenke, DÖV 1985, 452 f.; ders., VerwArch 68 (1977), 118 (154 und 158 f.); ders., Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 137; BDiszG, DÖV 1985, 450 (451); VGH Mannheim, VB1BW 1996,418(419). 48 So aber Deger, VB1BW 1996, 90 (92). 49 Rasch, DÖV 1957, 337 (339); Haseloff-Grupp, VB1BW 1997, 161 (162).

234

3. Teil: Zuständigkeit

hörde zugerechnet, die nach dem Gesetz zuständig sei. Sie läßt damit aber die inhaltliche Verlagerung der Entscheidung unberücksichtigt, was vom Gesetzgeber so nicht beabsichtigt war. Im übrigen gelangt aber auch diese Auffassung hier zu keinem anderen Ergebnis 50. Denn auch sie läßt, soweit sie das generelle Mandat neben dem Singularmandat überhaupt anerkennt 51, die Mandatierung nicht uneingeschränkt zu. Vielmehr sollen sich die Grenzen der Zulässigkeit des Mandats dort ergeben, wo aus der einschlägigen gesetzlichen Regelung erkennbar ist, daß die Wahrnehmungszuständigkeit ausschließlich nur einem bestimmten Organverwalter zustehen solle und ein Mandat materiell zu einer „Preisgabe der Zuständigkeit" führen würde 52 . Dies muß nach dem bisher zur Zuständigkeitsordnung der Polizeigesetze Gesagten bejaht werden.

IV. Ergebnis Derzeit besteht keine rechtliche Möglichkeit des Polizeivollzugsdienstes, polizeiliche Verweisungen außerhalb der Eilkompetenz zu erlassen. Die baden-württembergischen Verwaltungsgerichte haben Kompetenzverschiebungen, die einer rechtlichen Grundlage entbehren, daher zu Recht für formell rechtswidrig erklärt 53 . Bestehende Mängel im Bereich der Kompetenzordnung können nur durch eine Gesetzesänderung beseitigt werden 54. De lege lata bleibt der Polizeivollzugsdienst darauf beschränkt, sofern die formellen und materiellen Voraussetzungen dafür vorliegen, einen einfachen Platzverweis gegen den Betroffenen zu erteilen. Sofern das Aufenthaltsverbot standardisiert wäre, käme aufgrund der Eilfallkompetenz allenfalls auch ein über den Platzverweis hinausgehendes Aufenthaltsverbot in Betracht, bis die Ordnungsbehörden tätig werden können. Nichts anderes unternimmt der baden-württembergische Polizeivollzugsdienst derzeit auch bei den Wohnungsund Umfeldverweisen. Die Ortspolizeibehörde kann anschließend gegenüber dem Betroffenen ein Aufenthaltsverbot verfügen bzw. verlängern. Die bestehenden Unsicherheiten im Bereich der Zuständigkeit sind ein weiterer Grund für die Aufnahme von Platzverweis und Aufenthaltsverbot in den Katalog der Standardbefugnisse und in die Parallelzuständigkeit, wobei es aber durchaus sinnvoll ist, wenn gerade bei langen Aufenthaltsverboten eine zweite Behörde die Zulässigkeit der Maßnahme und Notwendigkeit ihrer Aufrechterhaltung prüft. so VGH Mannheim, VB1BW 1984, 20 (21) - Mordloch-Höhlen-Fall. Hier wurde das Mandat vor allem wegen der bestehenden Notsituation bejaht; Rasch, DÖV 1957, 337 (339); Haseloff-Grupp, VB1BW 1997, 161 (162). Im Ergebnis auch Reichert/Ruder/Fröhler, Rdnr. 203 a. 51 Nachweise hierzu bei Schenke, VerwArch 68 (1977), 118 (155). 52 Schwabe, DVB1. 1974, 69 (73); VGH Mannheim, VB1BW 1984, 20 (21); HaseloffGrupp, VB1BW 1997, 161 (162). 53 VG Sigmaringen, NVwZ-RR 1995, 327 ff.; bestätigt durch VGH Mannheim, VB1BW 1996,418 (419) zu VG Karlsruhe, B. v. 20. 09. 1995, Az.: 12 K 2756/95, S. 7. 54 So auch Haseloff-Grupp, VB1BW 1997, 161 (163Hufeid, VB1BW 1999, 130(133).

Vierter Teil

Rechtsschutz A. Qualifizierung des Verwaltungshandelns bei polizeilichen Verweisungen I. Verweisungen als Verwaltungsakte im Sinne des § 35 S. 1 LVwVfG Platzverweis und Aufenthalts verbot sind Verwaltungsakte im Sinne des § 35 S. 1 LVwVfG. Nach der Definition des § 35 S. 1 LVwVfG ist ein Verwaltungsakt eine Maßnahme, die eine Behörde zur Regelung eines Einzelfalles auf dem Gebiet des öffentlichen Rechts mit unmittelbarer Rechtswirkung nach außen trifft. Das Merkmal „Regelung eines Einzelfalles" dient dabei der Abgrenzung des Verwaltungsakts von der Rechtsnorm. Die Rechtsnorm betrifft eine unbestimmte Zahl von Fällen und Personen und stellt daher eine generell-abstrakte Regelung dar 1. Der Verwaltungsakt hingegen regelt einen konkreten Sachverhalt gegenüber einer im vorhinein bestimmten Zahl von Adressaten. Es handelt sich um eine individuellkonkrete Einzelfallregelung 2. Aufenthaltsverbot, Platzverweis sowie Wohnungsund Umfeldverweis regeln den Aufenthalt in einem genau abgegrenzten Bereich; insoweit ist der Sachverhalt als konkret anzusehen. Ergeht die Verweisung als Einzelverfügung gegenüber einer bestimmten Person, liegt ein konkreter Sachverhalt und ein individueller Adressat und damit eine individuell-konkrete Regelung vor. Dem steht auch nicht entgegen, daß Aufenthaltsverbote mitunter für einen längeren Zeitraum - in der Praxis auch zwischen drei und zwölf Monaten - verhängt werden oder einen räumlich weit ausgedehnten Bereich betreffen. Zwar kann neben dem räumlichen Geltungsbereich einer Regelung auch deren zeitliche Geltung Indiz für eine Rechtsnorm sein3, da diese grundsätzlich auf eine gewisse Zeitdauer angelegt

1

Maurer, § 9 Rdnr. 14. Die Abgrenzung ist insbesondere auch wegen der unterschiedlichen Rechtsfolgen von Bedeutung. Während Verwaltungsakte grundsätzlich nur innerhalb der Rechtsmittelfrist angegriffen werden können, erwachsen Rechtsnormen nicht in Bestandskraft, ihre Unwirksamkeit kann also jederzeit geltend gemacht werden. Außerdem können Verwaltungsakte, anders als Rechtsnormen, Grundlage für die Vollstreckung sein. 2 Kopp/Schenke, Anh. § 42 Rdnr. 49; Erichsen, Verwaltungsrecht, § 12 Rdnr. 47. 3 Vgl. Kopp/Schenke, Anh. § 42 Rdnr. 60; Maurer, § 9 Rdnr. 19; wohl auch Kopp/Ramsauer, § 35 Rdnr. 69; enger Kopp, § 35 Rdnr. 30.

236

4. Teil: Rechtsschutz

ist 4 Umgekehrt sind Regelungen, die nur von sehr kurzer Dauer sind, im Zweifel als Verwaltungsakte zu werten 5, was allerdings wiederum nicht bedeutet, daß es nicht auch Verwaltungsakte von längerer Dauer geben kann. Der zeitliche Umfang der Regelung vermag aber nichts mehr an der Qualität des Verwaltungsakts zu ändern, wenn bereits zuvor eine individuell-konkrete Regelung festgestellt wurde. Der zeitliche Umfang spielt dann vielmehr eine Rolle bei der Frage der Rechtmäßigkeit, insbesondere der Verhältnismäßigkeit, der Verfügung.

II. Verweisungen als Allgemeinverfügung im Sinne des § 35 S. 2 LVwVfG Ein einfacher Platzverweis kann grundsätzlich auch als Allgemeinverfügung ergehen. Eine Allgemeinverfügung im Sinne des § 35 S. 2 LVwVfG ist ein Verwaltungsakt, der einen konkreten Einzelfall regelt, sich aber an einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmten oder bestimmbaren Personenkreis richtet. Sie ist mithin generell-konkret. Typische Sachverhalte für den Erlaß von Verweisungen in Form einer Allgemeinverfügung sind die Sperrung einer Straße, die Räumung eines Bezirks oder Gebäudes wegen einer dort durchzuführenden Bombenentschärfung oder wegen bestehender Explosionsgefahr 6. Es handelt sich hierbei um konkrete Einzelfälle, die gegenüber allen Personen, die sich zu einer bestimmten Zeit in diesem Bereich aufhalten möchten, aus demselben tatsächlichen Grund geregelt werden müssen. Für den Erlaß einer Allgemeinverfügung können in derartigen Fällen zeitliche Aspekte, aber auch Praktikabilitätsgründe sprechen. Umstritten ist jedoch, ob auch ein Aufenthaltsverbot als Allgemeinverfügung im Sinne des § 35 Abs. 2 LVwVfG ergehen kann. Dies ist zumindest dann zu bejahen, wenn bei Katastrophen oder Gefahren von ähnlichem Ausmaß ganze Bereiche evakuiert oder gesperrt werden müssen. Weil hier das Aufenthaltsverbot in erster Linie dem Schutze der im Schadensgebiet Anwesenden dient, gilt es tatsächlich für jedermann, der sich in dem abgesperrten Bereich aufhalten möchte. Problematisch ist die Beurteilung jedoch bei Aufenthaltsverboten zur Verhütung von Straftaten, insbesondere zur Bekämpfung offener Drogenszenen, die sich nur an solche Personen richten, die bestimmte Merkmale erfüllen. Die in Baden-Württemberg bestehenden Zuständigkeitsprobleme beim Erlaß von Aufenthaltsverboten haben die Polizeibehörden veranlaßt, nunmehr mittels Allgemeinverfügung gegen Mitglieder der Drogenszene und sonstiger offener Szenen vorzugehen. Die Polizeibehörde der Stadt Stuttgart veröffentlichte im Februar 1996 im städtischen Amtsblatt7 unter der Überschrift „Polizeiliche Maßnahmen 4 Maurer, § 9 Rdnr. 19. 5 Maurer, § 9 Rdnr. 19; Kopp/Ramsauer, § 35 Rdnr. 69; Kopp/Schenke, Rdnr. 60. 6 So auch Erichsen, Verwaltungsrecht, § 12 II 6 Rdnr. 49.

Anh. § 42

A. Qualifizierung des Verwaltungshandelns

237

gegen die offene Drogenszene" Allgemeinverfügungen, die unter anderem Aufenthaltsverbote für bestimmte Bezirke von unterschiedlicher Dauer regelten. Exemplare dieser Verfügung wurden anschließend durch den Polizeivollzugsdienst an „alle Personen, die sich in dem in der Anlage bezeichneten Bereich aufhalten und offensichtlich der Drogenszene zuzurechnen sind oder zu ihr Kontakt suchen", persönlich ausgehändigt. Der Verfügung zufolge ziehen das erste und zweite Antreffen einen einfachen Platzverweis nach sich; beim dritten Antreffen darf der Betroffene „den Antreffort sowie die übrigen in der Anlage aufgeführten Verkehrsflächen für die Dauer von drei Monaten nicht mehr betreten", „sofern kein berechtigtes Interesse an einem Aufenthalt in einem der Bereiche nachgewiesen ist." Die Verfügung wurde zugleich für sofort vollziehbar erklärt. Dieses Vorgehen ist aus mehreren Gründen kritisiert worden. Hinterfragt wird, ob der Adressatenkreis eines solchen Verbots hinreichend bestimmbar und damit generell im Sinne des § 35 S. 2 LVwVfG ist, ob der Sachverhalt tatsächlich konkret formuliert werden kann und ob die Polizeibehörden mittels einer solchen Allgemeinverfügung in der Lage sind, eine pflichtgemäße Ermessensentscheidung unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu treffen. Ehlers 8 und Deger 9 bezweifeln die hinreichende Bestimmbarkeit des Adressatenkreises im Sinne des § 35 S. 2 LVwVfG und damit die Möglichkeit einer generell-konkreten Maßnahme. Ein solches Aufenthaltsverbot könne daher nur als polizeiliche Rechtsverordnung ergehen. Ehlers und Deger folgen dabei der teilweise in der Literatur vertretenen Rechtsauffassung, wonach bei personenbezogenen Allgemeinverfügungen der Personenkreis zum Zeitpunkt ihres Erlasses objektiv feststehen müsse. Zumindest müsse dann, wenn die Allgemeinverfügung auch Personen erfassen solle, die erst „nach Bekanntgabe in den Wirkungskreis der behördlichen Anordnung treten", der Adressatenkreis in etwa überschaubar sein 10 . Beides sei jedoch im Falle der zeitlich unbegrenzten Allgemeinverfügung der Stadt Stuttgart nicht der Fall, da tatsächlich nicht vorhersehbar ist, welche Personen, die der Drogenszene angehören, sich künftig in diesen Bereichen aufhalten werden und die Zahl der Mitglieder der Drogenszene wechseln kann 11 . Die bloße Bezugnahme auf konkret bezeichnete Orte reiche nach Auffassung Ehlers nicht aus. Diese Auffassung berücksichtigt jedoch den Wortlaut des § 35 S. 2 LVwVfG nicht ausreichend, der einen nach allgemeinen Merkmalen bestimmbaren Personenkreis ausdrücklich genügen läßt. Nach allgemeinen Merkmalen bestimmbar sind nicht nur Personen, die bereits zum Zeitpunkt des Erlasses einer Verfügung feststehen und damit ohnehin bestimmt wären, sondern auch solche, die erst künftig die Norm7 Amtsblatt der Landeshauptstadt Stuttgart, Nr. 6 v. 08. 02. 1996, zitiert nach VGH Mannheim, VB1BW 1997, 66 f. 8 Ehlers, Die Verwaltung 1998, 53 (65). 9 Deger, VB1BW 1996, 90 (91). 10 Ehlers, Die Verwaltung 1998, 53 (65). 11

So auch Erichsen, JK 1997, Platzverweis /1. Bedenken bzgl. der hinreichenden Bestimmtheit äußert auch das VG Sigmaringen, NVwZ-RR 1995, 327 (328).

238

4. Teil: Rechtsschutz

merkmale erfüllen und somit nach diesen ermittelbar sind 12 . § 35 S. 2 LVwVfG stellt damit klar, daß ein im voraus nicht bestimmter Adressatenkreis keineswegs zum Erlaß einer Rechtsnorm zwingt 13 . Andernfalls wäre die Differenzierung zwischen dem „bestimmten und bestimmbaren Personenkreis" in § 35 S. 2 LVwVfG überflüssig. Der VGH Mannheim hat die Stuttgarter Allgemeinverfügung im Hinblick auf die Bestimmtheit des Adressatenkreises daher nicht beanstandet. Der Begriff der Drogenszene sei durch Rechtsprechung und Gesetzgebung hinreichend bestimmt. Von der Allgemeinverfügung würden daher im wesentlichen Personen erfaßt, die unerlaubten Kontakt zu Betäubungsmitteln hätten oder beabsichtigten, mit der Drogenszene in Verbindung zu treten. Die Feststellung des Adressaten würde darüber hinaus durch das Merkmal der „offensichtlichen" Zugehörigkeit bzw. Kontaktaufnahme erleichtert 14. Zwar verbleibe auch bei einem Vorgehen im Wege der Allgemeinverfügung dem handelnden Polizeivollzugsdienst vor Ort eine gewisse Subsumtionsaufgabe, indem er den in der Allgemeinverfügung geregelten Tatbestand im Einzelfall feststellen müsse15. Das Ergebnis dieser Konkretisierung bringe jedoch lediglich das zum Ausdruck, was aufgrund der bekanntgemachten Allgemeinverfügung bereits gelte 16 . Eines weiteren Verwaltungsakts bedarf es daher nicht. Der Vollzugsbeamte führt nur eine Entscheidung der Polizeibehörde durch und ist somit Vollzugshelfer oder Bote 17 . Beanstandet hat der VGH Mannheim 18 allerdings, daß die Stuttgarter Allgemeinverfügung nicht der „Vielgestaltigkeit der Lebenssachverhalte" Rechnung trage. Die Stuttgarter Allgemeinverfügung verstoße daher gegen das Gebot der pflichtgemäßen Ermessensausübung, weil sie unberücksichtigt lasse, zu welchem Zweck der Betroffene den inkriminierten Bereich aufsuche oder aufsuchen wolle. Dem Betroffenen werde vielmehr jegliches Betreten des Bereiches untersagt, auch wenn dieses in keinem Zusammenhang zu der Drogenszene stehe. Zwar enthält die Stuttgarter Allgemeinverfügung eine Ausnahmevorschrift, wonach der Adressat den Geltungsbereich des Aufenthaltsverbots betreten darf, „wenn er daran ein berechtigtes Interesse hat", wie etwa „Termine bei Ärzten, Rechtsanwälten und Behörden". Wann ein solches berechtigtes Interesse an einem Aufenthalt darüber

12 Kopp/Schenke, Anh. § 42 Rdnr. 52; Erichsen, JK 1997, Platzverweis /1. 13 Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 205; ebenso Maurer, § 9 Rdnr. 18. 14 VGH Mannheim, VB1BW 1997, 66 (67). Zustimmend Erichsen, JK 1997, Platzverweis/1; Haseloff-Grupp, VB1BW 1997, 161 (162); Hufeid, VB1BW 1999, 130 (133). Offengelassen dagegen bzgl. Allgemeinverfügung, die sich „an Personen, die der sog. ,PunkSzene' zuzuordnen sind", richtet: VGH Mannheim, B. v. 04. 10. 2002, Az.: 1 S 1963/02. 15 Hufeid, VB1BW 1999, 130 mit Verweis auf VG Stuttgart, B. v. 15. 08. 1996, S. 5. 16 Hufeid, VB1BW 1999,130 (133). 17 VGH Mannheim, VB1BW 1997, 66 (67); Haseloff-Grupp, VB1BW 1997, 161 (162); Hufeid, VB1BW 1999, 130(133). 18 VGH Mannheim, VB1BW 1997, 66 (67). Zustimmend Haseloff-Grupp, VB1BW 1997, 161 (162 f.); Lesting, KJ 1997, 214 (218 ff.); Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdnr. 98. A. A. Scheithauer, VB1BW 1997, 447 f.

B. Das statthafte Rechtsmittel gegen Platzverweis

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hinaus vorliegt, ist aber eine Entscheidung des Einzelfalls, die wiederum von den an sich unzuständigen Beamten des Polizeivollzugsdienstes vorgenommen werden müßte19. Eine Allgemeinverfügung erscheint daher eher ungeeignet, der Problematik langfristiger Aufenthaltsverbote zur Bekämpfung der Drogenszene gerecht zu werden. Das Problem liegt weniger in der Bestimmbarkeit des Adressatenkreises als in der inhaltlichen Ausgestaltung einer solchen Verfügung. Sinn einer Allgemeinverfügung kann nicht allein die Aufrechterhaltung der Zuständigkeitsordnung sein, sondern sie soll vielmehr die notwendigen Rechtsfolgen für einen bestimmten Sachverhalt gegenüber einem bestimmbaren Personenkreis festlegen. Regelt die Verfügung mehrere Sachverhalte, ist das Vorliegen einer generell-konkreten Regelung problematisch 20. Umschreibt die Verfügung die Sachverhaltsmerkmale dagegen eng und konkret, geht dies zu Lasten der Geeignetheit der Maßnahme, da unter Umständen nur noch wenige Personen die Normmerkmale tatsächlich verwirklichen. Der Sachverhalt „Aufenthaltsverbot zur Bekämpfung der Drogenszene" dürfte sich wegen seiner Vielgestaltigkeit und auch Dauerhaftigkeit daher von vornherein nicht als Allgemein Verfügung eignen21. Die Grundrechtsintensität langfristiger Aufenthaltsverbote verlangt vielmehr eine am Einzelfall orientierte Entscheidung. In diese müssen auf Tatbestandsseite die Person des Betroffenen, dessen Aufenthaltszwecke sowie dessen bisheriges Verhalten einfließen. Auf der Rechtsfolgenseite sind Dauer des Verbots sowie die berechtigten Ausnahmen zu berücksichtigen.

B. Das statthafte Rechtsmittel gegen Platzverweis, Aufenthaltsverbot sowie Wohnungs- und Umfeldverweis Da allgemeinpolizeiliche Verweisungsmaßnahmen als Verwaltungsakte ergehen, können Einwendungen gegen deren Rechtmäßigkeit grundsätzlich im Wege der Anfechtungsklage vorgebracht werden. Nach § 113 Abs. 1 S. 1 VwGO hebt das Verwaltungsgericht den Verwaltungsakt, soweit er rechtswidrig und der Kläger dadurch in seinen Rechten verletzt ist, auf. Da beim einfachen Platzverweis, mitunter aber auch bei Aufenthaltsverboten, die zeitliche Geltungsdauer der Verfügung oftmals vorüber sein wird, ehe gerichtlicher Rechtsschutz in der Hauptsache beantragt oder tatsächlich erlangt werden kann, stellt sich die Frage nach der Erledigung des 19 So auch Haselojf-Grupp, VB1BW 1997, 161 (163). 20 So Hufeid, VB1BW 1999, 130 (133) zur Stuttgarter Allgemeinverfügung, die Maßnahmen für das 2. bis 5. Antreffen enthält. 21 Zur fehlenden Einzelfallbezogenheit einer Allgemeinverfügung, die ein Aufenthaltsverbot für Personen, die der „Punk-Szene" zuzuordnen sind, anordnet, VG Karlsruhe, B. v. 07. 08. 2002, Az.: 12 K 2595/02; bestätigt durch VGH Mannheim, B. v. 04. 10. 2002, Az.: 1 S 1963/02.

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4. Teil: Rechtsschutz

Verwaltungsakts 22. Die Erledigung eines Verwaltungsakts führt, wie sich aus § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO ergibt, zur Unzulässigkeit der Anfechtungsklage 23. Das Verwaltungsgericht kann dann auf Antrag des Klägers gemäß § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts feststellen.

I. Der Begriff der Erledigung eines Verwaltungsakts Der Gesetzgeber verwendet den Begriff der Erledigung in § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO und - konkretisierender - in § 43 Abs. 2 VwVfG. Ein Verwaltungsakt erledigt sich danach, wenn er zurückgenommen, widerrufen, anderweitig aufgehoben oder durch Zeitablauf oder auf andere Weise gegenstandslos geworden ist 24 . Während die Feststellung der Erledigung bei Aufhebung oder Zurücknahme des Verwaltungsakts unproblematisch möglich ist, wird die Frage der Erledigung „auf andere Weise" in Literatur und Rechtsprechung unterschiedlich beurteilt. Das Bundesverwaltungsgericht hat den Begriff der Erledigung einmal als den „Wegfall der mit der Anfechtungsklage bekämpften beschwerenden Regelung" bezeichnet25. Wann diese Beschwer wegfällt, ist allerdings streitig. Der bloße Vollzug eines Verwaltungsaktes führt, wie sich aus § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO ergibt, einhellig nicht zur Erledigung, da der Vollzugsfolgenbeseitigungsanspruch des § 113 Abs. 1 S. 2 VwGO die vorherige Aufhebung des vollzogenen rechtswidrigen Grundverwaltungsakts voraussetzt 26. Kann aber Erledigung im Interesse des Klägers erst dann angenommen werden, wenn sämtliche ihn beeinträchtigenden Neben- oder Folgewirkungen des Verwaltungsakts weggefallen sind 27 , oder liegt Erledigung im Sinne des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO bereits dann vor, wenn die durch den Verwaltungsakt beabsichtigte Regelungswirkung entfallen ist 28 ? Den Wegfall sämtlicher beschwerender Wirkungen tatsächlicher und rechtlicher Art zu fordern, hätte zur Folge, daß praktisch kaum ein Anwendungsbereich für § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO übrig bliebe. 22

Ein Großteil der gesichteten Rechtsprechung befaßt sich mit Platzverweisen und Aufenthaltsverboten, deren Geltungsdauer zum Zeitpunkt der Klageerhebung bzw. zum Zeitpunkt der Entscheidung bereits verstrichen war, vgl. z. B. VGH Mannheim, NVwZ 1985, 202 ff.; VB1BW 1996, 418 f.; VG Schleswig, Urt. v. 08. 12. 1998, Az.: 3 A 5/95; VG Frankfurt a. M., NVwZ 1998, 770 f.; OVG Münster, NVwZ 2001, 231. 23 § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO ist eine besondere Ausprägung des Rechtsschutzbedürfnisses, so daß es eines ausdrücklichen Rückgriffs hierauf nicht mehr bedarf, vgl. Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 588. 24 Beide Vorschriften sind grundsätzlich gleich zu interpretieren, vgl. Kopp/Schenke, § 113 Rdnr. 101; Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 310; Rozek, JuS 1995, 414 (417). 2 5 BVerwG, NVwZ 1991, 570 (571). 26

Dazu Schenke, in: Menger-Festschrift, S. 461 (462); ders., Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 314. 27 Nachweise zu dieser Auffassung bei Schenke, Jura 1980, 133. 2 « So BVerwG, NVwZ 1991, 570 (571); VGH Mannheim, NVwZ 1994, 1130 (1131); OVG Schleswig, NJW 1993, 2004; Heckmann, VB1BW 1993, 41 (42 Fn. 10).

B. Das statthafte Rechtsmittel gegen Platzverweis

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§ 113 Abs. 1 S. 4 VwGO geht vielmehr selbst von einer verbleibenden tatsächlichen Beschwer, etwa einer tatsächlichen Diskriminierung, aus, indem ein „berechtigtes Interesse" an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts verlangt wird 2 9 . Andererseits erscheint es als zu weitgehend, eine Erledigung schon dann anzunehmen, wenn die durch den Verwaltungsakt beabsichtigte Regelungswirkung entfällt. Der Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts ist ausschließlich die in ihm enthaltene rechtsverbindliche, auf eine Rechtsfolge gerichtete Anordnung 30. Diese erschöpft sich, sobald die Anordnung freiwillig befolgt oder im Wege der Zwangsvollstreckung durchgesetzt wurde. Die intendierte Regelungswirkung eines Platzverweises, den Betroffenen für einen bestimmten Zeitraum von einem bestimmten Ort fernzuhalten, entfällt spätestens mit Ablauf dieses Zeitraumes, da dann der Verwaltungsakt diese Rechtsfolge nicht mehr befiehlt. Nähme man in diesem Fall Erledigung an, käme nur noch die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts in Betracht, nicht aber mehr dessen Aufhebung 31. Dies mag sein Bewenden in Fällen haben, in denen sich die rechtlichen Wirkungen des Verwaltungsakts tatsächlich in dem Unterlassen der verbotenen Handlung erschöpfen. Sind jedoch an das Bestehen des Verwaltungsakts weitere nachteilige rechtliche Folgen durch andere Normen, wie etwa Kosten, geknüpft, wäre, worauf Schenke32 zu Recht hinweist, eine mitunter notwendige Aufhebung des Verwaltungsakts und damit die Möglichkeit eines effektiven Rechtsschutzes nicht mehr gegeben. Die diesen Erwägungen entgegengehaltene Kritik, etwaige Kostenfolgen hätten ihre Rechtsgrundlage nicht in dem Grundverwaltungsakt, sondern allein in den vollstreckungsrechtlichen Regelungen, weshalb eventuelle Kostenfolgen außer Betracht bleiben müßten33, vermag zur Begründung des Begriffs der Erledigung eines Verwaltungsakts nicht zu überzeugen. Es ist zwar zutreffend, daß für die Kostenfolgen einer Zwangsvollstreckungsmaßnahme eigenständige Rechtsgrundlagen zur Verfügung stehen. Voraussetzung jedes Kostenerstattungsanspruchs als Vollstreckungsakt ist jedoch das Bestehen einer wirksamen Grundverfügung. Diese muß gemäß den Völlstreckungsgesetzen der Länder entweder unanfechtbar oder sofort vollziehbar sein 34 . Keine Völlstreckungsvoraussetzung ist aber, wie bereits dargelegt, die Rechtmäßigkeit des Grundverwaltungsakts. Einwendungen hiergegen hat die Vollstreckungsbehörde nicht zu beachten35. Ist also allein die Wirksam-

29 Schenke, Jura 1980, 133 f. 30 Maurer, § 9 Rdnr. 6. 31 Zu dieser Konsequenz gelangt aber Heckmann, VB1BW 1993, 41 (42); ähnlich VGH Mannheim, VB1BW 1986, 299 (303). 32 Kopp/Schenke, § 113 Rdnr. 102; ebenso OVG Münster, BauR 1997, 455 (456). 33 So etwa VGH Mannheim, NVwZ 1994, 1130 (1131); OVG Schleswig, NJW 1993, 2004; ähnlich Heckmann, VB1BW 1993, 41 (42 Fn. 10), wonach der Kostenbescheid allenfalls auf dem Tatbestand, den das Verhalten des Adressaten erfüllte, beruhe, an der Erledigung des Befehls aber nichts ändere. 34 Vgl. etwa in Baden-Württemberg: § 2 LVwVG; s. auch oben 2. Teil, A. IV. 1. 16 Neuner

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4. Teil: Rechtsschutz

keit des Verwaltungsakts zwingende Voraussetzung für anschließende Vollstrekkungsmaßnahmen und Kostenfolgen, besteht an seiner Aufhebung im Wege der Anfechtungsklage ein legitimes Interesse. Denn mit der Aufhebung einer Verfügung wird der Verwaltungsvollstreckung rückwirkend die Berechtigung entzogen, da ein wirksamer Verwaltungsakt, der vollstreckt werden könnte, nun nicht mehr existiert 36. Für diese Sichtweise sprechen auch systematische und teleologische Gründe. Die vom Gesetzgeber in § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO und § 43 VwVfG explizit genannten Fälle der Erledigung haben durchweg die Aufhebung der ursprünglichen Regelung zur Folge. Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Anfechtungsklage entfällt in diesen Fällen, weil eine Aufhebung der Grundverfügung dann freilich nicht mehr in Betracht kommt. Die Fälle der Erledigung auf sonstige Weise müssen in ihrer Wirkung aber einer Aufhebung gleichkommen, weil nur dann das Rechtsschutzbedürfnis für eine Aufhebung des Verwaltungsakts, die ja Ziel der Anfechtungsklage ist, entfallen kann. Solange ein Verwaltungsakt aber noch als Grundlage für nachfolgende Vollstreckungsakte dient, besteht das Bedürfnis nach dessen Aufhebung. Mit Schenke37 kann von einer Erledigung eines Verwaltungsakts daher nur dann ausgegangen werden, wenn das Ziel der Anfechtungsklage, die gerichtliche Aufhebung des Verwaltungsakts zu erreichen, „sinnlos geworden ist". In diesem Sinne hat sich nunmehr auch das Bundesverwaltungsgericht ausgesprochen38. Ob im Einzelfall die Aufhebung des Verwaltungsakts sinnvoll erscheint, ist anhand der jeweiligen materiellen Rechtslage zu beurteilen 39. Dies soll für den Platzverweis und sonstige Verweisungen im folgenden genauer untersucht und begründet werden.

II. Erledigung polizeilicher Verweisungsmaßnahmen 1. Erledigung durch Zeitablauf Ein wirksamer Verwaltungsakt verschafft der Behörde, wenn er unanfechtbar oder sofort vollziehbar ist, einen Titel, der zur Vollstreckung berechtigt. Befolgt der Betroffene den Platzverweis oder das Aufenthaltsverbot freiwillig, kommt eine Erledigung durch Zeitablauf typischerweise in Betracht, sobald die Geltungsdauer der Verweisungsmaßnahme vorüber ist und der Betroffene sich wieder an den zu-

35 BVerfG, NVwZ 1999, 290 (292); Schenke/Baumeister, NVwZ 1993, 1 (2). S. dazu oben 2. Teil, A. IV. 1. 36 Vgl. Schenke /Baumeister, NVwZ 1993, 1 (3 u. 6). 37 Schenke, Jura 1980, 133 (134); ders., in: Menger-Festschrift, S. 461 (462); ders., Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 313; Kopp/Schenke, § 113 Rdnr. 102; ebenso VGH Mannheim, VB1BW 1993, 298 (300); OVG Münster, BauR 1997, 455 (456); OVG Münster, NVwZ 2001,231. 38 BVerwG, BauR 1999, 733 f. 39 Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 318.

B. Das statthafte Rechtsmittel gegen Platzverweis

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vor verbotenen Ort begeben darf. Die Verfügung selbst zieht keine Kostenfolgen für den Betroffenen nach sich 40 ; Vollstreckungsmaßnahmen sind nicht mehr nötig. Keine Auswirkungen auf die Frage der Erledigung haben eventuelle Amtshaftungsansprüche, wenn sich der Platzverweis oder das Aufenthaltsverbot im nachhinein als rechtswidrig erweist, denn diese sind grundsätzlich auf zivilgerichtlichem Wege geltend zu machen. Amtshaftungsansprüche können jedoch unter Umständen ein Rechtsschutzinteresse für die Fortsetzungsfeststellungsklage begründen. Zieht die Verweisung nach Ablauf ihrer Geltungsdauer also keine weiteren Folgen nach sich, hätte eine Aufhebung der Verfügung, selbst wenn sie rechtswidrig gewesen wäre, für den Betroffenen keine Bedeutung, weil die Beschränkung zwischenzeitlich entfallen ist und das Betretungsverbot für die vorangegangene Zeit nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Die Hauptsache hat sich erledigt. Das Interesse des Betroffenen kann allenfalls noch in der Feststellung der Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts liegen.

2. Erledigung nach Anwendung von Zwangsmaßnahmen? Anders könnte sich die Lage darstellen, wenn die polizeiliche Verweisung im Wege der Verwaltungsvollstreckung durchgesetzt wurde. Die Verweisung als solche wird in der Regel durch unmittelbaren Zwang vollstreckt, die Androhung von Zwangsgeld, ersatzweise Zwangshaft, dient dazu, den Betroffenen an dem Betreten des verbotenen Ortes zu hindern. Zwangsgeld und Zwangshaft spielen daher insbesondere bei einem Verstoß gegen Aufenthaltsverbote und Umfeldverweise eine wichtige Rolle. Wurde der Platzverweis oder das Betretungsverbot durch unmittelbaren Zwang durchgesetzt 41, erschöpft sich der Regelungsgehalt des Platzverweises ebenfalls mit Ablauf seiner zeitlichen Befristung. Allerdings zieht die Anwendung unmittelbaren Zwangs - zumindest in einigen Bundesländern - Kostenerstattungsansprüche der Polizei gegen den Betroffenen nach sich 42 . Der Betroffene erhält daher einen Bescheid, mit dem ihm Gebühren und Auslagen für den Polizeieinsatz auferlegt werden. War der Platzverweis rechtswidrig, führt nach dem zuvor Gesagten allein seine Aufhebung zu einem erfolgreichen Vorgehen gegen den Kostenbescheid, sofern freilich die Vollstreckungsvoraussetzungen im übrigen vorlagen. 40

Bei Gefahrenabwehrmaßnahmen entstehende Polizeikosten muß der Bürger grundsätzlich nicht tragen, weil der Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im öffentlichen Interesse erfolgt, vgl. hierzu Schock, JuS 1995, 504 (505); Scholler/Schioer, S. 374. 41 Vgl. dazu die Beispiele im 2. Teil, A. IV. 1. 42 So z. B. gemäß § 52 Abs. 4 BWPolG i. V. m. § 31 BWVwVG sowie §§ 7 und 8 BWVwVGKO; Art. 58 Abs. 3 BayPAG; § 56 Abs. 3 ThürPAG; auch § 100 MVSOG; § 73 NVwVG; § 249 SchlHLVwG. In den übrigen Bundesländern trägt der Staat die bei Anwendung unmittelbaren Zwangs entstehenden Kosten. Z. T. werden verfassungsrechtliche Bedenken gegen die Kostentragungspflicht erhoben, hierzu Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 357 und VGH Mannheim, NVwZ 1985, 202 (204), die diese jedoch Bedenken nicht teilen. 16*

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4. Teil: Rechtsschutz

Nach der hier vertretenen Auffassung hat sich der Platzverweis damit noch nicht erledigt 43 . Der rechtswidrige Platzverweis muß daher innerhalb der für Widerspruch und Anfechtungsklage geltenden Fristen angegriffen werden. Trifft die Polizei den Weggewiesenen innerhalb der Geltungsdauer eines Aufenthaltsverbots in dem verbotenen Bereich an, wird gegen ihn ein Zwangsgeld festgesetzt, das dann, falls nicht freiwillig bezahlt wird, beigetrieben werden muß. Bei der Androhung und Festsetzung von Zwangsgeld und Zwangshaft ist jedoch zu differenzieren. Ob sich in diesem Fall die Grundverfügung mit Ablauf ihrer Geltungsdauer erledigt, hängt wiederum davon ab, inwieweit die Androhung oder Festsetzung des Zwangsgeldes Kostenfolgen für den Betroffenen nach sich ziehen kann. Ergeht die Androhung des Zwangsgeldes zusammen mit dem Platzverweis, werden nach der Baden-Württembergischen Vollstreckungskostenordnung (BWLVwVGKO) gemäß § 5 BWLVwVGKO keine Gebühren erhoben. Der Platzverweis erledigt sich in diesem Fall mit Zeitablauf. Ist die Androhung des Zwangsgeldes dagegen nicht mit dem Verwaltungsakt, der vollstreckt werden soll, verbunden, entstehen nach § 20 BWLVwVG i. V. m. § 5 BWLVwVGKO Gebühren. Da die Rechtmäßigkeit der Grundverfügung auch für die Androhung von Zwangsmitteln als Vollstreckungsakt keine Rechtmäßigkeitsvoraussetzung ist 44 , kann wiederum nur die Aufhebung des Grundverwaltungsakts eine ansonsten zulässige Androhung und die damit zusammenhängenden Kostenersatzansprüche unzulässig machen. Bis dahin besteht an der Aufhebung des Grundverwaltungsakts ein Rechtsschutzinteresse. Ist die Geltungsdauer des Aufenthaltsverbots zwischenzeitlich verstrichen, darf das bereits festgesetzte Zwangsgeld jedoch richtigerweise nicht mehr beigetrieben werden 45. Die unter anderem vom OVG Münster 46 vertretene Gegenauffassung, wonach Festsetzung und Beitreibung von Zwangsgeld bzw. Anordnung einer Ersatzzwangshaft auch dann noch zulässig seien, wenn eine Zuwiderhandlung gegen die Grundverfügung wegen Fristablaufs nicht mehr möglich ist, überdehnt den Charakter des Zwangsmittels als Beugemittel. Nach Auffassung des OVG Münster dienten Festsetzung des Zwangsgeldes und Anordnung einer Ersatzzwangshaft nach Erledigung des Grundverwaltungsakts dazu, „der Androhung den nötigen Nachdruck zu verleihen" 47 bzw. „die motivierende Wirkung der Androhung als Druckmittel" zu erhalten 48. Abgesehen davon, daß entgegen

43

So überzeugend Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnrn. 318 f. A. A. noch der 1. Senat des VGH Mannheim, VB1BW 1986, 299 (303); Heckmann, VB1BW 1993, 41 (42), der allerdings Erledigung bereits mit Erschöpfen des Regelungsgehalts des Verwaltungsakts annimmt. 44

Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 289. 5 VGH Mannheim, VB1BW 1996, 418 f. = DÖV 1996, 792; VG Frankfurt a. M., B. v. 09. 01. 2001, Az.: 5 M 5060/00(V), S. 2 f. - Ersatzzwangshaft nach Ablauf der Geltungsdauer eines Aufenthalts Verbots. 46 OVG Münster, NVwZ-RR 1997, 763 - Ersatzzwangshaft nach Ablauf der Geltungsdauer des Aufenthalts Verbots. 47 OVG Münster, NVwZ-RR 1990, 17. 4

B. Das statthafte Rechtsmittel gegen Platzverweis

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der Auffassung des OVG Münster dann richtigerweise gerade keine Erledigung des Platzverweises bzw. Aufenthaltsverbots vorläge, weil der Verwaltungsakt weiterhin Grundlage für Vollstreckungsakte wäre, trägt diese Auffassung dem Zweck der Verwaltungsvollstreckung nicht ausreichend Rechnung. Dieser besteht nämlich in der Erzwingung einer konkreten, sich aus einem Verwaltungsakt ergebenden Rechtspflicht. Muß diese Pflicht nach Ablauf der für sie geltenden Frist nicht mehr befolgt werden, kann ein gleichwohl festgesetztes Zwangsgeld diesen Zweck nicht mehr erreichen. Entsprechend bestimmt auch § 11 BWVwVG, daß die Zwangsvollstreckung einzustellen ist, wenn der Zweck nicht mehr erreicht werden kann. Das Zwangsmittel würde, worauf der VGH Mannheim zu Recht hinweist, unzulässig zur Strafe 49. Eine Betreibung der Zwangsvollstreckung nach Ablauf der für den Platzverweis festgesetzten Geltungsdauer kommt daher nicht mehr in Betracht. Da der Platzverweis häufig mündlich ergeht und in der Situation der akuten Gefahrenlage die nach § 58 BWVwVfG erforderliche schriftliche Rechtsmittelbelehrung in der Regel ausbleiben dürfte, hat der Betroffene gemäß §§70 Abs. 2, 58 Abs. 2 VwGO ein Jahr Zeit, um Rechtsmittel gegen die Grundverfügung einzulegen. Wird eine schriftliche Belehrung nachgereicht, beginnt mit deren Bekanntgabe die Monatsfrist zu laufen 50 . Ergeht also innerhalb eines Jahres ein Kostenbescheid für die Anwendung unmittelbaren Zwangs, könnte die Grundverfügung noch mit der Anfechtungsklage angegriffen werden. Ist die Rechtsmittelfrist dagegen abgelaufen, muß der Betroffene die Kosten seiner Entfernung - auch wenn die Verweisung objektiv rechtswidrig war - tragen. Denn andernfalls würden die Folgen der Bestandskraft unterlaufen werden 51.

III. Prozessuale Möglichkeiten bei Erledigung polizeilicher Verweisungen 1. Erledigung im Hauptsacheverfahren a) Erledigungsstreit

und Fortsetzungsfeststellungsklage

Hat sich die Verweisungsmaßnahme erledigt, bestehen prozessual drei Möglichkeiten. In einem bereits anhängigen Rechtsstreit können Kläger und Beklagte übereinstimmend die Hauptsache für erledigt erklären und gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach dem bisherigen Sach- und Streitstand über die Kosten des Verfahrens entscheiden lassen. Die übereinstimmende Erledigungserklärung kann in jeder Instanz erfolgen. Sie beendet die Rechtshängigkeit des Hauptverfahrens unmittelbar, so daß das Verfahren deklaratorisch entsprechend § 92 Abs. 3 VwGO eingestellt 48 OVG Münster, NVwZ-RR 1997, 763. 49 VGH Mannheim, VB1BW 1996,418 (419) = DÖV 1996, 792 ff. 50 Kopp/Schenke,

§ 58 Rdnr. 8.

51 Schenke, in: Steiner, II, Rdnr. 283.

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4. Teil: Rechtsschutz

wird 5 2 . Eine Überprüfung, ob sich die Hauptsache tatsächlich erledigt hat, erfolgt nicht. Stimmt der Beklagte der Erledigung nicht zu, etwa weil er wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache im Hinblick auf künftige Fälle an einer Sachentscheidung des Gerichts interessiert ist, kann der Kläger seinen ursprünglichen Klageantrag umstellen und die Feststellung beantragen, der Rechtsstreit habe sich in der Hauptsache erledigt. Der Beklagte wird mit seinem Interesse an einer Sachentscheidung gehört, wenn er selbst ein berechtigtes Interesse im Sinne des § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO vorträgt. Sowohl bei der übereinstimmenden als auch bei der einseitigen Erledigungserklärung kann der Kläger bei Vorliegen eines berechtigten Interesses zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung zur Fortsetzungsfeststellungsklage gemäß § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO übergehen. Soweit die Erledigung, was gerade bei Platzverweisen praktisch immer der Fall sein wird, noch vor Ablauf der Widerspruchsfrist oder während des Vorverfahrens eintritt, ist die Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO analog statthaft 53, da die erstrebte Aufhebung der Verfügung nicht mehr möglich ist und es nicht Aufgabe der Verwaltung ist, verbindlich die Rechtswidrigkeit eines erledigten Verwaltungsakts festzustellen 54.

b) Das Fortsetzungsfeststellungsinteresse Mit Erledigung des beanstandeten Verwaltungsakts entfällt der eigentliche Grund der Anfechtungsklage - die Aufhebung des Verwaltungsakts. Aus dem erledigten Verwaltungsakt folgen in der Regel keine Beeinträchtigungen mehr, so daß § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO für eine gleichwohl begehrte gerichtliche Sachentscheidung ein besonderes Bedürfnis - das berechtigte Interesse - verlangt 55. Wie das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis bei einer gerichtlichen Klage übernimmt das „berechtigte Interesse" die Abwägung zwischen der Wahrung der Garantie des gerichtlichen Rechtsschutzes nach Art. 19 Abs. 4 GG und dem Schutz der Gerichte vor einer „Arbeitsbelastung ( . . . ) , die nicht zum Schutz subjektiver Rechte nötig ist oder diesem Zweck jedenfalls nicht dienstbar gemacht wird." 5 6 Das berechtigte Interesse gerade an der Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Platzverweises oder Aufenthaltsverbots kann sich aus verschiedenen Gründen ergeben. Einen wichtigen Gesichtspunkt bietet die Fallgruppe der konkreten Wiederholungsgefahr 57. Das berechtigte Interesse wird in der Regel bejaht, wenn der 52 Kopp/Schenke, § 161 Rdnr. 15. 53 Vgl. hierzu Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnrn. 323 ff. m. w. N. 54 BVerwGE 26, 161 (167). 55 Schenke, in: Menger-Festschrift, S. 470; ders., in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 139. 56 Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 132. 57 Vgl. VG Hannover, NdsVBl. 1998, 147 (Aufenthaltsverbot); VG Bremen, Urt. v. 29. 05. 1997, Az.: 2 A 149/96, S. 7 (Aufenthaltsverbot); VG Schleswig, Urt. v. 08. 12. 1996, Az.: 3 A 5/95, S. 8 (Platzverweis); VGH Mannheim, NVwZ-RR 1990, 602 f. (Platzverweis).

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Betroffene in absehbarer Zeit bei „im wesentlichen gleichen tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen" berechtigterweise mit dem Erlaß einer gleichartigen Maßnahme gegen sich rechnen muß, für die die beantragte Entscheidung „richtungsweisend" ist 58 . Eine völlige Ubereinstimmung der Situation wird zwar nicht erwartet, allerdings reicht die bloße abstrakte oder eher unwahrscheinliche Möglichkeit der Wiederholung auch nicht aus59. Denn andernfalls würde die Voraussetzung des „berechtigten Interesses" völlig leerlaufen. In den zu Platzverweis und Aufenthaltsverbot entschiedenen Fällen wurde beispielsweise die Wiederholungsgefahr häufig dann bejaht, wenn aufgrund der Zugehörigkeit des Betroffenen zu einer bestimmten gesellschaftlichen Gruppierung die begründete Annahme bestand, daß die Behörden auch in Zukunft mit Platzverweis und Aufenthaltsverbot gegen Angehörige dieser Gruppen vorgehen würden. Eine gerichtliche Klärung der Rechtmäßigkeit der Verweisung wurde daher als „Richtschnur für künftiges Verhalten" gesehen. Auch ein Rehabilitierungsinteresse kann das Bedürfnis nach Feststellung der Rechtswidrigkeit einer polizeilichen Verweisung begründen. Dieses kann sich aus der diskriminierenden Wirkung eines Aufenthaltsverbots, Platzverweises und Umfeldverbots oder aus der Art und Weise ihres Erlasses ergeben. So hat das VG München das Feststellungsinteresse bejaht, als einem Landwirt während einer polizeilichen Durchsuchung seiner Stallungen das Betreten eines Stalls unter Zwangseinsatz verboten wurde und die örtliche Presse über die Gesamtaktion noch mehrfach berichtete 60. Ein Rehabilitationsinteresse wird häufig auch bei Wohnungs- und Umfeldverweisen vorliegen, wenn die Verweisung aus der ehelichen Wohnung etwa von der Nachbarschaft und von Bekannten wahrgenommen werden konnte. Daneben wird mitunter das Fortsetzungsfeststellungsinteresse auch bei solchen Maßnahmen anerkannt, die sich typischerweise kurzfristig erledigen. Ein Verwaltungsakt erledigt sich „kurzfristig", wenn sich „die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozeßordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann." 61 Teilweise wird ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse bei sich typischerweise kurzfristig erledigenden Verwaltungsakten allerdings nur dann bejaht, wenn mit dem Verwaltungsakt zugleich eine tiefgreifende Grundrechtsverletzung verbunden ist 6 2 Das Bundes58 VGH Mannheim, NVwZ-RR 1990, 602 f. (Platzverweis). 59 Schenke, JZ 1996, 1103 (1109 f.); Kopp/Schenke, § 113 Rdnr. 141; Rozek, JuS 1995, 598 (599). 60 VG München, DWW 1997,190 (191). 61 BVerfG, NJW 1999, 3773 - Gewahrsam zur Durchsetzung eines Platzverweises; BVerfG, NVwZ 1999, 290 (291) - Durchsetzung eines Platzverweises mit Wasserwerfern; BVerfG, NJW 1997, 2163 (2164) - erledigte, richterlich angeordnete Durchsuchung. 62 Ehlers, Jura 2001, 415 (422); Rozek, JuS 1995, 598 (599); OVG Münster, DVB1. 1999, 1227 (kein berechtigtes Interesse bei Sicherstellung von Videoaufnahmen).

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Verfassungsgericht scheint dem zu folgen, wenn es ausführt, daß der Betroffene in diesen Fällen wegen Art. 19 Abs. 4 GG Gelegenheit erhalten müsse, „die Berechtigung des schwerwiegenden - wenn auch tatsächlich nicht mehr fortwirkenden Grundrechtseingriffs gerichtlich klären zu lassen."63 Tiefgreifend seien in der Regel Anordnungen, die, wie der über einen Tag hinausgehende Polizeigewahrsam oder die Hausdurchsuchung, dem Richter vorbehalten seien. Auch polizeiliche Mißhandlungen, Telefonüberwachungen oder Körperverletzungen werden als tiefgreifende Grundrechtseingriffe genannt64. Aufenthaltsverbote, die Art. 11 GG tangieren, könnten demnach als tiefgreifend angesehen werden, Umfeldverweise ebenso 65 , Platzverweise in der Regel aber nur, wenn diese im Zusammenhang mit Versammlungen66 oder in anderen grundrechtsintensiven Bereichen erteilt werden. In den übrigen Fällen wären von der Eingriffsintensität her geringfügigere Platzverweise immer nur dann justitiabel, wenn zugleich eine konkrete Wiederholungsgefahr oder ein Rehabilitationsinteresse substantiiert geltend gemacht werden kann. Hintergrund der Anerkennung des Fortsetzungsfeststellungsinteresses bei sich kurzfristig erledigenden Verwaltungsakten ist der, daß es andernfalls - im Unterschied zu den sich zufällig während eines Gerichtsverfahrens erledigenden Verwaltungsakten - nie zu einer fachgerichtlichen Hauptsacheentscheidung kommen könnte 67 , wenn nicht eine Wiederholungsgefahr oder ein Rehabilitationsinteresse gleichzeitig geltend gemacht wird. Derartige Maßnahmen wären, sofern das Feststellungsinteresse nicht anderweitig begründet werden kann, von jeglicher gerichtlicher Kontrolle ausgeschlossen68. Dies trifft grundsätzlich auf einen Großteil der polizeilichen Sofortmaßnahmen, wie etwa den Platzverweis, zu, dessen Geltungsdauer von vornherein auf wenige Stunden begrenzt ist. Aber auch Aufenthaltsverbote und Umfeldverweise sind typischerweise nur von solch kurzer Dauer, daß allenfalls vorläufiger Rechtsschutz erlangt werden kann, nicht aber die von Art. 19 Abs. 4 GG garantierte gerichtliche Instanz. Im einstweiligen Rechtsschutzverfahren erfolgt aber nur eine summarische Prüfung, eine ausführliche Sachverhaltsund Rechtmäßigkeitsprüfung ist schon aus zeitlichen Gründen nicht möglich. Der Betroffene wäre im Zweifel auf die Erhebung einer Verfassungsbeschwerde angewiesen. Die Begrenzung des Feststellungsinteresses auch bei sich typischerweise kurzfristig erledigenden Verwaltungsakten auf tiefgreifende Grundrechtseingriffe ließe sich allenfalls damit begründen, daß auf den ersten Blick nicht einzusehen ist, wes63 BVerfG, NJW 1999, 3773 - Platzverweis bei Unterschriftensammlung. 64 OVG Münster, DVB1. 1999, 1227. 65 Zur Möglichkeit der Fortsetzungsfeststellungsklage gegen einen Wohnungs- und Umfeldverweis, durch den „stets intensiv in Freiheitsrechte des Betroffenen eingegriffen wird", BVerfG, NJW 2002, 2225 f. 66 BVerwG, NVwZ 1999, 991; VG Weimar, ThürVBl. 1995,43 (44). 67 Schenke, in: Menger-Festschrift, S. 461 (470). 68 Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 141; ders., Jura 1980, 133 (143).

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halb bei sonstigen, sich zufällig erledigenden Maßnahmen die beantragte Sachentscheidung die Position des Klägers konkret verbessern muß, die weitere Inanspruchnahme des Gerichts sich also nicht als unnütz erweisen darf 69 , während bei durch Zeitablauf sich immer kurzfristig erledigenden Maßnahmen dieses Erfordernis nicht bestehen soll. Der rechtfertigende Unterschied liegt jedoch in der Tatsache, daß bei sich zufällig erledigenden Maßnahmen nur im speziellen Fall keine Rechtsschutzmöglichkeit mehr besteht, während bei sich typischerweise kurzfristig erledigenden Maßnahmen dies nie der Fall ist. Aus Sicht des Art. 19 Abs. 4 GG kann es nicht sein, daß bestimmte, insbesondere zahlreiche polizeiliche Maßnahmen, niemals einer gerichtlichen Klärung zugänglich wären. Art. 19 Abs. 4 GG würde insoweit von vornherein völlig leerlaufen 70. Die Beschränkung auf tiefgreifende Grundrechtseingriffe läßt sich daher nicht begründen, zumal Art. 19 Abs. 4 GG nicht im Hinblick auf die Intensität der Grundrechtsbetroffenheit differenziert 71 und die Grenze dessen, was als tiefgreifend anzusehen ist und was nicht, letztlich nicht leicht zu ziehen ist. Schenke72 ist daher zuzustimmen, daß grundsätzlich auch an der Feststellung der Rechtswidrigkeit solcher, sich kurzfristig erledigender Maßnahmen ein Interesse bestehen kann, die nicht notwendig tiefgreifende Grundrechtseingriffe darstellen. Um im Einzelfall die Gerichte vor einem Mißbrauch prozessualer Rechte zu schützen, ist das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis ausreichend. So wird die Beschreitung des Rechtswegs auch in Fällen der typischerweise kurzfristigen Erledigung im Einzelfall dann zu verneinen sein, wenn die mißbräuchliche Inanspruchnahme offensichtlich ist, etwa weil die Klage erkennbar nur dazu dient, dem Gegner oder dem Gericht Schaden zuzufügen 73 , oder wenn die beanstandete behördliche Maßnahme offensichtlich rechtmäßig war. Das Problem wird gerade bei Platzverweisen durch das Prozeßverhalten der Bürger relativiert, da niemand ernsthaft auf die Idee kommen würde, etwa wegen eines Platzverweises zwecks Sicherung von Rettungsmaßnahmen ein Verwaltungsgericht anzurufen, um die Rechtmäßigkeit des Platzverweises klären zu lassen. Die Gewähr effektiven Rechtsschutzes spricht also bei sich typischerweise kurzfristig erledigenden Verwaltungsakten für die Zulassung der Fortsetzungsfeststellungsklage74. Abschließend ist anzumerken, daß, entgegen der Auffassung des VG Bremen, ein besonderes Fortsetzungsfeststellungsinteresse nicht bereits in dem Umstand begründet liegt, daß noch Folgeentscheidungen aus einer bereits erfolgten Zwangs-

69 So BVerwG, NVwZ 1990, 360 (361). 70 Schenke, Verwaltungsprozeßrecht, Rdnr. 583; Kopp/Schenke, Weimar, ThürVBl. 1995, 43 (44).

§ 113 Rdnr. 145; VG

71 Kopp/Schenke, § 113 Rdnr. 145. 72 Kopp/Schenke, § 113 Rdnr. 145. 73 Schenke, in: BK, Art. 19 Abs. 4 Rdnr. 145. 74 Schenke, JZ 1996, 1103 (1111); ders., Jura 1980, 133 (142 f.); ders., in: Menger-Festschrift, S. 461 (470); Kopp/Schenke, § 113 Rdnr. 145.

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4. Teil: Rechtsschutz

geld- und Ersatzzwangshaftandrohung zu erwarten sind 75 . Richtigerweise liegt dann nämlich noch gar keine Erledigung vor.

2. Vorläufiger Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO Soweit bei Verweisungsmaßnahmen wegen § 80 Abs. 2 Nr. 2 VwGO die aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels entfällt oder die sofortige Vollziehung der Maßnahme nach § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO angeordnet wurde, kann im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die rückwirkende Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung beantragt werden. Es darf nicht übersehen werden, daß ein Großteil der verwaltungsgerichtlichen Streitigkeiten über polizeiliche Aufenthaltsverbote - wie aus der zitierten Rechtsprechung deutlich wird - in diesem Verfahren geführt wird und in diesem auch tatsächlich endet. Der Grund liegt einmal darin, daß sich das Aufenthaltsverbot oder der Umfeldverweis häufig noch während des Verfahrens durch Zeitablauf erledigt und das Verfahren nach übereinstimmender Erledigungserklärung eingestellt wird. Eine Fortsetzungsfeststellungsklage entsprechend § 113 Abs. 1 S. 4 VwGO mit dem Begehren, die Rechtswidrigkeit des Verbots feststellen zu lassen, kommt im vorläufigen Rechtsschutzverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht in Betracht, da in diesem nicht über die Rechtmäßigkeit der streitigen Verfügung entschieden wird, sondern lediglich eine summarische Überprüfung und Interessenabwägung in bezug auf die Vollziehung des Aufenthaltsverbots stattfindet 76. Der betroffene Kläger müßte also Fortsetzungsfeststellungsklage im Hauptsacheverfahren erheben. Ergeht eine Entscheidung über die Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels, haben die Gerichte häufig die Grundrichtung der Entscheidung auch in der Hauptsache vorgegeben. Für die vom Aufenthaltsverbot betroffenen Kläger dürften daher auch finanzielle Aspekte gegen die Durchführung des Hauptverfahrens eine Rolle spielen. Ob dies beim Wohnungs- und Umfeldverweis, der häufig Personen aus finanziell gesicherten Verhältnissen betrifft, anders ist, wird die Praxis zeigen müssen. Der Antrag auf Anordnung oder Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung kann auch noch nach Ablauf der Geltungsdauer des Aufenthaltsverbots gestellt werden, sofern sich das Aufenthalts verbot noch nicht erledigt hat 77 . Dies hat den Vorteil, daß zumindest bis zur endgültigen Klärung der Rechtswidrigkeit der Verweisungsmaßnahme den bereits erfolgten und künftigen Vollstreckungsmaßnahmen die Grundlage entzogen wird. Die aufschiebende Wirkung einer bereits erfolgten Zwangsmaßnahme, etwa der Androhung eines Zwangsgeldes, muß daher

75 So VG Bremen, Urt. v. 29. 05. 1997, Az.: 2 A 149/96, S. 7. 76 VGH Mannheim, VB1BW 1996,418 (419). Ausführlich zur summarischen Überprüfung im Eilrechtsschutzverfahren gegen Wohnungsverweise vgl. BVerfG, NJW 2002, 2225 f. 77 OVG Münster, NVwZ 2001, 231.

B. Das statthafte Rechtsmittel gegen Platzverweis

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- sofern beantragt - ebenfalls angeordnet werden 78. Gleichzeitig muß auch dem Kostenbescheid mit Rechtsmitteln begegnet werden. Diese haben, da es sich nicht um eine selbständige Kostenforderung im Sinne des § 80 Abs. 2 Nr. 1 VwGO handelt, aufschiebende Wirkung 79 .

78 VG Stuttgart, NVwZ-RR 1996, 390 (391); VG Sigmaringen, NVwZ-RR 1995, 327 (329). 79 Würtenberger/Heckmann/Riggert, Rdnr. 564; Kopp/Schenke, § 80 Rdnr. 63; a. A. VGH Mannheim, NVwZ 1985, 202 (203), wonach zusätzlich ein Antrag gemäß § 80 Abs. 5 VwGO für erforderlich gehalten wird.

Zusammenfassung Verweisungsmaßnahmen sind Aufenthaltsverbote, die einer Person das Betreten eines Ortes bzw. eines örtlichen Bereichs oder den weiteren Verbleib dort untersagen. Zu den wichtigsten allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen gehören der vorübergehende Platzverweis, das Aufenthaltsverbot zur Verhütung von Straftaten sowie neuerdings der Wohnungs- und Umfeldverweis zum Schutz vor häuslicher Gewalt. Verfassungsrechtliche Grenzen setzen den Verweisungsmaßnahmen in erster Linie die Grundrechte der Freizügigkeit sowie der allgemeinen Handlungsfreiheit. Ob eine Verweisungsmaßnahme freizügigkeitsbeschränkenden Charakter hat, hängt davon ab, ob die verwehrte Möglichkeit, an einem Ort Aufenthalt zu nehmen, gerade des Schutzes des Art. 11 GG bedarf. Dies ist im Einklang mit weiten Teilen der Literatur anhand einer wertenden Gesamtbetrachtung im Einzelfall, insbesondere unter zeitlichen, räumlichen und finalen Aspekten, zu beurteilen. Dabei ist zu berücksichtigen, daß es sich bei Art. 11 GG nicht um eine allgemeine Mobilitätsgarantie handelt. Der allgemeinpolizeiliche vorübergehende Platzverweis selbst darf nach dem Willen des Gesetzgebers nicht das Ausmaß einer Freizügigkeitsverletzung erreichen. Er ist daher zeitlich und räumlich eng begrenzt und wird - bei sehr begrenztem räumlichem Umfang - ein bis zwei Tage andauern dürfen. Weiträumige Aufenthaltsverbote für bestimmte Stadtteile oder Stadtgebiete sind dagegen an Art. 11 GG zu messen, selbst wenn die Beschränkung nur einen Tag andauert. Freizügigkeitsbeschränkende Aufenthaltsverbote sind daher nur zum Schutze der in Art. 11 Abs. 2 GG genannten Vorbehalte zulässig, im Einzelfall auch zum Schutze gleichgewichtiger kollidierender Verfassungsgüter. Entgegen einer verbreiteten Auffassung stellen Verweisungsmaßnahmen keine Eingriffe in das Grundrecht auf Freiheit der Person dar. Art. 2 Abs. 2 S. 2 GG schützt als reines Abwehrrecht vor räumlicher Begrenzung auf einen bestimmten Bereich, nicht aber davor, einen bestimmten begrenzten Ort nicht aufsuchen zu dürfen. Die objektivwertsetzende Funktion des Art. 2 Abs. 2 GG verbietet aber, daß ein räumlich ausgedehntes Aufenthaltsverbot faktisch zu einer Ausgangssperre führt. Auch Art. 13 GG setzt für Verweisungen aus der eigenen Wohnung keine Maßstäbe, da er in erster Linie die „räumliche Privatsphäre" in der Wohnung vor Einblicken und Eindringen staatlicher Organe schützt. Das Wohnungsgrundrecht gewährt jedoch nicht die Möglichkeit, sich jederzeit auch in der Wohnung aufzuhalten. Einer verfassungskonformen Auslegung polizeilicher Verweisungsmaßnahmen bzw. einer Gesetzeskorrektur der Vorschrift Platzverweis im Hinblick auf Art. 13 Abs. 7 GG bedarf es daher nicht. Mit einer Verweisung verbundene Zugangs- und Nutzungsbeschränkungen der eigenen Wohnung sind an Art. 14 GG zu messen.

Zusammenfassung

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Die rechtliche Würdigung des Platzverweises nach § 12 S. 1 MEPolG, der in den meisten Landespolizeigesetzen entsprechend normiert ist, hat ergeben, daß die Vorschrift nach wie vor Bestand hat. Änderungen, wie sie etwa im Niedersächsischen Gefahrenabwehrgesetz vorgenommen wurden, sind nicht erforderlich. Insbesondere ist die Ausweitung der Vorschrift auf „jede Person" als Adressat der Verweisung nicht geboten, da sich die vielgestaltigen Gefahrenlagen des Platzverweises mit Hilfe der allgemeinen Adressatenregelungen sachgerecht bewältigen lassen. Auch wenn die Vorschrift ihren Tatbestandsvoraussetzungen nach der polizei- und ordnungsrechtlichen Generalklausel gleicht, ist eine Standardisierung - auch in Baden-Württemberg - , insbesondere wegen der Häufigkeit ihrer Anwendung und der zeitlich und räumlich eng begrenzten Rechtsfolge, empfehlenswert. Eine Standardisierung bewirkt zudem eine klare Abgrenzung zu anderen längerfristigen Verweisungsmaßnahmen. Schließlich sprechen die Herstellung eines bundeseinheitlichen Standards der Eingriffsbefugnisse sowie die in Baden-Württemberg derzeit bestehenden Zuständigkeitsprobleme für eine spezielle Regelung des vorübergehenden Platzverweises. Auch die ausdrückliche Normierung des Platzverweises zum Schutz der Einsätze von Feuerwehr, Hilfs- und Rettungsdiensten entsprechend § 12 S. 2 MEPolG ist aus Gründen der Rechtsklarheit und Praktikabilität in den Landespolizeigesetzen geboten. Die Erweiterung der Vorschrift um die Einsätze der Polizei ist, wie im Berlinischen ASOG erfolgt, konsequent. Über den Platzverweis hinausgehende langfristige Verweisungen im öffentlichen Raum zur Verhütung von Straftaten bedürfen einer detaillierten Ermächtigungsgrundlage in den Polizeigesetzen. Ein Rückgriff auf den Platzverweis oder die polizeiliche Generalklausel ist nicht gestattet. Zwar regelt der vorübergehende Platzverweis den Tatbestand des Aufenthaltsverbots nicht abschließend, die derzeit praktizierten Verweisungsmaßnahmen zur Verhütung von Straftaten betreffen jedoch keine atypischen oder komplexen Gefahrenlagen, denen eine spezielle Regelung nicht zugänglich wäre. Die Regelung eines Aufenthaltsverbots für mitunter ganze Stadtbezirke oder Städte ist zudem eine wesentliche und grundrechtsintensive Entscheidung, die der Ausgestaltung durch den Gesetzgeber bedarf. Die polizei- und ordnungsrechtliche Generalklausel reicht hierfür auch aus Gründen der Klarheit und Bestimmtheit von Normen nicht aus. Dies gilt ebenso für die Regelung längerfristiger Wohnungs- und Umfeldverweise im Falle häuslicher Gewalt, die ebenfalls erhebliche Grundrechtseingriffe darstellen. Derartige Verweisungsmaßnahmen sollen die zivilgerichtlichen Möglichkeiten des neu geschaffenen Gewaltschutzgesetzes ergänzen. Der Rückgriff auf die Generalklausel ist auch hier langfristig nicht zulässig. Die Ermächtigungsgrundlagen sowohl eines Aufenthaltsverbots als auch eines Wohnungs- und Umfeldverweises müssen den Anforderungen, die der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und die jeweils betroffenen Grundrechte an die Klarheit und Bestimmtheit von Normen stellen, gerecht werden. Die bisher in einigen Bundesländern standardisierten Regelungen des Aufenthaltsverbots und Wohnungsverweises erfüllen diese Anforderungen nur teilweise. Verlangt werden muß für ein Aufenthaltsverbot die auf Tatsachen basierende hohe Wahrschein-

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Zusammenfassung

lichkeit, daß innerhalb des Verbotszeitraums Straftaten von erheblicher Bedeutung für die Allgemeinheit begangen werden. Auch der Wohnungsverweis erfordert die hohe Wahrscheinlichkeit, daß es während des Verbotszeitraumes zu weiteren Gewalttätigkeiten und Gefahren für den Mitbewohner kommt. Hierfür sollte der Begriff der „unmittelbaren Gefahr" verwendet werden. Grenzen des Verbots in zeitlicher und räumlicher Hinsicht sind in den Ermächtigungsgrundlagen festzulegen. Daneben sind genaue Regelungen zum Ablauf des Verfahrens sowie zu möglichen Ausnahmen notwendig, um den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, beim Wohnungsverweis insbesondere im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG und Art. 6 Abs. 1 GG, beim Aufenthaltsverbot im Hinblick auf Art. 11 GG, zu sichern und Betroffenen wie Rechtsanwendern Rechtsklarheit zu verschaffen. Aufenthaltsverbot sowie Wohnungs- und Umfeldverweis sind wegen der unterschiedlich gelagerten Gefahrenlagen und der daher notwendig werdenden unterschiedlichen Detailregelungen in getrennten Vorschriften bzw. Absätzen zu normieren und entsprechend zu bezeichnen. Soweit die Länder die Möglichkeit der Ingewahrsamnahme zwecks Durchsetzung einer Platzverweisung als Standardbefugnis vorsehen, gilt diese nicht automatisch auch für über den Platzverweis hinausgehende Aufenthaltsverbote. Eine Erweiterung der Vorschrift auch auf langfristige Verweisungsmaßnahmen wie Aufenthaltsverbot und Wohnungsverweis ist mangels vergleichbarer Notwendigkeit nicht unbedingt erforderlich, jedoch aus Gründen des verfassungsrechtlichen Gebots der Rechtsklarheit zu befürworten. Neben dem Erfordernis geeigneter Rechtsgrundlagen, das die Zulässigkeit polizeilicher Verweisungsmaßnahmen begrenzt, setzen zahlreiche spezialgesetzliche Verweisungsbefugnisse allgemeinpolizeilichen Verweisungen Grenzen. Einige wichtige praxisrelevante Regelungen des Platzverweises und Aufenthaltsverbots befinden sich im Jugendschutzgesetz, in den Landeskatastrophenschutzgesetzen sowie in § 164 StPO. Soweit deren Anwendungsbereich reicht, sind allgemeinpolizeiliche Verweisungsmaßnahmen ausgeschlossen. Es wurde festgestellt, daß trotz einer spezialgesetzlichen Regelung in den jeweiligen Gefahrensituationen ein gewisser Raum für die Anwendung allgemeinpolizeilicher Verweisungsmaßnahmen bleibt. Keine spezialgesetzliche Verweisungsmaßnahme ist dagegen die versammlungsgesetzliche Auflösung. Sie ist als rechtsgestaltende Maßnahme von Verweisungsbefugnissen abzugrenzen. Praxisrelevante Anwendungsbereiche polizeilicher Verweisungen, insbesondere des Platzverweises, bieten das Versammlungswesen und die Informations- und Pressefreiheit. Angesichts des presserechtlichen Informationsauftrags und der Tatsache, daß die Möglichkeit der Informationsaufnahme an Ort und Stelle grundrechtlich in Art. 5 Abs. 1 GG geschützt ist, liegen Konflikte insbesondere zwischen Presse und Polizei nahe. Polizeiliche Verweisungen und Absperrungen sind auch von Pressevertretern zu beachten. Eine Konfliktlösung findet daher allein über das polizeiliche Ermessen statt. Im Versammlungswesen beschränkt sich die Bedeu-

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tung allgemeinpolizeilicher Verweisungen vor allem auf die Bereiche vor und nach einer Versammlung. Während der Versammlung sind polizeiliche Platzverweise gegenüber den Versammlungsteilnehmern ausgeschlossen, da das Versammlungsgesetz insoweit abschließend geregelt ist. Verweisungsmaßnahmen, die die gesamte Versammlung betreffen, sind während der Versammlung als räumliche Beschränkungen auf die Rechtsgrundlagen des Versammlungsgesetzes zu stützen und daher vom Platzverweis und sonstigen allgemeinpolizeilichen Verweisungsmaßnahmen abzugrenzen. Allgemeinpolizeiliche Verweisungen sind auch ausgeschlossen, soweit sie den Zugang zur Versammlung beschränken und Art. 8 GG beeinträchtigen. Platzverweise und Aufenthalts verböte kommen daher vor allem im Versammlungsvorfeld gegenüber Personen in Betracht, die sich, wie Bewaffnete oder sonstige Störer, nicht auf Art. 8 GG berufen können. Der Anwendungsbereich polizeilicher Verweisungsmaßnahmen kann jedoch durch vorrangige Maßnahmen des Strafverfolgungsrechts, denen ein Platzverweis entgegenstehen könnte, begrenzt werden. Polizeiliche Platzverweise sind ferner in der Auflösungsphase einer Versammlung von Bedeutung. Ein Platzverweis vermag aber eine ausdrückliche Auflösungserklärung nicht zu ersetzen. Er dient vielmehr der anschließenden Konkretisierung und Durchsetzung der mit der Versammlungsauflösung verbundenen Entfernungspflicht der Versammlungsteilnehmer. Im Zweifel wird allerdings der Platzverweis allein nicht ausreichen, die rechtsgestaltende versammlungsgesetzliche Auflösungsverfügung, die bereits begrifflich ein Auseinandergehen und nicht lediglich ein Entfernen verlangt, durchzusetzen. Hierzu bedarf es dann daneben einer auf die Generalklausel gestützten Verfügung, die das Zerstreuen der Teilnehmer anordnet. Verweisungsmaßnahmen, die sich nicht gegen die Versammlung als solche richten, sondern dem allgemeinpolizeilichen Rechtsgüterschutz dienen und damit unabhängig von dem Abhalten einer Versammlung ergehen, sind in allen drei Phasen des Versammlungsablaufes neben den Befugnissen des Versammlungsgesetzes anwendbar. Soweit ein polizeiliches Aufenthaltsverbot aus nicht versammlungsspezifischen Gründen besteht, gilt dieses daher grundsätzlich auch für den Fall, daß in dem verbotenen Bezirk eine Versammlung stattfindet. Allerdings muß dem Betroffenen für die Ausübung seiner demokratischen Rechte ausreichend Raum verbleiben, so daß im Rahmen einer Interessenabwägung grundsätzlich die Möglichkeiten von Ausnahmen zu prüfen sind. Einwendungen gegen die Rechtmäßigkeit polizeilicher Verweisungen sind grundsätzlich im Wege der Anfechtungsklage geltend zu machen. Ein Platzverweis oder Aufenthaltsverbot erledigt sich trotz Ablaufs seiner Geltungsdauer nicht, solange die Maßnahme Grundlage für anschließende Vollstreckungsmaßnahmen und Kostenfolgen ist. Kostenfolgen können sich in der Regel dann ergeben, wenn der Platzverweis im Wege des unmittelbaren Zwangs durchgesetzt oder die Androhung von Zwangsmaßnahmen nicht mit dem Platzverweis verbunden wurde. Hat sich der Platzverweis dagegen mangels Folgewirkungen mit Ablauf seiner Geltungsdauer erledigt, kann der Betroffene die Rechtswidrigkeit der Maßnahme im Rahmen der Fortsetzungsfeststellungsklage feststellen lassen. Ein Feststellungsinteres-

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se begründet sich neben der Wiederholungsgefahr und dem Rehabilitationsinteresse vor allem damit, daß es sich bei Platzverweis, Aufenthaltsverbot sowie Wohnungs- und Umfeldverweis um typischerweise sich kurzfristig erledigende Maßnahmen handelt, die andernfalls keiner gerichtlichen Überprüfung zugänglich wären. Allenfalls in offensichtlichen Mißbrauchsfällen oder bei einer offensichtlichen Rechtmäßigkeit der beanstandeten Maßnahme kann hier ein Feststellungsinteresse verneint werden.

Anhang Vorschriften polizeilicher Verweisungsmaßnahmen A. MEPolG und AEPolG § 12 MEPolG Platzverweisung Die Polizei kann zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten. Die Platzverweisung kann ferner gegen Personen angeordnet werden, die den Einsatz der Feuerwehr oder von Hilfs- und Rettungsdiensten behindern.

§ 19 AEPolG Platzverweisung Die Polizei darf Personen, die eine Gefahr verursachen, zur Abwehr dieser Gefahr vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihnen während dieser Zeit das Betreten eines Ortes verbieten. Die Platzverweisung darf ferner gegen Personen angeordnet werden, die den Einsatz der Feuerwehr oder von Hilfs- und Rettungsdiensten behindern.

B. Polizeigesetze der Länder Bayern (BayPAG) Art. 16 Platzverweisung Die Polizei kann zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten. Die Platzverweisung kann ferner gegen Personen angeordnet werden, die den Einsatz der Feuerwehr oder von Hilfs- oder Rettungsdiensten behindern.

Berlin (BlnASOG) § 29 Platzverweisung (1) Die Ordnungsbehörden und die Polizei können zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes ver17 Neuner

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Anhang: Vorschriften polizeilicher Verweisungsmaßnahmen

bieten. Die Platzverweisung kann ferner gegen eine Person angeordnet werden, die den Einsatz der Polizei, der Feuerwehr oder von Hilfs- und Rettungsdiensten behindert. (2) Die Polizei kann zur Verhütung von Straftaten einer Person untersagen, ein bestimmtes Gebiet innerhalb von Berlin zu betreten oder sich dort aufzuhalten, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß diese Person dort eine Straftat begehen wird (Aufenthaltsverbot). Das Verbot ist zeitlich und örtlich auf den zur Verhütung der Straftat erforderlichen Umfang zu beschränken. Es darf räumlich nicht den berechtigten Zugang zur Wohnung der betroffenen Person betreffen. Die Vorschriften des Versammlungsrechtes bleiben unberührt.

Brandenburg (BbgPolG) § 16 Platzverweisung und Aufenthaltsverbot (1) Die Polizei kann zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten. Die Platzverweisung kann ferner gegen Personen angeordnet werden, die den Einsatz der Feuerwehr oder von Hilfsoder Rettungsdiensten behindern. (2) Die Polizei kann zur Verhütung von Straftaten einer Person untersagen, einen bestimmten Ort oder ein Gebiet innerhalb einer Gemeinde oder auch ein gesamtes Gemeindegebiet zu betreten, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß die Person dort eine Straftat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen wird. Das Verbot ist schriftlich zu erteilen und zeitlich auf längstens drei Monate und örtlich auf den zur Verhütung der Straftat erforderlichen Umfang zu beschränken. Das Aufenthaltsverbot darf dem Betroffenen weder den berechtigten Zugang zur Wohnung verwehren noch die Wahrnehmung berechtigter Interessen des Betroffenen und anderer Personen verhindern. Die Vorschriften des Versammlungsrechts bleiben unberührt.

Bremen ( BremPolG ) § 14 Platzverweisung (1) Die Polizei darf jede Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten, soweit dies zur Abwehr einer Gefahr erforderlich ist. Die Platzverweisung darf femer gegen eine Person angeordnet werden, die den Einsatz der Feuerwehr oder von Hilfs- und Rettungsdiensten behindert. (2) Rechtfertigen Tatsachen die Annahme, daß eine Person in einem bestimmten örtlichen Bereich eine Straftat begehen wird, so kann ihr für eine bestimmte Zeit verboten werden, diesen Bereich zu betreten oder sich dort aufzuhalten, es sei denn, sie hat dort ihre Wohnung oder sie ist aus einem vergleichbar wichtigen Grund auf das Betreten des Bereichs angewiesen. Örtlicher Bereich im Sinne des Satzes 1 ist ein Ort oder ein Gebiet innerhalb der Gemeinde oder das gesamte Gemeindegebiet. Die Platzverweisung nach Satz 1 ist zeitlich und örtlich auf den zur Verhütung der Straftat erforderlichen Umfang zu beschränken; soweit im Einzelfall ein besonderes Bedürfnis geltend gemacht wird, kann eine Ausnahme von dem Verbot nach Satz 1 zugelassen werden. Die Vorschriften des Versammlungsgesetzes bleiben unberührt.

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§ 14 a WohnungsVerweisung und Rückkehrverbot zum Schutz vor häuslicher Gewalt (1) Der Polizeivollzugsdienst darf eine Person (betroffene Person) zur Abwehr einer von ihr ausgehenden gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer anderen Person aus einer Wohnung, in der die gefährdete Person wohnt, sowie aus deren unmittelbarer Umgebung verweisen und ihr die Rückkehr in diesen Bereich untersagen. Die Maßnahmen nach Satz 1 können auf Wohn- und Nebenräume beschränkt werden. Der räumliche Bereich, auf den sich Wohnungsverweisung und Rückkehrverbot beziehen, ist nach dem Erfordernis eines wirkungsvollen Schutzes der gefährdeten Person zu bestimmen und genau zu bezeichnen. Die Möglichkeit ergänzender Maßnahmen, insbesondere nach § 14, bleibt unberührt. (2) Der betroffenen Person ist Gelegenheit zu geben, dringend benötigte Gegenstände des persönlichen Bedarfs mitzunehmen. (3) Die betroffene Person ist verpflichtet, dem Polizeivollzugsdienst unverzüglich eine Anschrift oder eine zustellungsbevollmächtigte Person zu benennen. (4) Wohnungs Verweisung, Rückkehrverbot und ergänzende Maßnahmen nach § 14 enden außer in den Fällen des Satzes 2 mit Ablauf des zehnten Tages nach ihrer Anordnung, soweit nicht der Polizeivollzugsdienst im Einzelfall eine kürzere Geltungsdauer festlegt. Stellt die gefährdete Person während der in Satz 1 bestimmten Dauer der Maßnahmen nach Absatz 1 einen Antrag auf zivilrechtlichen Schutz vor Gewalt oder Nachstellungen mit dem Ziel des Erlasses einer einstweiligen Anordnung, enden die Maßnahmen mit dem Tag der gerichtlichen Entscheidung, spätestens jedoch mit Ablauf des zehnten Tages nach dem Ende der nach Satz 1 bestimmten Dauer. (5) Das Gericht teilt dem Polizeivollzugsdienst auf Anfrage mit, ob und zu welchem Zeitpunkt ein Antrag nach Absatz 4 Satz 2 gestellt worden ist.

Hamburg (HambSOG) § 12 a Platzverweisung (1) Eine Person darf zur Gefahrenabwehr vorübergehend von einem Ort verwiesen oder ihr darf vorübergehend das Betreten eines Ortes untersagt werden. (2) Eine Person darf aus ihrer Wohnung und dem unmittelbar angrenzenden Bereich verwiesen werden, wenn dies erforderlich ist, um eine dringende Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit von Bewohnerinnen und Bewohnern derselben Wohnung abzuwehren; unter den gleichen Voraussetzungen kann ein Betretungsverbot angeordnet werden. Das Betretungsverbot endet spätestens zehn Tage nach seiner Anordnung. Im Falle eines zivilrechtlichen Antrags auf Erlass einer einstweiligen Anordnung auf Überlassung einer gemeinsam genutzten Wohnung zur alleinigen Benutzung endet es mit dem Tag der Wirksamkeit der gerichtlichen Entscheidung, spätestens 20 Tage nach Anordnung der Maßnahme.

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Anhang: Vorschriften polizeilicher Verweisungsmaßnahmen

Hessen (HSOG) § 31 Platzverweisung (1) Die Gefahrenabwehr- und die Polizeibehörden können zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten. Die Platzverweisung kann ferner gegen eine Person angeordnet werden, die den Einsatz der Feuerwehr oder andere Hilfs- oder Rettungsmaßnahmen behindert. (2) Die Gefahrenabwehr- und die Polizeibehörden können eine Person bis zu einer richterlichen Entscheidung über zivilrechtliche Schutzmöglichkeiten ihrer Wohnung und des unmittelbar angrenzenden Bereichs verweisen, wenn dies erforderlich ist, um eine von ihr ausgehende gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit von Bewohnern derselben Wohnung abzuwehren. Unter den gleichen Voraussetzungen kann ein Betretungsverbot angeordnet werden. Eine solche Maßnahme darf die Dauer von vierzehn Tagen nicht überschreiten. Die Maßnahme kann um weitere vierzehn Tage verlängert werden, wenn bis zu diesem Zeitpunkt eine wirksame richterliche Entscheidung über den zivilrechtlichen Schutz nicht getroffen worden ist.

Mecklenburg-Vorpommern

(MVSOG)

§ 52 Platzverweisung (1) Zur Abwehr einer im einzelnen Falle bevorstehenden Gefahr ist es zulässig, eine Person vorübergehend von einem Ort zu verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes zu verbieten. Die Platzverweisung kann auch gegen Personen angeordnet werden, die den Einsatz der Feuerwehr oder von Hilfs- oder Rettungsdiensten behindern. (2) Die Polizei kann eine Person bis zu einer richterlichen Entscheidung über zivilrechtliche Schutzmöglichkeiten ihrer Wohnung und des unmittelbar angrenzenden Bereichs verweisen, wenn dies erforderlich ist, um eine gegenwärtige Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit von Bewohnern derselben Wohnung abzuwehren. Unter den gleichen Voraussetzungen kann ein Betretungsverbot angeordnet werden. Eine solche Maßnahme darf die Dauer von 14 Tagen nicht überschreiten. Ergänzend können Maßnahmen zur Durchsetzung der Wegweisung oder des Betretungsverbotes verfügt werden. (3) Rechtfertigen Tatsachen die Annahme, daß eine Person in einem bestimmten örtlichen Bereich eine Straftat begehen wird, so kann ihr bis zu einer Dauer von zehn Wochen untersagt werden, diesen Bereich zu betreten oder sich dort aufzuhalten. Örtlicher Bereich im Sinne des Satzes 1 ist ein Ort oder ein Gebiet innerhalb einer Gemeinde oder auch ein gesamtes Gemeindegebiet. Das Gebot ist zeitlich und örtlich auf den zur Verhütung der Straftat erforderlichen Umfang zu beschränken und darf räumlich nicht den Zugang zur Wohnung der betroffenen Person umfassen. Die Vorschriften des Versammlungsrechts bleiben unberührt.

B. Polizeigesetze der Länder

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Niedersachsen (NGefAG) § 17 Platzverweisung (1) Die Verwaltungsbehörden und die Polizei können zur Abwehr einer Gefahr jede Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten. Betrifft die Maßnahme nach Satz 1 eine Wohnung, so ist diese Maßnahme gegen den erkennbaren oder mutmaßlichen Willen der berechtigten Person nur zur Abwehr einer gegenwärtigen erheblichen Gefahr zulässig. Die Platz Verweisung kann auch gegen eine Person angeordnet werden, die den Einsatz der Feuerwehr oder von Hilfs- und Rettungsdiensten behindert. (2) Rechtfertigen Tatsachen die Annahme, daß eine Person in einem bestimmten örtlichen Bereich eine Straftat begehen wird, so kann ihr für eine bestimmte Zeit verboten werden, diesen Bereich zu betreten oder sich dort aufzuhalten, es sei denn, sie hat dort ihre Wohnung. Örtlicher Bereich im Sinne des Satzes 1 ist ein Ort oder ein Gebiet innerhalb einer Gemeinde oder auch ein gesamtes Gemeindegebiet. Die Platzverweisung nach Satz 1 ist zeitlich und örtlich auf den zur Verhütung der Straftat erforderlichen Umfang zu beschränken. Die Vorschriften des Versammlungsrechts bleiben unberührt.

Nordrhein-Westfalen

(NWPolG)

§ 34 Platzverweisung Die Polizei kann zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten. Die Platzverweisung kann ferner gegen eine Person angeordnet werden, die den Einsatz der Feuerwehr oder von Hilfsoder Rettungsdiensten behindert.

§ 34 a Wohnungsverweisung und Rückkehrverbot zum Schutz vor häuslicher Gewalt (1) Die Polizei kann eine Person zur Abwehr einer von ihr ausgehenden gegenwärtigen Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer anderen Person aus einer Wohnung, in der die gefährdete Person wohnt, sowie aus deren unmittelbaren Umgebung verweisen und ihr die Rückkehr in diesen Bereich untersagen. Der räumliche Bereich, auf den sich Wohnungsverweisung und Rückkehrverbot beziehen, ist nach dem Erfordernis eines wirkungsvollen Schutzes der gefährdeten Person zu bestimmen und genau zu bezeichnen. In besonders begründeten Einzelfällen können die Maßnahmen nach Satz 1 auf Wohn- und Nebenräume beschränkt werden. (2) Der Person, die die Gefahr verursacht und gegen die sich die polizeilichen Maßnahmen nach Absatz 1 richten (betroffene Person), ist Gelegenheit zu geben, dringend benötigte Gegenstände des persönlichen Bedarfs mitzunehmen. (3) Die Polizei hat die betroffene Person aufzufordern, eine Anschrift oder eine zustellungsbevollmächtigte Person zum Zweck von Zustellungen behördlicher oder gerichtlicher Entscheidungen, die zur Abwehr einer Gefahr im Sinne des Absatzes 1 ergehen, zu benennen.

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Anhang: Vorschriften polizeilicher Verweisungsmaßnahmen

(4) Die Polizei hat die gefährdete Person auf die Möglichkeit der Beantragung zivilrechtlichen Schutzes hinzuweisen, sie über Beratungsangebote zu informieren, ihr eine Inanspruchnahme geeigneter, für diese Aufgabe qualifizierter Beratungseinrichtungen nahe zu legen und anzubieten, durch Weitergabe ihres Namens, ihrer Anschrift und ihrer Telefonnummer einen Kontakt durch die in der polizeilichen Einsatzdokumentation näher bezeichneten Beratungseinrichtung zu ermöglichen. (5) Wohnungsverweisung und Rückkehrverbot enden außer in den Fällen des Satzes 2 mit Ablauf des zehnten Tages nach ihrer Anordnung, soweit nicht die Polizei im Einzelfall ausnahmsweise eine kürzere Geltungsdauer festlegt. Stellt die gefährdete Person während der Dauer der gemäß Satz 1 verfügten Maßnahmen einen Antrag auf zivilrechtlichen Schutz mit dem Ziel des Erlasses einer einstweiligen Anordnung, enden die Maßnahmen nach Absatz 1 mit dem Tag der gerichtlichen Entscheidung, spätestens jedoch mit Ablauf des zehnten Tages nach Ende der gemäß Satz 1 verfügten Maßnahmen. Die §§ 48, 49 des Verwaltungsverfahrensgesetzes bleiben unberührt. (6) Das Gericht hat der Polizei die Beantragung zivilrechtlichen Schutzes sowie den Tag der gerichtlichen Entscheidung unverzüglich mitzuteilen; die §§ 18 bis 22 des Einführungsgesetzes zum Gerichtsverfassungsgesetz bleiben unberührt. Die Polizei hat die gefährdete und die betroffene Person unverzüglich über die Dauer der Maßnahmen nach Absatz 1 in Kenntnis zu setzen. (7) Die Einhaltung eines Rückkehrverbotes ist mindestens einmal während seiner Geltung zu überprüfen.

Rheinland-Pfalz

(RhPfPOG)

§ 13 Platzverweisung Die allgemeinen Ordnungsbehörden und die Polizei können zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten. Die Platzverweisung kann insbesondere gegen Personen angeordnet werden, die den Einsatz der Feuerwehr oder von Hilfs- oder Rettungsdiensten behindern.

Saarland (SaarPolG) § 12 Platzverweisung Die Polizei kann zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten. Die Platzverweisung kann insbesondere gegen Personen angeordnet werden, die den Einsatz der Feuerwehr oder der Hilfs- und Rettungsdienste behindern.

B. Polizeigesetze der Länder

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Sachsen (SächsPolG) § 21 Platzverweis und Aufenthaltsverbot (1) Die Polizei kann zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung oder zur Beseitigung einer Störung eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten. Dies gilt insbesondere für Personen, die den Einsatz der Feuerwehr oder der Hilfs- und Rettungsdienste behindern. (2) Die Polizei kann einer Person für höchstens drei Monate den Aufenthalt in einem Gemeindegebiet oder -gebietsteil untersagen, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, daß die Person dort eine Straftat begehen oder zu ihrer Begehung beitragen wird. Das Verbot ist zeitlich und örtlich auf den zur Verhütung der Straftat erforderlichen Umfang zu beschränken und darf räumlich nicht den Zugang zur Wohnung umfassen. Die Vorschriften des Versammlungsrechts sowie die Wahrnehmung berechtigter Interessen durch die betroffene Person bleiben unberührt.

Sachsen-Anhalt (SOG LSA) § 36 Platzverweisung (1) Die Verwaltungsbehörden und die Polizei können zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten. Die Platzverweisung kann ferner gegen eine Person angeordnet werden, die den Einsatz der Feuerwehr oder andere Hilfs- oder Rettungsmaßnahmen behindert. (2) Rechtfertigen Tatsachen die Annahme, daß eine Person in einem bestimmten örtlichen Bereich eine Straftat von erheblicher Bedeutung, nach dem Betäubungsmittelgesetz, nach §§ 86, 86 a, 124, 125 oder 130 des Strafgesetzbuches oder nach § 27 des Versammlungsgesetzes begehen wird, so kann ihr für die zur Verhütung der Straftat erforderliche Zeit verboten werden, diesen Bereich zu betreten oder sich dort aufzuhalten, es sei denn, sie hat dort ihre Wohnung. Die Platzverweisung nach Satz 1 darf nicht mehr als vier Tage, im Falle einer Straftat nach dem Betäubungsmittelgesetz nicht mehr als 14 Tage betragen. Örtlicher Bereich im Sinne des Satzes 1 ist ein Ort oder ein Gebiet innerhalb einer Gemeinde oder auch ein gesamtes Gemeindegebiet. Die Vorschriften des Versammlungsrechts bleiben unberührt.

Schleswig-Holstein

(SchlHVwG)

§ 201 Platzverweisung Zur Abwehr einer im einzelnen Falle bevorstehenden Gefahr ist es zulässig, eine Person vorübergehend von einem Ort zu verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes zu verbieten. Die Platzverweisung kann auch gegen Personen angeordnet werden, die den Einsatz der Feuerwehr oder von Hilfs- oder Rettungsdiensten behindern.

264

Anhang: Vorschriften polizeilicher Verweisungsmaßnahmen

Thüringen (ThürPAG) § 18 Platzverweisung, Aufenthaltsverbot (1) Die Polizei kann zur Abwehr einer Gefahr eine Person vorübergehend von einem Ort verweisen oder ihr vorübergehend das Betreten eines Ortes verbieten. Die Platzverweisung kann femer gegen Personen angeordnet werden, die den Einsatz der Feuerwehr oder von Hilfsoder Rettungsdiensten behindern. (2) Rechtfertigen Tatsachen die Annahme, daß eine Person in einem bestimmten örtlichen Bereich eine Straftat begehen wird, so kann ihr für eine bestimmte Zeit verboten werden, diesen Bereich zu betreten oder sich dort aufzuhalten. Örtlicher Bereich im Sinne des Satzes 1 ist das Gemeindegebiet oder ein Gebietsteil innerhalb einer Gemeinde. Die Maßnahme ist zeitlich und örtlich auf den zur Verhütung der Straftat erforderlichen Umfang zu beschränken. Sie darf die Dauer von drei Monaten nicht überschreiten. Die Maßnahme darf den Zugang zur Wohnung des Betroffenen oder die Wahrnehmung seiner berechtigten Interessen im bestimmten örtlichen Bereich nicht beschränken. Absatz 1 und die Vorschriften des Versammlungsrechts bleiben unberührt.

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arverzeichnis Absperrung - des Katastrophengebietes 169 - des Versammlungsortes 205 - und Journalisten 174 - zwecks Beweissicherung 168,172 - zwecks Hilfeleistung 172 siehe auch Platzverweis zur Sicherung der Rettungseinsätze Abwehrrechte 24, 28 f., 54 Adressat siehe auch Störer - eines Platzverweises 58, 84 ff., 98 Adressatenregelung 84 - Eingriffe gegenüber jedermann 87, 94 Allgemeine Handlungsfreiheit 64 - Auffanggrundrecht 40 - Platzverweis als Eingriff 22,47, 93 Allgemeinverfügung - Verweisungsmaßnahmen als 236 Alternativentwurf einheitlicher Polizeigesetze - Adressat der Platzverweisung 85 - Platzverweisung 57 - Platzverweisung und Art. 11 GG 30, 75 Amtshandlungen - Störung präventiver 66, 90 - Störung repressiver 65, 162 siehe auch Strafprozessualer Platzverweis Amtshilfe 229 f. Anfechtungsklage 239 - Rechtsschutzbedürfnis 242 Annexkompetenz 164 Ansammlung - Abgrenzung von Versammlungen 181 ff., 189 - unerlaubte 59, 75, 78 Aufenthalt - als Gefahr 89, 127 - freizügigkeitsrelevanter 30, 34 ff. - Grundrechtsrelevanz 15

Aufenthaltsverbot, allgemeinpolizeiliches 17, 100 ff. - Anschlußmaßnahmen 117, 131 - Ausnahmenregelung 131 - Begriff 18, 120 - bei Nachstellung 148 - Beitrag zur Begehung einer Straftat 126 - Durchsetzung siehe Durchsetzungsgewahrsam; Zwangsmittel - Eingriffsvoraussetzungen 123 ff. - Gesetzeszweck 122 - notwendige Regelungsdichte 107 - räumlicher Umfang 120 f., 128, 130 - Rechtsfolgen 128 - rechtsvergleichende Darstellung 119 ff. - Regelungsanlaß 100, 120, 179 - und Freizügigkeit 22,46, 102,133 - und Versammlungsrecht 121, 131, 179, 217 f., 224 - Wahrscheinlichkeitsprognose 124 - zeitlicher Umfang 121, 128 ff. Aufenthalts verbot, spezialgesetzliches 158 - als Bewährungsauflage siehe dort - als führungsaufsichtsrechtliche Maßnahme siehe Führungsaufsicht - als Katastrophenschutzmaßnahme siehe Katastrophenschutzgesetz - nach Ausländerrecht 15, 26 Auflösungsverfügung siehe Versammlungsauflösung Ausstrahlungswirkung siehe Grundrechte Baden-Württemberg, Polizeigesetz - Gewahrsam 137, 152 - Modellversuch Platzverweis bei häuslicher Gewalt 140, 146 - Platzverweis 57, 94, 110 - Zuständigkeit 226 Bannmeilengesetz 45, 192 Bayern, Polizeiaufgabengesetz

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arverzeichnis

- Entfernungspflicht von Sachen 82 - Gewahrsamsdauer 152 f. - historische Entwicklung des Platzverweises 59,75 f., 78, 88, 95, 179 - Platzverweisung aus Wohnung 48, 58, 137 - Verweisung einer Menschenmenge 92 Belästigung - Abgrenzung von Gefahren 62, 69,159 Berlin, Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz - Aufenthaltsverbot 77, 102, 119 ff., 218 - Platzverweisung zur Sicherung der Rettungseinsätze 95, 100 Bestimmtheitsgebot siehe Gesetz; Verwaltungsakt Betretungsverbot 57, 128, 140, 157 - nach Gewaltschutzgesetz 135 Bewährungsauflagen - Aufenthaltsverbote 27,46, 109 Blanko-Verfügungs-Verfahren 228 Brandenburg, Polizeigesetz - Aufenthaltsverbot 77, 102, 119 ff., 126 - Dauer des Aufenthaltsverbots 121 - Gewahrsamsdauer 151 - Schriftform des Aufenthaltsverbots 121 - Trennungssystem 225 Brandschutzgesetz siehe Katastrophenschutzgesetz Bremen, Polizeigesetz - Adressat der Platzverweisung 57, 85 - Aufenthaltsverbot 102, 119 ff. - Wohnungsverweisung 137, 143 ff., 146 Brokdorf-Beschluß 183, 186,194 f. Bundesgrenzschutzgesetz - Platzverweis 157 Castor-Transporte 207 Chaos-Tage 100, 179, 182, 185 Demonstrationsfreiheit siehe Versammlungsfreiheit Drogenszene 100 ff., 126 Durchsetzungsgewahrsam - bei Aufenthaltsverbot und Wohnungsverweis 155 ff. - bei Platzverweis 149 ff. - Funktion 154 - zulässige Dauer 151 ff.

Eigentumsgarantie 54 - Inhalts- und Schrankenbestimmung 55 f., 138 - Nutzungsrecht 54 f. - Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 55, 138, 147 - Wohnungsverweis als Eingriff 138 Eilzuständigkeit - des Polizeivollzugsdienstes 225, 227 f. - im Katastrophenfall 170 Einheit der Verfassung 37,40 Einschließung, polizeiliche siehe Polizeikessel Entfernungspflicht - bei Platzverweis 214, 220 - versammlungsgesetzliche 157, 187, 209, 214,219, 220 f. - von Sachen 82 f. Erledigung polizeilicher Verweisungsmaßnahmen - Begriff der Erledigung 240 - durch Zeitablauf 242 - im Hauptsacheverfahren 245 - im vorläufigen Rechtsschutzverfahren 250 - nach Anwendung von Zwangsmaßnahmen 243 Erledigungsstreit 245 f. Ermächtigungsgrundlage - Regelungsdichte 110 siehe auch Aufenthaltsverbot, allgemeinpolizeiliches; Gesetz - Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 111 siehe auch dort Evakuierung 47, 106, 117, 168 ff. Familie - Grundrechtsschutz 139 - häusliche Gewalt siehe dort Festnahmerecht nach § 164 StPO 162 - Platzverweis als Minusmaßnahme siehe Strafprozessualer Platzverweis - Rechtsnatur 164 Fortsetzungsfeststellungsinteresse 246 ff. - Amtshaftungsansprüche 243 - Rehabilitation 247 - sich kurzfristig erledigende Verwaltungsakte 247 ff. - Wiederholungsgefahr 246 f.

Sachwortverzeichnis Fortsetzungsfeststellungsklage 246 Freiheit der Person 23 ff. - in europäischen Verfassungen 29 - körperliche Bewegungsfreiheit 23 - negative Bewegungsfreiheit 24 ff. Freizügigkeit 30 ff. - Abgrenzung von der allgemeinen Handlungsfreiheit 37,40 - Abgrenzung von der Freiheit der Person 37, 39 siehe auch Lebenskreistheorie - Aufenthalt 34 siehe auch dort - Bedeutung 37, 108 - Eingriff 42 ff. - Gesetzesvorbehalte 37, 38, 69, 103 siehe auch Kriminalvorbehalt - Gesetzgebungskompetenz 103 ff. - historische Auslegung 36 - interlokale 32, 104 - Mindestverweildauer 31 f. - polizeiliche Verweisungsmaßnahmen 46 siehe auch Aufenthaltsverbot, allgemeinpolizeiliches; Platzverweis, allgemeinpolizeilicher - Schutzbereich 34 ff. - tatbestandseingrenzende Kriterien 32 - wertende Gesamtbetrachtung 41,46 Freizügigkeitsgesetz 35 f., 78, 105 Führungsaufsicht - Aufenthaltsverbot 46, 109 Funktionsfähigkeit des Staates - als kollidierendes Verfassungsrecht 45 - als Schutzgut der öffentlichen Sicherheit 65, 90, 96, 174 Gefahr - Abgrenzung zur Belästigung siehe dort - Anscheinsgefahr 62, 97 - konkrete 61 - qualifizierte 48, 61, 62 - unmittelbare 124, 144, 160,195, 197 - versammlungsspezifische 198, 203 Gegendemonstration - Verlegung der Demonstrationsroute 208 Generalklausel, polizeiliche 110 ff., 140 f. - Anwendungsbereich 116 ff. - Eingriffe in Art. 11 GG 112 - Verhältnis zu Standardmaßnahmen 110 ff. Gesetz

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- abschließender Charakter 113,165, 200 - Bestimmtheitsgebot 112, 118 f., 123, 142, 153 - Normenklarheit 100, 111, 118 f., 153, 156 - Vorbehalt des Gesetzes 111, 141, 228, 232 - Vorrang des Gesetzes 110, 232 Gesetzgebungskompetenz - Annexkompetenz 164 - Freizügigkeit 103 ff. - Jugendschutz 159 - Versammlungsrecht 200 Gewahrsam 81, 87 - Unterbindungsgewahrsam 137, 152, 155 - zur Durchsetzung polizeilicher Verweisungsmaßnahmen siehe Durchsetzungsgewahrsam Gewaltschutzgesetz 135, 142,146 f. Grundrechte - Abwehrrechte siehe dort - Allgemeine Handlungsfreiheit siehe dort - Ausstrahlungswirkung 21,47,190, 224 - Eigentumsgarantie siehe dort - Eingriff 43, 112, 223, 248 - Familie siehe dort - Freiheit der Person siehe dort - Freizügigkeit siehe dort - Handlungsrechte 28 - Informationsfreiheit siehe dort - Pressefreiheit siehe dort - Versammlungsfreiheit siehe dort - Wohnungsgrundrecht siehe dort Hamburg, Sicherheits- und Ordnungsgesetz - Platzverweisung 94 - Wohnungsverweis 137, 143 ff. Hausbesetzer - Verweisung 17, 72, 115 Häusliche Gewalt - Begriff 134 - polizeiliche Reaktionsmittel 137 - Verweisung siehe Wohnungsverweis; Umfeldverweis - zivilrechtlicher Schutz 135 f., 145 siehe auch Gewaltschutzgesetz Hausrecht, öffentlich-rechtliches - Abgrenzung vom Platzverweis 66, 76 - Begriff 66 Hessen, Sicherheits- und Ordnungsgesetz

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arverzeichnis

- Gewahrsamsdauer 151 f. - Platz Verweisung aus Wohnung 58 - Platzverweisung zur Sicherung von Rettungsmaßnahmen 94 - Wohnungsverweis 137, 143 ff. Hooligans 100, 110, 130 Informationsfreiheit 171 - allgemeine Gesetze 172 - Informationsquelle 171 - Platzverweis als Eingriff 172 ff. - Schaulustige 172 Innere Sicherheit 100 Journalisten - Platzverweis siehe Pressefreiheit - Selbstgefährdung 177 Jugendschutz - als Grundrechtsschranke 108 - als Verfassungsgut 159 - Verweisung nach JugendschutzG 158 ff. Katastrophenschutzgesetz - Aufenthaltsverbot nach BKatSG 157 - Begriff der Katastrophe 168 - Katastrophenschutzbehörde 170 - Verweisungen nach LKatSG 103, 106, 168 ff. Kollidierendes Verfassungsrecht 44 Körperliche Bewegungsfreiheit siehe Freiheit der Person Kriminalvorbehalt 107 ff., 113 Lebenskreistheorie 26, 39 f. Love-Parade siehe Techno-Parade Mandat, organisationsrechtliches 231 ff. Mecklenburg-Vorpommern, Sicherheits- und Ordnungsgesetz - Aufenthaltsverbot 77, 102, 119 ff. - Dauer des Aufenthaltsverbots 121 - Wohnungsverweis 137, 143 ff. Menschenmenge siehe auch Ansammlung - Verweisung einer 92, 99 Musterentwurf eines einheitlichen Polizeigesetzes 73, 85, 93 - Platzverweisung 17, 57, 84 - Platzverweisung und Art. 11 GG 74 f., 115

- Platzverweisung zur Sicherung der Rettungseinsätze 94, 174 Nachstellung 135, 147 Nichtstörer 84, 86 - Entschädigungsansprüche 93 f. - Platzverweis 90 ff. Niedersachsen, Gefahrenabwehrgesetz - Adressat der Platzverweisung 58, 85 - Aufenthaltsverbot 77, 102, 119 ff. - Platzverweisung aus Wohnung 48, 58 - Platzverweisung gegenüber Journalisten 18, 175 Nordrhein-Westfalen, Polizeigesetz - Platzverweisung aus Wohnung 58 - Trennungssystem 225 - Wohnungsverweisung 137, 143 ff., 146 f. Öffentliche Ordnung 67 ff., 155 Öffentliche Sicherheit 38, 63 ff. - Drogenszene als Störung 100 ff. - Funktionsfähigkeit des Staates siehe dort Österreich, Sicherheitspolizeigesetz - Wegweisung 143 - Wohnungsverweis und Rückkehrverbot bei häuslicher Gewalt 142 f. Platzverweis, allgemeinpolizeilicher 57 ff. - Adressat siehe dort - aus Wohnung 58, 137 - Begriff 16, 18 - Entwicklungsgeschichte 58 f., 88, 115 siehe auch Bayern, Polizeiaufgabengesetz - grundrechtliche Relevanz 21 f. - Häufigkeit als Regelungsgrund 60, 76, 115 f. - räumlicher Umfang 76 ff. - Rechtsfolge 71 ff., 82 - rechts vergleichende Darstellung 57 f. - Regelung als Standardbefugnis 58 ff., 113 - Tatbestandsvoraussetzungen 61 ff. - und Freizügigkeit 30,47, 74, 115 - zeitlicher Umfang 71 ff. Platzverweis, spezialgesetzlicher - nach BGSG 158 - nach JugendschutzG 159 - strafprozessualer siehe dort

Sachwortverzeichnis Platzverweis, zur Sicherung der Rettungseinsätze 94 ff. - Adressat 98 - Notwendigkeit einer Regelung 94, 99 Platzzuweisung siehe Richtungsanweisung Polizeifestigkeit - der Pressegesetze 175 f. - des Versammlungsgrundrechts 192 f. Polizeigesetze siehe auch bei den jeweiligen Ländern - Verweisungsvorschriften 257 ff. Polizeikessel 187, 214 - „Berliner Kessel" 190 - „Hamburger Kessel" 187, 195 Polizeilicher Notstand siehe Nichtstörer Präventivvorbehalt siehe Kriminalvorbehalt Pressefreiheit 174 ff. - Platzverweis gegenüber Journalisten 175, 177 - Verhältnis Presse und Polizei 174 f. siehe auch Verhaltensgrundsätze Privatsphärenschutz 56, 139 - Begriff der Privatsphäre 139 - familiäre Privatsphäre 139 - räumliche Privatsphäre 51 f. Räumliche Beschränkung - der Versammlung 206 ff., 216 - nach AsylVerfG 26 Räumung - bei baulichen Gefahren 157 - besetzter Häuser 44, 72 - von Grundstücken im Katastrophenfall 169 Razzia 47, 90 Rechtsschutz - gegen Verweisungsmaßnahmen 239 ff. - vorläufiger 248, 250 f. Rheinland-Pfalz, Polizei- und Ordnungsbehördengesetz - Platzverweisung zur Sicherung der Rettungseinsätze 95 Richtungsanweisung 79 Saarland, Polizeigesetz - Platzverweisung zur Sicherung der Rettungseinsätze 95

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Sachen - als Schutzgut bei häuslicher Gewalt 144 - Erstreckung des Platzverweises auf 82 ff. - Gefahrverursachung durch 92 Sachsen, Polizeigesetz - Aufenthaltsverbot 77, 102, 119 ff., 126 - Dauer des Aufenthaltsverbots 121 - Gewahrsamsdauer 151 ff. - Platzverweis zur Sicherung der Rettungseinsätze 95 - Zuständigkeit 226 Sachsen-Anhalt, Sicherheits- und Ordnungsgesetz - Aufenthaltsverbot 72, 77, 119 ff. - Dauer des Aufenthalts Verbots 118, 121 - Platzverweisung aus Wohnung 58 - Platzverweisung zur Sicherung von Rettungsmaßnahmen 94 Schaulustige - und Informationsfreiheit siehe dort - unterlassene Hilfeleistung 97 - Verweisung 94 Selbstgefährdung 64, 90 f., 177 Standardmaßnahmen 60, 110 ff. - Adressatenregelung 84 - Regelungsdichte 110 ff. - Regelungsgründe 60 - Verhältnis zur Generalklausel 110 ff. - Zweck 122 Störer - der Gestörte 89 - Nichtstörer siehe dort - Nichtstörungspflicht, allgemeine 86,92 - Verhaltensverantwortlichkeit 90 - Zustandsverantwortlichkeit 92 - Zweckveranlasser 91 Strafprozessualer Platzverweis 162 ff. - als Minusmaßnahme nach § 164 StPO 163 - Verhältnis zum polizeilichen Platzverweis 166 ff. - Voraussetzungen 167 Techno-Paraden 182, 184 Thüringen, Polizeiaufgabengesetz - Aufenthaltsverbot 77, 102, 119 ff. - Dauer des Aufenthaltsverbots 121

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arverzeichnis

- Gewahrsamsdauer 137,151 - Trennungssystem 225 Umfeldverweis 144 f. - Nachstellung siehe dort Unmittelbarer Zwang 148 - Kostenerstattungsansprüche des Staates 243 f. Verbringungsgewahrsam 80 ff., 151 Verfassungskonforme Auslegung 50 ff., 62, 112 f., 141, 197, 203 Verhaltensgrundsätze zwischen Presse und Polizei 175 ff. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz 56, 73, 87, 122, 128 f., 143, 146, 153 Versammlung - Abgrenzung von Ansammlungen siehe Ansammlung - Anwendung allgemeinpolizeilicher Verweisungsmaßnahmen 178 ff., 205, 208, 211,221 ff. - Beendigung 187 ff., 204 - Begriff 181 ff. - in Räumen 47, 212 - nichtöffentliche 203 - Nichtteilnehmer 211 ff. - Nochnichtteilnehmer 211 ff. - räumliche Beschränkung siehe dort - Teilnehmer 204, 209 Versammlungsauflösung 191, 195, 204 - Abgrenzung vom Platzverweis 157, 214 ff., 219 - Abgrenzung von der räumlichen Beschränkung siehe dort - Durchsetzung 219 ff. - Form der AuflösungsVerfügung 214 - Rechtsfolgen 215 siehe auch Entfernungspflicht; Zerstreuungspflicht - Teilauflösung 216 Versammlungsausschluß 157, 204, 209 ff. - Abgrenzung vom Platzverweis 220 Versammlungsfreiheit - Anwendung allgemeinpolizeilicher Maßnahmen 191 - Nachwirkung 187 ff. - Versammlung siehe dort

- Versammlungsvorfeld 186 Versammlungsgesetz - Beendigung der Versammlung 204 - Eingriffsbefugnisse 193, 196, 202 - Regelungsbereich 188 - unmittelbare Gefahr als Eingriffsvoraussetzung 124, 196 f. siehe auch Gefahr - Verhältnis zum allgemeinen Polizeirecht 180, 193 ff. - Versammlungsvorfeld 202 Versammlungsort - Absperrung 205 - Platzverweis für 212, 217, 221 - Räumung 189 - Selbstbestimmungsrecht 191 - Zugänglichkeit 186 Versammlungsverbot 204 - Durchsetzung 217 f. Verwaltungsakt 235 - Allgemeinverfügung siehe dort - Auflösungsverfügung als gestaltender 158,215 - Bestimmtheitsgebot 79, 145,215 - Erledigung siehe Erledigung polizeilicher Verweisungsmaßnahmen - Kostenfolgen 241, 243 - VollstreckungsVoraussetzungen 149, 241 Verweisungsmaßnahme siehe auch Platzverweis; Aufenthaltsverbot; Wohnungs- und Umfeldverweis - Begriffsbestimmung 18 - endgültige 17, 71, 114 - spezialgesetzliche 15, 157 ff. Vollzugshilfe 225, 229 f. Weimarer Reichsverfassung 36, 52, 105 Weisung 230 Wesentlichkeitsrechtsprechung des BVerfG 68, 111, 118 Wohnung - Nutzungsrecht 53 ff. - Verweisung aus siehe Platzverweis, allgemeinpolizeilicher; Wohnungsverweis Wohnungsgrundrecht 48 ff., 138 - Art. 8 EMRK 56 - Betreten von Wohnungen 50 - qualifizierte Gefahr 48 f.

Sachwortverzeichnis - Schutz vor substantiellen Eingriffen 53 - Schutzbereich 51 ff. - Studentenwohnheim-Fall 50 - Verweisung aus Wohnungen 47 ff. Wohnungsverweis 16, 134 ff. siehe auch Umfeldverweis - Ausnahmenregelung 147 - Begriff 18, 143 - Durchsetzung siehe Durchsetzungsgewahrsam; Zwangsmittel - Eingriffs Voraussetzungen 143 ff. - häusliche Gewalt siehe dort - räumlicher Umfang 144 f. - Rechtsgrundlagen 137, 140 ff. - Rechtslage in Österreich 142 f. - rechts vergleichende Darstellung 142 ff. - Verfahren 146 f. - verfassungsrechtliche Maßstäbe 48 ff., 138,147

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- zeitlicher Umfang 145 f. - Ziele 136 Zerstreuungspflicht 214 f., 220 Zitiergebot 107, 132 ff., 147, 192 Zuständigkeit 146, 206, 225 ff. siehe auch Eilzuständigkeit - Parallelzuständigkeit 226, 233 - zum Erlaß von Platzverweisen 226 - Zuständigkeitsordnung der Polizeigesetze 225 f. - Zweck der Zuständigkeitsordnung 232 Zutrittsverbot 90 - zur Versammlung 213 - zur Wohnung 53 Zwangsmittel 148 f., 243 ff. - unmittelbarer Zwang siehe dort - Zwangsgeld 148, 156, 243 f. - Zwangshaft 148, 156, 243 f.