Zivilrechtliches Ordnungsgefüge und Steuerrecht - Festschrift für Georg Crezelius 9783504385743

In dieser Festschrift zum 70. Geburtstag von Herrn Prof. Dr. Georg Crezelius haben sich 57 Autoren mit den Themen befass

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German Pages 1026 [1010] Year 2018

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Zivilrechtliches Ordnungsgefüge und Steuerrecht - Festschrift für Georg Crezelius
 9783504385743

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Zivilrechtliches Ordnungsgefüge und Steuerrecht Festschrift für Georg Crezelius

ZIVILRECHTLICHES ORDNUNGSGEFÜGE UND

STEUERRECHT FESTSCHRIFT FÜR

GEORG CREZELIUS ZUM 70. GEBURTSTAG herausgegeben von

Michael Fischer Reinhard Geck Wilhelm Haarmann

2018

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 02 21/9 37 38-01, Fax 02 21/9 37 38-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-06048-0 ©2018 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeiche­ rung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungs­ beständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung: Lichtenford, Mettmann Satz: WMTP, Birkenau Druck und Verarbeitung: Kösel, Krugzell Printed in Germany

Über Georg Crezelius Georg Crezelius vollendet am 11. April 2018, deo volente, sein 70. Lebensjahr. Wer ihn mit seinem vom Temperament getragenen und jugendlichen Auftreten kennt, mag sich hierüber wundern. Doch die Zeit ist unbestechlich. Aus diesem Anlass erscheint eine Festschrift, die 53 Beiträge enthält und die einen außergewöhnlichen Wissenschaftler und Menschen ehrt, der sich um die Fortentwicklung der Rechtswissenschaft in der Schnittstelle zwischen Steuerrecht und Zivilrecht, der Ausbildung und Fortbildung von Juristen und im wirtschaftswissenschaftlichen Bereich Tätigen, aber auch auf rechtspolitischer Ebene als langjähriger Vorsitzender des wissenschaftlichen Beirats des Deutschen Steuerberaterinstituts große Verdienste erworben hat. Oft klingt es abgedroschen, trifft aber bei Georg Crezelius den Kern: Ohne ihn wäre das deutsche Steuerrecht ärmer. Die äußeren Daten verraten wenig über Georg Crezelius und seine Wirkung auf die von ihm vertretenen Rechtsgebiete, sollen aber an dieser Stelle nicht fehlen. Geboren in Dortmund, studierte er nach seiner Bundeswehrzeit Rechtswissenschaft an der Universität Münster und legte die juristischen Examen mit exzellenten Ergebnissen quasi in Rekordzeit ab. Nebenher war er schon am steuerrechtlichen Lehrstuhl der Universität Münster als wissenschaftliche Hilfskraft tätig. Von 1976 bis 1983 arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent am steuerrechtlichen Lehrstuhl der Universität Bielefeld. Nach Promotion und der Habilitation folgte rasch der Ruf auf den Lehrstuhl für Zivilrecht und Handelsrecht an der Universität Mainz und zum Sommersemester 1985 ein solcher auf den Lehrstuhl für Steuerrecht an der Universität Bamberg. Ab 2005 war er Inhaber des Lehrstuhls für Steuerrecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen. Georg Crezelius hat trotz oder vielleicht gerade wegen seiner wissenschaftlichen Ausrichtung das Interesse an der Beratungspraxis, auch mit internationalem Bezug, nie verloren. Auch war er immer wieder bereit, als Schiedsrichter in Schiedsverfahren tätig zu werden. Es überraschte daher niemand, dass er sich nach seiner Emeritierung nicht zur Ruhe setzte, sondern im Gegenteil „das Pferd noch einmal wechselte“ und seit 2013 als Of Counsel für die internationale Partnerschaft von Rechtsanwälten Link­laters am Standort München tätig ist. Dies umfasst nicht allein die Beratung von Mandanten in anspruchsvollen einschlägigen Rechtsfragen, sondern auch die interne Unterstützung und Fortbildung der dort tätigen jüngeren Berufsträger. Das besondere Interesse von Georg Crezelius gilt dem Steuerrecht und seiner Einordnung in das allgemeine Rechtssystem. Das Steuerrecht ist Eingriffsrecht, legt es doch dem Bürger die Verpflichtung auf, Teile seines Einkommens dem Staat zur Verfügung zu stellen. Grundlage des Steuersubstrates sind jedoch die Vorgänge, die gemeinhin Gegenstand des Zivilrechts sind, nämlich die Teilnahme des Individuums am Markt oder der unentgeltliche Erwerb von Vermögen kraft Erb- oder Schenkungsrechts. Diesem Spannungsverhältnis zwischen dem Eingriff in die Sphäre des Bürgers, welV

Über Georg Crezelius

cher nach Art. 20 Abs. 3 GG einer gesetzlichen Grundlage bedarf, und der Anbindung des Eingriffsrechts an die regelmäßig privatautonom gestaltbaren Handlungen der Rechtssubjekte, die zu einer Steuerbemessungsgrundlage führen, galt stets sein besonderes Interesse. Dies wird bereits in der Dissertation erkennbar, die sich mit der Verknüpfung des ErbStG mit den zivilrechtlichen Vorgaben, nämlich insbesondere des Erbrechts befasst. Das dort gefundene Ergebnis trägt zu einer erheblichen Rechtssicherheit bei, ist doch das ErbStG im Wesentlichen Folgerecht des Erbrechts. Diese Thematik findet sich auch in der Habilitation wieder, die insbesondere der steuerrechtlichen Rechtsprechung auf den Weg gibt, bei der Auslegung steuerlicher Rechtsnormen die zivilrechtlichen Vorgaben zu berücksichtigen. Denn – dies ist eine der Kernthesen – nur die grundsätzliche Maßgeblichkeit der zivilrechtlichen Gestaltung für die steuerliche Beurteilung führt zu einer verfassungsrechtlich geforderten Rechtssicherheit, die – so das Vorwort zur Habilitation – „eine uferlose Manipulation des staatlichen Steueranspruchs verhindert, andererseits das Primat der Entscheidung des Individuums wahrt, ob und in welcher Höhe seine privatrechtlichen Verhältnisse und Gestaltungen Steuern nach sich ziehen“. Diese mahnende und immer noch aktuelle Aussage verwehrt es dem Gesetzgeber natürlich nicht, in dieses Ordnungsgefüge des Zivilrechts in der Absicht, steuerliche Folgen zu erzeugen, einzugreifen. Der vorstehende Interessenschwerpunkt ist letztlich die Grundlage dafür, dass Georg Crezelius an der Schnittstelle zahlreicher Rechtsgebiete tätig ist. Sein Interesse gilt nicht allein dem Steuerrecht, sondern – wie dies auch in der venia legendi zum Ausdruck kommt – dem Zivilrecht, insbesondere dem Gesellschaftsrecht und Erbrecht, aber auch dem Handelsbilanz- und Insolvenzrecht. Diese ungewöhnlich breite Palette wird auch durch diese Festschrift belegt, die Beiträge aus allen vorgenannten Rechtsgebieten enthält. Die umfangreiche Bibliografie zeigt eine außergewöhnliche Schaffenskraft. Zahlreiche Beiträge werden die Rechtsanwender in ihren Entscheidungen beeinflusst haben. Georg Crezelius ist jedoch nicht nur als Wissenschaftler eine außergewöhnliche Person. Seine Begeisterung für die von ihm vertretenen Rechtsgebiete ist ansteckend. Auch zwei der drei Herausgeber dieser Festschrift sind als seine Schüler nachhaltig in ihrer fachlichen Ausrichtung beeinflusst worden. Die Teilnehmer der Lehrveranstaltungen würden mit absolut qualifizierter Mehrheit bestätigen, dass Wissensvermittlung auf hohem Niveau, eine offene fachliche Diskussion und auch eine Prise Humor und Witz keine Elemente sind, die einander ausschließen. Gleiches gilt im Übrigen auch für die Fortbildung. Georg Crezelius ist seit vielen Jahrzehnten ein gefragter Referent auf nahezu allen einschlägigen Fachveranstaltungen und wegen seiner Meinungsstärke, Dialogbereitschaft und Offenheit für andere Auffassungen sehr geschätzt. Nicht nur Studenten, sondern auch Berufsträger haben ihm in dieser Hinsicht viel zu verdanken. In rechtspolitischer Hinsicht hat er mit seiner Meinung nie hinter dem Berg gehalten. Die von ihm über verschiedene Gremien vorgetragenen Vorschläge an den Gesetzgeber zur Änderung von Steuergesetzen sind zwar häufig in den berüchtigten SchublaVI

Über Georg Crezelius

den der Entscheidungsträger verschwunden. Dies spricht keinesfalls gegen ihre inhaltliche Richtigkeit, sondern ist nur ein Beleg dafür, dass sich die steuerliche Gesetzgebung häufig an anderen Kriterien als der Schlüssigkeit eines gesetzlichen Konzeptes orientiert. Georg Crezelius ist ein anderen Personen stets zugewandter Mensch. Er zeichnet sich durch stete Hilfsbereitschaft aus und ist in jeder Hinsicht ein ungewöhnlich nobler Mensch. Dank gilt nicht nur ihm, sondern auch seiner lieben Frau Margret Crezelius, die ihren Ehemann in jeder Hinsicht unterstützt. Wir gratulieren Georg Crezelius hiermit von Herzen und wünschen ihm für die Zukunft alles erdenklich Gute, insbesondere Gesundheit und weiter Freude an seinen juristischen Interessenschwerpunkten. Michael Fischer, Erlangen Reinhard Geck, Hannover Wilhelm Haarmann, Frankfurt/Main

VII

Inhalt Seite

Über Georg Crezelius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . V Verzeichnis der Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XV

I. Zivilrecht Wolfgang Baumann Das „kausale“ Schuldanerkenntnis – Eine gesetzwidrige Rechtsfigur . . . . . . 3 Jürgen Christ Austausch des Steuerobjekts – Surrogationsprinzip als Grundlage der Besteuerung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Christoph Karczewski Die Erbengemeinschaft in der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Karlheinz Muscheler Vermögenserwerb der Stiftung und Vermögenshaftung des Stifters . . . . . . . 71 Peter Rawert Die Selbstzweckstiftung oder: Vom Zwecklosen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87

II. Gesellschaftsrecht sowie Schnittstellen zum Steuerrecht Holger Altmeppen Aufschiebend bedingte Verbindlichkeiten der GmbH in der Phase der Gründung und bei Prüfung der Insolvenzreife . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 Michael Fischer Gesamthandgesellschaft, juristische Person und das Steuerrecht . . . . . . . . . . 117 Wilhelm Haarmann Die Anwendung von Schiedsklauseln in Vertrag oder Satzung im Verhältnis zwischen Unternehmen und den Mitgliedern ihrer Organe . . . . 137 Heribert Heckschen Mittelbare eigene Anteile beim Formwechsel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 IX

Inhalt

Hans-Joachim Priester Einlageleistung und Enthaftung – Bestimmungsrecht des Kommanditisten 173 Wolfgang Reimann Die Einbringung von Nachlassgegenständen in Gesellschaften . . . . . . . . . . . 181 Harald Schießl Steuerrechtliche Behandlung einer dem Anteilseigner zustehenden Beteiligung i.S.d. § 17 EStG im Zuge der Verschmelzung der Kapitalgesellschaft auf eine andere Kapitalgesellschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 Christoph Schreiber Die Mitunternehmerstellung des persönlich haftenden Gesellschafters . . . . 207 Harm Peter Westermann Geschäftsführer- und Beraterpflichten beim Umgang mit  MAC/MAE-Klauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221

III. Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht Jochen Berninghaus Rechtsfolgen fehlerhafter Jahresabschlüsse von Personengesellschaften . . . . 239 Jens Blumenberg Das deutsche Steuerrecht in der Krise – Herausforderungen in der Beratungspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 Hermann Brandenberg Die atypisch stille Gesellschaft – eine vollwertige Mitunternehmerschaft . . . 275 Michaela Engel Das Zebra im Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 Günther Jordan Der mitunternehmerische Nießbrauch als Gestaltungsmittel der Nachfolgeberatung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 Hans-Michael Korth Grundsätze zur bilanziellen Behandlung privat und betrieblich genutzter Wirtschaftsgüter in der Steuerbilanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 329 Ulrich Prinz Gedanken zum Bilanzrecht: Kristallisationspunkt rechtlicher und ­wirtschaftlicher ­Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 351

X

Inhalt

Wolfram Reiß Steuerliche Ergänzungsbilanzen für den persönlich haftenden Gesellschafter einer KGaA . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 Matthias Söffing / Andreas Söffing Vorweggenommene Erbfolge von Mitunternehmeranteilen aus schenkungsteuerlicher und ertragsteuerlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 Sebastian Spiegelberger Betriebsaufgabe durch Vorbehaltsnießbrauch? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 Martin Strahl Der Verlust des Übernahmeverlustes − Irrnisse der Rechtsprechung und Auswege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 Michael Wendt Einkommensteuerneutrale Unternehmensnachfolge durch Buchwertfortführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457

IV. Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht Klaus-Dieter Drüen Grund- und Einzelfragen freigebiger Zuwendungen im Schenkungsteuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 Sebastian Engler Steuerstrafrechtliche Aspekte bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer . . . . 489 Gülsen Erkis Die Erbschaftsteuerreform 2016 – ein Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 Ullrich Fechner / Werner Thumbs Die qualitativen Kriterien in § 13a Abs. 9 ErbStG n.F. für eine Begünstigung von Familienunternehmen: Ein Fall der faktischen Unmöglichkeit . . . . . . . . 523 Reinhard Geck Sonderbetriebsvermögen und erbschaftsteuerlicher Verschonungsabschlag – ein schwieriges Verhältnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 Raymond Halaczinsky Erbschaftsteuer: Steuerhinterziehung, Steuerschulden und Nachlassverbindlichkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557 Marc Jülicher Aktuelle Fragen des Schuldenabzugs nach § 10 ErbStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 577 Ingo van Lishaut Das ErbStG 2016 – Innenansichten einer Reform . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587 XI

Inhalt

Detlev J. Piltz Die latente Ertragsteuerbelastung beim erbschaftsteuerlichen Substanzwert 609 Hermann-Ulrich Viskorf Die Behandlung des Pflichtteils im Erbschaftsteuerrecht Aktuelle Rechtsentwicklungen und Problemlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 617 Stephan Viskorf / Sebastian Löcherbach Schenkungsteuerbarkeit von Gebrauchs- und Nutzungsvorteilen zwischen Darlehens- und Wohnraumüberlassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 629 Thomas Wachter Ausländisches Erbrecht und deutsches Erbschaftsteuerrecht . . . . . . . . . . . . . 645 Eckhard Wälzholz Aktuelle Entwicklungen bei der Besteuerung des Pflichtteils im Erbschaftsteuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 679

V. Umsatzsteuerrecht Steffen Rapp Der Vertrieb von Wert-Gutschein derzeit ein umsatzsteuerliches Nullum? . 693 Christoph Wäger Steuerfreie Zusammenschlüsse in der Umsatzsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 715

VI. Grenzüberschreitendes und Internationales Steuerrecht Dietmar Gosch „Sperrwirkungen“. Abkommensrecht und nationales Recht, allgemeines und spezielles Recht im Widerstreit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 735 Rainer Stadler / Elmar Bindl Die grenzüberschreitende Fondsverwaltung nach der Investmentsteuerreform 2018 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 763 Thomas Töben Beteiligungseinkünfte als abkommensrechtliche Unternehmensgewinne im Inbound-Fall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 779 Franz Wassermeyer Die Beteiligung an ausländischen Zwischengesellschaften als Problem einer systematischen Hinzurechnungsbesteuerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 809

XII

Inhalt

VII. Zivilrechtliche, steuerstrafrechtliche und sozialrechtliche ­Verantwortlichkeit Jürgen Brand Sozialrecht und Steuerrecht – zwei ungleiche Schwestern? Von der Parallelität von Steuer- und Beitragspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 823 Peter Haas § 70 AO – Zum Anwendungsbereich der Haftung des Vertretenen . . . . . . . . 841 Hans Kudlich Steuer- und Sozialabgabenstrafrecht – zur Frage der einheitlichen prozessualen Tat bei § 370 AO und § 266a StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 859 Heinz Vallender Steuerforderungen und Restschuldbefreiung – Fiskusprivileg oder fresh start? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 873

VIII. Varia Joachim H. Borggräfe / Mona-Larissa Staud Der kausal-finale Arbeitslohn im Steuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 889 Oliver Mensching Einzug der wirtschaftlichen Betrachtungsweise in das Grunderwerbsteuergesetz? – eine Analyse vor dem Hintergrund des § 1 Abs. 3a GrEStG . . . . . . 915 Andreas Schaflitzl / Katrin Laschewski Von der konzernsteuerrechtlichen Beratungspraxis bis hin zur Versicherungsteuer – Beispiele aus der fachlichen Zusammenarbeit mit Georg Crezelius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 927 Matthias Schüppen Die steuerliche Bewertung von Kunst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 943 Schriftenverzeichnis Georg Crezelius . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 959 Stichwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 979

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Verzeichnis der Autoren Prof. Dr. Holger Altmeppen Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Universität Passau Prof. Dr. Wolfgang Baumann Notar, Schumpeter School of Business and Economics, Bergische Universität, Wuppertal Dr. Jochen Berninghaus Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Spieker & Jaeger, Dortmund Dr. Elmar Bindl Steuerberater, Linklaters LLP, München Prof. Dr. Jens Blumenberg Steuerberater, Linklaters LLP, Frankfurt am Main Dr. Joachim H. Borggräfe Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Castle Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Frankfurt am Main Dr. Jürgen Brand Rechtsanwalt, Präsident des Landessozialgerichts Nordrhein-Westfalen a.D., Richter des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen a.D., Hagen Hermann Brandenberg Leitender Ministerialrat a.D., Rechtsanwalt, Steuerberater, Düsseldorf Dr. Jürgen Christ Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Notar, Kapp Ebeling & Partner mbB, Hannover Prof. Dr. Klaus-Dieter Drüen Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Deutsches, Europäisches und Internationales Steuerrecht und Öffentliches Recht, Ludwig-Maximilians-Universität München, Richter am Finanzgericht Düsseldorf Dr. Michaela Engel Steuerberaterin, Fachberaterin für Internationales Steuerrecht, Noerr LLP, München Dr. Sebastian Engler Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Steuerberater, Leisner Steckel Engler, München

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Verzeichnis der Autoren

Dr. Gülsen Erkis Regierungsdirektorin, Ministerium der Finanzen des Landes Nordrhein-West­ falen, Düsseldorf Dr. Ullrich Fechner Rechtsanwalt, Profunda Verwaltungs-GmbH, Ingelheim Prof. Dr. Michael Fischer Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Steuerrecht, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Dr. Reinhard Geck Rechtsanwalt, Steuerberater, Notar a.D., Kapp Ebeling & Partner mbB, Hannover Prof. Dr. Dietmar Gosch Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof a.D., Rechtsanwalt, Steuerberater, Hamburg Prof. Dr. Wilhelm Haarmann Rechtsanwalt, Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Linklaters LLP, Frankfurt am Main Dr. Peter Haas Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Bochum Raymond Halaczinsky Ministerialrat a.D., Rechtsanwalt, Bonn Prof. Dr. Heribert Heckschen Notar, Honorarprofessor an der Technischen Universität Dresden, Heckschen & van de Loo – Notare, Dresden Günther Jordan Vereidigter Buchprüfer, Steuerberater, Backnang Dr. Marc Jülicher Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Flick Gocke Schaumburg Partnerschaft mbB, Düsseldorf Dr. Christoph Karczewski Richter am Bundesgerichtshof, Karlsruhe Prof. Dr. H. Michael Korth Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Gensch Korth & Coll. GmbH, Hannover Prof. Dr. Hans Kudlich Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Strafrecht, Strafprozessrecht und Rechtsphilosophie, Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg Dr. Ingo van Lishaut Leitender Ministerialrat, Ministerium der Finanzen des Landes Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf XVI

Verzeichnis der Autoren

Dr. Sebastian Löcherbach, LL.M. Rechtsanwalt, Pöllath + Partners Rechtsanwälte und Steuerberater mbB, München Dr. Oliver Mensching Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, Jebens Mensching LLP, Hamburg Prof. Dr. Karlheinz Muscheler Universitätsprofessor, Lehrstuhl für Deutsche Rechtsgeschichte, Bürgerliches Recht und Handelsrecht, Ruhr-Universität Bochum Prof. Dr. Detlev J. Piltz Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Flick Gocke Schaumburg Partnerschaft mbB, Bonn Prof. Dr. Hans-Joachim Priester Honorarprofessor, Notar a.D., Hamburg Prof. Dr. Ulrich Prinz Dipl.-Kfm., Steuerberater, Wirtschaftsprüfer, WTS Steuerberatungsgesellschaft mbH, Köln Dr. Steffen Rapp Dipl.-Kfm., Steuerberater, Aderhold Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, München Prof. Dr. Peter Rawert, LL.M. (Exeter) Notar, Notariat Ballindamm, Hamburg Prof. Dr. Wolfgang Reimann Notar a.D., Regensburg Prof. Dr. Wolfram Reiß Universitätsprofessor em., Nürnberg Andreas Schaflitzl Dipl.-Kfm., Steuerberater, Linklaters LLP, München Dr. Harald Schießl Richter am Bundesfinanzhof, München PD Dr. Christoph Schreiber Akademischer Rat, Lehrstuhl für Steuerrecht, Friedrich-Alexander-Universität ­Erlangen-Nürnberg Prof. Dr. Matthias Schüppen Dipl.-Ökonom, Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer, Steuerberater, Graf Kanitz Schüppen & Partner, Stuttgart Prof. Dr. Andreas Söffing Dipl.-Kfm., Steuerberater, Flick Gocke Schaumburg Partnerschaft mbB, Frankfurt am Main

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Verzeichnis der Autoren

Dr. Matthias Söffing Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, S & P Söffing Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Düsseldorf Dr. Sebastian Spiegelberger Notar a.D., SWA Christl & Kollegen Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Rosenheim Dr. Martin Strahl Dipl.-Kfm., Steuerberater, c·k·s·s Carlé Korn Stahl Strahl Partnerschaft mbB, Köln Dr. Rainer Stadler Rechtsanwalt, Fachanwalt für Steuerrecht, Linklaters LLP, München Mona-Larissa Staud Rechtsanwältin, Steuerberaterin, Castle Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH, Frankfurt am Main Werner Thumbs Dipl.-Kfm., Steuerberater, Profunda Verwaltungs-GmbH, Ingelheim Dr. Thomas Töben Steuerberater, Schnittker Möllmann Partners Rechtsanwälte Steuerberater PartG mbB, Berlin Prof. Dr. Heinz Vallender Weiterer aufsichtführender Richter am Amtsgericht a.D., Rechtsanwalt, Erftstadt Hermann-Ulrich Viskorf Vizepräsident des Bundesfinanzhofs a.D., Bad Aibling Dr. Stephan Viskorf Rechtsanwalt, Steuerberater, Pöllath + Partners Rechtsanwälte und Steuerberater mbB, München Dr. Eckhard Wälzholz Notar, Kanzlei Dr. Malzer & Dr. Wälzholz, Füssen Prof. Dr. Dr. h.c. Franz Wassermeyer Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof a.D., Rechtsanwalt, Steuerberater, Flick Gocke Schaumburg Partnerschaft mbB, Bonn Dr. Thomas Wachter Notar, München Dr. Christoph Wäger Richter am Bundesfinanzhof, München Michael Wendt Vorsitzender Richter am Bundesfinanzhof, München Prof. Dr. Dres. h.c. Harm Peter Westermann Universitätsprofessor em., Tübingen XVIII

Wolfgang Baumann

Das „kausale“ Schuldanerkenntnis – Eine gesetzeswidrige Rechtsfigur – Inhaltsübersicht I. Einleitung II. Grundlagen III. Kritik prominenter Wissenschaftler am deklaratorischen (kausalen) Schuldanerkenntnis IV. Versuche des Schrifttums, „deklara­ torische“ oder „kausale“ Schuld­ anerkenntnisse dogmatisch zu rechtfertigen V. Rechtsmethodische Fragen VI. Die gesetzliche Regelung des Schuld­ anerkenntnisses

VII. Die historische Entwicklung zur gesetzlichen Regelung des § 781 BGB VIII. Abstraktion, rechtlicher Grund und Zweckverfolgung IX. Abstraktion als Ausschluss der causa beim Schuldanerkenntnis X. Das Schuldanerkenntnis als Hilfs­ geschäft XI. Drei Grundtypen vertraglicher Schuld­ anerkenntnisse XII. Ergebnisse XIII. Rückblick mit Ausblick

I. Einleitung Im Jahre 1977 veröffentlichte Georg Crezelius – damals wissenschaftlicher Assistent an der Universität Bielefeld – einen Aufsatz1, dessen Abweichung vom mainstream der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der diese bis heute kaum noch hinterfragenden Kommentar- und Lehrbuchliteratur jedem jungen Wissenschaftler in anderen Forschungsdisziplinen sofort höchste Bekanntheit in der scientific community hätte zuteil werden lassen. Gegen die herrschende Doktrin fast aller2 Rechtsgelehrten und gegen eine Jahrzehnte alte Judikatur des Reichsgerichts3 und des Bundesgerichtshofs4 wies Crezelius – die Rechtsfolgen sorgfältig vergleichend und logisch widerspruchsfrei  – dogmatisch nach, dass die Rechtsinstitute des (gesetzlichen) konstitutiven bzw. abstrakten Schuld­ anerkenntnisses und des praeter legem entwickelten, deklaratorischen Schuldanerkenntnisses mit konstitutiver Wirkung (auch „kausal“ genannt) keine von den Parteien gewollten unterschiedlichen Rechtsfolgen herbeiführen können5. 1 Crezelius, Konstitutives und deklaratorisches Schuldanerkenntnis, DB 1977, 1541 ff. 2 Zu vereinzelten kritischen Gegenstimmen gegen das deklaratorische oder kausale Schuld­ anerkenntnis unten III. 3 Seit RG v. 1.5.1916 – 75/16 VI, JW 1916, 960. 4 Seit BGH v. 19.2.1951 – IV ZR 39/50, BGHZ 1, 181 ff. 5 So jetzt auch Leitmeier, Das kausale Schuldanerkenntnis  – eine verzichtbare Rechtsfigur, NZBau 2013, 681, der dort richtiges ausführt. So bereits – von Leitmeier (in Fn. 26) aber

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Wolfgang Baumann

Der nachfolgende Beitrag soll einen Impuls setzen, den von Georg Crezelius verfassten und von der Judikatur und dem Schrifttum bisher zu Unrecht nahezu unbeachtet6 gelassenen Aufsatz, in den Fokus der juristisch-dogmatischen Diskussion zum Schuld­ anerkenntnis zu rücken.

II. Grundlagen Das Schuldanerkenntnis ist als Vertragstypus7 in § 781 BGB geregelt. § 781 BGB verlangt als Wirksamkeitsvoraussetzung dieses einseitig verpflichtenden Vertrages die Schriftform. Schutz und Warnfunktion durch die Schriftform8 entspricht der Systematik des BGB, weil das Gesetz bei allen einseitig verpflichtenden Schuldverträgen die Schriftform zum Schutz des Schuldners9 verlangt (Leibrentenversprechen gem. falsch zitiert – Baumann, Das Schuldanerkenntnis, 1992; vgl. dort nur im Vorwort: „Alle vertraglichen Schuldanerkenntnisse lassen sich unter § 781 BGB subsumieren. Daneben besteht kein Raum für außergesetzliche Rechtsfiguren wie ‘deklaratorische Schuldanerkenntnisse‘ oder ‘kausale Feststellungsverträge‘“; Holzhauer, Die eigenhändige Unterschrift, 1973, 230, „unzulässiger Versuch, durch eine irrige Konstruktion das Formerfordernis des § 781 BGB zu umgehen“. 6 Habersack in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2017, § 781 BGB Rz. 3 bezeichnet die Rechtsansicht von Crezelius immerhin als kritische Stimme zum kausalen Schuldanerkenntnis. 7 Nicht in die Betrachtung sollen einseitige, nicht vertragliche Anerkenntnisse als Wissenserklärungen ohne rechtsgeschäftlichen Charakter einbezogen werden. Dazu Baumann (Fn. 5), 67 ff. 8 Vgl. nur Westermann, Gutachten und Vorschläge zur Überarbeitung des Schuldrechts, Bd. 3, 87 ff., der für eine Neugestaltung des Schuldrechts neben erleichterten Widerrufs- und Kündigungsrechten sowie einer erweiterten Festlegung und Kontrolle von Vertragsinhalten auch für eine Ausdehnung bestehender Schriftformerfordernisse plädiert und dabei den Verbraucherschutz ebenfalls durch die Wahrung der einfachen Schriftform als erhöht ansieht. 9 Der Gesetzgeber (BT-Drucks. 14/4987, 22) hat der Schriftform in §§ 780, 781 BGB Schuldnerschutzfunktion beigelegt und sogar die Warnfunktion der elektronischen Form bejaht (BTDrucks. 14/4987/17). Zum Schuldnerschutz und zur Warnfunktion der Schriftform bei §§ 780, 781 BGB Hertel in Staudinger, 2017, § 126 BGB Rz. 54 m.w.N.; Medicus (Fn. 165), Rz. 559; Stadler in Jauernig, 16. Aufl. 2015, § 780, § 781 BGB Rz. 8 m.w.N.; kritisch zur Umgehung des Schriftformerfordernisses durch kausale Schuldanerkenntnisse auch Diederichsen, Anm. zu BAG AP Nr. 1 zu § 781 BGB am Ende; Larenz, Schuldrecht BT, 12. Aufl. 1981, § 65 II, 489; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht, 1971, 351 f.; Karsten Schmidt, JuS 1980, 529; Esser/Weyers, Schuldrecht BT, 6. Aufl. 1983, § 41 III 2 b); Emmerich, Schuldrecht BT, 4. Aufl. 1985, § 15 I 4; Medicus/Lorenz, SchuldR II, 17. Aufl. 2014, Rz. 1048: „bewirkt … einen gewissen Übereilungsschutz“; Greiner, Schuldrecht BT, 2011, 233 „Warnfunktion“; für „Übereilungsschutz“ Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, 13. Aufl. 1993, §  61 I 1 b; Jauernig/ Stadler, 16. Aufl. 2015, §§ 780, 781 BGB Rz. 8; Staudinger in Hk-BGB, 9. Aufl. 2016, § 781 BGB Rz. 3; Wilhelmi in Erman, 14. Aufl. 2014, § 780 BGB Rz. 5, § 781 BGB Rz. 7; Baumann, ZBB 1993, 174; Dehn, WM 1993, 2115; Fischer, JuS 1998, 205. Die Schuldnerschutzfunktion ablehnend und die Gegenmeinungen sehr unvollständig zitierend Marburger in Staudinger, 2015, § 780 BGB Rz. 7, vermutlich weil eine Schuldnerschutzfunktion der in § 781 BGB für das vertragliche Schuldanerkenntnis gesetzlich vorgeschriebenen Schriftform Zweifel an der Berechtigung der von Marburger geforderten Formfreiheit des von ihm dogmatisch maßgebend geprägten formfrei gültigen „kausalen“ Schuldanerkenntnisses wecken würde.

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§§ 759, 761 BGB, Bürgschaft gem. §§ 765, 766 BGB, Schuldversprechen gem. § 780 BGB10). Die elektronische Form reicht beim Schuldanerkenntnis zur Erfüllung der Warnfunktion nicht aus (vgl. für §§ 780, 781 BGB jeweils Satz 2), obwohl der Gesetzgeber auch der elektronischen Form grds. eine Warnfunktion zuschreibt11. Der Gesetzgeber hat gem. § 350 HGB nur bei im Rechtsverkehr erfahrenen Kaufleuten den Schutz durch die Schriftform und ihre Warnfunktion für entbehrlich gehalten12. Um den Schuldner vor der Inanspruchnahme aus unbegründet oder unrichtig abgegebenen Schuldanerkenntnissen zu schützen, definiert § 812 Abs. 2 BGB das Schuld­ anerkenntnis als Leistung. Deshalb ist der Gläubiger eines ohne rechtlichen Grund erlangten Schuldanerkenntnisses nach § 812 Abs. 1 BGB im Wege der Leistungskondiktion zur Rückgabe verpflichtet bzw. steht seinem Anspruch die peremptorische Einrede des § 821 BGB entgegen. Aus dem Regelungsinhalt des § 812 Abs. 2 BGB wird gefolgert, dass § 781 BGB ein „abstraktes“ Schuldanerkenntnis regele, hingegen nicht das sog. kausale oder (nach älterer, aber immer noch geltender13 Terminologie) das deklaratorische Schuldanerkenntnis14. „Deklaratorische“ oder „kausale“ Schuldanerkenntnisse sind von der Judikatur und dem Schrifttum praeter legem entwickelt worden, sollen aber mit ihren „bestätigenden“, wie mit ihren „feststellenden“ Wirkungen dieselben Rechtsfolgen herbeiführen können, wie das in § 781 BGB geregelte, vertragliche Schuldanerkenntnis. Das Gesetz schränkt die Zwecke des Schuldanerkenntnisses gem. § 781 BGB nicht ein, so dass dieses – ebenso wie ein kausales – auch zur Streitbeilegung oder zur Beseitigung von Rechtsunsicherheiten vereinbart werden kann (sog. Feststellungszweck)15. Das „deklaratorische“ oder „kausale“ Schuldanerkenntnis soll nach ständiger Rechtsprechung und h.M. im wissenschaftlichen Schrifttum nicht der Schriftform bedürfen, weil es im Gesetz nicht geregelt sei, deshalb der Privatautonomie bzw. Vertragsfrei10 Dazu Baumann (Fn. 5), 273 ff. 11 BT-Drucks. 14/4987/17. 12 Dazu Karsten Schmidt in MünchKomm/HGB, 3. Aufl. 2013, § 350 HGB Rz. 1; Häublein/ Hoffmann-Theinert/Lehmann-Richter, 2017, § 350 HGB Rz. 1; Horn in Heymann/Horn, 2. Aufl. 2005, § 350 HGB Rz. 3; Klappstein in Heidel/Schall, 2. Aufl. 2015, § 350 HGB Rz. 1; Pamp in Oetker, 4. Aufl. 2015, §  350 HGB Rz.  1; Hakenberg in Ebenroth/Boujong/Joost/ Strohn, 3. Aufl. 2015, § 350 HGB Rz. 1; Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 1 Rz. 17. 13 Z.B. Sprau in Palandt, 76. Aufl. 2017, § 781 BGB Rz. 3 f. 14 Dazu Habersack in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2017, § 781 BGB Rz. 1. 15 So richtig die Judikatur vgl. z.B. RG 29.9.1924 – I 609/24, RGZ 108, 410, 412 f.; BGH v. 4.5.1961 – VII ZR 43/60, DB 1961, 1021; v. 13.3.1974 – VII ZR 65/72, WM 1974, 411; v. 25.5.1973 – V ZR 13/71, NJW 1973, 2019; v. 5.12.1979 – IV ZR 107/78, NJW 1980, 1158; v. 27.10.1966 –VII ZR 65/64, WM 1966, 1280 ff. (1281) Rz. 30; v. 18.9.1970 – IV ZR 1199/68, WM 1970, 1457 ff. (1459); v. 13.2.1974 – VIII ZR 147/72, WM 1974, 279 ff. (280); v. 29.9.1975 – III ZR 30/73, WM 1975, 1233 (1234); v. 10.5.1976 – III ZR 157/74, WM 1976, 907 ff. LS 5; v. 18.5.2000 – IX ZR 43/99, NJW 2000, 2501 f.; vgl. auch LG Lüneburg v. 16.5.2007 – 6 S 2/07, NJW 2007, 3580, wo der gewollte Einwendungsausschluss sogar zur Voraussetzung des abstrakten Schuldanerkenntnisses erhoben wird und das Schrifttum z.B. Marburger in Staudinger schon in der 12. Aufl., § 781 BGB Rz. 17; ders., 2015, § 781 Rz. 17; Wilckens, AcP 163 (1963), 137 (148 ff.); Welter in Soergel, 13. Aufl. 2012, vor §§ 780 ff. BGB Rz. 10.

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heit16 unterliege und daher die in § 781 BGB vorgeschriebene Schriftform für dieses vertragliche Schuldanerkenntnis nicht gelte. Die Vertragsfreiheit hat der Gesetzgeber im Schuldrecht jedoch nicht deswegen gewährt, damit Formvorschriften umgangen werden können durch Bildung außergesetzlicher Vertragstypen, zwar mit anderem Namen (kausal statt abstrakt), aber mit identischem Regelungsinhalt.

III. Kritik prominenter Wissenschaftler am deklaratorischen (kausalen) Schuldanerkenntnis Das außergesetzlich neben § 781 BGB tretende vertragliche (kausale oder deklaratorische) Schuldanerkenntnis wurde bereits vor Crezelius von prominenten deutschen Privatrechtsdogmatikern scharf kritisiert, allerdings ohne dessen dogmatische Vertiefung. Gegen die Formlosigkeit des vertraglich bindenden, deklaratorischen Schuldanerkenntnisses mit konstitutiver Wirkung außerhalb der gesetzlichen Regelung des § 781 BGB hatte sich sehr früh Larenz in seinen Schuldrechtslehrbüchern ausgesprochen. Da eine Rückforderung nach Bereicherungsrecht nicht in Betracht komme, sei ein solches Anerkenntnis für den Schuldner noch gefährlicher als ein „abstraktes“. Da laut Larenz in allen Fällen eines sogenannten deklaratorischen Schuldanerkenntnisses ein ebenso großes Interesse an der Beweissicherheit17 bestehe, wie beim in § 781 BGB normierten, bedürfe das deklaratorische Schuldanerkenntnis der Schriftform. Diederichsen18 bezog ebenfalls gegen die Formlosigkeit des „deklaratorischen Schuld­ anerkenntnisses mit konstitutiver Wirkung“ Stellung. Nach seiner Auffassung diene dieses Rechtskonstrukt nur der unzulässigen Umgehung des Formerfordernisses. Ebenfalls hatte sich Canaris gegen die Rechtsprechung zum deklaratorischen Schuld­ anerkenntnis mit dem Hinweis gewandt, dass in den von der Rechtsprechung entschiedenen Fällen typischerweise keine rein deklaratorische Erklärung vorliege, sondern ein echtes Rechtsgeschäft, das ohne jeden Zweifel konstitutiven Charakter habe19. Dann aber müsse man sich der Formproblematik des § 781 BGB stellen20. Medicus hatte es für dogmatisch erwägenswert gehalten, das Schriftformerfordernis von § 780 f. BGB auf das deklaratorische Anerkenntnis auszudehnen21. Schließlich hatte sich Karsten Schmidt zum deklaratorischen Schuldanerkenntnis kritisch geäußert. Karsten Schmidt wies die Rechtspraxis darauf hin, dass es einem Anerkennenden wenig nütze, wenn ihm das Gericht zwar die Nichtigkeit seines mündlich 16 Habersack in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2017, § 781 BGB Rz. 3. 17 Larenz, SchuldR BT, 12. Aufl. 1981, § 65 II, 489. 18 Anm. zu BAG AP Nr. 1 zu § 781 BGB am Ende. 19 Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht (1971), 351. 20 Canaris (Fn. 19), 352. 21 Medicus, Bürgerliches Recht, 14. Aufl. 1989, 466 Rz. 775 (und Voraufl.).

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erteilten konstitutiven Anerkenntnisses bescheinige, ihn aber aus genau demselben Anerkenntnis als deklaratorischem verurteile22. Den „geringen Unterschied in den Rechtsfolgen“ zwischen den „gesetzlichen“ und „außergesetzlichen“ Schuldanerkenntnisverträgen hatte vor Crezelius auch Weyers23 – allerdings ohne vertiefende Begründung – kritisch gewürdigt. Der hohe dogmatische Aufwand zur Unterscheidung zwischen deklaratorischen und konstitutiven Anerkenntnissen diene nach Meinung von Weyers vor allem dazu, die Formvorschrift der §§  780  f. BGB zu umgehen. Da der Normzweck des Formerfordernisses des §  781 BGB sich auch auf die „deklaratorischen“ Anerkenntnisse erstrecke, sei dies bedenklich. Nicht „eine einschränkende, sondern eine ausdehnende Auslegung der Formvorschriften der §§ 780 f. sei zu fordern“. Auch Emmerich hatte für alle vertraglichen Schuldanerkenntnisse die Einhaltung der Schriftform gefordert24 und kritisiert, „dass die Grenzen zwischen den beiden Anerkennungsformen bis zur Unkenntlichkeit verschwimmen“. Rechtsdogmatische Untersuchungen der rechtlichen Bedeutung von Formerfordernissen haben nicht nur übereinstimmend die Schutzfunktion der Schriftform des § 781 BGB betont25, sondern durch Holzhauer26 am deutlichsten darauf hingewiesen, dass „deklaratorische Schuldanerkenntnisse“ oder „kausale Feststellungsverträge ein unzulässiger Versuch sind, durch eine irrige Konstruktion das Formerfordernis des § 781 BGB zu umgehen“. Wegen der Nichtkondizierbarkeit und damit der stärkeren Wirkungen und höheren Gefährlichkeit fordert Eric Ehmann für kausale Schuldanerkenntnisse sogar die notarielle Beurkundungsform27. Zu den prominentesten kritischen Literaturmeinungen darf Harm-Peter Westermann gezählt werden. Westermann hat im Rahmen seiner Bereicherungsrechts-Kommentierung die Vorschrift des § 812 Abs. 2 BGB gleichfalls auf die sogenannten deklaratorischen Anerkenntnisse für anwendbar gehalten28. Wenn „deklaratorische“ oder „sog. kausale“ Schuldanerkenntnisse beim fehlenden Rechtsgrund oder Zweckverfehlung wie das in §  781 BGB gesetzlich geregelte Schuldanerkenntnis kondizierbar sind, dann wird der dogmatische Unterschied zwischen abstrakten und kausalen Schuld­ 22 Karsten Schmidt, JuS 1980, 529. 23 Esser/Weyers, SchuldR BT, 6. Aufl. 1983, § 41 III 2 b. 24 Emmerich, SchuldR BT, 4. Aufl. 1985, § 15 I 4., 145. 25 Bockemühl, Formbedürftige Willenserklärungen und Bezugnahmemöglichkeiten, 1969, 69; Bernard, Formbedürftige Rechtsgeschäfte, 1979, 41  f.; Reinhard, Das Verhältnis von Formnichtigkeit und Heilung des Formmangels im bürgerlichen Recht, 1969, 147 f. 26 Holzhauer (Fn. 5), 230. 27 E. Ehmann, Schuldanerkenntnis und Vergleich, 2005, 221 f.; krit. zu Ehmann, insbes. zu seinem Abstraktionsverständnis, Baumann in Festschr. Spiegelberger, 2009, 1176 ff. (1189). 28 Westermann in Erman, 8. Aufl. 1989, § 812 BGB Rz. 58 und auch Rz. 61, wo Westermann ausführt, dass das „feststellende“ Anerkenntnis wegen Irrtums über eine Pflicht zum Anerkennen kondiziert werden kann; ähnlich schon Westermann, Die causa im französischen und deutschen Zivilrecht (1967), 205. Jetzt Westermann in Erman, 14. Aufl. 2014, § 812 BGB Rz. 58.

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anerkenntnissen vollends aufgehoben. Die aufwändige Abgrenzung mit bis heute unklaren Abgrenzungskriterien (Abstraktionswille, äußere Fassung als Indiz, die jeweils durch Auslegung zu ermitteln seien) entfällt. Alle vertraglichen Schuldanerkenntnisse würden in der Rückabwicklungsdogmatik gleich behandelt und wären in gewisser Weise abstrakt, aber zugleich auch in gewisser Weise kausal, nämlich soweit sie nicht kondizierbar wären. Auch Fikentscher hielt das deklaratorische Schuldanerkenntnis wie Westermann für kondizierbar29. Mit der Kondizierbarkeit des „kausalen“ oder „deklaratorischen“ Schuldanerkenntnisses wäre die Abgrenzung abstrakt – kausal für die bereicherungsrechtliche Rückabwicklung beim Schuldanerkenntnis entbehrlich. In früheren Auflagen hatte auch Larenz noch vorgeschlagen, dem Schuldner eines deklaratorischen Schuldanerkenntnisses die Einrede der ungerechtfertigten Bereicherung zu gewähren, falls ein solches im Widerspruch zur wahren Rechtslage stünde30. Später schloss Larenz sich Marburgers Lehre vom kausalen Feststellungsvertrag an31, vermutlich weil Marburger seiner eigenen Deutung des Vergleichs als „kausalem Feststellungsvertrag“ gefolgt war32. Der sog. „Feststellungsvertrag“ war mit den von Marburger beschriebenen Rechtsfolgen33 eine dogmatische Rechtsfigur aus dem Gemeinen Recht zur Lösung der Anerkenntnisproblematik, die nach jahrzehntelangem Streit durch §  781 BGB einer gesetzlichen Lösung durch Bildung eines typisierten Schuldvertrages zugeführt wurde34. „Einen Feststellungsvertrag“ mit über das Schuld­ recht hinausgehenden Wirkungen lässt unsere Rechtsordnung nicht zu35. Noch heute vertritt Marburger entsprechend der schon im 19. Jahrhundert aufgegebenen „constitutum-Lehre“ die Auffassung, das (kausale) vertragliche Schuldanerkenntnis folge den Regeln der anerkannten Forderung, also das Anerkenntnis einer Darlehnsschuld

29 Fikentscher, 7. Aufl. 1985, § 94 Ziff. 6 letzter Satz, 638. 30 Ebenso Larenz, Schuldrecht II, 11. Aufl. 1970, § 59 II, 336. Ab der 12. Aufl. hat sich Larenz der Konstruktion Marburgers (Schuldanerkenntnis, 16 ff.) vom „einseitigen Feststellungsvertrag“ angeschlossen; Larenz hielt den Vergleich – entgegen der h.M. – schon immer für einen gegenseitigen Feststellungsvertrag. Trotzdem ist Larenz beim Schriftformerfordernis des deklaratorischen Schuldanerkenntnisses geblieben. 31 Larenz, Schuldrecht BT (12. Aufl.), 488 Fn. 2. 32 Gegen diese Lehre vom „Feststellungsvertrag“ ausführlich Baumann in Festschr. Rheinisches Notariat, 1998, Feststellungsverträge, 59 ff.; ders. (Fn. 5), 154 ff. 33 Dazu Baumann (Fn. 5), 90 ff. 34 Dazu Baumann (Fn. 5), 113 ff. 35 A.A. BGH v. 9.7.1986 – VIII ZR 232/85, BGHZ 98, 160 (166); v. 9.7.1986 – VIII ZR 232/85, MDR 1986, 926 Rz. 18 = JZ 1987, 355 m. Anm. Henckel; Ritzmann, Über den Feststellungsvertrag, 1992; dagegen Baumann (Fn. 32); ders. zu Feststellungsverträgen im Erbrecht: Der erbrechtliche Auslegungsvertrag – Feststellungsvertrag, Vergleich, § 779 BGB oder Schuldvertrag sui generis? ErbR 2010, 100; ders., Abschied vom erbrechtlichen Auslegungs- und Feststellungsvertrag, RNotZ 2011, 33. Im Erbrecht ist inzwischen dogmatisch allgemein anerkannt, dass ein sog. Feststellungsvertrag nur schuldrechtliche Wirkungen entfalten, nicht aber mit dinglicher Wirkung die gesetzliche oder vom Erblasser bestimmte Erbfolge verändern kann. Hierzu bedarf es der Erbteilsübertragungen.

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folge den Regeln des Darlehnsvertrages36. Das würde bedeuten, dass ein kausales Anerkenntnis einer Deliktsschuld den Regeln des Deliktrechts zu folgen hätte, was offenkundig allen Grundregeln der Rechtsgeschäftslehre widerspricht, da es sich bei einem vertraglichen Schuldanerkenntnis immer um ein „Vertragsverhältnis“ handelt, das nicht den Regeln gesetzlicher Schuldverhältnisse, z.B. eines Deliktsverhältnisses folgen kann. „Feststellungsverträge“ mit Wirkungen, die außerhalb schuldrechtlicher Parteivereinbarungen Drittwirkungen im Sachen-, Familien- oder Erbrecht37, entfalten, haben in unserer Rechtsordnung keinen Platz, schon weil sie den Typenzwang außerhalb unseres Schuldrechts durchbrechen würden. Vergleich38 gem. § 779 BGB und Schuldanerkenntnis gem. §  781 BGB sind schuldrechtliche Verpflichtungsver­ träge, keine die Systematik unseres Schuldrechts durchbrechenden Verträge („Feststellungsverträge“)39. Der von Marburger40 aus dem Gemeinen Recht abgeleitete Feststellungsvertrag ist unserer Rechtsordnung systemfremd. Im Übrigen grenzt die auf Marburger zurückzuführende Lehre nicht zwischen Anerkenntnis und Änderung einer Schuld ab. Folgt man der zitierten Meinung Westermanns41, die auch von Fikentscher und Larenz vertreten wurde, würde sich die dogmatische Abgrenzungsproblematik auf das ­Formerfordernis reduzieren, da gesetzliche und (praeter legem entwickelte) außergesetzliche Schuldanerkenntnisse dieselben Rechtsfolgen herbeiführen können und denselben Rückabwicklungsmodalitäten unterliegen. Angesichts des – von der Rechtsprechung42 und dem Schrifttum43 zugestandenen – Gleichlaufs von gesetzlichen und außergesetzlichen vertraglichen Schuldanerkenntnissen wäre die Formlosigkeit des kausalen Schuldanerkenntnisses nicht mehr zu rechtfertigen; weitergehend würde sich sogar die Frage stellen, ob nicht beide „Vertragstypen“, nämlich das gesetzlich geregelte, sogenannte „abstrakte“ und das sogenannte „kausale“ Schuldanerkenntnis in gleicher Weise „abstrakt“ sind bezogen auf ihre potenzielle Rückabwicklung nach Bereicherungsrecht. 36 Marburger in Staudinger, 2015, § 781 BGB Rz. 14. 37 Baumann (Fn. 32); ders., ErbR 2010, 100; ders., RNotZ 2011, 33. 38 Bork, Der Vergleich, 1988, 1, 164 ff. und passim, insbes. § 7. 39 Baumann, Feststellungsverträge (Fn. 32), 59 ff.; ders. (Fn. 5), 154 ff. 40 Marburger, Das kausale Schuldanerkenntnis als einseitiger Feststellungsvertrag, 1971. 41 Ebenso jetzt Mazza, Kausale Schuldverträge: Rechtsgrund und Kondizierbarkeit, 2002, 200 ff., 230. 42 RG v. 29.9.1924 – I 609/24, RGZ 108, 410, 412 f.; BGH v. 4.5.1961 – VII ZR 43/60, BB 1961, 803; v. 1.6.1966 – VII ZR 65/64, WM 1966, 1280 ff. (1281) Rz. 30; v. 18.9.1970 – IV ZR 1199/68, WM 1970, 1457 ff. (1459); WM 1974, 279 ff. (280); v. 13.3.1974 – VII ZR 65/72, WM 1974, 411; v. 25.5.1973 – V ZR 13/71, NJW 1973, 2019; v. 29.9.1975 – III ZR 30/73, WM 1975, 1233, 1234 Rz.  19; v. 10.5.1976  – III ZR 157/74, WM 1976, 907  ff. LS 5; v. 5.12.1979 – IV ZR 107/78, NJW 1980, 1158; v. 18.5.2000 – IX ZR 43/99, WM 2000, 2501 f.; vgl. auch LG Lüneburg v. 16.5.2007 – 6 S 2/07, NJW 2007, 3580, wo der gewollte Einwendungsausschluss sogar zur Voraussetzung des abstrakten Schuldanerkenntnisses erhoben wird. 43 Coester, JA 1982, 579, 581; Marburger in Staudinger, 2015, § 781 BGB Rz. 17 „freilich nur selten vorkommt“; § 780 BGB Rz. 15. Es kommt deshalb „nur selten“ vor, weil die Rechtsprechung § 781 BGB unzulässig umgeht.

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Oder um es mit den Worten Karsten Schmidts auf einen anderen Punkt zu bringen: Es nützt keinem Schuldner, wenn sein Schuldanerkenntnis vor Gericht nach § 781 BGB für formnichtig befunden wird, er danach aber von demselben Richter aus einem zwar formnichtigen „konstitutiven“ bzw. „abstrakten“, aber mündlich wirksamen „deklaratorischen“ oder als „kausal“ bezeichneten Schuldanerkenntnis verurteilt wird, das zudem noch dauerhaften Bestand hat, weil es angeblich kondiktionsfest sein soll.

IV. Versuche des Schrifttums, „deklaratorische“ oder „kausale“ ­Schuldanerkenntnisse dogmatisch zu rechtfertigen Dogmatische Erklärungen des Schrifttums, die von der Rechtsprechung praeter legem entwickelten Schuldanerkenntnisverträge zu rechtfertigen, berücksichtigen nicht, dass der Gesetzgeber mit den §§ 780, 781 BGB eine Entscheidung zur Beilegung eines jahrzehnte­langen dogmatischen Theorienstreits im 19.  Jahrhundert getroffen hatte44. Bis heute sind alle Versuche, außergesetzliche vertragliche Schuldanerkenntnisse von § 781 BGB abzugrenzen, dogmatisch inkonsistent und widersprüchlich geblieben und führen in Gerichts­entscheidungen zu unnötigem Abgrenzungsaufwand. Zur Entwicklung ­außervertraglicher Schuldanerkenntnisse hat die contra legem mit der Vertragsfreiheit begründete Befreiung vom Formerfordernis des „deklaratorischen“ oder „kausalen“ Schuldanerkenntnisses geführt. Reinicke hatte, um die Formlosigkeit der außergesetzlichen, vertraglichen Schuld­ anerkenntnisse zu begründen, diese dogmatisch als Einwendungsverzichte erklärt. Einwendungen ergeben sich aber aus Tatsachen, die nicht durch „Rechtsverzicht“ beseitigt werden können45. Schuldbegründende deklaratorische oder kausale Schuldanerkenntnisse können nicht als formfreie „Verzichte auf Tatsachen“ uminterpretiert werden. In seiner Dissertation hatte Marburger46 zur Auflösung des Oxymorons „Deklaratorisches Schuldanerkenntnis mit konstitutiver Wirkung“47– wie ähnlich vor ihm auch Möschel48  – die Begriffe49 ausgetauscht und „deklaratorisch (mit konstitutiver Wirkung)“ durch „kausal“ ersetzt. Marburgers dogmatische Begründung war voller ­Widersprüche50. Das „neue“ Gegensatzpaar „abstrakt“ und „kausal“ schien den Rich44 Zwei deutsche Juristentage (8. u. 9. DJT) befassten sich mit der Problematik. Eine zusammenfassende Darstellung bei Baumann (Fn. 5), 133 ff. 45 Jahr, JuS 1964, 220 ff.; Baumann (Fn. 5), 82 ff.; Marburger in Staudinger, 2015, § 781 BGB Rz. 11 m.w.N. 46 Marburger, Das kausale Schuldanerkenntnis als einseitiger Feststellungsvertrag, 1971. 47 So Wilckens, Deklatorische Schuldanerkenntnisse mit konstitutiver Wirkung?; AcP 163 (1963), 137 ff. 48 Möschel, Betrieb 1970, 913 ff. 49 Kritisch zur Lehre Marburgers: Baumann (Fn. 5), S. 90 ff. und ebenda zu Möschel 88 ff. 50 Dazu Baumann (Fn. 5), 93 ff.; z.B. Sprau in Palandt, 76. Aufl. 2017, § 781 BGB Rz. 2 ff. ist dem Etikettenwechsel Marburgers nicht gefolgt und spricht unverändert von konstitutiven und deklaratorischen Schuldanerkenntnissen.

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tern am Bundesgerichtshof dennoch überzeugend, zumal es die Fortsetzung der vom Reichsgericht seit BGHZ 1, 181 ff. übernommenen Rechtsprechung zum deklaratorischen Schuldanerkenntnis mit anderer Terminologie rechtfertigte. Ohne die Dogmatik dieses Gegensatzpaares zu hinterfragen und trotz fehlender51, jedenfalls unscharfer Abgrenzungsmerkmale zwischen „abstrakten“ und „kausalen“ Schuldanerkenntnissen hielt der BGH am „deklaratorischen Schuldanerkenntnis mit konstitutiver Wirkung“ – nunmehr als kausal bezeichnet – fest. Vor Marburger hatte auch Kübler52 das deklaratorische Schuldanerkenntnis als Feststellungsvertrag bezeichnet und weitergehend die Verdrängung bzw. Überlagerung abstrakter Schuldverträge durch kraft Vertragsfreiheit wirksame Feststellungs-53 und Garantieverträge54 angenommen. Kübler hatte die §§ 780, 781, 812 Abs. 2 BGB als gegenstandslos bezeichnet. Küblers dogmatischem Befund des vollständigen Gleichlaufs „kausaler“ und „abstrakter“ Schuldanerkenntnisse ist uneingeschränkt zuzustimmen. Für zwei im Regelungsinhalt kongruente Rechtsfiguren (kausale und abstrakte Schuldanerkenntnisse) können keine unterschiedlichen Formerfordernisse gelten. Küblers radikalem Lösungsvorschlag, Gesetzesvorschriften als gegenstandslos zu betrachten, ist jedoch zu widersprechen. Die Gesetzesbindung der Normadressaten verbietet, sich über ab­strakte Schuldverträge, die in den §§ 397 Abs. 2, 518 Abs. 1 Satz 2, 656 Abs.  2, 762 Abs.  2, 780, 781, 782, 812 Abs.  2, 2301 Abs.  1 Satz 2 BGB, §  350 HGB geregelt sind, als gegenstandslos hinwegzusetzen55. Vor allem wären die Formvorschriften weiter zu beachten, wenn nicht in Einzelfällen Formbefreiungstopoi die Form­losigkeit rechtfertigen könnten56. Crezelius wies in seinem Aufsatz dogmatisch widerspruchsfrei57 nach, dass ein Schuld­ anerkenntnis – ob abstrakt oder kausal konstruiert – zu keinen von den Parteien gewollten unterschiedlichen Rechtsfolgen führt. Die Ausführungen von Crezelius belegen, dass für abstrakte und kausale Schuldanerkenntnisse nebeneinander kein Raum ist, da sie denselben Regelungsinhalt mit gleichen Rechtsfolgen haben58. Dennoch wurden seine dogmatischen Begründungen bis heute weder von der Praxis noch vom wissenschaftlichen Schrifttum hinreichend aufgearbeitet, geschweige denn widerlegt. 51 Der „Abstraktionswille“ kann kein taugliches Abgrenzungsmerkmal sein. In keinem bisher veröffentlichten Urteil ist belegt, dass der Schuldner ausdrücklich erklärt hat, er habe einen oder keinen „Abstraktionswillen“. 52 Kübler, Feststellung und Garantie, 1967. 53 Kübler (Fn. 52), 129 ff. 54 Kübler (Fn. 52), 164 ff. 55 Ablehnend daher Möschel, Betrieb 1970, 913 (918); Pawlowski, JZ 1968, 401; Crezelius, DB 1977, 1541 Fn. 3; Ebel, Berichtung, transactio und Vergleich, 1978, 110 f.; Gernhuber, Bürgerliches Recht, 9. Aufl. 2014, 29; Häuser in Soergel, 11. Aufl. 1985, vor §§ 780, 781 BGB Rz. 9; Marburger in Staudinger, 12. Aufl. 1985, Vorbem. zu §§ 780-782 BGB, Rz. 6 m.w.N.; Baumann (Fn. 5), 76 ff. 56 Baumann (Fn. 5), 243 ff., 249 ff. 57 Bis heute gibt es keine Literaturstimme, die den Aufsatz von Crezelius eingehend kritisch gewürdigt, geschweige seine Rechtsausführungen widerlegt hat. 58 Ebenso Crezelius (Fn. 1), 1541 ff. (1546); Baumann (Fn. 5), 213 ff.; ähnlich jetzt auch Leitmeier, NZBau 2013, 681.

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V. Rechtsmethodische Fragen Der bereits im 19. Jahrhundert ausgetragene und bis ins zweite Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts fortgesetzte Streit um die Abgrenzungen zwischen konstitutiven und deklaratorischen oder nach späterer Terminologie abstrakten und kausalen Schuldanerkenntnissen kann als methodischer Beleg dafür dienen, dass Wissenschaftsdiskurse – leider auch in der Rechtswissenschaft – nicht nur den Gesetzen der Logik und den Kriterien empirischer oder rational gewonnener, jeweils überprüfter Erkenntnisse folgen. Nicht erst seit Thomas Kuhns59 grundlegenden Angriffen auf die Methodik der Wissenschaft sollte sich die Jurisprudenz der Frage stellen, in welchem Umfang die sich ausdehnenden juristischen Publikationsfluten mit wellenhaften Wiederholungen einer immer stärker anwachsenden Autorenschar fehlerhaft Tradiertes mitreißen und dogmatisch sorgfältige Untersuchungen – wie den Beitrag von Crezelius – als sog. Mindermeinungen durch Nichtbeachtung überspülen. Gegen eine Demokratisierung des Rechts durch eine wachsende Autorenschar sollten keine Einwände erhoben werden. Aber können Rechtswissenschaftler angesichts der immer höheren Literaturberge und des Zeitmangels, jede Veröffentlichung inhaltlich zu prüfen und jedes einzelne Rechtsproblem vertieft zu durchdenken, noch in der Lage sein, die dogmatischen Grundfragen neu zu überdenken und zu überprüfen? Das kausale Schuldanerkenntnis kann als Paradigma für Fehlentwicklungen rechtswissenschaftlicher Methodenarbeit herhalten. Mit hohem Aufwand wird bei diesem praeter legem entwickelten Rechtsinstitut von Judikatur und Schrifttum versucht, nicht Abgrenzbares voneinander zu trennen. Die dogmatische Abgrenzung zwischen abstrakten und kausalen Schuldanerkenntnissen wird als schwierig bezeichnet60. Objektive Abgrenzungsmerkmale fehlen61. Zur Abgrenzung abgestellt wird auf den Willen des das Anerkenntnis Erklärenden. Entscheidend sei der Parteiwille, der auf Abstraktion gerichtet sei (Abstraktionswille)62. Dieser lasse sich jedoch nicht immer eindeutig ermitteln63. Die Abgrenzung zwischen „abstrakten“ und „kausalen“ Schuld­ anerkenntnissen soll durch Auslegung ermittelt werden64. Die objektive Fassung, nämlich die Benennung des anerkannten Schuldgrundes könne ein Indiz für ein kau59 Thomas Kuhn, Die Struktur wissenschaftlicher Revolutionen, 1976. 60 Brox/Walker, SchuldR BT, 41. Aufl. 2017, § 33 Rz. 23, S. 458; Looschelders, SchuldR BT, 15. Aufl. 2017, Rz. 1005. 61 So ausdrücklich Habersack in MünchKomm. BGB, 7. Aufl. 2017, § 781 BGB Rz. 4. 62 „Abstraktionswille“, z.B. Marburger in Staudinger, 2015, § 780 BGB Rz. 4, § 781 BGB Rz. 24; Greiner, SchuldR BT, 2011, 233. 63 Looschelders, SchuldR BT, 15. Aufl. 2017, Rz. 1005. 64 Vgl. nur die Abgrenzungsversuche zwischen den verschiedenen vertraglichen Schuldanerkenntnissen in den Lehrbüchern: z. B. Brox/Walker (Fn. 60), 455 ff.; Eckert, Schuldrecht BT, 2. Aufl. 2005, Rz. 1182 ff.; Emmerich, BGB-Schuldrecht BT, 14. Aufl. 2015, § 15, 200 ff.; Esser/Weyers, Schuldrecht, Bd. II BT, Teilbd. 1, 8. Aufl. 1998, § 41; Fickentscher/Heinemann, Schuldrecht, 10. Aufl. 2006, §  98, 682  ff.; Gursky, Schuldrecht BT, 5. Aufl. 2005, 175  ff.; Looschelders, Schuldrecht BT, 12. Aufl. 2017, 384 ff.; Schlechtriem, Schuldrecht BT, 6. Aufl. 2003, 270 ff.; Tonner, Schuldrecht, 4. Aufl. 2016, § 31 Rz. 7; Medicus/Lorenz, Schuldrecht II, 17. Aufl. 2014, § 124 Rz. 1049.

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sales Schuldanerkenntnis sein. Andererseits verbietet das Gesetz nicht, in einem Schuldanerkenntnis gem. § 781 BGB die anerkannte Verbindlichkeit anzugeben. Es fragt sich, worauf der Abstraktionswille gerichtet sein soll. Auf die Rückabwicklung nach Bereicherungsrecht? Einen im rechtstechnischen Sinne auf Abstraktion bei Abgabe eines Schuldanerkenntnisses ausgebildeten Parteiwillen mag es bei einem in der Zivilrechtsdogmatik ausgebildeten Professor der Rechtswissenschaften mit venia legendi im Schuldrecht geben. Die große Mehrheit der Normadressaten kennt das Abstraktionsprinzip überhaupt nicht, noch weniger bildet der Schuldner bei Abgabe seines vertraglichen Anerkenntnisses einen Abstraktionswillen aus. „Wegen der einschneidenden Wirkungen des abstrakten Schuldanerkenntnisses sei im Zweifel davon auszugehen, dass das Anerkenntnis „lediglich“ kausale Bedeutung habe65. Nur hat das abstrakte Schuldanerkenntnis – bei genauerer Betrachtung – keine einschneidenden Wirkungen. Einschneidendere Wirkungen hat das einwendungsausschließende kausale Schuldanerkenntnis66. Es fragt sich daher, ob die stärkeren Wirkungen des kausalen Schuldanerkenntnisses dessen Formfreiheit, den fehlenden Formschutz des Schuldners rechtfertigen können? An Hand der das kausale Schuldanerkenntnis befürwortenden Gerichtsurteile lässt sich nachweisen, dass die Rechtsprechung ergebnisorientiert ist und die Entwicklung des „kausalen“ Schuldanerkenntnisses zunächst nur dazu diente, mündlichen Anerkenntniserklärungen in den Fällen vertragliche Bindungswirkungen zu verleihen67, in denen es der Billigkeit entsprach, den Schuldner an seiner Erklärung festzuhalten.

VI. Die gesetzliche Regelung des Schuldanerkenntnisses Das Gesetz regelt das vertragliche Schuldanerkenntnis seit Inkrafttreten des BGB in § 781. Der Gesetzeswortlaut des § 781 BGB beschränkt sich darauf, für diesen ein­ seitig bindenden Verpflichtungsvertrag die Schriftform vorzuschreiben. An diesem Form­erfordernis hat der Gesetzgeber auch nach Modernisierung der Formvorschriften (§ 126a BGB) durch Einfügung eines neuen Satz 2 gem. Art. 1 Nr. 11 FormAnpG festgehalten. Nach allgemeiner Meinung68 regelt § 781 BGB als typisierter Schuldvertrag nur das abstrakte vertragliche Schuldanerkenntnis. Das Gesetz kennt die Worte „Abstraktion“ oder „abstrakt“ nicht. Die „Abstraktion“ des vertraglichen Schuldanerkenntnisses gem. § 781 BGB wird daraus gefolgert, dass § 812 Abs. 2 BGB „die durch Vertrag69 65 So z.B. ausdrücklich Looschelders (Fn. 64), Rz. 1005 unter Berufung auf Emmerich, SchuldR BT, § 15 Rz. 8; Medicus/Lorenz, SchuldR II, 17. Aufl. 2014, § 124 Rz. 1049; dagegen zu Recht E. Ehmann (Fn. 27), 220 ff., der deshalb für das kausale Schuldanerkenntnis die notarielle Beurkundungsform fordert. 66 So zutreffend E. Ehmann (Fn. 27), 221. 67 Baumann (Fn. 5), 26 ff. 68 Welter in Soergel, 13. Aufl. 2012, § 781 BGB Rz. 10 ff. 69 Nur vertragliche Anerkenntnisse fallen unter § 812 Abs. 2 BGB; so schon RG v. 28.10.1937 – 127/37, RGZ 156, 70, 74. Einseitige Anerkenntnisse ohne vertragliche Bindung erzeugen keine rechtliche Bindungswirkung und sind als bloße Beweismittel zu werten (so schon

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erfolgte Anerkennung eines Schuldverhältnisses“ als Leistung definiert und zugleich die Rechtsfolge festlegt, dass diese Leistung (Schuldanerkenntnis) bei Mängeln des rechtlichen Grundes nicht unwirksam ist, sondern dem Rückforderungsanspruch aus einer Leistungskondiktion gemäß § 812 Abs. 1 BGB unterliegt. Eine Definition des Rechtsbegriffes „Abstraktion“ hat in Bezug auf Schuldanerkenntnisse nach Maßgabe des in § 812 Abs. 2 BGB zu erfolgen. Gemäß § 812 Abs. 2 BGB gilt „die durch Vertrag erfolgte Anerkennung des Bestehens eines Schuldverhältnisses (positives70 Schuldanerkenntnis) als Leistung“. Aufgrund dieser gesetzlichen Fiktion („gilt als“) fallen vertragliche Schuldanerkenntnisse in den Anwendungsbereich des § 812 Abs. 1 BGB. Gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB (Leistungskondiktion) ist der Empfänger einer Leistung „ohne rechtlichen Grund“ zur Herausgabe des Em­pfangenen verpflichtet (condictio indebiti). Der Kondiktionsanspruch besteht nach § 812 Abs. 1 Satz 2 BGB auch bei späterem Wegfall des rechtlichen Grundes (condictio ob causam finitam) oder bei Nichteintritt des bezweckten Erfolges (condictio ob rem bzw. condictio ob causam datorum bzw. condictio causa data causa non secuta). Trotz der Legaldefinition eines vertraglichen Schuldanerkenntnisses als Leistung handelt es sich beim vertraglichen Schuldanerkenntnis im Regelfall nicht um eine Verfügung, die vom schuldrechtlichen Verpflichtungsgeschäft zu unterscheiden ist (Trennungsprinzip). In Ausnahmefällen kann auch ein vertragliches Schuldanerkenntnis zur Erfüllung einer schuldrechtlichen Verpflichtung, z.B. eines Vergleichs oder eines Vorvertrages, abgegeben werden. Darin unterscheidet sich das vertragliche Schuldanerkenntnis jedoch nicht von anderen Schuldverträgen: Auch eine Bürgschaft oder sogar jede im Gegenseitigkeitsverhältnis stehende schuldvertragliche Verpflichtung – z.B. ein Tausch- und Kaufvertrag – kann in Erfüllung einer anderen Verpflichtung als Verfügung geleistet werden, ohne dass ein solches Schulverhältnis zu einem „abstrakten“ Vertrag wird, z.B. wenn ein Kaufvertrag in Erfüllung eines Vorvertrages geleistet wird. Das vertragliche Schuldanerkenntnis gem. § 781 BGB gilt deswegen als abstrakt, weil es in seinem Bestand und seiner Wirksamkeit von seiner causa (Zweck oder Rechtsgrund) 71 zunächst unabhängig ist (Abstraktionsprinzip). Der Schuldvertrag „Schuld­ anerkenntnis“ ist bei fehlender causa nicht nichtig, sondern gem. §  812 Abs.  2 BGB kondizierbar. Eine besondere Wirkung entfaltet diese dogmatische Konstruktion nicht, weil Schuldverträge bzw. Forderungen aus Schuldverträgen, auch wenn sie als Leistung erfolgen, nicht gutgläubig erworben werden können. Der konstruktive Unterschied zwischen abstrakten und kausalen Schuldanerkenntnissen schlägt sich BGH – VII ZR 107/57, WM 1958, 1275; Baumann (Fn. 5), 146 ff. (149): „Indiz für die im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung festzustellenden Tatsachen“. 70 Das kursiv eingefügte Wort „positives“ steht nicht im Gesetzestext. Obwohl § 812 Abs. 2 BGB nur die Anerkennung des Bestehens eines Schuldverhältnisses als Leistung bezeichnet, soll nach h. M. auch das negative Schuldanerkenntnis (§  397 Abs.  2 BGB), also die Anerkennung des Nichtbestehens eines Schuldverhältnisses als Leistung gelten; vgl. Lorenz in Staudinger, 2007, § 812 BGB Rz. 11; a.A. Siber in Planck, 4. Aufl. 1928, § 397 BGB Rz. 5: letzteres bedürfe aber keiner Kondiktion. 71 Bremkamp, Causa, 2008, 147 ff. zur causa der Verpflichtungsgeschäfte.

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allein in der Unterscheidung zwischen Einwendung und peremptorischer Einrede72 nieder, da ein fehlender rechtlicher Grund des kausalen Vertrages zur Nichtigkeit (Einwendung), ein fehlender rechtlicher Grund des abstrakten Vertrages zur Kondizierbarkeit bzw. (peremptorischen) Einrede gem. § 821 BGB führt.

VII. Die historische Entwicklung zur gesetzlichen Regelung des § 781 BGB Da den meisten Privatrechtsordnungen das Abstraktionsprinzip unbekannt ist73 drängt sich die Frage auf: Was veranlasste den Gesetzgeber, für fehlgeschlagene vertragliche Schuldanerkenntnisse gem. §  781 BGB das Korrektiv des Bereicherungsrechts gem. §§ 812 ff. BGB festzulegen? Obwohl die Regelungsinhalte der §§ 780, 781 BGB in der Mitte des 19. Jahrhunderts – methodisch zeitentsprechend der historischen Rechtsschule verhaftet – mit römisch-­ rechtlichen Institutionen begründet wurden, sind die abstrakten Schuldverträge nicht aus dem römischen Recht entwickelt worden74. Vielmehr sind „Schuldversprechen und Schuldanerkenntnis Neuschöpfungen, angeregt durch O. Bähr“75. Otto Bähr hatte zwei im 19. Jahrhundert höchst umstrittene Rechtsprobleme in seinem grundlegenden Werk „Die Anerkennung als Verpflichtungsgrund“76 dogmatisch gelöst, nämlich die Fragen zur „cautio indiscreta“ und zur „Anerkennung“77. Die cautio (Schuldschein) indiscreta, war ein „reines Versprechen“, ein Schuldschein, der keine Angabe über den Schuldgrund enthielt78. Im Gemeinen Recht konnte ein „reiner Schuldschein“ keine rechtsgeschäftlichen Wirkungen entfalten79. Ein Schuldschein, der die konkrete Schuld (z.B. Darlehn) nicht benannte, konnte auch nichts beweisen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurden von der kaufmännischen Praxis reine Schuldscheine ohne Angabe des zugrunde liegenden Schuldverhältnisses eingeführt. Diese zwangen die Gerichte zur dogmatischen Stellungnahme80. Die Problema72 So zutreffend Crezelius (Fn. 1), 1541 (1542 ff.). 73 Das zu Beginn des 19. Jahrhunderts für das Bürgerliche Gesetzbuch entwickelte Abstraktionsprinzip wurde nur in wenigen ausländischen Rechtsordnungen vom deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch rezipiert. 74 Anders Chelidonis, JURA 2013, 272, der – zu Unrecht – unterstellt, Bähr habe „eine stipulatio justinianischer Prägung ins Leben rufen wollen“. Bähr wollte den von Savigny und Puchta angestoßenen Dogmenstreit nur einer kohärenten Lösung zuführen und nutzte als dogmatische Argumentationshilfe das römische Recht. 75 Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 19. Aufl. 2008, § 40, 220 Rz. 7. 76 Bähr, Otto: Die Anerkennung als Verpflichtungsgrund, beherrschte die dogmatische Diskussion im 19. Jahrhundert vor Inkrafttreten des BGB, vgl. (1. Aufl. 1855; 2. Aufl. 1867; 3. Aufl. 1894) (zit.: nach der 3. Aufl.), 287. 77 Zur Lehre Bährs ausführlich Baumann (Fn. 5), 125 ff. 78 Dazu auch Wieland, Die einseitig verpflichtende Schuldzusage, 2010, 12 ff. 79 Weiterführende Nachweise und Einzelheiten bei Baumann (Fn. 5), 115 ff. 80 Nachweise bei Kiefner, Der abstrakte obligatorische Vertrag in Praxis und Theorie des 19.  Jahrhunderts, Wissenschaft und Kodifikation des Privatrechts im 19. Jahrhundert,

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tik reiner Schuldversprechen hatten vor Otto Bähr schon Cropp81, Liebe82 und Gneist83 monographisch aufgearbeitet. Der Gesetzgeber unseres BGB hat die dogmatisch umstrittene Frage, ob „reine Schuldversprechen oder Schuldanerkenntnisse“, die keinen Hinweis auf den eigentlichen Rechtsgrund der Schuld enthalten, wirksam sein sollen, in den §§ 780, 781 BGB beantwortet: das reine Versprechen – also auch ein Versprechen oder Anerkenntnis, das keinen rechtlichen Grund oder Zweck erkennen lässt – wirkt als selbstständiger Verpflichtungsakt84. Ebenso umstritten wie die reinen Versprechen war im 19. Jahrhundert die dogmatische Einordnung der „Anerkennung“ einer Schuld. Auch hierzu gab es schuldrecht­ liche, prozessuale und beweisrechtliche Lösungen. Letztlich wurde auch diese Streitfrage mit §  781 BGB vom Gesetzgeber geregelt, indem die „Anerkennung“ als schuldrechtlicher Vertrag normiert wurde. Savigny ordnete das Anerkenntnis wohl als erster den schuldrechtlichen Verpflichtungsverträgen zu85. Mit Ausführungen über das gerichtliche Geständnis und die einseitige Erklärung des Klägers, die Klage fallen zu lassen, also die heutige Klagerücknahme, erörterte Savigny den schuldrechtlich wirkenden Recognitiv-Vertrag. Nach Meinung Savignys gäbe es materiell-rechtlich Verträge, die demselben Zweck wie ein gerichtliche Geständnis dienten. Dies sei „der Recognitiv-Vertrag, der in das Obligationsrecht gehört und gewöhnlich nicht in seiner wahren Natur erfasst wird“86. Savigny verband den Recognitiv-Vertrag nicht mit der „cautio indiscreta“. Georg Friedrich Puchta87 untersuchte 1843 erstmals die Anerkennung einer Schuld unter dem Titel „Recognitivvertrag“: „Anerkennung ist ein vielfach wichtiger Begriff. Es fragt sich 1. ob und in welchem Umfang sie als Vertrag aufzufassen, 2. ob sie Ein Rechtsinstitut mit einer besonderen Theorie ist. Noch will sie mir nicht als ein Geschäft Bd. II, 74 ff. 81 Cropp, Friedrich, Ueber literarum obligatio, cautio indiscreta und pecunia cauta non numerata, Juristische Abhandlungen von Arnold Heise und Friedrich Cropp, 1827. 82 Liebe, Friedrich, Die Stipulation und das einfache Versprechen, 1840. 83 v. Gneist, Rudolf, Die formellen Verträge des neueren römischen Obligationsrechts in Vergleichung mit den Geschäftsformen des griechischen Rechts, 1845. 84 Das Bürgerliche Gesetzbuch kennt nach dem Willen des Gesetzgebers der Urfassung unseres BGB keine „Inhaltsform“. §§ 133, 157 BGB sind Ausdruck des allgemeinen Prinzips, dass „der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften“ ist. Falsa demonstratio non nocet. Dieses Basiswissen scheint dem Gesetzgeber abhanden gekommen zu sein, z.B. bei Neufassung der §§  1904 Abs.  5, 1906 Abs. 5, 1906a BGB („ausdrücklich umfasst“). Kritisch dazu Baumann, MittRhNotK 1998, 1 ff. (7 f.). 85 Savignys Begriffsbildung dürfte von den im Code civil in art. 1337 cc geregelten actes récog­ nitives abgeleitet sein, die in der französischen Rechtsordnung allerdings nur als Beweismittel wirken und die Verjährung unterbrechen. Auch das preußische ALR behandelte insbesondere im Ersten Teil, Fünfter Titel (Von Verträgen) im Abschnitt V (Von Verstärkung der Verträge) unter Ziff. 1 das „Anerkenntniß“: §§ 185 bis 192. In § 192 wird auf die §§ 37 und 38 verwiesen. 86 Savigny, System, Bd. VII § 303, 11. 87 Im Jahre 1843, vgl. Puchta, Kleine civilistische Schriften (1851), 609 ff.

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für sich erscheinen, sondern als Zweck, der sich in verschiedenen Formen nach Beschaffenheit der Richtung, die sie hat, einkleidet“. Puchta brachte mehrere Beispiele für Anerkenntnisse und führte hierzu aus: „Die Gestaltung der Anerkennung zu Einem Rechts­ institut würde darin bestehen, dass ihr eine obligatorische Wirkung beigelegt würde, und davon darf als Voraussetzung angesehen werden, dass sie als Vertrag betrachtet werden kann“88. Indem Puchta die Quittung und erstmals den Schuldschein in einen Zusammenhang mit dem Recognitivvertrag stellte, beeinflusste er die nachfolgende Diskussion. 1844 erschien die Abhandlung Delbrücks89, in der er als Grundprinzip schuldrechtlicher Verträge feststellte, „ein Rechtsgeschäft sei außer dem Fall der Schenkung nur dann vorhanden, wenn sich Leistung und Gegenleistung einander gegenüber ständen“90. Ein rein einseitiges Versprechen, aus dem nicht erhelle, wofür die Leistung versprochen worden sei, könne auch dann nicht als Vertrag angesehen werden, wenn es von der Gegenseite angenommen würde91. Da ein vernünftiges Wesen immer aus einem bestimmten Grund handele92, sei das einfache Versprechen seinem Wesen nach kein Vertrag, sondern Anerkenntnis einer bereits „wirklich vorhandenen, oder einer aus einem gleichzeitigen Vertrage herrührenden und als vorhanden gedachten Schuld“93. Damit brachte Delbrück als erster den Problemkreis des einseitig verpflichtenden Schuldversprechens (des reinen Versprechens) in einen dogmatischen Zusammenhang mit der von Savigny und Puchta nur angedachten Problematik der rechtlichen Einordnung eines Anerkenntnisses. Aus einem Anerkenntnis sollten laut Delbrück „an und für sich weder Rechte noch Verbindlichkeiten entstehen“ können94. Delbrück sah in einem Anerkenntnis aber eine verborum obligatio, die den Schuldner – wie eine bereits erbrachte Leistung – dann binde, wenn eine bestimmte Form eingehalten sei95. Dies sei die Form der römisch-rechtlichen stipulatio96. Mit der stipulatio forderte Delbrück als erster sowohl für reine Versprechen als auch für Anerkenntnisse ein Formerfordernis.

88 Puchta (Fn. 87), 610. 89 Delbrück, Verborum obligatio: Nexum, Stipulatio, Wechsel; Zeitschr. für volkstümliches Recht und nationale Gesetzgebung von Eberty (1844), Bd. 2, 128-148 und Heft 8, 86-101. 90 Delbrück (Fn. 89), 131. 91 Delbrück (Fn. 89), 133. 92 Bei Delbrück wird bereits im Jahre 1844 die zweckgerichtete Zuwendung (Zweckvereinbarungstheorie) deutlich. 93 Delbrück (Fn. 89), 133; kritisch dazu Witte, Die bindende Kraft des Willens im Obligationenrecht und der Lehre der heutigen Wissenschaft, Kritische Viertelsjahresschrift VI (1864), 330 (361 f.), der darauf hinweist, dass auch durch das einfache Versprechen eine neue Schuld begründet werden könne. 94 Delbrück (Fn. 89), 134. 95 Delbrück (Fn. 89), dessen Ausführungen starken Einfluss auf Bähr hatten, stützte seine dogmatische Konstruktion abstrakter Schuldverträge (Schuldanerkenntnisse) auf die römisch-­ rechtliche stipulatio. 96 Die stipulatio war im klassischen römischen Recht ein in eine feste Frage- und Antwortform gebundenes Leistungsversprechen. Vgl. Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 19. Aufl. 2008, § 7 III Rz. 20 ff. (S. 51 f.) und § 40 I (S. 218 ff.).

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1853, neun Jahre nach der Veröffentlichung Delbrücks, schrieb Savigny in einem Brief97 an Otto Bähr: „Die meisten und wichtigsten Fälle (der Anerkennung) lassen sich“… „unter den Begriff obligatorische Verträge subsumiren und es lohnt sich sehr der Mühe, dafür eine gemeinsame Theorie aufzustellen“. Savignys Brief dürfte für Otto Bähr die maßgebliche Ermunterung gewesen sein, zwei Jahre später sein Buch zu veröffentlichen „Die Anerkennung als Verpflichtungsgrund“98. Dieses Buch prägte die Diskussion beider Themen (cautio indiscreta = reine Versprechen und Anerkennungsverträge im 19. Jahrhundert). Unter dem Einfluss der Lehren Otto Bährs hat der Gesetzgeber unseres Bürgerlichen Gesetzbuches die §§ 780, 781 BGB geregelt99. Bährs dogmatischen Vorschlägen verhalf entscheidend zum Erfolg, dass er zwei – in der damaligen juristischen Diskussion aktuelle100  – Problemkreise über Grundfragen des gebotenen Inhalts vertraglicher Bindungswirkung mit prozessualen Bezügen miteinander verband und einer gemeinsamen dogmatischen Lösung zuführte. Bährs Lösung harmonisierte und stärkte im Nebeneffekt die damals noch junge Abstraktions-Lehre Savignys. Im wissenschaftlichen Diskurs wird nicht beachtet, dass der „geistige Vater“ der §§  780, 781 BGB Otto Bähr mit dem Gesetzesentwurf nicht zufrieden war: „Überhaupt ist aber zu befürchten, dass die wenigen, allzu abstract gefassten Sätze, in die der Entwurf zweiter Lesung die Lehre eingekleidet hat, nicht ausreichen werden, dieser auch innerhalb des ihr gewährten Raumes eine gesicherte Grundlage zu geben. Wird der ­Entwurf Gesetz, so werden voraussichtlich alle die Irrungen, welche die oben mitgeteilten Entscheidungen aufweisen, bestehen bleiben“101. Bähr kritisierte weitergehend auch das Schriftformerfordernis und meinte, daran könne dieses Rechtsinstitut verkümmern102. Mit diesen Prophezeiungen hat Otto Bähr leider Recht behalten. Alle dogmatisch nicht konsistenten Lösungen des 19. Jahrhunderts, wie z.B. die Lehren zum constitutum, zu Beweisverträgen usw., gegen die sich der Gesetzgeber ausdrücklich entschieden hatte, wurden in verkleideter Form nach Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches als deklaratorische Schuldanerkenntnisse, deklaratorische Schuldanerkenntnisse mit konstitutiver Wirkung, kausale Schuldanerkenntnisse, kausale Schuldanerkenntnisse mit Feststellungswirkung oder Feststellungsverträge neu belebt, obwohl der Gesetzgeber in §  781 BGB eine Regelung getroffen hatte, unter der alle vertraglichen Schuldanerkenntnisse subsumiert werden sollten und problemlos subsumiert werden können103. 97 Abgedruckt bei Otto Bähr (Fn. 76), 173. 98 Vgl. Fn. 76. 99 Kaser/Knütel (Fn. 75), § 40, S. 220 Rz. 7. 100 Der 8. und der 9. Deutsche Juristentag (1869 und 1871) behandelte jeweils die Thematik mit Gutachten, Vorträgen und kontroversen Diskussionen. Darstellung bei Baumann (Fn. 5), 133 ff. 101 Otto Bähr, Gegenentwurf zu dem Entwurfe eines Bürgerlichen Gesetzbuches für das Deutsche Reich, Zweites Buch, Recht der Schuldverhältnisse (1891), § 721 ff. 102 Bähr (Fn. 76), 256. 103 Baumann (Fn. 5), passim; ähnlich jetzt auch Leitmeier, NZBau 2013, 681.

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Trotz der eindeutigen legislativen Entscheidung zum vertraglichen Schuldanerkenntnis wurde der Streit um die dogmatischen Rechtswirkungen reiner Versprechen und vertraglicher Anerkenntnisse nur 16 Jahre nach Inkrafttreten des § 781 BGB durch die Rechtsprechung104 neu belebt und wird bis heute mit anderen Begrifflichkeiten fortgesetzt ausgetragen.

VIII. Abstraktion, rechtlicher Grund und Zweckverfolgung Das Abstraktionsprinzip findet seinen Hauptanwendungsbereich in unserer Rechtsordnung bei Verfügungen105. Der zur Wirksamkeit eines Verfügungsgeschäfts nach § 812 Abs. 1 BGB vorausgesetzte „rechtliche Grund“ (causa) wurde - vor allem bis zur Verbreitung der Zweckvereinbarungstheorie - häufig in dem zugrunde liegenden Verpflichtungsvertrag106 gesehen. Verpflichtungsgeschäfte wurden deshalb auch Kausalgeschäfte genannt107. Das bei Verfügungen geltende „objektive“ causa-Verständnis wurde ab den 70er Jahren des 20. Jahrhunderts von der subjektiven causa-Lehre verdrängt108. Nach ihr ist unter causa der von den Beteiligten mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu verstehen109. Das subjektive, finale causa-Verständnis entspricht dem im selben Zeitraum entwickelten Paradigmenwechsel der Erfüllungstheorien. Während die Leistung in der älteren Doktrin als Realakt definiert wurde110 und nach der Erfüllungstheorie der realen Leistungsbewirkung das Erlöschen der Schuld durch die reale Bewirkung erfolgen soll111, hat die Vertragstheorie oder Zweckvereinbarungstheorie einen finalen Leistungsbegriff herausgearbeitet112.

104 Grundlegend RG v. 1.5.1916 – 75/16 VI, JW 1916, 960 f. Nr. 5. 105 Bremkamp, Causa, 2008, 212 ff. zur causa der Verfügungsgeschäfte. 106 So Larenz, SchuldR BT (12. Aufl. 1972), § 68, S. 522 (529); weitere Nachweise bei Welker, Bereicherungsausgleich wegen Zweckverfehlung (1974); dagegen H. Ehmann, Die Gesamtschuld (1972), S. 152, der dies als „unzulässig vereinfachte Auffassung“ bezeichnet; dort auch S. 152 ff. passim. 107 Fikentscher, Schuldrecht, 7. Aufl. 1985, § 13, 2, S. 42. Verpflichtungsgeschäft ist „Rechtsgrund“ der Verfügung. Anders Fikentscher/Heinemann, 10. Aufl. 2006, § 13. 108 Zur Zweckvereinbarung Bremkamp, Causa, 2008, 241 ff. 109 Ein subjektives causa-Verständnis hatte schon Otto Bähr, indem er causa als Zweck verstand. Schloßmann, Zur Lehre von der causa obligatorischer Verträge (1868), 34 ff. hatte einen subjektiven causa-Begriff entwickelt, der „alle Zwecke menschlicher Handlungen“ umschließt. 110 Zur Theorie der realen Leistungsbewirkung vgl. Larenz, SchuldR AT, 14. Aufl. 1987, § 18 I 5; Esser, SchuldR AT, 4. Aufl. 1970, § 26 I 2. 111 BGH v. 21.11.2013 – IX ZR 52/13, MDR 2014, 113 = NJW 2014, 547 Rz. 21. 112 Thomale, Leistung als Freiheit (2012), 11 ff.; Ehmann, NJW 1969, 1833; zum Zweck der Leistung vgl. bereits im Jahre 1868 Schloßmann (Fn. 109); Berg, NJW 1962, 101; Rother, AcP 169 (1969), 1 ff.; Esser, Schuldrecht, 2. Aufl. 1960, § 189, 6. Zur Theorie der finalen Leistungsbewirkung vgl. Gernhuber, Die Erfüllung und ihre Surrogate, in Handbuch des Schuldrechts, Bd. 3 (1983), 108 ff.

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Die Abstraktion des Schuldanerkenntnisses wurde in der Vergangenheit entsprechend als Loslösung vom anerkannten Schuldverhältnis verstanden113. Aus diesem (jedenfalls in Bezug auf Schuldanerkenntnisse fehlerhaft verstandenen) objektiven Abstraktionsverständnis wurde – bis in das neuere Schrifttum – abgeleitet, causa oder rechtlicher Grund des Schuldanerkenntnisses sei das ursprüngliche, anerkannte Schuldverhältnis114. Fehlerhaft an dieser dogmatischen Betrachtung war schon, dass ein Schuldanerkenntnis als Leistung im Unterschied zu Verfügungen nicht das ursprüngliche Schuld­ verhältnis erfüllen soll. Selbst bei novatorischen, schuldersetzenden Schuldanerkenntnissen kann das anerkannte Schuldverhältnis nicht „rechtlicher Grund“ des Schuldanerkenntnisses sein, sondern causa kann objektiv nur die Novationsvereinbarung bzw. nach der subjektiven, finalen Theorie kann Zweck des novierenden Schuld­ anerkenntnisses nur die Erfüllung der Novationsvereinbarung sein. Die vereinfachende Gleichsetzung des rechtlichen Grundes des Schuldanerkenntnisses mit dem anerkannten Schuldverhältnis beruhte auf einem falsch abgeleiteten causa-Verständnis. Der Schuldner hat sich in der anerkannten Schuld nicht verpflichtet, ein Schuldanerkenntnis zu leisten. Der Deliktschuldner schuldet Schadensersatz, der Mieter die Zahlung des Mietzinses. Das anerkannte Schuldverhältnis selbst kann nicht rechtlicher Grund des Schuldanerkenntnisses sein. Gibt der Schuldner ein Schuldanerkenntnis ab, so ist „rechtlicher Grund“ für die Abgabe des Schuldanerkenntnisses nicht die ursprüngliche Schuld (z.B. Deliktschuld, Mietzinsschuld), sondern eine „Sicherungszweckabrede“, insofern der Bürgschaft vergleichbar, nur dass der Schuldner eines Schuldversprechens oder eines Schuldanerkenntnisses „für sich selbst bürgt“. Der Zweck des Schuldanerkenntnisses und auch der rechtliche Grund ihrer Leistung ist allein aus der Sicherungsbeziehung des Schuld­ anerkenntnisses zum anerkannten Schuldverhältnis (Hilfsgeschäftsfunktion) zu er113 RG, Recht 1920 Nr. 2384, wonach bei einem isoliert abgegebenen, abstrakten Schuldan­ erkenntnis „die ursprüngliche Schuld immer noch die zugrundeliegende Kausa“ bildet; so z. B. noch Sprau in Palandt, 68. Aufl. 2009, § 781 BGB Rz. 2: „die neue Verpfl“ … kann … „ihren RGrd iSv § 812 in dem ursprüngl SchuldVerh haben“. Vgl. jetzt aber Sprau in Palandt, 76. Aufl. 2017, § 812 BGB Rz. 81. 114 V. Godin in HGB-RGRK, 2. Aufl. 1963, § 355 HGB, Anm. 27 Ziff. 10; Anm. 29: „causa ist die alte Schuld, welche anerkannt wird“. Zum objektiven Rechtsgrund eines Versprechens vgl. die Auflistung der Meinungen bei Klingmüller, Rechtsgrund, S. 2 ff., zum subjektiven Rechtsgrund, ebenda, S.  8  ff.; vgl. auch Medicus, Schuldrecht BT, 14. Aufl. 2007, 206 Rz. 556: „… und diesen Rechtsgrund sieht die h.M. in dem materiellen Schuldgrund …“. So z.B. auch im vergleichbaren Fall der Sicherungsabtretung, wo der BGH v. 23.9.1981 – VIII ZR 242/80, NJW 1982, 275 (276) die zu sichernde Forderung zu Unrecht als das Grundgeschäft ansieht. Vgl. z.B. Sprau in Palandt (noch 68. Aufl. 2009), § 781 Rz. 2: „die neue Verpfl“ … kann … „ihren RGrd iSv § 812 in dem ursprüngl SchuldVerh haben“ (anders jetzt Sprau in Palandt, 76. Aufl. 2017, § 812 BGB Rz. 81); Ebel, Friedrich, Berichtung, transactio und Vergleich, Untersuchung zu Schuldversprechen und Vergleichsvertrag des Zivilrechts (1978), 120 ff., Ziff. 3) a) „Das anerkannte Schuldverhältnis als Rechtsgrund?“ m.w.N.

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klären. Das leuchtet beim schuldverstärkenden, bestätigenden Schuldanerkenntnis sofort ein. Gerade aber das einwendungsausschließende, feststellende Schuldanerkenntnis unterstreicht, dass causa (Zweck oder rechtlicher Grund) eines Schuldanerkenntnisses nicht das anerkannte Schuldverhältnis sein kann. Schon weil das „feststellende“ Schuldanerkenntnis (Feststellungsvertrag = Anerkennungsvertrag115) durch den Einwendungsausschluss einen neuen Anspruch begründet, kann causa des „feststellenden“ Schuldanerkenntnisses nicht die anerkannte (möglicherweise unwirksame) Schuld sein116. Auch die Rechtswirkungen des Schuldanerkenntnisses können sich nicht nach dieser unwirksamen Schuld richten. Es war der Wille des Gesetzgebers117 und es entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung118 und wird sogar von denjenigen Literaturstimmen119, die den Anwendungsbereich des § 781 BGB eingrenzen wollen, eingeräumt, dass mit den nach § 781 BGB vereinbarten Schuldanerkenntnissen Einwendungen ausgeschlossen werden können. Das schenkweise erteilte Schuldanerkenntnis gem. § 781 BGB bestätigt ebenfalls, dass nicht die anerkannte, möglicherweise gar nicht bestehende Verbindlichkeit die causa eines Schuldanerkenntnisses sein kann120. Der Schenker schenkt donandi causa, bei einem gem. § 518 Abs. 1 Satz 2 BGB schenkweise erteilten Schuldanerkenntnis also nicht, weil er zur Abgabe des Schuldanerkenntnisses in Bezug auf ein bestehendes Schuldverhältnis verpflichtet ist, sondern weil er den Beschenkten ohne Verpflichtung bereichern will. Aus jedem dieser drei Gründe folgt logisch zwingend, dass die anerkannte Forderung nach geltendem Recht weder nach den finalen Leistungstheorien der „Zweck“, noch 115 Prot. II, 490-499, vgl. insbes. 499, wo nach dem Willen des Gesetzgebers dem Feststellungsvertrag mit dem gesetzlich geregelten Schuldanerkenntnis eine „ausdrückliche Vorschrift“ gegeben werden sollte. 116 Zugleich folgt daraus, dass neben den gesetzlichen vertraglichen Schuldanerkenntnissen kein eigenständig abgrenzbarer Anwendungsbereich für außergesetzliche vertragliche Schuldanerkenntnisse verbleibt. 117 Prot II, 490  ff. (499); dazu Baumann, Feststellungsverträge, in: Jubiläumsfestschr. der Rheinischen Notarkammer (1998), 59 ff. 118 BGH v. 27.10.1966  – VII ZR 65/64, WM 1966, 1280  ff. (1281); v. 18.9.1970  – IV ZR 1199/68, WM 1970, 1457 ff. (1459); v. 13.2.1974 – VIII ZR 147/72, WM 1974, 279 ff. (280); v. 29.9.1975 – III ZR 30/73, WM 1975, 1233 (1234); v. 10.5.1976 – III ZR 157/74, WM 1976, 907 ff. LS 5; v. 18.5.2000 – IX ZR 43/99, NJW 2000, 2501 f.; vgl. auch LG Lüneburg v. 16.5.2007 – 6 S 2/07, NJW 2007, 3580, wo der gewollte Einwendungsausschluss sogar zur Voraussetzung des abstrakten Schuldanerkenntnisses erhoben wird. 119 Vgl. z.B. Marburger in Staudinger schon in der 12. Aufl. 1986, § 781 BGB Rz. 17; ders., 2015, § 781 Rz. 17; Wilckens, AcP 163 (1963), 137 (148 ff.); Welter in Soergel, 13. Aufl. 2012, vor §§ 780 ff. BGB Rz. 10. 120 Das objektive causa-Verständnis, wie es z. B. noch von Lieb in MünchKomm, 4. Aufl. 2004, § 812 BGB Rz. 169 ff. vertreten wurde, hat Schwierigkeiten, für die donandi causa erfolgten Leistungen einen objektiven Rechtsgrund zu benennen. Das gilt auch für Schuldanerkenntnisse als Schenkungsversprechen, da diesen keine gesicherte Forderung zugrundeliegen.

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nach den objektiven, realen Leistungstheorien der „rechtliche Grund“ i.S.v. §  812 BGB eines Schuldanerkenntnisses gem. § 781 BGB sein kann.

IX. Abstraktion als Ausschluss der causa beim Schuldanerkenntnis Die Abstraktion rechtlicher Leistungsbeziehungen beschreibt das Verhältnis einer Zuwendung (Leistung) zur causa (dem Zweck, der Zweckvereinbarung oder dem Rechtsgrund121) ihrer Verpflichtung. Das BGB verwendet den Begriff „causa“ nicht. § 812 Abs. 1 BGB spricht vom „rechtlichen Grund“. Da § 812 Abs. 2 BGB das Schuld­ anerkenntnis ausdrücklich „als Leistung“ bezeichnet, ist die causa jedes Schuldanerkenntnisses im Rahmen der Leistungskondiktion zu bestimmen. In Leistungskondiktionen wird Abstraktion122 als die – juristisch konstruktive – Herauslösung der causa aus den Wirksamkeitsvoraussetzungen eines Rechtsgeschäfts verstanden123. Jedes kausale Rechtsgeschäft ist bei fehlender causa nichtig. Wäre in unserer Rechtsordnung die Übereignung einer Sache kausal konstruiert, so wäre ein Vindikationsanspruch (§§  985  ff. BGB) gegeben, wenn der Übereignungsakt ohne hinreichenden „rechtlichen Grund“ (§ 812 Abs. 1 BGB) oder mit verfehltem Zweck erfolgt wäre. Jede abstrakte Zuwendung bleibt hingegen trotz fehlender causa (zunächst) wirksam. Als Folge der Abstraktion hat das in § 812 Abs. 1 BGB vorausgesetzte Tatbestandsmerkmal „rechtlicher Grund“ bzw. das ungeschriebene, von der herrschenden Meinung vorausgesetzte Tatbestandsmerkmal „Zweck der Leistung“ keinen Einfluss auf die Wirksamkeit des Rechtsgeschäfts. Die abstrakte Zuwendung ohne Bestehen eines „rechtlichen Grundes oder eines „Zwecks“ unterliegt aber schuldrechtlichen Rückforderungsansprüchen. Deshalb hat auch ein abstraktes Rechtsgeschäft keinen dauerhaften Bestand, wenn seine causa fehlt. Das als Leistung definierte vertragliche Schuldanerkenntnis gem. § 781 BGB bleibt bei fehlender causa (vorläufig) wirksam, kann aber nach den bereicherungsrechtlichen Vorschriften der §§ 812 ff. BGB kondiziert werden124. Ein kausal konstruiertes Schuldanerkenntnis ist bei fehlender causa nichtig, müsste also nicht kondiziert wer121 Die gesetzlich nicht definierte, historisch entwickelte Bedeutung des Rechtsbegriffs causa wird entsprechend der jeweils vertretenen objektiven oder subjektiven causa-Doktrin mit einem der drei genannten deutschsprachigen Rechtsbegriffe ausgefüllt. 122 Gernhuber, Bürgerliches Recht, 2. Aufl. 1983, 13: „Abstraktion im Recht heißt Absehen von Tatbestandselementen, die ,an sich’ vorhanden sein müssten“. 123 Heinrichs/Ellenberger in Palandt, 76. Aufl. 2017, Überbl. v. § 104 BGB Rz. 21 „bei ihnen ist der RGrd nicht im RGesch enthalten, sondern liegt außerhalb des Gesch“; Müller in Erman, 14. Aufl. 2014, Einl. § 104 BGB Rz. 26 ff.; jeweils m.w.N.; ausführlich zum dogmatischen Verständnis der Causa Bremkamp (Fn. 105). 124 Klinke, Causa und genetisches Synallagma  – Zur Struktur der Zuwendungsgeschäfte (1983), 81; Kegel, Verpflichtung und Verfügung – Sollen Verfügungen abstrakt oder kausal sein?, in Festschr. Mann (1977), 57; Stadler, Gestaltungsfreiheit und Verkehrsschutz durch Abstraktion (1996), 8.

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den. Im Schrifttum wird aber die Auffassung vertreten, dass auch kausale Schuldanerkenntnisse kondiziert werden können125. Folgt man dieser (noch) Mindermeinung, so wäre der dogmatische Unterschied zwischen kausalen und abstrakten Schuldan­ erkenntnissen bei causa-Störungen aufgehoben. Folgt man der h.M., so besteht der alleinige Unterschied bei der causa-Störung zwischen Einwendung (Nichtigkeit) und peremptorischer Einrede (Kondiktionsanspruch)126. Ein weiterer Rechtsfolgenunterschied kann sich hinsichtlich der Verjährung ergeben. Ist der Parteiwille ausdrücklich auf unterschiedliche Verjährungsfolgen gerichtet, so können die Parteien die gewollte Verjährungsfrist vertraglich – im Rahmen der gesetzlichen Grenzen – regeln. Sie müssen, um gewünschte, vom Gesetz abweichende Verjährungsfolgen herbeizuführen, nicht auf eine abstrakte oder kausale Konstruktion zurückgreifen. Selbst diejenigen Schuldner, die ihrem Schuldanerkenntnis (theoretisch) einen Abstraktionswillen zugrunde legen, verbinden mit diesem Abstraktionswillen nicht automatisch eine bestimmte Verjährungsfolge. Auch bei der Verjährung führt die Anknüpfung an den Abstraktionswillen zu willkürlichen, von den Beteiligten oft gar nicht gewollten, jedenfalls nicht bedachten Ergebnissen. Bezogen auf die im Schuldanerkenntnis versprochenen Leistungen (z.B. Zahlung einer Geldsumme) besteht nach Erfüllung kein Unterschied zwischen kausaler und abstrakter Konstruktion des Schuldanerkenntnisses, weil nach Erfüllung der Geldforderung aus dem Schuldanerkenntnis immer nur ein Kondiktionsanspruch bestände. Falls die Zahlung (oder anderweitige Erfüllung) aufgrund eines Schuldanerkenntnisses noch nicht erfolgt ist, bleibt der Zahlungsanspruch bei abstrakter Konstruktion (solange das Schuldanerkenntnis selbst noch nicht kondiziert ist), dauerhaft einredebehaftet gemäß §  821 BGB127, bei kausaler Konstruktion könnte dem Zahlungsanspruch die Einwendung der Nichtigkeit des Schuldanerkenntnisses entgegen gehalten werden. Ist das abstrakte Schuldanerkenntnis bereits kondiziert, so stünde dem Zahlungsanspruch – wie bei kausaler Konstruktion – die Einwendung des Nichtbestehens einer Forderung entgegen. Diesen Unterschied zwischen Einwendung und peremptorischer Einrede als unterschiedliche Rechtsfolge abstrakter und kausaler Schuldanerkenntnisse hat Crezelius mit gebotener Deutlichkeit als erster herausgearbeitet128. Der Unterschied wirkt sich bei Leistungsverweigerung des Schuldners materiell-rechtlich gar nicht, prozessual nur im Versäumnisverfahren bei Säumnis des Schuldners aus129. Auf diesen prozessualen (außer der Verjährung einzigen) Rechtsfolgenunterschied zwischen kausaler und abstrakter Konstruktion weist kein BGB-Kommentar und kein Schuldrechtslehrbuch hin. Bei den Tatbestandsvoraussetzungen unterscheiden sich ab­strakte und kausale Schuldanerkenntnisse nur bezüglich des Schriftformerfordernisses, wobei die jüngere Doktrin dem abstrakten Schuldanerkenntnis einen weitergehenden Zwecksetzungsbereich einräumt als dem kausalen. Letzteres war im Laufe der 125 Larenz, Schuldrecht II, 10. Aufl. 1970, 11. Aufl. 1977, § 59 II, 336; Westermann (Fn. 28); Mazza, Kausale Schuldverträge: Rechtsgrund und Kondizierbarkeit (2002), 200 ff. (230). 126 Crezelius (Fn. 1), 1541 (1542 ff.). 127 Dazu Baumann in Festschr. Spiegelberger (2009), 1176 ff. (1190). 128 Crezelius (Fn. 1), 1541 ff. 129 Crezelius (Fn. 1), 1541 ff. (1545); Baumann (Fn. 5), 213 ff.

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Rechtsentwicklung vom deklaratorischen, nur bestätigenden zum feststellenden, einwendungsausschließenden mutiert, während das in § 781 BGB geregelte Schuldanerkenntnis in seiner Zwecksetzung nicht eingeschränkt ist. Meint die h.M. allen Ernstes, der Schuldner richte seinen „Abstraktionswillen“ darauf, im Fall eines zukünftig möglichen Versäumnisverfahrens zu bewirken, dass das Gericht nicht von Amts wegen Einwendungen zu beachten habe, sondern nur die peremptorische Einrede des § 821 BGB, die bei seiner Anwesenheit und entsprechender Geltendmachung zu beachten ist? Das kausale Schuldanerkenntnis zählt zu den absurdesten dogmatischen Konstruktionen in unserer Rechtsordnung. Es verstößt gegen das Schriftformgebot des §  781 BGB130. Bedenkt man den Abgrenzungsaufwand aller Instanzgerichte mit der im Wege der Auslegung zu ermittelnden Suche nach dem Abstraktionswillen, dann verdient diese gegen das Schriftformgebot des § 781 BGB verstoßende Rechtsfigur eine schnelle Beerdigung.

X. Das Schuldanerkenntnis als Hilfsgeschäft Jedes Schuldanerkenntnis mehrt als Leistung bewusst und zweckgerichtet das Vermögen des Gläubigers, indem es ihm mindestens einen zusätzlichen schuldrechtlichen Anspruch einräumt. Dieser zusätzliche Anspruch kann als „Hilfsgeschäft“ zur Durchsetzung des anerkannten Anspruchs bezeichnet werden. Soweit das kausale Schuldanerkenntnis dogmatisch als Schuldabänderungsvertrag eingeordnet wird, dessen Rechtswirkungen sich nach dem anerkannten Schuldverhältnis richten, nimmt diese Rechtsansicht weder die gebotene Abgrenzung zum Schuldabänderungsvertrag vor, noch kann sie erklären, wie das kausale Schuldanerkenntnis eines gesetzlichen Schuldverhältnisses, z.B. einer Deliktschuld, sich nach Deliktsrecht richten soll. Jedes vertragliches Schuldanerkenntnis begründet – unabhängig, ob kausal oder ab­ strakt konstruiert – ein zweites Schuldverhältnis, das neben eine bereits bestehende oder nur möglicherweise bestehende Verbindlichkeit (die anerkannte Schuld) tritt. Das Verhältnis des Schuldanerkenntnisses zum anerkannten Schuldverhältnis kann als Hilfsgeschäftsfunktion bezeichnet werden131. Ein vertragliches Schuldanerkenntnis dient als Hilfsgeschäft dazu, die Durchsetzung der anerkannten Schuld zu erleichtern. Sowohl im abstrakt als auch beim kausal konstruierten Schuldanerkenntnis tritt ein zweiter schuldrechtlicher Anspruch (als Hilfsgeschäft [eine „Selbstbürgschaft“] zur leichteren Durchsetzung des anerkannten Anspruchs) neben das ursprüngliche, das anerkannte Schuldverhältnis, z.B. beim Schuldanerkenntnis einer Deliktsschuld ein vertraglicher Anspruch neben den gesetzlichen aus Delikt. 130 E. Ehmann (Fn. 27), 221 f. verlangt deshalb für das den Schuldner endgültig bindende, einwendungsausschließende, kausale Schuldanerkenntnis sogar die notarielle Beurkundung. 131 Diese Bezeichnung wählte schon Rümelin, Zur Lehre von Schuldversprechen und Schuld­ anerkenntnissen des BGB (1905/06) und AcP 97, 211  ff. und 98, 169  ff.; E. Ehmann (Fn. 27), 42 ff. wählt den Begriff „Abwicklungsgeschäfte“, der die Funktion des Schuldanerkenntnisses untreffend beschreibt, da ein Schuldanerkenntnis die anerkannte Schuld ebenso wenig wie eine Bürgschaft die Hauptschuld „abwickelt“.

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Alle vertraglichen Schuldanerkenntnisse haben als Mindesteffekt, dass sie zur Umkehr der Beweislast in Bezug auf die anerkannte Schuld führen132; das gilt sogar für ihre schwächste Ausgestaltung, also die anerkannte Schuld bloß bestätigende Schuldanerkenntnisse. Diese Bestätigungswirkung gilt ebenfalls unabhängig davon, ob das Schuldanerkenntnis von der Rechtsordnung abstrakt oder kausal gestaltet ist. Die Beweislastumkehr in Bezug auf die durch das vertragliche Schuldanerkenntnis anerkannten Tatsachen ist Folge des Entstehens einer zweiten, neben die ursprüngliche Schuld tretenden schuldrechtlichen Verpflichtung, also Folge des Schuldanerkennungsvertrages. Wer behauptet, das kausale Schuldanerkenntnis richte sich nach der anerkannten Forderung133, der kann – bei anerkannten Vertragspflichten – ein solches Schuldanerkenntnis nicht vom Schuldabänderungsvertrag abgrenzen, bei anerkannten gesetzlichen Schuldverhältnissen stellt er zudem die Dogmatik des Privatrechts auf den Kopf, indem sich nach dieser Auffassung Vertragsverhältnisse z.B. nach Deliktsrecht oder nach anderen gesetzlichen Schuldverhältnissen zu richten hätten. Das zweite – neben die anerkannte Schuld tretende – Schuldverhältnis (das vertragliche Schuldanerkenntnis) verlangt nur den Nachweis des Bestehens seiner eigenen vertraglichen Tatbestandsvoraussetzungen (also z.B. wirksamer Abschluss des Rechtsgeschäfts, Geschäftsfähigkeit der Vertragspartner, keine Irrtümer bei Vertragsabschluss usw.). Dies ist die Konsequenz des – beim (abstrakten) Schuldanerkenntnis geltenden – Trennungsprinzips134. Marburger hat den – bisher erfolgreichen – Versuch unternommen, das kausale Schuldanerkenntnis mit dem anerkannten Schuldverhältnis zu einem einheitlichen Schuldverhältnis zu verschmelzen135, was in der ­gemeinrechtlichen „constitutum“-Lehre ebenfalls als Erklärungsversuch des Schuld­ anerkenntnisses diente. Willens- oder andere Rechtsmängel eines vertraglichen Schuldanerkenntnisses können sich aber nicht nach dem ursprünglichen, unwirksamen Schuldverhältnis oder nach einem anerkannten gesetzlichen Schuldverhältnis richten. Das Trennungsprinzip muss auch für Schuldanerkenntnisse gelten, für abstrakte ohnehin, weil das Abstraktionsprinzip auf dem Trennungsprinzip beruht136. Für kausal konstruierte vertragliche Schuldanerkenntnisse ist das zweite Schuldverhältnis (Schuldanerkenntnis) ebenfalls vom ersten Schuldverhältnis (anerkannter Schuld) zu trennen, auf jeden Fall dann, wenn es konstitutive, einwendungsausschließende Wirkungen entfalten soll137. Wie bei allen Schuldverträgen müssen auch beim kausal konstruierten Schuldanerkenntnis die dogmatischen Grundsätze der allgemeinen Rechts132 Beispiel: Der Deliktsgläubiger hat die Anspruchsgrundlagen des Delikts darzulegen und zu beweisen. Ein Schuldanerkenntnis verschafft ihm Beweiserleichterung. 133 Marburger in Staudinger, 2015, § 781 BGB Rz. 14. 134 Zur in Judikatur und Schriftform vielfach nicht beachteten Abgrenzung zwischen Trennungs- und Abstraktionsprinzip Jauernig, JuS 1994, 721; Petersen, JURA 2004, 98. 135 Dann würde es sich nicht um ein Schuldanerkenntnis, sondern um einen Schuldabänderungsvertrag handeln. 136 Petersen, JURA 2004, 98, 99. 137 Zu historisch mit der Systematik unseres BGB nicht kompatiblen Ansichten wie der Lehre vom constitutum debiti, als deren bedeutendste Vertreter Schlesinger (Zur Lehre von den

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geschäftslehre beachtet werden. Daher muss für das kausale Anerkenntnis einer Deliktsschuld, obwohl nach der Dogmatik Marburgers das kausale Schuldanerkenntnis sich nach anerkannten Schuldverhältnis richtet, z.B. ausschließlich die Geschäftsfähigkeit maßgebend sein, nicht aber die Deliktsfähigkeit und auch die sonstigen Wirkungen eines „kausalen“ Schuldanerkenntnisses müssten sich nach Vertragsrecht richten, wenn ein „kausales“ Schuldanerkenntnis von unserer Rechtsordnung neben § 781 BGB anzuerkennen wäre.

XI. Drei Grundtypen vertraglicher Schuldanerkenntnisse Rechtlicher Grund oder Zweck jedes vertraglichen Schuldanerkenntnisses sind allein aus der Hilfsgeschäftsfunktion dieses Vertragstypus zu erschließen138. Welchen Zwecken können vertragliche Schuldanerkenntnisse dienen? Jedem vertraglichen Schuldanerkenntnis liegen drei Grundtypen der Rechtsgründe oder Zwecke zugrunde, die aufgrund privatautonomer Gestaltungsfreiheit auch in gemischter Form auftreten können139. Vertragliche Schuldanerkenntnisse können bestehende Forderungen entweder nur bestätigen (als deklaratorische oder bestätigende Schuldanerkenntnisse) oder sie können mit schuldrechtlicher Wirkung feststellen, indem sie Einreden oder Einwendungen der anerkannten Forderungen ausschließen (als schuldrechtlich konstitutive oder feststellende Schuldanerkenntnisse) oder sie können schenkweise (also ohne Rücksicht auf das Bestehen der anerkannten Forderung) erteilt werden (§ 518 Abs. 2 BGB). Hätte der Gesetzgeber alle vertraglichen Schuldanerkenntnisse – als typisierte Verpflichtung wie die Bürgschaft gem. § 765 ff. BGB – kausal gestaltet, wäre § 812 Abs. 2 BGB entbehrlich. Alle vertraglichen Schuldanerkenntnisse wären – als kausale Vertragstypen – bei fehlender bzw. mangelhafter causa nichtig statt kondizierbar. Der Gesetzgeber hat  – um den historischen Dogmenstreit über die Wirkung einer „Anerkennung“ oder eines „Anerkenntnisses“ zu beenden140 und auch, um reine Versprechen und reine Anerkenntnisse (also Schuldanerkenntnisse die nicht erkennen lassen, auf welche anerkannte Verbindlichkeit sie sich beziehen) als vorläufig wirksam zu regeln141  – entschieden, vertragliche Schuldanerkenntnisse gem. §  781 BGB bei fehlender causa als vorläufig wirksam und nach § 812 Abs. 2 BGB kondizierbar zu gestalten. Deshalb stellt sich die Frage, welche Rechtsfolgen sich aus der vom Gesetz-

Formalkontrakten und der Querela non numeratae pecuniae, 1858) und Bruns (Das constitutum debiti, ZRG 1861, 28 ff.) gelten, vgl. Baumann (Fn. 5), 140 ff. 138 Zum umstrittenen Rechtsgrund des Schuldanerkenntnisses Medicus/Lorenz, Schuldrecht II, 17. Aufl. 2014, § 123 Rz. 1047. 139 Die zahlreichen Mischtypen vertraglicher Schuldanerkenntnisse können in diesem Beitrag aus Platzgründen nicht dargestellt werden. 140 Dazu ausführlich Baumann (Fn. 5), 113 ff. 141 Zutreffend Crezelius (Fn. 1), 1541 (1546).

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geber angeordneten Rückabwicklung über das Bereicherungsrecht, der Kondizierbarkeit statt der Nichtigkeit für den Rechtsuchenden ergeben. Bei Verfügungen wird angenommen, dass die Trennung des schuldrechtlichen Rechtsakts von seiner causa durch Abstraktion den Verkehrsschutz erhöhe. Insbesondere bei Rechtsgeschäften mit langen Abwicklungszeiträumen – wie Grundstücksgeschäften – erhöht bzw. erleichtert das Trennungs- und Abstraktionsprinzip den Schutz der Vertragspartner, indem durch vorläufige Sicherungsmechanismen – wie die Vormerkung oder die Hinterlegung des Kaufpreises – eine Trennung von Schuldvertrag und Verfügung und damit eine Zug-um-Zug-Leistung gewährleistet werden kann. Der vorläufige Bestand eines Schuldanerkenntnisses kann jedoch keinen erhöhten, nicht einmal einen erleichterten Verkehrsschutz herbeiführen. Die Abstraktion von Obligationen, Verbindlichkeiten, Forderungen entfaltet keine anderen Wirkungen als deren kausale Gestaltung. Ein gutgläubiger Erwerb abstrakter Verpflichtungen (= Forderungen des Gläubigers) ist im Unterschied zu abstrakten Verfügungen in unserer Rechtsordnung ausgeschlossen. Alle Einwendungen und Einreden bleiben erhalten142. Nur bei verbrieften Forderungen (diese sind auch bei kausalen Schuldanerkenntnissen möglich) wird nach § 405 BGB zugunsten des gutgläubigen Zessionars der Einwand des Scheingeschäfts (§  117 BGB) und der Einwand der vereinbarten Nichtabtretbarkeit der Forderung (§ 399 BGB) ausgeschlossen143. Letzteres ist aber bezogen auf das Schuldanerkenntnis keine Rechtsfolge der Abstraktion, sondern der „Verbriefung“. Formfreie Schuldanerkenntnisse werden nicht deswegen vereinbart, um nach einer Abtretung den Einwand des Scheingeschäfts oder der vereinbarten Nichtabtretbarkeit zuzulassen. Da ein gutgläubiger Erwerb abstrakter Schuldanerkenntnisse ausgeschlossen ist, kann eine mit der Bereicherungseinrede gem. §  821 BGB behaftete abstrakte Forderung nicht von Dritten gutgläubig erworben werden. Ob ein Schuldanerkenntnis vom Gesetzgeber oder der Judikatur abstrakt oder kausal konstruiert wird, führt schuldrechtlich nicht zu sinnvoll voneinander abzugrenzenden Rechtsfolgen144, auch nicht in Bezug auf Verjährungsregeln, zumal gewollte Verjährungsfolgen vertraglich vereinbart werden können. Der Abgrenzungsaufwand ist noch weniger nachvollziehbar, wenn man auch kausale Forderungen außerhalb des Synallagma für kondizierbar hält145. Die von den Parteien wissentlich intendierten Rechtsfolgen sind bei ab­strakten oder kausalen vertraglichen Schuldanerkenntnissen identisch, unabhängig davon, ob man ihre causa in den Vertrag inkorporiert (kausale Schuldanerkenntnisse) oder ob man 142 Kuhn, AcP 208 (2008), 101. 143 Grüneberg in Palandt, 76. Aufl. 2017, § 405 BGB Rz. 1 ff. 144 Es gibt einen - von den Parteien ungewollten - prozessualen Unterschied beider Konstruktionen beim Versäumnisurteil wegen des Unterschieds zwischen Einwendung bei Nichtigkeit und peremptorischer Einrede bei Kondizierbarkeit gem. § 821 BGB. Hierzu Crezelius (Fn. 1), 1541 ff.; Baumann (Fn. 5), 213 ff. 145 Westermann in Erman, 14. Aufl. 2014, § 812 BGB Rz. 58; Mazza, Kausale Schuldverträge: Rechtsgrund und Kondizierbarkeit (2002) (Fn. 125), 200 ff. (230).

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das Schuldanerkenntnis ohne Rücksicht auf das Bestehen einer causa zunächst als wirksam erachtet und nur für kondizierbar erklärt (abstrakte Schuldanerkenntnisse). Der vom Schrifttum146 als Abgrenzungskriterium geforderte „Abstraktionswille“ des erklärenden Schuldners ist aus der Sicht der Rechtspraxis nicht nur wenig sinnvoll, weil kein juristischer Laie bei Vereinbarung eines vertraglichen Schuldanerkenntnisses einen Abstraktionswillen hat, sondern auch deswegen, weil dieser Abstraktionswille gar keine vom Schuldner gewollten, unterschiedlichen Rechtsfolgen auslösen kann147. Die bei allen vertraglichen Schuldanerkenntnissen gleichlaufenden Rechtsfolgen148 verdeutlichten, dass für „kausale“ Schuldanerkenntnisse neben dem gesetzlich geregelten Schuldanerkenntnis des § 781 BGB kein Raum in unserer Rechtsordnung ist, außer zur rechtswidrigen Umgehung des Schriftformgebotes des § 781 BGB.

XII. Ergebnisse Die Bedeutung des Trennungsprinzips und der Abstraktion werden beim gesetzlich in § 781 BGB geregelten vertraglichen Schuldanerkenntnis von Judikatur und Schrifttum seit Jahrzehnten verkannt. Die Rechtsprechung hat sich (dogmatisch fehlerhaft) darauf festgelegt, dass es neben § 781 BGB – aufgrund Privatautonomie zulässig – vertragliche Schuldanerkenntnisse gäbe, die der Schriftform nicht bedürften. Auslöser für die Akzeptanz solcher außergesetzlichen Schuldanerkenntnisse waren gläubigerschützende Billigkeitserwägungen der Rechtsprechung, um den Schuldner trotz Schriftformerfordernisses an seiner Erklärung festzuhalten149. Die sog. h.M. im Schrifttum bestätigt diese Rechtsprechung sich wechselseitig zitierend150, stereotyp den hohen Abgrenzungsaufwand mit denselben Begründungen verteidigend151, obwohl klare Abgrenzungskriterien fehlen, die eine „Umgehung“ der Schriftform rechtfertigen könnten. Bisher hat kein Autor im Schrifttum widerlegt, dass die gebotene Abgrenzung zwischen kausalen und abstrakten Schuldanerkenntnissen – wie Creze­ lius152 schon 1977 nachgewiesen hat – deshalb erfolglos sein muss, weil kausal oder 146 Marburger in Staudinger, 2015, § 780 BGB Rz. 4, § 781 BGB Rz. 24. 147 Crezelius (Fn. 1), 1541 ff.; Baumann (Fn. 5), 213 ff., 242 f. 148 Crezelius (Fn. 1), 1541 ff.; Baumann (Fn. 5), 213 ff., insbes. 242 f. 149 Baumann (Fn. 5), 34 ff., 243 ff. 150 Vgl. nur die Abgrenzungsversuche zwischen den verschiedenen vertraglichen Schuldanerkenntnissen in den Lehrbüchern: z.B. Brox/Walker, Besonderes Schuldrecht, 41. Aufl. 2017, 455 ff.; Eckert, Schuldrecht BT, 2. Aufl. 2005, Rz. 1182 ff.; Emmerich, BGB-Schuld­ recht BT, 14. Aufl. 2015, § 15, 200 ff.; Esser/Weyers, Schuldrecht, Bd. II BT, Teilbd. 1, 8. Aufl. 1998, § 41; Fickentscher/Heinemann, Schuldrecht, 10. Aufl. 2006, § 98, 682 ff.; Gursky, Schuldrecht BT, 5. Aufl. 2005, 175 ff.; Looschelders, Schuldrecht BT, 12. Aufl. 2017, 384 ff.; Schlechtriem, Schuldrecht BT 6. Aufl. 2003, 270 ff.; Tonner, Schuldrecht, 4. Aufl. 2016, § 31 Rz. 7; Medicus/Lorenz, Schuldrecht II, 17. Aufl. 2014, § 124 Rz. 1049. 151 Exemplarisch: Wellenhofer-Klein, JURA 2002, 505 ff.; Schreiber, JURA 2014, 28; Böttcher, Das abstrakte Schuldversprechen als Mittel der Kreditsicherung (2007); Haas, Schuldversprechen und Schuldanerkenntnis (2011); Marburger in Staudinger, 2015, §  781 BGB; Buck-Heeb in Prütting/Wegen/Weinreich, 11. Aufl. 2016, § 781 BGB Rz. 1 ff. 152 Crezelius (Fn. 1), 1541 ff.; Baumann (Fn. 5), 21 ff.; ders. in Festschr. Spiegelberger (2009), 1176 ff., 1190; ähnlich jetzt auch Leitmeier, NZBau 2013, 681, der aber leider falsch zitiert.

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abstrakt konstruierte Schuldanerkenntnisse keine unterschiedlichen Rechtsfolgen herbeiführen können153. Die Unterscheidung zwischen abstrakten und kausalen Schuldverträgen ist sinnlos154, umso mehr dann, wenn auch kausale Verbindlichkeiten kondizierbar sind155 und sogar „kausale Schuldanerkenntnisse“ Gegenstände eines Bereicherungsanspruchs sein können156. Die Abstraktion beim vertraglichen Schuldanerkenntnis gem. §§ 781, 812 Abs. 2 BGB ist nur „eine Form der rechtstechnischen Ausgestaltung“157, ohne dass die vertragliche Verpflichtung anderen Regeln folgt als bei einer kausalen Ausgestaltung. Westermann hält es deshalb zu Recht für „nicht einleuchtend“, dass „nur das sog. abstrakte Schuldversprechen oder -anerkenntnis als Kondiktionsgegenstand i.S.d. § 812 II anerkannt wird“.158 Eine weitergehende Frage lautet: Sind „reine“ Versprechen oder Anerkenntnisse, also solche die keinen Hinweis auf Zweck und Rechtsgrund geben, als wirksame Verpflichtungen anzuerkennen. Diese Frage hat der Gesetzgeber in §§ 780, 781 BGB beantwortet159. Beweist der Schuldner jedoch das Nichtbestehen der causa, so ist das reine Versprechen nach deutschem Recht kondizierbar bzw. mit der peremptorischen Einrede des § 821 BGB behaftet160. Crezelius hat als Lösungsmöglichkeit vorgeschlagen, den Anwendungsbereich des § 781 BGB auf die sog. „reinen Schuldanerkenntnisse“ (cautio indiscreta) zu reduzieren161. Insoweit sollte seiner im übrigen fehlerlosen dogmatischen Abhandlung nicht gefolgt werden. Der Gesetzgeber wollte nicht nur die äußerst strittige Frage der Bedeutung einer cautio indiscreta, der reinen Versprechen und der reinen Anerkenntnisse, sondern auch die ebenso äußerst strittige Frage der rechtlichen Bedeutung einer Anerkennung (Feststellung) in § 781 BGB regeln162. Die abstrakte Ausgestaltung sah der Gesetzgeber nur vor, um auch einem Schuldversprechen oder einem Schuld­ anerkenntnis ohne Angabe des Schuldgrundes (cautio indiscreta) Wirkung zu ver­ leihen163. Dem Gesetzgeber kam es  – in Übereinstimmung mit den allgemeinen Grundsätzen unseres BGB – auf die äußere Fassung der Erklärung nicht an164. Unser 153 Ausnahme: ein von den Parteien nicht gewollter Sonderfall im Säumnisverfahren. Darauf aber ist der Parteiwille beim Abschluss eines Schuldanerkenntnisses nicht gerichtet. 154 Crezelius (Fn. 1), 1541 ff. 155 Schwab in MünchKomm/BGB, 7. Aufl.2017, § 812 BGB Rz. 28 ff. 156 Schwab in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2017, § 812 BGB Rz. 31. 157 Flume, BGB, AT/2 § 12, 1, S. 151; Mazza, Kausale Schuldverträge: Rechtsgrund und Kondizierbarkeit (2001), 79. 158 Westermann in Erman, 14. Aufl. 2014, § 812 BGB Rz. 58. 159 Zutreffend Crezelius (Fn. 1), 1541 ff. (1546). 160 So Crezelius (Fn. 86), 1541 ff.; Baumann (Fn. 5), 213 ff. 161 Dies war nicht der Wille des Gesetzgebers. Dagegen auch Bähr (Fn.76), Capitel XI: Formen des Anerkennungsvertrages, insbes. §§  62a  ff., dessen dogmatischen Vorschlägen zum abstrakten Schuldvertrag der Gesetzgeber gefolgt war. 162 Prot. II, 495 ff., 498 f. 163 Zutreffend Crezelius, DB 1977, 1541 ff. (1545). 164 Die objektive Fassung der Anerkenntniserklärung (dazu Baumann [Fn. 5], S. 190 ff.) kann kein taugliches Abgrenzungskriterium zur Ermittlung der „Abstraktion“ sein. So schon der Gesetzgeber; vgl. Prot. II, 501.

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Bürgerliches Gesetzbuch erkennt mit den §§ 780, 781 BGB nur auch an, dass reine Versprechen und reine Anerkenntnisse rechtswirksam sind. Im übrigen gilt für Schuld­ anerkenntnisse das allgemeine Prinzip unserer Rechtsordnung, dass für die Abgabe von Willenserklärungen nicht (wie noch bei der römisch rechtlichen „stipulatio“) der Gebrauch bestimmter Worte oder eine bestimmte Wortfassung maßgebend ist. § 133 BGB bringt dies mit den Worten zum Ausdruck, dass nicht „an dem buchstäblichen Sinne des Ausdrucks zu haften“ ist, d.h. die Parteien können ihre Willenserklärungen frei formulieren; ihr wirklicher Wille ist auch bei Verträgen maßgebend. Diese rechtsgeschäftlichen Grundsätze unseres Bürgerlichen Gesetzbuches gelten auch für § 781 BGB. Letztlich spricht gegen diesen Vorschlag, dass die sprachlichen Übergänge vom reinen zum konkreten Schuldanerkenntnis fließend sind. Obwohl schon vor Crezelius von zahlreichen namhaften Zivilrechtslehrern Zweifel an der Dogmatik der kausalen oder deklaratorischen Schuldanerkenntnisse erhoben wurden, hält sich die hartnäckige Auffassung, neben den in §  781 BGB geregelten vertraglichen Schuldanerkenntnissen könne es vertragliche Schuldanerkenntnisse geben, die im Gesetz nicht geregelt seien. „Die einzige Regelung, die in den §§ 780, 781 BGB ausdrücklich getroffen wird, gilt der Formfrage“165. Die Erklärung des sich selbstständig Verpflichtenden (§ 780 BGB) und des Anerkennenden (§ 781 BGB) bedarf laut Gesetz der Schriftform166. Die Schriftform erleichtert die Beweislage und führt auch zu einem Übereilungsschutz des Schuldners167. Die Meinung, die Schriftform der §§ 780, 781 BGB diene nur der Beweiserleichterung168, wird schon durch § 350 HGB widerlegt. Grundlage dieser Bestimmung war die Auffassung des Gesetzgebers169, dass Vollkaufleute wegen ihrer Geschäftserfahrenheit nicht des besonderen Formschutzes der §§ 780, 781 BGB bedürfen170. Dieses Schuldnerschutzerfordernis 165 So treffend Medicus, Schuldrecht BT, 14. Aufl. 2007, Rz. 559. 166 Zu Entwicklung kausaler Schuldanerkenntnisse trug maßgeblich der von Otto Bähr (Fn. 76), 256 kritisierte Formzwang bei. Zur Form des Schuldanerkenntnisses, Baumann, ZBB 1993, 171 ff.; ders. (Fn. 5), 243 ff. 167 Medicus (Fn. 165), Rz. 559; Stadler in Jauernig, 16. Aufl. 2015, § 780, § 781 BGB Rz. 8 m.w.N.; kritisch zur Umgehung des Schriftformerfordernisses durch kausale Schuldanerkenntnisse auch Diederichsen, Anm. zu BAG AP Nr. 1 zu § 781 BGB am Ende; Larenz, Schuldrecht BT, 12. Aufl. 1981, § 65 II, S. 489; Canaris, Die Vertrauenshaftung im deutschen Privatrecht (1971), S. 35 1 f.; Karsten Schmidt, JuS 1980, 529; Esser/Weyers, Schuld­ recht BT, 6. Aufl. 1983, § 41 III 2 b); Emmerich, Schuldrecht BT, 4. Aufl. 1985, § 15 I 4. 168 So vor allem Marburger in Staudinger, 2015, § 780 BGB Rz. 7; anders die von Marburger unvollständig zitierte inzwischen wohl h.M.: vgl. Medicus/Lorenz, SchuldR II, 17. Aufl. 2014, Rz. 1048: „bewirkt … einen gewissen Übereilungsschutz“; Greiner, Schuldrecht BT, 2011, 233 „Warnfunktion“; für „Übereilungsschutz“ Larenz/Canaris, Schuldrecht II/2, 13. Aufl. 1993, § 61 I 1 b; Stadler in Jauernig, 16. Aufl. 2015, §§ 780, 781 BGB Rz. 8; Staudinger in Hk-BGB, 9. Aufl. 2016, § 781 BGB Rz. 3; Wilhelmi in Erman, 14. Aufl. 2014, § 780 BGB Rz. 5, § 781 BGB Rz. 7; Baumann, ZBB 1993, 174; Dehn, WM 1993, 2115; Fischer, JuS 1998, 205. 169 Denkschrift II, 353 = Schubert/Schmiedel/Krampe, II/2, 1113; Heymann/Horn (2. Aufl.), § 350 HGB Rz. 3; Karsten Schmidt in MünchKomm/HGB, 3. Aufl. 2013, § 350 HGB Rz. 1. 170 Karsten Schmidt in MünchKomm/HGB, 3. Aufl. 2013, § 350 HGB Rz. 1; Lehmann-Richter in Häublein/Hoffmann-Theinert, 2017, § 350 HGB Rz. 1; Horn in Heymann/Horn, 2. Aufl.

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hat für alle vertraglichen Anerkenntnisse zu gelten171, für einwendungsausschließende zum Schutz des Schuldners sogar noch mehr als für die Beweislast bloß umkehrende Schuldanerkenntnisse. Dieses Formerfordernis wird durch die in den Rechtsfolgen identische „Parallelfigur“ des kausalen Schuldanerkenntnisses umgangen. Das kausale Schuldanerkenntnis ist daher nicht eine überflüssige, sondern eine Rechtsfigur, die gegen die Formvorschriften der §§ 780, 781 BGB verstößt und deshalb gesetzeswidrig ist. Schon der geistige Vater des § 781 BGB Otto Bähr hatte davor gewarnt, dass der Formzwang zu Fehlentwicklungen der Dogmatik führen könne: „Richtig ist, dass verpflichtende Anerkennungsacte mündlich weit seltener vorkommen als schriftlich. Gleichwohl wird mit dem Gebote der Schriftlichkeit der Lehre eine Fessel angelegt, an der sie leicht verkümmern kann“172. Neben dem in § 781 BGB geregelten vertraglichen Schuldanerkenntnis besteht kein Bedarf für weitere vertragliche Schuldanerkenntnisse, es sei denn zur rechtswidrigen Umgehung der zum Schuldnerschutz vorgeschriebenen Schriftform. Damit ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass die Rechtsprechung trotz Anwendung des § 781 BGB in Einzelfällen von der Anwendung des Formerfordernisses absehen kann173.

XIII. Rückblick mit Ausblick Vielleicht wird die deutsche Zivilrechtsdogmatik ihre Erkenntnisse in den nächsten Jahren dahingehend fortentwickeln, dass abstrakte und kausale Verträge im Schuldrecht keine unterschiedlichen Rechtsfolgen (bis auf die von Crezelius aufgezeigte Differenz zwischen peremptorischer Einrede und Einwendung) herbeiführen, bevor ein europäisches Privatrecht das Abstraktionsprinzip aufhebt. Bei Schuldverträgen bleibt die Abstraktion ohne Wirkung, auch ohne erhöhten Verkehrsschutz. Deshalb ist die „abstrakte Ausgestaltung“ des Schuldanerkenntnisses bei Aufgabe des Abstraktionsprinzips am ehesten verzichtbar. Schon der nationalsozialistischen Gesetzgebung schien die Abstraktion des Schuldversprechens mit ihrer „künstlichen Verweisung auf das Bereicherungsrecht“ reformbedürftig174. Der europäische Gesetzgeber wird abstrakte Schuldverträge nicht in sein europäisches Schuldvertragsrecht übernehmen, weil dieser Singularität deutscher Rechtsdogmatik das historisch gewachsene europäische Fundament fehlt.

2005, § 350 HGB Rz. 3; Klappstein in Heidel/Schall, 2. Aufl. 2015, § 350 HGB Rz. 1; Pamp in Oetker, 4. Aufl. 2015, § 350 HGB Rz. 1; Hackenberg in Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 3. Aufl. 2015, § 350 HGB Rz. 1; Canaris, Handelsrecht, 24. Aufl. 2006, § 1 Rz. 17. 171 Ebenso E. Ehmann (Fn. 27), 221 f., der für kausale Schuldanerkenntnisse sogar – wie für schenkweise – die notarielle Beurkundungsform fordert. 172 Bähr (Fn. 76), 256. 173 Z.B. analog §  350 HGB; weitere Beispiele zu möglichen Formbefreiungstopoi bei Baumann (Fn. 5), 249 ff. 174 Schubert (Hrsg., 1988), Akademie für Deutsches Recht 1933-1945, Protokolle der Ausschüsse, Volksgesetzbuch, Teilentwürfe, Arbeitsberichte und sonstige Materialien, 157.

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Dagegen ist die vom Gesetz in § 781 BGB vorgeschriebene Schriftform nicht verzichtbar, weil sie den Schutz des Schuldners umgeht. Das außergesetzlich formfrei geltende, sog. kausale oder deklaratorische Schuldanerkenntnis sollte, weil es regelungstechnisch und in den herbeizuführenden Rechtsfolgen mit dem in §  781 BGB normierten Schuldanerkenntnis identisch ist und weil es von der Rechtsprechung nur aus Billigkeitserwägungen zur Umgehung der gesetzlich vorgeschriebenen Schriftform entwickelt wurde, als „Phlogiston“ der Rechtsdogmatik aus Rechtsprechung und Schrifttum so schnell wie möglich verschwinden175. Dann wäre unser Jubilar Georg Crezelius176 – mit zeitlicher Verzögerung – angemessen geehrt.

175 Baumann (Fn. 5), 283 ff. und 21 ff. passim; ähnlich jetzt Leitmeier, NZBau 2013, 681 „verzichtbare Rechtsfigur“. 176 Crezelius (Fn. 1), 1546 ff.

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Austausch des Steuerobjekts – Surrogationsprinzip als Grundlage der Besteuerung? Inhaltsübersicht

I. Einleitung

II. Surrogation im Zivilrecht III. Surrogation im Zusammenhang mit der Verwirklichung eines Steuertat­ bestandes durch einen einmaligen Rechtsvorgang 1. Schenkung unter Lebenden a) Besteuerungsobjekt b) Austausch des Besteuerungsobjekts 2. Mittelbare Schenkung 3. Schenkung unter Nießbrauchs­ vorbehalt 4. Abfindung für Verzicht auf Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs 5. Vor-/Nacherbfall IV. Surrogation im Rahmen einer ­laufenden Besteuerung 1. Nießbrauch a) AfA-Befugnis





b) „Fortsetzung“ Nießbrauch am ­neuen Objekt 2. Atypische Unterbeteiligung V. Vorgänge nach Verwirklichung eines Steuertatbestandes 1. Erbfall/Erbauseinandersetzung a) Erbfall b) Erbauseinandersetzung c) Abweichende Vereinbarungen zur klassischen Erbauseinandersetzung d) Ertragsteuern 2. Maßnahmen mit Rückwirkung/­ Auswirkung auf Erbfall a) Einziehung und Abtretung aa) Übergang Gesellschafts­ beteiligung bb) Abfindung statt Gesellschaftsbeteiligung b) Maßnahmen während Behaltefrist c) Leistung an Erfüllungs statt

VI. Ergebnis

I. Einleitung Im Zivilrecht bestehen vielfach Ansprüche auf Übertragung bzw. Herausgabe von Vermögensgegenständen oder Rechten an Vermögensgegenständen. Sofern der Vermögensgegenstand „wegfällt“ oder die Übertragung nicht möglich ist, tritt im Regelfall ein anderer Vermögensgegenstand ersatzweise an dessen Stelle. Einen solchen Ersatz eines Vermögenswertes durch einen anderen erfasst das Rechtsinstitut der Surrogation. Steuerrechtlich stellt sich die Frage, ob der Austausch eines Steuerobjekts, das bereits bestimmten Steuerfolgen unterliegt („Steuerverstrickung“ im weiteren Sinne), die Fortgeltung der – bisher anzuwendenden – Steuernormen unberührt lässt oder aber zu deren Wegfall führt. Hiervon abzugrenzen sind Fälle, in denen nachträglich ein Steuertatbestand entfällt, bspw. bei Anrechnung von – zunächst steuerpflichtigen  – Zuwendungen auf einen zukünftigen Zugewinnausgleichsanspruch gem. § 1380 BGB mit der Folge des § 29 ErbStG.

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Untersucht werden sollen daher Anerkennung sowie Folgen einer Surrogation im Steuerrecht und hierbei, ob es im Steuerrecht (ggf.) ein einheitliches System der Surrogation gibt und die Rechtsfolgen einer Surrogation dem Steuerrecht jeweils – ggf. innerhalb einer Steuerart – systemimmanent sind.

II. Surrogation im Zivilrecht Die zivilrechtlichen Regelungen hierzu unterscheiden zwischen schuldrechtlicher und dinglicher Surrogation. Fälle schuldrechtlicher Surrogation sind bspw. in § 285 BGB geregelt; danach besteht ein schuldrechtlicher Anspruch auf Herausgabe eines Surrogats. Zudem sieht das Bereicherungsrecht in § 818 Abs. 1 BGB eine schuldrechtliche Surrogation vor. Sie sind dadurch gekennzeichnet, dass sich der Vermögensgegenstand, auf den ein Anspruch gerichtet ist, aufgrund eines „Ereignisses“ ändert. Es bleibt daher grundsätzlich dabei, dass ein Anspruch auf Übereignung eines Vermögensgegenstandes besteht. Nach § 285 BGB ist erforderlich, dass dem Schuldner die Leistung eines von ihm geschuldeten Gegenstandes unmöglich geworden ist oder aber er diese Leistung zu Recht verweigern kann. Erlangt er in diesen Fällen einen Ersatz oder Ersatzanspruch für den an sich geschuldeten Gegenstand, hat er diesen „Vorteil“ (stellvertretendes Commodum) herauszugeben1. Ebenso verhält es sich im Rahmen des Bereicherungsrechts. Nach § 818 Abs. 1 BGB besteht in Fällen der Unmöglichkeit der Herausgabe des gegenständlich Erlangten durch ein späteres Ereignis ein Anspruch auf Herausgabe des Surrogats, also desjenigen, was der Schuldner als Ersatz für den ursprünglich erlangten Bereicherungsgegenstand oder durch Ausübung eines erlangten Rechts erhalten hat2. Fälle einer dinglichen Surrogation zeichnen sich demgegenüber dadurch aus, dass ein unmittelbarer Erwerb eines Ersatzgegenstandes ohne besonderen Übertragungsakt erfolgt. So ist dies etwa im Gesellschaftsrecht (§ 718 Abs. 2 BGB) sowie beim Nießbrauch (§§ 1046, 1048 BGB) vorgesehen, zudem im Rahmen der Gütergemeinschaft (§ 1473 Abs. 1 BGB). Hierzu gehören bspw. im Rahmen des § 718 Abs. 2 BGB ein Anspruch auf Schadenersatz sowie sonstige Entschädigungen und auch Versicherungs- und Bereicherungsansprüche3. Im Rahmen des Nießbrauchs gilt dies etwa für die Forderung des Eigentümers gegenüber der Versicherung im Schadensfalle, an der dem Nießbraucher ersatzweise der Nießbrauch zusteht. Gleiches gilt im Rahmen der Ersatzbeschaffungspflicht für das Inventar – in diesem Fall werden die Ersatzgegenstände Eigentum des Inventareigentümers und der Nießbrauch erstreckt sich automatisch auf diese4. Weiterhin ist die dingliche Surrogation im Erbrecht vorgesehen; hier für die Erbengemeinschaft (§ 2041 BGB), den Erbschaftsbesitzer (§ 2019 BGB) und schließlich die Vor- und Nacherbschaft (§  2111 BGB). Der Grundsatz des unmittelbaren Erwerbs 1 Emmerich in MünchKomm/BGB, 7. Aufl., § 285 BGB Rz. 3. 2 Schwab in MünchKomm/BGB, 7. Aufl., § 818 BGB Rz. 3, 6. 3 Schäfer in MünchKomm/BGB, 7. Aufl., § 718 BGB Rz. 21. 4 Pohlmann in MünchKomm/BGB, 7. Aufl., § 1046 BGB Rz. 1; § 1048 BGB Rz. 6.

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eines Ersatzgegenstandes ohne besonderen Übertragungsakt gilt auch im Erbrecht, etwa gem. § 2041 für die Erbengemeinschaft. Zudem erfolgt hier kein Durchgangserwerb einer anderen Person, etwa eines einzelnen Miterben – der Erwerb erfolgt daher unmittelbar mit Wirkung für die Erbengemeinschaft als solcher.5 Im Falle der Vorund Nacherbschaft zählt mit Eintritt des Nacherbfalles zur Erbschaft all das, was bereits im Vorerbfall Gegenstand des Nachlasses war und weiterhin vorhanden ist. Darüber hinaus bestimmt §  2111 BGB unter Rückgriff auf die dingliche Surrogation, dass auch Änderungen in der Zusammensetzung des Nachlasses zwischen Vor- und Nacherbfall in der Weise berücksichtigt werden, dass Ersatzgegenstände nunmehr im Nacherbfall ebenfalls Gegenstand des Nachlasses sind. Die entsprechenden Vermögensgegenstände fallen automatisch in den Nachlass und unterliegen damit im Zeitpunkt des Nacherbfalls dem für den Nacherben bestehenden Herausgabeanspruch (§ 2130 Abs. 1 Satz 1 BGB)6. In gleicher Weise vollzieht sich die Surrogation beim Erbschaftsbesitzer, durch die auf diese Weise der wechselnde Bestand im Nachlass mit unmittelbarer Wirkung für den tatsächlichen Erben gesichert wird und dieser Herausgabe nach § 2018 BGB verlangen kann7. Die Fälle der dinglichen Surrogation unterscheiden sich nach einer Rechtssurrogation, einer Ersatzsurrogation sowie einer Mittelsurrogation (im Rahmen des §  2041 BGB als Beziehungssurrogation bezeichnet). Rechtssurrogation bedeutet hierbei, dass der Ersatzgegenstand aufgrund der Ausübung eines Rechtes erlangt wird, während bei der Ersatzsurrogation ein auf einen anderen Gegenstand gerichteter Ersatz­ anspruch besteht. Die sog. Mittelsurrogation oder Beziehungssurrogation zeichnet sich dadurch aus, dass der Ersatzgegenstand aufgrund eines Rechtsgeschäftes erworben wird, beispielsweise durch eine Erbengemeinschaft im Rahmen des § 2041 BGB. Die Surrogationsfälle des Erbrechts umfassen sämtliche Arten bzw. Anwendungsfälle der Surrogation; im Rahmen der BGB-Gesellschaft sowie des Bereicherungsrechts sind nur Rechtssurrogation und Ersatzsurrogation vorgesehen, im Rahmen des Nießbrauchs lediglich die Ersatzsurrogation.

III. Surrogation im Zusammenhang mit der Verwirklichung eines ­Steuer­tatbestandes durch einen einmaligen Rechtsvorgang 1. Schenkung unter Lebenden a) Besteuerungsobjekt Bei einer Schenkung wird durch vertragliche Vereinbarung ein Anspruch des Beschenkten/Zuwendungsempfängers auf die vereinbarte Leistung begründet. Das ErbStG erfasst jedoch bei Schenkungen unter Lebenden (§ 1 Abs. 1 Nr. 2, 7 ErbStG) nicht bereits den Anspruch (Schenkungsversprechen) als Zuwendungsvorgang, da die Schenkungsteuer erst mit der Ausführung der Zuwendung entsteht, §  9 Abs.  1 5 Gergen in MünchKomm/BGB, 7. Aufl., § 2041 BGB Rz. 5. 6 Grunsky in MünchKomm/BGB, 7. Aufl., § 2111 BGB Rz. 1 f., 7. 7 Helms in MünchKomm/BGB, 7. Aufl., § 2019 BGB Rz. 1, 14.

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Nr. 2 ErbStG; der Beschenkte muss hierzu „einen greifbaren Wert“ in Händen halten8. Dieser Begriff der Ausführung umschreibt wie in § 518 Abs. 2 BGB (dort: Bewirkung der versprochenen Leistung) – ungeachtet der unterschiedlichen Normzwecke – den Zeitpunkt, zu dem ein Zuwendungsvorgang aus Sicht des betreffenden Rechtsgebiets durchgeführt und damit im Wesentlichen abgeschlossen ist9. Diese Regelung bestimmt damit zum einen den Zeitpunkt, zu dem der steuerpflichtige Vorgang erfolgt, durch den die Schenkungsteuer ausgelöst wird. Damit ist dann zum anderen auch das „Objekt“ bestimmt, das der Besteuerung unterliegt, da der Steuertatbestand den durch dieses verkörperten Vermögensübergang bzw. Vermögenszuwachs erfasst. Das Schenkungsteuerrecht erfasst somit nicht – bereits – den Anspruch auf die Leistung, sondern – erst – die Leistung selbst10. Denn in diesem Zeitpunkt tritt die endgültige Bereicherung ein, deren steuerrechtliche Bemessungsgrundlage gem. §  10 Abs.  1 ErbStG zu ermitteln ist11. b) Austausch des Besteuerungsobjekts Wird daher nach Abgabe eines Schenkungsversprechens das hiervon betroffene Objekt ausgetauscht, also eine Vereinbarung zwischen den Beteiligten zu deren Änderung getroffen, liegt hierin ein Austausch des Objekts auf schuldrechtlicher Ebene, und zwar vor Erfüllung des Schenkungsversprechens. Der in diesen Fällen erfolgende Objekttausch hat daher regelmäßig keinen Einfluss auf die steuerlichen Folgen, da das Schenkungsversprechen noch nicht vollzogen war. Wird beispielsweise im Rahmen eines auf Geld gerichteten Schenkungsversprechens vor dessen Vollzug vereinbart, dass statt Geld nunmehr eine Immobilie übertragen werden soll, ist – erst und nur – die Immobilie Gegenstand der Schenkung und unterliegt der Schenkungsteuer. Zwischen der Schenkungsabrede und der nachfolgenden Steuerentstehung vereinbarte Abweichungen zum ursprünglichen Vertragsinhalt sind damit auch schenkungsteuerlich zu berücksichtigen12. Ebenso verhält es sich beim Schenkungsversprechen hinsichtlich von Schenkungsobjekten, die Verschonungsregeln nach dem ErbStG unterliegen, etwa Betriebsvermögen oder vermietete Immobilien, §§ 13 a, 13 d ErbStG. Auch hier ist Gegenstand der Besteuerung bzw. des Steuertatbestandes erst das Objekt, das in Erfüllung des – geänderten – Schenkungsversprechens übertragen wird. Letztlich ist der Gegenstand der Besteuerung abhängig von einer genuin steuerrechtlichen Voraussetzung, nämlich dem Vollzug des Schenkungsversprechens. Der Objektaustausch erfolgt jedoch vor dem entscheidenden Zeitpunkt der Verwirklichung

8 Geck in Kapp/Ebeling (Stand: Nov. 2016), § 9 ErbStG Rz. 57.3. 9 Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, §  9 ErbStG Rz.  76 (Stand: Jan. 2017); BFH v. 10.3.1970 – II 83/1962, BStBl. II 1970, 562. 10 BFH v. 23.6.1971 – II R 59/67, BStBl. II 1972, 43. 11 Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 9 ErbStG, Rz. 7 f. (Stand: Jan. 2017). 12 BFH v. 26.9.1990 – II R 50/88, BStBl. II 1991, 32; v. 9.11.1994 – II R 87/92, BStBl. II 1995, 83.

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des Steuertatbestandes und damit auf einer steuerrechtlich noch nicht entscheidenden Vorstufe, so dass das ursprüngliche Objekt steuerrechtlich irrelevant ist. 2. Mittelbare Schenkung Kennzeichen einer mittelbaren Schenkung ist die Hingabe von Geld an den Zuwendungsempfänger zu dem Zweck, dass dieser einen bestimmen Vermögenserwerb vornimmt13. Sie erfolgen im Regelfall im Zusammenhang mit Grundstückschenkungen, bei denen der Schenker dem Beschenkten den Kaufpreis (anteilig) zur Verfügung stellt. Hierbei muss der Schenker dem Beschenkten den für den Erwerb eines bestimmten Grundstücks vorgesehenen Geldbetrag vor Abschluss des Kaufvertrages zusagen und (bis) zur Tilgung des Kaufpreises zur Verfügung stellen. Dies führt dazu, dass zwischen dem Gegenstand der Vermögenshingabe und damit der Entreicherung des Zuwendenden sowie dem Zuwendungsgegenstand Grundstück keine Identität besteht. Für mittelbare Schenkungen gelten jedoch hinsichtlich der Steuerentstehung die allgemeinen Grundsätze; auch die mittelbare Zuwendung ist daher erst ausgeführt, wenn das Grundstück als Zuwendungsgegenstand rechtswirksam in das Vermögen des Bedachten gelangt ist14. Bei einer mittelbaren Schenkung wird daher nicht das Objekt der Vermögenshingabe durch den Schenker erfasst, sondern das die beim Beschenkten eintretende Bereicherung repräsentierende Objekt; dies beruht darauf, dass der Beschenkte im Verhältnis zum Schenker nicht über den unmittelbar zugewendeten Geldbetrag, sondern das Grundstück als dessen Surrogat verfügen kann15. Damit unterliegt auch in diesen Fällen letztlich – nur – der aufgrund der Ausführung der Zuwendung erlangte Vermögenswert (Grundstück) der Besteuerung. Grundgedanke und Auswirkung dieses „Rechtsinstituts“ ist gerade, dass Besteuerungsobjekt derjenige Vermögensgegenstand ist, um den der Beschenkte letztlich bereichert ist. Diese Grundsätze zur mittelbaren Schenkung gelten auch für das Einkommensteuerrecht. Denn mit Vollzug einer mittelbaren Grundstücksschenkung ist der Schenker mit den Anschaffungskosten belastet. Daher kann es unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten nicht bedeutsam sein, ob dem Beschenkten das Grundstück selbst oder ein für dessen Anschaffung erforderlicher – zweckgebundener – Geldbetrag zugewendet wird. Der Beschenkte kann daher AfA von den gesamten Anschaffungskosten geltend machen16.

13 BFH v. 5.10.2005 – III R 48/03, FR 2005, 1250, FR 2006, 90 m. Anm. Greite, BFH/NV 2006, 302. 14 Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 9 ErbStG Rz. 100 (Stand: Jan. 2017). 15 Geck in Kapp/Ebeling, § 7 Rz. 10 (Stand: März 2016). 16 BFH v. 4.10.2016 – IX R 26/15, DStR 2017, 445; ebenso Kulosa in Schmidt, 35. Aufl., § 6 EStG Rz. 134.

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3. Schenkung unter Nießbrauchsvorbehalt Bei einer Schenkung unter Nießbrauchsvorbehalt zugunsten des Schenkers oder dessen Ehegatten wurden Erwerbe bis einschl. 31.12.2008 ohne Berücksichtigung dieser Belastung besteuert; jedoch wurde die auf den Kapitalwert der nichtabziehbaren Belastung entfallende Steuer bis zu ihrem Erlöschen zinslos gestundet, §  25 Abs.  1 ErbStG. Diese Stundung endete gem. § 25 Abs. 2 ErbStG, wenn der Erwerber das belastete Vermögen vor dem Erlöschen der Belastung veräußerte. Sofern jedoch im Schenkungsvertrag für den Fall der Veräußerung des zugewendeten Gegenstands die Fortsetzung des vorbehaltenen Nießbrauchs am Erlös zugunsten des Schenkers vereinbart wurde, blieb die Stundung bis zum Erlöschen des am Erlös eingeräumten Nießbrauchs bestehen. Der BFH17 hat dies auf eine verfassungskonforme Auslegung des § 25 Abs. 1 Satz 2 ErbStG gestützt. Denn die Durchbrechung des Bereicherungsprinzips durch das Abzugsverbot des § 25 Abs. 1 Satz 1 ErbStG stelle nur deshalb keinen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) dar, weil die Steuer bis zum Erlöschen der Belastung gestundet werde. Daher müsse die Stundung andauern, wenn der Bedachte den Zuwendungsgegenstand veräußert, dem Schenker jedoch an dem Ersatzgegenstand (Erlös) wiederum einen Nießbrauch bestellen muss. Denn dann bleibe er mit dem Nießbrauch beschwert, lediglich der belastete Gegenstand werde ausgewechselt. Zudem beruhe die Fälligkeit der Steuer auf der Annahme, dass der Bedachte mit der Veräußerung des belasteten Gegenstandes regelmäßig in die Lage versetzt werde, die Steuer aus dem Erlös zu zahlen. An der insoweit vorausgesetzten Verfügungsmacht am Erlös fehle es hingegen, wenn sich an den Nießbrauch am Zuwendungsgegenstand der bereits im Schenkungsvertrag vorbehaltene Nießbrauch am Veräußerungserlös nahtlos anschließt. Insoweit liegt hier eine Surrogation hinsichtlich des ausgetauschten Nießbrauchsobjekts vor. 4. Abfindung für Verzicht auf Geltendmachung eines Pflichtteilsanspruchs Ergibt sich bei testamentarischer Erbfolge ein Ausschluss gesetzlicher Erben von der Erbfolge, kann diesen ein Pflichtteilsanspruch zustehen, sofern es sich um die Abkömmlinge des Erblassers, dessen Ehefrau oder seine Eltern handelt, § 2303 Abs. 1 BGB. An sich wäre bereits der mit dem Erbfall gem. § 2317 BGB entstehende Pflichtteilsanspruch zu besteuern; das Gesetz hat jedoch die Besteuerung – abweichend vom sog. Anfallprinzip – auf den Zeitpunkt dessen Geltendmachung aufgeschoben, § 9 Abs. 1 Nr. 1 lit. b) ErbStG. Hintergrund ist, dass der Pflichtteil – anders als Erbeinsetzung und Vermächtnis – nicht ausgeschlagen und damit nicht rückwirkend beseitigt werden kann18.

17 BFH v. 11.11.2009 – II R 31/07, ZEV 2010, 208. 18 Näher hierzu Seer/Krumm, ZEV 2010, 57 (58 ff.).

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Verzichtet der Berechtigte vor der Geltendmachung auf seinen Pflichtteil – und damit vor Verwirklichung des Steuertatbestands „Erwerb aufgrund Pflichtteils“ – und erhält hierfür eine Abfindung, realisiert er dadurch die bereits mit dem Erbfall erlangte Rechtsposition. Der in dem auf diese Weise erworbenen Anspruch auf die Abfindung liegende Vermögenszuwachs wird vom Ersatztatbestand des § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG erfasst; die Steuer entsteht mit Abschluss der zugrunde liegenden Vereinbarung, § 9 Abs. 1 Nr. 1 lit. f) ErbStG19. Der gesetzliche Pflichtteilsanspruch wird damit schuldrechtlich durch einen Abfindungsanspruch ersetzt. Der steuerliche Tatbestand erfasst daher abweichend zum Zivilrecht die Abfindung und deren Gegenstand. Damit findet kein Austausch auf einer vorgelagerten Stufe statt, sondern der Steuertatbestand des § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG und dessen steuerrechtlichen Voraussetzungen erfassen originär die schuldrechtliche Vereinbarung zur Abänderung des Anspruchsinhalts (Abfindung statt Pflichtteilsanspruch). 5. Vor-/Nacherbfall Kennzeichen der Nacherbschaft ist, dass der Erblasser zunächst einen Vorerben als Ersterwerber einsetzt und für den übergegangen Nachlass als Zweiterwerber den Nacherben; beide sind zivilrechtlich damit Erben desselben Erblassers, wie auch desselben Nachlasses – allerdings zeitlich nacheinander. Beide Erwerbe werden von dem Steuertatbestand des § 3 ErbStG erfasst; insoweit enthält das Erbschaftsteuerrecht in § 6 eine besondere Regelung, die jedoch diesen Steuertatbestand unberührt lässt – § 6 ErbStG enthält lediglich erbschaftsteuerliche Fiktionen, die von der Zivilrechtslage abweichen, jedoch keinen Einfluss auf den jeweiligen Steuertatbestand haben20. Erbrechtlich liegt damit ein doppelter Vermögensübergang vor, an den auch die Erbschaftsteuer anknüpft (doppelter Zugriff)21. Sowohl beim Vorerben wie auch beim Nacherben liegt ein Erwerb durch Erbanfall gem. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG vor. Mit dem Nacherbfall geht der Nachlass auf den Nacherben über, und zwar mit allen – zu diesem Zeitpunkt – vorhandenen Rechten und Pflichten. Er geht somit in dem rechtlichen Zustand über, in dem er sich beim Nacherbfall befindet; hinsichtlich des Umfangs ergeben sich die konkreten Bestandteile aus §§ 2110, 2111 BGB. Bei dem auf den Nacherben übergehenden Nachlass (Nacherbschaft) handelt es sich um ein in der Hand des Vorerben sog. Sondervermögen; dieses wird im Regelfall sowohl im Umfang wie auch in seinem Wert von dem auf dem Vorerben übergangenen Nachlassvermögen abweichen. Vom Umfang her erfasst das Erbschaftsteuerrecht den Herausgabeanspruch des Nacherben nach § 2130 BGB22; dieser ist nach den Verhältnissen im Zeitpunkt der Nacherbfalls zu bewerten, § 11 i.V.m. § 9 Abs. 1 Nr. 2 lit. h) ErbStG. Damit ist auch das 19 Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk (Stand: Jan. 2017), ErbStG § 9 Rz. 66. 20 Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk (Stand: Jan. 2017), ErbStG § 6 Rz. 2. 21 BFH v. 21.12.2000 – II B 18/00, BFH/NV 2001, 798. 22 Vgl. hierzu BFH v. 1.7.2008 – II R 38/07, BStBl. II 2008, 876, FR 2009, 97.

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zivilrechtliche Surrogationsprinzip des § 2111 BGB zu berücksichtigen und findet im Rahmen der Besteuerung seinen Niederschlag. Die insoweit eingetretene Surrogation ist jedoch vor dem Steuerentstehungszeitpunkt des § 9 ErbStG erfolgt und eingetreten, ein Austausch des Objekts (Nachlassvermögen) hat somit nicht während einer bestehenden „Steuerverstrickung“ beim Nacherben stattgefunden. Es liegt damit kein Fall einer Surrogation im Steuerrecht vor.

IV. Surrogation im Rahmen einer laufenden Besteuerung 1. Nießbrauch Nießbrauchsgestaltungen kommen im Steuerrecht überwiegend im Zusammenhang mit einer Übertragung von Immobilien unter Nießbrauchsvorbehalt vor. Im Falle des Untergangs oder der Zerstörung einer Immobilie liegt nach § 1046 BGB ein gesetzlicher Fall der dinglichen Surrogation vor. Die Beteiligten können das nießbrauchbelastete Objekt aber auch qua Vereinbarung austauschen. Steuerrechtlich bedeutet dies Folgendes: a) AfA-Befugnis Bei Übertragung einer Immobilie unter Vorbehalt eines Nießbrauchsrechtes für den Schenker ist aus ertragsteuerrechtlicher Sicht bedeutsam, dass der Schenker die Immobilie weiterhin ununterbrochen aufgrund eigenen Rechtes nutzt und die Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten getragen hat. Vor diesem Hintergrund steht bei einem vorbehaltenen Nießbrauch dem Schenker/Nießbraucher weiterhin die AfA-Befugnis zu. Anders ist dies hingegen, wenn dem Nießbraucher von Seiten des Eigentümers der Immobilie ein Nießbrauch eingeräumt wird (Zuwendungsnießbrauch)  – in diesen Fällen hat der Eigentümer die Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten getragen, so dass dem Nießbraucher die AfA-Befugnis nicht zusteht; der Eigentümer kann die AfA nicht geltend machen, da er selbst keine Einkünfte erzielt. Aus ertragsteuerlicher Sicht ist ein solcher Zuwendungsnießbrauch daher zu vermeiden. Bei Vorbehalt des Nießbrauchs durch den Schenker für sich und seinen Ehegatten (Gesamtberechtigung oder aber aufschiebend bedingt) steht dem überlebenden Ehegatten nach dem Tod des Schenkers die AfA-Befugnis in analoger Anwendung von § 11d EStDV zu; auf diese Weise wird der – sachlich nicht gerechtfertigte – Wegfall des AfA-Potentials aus der ursprünglichen Tragung der Anschaffungs- bzw. Herstellungskosten vermieden. Dem liegt die Sichtweise zugrunde, dass das verbleibende (immaterielle) Wirtschaftsgut, dass die frühere Kostentragung repräsentiert, als solches auf den überlebenden Ehegatten übergeht23.

23 Kulosa in Schmidt, 35. Aufl., § 7 EStG Rz. 40.

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b) „Fortsetzung“ Nießbrauch am neuen Objekt Beispiel: Vater hat seiner Tochter vor einigen Jahren eine Wohnung unter Vorbehaltsnießbrauch geschenkt (Wohnung ALT). Sie überlegen nun, diesen Nießbrauch aus Anlass des Verkaufs der Wohnung ALT abzulösen und ein Nießbrauchsrecht an einer von der Tochter neu erworbenen Wohnung (Wohnung NEU) zu bestellen. (1) Hinsichtlich der Wohnung ALT ist gegenwärtig die typische Situation nach erfolgter Schenkung unter Nießbrauchsvorbehalt gegeben, nach der dem Vater als Schenker die AfA-Befugnis zusteht. Sofern die Wohnung ALT mit Zustimmung des Nießbrauchers gegen eine andere Wohnung NEU „ausgetauscht“ wird und der Nießbraucher hieran ein Nießbrauchsrecht erhält, stellt sich die Frage, ob sich der Vorbehaltsnießbrauch an dem neuen Objekt fortsetzt.

Zivilrechtlich setzt sich ein bestehender Nießbrauch nur in Fällen einer dinglichen Surrogation fort, so etwa nach § 1046 BGB (Nießbrauch an der Versicherungsforderung) oder § 1066 Abs. 3 BGB (Nießbrauch am Ersatzgegenstand bei Aufhebung einer Gemeinschaft).24 Andernfalls, also bei einer lediglich schuld­ rechtlichen Surrogation, setzt sich der Nießbrauch nicht an einem Ersatzgegenstand (Wohnung NEU) fort, sondern es liegt eine Neubestellung und damit ein Zuwendungsnießbrauch vor25.

(2) Steuerrechtlich ist gleichfalls von einer Neubestellung des Nießbrauchs am Sur­ rogat, z.B. der Kaufpreisforderung für die veräußerte Immobilie bzw. der an­ schließenden Forderung gegenüber der Bank, auszugehen26. Allerdings soll ­steuerrechtlich bei wirtschaftlicher Betrachtungsweise eine Fortsetzung des Nießbrauchs – grundsätzlich – dann in Betracht kommen, wenn die Wohnung NEU aus dem Verkaufserlös für die Wohnung ALT finanziert wird (Tausch nießbrauchsbelasteter Immobilie) – insoweit wird damit steuerrechtlich eine Surrogation zugrunde gelegt. Sofern jedoch die Wohnung NEU zu einem höheren Kaufpreis erworben wird und daher neben dem Verkaufserlös für die Wohnung ALT weitere Eigenmittel (ggf. durch Darlehen finanziert) des Eigentümers erforderlich sind, hat dieser zumindest insoweit die Anschaffungskosten getragen, nicht hingegen der ursprüngliche Schenker. Für diesen Fall hat der BFH entschieden, dass sich der Vorbehaltsnießbrauch nicht fortsetzt, also nicht von der Wohnung ALT auf die Wohnung NEU übergeht27.

Um somit überhaupt eine Surrogation und damit Fortsetzung des Nießbrauchsrechts – als Vorbehaltsnießbrauch – am Folgeobjekt steuerrechtlich erreichen zu können, muss diese Folge (schuldrechtliche Surrogation) bereits im ursprüngli-

24 OLG Düsseldorf v. 10.9.2003 – I-9W 73/03, OLGReport Düsseldorf, 2004, 102. 25 Siehe Brambring, DNotZ 2003, 565 (568). 26 FG Münster v. 16.5.2013 – 2 K 577/11 E, EFG 2014, 270, für Surrogation an der Kaufpreisforderung, nicht aber dem aus dem Kaufpreis erworbenen Ersatzwirtschaftsgut; Schwetlik, GmbHR 2006, 1096 (1098). 27 BFH v. 24.1.1995 – IX R 40/92, BFH/NV 1995, 770.

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chen Schenkungsvertrag vereinbart werden sowie hinsichtlich des ursprünglichen Schenkungsobjektes und des Folgeobjektes ein nahezu identischer Wert vorliegen28. Dies wird jedenfalls gelten, wenn es sich beim Folgeobjekt um einen gleichartigen Vermögensgegenstand handelt und damit der Nießbraucher weiterhin dieselbe Einkunftsart verwirklicht. 2. Atypische Unterbeteiligung Kennzeichen einer Unterbeteiligung ist eine schuldrechtliche Beteiligung an einer Gesellschaftsbeteiligung, die zivilrechtlich zu einer Innengesellschaft zwischen dem Hauptgesellschafter und dem Unterbeteiligten führt. Ist diese atypisch ausgestaltet (also insbesondere mit Verlustbeteiligung), führt dies bei einer gewerblichen Personengesellschaft steuerrechtlich dazu, dass insoweit eine Mitunternehmerschaft zwischen dem Unterbeteiligten sowie dem Hauptgesellschafter und zudem zwischen dem Unterbeteiligten und der Hauptgesellschaft selbst vorliegt29. Findet bei der Personengesellschaft, an der die Hauptbeteiligung besteht, ein Wechsel der Unternehmensform – innerhalb der Personengesellschaften – statt, oder wird die Hauptbeteiligung in ein anderes Unternehmen eingebracht, kann für diese Fälle vertraglich vereinbart werden, dass die Unterbeteiligung an der neuen Beteiligung „fortbestehen soll“ – insoweit erfolgt eine Surrogation. Steuerrechtlich wird in diesen Fällen beim Wechsel der Unternehmensform der Hauptgesellschaft die Buchwertfortführung (wohl) zu bejahen sein. Bei Einbringung der Hauptbeteiligung in ein anderes Unternehmen dürfte hingegen fraglich sein, ob dies zum Buchwert für die atypische Unterbeteiligung möglich ist30. Eine weitere Variante besteht darin, dass die Unterbeteiligung nunmehr zukünftig in eine unmittelbare Beteiligung an der Hauptgesellschaft umgewandelt wird. In diesen Fällen ist die Buchwertfortführung gewährleistet, da es sich durchgängig um dieselbe Mitunternehmerschaft handelt. Zwar ist zivilrechtlich kein Formwechsel zwischen zwei Personengesellschaften möglich (keine zivilrechtliche Identität). Nach Ansicht des BFH ist jedoch einkommensteuerrechtlich die weitgehende Gleichbehandlung der verschiedenen Formen einer Mitunternehmerschaft zu beachten; daher führt „der bloße Wechsel der Rechtsform einer durchgängig bestehenden Mitunternehmerschaft weder zu einer Betriebsveräußerung oder -aufgabe noch zu einer Betriebsgründung“ (sog. einkommensteuerrechtlicher Formwechsel)31. Daher wird steuerrechtlich davon ausgegangen, dass auch bei einer Umwandlung der atypischen Unterbeteiligung in eine direkte Beteiligung an der Hauptgesellschaft vorher und nachher dieselbe steuerliche Mitunternehmerschaft besteht. Hierin liegt also steuerrechtlich kein „Eintauschen“ der atypischen Unterbeteiligung gegen eine direkte Be28 Siehe Götz/Hülsmann, DStR 2010, 2432 (2435). 29 Zur Unterbeteiligung bei GmbH und gewerblich geprägter Personengesellschaft Wacker in Schmidt, 35. Aufl., § 15 EStG Rz. 367. 30 Näher hierzu Schindhelm, DStR 2003, 1469 (1472). 31 BFH v. 20.9.2007 – IV R 10/07, BStBl. II 2008, 118, FR 2008, 273 zum Wechsel zwischen atypisch stiller Gesellschaft und GbR.

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teiligung mit der Folge, dass dabei ein steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn entsteht32. Letztlich handelt es sich insoweit um den Fall einer Surrogation.

V. Vorgänge nach Verwirklichung eines Steuertatbestandes 1. Erbfall/Erbauseinandersetzung a) Erbfall Die Erbschaftsteuer knüpft für den Erwerb durch Erbanfall (ebenso beim Erwerb durch Vermächtnis) an das erbrechtliche Anfallprinzip an. Danach geht mit dem Tod des Erblassers die Erbschaft auf den berufenen Erben über, § 1942 Abs. 1 BGB (zum Vermächtnis §  2176 BGB), so dass mit dem Tod des Erblassers ein unmittelbarer Rechtserwerb (Vermögenszuwachs) eintritt, den die Steuertatbestände des § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG erfassen. Nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG entsteht die Erbschaftsteuer – grundsätzlich – mit dem Tod des Erblassers und damit zu diesem Zeitpunkt, so dass beispielsweise das Recht, die Erbschaft (bzw. das Vermächtnis) auszuschlagen – zunächst – ohne Einfluss und Bedeutung bleibt. b) Erbauseinandersetzung Mit dem Anfall der Erbschaft (bzw. des Vermächtnisanspruchs) ist damit der Erwerbstatbestand verwirklicht, so dass die weitere Nachlassregulierung, insbesondere Maßnahmen der Erbauseinandersetzung, hierfür unbeachtlich sind. Die dem Erbfall nachfolgende Entwicklung ist daher grundsätzlich für die Entstehung der Steuerschuld sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach ohne Belang. Eine andere Frage ist, ob spätere Ereignisse Einfluss auf die mit dem Erbfall entstandene Steuerschuld haben können (wie beispielsweise Ausschlagung von Erbschaft oder Vermächtnis)33. In Fällen der Anordnung einer Teilungsanordnung durch den Erblasser und deren Durchführung bleibt eine Abweichung hiervon im Rahmen der Erbauseinandersetzung steuerrechtlich unbeachtlich, sofern es bei einer reinen Teilungsanordnung ohne Einfluss auf die Erbquote bleibt – anders nur wenn abweichend hierzu keine entsprechende Ausgleichsverpflichtung, wie sie der Teilungsanordnung wesensimmanent ist, erfolgt. Damit ist dem Grunde nach die Besteuerung entsprechend der Erbquote vorzunehmen34; die Fälle einer gesetzlichen Surrogation bei der Erbengemeinschaft sind daher für die Besteuerung irrelevant. Insoweit besteht jedoch eine Besonderheit hinsichtlich des Erwerbs steuerbegünstigten Vermögens. Denn letztlich sollen die Steuervergünstigungen demjenigen zugutekommen, der dieses Vermögen erhält – auch im Rahmen einer Teilungsanordnung. 32 Hierzu Wacker in Schmidt, 35. Aufl., § 16 EStG Rz. 422; Maetz, DStR 2015, 1844 (1850). 33 Hierzu Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 9 ErbStG Rz. 18 (Stand: Jan. 2017). 34 Zu einem ernstgemeinten Vergleich als Besteuerungsgrundlage Geck in Kapp/Ebeling, § 7 Rz. 337 (Stand: März 2016).

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Daher sehen die entsprechenden Vorschriften des Erbschaftsteuergesetzes (§§ 13 a, 13 d ErbStG) einen sog. Begünstigungstransfer vor, der – erst auf der zweiten Ebene, also aufsetzend auf der grundsätzlichen Besteuerung nach der Erbquote – diese Steuervergünstigung individuell dem Letzterwerber zuweist35. Sofern also abweichend von der vom Erblasser getroffenen Teilungsanordnung statt des Vermögenswertes A dem betroffenen Miterben der Vermögenswert B übertragen wird, ist ein Fall der – schuldrechtlichen – Surrogation zu bejahen, da er ursprünglich einen Anspruch aufgrund der Teilungsanordnung auf Übertragung des Vermögenswerts A hatte. Die Steuerfolgen richten sich jedoch rechtlich nach dem ihm im Ergebnis zugewiesenen Vermögenswert B, da aufgrund der Transportfunktion der jeweils begünstigenden Vorschriften die Steuerbegünstigung ihm zugutekommt. Dies wird im Übrigen auch im Anwendungsbereich des § 3 Nr. 3 GrEStG in gleicher Weise gelten. c) Abweichende Vereinbarungen zur klassischen Erbauseinandersetzung Im Rahmen der Erbauseinandersetzung kann auch eine andere Vorgehensweise gewählt werden, als dies beispielsweise nach dem Testament vorgesehen ist. So kann etwa ein Ausscheiden eines Miterben aus der Erbengemeinschaft gegen Abfindung erfolgen (Ausscheiden aus Erbengemeinschaft im Wege der Abschichtung)36. Da jedoch auch im Anwendungsbereich einer „normalen“ Erbauseinandersetzung letztlich eine Verteilung des Vermögens stattfindet, wird steuerrechtlich die Behandlung in gleicher Weise erfolgen. Daher wird – sofern man in dem Abfindungsanspruch ein aliud gegenüber dem Anspruch auf die Beteiligung am Vermögen der Erbengemeinschaft (Auseinandersetzungsanspruch) sieht  – eine Surrogation anzunehmen sein, die grundsätzlich ebenfalls ohne steuerrechtliche Folgen bleibt. Vorausgesetzt wird jedoch, dass die jeweilige Auseinandersetzungsart für den Betroffenen zu einem Anspruch in Höhe seiner Erbquote führt, und von dieser Quote nicht nach oben oder unten abgewichen wird. Besteht die Abfindung in steuerbegünstigten Vermögenswerten, gilt auch hier der Begünstigungstransfer der entsprechenden Vorschriften. d) Ertragsteuern Die Trennung von Erbfall und Erbauseinandersetzung als jeweils selbständige Rechtsvorgänge gilt in gleicher Weise bei der Ertragsteuer37. Während der Erbfall als solcher und damit der Vermögensübergang auf den oder die Erben einen unentgeltlichen Vorgang darstellt, kann es im Rahmen der Erbauseinandersetzung zu unentgeltlichen oder – bei Vermögensübertragungen abweichend von den Erbquoten – entgeltlichen

35 Näher hierzu Geck in Kapp/Ebeling, § 13a Rz. 76 ff. (Stand: Juni 2017). 36 Siehe hierzu Christ in Ebeling/Geck, Handbuch der Erbengemeinschaft, Teil I Rz. 583 ff. (Stand: März 2016). 37 BFH v. 5.7.1990 – GrS 2/89, BStBl. II 1990, 837 = FR 1990, 635 = FamRZ 1991, 64.

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Maßnahmen kommen, bei denen im Bereich der gewerblichen Einkünfte die Realisierung stiller Reserven erfolgt38. Eine Surrogation findet hierbei jedoch nicht statt. 2. Maßnahmen mit Rückwirkung/Auswirkung auf Erbfall a) Einziehung und Abtretung Beim Ausscheiden eines Gesellschafters aus der Gesellschaft steht diesem ein Abfindungsanspruch gegenüber der Gesellschaft zu. Dessen Höhe richtet sich grundsätzlich nach dem wirklichen Anteilswert; allerdings ist in den Gesellschaftsverträgen durchgehend eine Regelung zur Ausgestaltung und Bestimmung der Höhe der Abfindung enthalten, die regelmäßig niedriger als der tatsächliche Anteilswert ist. Bei einem Ausscheiden unter Lebenden, beispielsweise im Falle einer Kündigung, steht die Abfindung dem ausscheidenden Gesellschafter zu; in Fällen eines Ausscheidens des Gesellschafters von Todes wegen dessen Erben oder auch Vermächtnisnehmern. aa) Übergang Gesellschaftsbeteiligung Da bei einer Kapitalgesellschaft die Vererblichkeit der Beteiligung nicht ausgeschlossen werden kann, vollzieht sich dies in der Weise, dass die Beteiligung zunächst mit dem Erbfall auf den oder die Erben übergeht. Im Anschluss daran kann durch Ge­ sellschafterbeschluss eine Einziehung der Beteiligung gegen Gewährung einer Ab­ findung erfolgen, wie dies im Regelfall als Option in den Gesellschaftsverträgen vorgesehen ist. Bei Personengesellschaften kann unmittelbar mit dem Erbfall ein Abfindungsanspruch für den oder die Erben entstehen, sofern der Gesellschaftsvertrag eine sog. Fortsetzungsklausel vorsieht, nach der die Gesellschaft unter den verbleibenden Mitgesellschaftern allein fortgesetzt wird. Allerdings ist auch bei Personengesellschaften möglich, dass zunächst eine Vererbung der Beteiligung erfolgt (sog. Nachfolgeklausel) und aufgrund einer im Gesellschaftsvertrag vorgesehenen Abtretungsklausel oder aber eines Sonderkündigungsrechtes für die verbliebenen Mitgesellschafter der oder die Erben bei deren Ausübung ausscheiden und in diesem Fall statt der Gesellschaftsbeteiligung einen Abfindungsanspruch erwerben. Diese Klauseln wirken daher in gleicher Weise wie eine Einziehungsklausel bzw. Abtretungsklausel bei einer Kapitalgesellschaft. bb) Abfindung statt Gesellschaftsbeteiligung Sofern dieser „Austausch“ der Gesellschaftsbeteiligung gegen einen Abfindungsanspruch unverzüglich nach dem Erbfall erfolgt, ist dies nach § 10 Abs. 10 Satz 1 ErbStG wie ein unmittelbarer Erwerb des Abfindungsanspruchs zu behandeln, so dass der Abfindungsanspruch der Besteuerung zugrunde zu legen ist, nicht hingegen – wie im Regelfall – der höhere Steuerwert der Beteiligung. Da gleichwohl eine zeitliche Divergenz zwischen dem Zeitpunkt der Steuerentstehung (Todestag) und dem Vollzug der gesellschaftsvertraglichen Abtretungsklausel (Sonderkündigungsrecht) bzw. Einzie38 Näher hierzu Wacker in Schmidt, 35. Aufl., § 16 EStG Rz. 605 ff.

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hungsklausel eintritt, ist in diesem Fall ggf. eine Berichtigungsveranlagung vorzunehmen, um den Steuerwert der Beteiligung durch den Abfindungsanspruch zu ersetzen39. Sofern die Umsetzung im Wege der Abtretung oder Einziehung hingegen nicht unverzüglich erfolgt, ist zunächst der Wert der Beteiligung für die Besteuerung zugrunde zu legen. Dass eventuell zu einem späteren Zeitpunkt danach eine Einziehung bzw. Abtretung aufgrund Gesellschafterbeschluss zu erfolgen hat, stellt lediglich eine aufschiebend bedingte Last dar. Denn die Befugnis für die Gesellschaft bzw. die verbleibenden Gesellschafter zur Einziehung bzw. zu einem Abtretungsverlangen stellt ein Gestaltungsrecht dar, das sich wie eine aufschiebende Bedingung auswirkt. Erst mit Ausübung des Gestaltungsrechts und damit Eintritt der Bedingung ist gem. § 6 Abs. 2 i.V.m. § 5 Abs. 2 ErbStG eine Berichtigung zur Veranlagung durchzuführen40. Damit wird nicht der ursprüngliche Gegenstand Gesellschaftsbeteiligung als Bereicherung besteuert, sondern der an dessen Stelle tretende Abfindungsanspruch. Dies ist in § 10 sowie §§ 6 Abs. 2, 5 Abs. 2 Bewertungsgesetz vorgesehen und damit insoweit das Surrogationsprinzip normiert. In diesen Fällen wird regelmäßig ein Differenzbetrag zwischen dem Steuerwert der Beteiligung und dem niedrigeren Abfindungsbetrag bestehen; dieser wird über § 3 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 ErbStG bei den verbleibenden Gesellschaftern als diesen zufallender Vermögenszuwachs erfasst und besteuert. b) Maßnahmen während Behaltefrist Beim unentgeltlichen Übergang von Betriebsvermögen kommen die Verschonungsregelungen nach §§ 13 a, b ErbStG in Betracht. In diesen Fällen besteht nach § 13a Abs. 6 ErbStG eine sog. Nachsteuerfrist, innerhalb derer eine Übertragung bzw. Umstrukturierungen hinsichtlich des begünstigten Vermögens dem Grunde nach steuerschädlich sind mit der Folge einer nachträglichen Versteuerung. Insoweit sieht § 13a Abs.  6 Nr.  1 Satz  2 Halbs.  2 ErbStG eine Ausnahme für bestimmte Umstrukturierungsmaßnahmen vor, bei denen keine Nachversteuerung aufgrund dieser Maßnahmen eintritt. Dies betrifft etwa formwechselnde Umwandlungen und Verschmelzungen sowie Umwandlungsvorgänge nach §§ 20, 24 UmwStG; hierbei handelt es sich um steuerunschädliche Verfügungen41. In solchen Fällen erhält der Empfänger des ursprünglichen Betriebsvermögens im Rahmen solcher Umstrukturierungsmaßnahmen im Regelfall Gesellschaftsbeteiligungen, die nunmehr das zunächst begünstigte Betriebsvermögen repräsentieren. Steuerschädlich ist nach der gesetzlichen Regelung erst eine spätere Veräußerung dieser erhaltenen Gesellschaftsanteile, sofern diese innerhalb der  – weiterlaufenden  – 39 Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk (Stand: Jan. 2017), § 3 ErbStG Rz. 138;Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 10 ErbStG Rz. 276. 40 Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, ErbStG § 3 Rz. 155 (Stand: Jan. 2017); Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 10 ErbStG Rz. 275. 41 Siehe hierzu Abschn. 13a12 Abs. 3 S. 1 f. AEErbSt 2017.

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Austausch des Steuerobjekts

Behaltefrist veräußert werden42; da die Frist weiterläuft und sich nunmehr auf die als Ersatz erhaltenen Gesellschaftsanteile bezieht, handelt es sich um einen sog. „Verlängerungstatbestand“43. Da sich im Rahmen dieser Vorschrift die anzuwendenden Steuerfolgen (Begünstigungen bzw. Verlust der Begünstigung im Falle einer Veräußerung innerhalb der Behaltefrist) durchgehend zunächst auf das ursprüngliche Objekt (Begünstigtes Betriebsvermögen) und sodann auf die neu erhaltenen Gesellschaftsanteile bezieht, liegt insoweit ein gesetzlich geregelter Fall der Surrogation vor44. c) Leistung an Erfüllungs statt Bei Aussetzung eines Vermächtnisses entsteht die Steuer für diesen Erwerb grundsätzlich mit dem Tode des Erblassers, § 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Damit folgt das Erbschaftsteuerrecht dem erbrechtlichen Anfallprinzip, so dass Gegenstand für die Besteuerung und Bewertung der mit dem Erbfall entstandene Anspruch ist. Dieser ist mit dem gemeinen Wert anzusetzen (§ 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 9 BewG), auch in Fällen sog. Sachleistungsansprüche45. Dies ist damit die Besteuerungsgrundlage; nachträgliche Vereinbarungen zwischen den Beteiligten haben hierauf keine steuerlichen Auswirkungen, insbesondere nicht bei einer Vereinbarung, nach der der ursprüngliche Gegenstand des Vermächtnisses ausgetauscht wird. Dies ist etwa der Fall, wenn der Vermächtnisnehmer sowie der Beschwerte vereinbaren, dass statt eines Geldvermächtnisses ein Grundstück übertragen werden soll. In diesen Fällen einer Leistung an Erfüllung statt bleibt es bei dem ursprünglichen Vermächtnisgegenstand, gerichtet auf die Erfüllung einer Geldforderung46. Anders liegt es lediglich, wenn ein ernstlicher Streit zwischen dem Vermächtnisnehmer und dem Beschwerten besteht und dieser durch einen Vergleich beendet wird; ein solcher ernsthafter Vergleich ist dann der Besteuerung zugrunde zu legen mit der Folge, dass bei einer Einigung auf einen anderen Vermächtnisgegenstand gegenüber dem letztwillig angeordneten Vermächtnis dieser zugrunde zu legen ist47. Von diesen Fällen zu unterscheiden sind Fallgestaltungen, in denen an die Stelle des ursprünglichen Tatbestandes (Vermächtnis) ein Ersatztatbestand tritt, etwa Fälle der Abfindung bei Ausschlagung des Vermächtnisses.

VI. Ergebnis Steuerrechtlich ist letztlich von ausschlaggebender Bedeutung, welcher Anknüpfungspunkt der Besteuerung zugrunde liegt. Bei den Verkehrssteuern ist dies regelmäßig ein einmaliger Akt. So etwa bei der Schenkungsteuer, die an den Vollzug der 42 Hierzu Abschn. 13a.12 Abs. 3 Satz 4 AEErbSt 2017. 43 Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 13a ErbStG Rz. 307 (Stand: Jan. 2017). 44 Vgl. Geck in Kapp/Ebeling, § 13a Rz. 142 (Stand: Jan. 2017). 45 BFH v. 22.5.2002 – II R 61/99, BStBl. II 2002, 598 unter B III 2, FR 2002, 1060 m. Anm. Birk, GmbHR 2002, 917, FamRZ 2002, 1333. 46 Hierzu BFH v. 25.10.1995 – II R 5/92, BStBl. II 1996, 1997. 47 Vgl. BFH v. 28.3.2007 – II R 25/05, BStBl. II 2007, 461, FamRZ 2007, 1168, FR 2007, 932.

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Schenkung als steuerbaren Tatbestand anknüpft. Ähnliches gilt für die Grunderwerbsteuer, die zwar regelmäßig auf schuldrechtliche Geschäfte zugreift; Voraussetzung ist jedoch stets, dass das dingliche Geschäft nachfolgt. Entscheidend ist daher – grundsätzlich – was der Betroffene letztlich erhält, so dass sich ein Objekttausch vor Verwirklichung des Steuertatbestandes steuerlich nicht auswirkt. Anders liegt es beim Erbfall; die Besteuerung erfolgt mit dem Erbfall und der den Miterben zuzurechnenden Quote des Nachlasses, so dass hierbei die Erbauseinandersetzung nicht zu berücksichtigen ist. Als Ausnahme hiervon findet jedoch im Hinblick auf die Begünstigungsvorschriften ein Begünstigungstransfer zu dem Letzterwerber statt mit der Folge, dass auf der Begünstigungsebene die Surrogation der zugewiesenen Vermögensgegenstände auf die Besteuerung durchschlägt. Anders ist dies hingegen bei Pflichtteilsansprüchen und Vermächtnisansprüchen, sofern diese aufgrund einer Vereinbarung zwischen den Beteiligten durch Übertragung anderer Vermögenswerte an Erfüllungsstatt erfolgt – diese bleiben ohne Auswirkung auf die Besteuerung. Bei der Ertragsteuer gilt dies im Hinblick auf die Trennung von Erbfall und Erbauseinandersetzung ebenso. Sofern es um Realisationstatbestände geht, handelt es sich ebenfalls um einen einmaligen Akt mit der Folge, dass auch insoweit – grundsätzlich – allein entscheidend ist, was der betroffene Steuerpflichtige erhält; dies bedeutet, dass Umstände, die – wie der Austausch des Objekts – vor dem Steuertatbestand verwirklicht werden, für die Besteuerung unerheblich sind. Im Rahmen der laufenden Besteuerung lässt sich feststellen, dass die Rechtsprechung gelegentlich  – Objekttausch beim Nießbrauch  – nur mit „Anstrengungen“ zu bestimmten Ergebnissen kommt, ohne dass hieraus ein System (Surrogation) abzuleiten wäre. Letztlich lässt sich keine einheitliche und allgemeingültige Grundlage feststellen, anhand derer eine steuerrechtlich sichere Beurteilung möglich ist. Vielmehr ist die Beurteilung im Einzelfall anhand allgemeiner steuerrechtlicher Grundsätze vorzunehmen und beispielsweise danach zu entscheiden, ob z.B. die AfA-Befugnis beim Nießbrauch oder aber der Buchwert bei der atypischen stillen Mitunternehmerschaft weitergeführt werden kann – letztlich also nur im Rahmen des jeweiligen speziellen steuerrechtlichen Kontext. Es besteht daher insoweit kein allgemeingültiges System einer – generellen – Surrogation im Steuerrecht und damit keine Möglichkeit für eine allgemeingültige Aussage, ob und inwieweit Surrogate der Besteuerung zugrunde zu legen sind.

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Die Erbengemeinschaft in der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Inhaltsübersicht

I. Einleitung

II. Die Erbengemeinschaft und der Anteil der Miterben 1. Rechtsnatur der Erbengemeinschaft a) BGH v. 11.9.2002 – XII ZR 187/00 („Kündigung eines Mietvertrages“) b) BGH v. 17.10.2006 – VIII ZB 94/05 („Unzulässige Berufung“) 2. Vorkaufsrecht a) BGH v. 31.10.2001 – IV ZR 268/00 („Der dritte Weg“) b) BGH v. 19.1.2011 – IV ZR 169/10 („Keine Verkehrsfähigkeit des Vorkaufsrechts“) c) BGH v. 12.5.2016 – I ZR 5/15 („­Maklerhonorar“) III. Verwaltung des Nachlasses und ­Verfügung über Nachlassgegenstände 1. Verwaltung des Nachlasses, § 2038 BGB a) BGH v. 28.9.2005 – IV ZR 82/04 („Veräußerung des Ferienhauses“) b) BGH v. 23.5.2007 – IV ZR 19/06 („Stimmrechtsausschluss“) c) BGH v. 20.7.2011 – IV ZR 273/10 („Die streitenden Brüder“) 2. Einziehung von Nachlassforderungen, § 2039 BGB a) BGH v. 5.4.2006 – IV ZR 139/05 („Vollstreckungsgegenklage“) b) BGH v. 19.11.2012 – XII ZR 151/10 („Einziehungsermächtigung“)



c) BGH v. 27.2.2014 – III ZB 99/13 („Kostenfestsetzungsverfahren“) 3. Verfügungen über Nachlassgegen­ stände, § 2040 BGB a) Problemstellung b) Neuere Rechtsprechung aa) BGH v. 28.4.2006 – LwZR 10/05 („Kündigung eines Pachtverhältnisses“) bb) BGH v. 11.11.2009 – XII ZR 210/05 („Kündigung eines Mietverhältnisses“) cc) OLG Schleswig v. 18.9.2014 – 3 U 82/13 und BGH v. 3.12.2014 – IV ZA 22/14 ­(Kündigung eines Darlehensvertrages“) c) Ausblick

IV. Auseinandersetzung der Erben­ gemeinschaft 1. BGH v. 28.10.2009 – IV ZR 82/08 („Ausgleichungspflicht“) 2. BGH v. 24.10.2012 – IV ZR 155/12 („Vollständige Auseinandersetzung?“) 3. BGH v. 22.10.2015 – V ZB 126/14 („Auflösung durch Anteilserwerb?“)

V. Gutglaubensschutz in der Erben­ gemeinschaft?

VI. Prozessuales 1. Unterbrechung des Rechtsstreits 2. Streitwert VII. Schlussbetrachtung

I. Einleitung Die Regelungen über die Erbengemeinschaft in §§ 2032-2057a BGB sind in der Praxis von eminenter Bedeutung, da ein erheblicher Teil der Nachlässe nicht einer, sondern mehreren Personen anfällt. Das gilt für die Erbfolge infolge letztwilliger Verfügungen von Todes wegen, erst recht aber für die gesetzliche Erbfolge. Die Kenntnis der nicht 49

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immer einfachen rechtlichen Bestimmungen sowie der hierzu ergangenen Rechtsprechung ist daher für den Notar sowie den beratenden Rechtsanwalt und das Streitfälle entscheidende Gericht von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Der nachfolgende Beitrag kann – schon aus Raumgründen – weder die Erbengemeinschaft in all ihren Verästelungen behandeln noch die hierzu ergangene Rechtsprechung in ihren Einzelheiten darstellen. Er soll aber soll einen Überblick über die Rechtsprechung des BGH zur Erbengemeinschaft der letzten 10–15 Jahre geben, zumal sich hier eine Reihe interessanter Entwicklungen, insbesondere im Bereich der Verwaltung des Nachlasses und der Verfügung über Nachlassgegenstände, ergeben haben.

II. Die Erbengemeinschaft und der Anteil der Miterben 1. Rechtsnatur der Erbengemeinschaft a) BGH v. 11.9.2002 − XII ZR 187/001 („Kündigung eines Mietvertrages“) Im Rahmen einer Entscheidung über die Wirksamkeit der Kündigung eines Mietvertrags über Gewerberäume und dem Schriftformerfordernis des § 566 BGB a.F. hatte der u. a. für das gewerbliche Mietrecht zuständige XII. Zivilsenat des BGH über die Frage zu entscheiden, wer Vertragspartner eines Mietvertrags ist, wenn im Vertragsformular als Vermieter „die Erbengemeinschaft Sa vertreten durch S K“ aufgeführt ist. Der BGH hat in seinem Urteil ausdrücklich daran festgehalten, dass der Mietvertrag nicht mit der Erbengemeinschaft, sondern mit den einzelnen Miterben zustande gekommen ist, da die Erbengemeinschaft als Gesamthandsgemeinschaft keine eigene Rechtspersönlichkeit besitze und daher auch nicht rechtsfähig sei. Sie ist lediglich eine gesamthänderisch verbundene Personenmehrheit, der mit dem Nachlass ein Sondervermögen zugeordnet ist. Ausdrücklich abgelehnt hat es der BGH, die Rechtsprechung des II. Zivilsenats zur Rechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft2 auf die Erbengemeinschaft zu übertragen. Begründet hat er dies damit, dass die Erbengemeinschaft anders als die BGB-Gesellschaft nicht rechtsgeschäftlich, sondern durch Gesetz begründet werde, sie nicht darauf angelegt sei, werbend als Außengesellschaft am Rechtsverkehr teilzunehmen, sondern von vornherein auf Auseinandersetzung gerichtet sei, und sie schließlich nicht über Organe verfüge, die sie nach außen vertreten. Diese Auffassung des BGH ist auch im Schrifttum überwiegend auf Zustimmung gestoßen.3 b) BGH v. 17.10.2006 − VIII ZB 94/054 („Unzulässige Berufung“) Dieser Rechtsprechung hat sich der VIII. Zivilsenat des BGH in einem Beschluss vom 17.10.2006 angeschlossen. Im dortigen Fall verlangten die Kläger vom Beklagten die 1 ZEV 2002, 504 m. Anm. Marotzke, NJW 2002, 3389. 2 BGH v. 29.1.2001 − II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 = NJW 2001, 1056. 3 Vgl. Gergen in MüKo 6. Aufl. 2013, § 2032 BGB Rz. 14; Brox/Walker, ErbR, 26. Aufl. 2014, Rz. 469; Leipold, ErbR, 21. Aufl. 2016, Rz. 721. 4 ZEV 2007, 30.

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Zustimmung zur Mieterhöhung für eine Wohnung. Der Mietvertrag war von den Klägern als Mitglieder einer Erbengemeinschaft auf den Namen „F.S.’s Erben“ geschlossen worden. Eine der Miterbinnen hatte ihren Wohnsitz in den USA. Nachdem das Amtsgericht die Beklagte verurteilt hatte, legte sie Berufung zum Landgericht ein, das diese durch Beschluss als unzulässig verwarf. Die hiergegen gerichtete Rechtsbeschwerde der Beklagten nach §§ 522 Abs. 1 Satz 4, 574 Abs. 1 Nr. 1 ZPO blieb ohne Erfolg. Nach der seinerzeit noch geltenden Regelung des § 119 Abs. 1 Nr. 1b) GVG waren die Oberlandesgerichte zuständig u.a. für Berufungen gegen Entscheidungen des AG, die von oder gegen eine Partei erhoben werden, die ihren allgemeinen Gerichtsstand im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit außerhalb des Geltungsbereichs des GVG hatte. Hier kam es mithin maßgeblich darauf an, ob Partei des Rechtsstreits auf Klägerseite die Erbengemeinschaft mit dem Sitz im Inland war oder die Erben selbst, von denen eine im Ausland lebte. Der VIII. Zivilsenat hat in Fortführung eines bereits zuvor ergangenen Beschlusses5 aus den in der Entscheidung des XII. Zivilsenats genannten Gründen an der fehlenden Rechts- und damit Parteifähigkeit der Erbengemeinschaft festgehalten. Daran hat sich auch dadurch nichts geändert, dass der V. Zivilsenat zwischenzeitlich die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer als rechtsfähig angesehen hatte, soweit sie bei der Verwaltung des gemeinschaftlichen Eigentums am Rechtsverkehr teilnimmt.6 2. Vorkaufsrecht a) BGH v. 31.10.2001 − IV ZR 268/007 („Der dritte Weg“) Das Vorkaufsrecht der Miterben bei Veräußerung des Anteils durch einen anderen Miterben ist in §§ 2034-2037 BGB geregelt. Während § 2034 das gegenüber dem Verkäufer auszuübende Vorkaufsrecht betrifft, behandelt § 2035 den Fall des Vorkaufsrechts im Verhältnis zum Käufer. Ist der verkaufte Anteil bereits auf den Käufer übertragen, so können die Miterben das Vorkaufsrecht nur noch diesem gegenüber ausüben (§ 2035 Abs. 1 Satz 2 BGB). Das Urteil des BGH betraf eine zwischen diesen beiden Alternativen liegende Konstellation. Hier hatten die Miterben innerhalb der 2-Monats-Frist des § 2034 Abs. 2 BGB das Vorkaufsrecht gegenüber dem veräußernden Miterben ausgeübt. Gleichwohl übertrug dieser etwa 6 Monate nach Verkauf seines Anteils diesen dinglich noch auf den Erwerber. Der BGH hat hier angenommen, dass der Erwerber in entsprechender Anwendung von § 2035 Abs. 1 Satz 1 BGB auch dann zur Rückübertragung eines Miterbenanteils verpflichtet ist, wenn das Vorkaufsrecht gegenüber dem verkaufenden Miterben ausgeübt worden war und dieser den Anteil erst nach Ablauf der 2-Monats-Frist des §  2034 Abs.  2 BGB auf den Erwerber übertragen hat. Nur hierdurch könne dem Zweck des Vorkaufsrechts genügt werden, die übrigen Miterben vor dem Eindringen unerwünschter Nichterben in die Erbengemeinschaft zu schützen. Dieser Zweck kön5 BGH v. 16.3.2004 − VIII ZB 114/03, ZEV 2004, 246 m. Anm. Klinger. 6 BGH v. 2.6.2005 − V ZB 32/05, BGHZ 163, 154. 7 ZEV 2002, 67 m. Anm. Kornexl.

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ne aber nicht mehr erreicht werden, wenn den vorkaufsberechtigten Miterben lediglich ein schuldrechtlicher Schadensersatzanspruch gegen den pflichtwidrig handelnden Miterben zustünde. b) BGH v. 19.1.2011 − IV ZR 169/108 („Keine Verkehrsfähigkeit des ­Vorkaufsrechts“) Der Kläger hatte in einer Erbengemeinschaft den 1/8-Anteil seiner Mutter durch Erbteilsübertragungsvertrag unentgeltlich im Wege der vorweggenommenen Erbfolge sowie einen weiteren 1/2-Anteil seiner Großmutter durch Überlassungsvertrag erworben. Ferner beerbte der Kläger seine Großmutter später infolge Erbvertrags. Der Kläger verlangte vom Beklagten, der die restlichen 3/8-Anteile der anderen Miterben käuflich erworben hatte, Auskunft über den Inhalt der Verträge, um sein Vorkaufsrecht auszuüben. Dieser Klage blieb der Erfolg letztinstanzlich versagt. Der BGH hat vielmehr seine bisherige Rechtsprechung zum fehlenden Übergang des Vorkaufsrechts fortgesetzt. Das Vorkaufsrecht eines Miterben bei der Veräußerung eines Erbanteils geht nicht auf den Erwerber über. Der Miterbe seinerseits behält zwar die Eigenschaft und Stellung als Erbe, verliert aber infolge der Übertragung seine gesamthänderische Beteiligung am Nachlass und damit auch sein Vorkaufsrecht. Er bedarf keines Schutzes mehr vor dem Eindringen Dritter in die Erbengemeinschaft.9 Das Vorkaufsrecht ist zwar nach § 2034 Abs. 2 Satz 2 BGB vererblich, aber gerade nicht verkehrsfähig. Diese ausgeschlossene Übertragung durch Rechtsgeschäft unter Lebenden lebt auch nicht dadurch wieder auf, dass der Erwerber den Miterben, dessen Erbanteil er erworben hat, später auch noch beerbt. Durch die Unsicherheit, bis wann ein Vorkaufsrecht besteht, würde sonst ein nicht hinnehmbarer Schwebezustand in die Erbengemeinschaft hineingetragen. c) BGH v. 12.5.2016 – I ZR 5/1510 („Maklerhonorar“) Der Beklagte und sein Bruder haben ihre 2011 verstorbene Mutter zu gleichen Teilen beerbt. Der Nachlass bestand im Wesentlichen aus einem Hausgrundstück. Der Bruder des Beklagten beauftragte die Klägerin mit der Vermittlung eines Kaufinteressenten für seinen hälftigen Erbteil. Mit Erbteilskaufvertrag vom 3.3.2012 veräußerte er durch Vermittlung der Klägerin seinen Anteil an dem Nachlass an den Käufer zum Preis von 260.000 Euro. Nach § 7 dieses Vertrags wurde der verkaufte Erbanteil dem Käufer mit sofortiger dinglicher Wirkung übertragen. In § 16 des Vertrags war ausgeführt, dass der Vertrag durch die Klägerin zustande gekommen sei, dass der Käufer 8 ZEV 2011, 248 m. Anm. Herrler. 9 BGH v. 16.12.1992 − IV ZR 222/91, BGHZ 121, 47, 50 f., NJW 1993, 726; v. 9.2.1983 − IVa ZR 87/81, BGHZ 86, 379, 380, NJW 1983, 1555; v. 22.4.1971 – III ZR 46/68, BGHZ 56, 115, 117, NJW 1971, 1264; v. 31.10.2001 − IV ZR 268/00, ZEV 2002, 67 m. Anm. Kornexl, NJW 2002, 820. 10 ZEV 2016, 704.

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sich verpflichte, an die Klägerin ein Maklerhonorar in Höhe von 29.750 Euro für Beratung, wirtschaftliche Aufbereitung und Verkauf zu zahlen, und dass dieses Honorar im Falle der Ausübung des Vorkaufsrechts ebenfalls verdient und vom Vorkaufsberechtigten zu zahlen sei. Der Beklagte übte gegenüber seinem Bruder und dem Käufer sein gesetzliches Vorkaufsrecht aus. Die von der Klägerin geforderte Maklerprovision in Höhe von 29.750 Euro bezahlte er nicht. Die Klage ist vom Berufungsgericht als insgesamt unbegründet abgewiesen worden. Die Revision der Klägerin hatte keinen Erfolg. Mit der Ausübung des Vorkaufsrechts entstand zwischen dem Beklagten und dem Käufer ein gesetzliches Schuldverhältnis. Auf dieses sind grundsätzlich die §§ 463 bis 473 BGB anzuwenden, weil die §§ 2032 ff. BGB insoweit keine weitergehenden Regelungen enthalten. Danach war der Käufer verpflichtet, den vom Bruder des Beklagten erhaltenen Erbanteil auf den Beklagten zu übertragen. Im Gegenzug hatte der Beklagte dem Käufer den für den Erbanteil bezahlten Kaufpreis und die durch den Kaufvertrag entstandenen Kosten sowie etwa durch die Ausübung des Vorkaufsrechts entstandene Kosten einschließlich der Kosten einer Rückübertragung zu erstatten. Die Provisionszahlungspflicht des Vorkaufsberechtigten setzt nach § 464 Abs. 2 BGB voraus, dass sie Bestandteil des Hauptvertrags zwischen dem Verkäufer und dem Erstkäufer ist; der bloße Maklervertrag des Verkäufers oder des Erstkäufers mit dem Makler reicht nicht aus. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei angenommen, dass die in diesem Vertrag getroffene Regelung sich nicht im üblichen Rahmen gehalten hat und daher den Beklagten nicht verpflichtete. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gehören Bestimmungen in Kaufverträgen über die Verteilung der Maklerkosten, die sich nicht im üblichen Rahmen halten, wesensgemäß nicht zum Kaufvertrag und verpflichten daher den Vorkaufsberechtigten nicht (wird sodann im Einzelnen ausgeführt). Eine Herabsetzung der Maklerprovision der Klägerin auf einen üblichen Betrag in entsprechender Anwendung des § 655 BGB kommt ebenfalls nicht in Betracht. Nach dieser Vorschrift kann der für den Nachweis der Gelegenheit zum Abschluss oder für die Vermittlung eines Dienstvertrags vereinbarte Maklerlohn, der sich im Einzelfall als unverhältnismäßig hoch erweist, auf Antrag des Schuldners durch Urteil auf den angemessenen Betrag herabgesetzt werden. Im Hinblick auf die bewusste Beschränkung des Anwendungsbereichs der Norm auf einen Maklervertrag über die Vermittlung von Dienstverträgen und den Ausnahmecharakter der Vorschrift scheidet eine analoge Anwendung auf alle Maklerverträge und damit auch auf den vorliegenden Maklervertrag aus.

III. Verwaltung des Nachlasses und Verfügung über Nachlass­ gegenstände Eine Reihe von Entscheidungen des BGH betraf den Umfang der Verwaltungsbefugnisse der Miterben nach § 2038 BGB, die Einziehung von Nachlassforderungen nach § 2039 BGB sowie die Verfügung über Nachlassgegenstände gem. § 2040 BGB unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnisses der Vorschriften zueinander.

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1. Verwaltung des Nachlasses, § 2038 BGB a) BGH v. 28.9.2005 – IV ZR 82/0411 („Veräußerung des Ferienhauses“) In dem dieser Entscheidung zugrunde liegenden Sachverhalt verweigerte ein Miterbe die Veräußerung eines zum Nachlass gehörenden Grundstücks mit einem Ferienhaus für 144.000 Euro. In den Nachlass fielen Barvermögen sowie weitere Immobilien mit einem Wert von über 800.000 Euro. Später wurde das Grundstück mit dem Ferienhaus für 100.000 Euro veräußert. Ein anderer Miterbe erhob daraufhin Feststellungsklage mit dem Ziel, die Schadensersatzpflicht des sich weigernden Miterben feststellen zu lassen. Der BGH hat in seinem Urteil zunächst ausgeführt, dass unter den Begriff der gemeinschaftlichen Verwaltung des Nachlasses gem. § 2038 Abs. 1 BGB alle Maßregeln zur Verwahrung, Sicherung, Erhaltung und Vermehrung sowie zur Gewinnung der Nutzungen und Bestreitung der laufenden Verbindlichkeiten fallen. Hierzu könnten auch Verfügungen über Nachlassgegenstände zählen, wenn neben der Ordnungsgemäßheit die Erforderlichkeit einer solchen Maßnahme durch besondere Umstände belegt sei. Die Ordnungsgemäßheit sei aus objektiver Sicht zu beurteilen, wobei der Standpunkt eines vernünftigen und wirtschaftlich denkenden Beobachters maßgebend ist. Insoweit hat der BGH die Sache zur weiteren Sachaufklärung zurückverwiesen. Jedenfalls durfte der beklagte Miterbe seine Mitwirkung nicht von vornherein mit der Begründung verweigern, dass in der Veräußerung eine wesentliche Veränderung des Nachlassgegenstands liege, die nach § 2038 Abs. 2 i.V.m. § 745 Abs. 3 Satz 1 BGB nicht verlangt werden könne. Mit dem Begriff des „Gegenstands“ nach § 745 Abs. 3 Satz 1 BGB sei der gesamte Nachlass und nicht nur der konkrete einzelne Nachlassgegenstand gemeint. Eine wesentliche Veränderung setze hierbei voraus, dass durch die Verwaltungsmaßnahme die Zweckbestimmung oder die Gestalt des Nachlasses in einschneidender Weise verändert würde. Hier hat der BGH eine solche wesentliche Veränderung des Nachlasses verneint, da es sich nur um eine Veränderung seiner Zusammensetzung ohne Minderung des Substanzwerts gehandelt hätte. Bei einem Gesamtnachlass von 800.000 Euro, zu dem sowohl Bar- als auch Immobilienvermögen zählten, könne die Veräußerung eines von mehreren Grundstücken zu einem Preis von 144.000  Euro nicht als wesentliche Veränderung, sondern nur als bloße Umstrukturierung des Nachlasses angesehen werden. Der Charakter des Nachlasses werde durch das Ferienhaus nicht entscheidend geprägt. b) BGH v. 23.5.2007 – IV ZR 19/0612 („Stimmrechtsausschluss“) In diesem Fall ging es u.a. um die Zulässigkeit eines Stimmrechtsausschlusses beim Widerruf einer Vollmacht. Nach dem Tod des Erblassers bestand die Erbenge­ meinschaft neben der Mutter (M) aus den fünf Töchtern. M hatte zunächst eine Voll11 BGHZ 164, 181, ZEV 2006, 24 m. Anm. Muscheler. 12 ZEV 2007, 486 m. Anm. Ann.

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macht für Bankgeschäfte des Nachlasses und den Umgang mit einer zum Nachlass gehörenden Darlehensforderung erhalten. Wegen Auseinandersetzungen um mög­ liche Pflichtverletzungen der M widerriefen drei der Miterbinnen diese Vollmacht. Da sie gem. § 2038 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BGB i.V.m. § 745 Abs. 1 BGB nicht über die erforderliche Mehrheit verfügten, stellte sich die Frage, ob für M ein Stimmrechtsauschluss bestand. Der BGH hat die Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Miterbe allgemein vom Stimmrecht ausgeschlossen werden kann, ausdrücklich offen gelassen. Jedenfalls hier sei wegen der erhobenen Vorwürfe, die die Ordnungsgemäßheit der Nachlassverwaltung beträfen, der Stimmrechtsausschluss der Mutter nicht zu beanstanden, da sie anderenfalls Richter in eigener Sache sei. Nicht entschieden hat der BGH namentlich, ob und inwieweit die Vorschriften des Körperschaftsrechts über Stimmrechtsverbote (§§ 34 BGB, 47 Abs. 4 GmbHG, 136 Abs. 1 AktG, 43 Abs. 6 GenG) auf Erbengemeinschaften anwendbar sind13. c) BGH v. 20.7.2011 – IV ZR 273/10 („Die streitenden Brüder“) Zu erwähnen ist schließlich noch ein über § 544 Abs. 4 ZPO hinaus nicht weiter begründeter Nichtzulassungsbeschluss des BGH v. 20.7.2011, mit dem die Revision gegen ein Urteil des OLG Hamm v. 19.10.2010 − 10 U 79/1014 nicht zugelassen wurde.15 In diesem Fall waren zwei Brüder als Mitvorerben zu je 1/2 am Nachlass beteiligt. Nach dem Tod der Vorerben sollte der Nachlass, der im Wesentlichen aus vermieteten Immobilien besteht, an die ehelichen Kinder der Vorerben fallen. Die beiden Vorerben waren im Laufe vieler Jahre seit dem Erbfall 1984 nicht in der Lage gewesen, gemeinschaftlich zu einer gedeihlichen Regelung der Nachlassverwaltung zu gelangen. Auch die zusätzliche Einschaltung Dritter oder von Vertretern hatte nicht zum Erfolg geführt. Der eine Bruder begehrte sodann im Klageweg die Zustimmung des anderen zu einer Fremdverwaltung des Nachlasses durch ein gewerbliches Verwaltungsunternehmen. Das OLG Hamm gab der Klage statt und der BGH hat dies durch die Nichtzulassung der Revision gebilligt. Die Verwaltung des Nachlasses steht den Erben gem. § 2038 Abs. 1 Satz 1 BGB gemeinschaftlich zu. Allerdings ist gem. § 2038 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BGB jeder Miterbe den anderen gegenüber verpflichtet, zu Maßregeln mitzuwirken, die zur ordnungsgemäßen Verwaltung erforderlich sind. Hier wurde die Verwaltung nachhaltig dadurch erschwert, dass die Erbengemeinschaft nur aus zwei Miterben mit gleichen Anteilen bestand, so dass keine Mehrheitsentscheidungen gem. § 2038 Abs. 2 i.V.m. § 745 Abs. 1 BGB getroffen werden konnten. Auch der Weg über eine Auseinandersetzung gem. § 2042 Abs. 1 BGB war versperrt, weil die Miterben lediglich zu einer Vorerbengemeinschaft gehörten und der Nacherbfall nicht ein13 Abl. etwa Ann, a.a.O. 14 ZEV 2011, 538. 15 Die Verfassungsbeschwerde gegen die Entscheidungen des BGH und der Vorinstanzen wurde nicht zur Entscheidung angenommen, BVerfG v. 31.10.2011 – 1 BvR 2205/11.

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getreten war. Erschwert wurde die Verwaltung ferner dadurch, dass erhebliche Aufgaben anfielen wie der Abschluss von Mietverträgen, Nebenkostenabrechnungen, Instandhaltungs- und Reparaturmaßnahmen etc. Das OLG Hamm hat hier daher ausnahmsweise die Voraussetzungen einer Fremdverwaltung des Nachlasses unter Ausschluss der beiden Miterben für gegeben erachtet und sich hierzu auf eine Entscheidung des BGH vom 9.2.198316 gestützt. Dort hatte der BGH ausgeführt, eine Fremdverwaltung komme in Betracht, wenn die Miterben nicht in der Lage oder nicht bereit seien, den Nachlass ordnungsgemäß zu verwalten. 2. Einziehung von Nachlassforderungen, § 2039 BGB a) BGH v. 5.4.2006 – IV ZR 139/0517 („Vollstreckungsgegenklage“) In seinem Urteil hatte der BGH über die von einem Miterben erhobene Vollstreckungsgegenklage gegen die Zwangsvollstreckung aus zwei Grundschulden zu befinden. Der Kläger, der mit seinem Bruder in ungeteilter Erbengemeinschaft u.a. Eigentümer eines Grundstücks war, machte geltend, die Bank dürfe aus den Grundschulden, bzgl. derer die Erben sich der sofortigen Zwangsvollstreckung unterworfen hatten, nicht vollstrecken, weil die Grundschuldbestellungen sittenwidrig seien und Gegenansprüche auf Schadensersatz bestünden. Der BGH hat entschieden, die Prozessführungsbefugnis des Miterben ergebe sich aus § 2039 Satz 1 BGB, der ihn berechtige, in gesetzlicher Prozessstandschaft für die Erbengemeinschaft zum Nachlass gehörende Ansprüche ohne Mitwirkung der anderen Miterben klageweise geltend zu machen. Zwar setzt § 2039 Satz 1 BGB die Geltendmachung eines Anspruchs gem. § 194 BGB voraus. Die äußere Einkleidung der Vollstreckungsgegenklage nach § 767 ZPO als Gestaltungsklage sieht der BGH indessen nicht als Hindernis für die Anwendung von § 2039 Satz 1 BGB. In der Sache dient die Vollstreckungsgegenklage nämlich nur dazu, den vom klagenden Miterben behaupteten materiell-rechtlichen Anspruch durchzusetzen. Wenn der Miterbe aber Ansprüche auf Rückgewähr der Grundschulden oder Schadensersatz geltend machen kann, begründet es keinen sachlichen Unterschied, wenn diese Ansprüche nicht unmittelbar, sondern in der verfahrensrechtlichen Gestalt einer Vollstreckungsgegenklage durchgesetzt werden sollen. b) BGH v. 19.11.2012 – XII ZR 151/1018 („Einziehungsermächtigung“) Die klagende GmbH war verurteilt worden, an die aus den Beklagten zu 1 und 2 bestehende Erbengemeinschaft Mietrückstände von 14.863,10 Euro nebst Zinsen zu zahlen. Der Beklagte zu 1, auf den ein Erbanteil von 3/4 entfällt, ist der alleinige Gesellschafter-Geschäftsführer der Klägerin. Er errichtete unter der Kontobezeichnung „Erbengemeinschaft A.G.“ ein Bankkonto und zahlte auf dieses die titulierte Haupt16 IVa ZR 144/81, NJW 1983, 2142. 17 BGHZ 167, 150, ZEV 2006, 356 m. Anm. Werner, NJW 2006, 1969. 18 ZEV 2013, 81.

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forderung ein. Mit ihrer Klage begehrt die Klägerin die Herausgabe des Schuldtitels und die Erklärung der Zwangsvollstreckung für unzulässig. Der BGH hat der Klage in letzter Instanz stattgegeben. Er hat darauf abgestellt, die Vollstreckungsgegenklage habe Erfolg, da die titulierte Forderung durch Erfüllung erloschen sei. Zwar sei keine Erfüllung nach § 2039 Satz 1 BGB eingetreten, da der Verpflichtete nur an alle Erben gemeinschaftlich leisten und jeder Miterbe nur die Leistung an die Erben fordern könne, das eingerichtete Bankkonto indessen nur dem Beklagten zu 1 zugestanden habe. Aber die Zahlungen hätten nach §§ 362 Abs. 2, 185 Abs. 1 BGB Erfüllungswirkung. Der Beklagte zu 1 sei aufgrund der durch seine Anteilsmehrheit am Nachlass ermöglichten Einziehungsermächtigung zur Entgegennahme der Zahlung auf das von ihm eröffnete Konto befugt gewesen. Zur Verwaltung einer gemeinschaftlichen Forderung nach § 2038 Abs. 1 BGB könne auch deren Einziehung gehören. Maßnahmen ordnungsgemäßer Verwaltung könnten mit Stimmenmehrheit beschlossen werden. Der Beklagte zu 1 sei von seiner Stimmrechtsausübung auch nicht durch eine etwa bestehende Interessenkollision in entsprechender Anwendung von § 34 BGB ausgeschlossen gewesen. Es sei für die Erbengemeinschaft ausschließlich um ein rechtlich vorteilhaftes Geschäft durch die Empfangnahme einer Leistung nach rechtskräftiger Verurteilung gegangen. Der Beklagte zu 1) habe das eingerichtete Konto auch ausdrücklich mit der Zweckbestimmung „Erbengemeinschaft A.G.“ versehen, es dadurch als Treuhandkonto bestimmt und von seinem sonstigen Vermögen getrennt gehalten. c) BGH v. 27.2.2014 – III ZB 99/1319 („Kostenfestsetzungsverfahren“) Die Parteien stritten über die Festsetzung von Kosten eines Rechtsstreits zu Lasten der beklagten Eheleute, nachdem die Klägerin verstorben und von der Antragstellerin und dem Beklagten zu 1 beerbt worden ist. Das Amtsgericht hat durch rechtskräftiges Urteil v. 21.12.2012 der Klage im Wesentlichen stattgegeben und die Kosten des Rechtsstreits den Beklagten als Gesamtschuldnern auferlegt. Die Klägerin ist am 17.1.2013 verstorben und von ihren Kindern, der Antragstellerin und dem Beklagten zu 1, je zu 1/2 beerbt worden. Mit Kostenfestsetzungsbeschluss v. 16.4.2013 hat das Amtsgericht den Beklagten als Gesamtschuldnern auferlegt, aufgrund des Urteils v. 21.12.2012 an die Klägerin Kosten i.H. von 637,81 Euro zu erstatten. Hiergegen haben die Beklagten sofortige Beschwerde erhoben, die das Landgericht zurückgewiesen hat. Die vom Landgericht zugelassene Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg gehabt. Nach Auffassung des BGH ist das Beschwerdegericht mit zutreffenden Erwägungen davon ausgegangen, dass das Kostenfestsetzungsverfahren nach dem Tod der Klägerin auf Antragstellerseite nicht von der Erbengemeinschaft, sondern von der Beschwerdegegnerin fortgeführt worden ist und der Beklagte seine prozessuale Stellung beibehalten hat, obwohl er Miterbe nach der Klägerin ist. Es hat ebenfalls zutreffend angenommen, dass der Widerspruch des Beklagten zu 1 als Miterbe nach der Klägerin der 19 ZEV 2014, 251.

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Kostenfestsetzung nicht entgegensteht.20 Es ist gerade der Sinn von § 2039 BGB ist, eine Einziehung auch gegen den Widerspruch von Miterben zu ermöglichen. Im Ansatz zutreffend weist die Rechtsbeschwerde darauf hin, dass der Miterbe, der einen Aktivprozess fortführt, die Rechte der anderen Miterben zu berücksichtigen hat und gem. § 2039 Satz 1 BGB Leistung nicht an sich, sondern nur an alle Miterben verlangen kann. Die Beschwerdegegnerin hat indes im Rahmen des vorliegenden Kostenfestsetzungsverfahrens nicht die Kostenerstattung an sich beantragt. Ursprünglich hatte der Bevollmächtigte der Klägerin – für diese und noch zu ihren Lebzeiten – mit Schriftsatz v. 28.12.2012 die Kostenerstattung beantragt. Das Amtsgericht hat sodann – in Unkenntnis des Umstands, dass die Klägerin zwischenzeitlich verstorben war – im angefochtenen Beschluss v. 16.4.2013 die Kostenerstattung an die Klägerin angeordnet. Dieser, der formellen und materiellen Rechtskraft fähige Beschluss, wirkt nach Eintritt der Rechtskraft gem. § 325 Abs. 1 ZPO für die Erben der Klägerin als den Personen, die Rechtsnachfolger der Klägerin geworden sind. Mit dieser materiellen Wirkung, d.h. mit der Verpflichtung zur Kostenerstattung an die Erben der Klägerin, ist der Beschluss Gegenstand des Beschwerdeverfahrens geworden. Er verpflichtet die Beklagten dagegen nicht, die Kosten ausschließlich an die Antragstellerin zu erstatten. Einen entsprechenden Antrag hat letztere auch zu keinem Zeitpunkt gestellt. Das Beschwerdegericht hat die aus § 325 Abs. 1 ZPO folgende Wirkung vielmehr erkannt und seiner Entscheidung zutreffend zugrunde gelegt, indem es ausgeführt hat, die einzelnen Mitglieder der Erbengemeinschaft seien im Verhältnis zueinander nur anteilig berechtigt, die Kostenerstattung sei nicht in das Privatvermögen der antragstellenden Miterben, sondern in das Sondervermögen der Erbengemeinschaft zu leisten. 3. Verfügungen über Nachlassgegenstände, § 2040 BGB a) Problemstellung Nach § 2040 Abs. 1 BGB können die Erben über einen Nachlassgegenstand nur gemeinschaftlich verfügen. Problematisch ist das Verhältnis dieser Vorschrift zur Regelung des Verwaltungsrechts in § 2038 BGB. Im Außenverhältnis sind nämlich häufig Verfügungen erforderlich, um Entscheidungen der Erbengemeinschaft, die im Innenverhältnis mit Stimmenmehrheit getroffen werden können, wenn es sich um Maßnahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung nach § 2038 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BGB handelt, umzusetzen. Hier fragt sich, ob § 2040 Abs. 1 BGB als Sondervorschrift für Verfügungen anzusehen ist, so dass solche Verfügungen von allen Miterben gemeinschaftlich getroffen werden müssen. Dieselbe Frage taucht auf, wenn es um die zu Erhaltung notwendigen Maßnahmen geht, die gem. § 2038 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB jeder Miterbe sogar ohne Mitwirkung der übrigen treffen kann.

20 BVerwG v. 29.7.2009 – 8 C 8/08, FamRZ 2009, 1827, BeckRS 2009, 39213 Rz. 19; Gergen in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2013, § 2039 BGB Rz. 14; Weidlich in Palandt, 75. Aufl. 2016, § 2039 BGB Rz. 6, 10; Schütte, NJW 2012, 2596; a.A. OLG Frankfurt v. 23.3.2012 − 19 W 2/12, ZEV 2012, 264.

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Während im Rahmen von § 2038 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 BGB weithin anerkannt ist, dass ein zu notwendigen Maßregeln allein befugter Miterbe auch die zur Durchführung derselben erforderlichen Verfügungen vornehmen kann,21 ist diese Frage bei Maßnahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung umstritten. Die früher überwiegende Ansicht nahm an, dass es für Verfügungen entsprechend dem Wortlaut des § 2040 BGB einer Mitwirkung sämtlicher Miterben bedürfe.22 Demgegenüber geht das neuere Schrifttum zunehmend davon aus, im Bereich ordnungsgemäßer Verwaltung § 2038 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BGB als Spezialregelung zu § 2040 BGB anzusehen, so dass mit Mehrheit beschlossene Verwaltungsmaßnahmen auch durch mehrheitlich vorgenommene Verfügungen umgesetzt werden können.23 In diese Entwicklung ist durch drei Entscheidungen des BGH weiter Bewegung gekommen. b) Neuere Rechtsprechung aa) BGH v. 28.4.2006 – LwZR 10/0524 („Kündigung eines Pachtverhältnisses“) In seinem Urteil hatte der Landwirtschaftssenat des BGH über die Wirksamkeit der Kündigung eines Pachtverhältnisses durch eine Erbengemeinschaft zu entscheiden. Zunächst sah der BGH diese Kündigung als Verfügung i.S.d. § 2040 Abs. 1 BGB an. Da Verfügung jedes Rechtsgeschäft sei, durch das bestehende Rechte mit unmittel­ barer Wirkung aufgehoben, übertragen, belastet oder inhaltlich verändert würden, falle hierunter auch die Ausübung von Gestaltungsrechten. Durch die Kündigung des Pachtvertrags werde ein Recht aufgehoben, weil der Anspruch der Erbengemeinschaft auf Zahlung des Pachtzinses erlösche. Weiter hat der BGH dann die verschiedenen Ansichten zum Verhältnis von § 2038 und § 2040 BGB erörtert. Hierbei hat er Bedenken gegen die Auffassung erhoben, die von einem generellen Vorrang des § 2038 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 gegenüber § 2040 BGB im Bereich ordnungsgemäßer Verwaltung ausgeht. Gebe man das Einstimmigkeitserfordernis für jede einer ordnungsgemäßen Verwaltung entsprechende Verfügung über einen Nachlassgegenstand auf, beschränke das den Anwendungsbereich des § 2040 Abs. 1 BGB auf Fälle einer nicht ordnungsgemäßen Nachverwaltung. Der Senat hat sodann ausgeführt, dass Verfügungen über einen Nachlassgegenstand als Maßnahmen ordnungsgemäßer Nachlassverwaltung aber jedenfalls dann wirksam mit Stimmenmehrheit vorgenommen werden könnten, wenn dadurch die auf den 21 BGH v. 12.6.1989 − II ZR 246/88, BGHZ 108, 21, 30 f., NJW 1989, 2694; Gergen (Fn. 3), § 2038 BGB Rz. 62; Brox/Walker (Fn. 3), Rz. 507; Leipold (Fn. 3), Rz. 736. 22 Vgl. etwa Gergen (Fn. 3), § 2038 BGB Rz. 53 m.w.N.; Werner in Staudinger, 2002, § 2038 BGB Rz. 40, § 2040 BGB Rz. 1, 18; in diese Richtung auch BGH v. 29.3.1971 − III ZR 255/68, BGHZ 56, 47, 50, NJW 1971, 1265. 23 Weidlich in Palandt, 75. Aufl. 2016, § 2038 BGB Rz. 5; Leipold (Fn. 3), Rz. 736; Brox (Fn. 3), Rz. 507; Ann in AnwK-BGB, 2. Aufl., § 2040 BGB Rz. 13; ders., ZEV 2010, 39; Muscheler, ZEV 1997, 222, 230 f.; ders., ErbR, Bd. II, Rz. 3865 ff. 24 ZEV 2006, 358 m. Anm. Werner, NJW 2007, 150.

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Erhalt des Nachlassbestands gerichteten Interessen der anderen Miterben nicht beeinträchtigt würden.25 Im Ergebnis ließ der Senat diese Streitfrage aber offen, weil er davon ausging, die Kündigungserklärung sei tatsächlich wirksam für alle Miterben abgegeben worden. bb) BGH v. 11.11.2009 – XII ZR 210/0526 („Kündigung eines Mietverhältnisses“) Mit seinem Urteil hatte der XII. Zivilsenat des BGH über die Frage der Wirksamkeit der Kündigung eines gewerblichen Mietverhältnisses durch eine Erbengemeinschaft zu entscheiden. Der Erblasser hatte 1980 ein Grundstück an die Staatliche Kunstsammlung in Sachsen zum Preis von 399,25 DDR-Mark monatlich vermietet. Nach Eintritt des Erbfalls und der Wiedervereinigung betrug der Mietzins 2002 zuletzt monatlich 204,13 Euro. Zwei von drei Mitgliedern der Erbengemeinschaft mit Nachlass­ anteilen von 3/4 kündigten daraufhin den Mietvertrag. Der XII. Zivilsenat setzte zunächst die schon durch den IV. Zivilsenat und den Landwirtschaftssenat begründete Rechtsprechung fort, dass auch die Kündigung eines Mietvertrags als Verfügung gem. § 2040 Abs. 1 BGB anzusehen ist. Ferner hat er es für unschädlich erachtet, dass nur zwei von drei Miterben der Kündigung zugestimmt hatten. Für das Verhältnis von § 2040 zu § 2038 BGB vertritt der Senat die Auffassung, dass jedenfalls für den Bereich der Kündigung eines Mietverhältnisses die Regelung des § 2038 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BGB den Vorrang hat. Die Erben können mithin ein Mietverhältnis über eine zum Nachlass gehörende Sache wirksam mit Stimmenmehrheit kündigen, wenn sich die Kündigung als Maßnahme ordnungsgemäßer Nachlassverwaltung darstellt. Der Senat geht damit über die Rechtsprechung des Landwirtschaftssenats hinaus, der eine Mehrheitsentscheidung auch für Verfügungen nur dann zugelassen hat, wenn dadurch die auf den Erhalt des Nachlassbestands gerichteten Interessen der anderen Miterben nicht beeinträchtigt würden. Zur Begründung wird angeführt, dass § 2038 Abs. 1 i.V.m. § 745 Abs. 1 BGB im Rahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung Mehrheitsentscheidungen sowohl im Innen- als auch im Außenverhältnis erlaube. Wenn die Erben mehrheitlich einen Vertrag begründen könnten, sei nicht ersichtlich, warum sie ihn nicht auch wieder aufheben könnten. Die Kündigung sei lediglich als ein auf das Schuldverhältnis bezogenes akzessorisches Recht anzusehen. Schließlich hat der BGH auch die Ordnungsgemäßheit der Verwaltungsmaßnahme angenommen, da die bisherige Vermietung des Hausgrundstücks mit einer Fläche von 4.900 qm, davon 1.090 qm Nutzfläche, für 204,13 Euro wirtschaftlich unvernünftig war, zumal der Mieter selbst von einem angemessenen Mietzins von 4.078 Euro ausgegangen war.

25 In diese Richtung schon Kregel in RGRK-BGB, 12. Aufl., § 2040 BGB Rz. 2; Johannsen, WM 1970, 573, 576. 26 ZEV 2010, 36 m. Anm. Ann, NJW 2010, 765.

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cc) OLG Schleswig v. 18.9.2014 – 3 U 82/1327 und BGH v. 3.12.2014 – IV ZA 22/1428 (Kündigung eines Darlehensvertrages“) Vorläufig zum Abschluss gekommen ist diese Entwicklung durch einen in einem ­Prozesskostenhilfeverfahren ergangenen Beschluss des für das Erbrecht zuständigen IV. Zivilsenates des BGH. Der Kläger begehrte vom Beklagten, seinem Bruder, die Rückzahlung eines Darlehens an eine aus den Parteien sowie zwei weiteren Brüdern bestehenden Erbengemeinschaft nach der 2001 verstorbenen Mutter der Parteien. Die vier Brüder sind Miterben zu 1/4. Die Erblasserin nahm 2001 ein Darlehen über 80.000 DM auf, das der Einrichtung einer vom Beklagten betriebenen Gaststätte dienen sollte. Als Sicherheit waren vereinbart eine Bürgschaft des Beklagten sowie eine Abtretung der der Erblasserin zustehenden Lebensversicherung. Der Beklagte leistete im Jahr 2001 Zahlungen auf das Darlehen an die Bank. Zur Tilgung des Restbetrages des Darlehens von insgesamt 36.831,87 Euro nahm die Bank 2002 eine Verwertung der Lebensversicherung der Erblasserin vor. Der Kläger und einer seiner Brüder fassten 2012 den Beschluss, das der Erblasserin dem Beklagten gewährte Darlehen über 80.000 DM zu kündigen. Der dritte Bruder hatte auf die Aufforderung, der Kündigung des Darlehens gegenüber dem Beklagten zuzustimmen, nicht reagiert. Daraufhin kündigten der Kläger und einer seiner Brüder das Darlehen. Im Zeitpunkt der Darlehenskündigung war dem Kläger nicht bekannt, dass der Beklagte bereits die eidesstattliche Versicherung abgeleistet hatte. Das Landgericht hat der Klage im wesentlichen stattgegeben. Die Berufung des Beklagten ist erfolglos geblieben. Das OLG Schleswig hat ausgeführt: Der Kläger ist zunächst gemäß § 2039 Satz 2 BGB berechtigt, den der Erbengemeinschaft zustehenden Anspruch auf Darlehensrückzahlung klageweise geltend zu machen, indem er nicht Leistung an sich, sondern an die Erbengemeinschaft begehrt. Das Berufungsgericht hat es ferner als maßgebliches Indiz für das Bestehen eines Darlehensvertrages zwischen der Erblasserin und dem Beklagten gewertet, dass der Beklagte selbst nach Abschluss des Darlehensvertrages zwischen der Erblasserin und der Bank im ersten Jahr die Tilgungen übernommen hat. Auch von einem Erlass der Forderung vermochte sich das Berufungsgericht nicht zu überzeugen. Nach Auffassung des Berufungsgerichts stellt die Kündigung eine Maßnahme der ordnungsgemäßen Verwaltung dar, für die es der Einstimmigkeit nach § 2040 BGB nicht bedarf. Sie kann nach den §§ 2038 Abs. 2, 745 BGB mit Stimmenmehrheit beschlossen werden. Insoweit hat sich das OLG der Rechtsprechung des XII. Zivilsenats des BGH angeschlossen. Abgestellt hat es darauf, diese Auffassung trage dem Interesse der oft jahrelang bestehenden Erbengemeinschaft an einer handlungsfähigen Verwaltung und einer größeren Beweglichkeit im Geschäftsverkehr angemessen Rechnung. Die Rechtsunsicherheit, die dadurch entstehen könne, dass sich Verfügungen nachträglich als unwirksam erweisen, weil sie sich in einem späteren Rechtsstreit zwischen den 27 ZEV 2015, 101 m. Anm. Eberl-Borges. 28 ZEV 2015, 339; ErbR 2015, 196 m. Anm. Wendt.

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Miterben nicht als ordnungsgemäße Verwaltungsmaßnahme herausstellten, stehe dem nicht entscheidend entgegen. Es steht den am Rechtsgeschäft Beteiligten frei, ob sie die Rechtsunsicherheit in Kauf nehmen oder von dem Geschäft Abstand nehmen möchten. Der Schutzbedürftigkeit der Minderheitserben werde durch den Rückgewähranspruch der Erbengemeinschaft gegenüber dem Verfügungsempfänger und ergänzenden Schadensersatzansprüchen gegenüber den Mehrheitserben Rechnung getragen. Gegen die Möglichkeit von Mehrheitsbeschlüssen spreche auch nicht, dass die Erbengemeinschaft eine Gesamthandgemeinschaft sei. Eine Verfügung aufgrund Mehrheitsbeschluss sei jedenfalls dann zulässig, wenn die Verfügung in der Kündigung eines Vertragsverhältnisses besteht. Demnach richte sich die Wirksamkeit der Kündigung des Darlehens nach § 2038 BGB. Dabei komme es nur darauf an, ob es sich um eine Maßnahme der ordnungsgemäßen Verwaltung nach § 2038 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. § 745 BGB handele. Hier stelle sich die Kündigung als ordnungsgemäße Verwaltungsmaßnahme dar. Erst die Kündigung führe zur Fälligkeit der Nachlassforderung und ermögliche ihre Einziehung. Eine andere Bewertung sei nicht deshalb geboten, weil der Beklagte derzeit zahlungsunfähig sei. Ob die Kündigung auch eine „erforderliche“ Maßnahme i.S.v. § 2038 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BGB sei, könne offenbleiben.29 Diese Einschränkung ergebe sich aus der Rechtsprechung des BGH nicht. Der BGH hat den Prozesskostenhilfeantrag des Beklagten zurückgewiesen und ausgeführt, jedenfalls in Fällen der Ausübung von Gestaltungsrechten im Rahmen eines bestehenden Vertragsverhältnisses sei eine Mehrheitsentscheidung im Rahmen eines Verfügungsgeschäfts gem. § 2040 Abs. 1 BGB zulässig, wenn es sich um eine Maßnahme ordnungsgemäßer Verwaltung nach § 2038 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BGB handele. c) Ausblick Auch wenn nunmehr das Verhältnis von § 2038 BGB zu § 2040 BGB in der Rechtsprechung des BGH in weitem Umfang konturiert ist, dürfte das letzte Wort hier noch nicht gesprochen sein. Zu denken ist nicht nur an Verfügungen über bewegliche Nachlassgegenstände, sondern insbesondere an den Grundbuchverkehr. Selbst für den Fall eines uneingeschränkten Vorrangs des § 2038 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 2 vor § 2040 BGB, also der Zulässigkeit durch Mehrheitsentscheidung der Erbengemeinschaft herbeigeführter Verfügungen im Rahmen ordnungsgemäßer Nachlassverwaltung, erscheint zweifelhaft, ob dies auch für den Grundbuchverkehr gelten wird. Das Grundbuchamt kann nämlich anhand der ihm vorliegenden Unterlagen im Regelfall nicht feststellen, ob die Voraussetzungen ordnungsgemäßer Verwaltung vorliegen oder nicht.30 In jedem Fall erleichtert die jetzt bereits maßgebliche höchstrichterliche Rechtsprechung in erheblichem Umfang die Handlungsfähigkeit von Erbengemeinschaften im Außenverhältnis. Hinzuweisen ist hierzu etwa auf eine Entscheidung des Branden29 So etwa Stützel, NJW 2013, 3543, 3546 f. 30 So ausdrücklich OLG Hamm v. 5.2.2014 − I-15 W 1/14, ZEV 2014, 419 unter Hinweis auf die für die Löschung eines Grundpfandrechts erforderliche Zustimmung aller Miterben.

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burgisches Oberlandesgerichts v. 24.8.2011.31 In diesem Fall hatten Mitglieder einer ungeteilten Erbengemeinschaft, deren Nachlassanteile ¾ ausmachten, zwei noch von der Erblasserin geschlossene Giro- und Sparverträge gekündigt. Das Guthaben auf dem Girokonto wurde nicht verzinst, der Zinssatz auf dem Sparbuch betrug 0,5 %. Die Mehrheit der Erben wollte das Guthaben von ca. 31.000 Euro zinsgünstiger anlegen. Mehrere andere Erben mit einem Anteil von je 1/32 verweigerten die Mitwirkung. Das OLG hat sich ausdrücklich der Auffassung des XII. Zivilsenats des BGH in seinem Urteil v. 11.11.2009 angeschlossen und entschieden, die Miterben könnten mit Mehrheit beschließen, ein schuldrechtliches Dauerverhältnis wie hier den Vertrag mit der Bank zu kündigen. Auch eine ordnungsgemäße Verwaltungsmaßnahme wurde im konkreten Fall angenommen, da es lediglich um die andere Form einer sicheren Einlage bei höherem Habenzins ging und seit dem Tod der Erblasser bereits über 7 Jahre vergangen waren, ohne dass die Erbengemeinschaft auseinandergesetzt worden war.

IV. Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft 1. BGH v. 28.10.2009 – IV ZR 82/0832 („Ausgleichungspflicht“) In diesem Fall ging es in einem Rechtsstreit zwischen dem Sohn (S) des Erblassers (E), der aufgrund Erbvertrags zu 1/4 Erbe war, sowie der dritten Ehefrau des Erblassers, die aufgrund Testaments zu 3/4 Erbin war, um die Frage, ob sich S bei der Erbauseinandersetzung Vorempfänge anrechnen lassen muss. Hierbei war zu unterstellen, dass E mit S eine Vereinbarung über die Anrechnung von Vorempfängen im Erbvertrag getroffen hatte. Der BGH hat die Entscheidungen der Vorinstanzen, die der Feststellungsklage des S, dass er sich Schenkungen nicht auf seinen Erbteil anrechnen lassen müsse, bestätigt. Eine Ausgleichungspflicht über § 2050 Abs. 1 und 3 BGB komme nicht in Betracht, da diese Bestimmung nur die Ausgleichung unter Abkömmlingen, nicht dagegen zwischen Abkömmlingen und überlebenden Ehegatten regelt. Auch eine entsprechende Anwendung von § 2315 BGB lehnt der BGH ab, weil es sich um eine Sonderregelung für das Pflichtteilsrecht handele. Soweit der Erblasser Bestimmungen für Auseinandersetzungen unter Miterben treffen wolle, muss dies mithin, von den Sonderfällen des § 2050 Abs. 1 und 3 BGB abgesehen, durch letztwillige Verfügung gestehen. Auch der Anwendung von §§  328, 331 BGB durch einen schuldrechtlichen Vertrag zwischen Erblasser und Zuwendungsempfänger hat der BGH eine Absage erteilt, da sich der Versprechende nicht wirksam zu einer Anrechnung oder Ausgleichung verpflichten könne, der Bedeutung für eine Erbauseinandersetzung zukomme33.

31 13 U 56/10, MDR 2011, 1425; ferner OLG Frankfurt a.M. v. 29.7.2011 − 2 U 155/10, ZEV 2012, 258. 32 ZEV 2010, 34 m. Anm. Leipold. 33 Krit. hierzu Leipold, a.a.O.

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Für die Praxis bedeutet dies, dass bei Zuwendungen außerhalb des Anwendungsbereichs des § 2050 BGB, die auf den späteren erbrechtlichen Erwerb angerechnet werden sollen, sichergestellt werden muss, dass sich entsprechende Regelungen auch in der letztwilligen Verfügung von Todes wegen finden, etwa durch Bestimmungen über Teilungsanordnungen (§  2048 BGB), Vorausvermächtnisse (§  2150 BGB) oder gar Änderungen der Erbquoten. 2. BGH v. 24.10.2012 – IV ZR 155/1234 („Vollständige Auseinandersetzung?“) Im Rahmen der Frage, ob eine Erbengemeinschaft vollständig auseinandergesetzt worden war, hatte sich der BGH mit der Frage zu befassen, welche Rolle es spielt, dass der Erbengemeinschaft im Rahmen eines Erbanteilsübertragungsvertrags ein Rückgewähranspruch gem. § 346 BGB gegen den Erwerber zustehen könnte. Hierzu hat der BGH entschieden, dass eine vollständige Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft mit der Folge ihres Erlöschens nicht vorliegt, wenn der Erbengemeinschaft als Surrogat gem. § 2041 BGB ein Anspruch nach § 346 BGB infolge des Rücktritts von einem Erbteilskaufvertrag zusteht.35 3. BGH v. 22.10.2015 – V ZB 126/1436 („Auflösung durch Anteilserwerb?“) Der 1948 verstorbene P. W. wurde von Dr. R. und A. W. beerbt, die in das Grundbuch als Eigentümer des zum Nachlass gehörenden Grundstücks „in Erbengemeinschaft“ eingetragen wurden. Mit notarieller Urkunde v. 25.2.2013 übertrug jeder der beiden Miterben seinen Erbanteil jeweils zur Hälfte auf die Beteiligten zu 1 und 2. Diese wurden ebenfalls mit dem Zusatz „in Erbengemeinschaft“ in das Grundbuch eingetragen. Sie haben beantragt, das Grundbuch dahin zu berichtigen, dass sie unter Wegfall des Zusatzes „in Erbengemeinschaft“ als Miteigentümer zu je 1/2 eingetragen werden. Das Grundbuchamt hat den Berichtigungsantrag zurückgewiesen. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Der nach § 78 GBO statthaften und auch im Übrigen zulässigen Rechtsbeschwerde blieb in der Sache der Erfolg versagt. Zutreffend legt das Beschwerdegericht nach Auffassung des BGH zugrunde, dass über einen Erbteil auch in Bruchteilen verfügt werden kann und dass die Überführung eines im Gesamthandseigentum stehenden Nachlassgrundstücks in Bruchteilseigentum der Auflassung bedarf. Mit Recht geht das Beschwerdegericht auch davon aus, dass die gesamthänderische Bindung vorliegend nicht mit der Folge erloschen ist, dass die Beteiligten an dem Grundstück Bruchteilseigentum erworben haben. Allerdings ist umstritten, ob bei Übertragung aller Erbteile zu gleichen Bruchteilen auf mehrere Erwerber die Erbengemeinschaft fortbesteht oder ob sie erlischt mit der Folge, dass die Erwerber ohne vorherige Auflassung als Bruchteilseigentümer des zum Nachlass gehörenden Grundstücks eingetragen 34 ZEV 2013, 84. 35 So bereits BGH v. 26.2.1953 − IV ZR 207/52, DNotZ 1955, 406. 36 ZEV 2016, 84 m. Anm. Zimmer.

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werden können. Der BGH teilt die zuerst genannte Auffassung. Der Gesetzgeber hat die Miterbengemeinschaft als Gesamthandsverhältnis mit der Folge ausgestaltet, dass ein Miterbe nach § 2033 Abs. 2 BGB über „seinen Anteil“ an einzelnen Nachlassgegenständen nicht verfügen kann; das gilt selbst dann, wenn der Nachlass nur (noch) aus einem einzigen Vermögensgegenstand besteht. Um die daraus resultierenden Härten abzumildern, hat er dem Miterben allerdings gemäß § 2033 Abs. 1 BGB die Befugnis eingeräumt, über seinen Anteil am Nachlass zu verfügen, um auf diese Weise eine alsbaldige Verwertbarkeit des Erbteils sicherzustellen. Wird ein Erbteil ver­ äußert, führt dies dazu, dass der Veräußerer aus der mit dem Erbfall kraft Gesetzes zwischen ihm und den übrigen Miterben entstandenen Gesamthandsgemeinschaft ausscheidet und die Gemeinschaft mit dem Erwerber fortgeführt wird. Das gilt nach der Wertung des § 2037 BGB zumindest grundsätzlich selbst dann, wenn keine Miterben mehr beteiligt sind, sondern nur noch Dritte Erbteile halten. Der Fortbestand der durch den Erbfall begründeten Gesamthandsgemeinschaft kann nur ausnahmsweise verneint werden, weil nicht nur die erbrechtliche, sondern auch die sachenrechtliche Zuordnung in Rede steht, die mit Blick auf die Erfordernisse des Rechtsverkehrs in erhöhtem Maße der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit bedarf. So ist es anerkannt, dass die Gesamthandsgemeinschaft erlischt, wenn ein Miterbe oder ein Dritter sämtliche Erbanteile erwirbt und sich damit sämtliche Erbteile in ein und derselben (natürlichen oder juristischen) Person vereinigen. Die Rechtslage ist dann keine andere als bei dem Erwerb des Nachlasses durch einen Alleinerben. Sowohl der Alleinerbe als auch der Erwerber sämtlicher Erbteile kann ohne weiteres die rechtlichen Voraussetzungen für eine Verfügung über Einzelgegenstände schaffen; der Abstimmung mit Mitberechtigten bedarf es hierzu von vornherein nicht. Hier hat kein Erwerb sämtlicher Erbanteile durch einen Erwerber stattgefunden. Wird der Erbteil anteilig auf mehrere Erwerber übertragen, bilden die Erwerber eine Gemeinschaft nach Bruchteilen (§ 741 BGB). Die Bruchteilsgemeinschaft gibt es aber nicht als solche, sondern nur bezogen auf das Recht, das den Mitgliedern der Gemeinschaft gemeinschaftlich zusteht. Handelt es sich um mehrere Erbteile, besteht an diesen jeweils eine Bruchteilsgemeinschaft. Hinsichtlich des Nachlasses bleiben die Inhaber der Erbteile gesamthänderisch verbunden; eine Vereinigung der Erbteile zu einer Bruchteilsgemeinschaft am Nachlass tritt nicht ein. Für den Fortbestand der Erbengemeinschaft gibt es darüber hinaus gute Gründe: Bei dem anteilsmäßigen Erwerb sämtlicher Erbteile durch eine Mehrzahl von Erwerbern wird diesen bei der gebotenen typisierenden Betrachtung mit Blick auf die ansonsten eintretende verschärfte Miterbenhaftung (vgl. § 2059 Abs. 1 Satz 1, § 2060 BGB) regelmäßig daran gelegen sein, vor einer Aufteilung des Nachlasses zunächst die Nachlassverbindlichkeiten zu berichtigen. In aller Regel kann auch erst nach Klärung der Passivseite des Nachlasses eine sachgerechte Entscheidung darüber getroffen werden, ob und ggf. hinsichtlich welcher Nachlassgegenstände eine Auseinandersetzung stattfindet, ob sie in Allein- oder Bruchteilseigentum überführt werden sollen oder ob es zweckmäßig erscheint, die Gesamthandsbindung bis auf weiteres aufrechtzuerhalten. Das gilt auch dann, wenn ein Grundstück der einzige Nachlassgegenstand ist. Es steht weiterhin im Gesamthandseigentum. 65

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V. Gutglaubensschutz in der Erbengemeinschaft? BGH v. 8.4.2015 – IV ZR 161/1437 („Erbschein und Verkehrsgeschäft“): Die Klägerin machte gegen die Beklagten aus ererbtem Recht Darlehensrückzahlungsansprüche geltend. Der Erblasser gewährte seinem Sohn U. jun. am 2.3.1977 ein Darlehen über 50.000 DM sowie 1981 ein weiteres Darlehen über 200.000 Schweizer Franken (im Folgenden CHF). Am 28.3.1985 verstarb der Erblasser, der von der Klägerin (Tochter des Erblassers), der Ehefrau des Erblassers und U. jun. beerbt wurde. Am 16.10.1996 verschied die Ehefrau des Erblassers, deren Erben die Klägerin, U. jun., J.N. und N.N. sind. Am 1.10.2006 verstarb U. jun., der von den drei Beklagten beerbt wurde. Am 5.3.1997 erteilte das Nachlassgericht einen Erbschein, der als Erben des Erblassers die Klägerin sowie U. jun. auswies. Mit anwaltlichem Schreiben v. 5.3.1999 kündigte die Klägerin die Darlehen gegenüber den Beklagten. Ferner nahm die Klägerin U. jun., J.N. und N.N. auf Erbauseinandersetzung nach dem Erblasser in Anspruch. Durch Teilanerkenntnis- und Schlussurteil v. 27.8.2004 wurden die Beklagten jenes Verfahrens verurteilt, einem im Einzelnen beschriebenen Teilungsplan zuzustimmen. Unter anderem sollten von dem Rückzahlungsanspruch des Darlehens über 50.000 DM (= 25.564,59 Euro) U. jun., die Klägerin sowie die Erbengemeinschaft nach der Ehefrau des Erblassers je 1/3 erhalten, mithin jeweils 8.521,53 Euro, sowie von dem Rückzahlungsanspruch des Darlehens über 200.000 CHF ebenfalls je 1/3, die Klägerin mithin 66.666,67 CHF. Mit Beschluss v. 23.4.2004 zog das Nachlassgericht den am 5.3.1997 erteilten Erbschein ein und erteilte einen neuen gemeinschaftlichen Erbschein, ausweislich dessen die Klägerin, die Ehefrau des Erblassers und U. jun. Erben zu je 1/3 des Erblassers sind. Mit anwaltlichem Schreiben v. 24.10.2008 kündigten die Klägerin, J.N. und N.N. gegenüber den Beklagten als Rechtsnachfolgern von U. jun. erneut die Darlehen. Die Klägerin nimmt die Beklagten auf anteilige Rückzahlung der beiden Darlehen in Höhe von 10.651,91 Euro sowie 54.658,34 Euro in Anspruch. Die Beklagten haben unter anderem die Einrede der Verjährung erhoben. Die Klage ist in den Vorinstanzen erfolglos geblieben. Der BGH hat das Berufungsurteil aufgehoben und die Sache zurückverwiesen. Unzutreffend sind insbesondere die Ausführungen der Vorinstanzen zur Berechnung der Regelverjährungsfrist gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB i.V.m. Art. 229 § 6 Abs. 4 Satz 1 EGBGB. Gemäß § 199 Abs. 1 Nr. 1 BGB beginnt die Verjährungsfrist mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist. Das ist der Fall, sobald er im Wege der Klage geltend gemacht werden kann. Die Fälligkeit des Darlehensrückzahlungsanspruchs hängt, da hier eine Zeit für die Rückzahlung des Darlehens nicht bestimmt war, von einer Kündigung ab (§ 488 Abs. 3 Satz 1 BGB, § 609 Abs. 1 BGB a.F.). Die Vorinstanzen meinen, der Kündigung v. 5.3.1999 stehe nicht entgegen, dass die Klägerin hierzu nicht berechtigt gewesen sei, da gemäß § 2367 Alt. 2, § 2366 BGB von deren Wirksamkeit unter Rechtsscheingesichtspunkten auszugehen sei. Das ist unzu37 ZEV 2015, 339 m. Anm. Wendt, ErbR 2015, 559.

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treffend. Gemäß § 2367 Alt. 2 BGB findet § 2366 BGB zwar entsprechende Anwendung, wenn zwischen demjenigen, welcher in einem Erbschein als Erbe bezeichnet wird, und einem anderen in Ansehung eines zur Erbschaft gehörenden Rechts ein nicht unter die Vorschrift des §  2366 BGB fallendes Rechtsgeschäft vorgenommen wird, das eine Verfügung über das Recht enthält. Hierunter sind insbesondere Gestaltungsrechte, z.B. die Kündigung, zu verstehen. Die §§ 2366, 2367 BGB setzen – wie die übrigen Vorschriften über den gutgläubigen Erwerb auch (§§ 932 ff., 892 BGB) – ein Rechtsgeschäft in der Form eines Verkehrsgeschäfts voraus. Veräußerer und Erwerber dürfen daher weder rechtlich noch wirtschaftlich – auch nur teilweise – identisch sein. Auch im Bereich der erbrechtlichen Gutglaubensvorschriften gemäß §§ 2366, 2367 BGB ist allgemein anerkannt, dass diese nur bei Vorliegen eines Verkehrsgeschäfts Anwendung finden. Hieraus folgt, dass im Rahmen einer Erbauseinandersetzung unter Miterben kein gutgläubiger Erwerb möglich ist. Zwar handelt es sich hier nicht um einen gutgläubigen Erwerb durch den Rechtsvorgänger der Beklagten, sondern um ein von der Klägerin diesem gegenüber vorgenommenes Rechtsgeschäft gemäß § 2367 Alt. 2 BGB. Dies rechtfertigt aber keine abweichende Beurteilung. Die Gutglaubensvorschriften müssen hinsichtlich des Begriffs des Verkehrsgeschäfts einheitlich ausgelegt werden, unabhängig davon, um welches Rechtsgeschäft es im Einzelnen geht. Für die Anwendung der Gutglaubensvorschriften innerhalb einer Gesamthandsgemeinschaft ist von vornherein kein Raum, da lediglich der rechtsgeschäftliche Erwerb durch einen Dritten geschützt werden soll. Die fehlerhafte Anwendung der §§ 2366, 2367 BGB ist auch entscheidungserheblich. Ohne weitere Sachverhaltsaufklärung lässt sich nicht feststellen, ob die Kündigung der Darlehen durch das Schreiben der Klägerin vom 5. März 1999 wirksam erfolgt ist. Die Kündigung eines Darlehensvertrages stellt eine Verfügung dar, da durch sie ein bestehendes Recht inhaltlich verändert wird. Verfügungen über einen Nachlassgegenstand können gemäß § 2040 Abs. 1 BGB grundsätzlich nur gemeinschaftlich von allen Miterben vorgenommen werden. Die Erbengemeinschaft nach dem Erblasser bestand ausweislich des Erbscheins des Nachlassgerichts v. 23.4.2004 aus der Klägerin, U. jun. sowie der Ehefrau des Erblassers zu je 1/3. Gekündigt hat das Darlehen die Klägerin allein. Es fehlte die Mitwirkung der dritten Miterbin, der Ehefrau des Erblassers, hier wegen ihres Vorversterbens 1996 der aus der Klägerin, J.N., N.N. sowie U. jun. bestehenden und noch nicht auseinander gesetzten Erbengemeinschaft. Soweit nach neuerer Rechtsprechung des Senats jedenfalls in Fällen der Ausübung von Gestaltungsrechten im Rahmen eines bestehenden Vertragsverhältnisses eine Mehrheitsentscheidung der Erbengemeinschaft bei Vorliegen eines Verfügungsgeschäfts gemäß § 2040 Abs. 1 BGB zulässig ist, wenn es sich um eine Maßnahme ordnungsgemäßer Verwaltung nach § 2038 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BGB handelt, verhilft auch das der Kündigung nicht zur Wirksamkeit, weil die Erbanteile der Klägerin und der Erbengemeinschaft nach Irene U. gleich groß sind. An der Erbengemeinschaft nach der Ehefrau des Erblassers hielt die Klägerin nur einen Miterbenanteil von 1/4, so dass wegen der gesamthänderischen Verbundenheit die Klägerin allein für diesen Erb­anteil keine Zustimmung zur Kündigung erklären konnte. Eine Mehrheitsentscheidung zur Kündigung fehlt daher. 67

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Die Rechtsprechung lässt es für die erforderliche Gemeinschaftlichkeit des Verfügungsgeschäfts allerdings auch genügen, wenn nur einer oder mehrere der Miterben im eigenen Namen handeln, soweit die übrigen Miterben dieser Verfügung vorher oder nachher ihre Zustimmung geben. Ob eine Genehmigung gemäß § 185 Abs. 2 Nr. 1, 184 Abs. 1 BGB hier darin liegt, dass die Miterben J.N. und N.N. mit anwaltlichem Schreiben v. 4.9.2008 erklärten, sie seien mit der Zwangsvollstreckung aus dem Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main v. 27.8.2004 einverstanden oder ob eine derartige Genehmigung in der weiteren Kündigung v. 24.10.2008 liegt, die ausdrücklich auch in ihrem Namen erfolgte, kann offenbleiben. Bei der Kündigung handelt es sich um ein einseitiges Verfügungsgeschäft. Dieses bedarf der Zustimmung der übrigen Miterben in Form der Einwilligung gemäß § 183 BGB. Die Zustimmung muss also vor der Kündigung erteilt werden (vgl. § 182 Abs. 3 BGB). Die Wirksamkeit einseitiger Rechtsgeschäfte kann schon im Interesse des Erklärungsgegners − wie sich auch aus der Wertung von § 180 Satz 1, § 111 Satz 1 BGB ergibt − nicht bis zur Erteilung der Genehmigung nach § 184 BGB mit der Folge der Rückwirkung in der Schwebe bleiben. Die Kündigung v. 5.3.1999 wäre daher nur wirksam, wenn die übrigen Miterben ihre vorherige Zustimmung erteilt hätten. Hierzu haben die Beklagten unter Beweisantritt vorgetragen, die übrigen Miterben hätten der Kündigung zugestimmt, da die von der Klägerin in der Erbsache damals ergriffenen Maßnahmen stets in Zusammenarbeit und im Einvernehmen mit diesen erfolgt seien. Insoweit musste die Sache daher zur weiteren Sachaufklärung an das Berufungsgericht zurückverwiesen werden. Ohne Erfolg rügte die Revision demgegenüber, die Verjährung sei bereits deshalb nicht eingetreten, weil das Berufungsgericht die Reichweite des §  197 Abs.  1 Nr.  3 BGB verkannt habe. Hiernach verjähren rechtskräftig festgestellte Ansprüche in 30 Jahren. Durch das Urteil v. 27.8.2004 wurden der Rechtsvorgänger der Beklagten sowie die weiteren Miterben J.N. und N.N. verurteilt, einem im Einzelnen bezeichneten Teilungsplan betreffend den Nachlass des Erblassers zuzustimmen. In D Ziffer 4 war bezüglich der Verteilung des Nachlasses bestimmt, dass von dem Rückzahlungsanspruch des Darlehens in Höhe von 25.564,59 Euro (= 50.000 DM) der Rechtsvorgänger der Beklagten, die Klägerin sowie die Erbengemeinschaft nach Irene U. je 1/3 erhalten. Dieselbe Verteilungsquote sollte bezüglich des Rückzahlungsanspruchs des Darlehens in Höhe von 200.000 CHF gelten. Soweit die Klägerin meint, durch diesen Teilungsplan seien ihre Ansprüche in Höhe von 8.521,53 Euro sowie 66.666,67 CHF i.S. von § 197 Abs. 1 Nr. 3 BGB rechtskräftig festgestellt worden, ist das unzutreffend. Vielmehr sind die dortigen Beklagten verurteilt worden, einem bestimmten Teilungsplan bezüglich der Auseinandersetzung des Nachlasses des Erblassers zuzustimmen. Durch diesen Teilungsplan wurden verschiedene Vermögensgegenstände bezeichnet und an die einzelnen Miterben verteilt. Soweit es sich hierbei um Forderungen handelte, bedeutet dies lediglich, dass diese auf die Miterben jeweils zu 1/3 aufgeteilt wurden. Die rechtskräftige Titulierung eines Zahlungsanspruchs ist hiermit nicht verbunden.

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VI. Prozessuales 1. Unterbrechung des Rechtsstreits BGH v. 2.11.2011 – X ZR 94/1138 („Aufnahme des Verfahrens“): In diesem Fall war die vormalige Klägerin während des zweitinstanzlichen Verfahrens verstorben. Der zweitinstanzliche Prozessbevollmächtigte erklärte die Aufnahme des Verfahrens und legte Vollmachtsurkunden von sechs der neun Miterben vor. Der BGH hat in Fortführung seiner bisherigen Rechtsprechung39 entschieden, dass nach dem Tod einer Prozesspartei die Aufnahme des Verfahrens, deren sachliche Voraussetzungen sich nach § 239 ZPO richten, auch durch einen einzelnen Miterben erfolgen kann. Diese Befugnis folgt unmittelbar aus § 2039 BGB. 2. Streitwert BGH v. 28.9.2011 – IV ZR 146/1040: Die drei Kläger nahmen die Beklagte auf Feststellung in Anspruch, dass sie durch letztwillige Verfügung der Erblasserin Miterben zu je ¼ geworden sind. Die Beklagte hat Klagabweisung beantragt und mit der Widerklage ihrerseits geltend gemacht, sie sei gesetzliche Erbin zu 1/3 geworden. Der BGH hat den Wert der Klage auf ¾ des um die Verbindlichkeiten bereinigten Nachlasswerts abzüglich eines 20%igen Abschlags für die Feststellungsklage festgesetzt. Von diesem Wert war nicht deshalb ein weiterer Abschlag vorzunehmen, weil die Bekl. selbst nur geltend machte, gesetzliche Erbin zu 1/3 zu sein. Insbesondere ist der Streitwert der Klage nicht nur auf 1/4 (3/4 x 1/3) des Nachlasswertes zu bemessen. Da die Beklagte mit ihrem Klagabweisungsantrag darauf abzielte, die erbrechtlichen Ansprüche der Kläger zu 1) – 3) insgesamt auszuschließen, kommt es nicht darauf an, in welchem Verhältnis sie selbst am Nachlass beteiligt ist. Das kommt erst bei der Widerklage zum Tragen, mit der die Feststellung des gesetzlichen Erbrechts zu 1/3 beantragt wird. Klage und Widerklage sind gem. § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG nicht zusammenzurechnen, da sie denselben Gegenstand betreffen. Hierfür kommt es nicht auf den zivilprozessualen Streitgegenstandsbegriff an. Maßgebend ist vielmehr eine wirtschaftliche Betrachtungsweise41. Eine wirtschaftliche Identität von Klage und Widerklage liegt nach der von der Rechtsprechung entwickelten „Identitätsformel“ dann vor, wenn die Ansprüche aus Klage und Widerklage nicht in der Weise nebeneinander stehen können, dass das Gericht beiden stattgeben kann, sondern die Verurteilung nach dem einen Antrag notwendigerweise die Abweisung des anderen Antrags nach sich zieht. Hier hat die Feststellung, dass die Kläger testamentarische Erben der 38 ZEV 2012, 159. 39 BGH v. 13.7.1954 – V ZR 56/50, BGHZ 14, 251, 254 f. 40 ZEV 2011, 656. 41 BGH v. 6.10.2004 ‑ IV ZR 287/03, NJW-RR 2005, 506.

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Erblasserin geworden sind, notwendigerweise die Abweisung der Widerklage zur Folge, mit der die Beklagte die Feststellung begehrt, dass sie gesetzliche Erbin geworden ist. Entsprechend müsste die Klage abgewiesen werden, wenn der Widerklage stattgegeben würde. Anzusetzen ist mithin gemäß § 45 Abs. 1 Satz 3 GKG nur der – hier – höhere Wert der Klage.

VII. Schlussbetrachtung Lässt man die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs der letzten 10–15 Jahre Revue passieren, so ist festzustellen, dass sie das Rechtsinstitut der Erbengemeinschaft auf bewährten Grundlagen fortentwickelt hat. Von großer praktischer Bedeutung für die erleichterte praktische Handhabbarkeit der Erbengemeinschaft erweisen sich insbesondere die Entscheidungen zu §§ 2038–2040 BGB. Sie werden es erlauben, auch bei Erbengemeinschaften, deren kurzfristige Auseinandersetzung und Abwicklung nicht möglich ist, unsachgemäße Blockadehaltungen einzelner (Minderheits-)Miterben zu überwinden. Folgende Kernthesen lassen sich zusammenfassen: −− Die Erbengemeinschaft hat als Gesamthandgemeinschaft − auch weiterhin − keine eigene Rechtspersönlichkeit. −− Das Vorkaufsrecht nach §§ 2034 f. BGB ist nicht verkehrsfähig. −− Die ordnungsgemäße Verwaltung des Nachlasses nach § 2038 BGB durch Mehrheitsentscheidungen ist sicherzustellen (enger Begriff der wesentlichen Veränderung nach § 745 Abs. 3 Satz 1 BGB; Stimmrechtsausschluss). −− Bei der Gefahr gegenseitiger Blockade kommt bei § 2038 BGB in Ausnahmefällen eine Fremdverwaltung in Anspruch. −− Der Anwendungsbereich von § 2039 BGB darf nicht zu eng gefasst werden. −− Jedenfalls in Fällen der Ausübung von Gestaltungsrechten im Rahmen eines bestehenden Vertragsverhältnisses ist eine Mehrheitsentscheidung im Rahmen eines Verfügungsgeschäfts gem. § 2040 Abs. 1 BGB zulässig, wenn es sich um eine Maßnahme ordnungsgemäßer Verwaltung gem. § 2038 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 BGB handelt. −− Die Ausgleichungspflicht des §  2050 BGB kommt grundsätzlich nur unter Abkömmlingen in Betracht. −− Auch bei Übertragung sämtlicher Erbanteile auf außerhalb der Erbengemeinschaft stehende Erwerber wird die Erbengemeinschaft nicht aufgelöst (Ausnahme: Erwerb durch einen Miterben oder einen Dritten). −− Der Gutglaubensschutz der §§ 2365–2367 BGB findet bei Rechtsgeschäften innerhalb der Erbengemeinschaft keine Anwendung.

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Vermögenserwerb der Stiftung und Vermögenshaftung des Stifters Inhaltsübersicht

I. Der Wortlaut des § 82 Satz 1 BGB

II. Grundsatz III. Ausnahmen IV. Die erst nach dem Tod des Stifters ­anerkannte Stiftung unter Lebenden

V. Nutzungen des Widmungsvermögens zwischen Errichtung des Stiftungs­ geschäfts und Anerkennung

VI. Haftung des Stifters für die Zeit ­zwischen Errichtung des Stiftungs­ geschäfts und Anerkennung der ­Stiftung 1. Streitstand 2. Entstehungsgeschichte 3. Ablehnung der dritten Ansicht 4. Ablehnung der Bedingungslösung 5. Ablehnung der Vermächtnislösung 6. Eigene Lösung

I. Der Wortlaut des § 82 Satz 1 BGB § 82 Satz 1 BGB lautet: „Wird die Stiftung als rechtsfähig anerkannt, so ist der Stifter verpflichtet, das in dem Stiftungsgeschäft zugesicherte Vermögen auf die Stiftung zu übertragen“. Im Wortlaut dieser Norm sind mehrere Begriffe falsch oder zumindest nicht vollständig korrekt. Zum einen ist der Begriff der „Übertragung“ – ihn verwendet auch die Normüberschrift von § 82 BGB – zu eng. Es kann sein, dass zum Stiftungsvermögen auch ein Nießbrauch oder eine Grunddienstbarkeit gehören soll. Beide Rechte sind dann zu „begründen“, aber nicht, weil sie noch gar nicht existieren, zu „übertragen“. Ein Vermögen wird im Stiftungsgeschäft nicht „zugesichert“, sondern, wie der grundsätzliche § 81 Abs. 1 Satz 2 BGB sagt, einem bestimmten Zweck „gewidmet“. Durch die unterschiedliche Terminologie werden Zweifel geweckt: Liegt ein inhaltlicher Widerspruch vor? Oder konkretisiert die „Zusicherung“ des § 82 Satz 1 BGB das, was der Reformgesetzgeber von 20021 mit der „verbindlichen Erklärung, ein Vermögen zu widmen“, sagen wollte? Oder ist die „Zusicherung“ bei der Reform 2002 aus Versehen stehengeblieben, sodass er schlicht wie § 81 Abs. 1 Satz 2 BGB zu lesen ist? Nicht ganz korrekt ist auch die Formulierung, „der Stifter“ müsse das zugesicherte Vermögen übertragen (vgl. außer dem Normtext auch die Überschrift der Norm). Es ist nach h.M. zulässig, eine Stiftung anzuerkennen, bei welcher der Stifter Zuwendun1 StiftRG v. 15.7.2002, in Kraft getreten am 1.9.2002, BGBl. I, 2634.

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gen Dritter in den Gründungsstock der Stiftung zugesagt hat2. In einem solchen Fall ist „der Stifter“ allenfalls verpflichtet, dafür zu sorgen, dass „der Dritte“ seine ihm gegenüber gemachte Zuwendung erfüllt und die von ihm in Aussicht gestellten Vermögensgegenstände auf die Stiftung überträgt. Richtig, weil alle denkbaren Fälle erfassend, wäre die Formulierung, „der Stifter“ sei verpflichtet, das im Stiftungsgeschäft gewidmete Vermögen der Stiftung zu verschaffen. Schließlich merkt der Leser bei der Formulierung des Tatbestands der Norm auf. „Wird die Stiftung als rechtsfähig anerkannt“ entspricht zwar der Formulierung in den §§ 80 Abs. 2, 84 BGB. Hier wie dort erweckt der Normtext jedoch den (nach h.M. unzutreffenden) Eindruck, als gäbe es in dem Zeitraum zwischen Errichtung des Stiftungsgeschäfts und Anerkennung der Stiftung bereits eine „Vorstiftung“ oder eine Art unselbständiger (nicht rechtsfähiger) Stiftung. Diesen Eindruck sollte ein vorsichtig formulierender Gesetzgeber nicht aufkommen lassen. Man könnte also nicht ganz ohne Berechtigung die Behauptung aufstellen: In der Norm des § 82 Satz 1 BGB ist fast kein Wort ganz richtig. Es bleibt zu hoffen, dass wenigstens sein Inhalt keine Zweifel offen lässt.

II. Grundsatz Mit der Anerkennung ist die Stiftung als selbständiger Rechtsträger entstanden. Es wäre nun denkbar, dass das Eigentum am gewidmeten Vermögen ohne weiteres, also ipso iure, im Zeitpunkt der Anerkennung auf die Stiftung überginge. Diese Lösung läge umso näher, als § 81 Abs. 1 Satz 2 BGB im Stiftungsakt „die Widmung eines bestimmten Vermögens für einen bestimmten Zweck“ verlangt, in ihm also gewissermaßen die „Aussetzung“ eines bestimmten Vermögens sieht, das durch Anerkennung rechtlich verselbständigt wird3. In der Tat ging noch der Redaktor des Vorentwurfs zum Allgemeinen Teil in der Ersten BGB-Kommission, Albert Gebhard, in Übereinstimmung mit der h.L. seiner Zeit von der „in sich begründeten Annahme aus, daß das Stiftungsgeschäft die Tendenz habe, Vermögensrechte des Stifters auszuscheiden oder Forderungsrechte gegen denselben zu begründen, zu dem Ende und mit der Wirkung, daß diese Rechte selbständig gestellt und Bestandtheile eines neuen, keiner physischen Person gehörigen, seinen Mittelpunkt in sich selbst tragenden Vermögens werden sollen“. Daraus erhelle erstens, dass das Stiftungsgeschäft ein einseitiges Rechtsgeschäft sei, und zweitens werde daraus der Vermögenserwerb durch die Stiftung klar: „Bezeichnet der Stifter in der Verfügung4 ihm gehörige bewegliche oder unbewegliche Sachen oder ihm gehörige Forderungen als die der Stiftung gewidmeten Gegenstände, so ist die Stiftung, sobald sich der zum Errichtungsakte erforderliche Thatbestand vollzogen hat, Eigenthümerin dieser Sachen, Inhaberin der Forderungen, ohne daß es zur Bewirkung des Uebergangs des Eigenthums oder des Gläubiger2 Vgl. nur Hüttemann/Rawert in Staudinger, Bearbeitung 2010, § 81 BGB Rz. 20. 3 Vgl. als Kritik am Ersten Entwurf des BGB Schloßmann, Jherings Jahrbücher für Dogmatik 27, S. 27-32. 4 Gemeint „Stiftungsgeschäft“.

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rechts eines Vertrages, einer Tradition oder Cession bedarf. Hat die Verfügung den Inhalt, daß das dem Stiftungszwecke gewidmete Vermögensobjekt in einer Forderung an den Stifter bestehen solle, so begründet der einseitig erklärte Wille dieses Forderungsrecht“5. Der Stifter sollte somit ein Wahlrecht haben zwischen dinglicher und obligatorischer Wirkung der Bewidmung. Letztendlich hat der Gesetzgeber, und zwar schon die Erste Kommission6, die dingliche Lösung, auch nur in der Form eines Wahlrechts, abgelehnt. Er hat dies insbesondere getan, weil gegen sie rechtstechnische, vor allem grundbuchmäßige Bedenken bestehen. Außerdem wird in der Literatur als Grund bisweilen hinzugefügt, die Bewidmung werde oft nur gattungsmäßig oder als Alternativschuld getroffen, sodass ein automatischer Übergang nicht selten Unklarheiten über die Eigentumszuordnung hervorrufen würde7. Erbfolge (§  1922 BGB) und Begründung von Gütergemeinschaft (§ 1416 BGB) wurden somit als Vorbild abgelehnt. Niemand wird bei Lebzeiten beerbt, auch nicht der lebzeitige Stifter. Stiftungsakt und Vermögenstransfer sind rechtlich geschieden. Auch eine zweite denkbare Lösung hat der Gesetzgeber verworfen, nämlich diejenige, die es dem Stifter erlauben würde, seine Verpflichtung zur Vermögensübertragung uno actu zu erfüllen. Das würde gegen den sachenrechtlichen Spezialitätsgrundsatz verstoßen (s. z.B. § 1085 BGB). Das Gesetz begnügt sich mit einer obligatorischen Wirkung der Widmung. Der Stifter ist zur Verschaffung verpflichtet. Der Inhalt dieser Verschaffungspflicht bestimmt sich nach der Eigenart des gewidmeten Rechtsguts. Bewegliche Sachen werden nach §§  929  ff. BGB übereignet, Grundstücke nach §§  873, 925 BGB, usw. Bei Grund­ stücken kommt eine Eintragung im Wege der Grundbuchberichtigung somit weder aufgrund des Stiftungsgeschäfts noch aufgrund der Stiftungsanerkennung in Betracht8.

5 Schubert (Hrsg.), Die Vorlagen der Redaktoren für die erste Kommission zur Ausarbeitung des Entwurfs eines Bürgerlichen Gesetzbuches, Allgemeiner Teil, Teil 1, 1981, S. 697 f. Vgl. auch den Antrag, den Gebhard bei den Beratungen im Plenum der Ersten BGB-Kommission stellte, in Jakobs/Schubert (Hrsg.), Die Beratung des Bürgerlichen Gesetzbuchs, Allgemeiner Teil, §§ 1-240, 1. Teilband, 1985, S. 377 (Antrag 3 d): „Zur Uebertragung von Vermögensrechten auf die Stiftung, genügt der auf die Uebertragung gerichtete, in der Stiftungsurkunde erklärte Wille. Der Uebergang tritt ein, sobald die Stiftung als juristische Person zu Stande kommt.“ 6 Jakobs/Schubert (Fn. 5), S. 381 oben: „Man erachtete im Interesse der Verkehrssicherheit für bedenklich, mit dem letzteren Antrag (Antragsteller Planck, K.M.) anzuerkennen, daß der Wille des Stifters, unter Außerachtlassung der für den Eigenthumsübergang und die Bestellung dinglicher Rechte vorgeschriebenen Formen, die Stiftung mit Vermögen unmittelbar auszustatten im Stande sei. Ein Bedürfniß, die allgemeinen Vorschriften in dieser Hinsicht zu durchbrechen, liege nicht vor. Sehe man auf die innere Natur des Stiftungsgeschäftes, so ergebe sich auch, daß dasselbe den Veräußerungsgeschäften näher stehe, als letztwilligen Verfügungen.“ 7 Oertmann, BGB AT, 2. Aufl. 1908, § 82 Anm. 1 a). 8 BayObLG, NJW-RR 1987, 1418 = StiftRspr IV, 72.

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III. Ausnahmen Sind der Stiftung im Stiftungsgeschäft Rechte gewidmet, zu deren Übertragung der Abtretungsvertrag genügt, so gehen nach § 82 Satz 2 BGB ausnahmsweise diese Rechte mit der Anerkennung, also ipso iure, auf die Stiftung über, sofern sich nicht aus dem Stiftungsgeschäft ein anderer Wille des Stifters ergibt. Im Ersten Entwurf des BGB war in § 58 Satz 3 Halbsatz 2 noch die umgekehrte Regel aufgestellt: Der unmittelbare Übergang von abtretungsfähigen Rechten sollte überhaupt nur dann stattfinden, wenn dies dem Willen des Stifters entspreche („Vermögensrechte, zu deren Uebertragung der Abtretungsvertrag genügend ist, gehen mit Errichtung der Stiftung auf die letztere über, wenn der hierauf gerichtete Wille aus dem die Errichtung der Stiftung bezweckenden Rechtsgeschäfte sich ergibt“). Die Zweite BGB-Kommission drehte die Beweislast um und hielt diese Umkehrung für gerechtfertigt, „weil nach der Natur des Stiftungsgeschäfts angenommen werden müsse, daß der Wille des Stifters in der Regel auf die unmittelbare Bewidmung der Stiftung mit dem für den Stiftungszweck bestimmten Vermögen gerichtet sei“9. Für die Rechte des § 82 Satz 2 BGB gewährt das Gesetz somit dem Stifter das Wahlrecht, das Gebhard generell für das der Stiftung gewidmete Vermögen vorschlug. Wie lässt sich die Ausnahme konstruktiv erklären? Liegt in der stiftungsgeschäftlichen Bewidmung bereits eine bedingte (genauer: unter der Bedingung der erfolgenden Anerkennung stehende) Abtretung des gewidmeten Rechts? Das scheidet aus, weil Abtretung Vertrag ist, hier aber, wegen gesetzlichen, also automatischen Erwerbs, kein Vertrag zustande kommt. Handelt es sich um eine vom Gesetz ausnahmsweise anerkannte „einseitige“ (bedingte) „Abtretung“? Oder erfolgt der Rechtsübergang durch reinen transitus legalis (cessio legis)10? Oder haben wir ein eigenes stiftungsspezifisches Rechtsgeschäft der dinglich wirksamen einseitigen Widmung vor uns? Da der Rechtsübergang auf dem (vom Gesetz vermuteten oder wirklichen) Willen des Stifters beruht, muss transitus legalis ausscheiden. Am nächsten liegt, ein stiftungsspezifisches dingliches und einseitiges Widmungsgeschäft anzunehmen. Dafür spricht auch und insbesondere, dass Gebhard, der die Lösung des § 82 Satz 2 BGB noch für alle der Stiftung gewidmeten Vermögensgegenstände vorgesehen hatte, auf dem Boden dieses Modells stand. Der Übergang der Rechte erfolgt mit der Anerkennung, aber nicht durch die Anerkennung. Rechte im Sinne des § 82 Satz 2 BGB sind Forderungen, sonstige Ansprüche (auch soweit sie dinglichen Charakters sind, z.B. §§  931, 985 BGB), Gesellschaftsanteile, Urheberrechte, Patentrechte (und alle sonstigen Immaterialgüterrechte). Hat der Stifter im Stiftungsgeschäft GmbH-Anteile gewidmet, ist wegen des Vorrangs des § 81 Abs. 1 Satz 1 BGB weder eine notarielle Beurkundung des Stiftungsgeschäfts erforderlich11, noch wird § 82 Satz 2 BGB durch § 15 Abs. 4 GmbHG eingeschränkt12. Ein Anteilserwerb der Stiftung mit der Anerkennung setzt jedoch bei vinkulierten Gesell 9 Protokolle, I, S. 593. 10 So Oertmann (Fn. 7), § 82 Anm. 1 b). 11 Hüttemann/Rawert (Fn. 2), § 81 Rz. 15 a.E. 12 Flume, Allgemeiner Teil, I/2, 1983, S. 140; Hüttemann/Rawert (Fn. 2), § 82 Rz. 3.

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Vermögenserwerb der Stiftung

schaftsanteilen (§ 15 Abs. 5 GmbHG) eine Zustimmung der Mitgesellschafter bzw. der Gesellschaft selbst voraus.

IV. Die erst nach dem Tod des Stifters anerkannte Stiftung unter ­Lebenden § 84 BGB gilt nach zutreffender, ganz herrschender Meinung für alle vom Erblasser errichteten Stiftungen, also sowohl für die Stiftung von Todes wegen wie für die Stiftung unter Lebenden, wenn nur die Stiftung (erst) nach dem Tod des Stifters anerkannt wird13. Für die vom Erblasser errichtete Stiftung unter Lebenden entfaltet die Norm des § 84 BGB Wirkungen sowohl für die ursprüngliche Stiftungsdotierung im Stiftungsgeschäft (§ 81 Abs. 1 Satz 2 BGB) als auch für Zuwendungen an eine solche Stiftung, die in einer Verfügung von Todes wegen angeordnet sind14. § 82 BGB ist auch anwendbar, wenn die Stiftung unter Lebenden erst nach dem Tode des Stifters anerkannt wird und somit § 84 BGB zur Anwendung kommt. Es gelten in diesem Fall also für den Vermögenserwerb der Stiftung, anders als bei der Stiftung von Todes wegen, nicht die erbrechtlichen Grundsätze. Vielmehr entfalten die §§ 82, 84 BGB ihre Wirkungen gleichzeitig: Es bleibt bei den Wirkungen des § 82 BGB, diese gelten aber nach § 84 BGB als schon vor dem Tod des Stifters (und nicht erst mit der postmortalen Anerkennung der Stiftung) entstanden. Die Übertragungspflicht des § 82 Satz 1 BGB ist damit schon vor dem Tod des Stifters entstanden und deshalb „vom Erblasser herrührende“ (§  1967 Abs.  2 Alt. 1 BGB) Nachlassverbindlichkeit. „Vom Erblasser herrühren“ würde sie zwar auch, wenn es § 84 BGB (jedenfalls für die lebzeitige Stiftung) nicht gäbe, denn auch dann würde die mit Anerkennung der Stiftung entstehende Verpflichtung zur Vermögensübertragung auf das Stiftungsgeschäft des Erblassers zurückgehen. Wegen § 84 BGB wird der Zeitpunkt, in dem die Verpflichtung des § 82 Satz 1 BGB entsteht, jedoch vorverlegt. Für die Rechte des § 82 Satz 2 BGB bewirkt § 84 BGB, dass sie als schon vor dem Tod des Stifters aus seinem Vermögen ausgeschieden gelten und damit von vornherein nicht in den Nachlass fallen. Hat der Stifter unter Lebenden eine Stiftung errichtet und stirbt er vor deren Anerkennung, führt §  84 BGB, wie gesagt, dazu, dass der Stiftung im Stiftungsgeschäft zugewandte Rechte im Sinne des § 82 Satz 2 BGB gar nicht erst in den Nachlass fallen, so dass sie von den Nachlassgläubigern nur qua Anfechtung angesprochen werden können. Wenn der Erbe vor Anerkennung der Stiftung über solche Rechte verfügt hat, wird er nachträglich zum Nichtberechtigten. § 857 BGB spielt hier von vornherein keine Rolle, da es nicht um Sachen geht. Anders als bei einer Erb- oder Miterben­ einsetzung der Stiftung umfasst das rückwirkende Unwirksamkeitsverdikt für Ver­ 13 Dazu Muscheler, Stiftungsrecht, 2. Aufl. 2011, S. 150 ff. 14 Setzt der Stifter eine (eigene) Stiftung zur Erbin ein und ist die Stiftung beim Tod des Stifters noch nicht anerkannt, so muss das Stiftungsgeschäft nicht in einer Verfügung von Todes wegen enthalten sein; es kann vielmehr auch ein lebzeitiges Stiftungsgeschäft errichtet sein: BayObLG, NJW-RR 1991, 523.

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fügungen des Erben nicht alle Gegenstände des Nachlasses, sondern nur die im lebzeitigen Stiftungsgeschäft der Stiftung zugedachten Rechte des § 82 Satz 2 BGB15. Die schuldrechtliche Übertragungsforderung aus § 82 Satz 1 BGB belastet den Nachlass von Anfang an als Nachlassverbindlichkeit (§ 1967 Abs. 2 Alt. 1 BGB). Bei der Berechnung von (ordentlichen) Pflichtteilsansprüchen sind die Rechte des § 82 Satz 2 BGB nicht als Nachlassaktiva zu berücksichtigen und ist die Nachlassverbindlichkeit aus § 82 Satz 1 BGB vom Wert der Nachlassaktiva abzuziehen (§ 2311 BGB); jedoch bleibt § 2325 BGB (analog) zu beachten (Pflichtteilsergänzungsanspruch). Entsprechendes gilt für die Erstellung des Nachlassinventars (§  2001 BGB). Zu beachten bleibt stets, dass beim lebzeitigen Stiftungsgeschäft (anders als beim Stiftungsgeschäft von Todes wegen mit Erbeinsetzung der Stiftung) auch im Rahmen des § 84 BGB die vom Stifter zugesicherten Vermögensgegenstände der Stiftung nach § 82 Satz 1 BGB einzeln übertragen werden müssen, soweit nicht § 82 Satz 2 BGB eingreift16. Ist die unter Lebenden errichtete und beim Tod des Stifters noch nicht anerkannte Stiftung in einer Verfügung des Stifters von Todes wegen zugleich als Alleinerbin17 oder Miterbin eingesetzt, so fallen die Rechte des §  82 Satz 2 BGB wiederum von vornherein nicht in den Nachlass; die schuldrechtliche Übertragungspflicht aus § 82 Satz 1 BGB belastet den Nachlass von vornherein als Nachlassverbindlichkeit. Bei Alleinerbenstellung der Stiftung gilt: Es erlischt der Anspruch der Stiftung aus § 82 Satz 1 BGB wegen Identität von Schuldner und Gläubiger (Konfusion). Durch eine spätere Nachlassseparation (§ 1975 BGB) wird die Konfusion rückwirkend beseitigt (§ 1976 BGB). Die Rechte des § 82 Satz 2 BGB gehören nicht zur Nachlassverwaltungs- oder Nachlassinsolvenzmasse. Bei der Berechnung von (ordentlichen) Pflichtteilsansprüchen sind die Rechte des § 82 Satz 2 BGB nicht als Aktivposten zu berücksichtigen und ist die Konfusionswirkung für die Forderung aus §  82 Satz 1 BGB hinwegzudenken. Ist die unter Lebenden gegründete und beim Tod des Stifters noch nicht anerkannte Stiftung in einer vom Stifter errichteten Verfügung von Todes wegen als Vermächtnisnehmerin eingesetzt, sind die Verbindlichkeiten aus § 82 Satz 1 BGB und § 2174 BGB Nachlassverbindlichkeiten (die erste nach § 1967 Abs. 2 Alt. 1 BGB, die zweite nach § 1967 Abs. 2 Alt. 2 BGB). Die Rechte des § 82 Satz 2 BGB fallen nicht in den Nachlass. Sie sind gegen Verfügungen des Erben also stärker geschützt als der Vermächtnisgegenstand. Dritte Nachlassgläubiger, die nach dem Erbfall im Wege der Zwangs15 § 82 Satz 2 BGB ist, wie im Text ausgeführt wurde, Rechtsfolge einer Art einseitigen (nicht-­ vertraglichen) Verfügung (enthalten im Stiftungsgeschäft). Von einer „Beerbung bei lebendigem Leibe“ könnte man freilich bei ihm auch dann nicht reden, wenn er für das gesamte der Stiftung zugedachte Vermögen gelten würde: Es würde zwar (wie übrigens jetzt schon) General- statt Singularsukzession vorliegen (da mehrere Gegenstände uno actu übergehen), nicht aber Universalsukzession. 16 Vgl. nur Hof in Seifart/von Campenhausen, Handbuch des Stiftungsrechts, 2. Aufl. 1999, § 7 Rz. 47. 17 So im Fall von BayObLG, NJW-RR 1991, 523: Dotierung nach § 81 Abs. 1 BGB im Wert von 100.000,– DM in Form von festverzinslichen Wertpapieren. Einsetzung der Stiftung als Alleinerbin im eigenhändigen Testament der Stifterin.

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vollstreckung auf den Nachlass zugreifen wollen, können dies unmittelbar nur in Bezug auf den noch nicht auf die Stiftung übertragenen Vermächtnisgegenstand, nicht aber in Bezug auf die Rechte des § 82 Satz 2 BGB; bei Letzteren hilft allenfalls Anfechtung. Und dies alles gilt selbst dann, wenn auch der Vermächtnisgegenstand ein Recht von der Art der in § 82 Satz 2 BGB genannten ist. Umstritten ist die Frage, ob Verfügungen von wegen §  84 BGB Nichtberechtigten nicht wenigstens über eine analoge Anwendung des § 184 Abs. 2 BGB als wirksam betrachtet werden können. Während dies früher meist umstandslos bejaht wurde18, verneint die heutige einhellige Meinung die Frage: Die Interessenlage, die § 184 Abs. 2 BGB voraussetzt, sei nicht gegeben, weil derjenige, der verfügt hat (der Erbe), nicht identisch sei mit demjenigen, der anerkennt (bzw. früher: genehmigt) (Behörde). Gestritten wird heute nur noch über den Fall, dass der (wegen §§ 84, 82 Satz 2 BGB nicht verfügungsberechtigte) Erbe des Stifters bei der Stiftung unter Lebenden noch nach § 81 Abs. 2 Satz 3 BGB widerrufsberechtigt war oder gar den Anerkennungsantrag selbst gestellt hat (mit der Folge eines Widerrufsrechts ebenfalls aus § 81 Abs. 2 Satz 3 BGB): Hier will ein Teil der Literatur19 § 184 Abs. 2 BGB mit der Begründung analog anwenden, dass die Stiftung in diesen Fällen noch keine von der Willkür des Stifters (bzw. seines Erben) unabhängige Position habe und daher der Nichtwiderruf des Erben einer Genehmigung im Sinne des § 184 Abs. 1 BGB gleichkomme, während ein anderer Teil die Analogie ablehnt20, weil in der Verfügung des widerrufsberechtigten Erben über das der Stiftung zugedachte Vermögen der konkludente Widerruf des Stiftungsgeschäfts liege, so dass die Anerkennung der Stiftung und damit die Wirkungen des § 84 BGB gar nicht mehr in Betracht kommen könnten. Für den Stifter liegt nach dem Dargelegten die Versuchung nahe, durch lebzeitiges Stiftungsgeschäft eine Stiftung zu errichten, die Stellung des Anerkennungsantrags aber bis zu seinem Tod aufzuschieben; um das Widerrufsrecht des Erben auszuschließen, böte es sich an, das Stiftungsgeschäft notariell beurkunden zu lassen und den Notar bei oder nach der Beurkundung mit der postmortalen Antragstellung zu betrauen (§ 81 Abs. 2 Satz 3 BGB). Damit hätte der Stifter ein probates Mittel gefunden, die im Stiftungsgeschäft zugesicherten Rechte im Sinne des § 82 Satz 2 BGB am Nachlass vorbeizusteuern (mit gegebenenfalls nachteiligen Folgen für Nachlassgläubiger und Pflichtteilsberechtigte).

18 Planck/Knoke, Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch nebst Nebengesetzen, Bd. 1, Allgemeiner Teil, 4. Aufl. 1913, § 84 Anm. 2; Schultze-v. Lasaulx in Soergel, 10. Aufl. 1967, § 84 BGB Rz. 4; Coing in Staudinger, 12. Aufl. 1979, § 84 BGB Rz. 4. Gegen die Bejahung schon v. Tuhr, Der Allgemeine Teil des Deutschen Bürgerlichen Rechts, Bd. 1, 1910, S. 609, Anm. 85; Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 15. Aufl. 1959, § 118 Anm. 6, S. 723. 19 Reuter in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2012, § 84 BGB Rz. 4; Planck/Knoke (Fn. 18), § 84 Anm. 2. 20 Hüttemann/Rawert (Fn. 2), § 84 Rz. 11; Backert in Bamberger/Roth, 2. Aufl. 2008, § 84 BGB Rz. 2; Hof (Fn. 16), § 7 Rz. 47.

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V. Nutzungen des Widmungsvermögens zwischen Errichtung des ­Stiftungsgeschäfts und Anerkennung Ob der Stifter verpflichtet ist, der Stiftung auch die von ihm zwischen Errichtung des Stiftungsgeschäfts und Anerkennung der Stiftung gezogenen Nutzungen zu übertragen, hängt vom Willen des Stifters ab, wie er im Stiftungsgeschäft explizit oder konkludent Ausdruck gefunden hat. Wollte der Stifter die Nutzungen der Stiftung zugutekommen lassen, so gilt für Rechte, zu deren Übertragung der Abtretungsvertrag genügt, soweit sie Nutzungen der fraglichen Zeit darstellen, § 82 Satz 2 BGB, jedoch erst mit der Anerkennung der Stiftung.

VI. Haftung des Stifters für die Zeit zwischen Errichtung des ­Stiftungsgeschäfts und Anerkennung der Stiftung 1. Streitstand Ob der Stifter für die (objektive oder subjektive) Unmöglichkeit der Vermögensübertragung, verursacht durch Zerstörung, Beschädigung, Wegverfügung in dem vor Anerkennung der Stiftung liegenden Zeitraum, haftet, ist umstritten. Nach der einen Ansicht beginnt die Haftung des Stifters erst mit der Anerkennung der Stiftung. In der Zeit davor schadet dem Stifter selbst Vorsatz nicht21. Der Stifter sei vor der Anerkennung der Stiftung nicht definitiv festgelegt und könne das Stiftungsgeschäft jederzeit widerrufen. Eine Gebundenheit des Stifters nach Art der Gebundenheit von Vertragsschließenden bei einem bedingten Rechtsgeschäft sei daher nicht zu erkennen. Die entgegengesetzte Ansicht bejaht Haftung von der Errichtung des Stiftungsgeschäfts an. Sie stützt sich auf eine Analogie zur bedingten Verpflichtung (§§  160  f. BGB)22. Heute wird sie praktisch nicht mehr vertreten. Eine dritte Ansicht lässt die Haftung beginnen mit Einreichung des Antrags auf Anerkennung bei der Anerkennungsbehörde. Ab diesem Zeitpunkt könne der Stifter nur noch gegenüber der Behörde widerrufen. Dadurch trete eine bedingungsähnliche Bindung ein, die die analoge Anwendung der §§ 160 ff. BGB zur Folge haben müsse23. 21 Seyboth, Die Haftung des Stifters und seines Erben bei Stiftungen unter Lebenden, Diss. Erlangen 1936, S. 10 ff.; Coing in Staudinger, 11. Aufl. 1957, § 82 BGB Rz. 3; Planck/Knoke (Fn. 18), § 82 Rz. 2; Oertmann (Fn. 7), § 82 Rz. 2; Warneyer, 12. Aufl. 1951, § 82 BGB Rz. I; Goldmann/Lilienthal, Das Bürgerliche Gesetzbuch, Bd. 1, 3. Aufl. 1921, I, § 23; Steffen in RGRK, 12. Aufl. 1982, § 82 BGB Rz. 3; Flume, Die juristische Person, 1983, S. 139. 22 Hölder, 1900, § 82 BGB Rz. 2; Meurer, Die juristischen Personen nach deutschem Reichsrecht, 1901, S. 276; v. Tuhr, Allgemeiner Teil, Bd. 1, 1910, S. 608; Matthiaß, Lehrbuch des bürgerlichen Rechts, 5. Aufl. 1910, § 33 I A 1. 23 So v.a. Rawert in Staudinger, Bearbeitung 1995, § 82 BGB Rz. 7 ff. im Anschluss an Jacke, Die Haftung des Stifters und seiner Erben, Diss. Rostock 1905, S. 16 ff.; ebenso Hüttemann/ Rawert (Fn.  2), §  82 Rz.  7; Ebersbach, Handbuch des deutschen Stiftungsrechts, 1972,

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Verfügungen über das im Stiftungsgeschäft zugesicherte Vermögen während des Schwebezustandes bis zur Anerkennung beinhalteten einen schlüssigen (teilweisen oder vollständigen) Widerruf des Stiftungsgeschäfts. Befreie man mit der ersten Ansicht den Stifter auch dann von der Haftung für sein Zuwendungsversprechen, wenn er den Antrag auf Anerkennung bereits eingereicht, den in der Verfügung über das Stiftungsvermögen liegenden (teilweisen) Widerruf jedoch entgegen §  81 Abs.  2 Satz 2 BGB gegenüber der Behörde noch nicht erklärt hat, würde die Behörde mangels Kenntnis von den veränderten Umständen eine Stiftung anerkennen, der das für sie vorgesehene Vermögen nicht mehr zugeführt werden kann. Da der Stifter zu Ersatzleistungen nicht verpflichtet wäre, müsste die eben anerkannte Stiftung im Ernstfall wegen Vermögenslosigkeit oder wegen zwar vorhandener, aber zu geringer Kapitalausstattung wieder aufgelöst werden. Dieses Ergebnis könne nicht hingenommen werden. Ihm sei dadurch zu begegnen, dass man den Stifter für Leistungsstörungen zwischen Anerkennungsantrag und Anerkennung einer Haftung analog § 160 BGB unterwerfe und Verfügungen des Stifters über Rechte im Sinne des § 82 Satz 2 BGB, die in diesem Stadium stattfinden, analog § 161 BGB für unwirksam halte. 2. Entstehungsgeschichte Im Ersten BGB-Entwurf sollte der Stifter mit der Stellung des Genehmigungsantrags gebunden und erst durch Versagung der Genehmigung von seiner Gebundenheit befreit sein. „Die Mehrheit war der Ansicht, es sei das Natürlichere und es entspreche den bestehenden Verwaltungsgrundsätzen, daß der Stifter, wenn er einmal den Antrag auf Ertheilung der staatlichen Genehmigung gestellt habe, in unwiderruflicher Weise an seine Willenserklärung gebunden sei. Vermöge dieser Gebundenheit befinde sich der Stifter in derselben Lage, wie derjenige, der eine bedingte Verpflichtung übernommen habe.“24 Im unmittelbar darauf folgenden Absatz der Protokolle der Ersten Kommission heißt es: „Hinsichtlich der von einer Seite angeregten Frage, ob der staatlichen Genehmigung im Falle der Ertheilung rückwirkende Kraft zukomme, wurde eine Entscheidung unter Hinweis darauf abgelehnt, daß es sich dabei um die Auslegung des Willens des Stifters handle“. Die Zweite BGB-Kommission entschied sich für die heute in § 81 Abs. 2 BGB verankerte Lösung: „Was den Inhalt der aufzunehmenden Vorschrift anbelange, so komme eine schon mit der Errichtung des Stiftungsgeschäfts eintretende Gebundenheit des Stifters, wie nach §. 62 Abs. 2 des Entw. so auch nach den vorliegenden Anträgen, nicht in Frage. Aber auch der Standpunkt der Anträge 1 und 2 sei mit Recht von den Antragstellern selbst zu Gunsten der im Antrage 5 vertretenen Auffassung aufgegeben worden. Erlange das Stiftungsgeschäft erst mit der nachfolgenden staatlichen Genehmigung Wirksamkeit, so fehle ein zureichender Grund, dem Stifter das Recht zum Widerrufe vor der Ertheilung der Genehmigung, insbesondere von dem Zeitpunkt an S. 69 f.; Reuter (Fn. 19), § 82 Rz. 4; Backert (Fn. 20), § 82 Rz. 3; Burgard, Gestaltungsfreiheit im Stiftungsrecht, 2006, S. 85; Stintzing, AcP 88, 392, 420 ff.; Endemann, Bürgerliches Recht, I, 8./9. Aufl. 1903, § 48 Rz. 11. 24 Jakobs/Schubert (Fn. 5), S. 381.

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zu entziehen, in welchem der Antrag auf diese Ertheilung gestellt worden sei. Aus dem Wesen des einseitigen Rechtsgeschäfts folge an sich die freie Widerruflichkeit. Es entspreche auch der Billigkeit, die Willensänderung dem Stifter solange zu gestatten, als dies mit sonstigen beachtenswerthen Rücksichten vereinbar sei, da es sich bei der Stiftung um einen Akt der Liberalität handle. Schutzbedürftige Interessen Dritter, welche die Unwiderruflichkeit des Stiftungsgeschäfts schon vor der Ertheilung der Staatsgenehmigung forderten, seien nicht vorhanden; namentlich kämen die Destinatäre der Stiftung als solche schutzbedürftige Dritte nicht in Betracht, da sie in keinem Falle vor der Ertheilung der Genehmigung ein Recht auf stiftungsmäßige Bezüge erlangten. Auch die Analogie der Vertragsofferte lasse sich für eine frühere Bindung des Stifters nicht geltend machen. In Betracht komme ferner, daß gerade die Verhandlungen mit der für die Genehmigung zuständigen Behörde dem Stifter Veranlassung geben könnten, das Stiftungsgeschäft zu widerrufen. Wenn in den Mot. I S. 123 die Bestimmung des §. 62 Abs. 2 durch den Hinweis auf die bestehenden Verwaltungsgrundsätze gerechtfertigt werde, so treffe dieser Hinweis nicht zu. Daß die Behörden durch Genehmigungsgesuche, welche hinterher zurückgezogen würden, in ungebührlicher Weise in Anspruch genommen und belästigt werden möchten, sei nicht zu befürchten. Sei hiernach dem Stifter der Widerruf auch noch nach der Einreichung des Genehmigungsgesuchs zu gestatten, so dürfe doch nach diesem Zeitpunkte der Widerruf nur dann wirksam sein, wenn er der Behörde gegenüber erklärt werde, denn nur unter dieser Voraussetzung lasse sich das mißliche Ergebniß vermeiden, daß einem Stiftungsgeschäfte, welchem durch Widerruf die Rechtswirksamkeit entzogen sei, die Staatsgenehmigung gleichwohl zu Theil werde.“25 3. Ablehnung der dritten Ansicht Die dritte der oben unter 1. dargestellten Ansichten kann auf keinen Fall richtig sein. Erstens sind die §§ 160 ff. BGB nicht dazu da, einer Behörde Mehrarbeit zu ersparen oder ihrer Prognose über das Ausreichen des für den Stiftungszweck erforderlichen Kapitals dauernde Richtigkeit zu sichern. Zweitens deckt die Begründung nur den Fall des Vorsatzes, nicht aber den der fahrlässigen Beschädigung. Außerdem liegt selbst in einer vorsätzlichen Verfügung nicht zwingend ein Widerruf des Stiftungsgeschäfts. Aber selbst wenn es anders wäre, führt der Nichtzugang des Widerrufs bei der Behörde nur zur Unwirksamkeit des Widerrufs, aber nicht zum Schadensersatz wegen des Widerrufsakts. Wieso soll etwas, was unwirksam ist, zu Schadensersatz verpflichten, weil es unwirksam ist? Die Erschwerung des Widerrufs durch § 81 Abs. 2 Satz 2 BGB kann nicht eine (bedingte) Leistungspflicht aus dem immer noch Widerrufbaren begründen. Die Tatsache, dass der Stifter den Antrag auf Anerkennung der Stiftung als rechtsfähig stellt, ändert am Stiftungsgeschäft nichts, nichts damit auch an seinem im Stiftungsgeschäft vollzogenen Vermögenswidmungsakt. Unsere Frage lässt sich allein an diesem Akt und seinem Inhalt beantworten. Von Vertretern der dritten Ansicht wird behauptet, dem formellen Erfordernis des § 81 Abs. 1 Satz 2 BGB liege ein materielles Interesse zugrunde: Die Erhaltung des der 25 Protokolle, I, S. 592.

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einmal anerkannten Stiftung zugesicherten Vermögens26. Hier ist der Wunsch Vater des Gedankens und wird das Ergebnis im Wege einer petitio principii zur feststehenden Prämisse der conclusio gemacht. Das einzige Interesse, das hinter §  81 Abs.  2 Satz 2 BGB liegt, besteht darin, dass die Anerkennungsbehörde mit dem Wirksamwerden des Widerspruchs von ihm erfährt und die Arbeit einstellen kann. Denn, so meinte die Zweite BGB-Kommission, „nur unter dieser Voraussetzung lasse sich das miß­liche Ergebnis vermeiden, daß einem Stiftungsgeschäfte, welchem durch Widerruf die Rechtswirksamkeit entzogen sei, die Staatsgenehmigung gleichwohl zu Theil ­werde“27. Umgekehrt formuliert: Man wollte der Behörde nicht zugehende Widerrufserklärungen unwirksam machen, um die dennoch erfolgende Genehmigung (Anerkennung) nicht ins Leere laufen zu lassen. Welche Rechtsfolgen die Summe aus (gerettetem) Stiftungsgeschäft und (geretteter) Genehmigung (Anerkennung) haben sollte, wurde damit nicht gesagt. Keineswegs war übrigens Zweck des §  81 Abs.  2 Satz 2 BGB, den nur teilweisen (durch vorsätzliche Wegverfügung oder Zerstörung erfolgenden) Widerruf mit einem Bann zu belegen. 4. Ablehnung der Bedingungslösung Wer die §§ 160 ff. BGB direkt anwendet, geht davon aus, dass das Stiftungsgeschäft doppelt bedingt ist, nämlich einmal durch die Anerkennung der Stiftung und zum anderen durch den Nichtwiderruf des Stiftungsgeschäfts. Diese Lösung vermag nicht zu überzeugen. Die Anerkennung der Stiftung ist keine echte Bedingung, sondern Rechtsbedingung. Auf ihre Erteilung besteht bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen ein Anspruch. Das Stiftungsgeschäft wird nur und erst wirksam mit Anerkennung. Solange eine nachholbare Rechtsbedingung (z.B. eine Genehmigung durch Dritte oder Be­ hörden oder eine Anerkennung durch die Behörde) fehlt, besteht zwar ebenfalls ein Schwebezustand, für ihn gelten aber Sondervorschriften (z.B. §§  184, 185 Abs.  2 BGB), so dass die §§ 158 ff. BGB nicht anwendbar sind28. Auch erfolgt die Zuwendung nicht unter der rechtsgeschäftlichen Bedingung des Widerrufs oder Nichtwiderrufs. Denn der Widerruf steht dem Stifter von Gesetzes wegen zu, ganz ebenso wie dem Erblasser beim Testament, wo auch niemand von einer Gebundenheit im Sinne der §§ 160 ff. BGB spricht29. 5. Ablehnung der Vermächtnislösung Früher wurde, gewissermaßen als Konkretisierung der ersten der oben unter 1. dargestellten Ansichten, eine analoge Anwendung der nach den §§ 2164, 2173 BGB für Vermächtnisse geltenden Auslegungsregeln befürwortet30. Die Gründe, die für diese 26 Hüttemann/Rawert (Fn. 2), § 82 Rz. 9. 27 Protokolle, I, S. 592. 28 BGH, DNotZ 2004, 647; Ellenberger in Palandt, 76. Aufl. 2017, vor §§ 158 BGB ff. Rz. 5. 29 Planck/Knoke (Fn. 18), § 82 Anm. 2. 30 Planck/Knoke (Fn. 18), § 82 Anm. 2; Oertmann (Fn. 7), § 82 An. 2 a).

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Regeln maßgebend gewesen seien, träfen im Wesentlichen auch für das Stiftungsgeschäft zu. Wie die letztwillige Verfügung, durch die das Vermächtnis angeordnet werde, bis zum Tod des Erblassers von diesem frei widerrufen werden könne, so könne auch das Stiftungsgeschäft bis zur Erteilung der staatlichen Genehmigung (heute: Anerkennung) vom Stifter durch Widerruf obsolet gemacht werden. Hier wie dort werde, wenn in der Zwischenzeit Änderungen in Ansehung der zugesicherten oder vermachten Gegenstände eintreten, im Zweifel anzunehmen sein, dass dasjenige, was an Stelle der zugesicherten oder vermachten Gegenstände in das Vermögen des Stifters oder Erblassers gelangt ist, der Stiftung oder dem Vermächtnisnehmer zugewendet sein solle (§§ 2164 Abs. 2, 2169 Abs. 3, 2172 Abs. 2, 2173 BGB). Auch die übrigen Vorschriften der gedachten Paragraphen, insbesondere über Zubehör (§ 2164 Abs. 1 BGB), über Rechte, mit welchen der vermachte Gegenstand belastet ist (§§ 2164-2168 BGB), über das Vermächtnis eines Gegenstandes, der zur Zeit des Erbfalls nicht zur Erbschaft gehört (§§ 2169 Abs. 1, 2170 BGB), über Vermächtnisse, die auf eine zur Zeit des Erbfalls unmögliche Leistung gerichtet sind (§§ 2171, 2172 Abs. 1 BGB), beruhten auf Gesichtspunkten, die regelmäßig auch bei der Stiftung zuträfen. An die Stelle des Zeitpunkts des Erbfalls trete der Zeitpunkt der staatlichen Genehmigung (Anerkennung), an die Stelle der Erbschaft das zugesicherte Vermögen des Erblassers. Im einzelnen Fall werde freilich immer zu prüfen sein, ob sich aus den Umständen nicht ergebe, dass die für die bezeichneten Vorschriften maßgebend gewesenen Gesichtspunkte nicht zutreffen. Bei den Rechten des § 82 Satz 2 BGB seien die Vorschriften über das Vermächtnis insofern nicht anwendbar, als das Erbrecht ein Vindikationslegat nicht kenne, durch das Vermächtnis vielmehr immer nur eine Forderung begründet werde (§  2174 BGB). Auch in diesem Fall könnten jedoch die zitierten Normen des Vermächtnisrechts wertvolle Anhaltspunkte für die Auslegung des Stifterwillens geben. An dieser Ansicht müssen zwei Ebenen unterschieden werden, eine Begründungs­ ebene und eine Ebene der Auslegungshilfe. Wichtig ist insbesondere die Begründungsebene. Denn auf ihr wird die Kernaussage der ersten Ansicht, dass nämlich die §§  160  ff. BGB nicht zur Anwendung kommen sollen, untermauert. Wendet man § 2169 Abs. 1 BGB analog an, begründet die Wegverfügung eines im Stiftungsgeschäft vorgesehenen Gegenstandes in der Regel keinen Schadensersatzanspruch der später anerkannten Stiftung. Wendet man § 2171 Abs. 1 BGB analog an, verhindert dies einen Schadensersatzanspruch gegen den Stifter, der einen der Stiftung zugesicherten Gegenstand zerstört hat. Doch gerade die Begründungsebene ist es, die nicht überzeugt. Der Stifter will sich eines Teils seines Vermögens entäußern, der Erblasser will zu Lebzeiten auf nichts verzichten, nur das, was bei seinem Tod übrig bleibt, zwischen Erben und Vermächtnisnehmern verteilen. Der Stifter will sich einschränken, der Erblasser nicht. Vererben muss man, stiften nicht. Der Stifter will die Stiftung möglichst schnell zur Entstehung bringen; der Erblasser will nicht sterben, jedenfalls nicht sofort. All diese Unterschiede sind der Grund dafür, dass die §§ 2169 ff. BGB auch dann gelten, wenn der Erblasser das Vermächtnis in einem Erbvertrag vertragsmäßig angeordnet hat, es also nicht mehr widerrufen kann. Auch dann will er sich nämlich in seiner lebzeitigen 82

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Verfügungsfreiheit (§ 2286 BGB) nicht einschränken lassen; das Gesetz vermutet das, hält es für legitim und macht deshalb beim Erbvertrag keine Ausnahmen von den §§ 2169 ff. BGB. Bezüglich der Auslegungsebene ist Folgendes zu sagen: Folgt man der ersten Ansicht (oben 1.), sind die Auslegungshilfen des Vermächtnisrechts ohne Zweifel eine wertvolle Hilfe. Dies gilt aber nicht für den, der ihren grundsätzlichen Ausgangspunkt für falsch hält. 6. Eigene Lösung Bei den bisher vertretenen Ansichten wird nie restlos klar, ob sie ihre Lösungen für zwingend halten oder, bei grundsätzlicher Dispositivität, nur als regelmäßig vom Stifter gewollt. Eines sollte doch aber nach der oben (2.) geschilderten Entstehungsgeschichte des § 82 BGB (dort v.a. Ende des ersten Textabsatzes) klar sein: Dem Stifter steht es frei, im Stiftungsgeschäft Rückwirkung der staatlichen Anerkennung vorzusehen. Ja, diese Rückwirkung dürfte sogar die Regel sein. Nach § 184 Abs. 1 BGB wirkt die nachträgliche Zustimmung (Genehmigung) auf den Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts zurück, sofern nicht ein anderes bestimmt ist. Nun ist die Anerkennung der Stiftung als rechtsfähig nicht im technischen Sinne Genehmigung des Stiftungsgeschäfts, denn dieses bedarf keiner Zustimmung von außen. Gleichwohl wird bei der Anerkennung die Wirksamkeit des Stiftungsgeschäfts geprüft; bei dessen Unwirksamkeit darf die Anerkennung nicht erfolgen. Wenn aber bereits die Genehmigung eines ohne die Genehmigung noch nicht vollständigen Rechtsgeschäfts Wirkung ex tunc entfaltet, um wieviel mehr muss das gelten für die bloße Ergänzung eines an sich vollständigen Rechtsgeschäfts. Zudem enthält das Stiftungsgeschäft auch den erklärten Willen des Stifters, eine neue juristische Person ins Leben zu rufen. Er will die Stiftung als selbständige; sonst könnte die Behörde sie nicht als solche anerkennen. Keineswegs erklärt der Stifter (erst) mit und in dem Antrag auf Anerkennung, dass er eine juristische Person gründen will. Daher billigt die anerkennende Behörde diesen im Stiftungsgeschäft geäußerten Errichtungswillen. Gewiss, die Stiftung als juristische Person entsteht erst im Zeitpunkt der Anerkennung. Erst von da an kann sie Trägerin von Rechten sein. Von der Rückwirkung betroffen ist nicht die Entstehung der juristischen Person, sondern das Stiftungsgeschäft. Die Forderung aus § 82 Satz 1 BGB entsteht erst mit Anerkennung der Stiftung, denn vorher kann die Stiftung keine Rechte erwerben; aber sie entsteht mit einem Inhalt, als wäre sie bereits im Zeitpunkt der Errichtung des Stiftungsgeschäfts entstanden. Wir halten als Zwischenergebnis fest: Der Stifter kann Rückwirkung der Anerkennung auf das Stiftungsgeschäft anordnen. Und in der Regel will er das auch. Seit der Reform von 2002 wird man jedoch weiter gehen müssen. Die Reform hat in §  81 Abs.  1 Satz 2 BGB zum ersten Mal den „Stiftungsakt“ definiert: Stiften heißt „­verbindlich erklären“, ein Vermögen zur Erfüllung eines vom Stifter vorgegebenen 83

Karlheinz Muscheler

Zwecks zu widmen. Was ist nun das „Verbindliche“ an dieser Erklärung? Sind die „verbindliche Erklärung“ des § 81 Abs. 1 Satz 2 BGB und die „Zusicherung“ des § 82 Satz 1 BGB deckungsgleich? Liegt in der Zusicherung das Verbindliche an der Widmungserklärung? Das Verbindliche an der Widmungserklärung des Stifters läge dann darin, dass es sich bei ihr um eine „zusichernde“ Erklärung, eben um eine „Zusicherung“ handelte. Ich habe die Frage bereits in einem Beitrag von 2004 behandelt und bejaht (JR 2003, 441 ff.). Der Begriff der „Zusicherung“ spielte im früheren Kaufmängelgewährleistungsrecht eine Rolle (vgl. §§ 459 Abs. 2, 463 BGB a.F.): Die Zusicherung einer Eigenschaft der Kaufsache konnte entweder ausdrücklich oder konkludent erfolgen. Die konkludente Zusicherung einer Eigenschaft setzte nach herrschender Meinung voraus, dass „der Verkäufer in vertragsmäßig bindender Weise die Gewähr für das Vorhandensein der Eigenschaft übernimmt und damit seine Bereitschaft zu erkennen gibt, für alle Folgen des Fehlens dieser Eigenschaft einzustehen“31. Zusicherung einer Eigenschaft war also mehr als die bloße vertragliche Vereinbarung einer Eigenschaft32; sie war zugleich Übernahme der Gewähr für das Vorhandensein der Eigenschaft, wobei aber auch dies noch nicht genügte, sondern nur zur Haftung wegen einfachen Sachmangels nach § 459 Abs. 1 BGB a.F. führte (kein Schadensersatz wegen Nichterfüllung nach § 463 BGB a.F.); erst die erkennbare Bereitschaft des Verkäufers, für alle Folgen des Fehlens der Eigenschaft einstehen zu wollen, führte zur Zusicherung mit ihren genuinen, verschärften Rechtsfolgen (v.a. § 463 BGB a.F.). Ebenso könnte man für § 81 Abs. 1 Satz 2 BGB die Ansicht vertreten, die verbindliche Stiftererklärung verlange ein Dreifaches: die Benennung der für die Stiftung vorgesehenen Vermögensgegenstände; den erkennbaren Willen des Stifters, diese Vermögensgegenstände nach der Anerkennung auf die Stiftung zu übertragen; und drittens die zumindest konkludente Erklärung des Willens, für alle Folgen einstehen zu wollen, wenn es zu dieser Übertragung, aus welchem Grunde auch immer, nicht kommt. Damit würden einerseits die Rechtsfolgen des Stiftungsgeschäfts in zumindest einer Hinsicht gegenüber der bisherigen Rechtslage ausgedehnt, komplementär dazu aber auch die Anforderungen an ein wirksames Stiftungsgeschäft in einer Hinsicht gesteigert. Der Stifter würde mit Anerkennung der Stiftung, anders als nach herrschender Meinung zum alten Recht, nicht nach den schenkungsrechtlichen Regeln der §§  519  ff. BGB, die den Schenker privilegieren, sondern nach den allgemeinen Normen der §§ 275 ff. BGB haften. Zu fragen wäre, ob man auf diesem Wege, wenn man ihn denn für den richtigen hält, nicht noch einen Schritt weiter gehen müsste. § 81 Abs. 1 Satz 2 BGB verlangt ja „Verbindlichkeit“ der Stiftererklärung schon im Zeitpunkt ihrer Abgabe. Nun kann damit im strengen Sinne von vornherein nur gemeint sein eine Erklärung, die objektiv verbindlich ist, wenn die Stiftung anerkannt wird. Es ließe sich aber denken, dass der erkennbare Wille des Stifters nach und wegen § 81 Abs. 1 Satz 2 BGB auf schuldrechtliche Rückwirkung der Anerkennung und auf Haftung nach § 160 BGB (analog) gerichtet sein muss. Schuldrechtliche Rückwirkung der Anerkennung (auf den Zeit31 BGH, WM 1980, 1068, 1069 = NJW 1980, 2127, 2128; st. Rspr. 32 Vgl. Huber in Soergel, 12. Aufl. 1991, § 459 BGB Rz. 178.

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Vermögenserwerb der Stiftung

punkt des Stiftungsgeschäfts)33 bedeutete, dass der Stifter im Rahmen des § 82 BGB mit den zugewendeten Vermögensgegenständen zugleich die daraus im Zeitraum zwischen Stiftungsgeschäft und Anerkennung gezogenen Nutzungen herauszugeben (genauer: nach § 82 Satz 1 BGB zu übertragen und herauszugeben) hätte. Der Gesetzgeber der ursprünglichen BGB-Fassung hielt die schuldrechtliche Rückwirkung für eine Frage der Auslegung des Stifterwillens im Einzelfall34. Die Neufassung des Gesetzes im Jahre 2002 würde damit, die genannte Interpretation der „Verbindlichkeit“ des § 81 Abs. 1 Satz 2 BGB als richtig unterstellt, einen entsprechenden Rückwirkungswillen des Stifters erzwingen, indem sie ihn zur Wirksamkeitsvoraussetzung des Stiftungsgeschäfts machte. Zur Legitimation einer solchen Auslegung des Gesetzes könnte ergänzend auf den im Jahre 2002 realisierten Übergang von der „Genehmigung“ zur „Anerkennung“ der Stiftung verwiesen werden, die die Stiftung nicht in erster Linie erzeugt, sondern nur gutheißt35. Haftung nach § 160 BGB bedeutete, dass der Stifter für die schuldhafte Beschädigung oder Zerstörung eines im Stiftungsgeschäft der Stiftung gewidmeten Vermögensgegenstandes schon im Zeitraum zwischen Stiftungsgeschäft und Anerkennung der Stiftung in Form einer Schadensersatzverpflichtung einzustehen hätte, was ebenfalls der zur alten Rechtslage herrschenden Meinung (der oben 1. dargestellten ersten Ansicht) widerspräche und daher konstitutive Folge des neuen § 81 Abs. 1 Satz 2 BGB wäre. Für die Gegenstände des § 82 Satz 2 BGB wäre konsequenterweise § 161 BGB analog anzuwenden. Insgesamt kann man sagen, dass nach der hier vorgestellten Interpretationsvariante der (in seiner Erklärung erkennbare) Wille des Stifters nach § 81 Abs. 1 Satz 2 BGB gerichtet sein muss auf eine unmittelbare, nur von der Anerkennung der Stiftung noch abhängige und damit quasi-bedingte „Verpflichtung“ (bzw. bei den Gegenständen des §  82 Satz 2 BGB: auf eine quasi-bedingte Verfügung). Der Stiftungsakt müsste unmittelbar „verpflichtend“ und (für die Gegenstände des § 82 Satz 2 BGB) unmittelbar verfügend sein. Wenn schon bei einem Rechtsgeschäft unter einer Bedingung der Erwerber durch §§ 160, 161 BGB geschützt ist (obwohl es sich bei der Bedingung um die Abhängigkeit des Rechtserfolgs von einem ungewissen künftigen Ereignis handelt), um wie viel mehr, so könnte man in der Sache das Ergebnis begründen, muss dann die Stiftung durch die §§ 160, 161 BGB geschützt werden, deren Anerkennung ja in aller Regel zu erwarten ist, weil auf sie nach § 80 Abs. 2 BGB bei Einhaltung der gesetzlichen Voraussetzungen ein Anspruch besteht. 33 Eine „dingliche“ Rückwirkung kann es außer in den Fällen des § 84 BGB nicht geben. 34 Jakobs/Schubert (Fn. 5), S. 392 (vgl. auch ebd., S. 381). 35 Ohnehin hätte es im Rahmen der Reform von 2002 nahe gelegen, die Anerkennung generell mit voller dinglicher Rückwirkung (§ 184 BGB) zu versehen. „Anerkennen“ hat sich im 16. Jahrhundert aus dem Verb „erkennen“ entwickelt (Kluge, Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache, 22. Aufl. 1989, sub verbo „anerkennen“ und „erkennen“), heute noch ablesbar aus der Wendung „für Recht erkennen“. Bedeutet Genehmigung die öffentliche Bekundung einer Willensentscheidung, so handelt es sich bei der Anerkennung, etymologisch streng genommen, um die öffentliche Bekundung eines Erkenntnisaktes. Dabei soll natürlich nicht übersehen werden, dass „anerkennen“ im heutigen Sprachgebrauch durchaus auch voluntative Elemente enthält, im Sinne erstens von gutheißen, billigen, akzeptieren, und zweitens, noch etwas stärker, im Sinne von loben, würdigen (Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache, 8 Bde., 2. Aufl. 1993, sub verbo „anerkennen“).

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Karlheinz Muscheler

Die entscheidende Frage lautet nach alledem, ob die dargestellte Interpretationsmöglichkeit wirklich als Inhalt des Gesetzes zu betrachten ist. Die Frage muss bejaht werden. Denn nur bei ihrer Bejahung hat das Wort „verbindlich“ in § 81 Abs. 1 Satz 2 BGB konstitutive Bedeutung. Es entspricht einer alten Auslegungsregel, dass kein Wort des Gesetzes überflüssig ist, dass kein Wort ohne Reduzierung des Normgehaltes wegfallen kann. Die hier vertretene Lösung war bereits die des preußischen Rechts. Im ALR von 1794 enthielt der den „Armenanstalten und anderen milden Stiftungen“ gewidmete 19. Titel des zweiten Teils die Sätze (§§ 42 f.), dass die vom Staat ausdrücklich oder stillschweigend genehmigten Armen- und anderen Versorgungsanstalten die Rechte „moralischer Personen“ (= juristischer Personen) haben und ihrem Vermögen die Rechte von Kirchengütern zukommen sollten36. Diese Vorschrift erfuhr, soweit sie besagte, dass die Genehmigung auch stillschweigend erteilt werden könne, durch das Gesetz v. 13.5.1833 und das an dessen Stelle getretene Gesetz v. 23.2.1870 eine Abänderung: Die Genehmigung konnte nunmehr nicht mehr stillschweigend erteilt werden. Nach § 3 des Gesetzes v. 23.2.1870 konnte die Genehmigung der Vermögenszuwendung beschränkt werden. Wurde die Genehmigung erteilt, so war nach § 3 „die Schenkung oder letztwillige Zuwendung als von Anfang an gültig zu betrachten, dergestalt, daß mit der geschenkten oder letztwillig zugewendeten Sache auch die in die Zwischenzeit fallenden Zinsen und Früchte zu verabfolgen sind“. § 4 des Gesetzes v. 13.5.1833, an dem 1870 nichts geändert werden sollte, hatte die Fassung: „Erst mit dem Tage, an welchem die landesherrliche Genehmigung dem Geschenkgeber oder Erben bekannt gemacht worden, nimmt die Verbindlichkeit zur Entrichtung des Geschenks oder Vermächtnisses, sowie zur Uebergabe der Erbschaft ihren Anfang. Mit der zugewendeten Sache müssen zugleich die davon in dem Zeitraume vom Tage der Schenkung oder vom Todestage des Erblassers an wirklich erhobenen Nutzungen verabfolgt werden“.

36 Zum Folgenden auch Schubert, Redaktorvorentwurf AT, Teil 1 (Fn. 5), S. 546, 701.

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Die Selbstzweckstiftung oder: Vom Zwecklosen Inhaltsübersicht

I. Der Jubilar und das Thema



V. Die verdeckte Selbstzweckstiftung

II. In medias res

VI. Rechtsfolgen

III. Der wahre Schauplatz der Debatte

VII. Fazit

IV. Die Praxis jenseits der Theorie

I. Der Jubilar und das Thema Das Stiftungsrecht galt lange als Stiefkind von Rechtswissenschaft und Gesetzgebung.1 Erst als im letzten Jahrzehnt des 20. Jahrhunderts deutlich wurde, dass seine veralteten und unübersichtlichen Rechtsgrundlagen einer positiven Entwicklung des deutschen Stiftungswesens hinderlich waren, kam es zu einer ernstzunehmenden rechtspolitischen Debatte.2 Ihren Höhepunkt fand sie im Jahre 2000 in der Einführung erheblicher rechtsformspezifischer Privilegien für gemeinnützige Stiftungen3 und 2002 in einer Modernisierung des BGB-Stiftungsrechts.4 An dieser Debatte hat auch Georg Crezelius sich seinerzeit beteiligt, und zwar sowohl vor5 als auch hinter den Kulissen. Zu seinem 70. Geburtstag sei ihm daher ein Beitrag gewidmet, der einen noch immer aktuellen Aspekt der damaligen Diskussion betrifft.

II. In medias res Zu den festen Dogmen des deutschen Stiftungsrechts gehört das Verbot der Selbstzweckstiftung.6 Eine Stiftung, deren Zweck sich in der Verwaltung und Vermehrung 1 Die Metapher vom Stiefkind geht zurück auf Liermann, Handbuch des Stiftungsrechts, I. Band – Geschichte des Stiftungsrechts, 1963, 237. 2 Die wesentlichen Stationen der Debatte sind nachgezeichnet bei Hüttemann/Rawert in Staudinger, Neubearbeitung 2017, Vorbem zu §§ 80 BGB ff. Rz. 76 ff., 80 ff. 3 Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung von Stiftungen v. 14.7.2000, BGBl. I, 1034. 4 Gesetz zur Modernisierung des Stiftungsrechts v. 15.7.2002, BGBl. I, 2634. 5 Siehe Crezelius/Rawert, ZIP 1999, 337 ff.; dies., ZEV 2000, 421 ff. 6 Reuter, AcP 207, 2007, 1 (19  ff.); Dutta, RabelsZ 77, 2013, 828 (836  ff.); Weitemeyer in Münch­Komm/BGB, 7. Aufl. 2015, § 80 BGB Rz. 103; v. Campenhausen/Stumpf in v. Campenhausen/Richter, Stiftungsrechtshandbuch, 4. Aufl. 2014, § 2 Rz. 17; Hof in v. Campenhausen/Richter, Stiftungsrechtshandbuch, 4.  Aufl. 2014, §  7 Rz.  62; Schwake in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 5, 4. Aufl. 2016, § 79 Rz. 35 ff.; Hüttemann/Rawert in Staudinger (Fn. 2) Vorbem zu §§ 80 BGB ff. Rz. 9; anderer Ansicht: Bruns, Kommentar zum Stiftungsgesetz Baden-Württemberg, 6. Aufl. 2010, § 1 Anm 6. 6 unter Berufung auf

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ihres eigenen Vermögens erschöpft (Selbstzweckstiftung), ist unzulässig. Sie begünstigt niemanden, ist also faktisch funktions- und im rechtlichen Sinne zwecklos. Das Verbot der Selbstzweckstiftung leuchtet unmittelbar ein. Man stelle sich eine Stiftung mit einem Bankkonto vor, das wächst und wächst, aber von dem nie etwas abgehoben wird. Es mag die Bank erfreuen, die dafür Gebühren in Rechnung stellt. Es mag den Fiskus erfreuen, der die Erträge aus dem angelegten Geld besteuert. Solche „Stiftungsleistungen“ an die Bank und den Fiskus haben ihren Grund jedoch nicht in der Verfassung der Stiftung. Sie gründen vielmehr im Rechtsverhältnis der Stiftung zur Bank bzw. im Steuerrecht. Das ist selbst dann so, wenn der Stifter in die Satzung seiner Stiftung schriebe: „Zweck der Stiftung ist die Verwaltung und Vermehrung ihres eigenen Vermögens zum Zwecke der Begleichung ggfls. entstehender Bankgebühren, Steuern und anderer Abgaben“. Der Satz deklariert nur etwas, was ohnehin gilt. Wie nicht selten in der Jurisprudenz ist es allerdings nicht ganz einfach, das Offensichtliche auch schlüssig zu begründen. Vielfach ist zu lesen, dass das Verbot der Selbstzweckstiftung dem „Begriff “ der Stiftung bzw. ihrem „Wesen“ immanent sei.7 Solche Begründungen haben den Charme des Einfachen auf ihrer Seite. Allerdings müssen sie sich den Einwand gefallen lassen, dass sie den „Begriff “ der Stiftung oder ihr „Wesen“ unter Umständen mit Inhalten aufladen, die die gewünschten Ergebnisse zu normativen Voraussetzungen machen.8 Man nennt das Verfahren einen Zirkelschluss. Je mehr das Ergebnis praktischer Vernunft und einem gewissen Konsens entspricht, desto verführerischer ist ein solches Vorgehen. Dogmatisch „sauber“ hingegen ist es nicht. Allerdings lässt sich das Verbot der Selbstzweckstiftung durchaus normativ verankern, und zwar zum Beispiel in §§ 80 Abs. 2 Satz 1, 81 Abs. 1 Satz 2 BGB. Bis zur Reform der §§ 80 ff. BGB durch das Gesetz zur Modernisierung des Stiftungsrechts vom 15.7.20029 hatten die vormaligen §§ 80 Abs. 1, 81 Abs. 1 BGB folgenden Wortlaut:

BFHE 186, 546, sowie Beuthien in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts, Band 5, 4. Aufl. 2016, § 77 Rz. 30, der der Auffassung ist, dass die Stiftung auch dann einen außerhalb ihrer selbst liegenden Zweck verfolge, wenn sie lediglich die Erhaltung und Verwaltung des Stiftungsvermögens bezweckt, da dieses Vermögen nicht Bestandteil der Stiftung, sondern ihr lediglich rechtlich zugeordnet sei. Die Standpunkte von Bruns und Beuthien sind nicht nachvollziehbar. 7 So z.B. Schwake in Münchener Handbuch Gesellschaftsrecht (Fn. 6), § 79 Rz. 39; Saenger in O. Werner/Saenger, Die Stiftung, 2008, Rz. 880. 8 Exemplarisch erheben diesen Vorwurf Schiffer/Pruns, ZStV 2012, 1 (2 f.). Soweit sie das auch unter Hinweis auf Rawert, Non Profit Law Yearbook 2003, 1 (7) tun, ist zuzugeben, dass dort steht, dass die Selbstzweckstiftung „mit dem Stiftungsbegriff nicht vereinbar“ ist. Allerdings wird der dort verwendete Stiftungsbegriff unter Hinweis auf konkrete Normen begründet. 9 Siehe oben Fn. 4.

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Die Selbstzweckstiftung

§ 80 Entstehung einer rechtsfähigen Stiftung (1) Zur Entstehung einer rechtsfähigen Stiftung ist außer dem Stiftungsgeschäft die Genehmigung des Bundesstaates erforderlich, in dessen Gebiete die Stiftung ihren Sitz haben soll. § 81 Form und Widerruf des Stiftungsgeschäfts (1) Das Stiftungsgeschäft unter Lebenden bedarf der schriftlichen Form. Für die Begründung des Lehrsatzes vom Verbot der Selbstzweckstiftung gab dieser Wortlaut nichts her. Tatsächlich legte er keine inhaltlichen Vorgaben für ein wirksames Stiftungsgeschäft fest. Lediglich aus dem Gesamtkontext der §§  80–88 BGB schloss man, dass das Stiftungsgeschäft Angaben über Zweck, Vermögensausstattung, Sitz, Namen und Organe einer Stiftung enthalten musste.10 Darüber hinaus war es den Ländern auf der Grundlage des § 85 BGB a.F. gestattet, weitere Anforderungen festzulegen.11 Das hatten praktisch alle Länder in ihren jeweiligen Stiftungsgesetzen getan. Unmittelbare Rückschlüsse auf ein Verbot der Selbstzweckstiftung ließ allerdings auch das Landesrecht nicht zu. 2002 jedoch wurde der Mindestinhalt für ein wirksames Stiftungsgeschäft erstmals gesetzlich definiert, und zwar bundesrechtlich und zugleich bundeseinheitlich. Zur Vorbereitung dieser Stiftungsrechtsmodernisierung hatte das Bundesministerium der Justiz im Sommer 2000 eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe Stiftungsrecht einberufen.12 Sie bestand im Wesentlichen aus Vertretern des Justizministeriums und den Stiftungsreferenten der Länder. Neben der Klärung der Frage, inwieweit Reformbedarf dem Grunde nach bestand, war es überdies Aufgabe der Arbeitsgruppe, ggfls. Vorschläge zur Modernisierung des Stiftungsrechts zu entwickeln. Auch das Thema „Selbstzweckstiftung“ wurde in diesem Kontext diskutiert. Wie selbstverständlich ging man von einem Verbot aus. Im abschließenden Bericht der Arbeitsgruppe vom 19.10.2001 heißt es schlicht, dass Selbstzweckstiftungen „… aufgrund des Wesens der Stiftung … ausgeschlossen …“ sind.13 Für ein explizites Verbot sah man daher keine Notwendigkeit. Das von der Arbeitsgruppe sowie der herrschenden Meinung im Schrifttum und der Praxis schon immer vorausgesetzte Unter- und Überordnungsverhältnis zwischen Stiftungsvermögen und Stiftungszweck fand im Gesetz indes gleichwohl schlüssig seinen Ausdruck. Heute heißt es in § 81 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BGB: „Das Stiftungsgeschäft unter Lebenden bedarf der schriftlichen Form. Es muss die verbindliche Erklärung des Stifters enthalten, ein Vermögen zur Erfüllung eines von ihm vorgegebenen Zweckes [Hervorhebung vom Verfasser] zu widmen, …“

10 Zur alten Rechtslage siehe Rawert in Staudinger, 13. Bearbeitung 1995, § 80 BGB Rz. 12 ff. 11 Rawert in Staudinger (Fn. 10), § 85 BGB Rz. 5 ff. 12 Zur Rolle der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Stiftungsrecht Hüttemann/Rawert in Staudinger (Fn. 2), Vorbem zu §§ 80 BGB ff. Rz. 86 f. 13 Bericht der Bund-Länder-Arbeitsgruppe Stiftungsrecht v. 19.10.2001, Abschnitt G I.

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Peter Rawert

Tatsächlich macht der Wortlaut der Norm deutlich, dass der Zweck der Stiftung die Zielursache  – sprich: die causa finalis14  – der Vermögenswidmung ist. Der Gegenstand, mit dem etwas „erfüllt“ wird, kann nicht selbst seine eigene Erfüllung sein. Dass der Gesetzgeber vor dem Hintergrund des Berichtes der Arbeitsgruppe bei der konkreten Formulierung des § 81 Abs. 1 Sätze 1 und 2 BGB davon ausging, dass die Relation zwischen Vermögen und Zweck reflexiv im Sinne einer möglichen Identität beider Elemente des Stiftungsbegriffs sein kann, lässt sich nicht ernsthaft annehmen. Ganz im Gegenteil: § 80 Abs. 2 Satz 1 BGB n.F. bestärkt die These vom notwendigen Dualismus zwischen Mittel und Zweck sogar. Dort, wo seit der Stiftungsrechtsreform des Jahres 2002 das „Recht auf Stiftung“ kodifiziert ist, heißt es: „Die Stiftung ist als rechtsfähig anzuerkennen, wenn das Stiftungsgeschäft den Anforderungen des § 81 Abs. 1 genügt, die dauernde und nachhaltige Erfüllung des Stiftungszwecks gesichert erscheint und der Stiftungszweck das Gemeinwohl nicht gefährdet.“ Es mag dahinstehen, was § 80 Abs. 2 Satz 1 BGB im Verfahren auf Anerkennung einer Stiftung als rechtsfähig für die prüfende Behörde im Einzelnen bedeutet. Unstreitig ist jedenfalls, dass das Erfordernis der Prüfung der dauerhaften und nachhaltigen Erfüllbarkeit des Stiftungszwecks zentral die Vermögensausstattung einer Stiftung betrifft. Darauf weist die Gesetzesbegründung zu § 80 Abs. 2 des Gesetzes zur Modernisierung des Stiftungsrechts vom 15.7.2002 ausdrücklich hin.15 Diese Prüfung wäre überflüssig, wäre die Selbstzweckstiftung zulässig. Wenn der Zweck einer Stiftung lediglich in der Verwaltung ihres eigenen Vermögens bestehen könnte, würde bei Kapitalstiftungen jede auch noch so geringe Vermögensausstattung – und sei es theoretisch auch nur mit 1,00 Euro – zur Anerkennung ihrer Rechtsfähigkeit führen. Es war ersichtlich nicht das Ziel des Gesetzgebers, solches mit der Einführung eines „Rechts auf Stiftung“ zu ermöglichen. Indes gibt es noch immer Autoren, die die Berufung auf §§ 80 Abs. 2 Satz 1, 81 Abs. 1 Satz 2 BGB zur Begründung des Verbotes der Selbstzweckstiftung nicht als ausreichend erachten. Vor allem Schiffer und Pruns halten ihr entgegen, dass auch bei einer Stiftung, deren Kapital lediglich  1,00 Euro betrage, die dauerhafte und nachhaltige Erfüllung des Stiftungszwecks der Vermögenssicherung und Vermögensmehrung gewährleistet sein könne – eine erfolgreiche Anlage vorausgesetzt. Unsinnig werde die Vorschrift des § 80 Abs. 2 BGB dadurch trotzdem nicht, denn alle anderen Stiftungen müssten die in der Norm genannten Voraussetzungen schließlich weiterhin erfüllen.16 Dem naheliegenden Einwand der Spitzfindigkeit ihrer Argumentation entgehen Schiffer und Pruns allerdings dadurch, dass sie die Debatte um einen neuen und keineswegs rein scholastischen Aspekt bereichert haben. Anknüpfend an den von der herrschenden Meinung17 stets betonten Charakter der Stiftung als einer fremdnützi14 Zur Zielursache im Recht immer noch grundlegend v. Jhering, Der Zweck im Recht, Erster Band, 1877, 3 ff. 15 Siehe BT-Drucks. 14/8765 v. 11.4.2002, 8. 16 Siehe Schiffer/Pruns, ZStV 2012, 1 (3 f.). 17 Siehe die Nachweise in Fn. 6.

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Die Selbstzweckstiftung

gen Leistungsorganisation verorten sie das Verbot der Selbstzweckstiftung nämlich in § 87 Abs. 2 BGB.18 Dort heißt es im Zusammenhang mit der Umwandlung des Zweckes einer Stiftung wegen Unmöglichkeit seiner weiteren Verfolgung: „Bei der Umwandlung des Zweckes soll der Wille des Stifters berücksichtigt werden, insbesondere soll dafür gesorgt werden, dass die Erträge des Stiftungsvermögens dem Personenkreis, dem sie zustattenkommen sollten, im Sinne des Stifters erhalten bleiben.“ Schiffer und Pruns folgern daraus, dass durch die Erfüllung des Stiftungszwecks die Erträge bzw. Vorteile, die eine Stiftung erwirtschaftet, einem von ihr verschiedenen Personenkreis zustattenkommen müssen. Dies sei nicht der Fall, wenn sie dem Stiftungsvermögen wieder zufließen, ohne dass andere wenigstens mittelbar an der Erhaltung des Stiftungsvermögens partizipieren oder die Erhaltung des Stiftungsvermögens – wie z.B. bei öffentlich ausgestellten Kunstwerken – den Interessen Dritter bzw. der Allgemeinheit dient.19 Das überzeugt und unterstützt die dogmatische Untermauerung des Verbots der Selbstzweckstiftung, so sie sich nicht ohnehin – wie hier auch weiterhin vertreten – schon aus anderen Erwägungen ergibt.

III. Der wahre Schauplatz der Debatte Im Kern besteht also Einigkeit: Die Selbstzweckstiftung ist unzulässig, und zwar weil sie letztlich zwecklos ist. Man wundert sich, dass so viele Gedanken auf sie ver(sch)wendet werden. Es gibt aber einen Grund, und der liegt in zwei Phänomenen der Stiftungspraxis, deren Beurteilung seit jeher rechtlich kontrovers ist. Da ist zunächst die unternehmensverbundene Stiftung. Unter ihr versteht man eine Stiftung, die entweder unter ihrer eigenen Rechtsform selbst ein Unternehmen betreibt (eigentliche Unternehmensträgerstiftung) oder Beteiligungen an Personenoder Kapitalgesellschaften hält (Beteiligungsträgerstiftung) bzw. als oberstes Organ für die Verwaltung eines Konzerns fungiert (Holdingstiftung). Abgesehen von volkswirtschaftlichen und ordnungspolitischen Bedenken gegen solche Konstruktionen ist im Schrifttum lange die Auffassung vertreten worden, dass ihre Zulässigkeit in Analogie zu § 22 BGB zu beurteilen sei, d.h. nach den gleichen Regeln, die auf wirtschaftliche Vereine anzuwenden sind.20 Ferner sind da die Familienstiftungen, d.h. Stiftungen, die ausschließlich und überwiegend dem Interesse einer bestimmten oder mehrerer bestimmter Familien gewidmet sind. Bei ihnen wurde in der Vergangenheit aus dem Zusammenhang zwischen 18 Schiffer/Pruns, ZStV 2012, 1 (4 f.); dies. in NK-BGB, Band 1, 3. Aufl. 2016, § 80 BGB Rz. 47. 19 Schiffer/Pruns in NK-BGB, (Fn. 18), § 80 BGB Rz. 47. 20 Die Analogiethese wurde ehedem vor allem vertreten von Reuter in MünchKomm/BGB, 4.  Aufl. 2001, Vor §  80 BGB Rz.  49  ff., sowie Rawert in Staudinger (Fn.  2), Vorbem zu §§ 80 BGB ff. Rz. 83 ff., 94 ff. Zusammenfassend zur damaligen Debatte Hüttemann/Rawert in Staudinger (Fn. 2), Vorbem zu §§ 80 BGB ff. Rz. 220 f.

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Peter Rawert

dem Fideikomissverbot und den im BGB normierten zeitlichen Schranken zulässiger Nachlassbindung (§§ 2044 Abs. 2, 2109, 2162, 2163 und 2210 BGB) im Wege der Gesamtanalogie zum Teil der Schluss gezogen, dass sie zumindest im Falle reiner Unterhaltsstiftungen nicht anerkennungsfähig seien, weil die bloße Vermögensverwaltung im Interesse eines bestimmten Personenkreises eine Umgehung des Fideikomiss- und Erbrechts darstelle und damit unzulässig sei.21 Im Rahmen der Diskussion um die Modernisierung des Stiftungszivilrechts sind beide Standpunkte Gegenstand der rechtspolitischen Debatte gewesen. Der Gesetzgeber hat sich bewusst dagegen entschieden, Sondertatbestände für unternehmensverbundene Stiftungen und Familienstiftungen zu schaffen.22 Unbeschadet anhaltender Bedenken gegen zumindest einige ihrer Erscheinungsformen sind solche Stiftungen heute grundsätzlich anerkennungsfähig. Das gilt jedoch nicht uneingeschränkt. Das Schweigen des Gesetzgebers zur unternehmensverbundenen Stiftung und zur Familienstiftung bedeutet de lege lata lediglich, dass sich die Anerkennungsfähigkeit solcher Stiftungen ausschließlich an den im Übrigen anerkannten Regeln des Stiftungsrechts zu orientieren hat.23 Und dazu gehört auch das Verbot der Selbstzweckstiftung, gleichviel ob man es dem „Wesen“ oder „Begriff “ der Stiftung bzw. §§ 80 Abs. 2 Satz 1, 81 Abs. 1 Satz 2 oder § 87 Abs. 2 BGB entnehmen will. In der Tat erscheint es logisch, dass das Verbot der Selbstzweckstiftung auch für Stiftungen gilt, die unmittelbar oder auf dem Weg über Beteiligungen ein Unternehmen führen. Besteht der Zweck einer Stiftung ausschließlich in der Erhaltung eines solchen Unternehmens, dann ist sie nicht anerkennungsfähig. Hier freilich wollen selbst Autoren, die das Verbot der Selbstzweckstiftung im Grundsatz anerkennen, eine Einschränkung machen. Schiffer und Pruns beispielsweise argumentieren so: Da der ­Erhalt eines Stiftungsvermögens ein zulässiger Stiftungszweck sei, wenn das Stiftungsvermögen so beschaffen ist, dass seine Verwaltung auch anderen Personen als der Stiftung „zustattenkommt“ (§ 87 Abs. 2 BGB), sei bei der Aufrechterhaltung (Perpetuierung) eines Unternehmens stets ein zulässiger Stiftungszweck gegeben. Schließlich komme das Unternehmen zwangsläufig seinen Arbeitnehmern „zustatten“, indem es sie in Lohn und Brot halte.24 Ähnlich kann man es bei Hof lesen, der bei einer unternehmensverbundenen Stiftung, die „auf Erhaltung und Förderung eines Wirtschaftsunternehmens, seiner Mitarbeiter und von deren Angehörigen gerichtet ist“ die Verfolgung von Zwecken erkennen will, die über eine bloße Vermögenserhaltung und -bewirtschaftung hinausreichen.25

21 So im Anschluss an Däubler, JZ 1969, 499 ff. vor allem Rawert in Staudinger (Fn. 10), Vorbem zu §§ 80 BGB ff. Rz. 132 ff. 22 Zur Gesetzgebungsgeschichte eingehend Hüttemann/Rawert in Staudinger (Fn.  2), Rz. 121 f. (266). 23 So bereits Hüttemann, ZHR 167 (2003), 35 (60); vgl. auch Hushahn, Unternehmensverbundene Stiftungen im deutschen und schwedischen Recht: Ein Rechtsvergleich zur Behandlung der Konstellation verdeckter Unternehmensselbstzweckstiftungen, 2009, 75 ff. 24 Schiffer/Pruns in NK-BGB (Fn. 18), § 80 BGB Rz. 72. 25 Hof in v. Campenhausen/Richter (Fn. 6), § 7 Rz. 63.

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Die Selbstzweckstiftung

Sind die Überlegungen von Schiffer und Pruns bzw. Hof jedoch überzeugend? Die Antwort ist ein klares Nein. Die Vorteile, die eine Stiftung, deren Zweck die dauerhafte Aufrechterhaltung eines Unternehmens ist, ihrem Management, ihren Arbeitnehmern und – womöglich mittelbar – den Angehörigen beider Personengruppen bietet, sind nichts als bloßer Reflex der Tätigkeit des Unternehmens, das sich in Stiftungshand befindet.26 Insoweit sind sie vergleichbar mit den bereits erwähnten Gebühren, die eine Stiftung, welche lediglich ein Bankkonto unterhält, in regelmäßigen Abständen an ihr Kreditinstitut entrichtet. Niemand wird behaupten, dass die Aufrechterhaltung von Arbeitsplätzen bei der jeweiligen Bank oder ggfls. die Erwirtschaftung von Gewinnen für deren Aktionäre den Charakter einer solchen Stiftung als Selbstzweckstiftung beseitigten. Anders als es im Beispiel des Bankkontos ist, mag die Erhaltung eines Unternehmens um seiner selbst willen durch den Hinweis auf die Sicherung von Arbeitsplätzen vordergründig eine positive Konnotation haben. Das ändert aber nichts daran, dass auch eine solche Stiftung einen unzulässigen Stiftungszweck hat. Diese Feststellung bedeutet allerdings nicht, dass die Perpetuierung von Unternehmen mithilfe einer Stiftung generell unzulässig wäre. Wenn mit der Stiftung Zwecke verfolgt werden, welche den „Stakeholdern“ eines solchen Unternehmens jenseits bloßer Reflexwirkungen wie Arbeitsplatzsicherung und Lohnfortzahlung „zustattenkommen“ (§ 87 Abs. 2 BGB), spricht rechtlich nichts gegen ein entsprechendes Kon­ strukt. Unterhält also z.B. die Stiftung eines mittelständischen Unternehmers einen Betrieb, der Hightech-Kameras zum Einsatz bei der Qualitätskontrolle von Produkten produziert, so wären denkbare Stiftungsleistungen, die über bloße Reflexwirkungen hinausgehen, beispielsweise die Ausbildung von jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern jenseits des Eigenbedarfes, die Forschung und Entwicklung jenseits der bloßen Verwertbarkeit für Eigenprodukte oder die Gewährung besonderer Sozialleistungen für Mitarbeiter und deren Angehörige. Das Kriterium für die Feststellung von Leistungen, die über bloße Reflexwirkungen hinausgehen, ist dabei das Urteil eines objektiven Beobachters, der erkennen kann, dass die Vorteile nicht schon notwendig mit dem Betrieb eines vergleichbaren Unternehmens verbunden sind, sondern einen zusätzlichen Nutzen bzw. Ertrag im Sinne der § 87 Abs. 2 BGB schaffen. Schiffer und Pruns halten eine Differenzierung zwischen dem „schlicht formulierten Stiftungszweck ‚Erhaltung des Unternehmens‘“ und „ambitionierter formulierten, aber im Ergebnis identischen Stiftungszwecken“ zwar für sophistisch.27 Sie übersehen dabei jedoch, dass auch ihr eigenes und auf § 87 Abs. 2 BGB gestütztes Argument gegen die Zulässigkeit der Selbstzweckstiftung auf dem Gebot von Stiftungsleistungen beruht, die einen Personenkreis jenseits des Innenlebens der Stiftung begünstigen und die Sphäre der Stiftung daher transzendieren. Am Ende bleibt tatsächlich die Frage, warum ein Unternehmer, der sein Unternehmen in eine Stiftung einbringen will, um dieses dauerhaft zu erhalten, nicht offen sagt, 26 Anderer Ansicht Schwake in Münchener Handbuch des Gesellschaftsrechts (Fn. 6), § 79 Rz. 40 f. 27 Schiffer/Pruns in NK-BGB (Fn. 18), § 80 BGB Rz. 72.

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welche Leistungen, die jenseits normaler Reflexwirkungen eines gewöhnlichen Arbeitsverhältnisses liegen, seine Stiftung an Dritte erbringen soll. Schiffer und Pruns beantworten sie nicht. Nahe liegt freilich der Gedanke, dass solche Festlegungen in einer Stiftungsverfassung wirtschaftlich den Effekt einer „Sozialisierung“ von Unternehmensvermögen im Interesse der Mitarbeiter und anderer „Stakeholder“ bedeuten und eine solche Sozialisierung den meisten mittelständischen Unternehmern ganz und gar fernliegt.28

IV. Die Praxis jenseits der Theorie In der Praxis kommen Stiftungen, deren offengelegter Zweck ausschließlich die Erhaltung eines bestimmten Unternehmens ist, nicht vor. Nicht einmal die ursprünglich operativ tätige, aber inzwischen in eine Holding-Stiftung umgewandelte Carl Zeiss Stiftung, die insoweit gerne als Beispiel genannt wird, war je auf diesen Zweck beschränkt. Sie hat stets auch die „Pflege der feintechnischen Industrie und die Förderung der beiden Stiftungsunternehmen Carl Zeiss und Schott Glas … sowie die Förderung allgemeiner wirtschaftlicher, wissenschaftlicher und gemeinnütziger Interessen und Einrichtungen“ verfolgt.29 Insofern entsprach sie genau der Forderung, die vorstehend (III.) erhoben wurde. Viele Stifter machen das Motiv der Erhaltung ihres Unternehmens ohnehin schon deshalb nicht zum Zweck ihrer Stiftung, weil auch für unternehmensverbundene Stiftungen häufig steuerliche Gemeinnützigkeit angestrebt wird. Man denke an eine Stiftung, die aus einer Unternehmerbeteiligung den Zweck der Musikerziehung fördern soll. Aber selbst dort, wo die „Flucht in die Gemeinnützigkeit“ gar nicht notwendig ist, weil auch die Regelungen über die Verschonung von Betriebsvermögen bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer die Einbringung eines Unternehmens in eine Stiftung oft schon ohne steuerliche Belastung zulassen, ist die reine Unternehmensselbstzweckstiftung kein praxisrelevantes Phänomen. Die Stiftung als Instrument der Unternehmensperpetuierung wird von Beratern vornehmlich in der Form einer Familienstiftung vorgeschlagen. Eine solche Familienstiftung verfolgt stets einen Zweck, der die Unternehmenssphäre transzendiert, nämlich die Begünstigung eines bestimmten Kreises von Familienmitgliedern oder durch andere konkrete Merkmale bestimmte Individuen – also eines „Personenkreises“ im Sinne der von Schiffer und Pruns vertretenen Lehre. Tatsächlich werden solche Modelle neuerdings sogar als „Königsinstrument“30 zur Vermeidung von Erbschaft- und Schen28 Es sollte mittelständischen Unternehmern und ihren Beratern zu denken geben, dass vor geraumer Zeit ausgerechnet die promovierte Volkswirtin Sahra Wagenknecht als prominente Vertreterin der Partei „Die Linke“ die Vorteile einer Sozialisierung von Unternehmensvermögen durch den Einsatz von Stiftungen beinahe euphorisch gepriesen hat; siehe Wagenknecht in Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung v. 6.3.2016, 28. Tatsächlich hat Wagenknecht zutreffend erkannt, dass eigentümerlose Unternehmen in den Händen eines lediglich angestellten Managements nichts anderes sind als veredelte volkseigene Betriebe nach DDR-Vorbild. 29 Einsehbar unter http://www.carl-zeiss-stiftung.de/files/de_carl_zeiss_stiftung_statut.pdf – zuletzt aufgerufen am 7.6.2017. 30 So wörtlich Theuffel-Werhahn, ZEV 2017, 17 ff.

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kungsteuerbelastungen empfohlen. Das liegt nicht zuletzt an der durch das Gesetz vom 4.11.2016 eingeführten Verschonungsregelung des §  28a ErbStG.31 Es ist also nicht ganz falsch, wenn Burgard in seiner Habilitationsschrift zur „Gestaltungsfreiheit im Stiftungsrecht“ feststellt, dass die reine Unternehmensselbstzweckstiftung bis zu einem gewissen Grade eine Schimäre ist.32

V. Die verdeckte Selbstzweckstiftung Burgards Erkenntnis freilich führt zum Kern des auf dem Boden der lex lata zu bewältigenden Problems: Der verdeckten oder faktischen Selbstzweckstiftung.33 Allein dadurch, dass eine unternehmensverbundene Stiftung Mittel, die für die vom Stifter in Wahrheit beabsichtigte Unternehmenserhaltung nicht benötigt werden, einem außerhalb der Stiftung liegenden Zweck – z.B. der Förderung von Kunst und Kultur oder Kindern und Enkelkindern – zuführt, kann das Verbot der Selbstzweckstiftung nicht unterlaufen werden. Dient der Gemeinwohl- oder Familienbezug nämlich bloß dazu, den eigentlichen Zweck der Stiftung, d.h. den dauerhaften Vermögenserhalt bzw. die latente Vermögensvermehrung zu verdecken, liegt in Wahrheit eine Selbstzweckstiftung vor, und die ist und bleibt unzulässig. In der Praxis besteht allerdings das Problem, den „Verdeckungstatbestand“ nachzuweisen. Wie immer, wenn es um Motive oder subjektive Tatbestandsmerkmale geht, ist dies nur anhand von Indizien möglich. Bei Stiftungen mit nicht unternehmensbezogenen Zwecken – also insbesondere solchen, für die steuerliche Gemeinnützigkeit angestrebt wird – ist ein solches Indiz die dauerhafte Bindung an ein bestimmtes Unternehmen, es sei denn, die Stiftung verfügte über anderes (nennenswertes!) Vermögen, aus dem der Stiftungszweck auch dann verfolgt werden kann, wenn das Unternehmen – z.B. wegen Ertragsschwäche – nichts mehr zu seiner Erfüllung beitragen kann. Die Bindung kann rechtlich statuiert sein, etwa durch Veräußerungsverbote in der Stiftungssatzung. Sie kann aber auch lediglich faktisch bestehen. Vordergründig will der Stifter das Gemeinwohl oder eine Familie fördern. Unausgesprochen ist es jedoch sein Gestaltungsziel, sein Unternehmen um jeden Preis zu erhalten. Im Falle einer Existenzbedrohung des Unternehmens kann dieses Ziel jederzeit zum Haupt- bzw. Selbstzweck avancieren. Die vorgeschobenen Zwecke mögen dies verdecken. Aufgrund der Enge der Bindung des Unternehmens an 31 Beispiel nach Theuffel-Werhahn, ZEV 2017, 17 (18): Unternehmer U überträgt seinen Betrieb mit einem begünstigten (Netto-)Vermögen in Höhe von 100 Mio. Euro auf eine zu diesem Zweck errichtete Familienstiftung. Diese verfügt über keinerlei sonstiges Vermögen. Die Verschonungsbedarfsprüfung fällt positiv aus, weil die Stiftung neben dem begünstigten Vermögen kein weiteres Vermögen hat. Werden auch die Voraussetzungen der Lohnsummen- und Behaltensregelungen des § 13a ErbStG eingehalten, kann die grundsätzlich entstehende Schenkungsteuerschuld in Höhe von 30 Mio. Euro gänzlich erlassen werden. 32 Burgard, Gestaltungsfreiheit im Stiftungsrecht 2006, 153. 33 So bereits Reuter, Non Profit Law Yearbook 2001, 27 (55 ff.).

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die Stiftung und des Verbotes von Vermögensumschichtungen werden die Interessen der Stiftung jedoch latent den Unternehmensinteressen untergeordnet. Indizwirkung für eine solche Unterordnung hat in diesem Kontext auch die rechtliche oder faktische Identität von Stiftungsorganen und Unternehmensführung. Sie macht den Austausch des Unternehmens gegen eine andere Form der Vermögensanlage selbst dann unwahrscheinlich, wenn sie im Interesse der Erfüllung des vorgeschobenen fremdnützigen Stiftungszwecks geboten wäre, insbesondere weil es kein anderes Vermögen gibt, das zur Erfüllung des Stiftungszwecks eingesetzt werden könnte. Ähnliches gilt für sogenannte Doppelstiftungsmodelle, die auf einem künstlichen Auseinanderreißen von Herrschafts- und Fruchtziehungsrechten an einem Unternehmen beruhen.34 Im praktisch wichtigen Falle von Familienstiftungen treten neben die bereits erwähnten Indizien überdies weitere Anhaltspunkte, die einzeln oder kumulativ Anlass bieten können, von einem Verstoß gegen das Verbot der Selbstzweckstiftung zu sprechen35: −− Die Destinatäre der Stiftung haben keinen einklagbaren Anspruch auf Stiftungsleistungen. −− Die Stiftung hat über einen längeren Zeitraum keine oder nur vernachlässigenswerte Ausschüttungen geleistet. −− Die Zulässigkeit von Leistungen an die Destinatäre ist nach der Verfassung der Stiftung an Bedingungen geknüpft, deren Eintritt unwahrscheinlich oder  – rein praktisch betrachtet – sogar ausgeschlossen ist. −− Die Destinatäre sind in den Organen der Stiftung nicht vertreten. Sie leiden deshalb an einem Informationsdefizit. −− Gesellschaftsverträge von Unternehmen, an denen die Stiftung beteiligt ist, enthalten Thesaurierungsklauseln, die den Zugriff der Stiftung auf Erträge des Unternehmens abseits des üblichen Selbstfinanzierungsbedarfes beschränken. Gleiches gilt  – auch ohne entsprechende Vorgaben in Gesellschaftsverträgen  – bei einer 34 Eingehend dazu Rawert, Non Profit Law Yearbook 2003, 1 (9  ff.). Siehe überdies Hüttemann/Rawert in Staudinger (Fn. 2), Vorbem zu §§ 80 BGB ff. Rz. 229 ff. Bei einem Doppelstiftungsmodell überträgt ein Stifter einen Teil seiner Anteile an einem Übernehmensträger auf eine steuerbegünstigte Stiftung und einen anderen Teil auf eine nicht steuerbegünstigte Stiftung; in der Regel eine Familienstiftung. Den Löwenanteil der Beteiligung erhält die gemeinnützige Stiftung. Sie wird allerdings ihres Stimmrechts beraubt. Die privatnützige Stiftung wiederum erhält nur so viele Anteile, wie es ihr Zweck, der meist in einer Unterhaltung der Stifterfamilie besteht, erforderlich erscheinen lässt. Neben steuerlichen Effekten (Reduzierung von Erbschaft- und Schenkungsteuer, sofern sie nicht bereits durch die Verschonungsregelungen für Betriebsvermögen erreicht werden kann) wird durch die Konstruktion erreicht, dass die gemeinnützige Stiftung auf ihre Beteiligung an einem bestimmten Unternehmensträger festgelegt ist. Die überwiegend stimmrechtslosen Anteile sind de facto nicht fungibel. Zum Doppelstiftungsmodell siehe statt vieler Schiffer, Die Stiftung in der Beraterpraxis, 4. Aufl. 2016, § 11 Rz. 62 ff. m.umf.N. 35 So bereits Hüttemann/Rawert in Staudinger (Fn. 2) Rz. 274 f. Zu solchen und ähnlichen Indizien aus der Sicht der Rechtsvergleichung auch Wohlgenannt, Verbot von Selbstzweckstiftungen in Österreich und Liechtenstein unter besonderer Berücksichtigung der Unternehmensträgerstiftung, 2015, 143 ff.

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über einen längeren Zeitraum anhaltenden Ausschüttungspolitik mit vergleichbarem Effekt. In allen diesen Situationen geht es im Kern darum, dem  – um es mit Schiffer und ­Pruns zu sagen  – „Personenkreis“ im Sinne des §  87 Abs.  2 BGB die Erträge des ­Stiftungsvermögens, die ihm „zustattenkommen“ sollen, möglichst zugunsten der Stiftung selbst vorzuenthalten, sprich: Die Stiftung zu Lasten der Destinatäre zur Selbstzweckstiftung zu machen.

VI. Rechtsfolgen Sprechen die Indizien für die Annahme einer verdeckten oder faktischen Selbstzweckstiftung, so stellt sich die Frage nach den Konsequenzen. Dabei ist zu unterscheiden, ob sich die Stiftung noch im Errichtungsstadium befindet oder bereits als rechtsfähig anerkannt worden ist. Geht es um das Errichtungsstadium, ist es Aufgabe der nach Landesrecht zuständigen Anerkennungsbehörden, die Indizien für das Vorliegen einer unzulässigen Selbstzweckstiftung zu bewerten und der Stiftung ggfls. die Anerkennung zu versagen. Im Rahmen der Gewährung rechtlichen Gehörs für den Stifter ist darauf hinzuwirken, dass die Stiftungsverfassung so geändert wird, dass angemessene Stiftungsleistungen an Dritte – den Personenkreis im Sinne des § 87 Abs. 2 BGB – sichergestellt sind. Insbesondere bei Familienstiftungen kann dies dadurch geschehen, dass den an solchen Leistungen interessierten Destinatären Organpositionen oder die Möglichkeit zur gerichtlichen Überprüfung von Ausschüttungsentscheidungen der Stiftungsorgane eingeräumt werden. Existiert eine Stiftung bereits und legt die tatsächliche Geschäftsführung der Stiftungsorgane im Zusammenhang mit der Verfassung der Stiftung den Schluss nahe, dass eine verdeckte Selbstzweckstiftung vorliegt bzw. entstanden ist, ist mit den In­ strumenten des Stiftungsaufsichtsrechts zu verfahren.36 In Betracht kommen insoweit zunächst die Wahrnehmung von Informations-, Unterrichtungs- und Prüfungsrechten durch die Aufsichtsbehörden, die Beanstandung von Beschlüssen über die Ergebnisverwendung, die Anordnung angemessener Ausschüttungen, die Abberufung von pflichtwidrig handelnden Organmitgliedern und  – im schlimmsten Falle  – die Zweckänderung oder Aufhebung der Stiftung. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 87 BGB liegen nach richtiger Ansicht auch im Falle einer Rechtsformverfehlung vor.37 Voraussetzung für Maßnahmen nach § 87 BGB ist allerdings, dass der vorgebliche Zweck der Stiftung (der faktisch vom reinen Perpetuierungszweck überlagert

36 Zu den Instrumenten der Stiftungsaufsicht siehe Stumpf/Suerbaum/Schulte/Pauli/Suerbaum, Stiftungsrecht, 2.  Aufl. 2015, Teil  C Rz.  220  ff.; Hüttemann/Rawert in Staudinger (Fn. 2), Vorbem zu §§ 80 BGB ff. Rz. 146 f. m.w.N. 37 Hüttemann/Rawert in Staudinger (Fn. 2), § 87 BGB Rz. 8; Weitemeyer in MünchKomm/ BGB (Fn. 6), § 87 BGB Rz. 9.

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wird) als solcher nicht mehr erfüllt werden kann. Das dürfte in der Praxis selten vorkommen. Bei allem bleibt festzustellen, dass die verdeckte Selbstzweckstiftung kein bloß theoretisches Phänomen ist. Immer wieder werden an Stiftungspraktiker Klagen herangetragen, die in der Unzufriedenheit der Begünstigten vor allem mit Stiftungen in Unternehmenszusammenhängen gründen. Vergleichsweise einfach ist die Rechtslage, wenn Destinatäre ausnahmsweise ein Recht auf Stiftungsleistungen haben. Solche Ansprüche können vor den Zivilgerichten durchgesetzt werden.38 Im Rahmen einer Leistungsklage kann inzident geprüft werden, inwieweit eine Verpflichtung zur Ausschüttung von Beträgen besteht, die jenseits der von den Stiftungsorganen bewilligten Summen liegt. Schwieriger ist es, wenn keine klagbaren Ansprüche auf Stiftungsleistungen bestehen. Sind Destinatäre Organmitglieder und enthalten die Organe, deren Mitglieder sie sind, den Destinatären insgesamt die ihnen nach der Stiftungssatzung (wenn auch nicht einklagbar) zustehenden Leistungen grundlos vor, so können die entsprechenden Beschlüsse bzw. die Verweigerung einer Beschlussfassung gerichtlich überprüft werden.39 Gibt es in den Organen der Stiftung keine Destinatäre bzw. Destinatärsvertreter, so bleibt den vom Stiftungszweck begünstigten Personen lediglich der Weg zur Stiftungsaufsicht. Dort können sie anregen, dass die Behörde der Frage nach dem Vorliegen einer verdeckten Selbstzweckstiftung nachgeht. Tut sie dies nicht, sind die Destinatäre mehr oder minder rechtlos. Nach Rechtsprechung und herrschender Meinung haben Destinatäre keinen Anspruch auf ein Tätigwerden der Stiftungsbehörden.40 Verwaltungsgerichtliche Klagen von Destinatären gegen sie sind de lege lata nicht nur unbegründet, sondern sogar unzulässig, weil die Untätigkeit der staatlichen Stellen gegenüber den Destinatären nicht einmal die „Möglichkeit einer Rechtsverletzung“ im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO begründet.41 Diese Rechtslage wird zunehmend beklagt,42 ist jedoch nur de lege ferenda zu ändern. Gehören Destinatäre zu den Erben bzw. Pflichtteilsberechtigten eines Stifters, so ist es denkbar, dass sie sich auf die Nichtigkeit des Stiftungsgeschäfts berufen.43 Weder 38 Vgl. Hüttemann/Rawert in Staudinger (Fn. 2), § 85 BGB Rz. 47 ff. m.w.N. 39 Stallmann, Fehlerhafte Beschlüsse in der Stiftung bürgerlichen Rechts, 2014, 180  ff.; vgl auch Hüttemann/Rawert in Staudinger (Fn. 2) Vorbem zu §§ 80 BGB ff. Rz. 275. 40 Ganz h.M., grundlegend OVG Lüneburg v. 18.9.1984 – 10 A 102/82, NJW 1985, 1572; bestätigt durch BVerwG v. 10.5.1985 – 7 B 211/84, NJW 1985, 2964; Weitemeyer in MünchKomm/BGB (Fn. 6), § 85 BGB Rz. 39 f. Weitere Nachweise bei Hüttemann/Rawert in Staudinger (Fn. 2), § 85 BGB Rz. 48. 41 OVG Berlin v. 8.7.1982 – OVG 3 B 32.81, StiftRspr III 152, 153 f.; VG Hamburg v. 9.9.1993 - 13 VG 229/91, unveröffentlicht; vgl auch VG Magdeburg v. 6.7.2005 – 9 A 160/02 MD, ZSt 2005, 295. 42 Für die Einführung einer Stiftungsaufsichtsbehörde daher z.B. Jakob, Schutz der Stiftung, 2006, 498 ff. 43 Zur Nichtigkeit des Stiftungsgeschäft unter dem Aspekt des Verstoßes gegen das Verbot der Selbstzweckstiftung Schreiber, Die Unwirksamkeit des Stiftungsgeschäfts, 2015, 88 ff.

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z­ivil- noch öffentlich-rechtlich hat diese Nichtigkeit automatisch die Aufhebung der Stiftung zur Folge. Vielmehr entsteht zunächst ein Bereicherungsanspruch (§ 812 BGB),44 der von den Anspruchsberechtigten vor den Zivilgerichten durchgesetzt werden muss. Verliert die Stiftung im Falle der Begründetheit des Anspruchs ihr Vermögen, kann sie ihren (sowohl vordergründigen als auch verdeckten) Zweck nicht mehr verfolgen. Sie muss nach § 87 BGB aufgehoben werden.45

VII. Fazit Die Selbstzweckstiftung ist eine Stiftung ohne zulässigen Stiftungszweck. Im rechtlichen Sinne ist sie zwecklos. Was zwecklos ist, ist entbehrlich. Nicht entbehrlich ist hingegen die Debatte über das Zwecklose. Vor allem dann, wenn es camoufliert wird.

44 Zu den zivilrechtlichen Ansprüchen bei Nichtigkeit eines Stiftungsgeschäfts eingehend Schreiber (Fn. 43), 125 ff. 45 Dazu Hüttemann/Rawert in Staudinger (Fn. 2), § 87 BGB Rz. 10 f.

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Aufschiebend bedingte Verbindlichkeiten der GmbH in der Phase der Gründung und bei Prüfung der Insolvenzreife Inhaltsübersicht

b) Keine Berücksichtigung aufschiebend bedingter Verbindlichkeiten der Vorgesellschaft im Zeitpunkt der Eintragung der GmbH

I. Einleitung

II. Meinungsstand zur Passivierungspflicht aufschiebend bedingter ­Verbindlichkeiten III. Rechtslage im Fall der bedingten ­Verpflichtung einer Vor-GmbH 1. Grundlagen 2. Entstehungsgeschichte, Sinn und Zweck der Unterbilanzhaftung a) Historie b) Zum begrenzten Zweck der Unterbilanzhaftung 3. Uneingeschränkt gültige „schwebende Geschäfte“ 4. Aufschiebend bedingte Rechts­ geschäfte a) Grundlagen

IV. Drohende Verluste aus aufschiebend bedingten Austauschverträgen und ­Insolvenzantragspflicht 1. Grundlagen 2. Überschuldung und drohende Verluste aus aufschiebend bedingten Verträgen a) Meinungsstand b) Stellungnahme 3. Zahlungsunfähigkeit und drohende Verluste aus aufschiebend bedingten Verträgen

V. Ergebnisse

I. Einleitung Ein aufschiebend bedingter Vertrag ist für die Parteien grundsätzlich schon bindend, mangels Wirksamkeit entsteht die Verbindlichkeit aus einem solchen Vertrag aber erst mit Eintritt der Bedingung (§ 158 Abs. 1 BGB). Diese kann in einer Zustimmung eines Dritten, namentlich einer Behörde, dem Eintritt eines ungewissen Ereignisses anderer Art, etwa der erwarteten Änderung eines Bebauungsplans im Falle eines Grundstückskaufvertrages, dem Erreichen eines von einer Partei erwarteten Erfolges, etwa dem Erwerb eines Gegenstandes oder einer von ihr begehrten behördlichen Genehmigung, oder aber darin bestehen, dass eine Partei eine in ihrem Belieben stehende Handlung vornimmt (Potestativbedingung). Handelt es sich – was sich gegebenenfalls erst nach Abschluss aufgrund veränderter Umstände ergeben mag – um einen für die GmbH ungünstigen Vertrag, der einen Verlust erwarten lässt, stellt sich die Frage, zu welchem Stichtag dieser Verlust bereits berücksichtigt werden muss, zumindest in einer Rückstellung. Paradigmatisch ist der Fall, dass sich während der Schwebezeit die Marktverhältnisse zulasten einer Partei verändern (Einbruch der Grundstückspreise oder des Börsenkurses etc.). Hat eine Vor-GmbH kontrahiert, könnte dies dazu führen, dass am Stich103

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tag ihrer Eintragung ungeachtet der noch nicht eingetretenen Bedingung aus dem für sie ungünstigen Vertrag bereits eine Unterbilanzhaftung entstanden ist, die im Falle des nachträglichen Eintritts der Bedingung noch innerhalb von 10 Jahren (§ 9 Abs. 2 GmbHG analog)1, etwa vom späteren Insolvenzverwalter der GmbH oder von einzelnen Gläubigern der gelöschten GmbH, geltend gemacht werden könnte. Dieselbe Problematik stellt sich auch nach Eintragung der GmbH im Zusammenhang mit der Prüfung ihrer Insolvenz, wenn drohende Verluste aus der schwebend unwirksamen Verbindlichkeit der GmbH bereits in diesem Zeitpunkt in einer die Insolvenzreife begründenden Weise passiviert werden müssten. Die Frage der Passivierung von Verlusten aus aufschiebend bedingten Geschäften ist umstritten, der Meinungsstand unübersichtlich. Landgericht und Oberlandesgericht Bamberg hatten vor kurzem einen solchen Fall zu entscheiden2. Allerdings ist es nicht mehr zu einer höchstrichterlichen Klärung gekommen, nachdem auf Hinweis des OLG Bamberg die Berufungsklägerin ihre Berufung gegen das Urteil des LG Bamberg zurückgenommen hat. Eine Klärung mag nicht nur deshalb auf das Interesse des Jubilars stoßen, weil der Fall im Gerichtsbezirk seiner früheren Wirkungsstätte gespielt hat. Der Jubilar ist bekanntlich einer der führenden deutschen Gelehrten des Bilanzund Steuerrechts, zugleich seit jeher auch im Kapitalgesellschaftsrecht versiert. Unser Problemfall befindet sich im Schnittbereich des Bilanz- und Kapitalgesellschaftsrechts.

II. Meinungsstand zur Passivierungspflicht aufschiebend bedingter Verbindlichkeiten Nach § 246 Abs. 1 Satz 1 HGB sind die Schulden des Kaufmanns zu passivieren. Ist die Schuld des Kaufmanns Inhalt einer aufschiebend bedingten Verpflichtungserklärung, soll sie herrschender Ansicht zufolge zwar „grundsätzlich erst mit Bedingungseintritt“ zu passivieren sein, jedoch vorbehaltlich der Bildung einer Rückstellung im Sinne des § 249 Abs. 1 HGB3. Im Falle des für ihn nachteiligen Geschäfts müsse der Kaufmann gemäß dem Vorsichtsprinzip davon ausgehen, dass die Bedingung eintreten werde. Dann aber liege bereits ein schwebendes Geschäft i.S.d. § 249 HGB vor, für welches gegebenenfalls eine Drohverlustrückstellung nach § 249 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 zu bilden sei4. Insoweit komme es darauf an, ob mit einem „Verpflichtungsüberschuss“ zu rechnen sei, weil die Vermutung der Ausgeglichenheit von Ansprüchen und Pflich-

1 Dazu BGHZ 105, 300; Fastrich in Baumbach/Hueck, 21. Aufl. 2017, § 19 GmbHG Rz. 64 jew. m.w.N. 2 LG Bamberg v. 25.3.2015 – 1326/13; OLG Bamberg v. 30.9.2015 – 4 U 67/15, beide nicht veröffentlicht. 3 Merkt in Baumbach/Hopt, 37. Aufl. 2016, § 246 HGB Rz. 13 i.V.m. § 249 HGB Rz. 2; Kleindiek in Staub, 5. Aufl. 2014, § 246 HGB Rz. 60 jew. m.w.N. 4 Kleindiek (Fn. 3), § 246 HGB Rz. 60 m.w.N.

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ten aus dem schwebenden Geschäft nicht mehr gerechtfertigt sei5. Weitere Voraussetzung der Rückstellung sei, dass mit dem Verlust ernsthaft zu rechnen sei6. Nach einem Grundsatzurteil des BFH zur Zulässigkeit einer Rückstellung wegen ungewisser Verbindlichkeiten7 soll es entscheidend darauf ankommen, ob das Entstehen der Verbindlichkeit bzw. der Inanspruchnahme objektiv wahrscheinlich sei, was voraussetze, dass „… nach den am Bilanzstichtag objektiv gegebenen und bis zur Aufstellung der Bilanz subjektiv erkennbaren Verhältnissen mehr Gründe dafür als dagegen sprechen“8. Das Urteil bezieht sich freilich gar nicht auf Verbindlichkeiten, die unter einer aufschiebenden Bedingung stehen (es ging um die drohende Rückforderung einer Versandkostenpauschale von einem Arzt durch die kassenärztliche Vereinigung). In einem anderen Standardkommentar zum HGB heißt es, der Schwebezustand im Sinne des § 249 HGB beginne grundsätzlich mit Vertragsschluss, „… es sei denn, dass eine aufschiebende Bedingung die Rechtswirksamkeit hinausschiebt“9. Anderes gelte nur bei einem Gremienvorbehalt, wenn aus wirtschaftlichen Zwängen mit der Gremienzustimmung gerechnet werden müsse10. Insoweit soll auch die aufschiebende Bedingung in der Sphäre des Kaufmanns das schwebende Geschäft im Sinne des § 249 HGB begründen, wenn und weil ein faktischer Zwang vorliege, der den Gremienvorbehalt dominiere11. Danach soll es darauf ankommen, wie wahrscheinlich der Eintritt der Bedingung – hier: in Gestalt der Zustimmung des Gremiums – sei. In einem weiteren Standardkommentar heißt es, als „schwebend“ i.S.d. § 249 HGB gelte „ein zweiseitig verpflichtender Vertrag, der auf einen Leistungsaustausch gerichtet ist und bei dem der zur Sach- oder Dienstleistung Verpflichtete noch nicht erfüllt hat“12. Doch ist der aufschiebend bedingte Vertrag vor Eintritt der Suspensivbedingung gerade noch kein „zweiseitig verpflichtender Vertrag“, weil die Rechtswirksamkeit des Vertrages vor Bedingungseintritt fehlt. Missverständlich sind endlich die Ausführungen in der Stellungnahme des Hauptfachausschusses des Instituts der Wirtschaftsprüfer in Deutschland e.V. zu „Zweifels-

5 Kleindiek (Fn. 3), § 249 HGB Rz. 73; Schubert in Beck´scher Bilanz-Kommentar, 10. Aufl. 2016, § 249 HGB Rz. 52. 6 Kleindiek (Fn. 3), § 249 HGB Rz. 73; Hennrichs in MünchKomm/Bilanzrecht, 1. Aufl. 2013, § 249 HGB Rz. 29: „(…) wenn bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung mit dem Eintritt der Bedingung zu rechnen ist.“ 7 BFH v. 19.10.2005 – XI R 64/04, DB 2006, 195, NJW-RR 2006, 1039. 8 BFH v. 19.10.2005 – XI R 64/04, DB 2006, 195, NJW-RR 2006, 1039. 9 Schubert (Fn. 5), § 249 HGB Rz. 55. 10 Schubert (Fn. 5), § 249 HGB Rz. 55; insoweit ebenso Hennrichs (Fn. 6), § 249 HGB Rz. 99: „Bei einem Gremienvorbehalt liegt grundsätzlich noch kein schwebendes Geschäft vor, es sei denn, es besteht ausnahmsweise ein faktischer Zwang des Unternehmens zur Zustimmung (z.B. aufgrund sonst drohender erheblicher Schadensersatzklagen)“. 11 Kleindiek (Fn. 3), § 246 HGB Rz. 60. 12 Ballwieser in MünchKomm/HGB, 3. Aufl. 2013, § 249 HGB Rz. 54.

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fragen zum Ansatz und zur Bewertung von Drohverlustrückstellungen“ – IDW RS HFA 4. Es heißt dort in Rz. 7: „Der Schwebezustand eines schwebenden Geschäfts i.S.d. § 249 Abs. 1 S. 1 HGB beginnt grundsätzlich mit dem rechtswirksamen Abschluss der einschlägigen Verträge. Ist ein Vertrag noch nicht rechtswirksam geworden, weil zum Abschlussstichtag eine aufschiebende Bedingung, z.B. Gremienvorbehalt, noch nicht eingetreten ist, liegt grundsätzlich noch kein schwebendes Geschäft vor, weil Anspruch und Verpflichtung rechtlich noch nicht entstanden sind.“ Diese Aussage scheint eindeutig zu sein, wird aber durch diejenige in Rz. 9 wie folgt wieder in Zweifel gezogen: „Liegt dagegen die aufschiebende Bedingung im Bereich des Vertragspartners, muss der Bilanzierende bei einem für ihn nachteiligen Geschäft nach dem Vorsichtsprinzip davon ausgehen, dass die Bedingung eintreten wird. Auch wenn in diesem Fall zum Abschluss des Stichtags Anspruch und Verpflichtung noch nicht rechtswirksam zustande gekommen sind, handelt es sich bilanzrechtlich um ein schwebendes Geschäft. Entscheidend ist die mit dem Vertragsangebot entstandene belastende Bindungswirkung für den Bilanzierenden, die sich auf einen gegenseitigen, auf einen Leistungsaustausch gerichteten Vertrag bezieht.“ Der Hauptfachausschuss des IDW führt in Rz. 18 f. weiter aus: „Während Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten zukünftige Aufwendungen berücksichtigen, denen keine zukünftigen Erträge gegenüberstehen, d.h. zum einen Aufwendungen, die in der Vergangenheit realisierten Erträgen zuordenbar sind (z.B. Erfüllungsrückstand), und zum anderen Aufwendungen, denen aus der Eigenart des den Aufwendungen zugrunde liegenden Sachverhalts heraus weder zukünftige noch vergangene Erträge gegenüberstehen, erfassen Drohverlustrückstellungen solche zukünftigen Aufwendungen, die im Zusammenhang mit zukünftigen Erträgen stehen bzw. denen aus der Eigenart des ihnen zugrunde liegenden Geschäfts grundsätzlich noch zukünftige Erträge gegenüberstehen können. Danach werden Drohverlustrückstellungen für solche Außenverpflichtungen gebildet, die Bestandteil eines schwebenden wirtschaftlichen Austauschverhältnisses sind. (…) Bei Drohverlustrückstellungen ist (…) lediglich der Saldo der den Ansprüchen und Verpflichtungen zuzurechnenden zukünftigen Aufwendungen und Erträge, d.h. der zukünftig zu erwartende Verpflichtungsüberschuss, zu passivieren.“ Endlich heißt es bei Adler/Düring/Schmaltz: „Zu den schwebenden Geschäften gehören zunächst alle mindestens zwei Parteien verpflichtende Verträge, die auf einen Leistungsaustausch gerichtet und von keiner Seite erfüllt sind. (…) Es dürfen weder Leistung noch Gegenleistung endgültig erbracht sein, wobei es genügt, dass die Hauptleistungen noch nicht erfüllt sind“13. 13 Adler/Düring/Schmaltz, Rechnungslegung und Prüfung der Unternehmen, 6. Aufl. 1998, § 249 HGB Rz. 139.

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Danach soll ein aufschiebend bedingter Austauschvertrag offenbar noch kein schwebendes Geschäft sein, weil es bei ihm nicht nur an einem Leistungsaustausch, sondern bereits an einem „verpflichtenden“ Vertrag fehlt, solange die Bedingung nicht eingetreten ist. Als Zwischenergebnis ist festzuhalten, dass der Meinungsstand zur Passivierung von Verlusten aus aufschiebend bedingten Verträgen nicht in allen Teilen klar ist. Die Tendenz der herrschenden Meinung lautet, dass die künftige Verbindlichkeit zwar nicht als Schuld, gegebenenfalls aber als Drohverlustrückstellung im Sinne des § 249 HGB zu passivieren ist, wenn der Kaufmann mit einem „Verpflichtungsüberschuss“ rechnen muss. Das verlangt – wie generell im Zusammenhang mit schwebenden Geschäften im Sinne des § 249 HGB –, dass nach den objektiv gegebenen und bis zur Aufstellung der Bilanz subjektiv erkennbaren Verhältnissen „mehr Gründe dafür als dagegen sprechen“, dass es zur Haftung aus der Verbindlichkeit kommt14. Insofern wird weiter danach unterschieden, ob der Kaufmann Einfluss auf den Bedingungseintritt hat oder nicht. Im letzteren Fall gebietet das Vorsichtsprinzip die Bildung einer Rückstellung, vorbehaltlich der weiteren Einschränkung betreffs der Wahrscheinlichkeit des Bedingungseintritts und des „Verpflichtungsüberschusses“.

III. Rechtslage im Fall der bedingten Verpflichtung einer Vor-GmbH 1. Grundlagen Die Frage, ob die Geschäftsführer einer Vor-GmbH bei ihrer Anmeldung zur Eintragung der GmbH im Handelsregister einen aufschiebend bedingten Austauschvertrag berücksichtigen müssen, wenn er in diesem Zeitpunkt erkennbar die Gefahr birgt, die GmbH mit einem „Verpflichtungsüberschuss“ zu belasten, wurde bisher in Rechtsprechung und Lehre nicht diskutiert. LG und OLG Bamberg hatten einen entsprechenden Fall im Jahr 2015 zu entscheiden, konnten jedoch die Rechtsfrage offenlassen, weil keine hinreichenden Anhaltspunkte für einen Verpflichtungsüberschuss bestanden15. Bildet man den Fall so, dass die Geschäftsführer am Stichtag der Anmeldung zur Eintragung wissen oder zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit damit rechnen müssen, dass der Anspruch der GmbH im Verhältnis zu ihrer Verbindlichkeit aus dem schwebenden Geschäft die Gefahr eines „Verpflichtungsüberschusses“ begründet, ein solcher womöglich schon feststeht, spricht viel für die Annahme, dass eine Drohverlustrückstellung im Sinne des § 249 HGB gebildet werden muss, wenn man die herrschende Meinung zugrunde legt16. 14 Vgl. BFH, NJW-RR 2006, 1039; zum konkreten Fall der Bedingung Hennrichs (Fn. 6), § 249 HGB Rz. 29: „(...) wenn bei vernünftiger kaufmännischer Beurteilung mit dem Eintritt der Bedingung zu rechnen ist.“ 15 OLG Bamberg v. 30.9.2015, S. 6 (nicht veröffentlicht): „Es bedarf konkreter Anzeichen dafür, dass der Wert der eigenen Leistung aus dem Geschäft den Wert des Anspruchs auf die Gegenleistung übersteigt (…). Dies war nicht der Fall.“ 16 Dazu Ziffer II.

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Beispiel: Die Vor-GmbH hat ein Grundstück unter verschiedenen Suspensivbedingungen erworben, z.B. derjenigen, dass ihr die Baugenehmigung erteilt wird, auf dem Grundstück ein Einkaufszentrum zu errichten. Noch vor Eintragung der GmbH sinkt der Grundstückspreis aufgrund einer kommunalpolitischen Bauplanungsentscheidung (z.B. Genehmigung eines Flughafens auf dem Nachbargrundstück) um 1/3. Dem Kaufpreis i.H.v. 6 Millionen Euro steht am Stichtag ein Grundstück gegenüber, welches voraussichtlich nur noch 4 Millionen Euro wert ist. Würde man den drohenden Verlust in Höhe von 2 Millionen Euro in der Stichtagsbilanz auf den Tag der Anmeldung der GmbH zur Eintragung berücksichtigen müssen, wäre diese überschuldet, bei einem Stammkapital von 2 Million Euro und mehr läge in entsprechender Höhe zumindest eine Unterbilanz vor. Wird das dem Registergericht nicht angezeigt und ausgeglichen, droht den Gesellschaftern der eingetragenen GmbH im Falle des späteren Eintritts der Bedingung die bezeichnete Unterbilanzhaftung für die Dauer von 10 Jahren (§ 9 Abs. 2 GmbHG analog). 2. Entstehungsgeschichte, Sinn und Zweck der Unterbilanzhaftung Die Frage, ob bei Anmeldung der GmbH eine Rückstellung im Sinne des § 249 HGB betreffs eines schwebenden Geschäfts Berücksichtigung finden muss, namentlich ob der Geschäftsführer nur dann eine zutreffende Angabe im Sinne der §§ 7, 8, 82 GmbHG macht, wenn er das bedingte Geschäft nicht verschweigt, sondern umgekehrt auf den drohenden Verlust bei Bedingungseintritt hinweist, hängt in erster Linie davon ab, welche Interessen mit der Unterbilanzhaftung verfolgt werden. a) Historie Der Gesetzgeber des GmbHG von 1892 hat zur Vermeidung einer Aufnahme von Geschäften vor Eintragung der GmbH die unbeschränkte persönliche Haftung der „Handelnden“ angeordnet, die bereits vor ihrer rechtlichen Entstehung, die von der konstitutiven Eintragung abhängig ist (§ 11 Abs. 1 GmbHG), im Namen der GmbH gehandelt haben (§  11 Abs.  2 GmbHG). In den Gesetzesmaterialien zum GmbHG wird nicht ausdrücklich Stellung dazu genommen, wer diese Handelnden sein sollen. Die Bestimmung geht freilich auf Art. 211 Abs. 2 ADHGB 1861 zurück, der für das Gründungsstadium der AG folgende identische Regelung enthielt: „Wenn vor erfolgter Genehmigung und Eintragung in das Handelsregister im Namen der Gesellschaft gehandelt worden ist, so haften die Handelnden persönlich und solidarisch.“ In den Nürnberger Protokollen zum ADHGB 1861 heißt es dazu: „Unter Handelnden seien selbstverständlich auch die etwaigen Auftraggeber der Handelnden gemeint (...) nicht allein die geschäftsführenden Mitglieder, sondern auch diejenigen Zeichner von Aktien, (...) mit deren Willen gehandelt worden sei“17. 17 Protokolle zum ADHGB 1861, herausgegeben von Lutz, 1858, S. 1039 (1449 f.).

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In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts und noch bis zur Entscheidung BGHZ 47, 25 aus dem Jahre 1967 entsprach es deshalb allgemeiner Ansicht, dass für die vor Eintragung der GmbH begründeten Verbindlichkeiten, soweit sie nicht unmittelbar mit der Gründung zu tun hatten, die Gesellschafter gesamtschuldnerisch persönlich, nicht aber die später eingetragene GmbH haften sollten (so genanntes Vorbelastungsverbot). Die Frage, ob die persönliche Haftung der Gründer auch aufschiebend bedingte Verträge im Namen der noch gar nicht eingetragenen GmbH erfassen konnte, wenn die GmbH vor Bedingungseintritt eingetragen wurde, ist nicht eindeutig zu beantworten, jedoch aufgrund der Rechtsentwicklung heute nicht mehr von Interesse. Denn der BGH hat im Jahr 1981 sowohl das Vorbelastungsverbot als auch die unbeschränkte gesamtschuldnerische Gründerhaftung durch das Grundsatzurteil BGHZ 80, 129 für die Praxis erledigt. Seit dieser Entscheidung ist auch in der Rechtswissenschaft anerkannt, dass es kein Vorbelastungsverbot gibt, die im Namen der GmbH vor Eintragung getätigten Geschäfte der Vor-GmbH vielmehr Verbindlichkeiten und Ansprüche begründen, die im Zeitpunkt der Eintragung auf die GmbH übergehen18. Der BGH argumentiert, dass bei Überbewertung von Sacheinlagen ebenso eine Differenzhaftung bestehe (§ 9 GmbHG) und im Falle der Bargründung ohnehin nur ein Teil im Zeitpunkt der Gründung eingezahlt werden müsse, während der Restbetrag der Einlageforderungen das Stammkapital decke. Folgerichtig sei der Gedanke der wertmäßigen Aufbringung des Stammkapitals auf den Fall zu übertragen, in welchem die später einzutragende GmbH bereits mit Verbindlichkeiten belastet worden ist: „Dann ist es aber nur folgerichtig, hier ebenfalls eine Differenzhaftung eingreifen zu lassen, also die Gesellschafter gegenüber der eingetragenen GmbH zur Ausfüllung der Kapitallücke zu verpflichten, die bilanzmäßig durch Vorbelastungen entstanden ist. Denn es macht vom Sinn der Kapitalaufbringungsvorschriften her grundsätzlich keinen Unterschied, ob z.B. ein als Sacheinlage eingebrachtes Unternehmen infolge ungünstiger Geschäftsabschlüsse nachträglich nicht mehr den in der Satzung festgesetzten Wert hat, ob schon vor Fälligkeit eingezahlte Bareinlagen bei der Eintragung verbraucht sind (…) oder ob das in Geldeinlagen und -einlageforderungen verkörperte Stammkapital durch Verbindlichkeiten einer gemeinsam gewollten vorzeitigen Geschäftsaufnahme schon vor der Eintragung aufgezehrt ist, so dass die GmbH mit einer Unterbilanz oder sogar überschuldet ins Leben tritt.“19 Dieser tragende Grund für die Aufgabe des Vorbelastungsverbots zwecks Umstellung auf die Differenzhaftung gebietet eine konkrete Bewertung des Gesellschaftsvermögens am Stichtag der Anmeldung der GmbH zur Eintragung: Ist das Stammkapital in  diesem Moment nicht mehr gedeckt, haften die Gesellschafter pro rata in Höhe der Unterbilanz, insofern ebenso wie der Inferent im Falle der Überbewertung einer

18 BGHZ 80, 129 (137 ff.); s. zur Identitätsthese die Nachw. bei Karsten Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, S. 302 ff.; Flume, BGB AT I/2, Die juristische Person, 1983, S. 149 ff. 19 BGHZ 80, 129 (140 f.).

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Sacheinlage (§  9 GmbHG). Die Unterbilanzhaftung soll der zehnjährigen Verjährungsfrist im Sinne des § 9 Abs. 2 GmbHG unterliegen20. Die Frage, ob die Vorgesellschaft schon Verluste gemacht hat, wenn sich aus einem aufschiebend bedingten Geschäft der Vorgesellschaft mit hinreichender Sicherheit ein „Verpflichtungsüberschuss“ ergibt, lässt sich aus der Entscheidung BGHZ 80,129 aber nicht ohne weiteres entnehmen. Der in dieser Entscheidung herangezogene Parallelfall der Sacheinlage in Gestalt eines Unternehmens könnte dafür sprechen. Doch lässt es der BGH insoweit mit dem Hinweis bewenden, dass die Haftung voraussetze, das eingebrachte Unternehmen habe „(…) infolge ungünstiger Geschäftsabschlüsse nachträglich nicht mehr den in der Satzung festgesetzten Wert“21. Mit der zeitlichen Angabe „nachträglich“ muss der Stichtag der Eintragung der Gesellschaft gemeint sein. Denn auf diesen Stichtag bezieht der BGH gerade den Umfang der Unterbilanzhaftung. Der Wert eines Unternehmens bestimmt sich jedenfalls auch unter Berücksichtigung von Rückstellungen im Sinne des §  249 HGB, wie nicht näher erläutert werden muss. Dann aber können Rückstellungen auch eine Unterbilanzhaftung begründen, weil das Vermögen der GmbH ebenso wie die Sacheinlage in Gestalt eines Unternehmens bereits den Makel drohender Verluste trägt. b) Zum begrenzten Zweck der Unterbilanzhaftung Bedenkt man die Historie der Unterbilanzhaftung, ist zu erkennen, dass der Gesetzgeber des GmbHG ebenso wie derjenige des ADHGB nur einen sehr bedingten Gläubigerschutz durch das Vorbelastungsverbot herbeigeführt hat: Nur am Stichtag der Entstehung der Kapitalgesellschaft muss die garantierte Eigenkapitalausstattung noch unversehrt sein. Die bis in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts damit einhergehende Annahme, die Gründer hafteten ausschließlich persönlich und gesamtschuldnerisch für die vorher im Namen der Gesellschaft begründeten Verbindlichkeiten, konnte die Gläubiger nicht davor schützen, dass unmittelbar nach Eintragung der GmbH in deren Namen zulasten des garantierten Kapitals verlustträchtige Geschäfte abgeschlossen wurden. Das Garantiekapital war nur bis zum Zeitpunkt der Eintragung vor Verlusten geschützt. Ebenso verhält es sich nach der Wende der Rechtsprechung in Gestalt der Aufgabe des Vorbelastungsverbots zu Gunsten der Unterbilanzhaftung. Die Gläubiger wissen nicht, was nach der Eintragung geschieht, dürfen nur auf das unversehrte Stammkapital im Zeitpunkt der Eintragung vertrauen. 3. Uneingeschränkt gültige „schwebende Geschäfte“ Ist im Zeitpunkt der Eintragung bereits ein schwebendes Geschäft im Sinne des § 249 HGB im Namen der GmbH getätigt worden, welches uneingeschränkt gültig, seine Wirksamkeit nicht mehr vom Eintritt einer Suspensivbedingung abhängig ist, stellt 20 Nachw. o. Fn. 1. 21 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 (141).

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sich die Frage seiner Berücksichtigung am Stichtag. Dazu sind die Erwägungen des BGH betreffs des Falles einschlägig, dass eine Sacheinlage in Gestalt eines Unternehmens „infolge ungünstiger Geschäftsabschlüsse nachträglich nicht mehr den in der Satzung festgesetzten Wert hat“22. „Nachträglich“ heißt: Im Zeitpunkt der Entstehung der GmbH (§ 11 Abs. 1 GmbHG). Denn nur auf diesen Zeitpunkt bezieht sich die Unterbilanzhaftung. Ein gültiger Austauschvertrag des eingebrachten Unternehmens, der beiderseits noch nicht erfüllt wurde, zwingt also zur Prüfung, bezogen auf den Stichtag der Eintragung, ob aus ihm Verluste drohen, die den Wert des Unternehmens im Zeitpunkt der Eintragung der GmbH bereits unter den Betrag der Stammeinlage des Inferenten (§ 5 Abs. 4 GmbHG) senken. Nach der herrschenden Ansicht zum Bewertungsrecht hängt dies davon ab, mit welcher Wahrscheinlichkeit von einem „Verpflichtungsüberschuss“ auszugehen ist, bezogen auf den Stichtag der Eintragung. Ebenso wie bei der Sacheinlage in Gestalt eines Unternehmens ist dann aber eine Rückstellung zu bilden und bei der Bewertung zu berücksichtigen, wenn die Vor-GmbH kontrahiert hat. Das Stammkapital kann nicht mehr gedeckt sein, wenn am Stichtag eine Verbindlichkeit besteht, die das Gesellschaftsvermögen schon jetzt unter die Stammkapitalziffer reduziert. Abzustellen ist darauf, ob die Rückstellung nach den Umständen unzweifelhaft gebildet werden muss, um die Vermögenssituation der Gesellschaft am Stichtag korrekt darzustellen. In diesem Zusammenhang ist bei den häufigen Fällen des Erwerbs von Gegenständen zwar zu bedenken, dass der Kaufmann den gekauften Gegenstand grundsätzlich mit den Anschaffungskosten ansetzen darf (§ 253 Abs. 1 HGB). Daraus könnte man schließen, dass die GmbH im Zeitpunkt ihrer Entstehung noch keine Rückstellung bilden muss, weil bilanziell auf die Anschaffungskosten abzustellen ist. Dafür spricht weiter, dass die GmbH später zu Abschreibungen verpflichtet sein kann (§ 253 Abs. 4 HGB). Bei genauer Betrachtung verfängt dieser Gedanke aber nicht. Bei Beschaffungsgeschäften soll die Rückstellung schon dann erfolgen, wenn der „Verpflichtungsüberschuss“ bereits im Zeitpunkt der Bilanzierung feststeht oder mit der gebotenen Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist. Dieser Verpflichtungsüberschuss resultiert aus der Differenz, um den die vereinbarte Gegenleistung den Bilanzwert der aus dem Beschaffungsgeschäft geschuldeten Leistung oder Lieferung zum Abschlussstichtag übersteigt23. Als Zwischenergebnis ist festzustellen, dass ein wirksamer Austauschvertrag der Vorgesellschaft, der diese im Zeitpunkt der Eintragung zu einer Rückstellung im Sinne des § 249 HGB verpflichtet, bei der Prüfung der Deckung des Stammkapitals dazu führen kann, dass Unterdeckung festgestellt werden muss. Maßgebend ist, ob der Verpflichtungsüberschuss, der in Abzug zu bringen ist, zulasten des Stammkapitals geht.

22 BGH v. 9.3.1981 – II ZR 54/80, BGHZ 80, 129 (141). 23 S. dazu nur Kleindiek (Fn. 3), § 253 HGB Rz. 42.

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4. Aufschiebend bedingte Rechtsgeschäfte a) Grundlagen Ist das Rechtsgeschäft am Stichtag der Eintragung der GmbH noch gar nicht wirksam, besteht die einen „Verpflichtungsüberschuss“ begründende Verbindlichkeit der GmbH rechtlich noch gar nicht. Das gilt auch dann, wenn der spätere Eintritt der Suspensivbedingung wahrscheinlich oder sogar „sicher“ ist. In diesem Zusammenhang fällt auf, dass die zum Bewertungsrecht vertretenen Meinungen gar nicht zwischen zwei verschiedenen Fällen unterscheiden. Im ersten Fall ist die Verbindlichkeit bereits entstanden, es geht nur noch um die Frage, ob sie für den Kaufmann verlustträchtig sein wird. Im zweiten Fall existiert noch keine Verbindlichkeit im Rechtssinne, ihre Entstehung ist noch ungewiss. Wer das nicht unterscheidet, setzt gleiche Maßstäbe für die Frage der Wahrscheinlichkeit eines „Verpflichtungsüberschusses“ und einer rechtlichen Verpflichtung, die es am Stichtag aber noch gar nicht gibt24. Die entscheidende Frage lautet, ob eine stichtagsbezogene Bewertung des Vermögens der Vorgesellschaft am Tag der Eintragung der GmbH eine rechtlich noch gar nicht existente Verbindlichkeit der GmbH zu berücksichtigen hat, die jedenfalls erst mit Eintritt der Suspensivbedingung entsteht (§ 158 Abs. 1 BGB). Diese Frage kann nicht davon abhängen, ob man für eine derartige aufschiebend bedingte Verbindlichkeit schon eine Rückstellung im Sinne des § 249 Abs. 1 HGB bilden muss oder darf. Maßgebend ist allein, ob die aufschiebend bedingte Verbindlichkeit, die jedenfalls erst eine entstandene GmbH treffen kann, schon am Stichtag der Eintragung der GmbH zu berücksichtigen ist. b) Keine Berücksichtigung aufschiebend bedingter Verbindlichkeiten der ­Vorgesellschaft im Zeitpunkt der Eintragung der GmbH Der Jahresabschluss soll das Publikum nicht nur darüber informieren, über welche Vermögensmasse die Kapitalgesellschaft aktuell verfügt. Von entscheidender Bedeutung ist auch die Prognose, weil sie zentrale betriebswirtschaftliche Parameter wie Kreditwürdigkeit, Renditechancen eines Investors, Liquiditätsplanung und andere Unternehmensstrategien der Kapitalgesellschaft maßgeblich bestimmt. „Verpflichtungsüberschüsse“, die aus aufschiebend bedingten Geschäften zu erwarten sind, können und müssen deshalb im Jahresabschluss Berücksichtigung finden, nämlich in Gestalt einer Rückstellung nach § 249 HGB. Die für uns entscheidende Frage lautet, ob dies auch in einer Bilanz geschehen muss, die ausschließlich den Zweck hat, die rechtlich gebotene Kapitalaufbringung zum Stichtag der Eintragung einer GmbH festzustellen. Dafür könnte sprechen, dass §§ 246 ff. HGB grundsätzlich auch für eine solche Bilanz heranzuziehen sind. Doch geht es bei der Aufbringung des Stammkapitals nur darum, ob am Stichtag der Eintragung eine Masse der GmbH zur Verfügung steht, die ihr von den Investoren garantiert wurde, nicht darum, was in der Zukunft mit dieser Masse geschehen wird. 24 S. dazu die Nachw. o. II, paradigmatisch ist die Debatte um den Gremienvorbehalt, o. Fn. 10 f.

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Das Stichtagsprinzip des Gründungsrechts einer Kapitalgesellschaft verfolgt nach allem andere Zwecke als die Transparenz, die der Jahresabschluss betreffs der wirtschaftlichen Verhältnisse der Kapitalgesellschaft auch i.S. einer Prognose herbeiführen soll. Die Gründer garantieren die Kapitalaufbringung zum Stichtag der Eintragung, nicht aber den Erhalt dieses Kapitals, dass also am nächsten Tag bereits verloren sein mag. Die streng schematische Stichtagsbetrachtung im Zusammenhang mit der Kapitalaufbringung kann deshalb drohende Verluste aus einem am Stichtag noch gar nicht wirksamen Rechtsgeschäft nicht betreffen. Das Stammkapital kann nicht schon am Stichtag der Eintragung durch Verluste reduziert worden sein, die zwangsläufig von einem erst später eintretenden Ereignis abhängen, durch das die Wirksamkeit des aufschiebend bedingten Vertrages herbeigeführt wird. Eine Unterbilanz verlangt, dass das Stammkapital am Stichtag der Eintragung der GmbH nicht mehr vorhanden ist. Das ist aus Rechtsgründen ausgeschlossen, solange die verlustträchtige Verbindlichkeit noch gar nicht gültig, die GmbH davon zwangsläufig erst später betroffen sein kann, falls die Bedingung eintritt. Die Frage der Wahrscheinlichkeit des Bedingungseintritts spielt insoweit keine Rolle, weil die Kapitalaufbringung am Stichtag der Eintragung keinerlei Zusammenhang mit der Erwartung des Rechtsverkehrs hat, was aus dem am Stichtag vorhandenen Eigenkapital der Gesellschaft künftig werden mag. Allein maßgebend ist, dass das Stammkapital am Stichtag der Eintragung aufgebracht und noch nicht verloren ist. Die Erklärung des Geschäftsleiters gegenüber dem Registergericht, das Stammkapital sei am Tag der Anmeldung zur Eintragung der GmbH noch vorhanden, ist deshalb zutreffend, auch wenn er weiß oder erkennen kann, dass aus einem aufschiebend bedingten Austauschvertrag in der Zukunft Verluste für die im Zeitpunkt der Eintragung entstehende GmbH drohen.

IV. Drohende Verluste aus aufschiebend bedingten Austausch­ verträgen und Insolvenzantragspflicht 1. Grundlagen Die Kapitalgesellschaft GmbH ist in die Abwicklung zu überführen, Geschäftsführer sind bei Meidung zivilrechtlicher und strafrechtlicher Haftung dazu verpflichtet, ­unverzüglich Insolvenzantrag zu stellen (§  15 a InsO), sobald einer der beiden In­ solvenzgründe, Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) oder Überschuldung (§ 19 InsO), vorliegt. Im Insolvenzstatus sind namentlich die Verbindlichkeiten und andere Passiv­ posten den Aktiva der GmbH gegenüberzustellen. Bei negativem Kapital im Sinne von Überschuldung hängt die Insolvenzantragspflicht von der Fortführungsprognose ab (§  19 Abs.  2 InsO). Zahlungsunfähigkeit begründet stets die Insolvenzantragspflicht. Sie liegt vor, wenn die im Zeitraum der kommenden drei Wochen fälligen Verbindlichkeiten nicht mehr bedient werden können25. 25 Zu Einzelheiten, insbesondere zur Abgrenzung von der Zahlungsstockung, s. Altmeppen in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, vor § 64 GmbHG Rz. 15 ff.

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Die Frage, ob drohende Verluste aus aufschiebend bedingten Verträgen im Zusammenhang mit der Insolvenzantragspflicht eine Rolle spielen, wird sehr unübersichtlich diskutiert. 2. Überschuldung und drohende Verluste aus aufschiebend bedingten ­Verträgen a) Meinungsstand Nach herrschender Ansicht soll auf der Passivseite eines Überschuldungsstatus eine Rückstellung für ungewisse Verbindlichkeiten (§ 249 HGB) durchschlagen, nicht dagegen eine Rückstellung für drohende Verluste26. Andere behaupten, es seien auch Rückstellungen „für drohende Verluste“ im Überschuldungsstatus zu berücksichtigen, also nicht nur solche aus ungewissen Verbindlichkeiten27. Der BGH hat in einem Urteil aus dem Jahre 1982 entschieden, der Jahresabschluss einer GmbH könne analog § 256 Abs. 5 AktG nichtig sein, wenn entgegen den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung in erheblichem Umfang gebotene Rückstellungen für Verluste aus schwebenden Geschäften nicht gebildet worden seien28. Das Urteil wird im Hinblick auf die Insolvenzantragspflicht unterschiedlich bewertet. Nach manchen Autoren soll sich daraus die Notwendigkeit der Berücksichtigung von Rückstellungen für drohende Verluste im Insolvenzstatus ergeben29. Die herrschende Auffassung bleibt ungeachtet dieses Urteils dabei, dass Rückstellungen im Insolvenzstatus nur insoweit beachtlich seien, als sie für ungewisse Verbindlichkeiten im Sinne des §  249 HGB gebildet wurden, nicht aber Drohverlustrückstellungen30. Manche Vertreter dieser Auffassung präzisieren dahin, dass die Rückstellung im Überschuldungsstatus nur auszuweisen sei, „wenn mit einer Inanspruchnahme des Schuldners ernstlich zu rechnen ist“31. Daraus soll zugleich die Befugnis folgen, „je nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme Abschläge vorzunehmen“32. Das ist insofern bemerkenswert, als der Grad der Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnah-

26 So Karsten Schmidt in Karsten Schmidt, 19. Aufl. 2016, § 19 InsO Rz. 34; ders. in Karsten Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 5. Aufl. 2016, Rz. 5.131; H. F. Müller in Jaeger, 2004, § 19 InsO Rz. 75; Mock in Uhlenbruck, 14. Aufl. 2015, § 19 InsO Rz. 159; Pape in Kübler/Prütting/Borck, Loseblattsammlung, Stand 2017, § 19 InsO Rz. 67; jeweils m.w.N. 27 So etwa Rüntz in Kayser/Thole, 8. Aufl. 2016, § 19 InsO Rz. 21; Kirchhof in Heidelberger Kommentar InsO, 7. Aufl. 2014, §  19 InsO Rz.  21; Schröder in Hamburger Kommentar InsO, 6. Aufl. 2017, § 19 InsO Rz. 37 jew. m.w.N. 28 BGH v. 1.3.1982 – II ZR 23/81, BGHZ 83, 341 (347 ff.). 29 So Rüntz in Kayser/Thole (Fn. 27), § 19 InsO Rz. 21; Kirchhof (Fn. 27), § 19 InsO Rz. 21, jew. mit Hinweis auf BGHZ 83, 341 (347 ff.). 30 S. dazu die Nachw. in Fn. 26. 31 H. F. Müller (Fn. 26), § 19 InsO Rz. 75 m.w.N. 32 Vgl. H. F. Müller (Fn. 26), § 19 InsO Rz. 75; Schröder (Fn. 27), § 19 InsO Rz. 37: „Darüber hinaus sind Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten nach der Wahrscheinlichkeit der Inanspruchnahme anzusetzen.“

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me die Drohverlustrückstellung betrifft, die nach herrschender Ansicht gerade nicht auf die Passivseite im Überschuldungsstatus durchschlagen soll33. Soweit ersichtlich, wird die hier allein interessierende Fallkonstellation des am Stichtag der Insolvenzprüfung noch gar nicht wirksamen Austauschvertrages, der nämlich noch vom Eintritt einer Suspensivbedingung abhängig ist, nirgendwo behandelt. Bedenkt man, dass die herrschende Lehre zur Bildung von Rückstellungen im Sinne des § 249 HGB im Grundsatz davon ausgeht, dass aufschiebend bedingte Verträge allenfalls dann eine Pflicht zur Rückstellung begründen können, wenn nach kaufmännischer Sorgfalt mit dem Bedingungseintritt zu rechnen ist34, ergibt sich folgender Zusammenhang: Der Grad der Wahrscheinlichkeit eines in der Zukunft liegenden Bedingungseintritts betrifft drohende Verluste. Diese sollen nach h.M. aber ungeachtet einer Drohverlustrückstellung im Sinne des § 249 HGB gerade nicht auf der Passivseite des Überschuldungsstatus Berücksichtigung finden35. b) Stellungnahme Der Tatbestand der Überschuldung ist, ebenso wie derjenige der Kapitalaufbringung am Stichtag der Eintragung36, stichtagsbezogen. Deshalb kann eine GmbH nicht schon heute überschuldet sein, wenn ihr erst in Zukunft Verluste drohen, falls mit Bedingungseintritt künftig ein Vertrag Gültigkeit erlangen sollte. Sogar dann, wenn der Bedingungseintritt nach Meinung des Geschäftsführers sicher sein mag, ist vor Bedingungseintritt nicht von Überschuldung auszugehen, weil sie erst im Zeitpunkt des Bedingungseintritts entstehen wird. Die drohende Überschuldung, die noch keinen Eigenantrag rechtfertigt (arg. § 18 InsO), bezieht sich auf einen Zeitraum in der Zukunft, sie ist nicht gleichbedeutend mit einer schon eingetretenen Überschuldung. Es bestätigt sich an dieser Stelle die Richtigkeit der h.M., die Drohverlustrückstellungen i.S.d. § 249 HGB im Insolvenzstatus für unerheblich erklärt37. 3. Zahlungsunfähigkeit und drohende Verluste aus aufschiebend ­bedingten Verträgen Nicht anders verhält es sich mit der Zahlungsunfähigkeit und drohenden Verlusten, die ein erst später wirksam werdender Austauschvertrag herbeiführen kann. Die aktuelle Liquidität ist davon nicht betroffen. Denkbar ist, dass der Bedingungseintritt innerhalb der Dreiwochenfrist erwartet wird, die drohenden Verluste innerhalb dieser Frist entstehen und der GmbH Liquidität rauben. Doch auch in diesem Fall kann man nur von drohender Zahlungsunfähigkeit im Sinne des § 18 InsO sprechen, weil die Verluste am Stichtag noch nicht eingetreten sind. Auch der Insolvenzgrund der Zahlungsunfähigkeit bezieht sich allein auf den Stichtag der Prüfung. Der aufschie33 Dazu die Nachw. o. Fn. 26. 34 S. dazu II. 35 S. die Nachw. o. Fn. 26. 36 Dazu III. 37 O. Fn. 26.

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bend bedingte Vertrag ist an diesem Tag noch nicht gültig. Deshalb kann es keine Pflicht i.S.d. § 15a InsO geben, mit Rücksicht auf künftig möglicherweise entstehende Verluste schon an diesem Tag Insolvenzantrag zu stellen, mag auch eine Drohverlustrückstellung im Sinne des § 249 HGB zu bilden sein.

V. Ergebnisse 1. Drohende Verluste aus einem im Zeitpunkt der Eintragung der GmbH noch gar nicht wirksamen, weil aufschiebend bedingten Austauschvertrag sind bei der Fest­ stellung einer etwaigen Unterbilanz nicht zu berücksichtigen. Die nach allgemeinen Grundsätzen zulässige oder sogar gebotene Rückstellung im Sinne des §  249 HGB bezieht sich nicht auf die für die Prüfung einer Unterbilanz am Stichtag der Eintragung der GmbH aufzustellende Bilanz, wenn das verlustträchtige Rechtsgeschäft an diesem Stichtag noch gar nicht wirksam ist. Auf die Frage, wie wahrscheinlich der spätere Bedingungseintritts sein wird, kommt es nicht an. 2. Hinsichtlich der Insolvenzantragspflicht (§ 15a InsO) gelten die zur Unterbilanzhaftung am Stichtag der Eintragung der GmbH gefundenen Ergebnisse entsprechend. Die Insolvenzantragspflicht hängt davon ab, ob am Stichtag der Prüfung einer der beiden Insolvenzgründe, Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit, besteht. Es genügt nicht, dass damit in Zukunft zu rechnen ist, wenn und weil ein aufschiebend bedingter Austauschvertrag wirksam werden kann, der sich für die GmbH als ungünstig und verlustträchtig darstellt. Am Stichtag fehlt es an der entscheidenden Voraussetzung der Wirksamkeit dieses Vertrages, der nach allem den Insolvenzgrund noch nicht herbeizuführen vermag. Auf die Wahrscheinlichkeit des Bedingungseintritts kommt es insoweit nicht an, ungeachtet der Frage, ob sie für die Bildung einer Drohverlustrückstellung im Sinne des § 249 HGB in der Handelsbilanz den Ausschlag geben mag.

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Gesamthandgesellschaft, juristische Person und das Steuerrecht Inhaltsübersicht

b) Konsequenzen für die rechtsfähige Personengesellschaft als juristischer Person

I. Problemstellung

II. Folgewirkungen im Steuerrecht 1. Autonomie des Steuerrechts und ­Steuerrechtsfähigkeit 2. Wechselwirkungen zwischen ­Gesellschafts- und Steuerrecht III. Folgewirkungen in wichtigen Einzelsteuergesetzen 1. Erbschaftsteuer 2. Grunderwerbsteuer 3. Umsatzsteuer 4. Mitunternehmerkonzept des EStG und GewStG a) Grundwertungen des EStG und des GewStG

IV. Zivilrechtliche Abgrenzung der rechtsfähigen Personengesellschaft von der juristischen Person 1. Konkretisierung der dogmatischen Fragestellung 2. Gesamthand als „offenes“ Rechts­ prinzip 3. Gesamthand als gesellschaftsrecht­ licher Zentralbegriff der Personen­ gesellschaften a) De lege lata b) De lege ferenda

V. Resümee

I. Problemstellung Im Gesellschaftsrecht findet seit geraumer Zeit eine nachhaltige Diskussion dahingehend statt, am Rechtsverkehr teilnehmende Personengesellschaften (sog. Außen-Personengesellschaften) dogmatisch als juristische Personen einordnen zu wollen1. Bereits de lege lata soll es sich namentlich bei OHG, KG und (Außen-)GbR um juristische Personen handeln2. Ausgelöst wurde die Renaissance3 jener These zum einen durch 1 Die Frage einer grundlegenden Reform des Personengesellschaftsrechts war Gegenstand des 71. Deutschen Juristentages 2016. Vgl. etwa K. Schmidt, ZHR 177 (2013), 712 (727): „Zahlreiche Bestimmungen im Recht der GbR (§§ 705 -740 BGB) sind Ausdruck einer überholten Gesamthandlehre (z.B. §§ 718/719, 738 Abs. 1 S. 1 BGB).“ 2 Bälz, FS Zöllner, 1998, Bd. I, 1998, 35 (38 ff.); Kießling, FS Hadding, 2004, 477 ff.; Raiser, AcP 194 (1994), 495 ff.; ders., AcP 199 (1999), 104 ff.; K. Schmidt, AcP 209 (2009), 181 (201): eigenständiger Subtyp der juristischen Person“ (zurückhaltender in ZIP 2014, 493 [497 ff.]); Timm, NJW 1995, 3209 ff. 3 Zu älteren entsprechenden Stellungnahmen im Schrifttum namentlich vor dem Hintergrund des § 124 Abs. 1 HGB s. nur Ulmer in Staub, 4. Aufl. 2004, § 105 HGB Rz. 40 mit Fn. 76. Die vom Reichsjustizamt verfasste „Begründung zum Entwurf eines Handelsgesetzbuchs für das Deutsche Reich von 1895“ ging davon aus, dass die OHG keine juristische Person sei; vgl. Denkschrift HGB-E1, 68 f. in Schubert/Schmiedel/Krampe, HGB Quellen II.1 (1987), 68 f.; für die juristische Person als Grundlage der OHG sprach sich etwa Kohler, ZHR 74 (1913), 456; Arch. Bürg. R. 40 (1914), 229 (235 ff.), aus.

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das UmwG 1995, welches auch den Formwechsel von Personenhandelsgesellschaften in Kapitalgesellschaften und umgekehrt als rechtsidentitätswahrend konstruiert4, zum anderen durch die Grundsatzentscheidung des BGH5, der BGB-Gesellschaft, jedenfalls soweit sie am Rechtsverkehr als solche teilnimmt, die Rechtsfähigkeit zu verleihen und sie damit als Rechtssubjekt, d.h. als Trägerin von Rechten und Pflichten, neben die Gesellschafter zu stellen6. Ergänzend können die Protagonisten jener These auf § 14 Abs. 2 BGB verweisen. Diese Vorschrift, die mit dem „Gesetz über Fernabsatzverträge und anderen Fragen des Verbraucherschutzrechts sowie zur Umstellung von Vorschriften auf Euro“ vom 27.6.20007 geschaffen wurde, bestimmt, dass eine rechtsfähige Personengesellschaft eine Personengesellschaft ist, die mit der Fähigkeit ausgestattet ist, Rechte zu erwerben und Verbindlichkeiten einzugehen. Die von manchen als „Dreißigjähriger Krieg“8 wahrgenommene dogmatische Kon­ troverse wurde im Recht der GbR ausgetragen. Bei den Personenhandelsgesellschaften hatte die dogmatische Grundsatzfrage nach der Rechtssubjektivität in den vergangenen Jahrzehnten schon im Hinblick auf §  124 Abs.  1 HGB eine untergeordnete Rolle gespielt. Ursächlich dafür war vor allem das Prozessrecht. Der BGH hatte in einer Grundsatzentscheidung vom 13.2.19749 die Parteifähigkeit der OHG im Zivilprozess anerkannt. Für die klare Trennung zwischen dem Gesellschaftsprozess und dem Gesellschafterprozess sprach vor allem § 124 Abs. 2 HGB. Danach ist zur Zwangsvollstreckung in das Gesellschaftsvermögen ein gegen die Gesellschaft selbst gerichteter vollstreckbarer Schuldtitel erforderlich. Mit Anerkennung der Parteifähigkeit war die Problematik für die Praxis gelöst. Dieses pragmatische Lösungsmodell ließ sich allerdings gerade nicht auf die BGB-Gesellschaft übertragen. Denn dort ordnet § 736 ZPO an, dass zur Zwangsvollstreckung in das Gesellschaftsvermögen einer BGB-Gesellschaft ein gegen alle Gesellschafter ergangenes Urteil erforderlich sei10. Um für die BGB-Gesellschaft zur Parteifähigkeit zu gelangen, musste man also bei der Rechtsfähigkeit Farbe bekennen. Denn wenn man der BGB-Gesellschaft Rechtsfähigkeit zubilligt, folgt aus § 50 Abs. 1 ZPO automatisch auch deren Parteifähigkeit. Aber ist die rechtsfähige Personengesellschaft damit automatisch auch eine juristische Person? Für diejenigen im Gesellschaftsrecht, welche die Prämisse der Personengesellschaft als juristischer Person teilen, eröffnen sich für die wissenschaftliche Diskussion eine Vielzahl von neu zu untersuchenden Lösungskonzepten, namentlich was das Verhält 4 Raiser, AcP 194 (1994), 495 ff.; ders., AcP 199 (1999), 104 ff. 5 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341, DB 2001, 423, BB 2001, 374, MDR 2001, 459, NJW 2001, 1056. 6 Namentlich Kießling, FS Hadding, 2004, 477 ff. 7 BGBl. I 2000, 897. 8 K. Schmidt, NJW 2001, 993 (994 ff.). 9 BGH v. 13.2.1974 – VIII ZR 147/72, BGHZ 62, 131, NJW 1974, 338, WM 1974, 279. 10 Die Kardinalfrage bezog sich darauf, ob ein Titel gegen die BGB-Gesellschaft als selbständige Partei auch ein Titel gegen „alle Gesellschafter“ i.S.d. § 736 ZPO ist oder ob § 736 ZPO umgekehrt die Parteifähigkeit der BGB-Gesellschaft zwingend ablehnt, also zur Vollstreckung in das Gesellschaftsvermögen ein Titel gegen alle Gesellschafter notwendig ist. Vgl. dazu eingehend Wertenbruch, Die Haftung von Gesellschaften und Gesellschaftsanteilen in der Zwangsvollstreckung, 2000, 122 ff.

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nis der Gesellschafter untereinander angeht, das ja jetzt um ein Verhältnis der Ge­ sellschafter zur „Gesellschaft“ zu erweitern ist11. Auch das geltende gesellschafts­ rechtliche Gesamthandmodell mit seiner eigenständigen, abseits der lückenhaften Vorschriften des BGB entwickelten inzwischen über hundertjährigen Rechtsdogmatik wird grundsätzlich in Frage gestellt12. Namentlich für ein gemeinschaftliches Vermögen der Gesellschafter, wie es § 718 Abs. 1 BGB beschreibt, wäre dann kein Raum mehr. Das Gesellschaftsvermögen wäre das (alleinige) Vermögen der rechtsfähigen Personengesellschaft und nicht mehr deren Gesellschafter. Der Jubilar dürfte solch wissenschaftlicher Euphorie eher skeptisch gegenüber stehen. Bereits in seiner Habilitationsschrift kommt bezogen auf das Steuerrecht eine kritische Einstellung gegenüber der Rechtsfortbildung im Steuerrecht zum Ausdruck, weil das Steuerrecht aus der Perspektive der Freiheitssphäre des Bürgers gegenüber dem in dessen Freiheitssphären eingreifenden Staat verstanden wird13. Steuerrecht ist Eingriffsrecht. Es gehört zum Verantwortungsbereich des Rechtswissenschaftlers, dies bei seinem wissenschaftlichen Wirken zu berücksichtigen (auch wenn er – wie die Richterschaft – regelmäßig vom Staat alimentiert wird). Wer es mit Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für den Bürger ernst meint, müsse die Aufgabe der Judikative und – bezogen auf die lex lata – der sie kritisch hinterfragenden Rechtswissenschaft auf eine Auslegung von Zweifelsfragen des Gesetzeswortlauts beschränken. In Konsequenz tritt der Jubilar für ein Analogieverbot im Steuerrecht in Anlehnung an das verfassungsrechtlich vorgegebene Analogieverbot im Strafrecht ein14. Das ist schon deshalb überzeugend, weil das Steuerrecht über die Blankettnorm des § 370 AO zugleich strafbewehrt ist und die Erfahrung lehrt, dass die Strafgewalt diffizilen methodologischen Vorgaben einer dann an sich gebotenen „gespaltenen“ Normauslegung zwischen Steuer- und Strafrecht in der Praxis kaum Beachtung schenkt. Im zum Zivilrecht gehörigen Gesellschaftsrecht15 liegen die methodologischen Fragen auf den ersten Blick ein wenig anders. Im Zivilrecht geht es nicht um den zweckgerichteten Eingriff des Staates in die Freiheitssphäre des Bürgers, sondern um den Interessenausgleich zwischen den Bürgern durch staatliche Instanzen, die gleichsam als „Schiedsrichter“ fungieren. Ein verfassungsrechtliches Analogieverbot gibt es nicht. Das BVerfG sieht nämlich die Zivilgerichte bei der Rechtsfortbildung und deren Grenzen nicht an den Gesetzesvorbehalt gebunden16. Der Staat unterliege lediglich bei vertikalen Eingriffen in die grundrechtliche Freiheitssphäre dem Vorbehalt 11 Vgl. Röder, AcP 215 (2015), 450 (490): „Boden für einen weiteren Rechtsfortbildungsschub“. 12 Kießling, FS Hadding, 2004, 477 ff.; Hadding in Soergel, 12. Aufl. 2007, § 718 BGB Rz. 3; Hadding/Kießling in Soergel, 12. Aufl. 2007, § 738 BGB Rz. 3; Habermeier in Staudinger, 2003, § 718 BGB Rz. 1. 13 Crezelius, Steuerrechtliche Rechtsanwendung und allgemeine Rechtsordnung, 1983, 152 ff. 14 Crezelius, BB 1984, 1377 (1380). 15 Der von Mülbert, AcP 214 (2014), 188 ff., verfolgte Ansatz einer unterschiedlichen Methodenlehre zwischen (allgemeinem) Zivilrecht und Gesellschaftsrecht ist abzulehnen. 16 BVerfG v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212 (226), MDR 1991, 875, AfP 1991, 613, NJW 1991, 2549, betr. Arbeitskampfparteien; a.A. Schulze-Fielitz in Dreier, Bd. II, 2. Aufl. 2006, Art. 20 GG Rz. 109. Ausführlich zum Diskussionsstand Ruffert, Vorrang der Verfassung und Eigenständigkeit des Privatrechts, 130 ff.; P. Krause, JZ 1984, 656 (659).

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des Gesetzes (Wesentlichkeitstheorie). Soweit es demgegenüber um die Ordnung der Beziehungen zwischen gleichgeordneten Grundrechtsträgern gehe, seien (ausdrückliche) gesetzliche Regelungen nicht zwingend erforderlich. Der höchstrichterlichen Rechtsprechung komme demzufolge im Zivilrecht auch die Aufgabe zu, das materielle Gesetzesrecht praeter legem mit den anerkannten Methoden der Rechtsfindung aus den allgemeinen, zwischen Bürgern oder auch zwischen privaten Verbänden geltenden Rechtsgrundlagen, die für das betreffende Rechtsverhältnis maßgeblich sind, abzuleiten und fortzubilden17. Trotzdem trifft es auch für das Zivilrecht zu, dass zuvörderst die Gesetze die privat­ autonome Freiheitssphäre des Bürgers definieren und damit jede Analogie oder Rechtsfortbildung Rechtssicherheit und Rechtsklarheit für den betroffenen Bürger verletzen. Wenn der verfassungsrechtliche Rahmen vor dem Hintergrund des rechtsstaatlichen Gesetzesvorbehalts und sog. Wesentlichkeitsgrundsatzes weit gesteckt ist und damit Justizakte bis zur Grenze der Willkürlichkeit verfassungsrechtlich hingenommen werden, steht dahinter die Erwartungshaltung, dass die Judikative mit der ihr eingeräumten Gestaltungsmacht höchst verantwortungsvoll umgeht. In letzter Konsequenz läuft dies bei jeder Analogie und erst recht bei jeder Rechtsfortbildung auf die Frage der Planwidrigkeit der Regelungslücke hinaus. Hat der Gesetzgeber eine Rechtsfrage unbewusst nicht geregelt und erscheint es wirklich erforderlich, die Rechtsfrage rechtsfortbildend zu lösen? „Erforderlich“ bedeutet nicht nur vertretbar oder sachgerecht, sondern notwendig18. Wie ein ehemaliger Vorsitzender Richter des II. Zivilsenats des BGH19 in einem bemerkenswerten, weil nicht zuletzt selbstkritischen Beitrag eingeräumt hat, unterscheidet sich die Aufgabe des Richters bei der Lösung von Rechtsfragen von derjenigen des Wissenschaftlers. Röhricht sieht den Revisionsrichter in diesem Verhältnis – ungeachtet der gemeinsamen Verantwortung von Rechtswissenschaft und Rechtsprechung – nicht nur als Mitspieler, sondern auch als Gegenspieler der Wissenschaft an20. Zu den für den Revisionsrichter gefährlichen Eigengesetzlichkeiten des Wissenschaftsbetriebs gehöre es nämlich, sich niemals mit dem bestehenden Rechtszustand und dessen bisheriger systematischer Aufarbeitung zufrieden zu geben, sondern „angetrieben von ihrem Vollständigkeitsideal und dem dem Wissenschaftsbetrieb eigenen Publikationsdruck fortlaufend neue Mängel und Lücken des bestehenden Rechts“ zu entdecken und auf deren Beseitigung und damit auf Perfektionierung zu drängen21. Die jenen Eigengesetzlichkeiten immanenten Gefahren können zum Ausgangspunkt rechtlicher Fehlentwicklungen werden22. 17 BVerfG v. 26.6.1991 – 1 BvR 779/85, BVerfGE 84, 212, MDR 1991, 875, AfP 1991, 613, NJW 1991, 2549; v. 2.3.1993  – 1 BvR 1213/85, BVerfGE 88, 103 (115), MDR 1993, 880, NJW 1983, 1379. 18 Zur Frage des Vertrauensschutzes bei Rechtsprechungsänderungen vgl. M.  Fischer, FS Kreutz, 2010, 599 ff. 19 Röhricht, ZGR 1999, 445 ff. 20 Röhricht, ZGR 1999, 445 (462). 21 Röhricht, ZGR 1999, 445 (463). 22 Röhricht, ZGR 1999, 445 (452).

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Die Wissenschaft mag Lösungsvorschläge unterbreiten, die manchmal auch wegen des Strebens nach Perfektionismus und wegen des Selbstverständnisses, Neues „entdecken“ zu wollen oder vermeintlich zu müssen, die Grenzen zum Rechtspolitischen verschwimmen lassen. Der Richter muss aber entscheiden, und er ist auch derjenige, der die Verantwortung für die Entscheidung trägt. Der „Rechtsfortbildungsschub“23 eines neuen dogmatischen Konzepts mag für den Wissenschaftler besonders reizvoll sein, für den verantwortungsbewussten Revisionsrichter ist der Reiz getrübt wegen der Gefahr, die Folgen (einschließlich unerwünschter Kollateralschäden) nicht überblicken zu können. Die hier zu diskutierende These, die rechtsfähigen Personengesellschaften in das dogmatische Konzept bzw. Korsett der juristischen Person zwängen zu wollen und die Gesamthand als überholt zu bezeichnen, ist dafür ein Beispiel par excellence. Die Wissenschaft ist inzwischen seit Jahrzehnten in zwei Lager gespalten, auf der einen Seite u.a. Raiser, Timm und Karsten Schmidt als Protagonisten der These von der juristischen Person und namentlich Ulmer und Zöllner als Meinungsführer der traditionellen Sichtweise. Peter Ulmer sieht die gesellschaftsrechtliche Gesamthand als „Teil einer seit Jahrhunderten gewachsenen (…) Rechtstradition“, so dass es schon einer – von einer ihm offenbar nicht gewünschten – besonders klaren Positionierung des Gesetzgebers bedürfe, um sich von ihr zu verabschieden24. Götz Hueck25 meint, die Thesen von Raiser und Timm seien vor allem durch die ausführliche, auch ergänzende Erwägungen umfassende, dezidierte Ablehnung bei Ulmer und die gleichfalls präzise Kritik durch Zöllner überzeugend widerlegt. Dem sei „nichts hinzuzufügen“. Aus Sicht des Verfassers gibt es zumindest einen wesentlichen Aspekt für die wissenschaftliche Diskussion hinzuzufügen. Denn die Konsequenzen für das Steuerrecht sind in der zivilrechtlichen Diskussion nahezu vollständig ausgeblendet worden. Die Erforderlichkeit neuer dogmatischer Konzepte muss aber nicht nur vor dem Hintergrund der damit verbundenen Änderungen (und möglichen Fortschritte) im Gesellschaftsrecht, sondern auch im Hinblick auf die Folgewirkungen im Steuerrecht diskutiert werden. Zeigen sich dort erhebliche Kollateralschäden (dazu unter III.), sollte dies bei der Frage der Erforderlichkeit einer auf die Abschaffung der Gesamthand hinauslaufenden Rechtsfortbildung Beachtung finden. Ob bezogen auf das Gesamthandkonzept die durch den „Dreißigjährigen Krieg“ und stürmische Rechtsfortbildung im Recht der GbR verursachten Verwüstungen (nur) noch nicht beseitigt sind26 oder ob gerade umgekehrt das Gesamthandprinzip den Sturm unbeschadet überstanden hat, wird im Anschluss (dazu unter IV.) zu erörtern sein.

23 Röder, AcP 215 (2015), 450 (490). 24 Ulmer, AcP 198 (1998), 113 (120). 25 FS Zöllner, Bd. I, 275 (286). 26 So die Einschätzung von Röder, AcP 215 (2015), 450 (452).

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II. Folgewirkungen im Steuerrecht 1. Autonomie des Steuerrechts und Steuerrechtsfähigkeit Die Einordnung von rechtsfähigen Personengesellschaften als juristische Personen hätte im Steuerrecht keine zwingenden reflexartigen Konsequenzen. Denn die jeweiligen Einzelsteuergesetze definieren ihren subjektiven Anwendungsbereich eigenständig27. Diese sog. Steuerrechtsfähigkeit28 ist eine von der zivilrechtlichen Rechtsfähigkeit unabhängige29 Sonder-Rechtsfähigkeit, die je nach Steuerart verschieden sein kann. Für Zwecke der Einkommensteuer sind steuerrechtsfähig ausschließlich natürliche Personen (vgl. § 1 EStG), für Zwecke der Körperschaftsteuer sind insbesondere steuerrechtsfähig juristische Personen, aber auch nicht rechtsfähige Vereine, Anstalten, Stiftungen und andere Zweckvermögen (vgl. § 1 KStG). Personengesellschaften fallen nicht in den subjektiven Anwendungsbereich des KStG. Anders verhält es sich bei der Gewerbesteuer. Hier ist die gewerblich tätige Personengesellschaft jedenfalls Steuerschuldner. Das ordnet § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG ausdrücklich an. Im Grunderwerbsteuerrecht kommt es für die Steuersubjektivität überhaupt nicht auf die zivilrechtliche Rechtsfähigkeit an, sondern nur auf die Rechtszuständigkeit am Grundstück. Wechselt die Rechtszuständigkeit, ist der Vorgang grunderwerbsteuerbar. Das lässt sich schön anhand der Erbengemeinschaft verdeutlichen. Zivilrechtlich wird die Erbengemeinschaft vom BGH bis heute nicht als rechtsfähig angesehen30. Anders im Grunderwerbsteuerrecht. Weil es dort auf die Rechtszuständigkeit am Grundstück ankommt, ging bereits der RFH31 davon aus, dass die Erbengemeinschaft als selbständige Steuerrechtsträgerin anzusehen sei. Der BFH32 sieht dies bis heute genauso. 2. Wechselwirkungen zwischen Gesellschafts- und Steuerrecht Auch wenn die Autonomie des Steuerrechts gegenüber dem Zivilrecht unbestritten ist33, knüpft der Steuergesetzgeber bei der Ausgestaltung der steuerrechtlichen Tatbestände an zivilrechtliche Organisationsformen wie Personengesellschaft, juristische Person oder Gesamthand an. Insofern liegen die Querverbindungen zwischen Steuer27 RFH v. 10.11.1921 – V A 12/21, RFHE 7, 207 (209); Drüen in Tipke/Kruse, § 33 AO Rz. 35. 28 Drüen in Tipke/Kruse, § 33 AO Rz. 25, 33; Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl. 2015, § 6 Rz. 30 f. 29 BFH v. 10.5.1961 – V 50/59, HFR 1962, 45. 30 BGH v. 11.9.2002 – XII ZR 187/00, MDR 2003, 81, FamRZ 2002, 1621, NJW 2002, 3389; v. 17.10.2006 – VIII ZB 94/05, NotBZ 2006, 426, FamRZ 2007, 41, MDR 2007, 340, ZIP 2006, 2125. 31 RFH v. 18.5.1934 – II A 409/33, RStBl. 1934, 957. 32 BFH v. 29.11.1972 – II R 28/67, BStBl. II 1973, 370. 33 Davon zu unterscheiden ist die methodologische Frage der autonomen Auslegung zivilrechtlich vorgeprägter Begriffe, wie etwa demjenigen der juristischen Person.

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recht und Zivilrecht auf der Hand. Bereits de lege lata löst die Einordnung von rechtsfähigen Personengesellschaften als juristische Personen eine Vielzahl von Anwendungsproblemen in den Einzelsteuergesetzen aus. Noch viel schwerwiegender mögen die Konsequenzen de lege ferenda sein, wenn man das Vermögen der Gesellschaft im Verhältnis zu den Gesellschaftern wie bei juristischen Personen als verselbständigt ansieht. Ob die (verbleibenden) rechtsformspezifischen Unterschiede zwischen OHG, KG, GmbH und AG wirklich eine ausreichende Begründung für völlig unterschied­ liche Besteuerungskonzepte für das Einkommen bieten (Mitunternehmerkonzept des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG einerseits, § 1 KStG i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG andererseits), wird rechtspolitisch, möglicherweise sogar verfassungsrechtlich, eine Grund­ satzdebatte auslösen.

III. Folgewirkungen in wichtigen Einzelsteuergesetzen 1. Erbschaftsteuer Im Anwendungsbereich des ErbStG sind juristische Personen steuerrechtsfähig34. Deswegen hat es der BFH35 erwartungsgemäß abgelehnt, bei einer Zuwendung an eine rechtsfähige Stiftung nach Maßgabe einer vom Zivilrecht abweichenden wirtschaftlichen Betrachtungsweise eine freigebige Zuwendung an die Begünstigten der Stiftung anzunehmen. Die Steuerrechtsfähigkeit von Personengesellschaften ist von der Rechtsprechung in der Vergangenheit unterschiedlich beantwortet worden. Der RFH36 hatte 1919 ihre Steuerrechtsfähigkeit zunächst unter Hinweis auf die „Selbständigkeit des Gesellschaftsvermögens“ bejaht, dann aber seit 192837 verneint. So sah es zunächst auch der BFH38. 1988 erfolgte durch den zuständigen II. Senat des BFH39 eine Kehrtwende. Die OHG, KG und GbR gehörten als Gesamthandgemeinschaften zu den Personenvereinigungen i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe d ErbStG und seien deshalb geeignet, „Erwerber“ oder „Schenker“ zu sein. Für die OHG verwies der BFH auf § 124 HGB und für die GbR auf § 719 BGB. Die Gesamthandgemeinschaft könne danach in eigener Rechtszuständigkeit Rechte erwerben und übertragen. Das Vermögen der Gesamthand sei im Verhältnis zu den Gesamthändern wie gegenüber Dritten verselbständigt. Knapp 6 Jahre später – im Jahre 1994 – korrigierte derselbe II. Senat des BFH40 seine Rechtsprechung wieder. Der BFH stellte entscheidend darauf ab, dass nach § 10 Abs. 1 ErbStG die Bereicherung des Erwerbers als steuerpflichtiger Erwerb 34 RFH v. 13.12.1922 – VI A 155/21, RFHE 11, 112 (114); BFH v. 25.10.1995 – II R 67/93, BStBl. II 1996, 160, GmbHR 1996, 306. 35 BFH v. 9.7.2009 – II R 47/07, BFHE 226, 399, BStBl. II 2010, 74, FR 2010, 245, GmbHR 2010, 111, BFH/NV 2010, 310, NJW-RR 2010, 459. 36 RFH v. 2.10.1919 – II A 244/19, RFHE 1, 197. 37 RFH v. 12.6.1928 – V e A 242/28, RFHE 23, 282. 38 BFH v. 22.6.1960 – II 256/57 U, BFHE 71, 295. 39 BFH v. 7.12.1988 – II R 150/85, BFHE 155, 395, BStBl. II 1989, 237, BB 1989, 1256, NJW 1989, 2495, DStR 1989, 144. 40 BFH v. 14.9.1994 – II R 95/92, BFHE 176, 44, BStBl. II 1995, 81, FamRZ 1995, 1199, DB 1995, 254, BB 1995, 557, JZ 1995, 1974.

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gilt. Sei eine Gesamthandgemeinschaft (OHG, KG oder GbR) zivilrechtlich als Beschenkte am Schenkungsvorgang beteiligt, ergebe eine eigenständige schenkungsteuerrechtliche Prüfung, dass nicht die Gesamthand, sondern die Gesamthänder durch die freigebige Zuwendung schenkungsteuerrechtlich als bereichert anzusehen seien. Zur näheren Begründung nimmt der BFH wiederum auf das Zivilrecht Bezug. Dies folge nämlich – so der BFH – aus der Regelung in § 718 Abs. 1 BGB, wonach das Gesellschaftsvermögen gemeinschaftliches Vermögen der Gesellschafter und nicht etwa Vermögen der Gesellschaft sei. Die Personengesellschaft sei von der Persönlichkeit der Gesellschafter nicht zu trennen. Die Gesellschafter selbst seien Träger der gesamthänderischen Rechte und Pflichten. Müsste der BFH die Frage der Bereicherung heute erneut entscheiden, käme es entscheidend darauf an, welche Konsequenzen aus der Anerkennung der Rechtsfähigkeit der (Außen-)GbR durch den BGH für die Vermögensverfassung der Personengesellschaft zu ziehen sind. Kann man nach der Grundsatzentscheidung des BGH aus dem Jahr 2001 überhaupt noch von einem „Gesamthandvermögen der Gesellschafter“ sprechen? Oder folgt aus der Rechtsfähigkeit der (Außen-)GbR nicht zwingend, dass das Gesellschaftsvermögen der Gesellschaft selbst zur alleinigen Rechtsinhaberschaft zugewiesen werden muss? Diejenigen, die die rechtsfähige Personengesellschaft als juristische Person einordnen, gehen von einer rechtlichen Verselbständigung des Gesellschaftsvermögens auch gegenüber den Gesellschaftern aus. Die Gesellschafter, die einvernehmlich über einen Gegenstand des Gesellschaftsvermögens verfügen, verfügen nicht über ihr eigenes Vermögen, sondern über das (fremde) Vermögen der Gesellschaft. Für das ErbStG müsste dann auch die rechtsfähige Personengesellschaft selbst als bereicherter Erwerber, und damit als Steuerrechtssubjekt angesehen werden41. Die Trennung von Gesellschafter- und Gesellschaftsebene löst eine Vielzahl von Folgeproblemen aus, die hier nicht erörtert werden können. So würde sich etwa die Frage stellen, ob die Neuregelung des § 7 Abs. 8 ErbStG auch im Wege der steuerbegründenden Analogie auf Gesellschafter von Personengesellschaften angewendet werden könnte. 2. Grunderwerbsteuer Wie bereits dargelegt kommt es im Grunderwerbsteuerrecht nicht auf die Rechtsfähigkeit der Beteiligten an, sondern darauf, ob sich die Rechtszuständigkeit an einem Grundstück verändert. Der sog. Formwechsel von Personenhandelsgesellschaft zu juristischer Person und umgekehrt ist demzufolge nicht steuerbar, wohl aber die Einbringung eines Grundstücks in das Gesamthandeigentum einer Personengesellschaft bzw. das Alleineigentum einer Körperschaft. Nach § 1 Abs. 2a GrEStG führt die Änderung des Gesellschafterbestands einer grundbesitzenden Personengesellschaft unter bestimmten Voraussetzungen zur Fiktion eines auf die Grundstücksübereignung gerichteten Rechtsgeschäfts zwischen der bisherigen und einer „neuen“ Personengesellschaft. Dabei ist Gegenstand der Besteuerung 41 So etwa Krieg, Gesellschaften als Erben, 2013, 137 ff. (157).

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nicht der Gesellschafterwechsel als solcher, sondern der Grundstückserwerb durch die fingierte „neue“ Gesellschaft, die auch zur maßgeblichen Steuerschuldnerin erklärt wird. Die Stilisierung der rechtsfähigen Personengesellschaft zur juristischen Person würde an der Anwendbarkeit des § 1 Abs. 2a GrEStG nichts ändern, da der Tatbestand rechtsformspezifisch an das Vermögen einer „Personengesellschaft“ anknüpft, während § 1 Abs. 3 GrEStG bezüglich des weiteren Ergänzungstatbestands der sog. Anteilsvereinigung vom Vermögen einer „Gesellschaft“ spricht. De lege ferenda stellt sich natürlich die Frage, ob § 1 Abs. 2a GrEStG nicht schlicht zu streichen wäre. Bereits de lege lata hätte die Konzeption der rechtsfähigen Personengesellschaft als juristischer Person unmittelbare Folgen für die Anwendbarkeit der §§  5, 6 und 7 GrEStG. Die zitierten Vorschriften knüpfen allesamt an den Übergang eines Grundstücks auf eine Gesamthand oder von einer Gesamthand bzw. einer Aufteilung eines Grundstücks in Gesamthandeigentum an. Wenn man aber mit der rechtsfähigen Personengesellschaft als juristischer Person ernst macht, gibt es auch kein Gesamthandvermögen mehr. Vielmehr gilt zwischen dem Vermögen der Personengesellschaft und demjenigen ihrer Gesellschafter das sog. Trennungsprinzip. Die sachlichen Steuerbefreiungen laufen für rechtsfähige Personengesellschaften ausnahmslos ins Leere. Für Grundstückserwerbe zwischen Kapitalgesellschaften und ihren Gesellschaftern sind die Vorschriften der §§ 5, 6 und 7 GrEStG nach der ständiger Rspr. des BFH nicht anwendbar, weil diesen eine unmittelbare Mitberechtigung am Gesellschaftsvermögen fehlt42. Diese auf entsprechenden zivilrechtlichen Vorgaben beruhende unterschiedliche grunderwerbsteuerrechtliche Behandlung von juristischen Personen und Gesamthandgemeinschaften ist verfassungsgemäß43. Ein „Durchgriff “ der Begünstigung zugunsten der Gesellschafter einer Körperschaft wird selbst dann abgelehnt, wenn alle Gesellschaftsteile in einer Hand vereinigt sind44. 3. Umsatzsteuer Die Steuerrechtsfähigkeit wird im Bereich der Umsatzsteuer vom Begriff des Unternehmers gem. § 2 UStG geprägt. Personengesellschaften, die am Rechtsverkehr teilnehmen, sind schon immer als unternehmerfähig angesehen worden. Im Umkehrschluss folgt daraus, dass namentlich die stille Gesellschaft nicht Unternehmerin sein kann, da nicht sie, sondern der Inhaber des Handelsbetriebs nach außen auftritt (vgl. § 230 HGB)45. Die zivilrechtliche Rechtsfähigkeit hat dabei keine entscheidende Rolle gespielt. Selbst die Bruchteilgemeinschaft i.S.d. §§ 741 ff. BGB wird trotz ihrer fehlen-

42 BFH v. 22.6.1966 – II 165/62, BFH/NV 1966, 554; v. 18.3.2005 – II R 21/03, GmbHR 2005, 1507, BFH/NV 2005, 1867; v. 9.4.2008  – II R 32/06, BFH/NV 2008, 1526, DStRE 2008, 1152, Ubg 2008, 649. 43 BFH v. 9.4.2008 – II R 32/06, BFH/NV 2008, 1526, DStRE 2008, 1152, Ubg 2008, 649. 44 Nieders. FG v. 20.7.1989 – III 109/85, EFG 1990, 73, GmbHR 1990, 479. 45 BFH v. 27.5.1982 – V R 110,111/81, BStBl. II 1982, 678, UR 1982, 202, DB 1982, 2274, WM 1982, 1262, DStR 1982, 635, NJW 1982, 2840, BB 1982, 1966.

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den Handlungsfähigkeit – das Gesetz sieht keine Vertretung der Gemeinschaft vor – vom BFH als Unternehmer eingestuft46. Nichtsdestoweniger kommt der Frage, ob rechtsfähige Personengesellschaften zivilrechtlich als juristische Personen einzustufen sind, auch für das geltende Umsatzsteuerrecht unmittelbare Bedeutung zu. Denn nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 Satz 1 UStG wird die gewerbliche oder berufliche Tätigkeit nicht selbständig ausgeübt, wenn eine „juristische Person“ nach dem Gesamtbild der tatsächlichen Verhältnisse finanziell, wirtschaftlich und organisatorisch in das Unternehmen des Organträgers eingegliedert ist. Eine Personengesellschaft wird in Anknüpfung an das Zivilrecht von der Rspr. des BFH bisher nicht als juristische Person angesehen47. Würde die rechtsfähige Personengesellschaft bereits zivilrechtlich als „juristische Person“ eingeordnet, käme der BFH  – namentlich vor dem Hintergrund der jüngsten Rspr. des EuGH zu Art.  11 MwStSystRL48 – schwerlich umhin, alle rechtsfähigen Personengesellschaften als Organgesellschaften anzuerkennen49. Der EuGH hat bekanntlich festgestellt, dass Art. 11 MwStSystRL einer nationalen Regelung entgegensteht, die Personengesellschaften von der Eigenschaft als Organgesellschaft generell ausschließt. In der jüngsten Rspr. des V. Senats des BFH werden Personengesellschaften weiterhin von juristischen Personen unterschieden50. Die vermeintlich unionsrechtskonforme Lösung des V. Senats des BFH besteht darin, die Personengesellschaft unter bestimmten einschränkenden Voraussetzungen der juristischen Person gleichzustellen. Methodologisch argumentiert der V.  Senat des BFH mit einer verfassungskonformen Auslegung, der XI. Senat des BFH mit einer richtlinienkonformen Auslegung. Dazu bedienen sich beide Senate des BFH eines organisationsrechtlichen Typenvergleichs. Der V. Senat des BFH hält die Vorschrift des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG gemessen an ihrem Zweck für unvollständig, d.h. ergänzungsbedürftig. Er leitet dabei die Ergänzungsbedürftigkeit des nationalen Rechts aus dem „gesetzesimmanenten Zweck“ der rechtssicheren Feststellung der Organschaftsvoraussetzungen und dem verfassungsrechtlichen Gebot der rechtsformneutralen Besteuerung ab. Eine rechtssichere Feststellung sieht der V. Senat des BFH bei Personengesellschaften im Grundsatz als nicht gegeben an, weil der Abschluss und die Änderungen von Gesellschaftsverträgen bei Personengesellschaften keinem Formzwang unterliegen. Der XI. Senat des BFH möchte demgegenüber auch Personengesellschaften umsatzsteuerrechtlich „autonom“ unter den

46 BFH v. 27.4.1994 – XI R 91/92, 92/92, BFHE 174, 559, BStBl. II 1994, 826, BB 1994, 1842, UR 1995, 15, WPg 1994, 839, DStR 1994, 1346; v. 28.8.2014 – V R 49/13, BFHE 247, 283, UR 2014, 974, DStR 2014, 2386. 47 BFH, EuGH-Vorlage v. 11.12.2013 – XI R 38/12, BStBl. II 2014, 428. 48 EuGH v. 16.7.2015 – Rs. C-108/14 und C-109/14, Larentia + Minerva und Marenave, DStR 2015, 1673. 49 Theoretisch denkbar wäre natürlich eine teleologische Reduktion unter dem Vorwand der Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen und der Vermeidung von Steuerhinterziehung oder -umgehung. 50 BFH v. 2.12.2015 – V R 25/13, BFHE 251, 534, BStBl. II 2017, 547, GmbHR 2016, 245, UR 2016, 185, DB 2016, 267, NZG 2016, 316, Der Konzern 2016, 141.

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Begriff der „juristischen Person“ subsumieren, jedenfalls soweit es sich um den Typus einer GmbH & Co. KG handelt („kapitalistische Struktur“)51. Die Argumentation beider Senate des BFH ist methodologisch höchst bedenklich52. Der XI. Senat des BFH muss sich fragen lassen, warum er die Unselbständigkeit einer Personengesellschaft des Handelsrechts nicht schlicht unter erneuter Anknüpfung an die vom RFH53 begründete und vom BFH54 zunächst übernommene Rechtsprechung zu den sog. „organschaftsähnlichen Verhältnissen“ im Wege der richtlinienkonformen Auslegung des § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG begründet hat55. Der „rechtsschöpferische“ Ansatz des V. Senats des BFH ist eine verkappte Analogie zu Lasten des Steuerpflichtigen. Der V. Senat des BFH meint, die faktische Ausgrenzung der allermeisten Personengesellschaften von der Organschaftsregelung sei zur Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen und zur Vermeidung von Steuerhinterziehung oder -umgehung unionsrechtlich gerechtfertigt. Diesbezüglich wird dem V. Senat des BFH mit guten Gründen eine Überdehnung des unionsrechtlichen Rechtfertigungsgrundes vorgeworfen56. Im Ergebnis handelt es sich um ein verkapptes Nichtanwendungsurteil zur Rspr. des EuGH57. Zusammenfassend zeigt sich bei der umsatzsteuerrechtlichen Organschaft ein verworrenes Bild. Würde der BFH die Rspr. des EuGH vorbehaltlos umsetzen, dann wäre es unerheblich, ob man die rechtsfähige Personengesellschaft zivilrechtlich als juristische Person einstuft. Selbst wenn man dies nicht täte, wäre eine richtlinienkonforme Umsetzung über die Auslegung des § 2 Abs. 2 Nr. 1 UStG möglich. Der V. Senat des BFH verweigert dem EuGH allerdings unter Verweis auf den Rechtfertigungsgrund der Verhinderung missbräuchlicher Praktiken oder Verhaltensweisen und der Vermeidung von Steuerhinterziehung oder -umgehung die Gefolgschaft. Würde der BGH eines Tages die rechtsfähige Personengesellschaft zivilrechtlich als juristische Person einstufen, müsste der V. Senat des BFH ergebnisorientiert schon den Schritt einer teleologischen Reduktion des § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG unter Verweis auf die Notwendigkeit der rechtssicheren Bestimmung der Eingliederungsvoraussetzungen wagen, obwohl der EuGH gerade den Verstoß gegen den Grundsatz der Rechtsform­ neutralität gerügt hatte. Vom XI. Senat des BFH wäre eher zu erwarten, dass er sich 51 BFH v. 19.1.2016 – XI R 38/12, BFHE 252, 516, BStBl. II 2017, 567, DB 2016, 626, DStR 2016, 587, GmbHR 2016, 426, UR 2014, 323, Der Konzern 2016, 193, WPg 2016, 471, Ubg 2016, 235; v. 1.6.2016 – XI R 17/11, BFHE 254, 164, BStBl. II 2017, 581, UR 2014, 313 m. Anm. Marchal, GmbHR 2014, 376 m. Anm. Masuch, DStR 2016, 1668, Der Konzern 2016, 359, BB 2016, 2144, NZG 2016, 1110, Ubg 2016, 497. 52 Das BMF hat sich der Sichtweise des V. Senats des BFH angeschlossen; vgl. BMF v. 26.5.2017 − III C 2-S 7105/15/10002, FMNR269000017. 53 RFH v. 13.12.1940 – V 25/39, RFHE 50, 34, RStBl. 1941, 320. 54 Vgl. BFH v. 19.11.1964 – V 245/61 S, BStBl. III 1965, 182; v. 2.2.1967 – V 35/64, BStBl. III 1967, 499, und v. 18.11.1971 – V R 26/68, BFHE 104, 118, BStBl. II 1972, 235. 55 Änderung der Rspr. durch BFH v. 7.12.1978 – V R 22/74, BFHE 127, 262, BStBl. II 1979, 356, DB 1979, 1068, BB 1979, 767, NJW 1979, 1848, DStR 1979, 357. 56 Brinkmann/Walter-Yadegardjam, DStR 2016, 650 ff. 57 EuGH v. 16.7.2015 – Rs. C-108/14 und C-109/14, Larentia + Minerva und Marenave, DStR 2015, 1673.

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der These eines Grundsatzes der Rechtssicherheit als unionsrechtlich anerkanntem Rechtfertigungsgrund nicht anschließen und demzufolge allen juristischen Personen – dann einschließlich rechtsfähiger Personengesellschaften – die Eigenschaft als Organgesellschaft zuerkennen würde. 4. Mitunternehmerkonzept des EStG und GewStG a) Grundwertungen des EStG und des GewStG Das Einkommensteuerrecht geht bei der Besteuerung der von Personengesellschaften erzielten Einkünfte nach ständiger Rspr. des BFH von der Grundwertung aus, dass bei den Personengesellschaften die Gesellschafter, nicht die Gesellschaft als solche die Träger des Unternehmens und des Gesellschaftsvermögens sind58. Die Begriffe „Unternehmer“ und „Mitunternehmer“ werden in der Rspr. des BFH als gleichrangig verstanden59. Auch der Mitunternehmer sei ein Unternehmer des Betriebs. Der Mitunternehmer unterscheide sich vom Einzelunternehmer nur dadurch, dass er seine unternehmerische Tätigkeit nicht allein, sondern zusammen mit anderen (Mit-)Unternehmern in gesellschaftlicher Verbundenheit ausübe. Ihnen werden deshalb die Ergebnisse, Gewinn und Verlust, der gemeinschaftlichen Tätigkeit anteilig als originäre eigene Einkünfte zugerechnet60. Auch in gewerbesteuerrechtlicher Sicht sind die Gesellschafter, wenn sie Mitunternehmerrisiko tragen und Mitunternehmerinitiative ausüben können, entsprechend der bisherigen ständigen Rechtsprechung61 als (Mit-)Unternehmer und damit als Unternehmer des Betriebs anzusehen. Die Unternehmereigenschaft der Gesellschafter ergibt sich aus § 2 Abs. 1 GewStG. Danach ist unter Gewerbebetrieb ein gewerbliches Unternehmen i.S.d. EStG anzusehen. Mit dem Begriff „gewerbliches Unternehmen“ werden nicht nur die sachlichen Grundlagen des Betriebs und die mit ihnen ausgeübte Tätigkeit angesprochen, sondern auch deren Beziehung zu dem oder den Unternehmern des Betriebs. Demgemäß zielt die Verweisung auf das EStG in § 2 Abs. 1 Satz 2 GewStG nicht nur auf die Vorschrift des § 15 Abs. 2 EStG, die vornehmlich die objektiven Voraussetzungen eines Gewerbebetriebs umschreibt, sondern auch auf § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Nr. 1 EStG und damit auf den Gesellschafter als Unternehmer (Mitunternehmer) des Gewerbebetriebs62.

58 BFH v. 3.5.1993 – GrS 3/92, BFHE 171, 246, BStBl. II 1993, 616, BB 1993, 1499, NJW-RR 1994, 1376, StuW 1996, 279, DStR 1993, 1139, WPg 1993, 605. 59 BFH v. 3.5.1993 – GrS 3/92, BFHE 171, 246, BStBl. II 1993, 616, BB 1993, 1499, NJW-RR 1994, 1376, StuW 1996, 279, DStR 1993, 1139, WPg 1993, 605. 60 BFH v. 3.5.1993 – GrS 3/92, BFHE 171, 246, BStBl. II 1993, 616, BB 1993, 1499, NJW-RR 1994, 1376, StuW 1996, 279, DStR 1993, 1139, WPg 1993, 605. 61 Vgl. BFH v. 18.5.1972 – I R 153/70, BStBl. II 1972, 775; v. 17.2.1989 – III R 36/85, BStBl. II 1989, 664, FR 1989, 596. 62 BFH v. 3.5.1993 – GrS 3/92, BFHE 171, 246, BStBl. II 1993, 616, BB 1993, 1499, NJW-RR 1994, 1376, StuW 1996, 279, DStR 1993, 1139, WPg 1993, 605.

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Die Unternehmerstellung der Gesellschafter wird auch nicht durch die Regelung über die Steuerschuldnerschaft in § 5 Abs. 1 GewStG berührt. Aus dem Wortlaut des § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG könne nicht geschlossen werden, dass die Personengesellschaft als solche als Unternehmer des Betriebs anzusehen sei. Wäre nämlich die Personengesellschaft als solche Unternehmer des Betriebs, so ergäbe sich die Steuerschuldnerschaft bereits aus § 5 Abs. 1 Satz 1 GewStG. Der besonderen Regelung des § 5 Abs. 1 Satz 3 GewStG hätte es nicht bedurft. Die Funktion der Vorschrift beschränkt sich nach dem Verständnis des BFH darauf, Gewerbesteuermessbescheide und Gewerbesteuerbescheide an die Gesellschaft selbst richten und wegen rückständiger Gewerbesteuerbeträge unmittelbar in das Gesellschaftsvermögen vollstrecken zu können63. Sie ändert demnach nichts daran, dass die Gesellschafter die Unternehmer (Mitunternehmer) des Betriebs sind. b) Konsequenzen für die rechtsfähige Personengesellschaft als juristischer Person Die neuere Rechtsprechung des BFH hat im Einklang mit §  124 HGB die relative rechtliche Selbständigkeit und Einheit der Personengesellschaft trotz fehlender Steuersubjektivität in der einkommensteuerrechtlichen Rechtsanwendung berücksichtigt64. Aus dem Gesichtspunkt der Einheit der Personengesellschaft ergibt sich vornehmlich, dass es die Gesellschafter in ihrer gesellschaftlichen Verbundenheit sind, die Merkmale eines Besteuerungstatbestands verwirklichen (Mehrung des Gesellschaftsvermögens), welche den einzelnen Gesellschaftern für deren Besteuerung zugerechnet werden65. Davon unberührt bleibt jedoch die Grundwertung, dass nicht die Gesellschaft als solche Unternehmer des Betriebs ist, sondern dass die Gesellschafter die (Mit-)Unternehmer des Betriebs sind66. Die Sichtweise der Rspr. des BFH lässt sich mit dem Konzept einer rechtsfähigen Personengesellschaft als Gesamthand in Einklang bringen. Denn nach bisherigem Verständnis kommt ihre Rechtsfähigkeit keiner eigenständigen Rechtsperson, sondern den Gesellschaftern als Gruppe zu (dazu sogleich unter IV. 3 a). Daraus folgt, dass das Gesamthandprinzip im Innenverhältnis zwischen den Gesellschaftern untereinander eine vermögensrechtliche Komponente entfaltet. Die Gesellschafter sind in ihrer gesamthänderischen Verbundenheit die Inhaber des Gesamthandvermögens i.S.d. § 718 Abs. 1 BGB. Die rechtsfähige Personengesellschaft als juristische Person einzuordnen würde bedeuten, dass sie selbst auch gegenüber den Gesellschaftern Rechtsfähigkeit besitzt. 63 BT-Drucks. 7/5458, 11; BFH v. 12.11.1985 – VIII R 364/83, BStBl. II 1986, 311 316, 317, FR 1986, 244, GmbHR 1986, 363. 64 BFH v. 25.2.1991 – GrS 7/89, BFHE 163, 1, BStBl. II 1991, 691, GmbHR 1991, 281, FR 1991, 253, FR 1991, 270 m. Anm. Schwichtenberg, BB 1991, 888, DB 1991, 889, WPg 1991, 677. 65 BFH v. 25.6.1984 – GrS 4/82, BFHE 141, 405, BStBl. II 1984, 751 (761 f.), FR 1984, 619, GmbHR 1984, 355, NJW 1984, 1481, DB 1984, 2383, WM 1984, 1481. 66 BFH v. 3.5.1993 – GrS 3/92, BFHE 171, 246, BStBl. II 1993, 616, BB 1993, 1499, NJW-RR 1994, 1376, StuW 1996, 279, DStR 1993, 1139, WPg 1993, 605.

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Die rechtliche Verselbstständigung in Form des sog. Trennungsprinzips zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern führt zum zwingenden Ausschluss des Gesamthandprinzips (dazu näher unten IV. 3). Ohne zivilrechtliche Gesamthand bricht bereits de lege lata das bisherige dogmatische Gerüst der Mitunternehmerbesteuerung in sich zusammen, de lege ferenda ist das Mitunternehmerkonzept gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG neben der Besteuerung juristischer Personen nach dem KStG grundsätzlich in Frage zu stellen67. In Konsequenz müssten auch Personengesellschaften Steuersubjekte des KStG werden, eine Vielzahl von Vorschriften, etwa all diejenigen, die sich mit der steuerneutralen Umstrukturierung von Personengesellschaften beschäftigen (§§ 6 Abs. 5, 16 Abs. 3, 24 UmwStG), wären abzuschaffen, da es nur noch eine Einheit der Gesellschaft, aber keine Vielheit der Gesellschafter mehr gibt68. Bereits de lege lata führt auf der Grundlage des Trennungsprinzips kein dogmatisch stimmiger Weg daran vorbei, dass die Gesellschaft als solche als Trägerin des Unternehmens und des Gesellschaftsvermögens anzusehen wäre. Das hätte  – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – folgende Konsequenzen: § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 EStG wäre zwingend als Zurechnungsnorm für die von der Gesellschaft erzielten Einkünfte zum Gesellschafter auszulegen, die Rechtsgrundlage für das Sonderbetriebsvermögen geriete ins Wanken, weil es nur einen Betrieb der Gesellschaft und folglich ohne Fiktion keinen (Sonder-)Betrieb des Mitunternehmers gibt. Für die Gleichstellungsthese des BFH69 fehlte es an der Vergleichbarkeit zwischen Unternehmer (mit Betrieb) und Mitunternehmer (ohne Betrieb). Die Personengesellschaft selbst wäre sachlich gewerbesteuerpflichtig i.S.d. §  7 GewStG (als Konsequenz aus dem Trennungsprinzip ohne Sonderbetriebsvermögen der Gesellschafter), §  5 Abs.  1 Satz  3 GewStG lediglich deklaratorisch, und sie wäre Trägerin des gewerbesteuerrechtlichen Verlustabzugs. Für die gem. § 10a Satz 8 GewStG erforderliche Unternehmeridentität wäre auf die Gesellschaft und nicht auf die Gesellschafter abzustellen, den durch Gesetz v. 13.12.200670 eingefügten Sonderbestimmungen über die Verlustverrechnung von Mitunternehmerschaften gem. § 10a Sätze 4 und 5 GewStG würde – nicht zuletzt im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG – die sachliche Rechtfertigung entzogen.

67 Wenn man den bisherigen Dualismus der Unternehmensbesteuerung für Personengesellschaften im Ergebnis und ohne Risiko einer Verletzung des Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) beibehalten möchte, mag ein Einordnungswahlrecht der GmbH, wie es das US-Steuerrecht im Formular 8832 (Entity Classification Election) kennt (sog. „Check-the-box“Verfahren), helfen. 68 Zu den dogmatischen Konsequenzen der Doppelperspektive „Einheit der Gesellschaft, Vielheit der Gesellschafter“ vgl. Wacker in Schmidt, 36. Aufl. 2017, § 15 EStG Rz. 163 f. 69 BFH v. 19.3.1991 – VIII R 76/87, BStBl. II 1991, 635, FR 1991, 424, GmbHR 1991, 593; v. 24.8.2000 – IV R 51/98, BStBl. II 2005, 173, FR 2000, 1210 m. Anm. Kempermann, GmbHR 2000, 1166 m. Anm. Bitz; Wacker in Schmidt, 36. Aufl. 2017, § 15 EStG Rz. 161. 70 BGBl. I 2006, 2878.

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IV. Zivilrechtliche Abgrenzung der rechtsfähigen Personengesellschaft von der juristischen Person 1. Konkretisierung der dogmatischen Fragestellung Bei der Frage, ob rechtsfähige Personengesellschaften dogmatisch als juristische Personen einzuordnen sind, hilft es wenig71, auf den Wortlaut des § 14 BGB und einer dort zum Ausdruck gekommenen Absicht des Gesetzgebers zu verweisen, terminologisch zwischen juristischen Personen und rechtsfähigen Personengesellschaften zu unterscheiden. Ebenso wenig hilfreich ist es, die unterschiedlichen Strukturen von Personen- und Kapitalgesellschaften zu betonen, und daraus ableiten zu wollen, dass diese einer einheitlichen Behandlung als juristische Personen entgegenstünden72. Weder das Prinzip der Selbstorganschaft noch die persönliche Haftung der Gesellschafter sind geeignete allgemeingültige Abgrenzungskriterien. Das zeigt bereits die Rechtsform der Kommanditgesellschaft auf Aktien. Die konstitutive Registereintragung ist kein entscheidendes Kriterium, wenn man die Vorgesellschaften in den Blick nimmt73. Die (echte) Vor-GmbH ist zwar noch keine GmbH, die Orientierung an den Vorschriften des GmbH-Rechts einschließlich der klaren Trennung zwischen dem Vermögen der (Vor-)Gesellschaft und demjenigen der Gesellschafter macht aber deutlich, dass es sich dogmatisch um eine juristische Person handelt. Der Einstimmigkeitsgrundsatz ist dispositiv. Das einzige Unterscheidungskriterium mit Überzeugungskraft ist die unterschiedliche Vermögensordnung, die sich im Gesamthandprinzip der Personengesellschaften manifestiert74. 2. Gesamthand als „offenes“ Rechtsprinzip Die Gesamthand ist als Vermögensprinzip ein „offenes“ Rechtsprinzip75. Für die verschiedenen Personengruppen, deren Vermögen gesamthänderisch geordnet ist, bestehen divergierende Lösungsmöglichkeiten: Im Zivilrecht gibt es zwar ein gesamthänderisches Prinzip, aber mehrere Gesamthandgemeinschaften. Deswegen ist es dogmatisch kein Widerspruch, dass der BGH der Erbengemeinschaft76, anders als der Außen-GbR77, die „Rechtsfähigkeit nach außen“ nicht zuspricht. Die ausschlaggebenden Entscheidungskriterien für die Frage, inwieweit die Gesamthand als Vermögensprinzip durch ein personenrechtliches Prinzip überlagert wird, können daher nicht, wie immer wieder versucht worden ist, aus dem Gesamthandprinzip gewonnen werden, sondern nur aus spezifisch sachen-, gesellschafts- oder 71 In diesem Sinn Schäfer in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2017, 705 Rz. 308. 72 A.A. Schäfer in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2017, 705 Rz. 308. 73 A.A. Schäfer in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2017, 705 Rz. 308. 74 Röder, AcP 215 (2015), 450 (486 ff., 489 ff.). 75 Wiedemann, Gesellschaftsrecht, 1980, § 5 I 1 b. (S. 247). 76 BGH v. 11.9.2002 – XII ZR 187/00, MDR 2003, 81, FamRZ 2002, 1621, NJW 2002, 3389, DStR 2002, 1958, DB 2002, 2527, WM 2003, 393. 77 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341, WM 2001, 408, DB 2001, 423, BB 2001, 374, DStR 2001, 310, MDR 2001, 459, AG 2001, 307, NJW 2001, 1056, WPg 2001, 354.

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erbrechtlichen Überlegungen78. Ob das Gesamthandvermögen bei Personengesellschaften nur ein Sondervermögen im Sinne der inzwischen überholten Lehre von der einheitlichen Schuld mit zwei Haftungsmassen79 ist (ausschließlich vermögensrechtliche Komponente) oder ob darüber hinaus der Gesamthand eine personenrechtliche Komponente im Sinne einer eigenen Rechtsfähigkeit zugewiesen wird, hat das Gesellschaftsrecht zu entscheiden. Der BGH80 hat sich – vornehmlich zur Herleitung eines seines Erachtens81 stimmigen Haftungskonzepts bei der BGB-Gesellschaft – für die Rechtsfähigkeit aller Personengesellschaften entschieden, die am Rechtsverkehr teilnehmen, und die herrschende Lehre82 ist ihm in diesem Punkt gefolgt83. Damit fokussiert sich der aktuelle dogmatische Streit auf die Frage, ob aus der Rechtsfähigkeit der Personengesellschaft auch – anstelle der gesamthänderischen Vermögensordnung – eine neue Vermögensordnung im Sinne einer konsequenten Verselbständigung der Gesellschaft als Vermögensträgerin gegenüber ihren Gesellschaftern (de lege lata) folgen muss oder (de lege ferenda) folgen soll. 3. Gesamthand als gesellschaftsrechtlicher Zentralbegriff der Personen­ gesellschaften a) De lege lata Wie in dem Vermögens- und Haftungsmodell der §§ 124 Abs. 1, 128 HGB vorgezeichnet, war schon lange vor der sog. Gruppentheorie84 für die gesellschaftsrechtlichen Gesamthandgemeinschaften aus spezifisch gesellschaftsrechtlichen Erwägungen die Sichtweise vertreten worden, den Gesamtschulden der einzelnen Gesellschafter eine Gesellschaftsschuld vorzuordnen und das Verständnis der gemeinsamen Schulden (§§ 733 ff. BGB) dem des gemeinsamen Vermögens (§ 718 Abs. 1 BGB) anzupassen (sog. Lehre von der Doppelschuld)85. Träger des Gesamthandvermögens ist nach diesem Modell die Gesamthand der durch den Gesellschaftsvertrag verbundenen Gesellschafter. Die Rechtsfähigkeit kommt keiner eigenständigen, von den Gesellschaftern 78 Wiedemann, Gesellschaftsrecht, 1980, § 5 I 1 b., 247. 79 Geiler in Düringer/Hachenburg, Das Handelsgesetzbuch, Bd.  II/1, 3.  Aufl. 1932, 167 (Anm. 137). Dafür noch z.B. G. Hueck, Gesellschaftsrecht, 19. Aufl. 1991, § 8 II 3a (S. 61) und § 9 IV (S. 66). 80 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341, WM 2001, 408, DB 2001, 423, BB 2001, 374, DStR 2001, 310, MDR 2001, 459, AG 2001, 307, NJW 2001, 1056, WPg 2001, 354. 81 Kritisch zur uneingeschränkten Übertragung der handelsrechtlichen Haftungsstrenge auf die BGB-Gesellschaft z.B. Beuthien, NZG 2011, 481 (487). 82 Näher Schäfer in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2017, § 705 Rz. 301 mit umfassenden Nachweisen in Fn. 870. 83 Dogmatisch noch nicht abschließend geklärt ist der genaue gesellschaftsrechtliche Grund, warum die Gesamthandgesellschaft rechtsfähig sein soll (vgl. z.B. Westermann, NJW 2016, 2625 [2626]). Liegt er in der Organisationsform (dann wären auch „Innengesellschaften“ mit Gesamthandvermögen rechtsfähig, vgl. Beuthien, NZG 2011, 161 ff., oder definitionsgemäß keine „Innengesellschaften“) oder im Schutz des Rechtsverkehrs durch das Auftreten der (Schein-)Gesamthand nach außen? 84 Grundlegend Flume, ZHR 136 (1972), 177 ff. 85 Heinrich Lehmann, Handelsrecht, II. Teil Gesellschaftsrecht, 1949, § 14 IV 1-3 (S. 76 f.).

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zu unterscheidenden Rechtsperson zu, sondern den Gesellschaftern als Gruppe86, als rechtsfähiger Organisation. Sie ist aus den Rechtsfähigkeiten ihrer Gesellschafter abgeleitet, aber noch keine individuelle im Sinne einer Verbandsperson87. Diese sog. Gesamtrechtsfähigkeit ist strukturell eine andere als diejenige der juristischen Person88. Denn es fehlt ihr an der rechtlichen Verselbständigung „nach innen“89. Die Gesellschafter als „Gruppe“ werden nicht als sich selbst gegenüber verselbständigt angesehen90. Die durch den Gesellschaftsvertrag begründete kollektive Einheit der Gesellschafter ist Einheit und Vielheit zugleich. Mangels rechtlicher Verselbständigung „nach innen“ (als Verbandsperson) fehlt die dogmatische Grundlage für einen Vermögensschutz der Gesellschaft gegenüber den einvernehmlich handelnden Gesellschaftern91 (einschließlich eines irgendwie gearteten Grundsatzes der Kapitalerhaltung)92, für eine Vermögensfürsorgepflicht der Gesellschafter als Kollektiv (Gruppe) gegenüber der Gesellschaft als Verbandsperson (im Sinne des Untreuetatbestandes gem. § 266 StGB), für das Halten mehrerer Mitgliedschaftsrechte in einer Person93, für eine Einmann-Personengesellschaft (Wegfall der kollektiven Einheit)94, für den Erwerb eigener Anteile durch die Personengesellschaft95 und damit in letzter Konsequenz für die Keinmann-Personengesellschaft. Der Unterschied zur juristischen Person besteht darin, dass zwar vermögensrechtlich das Vermögen der Gesamthand als Einheit zugewiesen ist („Rechtsfähigkeit“ im Außenverhältnis), personenrechtlich aber – mangels Verselbständigung „nach innen“ –

86 Schäfer in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2017, § 718 Rz. 2. 87 Beuthien, NZG 2011, 481 (484). 88 Beuthien, JZ 2003, 715 (720 ff.); NZG 2011, 481 (486): „Die Rechtsfähigkeit einer GbR ist nur infolge des ihr zugeordneten Gesamthandvermögens und der Gesamthandschulden nicht individueller, sondern kollektiver Natur.“ Vgl. bereits Gierke (Die Genossenschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung, 1887, 464): Subjekt des Sondervermögens der OHG seien die Gesellschafter, „zwar nicht als Repräsentanten einer über ihnen stehenden juristischen Person, ebenso wenig aber als für sich stehende Individuen, vielmehr in einer von ihrer Eigenschaft als Privatpersonen unterschiedenen rechtlichen Qualität als ‚so und so verbundene Gesellschafter‘“. 89 Röder, AcP 215 (2015), 450 (489 ff.). 90 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd.  1, Erster Teil: Die Personengesellschaft, 1977, § 4 II, (S. 56): „Die Gesamthand als Gruppe ist nicht eine außer den Personen der Gesamthänder noch bestehende Wesenheit. Die Gruppe sind vielmehr die Gesamthänder selbst (…).“ 91 Zur unbeschränkten gemeinschaftlichen Verfügungsbefugnis der Gesellschafter über das Gesellschaftsvermögen vgl. Wertenbruch, Die Haftung von Gesellschaften und Gesellschaftsanteilen in der Zwangsvollstreckung, 2000, 145 ff. 92 BGH v. 12.3.2013 – II ZR 73/11, NJW 2013, 2278, DStR 2013, 1295, WM 2013, 1167, DB 2013, 1406, MDR 2013, 800; v. 20.4.2017 – IX ZR 189/16, MDR 2017, 1148, NZI 2017, 713, DB 2017, 1771, DStR 2017, 1941. 93 Vgl. K. Schmidt, ZIP 2014, 493 (496). 94 BGH v. 10.7.1975 – II ZR 154/72, BGHZ 65, 79 (82), NJW 1975, 2191, MDR 1975, 908, BB 1975, 1080, WM 1975, 927. 95 So dezidiert Priester, ZIP 2014, 245 (247).

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der Gesamtheit der gesellschaftsrechtlich verbundenen Gesellschafter (Vielheit)96. Insoweit besteht also aus der Perspektive der Gesellschafter auch noch ein gemeinschaftliches Vermögen der Gesellschafter i.S.d. § 718 Abs. 1 BGB und das in § 738 Abs. 1 BGB geregelte An- und Abwachsungsprinzip hat für sie eine vermögensrechtliche Komponente97. Man mag dies als „Triptychon der Rechtsträgerschaft“98 bezeichnen. Wer dagegen (zurecht) einwendet, die Rechtsfähigkeit der Person sei unteilbar99, möge die „Rechtsfähigkeit“ der Gruppe im Außenverhältnis entweder als eine Fiktion zum Schutz des Rechtsverkehrs oder – gedanklich einen Schritt darüber hinaus – als „Gesamtrechtsfähigkeit“ der Gruppenmitglieder verstehen, wie sie seit 1900 in § 124 Abs. 1 HGB (zuvor bereits in Art. 111 Abs. 1 ADHGB100) vorgezeichnet ist. Das Sondervermögen ist eigenständig rechtsverkehrsfähig im Sinne einer „Rechtsfähigkeit nach außen“101, Träger des Sondervermögens sind die Gruppenmitglieder als Gruppe. b) De lege ferenda Die gesellschaftsrechtliche Gesamthandgemeinschaft konkurriert mit der juristischen Person in der Eigenschaft als „Technik der Verselbständigung einer zweckgebundenen Organisation“102. Wer die rechtsfähige Personengesellschaft zur juristischen Person erklärt, muss gleichzeitig das Gesamthandmodell verabschieden. Denn die juristische Person begründet im Rechtsverkehr ihre eigenen Rechte und Verbindlichkeiten. Sie kennt daher keine gemeinschaftlichen Rechte und Pflichten nach Art der §§ 718, 733 ff. BGB und kann kein gemeinschaftliches Vermögen nach Art des § 718 Abs. 1 BGB haben103. Eine An- und Abwachsung am gemeinschaftlichen Vermögen i.S.d. § 738 Abs. 1 BGB ist damit ausgeschlossen.

96 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 1, Erster Teil: Die Personengesellschaft, 1977, § 5 (S. 74): „Allerdings geht es nicht darum, die Gesellschafter als Inhaber des gesellschaftlichen Vermögens gänzlich zu eliminieren. Selbstverständlich sind die Gesellschafter die Inhaber des Vermögens, aber nicht als einzelne, sondern als Gruppe.“ 97 Beuthien, NZG 2011, 481 (486). Widersprüchlich Schäfer in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2017, § 705 Rz. 308, der einerseits betont, dass die Rechtsfähigkeit keiner eigenständigen Rechtsperson, sondern den Gesellschaftern als Gruppe zukommt (§ 718 Rz. 3), andererseits nicht dem jeweiligen Gesellschafter – als Teil der Gruppe – das Vermögen zuordnet, sondern der (dann doch der auch gegenüber den Gesellschaftern rechtsfähigen) Gruppe selbst (§ 718 Rz. 2 Fn. 3 „wertbezogene Anwachsungslehre“; § 738 Rz. 3). 98 Röder, AcP 215 (2015), 450 (490). 99 Beuthien, JZ 2003, 715 (720), der eine „gespaltene“ Rechtssubjektivität ablehnt. 100 Vgl. bereits RG v. 14.5.1886 – II 523/85, RGZ 16, 16 f.: Es werde durch die Gründung einer OHG, „wenn auch keine juristische Person, doch ein Rechtssubjekt mit selbständigem Vermögen (Art. 111 H. G. B.)“ geschaffen, so dass sie „ganz unabhängig von den Personen der Gesellschafter ist, als sie neben denselben ein besonderes Rechtssubjekt mit selbständigem Vermögen bildet“. 101 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341, DB 2001, 423, BB 2001, 374, DStR 2001, 310, NZG 2001, 311, MDR 2001, 459, AG 2001, 307, NJW 2001, 1056. 102 Reuter in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2015, Vor § 21 Rz. 7. 103 Beuthien, NZG 2011, 481 (484).

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Zur Abschaffung der Gesamthand als gesellschaftsrechtlicher Vermögensordnung besteht aber rechtspolitisch selbst aus der isolierten Perspektive des Gesellschaftsrechts kein Anlass, weil das Gesamthandprinzip als „offenes“ Rechtsprinzip der dogmatischen Entwicklung zur Verselbständigung einer zweckgebundenen Organisation der Personenhandelsgesellschaften und der BGB-Gesellschaft nicht im Weg gestanden hat. Beispielhaft sei nur darauf verwiesen, dass auch bei Gesamthandgesellschaften die Privatgläubiger von Gesellschaftern nach Pfändung oder Verpfändung des Gesellschaftsanteils keinen Einfluss auf die Willensbildung in der Gesellschaft haben (vgl. § 725 BGB). Ferner stand das Gesamthandprinzip der Analogie des § 31 BGB104 nicht entgegen, ebenso wenig der Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Außen-GbR105. Schließlich ist die Vermögensverfassung der Gesamthandgesellschaften u.a. über die technische Umsetzung des Verfügungs- und Vollstreckungsverbots (§§ 719 BGB, 736 ZPO), des Prinzips der An- und Abwachsung (§ 738 BGB) und des Surrogationsprinzips (§  718 Abs.  2 BGB) derjenigen der juristischen Person vergleichbar und die Zweckwidmung des Vermögens im Ergebnis ebenso irreversibel wie bei der juristischen Person. Namentlich durch § 738 BGB stellt das Gesetz die Kontinuität beim Mitgliederwechsel her, so dass  – wie bei der juristischen Person  – der Mitgliederwechsel den dinglichen Bestand des zweckgewidmeten Sondervermögens nicht ­berührt und dem ausscheidenden Gesellschafter nur ein schuldrechtlicher Abfindungsanspruch gewährt wird, während der neu eintretende Gesellschafter in alle Verfügungs- und Verwaltungsbefugnisse eintritt106.

V. Resümee Den Protagonisten der These, am Rechtsverkehr teilnehmende Personengesellschaften (sog. Außen-Personengesellschaften) seien dogmatisch als juristische Personen einzuordnen, ist zuzugeben, dass eine rechtssystematische Harmonisierung der Rechtsfähigkeit nach außen wie nach innen die Rechtsanwendung vereinfachen würde. Flumes auf der Grundlage von Gierkes Gesamthandmodell107 entwickelte sog. Gruppentheorie läuft aber gerade nicht auf eine Abschaffung der Gesamthand als Vermögensordnung der Personengesellschaften hinaus. Nach Flume108 sind die Gesellschafter „selbstverständlich“ die Inhaber des Vermögens. Eine Rechtsfähigkeit der Gesellschaft gegenüber den Gesellschaftern (als Gruppe) wurde von ihm gerade nicht vertreten. Die vom BGH109 der sog. Außen-GbR (und damit allen Personenhandelsgesellschaften und Partnerschaftsgesellschaft) zugebilligte „Rechtsfähigkeit“ ist da104 BGH v. 24.2.2003 – II ZR 385/99, BGHZ 154, 88, MDR 2003, 639, DB 2003, 862, NJW 2003, 1445, NZG 2003, 428, WPg 2003, 708. 105 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341, DB 2001, 423, BB 2001, 374, DStR 2001, 310, MDR 2001, 459, AG 2001, 307, NJW 2001, 1056, WPg 2001, 354. 106 Wiedemann, Gesellschaftsrecht, 1980, § 5 I 2a. (S. 249 f.). 107 Gierke, Die Genossenschaftstheorie und die deutsche Rechtsprechung, 1887, 464. 108 Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, Bd. 1, Erster Teil: Die Personengesellschaft, 1977, § 4 II, § 5 (S. 74). 109 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341, DB 2001, 423, BB 2001, 374, MDR 2001, 459, NJW 2001, 1056.

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mit – jedenfalls auf der Grundlage des dogmatischen Verständnisses von Flume oder der sog. Gesamtrechtsfähigkeit110 – eine strukturell andere als diejenige der juristischen Person (Verbandsperson). Die Vermögensordnung ist gesamthänderisch organisiert und die Rechtsfähigkeit der Gruppe im Außenverhältnis setzt die Gesamthand voraus. Wer für eine umfassende Rechtsfähigkeit der Personengesellschaft als Verbandsperson gegenüber ihren Gesellschaftern plädiert, schafft die gesamthänderische Vermögensordnung und deren Folgewirkungen für die Mitgliedschaft (z.B. keine Einmann-Personengesellschaft) ab. Versteht man den BGH111 (nur) im Sinne einer Gesamtrechtsfähigkeit der Gruppe, dann ist bei Lichte besehen so viel dogmatisch Revolutionäres gar nicht geschehen112. Am revolutionärsten dürfte die Praxis die – keineswegs zwingende – umfassende Übernahme der handelsrechtlichen Haftungsstrenge (vgl. §§ 128 ff. HGB) empfunden haben. Revolutionär wäre es aber sicher, die gesamthänderische Vermögensordnung abzuschaffen. Dies hätte  – wie dargelegt  – weitreichende Konsequenzen für das Steuerrecht. Der Verf. hat bei einem der Mitstreiter des (ersten) „Dreißigjährigen Kriegs“ dazu immerhin einen nachdenklichen Satz entdeckt: „Könnte nicht Gierkes Sicht auf die Dinge noch heute unserem Konzept der Mitunternehmerschaft (§ 15 EStG) entsprechen?“113 Die Frage ist vorliegend eindeutig bejaht worden114. Sie ist zugleich die (verneinende) Antwort auf die weitere, nach der instrumentell-utilitaristischen „Warum-nicht?“-Methode115 gestellten Frage nach noch „Etwas mehr“-Rechtsfortbildung. Das Gesamthandprinzip ohne Not – gleichsam der Kunst der Wissenschaft um die Kunst der Wissenschaft willen  – mit weitreichenden Kollateralschäden im Steuerrecht abschaffen zu wollen, sollte jedenfalls durch den Revisionsrichter als verantwortungsvollem Gegenspieler jener wissenschaftlichen Vertreter verhindert werden. Der Verf. ist sich sicher, dass dies auch der Überzeugung des Jubilars entspricht.

110 Beuthien, JZ 2003, 715 (720 f.). 111 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341, DB 2001, 423, BB 2001, 374, MDR 2001, 459, NJW 2001, 1056. 112 Beuthien, NZG 2011, 481 ff.; vgl. auch K. Schmidt, ZIP 2014, 493 (497 f.), der deshalb eine weitere Grundsatzdiskussion als notwendig ansieht. Insofern könnte der wahre „Dreißigjährige Krieg“ (vgl. K. Schmidt, NJW 2001, 993 [994 ff.]) im Personengesellschaftsrecht erst noch ins Haus stehen. 113 K. Schmidt, ZIP 2014, 493 (498). 114 Vgl. Gierke, Arch. Bürg. R. 19 (1901), 114 (117): Die Mitglieder einer Gesamthandgemeinschaft bildeten „in ihrer Verbundenheit“ ein Rechtssubjekt. 115 Vgl. K. Schmidt, ZIP 2014, 493 (496 f.).

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Die Anwendung von Schiedsklauseln in Vertrag oder Satzung im Verhältnis zwischen Unternehmen und den Mitgliedern ihrer Organe1 Inhaltsübersicht

I. Widmung

II. Einleitung III. Wirksamkeit vertraglicher Schiedsklauseln 1. §§ 1029 ff. ZPO – Verbraucher­ eigenschaft von Organmitgliedern a) Verbraucherbegriff b) Anwendbarkeit auf Organ­ mitglieder 2. Möglicher Verstoß gegen die Klauselrichtlinie a) Ansichten der Literatur b) Stellungnahme 3. AGB-Kontrolle a) Möglichkeit der Einflussnahme b) Überraschende Klausel i.S.d. § 305c BGB c) Unangemessene Benachteiligung i.S.d. § 307 BGB

IV. Schiedsvereinbarung als Satzungs­ bestandteil 1. Wirksamkeit kraft Verbandsrecht 2. Sonderfall: Nachträglich durch Satzungsänderung aufgenommene Schiedsklausel a) Rechtsprechung b) Literatur c) Stellungnahme 3. Besonderheiten bei der Aktiengesellschaft aufgrund § 23 Abs. 5 AktG a) Gesetzeszweck b) Organhaftung 4. Reichweite statuarischer Schieds­ klauseln 5. Formanforderungen a) Streitstand b) Stellungnahme

V. Fazit

I. Widmung Georg Crezelius hat als Hochschullehrer der Rechtswissenschaft sowohl eine große Breite und Tiefe seiner Forschung und Lehre als auch eine große Praxisnähe vorzuweisen. Er hat immer eine große Nähe zu den Beratern im Steuer- und Gesellschaftsrecht gehabt und wurde häufig wegen seines Kenntnisreichtums bei praktischen ­Fällen hinzugezogen. So nimmt es nicht Wunder, dass er in vielen Fällen als Schiedsrichter benannt wurde, und er so seine Erfahrung und sein Wissen in die Lösung von Schiedsgerichtsfällen einbringen konnte. Wegen seiner Erfahrungen wurde der Jubi­ lar auch in Aufsichts- oder Verwaltungsräte von Unternehmen berufen und dort sehr geschätzt. Der Autor ist dem Jubilar seit gemeinsamen Zeiten als Studenten der Universität Münster verbunden. Zunächst als Lehrbeauftragter und dann als Honorarprofessor 1 Der Autor dankt an dieser Stelle Herrn Richard Heinrichs, Wissenschaftlicher Mitarbeiter der Kanzlei Linklaters LLP, der ihn bei der Anfertigung dieses Beitrages unterstützt hat.

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hat der Autor an der Universität Bamberg eng mit dem Jubilar zusammengearbeitet. Der Autor freut sich, auch nach der Emeritierung des Jubilars mit ihm in derselben Kanzlei zusammenarbeiten zu können. Dieser Aufsatz soll Themen des Gesellschaftsrechts, insbesondere von Organstellungen, und des Schiedsgerichtswesens beleuchten, beides Themen, die für den Jubilar große praktische Bedeutung hatten. Ihm sei damit für den immer fruchtbaren fachlichen Gedankenaustausch und die immer freundschaftliche Verbundenheit gedankt.

II. Einleitung Bei der Verfolgung von Ansprüchen einer Gesellschaft gegen ihre eigenen Organmitglieder können Schiedsgerichtsverfahren oftmals eine willkommene Alternative zu einem langwierigen und öffentlichkeitswirksamen Prozess vor ordentlichen Gerichten sein. Zivilverfahren sind gem. § 169 Satz 1 GVG grundsätzlich öffentlich und geben dadurch der Öffentlichkeit und so auch Pressevertretern die Möglichkeit, tiefe Einblicke in gesellschaftliche Interna zu erlangen. Dies kann dem Ansehen der Parteien erheblich schaden. Hinzu kommt, dass durch die Aussagen, die ein Organmitglied in einem öffentlichen Prozess trifft, um sich zu verteidigen, Geschäftsgeheimnisse gefährdet sein können. Die Tatsache, dass gegebenenfalls in der Hauptversammlung gem. § 131 AktG über das Verfahren berichtet werden muss, entwertet den Vorteil des Schiedsgerichtsverfahrens nur in geringem Maße. Der unmittelbare Eindruck eines Prozessteilnehmers ist ein anderer als der Eindruck aufgrund eines Berichts des Vorstands über den Prozess. Eine mögliche Veröffentlichung der Entscheidung durch das Gericht kann ähnliche negative Konsequenzen haben. Im Falle einer ad-hoc Meldepflicht lassen sich diese Konsequenzen bei Schiedsgerichtsentscheidungen nicht völlig vermeiden. Jedoch ist auch hier die Darstellung in der Regel kürzer und in der Detaillierung eine andere als die in der Schiedsgerichtsentscheidung. Umso wichtiger ist es für die einzelne Gesellschaft, sich anhand ihrer konkreten Gegebenheiten ein vollständiges Bild der rechtlichen Möglichkeiten und der praktischen Bandbreite der Abdingbarkeit ordentlicher Gerichte zu verschaffen. Mit diesem Beitrag sollen sowohl streitige Themen in der Theorie als auch die häufigsten Fallstricke für die Praxis herausgearbeitet und kommentiert werden. Diese stehen zum Großteil im Zusammenhang mit den Fragen der Verbrauchereigenschaft von Organmitgliedern sowie der Möglichkeit und Reichweite einer statuarischen Schiedsklausel. Im Vordergrund steht hierbei beispielhaft der Vorstand der Aktiengesellschaft als von der Schiedsklausel zu erfassendes Organmitglied.

III. Wirksamkeit vertraglicher Schiedsklauseln Die Wirksamkeit einer vertraglichen Schiedsvereinbarung richtet sich grundsätzlich nach den §§ 1029 ff. ZPO. Darüber hinaus spielt auch die Vereinbarkeit mit der Klauselrichtlinie2 eine wichtige Rolle. Schließlich ist zu prüfen, ob die vertragliche Schieds2 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen.

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vereinbarung möglicherweise einer AGB-Kontrolle standhalten muss. Hier sind u.a. die Anforderungen des BAG zu beachten, die zur Vermeidung der AGB-Kontrolle eingehalten werden müssen. 1. §§ 1029 ff. ZPO – Verbrauchereigenschaft von Organmitgliedern Für die Form der Vereinbarung sieht § 1031 Abs. 1 ZPO entweder ein von beiden Parteien unterzeichnetes Dokument oder zwischen ihnen gewechselte Schreiben, Fernkopien, Telegramme oder andere Formen der Nachrichtenübermittlung vor, die einen Nachweis der Vereinbarung sicherstellen. Gemäß § 1031 Abs. 5 ZPO muss die Vereinbarung allerdings bei Beteiligung eines Verbrauchers in einer von den Parteien eigenhändig unterzeichneten Urkunde enthalten sein, die außer der Schiedsvereinbarung und damit im Zusammenhang stehender Abreden keine weiteren Vereinbarungen enthält, solange sie nicht notariell beurkundet wurde. Somit stellt sich an dieser Stelle die Frage, ob Organmitglieder als Verbraucher i.S.d. § 1031 Abs. 5 ZPO angesehen werden müssen. a) Verbraucherbegriff Für den Begriff des Verbrauchers ist auf die Legaldefinition des § 13 BGB abzustellen3. Hiernach ist Verbraucher jede natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu Zwecken abschließt, die überwiegend weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden können. Es reicht im Zusammenhang mit § 1031 Abs. 5 ZPO aus, wenn einer der Beteiligten als Verbraucher qualifiziert werden kann. Für diese Frage ist ex ante auf die objektive Zweckrichtung des Verhaltens der Beteiligten abzustellen4. b) Anwendbarkeit auf Organmitglieder Ob Organmitglieder Verbraucher i.S.d. § 1031 Abs. 5 ZPO bzw. § 13 BGB sind, ist umstritten. Bei einem Organmitglied ist neben dem Anstellungsvertrag auch das organschaftliche Rechtsverhältnis zu berücksichtigen, das in der Regel zeitgleich durch die Bestellung entstanden ist. Beide Rechtsgeschäfte sind Bezugspunkt für die Frage, ob Organmitglieder Verbraucher i.S.d. § 1031 Abs. 5 ZPO sind5. Zudem existieren bei den verschiedenen Rechtsformen Unterschiede bezüglich der Eigenverantwortlichkeit der Tätigkeit des Organmitglieds im weitesten Sinne. Dies kann möglicherweise für die Einordnung unter den Verbraucherbegriff entscheidend sein.

3 Münch in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. 2013, § 1031 ZPO Rz. 47. 4 BGH v. 24.2.2005 – III ZB 36/04, BGHZ 162, 253 (257), 2b (aa) Rz. 9, NotBZ 2005, 143, MDR 2005, 796, GesR 2005, 213; Münch in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. 2013, § 1031 ZPO Rz. 47. 5 Haas/Hoßfeld in FS Schneider 2011, 407 (410).

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aa) Verbrauchereigenschaft des Vorstandsmitglieds einer AG Aufgrund der gesteigerten Eigenverantwortlichkeit der Tätigkeit eines Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft könnte die Frage nach der Verbrauchereigenschaft bei diesem Organ möglicherweise unterschiedlich zu beurteilen sein. So hat der Vorstand nach § 76 Abs. 1 AktG die Gesellschaft unter eigener Verantwortung zu leiten. Die Hauptversammlung kann sich zudem gem. § 119 Abs. 2 AktG nur auf Verlangen des Vorstands in die Geschäftsführung einmischen und gem. §  84 Abs.  3 Satz  1 AktG kann der Aufsichtsrat den Vorstand nur aus wichtigem Grund abberufen. Diese Umstände könnten zu einer anderen Behandlung der Frage nach der Verbrauchereigenschaft führen. (1) Ansicht der Rechtsprechung Das OLG Hamm6 hat im Zusammenhang mit § 1031 Abs. 5 ZPO auch Vorstandsmitglieder einer AG beim Abschluss eines Anstellungsvertrages ausdrücklich als Verbraucher qualifiziert. So könne durch das Rechtsgeschäft keine selbständige berufliche Tätigkeit betroffen sein, da der Vorstand einer AG keine solche Tätigkeit ausübe. Dies habe der BGH für den Geschäftsführer einer GmbH bereits bejaht7, da die Geschäftsführung einer GmbH keine selbständige, sondern eine angestellte berufliche Tätigkeit sei. Diese Beurteilung gelte auch für das Vorstandsmitglied einer AG, dessen Rechtsstellung zwar im Vergleich zum Geschäftsführer einer GmbH von mehr Selbständigkeit und Eigenverantwortung geprägt sei, da er beispielsweise keinem Weisungsrecht des Aufsichtsrats und der Hauptversammlung unterworfen ist8, und die Bestellung zum Vorstandsmitglied nur aus wichtigem Grund widerrufen werden kann9. Dennoch könne dieses größere Maß an Selbständigkeit aber nicht rechtfertigen, im Grundsatz von einer selbständigen beruflichen Tätigkeit auszugehen, da hierzu nicht nur die Freiheit von Weisungen gehöre, sondern die Tätigkeit auch im eigenen Namen, für eigene Rechnung und im eigenen Verantwortungsbereich ausgeübt werden müsse, so dass das wirtschaftliche Risiko der Tätigkeit unmittelbar selbst getragen werde10. Das Vorstandsmitglied trage aber das unternehmerische Risiko seines Handelns gerade nicht, weshalb die dargestellten Voraussetzungen in der Regel bei ihm nicht vorliegen. Auch die Tatsache, dass sich die Vergütung zum Teil nach dem wirtschaftlichen Erfolg seiner Tätigkeit richte, könne nicht als ausschlaggebendes Kriterium angesehen werden. Dass Vorschriften aus dem Arbeits- und Sozialrecht Vorstandsmitglieder nicht als Arbeitnehmer einstufen, sei ebenfalls unerheblich, da dies auch für den GmbH-Geschäftsführer gelte, dessen Tätigkeit der BGH dennoch als unselbständig qualifiziert hat. Zudem stehe die Rechtsfolge der Nichtigkeit aus § 1031 Abs.  5 ZPO, die dem Schutz des typischerweise schwächeren Verbrauchers dient, 6 OLG Hamm v. 18.7.2007 – 8 Sch 2/07, AG 2007, 910. 7 Siehe Fn. 3. 8 §§ 76 Abs. 1, 119 Abs. 2 AktG. 9 § 84 Abs. 3 AktG. 10 So auch Graf v. Westphalen, BB 1993, Beil. 8, 19, 20; Kessal-Wulf in Staudinger, 2001, § 1 VerbrKrG Rz.  36; Micklitz/Purnhagen in MünchKomm/BGB, 7.  Aufl. 2015, §  14 BGB Rz. 32.

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nicht zur Disposition der Parteien, weshalb sie auch dann greife, wenn der Verbraucher auf seinen Schutz keinen Wert legt11. (2) Herrschende Meinung in der Literatur Dem OLG Hamm wurde in der Literatur weitestgehend zugestimmt12. Um in eigener Verantwortung und auf eigene Rechnung und Gefahr zu handeln, sei eine im Wesentlichen freie inhaltliche Gestaltung der Tätigkeit sowie die Selbstbestimmung über Arbeitszeit, -ort und -umfang erforderlich, was weder bei Geschäftsführern einer GmbH noch bei Vorstandsmitgliedern einer AG der Fall sei13. Der Zweck einer zwischen einem Organmitglied und einem Unternehmen oder einem Dritten abgeschlossenen Schiedsvereinbarung liege ebenso wenig wie bei Arbeitnehmern in der Förderung seiner gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit, weshalb er als Verbraucher anzusehen sei14. (3) Mindermeinung in der Literatur Die herrschende Meinung und das Urteil des OLG Hamm stoßen allerdings auch auf beachtliche Kritik15. So sei der Begriff des Verbrauchers trotz unionsrechtlicher Vorgaben nicht uferlos ausdehnbar, was insbesondere seine Abgrenzung gegenüber § 14 BGB zeige16. Gegen die Annahme der Verbrauchereigenschaft des Vorstandsmitglieds einer Aktiengesellschaft spreche zudem, dass das Vorstandsmitglied die Aktiengesellschaft repräsentiere und im Arbeitgeberlager stehe. Auch habe das BAG den Arbeitnehmer als Verbraucher i.S.d. § 13 BGB qualifiziert, dann könne es nicht angehen, dass das Vorstandsmitglied, welches auf der Arbeitgeberseite stehe, ebenso als Verbraucher angesehen werde17. Eine gänzlich andere Richtung schlägt die Kritik von Herresthal18 ein, der als Ansatzpunkt nicht den Verbraucherbegriff des § 13 BGB, sondern das Telos derjenigen konkret verbraucherschützenden Norm untersucht, die an § 13 BGB anknüpft. Sofern der Zweck der verbraucherschützenden Norm bei dem Rechtsgeschäft des Organmit11 OLG Hamm v. 18.7.2007 – 8 Sch 2/07, AG 2007, 910 (912). 12 Hüffer/Koch, 11. Aufl. 2014, § 84 Rz. 21; iE auch Bauer/Arnold, ZIP 2006, 2337 (2339); Seibt in Schmidt, K./Lutter, 3. Aufl. 2015, § 76 Akt Rz. 6; Ziemons in Ziemons/Binnewies/Jaeger, Handbuch Aktiengesellschaft, Rz. 8.240 (75. Lieferung 04.2017); Martinek in Herberger/ Martinek/Rüßmann u.a., 8.  Aufl. 2017, §  14 Rz.  18  ff.; offen gelassen OLG Frankfurt v. 4.4.2011 – 26 SchH 1/11, BB 2012, 81; Thümmel in FS Geimer, 2002, 1331-1343; Mülbert in FS Hadding, 2004, 582. 13 Martinek in Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., 8. Aufl. 2017, § 14 BGB Rz. 18 ff. 14 Thümmel in FS Geimer, 2002, 1331 (1337). 15 Mülbert in FS Goette, 2011, S. 333; Mertens/Cahn in KölnKomm/AktG, Band 2/1, 3. Aufl. 2010, §  84 AktG Rz.  99; Kort in Hirte/Mülbert/Roth, 5.  Aufl. 2015, §  76 Rz.  19a; §  84 Rz. 276a. 16 Kort in Hirte/Mülbert/Roth, 5. Aufl. 2015, § 76 AktG Rz. 19a. 17 Kort in Hirte/Mülbert/Roth, 5. Aufl. 2015, § 84 AktG Rz. 276a. 18 Herresthal, ZIP 2014, 345.

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glieds im eigenen Namen nicht einschlägig ist, sei die verbraucherschützende Norm teleologisch zu reduzieren. Dies entspreche dem Vorgehen bei der Verbrauchereigenschaft von Arbeitnehmern19. Bei der Anwendung von § 1031 Abs. 5 ZPO nimmt Herresthal dann jedoch keine teleologische Reduktion vor, da der Zweck dieser Norm im konkreten Fall einschlägig sei20. (4) Stellungnahme Die Argumente der Mindermeinung können am Ende nicht überzeugen. Wenn das BAG den Arbeitnehmer als Verbraucher ansieht und ihm den damit einhergehenden Verbraucherschutz zukommen lassen möchte, kann daraus nicht zwangsweise geschlossen werden, dass im Gegenzug alle in der Nähe des Arbeitgebers stehenden Personen automatisch nicht als Verbraucher qualifiziert werden können. Für die Verbrauchereigenschaft kommt es nicht auf die Zugehörigkeit zu einem Lager an, sondern es muss auf die spezifische Rechtsbeziehung der betroffenen Person abgestellt werden. Insbesondere bietet diese komplexe Problematik keinen Raum für einen simplen Umkehrschluss, wie ihn die Literaturmeinungen hier vornehmen wollen. Bei der in Frage stehenden Rechtsbeziehung spielen die Arbeitnehmer und deren Verbrauchereigenschaft grundsätzlich keine Rolle. Die Einordnung von Vorstandsmitgliedern als Verbraucher wirkt sich zudem in keiner Weise negativ auf den Verbraucherschutz des Arbeitnehmers aus. Der Grundsatz der Relativität der Schuldverhältnisse gebietet vielmehr eine getrennte Betrachtungsweise. Die bloße inhaltliche Funktion des Dienstverhältnisses, die Gesellschaft gegenüber den Arbeitnehmern zu vertreten, führt nicht schon zwangsläufig dazu, dass nicht beide Parteien gleichzeitig beim Abschluss ihrer jeweiligen Anstellungsverträge mit der Gesellschaft als Verbraucher eingeordnet werden können. Ein bloßer Umkehrschluss aus dem Arbeitsrecht kann nicht über das Nichtvorliegen der Voraussetzung der Selbständigkeit hinweghelfen, da sich die Beziehung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht inhaltlich kongruent zu der Beziehung zwischen Unternehmer und Verbraucher verhält. Zwar steht das Vorstandsmitglied bei einfacher Betrachtung des Verhältnisses Gesellschaft–Arbeitnehmer auf Seiten der Gesellschaft, also des Arbeitgebers. Allein dadurch wird er aber noch nicht zu selbigem. Hierarchische Strukturen (oder eine größere „Nähe“ zum Arbeitgeber), wie zwischen Vorstand und Arbeitnehmern, können auch bei Arbeitnehmern untereinander existieren, ohne dass daraus direkt dem übergeordneten Arbeitnehmer der Verbraucherschutz abgesprochen werden kann. Eine Gleichstellung des Arbeitnehmerbegriffs mit dem Verbraucherbegriff ist aufgrund der auseinandergehenden Schutzrichtungen der beiden Rechtsinstitute abzulehnen. Gegen die Ansicht Herresthals spricht, dass die Einheit der Rechtsordnung einen einheitlichen Verbraucherbegriff erfordert. Dieser muss, wie Herresthal selber ausführt, beim konkreten Rechtsgeschäft geprüft werden. Dennoch sollte der Begriff des Verbrauchers greifbar bleiben und kann nicht in jedem Einzelfall neu definiert werden. Es spricht nichts dafür, dem Vorstandsmitglied eine Verbrauchereigenschaft abzu19 Herresthal, ZIP 2014, 345 (349). 20 Herresthal, ZIP 2014, 345 (349, 352 f.).

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sprechen, obwohl er als solches nicht selbständig tätig ist. Auch der gesetzgeberische Wille würde übergangen werden, wenn die Legaldefinition des § 13 BGB außer Acht gelassen würde. Herresthal kommt aber bei § 1031 Abs. 5 ZPO ohnehin zum selben Ergebnis wie die herrschende Meinung21. Richtigerweise kommt es bei der Frage, ob ein Vorstandsmitglied Verbraucher oder Unternehmer ist, auch auf die in diesem Zusammenhang bislang vernachlässigte Qualifikation der schuldrechtlichen Rechtsbeziehung zwischen Vorstand und Gesellschaft an, die der Organstellung zugrunde liegt. Die Amtsstellung als Vorstand ist für die Frage der Qualifikation als Verbraucher nicht relevant, da hieraus nicht die Voraussetzungen hervorgehen, die für die Frage der Selbständigkeit eine Rolle spielen. Bedeutsam ist das schuldrechtliche Rechtsverhältnis, das in der Regel ein dienstvertragliches Anstellungsverhältnis ist22. Entsprechend der Legaldefinition des § 13 BGB liegt in einem solchen Fall weder eine gewerbliche noch eine selbständige Tätigkeit vor. Allerdings ist es nicht ausgeschlossen, dass im Einzelfall das Rechtsverhältnis kein Anstellungsverhältnis, sondern ein einfaches Auftragsverhältnis ist, das im Rahmen der gewerblichen oder selbständigen Tätigkeit des Vorstands die Rechtsbeziehung zwischen Gesellschaft und Vorstand bestimmt23. Gerade in Restrukturierungssituationen oder beim sog. Interim Management kommt es vor, dass ein selbständiger Berater vorübergehend im Rahmen einer Geschäftsbesorgung eine Vorstandsposition einnimmt. In einem solchen Fall ist der Vorstand nicht Verbraucher i.S.d. §  13 BGB. Es liegt zwar nahe, im Hinblick auf die genannten Kriterien der Unselbständigkeit auf Vorschriften des zwingenden Rechst abzustellen, für das die Vertragsausgestaltung im Einzelfall unerheblich ist. Hierzu zählen beispielsweise im Fall der GmbH das Weisungsrecht der Gesellschafterversammlung oder die Möglichkeit des Widerrufs der Bestellung. Darauf kommt es aber im Ergebnis nicht an, da es bei der Qualifikation des Vorstandsmitglieds um sein eigenes selbständiges Geschäft geht, für das lediglich sein schuldrechtliches Rechtsverhältnis ausschlaggebend ist. Wenn aber das Organmitglied auf vertraglicher Ebene für sich tätig ist, übt es seine Tätigkeit für eigene Rechnung und im eigenen Verantwortungsbereich aus, so dass das wirtschaftliche Risiko der Tätigkeit nicht bei der Gesellschaft liegt. Eine formalistischere Betrachtung des Verbraucherbegriffs ist wünschenswert, da diese zur Rechtssicherheit beiträgt. Diese kann aber nur dann erreicht werden, wenn eine klare Abgrenzung der schuld­ rechtlichen Rechtsverhältnisse vorgenommen wird. Folglich können entgegen der Mindermeinung Vorstandsmitglieder, die auf der Grundlage eines Dienstvertrages angestellt sind, nicht als Unternehmer eingeordnet werden. Sie sind dann als Verbraucher i.S.d. § 1031 Abs. 5 ZPO zu qualifizieren. Wird 21 Siehe Fn. 19. 22 Dauner-Lieb in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2016, § 84 Rz. 15. 23 Dauner-Lieb in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2016, § 84 Rz. 14; Spindler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2014, § 84 AktG Rz. 56; Wiesner in MünchHdB GesR AG, 4. Aufl. 2015, § 21 Rz. 1; Fleischer in Spindler/Stilz, 3. Aufl. 2015, § 84 AktG Rz. 24; Thüsing in Fleischer, VorstandsR-HdB, 1. Aufl. 2006, § 4 Rz. 55.

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die Vorstandsposition ausnahmsweise nicht im Rahmen eines Anstellungsvertrages, sondern im Rahmen eines gewerblich oder selbständig durchgeführten Auftragsverhältnisses ausgeübt, handelt es sich nicht um eine Verbraucherposition i.S.d. §  13 BGB, mit der Folge, dass die besonderen Formvorschriften des § 1031 Abs. 5 ZPO für Schiedsgerichtsvereinbarungen nicht zur Anwendung kommen. Da der Jubilar in besonderem Maße im Fach des Steuerrechts lehrte, sei hier die Anmerkung erlaubt, dass die Abgrenzung des Begriffs „Verbraucher“ ähnlich verläuft wie im Steuerrecht hinsichtlich der Einkunftsarten aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit und aus nichtselbständiger Arbeit (§§ 15, 18, 19 EStG). Ein Vorstand, wenn er angestellt ist, hat immer Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit. Ein Vorstand, der im Rahmen seiner Unternehmensberatertätigkeit die Position übernimmt, hat Einkünfte aus Gewerbebetrieb oder ggf. aus selbständiger Tätigkeit. Die Parallelität ist auffallend. bb) Verbrauchereigenschaft eines Aufsichts- oder Beiratsmitglieds Im Hinblick auf die unter III.1.b) genannten Kriterien der Unselbständigkeit wird die Argumentation zur Verbrauchereigenschaft von Vorständen in der Literatur auch auf die Tätigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern übertragen24. Diese Herangehensweise überzeugt indes nicht. Auch hier muss man nach der Rechtsnatur des Verhältnisses zwischen Aufsichtsrat und Gesellschaft fragen. Im Gegensatz zum Geschäftsleitungsorgan ist ein Aufsichtsratsmitglied lediglich auf der Grundlage des korporationsrechtlichen Verhältnisses tätig. Dies gilt sowohl für Aufsichtsratsmitglieder der Arbeitnehmerseite als auch für Anteilseignervertreter25. Somit kommt es nur auf das Organverhältnis des einzelnen Aufsichtsratsmitglieds an, welches im Gegensatz zum Leitungsorgan im erhöhten Maße von Selbständigkeit und Unabhängigkeit geprägt ist. Abgesehen von der Möglichkeit der Abberufung durch die Hauptversammlung unterliegt der Aufsichtsrat schon aus seiner Funktion als Überwachungsorgan heraus keinem Weisungsrecht26, weshalb das einzelne Mitglied selbständig handelt und nicht als Verbraucher i.S.d. § 13 BGB einzuordnen ist. Dies gilt auch für die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat, deren Funktion und Aufgabe im Aufsichtsrat vollkommen unabhängig von einem ggf. existierenden Anstellungsverhältnis mit der Gesellschaft bestehen. Dieses Anstellungsverhältnis macht die Arbeitnehmervertreter nicht zu Verbrauchern im Hinblick auf ihr Aufsichtsratsmandat. Dieselben Grundsätze, wie sie für Aufsichtsräte entwickelt wurden, gelten auch für Beiratsmitglieder eines Unternehmens.

24 So auch Mülbert in FS Hadding, 2004, 582. 25 Habersack in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2014, § 101 AktG Rz. 67; Hopt/Roth in Großkomm/AktG, 4.  Aufl. 2006, §  101 AktG Rz.  91; Spindler in Spindler/Stilz, 3.  Aufl. 2015, § 101 AktG Rz. 8. 26 Semler/v. Schenck, Der Aufsichtsrat, 1. Aufl. 2015, § 100 AktG Rz. 97 ff. m.w.N.

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cc) Verbrauchereigenschaft des GmbH-Geschäftsführers Die Verbrauchereigenschaft des Geschäftsführers einer GmbH i.S.d. § 13 BGB wurde vom BGH bereits mehrfach anerkannt27. So sei die Geschäftsführung einer GmbH keine selbständige, sondern eine angestellte berufliche Tätigkeit und eine analoge Gleichbehandlung mit einer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit komme nicht in Betracht28. Dies wird auch in der Literatur überwiegend so gesehen29, denn die geringere Eigenverantwortlichkeit der Tätigkeit des Geschäftsführers im Vergleich zum Vorstandsmitglied führe zu einer gefestigteren Annahme der Unselbständigkeit. Auch hier wird man anders als die Rechtsprechung und Literatur wohl differenzieren müssen. Rechtsprechung und Literatur beschäftigen sich nur mit dem Regelfall, in dem in der Tat ein Dienstvertrag als Grundlage des Anstellungsverhältnisses und damit eine Verbraucherstellung vorliegt. Aber auch hier gibt es die Ausnahme, dass ein Geschäftsführer seine Aufgaben im Auftragsverhältnis im Rahmen einer gewerblichen oder selbständigen Tätigkeit wahrnimmt30. In diesen Fällen liegt aus den oben genannten Gründen keine Verbraucherstellung vor. dd) Sonderfall: Organmitglieder mit Gesellschaftsbeteiligung Die Frage, ob die Verbrauchereigenschaft anders zu beurteilen ist, wenn das Vorstandsmitglied in erheblichem Umfang Aktien an seiner AG hält, hat das OLG Hamm in der o.a. Entscheidung bewusst offengelassen, da es im konkreten Sachverhalt nicht darauf ankam31. Diese Frage wird in der Literatur nur vereinzelt behandelt. Ein vergleichbarer Fall wurde lediglich für Gesellschafter-Geschäftsführer höchstrichterlich geklärt32. (1) Literaturmeinung zu: Aktionär mit Stimmrechtsmehrheit als Vorstand ­einer Aktiengesellschaft In der Literatur wird vertreten, dass die gleichzeitige Tätigkeit im Vorstand einer Aktiengesellschaft und eine Stimmrechtsmehrheit in der Hauptversammlung für eine

27 BGH v. 5.6.1996 – VIII ZR 151/95, BGHZ 133, 71, MDR 1996, 890; BGHZ 133, 220 (223); BGHZ 144, 370 (380); BGH NJW 2004, 3039; BGH v. 25.2.1997 – XI ZR 49/96, GmbHR 1997, 444, ZIP 1997, 642 unter 2 a. 28 BGH v. 5.6.1996  – VIII ZR 151/95, BGHZ 133, 71 (77), MDR 1996, 890; Micklitz in ­MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2015, § 14 BGB Rz. 32. 29 Mülbert in FS Goette, 2011, 333; Haas/Hoßfeld in FS Schneider, 2011, 407 ff.; Voit in Musielak, 14. Aufl. 2017, § 1031 ZPO Rz. 9; Umbeck, SchiedsVZ 2009, 143 (145); Thümmel in FS Geimer, 2002, 1331; M. Coester in Staudinger, 2013, § 13 BGB Rz. 54; Ellenberger in Palandt, 76. Aufl. 2017, § 13 BGB Rz. 3; Schmidt-Räntsch in BeckOK/BGB, § 13 BGB Rz. 11 (Stand: 15.6.2017); Saenger in Erman, 14. Aufl. 2014, § 13 BGB Rz. 15; Prütting in Prütting/ Wegen/Weinreich, 11. Aufl. 2016, § 13 Rz. 9. 30 Altmeppen in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, § 6 GmbHG Rz. 74. 31 OLG Hamm v. 18.7.2007 – 8 Sch 2/07, MDR 2007, 1438, AG 2007, 910 (912). 32 Siehe Fn. 28.

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selbständige Tätigkeit i.S.d. § 13 BGB genügen soll33. Treffen die Beteiligung an der AG und die Mitgliedschaft im Vorstand in einer Person zusammen, lasse sich die Verbrauchereigenschaft nicht mehr anhand einer strikt getrennten Bewertung der beiden Positionen beurteilen. Von einer selbständigen beruflichen Tätigkeit sei daher dann auszugehen, wenn ein Alleinvorstand zugleich mindestens die einfache Stimmrechtsmehrheit innehabe. Denn auch wenn der Aufsichtsrat ihn gegebenenfalls aus wichtigem Grund abberufen könnte, sei er de facto bei sich selbst angestellt, da er seinerseits über die Bestellung und Abberufung der Aufsichtsratsmitglieder der Anteilseignerseite entscheiden könne. Zudem liege auch dann Selbständigkeit der Tätigkeit vor, wenn ein Mehrheitsaktionär Mitglied eines zwingend nach dem Prinzip der Gesamtverantwortung organisierten mehrköpfigen Vorstands sei, da der Mehrheitsaktionär sich auch gegenüber widerstreitenden Vorstandskollegen aufgrund seines beteiligungsvermittelnden Einflusses auf den Aufsichtsrat durchsetzen könne34. (2) Rechtsprechung zu: Gesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH Für den Gesellschafter-Geschäftsführer der GmbH ist selbst im Falle eines Allein­ gesellschafter-Geschäftsführers in der Rechtsprechung anerkannt, dass dieser als ­Verbraucher und unselbständig Tätiger anzusehen sei35. So sei das Halten eines ­GmbH-Geschäftsanteils keine gewerbliche Tätigkeit, sondern Teil seiner privaten Vermögensverwaltung. Die Geschäftsführung einer GmbH sei ferner keine selbständige, sondern eine angestellte berufliche Tätigkeit36. (3) Stellungnahme Im Ergebnis kann das Halten von Aktien oder Anteilen am Unternehmen für die Beurteilung der Verbrauchereigenschaft nach § 13 BGB keine Rolle spielen. Zwar hat rein faktisch der Alleingesellschafter, der zugleich dem Leitungsorgan der Gesellschaft angehört, derart viel Einfluss auf die Tätigkeit der Gesellschaft, dass man darüber nachdenken kann, die natürliche Person hier mit der juristischen Person gewissermaßen gleichzusetzen. Hierfür fehlt es jedoch an einer gesetzlichen Grundlage. Wollte man beispielsweise einen Aktionärs-Vorstand allein deswegen als Unternehmer einordnen, weil er besonders viel Einfluss auf das Unternehmen hat, müsste man zeitgleich die Vermutung aufstellen, dass dieser Einfluss zum Zwecke der Alleinführung der Gesellschaft in jedem Falle auch genutzt und ausgeübt wird. Dies wird aber solchen Situationen nicht gerecht, in denen ein solcher Aktionärs-Vorstand aus Rücksicht auf die anderen Aktionäre seinen Einfluss nicht in dem Maße ausübt, in dem er es könnte. Schon aus diesem Grund sollte eine getrennte Betrachtungsweise der bei33 Mülbert in FS Hadding, 2004, 583 f. 34 Mülbert in FS Hadding, 2004, 584. 35 BGH v. 28.6.2000 – VIII ZR 240/99, BGHZ 144, 370 (371, 380), MDR 2000, 1235, GmbHR 2000, 878; BGHZ 133, 71 (78); BGHZ 133, 220 (223); BGH v. 8.11.2005 – XI ZR 34/05, MDR 2006, 525, GmbHR 2006, 148, ZIP 2006, 68; v. 25.2.1997 – XI ZR 49/96, GmbHR 1997, 444, WM 1997, 710; kritisch: Mülbert in FS Goette, 2011, 333 (337 f.). 36 BGH v. 5.6.1996 – VIII ZR 151/95, BGHZ 133, 71 (78), MDR 1996, 890.

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den Rechtsverhältnisse möglich sein und sollten auch Mehrheitsaktionäre, die zugleich Mitglieder des Vorstands sind, in ihrer Vorstandsfunktion als Verbraucher gelten. Dies folgt auch schon aus der oben angesprochenen strikten Trennung zwischen Organverhältnis und zugrunde liegendem schuldrechtlichen Verhältnis. Innerhalb der gebotenen formalistischen Betrachtungsweise bleibt kein Raum für die Frage, ob das Organmitglied als Privatperson an der Gesellschaft beteiligt ist, oder nicht. Auch das Ausmaß der Beteiligung kann keine Rolle spielen, da nur so die erforderliche Rechtssicherheit erzielt werden kann. Der Unterschied, dass der Vorstand der AG eine größere Eigenverantwortlichkeit besitzt als der GmbH-Geschäftsführer, darf in diesem Zusammenhang ebenso wenig ins Gewicht fallen, da auch diesbezüglich die Rechtsverhältnisse einzeln zu betrachten sind und die Frage nach der Verbrauchereigenschaft des Vorstands weiter oben bereits geklärt wurde. 2. Möglicher Verstoß gegen die Klauselrichtlinie Nimmt man eine Verbrauchereigenschaft der Organmitglieder an, stellt sich im Falle einer Schiedsklausel in den entsprechenden Anstellungsverträgen die Frage, ob eine solche gegen die Klauselrichtlinie37 verstoßen könnte. Gemäß dem Hinweis in Nr. 1 lit. q des Anhangs i.V.m. Art. 3 Abs. 3 der Klauselrichtlinie können Klauseln für missbräuchlich erklärt werden, die bezwecken oder bewirken, dass dem Verbraucher die Möglichkeit, Rechtsbehelfe vor Gericht einzulegen oder sonstige Rechtsbehelfe zu ergreifen, genommen oder erschwert wird, und zwar u.a. dadurch, dass er ausschließlich auf ein nicht unter die rechtlichen Bestimmungen fallendes Schiedsverfahren verwiesen wird. a) Ansichten der Literatur Insbesondere Graf von Westphalen hält im Hinblick auf die Klauselrichtlinie vertragliche Schiedsabreden mit als Verbraucher zu qualifizierenden Organmitgliedern für unbedingt unverbindlich38. So sei die in der Klauselrichtlinie normierte Ausnahme des gesetzlich vorgegebenen Schiedsverfahrens in der Praxis so gut wie nie anzutreffen. Eine solche Klausel sei zudem schon aufgrund der fehlenden Rechtsmittel sowie der hohen Kosten des Schiedsverfahrens im Vergleich mit staatlichen Gerichtsverfahren für den Verbraucher benachteiligend. Mit Recht lehnt Geimer diese Einschätzung ab und geht weiter von der Wirksamkeit vertraglicher Schiedsklauseln mit Organmitgliedern aus39. Gegen die grundsätzliche Geltung der Nr. 1 lit. q des Anhangs zur Klauselrichtlinie wendet Geimer zutreffend 37 Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5.4.1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen. 38 Graf von Westphalen, ZIP 2013, 2184. 39 Geimer in FS Geimer 2002, 1121.

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ein, dass ein den Regelungen der §§ 1025 ff. ZPO genügendes Schiedsverfahren kein „nicht unter die rechtlichen Bestimmungen fallendes Schiedsverfahren“ im Sinne von Nr. 1 lit. q des Anhangs zur Klauselrichtlinie sei. Die Regelung gelte lediglich für Abweichungen von den gesetzlich normierten Vorstellungen von einem fairen Schiedsverfahren, die die Rechtsstellung von Verbrauchern wesentlich verschlechtern. Solche Fälle bedürfen laut Geimer einer Einzelfallabwägung. Eine Nichtigkeit per se komme nicht in Betracht. Außerdem seien die von Graf von Westphalen zitierten Urteile40 des EuGH nicht geeignet, um seine Thesen zu unterstützen. Denn die Urteile betrafen lediglich die Verpflichtung zu einer Missbräuchlichkeitsprüfung durch nationale Gerichte, die in Deutschland bereits im Exequaturverfahren nach § 1060 ZPO enthalten sei. b) Stellungnahme Im Ergebnis ist der Ansicht von Geimer zu folgen. Neben den genannten Argumenten ist zu beachten, dass der deutsche Gesetzgeber in § 1031 Abs. 5 ZPO ausdrücklich die Möglichkeit einer Schiedsabrede mit Verbrauchern vorsieht. Daran wird deutlich, dass die bloße Beteiligung des Verbrauchers nicht per se zur Nichtigkeit der Abrede führen kann. Andernfalls würde die Ausnahmeregelung des Nr. 1 lit. q des Anhangs zur Klauselrichtlinie in der deutschen Rechtsordnung leerlaufen. 3. AGB-Kontrolle Zuletzt ist der Fall anzudenken, in dem eine Gesellschaft für mehrere Organmitglieder desselben Organs vorformulierte und einheitliche Anstellungsverträge verwendet. In diesem Fall sind die vertraglichen Regelungen als allgemeine Geschäftsbedingungen anzusehen, die einer Inhaltskontrolle standhalten müssen. In den Fällen, in denen die Verbrauchereigenschaft von Organmitgliedern bejaht wird41, reicht gem. § 310 Abs. 3 BGB bereits die einmalige Verwendung eines vorformulierten Anstellungsvertrages aus, soweit das jeweilige Organmitglied gem. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB auf Grund der Vorformulierung auf ihren Inhalt keinen Einfluss nehmen konnte. a) Möglichkeit der Einflussnahme Entscheidend für die Qualifikation eines einmalig verwendeten, vorformulierten Vertrages als AGB ist also die fehlende Einflussnahmemöglichkeit des Geschäftsleitungsorgans. Das BAG sieht eine Möglichkeit zur Einflussnahme, wenn der Verwender den vom Gesetz abweichenden Inhalt seiner AGB ernsthaft zur Disposition stellt und der Gegenpartei Gestaltungsfreiheit einräumt42. Erforderlich ist also, dass der Verwender eine Bereitschaft zum Aushandeln erkennen lässt. Diese kann allem voran in einer Änderung der vorformulierten Klausel gesehen werden; eine ausführliche Erörterung 40 EuGH v. 26.10.2006 – Rs. C-168/05, NJW 2007, 135 – Mostaza; v. 6.10.2006 – Rs. C-40/08, EuZW 2009, 852 – Asturcom. 41 Siehe Ziff. 2.1. 42 BAG v. 19.5.2010 – 5 AZR 253/09, GmbHR 2010, 1142, NJW 2010, 2827.

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ohne anschließende Änderung kann aber auch ausreichen. Denn schon die Überzeugung von der sachlichen Notwendigkeit bestimmter vertraglicher Regelungen kann das Ergebnis einer Vertragsverhandlung sein. Die Beweislast liegt jedoch beim Verwender. Außerdem hilft die Einflussnahmemöglichkeit dem Verwender laut BGH immer nur für die konkrete Klausel, bei der sie bestand. Stehen einzelne Klauseln nicht zur Disposition, können diese einer AGB-Kontrolle unterzogen werden. b) Überraschende Klausel i.S.d. § 305c BGB Aufgrund des Formerfordernisses des § 1031 Abs. 5 Satz 3 ZPO, das eine separate Urkunde oder die notarielle Beurkundung für die Schiedsklausel vorsieht, lässt sich eine handelsübliche Schiedsklausel mit Schiedsort in Deutschland nicht als überraschend qualifizieren. c) Unangemessene Benachteiligung i.S.d. § 307 BGB Da ein ordnungsgemäß durchgeführtes Schiedsverfahren grundsätzlich den staatlichen Gerichtsverfahren gegenüber gleichwertig ist, dürfte eine unangemessene Benachteiligung i.S.d. § 307 BGB im Normalfall nicht zu befürchten sein43. Dennoch kann die jeweilige Ausgestaltung der Schiedsklausel im Einzelfall zu einer unangemessenen Benachteiligung führen. Kritisch sind beispielsweise Schiedsklauseln, die einen ausländischen Schiedsort vorsehen. Auch eine Regelung über die Zusammensetzung des Schiedsgerichts ohne einen Schiedsrichter, der die Befähigung zum Richteramt besitzt, ist problematisch. Das gleiche gilt für die Statuierung einer Billigkeitsentscheidung unter Vernachlässigung von Recht und Gesetz.

IV. Schiedsvereinbarung als Satzungsbestandteil Von enormer praktischer Bedeutung ist die Frage, ob eine Schiedsvereinbarung nicht nur wirksam im Zusammenhang mit dem Anstellungsvertrag abgeschlossen werden kann, sondern auch durch eine in der Satzung der juristischen Person enthaltene Schiedsklausel (sog. statuarische Schiedsklausel) Wirksamkeit erlangen kann. Dies hätte u.a. den Vorteil, dass bei einer gleichzeitigen Inanspruchnahme mehrerer Organmitglieder als Gesamtschuldner ein Rechtsweg bei verschiedenen Spruchkörpern vermieden werden kann44. Auch der Abschluss der Anstellungsverträge mit den Organmitgliedern würde wesentlich erleichtert werden, wenn die Formerfordernisse für die Satzung einschlägig wären. Im Schrifttum ist dies allerdings umstritten. Zum Teil wird die Möglichkeit einer statuarischen Schiedsklausel bejaht45, während an anderer Stelle die Wirksamkeit einer solchen Schiedsklausel jedoch abgelehnt wird, u.a. gerade weil die Satzung nicht von den Organmitgliedern unterzeichnet werde und die 43 Geimer in FS Geimer 2002, 1121; BGH v. 13.1.2005 – III ZR 265/03, MDR 2005, 706, NJW 2005, 1125. 44 SchiedsVZ 2009, 143 (145). 45 Zilles, Schiedsgerichtsbarkeit im Gesellschaftsrecht, 2002, 139 f.

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Klausel daher nicht den Anforderungen an die Form nach § 1031 Abs. 5 ZPO entspreche46. Außerdem sei das Organmitglied nicht Partei des Gesellschaftsvertrages und habe seine Zustimmung nicht rechtsgeschäftlich erklärt47. Der Justizgewährleistungsanspruch aus Art. 101 GG spreche somit dafür, dass das jeweilige Organmitglied eine statuarische Schiedsvereinbarung nicht gegen sich gelten lassen müsse48. 1. Wirksamkeit kraft Verbandsrecht Die Nichteinhaltung der Formerfordernisse des § 1031 ZPO könnte allerdings vernachlässigt werden, wenn es sich, wie es auch die herrschende Meinung annimmt49, bei der statuarischen Schiedsklausel um eine Verfügung i.S.d. § 1066 ZPO handelt. In dieser Norm geht es zwar ausdrücklich nur um die letztwillige Einsetzung eines Schiedsgerichts; aus dem offenen Wortlaut geht jedoch hervor, dass darüber hinaus weitere Schiedsklauseln möglich sein müssen, die nicht auf einer Vereinbarung beruhen. Dies sind nach ganz herrschender Meinung auch statuarische Schiedsklauseln50. Warum eine solche Schiedsklausel aber für Organmitglieder bindend sein soll, lässt sich am Beispiel einer Streitigkeit zwischen der Gesellschaft und einem einzelnen Gesellschafter erläutern. Die Gesellschaft hat als juristische Person nicht selbst eine Schiedsvereinbarung mit dem Gesellschafter getroffen. Dennoch ist sie kraft Verbandsrecht ebenso wie die einzelnen Gesellschafter an ihre eigene Satzung gebunden51. Enthält die Satzung eine Schiedsklausel, werden dieser daher beide Parteien unterworfen. Ebenso wie die Gesellschafter und die Gesellschaft selbst sind ihre Organe an die Satzungsbestimmungen gebunden. Zwar sind die Organmitglieder nicht Vertragspartner des Gesellschaftsvertrags geworden, weshalb eine Bindungswirkung der Satzung mangels privatautonomem Akt zunächst fragwürdig erscheint. Ein zustimmender und die Privatautonomie wahrender Akt ist jedoch im freiwilligen Erwerb der Organstellung zu sehen, mit dem zugleich die Bindung des Organmitglieds an die Satzung einhergeht52. Hierdurch unterwirft sich das Organmitglied der Sat46 Thümmel in FS Geimer, 2002, 1331 (1343 ff.). 47 Thümmel in FS Geimer, 2002, 1331 (1337). 48 Umbeck, SchiedsVZ 2009, 143. 49 BGH, SchiedsVZ 2004, 205 (207); BGH v. 3.4.2000 – II ZR 373/98, MDR 2000, 777, NJW 2000, 1713; NJW 1967, 2057; NJW 1963, 203; Geimer in Zöller, 31. Aufl. 2016, § 1066 ZPO Rz. 4; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, 75. Aufl. 2017, § 1066 ZPO Rz. 3; Duve in Böckstiegel/Kröll/Nacimiento, Arbitration in Germany, 2007, 1004 Rz.  92; Münch in ­MünchKomm/ZPO, 3. Aufl. 2008, § 1066 ZPO Rz. 8 f.; Hüffer/Koch, 12. Aufl. 2016, § 246 AktG Rz. 19; Wagner in Lutter, Europäische Auslandsgesellschaften in Deutschland, 299; S.  ­Eberl/­W. Eberl in Schwerdtfeger, Gesellschaftsrecht 2007, Kap.  17 Rz.  56; Umbeck, SchiedsVZ 2009, 143; Reichert/Harbarth, NZG 2003, 379 (380); Ebbing, NZG 1998, 281; a.A.: Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005, Kap. 32 Rz. 5 f.; Haas in Böckstiegel/Kröll/Nacimiento, Arbitration in Germany, 2007, § 1066 Rz. 33 f. und ders. SchiedsVZ 2007, 1 ff.; Bauer/Arnold/Kramer, AG 2014, 677. 50 Haas/Hoßfeld in FS Schneider, 2011, 407 (413 m.w.N.). 51 Pentz in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 23 AktG Rz. 86. 52 Zöllner/Noack in Baumbach/Hueck, 21. Aufl. 2017, § 35 GmbHG Rz. 13 ff.

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zung. Folglich muss eine Schiedsklausel auch für die einzelnen Mitglieder aufgrund ihrer Organstellung wirksam sein. 2. Sonderfall: Nachträglich durch Satzungsänderung aufgenommene Schiedsklausel Der verbandsrechtliche Akt der Annahme der Bestellung durch das Organmitglied bewirkt also, dass sich letzteres der bereits bestehenden Satzung der Gesellschaft unterwirft und legitimiert die verbindliche Geltung der Satzungsklauseln für das Organmitglied. Wie ist aber der Fall zu behandeln, in dem die Schiedsabrede nachträglich ohne Zustimmung des Organmitglieds in die Satzung aufgenommen wird? In diesem Falle hätte sich das Organmitglied lediglich der alten, keine Schiedsklausel enthaltenden Satzung unterworfen, nicht aber der neuen Satzung. a) Rechtsprechung Der BGH hat über einen ähnlichen Fall entschieden, in dem eine Schiedsgerichtsklausel nach Eintritt eines Vereinsmitglieds und ohne dessen Zustimmung in die Vereinssatzung aufgenommen wurde53. Die Wirksamkeit der Schiedsklausel für das benannte Vereinsmitglied wird in diesem Fall vom BGH mit der Begründung abgelehnt, dass das sich aus dem Rechtsstaatsprinzip ergebende Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG Verfassungsrang habe und davon nur abgesehen werden dürfe, wenn dies auf dem freien Willen des Betroffenen beruht. Dies solle gerade durch die Formvorschriften für Schiedsabreden sichergestellt werden. Wenn allerdings die Schiedsklausel in Form einer Satzungsänderung aufgenommen wird, und das Mitglied dieser Änderung nicht zugestimmt hat, liege die Voraussetzung der Freiwilligkeit gerade nicht vor. Eine Freiwilligkeit könne bestenfalls mittelbar aus der Aufrechterhaltung der Mitgliedschaft durch das Vereinsmitglied gefolgert werden. Das sei aber nicht der Fall, wenn der Austritt aus dem Verein ein schwerer, mit belastenden Folgen verbundener Schritt sei, da dann die Möglichkeit des Austritts nicht die Freiwilligkeit des Verzichts auf staatliche Gerichte ersetze. b) Literatur Dieses Urteil zugrunde legend, erörtert Ulmbeck54 im Falle von Organmitgliedern von Unternehmen, dass diese zwar ebenso grundsätzlich die Möglichkeit haben, ihr Amt niederzulegen und sich dadurch der Schiedsklausel zu entziehen; jedoch könne die Niederlegung gravierende wirtschaftliche Folgen haben, weshalb die Frage, ob die Amtsniederlegung die Freiwilligkeit ersetzt, im Einzelfall zu erörtern sei. Zu vermuten sei jedoch, dass dies in der Mehrzahl der Fälle nicht der Fall sein wird, und die Schiedsklausel für nicht-zustimmende Organmitglieder daher nicht wirksam sei.

53 BGH v. 3.4.2000 – II ZR 373/98, MDR 2000, 777, NJW 2000, 1713. 54 Ulmbeck, SchiedsVZ 2009, 143 (146).

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c) Stellungnahme Bei dem oben genannten BGH-Urteil handelte es sich um eine durchaus vergleichbare Situation. Das für das Gericht entscheidende Argument, der Verzicht auf staatliche Gerichte müsse auf Freiwilligkeit basieren, trifft in gleicher Weise auf Organmitglieder in Unternehmen zu, die einer Satzungsänderung nicht zugestimmt haben, wonach für Streitigkeiten mit Mitgliedern oder Organen das Schiedsgerichtsverfahren vorgesehen ist. Für die Frage, ob die Möglichkeit der Amtsniederlegung die Frei­ willigkeit ersetzen kann, kommt es allerdings tatsächlich auf die Umstände des ­Einzelfalls an. Im BGH-Fall handelte es sich um die Mitgliedschaft in einem Hundezüchterverein, die zugleich Voraussetzung dafür war, Schäferhunde zu züchten, an Meisterschaften teilzunehmen und mit seinen Hunden Ausstellungen zu besuchen. Gemessen hieran erscheint es naheliegend, bei der Amtsniederlegung eines Organmitgliedes ebenso von einem belastenden Schritt auszugehen. Wenn das Organmitglied nicht explizit zustimmt, ist also der Ansicht zuzustimmen, die die Wirksamkeit einer durch Satzungsänderung aufgenommenen Schiedsklausel für nicht explizit zustimmende Organmitglieder ablehnt. 3. Besonderheiten bei der Aktiengesellschaft aufgrund § 23 Abs. 5 AktG Möglicherweise könnten sich aus dem Grundsatz der Satzungsstrenge aus § 23 Abs. 5 AktG Besonderheiten für die Aufnahme einer Schiedsklausel in die Satzung einer Aktiengesellschaft ergeben. Teilweise wird vertreten, dass dieser Grundsatz einer Schiedsklausel entgegenstehe55. Dagegen wird argumentiert, dass § 23 Abs. 5 AktG keine Vorschrift i.S.d. § 1030 Abs. 3 ZPO sei und daher eine statuarischen Schiedsklausel bei der Aktiengesellschaft zulässig sei56. Richtigerweise folgt jedoch aus § 23 Abs. 5 AktG, dass Schiedsklauseln für solche Fälle nicht angewandt werden können, für die das Aktiengesetz ausdrücklich den Rechtsschutz durch staatliche Gerichte vorgesehen hat57, wie beispielsweise in den §§ 98, 104, 122, 132, 148, 241 ff. AktG. a) Gesetzeszweck Selbst dann ist aber genau zu hinterfragen, ob der Gesetzgeber dadurch tatsächlich bezwecken wollte, den schiedsgerichtlichen Rechtsweg auszuschließen58. Hierauf ist beispielsweise bei §  132 AktG abzustellen, da das Auskunftserzwingungsverfahren zur Vorbereitung eines Organhaftungsprozesses zur Aufklärung von Sachverhalten ansonsten vor den ordentlichen Gerichten geführt werden müsste, während der da­ rauffolgende Organhaftungsprozess vor dem Schiedsgericht stattfinden könnte. Da jedoch kein Grund für eine solche Zweckrichtung seitens des Gesetzgebers ersichtlich ist und zudem auch bei der GmbH das Auskunftsrecht vor dem Schiedsgericht erstrit55 Musielak/Voit, 13. Aufl. 2016, § 1066 ZPO Rz. 8; Raeschke-Kessler/Wiegand, AnwBl. 6/2007, 396 (400); K. Schmidt, BB 2001, 1857 (1860). 56 Geimer in Zöller, 31. Aufl. 2016, § 1066 ZPO Rz. 6. 57 Braunsfels in Heidel, 4. Aufl. 2014, § 23 AktG Rz. 44 m.w.N. 58 So auch Umbeck, SchiedsVZ 2009, 143 (146 f.).

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Die Anwendung von Schiedsklauseln

ten werden kann59, spricht alles dafür, auch das Auskunftserzwingungsverfahren gem. §  132 AktG unter eine statuarische Schiedsklausel fallen zu lassen. In diesem Fall handelt es sich nämlich nicht um eine Abweichung vom Gesetz i.S.v. § 23 Abs. 5 Satz 1 AktG, sondern um eine ergänzende Regelung i.S.v. § 23 Abs. 5 Satz 2 AktG. b) Organhaftung Für Organhaftungsprozesse enthält das Aktienrecht keine Regelungen, die den ordentlichen Rechtsweg vorsehen würden, weshalb auch solche zum Gegenstand des Wortlauts einer statuarischen Schiedsklausel gemacht werden können. 4. Reichweite statuarischer Schiedsklauseln Da die Wirksamkeit der statuarischen Schiedsklausel ausschließlich mit der körperschaftlichen Stellung des Organmitglieds einhergeht, kann die Schiedsklausel konsequenterweise auch nur für solche Streitigkeiten gelten, die aus der körperschaftlichen Verfassung der Gesellschaft stammen60. Nicht hiervon erfasst sind daher u.a. individualrechtliche Streitigkeiten der Mitglieder untereinander. Bei Organhaftungsfällen wird darüber gestritten, ob das jeweilige Organmitglied die Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters angewendet hat. Diese Pflicht entsteht für das Organmitglied, ebenso wie die organschaftliche Treuepflicht, durch seine Bestellung und wurzelt damit unmittelbar in der Organstellung. Einer statuarischen Schiedsklausel, die ihrem Wortlaut nach auch für Organhaftungsfälle gilt, steht also auch nicht ihre eigene verbandsrechtliche Reichweite entgegen. 5. Formanforderungen a) Streitstand Zum Verhältnis zwischen § 1066 und § 1031 ZPO äußert sich das Gesetz nicht, weshalb auch diese Frage nicht unumstritten ist. Nach verbreiteter Ansicht in Rechtsprechung und Literatur schließt eine satzungsmäßige Bindung an die Schiedsklausel die Anwendbarkeit des § 1031 ZPO prinzipiell aus61. § 1031 passe nicht auf den Fall der Satzung, da diese aufgrund ihrer unteilbaren Geltung immer ganz oder gar nicht wirksam sei, während bei der individualvertraglichen Schiedsklausel bei Unwirksamkeit der Hauptvertrag rechtlich wirksam sein könne. Der Erwerb der Organstellung unter Ausschluss einzelner Satzungsklauseln sei nicht möglich62. Zudem kenne das Gesellschaftsrecht eigene, von §  1031 ZPO verschiedene Schutzmechanismen zugunsten des Betroffenen, die den Verweis auf § 1031 ZPO verdrängen63. Andererseits, 59 Hillmann in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2016, § 51a GmbHG Rz. 98. 60 Bauer/Arnold/Kramer, AG 2014, 677 (681); Herresthal, ZIP 2014, 345 (347). 61 BGH v. 31.1.1980 – III ZR 83/78, GmbHR 1981, 160, MDR 1980, 474, NJW 1980, 1797; OLG Hamburg v. 29.9.2000 – 11 Sch 05/00; Habersack, SchiedsVZ 2003, 241 (243). 62 Haas/Hoßfeld in FS Schneider 2011, 407 (417). 63 Haas in SchiedsVZ 2007, 1 (3 ff.).

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so die Gegenauffassung, könne auch die Unterwerfung unter eine Satzung nur durch rechtsgeschäftlichen Akt stattfinden. Dieser müsse für sich genommen den Formanforderungen des § 1031 ZPO entsprechen. Hierfür spreche auch die Schutzwürdigkeit der Organmitglieder64. b) Stellungnahme Auf den ersten Blick erscheint das Argument, dass § 1031 ZPO durch gesellschaftsrechtliche Formvorschriften für die Satzung verdrängt wird, sinnvoll. Jedoch schützen diese Formvorschriften im Zweifel nicht die Organmitglieder. Der Schutzzweck des § 1031 ZPO wird also durch die gesellschaftsrechtlichen Regelungen nicht gleichsam erfüllt, weshalb es fragwürdig ist, ob § 1031 ZPO hierdurch tatsächlich verdrängt werden kann. Vielmehr stellt die Annahme der Bestellung durch das Organmitglied als „Unterwerfen“ unter die Satzung faktisch ein Rechtsgeschäft dar, das grundsätzlich der von § 1031 ZPO geforderten Form fähig wäre. Dennoch zeigt die Systematik des § 1066 ZPO, dass die Norm nicht von einem zweiseitigen Rechtsgeschäft ausgeht, bei dem beide Parteien vor einer Schiedsabrede gewarnt werden müssen. Denn einer der Hauptanwendungsfälle des § 1066 ZPO ist die letztwillige Verfügung65. Bei diesem einseitigen Rechtsgeschäft wird ein möglicher späterer Empfänger der Verfügung nicht davor gewarnt, dass er auf den ordentlichen Rechtsweg verzichtet. Auch der Wortlaut deutet durch die Formulierung „nicht durch Vereinbarung“ klar darauf hin, dass es sich um ein einseitiges Rechtsgeschäft handelt, bei dem die gegnerische Partei grundsätzlich nicht mitwirkt und infolgedessen auch keine Formerfordernisse zu ihrem Schutz sinnvoll und erforderlich sind. Für den Vorrang der gesellschaftsrechtlichen Formvorschriften spricht darüber hinaus, dass auch bei der letztwilligen Verfügung der Vorrang der Formvorschriften aus dem Erbrecht anerkannt ist66. Warum dies bei der statuarischen Schiedsklausel anders behandelt werden sollte, ist nicht ersichtlich. Mithin muss im Ergebnis mit der herrschenden Meinung die Anwendbarkeit des §  1031 ZPO abgelehnt werden. Für die Formerfordernisse der statuarischen Schiedsklausel ist auf die gesellschaftlichen Formvorschriften für die Satzung abzustellen.

V. Fazit Die Ausführungen zeigen, dass im Ergebnis Schiedsabreden mit Organmitgliedern sowohl in der Satzung, als auch im Anstellungsvertrag oder in einem Geschäftsbesorgungsvertrag möglich sind, soweit sich an die dafür entwickelten Grundsätze und Gesetzesvorgaben gehalten wird. Im Einzelnen muss im Hinblick auf die angesprochenen Aspekte folgendes beachtet werden: 64 Schwab/Walter, Schiedsgerichtsbarkeit, 7. Aufl. 2005, Kap. 32 Rz. 5. 65 Münch in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. 2013, § 1066 ZPO Rz. 3. 66 Münch in MünchKomm/ZPO, 4. Aufl. 2013, § 1066 ZPO Rz. 5 m.w.N.

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Die Anwendung von Schiedsklauseln

1. Sowohl Vorstandsmitglieder einer AG als auch Geschäftsführer einer GmbH sind als Verbraucher i.S.d. § 1031 Abs. 5 ZPO zu qualifizieren, sofern das zugrunde liegende schuldrechtliche Rechtsverhältnis ein Dienstvertrag ist. Im Ausnahmefall, bei dem der Übernahme der Aufgabe des Vorstands nicht ein Anstellungsvertrag, sondern ein Geschäftsbesorgungsvertrag mit einem Berater zugrunde liegt, liegt keine Verbraucherstellung vor. 2. Im Hinblick auf die genannten Kriterien der typischerweise gegebenen Unselbständigkeit von Vorständen lässt sich diese Argumentation nicht auf die Tätigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern übertragen. Diese sind mangels schuldrechtlicher Anstellung regelmäßig als Selbständige zu qualifizieren. Dies gilt auch für Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. 3. Auch angestellte Vorstandsmitglieder, die zeitgleich Aktionäre oder sogar Alleinaktionäre ihrer Aktiengesellschaft sind, sind als Verbraucher i.S.d. § 1031 Abs. 5 ZPO zu qualifizieren. Bei der GmbH geht die Rechtsprechung zurecht explizit davon aus. 4. Eine Schiedsabrede in Anstellungsverträgen mit Vorständen oder Geschäftsführern bedarf daher zu ihrer Wirksamkeit der in § 1031 Abs. 5 ZPO vorgeschriebenen Form. 5. Im Falle der als Verbraucher qualifizierten Organmitglieder ist ein Verstoß gegen die Klauselrichtlinie nicht zu befürchten. Nur, wenn nach Abwägung aller Umstände im Einzelfall von den gesetzlich normierten Vorstellungen von einem fairen Schiedsverfahren abgewichen wird und die Rechtsstellung des Verbrauchers dadurch wesentlich verschlechtert wird, greift die Regelung der Klauselrichtlinie, die zur Nichtigkeit der Schiedsklausel führen kann. 6. Soweit die Verbrauchereigenschaft des betreffenden Organmitglieds bejaht wird, reicht schon die einmalige Verwendung eines vorformulierten Anstellungsvertrages für die Qualifizierung als AGB, soweit das jeweilige Organmitglied gem. § 310 Abs. 3 Nr. 2 BGB auf Grund der Vorformulierung auf ihren Inhalt keinen Einfluss nehmen konnte. Von einer überraschenden Klausel gem. § 305c BGB ist im Normalfall aufgrund der qualifizierten Formerfordernisse nicht auszugehen. Eine unangemessene Benachteiligung i.S.d. § 307 BGB kann jedoch im Einzelfall vorliegen. 7. Wird eine die Organmitglieder betreffende Schiedsklausel in die Gesellschaftssatzung eingefügt, unterwerfen sich die Organmitglieder ihr in der Regel durch die Annahme ihrer Bestellung kraft Verbandsrecht. 8. Solange das Aktienrecht nicht den Vorrang des ordentlichen Rechtswegs angeordnet hat, steht der Grundsatz der Satzungsstrenge aus § 23 Abs. 5 AktG einer statuarischen Schiedsklausel nicht entgegen. Selbst in einem solchen Fall ist aber zu ermitteln, ob Sinn und Zweck der Norm die Schiedsgerichtsbarkeit ausschließen wollen. Beim Auskunftserzwingungsverfahren nach § 132 AktG ist dies beispielsweise nicht der Fall. Für Organhaftungsprozesse enthält das Aktiengesetz keine dahingehenden Regelungen, weshalb diese auch Gegenstand des Wortlauts einer statuarischen Schiedsklausel sein können. 155

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9. Wurde die statuarische Schiedsklausel nachträglich durch eine Satzungsänderung in die Satzung der Gesellschaft aufgenommen, folgt aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG, dass diese nur im Verhältnis zu solchen Organmitgliedern Wirksamkeit erlangt, die der Satzungsänderung zugestimmt haben oder deren freiwillige Unterwerfung auf sonstige Weise deutlich zum Ausdruck kommt. 10. Die Reichweite der statuarischen Schiedsklauseln erstreckt sich auf alle Streitigkeiten, die aus der körperschaftlichen Verfassung der Gesellschaft stammen. Hierzu gehören insbesondere auch Fälle der Organhaftung. 11. Was die Form der statuarischen Schiedsklausel betrifft, so ist nicht auf §  1031 ZPO, sondern auf die jeweiligen Formvorschriften für die Satzung abzustellen.

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Mittelbare eigene Anteile beim Formwechsel Inhaltsübersicht

I. Herleitung der Problematik 1. Ausgangspunkt: Eigene Anteile beim Formwechsel (im Überblick) 2. Mittelbare eigene Anteile

II. Mittelbare eigene Anteile beim ­Ausgangsrechtsträger – „Doppelter“ Umgehungsschutz beim Formwechsel 1. Mittelbare eigene Anteile im Gesellschaftsrecht (Grundzüge) a) Personengesellschaften b) Aktiengesellschaft c) Gesellschaft mit beschränkter ­Haftung aa) Analoge Anwendung von § 33 GmbHG bb) Rechte und Pflichten aus der mittelbaren Beteiligung? d) Zusammenfassung der für den ­weiteren Verlauf wesentlichen ­Erkenntnisse 2. Zulässigkeit des Formwechsels 3. Gesellschaftsstruktur nach Wirksamkeit des Formwechsels 4. Umgang mit den mittelbaren eigenen Anteilen nach Wirksamkeit des Formwechsels

a) Konsequenter Blick auf das Rechtsregime des Zielrechtsträgers auch bei mittelbaren eigenen Anteilen aa) Übertragung der Grundsätze zu eigenen Anteilen auf mittelbare eigene Anteile bb) Einschränkungen cc) Keine Umgehungsgefahren ­hinsichtlich § 71d Satz 2 AktG bei Formwechsel der GmbH in die AG dd) Formwechsel von der AG in die GmbH (1) Verstoß beim Ausgangsrechtsträger gegen §§ 71d Satz 2, 71 Abs. 2 Satz 3 AktG (2) Verstoß beim Ausgangsrechtsträger nur gegen § 71d Satz 2, 71 Abs. 1 AktG b) Anwendung der entwickelten Grundsätze auf die Einheits-­ GmbH & Co. KG III. Zusammenfassung und Hinweise für die Praxis

An anderer Stelle wurde bereits die wenig diskutierte, jedoch praktisch durchaus re­ levante, Problematik der Behandlung eigener Anteile des Ausgangsrechtsträgers eines Formwechsels erörtert und ein System für die Beantwortung der damit verbundenen Rechtsfragen entwickelt. Der Beitrag führt diese Untersuchung fort, indem er sie auf mittelbare eigene Anteile in der Form wechselbezüglicher Beteiligungen überträgt. Wie beim entsprechenden Fall der unmittelbaren Selbstbeteiligungen stellen sich insbesondere zwei Fragen: Hindert das Bestehen von mittelbaren eigenen Anteilen beim Ausgangsrechtsträger den Formwechsel? Wie ist mit der mittelbaren Selbstbeteiligung nach Wirksamkeit des Formwechsels umzugehen?

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I. Herleitung der Problematik 1. Ausgangspunkt: Eigene Anteile beim Formwechsel (im Überblick) Eigene Anteile von Kapitalgesellschaften haben nicht unwesentliche praktische Relevanz.1 Hält der Ausgangsrechtsträger eines Formwechsels eigene Anteile, so ergibt sich das Problem, wie sich diese Beteiligungen auf den Formwechsel auswirken. Es entspricht der wohl allgemeinen Ansicht in der Literatur, dass eigene Anteile des Ausgangsrechtsträgers den Formwechsel nicht hindern.2 Dies ergibt sich jedenfalls daraus, dass § 202 Abs. 1 Nr. 2 UmwG anders als § 20 Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 Halbs. 2 UmwG keinen Vorbehalt für eigene Anteile des Ausgangsrechtsträgers nennt.3 Das Verbot originären Erwerbs eigener Anteile (§ 56 Abs. 1 AktG) findet auf den Formwechsel selbst ebenso wenig Anwendung wie das Verbot derivativen Erwerbs eigener Anteile (§ 71 Abs. 1 und 2 AktG, § 33 Abs. 1 GmbHG).4 Dies gilt selbst dann, wenn die eigenen Anteile von den Beteiligten vergessen wurden.5 Problematischer ist die Frage, was mit den eigenen Anteilen bei Wirksamkeit des Formwechsels geschieht. Personengesellschaften können keine Inhaber eigener Anteile sein.6 Ist der Zielrechtsträger eine Personengesellschaft (§§ 226, 228 UmwG) gehen die eigenen Anteile folglich ersatzlos unter.7 Das Problem des Umgangs mit den eigenen Anteilen des Zielrechtsträgers nach Vollzug des Formwechsels wird daher nur bei Kapitalgesellschaften relevant. Von eigenen Anteilen gehen vielfältige Gefahren für die Gläubiger der Gesellschaft (Kapitalaufbringung und -erhaltung)8 und für die Gesellschaft selbst beziehungsweise die Mitgesellschafter (Kontrolle der Haupt-/Gesellschafterversammlung durch die Gesellschaft9) aus. Aus diesem Grund unterliegt der Erwerb eigener Anteile durch 1 Vgl. zur praktischen Einsatzmöglichkeiten eigenen Aktien Cahn in Spindler/Stilz, 3. Aufl. 2015, § 71 AktG Rz. 11 f., und eigener Geschäftsanteile Lieder GmbHR 2014, 57, sowie Löwisch in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 33 GmbHG Rz. 9. 2 Wohl allgemeine Ansicht, Heckschen/Weitbrecht, ZIP 2017, 1297, 1299 f.; Vossius in Widmann/Mayer, UmwG, Stand: Mai 2015, §  202 UmwG Rz.  161; im Anschluss an Vossius, DNotI, Gutachten mit der Abrufnummer 107290, 1; Limmer in Limmer, Handbuch der Unternehmensumwandlung, 5. Aufl. 2016, Teil 4, Kapitel 1, Rz. 349; Schulz, ZIP 2015, 510, 511. 3 Vossius in Widmann/Mayer, UmwG, Stand: Mai 2015, § 202 UmwG Rz. 161. 4 Ausführlich Heckschen/Weitbrecht, ZIP 2017, 1297, 1299 f. 5 DNotI, Gutachten mit der Abrufnummer 107290, 3; im Anschluss daran Heckschen/Weitbrecht, ZIP 2017, 1297, 1300. 6 Traditionell ganz h.M., K. Schmidt in MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2016, § 105 HGB Rz. 93; Carsten Schäfer in Staub, 5. Aufl., 2009, § 105 HGB Rz. 97; a.A. nur Priester, ZIP 2014, 245, 246 f. mit Verweis auf die inzwischen anerkannte Rechtsträgereigenschaft der Personengesellschaft. 7 Vossius in Widmann/Mayer, UmwG, Stand: Mai 2015, §  202 UmwG Rz.  164; Limmer in Limmer, Handbuch der Unternehmensumwandlung, 5. Aufl. 2016, Teil 4 Kapitel 1 Rz. 349; das Gleiche gilt beim Formwechsel in eine eingetragene Genossenschaft, a.a.O. Rz. 165. 8 Vgl. zu §  33 Abs.  1 GmbHG BGH v. 9.12.1954  – II ZB 15/54, BGHZ 15, 56, 57  f.; v. 15.11.1993  – II ZR 32/93, DStR 1994, 107, 108; OLG Rostock v. 30.1.2013  – 1 U 75/11, ­GmbHR 2013, 305, NZG 2013, 543; Löwisch in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 33 GmbHG Rz. 23; vgl. zu § 71 AktG. 9 Oechsler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 71b AktG Rz. 2.

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Mittelbare eigene Anteile beim Formwechsel

eine Kapitalgesellschaft den strengen Regeln der §§ 71 ff. AktG, § 33 GmbHG: Gemäß § 33 Abs. 1 GmbHG kann die GmbH eigene Geschäftsanteile, auf welche die Einlagen noch nicht vollständig geleistet sind, nicht erwerben oder als Pfand nehmen. §  33 Abs. 1 GmbHG soll verhindern, dass die Einlageforderung infolge der Vereinigung von Forderung und Inhaberschaft der Forderung in der Person der GmbH durch Konfusion untergeht.10 Die Konfusion würde die effektive Kapitalaufbringung der Gesellschaft gefährden. Darüber hinaus erlaubt § 33 Abs. 2 Satz 1 GmbHG den Erwerb volleingezahlter Geschäftsanteile durch die Gesellschaft nur aus dem freien Vermögen. Während § 33 Abs. 1 GmbHG die effektive Aufbringung des Stammkapitals gewährleisten soll, dient § 33 Abs. 2 Satz 1 GmbHG seiner dauerhaften Erhaltung.11 Das Aktiengesetz enthält in § 71 Abs. 2 Satz 3 beziehungsweise Satz 2 (§ 33 GmbHG) entsprechende Verbote für den Erwerb eigener Aktien. Zusätzlich zu diesen Restriktionen ist der Erwerb eigener Aktien jedoch nur zulässig, wenn einer der im Katalog des § 71 Abs. 1 AktG genannten Erwerbstatbestände einschlägig ist und die Höchstgrenze des § 71 Abs. 2 Satz 1 AktG nicht überschritten wird. Zentraler Zweck des § 71 AktG ist die Kapitalerhaltung.12 Umgehungen der §§ 33 GmbHG, 71 AktG müssen verhindert werden.13 Diese drohen durch den Formwechsel von einer Kapitalgesellschaft in eine andere Kapitalgesellschaft, wenn der Erwerb durch den Ausgangsrechtsträger milderen Reglementierungen unterworfen war, als es ein solcher Erwerb beim Zielrechtsträger gewesen wäre. Die Folgen eines Erwerbs eigener Anteile in der Person des Ausgangsrechtsträgers für den Zielrechtsträger bestimmen sich im Grundsatz danach, ob der Erwerb in der Person des Ausgangsrechtsträgers bei hypothetischer Anwendung des Rechtsregimes des Zielrechtsträgers verboten gewesen wäre.14 Nur so kann eine Umgehung von Wertungen des Rechtsregimes des Zielrechtsträgers hinsichtlich des Erwerbs eigener Anteile vermieden werden.15 Ein solches Verständnis von Umgehungsschutz liegt auch § 197 Satz  1 UmwG zugrunde.16 Dieser stellt zur Vermeidung des Unterlaufens strengerer Gründungsvorschriften durch den Formwechsel ebenfalls auf die Rechtsordnung des Zielrechtsträgers ab und erklärt diese für auf den Formwechsel anwendbar.17 Ab 10 So die allgemeine Ansicht, BGH v. 9.12.1954  – II ZB 15/54, BGHZ 15, 56, 57  f.; v. 15.11.1993 – II ZR 32/93, DStR 1994, 107, 108; OLG Rostock, Urt. v. 30.1.2013 – 1 U 75/11, GmbHR 2013, 305, NZG 2013, 543; Löwisch in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 33 GmbHG Rz. 23. 11 Fastrich in Baumbach/Hueck, 21. Aufl. 2017, § 33 GmbHG Rz. 8; Lieder GmbHR 2014, 57, 59; Altmeppen in Roth/Altmeppen, 8. Aufl. 2015, § 33 GmbHG Rz. 1. 12 Oechsler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 71 AktG Rz. 18. 13 Zu § 33 Abs. 1 GmbHG OLG Rostock v. 30.1.2013 – 1 U 75/11, GmbHR 2013, 543; Löwisch in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 33 GmbHG Rz. 10; Lieder, GmbHR 2014, 57; wohl auch Fastrich in Baumbach/Hueck, 21.  Aufl. 2017, §  33 GmbHG Rz.  5; Lutter/ Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, 19. Aufl. 2016, § 33 GmbHG Rz. 13; zu § 71 AktG siehe § 71b und § 71d AktG. 14 Heckschen/Weitbrecht, ZIP 2017, 1297, 1302 ff.; eine andere Lösung bietet Schulz, ZIP 2015, 510. Zur Kritik ausführlich Heckschen/Weitbrecht, ZIP 2017, 1297, 1302 f. 15 Siehe ausführlich Heckschen/Weitbrecht, ZIP 2017, 1297, 1301 ff. 16 Heckschen/Weitbrecht, ZIP 2017, 1297, 1303. 17 Vgl. hierzu ausführlich Heckschen, NZG 2017, 721 ff.

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Wirksamkeit des Formwechsels gelten grundsätzlich die Normen der Rechtsordnung des Zielrechtsträgers mit Wirkung für die Zukunft entsprechend.18 Einschränkungen können gerechtfertigt sein, wenn der Gesellschafter seine Gesellschaftsanteile rechtmäßig und in gutem Glauben an die Gesellschaft veräußert hat.19 2. Mittelbare eigenen Anteile Gefahren für die durch die §§ 33 GmbHG, 71 AktG verfolgten Normziele drohen jedoch auch durch mittelbare Selbstbeteiligungen, die dem unmittelbaren Anwendungsbereich der §§ 71 ff. AktG, § 33 GmbHG nicht ohne weiteres unterfallen. Auch hier erhöht sich die Komplexität weiter, wenn eine mittelbare eigene Anteile haltende Gesellschaft einen Formwechsel anstrebt. In der Praxis ist dieses Problem bei der ­sogenannten Einheits-GmbH  & Co. KG aufgetaucht, also einer Kommanditgesellschaft, die selbst Alleingesellschafterin ihrer einzig persönlich haftenden Komplementär-GmbH ist.20 Es stellt sich die Frage, ob und in welchem Umfang die soeben geschilderten Grundsätze für (unmittelbare) eigene Anteile auf einen Formwechsel übertragen werden können, dessen Ausgangsrechtsträger mittelbare eigene Anteile (oder mittelbare Selbstbeteiligungen) hält – also die Beteiligung einer ersten Gesellschaft an einer zweiten Gesellschaft, welche wiederum Gesellschafterin der ersten Gesellschaft ist. Soweit ersichtlich wurde dieses Problem in Rechtsprechung und Literatur noch nicht diskutiert. Wie bei (unmittelbaren) eigenen Anteilen besteht die Gefahr, dass strengere Erwerbsverbote der Rechtsordnung des Zielrechtsträgers umgangen werden.21 Soweit notwendig gilt es dies zu verhindern. Mit diesem „doppelten“ Umgehungsschutz beschäftigt sich der vorliegende Beitrag.

II. Mittelbare eigene Anteile beim Ausgangsrechtsträger des Formwechsels – „Doppelter“ Umgehungsschutz beim Formwechsel 1. Mittelbare eigene Anteile im Gesellschaftsrecht (Grundzüge) Im AktG existiert ein ausdifferenziertes System zur Verhinderung der Umgehung von §  71 AktG. Hierunter fallen unter bestimmten Voraussetzungen auch mittelbare Selbstbeteiligungen. Im GmbHG fehlen vergleichbare Regelungen, jedoch wird dort der Umgehungsschutz soweit nötig durch analoge Anwendung des § 33 GmbHG verwirklicht. Die Einzelheiten der Behandlung mittelbarer eigener Anteile im Gesellschaftsrecht sind ein höchst komplexes und umstrittenes Problem, deren ausdifferenzierte Darlegung im Folgenden nicht erfolgen soll.

18 Heckschen/Weitbrecht, ZIP 2017, 1297, 1303. 19 Siehe zur Begründung Heckschen/Weitbrecht, ZIP 2017, 1297, 1303, 1304. 20 Vgl. hierzu DNotI, Gutachten mit der Abrufnummer 102869 und allgemein instruktiv zur sog. Einheits-GmbH & Co. KG K. Schmidt in FS Westermann, 2008, 1425. 21 Ansatzweise DNotI, Gutachten mit der Abrufnummer 102869, 2.

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Mittelbare eigene Anteile beim Formwechsel

a) Personengesellschaften Eine mittelbare Beteiligung (wechselbezügliche Beteiligung), bei welcher eine von der OHG gehaltene Tochtergesellschaft Anteile an der OHG hält, ist möglich.22 Im Kapitalgesellschaftsrecht knüpfen die Verbote des Erwerbs mittelbarer eigener Anteile an die Verbote des Erwerbs (unmittelbarer) eigener Anteile an (§ 71d Satz 2 und 4 i.V.m. § 71 Abs. 1 und 2 AktG, § 33 GmbHG analog) an.23 Das Personengesellschaftsrecht hingegen kennt keine Vorschriften über Erwerbsverbote für eigene Anteile. Dies liegt daran, dass nach traditioneller ganz herrschender Ansicht eigene Anteile bei Personengesellschaften nicht möglich sind.24 Die Abtretung des Anteils an die Gesellschaft ist zwar zulässig.25 Tritt ein Gesellschafter seinen Gesellschaftsanteil an die Gesellschaft ab, wächst sein Anteil jedoch den anderen Gesellschaftern an.26 Restriktionen für die Entstehung mittelbarer Selbstbeteiligungen können sich im Personengesellschaftsrecht daher nicht aus einem Bedürfnis nach Verhinderung der Umgehung von Vorschriften über den Erwerb eigener Anteile ergeben. Das schließt Einschränkungen aus anderen Gründen zwar nicht aus. Soweit ersichtlich wird für eine wechselbezügliche Beteiligung jedoch nur verlangt, dass mindestens ein weiterer Gesellschafter existiert.27 Die wechselbezügliche Beteiligung zwischen Personengesellschaft und Kapitalgesellschaft ist aus der Perspektive der Personengesellschaft weitestgehend unproblematisch. Das muss jedoch nicht für die Perspektive der Kapitalgesellschaft gelten. Aus Sicht der Kapitalgesellschaft kann es sich um eine unzulässige mittelbare Selbstbeteiligung handeln. b) Aktiengesellschaft Ein abhängiges oder in Mehrbesitz der Gesellschaft stehendes Unternehmen darf Aktien der Gesellschaft gemäß § 71d Satz 2 i.V.m. Satz 1 AktG nur erwerben, oder besitzen, soweit dies der Gesellschaft nach § 71 Abs. 1 Nr. 1 bis 5, 7 und 8 und Abs. 2 gestattet wäre. Das AktG führt also die nicht formale Betrachtung der Zuordnung von Anteilen zu einer Aktiengesellschaft auch für eigene Anteile fort. Das ist notwendig, 22 Roth in Baumbach/Hopt, 37. Aufl. 2016, § 105 HGB Rz. 30, jedenfalls für eine hundertprozentige Tochtergesellschaft; Schmidt K. in Schlegelberger, 5. Auf. 1992, § 105 HGB Rz. 65; Schäfer in Staub, 5. Aufl. 2009, § 105 HGB Rz. 97. 23 Zu § 71d AktG vgl. Oechsler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 71d AktG Rz. 8 ff.; zu § 33 GmbHG analog vgl. Löwisch in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 33 GmbHG Rz. 81 f. 24 Ganz h.M., Henssler in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 3.  Aufl. 2016, §  105 HGB Rz. 61; Hopt in Baumbach/Hopt, 37. Aufl. 2016, § 105 HGB Rz. 30; K. Schmidt in MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2016, § 105 Rz. 93; Carsten Schäfer in Staub, 5. Aufl. 2009, § 105 HGB Rz. 97; dagegen nur Priester, ZIP 2014, 245, 246 f. mit Verweis insbesondere auf die inzwischen anerkannte Rechtsträgereigenschaft der Personengesellschaft (dagegen K. Schmidt, ZIP 2014, 493). 25 Henssler in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2016, § 105 HGB Rz. 61, 116 ff. 26 Henssler in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2016, § 105 HGB Rz. 61. 27 K. Schmidt in MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2016, § 105 HGB Rz. 80.

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um einfache Umgehungen der § 71 ff. AktG zu vermeiden. § 71d Satz 2 AktG beinhaltet also einen doppelten Umgehungsschutz. § 71d Satz 2 AktG führt zur Verhinderung von Umgehungen der Erwerbsverbote bezüglich eigener Aktien, welche ihrerseits (auch) der Verhinderung der Umgehung der Kapitalaufbringungsregeln dienen. Strittig ist die Anwendbarkeit von § 71d Satz 2 AktG bei wechselseitigen Beteiligungen. Wechselseitig beteiligte Unternehmen sind grundsätzlich Kapitalgesellschaften, die dadurch verbunden sind, dass jedem Unternehmen mehr als der vierte Teil der Anteile des anderen Unternehmens gehört (§ 19 Abs. 1 Satz 1 AktG). Nach überwiegender Ansicht in der Literatur ist § 71d Satz 2 AktG auch auf wechselseitige Beteiligungen von Aktiengesellschaften nach § 19 AktG analog anwendbar.28 Nach anderer Ansicht gelten die §§ 71 ff. AktG entsprechend.29 Das Ergebnis ist das Gleiche: Die Übertragung der Wertungen der §§ 71 ff. AktG auf wechselseitige Beteiligungen. In den Einzelheiten ist im Zusammenhang mit mittelbaren Selbstbeteiligungen von Aktiengesellschaften vieles problematisch und ungeklärt.30 Hier kommt es jedoch auf die Einzelheiten nicht an. Maßgeblich ist vielmehr, dass grundsätzlich über §  71d Satz  2 die Wertungen der §§  71  ff. AktG auf viele Fälle mittelbarer eigener Aktien übertragen werden. c) Gesellschaft mit beschränkter Haftung aa) Analoge Anwendung von § 33 GmbHG § 33 Abs. 1 GmbHG ist wegen seines Ausnahmecharakters zwar grundsätzlich eng auszulegen.31 Dennoch erfasst die Norm alle auf seine Umgehung gerichteten Rechtsgeschäfte32 und ist daher umgehungsfest. Eine missbilligte Umgehung liegt vor, wenn der mit § 33 Abs. 1 GmbHG bezweckte Schutz des Stammkapitals beziehungsweise dessen Aufbringung objektiv beeinträchtigt werden kann.33 Eine Absicht zur Umgehung ist nicht erforderlich, es kommt vielmehr auf die objektive Rechtslage an.34 28 Bezzenbergerin K. Schmidt/Lutter, § 71d AktG Rz. 19; Koch in Hüffer/Koch, § 71d AktG Rz. 7; Lutter/Drygala in KölnKomm AktG, § 71d AktG Rz. 78; Merkt in GroßkommAktG, § 71d AktG Rz. 37; Oechsler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 71d AktG Rz. 31. 29 Cahn in Spindler/Stilz, 4. Aufl. 2016, § 71d AktG Rz. 59 ff. 30 Vgl. die ausführliche Darstellung zu § 71d Satz 2 und besonders Satz 4 AktG Oechsler in MünchKomm/AktG, 4. Aufl. 2016, § 71d AktG Rz. 23 ff. 31 Pentz in Rowedder/Schmidt-Leithoff, 5. Aufl. 2013, § 33 GmbHG Rz. 11. 32 OLG Rostock v. 30.1.2013 – 1 U 75/11, GmbHR 2013, 543; Lieder, GmbHR 2014, 57, 59 f.; zustimmend Löwisch in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 33 GmbHG Rz. 36 und 10; ähnlich Lutter/Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, 19.  Aufl. 2016, §  33 GmbHG Rz.  13; speziell für Inpfandnahme Fastrich in Baumbach/Hueck, 21.  Aufl. 2017, §  33 GmbHG Rz. 5. 33 Löwisch in MünchKomm/GmbHG, 2.  Aufl. 2015, §  33 GmbHG Rz.  36; Westermann in ­Scholz, 11. Aufl. 2012, § 33 GmbHG Rz. 10. 34 Allgemeine Ansicht, OLG Hamm v. 9.12.1992  – 8 U 183/91, GmbHR 1994, 179; OLG ­Dresden v. 9.7.1997 – 6 U 230/97; Löwisch in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 33 GmbHG Rz. 36.

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Mittelbare eigene Anteile beim Formwechsel

Wann jedoch eine Umgehungssituation anzunehmen ist, wird nicht einheitlich beantwortet. Nach einer Ansicht ist die Einhaltung der Normziele der §§ 30 und 33 GmbHG gefährdet, wenn ein Unternehmen Anteile einer GmbH erwirbt und dieses in Mehrheitsbesitz der GmbH steht.35 Zwar drohe keine Konfusion der Einlageforderung.36 Dennoch sei § 33 Abs. 1 GmbHG bei ausstehender Einlageverpflichtung entsprechend anzuwenden um die Entstehung wechselseitiger Beteiligungen zu verhindern.37 Es wird erwogen, §  33 GmbHG auch bei fehlender Beherrschung analog anzuwenden, wenn der Erwerb sich „wirtschaftlich wie Erwerb eigener Anteile“ auswirkt.38 Jedenfalls aber bei Mehrheitsbeteiligung greife § 33 Abs. 1 GmbHG bei Erwerb nicht volleingezahlter Anteile der Obergesellschaft durch die Untergesellschaft ein.39 Selbst bei Bejahung der entsprechenden Anwendung von § 33 Abs. 1 GmbHG ist für die Rechtsfolge umstritten, ob die strenge Nichtigkeitsfolge auch hinsichtlich des Verfügungsgeschäfts eingreift,40 oder ob dies mangels Konfusion entbehrlich ist.41 Auch § 33 Abs. 2 GmbHG ist analog anwendbar, wenn dieses Verbot zum Erwerb „eigener“ Anteile durch die Zwischenschaltung verbundener Unternehmen umgangen werden soll und dadurch der Kapitalschutz gefährdet wird.42 bb) Rechte und Pflichten aus der mittelbaren Beteiligung? Die Rechte aus den von der Gesellschaft gehaltenen unmittelbaren eigenen Anteilen ruhen während ihrer Mitgliedschaft.43 Gleiches gilt für die Pflichten aus der Mitglied-

35 Westermann in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2012, § 33 GmbHG Rz. 13; Löwisch in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 33 GmbHG Rz. 81 lässt auch tatsächliche Beherrschung genügen. 36 Westermann in Scholz, 11. Aufl. 2012, § 33 GmbHG Rz. 13. 37 Westermann in Scholz, 11.  Aufl. 2012, §  33 GmbHG Rz.  13 m.V.a. Pentz in Rowedder/ Schmidt-Leithoff, 5. Aufl. 2013, § 33 GmbHG Rz. 65; Hueck/Fastrich in Baumbach/Hueck, § 33 GmbHG Rz. 21; T. Fleischer in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht, 3. Aufl. 2016, § 33 GmbHG Rz. 11; Thiessen in Bork/Schäfer, 2. Aufl. 2015, § 33 GmbHG Rz. 94; Sosnitza in Michalski, 2. Aufl. 2010, § 33 GmbHG Rz. 52. 38 Fastrich in Baumbach/Hueck, 21. Aufl. 2017, § 33 GmbHG Rz. 21; von dieser Ansicht wird kein konkreter Absatz des § 33 GmbHG genannt. 39 Fastrich in Baumbach/Hueck, 21. Aufl. 2017, § 33 GmbHG Rz. 21. 40 Fastrich in Baumbach/Hueck, 21. Aufl. 2017, § 33 GmbHG Rz. 21; Westermann in Scholz, 11. Aufl. 2012, § 33 GmbHG Rz. 13. 41 Löwisch in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 33 GmbHG Rz. 81; Lutter/Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, 19. Aufl. 2016, § 33 GmbHG Rz. 43. 42 Fastrich in Baumbach/Hueck, 21. Aufl. 2017, § 33 GmbHG Rz. 21; Sosnitza in Michalski, 2 Aufl. 2010, § 33 GmbHG Rz. 48; Zätzsch in MünchHandbGesR, 3. Aufl. 2002, § 13 Rz. 34; vgl. auch Lutter/Hommelhoff in Lutter/Hommelhoff, 19. Aufl. 2016, § 33 GmbHG Rz. 40 ff. 43 BGH v. 30.1.1995 – II ZR 45/94, MDR 1995, 703, NJW 1995, 1027 = GmbHR 1995, 291; Löwisch in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 33 GmbHG Rz. 72 und 66; speziell zum Stimmrecht BGH v. 6.10.1992 – KVR 24/91, AG 1993, 140, MDR 1993, 130, GmbHR 1993, 44.

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schaft.44 Die Willensbildung steht nur den anderen Gesellschaftern zu.45 Bei mittelbaren Selbstbeteiligungen wendet die ganz überwiegende Meinung § 71d Satz 2 i.V.m. § 71b AktG auf eine abhängige GmbH oder GmbH & Co. KG analog an.46 d) Zusammenfassung der für den weiteren Verlauf wesentlichen Erkenntnisse Die Verhinderung von Umgehungen durch die Verwendung mittelbarer Beteiligungen anstelle der direkten Zuordnung von (eigenen oder fremden) Anteilen zu einer Kapitalgesellschaft ist ein allgemeines Prinzip des Kapitalgesellschaftsrechts. Auch wenn man sich über den Ausgangspunkt einig ist, dass Umgehungen grundsätzlich vermieden werden müssen, so verwundert es angesichts der komplexen Materie der eigenen Anteile nicht, dass hinsichtlich der Frage, wann außerhalb der gesetzlichen Konzeption eine Umgehung droht, Meinungsverschiedenheiten bestehen. Unabhängig davon, wie man die genannten Streitfragen (und weitere) entscheidet, stehen die Restriktionen des Kapitalgesellschaftsrechts zum Erwerb mittelbarer eigener Anteile in keinem Verhältnis zueinander.47 Dies ergibt sich aus den analog anzuwendenden Regelungen. Weder sind §§ 71 ff. AktG strenger, noch sind sie milder als § 33 GmbHG.48 Die beiden Normen haben zwar eine Schnittstelle: Die Normen verbieten den Erwerb nicht volleingezahlter Anteile (§ 33 Abs. 1 GmbHG, § 71 Abs. 2 Satz 2 AktG). § 71 Abs. 2 Satz 2 AktG und § 33 Abs. 2 Satz 1 GmbHG erlauben darüber hinaus den Erwerb von Anteilen durch die Gesellschaft nur aus dem freien Vermögen. Bereits bei den Rechtsfolgen von Verstößen unterscheiden sich AktG und GmbHG jedoch deutlich. § 33 GmbHG kennt keinen abschließenden Katalog zulässiger Erwerbstatbestände wie § 71 Abs. 1 AktG. Die analoge Anwendung von §§ 71 ff. AktG, § 33 GmbHG ist zentraler Bestandteil der Behandlung wechselbezüglicher Beteiligungen im Kapitalgesellschaftsrecht. Die Unterschiedlichkeit dieser Regelungskomplexe überträgt sich folglich auch auf die Behandlung mittelbarer eigener Anteile.49 2. Zulässigkeit des Formwechsels Unmittelbare eigene Anteile hindern den Formwechsel nicht.50 Nach allen Ansichten ergibt sich dies jedenfalls daraus, dass § 202 Abs. 1 Nr. 2 UmwG anders als § 20 Abs. 1 Nr.  3 Satz  1 Halbs.  2 UmwG keinen Vorbehalt für eigene Anteile des Ausgangsrechtsträgers nennt.51 Unter dem Aspekt der Verhinderung des Unterlaufens der Re44 Fastrich in Baumbach/Hueck, § 33 GmbHG Rz. 27; Sosnitza in Michalski, 2. Aufl. 2010, § 33 GmbHG Rz. 62; zustimmend Löwisch in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 33 Rz. 72. 45 BGH v. 22.9.2003 – II ZR 74/01, GmbHR 2003, 1426 m. Anm. Heisterhagen/Kleinert, MDR 2004, 103, ZIP 2003, 2116. 46 OLG München v. 7.4.1995 – 23 U 6733/94, AG 1995, 383, GmbHR 1995, 590; K. Schmid in Scholz, 11. Aufl. 2014, § 47 GmbHG Rz. 24. 47 Hierzu ausführlich Heckschen/Weitbrecht, ZIP 2017, 1297, 1302 f. 48 Heckschen/Weitbrecht, ZIP 2017, 1297, 1302 f. 49 Zur Bedeutung dieser Aussage für den Formwechsel siehe unten unter 4. 50 Siehe oben unter I.1. 51 Siehe oben unter I.1.

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Mittelbare eigene Anteile beim Formwechsel

gelungen für eigene Anteile kommt eine Unzulässigkeit des Formwechsels bei Bestehen mittelbarer eigener Anteile beim Ausgangsrechtsträger daher erst recht nicht in Betracht.52 Andere Regelungen, die den Formwechsel bei Bestehen mittelbarer Selbstbeteiligungen verbieten, fehlen ebenfalls. Mittelbare eigene Anteile stehen daher dem Formwechsel nicht entgegen. Das Vergessen mittelbarer Selbstbeteiligungen im Rahmen des Formwechsels ist praktisch wohl kein vergleichbares Problem wie bei (unmittelbaren) eigenen Anteilen. Gleichwohl sei darauf hingewiesen, dass auch das Vergessen eigener Anteile im Formwechselbeschluss keine Auswirkungen auf die Zulässigkeit des Formwechsels hat.53 Dies ergibt sich aus einer konsequenten Anwendung von § 202 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 UmwG.54 Dieser ordnet an, dass nach Wirksamkeit des Formwechsels grundsätzlich jeder Anteilsinhaber des Ausgangsrechtsträgers auch Anteilsinhaber des Zielrechts­ trägers ist. Warum für mittelbare Selbstbeteiligungen etwas Anderes gelten sollte, ist nicht erkennbar. 3. Gesellschaftsstruktur nach Wirksamkeit des Formwechsels Gemäß § 202 Abs. 1 Nr. 1 UmwG besteht der formwechselnde Rechtsträger in der in dem Umwandlungsbeschluss bestimmten Rechtsform weiter (Identität des Rechtsträgers55). Damit besteht auch sein Vermögen fort,56 zu dem die Anteile an einer anderen Gesellschaft gehören. Die Anteilsinhaber des formwechselnden Rechtsträgers sind an dem Rechtsträger nach den für die neue Rechtsform geltenden Vorschriften beteiligt, soweit ihre Beteiligung nicht nach §§ 190 bis 304 UmwG entfällt, § 202 Abs. 1 (Grundsatz der Kontinuität der Mitgliedschaften57). Die Gesellschaft, an welcher der Zielrechtsträger nach § 202 Abs. 1 Nr. 1 UmwG beteiligt bleibt, ist demnach auch nach dem Formwechsel Gesellschafterin des Zielrechtsträgers. Grundsätzlich setzt sich also die mittelbare Selbstbeteiligung des Ausgangsrechtsträgers gemäß § 202 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Satz 1 UmwG in der Person des Zielrechtsträgers fort (Identität der Anteiseigner58). Dies gilt für Personenhandelsgesellschaften59 gleichermaßen wie für Kapitalgesellschaften.

52 Ähnlich DNotI, Gutachten mit der Abrufnummer 102869, 2. 53 Heckschen/Weitbrecht, ZIP 2017, 1297, 1300. 54 Heckschen/Weitbrecht, ZIP 2017, 1297, 1300. 55 Kübler in Semler/Stengel, 3. Aufl. 2012, § 202 UmwG Rz. 7; Limmer in Limmer, Handbuch der Unternehmensumwandlung, 5. Aufl. 2016, Teil 4 Rz. 334 ff. 56 Heckschen, DB 2008, 2122; Vossius in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, Stand: Mai 2015, § 202 UmwG Rz. 25. 57 Vgl. hierzu Limmer in Limmer, Handbuch der Unternehmensumwandlung, 5. Aufl. 2016, Teil 4 Rz. 346 ff. 58 Heckschen, DB 2008, 2122; K. Schmidt, GmbHR 1995, 693; kritisch zur Identität der Beteiligungen Vossius in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, Stand: Mai 2015, § 202 UmwG Rz. 28 ff. 59 Zur Zulässigkeit der Gesellschafterstellung von Personengesellschaften, K.  Schmidt in MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2016, § 105 HGB Rz. 92 ff.

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Für den Fall des Formwechsels einer Einheits-GmbH & Co. KG in eine Aktiengesellschaft bedeutet dies, dass die Aktiengesellschaft mit Wirksamkeit des Formwechsels Alleingesellschafterin der ehemals einzigen Komplementär-GmbH wird. Diese ist entsprechend ihrer Beteiligung an der Ausgangs-KG an der Aktiengesellschaft beteiligt. Weitere Aktionäre sind die ursprünglichen Kommanditisten. Auch hier setzt sich also die wechselbezügliche Beteiligung nach dem Formwechsel beim Zielrechtsträger fort.60 Gegebenenfalls zulässige Zu- und Austritte im Zuge des Formwechsels – diese Frage ist nach wie vor problematisch61  – bleiben für den vorliegenden Beitrag außer Betracht. Am Prinzip würde auch der Zu- und Austritt von Gesellschaftern nichts ändern. 4. Umgang mit den mittelbaren eigenen Anteilen nach Wirksamkeit des ­Formwechsels a) Konsequenter Blick auf den Zielrechtsträger auch bei mittelbaren ­eigenen Anteilen aa) Übertragung der Grundsätze zu eigenen Anteilen auf mittelbare ­eigene Anteile Die Rechtsfolgen eines Erwerbs eigener Anteile auf den Zielrechtsträger bestimmt sich grundsätzlich danach, ob der Erwerb in der Person des Ausgangsrechtsträgers nach dem Rechtsregime des Zielrechtsträgers verboten gewesen wäre.62 Mit Wirksamkeit des Formwechsels gelten dann grundsätzlich die Vorschriften des Rechtsregimes des Zielrechtsträgers analog.63 Dieser Grundsatz lässt sich auch auf mittelbare eigene Anteile übertragen. Von ei­ genen Anteilen gehen vergleichbare Gefahren aus, wie von mittelbaren eigenen Anteilen. Deshalb besteht grundsätzlich das gleiche Bedürfnis, Umgehungen von Vorschriften, welche die Entstehung derartiger Konstruktionen verhindern sollen, zu verhindern. Steht im allgemeinen Kapitalgesellschaftsrecht fest, dass eine Verbotsnorm auf den Erwerb mittelbarer eigener Anteile anwendbar ist, so darf diese Wertung nicht durch eine „Flucht in die strengere Rechtsform“ mittels Formwechsel umgangen werden. Diese Umgehungsgefahr impliziert die Notwendigkeit, dass die Rechtsregime von GmbH und AktG hinsichtlich der Behandlung mittelbarer eigener Anteile unterschiedlich streng sind. Nur dann droht ein Unterlaufen der schärferen Regelungen. Durch die Anknüpfung an §§ 71 ff. AktG, § 33 GmbHG bei der Behandlung mittelbarer eigener Anteile ist auch diese Voraussetzung erfüllt (s.o.). 60 DNotI, Gutachten mit der Abrufnummer 102869, 1. 61 Der BGH hält es jedenfalls für zulässig, dass beim Formwechsel in eine GmbH & Co. KG die Komplementär-GmbH hinzutritt, BGH v. 9.5.2005 – II ZR 29/03, NZG 2005, 722 mit Verweis auf BGHZ 142, 1, 5. 62 Heckschen/Weitbrecht, ZIP 2017, 1297, 1303, mit ausführlicher Begründung. 63 Heckschen/Weitbrecht, ZIP 2017, 1297, 1303.

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Mittelbare eigene Anteile beim Formwechsel

bb) Einschränkungen Einschränkungen der vorstehend formulierten Grundsätze können in Betracht kommen, wenn schützenswerte Interessen insbesondere der Anteilseigner und ihrer Rechtsvorgänger einer analogen Anwendung der Vorschriften des Rechtsregimes des Zielrechtsträgers widersprechen.64 Dies sind vor allem Vertrauensschutzgesichtspunkte.65 Problematisch sind Fälle, in welchen die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen an eine Gesellschaft rechtmäßig erfolgt und der Veräußerer gutgläubig ist, also nicht an einem Gesamtplan mitwirkt, Vorschriften des Zielrechtsträgers eines späteren Formwechsels zu umgehen. Welchen Interessen in einem solchen Fall der Vorrang eingeräumt werden muss, bedarf einer sorgfältigen Prüfung. Im Falle eines späteren Formwechsels in eine AG ist beispielsweise zu beachten, dass bei analoger Anwendung von § 71 Abs. 1 AktG jedenfalls die Veräußerungspflicht des § 71c Abs. 1 AktG analog eingreift, sodass die vom Gesetz missbilligte mittelbare Selbstbeteiligung auch ohne schuldrechtliche Rückabwicklung beseitigt werden wird. Auf die normalerweise einschlägige Rechtsfolge der Nichtigkeit des schuldrechtlichen Grundgeschäfts analog § 71 Abs. 4 Satz 2 AktG könnte hier bei Gutgläubigkeit des Gesellschafters verzichtet werden.66 cc) Keine Umgehungsgefahren hinsichtlich § 71d Satz 2 AktG bei ­Formwechsel der GmbH in die AG Strengere Vorschriften des Rechtsregimes des Zielrechtsträgers, die an einen unerwünschten Zustand und nicht an einen missbilligten Erwerb anknüpfen, können durch den Formwechsel nicht unterlaufen werden. In diesen Fällen besteht nicht das Problem, dass die Sanktionsnormen in ihrer direkten Anwendung auf einen Zeitpunkt abzielen, in welchem in der Person des Ausgangsrechtsträgers keine rechtswidrige Rechtshandlung vorgenommen wurde. Vielmehr genügt es dann, wenn der missbilligte Zustand während der Existenz des Zielrechtsträger eintritt. Der früheste Moment, in welchem dies unter dem Regime des AktG eintreten kann, ist der Eintritt der Wirksamkeit des Formwechsels. Dies ist der Moment der Eintragung in das Handelsregister (§§  202 Abs.  1, 198 UmwG).67 Im Falle der Aktiengesellschaft knüpft § 71d Satz 2 und 4 AktG die analoge Anwendung von §§ 71 Abs. 4, 71b, 71c AktG an das Bestehen einer mittelbaren Selbstbeteiligung eines herrschenden Unternehmens entgegen § 71 Abs. 2 Nr. 1 bis 5, 7 und 8 und Abs. 2 AktG. Ab Wirksamkeit des Formwechsels wird ein solcher Zustand missbilligt und es treten die Sanktionswirkungen der §§ 71 ff. AktG ein. Eines Umgehungsschutzes im Falle des Formwechsels bedarf es hier also nicht.

64 Heckschen/Weitbrecht, ZIP 2017, 1297, 1303 und 1304. 65 Ausführlich zu der Parallelproblematik bei (unmittelbaren) eigenen Anteilen siehe Heckschen/Weitbrecht, ZIP 2017, 1297, 1303. 66 Vgl. ausführlich Heckschen/Weitbrecht, ZIP 2017, 1297, 1304. 67 Vossius in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, Stand: Februar 2014, § 198 UmwG Rz. 1.

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dd) Formwechsel von der AG in die GmbH (1) Verstoß beim Ausgangsrechtsträger gegen §§ 71d Satz 2, 71 Abs. 2 Satz 3 AktG Verstößt eine mittelbare Selbstbeteiligung des Ausgangsrechtsträgers (die unter § 71d Satz  2 AktG fällt) mangels Volleinzahlung vor der Veräußerung gegen §  71 Abs.  2 Satz 3 AktG, so ist gemäß §§ 71d Satz 2, 71 Abs. 4 Satz 2 AktG das schuldrechtliche Verpflichtungsgeschäft über die Veräußerung des Anteils nichtig. Erfolgt nun ein Formwechsel in eine GmbH stellt sich die Frage, ob hierdurch eine Wertung des ­GmbHG unterlaufen werden kann. Folgt man der oben beschriebenen Ansicht, die auch im Falle mittelbarer eigener Anteile gemäß § 33 Abs. 1 GmbHG analog das Verfügungsgeschäft für nichtig hält, so greift ab Wirksamkeit des Formwechsels §  33 Abs. 1 GmbHG.68 Vertrauensschutzgesichtspunkte kommen hier nicht zum Tragen. Im Ergebnis setzt sich hier entsprechend dem oben entwickelten Konzept die strengere Rechtsordnung des Zielrechtsträgers durch. Folgt man der Ansicht, die im Falle mittelbarer eigener Anteile trotz fehlender Volleinzahlung auf die Nichtigkeit der Verfügung verzichtet, so ergibt sich durch den Formwechsel kein Problem. Die Wertungen der Rechtsregime von Ausgangs- und Zielrechtsträger stimmen hinsichtlich der Nichtigkeitsfolge überein. Die Veräußerungspflicht aus § 71c AktG entfällt in jedem Fall mit Wirksamkeit des Formwechsels. Das GmbHG kennt keine derartige Pflicht. (2) Verstoß beim Ausgangsrechtsträger nur gegen §§ 71d Satz 2, 71 Abs. 1 AktG Im umgekehrten Fall der milderen Zielrechtsordnung ist der allgemeine Zweck des UmwG 1995 zu beachten, eine „Flucht in die günstigere Rechtsform“69 zu ermöglichen (und zu fördern). Es entspricht daher dem Sinn des UmwG 1995, mit Wirksamkeit des Formwechsels eine Heilung von Verstößen anzunehmen, die von der Rechtsordnung des Zielrechtsträgers nicht missbilligt werden. Kann man also bei Erwerb einer mittelbaren Selbstbeteiligung einen Verstoß gegen § 71 Abs. 1 AktG analog annehmen, der nicht gleichzeitig einen Verstoß gegen §  71 Abs.  2 Satz  2 oder Satz  3 AktG analog darstellt, so wird man im Falle eines Formwechsels in eine GmbH mangels hypothetischen Verstoßes gegen § 33 Abs. 1 und Abs. 2 GmbHG ab Wirksamkeit des Formwechsels eine Heilung der Nichtigkeit des schuldrechtlichen Grundgeschäfts annehmen müssen. Es setzten sich also auch hier die Wertungen der Rechtsordnung der Zielrechtsform durch. Auch eine Veräußerungspflicht analog §  71c AktG entfällt mit Wirksamkeit eines Formwechsels in eine GmbH. Dies ergibt sich aus der klaren Wertung des § 33 Abs. 2

68 Zur Begründung beim vergleichbaren Fall (unmittelbarer) eigener Anteile Heckschen/Weitbrecht, ZIP 2017, 1297, 1305. 69 Vgl. Heckschen/Weitbrecht, ZIP 2017, 1297, 1303.

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Mittelbare eigene Anteile beim Formwechsel

Satz 3 GmbHG, der es bei der schuldrechtlichen Rückabwicklung belässt. Das Institut der aktienrechtlichen Veräußerungspflicht ist dem GmbHG fremd. Sollte sich in der Praxis einmal eine Situation ergeben, in welcher das Bestehen eigener Aktien für die Aktionäre wichtiger ist als die Organisation des Unternehmensträgers als AG, so kann erwogen werden, den Sanktionen der §§ 71 ff. AktG durch einen Formwechsel in eine GmbH zu entgehen. Eine solche „Flucht in die günstigere Rechtsform“ würde keine Umgehung darstellen, sondern eine vom UmwG 1995 gerade erwünschte Umstrukturierungsmaßnahme.70 Ob dies auch wirtschaftlich sinnvoll ist, hängt maßgeblich vom jeweiligen Einzelfall ab. Die Formwechseloption gewinnt jedenfalls an Bedeutung, wenn die GmbH in der jeweiligen Unternehmenssituation ohnehin die günstigere Rechtsform des Unternehmensträgers darstellt. Dann kann die zusätzliche Belastung durch die §§ 71 ff. AktG die Entscheidung zur Korrektur der ursprünglichen Rechtsformwahl durch einen Formwechsel erleichtern beziehungsweise beschleunigen. b) Anwendung der entwickelten Grundsätze auf die Einheits-GmbH & Co. KG Die vorstehend entwickelten Grundsätze sollen nun auf das oben bereits erwähnte Beispiel der formwechselnden Einheits-KG angewendet werden. Aus der Praxis ist der folgende einfache Fall bekannt: Der Ausgangsrechtsträger eines Formwechsels ist eine sogenannte „Einheits-GmbH & Co. KG“. Die KG, deren einzige Komplementärin eine GmbH ist, ist Alleingesellschafterin ihrer eigenen Komplementär-GmbH. Zielgesellschaft ist eine AG.71 Weiterhin ist davon auszugehen, dass die von der Ausgangs-KG kontrollierte Komplementär-GmbH 26 % der KG hält und der Besitz der GmbH-Geschäftsanteile durch die Ziel-AG infolge des Formwechsels nicht von einem der Erlaubnissätze des § 71 Abs. 1 (i.V.m. § 71d Satz 2) AktG gedeckt ist. Die Ziel-AG könnte schließlich die von ihr gehaltenen Anteile der GmbH nicht in § 71 Abs. 2 Satz 2 AktG genügender Weise erwerben, weil dafür nicht ausreichend freies Vermögen vorhanden ist. Der Formwechsel wird durch die beim Ausgangsrechtsträger bestehenden mittelbaren eigenen Anteile nicht gehindert.72 Problematischer ist die Frage des Umgangs mit den mittelbaren Selbstbeteiligungen der Ziel-AG nach Wirksamkeit des Formwechsels durch Eintragung in das Handelsregister. Es wurde vertreten, dass in einem solchen Fall über eine analoge Anwendung von § 56 AktG die §§ 71b, c AktG entsprechend heranzuziehen seien.73 Dem ist entgegenzuhalten, dass § 56 AktG nur für die Gründung ein pauschales Zeichnungsverbot für eigene Anteile sowie mittelbare eigene Anteile enthält. § 56 Abs. 1 AktG ist auf den Formwechsel selbst jedoch nicht anwendbar.74 Vielmehr sind die differenzierenden Vorschriften der §§ 71 ff. AktG, § 33 GmbHG zu beachten. Für mittelbare Beteiligungen können keine strengeren Voraus70 Vgl. Heckschen/Weitbrecht, ZIP 2017, 1297, 1303. 71 Zu diesem Fall vgl. DNotI Gutachten mit der Abrufnummer 102869. 72 Vgl. oben unter II.3. 73 DNotI, Gutachten, Abrufnummer: 102869, 2 f. 74 Ausführlich Heckschen/Weitbrecht, ZIP 2017, 1297, 1299.

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Heribert Heckschen

setzungen gelten. Richtigerweise wird man daher wie bei unmittelbaren eigenen Anteilen danach fragen müssen, ob der Erwerb der mittelbaren eigenen Anteile in der Person des Zielrechtsträgers rechtmäßig gewesen wäre oder gegen ein Erwerbsverbot (analog § 33 Abs. 2 Satz 1, § 71d Satz 2 AktG) verstoßen hätte.75 Hieraus ergibt sich, dass nicht jeder mittelbare eigene Anteil eines herrschenden Unternehmens (Ausgangsrechtsträger) im Anschluss an den Formwechsel missbilligt wird. Ist jedoch ein Verstoß gegen ein Erwerbsverbot zu bejahen, so sind anschließend die Sanktionen eines Verstoßes zu prüfen. Im Falle des Formwechsels einer Einheits-GmbH & Co. KG in eine AG kommt es nur darauf an, ob ab Wirksamkeit des Formwechsels eine von § 71d Satz 2 AktG i.V.m. §§ 71 ff. AktG missbilligte mittelbare Selbstbeteiligung vorliegt. Fehlen neben der Existenz einer mittelbaren Selbstbeteiligung weitere In­ formationen,76 so kann daher keine Aussage über den Umgang mit den mittelbaren eigenen Anteilen der Ziel-AG getroffen werden. Im vorliegend untersuchten Fall liegt es jedoch anders. Hier war die mittelbare Selbstbeteiligung der Einheits-KG in Höhe von 26  % zwar zulässig. Mit Wirksamkeit des Formwechsels (§§  202 Abs.  1, 198 UmwG) liegt jedoch ein Verstoß gegen die Beteiligungsgrenze des § 71d Satz 2 AktG i.V.m. § 71 Abs. 2 Satz 1 AktG vor. Das schuldrechtliche Grundgeschäft wird daher gemäß 71d Satz 4 i.V.m. § 71 Abs. 4 Satz 2 AktG ab Wirksamkeit des Formwechsels mit Wirkung für die Zukunft unwirksam. Daneben besteht eine Veräußerungspflicht der Ziel-AG gemäß § 71d Satz 4 i.V.m. § 71c Abs. 1 AktG. Mangels Einschlägigkeit eines der Erlaubnissätze des § 71 Abs. 1 AktG liegt zusätzlich ein Verstoß gegen das Erwerbsverbot des § 71d Satz 2 i.V.m. 71 Abs. 1 AktG vor. Hieraus ergibt sich ebenfalls eine Veräußerungspflicht gemäß § 71d Satz 4 i.V.m. § 71c Abs. 1 AktG. Gleiches gilt für den Verstoß gegen § 71d Satz 2 i.V.m. § 71 Abs. 2 Satz 2 AktG. An die Stelle des „Erwerbs“ als fristauslösendes Ereignis des § 71c Abs. 1 AktG tritt die Wirksamkeit des Formwechsels. Dies ergibt sich daraus, dass Erwerb und Besitz der mittelbaren Selbstbeteiligung vor diesem Moment nicht verboten waren.

III. Zusammenfassung und Hinweise für die Praxis 1. Wie im Falle von (unmittelbaren) eigenen Anteilen hindert das Bestehen mittelbarer eigener Anteile den Formwechsel nicht. 2. Um Umgehungen zu vermeiden, richtet sich der Umgang mit den mittelbaren eigenen Anteilen nach Wirksamkeit des Formwechsels ausschließlich nach dem Rechtsregime des Zielrechtsträgers. Ob die mittelbare Selbstbeteiligung unter dem Rechtsregime des Ausgangsrechtsträgers missbilligt wurde, ist unerheblich (Das UmwG 1995 ermöglicht eine „Flucht in die günstigere Rechtsform“). Es ist also danach zu fragen, welche Rechtsfolgen der Erwerb der mittelbaren eigenen Anteile unter Geltung des Rechtsregimes des Zielrechtsträgers ausgelöst hätte. Diese Rechtsfolgen gelten mit Wirksamkeit des Formwechsels grundsätzlich mit Wirkung für die Zu-

75 Anders offenbar DNotI, Gutachten, Abrufnummer: 102869, 2 f. 76 So liegt es im Fall des DNotI (Gutachten mit der Abrufnummer 102869).

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Mittelbare eigene Anteile beim Formwechsel

kunft analog. Knüpfen Sanktionsnormen an den Besitz einer mittelbaren Selbstbeteiligung an und nicht an den Erwerb, so treten keine Probleme auf. 3. Die Behandlung mittelbarer eigener Anteile im (allgemeinen) Gesellschaftsrecht ist eine komplexe und umstrittene Materie. Auch fehlt es überwiegend an höchst­ richterlicher Rechtsprechung zu diesem Thema. Eine gesicherte Rechtslage existiert also nicht. Im Vorfeld eines Formwechsels sind daher die Rechtsfolgen nach Wirksamkeit des Formwechsels noch schwerer abzuschätzen als bei (unmittelbaren) eigenen Anteilen. 4. Berater sollten auf die aus der unsicheren Rechtslage resultierenden Gefahren hinweisen, die im Falle eines Formwechsels bei Bestehen mittelbarer Selbstbeteiligungen drohen können. Ein Hinweis ist sowohl bei der Begründung der mittelbaren eigenen Anteile, als auch im Falle eines sich anbahnenden Formwechsels an­ gebracht. Um spätere Komplikationen in der Praxis zu vermeiden, können besonders vorausschauende Berater bereits beim Erwerb mittelbarer eigener Anteile den Blick auf das Rechtsregime eines potenziellen späteren Zielrechtsträgers wenden und dessen Wertungen berücksichtigen. 5. Hat eine mittelbare Selbstbeteiligung in der Person einer AG nur zu einem Verstoß gegen §§ 71d Satz 2, 71 Abs. 1 AktG geführt, so kann erwogen werden, sich die Heilungswirkung eines Formwechsels in eine GmbH zunutze zu machen, um sich den Sanktionswirkungen des AktG zu entziehen.

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Hans-Joachim Priester

Einlageleistung und Enthaftung – Bestimmungsrecht des Kommanditisten Inhaltsübersicht

I. Problem

II. Anstoß durch den BFH 1. Entschiedene Fälle 2. Argumentation des Gerichts III. Handelsrechtliche Beurteilung



1. Kriterien enthaftender Einlageleistung 2. Tilgungsbestimmung 3. Enthaftung (§ 171 Abs. 1 Halbs. 2 HGB) – ius cogens?

IV. Fazit

I. Problem In § 171 Abs. 1 HGB heißt es: „Der Kommanditist haftet den Gläubigern der Gesellschaft bis zur Höhe seiner Einlage unmittelbar, die Haftung ist ausgeschlossen, soweit die Einlage geleistet ist.“ Eine altbekannte, schlichte Vorschrift. Sie hat es gleichwohl in sich. Im Folgenden soll es darum gehen, ob ein Kommanditist bestimmen kann, inwieweit er bei Leistungen in das Eigenkapital der Gesellschaft die Rechtsfolge der Enthaftung ausschließen kann oder nicht. Im Regelfall wird der Kommanditist froh sein, wenn er durch Einlageleistungen von seiner Außenhaftung befreit wird. Es gibt aber auch Ausnahmen. Einmal kann der Kommanditist ein Interesse daran haben, sich die steuerrechtliche Ausgleichs- und Abzugsfähigkeit von Verlusten aus § 15a Abs. 1 Satz 1 EStG, „aufzusparen“. Ein weiteres – wenngleich selteneres – Movens könnte darin liegen, im Interesse der Kreditgeber eine Haftungserweiterung herbeizuführen: Das Gesellschaftsvermögen wird um den eingelegten Vermögensgegenstand erhöht, andererseits bleibt die Möglichkeit, den Gesellschafter in Höhe der bestehenbleibenden Differenz zwischen Haftsumme und bisher geleisteter Einlage persönlich in Anspruch zu nehmen1. Diese Frage ist erst vor etwa zehn Jahren auf dem gesellschaftsrechtlichen Bildschirm aufgetaucht, nachdem der BFH in zwei grundlegenden Urteilen dem Kommanditisten ein entsprechendes Bestimmungsrecht zugesprochen hat2. Der Verfasser verrät, dass er ein Parteigänger dieser Rechtsprechung ist. 1 BFH v. 11.10.2007 – IV R 38/05, BStBl. 2009, 135, FR 2008, 366 m. Anm. Kempermann, DB 2008, 96, GmbHR 2008, 217 (219). 2 BFH v. 11.10.2007 – IV R 38/05, FR 2008, 366 m. Anm. Kempermann, GmbHR 2008, 217, 219 f.; v. 16.10.2008 – IV R 98/06, BStBl. II 2009, 272, GmbHR 2009, 274 m. Anm. Müller/ Marchand, FR 2009, 578 m. Anm. Kempermann, DB 2009, 429, DStR 2009, 212.

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Wenn die nach wie vor umstrittene Frage hier aus Anlass des 70.  Geburtstags von Georg Crezelius wieder auf den Tisch gebracht wird, so geschieht das, weil der Destinatär sowohl im Steuerrecht als auch im Gesellschaftsrecht jeweils eine herausragende Adresse darstellt.

II. Anstoß durch den BFH 1. Entschiedene Fälle Das erste der beiden BFH-Urteile3 hatte eine Sacheinlage zum Gegenstand. Der Sachverhalt sah so aus: Klägerin war eine GmbH & Co. KG, der Beigeladene deren Kommanditist. Aufgrund von Gesellschafterbeschlüssen wurde die Kommanditeinlage des Kommanditisten auf zuletzt 520.000 DM erhöht und mit diesem Betrag in das Handelsregister eingetragen. Zahlungen auf die Kommanditeinlage wurden nicht geleistet. Der Kommanditist übertrug jedoch seine in Florida gelegene Eigentumswohnung auf die Gesellschaft. In der Bilanz wurde das Grundstück als Einlage mit dem Teilwert von 600.000 DM auf dem (variablen) Kapitalkonto II erfasst. Die Bilanz wies weiterhin eine Forderung der Klägerin auf Leistung der Kommanditeinlage von 520.000 DM aus. Das Finanzamt vertrat die Auffassung, durch die Einlage der Eigentumswohnung sei die ausstehende „Hafteinlageverpflichtung“ erfüllt worden. Die Klägerin legte gegen den einschlägigen Bescheid (er betraf das Jahr 1998) Einspruch mit der Begründung ein, der Beigeladene habe die Immobilie zusätzlich zu der im Handelsregister eingetragenen „Hafteinlage“ in das Gesellschaftsvermögen eingelegt. Die dagegen gerichtete Klage hatte Erfolg4. Der BFH befand, die Revision sei nicht begründet. Das zweite der Urteile5 hatte sich mit Bareinlagen zu befassen. Es ging – soweit für die hier behandelte Rechtsfrage relevant – um folgenden Sachverhalt: Klägerin war wieder eine GmbH  & Co. KG. Ihre Gesellschafter hatten beschlossen, das Kapital um 5 Millionen DM zu erhöhen. Diese Kapitalerhöhung sollte aber nicht in das Handelsregister eingetragen werden. In der Bilanz der Gesellschaft wurden die 5 Mio. unter „Kapitalrücklage 2“ ausgewiesen. Dem lag die Bestimmung in § 13 Abs. 2 des Gesellschaftsvertrages zugrunde, wonach als „gesamthänderisch gebundene Rücklage“ der nicht für eine bestimmte Kapitaleinzahlung benötigte Betrag auszuweisen war. Das Finanzamt stellte sich auf den Standpunkt, die 5 Mio seien in das Kapitalkonto einzubeziehen und steuerlich als Zahlung auf die „Hafteinlage“ anzusehen6.

3 BFH v. 11.10.2007 – IV R 38/05, FR 2008, 366 m. Anm. Kempermann, GmbHR 2008, 217 ff. 4 FG Hamburg v. 20.5.2005 − VI 30/03, EFG 2005,1431. 5 BFH v. 16.10.2008 – IV R 98/06, GmbHR 2009, 274 m. Anm. Müller/Marchand, FR 2009, 578 m. Anm. Kempermann, DStR 2009, 212 ff. 6 FG Hamburg v. 20.10.2006 – 7 K 151/04, EFG 2007, 405 m. zust Anm. Valentin.

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Einlageleistung und Enthaftung

2. Argumentation des Gerichts Die grundlegenden Rechtsausführungen des BFH liest man verständlicherweise im ersten Urteil7. Das Gericht beginnt handelsrechtlich und hält fest, nach § 171 Abs. 1 HGB hafte der Kommanditist den Gläubigern bis zur Höhe seiner Einlage unmittelbar. Mit „Einlage“ meine das Gesetz die „Haftsumme“, die sich zwar regelmäßig, aber nicht notwendig mit der nach dem Gesellschaftsvertrag zu leistenden „Pflichteinlage“ decke. Ob der Kommanditist seine Einlage geleistet habe, richte sich nach Handelsrecht. Dies folge daraus, dass der erweiterte Verlustausgleich in § 15a Abs. 1 Satz 2 EStG ausdrücklich an die Haftung des Kommnditisten nach § 171 Abs. 1 HGB anknüpfe. Als gesicherte handelsrechtliche Auffassung könne jedenfalls angenommen werden, dass nicht jegliche Vermögensmehrung durch den Kommanditisten an die KG für eine Haftungsbefreiung nach § 171 Abs. 1 Halbs. 2 HGB ausreiche, sondern dass die Zuführung des Vermögenswertes aufgrund der Einlageverpflichtung im Gesellschaftsvertrag zu erfolgen habe. Dann wird es ernst: Der BFH stellt fest, in der zivilrechtlichen Rechtsprechung und Literatur sei anerkannt, dass der Schuldner einer Leistung eine sog. negative Tilgungsbestimmung treffen kann. Erkläre er bei Bewirkung der zur Erfüllung einer bestimmten Schuld geeigneten Leistung, sie solle ihm nicht zur Erfüllung dieser Schuld dienen, so erlösche die Schuld nicht. Hieraus folge, dass der Kommanditist die Möglichkeit habe, der Gesellschaft weiteres Eigenkapital zuzuführen, ohne dass die Forderung aus der Pflichteinlage erlischt. Erst recht könne eine derartige Bestimmung im Einvernehmen zwischen Gesellschaft und Kommanditist vorgesehen werden. Am Ende trifft der BFH dann noch die steuerrechtlich entscheidende Feststellung, der zu beurteilende Sachverhalt habe einen Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten (§ 42 AO) nicht erkennen lassen. In seinem zweiten vorstehend geschilderten Urteil erklärte das Gericht, der Senat halte „an seiner Rechtsprechung zur zusätzlich zur noch nicht erbrachten Hafteinlage gezahlten Einlage bei negativer Tilgungsbestimmung ausdrücklich fest“8. Aus aktueller Sicht hätte der BFH statt „noch nicht erbrachter Hafteinlage“ besser „noch nicht erreichter Haftsumme“ formuliert. Er hätte dann den heute überholten Begriff „Haft­ einlage“ vermieden9. Diese begriffliche Unschärfe dürfte aber am Ergebnis nichts ändern.

7 BFH v. 11.10.2007 – IV R 38/05, GmbHR 2008, 218 ff. 8 BFH v. 16.10.2008 – IV R 98/06, DStR 2009, 213. 9 Dazu nachstehend unter III.1.

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III. Handelsrechtliche Beurteilung 1. Kriterien enthaftender Einlageleistung Zunächst bedarf der Begriff „Einlage“ einer Präzisierung. Wie soeben schon kurz angeschnitten, unterschied man einst zwischen Hafteinlage und Pflichteinlage. Ursache dafür war die unglückliche Fassung des § 171 Abs. 1 HGB, wo sowohl der Maßstab für die Haftung des Kommanditisten gegenüber den Gläubigern (§ 171 Abs. 1 Halbs. 1) als auch das Mittel seiner Enthaftung (§ 171 Abs. 1 Halbs. 2) mit „Einlage“ bezeichnet wird. Zur Abhilfe hat man das Begriffspaar Hafteinlage/Pflichteinlage entwickelt – ein untauglicher Versuch. Die sog. „Hafteinlage“ betrifft die abstrakte der Außenhaftung des Kommanditisten10. Demgegenüber handelt es sich bei der Pflichteinlage um den sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Anspruch der Gesellschaft gegenüber dem Kommanditisten11. Durchgesetzt hat sich deshalb das Begriffspaar Haftsumme/Pflichteinlage. Beide Beträge stimmen regelmäßig überein12. Das muss aber nicht so sein. Es kommt etwa vor, dass die Haftsumme größer ist als die Pflichteinlage. Dann stellt der Kommanditist den überschießenden Betrag der Gesellschaft als Kreditbasis zur Verfügung. Hinsichtlich der Voraussetzungen für eine Haftungsbefreiung stritten früher die „Vertragstheorie“ und die „Verrechnungstheorie“. Die Vertragstheorie wollte nur solche Leistungen des Kommanditisten an die Gesellschaft als Einlage anerkennen, die auch als Einlage geleistet und entgegengenommen werden13. Demgegenüber stellte die Verrechnungstheorie lediglich darauf ab, ob der Gesellschaft Mittel zugeflossen sind14. Inzwischen hat sich jedoch die Auffassung durchgesetzt, eine Haftungsbefreiung setze die Erfüllung eines Doppeltatbestandes voraus: Leistung „auf die Einlage“ und Wertdeckung15. Ersteres bedeutet, es muss der Gesellschaft Eigenkapital zugeführt werden16. Eine Darlehensgewährung oder die Zufuhr als stille Einlage genügt nicht. Das Erfordernis einer Werthaltigkeit der Einlage wird in erster Linie bei Sacheinlagen relevant und folgt aus der Enthaftung des Kommanditisten: Im Interesse der Gläubiger darf er nur bei vollwertiger Leistung frei werden17.

10 Statt vieler: Karsten Schmidt, GesR, 4. Aufl. 2002, § 54 I. 2a, 1560 f. 11 Etwa Gummert in Henssler/Strohn, GesR., 3. Aufl. 2016, § 172 Rz. 5. 12 Bei Geldeinlagen ist die Übereinstimmung Auslegungsregel; Strohn in Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn, 3. Aufl. 2014, § 171 HGB Rz. 8. 13 Ulrich Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil in Personengesellschaften des Handelsrechts, 1970, 212. 14 Nachweise bei Karsten Schmidt, MünchKomm/HGB, 3. Aufl. 2012, § 172 HGB Rz. 45. 15 Karsten Schmidt, GesR (Fn.10), 1565 f. 16 Koller/Kindler/Roth/Morck, 3. Aufl. 2015, § 172 HGB Rz. 12. 17 Heidel/Schall, 2. Aufl. 2015, § 171 HGB Rz. 44.

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Einlageleistung und Enthaftung

2. Tilgungsbestimmung Im Regelfall tritt die Erfüllungswirkung bereits als objektive Folge der Leistungsbewirkung ein18. Der Schuldner kann jedoch über die Zuweisung zu einem bestimmten Rechtsgrund entscheiden19. Umgkehrt kann der Schuldner, der eine Leistung erbringt, die einer bestimmten Schuld zugeordnet werden kann, die an sich eintretende Erfüllungswirkung durch eine „negative Tilgungsbestimmung“ ausschließen20. Wie § 366 Abs. 1 BGB zeigt, meint es der Gesetzgeber insoweit nett mit dem Schuldner. Adressat der Tilgungsbestimmung ist der Gläubiger. Da die Einlage der Kommanditgesellschaft geschuldet wird, hat die entsprechende Erklärung dieser gegenüber zu erfolgen. Das gilt im Falle der Einlageleistung zur Abgrenzung von Fällen der Schuldentilgung oder etwa der Darlehensgewährung. Erst recht bedarf es einer ausdrücklichen Erklärung im Ausnahmefall der Leistung nicht auf die Einlage, sondern auf ein anderes Eigenkapitalkonto. Es fragt sich noch, ob eine solche negative Tilgungsbestimmung die Zustimmung der Mitgesellschafter erfordert. Man wird das verneinen müssen. Es ließe sich zwar aus § 167 Abs. 2 HGB ableiten, dem Kommanditisten stehe mangels entsprechender Regelung im Gesellschaftsvertrag kein Recht zur einseitigen Erhöhung seines Kapitalanteils zu21. Darum handelt es sich hier aber nicht. Der Kommanditist stockt sein Rücklagenkonto auf, sein für die Bemessung der Gewinnbeteiligung maßgebendes Kommanditkapital bleibt dagegen unverändert. Was die beiden Entscheidungen des BFH angeht, brauchte sich das Gerichtr mit dieser Frage nicht auseinanderzusetzen, da in beiden Fällen ein einvernehmliches Zusammenwirken der Gesellschafter vorlag. Der negativen Tilgungsbestimmung ist vorgehalten worden, sie sei mit der Rechtssicherheit nicht vereinbar. Sie biete Manipulationsmöglichkeiten, da nicht ausgeschlossen werden könne, dass die Gesellschafter zwar gegenüber den Finanzbehörden auf die gesonderte Buchung verweisen, der Kommanditist sich aber bei Inanspruchnahme durch einen Gesellschaftsgläubiger darauf beruft, er habe der Gesellschaft hinreichend Eigenkapital zugeführt22. Dem ist entgegenzusetzen: Unter der Voraussetzung, dass die Maßnahmen in der Buchhaltung sauber dokumentiert sind – Leistung dem Rücklagenkonto gutgeschrieben – keine Buchung auf dem Kommanditkapital-Konto, scheidet eine Manipulation aus. 18 Dennhard in BeckOK/BGB, § 362 Rz. 21 (42. Ed 2017). 19 BGH v. 14.7.1972 – V ZR 176/70, NJW 1972, 1750. 20 Fetzer in MünchKomm/BGB, 7. Aufl., § 262 BGB Rz. 10; Grüneberg in Palandt, 77. Aufl. 2018, § 362 BGB Rz. 1; H.P. Westermann/Buck-Heeb in Erman, 15. Aufl. 2017, § 362 Rz. 3. 21 Der Gesellschaftsvertrag kann den Kommanditisten allerdings ein Aufstockungsrecht gewähren; Roth in Baumbach/Hopt, 37. Aufl. 2016, § 167 HGB Rz. 7; Grunewald in MünchKomm/HGB, 3.  Aufl. 2012, §  167 HGB Rz.  18; vgl. auch Weipert in Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn, 3. Aufl. 2014, § 167 HGB Rz. 3. 22 Hüttemann/Meyer, DB 2009, 1613 (1618). Die Verfasser gehen sogar so weit, von „Doppelspiel“ zu sprechen.

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Wenn dem Kommanditisten angesonnen wird, er könne sein Ziel auch erreichen, indem er die Einlageleistung mit einer Erhöhung der Haftsumme verbindet23, dürfte ihm das indessen aus zwei Gründen nicht zu empfehlen sein: Zum einen erweitert er seine Haftung – auch unter dem Gesichtspunkt des § 172 Abs. 4 HGB – über das bisherige Maß hinaus. Zum anderen müsste er mangels entsprechender Vertragsklausel im Hinblick auf § 167 Abs. 2 HGB die Zustimmung seiner Mitgesellschafter einholen24. 3. Enthaftung (§ 171 Abs. 1 Halbs. 2 HGB) – ius cogens? Die negative Tilgungsbestimmung könnte allerdings daran scheitern, dass der § 171 Abs. 1 Halbs. 2 HGB zwingendes Recht darstellt und Kommanditisten darüber nicht verfügen können. Eine Eigenkapital-Zufuhr durch den Kommanditisten sei stets auf die Haftsumme anzurechnen und verringere damit die Außenhaftung der Kommanditisten. Diese vom BFH in seinen beiden Urteilen nicht erörterte Frage der Abdingbarkeit wird im Schrifttum ganz überwiegend dahin beantwortet, die Vorschrift des § 171 Abs. 1 Halbs. 2 HGB sei nicht disponibel25. Sie knüpfe, wie der BGH entschieden habe26, ohne weiteres an die erbrachte Einlageleistung an27. Auch eine teleolo­ gische Reduktion komme nicht in Betracht, da sie mit dem Regelungskonzept der §§ 171 ff. nicht kompatibel sei28. Diese Interpretation des §  171 Abs.  1 Halbs.  2 HGB vermag nicht zu überzeugen. Dem Text der Vorschrift lässt sich die herrschende Auffassung nicht entnehmen. Sie zieht aus der normalen Interessenlage des Kommanditisten den richtigen Schluss: Hat er rite geleistet, soll er von der Haftung gegenüber den Gläubigern der Gesellschaft befreit sein. An ein abweichendes Interesse des Kommanditisten – nämlich: kein Freiwerden von seiner Haftung  – hat der historische Gesetzgeber nicht gedacht. Bei Schaffung des HGB im Jahre 1897 hatte man verständlicherweise den §  15a EStG nicht im Visier. Damit ist aber keineswegs darüber entschieden, ob § 171 Abs. 1 Halbs. 2 HGB als ius cogens einzustufen ist. Die dies ablehnende Gegenansicht hat vielmehr die besseren Argumente für sich. Nach genereller Auffassung richtet sich die im Rahmen der Subsumtion unter die steuerrechtliche Vorschrift des § 15a EStG anzustellende Beurteilung nach Handelsrecht29. Diese Rechtsmaterie gewährt aber der Privatautonomie, 23 Hüttemann/Meyer, DB 2009, 1613 (1619). 24 Vgl. Fn. 19. 25 Dezidiert Hüttemann/Meyer, DB 2009 1613 (1615  ff.); Schmidt/Wacker, 37.  Aufl. 2017, § 15a EStG Rz. 121; vorsichtiger Karsten Schmidt (Fn. 14), § 171/172 HGB Rz. 48b. Die Gegenposition vertritt Kempermann, DStR 2008, 1917 (1918). 26 BGH v. 10.12.1984 – II ZR 28/84, BGHZ 93, 159 (162); von einer negativen Tilgungsbestimmung ist der Entscheidung aber nichts zu entnehmen. 27 Hüttemann/Meyer, DB 2009 1613 (1617 f.). 28 Hüttemann/Meyer, DB 2009, 1613 (1618). 29 BFH v. 11.10.2007 – IV R 38/05, GmbHR 2008, 218; v. 6.3.2008 – IV R 35/07, DB 2008, 846 f.

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Einlageleistung und Enthaftung

insbesondere für das Gesellschaftsrecht weitreichende Parteidisposivität30. Wenn das Instrument der negativen Tilgungsbestimmung allgemein und sogar im Steuerrecht als zulässig angesehen wird, ist nicht erkennbar, warum die Vorschrift des § 171 Abs. 1 Halbs. 2 HGB abweichend vom verständlichen Regelfall privatautonome Gestaltungen nicht zulässt. Ihr Wortlaut spricht jedenfalls nicht dafür. Gegen den BFH wird ins Feld geführt, in seiner hier behandelten Rechtsprechung schwinge die überholte Rechtsfigur der „Hafteinlage“ mit31. Wäre das von Bedeutung? Die negative Tilgungsbestimmung ist ein bürgerlichrechtliches Instrument. Es sorgt für eine Zufuhrsteuerung, nämlich dafür, dass beide Teile (Reduzierung der Einlagepflicht und Zuführung zu Rücklagen) nebeneinander vollzogen werden. Wo ist da ein – offenbar gesellschaftsrechtliches – Hindernis, etwa in Gestalt eines ius cogens?

IV. Fazit Der BFH hat einem Kommanditisten das Recht eingeräumt, im Wege der negativen Tilgungsbestimmung darüber zu entscheiden, ob seine Einlageleistung in das Eigenkapital der Gesellschaft haftungsverkürzend auf die Pflichteinlage angerechnet oder einer Rücklage zugeführt werden soll. Diese Möglichkeit ist im Schrifttum auf breite Ablehnung gestoßen. Sie erscheint aber richtig, da sich die Enthaftung nach Handelsrecht richtet. Einschlägig ist hier § 171 Abs. 1 Halbs. 2 HGB. Diese Vorschrift knüpft die Enthaftung im Regelfall zutreffend an die Einlageleistung. Nicht erkennbar ist jedoch, warum sie der Parteidisposition entzogen und eine abweichende Gestaltung nicht zulassen soll.

30 Was sogar ein Anhänger der Mehrheitsmeinung ausdrücklich vertritt: Valentin, EFG 2007, 408 (409). 31 Karsten Schmidt, ähnlich Schmidt/Wacker – beide wie Fn. 25.

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Wolfgang Reimann

Die Einbringung von Nachlassgegenständen in Gesellschaften Inhaltsübersicht

I. Ausgangslage

II. Ausgliederung und Einbringung bei Miterbengemeinschaften III. Einbringung bei angeordneter Nacherbfolge 1. Grundsatz 2. Surrogation bei Einbringungs­ vorgängen? 3. Voll entgeltliche Einbringung? 4. Weiteres Problem: Nachfolgeregelung 5. Folgen für die weitere Verwaltung der Gesellschaft

IV. Einbringungsvorgänge bei Nachlässen unter Testaments­vollstreckung 1. Grundsatz 2. Das Surrogationsprinzip im Recht der Testamentsvollstreckung 3. Sicherung des Einflusses des ­Testamentsvollstreckers 4. Spätere Änderungen des Gesellschaftsvertrages 5. Testamentsvollstreckung und Nach­ erbfolge

V. Zusammenfassung

Der Jubilar hat sich in seinem fachlichem Wirken in einer bemerkenswerten Synopse von Zivil- und Steuerrecht wiederholt mit erbrechtlichen Fragen beschäftigt. Der nachfolgende Beitrag befasst sich zu Ehren von Georg Crezelius mit einer speziellen praxisrelevanten Frage, nämlich unter welchen Voraussetzungen und mit welchen Folgen Erben einzelne Nachlassgegenstände in Gesellschaften, seien es Personengesellschaften, seien es Kapitalgesellschaften, einbringen können. Im Vordergrund stehen dabei die Fälle, in denen der Erblasser Nacherbfolge oder Testamentsvollstreckung oder beides angeordnet hat.

I. Ausgangslage Komplexe Nachlässe sind schwer zu verwalten. Aus diesem Grunde werden häufig einzelne – meist größere und wertvollere – Nachlassgegenstände aus dem Nachlass ausgegliedert und in Gesellschaften eingebracht. Ziel ist meist, die eigenständige Verwaltung dieses Bereichs zu ermöglichen und deren Kompetenz und Dynamik zu nutzen. Ein Beispielsfall mag dies erläutern: Zum Nachlass gehört eine Immobilie, auf der sich eine Wohnanlage mit über 200 Wohnungen befindet. Der Erbe will diese Wohnanlage eigenständig und professionell verwalten. Er will dabei die Immobilie in eine Gesellschaft – Rechtsform ist noch nicht festgelegt – einbringen.

Fallabwandlung: Es handelt sich um eine Erbengemeinschaft. Der Erblasser hat Nacherbfolge und Testamentsvollstreckung angeordnet.

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Die Situation ist erkennbar unterschiedlich, je nachdem wie die erbrechtliche Lage ist. Relativ einfach ist die Situation, wenn ein unbeschränkter Alleinerbe darüber zu befinden hat, ob er – aus den genannten oder aus anderen Gründen – derartige Ausgliederungen vornehmen soll. Er hat dabei auf niemanden Rücksicht zu nehmen, er hat allenfalls im eigenen Interesse die steuerlichen Konsequenzen zu berücksichtigen. Steuerrechtlich wird bei der Einbringung einzelner zum Privatvermögen gehörender Wirtschaftsgüter in das betriebliche Gesamthandsvermögen einer Personengesellschaft unterschieden, ob die Übertragung gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten durch Gutschrift des entsprechenden Wertes des eingebrachten Gutes auf einem Kapitalkonto oder unentgeltlich im Wege einer verdeckten Einlage erfolgt. Vollentgeltliche Übertragungsfälle lagen bislang vor, wenn der gemeine Wert des eingebrachten Gutes auf einem Kapitalkonto und/oder einem gesamthänderisch gebundenem Rücklagenkonto der Personengesellschaft gutgeschrieben wird. Unentgeltliche Übertragungsfälle lagen vor, wenn der Einbringende überhaupt keine Gesellschafterrechte erhält und demgemäß die Übertragung des Wirtschaftsgutes ausschließlich auf einem gesamthänderisch gebundenen Rücklagenkonto gutgeschrieben wird oder als Ertrag der Gesellschaft gebucht wird1. Der BFH hat mit Urteilen v. 29.7.2015 – IV R 15/142 − und v. 4.2.2016 – IV R 46/123 − entschieden, dass die Übertragungen des Wirtschaftsgutes auf eine Personengesellschaft dann zu einem entgeltlichen Vorgang führe, wenn die Buchung auf einem Gesellschafterkonto erfolgt, nach dem sich die maßgebenden Gesellschafterrechte, insbesondere das Gewinnbezugsrecht, richten (in der Regel also das Kapitalkonto I), die Qualifikation als Einlage (also als nicht entgeltliches Geschäft) gelte jedenfalls dann, wenn die Buchung ausschließlich auf dem Kapitalkonto II erfolgt. Das BMF hat mit Schreiben v. 26.7.20164 hierzu das bisherige Schreiben v. 11.7.20115 modifiziert. Nach der Rechtsprechung des BFH ist noch offen, ob die partielle Verbuchung auf dem Kapitalkonto I genügt. Der sicherste Weg ist also, die vollständige Verbuchung auf einem Kapitalkonto I oder aber die Verbuchung auf dem Darlehenskonto (Erwerb einer Darlehensforderung), wenn ein entgeltlicher Vorgang erzeugt werden soll6. Entsprechendes gilt bei der Einbringung von Nachlassgegenständen in eine Kapitalgesellschaft. Sind an dieser Nicht-Erben beteiligt, ist die Einbringung nur dann nicht unentgeltlich, wenn die Gesellschaft als Gegenleistung für die Einbringung den vollen Wert des einbrachten Gutes durch Gewährung von Gesellschaftsanteilen und/ oder durch Dotierung offener Rücklagen vergütet7.

1 BFH, BStBl. II 2011, 617; BStBl. II 2009, 464; BMF-Schreiben v. 11.7.2011, BStBl. I 2011, 713. 2 DStR 2016, 217. 3 DStR 2016, 662. 4 BStBl. I 2016, 684. 5 BStBl. I. 2011, 713. 6 Vgl. Hannes/Reich, ZEV 2016, 539. 7 Vgl. zur parallelen steuerrechtlichen Problematik BMF-Schreiben v. 11.11.2011, BStBl.  I 2011, 1314 Rz. E 20.11.

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Unabhängig von den steuerrechtlichen Folgen einer Einbringung ist die zivilrechtliche Rechtslage aber bereits dann anders, wenn eine Erbengemeinschaft besteht und hierüber entscheiden soll. Ist Nacherbfolge angeordnet, sind die gesetzlichen Vorschriften zum Schutz des Nacherben hierbei zu berücksichtigen. Ist der Erbe durch Testamentsvollstreckung beschränkt, stellt sich die Frage, wie sich die Konkurrenz zwischen Erbe und Testamentsvollstrecker auf die beabsichtigte Einbringung auswirkt. Besonders unübersichtlich ist die Rechtslage, wenn der Erbe nicht nur durch Nacherbfolge, sondern auch durch Testamentsvollstreckung beschränkt ist. Den damit zusammenhängenden Problemen soll in diesem Beitrag nachgegangen werden.

II. Ausgliederung und Einbringung bei Miterbengemeinschaften Die Ausgliederung einzelner Nachlassgegenstände aus dem erbengemeinschaftlichem Verbund stellt sich rechtlich als Erbauseinandersetzungsmaßnahme dar. Damit gelten die §§ 2042 ff. BGB. Das Bürgerliche Gesetzbuch überlässt die Erbauseinandersetzung im Wesentlichen der privatautonomen Gestaltung des Erblassers (Teilungsanordnung) oder der Erben (Nachlassauseinandersetzung). Wenn der Erblasser keine Teilungsanordnung erlassen hat, sind somit die Erben aufgerufen, selbst über die Auseinandersetzung zu entscheiden. Alle Erben müssen hierbei mitwirken, eine Mehrheitsentscheidung ist nicht möglich. Kommt es zu keiner Einigung unter den Miterben, kann die Erbengemeinschaft durch notarielle Vermittlung (§§ 363 ff. FamFG) oder im Wege der Auseinandersetzungsklage durch das Prozessgericht auseinandergesetzt werden. Wird die Erbengemeinschaft nur bezüglich des in eine Gesellschaft einzubringenden Nachlassgegenstandes auseinandergesetzt und im Übrigen beibehalten, handelt es sich um eine Teilerbauseinandersetzung. Die Auseinandersetzung und Liquidation einer Erbengemeinschaft erfolgt nach dem gesetzlichen Leitbild im Ganzen und auf einmal8. Der Anspruch des Miterben auf Auseinandersetzung gem. § 2042 BGB ist grundsätzlich auf Vollliquidation gerichtet9. Dies bedeutet aber nicht, dass dies der einzig gangbare und zulässige Weg wäre. Teilerbauseinandersetzungen sind in der Praxis üblich. Das BGB enthält keine Regeln für die Teilerbauseinandersetzung. Die inhaltliche Festsetzung bleibt den Parteien überlassen. Bei Teilerbauseinandersetzungen kommt den vertraglichen Vereinbarungen eine besondere Bedeutung zu. Die Erbauseinandersetzung ist prinzipiell formfrei möglich (§  2042 BGB), allerdings kann sich der Formzwang aus anderen Vorschriften ergeben, insbesondere aus § 311b Abs. 1 BGB oder aus § 15 GmbHG.

8 Lange/Kuchinke, Erbrecht, 5. Aufl. 2001, S. 1145; Muscheler, Erbrecht, 2010, § 50 Rz. 3990. 9 Palandt/Weidlich, 76. Aufl. 2017, § 2042 BGB Rz. 2.

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Auch bei Teilerbauseinandersetzung ist die Mitwirkung aller Miterben erforderlich. Soll also von der Erbengemeinschaft ein Nachlassgegenstand ausgegliedert und in eine Gesellschaft eingebracht werden, bedarf dies der Mitwirkung aller Erben. Keine Probleme ergeben sich dabei, wenn alle Miterben entsprechend ihrer Erbquote auch an der Gesellschaft, in welche der einzelne Nachlassgegenstand eingebracht wird, beteiligt sind (§ 2047 Abs. 1 BGB). Im Rahmen der privatautonomen Gestaltung können die Miterben jedoch hiervon abweichen, also an der Gesellschaft disquotal beteiligt sein. Auch ist es möglich, dass einzelne Gesellschafter darauf verzichten, an der Gesellschaft zu partizipieren. In derartigen Fällen ist aber darauf zu achten, dass die verbleibenden Ausgleichsansprüche der Miterben geregelt werden. Der Inhalt des Teilauseinandersetzungsvertrages kommt bei disquotalen Vermögenszuweisungen auf den Prüfstand, wenn es zur endgültigen Auseinandersetzung der Erbengemeinschaft kommt. Diese kann, auch wenn zuvor eine Teilauseinandersetzung durchgeführt wurde, gem. § 2042 BGB von jedem Miterben jederzeit verlangt werden. Spätestens bei der Erbteilungsklage ist dann zu entscheiden, welche Auswirkungen die Teilvereinbarung hatte. Enthält der Teilauseinandersetzungsvertrag keine Regelungen über die offenen Fragen, sind diese durch Auslegung ergänzend zu ermitteln. Dabei sind die üblichen Auslegungsmethoden anzuwenden. Das gesetzliche Leitbild – quotale Beteiligung aller Miterben am Nachlass – wird stets die Auslegung bestimmen. Allerdings kann die Auslegung auch ergeben, dass die Miterben im Rahmen der Teilerbauseinandersetzung auf eine quotale Beteiligung im Übrigen verzichtet oder diese in anderer Weise modifiziert haben10.

III. Einbringung bei angeordneter Nacherbfolge 1. Grundsatz Hat der Erblasser Nacherbfolge angeordnet, ist die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis des Vorerben durch die §§ 2100 ff. BGB eingeschränkt. Da die Einbringung eines einzelnen Nachlassgegenstandes in eine Gesellschaft ein Verpflichtungsgeschäft und mit der Übertragung des Eigentums auf die Gesellschaft zugleich ein Verfügungsgeschäft ist, sind die insoweit bestehenden gesetzlichen Beschränkungen zum Schutze des Nacherben zu beachten. Zu prüfen ist, ob der Nacherbe an das in der Ausgliederung und Einbringung liegende Verpflichtungsgeschäft des Vorerben gebunden ist, vor allem an den Gesellschaftsvertrag. Für das Verpflichtungsgeschäft gilt § 2144 Abs. 1 BGB. Hiernach haftet der Nacherbe für alle Nachlassverbindlichkeiten, dies sind auch solche Verbindlichkeiten, die der Vorerbe in ordnungsgemäßer Verwaltung des Nachlasses eingegangen ist11. Dagegen haftet der Nacherbe nicht für Verbindlichkeiten, die den Rahmen einer ord10 Vgl. zur Teilerbauseinandersetzung und ihren Problemen ausführlich: Reimann in FS Meincke, 2015, S. 287 ff. 11 BGH, NJW 1960, 559.

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nungsgemäßen Verwaltung überschreiten, für diese hat auch nach dem Nacherbfall ausschließlich der Vorerbe einzustehen. War der Vorerbe von der Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses befreit (§§ 2130, 2136 BGB), so haftet der Nacherbe unabhängig davon, ob die Verpflichtung vom Vorerben in ordnungsgemäßer Verwaltung begründet wurde oder nicht12. Ist der Vorerbe nicht von der Verpflichtung zur ordnungsgemäßen Verwaltung befreit, ist damit eine Bindungswirkung für den Nacherben bei einer Einbringung nur gegeben, wenn sich diese im Rahmen der ordnungsgemäßen Verwaltung des Nachlasses bewegt. Der Begriff der ordnungsgemäßen Verwaltung ist im Gesetz nicht definiert, es handelt sich um einen „offenen Maßstab“13. Als ordnungsgemäß werden im Allgemeinen alle Maßnahmen angesehen, die nach den jeweiligen Gegebenheiten im Zeitpunkt ihrer Vornahme vernünftig erscheinen und die berechtigten Interessen des geschützten Personenkreises nicht übergehen14. Als ordnungsgemäß wird man damit eine Ausgliederung und Einbringung von Nachlassgegenständen dann bezeichnen können, wenn diese Maßnahme den genannten Grundsätzen entspricht und der Gesellschaftsvertrag der Ziel-GmbH nicht wesentlich vom gesetzlichen Regelbild abweicht. Im Einzelfall wird es schwierig sein, dies zweifelsfrei zu beurteilen. Die prinzipielle Verfügungsbefugnis des Vorerben über Nachlassgegenstände ergibt sich aus seiner Erbenstellung. § 2112 BGB hat insoweit klarstellende Bedeutung. Das Verfügungsrecht des Vorerben ist durch die §§ 2113 bis 2115 BGB eingeschränkt: −− Nach §  2113 Abs.  1 BGB kann er über zur Erbschaft gehörende Grundstücke, Rechte am Grundstück oder über ein Schiff oder Schiffsbauwerk nur eingeschränkt verfügen; hiervon kann er allerdings vom Erblasser befreit werden (§ 2136 BGB). −− Nach § 2113 Abs. 2 BGB kann der Vorerben eine Verfügung über einen Erbschaftsgegenstand, die unentgeltlich oder zur Zweck der Erfüllung eines von dem Vorerben erteilten Schenkungsversprechens erfolgt, nicht vornehmen. Ausgenommen sind Schenkungen, die einer sittlichen Pflicht oder einer auf den Anstand zu nehmenden Rücksicht entsprechen. Von dieser Einschränkung (Verbot unentgeltlicher Verfügung) kann selbst der Erblasser keine Befreiung erteilen (§ 2136 BGB). Im Falle des Eintritts der Nacherbfolge ist eine gleichwohl vorgenommene Verfügung insoweit unwirksam, als das Recht des Nacherben vereiteln oder beeinträchtigen würde. Die verbotswidrig erfolgte unentgeltliche Verfügung des Vorerben wird unter den Voraussetzungen des § 2113 Abs. 2 Satz 1 BGB erst bei Eintritt der Nacherbfolge und mit Wirkung von da an unwirksam, aber (im Gegensatz zu Verfügungen über Grundstücke gem. § 2113 Abs. 1 BGB) nicht absolut, sondern nur in dem Maße, dass die von der Verfügung drohende Vereitelung oder Beeinträchtigung vermieden wird und das Recht des Nacherben ungeschmälert bestehen bleibt15. Deshalb sind Unentgeltlich12 Muscheler, Erbrecht, Rz. 2504; MünchKomm/Grunsky, § 2144 BGB Rz. 2. 13 Staudinger/Avenarius, Bearb. 2013, § 2130 BGB Rz. 1. 14 BGH, NJW-RR 2010, 1312; OLG Frankfurt am Main, FamRZ 2012, 247. 15 BGHZ 7, 274; FamRZ 1990, 1344.

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keit und Beeinträchtigung des Nacherbenrechtes stets selbständig nebeneinander zu prüfen. Die Beeinträchtigung ist bei unentgeltlichen Verfügungen wirtschaftlich zu beurteilen, sie liegt vor, wenn objektiv betrachtet das wirtschaftliche Ergebnis der Verfügung für den Gesamtnachlass die Rechte des Nacherben beeinträchtigt16. Hat der Nacherbe zugestimmt, entfällt die Beeinträchtigung, die Zustimmung hat den Charakter eines teilweisen Verzichts auf das Nacherbrecht. Die mit der Zustimmung des Nacherben erfolgte Verfügung ist also stets wirksam17. Eine Zustimmung von Ersatznacherben bedarf es insofern nicht18. Gutgläubiger Erwerb ist möglich (§  2113 Abs. 3 BGB). Maßgeblicher Zeitpunkt für die Frage, wer als Nacherbe ggf. der Verfügung zuzustimmen hat, ist weder der Zeitpunkt des Erbfalls noch derjenige der beabsichtigten Verfügung, sondern der Nacherbfall, also regelmäßig das Ableben des Vorerben. Hat der Erblasser die „Abkömmlinge des Vorerben“ zu Nacherben eingesetzt, sind diese nicht namentlich bezeichnet. Zudem könnten Abkömmlinge des Vorerben theoretisch noch durch Adoption hinzutreten, so dass für unbekannte Nacherben gem. § 1913 BGB ein Pfleger zu bestellen ist, der für seine Zustimmung zur Veräußerung der Genehmigung des Gerichtes nach §§ 1821, 1812, 1915 BGB bedarf.19 Aber auch insoweit gibt es ein absolutes Schenkungsverbot (§ 1804 BGB), das auch vom Gericht nicht außer Kraft gesetzt werden kann. 2. Surrogation bei Einbringungsvorgängen? Fraglich könnte zunächst sein, ob die Gesellschaftsanteile trotz Ausgliederung aus dem Nachlass und Einbringung in eine Gesellschaft Teile des Nachlasses bleiben, also Surrogate der ursprünglichen Erbschaft darstellen. Konkret geht es um die Frage, ob die Beteiligung an der Gesellschaft von den Nacherben überhaupt noch beansprucht werden kann. Verneint man die Surrogatseigenschaft, läge in der Ausgliederung und Einbringung eine  – im Verhältnis zum Nacherben  – unentgeltliche Verfügung des Vorerben, für die § 2113 Abs. 2 BGB gelten würde. Einer Surrogation könnte das Urteil des Bundesgerichtshofes (IVa-Senat) v. 15.12.197620 entgegenstehen. In diesem hatte der BGH judiziert, die Rechtstellung als Kommanditist, die ein Erbe erlange, wenn er einen Erbschaftsgegenstand als seine Einlage in eine Kommanditgesellschaft einbringe und Kommanditist werde, sei kein Surrogat des Erbschaftsgegenstandes. Diese Rechtsprechung wurde indes durch das Urteil des BGH v. 21.11.1989 (BGHZ 109, 224), ebenfalls IVa-Senat, aufgegeben. 16 Palandt/Weidlich, 76. Aufl. 2017, § 2113 BGB Rz. 12. 17 OLG München, NJW-RR 2014, 8. 18 BGHZ 40, 115; BayObLG, NJW-RR 2005, 956; Reimann, DNotZ 2007, 579, 582 f.; ders., MittBayNot 2014, 466. 19 BayObLG, DNotZ 1983, 318; OLG München, MittBayNot 2014, 464. 20 NJW 1977, 433.

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Der BGH führt insoweit aus: „Die erbrechtlichen Fälle der dinglichen Surrogation wie sie etwa in den §§ 2019, 2041 und 2111 BGB normiert sind, haben den Sinn, die realen Werte … eines bestimmten Sondervermögens (Nachlass bzw. Erbschaft) zu binden und im Interesse bestimmter begünstigter Personen (bei §§ 2019 und 2041 BGB: der Erben; bei § 2111 BGB: der Nacherben) und ihrer Gläubiger über alle Wechsel der zu ihm gehörenden konkreten Bestandteile hinweg zusammen zu halten oder für den Zweck des Sondervermögens zu reservieren. Dieser Zweck wird dadurch erreicht, dass die im Laufe der wirtschaftlichen Entwicklung … des Sondervermögens eintretenden Änderungen den konkreten Bestand seiner Einzelteile unter bestimmten Voraussetzungen in den vom Gesetz geordneten Surrogationsfällen kraft Gesetzes und auch zu einer entsprechenden rechtlichen (dinglichen) Zuordnung der Ersatzstücke (Surrogate) zu dem Sondervermögen und seinen Trägern führen. Dahinter steht der Gedanke: der Wert des Sondervermögens und nicht seine konkrete Erscheinungsform ist das Ausschlaggebende. Daher muss jeder Umsatz einzelner Bestandteile des Vermögens und der darin liegenden Abfluss realer Werte, wenn der Wert des ganzen erhalten bleiben soll, durch die rechtliche Neuzuordnung ausgeglichen werden, in die die abgeflossenen Werte eingegangen sind… Aus diesem Ordnungsschema der Surrogation bestimmte rechtsgeschäftliche Abflüsse realer Werte auszunehmen, etwa die Einbringung von Vermögensteilen in Personengesellschaften (oder auch in Kapitalgesellschaften), ließe die dingliche Surrogation insoweit zu einem bloß schuldrechtlichen Erstattungsanspruch auf den Wertbetrag „verkümmern“21. Damit wäre der Schutzzweck der dinglichen Surrogation aus einem eher formalen Grund in erheblichem Umfang verfehlt.“

Mit dem BGH ist also nunmehr davon auszugehen, dass − wenn Nacherbfolge angeordnet ist − Gesellschaftsanteile, die aus Nachlassmitteln erworben wurden, Surrogate des Nachlasses sind und von allen Verfügungen des Erblassers und von der Nacherbenanwartschaft erfasst werden22. Die Ausgliederung einzelner Nachlassgegenstände und ihre Einbringung in eine Gesellschaft beeinträchtigt mithin die Rechte des Nacherben im Grundsatz nicht, es bleibt aber zu prüfen, ob die Modalitäten der Einbringung „nacherbenkonform“ sind. 3. Voll entgeltliche Einbringung? Die Einbringung eines einzelnen Nachlassgegenstandes in eine Gesellschaft ist regelmäßig dann unter dem Gesichtspunkt der ordnungsgemäßen Verwaltung und unentgeltlichen Verfügung unproblematisch, wenn alle Miterben entsprechend ihrer Erbquote an der Gesellschaft beteiligt sind. Insofern wird es keine Rolle spielen, ob die steuerrechtlichen Grundsätze über die Entgeltlichkeit eines Einbringungsvorgangs beachtet werden oder nicht. Es dürfte also im Regelfall irrelevant sein, ob der Wert des eingebrachten Nachlassgegenstandes auf dem Kapitalkonto I oder dem Kapitalkonto II oder auf einem gesamthänderischen Rücklagenkonto gebucht wird (Personen­ gesellschaft) oder aber (bei der Kapitalgesellschaft) die Gesellschaft als Gegenleistung für die Einbringung den vollen Wert des eingebrachten Gutes durch Gewährung von Gesellschaftsanteilen und/oder durch Dotierung offener Rücklagen vergütet.

21 RGZ 89, 53, 58, 60; 87, 434, 440; WarnR 1920, Nr. 203, S. 256. 22 BGHZ 109, 214.

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Anders ist die Situation wenn neben dem Einbringenden auch Nicht-Erben als Gesellschafter beteiligt sind, die u.U. durch die Einbringung bereichert werden. Dies wäre der Fall, wenn entsprechend der steuerrechtlichen Abgrenzung die Gutschrift ausschließlich auf einem gesamthänderisch gebundenen Rücklagenkonto erfolgt oder der Wert der Einbringung als Ertrag der Gesellschaft verbucht würde; dann wäre die Gesellschaft aus Sicht des einbringenden Erben nicht unentgeltlich, somit gem. § 2205 Satz 3 BGB unwirksam. 4. Weiteres Problem: Nachfolgeregelung Bei allen Gesellschaftsformen stellt sich die Frage der Nachfolge beim Ausscheiden eines Gesellschafters durch Tod. In einer gesellschaftsvertraglichen Regelung, die das Nachrücken des Nacherben beim Ableben des Vorerben einschränkt, könnte eine unentgeltliche Verfügung des Vorerben liegen. Der Vorerbe hat sicherzustellen, dass der Nacherbe bei Eintritt des Nacherbfalls nachfolgeberechtigt ist oder, wenn dies nicht der Fall ist, eine dem Wert der Gesellschaft entsprechende Abfindung bei seinem Ausscheiden erhält. Ansonsten ist die Verfügung nicht voll entgeltlich und damit gem. § 2113 Abs. 2 BGB unwirksam. Erwägt der Vorerbe, einen Nachlassgegenstand in eine Gesellschaft einzubringen, muss er also prüfen, welche Nachfolgeregelung er für den Fall seines Ausscheidens, insbesondere für den Fall seines Ausscheidens durch Tod, zu wählen hat, ohne in die  Rechte des Nacherben einzugreifen. Würde er den Gesellschaftsvertrag so for­ mulieren, dass im Falle seines (des Vorerben) Ablebens die Gesellschaft nur mit den verbleibenden Gesellschaftern fortgesetzt wird, könnte dies unbeschadet des Abfindungsanspruchs des nachrückenden Nacherben (§ 738 BGB) doch zu einer Einschränkung des Nacherbrechtes führen, insbesondere dann, wenn der Abfindungsanspruch nicht dem Regelwert (Verkehrswert) entspricht. Wenn ein Eingriff in die Rechte des Nacherben vermieden werden soll, wird der Vorerbe den Gesellschaftsvertrag so gestalten müssen, dass die Beteiligung mit den Nacherben fortgesetzt wird. Nur dann tritt er in die volle Erbenposition ein. Dies gilt auch bei denjenigen Gesellschaftsformen, bei denen, wie bei der BGB-Gesellschaft oder der OHG, die Nachfolge mit den Erben nicht die gesetzliche Regelfolge ist (für die BGB-Gesellschaft: Auflösung gemäß § 727 Abs. 1 BGB, für die OHG: Fortsetzung unter den verbleibenden Gesellschaftern gem. § 131 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 HGB). Insoweit bewegt sich aber der Vorerbe in einem relativ ungesicherten Bereich. Sicher ist der Vorerbe nur, wenn bei abweichenden Gestaltungen des Gesellschaftsvertrages die Zustimmung des Nacherben eingeholt wird. 5. Folgen für die weitere Verwaltung der Gesellschaft Auch nach erfolgter Ausgliederung eines Nachlassgegenstandes und seiner Einbringung in eine Gesellschaft können sich weitere Konflikte ergeben. Diese beruhen darauf, dass bei der angeordneten Nacherbfolge der Vorerbe zwar erbrechtlich durch die Nacherbfolgeanordnung des Erblassers beschränkt ist, handelsrechtlich aber in vollem Umfang in die Beteiligung an der Personengesellschaft oder dem Anteil an der 188

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Kapitalgesellschaft nachrückt. Er ist also gesellschaftsrechtlich Vollrechtsinhaber, unterliegt aber im Verhältnis zum Nacherben den erbrechtlichen Beschränkungen des Gesetzes. Dogmatisch schwierig ist die Frage, ob der „handelsrechtlich unbeschränkte“ Vorerbe an Änderungen des Gesellschaftsvertrages mitwirken kann (nicht nur mitwirken darf), bei denen die Nachfolge in die Beteiligung oder den Anteil bei seinem Ableben eingeschränkt wird. Signifikant ist hier aber das Urteil des BGH v. 6.10.198023. Die Entscheidung betraf eine Vorerbschaft. Der Vorerbe rückte in eine offene Handelsgesellschaft als Nachfolger des Erblassers nach. Der Gesellschaftsvertrag sah vor, dass beim Tode eines Gesellschafters die Gesellschaft mit dessen Erben fortgeführt wird. Der Vorerbe stimmte einer Änderung des Gesellschaftsvertrages zu, wonach für den Fall seines Ablebens die Erbenstellung bezüglich seiner Beteiligung unvererblich gestellt wurde, während für den Fall des Ablebens anderer Gesellschafter die Vererblichkeit in beschränktem Umfang zugelassen wurde. Die Satzungsänderung enthielt auch eine Bewertungsregelung (Abfindung zu Buchwerten). Es ging letztlich um die Frage, ob die Mitwirkung des Vorerben an der Gesellschaftsvertragsänderung eine Verfügung darstellte, zweitens um die Frage, ob sie unentgeltlich erfolgt und damit den Nacherben gegenüber unwirksam war. Der BGH befasst sich nicht mit der Frage, ob überhaupt eine Verfügung vorliegt, sondern unterstellt dies. Dies ist vertretbar, da durch eine Satzungsänderung in das Mitgliedschaftsrecht des Gesellschafters unmittelbar eingegriffen wird. Problematisch wird die Beurteilung aber dann, wenn Eingriffe in die Gesellschafterstellung nicht durch Vertrag, sondern durch Beschluss erfolgen, insbesondere durch Gewinnverwendungsbeschluss. Der BGH stellt bei der Frage der Entgeltlichkeit zum Einen darauf ab, ob die Vertragsänderung alle Gesellschafter gleichmäßig betrifft, oder, wenn dies nicht der Fall ist, bei einer einseitigen Änderung zu Lasten des jeweiligen Geschäftsanteils, Konzessionen im Übrigen von der Gesellschaft oder den anderen Gesellschaftern erbracht werden. Die Ausführungen sind amorph: Nach Auffassung des BGH kann „die Entgeltlichkeit nicht verneint werden, wenn der Vorerbe von ihr nach Lage der Dinge und der Berücksichtigung seiner Pflicht, den Nachlass ordnungsgemäß verwalten, überzeugt sein durfte. Bei der Verwaltung eines Gesellschaftsanteils Bestandteil des Nachlasses darf er in diesem Zusammenhang auch darauf Rücksicht nehmen, was sich aufgrund des Gesellschaftsverhältnisses als wirtschaftlich notwendig oder zweckmäßig erweist.“

23 BGHZ 78, 177.

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IV. Einbringungsvorgänge bei Nachlässen unter Testaments­ vollstreckung 1. Grundsatz Hat der Erblasser Testamentsvollstreckung angeordnet, ergeben sich ähnliche Probleme wie bei der Nacherbfolge. Der Testamentsvollstrecker hat den Nachlass in Besitz zu nehmen und zu verwalten (§ 2205 Satz 1, Satz 2 BGB), er ist auch berechtigt, über Nachlassgegenstände zu verfügen (§  2205 Satz 1, Satz 2 BGB). Dem Erben ist das Verfügungsrecht entzogen (§ 2211 Abs. 1 BGB). Fraglich ist, wie sich diese Kompetenz­ ordnung auf Einbringungsmaßnahmen auswirkt. Nach § 2206 Abs. 1 BGB ist der Testamentsvollstrecker berechtigt, Verbindlichkeiten für den Nachlass einzugehen, soweit die Eingehung zur ordnungsgemäßen Verwaltung erforderlich ist. Die Verpflichtungsbefugnis des Testamentsvollstreckers ist damit kausal beschränkt. Die Verpflichtungsbefugnis ist erweitert durch §§ 2207, 2209 Satz 2 BGB. Der Erblasser kann nämlich anordnen, dass der Testamentsvollstrecker in der Eingehung von Verbindlichkeiten für den Nachlass nicht beschränkt ist (§  2207 Satz 1 BGB). Im Zweifel ist dies anzunehmen, wenn Dauervollstreckung angeordnet ist (§ 2209 Satz 2 BGB). Handelt der Testamentsvollstrecker im Rahmen seiner Verpflichtungsbefugnis, entstehen Nachlassverbindlichkeiten (§ 1967 BGB), für die der gesamte Nachlass haftet, auch wenn die Testamentsvollstreckung sich auf Teile des Nachlasses beschränkt. Die Frage, ob die Ausgliederung eines Nachlassgegenstandes und seiner Einbringung in eine Gesellschaft entgeltlich, unentgeltlich oder teilentgeltlich erfolgt, ist – wie bei der Verfügung eines Vorerben – in vergleichbarer Situation vorzunehmen. Insoweit ergeben sich für das Verfügungsgeschäft keine Besonderheiten. Eine unentgeltliche Verfügung des Testamentsvollstreckers, die nicht einer sittlichen oder Anstandspflicht entspricht, ist unwirksam, nicht nichtig24. Es handelt sich sogar nur um eine schwebende Unwirksamkeit, da die Erben und Vermächtnisnehmer die Möglichkeit haben, die Verfügung zu genehmigen25. Nachlassgegenstände, über die der Testamentsvollstrecker ohne sittliche oder Anstandspflicht unentgeltlich verfügt, gehören nach wie vor zum Nachlass (Grundstücke trotz Auflassung und Eintragung), die Erben können daher als Eigentümer vom Besitzer Herausgabe nach § 985 BGB verlangen26. Das gilt auch dann, wenn der Erwerber von der Testamentsvollstrecker-Eigenschaft des Veräußerers und von der Zugehörigkeit des Gegenstandes zu einem der Testamentsvollstreckung unterliegenden Nachlass nichts weiß. Denn der gute Glaube des Erwerbers ersetzt nach §§ 932 ff. BGB grundsätzlich nur das fehlende 24 Soergel/Damrau, 13. Aufl., § 2205 BGB Rz. 78; MünchKomm/Zimmermann, § 2205 BGB Rz. 70. 25 BGH, DNotZ 1972, 90; einschränkend Soergel/Damrau, 13. Aufl., § 2205 BGB Rz. 79. 26 RGZ 105, 247, 250.

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Eigentum des Veräußerers, nicht aber die mangelnde Verfügungsbefugnis27. Eine dem § 2113 Abs. 3 BGB oder § 2211 Abs. 2 BGB entsprechende Vorschrift fehlt hier. Eine vom Testamentsvollstrecker getroffene Verfügung ist auch dann in vollem Umfange unwirksam, wenn sie nur teilweise unentgeltlich war28. Die Ausgliederung von Nachlassgegenständen in Gesellschaften ist folglich möglich, sofern es sich um vollentgeltliche Maßnahmen handelt Die Beteiligungen bzw. Anteile an derartigen Gesellschaften unterliegen damit weiterhin der Verwaltung des Testamentsvollstreckers mit allen Risiken auch für diesen. 2. Das Surrogationsprinzip im Recht der Testamentsvollstreckung Auch bei bestehender Testamentsvollstreckung ist vorab zu prüfen, ob die Einbringung einzelner Nachlassgegenstände dazu führt, dass sie der Verwaltung des Tes­ tamentsvollstreckers entzogen werden oder ob sie trotz der Ausgliederung aus dem gesamthänderischen Verbund der Erbengemeinschaft weiterbesteht. Würde durch die beabsichtigte Maßnahme die Testamentsvollstreckung insoweit beendet, läge darin eine Freigabe nach § 2217 BGB. Das Erbrecht kennt kein einheitliches Surrogationsprinzip. Der Grundsatz der dinglichen Surrogation findet sich im Erbrecht in den §§ 2019, 2041, 2111 BGB. In Bezug auf die Testamentsvollstreckung gibt es keine Vorschrift, welche die dingliche Surrogation anordnen würde. Gleichwohl wird der Grundsatz der dinglichen Surrogation auch im Recht der Testamentsvollstreckung angewandt29. Muscheler30 verweist zudem auf § 1638 BGB: Hiernach kann der Erblasser durch Verfügung von Todes wegen das Verwaltungsrecht der gesetzlichen Vertreter des letztwillig Bedachten ausschließen. Nach § 1638 Abs. 2 BGB gilt der Ausschluss des Verwaltungsrechtes der gesetzlichen Vertreter, insbesondere der Eltern, auch für dasjenige, was das Kind „auf Grund eines zu einem solchen Vermögen gehörenden Rechts oder als Ersatz für die Zerstörung, Beschädigung oder Entziehung eines zu dem Vermögen gehörenden Gegenstandes oder durch ein Rechtsgeschäft erwirbt, das sich auf das Vermögen bezieht.“ Das hinter § 1638 Abs. 2 BGB stehende Prinzip verlangt auch für die Testamentsvollstreckung Geltung31. Surrogationsgrundlage ist die Anordnung der Testamentsvollstreckung, ähnlich wie der Entzug des Verwaltungsrechtes der gesetzlichen Vertreter gem. § 1628 BGB, zumal der Erblasser die Surrogation abbedingen kann.

27 RGZ 83, 252; 93, 231; 100, 194; Soergel/Damrau, 13. Aufl., § 2205 BGB Rz. 81. 28 KG BankArch 36, 572; OLGZ 1968, 337; DNotZ 1972, 176, 179. 29 RGZ 138, 134; BGH, MDR 1958, 670; BGH, FamRZ 2003, 92, 93; OLG Hamm, ZEV 2001, 175; BayObLG, DNotZ 1993, 399, 401. 30 Muscheler, Erbrecht 2010, Rz. 2773 ff. 31 Muscheler a.a.O., Rz. 2779.

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Folge der Analogie ist, dass die Surrogate an die Stelle der erbengemeinschaftlichen Beteiligung treten und damit die ausgegliederten Nachlassgegenstände trotz ihrer „Vergesellschaftung“ weiterhin der Testamentsvollstreckung unterliegen32. 3. Sicherung des Einflusses des Testamentsvollstreckers Surrogate sind Teil des Nachlasses. Es gelten für sie alle maßgeblichen Verfügungen von Todes wegen, die der Erblasser getroffen hat, auch alle Verpflichtungen des Testamentsvollstreckers. Damit ist der Testamentsvollstrecker in der Delegation der Verwaltung einer derartigen Gesellschaft durch das Substitutionsverbot (§ 2218 Abs. 1 i.V.m. § 664 Abs. 1 Satz 1 BGB) gebunden. Der Testamentsvollstrecker darf, wenn er nicht eine Haftung nach §  2219 BGB riskieren will, die Gesellschaft nicht in einer Weise verwalten lassen, dass er seinerseits „das Heft aus der Hand“ gibt. Insoweit kann Bezug genommen werden auf die öffentlich-rechtlichen Grundsätze, die bei der Privatisierung von kommunalen Unternehmen gelten. So ist etwa nach Art. 92 Abs. 1 Nr. 2 der Bayerischen Gemeindeordnung vorgeschrieben, dass „die Gemeinde angemessenen Einfluss im Aufsichtsrat oder einem entsprechenden Gremium erhält“. 4. Spätere Änderungen des Gesellschaftsvertrages Problematisch ist, wer für Änderungen des Gesellschaftsvertrages zuständig ist. Die Rechtslage ist vergleichbar derjenigen bei schlicht angeordneter Nacherbfolge, es ergeben sich aber Zusatzprobleme. Das Verbot der unentgeltlichen Verfügung ist vom Testamentsvollstrecker wie vom Nacherben zu beachten. Die vorrangige Frage, ob der Testamentsvollstrecker überhaupt an einer Gesellschaftsvertragsänderung dieses Ausmaßes mitwirken durfte, ist allerdings umstritten. Nach den Vertretern der Kernrechtstheorie wäre dies nicht möglich. Die Kernbereichslehre wurde von einigen Autoren auf das Testamentsvollstreckerrecht übertragen, der Kernbereich der Mitgliedschaft soll hiernach nicht nur die Zulässigkeit von Mehrheitsbeschlüssen beschränken, sondern auch die Rechtsmacht des Testamentsvollstreckers33. Eingriffe in den Kernbereich der Mitgliedschaft dürfen nach diese Meinung nur mit Billigung des betroffenen Gesellschafters vorgenommen werden; Gesellschafterbeschlüsse oder Gesellschaftervereinbarungen, die zu ihrer Wirksamkeit, sofern keine Testamentsvollstreckung bestünde, der Zustimmung des betroffenen Gesellschafters bedürften, überschreiten nach dieser Auffassung auch den Machtbereich des Testamentsvollstreckers. Von der Rechtsprechung ist bislang nicht abschließend entschieden worden, inwieweit unter dem Gesichtspunkt des Kernbereichs der Mitgliedschaft die Ausübung der Gesellschafterrechte dem Erben alleine

32 Staudinger/Reimann, Bearb. 2016, § 2205 BGB Rz. 41, 96; ders., ErbR 2017, 186, 191. 33 Weidlich a.a.O.; Quack, BB 1989, 2271; D.  Mayer, ZIP 1990, 976; Ulmer, NJW 1990, 73; Priester in FS Stimpel, 1985, S. 481 ff.; vgl. zuvor schon v. Burchard, GmbHR 1954, 150.

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Einbringung von Nachlassgegenständen

vorbehalten sind bzw. vom Testamentsvollstrecker nur im Einvernehmen mit dem Erben geltend gemacht werden können34. Die Übernahme der Kernbereichslehre vom Gesellschaftsrecht in das Erbrecht erfolgte zu undifferenziert. Inzwischen ist die herrschende Meinung der Ansicht, dass sich die Kernbereichslehre des Gesellschaftsrechtes nicht auf das Testamentsvollstreckerrecht übertragen lässt, will man nicht unübersehbare Konsequenzen, insbesondere bei Unternehmensumwandlungen, in Kauf nehmen35. Im Vordergrund dieser nunmehr maßgeblichen Überlegungen steht, dass ein Testamentsvollstrecker eine in den Nachlass fallende Beteiligung oder einen Anteil an einer Kapitalgesellschaft so zu verwalten hat, wie ihn der Erblasser hinterlässt und der Gesellschafternachfolger vorfindet. Die Beschränkungen des Testamentsvollstreckers ergeben sich aus dem Gesetz, sofern nicht der Erblasser die Rechtsmacht des Testamentsvollstreckers zulässigerweise eingeschränkt oder erweitert hat. Damit ist der Testamentsvollstrecker – vorbehaltlich etwaiger zulässiger anderweitiger Anordnungen des Erblassers – ausschließlich den erbrechtlichen Beschränkungen unterworfen, das sind das Verbot unentgeltlicher Verfügungen (§  2205 Satz  3 BGB), das Verbot persönlicher Verpflichtung des Erben (vgl. § 2206 BGB), das Gebot ordnungsgemäßer Verwaltung des Nachlasses (§  2216 Abs.  1 BGB). Gesellschaftsrechtliche Beschränkungen wirken gegen den Testamentsvollstrecker nur insoweit, als sie auch gegen den Erben wirken, weitergehende Beschränkungen aus dem Gesellschaftsrecht ergeben sich für die Amtsausübung des Testamentsvollstreckers nicht. Ein Testamentsvollstrecker ist also zwar bei einer OHG nicht für die Satzungsänderung zuständig, wohl aber bei beschränkt haftenden Beteiligungen; die Entgeltlichkeit der Maßnahme wäre in gleicher Weise zu prüfen gewesen wie bei einem Nacherben. 5. Testamentsvollstreckung und Nacherbfolge Ist zugleich Testamentsvollstreckung und Nacherbfolge angeordnet, fragt es sich, wer eine etwa notwendige Nacherbenzustimmung erteilen kann, also ob der Testamentsvollstrecker den Ausgliederungs- und Einbringungsvertrag in denjenigen Fällen, in den wegen § 2213 BGB eine Zustimmung des Nacherben erforderlich ist, ohne Mitwirkung der Nacherben rechtswirksam abschließen kann. Das OLG München stellte sich zutreffend auf den Standpunkt, dass hierfür die zugrundeliegende Verfügung von Todes wegen maßgeblich sei: Dem Erblasser steht es frei, den Umfang der Testamentsvollstreckung festzulegen. Ordnet er Testamentsvoll34 LG Mannheim, ZEV 1999, 443 mit Anm. Wenninger; zuletzt LG Berlin, ZEV 2004, 29 mit Anm. Rosener/Bugge. 35 Vgl. BGH ZEV 2014, 662; Dörrie, Die Testamentsvollstreckung im Recht der Personenhandelsgesellschaften und der GmbH, 1994, S. 92 ff.; ders., ZEV 1996, 370; Hehemann, BB 1995, 1301, 1309; Lorz in FS Boujong, 1996, S.  319  ff.; Muscheler, Haftungsordnung, S.  506  f.; Wenninger, Die Testamentsvollstrecker in der Umwandlung, 2002, S. 48 ff.; MünchKomm/ K.  Schmidt, §  139 HGB Rz.  51b; MünchKomm/Ulmer, §  705 BGB Rz.  89; Priester in FS Streck, 2011, S. 891 ff.

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streckung nur für den Vorerben an, so ist der Testamentsvollstrecker nicht befugt, auch im Namen des Nacherben mitzuwirken. Hat der Testamentsvollstrecker aber zugleich Nacherbenvollstreckung gem. § 2222 BGB angeordnet, entfällt die Notwendigkeit hierfür. Der Testamentsvollstrecker könnte dann zugleich für die Nacherben das Geschäft abschließen bzw. die Zustimmung hierzu erteilen36. Dann könnte auch die Löschung des Nacherbenvermerks gem. § 22 GBO aufgrund des Unrichtigkeitsnachweises ohne Mitwirkung der Nacherben und Ersatznacherben erfolgen. Die in der Rechtsprechung37 und der Literatur38 vertretene Ansicht wird vom OLG München abgelehnt. Will der Erblasser die Intentionen, die er mit der Anordnung der Nacherbfolge und der Testamentsvollstreckung regelmäßig verfolgt, auch wirklich durchsetzen, sollte er nicht nur allgemein Dauervollstreckung gem. § 2209 BGB, sondern auch Nacherbenvollstreckung gem. § 2222 BGB, anordnen. Diese erleichtert das Verfahren aber nur im Rahmen von § 2213 Abs. 1 BGB, nicht aber bei unentgeltlichen Verfügungen gem. § 2213 Abs. 2 BGB, da insoweit für den Testamentsvollstrecker das Verbot unentgeltlicher Verfügungen gem. § 2205 Satz 3 BGB greift.

V. Zusammenfassung Ein in der Praxis häufig anzutreffender Verwaltungsvorgang stellt sich bei näherem Hinsehen als eine durchaus problematische Maßnahme dar. Nur der Alleinerbe, der weder durch Nacherbfolge noch durch Testamentsvollstreckung belastet ist, ist in der Lage, die Verwaltung des von einzelnen Nachlassgegenständen in der Weise zu organisieren, dass er sie in eine Gesellschaft seiner Wahl einbringt. Bei Miterbengemeinschaften ist für solche Maßnahmen die Mitwirkung aller Erben erforderlich. Bei angeordneter Nacherbfolge ist stets zu befürchten, dass in die Rechte des Nacherben eingegriffen wird. Deren Mitwirkung sollte also angestrebt werden. Ähnlich ist die Situation, wenn der Nachlass unter Testamentsvollstreckung steht.

36 Staudinger/Reimann, Bearb. 2016, § 2222 BGB Rz. 11 ff. 37 KG OLGE 34, 298. 38 Engelmann, MittBayNot 1999, 509; Soergel/Damrau, 13. Aufl., § 2205 BGB Rz. 58; Bamberger/Roth/J. Mayer, 3. Aufl., § 2205 BGB Rz. 4.

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Steuerrechtliche Behandlung einer dem Anteilseigner zustehenden Beteiligung i.S.d. § 17 EStG im Zuge der Verschmelzung der Kapitalgesellschaft auf eine andere Kapitalgesellschaft Inhaltsübersicht

I. Einleitung

II. Auswirkungen einer Verschmelzung auf die Beteiligung i.S.d. § 17 EStG an der übertragenden Kapitalgesellschaft 1. Tausch als entgeltlicher Erwerb a) Veräußerungs- und Anschaffungsvorgang b) Fälle des § 13 Abs. 2 UmwStG 2. Verdeckte Einlage bei nicht ­verhältniswahrender Verschmelzung





3. Fiktion einer Beteiligung i.S.d. § 17 EStG a) Zeitpunkt b) Fiktion einer Beteiligung i.S.d. § 17 EStG 4. Entstehen einer Beteiligung i.S.d. § 17 EStG 5. Barabfindungen und bare ­Zuzahlungen 6. Nicht steuerverhaftete Anteile an der übertragenden Körperschaft 7. Besserungsschein

III. Zusammenfassende Sentenzen

I. Einleitung Der Beitrag ist dem Jubilar Georg Crezelius gewidmet. Die intensive Beschäftigung von Georg Crezelius auf wissenschaftlichen Symposien und Tagungen sowie in literarischen Abhandlungen mit Themen des Umwandlungssteuerrechts und der steuerrechtlichen Behandlung von im Privatvermögen gehaltenen Kapitalgesellschaftsbeteiligungen i.S.d. § 17 EStG1 war der Anlass für den nachfolgenden Beitrag. Er befasst sich mit den steuerrechtlichen Implikationen einer dem Anteilseigner gehörenden Beteiligung i.S.d. § 17 EStG im Zuge der Verschmelzung der Kapitalgesellschaft auf eine andere Kapitalgesellschaft. Im Fall der Verschmelzung von Körperschaften regelt die Vorschrift des § 13 UmwStG die Besteuerung der Anteilseigner der übertragenden Körperschaft. Danach gelten die Anteile an der übertragenden Körperschaft als zum gemeinen Wert veräußert und die an ihre Stelle tretenden Anteile an der übernehmenden Körperschaft als mit diesem Wert angeschafft (§ 13 Abs. 1 UmwStG). Abweichend von Absatz 1 sind gemäß § 13 1 Siehe insbesondere Crezelius, Gesellschaftsrecht und § 17 EStG, Festschrift für Hans-­Joachim Priester , 2007, S. 55; Crezelius, Währungsgewinne bei § 17 EStG, DB 2005, 1924; Crezelius, Die Rückbezüglichkeit in § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG, DB 2003, 230; Crezelius, Gestaltungsbedarf durch neu gefasssten § 17 EStG, JbFfSt 2001/2002, 578; Crezelius, Der Verstrickungswert bei § 17 EStG, DB 1997, 195.

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Abs. 2 Satz 1 UmwStG auf Antrag die Anteile an der übernehmenden Körperschaft mit dem Buchwert der Anteile an der übertragenden Körperschaft anzusetzen, wenn 1. das Recht der Bundesrepublik Deutschland hinsichtlich der Besteuerung des Gewinns aus der Veräußerung der Anteile an der übernehmenden Körperschaft nicht ausgeschlossen oder beschränkt wird oder 2. die Mitgliedstaaten der Europäischen Union bei einer Verschmelzung Artikel 8 der Richtlinie 2009/133/EG anzuwenden haben; in diesem Fall ist der Gewinn aus einer späteren Veräußerung der erworbenen Anteile ungeachtet der Bestimmungen eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung in der gleichen Art und Weise zu besteuern, wie die Veräußerung der Anteile an der übertragenden Körperschaft zu besteuern wäre. § 15 Abs. 1a Satz 2 EStG ist entsprechend anzuwenden. Die Anteile an der übernehmenden Körperschaft treten steuerlich an die Stelle der Anteile an der übertragenden Körperschaft (§ 13 Abs. 2 Satz 2 UmwStG). Gehören die Anteile an der übertragenden Körperschaft nicht zu einem Betriebsvermögen, treten an die Stelle des Buchwerts die Anschaffungskosten (§ 13 Abs. 2 Satz 3 UmwStG). Der Gewinn aus der Veräußerung von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 Prozent beteiligt war, gehört gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb. Der Veräußerungsgewinn i.S.v. §  17 Abs. 1 EStG ist gemäß Abs. 2 Satz 1 der Vorschrift der Betrag, um den der Veräußerungspreis nach Abzug der Veräußerungskosten die Anschaffungskosten übersteigt. Der Veräußerungsgewinn oder -verlust i.S.d. § 17 Abs. 1 EStG ist grundsätzlich für den Zeitpunkt zu ermitteln, in dem er entstanden ist. Dies ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Veräußerung2. Aus dem Zusammenwirken der Regelungen des §  13 ­UmwStG und § 17 EStG ergeben sich zahlreiche praxisrelevante Anwendungsfragen3, von den einige ausgewählte im Folgenden einer Lösung zugeführt werden sollen.

II. Auswirkungen einer Verschmelzung auf die Beteiligung i.S.d. § 17 EStG an der übertragenden Kapitalgesellschaft 1. Tausch als entgeltlicher Erwerb a) Veräußerungs- und Anschaffungsvorgang Erhält ein Anteilseigner im Zuge einer Verschmelzung der Körperschaft, an der er beteiligt ist, auf eine andere Körperschaft Anteile dieser (anderen) Körperschaft, so handelt es sich aus der Sicht dieses Anteilseigners um einen Tausch der Anteile an der 2 Siehe z.B. BFH v. 4.10.2016 − IX R 8/15, BFHE 255, 436, BStBl. II 2017, 316, m. Anm. Schießl, jurisPR-SteuerR 14/2017 Anm. 2. 3 Umfassend und weiterführend dazu Schießl in Widmann/Mayer, Stand: August 2016, § 13 UmwStG Rz. 15.80 und Rz. 88 ff.

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Beteiligungen i.S.d. § 17 EStG

übertragenden Körperschaft gegen die Anteile an der übernehmenden Körperschaft und damit um einen entgeltlichen Erwerb4. Es handelt sich um einen Veräußerungsund Anschaffungsvorgang. So hat der BFH bereits mit dem Urteil v. 19.8.20085 zur Rechtslage vor Inkrafttreten der Änderungen des UmwStG durch das SEStEG v. 7.12.20066 zu dem in Bezug auf den Anteilstausch vergleichbaren Fall entschieden, dass mit dem Erwerb neuer Anteile im Zuge der Verschmelzung für den Anteilseigner die nach § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG a.F. maßgebliche Veräußerungsfrist von einem Jahr beginnt, da der Anteilstausch als ein entgeltlicher Erwerb einzustufen ist. Nach § 13 Abs. 1 UmwStG gelten die Anteile an der übertragenden Körperschaft als zu dem gemeinen Wert veräußert und die an ihre Stelle tretenden Anteile an der Übernehmenden Körperschaft als mit diesem Wert angeschafft. Indem das Gesetz von der Veräußerung der Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft und der Anschaffung der „an ihre Stelle tretenden Anteile“ spricht, geht es davon aus, dass die Gesellschafter der übertragenden Körperschaft für ihre Anteile an der übertragenden Körperschaft − und damit als Gegenleistung − Anteile an der übernehmenden Körperschaft erhalten. Die Vorschrift fingiert also nicht den Verschmelzungsvorgang als Anschaffung − das muss sie nicht, weil mit dem Anteilstausch ohnehin eine Anschaffung vorliegt –, sondern allein die Kosten dieser Anschaffung. Nach § 13 Abs. 1 Satz 1 UmwStG „gelten“ die … Anteile „als mit diesem Wert“ (= gemeiner Wert) angeschafft, um dadurch einerseits von vorneherein die Anschaffungskosten der Anteile an der übernehmenden Körperschaft festzulegen, andererseits gilt § 13 UmwStG unabhängig davon, ob im Rahmen der Verschmelzung neue Anteile an der übernehmenden Körperschaft ausgegeben werden7. b) Fälle des § 13 Abs. 2 UmwStG Ein Veräußerungs- oder Anschaffungsvorgang ist auch in den Fällen des § 13 Abs. 2 Satz 1 UmwStG gegeben8, da der Anteilstausch auch insoweit einen entgeltlichen Erwerb darstellt. Der in diesen Konstellationen gesetzlich angeordnete Buchwertansatz 4 BFH v. 19.8.2008 − IX R 71/07, BStBl. II 2009, 13 (bei Verschmelzung ausgegebene neue Anteile sind angeschafft); BFH v. 17.10.1974 – IV R 223/72, BFHE 113, 456, BStBl. II 1975, 58; v. 2.5.2000 − IX R 74/96, BFHE 192, 88 = BStBl. II 2000, 469; ebenso wie hier BMF v. 11.11.2011 − IV C 2 – S 1978-b/08/10001, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 00.02; Heuermann, HFR 2008, 1236; Schießl in Widmann/Mayer, § 13 UmwStG Rz. 88 m.w.N. zum Streitstand. Siehe jüngst auch zum Aktientausch im Rahmen des § 17 EStG BFH v. 13.10.2015 – IX R 43/14 , BFHE 251, 326, BStBl. II 2016, 212, m. Anm. Schießl, jurisPR-SteuerR 51/2016 Anm. 3, und zum Aktientausch im Rahmen des § 20 Abs. 4a EStG BFH v. 20.10. 2016 – VIII R 42/13, BFH/NV 2017, 283, m. Anm. Schießl, jurisPR-SteuerR 13/2017 Anm. 2. 5 BFH v. 19.8.2008 − IX R 71/07, BStBl. II 2009, 13, m. Anm. Heuermann, HFR 2008, 1236; Jäck, FR 2009, 293; Hahne/Malisius, BB 2008, 2784, 2785. 6 Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften (SEStEG) v. 7.12.2006, BGBl.  I 2006, 2782. 7 Insoweit gl. A. BMF v. 11.11.2011 − IV C 2  - S 1978-b/08/10001, BStBl.  I 2011, 1314, Rz. 13.05. 8 A.A. Neumann in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, 2. Aufl. 2013, § 13 UmwStG Rz. 45.

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(§ 13 Abs. 2 Satz 1 UmwStG) und der Eintritt in die steuerliche Rechtsstellung gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 UmwStG führen insoweit zu keiner abweichenden Beurteilung. Mit der Regelung in § 13 Abs. 2 Satz 2 UmwStG wird lediglich die sog. Fußstapfentheorie gesetzlich verankert. Steuerliche Merkmale und Eigenschaften, die den Anteilen an der übertragenden Körperschaft anhafteten, bestehen an den Anteilen der übernehmenden Körperschaft fort. Wenn die Anteile an der übertragenden Körperschaft im Zeitpunkt des Tauschs (Eintragung) die Voraussetzungen des § 17 EStG erfüllen und die Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 UmwStG vorliegen, entsteht nach § 13 Abs. 2 Satz 1 UmwStG bei dem betreffenden Gesellschafter kein Veräußerungsgewinn bzw. -verlust. § 13 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Satz 3 UmwStG sieht vor, dass die Anteile an der übertragenden Gesellschaft mit ihren Anschaffungskosten angesetzt werden, womit gemäß § 17 Abs. 2 EStG eine Differenz zwischen Veräußerungserlös und Anschaffungskosten entfällt. Sofern die Voraussetzungen des § 13 Abs. 2 UmwStG nicht gegeben sind, tritt eine Gewinnrealisierung gemäß § 13 Abs. 1 UmwStG ein. 2. Verdeckte Einlage bei nicht verhältniswahrender Verschmelzung Ein Veräußerungsgewinn oder -verlust gemäß § 17 EStG kann auch durch eine verdeckte Einlage von Teilsubstanz der dem Gesellschafter gehörenden Geschäftsanteile an der übernehmenden Kapitalgesellschaft in eine von ihm beherrschte Anteilseignerin der übertragenden Kapitalgesellschaft entstehen9. Eine verdeckte Einlage ist − im Gegensatz zur offenen Einlage gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten − die Zuwendung eines einlagefähigen Vermögensvorteils seitens eines Anteilseigners oder einer ihm nahe stehenden Person an seine Kapitalgesellschaft ohne wertadäquate Gegenleistung, die ihre Ursache im Gesellschaftsverhältnis hat. Nach § 17 Abs. 1 Satz 2 EStG steht die verdeckte Einlage von Anteilen an einer Kapitalgesellschaft in eine Kapitalgesellschaft der Veräußerung der Anteile gleich. Eine verdeckte Einlage kommt insbesondere bei nicht verhältniswahrenden Verschmelzungen in Betracht, weil als deren Folge eine Werteverschiebung eintritt. Eine nicht den realen Wertverhältnissen entsprechende Verschmelzung, zu deren Durchführung das Kapital der übernehmenden Kapitalgesellschaft um den Nominalwert der Anteile der übertragenden Kapitalgesellschaft erhöht wird, kann damit − anteilig − zu einer nach § 17 Abs. 1 Satz 2 EStG steuerbaren verdeckten Einlage des Wirtschaftsguts „Geschäftsanteil“ zugunsten neuer, im Zuge der Verschmelzung gewährter Geschäftsanteile führen, wenn der Anteilseigner sowohl an der übernehmenden wie auch an der Anteilseignerin der übertragenden Kapitalgesellschaft maßgebend beteiligt ist10. Dies wird in der Rechtsprechung des BFH mit der Überlegung begründet, dass die Kapitalerhöhung zur Durchführung der Verschmelzung (§ 55 UmwG), wie jede Kapitalerhöhung, zu einer Abspaltung der durch den alten Geschäftsanteil verkörperten Substanz und damit zur Abspaltung eines Teils des „Geschäftsanteils“ i.S.d. § 17 Abs. 1 9 Siehe BFH v. 9.11.2010 − IX R 24/09, BFHE 231, 557, BStBl. II 2011, 799; dazu auch Schießl in Widmann/Mayer, § 13 UmwStG Rz. 88. 10 Siehe BFH v. 9.11.2010 − IX R 24/09, BFHE 231, 557, BStBl. II 2011, 799; dazu auch Schießl in Widmann/Mayer, § 13 UmwStG Rz. 88.

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Beteiligungen i.S.d. § 17 EStG

Satz 3 EStG führt11. Dieser Anteil an einem selbständigen Geschäftsanteil ist steuerrechtlich − wiederum als Geschäftsanteil − ein Wirtschaftsgut, und zwar unabhängig davon, ob er zivilrechtlich wirksam von dem jeweiligen Geschäftsanteil abgetrennt wurde. Mit der Substanz werden im Zuge der Kapitalerhöhung mithin nicht nur Werte verschoben, sondern darüber hinaus die am Vermögen, am Gewinn und an den stillen Reserven beteiligten Anteilsrechte vermehrt. Auch die Mitgliedschaftsrechte gehen anteilsgemäß über. Die solcherart vom (alten) Geschäftsanteil an der übernehmenden Kapitalgesellschaft abgespaltene Substanz geht nun nicht über ein Bezugsrecht auf den neuen Geschäftsanteil des bislang an der übertragenden Kapitalgesellschaft und infolge der Verschmelzung an der übernehmenden Kapitalgesellschaft beteiligten Anteilseigners über. Vielmehr verschiebt sich die Substanz direkt vom ­alten Geschäftsanteil hin zum durch die Verschmelzung geschaffenen neuen Geschäftsanteil. Damit legt der Anteilseigner durch Mitwirken an der nicht verhältniswahrenden Verschmelzung einen Teil seines Geschäftsanteils an der übernehmenden Kapitalgesellschaft in die bisher an der übertragenden Kapitalgesellschaft beteiligte und mittels Verschmelzung nun an der übernehmenden Kapitalgesellschaft beteiligten Kapitalgesellschaft ein12. 3. Fiktion einer Beteiligung i.S.d. § 17 EStG a) Zeitpunkt Ob eine Beteiligung i.S.d. § 17 EStG vorliegt, entscheidet sich nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt der maßgebenden Eintragung der Verschmelzung13. Allerdings reicht es dabei aus, wenn der Anteilseigner oder sein unentgeltlicher Rechtsvorgänger innerhalb der letzten fünf Jahre vor der maßgebenden Eintragung unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1 % an der Überträgerin beteiligt waren (zum unentgeltlichen Übergang siehe § 17 Abs. 1 Satz 4 EStG). Gemäß § 17 Abs. 6 EStG gelten als Anteile i.S.d. § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG auch Anteile an Kapitalgesellschaften, an denen der Gesellschafter innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft nicht unmittelbar oder mittelbar zu mindestens 1  % beteiligt war, wenn die Anteile auf Grund eines Einbringungsvorgangs i.S.d. Umwandlungssteuergesetzes, bei dem nicht der gemeine Wert zum Ansatz kam, erworben wurden und zum Einbringungszeitpunkt für die eingebrachten Anteile die Voraussetzungen von § 17 Abs. 1 Satz 1 EStG erfüllt waren oder die Anteile auf einer Sacheinlage i.S.v. § 20 Abs. 1 UmwStG i.d.F. des SEStEG in der jeweils geltenden Fassung beruhen.

11 Vgl. zur Substanzabspaltung BFH v. 21.1.1999 − IV R 27/97, BFHE 188, 27, BStBl. II 1999, 638; v. 22.5.2003 − IX R 9/00, BFHE 202, 309, BStBl. II 2003, 712 – zur Kapitalerhöhung gegen Einlage –, und BFH v. 25.2.2009 − IX R 26/08, BFHE 224, 504, BStBl. II 2009, 658, − zur Kapitalerhöhung aus Gesellschaftsmitteln. 12 Siehe BFH v. 9.11.2010 − IX R 24/09, BFHE 231, 557, BStBl. II 2011, 799. 13 Schießl in Widmann/Mayer, §  13 UmwStG Rz.  90 m.w.N.; wie hier Schmitt in Schmitt/ Hörtnagl/Stratz, 7. Aufl. 2016, § 13 UmwStG Rz. 48; Neumann in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, 2. Aufl. 2013, § 13 UmwStG Rz. 20.

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b) Fiktion einer Beteiligung i.S.d. § 17 EStG Die Regelung des § 13 Abs. 2 Satz 2 UmwStG erweitert die Anwendbarkeit des § 17 EStG14, indem sie die Eigenschaft einer Beteiligung i.S.d. § 17 EStG, die bei dem Vermögensübergang aufgegeben wurde, auf die Beteiligung an der übernehmenden Gesellschaft überträgt, mit der der Anteilseigner abgefunden wurde15. Beispiel16: A ist zu 5 % an der X-AG beteiligt. Die X-AG wird auf die Y-AG verschmolzen, wobei die Y-AG die aufnehmende Gesellschaft ist. Auf Grund der A gewährten Y-Aktien ist A zu 0,5 % an der Y-AG beteiligt. Daneben besitzt A keine Anteile an der Y-AG. Veräußert A seine Y-Aktien, fällt ein Veräußerungsgewinn gemäß § 17 EStG an, bei dem die ursprünglichen Anschaffungskosten der X-Aktien zu Grunde zu legen sind.

Die Eigenschaft einer Beteiligung i.S.d. § 17 EStG, die der im Zuge des Vermögensübergangs gewährten Beteiligung an der übernehmenden Gesellschaft gemäß §  13 Abs.  2 Satz  2 UmwStG zukommt, geht erst verloren, wenn die Beteiligung sich so vermindert, dass auch die ihr nach dem Umtauschverhältnis entsprechende Beteiligung an der übertragenden Gesellschaft keine Beteiligung i.S.d. § 17 EStG mehr dargestellt hätte. Allerdings ist zu beachten, dass die Eigenschaft einer Beteiligung i.S.d. § 17 EStG erst fünf Jahre nach dem Zeitpunkt verloren geht, zu dem die entscheidende Verminderung der Beteiligung eingetreten ist. Ist ein Gesellschafter an der Überträgerin nur deshalb i.S.d. § 17 EStG beteiligt, weil er innerhalb der letzten fünf Jahre i.S.d. § 17 EStG beteiligt war, und gilt er daher auch an der Übernehmerin als i.S.d. § 17 EStG beteiligt, entfällt die Beteiligung i.S.d. § 17 EStG erst mit Ablauf des Fünf-Jahres-Zeitraums, der zu dem Zeitpunkt beginnt, zu dem er an der Überträgerin auf Grund der Beteiligungsquote nicht mehr als i.S.d. § 17 EStG beteiligt gewesen wäre. Beispiel: A ist zu 5 % an der X-AG beteiligt. Die X-AG wird auf die Y-AG verschmolzen, wobei die Y-AG die aufnehmende Gesellschaft ist. Auf Grund der A gewährten Y-Aktien ist A zu 0,5 % an der Y-AG beteiligt. Daneben besitzt A keine Anteile an der Y-AG. Wenn A eine 0,41-prozentige Beteiligung an der Y-AG veräußert, liegt nach der Veräußerung (und dem Ablauf der 5-Jahres-Frist) keine Beteiligung i.S.d. § 17 EStG mehr vor. Eine 0,1-prozentige Beteiligung an der Y-AG entspricht nämlich nach dem Umtauschverhältnis einer 1-prozentigen Beteiligung an der X-AG. Veräußert A fünf Jahre nach dieser Veräußerung weitere Anteile an der Y-AG, scheidet § 17 EStG aus (aber dann ggf. Besteuerung nach § 20 Abs. 2 EStG); denn A war dann innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veräußerung nicht mehr i.S.d. § 17 EStG wesentlich an der Y-AG beteiligt. 14 Siehe Schießl in Widmann/Mayer, § 13 UmwStG Rz. 102 ff. 15 Vgl. BMF v. 11.11.2011 − IV C 2 - S 1978-b/08/10001, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 13.11. Siehe dazu Schießl, Der neue Umwandlungssteuer-Erlass, Bonn 2012, 259 f. 16 Siehe Schießl in Widmann/Mayer, § 13 UmwStG Rz. 103.

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Beteiligungen i.S.d. § 17 EStG

Für die im Zuge einer Verschmelzung von der übernehmenden Körperschaft im Rahmen des § 13 Abs. 2 UmwStG gewährten Anteile kommt die Fünf-Jahres-Frist insofern zum Zuge, als eine Beteiligung i.S.d. §  17 EStG an sich nicht gegeben ist, die Anteile an der Überträgerin jedoch auf Grund des Fünf-Jahres-Zeitraums als Anteile i.S.d. § 17 EStG gelten17. Beispiel18: A ist zu 2 % an der A-GmbH beteiligt. Im Jahre 13 veräußert er eine Beteiligung von 1,5 %, so dass er nur noch zu 0,5 % beteiligt ist. Im Jahre 14 wird die A-GmbH auf die B-GmbH verschmolzen; A erhält Anteile von 0,3 % an der B-GmbH (zum Buchwert i.S.d. § 13 Abs. 2 Satz 2 UmwStG). Im Jahre 16 veräußert A die Anteile an der B-GmbH mit Gewinn. Der Gewinn wird von § 17 EStG erfasst. A gilt als an der B-GmbH i.S.d. § 17 EStG beteiligt, obwohl er tatsächlich nur mit 0,3 % beteiligt ist. Wäre die Verschmelzung nicht erfolgt, wäre die Veräußerung der Anteile an der A-GmbH durch A im Jahre 16 von § 17 EStG erfasst worden; denn A wäre innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veräußerung an der A-GmbH i.S.d. § 17 EStG beteiligt gewesen. Auf Grund des § 13 Abs. 2 Satz 2 UmwStG treten die Anteile an der B-GmbH an die Stelle der A-GmbH. Die Veräußerung der Anteile an der B-GmbH wäre nur dann nicht steuerpflichtig, wenn die Veräußerung mehr als fünf Jahre nach dem Zeitpunkt erfolgte, zu dem A an der A-GmbH i.S.d. § 17 EStG beteiligt war (aber ggf. Besteuerung nach § 20 Abs. 2 EStG).

Die Fünf-Jahres-Frist kommt für die von der übernehmenden Gesellschaft gewährten Anteile auch insoweit zum Zuge, als der Anteilseigner zwar hinsichtlich der gewährten Anteile nicht die Voraussetzungen des §  17 EStG erfüllt, jedoch innerhalb des Fünf-Jahres-Zeitraums an der Übernehmerin i.S.d. § 17 EStG beteiligt war. § 17 EStG kommt auch dann zur Anwendung, wenn der Veräußerer innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Veräußerung nach der zum Zeitpunkt der Veräußerung geltenden Rechtslage i.S.d. § 17 EStG beteiligt war. Nicht entscheidend ist insoweit die Rechtslage zum Zeitpunkt des Haltens der Beteiligung19. Dies wirkt sich auf die bei der Verschmelzung erlangten Anteile aus. Wird ein im Zuge des Vermögensübergangs im Rahmen des § 13 Abs. 2 UmwStG erhaltener Anteil an der übernehmenden Gesellschaft später veräußert und liegen die Voraussetzungen des § 17 EStG vor, sind gemäß § 13 Abs. 2 Satz 2 UmwStG die ursprünglichen Anschaffungskosten der bei dem Vermögensübergang aufgegebenen Anteile an der übertragenden Gesellschaft bei der Berechnung des Veräußerungsgewinns gemäß § 17 Abs. 2 EStG zu Grunde zu legen.

17 Ebenso BMF v. 11.11.2011 − IV C 2 - S 1978-b/08/10001, BStBl. I 2011, 1314, Rz. 13.11. Siehe dazu Schießl, Der neue Umwandlungssteuer-Erlass, Bonn 2012, 259 f. 18 Siehe Schießl in Widmann/Mayer, § 13 UmwStG Rz. 93. 19 Es sind aber nach Maßgabe des Beschlusses des BVerfG v. 7.7.2010 − 2 BvR 748/05, 2 BvR 753/05, 2 BvR 1738/05, BVerfGE 127, 61 gem. § 17 Abs. 1 Satz 4 i.V.m. § 52 Abs. 1 Satz 1 EStG i.d.F. des StEntlG 1999/2000/2002 nur Wertsteigerungen steuerbar, welche nach der Verkündung des StEntlG 1999/2000/2002 am 31.3.1999 entstanden sind (siehe BFH v. 25.11.2010 − IX R 47/10, BFHE 232, 335).

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4. Entstehen einer Beteiligung i.S.d. § 17 EStG Der Fall, dass ein Gesellschafter an der Überträgerin nicht i.S.d. § 17 EStG, jedoch an der Übernehmerin i.S.d. § 17 EStG beteiligt ist, kommt im Falle der Verschmelzung dann in Betracht, wenn der Gesellschafter an der Übernehmerin bereits vor der Verschmelzung beteiligt war20. Zu einer Beteiligung i.S.d. § 17 EStG kommt es, wenn ein Anteilseigner nach der Verschmelzung nicht mehr an der Übernehmerin in der für eine Beteiligung i.S.d. § 17 EStG erforderlichen Höhe beteiligt ist, jedoch an der Übernehmerin vor der Verschmelzung bzw. innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Verschmelzung i.S.d. § 17 EStG beteiligt war. Beispiel: A ist an der X-GmbH zu 0,5 % und an der Y-GmbH zu 100 % beteiligt. Die X-GmbH wird zusammen mit anderen Gesellschaften auf die Y-GmbH verschmolzen. Nach der Verschmelzung ist A an der Y-GmbH zu 0,6 % beteiligt. A ist i.S.d. § 17 EStG an der Y-GmbH deshalb beteiligt, weil er innerhalb der letzten fünf Jahre i.S.d. § 17 EStG an der Y-GmbH beteiligt war. Insoweit kommt es nicht darauf an, ob § 20 Abs. 4a Satz 1 EStG anwendbar ist. Infolge der dem A bereits vorher innerhalb der letzten fünf Jahre zustehenden Anteile an der Y-GmbH sind die neu gewährten Anteile auch als Beteiligung i.S.d. § 17 EStG zu beurteilen. Die während des Zeitraums der Beteiligung an der Überträgerin gebildeten stillen Reserven bleiben wegen § 20 Abs. 4a Satz 1 EStG steuerverhaftet.

Wird ein Gesellschafter durch die Abfindung ausscheidender Gesellschafter i.S.d. § 17 EStG beteiligt, d.h., durch den Wegfall des ausscheidenden Gesellschafters erhöht sich die Beteiligung eines Gesellschafters so, dass aus einer Beteiligung i.S.d. § 20 Abs. 4a EStG (also keine Beteiligung i.S.d. § 17 EStG) eine Beteiligung i.S.d. § 17 EStG wird, gelten für diese Anteile nach § 20 Abs. 4a Satz 1 EStG die ursprünglichen Anschaffungskosten als Anschaffungskosten. Dies gilt unabhängig davon, dass die Beteiligung i.S.d. § 17 EStG erst nach dem steuerlichen Übertragungsstichtag und meist erst nach der Eintragung der Verschmelzung entsteht. In den erwähnten Fällen werden aus Anteilen, die die Voraussetzungen des § 17 EStG bislang nicht erfüllen, Anteile i.S.d. § 17 EStG. Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 20 Abs. 4a Satz 1 EStG treten die übernommenen Anteile steuerlich an die Stelle der bisherigen Anteile, ohne dass es eines Antrags bedarf. Die während der Beteiligung an der Überträgerin gebildeten stillen Reserven werden gemäß § 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 EStG später besteuert. Es handelt sich bei der Verschmelzung auf der Anteilseigner­ ebene nach wie vor um einen Tausch und damit um ein entgeltliches Geschäft. Für die Ermittlung des gemeinen Werts der Anteile gilt § 9 Abs. 2 BewG.

20 Siehe Schießl in Widmann/Mayer, § 13 UmwStG Rz. 107 ff.; Ott, INF 1995, 589, 592 rechte Sp.; Streck/Posdziech, GmbHR 1995, 271 und 357, 364 linke Sp.

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Beteiligungen i.S.d. § 17 EStG

5. Barabfindungen und bare Zuzahlungen Soweit im Zuge der Verschmelzung eine Barabfindung oder bare Zuzahlung erfolgt, liegen bei dem Anteilseigner steuerbare Einnahmen i.S.d. § 17 EStG vor. Dies setzt voraus, dass die Beteiligung des abgefundenen Anteilseigners oder die des die bare Zuzahlung empfangenden Gesellschafters von § 17 EStG erfasst wird. Die Regelung des § 13 UmwStG betrifft zwar lediglich den Fall, dass bei einer Verschmelzung die Anteilseigner der Überträgerin mit Anteilen an der übernehmenden Körperschaft abgefunden werden. Im Rahmen von Verschmelzungen von Körperschaften sind jedoch auch Barzahlungen möglich: (1) Im Verschmelzungs- bzw. Spaltungs- und Übernahmevertrag können bare Zuzahlungen vorgesehen werden (§§ 5 Abs. 1 Nr. 3 und 126 Abs. 1 Nr. 3 UmwG). (2) Bare Zuzahlungen sind zu leisten, wenn das Umtauschverhältnis zu Ungunsten der Anteilseigner der übertragenden Körperschaft festgelegt worden ist oder die Mitgliedschaft bei dem übernehmenden Rechtsträger keine ausreichende Gegenleistung darstellt (§ 15 Abs. 1 UmwG, § 125 Satz 1 i.V.m. § 15 Abs. 1 UmwG und § 196 UmwG). Wird die Verbesserung des Umtauschverhältnisses bei der Verschmelzung von Genossenschaften gemäß § 85 Abs. 2 UmwG durch die Zuschreibung auf das Geschäftsguthaben erfüllt, liegt keine bare Zuzahlung, sondern eine Korrektur des eingeräumten Geschäftsguthabens vor, die einer Kapitalerhöhung im Zusammenhang mit der Verschmelzung gleichsteht. (3) Eine Barabfindung für den Erwerb der Anteile oder Mitgliedschaften an der Übernehmerin kommt in Betracht, wenn a) die Überträgerin eine andere Rechtsform hat als die Übernehmerin oder bei der Verschmelzung einer börsennotierten AG auf eine nicht börsennotierte AG (§ 29 Abs. 1 Satz 1 UmwG); b) die Anteile oder Mitgliedschaften an dem übernehmenden Rechtsträger Verfügungsbeschränkungen unterliegen (§ 29 Abs. 1 Satz 2 UmwG) und die Übernehmerin keine eigenen Anteile oder Mitgliedschaften erwerben kann (§ 29 Abs. 1 Satz 3 UmwG). Dies trifft insbesondere zu bei eingetragenen Vereinen, genossenschaftlichen Prüfungsverbänden und VVaGs. (4) Bare Zuzahlungen sind im Falle eines Formwechsels zu leisten (§ 207 UmwG). (5) Im Falle der Verschmelzung von Genossenschaften ist eine Auszahlung durch die übernehmende Genossenschaft zu leisten, wenn das Geschäftsguthaben, das das Mitglied bei einer übertragenden Genossenschaft hatte, den Gesamtbetrag der Geschäftsanteile übersteigt, mit denen er bei der übernehmenden Genossenschaft beteiligt ist (§ 87 Abs. 2 Satz 1 UmwG). 203

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(6) Im Falle der Vermögensübertragung besteht die Gegenleistung grundsätzlich nur in einer baren Zahlung. Es ist zu beachten, dass sich die Anschaffungskosten der Restbeteiligung um den Betrag mindern, der der baren Zuzahlung entspricht. 6. Nicht steuerverhaftete Anteile an der übertragenden Körperschaft Es stellt sich die umstrittene Frage, ob das Antragswahlrecht nach § 13 Abs. 2 Umw­ StG nur für steuerverstrickte Anteile gilt. Dies ist zu verneinen21. Der Wortlaut des § 13 UmwStG spricht lediglich von Anteilen an der übertragenden Körperschaft. Eine bestimmte Eigenschaft der Anteile, wie z.B. Steuerverstrickung, Besitzzeiten oder die Zugehörigkeit zu einem Betriebsvermögen, ist nicht Voraussetzung. Folglich erfasst § 13 Abs. 2 UmwStG auch nicht steuerverstrickte Anteile (also keine Beteiligung i.S.d. §  17 EStG, keine einbringungsgeborenen Anteile, kein Betriebsvermögen sowie auf Grund des Zeitpunkts der Anschaffung nicht in den Anwendungsbereich des § 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG fallend und nach Ablauf der Haltefrist nicht steuerverhaftet im Rahmen eines privaten Veräußerungsgeschäfts i.S.d. §  22 Nr. 2 EStG i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) im Privatvermögen von Steuerinländern. Sie sind daher – wenn die Merkmale des § 13 Abs. 2 UmwStG vorliegen – mit den Anschaffungskosten anzusetzen. Wenn die Anteile an der übertragenden Körperschaft mangels Erreichen der 1  %-­­ Grenze nicht solche i.S.d. § 17 EStG waren, gelten folglich auch die Anteile an der übernehmenden Körperschaft nicht als Anteile i.S.d. § 17 EStG, selbst wenn die Beteiligungsgrenze erreicht wird. Es kommt damit die „Janusköpfigkeit“ des § 13 Abs. 2 Satz 2 UmwStG zum Ausdruck. Für die Anwendung der 1 %-Grenze ist auf die Beteiligungsquote vor der Verschmelzung abzustellen. Beispiel: Für 0,8 % der Anteile an der A-GmbH erhält der Steuerpflichtige im Rahmen der Verschmelzung 1,2 % der Anteile an der B-GmbH. Die Beteiligung an der B-GmbH gilt bei Anwendung des § 13 Abs. 2 Satz 2 UmwStG nicht als Beteiligung i.S.d. § 17 Abs. 1 EStG.

7. Besserungschein Hat ein Anteilseigner auf eine Forderung gegen die Überträgerin gegen Einräumung eines Besserungsscheins verzichtet, hat sich der Buchwert der Anteile an der Überträgerin um den gemeinen Wert der Forderung erhöht. Kommt es zu einer Rückzahlung durch die Übernehmerin, liegt bei dieser eine Einlagenrückzahlung vor. Dementsprechend mindert sich der Buchwert der Anteile, die der Anteilseigner der Überträgerin von der Übernehmerin im Zuge der Verschmelzung erhält22. 21 Siehe Schießl in Widmann/Mayer, § 13 UmwStG Rz. 15, 82 m.w.N. 22 Siehe Schießl in Widmann/Mayer, § 13 UmwStG Rz. 123 i.V.m. Rz. 79 m.w.N.

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Beteiligungen i.S.d. § 17 EStG

III. Zusammenfassende Sentenzen (1) Erhält ein Anteilseigner im Zuge einer Verschmelzung der Körperschaft, an der er beteiligt ist, auf eine andere Körperschaft Anteile dieser (anderen) Körperschaft, so handelt es sich aus der Sicht dieses Anteilseigners um einen Tausch der Anteile an der übertragenden Körperschaft gegen die Anteile an der übernehmenden Körperschaft und damit um einen Veräußerungs- und Anschaffungsvorgang. Dies gilt sowohl in den Fällen des § 13 Abs. 1 als auch in den Konstellationen des § 13 Abs. 2 UmwStG. (2) Ob eine Beteiligung i.S.d. § 17 EStG vorliegt, entscheidet sich nach den Verhältnissen zum Zeitpunkt der maßgebenden Eintragung der Verschmelzung. (3) Die Eigenschaft einer Beteiligung i.S.d. § 17 EStG, die bei dem Vermögensübergang aufgegeben wurde, wird im Fall der Anwendbarkeit der Fußstapfentheorie auf die Beteiligung an der übernehmenden Gesellschaft, mit der der Anteilseigner abgefunden wurde, übertragen. (4) Soweit im Zuge der Verschmelzung eine Barabfindung oder bare Zuzahlung erfolgt, liegen bei dem Anteilseigner steuerbare Einnahmen i.S.d. § 17 EStG vor. (5) Eine nach § 17 EStG steuerverstrickte Beteiligung liegt auch vor, wenn ein Anteilseigner nach der Verschmelzung nicht mehr an der Übernehmerin in der für eine Beteiligung i.S.d. § 17 EStG erforderlichen Höhe beteiligt ist, jedoch an der Übernehmerin vor der Verschmelzung bzw. innerhalb der letzten fünf Jahre vor der Verschmelzung i.S.d. § 17 EStG beteiligt war. (6) Das Antragswahlrecht nach § 13 Abs. 2 UmwStG gilt auch für nicht steuerverhaftete Anteile.

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Die Mitunternehmerstellung des persönlich haftenden Gesellschafters Inhaltsübersicht

I. Einleitung

II. Die Urteile des BFH vom 3.11.2015 als Beispiele unvorhersehbarer Ergebnisse 1. Sachverhalt 2. Steuersystematischer Hintergrund 3. Ausgangspunkt des BFH zur Verneinung der Mitunternehmerstellung 4. Begründung des BFH und Kritik im Einzelnen a) Gesellschaftsrechtliche Zulässigkeit sog. „Null-Beteiligung“ b) Geringes Mitunternehmerrisiko aa) Keine Gewinnbeteiligung und nur begrenzte Teilnahme am Verlust bb) Gesetzliche Gewinnverteilung und Anspruch auf den Gewinn­ anteil

cc) Gesetzliche Abfindungs­ regelung dd) Beteiligung an den materiellen Werten der Gesellschaft und § 718 BGB ee) Haftung im Außenverhältnis und Vergleich mit Komple­ mentär-GmbH ff) „Im Innenverhältnis beschränktes Haftungsrisiko“ gg) Zwischenergebnis c) Kein Ausgleich durch besonders ausgeprägte Mitunternehmer­ initiative III. Fazit

I. Einleitung Vor 25 Jahren zeichnete der Jubilar in der Festschrift für Ludwig Schmidt das Bild des Mitunternehmerbegriffs als „ein Chamäleon“, das Sinnbild der Veränderlichkeit und Unbeständigkeit sei1. Der Vergleich des Begriffs mit einem Wesen, dessen Erscheinungsbild je nach Situation insbesondere von äußeren Einflüssen abhängig ist2, findet seine Rechtfertigung in der rechtstheoretischen Einordnung des Mitunternehmers i.S.v. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 1 EStG als Typusfigur. Nach ständiger Rechtsprechung des BFH ist der Begriff des Mitunternehmers keiner abschließenden Definition durch eine begrenzte Anzahl von Kriterien zugänglich; vielmehr könne er nur durch eine unbestimmte Zahl von Merkmalen beschrieben werden, so dass im Ergebnis einzelfallorientiert das Gesamtbild darüber entscheiden soll, ob die Voraussetzungen der Mitunternehmerschaft gegeben sind und eine Besteuerung nach Maßgabe von § 15 EStG erfolgt3. Die Eigenschaften des Mitunternehmers können sich folglich von Fall 1 Crezelius, Der Mitunternehmerbegriff – ein Chamäleon?, in FS L. Schmidt, 1993, 355 (377). 2 Brockhaus Enzyklopädie, 4. Band, 19. Aufl. 1987. 3 Kürzlich BFH v. 3.11.2015 – VIII R 63/13, BStBl. II 2016, 383 (Rz. 19; dazu im Einzelnen sogleich unter II.); zuvor BFH v. 25.6.1984  – GrS 4/82, BStBl.  II 1984, 751 (Rz.  207); v.

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zu Fall verändern, ohne dass die Klassifizierung als Mitunternehmer wegfallen würde. Nicht zuletzt Georg Crezelius hat das Verständnis des Mitunternehmerbegriffs als Typus dahingehend kritisiert, dass die Rechtsanwendung auf diese Weise vage und ergebnisorientiert werde und das Szenario den an Rechtssicherheit glaubenden Dogmatiker schaudern lasse4. Nach wie vor hält der BFH an seiner Sichtweise fest. Im Zentrum seiner Entscheidungen zum Mitunternehmerbegriff stehen seit dem maßgeblichen Beschluss des Großen Senats des BFH vom 25.6.19845 offenbar unumstößlich die Kriterien des Mitunternehmerrisikos und der Mitunternehmerinitiative. Beide Merkmale müssen zu be­ jahen sein, um die Mitunternehmerstellung annehmen zu können. Eine bestimmte Intensität gibt das Gericht nicht vor: Mitunternehmerinitiative und Mitunternehmerrisiko müssen vorliegen, können aber mehr oder weniger stark ausgeprägt sein. So kann ein geringes Maß an Mitunternehmerinitiative durch ein größeres Maß an Mitunternehmerrisiko ausgeglichen werden und vice versa. Wenngleich diese Auffassung ganz überwiegend geteilt und ihr daher bisweilen sogar eine nahezu gewohnheitsrechtliche Verfestigung attestiert wird6, besteht doch die Problematik – wie der Jubilar in seinem Lehrbuch zum Steuerrecht ausführt – darin, dass beide Elemente „einerseits als Oberbegriff im Subsumtionsschluss eingesetzt werden, andererseits jedoch ein feststehender Kanon von Sachverhaltselementen fehlt, der Rechtssicherheit zuließe, ab wann und unter welchen Voraussetzungen der zivilrechtliche Gesellschafter steuerrechtlicher Mitunternehmer wird.“7 Die Diskussion um die inhaltliche Ausfüllung des Begriffs wird schon seit langem geführt und soll im Folgenden nicht erneut im Einzelnen nachgezeichnet werden8. Allerdings hat es in Anbetracht aktueller Rechtsprechung des VIII. Senats des BFH9 den Anschein, dass sich die Problemlage durch einen neuen Aspekt weiter verschärft. Es könnte zu befürchten sein, dass der zivilrechtlichen Analyse des steuerrechtlich zu bewertenden Sachverhalts zu wenig Bedeutung beigemessen wird. Bei der Prüfung, ob die in Rede stehenden Steuersubjekte im Einzelfall die Voraussetzungen des Mit17.1.1980 – IV R 115/76, BStBl. II 1980, 336 (Rz. 27); v. 8.2.1979 – IV R 163/76, BStBl. II 1979, 405 (Rz. 30); v. 21.2.1974 – IV B 28/73, BStBl. II 1974, 404 (Rz. 20); allgemein dazu etwa Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, 221 ff., 461 ff. 4 Crezelius in FS L. Schmidt, 1993, 355 (366 ff.); s. auch ders., Steuerrecht II, 2. Aufl. 1994, § 6 Rz. 10; ähnlich Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht, 9. Aufl. 1993, § 9 II 3 b (S. 386): „unberechenbar“; in diesem Sinne G. Schreiber, Wer ist Mitunternehmer?, 1995, 103, wonach die Gesamtbildbetrachtung und die Qualifikation als Typus „der eigentliche Grund allen Übels“ sei; ferner Haehling von Lanzenauer, Der Mitunternehmerbegriff, 1968, 61: „unscharfer Begriff, eine allgemeine Vorstellung im Sinne einer cognitio confusa“. Kritisch zuletzt Florstedt, Stand und Entwicklung der steuerrechtlichen Mitunternehmerdok­ trin, 2015, 66 ff.: „methodologische Scheinlösung“. 5 GrS 4/82, BStBl. II 1984, 751. 6 Kraft/Schreiber, NWB 2016, 1492 (1494). 7 Crezelius, Steuerrecht II, 2. Aufl. 1994, § 6 Rz. 10. 8 Dazu Florstedt (Fn. 4), passim. 9 BFH v. 3.11.2015 – VIII R 63/13, BStBl. II 2016, 383; Parallelentscheidung: BFH v. 3.11.2015 – VIII R 62/13, BStBl. II 2016, 381.

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Die Mitunternehmerstellung des persönlich haftenden Gesellschafters

unternehmers i.S.v. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG erfüllen, muss die zivilrechtliche und damit insbesondere die gesellschaftsrechtliche Rechtslage zweifelsfrei beurteilt werden. Wenn der Rechtsanwender die zivilrechtliche Ausgangslage nicht hinreichend würdigt oder sie sogar verkennt und daraus seine Schlüsse für die Beurteilung des Mitunternehmerrisikos und der Mitunternehmerinitiative zieht, könnte sich die ­Zuordnung des Sachverhalts zum Typus noch unvorhersehbarer und damit noch ­problematischer darstellen, als es aus methodologischer Sicht ohnehin der Fall ist.

II. Die Urteile des BFH vom 3.11.201510 als Beispiele unvorhersehbarer Ergebnisse 1. Sachverhalt Der vom VIII. Senat des BFH zu beurteilende Sachverhalt dürfte in der Praxis auf zahlreiche vergleichbare Konstellationen insbesondere beim Eintritt von Gesellschaftern in freiberufliche Praxen zutreffen: Drei Ärzte, Dres. L, G und N, betrieben gemeinschaftlich eine Arztpraxis in der Rechtsform einer GbR. Der Gesellschaftsvertrag, durch den Frau Dr. N in die bereits zuvor bestandene Praxis aufgenommen worden war, sah vor, dass die Geschäftsführung gemeinschaftlich auszuüben und Entscheidungen mehrheitlich zu treffen waren. Außerdem war geregelt, dass jeder Gesellschafter die Einberufung der Gesellschafterversammlung verlangen konnte. Für alle in Zukunft aus dem Praxisbetrieb entstehenden Verbindlichkeiten gegenüber der Kassenärztlichen Vereinigung, den Kassen und den Patienten war eine gesamtschuldnerische Haftung der Gesellschafter vertraglich festgeschrieben. Im Verhältnis zueinander waren die Gesellschafter ausweislich des Gesellschaftsvertrages anteilig nach dem jeweiligen Verschuldensgrad ausgleichspflichtig. Dr. N war bis zu einem bestimmten Stichtag „zu Null an den materiellen Werten der Gemeinschaft beteiligt“, verbunden mit der Option, zu diesem Stichtag ein Drittel der Praxis zu erwerben. Die Gewinnabrede sah vor, dass Dr. N bis zur Ausübung der Option jährlich 37 % vom eigenen Honorarumsatz für die ersten 200.000 Euro und 42 % vom eigenen Honorar­ umsatz für die darüber liegende Summe erhalten sollte, sofern ein entsprechender Gewinn erzielt wird. Nach Ausübung der Option sollte Dr. N einen ihrer Beteiligung entsprechenden Gewinn- oder Verlustanteil erhalten. Davon machte Dr. N keinen Gebrauch. Sie erhielt keinen Zugriff auf die Konten und die Barkasse der Gemeinschaftspraxis. Abfindungszahlungen für den Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters waren gesellschaftsvertraglich nicht vorgesehen. Das Finanzamt erließ einen Bescheid, in dem es mangels Mitunternehmerstellung von Dr. N die Durchführung einer gesonderten und einheitlichen Feststellung für die dreigliedrige GbR (Dres. L, G und N) ablehnte, und stellte die Besteuerungsgrund­ lagen stattdessen für eine aus Dr. L und Dr. G bestehende zweigliedrige GbR fest. ­Parallel erließ das Finanzamt einen an die GbR bekannt gegebenen Bescheid über den Gewerbesteuermessbetrag. 10 S. vorstehende Fn.

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Nachdem die Klagen der Dres. L und G sowie der GbR vor dem FG Düsseldorf erfolglos geblieben waren11, hatte alsdann der BFH über zwei Revisionen zu entscheiden. Zum einen war über die Revision von Dr. L und Dr. G zu befinden, mit der die Kläger das Ziel verfolgten, die Besteuerungsgrundlagen betreffend die GbR gesondert und einheitlich dergestalt festzustellen, dass auch Dr. N als freiberufliche Mitunternehmerin behandelt wird. Zum anderen begehrte die GbR die Aufhebung des Gewerbesteuermessbescheids. 2. Steuersystematischer Hintergrund Aus der Verweisung des § 18 Abs. 4 Satz 2 EStG auf § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ist die gesetzgeberische Anerkennung der freiberuflichen Mitunternehmerschaft zu folgern12. Üben alle Gesellschafter einen freien Beruf aus und sind sie jeder für sich betrachtet Mitunternehmer gem. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, so erzielt die Personengesellschaft Einkünfte i.S.d. § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG. Die Anforderungen, die der BFH an die freiberufliche Mitunternehmerschaft stellt, sind identisch mit den Voraussetzungen der gewerblichen Mitunternehmerschaft13. Entscheidend ist also hier wie dort die Zuordnung des Sachverhalts zum Typusbegriff des Mitunternehmers. Wenn nur ein Gesellschafter entweder keinen freien Beruf ausübt oder es an seiner Mitunternehmerstellung fehlt, kann die Norm des §  15 Abs.  3 Nr.  1 EStG einschlägig sein. Dann kommt es zur Infizierung aller Einkünfte als gewerblich, so dass der gesamte Gewinn aus dem Gewerbebetrieb gem. § 7 Satz 1 GewStG der Gewerbesteuer unterliegt, auch wenn die Tätigkeiten der übrigen Gesellschafter isoliert betrachtet freiberuflicher Art sind. 3. Ausgangspunkt des BFH zur Verneinung der Mitunternehmerstellung Der BFH hat sich wie gesehen gegen die Mitunternehmerstellung von Dr. N ausgesprochen und auf diese Weise den Gewinn der GbR der Gewerbesteuer unterworfen, obwohl die Dres. L und G durch ihre ärztliche Tätigkeit jeweils ebenso originär freiberufliche Einkünfte generierten wie Dr. N selbst. Das Gericht hat die Vergütungen aus den von Dr. N im Namen der GbR erbrachten Leistungen als solche aus Gewerbebetrieb angesehen, was zu einer Umqualifizierung der freiberuflichen Einkünfte über § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG führte. 11 FG Düsseldorf v. 19.9.2013 – 11 K 3968/11 F, EFG 2014, 840; v. 19.9.2013 – 11 K 3969/11 G, ZMGR 2014, 299. 12 Vgl. für die Rechtslage vor Einführung des Verweises (§ 18 Abs. 5 EStG a.F.) durch Art. 1 Nr. 6 des Gesetzes zur Änderung des Einkommensteuergesetzes, des Körperschaftsteuergesetzes und anderer Gesetze vom 20.8.1980 mit Wirkung zum 29.8.1980 (Art. 16), BGBl. I 1980, 1545, bereits die Rechtsprechung des BFH v. 2.12.1982 – IV R 72/79, BStBl. II 1983, 215 (Rz.  16  ff.). Für land- und forstwirtschaftliche Mitunternehmerschaften greift §  13 Abs. 7 EStG ein. 13 Vgl. BFH v. 5.10.1989  – IV R 120/87, BFH/NV 1991, 319 (Rz.  13); v. 9.10.1986  – IV R 235/84, BStBl. II 1987, 124 (Rz. 11 ff.); v. 8.4.2008 – VIII R 73/05, BStBl. II 2008, 681 (Rz. 28); v. 10.10.2012 – VIII R 42/10, BStBl. II 2013, 79 (Rz. 20); v. 3.11.2015 – VIII R 63/13, B ­ StBl. II 2016, 383 (Rz. 20).

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Zurückgreifen konnte der BFH insoweit auf seine ständige Rechtsprechung zum Mitunternehmertypus14. Danach bedeutet Mitunternehmerrisiko gesellschaftsrechtliche oder wirtschaftlich vergleichbare Teilnahme am Erfolg oder Misserfolg eines Unternehmens. Dieses Risiko werde im Regelfall durch Beteiligung am Gewinn und Verlust sowie an den stillen Reserven des Anlagevermögens einschließlich eines Geschäftswerts vermittelt. Die allseitige Beteiligung am laufenden Gewinn sei für die Annahme einer Mitunternehmerschaft grundsätzlich obligatorisch. Eine Beschränkung der Verlustbeteiligung auf die Einlage sei indes unschädlich, denn auch der Kommanditist nehme nur bis zur Höhe seiner Einlage am Verlust der Gesellschaft teil. Mitunternehmerinitiative bedeute vor allem Teilnahme an unternehmerischen Entscheidungen. Ausreichend sei bereits die Möglichkeit zur Ausübung von Gesellschafterrechten, die wenigstens den Stimm-, Kontroll- und Widerspruchsrechten angenähert sind, die z.B. den gesellschaftsrechtlichen Kontrollrechten nach § 716 Abs. 1 BGB bzw. denjenigen eines Kommanditisten entsprechen. Der Umstand, dass ein Gesellschafter weder am Gewinn und Verlust noch am Vermögen der Gesellschaft teilhabe, sei nicht ohne Weiteres geeignet, dessen Mitunternehmerstellung auszuschließen. Habe die fehlende Beteiligung am Gewinn und Verlust des Unternehmens wie bei der Komplementär-GmbH zur Folge, dass sich das Unternehmerrisiko auf eine unbeschränkte Haftung für die Schulden einer KG begrenze, und würden daher die Regelanforderungen an das Vorliegen mitunternehmerischen Risikos nicht erfüllt werden, könne Letzteres durch eine starke Ausprägung der Initiativrechte kompensiert werden. Gleiches gelte für das Fehlen der grundsätzlich erforderlichen Beteiligung an den stillen Reserven. 4. Begründung des BFH und Kritik im Einzelnen Die Entscheidung des BFH ist in der Literatur entweder begrüßt oder weitgehend wertungsneutral zur Kenntnis genommen worden15. Aus hiesiger Sicht kann sie indes nicht kritiklos stehenbleiben16. a) Gesellschaftsrechtliche Zulässigkeit sog. „Null-Beteiligung“ Zunächst geht das Gericht auf die gesellschaftsvertragliche Regelung ein, nach der Dr. N „zu Null an den materiellen Werten der Gemeinschaft“ beteiligt war. Ob sie trotzdem als Gesellschafterin anzusehen war, hat der BFH nicht entschieden und die Frage vielmehr ausdrücklich offen gelassen. Selbst wenn man die Gesellschafterstellung bejahte, sei Dr. N nicht als Mitunternehmerin anzusehen17. Allein in Ansehung 14 Zum Folgenden BFH v. 3.11.2015 – VIII R 63/13, BStBl. II 2016, 383 (Rz. 21, 23). 15 Vgl. etwa Carlé, BeSt 2016, 33 (34); Haunhorst, HFR 2016, 514 f.; Kempermann, FR 2016, 671 f.; Kraft/Schreiber, NWB 2016, 1492 (1495 ff.); Levedag, FR 2016, 733 (734 f.); ders., NWB 2016, 1881 (1888); Rogge, BB 2016, 1525 (1554); Schimmele, EStB 2016, 161 f. 16 Kritisch aber die Diskussion anlässlich des Referats von Crezelius zum 6. Generalthema (V.2.) der 68. Steuerrechtlichen Jahresarbeitstagung, vgl. JbFSt 2017/2018, im Erscheinen. 17 BFH v. 3.11.2015 – VIII R 63/13, BStBl. II 2016, 383 (Rz. 25).

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der Technik richterlicher Urteilsbegründung ist dies nicht zu beanstanden, weil nach ständiger BFH-Rechtsprechung nicht bereits die zivilrechtliche Gesellschafterstellung die Mitunternehmerschaft begründet. Ob Dr. N zivilrechtlich Gesellschafterin ist, trägt daher die Entscheidung nicht und konnte dahinstehen. Gleichwohl wäre es zu begrüßen gewesen, wenn der BFH Farbe bekannt und sich der zutreffenden, seit 30 Jahren bestehenden gesellschaftsrechtlichen Rechtsprechung des BGH18 und der Instanzgerichte19 zur Zulässigkeit der Null-Beteiligung angeschlossen hätte. Für den unvoreingenommenen Leser der Entscheidungsgründe mag ansonsten die Vermutung nahe liegen, dass der BFH insoweit Zweifel hatte. Dafür spricht zudem, dass das Gericht in der Folge immer wieder von Dr. N als „(Schein-)Gesellschafterin“ spricht und sich so die (vermeintliche) Ungewissheit über die Gesellschafterstellung auch an anderer Stelle der Entscheidungsgründe niederschlägt20. Derartige Zweifel wären aber unbegründet: Zwar kann es einen Gesellschafter ohne Gesellschaftsanteil nicht geben, weil der Gesellschaftsanteil den Inbegriff der mitgliedschaftlichen Rechte und damit der Mitgliedschaft als solcher darstellt21. Der Kapitalanteil, den der Gesellschaftsvertrag vorliegend betrifft, kann indes ohne Weiteres gleich Null sein22. Er ist seit jeher23, anders als es die BFH-Entscheidung suggerieren mag, nicht als ein wie auch immer im Einzelnen zu begreifendes dingliches oder obligatorisches Recht am Gesellschaftsvermögen zu verstehen, sondern als eine Bilanzziffer24, als eine Rechnungsgröße25, als eine Position auf dem bei der Gesellschaft geführten Kapitalkonto26. Durch ihn wird der gegenwärtige rechnerische Anteil des 18 BGH v. 6.4.1987 – II ZR 101/86, BB 1987, 1276 (Rz. 11). 19 Der BFH nimmt insoweit Bezug auf LG Stuttgart v. 7.8.2003 – 27 O 228/03, juris (Rz. 52 ff.); OLG Frankfurt v. 20.9.2012 – 20 W 264/12, NZG 2013, 338 (Rz. 13); vgl. gleichermaßen OLG Hamm v. 9.9.2013 – 5 U 139/12, juris (Rz. 35); als Prämisse ebenfalls BayObLG v. 10.2.1999 – 3Z BR 152/98, NJW-RR 1999, 687 (Rz. 12); OLG Hamm v. 29.8.1995 – 15 W 243/94, NJW-RR 1996, 1446 (Rz. 12); OLG Köln v. 29.6.2010 – 15 U 25/10, juris (Rz. 25 ff.). 20 Unabhängig davon wird der Begriff des Scheingesellschafters im Gesellschaftsrecht in anderem Zusammenhang verwendet. Er bezeichnet eine im Außenverhältnis nach Maßgabe der Grundsätze der Rechtsscheinhaftung als Gesellschafter auftretende Person, die in Wahrheit nicht (mehr) Gesellschafter ist; vgl. nur BGH v. 17.1.2012 – II ZR 197/10, DB 2012, 397 (Rz. 18 ff.). 21 Statt aller K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, 1380. 22 Vgl. die Nachweise in Fn. 18, 19; aus der Literatur etwa Gummert in MünchHdbGesR I, 2014, §  13 Rz.  20; Sassenrath in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 581; K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, 1381 ff.; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 562. 23 Grundlegend Staub, Kommentar zum ADHGB, 2. Aufl. 1894, Art. 91 § 6, Art. 106 § 5; s. aber Geßler in Schlegelberger, HGB, 4. Aufl. 1963, § 120 Rz. 10 („Wertrecht“); umfassend zum Charakter des Kapitalanteils Huber, Vermögensanteil, Kapitalanteil und Gesellschaftsanteil an Personalgesellschaften des Handelsrechts, 1970, 215 ff. 24 Huber (vorstehende Fn.), 228. Für die Bilanzierung einer OHG oder KG i.S.d. § 264a HGB ist der Ausweis und die Behandlung der Kapitalanteile in § 264c Abs. 2 HGB speziell geregelt. 25 Vgl. A. Hueck, Das Recht der offenen Handelsgesellschaft, 4. Aufl. 1971, 229; Sassenrath in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 575a f. 26 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, 1383.

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Gesellschafters an dem bilanziell ausgewiesenen Eigenkapital der Gesellschaft dargestellt27. Die Höhe dieses Vermögenswerts spielt für die Existenz der Gesellschaft ebenso wenig eine Rolle wie für die Gesellschafterstellung. So hält etwa bei der GmbH & Co. KG die Komplementär-GmbH regelmäßig keinen Kapitalanteil an der KG28. Die Zulässigkeit einer derartigen Gestaltung ist zu Recht unbestritten. b) Geringes Mitunternehmerrisiko Der BFH hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass Dr. N nach der Auffassung des Gerichts nur ein geringes Mitunternehmerrisiko trug, das nicht durch eine besonders ausgeprägte Mitunternehmerinitiative ausgeglichen wurde. aa) Keine Gewinnbeteiligung und nur begrenzte Teilnahme am Verlust Das niedrige Maß an Mitunternehmerrisiko leitet der VIII. Senat des BFH daraus her, dass Dr. N am Gewinn der GbR nicht und am Verlust nur „begrenzt“ beteiligt gewesen sei. Zutreffend ist, dass die Gesellschafter eine von dem gesetzlichen Regelstatut des § 722 BGB, wonach der Gewinn nach Köpfen zu verteilen ist, abweichende Vereinbarung getroffen haben. Diese gesellschaftsvertragliche Regelung ging nicht etwa dahin, dass – wie es in der Praxis häufig zu beobachten ist29 – der (feste) Kapitalanteil der Gesellschafter über die Teilhabe am Gewinn der Gesellschaft entscheiden sollte. Wäre dies der Fall gewesen, hätte sich die Gewinnverteilung durch die Anknüpfung an den Kapitalanteil im Sinne des HGB-Regelstatuts (§ 121 HGB) orientiert. Eine Gewinnbeteiligung, wie sie der BFH fordert, hätte vorgelegen, dient doch nach ständiger Rechtsprechung das Regelstatut des HGB als Maßstab für die Mitunternehmereigenschaft30. So wäre ebenfalls zu entscheiden gewesen, hätte der Gesellschaftsvertrag eine Beteiligung nach festen Prozentsätzen31 oder nach einem Punktesystem32 vorgesehen, denn dies hätte gleichermaßen zu einer unmittelbaren Teilhabe am Gewinn der Gesellschaft geführt. Im vom BFH entschiedenen Fall stand Dr. N nach § 12 des Gesellschaftsvertrages bis zur Ausübung der Option ein Zahlungsanspruch zu, der sich der Höhe nach an ihren eigenen Umsätzen orientierte. Maßgeblich waren insoweit also die vereinnahmten Honorare für die Tätigkeit nicht aller Gesellschafter gemeinsam, sondern die für die Gesellschaft erzielten Umsätze eines Einzelnen. Deshalb kann dem BFH durchaus gefolgt werden, wenn er dies gegen das Vorliegen einer Beteili27 Gummert in MünchHdbGesR I, 2014, § 13 Rz. 18; Sassenrath in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 575 f. 28 Statt vieler Sassenrath in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 581; Watermeyer, BeckHBPersG, 4. Aufl. 2014, § 13 Rz. 12. 29 Vgl. etwa Gummert in MünchHdbGesR I, 2014, § 13 Rz. 24; Hund v. Hagen in Formularbuch Recht und Steuern, 8. Aufl. 2014, A. 5.01 § 14 Abs. 1. 30 BFH v. 10.11.1987 – VIII R 166/84, BStBl. II 1989, 758 (Rz. 19, 22, 30 f., 42 ff.); v. 11.10.1988 – VIII R 328/83, BStBl. II 1989, 762 (Rz. 18); v. 27.1.1994 – IV R 114/91, BStBl. II 1994, 635 (Rz. 18, 21); v. 7.11.2000 – VIII R 16/97, BStBl. II 2001, 186 (Rz. 23 ff.). 31 Vgl. Blaum/Scholz in Hoffmann-Becking/Gebele, 12. Aufl. 2016, VIII. A. 1. § 6 Abs. 1. 32 S. etwa Hund v. Hagen in Formularbuch Recht und Steuern, 8. Aufl. 2014, A. 11.00 § 11 Abs. 2 für die Partnerschaft.

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gung an dem Gewinn der Gesellschaft anführt, wie sie dem Regelstatut des HGB entspricht. Zweifel erregen die Entscheidungsgründe aber, soweit sie die Beteiligung am Verlust betreffen. Denn der Zahlungsanspruch von Dr. N gegen die Gesellschaft erforderte, dass ein entsprechender Gewinn erzielt wurde. Voraussetzung für die Entstehung des Anspruchs war also, dass bei der Gesellschaft kein Verlust generiert wurde. Damit war der Vergütungsanspruch nicht etwa, wie der BFH meint, nur „in gewisser Weise mit dem wirtschaftlichen Erfolg der GbR verknüpft“33, so dass eine Verlustbeteiligung ausscheiden würde. Wodurch die Teilnahme am Verlust „begrenzt“34 gewesen sei, führt das Gericht nicht aus. Nach hier vertretener Auffassung stellt sich die Verknüpfung vielmehr so dar, dass der Anspruch konditional davon abhängig war, dass die Gesellschaft Gewinn in einer bestimmten Höhe erzielte. Die Teilhabe am Verlust tritt damit ebenso deutlich zu Tage wie bei einem Gesellschafter, der nach dem Regelstatut des § 722 BGB oder des § 121 HGB wirtschaftlich am Gesellschaftsvermögen beteiligt ist. Ein auf Zahlung gerichteter Anspruch gegen die Gesellschaft scheidet im Fall einer Verlustgenerierung hier wie dort gleichermaßen aus. Eine Verlustbeteiligung von Dr. N wäre vorliegend deshalb zu bejahen gewesen. bb) Gesetzliche Gewinnverteilung und Anspruch auf den Gewinnanteil Alsdann stellt der BFH heraus, dass eine Gewinnbeteiligung ebenso wenig aus der Vorschrift des § 722 BGB folge35. Die Begründung ist missverständlich: Die Norm des § 722 BGB enthalte allein einen Maßstab für die Gewinn- und Verlustberechtigung, begründe aber keinen selbständigen Anspruch. Das trifft zu, jedoch folgt der gesetzliche Anspruch des Gesellschafters gegen die Gesellschaft auf den Gewinnanteil aus § 721 BGB36. Er ist auf eine Geldleistung gerichtet, deren Höhe sich nach dem gesetzlichen Maßstab des § 722 BGB bestimmt, wenn nichts anderes vereinbart worden ist. Wird durch den Gesellschaftsvertrag eine andere Regelung getroffen, greifen §§ 721, 722 BGB nicht ein. Insoweit geht der BGH in ständiger Rechtsprechung davon aus, dass auch ohne eine explizite Vertragsklausel der Wille der Gesellschafter in der Regel dahin geht, eine Gewinnbeteiligung nach dem Verhältnis der erbrachten Beiträge zu bestimmen37. Legt man diese Judikatur zugrunde, entscheidet letztlich der Kapitalanteil des Gesellschafters über die Gewinnverteilung. Der Kapitalanteil von Dr. N belief sich auf Null, so dass ihr kein Anspruch auf Gewinnauszahlung zustand. Dies ist die Rechtsfolge der gesellschaftsvertraglichen Vereinbarung, durch welche die regelstatutarischen Gewinnverteilungsregeln verdrängt werden.

33 BFH v. 3.11.2015 – VIII R 63/13, BStBl. II 2016, 383 (Rz. 33). 34 So aber BFH, a.a.O. 35 BFH v. 3.11.2015 – VIII R 63/13, BStBl. II 2016, 383 (Rz. 37). 36 Statt aller Hadding/Kießling in Soergel, BGB, 13. Aufl. 2011, § 721 Rz. 11 ff., 14 ff. 37 BGH v. 28.6.1982 – II ZR 226/81, NJW 1982, 2816 (Rz. 5); v. 14.3.1990 – XII ZR 98/88, NJW-RR 1990, 736 (Rz. 15).

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cc) Gesetzliche Abfindungsregelung An die vermögensmäßige Beteiligung knüpfen auch die gesetzlichen Abfindungsregelungen der §§ 738, 734 BGB an. Mangels Beteiligung stand Dr. N keine Abfindung zu. Der BFH meint in diesem Zusammenhang, wenn man Dr. N an den (immateriellen) Wirtschaftsgütern hätte beteiligen wollen, so wäre ihr ein Abfindungsanspruch zuzugestehen gewesen38. Diese Passage in den Entscheidungsgründen mag man falsch deuten, denn im Falle einer Beteiligung von Dr. N hätte sich der Abfindungsanspruch aus den §§ 738, 734 BGB ergeben. Eine statutarische Regelung wäre daher entbehrlich gewesen. Aus gesellschaftsrechtlicher Sicht überrascht es nicht, dass die Gesellschafter keine Abfindungsregelung getroffen haben. Dies stellt vielmehr den Regelfall dar, wenn ein Gesellschafter ohne Kapitalanteil beteiligt ist. Denn es ist kaum einzusehen, weshalb einem Gesellschafter, der während der Dauer seiner Mitgliedschaft keine Vermögensbeteiligung innehat, bei seinem Ausscheiden eine Abfindung als Ausgleich für eine – nicht vorhandene  – Beteiligung gewährt werden sollte. Vor diesem Hintergrund leuchtet es nicht ein, dass eine derartige und ungewöhnliche Klausel steuerrechtlich über die Mitunternehmerschaft entscheiden soll. dd) Beteiligung an den materiellen Werten der Gesellschaft und § 718 BGB Zur weiteren Begründung, weshalb Dr. N nicht an den „materiellen Werten“ der Gesellschaft beteiligt gewesen sei, stellt der BFH darauf ab, dass die Gesellschafter ausdrücklich eine von § 718 Abs. 1 BGB abweichende Regelung getroffen hätten und die Gesellschafterin daher nicht zu einem Drittel an den (immateriellen) Wirtschaftsgütern beteiligt gewesen sei. Dieses Argument geht fehl. Der Gesellschafter ohne Kapitalanteil ist wie jeder andere Gesellschafter aufgrund seiner Mitgliedschaft in der GbR zugleich Mitinhaber des Gesamthandsvermögens i.S.v. §  718 Abs.  1 BGB39. Dieser Automatismus zwischen der Mitgliedschaft und der Stellung als Gesamthänder macht die gesamthänderische Beteiligung in der GbR aus und kann durch die Gesellschafter nicht vertraglich ausgehebelt werden. Die Vorschrift des §  718 Abs.  1 BGB betrifft nicht etwa den dispositiven vermögensmäßigen Anteil, den der BFH wohl vor Augen hatte und über den sich die Gesellschafter vorliegend geeinigt hatten, sondern vielmehr die zwingende dingliche gesamthänderische Beteiligung des Gesellschafters am Sondervermögen der Gesellschaft. Die Vermengung der rechtlichen Institute der vermögensmäßigen und der gesamthänderischen Beteiligung durch den BFH ist nicht nur dogmatisch, sondern auch deshalb problematisch, weil die sachenrechtliche Zuordnung i.S.d. § 718 BGB für die Qualifikation des Gesellschafters als Mitunternehmer unerheblich ist40.

38 BFH v. 3.11.2015 – VIII R 63/13, BStBl. II 2016, 383 (Rz. 43). 39 S. nur Hadding/Kießling in Soergel, BGB, 13. Aufl. 2011, § 718 Rz. 7; C. Schäfer in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2017, § 718 Rz. 6; Wertenbruch in Westermann/Wertenbruch, Handbuch Personengesellschaften, Rz. I 562. 40 Vgl. Wacker in Schmidt, EStG, 36. Aufl. 2017, § 15 Rz. 274.

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ee) Haftung im Außenverhältnis und Vergleich mit Komplementär-GmbH Die Gesellschafter einer BGB-Gesellschaft haften im Außenverhältnis für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft gem. § 128 HGB analog. Der Analogieschluss sollte nach der grundlegenden Entscheidung des BGH zur Rechtsfähigkeit der (Außen-) GbR41 mittlerweile außer Frage stehen42, zumal der BGH seine Rechtsprechung mehrfach bestätigt hat43 und der BFH dieser Auffassung folgt44. Aus hiesiger Sicht lässt sich bereits an der Außenhaftung die Verwirklichung des Mitunternehmerrisikos festmachen. Eine stärkere Teilhabe an den wirtschaftlichen Risiken, die mit den Geschäften der Gesellschaft einhergehen, lässt sich nicht ausmachen: Der Gesellschafter haftet der Höhe nach unbeschränkt, unmittelbar, primär45, persönlich mit seinem gesamten Vermögen und rechtsgrundunabhängig für fremde Verbindlichkeiten. An der Entstehung der Forderung, für die er analog § 128 HGB haftet, muss er nicht einmal mitgewirkt haben. Denkbar ist sogar eine Haftung für Verbindlichkeiten, gegen deren Eingehung sich der Gesellschafter ausdrücklich ausgesprochen hat. Auf dieser Linie bewegte sich auch der BFH bislang: Der IV. Senat des BFH hat für die Mitunternehmerschaft der Komplementär-GmbH in der GmbH & Co. KG entschieden, dass allein die Möglichkeit, als persönlich haftende Gesellschafterin für die Gesellschaftsverbindlichkeiten in Anspruch genommen zu werden, für eine Teilnahme am Misserfolg der GmbH & Co. KG ausreicht46. Unter der gleichen Voraussetzung hat der VIII. Senat des BFH seinerseits noch vor wenigen Jahren das Mitunternehmerrisiko bejaht47, nachdem er sich bereits mit Urteil vom 11.6.198548 ausdrücklich einem gegenläufigen Urteil des I. Senats des BFH aus dem Jahre 195549 entgegengestellt hatte. Die Interessenlage war mit derjenigen im nunmehr ebenfalls vom VIII. Senat entschiedenen Fall identisch. Denn die Haftung der GbR-Gesellschafterin aus § 128 HGB analog entspricht inhaltlich exakt derjenigen der Komplementär-GmbH aus §§ 161 41 BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 (Rz. 5 ff.), in Fortführung von BGH v. 27.9.1999 – II ZR 371/98, BGHZ 142, 315 (Rz. 10 ff.). 42 Vgl. nur Gummert in MünchHdbGesR I, 2014, § 18 Rz. 12; C. Schäfer in MünchKomm/ BGB, 7. Aufl. 2017, § 714 Rz. 36. 43 S. etwa BGH v. 3.4.2006 – II ZR 40/05, NJW-RR 2006, 1268 (Rz. 10 ff.); v. 25.9.2006 – II ZR 218/05, DB 2006, 2516 (Rz. 14); v. 17.10.2006 – XI ZR 19/05, DB 2006, 2806 (Rz. 31 ff.). 44 BFH v. 28.1.2005 – III B 91/04, BFH/NV 2005, 1141 (Rz. 11); v. 9.5.2006 – VII R 50/05, BStBl. II 2007, 600 (Rz. 17); v. 4.2.2009 – II R 41/07, BStBl. II 2009, 600 (Rz. 19). 45 Dies übersieht die Vorinstanz FG Düsseldorf v. 19.9.2013 – 11 K 3968/11 F, EFG 2014, 840 (Rz.  37), indem das Gericht ausführt, Dr. N habe aufgrund der jährlichen Gewinne der GbR in Millionenhöhe mit einer Inanspruchnahme nicht zu rechnen gebraucht (ebenso FG Baden-Württemberg v. 16.6.2005 – 3 K 101/01, EFG 2005, 1539 (Rz. 141)). 46 BFH v. 11.12.1986 – IV R 222/84, BStBl. II 1987, 553 (Rz. 15); bereits zuvor in der Sache ebenso BFH v. 17.1.1980 – IV R 115/76, BStBl. II 1980, 336 (Rz. 30); v. 14.8.1986 – IV R 131/84, BStBl. II 1987, 60 (Rz. 23). 47 BFH v. 10.10.2012 – VIII R 42/10, BStBl. II 2013, 79 (Rz. 25). 48 BFH v. 11.6.1985 – VIII R 252/80, BStBl. II 1987, 33 (Rz. 15, 18); zustimmend Crezelius, StRK-A § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG Mituntern. R. 15. 49 BFH v. 22.11.1955 – I 139/54 S, BStBl. III 1956, 9 (Rz. 9).

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Abs. 2, 128 HGB. Wenn es dabei bleiben soll, dass der Vergleich zum HGB-Regelstatut für die Mitunternehmerstellung entscheidend ist, hätte der BFH dem Rechnung tragen und das Mitunternehmerrisiko der Gesellschafterin ohne Einschränkung bejahen müssen50. Andernfalls wäre zu erwägen gewesen, im Wege der Divergenzvorlage gem. § 11 Abs. 3 FGO den IV. Senat des BFH und alsdann, falls sich die Divergenz nicht auflöst, den Großen Senat des BFH anzurufen. Ein solches Verfahren hätte dazu beitragen können, die nun noch weiter verstärkte Rechtsunsicherheit bei der Ausfüllung des Mitunternehmertypus einzudämmen. Diesen Weg hat der VIII. Senat des BFH jedoch nicht eingeschlagen, so dass nunmehr zwei vergleichbare Sachverhaltskonstellationen ohne triftigen Grund steuerrechtlich ungleich behandelt werden. ff) „Im Innenverhältnis beschränktes Haftungsrisiko“51 Schließlich gründet der BFH sein Urteil darauf, dass sich für Dr. N ein „im Innenverhältnis beschränktes Haftungsrisiko“ ergebe. Dadurch bricht das Gericht stillschweigend mit seiner eigenen Judikatur. Der IV. und der VIII.  Senat des BFH haben in ständiger Rechtsprechung übereinstimmend entschieden, dass allein auf die Außenhaftung des Gesellschafters abzustellen ist und Ausgleichsansprüche im Innenverhältnis keine Rolle spielen52. Dem ist aus folgenden Gründen beizutreten: Anders als es der BFH ausdrückt, besteht im Innenverhältnis  – also zwischen den Gesellschaftern untereinander – kein beschränktes Haftungsrisiko. Jeder Gesellschafter muss grundsätzlich mit der Inanspruchnahme auch durch seine Mitgesellschafter nach Maßgabe des § 426 BGB in jeder denkbaren Höhe rechnen. So gesehen wird das Haftungsrisiko durch die potentiell drohende Geltendmachung einer Ausgleichsforderung seitens der Mitgesellschafter sogar erhöht, weil der Gesellschafter nicht nur den Gesellschaftsgläubigern gegenüber entsprechend § 128 HGB haftet, sondern auch die Mitgesellschafter als Gläubiger in Betracht kommen. Ebenso wenig ist das im Außenverhältnis bestehende Haftungsrisiko durch das Innenverhältnis beschränkt. Darauf bezieht sich die zitierte Rechtsprechung des BFH53, die ursprünglich und noch zuletzt zur GmbH & Co. KG ergangen ist. Die Ausgleichsansprüche der Komplementär-GmbH gegen die KG aus §§ 161 Abs. 2, 110 HGB berühren die Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern nicht. Gleiches muss für die Ansprüche des Gesellschafters gegen die GbR aus § 110 HGB analog54 gelten, weil die Haftungskonstellation gleich ausgestaltet ist. Diese Parallele hat der BFH schon mit Urteil vom 25.4.2006 expressis verbis betont55. Regressansprüche gegen die Mitgesellschafter nach §  426 BGB lassen die Haftung gegenüber den Gläubigern der 50 Anders aber BFH v. 3.11.2015 – VIII R 63/13, BStBl. II 2016, 383 (Rz. 46). 51 BFH v. 3.11.2015 – VIII R 63/13, BStBl. II 2016, 383 (Rz. 46). 52 BFH v. 11.6.1985 – VIII R 252/80, BStBl. II 1987, 33 (Rz. 15); v. 25.4.2006 – VIII R 74/03, BStBl. II 2006, 595 (Rz. 23), zustimmend Wacker, HFR 2006, 876; v. 4.4.2007 – IV B 143/05, BFH/NV 2007, 1848 (Rz. 24); v. 10.10.2012 – VIII R 42/10, BStBl. II 2013, 79 (Rz. 25). 53 S. vorstehende Fn. 54 BGH v. 19.7.2011 – II ZR 300/08, ZIP 2011, 1657 (Rz. 59). 55 BFH v. 25.4.2006 – VIII R 74/03, BStBl. II 2006, 595 (Rz. 25 i.V.m. Rz. 23).

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­ esellschaft gleichermaßen unangetastet. All diese Ansprüche müssen vom GesellG schafter geltend gemacht und ggf. beigetrieben werden. Damit ist wie bei jeder Anspruchsdurchsetzung die Gefahr verbunden, mit der Forderung teilweise oder vollständig auszufallen. Aus diesem Grund kann das Innenverhältnis für die Beurteilung des Haftungsrisikos im Außenverhältnis keine Auswirkungen haben56. Die Höhe des Risikos, im Außenverhältnis für Gesellschaftsverbindlichkeiten in Anspruch genommen zu werden, bleibt deshalb von dem Bestand der Regressansprüche unangetastet. gg) Zwischenergebnis Damit ist festzuhalten, dass sich ein uneingeschränktes Mitunternehmerrisiko bereits aus der persönlichen Haftung der Gesellschafterin für die Verbindlichkeiten der BGB-Gesellschaft aus § 128 HGB analog ergibt. c) Kein Ausgleich durch besonders ausgeprägte Mitunternehmerinitiative Das entgegen hier vertretener Auffassung nur schwach ausgeprägte Mitunterneh­ merrisiko wurde nach Ansicht des BFH nicht durch eine besonders ausgeprägte ­Mitunternehmerinitiative ausgeglichen. Welche Anforderungen an eine besondere Ausprägung zu stellen sind, hat das Gericht nicht ausgesprochen. Die Möglichkeit, gesellschaftsrechtliche Kontrollrechte i.S.v. § 716 Abs. 1 BGB auszuüben, reichte dem BFH in diesem Fall offenbar ebenso wenig aus wie die Berechtigung der Gesellschafterin, jederzeit die Gesellschafterversammlung einzuberufen57. Vielmehr hat er seine Entscheidung daran fest gemacht, dass die Gesellschafterin für wesentliche Bereiche von der gemeinschaftlichen Geschäftsführung ausgeschlossen war. Neuinvestitionen tätigten allein die Mitgesellschafter im eigenen Namen. Wenn aber insoweit das operative Geschäft nicht durch die GbR, sondern durch die Mitgesellschafter im eigenen Namen durchgeführt wurde, sind gar keine geschäftlichen Vorgänge der Gesellschaft vorhanden, auf welche Dr. N hätte Einfluss nehmen können. An solche kann folglich die Mitunternehmerinitiative nicht anknüpfen. Vielmehr können nur solche Vorgänge in Betracht gezogen werden, welche durch die GbR durchgeführt wurden. Insoweit sah der Gesellschaftsvertrag eine gemeinschaftliche Geschäftsführung und eine Entscheidungsfindung nach Maßgabe des Mehrheitsprinzips vor. Dies spricht für eine Mitunternehmerinitiative von Dr. N. Im Übrigen hat das Gericht darauf abgestellt, dass die Gesellschafterin von der Verfügung über die Praxiskonten ausgeschlossen war. Dies dürfte dem Regelfall entsprechen, wenn ein Freiberufler in eine Gemeinschaftspraxis aufgenommen wird. Eine besonders ausgeprägte Mitunternehmerinitiative wird sich daraus folglich in den seltensten Fällen herleiten lassen. 56 Anders als die Vorinstanz entschieden hat (FG Düsseldorf v. 19.9.2013 – 11 K 3968/11 F, EFG 2014, 840 (Rz. 37); ebenso FG Baden-Württemberg v. 16.6.2005 – 3 K 101/01, EFG 2005, 1539 (Rz.  141)), kommt es daher auch auf eine Freistellung durch die Berufshaftpflichtversicherung nicht an. 57 S. aber BFH v. 25.6.1984 – GrS 4/82, BStBl. II 1984, 751 (Rz. 210); v. 4.11.1997 – VIII R 18/95, BStBl. II 1999, 384 (Rz. 14); v. 8.4.2008 – VIII R 73/05, BStBl. II 2008, 681 (Rz. 35).

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Die Mitunternehmerstellung des persönlich haftenden Gesellschafters

III. Fazit Die dargestellten Entscheidungen des BFH zeigen die Bedeutung der gesellschaftsrechtlichen Erfassung des steuerrechtlich zu beurteilenden Sachverhalts auf. Zugleich unterstreichen sie die Schwächen des Mitunternehmertypus, bleiben doch die Anforderungen, die an das Mitunternehmerrisiko und an die Mitunternehmerinitiative zu stellen sind, weitestgehend im Dunkeln. Es könnte im Interesse der Rechtssicherheit liegen, mit Georg Crezelius primär auf das unternehmerische Risiko abzustellen und der Mitunternehmerinitiative allenfalls einen geringen Wert zuzusprechen58. Nach hier vertretener Auffassung sollte das Mitunternehmerrisiko jedenfalls dann ohne Weiteres bestehen, wenn der Gesellschafter persönlich für die Gesellschaftsverbindlichkeiten haftet59. In diesen Fällen, die insoweit unmittelbar an das Haftungsstatut des HGB in Form von § 128 HGB anschließen, kommt es auf die Mitunternehmerinitiative nicht an und ist die Frage nach dem Vorliegen der Mitunternehmerschaft stets zu bejahen. Mit anderen Worten: Das Erscheinungsbild des vom Jubilar in Bezug genommenen „Chamäleons“60 sollte in derartigen Konstellationen beständig sein und nicht von weiteren äußerlichen Einflüssen abhängen.

58 Crezelius in FS L. Schmidt, 1993, 355 (374 f.); weitergehend G. Schreiber (Fn. 4), 109 ff., wonach auf das Merkmal der Mitunternehmerinitiative vollständig zu verzichten ist; ebenso Knobbe-Keuk (Fn. 4), § 9 II 3 c (S. 390); dies., StuW 1986, 106 (114). 59 S.  oben unter II. 4. b) ee); ebenso Crezelius in FS L.  Schmidt, 1993, 355 (375  f.); Knobbe-Keuk (Fn. 4), § 9 II 3 c (S. 390). 60 S. oben Fn. 1.

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Geschäftsführer- und Beraterpflichten beim Umgang mit MAC/MAE-Klauseln Inhaltsübersicht

I. Das Tätigkeitsfeld

II. Zur Haftung der Geschäftsführer der vertragschließenden Unternehmen

III. Aufgaben und Risiken einer ein M&A-Geschäft finanzierenden Bank angesichts von MAC/MAE-Klauseln IV. Schluss

I. Das Tätigkeitsfeld 1. MAC- und MAE-Klauseln sind eine aus der US-amerikanischen Kautelarpraxis übernommene, ursprünglich hauptsächlich bei Unternehmenskäufen verwandte Regelung, durch die sich Vertragsparteien nach Vertragsschluss eine Möglichkeit zum Ausstieg aus dem Geschäft oder zu Neuverhandlungen über die Konditionen bei unerwarteten Verschlechterungen der wirtschaftlichen Situation des Ziel-Unternehmens sichern wollen1. Ihre Bedeutung rührt hauptsächlich daher, dass bei Verträgen über den Inhaberwechsel an Unternehmen ein großer Teil der zu lösenden Probleme seine Ursache in den Unsicherheiten bezüglich der wirtschaftlichen Entwicklung des Unternehmens und seines ökonomischen Umfelds hat, die dazu führen können, dass aus der Sicht einer oder beider Parteien das Geschäft nicht wie vorgesehen durchgeführt werden sollte, weil seine Grundlage weggefallen oder wesentlich verändert ­worden ist2. Derartige Regelungen finden sich aber auch, und zwar fest etabliert, in Übernahmeangeboten, indem sich der Bieter bis zum Ende der Annahmefrist nur unter der Bedingung bindet, dass bei Eintreten schwerwiegender Veränderungen des Ziel-Unternehmens sein Angebot erlöschen soll3. Zwischen den Regelungen in Unternehmenskaufverträgen und Übernahmeangeboten besteht allerdings im deutschen Recht ein wesentlicher Unterschied, nämlich darin, dass nach §§  18 und 21 WpÜG der Bieter ein rechtlich verbindliches Angebot abzugeben hat, das nur unter engen, im Gesetz genannten Voraussetzungen von Bedingungen abhängig gemacht werden kann, wobei insbesondere dem Bieter kein Ermessen in der Beurteilung der Bedeutung von tatsächlichen Veränderungen eingeräumt werden darf, so dass Potes1 Übersichten über die Anwendung in Deutschland bei Henssler, FS U. Huber (2006), 747 ff.; Hopt, FS K. Schmidt, 2009, 681 ff.; Picot/Dugall, DB 2003, 2635; Lange, NZG 2005, 454; Wilhelmi in: Tröger/Karampatzos, Gestaltung und Anpassung von Verträgen in Krisenzeiten, 2014, 205 ff.; Karampatzos, ebenda 221 ff.; Thiessen in: MünchKomm/HGB Anh. § 25 HGB Rz. 37. 2 Zur Aufnahme der Maßstäbe der Geschäftsgrundlagenlehre Henssler (Fn. 1), 746 ff.; Hopt (Fn. 1), 683; Wilhelmi (Fn. 1), 215 ff. 3 Zum spätestens relevanten Zeitpunkt bei Übernahmeangebot Hopt (Fn. 1), 699.

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tativbedingungen ausgeschlossen sind4. Die Regelung unterliegt in Deutschland der Inhaltskontrolle durch die BaFin5, was aber nicht verhindert hat, dass sich derartige Klauseln in den Angeboten ausländischer Bieter finden6. Bei Unternehmenskäufen ist die Lage insofern eine andere, als hier grundsätzlich ­Privatautonomie hinsichtlich der Vertragsgestaltung besteht und der Kaufvertrag zustande gekommen ist, so dass es um Änderungs- und Aufhebungs- bzw. Rücktrittsmöglichkeiten einer Seite, meist des Käufers, geht, was unter normalen Verhand­ lungsbedingungen allerdings nicht auf ein reines Reuerecht des Käufers (sogen. buyer’s regret) hinauslaufen wird. Denkbar, wenn auch sicher nicht oft praktisch, sind auch überraschend positive Entwicklungen des verkauften Unternehmens, dem etwa als verschlossen geglaubte Produktions-, Ausfuhr- und Vergrößerungsmöglichkeiten wieder eröffnet werden (z.B. unerwartete Beendigung eines Embargos). In den Fällen der vom Käufer eingesetzten MAC-Klausel konkurriert ihre Anwendung mit der allgemeinen Kauf-Gewährleistung und den Folgen von ungenügender Aufklärung seitens des Verkäufers, während eine vom Verkäufer gewünschte Aufhebung oder Änderung des Vertrages allenfalls einmal damit begründet werden könnte, dass der über den Markt und die Zukunftsentwicklungen besser orientierte Kauf-Interessent sein Wissen zurückgehalten habe. Eine weitere Besonderheit dieser Vertragsregelungen liegt offenbar darin, dass sie nur Änderungen zwischen dem Vertragsschluss (signing) und zu seinem Vollzug im sogenannten closing erfassen, während nach der Übergabe des Unternehmens und der Übernahme der Verantwortung durch den Käufer, also nach Gefahrübergang, die allgemeinen gewährleistungsrechtlichen Regeln gelten7. Man kann sich aber durchaus vorstellen, dass an Ereignisse oder Umstände, die einem Wegfall der Geschäftsgrundlage gleichkommen, auch nach dem closing gedacht wird. Sowohl beim Unternehmenskauf als auch bei Übernahmeangeboten kann aber vom Vertragsschluss bzw. dem öffentlichen Gebot bis zum Vollzug ein längerer Zeitraum vergehen, etwa bei Notwendigkeit einer Freigabe der Transaktionen durch das Kartellamt8, so dass auch grundstützende Veränderungen in diesem Zeitraum vorkommen können. MAC-Klauseln kommen auch anderswo nicht selten vor, so bei Aktienübernahmen und -emissionen9, Umplatzierung von Aktien, Kapitalerhöhungen mit Bezugsangeboten, Anleiheemissionen10. Ein mit besonderer Vorsicht zu behandelnder Fall kann auftreten, wenn eine ein hierher gehöriges Geschäft finanzierende Bank das Recht haben möchte, ihre Bindung an eine Kreditzusage bei Eintreten von Umständen, die wiederum die Geschäftsgrundlage verändern oder ganz entfallen lassen, lösen zu 4 Im einzelnen dazu Hopt (Fn.  1), 691  ff.; Busch, AG 2002, 145 (150); Berger/Filgut, WM 2005, 253 (255); Hasselbach/Wirtz, BB 2005, 842 ff. 5 Zu ihrer Praxis eingehend Hopt (Fn. 1), 692 ff.; Henssler (Fn. 1), 751. 6 Zahlen bei Hasselbach/Wirtz (Fn. 4). 7 Näher Henssler (Fn. 1), 740. 8 Ebenda, 746. 9 Busch, OLG Rostock v. 18.1.2001 – 1 U 64/99, WM 2001, 1377; Herfs in: Habersack/Mülbert/Schlitt, Unternehmensfinanzierung am Kapitalmarkt, 2008, § 4 Rz. 101. 10 Nachw. bei Hopt (Fn. 1), 685.

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können, was sogar unabhängig von der Entwicklung des Ziel-Unternehmens die Möglichkeit des Kreditnehmers zur Bedienung seiner Verbindlichkeiten bedrohen kann11. Eine Investment-Bank wird sich aber, wenn sie in die Verhandlungen über einen Unternehmenskauf oder ein Übernahmeangebot eingeschaltet ist, auch im Interesse ihres Vertragspartners um eine der hier behandelten Klauseln kümmern (näher dazu unten III.). 2. Die Gestaltung solcher Regelungen ist mit außerordentlichen Schwierigkeiten belastet. Das hängt, wie allgemein gesehen wird12, zunächst damit zusammen, dass die US-amerikanische Rechtsprechung keine klare Linie bei der Anwendung der Klauseln verfolgt, namentlich beim Verständnis dessen, was im konkreten Fall als „Material Adverse Change“ (MAC) anzuerkennen ist, ebenso bei den sogenannten MAE-Klauseln, die den Fall behandeln, dass sich bei Vertragsschluss bereits vorhandene Umstände nachträglich negativ auswirken, also einen „Material Adverse Effect“ auslösen13. Die Gerichte lassen aber jedenfalls deutliche Vorbehalte gegen sehr allgemein gehaltene Klauseln erkennen, die dem Käufer praktisch ein Reuerecht in die Hand geben14; andererseits begründet eine Aufzählung mehrerer konkreter Umstände, die einzeln oder zusammen „material“ wirken könnten, die Gefahr, dass sich ein hierbei nicht erwähnter Fall ereignet, dessen Relevanz dann fast zwangsläufig streitig wird. Das gilt auch dann, wenn, was verbreitet ist15, eine MAC-Klausel in die häufig recht umfassende Liste von „representation and warranties“ eingefügt ist. Insgesamt haben Unsicherheiten in der Auslegung dieser Klauseln die Vorstellung begründet, dass ihre Übernahme in die deutsche Vertragspraxis ein Irrweg sei16, was jeder nachvollziehen kann, der Erfahrungen mit den Schwierigkeiten der Anwendung der Geschäftsgrundlagenlehre – trotz ihrer teilweisen Kodifikation in § 313 BGB – hat. Die Praxis, besonders unter dem ebenfalls nachvollziehbaren Einfluss der englischen und US-amerikanischen Gebräuche bei der Regelung von Unternehmens-Transaktionen, hat diese Warnung aber nicht befolgt. Immerhin wird oft auch bei uns entgegen einer zu breiten Gestaltung von MAC-Klauseln durch den Kauf-Interessenten eine die hie­ rin liegende Gefahr beschränkende Ausnahmeklausel (sogenannter Carve-out) eingesetzt17, die etwa Risiken ausklammert, die im Bereich des Käufers oder seiner Unternehmensgruppe auftreten oder deren Kausalität für Benachteiligungen des Käufers nicht sicher ist, oder die Entwicklungen ausklammert, die bestimmte Schwellenwerte oder Relevanzzeiträume überschreiten. Besondere Anforderungen an die hinlängliche Bestimmtheit der Lösungs- oder Neuverhandlungsgründe stellen die sogen. inclusion-Vereinbarungen, nach denen für eine Anpassung oder Beendigungsmöglichkeit des Vertrages darauf abgestellt wird, ob die Veränderungen der Verhältnisse eine 11 Beispiele bei Karampatzos (Fn. 1), 225. 12 Eingehend Henssler (Fn. 1), 743 ff.; Lange, NZG 2005, 454 (456); Karampatzos (Fn. 1), 225 f. 13 Henssler (Fn. 1), 741 (743). 14 Hopt (Fn. 1), 686. 15 Hopt (Fn. 1), 690 f.; s. auch Kindt/Stanek, BB 2010, 1491 f.; Kuntz, DStR 2009, 380 ff.; Karampatzos (Fn. 1), 228 f. 16 Nachdrücklich Henssler (Fn. 1), 753 ff. 17 Karampatzos (Fn. 1), 226; Hopt (Fn. 1), 686; Picot/Dugall, DB 2003, 2635 (2640); Henssler (Fn. 1), 745.

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Vertragspartei deutlich überproportional im Vergleich zu anderen Unternehmen derselben Branche treffen18. 3. Über die Probleme bei dem Einbau von MAC-Klauseln in Übernahmeangebote, die eine eingehende Befassung mit der Zulassungspraxis der BAFin erfordern, ähnlich wohl mit derjenigen des Londoner panel of take overs and mergers, die sich auch auf Unternehmenskäufe bezieht19, muss stets gesondert nachgedacht werden, da es sich dabei um die Gültigkeit einer Vertragsklausel als ganzer und nicht nur um ihre Anwendung im Einzelfall handeln kann. Insgesamt ist das Tätigkeitsfeld der mit den MAC- und MAE-Klauseln und besonders auch mit einem carve out befassten Personen also recht groß und nicht in allen Einzelheiten überschaubar. Offenbar besteht aber ein Bedürfnis nach ihrer Verwendung. Das führt zu einer Art Folgefrage über die von Fall zu Fall selbstverständlich interessante Prognose der Durchsetzbarkeit solcher Klauseln im Rechtsstreit vor einem staatlichen Gericht oder – häufig – einem Schiedsgericht20 hinaus. Diese mögen sich zwar als Beitrag für die Festschrift eines Juristen, der mit der Vertragsgestaltung und der Schiedsgerichtsbarkeit auch in M&A-Kon­ stellationen Erfahrung hat, weniger eignen, könnten aber in der gegenwärtig aktuellen Diskussion um die Voraussetzungen einer Verantwortlichkeit von unternehmerischen Entscheidungsträgern für etwaige ihnen hier unterlaufene Fehlentscheidungen einen weiteren Anwendungsfall zur Sprache bringen. Dabei ist freilich zu differenzieren: Geschäftsleiter eines ein Unternehmen verkaufenden Unternehmens und ihre Berater werden sich manchmal dem Wunsch des Kauf-Interessenten nach Vereinbarung einer MAC- oder MAE-Klausel gegenübersehen, die sie dann auf die Gefahr hin prüfen müssen, dass der Vertrag scheitert oder eine Reduktion des Kaufpreises hin­ genommen werden muss, welcher Bedrohung sie dann u.U. mit einem carve out zu begegnen suchen sollten. Auf Seiten des Kaufinteressenten geht es darum, eine MAC-­ Klausel zu formulieren und durchzusetzen, in der die möglichen relevanten Veränderungen beim Ziel-Unternehmen so umfassend benannt werden, dass nicht nachher ein Geschehen ungeregelt bleibt; demgegenüber muss aber auch eine vom Verkäufer gewünschte carve out-Klausel untersucht werden21. Bei der Beurteilung einer von der einen oder anderen Seite vorgeschlagenen Regelung muss dann auch auf die mit der Durchsetzbarkeit einer Modifikation oder Aufhebung des Vertrages verbundenen Rechtsfragen geachtet werden. Für alle können sich die im vorigen erwähnten Schwierigkeiten durch die Anlehnung an eingeführte Formulierungsgebräuche der US-amerikanischen Praxis und den Umgang der dortigen Gerichte damit ergeben, besonders mit Rücksicht auf den Umstand, dass dort praktisch nur längerfristig spürbare Verschlechterungen der Lage beachtet werden22.

18 Kindt/Stanek, BB 2010, 1491; Karampatzos (Fn. 1), 226 f. mit Nachweisen aus dem US-amerikanischen Schrifttum. 19 Näher dazu Hopt, 683 f. 20 Zur Beachtung von „Fast-Track-Schiedsverfahren“ in diesem Zusammenhang Duys/Henrich in: Handbuch Unternehmenskauf XVI Rz. 96. 21 Zur Fragestellung Henssler (Fn. 1), 740. 22 Beispiel ist das offenbar modellhafte Urteil IBP v. Tyson Foods des Delaware Court of ­Chancery, Del CH. 789 A. 2 f (2001), 68.

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Schon diese wenigen Feststellungen zur Ausgangslage zeigen, dass sich für eine Fehl­ einschätzung dieser hochkomplexen Gegebenheiten u.U. nicht nur Geschäftsleiter persönlich, sondern auch herangezogene Berater einschließlich einer beratenden oder finanzierenden Investmentbank möglicherweise später werden rechtfertigen oder entschuldigen müssen.

II. Zur Haftung der Geschäftsführer der vertragschließenden ­Unternehmen 1. Der sein Unternehmen abgebende Unternehmer bzw. seine Organwalter müssen bei den Vereinbarungen über Vertragskonditionen, namentlich bei der Preisbestimmung, wenn ihnen die Käuferseite mit dem Wunsch nach einer MAC-Klausel entgegentritt, darauf achten, dass sie bei späteren (oder sogar nach dem Closing auftretenden) Veränderungen der bei Vertragsschluss bestehenden Umstände nicht große Teile des Kaufpreisanspruchs verlieren. Sie werden dazu die Wahrscheinlichkeit und kurzfristige Erkennbarkeit einer Veränderung der in der Klausel als „Geschäftsgrundlage“ angesprochenen Umstände abschätzen, aber sich auch darüber schlüssig werden müssen, ob bestimmte vorstellbare Entwicklungen unter die Klausel fallen, was also eine Auslegungsfrage ist. Auslegung ist Rechtsanwendung, aber nicht ohne weiteres Entscheidung von umstrittenen Rechtsfragen, um die es bei der Diskussion um die Anwendung einer „legal judgment rule“ geht23. In der Tat wird die Vorstellung, dass den Entscheidenden hier eine „Rechtsermittlungspflicht“ treffe24, besonders im Hinblick auf die amerikanische Gerichtspraxis nicht recht passen, aber die Entscheidungen fallen doch in einer nicht nur von tatsächlichen, sondern auch von rechtlichen Unklarheiten beeinflussten Lage. So steht der auf Verkäuferseite handelnde Organwalter bei der Prüfung, ob er über bestimmte Umstände aufklären, etwa ein Gutachten weitergeben muss, zwar vor keiner abstrakten, aber jedenfalls vor einer schwierigen Rechtsfrage, zu der es verschiedene Rechtsmeinungen geben kann, einer Entscheidung also, die vergleichbar ist mit der Überlegung, ob die Produkte des Unternehmens den angekündigten rechtlichen Anforderungen einiger wichtiger Import-Länder entsprechen. Ähnliche Anforderungen bei der Bewertung von Umständen mit (auch) rechtlichen Maßstäben können im Hinblick auf das Bestreben zur Abschwächung einer MAC-Klausel durch Hinzufügung eines carve out, erst recht einer inclusion auftreten. Natürlich gibt es auch Unterschiede zwischen den Entscheidungstypen. Während etwa derjenige, der mit den von ihm erwogenen Maßnahmen Chancen für „sein“ Unternehmen wahrnehmen will, diese gegen die aus der Handlung bei Rechtswidrigkeit folgenden Nachteile abzuwägen hat25, geht es bei der Durchsetzung oder Abschwächung einer MAC-Klausel eher darum, ob man das Risiko einer Fehlentwicklung und das einer unsicheren rechtlichen Bewertung solcher Geschehnisse selber 23 Eingehend dazu Verse, ZGR 2017, 174 ff.; Nietsch, ZGR 2015, 631 (652 ff.). 24 Langenbucher, FS Lwowski, 2014, 333 (335 ff.); Fleischer in: Spindler/Stilz, § 93 AktG Rz. 29. 25 Zu dieser Situation Verse, ZGR 2017, 174, 187.

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übernehmen oder es dem Vertragspartner zumuten will26. Aber auch in der Rechtsprechung um die Geschäftsleiterhaftung aufgrund des vorherigen Eingreifens einer Haftung gegenüber außenstehenden Dritten bei – vorher – unklarer Rechtslage spielt der Gesichtspunkt eine Rolle, dass der seine Interessen Wahrnehmende das Risiko der zweifelhaften Rechtslage nicht ohne weiteres dem Vertragspartner soll zuschieben können27 – er muss dann eben auf eine MAC-Klausel oder – auf der Gegenseite stehend – auf ein carve out verzichten. 2. Ob er sich dies leisten kann und will, wird er mit seinem Rechtsberater erörtern wollen, was kein schwerer Entschluss sein dürfte, da in die Verhandlungen über die vertragliche Regelung von M&A-Transaktionen fast immer ein – häufig spezialisierter  – Rechtsanwalt eingeschaltet sein wird, öfter auch neben den Juristen aus der Rechtsabteilung des Unternehmens. Da er im Innenverhältnis zu seinem Unternehmen nur haftet, wenn er fahrlässig eine rechtlich falsche Entscheidung getroffen und sich dabei auf eine falsche Auskunft verlassen hat, kommt es darauf an, ob er – etwa bezüglich der Auslegung, was für Umstände unter die MAC-Klausel fallen – sich in einem unverschuldeten Rechtsirrtum befand28. Um diesem Vorwurf zu entgehen, wird er sich in so schwierigen und einzelfallbezogenen Fragen wie den hier relevanten sachverständig beraten lassen müssen29, was allenfalls entbehrlich ist, wenn die für eine solche Beratung nötige Zeit bis zur Entscheidung nicht zur Verfügung steht. Das kann im Rahmen von M&A-Transaktionen sicher vorkommen, ist allerdings zweifelhaft, wenn die MAC-Klausel nur Entwicklungen betrifft, die zwischen dem signing und einem kurzfristig vorgesehenen closing auftreten. Aber in diesen Fällen wird der Rechtsberater, jedenfalls ein außenstehender Anwalt, genaue Informationen über die für die Ausgewogenheit der im Vertrag begründeten Rechte und Pflichten der Parteien wesentlichen – und bei falscher Einschätzung die Vertragsgerechtigkeit zerstörenden  – Umstände und Zukunftsentwicklungen benötigen; es bedarf daher  – in den Worten des BGH30 – einer umfassenden Darstellung der Gesellschaft unter Offenlegung der für die Einschätzung erforderlichen und aussagekräftigen Unterlagen. Diese kann nur die Geschäftsleitung liefern, die allerdings den Umfang der erforderlichen Informationen nicht allein beurteilen kann, sondern ihn mit dem juristischen Berater erörtern muss31. Diese Anforderungen hören sich schlüssig an, werden aber in der Beratungspraxis nicht immer leicht umzusetzen sein. So muss man, um das Gewicht eines in einer 26 Zur Risikoverteilung nachdrücklich Henssler (Fn. 1), 752 ff. 27 BGH v. 14.12.1989  – I ARZ 700/89, NJW 1990, 1533; NJW 2014, 1720, zust. Verse (Fn. 23), 181. 28 Zum Grundsatz BGH v. 16.6.1977 – III ZR 179/75, BGHZ 69, 128 (143); 89, 303; BGH, NJW 2002, 3255; Strohn, ZHR 176 (2012), 138, H.P. Westermann in: Erman, § 276 BGB Rz. 14. 29 BGH v. 6.6.1994 – II ZR 292/91, BGHZ 126, 181 (199), GmbHR 1994, 539, MDR 1994, 781; BGH, VersR 1968, 148; Strohn (Fn. 28), 139. 30 BGH v. 14.5.2007 – II ZR 48/06, AG 2007, 548, GmbHR 2007, 757 m. Anm. Schröder, MDR 2007, 1085, ZIP 2007, 1265 Rz. 16, 18, BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, MDR 2012, 171, NotBZ 2012, 32, AG 2011, 876, ZIP 2011, 2097 Rz. 18 – Ision. 31 Dazu wiederum Strohn (Fn. 28), 139.

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MAC-Klausel genannten Umstandes – u.U. im Verhältnis zu Zusagen in einem Garantiekatalog – für den auf Rücktritt vom Vertrag oder Berufung auf eine Potestativbedingung sinnenden Vertragspartner einzuschätzen, sich schon tief in die Sachlage und die möglichen Überlegungen des Verhandlungspartners hineindenken. Das wird, wenn der Rechtsberater bei den gesamten Verhandlungen dabei war, i.d.R. wohl möglich sein, obwohl dadurch gewisse Reste von Informationsasymmetrie unter den Vertragschließenden nicht ganz ausgeräumt sein mögen; es hat aber auch schon M&A-­ Verträge gegeben, bei denen der Erwerber des Zielunternehmens den Markt, auf dem es tätig sein sollte, besser kannte als die abgebende Seite, die möglicherweise nur im Erbgang in das Zielunternehmen hineingekommen war. Wenn sodann im Zuge einer inclusion-Verhandlung erwogen wird, ob bestimmte Entwicklungen das Zielunternehmen deutlich härter treffen könnten als seine Wettbewerber im selben Markt, so ist es wahrscheinlich wieder mehr Sache des Geschäftsleiters, den mit den Einzelheiten der Vertragsgestaltung befassten Juristen zu informieren, ihn zumindest für mögliche Probleme zu sensibilisieren. Der Nachweis einer schuldlosen Fehleinschätzung der rechtlichen und tatsächlichen Elemente einer MAC- oder carve-out-Klausel durch einen Geschäftsleiter setzt in diesem Zusammenhang weiter voraus, dass der Handelnde die von ihm erteilten Informationen für richtig und vollständig halten durfte32. Auch in diesem Punkt sind die Maßstäbe für die Beurteilung seiner perfomance stark einzelfallabhängig und jedenfalls  – auf Verkäuferseite  – bei der Prüfung einer vom Kaufinteressenten gewünschten MAC-Klausel risikobehaftet. 3. Trotz aller Informationsbemühungen kann es sicher vorkommen, dass der Rechtsberater Anwendungsbereich und –voraussetzungen einer MAC-Klausel falsch beurteilt. Das könnte zu einer Haftung des Geschäftsleiters nach § 278 BGB führen, was bei einer von ihm eingeschalteten Prüfungsperson auch schon bejaht worden ist33. Die Befragung eines Rechtsanwalts durch den letztlich entscheidenden Organwalter, der die Kenntnisse und Erfahrungen für die Beurteilung einschlägiger Fachfragen nicht hat und haben muss, macht den Anwalt freilich nicht zum Erfüllungsgehilfen dieses Geschäftsleiters, der ja diese Fragen nicht selber beantworten soll, sondern zur Hilfsperson des Unternehmens, in dessen Namen der Beratungsvertrag auch meist geschlossen sein wird34. Ein Eigenverschulden des Geschäftsleiters kann aber vorliegen, wenn er erkennen musste, dass der eingeschaltete Rechtsberater selber nicht hinlänglich qualifiziert ist, was im Hinblick auf M&A-Transaktionen, die dabei formulierten „representations and warranties“, die häufig Mustern der US-amerikanischen Vertragspraxis nachgebildet sind, und gerade auch auf MAC-Klauseln nicht jeder deutsche Rechtsanwalt für sich beanspruchen kann. Zwar bestehen Bedenken gegen eine allgemeine Annahme, erkennen zu müssen, dass die Beratung durch einen Vertragsanwalt oder Betriebsjuristen nicht genügt; dies würde die Anforderungen über-

32 Nach Strohn (Fn. 28), 139 eher selten; a.M. Binder, AG 2008, 274 (286). 33 BGH v. 25.10.2006 – VIII ZR 102/06, MDR 2007, 454, NJW 2007, 428. 34 BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, MDR 2012, 171, NotBZ 2012, 32, ZIP 2011, 2097 Rz. 11; Strohn (Fn.  28), 142; Kiefner/Krämer, AG 2012, 498 (502); H.P. Westermann in: Erman, § 276 BGB Rz. 14.

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spannen35, was man auch für den Fall sagen könnte, in dem der Vorstand einer AG sich auf die Auskunft eines Anwalts verlassen hatte, dass eine Kapitalerhöhung durch einen Verzicht auf die Rückgabe geliehener eigener Aktien der Gesellschaft durchgeführt werden könne36. Gewisse Reserven dieser Art werden den Geschäftsleitern manchmal auch gegenüber den Auskünften und Ratschlägen aus der Rechtsabteilung ihres Unternehmens angesonnen, was einen besonderen Akzent erhält, wenn die auskunftsgebende Person – gewöhnlich wohl der Abteilungsleiter  – von dem Nachfragenden selber eingestellt worden war. Nun ist die hausinterne Stellung eines Syndikus nicht kanonisiert, insbesondere nicht der Grad seiner Unabhängigkeit. Wenn für die Eignung seiner Stellungnahme zur Entlastung des ihn Fragenden darauf abgestellt wird, ob er nach der Durchführbarkeit einer Transaktion gefragt wurde oder lediglich bestätigen sollte, dass der vom Geschäftsleiter bereits gefasste Plan rechtlich durchführbar ist, so kommt angeblich in der letztgenannten Fragestellung eine bestimmte Erwartungshaltung zum Ausdruck, was gegen die Unabhängigkeit seiner Antwort spreche37. Man zögert, so subtile Kriterien anzuwenden; besser scheint es, vom Fragenden zu verlangen, dass er deutlich gemacht hat, dass er eine eigenverantwortliche, nicht im Ergebnis vorgegebene Begutachtung erwartet38. Eine Grenze der Entlastungsmöglichkeit besteht aber, wenn der „Berater“, auch ein niedergelassener Rechtsanwalt, selber den Vertragsentwurf oder auch nur die zu begutachtende Klausel erstellt hat39 - dann kann nicht ohne weiteres erwartet werden, dass er rechtliche Schwächen seines Konzepts aufdeckt, obwohl es Juristenart (auch) ist, deutlich zu machen, dass ein Gericht über eine maßgebende Frage auch anders denken kann. Die praktische Situation bei der Einfügung einer der hier betrachteten Regelungen in einen M&A-Vertrag verbietet es allerdings, jedem Entscheidungsträger immer das Abstandnehmen von einer Maßnahme vorzuschreiben, wenn eine von seiner oder seines Beraters Meinung abweichende Gerichtsentscheidung nicht ausgeschlossen werden kann40. Allerdings ist bisher nicht endgültig entschieden, ob man in diesem Punkt den Gerichten bei ihrer Beurteilung nicht etwas mehr Augenmaß empfehlen (und zutrauen) soll. 4. Das gilt auch bei einem weiteren Schritt des Entlastungsbeweises eines mit MACoder carve out-Klauseln befassten, aber dabei juristisch beratenen Entscheidungsträgers, nämlich bei der ihm in der Rechtsprechung abverlangten „Plausibilitätskontrol35 H.P. Westermann in: Erman, § 276 BGB Rz. 14 gegen BGHZ 62, 29 (39); BGH, NJW 1963, 531 (534). 36 Für Haftung des Vorstands nach § 93 AktG aber BGH v. 20.9.2011 – II ZR 234/09, MDR 2012, 171, NotBZ 2012, 32, AG 2011, 876, ZIP 2011, 2097 Rz. 16 ff.; zust. Strohn (Fn. 28), 138. 37 Strohn (Fn. 28), 141; für Entlastung auch durch Mitarbeiter der Rechtsabteilung allgemein Fleischer, ZIP 2009, 1397 (1403); Bachmann, WM 2015, 105 (109); Verse, ZGR 2017, 177; Junker/Biederbeck, AG 2012, 898 ff.; Hopt/Roth in: GroßKomm/AktG, § 93 AktG Rz. 129. 38 Ähnliche Kriterien im Urteil BGH v. 28.4.2015 – II ZR 63/14, MDR 2015, 780, ZWH 2015, 243 m. Anm. Walther, AG 2015, 535, NZG 2015, 792 Rz. 36. 39 Strohn (Fn. 28), 139 f. 40 BGH, NJW 1989, 63; OLG Köln, NJW-RR 1998, 1017; dagegen H.P. Westermann in: Erman, § 276 BGB Rz. 14.

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le“41. Was hiermit im Einzelnen gemeint sein kann, ist kaum abstrakt zu bezeichnen42, abgesehen davon, dass der Beratene sich zu einem Gutachten oder einer begründeten Rechtsmeinung offensichtlich eine eigene Ansicht zu bilden hat, wobei er aber naturgemäß nur die Kriterien anlegen kann, die seinem eigenen Kenntnis- und Erfahrungsstand entsprechen. Bei der Prüfung der Eignung einer MAC-Klausel für den ihr zugedachten Zweck könnte dies allerdings etwas leichter sein als bei schwierigen gesellschaftsrechtlichen oder sonst vertragsrechtlichen Fragen43. Der Beratene, der ja dem Berater die Informationen über das Ziel-Unternehmen hatte unterbreiten müssen, wird nämlich unschwer feststellen können, ob diese verarbeitet oder in einigermaßen einleuchtender Weise in die Argumentation des Gutachters eingegangen sind. Vor dem Hintergrund der Judikatur wird auch ein nicht voll fachkundiger Leser feststellen können, ob die Stellungnahme, wie unter Verfassern von Rechtsgutachten und Voten üblich, sich bemüht, ihre Übereinstimmung mit „herrschenden Meinungen“, d.h. hauptsächlich der Rechtsprechung darzutun. Das dürfte dann allerdings bei den hier behandelten Regelungen bisweilen etwas schwierig sein, weil als Judikate wohl in erster Linie ausländische, meist englisch-sprachliche Urteile, ferner Schiedssprüche zur Verfügung stehen müssten. Man darf nicht vergessen, dass eine Vertragsregelung, die die Auswirkungen einer Änderung oder eines Wegfalls der Geschäftsgrundlage auf die Wünschbarkeit und Hinnahme einer Vertragsdurchführung erfassen soll, zu einem Teil auf Zukunftsprognosen beruht, deren Realisierung für den Beratenen nicht schlechter vorstellbar ist als für den Berater, so dass die Argumente und Schlussfolgerungen des Letzteren nachvollziehbar sein müssten. Ohne eine solche Plausibi­ litätsprüfung, die im Anwendungsfeld einer Legal Judgment Rule auch noch die ­Prüfung umfasst, ob der Berater in der Unsicherheitslage den „sichersten Weg“ empfiehlt44, wird die Begutachtung von MAC-Klauseln und carve out nicht immer viel Stoff für eine unvoreingenommene Prüfung des Rats durch den beratenen Geschäftsleiter bieten. Im Ergebnis kommt es also für die Entlastung des Geschäftsleiters (und auch des ­Beraters) entscheidend und fast allein darauf an, ob sie eine gute, d.h. umfassend ansetzende und die beiderseitigen Erkenntnisse und Erfahrungen einbringende Zu­ sammenarbeit dokumentieren können. Das hört sich vielleicht etwas resignativ-zurückhaltend an, muss aber nicht dazu führen, den Umgang mit MAC-Klauseln (wie den mit der Geschäftsgrundlagenlehre)45 als eine Art Glücksspiel zu meiden. 5. Die vorstehende Betrachtung bezog sich im Wesentlichen gleichermaßen auf den Umgang von Organwaltern und ihren Beratern mit MAC- bzw. carve out-Regelungen, jeweils mit Blick auf das Zielunternehmen von M&A-Geschäften. Während man auf der abgebenden Seite das Augenmerk auf das Risiko lenken muss, aufgrund einer MAC-Klausel Kaufpreisansprüche gekürzt zu sehen oder infolge Rücktritts oder Ein41 BGH, NJW 1979, 1882; Fleischer, ZIP 2009, 1404. 42 Von Strohn (Fn. 28), 141 als das problematischste der Entlastungserfordernisse nach der BGH-Judikatur bezeichnet. 43 Siehe etwa den bei Fn. 36 erwähnten Fall. 44 Nachweise bei H.P. Westermann in: Erman, § 276 BGB Rz. 37. 45 Zu ihren Schwächen in diesem Zusammenhang Henssler (Fn. 1), 749 ff.

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greifens einer auflösenden Bedingung den Vertrag scheitern zu sehen, muss es auf der Übernehmerseite darum gehen, eine praktikable MAC-Klausel durchzusetzen und ihrer Abschwächung durch ein carve out tunlichst entgegenzuwirken. Hier könnte sich einmal ein Vorwurf gegen den zuständigen Geschäftsleiter einstellen, dass er Mängel oder eine nach Vertragsschluss eingetretene Fehlentwicklung des Unternehmens hinnehmen muss; bei der Prüfung seiner Verantwortlichkeit wird es dann darauf ankommen, ob er die Möglichkeiten zur Information über das target, auch durch Beratung über die Umstände der Anwendung der Geschäftsgrundlage-Klauseln beider Typen ausgeschöpft hat. Das lenkt den Blick, wenn auch nur einen Seitenblick, auf die Durchführung und Auswertung der regelmäßig stattfindenden due diligence46 und ihre Bedeutung bei der Vorbereitung einer MAC-Klausel. Am Rande ist darauf hinzuweisen, dass vor einem Übernahmeangebot der Bieter die Möglichkeit zu einer solchen Untersuchung nicht bekommt47. Die due diligence besteht in einer vor Abschluss des Vertrages durch den Erwerbsinteressenten und seinen (oft zahlreichen) Mitarbeitern, auch unter Beteiligung von Unternehmensmaklern oder Investmentbankern, durchgeführten Untersuchung der von Seiten des Verkäufers oder des abgebenden Unternehmens – auch: auf Anfrage – zur Verfügung gestellten Unterlagen. Hinzukommen können Befragungen von Mitarbeitern des Zielunternehmens, obwohl dieses Instrument bei der Belegschaft Unruhe stiften kann48. Das Verfahren bezweckt, dem Erwerbsinteressenten eine intensive und umfassende Information über die wirtschaftliche Lage und die aus ihr folgenden Zukunftsperspektiven zu ermöglichen; da aber der Verkäufer bzw. Inhaber des Zielunternehmens derjenige ist, der die Unterlagen zusammenstellt, kann der Erwerbsinteressent nicht ohne weiteres auf eigene Faust umfassende Detailuntersuchungen anstellen oder anstellen lassen49. Wohl soll ihm ermöglicht werden, die Umstände und Einzelpunkte zu erfahren, in Bezug auf die er Garantien verlangen und andererseits Freistellungen akzeptieren soll50. Dies kann dann auch im Hinblick auf eine vorgeschlagene (oder zu besorgende) MAC-Klausel Bedeutung gewinnen, indem zu den Anwendungsvoraussetzungen und damit der Wahrscheinlichkeit, dass die Regelung praktisch wird, Eindrücke gesammelt werden können. Meistens wird auch die für den Geschäftsleiter bei diesen Vertragsverhandlungen gebotene Information seiner Berater, auch eines Rechtsgutachters oder Anwalts, in die due diligence eingebaut werden können, wenn es auch manchmal heißt, dass Rechtsanwälte hierfür vorzugweise noch nicht sehr erfahrene Mitarbeiter einsetzen. Eine mit genügender Intensität betriebene due diligence kann also das mit MAC- und carve out-Klauseln verbundene Risiko etwas mildern. Auf der anderen Seite muss ein auf Käuferseite tätiger Geschäftsleiter, der eine solche Untersuchung unterlassen oder 46 Zur Verbreitung Merkt, FS Sandrock, 2000, 657 (666); Klein/Blenkers, NZG 2005, 245 (251 ff.). 47 Hasselbach/Wirtz, BB 2005, 842 (843); Henssler (Fn. 1), 752. 48 Dietzel in: Semler/Vollhard, Unternehmensübernahmen-Handbuch, § 9 Rz. 63. 49 Götze, ZGR 1999, 206; H.P. Westermann, ZHR 169 (2006), 248 (253 ff.). 50 Spill, DStR 1999, 1786; Dietzel (Fn. 48), Rz. 61; H.P. Westermann in: MünchKomm/BGB, § 453 BGB Rz. 53.

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Widerstände gegen ihre Durchführung hingenommen hat, eine Verantwortlichkeit gegenüber „seinem“ Unternehmen fürchten, wenn sich Entwicklungen ergeben, die er bei genügend intensiver Prüfung erkannt haben würde51. Überlegungen, ob hier nicht die business judgement rule helfen kann, dürften daran scheitern, dass diese Privilegierung gerade voraussetzt, dass der Handelnde aufgrund umfassender und kritisch gewürdigter Informationen entschieden hat. Zum Teil wird sogar überlegt, ob die Durchführung einer due diligence eine Verkehrssitte ist, was für die Anwendung des § 442 BGB Bedeutung haben könnte52; ein Anspruch auf ein solches Verfahren ist aber nicht leicht begründbar53, abgesehen von den gelegentlichen Zweifeln, ob die Geschäftsleiter eines Zielunternehmens unter gesellschaftsrechtlichen Aspekten dem Erwerbsinteressenten oder dem mit ihm zusammenarbeitenden Finanzinvestor eine so weitgehende Untersuchung „ihres“ Unternehmens gestatten durften54. An der due diligence können juristische oder wirtschaftswissenschaftliche Gutachten, die im data room vorgefunden oder von einer der vertragschließenden Parteien eingeholt worden sind, eine Rolle spielen. Abgesehen von dem hier auftretenden Problem der Haftung eines außenstehenden Beraters55 kann auch in diesem Rahmen eine Fehlbeurteilung der mit der zur Ausgestaltung einer MAC-Klausel bzw. eines carve out verbundenen Fragen durch Mängel in der Zusammenarbeit zwischen Entscheidungsträger und Berater verursacht sein. Das kann auch geschehen in einem ad hoc aus Vertretern verschiedener Berufe und Disziplinen zusammengestellten Beraterstab56. Wie auch sonst bei den hier behandelten Entscheidungen entlastet es einen Geschäftsleiter nicht, wenn er einen mit der due diligence befassten Sachverständigen veranlasst hatte, dem ihm unternehmerisch vorteilhaft erscheinenden Erwerb der Zielgesellschaft entgegenstehende Bedenken, die sich aus gefundenen Unterlagen ergeben, bei seiner Begutachtung zu vernachlässigen57; hierdurch verletzt er seine Pflichten als Organwalter und Entscheidungsträger, weil die spätere Berufung auf eine an sich diesen Fall erfassende MAC-Klausel auf den Einwand stoßen kann, dass bei der due diligence, die gewöhnlich vor dem signing stattfindet, dieses Risiko schon deutlich war und folglich jetzt nicht mehr in den Gefahrenbereich der Zielgesellschaft verschoben werden sollte, wie ja auch Gewährleistungsansprüche wegen dieses Umstandes an § 442 BGB scheitern müssten. Praktisch dürfte es sich aber wohl um einen – auch schwer beweisbaren – Ausnahmefall handeln58.

51 LG Frankfurt, WM 1998, 1185; Huber, AcP 202 (2002), 179 (203); Werner, ZIP 2000, 990; H.P. Westermann, ZHR 169, 266. 52 Dazu (letztlich ablehnend) H.P. Westermann (Fn. 49), 264; s. aber auch ebenda 267. 53 H.P. Westermann in: MünchKomm/BGB, § 453 BGB Rz. 53. 54 Näher dazu Hemeling, ZHR 169 (2005), 274 ff. 55 Zu diesem Fall H.P. Westermann, ZHR 169, 268 ff. 56 Zur Zusammensetzung eines solchen Teams Dietzel (Fn. 48), § 9 Rz. 128 ff. 57 Dazu schon H.P. Westermann (Fn. 49), 269. 58 Zur Missbräuchlichkeit der Berufung auf eine MAC-Klausel Hopt (Fn. 1), 698.

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III. Aufgaben und Risiken einer ein M&A-Geschäft finanzierenden Bank angesichts von MAC/MAE-Klauseln 1. Eine Investment-Bank kann im Rahmen der Vereinbarungen über M&A-Transaktionen in verschiedener Weise mit MAC-Klauseln befasst werden, zum einen, wie schon gesagt, durch Verwendung einer solchen Regelung in ihrer eigenen Finanzierungszusage, zum anderen dadurch, dass sie sich im Rahmen der Beratung über den abzuschließenden Vertrag zu einer darin enthaltenen MAC- oder carve out-Klausel zu äußern hat. Bei der ersteren Bestimmung muss von ihr, aber auch vom Erwerbsinteressenten, überlegt werden, ob eine daraus u.U. folgende Rücktrittsmöglichkeit der Bank nicht, statt Sicherheit zu schaffen, die Entscheidungen der Erwerberseite gewissermaßen und kontraproduktiv unterminiert. Der am Investment unternehmerisch Interessierte wird sich auf solche Vorbehalte, wenn sie nicht auf völlig klare und nachweisbare Hindernisse einer Vertragsdurchführung abstellen, kaum einlassen  – ein Geschäftsleiter darf es mit Rücksicht auf sein eigenes Haftungsrisiko wohl gar nicht. Realitätsnäher scheint daher die Frage, welche Art von Beratung ein Vertragschließender, der mit einer carve out-Klausel des Inhabers des Zielunternehmens konfrontiert ist, von seiner mit solchen Geschäften und Regelungen öfter befassten Bank, etwa einer Investment-Bank, erwarten kann, mit der denkbaren Folge, dass er sich bei schweren Einbußen, die er durch das Geschäft erleidet, bei der Bank mit einem Schadensersatzanspruch erholen kann – das ist also mit Fällen der Anlageberatung, wie sie heute regelmäßig vorkommen, vergleichbar. Auf der anderen Seite einer M&A-Transaktion könnte eine beratende Bank, womöglich sogar die Hausbank des Zielunternehmens, vor die Frage gestellt werden, ob das von der Geschäftsführung und ihrer Rechtsberatung vorgesehene Vertragswerk eine Absicherung gegen eine zu weitgehende MAC-Klausel der Erwerberseite bräuchte. 2. Theoretisch sind die Ansprüche an die Beratung durch eine kreditgebende Bank einigermaßen gesichert. Indessen bestehen wesentliche Unterschiede aufgrund der Rolle, die die Bank bei verbreiteten Geschäftstypen konkret spielt. Besondere Anforderungen bestehen etwa beim Verbraucherkredit, für den §  491 a BGB Inhalt und Form der Aufklärung des Kreditnehmers über die Erreichbarkeit und finanzielle Tragbarkeit einer Erfüllung seiner Ziele festlegt – diese Fälle interessieren vom Sachverhalt eines M&A-Geschäfts her hier eher nicht. Zwar hat der EuGH im Zusammenhang mit der Geldanlage in sogenannten Schrott-Immobilien eine Verstärkung des Verbraucherschutzes gefordert, allerdings für ein in einer „Haustürsituation“ geschlossenes Geschäft59, was hier ebenfalls dahinstehen kann, obwohl natürlich das Zielunternehmen auch ziemlich kurzfristig Rückschläge erleben kann, die es mit einer Schrott-Immobilie vergleichbar machen. Der BGH hat allerdings seinerseits eine Erhöhung des Pflichten-Standards einer Bank angenommen, die gegenüber dem Kreditnehmer in Bezug auf ein Anlagegeschäft einen Wissensvorsprung hatte60, was wi59 EuGH v. 25.10.2005 – Rs. C-350/03, MDR 2006, 278, NJW 2005, 3551; dazu Nobbe, Sonderbeil. 1 WM 2007. 60 BGH v. 16.5.2006 – XI ZR 6/04, MDR 2006, 1059, NJW 2006, 2099; Oechsler, NJW 2006, 2451.

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derleglich zu vermuten sei, wenn das Kreditinstitut mit einem Fonds-Initiator oder einem von diesem beauftragten Vermittler organisatorisch zusammenarbeitet61 und wenn deren Angaben über die Investition evident unrichtig sind; dem letzteren steht es gleich, wenn die Bank vor solchen Erkenntnissen „geradezu die Augen verschließt“62. Dann ist sie dem Kreditnehmer zu einer anleger-objektgerechten Beratung verpflichtet, was etwa die Abhängigkeit der Rückzahlung des eingesetzten Kapitals von der Bonität eines Garantiegebers betreffen kann63. Auch muss, was besonders beim Vertrieb der Lehman-Zertifikate praktisch geworden ist, über die Gefahr eines Totalverlustes aufgeklärt werden64. Um anlegergerecht beraten zu können, muss sich die Bank schließlich über die Kenntnisse, den Umfang der Risikobereitschaft und die Anlageziele ihres Kunden informieren65. Das sind alles Sätze und Anforderungen, die auf die Besonderheiten eines zu finanzierenden Anschaffungsgeschäfts teilweise passen, aber noch einiger Ergänzungen bedürfen, die die Bewertung des Anlageobjekts, also etwa auch einer Zielgesellschaft betreffen. Bisweilen heißt es, die von der finanzierenden Bank ausgehende Beurteilung müsse nur „ex ante“ vertretbar sein66; das kann aber anders gesehen werden, wenn der Bank Nachforschungspflichten bezüglich der Wertverhältnisse obliegen, was besonders vereinbart sein kann. Vor nicht langer Zeit hat der XI. Zivilsenat des BGH in dem gegenüber der Beratung bei M&A-Geschäften deutlich einfacher liegenden Fall des Kaufs einer Eigentumswohnung, den der Kläger mit dem Kredit der beratenden Bank finanziert hatte, der dann aber eine sittenwidrige Überteuerung des Kaufpreises beklagte, die Verurteilung der Bank zum Schadensersatz mit einer bemerkenswerten Begründung aufgehoben67. Im Ausgangspunkt heißt es, ein Kreditinstitut müsse „nur präsentes Wissen von einer sittenwidrigen Überteuerung offenbaren“, sei folglich „nicht verpflichtet, sich durch eigene Nachforschungen hinsichtlich etwaiger Risiken des zu finanzierenden Vorhabens einen Wissensvorsprung zu verschaffen“. Dies letztere ist auch nach früheren Urteilen nicht aufgrund einer Wissensvermutung anzunehmen68. An dieser Stelle kam es dann aber auch darauf an, ob nachweisbar war, dass die Bank vor besserer Erkenntnis „die Augen verschlossen“ hatte, oder ob – was immerhin einen Fahrlässigkeitsvorwurf begründete – eine nega-

61 BGH v. 16.5.2006 – XI ZR 6/04, MDR 2006, 1059, NJW 2006, 2099; 2008, 1495; Kindl in: Erman, § 311 BGB Rz. 59; s. auch H.P. Westermann in: Erman, § 280 BGB Rz. 51. 62 BGH, NJW 2008, 2099 (2104); BGH v. 9.5.2012 – XII ZR 79/10, MDR 2012, 831, WM 2013, 769; Kindl in: Erman, § 311 BGB Rz. 59. 63 BGH v. 27.9.2011 – XI ZR 178/10, AG 2012, 40, MDR 2011, 1489, NJW-RR 2012, 43; BGH, NJW 2012, 66; Kindl in: Erman, § 311 BGB Rz. 69. 64 Etwas großzügiger BGH v. 27.9.2011 – XI ZR 178/10, AG 2012, 40, MDR 2011, 1489, NJWRR 2012, 43, strenger Kindl in: Erman, § 311 BGB Rz. 69. 65 BGH v. 22.3.2011 – XI ZR 33/10, AG 2011, 412, MDR 2011, 614, WM 2011, 682. 66 Kindl in: Erman, § 311 BGB Rz. 69. 67 BGH v. 18.10.2016 – XI ZR 145/14, MDR 2017, 43, MDR 2017, 321 m. Anm. Vollkommer, WM 2016, 2384 mit Anm. Buck-Heeb, WuB 2017, 198. 68 BGH, WM 2008, 1221 mit Anm. Edelmann, WuB I 65-5.09; BGH v. 18.11.2003 – XI ZR 322/01, WM 2004, 172.

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tive Erkenntnis „sich aufdrängte“69. Das hing von der Vertrautheit der Bank mit den Preisen auf dem ortsüblichen Wohnungsmarkt ab70, welchen Kenntnisstand man dann aber – so jetzt der BGH – nicht wie der Kreditsachbearbeiter der Bank aufgrund einer vereinfachten Überschlagsrechnung aus der 14-fachen Jahresnettomiete und dem Vergleich dieses Betrags dem Kaufpreis erreichen könne, wie es das Berufungsgericht getan hatte, das auf dieser Grundlage  – aber eben anders als die beratende Bank  – zu dem Schluss gekommen war, dass der Kaufpreis etwa das Doppelte des „überschlägigen Verkehrswerts“ betragen habe, der Vertrag daher also sittenwidrig sei. Im Schrifttum wurden die dies ablehnenden Ausführungen des Senats als „Klarstellung“ begrüßt71. 3. Manche der im vorigen angetroffenen Gesichtspunkte können einer in die Regelung einer M&A-Transaktion mit MAC- und carve out-Klauseln in den Vertragsentwürfen eingeschalteten Investment-Bank festzustellen helfen, was an Information und Wertungen notwendig ist, wenn nicht der Beratungsvertrag oder der Entscheidungsträger im Informationsgespräch in dieser Beziehung klare Vorgaben gemacht hat. Die Umstände, die einen Wissensvorsprung der Bank bezüglich des Vertragsobjekts vermuten lassen, fallen hier wohl aus. Eine bessere Information einer großen, u.U. international tätigen Bank über sich abzeichnende Finanzmarktkrisen, die in Fällen wie dem Vertrieb der Lehman-Zertifikate relevant sein konnte, wird für eine gewöhnliche M&A-Transaktion nicht ohne weiteres eine Rücktrittsmöglichkeit des Erwerbs­ interessenten erfordern, weil solche Ereignisse bei diesen Geschäften keinen Wegfall der Geschäftsgrundlage darstellen72. Eine Pflicht, sich Informationen zu verschaffen, über die Auswertung der due diligence hinaus, die ja meist stattgefunden haben wird, und auf deren Durchführung die beratende Bank wohl auch drängen muss, würde gerade solche Umstände betreffen, die zum gewöhnlichen Kenntnisstand und Erfahrungshorizont der Geschäftsleiter des beratenden Unternehmens gehören; darin kritisch eindringen zu sollen, müsste es im Einzelfall schon besondere Anhaltspunkte geben. Dass eine Bank vor verhältnismäßig einfach zu erkennenden „evidenten“ Umständen, die ihr Kreditengagement zum Schadensfall machen können „die Augen verschließt“, nur um die Finanzierung zustande zu bringen, ist so unwahrscheinlich, dass ein Gericht darauf nur kommen dürfte, wenn es Anhaltspunkte für maßgebliche Einflüsse sachwidriger Erwägungen auf die Empfehlungen der Bank hat. Was sodann die Bemerkungen des XI. Zivilsenats über die Bewertung des Vertragsobjekts angeht, so wird man vor einem Leser wie dem Jubilar nicht näher zu begründen brauchen, dass ein „vereinfachtes Ertragswertverfahren“ den im vorliegenden Zusammenhang geltenden Anforderungen nicht annähernd genügt – sollte sich ein Geschäftsleiter darauf verlassen haben, selbst wenn es von der beratenden Bank kommt, so würde er 69 BGH v. 15.6.2010 – XI ZR 318/09, WM 2010, 1448, WuB VII A § 531 ZPO 2.10 mit Anm. Siol; Zweifel bezüglich der dogmatischen Begründung bei Buck-Heeb (Fn. 67). 70 BGH v. 15.6.2010 – XI ZR 318/09, WM 2010, 1448, WuB VII A § 531 ZPO 2.10 mit Anm. Siol. 71 Buck-Heeb (Fn. 67) Rz. 4 e. 72 Kuntz, WM 2009, 1257 (1259 ff.); zust. Böttcher in: Erman, § 313 BGB Rz. 70.

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nach obigen Darlegungen bei einer Entlastung von der Verantwortung für eine falsche Entscheidung einen schweren Stand haben. Wenn man die wohl am meisten gebräuchlichen Formulierungen von MAC-Klauseln73 ansieht, dürfte auch klar sein, dass die hierin zusammengestellten Elemente eines „Material adverse change and the business“ so speziell und konkret auf die Verhältnisse des Einzelfalls abheben, dass pauschal angewendete Erfahrungssätze für die Bewertung eines Zielunternehmens und seiner Zukunftsentwicklungen, erst recht für Ereignisse zwischen Vertragsabschluß und closing, für den beratenen Kreditnehmer nicht so nützlich sein können, dass sie als objekt- und anlegergerechte Beratung anzuerkennen wären.

IV. Schluss Der bekannte Unterschied zwischen objektiv und subjektiv (für den Verfasser) neuen Fragestellungen kann sich bei einer Abhandlung über die hier erörterten Praktiken bei M&A-Geschäften auch heute noch auswirken, weshalb der Verf. seinen Beitrag nur als Zwischenstadium längerfristig gewünschter Untersuchungen auf einem Gebiet betrachtet, dass bisher nicht durch ausgetretene Pfade gekennzeichnet ist. Immerhin eröffnet er sich eine Möglichkeit, in durch den Festschriftbeitrag ausgelösten Fachgesprächen mit dem Jubilar Dinge hinzuzulernen, die den Hintergrund des vorgelegten Beitrags – und dadurch diesen selber – hätten weiter erhellen können.

73 Karampatzos (Fn. 1), 225; Duys/Henrich in: Hölters, Handbuch des Unternehmenskaufs, Teil 16 Rz. 86 ff.; Berger/Filgut, WM 2005, 255.

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Rechtsfolgen fehlerhafter Jahresabschlüsse von Personengesellschaften Inhaltsübersicht

I. Einleitung

II. Die fehlerhafte Aufstellung des Jahresabschlusses anhand einzelner Fehlergruppen 1. Tatsächlich angefallene, aber nicht wirksam begründete oder nicht ­zulässige Aufwendungen 2. Fehlerhaftigkeit des Jahresabschlusses bei Verstoß gegen Rechnungslegungsvorschriften a) Aktivierung streitiger oder einredebehafteter Forderungen b) Gebot der Passivierung streitiger Verbindlichkeiten 3. Fehler wegen Verstoßes gegen ­Bilanzierungsvorschriften des ­Gesellschaftsvertrages III. Folgen dieser Fehler für den Jahres­ abschluss

IV. Auswirkungen eines Feststellungs­ beschlusses auf den fehlerhaften ­Jahresabschluss 1. Rechtsnatur eines Feststellungs­ beschlusses 2. Recht der Kapitalgesellschaften 3. Lösungsvorschlag für die Personen­ gesellschaft 4. Geltendmachung weiterer Fehler, die nicht zur Nichtigkeit des festgestellten Jahresabschlusses führen a) Meinungsstand b) Eigener Lösungsansatz

V. Anspruch auf Korrektur fehlerhafter Jahresabschlüsse

VI. Änderungen eines Jahresabschlusses durch die Betriebsprüfung VII. Fazit

Der Jubilar gehörte zu der eher kleineren Zahl von bedeutenden Juristen, die durchgängig sowohl das Zivilrecht als auch das Steuerrecht und insbesondere deren Verzahnung, beispielsweise im Bilanzrecht, zum Gegenstand ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit gemacht haben. Es gibt zahlreiche Beispiele, in denen der heutige Jubilar in seinen Veröffentlichungen und auch Vortragsveranstaltungen steuerrechtliche Thesen auf ihre zivilrechtlichen Grundlagen zurückgeführt hat, um die jeweilige These mangels Vereinbarkeit mit den zivilrechtlichen Grundlagen zu verwerfen oder um eigene Lösungen aus den zivilrechtlichen Grundlagen abzuleiten. Der nachfolgende Beitrag ist der Versuch, auf den Grundlagen des Zivilrechts anhand eines einfachen Lösungsansatzes Transparenz und Licht in das Dunkel betreffend die Rechtsfolgen fehlerhafter Jahresabschlüsse von Personengesellschaften zu bringen.

I. Einleitung Am Schluss eines jeden Geschäftsjahres haben (auch) Personengesellschaften einen Jahresabschluss aufzustellen. Dieser besteht aus einer Bilanz und einer Gewinn- und 239

Jochen Berninghaus

Verlustrechnung (vgl. §  242 Abs.  3 HGB). Dabei ist der Jahresabschluss nach den Grundsätzen ordnungsmäßiger Buchführung (GoB) aufzustellen, § 243 Abs. 1 HGB. Für Personengesellschaften, bei denen keine Privatperson mit ihrem Privatvermögen haftet, wie beispielsweise die GmbH & Co. KG, gelten die erweiternden Vorschriften der §§  264a  ff. HGB. Dadurch gelten die Vorschriften für den Jahresabschluss von Kapitalgesellschaften auch für diese Art von Personengesellschaften; insbesondere wird der Jahresabschluss erweitert um den Anhang (§ 284 ff. HGB). Die Aufstellung des Jahresabschlusses ist von dem Akt der Feststellung des Jahresabschlusses zu trennen. Beide Akte verfolgen unterschiedliche rechtliche Zwecke und sind von unterschiedlichen Organen vorzunehmen1. Mit der Aufstellung eines Jahresabschlusses kommen die geschäftsführenden Gesellschafter sowohl einer öffentlich-rechtlichen Verpflichtung aus §  242 HGB als auch einer gesellschaftsrechtlichen Verpflichtung aus § 120 Abs. 1 HGB nach2. Der Jahresabschluss erfüllt im Wesentlichen drei Funktionen: die gesellschaftsrechtliche Kon­ troll-, die gesellschaftsrechtliche Informationsfunktion, sowie die öffentliche-recht­ liche Dokumentationsfunktion3. Daneben dient der Jahresabschluss insbesondere steuerrechtlichen Zwecken4, da mit der handelsrechtlichen Bilanzierung Steuerfolgen für die Gesellschaft und die Gesellschafter ausgelöst werden5. Dies folgt aus dem Maßgeblichkeitsgrundsatz (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG), wonach die Handelsbilanz maßgeblich für die Steuerbilanz ist. Die Feststellung des Jahresabschlusses hingegen erfolgt durch sämtliche Gesellschafter, der Beschluss als konstitutiver Akt dient dessen Billigung und Verbindlicherklärung durch die Gesellschafter6. Bei der Aufstellung und Feststellung des Jahresabschlusses kann sowohl gegen formelle als auch gegen materielle Vorschriften verstoßen werden, so dass der Jahresabschluss an formellen und materiellen Fehlern leiden kann. Zum einen kann bereits bei der Aufstellung gegen materielle Vorschriften über die ordnungsgemäße Rechnungslegung und Ergebnisermittlung verstoßen werden. Zum anderen kann im Zuge der Feststellung des Jahresabschlusses gegen zwingende formelle Verfahrensvorschriften zur Herbeiführung eines wirksamen Beschlusses (z.B. Ladungsmängel, Mehrheitserfordernisse) verstoßen werden. Bestandteil der weiteren Ausführungen sind lediglich die Fehler, die zeitlich vor der Feststellung des Jahresabschlusses bei dessen Aufstellung entstehen. Die Rechtsfolgen eines in diesem Sinne fehlerhaften Jahresabschlusses sind umstritten. Dabei ist zwischen den Angriffsmöglichkeiten der eigenen Gesellschafter und 1 Böcking/Gros in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 3. Aufl. 2014, § 242 HGB Rz. 8. 2 Für die Kommanditgesellschaft folgt dies aus §§ 161 Abs. 2 i.V.m. § 120 Abs. 1 HGB und für die GbR aus § 721 BGB. 3 Böcking/Gros in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 3. Aufl. 2014, § 242 HGB Rz. 3. 4 Ehricke in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 3. Aufl. 2014, § 120 HGB Rz. 4. 5 Priester in: MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2016, § 120 Rz. 13. 6 Priester in: MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2016, § 120 Rz. 54.

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denen der Gläubiger der Gesellschaft zu differenzieren. Während sich die Nichtigkeit festgestellter Jahresabschlüsse von Kapitalgesellschaften direkt oder analog aus § 256 AktG ergibt, fehlt es an einer vergleichbaren Vorschrift für Personengesellschaften. Die dadurch fehlende Rechtssicherheit bei Jahresabschlüssen von Personengesellschaften wirft die Frage einer analogen Anwendbarkeit der aktienrechtlichen Norm auf. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob ein Feststellungsbeschluss über einen fehlerhaft aufgestellten Jahresabschluss bzw. die Zustimmung zu dessen Feststellung gegenüber den Gesellschaftern Bindungswirkung entfalten kann.

II. Die fehlerhafte Aufstellung des Jahresabschlusses anhand einzelner Fehlergruppen Bei der Aufstellung eines Jahresabschlusses werden die Zahlenwerke aus der Buchführung und dem Inventar in der Bilanz und der Gewinn- und Verlustrechnung in einer vorgeschriebenen Gliederung zusammengefasst7. Dafür sind die geschäfts­ führenden Gesellschafter zuständig. Diesen können in vielfacher Hinsicht Fehler unterlaufen. Nachfolgend soll auf drei Fehlergruppen eingegangen werden. Die erste Fehlergruppe betrifft im Jahresabschluss enthaltene Aufwendungen, die tatsächlich angefallen sind, also in Rechnung gestellt und bezahlt worden sind, aber materiell-rechtlich nicht wirksam begründet worden sind oder nicht als Aufwand der Gesellschaft hätten behandelt werden dürfen. Als Beispiele können hier die Zahlung von sittenwidrigen Schmiergeldern oder die Zahlung einer Lizenzgebühr an einen geschäftsführenden Gesellschafter aus einem unwirksamen Lizenzvertrag angeführt werden. Die zweite Gruppe besteht aus Verstößen gegen zwingende Rechnungslegungsvorschriften, worunter beispielsweise die Minderung des Gewinns durch überhöhte Abschreibungen für Anlagevermögen und durch unzulässige Rückstellungen fällt. Die dritte Fehlergruppe umfasst Verstöße nicht gegen gesetzliche Bilanzierungsvorschriften, sondern gegen Bilanzierungsvorschriften des Gesellschaftsvertrages. Ein solcher Fall liegt beispielsweise vor, wenn die Verzinsung der Gesellschafter-Darlehenskonten entgegen der Regelung im Gesellschaftsvertrag als Betriebsausgaben und nicht als Gewinnverwendung behandelt wird. 1. Tatsächlich angefallene, aber nicht wirksam begründete oder nicht ­zulässige Aufwendungen Der Jahresabschluss als Rechenwerk aus Bilanz und Gewinn- und Verlustrechnung muss zwingend die tatsächlich in dem Unternehmen angefallenen Geschäftsvorgänge vollständig und richtig wiedergeben. Somit sind alle Aufwendungen bzw. Zahlungen, die im Geschäftsbetrieb der Gesellschaft angefallen sind, in den Jahresabschluss aufzunehmen. Daraus folgt, dass der Geschäftsführer alle Rechnungen und Zahlungen, die Eingang in die Finanzbuchhaltung gefunden haben, auch in den Jahresabschluss aufnehmen muss und diese auch dann nicht eliminieren darf, wenn er sie nicht aner7 Priester in: MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2016, § 120 Rz. 46.

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kennen will. Folglich ist nicht der Jahresabschluss falsch, wenn eine materiell-rechtlich nicht wirksam begründete Verbindlichkeit von der Gesellschaft bezahlt worden ist. Weder ein nicht geschäftsführender Gesellschafter, noch ein Dritter kann die Unwirksamkeit des Jahresabschlusses geltend machen, wenn er der (berechtigten) Auffassung ist, zwar sei eine Rechnung zu Lasten der Gesellschaft bezahlt worden, die zugrunde liegende Verpflichtung sei jedoch unwirksam. Dieses Ergebnis entspricht der gefestigten Rechtsprechung des BGH8. Es wird gleichwohl in der Praxis häufig übersehen. Der Einwand, dass bestimmte, tatsächlich angefallene Aufwendungen von der Gesellschaft nicht getätigt werden durften oder den Gewinn nicht hätten mindern dürfen, stellt keinen Einwand gegen die Richtigkeit des Jahresabschlusses dar. Denn die Feststellung, ob die den Aufwendungen zugrunde liegenden Vereinbarungen wirksam sind, ist nicht Bestandteil des Jahresabschlusses. Die Möglichkeit sich auf die Unrichtigkeit des Jahresabschlusses zu berufen, steht einem Gesellschafter nur dann offen, wenn der Jahresabschluss gegen zwingende gesetzliche Bilanzierungsbestimmungen oder gegen Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages verstößt9. Der nicht-geschäftsführende Gesellschafter muss sich hinsichtlich materiell-rechtlich unberechtigter Aufwendungen vielmehr an die Gesellschaft oder an den Geschäftsführer halten. Der Geschäftsführer kann gegebenenfalls pflichtwidrig gehandelt haben, wenn er die materiell-rechtliche Unwirksamkeit der zugrunde liegenden Verbindlichkeit nicht erkannt hat oder sogar selbst herbeigeführt hat. In diesem Fall haftet der Geschäftsführer der Gesellschaft auf Schadensersatz (z.B. aus § 43 GmbHG in der GmbH  & Co. KG). Oder die Gesellschaft hat einen Bereicherungsanspruch gegen den Empfänger des Geldes aus der unwirksamen Verbindlichkeit. Ob und insbesondere wann solche Kompensationen ordnungsgemäß in den Jahresabschluss einfließen können, wird unten dargestellt. 2. Fehlerhaftigkeit des Jahresabschlusses bei Verstoß gegen ­Rechnungslegungsvorschriften Die Aufstellung des Jahresabschlusses kann gegen gesetzliche Rechnungslegungsvorschriften verstoßen. Hierfür gibt es zahlreiche Beispiele. Zwei Fallgruppen kommen in der Praxis am häufigsten vor: zum einen können streitige oder einredebehaftete Forderungen aktiviert worden sein und zum anderen können streitige Verbindlichkeiten nicht passiviert worden sein. a) Aktivierung streitiger oder einredebehafteter Forderungen Häufig sind die den Jahresabschluss aufstellenden Geschäftsführer daran interessiert, Forderungen ihrer Gesellschaft gegen Dritte zu aktivieren, weil sie ein besseres Ergebnis ausweisen wollen. Vor dem Hintergrund des aus § 252 Abs. 1 Ziff. 4 HGB folgenden Vorsichtsprinzips bedarf diese Geltendmachung folgenden Einschränkungen: 8 BGH v. 17.12.2001 – II ZR 27/01, juris Rz. 6, MDR 2002, 891; BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05, openJur Rz. 33. 9 Priester in: MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2016, § 120 Rz. 70.

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Forderungen dürfen nur dann im Jahresabschluss aktiviert werden, wenn sie einerseits zivilrechtlich entstanden und fällig sind und andererseits entweder vom Schuldner anerkannt sind oder rechtskräftig über sie entschieden worden ist10. Wenn beispielsweise ein Anlagenbauer nach dem ihm erteilten Werkvertrag eine maschinelle Anlage einschließlich Montage und Inbetriebnahme im Werk des Auftraggebers schuldet, und die Montage und die Inbetriebnahme sind noch nicht erfolgt, ist die Werklohnforderung noch nicht entstanden und nicht fällig. Vielmehr handelt es sich um halbfertigte Arbeiten ohne Gewinnrealisierung. Ein anderes Beispiel ist, dass den Forderungen eine dauernde Einrede entgegensteht. In diesem Fall folgt aus dem Vorsichtsprinzip, dass eine Aktivierung nicht erfolgen darf. Nicht notwendig ist, dass die Einrede geltend gemacht worden ist, vielmehr reicht die Möglichkeit der Geltendmachung aus11. Als eine solche Einrede kommt insbesondere die Einrede der Verjährung in Betracht. b) Gebot der Passivierung streitiger Verbindlichkeiten Auf der Passivseite sind grundsätzlich alle Verbindlichkeiten der Gesellschaft abzubilden. Dies gilt auch dann, wenn es sich um solche Verbindlichkeiten handelt, die die Geschäftsführung bestreitet, aber gleichwohl vom Gläubiger geltend gemacht werden. Auch dies folgt aus dem Vorsichtsprinzip. Diese Pflicht entfällt nur dann, wenn die Ansprüche offenkundig unbegründet sind12. Die Aktivierung solcher Forderungen bzw. die fehlende Passivierung entsprechender Verbindlichkeiten stellt einen Verstoß gegen Rechnungslegungsvorschriften dar. Daraus folgt, dass der aufgestellte Jahresabschluss fehlerhaft ist. 3. Fehler wegen Verstoßes gegen Bilanzierungsvorschriften des ­Gesellschaftsvertrages Die Gesellschafter können im Rahmen der Privatautonomie gesellschaftsvertragliche Vereinbarungen über die Art und Weise der Rechnungslegung und Bilanzierung treffen, sofern sie sich innerhalb der gesetzlichen Grenzen des Bilanzrechtes für den Jahresabschluss bewegen13. Die Aufstellung des Jahresabschlusses kann dann insoweit fehlerhaft sein, als dass gegen diese im Gesellschaftsvertrag vereinbarten Bilanzierungsvorschriften verstoßen wird. Da die Aufstellung des Jahresabschlusses auch eine gesellschaftsrechtliche Verpflichtung darstellt, sind die speziellen Bilanzierungsvorschriften des Gesellschaftsvertrages stets zu beachten14. Als solche kommt beispielsweise die Gewinnverteilung der Gesellschafter untereinander in Betracht. 10 BFH v. 26.4.1989 – I R 147/84, BFHE 157, 121, BStBl. II 1991, 213, FR 1989, 740; BFH v. 15.3.2000 – II R 15/98, BFHE 191, 403, BStBl. II 2000, 588, FR 2000, 830 m. Anm. Viskorf, FamRZ 2001, 418. 11 Schubert in: Beck’scher Bilanzkommentar, 10. Aufl. 2016, § 247 HGB Rz. 221. 12 Schubert in: Beck’scher Bilanzkommentar, 10. Aufl. 2016, § 247 HGB Rz. 222. 13 Schäfer in: Staub, 5. Aufl. 2009, § 120 HGB Rz. 29. 14 Schäfer in: Staub, 5. Aufl. 2009, § 120 HGB Rz. 8.

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III. Folgen dieser Fehler für den Jahresabschluss Der fehlerhaft aufgestellte Jahresabschluss selbst kann weder anfechtbar noch nichtig sein, da ihm der konstitutive Akt der Feststellung fehlt15. Bis zur Feststellung kann die Aufstellung im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben beliebig geändert und angepasst werden16. Wenn sich ein nicht geschäftsführender Gesellschafter nach der Aufstellung aber vor der Feststellung des Jahresabschlusses gegen die Richtigkeit des Jahresabschlusses wenden will, dann kann er sich durch Verweigerung der Zustimmung zum Feststellungsbeschluss17 und/oder durch Erhebung der Feststellungsklage nach § 256 ZPO auf Feststellung der Fehlerhaftigkeit des Jahresabschlusses zur Wehr s­ etzen18. Umgekehrt können die geschäftsführenden Gesellschafter, die „ihren“ Jahresabschluss für richtig halten, den die Zustimmung verweigernden Gesellschafter klageweise auf Zustimmung zur Feststellung in Anspruch nehmen, wenn er seine Zustimmung pflichtwidrig verweigert. Dem liegt zugrunde, dass die Beschlussfassung über die Feststellung des Jahresabschlusses grundsätzlich der Einstimmigkeit und damit der Mitwirkung aller Gesellschafter bedarf (§ 119 Abs. 1 HGB). Etwas anderes gilt dann, wenn im Gesellschaftsvertrag eine allgemeine Mehrheitsklausel enthalten ist19 und für die erforderliche Mehrheit die Zustimmung des verweigernden Gesellschafters nicht notwendig ist. Nach der zitierten Otto-Entscheidung ist die Feststellung des Jahresabschlusses nach der insoweit geänderten Rechtsprechung des BGH kein Grundlagengeschäft (mehr), sondern ein Akt der laufenden Verwaltung (Aufgabe der bisherigen Rechtsprechung), so dass ein Beschluss mit einer  – gesellschaftsvertraglich vereinbarten  – einfachen Mehrheit ausreichend für die Feststellung des Jahresabschlusses ist. Diese Rechtsfolgen des fehlerhaft aufgestellten Jahresabschlusses gelten sowohl für Kapital- als auch für Personengesellschaften gleichermaßen.

IV. Auswirkungen eines Feststellungsbeschlusses auf den fehlerhaften Jahresabschluss Die vorstehenden Ausführungen betreffen den aufgestellten, jedoch noch nicht festgestellten Jahresabschluss. Durch den Feststellungsbeschluss wird der Jahresabschluss für die Gesellschafter verbindlich. Dabei stellt die Feststellung den Akt der Mitwirkung dar, die den nicht-geschäftsführenden Gesellschaftern bei der Aufstellung verwehrt war20. Die nicht-geschäftsführenden Gesellschafter erklären mit der Feststel15 Priester in: MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2016, § 120 Rz. 63. 16 Grottel/Andrejewski/Roscher/Schubert in: Beck’scher Bilanzkommentar, 10.  Aufl. 2016, § 253 HGB Rz. 800. 17 Ehricke in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 3. Aufl. 2014, § 120 HGB Rz. 40. 18 Priester in: MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2016, § 120 Rz. 66; Ehricke in: Ebenroth/Boujong/ Joost/Strohn, 3. Aufl. 2014, § 120 HGB Rz. 39a. 19 BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05 („Otto-Entscheidung“), BGHZ 170, 283, AG 2007, 493, GmbHR 2007, 437. 20 Ehricke in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 3. Aufl. 2014, § 120 HGB Rz. 41.

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lung des Jahresabschlusses ihr Einverständnis zu dem gesamten Jahresabschluss, also zu den konkreten Positionen im Rahmen der Gewinn- und Verlustrechnung und der Jahresbilanz. Mit dem Beschluss über die Feststellung entfaltet dieser grundsätzlich Bindungswirkung zwischen den Gesellschaftern und der Gesellschaft sowie im Verhältnis der Gesellschafter untereinander. Diese Bindungswirkung erstreckt sich jedoch nicht auf Dritte, die vom Jahresabschluss betroffen sind, es sei denn sie unterwerfen sich vertraglich der Feststellungswirkung21. Nachfolgend wird dargestellt, welche Auswirkungen die Feststellung eines Jahresabschlusses hat, der seinerseits Fehler enthält. Die Rechtsfolgen einer solchen Feststellung sind nicht abschließend geklärt. Denn das Gesetz sieht für Personengesellschaften keine Rechtsfolgen eines festgestellten Jahresabschlusses vor, der unter einem materiell-rechtlichen Fehler leidet22. 1. Rechtsnatur eines Feststellungsbeschlusses Die Gesellschafterversammlung billigt den Jahresabschluss durch den Feststellungsbeschluss und macht ihn dadurch zur Grundlage der Gewinnverwendung für das abgelaufene Geschäftsjahr und zur Grundlage der Rechnungslegung des folgenden Geschäftsjahres. So ist der Jahresüberschuss in der Personengesellschaft den Gesellschaftern auf ihren Darlehenskonten gutzuschreiben und die Bilanzposten des festgestellten Jahresabschlusses sind die Eröffnungsbilanzwerte des Folgejahres. Aufgrund dieser Bedeutung ist die Gesellschafterversammlung für diesen Beschluss zuständig. Die Rechtsnatur des Feststellungsbeschlusses ist seit jeher umstritten. Die lange Zeit angenommene Auffassung, es handele sich bei der Feststellung des Jahresabschlusses um ein sog. Grundlagengeschäft im engeren Sinn hat nach der Rechtsprechungsänderung des BGH keine Gültigkeit mehr. Denn der Feststellungsbeschluss betrifft gerade nicht die Grundlagen der Gesellschaft. Vielmehr stuft der BGH den Feststellungsbeschluss nur insoweit als ein Grundlagengeschäft ein, als das zuständige Organ die Gesellschafterversammlung und nicht das für die Geschäfte der laufenden Verwaltung zuständige geschäftsführende Organ ist23. Daher bedarf die Feststellung des Jahresabschlusses auch lediglich eines Beschlusses mit einfacher Mehrheit, wenn im Gesellschaftsvertrag – wie üblich – das gesetzliche Einstimmigkeitsprinzip abbedungen wurde und grundsätzlich Mehrheitsentscheidungen zulässig sind. Teilweise wird vertreten, zwischen den Gesellschaftern käme ein „gemischt-rechtlicher“ Vertrag zustande, der den Inhalt der Bilanz anerkenne. Andere sehen in dem Beschluss die Ausübung eines gesellschaftsvertraglichen, der Gewinnbeteiligung im21 Ehricke in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 3. Aufl. 2014, § 120 HGB Rz. 47. 22 BGH v. 2.3.2009 – II ZR 264/07 – openJur Rz. 19, GmbHR 2009, 712 m. Anm. Münnich, MDR 2009, 757; Enzinger in: MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2016, § 119 Rz. 94. 23 BGH v. 15.1.2007 – II ZR 245/05 („Otto-Entscheidung“), BGHZ 170, 283, AG 2007, 493, GmbHR 2007, 437.

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manenten Gestaltungsrechts analog § 315 BGB24. Die frühere Rechtsprechung sah in dem Feststellungsbeschluss die Abgabe eines abstrakten Schuldanerkenntnisses i.S.d. §§ 781, 782 BGB25. Wieder andere gehen aufgrund des fehlenden Willens zur Schaffung einer neuen Anspruchsgrundlage von einem kausalen Anerkenntnis aus, welches auf den Ausschluss bekannter oder für möglich gehaltener Einwendungen gerichtet sei26. Diesen Auffassungen ist gemein, dass sie von einer zivilrechtlichen Vertragsnatur des Feststellungsbeschlusses ausgehen. Neuerdings wird demgegenüber vertreten, die Bilanzfeststellung sei als Organbeschluss zu qualifizieren, da die Gesellschafter im Rahmen der Feststellung als Organ der Gesellschaft tätig würden. Dies sei insbesondere damit zu begründen, dass die Rechtsnatur des Vertrages nicht mit dem Verbandscharakter der Personengesellschaften vereinbar sei27. Denn der Abschluss der Rechnungslegung durch die Feststellung des Jahresabschlusses stelle die Erfüllung der öffentlich-rechtlichen Pflicht zur Rechnungslegung dar, so dass die Feststellung nicht unmittelbar auf die Begründung von Ansprüchen ziele. Dem ist entgegenzuhalten, dass die Gesellschafter mit der Zustimmung zum Feststellungsbeschluss in erster Linie ihren gesellschaftsrechtlichen Verpflichtungen nachkommen und sich vornehmlich einen Überblick über den erzielten Finanzerfolg und den Finanzstatus der Gesellschaft verschaffen wollen28. Denn im Ergebnis sollen die maßgebenden Bilanzansätze und deren Bewertung zwischen den Gesellschaftern und der Gesellschaft unstreitig gestellt werden29. Allen diesen Auffassungen ist gemein, dass im Ergebnis durch den Feststellungsbeschluss der Inhalt des Jahresabschlusses zwischen den Gesellschaftern und der Gesellschaft einerseits aber auch zwischen den Gesellschaftern untereinander andererseits verbindlich sein soll. Nicht geklärt ist hingegen, welche Rechtsfolgen es hat, wenn dem festgestellten Jahresabschluss Fehler anhaften, wie sie oben aufgeführt sind. Dabei reicht die Bandbreite der Möglichkeiten von einer trotz Fehlern bestehenden Bindung bis hin zur Nichtigkeit oder jedenfalls zur Anfechtbarkeit des Jahresabschlusses. 2. Recht der Kapitalgesellschaften Die Rechtsfolgen der Feststellung eines seinerseits fehlerhaften Jahresabschlusses für Kapitalgesellschaften sind für die Aktiengesellschaft abschließend geregelt. § 256 AktG sieht für die Aktiengesellschaft die Nichtigkeit eines festgestellten Jahresabschlusses vor, wenn der Jahresabschluss unter einem der im Gesetz aufgeführten Fehler leidet. Dabei erstreckt sich die Nichtigkeitsfolge sowohl auf formelle Fehler im Rahmen des Feststellungsverfahrens als auch auf materielle Fehler, die den Jahresab24 Ehricke in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 3. Aufl. 2014, § 120 HGB Rz. 35. 25 BGH v. 11.1.1960 – II ZR 69/59, juris, Rz. 6. 26 BGH v. 29.3.1996 – II ZR 263/94, BGHZ 132, 263-278, GmbHR 1996, 456, MDR 1996, 804; Schäfer in: Staub, 5. Aufl. 2009, § 120 HGB Rz. 19. 27 Priester in: MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2016, § 120 Rz. 57. 28 Schäfer in: Staub, 5. Aufl. 2009, § 120 HGB Rz. 10. 29 Ehricke in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 3. Aufl. 2014, § 120 HGB Rz. 44.

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schluss als solchen betreffen. Die Nichtigkeitsgründe sind abschließend. Die abschließende Auflistung der Nichtigkeitsgründe bezweckt die Schaffung von Rechtssicherheit für die Aktiengesellschaft selbst, ihre Aktionäre und Gläubiger. Die Nichtigkeitsfolge schützt vor der Herleitung von Rechtsfolgen aus einem Jahresabschluss, der unter schwerwiegenden Fehlern leidet. Die abschließende Auflistung und damit der Ausschluss von einfachen Fehlern von der Nichtigkeitsfolge hingegen schützt vor der nachträglichen Geltendmachung von unwesentlichen Fehlern und der daraus folgenden Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Bestandskraft des festgestellten Jahresabschlusses für alle Beteiligten. Dies wird flankiert mit der der Regelung des § 257 Abs. 1 Satz 2 AktG, wonach die Anfechtung der Feststellung des Jahresabschlusses nicht darauf gestützt werden kann, dass der Inhalt des Jahresabschlusses gegen Gesetz oder Satzung verstößt. Der festgestellte Jahresabschluss der Aktiengesellschaft ist also entweder nichtig oder wirksam und bindend. Die Nichtigkeit kann mit der Nichtigkeitsklage geltend gemacht werden (§ 256 Abs. 7 AktG). Mit ihr wird sowohl die Nichtigkeit des Jahresabschlusses als auch die Nichtigkeit des Feststellungsbeschlusses festgestellt30. Für die GmbH sieht das Gesetz keine festgeschriebenen Nichtigkeitsgründe vor. Allerdings sind nach der überwiegenden Ansicht die Vorschriften des Aktiengesetzes analog für die GmbH heranzuziehen31. Diese Analogie rechtfertigt sich vor dem Hintergrund der vergleichbaren Interessenlagen der beiden Typen von Kapitalgesellschaften und der planwidrigen Regelungslücke des GmbHG. Im Unterschied zu der AG können weniger schwerwiegende Fehler eines Jahresabschlusses dessen Anfechtbarkeit in analoger Anwendung des § 257 Abs. 1 Satz 1 AktG rechtfertigen, da die Einschränkung der Anfechtbarkeit gem. Satz 2 des § 257 Abs. 1 AktG (vgl. dazu oben) für die GmbH nicht angewandt wird. Die Angriffsmöglichkeiten gegen den Jahresabschluss einer GmbH gehen somit weiter als diejenigen gegen den Jahresabschluss einer AG32. Ob dieses Ergebnis sinnvoll ist oder ob eine analoge Anwendung auch des § 257 AktG zu bevorzugen ist, gilt es zu überlegen. 3. Lösungsvorschlag für die Personengesellschaft Für Personengesellschaften gibt es weder gesetzlich angeordnete Nichtigkeitsfolgen für schwerwiegende Fehler eines Jahresabschlusses, noch gibt es durch die Rechtsprechung anerkannte Rechtsfolgen solcher Fehler. Vielmehr sind die Rechtsfolgen umstritten.

30 Schwab in: Schmidt, K./Lutter, 3. Aufl. 2015, § 256 AktG Rz. 40. 31 Bayer in: Lutter/Hommelhoff, GmbH-Gesetz Kommentar, 19. Aufl. 2016, Anhang zu § 47 Nichtigkeit und Anfechtbarkeit von Gesellschafterbeschlüssen, Rz. 24. 32 Verse in: Scholz, 11. Aufl. 2012-2015 (Bde. 1, 2, 3), § 29 GmbHG Rz. 24.

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Nach einer Ansicht soll der festgestellte Jahresabschluss immer dann unwirksam, d.h. also nichtig sein, wenn er in irgendeiner Art und Weise fehlerhaft ist. Dabei wird keine Differenzierung hinsichtlich der Schwere des Fehlers vorgenommen33. Eine andere Ansicht möchte die aktienrechtlichen Vorschriften (§ 256 AktG) analog auch auf die Personengesellschaft anwenden. Beiden Ansichten ist gemein, dass die Rechtsfolge eines Fehlers eine Nichtigkeit hervorrufen kann. Dabei ist unter Nichtigkeit zu verstehen, dass der Jahresabschluss die nach seinem Inhalt bezweckten Rechtswirkungen von Anfang an nicht hervorbringen kann. Die Nichtigkeit wirkt für und gegen jedermann34. Die Gesellschaft hätte ihre Pflicht zur Rechnungslegung dann nicht erfüllt und die geschäftsführenden Gesellschafter wären zur Aufstellung eines neuen Jahresabschlusses verpflichtet35. Der Unterschied der beiden Auffassungen liegt darin, dass bei der erstgenannten Auffassung alle, d.h. auch weniger schwerwiegende Bilanzierungsfehler zur Unwirksamkeit führen, während bei einer analogen Anwendung des Aktienrechts nur die dort aufgeführten schwerwiegenden Fehler eine Nichtigkeit zur Folge haben. Für eine Analogie zu § 256 AktG müssten die Voraussetzungen einer Analogie vorliegen: es bedarf demnach einer planwidrigen Regelungslücke bei vergleichbarer Interessenlage. Zunächst müsste das Fehlen einer entsprechenden Vorschrift für Personengesellschaften eine planwidrige Regelungslücke darstellen. Die Planwidrigkeit ist gegeben, wenn das Fehlen der entsprechenden Vorschriften zu einer planwidrigen Unvollständigkeit führt36. Dies ist hier der Fall. Die Personengesellschaften nähern sich den Kapitalgesellschaften durch Vereinbarungen im Gesellschaftsvertrag sowie durch deren Anerkennung seitens der Rechtsprechung immer weiter an. Insbesondere die vertragliche und durch die Rechtsprechung anerkannte generelle Zulässigkeit von Mehrheitsbeschlüssen, der vermehrt größere Gesellschafterkreis und die immer häufiger fehlenden, persönlich haftenden natürlichen Personen sorgen für ein Bedürfnis nach klar geregelten Rechtsfolgen fehlerhafter Feststellungsbeschlüsse37. Für einen außenstehenden Dritten ist gerade vor diesem Hintergrund kaum nachvollziehbar, dass bei einer GmbH in analoger Anwendung des § 256 AktG eine Nichtigkeit abschließend geregelt ist und bei einer GmbH & Co. KG dies keine Geltung haben soll. Darüber hinaus müssten auch die Interessenlagen vergleichbar sein. Der § 256 AktG bezweckt die Begrenzung der Nichtigkeitsfolge auf schwerwiegende, abschließend aufgezählte Fehler. Damit sollen die Fälle begrenzt werden, in denen ein festgestellter Jahresabschluss keine Rechtswirkungen entfaltet. Diese Begrenzung soll Rechtssicherheit schaffen für die Gesellschafter selbst sowie für außenstehende Dritte, da eine allgemeine Nichtigkeitsfolge zu unüberschaubaren Risiken für Gläubigerdispositio-

33 Ehricke in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 3. Aufl. 2014, § 120 HGB Rz. 51. 34 Ellenberger in: Palandt, 76. Aufl. 2017, Überblick v. § 104 BGB Rz. 27. 35 Schwab in: Schmidt, K./Lutter, 3. Aufl. 2015, § 256 AktG Rz. 43. 36 Sprau in: Palandt, 76. Aufl. 2017, Einleitung BGB Rz. 55. 37 Enzinger in: MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2016, § 119 Rz. 99.

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nen führen würde, die auf den Jahresabschluss vertrauen38. Insbesondere dient diese Vorschrift jedoch dem mit der öffentlich-rechtlichen Dokumentationspflicht verbundenen Gläubigerschutz. Auch der Jahresabschluss der Personengesellschaften verfolgt diese Zwecke, so dass auch hier zum Schutze der Gläubiger und im Interesse der Rechtssicherheit klare Nichtigkeitsfolgen notwendig sind. Insbesondere vor dem Hintergrund der immer weitergehenden Annäherung an Kapitalgesellschaften besteht auch hier ein erhöhtes Bedürfnis nach Klarheit und Rechtssicherheit. Mithin sind die Interessenlagen vergleichbar. Für die Annahme einer Analogie zu den aktienrechtlichen Vorschriften spricht des Weiteren, dass eine solche bereits dann für Personengesellschaften bejaht wird, wenn es um allgemeine Beschlussmängel geht. Eine Analogie verschafft darüber hinaus schnelle Klarheit über die Rechtsfolgen eines Fehlers. Sie dient vor allem auch dem Gläubigerschutz, da sie eine einheitliche Rechtslage schafft, die unabhängig von den individuellen Vereinbarungen des Gesellschaftsvertrages Gültigkeit hat. Die analoge Anwendung des § 256 AktG führt ferner dazu, dass Hilfslösungen, wie unten darzulegen sein wird, entbehrlich sind. Diese überzeugen auch dogmatisch nicht. Die analoge Anwendung des § 256 AktG sollte daher bejaht werden39. Für den Jahresabschluss folgt aus der Annahme einer solchen Analogie, dass dieser (nur) dann nichtig ist, wenn er unter schwerwiegenden Fehlern i.S.d. § 256 AktG leidet und dieser Fehler zeitnah geltend gemacht wird. Nach erfolgter Feststellung des Jahresabschlusses ist damit auch der Feststellungsbeschluss nichtig. Liegt hingegen kein Fehler i.S.d. § 256 AktG vor, so bleibt der Feststellungsbeschluss wirksam und entfaltet weiterhin Bindungswirkung. Für die oben unter II. aufgezeigten Verstöße gegen Rechnungslegungs- und Bilanzierungsvorschriften ist dann in analoger Anwendung der Generalklausel des § 256 Abs. 1 Nr. 1 AktG eine Nichtigkeit anzunehmen. Denn diese Generalklausel sieht die Nichtigkeit vor, wenn der Jahresabschluss gegen Schutzvorschriften zugunsten der Gläubiger verstößt. Schutzvorschriften in diesem Sinne umfassen alle Verstöße gegen gesetzliche Bestimmungen. Die Vorschriften über die ordnungsgemäße Buchführung und Rechnungslegung entfalten grundsätzlich Gläubigerschutz, da sie u.a. dem Informationsinteresse des Gläubigers zu dienen bestimmt sind. Mithin ergibt sich bei Verstößen gegen gesetzliche Rechnungslegungsvorschriften in analoger Anwendung des § 256 AktG die Rechtfolge der Nichtigkeit des Jahresabschlusses. Verstöße gegen Regelungen aus dem Gesellschaftsvertrag können der Generalklausel hingegen nicht unterfallen, da sie nicht zum Schutz der Gläubiger getroffen werden, sondern der Förderung des Gesellschaftszwecks dienen40. Diese Differenzierung muss hingenommen werden, auch wenn sie zu einer gewissen Rechtsunsicherheit führt.

38 Schwab in: Schmidt, K./Lutter, 3. Aufl. 2015, § 256 AktG Rz. 1. 39 Ehricke in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 3. Aufl. 2014, § 120 HGB Rz. 50. 40 Brete/Thomsen, GmbHR 2008, 176-183.

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4. Geltendmachung weiterer Fehler, die nicht zur Nichtigkeit des ­festgestellten Jahresabschlusses führen Durch die hier vorgeschlagene analoge Anwendung von §  256 AktG auch auf den Jahresabschluss der Personengesellschaft treten zwei Rechtsfolgen ein: Zum einen werden die Voraussetzungen definiert, unter denen ein Jahresabschluss nichtig ist. Dies sind die im Gesetz enumerativ aufgeführten Fälle. Bei unwesentlichen Verstößen bleibt der Jahresabschluss wirksam. Zum anderen wird auf der Rechtsfolgenseite geklärt, dass unter den Voraussetzungen der Unwirksamkeit des Jahresabschlusses auch der entsprechende Feststellungsbeschluss der Gesellschafter nichtig ist. Konsequenterweise sind im Fall der Nichtigkeit auch die aktienrechtlichen Vorschriften analog anzuwenden, nach denen bei bestimmten Fehlern eine Heilung eintreten kann (§ 256 Abs. 6 Satz 1 AktG). Eine Heilung tritt durch Zeitablauf ein, sobald die im Gesetz normierten Fristen verstrichen sind. Dabei sind verschiedene Heilungsfristen zu unterscheiden. Die Verstöße gem. § 256 Abs. 1 Nr. 2 AktG (Fehlen einer vorgeschriebenen Abschlussprüfung) sind keiner Heilung zugänglich. Für Verstöße gegen Gliederungs- und Bewertungsvorschriften (§  256 Abs.  1 Nr.  1, Abs.  4 und Abs.  5 AktG) beträgt die Heilungsfrist drei Jahre. Für die übrigen Verstöße nach § 256 AktG beträgt die Heilungsfrist sechs Monate. Die Heilung bewirkt die nachträgliche Wirksamkeit des Feststellungsbeschlusses und somit auch des Jahresabschlusses. Die Nichtigkeit wird ex tunc beseitigt. Damit verbleibt die Frage, ob es – neben der analogen Anwendung der aktienrechtlichen Vorschriften – ein rechtspolitisches Bedürfnis dafür gibt, auch in anderen Fällen, die nicht durch § 256 AktG abgedeckt sind, den Gesellschaftern die Möglichkeit einzuräumen, gegen einen einmal gefassten Feststellungsbeschluss vorzugehen und damit die Unwirksamkeit des Jahresabschlusses geltend zu machen. Konkret könnten dies diejenigen Fälle sein, in denen es sich um keine schwerwiegenden Fehler in dem festgestellten Jahresabschluss handelt oder bei denen es um Fehler geht, in denen bei der Aufstellung und Feststellung des Jahresabschlusses die Regelungen des Gesellschaftsvertrages über die Bilanzierung und damit gegebenenfalls auch über die Gewinnverteilung nicht eingehalten worden sind. a) Meinungsstand Es ist oben im Einzelnen dargelegt worden, welche unterschiedlichen Auffassungen zu der Rechtsnatur eines Feststellungsbeschlusses betreffend den Jahresabschluss bestehen. Abgeleitet aus der jeweiligen dogmatischen Einordnung des Feststellungsbeschlusses werden dementsprechend auch ganz unterschiedliche Auffassung über die Bindungswirkung und die Möglichkeiten zur nachträglichen Geltendmachung der Unwirksamkeit des Feststellungsbeschlusses vertreten.

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aa) Fehlende Bindungswirkung bei Unkenntnis Teilweise wird die Ansicht vertreten, dass durch die Bindungswirkung des Feststellungsbeschlusses nur solche Einwendungen präkludiert werden, die auf Tatsachen beruhen, deren Unrichtigkeit der Gesellschafter kannte oder hätte kennen können41. Damit würde hinsichtlich unbekannter Fehler im Rahmen der Aufstellung eine Bindungswirkung von vorherein nicht eintreten. Diese Ansicht würde jedoch zu einem unüberschaubaren Risiko für die betroffene Gesellschaft, die übrigen Gesellschafter sowie für außenstehende Dritte führen, da keine Rechtssicherheit darüber erreicht werden kann, in welchem Umfang Bindungswirkung eingetreten ist. Das Ziel einer klaren Rechtslage kann mit dieser Ansicht nicht erreicht werden. Das Interesse des einzelnen Gesellschafters, bei fehlender Kenntnis von bestimmten Umständen nicht an seine Zustimmung zur Feststellung des Jahresabschlusses gebunden zu sein, muss hinter das Interesse nach Rechtssicherheit zurücktreten. Dies ist insbesondere auch deshalb gerechtfertigt, weil der betroffene Gesellschafter nicht schutzlos ist. Wenn ihm Informationen, die für seine Billigung des Jahresabschlusses entscheidend waren, vorenthalten worden sind, dann kann er gegebenenfalls Schadenersatzansprüche gegen diejenigen Personen geltend machen, die den Jahresabschluss aufgestellt und die Gesellschafter pflichtwidrig nicht informiert haben. bb) Entfall der Bindungswirkung durch Anfechtung Des Weiteren wird vertreten, die mit dem Feststellungsbeschluss entstandene Bindungswirkung könne durch Anfechtung der eigenen Zustimmung (§§ 119, 123 BGB) entfallen42, wenn einem Gesellschafter erst nach Zustimmung zur Feststellung des Jahresabschlusses der Zugang zu bestimmten Informationen gewährt wird, die für seine Willensbildung entscheidend waren. Diese Ansicht wird von denjenigen ver­ treten, die den Feststellungsbeschluss als kausales Anerkenntnis qualifizieren. Die Reichweite der Anfechtung deckt sich dabei mit der Reichweite des Irrtums43. Die Wirksamkeit des Feststellungsbeschlusses wird jedoch erst dann berührt, wenn die angefochtene Stimme für den Feststellungsbeschluss notwendig war. Dies ist immer dann der Fall, wenn es einer Einstimmigkeit bedurfte. Darüber hinaus sind die Fälle erfasst, in denen ohne die angefochtene Stimme die notwenige Mehrheit nicht gegeben ist. Dies schafft insoweit mehr Rechtssicherheit, als mit Ablauf der Frist des § 121 BGB Verjährung eintritt. Mit Ablauf der absoluten Verjährungsfrist nach zehn Jahren (§ 124 Abs. 3 BGB) ist eine Anfechtung ausgeschlossen, auch wenn der Anfechtende zu diesem Zeitpunkt den Irrtum noch nicht kannte. Grundsätzlich krankt diese Anfechtungslösung daran, dass nur schwer festzustellen ist, ob und unter welchen Voraussetzungen tatsächlich ein relevanter Inhaltsirrtum und kein unbeachtlicher Motivirrtum vorliegt.

41 Ehricke in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 3. Aufl. 2014, § 120 HGB Rz. 38. 42 Haas in: Röhricht/Graf von Westphalen/Haas, 4. Aufl. 2014, § 120 HGB Rz. 7. 43 Priester in: MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2016, § 120 Rz. 69.

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cc) Entfallen der Bindungswirkung durch Kondiktion Der Teil der Literatur, der den Feststellungsbeschluss als abstraktes Anerkenntnis qualifiziert, billigt den Gesellschaftern dann einen Kondiktionsanspruch nach § 812 Abs. 2 i.V.m. § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zu, wenn sie bei der Zustimmung zum Feststellungsbeschluss von tatsächlich unrichtigen Voraussetzungen ausgegangen sind44. Diese Vorgehensweise ist notwendig, um das abstrakte Anerkenntnis aus der Welt zu schaffen. Dieser Ansicht ist nicht zu folgen, da schon die Annahme eines abstrakten Anerkenntnisses aufgrund des fehlenden Willens zur Schaffung einer eigenständigen Anspruchsgrundlage ausscheiden muss. b) Eigener Lösungsansatz Die aufgezeigten unterschiedlichen Auffassungen zur Rechtsnatur des Feststellungsbeschlusses betreffend den Jahresabschluss einer Personengesellschaft sowie die daraus abgeleiteten völlig unterschiedlichen Konzepte für die Beseitigung der Zustimmung zu einem solchen Feststellungsbeschluss zeigen das ganze Dilemma auf, die durch das Fehlen einer gesetzlichen Regelung im Bereich der Personengesellschaften ausgelöst wurde. Es ist oben dargelegt worden, dass gute Gründe dafür sprechen, eine analoge Anwendung der aktienrechtlichen Vorschriften zur Nichtigkeit bzw. Wirksamkeit fehlerhafter Jahresabschlüsse auch im Bereich der Personengesellschaften anzuwenden. Demgegenüber gibt es keine sachlichen Gründe dafür, die Personengesellschaften und ihre Gesellschafter in Bezug auf die Bindung an festgestellte Jahresabschlüsse grundlegend anders zu behandeln als Aktiengesellschaften und ihre Aktionäre sowie GmbHs und ihre Gesellschafter. Die aktienrechtlichen Vorschriften bieten eine sachgerechte Lösung, in der bei schwerwiegenden Fehlern eine Nichtigkeit und damit eine fehlende Bindung der Gesellschafter an den festgestellten Jahresabschluss vorliegt, bestimmte Fehler durch Fristablauf geheilt werden können und im Übrigen eine Anfechtung des Feststellungsbeschlusses wegen Fehlern im Jahresabschluss nicht (mehr) möglich ist (§ 257 Abs. 1 Satz 2 AktG). Durch die Anwendung dieser Regelungen auch auf die Personengesellschaften werden die (Minderheits-)Gesellschafter von Personengesellschaften nicht benachteiligt, da sie gegebenenfalls Sekundäransprüche, d.h. Schadenersatzansprüche gegen diejenigen Personen geltend machen können, die den fehlerhaften Jahresabschluss aufgestellt und damit die Ursache für den fehlerhaften Feststellungsbeschluss gesetzt haben. Die Gesellschafter von Personengesellschaften sind insoweit besser gestellt als die Gesellschafter von Kapitalgesellschaften, weil die Treuepflichten und Informationspflichten im Recht der Personengesellschaften stärker ausgeprägt sind als im Recht der Kapitalgesellschaften.

44 BGH v. 13.1.1966 – II ZR 68/64, JurionRS 1966, 11474 Rz. 12; Ehricke in: Ebenroth/Boujong/Joost/Strohn, 3. Aufl. 2014, § 120 HGB Rz. 38.

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Damit kann die streitige Diskussion über die Rechtsnatur des Feststellungsbeschlusses in der Personengesellschaft ebenso entfallen wie die daraus abgeleiteten Überlegungen über die Beseitigung der Bindung eines Gesellschafters an diesen Feststellungsbeschluss. Ebenso kann die Diskussion entfallen, ob und unter welchen Umständen das Recht des Gesellschafters einer Personengesellschaft, die Unwirksamkeit des Feststellungsbeschlusses und damit des Jahresabschlusses geltend machen zu können, verwirkt ist. Im Ergebnis kommt es daher für die Beurteilung der Bindungswirkung an den Feststellungsbeschluss darauf an, welche Rechtsfolgen an den fehlerhaft aufgestellten Jahresabschluss geknüpft werden.

V. Anspruch auf Korrektur fehlerhafter Jahresabschlüsse Ein fehlerhaft aufgestellter und festgestellter Jahresabschluss kann den nicht geschäftsführenden Gesellschaftern einen Anspruch auf Korrektur des Jahresabschlusses durch erneute, fehlerfreie Aufstellung und anschließende Feststellung gewähren. Ein solcher korrekturpflichtiger Jahresabschluss liegt vor, wenn ein wesentlicher Fehler vorliegt und der Jahresabschluss ohne eine Korrektur kein, den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes, Bild der Vermögens-, Finanz- und Ertragslage des Unternehmens vermittelt45. Die Wesentlichkeit des Fehlers wird dann angenommen, wenn der Fehler einen wesentlichen Informationsverlust für die nicht-geschäftsführenden Gesellschafter oder außenstehende Dritte mit sich bringt. Dabei ist wiederum von einer Wesentlichkeit dann auszugehen, wenn grundlegende Entscheidungen durch den Fehler beeinflusst werden können. Die Korrekturpflicht muss erst recht für nichtige Jahresabschlüsse gelten, da diese keinerlei Rechtswirkungen entfalten und somit eine Neuaufstellung und Feststellung zwingend geboten sind. Demgegenüber führt ein unwesentlicher Fehler nicht zu einer entsprechenden Korrekturpflicht, so dass der Jahresabschluss in diesen Fällen als richtig zu behandeln ist. Den geschäftsführenden Gesellschaftern steht es jedoch frei, den Jahresabschluss innerhalb der gesetzlichen Grenzen dennoch zu korrigieren. Wird eine Korrekturpflicht angenommen, so sind die geschäftsführenden Gesellschafter verpflichtet, die Jahresabschlüsse zu korrigieren, indem sie einen neuen fehlerfreien Jahresabschluss aufstellen und diesen von der Gesellschaftsversammlung feststellen lassen46. Dazu hat der bestreitende Gesellschafter die Nichtigkeit des Feststellungsbeschlusses, je nach vertretener Ansicht, durch Feststellungsklage gegen die geschäftsführenden Gesellschafter oder durch positive Beschlussfeststellungsklage gegen die Gesellschaft geltend zu machen.

45 Grottel/Schubert in: BeckBilanzkomm, 10. Aufl. 2016, § 253 HGB Rz. 806; Forst/Suchanek/ Klopsch, GmbHR 2013, 914-922 (916). 46 Priester in: MünchKomm/HGB, 4. Aufl. 2016, § 120 Rz. 71.

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Zu einer solchen Korrektur sind die geschäftsführenden Gesellschafter nicht verpflichtet, wenn der fehlerhafte Jahresabschluss durch Zeitablauf geheilt ist. Denn dann kann eine Nichtigkeit nicht mehr geltend gemacht werden47. Der Korrekturanspruch unterliegt nach § 194 Abs. 1 BGB der Verjährung, welche eine Verjährungsfrist von drei Jahren vorsieht (§ 195 BGB). Diese Frist beginnt mit Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen oder der fahrlässigen Unkenntnis. Die Verjährung tritt allerdings spätestens nach zehn Jahren nach Entstehung des Anspruches ein (vgl. § 199 Abs. 4 BGB). Zwar ist die Verpflichtung der Gesellschaft zur Aufstellung eines fehlerfreien Jahresabschlusses eine Verpflichtung im Rahmen eines Dauerschuldverhältnisses, welche grundsätzlich nicht der Verjährung unterliegen. Aber die einzelnen aus einem Dauerschuldverhältnis erwachsenden Ansprüche unterliegen der Verjährung. Um einen solchen Einzelanspruch aus einer Dauerverpflichtung handelt es sich bei dem Anspruch eines Gesellschafters gegen die Geschäftsführung, für ein bestimmtes Kalenderjahr einen fehlerfreien Jahresabschluss aufzustellen.

VI. Änderungen eines Jahresabschlusses durch die Betriebsprüfung Im Rahmen einer Betriebsprüfung (§§ 193 ff. AO) kann die Steuerbilanz berichtigt werden, wenn diese fehlerhaft ist. Dies folgt aus dem Grundsatz der Gleichmäßigkeit der Besteuerung. Eine solche Berichtigung führt aber grundsätzlich nicht zu einer Fehlerhaftigkeit des handelsrechtlichen Jahresabschlusses. Folglich besteht auch keine Verpflichtung zur Korrektur des handelsrechtlichen Jahresabschlusses, denn dieser ist nur dann zu korrigieren, wenn auch ein handelsbilanzieller Fehler vorliegt48. Dies folgt aus der unterschiedlichen Zweckrichtung. Denn nur der handelsrechtliche Jahresabschluss dient dem Informationsinteresse der Gesellschafter und der öffentlich-rechtlichen Dokumentationspflicht, sowie dem Gläubigerschutz. Diesen Interessen ist gedient, wenn der Jahresabschluss aus handelsbilanzieller Sicht fehlerfrei aufgestellt worden ist. Eine Korrektur kann aber dann vorgenommen werden, ein wichtiger Grund vorliegt und die Änderung bereits bei Aufstellung so hätte erfasst werden dürfen. Dafür bedarf es eines handelsbilanziellen Wahlrechts49. Ein wichtiger Grund kann insbesondere in der Vermeidung steuerrechtlicher Mehrergebnisse zu sehen sein. Im Ergebnis führen Änderungen der Steuerbilanz durch die Betriebsprüfung nicht zur Nichtigkeit oder zur Anfechtbarkeit des handelsrechtlichen Jahresabschlusses.

47 Schubert in: Beck’scher Bilanzkommentar, 10. Aufl. 2016, § 253 HGB Rz. 806. 48 Schubert in: Beck’scher Bilanzkommentar, 10. Aufl. 2016, § 253 HGB Rz. 815. 49 Schubert in: Beck’scher Bilanzkommentar, 10. Aufl. 2016, § 253 HGB Rz. 817.

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Rechtsfolgen fehlerhafter Jahresabschlüsse von Personengesellschaften

VII. Fazit Im Recht der Personengesellschaften fehlt eine gesetzliche Regelung dazu, welche Rechtsfolgen aus einem fehlerhaft aufgestellten Jahresabschluss und einem (gleichwohl) ergehenden Gesellschafterbeschluss zur Feststellung dieses Jahresabschlusses abzuleiten sind. Die Rechtswissenschaft ist daher aufgerufen, hierfür rechtlich überzeugende und die Interessen der Beteiligten angemessen berücksichtigende Lösungen zu erarbeiten. Der Gesetzgeber hat es im Recht der GmbH ausdrücklich der Rechtsprechung überlassen, eine Lösung in Anlehnung an die aktienrechtlichen Vorschriften zu entwickeln50. Dies muss für das Recht der Personengesellschaften ebenso gelten. Eine analoge Anwendung der Regelungen zum Aktienrecht bringt auch für die Personengesellschaften angemessene Lösungen. Hierdurch kann die eingetretene Rechtsunsicherheit über die Rechtsnatur eines Feststellungsbeschlusses im Bereich der Personengesellschaften ebenso beendet werden wie der Streit um die Möglichkeiten eines Gesellschafters einer Personengesellschaft, die grundsätzlich allseits für notwendig erachtete Bindungswirkung eines Feststellungsbeschlusses nicht eintreten zu lassen oder wieder rückgängig zu machen.

50 Ausschuss B BT-Drucks. 10/4268, 130 f.; vgl. dazu BGH v. 2.7.2013 – II ZR 293/11 Rz. 5 f., MDR 2013, 1237, AG 2013, 678, NZG 2013, 957.

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Das deutsche Steuerrecht in der Krise – Herausforderungen in der Beratungspraxis Inhaltsübersicht

I. Einleitung

II. Rangrücktritt 1. Ziele und Probleme beim Rangrücktritt 2. Zum Rangrücktritt aus insolvenz­ rechtlicher Sicht 3. Zum Rangrücktritt aus steuerrecht­ licher Sicht a) Grundlagen b) Neue Rechtsprechung des BFH (I R 44/14 und I R 25/15) 4. Abschließende Anmerkungen III. Ertragsteuerliche Behandlung von ­Sanierungsgewinnen 1. Ausgangslage 2. Beschluss des Großen Senats vom 28.11.2016 (GrS 1/2015)





a) Entscheidung des Großen Senats des BFH b) Reaktion des BMF auf den Großen Senats-Beschluss 3. Reaktion des Gesetzgebers: § 3a EStG u.a. a) Gesetzgebungsverfahren b) Konzeption und Funktionsweise der Neuregelungen c) Sanierungsgewinne und GewSt d) Anwendungsregelungen 4. Vereinbarkeit mit EU-Beihilferecht

IV. Verbindlichkeiten bei der Liquidation von Kapitalgesellschaften 1. Ausgangslage 2. Diskussionsstand

V. Zusammenfassung und Schluss

Georg Crezelius ist ein juristisches Multi- und Ausnahmetalent. Nicht nur im Steuerrecht ist seine Expertise über alle Zweifel erhaben. Auch im Gesellschafts- und im übrigen Zivilrecht ist er bestens zuhause. Es ist, wie der Verfasser erfahren durfte, ein großes Vergnügen, mit ihm an schwierigen Fällen zusammenarbeiten zu dürfen. Vor diesem Hintergrund lag es nahe, zu seinen Ehren ein Thema zu wählen, in dem steuerrechtliche und zivilrechtliche Fragestellungen, vorliegend solche des Insolvenzrechts, eng miteinander verzahnt sind: Die Besteuerung von Unternehmen in der Krise. Es ist keine Überraschung, dass sich Georg Crezelius mit diesem Thema bereits befasst hat1.

I. Einleitung Das deutsche Steuerrecht stellt sich in verschiedener Hinsicht als sanierungsfeindlich dar. Kleine Fehler bei der Abfassung einer Rangrücktrittsvereinbarung können einen steuerpflichtigen Wegfallgewinn auslösen. Sanierungsgewinne aus Forderungsverzichten unterliegen generell der Besteuerung (der Gesetzgeber sah sich jüngst ge1 Vgl. Crezelius, NZI 2017, 57–59, 256–259, 439–441, 602–605.

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zwungen, hier eine Entlastung zu schaffen). Steuerliche Verlustvorträge gehen auch bei sanierungsbezogenen Unternehmensübertragungen grundsätzlich verloren. Insbesondere die Mindestbesteuerung (§ 10d Abs. 2 EStG, § 10a GewStG) kann sich als veritabler Krisenverstärker erweisen, da etwaig vorhandene Verlustvorträge häufig nur eingeschränkt mit Gewinnen verrechnet werden können. Die Auflistung der praktischen Herausforderungen in Bezug auf Krisenmaßnahmen ließe sich ohne Weiteres fortsetzen2. Vor diesem Hintergrund werden aus der Fülle von Themen des deutschen Sanierungssteuerrechts (das als solches ja gar nicht existiert) drei aktuelle Komplexe herausgegriffen: (i) Die Behandlung des Rangrücktritts, zu der in jüngster Zeit sowohl BGH als auch BFH grundsätzlich geurteilt haben; (ii) der vom Großen Senat des BFH gekippte Sanierungserlass des BMF und die vom Gesetzgeber eilig eingeführte Neuregelung des § 3a EStG, dessen Inkrafttreten bemerkenswerterweise unter dem Vorbehalt der beihilferechtlichen Genehmigung durch die Europäische Kommission steht; sowie schließlich (iii) die Unklarheiten und Unsicherheiten bei der Liquidation von Kapitalgesellschaften in Bezug auf stehengebliebene Verbindlichkeiten.

II. Rangrücktritt 1. Ziele und Probleme beim Rangrücktritt Die Gesellschafter einer (Kapital-)Gesellschaft sind, jenseits eines gesetzlich vorge­ gebenen Mindestkapitals, grundsätzlich frei, ob sie die Gesellschaft mit (weiterem) Eigen- oder mit (Gesellschafter-)Fremdkapital ausstatten. Die Gewährung von (Gesellschafter-)Darlehen kann gegenüber der Eigenkapitalgewährung verschiedene Vorteile aufweisen. So lassen sich Änderungen der Beteiligungsverhältnisse vermeiden oder eine flexiblere Rückführung der überlassenen Mittel einfacher erreichen. Die Vorteile des Fremdkapitals können auch steuerlicher Natur sein, denn die Fremdfinanzierung ist gegenüber der Eigenfinanzierung nach geltendem Steuerrecht tendenziell privilegiert. Andererseits beeinflussen Gesellschafterdarlehen, wie andere Verbindlichkeiten auch, die Finanzierungssituation und die Zahlungsfähigkeit des Unternehmens. Sie können auch zur Insolvenz führen, da bei juristischen Personen und Personenhandelsgesellschaften ohne natürliche Personen als Vollhafter die Überschuldung einen Insolvenzgrund darstellt (§ 19 Abs. 1 InsO). Um die bilanzielle Überschuldung (§ 19 Abs. 2 InsO) zu vermeiden bzw. prognosewirksam zu verringern, kann die Gesellschaft mit ihren Gläubigern einen sog. Rang­ rücktritt (vgl. § 39 Abs. 2 InsO) vereinbaren. In der Praxis häufig anzutreffen ist die Situation, dass die Anteilseigner einer Gesellschaft in Bezug auf Darlehen, die sie dieser gewährt haben, im Rang hinter die Forderungen aller anderen Gläubiger der Gesellschaft zurücktreten. 2 Vgl. weitergehend Blumenberg/Neumann, Sanierungssteuerrecht  – aktuelle Herausforderungen für die Beratungspraxis, Ubg 4/2016, 181 (Teil I) und Ubg 5/2016, 256 (Teil II).

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Das deutsche Steuerrecht in der Krise

Die größte Herausforderung bei der Abfassung des Rangrücktritts besteht darin, einen Überschneidungsbereich zwischen Insolvenz- und Steuerrecht zu treffen, der ­insolvenzrechtlich die bilanzielle Überschuldung und damit das Risiko der Insolvenz­ verschleppung (§  15a InsO) ausschließt, steuerrechtlich aber nicht, wie der Forderungsverzicht, einen Wegfallgewinn auslöst3. Steuerlich gilt es, die Klippe des §  5 Abs. 2a EStG zu umschiffen, was keineswegs einfach ist, weil Insolvenz- und Steuerrecht nicht aufeinander abgestimmt sind und Gesetzgeber, Gerichte und Verwaltung auf die sich stellenden Probleme seit vielen Jahren mit ständig neuen Antworten reagieren. Dies beginnt bereits mit der uneinheitlichen Terminologie: Die Rede ist vom „einfachen“ und „qualifizierten“ Rangrücktritt4, gelegentlich auch vom „spezifizierten“5 Rangrücktritt, wobei auch die höchsten Gerichte unterschiedliche Begriffsinhalte verwenden6. In den letzten Jahren haben sowohl der BGH als auch der BFH jeweils Grundsatzentscheidungen zum Rangrücktritt getroffen, die in der Literatur ausführlichen Niederschlag gefunden haben7. Mit Urteil vom 5.3.2015 hat der IX. Senat des BGH zu den Voraussetzungen Stellung genommen, die eine Rangrücktrittsvereinbarung erfüllen muss, damit die ihr zugrunde liegende Verbindlichkeit für den Überschuldungsstatus gem. § 19 Abs. 2 InsO nicht zu passivieren ist8. Am 15.4.2015, also fast zeitgleich, hat sich der I. Senat des BFH mit der Frage des Passivierungsverbots von Verbindlichkeiten in der Steuerbilanz nach § 5 Abs. 2a EStG und der Einlagefähigkeit der ggf. aufzulösenden Verbindlichkeit befasst9. Er hat seine Auffassung anschließend mit Urteil vom 10.8.2016 nochmals bestätigt10. Die Entscheidungen sind für die Praxis von großer Bedeutung. 2. Zum Rangrücktritt aus insolvenzrechtlicher Sicht Eine die Insolvenz auslösende Überschuldung liegt vor, wenn das Vermögen des Schuldners die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt, es sei denn, die Fortführung des Unternehmens ist nach den Umständen wahrscheinlich (§ 19 Abs. 2 Satz  1 InsO). Bei der Aufstellung des entsprechenden Überschuldungsstatus ist zu beachten, dass Forderungen auf Rückgewähr von Gesellschafterdarlehen unberücksichtigt bleiben, für die im Insolvenzverfahren gem. § 39 Abs. 2 InsO der Nachrang 3 Vgl. Karsten Schmidt, BB 2016, 2. 4 Vgl. BMF-Schreiben v. 8.9.2006 – BStBl. I 2006, 497. 5 Vgl. BFH v. 15.4.2015 – I R 44/14, BStBl. II 2015, 769, unter Rz. 10 und 16 des Urteils, FR 2015, 995, GmbHR 2015, 881 m. Anm. Briese, AG 2015, 672. 6 Kritisch zur Verwendung der Begriffe durch den BFH: Karsten Schmidt (Fn. 3), 2 (4-5). 7 Vgl. Karsten Schmidt, BB 2016, 2; Welf Müller, BB 2016, 491; Weber-Grellet, BB 2015, 2667; Scheifele/Neess, DK 2015, 417; Altrichter-Herzburg, GmbHR 2015, 1121; Paus, FR 2015, 980. 8 Vgl. BGH v. 5.3.2015 – IX ZR 133/14, BGHZ 204, 231, MDR 2015, 544, GmbHR 2015, 472 m. Anm. Farian. 9 Vgl. BFH v. 15.4.2015 – I R 44/14, FR 2015, 995, GmbHR 2015, 881 m. Anm. Briese, AG 2015, 672 = BFH/NV 2015, 1177. 10 Vgl. BFH v. 10.8.2016 – I R 25/15, BStBl. II 2017, 670, GmbHR 2017, 197, GmbHR 2017, 657, FR 2017, 390 m. Anm. Scheifele.

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hinter die in § 39 Abs. 1 Nr. 1 bis 5 InsO bezeichneten Forderungen vereinbart worden ist (§ 19 Abs. 2 Satz 2 InsO). Die Anforderungen, die ein Rangrücktritt im Einzelnen erfüllen muss, um die Passivierungspflicht von Verbindlichkeiten im Überschuldungsstatus zu suspendieren, waren lange Zeit umstritten. Klarheit hat die Entscheidung des IX. Senats des BGH vom 5.3.2015 geschaffen. Danach muss ein Rangrücktritt folgendes vorsehen, um die Verbindlichkeit im Überschuldungsstatus zu suspendieren11: −− Das im Rangrücktritt zum Ausdruck gebrachte, rechtsgeschäftliche Zahlungsverbot muss sich auf den Zeitraum vor und nach der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens erstrecken. Es muss also auch bei drohender Insolvenzreife greifen12. −− Außerhalb des Insolvenzverfahrens („vorher“) darf die Verbindlichkeit nur aus ungebundenem (freien bzw. sonstigen) Vermögen und in der Insolvenz nur im Rang nach den Forderungen sämtlicher normaler Insolvenzgläubiger bedient werden13. −− Allerdings kann der Rangrücktritt darauf beschränkt werden, hinter die Forderungen aus Gesellschafterdarlehen oder aus entsprechenden Rechtshandlungen (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO) zurückzutreten. Die vor dem MoMiG erforderliche Gleichstellung mit dem statutarischen Kapital14 ist hingegen nicht mehr erforderlich15. −− Der Rangrücktritt muss dauerhaft vereinbart sein; ein zeitlich befristeter Rang­ rücktritt ist unzureichend16. Er darf in der Krise nicht und außerhalb der Krise nur 11 Vgl. BGH v. 5.3.2015 (Fn. 8). 12 Vgl. Haas in Baumbach/Hueck, 20. Aufl. 2013, § 64 GmbHG Rz. 55; Haas in Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 3. Aufl. 2009, Kap. 40 Rz. 59; Sikora in Pape/Uhländer, 1. Aufl. 2013, § 19 InsO Rz. 44; Müller in MünchKomm/GmbHG, 2. Aufl. 2015, § 64 GmbHG Rz. 39; Schmidt in Schmidt, InsO, 19.  Aufl. 2016, §  19 InsO Rz.  35; Bitter in Scholz, GmbHG, 11. Aufl. 2014, Vor § 64 GmbHG Rz. 66; Altmeppen in Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. 2015, Vorb § 64 GmbHG Rz. 45; Scholz/Bitter, ZIP 2015, 345 (347); Funk, BB 2009, 867 (869); Greil/Herden, ZInsO 2010, 833 (837); Frystatzki, NZI 2013, 609 ff.; Henkel/Wentzler, GmbHR 2013, 239 (240); ebenso wohl auch Schmerbach in Frankfurter Kommentar-InsO, 8. Aufl. 2015, § 19 InsO Rz. 28; Leithaus/Schaefer, NZI 2010, 844 (847); Poelzig, WM 2014, 917 (917-918); a.A. Kolmann in Saenger/Inhester, GmbHG, 3. Aufl. 2016, Anhang § 30 GmbHG Rz. 161; Rund, GmbHR 2009, 1149 (1150); Budde, ZInsO 2010, 2251 (2262); Kahlert/ Gehrke, DStR 2010, 227 (229); Geiser, NZI 2013, 1056. 13 Vgl. Habersack, ZGR 2000, 384 (401); Knobbe-Keuk, ZIP 1983, 127 (128-129).; Priester, DB 1977, 2429 (2431); Röhricht, VGR Band 5, 2002, 19; Martinek/Omlor, WM 2008, 665 (667); Herrmann, Quasi-Eigenkapital im Kapitalmarkt- und Unternehmensrecht, 1996, 135  ff.; Heidinger in Michalski, 2. Aufl. 2010, §§ 32a, 32b GmbHG a.F. Rz. 403. 14 Vgl. BGH v. 8.1.2001  – II ZR 88/99, BGHZ 146, 246, MDR 2001, 401, AG 2001, 303, ­GmbHR 2001, 190 m. Anm. Felleisen, zur Rechtslage vor MoMiG. 15 Vgl. BT-Drucks. 16/9737, 58; Schröder in Hamburger Kommentar-InsO, 5. Aufl. 2015, § 19 InsO Rz. 43; Bornheimer in Nerlich/Kreplin, Münchener Anwaltshandbuch Insolvenz und Sanierung, 2. Aufl. 2012, § 7 Rz. 85; Meyer-Löwy/Schmidt/Shubina, ZIP 2014, 2478 (2479); Haas in Baumbach/Hueck (Fn. 12), § 64 GmbHG Rz. 55; Altmeppen in Roth/Altmeppen (Fn. 12), § 42 GmbHG Rz. 50. 16 Vgl. Winnefeld in Winnefeld, Bilanz-Handbuch, 5. Aufl. 2015, Kapitel D Rz. 1536.

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eingeschränkt aufhebbar/kündbar sein17. Eine Aufhebung ohne Mitwirkung der anderen Gläubiger ist zulässig, wenn eine Insolvenzreife der Schuldnerin nicht vorliegt oder beseitigt ist18. −− Neben der Hauptforderung sollte der Rangrücktritt auch Zinsen und sonstige Nebenleistungen gem. § 39 Abs. 3 InsO umfassen19. 3. Zum Rangrücktritt aus steuerrechtlicher Sicht a) Grundlagen Im Steuerrecht besteht die Hauptaufgabe beim Abfassen eines Rang­rücktritts darin, die Passivierung der betreffenden Verbindlichkeit in der Steuerbilanz des Schuldners nicht zu gefährden oder, anders ausgedrückt, einen steuerpflichtigen Wegfallgewinn aus der Ausbuchung der Verbindlichkeit zu vermeiden. Letzterer kann selbst bei in ausreichender Höhe vorhandenen Verlustvorträgen beim Schuldner eine Steuerzahlung auslösen (Mindestbesteuerung, § 10d Abs. 2 EStG, § 10a GewStG) und so einen etwaigen finanziellen Engpass und die insolvenzrechtliche Überschuldungssituation verschärfen. Nach ständiger finanzgerichtlicher Rechtsprechung ist eine Verbindlichkeit – unabhängig vom insolvenzrechtlichen Überschuldungsstatus – zu passivieren, wenn der Unternehmer zu einer dem Inhalt und der Höhe nach bestimmten Leistung an einen Dritten verpflichtet ist, die vom Gläubiger erzwungen werden kann und die eine wirtschaftliche Belastung darstellt20. Der Rangrücktritt eines Darlehensgläubigers lässt das Erfordernis einer Passivierung der Darlehensverbindlichkeit grundsätzlich unberührt. Er führt – anders als der Forderungsverzicht – nur zu einer veränderten Rangordnung der Verbindlichkeiten, nicht zu deren Minderung. Für die Schuldnerin ändert sich nichts21. Neben dem rechtlichen Bestehen der Verpflichtung setzt deren Passivierung weiter voraus, dass sie den Schuldner wirtschaftlich belastet. Bereits im Jahr 1980 hat der BFH entschieden, dass Verpflichtungen, deren Erfüllung an den Gewinn des Unter17 Vgl. BGH v. 1.3.2010 – II ZR 13/09, GmbHR 2010, 752 m. Anm. Bormann, MDR 2010, 878, WM 2010, 1080 Rz. 10. So auch Scheifele/Nees, DK 2015, 418-419 m.w.N. 18 Vgl. Fleischer, DStR 1999, 1774 (1779); Hirte in Uhlenbruck, InsO, 14. Aufl. 2015, § 39 InsO Rz. 56; Wittig, NZI 2001,169 (175). 19 Vgl. Habersack in Ulmer/Habersack/Löbbe, GmbHG, Ergänzungsband MoMiG, 1. Aufl., §  30 GmbHG Rz.  55; Kolmann in Saenger/Inhester (Fn.  12), Anhang zu §  30 GmbHG Rz. 165; Gehrlein in Gehrlein/Ekkenga/Simon, GmbHG, 2. Aufl. 2015, Vor § 64 GmbHG Rz. 125. Nach Scheifele/Nees, DK 2015, 418-419 m.w.N., ist dies nicht völlig geklärt. 20 St. Rspr., vgl. BFH v. 30.11.2011 – I R 100/10, BStBl. II 2012, 332, FR 2012, 582, GmbHR 2012, 406 m. Anm. Berg/Schmich; BFH v. 15.4.2015 (Fn. 9). 21 Vgl. bereits BFH v. 30.3.1993  – IV R 57/91 BStBl.  II 1993, 502, FR 1993, 471; BFH v. 10.11.2005 – IV R 13/04 BStBl. II 2006, 618, GmbHR 2006, 158 m. Anm. Hoffmann, FR 2006, 319 m. Anm. Hölzle; BFH v. 16.5.2007  – IR 36/06, BFH/NV 2007, 2252, BFH v. 20.10.2004 – I R 11/03, BStBl. II 2005, 581, FR 2005, 304 m. Anm. Weber-Grellet, GmbHR 2005, 303 m. Anm. Berg/Schmich.

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nehmens anknüpfen, keine wirtschaftliche Belastung darstellen, weil sie nicht aus dem zum Stichtag vorhandenen Vermögen bedient werden müssen22. Wann genau eine wirtschaftliche Belastung vorliegt, ist Gegenstand diverser finanzgerichtlicher Entscheidungen. Das im StBereinG 199923 eingeführte Passivierungsverbot des §  5 Abs.  2a EStG, wonach Verbindlichkeiten, die nur aus künftigen Einnahmen oder ­Gewinnen zu tilgen sind, erst bei Anfall dieser Einnahmen/Gewinne anzusetzen sind,  führte zu weiterer Verunsicherung und Rechtsstreitigkeiten24. Im BMF, Schr. v. 8.9.2006, welches zur Rechtslage vor MoMiG ergangen ist, allerdings bis heute Gültigkeit hat, unterscheidet die Finanzverwaltung in Bezug auf die Auswirkungen des § 5 Abs. 2a EStG auf die Passivierung von Verbindlichkeiten zwei Formen des Rang­ rücktritts25: −− den „einfachen Rangrücktritt“, bei dem die Rückzahlung der Verbindlichkeit nur dann zu erfolgen hat, wenn der Schuldner dazu aus zukünftigen Gewinnen, aus einem Liquidationsüberschuss oder aus sonstigem freien Vermögen in der Lage ist und der Gläubiger mit seiner Forderung im Rang hinter alle anderen Gläubiger zurücktritt; und −− den „qualifizierten Rangrücktritt“, bei dem die Ansprüche des Gläubigers erst nach Befriedigung sämtlicher anderer Gläubiger der Gesellschaft und – bis zur Abwendung der Krise – auch nicht vor, sondern nur zugleich mit den Einlagenrückgewähransprüchen der Gesellschafter berücksichtigt werden. Der Gläubiger wird so behandelt, als handele es sich bei seiner Forderung um statutarisches Kapital. In beiden Fällen ist die Darlehensverbindlichkeit in der Steuerbilanz des Unternehmens nach Auffassung der Finanzverwaltung zu passivieren, ein außerordentlicher Ertrag entsteht somit nicht. Aufgrund MoMiG und jüngster BFH-Rechtsprechung (s. nachfolgend) ist dieses Schreiben allerdings überholt. b) Neue Rechtsprechung des BFH (I R 44/14 und I R 25/15) In der Entscheidung I R 44/14 ging es um die steuerrechtlichen Auswirkungen eines Rangrücktritts in einer Konzernsituation26. Eine Muttergesellschaft hatte ihrer alleinigen Tochtergesellschaft Darlehen gewährt, für die sie zur Abwendung einer insolvenzrechtlichen Überschuldung einen Rangrücktritt vereinbarte. Im Mittelpunkt stand die Frage, ob die vereinbarte Formulierung, wonach die Verbindlichkeiten „nur aus einem künftigen Bilanzgewinn oder aus einem etwaigen Liquidationsüberschuss“ zu erfüllen waren, zu deren Ausbuchen nach § 5 Abs. 2a EStG geführt hat. 22 Vgl. BFH v. 10.11.1980 – GrS 1/79, BStBl. II 1981, 164, FR 1981, 199. 23 StBereinG v. 22.12.1999, BGBl. I 1999, 2601; Ziel des Gesetzgebers war die Verhinderung von Steuerstundungsmodellen, bei denen Vermögenszuwendungen, die nur in Abhängigkeit von künftigen Einnahmen zurückzuzahlen waren, durch Passivierung einer Verbindlichkeit neutralisiert werden konnten. Vgl. Richter in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/ KStG, § 5 EStG Rz. 1905. 24 Vgl. zur Rechtsprechung Weber-Grellet, BB 2015, 2667. 25 Vgl. BMF-Schreiben v. 8.9.2006, BStBl. I 1978, 497. 26 Vgl. BFH v. 15.4.2015 (Fn. 9).

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Der nach erfolglosem Einspruch erhobenen Klage hatte das FG Niedersachsen27 noch stattgegeben. In der Revision vor dem BFH obsiegte jedoch das Finanzamt. Der BFH bestätigte seine bisherige Rechtsprechung28, wonach das Ansatzverbot des § 5 Abs. 2a EStG nicht nur zukünftige Steuerbilanzgewinne, sondern  – entsprechend Wortlaut und Sinn  – auch künftige (handelsrechtliche) Jahresüberschüsse umfasse29. Nichts Anderes gelte für künftige Bilanzgewinne. Zwar könne sich ein Bilanzgewinn auch aus der Auflösung der Kapitalrücklage ergeben und sei deshalb mit einer aktuellen wirtschaftlichen Belastung des Vermögens verbunden. Im entschiedenen Fall war dies jedoch nicht gegeben. Und selbst dann, wenn Rücklagen vorhanden sind, sei eine Vereinbarung, bestimmte Verbindlichkeiten nur aus einem künftigen Handelsbilanzgewinn (durch Auflösung von Rücklagen) zu tilgen, allein zukunftsgerichtet, was einer aktuellen wirtschaftlichen Belastung entgegenstehe30. Auch der Umstand, dass der Rangrücktritt eine Tilgung aus einem etwaigen Liquidationsüberschuss (dem „allerletzten“ künftigen Gewinn) vorgesehen hat, konnte die Passivierung nicht retten, da dieser Gewinn erst künftig relevant wird. Darüber hinaus korrigierte der BFH seine bisherige Rechtsprechung, nach der einem Darlehen, das nur aus künftigen Gewinnen zu tilgen ist, nicht die Funktion von zusätzlichem Eigenkapital zukommen könne31. Vielmehr seien die Erträge aus einem durch das Gesellschaftsverhältnis veranlassten Rangrücktritt nach Einlagegrundsätzen zu korrigieren, um den richtigen Steuerbilanzgewinn zu ermitteln. Voraussetzung für den Ansatz einer Einlage (und damit die Neutralisierung des Wegfallgewinns) sind die Veranlassung durch das Gesellschaftsverhältnis und die Werthaltigkeit der betroffenen Forderung. Die in der Entscheidung I R 44/14 geäußerte Rechtsauffassung hat der I. Senat in der kurze Zeit später ergangenen Entscheidung I R 25/1532 nochmals ausdrücklich bestätigt. 4. Abschließende Anmerkungen Der Grat zwischen Insolvenzverschleppung und Herbeiführung eines steuerpflichtigen Wegfallgewinns bleibt auch nach den jüngsten Urteilen schmal. Im Interesse der Rechtssicherheit wäre zu begrüßen, wenn die Finanzverwaltung ihr zur alten Rechtslage ergangenes Schreiben aus 2006 an die geänderte Rechtslage und neue Rechtsprechung anpassen würde. Die Grundsatzentscheidung des BGH hat Licht in das Dunkel der insolvenzrechtlichen Grundlagen des Rangrücktritts gebracht (auch für die Rechtslage nach MoMiG). 27 Vgl. FG Nds. v. 12.6.2014 – 6 K 324/12, EFG 2014, 1601. 28 Vgl. BFH v. 30.11.2011 (Fn.  20); BFH v. 5.2.2014  – I R 34/12, BB 2014, 1318 m. Anm. Hierstetter. 29 Vgl. BFH v. 30.11.2011 (Fn. 20). 30 Vgl. Weber-Grellet, BB 2015, 2667 (2671). 31 So noch BFH v. 30.11.2011 (Fn. 20). 32 Vgl. BFH v. 10.8.2016 (Fn. 10).

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Die vom BGH aufgestellten Anforderungen an einen insolvenzvermeidenden Rang­ rücktritt lassen weiterhin einen Überschneidungsbereich von Handels- und Steuerrecht zu, innerhalb dessen eine Passivierung der betreffenden Verbindlichkeiten in der Steuerbilanz und deren Herausnahme im insolvenzrechtlichen Überschuldungsstatus möglich ist. Aus steuerrechtlicher Sicht sind zwei Aspekte hervorzuheben: Erstens hat der BFH seine bisherige Rechtsprechung bestätigt, wonach Verbindlichkeiten ertragswirksam aufzulösen sind, wenn in der im Rangrücktritt enthaltenen Besserungsabrede eine Tilgungsmöglichkeit aus freiem bzw. sonstigem Vermögen fehlt. Selbst wenn man den Bezug auf das freie Vermögen für im Grunde „sinnlos“ oder „in sich widersprüchlich“ halten mag; in der Praxis sollte er sicherheitshalber in keiner Rangrücktrittsvereinbarung fehlen, will man die Ausbuchung der Verbindlichkeit mit Sicherheit vermeiden. Die Diskussion dürfte an diesem Punkt ihren Abschluss gefunden haben. Meines Erachtens sollte es für die Passivierung nicht darauf ankommen, ob freies Vermögen tatsächlich vorhanden ist, da dies für das Vorliegen einer wirtschaftlichen Belastung irrelevant ist33. Zu begrüßen ist zweitens die vom BFH vollzogene Kehrtwende bei der Behandlung des Wegfallgewinns als verdeckte Einlage. Außerhalb der Krise ergibt sich hierdurch eine Verbesserung gegenüber dem Status Quo. In Fällen, in denen der Rangrücktritt im Vorfeld einer drohenden Überschuldung eingeräumt wird, ist Streit über die Werthaltigkeit der Forderung nicht auszuschließen.

III. Ertragsteuerliche Behandlung von Sanierungsgewinnen 1. Ausgangslage Gewinne, die ein Unternehmen erzielt, wenn seine Gläubiger in der Krise auf For­ derungen gegen das Unternehmen verzichten (Sanierungsgewinne), waren – jedenfalls bis vor kurzem – ebenso steuerpflichtig wie Gewinne aus operativer Tätigkeit. ­Problematisch ist dies insbesondere dann, wenn das Unternehmen von Schulden befreit wird, die es ohnehin nicht mehr zurückzahlen kann. Da der Forderungsverzicht keine Zuführung von Aktivvermögen oder Liquidität bewirkt, aus denen das Unternehmen die Steuer auf den Sanierungsgewinn bezahlen könnte, ist die Besteuerung des Verzichts geeignet, die erfolgreiche Unternehmenssanierung zu konterkarieren. Bis zum Jahr  1997 war die Steuerbefreiung von Sanierungsgewinnen in §  3 Nr.  66 EStG a.F. gesetzlich geregelt. Mit Einführung des zeitlich unbegrenzten Verlustvortrags (§ 10d EStG) wurde diese Steuerbefreiung als eine doppelte Begünstigung beanstandet: Sanierungsgewinne waren steuerfrei, obwohl Verlustvorträge aus Zeiten vor der Sanierung grundsätzlich zum Ausgleich zukünftiger steuerpflichtiger Gewinne genutzt werden konnten. Mit Wirkung ab dem Jahr 1998 wurde § 3 Nr. 66 EStG daher aufgehoben34. Danach waren Unternehmen auf Billigkeitsmaßnahmen der Finanzverwaltung angewiesen. Das BMF erließ im Jahr 2003 mit dem sog. Sanierungserlass 33 Vgl. BFH v. 15.4.2015 (Fn. 9); Scheifele/Nees, DK 2015, 418-419. m.w.N. 34 Vgl. Sonnleitner/Strotkemper, BB 2015, 2395 (2396).

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eine allgemeinverbindliche Verwaltungsanweisung, in der sie die sich damals abzeichnende Mindestbesteuerung berücksichtigte35. Nach einer mehrstufigen Vorgehensweise36 war ein Sanierungsgewinn – ungeachtet der Mindestbesteuerung – zunächst mit dem Verlustvortrag zu verrechnen, wobei die Finanzämter in Einzelfällen zudem die Hebung stiller Lasten (beispielsweise Teilwertabschreibungen) verlangten. Die Steuer auf den im Anschluss verbleibenden Gewinn wurde sodann gestundet (§ 222 AO). Nach abschließender Prüfung und Abzug von im Stundungszeitraum erzielten Verlusten wurde der endgültige Sanierungsgewinn ermittelt. Die sodann festgestellte endgültige Steuer auf den Sanierungsgewinn wurde schließlich erlassen (§ 227 AO). Voraussetzungen für einen im Sinne des Erlasses begünstigen Sanierungsgewinn waren die Sanierungsbedürftigkeit und die Sanierungsfähigkeit des Unternehmens, die Sanierungseignung des Schulderlasses und die Sanierungsabsicht der Gläubiger. Der Sanierungserlass war seit jeher Gegenstand kontroverser Auseinandersetzungen in der Rechtsprechung und der Literatur. Zur Rechtmäßigkeit des Erlasses erging eine Vielzahl von finanzgerichtlichen Urteilen, die mit unterschiedlichen Begründungen zu unterschiedlichen Ergebnissen kamen37. Auch die Rechtsprechung des BFH war uneinheitlich. Während der X. Senat des BFH davon ausging, dass der Sanierungserlass den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung nicht tangierte38, hatte der VIII. Senat Zweifel, ob die Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen allein wegen sachlicher Unbilligkeit aufgrund des Sanierungserlasses beansprucht werden kann, weil der Gesetzgeber § 3 Nr. 66 EStG a.F. abgeschafft hat39. Der I. Senat des BFH ließ die Frage, ob der Sanierungserlass den Erfordernissen des allgemeinen Gesetzesvorbehalts genügt, unbeantwortet40. Die Geschichte mündete bekanntlich im Beschluss des X.  Senats des BFH vom 25.3.2015, der dem Großen Senat die Rechtsfrage zur Entscheidung vorlegte, ob der Sanierungserlass gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung verstoße und den Erfordernissen des unionsrechtlichen Beihilfeverbots genüge41. Der X. Senat selbst sah in Übereinstimmung mit der überwiegenden Literaturauffassung keinen Verstoß gegen den Vorbehalt des Gesetzes: Insbesondere habe der Gesetzgeber die grundsätzliche Entscheidung über die Festsetzung von niedrigeren Steuern oder einen Steuererlass durch die Regelungen in § 163 AO und § 227 AO getroffen und nur die Entscheidung im Einzelfall in das Ermessen der Finanzbehörden gestellt. Das BMF habe lediglich die entscheidenden Ermessenserwägungen festgeschrieben und 35 Vgl. BMF-Schreiben v. 27.3.2003, BStBl.  I 2003, 240; ergänzt durch BMF-Schreiben v. 22.12.2009, BStBl. I 2001, 18. 36 Vgl. zur Anwendung des Sanierungserlasses auch die Verfügung der OFD Frankfurt/M. v. 7.8.2015 – S2140 A - 4 - St 213, DStR 2015, 2497. 37 Vgl. Schuster, jurisPR-SteuerR 32/2015 Anm. 2. 38 Vgl. BFH v. 14.7.2010 – X R 34/08, BStBl. II 2010, 916, FR 2010, 1099 m. Anm. Kanzler. 39 Vgl. BFH v. 28.2.2012 – VIII R 2/08, FR 2012, 693 m. Anm. Nosky/Hörner, BFH/NV 2012, 1135. 40 Vgl. BFH v. 25.4.2012 – I R 24/11, BFHE 237, 403, FR 2013, 43 m. Anm. Eilers/Bühring. 41 Vgl. BFH v. 25.3.2015 – X R 23/13, BStBl. II 2015, 696, FR 2015, 895 m. Anm. Kanzler, GmbHR 2015, 817 m. Anm. Frey/Nebelin, Az des Großen Senats: GrS 1/15.

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somit das Ermessen auf null reduziert. Die Finanzverwaltung hatte den Erlass daraufhin weiter angewendet42. 2. Beschluss des Großen Senats vom 28.11.2016 (GrS 1/2015)43 a) Entscheidung des Großen Senats des BFH Die Entscheidung des Großen Senats war ein Paukenschlag. Er kam für Viele über­ raschend und löste in hohem Maße Rechtsunsicherheit aus. Im dem am 8.2.2017 ­veröffentlichten Beschluss vom 28.11.2016 entschied der Große Senat, dass der ­Sanierungserlass wegen Verstoßes gegen den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung rechtswidrig ist. Die Kernaussagen der Entscheidung lassen sich wie folgt zusammenfassen: Der Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung (Art. 20 Abs. 3 GG, § 85 Satz 1 AO) verpflichtet die Finanzbehörden, entstandene Steueransprüche (§ 38 AO) festzusetzen und die Steuer zu erheben. Es gibt keinen im Belieben der Finanzverwaltung stehenden freien Verzicht auf Steuerforderungen; der Verzicht bedarf einer gesetzlichen Grundlage44. Die Rechtsgrundlagen für einen Steuererlass aus Billigkeitsgründen enthalten §§ 163 und 227 AO. Voraussetzung ist jeweils, dass die Festsetzung bzw. Erhebung der Steuer im Einzelfall unbillig ist45. Das Merkmal „unbillig“ unterliegt als unbestimmter Rechtsbegriff der vollen gerichtlichen Überprüfung46. Die entscheidende Frage war damit, ob die im BMF-Schreiben für einen Steuererlass aus Billigkeitsgründen aufgestellten Voraussetzungen einen Fall sachlicher „Unbilligkeit“ i.S.d. §§ 163, 227 AO darstellen47. Nach Ansicht des Großen Senats ist dies nicht der Fall, weshalb ein Erlass der Steuer auf Sanierungsgewinne gem. BMF-Schreiben nicht auf §§ 163, 227 AO gestützt werden kann. Denn eine sachliche Billigkeitsmaßnahme stellt nach ständiger Rechtsprechung immer auf den konkreten Einzelfall ab und ist atypischen Ausnahmefällen vorbehalten. Der Sanierungserlass enthält dagegen typisierende Regelungen, welche die sachliche Unbilligkeit unter den dort genannten Voraussetzungen ohne Einzelfallprüfung als gegeben unterstellen48. Auch inhaltlich handelt es sich bei durch Forderungsverzicht entstandenen Sanierungsgewinnen nicht um atypische Einzelfälle. Insbesondere beim Betriebsvermögensvergleich ist die Besteuerung eines Gewinns, der aus dem Verzicht auf eine Darlehensforderung resultiert, notwendige gesetzliche Folge dieser Gewinnermittlungsart49. 42 Vgl. OFD Frankfurt/M. v. 7.8.2015 (Fn. 36); FinMin. Schleswig-Holstein v. 9.10.2015 – VI 304 - S 2140 - 017/05, DStR 2015, 2497. 43 Vgl. BFH Großer Senat v. 28.11.2016 – GrS 1/15, BStBl. II 2017, 393, GmbHR 2017, 310 m. Anm. Hinder/Broekmann, FR 2017, 296. 44 Vgl. BFH Großer Senat v. 28.11.2016 (Fn. 43) Rz. 93. 45 Vgl. BFH Großer Senat v. 28.11.2016 (Fn. 43) Rz. 95 ff. 46 Vgl. BFH Großer Senat v. 28.11.2016 (Fn. 43) Rz. 106. 47 Vgl. BFH Großer Senat v. 28.11.2016 (Fn. 43) Rz. 110. 48 Vgl. BFH Großer Senat v. 28.11.2016 (Fn. 43) Rz. 112, 120. 49 Vgl. BFH Großer Senat v. 28.11.2016 (Fn. 43) Rz. 115.

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Dass die Erhebung von Steuern auf einen Sanierungsgewinn sachlich unbillig ist, entspricht auch nicht dem gesetzgeberischen Willen. Dieser hat mit der Aufhebung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. klar zum Ausdruck gebracht, Sanierungsgewinne zukünftig nicht mehr steuerlich privilegieren zu wollen50. Es ist daher nicht anzunehmen, dass gerade diejenigen Voraussetzungen, die bisher zur Steuerfreiheit des Sanierungsgewinns führten (Sanierungsbedürftigkeit, Sanierungsabsicht und Sanierungseignung), nach Aufhebung der relevanten Vorschrift die sachliche Unbilligkeit der Besteuerung des Sanierungsgewinns begründen51. Der Umstand, dass der Gesetzgeber Jahre später verschiedentlich zu erkennen gegeben habe, dass er den Sanierungserlass billigt oder gar für erforderlich hält, ändert hieran nichts. Es ist alleine Aufgabe des Gesetzgebers, die aufgehobene Privilegierung von Sanierungsgewinnen zu überdenken. Die Finanzverwaltung hat dagegen keine Kompetenz, vermeintlich unschlüssige Gesetzes­ änderungen durch Billigkeitsmaßnahmen zu korrigieren52. Gleiches gilt für die angeblich erforderliche Bereinigung eines „Zielkonflikts“ zwischen Steuerrecht und Insolvenzordnung53. Indem die Finanzverwaltung durch den Sanierungserlass die vom Gesetzgeber aufgehobene Steuerbegünstigung von Sanierungsgewinnen unter leicht modifizierten Bedingungen wiedereingeführt hat, wird sie in gesetzesvertretender Weise tätig. Die Schaffung von typisierenden Regelungen für einen Steuererlass außerhalb der §§ 163, 227 AO stellt eine strukturelle Gesetzeskorrektur dar, die gegen das sowohl verfassungsrechtlich (Art. 20 Abs. 3 GG) als auch einfachrechtlich (§ 85 Satz 1 AO) normierte Legalitätsprinzip verstößt54. Man mag den Großen Senats für seine Entscheidung kritisieren. Die Lektion war allerdings unmissverständlich: Auch noch so gut gemeinte wirtschafts-, arbeits-, sozialoder kulturpolitische Gründe können einen generellen Billigkeitsentscheid der Verwaltung nicht rechtfertigen. Selbst die „steuerliche Belastung zur Unzeit“ stellt ohne gesetzliche Regelung keinen Grund für eine sachliche Unbilligkeit dar. Der Gesetzgeber war damit gefordert. b) Reaktion des BMF auf den Großen Senats-Beschluss Die Finanzverwaltung reagierte umgehend mit einem BMF-Schr. v. 27.4.201755. Dieses behandelt die Anwendbarkeit des Sanierungserlasses in Bezug auf Sachverhalte, in denen der Forderungsverzicht bereits bis 8.2.2017 (Datum der Veröffentlichung des GrS-Beschlusses) vollständig erfolgt ist sowie den Umgang mit vor bzw. nach dem 8.2.2017 erteilten verbindlichen Auskünften (§ 89 Abs. 2 AO) und verbindlichen Zusagen (§§ 204 ff. AO). Auf Einzelheiten hierzu soll an dieser Stelle verzichtet werden. Daneben ordnet das BMF-Schreiben an, dass in allen „Neufällen“ nach dem 8.2.2017 50 Vgl. BFH Großer Senat v. 28.11.2016 (Fn. 43) Rz. 124. 51 Vgl. BFH Großer Senat v. 28.11.2016 (Fn. 43) Rz. 125. 52 Vgl. BFH Großer Senat v. 28.11.2016 (Fn. 43) Rz. 132. 53 Vgl. BFH Großer Senat v. 28.11.2016 (Fn. 43) Rz. 139 f. 54 Vgl. BFH Großer Senat v. 28.11.2016 (Fn. 43) Rz. 147. 55 Vgl. BMF-Schreiben v. 27.4.2017, BStBl. I 2017, 741.

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im Vorgriff auf eine gesetzliche Neuregelung Billigkeitsmaßnahmen nach §§  163, 222 AO nur noch unter Widerrufsvorbehalt vorzunehmen und Entscheidungen über den Erlass von Steuern (§ 227 AO) zurückzustellen sind. 3. Reaktion des Gesetzgebers: § 3a EStG u.a. a) Gesetzgebungsverfahren Vor dem Hintergrund eines drohenden hohen volkswirtschaftlichen Schadens hat der Gesetzgeber erfreulich schnell mit einer Neuregelung reagiert. Der Bundesrat legte dem Bundestag am 10.3.2017 im Rahmen einer Prüfbitte einen Entwurf zur gesetzlichen (Neu-)Regelung der Steuerfreiheit von Sanierungsgewinnen vor56. Der Bundestag verabschiedete einen abgeänderten Gesetzesentwurf am 27.4.201757, dem der Bundesrat am 2.6.2017 zustimmte58. Am 27.6.2017 wurde das „Gesetz gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen“ ausgefertigt, welches die neuen Regelungen zu Sanierungsgewinnen – nach der neuen Terminologie „Sanierungserträgen“  – enthält. Die Veröffentlichung im Bundesgesetzblatt erfolgte am 4.7.201759, das Inkrafttreten der Neuregelung steht jedoch unter dem Vorbehalt der beihilferechtlichen Genehmigung durch die Europäische Kommission (s. unten d). Die Geschichte der Besteuerung von Sanierungsgewinnen nimmt kein Ende: Nach Abfassen dieses Beitrags hat der BFH in gleich zwei Urteilen entschieden, dass der Sanierungserlass für die Vergangenheit nicht angewendet werden darf (BFH v. 23.8.2017 – I R 52/14, DStR 2017, 2322 und X R 38/15, DStR 2017, 2326). Damit entbehrt die Übergangsregelung des BMF-Schreibens vom 27.4.2017 einer Rechtsgrundlage. Für Sanierungsgewinne, die vor dem 9.2.2017 entstanden sind, kommt damit weder die Übergangsregelung nach dem BMF-Schreiben vom 27.4.2017 noch die neue Steuerbefreiung nach §  3a EStG n.F (siehe unten) in Betracht. Sofern der Gesetzgeber nicht erneut eingreift, bleibt Steuerpflichtigen, deren Schulden vor dem 8.2.2017 erlassen wurden und denen keine verbindliche Auskunft bzw. Zusage erteilt wurde, daher nur die Möglichkeit, beim Finanzamt einen Antrag auf Gewährung persönlicher oder anderweitiger sachlicher Billigkeitsmaßnahmen zu stellen. b) Konzeption und Funktionsweise der Neuregelungen Die Regelungen zur steuerlichen Freistellung von Sanierungserträgen finden sich im Wesentlichen in den §§  3a und 3c Abs.  4 EStG sowie §  7b GewStG. Daneben gibt es  verschiedentliche Sonderregelungen im KStG, z.B. §  8c Abs.  2 und §  15 KStG. Wie dies bis zur Abschaffung des § 3 Nr. 66 EStG a.F. bereits der Fall war, wird die Steuerfreiheit von Sanierungserträgen wieder durch eine gesetzlich normierte Steuerbefreiung erreicht. Um die befürchtete „Doppelbegünstigung“ aus Steuerfreiheit des 56 Vgl. BR-Drucks. 59/17 v. 10.3.2017, 10 ff. 57 Vgl. BR-Drucks. 366/17 v. 27.4.2017. 58 Vgl. BR-Drucks. 366/17(B) v. 2.6.2017. 59 BGBl. I 2017, 2074.

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Sanierungsertrags und fortbestehender Nutzungsmöglichkeit von Verlusten/Verlustvorträgen – Hauptgrund für die Abschaffung von § 3 Nr. 66 EStG a.F. – zu verhindern, enthält § 3a EStG zudem detaillierte Regelungen zur Minderung von Verlusten/Verlustvorträgen und anderen Steuerminderungspositionen. Nach § 3a Abs. 1 EStG ist der Sanierungsertrag steuerfrei, d.h. alle Betriebsvermögensmehrungen oder Betriebseinnahmen aus einem Schuldenerlass zum Zwecke einer unternehmensbezogenen Sanierung. § 3a Abs. 2 EStG enthält die Voraussetzungen für eine unternehmensbezogene Sanierung, die denen des Sanierungserlasses entsprechen, also Sanierungsbedürftigkeit und Sanierungsfähigkeit des Unternehmens, Sanierungseignung des Forderungsverzichts und Sanierungsabsicht der Gläubiger. Um den Sanierungsertrag zu mindern, hat das zu sanierende Unternehmen in dem Jahr, in dem ein Sanierungsertrag erzielt wird, sowie im darauffolgenden Jahr steuerliche Wahlrechte gewinnmindernd auszuüben (§  3a Abs.  1 Satz  2, 3 EStG). Sanierungskosten, die in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Sanierungsertrag stehen, sind steuerlich nicht abzugsfähig (§ 3c Abs. 4 EStG) und mindern den Sanierungsertrag (§ 3a Abs. 3 Satz 1 EStG). Der so reduzierte Sanierungsertrag mindert dann die Verluste, Verlustvorträge und weitere Steuerminderungspositionen sowohl des zu sanierenden Unternehmens als auch des (Mit-)Unternehmers. Zu begrüßen ist, dass anders als nach dem Sanierungserlass die Reihenfolge der mit dem Sanierungsertrag zu verrechnenden Positionen nun klar geregelt ist (§ 3a Abs. 3 Satz 2 Nr. 1–13 EStG). Verbleibt auch nach dieser Verrechnung ein Sanierungsertrag, so ist dieser unter bestimmten Voraussetzungen mit Steuerminderungspositionen bei nahestehenden Personen zu verrechnen. Bei Körperschaften gelten weitere Besonderheiten bei der Verrechnung des Sanierungsertrags mit Steuerminderungspositionen: § 8c Abs. 2 KStG enthält einen Vorrang des Verlustuntergangs nach § 8c Abs. 1 KStG vor der Verrechnung nach § 3a Abs. 3 EStG. Bei der Sanierung einer Organgesellschaft sieht § 15 Satz 1 Nr. 1a KStG eine gestufte Anwendung von § 3a Abs. 3 EStG zunächst auf Ebene der zu sanierenden Organgesellschaft und anschließend auf Ebene des Organträgers vor. Zu weit geht meines Erachtens die Regelung in § 15 Satz 1 Nr. 1a Satz 3 KStG: Danach ist ein auf Ebene der Organgesellschaft nach Verrechnung mit deren Steuerminderungspositionen verbleibender Sanierungsertrag selbst dann mit Verlusten/Verlustvorträgen des Organträgers zu verrechnen, wenn die Organschaft im Sanierungsjahr nicht mehr besteht, aber in einem innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem Sanierungsjahr liegenden Veranlagungszeitraum bestanden hat, ohne dass diese Verrechnung auf Verluste/ Verlustvorträge des Organträgers bis zur Beendigung der Organschaft beschränkt wird. c) Sanierungsgewinne und GewSt In der Vergangenheit waren für gewerbesteuerliche Billigkeitsmaßnahmen im Zusammenhang mit dem Sanierungserlass grundsätzlich die hebeberechtigten Gemein269

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den (§ 4 GewStG) zuständig, d.h. bei jeder einzelnen Gemeinde musste ein Antrag auf Stundung und Erlass der Steuer gestellt werden. Wegen der sich daraus ergebenden Unwägbarkeiten und zeitlichen Verzögerungen bei Sanierungsmaßnahmen wurde gefordert, die Zuständigkeit auch für die Gewerbesteuer beim Finanzamt anzusiedeln. In diesem Zusammenhang kam es zu einer Änderung des § 184 Abs. 2 Satz 1 AO durch das ZollkodexAnpG vom 22.12.2014. Ob diese Änderung tatsächlich den (gewollten) Effekt hatte, ist jedoch zweifelhaft60. Nach der Neuregelung in § 3a EStG ist die Sache klar: Denn nach § 3a EStG sind Sanierungserträge unter den dort enthaltenen Voraussetzungen materiell-rechtlich steuerfrei gestellt. Da dies gem. § 7b Abs. 1 GewStG auch für Zwecke der Gewerbesteuer gilt, ist die gewerbesteuerliche Freistellung von Sanierungserträgen im Rahmen des Gewerbesteuer-Messbescheids durch das jeweilige Finanzamt zu berücksichtigen. Eine Einbindung aller hebeberechtigten Gemeinden ist künftig nicht mehr erforderlich. Aus Sicht der Anwendungspraxis ist diese Änderung zu begrüßen. d) Anwendungsregelungen Die Neuregelungen sind grundsätzlich auf Sachverhalte anzuwenden, bei denen die Schulden ganz oder teilweise nach dem 8.2.2017 erlassen wurden (§ 52 Abs. 4a EStG, § 36 Abs. 2c GewStG). Dies gilt jedoch nicht für Fälle, in denen der Sanierungserlass (auf Basis des BMF-Schreibens vom 27.4.2017, s. oben) auf einen Schuldenerlass nach dem 8.2.2017 anwendbar ist. Hervorzuheben ist, dass das Inkrafttreten der Neuregelungen unter dem beihilferechtlichen Genehmigungsvorbehalt der Europäischen Kommission steht (s. sogleich)61. 4. Vereinbarkeit mit EU-Beihilferecht Die gesetzlichen Neuregelungen treten an dem Tag in Kraft, an dem die Europäische Kommission durch Beschluss festgestellt hat, dass die Steuerfreistellung von Sanierungserträgen entweder keine staatliche Beihilfe i.S.d. Art.  107 Abs.  1 AEUV oder jedenfalls eine mit dem Binnenmarkt vereinbare Beihilfe darstellen. Der Tag des Inkrafttretens wird vom BMF gesondert im BGBl. bekannt gemacht. Zum Zeitpunkt des Verfassens dieses Beitrags lag ein Beschluss der EU-Kommission noch nicht vor. Hintergrund für den Genehmigungsvorbehalt sind Art.  107  ff. AEUV, wonach die Mitgliedstaaten den Unternehmen Vergünstigungen („Beihilfen“) nur in bestimmten, genau geregelten Ausnahmefällen und unter Beachtung besonderer verfahrensrechtlicher Vorschriften (wozu auch der Genehmigungsvorbehalt der Kommission steht) gewähren dürfen. Die Vereinbarkeit des Sanierungserlasses mit dem unionsrechtlichen Beihilferecht war in der Literatur kontrovers beurteilt worden62. Die Frage ist 60 Vgl. Blumenberg/Neumann (Fn. 2), 191-192. 61 Vgl. Art. 6 Abs. 2 des Gesetzes gegen schädliche Steuerpraktiken im Zusammenhang mit Rechteüberlassungen vom 27.6.2017, BGBl. I 2017, 2074 (2079). 62 Zum Meinungsstand vergleiche Blumenberg, Aktuelle Entwicklung des EU-Beihilferechts im Bereich der deutschen Unternehmensbesteuerung, ifst-Schrift 516, 2017, 44-47.

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von erheblicher praktischer Bedeutung, denn unionsrechtswidrig gewährte Beihilfen müssen die Mitgliedstaaten von den begünstigten Unternehmen grundsätzlich ohne Wenn und Aber zurückfordern. Sollte die Kommission zu dem Ergebnis gelangen, dass die gesetzlichen Neuregelungen mit dem Binnenmarkt unvereinbar sind, kann dies Auswirkungen auf die beihilferechtliche Einordnung des Sanierungserlasses haben, weil die Neuregelungen im Wesentlichen die gleichen Voraussetzungen an die Steuerfreiheit von Sanierungserträgen stellen wie der Sanierungserlass. Der X. Senat kam in seinem Vorlagebeschluss noch zu dem Ergebnis, dass kein Verstoß gegen Unionsrecht vorliegt, weil der Sanierungserlass nicht bestimmte Unternehmen oder Produktionszweige begünstigt, sondern als allgemeine Maßnahme allen Unternehmen in wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu Gute kommt63. Der Große Senat setzte sich mit der Frage gar nicht auseinander, weil er dem Sanierungserlass bereits die Rechtmäßigkeit versagte. Immerhin soll die Kommission die Vereinbarkeit des Sanierungserlasses mit dem EU-Beihilferecht in einem Einzelfall geprüft und bestätigt haben. Soweit ersichtlich hat sie mit Nachricht vom 18.7.2012 dem BMF mitgeteilt, dass bei einer Prüfung des Sanierungserlasses keine Auffälligkeiten festgestellt wurden64. Hierbei handelt es sich jedoch um eine nicht veröffentlichte Entscheidung, die über den Einzelfall hinaus keine Bindungswirkung entfaltet. Es bleibt im Augenblick nur das Abwarten auf die Entscheidung der EU-Kommission.

IV. Verbindlichkeiten bei der Liquidation von Kapitalgesellschaften 1. Ausgangslage Beschließen die Gesellschafter einer Kapitalgesellschaft deren Auflösung und Liquidation65 oder wird die Liquidation im Rahmen eines Insolvenzverfahrens durch den Insolvenzverwalter betrieben, so stellt sich die Frage nach den ertragsteuerlichen Konsequenzen in Bezug auf im Abwicklungsendvermögen befindliche Verbindlichkeiten. Die körperschaftsteuerliche Behandlung der Auflösung und Liquidation von Kapitalgesellschaften ist in § 11 KStG geregelt. Vorgeschrieben ist ein spezieller Liquidationszeitraum, der drei Jahre nicht überschreiten soll. Die Gewinnermittlung für diesen Zeitraum ergibt sich durch Gegenüberstellung des Abwicklungs-Endvermögens mit dem Abwicklungs-Anfangsvermögen (§  11 Abs.  2 KStG). Das Anfangsvermögen wird aus der Liquidationseröffnungsbilanz nach den allgemeinen steuerrechtlichen Grundsätzen hergeleitet. Die Bewertung des Endvermögens richtet sich nach allge-

63 Vgl. BFH v. 25.3.2015 – X R 23/13, BStBl. II 2015, 696, Rz. 85-86, FR 2015, 895 m. Anm. Kanzler, GmbHR 2015, 817 m. Anm. Frey/Nebelin. 64 Vgl. BMF-Schreiben v. 10.8.2012 – ZKF 2013, 93. 65 Alternativ kommt die Auflösung jedoch ohne Abwicklung nach dem UmwG in Betracht, also insbesondere die Verschmelzung, Aufspaltung oder Vermögensübertragung (vgl. §§ 2, 123 Abs. 1, 174 UmwG).

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meiner Meinung nach den Regeln des BewG66. Die bilanzielle Behandlung von Schulden im Rahmen der Schlussbilanz ist nicht abschließend geklärt. Nach dem Urteil des BFH vom 23.1.2013 kann ein in der Liquidations-Endbilanz ausgewiesener Gewinn, der nicht mit Verlusten des Liquidationszeitraums des § 11 KStG ausgeglichen wird, nur nach den Regeln des § 10d EStG mit Verlustvorträgen aus der Zeit vor der Liquidationsbesteuerung verrechnet werden67. Wegen der Mindestbesteuerung (§ 10d Abs. 2 EStG) kann letztlich ein Liquidationsgewinn besteuert werden, obwohl in ausreichendem Maße Verlustvorträge vorhanden sind, die noch dazu mit Erlöschen der Körperschaft endgültig untergehen. Der I. Senat des BFH ist der Auffassung, dass die eingeschränkte Verlustnutzung nach § 10d Abs. 2 EStG im Regelfall unbedenklich ist, aber dann gegen den allgemeinen Gleichheitssatz verstoße, wenn der Verlustabzug gänzlich ausgeschlossen werde und es dann zu einer leistungsfähigkeitswidrigen Substanzbesteuerung komme68. Ob diese vom BFH gerügte „Schieflage“ zu einer partiellen Verfassungswidrigkeit des § 10d Abs. 2 EStG führt, ist allerdings noch nicht entschieden. Die Entscheidung des vom BFH angerufenen BVerfG69 bleibt abzuwarten. Zu wünschen ist eine gesetzliche Änderung allemal, damit das Prinzip der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit in der Totalperiode nicht Schaden nimmt. 2. Diskussionsstand Nach Auffassung der überwiegenden Meinung in der Literatur70 sind Verbindlichkeiten auch in der Schlussbilanz unverändert mit ihrem Nennwert auszuweisen, weil die Ermittlung des Endvermögens dem zivilrechtlichen Erlöschen des Steuerpflichtigen vorangehe und zu diesem Zeitpunkt die Verbindlichkeit noch bestehe. Der notwendigerweise zeitlich erst danach erfolgende Wegfall des Steuerpflichtigen habe für die Darstellung seines Vermögens keine Bedeutung und könne nicht im Nachhinein eine Erhöhung dieses Vermögens bewirken71. Teilweise wird argumentiert, dass die Körperschaft schon vor dem zivilrechtlichen Wegfall der Verbindlichkeit aufhöre steuerlich zu existieren, so dass in der Endbilanz keine entsprechende Verbindlichkeit auszuweisen sei72. Diese Auffassung wird allerdings abgelehnt, da sonst die Gefahr der Besteuerung von Scheingewinnen bestünde73. Wieder andere stellen darauf ab, dass mit dem Erlöschen des Steuerpflichtigen zwar zeitgleich auch die Verbindlichkeit er66 Vgl. BFH v. 14.12.1965 – I 246/62 U, BStBl. III 1966, 152; Stalbold in Gosch, KStG, 3. Aufl. 2015, § 11 KStG Rz. 67. 67 Vgl. BFH v. 23.1.2013 – I R 35/12, BStBl. II 2013, 508, FR 2013, 904, GmbHR 2013, 489 m. Anm. Bergmann. 68 Vgl. BFH v. 26.2.2014 – I R 59/12, BStBl. II 2014, 1016, GmbHR 2014, 1099, FR 2014, 1033 m. Anm. Hallerbach. 69 Az des BVerfG: 2 BvL 19/14. 70 Vgl. hierzu die Übersicht von Rogge, DB 2015, 2837. 71 Vgl. Moritz in Schnitger/Fehrenbacher, KStG, 2. Aufl. 2017, § 11 KStG Rz. 140; vgl. auch hierzu Stalbold in Gosch, § 11 KStG Rz. 72 m.w.N. 72 Vgl. Hageböke in Rödder/Herlinghaus/Neumann, KStG, 1. Aufl. 2015, § 11 KStG Rz. 78. 73 Vgl. Hageböke in Rödder/Herlinghaus/Neumann (Fn. 72), § 11 KStG Rz. 78.

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lösche, dann jedoch ein Körperschaftsteuersubjekt nicht mehr existiere74. Der BFH weist in einer Revisionsentscheidung vom 5.2.2014 darauf hin, dass nach § 12 Abs. 1 BewG die Schulden zwar im Abwicklungs-Endvermögen grundsätzlich mit ihrem Nennwert anzusetzen sind, dass aber diese Norm eine abweichende Bewertung zulässt, wenn besondere Umstände einen geringeren Wert begründen. Er hält es – ohne hierzu anschließend Stellung zu nehmen – für diskussionswürdig, eine solche Besonderheit zu bejahen, wenn aufgrund der bevorstehenden Existenzbeendigung des Schuldners die Forderung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr erfüllt wird75. Für die Ausbuchung der Verbindlichkeiten am Ende der Existenz der zu liquidierenden Körperschaft könnte demgegenüber sprechen, dass die Gläubiger ihre Forde­ rungen nicht mehr durchsetzen können, so dass mit Sicherheit feststeht, dass die Liquidationsgesellschaft die Verbindlichkeit nicht mehr erfüllen muss. Die bislang bestehende Schuld würde dann keine wirtschaftliche Belastung mehr darstellen und wäre im Abwicklungs-Endvermögen nicht mehr auszuweisen. Die Finanzverwaltung hat sich erst vor kurzem zu der Frage geäußert. Einzelheiten ergeben sich aus der Verfügung der OFD Frankfurt vom 30.6.201776: Nach Auffassung der obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder stelle alleine die Beantragung oder Zustimmung eines Gläubigers zur Liquidation einer Tochter-Kapitalgesellschaft keinen Forderungsverzicht dar. Die wirtschaftliche Belastung beim Schuldner entfalle erst, wenn bei objektiver Würdigung der Verhältnisse angenommen werden kann, dass der Gläubiger seine Forderung nicht mehr geltend machen wird77. Darüber hinaus ist eine solche Verbindlichkeit aber auch in der Liquidationsschlussbilanz auszuweisen. Dies gelte selbst dann, wenn aus dieser Schlussbilanz die Vermögenslosigkeit des Schuldners ersichtlich sei, weil die Vermögenslosigkeit als solche keinen Einfluss auf die Passivierung der Verbindlichkeit in Handels- und Steuerbilanz habe. Ohne ausdrücklich auf § 12 Abs. 1 BewG oder auf die o.g. Entscheidung des BFH vom 5.2.2014 Bezug zu nehmen, stellt die Verfügung weiter fest, dass in einem solchen Fall kein besonderer Umstand vorliege, der einen Ansatz der Verbindlichkeit mit einem unter dem Nennwert liegenden Wert begründe. Denn bei der Prüfung der wirtschaftlichen Belastung des Schuldners sei nicht auf diesen abzustellen, sondern – meines Erachtens zutreffend – darauf, ob bei objektiver Würdigung der Verhältnisse angenommen werden kann, dass der Gläubiger seine Forderung nicht mehr geltend machen wird78. Gleiches gelte in Fällen, in denen sich die Tochtergesellschaft im Insolvenzverfahren befindet bzw. nach Aufhebung der Insolvenz79.

74 Vgl. Seppelt, BB 2010, 1395 (1399). 75 Vgl. BFH v. 5.2.2014 (Fn. 28). 76 Vgl. Verfügung der OFD Frankfurt/M. v. 30.6.2017 – S 2743 A - 12 - St 525, BeckVerw 344955. 77 Vgl. OFD Frankfurt/M. (Fn. 76) Rz. 2. 78 Vgl. OFD Frankfurt/M. (Fn. 76) Rz. 3.1. 79 Vgl. OFD Frankfurt/M. (Fn. 76) Rz. 3.3.

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Für die Frage der Passivierung einer solchen Verbindlichkeit in der Liquidationsschlussbilanz spielt es nach Ansicht der OFD Frankfurt schließlich auch keine Rolle, ob für die Forderung ein qualifizierter Rangrücktritt vereinbart wurde: Sofern diese Vereinbarung die Tilgung aus sonstigem freien Vermögen vorsieht, sei der Rangrücktritt für die Rechtsfrage der (fehlenden) wirtschaftlichen Belastung unmaßgeblich. Fehle eine solche Tilgungsmöglichkeit, sei die Verbindlichkeit bereits gem. § 5 Abs. 2a EStG nicht mehr zu passivieren (s. oben II.3)80.

V. Zusammenfassung und Schluss Zusammenfassend lässt sich Folgendes festhalten: Beim Rangrücktritt hat die jüngste Rechtsprechung von BGH und BFH für Klarheit gesorgt. Bei entsprechender Formulierung ist es (weiterhin) möglich, einen Rang­ rücktritt zu vereinbaren, der die insolvenzrechtliche Überschuldung vermeidet, ohne dass die entsprechende Verbindlichkeit steuerwirksam ausgebucht werden muss. Eine Anpassung des zum Rangrücktritt ergangenen BMF-Schreibens vom 8.9.2006 an die geänderte Rechtslage wäre wünschenswert. Der Gesetzgeber hat auf den Beschluss des Großen Senats zur Rechtswidrigkeit des Sanierungserlasses erfreulich schnell reagiert. Vorbehaltlich der noch ausstehenden EU-rechtlichen Genehmigung ist die Steuerbefreiung von Sanierungsgewinnen nunmehr gesetzlich gesichert. Dies ist zu begrüßen, auch wenn der Gesetzgeber an einigen Stellen über das Notwendige hinausgegangen ist, insbesondere in Bezug auf die Vernichtung von Verlusten in bestimmten Organschaftsfällen und anderen Steuerminderungspositionen. Dass die Zuständigkeit der Finanzämter nunmehr auch die Gewerbesteuer umfasst, ist zu begrüßen. Abzuwarten bleibt allerdings, ob die EU-Kommission die gesetzlichen Neuregelungen aus beihilferechtlicher Sicht für binnenmarktkonform hält. Die Vorlage des Gesetzgebers nach Brüssel war unter den gegebenen Umständen die richtige Maßnahme. Nur so lässt sich für die Zukunft die erforderliche Rechtssicherheit wirklich erreichen. Schließlich führt die Liquidation von Körperschaften nach hier vertretener Auffassung nicht zur Ausbuchung von noch nicht erfüllten Verbindlichkeiten in der Liquidationsschlussbilanz. Generell hängt das Gelingen einer Sanierungsmaßnahme vielfach davon ab, dass mit ihr steuerliche Belastungen nicht zur Unzeit ausgelöst werden. Das deutsche Steuerrecht kann dies nicht (durchgängig) gewährleisten. Insbesondere die Mindestbesteuerung ist ein echtes Sanierungshindernis. Die Forderung nach einem praktikablen Sanierungssteuerrecht ist zwar nicht neu. Sie hat, wie dieser Beitrag zeigt, ungeachtet einiger neuerer Klärungen durch Gesetzgeber, Gerichte und Verwaltung an ihrer Aktualität und Berechtigung nichts eingebüßt.

80 Vgl. OFD Frankfurt/M. (Fn. 76) Rz. 3.2.

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Die atypisch stille Gesellschaft – eine vollwertige Mitunternehmerschaft Inhaltsübersicht

I. Problemstellung

II. Rechtsgrundlagen



V. Sonderbetriebsvermögen bei der ­atypischen GmbH & Still

III. Schenkweise Begründung des Gesellschaftsverhältnisses 1. Rechtsprechung des BGH und des BFH 2. Stellungnahme

VI. Begründung der atypisch stillen ­Beteiligung nach § 24 UmwStG

IV. Atypisch stille Gesellschaft/Unter­ beteiligung als Subjekt der Gewinn­ ermittlung und Einkünftequalifikation 1. Gewinnermittlung des Geschäftsherrn durch Bestandsvergleich 2. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG auch bei ­atypisch stiller Gesellschaft als ­Zurechnungsnorm 3. Abfärbewirkung

VIII. Umwandlung einer GmbH & Co. KG in eine GmbH & atypisch Still – Einkommensteuerlicher Formwechsel

VII. Körperschaftsteuerliche Organschaft 1. Problemstellung 2. Stellungnahme

IX. Gewerbesteuer 1. Gewerbesteuererklärungen 2. Verlustvortrag X. Fazit

I. Problemstellung Die stille Gesellschaft des Handelsgesetzbuchs kann typisch und atypisch ausgestaltet werden. Steuerrechtlich hat eine atypische Ausgestaltung zur Folge, dass die stille Gesellschaft als „andere Gesellschaft“ i.S.d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG gilt. Der stille Gesellschafter wird damit zum Mitunternehmer. Die atypisch stille Gesellschaft ist grundsätzlich wie eine normale Mitunternehmerschaft zu qualifizieren. Dies hat der BFH bereits in seinen Grundsatzurteilen festgestellt1. Gleichwohl gibt es steuerrechtlich immer wieder Besonderheiten, die daraus resultieren, dass die stille Gesellschaft eine reine Innengesellschaft ist. Diesen Besonderheiten soll im Folgenden zu ausgewählten praxisrelevanten Themen nachgegangen werden.

1 BFH v. 10.8.1994 – I R 133/93, BStBl. II 1995,171, FR 1995, 20 m. Anm. Kempermann; BFH v. 26.11.1996 – VIII R 42/94, BStBl. II 1998, 328, GmbHR 1997, 563, FR 1997, 444 m. Anm. Kempermann.

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II. Rechtsgrundlagen Zivilrechtlich handelt es sich bei der stillen Gesellschaft um eine Innengesellschaft unabhängig davon, ob sie typisch oder atypisch ausgestaltet ist. Die Einlage geht gem. § 230 Abs. 1 HGB in das Vermögen des Inhabers des Handelsgeschäfts über. Auch bei atypischer Ausgestaltung gibt es kein gemeinschaftliches Vermögen i.S.d. § 718 BGB. Der Inhaber des Handelsgeschäfts wird allein aus den abgeschlossenen Geschäften berechtigt und verpflichtet (§ 230 Abs. 2 HGB). Zivilrechtlich gelten bei atypischer Ausgestaltung partiell die für Außengesellschaften (KG, OHG) geltenden Normen2. Steuerrechtlich führt die atypische Ausgestaltung der stillen Gesellschaft – wie bereits erwähnt – dazu, dass eine Mitunternehmerschaft besteht und der atypisch still Beteiligte Mitunternehmer wird. Er erzielt Einkünfte aus Gewerbebetrieb gem. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Demgegenüber erzielt der typisch stille Gesellschafter Einkünfte aus Kapitalvermögen gem. § 20 Abs. 1 Nr. 4 EStG, es sei denn, die Begründung der stillen Beteiligung ist betrieblich oder durch eine andere Einkunftsart veranlasst3. Es gibt keine Identität handels- und steuerrechtlicher Begrifflichkeiten. Das bedeutet, dass die handelsrechtlich atypisch ausgestaltete Gesellschaft nicht zwingend steuerrechtlich zur Mitunternehmerschaft führt.

III. Schenkweise Begründung des Gesellschaftsverhältnisses Die Gründung des Gesellschaftsverhältnisses einer Außengesellschaft (KG, OHG, GbR) ist nicht formbedürftig. Das gilt gleichermaßen auch für die Gründung einer stillen Gesellschaft4. Eine Beurkundungspflicht kann sich jedoch aus der Koppelung mit einem formbedürftigen Schenkungsversprechen ergeben. Die Rechtsprechung hat bisher zwischen Innen- und Außengesellschaft unterschieden und bei der Innengesellschaft einen Vollzug durch Begründung des Gesellschaftsverhältnisses verneint. 1. Rechtsprechung des BGH und des BFH Grundsätzlich werden auch zivilrechtlich unwirksame Rechtsgeschäfte der Besteuerung zugrunde gelegt, soweit und solange die Beteiligten das wirtschaftliche Ergebnis dieses Rechtsgeschäfts eintreten und bestehen lassen5. Etwas anderes gilt bei Vereinbarungen zwischen nahen Angehörigen, insbesondere zwischen Eltern und Kindern. Wegen des insoweit fehlenden natürlichen Interessengegensatzes werden Vereinbarungen zwischen nahen Angehörigen grundsätzlich nur anerkannt, wenn sie zivil2 Vgl. z.B. BGH v. 17.12.1984 – II ZR 36/84, GmbHR 1985, 213, MDR 1985, 386, DB 1985, 480. 3 Z.B. gewerbliche Einkünfte gem. § 15 EStG oder Vermietungseinkünfte gem. § 21 EStG. 4 BFH v. 17.7.2014 – IV R 52/11, FR 2015, 76 m. Anm. Kanzler, GmbHR 2014, 1278, DStR 2014, 2111. 5 § 41 Abs. 1 Satz 1 AO.

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Die atypisch stille Gesellschaft

rechtlich wirksam sind. Sie müssen ferner klar, eindeutig und leicht nachprüfbar sein und dem entsprechen, was unter sonst gleichen Umständen auch zwischen fremden Personen vereinbart wird. Diese Rechtsgrundsätze sind auch zu beachten, wenn Vereinbarungen nicht unmittelbar zwischen Angehörigen, sondern zwischen einer Ka­ pitalgesellschaft und Angehörigen der Gesellschafter geschlossen werden und die Gesellschafter, mit deren Angehörigen die Verträge bestehen, die Gesellschaft beherrschen6. Maßgebend für die Beurteilung, ob Verträge zwischen nahen Angehörigen steuerlich anerkannt werden können, ist seit der Neuausrichtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Anschluss an den Beschluss des BVerfG vom 7.11.19957 die Gesamtheit der objektiven Gegebenheiten, so dass die fehlende zivilrechtliche Wirksamkeit allein nicht zwingend zur steuerlichen Versagung des Rechtsgeschäfts führt. Maßgebliches Beweisanzeichen für die Ernsthaftigkeit der getroffenen Vereinbarung ist aber nach wie vor, dass die Vereinbarung in einer Form abgeschlossen wird, die Zweifel an ihrer zivilrechtlichen Rechtswirksamkeit nicht aufkommen lässt8. Ist Gegenstand des Schenkungsversprechens die Einlage in eine stille Gesellschaft, so erstreckt sich die Formbedürftigkeit des Schenkungsversprechens auch auf den Gesellschaftsvertrag9. Ist danach der Schenkungs- und Gesellschaftsvertrag gem. § 518 Abs. 1 Satz 1 BGB formbedürftig und ist die notarielle Beurkundung nicht eingehalten worden, so ist zu prüfen, ob der bestehende Formmangel nach § 518 Abs. 2 BGB durch die Bewirkung der versprochenen Leistung geheilt worden ist. Bei einer Außengesellschaft, z.B. einer KG, reicht die Aufnahme in die Gesellschaft hierfür aus. Bei einer Innengesellschaft hat der BGH das bisher anders gesehen oder doch zumindest Zweifel geäußert. Er begründet diese Zweifel mit dem Wesen der Innengesellschaft und dem fehlenden Gesellschaftsvermögen. Das Wesen der Innengesellschaft bestehe darin, dass nur ein Gesellschafter das Vermögen des betriebenen Geschäfts inne habe und er dem anderen Gesellschafter nach Maßgabe des Gesellschaftsvertrags lediglich schuldrechtlich verpflichtet sei. Gehe seine Verpflichtung dahin, den anderen an seinem Vermögen zu beteiligen, so solle es nach dem Parteiwillen gerade nicht zu einer Vermögensübertragung kommen; die Zusage solle sich vielmehr in einer schuldrechtlichen Verpflichtung erschöpfen. Das reiche für einen Schenkungsvollzug nicht aus. Diese Auffassung hat der BGH10 jedenfalls für eine Unterbeteiligung aufgegeben, bei der dem Unterbeteiligten mitgliedschaftliche Mitwirkungsrechte an der Geschäftsführung der Innengesellschaft eingeräumt wurden, z.B. in Form eines Zustimmungserfordernisses des Unterbeteiligten für Handlungen, die über gewöhnliche Entscheidungen i.S.d. § 116 Abs. 1, 2 HGB hinausgingen. In diesem Fall erschöpfe sich die Unterbeteiligung nicht nur auf schuldrechtliche Ansprüche gegen den zuwendenden 6 BFH v. 17.7.2014 – IV R 52/11, FR 2015, 76 m. Anm. Kanzler, GmbHR 2014, 1278, DStR 2014, 2111. 7 Beschluss des BVerfG vom 7.11.1995  – 2 BvR 802/90 unter B.I.2, BStBl.  II 1996, 34, FR 1996, 18 m. Anm. Pezzer, FamRZ 1996, 153. 8 BFH v. 12.9.2016 – IV R 27/13, BFH/NV 2016, 1559. 9 BFH v. 17.7.2014 – IV R 52/11, FR 2015, 76 m. Anm. Kanzler, GmbHR 2014, 1278, DStR 2014, 2111; v. 14.5.2003 – X R 14/99 – BFH/NV 2003, 1547. 10 BFH v. 29.11.2011 – II ZR 306/09, BGHZ 191, 354, MDR 2012, 419, FamRZ 2012, 537.

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Hauptbeteiligten, sondern es würden mitgliedschaftliche Rechte eingeräumt, durch die er Einfluss auf die Innengesellschaft nehmen könne. Das rechtfertige die Annahme, dass die unentgeltliche Zuwendung einer derartigen Beteiligung an einer Innengesellschaft ebenso wie die unentgeltliche Einräumung einer Beteiligung an einer Außengesellschaft mit dem Abschluss des Gesellschaftsvertrags als vollzogen i.S.d. § 518 Abs. 2 BGB anzusehen sei. Mit Urteil vom 17.7.2014 hatte sich der BFH11 mit der Frage zu beschäftigen, ob die Gründung einer atypisch stillen Gesellschaft zivilrechtlich wirksam zustande gekommen ist. Im Urteilsfall trat der Vater einen Darlehensanspruch, der ihm gegen die von ihm zu  100  % beherrschte GmbH zustand an seine Tochter unentgeltlich ab. Die Tochter sollte mit dem abgetretenen Anspruch ihre Einlageverpflichtung aus einer gleichzeitig zwischen GmbH und Tochter errichteten (atypisch) stillen Gesellschaft erfüllen, und zwar durch Verrechnung mit der GmbH. Tochter T nahm die Schenkung an, die GmbH stimmte zu. Gesellschaftsvertrag und Abtretungsvertrag waren nur privatschriftlich geschlossen worden. M Abtretung 100 %

Darlehen

GmbH

atypische stille Beteiligung

T

Einlage T: Abtretung des Darlehensanspruchs des M gegen GmbH iHv 5.000 Euro an T und Verrechnung des abgetretenen Darlehensanspruchs mit Einlageverpflichtung der T.

Der BFH folgt hier der Entwicklung der Zivilrechtsprechung. Er geht davon aus, dass die dort entwickelten Rechtsprechungsgrundsätze nicht nur für den Fall einer atypischen Unterbeteiligung, sondern ebenso für den Fall einer atypisch stillen Gesellschaft gelten. Er hat daher in dem Urteilsfall einen Vollzug der Schenkung i.S.d. § 518 Abs. 2 BGB mit Rücksicht darauf bejaht, dass der atypisch still Beteiligten Mitgliedschaftsrechte (Stimmrechte) eingeräumt worden sind, die über ein Geflecht schuldrechtlicher Ansprüche hinaus gingen und einen Vollzug i.S.d. § 518 Abs. 2 BGB rechtfertigten.

11 BFH v. 17.7.2014 – IV R 52/11, BFHE 246, 349, FR 2015, 76 m. Anm. Kanzler, GmbHR 2014, 1278, DStR 2014, 2111.

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2. Stellungnahme Die Rechtsprechung des BFH ist zu begrüßen. Sie führt dazu, dass die atypisch stille Gesellschaft steuerrechtlich der Außengesellschaft gleichgestellt wird. Denn auch bei Kommanditgesellschaft und OHG ist anerkannt, dass durch die Einräumung der Gesellschafter-/Mitunternehmerstellung eine Schenkung als vollzogen gilt und damit nicht der notariellen Beurkundung bedarf. Durch die Umbuchung der Einlage auf das Kapitalkonto wird bei KG und OHG die Schenkung bewirkt und ein etwaiger Formmangel gem. § 518 Abs. 2 BGB geheilt12. Gleiche Grundsätze müssen auch für die Innengesellschaft, die als Mitunternehmerschaft ausgestaltet ist, gelten. § 518 Abs. 2 BGB lautet: „Der Mangel der Form wird durch die Bewirkung der versprochenen Leistung geheilt.“ Steuerrechtlich geht es um die Frage, ob die Steuerpflichtigen das Vereinbarte ernstlich gewollt haben. Dabei ist die zivilrechtliche Wirksamkeit nach der Rechtsprechung des BVerfG ein Indiz. Dieses Indiz wirkt umso stärker als den Beteiligten der Mangel der Form, z.B. bei Verträgen mit Minderjährigen13, erkennbar war. Die Bedeutung des Indizes muss aber unter folgendem Gesichtspunkt relativiert werden: Zivilrechtlich geht es um die Einräumung einer Gesellschafterstellung als stiller Gesellschafter. Kann eine Gesellschafterstellung festgestellt werden, ist die Schenkung vollzogen. Steuerrechtlich geht es um die Begründung der Mitunternehmerstellung. Für das Steuerrecht sollte daher maßgebend sein, ob der atypisch still Beteiligte Mitunternehmerinitiative entfalten kann und Mitunternehmerrisiko trägt. Dies prüft der BFH in seinem Urteil vom 17.7.201414 nicht näher. So hat der BFH in anderem Zusammenhang entschieden, dass es an der erforderlichen Mitunternehmerinitiative fehlt, wenn der Beschenkte sich bei keiner Abstimmung in der Gesellschaft durchsetzen kann15. Dieser Aspekt wird in der Entscheidung des BFH vom 17.7.2014 nicht problematisiert. Ebenfalls wird in dem Urteil vom 17.7.2014 der Aspekt vernachlässigt, ob der atypisch still Beteiligte auch Mitunternehmerrisiko übernimmt. Mitunternehmerrisiko verlangt, dass der atypisch still Beteiligte vor allen Dingen an den stillen Reserven beteiligt sein muss16. In der Literatur17 werden die Grundsätze der BFH-Entscheidung zum Schenkungsvollzug auch auf die typisch stille Gesellschaft übertragen. Dies hat der BFH18 offen gelassen. Tragend war für den BFH die Vermittlung von Mitgliedschaftsrechten, die bei typischer Ausgestaltung der Innengesellschaft gerade fehlt. Die in der Literatur vertretene Auffassung kann sich daher nicht auf das Urteil des BFH v. 17.7.2014 stützen.

12 BGH v. 24.9.1952 – II Z R 136/51, BGHZ 7, 179; BMF v. 8.12.1975, BB 1976, 21. 13 BFH v. 12.5.2016 – IV R 27/13, BFH/NV 2016, 1559. 14 Vgl. oben Fn. 10. 15 BFH v. 11.10.1988 – VIII R 328/83, BStBl. II 1989, 762, FR 1989, 307, GmbHR 1989, 264. 16 Vgl. i.e. Wacker in Schmidt, 36. Aufl. 2017, § 15 EStG Rz. 343 m.w.N. 17 Wacker in Schmidt, 33.  Aufl. 2014, §  15 EStG Rz.  773; vgl. auch Urteil des FG Rheinland-Pfalz v. 31.1.2013 – 5 K 2009/10, EFG 2013, 835. 18 BFH v. 17.4.2014 – IV R 52/11 Rz. 25.

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IV. Atypisch stille Gesellschaft/Unterbeteiligung als Subjekt der ­Gewinnermittlung und Einkünftequalifikation Die Anwendung der Mitunternehmerbesteuerung auf die atypisch stille Gesellschaft bereitet insofern Schwierigkeiten als es zivilrechtlich an einem Gesamthandsvermögen fehlt. Dieser „Mangel“ muss steuerrechtlich überspielt werden. Das steuerliche Betriebsvermögen der atypisch stillen Gesellschaft wird aus dem Betriebsvermögen des Inhabers des Handelsgeschäfts (Geschäftsinhaber) abgeleitet, in dem die Einlage des stillen Gesellschafters nicht mehr wie in der Handelsbilanz als Verbindlichkeit abgezogen, sondern als Einlage behandelt wird. Dem Geschäftsinhaber und dem atypisch stillen Gesellschafter wird das Vermögen im Verhältnis ihrer Beteiligungswerte zugerechnet. Der Geschäftsinhaber hält sein Vermögen nun nach Maßgabe der Gemeinschaftsordnung. Das Ergebnis ist dann der Verteilung des Gesellschaftsvermögens einer Personengesellschaft, die gesamthänderisch gebundenes Vermögen besitzt, vergleichbar. Hinzu kommen die Ergebnisse aus Ergänzungs- und Sonderbilanzen. Die Finanzverwaltung verlangt keine Gewinnermittlung im Wege einer Gesamtbilanz, sondern eine additive Gewinnermittlung der Ergebnisse der Steuerbilanz und der Ergebnisse aus Ergänzungs- und Sonderbilanzen des atypisch Stillen19. Der BFH hat die Gleichstellung des Betriebsvermögens des Geschäftsinhabers als fiktives Gesamthandsvermögens in neuerer Rechtsprechung noch einmal bestätigt. Die Rechtsprechung spricht insoweit von einer Gleichbehandlung des Gesellschaftsvermögens des Inhabers mit dem Gesamthandsvermögen einer Außengesellschaft. Der Geschäftsinhaber hat in seiner eigenen Steuerbilanz nur noch die Beteiligung an der Mitunternehmerschaft im Rahmen der Spiegelbildmethode auszuweisen. Dieses Ergebnis scheint nach Levedag20 auf den ersten Blick absurd, es ist jedoch nur die konsequente Fortsetzung der Gewinnermittlungssubjektfiktion und des Gleichbehandlungsgrundsatzes, der aus § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG abgeleitet wird. Exemplarisch sei dies an zwei Fällen erörtert: 1. Gewinnermittlung des Geschäftsherrn durch Bestandsvergleich Mit Urteil vom 25.6.201421 hatte sich der BFH mit einer Steuerspargestaltung zu beschäftigen, die darauf abzielt, Edelmetalle zu erwerben und die Anschaffungskosten hierfür sofort als Betriebsausgaben gem. § 4 Abs. 3 EStG abzuziehen. Der Stpfl. beteiligte sich hierzu an einer ausländischen (im Streitfall: österreichischen) GmbH als atypischer stiller Gesellschafter. Der in Österreich erzielte Verlust sollte bei der Bemessung des inländischen Steuersatzes im Wege des negativen Progressionsvorbehalts berücksichtigt werden. Der Gesetzgeber hat zur Einschränkung der Modelle bereits §  32b Abs.  2 Satz  1 Nr.  2 Buchst.  c EStG und §  15b Abs.  3 EStG geändert.

19 Z.B. OFD Erfurt v. 23.10.2003, FR 2003, 1299 (1300). 20 Levedag in Blaurock, Handbuch der stillen Gesellschaft, 6. Aufl. 2003, Rz. 22.32. 21 BFH v. 25.6.2014 – I R 24/13, BFHE 246, 404, BStBl. II 2015, 141, FR 2015, 330 m. Anm. Kanzler, ISR 2014, 891 m. Anm. Richter/John, GmbHR 2014, 1328, DB 2014, 2569.

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Gleichwohl sind die Aussagen des BFH interessant für die Gewinnermittlung bei atypisch stiller Gesellschaft. A D A

GmbH

atypisch stille Gesellschaft

– Beteiligung des A atypisch Still mit 15,6 Mio Euro – GmbH handelt mit Edelmetallen – Gewinnermittlung GmbH durch Bestandsvergleich – Verlust 1.022.000 Euro – Verlustanteil A 1.006.000 Euro – A erklärt in Anlage AUS steuerfreie gewerbliche Verluste iHv 15,6 Mio Euro gem. § 32 b EStG – ermittelt durch Einnahmeüberschussrechnung nach § 4 Abs. 3 EStG

Die österreichische GmbH ermittelte ihren Gewinn durch Bestandsvergleich. Die vom Stpfl. (hier: A) begehrte Gewinnermittlung durch Überschussrechnung gem. § 4 Abs. 3 EStG lehnt der BFH ab. Nach § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG – so der BFH – können Steuerpflichtige (nur dann) den Gewinn als Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben ansetzen, wenn sie – erstens – nicht aufgrund gesetzlicher Vorschriften verpflichtet sind, Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu machen, und – zweitens – auch keine Bücher führen und keine Abschlüsse machen. Im Falle einer (mitunternehmerischen) atypisch stillen Beteiligung eines im Inland ansässigen Gesellschafters an einer österreichischen Kapitalgesellschaft, die im Inland über keine Betriebsstätte verfügt, jedoch aufgrund gesetzlicher Vorschriften (nämlich des österreichischen Rechts) verpflichtet ist, Bücher zu führen und regelmäßig Abschlüsse zu machen, oder die dies freiwillig tut, sei der atypisch stille Gesellschafter nicht befugt, seinen Gewinn aus der Beteiligung nach Maßgabe von § 4 Abs. 3 Satz 1 EStG als Überschuss der Betriebseinnahmen über die Betriebsausgaben anzusetzen. Die Gesamtbilanz der atypisch stillen Gesellschaft (Mitunternehmerschaft) sei aus der Handels- und Steuerbilanz ihres Geschäftsinhabers (Kapitalgesellschaft) abzuleiten. Es tritt also eine weitere – fiktive – Gesamtbilanz der atypisch stillen Gesellschaft (Mitunternehmerschaft) hinzu. Demgemäß seien alle Mitunternehmer einer einheitlichen Gewinnermittlung auf der Grundlage eines Betriebsvermögensvergleichs unterworfen. Diese Auffassung hat der BFH in einer weiteren Entscheidung22 bestätigt. Der BFH lässt offen, ob die Buchführungspflicht der österreichischen GmbH auch aus § 140 AO in Verbindung mit dem

22 BFH v. 10.12.2014 – I R 3/13, DStR 2015, 629, IStR 2015, 253, GmbHR 2015, 437.

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österreichischen Handelsrecht herzuleiten sei. Jedenfalls habe die österreichische GmbH freiwillig einen Vermögensvergleich angestellt. Stellungnahme: Der Auffassung des BFH ist zuzustimmen. Sie liegt auf der Linie der Entscheidungen des IV. Senats23 und des VIII. Senats, die für die Mitunternehmerschaft – egal ob Außen- oder Innengesellschaft  – eine partielle Steuersubjektqualität bejahen, was die Einkünftequalifikation und deren Einkünfteermittlung angeht. Atypische Innengesellschaft und Außengesellschaft werden insoweit gleichbehandelt. Das gilt auch für den grenzüberschreitenden Fall (hier: Outbound-Investition). Die Frage, ob der (ausländische) Bestandsvergleich der GmbH den inländischen Gesellschafter an einer Gewinnermittlung durch Überschussrechnung hindert, wird vom BFH bejaht und entspricht dem Wortlaut des §§ 4 Abs. 3 Satz 1 EStG. Dem wird entgegengehalten, dass die atypisch stille Gesellschaft als solche einer autonomen steuerlichen Gewinn­ ermittlung unterliege. Dogmatisch sei es daher zu kurz gegriffen, wenn hier ohne weiteres an die Handelsbilanz des Geschäftsinhabers angeknüpft und aus dieser die Gesamtbilanz der atypisch stillen Gesellschaft abgeleitet werde24. Fischer25 verweist dazu auf das Urteil der Vorinstanz26, das gezeigt habe, dass man im Streitfall zu einer Anwendbarkeit des § 4 Abs. 3 EStG kommen könne, da es an den Voraussetzungen des § 141 AO fehle. Für die GmbH atypisch Still bedeutet die Rechtsprechung des BFH, dass der atypisch still beteiligte Gesellschafter seinen Gewinn immer durch Betriebsvermögensvergleich ermitteln muss, weil insoweit die Gewinnermittlung durch die GmbH maßgebend ist. 2. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG auch bei atypisch stiller Gesellschaft als ­Zurechnungsnorm Die konsequente Gleichbehandlung der Mitunternehmerschaft, die auf einer Innengesellschaft beruht, mit einer Mitunternehmerschaft, die auf einer Außengesellschaft beruht, zeigt sich auch an dem Urteil des BFH vom 26.11.199627. Der BFH hat dort festgestellt, dass die Grundsätze zur einkommensteuerrechtlichen Behandlung von Schwesterpersonengesellschaften auch gelten, wenn die leistende Gesellschaft eine gewerblich geprägte atypisch stille Gesellschaft ist.

23 BFH v. 15.10.1998 – IV R 18/98 BStBl. II 1999, 286, FR 1999, 262, GmbHR 1999, 193; v. 23.4.2009 – IV R 73/06 BStBl. II 2010, 40, FR 2009, 1135 m. Anm. Kanzler. 24 Zur Kritik vgl. i.e. Kleinheisterkamp in Arbeitsbuch der Fachanwälte für Steuerrecht 2015, 371 ff., jeweils m.w.N.; Hennrichs, DStR 2015, 1420; Blumenberg, Arbeitsbuch der Fachanwälte für Steuerrecht, 2015, 315 ff. 25 Vgl. Fn. 8. 26 FG Nürnberg v. 28.2.2013 – 6K 875/11, EFG 2013, 1018. 27 BFH v. 26.11.1996 – VIII R 42/94, BStBl. II 1998, 328, GmbHR 1997, 563, FR 1997, 444 m. Anm. Kempermann.

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Der Sachverhalt war folgender: An der X-GmbH  & Co. KG waren insgesamt 103 Kommanditisten beteiligt, daneben eine BS-GmbH als Komplementärin mit 0 % und ohne Gewinnbeteiligung. 38 Kommanditisten hielten daneben die Beteiligung an der CA GmbH, an der sie sich auch atypisch still beteiligten. Die Konstruktion einer atypisch stillen Gesellschaft war gewählt worden, weil für den zusätzlichen Kapitalbedarf der X GmbH & Co. KG nicht alle Kommanditisten aufkommen wollten und die dieses Kapital bereitstellenden 38 Kommanditisten die Sonderabschreibung nach dem Investitionszulagengesetz für die mit ihren Mitteln angeschafften Wirtschaftsgüter für sich beanspruchten. Die Wirtschaftsgüter wurden von der CA GmbH angeschafft und an die X-GmbH & Co. KG vermietet. Die X  GmbH  & Co. KG machte Sonderabschreibung auf die gemieteten Wirtschaftsgüter geltend mit der Begründung, dass diese zu ihrem Sonderbetriebsvermögen der 38 Kommanditisten gehörten, die an der atypisch stillen Gesellschaft beteiligt waren.

103 Kommanditisten

BS-GmbH

38 Kommanditisten CA-GmbH

Atypisch stille Gesellschaft

X-GmbH & Co. KG

Vermietung WG

Der BFH hat in dem Urteilsfall die Wirtschaftsgüter der atypisch stillen Gesellschaft und nicht dem Sonderbetriebsvermögen der 38 Kommanditisten zugerechnet, die zugleich an der CA GmbH, der atypisch stillen Gesellschaft und der X GmbH & Co. KG beteiligt waren. Hierzu der BFH: „ Zwar führt bei einer (atypisch) stillen Gesellschaft die Geschäfte im Außenverhältnis zu den Teilnehmern am Rechtsverkehr nur der tätige Gesellschafter; im zivilrechtlichen Sinne gibt es daher eine Tätigkeit der stillen Gesellschaft nicht. Im Innenverhältnis zu den atypisch stillen Gesellschaftern führt der tätige Gesellschafter die Geschäfte jedoch für alle Gesellschafter entsprechend der für sie geltenden Gemeinschaftsordnung; sie sind deshalb entsprechend dieser Gemeinschaftsordnung auch allen Gesellschaftern einheitlich zuzurechnen. Auf dieses Innenverhältnis stellt das Einkommensteuerrecht in § 15 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 3 EStG ab. So betrachtet wird auch eine atypisch stille Gesellschaft im Sinne dieser Regelungen gewerblich tätig.“

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3. Abfärbewirkung Ist eine Kapitalgesellschaft tatsächlich nicht gewerblich tätig, hat sie kraft Rechtsform gleichwohl Einkünfte aus Gewerbebetrieb28. Strittig ist bisher, ob auch der atypisch stille Gesellschafter, der sich an einer solchen Kapitalgesellschaft atypisch still beteiligt, Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt, wenn § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG, also die Voraussetzungen der gewerblichen Prägung, nicht erfüllt sind. Die neuere BFH Rechtsprechung29 bestätigt noch einmal, dass die atypisch stille Gesellschaft Subjekt der Gewinnermittlung und Einkünftequalifikation ist. Das hat zwangsläufig zur Folge, dass dann, wenn die Voraussetzungen der gewerblichen Prägung nicht vorliegen und der Geschäftsinhaber, z.B. eine Kapitalgesellschaft, vermögensverwaltend tätig ist, die atypisch stille Gesellschaft keine gewerblichen Einkünfte vermittelt30. Eine etwaige Umqualifizierung der als vermögensverwaltend zu qualifizierenden Einkünfte erfolgt erst – wie bei einer Zebragesellschaft – auf der Ebene der beteiligten Mitunternehmer (GmbH, natürliche Person) durch das zuständige Veranlagungsfinanzamt und nicht bereits in der einheitlichen und gesonderten Feststellung für die atypisch stille Gesellschaft31. Gleiche Grundsätze gelten für den Fall, dass nur ein Unternehmensteil der GmbH, an dem eine atypisch stille Gesellschaft begründet wird, vermögensverwaltend tätig ist32.

V. Sonderbetriebsvermögen bei der atypischen GmbH & Still Nach herrschender Meinung kann der Inhaber des Handelsgeschäfts kein Sonderbetriebsvermögen bilden, da sein gesamtes Betriebsvermögen als fiktives Gesamthandsvermögen der atypisch stillen Gesellschaft zuzurechnen ist33. Für die partielle stille Beteiligung, also die Beteiligung an einzelnen Unternehmensteilen, wird dagegen die Möglichkeit von Sonderbetriebsvermögen des Geschäftsinhabers bejaht34. In der Literatur wird zum Teil die Auffassung vertreten, dass die im Eigentum des Geschäftsinhabers stehenden Wirtschaftsgüter insgesamt zu seinem Sonderbetriebsvermögen im Rahmen der atypisch stillen Gesellschaft gehören35. Die Argumentation der herrschenden Meinung, die Sonderbetriebsvermögen des Geschäftsherrn ablehnt, ist nicht zwingend. Strebt man eine Gleichstellung mit der Außengesellschaft an, so muss es auch möglich sein, dass der Geschäftsinhaber z.B. aus einem weiteren von ihm unterhaltenen Einzelunternehmen, Wirtschaftsgüter auf eigene Rechnung an die aty28 § 8 Abs. 2 KStG. 29 Vgl. oben BFH v. 25.6.2014 – I R 24/13, BStBl. II 2015, 141, FR 2015, 330 m. Anm. Kanzler, ISR 2014, 414 m. Anm. Richter/John, GmbHR 2014, 1328. 30 A.A. Reiß in Kirchhof, 13. Aufl. 2014, § 15 EStG Rz. 192. 31 Levedag in Blaurock, Handbuch der stillen Gesellschaft, 6. Aufl. 2003, Rz. 22.18. 32 Wichmann, DStZ 2014, 442 (447); Levedag in Blaurock, Handbuch der stillen Gesellschaft, 6. Aufl. 2003, Rz. 22.17. 33 BFH v. 2.5.1984 – VIII R 276/81, BStBl. II 1984, 820; Levedag in Blaurock, Handbuch der stillen Gesellschaft, 6. Aufl. 2003, Rz. 22.41; Reiß in Kirchhof, § 15 EStG Rz. 195. 34 Levedag in Blaurock, Handbuch der stillen Gesellschaft, 6. Aufl. 2003, 22.41 m.w.N. 35 Schulze zur Wiesche, DStZ 2014, 719.

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pisch stille Gesellschaft überlässt. Die Bilanzierungskonkurrenz ist dann mit Rücksicht auf § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG zugunsten der atypisch stillen Gesellschaft zu lösen und das Wirtschaftsgut dem Sonderbetriebsvermögen I des Geschäftsinhabers zuzurechnen. Überlässt nicht der Geschäftsinhaber, sondern der atypisch still Beteiligte dem Inhaber des Handelsgeschäfts Wirtschaftsgüter zur Nutzung, so gehören diese unstreitig zum Sonderbetriebsvermögen des atypisch still Beteiligten36. Ist der stille Gesellschafter einer GmbH & atypisch Still zugleich an der GmbH beteiligt, stellt sich die Frage, ob der Anteil an der GmbH zu seinem Sonderbetriebsvermögen II bei der GmbH und atypisch Still gehört. Der BFH hat bisher eine Parallelwertung zur Beteiligung an der Komplementär-GmbH bei einer GmbH  & Co. KG vorgenommen. Inzwischen hat sich die Rechtsprechung des BFH zur Beteiligung an einer Komplementär-GmbH weiter entwickelt. Danach ist die Minderheitsbeteiligung eines Kommanditisten an der geschäftsführungsbefugten Komplementär-GmbH von weniger als 10 % nicht dem Sonderbetriebsvermögen II zuzuordnen, wenn – ausgehend vom gesetzlich normierten Regelfall  – in den Angelegenheiten der Gesellschaft die Abstimmung nach der Mehrheit der abgegebenen Stimmen erfolgt. Dies gilt auch, wenn die Komplementär-GmbH außergewöhnlich hoch am Gewinn der KG beteiligt ist. Diese Weiterentwicklung der Rechtsprechung ist im Interesse mit der Gleichbehandlung einer Außengesellschaft auch auf die Beteiligung an einer GmbH im Rahmen einer GmbH atypisch Still zu übertragen37.

VI. Begründung der atypisch stillen Beteiligung nach § 24 UmwStG Der BFH geht davon aus, dass bei Begründung einer atypisch stillen Beteiligung der Geschäftsherr seinen Betrieb nach den Grundsätzen des § 24 UmwStG in die atypisch stille Gesellschaft einbringt. Der BFH38 wörtlich: „Die Entstehung einer atypisch stillen Gesellschaft ist ertragsteuerlich also insoweit wie eine Einbringung des Betriebs des Inhabers des Handelsgewerbes in die stille Gesellschaft i.S.d. §  24 UmwStG zu würdigen.“ Handelt es sich beim Inhaber des Handelsgewerbes, an dem sich ein anderer atypisch still beteiligt, um eine Personengesellschaft, entsteht durch die Errichtung der stillen Gesellschaft eine doppelstöckige Personengesellschaftsstruktur mit der Personengesellschaft als Obergesellschaft und der atypisch stillen Gesellschaft als Untergesellschaft. Handelt es sich bei dem Inhaber des Handelsgewerbes um eine Kapitalgesellschaft, an dem sich ein anderer atypisch still beteiligt, entsteht eine Mitunternehmerschaft bestehend aus der Kapitalgesellschaft und dem atypisch Still beteiligten Gesellschafter. Die Voraussetzungen des § 24 UmwStG prüft der BFH im einzelnen nicht. In der Literatur wird ebenfalls anerkannt, dass aufnehmende Personengesellschaft i.S.d. § 24 36 BFH v. 2.5.1984 – VIII R 276/81, BStBl. II 1984, 820. 37 Demuth, KÖSDI, 19483, 19489. 38 BFH v. 8.12.2016 – IV R 8/14, BStBl. II 2017, 538.

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Abs. 1 UmwStG auch eine atypisch stille Gesellschaft sein kann. Es reicht auch aus, wenn erst durch die Einbringung eine Mitunternehmerschaft entsteht39. Nach dem Wortlaut des § 24 UmwStG ist es erforderlich, dass ein Betrieb, Teilbetrieb oder ein Mitunternehmeranteil in eine Personengesellschaft eingebracht und der Einbringende Mitunternehmer der Gesellschaft wird. Es besteht Einigkeit darüber, dass mit dem Begriff „Personengesellschaft“ i.S.d. §  24 UmwStG eine Mitunternehmerschaft gemeint ist. Die atypisch stille Gesellschaft ist unstreitig eine Mitunternehmerschaft. Die Verwaltung erkennt an, dass die Voraussetzungen des § 24 UmwStG erfüllt sind, wenn ein Gesellschafter in ein Einzelunternehmen gegen Geldeinlage oder Einlage anderer Wirtschaftsgüter aufgenommen wird. Aus Sicht des § 24 UmwStG bringt dabei der Einzelunternehmer seinen Betrieb in die neu entstehende Personengesellschaft ein40. Diese Grundsätze gelten auch für die atypisch stille Gesellschaft. Da die atypisch stille Gesellschaft nicht über Gesamthandsvermögen verfügt und es zivilrechtlich auch nicht zu einem Rechtsträgerwechsel kommt, reicht es aus, wenn das Vermögen der atypisch stillen Gesellschaft zugerechnet wird. Sieht man die Voraussetzungen des § 24 UmwStG als gegeben an, ist zu beachten, dass die Einbringung des Betriebs des Geschäftsherrn nach der gesetzlichen Regelung des § 24 Abs. 2 Satz 1 grundsätzlich mit dem gemeinen Wert zu bewerten ist. Eine Buchwerteinbringung kommt nur auf ausdrücklichen Antrag in Betracht. Der Antrag ist gem. § 24 UmwStG i.V.m. § 20 Abs. 2 Satz 3 UmwStG spätestens bis zur erstmaligen Abgabe der steuerlichen Schlussbilanz bei dem für die Besteuerung der übernehmenden Gesellschaft zuständigen Finanzamt zu stellen. Schlussbilanz in diesem Sinne ist die Bilanz, in der das übernommene Betriebsvermögen erstmals anzusetzen ist. Das übernommene Betriebsvermögen ist in der Regel der Betrieb des Geschäftsherrn und die Einlage des atypisch still Beteiligten. Deshalb wird man auf die Bilanz abstellen müssen, in der erstmals die stille Einlage des atypisch still Beteiligten als Eigenkapital (und nicht als Verbindlichkeit) ausgewiesen wird. Das Wahlrecht zur Buchwertfortführung steht der aufnehmenden Personengesellschaft bzw. Mitunternehmerschaft, hier der atypisch stillen Gesellschaft, zu, die durch den Geschäftsherrn vertreten wird.

VII. Körperschaftsteuerliche Organschaft 1. Problemstellung Es ist seit langem heftig umstritten, ob eine GmbH  & atypisch Still Organträgerin oder Organ im Rahmen einer körperschaftsteuerlichen Organschaft sein kann41. Höchstrichterliche Rechtsprechung liegt hierzu noch nicht vor. Die Verwaltung hatte sich dazu z.B. durch Verfügung der OFD Frankfurt42 geäußert. Sie lehnt die Organträgereigenschaft ab mit dem Hinweis, dass nach § 14 Abs. 1 Satz 1 39 BFH v. 8.12.2016 – IV R 8/14, BStBl. II 2017, 538, GmbHR 2017, 326, FR 2017, 693 m. Anm. Nöcker. 40 BMF v. 11.11.2011 (Umwandlungssteuererlass) Rz. 01.47 unter aa. 41 Vgl. dazu ausführlich mit zahlreichen Nachweisen Hageböke, Der Konzern 2013, 334 ff. 42 V. 30.1.2013.

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Nr. 2 Satz 3 KStG die Voraussetzungen der finanziellen Eingliederung „im Verhältnis zur Personengesellschaft selbst erfüllt sein“ müssten. Dies erfordere, dass zumindest die Anteile, die die Mehrheit der Stimmrechte an der Organgesellschaft vermittelten, im Gesamthandsvermögen der Personengesellschaft gehalten werden müssten. Da die GmbH & atypisch Still zivilrechtlich als Innengesellschaft über kein Gesamthandsvermögen verfüge, könnten die Voraussetzungen der finanziellen Eingliederung nicht erfüllt werden43. Auch die Eigenschaft als Organ kann nach Verwaltungsauffassung die GmbH & atypisch stille Gesellschaft nicht erfüllen. Voraussetzung für die Organschaft sei u.a., dass die Organgesellschaft sich nach § 17 Abs. 1 Satz 2 KStG durch einen Gewinnabführungsvertrag verpflichte, „ihren ganzen Gewinn an ein einziges anderes gewerbliches Unternehmen abzuführen.“ Bestehe aber an einer Organgesellschaft eine atypisch stille Beteiligung, sei diese nicht in der Lage, ihren gesamten Gewinn an den Organträger abzuführen. Die Verwaltung hat mit BMF-Schreiben v. 20.8.201544 das Thema erneut aufgegriffen. Danach kann eine atypisch stille Gesellschaft weder Organträgerin noch Organ sein. Die Verwaltung gewährt aber eine Übergangsregelung, wonach am 20.8.2015 bereits bestehende, steuerlich anerkannte Organschaften mit Organträgern, an deren Handelsgewerbe atypisch stille Beteiligungen bestehen, unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls im Wege der Billigkeit und aus Gründen des Vertrauensschutzes weiter steuerlich anerkannt werden können. Für die Organträgereigenschaft wird daher Bestandsschutz gewährt. Für die Organeigenschaft lässt die Verwaltung einen Bestandsschutz nicht zu. Dem wird in der Literatur entgegengehalten, dass es inkonsequent sei, einerseits die atypisch stille Gesellschaft als vollwertige „andere Gesellschaft“ i.S.d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG zu qualifizieren andererseits bei der Frage der Organträgereigenschaft an das Vorhandensein von Gesamthandsvermögen anzuknüpfen. Im Schrifttum wird überwiegend die Auffassung vertreten, dass die GmbH und atypisch Still Organträger sein könne45. Auch die Organeigenschaft wird von Teilen der Literatur bei einer GmbH & atypisch stillen Gesellschaft bejaht46. 2. Stellungnahme Behandelt man die atypisch Still steuerrechtlich wie eine Außengesellschaft, so ist es auf den ersten Blick nur konsequent, dass sie auch Organträgerin sein kann. §  14 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 und 3 KStG verlangt, dass die finanzielle Eingliederung im Verhält43 Vgl. auch BMF v. 10.11.2005, Rz. 13, BStBl. I 2005, 1038. 44 BStBl. I 2015, 649. 45 Schmidt/Hageböke, DStR 205, 761; Suchanek, DStR 2006, 836; a.A. Kolbe in HHR, §  14 KStG Rz. 174; Neumann in Gosch, 3. Aufl. 2015, § 14 KStG Rz. 80a. 46 Hageböke, Der Konzern 2013, 334; Walter in Ernst & Young, §  14 KStG Rz.  586; Ismer, ­GmbHR 2011, 968 (972).

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nis zur Personengesellschaft selbst erfüllt sein muss. Es entspricht der ständigen BFHRechtsprechung, dass das Vermögen des Geschäftsherrn bei der atypisch stillen Gesellschaft fiktiv als deren Gesamthandsvermögen angesehen wird. Hält daher die GmbH bei einer GmbH und atypisch Still in ihrem Vermögen die Beteiligung an der Organgesellschaft, so erfüllt sie, soweit die stille Beteiligung reicht, die erforderliche Voraussetzung des § 14 Abs. 1 Nr. 2 Satz 3 KStG, weil das Vermögen des Geschäftsherrn insoweit gleichzeitig als Gesamthandsvermögen fingiert wird. Andere Überlegungen der Verwaltung, mit einer restriktiven Haltung die Rechtsfolgen einer Mehrmütterorganschaft zu verhindern, spiegeln sich im Wortlaut des §  14 Abs.  1 KStG nicht wieder47. Sie können daher für die Entscheidung nicht tragend sein. Auch die von der Verwaltung getroffene Übergangsregelung vermag nicht zu überzeugen. Ist man – wie die Verwaltung – der Auffassung, die GmbH und atypisch Still könne die Organträgereigenschaft nicht begründen, dann kann eine Übergangsregelung allenfalls beinhalten, dass bis zu einem gewissen Zeitpunkt die Organträgereigenschaft bejaht wird, um den Beteiligten eine Anpassung ihrer Verhältnisse zu erlauben. Es kann aber nicht sein, dass den Beteiligten Bestandsschutz auf Dauer eingeräumt wird. Wertet man konsequent die atypische stille Gesellschaft steuerrechtlich wie eine Außengesellschaft, so ist allerdings auch festzuhalten, dass die GmbH & atypisch Still nicht die Voraussetzungen eines Organs im Rahmen einer körperschaftsteuerlichen Organschaft erfüllen kann. Das liegt schlicht daran, dass eine Personengesellschaft nicht Organ sein kann. Das folgt unmittelbar aus dem Wortlaut der §§ 14 Abs. 1 Satz 1 und 17 Abs. 1 Satz 1 KStG, die eine abschließende Aufzählung der möglichen Organgesellschaften normiert. Auch wenn das Organschaftsverhältnis unmittelbar mit der GmbH als Organ begründet wird, bleibt das Problem, dass das Vermögen der GmbH gleichzeitig als „Gesamthandsvermögen“ der atypisch stillen Gesellschaft gilt, soweit die stille Gesellschaft reicht. Diese Fiktion des Gesamthandsvermögens wird man auch auf alle Vertragsverhältnisse erstrecken müssen, die der Träger des Handelsgewerbes mit Dritten eingeht. Diese gelten dann als unmittelbar mit der atypisch stillen Gesellschaft geschlossen. Folge davon ist, dass die atypisch stille Gesellschaft in der Tat nicht ihren gesamten Gewinn an den Organträger abführen kann und damit die Organschaft auch an diesem Merkmal scheitert. Dem wird in der Literatur entgegengehalten, dass hinsichtlich der Gewinnabführung nicht auf die steuerrechtliche, sondern allein auf die rein handelsrechtliche Betrachtung abzustellen sei48. Handelsrechtlich sei sowohl im Fall der typisch stillen Beteiligung als auch der atypisch stillen Beteiligung die Vergütung des atypisch Stillen als Betriebsausgabe abzugsfähig. Das führe dazu das handelsrechtlich der verbleibende und abzuführende Gewinn der ganze Gewinn i.S.d. § 14 Abs. 1 Satz 1 KStG darstelle. Die Begründung ist nicht von der Hand zu weisen, da in der Tat für die Fragen der Gewinnabführung in erster Linie auf das Handelsrecht abgestellt wird. Gleichwohl halte ich die Organeigenschaft einer GmbH & atypisch Still für nicht gegeben, da die GmbH als Geschäftsherr die Rechtshandlungen für die Gemeinschaftsordnung der atypisch stillen Gesellschaft vornimmt. 47 A.A. mit ausführlicher Begründung Neumann in Gosch, 3. Aufl. 2015, § 14 KStG Rz. 80a-d. 48 Vgl. i.e. Hageböke, Der Konzern 2013, 334 (341 ff.).

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VIII. Umwandlung einer GmbH & Co. KG in eine GmbH & atypisch Still – Einkommensteuerlicher Formwechsel Die Rechtsprechung des BFH hat den sog. einkommensteuerrechtlichen Formwechsel entwickelt. Danach wird der bloße Wechsel der Rechtsform einer durchgängig bestehenden Mitunternehmerschaft als einkommensteuerlich irrelevanter Formwechsel behandelt, der ohne Aufdeckung stiller Reserven und somit ertragsteuerneutral erfolgt. Die Anwendung des § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG wird mangels Veräußerungsvorgang ausgeschlossen49. Ebenso bedarf es keiner Rechtfertigung der Buchwertfortführung durch Vorschriften des Umwandlungssteuergesetzes. Ein einkommensteuerlich identitätswahrender Formwechsel kann wegen der steuerlichen Gleichbehandlung50 auch bei einem Wechsel einer zivilrechtlichen Außen- in eine Innengesellschaft erfolgen. In dem Urteil des BFH vom 28.11.198951 wurde eine „durchgängige“ Mitunternehmerschaft trotz Rechtsformwechsels angenommen. In diesem Fall wuchs das Vermögen einer GbR aufgrund des Ausscheidens des vorletzten Gesellschafters dem verbleibenden Gesellschafter an. Das Unternehmen wurde durch den zuletzt verbleibenden Gesellschafter als Alleininhaber fortgeführt. Als Abfindungsanspruch des Ausscheidenden wurde vereinbart, dass dieser nunmehr als atypisch stiller Gesellschafter an dem Unternehmen beteiligt sein sollte. In dem Urteilsfall vom 20.9.200752 entschied der BFH über die Umwandlung einer atypisch stillen Gesellschaft in eine GbR und deren „Rückumwandlung“ in eine atypisch stille Gesellschaft. Mit Beschluss vom 16.4.201053 bekräftigte der BFH schließlich seine Haltung für den Fall des Wechsels der Stellung eines persönlich haftenden Gesellschafters einer KGaA in die eines atypisch stillen Beteiligten. Bisher noch nicht entschieden ist die Konstellation, dass das Vermögen im Rahmen des einkommensteuerrechtlichen Formwechsels auf eine GmbH übergeht. Beispiel: A ist an der A GmbH & Co. KG zu 100 % als Kommanditist beteiligt. Er ist zugleich zu 100 % Anteilseigner der Komplementär-GmbH (A-GmbH), die ihrerseits am Vermögen der KG nicht beteiligt ist. Geplant ist, dass A aus der A-GmbH  & Co. KG ausscheidet. Als Reflexwirkung wächst das Vermögen der A-GmbH  & Co. KG der A-GmbH an. In Erfüllung des dem A zustehenden Abfindungsanspruchs wird A die Position eines atypisch stillen Gesellschafters bei der A-GmbH eingeräumt. Die stille Gesellschaft wird dabei so ausgestaltet, dass A zu 100 % am Gewinn und Verlust sowie

49 Vgl. BFH v. 28.11.1989 – VIII R 40/94. 50 § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG „andere Gesellschaft“. 51 VIII R 40/84, BFHE 159, 410, BStBl. II 1990, 561, DB 1990, 1118, BB 1990, 1544. 52 IV R 10/07, BFHE 219, 92, BStBl. II 2008, 118, DB 2008, 99, DStRE 2008, 83, BB 2008, 370, NZG 2008, 119, FR 2008, 273, Ubg 2008, 44. 53 IV B 94/09, BFH/NV 2010, 1272, GmbHR 2010, 774.

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Hermann Brandenberg

an den stillen Reserven beteiligt wird. Bei der A-KG sind rd. 3 Mio. Euro stille Reserven enthalten. Es besteht ein gewerbesteuerlicher Verlustvortrag i.H.v. 500.000 Euro.

Ausgangsstruktur

Zielstruktur A

A

100 % 100 %

AA-GmbH 100 %

A-GmbH

A

0%

100 %

0%

A-GmbH & Co. KG

atypisch stille Gesellschaft

Folgt man der Auffassung der bisherigen Rechtsprechung, fiele der Vorgang nicht in den Anwendungsbereich des § 24 UmwStG, da sich die Mitunternehmerschaft zumindest steuerlich lückenlos und identitätswahrend fortsetzt. Der IV. Senat des BFH lässt die Frage der Anwendbarkeit des §  24 UmwStG in seinem Beschluss vom 16.4.201054 bewusst offen. Fraglich ist, ob das Urteil des BFH vom 28.11.198955 auch analog auf den vorliegenden Fall anzuwenden ist, da hier die durch die Anwachsung begünstigte Person eine GmbH und damit eine juristische Person ist. A scheidet durch die Übertragung des Mitunternehmeranteils auf den übernehmenden Rechtsträger A-GmbH als Kommanditist der A-KG aus. Von Gesetzes wegen ist für den ausscheidenden Gesellschafter eine Abfindung zum Verkehrswert vorgesehen (§  738 BGB), grundsätzlich besteht aber wegen der Höhe sowie Art und Weise der Abfindung Vertragsfreiheit56. Vorliegend erhält A als Abfindung einen Anspruch auf Begründung einer atypisch stillen Gesellschaft. Eine logische Sekunde nach dem Ausscheiden des A gegen Abfindungsanspruch kommt es zu dem Anwachsungsvorgang. Die A-KG wird durch den Wegfall ihrer Zweigliedrigkeit als Personengesellschaft aufgelöst und ihre 54 IV B 94/09, BFH/NV 2010, 1272, GmbHR 2010, 774. 55 VIII R 40/84, BFHE 159, 410, BStBl. II 1990, 561, DB 1990, 1118, BB 1990, 1544. 56 Vgl. Sprau in Palandt, 71.  Aufl. 2011, §  738 BGB Rz.  7; Schäfer in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 Rz. 9, 30.

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Die atypisch stille Gesellschaft

Vermögensgegenstände und Schulden wachsen der A-GmbH als zuletzt verbleibender Gesellschafterin gem. § 738 BGB kraft Gesetzes an. Wiederum eine logische Sekunde später wird in Erfüllung des nunmehr fälligen Abfindungsanspruchs eine Innengesellschaft zwischen A und der A-GmbH in Form einer atypisch stillen Beteiligung des A an der A-GmbH („A-GmbH  & Still“) begründet. Damit liegt im Ergebnis ein Rechtsformwechsel von einer Personengesellschaft (KG) auf eine Kapitalgesellschaft A-GmbH) und später auf eine Personengesellschaft (GmbH & atypisch Still) vor. Für die Anwachsung auf eine Kapitalgesellschaft mit späterer Begründung einer atypisch stillen Gesellschaft könnte umwandlungssteuerlich auf § 20 UmwStG abgestellt werden. § 20 UmwStG ist jedoch mangels Kapitalerhöhung bei der GmbH und Gewährung neuer Anteile an der GmbH im Zusammenhang mit dem Anwachsen des Vermögens der untergehenden Personengesellschaft nicht einschlägig. Fraglich ist, ob die zum einkommensteuerlichen Formwechsel entwickelten Urteilsgrundsätze des BFH sich auch auf den vorliegenden Fall übertragen lassen. Bedenken könnten hier deshalb bestehen, weil das Vermögen letztlich auf eine Kapitalgesellschaft übertragen wird. Bei einer unentgeltlichen Übertragung auf eine Körperschaft gehen z.B. die Grundsätze der verdeckten Einlage der Buchwertübertragung gem. § 6 Abs. 3 EStG vor57. Auch die Körperschaftsklausel des § 6 Abs. 5 Satz 5 und des § 16 Abs. 3 Satz 4 EStG zeigen, dass der Gesetzgeber die Vermögensübertragung auf eine Kapitalgesellschaft kritisch sieht. Gleichwohl dürfte dies kein Anlass sein, die BFH-Grundsätze zum „einkommensteuerlichen Formwechsel“ auch auf den obigen Fall anzuwenden. Damit bleibt auch der gewerbesteuerliche Verlustvortrag im obigen Beispielsfall erhalten. Feststellungserklärungen: Der BFH bestätigt in seinem Urteil vom 20.10.201558, dass die Verselbständigung von Mitunternehmerschaften es erfordert, dass auch gesonderte Feststellungsverfahren durchgeführt werden. Das gilt auch für Personengesellschaften, die im Verhältnis der Ober- und Untergesellschaft zu einander stehen. Schließlich gilt das auch für atypisch stille Gesellschaften, wenn sich z.B. eine Personengesellschaft atypisch still an einer Kapitalgesellschaft beteiligt. Auch hier entstehen doppelstöckige Personengesellschaften. Da atypisch stille Gesellschaften nach den gleichen Grundsätzen behandelt werden wie Außengesellschaften, dürfen die Feststellungen der Einkünfte aus der Personengesellschaft und aus der atypisch stillen Gesellschaft nicht in einem einheitlichen Feststellungsbescheid getroffen werden. Das Urteil des BFH vom 20.10.201559 ist ein weiterer Beleg dafür, dass steuerrechtlich Innen- und Außengesellschaften gleich behandelt werden müssen, wenn die Voraussetzungen einer Mitunternehmerschaft vorliegen60. 57 BMF v. 3.3.2005, BStBl. I 2005, 458 unter A. 58 IV R 43/12, BFHE 252, 193, BStBl. II 2016, 517, FR 2016, 683, DB 2016, 751, BB 2016, 1062, DStRE 2016, 683. 59 Fn. 55. 60 Ebenso Suchanek, GmbHR 2017, 292.

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IX. Gewerbesteuer 1. Gewerbesteuererklärungen Der BFH hat mit Urteil vom 8.12.201661 entschieden, dass bei atypisch stiller Beteiligung an einer gewerblich tätigen Personengesellschaft sowohl die atypisch stille Gesellschaft, der dieses Unternehmen für die Dauer ihres Bestehens zugeordnet wird, als auch die Personengesellschaft jeweils einen selbständigen Gewerbebetrieb unterhalten. Der Inhaber des Handelsgewerbes habe für jeden dieser Gewerbebetriebe jeweils eine eigenständige Gewerbesteuererklärung abzugeben. Auch diese Entscheidung belegt noch einmal die Gleichstellung der mitunternehmerisch ausgestalteten Innengesellschaft mit der Außengesellschaft. 2. Verlustvortrag Der BFH hatte mit Urteil vom 24.4.201462 über einen Fall zu befinden, in dem die Kommanditistin einer KG sich atypisch still an der KG beteiligte. Die KG verfügte über einen gewerbesteuerlichen Fehlbetrag. Streitig war, ob der Fehlbetrag mit dem Gewinn der KG atypisch Still verrechnet werden konnte. Das Finanzamt nahm an, dass der Fehlbetrag in dem Umfang entfällt, in dem die KG an der atypisch stillen Gesellschaft beteiligt ist. Dem ist der BFH nicht gefolgt. Ausgangsstruktur: A

B

70 %

30 %

X-KG

Atypische stille Beteiligung Gewinnanteil B 33,77 %

B

Fehlbeträge gem. § 10a EStG

61 BFH v. 8.12.2016 – IV R 8/14, BFHE 256, 175, BStBl. II 2017, 538, DB 2017, 221, GmbHR 2017, 326, BB 2017, 992, FR 2017, 693. 62 IV R 34/10, BFHE 245, 253, BStBl. II 2017, 233, DB 2014, 1526, GmbHR 2014, 890, FR 2014, 863, Der Konzern 2014, 341, BB 2014, 2404.

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Die atypisch stille Gesellschaft

Durch die atypische stille Gesellschaft entsteht doppelstöckige Struktur: A

Frau B

70 %

30 %

X-KG Frau B 66,23 %

33,77 %

atypisch stille Gesellschaft

Die Verlustverrechnung gem. § 10a GewStG setzt Unternehmens- und Unternehmeridentität voraus. Begründet der Inhaber eines Handelsgewerbes an seinem gesamten Betrieb eine stille Gesellschaft und ist die Gesellschaft ertragsteuerlich als Mitunternehmerschaft anzusehen, wird das Unternehmen des Inhabers des Handelsgewerbes für die Dauer des Bestehens der atypisch stillen Gesellschaft ertragsteuerlich der Mitunternehmerschaft zugeordnet63. Zwischen dem Unternehmen des Inhabers des Handelsgewerbes vor Begründung der stillen Gesellschaft und dem später von ihm für Rechnung der stillen Gesellschaft geführten Unternehmen besteht gewerbesteuerliche Unternehmensidentität64. Unternehmeridentität bedeutet, dass der Steuerpflichtige, der den Verlustabzug in Anspruch nimmt, den Gewerbeverlust zuvor in eigener Person erlitten haben muss. Der Steuerpflichtige muss danach sowohl zur Zeit der Verlustentstehung als auch im Jahre der Entstehung des positiven Gewerbeertrags Unternehmensinhaber gewesen sein65. 63 Beschluss des Großen Senats des BFH v. 25.6.1984 – GrS 4/82 unter C.V.3.c der Gründe, BFHE 141, 405, BStBl. II 1984, 751, FR 1984, 619, GmbHR 1984, 355; BFH v. 22.8.2002 – IV R 6/01, BFH/NV 2003, 36. 64 BFH v. 11.10.2012 – IV R 38/09 Rz. 26 m.w.N., BFHE 240, 90, BStBl. II 2013, 958, FR 2013, 623, GmbHR 2013, 375. 65 Beschluss des Großen Senats des BFH v. 3.5.1993 – GrS 3/92 unter C.II, BStBl. II 1993, 616.

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Bei einer Personengesellschaft sind die Gesellschafter, die unternehmerisches Risiko tragen und unternehmerische Initiative ausüben können, die (Mit-)Unternehmer des Betriebs (§ 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Als Mitunternehmer einer gewerblichen Personengesellschaft erzielen sie auf der Grundlage ihrer gesellschaftsrechtlichen Verbindung nicht nur – strukturell gleich einem Einzelunternehmer – in eigener Person gewerbliche Einkünfte; vielmehr sind sie auch gewerbesteuerrechtlich Träger des Verlustabzugs und deshalb sachlich gewerbesteuerpflichtig66. Diese Grundsätze gelten auch für die atypisch stille Gesellschaft. Der BFH knüpft nunmehr auch für die Frage der Unternehmeridentität an den Vergleich mit dem Einzelunternehmer an. Bringt dieser z.B. sein Einzelunternehmen in eine Personengesellschaft ein, an der er z.B. zu 100 % beteiligt ist, ginge der Verlustabzug nicht verloren. Denn als Mitunternehmer behalte der Einbringende seine Mitunternehmerstellung bei. Der BFH wörtlich: „Nicht anders kann es sich nach Überzeugung des Senats verhalten, wenn eine Personengesellschaft ihren Betrieb in eine andere Personengesellschaft einbringt, auch wenn dadurch eine doppelstöckige Struktur entsteht. Denn die Mitunternehmer behalten mittelbar ihre Unternehmerstellung bei. Insoweit hat die vom Großen Senat des BFH betonte Grundwertung, dass die Gesellschafter Mitunternehmer des Betriebs sind Vorrang vor der zivilrechtlich orientierten Betrachtungsweise, dass mit der Einbringung die einbringende Gesellschaft zur Obergesellschaft und damit selbst zur Mitunternehmerin geworden ist (vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH v. 3.5.1993 – GrS 3/92 (Fn. 66) unter C.III.6.a cc). Vortragsfähige Verluste der im Zeitpunkt der Einbringung beteiligten Mitunternehmer können demnach mit dem Teil des Gewerbeertrags der Untergesellschaft verrechnet werden, der auf die Obergesellschaft entfällt. Scheidet später einer der betreffenden Mitunternehmer aus der Obergesellschaft aus, geht der auf ihn entfallende Verlustvortrag allerdings unter.“

Stellungnahme: Fraglich ist, ob der vom BFH angestellte Vergleich auch auf doppelstöckige Strukturen zutrifft. Bringt ein Einzelunternehmer, der über einen gewerbesteuerlichen Verlustvortrag verfügt, sein Einzelunternehmen in eine KG ein, ändert sich in der Tat die Person des Verlustträgers nicht, da Verlustträger sowohl beim Einzelunternehmen als auch bei der KG dieselbe Person ist. Ausgangsstruktur

Zielstruktur

Einzelunternehmer A

A

GmbH

Verlustvortrag gem. § 10a GewStG

100 %

0%

Verlustträger A

A-GmbH & Co KG Verlustträger A Unternehmeridentität bleibt bestehen

66 Vgl. Beschluss des Großen Senats des BFH v. 3.5.1993 – GrS 3/92 zu C.III.6.a und b und C.III.9, BFHE 171, 246, BStBl. II 1993, 616.

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Die atypisch stille Gesellschaft

Die BFH-Entscheidung vom 24.4 201467 lässt sich schwer mit der bisherigen Rechtsprechung in Einklang bringen. Sie überträgt den Fall der Einbringung eines Einzelunternehmens in eine Personengesellschaft auf den Fall der Einbringung eines Betriebs einer Personengesellschaft in eine weitere Personengesellschaft. Denn anders als bei Einbringung eines Einzelunternehmens durch einen Einzelunternehmer wird bei Begründung einer doppelstöckigen Personengesellschaft die Obergesellschaft Trägerin des Verlustabzugs. Im Fall des BFH v. 24.4.201468 bedeutet das, dass nicht mehr A und B die Verlustträger sind, sondern nach Begründung der atypisch stillen Gesellschaft die X-KG und Frau B.

X. Fazit Die atypisch stille Gesellschaft ist eine vollwertige Mitunternehmerschaft. Das zeigt sich an den hier untersuchten Themen zur schenkweisen Begründung der atypisch stillen Gesellschaft, zur atypisch stillen Gesellschaft als Subjekt der Gewinnermittlung und Einkünftequalifikation, den Konsequenzen des § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG als Zurechnungsnorm und der Anwendung der Vorschriften des 15 Abs. 3 EStG zur Abfärbewirkung. Auch verfahrensrechtlich wird die atypisch stille Gesellschaft der Außengesellschaft gleichgestellt. Nach herrschender Meinung kann der Inhaber des Handelsgeschäfts dagegen kein Sonderbetriebsvermögen bilden, da sein gesamtes Betriebsvermögen als fiktives Gesamthandsvermögen der atypisch stillen Gesellschaft zuzurechnen ist. Zu diesem Themenkomplex besteht noch Erörterungsbedarf. Angesichts der Tatsache dass die atypisch stille Gesellschaft selbständiges Subjekt der Einkunftserzielung ist, eigene Feststellungserklärungen und eigene Gewerbesteuererklärungen abzugeben hat, ist zu fragen, ob nicht der Inhaber des Handelsgeschäfts auch dann, wenn sich die atypisch stille Gesellschaft auf das gesamte Betriebsvermögen bezieht, die Existenz von Sonderbetriebsvermögen bejaht werden kann. Auch noch nicht ausreichend diskutiert ist die Frage der Begründung der atypisch stillen Beteiligung nach § 24 UmwStG. Da die atypisch stille Gesellschaft nicht über Gesamthandsvermögen verfügt und es zivilrechtlich auch nicht zu einem Rechtsträgerwechsel kommt, muss es ausreichen, wenn das Vermögen der atypisch stillen Gesellschaft zugerechnet wird und für Rechnung der Gemeinschaft geführt wird. Schwierig ist das Thema der körperschaftsteuerlichen Organschaft. Die Auffassung der Verwaltung, dass eine atypisch stille Gesellschaft nicht Organträger sein kann, ist abzulehnen. Konsequent ist es aber, die Organeigenschaft einer GmbH, an der eine atypisch stille Beteiligung besteht, zu verneinen. Die atypisch stille Gesellschaft kann schließlich auch Gegenstand eines einkommensteuerlichen Formwechsels sein. Hinsichtlich des gewerbesteuerlichen Verlustvortrags ist die Frage der Unternehmeridentität noch nicht ausreichend geklärt. 67 IV R 34/10, BFHE 245, 253, BStBl. II 2017, 233, DB 2014, 1526, GmbHR 2014, 890, FR 2014, 863, Der Konzern 2014, 341, BB 2014, 2404. 68 IV R 34/10, BFHE 245, 253, BStBl. II 2017, 233, DB 2014, 1526, GmbHR 2014, 890, FR 2014, 863, Der Konzern 2014, 341, BB 2014, 2404.

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Das Zebra im Steuerrecht Inhaltsübersicht

I. Einleitung 1. Der Jubilar und das Zebra 2. Die Historie des steuerlichen Zebras

II. Grundlagen der Zebragesellschaft III. Rechtsentwicklung 1. Das Ende der „Geprägerechtsprechung“ 2. Die Frage der Einkünfteermittlung 3. Die Frage der beschränkten Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Doppelbuchst. bb EStG



4. Die Frage des anteiligen eigenen Grundbesitzes nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG

IV. Aktueller Stand und Besonderheiten in der Dogmatik der Zebragesellschaft 1. Grundsätzliches zur Einkünfte­ ermittlung 2. Zebragesellschaft ohne eigenes ­Betriebsvermögen und daraus folgende Bruchteilsbetrachtung 3. Weitere Besonderheiten 4. Verfahrensrechtliche Besonderheiten

V. Ausblick

I. Einleitung 1. Der Jubilar und das Zebra Obwohl nicht bekannt ist, dass der Jubilar schon einmal an einer Safari teilnahm, beschäftigte er sich in Forschung und Lehre durchaus mit tierischen „Aspekten“ im Steuerrecht. Insbesondere Wildtiere weckten sein wissenschaftliches Interesse und so erklärt es sich auch, dass der im Zusammenhang mit der verdeckten Gewinnausschüttung bekanntgewordene sog. Tigerfall Eingang in sein Lehrbuch „Steuerrecht II“ gefunden hat. Eine besondere Affinität hat der Jubilar über die Jahre zu dem scheuen und nahezu unzähmbaren Steppentier, dem Zebra, entwickelt, welches durch seine schwarzen und weißen Streifen als Namenspate für das steuerrechtliche Kons­ trukt der sog. Zebragesellschaft diente. Diese versucht sich immer wieder der Dogmatik der Personengesellschaftsbesteuerung zu widersetzen und ihre „Zähmung“ obliegt nunmehr dem Großen Senat des BFH bereits zum dritten Mal1. Die dafür erforderlichen Grundlagen haben den Jubilar in Wissenschaft und Praxis beschäftigt. In BFH-Verfahren zu diesen Fragen war er selbst Prozessvertreter2. Dies führte auch zur Anregung an die Verfasserin dieses Beitrags, über die vermögensverwaltende Personengesellschaft im Ertragsteuerrecht zu promovieren. 1 BFH v. 21.7.2016  – IV R 26/14, BStBl.  II 2017, 202, GmbHR 2016, 1325, FR 2017, 248 m. Anm. Nöcker. 2 Z.B. BFH v. 11.7.1996 – IV R 103/94, FR 1996, 826, GmbHR 1997, 86; BStBl. 1997, 39.

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Michaela Engel

2. Die Historie des steuerlichen Zebras Unter einer Zebragesellschaft wird im Steuerrecht eine rein vermögensverwaltend tätige, nicht gewerblich i.S.v. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG geprägte Personengesellschaft verstanden, bei der ein oder mehrere Gesellschafter ihre Beteiligung an der Personengesellschaft in einem steuerlichen Betriebsvermögen halten3. Dabei repräsentieren die schwarzen Streifen die betrieblich beteiligten Gesellschafter, während die weißen Streifen stellvertretend für die privat beteiligten Gesellschafter stehen. Die Zebragesellschaft existierte bereits unter Geltung des § 2 REStG 19344, der ebenfalls sieben Einkunftsarten aufzählte und unter dessen Ägide auch eine Trennung in Gewinn- und Überschusseinkünfte vorgenommen wurde. Lange Zeit führte die Zebragesellschaft in der steuerrechtlichen Diskussion jedoch ein Schattendasein, da nach der sog. Geprägerechtsprechung des BFH5, eine rein vermögensverwaltend tätige Personengesellschaft, bei der ausschließlich Kapitalgesellschaften oder neben natürlichen Personen eine Kapitalgesellschaft beteiligt waren, die der Personengesellschaft das „Gepräge“ gab, d.h. einzige persönlich haftende Gesellschafterin war, Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.S.d. § 15 EStG erzielte6. Rund 34 Jahre ist es nun her, dass der BFH die sog. Geprägerechtsprechung aufgab7 und so den Weg für einen breiteren Anwendungsbereich der vermögensverwaltenden Gesellschaften mit den „schwarz- und weißgestreiften“ Gesellschaftern ebnete. Die dogmatische Einordnung und der Umgang mit dieser besonderen Erscheinungsform vermögensverwaltender Personengesellschaften hat seitdem Wissenschaft, Verwaltung und Rechtsprechung viel Diskussionsstoff geliefert. Reibung erzeugt die Zebragesellschaft insbesondere dort, wo der Dualismus von Gewinn- (§ 2 Satz 1 Nr. 1 EStG) und Überschusseinkunftsarten (§ 2 Satz 1 Nr. 2 EStG) mit dem Spannungsfeld von Einheit der Gesellschaft und Vielheit der Gesellschafter zusammentrifft und auch das Verfahrensrecht keine passenden Lösungen bereit hält.

3 Der Terminus „Zebragesellschaft“ soll wohl im Rahmen eines Seminars der Steuerberaterkammer Nordbaden zur Entscheidung des Großen Senats vom 25.6.1984 (GrS 4/82) am 6.3.1985 vom damaligen RiBFH Günter Söffing und Prof. Dr. Rudolf Wendt geprägt worden sein (vgl. hierzu Felix, DStR 1985, 364). In der Rechtsprechung scheint der Begriff soweit ersichtlich erstmals vom Großen Senat des BFH (v. 3.7.1995 – GrS 1/93, BStBl. II 1993, 617, FR 1995, 649) verwendet worden zu sein. Im von Bilsdorfer (SteuStud 2006, 31) angegebenen Urteil des FG Nürnberg (v. 15.9.1994 − VI 233/92, EFG 1995, 219) ist der Begriff nicht explizit verwendet; lediglich in der Überschrift des Abdrucks in der EFG ist dieser zu finden. In der Literatur taucht der Terminus Anfang der 1990er Jahre auf, bspw. bei Jakob/Hörmann, FR 1990, 33, und auch die Finanzverwaltung verwendete ihn teilweise schon zu dieser Zeit, etwa OFD Frankfurt/M., 5.3.1992, S 0361 A-2-St II 4, FMNR169310092. 4 Gesetz v. 16.10.1934, RGBl. I 1934, 1005. 5 BFH v. 17.3.1966  – IV 233–234/65, BStBl.  III 1966, 171; BFH v. 18.2.1976  – I R 116/75, ­BStBl. II 1976, 480. 6 Wacker in Schmidt, 36. Aufl. 2017, § 15 EStG Rz. 211. 7 BFH v. 25.6.1984 – GrS 4/82, BStBl. II 1984, 751, FR 1984, 619, GmbHR 1984, 355.

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Das Zebra im Steuerrecht

Im Jahr 2005 hatte sich der Große Senat8 erneut mit der Zebragesellschaft zu beschäftigen, diesmal mit der Frage, auf welcher Ebene die für die „schwarzgestreiften“ Gesellschafter notwendige Umqualifizierung der Einkünfte in Gewinneinkünfte vorgenommen werden müsse und welche Folgen sich daraus für die Einkünfteermittlung ergeben. Aktuell hat der Große Senat nun zum dritten Mal zu Fragen der steuerlichen Behandlung einer Zebragesellschaft zu entscheiden: Nach einer in der Literatur viel kritisierten Entscheidung des I. Senats9, die dem gewerblich beteiligten Gesellschafter einer Zebragesellschaft die erweiterte Kürzung nach §  9 Nr.  1 Satz  2 GewStG versagte, möchte der IV.  Senat10 von dieser Rechtsprechung abweichen und hat deshalb die Frage dem Großen Senat vorgelegt.

II. Grundlagen der Zebragesellschaft Personengesellschaften sind selbst de lege lata nicht Subjekte des Einkommen- bzw. Körperschaftsteuergesetzes; vielmehr hat die Besteuerung auf Ebene der Gesellschafter zu erfolgen, denn diese sind Steuersubjekte i.S.d. § 1 EStG, § 1 KStG. Ihnen werden dementsprechend die von der Personengesellschaft erwirtschafteten Ergebnisse  – grundsätzlich nach dem gesellschaftsvertraglichen Ergebnisverteilungsschlüssel – zugerechnet und beim jeweiligen Gesellschafter der Besteuerung mit Einkommen- oder Körperschaftsteuer unterworfen. Eine Personengesellschaft ist allerdings für die Einkommen- oder Körperschaftsteuer insoweit selbst Steuersubjekt, als sie in der Einheit ihrer Gesellschafter die Merkmale eines Besteuerungstatbestandes verwirklicht, etwa den Tatbestand einer bestimmten Einkunftsart oder das Erzielen von Gewinn oder Überschuss im Rahmen dieser Einkunftsart11. Die Personengesellschaft ist insoweit partielles Steuerrechtssubjekt12. Eine Personengesellschaft, die ein gewerbliches Unternehmen betreibt, ist zudem selbst Subjekt der Gewerbesteuer. Folglich bestimmt grundsätzlich die Tätigkeit der Personengesellschaft die Art der Einkünfte, die den Gesellschaftern für Besteuerungszwecke zugewiesen werden, d.h. die Personengesellschaft muss grundsätzlich ein gewerbliches Unternehmen betreiben, um als sog. Mitunternehmerschaft i.S.d. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 i.V.m. § 15 Abs. 2 EStG ihren Gesellschaftern gewerbliche Einkünfte zu vermitteln13. Ist die Personenge 8 BFH v. 11.4.2005 – GrS 2/02, BStBl. II 2005, 679, FR 2005, 1026 m. Anm. Kempermann. 9 BFH v. 19.10.2010 – I R 67/09, BStBl. II 2011, 367, FR 2011, 434 m. Anm. Wendt, GmbHR 2011, 384. 10 BFH v. 21.7.2016 – IV R 26/14, BStBl. II 2017, 202, GmbHR 2016, 1325, FR 2017, 248 m. Anm. Nöcker; sowie vorhergehend FG Berlin-Brandenburg v. 6.5.2014 – 6 K 6322/13, EFG 2014, 1420. 11 BFH v. 25.6.1984 – GrS 4/82, BStBl. II 1984, 751, FR 1984, 619, GmbHR 1984, 355. 12 Crezelius, JbFStR 1993/94, 330, 332. 13 BFH v. 25.6.1984 – GrS 4/82, BStBl. II 1984, 751, FR 1984, 619, GmbHR 1984, 355.

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sellschaft demgegenüber im Bereich der Überschusseinkunftsarten tätig (§§ 20, 21, 22 EStG), so handelt es sich um eine sog. vermögensverwaltende Personengesellschaft, die selbst  – abgesehen von den Sonderfällen der gewerblichen Prägung i.S.d. §  15 Abs. 3 Nr. 2 EStG und gewerblichen Infizierung i.S.d. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG – nicht über Betriebsvermögen verfügt14. Das Wechselspiel von partieller Steuersubjektqualität auf Ebene der Personengesellschaft hinsichtlich der Einkünftequalifikation und -ermittlung und für die Besteuerung letztendlich maßgeblicher Steuersubjektqualität auf Ebene der Gesellschafter kann insbesondere dann zu Verwerfungen führen, wenn die Gesellschaft vermögensverwaltend tätig ist, aber ein oder mehrere Gesellschafter mit ihrer Beteiligung aus in ihrer Person liegenden Gründen gewerbliche Einkünfte i.S.v. § 15 EStG erzielen, etwa weil der Gesellschafter eine Kapitalgesellschaft ist oder die Beteiligung vom Gesellschafter in einem Betriebsvermögen gehalten wird, also insbesondere in den Fällen der sog. Zebragesellschaft.

III. Rechtsentwicklung 1. Das Ende der „Geprägerechtsprechung“ Bis zur Entscheidung des Großen Senats aus dem Jahr 1984 verfolgte der BFH die sog. „Geprägerechtsprechung“. Danach sollte auch eine vermögensverwaltende Personengesellschaft für die Einkommen- und Gewerbesteuer ausnahmsweise als gewerbliches Unternehmen angesehen werden, wenn an der Personengesellschaft entweder nur Kapitalgesellschaften beteiligt sind oder zumindest auch eine Kapitalgesellschaft ­beteiligt ist, welche der Personengesellschaft „das Gepräge gibt und deren Tätigkeit entscheidend bestimmt“15. Die Gepräge-Theorie selbst gründete genau in der Problematik, welche eine Zebragesellschaft typischerweise mit sich bringt: es sollten Schwierigkeiten vermieden werden, die sich daraus ergeben, dass ein Teil der Gesellschafter ihre Einkünfte nach den Grundsätzen der Überschusseinkünfte ermitteln müssen, der andere Teil jedoch nach den Grundsätzen der Gewinneinkünfte16. Zebragesellschaften existierten jedoch auch zu Zeiten der Geprägerechtsprechung, da Konstellationen, in denen eine Kapitalgesellschaft an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft beteiligt war und dieser nicht „das Gepräge“ gab17 oder ein Gesellschafter seine Beteiligung im Betriebsvermögen hielt, von der Geprägerechtsprechung nicht umfasst waren18.

14 Dürrschmidt, DStR 2005, 1515. 15 BFH 25.6.1984 – GrS 4/82, BStBl. II 1984, 751, FR 1984, 619, GmbHR 1984, 355. 16 Groh, DB 1984, 2373. 17 Bspw. 50  %-Beteiligung einer GmbH an einer vermögensverwaltenden OHG, BFH v. 18.2.1976 – I R 116/75, BStBl. II 1976, 480. 18 Groh, DB 1984, 2373.

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Seit Aufgabe der Geprägerechtsprechung wird die Art der Einkünfte der Gesellschafter einer Personengesellschaft in erster Linie durch die Tätigkeit der Gesellschaft bestimmt19, so dass die Zahl der Zebragesellschaften zugenommen hat. Zwar hat der Gesetzgeber mit dem Steuerbereinigungsgesetz 1986 der Geprägerechtsprechung (sogar mit Rückwirkung) eine gesetzliche Grundlage in § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG bereitet20 und im Wege der gesetzlichen Fiktion bestimmten Konstellationen von vermögensverwaltenden Personengesellschaften gewerbliche Einkünfte verordnet, jedoch verbleibt daneben noch genügend Raum für das steuerrechtliche Konstrukt der Zebragesellschaft. 2. Die Frage der Einkünfteermittlung Hinsichtlich der Frage, wie die Einkünfte eines betrieblich an einer vermögensverwaltenden Gesellschaft beteiligten Gesellschafters konkret zu ermitteln sind, stellte der Große Senat im Jahr 1984 lediglich fest, dass der Gesellschafter anteilig an den Wirtschaftsgütern der Gesellschaft beteiligt sei21. Daraus entstand ein breites Spektrum an Meinungen und auch Kontroversen zwischen den einzelnen Senaten des BFH blieben nicht aus22. Umstritten war insbesondere, wie das Verfahren zur Umqualifizierung der Einkünfte der betrieblichen Gesellschafter aus der vermögensverwaltenden Gesellschaft zu erfolgen hat. Hier war streitig, ob dies bereits im Rahmen des gesonderten und einheitlichen Feststellungsverfahrens nach § 179 Abs. 2 Satz 2, § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) AO auf Ebene der Gesellschaft mit Bindungswirkung für die Gesellschafter erfolgen sollte oder ob die abschließende Qualifikation der Einkunftsart und die Ermittlung der Einkünfte unabhängig vom Feststellungsverfahren auf Gesellschaftsebene final erst auf der Gesellschafterebene vorzunehmen ist23. Der IV.  Senat24 des BFH wollte die anteilige Umqualifizierung und Ermittlung der Einkünfte aus Gewerbebetrieb bereits durch das Gesellschaftsfinanzamt im Rahmen des gesonderten und einheitlichen Feststellungsverfahrens vornehmen lassen, der VIII. Senat25 hingegen erst im Veranlagungsverfahren der jeweiligen Gesellschafter. 19 BFH v. 25.6.1984 – GrS 4/82, BStBl. II 1984, 751, FR 1984, 619, GmbHR 1984, 355. 20 Vgl. dazu Bode in Blümich, 135. Aufl. 2017, § 15 EStG Rz. 275 ff. 21 BFH v. 25.6.1984 – GrS 4/82, BStBl. II 1984, 751, FR 1984, 619, GmbHR 1984, 355; dazu auch Groh, DB 1984, 2373, 2374. 22 Zu den unterschiedlichen Auffassungen der BFH-Senate vgl. auch Crezelius, JbFStR 2003/04, 359 ff. 23 Ausführlich zum Meinungsstand vgl. Engel, Vermögensverwaltende Personengesellschaft und ertragsteuerrechtliche Selbstständigkeit, 2002, S. 302 ff. 24 BFH v. 17.1.1985 – IV R 106/81, BStBl. II 1985, 291, FR 1985, 358, GmbHR 1985, 314; BFH v. 7.2.1985 − IV R 31/83, BStBl. II 1985, 372; BFH v. 14.11.1985 – IV R 170/83, BStBl. II 1986, 60, FR 1986, 269; BFH v. 18.5.1995 – IV R 125/92, BStBl. II 1996, 5, FR 1995, 661 m. Anm. Söffing; BFH v. 11.7.1996 – IV R 103/94, BStBl. II 1997, 39, FR 1996, 826, GmbHR 1997, 86; BFH v. 8.6.2000 – IV R 37/99, BStBl. II 2001, 162, FR 2001, 190, GmbHR 2001, 157; BFH v. 21.9.2000 – IV R 77/99, FR 2001, 196, GmbHR 2001, 155, DStR 2001, 21. 25 BFH v. 20.11.1990 – VIII R 15/87, BStBl. II 1991, 345, FR 1991, 138.

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Der III. Senat26 entwickelte im Anschluss die sog. „Ping-Pong-Lösung“, wonach hinsichtlich der Feststellung der Einkunftsart keine Bindungswirkung des Feststellungsbescheides besteht, wenn eine Zuordnung zu einer anderen Einkunftsart aufgrund von in der Person des Gesellschafters liegenden Umständen erfolgen müsse. Dennoch sollte trotz der unterschiedlichen Einkunftsarten eine gesonderte und einheitliche Feststellung nach § 179 Abs. 2 Satz 2, § 180 Abs. 2 Nr. 2 Buchst. a) AO durchgeführt werden. Die verbindliche Entscheidung über die Einkünfteermittlung habe das Gesellschaftsfinanzamt, die verbindliche Entscheidung über die Einkünftequalifikation das Gesellschafterfinanzamt zu treffen. Diese Feststellungen seien jeweils Grundlagenbescheide, wodurch der Feststellungsbescheid des Gesellschaftsfinanzamts und der Steuerbescheid des Gesellschafters in wechselseitiger Abhängigkeit stünden. Der IX. Senat des BFH27 legte schließlich die Frage dem Großen Senat des BFH vor und führte aus, dass auf Ebene der Personengesellschaft die vermögensverwaltenden Einkünfte der Personengesellschaft als Überschusseinkünfte zu ermitteln seien und das für den Gesellschafter zuständige Finanzamt sowohl über Art als auch Höhe der Einkünfte des betrieblich beteiligten Gesellschafters verbindlich zu entscheiden habe28. Dieser Auffassung folgte schließlich auch der Große Senat in seiner zweiten Entscheidung zur Zebragesellschaft29. Seitdem ist abschließend geklärt, dass es Sache des Gesellschafterfinanzamtes ist, die verbindliche Entscheidung sowohl bezüglich der Art als auch bezüglich der Höhe der Einkünfte aus der vermögensverwaltenden Personengesellschaft zu treffen. Konkret stellt sich die Situation der Einkünftequalifikation und -ermittlung seither wie folgt dar: Die Einkünfte der Zebragesellschaft werden vom Gesellschaftsfinanzamt nach § 179 Abs. 2 Satz 2 AO, § 180 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a AO gesondert und einheitlich festgestellt, wobei dem Grundlagenbescheid im Rahmen der Veranlagung der Gesellschafter partielle Bindungswirkung zukommt, soweit gemeinschaftlich verwirklichte Tatbestandsmerkmale betroffen sind30. Die Feststellung, dass die Beteiligung an der vermögensverwaltenden Personengesellschaft zu einem Betriebsvermögen gehört, und die Umqualifizierung der aus der Beteiligung resultierenden Einkünfte fallen in die Zuständigkeit des Wohnsitz- bzw. Betriebsfinanzamts des Gesellschafters31. Die Gesellschafterfinanzämter sind im Rahmen der Umqualifizierung der auf Ebene der Zebragesellschaft ermittelten Überschusseinkünfte in Gewinneinkünfte lediglich an die Feststellungen des Gesellschaftsfinanzamts bezüglich der gemeinschaftlich ver26 BFH v. 11.12.1997 – III R 14/96, BStBl. II 1999, 401, FR 1998, 607, FR 1998, 696 m. Anm. Paus. 27 BFH v. 30.10.2002 – IX R 80/98, BStBl. II 2003, 167. 28 Vgl. hierzu auch Dürrschmidt/Friedrich-Vache, DStR 2005, 1515 ff. 29 BFH v. 11.4.2005 – GrS 2/02, BStBl. II 2005, 679, FR 2005, 1026 m. Anm. Kempermann. 30 Schlagheck, StuB 2007, 730, 732; Schulze zur Wiesche, StBp 2010, 204, 205; Bode in Blümich, EStG § 15 Rz. 576; Engel, Vermögensverwaltende Personengesellschaften im Ertragsteuerrecht, 2. Aufl. 2015, Rz. 1236. 31 Dürrschmidt/Friedrich-Vache, DStR 2005, 1515, 1517 ff.; Schulze zur Wiesche, StBp 2010, 204, 205.

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wirklichten Tatbestandsmerkmale, z.B. Höhe der Einnahmen, Werbungskosten und Anschaffungskosten gebunden32. Wenngleich damit die wohl umstrittenste Frage im Zusammenhang mit der Zebragesellschaft höchstrichterlich geklärt wurde, ist problematisch, dass ein betrieblich beteiligter Gesellschafter ohne Mitwirkung der Gesellschaft ggf. nicht in der Lage ist, seinen Erklärungspflichten nach § 150 AO nachzukommen. Es ist zwar zutreffend, dass sich das Gesellschafterfinanzamt die notwendigen Informationen beim Gesellschaftsfinanzamt beschaffen kann, allerdings resultieren hieraus Rechtsschutzdefizite für den Gesellschafter, denn dieser ist ggf. auf die vom Finanzamt beschafften Informationen verwiesen, wogegen kein Rechtsbehelf möglich ist33. 3. Die Frage der beschränkten Steuerpflicht nach § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Doppelbuchst. bb EStG Im Rahmen des internationalen Steuerrechts beschäftigte das FG München im Jahr 201334 ein dogmatisch interessanter Aspekt der Zebragesellschaft, der vereinfacht auf die Frage heruntergebrochen werden kann, wie transparent die vermögensverwaltende Zebragesellschaft tatsächlich ist oder wann eine Zurechnung i.S.d. § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO erforderlich ist35. Hier stand in Frage, ob beschränkte Steuerpflicht nach §  49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Doppelbuchst. bb EStG vorliegt, wenn nicht die vermögensverwaltende Personengesellschaft ihren inländischen Grundbesitz veräußert, sondern der ausländische Gesellschafter seine Beteiligung an der (inländischen) vermögensverwaltenden Grundstückspersonengesellschaft. Die Finanzverwaltung vertrat die Auffassung, dass der Gewinn aus der Veräußerung eines (Kommandit)Anteils an einer deutschen vermögensverwaltenden, nicht gewerblich geprägten Kommanditgesellschaft, welche inländischen Grundbesitz hielt, durch eine niederländische B.V. (vergleichbar einer deutschen GmbH) als inländische Einkünfte aus Gewerbebetrieb gem. §  49 Abs.  1 Nr.  2 Buchst.  f Doppelbuchst.  bb EStG a.F. der beschränkten Körperschaftsteuerpflicht des § 2 Nr. 1 KStG zu unterwerfen sei. Das FG München verneinte eine beschränkte Körperschaftsteuerpflicht, da keiner der Tatbestände des § 49 Abs. 1 EStG erfüllt sei36, da die B.V. in Deutschland keine Betriebsstätte unterhielt und die vermögensverwaltende Personengesellschaft ihr eine solche auch nicht vermitteln könne. Die wesentlich bedeutsamere Frage war jedoch, wie die Veräußerung der Personengesellschaftsbeteiligung für Zwecke des § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Doppelbuchst. bb EStG zu werten ist, konkret, ob darin – ggf. unter 32 Koenig in Pahlke/Koenig, AO § 180 Rz. 25; Schulze zur Wiesche, StBp 2010, 204, 205. 33 Dazu Lüdicke, DB 2005, 1813, 1814; Bitz in Littmann/Bitz/Pust, § 15 EStG Rz. 164; Paul in Herrmann/Heuer/Raupach, § 15 EStG Anm. 1467. 34 FG München v. 29.7.2013 – 7 K 190/11, ISR 2014, 194 m. Anm. Bron, EFG 2013, 1852. 35 Die Frage, wann eine Zurechnung nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO „erforderlich“ für die Besteuerung ist, ist m.E. nicht abschließend geklärt. 36 FG München v. 29.7.2013 – 7 K 190/11, ISR 2014, 194 m. Anm. Bron, EFG 2013, 1852.

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Anwendung der bei vermögensverwaltenden Personengesellschaft grundsätzlich geltenden Bruchteilsbetrachtung des § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO – eine Veräußerung von inländischem unbeweglichen Vermögen gesehen werden kann. Das FG München verneinte dies und stützte sich auf eine wortlautgetreue Auslegung nach zivilrechtlichen Maßstäben37. §  49 Abs.  1 Nr.  2 Buchst.  f Doppelbuchst.  bb EStG  a.F. bestimme den Veräußerungsgegenstand als inländisches Grundstück, so dass auch unmittelbar inländisches Grundvermögen veräußert werden müsse. Auch die Bruchteilsbetrachtung des § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO führe zu keinem anderen Ergebnis, da diese nur die anteilige Zuordnung von Wirtschaftsgütern auf die Gesamthänder, wenn diese in ihrer Verbundenheit als Personenmehrheit einen Steuertatbestand verwirklicht hätten, zulasse und nicht zu einer Erweiterung des §  49 Abs.  1 Nr.  2 Buchst. f Doppelbuchst. bb EStG a.F. führe. Hiermit lag das FG München auf der Argumentationslinie des X. Senats des BFH zu § 23 EStG a.F., nach der die Veräußerung einer Beteiligung an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft unter Rückgriff auf § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO nicht als (anteilige) Veräußerung des von der Personengesellschaft gehaltenen Grundstücks qualifiziert werden kann, da die Vorschrift keine gesetzliche Grundlage dafür biete, die objektive Seite steuerrechtlicher Tatbestandsverwirklichung umzugestalten38. Dem folgend führte dann auch das FG München aus, dass auch unter Berücksichtigung der Regelung des § 23 Abs. 1 Satz 4 EStG keine beschränkte Steuerpflicht angenommen werden könne, da § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Doppelbuchst. bb EStG a.F. eben keine Regelung enthalte, nach der die Anschaffung und Veräußerung der Gesellschaftsbeteiligung als (anteilige) Anschaffung und Veräußerung der von der Gesellschaft gehaltenen Grundstücke gelte. Allerdings käme es in Konstellationen, in denen die zehnjährige Veräußerungsfrist des § 23 EStG noch nicht abgelaufen sei, zu einer Besteuerung nach § 49 Abs. 1 Nr. 8 EStG, da dieser vollumfänglich auf § 23 EStG verweise und damit auch auf dessen Abs. 1 Satz 4. Die Finanzverwaltung ließ das Urteil trotz zugelassener Revision rechtskräftig werden und bemühte den Gesetzgeber. Dieser reagierte mit einer Ergänzung von § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f Doppelbuchst. bb EStG um einen neu gefassten Satz 2, der auf § 23 Abs. 1 Satz 4 EStG verweist und damit auch für beschränkt steuerpflichtige Einkünfte im Wege der gesetzlichen Fiktion die Anschaffung oder Veräußerung von Beteiligungen an (vermögensverwaltenden) Personengesellschaften der Anschaffung

37 Hierzu auch ausführlich Engel, Vermögensverwaltende Personengesellschaften im Ertragsteuerrecht, 2. Aufl. 2015, Rz. 1489 ff. m.w.N.; Hennigfeld, FG München v. 29.7.2013 – 7 K 190/11, EFG 2013, 1852; Bron, ISR 2014, 194; Orth/Kutschka, IStR 2013, 963. 38 BFH v. 4.10.1990 – X R 148/88, BStBl. II 1992, 211, FR 1991, 15 m. Anm. Schmidt; als Reaktion auf diese Rechtsprechung wurde §  23 Abs.  1 S.  4 EStG eingeführt, nach dem die Anschaffung oder Veräußerung einer unmittelbaren oder mittelbaren Beteiligung an einer (vermögensverwaltenden) Personengesellschaft als Anschaffung oder Veräußerung der anteiligen Wirtschaftsgüter gilt.

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oder Veräußerung der anteiligen Wirtschaftsgüter der Personengesellschaft gleichstellt39. 4. Die Frage des anteiligen eigenen Grundbesitzes nach § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG Auch im Bereich der Gewerbesteuer bereitet die Sonderkonstellation der Zebragesellschaft Schwierigkeiten. Hier ist zu entscheiden, wie mit den gewerblichen Einkünften der gewerblich an der vermögensverwaltenden Personengesellschaft beteiligten Gesellschafter umzugehen ist. Unstreitig ist, dass die Einkünfte der Zebragesellschaft auf deren Ebene nicht der Gewerbesteuer unterliegen, da die Gesellschaft selbst keinen Gewerbebetrieb unterhält40. Unbestrittenermaßen handelt es sich bei der Zebragesellschaft auch nicht um eine Mitunternehmerschaft i.S.v. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG und zwar auch dann nicht, wenn alle Gesellschafter die Gesellschaftsanteile in einem Betriebsvermögen halten41. Daher kommt für negative Einkünfte aus der Zebragesellschaft auf Ebene des betrieblich beteiligten Gesellschafters eine Hinzurechnung nach § 8 Nr. 8 GewStG und bzw. für positive Einkünfte die Kürzung nach §  9 Nr.  2 GewstG nicht in Betracht42, denn mangels eigenem Gewerbebetrieb schirmt die Zebragesellschaft für gewerbesteuerliche Zwecke nicht ab. Darüber hinaus sind jedoch nach hier vertretener Ausfassung sämtliche anderen gewerbesteuerlichen Hinzurechnungs- und Kürzungsvorschriften auf Ebene des gewerblich beteiligten Gesellschafters anzuwenden43. Wenn man die vermögensverwaltende Personengesellschaft für steuerliche Zwecke negiert und deren Wirtschaftsgüter den Gesellschaftern nach §  39 Abs.  2 Nr.  2 AO zugerechnet, sind diese anteilig Teil des Gewerbebetriebs des betrieblich beteiligten Gesellschafters, so dass auch die Hinzurechnungs- und Kürzungsvorschriften Anwendung finden müssen44. In Bezug auf die sog. erweiterte Grundstückskürzung nach § 9 Nr. 1 Satz 2 ff. GewStG ist dieses Ergebnis jedoch seit einer Entscheidung des I. Senats des BFH aus dem Jah39 G. v. 19.7.2016, BGBl. I, 1730; zur Begründung auch BT-Drucks. 18/8739, 116 f.; streitig kann hier noch sein, ob auch die Mischfälle, d.h. Anschaffung von Grundstücken durch die Gesellschaft und Veräußerung der Beteiligung und umgekehrt, erfasst werden. In Hinblick auf das obiter dictum in BFH v. 21.1.2014 (IX R 9/13, BStBl. II 2016, 515 = FR 2014, 616) ist hiervon wohl auszugehen; zu dieser Thematik auch Engel, Vermögensverwaltende Personengesellschaften im Ertragsteuerrecht, 2. Aufl. 2015, Rz. 957 ff. 40 Bünning, BB 2010, 2357, 2359; Engel, Vermögensverwaltende Personengesellschaften im Ertragsteuerrecht, 2. Aufl. 2015, Rz. 1258. 41 Reiß in Kirchhof, Einkommensteuergesetz, 16. Aufl. 2017, § 15 EStG Rz. 395. 42 Bitz in Littmann/Bitz/Pust, § 15 EStG Rz. 164. 43 Vgl. auch Engel, Vermögensverwaltende Personengesellschaften im Ertragsteuerrecht, 2. Aufl. 2015, Rz. 1258; ebenso Clemens in Deloitte, § 8 Nr. 1b GewStG Rz. 42; wohl auch BMF v. 4.7.2008, BStBl. I 2008, 718 Rz. 43 in Bezug auf die Zinsschranke; teilweise a.A. Güroff in Glanegger/Güroff, § 8 Nr. 1 Buchstabe a GewStG Rz. 7. 44 So auch für Zwecke der Zinsschranke die Finanzverwaltung BMF v. 4.7.2008, BStBl. I 2008, 718 Rz. 43; gleiches muss dann aber auch für die Hinzurechnung nach § 8 Nr. 1 GewStG gelten.

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re 2010 höchst umstritten45. Der I. Senat hatte einer an einer Zebragesellschaft beteiligten grundstücksverwaltenden GmbH die erweiterte Kürzung nach §  9 Nr.  1 Satz 2 ff. GewStG insbesondere mit der Begründung verwehrt, dass es sich auch beim Halten einer (Komplementär)Beteiligung46 an einer vermögensverwaltenden, nicht gewerblich geprägten Personengesellschaft nicht um eine steuerunschädliche Nebentätigkeit handele und der Grundbesitz der (Unter-)Personengesellschaft zivilrechtlich nicht – wie nach Ansicht des I. Senats vom Wortlaut der Norm gefordert – eigener Grundbesitz der Obergesellschaft sei47. Diese Entscheidung ist in der Literatur zu Recht auf Kritik gestoßen48. Besonders das Abstellen auf zivilrechtliches Eigentum wird weit überwiegend abgelehnt49. Vielmehr ist nach zutreffender Ansicht der h.M.50 auf ertragsteuerliche Zurechnungsgrundsätze abzustellen, was für die gewerblich beteiligten Gesellschafter der Zebragesellschaft eine anteilige Zurechnung der Wirtschaftsgüter nach Maßgabe der Bruchteilsbetrachtung des § 39 Abs. 2 Satz 2 AO zur Folge hat, da die Zebragesellschaft selbst kein eigenes Betriebsvermögen hat. Daneben wird ausgeführt, dass die Entscheidung im Widerspruch zu einer Entscheidung des selben Senats aus dem Jahr 199251 stehe, in welcher dieser einen Gleichlauf zwischen dem Merkmal des „zum Betriebsvermögen des Unternehmers gehörenden“ i.S.d. § 9 Nr. 1 Satz 1 GewStG und dem Merkmal des „eigenen“ i.S.d. § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG Grundbesitzes angenommen hatte52. Der IV. Senat hat sich in seinem Vorlagebeschluss den Kritikern der Entscheidung des I. Senates angeschlossen53. Die zentrale Rechtsfrage lautet, wie das Tatbestandsmerkmal des Verwaltens von „eigenem“ Grundbesitz auszulegen ist54. Der IV. Senat widmet sich dieser Frage streng anhand des juristischen Methodenkompendiums zur Erforschung des (objektivierten) Gesetzgeberwillens und beschäftigt sich zunächst mit dem Wortlaut der Vorschrift. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass der Begriff „eigen“ nicht gleichbedeutend mit „im zivilrechtlichen Eigentum“ stehend ist, son45 BFH v. 19.10.2010 – I R 67/09, BStBl. II 2011, 367, FR 2011, 434 m. Anm. Wendt, GmbHR 2011, 384. 46 Der Komplementär war weder zur Geschäftsführung noch zur Vertretung der Gesellschaft befugt. 47 Vgl. hierzu auch Dräger, DB 2015, 1123. 48 Vgl. den Überblick zum Meinungsstand in BFH v. 21.7.2016 – IV R 26/14, BStBl. II 2017, 202, GmbHR 2016, 1325; sowie bei Kohlhaas, FR 2015, 397, 400. 49 Kohlhaas, FR 2015, 397  ff. m.w.N.; Fatouros in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Handbuch GmbH & Co. KG, 21. Aufl. 2016, G. Die vermögensverwaltende GmbH & Co. KG, Rz. 2.434; Engel, Vermögensverwaltende Personengesellschaften im Ertragsteuerrecht, 2. Aufl. 2015, Rz. 1263 f. 50 Borggräfe/Schüppen, DB 2012, 1644; Demleitner, BB 2010, 1257 ff. und BB 2011, 1190 ff.; Fröhlich, DStR 2013, 377; Kohlhaas, FR 2015, 397 ff.; Sanna, DStR 2012, 1365; Wienke, DB 2014, 2801; a.A. Bodden, DStR 2014, 2208; Gosch in Blümich, § 9 GewStG, Rz. 65, 65c. 51 BFH v. 22.1.1992 – I R 61/90, BStBl. II 1992, 628, GmbHR 1992, 626. 52 Kohlhaas, FR 2015, 397 ff. m.w.N. 53 BFH v. 21.7.2016 – IV R 26/14, BStBl. II 2017, 202, GmbHR 2016, 1325, FR 2017, 248 m. Anm. Nöcker. 54 Fischer, JbFStR 2017/2018, S. 522, 526.

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dern vielmehr vom Gesetzgeber im Sinne von „einer Person zuzurechnend“ verwendet wird55. Auch die teleologische und systematische Auslegung der Vorschrift führt nach zutreffender Ansicht des IV. Senats zu einer Interpretation des Begriffs „eigener Grundbesitz“ als „zum Betriebsvermögen gehörender Grundbesitz“. Die Möglichkeit der erweiterten Kürzung solle bestimmte Grundstücksunternehmen begünstigen, die der Art ihrer Tätigkeit nach nicht gewerbesteuerpflichtig wären, es jedoch aufgrund ihrer Rechtsform sind, wobei die Regelung insoweit an Satz 1 anknüpfe, als diese „an Stelle“ der Kürzung nach Satz 1 trete, weshalb sie nur für Unternehmen in Betracht komme, die grundsätzlich auch die Voraussetzungen des Satz 1 erfüllen würden. Dafür würde es jedoch nicht darauf ankommen, ob die betroffenen Grundstücke im zivilrechtlichen Eigentum der Gesellschaft stehen oder nicht, sondern ob sie – wie durch Satz 1 ausdrücklich vorausgesetzt  – „zum Betriebsvermögen des Unternehmens“ gehörten56. Daneben würde auch die Regelung des § 9 Nr. 1 Satz 5 Nr. 1a GewStG in der Zusammenschau der Besteuerungssystematik des § 9 Nr. 1 GewStG für eine Auslegung des Begriffs des „eigenen“ Grundbesitzes nach steuerrechtlichen Grundsätzen sprechen, da dieser Fälle regelt, in welchen die erweiterte Kürzung verwehrt wird, wenn ein Grundstück im Sonderbetriebsvermögen eines Gesellschafters (und damit im steuerlichen Betriebsvermögen der Gesellschaft, jedoch im zivilrechtlichen Eigentum des Gesellschafters) steht. Bei einer Auslegung des Begriffs des „eigenen“ Grundbesitzes im Sinne von zivilrechtlichem Eigentum würde diese Vorschrift jedoch leer laufen57. Der Vorlagebeschluss des IV. Senats ist überzeugend begründet58 und fügt sich in die Dogmatik der Zebragesellschaft ein. Die vermögensverwaltende Personengesellschaft und zwar auch in der Form der Zebragesellschaft verfügt nicht über eigenes steuerliches Betriebsvermögen. Daher sind die Wirtschaftsgüter der Zebragesellschaft deren (betrieblich beteiligten) Gesellschaftern – wie schon vom Großen Senat des BFH im Jahr 1984 entschieden – nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO als anteiliges eigenes Betriebsvermögen zuzurechnen. Nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 9 Nr. 1 Satz 2 ff. GewStG, Grundstücksunternehmen zu begünstigen, die nach der Art ihrer Tätigkeit nicht der Gewerbesteuer unterliegen, kann der Terminus des „eigenen Grundbesitzes“ in Satz 2 nur als gleichbedeutend mit „zum Betriebsvermögen des Unternehmens gehörenden Grundbesitzes“ verstanden werden. Dies ist das Unternehmen des Gesellschafters, dem der von der Zebragesellschaft zivilrechtlich gehaltene Grundbesitz anteilig als eigener Grundbesitz für steuerliche Zwecke zuzurechnen ist. Wenn man es ernst meint mit einer Anwendung des § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO und damit einer Zurech55 BFH v. 21.7.2016 – IV R 26/14, BStBl. II 2017, 202, GmbHR 2016, 1325, FR 2017, 248 m. Anm. Nöcker. 56 BFH v. 21.7.2016 – IV R 26/14, BStBl. II 2017, 202, Rz. 39, GmbHR 2016, 1325, FR 2017, 248 m. Anm. Nöcker. 57 BFH v. 21.7.2016 – IV R 26/14, BStBl. II 2017, 202, Rz. 40 f., GmbHR 2016, 1325, FR 2017, 248 m. Anm. Nöcker. 58 Dazu auch Fischer, JbFStR 2017/2018, S. 522, 526 ff.

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nung der von der vermögensverwaltenden Personengesellschaft gehaltenen Wirtschaftsgüter an die Gesellschafter vor der weiteren steuerlichen Qualifikation im Rahmen der Ertragsbesteuerung von vermögensverwaltenden Personengesellschaften, dann führt m.E. an der Gewährung der erweiterten Grundbesitzkürzung für den Zebragesellschafter kein Weg vorbei, denn diese ist Ausfluss der dann für Zebragesellschaften allgemein geltenden Besteuerungsdogmatik. Es bleibt abzuwarten, wie sich der Große Senat des BFH zur Vorlage des IV. Senats59 positionieren wird.

IV. Aktueller Stand und Besonderheiten in der Dogmatik der ­Zebragesellschaft Seit der Aufgabe der Geprägerechtsprechung durch den Großen Senat im Jahr 1984, mit welcher auch der Weg für die Zebragesellschaft geebnet wurde, hat sich diese besondere „Spezie“ verbreitet. Während die Gesellschaftsform der GmbH  & Co. KG noch in den 1960er Jahren teilweise als „Unfug“ bezeichnet wurde60, sind Zebragesellschaften aus dem heutigen Besteuerungsalltag nicht mehr wegzudenken. Aufgrund ihrer Struktur weist die Zebragesellschaft in der steuerlichen Handhabung einige Besonderheiten auf. 1. Grundsätzliches zur Einkünfteermittlung Die Überschusseinkünfte der privat beteiligten Gesellschafter sind einheitlich nach den Grundsätzen der Überschussrechnung gem. § 2 Abs. 2 Satz 2 i.V.m. §§ 8, 9, 11 EStG zu ermitteln61. Hinsichtlich der Ermittlung des Gewinnanteils der betrieblich beteiligten Gesellschafter sind grundsätzlich sämtliche Einkünfteermittlungsvorschriften der Gewinnermittlung – also beispielsweise auch die Regelungen über Sonder- bzw. Teilwertabschreibungen und erhöhte Absetzungen – heranzuziehen62. Dabei stellen sich hinsichtlich einer Gewinnermittlung nach den §§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 EStG auf Ebene der betrieblich beteiligten Gesellschafter weitere Fragen, die sich aus den Besonderheiten der Zebragesellschaft ergeben. Etwa, ob ein betrieblich beteiligter Gesellschafter an der Ausübung steuerlicher Wahlrechte aufgrund eines möglichen handelsrechtlichen Ansatzes63 auf Ebene der Gesellschaft gehindert ist oder ob steuerliche Wahlrechte, wenn an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft nur Gesellschafter beteiligt sind, die ihre Beteiligung im Betriebsvermögen halten (sog. unechte Zebragesellschaft), nur einheitlich ausgeübt werden können, wie es bei Mit59 BFH v. 21.7.2016  – IV R 26/14, BStBl.  II 2017, 202, GmbHR 2016, 1325, FR 2017, 248 m. Anm. Nöcker. 60 BFH v. 17.3.1966 – IV 233/65, BStBl. III 1966, 171. 61 Reiß in Kirchhof, 16. Aufl. 2017, § 15 EStG Rz. 395. 62 Reiß in Kirchhof, 16. Aufl. 2017, § 15 EStG Rz. 399b. 63 Auch vermögensverwaltende Personengesellschaften können sich in Form von Kommanditgesellschaften oder offenen Handelsgesellschaften als Handelsgesellschaft in das Handelsregister eintragen lassen (§§ 105 Abs. 2, 161 Abs. 2 HGB), vgl. Pyska, DStR 2010, 1372.

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unternehmerschaften i.S.v. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG der Fall ist64. Beides ist nach hier vertretener Auffassung zu verneinen. Denn eine Zebragesellschaft hat weder eigenes Betriebsvermögen, noch ist sie Mitunternehmerschaft i.S.v. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG. Mangels Betriebsvermögensvergleichs auf Ebene der Gesellschaft gibt es keine aus der Handelsbilanz abgeleitete Steuerbilanz, der Wertansatz in einer etwaigen Handelsbilanz auf Ebene der Gesellschaft ist für den Gesellschafter nicht von Bedeutung und Bilanzierungswahlrechte müssen auch nicht einheitlich ausgeübt werden, sofern das Gesetz nicht explizit etwas anderes anordnet (z.B. in § 7a Abs. 7 Satz 2 EStG)65. 2. Zebragesellschaft ohne eigenes Betriebsvermögen und daraus folgende Bruchteilsbetrachtung Eine der wesentlichen Besonderheiten der Zebragesellschaft ist ihre Handhabung in Hinblick auf Betriebsvermögen und die damit verbundene Zuordnung von Wirtschaftsgütern. Als vermögensverwaltende Personengesellschaft hat eine Zebragesellschaft selbst kein (steuerliches) Betriebsvermögen66; über steuerliches Betriebsvermögen verfügen lediglich die betrieblich an der Zebragesellschaft beteiligten Gesellschafter. Die im Betriebsvermögen der Gesellschafter gehaltene Beteiligung an einer vermögensverwaltenden Personengesellschaft stellt jedoch für steuerliche Zwecke kein eigenständig bilanzierbares Wirtschaftsgut dar67. Bei der steuerlichen Betrachtung der Zebragesellschaft kollidieren demnach an dieser Stelle die beiden unterschiedlichen Einkünfteermittlungssysteme von Gewinn- (§ 2 Satz 1 Nr. 1 EStG) und Überschusseinkunftsarten (§ 2 Satz 1 Nr. 2 EStG). Um das Betriebsvermögen auf Ebene des betrieblich beteiligten Gesellschafters erfassen zu können, wird von der h.M. die gesamthänderische Bindung der Wirtschaftsgüter durch Anwendung von § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO aufgelöst und den betrieblich beteiligten Gesellschaftern die Wirtschaftsgüter der Personengesellschaft sodann als jeweils anteiliges, eigenes Betriebsvermögen zugerechnet68. Die nach der Vorschrift des § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO notwendige Erforderlichkeit für die Besteuerung soll sich daraus ergeben, dass die von der vermögensverwaltenden Personengesellschaft vorgenommenen Handlungen nicht bei dieser steuerrechtlich relevant seien, sondern auf 64 Pyska, DStR 2010, 1372. 65 Pyska, DStR 2010, 1372, 1373; a.A. Marchal, DStZ 2005, 861, 864. 66 BFH v. 25.6.1984 – GrS 4/82, BStBl. II 1984, 751, FR 1984, 619, GmbHR 1984, 355. 67 BFH v. 6.5.2010 – IV R 52/08, BStBl. II 2011, 261, GmbHR 2010, 876, FR 2010, 941 m. Anm. Kempermann. 68 Kohlhaas, FR 2015, 397, 399; Fatouros in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Handbuch GmbH  & Co. KG, 21.  Aufl. 2016, G. Die vermögensverwaltende GmbH  & Co. KG, Rz. 2.421 ff.; so auch BFH v. 25.6.1984 – GrS 4/82, BStBl. II 1984, 751, FR 1984, 619, G ­ mbHR 1984, 355; BFH v. 11.4.2005 – GrS 2/02, BStBl. II 2005, 679, FR 2005, 1026 m. Anm. Kempermann; BFH v. 26.4.2012 – IV R 44/09, BStBl. II 2013, 142, FR 2013, 68 m. Anm. Kempermann.

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Ebene der Gesellschafter, welche als Steuersubjekte Schuldner der ausgelösten Steuer sind69. Dementsprechend werden die Wirtschaftsgüter einer Zebragesellschaft bei den betrieblich beteiligten Gesellschaftern für steuerliche Zwecke jeweils anteilig bilanziert70. Folge der anteiligen Erfassung der Wirtschaftsgüter als Betriebsvermögen ist einerseits, dass Wertsteigerungen unabhängig von den zeitlichen Grenzen privater Veräußerungsgeschäfte i.S.v. § 23 EStG steuerlich verhaftet sind; andererseits können Steuervergünstigungen, die an die Betriebsvermögenseigenschaft anknüpfen, z.B. §  6b EStG, in Anspruch genommen werden71. Des Weiteren folgt aus der von der h.M. generell angenommenen Bruchteilsbetrachtung, dass die Veräußerung eines Wirtschaftsguts durch die Zebragesellschaft auf Ebene der betrieblich beteiligten Gesellschafter als unmittelbare Veräußerung eines anteiligen Wirtschaftsgutes zu qualifizieren ist72. Veräußert der betrieblich beteiligte Gesellschafter seinen Anteil an einer Zebragesellschaft, so ist dies keine Teilbetriebsveräußerung i.S.v. § 16 EStG73, sondern lediglich eine Veräußerung der ihm anteilig zuzurechnenden Wirtschaftsgüter an der Zebragesellschaft74. Vor diesem Hintergrund einer generellen Bruchteilsbetrachtung erstaunt es schon ein wenig, dass sowohl der BFH75 für Zwecke des § 23 EStG a.F. als auch das FG München76 für Zwecke des § 49 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. f Doppelbuchst. bb EStG die Gleichstellung der Anteilsveräußerung mit der Veräußerung des anteiligen Wirtschaftsguts, konkret das inländische Grundstück, verneint haben, auch wenn man der wortlautgetreuen zivilrechtlichen Auslegung, dass die Normen ein inländisches Grundstück im zivilrechtlichen Sinne und eben keinen Gesellschaftsanteil erfordern, durchaus eine gewisse Sympathie entgegenbringen kann77. 69 Sanna, NWB 2012, 3156, 3158; BFH v. 3.2.2010 – IV R 26/07, BStBl. II 2010, 751, GmbHR 2010, 536 m. Anm. Suchanek, FR 2010, 628 m. Anm. Keß; BFH v. 4.10.1990 – X R 148/88, FR 1991, 15 m. Anm. Schmidt, BStBl. 1992, 211. 70 Pyska, DStR 2010, 1372, 1373; Sanna, NWB 2012, 3156, 3158 f.; Wacker in Schmidt, § 15 EStG Rz. 206. 71 Fatouros in Hesselmann/Tillmann/Mueller-Thuns, Handbuch GmbH & Co. KG, 21. Aufl. 2016, G. Die vermögensverwaltende GmbH & Co. KG, Rz. 2.433 f. 72 Vgl. dazu Weber-Grellet in Schmidt, 36. Aufl. 2017, § 17 EStG Rz. 59, 62. 73 Die Vergünstigungen der §§ 16, 34 EStG stehen demnach nicht zur Verfügung; vgl. Zimmermann/Hottmann/Kiebele/Schaeberle/Scheel, Die Personengesellschaft im Steuerrecht, S. 717; Paul in Herrmann/Heuer/Raupach, § 15 EStG Anm. 1474. 74 Engel, Vermögensverwaltende Personengesellschaften im Ertragsteuerrecht, 2. Aufl. 2015, Rz. 1245, 1256 m.w.N. 75 BFH v. 4.10.1990 – X R 148/88, BStBl. II 1992, 211, FR 1991, 15 m. Anm. Schmidt. 76 FG München v. 29.7.2013 – 7 K 190/11, ISR 2014, 194 m. Anm. Bron, EFG 2013, 1852. 77 Ähnlich wie in der beim Großen Senat des BFH anhängigen Frage zum „eigenen Grundbesitz“ i.S.v. § 9 Nr. 1 S. 2 GewStG, ging es im Ergebnis darum, ob der im Steuergesetz verwendete Begriff „Grundstück“ nach seinen zivilrechtlichem Gehalt zu interpretieren ist oder ob übergeordnet bzw. vorrangig die steuerrechtliche Bruchtteilsbetrachtung des § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO dazu führt, dass vor der weiteren steuerlichen Qualifiktion eine Zurechnung der von der Gesellschaft gehaltenen Wirtschaftsgüter erfolgt und dadurch in der steuerlichen Wertung eben nicht de Gesellschaftsanteil, sondern das dem Gesellschafter anteilig zuge-

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Das anteilige Vorliegen von Betriebsvermögen auf Ebene der betrieblich beteiligten Gesellschafter aufgrund der Bruchteilsbetrachtung des § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO sowie die Tatsache, dass eine Zebragesellschaft keine Mitunternehmerschaft i.S.v. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ist, wirken sich auch auf die steuerliche Einordnung der Übertragung von Wirtschaftsgütern zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern aus. Da auch für Veräußerungsgeschäfte zwischen vermögensverwaltender Personengesellschaft und Gesellschafter nach ganz h.M. die Bruchteilsbetrachtung gilt, ist ein solches Veräußerungsgeschäft nur insoweit steuerlich relevant, als das veräußerte Wirtschaftsgut nach der Veräußerung an die Gesellschaft den anderen Gesellschaftern gem. §  39 Abs. 2 Nr. 2 AO zuzurechnen ist bzw. im umgekehrten Fall dem Gesellschafter vor der Veräußerung durch die Gesellschaft das Wirtschaftsgut nicht schon gem. § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO zuzurechnen war78. Demzufolge führt auch die Übertragung eines Wirtschaftsgutes aus dem Betriebsvermögen eines betrieblich beteiligten Gesellschafters in das Gesamthandsvermögen einer Zebragesellschaft – selbst gegen fremdübliches Entgelt – insoweit, als er an der Gesellschaft beteiligt ist, steuerlich nicht zur Aufdeckung stiller Reserven79. Denn das Wirtschaftsgut verlässt im Umfang der Beteiligungshöhe des Gesellschafters aufgrund der Zurechnung nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO nicht dessen eigenes Betriebsvermögen, weshalb steuerrechtlich insoweit keine Veräußerung bzw. Anschaffung vorliegt80. Dies ist folgerichtig, wenn man einer grundsätzlichen Anwendung von § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO auf die Zebragesellschaft folgt, denn in diesem Fall kommt es, soweit der veräußernde Gesellschafter an der Zebragesellschaft beteiligt ist, nicht zu einem Wechsel des Steuersubjekts, sondern es bleibt insoweit aufgrund der Bruchteilsbetrachtung die steuerliche Verhaftung des Wirtschaftsguts im Betriebsvermögen des Gesellschafters bestehen81. 3. Weitere Besonderheiten Neben der Bruchteilsbetrachtung und den damit verbundenen, bereits geschilderten Folgen weist die Zebragesellschaft weitere Besonderheiten auf. Da eine Zebragesellschaft keine Mitunternehmerschaft i.S.v. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ist82, finden die Besteuerungsgrundsätze für Mitunternehmerschaften keine rechnete Grundstück veräußert wird. Der IX. Senat des BFH scheint wohl zu einer generellen Anwendung des § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO bei vermögensverwaltenden Personengesellschaften vor der weiteren steuerlichen Qualifikation des Sachverhalts zu neigen (Urteil v. 21.1.2014 – IX R 9/13, FR 2014, 616, BStBl. 2016, 515 im Rahmen eines obiter dictum). 78 Engel, Vermögensverwaltende Personengesellschaften im Ertragsteuerrecht, 2. Aufl. 2015, Rz. 1246. 79 BFH v. 26.4.2012 – IV R 44/09, BStBl. II 2013, 142, FR 2013, 68 m. Anm. Kempermann; s. zur Thematik auch Levedag, GmbHR 2013, 243; Sanna, NWB 2012, 3156 ff.; Schulze zur Wiesche, DStZ 2012, 833 ff. 80 BFH v. 26.4.2012 – IV R 44/09, BStBl. II 2013, 142, Rz. 25 ff., FR 2013, 68 m. Anm. Kempermann. 81 Sanna, NWB 2012, 3156, 3158. 82 BFH v. 7.4.1987 – IX R 103/85, BStBl. II 1987, 707, FR 1987, 567.

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Anwendung und für die betrieblich beteiligten Gesellschafter existiert kein Sonderbetriebsvermögen83. Vergütungen, die der betrieblich beteiligte Gesellschafter aufgrund von Leistungsbeziehungen (Miete, Zinsen, Tätigkeitsvergütungen) von der Zebragesellschaft erhält, stellen für diesen keine Sonder(betriebs)einnahmen i.S.v. §  15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 EStG dar, sondern führen nach hier vertretener Auffassung beim leistenden Gesellschafter vollumfänglich zu Betriebseinnahmen seines eigengewerblichen Betriebsvermögens und bei der Gesellschaft vollumfänglich zu Werbungskosten84. Ausgaben des betrieblich beteiligten Gesellschafters im Zusammenhang mit diesen Leistungen, stellen Betriebsausgaben im Gesellschafterunternehmen dar. Leistungen der vermögensverwaltenden Personengesellschaft an den betrieblich beteiligten Gesellschafter (z.B. Nutzungsüberlassungen, Darlehen) sollen nach überwiegender Ansicht und Rechtsprechung demgegenüber nur in Höhe des Teils steuerlich anerkannt werden, der auf die anderen Gesellschafter entfällt85. Dies wird damit begründet, dass aufgrund der Bruchteilsbetrachtung des § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO das jeweilige Wirtschaftsgut für steuerliche Zwecke anteiliges Betriebsvermögen des betrieblich beteiligten Gesellschafters ist und er somit dieses – steuerrechtlich betrachtet – als eigenes Wirtschaftsgut selbst nutzt. Dementsprechend werden bei der vermögensverwaltenden Personengesellschaft auch nur die Entgelte steuerlich erfasst, die auf die anderen Gesellschafter entfallen und auch nur diesen zur Versteuerung zugewiesen. Des Weiteren sind die Regelungen der sog. Zinsschranke (§ 4h EStG, § 8a KStG) nicht auf Ebene der Zebragesellschaft anwendbar, da diese keinen Betrieb i.S.d. Zinsschrankenregelungen darstellt. Vielmehr kommen die Vorschriften der Zinsschranke erst auf Ebene der betrieblich beteiligten Gesellschafter zum Tragen86. 4. Verfahrensrechtliche Besonderheiten Verfahrensrechtlich ist die aus der Entscheidung des Großen Senats vom 11.4.200587 resultierende partielle Bindungswirkung des Grundlagenbescheides des Gesellschaftsfinanzamtes hinsichtlich der gemeinschaftlich verwirklichten Besteuerungsmerkmale zu berücksichtigen88. Bei der Umqualifizierung der Einkünfte auf Ebene des betrieblich beteiligten Gesellschafters kann das für diesen zuständige Finanzamt 83 Dürrschmidt/Friedrich-Vache, DStR 2005, 1515, 1517; Schlagheck, StuB 2003, 346, 348. 84 Schlagheck, StuB 2007, 730, 733; Wacker in Schmidt, § 15 EStG Rz. 206; ausführlich zu Leistungen an die Gesellschaft Engel, Vermögensverwaltende Personengesellschaften im Ertragsteuerrecht, 2. Aufl. 2015, Rz. 286 ff. 85 Lothmann, Die vermögensverwaltende Personengesellschaft im Bereich der Einkommensteuer, S. 409 ff. Wacker, DStR 2005, 2014 ff.; Reiß in Kirchhof, § 15 EStG Rz. 353; BFH v. 1.2.1983 – VIII R 184/79, BStBl. II 1984, 128, FR 1983, 300; BFH v. 18.5.2004 – IX R 83/00, BStBl. II 2004, 898, FR 2004, 1075; BFH v. 18.5.2004 – IX R 42/01, BFH/NV 2005, 168; a.A. Meyer-Scharenberg, DStR 1991, 1309 ff. 86 Paul in Herrmann/Heuer/Raupach, § 15 EStG Anm. 1476. 87 BFH v. 11.4.2005 – GrS 2/02, BStBl. II 2005, 679, FR 2005, 1026 m. Anm. Kempermann. 88 Koenig in Koenig, 3. Aufl. 2014, § 180 AO Rz. 25.

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also nur solche Korrekturen vornehmen, die durch die Umqualifizierung der Überschusseinkünfte in Gewinneinkünfte erforderlich sind. Hinsichtlich der gemeinschaftlich verwirklichten Besteuerungsmerkmale, z.B. der Höhe der Einnahmen, Werbungskosten und Anschaffungskosten, ist das Gesellschafterfinanzamt hingegen – auch bei fehlerhaften Feststellungen seitens des Gesellschaftsfinanzamtes – gebunden89. Zu beachten ist hier in der steuerrechtlichen Praxis, dass Rechtsbehelfe auch bei finaler Einkünfteermittlung auf Gesellschafterebene ggf. gegen den Bescheid über die gesonderte und einheitliche Ergebnisfeststellung nach den §§  179 Abs.  2 Satz 2, 180 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a AO gerichtet werden müssen.

V. Ausblick Die vermögensverwaltende Personengesellschaft und daraus folgend auch die Zebragesellschaft sind gesetzlich kaum geregelt. Mit einzelnen Regelungen (z.B. § 20 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2, § 23 Abs. 1 Satz 4, § 21 Abs. 1 Satz 2 EStG) gibt der Gesetzgeber jedoch zu erkennen, dass er um die Existenz der vermögensverwaltenden Personengesellschaft weiß. Allerdings lässt er konkrete Besteuerungsregeln vermissen. Die Lücke, die der Gesetzgeber lässt, müssen Wissenschaft, Literatur, Verwaltung und Rechtsprechung durch eine dogmatische Einordnung der Zebragesellschaft ausfüllen. Die derzeitige Besteuerungssystematik der Zebragesellschaft ist maßgeblich von der Rechtsprechung des BFH geprägt, insbesondere den beiden Entscheidungen des Großen Senats aus den Jahren 198490 und 200591. In naher Zukunft wird die dritte Entscheidung des Großen Senates zur Zebragesellschaft erwartet, die Klarheit hinsichtlich der erweiterten Kürzung gem. §  9 Nr.  1 Satz  2 GewStG für die an einer Zebragesellschaft betrieblich beteiligten Gesellschafter bringen wird.92 Es bleibt zu hoffen, dass sich der Große Senat des BFH der dogmatisch überzeugenden Argumentation des IV. Senats anschließen wird und auch für Zwecke des § 9 Nr. 1 Satz 2 Gew­ StG auf die allgemeine Besteuerungsdogmatik der Zebragesellschaft mit einer Zurechnung der Wirtschaftsgüter nach § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO vor der weiteren steuerlichen Qualifikation rekurriert und demnach den Begriff des eigenen Grundbesitzes im Sinne einer steuerrechtlichen Zurechnung und nicht einer zivilrechtlichen Wertung interpretiert. Damit werden jedoch noch längst nicht alle Fragen rund um die Zebragesellschaft beantwortet sein. Die Zebragesellschaft wird Wissenschaft, Literatur und Rechtsprechung weiterhin in vielfältiger Weise beschäftigen. Zu nennen sind beispielhaft die Frage der ertrag- und schenkungsteuerlichen Implikationen des unentgeltlichen Austritts einer GmbH aus einer Zebragesellschaft93, diejenige, ob ein Verlustanteil aus 89 Paul in Herrmann/Heuer/Raupach, § 15 EStG Anm. 1473. 90 BFH v. 25.6.1984 – GrS 4/82, BStBl. II 1984, 751, FR 1984, 619, GmbHR 1984, 355. 91 BFH v. 11.4.2005 – GrS 2/02, BStBl. II 2005, 679, FR 2005, 1026 m. Anm. Kempermann. 92 BFH v. 21.7.2016 – IV R 26/14, BStBl. II 2017, 202, GmbHR 2016, 1325, FR 2017, 248 m. Anm. Nöcker. 93 Haase/Dorn, BB 2012, 229.

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einer Zebra-GbR, an der eine KG und deren alleiniger Kommanditist beteiligt sind, das negative Kapitalkonto i.S.v. §  15a EStG erhöht und als verrechenbarer Verlust nach § 15a Abs. 4 EStG festzustellen ist94 oder diejenige, ob die Vorgehensweise bei Zebragesellschaften im Hinblick auf die Besteuerung von Beteiligungen einer juristischen Person des öffentlichen Rechts an einer Personengesellschaft übertragbar sind95. Eine so weitgehend gesetzlich ungeregelte Materie wie diejenige der Zebragesellschaft hat auch Vorteile: Sie schafft Raum für Wissenschaftler, Praktiker, Verwaltung und Rechtsprechung, den rechtlichen Diskurs zu suchen, zu forschen, zu diskutieren und Lösungsansätze zu unterbreiten. Bereichernde Beiträge zur Zebragesellschaft sind daher auch nicht allzu spärlich zu finden. Auch der Jubilar ist in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung niemals müde geworden, seinen Beitrag zu leisten und die geltende Dogmatik und Einordnung der Zebragesellschaft immer wieder zu hinterfragen und weiterzuentwickeln96. Auch hierfür gebührt ihm Dank. Angesichts der Vielzahl der rechtlichen und steuerrechtlichen Themen, mit denen sich der Jubilar beschäftigt, bleibt zu wünschen, dass er sich auch weiter mit der ihm gegebenen Prägnanz an der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Themen rund um die Zebragesellschaft beteiligen wird.

94 FG Münster v. 12.4.2016 – 5 K 3838/13 F, EFG 2015, 1253; Revision eingelegt: BFH IV R 32/16. 95 Schiffers, DStZ 2016, 535, 539. 96 Vgl. nur Crezelius, JbFStR 1993/94, 322; ders., JbFStR 1995/96, 328; ders., JbFStR 1996/97, 316; ders., JbFStR 2003/04, 359.

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Der mitunternehmerische Nießbrauch als Gestaltungsmittel der Nachfolgeberatung Inhaltsübersicht

I. Einleitung

II. Das Wesen des mitunternehmerischen Nießbrauches an einem Mitunter­ nehmeranteil 1. Diagonale Spaltung 2. Die Nutzungen des Nießbrauchers 3. Beteiligung an außerordentlichen ­Erträgen 4. Erbschaftsteuerliche Betrachtung III. Problembereiche des mitunternehmerischen Nießbrauches 1. Ausgestaltung der Mitunternehmer­ initiative – Vollmacht für den Nießbraucher 2. Verlustverteilung





3. Inhalt des Nießbrauchrechts – Ein­ bringung des mit dem Nießbrauch ­belasteten Gesellschaftsanteils in eine Kapitalgesellschaft 4. Verzicht auf den Nießbrauch am ­Mitunternehmeranteil und an WG des Sonderbetriebsvermögens

IV. Der Nießbrauch als Ersatzgestaltungsmittel für die Übertragung gegen wiederkehrende Leistungen 1. Problemstellung, Kritik 2. Gestaltung unter Einsatz von Nießbrauchsrechten

V. Zusammenfassung

I. Einleitung Nießbrauchsrechte sind als umfassende Nutzungsrechte steuerlich sehr interessant, weil sie eine eigene Einkommensquelle darstellen können und damit immer wieder Gegenstand von steuerlichen Gestaltungen waren und sind. Ende der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts war der Nießbrauch an Immobilien ein gefragtes Gestaltungsmittel und zwar in seiner Ausprägung als Vorbehalts- und Zuwendungsnießbrauch und hat zu dem sogenannten Nießbraucherlass der Finanzverwaltung, vgl. BMF Schreiben vom 30.9.2013 , BStBl. I, 1184, geführt, der bis heute in immer wieder überarbeiteter Form Anwendung findet und für die Rechtsfindung nach wie vor notwendig ist, weil der Nießbrauch bei seiner steuerlichen Anwendung immer wieder Fragen aufwirft. Dieser Beitrag widmet sich den nachtstehenden Fragestellungen zum mitunternehmerisch ausgestalten Nießbrauch.

II. Das Wesen des mitunternehmerischen Nießbrauches an ­einem ­Mitunternehmeranteil 1. Diagonale Spaltung Der mitunternehmerische Nießbrauch an einem Mitunternehmeranteil ist dadurch gekennzeichnet, dass die Mitunternehmerstellung zwischen dem Nießbraucher und 315

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dem Gesellschafter diagonal aufgespalten wird. Der Nießbrauch umfasst den entnahmefähigen Gewinn; dem Nießbrauchbesteller verbleiben die Beteiligung an der Auflösung von stillen Reserven und die Vermögenssubstanz des Mitunternehmeranteils selbst. Zivilrechtlich ist nach heute herrschender Auffassung ein Personengesellschaftsanteil mit einem dinglichen Recht (Nießbrauch) belastbar1. Einkommensteuerrechtlich ist unabhängig davon, in welcher Form ein Nießbrauch am Gesellschaftsanteil einer Personengesellschaft begründet wird, der Nießbraucher dann Mitunternehmer, wenn er aufgrund der im Einzelfall getroffenen Abreden oder mangels solcher aufgrund gesetzlicher Bestimmungen, eine rechtliche und tatsächliche Stellung erlangt, die dem Typusbegriff des Mitunternehmers entspricht2. Die beiden Mitunternehmermerkmale Mitunternehmerinitiative und Mitunternehmerrisiko müssen beim Nießbraucher und beim Nießbrauchbesteller (Gesellschafter) erfüllt sein. Beim Nießbraucher ist die Mitunternehmerinitiative dann erfüllt, wenn ihm mindestens die Kontrollrechte eines Kommanditisten hinsichtlich des ihm zustehenden Gewinnes zustehen und das Mitunternehmerrisiko darin besteht, dass kein entnahmefähiger Gewinn vorhanden ist und deshalb dem Mitunternehmernießbraucher kein Gewinnanteil zusteht. Für den Nießbrauchbesteller (Gesellschafter) besteht die Mitunternehmerinitiative aufgrund seiner Gesellschafterstellung und der damit verbundenen Kontrollrechte eines Kommanditisten bei der KG und das Mitunternehmerrisiko darin, dass stille Reserven nicht vorhanden sind oder vorhandene realisiert werden können und aufgrund der persönlichen Haftung, wenn der Kommanditanteil (Haftsumme) nicht in voller Höhe geleistet wurde oder der Kapitalanteil ganz oder teilweise an den Gesellschafter/Nießbraucher zurückbezahlt wurde. 2. Die Nutzungen des Nießbrauchers Dem Nießbraucher stehen nach dem Gesetz (§ 1030 BGB) die Nutzungen der Sache bzw. des Rechtes über § 1068 Abs. 2 BGB zu. Zu den Nutzungen gehören nach § 100 BGB die Früchte des Rechtes sowie die Vorteile welche der Gebrauch der Sache oder Rechts gewährt. Zu den Früchten eines Rechtes gehören die Erträge welche das Recht seiner Bestimmung gemäß gewährt. Früchte sind auch die Erträge, welche das Recht vermöge eines Rechtsverhältnisses gewährt. Die Gewinne eines Unternehmens gehören zu den Nutzungen, nicht jedoch das Bezugsrecht des Aktionärs auf neue Aktien oder das Bezugsrecht auf neue Anteile des Mitgliedes einer Personengesellschaft und auch nicht der Kursgewinn beim Verkauf von Aktien. Hier liegt z.B. kein bestimmungsgemäßer Ertrag der Aktie vor, weil das Bezugsrecht auf einem Beschluss der Aktionäre beruht, OLGE 24, 139. Der BGH rechnet den Gewinn eines Unternehmens des Wirtschaftslebens zwar zu den Nutzungen im Sinne von § 100 BGB, nicht aber zu den Früchten einer Sache oder eines Rechts, vgl. Müko, § 99 BGB, Fn. 32. In LM, §102 Nr. 1 werden die Erträgnisse eines Unternehmens zu den mittelbaren Rechtsfrüchten 1 Vgl. Schmidt, GesellschaftsR, 4. Aufl., § 61 II 1. 2 Vgl. BFH v. 1.3.1994 – VIII R 35/92, BStBl. II 1995, 241; Wälzholz, DStR 2010, 1786.

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im Sinne von § 99 Abs. 3 gerechnet. In BGHZ 63, 365, 368 bleibt die Zurechnung des Gewinns im Rahmen der §§  99, 100 BGB offen. In BGHZ 168, 220, 2413 lässt der BGH die Frage der Zuordnung des Unternehmensgewinnes als Frucht im Sinne von § 99 BGB oder als Gebrauchsvorteil i.S. von § 100 Alt. 2 BGB offen und behandelt den Unternehmensgewinn als Nutzung. Aus dem Begriff der Nutzungen folgt für die Behandlung der Erträgnisse eines Nießbrauches, dass das Nießbrauchsrecht immer nur dasjenige erfassen kann, was sich als Ergebnis aus dem Gebrauch des Rechts als unmittelbare oder mittelbare Frucht darstellt, niemals jedoch die Substanz der Sache oder des Rechts. Dies wird besonders deutlich z.B. bei dem durch Verkauf einer Aktie erzielten Kursgewinn. Dieser hängt weder mit dem Gebrauch zusammen noch ist er Frucht aus der Aktie sondern Teil der Substanz. Der Nießbrauch erstreckt sich daher mit seinem gesetzlichen Inhalt nicht auf die Substanz eines Rechtes. Daraus folgt für den Nießbrauch an einem Gesellschaftsanteil, dass der Nießbrauch sich nur auf den laufenden Gewinn des betreffenden Gesellschaftsunternehmens beziehen kann. 3. Beteiligung an außerordentlichen Erträgen Die Nutzungen aus dem bestimmungsgemäßen Gebrauch sind auch für die Frage entscheidend, wem die außerordentlichen Erträge aus der Auflösung stiller Reserven zustehen. Die herrschende Meinung unterscheidet hier die Substanzminderung von der Nutzung und kommt demgemäß folgerichtig zu der Auffassung, dass die stillen Reserven, da sie eine Substanzminderung darstellen, dem Gesellschafter und nicht dem Nießbraucher zustehen. So auch Pohlmann in MünchKomm/BGB, 6. Aufl., § 1068 BGB Rz. 58. Der BFH hat in seiner Entscheidung v. 1.3.1994 − VIII R 35/92, BStBl. II 1995,241 unter Hinweis auf seine Entscheidung v. 28.1.1992 − VIII R 207/85, BStBl. II 1992, 605 ausgeführt, dass dem Nießbrauch an einem Gesellschaftsanteil einer Personengesellschaft – wie beim Nießbrauch bei einem GmbH-Geschäftsanteil – nur derjenige Teil der Nutzungen der Gesellschaftsanteile unterliegt, der nicht auf die realisierten Reserven im Anlagevermögen entfällt. Die weitere Frage im Zusammenhang mit der steuerlichen Behandlung des mitunternehmerisch ausgestalteten Nießbrauchsrechtes an einem Gesellschaftsanteil einer Personenhandelsgesellschaft betrifft den Inhalt dieses mitunternehmerischen Nießbrauches. Diesen Inhalt prüft der BFH in seiner Entscheidung v. 1.9.2011 – II R 67/09; BFH/NV 2011, 2066 umfassend und kommt zum Ergebnis, dass für einen mitunternehmerisch geprägten Nießbrauch an einem Gesellschaftsanteil nach der auch für die Erbschaftsteuer maßgeblichen ertragsteuerlichen Betrachtung ein Mitunternehmer­ anteil vorhanden sein muss. Dies ist nach Auffassung des BFH dann gegeben, wenn ein Rechtsverhältnis die Grundlage für Mitunterinitiative und Mitunternehmerrisiko gewährt; dabei wird eine Beteiligung an den stillen Reserven des belasteten Gesellschaftsanteils nicht verlangt. 3 NJW 2006, 2847 Rz. 46.

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4. Erbschaftsteuerliche Betrachtung Die Finanzverwaltung hat sich mit Erlass v. 2.11.2012, BStBl. I 2011, 1101 dieser Auffassung angeschlossen und hat den mitunternehmerisch ausgestalteten Nießbrauch als eine Form des begünstigungsfähigen Betriebsvermögens im Sinne von § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG qualifiziert.

III. Problembereiche des mitunternehmerischen Nießbrauches 1. Ausgestaltung der Mitunternehmerinitiative − Vollmacht für den ­Nießbraucher Problembereiche des mitunternehmerischen Nießbrauches liegen insbesondere in der Ausgestaltung der vorstehend beschriebenen Mitunternehmerrechte. Die Begründung eines Nießbrauches erfolgt meist im Zusammenhang mit der unentgeltlichen Übertragung von Gesellschaftsanteilen auf die jüngere Generation. Dabei möchte sich der übertragende Gesellschafter oftmals die Stimmrechte soweit als möglich vorbehalten um selbst noch bestimmend auf die Gesellschafterversammlung einwirken zu können. Das Motiv für eine lebzeitige Übertragung von Mitunternehmer­ anteilen ist die Heranführung der jungen Generation an das Unternehmen, die Ausnützung von erbschaftsteuerlichen Begünstigungsvorschriften und die Übertragung der künftig anfallenden Gewinnanteile, die die ältere Generation für eine angemessene Versorgung nicht mehr benötigt. Dies führt dazu, dass die Mitunternehmer­ anteile, mit einem Quotennießbrauch als Vorbehaltsnießbrauch belastet, auf die junge Generation übertragen werden. Um die erbschaftsteuerlichen Begünstigungen zu erhalten müssen sowohl der übertragende Gesellschafter hinsichtlich seines Nießbrauches Mitunternehmer bleiben als auch der Erwerber als Nießbrauchsbesteller Mitunternehmer werden. Der BFH hat in zwei Entscheidungen hierzu ausgeführt, dass bereits im Zeitpunkt des Überganges der Beteiligung auf den Erwerber dieser Kraft der übertragenen Beteiligungen Mitunternehmer werden muss, BFH v. 23.2.2010 − II R 42/08; DStR 2010, 868; BFH v. 16.5.2013 − II R 5/12, DStR 2013, 1380. Es reicht für die erbschaftsteuerlichen Vergünstigungen gerade nicht aus, dass der Erwerber bereits Mitunternehmer ist und noch einen Gesellschaftsanteil erwirbt, der selbst keine Mitunternehmerstellung vermittelt. Dieses Problem entsteht insbesondere bei der Ausgestaltung des Stimmrechtes für den Nießbraucher. Dieser braucht, um Mitunternehmer zu bleiben, noch hinsichtlich des entnahmefähigen Gewinnes die Möglichkeit, Mitunternehmerinitiative zu entfalten; deshalb wird das Stimmrecht zwischen dem Nießbraucher und dem Nießbrauchsbesteller oftmals entsprechend der diagonalen Spaltung des Mitunternehmeranteils in der Weise gespalten, dass der Nießbraucher das Stimmrecht in den laufenden Angelegenheiten ausüben darf und der Nießbrauchsbesteller in den Grundsatzfragen im Bereich des Kernbereiches der Mitgliedschaftsrechte; wobei der Nießbrauchsbesteller die Regelung in § 1071 BGB beachten muss, dass zur Aufgabe des dem Nießbrauchs unterliegenden Rechtes die Zustimmung des Nießbraucher erforderlich ist. Diese Form der Aufspaltung funktioniert gesellschaftsrechtlich insbesondere dann, wenn beide noch Gesellschafter aus eigenem Recht sind, weil 318

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dann jeder von ihnen über eine Gesellschafterstellung verfügt und nur die Höhe ihres Stimmrechtes je nach Beschlusslage differiert. Schwieriger wird die Rechtslage dann, wenn der Schenker die gesamte Beteiligung überträgt, damit aus der Gesellschaft ausscheidet und jetzt für die Ausübung seines Stimmrechtes eine neue Rechtsgrundlage braucht. Hierzu gibt es zum einen die Vollmacht, wenn der Gesellschaftsvertrag eine Vollmacht zulässt oder alle anderen Gesellschafter der Bevollmächtigung des Schenkers durch den Gesellschafter mit einer entsprechenden Aufteilung des Stimmrechtes nach den genannten Beschlussgegenständen zustimmen. Ist dies nicht zu erreichen, bleibt nur die Möglichkeit der internen Abstimmung zwischen dem Nießbraucher und dem Nießbrauchsbesteller in einer Vorabstimmung unter ihnen mit der Festlegung über eine Stimmbindung, wie − je nach der intern vereinbarten Aufteilung der Zuständigkeiten − der Gesellschafter in der Gesellschafterversammlung abzustimmen hat. Diese Form der Stimmrechtswahrnehmung wird vom BFH für die Gewährung der erbschaftsteuerlichen Vergünstigungen akzeptiert, vgl. Wachter, DStR 2013, 1929, 1933. Aus der Sicht des BFH wird es dann problematisch, wenn sich der Nießbraucher alle Stimmrechte, die mit dem übertragenen Anteil verbunden sind, vorbehält oder wenn die interne Stimmbindung den Gesellschafter an der Ausübung seiner Stimmbefugnis bei den Grundlagengeschäften des Kernbereiches beeinträchtigt, vgl. BFH − II R 42/08 v. 23.2.2010, DStR 2010, 868; Hochheim/Wagenmann, DStR 2010, 1707, 1709. Allerdings lässt es der BFH zu, dass der Gesellschafter im Bereich der Grundlagengeschäfte seine Stimme nur nach vorheriger Zustimmung des Nießbrauchers ausüben darf. Hier scheint sich der Zustimmungsvorbehalt des § 1071 BGB auszuwirken. Es wird auch die gemeinschaftliche Ausübung des Stimmrechts akzeptiert mit der Folge, dass man sich im Nichteinigungsfall der Stimme enthalten muss, vgl. Wachter a.a.O.; Wälzholz, Aktuelle steuerliche Gestaltungsprobleme des mitunternehmerischen Nießbrauchs am Anteil einer Personengesellschaft, DStR 2010, 1930 schlägt hierzu vor, für alle wesentlichen und ggf. auch die laufenden Entscheidungen der Gesellschaft im Innenverhältnis festzulegen, dass die Stimm- und sonstigen Mitverwaltungsrechte nur einvernehmlich von Nießbraucher und Gesellschafter ausgeübt werden dürfen und die laufenden Gewinne im Sinne eines Quotennießbrauches zu teilen sind. Dies ist nach Wälzholz die sicherste Gestaltung. Dies bedeutet aber eine beträchtliche Schwächung der Stellung des Nießbrauchers, weil er in den Bereichen, in denen er eigentlich sein Stimmrecht ausüben könnte, beschränkt wird und ihm der entnahmefähige Gewinn vorenthalten werden kann, wenn sie sich nicht einigen. Die Frage, ob es auf die Widerruflichkeit oder Unwiderruflichkeit von weit gefassten Vollmachten für den Nießbraucher ankommt, wird von Wachter verneint; entscheidend ist allein der zu weite Vollmachtumfang für den Nießbraucher. Wachter weist dabei darauf hin, dass der maßgebliche Zeitpunkt für die Frage der Widerruflichkeit die Ausübung zur Zeit der Erfüllung der Schenkung wäre. Zu diesem Zeitpunkt wird darüber noch nicht entschieden sein.

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2. Verlustverteilung Nach dem grundlegenden Urteil zum mitunternehmerischen Nießbrauch des BFH vom 1.3.1994, BStBl. II 1995, 241, 245 fällt ein Verlust dem mit dem Nießbrauch belasteten Mitunternehmeranteil des Gesellschafters zu und nicht dem Nießbraucher. Dies wird zum Teil kontrovers diskutiert. Nach BFH4 sind die Verlustanteile in der Regel dem Besteller zuzurechnen, es sei denn, es besteht eine anderslautende Vereinbarung zwischen dem Nießbrauchbesteller und dem Nießbraucher. Götz a.a.O stellt die Auswirkungen einer solchen Vereinbarung dar und weist daraufhin, dass die Verlustzurechnung beim Nießbraucher folgerichtig dazu führt, dass ihm auch die Gewinnanteile, obwohl sie nicht entnahmefähig sind, wieder zuzurechnen sind bis zur Höhe des durch den Verlust geminderten Kapitalkontos. Bei der Gegenauffassung führt die Verlustzuweisung beim Nießbrauchbesteller dazu, dass er den Verlust als ausgleichsfähigen Verlust bis zur Höhe nach § 15a EStG erhält und andererseits auch den zukünftigen Gewinn bis zur Höhe des durch Verluste geminderten Kapitalkontos zu versteuern hat. Erst der entnahmefähige Gewinn führt wieder zur Versteuerung beim Nießbraucher, der den Gewinn auch erhält. In diesem Fall würde der Nießbraucher im Verlustfalle den Verlust nicht zugerechnet erhalten, weil der Nießbrauch nur entnahmefähige Ergebnisbestandteile umfasst. Die unterschiedlichen Auffassungen sind von Götz, ZEV 2015, 84 dargestellt. Der Kernpunkt der Diskussion dreht sich darum, ob wie von Wacker in Schmidt/Wacker, Kommentar zum EStG, § 15 Rz. 311 ausgeführt der entstandene Verlust dem Nießbraucher zuzurechnen ist, weil er in der Zukunft aufgrund der Verrechnung künftiger Gewinne mit dem negativen Kapitalkonto entnahmefähige Gewinne verliert oder ob man der BFH-Auffassung folgt, dass die Verluste dem Nießbrauchsbesteller zuzurechnen sind. Weiter geht es um die Frage, ob diese Verluste beim Nießbraucher der Ausgleichsbeschränkung des § 15a EStG unterliegen, weil der Nießbraucher den Verlust wirtschaftlich nicht trägt und nicht zum Ausgleich bei Beendigung des Nießbrauches verpflichtet wäre. Das FG Köln hat sich für die Auffassung von Wacker entscheiden, vgl. BeckRS 2014, 94137. Der BFH hat sich in seiner Entscheidung IV R 43/13, BFH/NV 16, 742 nicht dieser Auffassung angeschlossen und weist den Verlust dem Gesellschafter zu, wenn er als Mitunternehmer anzusehen ist. Nach meiner Auffassung führt der Verlust zu einer zumindest temporären Vermögensminderung der Gesellschaft. Diese Vermögensminderung trifft in erster Linie den Gesellschafter und nicht den Nießbraucher. Aus der Regelung in §  1068 BGB werden zum Teil aufgrund der Mitunternehmerstellung des Nießbrauchers diesem auch Mitwirkungsrechte wie z.B. Stimmrecht zugeordnet, die wegen des Gleichlaufs von Kontrolle und Haftung zu einer Außenhaftung und Kapitalerhaltungspflicht des Nießbrauchers führen, vgl. Pohlmann in Müko, §  1068 BGB Rz.  67. Bei einer beschränkten Haftung wie dies z.B. bei einem Nießbrauch an einem Kommanditanteil der Fall ist, entsteht eine Haftung nur bei Verstoß gegen die Kapitalerhaltungsregeln, die zu einer wie auch immer gearteten Einlagenrückgewähr führt, die jedoch dem 4 Vgl. BFH v. 1.3.1994 – VIII R 35/92, BStBl. II 1995, 241 zu III. 3.3.c.

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Gesellschafter als Substanzminderung zugerechnet wird. Daher ist aus meiner Sicht die Verlustzurechnung beim Gesellschafter − entsprechend der Auffassung des BFH − die vorzugswürdigere Lösung. 3. Inhalt des Nießbrauchrechts – Einbringung des mit dem Nießbrauch ­belasteten Gesellschaftsanteils in eine Kapitalgesellschaft Das Wesen des Nießbrauches umfasst eine Beteiligung am laufenden entnahmefähigen Gewinn. Die stillen Reserven gebühren dem Nießbrauchbesteller (Gesellschafter). Trotz dieser klaren Gewinnverteilung zwischen dem Nießbraucher und dem Nießbrauchbesteller (Gesellschafter) macht der mitunternehmerisch gestaltete Nießbrauch bei der Umgestaltung des mit dem Nießbrauch belasteten Mitunternehmeranteils Probleme. Wird ein Mitunternehmeranteil, der mit einem mitunternehmerisch geprägten Nießbrauch belastet ist, nach §  20 Abs.1 UmwStG in eine Kapitalgesellschaft gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten eingebracht, wird im überwiegenden Teil der Kommentarliteratur die Auffassung vertreten, dass auch der Nießbraucher Gesellschafter der Kapitalgesellschaft werden müsse, um die Buchwertfortführung zu gewährleisten, vgl. Widmann in Widmann/Mayer, § 20 UmwStG Rz. 139; Herlinghaus in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, §  20 UmwStG Rz.  99; Schmitt/Hörtnagl/ Stratz, §  20 UmwStG Rz.  139; Blümich/Nitzschke, 134. Aufl. 2016, §  20 UmwStG Rz. 61. Die Kommentatoren weisen darauf hin, dass die Buchwertfortführung nur gewährt werden kann, wenn nicht nur der Nießbrauchbesteller, sondern auch der Nießbraucher als Mitunternehmer Gesellschafter der Kapitalgesellschaft werde. Die genannten Kommentatoren gehen dabei davon aus, dass nach dem Wortlaut der Vorschrift jeder Mitunternehmer, der einen Mitunternehmeranteil in die Kapitalgesellschaft einbringt, Gesellschafter der Kapitalgesellschaft werden müsse, um die Möglichkeit der Buchwertfortführung zu erhalten. Die Vorschrift des § 20 UmwStG ist notwendig, um den mit der Einbringung der Mitunternehmeranteile verbundenen Tausch, der normalerweise als das klassische Veräußerungsgeschäft zur Aufdeckung der stillen Reserven führt, zu vermeiden und die Möglichkeit der Buchwertfortführung zu eröffnen. Es handelt sich also um eine Ausnahmevorschrift, die grundsätzlich eng auszulegen ist und dies führt zu der strengen Auffassung der genannten Kommentatoren. Dabei wird nach meiner Auffassung jedoch der Umstand vernachlässigt, dass die Mitunternehmerschaft zwischen dem Nießbrauchsbesteller und dem Nießbraucher über die diagonale Spaltung verbunden ist. Damit liegen in umwandlungssteuerlicher Hinsicht nicht zwei Mitunternehmerschaften vor, die nach den Grundsätzen des §  20 UmwStG zu behandeln sind, sondern eine insoweit gemeinsame Mitunternehmerschaft, die entsprechend den gesetzlichen Vorgaben die Voraussetzungen der Vorschrift erfüllt. Die stillen Reserven sind auch nach der Einbringung doppelt verhaftet in der Kapitalgesellschaft und in den Anteilen des Gesellschafters. Der Nießbrauch stört dies nicht, weil der Nießbrauch bei gesetzlicher Ausprägung keine Beteiligung an stillen Reserven vermittelt. Schießl in Widmann/Mayer führt dies auch in salomo321

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nischer Weise aus, weil er danach unterscheidet, ob der Nießbrauch eine Beteiligung an stillen Reserven vermittelt oder nicht, a.a.O. Die Mitunternehmerstellung des Nießbrauchers erfordert nicht zwingend eine Beteiligung an den stillen Reserven, sondern braucht, um eine Mitunternehmerstellung bejahen zu können, Mitunternehmerinitiative und Mitunternehmerrisiko. Beides hat der Nießbraucher bei der diagonalen Spaltung des Mitunternehmeranteils hinsichtlich des entnahmefähigen laufenden Gewinns. Wenn nun die Einbringung des Mitunternehmeranteils, der mit einem mitunternehmerischen Nießbrauch belastet ist, in eine Kapitalgesellschaft gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten erfolgt, erhält der Gesellschafter (Nießbrauchbesteller) Anteile an der Kapitalgesellschaft. Der Nießbraucher ist in seinen Rechten geschützt, weil nach § 1071 Abs. 2BGB zur Umwandlung seines Rechtes seine Zustimmung erforderlich ist. Damit hat der Nießbraucher die Möglichkeit, sich einen Nießbrauch am Kapitalgesellschaftsanteil, der aus der Einbringung entsteht, einräumen zu lassen, wenn dieser nicht wie z.B. nach § 202 Abs. 1 Nr. 2 UmwG für den Fall des Formwechsels am neu entstandenen Anteil eh fortbesteht. Im Rahmen dieses Nießbrauchs am Kapitalgesellschaftsanteil stehen dem Nießbraucher die ausschüttungsfähigen Gewinne zu. Die Kontrollrechte, die ihm ähnlich eines Kommanditisten hinsichtlich des laufenden Gewinnes zustehen, können als Informationsrechte gegenüber dem Gesellschafter fortgesetzt werden. Die Sicherung der Besteuerung der stillen Reserven ist sowohl auf der Ebene der Kapitalgesellschaft gesichert, weil das Gesellschaftsvermögen bei der Veräußerung oder Entnahme steuerlich verhaftet ist, als auch darüber hinaus in der Form, dass die Anteile als einbringungsgeborene Anteile selbst steuerverhaftet sind. Die Steuerverhaftung betrifft nur den einbringenden Gesellschafter aufgrund der Einbringungsgeborenheit. Dieser Umstand kann das gefundene Ergebnis nicht beeinträchtigen, weil die stillen Reserven nur dem Gesellschafter als Nießbrauchsbesteller zustehen. 4. Verzicht auf den Nießbrauch am Mitunternehmeranteil und an WG des ­Sonderbetriebsvermögens Der Nießbrauch an einem Gesellschaftsanteil kann in unterschiedlicher Weise beendet werden: a) durch Ableben des Nießbrauchers, b) durch Verzicht des Nießbrauchers. Gemäß § 1061 Satz 1 BGB, § 1068 Abs. 2 BGB erlischt das Nießbrauchsrecht durch den Tod des Nießbrauchers; beim Verzicht erlischt der Nießbrauch durch Konsolidation mit dem Eigentum an dem Mitunternehmeranteil gemäß § 1063 Abs. 1, § 1068 Abs. 2 BGB. Steuerlich wird durch den Tod des Nießbrauchers der Nießbrauch ebenso beendet; das Nießbrauchsrecht fällt weg. Die steuerlichen Folgen der Beendigung entfallen in denjenigen Fällen in denen der Nießbrauch als Einkommensverwendung, wie z.B. 322

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beim Ertragsnießbrauch, angesehen wird. Beim Erlöschen des mitunternehmerischen Nießbrauch geht nach Auffassung von Mielke, DStR 2014, 18 „Steuerliche Folgen des Todes des Nießbrauchs-Mitunternehmers“ das Nießbrauchsrecht ertragsteuerlich auf den Nießbrauchsbesteller gemäß § 6 Abs. 3 EStG über. Damit liegt ein Fall der Buchwertfortführung vor. Mielke kommt in dem genannten Beitrag zum Ergebnis, dass das Erlöschen des Nießbrauches von Todes wegen wie der Verzicht unter Lebenden zu behandeln ist, weil in beiden Fällen das belastete Gesellschaftsrecht zum Vollrecht erstarkt und diese Veränderung wie ein Übergang des Nießbrauches gemäß § 6 Abs. 3 EStG zu behandeln ist. Ausgehend von diesen Überlegungen ist die weitere Frage zu stellen, welche ertragsteuerlichen Folgen eintreten, wenn auf einen Nießbrauch an einem zum steuerlichen Sonderbetriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgut verzichtet wird. Hierzu folgendes Fallbeispiel: Es besteht eine Betriebsaufspaltung zwischen einer Mitunternehmerschaft (Besitzgesellschaft) und einer Kapitalgesellschaft (Betriebsgesellschaft). Der Vater als Mehrheitsgesellschafter hatte von seinen Anteilen an der Besitzgesellschaft und an der Betriebsgesellschaft von je 52 % jeweils 16 % auf seine drei Kinder unter Vorbehalt eines Quotennießbrauches von je 50 % an beiden Gesellschaften übertragen. Nun möchte der Vater auf seinen Nießbrauch an der Kapitalgesellschaft verzichten und den Nießbrauch an seinem Mitunternehmeranteil (Besitzgesellschaft) fortsetzen. Es stellt sich hierbei die Frage, wie der Nießbrauchverzicht auf die im Sonderbetriebsvermögen befindlichen Anteile an der Kapitalgesellschaft ertragsteuerlich zu würdigen ist. Zunächst ist die Vorfrage zu klären, welche steuerlichen Auswirkungen mit der schenkungsweisen Übertragung der Mitunternehmeranteile einschließlich Sonderbetriebsvermögen unter Vorbehalt eines Nießbrauchs (Einräumung eines Vorbehaltsnießbrauches) verbunden sind. Die Übertragung der Gesellschaftsanteile unter Vorbehalt des Nießbrauchs könnte die Übertragung von − um das Nießbrauchrecht verminderte − Gesellschafts- bzw. Geschäftsanteilen sein. Der Zurückbehalt eines Wirtschaftsguts „Vorbehaltsnießbrauch“ begründet zwar keine Anschaffungskosten für den Erwerb eines immateriellen Wirtschaftsgutes i.S.v. § 5 Abs. 2 EStG, weil kein Wirtschaftsgut erworben wurde. Vielmehr wurde ein Wirtschaftsgut durch „Abspaltung“ des Vorbehaltsnießbrauches vom Gesellschaftsanteil zurückbehalten. Diese Frage hat der BFH in seiner Entscheidung v. 28.7.1981 – VIII R 124/76, NJW 1982, 256 für den Fall des Vorbehaltsnießbrauches bejaht, weil er zu dem Ergebnis kam, dass der Vorbehalt eines Nießbrauches bei der Übertragung eines Wirtschaftsgutes keine Gegenleistung darstelle, weil das übertragene Wirtschaftsgut vermindert um das zurückbehaltene Nießbrauchsrecht übertragen werde. Daraus folgt auch, dass dem zurückbehaltenen Wirtschaftsgut historische Anschaffungskosten zugeordnet werden müssen, die nach dem Verhältnis des gemeinen Wertes des gesamten Gesellschaftsanteils respektive Geschäftsanteils im Verhältnis zum Kapitalwert des Nießbrauchs ermittelt werden können.

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Eine andere Auffassung kommt zu dem Ergebnis, dass der Vorbehaltsnießbrauch im Zusammenhang mit der unentgeltlichen Übertragung der Gesellschafts- und Geschäftsanteile als Teil des unentgeltlichen Rechtsgeschäftes selbst unentgeltlich bestellt wurde und deshalb ein unentgeltlich begründetes Wirtschaftsgut ist, das nicht nach § 5 Abs. 2 EStG beim Schenker aktiviert werden kann. Dieser Auffassung steht jedoch die Auffassung von Krumm in Blümich, § 5 EStG Rz. 593 gegenüber, dass die Übertragung unter Nießbrauchsvorbehalt nicht zu einer Anschaffung eines immateriellen Wirtschaftsgutes führt. Nach meiner Auffassung ist der ersteren Auffassung zuzustimmen, weil ein Vorbehaltsnießbrauch, der anlässlich einer unentgeltlichen Übertragung von Gesellschaftsanteilen nicht unentgeltlich bestellt wurde, vorbehaltene Rechte aus dem Eigentum darstellt und deshalb ein „Weniger“ auf den Beschenkten übertragen wird. Dass der BFH die vorbehaltenen Rechte nicht als Gegenleistung ansieht unterstützt diese Auffassung, ebenso wie die Ansicht, dass im Vorbehalt des Nießbrauches keine entgeltliche Anschaffung eines immateriellen Wirtschaftsgutes zu sehen ist. Analog der Auffassung zum Verzicht auf einen mitunternehmerischen Nießbrauch als Übertragung eines Mitunternehmeranteils entsprechend § 6 Abs. 3 EStG ist der Verzicht auf einen Nießbrauch an einem zum Sonderbetriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgut gemäß § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG zu behandeln. Damit stellt der Verzicht auf den Nießbrauch an dem Geschäftsanteil der Betriebskapitalgesellschaft die Übertragung des Wirtschaftsgutes „Vorbehaltsnießbrauch“ aus dem Sonderbetriebsvermögen des Schenkers in das Sonderbetriebsvermögen des Beschenkten dar. Damit ist die unentgeltliche Übertragung i.S.v. § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 3 EStG vollendet. Mit dem Erwerb des Wirtschaftsguts „Vorbehaltsnießbrauch“ beim Beschenkten geht der Nießbrauch aufgrund Konsolidation unter und dem Beschenkten steht nun ein voller Mitunternehmeranteil respektive Anteil an einer Kapitalgesellschaft zu, mit der Folge, dass auch die laufenden entnahmefähigen Gewinne dem Gesellschafter zustehen. Auf den Nießbrauchsbesteller gehen mit dem Verzicht auch die auf den Vorbehaltsnießbrauch entfallenden anteiligen historischen Anschaffungskosten über. Folgt man dieser Auffassung, so ist auch die Frage geklärt, dass durch den Verzicht auf den Nießbrauch auf Seiten des Nießbrauchers keine Entnahme erfolgt ist und somit keine Entnahmegewinnbesteuerung erfolgt. Mit der Übertragung des Nießbrauches vom Sonderbetriebsvermögen des einen Mitunternehmers auf den anderen Mitunternehmer stellt sich die weitere Frage nach den Halte- und Sperrfristen des § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG für den Fall der Veräußerung und Entnahme und die siebenjährige Haltefrist des § 6 Abs. 5 Sätze 5 und 6 EStG. Hinsichtlich der Sperrfrist des § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG ist festzustellen, dass der Nießbrauch für sich nicht übertragbar ist und damit eine Veräußerung ausgeschlossen ist. Eine Überlassung zur Ausübung an Dritte ist ebenfalls nicht denkbar, weil der Nießbrauch als Wirtschaftsgut nicht mehr existiert und damit darüber nicht mehr verfügt werden kann. Entsprechendes gilt für die siebenjährige Haltefrist in § 6 Abs. 5 Sätze 5 und 6 EStG. Dabei könnte die Frage entstehen, ob das „Aufgehen“ des Nießbrauches 324

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in dem Gesellschaftsanteil zu einer Infektion des Gesellschaftsanteils in der Weise führt, dass nun dieser der spezifischen Sperr- oder Haltefrist unterliegt. Aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift des § 6 Abs. 5 EStG ist der Schluss zu ziehen, dass die dort angeordneten Fristen spezielle Regelungen darstellen, die eine alsbaldige schädliche Veräußerung oder Versteuerung der stillen Reserven in einem günstigeren Steuerregime verhindern sollen. Nachdem der Nießbrauch in seiner gesetzlichen Ausgestaltung keine Beteiligung an den stillen Reserven verkörpert, weil er sich auf den entnahmefähigen laufenden Gewinn bezieht, ist die Frage nach einer Infektion zu verneinen.

IV. Der Nießbrauch als Ersatzgestaltungsmittel für die Übertragung ­gegen wiederkehrende Leistungen 1. Problemstellung, Kritik Die Vermögensübertragung im Wege vorweggenommener Erbfolge gegen Versorgungsleistungen stellt nach dem Urteil des BFH v. 2.3.2005, BStBl. II 2005, 532 hinsichtlich des Teils, der nach zivil- und schenkungssteuerrechtlichen Grundsätzen als entgeltlicher Erwerb anzusehen ist, eine Veräußerung im Sinne des Nachversteuerungstatbestandes im Sinne von § 13a Abs. 6 ErbStG dar, vgl. BFH a.a.O. Damit führt die Übertragung von im Sinne von § 13a, § 13b ErbStG begünstigt erworbenem Betriebsvermögen innerhalb der sogenannten Haltedauer von fünf bzw. sieben Jahren im Wege der vorweggenommenen Erbfolge gegen Versorgungsleistungen zu einem Verstoß gegen die gesetzlichen Bestimmungen in § 13a Abs. 6 Nr. 1 ErbStG und damit zu einer mindestens anteiligen Nachversteuerung des begünstigen Erwerbes. Dieses Ergebnis erstaunt umso mehr als gerade die Rechtsprechung des Großen Senats des BFH mit Beschlüssen v. 12.5.2003 – GrS 1/00 und 2/00 die Vermögensübertragung gegen Versorgungsleistungen als unentgeltlichen Vorgang angesehen hat und dies mit der Vergleichbarkeit mit dem Vorbehaltsnießbrauch aufgrund zurückbehaltener Erträge des Übertragenden, die jetzt von einem anderen erwirtschaftet werden müssten, begründet hatte. Die Rechtsprechung des II. BFH Senates v. 2.3.2005 charakterisiert die Übertragung bei vorweggenommener Erbfolge gegen wiederkehrende Leistungen nicht im ertragsteuerlichen Sinne sondern stellt fest, dass der Begriff der Betriebsveräußerung schenkungssteuerlich und damit zivilrechtlich zu verstehen ist. Damit liegt eine Schenkung unter einer Leistungsauflage vor, die wie gemischte Schenkungen in einen entgeltlichen und einen unentgeltlichen Teil aufzuspalten sind. Der entgeltliche Teil der Übertragung stellt damit eine schädliche Veräußerung im Sinne der genannten Vorschrift dar. Diese Aufspaltung mag in der Vergangenheit auch zielführend gewesen sein, weil der steuerliche Wert einer geschenkten Sache nicht immer dem gemeinen Wert einer Sache entsprach und bei einem einfachen Abzug des entgeltlichen Teils vom Gesamtwert, u.U. kein unentgeltlicher Anteil mehr vorhanden sein konnte, vergleiche nur die Grundstücksbewertung bis 2009. Nachdem nunmehr insbesondere im Bereich des 325

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Grundvermögens die Bewertung dem Verkehrswert nahezu entspricht, entfällt der Grund für diese Aufteilung. So wird jetzt auch nach der Auffassung der Finanzverwaltung, vgl. R E 7.4 I ErbStR die Bereicherung der gemischten Schenkung dadurch ermittelt, dass von dem nach § 12 ErbStG zu ermittelnden Steuerwert der Leistung die Gegenleistungen des Beschenkten mit ihrem nach § 12 ErbStG ermittelten Wert abgezogen werden. Ferner ist die unterschiedliche Behandlung zwischen der Nutzungsauflage und der Leistungsauflage obsolet geworden, nachdem man das Abzugsverbot in § 25 ErbStG für die Nutzungsauflage aufgehoben hat. Diese zum Zeitpunkt der Entscheidung v. 2.3.2005 noch nicht geltenden Änderungen, mögen für den BFH mit ein Grund gewesen sein, die strenge zivilrechtliche Orientierung der gemischten Schenkung in den Vordergrund zu stellen, aber eine Notwendigkeit hierfür besteht zumindest heute nicht mehr. Ein Grund hierfür liegt insbesondere darin, dass das Erbschaftsteuerrecht immer stärker auf das einkommensteuerrechtliche Verständnis verschiedener Begriffe wie z.B. bei den Begriffen „Betriebsvermögen“, „Teilbetrieb“, „Beteiligung an einer Personengesellschaft“, „Mitunternehmeranteil“, „Veräußerung“ abstellt und dieses Verständnis von der Verwaltung auch in den Richtlinien wie z.B. R E 13 b.5 ErbStR angewendet wird. Es stellt sich dann die weitere Frage warum dieses einkommensteuerrechtliche Verständnis nicht auch für ein von der Rechtsprechung entwickeltes Rechtsinstitut der vorweggenommenen Erbfolge von Betriebsvermögen gegen wiederkehrende Leistungen gelten sollte. Dabei darf auch nicht übersehen werden, dass der Gesetzgeber dieses Rechtsinstitut bezüglich der Übertragung von Betrieben, Teilbetrieben, Mitunternehmeranteilen und Anteilen einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung durch Aufnahme in die Regelung des § 10 Abs. 1a EStG „legalisiert“ hat. Ohne Änderung der Auffassung muss man damit zum Ergebnis kommen, dass für die Frage des Umfanges des begünstigungsfähigen Vermögens im Sinne des Erbschaftsteuerrechts das einkommensteuerrechtliche Verständnis der Begriffe maßgeblich ist. So auch bei der Frage, ob die Zuwendung eines mitunternehmerisch geprägten Nießbrauches begünstigungsfähig ist. Hier stellt man auf die mitunternehmerische Ausprägung im einkommensteuerlichen Sinne, weil man auf die Mitunternehmerinitiative und das Mitunternehmerrisiko abhebt. Bei der Frage ob ein Verstoß gegen die Behaltensregelungen im Sinne des § 13a Abs. 6 ErbStG vorliegt, stell man jedoch isoliert auf die Begriffe im zivil- und schenkungssteuer-rechtlichen Sinne ab. Diese unterschiedliche Betrachtungsweise entspricht nicht dem Gebot der folgerichtigen Gesetzesanwendung. Nach meiner Auffassung sollte auch der Begriff der Veräußerung in §  13a Abs.  6 ErbStG im einkommensteuerrechtlichen Sinne verstanden werden und zwar einmal aus dem Grundsatz der folgerichtigen Gesetzesanwendung und zum anderen aus dem Grundsatz der Rechtsklarheit und Rechtssicherheit. 326

Mitunternehmerischer Nießbrauch

Der Vorgang der Übertragung von Betriebsvermögen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge ist sowohl einkommensteuerrechtlich und erbschaftsteuerrechtlich eng miteinander verbunden, weil es um die Vermeidung der Aufdeckung von stillen Reserven und eine maßvolle Heranziehung zur Erbschaftsteuer ohne Doppelbelastungen geht. Dieses Ziel wird vom Gesetzgeber auch bewusst steuerlich entlastet, um inhabergeführte Unternehmen zu schützen. Warum sollen dann Konfliktpotentiale entstehen können, weil man einen in beiden gesetzlichen Bestimmungen verwendeten Begriff unterschiedlich auslegt? Solche Fälle sind in einer Gesellschaft, die immer älter wird und in der dadurch auch die Unternehmensnachfolge immer später vorgenommen wird, keine Seltenheit mehr. Man denke beispielweise nur an einen Unternehmer, der seinen Betrieb erst im Alter von 85 Jahren auf seinen zwischenzeitlich 58jährigen Nachfolger überträgt, der aber mit 62 Jahren in den Ruhestand treten will und den Betrieb auf seine dann 35jährige Tochter weiterübertragen will. Gleichwohl ist derzeit davon auszugehen, dass die Übertragung von Betriebsvermögen und Mitunternehmeranteilen währende der Haltedauer des § 13a Abs. 6 ErbstG im Wege der vorweggenommenen Erbfolge gegen Versorgungsleistungen zum anteiligen Entfall der Begünstigungen für Betriebsvermögen führt, vgl. Jülicher in Troll/ Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 13a ErbStR Rz. 218; Meincke a.a.O, § 13a ErbStG Rz. 27. 2. Gestaltung unter Einsatz von Nießbrauchsrechten Will man begünstigungsfähiges Betriebsvermögen im Wege der vorweggenommenen Erbfolge während der Haltedauer des § 13a Abs. 6 ErbStG weiter übertragen und dabei seine Altersversorgung mit regeln, scheidet die Übertragung gegen Versorgungsleistungen als Gestaltungsmittel wegen des genannten Verstoßes gegen die Haltedauer aus. Als Alternative bleibt nur die Übertragung des begünstigungsfähigen Betriebsvermögens unter Vorbehalt eines mitunternehmerisch ausgestalteten Nießbrauches. Der Vorbehalt eines Nießbrauchsrechtes stellt nach der Auffassung der Finanzverwaltung keinen Verstoß gegen die Haltefrist dar, vgl. HE 13 a.5. ErbStH 2011, Jülicher a.a.O., § 13a ErbStG Rz. 233 ff.; koordinierter Ländererlass vom 22.6.2017, H 13a.11. Selbstverständlich kann die Übertragung auch gegen einen Quotennießbrauch erfolgen der mitunternehmerisch ausgestaltet ist. Ferner besteht die Möglichkeit, den mitunternehmerisch ausgestalteten Nießbrauch nicht nur für sich selbst, sondern auch für den Ehegatten vorzubehalten. Dies kann durch zwei gleichberechtigte inhaltsgleiche Nießbrauchsrechte geschehen oder durch Bestellung des Nießbrauches für beide Ehegatten als Gesamtberechtigte nach §  428 BGB. In einem solchen Fall liegt eine Zuwendung des Nießbrauches an den Ehegatten in Höhe der Hälfte vor, die auch erbschaftsteuerlich begünstigt sein kann. Nach Ablauf der Haltefrist für den begünstigten Erwerb des Betriebsvermögens besteht auch die Möglichkeit, den Nießbrauch durch eine Versorgungsleistung im Rahmen der gleitenden Vermögensübergabe abzulösen, vgl. Reich/Stein, DStR 2013, 1272 ff. 327

Günther Jordan

V. Zusammenfassung Der Nießbrauch ist in der Gestaltung der Unternehmensnachfolge ein unentbehrliches Gestaltungsmittel geworden, obwohl bei der Ausgestaltung und bei Veränderungen der Rechtsverhältnisse − wie dargestellt – vielfältige Fragen und Problemstellungen noch nicht gänzlich geklärt sind.

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Grundsätze zur bilanziellen Behandlung privat und betrieblich genutzter Wirtschaftsgüter in der Steuerbilanz Inhaltsübersicht

I. Einführung

II. Betriebsausgabenabzug bei privater Mitveranlassung III. Objektives Nettoprinzip IV. Veräußerung von Wirtschaftsgütern, deren Aufwendungen ganz oder teilweise vom Betriebsausgabenabzug ­ausgeschlossen sind 1. Rechtsprechung 2. Rechtsfolgen a) Repräsentationsaufwand b) Betrieblich genutztes Arbeits­ zimmer c) Sonderfall: Privat genutztes ­Betriebs-Kraftfahrzeug 3. Zwischenergebnis 4. Kritische Würdigung der Recht­ sprechung des X. BFH-Senats



V. Lösungsansätze für eine der Gesetzessystematik entsprechende Ermittlung des steuerlichen Veräußerungsgewinns 1. Allgemeine Grundsätze der steuer­ lichen Gewinnermittlung 2. Maßgeblichkeit der Handels- für die Steuerbilanz 3. Steuerliches Anlageverzeichnis 4. Gesetzessystematische Ermittlung des steuerlichen Veräußerungsgewinns a) Repräsentationsaufwand b) Betrieblich genutztes Arbeits­ zimmer c) Sonderfall: Privat genutztes ­Betriebs-Kraftfahrzeug

VI. Ergebnis

Der Verfasser dieses Beitrags hat mit dem Jubilar anlässlich zahlreicher Veranstaltungen über mehr als ein Jahrzehnt „Ertragsteuerliche Praxisprobleme“ diskutiert. Dabei hat sich der Jubilar nicht nur für Steuergerechtigkeit, sondern vor allem auch dafür eingesetzt, dass bei den gesetzlichen Abzugstatbeständen das für die Lastengleichheit im Einkommensteuerrecht geltende objektive und subjektive Nettoprinzip beachtet wird. Für die verfassungsrechtlich gebotene Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit kommt es entscheidend darauf an, ob Aufwendungen beruflich oder privat veranlasst sind und inwieweit durch eine private Mitveranlassung betrieblich oder beruflich veranlasste Aufwendungen vom Werbungskosten- oder Betriebsausgabenabzug auszuschließen sind. Diese Grundsatzfrage wirkt sich auch auf die Aktivierung von Wirtschaftsgütern in der Steuerbilanz aus, einer Thematik, der sich der Jubilar intensiv gewidmet hat1. Aus diesem Grund liegt es nahe, das bisherige Verfahren der Bilanzierung von Wirtschaftsgütern, die zum Betriebsvermögen gehören, aber auch privat genutzt werden oder genutzt werden können, in der Steuerbilanz kritisch zu hinterfragen. 1 Crezelius in Kirchhof, 15. Aufl. 2016, § 5 EStG.

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I. Einführung § 4 Abs. 4 EStG definiert Betriebsausgaben als Aufwendungen, die durch den Betrieb veranlasst sind. Das entscheidende Merkmal für die Abzugsfähigkeit von Aufwendungen, die betriebliche Veranlassung, erfordert einen tatsächlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang mit dem Betrieb2 und die Absicht, Gewinn zu erzielen3. Auf die Notwendigkeit, die Angemessenheit, die Üblichkeit und die Zweckmäßigkeit von Aufwendungen kommt es nicht an. Insoweit verbleibt ein subjektiver Entscheidungsspielraum4. Letztlich müssen die Aufwendungen aber geeignet sein, die Geschäftstätigkeit des Stpfl. zu fördern. Unter dieser Voraussetzung mindern Betriebs­ ausgaben den Gewinn, unabhängig davon, ob sie zweckmäßig, angemessen oder nützlich sind5. §  12 Nr.  1 EStG bestimmt, dass Aufwendungen für die private Lebensführung des Stpfl. bei den einzelnen Einkunftsarten und damit von dem nach § 4 EStG zu ermittelnden Gewinn auch dann nicht abgezogen werden dürfen, wenn sie aufgrund der wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Stellung des Stpfl. erforderlich sind und/oder zur Förderung des Berufs oder der Tätigkeit des Stpfl. erfolgen. Neben diesem allgemeinen Abzugsverbot für Aufwendungen der privaten Lebensführung schließt § 4 Abs. 5 EStG enumerativ bezeichnete andere Betriebsausgaben vom Abzug aus, weil sie entweder nach allgemeiner Verkehrsauffassung unangemessen sind, sog. Repräsentationsaufwand, oder auf eine private Mitveranlassung schließen lassen6. Soweit § 4 Abs. 5 EStG den Betriebsausgabenabzug ausschließt, ist eine Aufteilung in ausschließlich betrieblich veranlasste Aufwendungen einerseits und ausschließlich privat veranlasste Aufwendungen andererseits nicht möglich. Dies galt über Jahrzehnte auch für dort nicht aufgeführte Aufwendungen, sog. „gemischte Aufwendungen“, die teils betrieblich, teils privat veranlasst sind.

2 Für Werbungskosten richtet sich die Abzugsfähigkeit danach, ob es sich um Aufwendungen handelt, die zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung von Einnahmen erforderlich sind, § 9 Abs. 1 EStG. Da für die hier zu behandelnde Bilanzierung von Wirtschaftsgütern ausschließlich der Betriebsausgabenbegriff maßgeblich ist, wird die Abzugsfähigkeit von Werbungskosten im Weiteren nicht behandelt. 3 BFH v. 1.6.1978 – IV R 36/73, BStBl. II 1978, 499 zu Aufwendungen für einen Testamentsvollstrecker; BFH v. 26.11.1997 – X R 146/94, BFH/NV 1998, 961 insb. zur privaten Mitveranlassung. 4 Schmidt/Heinicke, 36. Aufl. 2017, § 4 EStG Rz. 483, 495. 5 Bode in Kirchhof, 15. Aufl. 2016, § 4 EStG Rz. 163. 6 Darüber hinaus schließt § 4 Abs. 5 EStG zum Schutz der Gesamtrechtsordnung bestimmte Aufwendungen vom Betriebsausgabenabzug aus, die zwar betrieblich veranlasst sind, aber Strafcharakter haben, wie Geldbußen, Ordnungsgelder, Zinsen auf hinterzogene Betriebssteuern, oder Aufwendungen, die wegen einer Straftat verhängt werden, wie Bestechungsund Schmiergelder.

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Wirtschaftsgüter in der Steuerbilanz

II. Betriebsausgabenabzug bei privater Mitveranlassung Das Betriebsausgabenabzugsverbot für gemischte Aufwendungen, die sowohl der privaten Lebensführung dienen als auch den Betrieb fördern, ist auf den Beschluss des Großen Senats des BFH v. 19.10.19707 zurückzuführen. Damit sollte verhindert werden, dass betrieblich bedingte Aufwendungen, die auch der Lebensführung dienen, bei Stpfl. mit Betriebseinnahmen abgezogen werden können, während andere Stpfl. diese Aufwendungen aus dem versteuerten Einkommen decken müssen8. Anlässlich eines Streitfalls zur Abzugsfähigkeit von Reisekosten zu einer von Montag bis Donnerstag dauernden Computer-Messe in Las Vegas, zu der der Stpfl. am Freitag vor Messebeginn angereist und erst am Samstag wieder zurückgeflogen war, hatte der Große Senat des BFH9 – aufgrund eines Vorlagebeschlusses des VI. Senats des BFH10 – Gelegenheit, seine bisherige Rechtsprechung zum Aufteilungsverbot zu überdenken. Im Ergebnis hat der GrS entschieden, dass § 12 Nr. 1 Satz 2 EStG sowohl nach dem Wortlaut als auch nach dessen Sinn und Zweck kein Aufteilungsverbot und Abzugsverbot zu entnehmen ist und dieses sich auch nicht aus dem Grundsatz der Steuergerechtigkeit ableiten lässt. Aus diesem Grund hat der BFH die Reisekosten nach Las Vegas insoweit zum Abzug zugelassen, wie sie dem beruflichen Bereich zugeordnet werden konnten. Als sachgerechten Aufteilungsmaßstab hat er dabei das Verhältnis der beruflichen und privaten Zeitanteile an der gesamten Reise angesehen. Nur wenn es an objektiven Kriterien für eine Aufteilung fehle, wenn also die beruflichen und privaten Veranlassungsbeiträge untrennbar ineinander greifen, sei, so der BFH, ein Abzug insgesamt nicht möglich11. Unverändert bleibt es nach der BFH-Rechtsprechung aber dabei, dass bei einer unbedeutenden privaten Mitveranlassung Betriebs­ ausgaben oder Werbungskosten in vollem Umfang abzugsfähig sind und umgekehrt eine unbedeutende berufliche Mitveranlassung von Aufwendungen bei ansonsten der privaten Lebensführung zuzuordnenden Aufwendungen keinen Betriebsausgabenoder Werbungskostenabzug eröffnet12.

7 BFH v. 19.10.1970 – GrS 2/70, BStBl. II 1971, 17. 8 Dabei stand der Gedanke im Vordergrund, dass ansonsten eine ungleiche Belastung (Besserstellung) im Vergleich zu denjenigen Steuerpflichtigen drohe, die aufgrund ihres Berufes keine derartigen Abzugsmöglichkeiten haben. 9 BFH v. 21.9.2009 – GrS 1/06, BStBl. II 2010, 672; dazu Bolz, AktStR 2010, 56; Strahl in Festschrift Korth, 2016, S. 128. 10 BFH v. 20.7.2006 – VI R 94/01, BStBl. II 2007,121; dazu Moritz, AktStR 2006, 561. 11 BFH v. 19.10.1970 – GrS 2/70, BStBl. II 1971, 17 Rz. 125; mit Verweis auf Söhn in Festschrift Offerhaus, 1999, S. 477, 485; so auch BFH v. 15.1.2015 – I R 48/13, BStBl. II 2015, 713 zur Abgrenzung von Aufwendungen des ideellen Bereichs eines eingetragenen Vereins mit positiven Einkünften aus Gewerbebetrieb; kritisch dazu Strahl in Festschrift Korth, 2016, S. 124. 12 BFH v. 21.9.2009 – GrS 1/06, BStBl. II 2010, 672 Rz. 124 mit Verweis auf BFH v. 4.7.1990 – GrS 2-3/88, BStBl. 1990, 817 zur Abzugsfähigkeit von Schuldzinsen aus einer Kontokorrentverbindlichkeit, die sowohl durch betrieblich als auch durch privat veranlasste Auszahlungen entstanden sind.

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Kern der Begründung zur Abkehr vom Aufteilungs- und Abzugsverbot ist der Verweis auf verfassungsrechtliche Grundsätze: „Vielmehr gebietet das Leistungsfähigkeitsprinzip die Berücksichtigung des beruflichen Anteils durch Aufteilung, notfalls durch Schätzung.“13 Damit ist das für die Besteuerung geltende Nettoprinzip angesprochen.

III. Objektives Nettoprinzip Das aus Art. 2, 3 und 14 GG abgeleitete Gebot der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit wird durch das objektive Nettoprinzip14 und die in § 2 Abs. 2 EStG kodifizierte Besteuerung des Gewinns konkretisiert15. Das bedeutet, dass prinzipiell alle durch die Einnahmeerzielung veranlassten Betriebsausgaben abziehbar sind und nur der verbleibende Nettogewinn, nämlich der Saldo aus Erwerbseinnahmen und Erwerbsaufwendungen besteuert werden darf16. Allerdings hat das BVerfG bisher offen gelassen, ob die Einhaltung des objektiven Nettoprinzips im Einkommensteuerrecht auch verfassungsrechtlich geboten ist17. Denn der Gesetzgeber hat insbesondere bei der Regelung von Massenerscheinungen einen weitgehenden Entscheidungsspielraum, für den Abzug bestimmter Erwerbsauswendungen generalisierende, typisierende oder pauschalierende Regelungen zu treffen18, z.B. durch Betriebsausgabenpauschalen (Entfernungspauschale), durch die Gewährung von Freibeträgen oder den begrenzten Abzug bestimmter Aufwendungen, z.B. die Kosten für ein Arbeitszimmer oder die Berufsausbildung. Das gilt auch für den nach § 12 Nr. 1 EStG ein­geschränkten Abzug von Aufwendungen, die der Lebensführung dienen. Diese Entscheidungsfrei-

13 BFH v. 21.9.2009 – GrS 1/06, BStBl. II 2010, 672 Rz. 111. 14 BVerfG v. 4.12.2002 – 2 BvR 400/98, BStBl. II 2003, 534 Rz. 52 zur Verfassungswidrigkeit der zeitlichen Begrenzung der steuerlichen Abzugsfähigkeit von Mehraufwendungen für doppelte Haushaltsführung in Fällen fortlaufend verlängerter Abordnung und der an verschiedenen Orten beiderseits berufstätigen Ehegatten; dazu Bolz, AkStR 2003, 319. 15 Schmidt/Weber-Grellet, 36. Aufl. 2017, § 2 EStG Rz. 10. 16 BVerfG v. 4.12.2002 – 2 BvR 400/98, BStBl. II 2003, 534 Rz. 52; BFH v. 21.9.2009 – GrS 1/06, BStBl. II 2010, 672 Rz. 94; BVerfG v. 12.5.2009 – 2 BvL 1/00, BStBl. II 2009, 685 Rz. 27. 17 BVerfG v. 9.12.2008 – 2 BvL 1/07, BGBl. I 2008, 2888, zur Verfassungswidrigkeit der Entfernungspauschale für Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. 18 BVerfG v. 23.1.1990 – 1 BvL 4/87, BStBl. II 1990, 483, zum Abzugsverbot für Geldbußen, soweit dadurch wirtschaftliche Vorteile abgeschöpft werden; BVerfG v. 10.4.1997 – 2 BvL 77/92, BStBl. II 1997, 518 zur Verfassungsmäßigkeit der Aufhebung des steuerrechtlichen Weihnachts- und Arbeitnehmerfreibetrags und der Erhöhung der Werbungskostenpauschale; BVerfG v. 6.7.2010 – 2 BvL 13/09, BStBl. II 2011, 318 zum Abzugsverbot von Betriebsausgaben bzw. Werbungskosten für ein häusliches Arbeitszimmer bei Fehlen eines anderen Arbeitsplatzes; einen ähnlich weiten Entscheidungsspielraum hat der Gesetzgeber, soweit mit Steuerrechtsnormen nichtfiskalische Förderungs- oder Lenkungsziele verfolgt werden; das für den Abzug von Erwerbsaufwendungen geltende objektive Nettoprinzip wird durch das subjektive Nettoprinzip ergänzt, wonach der Gesetzgeber bei der Besteuerung des Einkommens das Existenzminimum des Steuerpflichtigen und seiner unterhaltsberechtigten Familie beachten muss, BVerfG v. 29.5.1990 – 1 BvL 20/84, BStBl. II 1990, 653.

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Wirtschaftsgüter in der Steuerbilanz

heit wird durch das Gebot der Folgerichtigkeit begrenzt19. Das ­bedeutet, dass eine vom Gesetzgeber getroffene Belastungsentscheidung bzw. Abzugseinschränkung folgerichtig umgesetzt werden muss20. Ausnahmen von der folgerichtigen Umsetzung der mit dem objektiven Nettoprinzip getroffenen Belastungsentscheidung bedürfen eines besonderen, sachlich rechtfertigenden Grundes21. Von der Möglichkeit, den Betriebsausgabenabzug zu begrenzen oder insgesamt auszuschließen, hat der Gesetzgeber in § 4 Abs. 5 EStG Gebrauch gemacht. Es handelt sich um im Wesentlichen nachstehende Aufwendungen, die nach Auffassung des Gesetzgebers ohne betriebliche Veranlassung zu den Kosten der privaten Lebensführung gehören würden: −− Aufwendungen für Geschenke an Personen, die nicht Arbeitnehmer des Stpfl. sind, dürfen nur als Betriebsausgaben abgezogen werden, wenn deren AK/HK 35 Euro nicht übersteigen, § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 EStG. −− Aufwendungen für die Bewirtung von Personen aus geschäftlichem Anlass sind nicht abzugsfähig, soweit sie nach der allgemeinen Verkehrsauffassung als unangemessen anzusehen sind. Angemessene Bewirtungskosten, deren Höhe und betriebliche Veranlassung nachgewiesen sind, sind nur i.H.v. 70 % abzugsfähig, § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 2 EStG. −− Aufwendungen für Jagd oder Fischerei sowie für Segel- oder Motoryachten sind insgesamt nicht abziehbar, weil sie typischerweise eine große Nähe zur privaten Lebensführung aufweisen, § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 EStG. Dabei hängt das Abzugsverbot von der konkreten Nutzung des Wasserfahrzeugs ab. Wird eine Motoryacht dagegen als „schwimmender Besprechungsraum“ und als Mittel genutzt, um Geschäftsfreunde an bestimmte betriebsbezogene Besichtigungsstätten zu transportieren, greift das Abzugsverbot nicht, soweit die Aufwendungen nicht unangemessen sind22. −− Mehraufwendungen für die Verpflegung anlässlich einer betrieblichen Auswärtstätigkeit können nur in der in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 5 EStG festgeschriebenen Höhe als Betriebsausgaben abgezogen werden.

19 BVerfG v. 4.12.2002 – 2 BvR 400/98, BStBl. II 2003, 534 Rz. 53. 20 BVerfG v. 11.11.1998 – 2 BvL 10/95, BStBl. II 1999, 502 Rz. 46, zur Verfassungswidrigkeit der Regelung über steuerfreie Aufwandsentschädigungen für ins Beitrittsgebiet entsandte Bundesbedienstete im Jahr 1993, für die das BVerfG keinen im Vergleich zu anderen Stpfl. sachlich rechtfertigenden Grund sah. 21 BVerfG v. 12.5.2009 – 2 BvL 1/00, BStBl. II 2009, 685 Rz. 25; dazu Buciek, FR 2009, 873. 22 BFH v. 3.2.1993 – I R 18/92, BStBl. II 1993, 367; im Streitfall hatte die Klin. für zwei Tage ein Motorschiff gechartert, um an Bord des Schiffes Gespräche mit Geschäftsfreunden über Vertragsabwicklungen, Transportabsprachen, Kooperationen und Bunkerabsatz zu führen. Dabei wurden auch Tank- und Umschlagsanlagen im Hafen besichtigt. Da keine Anhaltspunkte dafür vorlagen, dass die BA unangemessen waren, hat der BFH die darauf entfallenden Aufwendungen in voller Höhe zum BA-Abzug zugelassen.

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−− Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte können nur i.H.d. Entfernungspauschale (0,30 Euro je Entfernungskilometer) bis zur Höhe von 4.500 Euro abgezogen werden, § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 EStG i.V.m. § 9 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 EStG23. −− Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer sind nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6b EStG nur uneingeschränkt abziehbar, wenn das Arbeitszimmer den Mittelpunkt der gesamten betrieblichen und beruflichen Betätigung bildet. Andernfalls sind nur die Aufwendungen für die Kosten der Ausstattung abzugsfähig; nur wenn kein anderer Arbeitsplatz für die betriebliche oder berufliche Tätigkeit zur Verfügung steht, können die Aufwendungen, begrenzt auf 1.250 EUR, abgezogen werden. −− Andere als die in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1–6b EStG erwähnten Aufwendungen, die die Lebensführung des Steuerpflichtigen oder einer anderen Person berühren, ­dürfen nicht als Betriebsausgaben abgezogen werden, soweit sie nach allgemeiner Verkehrsauffassung als unangemessen anzusehen sind, sog. Repräsentationsaufwand24, § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 7 EStG25. Soweit die davon betroffenen Betriebsausgaben insgesamt oder teilweise nicht abzugsfähig sind, erhöhen sie den Gewinn außerhalb der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 1, 3 und § 5 EStG, sind aber als Betriebsausgaben keine Entnahme, weil sie nicht betriebsfremden Zwecken dienen26. Das Abzugsverbot gilt für sämtliche Aufwandsarten, also auch für Abschreibungen, soweit sie auf die davon betroffenen Wirtschaftsgüter entfallen27. Dies kann bei einer späteren Veräußerung dieser Wirtschaftsgüter zu einer Übermaßbesteuerung führen, wenn vom Veräußerungspreis der um die gesamten Abschreibungen geminderte Restbuchwert abgezogen und dieser Saldo als Veräußerungsgewinn der Besteuerung unterworfen wird.

23 Die Entfernungspauschale gilt nicht für Flugstrecken und Strecken mit steuerfreier Sammelbeförderung; die Begrenzung auf 4.500 Euro gilt nicht bei der Benutzung eines eigenen oder zur Nutzung überlassenen Kfz. 24 Bode in Kirchhof, 15. Aufl. 2016, § 4 EStG Rz. 220. 25 Betroffen davon ist nur der Teil der Aufwendungen, der der Höhe nach unangemessen ist; kritisch zur weitergehenden Ausdehnung auf sämtliche Aufwendungen durch den BFH v. 16.2.1990  – III R 21/86, BStBl.  II 1990, 575; Schmidt/Heinicke, 36. Aufl. 2017, §  4 EStG Rz. 601. 26 So auch Schmidt/Heinicke, 36. Aufl. 2017, § 4 EStG Rz. 521; von Bedeutung ist diese Wertung für den begrenzten Schuldzinsenabzug bei Überentnahmen nach § 4 Abs. 4a EStG; gleichwohl sind die nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben bei dem für die Gewinnermittlung maßgebenden „Unterschiedsbetrag“ wie Entnahmen wieder hinzuzurechnen. 27 BFH v. 8.10.1987 – V R 5/85, BStBl. II 1987, 853 Rz. 25.

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Wirtschaftsgüter in der Steuerbilanz

IV. Veräußerung von Wirtschaftsgütern, deren Aufwendungen ganz oder teilweise vom Betriebsausgabenabzug ausgeschlossen sind 1. Rechtsprechung Der BFH hat in ständiger Rechtsprechung die Auffassung vertreten28, dass bei der Veräußerung von Wirtschaftsgütern, die vom (teilweisen) Abzugsverbot des § 4 Abs. 5 EStG betroffen sind, zur Berechnung des Veräußerungsgewinns der Buchwert anzusetzen ist, der sich unter Abzug der − den Gewinn nicht beeinflussenden – nicht abzugsfähigen Abschreibungsbeträge (AfA) ergibt. Dies hat der X. Senat in 2015 erneut bekräftigt29. In dem Rechtsstreit ging es um das Wohnmobil eines Handelsvertreters, der Fertighäuser vertrieb. Das Wohnmobil, das zum notwendigen Betriebsvermögen gehörte, benutzte der Kläger als mobiles Verkaufsbüro. Das Fahrzeug war am 30.6.2001 für 172.560 DM netto angeschafft, in den folgenden Jahren degressiv abgeschrieben und am 28.8.2006 zum Preis von 45.689 Euro veräußert worden. Das Finanzamt ermittelte durch Gegenüberstellung von Veräußerungspreis und Restbuchwert einen Veräußerungsgewinn i.H.v. 24.507 Euro. Der Kläger begehrte dagegen, dass bei der Ermittlung des Restbuchwertes die außerbilanziell vorgenommenen Zurechnungen in Höhe von 40 % und insoweit die nicht geltend gemachten Absetzungen für Abnutzung (AfA) außer Betracht bleiben, wodurch sich ein Veräußerungsgewinn von nur 14.704 Euro ergab. Nach Abweisung der Klage durch das FG Rheinland-Pfalz30 hat der X. Senat des BFH die Revision mit im Wesentlichen folgender Begründung zurückgewiesen: Dass ein Teil der AfA nicht als Betriebsausgabe abgezogen werden kann, beruhe auf einer zulässigen Einschränkung des objektiven Nettoprinzips durch den Gesetzgeber31. Insoweit können Aufwendungen, die zugleich die allgemeine Lebensführung berühren, vom Abzug ausgeschlossen werden. Dem trage die Regelung in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 7 EStG Rechnung.

28 BFH v. 12.12.1973 – VIII R 40/69, BStBl. II 1974, 207, zur Veräußerung einer zum Betriebsvermögen gehörenden Jacht; BFH v. 23.4.1985 – VIII R 300/81, BFH/NV 1986, 18 Rz. 35; BFH v. 10.1.1991 – IV B 105/89, BFH/NV 1991, 386, zum privat genutzten Betriebs-PKW; einschränkend BFH v. 28.8.2003 – IV R 38/01, BFH/NV 2004, 327 Rz. 24, zum betrieblich genutzten Arbeitszimmer mit dem Hinweis auf eine teleologische Reduktion des Gewinnrealisierungstatbestandes bei der Veräußerung; ähnlich BFH v. 6.7.2005  – XI R 87/03, ­BStBl. II 2006, 18, zum Arbeitszimmer eines Tankstellenbetreibers, durch den Hinweis in Rz. 13, dass wegen der sich steuerlich nicht auswirkenden AfA bei dem aus der Verfassung abgeleiteten „Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bei der späteren Erfassung der Veräußerungs- bzw. Aufgabegewinne Rechnung zu tragen“ ist. 29 BFH v. 25.3.2015 – X R 14/12, BFH/NV 2015, 973. 30 FG Rheinland-Pfalz v. 14.10.2011 – 1 K 1415/10, EFG 2012, 1627. 31 Verweis aus Stapperfend in Herrmann/Heuer/Raupach, § 4 EStG Rz. 1102, 1601.

335

Hans-Michael Korth

Auch wenn ein Teil der vor der Veräußerung des Wirtschaftsguts angefallenen Betriebsausgaben nicht abziehbar war, führe dies aber nicht dazu, dass der Veräußerungserlös in diesem Umfang nicht der Besteuerung unterliege. Maßgebender Grund für die Erfassung des vollständigen Veräußerungserlöses als Betriebseinnahme sei die Tatsache, dass ein bewegliches Wirtschaftsgut, welches zu mehr als 50 % betrieblich genutzt wird, in vollem Umfang zum Betriebsvermögen gehört und daher auch der Veräußerungserlös in voller Höhe eine Betriebseinnahme ist. Im Gegensatz zur Behandlung gemischt genutzter Grundstücke, die je nach Funk­ tionszusammenhang eigenständige Wirtschaftsgüter darstellen, gilt bei anderen Wirtschaftsgütern, dass sie entweder in vollem Umfang zum Privat- oder zum Betriebsvermögen gehören. Dementsprechend sind im Betriebsvermögen erzielte Ver­ äußerungserlöse grundsätzlich vollständig und im Privatvermögen erzielte Veräußerungserlöse regelmäßig nicht steuerverstrickt. Würden vom Veräußerungserlös nicht nur der Buchwert, sondern zusätzlich die wegen § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 7 EStG nicht abziehbar gewesenen AfA-Bestandteile ganz oder zum Teil gewinnmindernd berücksichtigt, würde das in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 7 EStG kodifizierte (teilweise) Abzugsverbot wieder rückgängig gemacht. Eine ganz oder teilweise zusätzliche Berücksichtigung der bisher nicht abziehbaren Betriebsausgaben im Veräußerungsfall wäre mit der steuerlichen Behandlung der Veräußerung eines zum Betriebsvermögen gehörenden, gemischt genutzten beweglichen Wirtschaftsguts nicht in Einklang zu bringen. Bei der Veräußerung eines solchen Wirtschaftsguts wird der laufende Veräußerungsgewinn nach normalen Regeln (Veräußerungspreis abzüglich Buchwert) ermittelt. Es bleibe also im Falle einer beispielsweise zuvor gegebenen 20%-igen Nutzung des Wirtschaftsguts bei der Berechnung des Veräußerungsgewinns unberücksichtigt, dass 20 % aller Aufwendungen für das Wirtschaftsgut − und damit auch der AfA − als Aufwandsentnahme zu behandeln waren und sich steuerlich nicht auswirken konnten. Dieses Ergebnis sei konsequent, weil umgekehrt im Falle einer betrieblichen Mitnutzung eines zum Privatvermögen gehörenden Wirtschaftsguts der Aufwand im Umfang des betrieblichen Nutzungsanteils einschließlich der anteiligen AfA im Wege der Aufwandseinlage eine Betriebs­ ausgabe ist, ein Gewinn aus der Veräußerung dieses Wirtschaftsguts aber nicht steuerbar ist. Eine wie auch immer geartete teleologische Reduktion der Regelungen über die Ermittlung des Veräußerungsgewinns sei nicht zu erkennen und deshalb abzulehnen32. Das BVerfG hat die dagegen eingelegte Beschwerde nicht angenommen33. Gründe dafür sind aus der Ablehnung nicht erkennbar. 32 BFH v. 25.3.2015 – X R 14/12, BFH/NV 2015, 973 Rz. 22, und zwar auch nicht unter Berücksichtigung der Entscheidung des GrS zur Aufteilung der Aufwendungen für eine gemischt veranlasste Reise, BFH v. 21.9.2009 – GrS 1/06, BStBl. II 2010, 672; zust. Weber-Grellet, FR 2015, 944; kritisch dagegen Stadie, FR 2016, 289, 292, der zu dem Ergebnis kommt, dass die Ausführungen des X. Senats „neben der Sache liegen“. 33 BVerfG v. 8.2.2016 – 2 BvR 2205/15.

336

Wirtschaftsgüter in der Steuerbilanz

Die Entscheidung des X. Senats des BFH war vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des BFH nicht völlig überraschend. Allerdings hätte man erwarten können, dass die Frage der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit bei der Nutzung eines Fahrzeugs als betriebsnotwendiges Vermögen tiefergehend erörtert worden wäre, wie es derselbe Senat im Streitfall X R 57/09 obiter dicta angedeutet hat34. Dies umso mehr, als der IV. und XI. Senat des BFH schon in 2003 und 2005 mit Blick auf das Gebot der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Zweifel geäußert haben, ob wegen des vorgenommenen begrenzten Betriebsausgabenabzugs der Veräußerungsgewinn in voller Höhe zu besteuern ist35. 2. Rechtsfolgen Die gravierenden Auswirkungen der vorstehend dargestellten Rechtsprechung werden an nachfolgenden Beispielen aufgezeigt. a) Repräsentationsaufwand Beispiel36: Ein selbstständig tätiger Unternehmensberater stattet das Besprechungszimmer seines neu angemieteten Büros mit einem indischen Seidenteppich (AK 60.000 Euro) aus. Im Rahmen der Veranlagung kürzt das Finanzamt die in Höhe von 4.000 Euro angesetzte AfA auf 667 Euro mit dem Hinweis, dass die Anschaffung eines so teuren Teppichs durch den persönlichen Lebensstil des Unternehmensberaters und dessen Bedürfnis mitveranlasst sei, diesem Stil nach außen Ausdruck zu verleihen. Ein ordentlicher und gewissenhafter Unternehmer hätte angesichts der erwarteten Umsätze und Gewinne derart hohe Aufwendungen nicht auf sich genommen. Vereinfachte tabellarische Sachverhaltsdarstellung: Anschaffung eines indischen Seitenteppichs für das Büro AK

Nd

AfA p.a.

AfA

60.000

15

4.000

AfA auf angemessene AK

10.000

15

667

34 BFH v. 18.4.2012 – X R 57/09, BStBl. 2012, 770 Rz. 56; Kanzler, FR 2013, 36 sieht darin lediglich einen Verweis auf die widerstreitenden Auffassungen zu diesem Problem. 35 BFH v. 28.8.2003 – IV R 38/01, BFH/NV 2004, 327 Rz. 24, betr. ein betrieblich genutztes Arbeitszimmer in einem Einfamilienhaus; BFH v. 6.7.2005 – XI R 87/03, BStBl. II 2006, 18 Rz. 13 zum häuslichen Arbeitszimmer eines Tankstellenbetreibers mit dem Vorschlag, einer darin liegenden Verletzung des Gebots der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit bei der späteren Erfassung des Veräußerungsgewinns Rechnung zu tragen; zust. Bergkemper, FR 2006, 227, 228, der bei der Erfassung des Veräußerungsgewinns Korrekturen vornehmen will, allerdings ohne Lösungsvorschlag. 36 Entnommen Korth, AktStR 2015, 464; nachgebildet BFH v. 19.6.1975  – VIII R 225/72, ­BStBl. II 1976, 97.

337

Hans-Michael Korth Nach 10 Jahren wird das Büro renoviert und der Teppich – weil nicht mehr passend zur neuen Büroeinrichtung – entnommen. Der Zeitwert beträgt nach der Expertise des Teppichhändlers 50.000 Euro. Ermittlung Rest-BW

AK

AfA kumuliert

Rest-BW

60.000

40.000

20.000

Zeitwert Entnahmegewinn

50.000

–20.000

30.000

BA während der Nd

–6.667

Saldo der Gewinnerhöhung trotz alleiniger Büronutzung

23.333

Den insgesamt abgezogenen Betriebsausgaben i.H.v. 6.667 Euro steht ein Entnahmegewinn i.H.v. 30.000 Euro gegenüber, so dass im Ergebnis die ausschließlich betriebliche Nutzung des Teppichs per Saldo nicht nur dazu führt, dass Betriebsausgaben – wie vom Gesetzgeber beabsichtigt  − eingeschränkt abgezogen werden, sondern im Ergebnis sogar ein Gewinn i.H.v. 23.333 Euro der Besteuerung unterworfen wird.

b) Betrieblich genutztes Arbeitszimmer Beispiel37: Ein Tankstellenbetreiber benutzt für die Verwaltungsaufgaben in der Tankstelle (Auswahl der Lieferanten, Preisverhandlungen, Bedarfsberechnungen, Bestellungen, die Abrechnung der Monatskunden, die Schichteneinteilung sowie die Prüfung der Tagesabrech­ nungen) ein in seinem Einfamilienhaus belegenes Arbeitszimmer. Im Anschluss an eine Außenprüfung erkennt das Finanzamt die für das Arbeitszimmer angesetzten Aufwendungen (5.800 Euro, davon AfA 3.100 Euro) nicht an, weil dem Tankstellenbetreiber auch ein Arbeitsplatz in der Tankstelle zur Verfügung steht. Nach 10 Jahren veräußert der Tankstellenbetreiber sein Einfamilienhaus. Das Finanzamt errechnet für das im Betriebsvermögen befindliche Arbeitszimmer einen Veräußerungsgewinn i.H.v. 26.262 Euro. Vereinfachte tabellarische Sachverhaltsdarstellung: Verkauf eines Einfamilienhauses mit betrieblich genutztem Arbeitszimmer Einfamilienhaus AK Quadratmeter AK/qm

580.000 145

28

4.000

112.000

AfA p.a. abzgl. Grund und Boden

2.240

Rest-BW nach 10 Jahren Veräußerungspreis Veräußerungsgewinn nach BFH reale Wertsteigerung

37 Nachgebildet BFH v. 6.7.2005 – XI R 87/03, BStBl. II 2006, 18.

338

Arbeitszimmer

89.600 600.000

115.862 26.262 3.862

Wirtschaftsgüter in der Steuerbilanz Obwohl die Wertsteigerung, soweit sie auf das im Betriebsvermögen befindliche Arbeitszimmer entfällt, nur 3.862 Euro beträgt, wird nach der Rechtsprechung des BFH für ein Wirtschaftsgut des Betriebsvermögens, für das steuerlich keine AfA angesetzt wurde, ein Veräußerungsgewinn i.H.v. 26.262 Euro der Besteuerung unterworfen.

c) Sonderfall: Privat genutztes Betriebs-Kraftfahrzeug Auch die Nutzung eines betrieblichen Kraftfahrzeugs zu Privatfahrten führt nach § 4 Abs.  5 Satz 1 Nr.  6 EStG dazu, dass die darauf entfallenden Betriebsausgaben den Gewinn nicht mindern dürfen. Einkommensteuerrechtlich wird die private Nutzung eines Kraftfahrzeugs des Betriebsvermögens pauschal für jeden Kalendermonat nach der 1%-Regel bewertet, § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 6 Satz 3 i.V.m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 2 EStG. Der pauschal so ermittelte Wert gehört – neben den Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte – zu den nicht abziehbaren Aufwendungen. Er muss bei der Gewinnermittlung außer Ansatz bleiben38. Bilanziell wird der Nichtabzugsfähigkeit der auf die private Kfz-Nutzung entfallenden und nach der 1%-Regel ermittelten Betriebsausgaben durch den Ansatz einer (gewinnerhöhenden) „Nutzungsentnahme“ Rechnung getragen. Daneben kann nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG die private Nutzung auch mit den auf die Privatfahrten entfallenden Aufwendungen angesetzt werden, wenn die für das Kraftfahrzeug insgesamt entstehenden Aufwendungen durch Belege und das Verhältnis der privaten zu den übrigen Fahrten durch ein ordnungsgemäßes Fahrtenbuch nachgewiesen werden. Die Anforderungen an ein ordnungsgemäß geführtes Fahrtenbuch, das nicht nur für einen repräsentativen Zeitraum, sondern fortlaufend in einer geordneten und geschlossenen „buchmäßigen“ Form geführt werden muss, sind sehr hoch39 und mit der Gefahr verbunden, dass das geführte Fahrtenbuch vom Finanzamt verworfen wird. Deshalb findet in der Praxis i.d.R. die pauschalierende 1%-Regel Anwendung, was dazu führt, dass die auf das betriebliche Kraftfahrzeug entfallenden Betriebsausgaben überwiegend nicht abzugsfähig sind. Beispiel40: Der selbstständig tätige Bauingenieur erwirbt im Jahr 01 einen Audi A7 Sportback quattro 4.0 TFI (AK 98.000 Euro). Das Fahrzeug wird auf Basis einer Nutzungsdauer von 6 Jahren abgeschrieben. Für die private Kfz-Nutzung werden monatlich 1 % des Listenpreises zzgl. der Kosten für die Sonderausstattung angesetzt. Die Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte werden je Entfernungskilometer (15 km) mit 0,03 % des Listenpreises angesetzt. Die Kfz-Gesamtkosten belaufen sich bei einer Fahrleistung von 15.000 km im Jahr (incl. AfA) auf 21.533 Euro.

38 BFH v. 18.9.2012 – VIII R 28/10, BStBl. II 2013, 120. 39 Dazu BFH v. 16.3.2006 – VI R 87/04, BStBl. II 2006, 625; wie hier Schindler in Kirchhof, 15. Aufl. 2016, § 6 EStG Rz. 173. 40 Entnommen Korth, AktStR 2015, 459; aus Vereinfachungsgründen wird in dem Beispiel auf die Einbeziehung der Umsatzsteuer und die Darstellung der sich daraus zusätzlich ergebenden Auswirkungen verzichtet.

339

Hans-Michael Korth Vereinfachte tabellarische Sachverhaltsdarstellung: AK

Audi A7 Sportback quattro 4.0 TFI – 98.000 Euro (ohne USt)

ND

6 Jahre

Private Kfz-Nutzung

1%-Regelung

Entfernung Whg.-Betriebsstätte

15 km x 0,03 % der AK

Gesamt-Kilometer p.a.

15.000

Durchschnittlicher Benzinverbrauch

10 l Super

Steuerliche Auswirkung der privaten Kfz-Nutzung

AfA

AK

Nd

Kosten p.a.

98.000

6

16.333

Steuern/Vers.

lfd. Kosten

in Prozent

1.450 km

Verbrauch/l

Preis ­Super/l

15.000

10

1,50

2.250 1.500

Rep/Wartung

21.533

100,00 %

11.760 –11.760

–54,61 %

Gewinnerhöhung private Kfz-Nutzung

1%-Regelung

Whg./Betriebsstätte

AK

1%-Regelung

98.000

980

98.000

p.a.

Entfern-­ km

0,03 %

p.a.

15

44141

5.292

–5.292.

–24,58 %

1.080

1.080

5,02 %

5.561

25,83 %

0,30 Entfernungs­pauschale

340

15

90

Wirtschaftsgüter in der Steuerbilanz Ergebnis: Von den Gesamtkosten für das Betriebs-Kfz verbleiben nach Gewinner­höhung um die private Kfz-Nutzung nur 25,83 % abzugsfähige BA. Ergänzung: Nach 6 Jahren wird das Fahrzeug für 22.500 Euro (zzgl. USt) verkauft. Kfz-Verkauf nach 6 Jahren AK

AfA

VP

Buchgewinn

98.000

–98.000

22.500

–22.500

–17,41 %

p.a.

6 Jahre

Priv. Kfz-Nutzung

15.972

95.832

–95.832

–74,17 %

Kfz-Kosten

21.533

129.200

129.200

100,00 %

10.868

8,41 %

Veräußerungsgewinn

Abgezogene BA

Ergebnis: Unter Einbeziehung des Veräußerungsgewinns und der privaten Kfz-Nut­zung während der Nd verbleiben von den gesamt angefallenen Kfz-Kosten nur noch 8,41 %, die den Gewinn gemindert haben. Hinweis: Die Höhe der abzugsfähigen Betriebsausgaben ist von mehreren Faktoren abhängig, wie: ȤȤ der Kilometerleistung ȤȤ den lfd. Betriebskosten/Reparaturen ȤȤ der Entfernung zwischen Wohnung und Betriebsstätte ȤȤ dem Buchgewinn

3. Zwischenergebnis Unstreitig kann der Gesetzgeber bestimmte Betriebsausgaben nicht oder nur eingeschränkt zum Abzug zulassen, wenn diese ohne betriebliche Veranlassung Kosten der privaten Lebensführung wären42. Davon hat er in § 4 Abs. 5 EStG Gebrauch gemacht. Allerdings darf die damit verbundene steuerliche Belastung nicht so weit gehen, dass der wirtschaftliche Erfolg grundlegend beeinträchtigt wird und damit nicht mehr angemessen zum Ausdruck kommt43. Diese Grenze ist allein durch die Abzugsbeschränkung von Repräsentationsaufwendungen oder von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer nicht überschritten. Wenn sich aber durch das kumulative Nebenein41 98.000 Euro AK × 15 km × 0,03 %. 42 Gefestigte Rspr. des BVerfG v. 7.12.1999 – 2 BvR 301/98 , BStBl. II 2000, 162, zur beschränkten steuerlichen Absetzbarkeit von Aufwendungen für ein häusliches Arbeitszimmer, weil diese Aufwendungen auch die private Lebensführung berühren; zum Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers vgl. Kirchhof, 15. Aufl. 2016, § 2 EStG Rz. 11. 43 BVerfG v. 18.1.2006 – 2 BvR 2194/99, BFH/NV 2006, Beilage 3, 368 zum „Halbteilungsgrundsatz“ bei der Belastung mit Einkommen- und Gewerbesteuer; dazu Grune, AktStR 2006, 320.

341

Hans-Michael Korth

ander von Abzugsbeschränkungen einerseits und der Besteuerung von Veräußerungs- und Aufgabegewinnen bei Gewinneinkünften andererseits Steuerbelastungen ergeben, die zu einer Verletzung des Gebots der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit führen können, ist entweder die Gesetzesvorschrift bzw. deren Folgerichtigkeit oder das System der Erfassung von Veräußerungsgewinnen zu hinterfragen. 4. Kritische Würdigung der Rechtsprechung des X. BFH-Senats Maßgebende Argumente des BFH, dass zur Berechnung des Gewinns aus der Veräußerung eines zum notwendigen Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsguts der Buchwert vom Veräußerungspreis in Abzug zu bringen ist und eine Gewinnkorrektur in Bezug auf die nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 7 EStG nicht abzugsfähigen Teile der AfA nicht in Betracht kommt, sind44: (1) Bei einem Wirtschaftsgut, das zu 100 % zum Betriebsvermögen gehört, ist auch der Veräußerungserlös zu 100 % eine Betriebseinnahme. (2) Gesetzeswortlaut und Gesetzessystematik lassen es nicht zu, von dem tatsächlich erzielten Veräußerungserlös nicht nur den Buchwert, sondern zusätzlich die nicht abziehbar gewesene AfA ganz oder zum Teil gewinnmindernd zu berücksichtigen. (3) Andernfalls würde das nach § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 7 EStG vorgeschriebene Abzugsverbot wieder rückgängig gemacht. Zu (1) Veräußerung von Betriebsvermögen führt zu einer Betriebseinnahme Die Aussage des BFH, dass der Erlös eines zu 100 % zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsguts auch zu 100 % eine Betriebseinnahme darstellt, ist richtig aber trivial45. Denn sie sagt nichts darüber aus, in welcher Höhe die Betriebseinnahme den hier infrage stehenden Veräußerungsgewinn beeinflusst. Dieser ergibt sich nämlich nach Abzug des im Zeitpunkt der Veräußerung verbleibenden Restbuchwerts. Entspricht dieser der Betriebseinnahme, verbleibt kein zu besteuernder Veräußerungsgewinn. Zu (2) Gewinnmindernde Berücksichtigung der nicht abgezogenen AfA Der Hinweis auf den Gesetzeswortlaut und die Gesetzessystematik46 bleibt leider ohne Begründung, so dass nicht erkennbar ist, warum sich daraus ergeben soll, dass vom Veräußerungserlös der Buchwert abzuziehen ist, der um AfA-Beträge vermindert worden ist, die steuerlich nicht abziehbar waren. Aus dem Gesetzeswortlaut des § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 7 EStG ergibt sich lediglich, dass andere als die in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr.  1 bis 6 und 6b EStG bezeichneten Aufwendungen den Gewinn nicht mindern 44 Stellvertretend BFH v. 25.3.2015 – X R 14/12, BFH/NV 2015, 973. 45 BFH v. 25.3.2015 – X R 14/12, BFH/NV 2015, 973 Rz. 20. 46 BFH v. 25.3.2015 – X R 14/12, BFH/NV 2015, 973 Rz. 21.

342

Wirtschaftsgüter in der Steuerbilanz

dürfen, soweit sie die Lebensführung des Steuerpflichtigen oder anderer Personen berühren und nach allgemeiner Verkehrsauffassung als unangemessen anzusehen sind. Das Gesetz enthält keinen Hinweis darauf, ob diese nicht abzugsfähigen Aufwendungen bei der späteren Ermittlung eines Veräußerungsgewinns zu berücksichtigen sind oder ob sie in entsprechendem Umfang den Restbuchwert beeinflussen. Aus der Gesetzessystematik ergibt sich, dass Aufwendungen, die den Gewinn nach § 4 Abs. 5 EStG nicht mindern dürfen, bei der Ermittlung des für den Gewinn maßgeblichen Unterschiedsbetrags zwischen dem Betriebsvermögen am Schluss des Wirtschaftsjahres und dem Betriebsvermögen am Schluss des vorangegangenen Wirtschaftsjahres abzuziehen sind47. Andernfalls würde ein Veräußerungsgewinn besteuert, dem keine Steigerung der Leistungsfähigkeit zu Grunde liegt, wie die vorstehenden Beispiele belegen. Zu (3) Rückgängigmachung des Abzugsverbots Der X. Senat hat den Ansatz des Buchwertes ohne Berücksichtigung der nichtabzugsfähig gewesenen AfA-Beträge u.a. damit begründet, dass andernfalls das in § 4 Abs. 5 Satz 1 Nr. 7 EStG enthaltene Abzugsverbot wieder rückgängig gemacht werden würde48. Die vom BFH praktizierte Art der Ermittlung eines Veräußerungsgewinns führt aber genau dazu, wenn ein vom Abzugsverbot betroffenes Wirtschaftsgut mit einem Verlust veräußert wird. Beispiel: Der vom selbstständigen Unternehmensberater für das Büro angeschaffte Seidenteppich wird nach 2 Jahren zum Zeitwert von 30.000 Euro veräußert. Anschaffungskosten und steuerlich anerkannte AfA wie vorher AK

Nd

AfA p.a.

AfA

60.000

15

4.000

AfA auf angemessene AK

10.000

15

667

Veräußerung des Teppichs nach 2 Jahren Ermittlung Rest-BW

AK

AfA kumuliert

Rest-BW

60.000

8.000

52.000

Rest-BW Veräußerungsverlust

52.000

abzugsfähiger Veräußerungs­ Veräußerungsverlust preis 30.000 

22.000

47 Stadie, FR 2016, 289, 293, mit Verweis auf die Regelung in § 23 Abs. 3 Satz 4 EStG. 48 BFH v. 25.3.2015 – X R 14/12, BFH/NV 2015, 973 Rz. 21.

343

Hans-Michael Korth

Die Beispiele zeigen, dass bei der Veräußerung von Wirtschaftsgütern, die unter ein steuerliches Abzugsverbot fallen, der Ansatz des Buchwertes ohne Berücksichtigung der angemessenen AfA-Bemessungsgrundlage zu unsystematischen Ergebnissen führt. Bei Veräußerungsgewinnen droht eine Übermaßbesteuerung, bei Veräußerungsverlusten werden Betriebsausgaben abgezogen, die die steuerlich möglichen Gesamt-Betriebsausgaben – im vorstehenden Beispiel 10.000. Euro − übersteigen.

V. Lösungsansätze für eine der Gesetzessystematik entsprechende ­Ermittlung des steuerlichen Veräußerungsgewinns 1. Allgemeine Grundsätze der steuerlichen Gewinnermittlung Das in § 4 Abs. 5 EStG enthaltene Abzugsverbot für bestimmte Betriebsausgaben ist verfassungsrechtlich unbedenklich. Der Vorschrift ist aber nicht zu entnehmen, wie bei einer späteren Veräußerung der zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter der Veräußerungserlös zu ermitteln ist. Heranzuziehen sind die allgemeinen Grundsätze der Gewinnermittlung und die Grundsätze zur steuerbilanziellen Behandlung von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens. Ein Gewinn aus der Veräußerung von abnutzbaren Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens korrigiert im Regelfall eine in den jeweiligen Jahren zu hoch angesetzte AfA. AfA-Beträge, die infolge der Abzugsbegrenzung nach § 4 Abs. 5 EStG den steuerlichen Gewinn nicht gemindert haben, können sich sachlogisch auch nicht auf den steuerlichen Veräußerungsgewinn auswirken49. Dies ist eine Konsequenz aus dem mit § 4 Abs. 5 EStG verfolgten Zweck und entspricht der Systematik, dass sich nicht gewinnwirksam gewordene AfA-Beträge bei einer späteren Veräußerung nicht so auswirken können, als seien sie gewinnwirksam abgesetzt worden50. 2. Maßgeblichkeit der Handels- für die Steuerbilanz Wenn in der steuerlichen Gewinnermittlung (nachfolgend Steuerbilanz, StBil) von den Anschaffungskosten andere AfA-Beträge als in der handelsrechtlichen Gewinn­ 49 Ebenso Stadie, FR 2016, 289, 293, mit dem Hinweis, dass sich dies zwingend aus dem Leistungsfähigkeitsprinzip in Gestalt der Besteuerung des Nettoeinkommens ergibt; auch der XI. Senat räumt ein, dass darin ein Verstoß gegen die Verletzung des Leistungsfähigkeitsprinzip liegt, dem bei der Erfassung des Veräußerungsgewinns Rechnung zu tragen ist, BFH v. 6.7.2005 – XI R 87/03, BStBl. II 2006, 18 Rz. 13. 50 Diese Systematik hat ihren Niederschlag in § 23 Abs. 3 EStG gefunden, wenn Wirtschaftsgüter des Privatvermögens innerhalb bestimmter Fristen veräußert werden: „Gewinn oder Verlust aus Veräußerungsgeschäften nach Absatz 1 ist der Unterschied zwischen Veräußerungspreis einerseits und den Anschaffungs- oder Herstellungskosten und den Werbungskosten andererseits“, Satz 1; „Die Anschaffungs- oder Herstellungskosten mindern sich um Absetzungen für Abnutzung, erhöhte Absetzungen und Sonderabschreibungen, soweit sie bei der Ermittlung der Einkünfte im Sinne des § 2 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 bis 7 abgezogen worden sind“, Satz 4; vgl. dazu Stadie, FR 2016, 289, 292.

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Wirtschaftsgüter in der Steuerbilanz

ermittlung (nachfolgend Handelsbilanz, HB) abgesetzt werden, könnte dies ein Verstoß gegen den in § 5 Abs. 1 EStG kodifizierten Grundsatz der Maßgeblichkeit sein. Allerdings ist die Durchbrechung der Maßgeblichkeit durch zahlreiche steuerrechtliche Sondernormen vorgegeben. Dazu gehören steuerrechtliche Ansatzgebote und -verbote, Ansatzvorbehalte – wie in § 4 Abs. 5 EStG – und steuerliche Bewertungsvorbehalte. Gleiches gilt, wenn handelsrechtliche Wahlrechte für Zwecke der steuerrechtlichen Gewinnermittlung eingeschränkt werden51. Die sich daraus ergebenden unterschiedlichen AfA-Reihen in der StBil und HB sind also keine Besonderheit bei der steuerrechtlichen Gewinnermittlung, wie die nachfolgenden Beispiele zeigen: Teilentgeltlicher Erwerb Bei einem teilentgeltlichen Erwerb ist eine Aufteilung der Anschaffungskosten im Verhältnis des unentgeltlichen zum entgeltlichen Erwerb nach dem Verkehrswert vorzunehmen. Für die nach diesem Verhältnis aufgeteilten Anschaffungskosten hat der Erwerber für den unentgeltlich erworbenen Teil die AfA des Rechtsvorgängers nach § 11d EStDV fortzusetzen, für den entgeltlich erworbenen Teil ist die AfA nach den für das betreffende Wirtschaftsgut allgemein geltenden Grundsätzen zu bemessen52. Investitionsabzugsbetrag nach § 7g EStG Nach § 7g Abs. 2 EStG können die Anschaffungskosten um bis zu 40 % gewinnmindernd herabgesetzt werden. Da in der HB die Anschaffungskosten ungekürzt anzusetzen sind, verringert sich die AfA-Bemessungsgrundlage in der StBil um 40 %. Bei einer späteren Veräußerung ist dem Veräußerungserlös der verbleibende Restbuchwert gegenüberzustellen, weil sich sowohl die Herabsetzung der Anschaffungskosten als auch die gesamten AfA-Beträge gewinnmindernd ausgewirkt haben. Steuerrechtlich typisierte AfA-Sätze Auch soweit in der HB Abschreibungen angesetzt werden, die vorgegebene steuerrechtlich typisierte AfA-Sätze überschreiten, z.B. bei der Gebäude-AfA nach §  7 Abs. 4 EStG, kommt es zu unterschiedlichen AfA-Reihen in der HB und StBil. Auch dann ist für die Ermittlung des Veräußerungsgewinns der steuerliche Restbuchwert maßgebend, der sich aus dem Ansatz der niedrigeren steuerrechtlichen AfA-Beträge ergibt. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass § 5 Abs. 1 EStG durch das Gesetz zur Modernisierung des Bilanzrechts (BilMoG)53 geändert wurde. Das nach den handelsrechtlichen Grundsätzen auszuweisende Vermögen ist für die StBil dann nicht mehr maßgeblich, wenn im Rahmen der Ausübung eines steuerlichen Wahlrechts ein anderer 51 BFH v. 3.2.1969 – GrS 2/68, BStBl. II 1969, 291, betr. das steuerrechtliche Aktivierungsgebot bei handelsrechtlichen Aktivierungswahlrechten bzw. das steuerrechtliche Passivierungsverbot bei handelsrechtlichen Passivierungswahlrechten. 52 BMF v. 13.1.1993 – IV B 3 - S 2190 - 37/92, BStBl. I 1993, 80 Rz.16; dazu Bolz, AktStR 2014, 18; daraus ergibt sich nicht nur eine unterschiedliche Abschreibungsdauer, sondern bei einer Veräußerung auch ein von der HB abweichender Restbuchwert in der StBil und damit ein anderer Veräußerungsgewinn als in der HB. 53 BilMoG v. 25.5.2009, BStBl. I 2009, 650.

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(nur steuerlich zulässiger) Ansatz gewählt wurde54. Sogar dann, wenn sowohl handelsrechtliche als auch steuerrechtliche Wahlrechte bestehen, können diese nach § 5 Abs. 1 Nr. 2a EStG in der HB und der StBil unterschiedlich ausgeübt werden55. 3. Steuerliches Anlageverzeichnis In all diesen Fällen sind die betreffenden Wirtschaftsgüter in der StBil nicht mit den in der HB angesetzten Werten in das – auch steuerlich zu führende – Anlageverzeichnis aufzunehmen, § 5 Abs. 1 Satz 2 EStG56. Dies führt zwangsläufig in der StBil und dem steuerlichen Anlageverzeichnis zu anderen Wertansätzen und AfA-Beträgen als in der HB. Diese steuersystematisch richtige Vorgehensweise gilt auch für die Bilanzierung von Wirtschaftsgütern, die einem teilweisen oder vollständigen AfA-Abzugsverbot unterliegen. Denn unstreitig sind in der StBil und dem steuerlichen Anlageverzeichnis Abschreibungen nur in der Höhe anzusetzen, die steuerlich abziehbar sind57. Wenn die steuerlich nicht abziehbaren AfA-Beträge den Restbuchwert nicht mindern, sind sie auch nicht außerhalb der steuerlichen Gewinnermittlung hinzuzurechnen58. Wird so verfahren, ist eine teleologische Reduktion der Gewinnrealisierungstatbestände, wie vom IV. und XI. Senat des BFH59 als Lösungsmöglichkeit erwähnt, nicht erforderlich60.

54 Zur Durchbrechung der Maßgeblichkeit BMF v. 12.3.2010 – IV C 6-S 2133/09/10001, ­BStBl. I 2010, 239; „Wahlrechte, die nur steuerrechtlich bestehen, können unabhängig vom handelsrechtlichen Wertansatz ausgeübt werden (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 EStG). Die Ausübung des steuerlichen Wahlrechtes wird insoweit nicht nach § 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 EStG durch die Maßgeblichkeit der handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung beschränkt.“ 55 BMF v. 12.3.2010 – IV C 6-S 2133/09/10001, BStBl. I 2010, 239 Rz. 16; nach Rz. 18 setzt die steuerliche Inanspruchnahme der degressiven AfA ebenfalls nicht voraus, dass der Steuerpflichtige auch in der HB eine degressive Abschreibung vornimmt. 56 Schmidt/Weber-Grellet, 36. Aufl. 2017, § 5 EStG Rz. 60 spricht von dem generellen Vorrang steuerlicher Wahlrechte. 57 Nach Schmidt/Weber-Grellet, 36. Aufl. 2017, § 5 EStG Rz. 61 ist das so aufgebaute steuerliche Anlageverzeichnis der „Einstieg“ in die selbstständige StBil. 58 Bei dem für die Gewinnermittlung maßgebenden Unterschiedsbetrag wirken sie sich bei Ansatz der StBil-Werte nicht mehr aus. 59 BFH v. 28.8.2003 – IV R 38/01, BFH/NV 2004, 327 Rz. 24; BFH v. 6.7.2005 – XI R 87/03, BStBl. II 2006, 18 Rz. 13. 60 Bei der teleologischen Auslegung wird nach dem Sinn und Zweck der Norm gefragt, wenn die vom Wortlaut umfassten Fälle der Zielsetzung des Gesetzes widersprechen. Im Gegensatz dazu wird bei der gesetzessystematischen Auslegung davon ausgegangen, dass die Rechtsordnung als Ganzes widerspruchsfrei aufgebaut ist, so dass es sich nicht um eine Auslegungsmethode, sondern um ein Konstruktionsprinzip handelt.

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4. Gesetzessystematische Ermittlung des steuerlichen Veräußerungsgewinns Die vorstehend dargestellte Behandlung der Abschreibungen im steuerlichen Anlageverzeichnis führt bei den weiter oben aufgeführten Beispielen zu folgenden Ergebnissen: a) Repräsentationsaufwand Bei dem weiter oben dargestellten Bespiel der Anschaffung und Veräußerung eines im Büro genutzten Seidenteppichs entsteht nach 10 Jahren ein zu versteuernder Veräußerungsgewinn i.H.v. 30.000  Euro. Im Ergebnis führt der durch die betriebliche Nutzung verursachte Wertverzehr nicht zu „Betriebsausgaben“, sondern per Saldo zu einem steuerlichen Gewinn i.H.v. 29.667 Euro61. Werden dagegen für den Büroteppich im steuerlichen Anlageverzeichnis nur die für die StBil maßgebenden AK und die darauf entfallende (angemessene) AfA angesetzt, kommt es zu einer sachgerechten und durch die betriebliche Nutzung des Teppichs veranlassten Ermittlung des Veräußerungsgewinns. Anschaffungskosten und steuerlich anerkannte AfA wie vorher AK

Nd

AfA p.a.

HB

60.000

15

4.000

StBil

10.000

15

667

HB

StBil

60.000

10.000

–40.000

–6.667

Rest-BW

20.000

3.333

Wert im Zeitpunkt der Entnahme – in der StBil im Verhältnis der steuerlich aktivierten AK –

50.000

8.333

Veräußerungsgewinn

30.000

5.000

Veräußerung des Teppichs nach 10 Jahren Anschaffungskosten kumulierte Abschreibung nach 10 Jahren

b) Betrieblich genutztes Arbeitszimmer Bei dem weiter oben dargestellten Beispiel eines betrieblich genutzten Arbeitszimmers und einem nachfolgenden Verkauf des Einfamilienhauses war bei Ermittlung des Veräußerungsgewinns und Ansatz des Buchwertes, der sich unter Abzug der nicht 61 Vgl. dazu IV. 2. a).

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abzugsfähigen AfA-Beträge ergibt, ein Veräußerungsgewinn i.H.v. 26.262 Euro entstanden, obwohl die auf das Arbeitszimmer entfallende Wertsteigerung − ohne Berücksichtigung der nicht abzugsfähig gewesenen AfA − nur 3.862 Euro beträgt62. Zu diesem Veräußerungsgewinn kommt man, wenn der Buchwert angesetzt wird, der sich aus dem steuerlichen Anlageverzeichnis, in dem die steuerlich maßgebenden AfA-Beträge anzusetzen sind, ergibt. Verkauf eines Einfamilienhauses mit betrieblich genutztem Arbeitszimmer Einfamilienhaus AK

580.000

Quadratmeter

145

AK/qm

28

4.000

AK Arbeitszimmer

112.000

AfA p.a. abzgl. Grund und Boden Veräußerungspreis

Arbeitszimmer

2.240 600.000

Veräußerungsgewinn

115.862 3.862

c) Sonderfall: Privat genutztes Betriebs-Kraftfahrzeug Wird bei einem privat genutzten Betriebs-Kfz die 1%-Regel angewendet, werden die auf die private Nutzung entfallenden Betriebsausgaben pauschal i.H.v. 1 % des Listenpreises als Nutzungsentnahme dem steuerlichen Ergebnis hinzugerechnet. Dadurch können die einzelnen nicht abzugsfähigen auf die Privatnutzung entfallenden Betriebsausgaben den einzelnen Kostenarten (wie Kfz-Steuer, -versicherung, laufende Betriebskosten, AfA) nicht quotal zugeordnet werden. Das bedeutet für das steuerlich zu führende Anlageverzeichnis, dass die nur steuerlich anzusetzende AfA nicht ermittelt werden kann. Bei Ermittlung des privaten Nutzungsanteils nach der Fahrtenbuchmethode ist dagegen der nach dem Fahrtenbuch ermittelte Anteil der Gesamtaufwendungen, der auf die Privatfahrten entfällt, als Nutzungsentnahme anzusetzen63. Die mit dem Betrieb des Kfz zusammenhängenden Kosten sind zusammenzurechnen und entsprechend der Nutzungsanteile prozentual auf den betrieblichen und den privaten Anteil aufzuteilen64. Nach der hier vertretenen Auffassung ist es zumindest zweifelhaft, ob der nach der Fahrtenbuchmethode anzusetzende Privatanteil eine Nutzungsentnahme ist. Denn dann wäre die Entnahme mit dem Verkehrswert anzusetzen, d.h. die auf die private Nutzung entfallenden Kosten mindestens um einen Gewinnaufschlag zu er62 Vgl. dazu IV. 2. b). 63 BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348. 64 Vgl. Schindler in Kirchhof, 15. Aufl. 2016, § 6 EStG Rz. 174a.

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höhen. Dies ist nach herrschender Meinung nicht der Fall65. Das bedeutet, dass die auf die private Nutzung entfallenden Betriebsausgaben inkl. des auf die Privatnutzung entfallenden Anteils der AfA nicht abzugsfähig sind. Wird so verfahren, sind bei einer Veräußerung des Kfz die Anschaffungskosten in der StBil nur um die auf die betriebliche Nutzung entfallenden AfA-Beträge zu kürzen. Im nachfolgenden Beispiel wird eine nach dem Fahrtenbuch ermittelte 30%ige private Kfz-Nutzung unterstellt. 30%ige private Kfz-Nutzung gem. Fahrtenbuch Anlageverzeichnis HB

StBil

Anschaffungskosten

100 %

70 %

AfA-Bemessungsgrundlage

98.000

68.600

AfA p.a. bei Nd 6 Jahre

16.333

11.433

0

0

HB

StBil

16.333

11.433

Steuern/Vers.

1.450

1.015

lfd. Kosten

2.250

1.575

Rep/Wartung

1.500

1.050

21.533

15.073

HB

StBil

100 %

70 %

22.500

15.750

Restbuchwert nach 6 Jahren Kfz-Kosten AfA

Gesamtkosten p.a.

Veräußerungsgewinn

In der HB ergibt sich aus dem Verkauf ein Veräußerungsgewinn von 22.500 Euro. Dieser Veräußerungsgewinn ist – im Verhältnis der in der StBil aktivierten AK – mit 70 %, also i.H.v. 15.750 Euro in der StBil anzusetzen.

65 BMF v. 18.11.2009 – IV C 6-S 2177/07/10004, BStBl. I 2009, 1326 Rz. 22.

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VI. Ergebnis Nach dem Gebot der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit darf nur der aus den Erwerbseinnahmen und Erwerbsaufwendungen verbleibende Nettogewinn besteuert werden. Allerdings kann der Gesetzgeber bei der Regelung von Massenerscheinungen den Abzug bestimmter Erwerbsaufwendungen generalisieren, typisieren oder pauschalieren. Dabei ist das Gebot der Folgerichtigkeit zu beachten. Von der Möglichkeit, Erwerbsaufwendungen zu begrenzen oder insgesamt auszuschließen, hat der Gesetzgeber in § 4 Abs. 5 EStG Gebrauch gemacht. Die davon betroffenen Betriebsausgaben erhöhen den Gewinn. Soweit vom Abzugsverbot auch Abschreibungen betroffen sind, führt dies – nach der ständigen Rechtsprechung des BFH – bei einer späteren Veräußerung dieser Wirtschaftsgüter dazu, dass vom Veräußerungspreis der um die gesamten Abschreibungen geminderte Restbuchwert abgezogen und dieser Saldo als Veräußerungsgewinn der Besteuerung unterworfen wird. Durch das kumulative Nebeneinander von Abzugsbeschränkungen einerseits und der Besteuerung von Veräußerungs- und Aufgabegewinnen bei Gewinneinkünften andererseits ergeben sich nach der hier vertretenen Auffassung Steuerbelastungen, die zu einer Verletzung des Gebots der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit führen können. Aus diesem Grund ist die Gesetzesvorschrift, deren Folgerichtigkeit oder das System der Erfassung von Veräußerungsgewinnen zu hinterfragen. Ein Gewinn aus der Veräußerung von abnutzbaren Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens korrigiert im Regelfall eine während der Nutzungsdauer zu hoch angesetzte AfA. AfA-Beträge, die infolge der Abzugsbegrenzung bzw. des Abzugsverbots nach § 4 Abs. 5 EStG den steuerlichen Gewinn nicht gemindert haben, können sich sachlogisch auch nicht auf den steuerlichen Veräußerungsgewinn auswirken. Der in § 5 Abs. 1 EStG kodifizierte Grundsatz der Maßgeblichkeit wird durch steuerrechtliche Sondernormen, wie Ansatzgebote und -verbote, Ansatzvorbehalte und steuerliche Bewertungsvorbehalte vielfältig durchbrochen. Im Ergebnis sind dann die betreffenden Wirtschaftsgüter in der Steuerbilanz, respektive im steuerlichen Anlageverzeichnis, nur mit den Werten anzusetzen, die für das Steuerrecht maßgeblich sind. Daraus ergeben sich in der steuerlichen Gewinnermittlung andere anzusetzende AfA-Beträge als in der Handelsbilanz. Werden diese Grundsätze auch auf Wirtschaftsgüter angewendet, die zum Teil oder vollständig einem AfA-Abzugsverbot unterliegen, führt dies – wie vorstehend dargestellt – zu einer der Gesetzessystematik entsprechenden Ermittlung des steuerlichen Veräußerungsgewinns und – wie die vorstehenden Beispiele zeigen – nicht zu einer Übermaßbesteuerung, soweit Buchgewinne entstehen. Es bleibt zu hoffen, dass der BFH diesen Festschriftbeitrag zum Anlass nimmt, seine bisherige Rechtsprechung zur Veräußerung von Wirtschaftsgütern, deren Aufwendungen ganz oder teilweise vom Betriebsausgabenabzug ausgeschlossen sind, kritisch zu hinterfragen.

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Ulrich Prinz

Gedanken zum Bilanzrecht: Kristallisationspunkt rechtlicher und wirtschaftlicher ­Betrachtung Inhaltsübersicht

I. Ausgangspunkt: Über „betriebswirtschaftliche Bilanztheorien“, „Enthaltsamkeit“ der Juristen im Bilanzrecht und die „Bilanz im Rechtssinne“

II. Einige konzeptionelle Grundlagen des Steuerbilanzrechts 1. Maßgeblichkeitsverknüpfung: Bezugnahme der steuerbilanziellen Gewinn­ ermittlung auf die „handelsrechtlichen GoB“ (§ 5 Abs. 1 EStG) 2. Vorrang „wirtschaftlichen Eigentums“ bei personeller Zurechnung von Wirtschaftsgütern 3. Steuerbilanzielle Teleologie als Aus­ legungsleitlinie

III. Beispiele zum Spannungsfeld rechtlicher und wirtschaftlicher Betrachtung 1. Bilanzielle Behandlung von Genussrechtskapital 2. Gebäude auf fremdem Grund und ­Boden 3. „Ewiger Streit“ um Rückstellungen 4. Dynamische Bilanztheorie und ­Rechnungsabgrenzungsposten IV. Ergebnis: Rechtliche Verselbständigung des Steuerbilanzrechts bei zunehmenden unionsrechtlichen Einflüssen

I. Ausgangspunkt: Über „betriebswirtschaftliche Bilanztheorien“, „­Enthaltsamkeit“ der Juristen im Bilanzrecht und die „Bilanz im Rechtssinne“ Der Jubilar Georg Crezelius gehört zu den wenigen, mit subtilem Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge ausgestatteten Juristen in Deutschland, der sich in einer Vielzahl von Schrifttumsbeiträgen, aber auch in seiner Lehr- und Vortragstätigkeit intensiv mit Grundfragen des Bilanzrechts befasst hat. Noch immer lesenswert und programmatisch wegweisend ist sein Aufsatz „Was ist Recht im Bilanzrecht?“1. Darin befasst er sich eingehend mit dem „Rechtsgewinnungsprozess im Bilanzrecht“ bei einem Rückstellungsthema und berücksichtigt insoweit natürlich auch betriebswirtschaftliche Erkenntnisse. Eine „spitze Feder“ und klare Diktion zeichnen Georg Crezelius aus. Als guter Jurist betont er, dass Bilanzrecht trotz seiner offenkundigen und engen Wirtschaftsbezüge nicht „einer wie auch immer gearteten Beliebigkeit“ ausgesetzt werden darf. Den angelsächsisch geprägten IFRS (International Financial Reporting Standards) und ihrem Case Law-, weniger prinzipienbasierten Ansatz steht er deshalb kritisch gegenüber. Zu Ehren von Georg Crezelius soll im Folgenden das Bi1 Georg Crezelius, ZIP 2003, 461. Vgl. ergänzend dazu auch seine Kommentierung des §  5 EStG in Kirchhof (Hrsg.), EStG, 16. Aufl. 2017.

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Ulrich Prinz

lanzrecht als „Kristallisationspunkt rechtlicher und wirtschaftlicher Betrachtung“ ein wenig ausgeleuchtet werden. Ich möchte mich dabei vor allem auf das Steuerbilanzrecht als Grundlage der Ertragsbesteuerung von Unternehmen konzentrieren, das über den Maßgeblichkeitsgrundsatz stets enge Handelsrechtsbezüge aufweist. Kaufmännische Rechnungslegung muss stets zweckbezogen erfolgen. Dies gehört zu den Grunderkenntnissen betriebswirtschaftlicher Bilanztheorie. So wird etwa eine Bewertung von Vermögensgegenständen/Schulden unter insolvenzorientierten Zerschlagungsgesichtspunkten völlig anders aussehen als bei der Anwendung von Going-Concern-Wertmaßstäben (§ 252 Abs. 1 Nr. 2 HGB). Schaut man in die Geschichte der Betriebswirtschaftslehre, erkennt man, dass die Erforschung der kaufmännischen Rechnungslegung am Beginn ihrer Einordnung als eigenständige Wissenschaft liegt. Namen wie Heinrich Nicklisch, Wilhelm Rieger und Eugen Schmalenbach prägen die betriebswirtschaftliche Bilanzforschung bis zum Zweiten Weltkrieg des vorigen Jahrhunderts2. Das Rechnungswesen eines Unternehmens wird aus betriebswirtschaftlicher Sicht stets als „Bestandteil des betrieblichen Informationssystems“ verstanden, welches sich zum einen an interne, zum anderen an externe Adressaten wendet3. Vorwiegend interne Unternehmenszwecke werden mit der Kosten- und Leistungsrechnung oder den diversen Planungsrechnungen (beispielsweise für Investitions- und Finanzierungszwecke) verfolgt; präzise gesetzliche Vorgaben dazu fehlen. Anders ist es bei der Rechnungslegung für externe Adressaten. So werden etwa im handelsrechtlichen Jahresabschluss (§  242 Abs.  3 HGB) mehrere Zwecke nach Maßgabe detail­ lierter Gesetzesbestimmungen nebeneinander verfolgt (sog. Mehrfunk­tionalität des Jahresabschlusses). Zu nennen sind seine Informationsfunktion (für Unternehmens­ inhaber, Gläubiger und den gesamten Kapitalmarkt), die Ausschüttungsbegrenzungsund Kapitalerhaltungsfunktion sowie – als Folge des Maßgeblichkeitsgrundsatzes (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG) – die Steuerbemessungsfunktion. Der Konzernabschluss (§ 290 HGB) für eine (meist international tätige) Unternehmensgruppe dagegen dient allein Informationszwecken (keine Feststellung, nur Billigung durch die Gremien); er ist keine Grundlage für Ausschüttungs- und Besteuerungszwecke4. Man sieht: Externe Rechnungslegung ist trotz enger betriebswirtschaftlicher Bezüge im Detail gesetzlich definiert und daher originärer Gegenstand juristischer Auslegung. Auch wenn traditionell Betriebswirte  – insbesondere aus der Berufsgruppe der Wirtschaftsprüfer/ Steuerberater  – die Rechnungslegungs-Community beherrschen, geht es „naturge2 Vgl. als Überblick Wöhe, Einführung in die allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 25. Aufl. 2013, S.  13-15; Rudolf Seyffert, Über Begriff, Aufgaben und Entwicklung der Betriebs­ wirtschaftslehre, 6. Aufl. 1971, S. 47-71; Brockhoff, Betriebswirtschaftslehre in Wissenschaft und Geschichte, 3. Aufl. 2012, S. 91, 144-150; Schweitzer/Wagner, in: Lingenfelder (Hrsg.), 100 Jahre Betriebswirtschaftslehre in Deutschland, 1999, S. 49-71. Zu den Grundlagen der doppelten Buchführung vgl. Luca Pacioli, Abhandlung über die Buchhaltung 1494, Nachdruck 1992. Hinweise zur Aktualität der „betriebswirtschaftlichen Gewinnermittlungsforschung“ gibt Ballwieser, Der Konzern 2014, 143-153. 3 Vgl. dazu weiterführend Wöhe, Einführung in die allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 25. Aufl. 2013, S. 641-653. 4 Vgl. zu den unterschiedlichen Normzwecken von Jahresabschluss und Konzernabschluss Prinz, Festschrift für Arndt Raupach, 2006, 279-298.

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Aktuelles Steuerbilanzrecht

mäß“ um die Anwendung ökonomisch geprägten Rechts5. Die Juristen selbst sind allerdings eher „enthaltsam“ im Bilanzrecht6. Zusammengefasst: Handelsbilanzrecht bildet im Kern Unternehmens-, Gesellschaftsund Kapitalmarktrecht; es ist insoweit Teil der Unternehmensführung7. Auch der stichtagsbezogene Betriebsvermögensvergleich für Ertragsteuerzwecke fußt trotz ­seiner betriebswirtschaftlichen Grundlagen auf einer maßgeblichkeitsgeprägten „Bilanz im Rechtssinne“8, die dem Realisationsprinzip als tragendem Periodisierungsgrundsatz folgt, Objektivierungsnotwendigkeiten beachten muss und realitätsnahe kaufmännische Vorsicht in ausgewogener Form bei sachgerechter Ausrichtung an Leistungsfähigkeitsüberlegungen berücksichtigt. Der steuerbilanzielle Betriebsvermögensvergleich als „Grundform der Gewinnermittlung“ (§§ 4 Abs. 1, 5 Abs. 1 EStG) strebt eine periodengerechte Ergebnisermittlung für Gewinnermittler nach mehrschichtigen Gesetzesvorgaben9 auf Basis einer kaufmännischen Rechnungslegung an, also unabhängig von reinen Zahlungsvorgängen. Betriebswirtschaftliche Erfolgsmessungskonzepte haben für die Steuerbilanz nur insoweit Bedeutung, als sie in einzelnen Normen ihren Ausdruck finden (etwa bei den Rechnungsabgrenzungsposten gem. § 5 Abs. 5 EStG, dynamische Betrachtung)10. Stets müssen in der Folge auch die in § 5 Abs. 1 EStG in Bezug genommenen handelsrechtlichen GoB unter steuerrechtsspezifischen Wertungsgesichtspunkten ausgelegt werden (Steuerrechtsvorbehalt). Rechtsanwendung im Bilanzrecht bedeutet daher – kurz gefasst – juristisch wertende (teleologische) Auslegung unter Berücksichtigung ökonomischer Wirkungen.

II. Einige konzeptionelle Grundlagen des Steuerbilanzrechts 1. Maßgeblichkeitsverknüpfung: Bezugnahme der steuerbilanziellen ­Gewinnermittlung auf die „handelsrechtlichen GoB“ (§ 5 Abs. 1 EStG) Das Maßgeblichkeitsprinzip mit seiner traditionellen Bezugnahme auf die „handelsrechtlichen Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung“ ist in § 5 Abs. 1 EStG verankert und erstreckt sich nach herrschender Meinung auf Ansatz und Bewertung sämtlicher Bilanzposten der Aktiv- und Passivseite11. Die „handelsrechtlichen GoB“ haben 5 In diesem Sinne auch bereits Crezelius, ZIP 2003, 461, 465. 6 Vgl. etwa Kanitz, Bilanzkunde für Juristen, 3. Aufl. 2014, S. 1-3. 7 Vgl. Großfeld/Luttermann, Bilanzrecht, 4. Aufl. 2005, S. 23. 8 Vgl. BFH v. 17.7.1974 – I R 194/72, BStBl. II 1974, 684: „Die Bilanz im Rechtssinne ist keine Kostenrechnung“; vgl. auch Döllerer, JbFSt 1979/80, 195 sowie bereits in BB 1959, 1217. 9 Zu dem dreischichtigen Strukturschema im Bilanzrecht vgl. grundlegend Beisse, Festschrift Moxter, 1994, S. 3, 11-13: Reines Handelsbilanzrecht, deckungsgleiches Handels- und Steuerbilanzrecht, reines Steuerbilanzrecht. 10 Vgl. dazu auch Prinz, in: Prinz/Kanzler (Hrsg.) NWB Praxishandbuch Bilanzsteuerrecht, 2. Aufl. 2014, S. 65; ergänzend Gröne, Periodisierung in der steuerlichen Gewinnermittlung, 2017. 11 Daneben gibt es noch weitere Ausprägungsformen der Maßgeblichkeit. Zu nennen ist etwa die Sonderregelung des § 5 Abs. 1a Satz 2 EStG für sog. Bewertungseinheiten, wo konkret auf die Ergebnisse der handelsrechtlichen Rechnungslegung abgestellt wird. Eine neue

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deshalb auch im Steuerbilanzrecht Rechtsnormcharakter, es sind keine bloßen Rechtstatsachen. Die sog. Gewinnanspruchs-GoB sind entscheidend (etwa Realisationsprinzip, Vorsichtsgrundsatz); Informations- und Ausweis-GoB haben mehr oder weniger keine Steuerbilanzrechtsrelevanz12. Man kann zusammengefasst von einer „Verrechtlichung der GoB“ sprechen13. Sie sind als prinzipienbasiertes „bewegliches“ Normengefüge teils kodifiziert (insbes. § 252 Abs. 1 HGB), teils nicht kodifiziert (etwa der Grundsatz der Nichtbilanzierung schwebender Geschäfte) und haben über §  5 Abs. 1 Satz 1 EStG unmittelbar Bedeutung im Steuerbilanzrecht. Ihr „Vorzug“ ist die Flexibilität bei Abbildung neuartiger Geschäftsmodelle, ihr „Nachteil“ liegt in der zunehmenden Überlagerung durch partikulare steuergesetzliche Sonderregelungen mit stark fiskalischer Zielsetzung. „Einheitsbilanz“ im Umbruch: Grundlage der steuerlichen Gewinnermittlung für Gewerbetreibende (Personenunternehmen/Kapitalgesellschaften) nach Maßgabe eines Betriebsvermögensvergleichs soll „vereinfacht“ die Handelsbilanz (= Einzelabschluss, nicht Konzernabschluss) sein unter Beachtung einer Vielzahl gesetzlicher und rechtsprechungsseitiger steuerlicher Anpassungen (insbesondere Vorbehalt gem. § 5 Abs. 6 EStG; § 60 Abs. 2 EStDV). Steuergesetzliche Ansatz- und Bewertungsbesonderheiten haben vor dem allgemeinen Maßgeblichkeitsgrundsatz Vorrang. Maßgeblich sind im Übrigen nur die abstrakten handelsrechtlichen Vorgaben; ein fehlerhafter handelsbilanzieller Ansatz entfaltet keine Maßgeblichkeitswirkung. Im Übrigen sind nur „deutsche GoB“ gemeint; GoB ausländischer Rechtsordnungen bleiben außer Betracht. Schließlich enthält § 5 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 2 EStG seit dem BilMoG v. 25.5.2009 einen ausdrücklichen gesetzlichen Wahlrechtsvorbehalt, der an bestimmte tatbestandsvoraussetzende Dokumentationspflichten geknüpft ist. Die Bildung einer § 6b-Rücklage oder die Durchführung einer Teilwertabschreibung aufgrund voraussichtlich dauernder Wertminderung stellen somit unabhängig von der Handelsbilanz ausübbare steuerbilanzielle Wahlrechte dar. Wegen der Vielzahl steuerrechtsspezifischer Ansatz- und Bewertungsvorschriften mit maßgeblichkeitsdurchbrechendem Inhalt – etwa das Verbot der Bildung von Drohverlustrückstellungen gem. § 5 Abs. 4a EStG oder die steuergesetzlichen Bewertungsbesonderheiten für Rückstellungen gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG – sowie dem durch das BMF-Schreiben v. 12.3.2010 „aufgewerteten“ steuerlichen Wahlrechtsvorbehalt haben sich Handels- und Steuerbilanz strukturell zunehmend voneinander entfernt. Eigenständige Steuerbilanzpolitik und der Arbeitsbereich des „Tax Accounting“ (insbesondere mit der Bildung und Fortentwicklung latenter Steuern) sind zunehmend bedeutsam geworden. Rechtshintergrund der Maßgeblichkeit: Im Ergebnis ist der Rekurs auf die handelsrechtlichen GoB in einer ertragsteuerlichen Kernvorschrift mit überragender Be­ Form „umgekehrter Maßgeblichkeit“ findet sich in § 6 Abs. 1 Nr. 1b EStG bei dem Herstellungskostenwahlrecht für allgemeine Verwaltungskosten. Schließlich werden auch die steuerspezifischen Vorgaben der E-Bilanz-Taxonomie in einer Art umgekehrter Maßgeblichkeit den Handelsbilanzausweis prägen (§ 5b i.V.m. § 51 Abs. 4 Nr. 1b und 1c EStG). 12 Zur Unterscheidung der verschiedenen GoB-Typen vgl. Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Rechnungslegung, 2003, S. 9, 221 f. 13 Vgl. Beisse, Festschrift Moxter, 1994, S. 9.

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deutung im Unternehmenssteuerrecht zunächst einmal erstaunlich und im Wesentlichen tradierten Praktikabilitäts- und Vereinfachungsgesichtspunkten geschuldet, um Kaufleuten eine Einheitsbilanz zu ermöglichen. Das Maßgeblichkeitsprinzip hat deshalb laut Bundesverfassungsgerichtsbeschluss v. 12.5.200914 keinen Verfassungsrang, sondern verkörpert eine „entwicklungsoffene Leitlinie“, die nicht etwa „als eine strikte, einmal getroffene Belastungsgrundentscheidung des Gesetzgebers“ zu verstehen ist. Anders gesagt: Die maßgeblichkeitsbedingte Verknüpfung von Handels- und Steuerbilanz ist kein Grundprinzip unserer Rechtsordnung15. Dessen ungeachtet ist der GoB-Bezugsrahmen der Steuerbilanz rechtspraktisch von erheblicher Bedeutung und zwar mit positiven, aber auch negativen Wirkungen. Die einschlägigen Aussagen des BVerfG sind zwar historisch betrachtet sicher zutreffend, aber meines Erachtens sind sie weder steuersystematisch noch folgerichtig begründet. Denn dem abschnittsbezogenen Zeitmoment bei der Erfassung eines besteuerungswürdigen Gewinns nach Realisationsgrundsätzen trägt die Leitvorstellung des BVerfG nur schwerlich Rechnung. M.E. steht ein „willkürliches Schwanken“ zwischen Abflusselementen und Verursachungsaspekten auf der Passivseite der Steuerbilanz nicht zur Disposition des Gesetzgebers. Schließlich ist aktuell auch die „Stille Teilhaber-These“ von Döllerer16, die das Maßgeblichkeitsprinzip systematisch „untermauert“ und von einem gleichmäßigen Zugriff von Fiskus und übrigen Anteilseignern nach Maßgabe eines vorsichtig ermittelten ausschüttungsfähigen Jahresgewinns ausgeht, nicht mehr unumstritten. Auch muss man aus besteuerungspraktischer Sicht konstatieren: Die Schutzfunktion der Handelsbilanz vor fiskalischen Eingriffen im Ertragsteuerrecht ist wegen der zahlreichen gesetzlichen Durchbrechungen der Maßgeblichkeit und des Wahlrechtsvorbehalts ohnehin stark eingeschränkt und wirkungsmäßig nur auf die erste Gewinn­ ermittlungsstufe begrenzt. Zu Ende diskutiert ist die Frage der Sinnhaftigkeit des Maßgeblichkeitsprinzips aber aus aktueller Perspektive sicher nicht. 2. Vorrang „wirtschaftlichen Eigentums“ bei personeller Zurechnung von ­Wirtschaftsgütern Da Bilanzrecht „ökonomisches Recht“17 ist, müssen bei der Abbildung des jeweiligen wirtschaftsrealen Sachverhalts in Handels- und Steuerbilanz gleichermaßen die vom Unternehmen gewählten Rechtsstrukturen in ihren wirtschaftlichen Wirkungen teleologisch wertend erfasst werden. Dies gilt auch für die Auslegung der handelsrechtlichen GoB im Rahmen steuerbilanzieller Anwendungsfragen. Auf der einen 14 BVerfG v. 12.5.2009, BStBl. II 2009, 685; kritisch dazu Hey, DStR 2009, 2561, 2564-2568; Hennrichs, Festschrift Lang, 2010, S.  237-254; Schulze-Osterloh, Festschrift Lang, 2010, S. 255-262; Hüttemann, Festschrift Spindler, 2011, S. 627-639. 15 So Wendt, Bilanzrecht, in: Leitgedanken des Rechts, Paul Kirchhof zum 70. Geburtstag, Bd. II, 2013, S. 1961. 16 V.a. Döllerer, BB 1971, 1333: Kritisch etwa Schmidt/Weber-Grellet, 35. Aufl. 2016, § 5 EStG Rz. 27: Maßgeblichkeitsgrundsatz als „Relikt aus dem 19. Jahrhundert“; ergänzend zu „vermeintlichen Vereinfachungswirkungen“ auch v. Wolfersdorff, Steuerbilanzielle Gewinn­ ermittlung, 2014, S. 139-143. Zur Einordnung instruktiv Ballwieser, in: Festschrift Wolfgang Spindler, 2011, S. 577-594. 17 Vgl. Beisse, Festschrift Moxter, 1994, S. 31.

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Seite dürfen deshalb bloße Formalismen im Steuerbilanzrecht nicht ausschlaggebend sein. Auf der anderen Seite sind rechtliche und wirtschaftliche Betrachtungsweise aber keine Gegensätze, da auch bei zivilrechtlichen Strukturen wirtschaftliche Wertungsaspekte zu berücksichtigen sind18. Nur wenn das gewählte wirtschaftliche Konstrukt „den Boden des gesetzten Rechts“ verlässt, erfordert das Bilanzrecht Korrekturen. Dies kommt beim Vorrang „wirtschaftlichen Eigentums“ gegenüber der rein zivilrechtlichen Situation bei der Zurechnung von Wirtschaftsgütern zum Ausdruck (§ 39 Abs. 2 Nr. 1 AO) und wurde erstmals dezidiert vom BFH Anfang der 1970er Jahre bei der steuerlichen Beurteilung von Leasing-Verträgen unter Rückgriff auf die sog. Seeliger-Formel entwickelt19. Dieser Gesichtspunkt wird nun aktuell durch den BFH beispielsweise bei der bilanzrechtsbezogenen Zurechnung von Aktien nutzbar gemacht, die im Rahmen einer sog. Wertpapierleihe zwar an den Entleiher zivilrechtlich übereignet wurden, die wirtschaftlichen Chancen und Risiken dabei aber endgültig beim Verleiher verblieben sind. Entsprechend rechnet der BFH in seinem Judikat v. 18.8.2015 dem Verleiher das wirtschaftliche Eigentum an den Wertpapieren zu20. Ein „Klassiker“ bei der Frage wirtschaftlichen Eigentums sind und bleiben aber die höchst variantenreich auftretenden Leasinggestaltungen. Spezial-Leasing etwa begründet wirtschaftliches Eigentum beim Leasingnehmer. Im Übrigen gibt es einen allgemeinen Grundsatz des „Substance-over-Form“ derzeit weder im Handels- noch im Steuerbilanzrecht. Das in Art. 6 Abs.  1 Buchstabe h / Abs.  3 EU-Rechnungslegungsrichtlinie v. 26.6.2013 – allerdings mit auslegungsbedürftigem Inhalt – zu findende Mitgliedsstaatenwahlrecht wurde in Deutschland nicht umgesetzt. Vollständigkeit beim zuzurechnenden Betriebsvermögen: Im Grundsatz hat der Gewerbetreibende (Personenunternehmen, Kapitalgesellschaft) entsprechend dem Vollständigkeitsgebot und im Gleichklang von Handels- und Steuerbilanzrecht sämtliche ihm zuzurechnenden Vermögensgegenstände/Schulden bzw. positiven/negativen Wirtschaftsgüter sowie Rechnungsabgrenzungsposten  – also „sein“ gesamtes Vermögen (§§ 238 Abs. 1, 242 Abs. 1 HGB) – in sein Rechenwerk aufzunehmen. Bei Personengesellschaften besteht die Besonderheit, dass neben der Gesamthandsbilanz wertkorrigierende positive/negative Ergänzungsbilanzen und Sonderbilanzen der Mitunternehmer zur „Gesamtgewinnermittlung“ der Mitunternehmerschaft einzubeziehen sind (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG). Im Eigentum einer Personengesellschaft befindliches „notwendiges Privatvermögen“ gehört zwar in die Handelsbilanz, nicht aber in die Steuerbilanz. Abgestellt wird für Bilanzzurechnungszwecke im Ausgangspunkt deshalb auf das rechtliche Eigentum; ein davon abweichendes „wirtschaftliches Eigentum“ geht aber im Zweifel vor. Leitender Gesichtspunkt dafür sind zum einen Gläubigerschutzaspekte, zum anderen der Grundsatz der Leistungsfähigkeitsbesteue18 Auf diesen „Scheingegensatz“ weist Döllerer, JbFSt 1979/80, 195, 201, hin. 19 Vgl. BFH v. 26.1.1970 – IV R 144/66, BStBl. II 1970, 264 wegen Finanzierungs-Leasing im Zusammenhang mit beweglichen Wirtschaftsgütern. Dort wird unter Gliederungspunkt III zur Konturierung „wirtschaftlichen Eigentums“ auf Seeliger, Der Begriff des wirtschaftlichen Eigentums, 1962, zurückgegriffen. 20 Vgl. BFH v. 18.8.2015  – I R 88/13, BStBl.  II 2016, 961; ergänzend dazu auch BMF v. 11.11.2016, BStBl. I 2016, 1324 sowie BMF v. 17.7.2017, DB 2017, 1619 („Cum/Cum-Transaktionen“).

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rung; beides stellt im Kern auf wirtschaftliche Realitäten ab, die bilanzrechtliche Berücksichtigung finden müssen. Rechtsfigur des „wirtschaftlichen Eigentums“: Allgemeine Rechtsgrundlage für den Vorrang wirtschaftlichen Eigentums ist im Steuerrecht § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO, der nach Art einer Negativ-Formel darauf abstellt, ob der zivilrechtliche Eigentümer im Regelfall für die gewöhnliche Nutzungsdauer von der Einwirkung auf das Wirtschaftsgut wirtschaftlich ausgeschlossen werden kann. Dieser Grundsatz wird dann durch Beispiele in Satz 2 „erhellt“ (Treuhandverhältnisse, Sicherungseigentum, Eigenbesitz). Das Handelsbilanzrecht dagegen rekurriert auf § 246 Abs. 1 Satz 2 HGB, wo das wirtschaftliche Zurechnungsgebot allerdings nicht definiert wird. Der Verweis auf die handelsrechtlichen GoB in § 5 Abs. 1 Satz 1 HGB dürfte die Zurechnungsnorm des §  246 Abs.  1 HGB einschließen und hat deshalb Steuerbilanzrelevanz. Nicht ausdrücklich geregelt ist allerdings das Rangverhältnis der beiden Normen. Offensichtlich geht der BFH in seiner neueren Rechtsprechung21 bei der im Schrifttum streitig diskutierten Konkurrenz22 der beiden unterschiedlich formulierten „wirtschaftlichen Eigentumszurechnungsnormen“ vom Vorrang des §  39 Abs.  2 Nr.  1 AO für Steuerzwecke aus. Das jeweilige Rechtsergebnis dürfte ohnehin im Regelfall identisch sein. M. E. ist dem BFH hinsichtlich der Vorrangstellung des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO im Verhältnis zur handelsrechtlichen GoB-Norm des § 246 Abs. 1 Satz 2 HGB zuzustimmen. Die Gründe dafür sind: § 246 Abs. 1 Satz 2 HGB benennt lediglich den Vorrang wirtschaftlichen Eigentums, ohne dieses zu definieren; insoweit ist die allgemein geltende Steuernorm des § 39 AO inhaltlich präziser. Die HGB-Regelung, die durch das BilMoG v. 25.5.2009 eingeführt wurde, rekurriert ausweislich der Gesetzesbegründung auf die Steuernorm des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO und soll die bereits in der Praxis bis dato erarbeiteten Beurteilungskriterien unberührt lassen. Daher dürfte es naheliegen, die wirtschaftlichen Zuordnungskriterien des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO in § 246 Abs. 1 Satz 2 HGB im Wege der Auslegung „hineinzulesen“. § 5 Abs. 1 Satz 1 HGB verweist auf die handelsrechtlichen GoB vorbehaltlich spezieller Steuernormen. Insoweit sollte § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO als allgemeine personelle Zurechnungsnorm für Wirtschaftsgüter im Betriebsvermögen/Einkunftserzielungsvermögen auch für Steuerbilanzzwecke vorrangig anwendbar sein. Interessant ist schließlich, dass in der Regierungsbegründung zu § 246 Abs. 1 Satz 2 HGB hinsichtlich der wirtschaftlichen Zurechnung eines Vermögensgegenstands wohl unter Bezugnahme auf IFRS-Gesichtspunkte auf die wertende Beurteilung der wesentlichen „Chancen und Risiken“ bei einer Verwertung abgestellt wird. § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO verwendet stattdessen eine Negativ-Formel, die im Einzelfall auch die Chancen- und Risikenverwertung einbeziehen kann, aber nicht 21 Vgl. insbes. BFH v. 13.10.2016 – IV R 33/13, DStR 2017, 300 zu wirtschaftlichem Eigentum an Leasinggegenständen im Rahmen von sale-and-lease-back-Gestaltungen. Zu Erläuterungen dazu vgl. Prinz/Keller, StuB 2017, 211-217. 22 Für den Vorrang des § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO spricht sich etwa Schmidt/Weber-Grellet, 36. Aufl. 2017, § 5 EStG Rz. 151 aus; anders akzentuiert aber Weber-Grellet, BB 2016, 2220, 2223. A.A. etwa Hennrichs, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl. 2015, § 9 Rz. 145; Briesemeister, in: Prinz/Kanzler (Hrsg.), NWB Praxishandbuch Bilanzsteuerrecht, 2. Aufl. 2014, Rz. 664; Drüen, in: Tipke/Kruse, § 39 AO Rz. 11; vermittelnd Fischer, in: Hübschmann/Hepp/Spitaler, Stand: März 2013, § 39 AO Rz. 25-27.

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muss. Dies spielt etwa bei dem vom BFH in seinem Judikat v. 13.10.2016 entschiedenen Fall der Andienungsrechtsgestaltung beim Leasing eine Rolle, so dass das wirtschaftliche Eigentum in Übereinstimmung mit dem Zivilrecht beim Leasinggeber verbleibt. Dem BFH ist insoweit auch im Ergebnis m. E. zuzustimmen. Erkennbar wird dabei aber, dass der BFH in seinen Senaten durchaus unterschiedliche Akzentuierungen bei der Festlegung wirtschaftlichen Eigentums vornimmt. Dessen ungeachtet ist im Ergebnis aber klar: Das wirtschaftliche Eigentum verdrängt im Zweifel die zivilrechtliche Zurechnung, ist allerdings nicht etwa mit einer „konturenlos freischwebenden wirtschaftlichen Betrachtung“ zu verwechseln. 3. Steuerbilanzielle Teleologie als Auslegungsleitlinie Trotz der maßgeblichkeitsbegründenden Bezugnahme des §  5 Abs.  1 EStG auf die „handelsrechtlichen GoB“ hat sich die höchstrichterliche Rechtsprechung in den vergangenen Jahren mehr oder weniger konsequent für eine Auslegung nach steuerrechtsteleologischen Grundsätzen ausgesprochen und damit die Möglichkeit zur Erstellung von Einheitsbilanzen – ganz abgesehen von den zunehmenden gesetzlichen Einschränkungen – weiter erschwert. Die handelsrechtlichen GoB werden dadurch zugunsten von Leistungsfähigkeitsbesteuerungsmaximen zurückgedrängt. In diesem Zusammenhang hat der Große Senat des BFH in seinem Beschluss v. 31.1.201323 im Zusammenhang mit der Aufgabe des subjektiven Fehlerbegriffs hinsichtlich bilanzieller Rechtsfragen festgestellt: „Spezielle steuerrechtliche Vorschriften sind dabei auch dann eigenständig auszulegen und anzuwenden, wenn sie im Handelsrecht eine Entsprechung finden... und zwar unter Berücksichtigung des systematischen Zusammenhangs, in dem sie im Steuerrecht stehen...“. In die Steuerrechtsteleologie fließt damit eine wirtschaftliche Würdigung des Sachverhalts ein. Konkrete Folgen steuerrechtsteleologischer Auslegung: Nimmt man einmal Details der steuerbilanziellen Auslegungsteleologie in den Blick, so lässt sich festhalten: −− „Volle Gewinnermittlung“: Stets zielen steuerbilanzrechtliche Wertungen im Rahmen des vorzufindenden Normengefüges (also unter Einschluss von Realisationsund Vorsichtsprinzip) auf die Erfassung des „vollen Gewinns“ ab. Als Leitlinie dazu heißt es in der Rechtsprechung: Der Steuerpflichtige darf sich nach Objek­ tivierungsgesichtspunkten „nicht ärmer“, aber auch „nicht reicher“ rechnen als er „wirklich“ ist. Der Große Senat des BFH hat dazu bereits im Jahre 1969 in einer  Grundsatzentscheidung festgelegt, dass dadurch handelsrechtliche Aktivierungswahlrechte zu steuerlichen Aktivierungspflichten und handelsrechtliche Passivierungswahlrechte zu steuerlichen Passivierungsverboten „mutieren“24. Dies entspricht steuerspezifischer Leistungsfähigkeitsbeurteilung und weist gewisse Parallelen zum handelsrechtlichen Gebot der Bilanzwahrheit („true and fair view“ gem. § 264 Abs. 2 HGB) auf.

23 BFH v. 31.1.2013 – GrS 1/10, BStBl. II 2013, 317 Rz. 74. 24 Vgl. BFH v. 3.2.1969 – GrS 2/68, BStBl. II 1969, 294, 291, 293.

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−− Fehlende IFRS-Einflussnahme: Die IFRS (International Financial Reporting Standards)  – in ihrer Originalform oder über die IAS-Anwendungs-Verordnung Nr.  1606/2002 v. 19.7.2002 (mit zwischenzeitlichen Änderungen) „endorsed“  – sind als (meist induktiv) ermittelte internationale Rechnungslegungsstandards ­keine eigenen Rechtsquellen im Handelsbilanzrecht sowie für den ertragsteuerlichen Betriebsvermögensvergleich. Soweit IFRS-Gedankengut über das BilMoG v. 25.5.2009 in das Handelsbilanzrecht Eingang gefunden hat (etwa im Bereich aktiver latenter Steuern gem. § 274 HGB), hat der Handelsgesetzgeber spezielle Ausschüttungs- und Abführungssperren eingeführt (§§ 268 Abs. 8, 253 Abs. 6 HGB, § 301 AktG). Im Steuerbilanzrecht spielen dagegen latente Steuern keine Rolle, für selbst erstellte immaterielle Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens gilt – losgelöst vom Aktivierungswahlrecht des § 248 Abs. 2 HGB – ein Aktivierungsverbot gem. §  5 Abs.  2 EStG. IFRS können deshalb lediglich als Auslegungshilfe für etwaige GoB herangezogen werden25. Der BFH hat in seiner Rechtsprechung bislang jegliche unmittelbare oder mittelbare IFRS-Einflussnahme auf das Steuerbilanzrecht abgelehnt. Vielmehr wurde allein steuerrechtlichen Wertungsprinzipien Rechnung getragen. Entsprechendes gilt für US-GAAP. GoB für Konzernrechnungslegungszwecke spielen steuerbilanziell ohnehin keine Rolle. −− Sondernorm des § 42 AO: Für besondere Fallgestaltungen hat der BFH Durchbrechungen des Maßgeblichkeitsgrundsatzes – ohne dass besondere steuerbilanzielle Regelungen gelten – auf § 42 AO (Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten) gestützt. Gemeint ist die höchstrichterliche Rechtsprechung zu Immobilienfonds, Bauherrenmodellen sowie Schiffs- und Windkraftfonds. Sofern sich ein Kommanditist beispielsweise aufgrund eines vom Projektanbieter vorformulierten Vertragswerks an einem Kapitalanlagemodell beteiligt, sind etwa Eigenkapitalvermittlungskosten sowie diverse andere Aufwendungen für Platzierungsgarantien, für Prospekterstellung und Prüfung sowie für Koordinierung und Baubetreuung in die Anschaffungsnebenkosten einzubeziehen. Es handelt sich nicht um sofort abziehbare Betriebsausgaben. Der BFH judiziert dies aufgrund besonderer steuer­ gesetzlicher Wertungen und losgelöst etwa vom Aktivierungsverbot für Eigen­ kapitalvermittlungskosten in §  248 Abs.  1 Nr.  2 HGB; wegen des bestehenden wirtschaftlichen Zusammenhangs mit der Erlangung des Eigentums an den entsprechenden Erwerbsgrundlagen wird eine Aktivierung für erforderlich angesehen. In seiner Grundsatzentscheidung v. 28.6.2001 formuliert dies der BFH wie folgt26: „§ 42 AO 1977 geht als spezielle Regelung dem Grundsatz des § 5 Abs. 1 EStG vor..., denn die Handelsbilanz bildet in Ermangelung einer handelsrechtli25 Vgl. insbes. Hennrichs, Festschrift Karsten Schmidt, 2009, S. 581, 593-597 mit einer Analyse der BIAO-Entscheidung des EuGH v. 7.1.2003, Rechtssache C 306/99; Hennrichs, Wpg 2011, 861; Prinz, GmbHR 2009, 1031; die BIAO-Entscheidung des EuGH relativierend BFH v. 15.9.2004 – I R 5/04, DB 2005, 911. Zur Nichtanwendung des IFRS-Komponentenansatzes bei der Abgrenzung selbständiger Wirtschaftsprüfer vgl. weiterhin etwa BFH v. 14.4.2011 – IV R 46/09, BStBl. II 2011, 696. 26 Vgl. BFH v. 28.6.2001 – IV R 40/97, BStBl. II 2001, 717; im Anschluss daran auch BFH v. 14.4.2001 – IV R 15/09, DStR 2011, 1020. S. ergänzend BFH v. 17.1.2017 – VIII R 7/13, BStBl. II 2017, 700.

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chen Regelung nach Art des § 42 AO 1977 nur die tatsächliche Zivilrechtslage ab.“ Eine solche Vorrangstellung des § 42 AO für steuerbilanzrechtliche Fragen, die ohnehin nicht unproblematisch ist und zudem in Konkurrenz zum Anwendungsbereich des § 15b EStG (Verluste bei Steuerstundungsmodellen) steht, dürfte aber nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen in Betracht kommen.

III. Beispiele zum Spannungsfeld rechtlicher und wirtschaftlicher ­Betrachtung 1. Bilanzielle Behandlung von Genussrechtskapital Ein neues, besteuerungspraktisch wichtiges Streitfeld zwischen Unternehmen und Finanzverwaltung, dem Auslegungsdifferenzen zwischen rechtlicher und wirtschaftlicher Betrachtung zugrunde liegen, sind Mezzanine-Finanzierungsinstrumente mit ihrer steuerbilanziellen Kategorisierung sowie der Beurteilung der Abziehbarkeit entsprechender Vergütungen. Konkret steht die steuerbilanzielle und körperschaftsteuerliche Behandlung von Genussrechten im Streit. Zum Hintergrund: Genussrechte sind vielfältig gestaltbar, beruhen aber stets auf einem schuldrechtlichen Vertrag. Mitgliedschaftsrechte, insbesondere Stimmrechte, gewähren sie nicht. Handelsbilanziell können sie beim Emittenten – je nach Ausgestaltung – im Fremdkapital oder in einem separaten Eigenkapitalposten auszuweisen sein. Wegweisend für die Handelsbilanzrechtspraxis ist die Stellungnahme IDW/HFA 1/1994, wonach ein Eigenkapitalausweis bei kumulativem Vorliegen folgender Kriterien verlangt wird: −− Nachrangigkeit der Genussrechtskapitalüberlassung, −− Erfolgsabhängigkeit der Vergütung sowie Verlustteilnahme bis zur vollen Höhe und −− Längerfristigkeit der Kapitalüberlassung. Auch bei einem Eigenkapitalausweis erfolgt nach Meinung des IDW eine „Bedienung“ des Genussrechtskapitals als Aufwand der Gesellschaft und nicht als Gewinnverwendung. Dies ist dem schuldrechtlichen Charakter des Genussrechtskapitals ungeachtet seines mezzaninen Charakters geschuldet und verdeutlicht, dass es dem HFA mehr um den Bilanzausweis als gläubigerschützendem Informationsinstrument denn um die Begründung formellen Eigenkapitals geht27. „Maßgeblichkeitsfalle“ der FinVerw.: Der auf HFA 1/1994 gestützte handelsbilanzielle Eigenkapitalausweis von Genussrechtskapital erweist sich nun als „Steuerfalle“. Betroffen sind insbesondere Sanierungsfälle, die im Rahmen eines Debt-Mezzanine-Swaps eine bilanzielle Überschuldung durch „Eigenkapitalschaffung“ bewerkstel27 Zur handelsbilanziellen Einordnung auch Schubert, in: Beck’scher Bilanzkommentar, 10. Aufl. 2016, § 247 Rz. 227-229; Großfeld/Luttermann, Bilanzrecht, 4. Aufl. 2005, Rz. 818 f.

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ligen wollen, ohne den Abzug der Vergütungen als Betriebsausgabe zu gefährden28. Die OFD Nordrhein-Westfalen trifft in ihrer bundesweit abgestimmten Verfügung v. 12.5.2016 für die Behandlung von Genussrechtskapital folgende Anweisung29: −− Bei einem Ausweis des Genussrechtskapitals als Eigenkapital soll via Maßgeblichkeit ein Betriebsausgabenabzug der Vergütung stets ausgeschlossen sein. Die Verwaltung stützt sich dabei auf § 8 Abs. 3 Satz 1 KStG, wonach für Ausschüttungen auf steuerliche Eigenkapitalinstrumente ein generelles Abzugsverbot bestehen soll. Die Aufwandsbehandlung, selbst bei beteiligungsähnlichem Genussrechtskapital laut HFA 1/1994, bleibt insoweit unerwähnt. Eine Übergangsregelung für diese steuerverschärfende Sicht der Finanzverwaltung ist nicht vorgesehen. Ein IFRS-Eigenkapitalausweis von Genussrechtskapital dürfte durch die Verfügung der OFD Nordrhein-Westfalen nicht berührt sein. −− Bei einem Ausweis des Genussrechtskapitals als Fremdkapital in der Handelsbilanz, und nur dann, soll die Spezialregelung des § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG zu beachten sein. Ein Abzugsverbot für die Vergütungen auf Genussrechtskapital setzt insoweit voraus, dass ein Recht auf Beteiligung am Gewinn sowie am Liquidationserlös der Kapitalgesellschaft besteht. Die OFD Nordrhein-Westfalen verweist insoweit auf Alterlasse aus dem Jahre 1986 sowie 1995. Danach sind vor allem langfristige (insbesondere erst in ferner Zukunft liegende) Rückzahlungsansprüche insoweit problematisch30. Kritische Stellungnahme: Die Behandlung von Genussrechtskapital durch die Finanzverwaltung nach Maßgabe der OFD Nordrhein-Westfalen-Verfügung v. 12.5.2016 begegnet unter mehreren Aspekten rechtlichen Bedenken31; betroffene Steuerpflichtige sollten entsprechende Rechtsbehelfe prüfen: −− Die in § 5 Abs. 1 EStG kodifizierte Maßgeblichkeit „handelsrechtlicher GoB“ für Steuerbilanzzwecke wird unter „Teilberufung“ auf eine handelsbilanzielle Stellungnahme des IDW für „reine Fiskalzwecke“ instrumentalisiert. Das Steuerbilanzrecht kennt weder einen formellen noch einen materiellen Eigenkapitalbegriff, sondern arbeitet mit einem periodenbezogenen Betriebsvermögensvergleich. Bloße Ausweis-GoB, die unter Informationszwecken einen Sonderausweis von Genussrechtskapital im Eigenkapital erlauben, müssen dabei im Grundsatz unberücksichtigt bleiben. Auch wird der Wortlaut des § 8 Abs. 3 Satz 1 KStG durch die Finanzverwaltungsverfügung „verbogen“, da dort nur von Einkommensermittlung/Ein­kommensverwendung gesprochen wird, ohne auf konkrete Eigenkapitalkriterien abzustellen. Aus der „steuerlichen Brille“ ist und bleibt ein Debt-Mezza­ nine-Swap eine Verbindlichkeit. Ein steuerlicher Statuswechsel hin zu Eigenkapital 28 Zu derartigen Gestaltungen siehe etwa Höng, Ubg 2014, 27. 29 Vgl. OFD Nordrhein-Westfalen, Verfügung v. 12.5.2016, GmbHR 2016, 1338 mit Anm. Briese. 30 Vgl. zu Details HHR/Stein, § 8 KStG Anm. 187. 31 Vgl. zu Details Hennrichs/Schlotter, DB 2016, 2072; Kotyrba/Schlottbohm, Der Konzern 2016, 445; Hoffmann, StuB 2016, 761; Richter, DStR 2016, 2058; Hennrichs, NZG 2016, 1255, 1257 f.; Stegemann, DStR 2016, 2151; Kusch, NWB 2016, 1952; Altvater/Hübner, RdF 2017, 65.

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erfolgt also gerade nicht. § 8 Abs. 3 Satz 1 KStG, der vor allem auf offene Gewinnausschüttungen mit ihrem Einkommensverwendungscharakter abzielt, ist insoweit wegen Zweck und Gesetzeswortlaut nicht anwendbar. −− §  8 Abs.  3 Satz  2 KStG enthält steuersystematisch betrachtet eine abschließende Spezialregelung für die Behandlung von Genussrechtsvergütungen, die auf der zweiten Stufe der Gewinnermittlung eingreifen. Für ein maßgeblichkeitsgestütztes Umqualifizieren beteiligungsähnlicher Genussrechte über § 8 Abs. 3 Satz 1 KStG verbleibt insoweit kein Anwendungsbereich. Steuerlich betrachtet sind Genussrechtsgestaltungen allein in § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG geregelt. Zusammengefasst verdeutlicht der Genussrechtsfall: Die materielle Maßgeblichkeit wird von der FinVerw. in jüngerer Zeit vermehrt als „Steuerfalle“ für missliebige Gestaltungen genutzt. Dabei wird verkannt, dass Genussrechtskapital keine formelle Eigenkapitalbeteiligung vermittelt und lediglich die Möglichkeit eines Eigenkapitalausweises bei beteiligungsähnlicher Ausgestaltung denkbar ist. Insoweit enthält § 8 Abs.  3 Satz  2 KStG eine erst außerbilanziell wirkende Abzugssperre für bestimmte Genussrechtskapital-Ausgestaltungen. 2. Gebäude auf fremdem Grund und Boden Ein anschauliches Beispiel für die dogmatischen Schwierigkeiten des Steuerbilanzrechts im Umgang mit rechtlichen/wirtschaftlichen Wertungsfragen bildet der Fallbereich von „Aufwendungen zur Gebäudeerrichtung auf fremdem Grund und Boden“. Im Ausgangspunkt sind – steuerrechtlich betrachtet – Grund und Boden sowie Gebäude unterschiedliche Wirtschaftsgüter. Dies kommt bereits handelsrechtlich im Ausweis des Bilanzpostens „Bauten auf fremden Grundstücken“ im Gliederungsschema des § 266 Abs. 2 Buchstabe A II. 1. HGB zum Ausdruck. Errichtet nun A auf dem Grundstück des B ein Gebäude, so handelt es sich zivilrechtlich insgesamt um Eigentum des B. Denn das fest mit dem Grund und Boden verbundene Gebäude stellt einen wesentlichen Bestandteil gem. § 94 Abs. 1 Satz 1 BGB dar. Möglicherweise v­ ereinbart A mit B bei Beendigung des Nutzungsverhältnisses einen Entschädigungsanspruch. Steuerrechtlich dagegen muss die Situation aber wegen der unterschiedlichen Wirtschaftsgutqualität von Grund und Boden und Gebäude (einschließlich etwaiger Fremdbauten) differenziert betrachtet werden. Die Beurteilung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung ist insoweit allerdings stark „wellenförmig“ in mehreren Phasen verlaufen. Teils stellt sie ab auf die Anerkennung eines Fremdbaus als abschreibungsfähiges Wirtschaftsgut, teils geht sie von einer Art Nutzungsrecht als „Quasi-Wirtschaftsgut“ mit Abschreibungsmöglichkeiten „wie bei Gebäuden“ aus. Praktisch geht es meist um die Bebauung von Ehegattengrundstücken. In einem neuen Grundsatzurteil v. 9.3.2016 hat der BFH seine Beurteilung solcher „Fremdbauten“ nun konsolidiert. Der X. Senat des BFH apostrophiert sein Judikat selbst als „nunmehr vollendeten Wandel in der höchstrichterlichen Rechtsprechung“ (Tz. 48 des Urteils)32. Zu den Folgen dieser 32 Vgl. BFH v. 9.3.2016 – X R 46/14, BStBl. II 2016, 976. Zu Erläuterungen vgl. Kanzler, FR 2016, 907; sehr kritisch Weber-Grellet, BB 2016, 2220; Levedag, GmbHR 2016, 659; Kleinmanns, BB 2016, 1330; Kraft/Kraft, NWB 2016, 2031; Bolik, NWB 2016, 1480.

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Neubeurteilung von Fremdbauten durch die Rechtsprechung nimmt die Finanzverwaltung in ihrem Schreiben v. 16.12.2016 ausführlich Stellung33. Ob diese neue Justierung der Rechtsprechung zum endgültigen Rechtsfrieden führt, muss man abwarten34. Wirtschaftliches Eigentum beim Nichtunternehmer, Aufwandsverteilungsposten beim Unternehmer: Die neue Sicht der Dinge des X.  Senats für einen mehr oder weniger typischen Ehegattengrundstücksfall mit Fremdbauten und anschließendem Übergang des Betriebs (einschließlich der in Rede stehenden Grundstücke/Gebäude) im Wege vorweggenommener Erbfolge lässt sich vereinfacht wie folgt zusammenfassen, wobei sich der BFH sehr um eine stringente steuersystematische Behandlung bemüht und „schulmäßig“ die auftretenden Fragen abschichtet: −− Privatvermögen des Nichtunternehmers: Zunächst liegt zivilrechtliches/wirtschaftliches Eigentum an Grundstück und Fremdbau (einschließlich der Möglichkeit des Entstehens stiller Reserven) im Privatvermögen des Nichtunternehmers. Dies gilt allerdings nur insoweit, als keine besonderen Wertersatzansprüche für den Unternehmerehegatten vereinbart worden sind. Nur in einem solchen Sonderfall steht dem Unternehmerehegatten wirtschaftliches Eigentum an den von ihm finanzierten Fremdbauten zu. −− Betriebsvermögen des Unternehmers: Der Unternehmerehegatte (= Einzelunternehmer) muss für die von ihm getragenen Aufwendungen zur Anschaffung oder Herstellung des Gebäudes auf fremdem Grund und Boden einen „Aufwandsverteilungsposten“ in seiner Bilanz bilden. Dies ist dem objektiven Nettoprinzip geschuldet. Der konkrete Bilanzposten dafür bleibt bei BFH und BMF offen; es dürfte sich um eine Art aktiven Rechnungsabgrenzungsposten handeln, ohne dass dessen konkrete Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sein müssen. Ein Wirtschaftsgutcharakter kommt dem Aufwandsverteilungsposten nicht zu; er ist auch nicht einem Wirtschaftsgut gleichzustellen. Stille Reserven können insoweit nach Meinung des BFH nicht entstehen. Der BFH formuliert dies in seinem Leitsatz 2 wie folgt: „Die vom Unternehmer-Ehegatten für die typisierte Verteilung seines Aufwands gebildete Bilanzposition kann nicht Sitz stiller Reserven sein“. Für die typisierte Aufwandsverteilung beim Unternehmerehegatten kommen nur die allgemeinen, unterschiedslos für Privatvermögen und Betriebsvermögen geltenden Normen (einschließlich etwaiger Subventionsbegünstigungen) in Betracht, wie etwa die lineare sowie die degressive Gebäude-AfA im Privatvermögen (§ 7 Abs. 4 Nr. 2, Abs. 5 EStG). Die Bildung einer § 6b-Rücklage kommt im Zusammenhang mit dem Aufwandsverteilungsposten für den Fremdbau nicht in Betracht; Entsprechendes gilt für anderweitige, nur für Betriebsvermögen geltende Subventionsnormen, da dies ansonsten zu einer nicht gewollten stillen Reservenbildung beitragen könnte. Wegen des Rechtsprechungswandels regt der X. Senat des BFH in seinem 33 Vgl. BMF v. 16.12.2016, BStBl.  I 2016, 1431. Erläuterungen dazu bei Levedag, GmbHR 2017, 108; Paus, NWB 2017, 1348; Horst, DB 2017, 1349, 1354; Guschl, DStZ 2017, 483; Kowanda, DStR 2017, 961. 34 Vgl. kritisch insbes. Weber-Grellet, BB 2016, 2220, der von einem „bilanzsteuerrechtlichen Trauerspiel“ spricht.

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Urteil v. 9.3.2016 bei insoweit bereits verstrickten stillen Reserven eine Übergangsregelung durch den Gesetzgeber an (Rz. 48). Die Finanzverwaltung kommt dieser Anregung in Rz. 4 des Schreibens v. 16.12.2016 nach und lässt entsprechende Bilanzberichtigungen mit einer bis zu fünfjährigen Rücklagenbildung zu. −− Vorweggenommene Erbfolge und Einlage: Im Zuge der unentgeltlichen vorweggenommenen Erbfolge durch die beiden Ehegatten auf einen Dritten werden die neben dem Betrieb mitübertragenen Grundstücke und Fremdgebäudeteile mit ihrem Teilwert in das Betriebsvermögen eingelegt (§ 6 Abs. 1 Nr. 5 EStG). Insoweit erfolgt ein steuerfreier Step-Up ins Betriebsvermögen in Höhe der in der Vergangenheit gebildeten stillen Reserven. Der Teilwert des eingelegten Gebäudes ist Bemessungsgrundlage der AfA, ohne dass die während der Nutzung zu betrieblichen Zwecken berücksichtigten Abschreibungen vom Einlagewert abzuziehen sind (so ausdrücklich auch Rz. 8 des BMF-Schreibens). Der BFH erkennt zwar die möglicherweise „doppelte Abschreibungswirkung“ der Teilwerteinlage, sieht sich aber an etwaigen Korrekturen wegen des Fehlens von Rechtsgrundlagen gehindert. Der noch im Betriebsvermögen des früheren Unternehmerehegattens verbliebene Aufwandsverteilungsposten für die Fremdbauten sollte erfolgsneutral auszubuchen sein. Sofern allerdings das Gebäude auf fremdem Grund und Boden im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge nicht mitübertragen wird, geht der Aufwandsverteilungsposten gem. Rz. 6 des BMF-Schreibens v. 16.12.2016 auf den Rechtsnachfolger über. Im Ergebnis erkennt man in der konsolidierten Rechtsprechung das Bemühen des BFH, die Fallgestaltungen von Gebäuden auf fremdem Grund und Boden in ihrer wirtschaftlichen Wirkung sachgerecht steuerbilanziell zu werten und zu erfassen. Manche „Kunstgriffe bei der Auslegung“ – etwa die „Erfindung“ des Aufwandsverteilungspostens – sind dabei im Interesse des objektiven Nettoprinzips in Kauf zu nehmen. Rechtliche und wirtschaftliche Betrachtung werden im Bemühen um die steuerrechtliche Leistungsfähigkeitsteleologie „synthetisiert“. 3. „Ewiger Streit“ um Rückstellungen Trend zu steuerrechtspezifischem Rückstellungsrecht: Bildung und Bewertung steuerbilanzieller Rückstellungen mit ihrer Maßgeblichkeitsverknüpfung zu den handelsrechtlichen GoB gehört zu den „ewigen Streitfeldern“ der Besteuerungspraxis. Dies ist vor allem zahlreichen gesetzgeberischen Eingriffen geschuldet, resultiert aber auch aus der neueren Rechtsprechung des BFH, wonach selbst bei wortgleichen ­Regelungen in HGB/EStG  – etwa bei dem Erfordernis „voraussichtlich dauernder ­Wertminderung“ bei Abschreibungen – auf das teleologische Leitbild leistungsfähigkeitsentsprechender Steuerbemessung abgestellt wird. Als wichtige Beispiele steuergesetzlicher Partialregelungen im Rückstellungsbereich, die meist reinen Fiskalzweckbedürfnissen folgen, können genannt werden: das Verbot der Drohverlustrückstellung gem. §  5 Abs.  4a EStG mit den Abgrenzungsnotwendigkeiten zu Verbindlichkeitsrückstellungen; die Bewertungsbesonderheiten gem. § 6 Abs. 1 Nr. 3a EStG mit der von der Finanzverwaltung geforderten überlagernden handelsbilanziellen Obergrenze (R 6.11 Abs.  3 EStR 2012) sowie die hochproblematischen Sonderregelungen in 364

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§§ 4f, 5 Abs. 7 EStG zur entgeltlichen Übertragung steuerlich unterdotierter Verbindlichkeiten/Rückstellungen mittels Schuldübernahme, Schuldfreistellung oder Erfüllungsübernahme. Auch der marktferne Festzins von 6 % zur Bewertung von Pensionsrückstellungen gem. §  6a EStG unterliegt zunehmenden Verfassungszweifeln, zumal der Handelsgesetzgeber Anfang 2016 mit einer Verlängerung der Durchschnittsbildung für Zinsen von 7 auf 10 Jahre im Altersversorgungsbereich reagiert hat (§ 253 Abs. 2 HGB). Schließlich besteht für Verbindlichkeitsrückstellungen gem. § 5 Abs. 1 EStG zwar ein weitgehender Gleichklang von Handels- und Steuerbilanz, das Zusammenspiel zwischen rechtlich am Bilanzstichtag (wahrscheinlich) bestehender Außenverpflichtung oder deren zumindest in der Vergangenheit wirtschaftlich entstandenen Struktur ist aber innerhalb der verschiedenen zuständigen BFH-Senate noch immer nicht abschließend geklärt35. Im Übrigen wird nicht nur um die Bildung von Rückstellungen, sondern gerade auch in Verlust- und Krisensituationen um deren „Nichtbildung“ gerungen. Man muss sich in diesem Zusammenhang klarmachen: Rückstellungen haben zwar „unsicherheitsbedingtes Gestaltungspotential“, im Kern handelt es sich aber um „ungewisse Verbindlichkeiten“, die zumindest mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eine sachgerecht zu quantifizierende betriebliche Last begründen und deshalb als „Schuldposition“ Eigenkapital und Gewinn reduzieren. Schließlich sind Rückstellungen auch immer ein „Abbild unserer Zeit“. Vorrang wirtschaftlicher Wertungen bei Rückstellungen: Mit einer Rückstellung/ Verbindlichkeit wegen wirtschaftlichen Erfüllungsrückstands hat sich der BFH in seinem Urteil v. 25.5.201636 anlässlich einer Darlehensaufnahme für eine feste Vertragslaufzeit mit steigenden Zinssätzen befasst. Es ging dabei um die Aufnahme eines Darlehens im Konzern von einer ausländischen Schwestergesellschaft für den Erwerb inländischer Kapitalgesellschaftsanteile, wobei das Darlehen eine feste Vertragslaufzeit von neun Jahren ohne ordentliche Kündigungsmöglichkeit mit wechselnden, in der Tendenz ansteigenden Zinssätzen aufwies. Im Jahr 01 betrug der stichtagsbezogen passivierungsrelevante Zins 1,8  %, die durchschnittliche Rückzahlungsrendite über die gesamte Vertragslaufzeit lag allerdings bei 5,2  %. Der BFH hat für einen ­solchen Sachverhalt dem Grunde nach eine Passivierung auf Basis der steigenden Zinssätze verlangt, da es sich um einen wirtschaftlichen Erfüllungsrückstand handelt, wobei die Zinsverbindlichkeit allerdings abzuzinsen ist. Der BFH betont dabei ausdrücklich: Der Erfüllungsrückstand – verstanden als jegliche „Störung“ der Ausgewogenheit einer Vertragsbeziehung in Gestalt eines Leistungsrückstands des Schuldners  – darf nicht ausschließlich nach bürgerlichem Recht beurteilt werden. Der I. Senat des BFH nimmt vielmehr eine wirtschaftliche Wertung der zivilrechtlichen Absprachen im Wege teleologischer Auslegung vor. Im Übrigen ist die Fälligkeit der Zinsverpflichtung für die Passivierung unerheblich. Entsprechend hatte der BFH bei der Beurteilung von Darlehen mit fallenden Zinssätzen judiziert und eine verursachungsbezogene Aufwandsabgrenzung über einen aktiven RAP vorgenommen37. Der 35 Vgl. insbes. BFH v. 17.10.2013  – IV R 7/11, BStBl.  II 2014, 302; zur Einordnung dieses ­Judikats vgl. Prinz, DB 2014, 80; Euler/Hommel, BB 2014, 2475. 36 BFH v. 25.5.2016 – I R 17/15, BStBl. II 2016, 930. 37 Vgl. BFH v. 27.7.2011 – I R 77/10, BStBl. II 2012, 284.

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BFH setzt sich damit im Ergebnis und zutreffend über die vereinbarten progressiven Zinssätze hinweg. Diese BFH-Judikatur eröffnet besteuerungspraktisches Gestaltungspotential, in dem Zinszahlung und Zinsverbindlichkeit „entkoppelt“ werden können, etwa für Zwecke der Zinsschranke (§ 4h EStG, § 8a KStG) sowie der Hinzurechnungstatbestände des § 8 Nr. 1 GewStG. Allerdings ist zu beachten, dass der BFH den Streitfall wegen offener tatrichterlicher Feststellung an die Vorinstanz zur anderweitigen Verhandlung zurückverwiesen hat (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Das Finanzgericht solle dabei im zweiten Rechtsgang prüfen, ob der Darlehensvertrag steuerrechtlich anzuerkennen ist, konkret einem Fremdvergleich im Hinblick auf die progressive Zinsabrede und den Bindungszeitraum standhält. Auf Einhaltung/Dokumentation des Fremdvergleichsrahmens muss also besonderer Wert gelegt werden. 4. Dynamische Bilanztheorie und Rechnungsabgrenzungsposten Aktive und passive Rechnungsabgrenzungsposten (RAP) haben seit jeher besonderes Interesse in steuerbetriebswirtschaftlichen/steuerjuristischen Betrachtungen gefunden. Sie dienen auf beiden Seiten der Bilanz und in tatbestandssymmetrischer Ausgestaltung der periodengerechten Erfolgsermittlung im Sinne eines kodifizierten dynamischen Bilanzverständnisses38. Als bilanziell gebotener Periodenabgrenzungsposten haben sie keine Wirtschaftsgutqualität und können daher weder bewertet noch abgeschrieben werden. Als Folge des Realisationsprinzips soll durch die Bildung und Fortentwicklung von RAP eine willkürliche Gewinnbeeinflussung vermieden werden. Eigenständige Kodifikation im Steuerbilanzrecht: Handelsbilanziell sind RAP – auf unionsrechtlicher Grundlage und begrenzt auf transitorische Posten – in § 250 Abs. 1 und 2 HGB kodifiziert. Im Steuerbilanzrecht findet sich mit § 5 Abs. 5 EStG eine eigenständige Rechtsgrundlage, so dass das Gebot unionsrechtskonformer Auslegung nach Meinung des BFH nicht zur Anwendung gelangt. Auf der Aktivseite sind die Abgrenzungsposten definiert als „Ausgaben vor dem Abschlussstichtag, soweit sie Aufwand für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag darstellen“. Auf der Passivseite gehören zu den RAP „Einnahmen vor dem Abschlussstichtag, soweit sie Ertrag für eine bestimmte Zeit nach diesem Tag darstellen“. Bei Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen besteht Ansatzpflicht, kein Aktivierungs- oder Passivierungswahlrecht. Den RAP wesensimmanent ist das „zeitliche Bestimmtheitserfordernis“, das nach der Rechtsprechung trotz imparitätischer Betrachtungsweise mehr oder weniger identisch im Sinne einer „zeitlichen Bestimmbarkeit“ ausgelegt wird. Im Übrigen gilt ein Saldierungsverbot für aktive und passive RAP. Schließlich bestehen zwischen den handels- und steuerrechtlichen Grundlagen zwei Abweichungen: Zum einen befasst sich § 250 Abs. 3 HGB mit dem Sonderfall eines aktiven RAP für Unterschiedsbeträge aus der Aufnahme von Verbindlichkeiten (sog. Disagio) und enthält ein Aktivierungswahlrecht; eine steuerbilanzielle Parallelregelung existiert nicht. Zum anderen beinhaltet § 5 Abs. 5 Satz 2 EStG für zwei Typen antizipativer RAP (bestimmte Zölle und Verbrauchsteuern, Umsatzsteuer auf Anzahlungen) eine spezielle ergänzende 38 Vgl. m.w.N. Prinz, in: Prinz/Kanzler (Hrsg.), NWB Praxishandbuch Bilanzsteuerrecht, 2. Aufl. 2014, Rz. 4970, 6405; Priester, DB 2016, 1025.

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Ansatzpflicht; für diese besteht handelsbilanziell seit dem BilMoG v. 25.5.2009 und mit Wirkung ab 1.1.2010 keine Entsprechung. RAP als kodifizierte Ausprägung dynamischer Bilanztheorie: Die in der Betriebswirtschaftslehre Anfang der 1920er Jahre insbesondere von Eugen Schmalenbach entwickelte dynamische Bilanztheorie verfolgt einen Rechnungslegungsansatz, der die Ermittlung eines vergleichbaren ökonomischen Periodenerfolgs als Indikator der Unternehmensentwicklung in den Vordergrund des „Bilanzmessungskonzeptes“ stellt. Die Ermittlung eines „richtigen Periodengewinns“ ist alleiniges und widerspruchsfrei zu verfolgendes Rechnungslegungsziel, der zutreffende Vermögensausweis tritt in den Hintergrund. Aktiv- und Passivposten werden im Rahmen der dynamischen Bilanztheorie als schwebende Vor- und Nachleistungen verstanden39. Die steuergesetzlich in § 5 Abs. 5 EStG definierten Rechnungsabgrenzungsposten greifen dieses betriebswirtschaftliche Erfolgsmessungskonzept zwar auf, stellen es aber in einen tatbestandsmäßig fixierten Rahmen, der auf eine periodengerechte Gewinnermittlung bei gleichzeitiger Beachtung von Vorsichts- und Realisationsgrundsätzen abzielt. Aus bilanztheoretischer Sicht stoßen betriebswirtschaftliche Überlegungen zur Ermittlung eines periodengerechten Gewinns deshalb auf die im Steuerbilanzrecht kodifizierten Tatbestands- und Rechtsfolgengrenzen. Es gilt daher sowohl für aktive wie auch passive RAP der Grundsatz der Subsidiarität. Erfüllen Ausgaben etwa die Kriterien des Wirtschaftsgutbegriffs und gehen sie in die Anschaffungs- oder Herstellungskosten eines Wirtschaftsguts ein, so scheidet eine Behandlung als aktiver RAP aus. Eine steuerbilanzielle Aktivierung als Forderung, geleistete Anzahlung oder anderweitiges Wirtschaftsgut geht dem aktiven RAP stets vor40. Entsprechendes gilt für passive RAP, durch die nicht etwa ein (negatives) Wirtschaftsgut in Gestalt einer Verbindlichkeit/Rückstellung begründet wird. Auch sind passive RAP insoweit von „erhaltenen Anzahlungen“ zu unterscheiden. So ist etwa bei einer noch „schwebenden Leistungserbringung“ eine vom Steuerpflichtigen bezogene Einnahme als „erhaltene Anzahlung“ und nicht als passiver RAP zu erfassen und im Falle der Nichterfüllung der Leistungsverpflichtung regelmäßig zurück zu gewähren. Anwendungsbeispiele für aktive/passive RAP: RAP sind ein Sammelbecken unterschiedlicher Geschäftsvorfälle sowohl auf der Aktiv- wie auch der Passivseite der Bilanz und können im Einzelfall erhebliche Größenordnungen aufweisen41. −− Aktive RAP: Nimmt beispielsweise ein Steuerpflichtiger ein mehrjähriges Darlehen mit jährlich fallenden Zinsen auf (Step-Down-Gelder), so spricht sich der BFH in seinem Urteil v. 27.7.2011 unter bestimmten Voraussetzungen für einen aktiven RAP aus, um die anfänglich hohen Zinszahlungen sachgerecht aufwandsmäßig auf 39 Vgl. Bea/Helm/Schweitzer (Hrsg.), BWL-Lexikon, 2009: Dynamische Bilanzauffassungen, 84. Zur Einordnung der dynamischen Bilanztheorie in Gewinnermittlungskonzeptionen vgl. v. Wolfersdorff, Steuerbilanzielle Gewinnermittlung, 2014, 113-125. 40 Vgl. Crezelius, in: Kirchhof, 16. Aufl. 2017, § 5 EStG Rz. 87. 41 Zu Einzel-ABCs wichtiger Anwendungsfälle für aktive und passive RAP vgl. Prinz, in: Prinz/Kanzler (Hrsg.), NWB Praxishandbuch Bilanzsteuerrecht, 2. Aufl. 2015, Rz.  49754999 sowie 6410-6434.

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die Darlehenslaufzeit zu verteilen, und zwar nach Maßgabe der Wertverhältnisse der noch ausstehenden Gegenleistung zur Gesamtgegenleistung. Der aktive RAP wird dabei nach Maßgabe einer periodengerechten Ergebnisbemessung gebildet, verteilt und aufgelöst, ist also beispielsweise keiner Teilwertabschreibung zugänglich. Neben einer planmäßigen Auflösung dürfte in Sonderfällen aber auch eine vorzeitige Aufwandsrealisation in Betracht kommen. Entscheidend ist eine objektive Nachvollziehbarkeit und Dokumentation der Aufwandsrealisation. −− Passive RAP: Für öffentlich-rechtliche Ertrags- oder Zinszuschüsse sind üblicherweise passive Rechnungsabgrenzungsposten zu bilden, die dann nach wirtschaftlicher Maßgabe einer zeitraumbezogenen Gegenleistung erfolgserhöhend zu verteilen sind. Dies wird im Regelfall linear, kann ggf. aber auch degressiv erfolgen. Konzeptioneller Grundgedanke ist, die Ertragswirksamkeit einer Einnahme in die Periode zu verlagern, in der die korrespondierenden Aufwendungen anfallen. Insoweit ähnelt der Auflösungsmodus beim passiven RAP dem in der internationalen Rechnungslegung gebräuchlichen „Matching Principle“. Im Übrigen gilt der für Einnahmen oder rein gewinnabhängige Verbindlichkeiten/Rückstellungen geltende Passivierungsaufschub des § 5 Abs. 2a EStG nicht für passive RAP. Nur bei im Rahmen eines Austauschverhältnisses noch zu erbringender Gegenleistung kommen passive RAP in Betracht. Wird etwa ein Veräußerungsentgelt für ein Verwertungsrecht erzielt, ist ein passiver RAP nicht vorstellbar. Denn bei einem solchen Verwertungsakt besteht keinerlei Pflicht mehr zu künftigem Handeln oder Unterlassen, so dass es an einer bestimmbaren zeitraumbezogenen Gegenleistung als Tatbestandsvoraussetzung mangelt42.

IV. Ergebnis: Rechtliche Verselbständigung des Steuerbilanzrechts bei zunehmenden unionsrechtlichen Einflüssen Ökonomisch geprägtes Bilanzsteuerrecht: Die praktische Rechtsanwendung im Bilanzrecht „ringt“ stets um eine sachgerechte Abbildung des in der Wirtschaftsrealität zu findenden Sachverhalts nach Maßgabe der einschlägigen Rechtsnormen. Insoweit treffen rechtliche und wirtschaftliche Betrachtung im Bilanzrecht symbiotisch aufeinander. Bilanzrecht ist im Ergebnis ein stark ökonomisch geprägtes Rechtsgebiet. Bei der rechtsanwendenden Auslegung nach teleologischen Gesichtspunkten müssen wirtschaftliche Wertungen berücksichtigt werden. Eine „daneben“ bestehende „wirtschaftliche Betrachtungsweise“ gibt es nicht. Die Rechtsprechung hat diese Synthese rechtlicher/wirtschaftlicher Würdigung in vielen Fällen zur Anwendung gebracht. Neue Geschäftsmodelle und bilanzrechtliche Anwendungsfragen – wie etwa die Bildung von Bewertungseinheiten, die Umsetzung der E-Bilanz-Taxonomie oder Mehrkomponentengeschäfte – erfordern stete Neujustierung, ggf. aber auch Veränderung bestehender Grundsätze.

42 Vgl. BFH v. 27.5.2015 – X B 72/14, BFH/NV 2015, 1252.

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Eigenständige Steuerbilanzpolitik: Die materielle Maßgeblichkeit handelsrechtlicher GoB, die die Grundsätze kaufmännischer Rechnungslegung auch für das Steuerbilanzrecht nutzbar macht, besteht im Kern nach wie vor. Der praktische Umgang damit wird aber zunehmend durch steuergesetzliche Detailregelungen und aufgrund steuerteleologischer Auslegungsleitlinien des BFH in der einen oder anderen Richtung erschwert. Bei Konzernen und im Mittelstand ist mittlerweile eine von IFRS und handelsbilanzieller Rechnungslegung weitgehend emanzipierte eigenständige Steuerbilanzpolitik zu erkennen, die vor allem dem Wahlrechtsvorbehalt des § 5 Abs. 1 EStG geschuldet ist. Einheitsbilanzen für handels- und steuerbilanzielle Zwecke gehören weitgehend der Vergangenheit an. Die praktische Bedeutung des Tax Accounting steigt. Gewinnausschüttungs- und Gewinnabführungssperren haben mittlerweile in zunehmender Zahl als neues „Vorsichtsinstrument“ in das Handelsbilanzrecht Eingang gefunden (§§ 268 Abs. 8, 253 Abs. 6, 272 Abs. 5 HGB, § 301 AktG für Gewinnabführungsfälle im Rahmen von Organschaften). Vor allem in Organschaftsfällen können daraus unmittelbare Steuerprobleme entstehen. Europäische Impulssetzungen im Steuerbilanzrecht: Die Europäische Kommission hat am 16.3.2011 einen Richtlinienvorschlag für eine Gemeinsame Konsolidierte Körperschaftsteuer-Bemessungsgrundlage (GKKB) veröffentlicht, der ein komplett durchformuliertes Regelwerk für eine optionale, harmonisierte Unternehmensbesteuerung von Körperschaften in der EU mit zentrierter Zuständigkeit einer Hauptsteuerbehörde enthält43. Zwischenzeitlich hat sich dieser Richtlinienentwurf wegen divergierender Mitgliedsstaateninteressen als deutlich zu ambitioniert herausgestellt. Die Europäische Kommission hat deshalb nun einen „Schwenk“ in Richtung einer Two-Step-Strategie vorgenommen. Dies mündet in einem Vorschlag der Kommission aus Oktober 2016 zu einer CCTB (Common Corporate Tax Base) Richtlinie – also ohne eine europaweite Konsolidierung des Gruppeneinkommens, die sich zunächst einmal auf eine Harmonisierung der ertragsteuerlichen Bemessungsgrundlage für Körperschaften konzentrieren will. Aufbauend darauf sollen dann die Konsolidierungsschritte erfolgen. Diese „Entflechtung“ des europäischen Großprojekts für eine konsolidierte Konzernbesteuerung weist meines Erachtens den richtigen Weg. Das prinzipienbasierte kontinentaleuropäische Bilanzrecht muss insoweit zukünftig mit der mehr Case-Law-orientierten angelsächsischen Rechnungslegungstradition weiter praxisverwendbar zusammengeführt werden. Ob dieser Richtlinienentwurf eines „europäischen Bilanzsteuerrechts“ jemals in Kraft treten wird, ist derzeit nicht absehbar. Unabhängig davon wird die CCTB aber sicherlich wichtige Entwicklungsimpulse zur Fortentwicklung unseres Unternehmenssteuerrechts bringen. Zu nennen sind insoweit beispielsweise:

43 Im internationalen Sprachgebrauch ist die Kurzbezeichnung CCCTB  – Common Con­ solidated Corporate Tax Base – gebräuchlich. Zu einer Kurzeinordnung der Entwicklungstrends vgl. Rautenstrauch, DB Gastkommentar 8/2017, M 5; ergänzend Velte/Mock, StuW 2017, 126; Scheffler/Köstler, ifst-Schrift 518/2017; Krauß, IStR 2017, 479; Herzig, in: Festschrift Gosch, 2016, 151–159. Zum steigenmden Einfluss der IFRS auf die HGB-Bilanzierung vgl. Schmid, DB 2017, 377, 380.

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−− Die Beseitigung der Sonderstellung der Gewerbesteuer und ihre Integration in ein Unternehmenssteuerkonzept dürften dringlicher denn je werden. −− Es könnte ein Anpassungsdruck auf die transparente Personengesellschaftsbesteuerung entstehen und eine ganze oder teilweise Annäherung an das Trennungsprinzip der Körperschaften bewirken. Denn in der GKB sind derzeit nur Körperschaften erfasst. −− Die maßgeblichkeitsprägenden handelsrechtlichen GoB dürften einen weiteren Bedeutungsverlust hin zu einer prinzipienbasierten harmonisierten europäischen Gewinnermittlung erfahren. −− Schließlich ist aufgrund des europäischen Bilanzprojekts eine vertiefte unionsweite Diskussion über Bilanzierungsprinzipien für Besteuerungszwecke zu erwarten.

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Steuerliche Ergänzungsbilanzen für den persönlich haftenden Gesellschafter einer KGaA Inhaltsübersicht

I. Einleitung 1. Steuerrechtliche Rechtsanwendung und Maßgeblichkeit zivilrechtlicher Vorprägung des Sachverhaltes 2. Ambivalente zivilrechtliche Einordnung der KGaA und ihrer Gesellschafter, aber unzweideutige steuerliche Zuordnung 3. Transparente Besteuerung des persönlich haftenden Gesellschafters

II. Ergänzungsbilanzen des Gesellschafters bei Personengesellschaften 1. Unterschied zu juristischen Personen und Kapitalgesellschaften – zivilrechtlich und steuerlich 2. Personengesellschaft als eigenes Gewinnermittlungssubjekt und Sonderbetriebsvermögen der Gesellschafter 3. Funktion und Anwendungsbereich von Ergänzungsbilanzen der Gesellschafter bei Personengesellschaften a) Ergänzungsbilanzen für Mehr- oder Minderaufwendungen des Gesellschafters b) Kein bilanzieller Ausweis der Beteiligung in der Gesellschaftsbilanz – spiegelbildlicher Ausweis im Kapital c) Korrekturansätze zu Wertansätzen der Wirtschaftsgüter in der Gesellschaftsbilanz d) Beteiligung an Personengesellschaft als zu bilanzierendes Wirtschaftsgut e) Keine Anschaffung und Bilanzierung von Anteilen des Gesellschafters an einzelne Wirtschaftsgütern des Gesellschaftsvermögens III. Ergänzungsbilanzen bei der KGaA 1. Ergänzungsbilanz bei entgeltlichem Erwerb des Anteils eines persönlich haftenden Gesellschafters a) Von § 15 Abs. 1 Nr. 3 und § 16 Abs. 1 Nr. 3 geforderte Gleich­ behandlung mit Mitunternehmer





b) Ergänzungsbilanzen, obwohl KGaA juristische Person, Kapitalgesellschaft und Einkünfteerzielungsund Steuersubjekt c) Gleichermaßen erforderliche Auf­ teilung von Jahresüberschuss und Steuerbilanzgewinn d) Steuerliche Ergänzungsbilanzen ­vereinbar mit zivilrechtlicher Rechtsnatur der KGaA 2. Keine Ergänzungsbilanzen bei Eintritt als Komplementär und Erbringung der Vermögenseinlage in Geld zzgl. eines Aufgeldes a) Keine Anwendung von § 24 UmwStG bei KGaA b) Keine negative Ergänzungsbilanz für KGaA oder die Kommanditaktionäre c) Realisation eines Veräußerungsgewinnes der KGaA durch Erhöhung ihres Anteils am Betriebsvermögen 3. Veräußerung eines Anteils am der KGaA zuzurechnenden Betriebsvermögensanteil an den Komplementär a) Eintritt als Komplementär gegen Geldeinlage b) Gewinnermittlung und -aufteilung durch Betriebsvermögensvergleich bei der KGaA c) Mehreinzahlungen zugunsten des Kapitalanteils der KGaA als Schenkung oder Anschaffungsaufwand des persönlich haftenden Kom­ plementärs – positive Ergänzungsbilanz für Komplementär d) Gewinn aus der Veräußerung eines Anteils am Anteil der KGaA am ­Betriebsvermögen

IV. Ergänzungsrechnungen für KGaA und persönlich haftenden Gesellschafter bei der Gewerbesteuer

V. Fazit

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Wolfram Reiß

I. Einleitung 1. Steuerrechtliche Rechtsanwendung und Maßgeblichkeit zivilrechtlicher Vorprägung des Sachverhaltes Als Gregor Crezelius 2008 in die Juristische Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen von Bamberg aus „eingegliedert“ wurde, ging meine hauptamtliche Tätigkeit am Lehrstuhl für Deutsches und Internationales Steuerrecht der FAU im Fachbereich Wirtschaftswissenschaften schon gerade zu Ende. Freilich sind wir uns danach und vor allem auch zuvor schon oft „über den Weg gelaufen“, namentlich natürlich bei Tagungen der DStJG, bei Veranstaltungen des Deutschen Steuerberater­tages und bei diversen Autorentreffen. Wie zunächst in Mainz und später dann in Bamberg/ Erlangen lehrte er als Professor für Steuerrecht und Handels- und Gesellschaftsrecht. Nicht erstaunen kann daher, dass das Konzern- und Gesellschaftssteuerrecht und Bilanzsteuerrecht1 sowie das Recht der Unternehmensnachfolge in Gestalt des Erbschaftsteuerrechtes2 Schwerpunkte seiner Lehrtätigkeit und vor allem auch der Veröffentlichungen von Crezelius bildeten und bilden. Kennzeichnend für die Arbeiten von Crezelius auch und gerade im Bereich des Steuerrechtes ist die Betonung und Herausarbeitung der zivilrechtlichen Grundlagen steuerlicher Regelungen. Das mag für das Steuerbilanzrecht im Hinblick auf den in § 5 EStG verankerten Grundsatz der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz und die darauf aufbauende steuerliche Gewinnermittlung zunächst als Selbstverständlichkeit erscheinen3. Ob überhaupt und wie lange der Grundsatz der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz trotz des schon jetzt bestehendes Vorranges expliziter abweichender steuergesetzlicher Ansatz- und Bewertungsvorschriften in §§ 5, 6 bis 7i EStG angesichts der Bestrebungen zur Schaffung einer einheitlichen konsolidierten Körperschaftsteuerbemessungsgrundlage für Europa im deutschen Steuerrecht noch erhalten bleiben kann, erscheint freilich fraglich. Der zur Zeit noch bestehende Grundsatz der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz und damit für die steuerliche Gewinnermittlung jedenfalls für bilanzierende Unternehmensrechtsträger ist jedoch nur ein vergleichsweise sogar untergeordneter Aspekt der 1 Siehe Crezelius in Kirchhof16, §§ 4g, 5 EStG; Crezelius, Steuerrecht II2, 1994; Crezelius, Bilanzrecht2, 1995, RWS Grundkurs. 2 Siehe dazu Crezelius, Unternehmenserbrecht2, 2009. Zur „Zusammenballung von Ertragund Erbschaftsteuern s. bereits Betriebs-Berater Special 10/07. Zur „Konkurrenz zwischen Einkommensteuer und Erbschaft- und Schenkungsteuer“ ZEV 2014, 382 und zuletzt ZEV 2017, 172 krit. Anm zu BFH v. 6.12.2016 – I R 50/16, GmbHR 2017, 377 m. Anm. Binnewies, FR 2017, 531 m. Anm. Fischer, FamRZ 2017, 579 (Nebeneinander der Belastung mit Erbschaft- und Körperschaftsteuer bei Zuwendung an Pflegeheim GmbH). Siehe insoweit auch bereits Anm. zu FG Münster v. 22.10.2015 – 3 K 986/13 Erb (Rev. II R 54/15) in ZEV 2016, 107 und zu BFH v. 20.1.2016 – II R 40/14, FR 2016, 679, GmbHR 2016, 498 m. Anm. Rodewald/Mentzel, in ZEV 2016, 283 zur Abgrenzung von verdeckter Einlage eines Gesellschaftsanteils zur Schenkungssteuer sowie v. 30.1.2013  – II R 6/12, FR 2013, 557 m. Anm. Keß, GmbHR 2013, 486, ZEV 2013, 286 zum Verhältnis vGA zur Schenkung. Zum Verhältnis von Umstrukturierungen nach dem UmwStG und ErbStG DStZ 2015, 399. 3 Siehe dazu die Kommentierung in Kirchhof16, § 5 EStG.

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grundsätzlichen Anschauung von Crezelius zum Verhältnis von Steuerrecht und Zivilrecht. In seinem Beitrag in der Festgabe für Heinrich List zum „Bilanzsteuerrecht zwischen rechtlicher und wirtschaftlicher Betrachtungsweise“ weist er zu Recht ­darauf hin, dass sowohl für das Handelsbilanzrecht als auch für die steuerliche Gewinnermittlung vermittels des daraus aufgrund des Maßgeblichkeitsgrundsatzes abgeleiteten Steuerbilanzrechts jeweils zu beachten ist, dass dabei bilanziell Sachverhalte abzubilden sind, die von einer „anderen Teilrechtsordnung“ vorgeprägt sind4. Weitgehend ist diese „andere Teilrechtsordnung“ das Zivilrecht, nämlich das Bürgerliche Recht einschließlich des Handels- und Gesellschaftsrechts. Auch wenn das Handels- und Steuerbilanzrecht es mit „wirtschaftlichen Sachverhalten“ zu tun hat, warnt Crezelius vor einem vorschnellen Rückgriff auf eine sog. „wirtschaftliche Betrachtungsweise zur Lösung (steuer)bilanzieller Probleme“. Stattdessen sei bei zivilrechtlich vorgeprägten Sachverhalten die Zivilrechtslage zunächst genau zu eruieren und zu analysieren, um darauf aufbauend dann die zutreffende (steuer)bilanzielle Behandlung vornehmen zu können. Als nicht unproblematisch sieht es Crezelius daher an, wenn in der steuerrechtlichen Literatur zum Verhältnis von Zivil- und Steuerrecht ausgeführt wird, dass zwar der (wirtschaftliche) Sachverhalt in aller Regel zivilrechtlich vorgeprägt sei, sich aber daraus keine Prävalenz der zivilrechtlichen Dogmatik dahingehend ergäbe, dass diese innerhalb der steuerrechtlichen Rechtsanwendung zu übernehmen sei5. Mit der Betonung der Bedeutung einer sorgfältigen Analyse der zivilrechtlichen Rechtslage zur darauf dann aufbauenden steuerrechtlichen – und falls es um die Gewinnermittlung geht auch handels- und steuerbilanziellen – Beurteilung knüpft Crezelius nahtlos an eine Thematik an, die ihn offenkundig bereits seit seiner Habilitationsschrift6 „ Steuerrechtliche Rechtsanwendung und allgemeine Rechtsordnung“ umtreibt. Einem speziellen Aspekt des Verhältnisses von Zivilrecht und Steuerrecht, nämlich der „Erbschaft und Schenkungssteuer in zivilrechtlicher Sicht“ widmete sich bereits seine Bielefelder Dissertation von 19787.

4 Crezelius, Bilanzsteuerrecht zwischen rechtlicher und wirtschaftlicher Betrachtungsweise, in Festgabe für Heinrich Heinrich List, 2015, 55 f. 5 Crezelius, a.a.O., (Fn.  4), 56, 57 unter Bezugnahme auf Seer und Englisch in Tipke/Lang, Steuerrecht22, § 1, 4.1 Rz. 30 f. (34) und § 5, 3 Rz. 70 f. Siehe auch BVerfG v. 27.12.1991 – 2 BvR 72/90, BStBl. II 1992, 212, FR 1992, 270 (zur möglichen eigenständigen steuerrechtlichen Bedeutung von aus dem Zivilrecht übernommenen Begrifflichkeiten – hier Grunderwerbsteuer und Bauherrenmodell). 6 Crezelius, Steuerrechtliche Rechtsanwendung und allgemeine Rechtsordnung: Grundlagen für eine liberale Besteuerungspraxis, Habil.-Schr. Bielefeld 1982/83, Herne 1983. 7 Crezelius, Erbschaft- und Schenkungsteuer in zivilrechtlicher Sicht, Diss. Bielefeld 1978, Herne 1979.

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2. Ambivalente zivilrechtliche Einordnung der KGaA und ihrer Gesellschafter, aber unzweideutige steuerliche Zuordnung Der nachfolgende Beitrag setzt sich, anknüpfend an die Entscheidung des I. BFH-Senates v. 7.9.20168, mit der Frage auseinander, ob und inwieweit bei der steuerlichen Gewinnermittlung einer KGaA rein steuerliche Ergänzungsbilanzen aufzustellen sind. Fragen der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz spielen insoweit völlig unstrittig keine Rolle. Denn die „steuerliche Ergänzungsbilanz“ zur Modifikation des einem Gesellschafter einer mitunternehmerischen Personengesellschaft nach §  15 Abs.  1 Nr. 2 als seine Einkünfte aus Gewerbebetrieb zuzurechnenden Gewinnanteils am Gewinn der Gesellschaft ist unstrittig allein der genuin steuerrechtlichen Regelung in § 1, § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG geschuldet. Danach hat nicht die Gesellschaft, sondern es haben nur die mitunternehmerisch beteiligten Gesellschafter (anteilig) als die Einkommen-/Körperschaftsteuersubjekte den (steuerlich gemeinsam von den Gesellschaftern?) erzielten Gewinn der Gesellschaft als Teil ihrer (gewerblichen) Einkünfte zu versteuern. Soweit es um mitunternehmerische Personengesellschaften und ihre Gesellschafter geht, sind jedenfalls die grundsätzlichen Fragen zum Erfordernis und Inhalt von rein steuerlichen Sonderbilanzen und Ergänzungsbilanzen für die Gesellschafter/Mitunternehmer neben der handels- und steuerrechtlichen Gesellschaftsbilanz weitgehend geklärt. Dass sie nach dem Steuergesetz zulässig und erforderlich sind, um für den jeweiligen Gesellschafter/Mitunternehmer den ihm steuerlich zuzurechnenden Gewinn i.S.d. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG zu ermitteln9, ist – auch für die Sonderbilanzen – nicht mehr ernsthaft im Streit. Bezüglich der Ergänzungsbilanz(en) hat es sich inzwischen sogar expressis verbis im Gesetzestext in § 6 Abs. 5 EStG und § 24 UmwStG niedergeschlagen. Dass die Personengesellschaft und ihre Gesellschafter dabei nach dem Transparenzprinzip grundsätzlich anders besteuert werden als die nach dem Trennungsprinzip behandelten Kapitalgesellschaften und ihre Gesellschafter, ist angesichts der gesetzlichen Regelung in § 1, § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG und § 1 KStG de lege lata gar nicht zu bezweifeln. Ob es de lege ferenda dem Gesetzgeber wirklich zu empfehlen ist, zumindest die Personenhandelsgesellschaften und ihre Gesellschafter zwecks Herstellung eines einheitlichen rechtsformneutralen Unternehmenssteuerrechtes ebenfalls nach dem Trennungsprinzip zu behandeln10, lässt sich mit guten Gründen bezweifeln. ­Zumindest würde sich dann die Frage stellen, weshalb die natürliche Person als Un 8 BFH v. 7.9.2016 – I R 57/14, BFHE 255, 427, GmbHR 2017, 247, Der Konzern 2017, 109, DB 2017, 160. 9 Siehe dazu statt vieler Reiß in Kirchhof16, § 15 EStG Rz. 243 f. zu Ergänzungsbilanzen und Rz. 309 f. zu Sonderbilanzen m.w.N. aus Rechtsprechung und Literatur. 10 So aber Hennrichs in Tipke/Lang, Steuerrecht22, § 10 A. Rz. 1–8; ders. FR 2010, 721 unter Berufung auf die Bonner Schule mit Flume, DB 1971, 692 und Knobbe-Keuk, Bilanz- und Unternehmenssteuerrecht9, § 11 I 2. Ebenso im Kern Lang in FS Reiß, 2008, 379, Kritik der Unternehmenssteuerreform 2008; Hey, Besteuerung von Unternehmen und Individualsteuerprinzip in Schön/Osterloh, Kernfagen des Unternehmenssteuerrechts 2010, 21 und Hüttemann, Gewinnermittlung der Personengesellschaften in Dötsch/Herrlinghaus/Lüdicke/Schön, Die Personengesellschaft im Steuerrecht, 2011, 62 f.

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ternehmensträger eines Einzelunternehmens nicht auch dieser einheitlichen Unternehmensteuer zu unterwerfen sei, und noch dringender wären Fragen nach der Rechtfertigung einer unterschiedlichen Behandlung der Einkunftsarten zu beantworten11. Höchst umstritten ist aber die Frage, ob überhaupt und wenn ja, inwieweit auch für den persönlich haftenden Gesellschafter einer KGaA zwecks Ermittlung des nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 EStG zu seinen Einkünften und seinem Einkommen gehörenden steuerlichen Gewinn(anteil)s am Gewinn der KGaA Modifikationen durch rein steuerliche Ergänzungsbilanzen erforderlich und zulässig sind. Dieser Frage ist, ganz im Sinne von Crezelius, unter Beachtung des Ausgangstatbestandes nachfolgender unstrittiger zivil- und gesellschaftsrechtlicher Prämissen nachzugehen. Die KGaA ist keine Personenhandelsgesellschaft, sondern juristische Person wie die AG und GmbH, § 278 Abs. 1 i.V.m. § 1 AktG. Freilich gilt für sie auch schon zivil-, gesellschafts- und handelsrechtlich die Besonderheit, dass sie einen persönlich haftenden Gesellschafter hat und sich dessen Verhältnis zu seinen Mitgesellschaftern, nämlich den Kommanditaktionären, und zu Dritten nicht nach dem AktG, sondern nach den Vorschriften des HGB über die Kommanditgesellschaft richtet, § 278 Abs. 2 AktG. Mit Crezelius ist der zivilrechtliche Ausgangstatbestand, dass die KGaA eine juristische Person und keine Personengesellschaft ist, für ihre steuerliche Behandlung und die steuerliche Behandlung ihrer Gesellschafter uneingeschränkt zur Kenntnis zu nehmen und im Rahmen der „steuerlichen Rechtsanwendung“ im Rahmen des § 15 Abs. 1 N. 3 EStG uneingeschränkt zu berücksichtigen und zu würdigen. Dann freilich bedarf es anschließend der autonom steuerrechtlichen Entscheidung, ob und wie der zutreffend zivilrechtlich analysierte Sachverhalt nach Wortlaut und Telos der in den steuergesetzlichen Normen erfolgten Regelung zu behandeln ist. Das entscheidet sich letztlich nur durch Auslegung der steuergesetzlichen Normen und nicht anhand einer Prävalenz des Zivilrechtes. Das räumt uneingeschränkt auch Crezelius ein, wenn er ausführt, dass sich das Steuerrecht vom zivilrechtlich Gestalteten lösen kann und muss, wenn dieses „mit den spezifischen Zwecken der anzuwendenden Steuernorm nicht konform geht“12. Dies freilich darf und sollte nicht vorschnell angenommen werden, soweit in steuerlich erheblichen Tatbestandsmerkmalen an zivilrechtlich vorgeprägte Begriffe und Sachverhalte angeknüpft wird. 3. Transparente Besteuerung des persönlich haftenden Gesellschafters Vorliegend ordnet § 15 Abs. 1 Nr. 3 EStG ausdrücklich an, dass der persönlich haftende Gesellschafter einer KGaA hinsichtlich seiner Gewinnanteile, soweit sie nicht auf das Grundkapital entfallen, und seiner Sondervergütungen exakt ebenso wie der mitunternehmerisch an einer Personengesellschaft nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG beteiligte 11 Siehe Reiß in Leitgedanken des Rechts II, Festschrift P. Kirchhof, 2013, § 177, 1937 Personengesellschaften. 12 Crezelius, a.a.O., (Fn. 4), 57.

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Gesellschafter zu behandeln ist. Hinsichtlich dieses Gewinnanteils ist er jedenfalls nach der unzweideutigen Regelung des § 15 Abs. 1 Nr. 3 EStG steuerlich nach dem Transparenzprinzip zu behandeln. Denn dieser Gewinnanteil wird von vornherein als nur vom persönlich haftenden Gesellschafter als Teil seines Einkommens zu versteuernder Gewinn behandelt. Für den auf den persönlich haftenden Gesellschafter entfallenden Gewinnanteil kommt gerade nicht das ansonsten für Kapitalgesellschaften geltende Trennungsprinzip im Verhältnis zu ihren Gesellschaftern zur Geltung, wonach der von der Gesellschaft erzielte Gewinn von ihr selbst als ihr Einkommen zu versteuern ist. Die sich aus der Zuordnung des auf den persönlich haftenden Gesellschafter entfallenden Gewinnanteils zu dessen Einkünften und dessen Einkommen für die Besteuerung der KGaA als Kapitalgesellschaft ergebende Konsequenz, dass insoweit dann die KGaA nicht als Steuerschuldner für den von ihr erwirtschafteten Gewinn(anteil) des persönlich haftenden Gesellschafters in Betracht kommen kann, zieht ebenfalls unzweideutig § 9 Abs. 1 Nr. 1 KStG: Er ordnet an, dass der auf den persönlich haftenden Gesellschafter entfallende Gewinnanteil steuerlich bei der KGaA als deren steuerlichen Gewinn mindernde Betriebsausgabe zu behandeln ist, mithin im Ergebnis wie nach dem Transparenzprinzip nicht als von der KGaA zu versteuerndes eigenes Einkommen. Vielmehr ist er (nur) vom persönlich haftenden Gesellschafter zu versteuern13. Auch wenn man zutreffend annimmt, dass für die Ermittlung des handelsrechtlichen Jahresüberschusses die aktienrechtlichen Gewinnermittlungsvorschriften uneingeschränkt auch für die KGaA anzuwenden sind und nach dem Maßgeblichkeitsprinzip erst daraus dann der Steuerbilanzgewinn der KGaA abzuleiten ist, ändert dies nichts an der eindeutigen Regelung, dass der persönlich haftende Gesellschafter mit seinem Gewinnanteil nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 EStG, § 1 EStG, § 1 KStG einer transparenten Besteuerung unterworfen wird14. Nur der verbleibende Gewinn unterliegt nach dem Trennungsprinzip zunächst bei der KGaA und nach Ausschüttung ggf. erneut bei den Kommanditaktionären der Besteuerung. Ob diese sich völlig zweifelsfrei aus § 15 Abs. 1 Nr. 3, § 1 EStG, § 9 Nr. 1, § 1 KStG ergebende steuerliche Rechtslage dem zivilrechtlichen Sachverhalt gerecht wird, wonach die KGaA juristische Person und Kapitalgesellschaft ist, sie aber einen persönlich haftender Gesellschafter hat, der im Kern ebenso wie der persönlich haftende Gesellschafter einer KG zu behandeln ist, es auch steuerlich geboten erscheinen lässt, den 13 Siehe dazu Drüen in Herrmann/Heuer/Raupach, § 9 KStG Rz. 24, 25 m.w.N. Siehe dort auch zu einer „intransparenten Betrachtung“, wonach die steuerliche Gewinnermittlung zunächst einheitlich nur nach den für die Kapitalgesellschaften zu beachtenden Vorschriften zu erfolgen habe und nichtabziehbare Betriebsausgabe, steuerfreie Betriebseinnahmen und Abweichungen zwischen Handels- und Steuerbilanzgewinn allein bei dem von der KGaA zu versteuernden Gewinn zu berücksichtigen seien. Dem wird hier nicht weiter nachgegangen, ebenso wenig der Frage, wie Dividendenbezüge der KGaA nach den DBA zu behandeln sind, s. dazu BFH v. 19.5.2010 – I R 62/09, GmbHR 2010, 1004, FR 2010, 809 mit Anm. Wassermeyer. Unabhängig davon, ob und inwieweit diesen Auffassungen zu folgen ist, ändert dies Nichts daran, dass nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 EStG nur eine transparente Besteuerung des persönlich haftenden Gesellschafters erfolgt. Das würde selbst dann gelten, wenn die Funktion des § 15 Abs. 1 Nr. 3 EStG – was erkennbar unzutreffend ist – nur darin bestünde, „Dividendeneinkünfte“ in gewerbliche Einkünfte umzuqualifizieren. 14 Siehe dazu und zur sog. „Wurzeltheorie“auch Reiß in Kirchhof16, § 15 EStG Rz. 403 f.

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persönlich haftenden Gesellschafter einer KGaA ebenso wie den persönlich haftenden Gesellschafter einer KG zu behandeln, nämlich nach dem Transparenzprinzip hinsichtlich des auf ihn entfallenden Gewinnanteils (am Gewinn der KGaA), mag de lege ferenda zu überprüfen sein. De lege lata kann es keinem Zweifel unterliegen, ungeachtet dessen, was als steuerlich angemessen(ere) Regelung für die erkennbar ambivalente zivilrechtliche Regelung erscheinen mag. Sollte sie als dem zivilrechtlichen Tatbestand unangemessen erscheinen, wäre es Sache des (Steuer)Gesetzgebers dies zu ändern, nicht des Richters als bloßen Gesetzesauslegers. Vor diesem Hintergrund erstaunt es – jedenfalls zunächst – geradezu, dass de lege lata in Zweifel gezogen und in Frage gestellt werden kann, dass für den persönlich haftenden Gesellschafter einer KGaA, anders als für den persönlich haftenden Gesellschafter einer KG und jeden anderen Gesellschafter einer Personengesellschaft, steuerlichen Ergänzungsbilanzen zulässig und geboten sein könnten. Dem ist nachfolgend näher nachzugehen, auch und gerade unter dem Aspekt, ob unter Beachtung der zivilrechtlichen Einordnung der KGaA und der Stellung ihres persönlich haftenden Gesellschafters gem. § 278 AktG sich nach Wortlaut und Telos des § 15 Abs. 1 Nr. 3 EStG steuerliche Ergänzungsbilanzen bei der KGaA für deren persönlich haftenden Gesellschafter verbieten oder solche umgekehrt nicht geradezu geboten sind. Diese Thematik des Beitrages dürfte sich auch des Interesses des Jubilars erfreuen. Ob auch das Ergebnis, bleibt noch abzuwarten.

II. Ergänzungsbilanzen des Gesellschafters bei Personengesellschaften 1. Unterschied zu juristischen Personen und Kapitalgesellschaften – ­zivilrechtlich und steuerlich Dass im Zivilrecht besonders große Klarheit herrscht, worin zivilrechtlich der kategoriale Unterschied zwischen juristischen Personen (einschließlich der Kapitalge­ sellschaften) einerseits und gesamthänderischen (Außen-)Personengesellschaften besteht, vermag der im Gesellschaftsrecht nicht so wie der Jubilar bewanderte Steuerrechtler nicht so ohne weiteres zu erkennen. Die noch zu meinen Bonner Studienzeiten herrschende Meinung – wenn auch gerade in Bonn durch Flume bereits in Frage gestellt –, dass neben den natürlichen Personen nur die juristischen Personen selbst die Träger von Rechten und Pflichten seien, während bei den Personen(gesamthands) gesellschaften dies nicht der Fall sei, sondern bei diesen nur ihre Gesellschafter, wenn auch verbunden in der Gesamthand, der Rechtsträger sei, gilt heute als weitgehend überholt. Dies ungeachtet der Regelung in § 718 BGB, wonach die „für die Gesellschaft erworbenen Gegenstände … gemeinschaftliches Vermögen der Gesellschafter/ werden“. Freilich bestimmten schon damals wie heute §§ 124, 161 Abs. 2 HGB, dass die OHG und die KG „unter ihrer Firma  … Rechte und Eigentum an Grundstücken … erwerben kann“. In welchem Verhältnis denn nun § 718 BGB und §§ 124, 161 HGB genau standen, war lange Zeit auch nicht völlig geklärt. Nachdem der BGH, nicht zuletzt unter Berufung auf Flume, für die Außenpersonengesellschaft einschließlich der GbR nunmehr uneingeschränkt davon ausgeht, dass diese selbst, je377

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denfalls als Gruppe der Gesellschafter, wenn auch nicht „als solche“ – und nicht etwa (nur oder überhaupt) ihre Gesellschafter in gesamthänderische Verbundenheit – die Träger von Rechten und Pflichten und auch des (gesamthänderischen) Eigentums an beweglichen und unbeweglichen Sachen sind, ist zumindest dem im Zivilrecht nicht so wie der Jubilar geschulten Rechtsanwender nicht mehr so ganz deutlich, worin denn nun tatsächlich der wesentliche, kategoriale Unterschied zwischen Personengesellschaften und juristischen Personen besteht15. Auch § 14 BGB mit der rechtsfähigen Personengesellschaft als Unternehmer und die Verweisung in § 54 BGB für den nichtrechtsfähigen Verein auf die Vorschriften über die Gesellschaft in §§ 705 ff. BGB erschließen sich dem ungeschulten Leser nicht so ohne weiteres. Dessen ungeachtet besteht freilich (fast) keinerlei Unsicherheit darüber, welche Gesellschaften lediglich Personengesellschaften im Sinne der BGB-Gesellschaft nach § 705 ff. BGB und der Handelsgesellschaften (OHG, KG) im Sinne des 2. Buchs des HGB sind, und welche Gesellschaften und Vereine rechtsfähige juristische Personen i.S.d. §§ 21, 22 BGB und des § 13 GmbHG und der §§ 1, 278 AktG sind. Für das (Ertrags)Steuerrecht besteht – zumindest im rein nationalen Bereich – eine klare und kategoriale Unterscheidung zwischen der Behandlung von juristischen Personen, namentlich Kapitalgesellschaften, einerseits und Personengesellschaften andererseits, jedenfalls, soweit nicht gerade die KGaA und ihr persönlich haftender Gesellschafter betroffen sind. Die juristischen Personen, namentlich die Kapitalgesellschaften, zu denen ausweislich § 1 KStG grundsätzlich auch die KGaA gehört, werden selbst als Steuerpflichtige behandelt, die den von ihnen erwirtschafteten Gewinn als ihr eigenes Einkommen zu versteuern haben. Die Kapitalgesellschaft als juristische Person ist selbst das Steuersubjekt. Für die Personengesellschaft gilt dies – ungeachtet der inzwischen zivilrechtlich anerkannten Eigenschaft als eigenes, von den Gesellschaftern zu trennendes Rechtsträgersubjekt – steuerlich gerade nicht. Ausweislich § 1 KStG ist die Personengesellschaft gerade kein Körperschaftsteuersubjekt und ausweislich § 1 EStG auch kein Einkommensteuersubjekt16, ihre Gesellschafter mögen natürliche Personen oder juristische Personen sein.

15 Siehe aber dazu grundlegend BGH v. 29.01.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341 Rz. 13, 14 (Gruppe der Gesellschafter als Rechtsträger und nicht die Gesellschaft „als solche“). So schon Flume, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts Bd. I/1 1977, u.a. 3, 180. Siehe auch FG Münster v. 12.1.2017 – 3 K 518/15 Erb (Rev II R 9/17), ZEV 2017, 426. Danach besteht der Unterschied darin, dass es sich bei GbR, OHG und KG nur um (teilrechtsfähige) Personenverbünde handele, während (nur) die juristischen Personen „selbständige Rechtssubjekte“ sind. 16 Siehe u.a. BVerfG v. 5.6.2013 – 2 BvR 2677/11, HFR 2013, 842; 5.2.1991 – GrS 7/89, BStBl. II 1991, 691; BFH v. 25.6.1984 – GrS 4/82, BStBl. II 1984, 751, FR 1984, 619, GmbHR 1984, 355; BFH v. 26.4.2012 – IV R 44/09, BStBl. II 2013, 142, FR 2013, 68 m. Anm. Kempermann.

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2. Personengesellschaft als eigenes Gewinnermittlungssubjekt und ­Sonderbetriebsvermögen der Gesellschafter Stattdessen wird der von der Gesellschaft oder jedenfalls im Rahmen der Gesellschaft gemeinsam erwirtschaftete (steuerliche) Gewinn (anteilig) ihren Gesellschaftern als deren Einkünfte zugerechnet und als Bestandteil von deren Einkommen behandelt. Er wird nur bei den Gesellschaftern, wenn und soweit sie steuerlich als Mitunternehmer zu qualifizieren sind, je nachdem, ob sie natürliche Personen oder juristische Personen sind, der Einkommens- oder Körperschaftsteuer unterworfen, § 15 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 EStG i.V.m. § 1 EStG und § 1 KStG. Während schon anhand des unzweideutigen Wortlautes von §§ 1, 15 EStG und § 1 KStG völlig klar ist, dass nur die Kapitalgesellschaft als juristische Person das Steuersubjekt für den von ihr erzielten (Steuerbilanz)Gewinn und ihre daraus abzuleitenden gewerblichen Einkünfte und für das von ihr selbst daraus erzielte Einkommen ist, ist im Bereich der steuerlichen Gewinnermittlung bei der Personengesellschaft und ihren Gesellschaftern mitnichten schon anhand des bloßen Wortlautes alles klar. Zwar ergibt sich aus §§ 1, 15 EStG und § 1 KStG unzweideutig, dass der Personengesellschaft selbst keine Einkünfte und kein Einkommen zugerechnet werden. Bei der Gewinnermittlung ist angesichts dessen freilich schon nicht völlig offensichtlich, ob es um den Gewinn der Personengesellschaft geht, der in Form von „Gewinnanteilen“ dann den Gesellschaftern als deren Einkünfte zugerechnet wird, oder ob es von vorherein um einen gemeinsam von den Gesellschaftern erzielten Gewinn geht, der ihnen dann anteilig als ihre Einkünfte zugerechnet wird. Fraglich ist dann auch, ob sich, je nachdem, welcher Auffassung zu folgen ist, daraus irgendwelche unterschiedlichen Folgerungen für die Gewinnermittlung ergeben. Vor allem aber bedarf es schon einiger Auslegungskünste, um unter Einbeziehung des Telos der steuerlichen Regelungen in § 15 Abs. 1 Nr. 2 und der bisherigen Rechtsentwicklung, wie sie sich in der höchst­ richterlichen Rechtsprechung niedergeschlagen hat, einigermaßen rechtssicher zu erkennen, was alles überhaupt in die steuerliche Gewinnermittlung bei Personengesellschaften und ihren Gesellschaftern – über die dort erwähnten Sondervergütungen hinaus – einzubeziehen ist, um dann den Gesellschaftern als den eigentlichen Steuersubjekten als deren Einkünfte aus Gewerbebetrieb zugerechnet zu werden. Der veränderten zivilrechtlichen Betrachtung mit der größeren Betonung der Personengesellschaft selbst als dem neben den Gesellschaftern bestehenden eigenständigen Träger von Rechten und Pflichten17 trägt die Rechtsprechung namentlich des BFH inzwischen betont dadurch Rechnung, dass sie hervorhebt, dass die Personengesellschaft selbst zwar kein Einkommensteuersubjekt, wohl aber ein „partielles Steuersub17 Siehe dazu BVerfG v. 2.9.2002 – 1 BvR 1103/02, NJW 2002, 3533 (zur Parteifähigkeit der BGB-Gesellschaft mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung des BGH (zur Mitgliedschaft in Gesellschaften, Vereinen und Genossenschaften); grundlegend zur (Teil-) Rechtsfähigkeit der BGB-Gesellschaft BGH v. 29.1.2001 – II ZR 331/00, BGHZ 146, 341; aus neuerer Zeit BGH v. 3.11.2015 – II ZR 446/13, MDR 2016, 401 und v. 20.5.2016 – V ZB 142/15, DB 2016, 283 und DB 2016, 2403, MDR 2016, 1272; s. auch FG Münster v. 12.1.2017 – 3 K 518/15 Erb, ZEV 2017, 426.

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jekt“ sei. Mit diesem Schlagwort soll zum Ausdruck gebracht werden, dass sie zwar – anders als die juristische Person – kein Subjekt der Einkommensbesteuerung, wohl aber „selbständiges Subjekt der Gewinnerzielung, Gewinnermittlung und Einkünftequalifikation“ sei. Das Schlagwort vom partiellen Steuersubjekt und selbständigen Gewinnerzielungssubjekt18 drückt einigermaßen zutreffend die berechtigte Abkehr von der Bilanzbündeltheorie aus. Aus ihm erklärt sich gut, dass auch bei der steuerlichen Gewinnermittlung – nicht anders als bei der handelsrechtlichen – zwischen der Gesellschaft und dem Gesellschafter und zwischen Schwesterpersonengesellschaften in vollem Umfange gewinnrealisierende Veräußerungs- und andere Geschäfte stattfinden können und nicht lediglich zu dem Umfang, zu dem andere Gesellschafter an der Gesellschaft beteiligt sind. Darüber hinausgehend kann dem Schlagwort von der begrenzten Steuerrechtsfähigkeit der Personengesellschaft wenig Konkretes entnommen werden. Insbesondere lassen sich aus diesem Schlagwort unmittelbar keine weiteren Folgerungen bezüglich der Berücksichtigung und Einbeziehung von Sondervergütungen und Sonderbetriebsvermögen der Gesellschafter durch Sonderbilanzen in die steuerliche Gewinn­ ermittlung bei der Personengesellschaft als steuerliche Mitunternehmerschaft für die an ihr beteiligten Gesellschaftermitunternehmer ziehen. Dem ist hier, wo es um Ergänzungsbilanzen geht, nicht weiter nachzugehen. Es kann jedenfalls angesichts der in § 15 Abs. 1 Nr. 2 Satz 1 und Nr. 3 EStG vollständig übereinstimmenden steuerlichen Regelung zu Sondervergütungen des Gesellschafters einer Personengesellschaft und zu Sondervergütungen des persönlich haftenden Gesellschafters einer KGaA keinem vernünftigen Zweifel unterliegen, dass Sondervergütungen an den persönlich haftenden Gesellschafter einer KGaA bei und für diesen gem. § 15 Abs. 1 Nr. 3 ebenso wie nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 für den Gesellschafter einer Personengesellschaft bei der Ermittlung von dessen ihm als seine Einkünfte aus Gewerbebetrieb zuzurechnenden Gewinn(anteils) zusätzlich zu berücksichtigen sind. 3. Funktion und Anwendungsbereich von Ergänzungsbilanzen der ­Gesellschafter bei Personengesellschaften a) Ergänzungsbilanzen für Mehr- oder Minderaufwendungen des ­Gesellschafters Bei der Personengesellschaft werden (rein steuerliche) Ergänzungsbilanzen für die mitunternehmerisch beteiliten Gesellschafter dann erforderlich, wenn und soweit sich vom Gesellschafter getragene Mehr- oder Minderaufwendungen für seine Beteiligung an der Personengesellschaft nicht im für ihn in der (Steuer)Bilanz der Gesellschaft geführten Kapitalkonto niedergeschlagen haben. Die Berücksichtigung entsprechender Mehr- oder Minderaufwendungen wird spätestens erforderlich, wenn es zu einer Veräußerung des (Mitunternehmer)Anteils gem. §  16 Abs.  1 Nr.  2 EStG 18 BFH v. 26.4.2012 – IV R 44/09, BStBl. II 2013, 142, FR 2013, 68 m. Anm. Kempermann; BFH v. 25.2.1991 – GrS 7/89, BFHE 163, 1, BStBl. II 1991, 691, DB 1991, 574, GmbHR 1991, 281. Siehe auch Reiß in Kirchhof16, § 15 EStG Rz. 164 m.w.N.

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kommt. Für die transparente Besteuerung der Gesellschafter/Mitunternehmer bei der Personengesellschaft besteht allerdings in Rechtsprechung19 und Literatur20 zu Recht vollständige Einmütigkeit, dass die in Ergänzungsbilanzen festgehaltenen Mehr- oder Minderaufwendungen des Gesellschafters, die sich nicht in seinem Kapitalkonto niedergeschlagen haben, schon bei der laufenden Gewinnermittlung für den Gesellschafter zu berücksichtigen sind und nicht erst bei Veräußerung seines Gesellschaftsanteils. Vermittels der für einen Gesellschafter zu führenden Ergänzungsbilanzen wird bereits der dem jeweiligen Gesellschafter nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG zuzurechnende laufende Gewinnanteil (am Steuerbilanzgewinn der Gesellschaft) modifiziert. Die in der Steuerbilanz der Gesellschaft nicht berücksichtigten Mehr- oder Minderaufwendungen des Gesellschafters für den Erwerb seines Anteils am Gesellschaftsvermögen werden in der Ergänzungsbilanz erfasst. Für Zwecke der steuerlichen Ermittlung des dem Gesellschafter als Teil seiner Einkünfte zuzuweisenden „Gewinnanteils“ am Gewinn der Gesellschaft werden die Mehr- oder Minderaufwendungen des Gesellschafters im für den Gesellschafter in der Ergänzungsbilanz auszuweisenden (Ergänzungs) Kapital erfasst. Als Gegenposten werden sie denjenigen Wirtschaftsgütern (Vermögensgegenständen und Schulden) des Gesellschaftsvermögens als Anschaffungsaufwendungen zugeordnet, die die Mehr- oder Minderaufwendungen des Gesellschafters bei Erwerb/Erweiterung des Gesellschaftsanteils veranlasst haben. b) Kein bilanzieller Ausweis der Beteiligung in der Gesellschaftsbilanz – ­spiegelbildlicher Ausweis im Kapital Unter Beachtung der zu Recht von Crezelius ausgesprochenen Mahnung, auch bei der Lösung steuerbilanzieller Probleme zunächst einmal die zivilrechtliche Rechtslage zu analysieren und diese dann auch entsprechend zu berücksichtigen, ist für die inzwischen völlig unstrittige Erfassung von zusätzlichem „Ergänzungskapital“ des Gesellschafters zum in der Gesellschaftsbilanz für ihn ausgewiesenen Kapitalanteil und den damit korrespondierenden ergänzenden zusätzlichen Wertansätzen für in der Gesellschaftsbilanz zu erfassende Wirtschaftsgüter zu klären, welche Wirtschaftsgüter denn eigentlich in Gesellschaftsbilanz und Ergänzungsbilanzen bilanziert werden. Das erscheint und ist zunächst einmal unproblematisch hinsichtlich der Gesellschaftsbilanz. In ihr werden zweifelsfrei die zum (jedenfalls steuerlich gemeinsamen) Gesellschaftsvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter (Vermögensgegenstände und Schulden) ausgewiesen. Das für den jeweiligen Gesellschafter geführte Kapitalkonto (nach der Kautelarpraxis häufig noch in mehrere Kapitalkonten unterteilt, über deren Bedeutung sich anschließend trefflich streiten lässt) weist aus, welcher Anteil am in der Bilanz ausgewiesenen Gesellschaftsvermögen auf den jeweiligen Gesellschafter 19 Vgl. statt vieler BFH v. 20.11.2014 – IV R 1/11, BStBl. II 2017, 34, GmbHR 2015, 334, FR 2015, 552 m. Anm. Wendt mit umfangreichen weiteren Nachweisen. 20 Siehe u.a. Reiß in Kirchhof16, § 15 EStG Rz. 243; Tiede in Herrmann/Heuer/Raupach, § 15 EStG Rz. 503 f.; Wacker in Schmidt36, § 15 EStG Rz. 460.

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entfällt. Der Kapitalanteil des Gesellschafters in der Gesellschaftsbilanz weist spiegelbildlich den Wert aus, der steuerlich dem Gesellschaftsanteil/der Beteiligung/dem Anteil des Gesellschafters am Gesellschaftsvermögen zukommt. Im Falle von Ergänzungsbilanzen ist der sich aus der Gesellschaftsbilanz ergebende Kapitalanteil noch um das „Ergänzungskapital“ zu „ergänzen“. Wird wegen der transparenten Besteuerung der dem Gesellschafter aus seiner Beteiligung an der Gesellschaft steuerlich zuzurechnende Gewinn bereits als Anteil am Gewinn der Gesellschaft (= Erhöhung/Verminderung des Gesellschaftsvermögens) ermittelt, versteht es sich, dass die Beteiligung an der Gesellschaft nicht noch gesondert als Wirtschaftsgut des Gesellschafters bei einer eigenen Gewinnermittlung des Gesellschafters berücksichtigt werden kann. Es kann insoweit auch nicht in Betracht kommen, Mehr- oder Minderaufwendungen des Gesellschafters auf die Beteiligung erst gesondert in einer eigenen Gewinnermittlung neben der Gewinnermittlung für die Gesellschafter und Mitunternehmer der Personengesellschaft zu berücksichtigen. Es können daher auch nicht allein diese Mehr- oder Minderaufwendungen als Anschaffungsaufwendungen für ein gesondertes Wirtschaftsgut „Beteiligung“ in der Steuerbilanz der Gesellschaft ausgewiesen werden. Die Beteiligung spiegelt sich steuerlich im Kapitalkonto des Gesellschafters in der Gesellschaftsbilanz und in dessen Modifikation durch das in der Ergänzungsbilanz ausgewiesene Kapital. Es können daher nicht allein die Mehr- oder Minderaufwendungen über die Bilanzierung eines Wirtschaftsgutes „Beteiligung“ beim Gesellschafter selbst erfasst werden. Dies alles ist im Ergebnis unstreitig. Während insoweit im Grundsatz Einmütigkeit über die Funktion von Ergänzungsbilanzen bei Personengesellschaften besteht, ist weiterhin umstritten, was exakt denn in Ergänzungsbilanzen „bilanziert“ wird. c) Korrekturansätze zu Wertansätzen der Wirtschaftsgüter in der ­Gesellschaftsbilanz Richtigerweise ist dabei mit dem IV. BFH-Senat davon auszugehen, dass die in der Ergänzungsbilanz ausgewiesenen Beträge lediglich Korrekturen zu den in der Steuerbilanz der Gesellschaft ausgewiesenen Wertansätzen für die in der Steuerbilanz der Gesellschaft ausgewiesenen Wirtschaftsgüter des (gemeinsamen) Gesellschaftsvermögens (der Gruppe der Gesellschafter) darstellen21. Diese „Korrekturen“ betreffen allein den jeweiligen Gesellschafter, für den die Ergänzungsbilanz zu erstellen ist. Mit dem IV. Senat ist auch davon auszugehen, dass es sich dabei um allein auf den Gesellschafter entfallende Aufwendungen handelt, die als zusätzliche oder verminderte Anschaffungsaufwendungen nur des Gesellschafters für zum Gesellschaftsvermögen gehörende – in der Steuerbilanz der Gesellschaft bilanzierte oder ggf. auch nicht bilanzierte (etwa ein originärer Firmenwert) – Wirtschaftsgüter zu behandeln sind. Un21 BFH v. 20.11.2014 – IV R 1/11, BFHE 248, 28, BStBl. II 2017, 34, GmbHR 2015, 334, FR 2015, 552 m. Anm. Wendt unter Bezugnahme auf BFH v. 28.9.1995 – IV R 57/94, BFHE 179, 84, BStBl. II 1996, 68, FR 1996, 113 m. Anm. Prinz, m.w.N.

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erheblich ist insoweit, dass die Wirtschaftsgüter als solche gerade nicht vom einzelnen Gesellschafter angeschafft wurden, sondern von der Gesellschaft, und dass die Mehroder Minderaufwendungen des Gesellschafters gerade nicht durch die Anschaffung des jeweiligen Wirtschaftsgutes durch den Gesellschafter selbst angefallen sind, sondern nur durch den Erwerb des Gesellschaftsanteils. Denn wegen der transparenten Besteuerung der Gesellschafter kann nicht in Betracht kommen, die Aufwendungen einem vom Gesellschafter selbst noch gesondert zu bilanzierenden Wirtschaftgut „Beteiligung“ zuzuordnen. Sie können daher nur und sind auch zwingend den Wertansätzen der Wirtschaftsgüter des Gesellschaftsvermögens als zusätzliche oder verminderte Anschaffungsaufwendungen des Gesellschafters zuzuordnen. Dies erfolgt in der Ergänzungsbilanz. Handelt es sich dabei um Wirtschaftsgüter des abnutzbaren Anlagevermögens, sind auch die zusätzlichen (oder verminderten) Anschaffungsaufwendungen bei der (in der Ergänzungsbilanz vorzunehmenden) Abschreibung für das Wirtschaftsgut zu berücksichtigen22. d) Beteiligung an Personengesellschaft als zu bilanzierendes Wirtschaftsgut Soweit der IV. Senat unter zutreffender Berufung auf die ständige Rechtsprechung des BFH allerdings ausführt, dass der entgeltliche Erwerb eines Mitunternehmeranteils einkommensteuerlich (und dann wohl auch steuerbilanziell) nicht als Erwerb des Gesellschaftsanteils als Wirtschaftsgut, sondern als Anschaffung von Anteilen an den einzelnen zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Wirtschaftsgütern zu werten ist23, ist dem freilich zu widersprechen. Das ist in doppelter Hinsicht zumindest missverständlich. Zunächst einmal soll damit wohl ausgedrückt werden, dass die Beteiligung als Gesellschafter/Mitunternehmer in der Hand des Personengesellschafters  – anders als die 22 BFH v. 20.11.2014 – IV R 1/11, BFHE 248, 28, BStBl. II 2017, 34, GmbHR 2015, 334 mit Anm. Wendt, FR 2015, 554; Freikamp, DB 2015, 1063; Hennrichs/Riedel, NZG 2015, 586; Eckl, BB 2017, 177; Pinz/Keller, DB 2017, 1607; Bolk, DStZ 2015, 472; s. dazu auch BMF v. 19.12.2016, BStBl. I 2017, 34. Richtigerweise sind – entgegen der Auffassung des BMF – der Abschreibung in der Ergänzungsbilanz nur die dort dem Wirtschaftsgut zugeordneten Mehraufwendungen zugrundezulegen. Eine Bindung an die Abschreibungsmethode und Dauer, die in der Gesellschaftsbilanz zugrunde gelegt wurde, besteht, wie der IV. Senat zutreffend entschieden hat, nicht. Siehe auch Reiß in Kirchhof16, § 15 EStG Rz. 251. 23 BFH v. 20.11.2014 – IV R 1/11, BFHE 248, 28, BStBl. II 2017, 34, GmbHR 2015, 334, FR 2015, 552 m. Anm. Wendt, a.a.O.(Fn. 19), Rz. 14 mit Hinweisen auf BFH v. 25.2.1991 – GrS 7/89, BFHE 163, 1, BStBl. II 1991, 691, GmbHR 1991, 281, FR 1991, 253, FR 1991, 270 m. Anm. Schwichtenberg; v. 12.12.1996 – IV R 77/93, BStBl. II 1998, 180, GmbHR 1998, 50, FR 1998, 155 m. Anm. Thiele und v. 6.5.2010 – IV R 52/08, BStBl. II 2011, 261, GmbHR 2010, 876, FR 2010, 941 m. Anm. Kempermann. Ebenso erneut BHF v. 21.7.2016 – IV R 26/14 (Rz. 55), BFHE 254, 371, BStBl. II 2017, 202, GmbHR 2016, 1325, FR 2017, 248 (Vorlage an den GrS zu § 9 Nr. 1 Satz 2 GewStG bei Beteiligung einer gewerblich geprägten PersG an grundstücksverwaltender nicht gewerblich geprägter PersG); s. auch BFH v. 26.4.2012 – IV R 44/09, BStBl. II 2013, 142, FR 2013, 68 m. Anm. Kempermann (Verkauf von Betriebsvermögen an vermögensverwaltender Personengesellschaft, an der eine Beteiligung besteht [Zebragesellschaft]).

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Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft – steuerlich kein (zu bilanzierendes?) Wirtschaftsgut sei. Dem ist schlicht zu widersprechen, auch wenn dies der Große Senat ebenso gesehen hat. Die Beteiligung an einer Personengesellschaft ist für den beteiligten Gesellschafter zivilrechtlich zweifellos ein Vermögensgegenstand, über den er auch verfügen kann, jedenfalls wenn dies der Gesellschaftsvertrag zulässt und/oder die übrigen Gesellschafter zustimmen. Dementsprechend wird und ist die Beteiligung auch in einer etwaig vom Gesellschafter aufzustellenden Handelsbilanz selbstredend zu bilanzieren. Richtigerweise besteht keinerlei Anlass, für das Einkommensteuerrecht zu leugnen, dass die Beteiligung an einer Personengesellschaft ein zu bilanzierendes Wirtschaftsgut ist, und sie stattdessen steuerlich als Anteil an den einzelnen zum Gesellschaftsvermögen der Personengesellschaft gehörenden Wirtschaftsgütern zu werten. Richtig ist insoweit allein, dass die Beteiligung an der Personengesellschaft nicht in der Gesellschaftsbilanz der Personengesellschaft, an der die Beteiligung besteht, als (zu aktivierendes oder zu passivierendes) Wirtschaftsgut zu erfassen ist. Das ist im Grundsatz nicht einmal bei der Kapitalgesellschaft anders. Anders ist freilich – aufgrund der transparenten Besteuerung –, dass bei der Personengesellschaft – jedenfalls steuerlich und richtigerweise wohl auch schon zivilrechtlich – dem Gesellschafter unmittelbar ein Anteil am Gewinn der Personengesellschaft, d.h. an der Mehrung des Gesellschaftsvermögens, zugerechnet wird. Damit korrespondiert, dass dem Gesellschafter der Personengesellschaft zwingend von vornherein ein Anteil am Gesellschaftsvermögen zuzurechnen ist und auch zugerechnet wird. Handels- wie steuerbilanziell drückt sich das in der Aufteilung des Gesellschaftskapitals in Kapitalanteile der Gesellschafter aus, mögen diese nun in der offenzulegenden (Handels)Bilanz der Gesellschaft schon offen ausgewiesen werden oder auch nicht. In der Steuerbilanz jedenfalls ist diese Aufteilung angesichts von § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG unabdingbar. Für die Bilanzierung der Beteiligung an einer Personengesellschaft als einem Wirtschaftsgut in einer eigenen Steuerbilanz des Gesellschafters – z.B. bei einer Kapitalgesellschaft als Gesellschafter der Personengesellschaft – sind dann freilich die sich aus § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG ergebenden Folgerungen zu berücksichtigen, die dann – dem ist hier nicht weiter nachzugehen – zu abweichenden Ergebnissen gegenüber der handelsbilanziellen Behandlung führen (können). Steuerlich ist dem Gesellschafter der auf der Ebene der Personengesellschaft ermittelte Gewinn(anteil) zuzurechnen. Der steuerliche Wert des Wirtschaftsgutes „Beteiligung an der Personengesellschaft“ ergibt sich spiegelbildlich aus dem Kapitalanteil des Gesellschafters in der Steuerbilanz der Personengesellschaft und der ggf. dort für den Gesellschafter zu führenden Ergänzungsbilanz. Exakt in dieser Höhe ist die Beteiligung des Gesellschafters in einer eigenen Steuerbilanz des Gesellschafters anzusetzen  – so schon beim Erwerb und auch später. Insoweit kann es keine Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für den Ansatz der Beteiligung an einer Personengesellschaft in der eigenen Steuerbilanz des Gesellschafters geben. Es kann und sollte sich aber richtigerweise auch verstehen, dass auch einkommensteuerlich in einer eigenen Steuerbilanz des Gesellschafters anstelle der zum Betriebsvermögen gehörenden Beteiligung nicht Nichts ausgewiesen wird oder sinnleere 384

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Platzhalter erfunden werden, um wenigstens eine formal ausgeglichene Bilanz aufzustellen. e) Keine Anschaffung und Bilanzierung von Anteilen des Gesellschafters an einzelne Wirtschaftsgütern des Gesellschaftsvermögens Es kann selbstredend auch nicht in Betracht kommen, in der eigenen Steuerbilanz des Gesellschafters statt des Wirtschaftsgutes und Vermögensgegenstandes „Beteiligung“ einen Posten „Anteile an den einzelnen zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Wirtschaftsgütern“ zu bilanzieren. Das hat vermutlich der IV. Senat – obwohl er es so gesagt hat – auch nicht gemeint. Vielmehr geht es ihm um die einkommensteuerliche Wertung in der Steuerbilanz der Personengesellschaft. In dieser kommt selbstredend, wie ausgeführt, nicht in Betracht, die Beteiligung des Gesellschafters an eben dieser Personengesellschaft als Wirtschaftsgut des Gesellschafters zu bilanzieren und dies auch nicht, soweit dem Gesellschafter Mehr- oder Minderaufwendungen entstanden sind, die sich nicht in seinem Kapitalanteil in der (steuerlichen) Gesellschaftsbilanz niedergeschlagen haben. Auch insoweit und gerade dafür ist jedoch der Aussage des IV. Senates nicht zu folgen, dass der „Erwerb des Mitunternehmeranteils an einer Personengesellschaft (…) als Anschaffung von Anteilen an den einzelnen zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Wirtschaftsgütern zu werten“ sei. Wie die zivilrechtliche Analyse zeigt, existieren solche den Gesellschaftern zuzurechnende Anteile an den einzelnen Vermögensgegenständen des Gesellschaftsvermögens (auch) bei der (gesamthänderischen) Personengesellschaft nicht. Schon das BGB schließt in §  719 BGB zumindest aus, dass der Gesellschafter über (s)einen Anteil daran verfügt. Schon nach der alten Lehre zur gesamthänderischen Gesellschaft steht dem einzelnen Gesamthänder gerade kein (Bruch)Teil(s)Eigentum an den gesamthänderisch gebundenen Sachen und Gegenständen zu. Und jedenfalls nach der Lehre von der Rechtsträgerschaft der Personengesellschaft als Gruppe der Gesellschafter (dazu oben unter II.1.) steht dem einzelnen Gesellschafter überhaupt kein Anteil an den einzelnen Vermögensgegenständen des Gesellschaftsvermögens zu24. Wie nicht zuletzt gerade der BFH in Abkehr von der Bilanzbündeltheorie entwickelt hat (dazu oben unter II.2), bedarf es auch für die steuerliche Ermittlung des Gesellschaftsgewinnes und seiner anteiligen Zuweisung nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG gerade nicht der Vorstellung, dass den Gesellschaftern „Anteile an den einzelnen Wirtschaftsgütern“ zustehen. Soweit § 39 Abs. 2 Nr. 2 AO vorsieht, dass Wirtschaftsgüter des gesamthänderischen Gesellschaftsvermögens, für steuerliche Zwecke den Beteiligten „anteilig“ zuzurechnen sind, soweit die getrennte Zurechnung für die Besteue24 Grundlegend zur Rechtsträgerschaft der BGB-Gesellschaft BGH v. 29.1.2001  – II ZR 331/00., a.a.O., (Fn. 14); aus neuerer Zeit BGH v. 20.5.2016 – V ZB 142/15, MDR 2016, 1272, NotBZ 2017, 143 m. Anm. Nassall; v. 3.11.2015 – II ZR 446/13, MDR 2016, 401, DB 2016, 283; vgl. zur (Nicht)Bedeutung der Rechtsfähigkeit der GbR für das Schenkungssteuerrecht FG Münster v. 12.1.2017 – 3 K 518/15 Erb (Rev II R 9/17), ZEV 2017, 426.

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rung erforderlich ist, entspricht es zutreffender Rechtsprechung, dass dies für die Ermittlung des Gesellschaftsgewinnes (bei) der Personengesellschaft und die Zuweisung des Gewinnanteils an den Gesellschafter eben gerade nicht notwendig ist und daher auch nicht zu erfolgen hat25. Auch im Zusammenhang mit der steuerlichen Bilanzierung von „Korrekturposten“ zu den Wertansätzen der Wirtschaftsgüter in der Gesellschaftsbilanz und einem „­Ergänzungskapital“ zum in der Gesellschaftsbilanz ausgewiesenen Kapitalanteil des ­Gesellschafters besteht daher keinerlei Anlass, einkommensteuerlich (und für die steuerbilanzielle Behandlung) davon auszugehen, dass dem Personengesellschafter/ Mitunternehmer Anteile an den einzelnen zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Wirtschaftsgütern zustehen. So ist es zivilrechtlich nicht und einer solchen Annahme bedarf es auch weder nach Wortlaut noch Teleologie der Normen des Einkommensteuergesetzes. Der Regelung des § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG ist vielmehr nur, aber immerhin, zu entnehmen, dass bei einer transparenten (Nicht)Besteuerung der Gesellschaft und der Gesellschafter, wie sie für die Personengesellschaft unzweifelhaft angeordnet ist, dem Gesellschafter für Zwecke der steuerlichen Gewinnermittlung ein Anteil am Gewinn der Gesellschaft zuzurechnen ist. Da Gewinn nichts Anderes ist als die (betrieblich veranlasste) Mehrung des Vermögens, muss für steuerliche Zwecke zwingend davon ausgegangen werden, dass den Personengesellschaftern ein Anteil am Gesellschaftsvermögen insgesamt zusteht. Exakt dies wird bilanziell durch den/die Kapitalanteil(e) der Gesellschafter ausgewiesen. Hingegen bedarf es nicht der Annahme, dass den Gesellschaftern einkommensteuerlich Anteile an den einzelnen Wirtschaftsgütern zustehen, obwohl ihnen zivilrechtlich zweifellos keine solchen Anteile an den Vermögensgegenständen des Gesellschaftsvermögens zustehen.

III. Ergänzungsbilanzen bei der KGaA 1. Ergänzungsbilanz bei entgeltlichem Erwerb des Anteils eines persönlich haftenden Gesellschafters a) Von § 15 Abs. 1 Nr. 3 und § 16 Abs. 1 Nr. 3 geforderte Gleichbehandlung mit Mitunternehmer Nach der Rechtsprechung des BFH ist grundsätzlich offen, ob die Grundsätze für die Erstellung von Ergänzungsbilanzen für die Gesellschafter einer Personengesellschaft

25 So jedenfalls für gewerblich tätige Personengesellschaften. Siehe BFH v. 21.7.2016 – IV R 26/14, BStBl. II 2017, 202, GmbHR 2016, 1325, FR 2017, 248 m. Anm. Nöcker; v. 26.4.2012 – IV R 44/09, BStBl. II 2013, 142, FR 2013, 68 m. Anm. Kempermann m.w.N. Anders soll es sich allerdings bei vermögensverwaltenden Personengesellschaften verhalten. Insoweit kommt § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG ohnehin nicht zur Anwendung und Fragen einer „Ergänzungsbilanz“ können sich dort auch nicht stellen.

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auch für persönlich haftende Gesellschafter einer KGaA Anwendung finden (können)26. Die Frage ist zu Unrecht sehr umstritten27. Angesichts der vom Steuergesetzgeber in § 15 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 EStG und in § 16 Abs. 1 Nr. 2 und 3 EStG getroffenen Regelung, wonach erkennbar der persönlich haftende Gesellschafter einer KGaA sowohl hinsichtlich seiner nicht auf Anteile am Grundkapital entfallenden Gewinnanteile (am Gewinn der KGaA!) als auch aus der Veräußerung seines (Gesellschafts)Anteils (an der KGaA) ebenso wie der mitunternehmerisch an einer Personengesellschaft beteiligte Gesellschafter zu besteuern ist, spricht alles dafür, dass diese Gleichbehandlung auch insoweit zu gelten hat als bei dem mitunternehmerisch beteiligten Gesellschafter die Ergebnisse von steuerlich nur für diesen zu führenden Ergänzungsbilanzen schon bei der Ermittlung des ihm nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 als Teil seiner (gewerblichen) laufenden Einkünfte zuzurechnenden Gewinnanteils zu berücksichtigen sind. Und ebenso verhält es sich hinsichtlich der Berücksichtigung für die Ermittlung des Veräußerungsgewinnes bei einer Anteilsveräußerung nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 EStG. Dem kann zunächst einmal nicht entgegenstehen, dass Ergänzungsbilanzen, respektive die vermittels Ergänzungsbilanzrechnungen vorzunehmenden Modifikationen zu den als eigene gewerbliche Einkünfte zuzurechnenden Gewinnanteilen (am Gewinn der KGaA), in § 15 Abs. 1 Nr. 3 EStG nicht ausdrücklich erwähnt sind. Denn insoweit besteht kein Unterschied zur Nichterwähnung von Modifikationen durch Ergänzungsbilanzrechnungen bezüglich der Gewinnanteile, die den mitunternehmerisch beteiligten Gesellschaftern von Personengesellschaften nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 zuzurechnen sind. Und ebenso verhält es sich hinsichtlich der Berücksichtigung von Ergänzungsbilanzen bei der Veräußerung des Anteils an der Gesellschaft nach § 16 Abs. 1 Nr. 2 und Nr. 3 EStG. Zutreffend ist, dass das Gesetz Ergänzungsbilanzen in §  6 Abs.  5 EStG und §  24 UmwStG ausdrücklich nur im Zusammenhang mit „Mitunternehmern“, „Mitunternehmerschaften“ und „Personengesellschaften“ erwähnt. Daraus mag sich ergeben, dass § 6 Abs. 5 EStG und § 24 UmwStG nicht auf entsprechende Vorgänge zwischen dem persönlich haftenden Gesellschafter einer KGaA und dieser anzuwenden sind. Für die Frage, ob im Rahmen der Ermittlung des Gewinnanteils nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 und des Gewinnes aus der Veräußerung des Anteils nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 EStG Ergänzungsbilanzen für den persönlich haftenden Gesellschafter Anwendung finden können, ergibt sich aus diesen Regelungen aber Nichts. Denn aus ihnen kann erkenn26 BFH v. 7.9.2016 – I R 57/14, GmbHR 2017, 247, DB 2017, 160 mit Anm. Wacker, DStR 2017, 197, Brandis, BFH/PR 2017, 114; Hageböcke, Der Konzern 2017, 126. 27 Bejahend u.a. Wacker in Schmidt35, § 15 EStG Rz. 891; ders. DStR 2017,197; Drüen in Herrmann/Heuer/Raupach, § 9 KStG Rz. 27; Kempf, DStR 2015, 1905; Hageböke, Das „KGaA-­ Modell“, 2008, 232 f.; ders., Der Konzern 2017, 126 . Verneinend dagegen FG München v. 10.7.2003 – 5 K 2681/97, GmbHR 2004, 597, EFG 2003, 1691; Hess. FG v. 31.5.2016 – 4 K 1879/13, EFG 2016, 1517, DStRE 2017, 842; Märtens in Gosch3, § 9 KStG Rz. 15; Mai in Frotscher/Drüen, § 9 KStG Rz. 15; Boochs in Lademann, § 9 KStG Rz. 4; Kollruss, FR 2016, 203; derselbe, WPg 2016, 586.

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bar nicht geschlossen werden, dass Ergänzungsbilanzen nur im Rahmen von §  6 Abs. 5 EStG und § 24 UmwStG eine Rolle spielen. Das zeigt gerade ihre Anwendung im Rahmen der laufenden Gewinnermittlung und bei der Ermittlung des Veräußerungsgewinnes für den Gesellschafter einer Personengesellschaft nach §  15 Abs.  1 Nr. 2 und § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG. Auch dort sind Ergänzungsbilanzen nicht expressis verbis erwähnt. Gleichwohl ergibt sich der Hauptanwendungsbereich für Ergänzungsbilanzen bei dem Erwerb von Gesellschafts-/Mitunternehmeranteilen. Der Regelung für ganz spezifische Anwendungsbereiche von Ergänzungsbilanzen in § 6 Abs. 5 EStG, § 24 UmwStG kann auch kein allgemeiner Umkehrschluss dahingehend entnommen werden, dass Ergänzungsbilanzen nur bei mitunternehmerisch beteiligten Personengesellschafter in Betracht kommen. Selbst dann wäre im Übrigen noch zu fragen, ob dann nicht angesichts der übereinstimmenden Regelung in § 15 und 16 EStG für den mitunternehmerisch beteiligten Personengesellschafter und den persönlich haftenden Gesellschafter der KGaA letzterer jedenfalls „wie ein Mitunternehmer“ zu behandeln sei, so dass für ihn auch im selben Umfange wie für den mitunternehmerisch beteiligten Personengesellschafter Ergänzungsbilanzen zulässig und notwendig wären. b) Ergänzungsbilanzen, obwohl KGaA juristische Person, Kapitalgesellschaft und Einkünfteerzielungs- und Steuersubjekt Die Einwendungen gegen Ergänzungsbilanzen für den persönlich haftenden Gesellschafter einer KGaA lassen sich im Kern wie folgt zusammenfassen28: Die KGaA ist keine Personengesellschaft, sondern wie die AG juristische Person und Kapitalgesellschaft. Es besteht keine Mitunternehmerschaft zwischen der KGaA und dem persönlich haftenden Gesellschafter. Vielmehr handele es sich um zwei eigenständige Steuersubjekte. Originäres Einkünfteerzielungssubjekt sei (nur) die KGaA. Dem persönlich haftenden Gesellschafter werde als Gewinnanteil ein von der KGaA „erzielter Gewinn … nachgelagert zugerechnet“. Bei der Mitunternehmerschaft seien hingegen (nur) die Gesellschafter die originären Einkünfteerzielungssubjekte. Die KGaA sei auch keine Gesamthand. Es erfolge weder zivilrechtlich noch steuerlich eine Zurechnung der Wirtschaftsgüter an den KGaA-Komplementär. Die Zurechnung sei auf den Gewinn begrenzt. Bei der Vermögenseinlage und beim Erwerb des Komplementäranteils werde kein Anteil an den Wirtschaftsgütern der KGaA angeschafft. Bei der Veräußerung sei demzufolge lediglich für Zwecke der Ermittlung des Veräußerungsgewinnes dem KGaA-Komplementär ein Anteil am (Betriebs) Vermögen der KGaA zuzuordnen. Eigene Anschaffungsaufwendungen aus dem Erwerb des Komplementäranteils könnten die laufende Besteuerung nicht beeinflussen, da sie nicht den originär erzielten Gewinn der KGaA betreffen. Sie seien erst bei Veräußerung des Komplementäranteils zu berücksichtigen.

28 Siehe umfassend Kohlruss, FR 2016, 203 und ders., WpG 2016, 586.

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Steuerliche Ergänzungsbilanzen für den persönlich haftenden Gesellschafter einer KGaA

Zutreffend an diesen Ausführungen ist allein, dass die KGaA zivilrechtlich keine Personengesellschaft und keine gesamthänderische Außengesellschaft ist – was immer das zivilrechtlich bedeutet  –, sondern eine Kapitalgesellschaft. Soweit im Übrigen strukturelle Unterschiede im Verhältnis Personengesellschaft und Gesellschafter und gegenüber KGaA und ihrem Komplementär behauptet werden, treffen diese weder zivilrechtlich noch steuerlich zu. Aus ihnen lässt sich daher gerade nicht schließen, dass bei der KGaA für den persönlich haftenden Gesellschafter keine Ergänzungsbilanzen in Betracht kommen. Das Gegenteil ist richtig. Zunächst einmal erfolgt auch bei der Personengesellschaft weder zivilrechtlich noch steuerlich eine anteilige Zurechnung der einzelnen Vermögensgegenstände an die Gesellschafter/Mitunternehmer. Diesen kommen gerade keine (Bruch)Anteile daran zu. BGH und BFH sind sich einig, dass die Personengesellschaft ebenso wie die KGaA selbst der Rechtsträger der zum Gesellschaftsvermögen gehörenden Gegenstände/ Wirtschaftsgüter ist. Auch wenn der Rechtsträger bei der Personengesellschaft möglichweise die Personengesellschaft nicht „als solche“ ist, sondern nur als Gruppe der Gesellschafter. Jedenfalls wird die KGaA ebenso wie die Personen(handels)gesellschaft sowohl zivilrechtlich (Handelsbilanz) als auch steuerlich (Steuerbilanz) als der Träger der bilanzierten Vermögensgegenstände/Wirtschaftsgüter behandelt. Bei der Personengesellschaft erfolgt freilich in Gestalt der Kapitalanteile für die Gesellschafter eine anteilige Vermögenszuordnung des Gesellschaftsvermögens auf die Gesellschafter. Ob daraus zu schlussfolgern ist, dass „nachgeordnet“ das Gesellschaftsvermögen insgesamt auch zivilrechtlich bereits anteilig den Gesellschaftern zuzuordnen ist, wie dies jedenfalls steuerlich zu erfolgen hat, kann hier dahinstehen. Denn auch insoweit ergibt sich kein Unterschied zur KGaA. Auch bei der KGaA sind die Kapitalanteile der persönlich haftenden Gesellschafter (nach dem Grundkapital) „gesondert auszuweisen“, § 286 Abs. 2 AktG. Im bilanziell getrennten Ausweis von Grundkapital und Kapitalanteil des persönlich haftenden Gesellschafters, der so auch für die Steuerbilanz zu erfolgen hat, kommt, nicht anders als bei der Personengesellschaft, zum Ausdruck, dass das Gesellschaftsvermögen der KGaA jedenfalls im Innenverhältnis anteilig auf den Komplementär und die in der KGaA vereinten Kommanditaktionäre entfällt. Auch insoweit besteht kein Unterschied hinsichtlich der jedenfalls mittelbaren anteiligen Vermögenszuordnung des Gesellschaftsvermögens der KGaA zu ihrem persönlich haftenden Gesellschafter einerseits und der jedenfalls mittelbaren Vermögenszuordnung an ihre Gesellschafter bei der Personengesellschaft. Bleibt das Argument, dass bei der KGaA (nur) diese selbst das Einkünfteerzielungssubjekt sei, nicht hingegen ihre Gesellschafter, während bei der Personengesellschaft nur die Gesellschafter die Einkünfteerzielungssubjekte seien. Das trifft für die Personengesellschaft zweifellos zu und ist die schlichte Folge daraus, dass die Personengesellschaft nach der steuergesetzlichen Regelung kein Einkommensteuersubjekt ist, sondern der von ihr erzielte Gewinn (= Mehrung des Gesellschaftsvermögens) nach dem Transparenzprinzip anteilig von ihren Gesellschaftern als den Einkommensteuer- und Einkünfteerzielungssubjekten zu versteuern ist. Nicht anders verhält es sich freilich bei der KGaA, soweit es um den von ihrem Komplementär nach § 15 Abs. 1 389

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Nr. 3 EStG zu versteuernden Gewinnanteil und den nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 EStG von diesem zu versteuernden Veräußerungsgewinn geht. Insoweit ist die KGaA eben gerade nicht das Einkünfteerzielungs- und das Einkommensteuersubjekt, sondern dies ist für diese Einkünfte- und Einkommensanteile nur der Komplementär. Soweit es um die der Erzielung von Einkünften aus Gewerbebetrieb zugrunde liegende Gewinnerzielung geht, ist nach der insoweit zutreffenden Rechtsprechung des BFH schon steuerlich davon auszugehen, dass die Personengesellschaft selbst (und nicht erst ihre Gesellschafter) das Gewinnerzielungssubjekt für den Gewinn ist, der anteilig dann von den Gesellschaftern als deren Einkünfte zu versteuern ist. Auch hier ist zu konstatieren, dass keine unterschiedliche Behandlung von Personengesellschaften und ihren Gesellschaftern einerseits und der KGaA und ihrem persönlich haftenden Gesellschafter andererseits im Hinblick auf die Erzielung des Gewinnes und dessen (anteilige) Zurechnung erkennbar ist. Das gilt sowohl für das Zivilrecht als auch für das Steuerrecht. c) Gleichermaßen erforderliche Aufteilung von Jahresüberschuss und ­Steuerbilanzgewinn Für das Zivilrecht ergibt sich aus § 286 Abs. 3 AktG, dass auf den persönlich haftenden Gesellschafter ein Gewinn(anteil) des von der KGaA insgesamt erwirtschafteten und in ihrer Bilanz auszuweisenden Gewinnes (= Jahresüberschusses) entfällt. Dieser muss, bedauerlicherweise, allerdings in der handelsrechtlichen GuV nicht offen ausgewiesen werden. Gleichwohl findet eine Aufteilung des von der KGaA insgesamt erzielten Gewinnes statt in den auf den Komplementär entfallenden Gewinn(anteil = Anteil am Jahresüberschuss) und in den auf das Grundkapital entfallenden Gewinn(anteil  = Anteil am Jahresüberschuss). Insoweit besteht keinerlei Unterschied zur Aufteilung und Behandlung des Gewinnes bei einer Personengesellschaft, nur dass dort wegen der transparenten Besteuerung aller Gesellschafter der gesamte Gewinn der Gesellschaft auf die Gesellschafter verteilt wird, während dies bei der KGaA gerade nicht hinsichtlich des auf das Grundkapital entfallenden Gewinn(anteil)s erfolgt. Schon die von Crezelius zu Recht verlangte sorgfältige Analyse der zivilrechtlichen Rechtslage zeigt, dass sich hinsichtlich der (anteiligen) Zuordnung des Gesellschaftsvermögens der Personengesellschaft auf ihre Gesellschafter und der KGaA auf ihren Komplementär sowie auf die Ermittlung und Zuordnung des Gesellschaftsgewinnes zu den Gesellschaftern keinerlei relevante Unterschiede feststellen lassen. Es besteht schon von daher keinerlei Anlass, der ausdrücklichen steuergesetzlichen Regelung nach einer übereinstimmenden einkommensteuerlichen Behandlung des persönlich haftenden Gesellschafters einer KGaA mit dem mitunternehmerisch beteiligten Gesellschafter einer Personengesellschaft nicht zu folgen.

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Steuerliche Ergänzungsbilanzen für den persönlich haftenden Gesellschafter einer KGaA

d) Steuerliche Ergänzungsbilanzen vereinbar mit zivilrechtlicher Rechtsnatur der KGaA Das hat dann auch für die Erstellung und Fortführung von Ergänzungsbilanzen für einen persönlich haftenden Gesellschafter zu gelten. Insbesondere sind daher solche Ergänzungsbilanzen zu erstellen, wenn der Gesellschaftsanteil eines persönlich haftenden Gesellschafters einer KGaA entgeltlich erworben wird. Nicht anders als beim Erwerb eines (Mitunternehmer)Gesellschaftsanteiles an einer Personengesellschaft sind dann etwaige Mehr- oder Minderaufwendungen gegenüber dem Buchwert des Kapitalanteils (Kapitalkonto) in der Ergänzungsbilanz zu erfassen und denjenigen Wirtschaftsgütern des Gesellschaftsvermögens zuzuordnen, die die Mehr- oder Minderzahlungen veranlasst haben. Die Ergänzungsbilanzen sind fortzuschreiben bis zur Beendigung des unternehmerischen Engagements des persönlich haftenden Gesellschafters, u.a. durch Veräußerung seines Anteils gem. § 16 Abs. 1 Nr. 3 EStG. Namentlich sind für Mehr- oder Minderaufwendungen, die abnutzbarem Anlagevermögen zuzuordnen sind, zusätzliche (ggf. auch negative) Abschreibungen vorzunehmen29. Es kann nicht in Betracht kommen, steuerlich den persönlich haftenden Gesellschafter einer KGaA hinsichtlich der von ihm über oder unter dem übernommenen Kapitalanteil geleisteten Mehr- oder Minderaufwendungen für den Erwerb dieses Anteils anders als den Erwerber eines Personengesellschaftanteils zu behandeln. Solange – zu Recht – bei dem Erwerber eines Personengesellschaftsanteils dessen über oder unter dem (Buch)Wert des Kapitalanteils liegende Anschaffungsaufwendungen bereits für die laufende Ermittlung seines Gewinnanteils über Ergänzungsbilanzen und ihre Fortentwicklung berücksichtigt werden, hat dies uneingeschränkt und im selben Umfange auch für den persönlich haftenden Gesellschafter einer KGaA zu gelten. Daraus ergeben sich freilich für die KGaA bezüglich des ihr zuzurechnenden Gewinnanteils und der von ihr zu versteuernden Einkünfte keine weiteren Auswirkungen. Vielmehr entspricht dem in der Ergänzungsbilanz des persönlich haftenden Gesellschafters festgehaltenen Mehraufwand, der als zusätzlicher Anschaffungsaufwand des persönlichen haftenden Gesellschafters den zum Betriebsvermögen der KGaA gehörenden Wirtschaftschaftsgütern zugordnet wird, kein damit korrespondierender Gewinn der KGaA selbst. Aber dieser Mehraufwand führt(e) korrespondierend zu einem steuerlichen Veräußerungsgewinn nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 EStG für den Veräußerer des Anteils, von dem dieser Anteil erworben worden ist. Da der Veräußerungsgewinn von diesem bereits erzielt worden ist und vor allem, da der Veräußerer auch nicht mehr persönlich haftender Gesellschafter mehr ist, ist für diesen ausgeschiedenen Gesellschafter natürlich keine Ergänzungsbilanz bei der KGaA mehr zu erstellen und fortzuführen.

29 Siehe dazu BFH v. 20.11.2014 – IV R 1/11, BStBl. II 2017, 34, GmbHR 2015, 334, FR 2015, 552 m. Anm. Wendt; BMF v. 19.12.2016, BStBl. I 2017, 34; Prinz/Keller, DB 2017, 1607; Bolk, DStZ 2015, 472; Reiß in Kirchhof17, § 15 EStG Rz. 245 f. (251).

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2. Keine Ergänzungsbilanzen bei Eintritt als Komplementär und Erbringung der Vermögenseinlage in Geld zzgl. eines Aufgeldes a) Keine Anwendung von § 24 UmwStG bei KGaA Während der BFH30 ausdrücklich offengelassen hat, ob generell für den persönlich haftenden Gesellschafter Ergänzungsbilanzen wie beim Gesellschafter einer Personengesellschaft zulässig sind, hat er jedenfalls ausgeschlossen, dass eine Ergänzungsbilanz für den persönlich haftenden Gesellschafter aufgestellt werden darf, wenn dieser bei seinem Eintritt in die KGaA zusätzlich zu seiner zu leistenden Vermögenseinlage gemäß §  281 Abs.  2 AktG noch ein weiteres Aufgeld zahlt. Eine Ergänzungsbilanz scheide insoweit aus, unabhängig davon, ob die Zahlung des Aufgeldes buchhalterisch in einem weiteren Kapitalkonto neben dem für die Vermögenseinlage zu führenden Kapitalkonto erfasst werde oder in eine Kapitalrücklage eingehe. Der BFH hat dies ausdrücklich damit begründet, dass auf den Eintritt eines persönlich haftenden Gesellschafters in eine KGaA § 24 UmwStG nicht anwendbar sei. Denn es könne nicht in Betracht kommen, neben dem Komplementär auch die Kommanditaktionäre als einbringende Mitunternehmer zu behandeln. Dies verbiete sich, denn die Kommanditaktionäre seien weder Mitunternehmer, noch würden sie nach §  1 Abs. 1 KStG und § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG so behandelt. Beim Eintritt eines weiteren Gesellschafters in eine mitunternehmerische Personengesellschaft soll nach eben dieser Rechtsprechung demgegenüber § 24 UmwStG anwendbar sein. Der Vorgang sei dahingehend zu würdigen, dass die Altgesellschafter (Kommanditisten) ihre Mitunternehmeranteile in die „neue“ Personengesellschaft einbringen. Bei gewollter Buchwertfortführung sind die den gewährten Kapitalanteil übersteigenden Einzahlungen für den eintretenden Neugesellschafter in einer für ihn zu erstellenden positiven Ergänzungsbilanz zu erfassen und korrespondierend dazu sind bei den Altgesellschaftern ebenfalls fortzuentwickelnde negative Ergänzungsbilanzen zu erstellen. Dem BFH ist insoweit uneingeschränkt dahingehend zu folgen, dass nicht in Betracht kommen kann, solche Ergänzungsbilanzen für die Kommanditaktionäre zu erstellen. b) Keine negative Ergänzungsbilanz für KGaA oder die Kommanditaktionäre Die vom I. Senat daraus abgeleitete Schlussfolgerung, deshalb könne für den Kom­ plementär der KGaA auch keine Ergänzungsbilanz in Betracht kommen, erscheint freilich so zunächst nicht überzeugend. Wenn es denn richtig ist, dass von einem Neugesellschafter oder sogar von einem Altgesellschafter erbrachte Geldeinlagen in das Gesellschaftsvermögen bei Personengesellschaften zur Anwendung von §  24 UmwStG führen können und dann korrespondierende Ergänzungsbilanzen zur Erfassung von den gewährten Kapitalanteil übersteigenden Einzahlungen beim Einzah30 BFH v. 7.9.2016 – I R 57/14, BFHE 255, 427, GmbHR 2017, 247, DB 2017, 160, Der Konzern 2017, 109.

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lenden (positive Ergänzungsbilanz) und zur Neutralisierung von Gewinnen bei den Altgesellschaftern führen (negative Ergänzungsbilanz[en]), so könnte dem bei einer KGaA vermeintlich dadurch Rechnung getragen werden, dass einer positiven Ergänzungsbilanz für den Einzahlenden eine korrespondierende und ebenfalls fortzuentwickelnde negative Ergänzungsbilanz für die KGaA hinsichtlich des von ihr selbst zu versteuernden Gewinn(anteils) gegenübersteht. Denn der vom steuerlichen Gewinnerzielungssubjekt KGaA erzielte (Steuerbilanz)Gewinn ist anteilig von der KGaA und dem persönlich haftenden Komplementär zu versteuern. Das setzt freilich voraus, dass die Einzahlung des Komplementärs nicht allein dessen Kapitalanteil bei der KGaA zugutekommt, sondern diesen übersteigt und stattdessen den anderen am Gesellschaftsvermögen Beteiligten bei deren Kapitalanteil am Kapital der KGaA zugutekommt. Bei der KGaA kommt dabei erkennbar nicht in Betracht, dass über die vereinbarte Vermögenseinlage des persönlich haftenden Gesellschafters i.S.d. Art. 281 AktG hinausgehende Mehrzahlungen (Aufgelder) den Kapitalkonten der Kommanditaktionäre gutgebracht werden. Denn solche Kapitalkonten für die Kommanditaktionäre gibt es nicht. Sie sind keine Mitunternehmer und solchen auch nicht gleichgestellt. Das auf die Kommanditaktionäre entfallende Grundkapital ist durch das die Vermögenseinlage übersteigende Aufgeld auch nicht erhöht worden. In Betracht kommt daher nur, dass das Aufgeld entweder dem Kapitalanteil des persönlich haftenden Gesellschafters gutgebracht wurde – ggf. in Form eines weiteren Kapitalkontos neben dem die Vermögenseinlage aufnehmenden – oder in eine Kapitalrücklage eingestellt wird. Insoweit hat der BFH zu Recht entschieden, dass eine Ergänzungsbilanz für den persönlich haftenden Komplementär der KGaA jedenfalls dann nicht in Betracht kommen kann, wenn das über die vereinbarte Vermögenseinlage hinausgehende Aufgeld nur einem (Sonder)Kapitalkonto des Komplementärs gutgeschrieben wird und damit nur seinen Kapitalanteil erhöht. Es liegt dann erkennbar auch keine partielle Anteilsveräußerung durch die KGaA bezüglich des auf die Kommanditaktionäre entfallenden Anteils am Vermögen der KGaA an den persönlich haftenden Gesellschafter vor. Es versteht sich, dass dann auch keine korrespondierende negative Ergänzungsbilanz für die KGaA in Betracht kommen kann. c) Realisation eines Veräußerungsgewinnes der KGaA durch Erhöhung ihres Anteils am Betriebsvermögen aa) Einstellung des Aufgeldes in eine Kapitalrücklage Problematisch erscheint demgegenüber, ob dies auch gelten kann, wenn das Aufgeld in eine Kapitalrücklage eingestellt wird. Da die Kapitalrücklage bei Auflösung – jedenfalls mangels anderweitiger Vereinbarung – im Verhältnis Grundkapital zu vereinbarter Vermögenseinlage auf die KGaA und auf den persönlich haftenden Gesellschafter aufzuteilen ist, erscheint fraglich, ob nicht in dem Umfange, in dem die Kapitalrücklage auf das Grundkapital entfällt, eine Ergänzungsbilanz für den persönlich haftenden Gesellschafter in Betracht kommt und dazu korrespondierend dann eine negative Ergänzungsbilanz für die KGaA. Der I.  Senat hat auch dies verneint, 393

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allerdings mit der zunächst fragwürdig erscheinenden Begründung, dass insoweit eine Ergänzungsbilanz bei einer KGaA nicht in Betracht kommen könne. bb) Veräußerungsvorgang bei vergleichbarem Vorgang bei Personen­ gesellschaft Anders würde der BFH freilich wohl für die Einstellung eines Aufgeldes in eine sog. gesamthänderische Kapitalrücklage bei einer Personengesellschaft entscheiden. Tatsächlich wären für einen dem entschiedenen Sachverhalt vergleichbaren Sachverhalt aber auch bei einer Personengesellschaft keine negativen Ergänzungsbilanzen für die Gesellschafter zu bilden. Denn richtigerweise sollte schon – entgegen der Rechtsprechung31 – § 24 UmwStG bei Eintritt eines Neugesellschafters gegen Geldeinlage und erst Recht bei vereinbarter Kapitalerhöhung für einen Altgesellschafter keine Anwendung finden32. Zunächst einmal liegt weder für die Altgesellschafter noch für den beitretenden Neugesellschafter eine Betriebseinbringung oder die Einbringung eines Mitunternehmeranteils in eine (neue) Personengesellschaft vor. Wird richtigerweise die Anwendung von § 24 UmwStG auf den gegen Geldeinlage erfolgenden Eintritt eines weiteren Gesellschafters verneint, sind ohnehin steuerlich zwingend die Buchwerte der Wirtschaftsgüter in der Gesellschaftsbilanz fortzuführen. Zahlt der neu eintretende Gesellschafter einen Betrag, der den ihm gewährten Anteil am Gesellschaftskapital übersteigt und wird dieser übersteigende Betrag den Kapitalanteilen der übrigen Gesellschafter gutgeschrieben, realisieren diese einen Gewinn aus der Veräußerung eines Anteils an ihrem Mitunternehmeranteil. Denn der steuerlich ihnen zuzurechnende Anteil am Betriebsvermögen der Personengesellschaft, ausgedrückt in ihrem Kapitalanteil am Kapital der Gesellschaft, hat sich erhöht. Zum Anteil des Gesellschafters am Betriebsvermögen gehört auch der ihm zuzurechnende Anteil an einer (gesamthänderischen) Kapitalrücklage. Jedenfalls steuerlich wird der Gewinn dahingehend definiert, dass er sich durch einen Betriebsvermögensvergleich ergibt. Gewinn ist danach die Mehrung des Betriebsvermögens, allerdings vermindert um die zugeführten Einlagen und erhöht um die Entnahmen. Für die transparent besteuerten Gesellschafter einer Personengesellschaft gilt nichts Anderes. Ihr Gewinn(anteil) ergibt sich aus der Mehrung ihres Anteils am Betriebsvermögen der Gesellschaft  – buchmäßig ausgedrückt in ihrem Kapitalanteil – abzgl. ihrer Einlagen. 31 Siehe dazu die Nachweise in BFH v. 7.9.2016 – I R 57/14, BFHE 255, 427, GmbHR 2017, 247, DB 2017, 160, Der Konzern 2017, 109; grundlegend BFH v. 25.4.2006 – VIII R 52/04, BFHE 214, 40, BStBl. II 2006 II, 847, DB 2006, 581, FR 2006, 874, Der Konzern 2006, 640 unter Berufung auf BFH v. 15.7.1976 – I R 17/74, BFHE 119, 285, BStBl. II 1976, 748, FR 1977, 17 und BFH v.11.12.2001 – VIII R 58/98, BFHE 197, 411, BStBl. II 2002, 420, FR 2002, 516 m. Anm. Kempermann, GmbHR 2002, 284 m. Anm. Hoffmann, DB 2002, 506; so auch BFH v. 10.7.1980 – IV R 136/77, BFHE 131, 313, BStBl. II 1981, 84, FR 1980, 597, GmbHR 1981, 148, DB 1980, 2483. 32 So bereits Reiß in Kirchhof16, § 16 EStG Rz. 29.

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Mehrt sich der Kapitalanteil des Gesellschafters nicht durch eine Einlage, kommt mithin nur in Betracht, dass die Mehrung auf Gewinn beruht. Werden den Altgesellschaftern beim Eintritt eines Neugesellschafters stille Reserven im bei Eintritt vorhandenen Wirtschaftsgütern des Gesellschaftsvermögens „abgekauft“, indem ihnen selbst der entsprechende Betrag vom neu eintretenden Gesellschafter gezahlt wird, realisieren die Altgesellschafter jetzt schon einen Gewinn, der ihnen ansonsten (hoffentlich) erst bei Auflösung der stillen Reserven im Gesellschaftsvermögen – etwa durch Veräußerung der Wirtschaftsgüter – zugeflossen wäre. Es bleibt auch bei diesem Gewinn, selbst wenn solche stillen Reserven gar nicht vorhanden waren oder aber später entfielen. Der „Verkauf “ der „stillen Reserven“ hat sich dann für die Altgesellschafter als „gutes Geschäft“ erwiesen und für den Neugesellschafter als „schlechtes Geschäft“. Eine Rechtsgrundlage dafür, den durch Erhöhung ihres Anteils am Betriebsvermögen eintretenden Gewinn bei den Altgesellschaftern nicht bereits dann zu erfassen, wenn diese Erhöhung eintritt, sondern ihn durch Aufstellung einer negativen Ergänzungsbilanz zunächst zu neutralisieren, und erst durch Fortführung der Ergänzungsbilanz, ggf. erst mit Ausscheiden aus der Gesellschaft zu realisieren, ist nicht ersichtlich, wenn §  24 UmwStG richtigerweise nicht angewendet wird. Für den eintretenden Neugesellschafter muss die von ihm zugunsten der Altgesellschafter geleistete „Einlage“ selbstredend steuerlich in vollem Umfange Berücksichtigung finden. Der Sache nach handelt es sich insgesamt um seine Anschaffungsaufwendungen für die Beteiligung an der Personengesellschaft. Soweit diese sich im ihm gewährten Anteil am Kapital und damit in seinem Anteil am Betriebsvermögen der Gesellschaft wiederfinden, hat es damit sein Bewenden. Soweit sie diese übersteigen, sind sie in einer außerhalb der Gesellschaftsbilanz zu erstellenden „Ergänzungsbilanz“ zu erfassen und den Wirtschaftsgütern als Anschaffungsaufwendungen zuzuordnen, durch deren „stille Reserven“ sie veranlasst worden sind. 3. Veräußerung eines Anteils am der KGaA zuzurechnenden ­Betriebsvermögensanteil an den Komplementär a) Eintritt als Komplementär gegen Geldeinlage Da auf den Eintritt eines Gesellschafters als (weiterer) Mitunternehmer in eine mitunternehmerische Personengesellschaft §  24 UmwStG nicht anzuwenden ist, scheidet richtigerweise die Anwendung des § 24 UmwStG natürlich auch aus, wenn ein persönlich haftenden Gesellschafter in eine KGaA gegen Leistung einer Geldeinlage eintritt. Ob § 24 UmwStG hingegen bei Einbringung eines Betriebes oder eines Mitunternehmeranteils durch einen als Komplementär in eine KGaA eintretenden Gesellschafter anwendbar wäre, mag hier dahinstehen. Davon zu unterscheiden ist dann freilich, wie der Vorgang zu würdigen ist, dass von einem persönlich haftenden Gesellschafter eine Geldeinlage erbracht wird, die zum Teil nicht seinem Kapitalanteil zugutekommt, sondern dem auf die KGaA als Steuersubjekt selbst entfallenden Anteil des Betriebsvermögens der KGaA.

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b) Gewinnermittlung und -aufteilung durch Betriebsvermögensvergleich bei der KGaA Dabei ist jedenfalls für die steuerliche Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich davon auszugegehen, dass Gewinn in der Mehrung des Betriebsvermögens besteht, allerdings nach Abzug von Einlagen. Bei der KGaA ist steuerlich deren gesamtes Betriebsvermögen (nicht die einzelnen Wirtschaftsgüter nach Bruchteilen!) aufzuteilen einerseits auf einen Anteil, der auf den persönlich haftenden Gesellschafter entfällt und andererseits den Anteil, der auf die KGaA für ihre Kommanditaktionäre entfällt. Die Aufteilung erfolgt nach dem Verhältnis Grundkapital zu Vermögens­ einlage des persönlich haftenden Kommanditisten. Kapitalrücklagen sind der Sache nach Teile des Gesellschaftskapitals und ebenfalls nach diesem Verhältnis aufzuteilen und teils dem Grundkapital, teils dem Sonderkapital des persönlich haftenden Gesellschafters zuzurechnen. Auch der auf den persönlich haftenden Gesellschafter einerseits und der auf die KGaA anderseits entfallende Gewinnanteil besteht letzlich in der Mehrung des ihnen zuzurechnenden Anteils am Betriebsvermögen der Gesellschaft abzgl. der ihnen zuzurechnenden Einlagen. Werden vom persönlich haftenden Gesellschafter Einlagen geleistet, die nur seinem Kapitalanteil zugutekommen, so sind diese in vollem Umfange von der Mehrung seines Anteils am Betriebsvermögen abzuziehen. Nur die nicht auf die Einlage zurückzuführende Mehrung seines Anteils am Betriebsvermögen führt zu von ihm als (Teil) seine(r) Einkünfte zu versteuerndem gewerblichen Gewinn. c) Mehreinzahlungen zugunsten des Kapitalanteils der KGaA als Schenkung oder Anschaffungsaufwand des persönlich haftenden Komplementärs – positive Ergänzungsbilanz für Komplementär Werden vom persönlich haftenden Gesellschafter Einzahlungen in das Gesellschaftsvermögen geleistet, die nicht voll seinem Kapitalanteil zugutekommen, sondern dem auf die Kommanditaktionäre entfallenden Kapitalanteil der KGaA zugutekommen, bedarf es einer Differenzierung. Soweit dies erfolgt, um damit der (Rest-)KGaA und damit mittelbar den Kommanditaktionären unentgeltlich eine Vermögensmehrung zukommen zu lassen, liegt eine (mittelbare) unentgeltliche Zuwendung an diese vor. Abgesehen von hier nicht weiter zu hinterfragenden schenkungssteuerlichen Aspekten nach §  7 Abs.  1 und Abs.  8 ErbStG33 führt dies dazu, dass ertragsteuerlich von einer Einlage auszugehen ist, die 33 Siehe dazu BMF v. 14.3.2012, BStBl. I 2012, 331; s. auch BFH v. 9.12.2009 – II R 28/08, BFHE 228, 169, BStBl. II 2010, 566, GmbHR 2010, 727, FR 2010, 1003, DB 2010, 990, NotBZ 2010, 262 m. Anm. Vossius (zu disquotalen Einlagen eines Gesellschafters bei einer GmbH); BFH v. 20.1.2016 – II R 40/14, BFHE 252, 453, GmbHR 2016, 498 m. Anm. Rodewald/Mentzel, FR 2016, 679, DB 2016, 872 (zur verdeckten Einlage eines Gesellschaftsanteils zur Schenkungsteuer); s. auch FG Köln v. 16.2.2017 – 15 K 2664/11, juris; FG Baden-Württemberg v. 1.3.2017  – 7 V 2515/16, EFG 2017, 734 (verdeckte Einlagen in Personengesellschaft als

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nicht dem sie erbringenden persönlich haftenden Komplementär zuzurechnen ist, sondern der (Rest-)KGaA als dem (Ertrag)Steuersubjekt. Die Einzahlung des per­ sönlich haftenden Komplementärs ist insoweit dann als Einlage von der Betriebs­ vermögensmehrung des auf die KGaA entfallenden Anteils am Betriebsvermögen abzuziehen. Nur der danach noch verbleibende Teil stellt den steuerlich der KGaA zuzurechnenden Gewinn dar34. Bei dem die Einzahlung leistenden Komplementär wirkt sich nur der Teil seiner Einzahlung aus, der seinem Kapitalanteil zugutekommt. Nur dieser Teil ist als seine Einlage von der Betriebsvermögensmehrung des auf ihn entfallenden Anteils am Betriebsvermögen abzuziehen. Soweit die Einzahlung zugunsten des nicht dem Komplementär zukommenden Kapitalanteils der KGaA (mittelbar der Kommanditaktionäre) allerdings erfolgt, um bisher auf die KGaA entfallende stille Reserven abzugelten und zukünftig besser am Gesellschaftsgewinn zu partizipieren, handelt es sich um eine Zahlung, die im eigenen betrieblichen Interesse des Komplementärs zur eigenen Gewinnerzielung von ihm geleistet worden ist. Der Sache nach handelt es sich um Anschaffungsaufwendungen auf die Beteiligung als persönlich haftender Komplementär. Da die Beteiligung als solche nicht bei der KGaA selbst als Wirtschaftsgut für den persönlich haftenden Gesellschafter bilanziert werden kann und wird, müssen die Aufwendungen, soweit sie nicht dem eigenen Kapitalanteil in der Gesellschaftsbilanz zugutekamen (= den Anschaffungsaufwendungen für den bilanzierten Betriebsvermögensanteil), in einer Ergänzungsbilanz für den persönlich haftenden Gesellschafter als außerhalb der Gesellschaftsbilanz zu erfassende zusätzlich Anschaffungsaufwendungen für den ihm zuzurechnenden Anteil am Betriebsvermögen der KGaA und als Einlage erfasst werden. Dabei sind sie als zusätzliche Anschaffungsaufwendungen für den Anteil am Betriebsvermögen denjenigen Wirtschaftsgütern zuzuordnen, die die Einzahlung zugunsten des Kapitals der KGaA (respektive der Kommanditaktionäre) veranlasst haben. Soweit es sich dabei um abnutzbares Anlagevermögen handelt, ist die Ergänzungsbilanz unter Berücksichtigung von Abschreibungen auf diese Mehranschaffungsaufwendungen und ansonsten bei Abgang der Wirtschaftsgüter bis zur Beendigung der Gesellschafterstellung als Komplementär der KGaA fortzuführen. Die Ergebnisse aus der Fortführung der (positiven) Ergänzungsbilanz modifizieren den dem Komplementär nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 EStG zuzurechnenden Gewinnanteil am Gesellschaftsgewinn der KGaA und sind nach § 16 Abs. 1 Nr. 3 EStG bei Veräußerung des Anteils für die Errechnung des Veräußerungsgewinnes zu berücksichtigen. Schenkungen an die anderen Gesellschafter, nicht an die Personengesellschaft, da kein Erbschaftsteuersubjekt!, Transparenzprinzip bei ErbSt!) und ebenso FG Münster v. 12.1.2017 – 3 K 518/15 Erb (Rev II R/9/17), EFG 2017, 696 (Zuwendungen an Personengesellschaften als Schenkungen an deren Gesellschafter). 34 Siehe aber zum problematischen Nebeneinander von Erbschaft- und Körperschaftsteuer BFH v. 6.12.2016 – I R 50/16, BFHE 256, 122, BStBl. II 2017, 324, GmbHR 2017, 377 m. Anm. Binnewies, FR 2017, 531 m. Anm. Fischer, DB 2017, 285, FamRZ 2017, 579 (unentgeltliche Zuwendung durch Erbschaft an Pflegeheim GmbH als zu versteuernder Gewinn. Belastung mit KSt und ErbSt verfassungsgemäß!) mit Anm Crezelius, ZEV 2017, 172; s. auch schon BFH v. 14.3.2006 – VIII R 60/03, BFHE 212, 535, BStBl. II 2006, 650, FR 2006, 885, DB 2006, 1590, NJW 2006, 2943.

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d) Gewinn aus der Veräußerung eines Anteils am Anteil der KGaA am ­Betriebsvermögen Hinsichtlich des nicht auf ihn, sondern auf den der KGaA für die Kommanditaktionäre entfallenden (Rest)Anteils am Betriebsvermögen wird durch die Einlage des persönlich haftenden Gesellschafters der Anteil am Betriebsvermögen erhöht, der auf die KGaA als Steuersubjekt entfällt. Insoweit tritt mithin eine Mehrung des auf die KGaA entfallenden Anteils am Betriebsvermögen ein. Diese Mehrung beruht nicht auf einer Einlage der KGaA oder der Kommanditaktionäre. Nach den Regeln der steuerlichen Gewinnermittlung führt dies dann zu Gewinn. Denn es hat sich der Anteil am Betriebsvermögen der KGaA erhöht, der nicht auf den persönlich haftenden Gesellschafter entfällt, sondern auf die KGaA selbst als Steuersubjekt. Diese Erhöhung des Anteils am Betriebsvermögen beruht nicht auf einer Einlage der KGaA, respektive ihrer Kommanditaktionäre. Anders wäre freilich dann zu entscheiden, wenn davon auszugehen wäre, dass die Einlage von der KGaA selbst geleistet wurde, respektive zu ihren Gunsten im abgekürzten Zahlungswege von dem persönlich haftenden Gesellschafter. Dann und nur dann würden sich im Hinblick auf § 7 Abs. 8 und Abs. 7 ErbStG schenkungssteuerliche Fragen stellen, u.a. auch danach, wer denn der Beschenkte ist. Für die vom BFH entschiedene Konstellation konnte nach der Sachverhaltsschilderung wohl nicht von einer Schenkung ausgegangen werden. Danach wurde der dem Betriebsvermögensanteil KGaA (für die Kommanditaktionäre) zugutekommende Anteil der Einzahlung des persönlich haftenden Kommanditisten von diesem nicht geleistet, um aus freigebigen Motiven ohne Gegenleistung die KGaA (oder deren Kommanditaktionäre) zu bereichern. Vielmehr wurden der KGaA vom persönlich haftenden Gesellschafter bereits jetzt zukünftig anfallende Gewinnanteile aus der Auflösung stiller Reserven in bilanzierten oder nicht bilanzierten Wirtschaftsgütern vergütet, die nach den geänderten Beteiligungsverhältnissen zukünftig statt dem Gewinn(anteil) der KGaA dem Gewinnanteil des persönlich haftenden Gesellschafters zugutekommen werden. Kurz gesagt, die vom persönlich haftenden Gesellschafter geleistete Einlage erfolgt, soweit sie nicht seinem Kapitalanteil, sondern dem verbleibenden Kapitalanteil der KGaA zugutekommt, weil damit der KGaA stille Reserven abgekauft werden, die in dem Anteil des der KGaA steuerlich zuzurechnende Betriebsvermögensanteils (hoffentlich) vorhanden sind. Für die steuerliche Gewinnermittlung nach §§ 15 Abs. 1 Nr. 3, § 16 Abs. 1 Nr. 3, § 4, 5 EStG folgt daraus, dass die durch die Einlage des persönlich haftenden Gesellschafters bewirkte Mehrung des Betriebsvermögensanteils, der auf die KGaA entfällt und der sich in ihrem erhöhten Kapitalanteil (Anteil an der Kapitalrücklage) zeigt, bei dieser zu laufendem zu versteuernden Gewinn führt. Denn insoweit ist hinsichtlich des ihr zuzurechenden Anteils am Betriebsvermögen bereits eine Betriebsvermögensmehrung eingetreten, die nicht auf einer von ihr oder ihren Kommanditaktionären bewirkten Einlage beruht und auch nicht auf einer Schenkung an sie. Da und soweit der durch diese Zuführung erfolgte Zugang zu einer Mehrung der der KGaA als Steuersubjekt zuzurechnenden Mehrung ihres Anteils am Betriebsvermögen der KGaA nicht auf eine durch sie oder ihre Kommanditaktionäre geleisteten Einlage beruht, führt sie für die KGaA steuerlich zu einem (Veräußerungs)Gewinn. Veräußert wer398

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den zukünftige Gewinnchancen im zuzurechnenden Betriebsvermögensanteil mit einem Buchwert von 0 an den persönlich haftenden Gesellschafter gegen von diesem bewirkte Erhöhung des Anteils am Betriebsvermögen für die KGaA. Dieser Gewinn ist auch für die KGaA bereits realisiert. Denn die Erhöhung des Anteils am Betriebsvermögen ist mit der Erhöhung ihres Anteils am Betriebsvermögen durch die Einzahlung über ihren Anteil an der Kapitalrücklage bereits endgültig eingetreten. Folgt man der im Ergebnis zutreffenden Auffassung der Rechtsprechung, dass § 24 UmwStG jedenfalls auf den Eintritt eines persönlich haftenden Gesellschafters in eine KGaA keine Anwendung finden kann, kann dieser Gewinn auch nicht durch die Erstellung einer negativen Ergänzungsbilanz zunächst neutralisiert werden, sondern ist sofort zu erfassen. Dieser letztlich auf die Veräußerung von Gewinnchancen entfallende steuerliche Gewinn ist sicher kein Teil des handelsrechtlichen Jahresüberschusses bei einer KGaA. Denn er resultiert nicht aus Geschäften der KGaA mit anderen Geschäftspartnern, sondern aus einem Veräußerungsgeschäft der KGaA mit ihrem persönlich haftenden Gesellschafter hinsichtlich der zu künftig zu verteilenden Gewinnanteile. Ob daraus folgt, dass der Vorgang zivilrechtlich für die Gewinnermittlung überhaupt keine Rolle spielt, sondern sich eben nur zukünftig wegen der veränderten Gewinnverteilung auswirkt, scheint mir dennoch nicht vollständig gesichert. Aber das lässt sich wohl in einem Gespräch mit dem Jubilar klären. Unzweifelhaft ist auch zivilrechtlich der auf die KGaA entfallende Anteil am Gesellschaftsvermögen, der nicht auf den persönlich haftenden Gesellschafter entfällt, durch die Einzahlung des persönlich haftenden Gesellschafters, soweit sie dem auf die Kommanditaktionäre entfallenden Kapitalanteil der KGaA zugutekommt, dadurch bereits gemehrt und diese Mehrung beruht letztlich nicht auf einer Schenkung, sondern auf einer Realisierung durch Veräußerung von Gewinnchancen. Das sollte eigentlich auch das Zivilrecht – wenn auch außerhalb der handelsbilanziellen Ermittlung des Jahresüberschusses  – bereits als erfolgte Gewinnrealisierung für einen ggf. sogar ausschüttbaren Gewinn an die Kommanditaktionäre ansehen.

IV. Ergänzungsrechnungen für KGaA und persönlich haftenden ­Gesellschafter bei der Gewerbesteuer Für die Gewerbesteuer der KGaA bestimmt § 8 Abs. 4 GewStG, dass Gewinnanteile des Komplementärs für seine nicht auf das Grundkapital gemachte Einlagen, für Zwecke der Gewerbesteuer dem Gewinn der KGaA wieder hinzugerechnet werden, wenn sie bei der Ermittlung des Gewinns der KGaA abgesetzt worden sind. Das trifft für den nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 EStG dem Komplementär zugerechneten Gewinnanteil zu, weil und soweit dieser nach § 9 Nr. 1 KStG bei der KGaA gewinnmindernd als Betriebs­ ausgabe abgezogen wird35. Korrespondierend dazu bestimmt §  9 Abs.  2b GewStG, 35 Zur Hinzurechnung von (steuerpflichtigen) Sondervergütungen an den persönlichen haftenden Gesellschafter bei der KGaA zu deren Gewerbeertrag nach § 8 Abs. 4 und Kürzung

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dass beim persönlich haftenden Gesellschafter der Gewinn um den Gewinnanteil zu kürzen ist, der nach § 8 Abs. 4 GewStG bei der KGaA anzusetzen ist. Im Ergebnis unterliegt danach der nach § 15 Abs. 1 Nr. 3 EStG dem persönlich haftenden Gesellschafter zugerechnete Gewinnanteil am Gewinn der KGaA bei der KGaA der Gewerbesteuer und nicht bei dem persönlich haftenden Gesellschafter. Im Kern wird insoweit geregelt, dass – anders als für die Einkommen/Körperschaftsteuer – der von der KGaA erzielte Gewinn nur in den Gewerbeertrag der KGaA eingeht und gerade nicht teilweise dem Gewerbeertrag des persönlich haftenden Gesellschafters zugewiesen wird. Für die Gewerbesteuer ist der persönlich haftende Gesellschafter insoweit nicht das Zurechnungssubjekt. Für die Modifikationen, die sich aus (positiven und negativen) Ergänzungsbilanzen ergeben, ist strittig, ob sie beim Gewerbeertrag der KGaA über § 8 Abs. 4 und § 9 Nr. 2b GewStG zu berücksichtigen sind oder ob sie beim Gewerbeertrag des persönlich haftenden Gesellschafters in einem eigenen Gewerbebetrieb zu berücksichtigen sind36. In der Konsequenz von § 8 Abs. 4 und § 9 Nr. 2b GewStG und §§ 15 Abs. 1 Nr. 3 EStG liegt es freilich allein, dass die Berücksichtigung (nur) bei der KGaA zu erfolgen hat. Die Frage, ob und bei wem die sich aus Ergänzungsbilanzen bei der KGaA ergebenden Modifikationen des zuzurechnenden Gewinnanteils am Gewinn der KGaA für den Gewerbeertrag zu berücksichtigen sind, stellt sich freilich nicht, wenn und soweit solche Ergänzungsbilanzen bei der KGaA für den persönlich haftenden Gesellschafter und die KGaA ohnehin nicht in Betracht kommen. Das trifft bei einem Eintritt des persönlich haftenden Gesellschafters in die KGaA gegen Leistung einer Geldeinlage, die vollständig seinem (Sonder)Kapitalanteil an der KGaA zugutekommt, unstreitig zu. Eine Ergänzungsbilanz kommt dann unzweifelhaft nicht in Betracht. Folgt man dem I. Senat des BFH, soll allerdings eine Ergänzungsbilanz für den persönlich haftenden Gesellschafter auch dann nicht in Betracht kommen, wenn er bei Eintritt ein Aufgeld zahlt, dass den ihm gewährten (Kapital)Anteil am Betriebsvermögen übersteigt und dem Kapitalanteil zugutekommt, der für die Kommanditaktionäre auf die (Rest-)KGaA entfällt37. Unter Zugrundelegung dieser Auffassung stellt sich die Frage nach der Berücksichtigung des Ergebnisses von Ergänzungsbilanzen für den Gewerbetrag der KGaA ohnehin nicht. Freilich sollte dem I. Senat insoweit nicht gefolgt werden als dieser auch positive Ergänzungsbilanzen für den persönlich haftenden Gesellschafter bei Eintritt oder Kapitalerhöhung generell ausschließt. Denn soweit der persönlich haftende Gesellschafter für den Erwerb seines Anteils, respektive für die Erhöhung seines Anteils als persönbeim Gewerbeertrag in einem eigenen Betreib des persönlich haftenden Gesellschafters s. BFH v. 4.12.2012 – I R 42/11, GmbHR 2013, 384, Der Konzern 2013, 292, BFH/NV 2013, 589 m.w.N. Das soll freilich nicht gelten, wenn die KGaA von der GewSt befreit ist. 36 Siehe dazu Nachweise bei BFH v. 7.9.2016 – I R 57/14, BFHE 255, 427, GmbHR 2017, 247, DB 2017, 160, Der Konzern 2017, 109. 37 BFH v. 7.9.2016 – I R 57/14, BFHE 255, 427, GmbHR 2017, 247, DB 2017, 160, Der Konzern 2017, 109.

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Steuerliche Ergänzungsbilanzen für den persönlich haftenden Gesellschafter einer KGaA

lich haftender Gesellschafter eine seinen Kapitalanteil übersteigende Einlage leistet, die dem Kapitalanteil der KGaA, der auf die Kommanditaktionäre entfällt (Grund­ kapital, Anteil an Kapitalrücklage) zugutekommt, ist für den persönlich haftenden Gesellschafter zur Erfassung seiner zusätzlichen Aufwendungen eine (positive) Ergänzungsbilanz zu erstellen, die auch fortzuentwickeln ist, u.a. durch zusätzliche Abschreibungen auf die dort zu erfassenden zusätzlichen Anschaffungsaufwendungen für abnutzbare Wirtschaftsgüter des Anlagevermögens. Fraglich ist insoweit freilich, ob negative Ergebnisse aus einer einseitig nur für den persönlich haftenden Gesellschafter zu führenden positiven Ergänzungsbilanz den Gewerbeertrag der KGaA nach § 8 Nr. 4 GewStG mindern können. Das dürfte grundsätzlich wohl zu bejahen sein, auch wenn § 8 Nr. 4 GewStG von Hinzurechnungen zum Gewinn handelt. Aber es käme dann eben zu Hinzurechnungen negativer Ergebnisse aus positiven Ergänzungsbilanzen. Für den vom I. Senat entschiedenen Sachverhalt wäre freilich dann zu berücksichtigen gewesen, dass den negativen Ergebnissen aus der Fortentwicklung der positiven Ergänzungsbilanz ein positives Ergebnis für die KGaA aus der Veräußerung zukünftig entgehender Gewinnanteile aus der Aufdeckung stiller Reserven gegenübersteht. Anders als der laufende Gewinn aus vom I. Senat im Ergebnis zutreffend abgelehnter negativen Ergänzungsbilanz für die (Rest-)KGaA könnte der sich für die KGaA ergebende Gewinn aus der Erhöhung ihres Kapitalanteils durch das vom persönlichen Gesellschafter gezahlte Aufgeld zur Abgeltung stiller Reserven als Veräußerungsgewinn für die Veräußerung eines (Bruch)Teils am Anteil der (Rest-)KGaA am Betriebsvermögen der gesamten KGaA anzusehen sein. Veräußerungsgewinne aus der Veräußerung von Betrieben, Teilbetrieben und Mitunternehmeranteilen unterliegen  – unverständlicherweise  – zwar nicht der Gewerbesteuer. Das gilt seit dem 1.1.2002 nach § 7 Abs. 2 Satz 2 GewStG38 allerdings nicht mehr, soweit der Veräußerungsgewinn nicht auf eine natürliche Person entfällt. Im vom I. Senat entschiedenen Sachverhalt hätte daher der begehrten Minderung des Gewerbeertrages der KGaA durch zusätzliche Abschreibungen auf in einer Ergänzungsbilanz erfasste Anschaffungsaufwendungen des persönlich haftenden Gesellschafters entsprochen werden sollen. In Höhe eben dieser für ihre Abschreibungen zusätzlich geltend gemachten Anschaffungsaufwendungen wäre dann richtigerweise aber auch der auf die KGaA entfallende Veräußerungsgewinn bei ihrem Gewerbeertrag zu berücksichtigen gewesen. Denn diese ist zweifellos keine natürliche Person. Daher kann letztlich auch dahinstehen, ob der von ihr erzielte Gewinn denn steuerlich tatsächlich als ein Veräußerungsgewinn des Anteils eines Gesellschafters angesehen werden könnte oder nicht ohnehin schlicht nur laufender Gewinn im Sinne der Gewerbesteuer wäre. Mit der Entscheidung des I. Senates ist die Klägerin insoweit noch recht gut bedient worden.

38 Dazu Reiß in Kirchhof16, § 16 EStG Rz. 13 m.w.N. aus der Rechtsprechung.

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V. Fazit Die KGaA ist schon zivilrechtlich eine hybride Rechtsform. Die Rechtsstellung des persönlich haftenden Gesellschafters unterscheidet sich hinsichtlich des Verhältnisses zu der in der KGaA vereinten Gruppe der Kommanditaktionäre nicht von der Rechtsstellung des Komplementärs einer KG als Gesellschafter einer gesamthänderisch strukturierten Personengesellschaft. Insbesondere besteht kein relevanter zivilrechtlicher Unterschied im Hinblick auf die Rechtsträgerschaft für die Vermögensgegenstände des Gesellschaftsvermögens und dem Anteil der Gesellschafter an diesem ­Gesellschaftsvermögen. Ein solcher Anteil am Gesellschaftsvermögen besteht im Verhältnis der Gesellschafter zueinander bei der Personengesellschaft wie auch bei der KGaA im Verhältnis persönlich haftender Gesellschafter und Rest KGaA bezüglich des den Kommanditaktionären zukommenden Vermögensanteils am Gesellschaftsvermögen. Die steuerliche Behandlung der KGaA und ihrer Kommanditaktionäre einerseits und des persönlich haftenden Komplementärs der KGaA entspricht in vollem Umfange dieser schon zivilrechtlich hybriden Rechtsform. Der persönlich haftende Gesellschafter und die KGaA werden hinsichtlich des auf den persönlich haftenden Gesellschafter entfallenden Gewinnanteils und des auf ihn entfallenden Anteils am Gesellschaftsvermögen transparent wie der Gesellschafter einer Personengesellschaft besteuert. Die KGaA und ihre Kommanditaktionäre werden hinsichtlich des auf sie entfallenden Anteils am Gesellschaftsgewinn intransparent nach dem Trennungsprinzip besteuert, wie ansonsten eben Kapitalgesellschaften als juristische Personen und ihre Gesellschafter auch. Konsequenterweise sind in eben dem Umfange wie bei einer Personengesellschaft auch für den persönlich haftenden Gesellschafter steuerliche Ergänzungsbilanzen zu bilden und fortzuführen, wenn seine Aufwendungen, die er zur Erzielung seines Gewinnanteils im Rahmen seiner Beteiligung an der KGaA macht, in seinem Anteil am Gesellschaftsvermögen = seinem Kapitalanteil nicht erfasst werden können. Werden solche Aufwendungen dadurch getätigt, dass er das Gesellschaftsvermögen durch Geldeinlagen erhöht, die nicht seinem Kapitalanteil zugutekommen, sondern dem auf die Kommanditaktionäre entfallenden Kapitalanteil der KGaA, erzielt dadurch die KGaA eine Mehrung ihres Anteils am Betriebsvermögen und damit einen der Besteuerung unterliegenden Gewinn. Auch dies widerspricht in keiner Weise der zivilrechtlichen Ausgangslage, sondern wird im Gegenteil der hybriden zivilrechtlichen Struktur der KGaA gerecht. Warten wir ab, was der Zivil- und Steuerrechtler Crezelius zu dieser „Analyse“ bemerken wird.

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Vorweggenommene Erbfolge von Mitunternehmeranteilen aus schenkungsteuerlicher und ertragsteuerlicher Sicht Inhaltsübersicht

I. Einleitung

II. Schenkungsteuer bei der vorweg­ genommenen Erbfolge von Mitunternehmeranteilen (Matthias Söffing) 1. Betriebsaufspaltung a) Wesen der Betriebsaufspaltung b) Begünstigungsfähiges Vermögen i.S. des § 13b Abs. 1 ErbStG c) Begünstigtes Vermögen i.S. des § 13b Abs. 2 ErbStG d) Betriebskapitalgesellschaft e) Besitzpersonengesellschaft 2. Vorab-Abschlag nach § 13a Abs. 9 ErbStG a) Sinn und Zweck des Vorab-­ Abschlags b) Regelungsinhalt des Vorab-­ Abschlags c) Entnahmebeschränkung 3. Anwachsungserwerb

a) Anwachsungserwerb und Steuerverschonung b) Anwachsungserwerb und ­Verfügungsbeschränkung III. Ertragsteuern bei der vorweggenom­ menen Erbfolge von Mitunternehmer­ anteilen (Andreas Söffing) 1. Vorbemerkung 2. Die verschiedenen Übertragungswege von einzelnen Wirtschaftsgütern in das Gesamthandsvermögen der Mitunternehmerschaft 3. Übertragung eines einzelnen Wirtschaftsguts aus dem steuerlichen Betriebsvermögen eines Gesellschafters in das Gesamthandsvermögen der ­Mitunternehmerschaft 4. Übertragung eines Wirtschaftsguts aus dem steuerlichen Privatvermögen eines Gesellschafters in das Gesamthandsvermögen der Mitunternehmerschaft

I. Einleitung Ein mehr oder weniger typisches Rechtsgebilde des deutschen Steuerrechts ist die Beteiligung an einer sog. Mitunternehmerschaft, also der Mitunternehmeranteil. Auch wenn der steuerrechtliche Ursprung des Mitunternehmeranteils in § 15 EStG verortet ist, es sich mithin um einen ertragsteuerlichen Begriff handelt, so hat er doch auch Einzug in das Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht gehalten. Insbesondere im Hinblick auf die Steuerverschonung unternehmerischen Vermögens spielt der Mitunternehmeranteil eine nicht unerhebliche Rolle, da der Mitunternehmeranteil als inländisches Betriebsvermögen i.S.  des §  13b Abs.  1 Nr.  2 ErbStG begünstigungsfähiges Vermögen darstellt. Bei der Begriffsbestimmung des Mitunternehmeranteils besteht jedoch keine Wechselwirkung zwischen Ertragsteuerrecht einerseits und Erbschaftund Schenkungsteuerrecht andererseits. Vielmehr beantwortet sich die erbschaftund schenkungsteuerliche Frage, ob ein Erwerb eines Mitunternehmeranteils vorliegt, 403

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nach ertragsteuerlichen Grundsätzen. Man spricht insoweit auch von der Maßgeblichkeit des ertragsteuerlichen Betriebsvermögensbegriffs.1 Dies gilt zum einen hinsichtlich der Frage, ob der Gesellschafter überhaupt eine Mitunternehmerstellung (dem Grunde nach) innehat, als auch hinsichtlich der Frage, welchen Umfang sein Mitunternehmeranteil hat. Auch Georg Crezelius setzte sich des Öfteren mit dem Verhältnis verschiedener Rechtsgebiete auseinander, so bereits im Rahmen seiner 1979 veröffentlichten Dissertation, die den Titel trägt „Erbschaft- und Schenkungsteuer in zivilrechtlicher Sicht“, und vor noch nicht allzu langer Zeit mit einem Beitrag zur „Konkurrenz zwischen Einkommensteuer und Erbschaft- und Schenkungsteuer.“2 Es ist folglich naheliegend, die Übertragung eines Mitunternehmeranteils im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolgeplanung zum Gegenstand sowohl einer ertragsteuerlichen als auch einer schenkungsteuerlichen Betrachtung zu unterziehen. Dies gilt umso mehr, als die unentgeltliche Übertragung eines Mitunternehmeranteils nicht nur schenkungsteuerliche Konsequenzen nach sich zieht, sondern aufgrund der sog. Subjektsteuertheorie ebenso auch ertragsteuerliche Folgen hat. Das Subjektsteuerprinzip besagt, dass jedes Steuersubjekt das Ergebnis seiner einkunftserzielenden Tätigkeit selbst versteuern muss. Ein Gewinn soll als Teil des Einkommens von demjenigen versteuert werden, der ihn erwirtschaftet hat.3 Hierzu gehören auch die während der Tätigkeit entstandenen stillen Reserven. Aus dem Subjektsteuerprinzip folgt mithin, dass bei einer unentgeltlichen Übertragung eines Mitunternehmeranteils sämtliche stillen Reserven aufzudecken und vom Übertragenden zu versteuern sind. Dies gilt also prinzipiell auch dann, wenn sich die stillen Reserven nicht tatsächlich realisiert haben. Man kann sagen, dass das Subjektsteuerprinzip insoweit Vorrang vor dem Realisationsprinzip genießt. Würde man das Vorstehende konsequent weiterdenken, so würde die Schenkung eines Mitunternehmeranteils nicht nur zur Schenkungsteuer-, sondern auch zur Einkommensteuerbelastung, also zu einer steuerlichen Doppelbelastung, führen. Um dieser Doppelbelastung entgegenzuwirken sieht das EStG insbesondere in § 6 Abs. 3 EStG eine Buchwertverknüpfung vor. Ausgangspunkt der nachfolgenden Darlegungen ist mithin die ertragsteuerliche Definition des Mitunternehmeranteils, wonach ein Mitunternehmeranteil eines Gesellschafters sowohl den Anteil am Gesamthandsvermögen als auch das dem einzelnen Mitunternehmer zuzurechnende Sonderbetriebsvermögen umfasst.4 Wirtschaftsgüter, die vom Mitunternehmer gehalten werden, gehören zum Sonderbetriebsvermögen, wenn sie entweder dem Betrieb der Personengesellschaft (Sonderbetriebsvermögen I) oder der Begründung oder Stärkung der Beteiligung des Mitunternehmers an der Personengesellschaft dienen (Sonderbetriebsvermögen II).5 Abhängig davon, ob 1 Wachter in Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, §13b ErbStG Rz. 76; Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, § 13b ErbStG Rz. 61 ff. (Stand: November 2016). 2 Crezelius, ZEV 2015, 391. 3 Reiß in Kirchhof, 16. Aufl. 2017, § 16 EStG Rz. 7; Weber-Grellet in Schmidt, 36. Aufl. 2017, § 2 EStG Rz. 19. 4 BFH v. 12.4.2000 – XI R 35/99, BStBl. II 2001, 26, FR 2001, 29, GmbHR 2001, 38 m. Anm. Bickenbach. 5 R 4.2 (2) Satz 2 EStR.

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Wirtschaftsgüter diese Funktionen unmittelbar erfüllen oder nur dazu objektiv geeignet und subjektiv bestimmt sind, handelt es sich um notwendiges bzw. gewillkürtes Betriebsvermögen.6

II. Schenkungsteuer bei der vorweggenommenen Erbfolge von ­Mitunternehmeranteilen (Matthias Söffing) Von großer praktischer Bedeutung ist im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolgeplanung die Steuerverschonung nach den §§ 13a, 13b, 13c und 28a ErbStG, denn bei Vorliegen der Voraussetzungen kann eine Schenkungsteuerverschonung von 85 % bis zu 100 % erfolgen. Aus diesem Grunde sollen nachfolgend drei ausgewählte Problemfelder bezüglich Mitunternehmeranteilen im Rahmen der Steuerverschonungsregelungen vorgestellt und diskutiert werden. 1. Betriebsaufspaltung Das Rechtsinstitut der Betriebsaufspaltung ist zwar ertragsteuerlichen Ursprungs und vorrangig ein ertragsteuerliches Instrument, es hat aber auch Einzug in die unentgeltliche Nachfolgeplanung gehalten. Für die unentgeltliche Nachfolgeplanung stellt das Rechtsinstitut der Betriebsaufspaltung grundsätzlich kein Gestaltungsmittel dar. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall. Im Rahmen der Nachfolgeplanung ist darauf zu achten, dass eine bestehende Betriebsaufspaltung nicht zerstört wird, um eine Zwangsentnahme des Vermögens des Besitzunternehmens zu vermeiden, wobei stets daran zu denken ist, dass das Betriebsvermögen einer Besitzpersonengesellschaft neben den dem Betriebsunternehmen überlassenen wesentlichen Betriebsgrundlagen auch etwaige Anteile an der Betriebsgesellschaft umfasst. Wird die durch eine Betriebsaufspaltung bewirkte betriebliche Verhaftung zerstört, kommt es in aller Regel zu einer Zwangsentnahme und damit auch zu einer Aufdeckung der stillen Reserven. a) Wesen der Betriebsaufspaltung Das Wesen einer Betriebsaufspaltung besteht darin, dass das Besitzunternehmen wesentliche Betriebsgrundlagen an das Betriebsunternehmen zur Nutzung überlässt. Es stellt ein steuerrechtliches Konstrukt dar, das durch richterliche Rechtsfortbildung entstanden ist und auf die Rechtsprechung des RFH zurückgeht.7 Die Betriebsaufspaltung als solche ist eben ein Rechtsinstitut und keine Rechtsform und kann deshalb auch nicht als rechtliche Einheit übertragen werden. Will man im Rahmen einer vorweggenommenen Erbfolgeplanung eine Betriebsaufspaltung aufrechterhalten, so muss man unter Einhaltung der ertragsteuerlichen Voraussetzungen, also unter ­Beachtung der personellen und sachlichen Verflechtung, sowohl das Besitz- als auch das Betriebsunternehmen unentgeltlich übertragen. Beide Geschäftsvorfälle, also die 6 R 4.2 (2) Satz 3 EStR. 7 Söffing/Micker, Die Betriebsaufspaltung, 6. Aufl. 2016, Rz. 10 ff.

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Übertragung des Besitz- und des Betriebsunternehmens, müssen in erbschaft- und schenkungsteuerlicher Hinsicht isoliert betrachtet werden. Sowohl hinsichtlich des Besitz- als auch des Betriebsunternehmens ist stets darauf zu achten, dass  – wenn möglich  – die erbschaft- und schenkungsteuerlichen Verschonungsregelungen der §§ 13a, 13b, 13c und 28a ErbStG zur Anwendung gelangen. b) Begünstigungsfähiges Vermögen i.S. des § 13b Abs. 1 ErbStG Bei einer klassischen Betriebsaufspaltung8, wird also das Betriebsunternehmen in der Rechtsform einer Kapitalgesellschaft und das Besitzunternehmen in der Rechtsform einer Personengesellschaft geführt, zählt zweifelsfrei die Beteiligung an der Besitzpersonengesellschaft zum begünstigungsfähigen Vermögen i.S.  des §  13b Abs.  1 Nr.  2 ErbStG, da insoweit steuerlich ein Mitunternehmeranteil gegeben ist. Etwas anders stellt sich die Situation bei der Beteiligung an der Betriebskapitalgesellschaft dar. Nach der Regelung in § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG kann festgehalten werden, dass die Betriebskapitalgesellschaft im Verhältnis zu anderen operativen Kapitalgesellschaften keine Unterschiede aufweist. Es ergeben sich aus dem Rechtsinstitut der Betriebsaufspaltung heraus grundsätzlich keine Besonderheiten. Es liegt grundsätzlich nur dann begünstigungsfähiges Vermögen vor, wenn die Beteiligung in den Händen des Erblassers oder des Schenkers mehr als 25 % beträgt. Liegt die Beteiligungsquote jedoch bei 25 % oder darunter, ist vom Grundsatz her schon begünstigungsfähiges Vermögen zu negieren, es sei denn, es kommt die sog. Poolregelung i.S. des § 13b Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 ErbStG zur Anwendung,9 wonach unter bestimmten Voraussetzungen Anteile mehrerer Gesellschafter zwecks Ermittlung der Mindestbeteiligungsquote zusammengerechnet werden. c) Begünstigtes Vermögen i.S. des § 13b Abs. 2 ErbStG Die schenkungsteuerlichen Verschonungsregelungen der §§  13a, 13b, 13c und 28a ErbStG verschonen begünstigungsfähiges Vermögen jedoch nur insoweit, wie es begünstigtes Vermögen darstellt. Inwieweit es sich im Einzelfall tatsächlich auch um begünstigtes Vermögen i.S. des § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG handelt, lässt sich nur anhand des sog. Verwaltungsvermögenstest beantworten. Nach §  13b Abs.  2 Satz  1 ErbStG ist begünstigungsfähiges Vermögen nur dann begünstigt, wenn und soweit sein gemeiner Wert den um das unschädliche Verwaltungsvermögen gekürzten Nettowert des Verwaltungsvermögens übersteigt. Daraus ergibt sich folgendes Berechnungsschema: Wert des begünstigungsfähigen Vermögens – Nettowert des Verwaltungsvermögens = Wert des begünstigten Vermögens 8 Die klassische Betriebsaufspaltung soll auch im Fortgang der Abhandlung den Überlegungen und Ausführungen zugrunde gelegt werden. 9 Siehe hierzu Geck in Kapp/Ebeling, § 13b ErbStG Rz. 55 ff. (Stand: Januar 2017).

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Maßgebend für die Feststellung, ob begünstigtes Vermögen vorliegt, ist mithin die Prüfung des Umfangs des Verwaltungsvermögens. Was das Gesetz im Einzelnen als Verwaltungsvermögen qualifiziert, wird in § 13b Abs. 4 ErbStG in einem abschließenden Katalog aufgeführt, wobei einzelne Tatbestände auch wieder Rückausnahmen enthalten. d) Betriebskapitalgesellschaft Bildet die Beteiligung an der Betriebskapitalgesellschaft begünstigungsfähiges Vermögen, so ist in einem weiteren Schritt zu prüfen, ob auch begünstigtes Vermögen vorliegt, ob und wenn ja, in welchem Umfang steuerschädliches Verwaltungsvermögen gegeben ist. Diesbezüglich kann auf die allgemeinen Ausführungen verwiesen werden, die sich bei jeder operativ tätigen Gesellschaft im Hinblick auf das Verwaltungsvermögen ergeben. Es ergeben sich insoweit keine Besonderheiten aus dem Umstand, dass es sich um ein Betriebsunternehmen i.S.  einer Betriebsaufspaltung handelt. e) Besitzpersonengesellschaft Anders sieht es jedoch hinsichtlich der Besitzpersonengesellschaft aus. Ein Problemkreis ergibt sich daraus, dass nach § 13b Abs. 4 Nr. 1 ErbStG Dritten zur Nutzung überlassene Grundstücke dem Verwaltungsvermögen zuzurechnen sind. Dies führt zu einem Wertungswiderspruch zwischen Ertragsteuerrecht einerseits und Erbschaftund Schenkungsteuerrecht andererseits; denn nach dem Ertragsteuerrecht wird das der Betriebsgesellschaft zur Nutzung überlassene Grundstück gerade gewerblich qualifiziert. Um diese Friktionen zu vermeiden, sieht § 13b Abs. 4 Nr. 1 Buchst. a) ErbStG eine Rückausnahme vor. Mit dieser Rückausnahme wird eine sog. erbschaftsteuerliche Betriebsaufspaltung gesetzlich definiert. Bei Vorliegen der Voraussetzungen einer erbschaftsteuerlichen Betriebsaufspaltung entfällt die Qualifizierung des Dritten zur Nutzung überlassenen Grundbesitzes als Verwaltungsvermögen. Eine erbschaftsteuerliche Betriebsaufspaltung ist dann anzunehmen, wenn der Erblasser oder Schenker sowohl im überlassenden Betrieb als auch im nutzenden Betrieb allein oder zusammen mit anderen Gesellschaftern einen einheitlichen geschäftlichen Betätigungswillen durchsetzen konnte und diese Rechtsstellung auf den Erwerber übergegangen ist. Schließlich darf sodann keine Nutzungsüberlassung an einen weiteren Dritten erfolgen. Auf Einzelheiten der erbschaftsteuerlichen Betriebsaufspaltung soll nachfolgend jedoch nicht näher eingegangen werden, da es sich nicht um spezifische Fragen einer Mitunternehmerschaft oder eine Mitunternehmeranteils handelt. Etwas anderes gilt aber in Bezug auf ein anderes Problem im Rahmen der klassischen Betriebsaufspaltung, das sich im Hinblick auf die Beteiligung an der Besitzpersonengesellschaft daraus ergibt, dass die Anteile an der Betriebskapitalgesellschaft dem ertragsteuerlichen Sonderbetriebsvermögen zuzuordnen sind und somit zum begünstigungsfähigen Betriebsvermögen i.S. des § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG gehören. Sofern die Mindestbeteiligungsquote weder direkt noch durch eine Poolvereinbarung erreicht wird, handelt es sich isoliert betrachtet um Verwaltungsvermögen i.S. des § 13b Abs. 4 407

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Nr.  2 ErbStG. Andererseits verlangt jedoch das Ertragsteuerrecht eine einheitliche Betrachtung der Beteiligung am Gesamthandsvermögen und dem Sonderbetriebsvermögen. Die sich daraus ergebende Fragestellung bezüglich einer Steuerverschonung der Geschäftsanteile an der Betriebskapitalgesellschaft mag nachfolgendes Beispiel verdeutlichen: Beispiel: Vier gute Freunde A, B, C und D sind zu jeweils 25 % an der Betriebskapitalgesellschaft beteiligt. Eine Poolvereinbarung hinsichtlich einer einheitlichen Stimmrechtsausübung oder einer einheitlichen Anteilsverfügung gibt es nicht. Ferner sind sie zu jeweils 25 % an einer Besitzpersonengesellschaft beteiligt, die ein Grundstück an die Betriebskapitalgesellschaft zur Nutzung überlässt. A betreibt seine vorweggenommene Erbfolgeplanung und möchte deshalb seinen Anteil an der Betriebskapitalgesellschaft auf seinen Sohn, der bereits in dem operativen Unternehmen erfolgreich tätig ist, übertragen. Der Steuerberater des A rät ihm, in jedem Fall auch die Anteile an der Besitzpersonengesellschaft auf den Sohn zu übertragen, da ansonsten die Betriebsaufspaltung zerstört würde. A fragt sodann seinen Steuerberater, ob durch diese unentgeltliche Übertragung Schenkungsteuer ausgelöst wird.

Betrachtet man die Schenkung der Anteile an der Besitzpersonengesellschaft, so handelt es sich dann um begünstigungsfähiges Vermögen i.S.  des §  13b Abs.  1 Nr.  2 ErbStG, wenn es sich um einen Mitunternehmeranteil handelt. Da die Anteile an der Betriebskapitalgesellschaft bei A Sonderbetriebsvermögen darstellen, müssen diese zwingend mit auf den Begünstigten übertragen werden, um so eine Qualifizierung zum Mitunternehmeranteil und damit zugleich zum begünstigungsfähigen Betriebsvermögen i.S. des § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG zu erreichen. Fraglich ist nun aber, ob auch die übertragenen Geschäftsanteile an der Betriebskapitalgesellschaft zum begünstigungsfähigen Vermögen i.S. des § 13b Abs. 1 ErbStG zählen, denn wie oben10 ausgeführt, ist die Betriebsaufspaltung keine Rechtsform und die Übertragungen hinsichtlich der Beteiligungen an dem Besitz- und dem Betriebsunternehmen sind unabhängig voneinander zu betrachten. Im Beispielsfall übersteigen die Geschäftsanteile des A an der Betriebskapitalgesellschaft jedoch nicht die Mindestbeteiligungsquote von über 25 %. Damit kommt eine Einordnung als begünstigungsfähiges Vermögen i.S. von § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG nicht in Betracht. Dies führt zu der Situation, dass die Geschäftsanteile an der Betriebskapitalgesellschaft als Sonderbetriebsvermögen bei der Personenbesitzgesellschaft nach § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG begünstigungsfähiges Betriebsvermögen darstellt aber gleichzeitig nach §  13b Abs.  4 Nr.  2 ErbStG schädliches Verwaltungsvermögen ist. Dieses Ergebnis wird in der Literatur als nicht sachgerecht angesehen, da die Anteile an der Betriebskapitalgesellschaft Betriebsvermögen darstellen würden.11 Der BFH hat sich in dem Urteil vom 2.3.2011 zu dem im Revisionsfall geltenden § 13a Abs. 4 Nr. 3 ErbStG 1997, der vom Grundsatz her dem heutigen § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG entspricht, dahingehend geäußert, dass diese Vorschrift nur im Privatvermögen befindliche Anteile an Kapitalgesellschaften betrifft. Dem gegenüber vertritt die Finanzverwaltung eine andere Ansicht auch wenn sie sich noch nicht expressis verbis 10 Siehe unter B.I.1. 11 Gluth, ErbStB 2009, 89 (93); siehe auch in diese Richtung gehend Wehrheim/Rupp, DB 2008, 1455 (1456).

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hierzu geäußert hat. Den Erbschaftsteuerrichtlinien ist in diesem Zusammenhang zu entnehmen, dass, soweit zum Sonderbetriebsvermögen eines Gesellschafters der Personengesellschaft Anteile an einer Kapitalgesellschaft gehören und die unmittelbare Beteiligung am Nennkapital dieser Gesellschaft 25 % oder weniger beträgt, der Anteil auch dann dem Verwaltungsvermögen zuzurechnen ist, wenn die Summe aller zum Sonderbetriebsvermögen der Mitunternehmer gehörenden Anteile über 25 % liegt.12 In diese Richtung geht auch die Erbschaftsteuerrichtlinien13 wenn ausgeführt wird: „… zum Sonderbetriebsvermögen gehörende Anteile an einer Kapitalgesellschaft können selbständig begünstigungsfähiges Vermögen im Sinne des §  13b Absatz  1 Nummer  3 ErbStG sein.“ Der Äußerung der Finanzverwaltung in den Richtlinien kann aber schon recht deutlich entnommen werden, dass im Beispielsfall die Geschäftsanteile an der Betriebskapitalgesellschaft nicht zum begünstigungsfähigen Vermögen zu zählen sind. In dieselbe Richtung geht die Äußerung in den Richtlinien14 im Zusammenhang mit der Behaltensfrist. Gehören die Anteile an einer Kapitalgesellschaft zu einem begünstigt erworbenen Betriebsvermögen und werden sie veräußert, so soll nach den Richtlinien eine etwaige Steuerschädlichkeit, d.h. ein Verstoß gegen die Behaltensfrist, nach § 13a Abs. 6 Satz 1 Nr. 4 ErbStG zu beurteilen sein. Auch hier betrachtet die Finanzverwaltung die Anteile an einer Kapitalgesellschaft isoliert und nicht als ein dem Betriebsvermögen zuzuordnendes Wirtschaftsgut. Im Schrifttum wird eine Lösung darin gesehen, dass alle Anteile an der Betriebskapitalgesellschaft all derjenigen Gesellschafter, die das Tatbestandsmerkmal der personellen Verflechtung zu verantworten haben, zusammengerechnet werden.15 Man interpretiert letztlich in das Tatbestandsmerkmal der personellen Verflechtung eine Poolvereinbarung. Da die personelle Verflechtung stets dann gegeben ist, wenn in der Besitz- und der Betriebsgesellschaft eine Person oder eine Personengruppe einen einheitlichen Betätigungswillen durchsetzen kann, kann man davon ausgehen, dass bei Vorliegen einer personellen Verflechtung auch stets die Mindestbeteiligungsquote bei einer Zusammenrechnung erfüllt wird. Dieser Lösungsvorschlag kann jedoch unter rechtlichen Gesichtspunkten nicht überzeugen. Er findet in keiner Weise eine Stütze im Wortlaut des Gesetzes. Vielmehr kann ihm entgegengehalten werden, dass ein Zusammenrechnen einzelner Geschäftsanteile allein im Rahmen der Begünstigungsfähigkeit von Anteilen an Kapitalgesellschaften in § 13b Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 ErbStG im Rahmen einer sog. Poolvereinbarung vorgesehen ist. Etwas anderes könnte nur dann angenommen werden, wenn hinsichtlich der Anteile an der Betriebskapitalgesellschaft eine Poolung nach § 13b Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 ErbStG vorgenommen worden wäre und dadurch die 25%-Grenze überschritten wird. Die Lösung des Problems ist in dem Verhältnis des § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG zu § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG zu finden. Nach § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG zählen zum begünstigungsfähigen Vermögen u.a. auch Anteile an einer Gesellschaft i.S. des § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 3 EStG, also Mitunternehmeranteile. Einhellige Meinung ist, 12 R E 13b.15 Abs. 2 Satz 1 ErbStR; s. hierzu auch Braun, Ubg. 2009, 647, 648 r.Sp. unter (2). 13 R E 13b.5 Abs. 3 Satz 9 Halbs. 2 ErbStR. 14 R E 13a.9 Abs. 1 Satz 1 ErbStR. 15 Gluth, ErbStB 2009, 89 (93).

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dass ein Mitunternehmeranteil nicht nur aus dem gesamthänderischen Gesellschaftsanteil, sondern auch aus dem etwaig dazugehörenden Sonderbetriebsver­mögen besteht.16 Gesellschaftsanteil und Sonderbetriebsvermögen bilden zusammen einen Mitunternehmeranteil und stellen insoweit als Einheit begünstigungsfähiges Vermögen dar. Da im Fall einer klassischen Betriebsaufspaltung die Anteile an der Betriebskapitalgesellschaft Sonderbetriebsvermögen bei der Besitzpersonengesellschaft sind, würden sie von der Regelung des § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG erfasst werden. Betrachtet man hingegen die Anteile an der Betriebskapitalgesellschaft isoliert, so wären sie, sofern die weitergehenden Voraussetzungen erfüllt werden, begünstigungsfähiges Vermögen i.S. des § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG. Im Beispielsfall würde diese Einordnung aber fehlschlagen, weil die Mindestbeteiligungsquote des Schenkers von mehr als 25 % nicht erfüllt ist. Damit besteht ein Konkurrenzverhältnis zwischen § 13b Abs. 1 Nr. 2 und § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG, das es aufzulösen gilt. Vom Wortlaut her würde § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG zwar die Anteile an der Betriebskapitalgesellschaft erfassen. Leitbild dieser Vorschrift sind aber nicht betrieblich verhaftete Anteile an einer Kapitalgesellschaft, sondern Anteile an einer Kapitalgesellschaft, die im Privatvermögen gehalten werden.17 Anteile an Kapitalgesellschaften, die zum Betriebsvermögen (einschl. des Sonderbetriebsvermögens) gehören, sind nach § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG als Betriebsvermögen begünstigungsfähig und dies unabhängig von einer Mindestbeteiligungsquote von mehr als 25  %.18 Die betriebliche Verhaftung verdrängt mithin die Eigenständigkeit der gesellschaftsrechtlichen Beteiligung. Genau diese Betrachtung ist nunmehr auch der mit dem Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts19 in §  13b Abs.  9 ErbStG eingeführten Verbundvermögensaufstellung zu entnehmen. Dort wird bestimmt, dass wenn zum begünstigungsfähigen Vermögen i.S. des § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG (Betriebsvermögen) oder des § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG (Anteile an Kapitalgesellschaften von mehr als 25 %) unmittelbar oder mittelbar Beteiligungen an Personengesellschaften oder unmittelbar oder mittelbar Anteile an Kapitalgesellschaften gehören, für die Ermittlung des Verwaltungsvermögens anstelle der Beteiligungen die gemeinen Werte der diesen Gesellschaften zuzurechnenden Vermögensgegenstände einzubeziehen sind. Aus dieser Erkenntnis ergibt sich, dass § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG teleologisch dahin zu reduzieren ist, dass nur Anteile an Kapitalgesellschaften, die im Privatvermögen gehalten werden, gemeint sind. Dieses teleologisch reduzierte Verständnis ist im Rahmen der Steuerverschonungsvorschriften stets anzuwenden, so z.B. bei der Behaltensregelung in § 13a Abs. 6 Nr. 4 ErbStG20 oder in dem Katalog des Verwaltungsvermögens nach § 13b Abs. 4 Nr. 2 ErbStG. Denn es ist kein sachlicher Grund ersichtlich, dass Anteile an Kapitalgesellschaften i.S. des § 13b Abs. 1 Nr. 3 ErbStG an anderer Stelle der Steuerverschonungsvorschriften unterschiedlich auszulegen sind, dies ins16 Wacker in Schmidt, 36. Aufl. 2017, § 16 EStG Rz. 407. 17 Kirnberger in Wilms/Jochum, § 13b ErbStG Rz. 33 (Stand: Dezember 2013). 18 Wachter in Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 13b ErbStG Rz. 103. 19 Gesetz v. 4.11.2016, BGBl. I 2016, 2464. 20 Meincke, 16. Aufl. 2012, § 13a ErbStG Rz. 34.

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besondere deshalb, weil mancherorts sogar eine entsprechende gesetzliche Verweisung vorliegt.21 2. Vorab-Abschlag nach § 13a Abs. 9 ErbStG Eine besondere Aktualität weist der sog. Vorab-Abschlag nach § 13a Abs. 9 ErbStG auf, der durch das Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts22 Eingang in das Erbschaftsteuerrecht gefunden hat. a) Sinn und Zweck des Vorab-Abschlags Der Sinn und Zweck des Vorab-Abschlags ergibt sich aus der Entscheidung des ­BVerfG vom 17.12.2014. In diesem Urteil legte das BVerfG dar, dass unter dem Gesichtspunkt des Willkürverbots jede Ungleichbehandlung einer Rechtfertigung in Gestalt eines sachlichen Grundes bedarf, also einer legitimen Ziel- bzw. Zwecksetzung. Da einer Steuerverschonung stets eine Ungleichbehandlung immanent ist, denn es wird eine Personengruppe gegenüber einer anderen von einer Steuerbelastung verschont, bedarf jede Steuerverschonung einer legitimen Ziel- bzw. Zwecksetzung. Das BVerfG sieht eine sachliche Rechtfertigung der Privilegierungsnormen der §§ 13a, 13b ErbStG zum einen in dem Schutz des Erwerbs betrieblichen Vermögens vor Liquiditätsproblemen. Zum anderen sieht das BVerfG die Zielsetzung der Steuerverschonung auch in der aus dem Schutz vor Liquiditätsnachteilen resultierenden Sicherung von Arbeitsplätzen.23 Dieser Schutzgedanke soll insbesondere bei all den Unternehmen zum Tragen kommen, die durch einen besonderen personalen Bezug des Erblassers oder auch des Erben zum Unternehmen geprägt sind.24 Gemeint sind damit die sog. Familienunternehmen.25 Unter Berufung auf die in Deutschland vorherrschende Unternehmensstruktur in Gestalt des Mittelstandes gilt die vorstehend genannte Zwecksetzung für Unternehmen, die durch personale Führungsverantwortung geprägt werden und daher als Familienunternehmen bezeichnet werden können.26 Diese Unternehmensstruktur weist regelmäßig eine hohe Kapitalbindung und einen hohen Grad an gesellschaftsrechtlicher Bestandssicherung auf. In rechtlicher Hinsicht schlagen sich diese Umstände in einer Vielzahl von gesellschaftsvertraglichen Restriktionen nieder, die es einem Erben oder Begünstigten häufig verbieten, über den Gesellschaftsanteil oder die Beteiligung ohne Weiteres zu verfügen oder den rechnerischen Ausschüttungs- oder Gewinnbetrag zu vereinnahmen. Um diesen ge21 So in § 13a Abs. 6 Nr. 4 ErbStG. 22 Gesetz v. 4.11.2016, BGBl. I 2016, 2464. 23 BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BStBl. II 2015, 50, FR 2015, 160 m. Anm. Bareis, FamRZ 2015, 213, GmbHR 2015, 88 Rz. 133. 24 BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BStBl. II 2015, 50, FR 2015, 160 m. Anm. Bareis, FamRZ 2015, 213, GmbHR 2015, 88 Rz. 133. 25 BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BStBl. II 2015, 50, FR 2015, 160 m. Anm. Bareis, FamRZ 2015, 213, GmbHR 2015, 88 Rz. 133. 26 Vgl: BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BStBl. II 2015, 50, FR 2015, 160 m. Anm. Bareis, FamRZ 2015, 213, GmbHR 2015, 88 Rz. 138.

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sellschaftsrechtlichen Beschränkungen gerecht zu werden, schuf der Gesetzgeber den sog. Vorab-Abschlag.27 Auch wenn vom Grundsatz her eine derartige Regelung zu begrüßen ist, ist deren konkrete Ausgestaltung inakzeptabel und kann nur, mangels tatbestandlicher Erfüllbarkeit, als Alibiregelung bezeichnet werden, wie die nachfolgenden Ausführungen darlegen. b) Regelungsinhalt des Vorab-Abschlags Der Vorab-Abschlag ist in § 13a Abs. 9 verortet. Er wird gewährt, wenn der Gesellschaftsvertrag einer Personengesellschaft oder die Satzung einer Kapitalgesellschaft28 für Familienunternehmen typische Restriktionen enthält und darüber hinaus noch weitere Erfordernisse erfüllt werden. In den Genuss des Vorab-Abschlags können folglich nur Steuerpflichtige gelangen, die an einer Gesellschaft beteiligt sind. Mancherorts wird an dieser Regelung bereits Kritik grundsätzlicher Art geübt, weil der Vorab-Abschlag bei Einzelunternehmen mangels Gesellschaftsvertrag bzw. mangels Satzung nicht zum Tragen kommen kann und deshalb im Hinblick auf eine Gleichbehandlung verfassungsrechtliche Bedenken bestehen.29 Dieser Ansicht kann nicht beigetreten werden. Einzelunternehmen unterliegen gerade nicht tatsächlichen und rechtlichen Beschränkungen, die sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergeben. Diese Beschränkungen sind aber die sachliche Rechtfertigung für den Vorab-Abschlag. Deshalb ist es zutreffend, wenn der Gesetzgeber unterschiedliche Sachverhalte auch ungleich behandelt. Der im Schrifttum30 vorgeschlagene Weg, einen sog. Quasi-Gesellschaftsvertrag durch den Einzelunternehmer schriftlich formulieren zu lassen, scheint in rechtlicher Hinsicht angreifbar zu sein. Ein Gesellschaftsvertrag einer Personengesellschaft ist ein zwei- bzw. mehrseitiges Rechtsgeschäft31 und lässt keinen Raum für eine Einmann-Personengesellschaft. Wird ein Unternehmen in der Form eines Einzelunternehmens geführt und möchte der Einzelunternehmer in den Genuss des Vorab-Abschlags gelangen, so bleibt ihm letztlich nur der Weg über eine Umstrukturierung,32 also der Weg z.B. über eine Einmann-GmbH oder über eine Einmann-GmbH & Co. KG bei gleichzeitiger Ausgestaltung der Satzung oder des Gesellschaftsvertrags, die den Anforderungen des § 13a Abs. 9 Satz 1 ErbStG Genüge tut. Im Einzelnen stellt §  13a Abs.  9 ErbStG folgende Tatbestandsvoraussetzungen auf: (a)  Entnahmebeschränkung, (b)  Verfügungsbeschränkung, (c)  Beschränkung eines etwaigen Abfindungsguthabens, (d)  tatsächliche Durchführung und (e)  zeitliche Nachhaltigkeit.

27 S. hierzu Höreth/Stelzer, DStZ 2016, 901 unter IV.2.a); Steger/Königer, BB 2016, 3099; Holler, ErbR 2016, 686 unter I.2.b); Riedel, ZErb 2016, 371 unter III.2.; Weber, DStZ 2017, 13. 28 Da der Fokus dieser Abhandlung allein auf der Mitunternehmerschaft liegt, wird im Folgenden nicht weiter auf die Kapitalgesellschaft eingegangen. 29 So Thonemann-Micker, DB 2016, 2312 (2316 unter II.3.b) gg)). 30 Bäuml, NWB 2016, 3516 (3519). 31 Ulmer in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2017, § 705 BGB Rz. 155. 32 Steger/Königer, BB 2016, 3099 unter II.1. am Ende.

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c) Entnahmebeschränkung Die erste Voraussetzung für die Gewährung des Vorab-Abschlags ist die Entnahmebeschränkung. Sie ist eine hoch komplizierte und vom Gesetzeswortlaut her äußerst unklare Regelung. Gem. § 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 ErbStG muss der Gesellschaftsvertrag die Entnahme auf höchstens 37,5 % des um die auf den Gewinnanteil entfallenden Steuern vom Einkommen gekürzten Betrages des steuerrechtlichen Gewinns beschränken. Die Bemessungsgrundlage für den Entnahmehöchstbetrag von 37,5 % ergibt sich mithin aus der Differenz: Steuerrechtlicher Gewinn minus Kürzungsbetrag. aa) Steuerrechtlicher Gewinn Es stellt sich damit zunächst einmal die Frage, was unter dem Begriff „steuerrechtlicher Gewinn“ zu verstehen ist, da er als terminus technicus so nicht existent ist. Es spricht einiges dafür, dass es sich bei diesem Begriff um einen eigenständigen erbschaftsteuerlichen Begriff handelt, der in Abgrenzung zum handelsrechtlichen Gewinn zu sehen ist und lediglich den steuerlichen Gewinn in Bezug auf die Gesamthand meint.33 Ginge man davon aus, dass es sich nur um eine redaktionelle Ungenauigkeit des Gesetzgebers handeln würde, dann müsste man den steuerrechtlichen Gewinn als steuerlichen Gewinn verstehen. Dies aber würde zu ganz erheblichen, wenn nicht gar unüberwindbaren Problemen führen.34 Denn der steuerliche Gewinn eines Gesellschafters einer gewerblichen Personengesellschaft, also eines Mitunternehmers, setzt sich zusammen aus seinem Gewinnanteil am Ergebnis der Gesamthand und seinen Sondervergütungen.35 Typische Sondervergütungen sind z.B. Darlehenszinsen, die der Gesellschafter für die Gewährung von Kapital an die Gesellschaft erhält oder Mieten, die er für die Nutzungsüberlassung von Grundstücken oder anderen Wirtschaftsgütern von der Gesellschaft bekommt. Soweit der Mitunternehmer derartige Sondervergütungen erhält, liegt auf der Ebene der Gesellschaft sowohl handelsrechtlich als auch steuerrechtlich keine Entnahme, sondern vielmehr ein Aufwand vor.36 Eine Entnahme des Mitunternehmers erfolgt hingegen aber aus seinem Sonderbereich, falls die Sondervergütungen dort nicht verbleiben. Dies wäre dann der Fall, wenn die Darlehenszinsen, die Mieten oder das Gehalt an den Mitunternehmer ausgezahlt werden. Die Sondervergütungen würden nur dann nicht den Sonderbereich verlassen, wenn beispielsweise diese Vergütungen auf ein gesondertes bei der Gesellschaft geführtes Verrechnungskonto, oft auch als Privatkonto bezeichnet, verbucht würden. Dieses Verrechnungskonto würde dann wiederum aus Sicht der Gesellschaft Fremdkapital darstellen und wäre bei dem Mitunternehmer als Sonderbetriebsvermögen qualifizie33 Siehe auch Steger/Königer, BB 2016, 3099 unter II.3.b) bb) und cc); Weber, DStZ 2017, 13 unter II.1.a) und II.1.b) aa); a.A. Uhl-Ludäscher, ErbStB 2017, 42 (43 l.Sp). 34 Siehe ebenfalls Uhl-Ludäscher, ErbStB 2017, 42 (44 l.Sp). 35 S. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, Reiß in Kirchhof, 16. Aufl. 2017, § 15 EStG Rz. 238; s. auch Wacker in Schmidt, 36. Aufl. 2017, § 15 EStG Rz. 401. 36 Reiß in Kirchhof, 16. Aufl. 2017, § 15 EStG Rz. 229.

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ren mit der Folge, niemals den Sonderbereich verlassen zu haben. Würde man den Begriff „steuerrechtlicher Gewinn“ als nicht spezifisch erbschaftsteuerlich, sondern ertragsteuerlich verstehen, dann liegt das hieraus resultierende Problem auf der Hand. Wollte man den Begriff des „steuerrechtlichen Gewinn“ ertragsteuerlich interpretieren, würde dies zu gerade absurden Ergebnissen führen, wenn es sich nicht nur um einen laufenden Sondergewinn handelt, sondern, wenn es sich um einen Entnahmegewinn handelt, der durch eine (zwangsweise) Entnahme von Wirtschaftsgütern des Sonderbetriebsvermögens entsteht. Das nachfolgende Beispiel verdeutlicht, dass der Begriff des „steuerrechtlichen Gewinns“ nur im Sinne einer spezifisch erbschaftsteuerlichen Auslegung dahingehend verstanden werden kann, dass lediglich der Gewinn der Gesamthand ohne das Sonderbetriebsvermögen zu erfassen ist.37 Beispiel: Der Unternehmer F ist zu 10 % als Kommanditist an der Europa-Spedition-KG beteiligt. An diese Gesellschaft hat er ein 10.000  qm großes Grundstück als Parkplatz für die Speditions-Lkw vermietet. Auf Grund eines neuen Autobahnanschlusses verlagert die Europa-Spedition-KG ihren Standort und verlängert den mit F bestehenden Mietvertrag nicht. F beschließt, das Grundstück mit einem Mietwohnungs-Komplex zu bebauen. Auf Grund des Wegfalls der Eigenschaft als Sonderbetriebsvermögen wird das Grundstück zwangsweise entnommen und in das steuerliche Privatvermögen des F überführt. Der dadurch entstehende Entnahmegewinn ist ein steuerlicher Gewinn. Dieser steuerliche Gewinn wird zwangsweise entnommen und bedarf keiner weiteren Entnahmehandlung.

bb) Kürzungsbetrag Der 37,5%ige Entnahmehöchstbetrag bestimmt sich nach dem um die auf den Gewinnanteil entfallenden Steuern vom Einkommen gekürzten steuerrechtlichen Gewinn. Um den Kürzungsbetrag zu berechnen, sind folglich die auf den Gewinnanteil des Mitunternehmers entfallenden Steuern vom Einkommen zu ermitteln.38 Da der Gewinnanteil dem Mitunternehmer auf Grund der Transparenz der Personengesellschaft unmittelbar zugewiesen wird, ist er auf Gesellschafterebene nach dem jeweiligen individuellen Einkommensteuersatz des jeweiligen Mitunternehmers zu versteuern. Der Entnahmehöchstbetrag ermittelt sich mithin nach individuellen Kriterien eines jeden einzelnen Gesellschafters, obgleich § 13a Abs. 9 Satz 1 ErbStG auf die gesellschaftsvertraglichen Regelungen, also auf Regelungen, die für alle Gesellschafter gelten, abgestellt. Es bieten sich vom Grundsatz her zwei Lösungsansätze an,39 um diese sich hieraus ergebenden Schwierigkeiten zu lösen. Entweder regelt der Gesellschaftsvertrag für jeden einzelnen Gesellschafter seine Entnahme individuell oder aber der Gesellschaftsvertrag enthält eine für alle Gesellschafter geltende Entnahmebeschränkung, die alle nur denkbaren Steuersätze abdeckt.40 37 Siehe in diesem Zusammenhang insbesondere zum Entnahmebegriff Weber, DStZ 2017, 13 unter II.1.c). 38 Siehe auch Steger/Königer, BB 2016, 3099 unter II.3.b) dd); Weber, DStZ 2017, 13 unter II.1.b). 39 Siehe Riedel, ZErb 2016, 371 unter III.2.b). 40 So Viskorf/Löcherbach/Jehle, DStR 2016, 2425 (2430 unter 3.2.2)).

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Betrachtet man den erstgenannten Lösungsansatz, stellt man also für die Ermittlung des Entnahmehöchstbetrags allein auf den individuellen Steuersatz eines jeden Gesellschafters ab, liegt der Nachteil darin, dass der jeweilige Gesellschafter gezwungen ist, seinen individuellen Steuersatz zu berechnen. Wenn er diesen Steuersatz  – aus welchen Gründen auch immer – nicht gegenüber seiner Gesellschaft offenlegen will, dann könnte er keinerlei Entnahmen tätigen. Im Übrigen dürfte dieser Lösungsansatz, je nachdem wie viele Gesellschafter vorhanden sind, äußerst komplex in seiner Handhabung sein. Die bessere Lösung dürfte daher eine gesellschaftsvertragliche Entnahmebeschränkung sein, die alle denkbaren Steuersätze umfasst. In diesem Zusammenhang ist noch auf § 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 Halbs. 2 ErbStG hinzuweisen. Danach werden Entnahmen zur Begleichung der auf den Gewinnanteil entfallenden Steuern vom Einkommen von der Entnahmebeschränkung unberücksichtigt. Damit ist sichergestellt, dass jeder Gesellschafter einen bestimmten Betrag, der den Entnahmehöchstbetrag nicht überschreitet, entnehmen kann und darüber hinaus noch zusätzlich die entsprechend seiner individuellen Steuersituation anfallenden Steuern vom Einkommen. Der Nachteil dieser Regelung ist, dass alle Gesellschafter gleich behandelt werden, obgleich ein Gesellschafter, der einen niedrigen individuellen Steuersatz hat, mehr zu seiner freien Verfügung entnehmen könnte, als ein Gesellschafter mit einem höheren Steuersatz. Für die Gesellschaft bedeutet dies einen höheren Verlust an Liquidität. Beispiel: Die Speditions-GmbH  &  Co. KG erzielt im Jahr 2016 einen Gewinn im Gesamthandsbereich von 1.000 Euro. Der Kommanditist A ist mit 10 % beteiligt und hat einen individuellen Grenzsteuersatz von 45 % und unterliegt damit dem höchst denkbaren Steuersatz. Der Kommanditist B ist ebenfalls mit 10 % beteiligt, unterliegt jedoch nur einem Grenzsteuersatz von 25 %. Im Gesellschaftsvertrag ist folgende Entnahmeregelung enthalten: „Die Entnahme aus dem Gesamthandsbereich eines jeden Gesellschafters ist auf 37,5 % des um die auf diesen Gewinnanteil entfallenden Steuern vom Einkommen gekürzten Betrags beschränkt. Bei der Ermittlung der auf den Gewinnanteil entfallenden Steuern vom Einkommen ist der nach dem im jeweiligen Entnahmejahr höchstmögliche Steuersatz, der sich aus allen zu berücksichtigenden Steuern vom Einkommen ergibt, anzusetzen. Gewinnanteil aus Gesamthandsbereich

A B 100,000 €

100,000 €

./. Einkommensteuerspitzensatz 45 %

45,000 €

25,000 €

./. darauf entfallender SollZ von 5,5 %

2,475 €

1,375 €

Bemessungsgrdl. für Entnahmehöchstbetrag

52,525 €

73,625 €

Höchstbetrag von 37,5 %

19,690 €

27,600 €

3. Anwachsungserwerb In dem Gesellschaftsvertrag einer Personengesellschaft findet sich öfter die sog. Fortsetzungsklausel (§ 736 Abs. 1 BGB). Diese besagt, dass wenn ein Gesellschafter aus der Gesellschaft ausscheidet, die Gesellschaft unter den Altgesellschaftern fortgesetzt wird. Rechtstechnisch vollzieht sich die Fortsetzungsklausel dergestalt, dass in einer 415

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juristischen Sekunde vor dem Ausscheiden des Gesellschafters, regelmäßig vor seinem Ableben, sein Gesellschaftsanteil den Altgesellschaftern i.S. des § 738 BGB anwächst und der ausscheidende Gesellschafter, im Fall seines Ablebens sein(e) Erbe(n) einen Abfindungsanspruch erhalten. In aller Regel ist der Wert der Abfindung niedriger als der Beteiligungswert. Dadurch werden die Altgesellschafter letztlich bereichert. Diese Bereicherung wird der Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer gem. § 3 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 und 3 sowie § 7 Abs. 7 ErbStG unterworfen. Eine bislang noch nicht abschließend geklärte Frage in diesem Zusammenhang ist, ob die Steuerverschonungen nach § 13a ff. ErbStG auch auf diese Erwerbstatbestände anzuwenden sind. a) Anwachsungserwerb und Steuerverschonung Da nicht der gesamte Anwachsungserwerb der Erbschaftsteuer unterworfen wird, sondern nur der Wertbetrag, der in der Differenz zwischen dem Wert des Gesellschaftsanteils und der Höhe der Abfindung besteht, kann man die Auffassung vertreten, dass die Voraussetzungen des § 13a ErbStG nicht erfüllt seien. Denn erforderlich ist nach § 13a Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 13b Abs. 2 und Abs. 1 Nr. 2 ErbStG die Übertragung von Betriebsvermögen. Gem. § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG ist aber nur dann Betriebsvermögen gegeben, wenn es sich bei dem Übertragungsgegenstand um einen Gewerbebetrieb, einen Teilbetrieb, einen Mitunternehmeranteil oder einen Teil eines Mitunternehmeranteils handelt. Nicht erfasst wird die vorstehende beschriebene Wertdifferenz. Zu bedenken gilt jedoch, dass § 3 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2, § 7 Abs. 7 Satz 1 ErbStG dem Grunde nach ausdrücklich den Übergang eines Anteils oder eines Teils eines Anteils an einer Personengesellschaft der Besteuerung unterwirft. Lediglich der Höhe nach wird dieser Erwerb eines Mitunternehmeranteils oder Teils eines Mitunternehmeranteils auf den Wertbetrag, der in der Differenz zwischen dem Wert des Gesellschaftsanteils und der Höhe der Abfindung besteht, begrenzt. Fraglich ist jedoch, ob im Rahmen einer Anwachsung überhaupt ein Erwerb eines Mitunternehmeranteils rechtlich möglich ist. Die Folge einer Anwachsung ist der Wegfall der Gesellschafterstellung des Ausgeschiedenen und der Wegfall der damit im Zusammenhang stehenden Gesellschafterrechte und -pflichten.41 §  738 Abs.  1 Satz  1 BGB bestimmt lediglich, dass, wenn ein Gesellschafter aus der Gesellschaft ausscheidet, sein Anteil am Gesellschaftsvermögen den übrigen Gesellschaftern anwächst. Die Anwachsung ist mithin keine Verfügung über einen Gesellschaftsanteil, sondern reiner „Rechtsreflex“. Sie kann daher nicht in den Genuss einer Steuerverschonung nach § 13a ErbStG gelangen, da die Anwachsung kein begünstigungsfähiges Vermögen i.S. des § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG darstellt.42 Gegen die Gewährung der Steuerverschonungsregeln auf den Anwachsungserwerb spricht auch die Rechtsprechung des BFH bzgl. des schenkweisen Erwerbs eines Personengesellschaftsanteils. Der BFH verlangt nicht nur die Erlangung der Gesellschafterstellung, sondern darü41 Ulmer in MünchKomm/BGB, 6. Aufl. 2013, § 738 BGB Rz. 6 f. 42 A.A. R.E 13b 1 Abs. 1 Satz 4 Nr. 3 ErbStR 2011 sowie R E 13b 2 Abs. 1 Satz 2 Nr. 7 ErbStR 2011; Fischer in Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 3 ErbStG Rz. 163 und 432; Geck in Kapp/Ebeling, § 3 ErbStG Rz. 239 (Stand: Mai 2012).

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ber hinaus auch die Mitunternehmerstellung, die der unentgeltlich übertragene Gesellschaftsanteil unmittelbar vermitteln muss.43 Wenn jedoch bei einer Anwachsung der eigentliche Gesellschaftsanteil untergeht und lediglich die vermögensmäßige Beteiligung auf die verbliebenen Gesellschafter übergeht, ist kein Vehikel vorhanden, dass die Mitunternehmerstellung auf die erwerbenden Altgesellschafter transferieren kann. Für die Anwendung des § 13a ErbStG auf den Anwachsungserwerb spricht zwar der Umstand, dass die Steuerverschonungsnormen auf alle Erwerbe von Todes wegen Anwendung finden sollen44 und damit auch auf § 3 Abs. 1 Nr. 2 Sätze 2 und 3 anzuwenden sind. Unter Berufung auf diese Gesetzesmaterialien wird im Schrifttum45 die Ansicht vertreten, dass wegen des Klarstellungscharakters keine ausdrückliche gesetzliche Regelung erforderlich sei, um die Unternehmensvermögensbegünstigung zu gewähren. Da jedoch eine Anwendung des § 13a ErbStG auf den Anwachsungserwerb nach der Rechtstheorie nicht möglich ist, bedarf es einer ausdrücklichen, klaren gesetzlichen Anordnung, die jedoch nicht vorhanden ist. b) Anwachsungserwerb und Verfügungsbeschränkung Im Hinblick auf einen Anwachsungserwerb könnte sich beim ersten Hinsehen ein Problem im Rahmen des Vorab-Abschlags ergeben. Denn eine weitere Voraussetzung des Vorab-Abschlags ist gem. § 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 ErbStG, dass im Gesellschaftsvertrag die Verfügung über die Beteiligung an der Personengesellschaft auf Mitgesellschafter, auf Angehörige i.S.  des §  15 AO oder auf eine Familienstiftung i.S.  des § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG beschränkt ist. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass wenn eine Verfügung an andere als vorstehend genannte Personen nach dem Gesellschaftsvertrag zulässig ist, ein Verstoß gegen die Verfügungsbeschränkung vorliegen würde und der Vorab-Abschlag nicht angewandt werden könnte. Beinhaltet nun der Gesellschaftsvertrag der Personengesellschaft eine Fortsetzungsklausel, so liegt beim Ausscheiden eines Gesellschafters eine Anwachsung i.S. des § 738 BGB vor. Die Folge einer Anwachsung ist der Wegfall der Gesellschafterstellung des Ausgeschiedenen und der Wegfall der damit im Zusammenhang stehenden Gesellschafterrechte und -pflichten.46 Dies bedeutet, dass kein Rechtssubstrat vorhanden ist, das auf die Altgesellschafter übergehen könnte. § 738 Abs. 1 Satz 1 BGB bestimmt lediglich, dass, wenn ein Gesellschafter aus der Gesellschaft ausscheidet, sein Anteil am Gesellschaftsvermögen den übrigen Gesellschaftern anwächst. Die Anwachsung ist mithin keine Verfügung über einen Gesellschaftsanteil. Sie kann daher nicht mit der von § 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 ErbStG geforderten Verfügungsbeschränkung kollidieren. Im Übrigen würde es sich anderenfalls auch um eine Verfügung an einen Mitgesellschafter handeln. Eine derartige Verfügung ist aber ausdrücklich von der Steuerschädlichkeit ausgenommen. Andererseits ist aber bei einem Anwachsungserwerb überhaupt 43 BFH v. 10.12.2008, BStBl. II 2009, 312, FR 2009, 677, FamRZ 2009, 696, GmbHR 2009, 386, NotBZ 2009, 146. 44 So Fischer in Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 3 ErbStG Rz. 163. 45 So Crezelius, ZEV 2009, 1, 5 unter 5.2. 46 Ulmer in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2017, § 738 BGB Rz. 6 f.

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kein Erwerb begünstigungsfähigen Vermögens i.S. des § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG gegeben, da eben nur eine reine Vermögensposition und nicht eine Beteiligung an einer Mitunternehmerschaft übertragen wird.47

III. Ertragsteuern bei der vorweggenommenen Erbfolge von Mitunternehmeranteilen (Andreas Söffing) 1. Vorbemerkung Ertragsteuerliche Aspekte spielen in der Beratungspraxis bei der unentgeltlichen Übertragung von Mitunternehmeranteilen eine zentrale Rolle. Hierbei geht es insbesondere darum, die Aufdeckung und Versteuerung von stillen Reserven zu vermeiden48 sowie die Mitunternehmerstellung des Beschenkten sicher zu stellen, da diese für die schenkungsteuerliche Behandlung der Übertragung von zentraler Bedeutung ist49. Weniger Beachtung haben bisher ertragsteuerliche Aspekte von Umstrukturierungen gefunden, die in der Beratungspraxis der unentgeltlichen Übertragung von Mitunternehmeranteilen unmittelbar vorgelagert sind. Diese betreffen sehr häufig die Einlage einzelner Wirtschaftsgüter in das gesamthänderisch gebundene Betriebsvermögen der Mitunternehmerschaft. Beispiel: Der Großaktionär X möchte sein Aktienpaket (40 % an einer börsennotierten AG) im Wege der vorweggenommene Erbfolge sukzessive auf seine beiden Töchter übertragen. Diese Übertragung ist weitgehend erbschaft- und schenkungsteuerlich motiviert. Andererseits möchte er die Stimmrechte an den Aktien sowie die Dividenden auch nach der Übertragung weitgehend in seinem Kompetenzbereich wissen. Ferner sollen die Töchter nicht frei über die Aktien verfügen können. Aus diesem Grunde legt der X sein Aktienpaket in eine gewerblich geprägte Kommanditgesellschaft ein, um anschließend die Anteile der KG sukzessive auf seine Töchter im Wege der vorweggenommenen Erbfolge übertragen zu können. Durch entsprechende Regelungen im Gesellschaftsvertrag der KG werden die Entscheidungskompetenzen sowie die Ertragskompetenzen der Töchter weitgehend eingeschränkt. Beispiel: Der Vater ist seit vielen Jahren Eigentümer von fremdvermieteten Wohnungen, die sich teils in seinem steuerlichen Betriebsvermögen und teils im steuerlichen Privatvermögen befinden. Aus erbschaft- und schenkungsteuerlichen Gründen möchte er ein Wohnungsunter47 A.A. noch M. Söffing in Wilms/Jochum, § 13a ErbStG Rz. 23 (Stand: August 2013). 48 Die Möglichkeiten zur Aufdeckung von stillen Reserven i.V.m. der unentgeltlichen Übertragung von Mitunternehmeranteilen sind vielfältig. So muss z.B. sichergestellt sein, dass es durch die unentgeltliche Übertragung des Mitunternehmeranteils nicht zur Entnahme von Sonderbetriebsvermögen kommt. Ferner muss es sich um einen vollständig unentgeltlichen Vorgang handeln, da nur für diesen gem. § 6 Abs. 3 EStG die Buchwertfortführung möglich ist. 49 Die Mitunternehmerstellung des Beschenkten kann schnell gefährdet sein, wenn er durch die gesellschaftsvertraglichen Regelungen oder durch den Schenkungsvertrag keine ausreichende Mitunternehmerinitiative oder kein ausreichendes Mitunternehmerrisiko erhält. Vgl. z.B. BFH v. 6.5.2015 – II R 34/13, BStBl. II 2015, 821, GmbHR 2015, 1001 m. Anm. Wachter, FR 2016, 146.

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Vorweggenommene Erbfolge von Mitunternehmeranteilen nehmen i.S.d. § 13b Abs. 4 Nr. 1 Buchst. d ErbStG in der Rechtsform einer GmbH & Co. KG gründen, um anschließend die Kommanditanteile im Wege der vorweggenommenen Erbfolge schenkungsteuerlich begünstigt auf seine Kinder übertragen zu können. Vor der unentgeltlichen Übertragung der Mitunternehmeranteile müssen die Wohnungen in das gesamthänderisch gebundene Betriebsvermögen der GmbH & Co. KG übertragen werden. Beispiel: X ist zu  30 % Gesellschafter einer Familien-GmbH. Er möchte gerne den Gesellschaftsvertrag der GmbH so ändern, dass die Voraussetzungen des § 13a Abs. 9 ErbStG zur Nutzung des neuen Familienabschlags erfüllt sind. Leider kann er seine Mitgesellschafter nicht von der erforderlichen Änderung des Gesellschaftsvertrages überzeugen. X entschließt sich daher, seine Beteiligung in das Gesamthandsvermögen einer neuen gewerblich geprägten GmbH & Co. KG einzulegen, so dass im Gesellschaftsvertrag der GmbH & Co. KG die Voraussetzungen des Familienabschlags erfüllt werden können50.

2. Die verschiedenen Übertragungswege von einzelnen Wirtschaftsgütern in das Gesamthandsvermögen der Mitunternehmerschaft Die Übertragung von einzelnen Wirtschaftsgütern aus dem Alleineigentum eines Gesellschafters in das gewerbliche Gesamthandsvermögen einer Personengesellschaft kann entgeltlich oder unentgeltlich ausgestaltet werden. Das einzelne Wirtschaftsgut kann entgeltlich gegen Kaufpreiszahlung an die Personengesellschaft veräußert werden. Dies führt zwingend zu einem steuerlichen Realisationsvorgang und erfordert eine entsprechende Liquidität zur Finanzierung des Kaufpreises. Ein entgeltlicher Vorgang liegt auch vor, wenn der Veräußerungspreis nicht sofort von der Personengesellschaft beglichen wird, sondern sich das Darlehenskonto des veräußernden Gesellschafters bei der Personengesellschaft entsprechend erhöht. Die Buchung auf dem Darlehenskonto ist somit im Ergebnis eine Kaufpreisstundung. Eine entgeltliche Übertragung liegt ferner vor, wenn die Übertragung des Wirtschaftsgutes gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten erfolgt. Der übertragende Gesellschafter erhält in diesem Fall als Gegenleistung für das Wirtschaftsgut eine höhere Beteiligungsquote. Da i.d.R. die Höhe der Beteiligung durch den Umfang des Kapitalkontos I eines Gesellschafters dargestellt wird, erfolgt bei einer Übertragung des Wirtschaftsguts gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten die Gegenbuchung auf dem Kapitalkonto I des übertragenden Gesellschafters51. 50 Die tatsächliche Praxisrelevanz des neuen Familienabschlags wird sich noch zeigen müssen. Aufgrund der strengen Anwendungsvoraussetzungen könnte sich die Bedeutung des Abschlags in vielen Fällen auf eine Möglichkeit zur zinslosen Steuerstundung beschränken. 51 Eine in vollem Umfang entgeltliche Übertragung wird auch angenommen, wenn der Wert des eingebrachten Wirtschaftsgutes nicht ausschließlich dem Kapitalkonto I, sondern zum Teil auch einem anderen Kapitalkonto (z.B. Kapitalkonto II oder gesamthänderisch gebundene Rücklage) gutgeschrieben wird (gemischte Einlage). Vgl. hierzu BFH v. 24.1.2008 – IV R 37/06, BStBl. II 2011, 617, GmbHR 2008, 548 m. Anm. Hoffmann, FR 2008, 912 m. Anm. Wendt; v. 17.7.2008 – I R 77/06, BStBl. II 2009, 464, FR 2008, 1149, GmbHR 2009, 48 m. Anm. Meilicke; zweifelnd wohl BFH v. 29.7.2015 – IV R 15/14, BStBl. II 2016, 593, GmbHR 2016, 228 m. Anm. Levedag, FR 2016, 513.

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Matthias Söffing / Andreas Söffing

Die Übertragung des einzelnen Wirtschaftsgutes kann aber auch vollständig unentgeltlich erfolgen. Die wichtigste Möglichkeit zur Umsetzung dieser Unentgeltlichkeit war in der Vergangenheit die Gegenbuchung der Einlage des Wirtschaftsgutes auf dem gesamthänderisch gebundenen Rücklagenkonto. Das gesamthänderisch gebundene Rücklagenkonto ist dadurch gekennzeichnet, dass es sämtlichen Gesellschaftern entsprechend der jeweiligen Beteiligungsquote gemeinsam zusteht. Nach dem BFH-Urteil vom 29.7.201652 kann nun eine unentgeltliche Übertragung eines einzelnen Wirtschaftsgutes auch dadurch erfolgen, dass die Gegenbuchung für das eingelegte Wirtschaftsgut auf dem Kapitalkonto II des einlegenden Gesellschafters erfolgt. Im Gegensatz zu der gesamthänderische gebundenen Rücklage ist das Kapitalkonto II dadurch gekennzeichnet, dass es nicht sämtlichen Gesellschaftern, sondern nur dem einzelnen Gesellschafter zusteht. Welcher dieser Wege gewählt wird, ist insbesondere von den steuerlichen Konsequenzen auf der Ebene des übertragenden Gesellschafters sowie auf der Ebene der übernehmenden Personengesellschaft abhängig. Die steuerlichen Konsequenzen des Übertragungsvorgangs sind wiederum davon abhängig, ob sich das einzelne Wirtschaftsgut bei dem abgebenden Gesellschafter im steuerlichen Privatvermögen oder im steuerlichen Betriebsvermögen befindet. 3. Übertragung eines einzelnen Wirtschaftsguts aus dem steuerlichen ­Betriebsvermögen eines Gesellschafters in das Gesamthandsvermögen der Mitunternehmerschaft Befindet sich das einzelne Wirtschaftsgut vor der Übertragung in einem steuerlichen Betriebsvermögen des Gesellschafters, so besteht die steuerliche Zielrichtung i.d.R. darin, die Übertragung des Wirtschaftsgutes erfolgsneutral darstellen zu können. Die Aufdeckung und Versteuerung von stillen Reserven kann in diesem Fall mit Hilfe des § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG vermieden werden, der in den folgenden Fällen zwingend eine Buchwertübertragung vorschreibt: „Satz 1 gilt entsprechend, soweit ein Wirtschaftsgut 1. unentgeltlich oder gegen Gewährung oder Minderung von Gesellschaftsrechten aus einem Betriebsvermögen des Mitunternehmers in das Gesamthandsvermögen einer Mitunternehmerschaft und umgekehrt, 2. unentgeltlich oder gegen Gewährung oder Minderung von Gesellschaftsrechten aus dem Sonderbetriebsvermögen eines Mitunternehmers in das Gesamthandsvermögen derselben Mitunternehmerschaft oder einer anderen Mitunternehmerschaft, an der er beteiligt ist, und umgekehrt […] übertragen wird.“ 52 Vgl. BFH v. 29.7.2015 – IV R 15/14, BStBl. II 2016, 593, GmbHR 2016, 228 m. Anm. Leve­ dag, FR 2016, 513 sowie BMF v. 26.7.2016, BStBl. I 2016, 684.

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Vorweggenommene Erbfolge von Mitunternehmeranteilen

Insoweit bietet diese Vorschrift drei verschiedene Möglichkeiten, um das Wirtschaftsgut erfolgsneutral aus dem Betriebsvermögen des Gesellschafters in das Gesamthandsvermögen der Personengesellschaft zu übertragen: (1.) Die Einlage wird der gesamthänderisch gebundenen Rücklage gutgeschrieben, (2.) die Einlage des Wirtschaftsgutes erfolgt gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten, (3.) die Einlage wird auf dem Kapitalkonto II des einlegenden Gesellschafters gutgeschrieben. Beispiel: An der gewerblichen XY KG sind X und Y jeweils mit 50 % beteiligt. Jeder hat eine Bareinlage von 50 erbracht, so dass beide ein Kapitalkonto I von 50 haben. Ausgangssitutation XY-KG Bank 100

KapKtn. I X 50 KapKtn. I Y 50

X hält in seinem Sonderbetriebsvermögen ein Gebäude auf fremden Grund und Boden. Der Buchwert beträgt 600 und der Teilwert 2.000. Der Wert des Gebäudes beträgt 20 % des Unternehmenswertes der KG nach Einlage des Gebäudes. Das Gebäude soll ohne Aufdeckung von stillen Reserven gem. § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 EStG aus dem Sonderbetriebsvermögen in das Gesamthandsvermögen der KG übertragen werden. Alternative 1: Einlage gegen Buchung auf der gesamthänderisch gebundenen Rücklage Bei der Buchung der Einlage auf der gesamthänderisch gebundenen Rücklage handelt es sich mangels unmittelbarer Gegenleistung um einen unentgeltlichen Vorgang. Die gesamthänderisch gebundene Rücklage ist dadurch gekennzeichnet, dass jeder Gesellschafter entsprechend seiner Beteiligungsquote an der Rücklage beteiligt ist, so dass es für jeden Gesellschafter zu einer entsprechenden Werterhöhung in seinem Mitunternehmeranteil kommt. Einbuchung des Gebäudes: XY-KG 01 Bank 100

KapKtn. I X 50

Gebäude 600

KapKtn. I Y 50 Gesamth. RL 600

Das Gebäude wird nach der Einlage in der Gesamthandsbilanz der KG mit dem Buchwert angesetzt. Die Aufstellung von Ergänzungsbilanzen ist in diesem Fall nicht erforderlich53. 53 Gem. § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG ist beachtlich, dass bei einer Veräußerung des Wirtschaftsgutes innerhalb einer Sperrfrist (3 Jahre ab Abgabe der Steuererklärung) rückwirkend der Teilwert angesetzt werden muss. Diese nachträgliche Aufstockung kann dadurch verhindert werden, dass die stillen Reserven durch Erstellung einer Ergänzungsbilanz dem übertragenden Gesellschafter zugeordnet werden.

421

Matthias Söffing / Andreas Söffing Laufende Abschreibung des Gebäudes: XY-KG 02 Bank 100

KapKtn. I X 50

Gebäude 600 – 12 588

KapKtn. I Y 50 Gesamth. RL 600 KapKtn. II X – 6 KapKtn. II Y – 6

Situation nach Vollabschreibung des Gebäudes: XY-KG Bank 100

KapKtn. I X 50

Gebäude 0

KapKtn. I Y 50 Gesamth. RL 600 KapKtn. II X – 300 KapKtn. II Y – 300

Verkauf des Gebäudes für 2.000: XY-KG Bank 100

KapKtn. I X 50

Kasse 2.000

KapKtn. I Y 50 Gesamth. RL 600 KapKtn. II X 700 KapKtn. II Y 700

An der jährlichen Abschreibung des Gebäudes von 2 % nimmt jeder Gesellschafter entsprechend seiner Beteiligungsquote teil. An einem gedachten Veräußerungsgewinn sowie einer Entnahme der Kasse würde jeder Gesellschafter entsprechend seiner Beteiligungsquote mit 50 % = 1.000 partizipieren. Käme es zu einer Veräußerung des Gebäudes nicht für 2.000, sondern für 2.500, so wäre der die 2.000 übersteigende Betrag (Teilwert im Einlagezeitpunkt) entsprechend dem allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel 50:50 zu verteilen. Die Buchung der Einlage auf der gesamthänderisch gebundenen Rücklage hat zur Folge, dass es im Einlagezeitpunkt zu einer Werterhöhung des Anteils des Mitgesellschafters Y kommt. Dies hat wiederum zur Folge, dass es sich um einen schenkungsteuerbaren Vorgang gem. § 7 Abs.  1 Nr.  1 ErbStG handelt54. Diese durch die Einlage ausgelöste Schenkungsteuerbarkeit kann vermieden werden, wenn die Einlage nicht auf die gesamthänderisch gebundene Rückla-

54 Vgl. hierzu auch FG Münster v. 12.1.2017 – 3 K 518/15, Rev. anhängig unter BFH: II R 9/17.

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Vorweggenommene Erbfolge von Mitunternehmeranteilen ge gebucht wird, sondern gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten oder durch eine Gegenbuchung der Einlage auf dem Kapitalkonto II des X erfolgt55. Alternative 2: Einbringung gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten Erfolgt die Einlage aus dem steuerlichen Betriebsvermögen gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten, so muss auch in diesem Fall der Buchwert des eingelegten Gebäudes gem. § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 EStG fortgeführt werden. Die Gewährung von Gesellschaftsrechten erfolgt durch eine Buchung auf dem Kapitalkonto I des einlegenden Gesellschafters. Das Kapitalkonto I repräsentiert den Umfang der dem Gesellschafter zustehenden Gesellschaftsrechte. Der einlegende Gesellschafter legt das Gebäude in das gesamthänderisch gebundene Betriebsvermögen der Personengesellschaft ein, an der sämtliche Gesellschafter entsprechend ihrer Beteiligungsquote beteiligt sind. Die keine Einlage leistenden Gesellschafter reduzieren dafür ihre Beteiligungsquote. Da nach den Sachverhaltsannahmen der Wert des Grundstücks 20 % des Unternehmenswertes nach Grundstückseinlage ausmacht, hält der X nach der Einbringung gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten 60 % und der Y 40 % an der KG. Es kommt somit nicht zu einem Überspringen von Werten von X auf Y. Um die Gewährung von Gesellschaftsrechten einerseits und Buchwerteinbringung des Gebäudes andererseits darstellen zu können, sind entsprechende Ergänzungsbilanzen zu bilden. Einbuchung des Gebäudes: XY-KG 01 Bank 100

KapKtn. I X 1.260

Gebäude 2.000

KapKtn. I Y 840

Die Einlage des Gebäudes wird dem Kapitalkonto I des X in Höhe von 1.210 und in Höhe von 790 dem Kapitalkonto I des Y gutgeschrieben, so dass anschließend durch die Kapitalkonten I die neuen Beteiligungsverhältnisse von 60:40 dargestellt werden. negative EB X 01 MinderKap 840

Gebäude 840 negative EB Y 01

MinderKap 560

Gebäude 560

Zur Darstellung der Buchwertfortführung muss das Gebäude insgesamt mit 600 angesetzt werden. Der Ansatz in der Gesamthandsbilanz in Höhe von 2.000 muss somit durch negative Ergänzungsbilanzen um 1.400 reduziert werden. Entsprechend den Beteiligungsquoten entfallen hiervon 840 (60 %) auf den Gesellschafter X und 560 (40 %) auf den Gesellschafter Y.

55 Die Schenkungsteuerbarkeit kann dagegen nicht durch die Bildung einer Ergänzungsbilanz für den einbringenden Gesellschafter vermieden werden. Zwar werden durch diese Ergänzungsbilanz die stillen Reserven bilanziell ausschließlich dem Einbringenden zugewiesen, so dass ein Überspringen der stillen Reserven vermieden wird. Dies wirkt aber nur bzgl. der ertragsteuerlichen Gewinnermittlung und nicht auch auf die wertmäßige Beteiligung des Gesellschafters Y an der gesamthänderisch gebundenen Rücklage.

423

Matthias Söffing / Andreas Söffing Laufende Abschreibung des Gebäudes: XY-KG 02 Bank 100

KapKtn. I X 1.260

Gebäude 2.000   – 40 1.960

KapKtn. I Y 840 KapKtn. II X – 24 KapKtn. II Y – 16 negative EB X 02

MinderKap 840 – 16,8 823,2

Gebäude 840 – 16,8 823,2 negative EB Y 02

MinderKap 560 – 11,2 548,8

Gebäude 560 – 11,2 548,8

Situation nach Vollabschreibung des Gebäudes: XY-KG Bank 100

KapKtn. I X 1.260

Gebäude 0

KapKtn. I Y 840 KapKtn. II X – 1.200 KapKtn. II Y – 800

Situation nach Verkauf des Gebäudes: XY-KG Bank 100

KapKtn. I X 1.260

Kasse 2.000

KapKtn. I Y 840

Bei einer unterstellten Veräußerung des Gebäudes für 2.000 wäre der gesamte Erlös entsprechend den Beteiligungsquoten (60:40) an die Gesellschafter zu verteilen. Bei einer Veräußerung zu 2.500 wäre auch der die 2.000 übersteigende Betrag entsprechend dem allgemeinen Gewinnverteilungsschlüssel 60:40 zu verteilen. Da der Y als Gegenleistung für die Einlage des Gebäudes in das gesamthänderisch gebundene Betriebsvermögen eine Reduzierung seiner Beteiligungsquote akzeptiert hat, ist es durch die Einlage nicht zu einer Werterhöhung des Anteils des Mitgesellschafters Y gekommen.

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Vorweggenommene Erbfolge von Mitunternehmeranteilen Alternative 3: Buchung auf dem Kapitalkonto II des X Wird die Einlage des Gebäudes auf dem Kapitalkonto II des einlegenden Gesellschafters dargestellt, so liegt eine unentgeltliche Übertragung vor, die gem. § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 EStG zum Buchwert erfolgt. Einbuchung des Gebäudes: XY-KG 01 Bank 100

KapKtn. I X 50

Gebäude 2.000

KapKtn. I Y 50 KapKtn. II X 2.000 negative EB X 01

MinderKap 1.400

Gebäude 1.400

Zur richtigen Darstellung der Ansprüche des X aus dem Kapitalkonto II (2.000) einerseits sowie der Buchwerteinbringung andererseits muss für den X eine negative Ergänzungsbilanz in Höhe von 1.400 gebildet werden, um den Buchwert mit 600 darstellen zu können. Laufende Abschreibung des Gebäudes: XY-KG 02 Bank 100

KapKtn. I X 50

Gebäude 2.000   – 40 1.960

KapKtn. I Y 50 KapKtn. II X 1.980 KapKtn. II Y – 20 negative EB X 02

MinderKap 1.400   – 14 1.386

Gebäude 1.400   – 14 1.386 positive EB Y 02

Gebäude 14

MehrKap 14

Durch die Abschreibung in der Gesamthandsbilanz reduziert sich das KapKtn. II Y auf – 20, welches durch die positive EB Y auf den für die Buchwerteinbringung richtigen Wert von 6 korrigiert werden muss.

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Matthias Söffing / Andreas Söffing Situation nach Vollabschreibung: XY-KG Bank 100

KapKtn. I X 50

Gebäude 0

KapKtn. I Y 50 KapKtn. II X 1.000 KapKtn. II Y –1.000 negative EB X

MinderKap 700

Gebäude 700 positive EB Y

Gebäude 700

MehrKap 700

Situation nach Verkauf des Gebäudes für 2.000 XY-KG Bank 100

KapKtn. I X 50

Kasse 2.000

KapKtn. I Y 50 KapKtn. II X 2.000

Bei einer gedachten Veräußerung des Gebäudes für 2.000 und einer Entnahme der Kasse bekäme der X den gesamten Betrag von 2.000, da die Einlage des Gebäudes als individualisierte Einlage auf seinem Kapitalkonto II gebucht wurde. Würde das Gebäude für 2.500 veräußert werden, so würde der den Einlagewert von 2.000 übersteigende Betrag von 500 unter den Gesellschaftern entsprechend ihrer Beteiligungsquoten 50:50 aufgeteilt werden.

Ein Vergleich der Alternativen zeigt, dass alle drei Wege das gewünschte Ziel, keine Aufdeckung und Versteuerung der in dem eingelegten Wirtschaftsgut enthaltenen stillen Reserven, erreichen. Unterschiede zwischen den Alternativen ergeben sich jedoch bei den wertmäßigen oder quotalen Beteiligungsverhältnissen. Bei der ersten Alternative (Buchung auf der gesamthänderisch gebundenen Rücklage) kommt es zu einem Überspringen von stillen Reserven auf die Beteiligung des Mitgesellschafters Y, so dass sich bei gleichbleibender Beteiligungsquote der Wert seiner Beteiligung erhöht. Aus diesem Grunde wir man in dieser Alternative insoweit auch von einem schenkungsteuerbaren Vorgang gem. § 7 Abs.1 Nr. 1 ErbStG ausgehen müssen. Bei der Alternative 2 (Einbringung gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten) erhält der Einbringende für die Einbringung des Gebäudes weitere Gesellschaftsrechte (im Beispiel  10 %) und die Beteiligung des Mitgesellschafters verringert sich entsprechend, so dass es bei gleichbleibendem Wert der Beteiligung des Y zu einer Quotenreduzierung kommt. Eine Werterhöhung des Anteils des Mitgesellschafters Y erfolgt somit nicht. Bei der Alternative 3 (Buchung auf dem Kapitalkonto II) kommt es weder zu einem Überspringen 426

Vorweggenommene Erbfolge von Mitunternehmeranteilen

von stillen Reserven noch zu einer Verschiebung der Beteiligungsquoten. Im wirtschaftlichen Ergebnis wird die Buchung auf dem Kapitalkonto II daher wie eine Buchung der Einlage auf dem Darlehenskonto behandelt, allerdings mit dem steuerrechtlichen Unterschied, dass eine Buchwertfortführung nur bei einer Buchung auf dem Kapitalkonto II möglich ist. Deutlich werden die Unterschiede zwischen den drei Alternativen auch durch die Betrachtung der Verteilung des Erlöses aus dem Verkauf des eingelegten Gebäudes. Bei der Alternative  1 (Buchung auf der gesamthänderisch gebundenen Rücklage) ­erhält jeder Gesellschafter den Erlös entsprechend seiner unveränderten Beteiligungsquote (50:50). Bei der Alternative 2 (Einbringung gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten) erfolgt die Verteilung des Erlöses nach den veränderten Beteiligungsquoten (60:40) da sich durch die Einbringung ja die Quote des X erhöht und die Quote des Y verringert hat. In der dritten Alternative (Einlage gegen Buchung auf dem Kapitalkonto II) steht der Veräußerungserlös bis zu Höhe des ursprünglichen Einlagewertes alleine dem X zu. Erst bei einem Veräußerungserlös der höher ist als der Einlagewert kommt es zu einer Verteilung unter den Gesellschaftern entsprechend der unveränderten Beteiligungsquoten (50:50). 4. Übertragung eines Wirtschaftsguts aus dem steuerlichen Privatvermögen eines Gesellschafters in das Gesamthandsvermögen der Mitunternehmerschaft Befindet sich das einzelne Wirtschaftsgut im steuerlichen Privatvermögen des Gesellschafters, so ist die steuerliche Zielrichtung bei der Einlage davon abhängig, ob sich das Wirtschaftsgut im nicht steuerbaren Bereich befindet oder ob es steuerverstrickt ist. Befindet sich das einzelne Wirtschaftsgut im nicht steuerbaren Bereich, wird das Interesse i.d.R. darin bestehen, dass das Wirtschaftsgut unter steuerfreier Aufdeckung der stillen Reserven in das Gesamthandsvermögen eingelegt wird und die aufnehmende Personengesellschaft das eingelegte Wirtschaftsgut im Betriebsvermögen mit dem hohen Einlagewert aktivieren kann, um dann auch von diesem Wert ggf. abschreiben zu können. Zur Umsetzung dieser Vorgaben wird man sich i.d.R. für einen entgeltlichen Übertragungsvorgang entscheiden. Die Einlage sollte somit gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten oder durch Gegenbuchung auf dem Darlehenskonto erfolgen56. Zwar erfolgt auch bei einer unentgeltlichen Übertragung die Einlage gem. §  6 Abs.  1 Nr.  5 Satz  1 EStG zum Teilwert, so dass es zu einer Aufstockung kommt. Allerdings schreibt § 7 Abs. 1 Satz 5 EStG für die unentgeltliche Einlage vor, dass bei abnutzbaren Wirtschaftsgütern die Abschreibungsbemessungsgrundlage um Absetzungen für Abnutzungen zu kürzen sind, die vor der Einlage einer Verwendung zur Erzielung von Überschusseinkünften gedient haben. Eine Wertaufstockung erfolgt für Abschreibungszwecke bei einer unentgeltlichen Einlage somit nur von den 56 Zu den unterschiedlichen Konsequenzen kann auf die vorstehenden Ausführungen zur Einlage aus dem Betriebsvermögen verwiesen werden.

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Matthias Söffing / Andreas Söffing

ursprünglichen Anschaffungs- oder Herstellungskosten auf den Teilwert im Einlagezeitpunkt. Bei einer entgeltlichen Einlage erfolgt die Wertaufstockung von den abgeschriebenen Anschaffungs- oder Herstellungskosten bis zum dem aktuellen Teilwert im Einlagezeitpunkt. Ist das einzelne Wirtschaftsgut gem. § 23 EStG oder § 17 EStG noch steuerverstrickt, sollte die Einlage in die Personengesellschaft zur Vermeidung eines steuerpflichtigen Veräußerungsgewinnes unentgeltlich erfolgen. Die Gegenbuchung für die Einlage sollte somit auf der gesamthänderisch gebundenen Rücklage oder auf dem Kapitalkonto II des einlegenden Gesellschafters erfolgen57. Im Anwendungsbereich des § 23 EStG ist jedoch die Besonderheit zu beachten, dass auch die unentgeltliche Einlage eines Wirtschaftsgutes in das Betriebsvermögen als Veräußerung gilt, wenn die Veräußerung aus dem Betriebsvermögen innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren seit der Anschaffung des Wirtschaftsgutes erfolgt (nachgelagerte Einlagebesteuerung gem. § 23 Abs. 1 Satz 5 Nr. 1 EStG).

57 Zu den unterschiedlichen Konsequenzen kann auf die vorstehenden Ausführungen zur Einlage aus dem Betriebsvermögen verwiesen werden.

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Sebastian Spiegelberger

Betriebsaufgabe durch Vorbehaltsnießbrauch? Inhaltsübersicht

I. Einleitung

II. Vorbehaltsnießbrauch bei Einzel­ unternehmen 1. Bisherige Besteuerung 2. BFH-Urt. v. 25.1.2017 a) Restriktive Einschränkung des § 6 Abs. 3 EStG b) Sonderrecht der vorweggenom­ menen Erbfolge c) Steueränderung durch das ­UntStFG 2001 d) Innengesellschaft e) Diskrepanz zur Betriebsver­ pachtungsrechtsprechung 3. Landwirtschaftliche Betriebe

III. Beendigung einer Betriebsaufspaltung durch Vorbehaltsnießbrauch? 1. Betriebsaufspaltungsentscheidung des X. Senats v. 21.1.2015 2. Urteilskritik a) Stimmrechtskonkordanz b) Einheitlicher Nießbrauch an dem Besitzunternehmen und an der ­Betriebs-GmbH c) Stimmrechtsverteilung d) Beherrschung e) Innengesellschaft f) Fortbestand einer Betriebsver­ pachtung g) Ergebnis 3. Einheitsbetriebsaufspaltung IV. Zusammenfassung

I. Einleitung Crezelius hat sich bereits in seiner 1979 veröffentlichten Dissertation „Erbschaft- und Schenkungsteuer in zivilrechtlicher Sicht“ nicht nur mit den Prinzipien des Erbschaftund Steuerrechts beschäftigt, sondern umfassend die Probleme der kautelarjuristischen Praxis aufgegriffen und mit zahlreichen Empfehlungen bereichert. Dem Gesetzgeber hat er auf S. 113 frühzeitig empfohlen, das durch das Erbschaftsteuergesetz 1974 in §  25 ErbStG eingeführte Abzugsverbot für Nießbrauchsrechte aufzuheben und im Wesentlichen zu dem Rechtszustand des § 31 ErbStG 1959 zurückzukehren. Die übliche Inkubationszeit von ca. 30 Jahren für wichtige Gesetzesänderungen hat der Gesetzgeber durch die Streichung des § 25 ErbStG mit der Erbschaftsteuerreform 2009 genützt und ist damit wieder zum Grundsatz der Maßgeblichkeit des Zivilrechts und dem Bereicherungsprinzip zurückgekehrt. Als ordentlicher Professor an der Universität Erlangen/Bamberg hat Crezelius nicht nur den akademischen Nachwuchs ausgebildet, sondern in zahlenmäßig nicht mehr überschaubaren Seminaren und Vortragsveranstaltungen für Notare, Rechtsanwälte, Steuerberater und Wirtschaftsprüfer im Erb-, Gesellschafts- und Steuerrecht alle beratenden Berufe über die aktuelle Rechtsentwicklung unterrichtet. Mit dem 2009 in zweiter Auflage erschienenen Unternehmenserbrecht ist Crezelius eine Zusammenschau der erbrechtlichen Grundlagen und der Systematik des Unternehmenssteuerrechts gelungen. Die ungebremste Vitalität des Jubilars zeigt sich auch darin, dass er 429

Sebastian Spiegelberger

auch nach der Emeritierung in einer der vier großen Wirtschaftsprüfungsgesellschaften beratend tätig ist. Nach BFH-Richter Schellenberger1 ist der Nießbrauch im Steuerrecht ein offensichtlich unlösbares Problem. Es sei ein Kuriosum, wenn man betrachte, auf welch schwindsüchtiger Basis der Nießbrauch seinen Anfang im Steuerrecht genommen habe. Ohne das BFH-Urteil v. 24.11.19672 würde der Nießbrauch im Steuerrecht heute ein ebenso armseliges wie kümmerliches Dasein fristen wie im Zivilrecht. Diese Auffassung ist umso erstaunlicher, als der Nießbrauch zu den ältesten Rechtsinstituten zählt und aufgrund seines römisch-rechtlichen Ursprungs eine über 2300-jährige Rechtstradition aufweist3. Usus fructus est ius alienis rebus utendi fruendi salva rerum substantia4. Der Nießbrauch beinhaltet die Spaltung eines Vermögensgegenstandes in die Sub­ stanz und ein Nutzungsrecht. Das Nießbrauchsrecht ist im 3. Jahrhundert vor Christus aufgekommen und bezweckte eine Versorgung erbberechtigter Familienangehöriger5. Wollte der Erblasser sein Vermögen den Kindern zuwenden, der Ehefrau jedoch eine sichere Versorgung gewähren, war hierfür der Nießbrauch (lat. ūsus frūctus) das geeignete Instrument. Der Versorgungscharakter erklärt sich daraus, dass der Nießbrauch im Gegensatz zu den Grunddienstbarkeiten eng mit der Person des Berechtigten verknüpft war und deshalb spätestens mit dessen Tod erlosch. Der Nießbrauch erlebt gegenwärtig eine Renaissance6, vor allem aus folgenden Gründen: −− Einfache Verlagerung der Einkunftsquelle, −− Reduzierung der Schenkungsteuerbemessungsgrundlage wegen des Wegfalls von § 25 ErbStG, −− Reduzierung von Pflichtteilsrechten, −− als Alternativgestaltung wegen der Einschränkung des Sonderausgabenabzugs gem. § 10 Abs. 1 a Nr. 2 EStG durch das Jahressteuergesetz 2008, −− als Quotennießbrauch zur Verteilung des Mietertrags auf Übergeber und Erwerber. Bei dem Nießbrauch an Sachen, insbesondere an Immobilien gem. §§ 1030 bis 1067 BGB, sind die Probleme in der Rechtsprechung durch die Nießbrauchurteile vom 1 Schellenberger, Nießbrauch im Steuerrecht – eine Standortbestimmung, DStR 1981, 395. 2 BFH v. 24.11.1967 – VI R 274/66, BStBl. II 1968, 260, BFHE 91, 39, DB 1968, 512, FR 1969, 38. 3 Vgl. Spiegelberger, Vermögensnachfolge, 2. Aufl. 2010, § 4 Rz. 3. 4 „Der Nießbrauch ist das Recht, fremde Sachen zu gebrauchen und zu nutzen, ohne Verletzung ihrer Substanz“. 5 Vgl. Kaser/Knütel, Römisches Privatrecht, 17. Aufl. 2003, § 29 Rz. 2. 6 Vgl. Korn/Carlé, KÖSDI 2009, 16514.

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Betriebsaufgabe durch Vorbehaltsnießbrauch?

13.5.19807 sowie vom 27.7.19828 behoben. Danach kann bei unentgeltlichen Immobilienübertragungen unter Nießbrauchsvorbehalt der Übergeber weiterhin die Abschreibungen wahrnehmen. Anders verhält es sich mit dem Vorbehaltsnießbrauch bei betrieblichen Strukturen aufgrund der neuesten Rechtsprechung des X. BFH-Senats9. Im Gegensatz zur früheren bürgerfreundlichen Rechtsprechung, insbesondere des Großen Senats10, zur vorweggenommenen Erbfolge, sieht der X. BFH-Senat im betrieblichen Nießbrauch bei Einzelunternehmen und bei der Betriebsaufspaltung einen Gewinnrealisierungstatbestand, also die existenzvernichtende Aufdeckung aller stillen Reserven. Wichtige Erkenntnisse des IV. BFH-Senats zur vorweggenommenen Erbfolge11 werden durch den Nichtanwendungserlass der Finanzverwaltung12 boykottiert. Die Steuerliteratur ist zur kritischen Überprüfung aufgerufen.

II. Vorbehaltsnießbrauch bei Einzelunternehmen Beispiel: Grundstückeigentümer E, der auf seinem Grundstück eine Gaststätte betreibt und die in dem Gebäude befindlichen Wohnungen und Büroräume vermietet, überlässt zu notarieller Urkunde das Grundstück ohne Vereinbarung eines Entgelts seinem Sohn S. Der Ehefrau M des Übergebers wurde ein „uneingeschränktes, rechnungsfreies Nießbrauchsrecht“ eingeräumt. Nach dem Tod des E vereinbarten M und S die Auflassung. In einer Außenprüfung vertrat die Prüferin die Auffassung, dass ein Entnahmegewinn i.H.v. 1.075.500 Euro entstanden sei13.

1. Bisherige Besteuerung Das Einzelunternehmen wird auf den Nachfolger übertragen, wobei sich der bisherige Inhaber das Nießbrauchsrecht vorbehält und somit wie bisher betrieblich tätig bleibt. Die Finanzverwaltung nahm bisher an, dass bei dieser Gestaltung keine Entnahme stattfindet und wendete die entgegenstehende Entscheidung des BFH14 nicht an. Ertragsteuerlich entspricht die Bestellung eines Vorbehaltsnießbrauches an einem 7 BFH v. 13.5.1980 – VIII R 63/79, BStBl. II 1981, 295, FR 1980, 516, DB 1980, 2220. 8 BFH v. 27.7.1982 – VIII R 176/80, BStBl. II 1983, 6, FR 1982, 597, DB 1983, 26. 9 BFH v. 21.1.2015 – X R 16/12, GmbHR 2015, 776; v. 25.1.2017 – X R 59/14, NJW 2017, 2140, DStR 2017, 1308, DB 2017, 1813. 10 BFH v. 5.7.1990 – GrS 4-6/89, BStBl. II 1990, 847, v. 15.7.1991 – GrS 1/90, BStBl. II 1992, 78; v. 12.5.2003 – GrS 1/00, BStBl. II 2004, 95 und v. 17.12.2007 – GrS 2/04, BStBl. II 2008, 608. 11 Insbesondere die Entscheidungen BFH v. 19.9.2012  – IV R 11/12, DStR 2012, 2051; v. 2.8.2012 – IV R 41/11, DStR 2012, 2118. 12 BMF-Schreiben DStR 2013, 2002. 13 Vereinfacht nach BFH v. 25.01.2017  – X R 59/14, BFHE 257, 227, NJW 2017, 2140, DB 2017, 1813. 14 BFH v. 2.9.1992 – XI R 26/91, BFH/NV 1993, 161.

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Einzelunternehmen ihrem wirtschaftlichen Gehalt nach einer Betriebsverpachtung im Ganzen. Allerdings verlangte die Finanzverwaltung eine verbindliche Erklärung der Beteiligten, dass sie übereinstimmend von einer unentgeltlichen Betriebsübertragung ausgehen und deshalb gem. § 163 Satz 2 AO einem Aufschub der Versteuerung aller stillen Reserven des gewerblichen Betriebs bis zur Realisierung durch Aufgabe des Betriebs zustimmen15. Die vom BFH16 im Rahmen der Verpachtung eines Gewerbebetriebes gefundene Rechtsfigur der vorübergehenden Betriebsunterbrechung ist im Besprechungsurteil besonders anschaulich verwirklicht: Der Betrieb wird nicht aufgegeben, sondern fortgeführt. Aufgrund der unentgeltlichen Übertragung ist der Sohn der neue Betriebsinhaber, der im Anschluss an den unentgeltlichen Erwerb – wie ein Verpächter – der bisherigen Betriebsinhaberin, der Mutter, als Nießbraucherin den Betrieb zur Nutzung überlässt, bis sich die Mutter bei Beendigung des Nießbrauchs endgültig aus der betrieblichen Tätigkeit zurückzieht. Die gewählte Gestaltung ist eine Variante der gleitenden vorweggenommenen Erbfolge, wie diese von Landwirten bei der sog. „Rheinischen Betriebsübergabe“ seit langem praktiziert wird (vgl. unten III.). Ganz anders sieht dies der X. BFH-Senat. 2. BFH-Urt. v. 25.1.201717 Leitsatz: 1. Die Anwendung des § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG setzt voraus, dass der Übertragende seine bisherige gewerbliche Tätigkeit einstellt. Daran fehlt es, wenn die einzige wesentliche Betriebsgrundlage aufgrund des vorbehaltenen Nießbrauchs vom bisherigen Betriebsinhaber weiterhin gewerblich genutzt wird18. 2. Es ist insoweit unerheblich, ob ein aktiv betriebener oder ein verpachteter Betrieb unter Vorbehaltsnießbrauch übertragen wird. Im KÖSDI Newsletter Nr. 12/2017 vom 15.6.2017 wird zurecht dieser Entscheidung des BFH eine „verheerende Wirkung“ zugemessen, zumal auch die Steuerverscho-

15 H 16 (6) EStH „Nießbrauch“ EStH in der früheren Fassung; Spiegelberger, Unternehmensnachfolge, 2. Aufl. 2009, § 4 Rz. 20 f. 16 BFH v. 13.11.1963 – GrS 1/63 S, BStBl. III 1964, 124, FR 1964, 211, DB 1964, 390, NJW 1964, 942. 17 BFH v. 25.1.2017 – X R 59/14, BFHE 257, 227, DB 2017, 1813, DStR 2017, 1308, NJW 2017, 2140. 18 Bestätigung der BFH-Urteile v. 2.9.1992 – X R 26/91, BFH/NV 1993, 161 und v. 12.6.1996 – XI R 56, 57/95, BFHE 180, 436, BStBl. II 1996, 527; in Abgrenzung zur Rechtsprechung zur Übertragung eines land- und forstwirtschaftlichen Betriebs, vgl. BFH v. 26.2.1987 – IV R 325/84, BFHE 150, 321, BStBl. II 1987, 772 und v. 7.4.2016 – IV R 38/13, BFHE 253, 390, BStBl. II 2016, 765.

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nung nach §§  13a und 13 b ErbStG entfällt. Die Revisionskläger fechten die Revi­ sionsentscheidung beim BVerfG und beim EuGH an. Die behauptete Fortsetzung der BFH-Rechtsprechung durch Berufung auf BFH v. 2.9.1992 – XI R 26/91 ist irreführend. Diese BFH-Entscheidung wurde nur im BFHNV 1993, 161 und niemals im Bundessteuerblatt veröffentlicht, so dass eine Bindung der Finanzverwaltung weder bestand noch praktiziert wurde. Die weitere Berufung auf das Urt. v. 12.6.199619 betrifft gerade nicht die unentgeltliche Betriebsübertragung gem. § 6 Abs. 3 EStG, sondern die entgeltliche Veräußerung und die Aufgabe eines Gewerbebetriebes gem. § 16 Abs. 1 und Abs. 3 EStG i.V.m. § 34 Abs. 3 EStG, um einen ermäßigten Steuersatz geltend machen zu können. Der BFH wendet sich somit gegen die wohl in der Steuerliteratur herrschende Meinung, wonach die unentgeltliche Übertragung eines Betriebs unter dem Vorbehalt eines Nießbrauchs steuerneutral möglich ist20. a) Restriktive Einschränkung des § 6 Abs. 3 EStG Der BFH schränkt durch Auslegung den Wortlaut des § 6 Abs. 3 EStG mit der Anordnung der Buchwertfortführung dahingehend ein, dass der Übergeber seine Tätigkeit im vollen Umfange aufgeben müsse, da § 6 Abs. 3 EStG nicht nur gegenstandsbezogen, sondern auch tätigkeitsbezogen auszulegen sei. Im Endergebnis gelte für §  6 Abs. 3 EStG auch § 16 Abs. 1 EStG entsprechend. Diese Gleichsetzung ist unzutreffend, da §  6 Abs.  3 EStG die unentgeltliche Betriebsfortführung mit zwingender Buchwertfortführung regelt, während § 16 Abs. 1 EStG die Betriebsbeendigung unter Aufdeckung aller stillen Reserven betrifft. Kulosa, Mitglied des X. Senats, räumt ein21, dass die neue Rechtsprechung des IV. Senats dazu führt, dass die Begriffe „Betrieb“ und „Mitunternehmeranteil“ bei §  6 Abs.  3 einerseits und §  16 andererseits nicht mehr einheitlich ausgelegt werden können, ebenso Brandenberg22.

19 BFH v. 12.6.1996 – XI R 56, 57/95, BStBl. II 1996, 527, DB 1996, 1904. 20 So Strahl in Korn, §  6 EStG Rz 474.3.2 und Rz 474.0; Gosch, Anmerkung zu BFH v. 2.9.1992  – XI R 26/91, StBP 1993, 20; Tiedtke/Wälzholz, DStR 1999, 217; Geck/Messner, ZEV 2015, 91; Hörger/Rapp in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 16 EStG Rz 41; Pohl/Pach in Hörger/Stephan/Pohl, Unternehmens- und Vermögensnachfolge, 2. Aufl. 2002 Rz. 607; im Ergebnis wohl ebenso Hoffmann in Littmann/Bitz/Pust, Rz. 1023 und Gratz/Uhl-Ludäscher in Herrmann/Heuer/Raupach, § 6 EStG Rz. 1251; wohl auch Gebel, Betriebsvermögen und Unternehmernachfolge, 1997, Rz. 315; Schoor, Unternehmensnachfolge in der Praxis, 1992, Rn. 127; für einen Ertragsnießbrauch die steuerneutrale unentgeltliche Übertragung bejahend El Mourabit, ZEV 2016, 14. 21 Kulosa in Schmidt, § 6 EStG Rz. 650 a.E. 22 Brandenberg, Abschied vom Gesamtplan – neuer Betriebsbegriff, DB 2013, 17.

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b) Sonderrecht der vorweggenommenen Erbfolge Der IV. BFH-Senat hat darauf hingewiesen23, dass die Rechtsprechung zu 16 i.V.m. § 34 EStG nicht auf die vorweggenommene Erbfolge gem. § 6 Abs. 3 EStG übertragen werde kann. Die Steuerermäßigung gem. § 34 Abs. 3 EStG kann bei einer Betriebsveräußerung gem. § 16 Abs. 1 EStG und bei der Betriebsaufgabe gem. § 16 Abs. 3 EStG gewährt werden, da die – oft in langen Jahren angesammelten – stillen Reserven in einem Akt der Besteuerung unterliegen, was zu einer erhöhten Steuerbelastung führen würde. Darüber hinaus ist die mit der Vollendung des 55. Lebensjahres oder der Berufsunfähigkeit verbundene Steuerermäßigung eine Vergünstigung, um die Altersversorgung des bisherigen Betriebsinhabers nicht zu gefährden. Dass somit die mit dem veräußerten Betriebsvermögen verbundene Tätigkeit beendet werden und somit eine tätigkeitsbezogene Auslegung des § 16 Abs. 1 und 3 EStG stattfinden muss, leuchtet ein. Die vorweggenommene Erbfolge gem. § 6 Abs. 3 EStG mit der vom Gesetz bindend vorgeschriebenen Buchwertfortführung stellt ein Sonderrecht dar24. Die gesetzliche Regelung will den unentgeltlichen Betriebsübergang (insbesondere in der Genera­ tionennachfolge, was aber nicht Voraussetzung ist) von steuerlichen Belastungen verschonen; insoweit dient sie zugleich der Verwirklichung des durch Art.  14 GG ­geschützten Erbrechts25. §  6 Abs.  3 EStG lässt abweichend vom Grundsatz der In­ dividualbesteuerung im Interesse der Erhaltung der wirtschaftlichen Einheit eine ­interpersonelle Übertragung aller stillen Reserven auf andere Steuerpflichtige zu26. Aufgrund der generationenübergreifend praktizierten betrieblichen Nachfolge in Deutschland – 43,8 % der Betriebe werden an Familienangehörige übergeben – kann, insbesondere bei der gleitenden Erbfolge, der Übergeber weiterhin mitarbeiten ohne dadurch die Versorgungsrente zu verlieren oder die Buchwertfortführung in Frage zu stellen. Da der Vorbehaltsnießbrauch keine Gegenleistung darstellt27, ist auch der Grundsatz der Unentgeltlichkeit bei Vorbehalt des Nießbrauchs erfüllt. Weitere – einengende – Tatbestandsmerkmale enthält § 6 Abs. 3 EStG nicht. c) Steueränderung durch das UntStFG 2001 Die tätigkeitsbezogene Auslegung des § 6 Abs. 1 Satz 1 EStG (früher § 7 Abs. 1 EStDV) kann nicht auf frühere BFH-Entscheidungen gestützt werden, da ab Veranlagungszeitraum 2001 eine entscheidende Rechtsänderung eingetreten ist. Durch das UntStFG

23 BFH v. 2.8.2012 – IV R 41/11, BFHE 238, 135, DStR 2012, 2118, GmbHR 2012, 1260, FR 2012, 1113. 24 Vgl. Fischer, Wiederkehrende Bezüge, 1994, Rz. 110. 25 Vgl. Wendt, Unentgeltliche Übertragung von Mitunternehmeranteilen nach §  6 Abs.  3 EStG, FR 2005, 468 (472). 26 BFH v. 17.12.2007 – GrS 2/04, BStBl. II 2008, 608 unter D III 6 a.b.b.; so auch Reiß in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, § 16 EStG Rz. B80 m.w.N. 27 BFH v. 4.11.1980 – VIII R 55/77, BFHE 132, 414, BStBl. II 1981, 396, FR 1981, 249, DB 1981, 1593.

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vom 20.12.200128, wurde in § 6 Abs. 3 ein Satz 2 eingefügt, wonach eine tätigkeitsbezogene Interpretation des § 6 Abs. 3 ausscheidet. Gemäß § 6 Abs. 3 Satz 2 findet § 6 Abs. 3 Satz 1 auch Anwendung, wenn der bisherige Betriebsinhaber als wesentliche Betriebsgrundlage zu qualifizierende Wirtschaftsgüter nicht überträgt sondern im Rahmen einer Mitunternehmerschaft weiterhin für den Betrieb tätig wird29. Gemäß § 6 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 2 Alt. 1 EStG kann eine natürliche Person in ein Einzelunternehmen aufgenommen werden, so dass eine zweigliedrige Mitunternehmerschaft entsteht30. Da der Übertragende sogar wesentliche Betriebsgrundlagen als Sonderbetriebsvermögen zurückbehalten darf, ohne die Buchwertfortführung zu gefährden, muss auch die Zurückbehaltung eines Nießbrauchs unter Buchwertfortführung ­möglich sein. Wenn der Aufgenommene keine Einlage erbringt, ist die Buchwertfortführung nach §  6 Abs.  3 EStG zwingend31. Die weitere Mitwirkung des bisherigen Einzel­unternehmers führt nicht zum Wegfall der Buchwertfortführung. Deutsche Familienunternehmen werden häufig auf die Kinder übertragen, wobei die Eltern weiterhin im Unternehmen mitarbeiten, vielfach auch mitunternehmerisch im Rahmen einer Personengesellschaft gem. § 6 Abs. 3 i.V.m. § 24 UmwStG. Nach dem BFH32 erfolgt die Buchwertfortführung unabhängig davon, ob der Übergabevertrag zivilrechtlich gemischte oder Auflagenschenkung ist33. Weder die Versorgungsrente noch der vorbehaltene Nießbrauch stellen eine die Buchwertfortführung gefährdende Leistung dar. d) Innengesellschaft Wedemann34 kommt in einem unter Einbeziehung des französischen Rechts rechtsvergleichenden Beitrag – ohne steuerrechtliche Erörterungen – zu dem Ergebnis, dass dem Nießbraucher aufgrund seiner dinglichen Berechtigung zahlreiche zentrale Gesellschafterrechte zuwachsen, insbesondere Stimm- und Verwaltungsrechte35. M.E. entsteht durch die Nießbrauchbestellung an einem Gesellschaftsanteil eine Innengesellschaft gem. § 705 BGB, da der Nießbraucher verpflichtet ist, die bisherige Zweckbestimmung aufrecht zu erhalten, also den Unternehmenszweck gemeinsam mit dem Eigentümer der wesentlichen Betriebsgrundlagen aufrecht zu erhalten. Die Rechtslage ist mit der Einräumung einer atypischen stillen Gesellschaft vergleichbar. Das BayObLG36 hat bei der Bestellung eines unternehmerischen Quotennießbrauchs an ei28 BGBl. I 2001, 3858 29 Vgl. Ehmcke in Blümich, § 6 EStG Rz. 1245 (Stand August 2014). 30 Vgl. Kulosa in Schmidt, § 6 EStG Rz. 660. 31 Vgl. Kulosa in Schmidt, § 6 EStG Rz. 661. 32 BFH v. 5.7.1990 – GrS 4 - 6/89, BFHE 161, 317, BStBl. II 1990, 847, DB 1990, 2196, NJW 1991, 254; v. 15.7.1991 – GrS 1/90, BFHE 165, 225, BStBl. II 1992, 78, DB 1991, 2464, NJW 1992, 710. 33 Vgl. Wacker in Schmidt, 36. Aufl. 2017, § 16 EStG Rz. 45. 34 Wedemann, Ist der Nießbraucher eines Gesellschaftsanteils wie ein Gesellschafter zu behandeln?, ZGR 2016, 798. 35 Schön, ZHR 158, 229 (255) bezeichnet Nießbrauchbesteller und Nießbraucher als „Untergruppe“. 36 BayObLG v. 3.7.1973 – 2 Z 25/73, BayObLGZ 1973, 168, DNotZ 1974, 241 (243).

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nem Einzelunternehmen entschieden, dass dies nach den Grundsätzen einer offenen Handelsgesellschaft zu beurteilen sei. Schön37 empfiehlt wegen der Abgrenzungsschwierigkeiten eine Vergemeinschaftung des Stimmrechts, wonach Nießbrauchbesteller und Nießbraucher das Stimmrecht gemeinsam ausüben. Sieht man, wie dargelegt, Nießbrauch und Nießbrauchbesteller als Gesellschafter einer Innengesellschaft gem. § 705 BGB, steht gem. § 709 Abs. 1 BGB die Führung der Geschäfte der Gesellschaft den Gesellschaftern gemeinschaftlich zu; für jedes Geschäft ist die Zustimmung aller Gesellschafter erforderlich. Auch unter diesem Blickwinkel wird der Betrieb nicht beendet, sondern fortgeführt. Nach K. Schmidt38 kann ein Unternehmer Einzelunternehmer bleiben, auch wenn sich ein Dritter mit einer Einlage an einem Unternehmen und am Gewinn beteiligt (dann Innengesellschaft). In dem Besprechungsurteil stellt der vorbehaltene Nießbrauch die Einlage dar, deren Einlagefähigkeit unbestritten ist. Kennzeichnend für die Innengesellschaft ist, dass eine gemeinsame Vertretung fehlt und dass die Geschäfte im Namen eines Gesellschafters geschlossen werden, der allerdings intern für Rechnung aller Gesellschafter handelt39. Selbst wenn keine Gesellschaft bürgerlichen Rechts entstünde, kann die ähnliche Interessenlage die Anwendung von Vorschriften der §§ 705 ff. BGB rechtfertigen40. e) Diskrepanz zur Betriebsverpachtungsrechtsprechung Die Auffassung des X. BFH-Senats stellt im Ergebnis eine Abkehr von der Entscheidung des Großen BFH-Senats v. 13.11.196341 zur Buchwertfortführung bei der Betriebsverpachtung dar. Die Betriebsverpachtung beinhaltet nach Auffassung des Großen BFH-Senats nur eine Unterbrechung der Betriebsführung, aber keine endgültige Betriebsaufgabe. Nach Beendigung der Betriebsverpachtung kann die betriebliche Tätigkeit wieder fortgeführt werden, es sei denn, dass eine so umfangreiche Änderung in den wesentlichen Betriebsgrundlagen eingetreten ist, dass faktisch eine Betriebsfortführung ausgeschlossen ist. Der Nießbrauch als die dingliche Variante der Betriebsverpachtung ist somit keine Betriebsbeendigung. 3. Landwirtschaftliche Betriebe In der Entscheidung des FG Münster vom 18.9.201442 nimmt das FG auch zu landund forstwirtschaftlichen Betrieben Stellung. Der IV. Senat habe in den Urteilen vom

37 StbJ 1996/97, 55. 38 K. Schmidt, Gesellschaftsrecht, 4. Aufl. 2002, § 58 II 2 a (S. 1696). 39 Vgl. BGH v. 23.6.1960 – II ZR 172/59, MDR 1960, 906, NJW 1960, 1851; ebenso K. Schmidt (Fn. 35), 1289. 40 Vgl. BGH LM § 723 Nr. BGB 6. 41 BFH v. 13.11.1963 – GrS 1/63 S, BStBl. III 1964, 124, FR 1964, 211, DB 1964, 390, NJW 1964, 942. 42 FG Münster v. 18.9.2014 – 13 K 724/11 E, DStRE 2015, 1095.

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28.3.198543 und vom 24.7.198644 im Unterschied zu Gewerbebetrieben festgestellt, dass bei land- und forstwirtschaftlichen Betrieben die Einstellung oder Beendigung der land- und forstwirtschaftlichen Betätigung durch den Veräußerer nicht ein Kriterium für das Vorliegen einer Betriebsveräußerung bzw. eines unentgeltlichen Betriebsüberganges sei. Der X. BFH Senat stimmt in seiner Entscheidung vom 25.1.201745 in Rz. 49 ff. der Rechtsprechung des FG Münster zu und betont, dass nach der Zwecksetzung der §§ 14, 16 EStG die Veräußerung des gesamten Betriebsvermögens eines forst- und landwirtschaftlichen Betriebs und der damit verbundenen geballten Realisierung der stillen Reserven die Gewährung der Tarifvergünstigung des § 34 EStG ohne Rücksicht darauf rechtfertige, ob der Veräußernde die land- und forstwirtschaftliche Betätigung als Pächter fortsetze oder nicht. Auch wenn die Finanzverwaltung dem Urteil des X. Senats vom 25.1.201746 folgt und diese Entscheidung im Bundessteuerblatt veröffentlicht, kann die sog. „Rheinische Übergabe“ mit der Übertragung des Hofs unter Vorbehaltsnießbrauch weiterhin praktiziert werden.

III. Beendigung einer Betriebsaufspaltung durch Vorbehalts­ nießbrauch? 1. Betriebsaufspaltungsentscheidung des X. Senats v. 21.1.201547 Beispiel: Mit notarieller Vereinbarung vom 30.12.2002 übertrug der Kläger seinem Sohn seine GmbH-Beteiligung und das Einzelunternehmen mit allen Aktiva und Passiva im Wege der vorweggenommenen Erbfolge. Bezüglich des Einzelunternehmens behielt sich der Kläger auf Lebenszeit das unentgeltliche Nießbrauchsrecht „an dem übertragenen Einzelunternehmen, insbesondere am Grundbesitz“ vor. Das Nießbrauchsrecht bezog sich auch auf die GmbH-Anteile.

Aufgrund einer Betriebsprüfung für die Jahre 2002 bis 2004 erließ das Finanzamt am 22.2.2008 einen geänderten Einkommensteuerbescheid 2002, in dem es einen von der Betriebsprüfung ermittelten Aufgabegewinn i.H.v. 854.594 Euro erfasste. Nicht nur bei der Übertragung eines Einzelunternehmens unter Nießbrauchsvorbehalt48, sondern auch bei einer Betriebsaufspaltung unter Nießbrauchsvorbehalt will 43 BFH v. 28.3.1985 – IV R 88/81, BFHE 143, 559, BStBl. II 1985, 508, FR 1985, 535, DB 1985, 1771, DStR 1985, 640. 44 BFH v. 24.7.1986 – IV R 137/84, BFHE 147, 352, BStBl. II 1986, 808, FR 1986, 595, DB 1986, 2470. 45 BFH v. 25.1.2017 – X R 59/14, BFHE 257, 227, DB 2017, 1813, DStR 2017, 1308, NJW 2017, 2140. 46 Fn. 42. 47 BFH v. 21.1.2015 – X R 16/12, GmbHR 2015, 776, BFH/NV 2015, 815, MittBayNot 2016, 275. 48 Vgl. oben II.2.d).

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der X. BFH-Senat eine Aufdeckung der stillen Reserven annehmen. Die Entscheidung des X. BFH-Senats v. 21.1.201549 hat folgenden Leitsatz: „Eine Betriebsaufspaltung endet, wenn sowohl das Besitzunternehmen, als auch die ­GmbH-Anteile am Betriebsunternehmen unter dem Vorbehalt des Nießbrauchs auf einen Dritten übertragen werden (hier: Übertragung im Rahmen der vorweggenommenen Erbfolge an den Sohn des Betriebsinhabers). Eine personelle Verflechtung ist gegeben, wenn eine Person oder Personengruppe beide Unternehmen in der Weise beherrscht, dass sie in der Lage ist, in beiden Unternehmen einen einheitlichen Geschäfts- und Betätigungswillen durchzusetzen50.“ Gemäß Rz. 43 endet eine Betriebsaufspaltung, wenn sowohl das Besitzunternehmen als auch die GmbH-Anteile am Betriebsunternehmen unter dem Vorbehalt des Nießbrauchs auf einen Dritten übertragen werden. Aufgrund des Nießbrauchrechtes an dem Besitzunternehmen zugunsten einer Person oder Personengruppe beherrsche diese zwar das Besitzunternehmen, nicht aber die GmbH, da die Kompetenz des Gesellschafters bei Beschlüssen, welche die Grundlagen der Gesellschaft betreffen, selber abzustimmen ihm durch die Einräumung eines Nießbrauchs an seinem Anteil nicht genommen werde. Söffing/Micker51 schließen sich der Entscheidung des FG Münster v. 16.6.201152 und damit der Entscheidung des BFH v. 21.1.201553 an. 2. Urteilskritik a) Stimmrechtskonkordanz Slabon54 weist zutreffend darauf hin, dass Vorsicht geboten sei, wenn von einem Übertragungsvorgang nur eine Gesellschaft betroffen ist. Die Gefahr des Verlusts der personellen Verflechtung sei nicht gegeben, wenn Anteile an der Besitz-Personengesellschaft kongruent mit den Anteilen an der Betriebs-KG übertragen werden. Der Übergeber hat diesen Rat befolgt und sowohl sein Besitzunternehmen als auch alle GmbH-Anteile im Wege der vorweggenommenen Erbfolge auf seinen Sohn übertragen und sich bezüglich des Einzelunternehmens das unentgeltliche Nießbrauchsrecht vorbehalten, das sich auch auf die GmbH-Anteile bezog. Dennoch endet nach dem Urteil des X. BFH-Senats die personelle Verflechtung und damit die Betriebsaufspaltung, weil der Nießbraucher zwar das Besitzunternehmen, nicht aber die GmbH beherrsche; vielmehr stünden die Stimmrechte dem Gesellschafter der GmbH zu. Der 49 Fn. 44. 50 BFH v. 21.1.1999 – IV R 96/96, BFHE 187, 570, BStBl. II 2002, 771, DStR 1999, 622, GmbHR 1999, 489, FR 1999, 596, DB 1999, 940, NJW 1999, 1887. 51 Söffing/Micker, Die Betriebsaufspaltung, 5. Aufl. 2013. 52 FG Münster v. 16.6.2011 – 3 K 3521/08 E, DB 2012, 1926, EFG 2012, 1926. 53 BFH v. 21.1.2015 – X R 16/12, GmbHR 2015, 776, MittBayNot 2016, 275. 54 Slabon in FS Spiegelberger, 2009, 430 (435).

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X. BFH-Senat bezieht sich hinsichtlich der Stimmrechtsausübung auf die Rechtsprechung des BGH vom 9.11.199855, die zu einer Personengesellschaft ergangen ist. Die Bezugnahme des X. BFH-Senats auf diese BGH-Entscheidung überrascht, da der BGH zu einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts entschieden hat, die Entscheidung des X. BFH-Senats aber eine Betriebsaufspaltung zwischen einem Einzelunternehmen und einer Betriebs-GmbH betrifft, zumal bei Einzelunternehmen keine Stimmrechtsverteilungsproblematik besteht. Vielmehr hätte der X. BFH-Senat sich mit früheren Entscheidungen zur Betriebsaufspaltung mit Nießbrauchsrechten auseinandersetzen müssen. Bei den Betriebsaufspaltungsentscheidungen des IV. Senats56 und des VIII. Senats57 hat jeder Senat festgestellt, dass ein Nießbrauchsrecht der Annahme einer Betriebsaufspaltung nicht entgegenstehe. Bei der Abweichung von den Entscheidungen dieser Senate wäre grundsätzlich deren Zustimmung erforderlich gewesen. b) Einheitlicher Nießbrauch an dem Besitzunternehmen und an der ­Betriebs-GmbH Bei einer Betriebsaufspaltung sind die GmbH-Anteile Betriebsvermögen des Einzelunternehmers, bei Besitzpersonengesellschaften Sonderbetriebsvermögen des Besitz­ unternehmens. Der mitgeteilte Sachverhalt lautet: Bezüglich des Einzelunternehmens behielt sich der Kläger auf Lebenszeit das unentgeltliche Nießbrauchsrecht „an dem übertragenen Einzelunternehmen, insbesondere am Grundbesitz“ vor. Das Nießbrauchsrecht bezog sich auch auf die GmbH-Anteile. Der X. BFH-Senat hat nicht erkannt, dass es sich bei dem vorliegenden Sachverhalt um eine Einheits-Betriebsaufspaltung handelt und dass nur ein Nießbrauchsrecht, nämlich an dem Besitzunternehmen, bestellt wurde, das sich  – wie z.B. bei einer Pfand­erstreckung – auch auf die GmbH-Anteile bezog. Damit wurden gerade nicht zwei unterschiedliche Nießbrauchsrechte, sondern nur ein Nießbrauchsrecht und zwar für das Besitzunternehmen bestellt. Der Verfasser der Notarurkunde wollte mit der Erstreckung des Nießbrauchs auf die GmbH-Anteile den Fortbestand der Einheits-Betriebsaufspaltung und der Beherrschungsidentität bekunden. Eine abweichende Erklärung, dass nur das Besitzunternehmen von dem Nießbrauch betroffen sei, hätte, wie Slabon, a.a.O., zu Recht ausführt, die Gefahr des Verlusts der Beherrschungsidentität hervorgebracht. Die Behauptung in der Urteilsbegründung, dass der Notar zwei getrennte, inhaltlich unterschiedliche Nießbrauchsrechte beurkundet hätte, ist somit unzutreffend.

55 BGH v. 9.11.1998 – II ZR 213/97, DB 1999, 208, MDR 1999, 240, NJW 1999, 571, DStR 1999, 208, NZG 1999, 150. 56 BFH v. 24.8.1989 – IV R 135/86, BFHE 158, 245, BStBl. II. 1989, 1014, DB 1989, 2517. 57 BFH v. 1.10.1996 – VIII R 44/95, BFHE 182, 327, BStBl. II. 1997, 530, FR 1997, 482, ­GmbHR 1997, 662, DStR 1997, 1078.

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Zumindest ergibt sich im Wege der Auslegung, dass ein einheitliches Nießbrauchsrecht bestellt wurde, das nicht in mehrere Nießbrauchsrechte mit einem unterschiedlichen Regelungsinhalt aufgeteilt werden kann. Die für Betriebsaufspaltungen kennzeichnende Beherrschungsidentität58 tritt am deutlichsten zu Tage, wenn sowohl am Besitzunternehmen als auch an der Betriebs-GmbH eine Beteiligungsidentität besteht. Den Beteiligten kann – ohne eine entsprechende abweichende Vereinbarung – nicht unterstellt werden, dass sie für das Einzelunternehmen einen Nießbrauch mit anderen Rechtsfolgen als an der Betriebs-GmbH anstrebten. Einem Vater, der im Wege der vorweggenommenen Erbfolge sein Einzelunternehmen und alle GmbH-­ Anteile übergibt und zu seiner Altersversorgung sich ein dingliches Nutzungsrecht vorbehält, kann nicht unterstellt werden, dass er bei dem Einzelunternehmen andere Rechtsansprüche geltend machen will, als bei der Betriebs-GmbH. Crezelius59 führt zur Kontinuität der Einheits-Betriebsaufspaltung Folgendes aus: „Da der Anteil an der Betriebs-Kapitalgesellschaft zum Sonderbetriebsvermögen II bzw. bei der Ein-Personen-Betriebsaufspaltung zum notwendigen Betriebsvermögen zählt und sich die mitunternehmerische Position unter Einbeziehung des Sonderbetriebsvermögens ergibt, kommt es in toto zur Vermeidung einer Gewinnrealisierung. Die ertragsteuerrechtlichen Regelungen für die Nachfolge in Kapitalgesellschaftsanteile gelten hier nicht, weil der Anteil an der Betriebskapitalgesellschaft – unabhängig von der Beteiligungshöhe – als sonderverstricktes Sonderbetriebsvermögen II dem Schicksal der mitunternehmerischen Beteiligung folgt. Demnach kommt es bei einer Einheits-Betriebsaufspaltung nur zu einer Gewinnrealisierung, wenn die Beteiligungen am Besitzunternehmen und an der Betriebs-GmbH auf verschiedene Personen übertragen werden.“ c) Stimmrechtsverteilung Selbst wenn die Vertragsauslegung ergeben würde, dass zwei Nießbrauchsrechte bestellt wurden, nämlich ein Nießbrauchsrecht am Besitzunternehmen und ein getrenntes Nießbrauchsrecht an den GmbH-Anteilen, würde dies keine andere Beurteilung erlauben. Wedemann hat in einem rechtsvergleichenden, die Rechtslage in Deutschland, Italien, Österreich und der Schweiz umfassenden Beitrag60 nachgewiesen, dass die Vertragsteile nicht an normative Stimmrechtsverteilungen gebunden sind, sondern dass auch ein nach der normativen Verteilung dem Nießbraucher zustehendes Stimmrecht vollumfänglich auf den Anteilsinhaber übertragen werden kann, der Inhalt des Nießbrauchs also dispositiv ist. Da nach dem Inhalt der Notarurkunde das am Besitzunternehmen bestellte Nießbrauchsrecht sich auch auf die GmbH „bezog“, gibt es keinen Anhaltspunkt, dass die Beherrschung durch zwei Nießbrauchsrechte mit unterschiedlichem Inhalt eingeschränkt werden sollte.

58 Vgl. Carlé, Die Betriebsaufspaltung, 2003, Rn. 344. 59 Crezelius, Unternehmenserbrecht, 2. Aufl. 2009, § 12 Betriebsaufspaltung Rz. 418 (S. 286). 60 Wedemann, Das Stimmrecht beim Anteilsnießbrauch im Spiegel von Rechtsvergleichung und Rechtsetzungslehre, NZG 2013, 1281.

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Betriebsaufgabe durch Vorbehaltsnießbrauch?

d) Beherrschung Für die Beherrschung i.S.  einer Betriebsaufspaltung sind auch mündliche Abreden und die tatsächlichen Verhältnisse zu würdigen. War wegen der Nießbrauchbe­stellung an den GmbH-Anteilen und an dem Einzelunternehmen nicht eine gemeinsame Beherrschung gewollt oder vereinbart? Wenn zwischen der Betriebsübertragung im Jahre 2002 und der Entscheidung des BFH vom 21.1.201561 keine Interessensgegensätze zwischen Vater und Sohn erkennbar waren, ist aus der konfliktfreien Zusammenarbeit über einen langen Zeitraum die Vermutung der gemeinsamen Beherrschung ­naheliegend. Während der BFH in den vergangenen Jahrzehnten den Anwendungsbereich der Betriebsaufspaltung immer weiter ausgeweitet hat, um trotz einer Verpachtung Gewerbesteuer zu erheben, müssen auch für die Beendigung einer Betriebs­ aufspaltung erhöhte Anforderungen greifen, um unerwartete Zugriffsmöglichkeiten aus fiktiver Gewinnrealisierung zu verhindern. Bei Verträgen unter nahestehenden Personen kommt es nicht nur auf die getroffenen Vereinbarungen an, sondern ganz entscheidend auf die Art und Weise der Durchführung. In der Tatbestandsschilderung des FG Münster und des BFH wird die Ausübung des Stimmrechts nicht geschildert. In einem Urteil des FG Münster62 war der entscheidende Umstand, dass trotz vorhergegangener sieben Betriebsprüfungen ohne Beanstandung bei der achten Betriebsprüfung der Prüfer zu dem Ergebnis kam, dass die Nießbraucherin das Stimmrecht nie ausgeübt hatte und somit kein mitunternehmerischer Nießbrauch, sondern ein Ertragsnießbrauch vorlag, der die Zurechnung der betrieblichen Ergebnisse nicht rechtfertigte, so dass nicht die Nießbraucherin, sondern der Gesellschafter die laufenden Erträge versteuern musste. Hinzu kommt der Umstand, dass bei einem Einzelunternehmen Alleinberechtigter der Anteile an der Betriebs-GmbH der Besitzunternehmer ist, so dass der bestellte Nießbrauch am Besitzunternehmen automatisch auch das Stimmrecht hinsichtlich des ­Anteils an der Betriebs-GmbH erfasst, da die Wirkungen einer Einheitsbetriebs­ aufspaltung vorliegen. Aufgrund der Darlegungen oben63 sind Nießbraucher und Nießbrauch­besteller gebunden, Stimm- und Verwaltungsrechte gemeinsam auszuüben. Das FG hätte ermitteln müssen, ob und welche Regelungen hinsichtlich der Nießbrauchausübung an der Betriebs-GmbH und an dem Besitzunternehmen bestanden und in welcher Weise sie tatsächlich ausgeübt wurden. e) Innengesellschaft Oben64 wurde dargelegt, dass im Anschluss an Wedemann65 der Nießbraucher jedenfalls im Innenverhältnis Gesellschafterrechte ausübt, so dass Nießbrauchbesteller und 61 Fn. 45. 62 FG Münster v. 23.9.2008 – 1 K 5114/04 F, nicht veröffentlicht. 63 II.2.d). 64 II.2.d). 65 Fn. 34.

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Nießbraucher Gesellschafter einer Innengesellschaft sind. Selbst dann, wenn keine Innen-GbR gem. § 705 BGB vorliegen würde, rechtfertigt nach BGH LM § 723 Nr. 6 die ähnliche Interessenlage die Heranziehung einzelner Vorschriften der §§  705  ff. BGB. Gemäß § 709 Abs. 1 BGB steht die Führung der Geschäfte der Betriebsaufspaltung den Gesellschaftern gemeinschaftlich zu; für jedes Geschäft ist die Zustimmung aller Gesellschafter erforderlich. M.E. reicht es für die Beherrschung i.S.  einer Betriebsaufspaltung aus, wenn der Inhaber des Gesellschaftsvermögens und der Nießbraucher jedenfalls im Innenverhältnis verpflichtet sind, alle Geschäfte gemeinschaftlich zu führen. f) Fortbestand einer Betriebsverpachtung Darüber hinaus fehlt in dem entschiedenen Fall die Untersuchung, ob der Verpachtung des Besitzunternehmens nicht eine Betriebsverpachtung an die GmbH zugrunde liegt, die die Buchwertfortführung beim Besitzunternehmen rechtfertigt66. Gemäß § 16 Abs. 3b Satz 1 Nr. 1 EStG gilt in den Fällen der Betriebsverpachtung im Ganzen ein Gewerbebetrieb nicht als aufgegeben, bis der Steuerpflichtige die Aufgabe i.S.d. Abs. 3 Satz 1 ausdrücklich gegenüber dem Finanzamt erklärt. Die Einschränkungen gem. Nr. 2 dieser Vorschrift sind nicht gegeben, da offensichtlich während der 13-jährigen Entscheidungsdauer Interessengegensätze bei den Beteiligten nicht aufgetreten sind. Es zeigt sich wiederum, dass eine ohne gesetzliche Grundlage durch Richterrecht geschaffene Steuerpflicht zu unkalkulierbaren Ergebnissen in der Praxis führt. Die BFH-Richter Meßmer67 und G. Söffing68 haben zu Recht vor dieser Steuer­ erhebung gewarnt. g) Ergebnis Die Entscheidung des X. Senats ist schon wegen unrichtiger Sachverhaltsinterpretation unzutreffend. Es wurden nicht zwei Nießbrauchsrechte mit unterschiedlichem Regelungsinhalt bestellt. Der am Einzelunternehmen bestellte Nießbrauch, der sich auch auf die GmbH-Anteile bezog, war kein Umstand, der zur Gewinnrealisierung führte. Die Entscheidung wird zu Recht von Wachter69 kritisiert, dass sie weder sachlich überzeugend sei noch zu einer rechtsformneutralen Besteuerung beitrage. Wegen der unterschiedlichen Rechtsprechung der Ertragsteuersenate des BFH ist wieder der Große Senat gefordert.

66 BFH v. 30.8.2007 – IV R 50/05, BFHE 218, 564, BStBl. II 2008, 129, FR 2008, 277, DStR 2007, 2201; v. 8.2.2007 – IV R 65/01, BFHE 216, 412, BSTBl. II 2009, 699, FR 2007, 796, GmbHR 2007, 948, DStR 2007, 712, NVwZ-RR 2007, 734; H 16.2 Abs. 2 EStH „Beendigung der Betriebsaufspaltung“; Neufang/Bohnenberger, Wegfall der personellen Verflechtung bei der Betriebsaufspaltung, DStR 2016, 578. 67 Meßmer, StuW 1988, 235. 68 Söffing, Gedanken zur Rechtfertigung der Betriebsaufspaltung, DStR 1996, 1225 69 GmbHR 2015, 778 (781).

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Betriebsaufgabe durch Vorbehaltsnießbrauch?

3. Einheitsbetriebsaufspaltung Felix70 hat unter Hinweis auf Beinert71 den Begriff der Einheitsbetriebsaufspaltung für die Gründungsvariante geprägt, dass das Besitzunternehmen die alleinige Gesellschafterin der Betriebs-Gesellschaft ist. Diese Gestaltung hat erhebliche Bedeutung gewonnen, weil der einheitliche Betätigungswille sowohl auf der Ebene der Betriebskapitalgesellschaft als auch bei dem Besitzunternehmen durch die genannte Beteiligungsvariante gesichert und die Gefahr ungewollter Beendigungen der Betriebsaufspaltung, z.B. durch unterschiedliche Vererbung von Gesellschaftsanteilen, gebannt ist. Würde z.B. ein Gesellschafter bei einer Einheitsbetriebsaufspaltung eine letztwillige Verfügung hinsichtlich eines GmbH-Anteils treffen, bliebe die Betriebsaufspaltung dennoch nach dem Todesfall bestehen, da der GmbH-Anteil Betriebsvermögen der KG ist, über den ein Gesellschafter der Besitz-Gesellschaft nicht isoliert letztwillig verfügen kann. Die Gründung einer Einheitsbetriebsaufspaltung erfolgt am einfachsten in der Weise, dass das Besitzunternehmen die Betriebskapitalgesellschaft gründet und an diese den Betrieb verpachtet.

X-GmbH

Verpachtung

100 %

GbR

A

B

Die Einheitsbetriebsaufspaltung ist eine Sicherungsvariante, um die Gefahr ungewollter Betriebsbeendigungen einer Betriebsaufspaltung zu vermeiden. 70 Felix, Kölner Handbuch der Betriebsaufspaltung, 3. Aufl. 1978, Rz. 4. 71 StbJb. 1976/77, 238.

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IV. Zusammenfassung Während die Steuerpraxis des Nießbrauchs bei den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung seit der Mai-Rechtsprechung 1980 des BFH72 auf festem Grund und Boden steht, hat der Kampf um den betrieblichen Nießbrauch den Höhepunkt erreicht. Nach den zitierten Entscheidungen des X. BFH-Senats führt der Vorbehaltsnießbrauch beim Einzelunternehmen und bei einer Betriebsaufspaltung zur Betriebsaufgabe und damit zur Aufdeckung aller stillen Reserven, so dass diese Gestaltungen obsolet geworden sind. Die Vertragspraxis benötigt gesicherte Gestaltungen für die vorweggenommene Erbfolge. Der Große BFH-Senat ist wieder gefordert.

72 Fn. 7.

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Martin Strahl

Der Verlust des Übernahmeverlustes − Irrnisse der Rechtsprechung und Auswege Inhaltsübersicht

I. Rechtsformwechsel und Verlustverlust

II. Die einschlägige BFH-Judikatur 1. BFH v. 24.6.2014 – VIII R 35/10 2. BFH v. 22.10.2015 – IV R 37/13 3. BFH v. 5.11.2015 – III R 13/13

III. Vorgebliche Sicherstellung der Einmalbesteuerung der stillen Reserven IV. Ein Wort zu Billigkeitsmaßnahmen

V. Gesetzgeberische Handlungsoption

Georg Crezelius ist einer der kritischsten Denker, welche die steuerrechtliche Landschaft kennt. In Wort und Schrift löckt er fortwährend wider den Stachel, zeigt Systembrüche und Inkonsistenzen auf. Die Beispiele dafür sind Legion1. Dabei berührt der Jubilar auch wiederkehrend Fragen des Umwandlungssteuerrechts2. Dies aufgreifend seien ihm einige Gedanken zur Auslegung des § 4 Abs. 6 UmwStG durch den Bundesfinanzhof gewidmet.

I. Rechtsformwechsel und Verlustverlust Ein bedeutsamer Hemmschuh für die steuerliche Gestaltungspraxis findet sich im Hinblick auf eine erwogene Umwandlung einer Kapitalgesellschaft in eine Personenunternehmung. Haben nämlich eine oder mehrere Gesellschafter ihre Beteiligung an der umzuwandelnden Kapitalgesellschaft derivativ, d.h. unter Ausgleich auch der stillen Reserven an den Veräußerer der Anteile erworben, und soll sich die Umwandlung auf der Gesellschaftsebene steuerneutral durch Ansatz der Buchwerte in der umwandlungssteuerrechtlichen Schlussbilanz vollziehen, sieht sich die einleitend genannte Gesellschaftergruppe mit § 4 Abs. 6 UmwStG konfrontiert, dessen Kernsatz seit dem 23.10.20003 lautet: „Ein Übernahmeverlust bleibt außer Ansatz“. 1 Eine kleine Auswahl aus den vergangenen 10 Jahren: Crezelius, ErbStG nach dem 30.6.2016 – Steuerpause?, ZEV 2016, 367; Restriktionen steuerrechtlicher Subsysteme, FR 2015, 1065; Steuerrecht zwischen Konsens und Konfrontation, DStR 2013, Beihefter zu Nr. 51-52, 99; Die Betriebsaufspaltung – ein methodologischer Irrgarten, FS Streck, 2011, 45; Systeminkonsequenzen und Rückausnahmen, FR 2009, 881. 2 Vgl. Crezelius, UmwStG und ErbStG, DStZ 2015, 399; Nachsteuertatbestände und Umwandlungssteuerrecht, FR 2011, 401; Umstrukturierung von Personenunternehmen nach dem SEStEG, Jahrbuch Fachanwälte für Steuerrecht 2007/2008, 340. 3 Vgl. § 4 Abs. 6 UmwStG i.d.F. des Gesetzes zur Senkung der Steuersätze und zur Reform der Unternehmensbesteuerung v. 23.10.2000, BGBl. I 2000, 1433.

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Martin Strahl

Der umwandlungssteuerrechtliche Übernahmeverlust ist indes kein tatsächlicher Verlust, sondern bezeichnet den Differenzbetrag zwischen den ursprünglich aufgewandten Anschaffungskosten des jeweiligen Anteilseigners der übertragenden GmbH und den auf ihn entfallenden anteiligen Wertansätzen bei der übernehmenden Personenunternehmung, welche sich nach dem Wertkongruenzprinzip aus dem Ansatz des übergehenden Betriebsvermögens in der umwandlungssteuerrechtlichen Schlussbilanz der übertragenden Kapitalgesellschaft ergeben.  – Verkürzt ausgedrückt entspricht der Übernahmeverlust den im Rahmen eines vorausgegangenen derivativen Beteiligungserwerbs entgoltenen stillen Reserven. Dergestalt drohen ursprünglich getragene Anschaffungskosten für die Beteiligung an der umgewandelten Kapitalgesellschaft unterzugehen, wenn die übernehmende Mitunternehmerschaft liquidiert wird oder der den Übernahmeverlust erleidende Mitunternehmer seinen Mitunternehmeranteil veräußert. Die Rechtsfolgen der etwaigen Vernichtung von Anschaffungskosten für Anteile an der übertragenden Kapitalgesellschaft seien anhand des folgenden Beispiels illustriert: Beispiel: X hat sämtliche Anteile an der A-GmbH für 4 Mio. Euro erworben, die im Erwerbszeitpunkt die folgenden Buch- und Teilwerte ausweist: A-GmbH Buchwert

Teilwert/ gemeiner Wert

1.000.000

4.000.000

Rückstellungen

400.000

400.000

Verbindlichkeiten

600.000

600.000

2.000.000

5.000.000

Buchwert

Teilwert/ gemeiner Wert

Firmenwert



2.200.000

Eigenkapital

Grundstück

500.000

1.000.000

Maschinen

500.000

800.000

1.000.000

1.000.000

2.000.000

5.000.000

Umlaufvermögen

X führt eine formwechselnde Umwandlung der A-GmbH in eine A-GmbH & Co. KG durch. Die Anteile an der A-GmbH gelten gem. § 9 Satz 1 i.V.m. § 5 Abs. 2 UmwStG als mit den Anschaffungskosten in die GmbH & Co. KG eingelegt. Infolgedessen kommt es bei Fortführung der Buchwerte zu einem Übernahmeverlust in folgender Höhe: Buchwert Aktivvermögen

2.000.000 €

./. Buchwert Schulden

1.000.000 €

Buchwert Betriebsvermögen

1.000.000 €

./. Anschaffungskosten Anteile

4.000.000 €

Übernahmeverlust

./. 3.000.000 €

Fortsetzung des vorstehenden Beispiels: Nach Ablauf von fünf Jahren veräußert X seinen Mitunternehmeranteil an der A-GmbH & Co. KG (Kommanditanteil sowie Beteiligung an der

446

Der Verlust des Übernahmeverlustes Komplementär-GmbH) für 10 Mio. Euro. Steuerpflichtig ist dieser Gewinn in folgender Höhe, wenn unterstellt wird, dass die Höhe des Kapitalkontos unverändert geblieben ist: Veräußerungspreis

10.000.000 €

./. Buchwert Kapital

  1.000.000 €

Veräußerungsgewinn   9.000.000 € Hätte X die formwechselnde Umwandlung nicht vorgenommen, sondern das Unternehmen weiter in der Rechtsform der GmbH betrieben, wäre ein steuerpflichtiger Veräußerungsgewinn nur in Höhe von 6 Mio. Euro entstanden.

Auf Grund der Neufassung des UmwStG durch das SEStEG ist im Hinblick auf die Problematik des Übernahmeverlustes keine Verbesserung eingetreten. Nach §  4 Abs. 6 Satz 4 Umw­StG i.d.F. des SEStEG ist er allenfalls insoweit zu berücksichtigen, als ihm die Ausschüttungsfiktion des § 7 UmwStG gegenübersteht. Da selbst dies auf Grund des verfehlten Missbrauchstatbestands des § 4 Abs. 6 Satz 5 UmwStG nicht gelten soll, soweit die Anteile an der übertragenden Körperschaft innerhalb der letzten fünf Jahre vor dem steuerlichen Übertragungsstichtag steuerlich erworben werden, ist gar eine weitere Verschlechterung der steuerlichen Situation zu vermerken4.

II. Die einschlägige BFH-Judikatur In jüngerer Zeit hatten drei Senate des Bundesfinanzhofes Gelegenheit, sich mit dem Inhalt von § 4 Abs. 6 UmwStG auseinanderzusetzen. 1. BFH v. 24.6.2014 – VIII R 35/10 Den Auftakt bildete der VIII. Senat. Ihm lag der Sachverhalt zur Entscheidung vor, dass sich aus dem zum 1.1.2002 erfolgten Formwechsel einer GmbH in die GbR ein Übernahmeverlust für einen der Beteiligten in Höhe von rd. 520.000 Euro ergab. Dieser Gesellschafter aktivierte von diesem Betrag ausgehend in einer Ergänzungsbilanz einen Firmenwert und stockte die Buchwerte anderer Wirtschaftsgüter auf. Hierauf nahm er Absetzungen für Abnutzungen von rd. 109.500 Euro vor. – Dies erkannte der BFH nicht an5. Der VIII. Senat des BFH sah aber unter Rz. 27 der Entscheidungsgründe Anlass zu folgendem Hinweis:

4 Vgl. kritisch gar (Ltd. MinR) van Lishaut in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, 2. Aufl. 2013, § 4 UmwStG Rz. 125: „Die beschränkte Abzugsmöglichkeit für Übernahmeverluste gem. § 4 Abs. 6 Satz 2 bis 5 UmwStG … kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass das bereits mit dem StSenkG eingeführte Abzugsverbot für Übernahmeverluste im Ergebnis fortbesteht. Dies erscheint vor allem bei natürlichen Personen als Gesellschafter nicht einsichtig. Wenn sich deren Veräußerungsgewinne und Veräußerungsverluste grundsätzlich zu 60 % auswirken, sollte man erwarten, dass dies außer für Übernahmegewinne auch für Übernahmeverluste der Fall ist.“ 5 Vgl. BFH v. 24.6.2014 – VIII R 35/10, BStBl. II 2016, 916; dazu Strahl, FR 2014, 854; ders., BeSt 2014, 25.

447

Martin Strahl

„Das objektive Nettoprinzip wird tangiert, wenn der Ausschluss des Übernahmeverlustes durch § 4 Abs. 6 UmwStG in der Fassung des StSenkG 2001/2002 dazu führt, dass erwerbsbezogenem Aufwand ohne nachvollziehbare sachliche Rechtfertigungsgründe endgültig der steuerliche Abzug versagt bleibt. Sofern eine Berücksichtigung der historischen Anschaffungskosten für den GmbH-Anteil bei der Ermittlung des Gewinns aus einer künftigen Veräußerung oder Aufgabe der freiberuflichen Praxis des Klägers nach § 18 Abs. 3 in Verbindung mit § 16 und dort bei der Bestimmung ‚Wertes des Betriebsvermögens‘ (§ 16 Abs. 2 Sätze 1 und 2 EStG) nicht in Betracht kommt …, ist nach Auffassung des Senats Raum eröffnet für die Prüfung, ob wegen sachlicher Unbilligkeit von der Festsetzung oder der Erhebung von Einkommensteuer nach §§ 161, 227 der Abgabenordnung abzusehen ist.“ 2. BFH v. 22.10.2015 – IV R 37/13 War die Entscheidung des VIII. Senates noch für den Veranlagungszeitraum der Umwandlung ergangen, hatte nachfolgend der IV. Senat des BFH über einen Fall zu befinden, in dem es um die Ausschließung eines Minderheitsgesellschafters durch Beschluss der Mehrheitsgesellschafter nach formwechselnder Umwandlung einer GmbH in eine GmbH & Co. KG ging. Nach einer außergerichtlichen Einigung veräußerte der Kläger mit notariellem Vertrag v. 28.5.2008 seine Geschäftsanteile in Höhe von 10.000 Euro zu einem Preis von 180.000 Euro an einen Mitgesellschafter und trat sie mit sofortiger Wirkung ab. Der Kläger beantragte, einen Veräußerungsverlust in folgender Höhe festzustellen: Veräußerungspreis

180.000 €

./. Anschaffungskosten für den Beteiligungserwerb der I-GmbH

180.000 €

./. Veräußerungskosten

  7.774 €

Veräußerungsverlust   7.774 € Dies hätte zur Berücksichtigung eines Übernahmeverlustes von 170.000 Euro im Zuge der Veräußerung des Mitunternehmeranteils geführt. – Dem versagte sich der BFH6. Er entschied, eine einschränkende Auslegung des § 4 Abs. 6 Satz 4 UmwStG 2006 mit dem Ziel, den Übernahmeverlust des Klägers zu berücksichtigen, komme nicht in Betracht7. Weiter wird unter Rz. 24 ausgeführt, eine teleologische Reduktion ziele darauf ab, „den Geltungsbereich einer Norm mit Rücksicht auf ihren Gesetzeszweck gegenüber dem zu weit gefassten Wortlaut einzuschränken“. Einer teleologischen Reduktion sei dabei mit „besonderer Zurückhaltung“ zu begegnen. Sie könne nur in Betracht kommen, wenn die auf den Wortlaut abstellende Auslegung zu einem sinnwidrigen Ergebnis führte.

6 Vgl. BFH v. 22.10.2015 – IV R 37/13, BStBl. II 2016, 919. 7 Vgl. Rz. 23 der Entscheidungsgründe.

448

Der Verlust des Übernahmeverlustes

Ein solches liege aber nicht vor; denn Sinn und Zweck der Außerachtlassung des Übernahmeverlustes in § 4 Abs. 6 UmwStG sei es, eine „Einmalbesteuerung bei Umwandlungsvorgängen unter Geltung des Halbeinkünfteverfahrens auf Dauer zu gewährleisten“8. Dabei seien auch „überschießende Tendenzen“ hinzunehmen, zu denen es etwa im Hinblick auf den sog. Erwerberfall bei vorhandenen stillen Reserven komme. In diesen Fällen resultiere § 4 Abs. 6 UmwStG nicht in der gewollten „Einmalbesteuerung“, sondern in einer „Eineinhalbfachbesteuerung“ der stillen Reserven9. Gleichviel sei das Verlustabzugsverbot verfassungsrechtlich gerechtfertigt. Denn das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel, eine „Einmalbesteuerung“ der stillen Reserven sicherzustellen, „ließe sich – wenn überhaupt – nur um den Preis sehr komplizierter gesetzlicher Regelungen erreichen. Dabei bestünde die weitere Schwierigkeit, die Ausnahmen vom Verlustabzugsverbot punktgenau und gestaltungsfest zu fassen. Daher rechtfertigen im Ergebnis Vereinfachungserfordernisse die vom Gesetzgeber gewählte Lösung“10. 3. BFH v. 5.11.2015 – III R 13/13 Ebenso ist auch die nur zwei Wochen später ergangene Entscheidung des III. Senats des BFH ausgefallen11. In senatsübergreifender Einmütigkeit wird unter Rz. 72, 73 der Entscheidungsgründe gar wortgleich ausgeführt: „Das uneingeschränkte Verlustabzugsverbot hält dennoch einer gleichheitsrechtlichen Abwägung stand. … Das vom Gesetzgeber angestrebte Ziel, eine ‚Einmalbesteuerung‘ der stillen Reserven sicherzustellen, ließe sich – wenn überhaupt – nur für den Preis sehr komplizierter gesetzlicher Regelungen erreichen. Dabei bestünde die weitere Schwierigkeit, die Ausnahmen vom Verlustabzugsverbot punktgenau und gestaltungsfest zu treffen. Daher rechtfertigen Vereinfachungserfordernisse im Ergebnis die vom Gesetzgeber gewählte Lösung.“

III. Vorgebliche Sicherstellung der Einmalbesteuerung der ­stillen ­Reserven Wie ist nun aber die vom III. und IV. Senat des BFH geforderte Einmalbesteuerung der stillen Reserven zu verstehen? In Fällen des Erwerbermodells kommt es ja gerade dazu, dass im Erwerbspreis entgoltene stille Reserven nicht berücksichtigt werden, so dass der Beteiligungsaufwand des Gesellschafters zur Gänze unberücksichtigt bleibt – wie auch der IV. Senat ausdrücklich konstatiert12. Die geforderte Sicherstellung der Einmalbesteuerung der stillen Reserven ergibt sich nur, indem von der Ebene des 8 Vgl. Rz. 26 der Entscheidungsgründe. 9 Vgl. Rz. 41 der Entscheidungsgründe. 10 Vgl. Rz. 43 der Entscheidungsgründe. 11 Vgl. BFH v. 5.11.2015 – III R 13/13, BStBl. II 2016, 468. 12 Vgl. Rz.  41 des BFH-Urteils v. 22.10.2015  – IV R 37/13, BStBl.  II 2016, 919 („Auch im Streitfall bleibt der Beteiligungsaufwand zur Gänze und nicht nur in den Grenzen des Halb­einkünfteverfahrens unberücksichtigt“).

449

Martin Strahl

Gesellschafters auf die Ebene der Kapitalgesellschaft durchgegriffen wird, wie das folgende Beispiel belegt:

A1

Anteilseigner 2 (A2) 100 % – 3 Mio. € KapGes. Buchkapital 1 Mio. €

Veräußerung 2 Mio. € Gewinn Teileinkünfteverfahren (60 %), aber auch definitive Belastung der Gewinne der KapGes.

Veräußerung für 4 Mio. €

GmbH & Co. KG Buchkapital formwechselnde 1 Mio. € ohne Ergän- mit ErgänUmwandlung; zungsbilanz zungsbilanz Ansatz der 3 Mio. € 1 Mio. € Buchwerte VeräußeVeräußerungsrungsgewinn gewinn

Verstoß gegen das Steuersubjektprinzip und das Trennungsprinzip

volle Belastung (nochmalige Besteuerung 2 Mio. €)

Erläuterung: A1 hat die Beteiligung an der Kapitalgesellschaft gründungsgeboren erworben. Er hat ihr Nennkapital und Kapitalrücklagen in Höhe von insgesamt 1 Mio. Euro zugeführt, was seinen Anschaffungskosten entspricht. Nach einigen Jahren veräußert er die Beteiligung für 3 Mio. Euro an A2. Der von ihm erzielte Gewinn unterliegt nach § 3 Nr. 40 Buchst. d EStG dem Teileinkünfteverfahren; in die steuerliche Bemessungsgrundlage gehen somit nur 1,2 Mio. Euro ein. Dies hat selbstredend seine Entsprechung darin, dass die Gewinne auf Seiten der Kapitalgesellschaft einer definitiven Belastung mit Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer unterliegen. – Wird die Kapi­ talgesellschaft nunmehr formwechselnd in eine GmbH & Co. KG umgewandelt, wobei sie in ihrer umwandlungssteuerrechtlichen Schlussbilanz die Buchwerte ansetzt, gelten die Anteile des A2 mit ihren Anschaffungskosten von 3 Mio. Euro als eingelegt, so dass ein Übernahmeverlust in Höhe von 2 Mio. Euro entsteht. Würde dieser nicht in einer Ergänzungsbilanz dokumentiert und bei einer späteren Veräußerung des Mitunternehmeranteils berücksichtigt, ergäbe sich bei einer entgeltlichen Übertragung des Mitunternehmeranteils für 4 Mio. Euro ein Veräußerungsgewinn von 3 Mio. Euro. Damit käme es zu einer nochmaligen Besteuerung des bereits von A1 realisierten Veräußerungsgewinns von 2 Mio. Euro, der diesmal indes − § 34 Abs. 2 EStG außer Acht lassend – der vollen Besteuerung unterliegt. Darin ist ein Verstoß gegen das Subjektsteuerprinzip und das Trennungsprinzip angelegt. 450

Der Verlust des Übernahmeverlustes

Die rechtliche Würdigung durch den IV. und den III. Senat verstößt zunächst gegen das Subjektsteuerprinzip13. Im Ergebnis hat im oben stehenden Beispiel A2 bei Veräußerung seines Mitunternehmeranteils für 4 Mio. Euro, der die Anschaffung der Beteiligung an der umgewandelten Kapitalgesellschaft für 3 Mio. Euro vorausging, einen Gewinn von 3 Mio. Euro (statt 1 Mio. Euro) zu versteuern, weil beim früheren In­ haber der Beteiligung eben jene 2 Mio. Euro Differenz als Veräußerungsgewinn nur dem Teileinkünfteverfahren unterlagen. Die Nachholung der vollständigen Versteuerung dieser 2 Mio. Euro bei A2 verstößt gegen das Subjektsteuerprinzip; denn die für das Steuersubjekt A2 maßgeblichen Daten sind der von ihm erzielte Veräußerungs­ preis von 4 Mio. Euro und die aufgewandten 3 Mio. Euro. Der Differenzbetrag von (nur) 1 Mio. Euro sind die durch das Steuersubjekt A2 erlangten stillen Reserven. Nur ihre Versteuerung ist bei A2 gerechtfertigt. – Der Verfassungsrang des Subjektsteuerprinzips wurde jüngst auch durch den X. Senat des BFH in seinem Vorlagebeschluss an den Großen Senat zur Ermittlung eines Veräußerungsgewinns bei teilentgeltlichen Übertragungen („Trennungstheorie“) hervorgehoben14: „Nach dem Subjektsteuerprinzip – das zugleich Teil des verfassungsrechtlichen Grundsatzes ist, dass die Einkommensbesteuerung an die persönliche Leistungsfähigkeit anknüpfen muss  – sind stille Reserven grundsätzlich bei demjenigen Steuersubjekt zu versteuern, bei dem sie entstanden sind.“ (Hervorhebung im Original.)15 – Anders als in § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG − dies übersieht der X. Senat in seinem Vorlagebeschluss – ist umwandlungssteuerrechtlich aber keine Durchbrechung des Subjektsteuerprinzips angelegt. Die vom IV. und III. Senat vorgenommene rechtliche Würdigung verstößt zudem gegen das Trennungsprinzip, da sie Gegebenheiten auf Seiten der Kapitalgesellschaft (in Gestalt der auf Ebene der Kapitalgesellschaft gebildeten stillen Reserven) auf die Gesellschafterebene projiziert. Dies ist verfassungsrechtlich nicht gerechtfertigt, wie das Bundesverfassungsgericht schon zu § 8b KStG entschieden hat16. Das Bundesverfassungsgericht hat hier judiziert, die Pauschalierung eines Betriebsausgabenabzugsverbots durch die Hinzurechnung von 5 % des Veräußerungsgewinns und 5 % der Bezüge aus Unternehmensbeteiligungen zu den Einkünften einer Körperschaft nach § 8b Abs. 3 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 KStG sei mit dem Gleichbehandlungsgebot vereinbar. Zur Begründung wird unter Rz. 61 der Beschlussgründe u.a. ausgeführt: „Die prinzipielle Freistellung von wirtschaftlicher Doppel- oder Mehrfachbelastung durch die Körperschaft- und nachfolgender Einkommensteuer in Beteiligungsstruktu13 Vgl. dazu Hey/Seer in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl. 2015, § 8 Rz. 24: „Mit dem Grundsatz der Individualbesteuerung ist eine intersubjektive Korrespondenz steuerabzugsfähiger Ausgaben und zu versteuernder Einnahmen grds. nicht zu vereinbaren, weil die Steuerpflicht von Einnahmen und die Abzugsfähigkeit von Ausgaben allein bei der Person zu beurteilen sind, die den Einkommensteuertatbestand verwirklicht“. 14 Vgl. BFH v. 27.10.2015 – X R 28/12, BStBl. II 2016, 81, Rz. 70, FR 2016, 318, EStB 2016, 1. 15 Vgl. zur Maßgeblichkeit der personenbezogenen Einkommensbesteuerung z.B. auch Crezelius, FR 2011, 401; Stegner/Heinz, GmbHR 2001, 54 (58). 16 Vgl. BVerfG v. 12.10.2010 – 1 BvL 12/07, BGBl. I 2010, 1766, FR 2010, 1141, Der Konzern 2010, 639.

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ren, wie sie für das Halb- und Teileinkünfteverfahren in § 8b KStG festgelegt ist, und auch dem vorangehenden System des Anrechnungsverfahrens zugrunde lag, ist in erster Linie eine finanz- und wirtschaftspolitische Entscheidung des Gesetzgebers. Von Verfassungs wegen ist er nicht gehindert, für die Beantwortung der Frage, ob bei einem Unternehmen ein grundsätzlich steuerbarer Leistungszuwachs eingetreten ist, an die rechtliche Selbständigkeit der Kapitalgesellschaft anzuknüpfen, wie dies im Rahmen des das Körperschaftsteuerrecht beherrschenden Trennungsprinzips zwischen den Vermögenswerten von Körperschaft und Anteilseigner … auch sonst geschieht.“ Die Sphären des Gesellschafters und der Kapitalgesellschaft sind demzufolge getrennt zu behandeln. Dem entsprechen die Entscheidungen des IV. sowie des III. BFH-Senates nicht; denn hier wird der Gesellschafter, der stille Reserven im Rahmen des Erwerbs der Beteiligung entgolten hat, dadurch gestraft, dass diese auf der Ebene der Kapitalgesellschaft im Zuge der Umwandlung nicht aufgedeckt werden, was zudem die Bestimmungen zur umwandlungssteuerrechtlichen Schlussbilanz bei Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen gerade vorsehen. Maßgeblich für die Beurteilung ist, dass ein gesetzlich zulässiger Vorgang auf Ebene der Kapitalgesellschaft (Ansatz der Buchwerte in der umwandlungssteuerrechtlichen Schlussbilanz), auf den ein Minderheitsgesellschafter keinen Einfluss hat, auf die Besteuerungsebene des Gesellschafters durchschlägt und zu einem erhöhten Veräußerungsgewinn führt. Darin liegt ein Verstoß gegen das Trennungsprinzip, wie sich ebenso in analoger Anwendung der Beschlussgrundsätze des Bundesverfassungsgerichts in seiner Entscheidung zu § 8c KStG ergibt17. So heißt es zur Bedeutsamkeit des Trennungsprinzips unter Rz. 110 der Beschlussgründe: „Der Gesetzgeber erkennt Körperschaften im Sinne von § 1 KStG, insbesondere Kapitalgesellschaften, eine eigenständige und objektive Leistungsfähigkeit zu, die von der individuellen und subjektiven Leistungsfähigkeit der hinter der Kapitalgesellschaft stehenden Personen getrennt ist und unabhängig von dieser besteuert wird (BVerfGE 116, 164 ). Er misst die Leistungsfähigkeit der Kapitalgesellschaft nach deren Einkommen (§§ 7 f. KStG) und damit nach der Ertragskraft des Unternehmens (vgl. BVerfGE 127, 224 ).“ Weiter lautet es unter Rz. 114 der Beschlussgründe: „Die auf diese Weise bewirkte stärkere Abschirmung der Vermögenssphäre einer Kapi­ talgesellschaft gegenüber ihren Anteilseignern hat zur Folge, dass in der abgeschirmten Vermögenssphäre eine eigenständige Leistungsfähigkeit entsteht, die getrennt von der individuellen Leistungsfähigkeit der hinter der Kapitalgesellschaft stehenden Personen besteuert werden darf.“

17 Vgl. BVerfG v. 29.3.2017 – 2 BvL 6/11, FR 2017, 577, DB 2017, 1124, DStR 2017, 1094.

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Der Verlust des Übernahmeverlustes

Letztlich wird abgrenzend zur Stellung des Minderheitsgesellschaftes unter Rz. 139 der Beschlussgründe hervorgehoben: „Nur eine Mehrheitsbeteiligung ermöglicht es dem Anteilserwerber, auf die Kapitalgesellschaft unmittelbar maßgebend Einfluss zu nehmen“. Gegen sämtliche der vorstehenden Aussagen wird durch das vom IV. und III. Senat erhobene Postulat der „Einmalbesteuerung der stillen Reserven“ verstoßen. Übersehen wird insofern, dass es bei Kapitalgesellschaften und ihren Gesellschaftern zu einer „Verdoppelung der stillen Reserven“ kommt – sie entstehen einerseits auf der Ebene der Kapitalgesellschaft, andererseits auf jener des Gesellschafters18. Veräußert der Gesellschafter seine Anteile, ist allein die Erfassung der auf ihn entfallenden stillen Reserven geboten, die im Falle des derivativen Erwerbs der Anteile niedriger ausfällt als jene auf Gesellschaftsebene.

IV. Ein Wort zu Billigkeitsmaßnahmen Der IV. Senat des BFH setzt sich – anders als der VIII. Senat des BFH – nicht mit denkbaren Billigkeitsmaßnahmen auseinander. Vielmehr heißt es allein, über einen etwaigen Erlass aus Gründen der sachlichen Billigkeit habe der Senat nicht zu entscheiden, da ein solcher nicht Gegenstand des Revisionsverfahrens gewesen sei19. Wendt sieht die Erfolgsaussichten eines Billigkeitsantrages indes kritisch, indem er ausführt20: „Mit dem Urteil musste sich der BFH nicht zu der vom VIII. Senat in dessen Urt. v. 24.6.2014 (BFH v. 24.6.2014  – VIII R 35/10) angesprochenen, aber dort noch nicht ­abschließend zu beantwortenden Frage äußern, ob nicht wenigstens im Zeitpunkt der späteren Veräußerung des Personengesellschaftsanteils aus Billigkeitsgründen von der Besteuerung abzusehen ist. Dass bei einer typisierenden gesetzlichen Regelung Billigkeitsmaßnahmen nicht ausgeschlossen sind, sondern im Gegenteil typisierende Regelungen sogar flankieren und erst dadurch verfassungsrechtlich unangreifbar machen können, haben IV. und VIII. Senat übereinstimmend in der Vergangenheit betont. Im Fall des Übernahmeverlusts nach formwechselnder Umwandlung erscheint aber eine Billigkeitsmaßnahme zur Beseitigung einer Übermaßbesteuerung zweifelhaft. Denn die Besteuerungsfolgen sind für den betroffenen Gesellschafter vorhersehbar und vermeidbar. Wer die Besteuerungsfolgen gleichwohl in Kauf nimmt (und sei es nur, um seine in ­erster  Linie verfolgten wirtschaftlichen Ziele erreichen zu können), wird sich bei deren Eintreten wohl kaum auf eine Unbilligkeit berufen können (vgl. BFH v. 20.9.2012 – IV R 29/10, BStBl. II 2013, 505).“ (Hervorhebung nicht im Original).

18 Vgl. z.B. BT-Drucks. 18/4902 v. 13.5.2015, 56 f. 19 Vgl. BFH v. 22.10.2015 – IV R 37/13, BStBl. II 2016, 919, Rz. 53, FR 2016, 718, DB 2016, 445, EStB 2016, 164. 20 Vgl. Wendt, FR 2016, 722, 723 f.

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Ob die Rechtsfolgen tatsächlich „vorhersehbar und vermeidbar“ waren, erscheint indes seinerseits zweifelhaft. „Vorhersehbar“ waren sie zumindest bis zur Entscheidung des IV. Senats nicht; vielmehr nährte die Entscheidung des VIII. Senats21 die Hoffnung, dass es final (bei Veräußerung der Mitunternehmeranteile oder bei Liquidation der Personengesellschaft nach Umwandlung) zu einer Berücksichtigung des Übernahmeverlusts kommen müsse, der letztlich nur zusätzliche Anschaffungskosten repräsentiert.22 „Vermeidbar“ ist ein Übernahmeverlust für einen Minderheitsgesellschafter häufig gar nicht  – zumindest dann nicht, wenn er beabsichtigt, an der umzuwandelnden Kapitalgesellschaft beteiligt zu bleiben −,23 für einen Mehrheitsgesellschafter oftmals nur unter Inkaufnahme nicht tragbarer Steuerfolgen aus dem Ansatz von Zwischenwerten oder des gemeinen Werts in der Schlussbilanz der übertragenden Kapitalgesellschaft24. Soweit ein Verlustvortrag nicht vorhanden ist oder außerhalb der Grenze des §  8 Abs.  1 Satz 1 KStG i.V.m. §  10d EStG nicht genutzt werden kann, führt die Wertaufstockung in der umwandlungssteuerlichen Schlussbilanz der Kapitalgesellschaft zu einem Übertragungsgewinn, welcher ungemindert der Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer unterliegt, ohne dass dafür im Einzelfall Liquidität zur Verfügung stünde25. Der sich aus § 4 Abs. 2 Satz 1 UmwStG ergebende gegenläufige Effekt bei der übernehmenden Personengesellschaft wirkt sich aber regelmäßig erst über einen langen Zeitraum aus, der sich mit Bezug auf einen zu aktivierenden Firmenwert auf 15 Jahre erstreckt und im Hinblick etwa auf Grund und Boden erst bei Veräußerung oder Entnahme realisiert werden kann. Deswegen ist im Gegensatz zu den Äußerungen Wendts und im Einklang mit den Rechtsausführungen des VIII. Senats26 die (finale) Berücksichtigung eines Übernahmeverlustes im Billigkeitswege geboten.

21 Vgl. BFH v. 24.6.2014 − VIII R 35/10, BStBl. II 2016, 916, FR 2014, 852, DB 2014, 1900, GmbH-StB 2014, 307, EStB 2014, 359. 22 Vgl. dazu Strahl, BeSt 2014, 25; ders., FR 2014, 854. 23 Dies ergibt sich unmittelbar aus der Anmerkung Wendts, FR 2016, 722, 723: „Ein Gesellschafter, der auf derartige Entscheidungen wegen einer geringen Beteiligung keinen Einfluss hat, kann entweder nach § 207 UmwG widersprechen und dann gegen eine angemessene Kapitalabfindung ausscheiden oder kann seine Anteile freihändig vor der Umwandlung veräußern.“ 24 Insofern ist auch die (Richter-)Anmerkung Schießls, HFR 2016, 403, 404, nicht nachzuvollziehen, der die Entscheidung mit Verweis auf BVerfG v. 15.1.2008 – 1 BvL 2/04, BGBl. I 2008, 1006, FR 2008, 818, EStB 2008, 232, für verfassungsrechtlich fundiert hält, weil Ausweichoptionen für den Steuerpflichtigen vorhanden seien, die für den Steuerpflichtigen „keinen unzumutbaren Aufwand“ bedeuten „und ihn auch sonst keinem nennenswerten finanziellen oder rechtlichen Risiko“ aussetzen. 25 Vgl. dazu auch Berechnungsbeispiele bei Heurung/Kollmann/S. Schmidt, StuB 2016, 527, 530 f. 26 Vgl. BFH v. 24.6.2014 – VIII R 35/10, BStBl. II 2016, 916, Rz. 27, FR 2014, 852, DB 2014, 1900, GmbH-StB 2014, 307, EStB 2014, 359; vgl. auch Pezzer, BFH-PR 2014, 381, 382; Noth­ nagel, HFR 2014, 1107.

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Der Verlust des Übernahmeverlustes

V. Gesetzgeberische Handlungsoption Im Hinblick darauf, dass die Rechtsprechung mit Bezug auf § 4 Abs. 6 UmwStG einen Verstoß gegen das objektive Nettoprinzip erkennt27, der bei den Betroffenen gravierende Auswirkungen haben kann (Vernichtung der von ihnen getragenen Anschaffungskosten), ist gesetzgeberisches Handeln geboten, um der Feststellung der Verfassungswidrigkeit des § 4 Abs. 6 UmwStG zuvor zu kommen. Eine gesetzliche Regelung, welche zwar die unter Durchbrechung des Subjektsteuerund Trennungsprinzips geforderte „Einmalbesteuerung“ der stillen Reserven her­ beiführen könnte, ist keinesfalls so komplex angelegt, wie sowohl vom IV. als vom III. Senat des BFH befürchtet. Vielmehr findet sich für den umgekehrten Umwandlungsvorgang – die Einbringung eines Betriebes in eine Kapitalgesellschaft – ein Vorbild in § 22 UmwStG, der das Entstehen sperrfristverhafteter Anteile vorgibt, wenn die aufnehmende Kapitalgesellschaft in ihrer Schlussbilanz vom gemeinen Wert zugunsten des Buchwertes oder eines Zwischenwertansatzes ausgeht. Der Verdeutlichung diene die folgende Abbildung 2: Gesellschafter 1

Gesellschafter 2 Ergänzungsbilanz 2 Mio. € GmbH & Co. KG Buchkapital 1 Mio. €

Erbringung, Ansatz der Buchwerte

GmbH Buchkapital 3 Mio. €

Veräußerung für 4 Mio. € (nach sieben Jahren)

Veräußerungsgewinn 2 Mio. €

Veräußerungsgewinn 1 Mio. €

volle Versteuerung

Teileinkünfteverfahren 60 %

27 Vgl. BFH v. 22.10.2015 – IV R 37/13, BStBl. II 2016, 919, Rz. 36, FR 2016, 718, DB 2016, 445: „Die Nichtberücksichtigung des Übernahmeverlustes, die im Streitfall dazu führt, dass Anschaffungskosten des Klägers für die Anteile an der formwechselnden I-GmbH in Höhe von 170.000 Euro endgültig verlorengehen, stellt eine Durchbrechung des objektiven Nettoprinzips dar, weil die zu den Erwerbsaufwendungen gehörenden Anschaffungskosten der mit der Umwandlung untergehenden Kapitalbeteiligung endgültig nicht mehr abgezogen werden können.“

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Erläuterung: In Umkehrung des Falles, welcher der Abbildung 1 zugrunde liegt, ist hier der Gründungsgesellschafter an einer GmbH & Co. KG – vermögensmäßig allein – beteiligt. Das Buchkapital soll wiederum 1 Mio. Euro betragen. Veräußert er seine Kommanditbeteiligung für 3 Mio. Euro, so erfasst der nachfolgende Gesellschafter die von ihm über das Buchkapital hinausgehend getragenen Anschaffungskosten von 2 Mio. Euro in einer Ergänzungsbilanz. Wird sodann der Kommanditanteil in eine GmbH nach § 20 UmwStG eingebracht und setzt diese die Buchwerte an, so weist sie ein Buchkapital von 3 Mio. Euro aus. Die dem Einbringenden gewährten Anteile sind nach § 22 Abs.  1 Satz 1 UmwStG sperrfristbehaftet. Werden die Anteile nach Ablauf des Sieben-Jahres-Zeitraums für 4 Mio. Euro veräußert, unterliegt der Veräußerungsgewinn (lediglich) dem Teileinkünfteverfahren. Der Veräußernde hat hier infolgedessen keine Mehrfachbesteuerung der auf ihn entfallenden stillen Reserven hinzunehmen – wie dies in der Konstellation der Umwandlung einer Kapitalgesellschaft in eine Personenunternehmung unter Entstehung eines Übernahmeverlustes der Fall sein sollte, obzwar er bei Fortbestehen der Mitunternehmerschaft einen erzielten Veräußerungsgewinn von 1 Mio. Euro hätte voll versteuern müssen. Dem willentlichen Wechsel von der Vollversteuerung zum Teileinkünfteverfahren wird durch § 22 UmwStG vorgebeugt. Ebenso wie die Einbringung in eine Kapitalgesellschaft mit dem Entstehen sperrfristverhafteter Anteile verbunden ist, wenn die aufnehmende Kapitalgesellschaft in ihrer Schlussbilanz Werte unterhalb des gemeinen Werts ansetzt, könnte auch geregelt werden, die Umwandlung in eine Mitunternehmerschaft führe bei Ansatz eines Wertes unterhalb des gemeinen Wertes in der Schlussbilanz der umzuwandelnden Kapitalgesellschaft zu „umwandlungsbedingten Mitunternehmeranteilen“, soweit es zu einem Übernahmeverlust komme. Dieser Übernahmeverlust ist im ersten Jahr nach der Einbringung zu 60 % zu berücksichtigen28, die verbleibenden 40 % sind zusätzlich zu erfassen, und zwar mit jedem nach der Umwandlung verstrichenen Jahr zunehmend um 1/7. Es ergäbe sich dann ein Mechanismus, der jenem des §  22 Abs.  1 UmwStG entspräche  – eine sofortige „Realisation“ des Übernahmeverlustes durch Veräußerung der Beteiligung an der Mitunternehmerschaft führte zu seiner Berücksichtigung nur im Umfang von 60 % und würde mithin so behandelt, als habe der Gesellschafter seine – untergegangene – Beteiligung an der Kapitalgesellschaft veräußert. Im Zeitablauf wird er jährlich zunehmend in eine Stellung überführt, als habe er den Anteil an der Mitunternehmerschaft originär erworben. Allein ein solcher Ansatz wird dem Subjektsteuerprinzip und dem objektiven Nettoprinzip gerecht. 28 Dies hält auch (Ltd. MinR) van Lishaut in: Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, 2. Aufl. 2013, § 4 UmwStG Rz. 126, für sachgerecht, um das Abzugsverbot denn doch damit zu rechtfertigen, „punktgenaue Regelungen zur Sicherung der Einmalbesteuerung“ seien „weder praktikabel noch hinreichend gestaltungsfest. Ein Abzug von Übernahmeverlusten wäre nur in Verbindung mit einer Sicherungsklausel möglich, die ähnlich wie der frühere § 50c EStG nach der Herkunft der Anteile und nach dem Steuerstatus des Vorinhabers und dessen etwaiger weiterer Rechtsvorgänger unterscheidet.“ – Letzteres ist im Hinblick auf das Subjektsteuerprinzip nicht vonnöten, sondern abzulehnen.

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Einkommensteuerneutrale Unternehmensnachfolge durch Buchwertfortführung Inhaltsübersicht

I. Einführung

II. Rechtfertigung und Bedeutung des ­einkommensteuerneutralen Betriebsübergangs 1. Verhältnis zur Schenkung- und ­Erbschaftsteuer 2. Bedeutung des einkommensteuer­ lichen Subjektsteuerprinzips für den Betriebsübergang a) Folgen einer strikten Anwendung des Subjektsteuerprinzips b) Durchbrechung des Subjektsteuerprinzips durch § 6 Abs. 3 EStG c) Historische Entwicklung bis zum heutigen § 6 Abs. 3 EStG d) Rechtfertigung des Systembruchs e) Erstreckung der Buchwertfortführung auf verschiedene betriebliche Sachgesamtheiten

III. Aktuelle Fragen zur Buchwertüber­ tragung nach § 6 Abs. 3 EStG 1. Umstrukturierungen im zeitlichen ­Zusammenhang mit der Übertragung eines Betriebs a) Entfernung einer wesentlichen ­Betriebsgrundlage vor Übertragung des Betriebs b) Kein zeitraumbezogener Betriebs­ begriff c) Konkurrenz von Regelungen zur Buchwertfortführung 2. Besonderheiten bei der Übertragung eines Teilmitunternehmeranteils a) Erstreckung des § 6 Abs. 3 EStG auf Teilmitunternehmeranteile b) Sonderregelung in § 6 Abs. 3 Satz 2 EStG c) Erste von der Rechtsprechung ­beantwortete Auslegungsfragen IV. Schluss

I. Einführung Die Besteuerung der Unternehmensnachfolge ist in diesen Zeiten ein vieldiskutiertes Thema. Es beschäftigt nicht nur Steuerfachleute und Unternehmer, sondern eine breite Öffentlichkeit. Die Diskussionen kreisen um die Frage, ob die Übertragung eines Unternehmens innerhalb der Familie durch vorweggenommene oder tatsächliche Erbfolge gegenüber der Übertragung anderen Vermögens privilegiert sein soll, und wenn ja, unter welcher Bedingung die Privilegierung stehen und wie groß sie sein soll. Auslöser der Diskussion war der gesetzgeberische Handlungsbedarf, der durch die Entscheidungen des BVerfG1 zur Schenkung- und Erbschaftsteuer entstanden war. Mit großen Mühen gelang dem Gesetzgeber im Jahr 2016 die Verabschiedung eines

1 Zuletzt BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BGBl. I 2015, 4, BVerfGE 138, 136.

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ErbStReformG 20162, von dem man wohl nicht sagen kann, dass es der große Wurf gewesen ist. Im Gegenteil wirft die Gesetzesänderung so viele Fragen auf, dass die Fortsetzung der Diskussionen um die Besteuerung der Unternehmensnachfolge vorhergesagt werden kann. Über Fragen der Einkommensteuer wird in diesem Zusammenhang kaum gesprochen. Das kann vielleicht darauf zurückzuführen sein, dass die relevanten einkommensteuerlichen Fragen in der letzten Zeit weder vom BVerfG problematisiert noch in die Erörterungen des Politikbetriebs einbezogen worden sind. Selbst unter Fachleuten ist die einkommensteuerliche Behandlung der Unternehmensnachfolge in ihren Grundfragen kein bedeutender Diskussionsgegenstand. Allerdings hat sich in Detailfragen in den vergangenen Jahren doch ein Dissens gezeigt, der vielleicht tiefer reicht und Grundfragen der einkommensteuerlichen Behandlung der Unternehmensnachfolge berührt. Georg Crezelius gehört zu den wenigen Spezialisten, die Fragen der Unternehmensnachfolge aus allen denkbaren Perspektiven auf höchstem fachlichen Niveau untersuchen und beantworten können, nämlich aus erbrechtlicher, gesellschaftsrechtlicher, erbschaftsteuerlicher und einkommensteuerlicher Sicht. Der dem Jubilar gewidmete nachstehende Beitrag beleuchtet die einkommensteuerliche Facette der Unternehmensnachfolge. Ausgehend von den Grundfragen stellt er die derzeit bestehenden Meinungsunterschiede zu einzelnen Anwendungsfällen dar.

II. Rechtfertigung und Bedeutung des einkommensteuerneutralen ­Betriebsübergangs 1. Verhältnis zur Schenkung- und Erbschaftsteuer Die wichtigste Grundentscheidung des Gesetzgebers ist in diesem Zusammenhang, dass die Bereicherung des Rechtsnachfolgers, die ohne Zweifel dessen wirtschaftliche Leistungsfähigkeit steigert, nicht als einkommensteuerbares Einkommen behandelt wird. Eine Besteuerung des Erbanfalls oder einer Schenkung von Betriebsvermögen im Rahmen der Einkommensteuer wäre theoretisch denkbar, würde aber komplexe Fragestellungen aufwerfen und bereits gesetzestechnisch schwer umzusetzen sein3. Unterwirft man den Erbanfall oder die Schenkung aber einer Schenkung- und Erbschaftsteuer, bedeutet dies nicht, dass sich die steuerliche Bedeutung des Vorgangs darin erschöpft. Vielmehr gibt es vielfältige Überschneidungen mit dem Einkommensteuerrecht4, insbesondere im Zusammenhang damit, dass die Einkunftsquelle auf ein anderes Steuersubjekt übergeht. 2 Gesetz zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des BVerfG v. 4.11.2016, BGBl. I 2016, 2464. 3 Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl. 2003, § 13 Nr. 1. 4 Diese haben den Jubilar immer wieder beschäftigt, wie etwa in seinem grundlegenden Beitrag bei einer Jahrestagung der DStJG (DStJG 22 [1999], S. 73 ff.; hierzu auch das anschließende Referat von Mellinghoff, S. 127 ff.), in zahlreichen Beiträgen bei Jahresarbeitstagungen

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Unternehmensnachfolge unter Buchwertfortführung

2. Bedeutung des einkommensteuerlichen Subjektsteuerprinzips für den ­Betriebsübergang a) Folgen einer strikten Anwendung des Subjektsteuerprinzips Weil die Einkommensteuer dem Grundsatz folgt, dass jeder Stpfl. das von ihm durch seine auf Einkunftserzielung gerichtete Tätigkeit erwirtschaftete Einkommen zu versteuern hat, muss im Grundsatz sichergestellt sein, dass aus der Fortsetzung der Einkunftserzielung durch den Rechtsnachfolger bei jenem auch nur solche Einkünfte anfallen, die er selbst erwirtschaftet hat. Dies würde insbesondere einem Übergang steuerverstrickter stiller Reserven auf den Rechtsnachfolger entgegenstehen, jedenfalls dem Übergang auf den Einzelrechtsnachfolger. Ob für den Fall der Gesamtrechtsnachfolge auch steuerrechtlich von einer Universalsukzession auszugehen ist mit der Folge, dass auch alle stillen Reserven auf den Gesamtrechtsnachfolger als Steuersubjekt übergehen, ist streitig5, aber jedenfalls heute Auffassung des BFH6. Zumindest im Fall der Einzelrechtsnachfolge wäre dem Subjektsteuerprinzip des Einkommensteuerrechts nur dann Rechnung getragen, wenn das übergehende Betriebsvermögen vom Rechtsnachfolger mit dem Verkehrswert im Zeitpunkt des Erwerbs bewertet würde. Alle später eintretenden Wertveränderungen wären eindeutig allein dem Rechtsnachfolger zuzuordnen. Aus der Sicht des Rechtsvorgängers würde das bedeuten, dass bei ihm auf den Zeitpunkt des Betriebsübergangs das gesamte Betriebsvermögen mit dem Verkehrswert zu bewerten wäre. Differenzen zwischen diesem Wert und dem bisherigen Buchwert würden den Gewinn des Rechtsvorgängers in der letzten Ermittlungsperiode beeinflussen. Er würde sämtliche stillen Reserven und stillen Lasten in der letzten Rechnungsperiode zu versteuern haben. Ist der Umfang der stillen Reserven groß, käme es zu durch den Betriebsübergang ausgelösten erheblichen Einkommensteuerbelastungen. Diese würden sich bei vorhandenen Verlustvorträgen mindern, selbst bei ausreichend hohen Verlustvorträgen im Fall des Überschreitens der Mindestbesteuerungsgrenzen des §  10d EStG allerdings nicht vollständig ausgeglichen werden. Zwar könnte der Rechtsvorgänger verbleibende Verlustvorträge mit weiteren künftigen Einkünften ausgleichen. Dies setzt aber voraus, dass anschließend noch Einkünfte aus anderen Einkunftsquellen in ausreichender Höhe bezogen werden. Bleiben Verlustvorträge vom Rechtsvorgänger ungenutzt, gehen sie mit dessen Tod unter. Sie können nach heutiger Rechtsauffassung nicht vom Erben zum Ausgleich von dessen positiven Einkünften genutzt werden7. Dies gilt auch insoweit, als die Verlustvorträge mit betrieblichen Vorgängen zusamder Fachanwälte für Steuerrecht, an denen er sowohl auf ertragsteuerlichen wie auf erbrechtlichen Podien beteiligt war (z.B. JbFStR 2001/2002, S. 305 zur ertragsteuerlichen und S. 558 zur erbschaftsteuerlichen Beurteilung von Teilmitunternehmeranteilsübertragungen bei vorhandenem Sonderbetriebsvermögen), in Fachaufsätzen (z.B. ZEV 2014, 637 und ZEV 2015, 392) oder (häufig kritischen) Urteilsanmerkungen (z.B. ZEV 2017, 172 zu dem Urteil des BFH v. 6.12.2016 – I R 50/16, BStBl.  II 2017, 324 betreffend Erbschaft einer Pflegeheim-GmbH). 5 Ablehnend z.B. Ruppe, DStJG 10 (1987), 45 ff. 6 BFH v. 17.12.2007 – GrS 2/04, BStBl. II 2008, 608 unter D.I. 7 BFH v. 17.12.2007 – GrS 2/04, BStBl. II 2008, 608.

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menhängen, die später in der Hand des Rechtsnachfolgers zu betrieblichen Gewinnen führen. Die Verknüpfung mit dem Betrieb tritt hinter die personale Zuordnung der Verluste zurück, die sich aus dem Subjektsteuerprinzip des Einkommensteuerrechts ergibt. Bei strikter Beachtung des Subjektsteuerprinzips würde eine Betriebsübertragung also erhebliche einkommensteuerliche Belastungen für den Übertragenden ergeben. Wenn der Betriebsinhaber nicht über erhebliches Vermögen außerhalb des Betriebs verfügt, könnte er die anfallende Einkommensteuer nur durch Entnahmen aus dem Betrieb finanzieren. Dies würde eine Schmälerung des unternehmerisch eingesetzten Kapitals bedeuten, die nicht nur zu einer geringeren Gewinnerwartung in der Zukunft führen, sondern je nach Höhe der Steuer auch die Veräußerung von Wirtschaftsgütern des Betriebs bis hin zu ganzen Betriebsteilen erforderlich machen könnte. Bei Übertragungen unter Lebenden müsste sich der bisherige Betriebsinhaber die Mittel zur Steuerzahlung noch vor der Übertragung beschaffen, so dass er ggf. nur noch einen verkleinerten Betrieb übertragen könnte. Im Ergebnis würde auf den Rechtsnachfolger häufig nur ein deutlich verkleinerter Betrieb übergehen. Dies könnte etwa die Frage aufwerfen, ob ein solches Ergebnis noch mit der Garantie des Erb­ rechts in Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG vereinbar ist. b) Durchbrechung des Subjektsteuerprinzips durch § 6 Abs. 3 EStG Die bisherigen Überlegungen sind allerdings mit Bedacht im Konjunktiv gehalten, denn das Einkommensteuerrecht enthält eine Regelung, die bewirkt, dass derartige besorgniserregende Szenarien nicht Wirklichkeit werden können. In § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG heißt es, dass die unentgeltliche Übertragung eines Betriebs zum Buchwert stattfindet: der Rechtsnachfolger führt die Buchwerte der Wirtschaftsgüter des übertragenen Betriebs fort. Die Übertragung hat also nicht die Aufdeckung der stillen Reserven des Betriebs, sondern deren unveränderten Übergang auf den Rechtsnachfolger zur Folge. Diese Folge ist zwingend vom Gesetz vorgeschrieben und betrifft dem Wortlaut nach Schenkungen unter Lebenden, wird aber nach allgemeiner Meinung auch auf den Betriebsübergang von Todes wegen bezogen8. Mit der Vorschrift verletzt der Gesetzgeber bewusst das Subjektsteuerprinzip9. Er will damit die Generationennachfolge in Unternehmen erleichtern und sichert auf diese Weise zugleich das verfassungsrechtlich verbürgte Erbrecht. Die heutige gesetzliche Regelung in § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG ist noch vergleichsweise jung. Sie stammt aus dem sog. StEntlG 1999/2000/200210, dem steuerlichen Gesetzes­ paket, das bei Antritt der rot-grünen Regierungskoalition Ende 1998 verabschiedet worden ist. Leider ist die Begründung des Gesetzentwurfs zu dieser Regelung spärlich ausgefallen. Der Entwurf wird damit begründet, dass die bisher in § 7 Abs. 1 EStDV 8 Z.B. BFH v. 10.8.1972 – VIII R 1/67, BStBl. II 1973, 9 unter I. und BFH v. 20.7.2005 – X R 22/02, BStBl. II 2006, 457 unter II.3)e), jeweils zu § 7 Abs. 1 EStDV. 9 Crezelius, Stbg. 2007, 449, 454. 10 Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 v. 24.3.1999 (BGBl.  I 1999, 402; BStBl.  I 1999, 304).

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befindliche Regelung unverändert in das Gesetz übernommen werde. Weil die Übertragung eines Betriebs nach den Regeln des Umwandlungssteuergesetzes steuerneutral durchgeführt werden könne, sei eine entsprechende Begünstigung bei unentgeltlicher Übertragung sachgerecht und beizubehalten11. Dass Umwandlungen nach dem UmwStG zum Buchwert möglich sind, obwohl sie nach der Vorstellung des Gesetzes nicht unentgeltlich, sondern tauschähnlich gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten stattfinden, führt wohl zu einem Argument a majore ad minus: dann müssen erst recht Übertragungen ohne Gegenleistung zum Buchwert durchzuführen sein. Welche Gründe zur Schaffung der Vorgängerregelung in § 7 Abs. 1 EStDV geführt haben, war für die Verfasser des Gesetzentwurfs im Jahr 1998 anscheinend ohne Bedeutung. Immerhin gab es bei Einführung des § 7 Abs. 1 EStDV noch keine Regelung im damaligen Umwandlungssteuergesetz, die die Einbringung eines Betriebs in eine Personenoder Kapitalgesellschaft zum Buchwert möglich gemacht hätte12, so dass der damalige Verordnungsgeber andere Gründe für die Regelung gehabt haben muss als die Gleichstellung mit Umwandlungsvorgängen. c) Historische Entwicklung bis zum heutigen § 6 Abs. 3 EStG Begibt man sich auf die Suche nach den Ursprüngen der Regelung wird man wohl § 20 Abs. 2 EStG 192513 als erste gesetzliche Regelung für die einkommensteuerliche Behandlung einer unentgeltlichen Betriebsübertragung ansehen müssen. Dort war ein Wahlrecht für den Übertragenden vorgesehen, anstelle des Buchwerts den höheren gemeinen Wert − also vereinfacht gesagt: Verkehrswert − in seiner letzten Bilanz anzusetzen. Die Begründung zu der damaligen Regelung zeigt, dass man den Übergang des Betriebs zum Buchwert für selbstverständlich hielt und nur eine Rechtfertigung dafür suchte, warum wahlweise und unter Verstoß gegen das Realisationsprinzip auch eine Aufdeckung der stillen Reserven zulässig14 und warum der Rechtsnachfolger an diesen höheren Wert gebunden sein sollte. Bei der Novellierung des EStG im Jahr 1934 entfiel die bisherige gesetzliche Regelung und wurde durch eine Regelung in § 6 Abs. 1 der EStDV 1935 ersetzt. Diese Norm ähnelte bereits der heutigen Regelung, denn sie ordnete die Buchwertfortführung ausdrücklich an, sah aber zusätzlich ein Wahlrecht für den bisherigen Betriebsinhaber bzw. den Gesamtrechtsnachfolger15 vor, 11 BT-Drucks. 14/23, 173. 12 Diese wurden erst durch das UmwStG 1969 (BGBl. I 1969, 1163) geschaffen. 13 Erstmals folgte das EStG 1920 der Reinvermögenszugangstheorie. Nach der vorher herrschenden Quellentheorie waren Wertveränderungen der Einkunftsquelle sowie deren Veräußerung unbeachtlich. Deshalb bedurfte es auch keiner Regelung für die Übertragung der Quelle. Dass man auch im EStG 1920 zunächst keine Regelung für den unentgeltlichen Betriebsübergang vorgesehen hatte, hängt mit der strikten Beachtung des Realisationsprinzips zusammen (vgl. Buschkühle, Die unentgeltliche Übertragung von Mitunternehmeranteilen unter besonderer Berücksichtigung von Sonderbetriebsvermögen, Berlin 2004, S. 71). 14 Gesetzesbegründung, abgedruckt bei Strutz, Kommentar zum EStG 1925, Bd. II, §  20 Anm. 2. 15 Die ausdrückliche Nennung des Gesamtrechtsnachfolgers belegt, dass man den Betriebsübergang von Todes wegen schon immer als Anwendungsfall der Regelung betrachtet hat.

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anstelle des Buchwerts den Teilwert anzusetzen. Der Rechtsnachfolger war im Fall der Ausübung des Wahlrechts an die höheren Werte gebunden. Mit der Neufassung der EStDV im Jahr 1949 entfiel das Wahlrecht; der damalige § 5 Abs. 1 EStDV sah den zwingenden Ansatz des Buchwerts vor und ordnete die Bindung des Rechtsnachfolgers an diesen Wert an. Dabei blieb es auch in der nächsten Fassung der Regelung in Gestalt des § 7 Abs. 1 EStDV 1955, die bis zum Jahr 1998 in Kraft blieb. Den Materialien zu den genannten Regelungen lässt sich also keine Rechtfertigung für den Verstoß gegen das Subjektsteuerprinzip entnehmen. Vielmehr kann man zumindest in Bezug auf die Urfassung des Jahres 1925 erkennen, dass der Gesetzgeber nicht von einem rechtfertigungsbedürftigen Systemverstoß ausging, sondern im Gegenteil die Übertragung zum Buchwert für systemimmanent hielt16. d) Rechtfertigung des Systembruchs Was rechtfertigt die Regelung also heute? Handelt es sich um eine Subvention, wie der Nestor des bundesrepublikanischen Steuerrechts Klaus Tipke im Jahr 1981 meinte17? „Den Unternehmen soll aus Gründen wirtschaftlicher Vernunft in Fällen entgegengekommen werden, in denen ihnen keine Mittel zufließen, so dass zur Steuerzahlung ein Teil der vorhandenen Substanz liquidiert werden müsste“, sagte er damals. Bemerkenswerterweise zog auch er den Vergleich zum Umwandlungssteuerrecht, denn weiter heißt es an der genannten Stelle: „Die personale Struktur der Einkommensteuer wird zur wirtschaftlichen Schonung des Unternehmens durchbrochen. Diese Rechtfertigung entspricht der Rechtfertigung der Behandlung der Umwandlungsfälle (­soweit dabei stille Reserven auf ein anderes Subjekt übergehen) und der Betriebs­ aufspaltung.“ Noch kritischere Geister warfen dem Gesetzgeber „Buchwertfortführungsfetischismus“ vor18. Der BFH sah die Buchwertfortführung bei unentgeltlichem Betriebsübergang weniger kritisch und meinte etwa im Jahr 1962 dazu, der Gesetzgeber halte es nicht für erforderlich, die Realisierung der stillen Reserven beim Erblasser oder bei dem Übertragenden zu verlangen, weil er in der Betriebsübertragung keinen wirtschaftlich ausreichenden Grund für einen Zwang für die Gewinnrealisierung sehe19. Grund für die Durchbrechung des Subjektsteuerprinzips kann jedenfalls nur die betriebliche Bindung der stillen Reserven sein, denn für die unentgeltliche Übertragung von einzelnen Wirtschaftsgütern gibt es keine entsprechende Regelung. Dort kommt es grundsätzlich zur Aufdeckung der stillen Reserven, wenn das Wirtschaftsgut aus nicht betrieblichen Gründen unentgeltlich übertragen wird, weil dann eine mit dem Teilwert zu bewertende Entnahme im Sinne des § 6 Abs. 1 Nr. 4 EStG vorliegt. Die

16 Auch der BFH ging von der Systemgerechtigkeit der Regelung aus (BFH v. 23.4.1971 – IV 201/65, BStBl. II 1971, 686); kritisch demgegenüber mit Zweifeln an einer ausreichenden Ermächtigungsgrundlage etwa Lang, DStJG 4 (1981), S. 45, 48. 17 DStJG 4 (1981), S. 10. 18 So Trzaskalik, DStJG 1 (1978), S. 143, 147. 19 BFH v. 25.5.1962 – I 155/59 U, BStBl. III 1962, 351.

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Buchwertfortführung dient, wie der BFH in einem Urteil v. 2.8.201220 ausführt, „der Sicherung der Liquidität des nach einem Rechtsträgerwechsel fortgeführten Betriebs“. Weil § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG die Übertragung von Sachgesamtheiten und nicht von Einzelwirtschaftsgütern begünstige, diene die Vorschrift „typischerweise der Erleichterung der Generationennachfolge“. e) Erstreckung der Buchwertfortführung auf verschiedene betriebliche ­Sachgesamtheiten Neben der Übertragung des ganzen Betriebs wird von § 6 Abs. 3 EStG auch die Übertragung eines Teilbetriebs und eines Mitunternehmeranteils begünstigt. Die Gleichbehandlung von Betrieb und Teilbetrieb war schon unter der Geltung des § 20 Abs. 2 EStG 1925 vertreten worden, obwohl in jener Gesetzesfassung ausdrücklich nur der Betrieb erwähnt war. In den Nachfolgevorschriften wurde der Teilbetrieb dann auch ausdrücklich genannt. Mit § 7 Abs. 1 EStDV 1955 wurde die Regelung auch auf den Anteil eines Mitunternehmers an einem Betrieb erstreckt. Der Mitunternehmeranteil steht dem Betrieb insofern gleich, als er ebenfalls alle Wirtschaftsgüter des Gesamthandsvermögens der Personengesellschaft bzw. im Fall einer Gesellschaft ohne Gesamthandsvermögen den Anteil am mitunternehmerisch gebundenen Vermögen repräsentiert, nur eben prozentual begrenzt auf den Anteil des Gesellschafters daran. Würde man den Mitunternehmeranteil allerdings auf diesen Anteil beschränken, wäre der Mitunternehmer anders als der Einzelunternehmer nicht verpflichtet, sich von dem gesamten im Zusammenhang mit dem Betrieb genutzten Vermögen zu trennen, um eine Gewinnrealisierung zu vermeiden. Denn dazu gehört beim Mitunternehmer auch dessen Sonderbetriebsvermögen. Um eine solche Besserstellung des Mitunternehmers zu vermeiden, muss man dessen Sonderbetriebsvermögen ebenfalls als Bestandteil des Mitunternehmeranteils im Sinne des § 6 Abs. 3 EStG betrachten21.

III. Aktuelle Fragen zur Buchwertübertragung nach § 6 Abs. 3 EStG 1. Umstrukturierungen im zeitlichen Zusammenhang mit der Übertragung ­eines Betriebs Die bisherigen Überlegungen sollten die steuersystematischen Grundlagen der Buchwertfortführung bei Übertragung des Betriebs, Teilbetriebs oder Mitunternehmeranteils deutlich machen. Aktuelle Probleme der Rechtsanwendung wurden bisher ausgespart, sollen aber jetzt aufgegriffen werden. Im Zusammenhang mit der Übertragung eines ganzen Betriebs gibt es derzeit kaum bedeutende Streitfragen. Allerdings betrifft eine bei Übertragungen von Mitunternehmeranteilen hoch streitige Frage ein Grundsatzproblem des § 6 Abs. 3 EStG und muss für den Betrieb dieselbe Bedeutung haben wie für den Mitunternehmeranteil. Es geht um die Frage, welche Bedeutung betrieb20 BFH v. 2.8.2012 – IV R 41/11, DStR 2012, 2118. 21 BFH v. 31.8.1995 – VIII B 21/93, BStBl. II 1995, 890.

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liche Umstrukturierungen im zeitlichen Zusammenhang mit der unentgeltlichen Übertragung haben. Kann die Fortführung des Buchwerts daran scheitern, dass das Betriebsvermögen in engem zeitlichem Zusammenhang mit der Übertragung verkleinert oder vergrößert worden ist? a) Entfernung einer wesentlichen Betriebsgrundlage vor Übertragung des ­Betriebs Nach dem Wortlaut des § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG muss „der Betrieb“ unentgeltlich übertragen werden. Zeitbezogene Tatbestandsmerkmale enthält §  6 Abs.  3 Satz 1 EStG nicht. Es ist also davon auszugehen, dass das gesamte Betriebsvermögen übertragen werden muss, das im Zeitpunkt der Übertragung zu diesem Betrieb gehört. Zuvor ausgeschiedenes Betriebsvermögen ist nicht mehr Bestandteil des Betriebs. Für die Fortführung des Buchwerts nach § 6 Abs. 3 Sätze 1 und 3 EStG ist es nach Meinung des BFH „ohne Bedeutung, ob und wann zuvor ein Wirtschaftsgut dem Betriebsvermögen zugegangen ist oder dieses verlassen hat und unter welchen Umständen und mit welchen steuerlichen Folgen dieser Vorgang stattgefunden hat. Es ist ebenfalls unerheblich, ob ein aus dem Betriebsvermögen entferntes Wirtschaftsgut im Zeitpunkt der Übertragung noch tatsächlich in der betrieblichen Einheit genutzt wird oder nicht“22. Von der Finanzverwaltung wird diese Auffassung wohl bis heute nicht geteilt. Zwar gibt es bislang keine offizielle Äußerung der Finanzverwaltung zur Auslegung des § 6 Abs.  3 Satz 1 EStG in Bezug auf die Übertragung eines ganzen Betriebs. In einem BMF-Schreiben aus dem Jahr 2005 wird allerdings zu Übertragungen von Mitunternehmeranteilen Stellung genommen23. Dort heißt es in Rz. 6, dass eine anlässlich der Anteilsübertragung vorgenommene Ausgliederung von funktional wesentlichem Sonderbetriebsvermögen zum Buchwert nach § 6 Abs. 5 Sätze 2 und 3 EStG schädlich sei und der Buchwertübertragung des Anteils am Gesamthandsvermögen entgegenstehe. Stattdessen seien die stillen Reserven im Anteil am Gesamthandsvermögen aufzudecken und mit dem Regeltarif der Einkommensteuer zu besteuern. Selbst eine zur Gewinnrealisierung führende Entnahme funktional wesentlichen Sonderbetriebsvermögens stehe einer Buchwertübertragung des Gesamthandsvermögens entgegen (Rz. 7)24. Was aber in diesem Fall an die Stelle des Buchwerts treten soll, lässt sich dem BMF-Schreiben nicht entnehmen25.

22 BFH v. 9.12.2014 – IV R 29/14, DStR 2015, 211. 23 BMF v. 3.3.2005, BStBl. I 2005, 458. 24 Im Fall des BFH-Urteils v. 9.12.2014 war Sonderbetriebsvermögen unter Aufdeckung aller stillen Reserven an einen Dritten veräußert worden, was das FA für schädlich gehalten hatte. Dass das Urteil bisher nicht zur allgemeinen Anwendung freigegeben worden ist, zeigt, dass die Finanzverwaltung an ihrer im Jahr 2005 formulierten Auffassung weiter festhält. 25 Vermutlich würde die Finanzverwaltung dann von einer Aufgabe des Mitunternehmeranteils ausgehen, die eine Aufdeckung aller stillen Reserven bedeutet, allerdings insgesamt – also einschließlich des Entnahmegewinns – tarifbegünstigt wäre.

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Sollten die Ausführungen des BMF zutreffen, könnten sie sich nicht allein auf die Ausgliederung von Sonderbetriebsvermögen im Zusammenhang mit der Übertragung des (verbliebenen) Mitunternehmeranteils beziehen, sondern müssten entsprechend auch bei der Übertragung eines verkleinerten Betriebs oder Teilbetriebs gelten. Denn Grundlage für die Auffassung der Verwaltung kann nur sein, dass das Betriebsvermögen nicht im Zusammenhang mit einer Übertragung nach § 6 Abs. 3 EStG verkleinert werden darf. Nicht von Bedeutung soll nach Meinung der Verwaltung der Aspekt sein, dass stille Reserven im Zusammenhang mit der Übertragung der Sachgesamtheit auf ein anderes Betriebsvermögen abgespalten werden. Denn im Fall der Entnahme, die das BMF für schädlich hält, kommt es gerade nicht zur Abspaltung stiller Reserven, sondern zu deren Aufdeckung. b) Kein zeitraumbezogener Betriebsbegriff Ohne dass dies offen ausgesprochen wird, liegt der Auffassung der Verwaltung ein zeitraumbezogenes Verständnis des Betriebs im Sinne des § 6 Abs. 3 EStG zugrunde. Die Buchwertübertragung soll nur möglich sein, wenn der Betrieb in seiner bisherigen Gestalt unverändert übergeht. Von welchem Beobachtungszeitraum die Verwaltung dabei ausgeht, ist nicht klar erkennbar. Die Verwaltung beruft sich für ihre Auffassung auf die sogenannte Gesamtplanrechtsprechung des BFH, insbesondere auf jüngere Urteile zur Tarifbegünstigung für Aufgabe- und Veräußerungsgewinne26. Dass auch § 6 Abs. 3 EStG Gesamtplanbetrachtungen27 im Sinne einer teleologischen Auslegung der Norm zugänglich ist, unterliegt im Grundsatz keinem Zweifel28. Die von der Finanzverwaltung favorisierte zeitraumbezogene Betrachtung des Betriebs würde aber Anhaltspunkte für den gesetzgeberischen Willen erfordern, den Übergang zum Buchwert von einer „Ruhephase“ abhängig zu machen. Dem EStG lassen sich Anhaltspunkte für eine solche zeitraumbezogene Betrachtung nicht entnehmen. Auch im Gesetzgebungsverfahren zu § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG finden sich keine diesbezüglichen Hinweise29. Deshalb muss es bei der vom Wortlaut ausgehenden Gesetzes­ interpretation verbleiben, wonach alle vor der Übertragung des Betriebs vorgenommenen Minderungen des Betriebsvermögens ungeachtet ihrer Ausgestaltung als gewinnneutraler Buchwerttransfer oder gewinnrealisierende Entnahme bzw. Ver­ äußerung außer Betracht zu lassen sind. Nur was im Zeitpunkt der Betriebsübertragung noch zum Betrieb gehört, muss vollständig mitübertragen werden30. Selbstverständlich ist dabei, dass der Übertragungsgegenstand noch die Voraussetzungen eines 26 BMF v. 3.3.2005, BStBl. I 2005, 458, Rz. 7 unter Hinweis auf das BFH-Urteil v. 6.9.2000 – IV R 18/99, BStBl. II 2001, 229; BMF v. 12.9.2013, BStBl. I 2013, 1164 unter II.2. 27 Diesen steht der Jubilar kritisch gegenüber; er sieht darin einen Verstoß gegen die Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung, sofern nicht die Voraussetzungen eines Gestaltungsmissbrauchs nach § 42 AO vorliegen (Crezelius, FR 2003, 537); zur dogmatischen Auflösung des Schlagworts vom Gesamtplan überzeugend jetzt Kempelmann, StuW 2016, 385. 28 Zugunsten des Stpfl. z.B. angewandt im BFH-Urteil v. 12.4.1989 – I R 105/85, BStBl. II 1989, 653; gl.A. Schmidtmann, FR 2015, 57, 61. 29 A.A. Mitschke, FR 2013, 314, 317 f. 30 BFH v. 2.8.2012 – IV R 41/11, DStR 2012, 2118 Rz. 46; BFH v. 9.12.2014 – IV R 29/14, DStR 2015, 211

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Betriebs erfüllt, dass die Verkleinerung des Betriebsvermögens also nicht zum Untergang des Betriebs als Wirtschaftseinheit geführt hat31. Umgekehrt ist auch unbeacht­ lich, ob und wann der Betrieb vor der Übertragung vergrößert worden ist und mit welchen Werten die hinzugekommenen Wirtschaftsgüter in das Betriebsvermögen aufgenommen worden sind. Dass es in diesem Sinne keinen zeitraumbezogenen Begriff des Betriebs gibt, hat der BFH inzidenter mit einem Urteil v. 9.11.201132 entschieden. In dem dort entschiedenen Fall hatte ein Unternehmer sein Einzelunternehmen mit allen Aktiva und Passiva in eine von ihm neu gegründete GmbH & Co. KG nach § 24 UmwStG eingebracht33. Zuvor war allerdings das Betriebsgrundstück zum Verkehrswert an die Ehefrau des Unternehmers veräußert worden. Das FA war der Meinung, mit der Einbringung seien wegen der vorherigen Veräußerung des Grundstücks alle stillen Reserven im Betrieb aufzudecken. Der BFH gab der Klage statt und entschied, zum Zeitpunkt der Einbringung habe das Grundstück wegen der vorherigen Veräußerung an die Ehefrau nicht mehr zu den wesentlichen Betriebsgrundlagen des Einzelunternehmens gehört und habe deshalb auch nicht in einer die Anwendbarkeit des § 24 Abs. 1 UmwStG ausschließenden Weise zurückbehalten werden können. Das Urteil ist von der Finanzverwaltung akzeptiert und zur allgemeinen Anwendung freigegeben worden. Müssen nun Einbringung des Betriebs nach dem UmwStG und unentgeltliche Übertragung nach § 6 Abs. 3 EStG gleich behandelt werden34, wie schon in den Gesetzesmaterialien zu §  6 Abs.  3 EStG deutlich geworden ist35, kann eine Veräußerung ­wesentlicher Betriebsgrundlagen vor der Übertragung des Betriebs der Buchwertfortführung für das verbliebene Betriebsvermögen nicht entgegenstehen. Erst recht muss dann auch eine gewinnerhöhende Entnahme unschädlich sein. Davon ist der BFH bereits auf der Rechtsgrundlage des § 7 Abs. 1 EStDV ausgegangen, wie sich aus einem Urteil aus dem Jahr 1996 ergibt36. Dort hatte ein Landwirt seinen Betrieb auf den Hofnachfolger übertragen, allerdings zuvor Betriebsgrundstücke mit einem Flächenanteil von über 20 % entnommen und einem weichenden Erben geschenkt. Der BFH entschied, die unveränderte Fortführung des Betriebs, die allein den Verzicht auf eine Versteuerung der stillen Reserven rechtfertige, sei zwar nicht sichergestellt, wenn der Steuerpflichtige einen Teil seines Betriebsvermögens unentgeltlich übertrage und den übrigen Teil zur Fortsetzung seiner bisherigen Tätigkeit einsetze. Werde der bestehende Betrieb von dem Übernehmer, wenn auch in verkleinertem Umfang, fortgeführt, während der Übergeber seine betriebliche Tätigkeit endgültig einstelle, umfas-

31 Zur Definition des ertragsteuerlichen Betriebsbegriffs vgl. Kanzler in Herrmann/Heuer/ Raupach, Vor §§ 4–7 EStG Rz. 88. 32 BFH v. 9.11.2011 – X R 60/09, BStBl. II 2012, 638. 33 Dabei waren Zwischenwerte angesetzt, also nicht alle stillen Reserven aufgedeckt worden. 34 Ablehnend Mitschke, FR 2013, 314, 319. 35 BT-Drucks. 14/23, 173. 36 BFH v. 9.5.1996 – IV R 77/95, BStBl. II 1996, 476.

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se die Übertragung jedoch alle wesentlichen Betriebsgrundlagen, weshalb § 7 Abs. 1 EStDV anzuwenden sei37. c) Konkurrenz von Regelungen zur Buchwertfortführung Wenn also eine zeitraumbezogene Betrachtung nicht vorzunehmen ist, könnte man vielleicht wenigstens die Abspaltung der stillen Reserven als eine der Buchwertübertragung entgegenstehende Gestaltung ansehen. In zweiter Linie bemüht die Verwaltung dieses Argument, weil sie sich u.a. auf BFH-Rechtsprechung zur Übertragung von Mitunternehmeranteilen beruft38, in der die Ausgliederung von Sonderbetriebsvermögen zum Buchwert für schädlich gehalten wurde39. Diese Rechtsprechung betrifft allerdings die Rechtslage vor 1999 und kann auf die heutige Rechtslage nicht übertragen werden. Seinerzeit waren Buchwertausgliederungen gesetzlich nicht ausdrücklich vorgesehen und ihre wahlweise Inanspruchnahme wurde auf eine analoge Anwendung von § 24 UmwStG gestützt. Seit 1999 sieht § 6 Abs. 5 Satz 2 EStG jedoch ausdrücklich und zwingend den Ansatz des Buchwerts für Transfers zwischen Einzelund Sonderbetriebsvermögen und zwischen verschiedenen Sonderbetriebsvermögen derselben Person vor. Im Jahr 2001 wurde der zwingende Buchwertansatz durch § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG auch auf Transfers zwischen Mitunternehmer und Mitunternehmerschaft bzw. verschiedenen Mitunternehmern erstreckt. Da § 6 Abs. 3 EStG und §  6 Abs.  5 EStG keine wechselseitigen Kollisionsregelungen enthalten, müssen sie nach dem Willen des Gesetzgebers gleichzeitig anwendbar sein. Es kann deshalb der Buchwertübertragung nach § 6 Abs. 3 EStG nicht entgegenstehen, wenn unmittelbar zuvor eine Ausgliederung von Betriebsvermögen zum Buchwert nach § 6 Abs. 5 EStG stattgefunden hat40. Dies hat der BFH bereits für eine vor der Übertragung des Gesellschaftsanteils vorgenommene Übertragung eines zum Sonderbetriebsvermögen gehörenden Grundstücks auf eine vom bisherigen Gesellschafter gegründete Immobilien-GmbH & Co. KG entschieden41. Das Urteil wird aber von der Finanzverwaltung nicht akzeptiert42.

37 Zugleich hielt der BFH den Entnahmegewinn nach § 14a Abs. 4 EStG a.F. für steuerbefreit. Damit wurde die Buchwertfortführung mit einer endgültigen Steuerbegünstigung verbunden, was über die heute von der Finanzverwaltung beanstandete Verbindung mit der nur zeitweise wirkenden Begünstigung nach § 6 Abs. 5 EStG deutlich hinausgeht. 38 BMF v. 3.3.2005, BStBl. I 2005, 458 Rz. 6. 39 BFH v. 31.8.1995 – VIII B 21/93, BStBl. II 1995, 890; daran anschließend das im BMF-Schreiben zitierte Urteil des BFH v. 24.8.2000 – IV R 51/98, BStBl. II 2005, 173. 40 Wenn danach die unmittelbar mit der Übertragung der Sachgesamtheit verbundene Ausgliederung von Sonderbetriebsvermögen unschädlich ist, kann auch eine in entfernterem zeitlichen Zusammenhang vorgenommene Ausgliederung nicht schädlich sein; für die Anwendung der sog. Gesamtplanrechtsprechung ist kein Raum (a.A. BMF v. 3.3.2005, BStBl. I 2005, 458 Rz. 7). 41 BFH v. 2.8.2012 – IV R 41/11, DStR 2012, 2118 Rz. 43. 42 BMF v. 12.9.2013, BStBl. I 2013, 1164 („Vorläufiger Nichtanwendungserlass“).

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2. Besonderheiten bei der Übertragung eines Teilmitunternehmeranteils a) Erstreckung des § 6 Abs. 3 EStG auf Teilmitunternehmeranteile Bereits mehrfach wurde die Übertragung von Mitunternehmeranteilen angesprochen, für die im Grundsatz dieselben Regeln gelten wie für die Übertragung des ganzen Betriebs. Noch nicht erwähnt wurden Fallgestaltungen, in denen ein Mitunternehmer nicht seinen ganzen Gesellschaftsanteil auf den Rechtsnachfolger überträgt, sondern nur einen Bruchteil davon. In der Vergangenheit wurden Fälle der sog. Teil­ anteilsübertragung der Vollanteilsübertragung gleichgestellt. Mit Inkrafttreten der heute geltenden Fassung des § 6 Abs. 3 EStG43 hat der Gesetzgeber aber deutlich gemacht, dass er eine vollständige Gleichstellung nicht mehr für zutreffend hält. Zwar wird nun im zweiten Halbsatz des § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG auch die Teilanteilsübertragung genannt, was bedeutet, dass auch für die Teilanteilsübertragung der Buchwert angesetzt werden muss und stille Reserven nicht aufgedeckt werden. b) Sonderregelung in § 6 Abs. 3 Satz 2 EStG § 6 Abs. 3 EStG ist zugleich aber um einen neuen Satz 2 ergänzt worden, der die Teil­ anteilsübertragung betrifft und eine Regelung für Fälle enthält, in denen Sonderbetriebsvermögen nicht zusammen mit dem Anteil am Gesellschaftsvermögen übertragen wird. Dieser Satz 2 ist das Ergebnis eines Vermittlungsverfahrens44 und durch die Kombination unterschiedlich ansetzender Formulierungsvorschläge sprachlich missglückt. Mit Rücksicht auf die damalige Diskussion über die Gleichstellung von unentgeltlicher und entgeltlicher Teilanteilsübertragung45 lassen sich die Tatbestandsvoraussetzungen dahin verstehen, dass der Ansatz des Buchwerts für den übertragenen Teil unabhängig davon stattfinden soll, ob und ggf. wie viel Sonderbetriebsvermögen mit auf den Empfänger des Gesellschaftsanteils übertragen wird46. Wird nicht ein dem Prozentsatz des übertragenen Gesellschaftsanteils entsprechender Anteil am Sonderbetriebsvermögen mitübertragen47, drohen allerdings negative Folgen, „sofern der Rechtsnachfolger den übernommenen Mitunternehmeranteil über einen Zeitraum von mindestens fünf Jahren nicht veräußert oder aufgibt.“ Welche Rechtsfolgen

43 Fassung durch das UntStFG v. 20.12.2001 (BGBl. I 2001, 3858; BStBl. I 2002, 35). 44 Zur Entstehungsgeschichte s. z.B. BFH v. 12.5.2016 – IV R 12/15, DStR 2016, 1518, Rz. 28 ff. 45 Sog. „Synchronrechtsprechung“ zur entgeltlichen Teilanteilsübertragung (BFH v. 12.4.2000 – XI R 35/99, BStBl. II 2001, 26 und BFH v. 24.8.2000 – IV R 51/98, BStBl. II 2005, 173), die vom BFH auch auf die unentgeltliche Teilanteilsübertragung erstreckt wurde (BFH v. 24.8.2000 a.a.O.); dies stieß auf Kritik des Jubilars (Crezelius, JbFStR 2001/2002, 558, 562; JbFStR 2002/2003, 624, 627). 46 Der Buchwertansatz ergibt sich in allen Fällen aus §  6 Abs.  3 Satz 1 EStG (a.A. BMF v. 3.3.2005, BStBl. I 2005, 458 Rz. 9: nur bei quotal entsprechender Mitübertragung von Sonderbetriebsvermögen). 47 Der Wortlaut des Gesetzes ist weiter gefasst und verlangt an sich die Übertragung des gesamten Sonderbetriebsvermögens; im Hinblick auf die Fachdiskussion bei Verabschiedung des Gesetzes ist eine teleologische Reduktion gerechtfertigt (vgl. BFH v. 2.8.2012 – IV R 41/11, DStR 2012, 2118 Rz. 29).

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Unternehmensnachfolge unter Buchwertfortführung

im Fall einer Verletzung der Behaltefrist eingreifen sollen, regelt das Gesetz nicht48, so dass zweifelhaft ist, ob die Vorschrift dem rechtsstaatlichen Gebot der Normenklarheit gerecht wird und ob deshalb den Rechtsnachfolger belastende Rechtsfolgen auf die Regelung gestützt werden können − ganz abgesehen davon, dass vor dem Hintergrund der rechtsstaatlich gebotenen Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung erhebliche Bedenken dagegen bestehen müssen, dass Handlungen eines Dritten (hier des Rechtsnachfolgers) einen Besteuerungstatbestand für den Steuerpflichtigen erfüllen können49. Nicht mit rechtsstaatlichen Grundsätzen vereinbar wäre auch eine unbestimmbare Dauer der Frist, was aber im Wege der Auslegung dadurch vermieden werden kann, dass man von einer genau fünf Kalenderjahre währenden Frist seit dem Zeitpunkt der Übertragung ausgeht. c) Erste von der Rechtsprechung beantwortete Auslegungsfragen Im Detail wirft die Regelung zahlreiche Fragen auf, deren Klärung noch auf sich warten lassen wird. Der BFH hat sich zu einigen Punkten bereits geäußert und dabei eine von der Position der Finanzverwaltung abweichende Haltung eingenommen. Dem Erfordernis, Sonderbetriebsvermögen in einem ausreichenden Anteil mitzuübertragen, kann nicht – wie die Finanzverwaltung meint50 − nur dadurch genügt werden, dass an jedem einzelnen Wirtschaftsgut des Sonderbetriebsvermögens Miteigentum eingeräumt wird. Es reicht vielmehr aus, wenn der Anteil wertmäßig erreicht wird51. Dies kann etwa bedeuten, dass nur ein Wirtschaftsgut des Sonderbetriebsvermögens mitübertragen wird, das einen entsprechenden Wert repräsentiert. Wird mehr Sonderbetriebsvermögen übertragen, als dem Anteil am Gesellschaftsvermögen entspricht, folgt der Ansatz des Buchwerts für das überquotal übertragene Sonderbetriebsvermögen nicht etwa aus § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG, sondern aus § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG52. Das bedeutet, dass nicht etwa eine Frist nach § 6 Abs. 5 Satz 4 EStG in Gang gesetzt wird. Die Finanzverwaltung beharrt gleichwohl − zumindest einstweilen – auf ihrem Rechtsstandpunkt. Davon ist insbesondere auch im Hinblick auf die Bedeutung einer in zeitlichem Zusammenhang mit der Anteilsübertragung vorgenommenen Ausgliederung von Sonderbetriebsvermögen auszugehen. Denn auch bei der Teilanteilsübertragung hält die Verwaltung eine gleichzeitige Anwendung von § 6 Abs. 3 und Abs. 5 EStG nicht für zulässig53.

48 Der Jubilar geht von einer Aufgabe des übertragenen Teilmitunternehmeranteils aus (Crezelius in JbFStR 2009/2010, 664, 667). 49 Die Anknüpfung an Drittverhalten hat der Jubilar von Anfang an scharf kritisiert (Crezelius, FR 2002, 805; ders., JbFStR 2003/2004, 618, 621; ders., Stbg. 2007, 449, 454). 50 BMF v. 3.3.2005, BStBl. I 2005, 458 Rz. 9. 51 BFH v. 2.8.2012 – IV R 41/11, DStR 2012, 2118 Rz. 29. 52 BFH v. 2.8.2012 – IV R 41/11, DStR 2012, 2118 Rz. 29; a.A. BMF v. 3.3.2005, BStBl. I 2005, 458 Rz. 16. 53 BMF v. 3.3.2005, BStBl. I 2005, 458 Rz. 15; der BFH hält diese Frage durch seine Rechtsprechung für mittlerweile geklärt, BFH v. 30.6.2016 – IV B 2/16, BFH/NV 2016, 1452.

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Michael Wendt

Eine weitere Streitfrage war Gegenstand des BFH-Urteils vom 12.5.201654. Dort war Sonderbetriebsvermögen bei der Übertragung eines Teilmitunternehmeranteils zurückbehalten und gut zwei Jahre später nach § 6 Abs. 5 Satz 3 EStG auf eine Personengesellschaft übertragen worden, an der der Schenkende ebenfalls beteiligt war. Das FA hatte darin eine Behaltefristverletzung i.S.d. § 6 Abs. 3 Satz 2 EStG gesehen, obwohl die Vorschrift eine Behaltefrist ausdrücklich nur für den Beschenkten regelt. Dass sich das FA damit auf der generellen Linie der Finanzverwaltung bewegte, wurde durch die Beteiligung des BMF an dem Revisionsverfahren erkennbar. Obwohl der BFH anders entschied und die Buchwertfortführung nicht durch eine spätere (Buchwert-)Entnahme des zurückbehaltenen Wirtschaftsguts beeinträchtigt sah55, scheint die Verwaltung weiter bei ihrer Linie zu bleiben, denn auch dieses Urteil wurde bisher nicht zur allgemeinen Anwendung freigegeben.

IV. Schluss Nicht nur unter Aspekten der Schenkung- oder Erbschaftsteuer, sondern auch unter einkommensteuerlichen Aspekten sind also derzeit viele Fragen bei der Gestaltung der Generationennachfolge in Personenunternehmen offen. Dem Jubilar wird demnach das Material für Diskussionsbeiträge auch auf diesem Gebiet nicht ausgehen und wir dürfen sicher noch auf manche prononcierten Äußerungen gespannt sein. Wenn sie bei allem sachlichen Ernst auch noch in unterhaltsamer Form vorgetragen werden, worauf sich unser Jubilar wie kaum ein anderer versteht, umso besser.

54 BFH v. 12.5.2016 – IV R 12/15, DStR 2016, 1518. 55 Fn. 54.

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Grund- und Einzelfragen freigebiger Zuwendungen im Schenkungsteuerrecht Inhaltsübersicht

I. Einleitung

II. Grundlagen freigebiger Zuwendungen III. Kernelemente des Zuwendungstat­ bestandes des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 1. Der schenkungsteuerrechtliche ­Zuwendungsgegenstand 2. Die notwendige Bereicherung des ­Bedachten 3. Entreicherung „auf Kosten des ­Zuwendenden“ 4. Subjektiver Tatbestand: Wille zur ­Freigebigkeit



5. Feststellungslast für den Zuwendungstatbestand

IV. Einzelfragen zum Zuwendungsgegenstand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 1. Erfordernis der Zuwendung von ­Vermögenssubstanz 2. Zuwendung von Gebrauchs- und ­Nutzungsvorteilen 3. Ersparnis von Aufwendungen als ­Zuwendung

V. Resümee

I. Einleitung „Bezüglich der Dogmatik der freigebigen Zuwendung des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ist so gut wie alles streitig.“1. Mit diesen Worten leitete Georg Crezelius vor über 25 Jahren in seinem Kurzlehrbuch zum Besonderen Steuerrecht seine Stellungnahme zum Verhältnis des Begriffs der freigebigen Zuwendung zum bürgerlich-rechtlichen Schenkungsbegriff ein2. Zwar sind im Laufe der Zeit einige Streitfragen durch Rechtsprechung und Literatur geklärt worden, allerdings bleiben Grund- und Detailfragen der freigebigen Zuwendung bis heute umstritten. Einigen dieser Fragen soll der folgende Beitrag zu Ehren des Jubilars nachgehen. Mit Georg Crezelius verbinden mich neben der gemeinsamen Heimat am linken Niederrhein und der aktuellen beruflichen Tätigkeit in München auch zahlreiche gemeinsame Diskussionen (insbesondere) zur Erbschaftsteuer3, die ich in diesem Rahmen gerne aufgreife. Am Anfang stehen die Grundlagen freigebiger Zuwendungen (s. II.), denen ein Überblick zu den Kernelementen des Zuwendungstatbestandes des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 1 Crezelius, Steuerrecht II, Besonderes Steuerrecht, 1991, § 20 Rz. 9, S. 319. 2 Eingehend dazu Crezelius, Erbschaft- und Schenkungssteuer in zivilrechtlicher Sicht, 1979, S. 126 ff. 3 Und ihren (endlosen) Verfassungsfragen, insbesondere zur Rückwirkung der jüngsten Erbschaftsteuerreform aufgrund von § 37 Abs. 12 Satz 1 ErbStG (dazu Crezelius, ErbStG nach dem 30.6.2016  – Steuerpause?, ZEV 2016, 367; zuletzt Benz/Blumenberg/Crezelius, Erbschaftsteuerreform 2016, 2017, Rz. 347 ff.).

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Klaus-Dieter Drüen

nachfolgt (s. III.). Bei den Einzelfragen des Zuwendungsgegenstandes des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ist unbestrittener Ausgangspunkt die Zuwendung von Vermögenssub­ stanz (IV. 1.). Dabei sind Rechtsprechung und herrschende Ansicht beim schenkungsteuerrechtlichen Zuwendungsbegriff allerdings nicht stehengeblieben. Auch Gebrauchs- und Nutzungsvorteile (IV. 2.) und die Ersparnis von Aufwendungen (IV. 3.) werden überwiegend als taugliche Zuwendung i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG erachtet. Da der Jubilar bereits in seiner Bielefelder Assistentenzeit vor der „Ausuferung der freigebigen Zuwendung zu einem Auffangtatbestand für alle Fälle unentgeltlicher Bereicherung“ gewarnt hatte4, wird eine neuerliche kritisch differenzierende Betrachtung hoffentlich sein Interesse finden.

II. Grundlagen freigebiger Zuwendungen Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. dem Grundtatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gilt als Schenkung unter Lebenden eine freigebige Zuwendung, soweit der Bedachte bereichert ist, und zwar auf Kosten des Zuwendenden5. Alle drei Tatbestandsmerkmale des objektiven Schenkungsteuertatbestandes müssen kumulativ verwirklicht sein. Dabei muss bei den ersten Schritten der Normanwendung des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG festgestellt werden, worauf sich die mögliche freigebige Zuwendung bezieht6. Auch wenn das Schenkungsteuerrecht nicht vollständig deckungsgleich mit dem Schenkungsrecht im Sinne des BGB ist7, bedarf es als Ausgangspunkt der zivilrechtlichen Würdigung des Sachverhalts. Denn im Schenkungsteuerrecht ist zumindest im Grundsatz von einer Maßgeblichkeit des Zivilrechts8 auszugehen9. Bei § 7 Abs. 1 ErbStG ist die Schenkung im Sinne des BGB nach wie vor das Grundmodell10 und der klassische Fall der unentgeltlichen Zuwendung11. Allerdings ist der Rechtsbegriff der Zuwendung12 nicht rechtsgebietsübergreifend deckungsgleich. Das Schenkungsteuerrecht ist „mitunter eigenständig ausgestaltet“13, weil der Gesetzgeber eigenständige Tatbestände geschaffen hat14. Der Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG reicht

4 Crezelius, Unverzinsliches Darlehen und Schenkungsteuerrecht, BB 1978, 621 (624 f.). 5 Statt aller Esskandari in v. Oertzen/Loose, 2017, § 7 ErbStG Rz. 11. 6 Götz in Wilms/Jochum, § 7 ErbStG Rz. 80 (Dez. 2016). 7 Zuletzt Esskandari in v. Oertzen/Loose, 2017, § 7 ErbStG Rz. 12. 8 Crezelius, BB 1978, 621 (625); ders., Steuerrecht II, Besonderes Steuerrecht, 1991, §  20 Rz. 10, S. 309 ff. 9 Chiusi in Staudinger, §§ 516-534, Schenkungsrecht, § 516 BGB Rz. 209 (April 2013). 10 Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, 16. Aufl. 2012, §  7 Rz.  3; ebenso Chiusi in Staudinger, § 516 BGB Rz. 211 (April 2013); Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 7 ErbStG Rz. 16. 11 Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 7 ErbStG Rz. 11. 12 Zu diesem und seiner rechtsgebietsbezogenen Ausgestaltung bereits Liebisch, Das Wesen der unentgeltlichen Zuwendung unter Lebenden im bürgerlichen Recht und im Reichssteuerrecht, Diss. Leipzig, 1927, S. 2 ff. 13 So Götz in Wilms/Jochum, § 7 ErbStG Rz. 1.2 (Dez. 2016). 14 Tiedtke, Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz, 2009, Einleitung Rz. 57.

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Freigebige Zuwendungen im Schenkungsteuerrecht

über den zivilrechtlichen Schenkungsbegriff hinaus15. Das soll Ausdruck einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise sein16. Mit den Worten des II. Senats des BFH ist „der Begriff der freigebigen Zuwendung … weiter als derjenige einer Schenkung im zivilrechtlichen Sinn“17. Auch rechtspolitisch geht der von P. Kirchhof vorgeschlagene Begriff der Schenkung in § 75 Abs. 1 Bundessteuergesetzbuch-Entwurf über § 516 BGB hinaus, „um auch Vorgänge zu erfassen, die wirtschaftlich einer Schenkung gleichkommen, aber zivilrechtlich nicht als solche betrachtet werden“18. Trotz dieser Weiterung gegenüber dem Schenkungsrecht darf eine freigebige Zuwendung aber nicht freischwebend angenommen werden. Vielmehr kommt es für eine freigebige Zuwendung „ausschließlich auf die Zivilrechtslage  … an“19. Die Bestimmung des Zuwendungsobjekts erfolgt nach bürgerlichem Recht20 und bildet eine nicht der steuerrechtlichen Beurteilung unterworfene bürgerlich-rechtliche Vorfrage21. Ansatzpunkt ist immer die Ermittlung des Parteiwillens des Empfängers bzw. des Zuwendenden nach allgemeinen Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB22.

III. Kernelemente des Zuwendungstatbestandes des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG Aufbauend auf diesen Grundlagen sind im Folgenden die einzelnen Voraussetzungen des Zuwendungstatbestandes des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG aufzuzeigen. 1. Der schenkungsteuerrechtliche Zuwendungsgegenstand Die Bestimmung des Zuwendungsgegenstandes spielt eine zentrale Rolle im Rahmen der freigebigen Zuwendung23. Steuerbarkeit, Steuerpflicht und Bewertung hängen entscheidend davon ab. Zuwendungsgegenstand können Sachen, Rechte und andere geldwerte Vermögensgegenstände (Wirtschaftsgüter), aber auch gegen den Zuwendenden gerichtete Forderungen und ihm gegenüber bestehende Schulden sein24. Was Gegenstand der freigebigen Zuwendung ist, beurteilt sich vor allem nach der tatsächlichen Bereicherung des Empfängers, also nach dem, was der Bedachte endgültig er-

15 Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 7 ErbStG Rz. 11. 16 So Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl. 2015, § 15 Rz. 22. 17 BFH v. 27.10.2010 – II R 37/09, BFHE 231, 223, BStBl. II 2011, 134, Rz. 20, DB 2011, 565. 18 P. Kirchhof, Bundessteuergesetzbuch. Ein Reformentwurf zur Erneuerung des Steuerrechts, 2011, § 75 Rz. 1, S. 607. 19 Meincke, 16. Aufl. 2012, § 7 ErbStG Rz. 10 m.w.N. 20 Götz in Wilms/Jochum, § 7 ErbStG Rz. 80 (Dez. 2016); Holthusen/Burgmann in Tiedtke, ErbStG, 2009, § 7 Rz. 16; Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl. 2015, § 15 Rz. 24. 21 Meincke, 16. Aufl. 2012, § 7 ErbStG Rz. 14; ebenso Chiusi in Staudinger, § 516 BGB Rz. 227 (April 2013). 22 Chiusi in Staudinger, § 516 BGB Rz. 231 (April 2013). 23 Holthusen/Burgmann in Tiedtke, 2009, § 7 ErbStG Rz. 15. 24 Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 59 (Juli 2015).

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halten hat und worüber er tatsächlich und (zivil-)rechtlich frei verfügen kann25. Erforderlich ist, dass der Zuwendungsempfänger die tatsächliche und uneingeschränkte Verfügungsgewalt über den zugewandten Gegenstand erlangt hat26. Dabei ist die Schenkungsteuer „kein Auffangtatbestand für ungeklärte Vermögenszuwächse“27. 2. Die notwendige Bereicherung des Bedachten Grundlage des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts ist das Bereicherungsprinzip, wonach nur die individuelle Bereicherung besteuert wird28. Grundvoraussetzung für das Vorliegen einer freigebigen Zuwendung ist darum eine Bereicherung des Empfängers (bereichernder Rechtsakt)29. Voraussetzung jeder freigebigen Zuwendung ist stets, dass der Empfänger durch sie objektiv bereichert ist30. Es ist die tatsächliche Bereicherung des Empfängers, auf die die Schenkungsteuer als Steuer auf den Hinzuerwerb zugreift31. Eine Bereicherung tritt dabei ein, wenn der Zuwendungsempfänger die uneingeschränkte Verfügungsmacht über den Zuwendungsgegenstand erlangt und hierdurch bei ihm eine Vermögensmehrung eintritt32. Die Voraussetzung der objektiven Bereicherung des Bedachten im Schenkungsteuerrecht erfordert, dass ein Vermögensgegenstand in sein Vermögen gelangt, der eine Bereicherung verkörpert, wodurch eine Erhöhung des Vermögensbestands entsteht33. Bereicherung setzt stets die Verschaffung eines Vermögensvorteils voraus34. Bereicherung ist jede Vermehrung der Aktiva und Verminderung der Passiva des Zuwendungsempfängers35. Die Bereicherung kann darum auch durch Wegfall von negativen Vermögensgegenständen, wie z.B. der Erlass von Schulden oder die Minderung von Belastungen, eintreten36. Erforderlich für die Bereicherung ist ein Zufluss, welcher das Vermögen des Bedachten positiv beeinflusst37. Bereichernd kann ein Vermögenszugang freilich nur sein, wenn die Erhöhung des Vermögensbestandes auch zu einer Erhöhung des Gesamtvermögenswertes führt. Dazu muss der Zuwendungsgegenstand einen messba25 Birk/Desens/Tappe, Steuerrecht, 19. Aufl. 2016, Rz. 1571; ebenso Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl. 2015, § 15 Rz. 24, jeweils m.w.N. 26 Holthusen/Burgmann in Tiedtke, 2009, § 7 ErbStG Rz. 17, 38. 27 Meincke, 16. Aufl. 2012, § 7 ErbStG Rz. 11 m.w.N.; zustimmend Fischer/Pahlke/Wachter, 5. Aufl. 2014, § 7 ErbStG Rz. 16. 28 Crezelius, BB 1978, 621 (622). 29 Geck in Kapp/Ebeling, § 7 ErbStG Rz. 6 (März 2016). 30 Meincke, 16. Aufl. 2012, § 7 ErbStG Rz. 52 m.w.N. (Hervorhebung durch Verf.). 31 Birk/Desens/Tappe, Steuerrecht, 19. Aufl. 2016, Rz. 1570. 32 Holthusen/Burgmann in Tiedtke, 2009, § 7 ErbStG Rz. 38. 33 Chiusi in Staudinger, §  516 BGB Rz.  223 (April 2013); zuletzt Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, §  7 ErbStG Rz.  17 (Juli 2015); übereinstimmend Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 7 ErbStG Rz. 215. 34 Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 7 ErbStG Rz. 200. 35 Meincke, 16. Aufl. 2012, § 7 ErbStG Rz. 56 m.w.N. 36 Chiusi in Staudinger, § 516 BGB Rz. 223 (April 2013); Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 45 (Juli 2015) sowie R E 7.1 Abs. 2 Satz 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschriften zur Anwendung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuerrechts (ErbStR 2011) v. 19.12.2011. 37 Götz in Wilms/Jochum, § 7 ErbStG Rz. 17 (Dez. 2016).

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Freigebige Zuwendungen im Schenkungsteuerrecht

ren Wert haben38. Bewertungsmaßstab für die Bereicherung ist der Verkehrswert39 des Zuwendungsgegenstandes40. Allerdings setzt der schenkungsteuerliche Zu­ wendungstatbestand nicht voraus, dass die im Zeitpunkt der Steuerentstehung vorhandene Bereicherung auf Dauer fortbesteht41. Vielmehr gilt für die Erfassung der Bereicherung das erbschaftsteuerrechtliche Stichtagsprinzip (§ 9 ErbStG)42. Die Bereicherung beurteilt sich nach der Zivilrechtslage43. Wann eine Bereicherung gegeben ist, richtet sich nach den Vorschriften des BGB44. Ob insoweit ergänzend auch die allgemeine wirtschaftliche Betrachtungsweise des Steuerrechts gilt45, erscheint fraglich46. Maßgebend ist jedenfalls nicht, in welcher Gestalt die Vermögensminderung auf Seiten des Schenkers eintritt, sondern wie sich die Vermögensmehrung beim Beschenkten darstellt47. Das ist Konsequenz des Bereicherungsprinzips als erbschaftsteuerrechtlichem Strukturprinzip. Der in § 10 Abs. 1 ErbStG formulierte Bereicherungsgedanke ist eines der Grundprinzipien des Erbschaftsteuerrechts48. Fehlt es an einem Übergang eines Vermögensgegenstandes, der den Vermögensbestand und den Gesamtvermögenswert des Betreffenden erhöht hat, erscheint fraglich, ob die Bereicherung auch in der Verschaffung eines anderen Vermögensvorteils gesehen werden kann. Zwar wurde früh für das Schenkungsteuerrecht vertreten, dass „auch die sonstige Schaffung eines tatsächlichen Zustandes von Vermögenswert eine zur Schenkung geeignete Bereicherung bedeuten (kann)“49. … Zu Recht betont aber Jens Peter Meincke, dass die Bereicherung im Schenkungsrecht wie im Recht der freigebigen Zuwendung ein rein vermögensbezogener Begriff ist, der die Einrechnung ideeller, nicht in Geld veranschlagbarer Posten von vorneherein ausschließt50. Dabei liegt es nahe, § 7 Abs. 3 38 Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 44 (Juli 2015). 39 Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 44 (Juli 2015). 40 Chiusi in Staudinger, § 516 BGB Rz. 265 (April 2013). 41 Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 9, Rz. 47 (Juli 2015). 42 Crezelius, Steuerrecht II, Besonderes Steuerrecht, 1991, § 19 Rz. 7, S. 308 mit Kritik an der Lösung einer Kollision zwischen formellem und materiellen Stichtagsprinzip, ebd., §  19 Rz. 97, S. 309. 43 Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 7 ErbStG Rz. 31. 44 Ebenso im Ausgangspunkt explizit Götz in Wilms/Jochum, § 7 ErbStG Rz. 7 (Dez. 2016). 45 Dafür Götz in Wilms/Jochum, § 7 ErbStG Rz. 7 (Dez. 2016). 46 Nach Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 7 ErbStG Rz. 31, beurteilt sich Bereicherung nicht danach, wem nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise das übertragene Vermögen zuzurechnen ist. Dafür lassen sich auch verschiedene Judikate anführen vgl. nur BFH v. 9.7.2009 – II R 47/07, BStBl. II 2010, 74, Rz. 14, FR 2010, 245, GmbHR 2010, 111. 47 Geck in Kapp/Ebeling, § 7 ErbStG Rz. 4 (Juli 2016). 48 So bereits Crezelius, Steuerrecht II, Besonderes Steuerrecht, 1991, § 19 Rz. 4, S. 307; zuvor ders., Anmerkung, BB 1979, 1594: „materielles Grundprinzip“. 49 So Kipp, Kommentar zum ErbStG i.d.F. v. 22.8.1925, 1927, §  3 Anm.  13 mit folgendem Zusatz: „So kann die Mittelung eines wirtschaftlich verwertbaren Geheimnisses, die Einsetzung in die Kundschaft eine Bereicherung sein. Dabei bleibt natürlich wie immer die Frage offen, ob diese Verbesserung der Lage des anderen den einen etwas kostet“. 50 Meincke, 12. Aufl. 1999, § 7 ErbStG Rz. 10 (Hervorhebung durch Verf.), offenbar in der aktuellen Auflage der Kürzung zum Opfer gefallen.

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Klaus-Dieter Drüen

ErbStG51, nach dem nicht in Geld veranschlagbare Gegenleistungen bei der Feststellung der Bereicherung unberücksichtigt bleiben, als Ausdruck eines allgemeinen Rechtsgedankens zu begreifen, nach dem auch nicht in Geld veranschlagbare Leistungen bei der Frage der Bereicherung unberücksichtigt bleiben52. 3. Entreicherung „auf Kosten des Zuwendenden“ Das letzte Merkmal des objektiven Zuwendungstatbestandes des §  7 Abs.  1 Nr.  1 ErbStG „auf Kosten des Zuwendenden“ fordert für eine freigebige Zuwendung auch eine durch Vermögenshingabe erfolgte objektive Entreicherung des Zuwendenden53. Dabei muss nach der Rechtsprechung des BFH der Gegenstand der Bereicherung nicht mit dem Gegenstand der Entreicherung identisch sein54. Entreicherungsgegenstand und Bereicherungsgegenstand müssen nicht notwendig „stoffgleich“ sein55. ­Darum ist eine Identität des hingegebenen Vermögens mit dem die Bereicherung ­verkörpernden Zuwendungsgegenstand keine zwingende Voraussetzung des Zuwendungstatbestandes56. Eine Vermögensverschiebung zwischen dem Zuwendenden und dem Bedachten „auf Kosten des Zuwendenden“ kann auch unter Einbeziehung eines Dritten bewirkt werden57. Grundsätzlich erscheinen im Schenkungsteuerrecht darum auch mittelbare freigebige Zuwendungen denkbar58 und sind eine Zurechnungsfrage59. Als Zuwendungsweg kommt auch ein „Zuwendungsdreieck“ in Betracht. Allerdings darf die Konstruktion eines solchen Zuwendungsdreiecks nicht freischwebend ohne Rücksicht auf die zugrunde liegenden Zivilrechtsbeziehungen erfolgen. Denn für die Beantwortung der Frage, wer als Zuwendender und Bedachter an einer freigebigen Zuwendung beteiligt ist, kommt es ausschließlich auf die Zivilrechtslage an60. Dagegen ist

51 Zur Deutung dieser, zum Teil als überflüssig qualifizierten Vorschrift, vgl. nur Viskorf/Knobel/Schuck/Wälzholz, 4. Aufl. 2012, §  7 ErbStG Rz.  164; Moench/Weinmann, §  7 ErbStG Rz. 226 f. (Okt. 2015), jeweils m.w.N. 52 Im Ergebnis ebenso Götz in Wilms/Jochum, § 7 ErbStG Rz. 276 (Dez. 2016), wonach „bei der Frage der Bereicherung ohnehin nur sog. geldwerte Vorteile berücksichtigt werden können“. 53 Chiusi in Staudinger, § 516 BGB Rz. 224 (April 2013). 54 BFH v. 7.11.2007 – II R 28/06, BStBl. II 2008, 258, Rz. 9 m.w.N., GmbHR 2008, 334, FR 2008, 585; zustimmend Geck in Kapp/Ebeling, § 7 ErbStG Rz. 11.3 (Juli 2016). 55 Crezelius, Steuerrecht II, Besonderes Steuerrecht, 1991, § 20 Rz. 10, S. 319 m.w.N. 56 BFH v. 30.1.2013 – II R 38/11, ZEV 2013, 349; Chiusi in Staudinger, § 516 BGB Rz. 224 (April 2013) m.w.N. 57 BFH v. 7.11.2007 – II R 28/06, BStBl. II 2008, 258, Rz. 10, GmbHR 2008, 334, FR 2008, 585. 58 Allgemein Meincke, 16. Aufl. 2012, § 7 ErbStG Rz. 9. 59 Vgl. im Kontext der Zwischenschaltung einer abschirmenden Kapitalgesellschaft Fischer/ Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 7 ErbStG Rz. 83. 60 BFH v. 30.11.2011 – II B 60/11, NotBZ 2013, 18 m. Anm. Hirche, FamRZ 2012, 548, ZEV 2012, 562, Rz. 13; Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 7 ErbStG Rz. 31 (Hervorhebung durch Verf.).

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Freigebige Zuwendungen im Schenkungsteuerrecht

es für diese Frage unerheblich, wem nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise das Vermögen oder Einkommen zuzurechnen ist61. 4. Subjektiver Tatbestand: Wille zur Freigebigkeit Im subjektiven Zuwendungstatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG62 zeigen sich Divergenzen vom zivilrechtlichen Schenkungsrecht. Diese beruhen weniger auf dogmatischer Notwendigkeit als vielmehr auf historischer Zufälligkeit63. Eine freigebige Zuwendung setzt nur den „Willen zur Unentgeltlichkeit“ auf Seiten des Zuwendenden voraus64. Freigebigkeit ist demnach nach herrschender Meinung der einseitige Wille des Gebers, dem Empfänger die Bereicherung schenkweise zu verschaffen. Der Wille des Empfängers, die bereichernde Zuwendung entgegenzunehmen, ist im Unterschied zum Schenkungsrecht des BGB nach herrschender Ansicht unbeachtlich65. Für den danach schenkungsteuerrechtlich allein maßgeblichen Willen zur Freigebigkeit66 ausreichend ist das einseitige Bewusstsein der Unentgeltlichkeit67. Die Absicht der Bereicherung ist nicht erforderlich, der Wille hierzu reicht aus68. Allerdings darf nicht vorschnell von der Freiwilligkeit auf die Freigebigkeit geschlossen werden69. Die familienbezogene Motivation des Gebenden steht allerdings einer Einordnung als freigebige Zuwendung nicht eo ipso entgegen. Das erhellt die Diskussion über die Schenkungsteuerpflicht unbenannter Zuwendungen unter Ehegatten und Lebens­ partnern70. Ehe- und familienbedingte Zuwendungen sind zivilrechtlich keine Schen-

61 BFH v. 9.7.2009 – II R 47/07, BStBl. II 2010, 74, Rz. 14, FR 2010, 245, GmbHR 2010, 111; Götz in Wilms/Jochum, § 7 ErbStG Rz. 11 (Dez. 2016). 62 Objektiver und subjektiver Zuwendungstatbestand durchdringen sich gegenseitig (näher Fischer/Pahlke/Wachter, ErbStG, 6. Aufl. 2017, § 7 Rz. 38). 63 Tiedtke, 2009, Einleitung ErbStG Rz. 58 m.w.N. 64 Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl. 2015, § 15 Rz. 22 m.w.N. 65 Meincke, 16. Aufl. 2012, § 7 ErbStG Rz. 11 m.w.N. 66 So BFH v. 30.1.2013 – II R 38/11, FR 2013, 562, GmbHR 2013, 668 m. Anm. Binnewies, ZEV 2013, 349, oder den Willen zur Unentgeltlichkeit (so Schulte, Erbschaftsteuerrecht, 2. Aufl. 2017, Rz. 249). 67 Chiusi in Staudinger, § 516 BGB Rz. 274 (April 2013). 68 Meincke, 16. Aufl. 2012, § 7 ErbStG Rz. 81. 69 Zutreffend Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 7 ErbStG Rz. 11; näher ders, Die Unentgeltlichkeit im Zivilrecht, 2002, S. 69 ff., 86 f., 386 ff. mit folgendem Schluss „Insbesondere bestehen im familiären Bereich gesetzliche Unterhaltspflichten, deren Erfüllung nicht unentgeltlich erfolgt. Wenn der Gesetzgeber in diesem Bereich nicht in allen Einzelheiten konkrete Rechtspflichten vorschreibt, sondern Raum für Unterhaltsobliegenheiten gewährt, die dann auf einer sittlichen Verpflichtung beruhen, lässt die zivilrechtliche Wertung, wonach es sich bei unbenannten Zuwendungen und der Ausstattung um keine Schenkungen handelt, erkennen, dass freiwillige Unterhaltsleistungen eben nicht freigebig erfolgen“. 70 Dazu J. Koch in MünchKomm/BGB, Bd. 3, 5. Aufl. 2008, § 516 BGB Rz. 55 f. „Schenkungen im partnerschaftlichen Bereich“.

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kungen71 und stellen vielmehr zivilrechtlich eine Kategorie sui generis dar72. Schenkungsteuerrechtlich erfüllen sie nach Auffassung des BFH aber regelmäßig den weiteren Zuwendungstatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG73. Diese vom konkreten Fall mitbeeinflusste Rechtsprechung74 ist zwar auf Kritik gestoßen75. Dem BFH wird allgemein vorgehalten, in seiner Rechtsprechung dazu zu neigen, die Querbezüge zum zivilrechtlichen Schenkungsbegriff sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht immer weiter zurücktreten zu lassen, und sich auf eine bedenkliche Linie zu begeben, ein Recht der Besteuerung objektiver Bereicherung zu entwickeln76. Gleichwohl lassen sich auf der Basis der BFH-Rechtsprechung, der die Finanzverwaltung77 und Teile des Schrifttums78 folgen, ehebedingte Zuwendungen nicht im Sinne einer sachlichen Bereichsausnahme aus dem Zuwendungstatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ausgrenzen79. Vermögenszuwendungen unter Ehegatten unterliegen hinsichtlich des Besteuerungstatbestandes keinen Besonderheiten80. Die besonderen ehebezogenen Motive stehen dem nicht entgegen81. Was für unbenannte Zuwendungen unter Ehegatten gilt, muss ceteris paribus auch für familienbezogene Leistungen von Eltern an ihre Kinder gelten82. Eine Zuwendung zum Familienwohl oder zur Stärkung des Familienzusammenhalts steht als solches der Steuerbarkeit nicht entgegen. 5. Feststellungslast für den Zuwendungstatbestand Im Steuerverfahren (§ 88 AO) und im Finanzprozess (§ 96 FGO) gilt der Untersuchungsgrundsatz. Den Steuerpflichtigen trifft generell keine subjektive Beweislast

71 Drüen in Tipke/Kruse, § 278 AO Rz. 5 (April 2017) m.w.N. 72 Näher m.w.N. Poelzig, Die Dogmatik der unbenannten unentgeltlichen Zuwendungen im Zivilrecht, JZ 2013, 425 (426, 434). 73 Grundlegend BFH v. 2.3.1994 – II R 59/92, BStBl. II 1994, 366, FamRZ 1994, 887. 74 Deutlich zur Ergebnisorientierung Geck in Kapp/Ebeling, § 7 ErbStG Rz. 22.2 (April 2013). 75 Meincke, 16. Aufl. 2012, § 7 ErbStG Rz. 9, 11, 85 f. 76 So insgesamt Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 7 ErbStG Rz. 16, in ausdrücklichem Anschluss an Meincke, 16. Aufl. 2012, § ErbStG 7 Rz. 11. 77 R  E 7.2 ErbStR 2011 zur Behandlung von unbenannten Zuwendungen unter Ehegatten oder Lebenspartnern. 78 Aus jüngerer Zeit zur grundsätzlichen Steuerpflicht unbenannter Zuwendungen Hemmelrath/Mielke-Vinke, Unbenannte (ehebedingte) Zuwendungen unter Ehegatten in FS Haarmann, 2015, S. 619 (624 ff.). m.w.N. 79 Für die allgemeine Schenkungsteuerpflicht ehebezogener Zuwendungen wird auch der Rückschluss aus der 1996 als bestätigende Reaktion auf die Rechtsprechung eingeführten Befreiungsnorm des § 13 Abs. 1 Nr. 4a ErbStG gezogen, dass alle nicht erfassten Formen der Schenkungsteuer unterliegen (so J. Koch in MünchKomm/BGB, Bd. 3, 5. Aufl. 2008, § 516 BGB Rz. 67). 80 So explizit Geck in Kapp/Ebeling, § 7 ErbStG Rz. 22.2 (April 2013). 81 Schulte, Erbschaftsteuerrecht, 2. Aufl. 2017, Rz. 253. 82 So ist die Ausstattung nach § 1624 BGB zivilrechtlich keine Schenkung, aber schenkungsteuerrechtlich aus Sicht der BFH-Rechtsprechung zu unbenannten Zuwendungen als freigebige Zuwendung zu erfassen (ebenso Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 7 ErbStG Rz. 11).

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(oder Beweisführungslast)83. Im Verfahren im Bereich der Eingriffsverwaltung geht die Nichterweislichkeit der Voraussetzung des belastenden Verwaltungsakts grundsätzlich zu Lasten der Behörde84. Sie trifft nach der sog. Normbegünstigungstheorie die Feststellungslast für steuerbegründende und -erhöhende Tatsachen85, dagegen liegt die Beweislast für die steuerbefreienden oder -mindernden Tatsachen beim Steuerpflichtigen. Für den objektiven Tatbestand des § 7 ErbStG trifft die Finanzbehörde die Feststellungslast86. Auch der BFH legt die Darlegungs- und Feststellungslast für die Tatsachen, die zur Annahme einer freigebigen Zuwendung als steuerbegründenden Tatbestand erforderlich sind, der Finanzbehörde auf87. Mit Rücksicht auf die Nachweisprobleme der Finanzbehörde hat die Rechtsprechung indes in Bezug auf den subjektiven Zuwendungstatbestand Wissens- und Willensvermutungen entwickelt88.

IV. Einzelfragen zum Zuwendungsgegenstand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG Im Folgenden ist Einzelfragen des Zuwendungsgegenstandes als dem Schlüssel zu § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG nachzugehen. 1. Erfordernis der Zuwendung von Vermögenssubstanz Die Schenkung setzt eine Zuwendung voraus, durch die der Schenker die Substanz seines Vermögens vermindert und das Vermögen des Beschenkten entsprechend vermehrt89. Erforderlich ist ein unentgeltlicher „Vermögenstransfer“90 oder anders gewendet eine Vermögensverschiebung91 vom Schenker auf den Erwerber. Die freigebige Zuwendung als „substantielle Vermögensbewegung“92 setzt auch nach der Rechtsprechung des BFH eine „Vermehrung der Vermögenssubstanz des Bedachten“ voraus93. Dies ist systematisch-teleologisch dadurch fundiert, dass es bei der Schen-

83 Seer in Tipke/Kruse, § 88 AO Rz. 44 (Jan. 2017). 84 Kopp/Ramsauer, 18. Aufl. 2017, § 24 VerwVfG Rz. 48. 85 Seer in Tipke/Kruse, § 96 FGO Rz. 83 (Okt. 2011) m.w.N. 86 Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 7 ErbStG Rz. 37 m.w.N. 87 BFH v. 23.11.2011 – II R 33/10, BStBl. II 2012, 473, Rz. 26 ff., FamRZ 2012, 1137, FR 2012, 739; ebenso Geck in Kapp/Ebeling, § 7 ErbStG Rz. 4 (Juli 2016). 88 Dazu Holthusen/Burgmann in Tiedtke, 2009, § 7 ErbStG Rz. 75. 89 Geck in Kapp/Ebeling, § 7 ErbStG Rz. 4 (Juli 2016). 90 Ebenso Birk/Desens/Tappe, Steuerrecht, 19. Aufl. 2016, Rz. 1567. 91 BFH v. 7.11.2007 – II R 28/06, BStBl. II 2008, 258, Rz. 9, GmbHR 2008, 334, FR 2008, 585; Götz in Wilms/Jochum, § 7 ErbStG Rz. 6 (Dez. 2016); pointiert Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 6 (Jan. 2013): „Vermögensverschiebung im Rechtssinne“. 92 Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 17, Rz. 43 (Juli 2015). 93 BFH v. 30.1.2013 – II R 38/11, FR 2013, 562, GmbHR 2013, 668 m. Anm. Binnewies, ZEV 2013, 349; ebenso Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 43 (Juli 2015): „Erhöhung des Vermögensbestandes beim Bedachten“.

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kungsteuer als Bereicherungssteuer94 um die Besteuerung des Vermögenszuwachses geht95. Besteuerungsgegenstand ist der durch einen steuerbaren Vorgang im Steuer­ entstehungszeitpunkt (§  9 Abs.  1 Nr.  2 ErbStG) eingetretene Vermögenszuwachs96. Die Erbschaftsteuer ist eine Rechtsverkehrsteuer, die nur auf den Vermögenstransfer abzielt97. Zuwendung i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG bedeutet die Hingabe eines Vermögensbestandteils von einer Person zugunsten einer anderen98. Das vom Gesetzgeber als steuerbar erachtete Zuwendungsverhältnis zeichnet sich durch die Entreicherung des Zuwendenden um Vermögen und eine Bereicherung des Empfängers durch Erwerb von Vermögen aus99. Das ErbStG knüpft die steuerlichen Folgen an Vermögensanfälle100. Das Gesetz spricht beim steuerpflichtigen Erwerb in § 10 Abs. 1 ErbStG mehrfach vom „Vermögensanfall“. Entsprechend kennzeichnet eine Schenkung die Vermögensverschiebung, d.h. eine Vermögensminderung auf der Seite des Schenkenden und eine Vermögensmehrung auf der Seite des Beschenkten101. Dabei verkörpert der Zuwendungsgegenstand die durch Erhöhung des Vermögensbestandes eintretende Vermögensmehrung102. Fehlt es an der erforderlichen Vermehrung der Vermögenssubstanz, ist der Zuwendungstatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG – vorbehaltlich sogleich anzusprechender Erweiterungen (dazu IV. 2. und 3.) – nicht verwirklicht. Eine „wirtschaftliche Betrachtungsweise“103 überwindet die fehlende Tatbestandsverwirklichung nicht. Allgemein ist § 39 Abs. 2 Nr. 1 AO als Ausdruck der wirtschaftlichen Betrachtungsweise bei der Erbschaftsteuer, welche an bürgerlich-rechtliche Vorgänge anknüpft, „nicht oder zumindest nur nach Sachlage des Einzelfalles anwendbar“104. Konkret muss der Vermögensgegenstand in das Eigentum des Erwerbers übergehen. Eine wirtschaftliche Betrachtungsweise und wirtschaftliches Eigentum reicht dagegen für die Steuerbarkeit nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG nicht aus105. Eine freigebige Zuwendung erfordert, dass der Empfänger über den Zuwendungsgegenstand tatsächlich

94 Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl. 2015, § 15 Rz. 1. 95 Birk/Desens/Tappe, Steuerrecht, 19. Aufl. 2016, Rz. 1571; Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II2, 2003, S. 878: „Netto-Vermögenszuwachs“. 96 Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 7 ErbStG Rz. 5. 97 Geck in Kapp/Ebeling, § 7 ErbStG Rz. 4 (Juli 2016); zuvor bereits Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 2. Aufl. 2003, S. 876. 98 Viskorf/Knobel/Schuck/Wälzholz, 4. Aufl. 2012, § 7 ErbStG Rz. 4. 99 Geck in Kapp/Ebeling, § 7 ErbStG Rz. 4 (Juli 2016). 100 Chiusi in Staudinger, § 516 BGB Rz. 209 (April 2013). 101 Geck in Kapp/Ebeling, § 7 ErbStG Rz. 4 (Juli 2016). 102 Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 57 (Juli 2015); übereinstimmend Chiusi in Staudinger, § 516 BGB Rz. 226 (April 2013). 103 Allgemein zu den gesetzlichen und interpretatorischen Grenzen einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise im Steuerrecht Drüen in Tipke/Kruse, § 4 AO Rz. 320 ff. (Okt. 2011). 104 So BFH v. 22.9.1982 – II R 61/80, BStBl. II 1983, 179, Rz. 12. 105 Allgemein Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl. 2015, § 15 Rz. 24: „Fragen der wirtschaftlichen Zuordnung von Wirtschaftsgütern bleiben im Erbschaftsteuerrecht grds. außer Betracht“.

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und rechtlich frei verfügen kann106. Bei der Frage der Verfügbarkeit über das Zugewendete kommt es ausschließlich auf die Zivilrechtslage und nicht darauf an, wem nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise das übertragene Vermögen nach § 39 Abs. 2 AO zuzurechnen ist107. Selbst wenn die – zutreffende – Forderung nach einem „Vermögenszuwachs im Rechtsinne“108 im Sinne einer wirtschaftlichen Betrachtungsweise aufgeweicht würde, muss die wirtschaftlich eingeräumte Position eine Vermögensmehrung herbeiführen. Das erscheint aber insbesondere fraglich, wenn die (Rechts-) position einerseits eine Erwerbschance eröffnet, andererseits aber auch die Gefahr eines Vermögensverlustes besteht109. Der schenkungsteuerrechtliche Blick darf nicht auf eine Zuwendung von Gewinnpotential verengt werden, wenn mit diesem zugleich ein Verlustpotential einhergeht. Allgemein sind bloße Erwerbsaussichten schenkungsteuerrechtlich keine steuerrelevanten Vermögenswerte, wenn der Erwerbsaussicht die Gefahr eines adäquaten Verlustes gegenübersteht110. Damit sind die Grenzen einer wirtschaftlichen Betrachtung des Vermögensvorteils für den schenkungsteuerrechtlichen Zuwendungstatbestand hinreichend angerissen. 2. Zuwendung von Gebrauchs- und Nutzungsvorteilen Die Gewährung von Gebrauchs- und Nutzungsvorteilen wird zum Teil als taugliche Bereicherung i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG angesehen111. Die im Ertragsteuer-112 und Bilanz(steuer)recht113 gepflegte Reserve gegenüber der (steuer)rechtlichen Anerkennung eines interpersonalen Transfers von Nutzungsvorteilen hat offenbar keine Fernwirkungen auf die Schenkungsteuer. Der Zuwendungstatbestand ist nach dieser ­Ansicht nicht auf gegenständliche Vermögenshingabe der Vermögenssubstanz be-

106 BFH v. 23.11.2011 – II R 33/10, BStBl. II 2012, 473, Rz. 20, FamRZ 2012, 1137, FR 2012, 739; Moench/Weinmann, § 7 ErbStG Rz. 12 (Okt. 2015); ebenso Geck in Kapp/Ebeling, § 7 ErbStG Rz. 2.1 (Juli 2016). 107 Explizit Geck in Kapp/Ebeling, § 7 ErbStG Rz. 2.1 (Juli 2016), unter Hinweis auf BFH v. 30.11.2011 – II B 60/11, NotBZ 2013, 18 m. Anm. Hirche, FamRZ 2012, 548, ZEV 2012, 562, Rz. 13; ebenso zuvor BFH v. 9.7.2009 – II R 47/07, BStBl. II 2010, 74, Rz. 14, FR 2010, 245, GmbHR 2010, 111. 108 So Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 49 (Juli 2015), der darum selbst bei wirtschaftlichem Eigentum des Bedachten mangels endgültiger Vermögensmehrung keinen schenkungsteuerechtlich tauglichen Zuwendungsgegenstand sieht (Gebel, ebd., Rz.  50 [Juli 2015]). 109 So zu einer mit einem Wagnis behafteten Rechtsposition, die regelmäßig die Annahme einer Vermögensmehrung von vornherein ausschließt, Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 60 (April 2016). 110 Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 60 (April 2016). 111 Götz in Wilms/Jochum, § 7 ErbStG Rz. 17 (Dez. 2016). 112 Die schlichte Nutzung fremden Vermögens zu betrieblichen Zwecken bleibt einkommensteuerrechtlich generell unberücksichtigt (Bode in Kirchhof/Bode, 16. Aufl. 2017, § 4 EStG Rz. 100 m.w.N.). 113 Zur Frage der Einlagefähigkeit von Nutzungsüberlassungen und kostenlosen Dienstleistungen Winkeljohann/Taetzner in Beck’scher Bilanz-Kommetar, 10. Aufl. 2016, §  272 Rz. 402 m.w.N.

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schränkt114. Vielmehr können danach auch Gebrauchs- und Nutzungsüberlassungen freigebige Zuwendung sein115, wenn sie zu einer Entreicherung des Überlassenden und zu einer Bereicherung des Berechtigten führen116. Allerdings scheiden nach der Gegenansicht, die namentlich Michael Fischer im erklärten Anschluss an seinen Lehrer vertritt117, Gebrauchs- und Nutzungsüberlassungen wie im Zivilrecht118 auch schenkungsteuerrechtlich als freigebige Zuwendung a priori aus. Abgesehen von unentgeltlichen Darlehen119 fehlt es zur literarischen Streitfrage der schenkungsteuerrechtlichen Qualifikation von Gebrauchs- und Nutzungsüberlassungen als freigebige Zuwendung an einschlägigen Entscheidungen des II. Senats des BFH120. Dabei ist die Streitfrage der schenkungsteuerrechtlichen Qualifikation unentgeltlicher Gebrauchs- und Nutzungsüberlassung121 alt. Bereits Theodor Kipp sah in seinem meinungsführenden Kommentar zum ErbStG 1925 in einem Nutzungsvorteil einen tauglichen Zuwendungsgegenstand: „Gewährt jemand die Benutzung von Sachen, so gewährt er einen Vorteil, der seinem Vermögen entstammt; denn die Sache als Quelle von Gebrauchsvorteilen ist Gegenstand seines Vermögens. … Sie kann aber Schenkung werden, wenn der Gebrauch einen greifbaren Vermögenswert hat und den Nehmer bereichert. Letzteres ist der Fall, wenn der Gebrauch der Sache … dem Vermögen des Nehmers einen positiven Vorteil bringt oder ihm eine Ausgabe erspart.“122. Auf derselben Linie liegen historische Kommentierungen, die in der mietfreien Überlassung einer Wohnung oder der Hingabe eines zinslosen Darlehens eine schenkungsteuerrechtliche Zuwendung123 erblickten124. Der klassische Streitfall ist seit jeher die

114 Explizit Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, §  7 ErbStG Rz.  28 (Juli 2015); ebenso Moench/ Weinmann, § 7 ErbStG Rz. 15 (Okt. 2015). 115 So auch Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl. 2015, § 15 Rz. 24: „bloße Nutzungsmöglichkeit“. 116 Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 28 (Juli 2015). 117 Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 7 ErbStG Rz. 162 (im Anschluss an Crezelius, BB 1978, 621; ders., BB 1979, 1594), ebenso für unentgeltliche Arbeits- und Dienstleistungen (ebd., Rz. 161). 118 Zur Qualifikation dauerhafter Gebrauchsüberlassung im Zivilrecht vgl. J. Koch in MünchKomm/BGB, Bd. 3: Schuldrecht, BT, 7. Aufl. 2016, §§ 433-534 BGB, § 516 BGB Rz. 7 f. 119 Dazu zuletzt Esskandari in v. Oertzen/Loose, 2017, § 7 ErbStG Rz. 33 ff. 120 So jüngst und explizit Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 7 ErbStG Rz. 162 a.E.; ebenso Moench/Weinmann, § 7 ErbStG Rz. 17 (Okt. 2015). 121 Näher Geck in Kapp/Ebeling, § 7 ErbStG Rz. 11 ff. (März 2016). 122 So Kipp, Kommentar zum ErbStG i.d.F. v. 22.8.1925, 1927, § 3 Anm. 21, mit dem Beispiel eines Ackerpferdes. 123 Ebenso Liebisch, Das Wesen der unentgeltlichen Zuwendung unter Lebenden im bürgerlichen Recht und im Reichssteuerrecht, Diss. Leipzig, 1927, S. 113 ff., 133 f., 138 und explizit S. 143. 124 Chr. Finger, Erbschaftsteuergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 22.8.1925, 3. Aufl. 1925, S. 86.

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Behandlung unverzinslicher Darlehen im Schenkungsteuerrecht125. Zivilrechtlich ist die Hingabe eines zinslosen Darlehens keine Schenkung. Unentgeltliche Gebrauchsüberlassung ist Leihe und zivilrechtlich nicht Schenkung, auch bei längerfristiger unentgeltlicher Überlassung von Sachen, die üblicherweise nur gegen Entgelt erfolgt126. Für die Schenkungsteuer wurde schon früh eine „verkappte Schenkung“ in Betracht gezogen127. Trotz der Kritik des Jubilars128 an der traditionsreichen Rechtsprechung seit 1932 bejaht auch der BFH eine Zuwendung129. Nach ständiger Rechtsprechung liegt in der zinslosen Gewährung eines Darlehens eine freigebige Zuwendung nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG130. Der Empfänger eines zinslosen Darlehens erfährt demzufolge durch die Gewährung des Rechts, das als Darlehen überlassene Kapital unentgeltlich zu nutzen, eine Vermögensmehrung, die der Schenkungsteuer unterliegt131. Allgemein sind auf dem Boden der Rechtsprechung Gebrauchs- und Nutzungsüberlassungen als freigebige Zuwendungen in Betracht zu ziehen, wenngleich dies nicht der gelebten Praxis entspricht132. Nach der Rechtsprechung des BFH muss für eine Vermögensverschiebung Vermögenssubstanz einschließlich der Überlassung von Vermögensgegenständen zum Gebrauch oder zur Nutzung vom Zuwendenden auf den Empfänger übergehen133. Damit übereinstimmend nimmt die Kommentarliteratur zum Teil an, dass der schenkungsteuerrechtliche Zuwendungstatbestand auch durch Zuwendung obligatorischer oder dinglicher Nutzungsrechte verwirklicht werden kann134. Allerdings bestehen Bedenken gegenüber der Einbeziehung rechtlich nicht vereinbarter und gesicherter Gebrauchs- und Nutzungsüberlassungen in den Zuwendungstatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Abseits unverzinslicher Darlehen fehlt es bislang insoweit an Präjudizien der Rechtsprechung des BFH135. Auch wenn 125 Dazu stellvertretend Viskorf/Knobel/Schuck/Wälzholz, 4. Aufl. 2012, §  7 ErbStG Rz.  10; Geck in Kapp/Ebeling, § 7 ErbStG Rz. 11 ff. (März 2016). 126 Jauernig/Mansel, 16. Aufl. 2015, § 516 BGB Rz. 15. 127 Vorsichtig Chr. Finger, Erbschaftsteuergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 22.8.1925, 3. Aufl. 1925, S. 95: „vielleicht aber verkappte Schenkung“. 128 Eine Besteuerung nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG ablehnend Crezelius, BB 1978, 621 (625) sowie seine Rechtsprechungskritik ders., BB 1979, 1594 f. 129 BFH v. 29.6.2005 – II R 52/03, BStBl. II 2005, 800, FR 2006, 45, Rz. 10 ff.; weitere Nachweise bei Moench/Weinmann, ErbStG, § 7 Rz. 15 (Okt. 2015). 130 BFH v. 27.10.2010 – II R 37/09, BStBl. II 2011, 134, Rz. 18 unter Verweis auf „grundlegend BFH v. 12.7.1979 – II R 26/78, BFHE 128, 266, BStBl. II 1979, 631; ferner BFH v. 4.12.2002 – II R 75/00, BFHE 200, 406, BStBl. II 2003, 273, FR 2003, 732; v. 29.6.2005 – II R 52/03, BFHE 210, 459, BStBl. II 2005, 800, FR 2006, 45; v. 21.2.2006 – II R 70/04, BFH/NV 2006, 1300, und v. 11.4.2006 – II R 13/04, BFH/NV 2006, 1665; BFH v. 14.1.2010 – II B 112/09, BFH/NV 2010, 901“. 131 BFH v. 27.10.2010 – II R 37/09, BStBl. II 2011, 134, Rz. 18. 132 Deutlich Moench/Weinmann, § 7 ErbStG Rz. 17 (Okt. 2015). 133 BFH v. 30.1.2013 – II R 38/11, FR 2013, 562, GmbHR 2013, 668 m. Anm. Binnewies, ZEV 2013, 349; ebenso Geck in Kapp/Ebeling, § 7 ErbStG Rz. 4 (Juli 2016). 134 Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 61 (April 2016). 135 Explizit nochmals Moench/Weinmann, § 7 ErbStG Rz. 17 (Okt. 2015). BFH v. 30.1.2013 – II R 38/11, FR 2013, 562, GmbHR 2013, 668 m. Anm. Binnewies, ZEV 2013, 349, beschränkt sich ohne weitere Aussagen auf den Klammerzusatz: „einschließlich der Überlassung von Vermögensgegenständen zum Gebrauch oder zur Nutzung“.

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die Nutzungsmöglichkeit eines Gegenstandes unzweifelhaft einen wirtschaftlichen Wert im Sinne einer Ertragschance bildet, kann diese mangels einer substantiellen Realisierung durch Vereinbarung eines Entgeltes nicht als eigenständiger Vermögensgegenstand vom Eigentum abgespalten und als Übertragung der Vermögenssubstanz angesehen werden136. Selbst wenn die Rechtsprechung zinslose Darlehen als taugliche Zuwendung erachtet137, folgt daraus nicht zwingend die Erstreckung auf Nutzungsvorteile an nicht im selben Maße kommerzialisierten Sachen, die nicht wie „Verkehrsgüter“138 üblicherweise nur gegen Entgelt überlassen werden. Auch die vieldiskutierten Fälle der unentgeltlichen Wohnungsüberlassung139 eröffnen aufgrund der üblichen Überlassung gegen Entgelt keine generelle Erweiterung auf andere Gebrauchsvorteile. Auch bei Gebrauchs- und Nutzungsüberlassungen ist die Bereicherung notwendige Voraussetzung einer freigebigen Zuwendung140. Da eine Bereicherung aufgrund des rein vermögensbezogenen Begriffs der Zuwendung bei ideellen, nicht in Geld veranschlagbaren Positionen ausscheidet, begrenzt insoweit das Bereicherungsprinzip den Zuwendungstatbestand. Die Grenzlinie für Gebrauchs- und Nutzungsüberlassungen als Zuwendungstatbestand lässt sich nur fallbezogen ziehen. Auch bei Erweiterung des Zuwendungsgegenstandes auf Nutzungs- und Gebrauchsüberlassungen setzt der Zuwendungstatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG stets eine materielle Vermögensvermehrung durch einen frei verfügbaren Nutzungsvorteil voraus. Allgemein verfehlt wäre es, isoliert Nutzungsvorteile zu identifizieren und damit für den Betroffenen einhergehende Lasten auszublenden. Da stets bei der Schenkungsteuer der Nutzungsvorteil Tatbestandsvoraussetzung für die Steuerfestsetzung ist141, muss dieser gerade bei Gebrauchs- und Nutzungsvorteilen von der Finanzverwaltung benannt, begründet und beziffert werden (s. bereits III. 5.). 3. Ersparnis von Aufwendungen als Zuwendung Neben Gebrauchs- und Nutzungsvorteilen werden ersparte Aufwendungen seit langem als taugliche Bereicherung i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG angesehen. Bereits zum ErbStG 1925 kommentierte Chr. Finger: „Die Zuwendung seitens des Schenkers muss den Beschenkten bereichern, d.h. sein Vermögen im Verhältnis des Wertes vor und nach der Zuwendung vermeh-

136 So Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 7 ErbStG Rz. 164. 137 Zustimmend unter Hinweis auf die „verkehrsüblicherweise regelmäßig genutzte Einnahmemöglichkeit“ bei unverzinslichen Darlehen Meincke, 16. Aufl. 2012, § 7 ErbStG Rz. 50; ablehnend Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 7 ErbStG Rz. 167 ff. 138 Begriff bei Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 28 (Juli 2015). 139 Vgl. nur Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 28 (Jan. 2017) m.w.N., der eine freigebige Zuwendung bei Überlassung einer zuvor selbstgenutzten Wohnung im Regelfall verneint. 140 Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 7 ErbStG Rz. 28 (Juli 2015). 141 In anderem Kontext Geck in Kapp/Ebeling, § 7 ErbStG Rz. 11.6 (März 2016).

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Freigebige Zuwendungen im Schenkungsteuerrecht

ren … Die Bereicherung muss einen Geldwert haben, der auch in der Ersparung von notwendigen Ausgaben bestehen kann“142. In Parallele zum Bereicherungsrecht formulierte seinerzeit auch Theodor Kipp: „Es ist vielmehr anzuerkennen, dass eine Bereicherung schenkungshalber ebenfalls durch die Begründung einer Ersparnis, richtiger ausgedrückt, durch die Verhinderung einer Ausgabe, die sonst gemacht worden wäre, herbeigeführt werden kann“143. Allerdings darf nicht in Verkennung dieser historischen Erkenntnis vorschnell die Ersparnis von Aufwendungen allgemein mit einer Bereicherung und einer freigebigen Zuwendung gleichgesetzt werden. Offenbar zur Vermeidung dieses Missverständnisses hat bereits Kipp die Restriktion „Ausgabe, die sonst gemacht worden wäre“ drucktechnisch hervorgehoben. Fehlt es an einer solchen „Ohnehin-Ausgabe“ so fehlt auch die Bereicherung durch Ersparnis. Aufgedrängte Aufwendungen sind dabei nicht mit ersparten Aufwendungen gleichzusetzen, die ohnehin vom Empfänger getätigt worden wären. Überdies liegt für Kipp eine Bereicherung durch Ersparnis nicht vor, „wenn es sich um Zuwendung von Bildungselementen, Kunstgenüssen oder Vergnügungen handelt, die in dem Vermögen keinen Wert zurücklassen“144. Dogmatisch lassen sich erhebliche Einwände gegen Anleihen des Schenkungsteuerrechts beim Bereicherungsrecht anbringen145. Diese können aber in Fällen dahinstehen, in denen „Genüsse“ und „Vergnügungen“ „zugewendet“ werden, „die in dem Vermögen keinen Wert zurücklassen“146. Dann fehlt es an einer Bereicherung über den „Genusszeitpunkt“ hinaus. Insgesamt führen ersparte Aufwendungen nicht stets, sondern nur unter engen Voraussetzungen zu einer freigebigen Zuwendung i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Schließlich lassen sich unentgeltliche Nutzungsvorteile, die nach den zuvor aufgezeigten sachnahen Kriterien nicht als Zuwendung von Gebrauchsund Nutzungsvorteilen steuerbar sind (s. IV. 2.), nicht allgemein im Wege einer alternativen Begründung als ersparte Aufwendungen für steuerbar erklären. Auch unter dem Topos der ersparten Aufwendungen lassen sich allenfalls die Ersparnis marktüblicher Darlehenszinsen oder Wohnungsmieten als steuerbare Zuwendung begreifen.

142 Chr. Finger, Erbschaftsteuergesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 22.8.1925, 3. Aufl. 1925, S. 86. 143 Kipp, Kommentar zum ErbStG i.d.F. v. 22.8.1925, 1927, § 3 Anm. 17 (Hervorhebung im Original). 144 Kipp, Kommentar zum ErbStG i.d.F. v. 22.8.1925, 1927, § 3 Anm. 17. 145 Gegen eine Gleichsetzung der schenkungsrechtlichen Bereicherung mit dem bereicherungsrechtlichen Begriff der Bereicherung Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, §  7 ErbStG Rz. 200. 146 Kipp, Kommentar zum ErbStG i.d.F. v. 22.8.1925, 1927, § 3 Anm. 17.

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V. Resümee Der Begriff der freigebigen Zuwendung i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG deckt sich nicht mit dem der Schenkung im zivilrechtlichen Sinn und geht über § 516 BGB hinaus. Das ist heute unstreitig. Durch diesen Ausgangsbefund wird indes die „Vorherigkeit“ des Zivilrechts im Schenkungsteuerrecht nicht gänzlich eliminiert. Die Bestimmung des Zuwendungsgegenstandes erfolgt als bürgerlich-rechtliche Vorfrage allein nach bürgerlichem Recht (II.). Der so bestimmte schenkungsteuerrechtliche Zuwendungsgegenstand erfüllt den Zuwendungstatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG nur, wenn der Bedachte „auf Kosten des Zuwendenden“ bereichert wird und subjektiv der Wille des Zuwendenden zur Freigebigkeit besteht (III.). Eine Zuwendung erfordert grundsätzlich einen unentgeltlichen Vermögenstransfer im Sinne der Zuwendung von Vermögenssubstanz (IV. 1.). Die Zuwendung von Gebrauchs- und Nutzungsvorteilen (IV. 2.) oder ersparter Aufwendungen (IV. 3.) erfüllt nur unter weiteren Voraussetzungen den Zuwendungstatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. In materieller Hinsicht begrenzt das Bereicherungsprinzip als Strukturprinzip der Erbschaft- und Schenkungsteuer auch in diesen Ergänzungsfallgruppen den Zuwendungstatbestand. Die konstitutive individuelle Bereicherung prägt nicht nur den Steuertypus147 der Erbschaft- und Schenkungsteuer als „Bereicherungssteuer“148, sondern ist zugleich auslegungssteuernd und wirkt tatbestandsbegrenzend. Schließlich sprechen für eine Begrenzung des Zuwendungstatbestandes verfahrensrechtliche und letztlich auch verfassungsrechtliche Gründe149. Denn auch wenn der steuerbare Zuwendungsgegenstand über die erkenn- und erfassbare Zuwendung von Vermögenssubstanz auf Gebrauchs- und Nutzungsvorteile und ersparte Aufwendungen erweitert wird, muss seine gleichmäßige Vollzugsfähigkeit strukturell gesichert sein150. Die Besteuerung darf nicht allein vom Zufall oder besonders engagierten Ermittlungen einzelner Finanzbeamten abhängen. (Strafbewehrte) Anzeigepflichten verlangen die Vorhersehbarkeit der Steuerpflicht und setzen der Ausdehnung des schenkungsteuerrechtlichen Zuwendungstatbestandes Grenzen.

147 Zum Verständnis der in Art. 105 und 106 GG genannten Steuern und Steuerarten als verfassungsrechtliche Typusbegriffe jüngst BVerfG v. 13.4.2017  – 2 BvL 6/13, NJW 2017, 2249, Rz. 65. 148 Nochmals Seer in Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl. 2015, § 15 Rz. 1. 149 Auf die Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung abhebend bereits Crezelius, BB 1978, 621 (625); ders., BB 1979, 1594. 150 Allgemein zur Vollzugsgewähr zuletzt Palm, Das Steuerverfassungsrecht als dogmatisches Referenzgebiet des allgemeinen Verfassungsrechts, JÖR 64 (2016), 457 ff.

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Steuerstrafrechtliche Aspekte bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer Inhaltsübersicht

I. Einleitung

II. Tathandlung 1. Anzeige- und Erklärungspflichten nach dem Erbschaftsteuergesetz 2. Tatbestandsverwirklichung durch ­positives Tun 3. Tatbestandsverwirklichung durch ­Unterlassen a) Unterlassen einer gesetzlichen ­Anzeigepflicht b) Unterlassen durch Nichtabgabe ­einer Steuererklärung



4. Unterlassene Angabe von Vorschenkungen

III. Versuch sowie Vollendung und ­Beendigung der Tat 1. Aktives Tun 2. Unterlassen a) Unterlassene Anzeige b) Unterlassene Abgabe der Steuer­ erklärung trotz Aufforderung IV. Zusammenfassung

I. Einleitung Es bedarf keiner Erwähnung, dass ein Schwerpunkt des juristischen Schaffens von Georg Crezelius im Erbschaft- und Schenkungssteuerrecht liegt. Exemplarisch seien die Monographie Erbschaft- und Schenkungssteuer in zivilrechtlicher Sicht1 sowie das aktuelle Handbuch Erbschaftsteuerreform 20162 erwähnt. Der Jubilar ist zudem ein Verfechter einer restriktiven Auslegung des Steuerrechts3. Steuerrecht ist Eingriffsrecht. Der liberale Rechtsstaat hat sich mit Grundrechtseingriffen soweit wie möglich zurückzuhalten. Eine restriktive Auslegung des Steuerrechts ist auch deshalb geboten, weil das gesamte Steuerrecht aufgrund der Blankettnormen der §§ 369 ff. AO strafbewährt ist. Die Komplexität und die Auslegungsschwierigkeiten des einfachen Steuerrechts dürfen sich strafrechtlich nicht zu Lasten des Steuerpflichtigen auswirken. Die Strafbewährtheit des Steuerrechts sowie der erbschaftsteuerliche Schaffensschwerpunkt des Jubilars sollen zum Anlass genommen werden, sich nachfolgend mit steuerstrafrechtlichen Aspekten des Erbschaft- und Schenkungssteuerrechts auseinander zu setzen. Der Beitrag beschäftigt sich mit den in der Praxis relevanten Problemstellungen: Durch welches Verhalten – aktives Tun oder Unterlassen – wird der Tatbestand der Steuerhinterziehung erfüllt (dazu nachfolgend II.)? Wann beginnt der Versuch und wann ist die Tat voll- bzw. beendet (dazu nachfolgend III.)? 1 Crezelius, Erbschaft- und Schenkungssteuer in zivilrechtlicher Sicht, 1979. 2 Benz/Blumenberg/Crezelius, Erbschaftsteuerreform 2016, 2017. 3 Vgl. Crezelius, Steuerrechtliche Rechtsanwendung und allgemeine Rechtsordnung: Grundlagen für eine liberale Besteuerungspraxis, 1983.

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II. Tathandlung Auch bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer kann der Tatbestand der Steuerhinterziehung entweder durch positives Tun oder durch Unterlassen erfüllt werden. Maßgeblicher Straftatbestand ist § 370 Abs. 1 AO. Tatbestandsverwirklichung durch positives Tun liegt danach vor, wenn den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht werden (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO). Steuerhinterziehung durch Unterlassen begeht, wer die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis lässt (§ 370 Abs. 1 Nr. 2 AO). 1. Anzeige- und Erklärungspflichten nach dem Erbschaftsteuergesetz Ob eine strafrechtlich relevante Handlung gegeben ist, richtet sich danach, ob und inwieweit gegen die vom ErbStG vorgesehenen Anzeige- und Erklärungspflichten verstoßen wurde. Im ErbStG ist keine unmittelbare Pflicht zur Abgabe einer Steuererklärung kodifiziert. Zur Erhebung der Steuer ist vielmehr ein zweistufiges Verfahren vorgesehen. Auf der ersten Stufe erhält das Finanzamt durch die Erfüllung einer gesetzlich vorgesehenen Anzeigepflicht Kenntnis von einem steuerpflichtigen Erwerb. Auf der zweiten Stufe kann das Finanzamt dann von jedem an einem Erbfall, einer Schenkung oder einer Zweckzuwendung Beteiligten die Abgabe einer Steuererklärung verlangen (§ 149 Abs. 1 Satz 2 AO i.V.m. § 31 Abs. 1 ErbStG). Das Finanzamt ist insoweit berechtigt, eine Abgabefrist zu setzen, wobei diese mindestens einen Monat betragen muss. Das Gesetz sieht eine Reihe von Anzeigepflichten vor. Im Grundsatz ist jeder der Steuer unterliegende Erwerb vom Erwerber innerhalb von drei Monaten nach erlangter Kenntnis vom Anfall bei dem für die Erbschaftsteuer zuständigen Finanzamt schriftlich anzuzeigen (§  30 Abs.  1 ErbStG). Bei Schenkungen unter Lebenden ist auch der Schenker anzeigepflichtig (§ 30 Abs. 2 ErbStG). Einer Anzeige bedarf es ausnahmsweise nicht, wenn der Erwerb auf einer von einem deutschen Gericht oder deutschen Notar eröffneten Verfügung von Todes wegen beruht und sich aus der Verfügung das Verhältnis des Erwerbers zum Erblasser unzweifelhaft ergibt (§ 30 Abs. 3 Satz 1 Halbs. 1 ErbStG). Auch in diesen Fällen ist jedoch eine Anzeigepflicht ausnahmsweise gegeben, wenn zum Erwerb Grundbesitz, Betriebsvermögen, Anteile an Kapitalgesellschaften, die nicht der Anzeigepflicht nach § 33 ErbStG (Banken etc.) unterliegen, oder Auslandsvermögen gehört. Bei Schenkungen unter Lebenden bedarf es einer Anzeige nicht, wenn die Schenkung gerichtlich oder notariell beurkundet wurde. Darüber hinaus bestehen auch für Dritte Anzeigepflichten, insbesondere für Vermögensverwalter, Vermögensverwahrer und Versicherungsunternehmen sowie für ­Gerichte, Behörden, Beamte und Notare (§§ 33, 34 ErbStG). Ein inländisches Kredit­ institut ist verpflichtet, in die Anzeigen nach § 33 Abs. 1 ErbStG auch Vermögens­ gegenstände einzubeziehen, die von einer unselbständigen Zweigniederlassung im 490

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Ausland verwahrt oder verwaltet werden, selbst wenn dort ein strafbewehrtes Bankgeheimnis zu beachten ist4. Die Anzeigepflicht nach § 33 Abs. 1 ErbStG ist, soweit sie sich auf Vermögensgegenstände bei einer unselbständigen Zweigniederlassung in einem EU-Mitgliedstaat erstreckt, mit Unionsrecht vereinbar5. Nach § 153 Abs. 2 AO besteht ferner eine Anzeigepflicht, wenn die Voraussetzungen für eine Steuerbefreiung, die Steuerermäßigung oder sonstige Steuervergünstigungen nachträglich ganz oder teilweise wegfallen. Für das Erbschaftsteuerrecht sind dies die Nachversteuerungsfälle der §§ 13 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 ErbStG (Kunstgegenstände), 13 Abs. 1 Nr. 3 Satz 2 ErbStG (Grundbesitz mit Allgemeinwohlzwecken), 13 Abs. 1 Nr. 4b und 4c ErbStG (Familienheim). Mit dem Erbschaftsteuerrefomgesetz vom 24. Dezember 2008 wurden in § 13a Abs. 7 ErbStG (vor der Erbschaftsteuerreform 2016 = § 13a Abs. 6 ErbStG) weitere Anzeigepflichten im Zusammenhang mit dem Erwerb von begünstigtem Vermögen im Sinne des §  13b ErbStG eingeführt. Der Erwerber ist danach verpflichtet, innerhalb von sechs Monaten nach Ablauf der Lohnsummenfrist das Unterschreiten der Lohnsummengrenze von § 13a Abs. 3 Satz 1 ErbStG anzuzeigen (§ 13a Abs. 7 Satz 1 ErbStG). Ferner sind innerhalb eines Monats Verstöße gegen die fünf- bzw. siebenjährige Behaltensfristen nach § 13a Abs. 6, Abs. 10 Nr. 2 ErbStG anzuzeigen (§ 13a Abs. 7 Satz 2 ErbStG). Die Anzeigepflicht ergibt sich zwar bereits aus § 153 Abs. 2 AO, ist jedoch noch einmal explizit kodifiziert worden. Weitere Anzeigepflichten wurden im Rahmen der Erbschaftsteuerreform 2016 in § 13a Abs. 9 Satz 6 ErbStG sowie § 28 a Abs. 5 Satz 1 und 2 ErbStG geregelt. 2. Tatbestandsverwirklichung durch positives Tun Tatbestandsverwirklichung durch positives Tun liegt vor, wenn den Finanzbehörden oder anderen Behörden über steuerlich erhebliche Tatsachen unrichtige oder unvollständige Angaben gemacht werden (§ 370 Abs. 1 Nr. 1 AO). Dies ist insbesondere der Fall, wenn eine unrichtige oder eine unvollständige Erbschaft- oder Schenkungsteuererklärung abgegeben wird. Eine Erklärung ist unrichtig, wenn einzelne Punkte nicht den Tatsachen entsprechen, etwa falsche Angaben im Hinblick auf bewertungsrelevante Aspekte, wie die Wohnflächenangabe einer Immobilie, gemacht werden. Unvollständig ist eine Steuererklärung, wenn bestimmte Nachlassgegenstände (z.B. Auslandsdepot) vollständig weggelassen werden. Auch wenn insoweit ein Unterlassen vorliegt, wird nach ganz einhelliger Auffassung aufgrund der Abgabe einer unvollständigen Steuererklärung der Tatbestand des § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO durch positives Tun erfüllt6. Auch im Bereich der Anzeigepflichten ist eine Tatbestandsverletzung durch positives Tun denkbar, nämlich wenn eine Anzeige abgegeben wird, diese aber unrichtig oder 4 BFH v. 16.11.2016 – II R 29/13, IStR 2017, 234. 5 EuGH v. 14.4.2016 – C-522/14, EU:C:2016:253 – Sparkasse Allgäu, IStR 2016, 503. 6 Statt vieler: Joecks in Joecks/Jäger/Randt, Steuerstrafrecht, 8. Aufl. 2015, § 370 Rz. 189.

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unvollständig ist. Hierbei sind zwei Fallgruppen zu unterscheiden7: Der Anzeigepflichtige erstattet eine unrichtige Anzeige nach § 30 ErbStG, um das Finanzamt dazu zu veranlassen, von der Aufforderung zur Abgabe einer Steuererklärung nach § 31 Abs.  1 ErbStG abzusehen. Mit Abgabe der unrichtigen Anzeige tritt die Tat in das Versuchsstadium ein. Vollendung und gleichzeitig Beendigung der Tat ist gegeben, wenn das Erbschaftsteuerfinanzamt – wie vom Täter gewollt – von der Aufforderung zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung absieht und dies dem Steuerpflichtigen bekannt gibt8. Fraglich ist, wann die Tat vollendet ist, wenn dem Steuerpflichtigen nicht bekannt gegeben wird, dass von der Aufforderung zur Abgabe einer Erbschaftsteuererklärung abgesehen wird. Hier wird man auf die verwaltungsinterne Entscheidung abstellen müssen9. Anders ist der Fall, wenn der Anzeigende damit rechnet, ohnehin zur Abgabe einer Steuererklärung aufgefordert zu werden und er mit der unzutreffenden Anzeige lediglich bezweckt, die späteren unrichtigen Angaben in der Steuererklärung mit der Anzeige in Einklang zu bringen. In dieser Konstellation ist die Anzeige noch als straflose Vorbereitungshandlung anzusehen; der Versuch beginnt erst mit der Abgabe der unrichtigen Steuererklärung10. Unabhängig von einer abzugebenden Steuererklärung kommt eine Tatbestandsverwirklichung durch aktives Tun auch im Hinblick auf die Anzeigepflichten in Betracht, die sich aus dem nachträglichen Wegfall einer Steuerbefreiung oder sonstigen Steuervergünstigung nach § 153 Abs. 2 AO ergeben bzw. die ausdrücklich im Hinblick auf die Lohnsummengrenze bzw. die Behaltensfrist im Rahmen der steuerlichen Privilegierung von Betriebsvermögen statuiert sind. Wird hier eine inhaltlich unzutreffende Anzeige erstattet, stellt dies eine Tathandlung im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO dar. 3. Tatbestandsverwirklichung durch Unterlassen Eine Tatbestandsverwirklichung durch Unterlassen kann entweder durch Unterlassen einer erbschaftssteuerlich vorgeschriebenen Anzeigepflicht (nachfolgend a)) oder durch Nichtabgabe einer Steuererklärung (nachfolgend b)) erfolgen. a) Unterlassen einer gesetzlichen Anzeigepflicht Hauptfall der Tatbestandsverwirklichung durch Unterlassen ist, wenn ein erbschaftsteuerlicher Erwerb entgegen § 30 ErbStG nicht angezeigt wird. Infolgedessen wird der Erwerber auch nicht gem. § 31 ErbStG aufgefordert, eine Erbschaftsteuererklä 7 Vgl. Sackreuther, PStR 2011, 254 (254 f.). 8 Sackreuther, PStR 2011, 254; Seipl in Wannemacher, Steuerstrafrecht, 6. Aufl. 2013, Rz. 1066. 9 Ebenso Seipl in Wannemacher, Steuerstrafrecht, Rz.  1066; Rolletschke, wistra 2001, 287 (288); ders. in Rolletschke/Kemper, Steuerstrafrecht, § 370 AO Rz. 584 (Stand: September 2014). 10 Sackreuther, PStR 2011, 254 (255); Seipl in Wannemacher, Rz. 1067; Joecks in Joecks/Jäger/ Randt, §  370 AO Rz.  341; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, Steuerstrafrecht, §  370 AO Rz. 1523 (Stand: Oktober 2013).

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rung abzugeben, mit der Folge, dass eine Steuerfestsetzung unterbleibt. Darüber hinaus liegt eine Tatbestandsverwirklichung durch Unterlassen vor, wenn die Nachversteuerungsfälle der §§ 13 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2, Nr. 3 Satz 2, Nr. 4b Satz 5 und 4c Satz 5 ErbStG sowie § 13a Abs. 6, § 19a Abs. 5 sowie § 13a Abs. 9 Satz 6 sowie § 28a Abs. 5 Satz 1 ErbStG nicht angezeigt werden und infolgedessen eine Berichtigung der ursprünglichen Steuerfestsetzung unterbleibt. Der Wortlaut des § 30 ErbStG ist nicht eindeutig, ob jeder prinzipiell der Steuerpflicht unterliegende Vorgang im Sinne des § 1 ErbStG anzuzeigen ist, d.h. ohne Berücksichtigung von Steuerbefreiungen und Freibeträgen oder ob eine Anzeigepflicht nur besteht, wenn der Übertragungsvorgang auch tatsächlich eine Steuer auslöst. Nach allgemeiner Ansicht ist § 30 ErbStG restriktiv auszulegen; eine Anzeigepflicht soll nicht bestehen, wenn eindeutig und klar feststeht, dass keine Steuer anfällt11. Nach Ansicht von Meincke12 sollen jedoch Erwerbe, die eine Vorschenkung im Sinne von §  14 ErbStG bei späteren Erwerben darstellen könnten, anzeigepflichtig sein. Nach § 13a Abs. 7 Satz 6 ErbStG besteht jedenfalls eine Anzeigepflicht nach § 13a Abs. 7 Sätze 1 und 2 ErbStG (Behaltens- und Lohnsummenfristen) ausdrücklich auch dann, wenn der Vorgang zu keiner Besteuerung führt. Aus strafrechtlicher Sicht hat eine unterlassene Anzeige von Erwerben ohne steuerliche Auswirkung keine Konsequenzen. Eine vollendete Steuerhinterziehung scheidet aus, da es mangels entstandener Steuer nicht zu einer Steuerverkürzung kommt. Auch eine versuchte Steuerhinterziehung kommt nicht in Betracht: Geht der Steuerpflichtige irrtümlich davon aus, dass jeder Erwerb anzeigepflichtig ist oder irrt er beispielsweise zu seinen Lasten über die Höhe der Freibeträge, irrt er über das Bestehen bzw. die Reichweite der strafrechtlichen Norm. Er will eine Rechtsverletzung begehen, die es so, wie von ihm vorgestellt, nicht gibt. Dies ist der Fall eines umgekehrten Verbotsirrtums, mithin eines nicht strafbaren Wahndelikts13. Wer im Hinblick auf einen späteren Erwerb eine potentiell relevante Vorschenkung nicht anzeigt, handelt zwar vorsätzlich. Es liegt jedoch insoweit allenfalls eine straflose Vorbereitungshandlung vor. Das erforderliche unmittelbare Ansetzen zur Tat (§ 22 StGB) erfolgt erst durch Abgabe der späteren Steuererklärung, in der die entsprechenden Felder über die Vorschenkungen nicht ausgefüllt werden. Bei mehreren Erwerbern trifft die Anzeigepflicht gemäß § 30 ErbStG jeden der Beteiligten. Nach im Schrifttum vertretener Auffassung14 sollen die Beteiligten von ihrer Pflicht zur Anzeige frei werden, sobald der erste Beteiligte seine Anzeigepflicht ordnungsgemäß erfüllt hat. Nach Ansicht des BFH soll die Anzeigepflicht generell ent­ fallen, wenn das Finanzamt aus anderen Quellen über einen der Erbschaftsteuer ­unterliegenden Erwerb unterrichtet ist; die Angaben des Dritten kommen dem An11 Meincke, 16. Aufl. 2012, § 30 ErbStG Rz. 6; Pahlke in Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 30 ErbStG Rz. 22 m.w.N. 12 Meincke, § 30 ErbStG Rz. 6. 13 Vgl. Fischer, 64. Aufl. 2017, § 22 StGB Rz. 49 m.w.N. 14 Seipl in Wannemacher, Rz. 1055; Meincke, § 30 ErbStG Rz. 4.

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zeigepflichten Erwerber allerdings nur dann zugute, wenn dem zuständigen Finanzamt der Erwerb anderweitig im erforderlichen Umfang d.h. durch Mitteilung von Name, Anschrift des Schenkers, Erblassers bzw. Erwerb sowie des Rechtsgrund des Erwerbs bekannt wird15. Teilweise wird im Schrifttum sogar die Auffassung vertreten, dass die Anzeigepflicht gegenstandslos werde, wenn der Erkenntniserwerb des Finanzamtes auf anderem Weg als genügend gesichert erscheint16. Zuzustimmen ist der Ansicht, dass objektiv keine Anzeigepflicht mehr besteht, wenn der Erwerb sowie der Erwerber dem Finanzamt bekannt sind. Damit wird eine Anzeigepflicht obsolet. Aufgrund des Prinzips der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung kann und darf sich der Steuerpflichtige darauf verlassen, dass das Erbschaftsteuerfinanzamt eine Steuererklärung anfordert, wenn diesem der Erbfall bekannt ist. Aus strafrechtlicher Sicht kann es nicht mehr zu einer Erfüllung des objektiven Tatbestands kommen. Da dem Finanzamt der erbschaftsteuerpflichtige Erwerb bekannt ist, kann die Finanzbehörde nicht mehr im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 2 AO in „Unkenntnis“ gelassen werden. Insoweit fehlt es auch an der erforderlichen Kausalität zwischen Unterlassen und Taterfolg17. Abzulehnen ist dagegen die Auffassung, dass eine Anzeigepflicht auch entfällt, wenn der Kenntniserwerb des Finanzamts auf anderem Weg als genügend gesichert erscheint. Eine hohe Wahrscheinlichkeit ist noch keine tatsächliche Kenntnis. In der Praxis zeigt sich zudem, dass regelmäßig Erwerbe nicht besteuert werden, obwohl diese dem Erbschaftsteuerfinanzamt, insbesondere nach § 34 ErbStG, bekannt sein müssten. Wer hier eine Anzeige unterlässt, geht strafrechtlich ein unnötiges Risiko ein. Sollte  – aus welchen Gründen auch immer  – den Finanzbehörden der steuerpflichtige Erwerb tatsächlich nicht bekannt gewesen sein, wäre der Tatbestand der Steuerhinterziehung zumindest objektiv erfüllt. Das Unterlassen der Anzeige wäre dann nämlich kausal für den Taterfolg. Bei entsprechender Anzeige hätte das Finanzamt zur Abgabe einer Steuererklärung aufgefordert und danach die Steuer festsetzen können. b) Unterlassen durch Nichtabgabe einer Steuererklärung Schließlich ist eine Tatbestandsverwirklichung durch Unterlassen dadurch möglich, dass trotz Aufforderung nach § 31 Abs. 1 ErbStG keine Erbschaftsteuererklärung eingereicht wurde. Der Erlass eines geschätzten Erbschaftsteuerbescheids suspendiert nicht von der Pflicht zur Abgabe der Steuererklärung. Ist der geschätzte Nachlasswert niedriger als der tatsächliche, liegt in Höhe des Differenzbetrages eine Steuerverkürzung vor. Zudem ist zu berücksichtigen, dass auch die verspätete Abgabe einer Steuererklärung eine Steuerhinterziehung darstellt. Nach der jüngeren Rechtsprechung des BGH beläuft sich der Verkürzungsbetrag in diesen Fällen auf den vollen Nominal15 BFH v. 5.2.2003 – II R 22/01, BStBl. II 2003, 502. 16 Seipl in Wannemacher, Rz. 1055; Meincke, § 30 ErbStG Rz. 8. 17 Seipl in Wannemacher, Rz. 1074; vgl. auch BGH v. 14.12.2010 – 1 StR 275/10, wistra 2011, 186.

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betrag und nicht nur auf einen Verzögerungsschaden18. Hier kann lediglich auf Vorsatz- oder Strafzumessungsebene mit dem Verzögerungsschaden argumentiert werden. 4. Unterlassene Angabe von Vorschenkungen Von besonderer praktischer Bedeutung ist die unterlassene Angabe von Vorschenkungen im Sinne von § 14 ErbStG. Gemäß § 14 ErbStG sind mehrere steuerpflichtige Erwerbe innerhalb von 10 Jahren dergestalt zusammenzurechnen, dass dem letzten Erwerb die früheren Erwerbe hinzugerechnet werden. Auf Basis dieses Wertes wird die Steuer für den Letzterwerb berechnet, wobei die für die früheren Erwerbe angefallene bzw. bezahlte Steuer mindernd angerechnet wird. Sinn und Zwecke dieser Regelung ist es, zu verhindern, dass durch Aufteilung einer Vermögensübertragung in mehrere Akte die Freibeträge mehrfach in Anspruch genommen sowie Progressionsvorteile erzielt werden. Das geltende Erbschaftsteuergesetz will die jeweiligen Freibeträge und unteren Progressionsstufen nur einmal in zehn Jahren gewähren. Fraglich ist, wie ein steuerauslösender Erwerb, der bislang nicht angezeigt und nicht besteuert wurde, im Rahmen der Steuererklärung für einen weiteren Erwerb strafrechtlich zu behandeln ist. Wird der bislang steuerlich nicht erfasste Erwerb als Vorschenkung i.S.  von §  14 ErbStG im Rahmen der aktuellen Erbschaft- bzw. Schenkungsteuererklärung de­ klariert, liegt in Bezug auf die Vorschenkung eine strafbefreiende Selbstanzeige vor. Steuerrechtlich kann die Erstschenkung in aller Regel noch festgesetzt werden. Gem. § 170 Abs. 5 Nr. 2 AO beginnt die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Schenker gestorben ist oder die Finanzbehörde von der vollzogenen Schenkung Kenntnis erlangt hat. Die Finanzämter können danach theoretisch noch lang zurückliegende Schenkungen – beispielsweise aus den 1960er Jahren – besteuern, sofern der Schenker noch nicht zehn Jahre tot ist und die Finanzbehörden erst aktuell von der Schenkung erfahren. Die strafrechtliche Behandlung der unterlassenen Angabe von Vorschenkungen im Rahmen einer Steuererklärung ist umstritten. Nach wohl überwiegender Ansicht im Schrifttum stelle das erneute Nichtanzeigen der Vorschenkungen keine neue Tat im Hinblick auf die durch die frühere Schenkung entstandene Steuer dar. Eine Hinterziehung liege lediglich im Hinblick auf den aktuell erklärten Letzterwerb vor, soweit dieser durch den Ansatz höherer Freibeträge bzw. niedrigerer Steuersätze zu niedrig besteuert wird19. Anderer Ansicht nach soll eine Nichterklärung von Vorerwerben im Rahmen einer späteren Steuererklärung auch eine erneute Steuerhinterziehung hin-

18 BGH v. 17.3.2009 – 1 StR 627/08, UR 2009, 899 m. Anm. Sterzinger, NJW 2009, 1979. 19 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, §  370 AO Rz.  340; Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, Steuerstrafrecht, § 370 AO Rz. 1517.1 (Stand: Oktober 2013); Meyer in Behrmann/Gosch, AO/ FGO, § 370 AO Rz. 161 (Stand: August 2011); Seipl in Wannemacher, Rz. 1092.

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sichtlich der Vorschenkung darstellen, die allerdings als mitbestrafte Nachtat aufzufassen sei20. Der Bundesgerichtshof hat sich in seiner Entscheidung vom 10. Februar 201521 erwartungsgemäß der für den Steuerpflichtigen nachteiligen Ansicht angeschlossen. Danach soll die in einer Steuererklärung enthaltene unzutreffende Angabe, vom Schenker keine Vorschenkungen erhalten zu haben, sowohl für die Besteuerung des aktuellen Erwerbs als auch hinsichtlich der Vorschenkung eine unrichtige Angabe über steuerlich erhebliche Tatsachen im Sinne von § 370 Abs. 1 Nr. 1 AO darstellen. Eine hierdurch im Hinblick auf eine Vorschenkung begangene Steuerhinterziehung soll gegenüber einer zuvor durch Unterlassen begangene Hinterziehung von Schenkungsteuer mitbestrafte Nachtat sein22. Die Straflosigkeit der mitbestraften Nachtat entfalle allerdings, wenn die Vortat – z.B. wegen Verjährung – nicht mehr verfolgbar ist23. Der Bundesgerichtshof begründet seine Ansicht im Wesentlichen damit, dass die Vorschenkungen nicht nur Bedeutung für die Freibeträge und den Steuersatz des Letzterwerbes haben, sondern die Angaben über die Vorschenkungen auch Grundlage für die Überprüfung der ordnungsgemäßen Besteuerungen sämtlicher Schenkungen des Zuwendenden innerhalb eines Zehnjahreszeitraums seien24. Aus dem Nemo-tenetur-Grundsatz ergebe sich keine Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens, weil die Möglichkeit bestehe, mit vollständigen und richtigen Angaben zu den Vorschenkungen zugleich eine strafbefreiende Selbstanzeige abzugeben. Sofern eine Selbstanzeige wegen eines Sperrgrundes im Sinne von § 371 Abs. 2 AO nicht in Betracht kommt, sei die Angabe der Vorschenkungen ebenfalls nicht unzumutbar. Denn soweit erzwungene Angaben zu einer mittelbaren Selbstbelastung führen können, bestehe für sie ein strafrechtliches Verwertungsverbot25. Die Ansicht des Bundesgerichtshofs überzeugt nicht. Schon die Qualifizierung der Nichtangabe der Vorschenkungen als erneute Tatbestandsverwirklichung im Hinblick auf die Vorschenkung ist zweifelhaft. Zwar wurde eine Steuererklärung abgegeben, in der die Vorschenkung unerwähnt bleibt. Mit dieser Steuererklärung wird aber ausschließlich der aktuelle Erwerb deklariert. Die Angabe der Vorschenkungen dient lediglich der Berechnung der Steuer, die für den aktuellen Erwerb festzusetzen ist, nicht jedoch der Ermittlung einer Gesamtsteuer für sämtliche Erwerbe innerhalb des 10-Jahres-Zeitraums26. Ein Verfahren zur Überprüfung der zutreffenden Besteuerung 20 Rolletschke in Rolletschke/Kemper, Steuerstrafrecht, § 370 AO Rz. 593 (Stand: September 2014). 21 BGH v. 10.2.2015 – 1 StR 405/14, ZWH 2015, 228 m. Anm. Jehke, NStZ 2016, 34. 22 BGH v. 10.2.2015 – 1 StR 405/14, ZWH 2015, 228 m. Anm. Jehke, Rz. 28 ff., NStZ 2016, 34. 23 BGH v. 10.2.2015 – 1 StR 405/14, ZWH 2015, 228 m. Anm. Jehke, Rz. 31., NStZ 2016, 34. 24 BGH v. 10.2.2015 – 1 StR 405/14, ZWH 2015, 228 m. Anm. Jehke, Rz. 14 und 18, NStZ 2016, 34. 25 BGH v. 10.2.2015 – 1 StR 405/14, ZWH 2015, 228 m. Anm. Jehke, Rz. 22, NStZ 2016, 34 mit Verweis auf BGH v. 21.8.2012 – 1 StR 26/12, ZWH 2013, 112 m. Anm. Kudlich, BGHR AO § 393 Abs. 2 Verwertungsverbot 3 sowie BGH v. 12.1.2015 – 5 StR191/04, wistra 2005, 148. 26 BFH v. 14.1.2009 – II R 48/07; BStBl. II 2009, 538, FR 2009, 1018; v. 9.7.2009 – II R 55/08, BStBl. II 2009, 969, NotBZ 2009, 467, FR 2010, 245; Geck in Kapp/Ebeling, § 14 ErbStG Rz. 1.2 ff. (Stand: August 2012).

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der letzten zehn Jahre sieht weder das Erbschaftsteuergesetz noch die Abgabenordnung vor. Zudem steht m.E. das Nemo-tenetur-Prinzip einer Deklarierungspflicht entgegen. Danach besteht grundsätzlich keine Verpflichtung, sich selbst einer Straftat zu belasten. Dieses Recht kann nicht durch die Möglichkeit einer Selbstanzeige eingeschränkt werden. Zum einen handelt es sich bei dem Nemo-tenetur-Prinzip um ein unmittelbar aus der Verfassung abzuleitendes Recht, welches die einfachgesetzliche Regelung zur Selbstanzeige überlagert. Zum anderen sind durch mehrere Gesetzesänderungen in den letzten Jahren die Anforderungen an eine wirksame Selbstanzeige derart hochgeschraubt worden, dass es dem Steuerpflichtigen kaum noch zumutbar ist, eine Selbstanzeige einzureichen. Sachgerecht erscheint es, zwar eine Erklärung für die Vorerwerbe zu fordern, diese aber strafrechtlich nur begrenzt auf den aktuellen Steuerfall zu berücksichtigen27. Die Ansicht des Bundesgerichtshofs führt auch zu einem Widerspruch zu der gesetzgeberischen Grundwertung, wonach nach fünf bzw. zehn Jahren Strafverfolgungsverjährung und damit Rechtsfrieden eintritt. Eine bereits eingetretene strafrechtliche Verfolgungsverjährung wird durch diese Rechtsansicht des BGH wieder eröffnet. Der Erste Senat des Bundesgerichtshofs führt hier durch die Hintertür die fortgesetzte Tat wieder ein28, welche der Große Senat des Bundesgerichtshofs 1994 aufgegeben hatte29. Ferner kann die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu zufälligen Ergebnissen führen. Sofern die unterlassene Anzeige der ursprünglichen Schenkung strafrechtlich noch nicht verjährt ist, kommt es im Rahmen eines Strafverfahrens zu einer Verurteilung von zwei bzw. mehreren Taten in Tatmehrheit. Ist dagegen bereits strafrechtliche Verjährung eingetreten, sind die Steuerhinterziehungen, die durch die Einreichung der Steuererklärung ohne Angabe der Vorschenkungen verwirklicht wurden, tateinheitlich zu beurteilen. Infolgedessen sind die verkürzten Steuern zu summieren. Dies kann dazu führen, dass nunmehr ein besonders schwerer Fall der Steuerhinterziehung nach § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO mit der Folge eines höheren Strafrahmens und einer längeren Verjährungsfrist (§ 376 AO) vorliegt.

III. Versuch sowie Vollendung und Beendigung der Tat Auch bei der Hinterziehung von Erbschaft- bzw. Schenkungsteuer kommt der Frage, wann eine Handlung das Versuchsstadium erreicht hat sowie wann Voll- bzw. Beendigung der Tat vorliegt, besondere Bedeutung zu. Der Versuchsbeginn ist relevant für die Frage, ob überhaupt ein strafbares Verhalten vorliegt. Mit Vollendung der Tat scheidet ein strafbefreiender Rücktritt vom Versuch nach §  24 StGB aus. Zudem kommt eine Strafmilderung nach § 23 Abs. 2 i.V. mit § 49 Abs. 1 sowie § 23 Abs. 3 27 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370 AO Rz. 340; Grötsch, NStZ 2016, 38. 28 Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 370 AO Rz. 340; Grötsch, NStZ 2016, 38. 29 BGH v. 3.5.1994 − GSSt 2 und 3/93, BGH v. 3.5.1994 – GSSt 2/93, GSSt 3/93, BGHSt 40, 138, MDR 1994, 700.

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StGB nicht mehr in Betracht. Mit Beendigung der Tat beginnt die strafrechtliche Verjährung (§ 78a Satz 1 StGB). Die Verjährungsfrist beträgt für die Fälle der einfachen Steuerhinterziehung gemäß § 370 Abs. 1 AO fünf Jahre (§ 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB). In besonders schweren Fällen der Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 3 Satz 2 AO beträgt die Verjährungsfrist zehn Jahre (§ 376 Abs. 1 AO). Besondere praktische Bedeutung kommt hier dem Regelbeispiel gem. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO (Steuerverkürzung in großem Ausmaß) zu. Der Bundesgerichtshof hatte zunächst ein großes Ausmaß in den Fällen, in denen sich das Verhalten des Täters darauf beschränkt, die Finanzbehörden pflichtwidrig über steuerlich erhebliche Tatsachen in Unkenntnis zu lassen, erst ab einer Wertgrenze von 100.000 Euro angenommen30. Demgegenüber sollte das Regelbeispiel „großes Ausmaß“ bereits ab einem Hinterziehungszinsbetrag von 50.000 Euro erfüllt sein, wenn der Täter ungerechtfertigte Zahlungen des Finanzamts erhält, mithin einen Griff in die Kasse des Staates tätigt31. Mit seiner Entscheidung vom 27. Oktober 2015 hat der BGH diese Unterscheidung aufgegeben; nunmehr soll in allen Fällen bei Überschreiten eines Hinterziehungsbetrages von 50.000 Euro ein großes Ausmaß gem. § 370 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 AO gegeben sein32. Aus erbschaftund schenkungsteuerlicher Sicht ist dies insofern von Bedeutung, als dass diese Beträge sehr leicht erreicht werden. 1. Aktives Tun Unproblematisch ist die Fallkonstellation der Abgabe einer unzutreffenden Steuererklärung, sei es bei vorheriger zutreffender Anzeige des Erwerbs oder auch unzutreffender Anzeige des Erwerbs. Sofern zunächst eine zutreffende Anzeige abgegeben wird, später dann aber eine falsche Steuererklärung, wird das Versuchsstadium erst mit Abgabe der falschen Steuererklärung erreicht. Das Gleiche gilt, falls zuvor eine unzutreffende Anzeige des Erwerbs abgegeben wurde. In diesem Fall ist die unzutreffende Anzeige als straflose Vorbereitungshandlung anzusehen33. Tatvollendung tritt nach allgemeiner Meinung bei Veranlagungssteuern ein, wenn der unrichtige Steuerbescheid bekannt gegeben wird34. Damit ist die Tat zugleich auch beendet35. Wurde eine unzutreffende Anzeige mit dem Ziel erstattet, dass das Finanzamt von der Anforderung einer Erbschaftsteuererklärung absieht, stellt bereits die unzutreffende Anzeige eine tatbestandliche Handlung dar. Durch Abgabe wurde bereits unmittelbar zur Tat angesetzt und damit das Versuchsstadium erreicht. Eine Voll- und Beendigung der Tat liegt in dieser Konstellation vor, wenn die Finanzbehörde mitteilt, dass

30 BGH v. 2.12.2008 – 1 StR 416/08, BGHSt 53, 71. 31 BGH v. 15.12.2011 – 1 StR 579/11, ZWH 2012, 150 m. Anm. Beckschäfer, wistra 2012, 191. 32 BGH v. 27.10.2015 – 1 StR 373/15 Rz. 32 ff., BGHSt 61, 28, ZWH 2016, 81. 33 Siehe oben II.2. 34 BGH v. 30.6.2016 – 1 StR 99/16, NZWiSt 2017, 31; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 376 AO Rz. 26; Wiese in Wannemacher, Rz. 514. 35 BGH v. 25.4.2001 – 5 StR 613/00, wistra 2001, 309 (310); v. 7.2.1984 – 3 StR 413/83, wistra 1984, 142; Joecks in Joecks/Jäger/Randt, § 376 AO Rz. 26.

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die Abgabe einer Steuererklärung nicht erforderlich ist36. Sofern keine Mitteilung erfolgt, ist die interne Behördenentscheidung maßgeblich37. 2. Unterlassen a) Unterlassene Anzeige Problematisch ist die Konstellation, in der die an sich gebotene Anzeige nach § 30 ErbStG unterlassen wurde und infolgedessen weder eine Steuererklärung angefordert wurde noch eine Steuerfestsetzung erfolgte. aa) Versuchsbeginn Mit Ablauf der Dreimonatsfrist des § 30 ErbStG bzw. Eintritt der Unverzüglichkeit nach § 153 Abs. 2 AO in den Fällen der nachträglichen Anzeigepflichten bzw. Ablauf der Fristen der § 13 Abs. 7 Sätze 1 und 2 ErbStG ist das Versuchsstadium erreicht38. bb) Vollendung und Beendigung der Tat Allgemein gilt bei der Hinterziehung von Veranlagungssteuern durch Unterlassen, dass Tatvollendung zu dem Zeitpunkt eintritt, zu dem die Veranlagung stattgefunden hätte, wenn die Steuererklärung pflichtgemäß eingereicht worden wäre.39 Das ist nach der Rechtsprechung des BGH spätestens dann der Fall, wenn das zuständige Finanzamt die Veranlagungsarbeiten für die betreffende Steuerart und den betreffenden Zeitraum im Wesentlichen abgeschlossen hat40. Tatbeendigung liegt vor, wenn das zuständige Finanzamt die Veranlagungsarbeiten im betreffenden Bezirk für den maßgeblichen Zeitraum allgemein abgeschlossen hat und demzufolge nicht mehr mit einer Veranlagung zu rechnen ist41. In der Praxis wird in der Regel davon ausgegangen, dass mit Vollendung die Tat auch beendet war. Der BGH hat in seiner Entscheidung vom 19.1.2011 jedoch klargestellt, dass von Rechts wegen nicht geboten ist, Tatvollendung stets erst zum Zeitpunkt der Tatbeendigung anzunehmen42. Problematisch für die Erbschaft-und Schenkungssteuer ist, dass es sich zwar um eine Veranlagungssteuer handelt, es aber nicht zu einer laufenden jährlichen Veranlagung kommt. Insofern lässt sich die allgemein geltende Rechtsprechung für die jährlichen Steuern nicht ohne weiteres auf die Erbschaft- und Schenkungsteuerveranlagung übertragen. 36 Grötsch in Wannemacher, Rz. 740; Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO Rz. 584 (Stand September 2014); Sackreuther, PStR 2011, 254; Seipl in Wannemacher, Rz. 1066. 37 Rolletschke in Rolletschke/Kemper, §  370 AO Rz.  584 (Stand: September 2014); Seipl in Wannemacher, Rz. 1066. 38 Seipl in Wannemacher, Rz. 1070; vgl. auch BGH v. 25.7.2011 − 1 StR 631/10, Rz. 42. 39 St. Rspr.; vgl. BGH v. 19.1.2011 – 1 StR 640/10, Rz. 8; v. 2.11.2010 – 1 StR 544/09, Rz. 77; v. 28.10.1998 – 5 StR 500/98, NStZ-RR 1999, 218. 40 BGH v. 19.1.2011 – 1 StR 640/10, Rz. 8; v. 2.11.2010 – 1 StR 544/09, Rz. 77. 41 BGH v. 7.11.2001 – 5 StR 395/01, BGHSt 47, 183; v. 19.1.2011 – 1 StR 640/10, Rz. 9. 42 BGH v. 19.1.2011 – 1 StR 640/10, Rz. 10.

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(1) Beendigung Mit Beschluss vom 25. Juli 201143 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass für den Verjährungsbeginn bei einer nicht angezeigten Schenkung von einem Beendigungszeitpunkt von vier Monaten nach Beginn der Anzeigepflicht auszugehen sei. Der Bundesgerichtshof führt insoweit aus44: „Da es sich bei der Schenkungsteuer um eine Veranlagungssteuer handelt, ist die Hinterziehung zu dem Zeitpunkt beendet, zu dem die Veranlagung spätestens stattgefunden hätte, wenn der Angeklagte seiner Anzeigepflicht gemäß § 30 Abs. 1 ErbStG rechtzeitig nachgekommen wäre. Da – anders als bei anderen Veranlagungssteuern – für die Schenkungsteuer mangels kontinuierlichem abschnittsbezogenem Veranlagungsverfahren kein allgemeiner Veranlagungsschluss festgestellt werden kann, ist für den Verjährungsbeginn maßgeblich, wann die Veranlagung der Schenkungsteuer dem Steuerpflichtigen bei rechtzeitiger Anzeige der Schenkung frühestens bekanntgegeben worden wäre. Die Bearbeitungsdauer bei den Finanzbehörden ist bei dieser fiktiven Steuerfestsetzung mit einem Monat anzusetzen, denn das Finanzamt könnte gemäß § 31 Abs. 1 und Abs. 7 ErbStG die Abgabe einer Steuererklärung binnen eines Monats verlangen, in welcher der Steuerpflichtige die Steuer selbst zu berechnen hat. Nach diesen Grundsätzen bestimmen sich hier die Beendigungszeitpunkte für die Hinterziehung von Schenkungsteuer durch Unterlassen wie folgt: Der Angeklagte hatte die Schenkungen jeweils binnen einer Frist von drei Monaten nach Kenntnis von der jeweiligen Schenkung beim zuständigen Finanzamt schriftlich anzuzeigen (§  30 Abs.  1 ErbStG). Wäre er dieser Pflicht fristgerecht nachgekommen, hätte ihn das Finanzamt auffordern können, binnen einer Frist von einem Monat eine Steuererklärung mit von ihm selbst berechneter Schenkungsteuer abzugeben (§ 31 Abs. 1 und 7 ErbStG). Damit hätte die Veranlagung und deren Bekanntgabe vier Monate nach der jeweiligen Schenkung erfolgen können, so dass zu diesem Zeitpunkt die jeweilige Unterlassungstat beendet war. Auf die früheste Möglichkeit, die Schenkung anzuzeigen, ist hingegen nicht abzustellen, denn die Verjährung kann nicht beginnen, bevor die Tat begangen wurde. Dies war hier erst mit Ablauf der Anzeigefrist gemäß § 30 Abs. 1 ErbStG der Fall.“ Dem BGH ist zuzustimmen, soweit er einen möglichst frühen Beendigungszeitpunkt annimmt. Nach dem Grundsatz in dubio pro reo ist ein Sachverhalt zu unterstellen, nachdem die Tat möglichst frühzeitig beendet war und die Verjährung möglichst früh beginnt. Der Hinweis auf § 31 Abs. 7 ErbStG überzeugt dagegen nicht. Der Fall des § 31 Abs. 7 ErbStG kommt in der Praxis nicht vor, nicht zuletzt deshalb, weil derzeit kein amtliches Muster zur Selbstberechnung existiert. Zudem ist nicht überzeugend, von der gesetzlichen Möglichkeit, dem Steuerpflichtigen eine einmonatige Abgabefrist zu setzen, auf die Bearbeitungsdauer bei den Finanzbehörden zu schließen. Als günstigster hypothetischer Kausalverlauf ist meines Erachtens folgender denkbar: Der Steuerpflichtige hätte am letzten Tag der Dreimonatsfrist die Anzeige eingereicht. 43 BGH v. 25.7.2011 – 1 StR 631/10, BGHSt 56, 298. 44 BGH v. 25.7.2011 – 1 StR 631/10, Rz. 41 f., BGHSt 56, 298.

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Steuerstrafrechtliche Aspekte bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer

Bereits einen Tag später erhält er die Aufforderung zur Abgabe der Steuererklärung mit der Mindestfrist von einem Monat gemäß § 31 Abs. 1 Satz 2 ErbStG. Je nach Komplexität der Erbschaftsteuererklärung kann unterstellt werden, dass der Steuerpflichtige diese innerhalb von zwei Tagen erstellt und einreicht. Bereits innerhalb von wenigen Tagen danach kann ein Erbschaftsteuerbescheid  – ggf. unter Vorbehalt der Nachprüfung – ergehen. Danach wäre eine Tatbeendigung bereits nach ca. dreieinhalb Monaten nach Kenntniserlangung vom Erwerb gegeben. Richtig ist, dass auf einen früheren Zeitpunkt, etwa vor Ablauf der Dreimonatsfrist nicht abgestellt werden kann, da die Verjährung nicht beginnen kann, bevor die Tat begangen wurde45. (2) Vollendung Damit ist jedoch noch nicht die Frage geklärt, wann die Tat in den Unterlassensfällen vollendet ist. Während es sich bei der Bestimmung des Beendigungszeitraums nach dem Grundsatz in dubio pro reo um einen möglichst frühen Zeitpunkt handeln muss, ist bei der Bestimmung der Vollendung Zugunsten des Beschuldigten ein möglichst später Zeitpunkt festzustellen. Soweit ersichtlich, hat sich der BGH zum Zeitpunkt der Tatvollendung im Unterlassensfall bislang nicht ausdrücklich äußern müssen. Allerdings ist aus der Entscheidung vom 25. Juli 201146 m.E. abzuleiten, dass der BGH den Vollendungszeitpunkt wohl mit dem Beendigungszeitpunkt gleichsetzen würde. Jedenfalls ist spätestens mit der dort angenommenen Tatbeendigung nach vier Monaten auch Tatvollendung eingetreten. Im Zusammenhang mit der Berechnung der Laufzeit von Hinterziehungszinsen hat das Finanzgericht Münster den Zeitpunkt der Tatvollendung wie folgt bestimmt: 3  Monate Anzeigefrist, 1  Monat Abgabefrist für die Steuererklärung und 8 Monate durchschnittliche Bearbeitungsdauer, wie sie das Finanzamt im Control­ lingbericht ermittelt hat47. Im Schrifttum werden unterschiedliche Ansichten vertreten. Nach Auffassung von Randt soll nach sechs Monaten Vollendung eintreten48. Hilgers-Klautzsch will demgegenüber eine Vollendung annehmen, indem er neben der dreimonatigen Anzeigefrist und der einmonatigen Abgabefrist des §  31 Abs.  1 Satz 2 ErbStG noch die übliche Bearbeitungszeit beim zuständigen Finanzamt hinzunimmt49. Letzterem ist zuzustimmen. Zwar ist der Ansatz der üblichen Bearbeitungszeit unbestimmt und nicht sonderlich praktikabel. Andererseits können Umstände des Einzelfalles berücksichtigt werden, etwa die Zusammensetzung des Nachlasses. Sind im Nachlass Immobilien enthalten, ist die Bearbeitungszeit erfahrungsgemäß deutlich länger als ohne. Ferner können ggf. zugunsten des Steuerpflichtigen die Bearbeitungszeiten des jeweils zuständigen Erbschaftsteuerfinanzamts berücksichtigt werden. 45 BGH v. 25.7.2011 – 1 StR 631/10, Rz. 42, BGHSt 56, 298. 46 S.o. (1). 47 Finanzgericht Münster v. 24.11.2016 – 3 K 1627/15 Erb und 3 K 1628/15 Erb. Die Revisionen zum BFH wurden vom Finanzgericht zugelassen. Az. beim BFH: II R 7/17 und II R 8/17. 48 Randt, Der Steuerfahndungsfall, 2004, Rz. D 265. 49 Hilgers-Klautzsch in Kohlmann, § 370 AO Rz. 1525 (Stand: Oktober 2013).

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b) Unterlassene Abgabe der Steuererklärung trotz Aufforderung Mit Ablauf der Abgabefrist wird die Schwelle zum Versuch überschritten. Sofern kein Schätzungsbescheid ergeht, stellt sich auch hier die Frage des Zeitpunkts der Vollbzw. Beendigung der Tat. Insoweit kommt es auf den Zeitpunkt an, an dem bei fristgerechter Einreichung der Steuererklärung der Steuerbescheid bekanntgegeben worden wäre. Beginn der zu bestimmenden Zeitspanne ist der Tag des Fristablaufs. Bei der Frage der Tatvollendung ist zugunsten des Steuerpflichtigen davon auszugehen, dass die Steuererklärung am letzten Tag vor Fristablauf abgegeben worden wäre. Bei der Beendigung muss in dubio pro reo zwar von einem möglichst frühen Zeitpunkt ausgegangen werden. Dieser kann jedoch nicht vor Versuchsbeginn liegen, sodass bei der Beendigung ebenfalls auf den Fristablauf abzustellen ist. Sackreuther stellt bei Bestimmung der Beendigung auf die durchschnittliche Bearbeitungszeit beim jeweiligen Finanzamt ab50. Grötsch nimmt für eine Beendigung in Anlehnung an die Entscheidung des BGH vom 25. Juli 201151 eine Beendigung einen Monat nach Fristablauf an52. Für die Frage der Vollendung werden verschiedene Zeiten vertreten. Rolletschke vertritt die Auffassung, dass spätestens nach drei bis sechs Monaten Vollendung eingetreten sei53. Randt stellt ebenfalls auf sechs Monate ab54. M.E. ist auch hier auf die jeweils beim zuständigen Finanzamt übliche Bearbeitungszeit abzustellen. Dabei ist insbesondere die Nachlasszusammensetzung zu berücksichtigen. Erlässt das Finanzamt einen Schätzungsbescheid, ist spätestens damit Vollbzw. Beendigung eingetreten55. Zu berücksichtigen ist aber, dass bereits Vollendung nach den oben dargestellten Grundsätzen eingetreten sein kann und der Schätzbescheid insoweit dann leer läuft.

IV. Zusammenfassung Ob eine strafrechtlich relevante Handlung gegeben ist, richtet sich danach, ob und inwieweit gegen die vom ErbStG vorgesehenen Anzeige- und Erklärungspflichten verstoßen wurde. Eine Tatbestandsverwirklichung durch positives Tun liegt insbesondere dann vor, wenn eine unrichtige oder unvollständige Steuererklärung abgegeben wird. Auch im Bereich der Anzeigepflichten ist eine Tatbestandsverletzung durch positives Tun denkbar, nämlich wenn eine Anzeige abgegeben wird, diese aber unrichtig oder unvollständig ist. Hauptfall der Tatbestandsverwirklichung durch Unterlassen ist, wenn ein erbschaftsteuerlicher Erwerb nicht angezeigt und infolgedessen der Erwerber nicht aufgefordert wird, eine Erbschaftsteuererklärung abzugeben. Mit Ausnahme von § 13a Abs. 7 50 Sackreuther, PStR 2011, 254, 255. 51 BGH v. 25.7.2011 – 1 StR 631/10, BGHSt 56, 298. 52 Grötsch in Wannemacher, Rz. 749. 53 Rolletschke in Rolletschke/Kemper, § 370 AO Rz. 588 (Stand: September 2014). 54 Randt, Steuerfahndungsfall, Rz. 265. 55 Joecks, PStR 2015, 260, 261; Seipl in Wannemacher, Rz. 1068.

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Steuerstrafrechtliche Aspekte bei der Erbschaft- und Schenkungsteuer

Satz 6 ErbStG besteht nach allgemeiner Ansicht keine Anzeigepflicht, wenn eindeutig und klar feststeht, dass keine Steuer anfällt. Aus strafrechtlicher Sicht hat eine unterlassene Anzeige von Erwerben ohne steuerliche Auswirkung ohnehin keine Konsequenzen. Die strafrechtliche Behandlung der unterlassenen Angabe von Vorschenkungen ist umstritten. Nach Ansicht des BGH soll insoweit eine erneute Hinterziehung im Hinblick auf die Vorschenkung gegeben sein. Dies überzeugt nicht. Die Angabe der Vorschenkungen dient lediglich der Berechnung der Steuer, die für den aktuellen Erwerb festzusetzen ist. Ein Verfahren zur Überprüfung der zutreffenden Besteuerung der letzten zehn Jahre sieht das Gesetz nicht vor. Zudem steht das Nemo-tenetur-Prinzip einer Deklarierungspflicht entgegen. Das Versuchsstadium wird mit Abgabe der falschen Steuererklärung erreicht. Tatvollendung und Beendigung treten ein, wenn der unrichtige Steuerbescheid bekannt gegeben wird. Wurde eine unzutreffende Anzeige mit dem Ziel erstattet, dass das Finanzamt von der Anforderung einer Erbschaftsteuererklärung absieht, stellt bereits die unzutreffende Anzeige eine tatbestandliche Handlung dar. Eine Voll- und Beendigung der Tat liegt in dieser Konstellation vor, wenn die Finanzbehörde mitteilt, dass die Abgabe einer Steuererklärung nicht erforderlich ist. Sofern keine Mitteilung erfolgt, ist die interne Behördenentscheidung maßgeblich. Wurde die gebotene Anzeige nach § 30 ErbStG unterlassen und infolgedessen weder eine Steuererklärung angefordert noch eine Steuer festgesetzt, ist die Feststellung des Zeitpunkts der Voll- bzw. Beendigung der Tat problematisch. Der BGH hat entschieden, dass für den Verjährungsbeginn bei einer nicht angezeigten Schenkung von einem Beendigungszeitpunkt von vier Monaten nach Beginn der Anzeigepflicht auszugehen sei. M.E. muss auch die übliche Bearbeitungszeit beim zuständigen Finanzamt berücksichtigt werden.

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Die Erbschaftsteuerreform 2016 – ein Rückblick Inhaltsübersicht

I. Das Gesetzgebungsverfahren und seine „Begleiterscheinungen“



II. „Steuerpause“ ab dem 1.7.2016? III. Vor der Reform ist nach der Reform? IV. „Flat Tax“ als Reformoption?

V. Die Arbeiten am „Reparaturgesetz“ 1. Begünstigung des Erwerbs „großer Unternehmen“ – Bedürfnisprüfung 2. Sonderbegünstigung für „Familien­ unternehmen“



3. Gestaltungsfestigkeit der ­Verschonungsregelungen a) Abgrenzung begünstigtes bzw. nicht begünstigtes Vermögen ­mittels Verwaltungsvermögenstest b) Verwaltungsvermögenstest in mehrstufigen Beteiligungs­ strukturen – Konsolidierung statt Kaskadeneffekte c) Missbrauchsvermeidung 4. Unternehmensbewertung

VI. Rückblickendes Fazit

Der Jubilar hat die Erbschaftsteuerreform 2016 von Beginn an aktiv begleitet. Zum Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens hat er vor vorschnellen Feststellungen möglicher Verfassungswidrigkeiten des neuen Rechts gewarnt und resümiert, „dass in einem demokratischen Gewaltenteilungsstaat ein Steuergesetz das Produkt eines parlamentarischen Kompromisses ist. Dieser kann nie zu einem „systemreinen“ Gesetz führen, sondern sollte im Grundsatz akzeptiert werden“1. Dieser Befund trifft für das Erbschaftsteuerreformgesetz vom 4.11.2016 (ErbStRG 2016)2 in besonderem Maße zu und ist für das Verständnis des Gesetzes von grundlegender Bedeutung. Dieser Beitrag beinhaltet rückblickend einige Bemerkungen zum Gesetzgebungsverlauf sowie dem Gang der Reformarbeiten zum ErbStRG 2016.

I. Das Gesetzgebungsverfahren und seine „Begleiterscheinungen“ Nach der Verkündung des BVerfG-Urteils vom 17.12.20143 war der praktische Ablauf des bevorstehenden Gesetzgebungsverfahrens relativ schnell entschieden und aus 1 ZEV 2016, 541 (546). 2 Gesetz zur Anpassung des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des BVerfG, BGBl. I 2016, 2464 ff.; zur Anwendung der mit diesem Gesetz geänderten Vorschriften s. koordinierter Ländererlass v. 22.6.2017, BStBl. I 2017, 902 ff. 3 BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136 ff, BGBl. I 2015, 4, BStBl. II 2015, 82, FR 2015, 160 m. Anm. Bareis, FamRZ 2015, 213, GmbHR 2015, 88, DStR 2015, 31, NJW 2015, 303, NZG 2015, 103; s. dazu nur Crezelius, ZEV 2015, 1 ff.; Erkis/Mannek, Steuerberater-Jahrbuch 2014/2015, 267 ff.; Hannes, ZEV 2015, 7 ff.

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den Erfahrungen der vorangegangenen Erbschaftsteuerreformen in ihrer Grundausrichtung erkennbar. Es sollte eine „minimalinvasive“ Operation durchgeführt werden, die in einer verfassungskonformen „Reparatur“ des bestehenden Systems unter Beseitigung der bisherigen Unschärfen und Kritik des BVerfG bestand. Es war anzunehmen, dass diejenigen Steuerpflichtigen, die eine Verschlechterung ihrer Steuerprivilegien fürchteten (insbesondere Großunternehmen), versuchen würden, in ihrem Sinne Einfluss zu nehmen. Über die wichtigen Reformpunkte würde politisch hart gerungen werden. Eine Lösung würde es womöglich erst „in letzter Minute“ geben. Und schließlich würde das sog. Struck’sche Gesetz4 zur Anwendung gelangen: „Kein Gesetz kommt aus dem Parlament so heraus, wie es eingebracht worden ist.“ All diese aus den bisherigen Erfahrungswerten gespeisten Prophezeiungen sind dann auch eingetreten. Der Weg zur Verabschiedung des ErbStRG 2016 gestaltete sich indes über das „Erwartbare“ hinaus als äußerst schwierig. Gründe hierfür waren neben der komplexen rechtlichen Situation und den unterschiedlichen politischen Standpunkten zu einer Erbschaft-/Schenkungsteuer in Deutschland vor allem die massive Lobbyarbeit von Interessenvertretern, die einen Abbau der Begünstigungen für die Besitzstände ihres Klientels zu verhindern suchten. Nach langwierigen Verhandlungen seit Anfang 2015 konnte nur der vom Bundesrat angerufene Vermittlungsausschuss nach zähem politischem Ringen am 22.9.2016 eine Einigung5 erzielen, die letztlich die Zustimmung von Bundestag und Bundesrat fand. Auf der Zielgeraden wollte die Politik ihre Handlungsfähigkeit zeigen und vermeiden, dass das BVerfG als „Ersatzgesetzgeber“ tätig wird. Insoweit mag die Sorge vor der angekündigten Vollstreckungsanordnung des BVerfG gem. § 35 BVerfGG ihre Wirkung gezeigt haben, obgleich eine solche Vollstreckungsanordnung für ein Regelwerk wie den Verschonungsregelungen der §§ 13a, 13b ErbStG ein verfassungsrechtliches Novum gewesen wäre und das Gewaltenteilungsprinzip tangiert hätte6. Gemessen an dem bundesweiten Steueraufkommen in den letzten Jahren7 mag die Erbschaft- und Schenkungsteuer zwar nur eine untergeordnete Rolle spielen und die Bedeutung der Debatte um ein reformiertes ErbStG nicht erklären. Ein Erklärungsansatz sind aber die enormen Werte von Vermögensübertragungen, die als Besteuerungsgegenstand der Erbschaft-/Schenkungsteuer in Betracht kommen. So war zu beobachten, dass die Übertragung erbschaft- und schenkungsteuerbarer Vermögenswerte seit dem Vorlagebeschluss des BFH vom 27.9.20128 von Jahr zu Jahr stiegen und während der parlamentarischen Beratungen zu einem reformierten ErbStG Rekordwerte erreichten. Gleichzeitig wurden Übertragungen von Betriebsvermögen unter Inanspruchnahme der bisherigen Verschonungsregelungen der §§  13a, 13b ErbStG auf Rekordniveau steuerfrei gestellt. So beliefen sich nach Angaben des Statistischen Bundesamts die veranlagten Vermögensübertragungen aufgrund von Erbschaften 4 Benannt nach dem ehemaligen SPD-Fraktionsvorsitzenden Peter Struck. 5 BT-Drucks. 18/9690. 6 Dazu Drüen, DStR 2016, 643 (647). 7 2014: rd. 5,3 Mrd. Euro; 2015: rd. 6,2 Mrd. Euro; 2016: rd. 6,9 Mrd. Euro. 8 BFH v. 27.9.2012 – II R 9/11, BFHE 238, 241, FamRZ 2012, 1803, FR 2012, 1044, GmbHR 2012, 1195.

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und Schenkungen allein in den Jahren 2014 bzw. 2015 auf 108,8 bzw. 102,0 Mrd. Euro, davon wurden 66,0 Mrd. im Jahr 2014 bzw. 56,8 Mrd. Euro im Jahr 2015 nach §§ 13a, 13b ErbStG  a.F. steuerbefreit9. Bei den übertragenen Vermögenswerten handelte es sich in Schenkungsfällen um massive Vorzieheffekte in Erwartung der Neuregelungen.

II. „Steuerpause“ ab dem 1.7.2016? Das ErbStRG 2016 konnte erst mehr als drei Monate nach Ablauf der vom BVerfG gesetzten Neuregelungsfrist bis zum 30.6.2016 in Kraft gesetzt werden. Aufgrund ­dieser gesetzgeberischen Säumnis sowie Unklarheiten zum Inhalt der Weitergeltungsanordnung im BVerfG-Urteil standen neben den schwierigen materiell-rechtlichen Reformfragen von Beginn an zeitliche Aspekte der Regelungen im Fokus der Diskussionen. Während die Weitergeltung des an sich verfassungswidrigen ErbStG für Erwerbe bis zum 30.6.2016 nicht zweifelhaft war, war die Rechtslage in der Interimsperiode für nach dem 30.6.2016 liegenden Erwerbe bis zur Beendigung des Gesetzgebungsverfahrens umstritten und erzeugte Unsicherheit in der Rechtsanwendungspraxis. Auslöser hierfür ist Ziff. 2 des Tenors des BVerfG-Urteils, welcher lautet: „Das bisherige Recht ist bis zu einer Neuregelung weiter anwendbar. Der Gesetzgeber ist verpflichtet, eine Neuregelung spätestens bis zum 30.6.2016 zu treffen.“ Im Schrifttum10 wurde die in Satz  1 Ziff.  2 des Tenors enthaltene Weitergeltungsanordnung dahingehend verstanden, dass das alte Recht nur bis zum 30.6.2016 anwendbar sei. Danach mangele es bis zur Verkündung des neuen Rechts an einer gesetzlichen Grundlage für die Erhebung der Erbschaft-/Schenkungsteuer, falls der Gesetzgeber (was er nicht tat) bis zum vorgegebenen Termin das Gesetz nicht reformiert. Demgemäß könnten Schenkungen und Erbfälle in diesem Zeitraum vollständig erbschaft- bzw. schenkungsteuerfrei sein. Alternativ stünde dem Steuerpflichtigen für die Interimsperiode in verfassungskonformer Auslegung der Übergangsregelung ein Wahlrecht zur Anwendung des alten oder neuen Rechts zu. Der Jubilar hat hier den Begriff der „Steuerpause“ geprägt11. 9 Daneben ist es bereits ab dem Jahr 2012 aufgrund der Erwartung des BVerfG-Urteils zu erheblichen Vorzieheffekten in Schenkungsfällen insbesondere bei der Übertragung von begünstigtem Unternehmensvermögen gekommen. In den Jahren 2012 bis 2015 belaufen sich die nach §§  13a, 13b ErbStG  a.F. steuerbefreiten Unternehmensübertragungen auf ­insgesamt ca. 197 Mrd. Euro, s. DIW Wochenbericht Nr. 36.2016, S. 813. Nach den vom BMF dem BVerfG im Verfahren 1 BvL 21/12, FR 2015, 160 m. Anm. Bareis, FamRZ 2015, 213, GmbHR 2015, 88 vorgelegten statistischen Auswertungen hat sich zudem der Steuerwert des durch Erwerbe von Todes wegen und Schenkungen übertragenen Vermögens in den Jahren von 2007 bis 2012 mehr als verdoppelt (2007: 33,7  Mrd.  Euro; 2008: 35,3 Mrd. Euro; 2009: 37,5 Mrd. Euro; 2010: 40,7 Mrd. Euro; 2011: 54 Mrd. Euro; 2012: 74,2 Mrd. Euro). 10 Drüen, DStR 2016, 643; Crezelius, ZEV 2015, 1; ders., ZEV 2016, 367 u. 541 (542); Seer, GmbHR 2015, 113 (116); Wachter FR 2015, 193 (213); ders., GmbHR 2017, 1. 11 ZEV 2016, 367; Dass es trotz der Aussicht auf eine „Steuerpause“ in den Notariaten zum Ansturm Schenkungswilliger kam, erklärt der Notar Schmitz (RNotZ 2016, 502 [503]) da-

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Diese Sichtweise rekurriert auf eine andernfalls mögliche dauerhafte Perpetuierung des für verfassungswidrig erkannten Rechts12. Eine andere Auffassung argumentierte zutreffend, dass die vorbeschriebene Folge nicht genügt, um die im Urteil bewusst gewählte Tenorierung zu verwerfen. Denn hiernach gilt das alte Recht trotz der Verfassungswidrigkeit „bis zu einer Neuregelung“ fort. Aufgrund dieser unbefristeten Weitergeltungsanordnung setze ein fruchtloser Ablauf der Neuregelungsfrist das alte Recht nicht automatisch außer Kraft. Das alte Recht sei auch über den 30.6.2016 hinaus anzuwenden13. Die unbefristete Weitergeltungsanordnung sei somit als eine Auftragsfrist an den Gesetzgeber und nicht als eine „Auslauffrist“ des für verfassungswidrig erkannten Rechts zu verstehen. Eine Entscheidung für den Fall, dass der Gesetzgeber seiner Verpflichtung verspätet nachkommt, habe der 1. Senat, anders als in anderen Entscheidungen14, ausdrücklich nicht getroffen. Da aber die Entscheidung des BVerfG den Gesetzgeber bindet und vorliegend auch Gesetzeskraft hat15, käme der Gesetzgeber in einem solchen Fall ­seinem Regelungsauftrag mit der Folge nicht nach, dass das BVerfG weitere Anordnungen zur Vollstreckung seines Urteils (vgl. § 35 BVerfGG) treffen könne. In diese Richtungen gingen auch Pressemitteilungen des BVerfG16 sowie Äußerungen des Berichterstatters unmittelbar nach dem Urteil. Das entsprach ebenso der Auffassung der Finanzverwaltung, die das bisherige Recht für Erwerbe nach dem 30.6.2016 bis zu einer gesetzlichen Neuregelung für weiter anwendbar erklärte17. Erstmals hat mit dem FG Berlin-Brandenburg18 ein erstinstanzliches Gericht eine Klage, die auf die Aufhebung eines Erbschaftsteuerbescheides aus September 2016 gerichtet war, aus den oben genannten Gründen als unbegründet zurückgewiesen und damit für eine gewisse Klarheit gesorgt. Von der Frage nach dem Inhalt der Weitergeltungsanordnung und den Folgen der Versäumung der Umsetzungsfrist ist der Umstand zu trennen, dass der Gesetzgeber für das neue Recht im Zeitraum vom 1.7.2016 bis zur Veröffentlichung des Gesetzes mit, dass „den Betroffenen der Glaube und der Mut gefehlt hat“, eine Steuerpause sei eingetreten. 12 Drüen, DStR 2016, 643 (645). 13 So u.a. Pahlke in Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl., Einführung ErbStG Rz. 14b. 14 Siehe z.B. Beschluss des 2.  Senats des BVerfG v. 10.11.1998  – BvR 1057/91, BVerfG v. 10.11.1998 – 2 BvR 1057/91, 2 BvR 1226/91, 2 BvR 980/91, BVerfGE 99, 216, FR 1999, 150 m. Anm. Kanzler: Im Tenor ist nicht nur die Verpflichtung des Gesetzgebers bestimmt worden, bis zu einem gesetzten Zeitpunkt eine Neuregelung zu schaffen, sondern es wurde ausdrücklich für den Fall der Nichteinhaltung der Frist eine Anordnung getroffen, mit welcher Maßgabe die verfassungswidrige Norm dann weiter gelten solle. Ebenso hat der 1. Senat des BVerfG in seinem Beschluss vom 7.2.2012, 1 BvL 14/07, BVerfGE 130, 240, FamRZ 2012, 694) für den Fall der nicht rechtzeitigen gesetzlichen Neureglung ausdrücklich angeordnet, dass dann die Nichtigkeit der beanstandeten Vorschriften eintritt. 15 § 31 Abs. 1 und 2 i.V.m. § 13 Nr. 11 BVerfGG. 16 Nr. 41/2016 v. 14.7.2016. 17 Gleich lautende Erlasse der obersten Finanzbehörden der Länder v. 21.6.2016, BStBl.  I 2016, 646. 18 FG Berlin-Brandenburg v. 15.2.2017 – 14 K 14257/16.

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im Bundesgesetzblatt am 9.11.2016 eine (echte) Rückwirkung angeordnet hat. Das neue Erbschaftsteuerrecht gilt verpflichtend für alle Erwerbe mit Steuerentstehungszeitpunkt nach dem 30.6.2016 (§ 37 Abs. 12 Satz 1 ErbStG). Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit dieser echten Rückwirkung – wovon der Gesetzgeber ohne weiteres ausgeht – wird im Schrifttum weiterhin z.T. bestritten19. Ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot liegt nach hiesiger Auffassung indes nicht vor, denn die Steuerpflichtigen konnten und mussten mit Ablauf des 30.6.2016 mit der gesetzlichen Neuregelung rechnen. Ein Vertrauen darauf, es könne zur Weitergeltung des verfassungswidrigen Rechts über den 30.6.2016 hinaus kommen, war daher unbegründet20. Das belegen auch die einleitend angesprochenen Vorzieheffekte von Vermögensübertragungen, die gerade in Ansehung eines nachteiligen Rechts gegenüber dem bisherigen Recht erfolgten. Demgegenüber dürfte unter dem Gesichtspunkt einer unzulässigen (echten) Rückwirkung der nachfolgende Punkt verfassungsrechtlich problematisch sein: Der mit der Reform neu eingeführte einheitliche Kapitalisierungsfaktor von 13,75 (§  203 Abs. 1 BewG) soll bereits für alle Unternehmensbewertungen mit Bewertungsstichtag ab dem 1.1.2016 (rückwirkend) anzuwenden sein (§ 205 Abs. 11 BewG). Begründet hat der Gesetzgeber diese Rückwirkung damit, dass nach § 203 BewG der Zinssatz für alle Wertermittlungen mit Bewertungsstichtagen im Laufe eines Jahres gilt21. Abgesehen davon, dass diese Begründung die Rechtsfolge in verfassungsrechtlicher Hinsicht nicht trägt, wurde früh erkannt, dass diese Änderung zu einer rückwirkenden Erhöhung der Verwaltungsvermögensquote zu Lasten der Steuerpflichtigen führen kann, da nach altem System der Unternehmenswert Bezugsgröße für die Ermittlung dieser Quote war. Diese Problematik hat die Finanzverwaltung aufgegriffen. Mit gleich ­lautenden Ländererlassen vom 11.5.201722 wird versucht, einem Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot vorzubeugen, indem den Steuerpflichtigen bei allen noch nicht bestandskräftig veranlagten Feststellungen ein Wahlrecht eingeräumt wird, die Verwaltungsvermögensquote (und den Sockelbetrag für Finanzmittel) auf der Grundlage des (alten) Kapitalisierungsfaktors von 17,8571 zu ermitteln. Damit bleibt der alte Kapitalisierungsfaktor maßgebend für die Frage, ob eine Verschonung gewährt werden kann. Ob dieser Verwaltungserlass im Hinblick auf den eindeutigen Gesetzeswortlaut seinerseits rechtmäßig ist, bleibt abzuwarten.

III. Vor der Reform ist nach der Reform? In der 2014er Entscheidung hat das BVerfG die erst im Jahr 2008 reformierten Vergünstigungen für betriebliches Vermögen zwar für zulässig gehalten und billigte im Grundsatz auch die dazu vom Gesetzgeber festgelegten Bedingungen als geeignet, ein legitimes Ziel zu erreichen, nämlich den Erhalt des übertragenen Unternehmens in 19 Wachter, DB 2017, 804 (806). 20 Pahlke in Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl., Einführung ErbStG Rz. 14d. 21 Beschlussempfehlungen des BT-Finanzausschusses, BT-Drucks. 18/8911, 50. 22 BStBl. I 2017, 751.

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der Hand des Erwerbers und damit den Bestand an Arbeitsplätzen. Beachtenswert war, dass es nach dieser Entscheidung aus verfassungsrechtlicher Sicht  – entgegen dem Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim BMF23  – „keines empirischen Nachweises (bedurfte), dass von der Erbschaft- und Schenkungsteuer nicht nur in Ausnahmefällen Schwierigkeiten für die Fortführung von Unternehmen bis hin zur Be­ drohung ihrer Existenz und des Verlusts von Arbeitsplätzen ausgeht“24. Das BVerfG konstatierte weiter, es könne aus dem Fehlen von Referenzfällen für Unternehmensgefährdungen infolge der Erbschaftsteuer „nicht auf das Fehlen einer solchen Gefahr überhaupt geschlossen werden“25. Dem Gesetzgeber stehe insoweit ein weiter Einschätzungs- und Prognosespielraum zu26. Die Regelungen zur Verschonung betrieblichen Vermögens hat das BVerfG daher (im Kern nur deshalb) als gleichheitswidrig qualifiziert, weil „die Verschonung von Erbschaftsteuer beim Übergang betrieblichen Vermögens in §§ 13a und 13b ErbStG […] angesichts ihres Ausmaßes und der eröffneten Gestaltungsmöglichkeiten mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar [ist]“. In Anbetracht dessen, dass aus verfassungsrechtlicher Sicht an der Legitimität der gesetzgeberischen Zielsetzung kein Zweifel bestand und das Grundkonzept der betrieblichen Verschonung vom BVerfG gebilligt wurde, sollten die Verschonungsregelungen der §§ 13a, 13b ErbStG a.F. innerhalb des bestehenden Systems nach Maßgabe der Beanstandungen des BVerfG „minimalinvasiv“ angepasst und ein entsprechendes „Reparaturgesetz“ erarbeitet werden. Entsprechend den vorangegangenen ErbSt-Entscheidungen des BVerfG aus den Jahren 199527 und 200628 – sollte also eine gesetzgeberische Reform folgen, die bei den Verschonungsregelungen nur das umsetzen soll, was vom BVerfG moniert wurde. Das Ergebnis dieser Operation ist indes alles andere als „minimalinvasiv“. Für alle Erwerbergruppen wurden die bisher komplexen Regelungen weiter verkompliziert bzw. z.T. höhere Anforderungen an die Erfüllung der Verschonungsbedingungen gestellt. Verschärfend sind weitere Rechtsunsicherheiten im Hinblick auf die Anzahl von Fristen, Anträgen, Wahlrechten, Wertgrenzen sowie Anzeigepflichten hinzugekommen. Der Verwaltungsaufwand zur Ausführung des Gesetzes ist vervielfacht worden. Auch ideologische Erwartungen an ein einfacheres Verschonungssystem für das Unternehmensvermögen oder gar gerechtes Erbschaft-/ Schenkungsteuerrecht sind enttäuscht worden.

23 Wissenschaftlicher Beirat beim BMF, Die Begünstigung des Unternehmensvermögens in der Erbschaftsteuer, 2012, 30. 24 BVerfG v. 17.12.2014 (Fn. 3) Rz. 144. 25 BVerfG v. 17.12.2014 (Fn. 3) Rz. 144. 26 Auf die von Piltz in DStR 2015, 97 gestellte Frage „Soll die Finanzverwaltung eine Wahrheitskommission einrichten?“, um den Nachweis der Gefährdung der Existenz und der Arbeitsplätze eines Unternehmens zu führen, kommt es somit nicht an. 27 BVerfG v. 22.6.1995 – 2 BvR 552/91, BVerfGE 93, 165, BGBl. I 1995, 1192, BStBl. II 1995, 671, DB 1995, 1745, GmbHR 1995, 679, MDR 1995, 1005, NJW 1995, 2624. 28 BVerfG v. 7.11.2006 – 1 BvL 10/02, BVerfGE 117, 1, BGBl. I 2007, 194, BStBl. II 2007, 192, GmbHR 2007, 320, FR 2007, 338, NJW 2007, 340.

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IV. „Flat Tax“ als Reformoption? Unter den obigen verfassungsrechtlichen Vorzeichen konnten vereinzelte (seit längerem bekannte) Rufe aus Politik und Wissenschaft29 nach einem Paradigmenwechsel zur grundlegenden Umgestaltung des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts in Form eines Niedrigsteuermodells („Flat Tax“) mit entweder keinen oder nur wenigen Steuerbefreiungen und niedrigen Steuersätzen nicht gehört werden. Die Bundesregierung konnte sich wie bereits in der Vergangenheit auf den Standpunkt stellen, dass es die bestehenden Verschonungsregelungen für unternehmerisches Vermögen weiterhin für die zielführendste Regelung hält, um „dem Gemeinwohl dienendes unternehmerisches Vermögen von der ErbSt freizustellen“30. In dieser Überzeugung bekräftigt wurde es nach hiesiger Einschätzung u.a. durch die Ausführungen des BVerfG im Urteil vom 17.12.2014, wonach eine Stundungsregelung als nicht gleich effektives Mittel wie die Verschonungsregelungen eingestuft wird, um den Erhalt der übergegangenen Betriebe und der Arbeitsplätze zu sichern31. Zwar wurden im Gesetzgebungsverfahren zum ErbStRG 2016 vom Bundesministerium der Finanzen verschiedene Modellvarianten eines Niedrigsteuermodells bewertet, die allesamt jedoch als nicht mehrheitsfähig verworfen wurden. Dies war insbesondere in den Belastungs- und Verteilungswirkungen der eingebrachten Modelle begründet. Die Be- und Entlastungseffekte konnten zudem dort eintreten, wo sie politisch nicht erwünscht sind. Einerseits können Erwerber großer Privatvermögen von gleichmäßig gesenkten Steuersätzen z.B. von 10–13 % profitieren (Spitzensteuersätze im geltenden Recht bei Erwerb von mehr als 26 Mio. Euro: 30 %, 43 %, 50 % je nach Steuerklasse), hingegen würden kleinere Erwerbe bis zu 75.000 Euro in der Steuerklasse I (Steuersatz im bisherigen Recht 7 %) gegenüber der bisherigen Rechtslage schlechter gestellt. Andererseits ist zu beachten, dass nach bisheriger Rechtslage Betriebsvermögen im Regelfall allenfalls mit 3 % belastet wird. Somit würde eine „Flat Tax“ von z.B. 10–13 % die Unternehmen entsprechend stärker belasten. Nachdem die Vermeidung einer Mehrbelastung für die Unter29 Crezelius, ZEV 2012, 1 (4); Piltz, DStR 2013, 228 (233); Houben/Maiterth: Zurück zum Zehnten: Modelle für die nächste Erbschaftsteuerreform, S. C 6; ähnlich Seer, Ubg 2012, 376 (382): „Die Verfassung verlangt die Verschonung eines solchen „Verschonungsexistenzminimus“ nicht. [...] Dies gilt auch für Unternehmenserben“. Auch der Wissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium der Finanzen („Die Begünstigung des Unternehmensvermögens in der Erbschaftsteuer“, 01/2012, 33 ff.) hatte vorgeschlagen, anstelle von Verschonungsregelungen für betriebliches Vermögen die Vergünstigungen für spezifische Vermögensgegenstände abzuschaffen, die Steuersätze auf ein maßvoll-niedriges Niveau zu senken, die Bemessungsgrundlage zu verbreitern und eine gegenüber dem § 28 Abs. 1 ErbStG großzügigere Stundungsregelung zu gewähren. Ebenso hatte der BFH in seinem Vorlagebeschluss II R 9/11, FR 2012, 233, FamRZ 2012, 30, GmbHR 2011, 1328 m. Anm. Seer vom 27.9.2012 ein Stundungskonzept als eine gegenüber dem Verschonungskonzept vorzugswürdige Alternative angesehen und unter Tz. 84 ausgeführt, dass es mit der Stundungsregelung des § 28 ErbStG ein probates Instrument zur Verfügung steht, „insbesondere in Erbfällen die Erhaltung des Betriebs zu sichern“; Instruktiv zur Frage der Einführung eines Flat Tax-Systems Pahlke in ZEV 2015, 377. 30 Siehe etwa BT-Drucks. 17/10878 v. 26.9.2012 zu Frage Nr. 11 der Kleinen Anfrage von Abgeordneten der Fraktion DIE LINKE. 31 Fn. 3 Rz. 154.

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nehmensnachfolge sowie eine Aufkommensneutralität das aktuell mehrheitlich definierte politische Ziel eines reformierten ErbStG sind, waren – jedenfalls die eingebrachten – Niedrigsteuermodelle keine Reformalternativen. Selbst wenn sich künftig ein politischer Wille zur Einführung eines Niedrigsteuermodells konstituieren sollte, kann ein solches Modell keinen Lösungsansatz bieten, der die Grundprobleme systematisch löst. Vielmehr werden diese ausklammert, indem akzeptiert wird, dass der grundsätzliche Zielkonflikt zwischen gleichheitskonformer Besteuerung und Begünstigung unternehmerischen Vermögens systematisch nicht gelöst werden kann32. Zwar wird dem Unternehmenserbschaftsteuerrecht zu Recht der Vorwurf gemacht, dass das gesamte erworbene Vermögen mit hohem Aufwand bestimmt und bewertet werden muss, um dann große Teile des aufwendig bewerteten, aber begünstigten Vermögens nicht zu besteuern, wobei die Abgrenzung zwischen begünstigtem und nicht begünstigtem Vermögen wiederum kleinteilig und diffizil definiert ist, um die missbräuchliche oder zumindest unerwünschte Inanspruchnahme der Steuervergünstigung zu vermeiden33. Aber auch in einem Niedrigsteuermodell ist das erworbene Vermögen mit den gemeinen Werten zu bewerten und ggf. gegenüber anderen Vermögensarten abzugrenzen. Zudem könnte aus profiskalischer Sicht eine Steuererhöhung durch die Anhebung des Steuersatzes einfacher durchgeführt werden; Vorbild wäre hier der GrESt-Satz, der seit der Einführung einer „Flat Tax“ im Jahr 1983 von 2 % bis dato teilweise um mehr als das Dreifache (bis 6,5 %) angehoben wurde.

V. Die Arbeiten am „Reparaturgesetz“ Nachdem das BVerfG34 – und das war eher unerwartet – die Verschonungsregelungen auch der Höhe nach (85 % bzw. 100 %) verfassungsrechtlich nicht beanstandete und auch das Konzept zur Abgrenzung des begünstigungsfähigen Vermögens im Grundsatz akzeptierte, lag der Fokus der Reformarbeiten insbesondere auf der Verschonung des Erwerbs „großer Unternehmen“ (Einführung der sog. Bedürfnisprüfung), der Sonderbegünstigung für sog. Familienunternehmen sowie der Gestaltungsfestigkeit der Verschonungsregelungen (Verwaltungsvermögenstest mit dem sog. Alles-oderNichts-Prinzip, Kaskadeneffekte bei mehrstufigen Beteiligungsstrukturen). Auf Drängen der Wirtschaft ist zudem eine Änderung der Ermittlung des Unternehmenswerts beim vereinfachten Ertragswertverfahren (§ 199 ff. BewG) forciert worden, die erstmals durch ein politisches Kompromisspapier im Februar 2016 ins Gespräch gebracht und schließlich in die Reformarbeiten eigespeist wurde.

32 So Korn, DStR 2016, 1337 (1338). 33 So Korn (Fn. 32). 34 BVerfG v. 17.12.2014 (Fn. 3) Rz. 159 f. u. 168.

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1. Begünstigung des Erwerbs „großer Unternehmen“ – Bedürfnisprüfung Nach den Vorgaben des BVerfG darf der Gesetzgeber bei der Übertragung großer Unternehmen nicht von einer unwiderleglichen Gefährdungsvermutung aufgrund einer möglichen ErbSt-Belastung ausgehen. Vielmehr ist in diesen Fällen eine Feststellung der Verschonungsbedürftigkeit im Einzelfall erforderlich (sog. Bedürfnisprüfung)35. Der Gesetzgeber stand somit vor der Aufgabe, eine Abgrenzung der Erwerber kleiner bzw. mittlerer Betriebe von Großerwerben durchführen zu müssen und für die Begünstigung von Großerwerben eine bis dahin unbekannte Bedürfnisprüfung einzuführen. Eine klare Grenzziehung zwischen diesen Erwerbergruppen ist allerdings auch nach verfassungsrechtlichen Maßstäben nicht eindeutig bestimmbar. Das BVerfG hatte dem Gesetzgeber Hilfestellungen dergestalt mitgegeben, dass etwa eine Orientierung an der Empfehlung der EU-Kommission vom 6.5.200336 betreffend die Definition der Klein(st)unternehmen sowie der kleinen und mittleren Unternehmen möglich wäre. Zum anderen hat das BVerfG37 darauf hingewiesen, dass es dem Gesetzgeber auch frei stehe, eine absolute Obergrenze mit einer Förderungshöchstgrenze von etwa 100 Mio. Euro festzulegen wie dies im Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Unternehmensnachfolge vom 30.5.200538 beabsichtigt war. Der Gesetzgeber hat sich gegen eine Abgrenzung nach bestimmten Größenklassenkriterien entschieden, vielmehr für gestufte Förderungshöchstgrenzen. Für die Festlegung der Förderungshöchstgrenzen musste der Gesetzgeber entscheiden, ob er als Bezugsgröße den Unternehmenswert als solchen oder aber den Wert des erworbenen Vermögens bestimmt39. Die Ausführungen des BVerfG konnten insoweit keine Entscheidungshilfe bieten, weil sie teilweise auf die Unternehmensebene, teilweise auf die Erwerberebene abstellen. Der Gesetzgeber hat sich vor dem Hintergrund des systemtragenden Bereicherungsprinzips des ErbStG (§ 10 Abs. 1 ErbStG) zutreffend für eine erwerberbezogene Betrachtung entschieden. Er hat festgelegt, dass das bisherige dualistische System aus einem Verschonungsabschlag von 85 % bzw. 100 % unverändert nur noch bei einem Erwerbswert bis zu 26 Mio. Euro an begünstigtem Vermögen besteht. In diesen Fällen geht der Gesetzgeber typisierend von einer unwiderleglichen Gefährdungsvermutung für den übergegangenen Betrieb aus. Der Schwellenwert von 26 Mio. Euro ist von der Steuertarifnorm des § 19 Abs. 1 ErbStG, dem Erwerbswert, auf den der höchste Steuersatz angewendet wird, abgeleitet40. Nur etwa 1 % der Erwerbe begünstigten Vermögens liegen oberhalb der gesetzten Größenschwelle von 26 Mio. Euro41. 35 BVerfG v. 17.12.2014 (Fn. 3) Rz. 172 ff. 36 2003/361/EG, ABl. Nr. L 124/36 v. 20.5.2003. 37 BVerfG v. 17.12.2014 (Fn. 3) Rz. 175. 38 BT-Drucks. 15/5555, 10. 39 In der BT-Drucks. 15/5555 wird auf das „begünstigtes Betriebsvermögen“ abgestellt (vgl. § 13a Abs. 3 i.d.F. dieses Gesetzentwurfs, S. 6). 40 Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des BVerfG v. 7.9.2015, BT-Drucks. 18/5923, 23. 41 Vgl. Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des BVerfG v. 7.9.2015, BT-Drucks. 18/5923, 24.

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In der Entscheidung, wie eine Begünstigung nach Überschreitung der gesetzten Grenze von 26 Mio. Euro ausgestaltet sein soll, war der Gesetzgeber frei. Es lag in seinem Gestaltungsspielraum, ob jenseits dieser Grenze die Steuerverschonung enden soll und steuerbedingten Gefährdungen von Unternehmensübergängen etwa durch eine Stundungsregelung begegnet wird, oder aber auch hier ein Verschonungsmodell zur Anwendung kommt42. Ferner konnte er entscheiden, ob es sich bei dem Grenzwert um eine starre Grenze mit Fallbeileffekt oder aber eine gleitende Grenze mit „progressiv“ gestalteten Verschonungsabschlägen handeln soll. Der Gesetzgeber hat sich für ein alternatives Verschonungsmodell mit und ohne Bedürfnisprüfung bis zu einem Erwerbswert von ca. 90 Mio. Euro entschieden. Erwerber von mehr als 26 Mio. Euro an be­günstigtem Vermögen können auf Antrag zwischen einem mit zunehmendem Betrag abnehmenden Verschonungsabschlag nach § 13c ErbStG (Abschmelzmodell) und (alternativ) einer Verschonungsbedarfsprüfung nach §  28a ErbStG (Erlassmodell) wählen. Die Abschmelzung des Regelverschonungssatzes von 85 % endet rechnerisch bei einem Erwerbswert von 89,75 Mio. Euro bei „null“. Für die Vollverschonung wird angeordnet, dass ab einem Erwerbswert von 90 Mio. Euro ebenfalls kein Verschonungsabschlag mehr gewährt wird (§ 13c Abs. 1 Satz 2 ErbStG). Dieses alternative Verschonungsmodell dürfte sich innerhalb des zulässigen Gestaltungspielraums des Gesetzgebers halten. Die gefundenen Grenzwerte von 26 Mio. Euro sowie von 90  Mio.  Euro mögen zwar im Rahmen des gesetzgeberischen Entscheidungsspielraums liegen und daher mit den Vorgaben des BVerfG einer Grenzfindung kompatibel sein. Sie sind aber weniger rechtssystematisch als rechtspolitisch gesetzt. Auffallend ist das Bemühen, Grenzwerte unterhalb von 100 Mio. Euro zu setzen. Der Gesetzgeber hätte aber genauso gut die vom BVerfG genannte 100 Mio. Euro-Grenze als einheitliche Höchstgrenze festlegen und bei Erwerbswerten oberhalb dessen unmittelbar in eine Bedürfnisprüfung übergehen können, mithin auf das beschriebene Abschmelzmodell gänzlich verzichten können. Während in den ersten Gesetzent­ würfen als Schwelle zum Großerwerb Höchstgrenzen von 116  Mio.  Euro bzw. 142 Mio. Euro mit einer Mindestverschonung von 20 % bzw. 35 % vorgesehen waren, nahm der Gesetzgeber hiervon Abstand und senkte die Obergrenzen. Bedenken in verfassungsrechtlicher Hinsicht bestanden aber wohl weniger gegen die Obergrenzen, vielmehr gegen eine pauschale Mindestverschonung von 20 % bzw. 35 % ohne betragsmäßige Deckelung und ohne Durchführung der vom BVerfG zwingend angeordneten Bedürfnisprüfung für Großerwerbe. Im Rahmen des Erlassmodells war die Ausgestaltung der Bedürfnisprüfung und insbesondere die Einbeziehung des bereits vorhandenen (nicht begünstigten) Vermögens Gegenstand hitziger Debatten. Die Einbeziehung des beim Erwerber bereits vorhandenen Vermögens wird z.T. als eine faktische Wiedereinführung der Vermögensteuer „durch die Hintertür“ gewertet43. Auch der Jubilar hat sich mit dem steuersystematischen Argument der Besteuerung des unentgeltlichen Vermögensübergang im ErbStG und andernfalls eintretenden Vermögenssteuereffekten gegen eine Einbezie42 BVerfG v. 17.12.2014 (Fn. 3) Rz. 175. 43 Wachter, DB 2015, 1368, 1376.

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hung des eigenen Vermögens des Erwerbers in die Bedürfnisprüfung gewandt44. Letztlich hat sich der Gesetzgeber nach dem ihm vom BVerfG45 auferlegten Prüfauftrag dafür entschieden, 50 % des vorhandenen eigenen Vermögens in eine Bedürfnisprüfung einzubeziehen (§ 28a Abs. 2 Nr. 1 und 2 ErbStG). Aus hiesiger Sicht ist die Entscheidung des Gesetzgebers für eine Einbeziehung des vorhandenen Privat­ vermögens bei einer erwerberbezogenen Betrachtung und eines auf die individuelle Bedürftigkeit abstellenden Steuererlasses steuersystematisch vertretbar und unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten mit einem privaten Vermögenserwerber, der 100 % seines Privatvermögens zur Steuerbegleichung einsetzen muss, nur folgerichtig. Die in diesem Punkt politisch geführten Diskussionen wären jedoch einfacher verlaufen, wären die Ausführungen des BVerfG auch in diesem Punkt unmissverständlich gewesen46. 2. Sonderbegünstigung für „Familienunternehmen“ Wirtschaftsverbände trugen im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens vor, dass ein qualifizierter Unternehmerkreis, der besonderen gesellschaftsvertraglichen Bindungen unterliege und insofern ein „erhöhtes“ Verschonungsbedürfnis bestünde. Zielrichtung der Argumentation war zunächst die Abschaffung des §  9 Abs.  3 Satz  3 BewG, der die wertmindernde Berücksichtigung von persönlichen Verfügungsbeschränkungen nicht zulässt. Nachdem eine Abschaffung des § 9 Abs. 3 Satz 3 BewG abgelehnt wurde, kam der Gesetzentwurf der Bundesregierung dem Anliegen zwar nicht in der gewünschten Weise, aber doch in modifizierter Form nach. Die Sonderbegünstigung bestand zunächst in der Verdopplung des damaligen Schwellwerts für Großerwerbe von 20 Mio. Euro auf 40 Mio. Euro. Nachdem die im Referentenentwurf im Rahmen des Abschmelzmodells noch vorgesehene Mindestverschonung ab der Höchstgrenze von 110 Mio. Euro von 25 % bei der Regelverschonung bzw. von 40 %47 bei der Optionsverschonung sich wegen verfassungsrechtlicher Bedenken politisch nicht durchsetzen konnte, wurde in den nachfolgenden Entwürfen der sog. Vorab-Abschlag „erschaffen“ und auf die Verschonungsebene platziert. Das Verschonungssystem sieht daher zusätzlich zur Nutzung der Verschonungsabschläge einen sog. Vorab-Abschlag von bis zu 30 % auf das begünstigte Vermögen beim Erwerb von Anteilen an „qualifizierten“ Familienunternehmen vor, wobei die Qualifizierung durch Entnahme-, Verfügungs- und Abfindungsbeschränkungen im Gesellschaftsvertrag begründet wird (§ 13a Abs. 9 ErbStG). Dabei ist der Vorab-Abschlag an keine Größenschwelle gebunden und kann daher auch unterhalb der 26 Mio. Euro-Grenze

44 ZEV 2016, 541, 545. 45 BVerfG v. 17.12.2014 (Fn. 3) Rz. 175. 46 Das BVerfG gibt in Rz. 175 seines Urteils v. 17.12.2014 dem Gesetzgeber die Frage der Einbeziehung des vorhandenen Vermögens des Erwerbers in die Bedürfnisprüfung zur Prüfung auf, wohingegen es selbst dies in Rz. 153 des Urteils offenbar als systemwidrig ansieht, da die Bereicherung des Erwerbers Besteuerungsgegenstand des ErbStG ist. 47 Bzw. der später geänderten Höchstgrenzen von 116 Mio. Euro bzw. 142 Mio. Euro mit einer Mindestverschonung von 20 % bzw. 35 %.

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von jedem Betrieb in Anspruch genommen werden, der die gesellschaftsvertraglichen Beschränkungen aufweist. Der Vorab-Abschlag ist nach hiesiger Ansicht eine „Mogelpackung“. Er leidet bereits an dem Geburtsfehler, dass nicht eindeutig und zielgenau die zu begünstigenden Unternehmen definiert wurden und der Erhalt von Arbeitsplätzen als die unabdingbare Bedingung jeglicher Privilegierung nicht zur Voraussetzung gemacht wurde. Der Vorab-Abschlag ist ein Institut, mit dem für Großerwerbe letztlich eine Art Min­ destverschonung verankert wurde, die kumulativ zu der eigentlichen Verschonung mit dem Abschmelz- bzw. Erlassmodell gewährt wird, ohne dass die dortigen Bedingungen wie etwa die Bedürfnisprüfung beim Erlassmodell erfüllt sein müssen. Zudem führt der Vorab-Abschlag zu einer faktischen Erhöhung des Schwellwerts von 26 Mio. Euro. Die in der Gesetzesbegründung zur Rechtfertigung dieses Abschlags angeführte „wirtschaftliche Nichtverfügbarkeit des objektiven Werts aus subjektiver Sicht des Erwerbers“48 betrifft die Frage von Liquiditätsschwierigkeiten des Gesellschafters, die aus Gründen der verfassungsrechtlichen Folgerichtigkeit nur auf der Erhebungsebene zu lösen ist. Denkbar und sachgerecht wäre es gewesen, dem angesprochenen qualifizierten Erwerberkreis unter den qualitativen Kriterien eine zusätzliche ratierliche Stundung (im Erbfall zinslos, bei Schenkungen verzinst) zu gewähren. Es erscheint zudem fragwürdig, ob dieser Vorab-Abschlag einer verfassungsgerichtlichen Prüfung standhält. Er könnte gegen die Entscheidung des BVerfG vom 7.11.200649 verstoßen, wonach auf der Bewertungsebene eine an den Verkehrswerten angenä­ herte Bewertung der Vermögensgegenstände vorzunehmen ist, und erst auf der Verschonungsebene Lenkungs- und Förderzwecke zulässig sind. Denn bei dem Vorab-­ Abschlag handelt es sich in seiner wirtschaftlichen Wirkung letztlich um einen (versteckten) Wertabschlag des Anteils. 3. Gestaltungsfestigkeit der Verschonungsregelungen a) Abgrenzung begünstigten bzw. nicht begünstigten Vermögens mittels ­Verwaltungsvermögenstests Die Gewährung jedweder Begünstigungen nur für bestimmte Vermögensarten macht eine Abgrenzung zu anderen (nicht begünstigten) Vermögensarten notwendig. Nach dem gesetzgeberischen Förderziel soll nur das sog. Produktive Vermögen begünstigt werden, nicht hingegen unproduktives Vermögen im Betrieb. Die Abgrenzung des begünstigten vom nicht begünstigten Vermögen ist bei der Konzeption von Verschonungsregelungen ein zentrales Element, zugleich aber nur schwer zu lösende Aufgabe. Denn eine scharfe Trennlinie zwischen „gutem“ und „schlechtem“ Vermögen ist schlechterdings nicht möglich. Hier muss eine typisierende Betrachtung erfolgen. Dies wiederum bedingt flankierende Regelungen, um die Abgrenzung gegen Miss48 Beschlussempfehlungen des BT-Finanzausschusses, BT-Drucks. 18/8911, 41. 49 BVerfG v. 7.11.2006 – 1 BvL 10/02, BStBl. II 2007, 192, GmbHR 2007, 320, FamRZ 2007, 340, FR 2007, 338.

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brauch und Gestaltungen abzusichern, da jedwede wie auch immer geartete Abgrenzung des begünstigten Vermögens zu Anreizen führen kann, Vermögen aus „hoch besteuerten“ in „niedrig besteuerten“ Vermögensarten zu überführen. Die Abgrenzung nach dem Verwaltungsvermögenskonzept mit seiner Regel-Ausnahme-Rückausnahme-Technik ist beibehalten worden, da das BVerfG insoweit keine durchgreifenden verfassungsrechtlichen Einwände geäußert hat. Zwar beabsichtigte das BMF zu Beginn der Reform – entgegen seines postulierten „minimalinvasiven“ Ansatzes – eine grundsätzliche Abkehr von dieser Negativabgrenzung des begünstigten Vermögens und eine Abgrenzung nach dem sog. Hauptzweckansatz. Danach sollten zum begünstigten Vermögen alle Vermögensteile gehören, die jeweils überwiegend einer originär gewerblichen, freiberuflichen oder land- und forstwirtschaftlichen Tätigkeit als Hauptzweck dienen50. Dieses Ansinnen hat sich jedoch im Gesetzgebungsverfahren aufgrund des erheblichen Widerstandes der Länder, aber auch der Beraterschaft wegen Unbestimmtheit, erheblichen Verwaltungsmehraufwandes, Unpraktikabiliät und Gestaltungsanfälligkeit letztlich nicht durchsetzen können. Die Diskussion um diesen Punkt hat rückblickend betrachtet unnötige zeitliche Kapazitäten im Gesetzgebungsverfahren gebunden, die an anderer Stelle hätten besser eingesetzt werden können. Forderungen der Wirtschaft aufgreifend wurde der Verwaltungsvermögensansatz um weitere Rückausnahmen z.B. für Deckungsvermögen von betrieblichen Altersversorgungsverpflichtungen (§ 13b Abs. 3 ErbStG), für vermietete oder verpachtete „Absatz“-Grundstücke im Rahmen von Lieferverträgen (§  13b Abs.  4 Nr.  1 Buchst.  E ErbStG) sowie Investitionsklauseln für Verwaltungsvermögen bzw. für Finanzmittel bei Saisonbetrieben beim Erwerben von Todes wegen (§ 13b Abs. 5 ErbStG) erweitert. Zudem wird für das Verwaltungsvermögen ein quotaler Schuldenabzug (Nettobetrachtung) zugelassen (§ 13b Abs. 6 Satz 1 ErbStG) sowie ein 10%iger Freibetrag für Verwaltungsvermögen eingeführt. Hierdurch ist jedoch die Ermittlung des begünstigten Vermögens erheblich kompliziert worden. Das begünstigte Vermögen wird – vereinfacht formuliert – durch „Subtraktion“ des nicht begünstigten vom begünstigungsfähigen Vermögen ermittelt51. Nur das begünstigte Vermögen im Sinne des Gesetzes soll an der Verschonung teilnehmen, nicht (mehr) das nicht begünstigte Verwaltungsvermögen (vorbehaltlich des anteiligen Schuldenabzugs und eines Freibetrags von 10 %). Soweit die Grundidee. In der praktischen Anwendung muss die für die Subtraktion erforderliche Größe des nicht begünstigten Vermögens mühsam durch etliche mit Formeln hinterlegte Werte und Verhältnisrechnungen (u.a. Anwendung der Rückausnahme für Deckungsvermögen von betrieblichen Altersversorgungsverpflichtungen, des Sockelbetrags im Rahmen des Finanzmitteltests, des quotalen Schuldenabzugs und des 10%igen Unschädlichkeitsbetrags, §  13b Abs.  3 bis Abs. 7 ErbStG) ermittelt werden. Nicht zuletzt, weil bekanntlich hier der Teufel im Detail steckt, dürfte die Komplexität des Ermittlungsschemas auch bei erfahrenen Be-

50 Dazu Erkis, DStR 2015, 1409 (1410). 51 So prägnant Geck, ZEV 2016, 546 (548).

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ratern spätestens bei der Ermittlung des begünstigten Vermögens in mehrstufigen Beteiligungsstrukturen eine gewisse Verzweiflung hervorrufen. b) Verwaltungsvermögenstest in mehrstufigen Beteiligungsstrukturen – ­Konsolidierung statt Kaskadeneffekte Eine besondere Herausforderung für den Gesetzgeber war es, die vom BVerfG als gleichheitswidrig erkannte 50%-Regel zum Umfang des begünstigungsschädlichen Verwaltungsvermögens zu reformieren. Hierzu galt es, das sog. Alles-oder-NichtsPrinzip52 sowie die daraus resultierenden unerwünschten Kaskadeneffekte im bisherigen Verwaltungsvermögenstest zu beseitigen. Anknüpfend an frühere Überlegungen53 wurde die Lösung in einem Nettoverwaltungsvermögenskonzept und einer konsolidierenden (Verbund-)Betrachtung in Beteiligungsstrukturen gefunden. Im Rahmen des Nettoverwaltungsvermögenskonzepts wurde für das nicht begünstigte (Verwaltungs-)Vermögen ein anteiliger Schuldenabzug eingeführt. Der Gesetzgeber hat sich explizit dagegen entschieden, die bisherige „Cash-Klausel“ (§  13b Abs.  2 Satz  3 Nr.  4a ErbStG) als Vorbild zu nehmen und diese Regelung mit einer vollen Schuldenverrechnung – ohne Rücksicht auf einen wirtschaftlichen Zusammenhang zwischen Schulden und Verwaltungsvermögen – auf den Verwaltungsvermögenstest zu übertragen. Ebenso ist ein Schuldenabzug nur bei einem wirtschaftlichen Zusammenhang der Schulden zum Verwaltungsvermögen aus Vereinfachungsgründen nicht gewählt worden. Vermittelnd wurde der Umfang des Schuldenabzugs auf eine bestimmte Quote des Verwaltungsvermögens begrenzt. Bei mehrstufigen Beteiligungen erfolgt eine konsolidierende Betrachtung, bei der die gemeinen Werte der zum Verwaltungsvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter sowie die Schulden auf der Ebene des übertragenen Betriebs konsolidiert werden (§ 13b Abs. 9 ErbStG). c) Missbrauchsvermeidung Einen wesentlichen Block der Reformarbeiten bildeten die Missbrauchsvermeidungsregelungen. Der BFH hat in seinem Vorlagebeschluss54 den Verschonungsregelungen den Vorwurf der Gestaltungsanfälligkeit (wegen Umgehung der Lohnsummenpflicht über eine Betriebsaufspaltung, des Verwaltungsvermögensgrenzwerts von 50  % in Konzernstrukturen und Gestaltungen mit sog. Cash-Gesellschaften) gemacht. Das BVerfG wiederum hat diesen Punkt als einen wesentlichen Punkt seiner Entscheidung behandelt. Dem übergeordnet hat das BVerfG zudem entschieden, dass Steuergesetze, die entgegen ihrer Zwecksetzung steuermindernde Gestaltungen in erheblichem Umfang zulassen, von Anfang an verfassungswidrig sein können55. Wenngleich die vom BFH in seiner Vorlage angesprochenen Gestaltungen in der Praxis nur in 52 § 13b Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 3 ErbStG a.F. 53 Regierungsentwurf eines Gesetzes zur Sicherung der Unternehmensnachfolge vom 30.5.2005, BT-Drucks. 15/5555, 10. 54 BFH v. 27.9.2012 – II R 9/11 Rz. 145 ff, BFHE 238, 241, BStBl. II 2012, 899, FR 2012, 1044, GmbHR 2012, 1195, DStR 2012, 2063. 55 BVerfG v. 17.12.2014 (Fn. 3) Rz. 254.

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Form der bekannten Cash-Gesellschaften in einer signifikanten Größenordnung zu verzeichnen waren56, hat der Gesetzgeber die Verschonungsregelungen gegen Missbrauch nachjustiert, um (auch theoretisch denkbaren) Gestaltungen einen Riegel vorzuschieben. Demgemäß sind Regelungen zur Missbrauchsvermeidung bei Betriebs­ aufspaltungsfällen ergänzt57, und Kaskadeneffekte beim Verwaltungsvermögenstest beseitigt sowie die Verschonungsregelungen insgesamt unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs geprüft worden. Dies geschah teilweise um den Preis eines überschießenden Regelungsinhalts. Zur Vermeidung von Missbräuchen werden zudem das junge Verwaltungsvermögen und die jungen Finanzmitteln von einem quotalen Schuldenabzug ausgeschlossen (§ 13b Abs. 8 ErbStG) und im Übrigen als nicht begünstigtes Vermögen qualifiziert, um Einlagen kurz vor dem Steuerstichtag zu verhindern. Da der Gesetzgeber bereits im Jahr 2013 mit der Einführung des sog. Finanzmitteltests die Gestaltungen einer „Cash-Gesellschaft“ weitgehend geschlossen hatte58, bestand hier kein Handlungsbedarf. Die Höhe des bisherigen Sockelbetrags für Finanzmittel wurde  – wegen der weiteren neu eingeführten Rückausnahmen (auch) für Finanzmittel – lediglich von 20 % auf 15 % gemindert. Künftig ist für den 15%igen Sockelbetrag zudem vorausgesetzt, dass das begünstigungsfähige Vermögen nach seinem Hauptzweck einer originär land- und forstwirtschaftlichen, gewerblichen oder freiberuflichen Tätigkeit dient. Hierdurch sollen ausschließlich „produktive“ Gesellschaften den Sockelbetrag beanspruchen können. Im Übrigen soll die Renaissance von klassischen Gestaltungen über sog. Cash-Gesellschaften und anderer extremer Fälle von missbräuchlichen Gestaltungen durch die 90%-Klausel (§ 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG) vermieden werden. Diese besagt, dass überhaupt keine Begünstigung gewährt wird, wenn das Verwaltungsvermögen mindestens 90 % des begünstigungsfähigen Vermögens beträgt. Ausfluss des Missbrauchsvermeidungsgedanken ist schließlich, dass bei der Prüfung, ob die Schwelle zum Großerwerb überschritten ist sowie bei der Frage des verfügbaren Vermögens im Rahmen der Bedürfnisprüfung von derselben Person anfallende Erwerbe begünstigten Vermögens innerhalb von zehn Jahren zusammenzurechnen sind, um Gestaltungen durch gestaffelte Übertragungen zu vermeiden. Gleiches gilt für die Erweiterung des Verwaltungsvermögens um weitere „private Luxusgüter“ wie Briefmarkensammlungen, Oldtimer, Yachten, Segelflugzeuge sowie sonstige typischerweise der privaten Lebensführung dienende Gegenstände (§ 13b Abs. 4 Nr. 3 ErbStG). Insoweit soll eine Verschiebung dieser Gegenstände in den betrieblichen zum Zwecke der steuerfreien Übertragung verhindert werden. 56 Dies ergab eine bundesweite Auswertung im Vorfeld der mündlichen Verhandlung beim BVerfG. 57 § 13a Abs. 3 Satz 13 ErbStG; Ungeachtet dessen, dass der vom BFH beschriebene Sach­ verhalt ein in der Praxis eher nicht häufig anzutreffender Gestaltungsfall sein sollte, da in vielen Fällen eine Betriebsaufspaltung bereits seit geraumer Zeit vor dem erbschaftsteuerlichen Stichtag bestanden und gerade nicht zum Zwecke der Umgehung der Lohnsummenbindung eingegangen wurde. 58 Siehe dazu Erkis/Mannek/van Lishaut, FR 2013, 245.

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Gülsen Erkis

4. Unternehmensbewertung Im BVerfG-Urteil v. 17.12.2014 ist der für die Erbschaft-/Schenkungsteuer wichtige Punkt der Unternehmensbewertung nicht angesprochen. Das BVerfG mag sich hier bewusst auf die Beantwortung der Vorlagefrage beschränkt haben. Andererseits wurde die Frage der Bewertung von Unternehmensanteilen nach Maßgabe des § 9 Abs. 3 BewG in der mündlichen Verhandlung angesprochen und auch im Tatbestand des Urteils erwähnt59. Selbst wenn dieser Punkt für die Vorlagefrage nicht erheblich war, wäre es zu begrüßen gewesen, hätte das BVerfG gleichwohl zu dieser wichtigen Frage obiter dictum Stellung genommen60. Wirtschaftsverbände forderten seit längerem die Änderung des § 9 Abs. 3 BewG und die Berücksichtigung von gesellschaftsvertraglichen Beschränkungen bei der Bewertung der Anteile von Familienunternehmen. Nachdem eine Änderung des §  9 Abs.  3 BewG nicht durchgesetzt werden konnte, wurde die Verankerung der Berücksichtigung von gesellschaftsvertraglichen Beschränkungen „an anderer Stelle“ forciert (zunächst Verdopplung der Prüfschwelle und danach Installierung des Vorab-Abschlags). Schließlich wurde seitens der Wirtschaftsverbände eine Überbewertung von Unternehmen beim vereinfachten Ertragswertverfahren angesichts der Niedrigzinsphase geltend gemacht. Diesem Anliegen wollte die Politik entsprechen. Regelungstechnisch sollte zunächst ein Basiszinskorridor festgelegt werden, in dem sich der von der Deutschen Bundesbank errechnete Basiszinssatz für die Bildung des Kapitalisierungsfaktors bewegen kann. Der Vermittlungsausschuss hat dann zwar aus guten Gründen von dieser Fiktion eines (marktunabhängigen) Basiszinses zur Absenkung des Kapitalisierungsfaktors Abstand genommen. Allerdings ist der Kapitalisierungsfaktor auf einheitlich 13,75 festgelegt und damit das Wertniveau um rund 23 % gesenkt worden. Die Marktnähe soll durch die Öffnungsklausel zur Anpassung des Kapitalisierungsfaktors an die Entwicklung der Zinsstrukturdaten gewährleistet werden (§ 203 Abs. 2 BewG). Diese Änderung des Kapitalisierungsfaktors ist skeptisch zu sehen. Eine fixe Größe ohne Marktbezug ist im Hinblick auf die verfassungsrechtlich ausdrücklich geforderte Zielgröße des Annäherungswerts an den gemeinen Wert fraglich. Verfassungsrechtlich bedenklich wäre eine Unterbewertung. Der Umfang einer möglichen Überbewertung von Unternehmensanteilen ist bisher nicht valide evaluiert. Demgemäß konnte für die Behauptung, die nach dem Be­ wertungsgesetz ermittelten Unternehmenswerte seien exorbitant zu hoch, kein ­belastbarer Beleg erbracht worden. Empirische grobe Verprobungen innerhalb der Finanzverwaltung haben hingegen gezeigt, dass die Werte im vereinfachten Ertragswertverfahren im Durchschnitt zutreffend sind. Selbst der Ansatz einer höheren Risikoprämie bei einer individuellen Unternehmensbewertung nach IDW S 1 ist in der Wissenschaft und Praxis höchst umstritten. Bereits die Grundlagen der Empfehlung seien nicht nachgewiesen. Gerichte, die vorwiegend im aktienrechtlichen Spruchverfahren mit Bewertungsverfahren befasst sind, verneinen regelmäßig eine Erhöhung der Risikoprämie in Folge der Finanz- und Wirtschaftskrise und/oder aufgrund ge59 Fn. 3 Rz. 75. 60 In diesem Sinne bereits Piltz, DStR 2015, 97 (101).

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sunkener Basiszinssätze61. Nebenbei bemerkt, gibt es bekanntlich „den richtigen“ Unternehmenswert nicht. Die Bandbreite der Bewertungsergebnisse liegt – je nach Zielsetzung der Bewertung (Verkauf oder Kauf) – weit auseinander. Lediglich der unter Fremden gezahlte Kaufpreis kann einen Anhaltspunkt für den zutreffenden Unternehmenswert bieten. Es bleibt abzuwarten, inwieweit die Ergebnisse des vereinfachten Ertragswertverfahrens nach dem Bewertungsgesetz als angemessen betrachtet werden können. Die Finanzverwaltung ist aufgefordert, das vereinfachte Ertragswertverfahren nach §§ 199 ff. BewG auf diejenigen Fälle zu beschränken, für die es nach seinem Sinn und Zweck gemeint ist und bei denen die Ergebnisse des vereinfachten Ertragswertverfahrens nach dem Bewertungsgesetz als zutreffend angesehen werden können.

VI. Rückblickendes Fazit Bei dem Regelwerk der ErbStR 2016 handelt es sich nicht um einen „minimalinvasiven“ Eingriff, sondern um eine Operation am „offenen Herzen“. Ergebnis der Operation: Die gute Nachricht zuerst: Der „Patient“ (die Verschonungsregelungen für unternehmerisches Vermögen) lebt noch. Die schlechte Nachricht: Er wird durch ein komplexes System künstlich am Leben gehalten. Ende offen.

61 Siehe Ruthardt/Hachmeister, Management & Beratung 2016, 687.

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Ullrich Fechner / Werner Thumbs

Die qualitativen Kriterien in § 13a Abs. 9 ErbStG n.F. für eine Begünstigung von Familienunternehmen: Ein Fall der faktischen Unmöglichkeit Inhaltsübersicht

I. Vorbemerkung



II. Inhalt der gesetzlichen Regelung III. Praktische Ausgestaltung der einzelnen Kriterien 1. Entnahmebegrenzung, § 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 ErbStG a) Gewinnunabhängige Mindest­ entnahmen (freie Entnahmen) b) Entnahmerechte für andere Steuerarten 2. Verfügungsbeschränkung über die ­Anteile, § 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 ErbStG

3. Beschränkung der Abfindung bei Ausscheiden auf einen Wert unterhalb des gemeinen Wertes, § 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 ErbStG

IV. Die Einhaltung von Nebenbedingungen 1. Übereinstimmung mit den tatsächlichen Verhältnissen, § 13a Abs. 9 Satz 1 Halbs. 1 ErbStG 2. Fristen und Wirkung eines Wegfalls für die Vergangenheit

V. Fazit

I. Vorbemerkung In seinem Urteil zur Erbschaftsteuer vom 17.12.20141 erkennt das BVerfG ausdrücklich an2, dass es ein legitimes Ziel des Gesetzgebers ist, gerade Familienunternehmen vor Liquiditätsproblemen zu schützen, die sich aus einem Generationenübergang ergeben können. Dieses Ziel versucht der Gesetzgeber im Rahmen des am 14.10.2016 durch den Bundesrat verabschiedeten und rückwirkend zum 1.7.2016 in Kraft getretenen „Gesetzes zur Anpassung des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des BVerfG“ (=Erbschaftsteueranpassungsgesetz) in einem neuen Absatz 9 des § 13a ErbStG umzusetzen. Die Autoren setzen sich im Folgenden mit der Frage auseinander, ob dieser Versuch gelungen ist. Dabei geht es nicht darum, das wohl nicht zu den wegweisenden Veröffentlichungen des BVerfG gehörende Urteil zu interpretieren oder generelle Überlegungen zur Sinnhaftigkeit oder Verbesserungsbedürftigkeit der neuen Verschonungsregelungen anzustellen. Stattdessen wird insbesondere aus praktischen Gesichtspunkten heraus analysiert, ob ein am Markt seit vielen Jahrzehnten aktiv wirtschaftendes Familienunternehmen in der Form einer Personengesellschaft überhaupt in der Lage sein kann, die Anforderungen des Gesetzes zu erfüllen und wenn ja, mit welchem Aufwand das verbunden ist und welchen Preis dies für das Unternehmen haben kann. 1 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136–255, FR 2015, 160 m. Anm. Bareis, FamRZ 2015, 213, ­GmbHR 2015, 88). 2 A.a.O., Rz. 133.

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Ullrich Fechner / Werner Thumbs

II. Inhalt der gesetzlichen Regelung § 13a Abs. 9 ErbStG gewährt einen bis zu 30-prozentigen Bewertungsabschlag, wenn bestimmte Kriterien eingehalten werden. Dieser Abschlag ist vorrangig vor anderen Verschonungsregelungen (z.B. Verschonung bei Erwerben bis zu 26 Mio. Euro, § 13a Abs.  1 ErbStG, Verschonungsabschlag bei Großerwerben, §  13c ErbStG oder Verschonungsbedarfsprüfung, § 28a ErbStG) zu berücksichtigen3. Er hat grundsätzlich drei Voraussetzungen, die kumuliert erfüllt sein müssen. Alle Voraussetzungen müssen im Gesellschaftsvertrag oder der Satzung enthalten sein, was aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung und vor dem Hintergrund des Ziels des langfristigen Erhalts von Familienunternehmen auch nachvollzogen werden kann. Mangels Gesellschaftsvertrag schließt das allerdings die Anwendung des Vorwegabschlages für Einzelunternehmer4 aus. Folgende sog. qualitative Kriterien müssen erfüllt werden −− Entnahmen5 sind auf höchstens 37,5 % des um die auf den Gewinnanteil entfallenden Steuern vom Einkommen gekürzten Betrages des steuerrechtlichen Gewinns beschränkt (§ 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 ErbStG, dazu unter III. 1.) und −− Verfügungen über die Beteiligung an der Personengesellschaft sind beschränkt auf Mitgesellschafter, auf Angehörige im Sinne das § 15 AO oder auf eine Familienstiftung (§ 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 ErbStG, dazu unter III. 2.) und −− die Abfindung im Fall des Ausscheidens aus der Gesellschaft ist beschränkt auf einen Wert unter dem gemeinen Wert der Beteiligung an der Personengesellschaft (§ 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 ErbStG, dazu unter III. 3.). Die Höhe des konkret erreichbaren Abschlages ist jedoch nur daran gebunden, wie weit die Abfindung unter dem gemeinen Wert der Anteile liegt (prozentuale Differenz zwischen Höhe der Abfindung und gemeinem Wert) und ist außerdem auf 30 % begrenzt, § 13a Abs. 9 Satz 3 ErbStG. Schließlich muss der Gesellschaftsvertrag mit den qualitativen Kriterien zwei Jahre vor dem Zeitpunkt der Entstehung der Steuer vorliegen6 und dann über 20 Jahre eingehalten werden, § 13a Abs. 9 Satz 4 und 5 ErbStG.

3 Vgl. Abschnitt 13a.19 Abs. 1 des koordinierten Ländererlasses vom 22.6.2017 zur Anwendung der geänderten Vorschriften des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes. Die Veröffentlichung dieses Ländererlasses hatte sich wegen verschiedener Kritikpunkte Bayerns verzögert. Die nun gewählte Form des koordinierten Ländererlasses (im Folgenden auch als koord. LE bezeichnet) ist insofern ungewöhnlich, als üblicherweise gleichlautende Ländererlasse beschlossen werden, welche für die Finanzverwaltungen aller Bundesländer bindend sind. Es wird interessant sein zu beobachten, wie sich Bayern bei streitig gebliebenen Sachverhalten zukünftig verhält. 4 Zu den steuergestalterischen Maßnahmen zur Eröffnung des Anwendungsbereichs des § 13a Abs. 9 ErbStG auch für „Einzelunternehmer“ s. Watrin/Linnemann in Ubg 2017, 461. 5 Da der Fokus dieses Artikels bei Personengesellschaften liegt, verzichten wir auf die Benutzung des für Kapitalgesellschaften anzuwendenden Begriffs „Ausschüttungen“. 6 Auch keine Umgehung bei Umwandlungen durch Rückwirkungsfiktion §§ 20 Abs. 6 bzw. 24 Abs. 4 UmwStG möglich, s. hierzu ausführlich Watrin/Linnemann, Ubg 2017, 465.

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Begünstigung von Familienunternehmen in § 13a Abs. 9 ErbStG

Crezelius hat sich bereits im Oktober 2016 kritisch mit den „Sonderregeln für Fami­ lienunternehmen“ auseinandergesetzt7 und gewisse Brüche, Friktionen, inhaltliche Probleme und ordnungspolitische Schwachstellen erkannt, die sich wohl allesamt bestätigt haben. Zum damaligen Zeitpunkt hat er sich weniger mit Zweifels- und Auslegungsfragen der Neuregelung beschäftigt als mit ihrer rechtssystematischen Einordung. Sicher hatte auch Crezelius die Hoffnung, dass für die vielen offenen Fragen aus der Praxis von Seiten der Finanzverwaltung hier zeitnah praktikable Vorschläge erarbeitet werden würden. U. E. bestätigt der kürzlich vorgelegte koordinierte Ländererlass (s. Fn.  3), der ja nicht einmal von allen Bundesländern komplett mitgetragen wird, diese Hoffnung leider nicht: viele Zweifelsfragen zu Inhalt und Anwendung des Vorwegabschlages werden nicht erörtert oder einseitig zu Lasten des Steuerpflichtigen gelöst. Grundsätzlich stellt sich die Frage, ob mit § 13a Abs. 9 ErbStG nur vom Kernproblem der tendenziellen Überbewertung von Familienunternehmen nach § 9 Abs. 2 i.V.m. Abs. 3 BewG abgelenkt, zumindest aber das Problem der Überbewertung erst an einer nachgelagerten Stelle aufgegriffen werden soll8. Grund dafür ist neben der Diskussion darüber, was objektive und subjektive Wertbildungsfaktoren sind, die offensichtliche Absicht des Gesetzgebers, die in § 9 BewG geregelten allgemeinen Bewertungsgrundsätze nicht auch für andere Bewertungsfälle anpassen zu müssen. Das wäre nur eine Randnotiz, wenn es mit § 13a Abs. 9 ErbStG gelungen wäre, die Überbewertung von Familienunternehmen tatsächlich zu lösen. Da das dem Gesetzgeber aber leider nicht gelungen ist, ist davon auszugehen, dass die Diskussion über § 9 BewG bald wieder aufflammen wird.

III. Praktische Ausgestaltung der einzelnen Kriterien 1. Entnahmebegrenzung, § 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 ErbStG Diese Begrenzung bezieht sich auf den steuerrechtlichen Gewinn i.S.d. §  4 Abs.  1 Satz 1 EStG. Basis ist also der Betriebsvermögensvergleich. Ergebnisse aus Sonderund Ergänzungsbilanzen bleiben unberücksichtigt (so auch ausdrücklich Abschn. 13a.19 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 koord. LE). Außerbilanzielle Korrekturen sind zwar keine Entnahmen i.S.v. § 4 Abs. 1 Satz 2 EStG, sollten dabei aber ebenfalls zu berücksichtigen sein. Außerdem sollte diese Definition dafür sorgen, dass Beteiligungserträge, die ein Unternehmen erhält und die bei ihm steuerfrei vereinnahmt werden (§ 8b KStG), ebenfalls in die Berechnung des ausschüttbaren Betrages eingehen9. Die Frage, ob diese Interpretation des koordinierten Ländererlasses alle Zweifel beseitigt, sei dahingestellt. In der Literatur wird mit guten Begründungen im Übrigen auch vertreten, dass nur der bilanzielle Gewinn ohne Berücksichtigung außerbilanzieller Korrekturen zu erfassen sei10. Praktisch ist es aber so, dass ein Gesellschaftsvertrag Regelungen 7 ZEV 2016, 541 ff. (544) und 551 (552). 8 So tendenziell auch Kußmaul/Müller, Ubg 2017, 383 mit weiteren Nennungen. 9 So auch Steger/Königer, BB 2016, 3100. 10 Weber/Schwind, ZEV 2016, 689.

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zur Verteilung eines Gewinnes enthalten muss, die sich auf die handelsrechtliche Grundlage beziehen. Diese Regelung ist auch weiterhin unverzichtbar, andernfalls wäre es z.B. nicht mehr möglich, Ausschüttungen so zu limitieren, dass der Grundsatz der Kapitalerhaltung eingehalten wird. Ohnehin wird bislang wenig diskutiert, dass der steuerrechtliche Gewinn in der Regel über dem handelsrechtlichen liegt. Tendenziell könnte deshalb davon ausgegangen werden, dass es, wenn schon nicht einfach, so wenigstens vorteilhaft sei, auf den steuerrechtlichen Gewinn zurückzugreifen. Dieser unterliegt jedoch vielfach erheblichen nachträglichen Veränderungen (z.B. durch Betriebsprüfungen, die häufig erst Jahre später das steuerliche Ergebnis eines Jahres endgültig feststellen), die deutliche Auswirkungen auf des Ergebnis des jeweiligen Jahres und möglicherweise Folgejahre haben können. Auch auf dieses Problem hat Crezelius11 bereits 2016 hingewiesen und eine vorsorgliche Anpassung der Gesellschaftsverträge empfohlen. Sein Hinweis soll mit folgendem Beispiel verdeutlicht werden: A ist alleiniger Kommanditist der AB GmbH & Co. KG. Die Komplementär-GmbH erhält keinen Gewinnanteil. Die AB KG erzielt in den Jahren 01 bis 03 jeweils einen handelsrechtlichen Gewinn von 100. Darin berücksichtigt sind Abschreibungen für Sachanlagen von 10, steuerlich beträgt die jährliche AfA nach Ansicht des A aufgrund längerer Nutzungsdauern nur 8. Außerdem hat A nicht abzugsfähige Betriebsausgaben von 5 ermittelt. Daraus ergibt sich ein steuerrechtlicher Gewinn von 100 + 2 + 5 = 107. Die Einkommensteuer des A darauf betrage 45  %, also 48,2. Die Entnahme des A muss also auf 37,5 % des verbleibenden Betrages, also auf 22 (107 – 48,2 = 58,8 * 0,375) begrenzt sein. A entnimmt diesen Betrag auch, denn handelsrechtlich ist ja ein Gewinn von 100 verfügbar, der auch nach der Steuerentnahme ausreichend groß ist. Im Jahr 04 findet eine Betriebsprüfung statt, die in kürzester Zeit auch abgeschlossen ist, aber die Nutzungsdauer des Sachanlagevermögens so verändert, dass die steuerliche AfA in den Jahren 01 und 02 nur noch 4 beträgt, diese aber im Jahr 03 komplett nachgeholt wird. Damit ergibt sich nachträglich folgendes Bild: Jahr

01

02

03

107,0

107,0

107,0

Gewinnveränderung aufgrund BP

+4,0

+4,0

–8,0

Finaler steuerrechtlicher Gewinn

111,0

111,0

99,0

Abzüglich ESt (45 %)

–50,0

–50,0

44,6

Verbleibender Betrag

61,0

61,0

54,4

Entnahmefähig (37,5 %)

22,9

22,9

20,4

Bereits entnommen

22,0

22,0

22,0

0

0

1,6

Erklärter steuerrechtl. Gewinn

Schädliche Entnahme 11 A.a.O., 544 und 551.

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Dieses einfache Beispiel einer BP-Anpassung zeigt, dass der Steuerpflichtige nachträglich ohne eigenes Zutun die Entnahmebeschränkung verletzt hätte. Heilungsmöglichkeiten für diesen Fall sind im Ländererlass nicht vorgesehen. In Anbetracht der Grundhaltung des Ländererlasses muss wohl davon ausgegangen werden, dass in einem solchen Fall die Finanzverwaltung für das Jahr 03 von einem Entnahmeverstoß ausgehen würde mit der Folge, dass der gewährte Abschlag mit Wirkung für die Vergangenheit entfällt, § 13a Abs. 9 Satz 5 ErbStG. In diesem Beispiel haben wir mit der Annahme eines konkreten individuellen Einkommensteuersatzes gerechnet und durch die Verwendung des ESt-Höchstsatzes weitere offene Fragen ausgeklammert. So könnten nämlich neben den betrieblichen Einkünften bestehende weitere Einkunftsquellen den anzuwendenden Steuersatz beeinflussen, weshalb es für diese Berechnung in der Praxis häufig nicht ausreichen wird, nur die Einkünfte aus dem betrachteten Unternehmen zu berücksichtigen. Stattdessen wäre erst die Gesamtsteuerbelastung zu ermitteln und dann zurückzurechnen12. Im Gegensatz zu dieser konkreten Berechnung der Steuerbelastung scheint die Finanzverwaltung im koordinierten Ländererlass aus Vereinfachungsgründen davon auszugehen, dass auch bei Personengesellschaften die Bemessungsgrundlage des entnahmefähigen Betrages mit einem Steuerabzug von 30 % ermittelt werden kann (Absch. 13a.19 Abs. 2 Nr. 1 Satz 3 koord. LE unter Hinweis auf § 202 Abs. 3 BewG). Wendet man diese Auffassung auf das obige Beispiel an, würde der entnahmefähige Betrag ansteigen. Es bleibt abzuwarten, ob in einem solchen Fall der Vereinfachungsgedanke tatsächlich von der Finanzverwaltung akzeptiert wird, Zweifel daran sind jedenfalls angebracht. Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass eine (in der Praxis eher unwahrscheinliche) Verminderung der nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben ebenfalls den entnahmefähigen Betrag reduziert. Die häufiger anzutreffende Erhöhung der nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben hingegen wäre hilfreich. Im Rahmen einer Betriebsprüfung könnte sich ein Verstoß gegen die Entnahmebegrenzung rein zufällig ergeben, je nachdem, ob sich die nicht abzugsfähigen Betriebsausgaben oder die Aktivierungen stärker verändern. Nach unserer Erfahrung ist es in Großunternehmen tatsächlich eher so, dass abzugsfähige Betriebsausgaben durch Nachaktivierungen gemindert werden, als dass sich nicht abzugsfähige Betriebsausgaben erhöhen. Dies hätte zur Folge, dass die Ergebnisse einer Betriebsprüfung in Folgejahren tatsächlich das Risiko eines Verstoßes gegen die Entnahmebeschränkung mit sich brächten. In diesem Zusammenhang ist noch auf eine andere Frage hinzuweisen, die sogar zu einer völligen Unmöglichkeit der Einhaltung des Kriteriums der Entnahmebeschränkung führen würde: Reicht es aus, dass der o.g. Fall eines durch spätere Ereignisse verursachten Verstoßes theoretisch eintreten kann oder erfolgt die Annahme eines Verstoßes erst dann, wenn die Überschreitung der 37,5 %-Grenze im Jahr 03 tatsächlich eingetreten ist? Wird die erste Alternative bejaht, so wäre ein Verstoß nur dadurch vermeidbar, dass jede Entnahme komplett verboten wird. Denn eine Heilungsregelung z.B. durch eine Rückzahlung früherer Entnahmen würde nicht ausreichen, 12 Gleicher Gedanke s. Steger/Königer, a.a.O., 3101.

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da der tatsächliche Entnahmevorgang nicht für die Vergangenheit korrigiert werden kann. Verschiedentlich13 wird vertreten, in einem solchen Fall nur den Gewinn eines Jahres auszuschütten, dessen Steuerbescheide endgültige Bestandskraft haben. In uns vorliegenden Fällen würde das bedeuten, dass zum Zeitpunkt des Abfassens dieses Artikels im Jahr 2017 noch keine Ausschüttungen für das Jahr 2004 möglich wären, da noch keine bestandskräftigen Steuerbescheide vorliegen. Gerade für Großunternehmen mit Anschlussprüfungen für oft viele Jahre zurück liegende Prüfungszeiträume erscheint der Vorschlag deshalb nicht umsetzbar14. Es könnte allenfalls helfen, wenn der Gesellschaftsvertrag eine Regelung enthält, nach der die ursprünglich für das Jahr 03 entnommene Steuer, die den bestandkräftig und nicht mehr änderbar festgesetzten Steuerbetrag übersteigt, vom Gesellschafter wieder einzulegen ist und diese Einlage auf die schädliche Entnahme anzurechnen wäre. Auch das wäre allerdings der Versuch, eine schädliche Entnahme nachträglich zu heilen. Im obigen Beispiel wäre die Wiedereinlageverpflichtung mit 3,6 (Gewinnveränderung durch BP: 8,0 * 0,45) übrigens ausreichend hoch, um die schädliche Entnahme von 1,6 auszugleichen. In der Praxis würde eine solche Wiedereinlage wohl nicht erfolgen, da die Mehrsteuern der Jahre 01 und 02 genauso hoch sind wie die Mindersteuer des Jahres 03 und deshalb eine Verrechnung zu erwarten ist. In der Praxis anzutreffende Gesellschaftsverträge sehen regelmäßig vor, dass anfallende Ertragsteuern entnommen werden dürfen und erstattete Steuern wieder eingelegt werden müssen, enthalten aber häufig auch weitere Entnahmeregelungen. Typische Beispiele sind: a) Gewinnunabhängige Mindestentnahmen (freie Entnahmen) Diese sollen zumindest ein Mindestmaß an Ausschüttung erlauben, um Gesellschaftern, die ausschließlich vom Unternehmen leben (ggf. auch dort ihre komplette Arbeitskraft einbringen) einen Lebensunterhalt zu gewährleisten. In einem Verlustjahr (theoretisch könnte im obigen Rechenbeispiel ja auch das Jahr 03 durch rein steuerliche Effekte zu einem solchen werden) wäre deshalb überhaupt keine(!) gewinnunabhängige Ausschüttung erlaubt. Völlig unklar ist auch, wie in einem Verlustjahr eine Vorwegvergütung (z.B. Gehalt) an den Geschäftsführer einer Personengesellschaft zu werten ist, was mit folgendem Beispiel verdeutlicht werden soll: Der Alleingesellschafter A erhält ein Gehalt von 10, die Gesellschaft hat einen handelsrechtlichen Gewinn von 0. Steuerlich gesondert zu berücksichtigen sei nur das Gehalt. Der Gesellschafter hätte also einen Gewinn von 10, nach Steuern (45 %) verbleibt ein entnahmefähiger Betrag von 2,1 (37,5 % von 5,5). Die Entnahme (Gehalt) von 10 ist also fast das Fünffache des entnahmefähigen Betrages. Eine Randnotiz ist, dass das „Auffinden“ von Vergütungen an Gesellschafter, die ein Gewinnvorweg dar13 So z.B. Oberle/Klette in ErbSt 2016, herausgegeben von Ernst & Young, 183. 14 Deshalb zurecht von Oberle/Klette, a.a.O., 183, auch als „völlig realitätsfremd“ bezeichnet.

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stellen, häufig erst im Rahmen von Betriebsprüfungen erfolgt. Gegen derartige böse Überraschungen kann kein Gesellschaftsvertrag schützen. Gegen unsere Sichtweise kann auch nicht angeführt werden, dass nach dem koordinierten Ländererlass Ergebnisse aus Sonderbilanzen unberücksichtigt bleiben sollen, Absch. 13a.19 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 koord. LE: zum einen scheint sich das auf eine rein bilanzielle Sichtweise zu beschränken, zum anderen ändert eine Nichtberücksichtigung von Sonderergebnissen nichts daran, dass dem Gesellschafter eine Entnahme zugeflossen ist. b) Entnahmerechte für andere Steuerarten Nach dem Gesetzeswortlaut sind nur „Entnahmen zur Begleichung der auf den Gewinnanteil… entfallenden Steuern vom Einkommen“ unschädlich. Ob davon auch Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer erfasst sind, wurde in der Literatur problematisiert15, der koordinierte Ländererlass äußert sich dazu trotzdem nicht. Es wird sogar eine ungewöhnliche Formulierung des Gesetzestextes übernommen16. Da für diese Steuern aber derselbe Verursachungsgedanke gelten sollte wie für die Einkommenund Körperschaftsteuer, gehen wir davon aus, dass auch die Beträge für Soli und KiSt unschädlich entnommen werden können. Entnahmerechte für Steuern sind in Gesellschaftsverträgen nach unseren Erfahrungen jedoch selten auf Ertragsteuern begrenzt. Das liegt gerade bei Familienunternehmen in der Gesellschaftsform der Personengesellschaft u. E. alleine schon daran, dass eine private Vorsorge für auf das Betriebsvermögen anfallende Erbschaftsteuer gar nicht möglich ist, wenn das Vermögen im Unternehmen gebunden ist. Deshalb werden zumeist Entnahmerechte für alle durch das Halten des Betriebsvermögens verursachten Steuern eingeräumt. Bei Personengesellschaften ist dies auch völlig sachgerecht, weil eine Versteuerung immer unabhängig davon erfolgt, ob überhaupt eine Ausschüttung vorgenommen wird (mit Ausnahme der Thesaurierungsbegünstigung des § 34a EStG, auf die aber nicht näher eingegangen werden soll). Hier sind Personengesellschaften gegenüber Kapitalgesellschaften stets benachteiligt. Der koordinierte Ländererlass sieht dieses Problem nicht nur, er zementiert es sogar bewusst, indem er ausdrücklich festlegt, dass Entnahmen zur Begleichung der Erbschaftsteuer als schädlich anzusehen sind, Absch. 13a.19 Abs. 2 Nr. 1 Satz 5 koord. LE. Das bedeutet aber auch, dass selbst Entnahmen zur Begleichung der ErbSt auf nicht begünstigtes Verwaltungsvermögen als schädlich anzusehen sind. Wenn ErbSt auf Vermögenswerte gezahlt werden muss, für die gar keine Begünstigung gewährt wird, und diese Steuer aus dem Unternehmen entnommen werden muss, weil sie die beim Gesellschafter privat vorhandenen Mittel (zum Teil deutlich) übersteigt, dann kann diese Entnahme, die nur erfolgt, um die Mittel an den Fiskus weiterzuleiten dazu füh15 Oberle/Klette, a.a.O., 181, halten den Gesetzeswortlaut nicht für zwingend, legen ihn aber so aus, dass Solidaritätszuschlag und Kirchensteuer zu erfassen sind. 16 „Entnahmen … bleiben von der Beschränkung … unberücksichtigt“, Abschnitt  13a.19 Abs. 2 Nr. 2 Satz 4 koord. LE.

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ren, dass eine schädliche Überentnahme vorliegt und der Vorwegabschlag komplett versagt wird. Hier wäre es notwendig, eine Sonderregelung analog zu der in Abschn.  13a.14 Satz  6 des koord. LE zu finden: dort ist immerhin die Entnahme des jungen Verwaltungsvermögens unschädlich, da es ja nicht zum begünstigten Vermögen gehöre. Das gilt künftig für Verwaltungsvermögen generell. Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass § 34a Abs. 4 Satz 3 EStG für Beträge, die für die Erbschaft- und Schenkungsteuer anlässlich der Übertragung eines Mitunternehmeranteils entnommen werden, auf die sog. Nachversteuerung verzichtet. Im Rahmen der Einkommensteuer wird also dem wirtschaftlichen Erfordernis, Beträge für Erbschaftsteuerzahlungen ohne zusätzliche steuerliche Belastungen entnehmen zu können, Rechnung getragen, im Rahmen der Erbschaftsteuer wird eine solche Notwendigkeit weder vom Gesetzgeber noch von der Verwaltung anerkannt. Das lässt schon Zweifel aufkommen, ob der ursprüngliche Wille des Gesetzgebers, Familienunternehmen unter bestimmten Voraussetzungen einen Vorabbewertungsabschlag einzuräumen, von der Verwaltung überhaupt umgesetzt wird. Es sieht eher danach aus, als werde er konterkariert. Dazu passt auch, dass die Regelung des § 13a Abs. 6 Nr. 3 ErbStG zu Überentnahmen nicht angepasst wurde: Mit dieser Regelung soll sichergestellt werden, dass die Behaltensfrist der Options- oder Regelverschonung nicht umgangen wird. Im neuen Recht sollte aber die Entnahme von Verwaltungsvermögen, das nicht begünstigt übertragen wurde, die Verschonung gar nicht tangieren. Eine Entnahme von begünstigtem Vermögen darf für eine Begünstigungsregelung schädlich sein, eine Entnahme von nicht begünstigtem Vermögen jedoch nicht. Gleichzeitig führt die systemimmanente starke Beschränkung von Entnahmemöglichkeiten tendenziell sogar noch zur Entstehung weiteren Verwaltungsvermögens, sofern nicht unschädliche Anlagemöglichkeiten gefunden werden können17. Anhand eines Beispiels möchten wir auch aufzeigen, dass für die Ermittlung des Entnahmehöchstbetrages das Abstellen auf den Gewinn der Obergesellschaft zu irrationalen Verzerrungen führt: Die Obergesellschaft M hat zwei 100%ige Tochtergesellschaften TG 1 und TG 2. TG1 erzielt einen Gewinn von 100, TG2 erwirtschaftet einen Gewinn von 50. An M werden jeweils 30 % des Gewinnes der TG1 und TG2 ausgeschüttet, d.h. insgesamt erhält die M (30+15 =) 45. M hat keinen weiteren Gewinn. a) Ist M eine Kapitalgesellschaft, kann sie die ausgeschütteten Gewinne von TG 1 und TG 2 nach § 8 Abs. 1 KStG ohne weitere Ertragsteuerbelastung (§ 8 Abs. 5 KStG bleibt aus Vereinfachungsgründen unberücksichtigt) vereinnahmen. Aufgrund der Ausschüttungsbegrenzung in § 13a Abs. 9 Nr. 1 ErbStG auf 37,5 % kann M nur einen Betrag von 16,88 (37,5 % von 45) steuerunschädlich an ihre Gesellschafter ausschütten, obwohl es sich dabei nur um 11,25 % des Gesamtgewinns der Unternehmensgruppe handelt. Würden die Tochtergesellschaften ihren gesamten Gewinn 17 So auch Oberle/Klette a.a.O., 171.

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(100+50 = 150) ausschütten, könnte die M ohne die Grenze von 37,5 % zu überschreiten 56 (37,5 % von 150) ausschütten. Das hat allerdings den grundlegenden Nachteil, dass den Tochtergesellschaften der komplette Gewinn entzogen würde. Auf Ebene der Muttergesellschaft wird er wiederum gar nicht gebraucht. Eine Lösung über eine Wiedereinlage des bei der M nicht für eine Ausschüttung benötigten Gewinns wäre kompliziert und erscheint unangemessen. b) Finale Nachteile ergeben sich, wenn die Muttergesellschaft eine Personengesellschaft ist: M muss die erhaltenen Ausschüttungen nämlich nach dem Teileinkünfteverfahren, § 3 Nr. 40 EStG, versteuern und kann danach nur den um die Steuern (150 – 60 (§ 3 Nr. 40 EStG) = 90 * 45 % (Steuersatz) = 40,5) und getätigten Entnahmen (150 – 45 (30 % pauschalierte Steuer nach koord. LE) = 105 * 37,5 % = 39,4) verminderten Betrag, also 70,1 (150 – 40,5 – 39,4) wieder einlegen. Dies führt zu sachlich nicht gerechtfertigten steuerlichen Mehrbelastungen, die deutlich machen, dass die Regelung in § 13a Abs. 9 Nr. 1 ErbStG wenig praktische Relevanz entfalten dürfte. Die beiden Beispiele machen auch deutlich, dass es bei großen Personenunternehmen mit vielen Tochter- und Enkelgesellschaften nicht sachgerecht und häufig von Zufällen abhängig ist, für eine Entnahmebegrenzung auf das Ergebnis der Obergesellschaft abzustellen. Vielmehr müsste an dieser Stelle auf das konsolidierte Ergebnis des Konzerns abgestellt werden. So auch zutreffend die von der Bundesregierung im Rahmen des Vermittlungsver­ fahrens im September 2016 abgegebene Protokollerklärung: „Die Bundesregierung beabsichtigt in einem der nächsten Gesetzgebungsverfahren einen Vorschlag zu unterbreiten, dass in den Fällen des § 13b Abs. 9 Satz 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes bei § 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 1 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes hinsichtlich des Gewinns auf das konsolidierte Ergebnis des Verbundes abzustellen ist.“ Als Zwischenfazit bleibt deshalb festzuhalten, dass die Einhaltung des Kriteriums der Entnahmebeschränkung für den Erwerber bedeutet, dass er selbst bei Einsatz von anderweitig verfügbaren Mitteln zum Bestreiten seines Lebensunterhalts, zur Begleichung aller anderen Steuern, auch wenn sie direkt mit der erworbenen Beteiligung zusammenhängen, nie sicher sein kann, dass innerhalb der 20-jährigen Frist nicht doch die komplette Vergünstigung rückwirkend versagt wird. Eine nur teilweise Rückgängigmachung des Vorababschlags, bei z.B. nur geringfügigem Überschreiten des Entnahmehöchstbetrages von 37,5 %, ist nicht vorgesehen. Das erscheint insbesondere in Fällen, wo nach Ablauf von fünf bzw. sieben Jahren die Voraussetzungen der Regel- bzw. Vollverschonung erfüllt worden sind, als eine mit dem Sinn und Zweck der Verschonungsregelungen kaum zu rechtfertigende Härte des Gesetzgebers. Das BVerfG hatte dem Gesetzgeber aufgegeben, den sog. Fallbeileffekt beim Verwaltungsvermögenstest zu beseitigen. Bei der Entnahmebegrenzung in §  13a Abs. 9 Satz 1 Nr. ErbStG hat der Gesetzgeber das „Alles-oder Nichts-Prinzip“ offenbar erneut eingeführt. Ein gewisser Trost mag darin liegen, dass beim Wegfall der Steuerbefreiung und anschließender Neufestsetzung der Erbschaftsteuer die festgesetzte Mehrsteuer keinem Verzinsungsanspruch unterliegt, das gilt zumindest de lege lata. 531

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Ob das allerdings auf Dauer so bleibt, darf angesichts der ständigen Suche des Fiskus nach höherem Steueraufkommen zu Recht bezweifelt werden. Wenn dann im Jahr 20 nach der Schenkung eines Anteils am Betriebsvermögen eine Nachversteuerung erfolgt und zusätzlich zur anfallenden Steuer noch 120 % Nachzahlungszinsen erhoben werden, wirkt die Erbschaftsteuer endgültig konfiskatorisch. Risiko und möglicher Ertrag der Aufnahme einer § 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. ErbStG entsprechenden Entnahmebeschränkung im Gesellschaftsvertrag stehen in einem so schlechten Verhältnis, dass zu einer entsprechenden Einschränkung des Gesellschaftsvertrags u. E. nicht geraten werden kann. 2. Verfügungsbeschränkung über die Anteile, § 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 ErbStG Verfügungen über die Anteile sind „auf “ Mitgesellschafter, Angehörige i.S.d. § 15 AO oder auf eine Familienstiftung gem. § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG beschränkt. Tatsächlich beinhalten Gesellschaftsverträge von Familienunternehmen häufig ähnliche Beschränkungen, ohne unmittelbar auf §  15 AO Bezug zu nehmen. Ziel einer gesellschaftsvertraglichen Regelung ist nämlich, die Übertragung von Anteilen an „Familienfremde“ auszuschließen. Häufig werden als „Familienangehörige“ leibliche (eheliche) Abkömmlinge des Unternehmensgründers definiert. Nach wenigen Generationen kann das Aussterben einer Seitenlinie aber ein Problem darstellen: Nur die Kinder des eigenen Bruders oder der eigenen Schwester sind noch Angehörige i.S.v. § 15 AO. Was passiert aber, wenn z.B. zur Einhaltung eines Gleichgewichts zwischen einzelnen Familiengruppen oder sogar Familienstämmen eine andere Übertragung erfolgen soll, z.B. auf Kinder eines Cousins oder einer Cousine? Diese dient eindeutig dem Erhalt des Unternehmens in der Familie. Es ist Gesellschaftern kaum zu erklären, dass und warum das nicht mehr möglich sein soll. Gerade kinderlosen Gesellschaftern, die keine Geschwister, aber ein hohes Interesse am Fortbestand „ihres“ Unternehmens haben, wird dann der Vorababschlag ohne Begründung verwehrt. Als Lösung kann nur die Übertragung auf einen Mitgesellschafter erfolgen, wobei der Begriff des Mitgesellschafters auf unmittelbare Beteiligungen beschränkt ist18. Das würde aber bedeuten, dass z.B. ein Familienmitglied die eigenen Kinder durch Schenkung zunächst zu Gesellschaftern machen müsste, bevor das entfernter verwandte Familienmitglied auf diese schenkweise überträgt. Dies ist ein starker Eingriff in eine höchstpersönliche Entscheidung, die zudem nicht vom Schenkgeber/Erblasser alleine getroffen und umgesetzt werden kann. Gerade dem Anliegen, innerhalb eines Familienunternehmens eine geordnete Nachfolgeregelung unter Einhaltung festgelegter Regeln umzusetzen, könnte das stark zuwider laufen. Auf jeden Fall ist eine entsprechende Planung aber zu Lebzeiten notwendig. Hier sei auf die Literaturhinweise19 dazu verwiesen, dass eine einfache Nachfolgeklausel bei Personengesellschaften nicht ausreicht. Es muss deshalb bereits von vornherein aus18 So wird in der Literatur darauf hingewiesen, dass atypische stille Beteiligte keine Mitgesellschafter seien, vgl. Steger/Kröniger, a.a.O., 3103. 19 Steger/Kröniger, a.a.O., 3103.

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Begünstigung von Familienunternehmen in § 13a Abs. 9 ErbStG

geschlossen werden, dass ein Gesellschafter Anteile auf eine familienfremde Person übertragen kann. Als Sanktion ist hier nur der Verlust der eigenen Gesellschafterstellung denkbar. Der koordinierte Ländererlass enthält in diesem Bereich wenig hilfreiche Ergänzungen, Absch. 13a.19 Abs. 2 Nr. 2 koord. LE. Er fällt eigentlich nur dadurch auf, dass er mit Verweis auf den Wortlaut eine Verfügung auf andere Personen nach Zustimmung durch die übrigen Gesellschafter ebenfalls ausschließt, was vom Gedanken des Erhalts des Unternehmens im Familienverbund zwar gedeckt ist, aber verkennt, dass es durchaus Ausnahmesituationen geben kann, wo eine eventuell nur temporäre Aufnahme von Dritten dem Fortbestand des Unternehmens dient (z.B. bis zur Volljährigkeit von Familienmitgliedern). Darüber hinaus ist eine Regelung als schädlich anzusehen, wenn sie eine Übertragung auf eine vermögensverwaltende Familiengesellschaft erlaubt, selbst wenn an dieser Gesellschaft nur Angehörige i.S.d. § 15 AO beteiligt sein sollten20. Auch das ist zwar verständlich, doch wenn sich die Auslegungshinweise der Finanzverwaltung auf solche Punkte beschränken, so ist das unbefriedigend. Da sich der Erlass nur mit Verfügungen auseinandersetzt, die auf die Übertragungen des Eigentums an den Anteilen an andere Personen abzielen, bleiben wichtige Praxisfragen offen21. Als Verfügung ist es auch anzusehen, wenn Anteile z.B. verpfändet werden. Zwar vertritt die Finanzverwaltung in Abschn. 13a.16 Abs. 1 Nr. 2 koord. LE die Auffassung, dass eine Verpfändung noch keine Verfügung über die Anteile sei, doch gilt dies offensichtlich nur im Hinblick auf die Gültigkeit von Poolvereinbarungen, wo sich die Frage nach einer Verfügung über Anteile nicht auf Familienangehörige bezieht, sondern auf die Einhaltung der Poolvereinbarung. Das erscheint zumindest unglücklich vor dem Hintergrund der ausdrücklichen Ansicht der Finanzverwaltung, dass Entnahmen zur Begleichung der ErbSt aus dem Unternehmen bei der Ermittlung der schädlichen Entnahmen zu berücksichtigen sind, Abschn. 13a.19 Abs. 2 Nr. 1 Satz 5 koord. LE. Wenn der erbschaftsteuerliche Erwerber also konsequenter Weise kein Entnahmerecht für ErbSt-Zahlungen erhält, so darf er nun die erhaltenen Anteile noch nicht einmal zur Aufnahme eines entsprechenden Kredits verpfänden. Er kann also nur, falls überhaupt in nennenswertem Umfang vorhanden, sein Privatvermögen ohne jede Begrenzung nach oben für diesen Kredit verpfänden, ggf. zu 100 %. Das geht noch weit über den Ansatz von § 28a ErbStG hinaus, wo der Erwerber wenigstens „nur“ 50 % seines Privatvermögens einsetzen muss. Der Erwerber ist damit in jeder Richtung gefangen und das für 20 Jahre. Auch für das Kriterium „Verfügungsbeschränkung“ ist als Teilergebnis folglich nur zu konstatieren, dass die Beschränkungen, die sich der Gesellschafterkreis auferlegen muss, den Anforderungen der Unternehmenspraxis nicht gerecht werden und in keinem Verhältnis zum möglichen Nutzen stehen.

20 So auch ausdrücklich Crezelius, a.a.O., 552. 21 S. hierzu inbesondere Wachter, DB 2017, 804 (806, 807).

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3. Beschränkung der Abfindung bei Ausscheiden auf einen Wert unterhalb des gemeinen Wertes, § 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 3 ErbStG Der Gesellschaftsvertrag oder die Satzung muss außerdem eine wertmäßige Abfindungsregelung für den Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters enthalten. Diese regelt die Höhe des tatsächlich erreichbaren Vorwegabschlages. Dabei geht das Gesetz offensichtlich ausdrücklich von der Vereinbarung eines prozentualen Abschlages aus („… im Gesellschaftsvertrag oder in der Satzung vorgesehen prozentualen Minderung der Abfindung gegenüber dem gemeinen Wert“, § 13a Abs. 9 Satz 3 ErbStG). Dies mag als notwendig erachtet werden, um die dafür eingeführte prozentuale Höchstgrenze (Abschlag höchstens 30 %) zu definieren, schafft aber wieder neue Probleme. Das schließt dem Wortlaut nach die häufigste in der Praxis vereinbarte Abfindungsregelung, nämlich die (modifizierte) Buchwertklausel, von vornherein aus. Diese legt nämlich lediglich fest, dass der ausscheidende Gesellschafter den Buchwert seiner Beteiligung, eventuell mit bestimmten Zuschlägen, erhält, was aber ein Betrag und kein Prozentsatz ist. Dies ist auch nicht einfach dadurch zu lösen, dass die Höhe der Abfindung gleichzeitig auf maximal 70 % des gemeinen Wertes beschränkt wird. Stattdessen müsste ausschließlich eine Abfindung in Abhängigkeit vom gemeinen Wert vereinbart werden. Deutlich praxisnäher wäre es, im Zeitpunkt des erbschaftsteuerlichen Erwerbs die tatsächlich beim Ausscheiden gewährte Abfindung zum selben Zeitpunkt mit dem gemeinen Wert zu vergleichen und dann beide in Relation zu setzen. Liegt der Wert der Abfindung dann z.B. um 25 % unter dem gemeinen Wert, so würde ein Vorwegabschlag von 25 % gewährt. Natürlich wäre dies eine dynamische Berechnung, der Vorwegabschlag müsste also im Einzelfall berechnet werden. Wir halten dies allerdings nicht für eine wesentliche zusätzliche Komplikation. Allerdings gehen wir davon aus, dass der Wortlaut des Gesetzes dies ausschließt. Der koordinierte Ländererlass konkretisiert die Abfindungsbeschränkung nur insoweit, als er den anzuwendenden Vorwegabschlag für den Fall, dass unterschiedliche Abfindungshöhen möglich sind (in Abhängigkeit vom Grund des Ausscheidens), in der für den Steuerpflichtigen ungünstigsten Weise interpretiert, Absch. 13a.19 Abs. 4 Satz 4 koord. LE. Während es einerseits als praxisnah anzusehen ist, dass die Finanzverwaltung offensichtlich weiß und berücksichtigt, dass es z.B. für einen Ausschluss eines Gesellschafters häufig andere Regeln gibt als für ein altersbedingtes Ausscheiden, wird darüber hinaus nur deutlich, dass sie offensichtlich auch weiß, dass üblicher Weise Abfindungshöhen, also Beträge und nicht relative Größen, vereinbart werden. Wir gehen vor diesem Hintergrund davon aus, dass es zumindest vor dem Inkrafttreten des Erbschaftsteueranpassungsgesetzes kein Unternehmen in Deutschland gab, das in der Vergangenheit eine Abfindungsregelung festgelegt hatte, die diesen nun Gesetz gewordenen Anforderungen entspricht. Zumindest ist uns keines bekannt. Das bedeutet, dass derzeit kein Unternehmen den Vorwegabschlag in Anspruch neh534

Begünstigung von Familienunternehmen in § 13a Abs. 9 ErbStG

men kann, da der Gesellschaftsvertrag die Regelung zwei Jahre vor dem Zeitpunkt der Entstehung der Steuer enthalten muss. Wurde der Gesellschaftsvertrag am 1.1.2017 um einen derartigen Passus erweitert, kann der Vorwegabschlag also frühestens auf erbschaftsteuerliche Erwerbe des Jahres 2019 angewendet werden. Auch das belegt deutlich, dass der Vorababschlag keine praktische Relevanz hat und durchaus als „Placebo“ bezeichnet werden kann. Mit dem Thema Fristen befassen wir uns aber noch weiter unten, s. IV.2. Wir müssen im Folgenden also davon ausgehen, dass die Finanzverwaltung eine Formulierung wie „Ausscheidende Gesellschafter erhalten jeweils eine Abfindung, die 30 % unter dem gemeinen Wert ihres Anteils liegt“ erwartet. Was ist aber nun, wenn der Buchwert der Anteile z.B. im Zeitpunkt des Ausscheidens nur um 10 % unter dem gemeinen Wert liegt? Der Gesetzgeber geht offensichtlich davon aus, dass der Gesellschafter in einem solchen Fall also nicht nur einen Abschlag auf seinen Mehrwert, sondern sogar einen solchen auf seine Substanz hinnimmt. Dafür gibt es keinen vernünftigen persönlichen oder wirtschaftlichen Grund. Auch der Schutz einer Unternehmenssubstanz, der mit Abfindungsklauseln erreicht werden soll, ist hier nicht tangiert. Die Unternehmenssubstanz würde damit übermäßig stark geschützt. Sinnvoll wäre es natürlich, in solchen Fällen wenigstens den Buchwert als Abfindung zahlen zu können mit der Folge, dass auch nur ein Bewertungsabschlag von 10 % gewährt würde. Steger/Königer22 weisen zurecht darauf hin, dass in der Praxis auch Regelungen anzutreffen sind, bei denen z.B. bestimmte Wirtschaftsgüter in einer besonderen Weise bei der Berechnung der Abfindung zu berücksichtigen sind. Nach der oben vertretenen Ansicht, dass nur noch prozentuale Regelungen zulässig wären, müssten auch diese Regelungen geändert werden. An dieser Stelle möchten wir aber darauf hinweisen, warum derartige Regelungen überhaupt getroffen werden: Sie dienen dem legitimen Interesse der Gesellschafter, sich gegenseitig gerade nicht zu übervorteilen und zudem möglichst sicherzustellen, dass die Gesellschaft durch eine Abfindung nicht übermäßig belastet wird. Deutlich wird dies bei einem Blick auf Startup-Unternehmen, deren Wert sich in der Anfangsphase in einer Idee widerspiegelt und die aufgrund der starken Abhängigkeit von der Materialisierung ihrer immateriellen Werte bis zur umfassenden Verwertung dieser Werte gar nicht in der Lage sind, für diese immateriellen Werte einen Ausgleich an ausscheidende Gesellschafter zu leisten. Leider hat der Gesetzgeber diesen Gedanken des Werterhalts des Unternehmens auch bei der Einführung von § 7 Abs. 7 ErbStG ignoriert: akzeptiert ein Gesellschafter z.B., dass er bei seinem Ausscheiden nur den Buchwert erhält, so will er damit den anderen nichts zuwenden, ganz im Gegenteil, er will seinen eigenen Anteil gegen das Ausscheiden anderer sichern. Es geht also um den Erhalt der Gesellschaft, nicht den individuellen Vorteil des Gesellschafters. Trotzdem geht der Gesetzgeber nun noch einen Schritt weiter: er verlangt ausdrücklich, dass ein Gesellschafter einen Abschlag vom gemeinen Wert vereinbart und defi22 A.a.O., 3103.

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niert auf der anderen Seite diesen Verzicht als selbständige Schenkung. Eine parallele Anwendung von § 13a Abs. 9 und § 7 Abs. 7 ErbStG ist nämlich gerade nicht ausgeschlossen. Das ist kein unabgestimmtes, sondern ein explizit gegensätzliches Verhalten des Gesetzgebers, der seine eigene geäußerte Absicht, Familienunternehmen für schutzwürdig zu halten, hier konterkariert. Zumindest aber holt sich der Fiskus die durch den Vorwegabschlag verringerte ErbSt an anderer Stelle wieder: Vergleicht man den Fall des Ausscheidens eines Gesellschafters gegen Abfindung und Anwachsung seines Anteils bei den anderen Gesellschaftern zu 30 % unter dem gemeinen Wert mit dem Fall, in dem er seine Anteile an einen Mitgesellschafter (mit Vorwegabschlag von 30 %) vererbt, so entspricht der schenkungsteuerliche Erwerb der verbleibenden Gesellschafter im ersten Fall genau dem Vorteil des erbenden Gesellschafters im zweiten Fall. Enthält der Gesellschaftsvertrag einen höheren Abschlag als 30 % vom Verkehrswert, ist der Wert der nach § 7 Abs. 7 ErbStG fingierten Schenkung höher als der auf maximal 30 % begrenzte Abschlag nach § 13a Abs. 9 ErbStG im Erbfall, für den Fiskus ein vorteilhaftes Geschäft. Zwar tritt im zweiten Fall (Vererben) noch keine Realisierung der Besteuerung dadurch ein, dass der ausscheidende Gesellschafter seinen Anteil an ein anderes Familienmitglied verschenkt (denn insoweit kommt der 30%-Abschlag ja zur Anwendung), dieser Erwerber (Erbe) ist aber wieder an die gleichen Regelungen gebunden. Scheidet der Erwerber später aus und wachsen seine Anteile bei den übrigen Gesellschaftern an, so wird die Rechtsfolge von § 7 Abs. 7 ErbStG in diesem Zeitpunkt ausgelöst. Auch Crezelius23 spricht davon, dass der Vorteil für den Erben mit potentiellen Nachteilen auf Seiten der verbleibenden Gesellschafter erkauft werde. Um auch für das Kriterium der Abfindungsbeschränkung ein Zwischenfazit zu ziehen: Wie wir dargelegt haben, lässt auch die Ausgestaltung der Abfindungsbeschränkung die langjährige geübte Praxis völlig außer Acht mit der Folge, dass sie in der Praxis nicht eingehalten werden kann, ohne dadurch empfindliche Nachteile zu verursachen. Zudem halten wir es bei diesem Kriterium für besonders unwahrscheinlich, dass es bereits Unternehmen mit Gesellschaftsvertrags- oder Satzungsregelungen gibt, die eine Nutzung des Vorwegabschlages zum heutigen Zeitpunkt erlauben würden.

IV. Die Einhaltung von Nebenbedingungen 1. Übereinstimmung mit den tatsächlichen Verhältnissen, § 13a Abs. 9 Satz 1 Halbs. 1 ErbStG Die Bestimmungen des Gesellschaftsvertrages bzw. der Satzung müssen den tatsächlichen Verhältnissen entsprechen. Es muss also (ständig) überprüft werden, ob die Regelungen aus den Nr. 1–3 des § 13a Abs. 9 ErbStG auch eingehalten werden. Für welchen Zeitraum diese Überprüfung gilt, ist nicht ganz klar, denkbar wäre jedoch, dass dies für den kompletten Zeitraum „zwei Jahre zurück und 20 Jahre in die Zu23 Benz/Blumenberg/Crezelius, Erbschaftsteuerreform 2016, 114.

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Begünstigung von Familienunternehmen in § 13a Abs. 9 ErbStG

kunft“ gilt. Für diesen Zeitraum hat schließlich auch die gesellschaftsvertragliche Regelung zu bestehen. Dies lässt umfangreiche Dokumentationspflichten notwendig erscheinen, ggf. auch bei Fällen, bei denen an Erbschaftsteuer nicht direkt gedacht wird. Scheidet also z.B. ein Gesellschafter aus und erhält er nach Vertrag eine Abfindung von 70 % des gemeinen Wertes, so ist darauf zu achten, dass es keine „Nebenabreden“ gibt. Es muss darauf geachtet werden, dass kein absichtliches oder unabsichtliches „Abfindungspaket“ geschnürt wird, das sich im Nachhinein als kritisch erweist. Denkbar wäre etwa, dass ein Gesellschafter gemäß der genannten Regelung ausscheidet, aber vereinbart wird, dass er in einer Immobilie der Gesellschaft oder eines verbleibenden Gesellschafters noch für ein Jahr kostenfrei wohnen darf. Wäre das eine zusätzliche Abfindung bzw. bei der Ermittlung des Abschlages zu berücksichtigen? Was passiert bei nachträglich erkannten Entnahmen oder verdeckten Gewinnausschüttungen? Kann hier (ausnahmsweise) eine Rückzahlung den Verstoß heilen? Sollte sich tatsächlich ein Verstoß ergeben haben stellt sich die Frage, ob die Begünstigung nur anteilig versagt bzw. zurückgenommen wird oder die gesellschaftsvertragliche Regelung dann insgesamt als nicht tatsächlich gelebt gilt mit der Folge, dass der Vorwegabschlag komplett versagt wird. U. E. ist die gesetzliche Anforderung eher darauf bezogen, dass darauf geachtet werden muss, dass die vereinbarten Regelungen auch eingehalten werden: beschränkt der Gesellschaftsvertrag die Ausschüttungen auf 37,5 % (des verfügbaren Betrages), werden aber trotzdem 50 % Ausschüttung beschlossen, wäre sicher nicht von einer Übereinstimmung auszugehen. Dies wird in der Regel nicht absichtlich geschehen – denkbar wäre eher, dass die Gesellschafter beim Ausschüttungsbeschluss nach einigen Jahren die handelsrechtliche Sicht wieder mehr in den Fokus rücken und die steuerliche aus den Augen verlieren. Es ist offensichtlich äußerst wichtig, ein Prozedere für die Überwachung der Einhaltung der gesellschaftsvertraglichen Regelung zu installieren und dessen Einhaltung für die komplette Nachlaufperiode sicherzustellen. 2. Fristen und Wirkung eines Wegfalls für die Vergangenheit An die Einhaltung der Kriterien für den Vorwegabschlag muss sehr lange gedacht werden, da die zeitlichen Anwendungsvoraussetzungen selbst in Generationen denkende Unternehmerfamilien überfordern könnten: Die Voraussetzungen des §  13a Abs. 9 Nr. 1–3 ErbStG sind zwei Jahre vor und 20 Jahre nach dem Zeitpunkt der Entstehung der Steuer einzuhalten, § 13a Abs. 9 Satz 5 ErbStG. Der Gesellschaftsvertrag muss also Regelungen zu Ausschüttungs-, Verfügungs- und Abfindungsbeschränkungen enthalten, die den gesetzlichen Anforderungen entsprechen. Man mag überhaupt nicht daran denken, was passiert, wenn der Gesetzestext geändert wird und sei es nur „klarstellend“ oder „präzisierend“, was bei einem Überwachungszeitraum von 22 Jahren ja nicht ausgeschlossen werden kann. Es erinnert an die Diskussion um den dynamischen Verweis auf § 302 AktG, wie er nun in § 17 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 KStG besteht. Ein dynamischer Verweis im Gesellschaftsvertrag auf das ErbStG wäre die Folge, uns erscheint allerdings fraglich, ob das rechtlich möglich und tatsächlich umsetzbar ist. 537

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Der bei der ursprünglichen Entwurfsfassung des Reformgesetzes enthaltene 30-Jahre-Zeitraum war zwar noch länger, dem lag aber der Gedanke eines Generationenwechsels zugrunde24. Aufgrund der Tatsache, dass in großen Familienunternehmen, die über Generationen bestehen, der Gesellschafterkreis immer größer und weiter verzweigt wird, gibt es laufend erbschaftsteuerliche Erwerbe und aus einer Nachlauffrist von 20 Jahren für den ersten Erwerb wird eine unendliche für alle nachfolgenden Generationen. Crezelius25 hat auf die ordnungspolitische Schwäche dieser Frist hingewiesen und darauf, dass sie unternehmerischen Verkrustungen Vorschub leisten würde. Dies ist in zweierlei Hinsicht korrekt: Sie verhindert, dass (1) sich eine Familie auf veränderte Gegebenheiten einlässt. Dies könnte das Aussterben eines Familienstamms ebenso sein wie eine Trennung von Geschäftsfeldern und Familienstämmen. Sie kann aber (2) andererseits auch verhindern, dass operativ notwendige Veränderungen erfolgen. Beispielhaft sei erwähnt, dass die Veräußerung von Wirtschaftsgütern eines Personenunternehmens innerhalb der Behaltensfrist als Verstoß angesehen wird, § 13a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 ErbStG, der durch eine Reinvestition zwar geheilt werden kann, § 13a Abs. 6 Satz 3 und 4 ErbStG26. Hierzu muss der Veräußerungserlös allerdings innerhalb der begünstigten Vermögensart verbleiben und innerhalb von sechs Monaten wieder angelegt sein. Bei einer Personengesellschaft könnte dies trotzdem ertragsteuerlich eine (steuerpflichtige) Entnahme mit anschließender Wiedereinlage darstellen. Zumindest ist bei derartigen Vorgängen eine sehr sorgfältige Planung erforderlich. Eine schädliche Entnahme könnte auch vorliegen, wenn z.B. einzelne Gesellschaften zur Schaffung einer Business-Unit-Struktur verlagert werden sollen. Solange dies unterhalb der Obergesellschaft passiert, ist der Fall irrelevant, aber schon die Verlagerung auf eine beteiligungsidentische Schwestergesellschaft ist kritisch, von der Aufnahme von Neu-Gesellschaftern durch Kapitalerhöhung ganz abgesehen. Dies könnte nämlich stets als schädliche Verfügung angesehen werden27. Nicht befassen wollen wir uns mit dem Fall einer Veräußerung der erworbenen Beteiligung nach Ablauf der Behaltensfrist von 5 bzw. 7 Jahren oder gar Fragen einer Nachsteuer28, da wir vom Fortbestand des Familienunternehmens in der Zukunft ausgehen. Dass der koordinierte Ländererlass noch explizit darauf hinweist, dass der Vorwegabschlag auch dann wegfällt, wenn die Änderungen an den Kriterien vorgenommen werden, wenn der Erwerber nicht mehr Gesellschafter ist, Absch. 13a.19 Abs. 6 Satz 3 koord. LE, hat schon etwas von „Bohren in einer offenen Wunde“.

24 Kraft/Hentschel/Apler, Ubg 2017, 334 mit weiteren Nennungen. 25 A.a.O., 544. 26 § 13a Abs. 6 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Sätze 3 und 4 ErbStG. 27 S. hierzu Diskussion bei Wachter, DB 2017, 806. 28 Vgl. Wachter, DB 2017, 806: wer schuldet die Nachsteuer?

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V. Fazit Auch wenn der Gesetzgeber29 der Meinung ist, mit den Kriterien für die Gewährung des Vorwegabschlags die in typischen Familienunternehmen sowieso bestehenden gesellschaftsrechtlichen Beschränkungen charakterisiert zu haben, so bezieht er sich damit jedenfalls weder auf die Regelungen, die heute in Gesellschaftsverträgen üblich sind, noch berücksichtigt er in ausreichender Weise, dass ein Unternehmen sich auch weiterhin „bewegen“ und weiterentwickeln können muss. Dies ist umso enttäuschender, als die vom Gesetzgeber angegebenen Gründe für den Verschonungsabschlag u. E. richtig und nachvollziehbar sind. Gerade vor dem Hintergrund der Gefahren eines späteren Verstoßes kommt die Vermutung auf, die gefundene Regelung soll gar keine echte Verschonung ermöglichen. Das legt den Gedanken nahe, die Verschonungsregelungen dann wenigstens zur Steuerstundung30 zu nutzen: Diese wäre zinslos und hält verschiedene Möglichkeiten offen: Es könnte sich lohnen, den Gesellschaftsvertrag anzupassen und die Spielregeln einzuhalten, solange die Gegebenheiten dafür sprechen. Ein später eintretender Verstoß würde dann die Möglichkeit bieten, z.B. eine andere Option auszuüben, etwa eine Optionsverschonung nach § 13c ErbStG. Die konkrete Ausgestaltung der Regelung ist kompliziert, und es kann u. E. selbst einem auf Langfristigkeit, Unabhängigkeit und Familienzusammenhalt angelegten Familienunternehmen nicht empfohlen werden, den Gesellschaftsvertrag an die Vorgaben des Gesetzes anzupassen, da die Bedingungen realistischer Weise über den erforderlichen Zeitraum von 22 Jahren kaum erfüllt werden können. Dass sie auch nur ein einziges Unternehmen heute schon erfüllt, bezweifeln wir sehr, schon gar nicht ein seit Generationen bestehendes historisch gewachsenes Familienunternehmen. Die großen deutschen Familienunternehmen sind ohnehin die Verlierer des aus dem Urteil des BVerfG vom 17.12.2014 hervorgegangenen Erbschaftsteueranpassungsgesetzes31.

29 Siehe Begründung zum Gesetzentwurf zu § 13a Abs. 9 ErbStG, BT-Drucks. 18/5923 vom 7.9.2015, 22. 30 Auch angesprochen bei Watrin/Linnemann, 469 mit dem Hinweis, dass bei Änderungen zeitnah eine Mitteilung an die Finanzverwaltung erfolgen muss. 31 So bereits Fechner in einer ersten Einschätzung des Urteils des BVerfG vom 17.12.2014 in einem Sonderheft des Audit Committee Quarterly zur Erbschaftsteuer, Stand: 30.1.2015, 11.

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Sonderbetriebsvermögen und erbschaftsteuerlicher Verschonungsabschlag – ein schwieriges Verhältnis Inhaltsübersicht

I. Einführung

II. Mitunternehmeranteil und erbschaftsteuerliches Stichtagsprinzip 1. Ertragsteuerliche Vorgaben a) Mitunternehmeranteil als Über­ tragungssubstrat zur Buchwert­ fortführung im Ertragsteuerrecht b) Grenzen der Gesamtplanrecht­ sprechung 2. Erbschaftsteuerliche Beurteilung 3. Nießbrauch am Sonderbetriebs­ vermögen III. Sonderbetriebsvermögen und ­Verwaltungsvermögen 1. Begünstigtes vs. nicht begünstigtes Vermögen 2. Übergang der Rechtsstellung auf den Erwerber 3. GmbH-Anteile als Sonderbetriebs­ vermögen



4. Finanzmittel – insbesondere Gesellschafterdarlehen a) Gesellschafterbezogene Betrachtungsweise b) Auswirkungen der gesellschafter­ bezogenen Betrachtung bei Finanzmitteln

IV. Nachsteuer und Sonderbetriebs­ vermögen 1. Vermögensbindungsmodell 2. Sonderbetriebsvermögen und ­anschließende Ausgliederung

V. Vorababschlag 1. Zweck der Regelung 2. Vorababschlag auch auf Sonder­ betriebsvermögen?

VI. Zusammenfassung

I. Einführung Die Erbschaftsteuer knüpft an zivilrechtliche Erwerbsvorgänge an1. Ist dies bei der Erbschaftsteuer im technischen Sinne der unentgeltliche Erwerb von Todes wegen (§  3 Abs.  1 ErbStG), erfasst der Grundtatbestand der Schenkungsteuer iS.  des §  7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG die freigebige Zuwendung, die größtenteils Schenkungen iS. der §§  516  ff. BGB zum Inhalt hat2. Die Anknüpfung an die zivilrechtlichen Erwerbs­ vorgänge ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass die Erbschaftsteuer als Be­ reicherungssteuer nur dasjenige erfasst, welches der Erwerber aufgrund des Er­ werbstatbestandes erhält3. Die Bindung an das Zivilrecht erfasst nicht allein den Erwerbstatbestand, sondern weitergehend auch Bestand und Umfang des erworbenen Vermögens, indem nur derjenige Gegenstand, welcher unentgeltlich erworben 1 Statt aller Crezelius, Erbschaft- und Schenkungsteuer in zivilrechtlicher Sicht, 1979, 30 ff. 2 Meincke, 16. Aufl. 2012, § 7 ErbStG Rz. 30 f. 3 BVerfG v. 7.11.2006 – 1 BvL 10/02, BStBl. II 2007, 192, GmbHR 2007, 320, FamRZ 2007, 340, FR 2007, 338; Fumi in v. Oertzen/Loose, § 10 ErbStG Rz. 3.

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ist, in die Ermittlung der steuerpflichtigen Bereicherung gem. §§ 10 ff. ErbStG einfließt. Die bekannte Konstellation der mittelbaren Grundstücksschenkung4 ist hiervon nur eine scheinbare Ausnahme, da zwar Entreicherungs- bzw. Bereicherungsgegenstand nicht identisch sind, es sich letztlich aber nur um einen abgekürzten Leistungsweg handelt. Denn der Schenker hätte den vom Beschenkten mit Hilfe des zugewandten Geldbetrages erworbenen Grundbesitz auch selbst erwerben und anschließend dem Beschenkten unentgeltlich zuwenden können. Diese Bindung an das Zivilrecht wird im Bereich der Steuerbefreiungen nicht mehr in der dargestellten Stringenz durchgehalten. Der dem Steuerrecht fernstehende Leser des ErbStG trifft im Bereich der Betriebsvermögensverschonung erstmals auf Begrifflichkeiten, die ihm aus dem Studium des bürgerlichen Rechts unbekannt sind und dem Ertragsteuerrecht entstammen. So ist nach § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG der Mitunternehmeranteil von der Betriebsvermögensverschonung erfasst. Dieser umfasst sowohl den Gesellschaftsanteil an der Personengesellschaft als auch solche Wirtschaftsgüter, die der Personengesellschafter der Gesellschaft zur Nutzung überlässt oder die in sonstiger Weise der Beteiligung dienlich sind (§ 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG)5. Das ErbStG zeigt daher eine widersprüchliche Struktur: Der Erwerbstatbestand wird allein nach zivilrechtlichen Kriterien beurteilt, während die Frage, ob und in welcher Weise die auf zivilrechtlichem Wege erworbenen Vermögensgegenstände begünstigt sind, in Anlehnung an das Ertragsteuerrecht beantwortet wird. Dies hat zur Folge, dass Vermögensgegenstände, die zivilrechtlich nicht Bestandteil einer Gesellschaftsbeteiligung sind, ertragsteuerlich und damit erbschaftsteuerlich so behandelt werden, als seien sie steuerlich zu einer Einheit verbunden. Gleichwohl ist diese Konzeption nicht schlechthin zu kritisieren. Mag man auch darüber streiten, ob bereits ertragsteuerlich die Figur des Mitunternehmeranteils ihre Rechtfertigung im Steuersystem findet6, ist doch zumindest die gewerbesteuerliche Motivation für die Einbeziehung auch zur Nutzung überlassener Wirtschaftsgüter durch die Anrechnung der Gewerbesteuer gem. § 35 EStG seit dem Unternehmenssteuerreformgesetz (UntStRefG) 20087 entfallen, liegt es nahe, die wechselseitigen Verschonungssysteme aufeinander abzustimmen. Besteht dieses im Ertragsteuerrecht in der Buchwertfortführung gem. § 6 Abs. 3 EStG, erscheint es sinnvoll, auch auf der erbschaftsteuerlichen Ebene die gleichen Begrifflichkeiten zu verwenden8. Wie noch zu zeigen sein wird, ist das Modell auch „rund“, wenn man es bei dem allgemeinen Satz bewenden lässt, dass der ertragsteuerliche Mitunternehmeranteil auch erbschaftsteuerlich verschonungsfähig ist.

4 BFH v. 21.5.2001 – II R 10/99, DStRE 2001, 986; BFH v. 5.10.2005 – II R 48/03, BFH/NV 2006, 302; s. auch RE 7.3 Abs. 1 Satz 1 ErbStR 2011. 5 BFH v. 27.6.2006 – VIII R 31/04, BStBl. II 2006, 874, FR 2007, 26 m. Anm. Kempermann, GmbHR 2006, 1217 m. Anm. Bitz; Reiß in Kirchhof, 16. Aufl. 2017, § 15 EStG Rz. 327. 6 Crezelius, Steuerliche Rechtsanwendung und allgemeine Rechtsordnung, 1983, 177 f. 7 Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 v. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. 8 So im Ergebnis A. 13a.1 AEErbSt 2017.

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Brüche ergeben sich jedoch daraus, dass die ertragsteuerliche Rspr.9 unter teilweise von der Auffassung der Finanzverwaltung10 abweichender Praxis den Mitunternehmeranteil ertragsteuerlich anders definiert, als dies erbschaftsteuerlich aufgrund des Stichtagsprinzips zwingend ist (dazu sogleich II.) und die erbschaftsteuerliche Figur des Verwaltungsvermögens iS. des § 13b Abs. 2, 4 ErbStG, insbesondere im Bereich der Finanzmittel zu unbefriedigenden Ergebnissen führt, wenn und soweit ein Sonderbetriebsvermögen überlassender Gesellschafter nicht zu 100 % am Vermögen der Personengesellschaft (Mitunternehmerschaft) beteiligt ist (dazu sogleich III.). Ferner ergeben sich Brüche im Bereich der Nachsteuertatbestände des § 13a Abs. 6 ErbStG, gehen diese doch bspw. bei der Beendigung der unternehmerischen Tätigkeit iaR. von einer Totalaufgabe aus, während rechtstatsächlich häufig durch Veränderung der Vermögenszuordnung im Bereich des Sonderbetriebsvermögens nur einzelne Ausschnitte des Übergabesubstrates ihre rechtliche Struktur verändern.

II. Mitunternehmeranteil und erbschaftsteuerliches Stichtagsprinzip 1. Ertragsteuerliche Vorgaben a) Mitunternehmeranteil als Übertragungssubstrat zur Buchwertfortführung im Ertragsteuerrecht Das A und O der Unternehmensnachfolge in einen Mitunternehmeranteil ist es, dass von den Beteiligten regelmäßig verfolgte Ziel der Fortführung der Buchwerte in der Person des Übernehmers zu erreichen. Dabei muss dem Übernehmer klar sein, dass er nicht nur den Mitunternehmeranteil, umfassend somit auch das Sonderbetriebsvermögen, sondern auch eine latente Steuerlast als „Hypothek“ übernimmt11. Denn die Versteuerung der stillen Reserven, die regelmäßig in der Person des Übergebers erwirtschaftet sind, trifft nunmehr im Falle der Realisierung ihn. Da die Übertragung des Mitunternehmeranteils mit keinem Liquiditätszufluss beim Übergeber verbunden ist, ist dieser i.d.R. nicht bereit, die durch Aufdeckung stiller Reserven entstehenden Steuerbelastung zu tragen. Die daher gem. § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG angestrebte Buchwertfortführung setzt voraus, dass der Übernehmer sämtliche in funktionaler Hinsicht wesentliche Betriebsgrundlagen übertragen erhält, die beim Rechtsvorgänger den Mitunternehmer(teil)anteil ausmachten12. Hierzu gehören auch diejenigen Betriebsgrundlagen, die im Sonderbetriebsvermögen des Mitunternehmers gehalten werden13. 9 Aktuell BFH v. 2.8.2012 – IV R 41/11, FR 2012, 1113 m. Anm. Kanzler, GmbHR 2012, 1260 m. Anm. Hoffmann, DB 2012, 2375; BFH v. 9.12.2014 – IV R 29/14, GmbHR 2015, 263 m. Anm. Schmidtmann, FR 2015, 457 m. Anm. Wendt, DStR 2015, 211; BFH v. 30.6.2016 – IV B 2/16, BFH/NV 2016, 1452. 10 BMF v. 3.3.2005, BStBl. I 2005, 458; BMF v. 12.9.2013, BStBl. I 2013, 1164. 11 BFH v. 6.5.2010 – IV R 52/08, BStBl. II 2011, 261, GmbHR 2010, 876, FR 2010, 941 m. Anm. Kempermann; Schindler in Kirchhof, 16. Aufl. 2017, § 6 EStG Rz. 193. 12 So die Forderung in BMF, BStBl. I 2005, 458, Rz. 4. 13 BFH v. 12.4.2000 – XI R 35/99, BStBl. II 2001, 26, FR 2001, 29, GmbHR 2001, 38 m. Anm. Bickenbach.

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Dem Bedürfnis der Beratungspraxis nach einer Versorgung des Übergebers aus den der Mitunternehmerschaft zur Nutzung überlassenen Wirtschaftsgüter des funktional wesentlichen Sonderbetriebsvermögens, insbesondere von Betriebsgrundstücken, wird dadurch Rechnung getragen, dass gem. § 6 Abs. 3 Satz 2 EStG auch die unterquotale Übertragung von Sonderbetriebsvermögen im Zusammenhang mit der Übertragung eines Mitunternehmerteilanteils die Buchwertfortführung nicht hindert, mithin keine Teilanteilsübertragung mit einer vertikalen Spaltung von Gesellschaftsanteilen und Sonderbetriebsvermögen erforderlich ist. Diese Regelung ist allerdings mit der Sperrfrist von fünf Jahren verbunden, welche in anderer, hier nicht zu erörternder Hinsicht Probleme bereitet14. Der umgekehrte Fall, der auf eine überquotale Übertragung des Sonderbetriebsvermögens bei Übertragung eines Mitunternehmerteilanteils gerichtet ist, unterliegt nach überzeugender Auffassung des BFH15 nicht §  6 Abs. 3 Satz 2 EStG, ist mithin nicht haltefristbelastet, sondern dem Regelstatut des § 6 Abs. 3 Satz 1 EStG. Dieses – in sich schlüssige und eine Unternehmensnachfolge als volkswirtschaftlich sinnvoll unterstützende – System ist in jüngster Zeit durch die Finanzverwaltung zu einem Unsicherheitsfaktor der Gestaltungsberatung geworden. Denn die Finanzverwaltung vertritt im Erlass v. 3.3.200516 die Auffassung, die Übertragung eines Mitunternehmeranteils und damit auch die Buchwertfortführung gem. § 6 Abs. 3 EStG setze bezüglich der Zuordnung der Vermögensgegenstände zum Mitunternehmeranteil voraus, dass auch solche Vermögensgegenstände, insbesondere, aber nicht ausschließlich, des Sonderbetriebsvermögens mit übertragen werden, die innerhalb zeitlichem und sachlichem Zusammenhang mit der Übertragung des Mitunternehmeranteils aus diesem entnommen oder zum Buchwert in ein anderes Betriebsvermögen überführt und übertragen worden (vgl. § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 EStG) sind. Die Finanzverwaltung bezieht sich dabei auf die sog. Gesamtplanrechtsprechung des BFH17, indem sie eine zeitpunktbezogene Betrachtung in eine zeitraumbezogene Beurteilung verändert, ohne die zeitlichen Grenzen der Betrachtung aufzuzeigen. Die hiermit verbundene Rechtsfolge ist die regelmäßig nicht gewünschte Aufdeckung aller stillen Reserven in den auf den Übernehmer übertragenen Wirtschaftsgütern. b) Grenzen der Gesamtplanrechtsprechung Diesem Verständnis der Gesamtplanrechtsprechung ist der IV. Senat des BFH18 wiederholt entgegengetreten. Nach seiner Auffassung scheidet die Aufdeckung der stillen Reserven in einem unentgeltlich übertragenen Mitunternehmeranteil auch dann aus, wenn ein funktional wesentliches Betriebsgrundstück des Sonderbetriebsvermögens 14 Genannt sei die Besteuerung des Gewinns beim Übergeber, der den Realisationstatbestand gar nicht ausgelöst hat. 15 Vgl. BFH v. 2.8.2012 – IV R 41/11, FR 2012, 1113 m. Anm. Kanzler, GmbHR 2012, 1260 m. Anm. Hoffmann, DB 2012, 2375 unter Rz. 23 ff. 16 BMF v. 3.3.2005, BStBl. I 2005, 458, Tz. 4 f. 17 Grundlegend BFH v. 31.8.1995 – VIII B 21/93, BStBl. II 1995, 890, FR 1995, 863. 18 BFH v. 2.8.2012 – IV R 41/11, FR 2012, 1113 m. Anm. Kanzler, GmbHR 2012, 1260 m. Anm. Hoffmann, DB 2012, 2375.

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vorher bzw. sogar zeitgleich zum Buchwert nach § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 EStG übertragen worden ist. Gleiches gilt für die Veräußerung einer wesentlichen Betriebsgrundlage im Zusammenhang mit einer zeitgleichen Übertragung des substantiell reduzierten Mitunternehmeranteils. Die Grundsätze dürften auch für die Entnahme einer wesentlichen Betriebsgrundlage in das Privatvermögen in zeitlichem Zusammenhang mit der Übertragung des Mitunternehmeranteils gelten. Der IV. Senat des BFH geht somit nicht von einer zeitpunkt-, sondern einer zeitraumbezogenen Betrachtung im Rahmen des §  6 Abs.  3 EStG aus. Selbst wenn bereits ­aufgrund eines vorgefassten Planes einzelne Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens das rechtliche und wirtschaftliche Schicksal des verbliebenen Mitunternehmeranteils nicht teilen, wird letzterer zwangsweise zum Buchwert auf den Übergeber übertragen. Der dogmatische Grund liegt darin begründet, dass es nach Auffassung des IV. Senates für die Übertragung unter Buchwertfortführung ausreichend ist, wenn der Erwerber eine funktionsfähige betriebliche Einheit erhält. Bei Manuskriptabgabe bestand aufgrund Andeutungen von Vertretern der Finanzverwaltung die Hoffnung, dass sich die Finanzverwaltung durch Aufgabe ihrer bisherigen Auffassung der Rspr. anschließt, oder die Befürchtung, dass sie den Gesetzgeber zu einer rechtsprechungsbrechenden Neufassung des § 6 Abs. 3 EStG veranlassen könnte. Somit ist festzuhalten, dass jedenfalls nach gefestigter Rspr. auch die unternehmerische Einheit des Mitunternehmeranteils zeitpunkt- und nicht zeitraumbezogen zu beurteilen ist. Maßgebend allein ist, ob im Zeitpunkt des Übergangs von Besitz, Nutzen, Lasten und damit jedenfalls des wirtschaftlichen Eigentums der Übernehmer in der Lage ist, eine unternehmerische Tätigkeit mit Hilfe der ihm übertragenen Unternehmenseinheit auszuüben. 2. Erbschaftsteuerliche Beurteilung Die Erbschaftsteuer ist eine sog. stichtagsbezogene Steuer, weil der Bestand, die Bewertung und die übrigen für die Steuerfestsetzung maßgeblichen Umstände am Stichtag der Entstehung der Steuer zu beurteilen sind (§§ 9, 11 ErbStG)19. Dabei ist der maßgebliche Stichtag i.d.R. auch derjenige des zivilrechtlichen Rechtserwerbes. Hiervon gelten Ausnahmen, die jedoch gesetzlich geregelt sind und wie etwa beim geltend gemachten Pflichtteil einen Grund haben, welcher darin besteht, die Steuerfestsetzung nicht wie bei Erbfällen allein vom erbrechtlichen Von-selbst-Erwerb abhängig zu machen, sondern den Beteiligten die Möglichkeit zu geben, den Erwerb zurückzuweisen. Das Stichtagsprinzip schlägt auf sämtliche Vorschriften des ErbStG durch und gilt daher auch für die Frage, ob und inwieweit die Anforderungen an die Betriebsvermögensverschonung bei Entlastung eines Mitunternehmeranteils gem. § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG erfüllt sind. Dabei darf aber die Bindung des ErbStG im Bereich der Steuerbefreiung an das EStG nicht außer Acht gelassen werden. Kommt es für die Frage, ob ein Mitunternehmeranteil Gegenstand des unentgeltlichen Rechtserwerbes ist, auf die einkommensteuerliche Beurteilung an, ohne dass dem ein Grundlagenbe19 Pahlke in Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 11 ErbStG Rz. 1.

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scheid zugrunde liegt, muss dies auch für die Frage gelten, ob ein solcher Mitunternehmeranteil auch dann vorliegt, wenn im zeitlichen Zusammenhang, aber eben vor dem Stichtag, einzelne funktional wesentliche Wirtschaftsgüter, insbesondere des Sonderbetriebsvermögens ausgegliedert oder ins Privatvermögen entnommen sind. Es besteht daher eine Konkordanz zwischen § 6 Abs. 3 EStG und § 13b Abs. 1 Nr. 2 ErbStG20. Diese Konkordanz lässt sich damit begründen, dass beide Rechtsnormen einen Ausnahmetatbestand in Form einer Steuerverschonung begründen, welcher an die Unternehmensfortführung gebunden ist. Beide Normen verfolgen das gleiche Regelungsziel, nämlich die Erleichterung der vorweggenommenen Erbfolge. Dieses Ziel würde ohne Not vereitelt, wenn die ertragsteuerliche Buchwertfortführung, nicht jedoch die Betriebsvermögensverschonung oder umgekehrt letztere ohne Buchwertfortführung gewährt würden. Das gesetzgeberische Konzept baut darauf auf, dass beide Steuern den Erwerbsvorgang vorbehaltlich im Gesetz selbst enthaltener Nachfristen steuerfrei stellen. Es ist der Merksatz aufzustellen, dass dasjenige, was unter die Buchwertfortführung fällt, auch von der Betriebsvermögensverschonung erfasst ist. Dem trägt die Finanzverwaltung selbst Rechnung, indem sie in A. 13b.5 Abs. 3 Satz 5, 6 AEErbSt 2017 die Verschonung selbst dann gewährt, wenn der Schenker im Vergleich zum Gesellschaftsanteil sein Sonderbetriebsvermögen in geringerem Umfang überträgt, es insgesamt zurückbehält und das zurückbehaltene Sonderbetriebsvermögen weiterhin Betriebsvermögen derselben Personengesellschaft bleibt. Gleiches gilt auch dann, wenn das Sonderbetriebsvermögen in größerem Umfang übertragen wird. Dem ist uneingeschränkt zuzustimmen. Nicht überzeugend ist jedoch die in A.  13b.5 Abs.  3 Satz  7, 8 AEErbSt 2017 enthaltene Auffassung, wonach andere Teilübertragungen nicht begünstigt sind und dies insbesondere dann gelten soll, wenn der Schenker wesentliche Betriebsgrundlagen zurückbehält oder auf andere Erwerber überträgt. Dies ist wohl mit aller Vorsicht so zu verstehen, dass bei einer zeitnahen Ausgliederung einzelner Wirtschaftsgüter auf einen Rechtsträger, welcher nicht Gegenstand der anschließenden, zur Begünstigung vorgesehenen Übertragung ist, die Verschonung nicht gewährt wird. Diese Auffassung verstößt gegen den Begünstigungsgedanken der Betriebsvermögensverschonung, wonach die Verschonung an die Fortführung einer unternehmerischen Einheit in der Person des Übernehmers gebunden ist. Eine solche ist in Übereinstimmung der Rspr. zu § 6 Abs. 3 EStG bereits dann anzunehmen, wenn die Summe der übertragenen Wirtschaftsgüter ein eigenes Wirtschaften des Übernehmers ermöglicht. Es bleibt abzuwarten, ob eine veränderte ertragsteuerliche Sicht der Finanzverwaltung zu § 6 Abs. 3 EStG auch auf das ErbStG durchschlägt. Dies ist zwingend geboten. Schon derzeit lässt sich im Rahmen der Abwehrberatung unter Hinweis auf die ertragsteuerliche Rspr. argumentieren, aus dieser ergebe sich bereits, dass Übergabesubstrat allein ein funktionsfähiger Mitunternehmeranteil sei, dessen Bestand zeitpunkt- und damit nicht zeitraumbezogen zu ermitteln sei. Es gibt aber noch weitere Argumente: Zum einen sei an das erbschaftsteuerliche Stichtagsprinzip erinnert. Dieses weicht insofern von der ertragsteuerlichen Beurtei20 Wachter in Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 13b ErbStG Rz. 7c.

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lung ab, als der Bestand des unentgeltlichen Erwerbes und damit auch die Entlastung desselbigen allein nach den Verhältnissen am Stichtag der Entstehung der Steuer zu berücksichtigen ist. Einer zeitraumbezogenen Betrachtung gibt das strenge Stichtagsprinzip keinen Raum. Eine gesetzlich angeordnete Ausnahme gibt es im Rahmen der Betriebsvermögensverschonung nicht. Hinzu kommt, dass das Gesetz selbst in § 13a Abs. 6 ErbStG Nachsteuertatbestände für den Fall anordnet, dass sich der Bestand des übertragenen begünstigten Vermögens durch Veräußerung des Mitunternehmeranteils bzw. funktional wesentlicher Betriebsgrundlagen nach Vollendung des Erwerbs reduziert. Ist die Veräußerung bzw. Entnahme nach dem Stichtag schädlich, liegt der Schluss nahe, dass die Veränderung des Bestandes vor dem Stichtag ohne erbschaftsteuerliche Auswirkung auf die Gewährung der Verschonung ist. In den Verschonungsabschlag ist somit nur solches Sonderbetriebsvermögen einzubeziehen, welches am Stichtag des unentgeltlichen Erwerbes der Beteiligung an der Personengesellschaft diente und auf den Erwerber übergegangen ist. Wird zeitnah oder zeitgleich Sonderbetriebsvermögen nicht mitübertragen, sondern ins Privatvermögen im Falle einer lebzeitigen Zuwendung oder in das Vermögen eines Dritten übertragen (Todesfall), steht dies der Verschonung des reduzierten Mitunternehmer­ anteils nicht entgegen, wenn der auf den Übernehmer übergegangene Bestand an anteiligen Wirtschaftsgütern der Mitunternehmerschaft noch ausreicht, in dieser eine gewerbliche Tätigkeit iS. der §§ 15, 18 EStG auszuüben. 3. Nießbrauch am Sonderbetriebsvermögen Anknüpfend an das vorstehend dargestellte sog. Ausgliederungsmodell ist ein denkbarer Gestaltungsweg die Übertragung des gesamten Mitunternehmeranteils, also unter Einschluss des Sonderbetriebsvermögens, jedoch unter Vorbehalt des Nießbrauchs an dem selbigen. Dieses besteht regelmäßig in einem Betriebsgrundstück. Der Nießbrauch ist kein Entgelt für die Vermögensübertragung21. Er steht damit der Buchwertfortführung nach § 6 Abs. 3 EStG nicht entgegen22. Da jüngere BFH-Entscheidungen fehlen und sich die Finanzverwaltung zur Frage, ob das Nießbrauchsrecht an einem einzelnen Gegenstand den Weg in den § 6 Abs. 3 EStG versperrt, nicht eindeutig positioniert hat23, ist eine gewisse Vorsicht seitens der Beratungspraxis angesagt. Gleichwohl ist festzuhalten, dass jedenfalls bei sachgerechter Ausgestaltung des Nießbrauchs am Mitunternehmeranteil des Erwerbers dies der Anwendung des § 6 Abs. 3 EStG nicht entgegensteht. Hieran vermag auch die recht restriktive Rspr. des II. Senates des BFH24 nichts zu ändern, da diese Entscheidungen atypische Sach-

21 BFH v. 24.4.1991 – XI R 5/83, BStBl. II 1991, 793, FR 1991, 596; BMF v. 30.9.2013, BStBl. I 2013, 1184 Rz. 40, jedenfalls für Sachgesamtheiten. 22 FG Münster v. 24.6.2014 – 3 K 3886/12 F, EFG 2014, 1951; Az. des BFH: IV R 38/14. 23 Offengelassen im BMF-Schreiben v. 3.3.2005, BStBl. I 2005, 458. 24 BFH v. 10.12.2008 – II R 34/07, BStBl. II 2009, 312, FR 2009, 677, FamRZ 2009, 696, GmbHR 2009, 386, NotBZ 2009, 146; BFH v. 4.5.2016 – II R 18/15, GmbHR 2016, 1174, BFH/NV

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verhalte betrafen, in denen die dem Übernehmer zwingend gesellschaftsrechtlich zustehenden Stimmrechte aufgrund rechtsgeschäftlicher Vereinbarung (Auftragsverhältnis mit Vollmacht) dem Nießbraucher zustanden. Der II. Senat des BFH betont in dem Zusammenhang jedoch, dass außerhalb dieser Sachverhalte der Übernehmer Mitunternehmer im ertragsteuerlichen Sinne wird, so dass die Buchwertfortführung eröffnet ist. Ist dies bereits bei einer Übertragung des gesamten Mitunternehmeranteils unter dem Vorbehalt des Nießbrauchs der Fall, muss dies erst recht gelten, wenn das Nießbrauchsrecht nicht am Gesellschaftsanteil, sondern allenfalls an einem funktional wesentlichen Wirtschaftsgut des Sonderbetriebsvermögens besteht. Der Einwand, aufgrund dessen werde das mit dem Nießbrauch belastete Wirtschaftsgut des Sonderbetriebsvermögens entnommen, überzeugt nicht. So besteht der funktionale Nutzungszusammenhang fort, da das Wirtschaftsgut unverändert der Personengesellschaft zur Nutzung überlassen wird. Soweit es sich um die Entnahme des Nutzungsrechtes handelt, sei auf die Ausführungen zur Ausgliederung verwiesen. Ist schon die Übertragung des Eigentums an einem Wirtschaftsgut auf eine Personengesellschaft, an welcher der Ausgliedernde beteiligt ist, nicht geeignet, die Übertragung des Mitunternehmeranteils zu Buchwert infrage zu stellen, gilt dies erst recht, wenn nur ein einzelnes Wirtschaftsgut, und von diesem auch nur abgespalten das Nießbrauchsrecht in der Person des Übergebers verbleibt. Erbschaftsteuerlich gilt aufgrund der Bindung an das Ertragsteuerrecht gleiches. Der zurückbehaltene Nießbrauch am Sonderbetriebsvermögen hindert die Anwendung der Verschonungsregeln nicht. Beschränkt sich der Nießbrauch jedoch auf ein einzelnes Wirtschaftsgut, wird bzw. bleibt der Übertragende nicht mehr Mitunternehmer, so dass dann allerdings bei einem späteren Verzicht auf das Nießbrauchsrecht kein begünstigungsfähiges Betriebsvermögen mehr auf den Übernehmer übergeht.

III. Sonderbetriebsvermögen und Verwaltungsvermögen 1. Begünstigtes vs. nicht begünstigtes Vermögen Nach § 13b Abs. 2 ErbStG ist das begünstigungsfähige Vermögen iS. des § 13b Abs. 1 ErbStG begünstigt, „soweit sein gemeiner Wert den um das unschädliche Verwaltungsvermögen iS. des Abs. 7 gekürzten Nettowert des Verwaltungsvermögens iS. des Abs. 6 übersteigt (begünstigtes Vermögen)“. Diese komplizierte und auch von Fachleuten nur schwer zu verstehende Vorschrift hat im Ergebnis zum Inhalt, dass negativ das nicht begünstigte Vermögen aus dem begünstigungsfähigen Vermögen auszuscheiden ist. Der Verschonungsabschlag ist lediglich auf das begünstigte Vermögen anzuwenden. Nicht begünstigtes Vermögen ist das um den unschädlichen Teil gekürzte Verwaltungsvermögen25.

2016, 1565; BFH v. 6.5.2015 – II R 34/13, BStBl. II 2015, 821, GmbHR 2015, 1001 m. Anm. Wachter, FR 2016, 146. 25 Krit. zum System der Abgrenzung S. Viskorf/Löcherbach/Jehle, DStR 2016, 2425.

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Zum Verwaltungsvermögen gehören gem. § 13b Abs. 4 Nr. 1 ErbStG u.a. Dritten zur Nutzung überlassene Grundstücke etc. Dabei ist eine Nutzungsüberlassung nicht anzunehmen, wenn der Erblasser oder Schenker als Gesellschafter einer Gesellschaft iS. des § 15 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 EStG den Vermögensgegenstand der Gesellschaft zur Nutzung überlassen hatte. Damit ist das Problem umschrieben. Abweichend vom allgemeinen Grundsatz, wonach Dritten zur Nutzung überlassene Grundstücke Verwaltungsvermögen sind, gilt dies nicht, wenn es sich bei den fraglichen Grundstücken um sog. Sonderbetriebsvermögen handelt. Ob die Mitunternehmerschaft gewerblich tätig oder gewerblich geprägt ist, ist in diesem Zusammenhang ohne Bedeutung. Hintergrund dieser auf den ersten Blick überraschenden, weil allein den Grundbesitz privilegierenden Einordnung als Sonderbetriebsvermögen ist, dass dieser Grundbesitz iaR. zur Betriebsfortführung notwendig ist. Darin unterscheidet sich der Grundbesitz nach Auffassung des Gesetzgebers von anderen Wirtschaftsgütern, die Verwaltungsvermögen sind, obwohl sie steuerliches Sonderbetriebsvermögen sind. Dabei ergeben sich in gewissen Sonderfällen Abgrenzungsprobleme26. Handelt es sich um ein Grundstück, welches nicht notwendiges, sondern nur gewillkürtes Sonderbetriebsvermögen des überlassenden Erblassers bzw. Schenkers an der Personengesellschaft ist, ist fraglich, ob auch dieses Grundstück vom Verschonungsabschlag erfasst ist. Nach dem Wortlaut besteht kein Zweifel. Gleichwohl ist zu berücksichtigen, dass es sich in diesen Fällen um Grundstücke handelt, die für die ­Betriebsfortführung nicht unbedingt erforderlich sind, so dass sie nach der Zwecksetzung des Gesetzgebers durchaus auch als nicht begünstigtes Vermögen eingeordnet werden könnten. Andererseits ist festzuhalten, dass der Gesetzgeber – wohl aus nachvollziehbaren Gründen – nicht von notwendigem bzw. gewillkürtem Sonderbetriebsvermögen, sondern nur von Sonderbetriebsvermögen schlechthin spricht. Eine Differenzierung ist gerade nicht gewollt und in der Praxis auch schwierig. So könnte sich bspw. durch kurzfristige Veränderungen in den Nutzungsverhältnissen eine überraschende erbschaftsteuerliche Wende ergeben. Wird bspw. ein Vorratsgrundstück, auf welches die Gesellschaft Zugriff hat, als Bestandteil des Mitunternehmeranteils unentgeltlich übertragen, könnte es darauf ankommen, ob und in welcher Weise die geplante Nutzung vorangeschritten ist. Denn auf diesem Wege ändert sich die Qualifikation des Sonderbetriebsvermögens in der Weise, dass bei einer konkret geplanten Nutzung das Grundstück notwendiges Sonderbetriebsvermögen ist, während bei einer nur vorsorglichen Nutzungsvereinbarung zwischen Personengesellschaft und Gesellschafter das Grundstück noch als gewillkürtes Betriebsvermögen einzuordnen ist. Diese Abgrenzungsproblematik, aber in erster Linie der Gesetzeswortlaut, lässt den Schluss zu, dass auch gewillkürtes Sonderbetriebsvermögen in Form von Grundbesitz in den Verschonungsabschlag über den Mitunternehmeranteil als begünstigungsfähiges Vermögen einzubeziehen ist. Erfolgt die Nutzungsüberlassung eines Grundstücks nicht an die Gesellschaft, an welcher der Schenker/Erblasser beteiligt ist, jedoch an deren Tochtergesellschaft in der Rechtsform einer Personengesellschaft, handelt es sich ertragsteuerlich um eine sog. 26 Geck in Kapp/Ebeling, § 13b ErbStG Rz. 89.

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doppelstöckige Personengesellschaft. Das Grundstück ist ertragsteuerlich Sonderbetriebsvermögen bei der Tochtergesellschaft27. Auch besteht das Nutzungsverhältnis nicht im Verhältnis zur Obergesellschaft, sondern zur nachgelagerten Tochtergesellschaft. Da § 13b Abs. 4 Nr. 1 Satz 2 ErbStG fordert, dass der Vermögensgegenstand (Grundstück) der Gesellschaft zur Nutzung überlassen ist, deren Anteile begünstigt übertragen, lässt sich bei enger Gesetzesauslegung die Meinung vertreten, hiermit sei die Überlassung an die Ober- und nicht die Tochtergesellschaft gemeint. Dies würde dem Sinn und Zweck der Regelung zuwiderlaufen. Dem Rechtsgedanken des § 13b Abs. 4 Nr. 1 Satz 2 Buchst. c) ErbStG (Konzernklausel) ist zu entnehmen, dass es für die Einordnung als begünstigungsfähiges Sonderbetriebsvermögen bei mehrstufigen Personengesellschaftsbeteiligungen nicht darauf ankommt, auf welcher Stufe die Nutzungsüberlassung erfolgt, sondern allein darauf, dass in einer solchen eine Förderung des Gesellschaftszwecks der Obergesellschaft liegt. Daher ist die Ausnahmeregelung so auszulegen, dass auch Nutzungsüberlassungen als Sonderbetriebsvermögen auf unteren Ebenen von der Rückausnahme erfasst sind. Weiterer Problemfall ist die Nutzungsüberlassung an eine Oberpersonengesellschaft, die dieses Grundstück kraft Mietvertrages an eine Tochterpersonengesellschaft weiter überlässt. Die Einordnung als Sonderbetriebsvermögen ist in diesen Fällen regelmäßig nicht zweifelhaft28. Allerdings handelt es sich bei dem fraglichen Grundstück dann nicht um begünstigungsfähiges Sonderbetriebsvermögen, wenn der fragliche Grundbesitz an einen weiteren Dritten überlassen wird (vgl. § 13b Abs. 4 Nr. 1 Satz 2 Buchst. a) a.E. ErbStG). Diese Einschränkung des Ausnahmetatbestandes will sicherstellen, dass die Nutzungsüberlassung einer eigenen gewerblichen Tätigkeit des Nutzungsberechtigten (Personengesellschaft) dient. Kann die Obergesellschaft allein oder gemeinsam mit anderen Personen, mit denen sie rechtlich verbunden ist, ihren Willen jedoch in der Tochterpersonengesellschaft durchsetzen, ist es gerechtfertigt, in diesem Fall die nutzende Tochterpersonengesellschaft nicht als Dritten einzuordnen, sondern die Grundstücksüberlassung wie eine Nutzung durch die Obergesellschaft zu werten29. 2. Übergang der Rechtsstellung auf den Erwerber Der Ausschluss als Sonderbetriebsvermögen überlassener Grundstücke im Rahmen einer unentgeltlichen Nachfolge in den Mitunternehmeranteil als Verwaltungsvermögen setzt voraus, dass die mit der Nutzungsüberlassung verbundene Rechtsstellung auf den Erwerber übergegangen ist. Dies bedeutet, dass der Erwerber neben dem Grundbesitz auch den Anteil des Erblassers/Schenkers an der entsprechenden Mitunternehmerschaft infolge des Erwerbes ganz oder teilweise erwerben muss. Das Sonderbetriebsvermögen ist daher nur Annex des Gesellschaftsanteils, so dass das Grundstück nur dann kein Verwaltungsvermögen ist, wenn jedenfalls ein noch so 27 BFH v. 7.12.2000  – III R 35/98, BStBl.  II 2001, 316, FR 2001, 488, GmbHR 2001, 358; Schmidt/Wacker, 36. Aufl. 2017, § 15 EStG Rz. 616; R 15.8 (2) EStR 2012. 28 Das Grundstück dient betrieblichen Zwecken der Obergesellschaft. 29 So zu Recht Stalleiken in v. Oertzen/Loose, § 13b ErbStG Rz. 116.

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geringfügiger Anteil an der Personengesellschaft ebenfalls Gegenstand der Übertragung ist30. 3. GmbH-Anteile als Sonderbetriebsvermögen Beträgt die unmittelbare Beteiligung eines Personengesellschafters an einer begünstigungsfähigen Kapitalgesellschaft nicht mehr als 25  % und besteht auch keine sog. Poolvereinbarung, handelt es sich bei der Beteiligung um Verwaltungsvermögen; vgl. § 13b Abs. 4 Nr. 2 ErbStG. Fraglich ist, ob dies auch dann gilt, wenn der Inhaber des Sonderbetriebsvermögens die Beteiligung nicht unmittelbar, sondern über eine Gesamthandsgemeinschaft, etwa eine Erbengemeinschaft oder Gesellschaft bürgerlichen Rechts hält. Ist diese Frage zu verneinen, hätte dies zur Folge, dass auch mittelbar gehaltene Beteiligungen unterhalb des vorgenannten Beteiligungsumfangs kein Verwaltungsvermögen wären, weil die Einordnung als Verwaltungsvermögen gerade die unmittelbare Beteiligung voraussetzen soll. Der BFH31 vertritt in st. Rspr. zu § 13b Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 ErbStG die Auffassung, die vom Gesetz geforderte unmittelbare Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft erfordere die zivilrechtliche Gesellschafterstellung des Personengesellschafters an der Kapitalgesellschaft. Man mag Zweifel haben, ob diese Auffassung stets zutreffend ist, können sich durch ungünstige Konstellationen, wie etwa Erbfälle mittelbare Beteiligungen ergeben, die ohne einen sachlich vertretbaren Grund die Betriebsvermögensverschonung ausschließen, da es an begünstigungsfähigem Vermögen fehlt. Bringt §  13b Abs. 1 Nr. 3 Satz 1 ErbStG jedoch zum Ausdruck, dass die mittelbare Beteiligung nicht begünstigungsfähig ist, ist die vorgenannte Vorschrift zum Verwaltungsvermögen eng auszulegen. § 13b Abs. 4 Nr. 2 Satz 1 ErbStG will verhindern, dass die nicht ausreichende Mindestbeteiligungsquote am Nennkapital einer Kapitalgesellschaft von mehr als 25 % dadurch unterlaufen wird, dass die Beteiligung nunmehr in einem Sonderbetriebsvermögen gehalten wird. Sie soll Verwaltungsvermögen jedenfalls in den Fällen sein, in denen sie im Falle einer Übertragung außerhalb des Sonderbetriebsvermögens nicht begünstigungsfähig wäre. Da die mittelbare Beteiligung nicht begünstigungsfähig ist, bedeutet dies, dass auch die mittelbare Beteiligung am Nennkapital einer Kapitalgesellschaft als Bestandteil des Verwaltungsvermögens unabhängig von der Beteiligungshöhe nicht begünstigungsfähig ist. 4. Finanzmittel – insbesondere Gesellschafterdarlehen a) Gesellschafterbezogene Betrachtungsweise Die Kapitalgesellschaft zeichnet sich dadurch aus, dass sie Trägerin des Vermögens ist. Soweit Verwaltungsvermögen vorhanden ist, ist dieses der Kapitalgesellschaft selbst zuzurechnen. Das Verhältnis zum Gesellschafter ist ohne Bedeutung. 30 BFH v. 12.4.2009 – II R 26/07, BStBl. II 2009, 602; RE 13b.5 Abs. 3 Satz 9 ErbStR 2011. 31 Grundlegend BFH v. 11.6.2013 – II R 4/12, BStBl. II 2013, 1536, FR 2013, 1110, FamRZ 2013, 1403, GmbHR 2013, 940 m. Anm. Milatz/Müller.

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Bei Personengesellschaften ist hingegen infolge der Transparenz dieser Rechtsform von Gesetzes wegen nicht endgültig geklärt, welchem Gesellschafter (Mitunternehmer) das Verwaltungsvermögen zuzurechnen ist. Nach der gesellschaftsbezogenen Betrachtung ist zunächst das Verwaltungsvermögen im Gesamthandsvermögen zu ermitteln, sodann um dasjenige des Sonderbetriebsvermögens zu erhöhen und die Summe den Mitunternehmern entsprechend ihrer Beteiligungsquote zuzuweisen. Die Alternative der gesellschafterbezogenen Betrachtungsweise weist hingegen das Verwaltungsvermögen im Sonderbetriebsvermögen allein dessen Träger (Mitunternehmer) zu. Die wohl überwiegende Meinung32 gibt der gesellschafterbezogenen Betrachtung den Vorrang. Dies ist zutreffend, denn nur auf diese Weise lässt sich eine zutreffende Besteuerung unter Berücksichtigung dessen erreichen, dass u.U. durch Sonderbetriebsvermögen gegen den Willen der übrigen Beteiligten Verwaltungsvermögen entsteht. b) Auswirkungen der gesellschafterbezogenen Betrachtung bei Finanzmitteln Die gesellschafterbezogene Betrachtung hat zur Folge, dass etwa ein Gesellschafterdarlehen, welches ein Mitunternehmer seiner Mitunternehmerschaft gewährt, als ­Finanzmittel iS. des § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG diesem zugerechnet wird. Außerhalb der Schuldenverrechnung, der Freigrenze (§ 13b Abs. 4 Nr. 5 a.E. ErbStG) und des Kulanzpuffers (§  13b Abs.  7 Satz  1 ErbStG) ist das Gesellschafterdarlehen Verwaltungsvermögen und damit von der Verschonung ausgeschlossen. Ist der darlehens­ gewährende Gesellschafter nicht allein am Vermögen der übertragenden Personen­ gesellschaft beteiligt, ist ihm die in der Gesamthandsbilanz korrespondierend zu passivierende Verbindlichkeit nur im Umfang seiner Vermögensbeteiligung an der Mitunter­nehmerschaft zuzuweisen. Sie mindert daher nur anteilig den aktivischen Wert des Verwaltungsvermögens. Dies war schon nach dem bis zum Ablauf des 30.6.2016 geltenden Rechts so, so dass in der Praxis der Ratschlag gegeben wurde, Gesellschafterdarlehen über das Kapitalkonto II wie Eigenkapital zu führen33. Durch den sog. 90%-Test des § 13b Abs. 2 Satz 2 ErbStG in der ab dem 1.7.2016 bestehenden Fassung ist das Problem deutlich verschärft. Dies mag nachfolgender Fall zeigen: A ist mit 50 % an der X-GmbH & Co. KG (gewerblich tätige Gesellschaft) beteiligt. Der gemeine Wert des Betriebsvermögens beträgt 5 Mio. Euro. A hat dieser Gesellschaft ein Darlehen i.H.v. 3 Mio. Euro gewährt, welches bei der Gesellschaft zu einem Zugang auf dem Finanzkonto geführt hat. Eine Fremdfinanzierung der Darlehensgewährung (negatives Sonderbetriebsvermögen) hat nicht stattgefunden. Vor einer geplanten unentgeltlichen Übertragung des Gesellschaftsanteils fragt A, ob es „Probleme“ mit dem sog. 90%-Test gibt. Die vorgenannte Vorschrift soll ausschließen, dass Gesellschaften mit einem im Verhältnis zum gemeinen Wert des Betriebsvermögens sehr hohen Anteil an Finanzmit32 Geck in Kapp/Ebeling, § 13b ErbStG Rz. 81 unter Hinweis auf Ländererlass v. 10.10.2013, BStBl. I 2013, 1272 – Rz. 3. 33 Immes, ZEV 2014, 86 m.N.

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teln Gegenstand einer steuerbegünstigten unentgeltlichen Übertragung sind. Der Gesetzgeber befürchtete aus zweifelhaften Gründen, ohne den sog. 90%-Test seien auch sog. Cash-Gesellschaften in weiten Teilen um die Betriebsvermögensverschonung zu entlasten. Bei Mitunternehmerschaften mit disquotal bestehendem Sonderbetriebsvermögen ergeben sich jedoch Verschärfungen, die der Gesetzgeber vermutlich nicht bedacht hat. Denn im vorliegenden Fall bestehen Finanzmittel im Sonderbetriebsvermögen zunächst in der Forderung des Gesellschafters gegen die Gesellschaft selbst auf Rückzahlung des gewährten Darlehens i.H.v. 3 Mio. Euro. Da sich dieser Betrag noch auf dem Finanzkonto der Gesellschaft befindet, und dort Verwaltungsvermögen ist, sind beide Beträge zu addieren. Der 90%-Test ist auf der Basis einer Bruttobetrachtung durchzuführen. Daher kann die Verpflichtung gegenüber dem Darlehensgeber nicht zur Verrechnung gestellt werden. Selbst wenn dies anders wäre, würde sie sich bei A nur i.H.v. 50 % auswirken, so dass selbst in diesem Fall der 90%-Test nicht bestanden würde. Ohne Berücksichtigung der Darlehensforderung hätte das Verwaltungsvermögen nur 60 % des gemeinen Wertes betragen. Nur der schädliche Teil des Verwaltungsvermögens wäre von der Verschonung ausgeschlossen gewesen. Diese Lösung mag dem Wortlaut des Gesetzes, nicht jedoch dessen Zweck entsprechen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Bestand an Liquidität im Gesamthandsvermögen darauf beruht, dass der Gesellschafter liquide Mittel in das Gesamthandsvermögen gezahlt hat. Diese sind ebenfalls unter den Begriff der Finanzmittel zu subsumieren, und zwar unabhängig davon, ob der Bestand in der Kasse der Gesellschaft ist oder – der Regelfall – zu einer Forderung gegen Dritte, wie Kreditinstituten, führt. Dies würde zu einer doppelten Erfassung des gleichen Bestandes an Finanzmitteln führen, so dass das Gesetz teleologisch in der Weise zu reduzieren ist, dass Gesellschafterdarlehen bei der Durchführung des 90%-Testes unberücksichtigt bleiben, wenn die Valuta bei der Gesamthandsgemeinschaft ebenfalls zu Finanzmitteln führt. Gleiches gilt auch für die Abgrenzung des nicht begünstigten vom begünstigten Vermögen, welches nach den gleichen Kriterien erfolgt mit Ausnahme dessen, dass bei der Ermittlung des „normalen“ Verwaltungsvermögens Verbindlichkeiten jedenfalls im Umfang der Beteiligung des Darlehensgebers an der Mitunternehmerschaft bereicherungsmindernd abgezogen werden können, vgl. § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG. Die Finanzverwaltung schweigt bisher zu dieser Problematik, insbesondere im Rahmen des sog. 90%-Testes. Es wäre zu begrüßen, wenn eine Klarstellung erfolgen würde.

IV. Nachsteuer und Sonderbetriebsvermögen 1. Vermögensbindungsmodell § 13a Abs. 6 ErbStG macht den dauerhaften Fortbestand der zunächst gewährten Verschonung im Bereich unternehmerischer Einheiten in der Rechtsform von Personenunternehmen davon abhängig, dass der maßgebliche Mitunternehmeranteil innerhalb der Nachsteuerfrist von 5 bzw. 7 Jahren weder veräußert noch aufgegeben wird. 553

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Gleichgestellt wird die Veräußerung wesentlicher Betriebsgrundlagen oder die Überführung solcher in das Privatvermögen. Wird eine begünstigt erworbene Vermögenseinheit gem. §§  20, 24 UmwStG in eine Kapital- oder Personengesellschaft gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten eingebracht, greift der Fiskus im Rahmen der Nachsteuer erst dann zu, wenn das Surrogat innerhalb der mit dem unentgeltlichen Erwerb beginnenden Frist von 5 bzw. 7 Jahren veräußert oder aufgegeben wird. Letzteres gilt auch dann, wenn die zunächst unentgeltlich erworbenen Vermögenseinheiten nicht zum Buchwert, sondern zum gemeinen Wert in den aufnehmenden Rechtsträger eingebracht werden34. Der Gesetzgeber knüpft im letzteren Fall nicht an die Buchwertfortführung und damit die ertragsteuerliche Neutralität des Übertragungsvorgangs an. Entscheidend ist vielmehr, dass das unternehmerische Engagement durch den übernehmenden Rechtsträger fortgesetzt wird. 2. Sonderbetriebsvermögen und anschließende Ausgliederung Nicht geklärt ist die Konstellation, in welcher nach einem unentgeltlichen Erwerb vom Erwerber erworbenes funktional wesentliches Sonderbetriebsvermögen in eine Personengesellschaft gem. § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 EStG ausgegliedert wird. Der Verstoß gegen die Vermögensbindung setzt voraus, dass es sich um eine Veräußerung handelt. Der Begriff der Veräußerung ist im ErbStG nicht definiert. Auch der Blick in das Ertragsteuerrecht hilft nicht weiter, da unter Veräußerung der Wechsel der Rechtszuständigkeit bezüglich des betreffenden Wirtschaftsgutes gemeint ist und damit auch unentgeltliche Verfügungen erfasst würden, die nicht besteuerungswürdig sind. Daher ist für die Auslegung des Begriffes auf die Zielsetzung des Gesetzes abzustellen, wobei der Begriff der Veräußerung in Anbetracht dessen, dass die Nachsteuer der Ausnahmetatbestand zur Betriebsvermögensverschonung ist, im Zweifel eng ­auszulegen ist. Danach zielt der Gesetzgeber darauf ab, Steuer nachträglich zu erheben, wenn das betreffende Wirtschaftsgut nicht mehr dem Zweck zugeführt bleibt, aus dem heraus es begünstigt übertragen worden ist, weil der Übernehmer es zu betriebsfremden Zwecken verwendet. Dass diese Nutzung nicht zwingend durch den Rechtsträger erfolgen muss, dessen Gesellschaftsanteile Gegenstand der unentgeltlichen Zuwendung waren, folgt aus der vorstehend skizzierten Regelung zur Weitergabe begünstigten Vermögens in andere Rechtsträger gem. §§ 20, 24 UmwStG. Daher ist die Ausgliederung im Wege der Einzelrechtsnachfolge unschädlich35. Diese Auffassung lässt sich ferner darauf stützen, dass der Reinvestitionstatbestand des §  13a Abs. 6 Satz 3, 4 ErbStG selbst bei einer (entgeltlichen) Veräußerung den Begünstigungstatbestand erhält, wenn der Veräußerungserlös zeitnah reinvestiert wird. Daher ist von einer Nachsteuer jedenfalls dann abzusehen, wenn der Erwerber das Sonderbetriebsvermögen unentgeltlich gem. § 6 Abs. 5 Satz 3 Nr. 2 EStG in einen anderen Rechtsträger überträgt, an welchem er selbst beteiligt ist. Gleiches gilt aber auch dann, wenn die Übertragung gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten oder im Wege der Schuldübernahme erfolgt. Denn auch bei der Übertragung von Sachgesamtheiten ge34 Offengelassen in A. 13a.12 Abs. 3 AEErbSt 2017, aber aufgrund des Gesetzeswortlauts wohl eindeutig. 35 Skeptisch Wälzholz, ZEV 2017, 444.

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Sonderbetriebsvermögen und Verschonungsabschlag

gen Gewährung von Gesellschaftsrechten bleibt die Verschonung erhalten und erstreckt sich lediglich auf das Surrogat. Es kommt allein darauf an, ob das unternehmerische Engagement mittels des unentgeltlich erworbenen Wirtschaftsgutes fortgesetzt wird. Dies ist auch dann der Fall, wenn ein einzelnes Wirtschaftsgut innerhalb der Nachsteuerfrist auf eine Personengesellschaft ausgegliedert wird, an welcher der Ausgliedernde selbst beteiligt ist. Der Einwand liegt nahe, es lasse sich nicht erklären, warum der Gesetzgeber in § 13a Abs. 6 Nr. 1 ErbStG ausdrücklich anordne, dass (nur) bei Umstrukturierungen nach dem UmwStG auf den Nachsteuertatbestand verzichtet werde. Dem ist zu entgegnen, dass in den Fällen der Nachfolge in betriebliche Einheiten die Nachsteuer auch vermieden wird, wenn in dem übertragenen Mitunternehmeranteil keine oder nur geringe wesentliche Betriebsgrundlagen enthalten sind. Im hier zu beurteilenden Fall geht es jedoch gerade um die Ausgliederung einer wesentlichen Betriebsgrundlage. Wird diese vom unentgeltlichen Erwerber nunmehr in anderer Weise betrieblich genutzt, besteht kein Grund, eine Nachsteuer festzusetzen. Der Gesetzeszweck ist erfüllt. Das Tatbestandsmerkmal der Veräußerung ist einschränkend auszulegen.

V. Vorababschlag 1. Zweck der Regelung Mit Wirkung ab 1.7.2016 wird der Erwerb von Anteilen an im weiteren Sinne Fami­ lienunternehmen unter sehr engen Voraussetzungen um einen Vorababschlag entlastet, welcher nach § 13a Abs. 9 ErbStG max. 30 % des begünstigten Vermögens beträgt. Zielrichtung ist es, Erwerber solcher Gesellschaftsanteile zu entlasten, die über die Gesellschaftsanteile infolge zivilrechtlicher Bindungen, wie Vinkulierungsklauseln, nur sehr eingeschränkt verfügen können. Damit soll insbesondere im durch eine lange Generationenfolge geprägten Mittelstand eine zusätzliche erbschaftsteuerliche Vergünstigung geschaffen werden. Dieser Abschlag setzt systemwidrig nicht auf der Bewertungsebene an, sondern entlastet durch einen im Verschonungssystem eingebauten weiteren Abschlag. Dessen Wirkung sollte nicht überschätzt werden. Bei einer Verschonung des begünstigten Vermögens von 85 % wirkt sich selbst der Abschlag i.H.v. max. 30 % nur in der Weise aus, dass der Verschonungsumfang noch um weitere 4,5 % auf 89,5 % ansteigt. Bei einer Vollverschonung hat der Abschlag sogar keinerlei Bedeutung36. Die lange Nachlauffrist von bis zu 20 Jahren ist bereits ein erhebliches Hindernis für den dauerhaften Fortbestand des Abschlags. 2. Vorababschlag auch auf Sonderbetriebsvermögen? Dies führt zu der Frage, ob der Abschlag, der das begünstigte Vermögen erfasst, auch auf das Sonderbetriebsvermögen im Rahmen einer Mitunternehmerschaft anzuwenden ist. Der Gesetzeswortlaut legt dies nahe, da begünstigungsfähiges Vermögen der Mitunternehmeranteil unter Einschluss des Sonderbetriebsvermögens ist und aus 36 Vgl. ausführl. Hannes, ZEV 2016, 554, Wachter, NZG 2016, 1168.

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Reinhard Geck

diesem heraus gem. § 13b Abs. 2 ErbStG das begünstigte Vermögen zu ermitteln ist. Mithin ist Bestandteil desselben auch das Sonderbetriebsvermögen. Auf der anderen Seite stellt der Verschonungsabschlag Anforderungen an die Bindung des begünstigten Vermögens, indem dasselbe bspw. gem. § 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 ErbStG nur auf Mitgesellschafter, Angehörige iS. des § 15 AO oder eine Familienstiftung übertragen werden darf. Diese Form der Vinkulierungsklauseln sind darauf gerichtet, dem Steuerpflichtigen als Preis für die weitergehende steuerliche Entlastung daran zu hindern, dieses von ihm erworbene Vermögen weiter zu veräußern. Diese Beschränkung erfasst das Sonderbetriebsvermögen nicht, da dieses nicht durch Gesellschaftsvertrag in eine quasi gesamthänderische Bindung einbezogen werden kann, die die Veräußerung des im Allein- oder Bruchteilseigentum des Gesellschafters stehenden Sonderbetriebsvermögens ausschließt. Da das BVerfG37 die Verschonung von betrieblichem Vermögen an die Beachtung sog. Haltefristen bindet, wäre der Abschlag auf Sonderbetriebsvermögen  – sei es auch begünstigt  – verfassungsrechtlich bedenklich. Daher wird der Vorababschlag auf das Sonderbetriebsvermögen nicht angewandt werden können38.

VI. Zusammenfassung Crezelius ist einer der wenigen Hochschullehrer, der Kenntnisse des Zivil- und des Steuerrechts in einer Person vereinigt. Diese janusköpfige Ausrichtung des Sonderbetriebsvermögens, welches einerseits gesellschafterbezogen, über die Nutzungsüberlassung jedoch auch gesellschaftsbezogene Elemente und damit zivil- und steuerrechtliche Elemente verbindet, hat ihn seit vielen Jahrzehnten beschäftigt. Dass sich immer wieder neue Probleme ergeben, sollten diese Ausführungen zeigen. Der Gesetzgeber mag Gründe dafür gehabt haben, ertragsteuerliche Elemente in das Erbschaftsteuersystem einfließen zu lassen. Mit den damit verbundenen Abgrenzungsschwierigkeiten wird die Praxis noch lange leben müssen.

37 BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvR 10/12; BVerfG v. 17.12.2014 – 1 BvL 21/12, BStBl. II 2015, 50, FR 2015, 160 m. Anm. Bareis, FamRZ 2015, 213, GmbHR 2015, 88. 38 So auch Weber/Schwindt, ZEV 2016, 688.

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Erbschaftsteuer: Steuerhinterziehung, Steuerschulden und Nachlassverbindlichkeiten Inhaltsübersicht

I. Ausgangslage

II. Abzugsfähige Nachlassverbindlich­ keiten im Erbschaftsteuerrecht III. Steuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten 1. Allgemeine Grundsätze 2. Private Steuerschulden des Erblassers a) Steuerfestsetzung gegen Erblasser liegt vor bzw. Veranlagungsverfahren läuft schon b) Steuerfestsetzung gegen Erblasser liegt nicht vor IV. Korrektur des Erbschaftsteuer­ bescheides



1. Korrektur nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 2. Keine Korrektur nach § 175 AO 3. Korrektur nach §§ 5, 6 BewG?



V. Beratungs-/Erklärungskosten 1. Kosten der eigenen Erbschaft-/­ Schenkungsteuererklärung, für ­Berichtigungserklärung und ­Änderungsanträge 2. Kosten des Rechtsbehelfs-/Klage­ verfahrens 3. Erklärungs-/Beratungskosten des ­Erblassers



VI. Fazit

I. Ausgangslage In Erbfällen stellt sich immer mal wieder heraus, dass Vermögen vorhanden ist, welches bzw. dessen Entstehung und/oder dessen Erträge nicht versteuert worden sind. Die Behandlung solchen Vermögens wirft diverse rechtliche und speziell auch erbschaftsteuerliche Fragen auf1. In diesem Beitrag geht es um die Abzugsfähigkeit der auf dieses Vermögen (nachträglich) angefallenen und/oder anfallenden Steuern als Nachlassverbindlichkeit i.S.v. § 10 Abs. 5 ErbStG. An der Abzugsfähigkeit von Steuerschulden des Erblassers besteht bei den Erben ein großes Interesse, da diese die Erbschaftsteuerbelastung erheblich mindern können2.

1 Dazu z.B. Einemann, Verschiedene Tatbestandskonstellationen zur Verwirklichung der Erbschaftsteuerhinterziehung, ZEV 2017, 316. 2 Die Fragestellung ist dem Jubilar geschuldet, der die Behandlung von Steuerverbindlichkeiten der Rechtsprechung nach den Grundsätzen der wirtschaftlichen Belastung, und u.a. die Ablehnung der Berücksichtigung von „latenten Steuerschulden“ kritisch sieht, vgl. Creze­lius, Unternehmenserbrecht, S. 99 Rz. 95 (2. Aufl. 2009).

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II. Abzugsfähige Nachlassverbindlichkeiten im Erbschaftsteuerrecht Bemessungsgrundlage für die Erbschaftsteuer ist der steuerpflichtige Erwerb i.S.v. § 10 ErbStG3. Erfasst werden soll (nur) der Nettozuwachs, daher können vom Bruttoerwerb (Vermögensanfall nach Steuerwerten) nach Maßgabe des § 10 Abs. 5 ErbStG die Nachlassverbindlichkeiten abgezogen werden4. Dabei bestehen spezielle Abzugsbeschränkungen nach § 10 Abs. 6 bis 9 ErbStG, z.B. im Fall steuerbefreiter Erwerbe, der beschränkten Steuerpflicht usw. Daneben gibt es noch „Randgebiete“ z.B. Berücksichtigung von Steuerschulden bei der Berechnung des Vermögens im Fall der Nacherbschaft, des Zugewinns, des Pflichtteils. Die nach § 10 Abs. 5 ErbStG abzugsfähigen Nachlassverbindlichkeiten sind allgemein in drei Gruppen unterteilt: −− Verbindlichkeiten, die vom Erblasser herrühren (§ 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG). Die „vom Erblasser herrührenden“ Schulden5 müssen gem. § 1922 Abs. 1 BGB, § 1967 BGB i.V.m. § 45 Abs. 1 AO auf den Erben übergegangen und nicht schon vor seinem Tod oder mit seinem Tod erloschen sein. Bei den Schulden kann es sich um gesetzliche Verpflichtungen, um alle möglichen vertraglichen/rechtsgeschäftlichen Verpflichtungen, wie auch um öffentlich-rechtliche Schulden wie Steuern oder Abgaben z.B. Zölle und Gebühren z.B. Kommunalabgaben6, handeln, −− Verbindlichkeiten aus Vermächtnissen, Auflagen und geltend gemachten Pflichtteilsansprüchen (§ 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG)7, −− sog. Erbfallkosten (§ 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG).

III. Steuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten 1. Allgemeine Grundsätze Zu den Erblasserverbindlichkeiten (§  10 Abs.  5 Nr.  1 ErbStG) gehören die Steuerschulden/-nachzahlungsverpflichtungen. Entscheidend für den Abzug der Steuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten ist, dass der Erblasser in eigener Person und nicht etwa der Erbe als Gesamtrechtsnachfolger steuerrelevante Tatbestände verwirklicht hat und deshalb „für den Erblasser“ als Steuerpflichtigen eine Steuer entstanden ist bzw. entsteht. 3 Ermittlungsschema s. R E 10.1 ErbStR 2011. 4 Regelmäßig in Höhe ihres Nennwerts (§§  10 Abs.  1 Sätze  1, 2, Abs.  5 Nr.  1, 12 Abs.  1/5 ErbStG i.V.m. § 12 Abs. 1 Satz 1 BewG). 5 Vom Erblasser herrührende Steuerschulden wären z.B. zu verneinen bei Steuerschulden einer GmbH, bei der der Erblasser Alleingesellschafter und Geschäftsführer war, bei vom Erben hinterzogenen Steuern nach dem Erwerbsstichtag, bei der Erbschaftsteuer des Erben i.S.d. § 10 Abs. 8 ErbStG. 6 Z.B. FG Nürnberg v. 13.5.2015 – 4 K 270/14, ErbStB 2015, 355, EFG 2015, 2094. 7 Im Fall von Steuerhinterziehungen können sich die Erbfallschulden nachträglich erhöhen, z.B. nach Aufdeckung von hinterzogenem Vermögen ergibt sich ein höherer Pflichtteilsanspruch. Liegt schon ein bestandskräftiger Erbschaftsteuerbescheid vor, hängt der Abzug der höheren Nachlassverbindlichkeit von der Korrekturmöglichkeit nach § 173 AO ab.

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Steuerhinterziehung, Steuerschulden und Nachlassverbindlichkeiten

Bei der Berücksichtigung von Steuerschulden gibt es nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG zwei unterschiedliche Systeme. Einmal die „klassische“ Berücksichtigung der „privaten“ (Erblasser-)Steuerschulden als Nachlassverbindlichkeiten (§  10 Abs.  5 Nr.  1 ErbStG, R E 10.8 ErbStR 2011), zum anderen die Berücksichtigung von Steuerschulden innerhalb eines Betriebsvermögens (mit Besonderheiten im Bereich der Landund Forstwirtschaft gem. § 158 Abs. 5 ErbStG). Werden bei einem Erblasser in- oder ausländische Steuerschulden vorgefunden oder entdeckt, ist für den Abzug als Nachlassverbindlichkeit gem. § 10 Abs. 1 Nr. 5 Nr. 1 ErbStG somit zunächst zu klären, ob es sich um „private“ oder „betriebliche“ Steuerschulden handelt. „Private“ Steuerschulden sind in der Erbschaftsteuererklärung anzugeben oder nachzuerklären. Ergibt die Klärung, dass es sich um „betriebliche“ Steuern handelt, sind diese bei der Bewertung des betreffenden Betriebsvermögens zu berücksichtigen8, d.h. ggf. in die Vermögensaufstellung des betreffenden Betriebsvermögens aufzunehmen. Für die Fragestellung „Abzug als Nachlassverbindlichkeit“ ist außerdem vorab zu prüfen, ob überhaupt und in welcher Höhe eine vom Erblasser herrührende Steuerschuld i.S.d. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG vorliegt. Dies wäre im Zweifel in einem (Steuer-) Verwaltungsverfahren außerhalb der Erbschaftsteuerveranlagung zu klären (ggf. im Klagewege), z.B. ob gegen den Erblasser nachträglich rechtmäßig eine höhere Einkommensteuer festgesetzt oder er als Geschäftsführer gem. § 69 AO in Steuerhaftung genommen worden ist/werden kann. 2. Private Steuerschulden des Erblassers Bekannte private Steuerschulden können als Nachlassverbindlichkeiten erklärt/angesetzt werden, auch wenn sie aus einer Steuerhinterziehung resultieren. Sie sind vom Finanzamt als Nachlassverbindlichkeiten anzuerkennen9, weil sie im Zeitpunkt der Entstehung des Erbschaftsteueranspruchs bestehen bzw. spätestens dann entstanden sind und den Erblasser im Todeszeitpunkt – abweichend vom Zivilrecht – wirtschaftlich belastet haben und somit auch für den Erben/Bedachten zum Besteuerungsstichtag eine wirtschaftliche Last darstellen (§ 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG)10. Im Regelfall ist 8 Zur Berücksichtigung latenter Ertragsteuern bei der Substanzwertbewertung ausführlich FG Hamburg v. 20.1 2015 – 3 K 180/14, EFG 2015, 1000 (Revision eingelegt. Az des BFH: II R 15/15). 9 BFH v. 24.3.1999 – II R 34/97, BFH/NV 1999, 1339, und v. 27.6.2007 – II R 30/05, BStBl. II 2007, 651, FR 2007, 1080, FamRZ 2007, 1736, NotBZ 2007, 337, m.w.N.; BFH v. 15.5.2009 – II B 155/08, BFH/NV 2009, 1441; BFH v. 2.3.2011  – II R 5/09, BFH/NV 2011, 1147; v. 4.7.2012 – II R 15/11, BStBl. II 2012, 790, FR 2012, 1086, FamRZ 2012, 1638 zu Steuerschulden des Todesjahres; v. 28.10.2015 – II R 46/13, BStBl. II 2016, 477, FamRZ 2016, 543, FR 2016, 432. 10 § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG verlangt lt. BFH seinem Wortlaut nach zwar nicht ausdrücklich eine wirtschaftliche Belastung durch die am Stichtag bestehenden oder vom Erblasser herrührenden Schulden. Die Vorschrift trägt lt. BFH dem Bereicherungsprinzip Rechnung, das der Besteuerung des Erwerbs zugrunde liegt (z.B. BFH v. 1.7.2008 – II R 38/07, BStBl. II 2008, 876, FR 2009, 97; v. 4.7.2012 – II R 15/11, BStBl. II 2012, 790, FR 2012, 1086, FamRZ 2012, 1638; v. 28.10.2015 – II R 46/13, BStBl. II 2016, 477, FamRZ 2016, 543, FR 2016, 432;

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von wirtschaftlicher Belastung des Erblassers mit der Steuerschuld im Todeszeitpunkt auszugehen, weil die Finanzbehörden von Amts wegen entstandene Steuern in der materiell-rechtlich zutreffenden Höhe festsetzen müssen/werden(§ 85 AO). Für die Festsetzung der Erbschaftsteuer ist die als Nachlassverbindlichkeit abziehbare Steuerschuld eigenständig zu ermitteln11. Hierbei gelten allgemein folgende Grundsätze: −− Die Steuerschuld muss im Zeitpunkt des Todes des Erblassers entstanden oder durch die Verwirklichung von Steuertatbeständen im Todesjahr durch den Erblasser als Steuerpflichtigen begründet worden sein12. Auch offene Erbschaft-/Schenkungsteuerschulden des Erblassers (aus vor dem Todesfall liegenden Erwerben) sind grds. abziehbar. −− Eine Steuerfestsetzung zum Zeitpunkt des Todes des Erblassers ist nicht erforderlich, wenn eine wirtschaftliche Belastung des Erben vorliegt13. −− Bei vom Erblasser hinterzogenen Steuern ist zusätzlich zu prüfen/festzustellen, ob die Steuerschuld den Erblasser/Erben wirtschaftlich belastet (hat), dazu C. 2. b.cc. −− Mehr als die materiell-rechtlich zutreffende (Einkommen-)Steuer kann bei der Erbschaftsteuerveranlagung grundsätzlich nicht als Nachlassverbindlichkeit abgezogen werden. Es kommt also für die abziehbare Höhe darauf an, welche (Einkommen-)Steuerschuld letztlich verbleibt. −− Ausländische Steuern, sofern Sie den Erblasser betreffen, sind abziehbar, wenn sie keine der deutschen Erbschaftsteuer vergleichbare Steuern sind und nicht nach § 21 Abs. 1 Satz 1 ErbStG auf die deutsche Erbschaftsteuer anrechenbar sind14.

vgl. Meincke, 16.  Aufl., §  10 ErbStG Rz.  5  ff., Rz.  31; kritisch Schuck in Viskorf/Knobel/ Schuck, 3. Aufl., § 10 ErbStG Rz. 62; Geck in Kapp/Ebeling, § 10 ErbStG Rz. 69. 11 BFH v. 4.7.2012 – II R 15/11, BFHE 238, 233, BStBl. II 2012, 790, FR 2012, 1086, FamRZ 2012, 1638, DStR 2012, 1698, NJW 2012, 3677. 12 BFH v. 4.7.2012 (Fn. 11). 13 BFH v. 14.12.2004 – II R 35/03, BFH/NV 2005, 1093. Das Erfordernis, dass die Steuernachforderung im Besteuerungszeitpunkt auch rechtlich bestehen muss, hat der BFH aufgegeben: BFH v. 28.10.2015 – II R 46/13, BFHE 252, 448, BStBl. II 2016, 477, FamRZ 2016, 543, FR 2016, 432, DB 2016, 393, DStR 2016, 675, NJW 2016, 1199. 14 Nach BFH v. 19.6.2013 – II R 10/12, BStBl. II 2013, 746, FR 2014, 248, FamRZ 2013, 1403, ISR 2013, 302 m. Anm. Roderburg keine Anrechnung von im Ausland auf dort angelegtes Kapitalvermögen gezahlter Erbschaftsteuer, wenn ein Doppelbesteuerungsabkommen fehlt. Nach BFH v. 15.6.2016 – II R 51/14, BFHE 255, 85, DB 2016, 2459, FamRZ 2016, 2013, ISR 2016, 421 m. Anm. Heurung/Kollmann/Schmidt, FR 2017, 159, BFH/NV 2016, 1837 sind ausländische Einkommensteuern oder Steuern, die aus Anlass des Todes entstehen und nicht Erbschaftsteuern sind, abzugsfähig, wie beispielsweise Quellensteuern, die auf die Auszahlung einer Versicherungssumme erhoben werden.

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Steuerhinterziehung, Steuerschulden und Nachlassverbindlichkeiten

a) Steuerfestsetzung gegen Erblasser liegt vor bzw. Veranlagungsverfahren läuft schon Liegt eine Steuerfestsetzung gegen den Erblasser vor, läuft schon ein Veranlagungsverfahren oder leiten der/die Erben ein solches ein, gibt es hinsichtlich der Abzugsfähigkeit der daraus entstehenden Steuerverbindlichkeit dem Grunde nach normalerweise keine Probleme. Im Allgemeinen gilt: aa) Einkommensteuer Einkommensteuerschulden aus Veranlagungszeiträumen, die vor dem Todeszeitpunkt des Erblassers endeten, sind unabhängig davon, ob sie am Todeszeitpunkt des Erblassers bereits festgesetzt waren oder nicht, mit dem materiell rechtlich zutreffenden Wert als Nachlassverbindlichkeiten nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG abzugsfähig (R E 10.8 Abs. 2 ErbStR 2011). Einkommensteuerschulden einschließlich Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag aus dem Veranlagungszeitraum, in den der Todeszeitpunkt des Erblassers fällt, sind als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig, wenn und soweit der Erblasser die Steuerschulden als Steuerpflichtiger durch die Verwirklichung von Steuertatbeständen begründet hat15. Hat der Erblasser (gleichzeitig) einen Steuererstattungsanspruch, ist dieser nach Maßgabe des § 10 Abs. 1 Satz 3 ErbStG als Erwerb einer Forderung anzusetzen/zu erfassen, dazu R E 10.3 ErbStR 2011. Die Einkommensteuer-Vorauszahlungen sind abzugsfähig, soweit sie bis zum Todeszeitpunkt des Erblassers festgesetzt und entstanden, aber in diesem Zeitpunkt noch nicht entrichtet sind (R E 10.8 Abs. 4 ErbStR 2011); sog. Abschlusszahlungen für die vom Erblasser herrührenden Einkommensteuer einschl. Kirchensteuer und Solidaritätszuschlag des Todesjahres sind abzugsfähig16. Sofern die Steuerschulden nach § 233a AO und entspr. 235 AO zu verzinsen sind und soweit diese auf den Zeitraum vom Beginn des Zinslaufs bis zum Todestag des Erblassers entfallen, sind die Zinsen zum Nennwert abzugsfähig (R E 10.8 Abs. 5 ErbStR 2011). Soweit Zinsen für davor liegende Zeiträume anfallen, sind die Zinsen nur mit dem abgezinsten Barwert abzuziehen.

15 BFH v. 4.7.2012 – II R 56/11, BFH/NV 2012, 1792 und II R 15/11, BStBl. II 2012, 790, FR 2012, 1086, FamRZ 2012, 1638; a.A. noch R E 10.8 Abs. 3 ErbStR 2011. Eine Festsetzung bis zum Besteuerungsstichtag ist i.d.R. nicht erforderlich; grundsätzlich ist mit der Geltendmachung entstandener Forderungen aus laufend veranlagten Steuern zu rechnen. 16 BFH v. 4.7.2012 – II R 15/11, BStBl. II 2012, 790, FR 2012, 1086, FamRZ 2012, 1638.

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Hinterziehungs- und Steuerzinsen gem. § 233a AO, die bereits in der Person des Erblassers entstanden und bis zu seinem Todestag angefallen sind, sind erbschaftsteuerlich abzugsfähig (§ 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG)17. Besonderheiten bei Ehegatten/eingetragenen Lebenspartnern: Ist der Erbe Ehegatte/eingetragener Lebenspartner, kann er die Einkommensteuer-Nachzahlungsverbindlichkeit aus Zusammenveranlagungen – soweit sie auf den verstorbenen Ehegatten/Lebenspartner entfällt  – voll abziehen, wenn sie nach ständiger Übung der Eheleute/Lebenspartner vom verdienenden Erblasser allein zu begleichen war18. Ist die Einkommensteuer (ggf. einschl. KiSt und SoliZ) bei zusammenveranlagten Ehegatten stets von dem überlebenden Ehegatten gezahlt worden und ist dieser der Erbe und kann aus diesem Umstand auf den beiderseitigen Willen geschlossen werden, dass es zu keinem Gesamtschuldnerausgleich nach §  426 Abs.  1 BGB kommt bzw. kommen sollte, scheidet ein Abzug als Nachlassverbindlichkeit aus. Lehnt das Finanzamt einen Abzug mit dieser Argumentation ab, müssen betroffene Steuerpflichtige entsprechende Tatsachen dafür vorgetragen und bewiesen werden, dass eine Gesamtschuldenausgleich beabsichtigt war und praktiziert worden ist. Bei einer Zusammenveranlagung von im selben Jahr verstorbenen Ehegatten sind Abschlusszahlungen für das Todesjahr analog § 270 AO aufzuteilen und als Nachlassverbindlichkeiten beim jeweiligen Erwerb von Todes wegen abzugsfähig19. Versterben in einem Jahr sowohl der Ehegatte wie auch der zunächst überlebende Ehegatte und ist letzter Alleinerbe des zuerst verstorbenen Ehegatten gewesen, ist beim Erwerb der Erben des zweitverstorbenen Ehegatten die gesamte Abschlusszahlung aus der Zusammenveranlagung der verstorbenen Ehegatten für das Todesjahr als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig. bb) Andere private Steuerschulden Häufig stellt sich heraus, dass im Fall unentdeckter bzw. verschwiegener Steuerquellen auch Schenkungen/Erbanfälle vorgekommen sind. Zur Entstehung der ErbSt s. §§ 9, 11 ErbStG. Beispiel: Der oder die Erblasser(in) hat – jetzt im Nachlass befindliches – Vermögen geschenkt oder vererbt bekommen, ohne es der deutschen Erbschaftsteuer zu unterwerfen. Im Erbfall wird dies aufgedeckt, z.B. im Rahmen einer Pflichteilstreitigkeit, einer Selbstanzeige oder einer Fahndungsermittlung, CD-Ankauf20 u. dgl. Die daraufhin festzusetzende oder festgesetzte 17 Auf den Zeitpunkt der Festsetzung der Hinterziehungszinsen kommt es insoweit nicht an. Selbst wenn sie erst nach dem Tod des Erblassers festgesetzt werden, ändert dies nichts an ihrer erbschaftsteuerlichen Abzugsfähigkeit, vgl. Erlass FinMin. NW v. 14.11.2002, S 3810 – 13 – VA 2, DStR 2003, 77. Hinterziehungszinsen oder Steuerzinsen (§ 233a AO) auf Steuern des Erblassers, die Zeiträume nach dem Erbfall betreffen, stellen keine Nachlassverbindlichkeiten dar. Es handelt sich vielmehr um nicht abzugsfähige Nachlasserbenschulden. 18 FG Hamburg v. 14.2.2006, EFG 2006, 1076; nachgehend BFH v. 16.1.2008  – II R 30/06, BFHE 220, 518, BStBl. II 2008, 626, FamRZ 2008, 987, FR 2008, 834, DB 2008, 1191 speziell zum Ansatz von Steuererstattungsansprüchen. 19 BFH v. 4.7.2012 – II R 15/11, BStBl. II 2012, 790, FR 2012, 1086, FamRZ 2012, 1638. 20 Nds. FG v. 19.1.2016 – 15 K 155/12, EFG 2016, 2020.

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Steuerhinterziehung, Steuerschulden und Nachlassverbindlichkeiten Erbschaft-/Schenkungsteuer ist eine vom Erblasser herrührende Nachlassverbindlichkeit i.S.v. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG. Zur Abziehbarkeit mangels „wirtschaftlicher“ Belastung s. C. 2.b.cc).

cc) Gestundete Steuern Ist eine Steuerforderung des Erblassers im Todeszeitpunkt gestundet (§ 222 AO), berührt die Stundung die Abzugsfähigkeit als Nachlassverbindlichkeit nicht. Es liegt auch bei (teilweiser) späterer Fälligkeit eine wirtschaftliche Belastung vor. Daher sind gestundete Steuerschulden – ggf. abgezinst – als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig. Gehört eine nach § 25 ErbStG a.F. zinslos gestundete Erbschaftsteuerschuld zur Erbschaft, ist sie mit dem Barwert als Nachlassverbindlichkeit abzuziehen. dd) Aufschiebend oder auflösend bedingte Steuerverbindlichkeiten Aufschiebend oder auflösend bedingte Steuerverbindlichkeiten des Erblassers sind wirtschaftlich belastend (§§  6 Abs.  1, 7 BewG). Sie sind abzugsfähige Nachlassverbindlichkeiten, wenn die jeweilige Bedingung nach dem Tode des Erblassers eintritt. Dies erfordert allerdings, dass die Schuld noch beim Erblasser entstanden war und der Erbe den rechtlichen Schwebezustand deshalb beendet, weil er als Gesamtrechtsnachfolger in die Rechtsstellung des Erben eingetreten ist. Beispiele: Der Erblasser hat ein unbebautes Grundstück gekauft unter der Bedingung, dass der Verkäufer die Bebaubarkeit herstellt/nachweist. Ein Jahr nach dem Tod des Erblassers wird die Bedingung erfüllt. Die Grunderwerbsteuerschuld kann (nachträglich) als Steuerschuld abgezogen werden. Ein schon erlassener Erbschaftsteuerbescheid kann auf Antrag innerhalb eines Jahres nach Eintritt der Bedingung nach § 6 Abs. 2 i.V.m. § 5 Abs. 2 BewG geändert werden. Hat der Erblasser etwa für sein Kind/seine Lebenspartnerin wirksam eine selbstschuldnerische Bürgschaft bzgl. einer Steuerschuld übernommen und tritt der Bürgschaftsfall nach dem Tod des Erblassers ein, kann die Schuld m.E. nachträglich als Nachlassverbindlichkeit abgezogen werden. Ein Schuldanerkenntnis „auf den Todesfall“ ist dagegen nicht abzugsfähig, weil es den Erblasser nicht zu Lebzeiten verpflichtete.

ee) Kein Abzug von bekannten Steuerschulden in Ausnahmefällen Von dem Regelfall, dass die Finanzbehörden entstandene Steuern in der materiell-rechtlich zutreffenden Höhe festsetzen werden (§ 85 AO) und somit im Todeszeitpunkt die erforderliche wirtschaftliche Belastung mit der Steuerschuld gegeben gibt es Ausnahmen. Von der Rechtsprechung wird in folgenden Fällen ein Abzug als Nachlassverbindlichkeit (zunächst) mangels wirtschaftlicher Belastung versagt: −− Gegen den Erblasser war/eine Steuer festgesetzt, aber im Rahmen eines Einspruchsverfahrens ausgesetzt (§  364 AO) worden. Nach Auffassung der Rspr.21 21 FG München v. 28.2.2007 – 4 K 1047/04, EFG 2007, 1186: Wenn davon ausgegangen werden kann, dass der Steuergläubiger des Erblassers seine Forderung nicht mehr geltend machen will oder kann, ist ein Abzug dieser Verpflichtung als Nachlassverbindlichkeit ausgeschlossen.

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liegt keine wirtschaftliche Belastung mit einer Steuerforderung vor, wenn die Vollziehung der Steuer bereits zum Todeszeitpunkt ausgesetzt worden war. Hinsichtlich ausgesetzter Steuerbeträge fehlt es zunächst an einer wirtschaftlichen Belastung. −− Im Fall eines Steuererlasses (§ 227 AO) nach dem Tod des Erblassers entfällt natürlich die Abzugsfähigkeit. Wird die Steuerschuld „niedergeschlagen“ ist ebenfalls vom Wegfall einer wirtschaftlichen Belastung auszugehen. ff) Betriebliche Steuerschulden Nicht nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG als Nachlassverbindlichkeiten abziehbar sind vom Erblasser herrührende betriebliche Steuern, soweit sie mit einem zum Erwerb gehörenden Gewerbebetrieb, Anteil an einem Gewerbebetrieb, LuF-Betrieb oder Anteil daran in wirtschaftlichen Zusammenhang stehen und bereits bei der Bewertung der wirtschaftlichen Einheit zu berücksichtigen sind. Ein Hinweis, um welche „betriebliche“ Steuern es sich handelt, gibt R B 103.2 Abs. 6 ErbStR 2011. Die in wirtschaftlichem Zusammenhang mit Betriebsvermögen stehenden Steuerschulden des Erblassers sind bei der Bewertung der betreffenden wirtschaftlichen Einheit abzuziehen. Beispiel: Ein Spediteur hat betriebliche Kraftfahrzeugsteuern hinterzogen. Dies wird nach dem Tod des Spediteurs entdeckt und führt zu Nachforderungen. Die nachgeforderten Kraftfahrzeugsteuern sind als Betriebsschulden zu qualifizieren und nicht gem. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG als Nachlassverbindlichkeiten abziehbar.

Besonderheiten hinsichtlich der Einordnung als betriebliche Steuerverbindlichkeiten gelten bei Einnahme-/Überschussrechnern22. Auch wenn die betriebliche Steuerschuld z.B. aus verfahrensrechtlichen Gründen nicht (mehr) bei der Bewertung des Betriebsvermögens berücksichtig werden kann, kann nicht der Umkehrschluss gezogen werden, dass die Nicht-Berücksichtigung der Steuerschulden im Rahmen der §§ 95, § 103 BewG zwingend den Abzug nach § 10 Abs. Abs. 5 Nr. 1 ErbStG ermöglicht. So können Hinterziehungszinsen betreffend betriebliche Steuern des Erblassers – ertragsteuerlich – nicht als Betriebsausgaben gem. § 4 Abs. 5 Nr. 8a EStG abgezogen werden, trotzdem können sie auch nicht nach §  10 Abs.  5 Nr.  1 ErbStG als private Steuerschulden abgezogen werden. Gehen die Hinterziehungszinsen z.B. betreffend USt und GewSt in Steuerzinsen gem. § 233a AO auf (§ 235 Abs. 4 AO), können sie abzugsfähig sein. Betriebliche Steuern können „privaten“ Steuer werden, wenn sie gegenüber dem Erb­ lasser im Wege der Steuerhaftung (§§ 69 ff. AO, spezialgesetzliche Haftung) geltend gemacht worden sind bzw. werden.

22 R B 95 Abs. 3 ErbStR, R B 103.2 ErbStR.

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Steuerhinterziehung, Steuerschulden und Nachlassverbindlichkeiten

b) Steuerfestsetzung gegen Erblasser liegt nicht vor aa) Unbekannte Steuerschulden im Zeitpunkt der Festsetzung der ­Erbschaftsteuer Es kann vorkommen, dass ein bestimmter vom Erblasser zu Lebzeiten verwirklichter Lebensvorgang nachträglich als steuerpflichtiger Vorgang beurteilt wird, z.B. aufgrund anderer rechtlicher Beurteilung23 oder anderer Bewertung aufgrund neuer Tatsachen und Beweismittel24, oder aufgrund einer Berichtigungserklärung, ohne dass eine Steuerhinterziehung/-verkürzung nachzuweisen wäre oder einer diesbezüglichen Ermittlung nachgegangen wird25. Beispiele: 1. Ein Erblasser hat innerhalb von 10 Jahren 2 Immobilien verkauft. Eine Immobilie bestand aus X Gebäuden. Im Jahr 2 nach dem Kauf ist er verstorben. Die Erbschaftsteuerfestsetzung gegen den/die Erben ist im Jahr 02 erfolgt und schon formell bestandskräftig. Im Jahr 04 kommt das Finanzamt zu dem Ergebnis, dass es sich bei der 2. Immobilien um mehrere Objekte gehandelt hat und setzte wegen der Überschreitung der 3 Objektgrenze nachträglich eine Einkommensteuer auf den Veräußerungsgewinn fest. Kann der Erbe diese Einkommensteuer als Nachlassverbindlichkeit berücksichtigen? Lösungsansatz: Grundsätzlich liegt eine abzugsfähige Erblasserschuld vor. Ob sie bei der Erbschaftsteuerfestsetzung noch berücksichtigt werden kann, ist nach bestandskräftiger Erbschaftsteuerfestsetzung eine Frage der Korrekturmöglichkeit. Hat das Finanzamt aufgrund fehlerhafter Erklärung (möglicherweise auch als Folge einer Steuerhinterziehung) das Vorliegen dreier Objekte nicht erkannt, kann ein Abzug als Nachlassverbindlichkeit gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO in Frage, näheres dazu unten D.1. 2. Der Erblasser war an einer KG beteiligt, die zu seinen Lebzeiten einen sog. „Sanierungsgewinn“ erzielte. Das zuständige Finanzamt ging zunächst von einem steuerfreien Sanierungsgewinn aus. In Jahr 2012, 5 Jahre nach dem Tod des Erblassers (in 2007), beurteilte es den Gewinn als steuerpflichtig und setzte eine höhere Einkommensteuer fest. Grundsätzlich läge eine vom Erblasser herrührende Steuerschuld vor. Der Abzug hängt davon ab, ob die schon bestandskräftige Erbschaftsteuerfestsetzung noch korrigiert werden kann/konnte. Scheidet eine Korrektur nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO wegen Festsetzungsfrist (§ 170 Abs. 1 AO) und auch eine Korrektur nach § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO mangels rückwirkenden Ereignisses (die Festsetzung der Einkommensteuer erst nach dem Erbschaftsteuerbescheid ist kein materiell rückwirkendes Ereignis) aus, kann die Steuerschuld eigentlich nicht mehr berücksichtigt werden. 23 BFH v. 21.10.2014 – VIII R 31/12, GmbHR 2015, 772 zu nachträglichen Annahme einer vGA. Nur das nachträgliche Bekanntwerden von Tatsachen und Beweismitteln rechtfertigt eine Änderung nach §  173 AO, nicht hingegen ein nachträglich erkannter Rechtsfehler. Nachträgliche Beurteilung als gewerblicher Grundstückhandel BFH v. 21.7.2016 – X R 5657/14, BFH/NV 2017, 481. Betriebsaufgabe im Erbfall BFH v. 14.12.2004 – II R 35/03, BFH/ NV 2005, 1093. 24 BFH v. 16.4.2015 – IV R 2/12, BFH/NV 2015, 1331 zu Betriebsaufspaltung als neue Tatsache. 25 Nach std. BFH-Rspr. sind auch Mehrsteuern für vor dem Erbfall liegende Zeiträume, die auf den Feststellungen einer künftigen Außenprüfung beruhen, grundsätzlich nachlassmindernd abziehbar, vgl. BFH v. 14.12.2004 – II R 35/03, BFH/NV 2005, 1093.

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Raymond Halaczinsky Lösungsansatz des Schleswig-Holsteinischen FG26: Das FG ist der Auffassung, dass der bestandskräftige Erbschaftsteuerbescheid noch nach § 6 Abs. 2 i.V.m. § 5 Abs. 2 BewG geändert werden kann, näheres dazu noch unten D. 3. 3. Ein Erblasser hat im Jahr 0 einem steuerbegünstigten Verein einen höheren Geldbetrag geschenkt. Im Jahr 2 ist er verstorben. Die Erbschaftsteuerfestsetzung gegen den/die Erben ist im Jahr 2 erfolgt und schon formell bestandskräftig. Im Jahr 3 entfällt die Voraussetzung für die Anerkennung des Vereins als steuerbegünstigt und das Vermögen ist auch nicht begünstigten Zwecken zugeführt worden. Die Steuerbefreiung für die Geldschenkung entfällt gem. § 13 Abs. 1 Nr. 16b Satz 2 ErbStG rückwirkend. Das Finanzamt setzt gem. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG i.V.m. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO Schenkungsteuer gegen den Erblasser mit Wirkung gegen die/den Erben fest. Der/die Erben wollen diese als Nachlassverbindlichkeit berücksichtigt wissen wollen. Lösungsansatz: In diesem Fall entsteht die höhere Steuer infolge einer gesetzlichen auflösenden Bedingung. Eine Korrektur des bestandskräftigen Erbschaftsteuerbescheids und der Abzug der Schenkungsteuer als Nachlassverbindlichkeit nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO scheidet m.E. mangels einer neuen Tatsache aus. M.E. muss auch der Erbschaftsteuerbescheid gem. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO geändert werden, da die Nachlassverbindlichkeit aufgrund eines rückwirkenden Ereignisses entstanden ist.

bb) Sonderfall: latente Steuerschulden Ist im Erbfall (noch) nicht bekannt, ob und wann nach dem Tod des Erblassers durch Eintritt eines der für die Entstehung von Steuer notwendigen Sachverhalts noch eine Steuer entstehen/festgesetzt werden kann/könnte, spricht man von einer sog. latente Steuerschuld27. Latente Steuern können auch im Zusammenhang mit einer vorhergehenden Steuerhinterziehung entstehen. Nach h.M.28 können latente Steuern des Erblassers nicht gem. § 10 Abs. 5 ErbStG als Nachlassverbindlichkeiten abgezogen werden29.

26 Schl.-Holst. FG v. 14.10.2016 – 3 K 112/13, EFG 2016, 1965. Dies wird jedoch bisher durch die Rechtsprechung abgelehnt (BFH v. 17.2.2010 – II R 23/09, BStBl. II 2010, 641, FR 2010, 952 m. Anm. Keß, FamRZ 2010, 1079, bestätigt durch das BVerfG Nichtannahmebeschl. v. 7.4.2015, 1 BvR 1432/10, FamRZ 2015, 1097 m. Anm. Pauli, ZEV 2015 S. 426). Das Finanzamt hat Revision eingelegt (Az. des BFH: II R 36/16), die Rechtsfrage bleibt also noch offen. 27 Grundsätzlich Koblenzer/Groß, Latente Steuern im Erbschaftsteuerrecht, ErbStB 2004, 344; Crezelius, Konkurrenz zwischen Einkommensteuer und Erbschaft- und Schenkungsteuer, ZEV 2015, 392. 28 Z.B. Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, §  10 ErbStG Rz.  122 mit Verweis auf FG München v. 27.10.1988 – X 247/82 Erb, EFG 1989, 188: kein Abzug von Kanalisationsanschlusskosten als Nachlassverbindlichkeiten, wenn die öffentlich-rechtliche Anschlussverpflichtung erst nach dem Tod des Erblassers durch Gemeindesatzung entstanden ist und der Auftrag zur Erstellung des Anschlusskanals vom Erben erteilt wurde. 29 Nach Auffassung von Crezelius müssten latente Steuerschulden unter Berücksichtigung des Bereicherungsprinzips wie etwa im Zivilrecht berücksichtigt werden, vgl. Crezelius, Unternehmenserbrecht, 2. Aufl. 2009, S. 99 Rz. 95; Crezelius, Kein Abzug der auf geerbten Forderungen ruhenden latenten Einkommensteuerlast des Erben als Nachlassverbindlichkeit (Anmerkung), ZEV 2010, 326 m.w.N.

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Steuerhinterziehung, Steuerschulden und Nachlassverbindlichkeiten Beispiel: Ein Steuerpflichtiger erbt von seinem im Dezember 2001 verstorbenen Bruder festverzinsliche Wertpapiere, auf die bis zum Tod des Erblassers Stückzinsen i.H.v. ca. 190.000 DM entfielen30. Die Zinsen wurden dem Bruder/Erbe im Jahr 2002 unter Einbehalt der Kapitalertragsteuer von 30 v.H. ausbezahlt und führten bei ihm insoweit zu einer Einkommensteuer von 49.800 Euro. Das Finanzamt lehnt den Abzug der auf die Zinsen entfallenden Einkommensteuerschuld als Nachlassverbindlichkeit ab. Dies hat der BFH31 bestätigt. Die mögliche künftige (latente) Einkommensteuer treffe den Erben nicht in seiner Eigenschaft als Bedachten einer unentgeltlichen Zuwendung, sondern als Einkommensbezieher und richte sich demgemäß allein nach den für ihn geltenden Merkmalen, vor allem nach der Höhe des von ihm erzielten steuerlichen Einkommens32. Der Steuertatbestand werde in diesen Fällen erst mit dem Zufluss der Einnahmen durch den Erben als Steuerpflichtigen verwirklicht.

Nach dem Beschluss des BVerfG v. 7.4.201533 liegt in der Nichtberücksichtigung der latenten Einkommensteuerbelastung keine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 und Art. 14 Abs. 1 GG34. Zurzeit dürfte in der Praxis der Abzug latenter Steuerforderungen als Nachlassverbindlichkeit nicht durchsetzbar sein. In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass auf Antrag gem. § 35b EStG in bestimmten Rahmen eine Minderung der Doppelbelastung von Einkünften mit Erbschaftsteuer und Einkommensteuer durch Ermäßigung der tariflichen Einkommensteuer um einen von der Erbschaftsteuerbelastung abhängigen Prozentsatz erreicht werden kann. Dies betrifft Fälle, in denen Erben mit Einkommensteuer belastet werden, die zuvor als Vermögen oder Bestandteil von Vermögen bereits der Erbschaftsteuer unterlagen35. Die Vorschrift gilt nicht bei Schenkungen.

30 Beispiel nach FG München v. 18.2.2009 – 4 K 1131/07, EFG 2009, 946. 31 BFH v. 17.2.2010 – II R 23/09, BStBl. II 2010, 641, FR 2010, 952 m. Anm. Keß, FamRZ 2010, 1079. 32 Vgl. BFH v. 6.12.1989 – II B 70/89, BFH/NV 1990, 643; v. 28.4.1992 – VII R 33/91, BStBl. II 1992, 781; v. 24.1.1996 – X R 14/94, BStBl. II 1996, 287, FR 1996, 321, FamRZ 1997, 416; v. 11.8.1998  – VII R 118/95, BStBl.  II 1998, 705; v. 16.8.2006, II B 144/05, BFH/NV 2006, 2261; FG Münster v. 22.2.2006 – 1 K 3381/04 F, EFG 2006, 701. 33 BVerfG v. 7.4.2015 – 1 BvR 1432/10, FamRZ 2015, 1097 m. Anm. Pauli, UVR 2015, 203. Dies gilt auch für einen künftigen Hinzurechnungsbetrag nach § 2 Abs. 1 Satz 3 AIG, § 2a Abs. 1 EStG, so BFH v. 16.8.2006 – II B 144/05, BFH/NV 2006, 2261; Vorinstanz: FG Nürnberg v. 7.7.2005 – IV 290/2001, ErbStB 2006, 274 mit Komm. Heinrichshofen, ErbStB 2006, 275; Kamps, Belastung des Erben durch Nachversteuerung gem. § 2 Abs. 1 Satz 3 AIG oder § 2a Abs. 3 Satz 3 EStG, ErbStB 2006, 294. 34 Damit lehnt das BVerfG Überlegungen in der Literatur zur Berücksichtigung künftiger Einkommensteuer im Rahmen der Erbschaftsteuer (nachträgliche Berichtigung der Erbschaftsteuerveranlagung nach § 6 Abs. 2 i.V.m. § 5 Abs. 2 BewG, vgl. Keuk, DB 1973, 634; Schätzung der künftigen Einkommensteuerbelastung im Rahmen des Erbschaftsteuerfestsetzungsverfahrens, vgl. Kapp, FR 1970, 1; Geck in Kapp/Ebeling, ErbStG, Einleitung Rz. 19 (Oktober 2014); nur vorläufige Veranlagung der Erbschaftsteuer und Berücksichtigung der Einkommensteuer nach ihrer Entstehung, vgl. Kröger, BB 1971, 647) ab. Ebenso BFH v. 17.2.2010 – II R 23/09, BStBl. II 2010, 641, FR 2010, 952 m. Anm. Keß, FamRZ 2010, 1079. 35 Die Vorschrift ist Konsequenz der Rechtsauffassung des BFH v. 17.2.2010  – II R 23/09, BStBl.  II 2010, 641, FR 2010, 952 m. Anm. Keß, FamRZ 2010, 1079, dass die bereits im Erbfall abzusehende latente Belastung des Vermögenszugangs durch zukünftige Einkom-

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Hinweis: Von der erbschaftsteuerlichen Fragestellung ist die zivilrechtliche Fragestellung zu unterscheiden, insb. ob latente Steuern bei der Ermittlung von Pflichtteiloder Zugewinnausgleichansprüchen zu berücksichtigen sind. Im Zivilrecht sind bei der Wertermittlung von Zugewinnausgleichs- und Pflichtteilsansprüchen latente ­Ertragsteuern unter bestimmten Voraussetzungen in Abzug zu bringen36. Soweit bei der zivilrechtlichen Wertermittlung des Nachlasses für Zwecke der Ermittlung eines Pflichtteilsanspruchs oder eines Zugewinnausgleichsanspruch latente Steuerbelastungen berücksichtigt werden, wirken sie sich entsprechend auch erbschaftsteuerlich aus (als niedrigere Verbindlichkeiten i.S.d. § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG). cc) Sonderfall: Hinterzogene Steuern Steuerschulden, die aus Steuerhinterziehungen/-verkürzungen des Erblassers resultieren, sind zivilrechtlich Nachlassverbindlichkeiten (§§  1922 Abs.  1, 1967 Abs.  2 BGB). Gleiches gilt für die Rückforderung von Steuererstattungen/Steuervergütungen, die aufgrund von Steuerhinterziehungen/Steuerverkürzungen erlangt worden sind. Hat der Erblasser Steuern hinterzogen/verkürzt, können diese (einschl. Hinterziehungszinsen) auch nach dem Tod des Erblassers innerhalb der verlängerten Festsetzungsfrist (§ 169 Abs. 2 Satz 2 AO) noch festgesetzt werden (Bekanntgabe hat an den/die Erben zu erfolgen). Umstritten ist, ob derartige Steuerschulden auch ohne Festsetzung ebenso wie „normale Steuerschulden“37 als Nachlassverbindlichkeit gem. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG berücksichtigt werden dürfen/müssen. Hierzu gibt es eine differenzierte Auffassung. (1) Auffassung des BFH Der BFH38 verlangt im Fall einer Steuerhinterziehung eine „wirtschaftliche Belastung“ des Erblassers und des Erben mit der Steuerschuld im Besteuerungszeitpunkt. Nach Auffassung des BFH fehlt es bei hinterzogenen Steuern an der wirtschaftlichen mensteuer nicht als Nachlassverbindlichkeit erbschaftsteuermindernd berücksichtigt werden kann. 36 BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, BRAK 2011, 252, NotBZ 2011, 392 m. Anm. Krause, FamRZ 2011, 1367 m. Anm. Borth, MDR 2011, 1042, NJW 2011, 2572; Festhaltung BGH v. 9.2.2011 – XII ZR 40/09, MDR 2011, 490, GesR 2011, 348, FamRZ 2011, 622. Danach ist vom festgestellten Ertragswert einer Praxis (Steuerberatungs-GmbH) die Steuer abzuziehen, die für den Fall der Veräußerung der Praxis anfällt – auch wenn eine Veräußerung konkret nicht beabsichtigt ist. Dazu Schmid, Die latente Steuer im Pflichtteilsrecht – Berücksichtigung latenter Steuern bei der Ermittlung des Nachlasswerts, ZErb 2015, 133; Schlünder, Nochmals: Die latente Ertragsteuer beim Zugewinnausgleich, FamRZ 2015, 372. Anders für die Erbschaftbesteuerung, d.h. keine mindernde Berücksichtigung latenter Steuern bei der Anteilsbewertung FG Hamburg v. 20.1.2015 – 3 K 180/14, EFG 2015, 1000, Rev. eingelegt (Az. des BFH: II R 15/15). 37 Siehe R E 10.8 Abs. 2 ErbStR 2011. 38 BFH v. 28.10.2015 – II R 46/13, BStBl. II 2016, 477, FamRZ 2016, 543, FR 2016, 432; Gilt nur bei Steuerhinterziehung und nicht bei leichtfertiger Steuerverkürzung, vgl. BFH v. 27.1.1999 – II R 81/96, BFH/NV 1999, 913; v. 13.1.2005 – II R 48/02, BStBl. II 2005, 451.

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Steuerhinterziehung, Steuerschulden und Nachlassverbindlichkeiten

Belastung im Besteuerungszeitpunkt, wenn bei objektiver Würdigung der Verhältnisse in diesem Zeitpunkt angenommen werden kann, dass der Steuergläubiger seine Forderung nicht geltend machen werde. Dies sei insbesondere der Fall, wenn der Erblasser die aus seinem im Ausland angelegten Vermögen erzielten Einkünfte gegenüber dem für die Festsetzung der Einkommensteuer zuständigen Finanzamt verschwiegen habe und diesem deshalb auch die nur theoretische Möglichkeit genommen war, von den darauf beruhenden Steueransprüchen zu erfahren39. Ausnahmsweise hatte der BFH bisher eine wirtschaftliche Belastung angenommen, wenn der/die Erbe/n das zuständige Wohnsitz-/Betriebs-FA unverzüglich nach Eintritt des Erbfalls über mögliche Steuerhinterziehungen informiert hat/haben40. Nunmehr sieht der BFH41 auch keine wirtschaftliche Belastung mehr, wenn der Erbe das betreffende Finanzamt unverzüglich über eine Hinterziehung des Erblassers informiert (hat). Bei der Unterrichtung des zuständigen Finanzamts durch den Erben handele es sich um ein nach dem Bewertungsstichtag eingetretenes Ereignis, das nach dem Stichtagsprinzip (§  11 ErbStG) bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer nicht berücksichtigt werden könne. Die BFH-Entscheidung betraf allerdings einen in der Praxis selten vorkommenden Ausnahmefall. Im Urteilsfall ging es um den Abzug einer hinterzogenen materiell richtigen höheren Einkommensteuer, die falsch berechnet und deswegen zu niedrig festgesetzt worden war. In diesem Fall lehnte der BFH den Abzug der materiell-rechtlich richtigen höheren Steuer als Nachlassverbindlichkeit mangels wirtschaftlicher Belastung im Besteuerungszeitpunkt ab. (2) Auffassung der Finanzverwaltung Die Finanzverwaltung macht den Abzug der hinterzogenen Steuern lediglich von deren Festsetzung abhängig, nicht davon, ob das Finanzamt bzw. wann das zuständige Finanzamt von der Steuerangelegenheit unterrichtet wurde. Liegt ein Steuerbescheid vor, kann die durch die Steuerhinterziehung ausgelöste festgesetzte Steuer grds. als Nachlassverbindlichkeit berücksichtigt werden. Nicht mehr festsetzungsfähige Steuerschulden (z.B. wegen Festsetzungsverjährung oder aus verfahrensrechtlichen Gründen) sind demnach nicht als Nachlassverbindlichkeiten zu berücksichtigen42. Nach Hartmann43 gibt die Bindung der Erbschaftsteuerfinanzämter an die Festsetzung der 39 BFH v. 28.10.2015 – II R 46/13, BStBl. II 2016, 477, FamRZ 2016, 543, FR 2016, 432. 40 Unter „unverzüglich“ war grundsätzlich eine Mitteilung innerhalb der Drei-Monatsfrist des § 30 Abs. 1 ErbStG angesehen worden; vgl. BFH v. 24.3.1999 – II R 34/97, BFH/NV 1999, 1339; FG Düsseldorf v. 10.7.2002 – 4 K 104/02 Erb, DStRE 2002, 125. 41 BFH v. 28.10.2015 – II R 46/13, BStBl. II 2016, 477, FamRZ 2016, 543, FR 2016, 432 Anmerkung: Mit der dieser Entscheidung gibt der BFH seine frühere Rechtsansicht auf, wonach eine wirtschaftliche Belastung im Hinterziehungsfall auch gegeben sei, wenn der Erbe das zuständige FA zeitnah über die Steuerangelegenheit unterrichtet vgl. (BFH v. 24.3.1999 – II R 34/97, BFH/NV 1999, 1339). 42 Vgl. BFH v. 28.10.2015 – II R 46/13, BStBl. II 2016, 477, FamRZ 2016, 543, FR 2016, 432; v. 4.7.2012 – II R 15/11, BFHE 238, 233, BStBl. II 2012, 790, FR 2012, 1986, DStR 2012, 1698, NJW 2012, 3677. 43 Hartmann, Uneingeschränkte Abzugsfähigkeit hinterzogener Erblassersteuern, ErbStB 2003, 118.

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hinterzogenen Steuern damit dem/n Erben eine Chance zu Steuerersparnissen, wenn die verkürzten Steuern zunächst möglichst hoch festgesetzt werden, dieser Steuerbescheid in die Entscheidung über die Erbschaftsteuerfestsetzung einfließt und erst danach eine Herabsetzung der hinterzogenen Steuern (etwa infolge eines Rechtsbehelfsverfahrens) erfolgt. Geschieht letzteres nach Eintritt der erbschaftsteuerlichen Festsetzungsverjährung, könne die bescheidmäßige Reduzierung der nacherhobenen Steuern nicht mehr zu einer Korrektur des Erbschaftsteuerbescheids führen. Entsprechend müsste auch bei Rückforderungen von aufgrund einer Steuerhinterziehung zu viel erlangten Steuererstattungen/Steuervergütungen der Abzug als Nachlassverbindlichkeit dann und nur dann zulässig sein, wenn ein entsprechender Rückforderungsbescheid vorliegt. (3) Folgerungen für die Praxis Einigkeit zwischen Verwaltung44 und BFH45 besteht somit insoweit, dass vom Erblasser hinterzogene Steuern als Nachlassverbindlichkeiten nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG berücksichtigt werden müssen/können, wenn sie tatsächlich festgesetzt worden sind oder werden (und nicht schon durch Vorauszahlungen sowie anzurechnender Abzugssteuern erloschen sind). Das gilt auch dann, wenn die Steuerhinterziehung erst nach dem Tod des Erblassers, z.B. durch den Erben, aufgedeckt wird. In der Praxis kommt es für die Abzugsfähigkeit von Steuerschulden aus Steuerhinterziehungen darauf an, dass die betreffende Steuer festgesetzt wird. Die gerichtliche Durchsetzung des Abzugs von materiell zutreffender (ggf. höheren) Steuerverbindlichkeiten aus Steuerhinterziehungen (anstelle der tatsächlich festgesetzten Steuern) oder des Abzugs einer materiell-rechtlich möglichen Rückforderung als Nachlassverbindlichkeiten ist  – soweit das betreffende FG der Ansicht des BFH v. 28.10.2015 (a.a.O.) folgen würde (was zunächst mal wahrscheinlich ist) – wohl aussichtslos46. Durch die zeitnahe Unterrichtung des Finanzamts über eine vermeintliche Steuerhinterziehung des Erblassers kann der Erbe die wirtschaftliche Belastung nicht herbeiführen. Wird die Steuerschuld erst nach Bestandskraft des Erbschaftsteuerbescheids festgesetzt, ist der Abzug als Nachlassverbindlichkeit nur möglich, wenn der Erbschaftsteuerbescheid noch korrigiert werden kann.

44 Vgl. dazu den im Einvernehmen mit den obersten Finanzbehörden der anderen Länder ergangenen Erlass des FinMin. NW v. 14.11.2002 S 3810, 13, V A 2, BFH v. 29.10.2002 – VII R 2/02, BB 2003, 36, DStR 2003, 77. 45 BFH v. 28.10.2015 – II R 46/13,BStBl. II 2016, 477, FamRZ 2016, 543, FR 2016, 432. 46 Auch wenn das Erfordernis der „wirtschaftlichen Belastung“ auf Schrifttum mit Recht abgelehnt wird, vgl. z.B. Geck in Kapp/Ebeling, § 10 ErbStG Rz. 39 (Stand: 7/2016); Fumi in v. Oertzen/Loose, § 10 ErbStG Rz. 52.

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Steuerhinterziehung, Steuerschulden und Nachlassverbindlichkeiten

dd) Hinterziehungszinsen Hinterziehungszinsen sind gem. §§ 233a und 235 AO als Nachlassverbindlichkeiten abzugsfähig, soweit sie auf den Zeitraum vom Beginn des Zinslaufs bis zum Todestag des Erblassers entfallen47. Der Zinslauf für die Hinterziehungszinsen beginnt abstrakt mit Eintritt der Steuerverkürzung oder der Erlangung des Steuervorteils (§ 235 Abs. 2 AO)48. Er endet erst mit der Bezahlung der hinterzogenen Steuern durch die Erben, vgl. § 235 Abs. 3 AO. Hinterziehungszinsen können grds. auch nach dem Tod des Steuerpflichtigen gegen die Erben des Steuerhinterziehers festgesetzt werden49. Die Festsetzung von Hinterziehungszinsen kann nicht dadurch vermieden werden, dass der Erbe eine Selbstanzeige erstattet oder die Steuererklärung des Erblassers nach § 153 AO berichtigt. Infolge der Anrechnung der Nachzahlungszinsen (§ 233a AO) auf die Hinterziehungszinsen (s. § 235 Abs. 4 AO) fallen allerdings nur selten Hinterziehungszinsen an, z.B. wenn die Steuerverkürzung vor Beginn des Steuerzinslaufs (15 Monate nach Ablauf des Steuerjahres) eingetreten ist; ferner auf Vorauszahlungen oder bei Steuerarten, die nicht der Nachzahlungsverzinsung nach § 233a AO unterliegen50. Im Zweifel richtet sich die Abzugsfähigkeit von Hinterziehungszinsen als Nachlassverbindlichkeit nach der Abzugsfähigkeit der hinterzogenen Steuer. Werden die Hinterziehungszinsen erst nach Festsetzung des Erbschaftsteuerbescheids festgesetzt, ist der Abzug als Nachlassverbindlichkeit nur möglich, wenn der Erbschaftsteuerbescheid noch korrigiert werden kann.

IV. Korrektur des Erbschaftsteuerbescheides Insb. im Fall von Steuerhinterziehung kommt es häufig vor, dass Festsetzungen anderer Steuer, insb. Einkommensteuern zzgl. KiSt und SoliZu, gegen den Erblasser erfolgen bzw. nachträglich noch geändert oder auch aufgehoben werden, nachdem der Erbschaftsteuerbescheid schon bestandskräftig geworden ist, d.h. nicht mehr mit Einspruch anfechtbar ist. In diesem Fall kommt eine nachträglich Berücksichtigung der Steuerschulden als Nachlassverbindlichkeit nur in Frage, wenn eine Korrekturvorschrift die Änderung des Erbschaftsteuerbescheids ermöglichen würde und die Fest47 Zinsen für Steuerhinterziehung von Einkommensteuer durch den Erblasser sind als Nachlassverbindlichkeiten bei der Erbschaftsteuer nur abzugsfähig, soweit sie bis zum Todestag entstanden sind (FG München v. 21.6.2006 – 4 K 3051/04, EFG 2006, 1922) auch wenn bis zum Todeszeitpunkt von der Hinterziehung nichts bekannt war. Hinterziehungszinsen oder Steuerzinsen (§ 233a AO) auf Steuern des Erblassers, die Zeiträume nach dem Erbfall betreffen, stellen keine Nachlassverbindlichkeiten dar; vgl. Stahl, Erbfall und Schenkung im Steuerstrafrecht, KÖSDI 2016, Nr. 8, 19920. 48 Beispiel zur Berechnung bei hinterzogener Schenkungsteuer FG Münster v. 24.11.2016, – 3 K 1628/15 Erb, UVR 2017, 140 (Kurzwiedergabe). 49 BFH v. 27.8.1991 – VIII R 84/89, BStBl. II 1992, 9; vgl. BFH v. 1.8.2001 – II R 48/00, BFH/ NV 2002, 155. Vgl. auch FinMin. Baden-Württemberg v. 24.12.2002, S 3810/23, ErbSt-Kartei BW § 10 ErbStG Karte 20, FinMin. NW v. 14.11.2002, S 3810 – 13 - VA 2, DStR 2003, 77. 50 Beispiel: vom Erblasser hinterzogene ErbSt, LSt (sofern er Arbeitgeber war), GrSt oder GrESt; ferner der Solidaritätszuschlag.

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setzungsverjährungsfrist für eine Korrektur noch nicht abgelaufen ist. Steht der betreffende Erbschaft-/Schenkungsteuerbescheid noch unter Vorbehalt der Nachprüfung oder Vorläufigkeit (§§ 164, 165 AO), kann er nach Maßgabe dieser Vorschriften maximal bis zum Ende der Festsetzungsverjährung auch zugunsten des Erwerbers geändert werden. Ist zum Zeitpunkt der Erklärung und/oder des Erlasses des betreffenden Erbschaftsteuerbescheids unklar, ob und in welcher Höhe noch Steuerschulden bestehen, oder zu erwarten ist, dass noch Steuern festgesetzt werden, sollte in der Praxis darauf hingewirkt werden, den (Erbschaftsteuer-)Bescheid unter Vorbehalt der Nachprüfung oder zumindest unter den Vorbehalt der Vorläufigkeit zu stellen51. 1. Korrektur nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO Es ist davon auszugehen, dass das betreffende Finanzamt Steuern aus Steuerhinterziehungen des Erblassers, die nach Bestandskraft des Erbschaftsteuerbescheids festgesetzt werden, im Wege der Korrektur des betreffenden Erbschaftsteuerbescheids gem. § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO zugunsten des Erwerbers im Rahmen der Festsetzungsverjährung noch als Nachlassverbindlichkeiten berücksichtigen muss (gem. §  10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG). Nachträglich festgesetzte Einkommensteuerschulden sind für die Änderung von Erbschaftsteuerbescheiden neue Tatsachen nach § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO52. In den hier dargestellten Fällen greift § 173 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 AO, nach dem eine Korrektur unabhängig von einem Verschulden des Steuerpflichtigen vorgenommen werden muss, wenn die Tatsache/das Beweismittel in einem unmittelbaren oder mittelbaren Zusammenhang mit Tatsachen oder Beweismittel stehen, die zu einer höheren Steuer führen/geführt haben. Die steuererhöhenden und die steuermindernden Tatsachen müssen sich nicht in derselben Steuerart oder in demselben Besteuerungszeitraum steuerlich auswirken53. Das ist bei der Konstellation „Erbschaft-/ Schenkungsteuer und höhere andere Steuern wegen nachträglich aufgedeckter Steuerhinterziehung“ der Fall. Im Fall der Steuerhinterziehung und einer daraus resultierenden höheren Nachlassverbindlichkeit liegt m.E. ein unmittelbarer oder mittelbarer Zusammenhang zwischen steuererhöhenden und steuermindernden Tatsachen vor, weil sie sich ursächlich bedingen54. Die höheren anderen Steuern führen nach Maßgabe des § 10 Abs. 5 ErbStG zu einer niedrigeren Erbschaft-/Schenkungsteuer.

51 So BFH in seinem Urt. v. 14.12.2004 – II R 35/03, BFH/NV 2005, 1093. 52 BFH v. 22.11.2006 – II B 6/06, BFH/NV 2007, 395; v. 13.1.2005 – II R 48/02, BStBl. II 2005, 451; v. 27.10.1992 – VIII R 41/89, BStBl. II 1993, 569 (danach ist das für eine steuerrechtliche Vorschrift vorgreifliche Rechtsverhältnis aus einem anderen Rechtsgebiet (z.B. dem Zivilrecht) eine Tatsache). 53 BFH v. 13.1.2005 – II R 48/02, BStBl. II 2005, 451; Heidemann, Höhe der Einkommensteuer als nachträglich bekannt gewordene Tatsache bei der Vermögensteuer (Anmerkung), ZEV 2005, 268. 54 Allgemein z.B. von Wedelstädt in Beermann/Gosch, § 173 AO Rz. 106 ff. (Stand 1.8.2015).

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2. Keine Korrektur nach § 175 AO Wird nach Aufdeckung einer Steuerhinterziehung erstmals eine (andere) Steuer dafür festgesetzt, liegt darin kein nachträgliches Ereignis vor i.S.d. § 175 AO55. § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO ist nicht anwendbar, wenn das Ereignis vor Erlass des Steuerbescheids eingetreten und lediglich deshalb nicht berücksichtigt worden ist, weil es dem Finanzamt nicht bekannt war56. Im Falle einer Steuerhinterziehung war der Steuerbescheid bei Erlass nicht fehlerfrei und damit nicht rechtmäßig. Die Besteuerungsgrundlage hat nicht erst später durch den Eintritt des Ereignisses eine rückwirkende Änderung erfahren; der Bescheid ist nicht aus diesem Grunde nachträglich fehlerhaft und damit rechtswidrig geworden. 3. Korrektur nach §§ 5, 6 BewG? Lasten/Schulden, deren Entstehung vom Eintritt einer aufschiebenden Bedingung abhängen, werden nach § 6 Abs. 1 BewG nicht berücksichtigt, bzw. erst später, wenn das Ereignis eintritt (§ 6 Abs. 2 i.V.m. § 5 Abs. 2 BewG). Im Fall einer (aufgedeckten) Steuerhinterziehung/-verkürzung ist die Steuer zu dem damaligen Zeitpunkt in aller Regel unbedingt entstanden. Die Festsetzung der hinterzogenen Steuer ist zwar Voraussetzung für den Abzug als Nachlassverbindlichkeit, aber keine Bedingung im Rechtssinne. Die Verknüpfung „wirtschaftliche Belastung“ und „Festsetzung“ steht m.E. nicht in einem „Bedingungsverhältnis“ i.S.d. § 6 BewG. Eine Korrektur des Erbschaftsteuerbescheides zur Berücksichtigung hinterzogener Steuern als Nachlassverbindlichkeit gem. § 6 Abs. 2 BewG i.V.m. § 5 Abs. 2 BewG scheidet somit m.E. aus. In den Fällen der latenten Steuer könnte man annehmen, dass die Entstehung von einer Bedingung, nämlich von einem steuerauslösenden Verhalten des Erben abhängig ist. Allerdings geht das Entstehen der Steuer auf ein Verhalten des Erben und nicht des Erblassers zurück, so dass m.E. eine Korrektur/Berücksichtigung der dadurch ausgelösten Steuerschuld gem. § 6 Abs. 2 BewG i.V.m. § 5 Abs. 2 BewG ausgeschlossen ist. In dem Fall, dass der Steuertatbestand vom Erblasser ausgelöst und verwirklicht worden ist und erst später auch eine Steuerpflicht angenommen wird, besteht zwar materiell-rechtlich schon die Steuerschuld. Ein Abzug als Nachlassverbindlichkeit kommt aber mangels wirtschaftlicher Belastung nicht in Betracht, solange das Finanzamt den Sachverhalt als nicht steuerbar oder steuerfrei ansieht/behandelt. Nach Auffassung

55 Der BFH hat in seinem Urt. v. 14.12.2004 – II R 35/03, BFH/NV 2005, 1093 die Auffassung vertreten, dass die Einkommensteuernachzahlung kein materiell rückwirkendes Ereignis darstellt. Wird eine Einkommensteuer also erst nach dem Erbschaftsteuerbescheid festgesetzt, ist dies unerheblich und es liegt damit kein erhebliches – materiell rückwirkendes – Ereignis vor. 56 FG Münster v. 15.5.2003 – 3 K 6841/00 Erb, EFG 2003, 1182 nachfolgend bestätigt durch BFH v. 14.12.2004 – II R 35/03, BFH/NV 2005, 1093.

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des Schleswig-Holsteinischen FG57 soll sich mit dem Erlass eines (geänderten) Steuerbescheides die Belastung, die nunmehr auch der Höhe nach bekannt ist, realisieren. Für den/die Erben soll damit die Möglichkeit bestehen, eine Änderung der Erbschaftsteuerfestsetzung auch noch nach Ablauf der Festsetzungsverjährung zu beantragen (§§ 6 Abs. 2 i.V.m. § 5 Abs. 2 BewG)58. Nach bisheriger Auffassung des BFH59 betrifft § 6 BewG nur rechtsgeschäftliche Bedingungen und erfasst damit nicht Steuerschulden, die kraft Gesetzes entstehen und erst durch geänderte Rechtsauffassung als ­steuerpflichtig angesehen werden. In Hinblick auf evtl. höchstrichterliche Recht­ sprechung60 sollte dennoch in vergleichbaren Fällen eine Berücksichtigung der Steuerschuld (innerhalb des der Bekanntgabe der jeweiligen Bescheide nachfolgenden Jahres, § 5 Abs. 2 Satz 2 BewG) beantragt werden.

V. Beratungs-/Erklärungskosten Gerade in Fällen von Steuerhinterziehungen können erhebliche Beratungs-/Erklärungskosten entstehen61. Je nach Konstellation kann dabei ein Großteil des hinterzogenen Vermögens für Steuerzahlungen und für Rechts- und Steuerberatungskosten aufgebraucht werden müssen. Von daher ist von Interesse, ob und inwieweit diese Kosten zur Minderung der Erbschaftsteuer geltend gemacht werden können. Rechts-/Steuerberatungskosten und ggf. Gerichtskosten können grds. als sog. Erbfallkosten als Nachlassverbindlichkeiten abgezogen werden (§ 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG). Handelt es sich um (Steuerberatungs-)Kosten, die im Rahmen eines betrieblichen Mandats entstanden sind, und sind diese Kosten in die Bewertung des Betriebsvermögens eingeflossen, sind sie nur als Betriebsschuld – sofern noch nicht beglichen – und nicht als Nachlassverbindlichkeit abzugsfähig (§ 10 Abs. 5 Satz 1 ErbStG). Hinweis: Unabhängig von die hier behandelten erbschaft-/schenkungsteuerlichen Thematik ist natürlich der Abzug von Steuer-/Rechtsberatungskosten bei den anderen Steuerarten zu prüfen und ggf. vorzunehmen62.

57 Schl.-Holst. FG v. 14.10.2016, – 3 K 112/13, EFG 2016, 1965 unter Berufung auf (vgl. Prof. Dr. Keuk, „Doppelbelastung mit Erbschaftsteuer und Einkommensteuer“, DB 1973, 634, 636). 58 Vgl. ähnlich FG München v. 25.10.2006 – 4 K 40/04, EFG 2007, 273; Hartmann, ErbStB 2006, 309. 59 BFH v. 17.2.2010 – II R 23/09, BStBl. II 2010, 641, FR 2010, 952 m. Anm. Keß, FamRZ 2010, 1079. 60 Gegen die Entscheidung des Schl.-Holst. FG v. 14.10.2016 – 3 K 112/13, EFG 2016, 1965 wurde Revision eingelegt, Az. BFH II R 36/16. Dabei müsste m.E. auch geklärt werden, ob die andere Beurteilung von Steuererstattungsansprüchen, bei die Vorschriften der §§ 5, 6 BewG herangezogen werden können aufrechterhalten werden kann. 61 Allgemein z.B. Viebrock/van Lück/Szrubarski, (Ertrag-)Steuerlicher Abzug von Beratungskosten im Zusammenhang mit der Selbstanzeige, DStR 2015, 391. 62 Hinweis auf BMF v. 21.12.2007, IV B 2 - S 2144/07/0002, BStBl. I 2008, 256, DStR 2008, 50.

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1. Kosten der eigenen Erbschaft-/Schenkungsteuererklärung, für Berichtigungserklärung und Änderungsanträge Der Abzug von Kosten der eigenen Erbschaft-/Schenkung Steuererklärung einschl. Kosten für zugehörige gesonderte und einheitliche Feststellung, z.B. eines Anteilswerts oder eines Grundbesitzwerts, des Erben/Bedachten wird von der Finanzverwaltung in vollem Umfang anerkannt; und zwar im Erbfall als Nachlassregelungen gem. § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG (bei Einzelnachweis) und im Schenkungsfall als Verbindlichkeit nach § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG63. Dazu gehören auch die Kosten, die in Zusammenhang mit einer Hinterziehung des Erblassers entstehen, z.B. (Nach-)Erklärung des hinterzogenen Vermögens als Nachlassbestandteil. Sie unterliegen nicht einer Kürzung nach § 10 Abs. 6 ErbStG64. Kosten des Erben für Anträge zur Änderung der Erbschaftsteuerfestsetzung oder einer Wertfeststellung sind nach allgemeiner Auffassung nicht abzugsfähig. Das ist so nicht allgemein nachvollziehbar. Ist z.B. eine Erbschaftsteuer in Hinblick auf eine der Höhe nach vorläufig noch ungeklärte Verbindlichkeit vorläufig festgesetzt worden und wird nach endgültiger Klärung die Berücksichtigung der Verbindlichkeit beantragt, wäre die Berichtigung an sich von Amts wegen vorzunehmen. Stellt ein Berater den Antrag zu Änderung, müssten m.E. dessen Kosten zu den abzugsfähigen Kosten der Erklärung zugerechnet werden. Bei Änderungsanträgen nach §§ 173 ff. AO stellt sich die Finanzverwaltung auf den Standpunkt, dass es sich hier nicht mehr um die den Erben unmittelbar treffende steuerrechtliche Verpflichtung zur Abgabe der Steuererklärung handelt und demnach darauf entfallende Beratungskosten keine Nachlassregelungskosten darstellen. Ist hierbei jedoch ein Gutachten zur Ermittlung des gemeinen Werts beim Grundbesitz, beim Betriebsvermögen oder bei nicht notierten Anteilen an Kapitalgesellschaften angefallen, sind die Kosten dafür abziehbar65. 2. Kosten des Rechtsbehelfs-/Klageverfahrens Beratungskosten, die einem Erben im Zusammenhang mit einem – seine eigene Erbschaft-/Schenkungsteuer betreffenden – Rechtsbehelfsverfahren entstehen, sind weder nach Ansicht der Finanzverwaltung noch der Rechtsprechung nach § 10 Abs. 5 ErbStG abziehbar66.

63 Gleich lautende Ländererlasse v. 23.3.2015, BStBl. I 2015, 258. 64 Näheres zu Kosten der Erbschaftsteuererklärung gleich lautender Ländererlasse v. 11.12.2015, BStBl. I 2015, 1028, H E 10.7 ErbStH 2011 und gleich lautender Ländererlass v. 23.3.2015, BStBl. I, 264 betr. Schenkungen. Auf die dortigen Detailregelungen wird hingewiesen. 65 Gleich lautende Ländererlasse v. 23.3.2015, BStBl. I, 264. 66 H  E 10.7 ErbStH 2011; gleich lautender Ländererlass v. 23.3.2015, BStBl.  I, 264; BFH v. 20.6.2007 – II R 29/06, BStBl. II 2007, 722, FamRZ 2007, 1738, FR 2008, 98; v. 1.7.2008 – II R 71/06, BStBl. II 2008, 874, FR 2009, 245, FamRZ 2008, 2109.

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3. Erklärungs-/Beratungskosten des Erblassers Vom Erben getragene Steuerberatungskosten, die im Rahmen der Einkommensteuerpflicht des Erblassers anfallen, insbesondere Steuerberatungskosten für die Erstellung der Einkommensteuererklärung des Erblassers, stellen keine Nachlassregelungskosten oder Kosten zur Erlangung des Erwerbs i.S.d. § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG dar. Sind im Besteuerungszeitpunkt noch derartige Kosten offen und rühren sie noch vom Erblasser her, sind sie beim Erwerber Nachlassverbindlichkeiten i.S.v. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG67. Abzugsfähig bei der Erbschaftsteuer sind damit auch Steuerberatungskosten für eine Nacherklärung z.B. bezüglich Einkommensteuer des Erblassers, durch den Erben oder für die Klärung der Steuerschulden der Höhe nach als Erblasserschulden (§ 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG), aber nur dann, wenn der Erblasser den Steuer-(Rechts-) berater noch vor seinem Tod beauftragt hatte. Beauftragt allerdings erst der Erbe zur Erfüllung seiner vom Erblasser herrührenden steuerlichen Pflichten einen Steuer-/ Rechtsberater, handelt sich um eigene Beratungskosten; d.h. sie stammen nicht mehr vom Erblasser her, und können nicht als Erblasserschulden gem. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG abgezogen werden. Insoweit handelt es sich auch nicht um Kosten der Nachlassregelung oder Kosten zur Erlangung des Erwerbs i.S.v. § 10 Abs. 5 Nr. 3 ErbStG68. Beratungs-/Erklärungskosten, die für Berichtigungserklärungen i.S.v. § 153 AO, auch für Anzeigen nach §§ 13a Abs. 7, 13c Abs. 2 Satz 1 ErbStG oder Selbstanzeigen für ursprünglich vom Erblasser abgegebene Steuererklärungen entstehen, anfallen, sind Folgen der gesetzlichen Berichtigungspflicht, die den Erben unmittelbar als Rechtsnachfolger trifft. Zutreffend lässt die Finanzverwaltung die daraus resultierenden Kosten nicht zum Abzug zu69.

VI. Fazit Erben können durch nach dem Tod des Erblassers entdeckte Vermögenswerte viel­ fältige Schwierigkeiten bekommen, insb. wenn der Erblasser für diese Werte keinerlei  letztwillige Verfügungen oder Vorkehrungen getroffen hat. Klar ist steuerrechtlich, dass der Tod des Erblassers ein Finanzamt grundsätzlich nicht daran hindert, auch nach dem Tod noch die „richtigen“ Steuern festzusetzen. Damit kommen auf den Erben Steuerverbindlichkeiten zu. Da für die Erbschaftsteuer nur der Nettonachlasswert Bemessungsgrundlage ist, sind die aus Steuerhinterziehungen/Steuerver­ kürzungen herrührenden Steuerverbindlichkeiten des Erblassers grundsätzlich erbschaftsteuermindernd zu berücksichtigen. Neben Problemen bei der Ermittlung der tatsächlichen Steuerschulden des Erblassers treten auch steuerrechtliche Probleme hinsichtlich des Abzugs dem Grunde nach oder auch im Wege einer Korrektur auf. Wie dargestellt, kann aber in vielen Fällen eine die Erbschaftsteuer mindernde Berücksichtigung der Steuerschulden des Erblassers und sogar der damit in Zusammenhang stehenden Rechts-/Steuerberatungskosten erreicht werden. 67 Gleich lautender Ländererlass v. 11.12.2015, BStBl. I 2015, 1028, DStR 2016, 68. 68 Gleich lautender Ländererlass v. 11.12.2015, BStBl. I 2015, 1028, DStR 2016, 68. 69 Gleich lautender Ländererlass v. 11.12.2015, BStBl. I 2015, 1028, DStR 2016, 68.

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Aktuelle Fragen des Schuldenabzugs nach § 10 ErbStG Inhaltsübersicht

I. Einleitung

II. Einzelfragen 1. Härten des Stichtagsprinzips a) Stichtagsprinzip allgemein b) Verbindlichkeit zum Stichtag 2. Wirtschaftliche Belastung a) Fallgruppen: Erblasserschulden i.S.d. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG

b) Erbfallschulden (Nr. 2) c) Wertung III. Schuldenkürzung aufgrund wirtschaftlichen Zusammenhangs versus bloß rechtlicher Zusammenhang 1. Fallgruppen 2. Wertung IV. Fazit

I. Einleitung Derzeit spielen sich die Diskussionen im ErbStG hauptsächlich im Bereich der sachlichen Steuerbefreiungen ab, konkret bei den Verschonungsregelungen nach §§ 13a ff. ErbStG nach der Reform zum 1.7.2016 oder beim in der Rechtsprechung zunehmend streitigeren Familienheim des §  13 Abs.  1 Nr.  4 Buchst. a–c ErbStG. Weniger im Brennpunkt stehen Fragen des Schuldenabzugs des § 10 ErbStG. Im Hinblick darauf, dass sich der steuerpflichtige Erwerb letztlich durch die Differenzbetrachtung der Aktiva und Passiva bestimmt, wird diesen Problemen im Hinblick auf ihre praktische Bedeutung zu wenig Bedeutung beigemessen. Der nachfolgende Beitrag wird aus der Vielzahl der in § 10 ErbStG behandelten Fragen einige herausgreifen.

II. Einzelfragen 1. Härten des Stichtagsprinzips a) Stichtagsprinzip allgemein Das Stichtagsprinzip des § 9 ErbStG beeinflusst bei einer auf den Stichtag des Übergangs abstellenden Verkehrssteuer1 maßgeblich die Steuerbelastung. Es gibt „Härten des Stichtagsprinzips“ wie die Steuerklasse III für Verlobte trotz Bestellung bereits des Aufgebotes2, aber auch tw. günstig beeinflussbare Vermögenszusammensetzungen beim Stichtag, wie es nicht selten bei dem allein stichtagbezogenen und nicht mit Nachsteuer belegten Verwaltungsvermögenstest i.S.d. § 13b Abs. 2 ff. ErbStG der Fall ist. Sehen muss man aber immer, insbesondere bei Übernahme von Ergebnissen aus 1 Vgl. zur dogmatischen Einstufung der Erbschaftsteuer Tipke, Die Steuerrechtsordnung, 2. Aufl., Bd. 2, 2003, S. 876 f. 2 BFH v. 23.3.1998 – II R 41/96, BStBl. II 1998, 396.

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Zeitraumsteuern wie der Einkommensteuer, dass der Wertansatz einer Position beim Stichtag im ErbStG definitiv ist. Anders als bei der Einkommensteuer kann damit nicht z.T. ein Wertansatz später korrigiert werden. Bei der Totalgewinnbetrachtung im EStG ergibt sich kein Unterschied3 und deshalb werden im EStG grenzwertige Ergebnisse eher toleriert. Die Kollision von EStG und ErbStG, mit der sich gerade der in dieser Festschrift ­Geehrte oft in seinen Veröffentlichungen befasst hat, tritt derzeit bei betrieblichem Vermögen und dem Verwaltungsvermögenstest dann auf, wenn dem allgemeinen Gläubigerzugriff entzogene Wirtschaftsgüter zur Rückdeckung von Altersversorgungsverpflichtungen gem. § 13b Abs. 3 ErbStG generell qualitativ aus dem Verwaltungsvermögen ausgenommen sind: Der Wertansatz der Aktiva ist noch relativ unstrittig. Da Höchstgrenze der Ausnahme aber der Wertansatz der korrespondierenden Verpflichtungen ist, hat bei den künftigen Altersvorsorgeverpflichtungen für Renten in der Zukunft der Abzinsungsfaktor entscheidende Bedeutung. Die Übernahme von Prinzipien des EStG, konkret des Zinssatzes von 6 % in § 6a EStG, wird deshalb auch zumeist generell abgelehnt4, während um die Maßgeblichkeit anderer Zinssätze gestritten wird5. b) Verbindlichkeit zum Stichtag Generell gilt, dass nur zum Stichtag erkennbare Umstände zu berücksichtigen sind, aber keine Rückschlüsse aus späteren Umständen auf den Stichtag und den dann maßgeblichen Wertansatz erfolgen dürfen6. Eine Reihe jüngerer Entscheidungen aus der erstinstanzlichen Finanzrechtsprechung zeigt die Brisanz der Fälle in der ständigen Bearbeitung von Erbschaftsteuererklärungen durch die Finanzämter: Noch ohne Relevanz des Stichtags, allein aufgrund sachlicher Zuordnung der Aufwendungen zu den nichtabzugsfähigen Verwaltungskosten des Nachlasses, sollte im „Messie-Fall“ der Aufwand des Erben für die Entmüllung des vom Erblasser anscheinend intensiv „zugemüllten“ Grundstücks ausscheiden7. Hier würde sich aber auch die Frage stellen, ob besondere Umstände zum Stichtag des Todes eine niedrigere Bewertung eines Grundstücks mit Aufbauten erzwingen. D.h. auch die Abgrenzung zwischen wertbeeinflussenden Umständen i.S.d. § 12 ErbStG und Nachlassverbindlichkeiten i.S.d. § 10 ErbStG kann im Einzelfall relevant werden und den Abzug einer Nachlassverbindlichkeit ausschließen, dann aber allerdings unter Berücksichtigung des wertmindernden Umstandes an anderer Stelle. Weiter muss eine öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Verpflichtung zum einen zum Stichtag, zumeist dem Todeszeitpunkt, überhaupt vorliegen und zum anderen 3 Maßgebender Grundsatz des EStG, vgl. dazu Schmidt/Heinicke, 36. Aufl. 2017, §  4 EStG Rz. 10 f.; Wied, in Blümich/Falk, Stand 2017, § 4 EStG Rz. 58. 4 Vgl. etwa Geck, ZEV 2016, 546, 550. 5 Vgl. auch Jülicher, in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, Stand 2017, § 13b ErbStG Rz. 253. 6 BFH v. 19.10.2005 – 11 R 64/04, BStBl. II 2006, 371, zu §§ 5, 6 EStG. 7 FG Baden-Württemberg v. 18.12.2014 – 7 K 1377/14, EFG 2015, 658.

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hinreichend konkretisiert sein. In diesem Fall kann eine Nachlassverbindlichkeit vorliegen8. Sie soll dagegen dann fehlen, wenn der Erbe eher aus eigenem Interesse handelt. So hat z.B. der BFH9 den Aufwand des Erben für die Reparatur der defekten Heizungsanlage des Hauses auch für den Fall mangels öffentlich-rechtlicher oder privatrechtlicher Verpflichtungen verneint, dass der Erblasser durch Einkauf falschen Öls nachweislich die Anlage vor dem Todestag ruiniert hatte. Umgekehrt gewährte das FG Nürnberg10 den Abzug als Nachlassverbindlichkeit bei Erschließungsbei­ trägen für eine Lärmschutzeinrichtung, bei der die Beitragsbescheide der Behörde erst nach dem Tod des Erblassers ergingen, die Rechtsbeziehung zuvor aber bereits schwebte. Die Kasuistik in diesem Bereich kann an dieser Stelle nicht erschöpfend dargestellt werden. Als geeignete Differenzierung könnten folgende Grundsätze erwogen werden: Zunächst ist die Abgrenzung vorzunehmen, ob überhaupt eine Verbindlichkeit vorliegt oder eben ggf. eine über § 12 ErbStG zu berücksichtigende Wertminderung eines zum Todestag zu bewertenden Wirtschaftsgutes. Dabei ist darauf zu achten, dass eine Verwaltungsmaßnahme, sofern vom Erben für den Nachlass frei entschieden, nach § 10 Abs. 5 Nr. 3 Satz 3 ErbStG nicht zum Abzug zugelassen ist. Dagegen ist eine Erblasserschuld dann gegeben, wenn der Erblasser den die Verbindlichkeit begründenden Kausalzusammenhang noch zu seinen Lebzeiten eingeleitet hat, ggf. durch Verursachung einer das Nachbargrundstück verunreinigenden Handlung, Erschließung etc. oder dieser Zusammenhang bereits zu seinen Lebzeiten ohne sein ­Zutun, etwa durch einen behördlichen Beschluss im Gemeinderat (Thema „Erschließung“), begründet wurde. Das entspricht der Rechtsprechung zu Steuerverbindlichkeiten einschließlich der Einkommensteuer des Todesjahres, bei denen die Festsetzung durch öffentlich-rechtlichen Bescheid erst nach dem Tod des Erblassers am Ende des Veranlagungszeitraums des Todesjahres auch unschädlich ist11. Der konkrete Erlass des Bescheides kann, bei einem Steuerbescheid wie bei einem Gebührenbescheid, nicht mehr relevant sein. Das Gleiche gilt überdies für privatrechtliche Ersatz­ ansprüche Dritter, die etwa durch Klage etc. später erst geltend gemacht werden, sofern sie zu Lebzeiten des Erblassers durch ihn begründet wurden. Eigenschäden im Vermögen des Erben, wie etwa bei einer defekten Heizölanlage (s.o.), sind aber systematisch durch einen Abzug des Ersatzaufwandes bei der Bewertung des Gegenstandes zu berücksichtigen. Denn auch bei einer Veräußerung der Immobilie müsste der Erbe den Defekt beseitigen, andernfalls ein Erwerber die Sachmängelgewährleistung in Anspruch nehmen und einen geringeren Kaufpreis zahlen würde.

8 Vgl. dazu Gebel, in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, Stand 2017, § 10 ErbStG Rz. 122 ff.; Weinmann, in Moench/Weinmann, Stand 2017, § 10 ErbStG Rz. 50a ff. 9 BFH v. 26.7.2017 – II R 33/15, DStR 2017, 2481. 10 V. 13.5.2015 – 4 K 270/14, EFG 2015, 294. 11 BFH v. 4.7.2012 – II R 15/11, BStBl. II 2012, 790.

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2. Wirtschaftliche Belastung a) Fallgruppen: Erblasserschulden i.S.d. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG Die wirtschaftliche Belastung als Voraussetzung für den Schuldenabzug ist in den letzten Jahren nicht unumstritten gewesen. Bei Erblasserschulden i.S.d. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG sah die ständige Rechtsprechung von RFH und BFH12 in der wirtschaftlichen Belastung ein zwingendes Erfordernis für den Abzug einer Erblasserschuld. Wenn ein Gläubiger des Erblassers die Ansprüche nicht mehr geltend machen will oder insbesondere nicht mehr geltend machen kann, kann der Abzug einer Nachlassverbindlichkeit nicht beansprucht werden. Auch im Betriebsvermögen wird für Betriebsschulden hier keine Ausnahme gemacht. Streitig kann deshalb nur sein, ab wann z.B. mit einer Geltendmachung einer Forderung durch einen Gläubiger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht mehr zu rechnen ist, was z.B. nicht bereits bei Unkündbarkeit zu Lebzeiten des Schuldners der Fall ist13. Ein Unterfall der mangels wirtschaftlicher Belastung nicht abzugsfähigen Schulden ist nicht in § 10 ErbStG geregelt, sondern in § 13b Abs. 8 Satz 2 1. Alt. ErbStG, der Verschonung bei Betriebsvermögen14: Nach der Gesetzesbegründung15 sollten insbesondere Fälle des Rangrücktritts erfasst werden. Dabei ist allerdings zu unterscheiden, ob der Rangrücktritt nur die Gläubigerreihenfolge bei der Befriedigung verändert, den Schuldner aber nicht entlastet, oder ob bei einem ggf. qualifizierten Rangrücktritt eine Forderung nicht mehr aus freiem Vermögen zu erfüllen ist16. Durch die neuere Rechtsprechung des BFH zu Einkommensteuerschulden aus zumeist zu Lebzeiten von ihm begangenen Steuerhinterziehungen17 ist im Bereich der Erblasserschulden i.S.d. § 10 Abs. 5 Satz 1 ErbStG die wirtschaftliche Belastung wieder als unentbehrlich herausgestellt worden. Im auf den ersten Blick vielleicht überraschenden Urteilssachverhalt war nach Anzeige der Steuerhinterziehung durch den Erben unmittelbar nach dem Tod des Erblassers durch einen Berechnungsfehler des Finanzamtes im Zusammenhang mit der Euro-Umstellung die vom Erben für den Erblasser nachzuzahlende Steuer nur hälftig angesetzt worden. Nach Bestandskraft der Einkommensteuerfestsetzung begehrte der Erbe den vollen Abzug, was ihm − für die „Luftnummer“ wohl verständlicherweise − vom BFH in Höhe des nicht festgesetzten Betrages verweigert wurde. 12 Z.B. RFH v. 25.5.1938 – III e 29/38, RStBl. 1938, 620; BFH v. 24.3.1999 – II R 34/97, BFH/NV 1999, 1339; Gottschalk, in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, Stand 2017, § 10 ErbStG Rz. 129. 13 Z.B. BFH v. 27.3.1996 − I R 3/95, BStBl.  II  1996, 470; vgl. auch Weinmann, in Moench/ Weinmann, Stand 2017, § 10 ErbStG Rz. 46; Geck, in Kapp/Ebeling, Stand 2017, § 10 ErbStG Rz. 46. 14 Fassung gem. Gesetz zur Anpassung des ErbStG an die Rechtsprechung des BVerfG v. 4.11.2016, BGBl. I 2016, 2464, anwendbar ab 1.7.2016 gem. § 37 Abs. 12 Satz 1 ErbStG. 15 BR–Drs. 18/8911, 47. 16 Vgl. Kotzenberg/Jülicher, GmbHR 2016, 1135, 1139; zum Rangrücktritt allgemein BFH v. 28.9.2016 − II R 64/14, BStBl. II 2016, 104; im EStG Schmidt/Weber-Grellet, 36. Aufl. 2017, § 5 EStG Rz. 550 „Gesellschafterfinanzierung“. 17 BFH v. 28.10.2015 – II R 46/13, BStBl. II 2016, 477; dazu Loose, ErbR 2016, 316.

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Schuldenabzug nach § 10 ErbStG

b) Erbfallschulden (Nr. 2) Unsicherer ist, ob auch bei Erbfallschulden i.S.d. § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG eine wirtschaftliche Belastung des zur Erfüllung verpflichteten Erwerbers vorliegen muss18. Betroffen sind jetzt primär Verbindlichkeiten aus Vermächtnissen sowie geltenden gemachten Pflichtteilen. Der überwiegende Teil der Streitigkeiten in diesem Bereich rührt aus Konstruktionen her, durch die bei einem Berliner Testament mit Alleinerbeneinsetzung des überlebenden Ehepartners versucht wird, den andernfalls unvermeidbaren Verlust des persönlichen Freibetrages nach dem Erstverstorbenen für ein Kind als Schlusserben (§ 16 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG)19 zu vermeiden. Das Problem würde sich nicht stellen, wenn der deutsche Gesetzgeber die Bereitschaft hätte, in diesen Fällen  − wie im anglo-amerikanischen Rechtskreis üblich20  − auch im deutschen Recht eine Übertragbarkeit des ungenutzten Kinderfreibetrages bei in ausreichender Höhe übergehendem Vermögen des erstverstorbenen Ehepartners auf den Längstlebenden zu gewähren. Da dies utopisch erscheint, werden die nicht selten künstlich erscheinenden Konstruktionen weiterhin Bedeutung erlangen. Vom BFH zunächst entschieden wurde der Fall, dass die beim ersten Sterbefall enterbten und pflichtteilsberechtigten Kinder den Pflichtteil nicht geltend machten und dafür eine Abfindung erhielten, die erst beim Tod des überlebenden, längstlebenden Ehepartners fällig wurde21. Nicht anders zu entscheiden wäre danach auch für die früher auch als „Supervermächtnis“22 bezeichneten Vermächtnisse, die beim Tod des ersten Ehepartners bereits vom Erblasser ausgesetzt waren, aber eben erst beim Tod des zweiten zu erfüllen waren und deshalb für letzteren zu Lebzeiten mangels wirtschaftlicher Belastung keine abzugsfähige Nachlassverbindlichkeit begründen sollen. Hinzugetreten sind zuletzt dann die Fälle, in denen im Sachverhalt beide Ehepartner bereits verstorben waren: Vom BFH entschieden ist der Fall, dass der Pflichtteilsberechtigte durch Tod des überlebenden Ehepartners vor der Verjährung des Pflichtteils nach dem ersten Todesfall in die Lage versetzt wurde als jetzt dessen Alleinerbe, den Pflichtteil nach seinem Tod „posthum“ gegen sich selbst als jetzt den Erben des vormaligen Pflichtteilsschuldners geltend zu machen.23 Zweifach anhängig beim BFH mit divergierenden vorinstanzlichen Entscheidungen ist die gleiche Konstellation im Fall, dass beim Tod des längstlebenden Ehepartners der Pflichtteilsanspruch gegen den ersten bereits verjährt ist.24 18 Dagegen Gottschalk, in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, Stand 2017, § 10 ErbStG Rz. 173. 19 Vgl. dazu Weinmann, in Moench/Weinmann, Stand 2017, § 15 ErbStG Rz. 48; zu Alternativen Jülicher, in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, Stand 2017, § 15 ErbStG Rz. 171 ff. 20 Vgl. Jülicher, in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, Stand 2017, § 21 ErbStG Rz. 202 (Großbritannien), 131 (Südafrika), 136 (USA); sog. „portability“ or „transfer of unused thresholds“. 21 BFH v. 27.6.2007 – II R 30/05, BStBl. II 2007, 651. 22 Dazu J. Mayer, DStR 2004, 1409; Keim, ZEV 2017, 6. 23 BFH v. 19.2.2013 – II R 47/11, BStBl. II 2013, 332; dazu Steghaus, ErbStB 2017, 12. 24 Pro Absetzbarkeit Schl.-Holst. FG v. 4.5.2016 – 3 K 148/15, EFG 2016, 1102 – Rev. BFH II R 17/16; contra Hess. FG v. 3.11.2015 – 1 K 1059/14, EFG 2016, 298 – Rev. BFH II R 1/16.

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c) Wertung Der Bereich des Schuldenabzugs gehört zum II. Abschnitt des ErbStG „Wertermittlung“. Hier ist eine wirtschaftliche Betrachtungsweise, die bei den Erwerbstatbeständen des I. Abschnitts der §§  1 bis 9 ErbStG nach überwiegender Auffassung nicht zulässig ist25, in größerem Umfang möglich. Weiter ist das ErbStG in Deutschland schwerpunktmäßig vom Bereicherungsprinzip26 geprägt. D.h. besteuert wird der Nettoerwerb, also die Bereicherung des Erwerbers, als Ausdruck seiner erhöhten Leistungsfähigkeit.27 Daraus ergibt sich als immanente Schranke des Schuldenabzugs zunächst, dass auf die wirtschaftliche Belastung nach dem Normzweck des ErbStG nicht verzichtet werden kann. Es wäre wohl auch im Hinblick auf den oft auch an anderer Stelle betonten Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG äußerst zweifelhaft, die steuerpflichtige Nettobereicherung eines Erwerbers geringer anzusetzen als den Wert des Aktiverwerbs, nur weil er fiktive, gar nicht von ihm als Schuldner zu bedienende Verpflichtungen geltend macht. Für das Fehlen einer wirtschaftlichen Belastung müssen, gerade bei den Erblasserschulden i.S.d. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG, aber schon Umstände vorliegen, die den Schuldner von der Schuld befreien. Denn für ihn ist die Schuld immer zunächst eine volle Verbindlichkeit, auch wenn wegen zweifelhafter Realisierbarkeit beim Gläubiger in Abweichung vom sonst im ErbStG üblichen Korrespondensprinzip ein geringerer Wertansatz vorzunehmen ist28. Bei den Erbfallschulden i.S.d. § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG besteht gegenüber den Erblasserschulden die Abweichung, dass Forderung und Verbindlichkeit beide zum Nachlass gehören, anders als etwa bei einer Einkommensteuerverbindlichkeit, die während der Lebenszeit des Erblassers entstand. Gerade deshalb wird auch im Schrifttum darauf hingewiesen, dass eine doppelte erbschaftsteuerliche Erfassung, z.B. eines Vermächtniserwerbs und einer Nachlassverbindlichkeit, durch ungerechtfertigte Erhöhung des Nachlasses zu vermeiden ist29. Danach ist die wirtschaftliche Belastung in diesen Fällen nicht erforderlich, soweit eine korrespondierende Erfassung des Nachlassaktivums gegeben ist. Die Gegenauffassung30 verlangt auch hier die wirtschaftliche Belastung. Aus dem Bereicherungsprinzip ergibt sich aber wohl die Richtigkeit der Auffassung, die eine Vergrößerung des Nachlasses durch eine bloße Erfassung des Aktivums ohne Berücksichtigung des im gleichen Zusammenhang entstehenden Passivums ablehnt.

25 Vgl. Meincke/Hannes/Holtz, 13. Aufl. 2017, Einf. Anm. 13; Gebel, in Troll/Gebel/Jülicher/ Gottschalk, Stand 2017, Einf. Rz.  32 (Bearb. 2009); Pahlke, in Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017 Einf. Rz. 4. 26 Dazu Meincke/Hannes/Holtz, § 1 Anm. 4; Gebel, in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 11 ErbStG Rz. 9. 27 Zur systematischen Rechtfertigung Tipke, in Tipke, Die Steuerrechtsordnung, 2. Aufl., Bd. 2, 2003, S. 869 ff. 28 BFH v. 26.2.2003 – II R 19/01 BStBl. II 2003, 561; vgl. Jülicher, in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, Stand 2017, § 12 ErbStG Rz. 122. 29 Gottschalk, in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, Stand 2017, § 10 ErbStG Rz. 173. 30 Jochum, in Wilms/Jochum, Stand 2017, § 10 Rz. 130.

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Beim Vermächtnis ist Steuerentstehungsstichtag i.S.d. § 9 ErbStG der Todestag des Erblassers (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Wenn eine Belastung erst später fällig wird als zu diesem Zeitpunkt, stellt sich immer noch die Frage ihrer Abzinsung. Hier wäre es wohl zulässig, auch eine später fällig werdende Pflichtteilslast entsprechend abzuzinsen, wobei die in der heutigen Zeit esoterischen Abzinsungsfaktoren des BewG von 5,5 % ohne Korrektur im Regelfall (nach § 12 Abs. 3 Satz 2 BewG) nach längerer Zeitspanne eine Entwertung der Schuld bedeuten. Mit einer − realitätsgerechten − Abzinsung ließe sich aber auch z.B. der Fall lösen, bei dem der überlebende Ehepartner beim Berliner Testament mit einem bei seinem Tod erst fällig werdenden Auszahlungsanspruch belastet ist. Die wirtschaftliche Belastung allein mit der Fälligkeit erst zu seinem Tod zu verneinen, erscheint unzutreffend. Denn sein Nachlass ist letztlich belastet und damit ist die wirtschaftliche Belastung unter Berücksichtigung der erst späteren Fälligkeit auch bei seinem Erwerbsantritt gegeben. Schwieriger zu beurteilen ist die Frage der Belastung durch einen verjährten Anspruch. Die Verjährung ist im BGB eine sog. „peremptorische“ Einrede, die den Anspruch des Gläubigers dauerhaft vernichtet, aber nicht automatisch, sondern nur nach Berufung des Schuldners auf Verjährung. Kaufleute pflegen sich regelmäßig auf Verjährung zu berufen. In Familienkreisen ist die Berufung auf Verjährung aber nicht zwingend. Nach dem BFH sollen für das auf Familienverhältnisse bei der Differenzierung nach Steuerklassen abstellende ErbStG die Grundsätze des Fremdvergleichs nicht gelten31. Demnach erscheint es gerechtfertigt, zumindest eine bloße „Einredebehaftetheit“, also z.B. die eingetretene Verjährung, anders als eine einen Automatismus hinsichtlich der Anspruchsvernichtung auslösende Einwendung, als unschädlich für die wirtschaftliche Belastung anzusehen. Im Rechtsverkehr zweier sich nahestehender Personen wird, z.T. durchaus auch der verjährte Anspruch bedient, zumal die Verjährung oft sehr streitig ist. Diese Grundsätze dann allein aus einer wertenden Betrachtung heraus anders anzuwenden allein deshalb, weil letztlich im Fall des Berliner Testaments nach dem Tod des zweiten Ehepartners Gläubiger und Schuldner ab einem bestimmten Zeitpunkt identisch sind und der Interessenkonflikt ausfällt, erscheint nicht zulässig. Denn dagegen spricht bereits das Konfusionsverbot des ErbStG in § 10 Abs. 3 ErbStG, das auch zu Gunsten des Steuerpflichtigen im Einzelfall wirken kann. Im Ergebnis ist deshalb die wirtschaftliche Betrachtungsweise bei den fiktiven Erblasserschulden unerlässlich, bei den Erbfallschulden nur dann geboten, wenn dadurch keine Vergrößerung des Nachlasses für Zwecke des ErbStG über den tatsächlichen Nachlass hinaus eintritt. Außerdem sind Einwendungen ggf. mit dem Ergebnis eines Ausschlusses des Abzugs zu berücksichtigen, aber nicht der bloße Verjährungstatbestand ohne Geltendmachung seitens des Schuldners. Ebenso sind auf die Lebenszeit in ihrer Fälligkeit ausgenommene Verbindlichkeiten zu berücksichtigen, ggf. mit Abzinsung.

31 BFH v. 25.10.1995 – II R 45/92, BStBl. II 1996, 11.

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III. Schuldenkürzung aufgrund wirtschaftlichen Zusammenhangs ­versus bloß rechtlicher Zusammenhang 1. Fallgruppen Nach § 10 Abs. 6 Satz 4 bzw. Satz 5 ErbStG sind Schulden zu kürzen, die im Zusammenhang mit Vermögen stehen, das nach §§ 13a ff. ErbStG durch Abschläge zwischen 10 % (vermietete Wohnimmobilien i.S.d. §  13d ErbStG) oder 100  % (betriebliches Vermögen bei Vollbefreiung i.S.d. § 13a Abs. 10 ErbStG) entlastet ist. Damit soll ein Schuldenüberhang allein aufgrund steuerlich niedrigeren Wertansatzes des Aktivums aufgrund gesetzlicher Regelung vermieden werden, wie er insbesondere während der Ägide der Einheitsbewertung bei Grundbesitz nicht selten auftrat und die Rechtsprechung zu tw. eher künstlichen Konstruktionen wie der „Verhältnisrechnung“ bei gemischten Schenkungen32 bewegte. Mehrere Fallgruppen sind vom BFH zuletzt dahingehend entschieden worden, dass die Verknüpfung aufgrund wirtschaftlichen Zusammenhangs der Schuld mit einem Einzelwirtschaftsgut bestehen muss. Nicht ausreichend ist danach ein bloßer rechtlicher Zusammenhang dadurch, dass auf dem gesamten Nachlass aufgrund einer BGB-Vorschrift eine Verbindlichkeit, z.B. aus einem Vermächtnis, einem Pflichtteil oder einer Zugewinnforderung liegt33. Die Urteile ergingen im Ergebnis zugunsten des Steuerpflichtigen, dem die volle Schuldenkürzung zugestanden wurde, obschon im Nachlass konkret nach §§ 13a ff. ErbStG entlastetes Vermögen vorhanden war. Die Rechtsprechung könnte sich aber auch einmal zum Nachteil des Steuerpflichtigen auswirken. Denn das Kriterium des wirtschaftlichen Zusammenhangs i.S.d. §  10 ErbStG stammt letztlich historisch aus § 10 Abs. 6 Satz 2 ErbStG. Danach ist bei nur beschränkter Steuerpflicht der wirtschaftliche Zusammenhang einer Schuld mit dem dann einzig in Deutschland steuerpflichtigen Inlandsvermögen (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG i.V.m. § 121 BewG) für den Schuldenabzug entscheidend. Dabei ging die Rechtsprechung vom fehlenden wirtschaftlichen Zusammenhang beim Vermächtnis aus, dagegen von einem bestehenden wirtschaftlichen Zusammenhang beim Pflichtteil34. Ob diese Rechtsprechung aufrecht zu erhalten wäre, konkret für den Pflichtteil, erscheint angesichts der BFH-Urteile vom 22.7.2015 fraglich. Als Korrektiv hatte die Rechtsprechung ohnehin bereits vorgesehen, dass bei der Berechnung z.B. einer ­abzugsfähigen Pflichtteilslast die steuerfreien Nachlassgegenstände auszuklammern waren. Deshalb war nur der auf den steuerpflichtigen Nachlass, z.B. bei beschränkter Steuerpflicht auf das Inlandsvermögen, entfallende Teil des geltend gemachten Pflichtteils abzugsfähig35. 32 Dazu Gebel, in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, Stand 2017, § 7 ErbStG Rz. 206. 33 Vgl. BFH jeweils v. 22.7.2015 – II R 21/13, BStBl. II 2016, 228 (Untervermächtnis); II R 12/14, BStBl. II 2016, 230 (Pflichtteil und Zugewinn). 34 BFH v. 21.7.1972 – III R 44/70, BStBl. II 1973, 3. 35 BFH v. 21.7.1972 – III R 44/70, BStBl. II 1973, 3; dazu Gottschalk, in Troll/Gebel/Jülicher/ Gottschalk, Stand 2017, § 10 ErbStG Rz. 249.

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2. Wertung Das Kriterium des wirtschaftlichen Zusammenhangs ist gerade im internationalen Vergleich aus den Regelungen der OECD zum Schuldenabzug in Doppelbesteuerungsabkommen bekannt. Dort wird zwar nicht wörtlich ein wirtschaftlicher Zusammenhang gefordert (vgl. Art. 8 Abs. 1 OECD-MA-ErbSt 1982), aber doch ein Zusammenhang mit dem Erwerb, der Änderung, der Instandsetzung oder der Instandhaltung solchen Vermögens. Das spricht eher für eine Abkehr von der Berücksichtigung eines rechtlichen Zusammenhangs allein aufgrund Verknüpfung über Gesetzesnormen, und zwar hin zu einer Konzentration auf Aufwendungen, die letztlich dem Gegenstand zugutekommen. Gegen eine Berücksichtigung rein rechtlicher Zusammenhänge spricht auch die seitens der OECD vom wirtschaftlichen Zusammenhang stets getrennt betrachtete Besicherung einer Forderung durch einen konkreten Gegenstand, die (vgl. Art. 8 Abs. 1 OECD-MA-ErbSt), die gerade nicht unter den wirtschaftlichen Zusammenhang fällt. Aus der deutschen Rechtsprechung des BFH ist dann ein Fall interessant, bei dem es zur Kollision von wirtschaftlichem und rechtlichem Zusammenhang kommt: Der BFH hat auch im Zusammenhang mit der Anwendbarkeit der Schuldenkürzung bei nach damals § 13a ErbStG a.F. (bis 31.12.2008) entlastetem Vermögen eine Schuldenkürzung nach § 10 Abs. 6 Satz 4 ErbStG a.F. für den Abzug einer Nießbrauchslast bei Schenkung eines Einzelwirtschaftsguts (konkret eine GmbH-Beteiligung) unter Nießbrauchsvorbehalt bejaht36. Unmittelbar ist der Zusammenhang rechtlicher Natur, wie sich aus der Regelung des Nießbrauchsrechts an Sachen bzw. Rechten in §§ 1030 ff. bzw. §§ 1068 ff. BGB ergibt. Zugleich ist der Nießbrauch aber als Fruchtziehungsrecht auch letztlich eine wirtschaftliche Belastung des Gegenstandes, denn dem so belasteten Eigentümer fehlen die Erträge. Der nicht unumstrittene Fall zeigt aber, wie eng wirtschaftliche und rechtliche Belastung zusammenliegen können. Nicht klar ist, wie bei Zusammentreffen der Vorrang zu sehen ist. Auch z.B. beim Pflichtteil wird zwar nicht der Ertrag des Gegenstandes abgeschöpft, aber mit dem gesamten Nachlass ist eben auch jeder konkrete Einzelgegenstand pflichtteilsbelastet. Wenn man deshalb – wie die OECD in internationaler Hinsicht – für den Zusammenhang letztlich den Nutzen der Schuld für den Gegenstand (z.B. als Sicherung bei kreditfinanzierten Verwendungen hierauf) betrachtet, dürfte der Nießbrauch damit aber nicht im wirtschaftlichen Zusammenhang stehen. Denn beide Male werden Erträge unter Verringerung des Werts des Gegenstandes für den konkreten Eigentümer abgeschöpft. Die Thematik ist sicher noch nicht abschließend entschieden. Wünschenswert wäre eine gesetzgeberische Definition des wirtschaftlichen Zusammenhangs für alle betroffenen Fälle des § 10 ErbStG.

36 BFH v. 6.7.2005 – II R 34/03, BStBl. II 2005, 797; dazu Gottschalk, in Troll/Gebel/Jülicher/ Gottschalk, Stand 2017, § 10 ErbStG Rz. 260.

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IV. Fazit Die Regelungen des § 10 ErbStG zum Abzug von Schulden und Nachlassverbindlichkeiten, überdies über § 1 Abs. 2 ErbStG auf Schenkungen anwendbar37, ist ein Fundus für Streitfälle zwischen Steuerpflichtigen und Finanzverwaltung. Zunächst ist ein Umstand als Nachlassverbindlichkeit zu identifizieren, in Abgrenzung von einem die Stichtagsbewertung nach § 12 ErbStG beeinflussenden Faktor. Bei Verbindlichkeiten gegenüber Dritten, öffentlich-rechtlichen oder privatrechtlichen Gläubigern sollte die Begründung der Verpflichtung durch den Erblasser allein in Form des Verursachungszusammenhangs ausreichen. Maßgeblich kann nicht der Zeitpunkt der bloßen Geltendmachung des Anspruchs durch den Gläubiger sein. Die wirtschaftliche Belastung des Schuldners ist weiter in jedem Fall bei Erblasserschulden (Nr. 1) erforderlich. Bei Erbfallschulden (Nr. 2) muss als Korrektiv aber die Begrenzung der steuerpflichtigen Erwerbe aller am Nachlass dinglich oder schuldrechtlich Beteiligten auf den Gesamtumfang des Nachlasses wirken. Die fehlende Erfüllungsverpflichtung zu Lebzeiten kann nicht den Ausschluss der wirtschaftlichen Belastung begründen, wenn der Nachlass des Schuldners damit belastet ist und sie nicht etwa mit seinem Tod endet. Der wirtschaftliche Zusammenhang wird, wohl entsprechend der international üblichen Abgrenzung, einen Nutzen von Aufwendungen und Belastungen für das konkrete Wirtschaftsgut erfordern. Nicht ausreichend dürfte dagegen die reine Wertminderung durch eine rechtliche Verpflichtung sein, mag sie auch das Einzelwirtschaftsgut nebst anderen betreffen.

37 Vgl. BFH v. 8.10.2003 – II R 46/01, BStBl. II 2004, 234.

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Das ErbStG 2016 – Innenansichten einer Reform Inhaltsübersicht

I. Musste die Reform eigentlich so ­kompliziert ausfallen?

II. Zehn Prozent auf alles, außer …? III. Fünf Vorschläge für eine nochmalige Nachjustierung der ErbSt-Reform 1. Einheitlicher Verschonungsabschlag 2. Einheitlich volle Schuldenverrechnung 3. Junges Verwaltungsvermögen nur im Einlagefall 4. Unternehmensbewertung 5. Großerwerbe

IV. Wie die Methode, so das Produkt – Gedanken zum Verfahrensablauf 1. Zeittafel zum Gesetzgebungsverfahren 2. Verfassungsrechtliche Klippen 3. Eindrücke aus dem Verlauf des ­Reformverfahrens a) Die Tätigkeit von BMF und Bund-Länder-Arbeitsgruppe b) Von Regierungsbeschluss über die Bundesratsstellungnahme bis zum ersten Bundestagsbeschluss c) Das Vermittlungsverfahren

V. Versuch eines Fazits

Mit dem Jubilar Georg Crezelius verbindet der Verfasser Erinnerungen an viele fruchtbare Gespräche zum Unternehmenssteuerrecht im Allgemeinen wie auch zur Unternehmenserbschaftsteuer im Besonderen. Diese Diskussionen auf einem Podium oder beim Abendessen waren oft kontrovers und manchmal spitzzüngig, aber immer offen und freundschaftlich in der Sache: Gedankenaustausch im besten Sinne eines fachlichen Diskurses. Georg Crezelius erscheint mir daher als der ideale Adressat für einige grundlegende Betrachtungen zur neuen Unternehmenserbschaftsteuer, die sich aus dem Prozess vor dem BVerfG zum einen und dem nachfolgenden Gesetzgebungsverfahren zum anderen ergeben.

I. Musste die Reform eigentlich so kompliziert ausfallen? Nein, das musste sie nicht. Die Begünstigung von Betriebsvermögen setzt natürlich voraus, dass man den Begünstigungsgegenstand bestimmt, nicht begünstigte Vermögensteile ausgrenzt und zudem Bedingungen an die Fortführung des Betriebs formuliert. Dazu sind folgende Fragen zu klären: 1) Was ist begünstigtes Betriebsvermögen? Unter welchen Umständen sind insbesondere auch Minderheits-Beteiligungen an Kapitalgesellschaften begünstigungswürdig? Was ist bei Beteiligungen an vermögensverwaltenden Personen- oder Kapitalgesellschaften?

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2) Welche Vermögensgegenstände sind aus dem begünstigten Betriebsvermögen auszusondern, weil sie selbst (als „Verwaltungsvermögen“) nicht begünstigungswürdig sind? 3) Wie kann speziell der zu begünstigende betriebsnotwendige Bedarf an Finanzmitteln bestimmt werden? 4) Nach welchen Regeln sind die zum Betrieb gehörenden Schulden dem begünstigten bzw. dem nicht begünstigten Teil des Erwerbs zuzuordnen? 5) Wie sind die Fragen zu 1) bis 4) zu beantworten, wenn zu dem übertragenen Betriebsvermögen Anteile an Tochtergesellschaften oder an weiter nachgeordneten Gesellschaften gehören? 6) Wie soll der Begünstigungsmechanismus aussehen? Durch welche Fortführungsbedingungen ist der Begünstigungsgrund  – Erhalt des produktiven Unternehmens und seiner Arbeitsplätze in Familienhand – über den Erwerbszeitpunkt hinaus abzusichern? Welche besonderen Einschränkungen sind für Großerwerbe vorzusehen? 7) Welche Vorgaben und Handlungsspielräume bestehen bei der Unternehmensbewertung? Diese Fragen sind im Reformgesetz beantwortet worden. Aus Gründen, die zu diskutieren sein werden, wurde dabei nicht immer die einfachste, fachlich naheliegende Lösung gefunden1.

II. Zehn Prozent auf alles, außer …? Aber ist eine Begünstigung für Betriebsvermögen überhaupt erforderlich? Vom Wissenschaftlichen Beirat beim BMF2, vom früheren Vorsitzenden des II. BFH-­ Senats H.U. Viskorf3 sowie von zahlreichen prominenten Hochschullehrern war vorschlagen worden, die Ausnahmen und Verschonungsregelungen in der ErbSt grundsätzlich zu streichen und das dadurch zusätzlich generierte Steuersubstrat für eine allgemeine Senkung der Steuersätze zu verwenden. Dabei wurde ein durchschnittlicher4 Steuersatz von 10 % für möglich gehalten. 1 Auf weitere Entwicklungen, insbesondere die Ländererlasse vom 11.5.2017, BStBl. I 2017, 751 und vom 22.6.2017, BStBl. I 2017, 902 ff. wird hier nicht eingegangen. 2 „Die Begünstigung des Unternehmensvermögens in der Erbschaftsteuer“ – Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen, 01/2012. 3 Handelsblatt vom 22.1.2013 unter dem hübschen Titel: „BFH für mehr Erbschaftsteuer – Vizepräsident Hermann-Ulrich Viskorf regt Einheitssatz von zehn Prozent an“. 4 In der Diskussion ist nicht immer klar gewesen, ob die Gesprächsteilnehmer nur die Steuersätze in § 19 ErbStG allgemein senken wollen, also an einer progressiven ErbSt festhalten, oder ob sie eine echte „flat tax“, also einen Einheitstarif von 10 % anstreben. Der Einheitstarif würde den Umverteilungsgedanken der ErbSt zunichte machen. S.  dazu BT-Drucks. VI/3419, 49 sowie z.B. Art. 123 Abs. 3 der Verfassung des Freistaats Bayern: „Die Erbschaft-

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Forderungen dieser Art werden auch in jüngerer Zeit immer wieder erhoben. Nach Berechnungen aus dem Jahr 20095 entfiel das der ErbSt unterliegende Vermögen zu etwa gleichen Teilen auf Betriebsvermögen und auf Nicht-Betriebsvermögen wie privaten Grundbesitz, private Finanzmittel, etc. Rechnete man die progressive ErbSt in gewichtete Durchschnittsätze um, ergab sich für das Nicht-Betriebsvermögen ein Durchschnittssteuersatz von etwa 18  % und für das Betriebsvermögen ein Durchschnittssatz von 2 bis 3 %. Wie die nachfolgende Skizze veranschaulicht, würden bei einem Durchschnittssteuersatz von 10  % und verbreiterter Bemessungsgrundlage große Privatvermögen erheblich entlastet, während andererseits die Belastung für Betriebsvermögen auf etwa das Drei- bis Fünffache gegenüber dem damaligen Status quo steigen müsste.

Durchschnittssteuersatz

Nicht-BV

BV

Eine derartige Vervielfältigung der Belastung würde familiengeführte Unternehmen vielleicht nicht unbedingt existenzgefährdend treffen, aber doch in ihrer Investitionskraft empfindlich schwächen. Angesichts des starken internationalen Wettbewerbs ist eine solche Lastensteigerung nach allgemeiner Überzeugung der verantwortlichen politischen Parteien standortpolitisch nicht vertretbar6. Viskorf hatte vorgeschlagen, einen zusätzlichen Teil des Aufkommensbedarfs über die allgemeine Kürzung der persönlichen Freibeträge abzudecken. Dadurch könnte der für die Unternehmen maßgebliche Steuersatz etwas geringer angesetzt werden, aber steuer dient auch dem Zweck, die Ansammlung von Riesenvermögen in den Händen Einzelner zu verhindern“. 5 Verwaltungsberechnungen unter Berücksichtigung insbesondere von Houben/Maiterth, „Zurück zum Zehnten – Modelle für die nächste Erbschaftsteuerreform“, 5/2009. Aus neuerer Zeit s. Maiterth DB 2014, 2301. 6 Im Koalitionsvertrag der schwarz-roten Bundesregierung hieß es: „Die Erbschaftsteuer ermöglicht in ihrer jetzigen Ausgestaltung den Generationswechsel in den Unternehmen und schützt Arbeitsplätze. Sie bleibt den Ländern als wichtige Einnahmequelle erhalten.“

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das Grundproblem der Lastensteigerung wäre nicht ausgeräumt. Zudem wäre die Absenkung der persönlichen Freibeträge verteilungspolitisch fragwürdig und wegen der Steigerung der Fallzahlen auch unwirtschaftlich. Der Wissenschaftliche Beitrat beim BMF wollte etwaigen Härten aus einer Verbreiterung der Bemessungsgrundlage durch Steuerstundung begegnen. Dazu müsste aber dann doch wieder das stundungswürdige Betriebsvermögen von dem sonstigen nicht allgemein stundungswürdigen Vermögen abgegrenzt werden, woraus sich dieselben Abgrenzungsfragen ergeben wie oben dargestellt. Zur Vereinfachung trägt der Vorschlag des Wissenschaftlichen Beirats also nichts bei. Die Streichung der Begünstigung für Betriebsvermögen ist im Gesetzgebungsverfahren eingehend erörtert und aus den dargelegten Gründen zu Recht verworfen worden. Ergänzend sind auch „unechte“ flat tax Modelle erörtert worden, wie z.B. der Vorschlag, das Nicht-Betriebsvermögen mit 10  % des Verkehrswerts zu besteuern und bei Betriebsvermögen zwar auch den 10%-Satz anzuwenden, ihn dort aber nicht auf die Vermögenswerte, sondern auf die Gewinne oder Entnahmen einiger nachfolgender Jahre zu beziehen. Solche Taschenspielertricks tragen natürlich den Stempel der Verfassungswidrigkeit auf der Stirn. Daher bleibt also nur die Erkenntnis, dass es bei Beibehaltung der ErbSt mit einem Aufkommen in der gegenwärtigen Größenordnung ohne Verschonung für Betriebsvermögen nicht geht7.

III. Fünf Vorschläge für eine nochmalige Nachjustierung der ErbSt-Reform Dem Vernehmen nach besteht in allen politischen Parteien die Neigung, den Reformkompromiss nochmals zu überarbeiten. Aus Sicht des Verfassers bieten sich dazu folgende Maßnahmen an: 1. Zusammenfassung der beiden alternativen Verschonungsabschläge von 85 % und 100 % zu einem einheitlichen Satz von z.B. 92 %, ggf. ergänzt um eine Erhöhung des für Kleinunternehmen gedachten gleitenden Abzugsbetrags nach § 13a Abs. 2 ErbStG; 2. Einheitlich volle Schuldenverrechnung anstelle der bisher teils quotalen, teils vollen Schuldenverrechnung (§ 13b Abs. 6 ErbStG einerseits, § 13b Abs. 3, Abs. 4 Nr. 5 ErbStG 2016 andererseits); 3. Beschränkung der Missbrauchsklauseln zum jungen Verwaltungsvermögen auf Einlagen des Schenkers/Erblassers und bestimmte gleichwertige Vorgänge;

7 Auch das BVerfG hat den Stundungsansatz als weniger effektiv abgelehnt, s. Rz.  154 des Urteils vom 17.12.2014 − 1 BvL 21/12, BStBl. II 2015, 50, FR 2015, 160.

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4. Rückkehr zur früheren Berechnungstechnik des Vervielfältigers für die Unternehmensbewertung nach § 203 Abs. 1 BewG; künftig laufende Nachjustierung des (Risiko-)Zuschlags durch Verprobung anhand von echten Verkaufsfällen unter fremden Dritten; 5. Zusammenfassung von § 13c und § 28a ErbStG 2016: Deckelung der Verschonung entsprechend dem Prozentsatz, zu dem der begünstigte Erwerb die Großfallgrenze von z.Zt. 26 Mio. Euro übersteigt, soweit zur Steuerzahlung einzusetzende Mittel vorhanden sind. Dabei sollten das selbst erwirtschaftete Vermögen des Erwerbers sowie steuerbefreite Gegenstände verschont bleiben. 1. Einheitlicher Verschonungsabschlag Das neue Verschonungskonzept arbeitet wie das seit 2009 geltende Recht mit zwei Verschonungssätzen von 85  % und 100  %. Dieses Nebeneinander macht nur Sinn, wenn die Bedingungen für die großzügigere Verschonung enger sind. Die auf sieben statt fünf Jahre verlängerte Behaltensfrist (vgl. § 13a Abs. 10 ErbStG 2016) ist für sich allein nicht wirklich erheblich. Dies gilt umso mehr, als der Erwerber den Antrag auf Vollverschonung oft hinauszögern kann, bis das Ende der Frist schon fast erreicht ist. Nach Ermittlungen im Gesetzgebungsverfahren machte die Unternehmenserbschaftsteuer seit 2009 etwa 10 % der Gesamt-ErbSt aus. Das Aufkommen aus der Unternehmenserbschaftsteuer wiederum beruhte zu bis 80 % darauf, dass die Unternehmen nicht die Vollverschonung, sondern nur die 85%ige Regelverschonung wählen konnten, zu knapp 3 % auf den Regeln zum jungen Verwaltungsvermögen, zu rd. 15 % auf der Verwirklichung der Nachsteuertatbestände und im Übrigen auf Fällen, bei denen sogar die 50%-Grenze des § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG 2008 überschritten war. Nach Auskunft von Praktikern aus Steuerberaterschaft und Finanzverwaltung bestand die entscheidende Hürde für die Wahl der Vollverschonung nicht in den längeren Bindungsfristen, sondern in dem Erfordernis des § 13a Abs. 8 Nr. 3 ErbStG 2008, dass das Verwaltungsvermögen nicht mehr als 10 % des Unternehmenswerts betragen darf. Im Entwurf der Bundesregierung war diese vom BVerfG nicht gerügte Grenze entfallen, ohne dass die Aufkommenswirkungen der Maßnahme berücksichtigt wurden. Der Bundesrat wollte daher an der 10%-Hürde festhalten. Im Vermittlungsverfahren ist die 10%-Hürde dann doch wieder aufgenommen, aber kompromissweise von 10 % auf 20 % erhöht worden, s. § 13a Abs. 10 Satz 2 ErbStG 20168. Viele Stimmen haben sich dafür ausgesprochen, auf die Spaltung in zwei Verschonungssätze zu verzichten. Der einheitliche Verschonungssatz von z.B. 92 % würde die Regelung planbarer machen. Zudem ergäben sich einheitliche Lohnsummen- und Behaltefristen nach §  13a Abs.  3 und 6 ErbStG; die 20%-Hürde des §  13a Abs.  10 Satz 2 ErbStG könnte ersatzlos wegfallen. Für kleinere Unternehmen käme flankie-

8 Zur Rechtfertigung s. Bundesrats-Stellungnahme vom 25.9.2015, BR-Drucks. 353/15 (Beschluss) Seite 14.

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rend eine Erhöhung des gleitenden Abzugsbetrags nach § 13a Abs. 2 ErbStG in Betracht. 2. Einheitlich volle Schuldenverrechnung Die vom BVerfG beanstandete Verwaltungsvermögensgrenze des § 13b Abs. 2 Satz 1 ErbStG 2008 von 50 % des Unternehmenswerts hatte den praktischen Vorteil, dass man in vielen Fällen auf eine genaue Wertermittlung für das Verwaltungsvermögen verzichten konnte. Es machte keinen Unterschied, ob der Wert der als Verwaltungsvermögen identifizierten Wirtschaftsgüter z.B. bei 37,5  % des Unternehmenswerts oder mehr lag, wenn nur die 50%-Grenze eingehalten war. Auch brauchte man über die rechtliche Qualifikation einzelner Wirtschaftsgüter als Verwaltungsvermögen oder als produktives Vermögen nicht zu streiten, sofern die 50%-Grenze selbst bei Einordnung als Verwaltungsvermögen gewahrt blieb. Dadurch wurden Zufälligkeiten in der Zusammensetzung des Vermögensbestands zum Besteuerungsstichtag sowie Unschärfen in der Unternehmensbewertung abgepuffert. Diese Vorteile sind durch die Abschaffung der 50%-Grenze entfallen, so dass das Verwaltungsvermögen nunmehr grundsätzlich exakt bestimmt werden muss. Nach einer im Jahr 2015 in der Finanzverwaltung NRW durchgeführten Praktikerbefragung war der Ansatz des Verwaltungsvermögens im alten Recht nur in ca. 5 % der Fälle streitig gestellt worden; für den Streitfall wurde eine durchschnittliche Steigerung des Aufwands auf fast das Sechsfache geschätzt; bei einem bisherigen Zeitanteil für die Ermittlung der Verwaltungsvermögensquote von knapp 15 % ergibt sich daher allein schon aus dem nunmehr generellen Zwang zur exakten Bewertung des Verwaltungsvermögens eine Steigerung des Bewertungsaufwands um mehr als die Hälfte. Mehraufwände in entsprechender Größenordnung werden übrigens auch aus den Family Offices genannt9. An den Vereinfachungseffekt der früheren 50%-Grenze könnte angeknüpft werden, indem Verwaltungsvermögen nur besteuert wird, soweit es den Gesamtbestand der Schulden des Unternehmens per Saldo übersteigt10. Ein Unternehmen, das neben Schulden nur Produktivvermögen hat, steht wirtschaftlich kaum anders da als ein Unternehmen, das neben dem Produktivvermögen noch Verwaltungsvermögen und einen entsprechend höheren Bestand an Schulden hat. In beiden Fällen ergibt sich idealtypisch der gleiche Nettowert. Wenn der Erwerber im zweiten Fall das Verwaltungsvermögen veräußert und den Erlös zur Tilgung der Schulden verwendet, ent 9 Folgt man hingegen dem Gesetzentwurf der Bundesregierung, ergibt sich für die Wirtschaft ein jährlicher Erfüllungs-Mehraufwand von 10.000 Euro und für die Bundesländer ein jährlicher Erfüllungs-Mehraufwand von 16.000 Euro sowie einmalige Umstellungskosten (im Wesentlichen IT) von 500.000 Euro. Der sog. Nationale Normenkontrollrat hat keine Einwände gegen diese Schätzungen geäußert (BR-Drucks. 353/15, 3 und Anlage), was sowohl bei den Ländern als auch den Wirtschaftsverbänden auf arges Befremden gestoßen ist. 10 Zur Grundproblematik der Schuldenzuordnung s. van Lishaut, Steueranwaltsmagazin 6/2015, 198 (200 f.).

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steht dieselbe Vermögenszusammensetzung wie im ersten Fall. Dieses Gedankenspiel zeigt, dass die volle Schuldenverrechnung rechtlich schlüssig ist. Zudem lassen sich die Wirkungen der vollen Schuldenverrechnung durch zulässige Gestaltungen mittelfristig ohnehin erreichen, z.B. indem man Verwaltungsvermögen und einen entsprechenden Teil der Schulden sukzessive in eine Schwestergesellschaft des eigentlichen, produktiven Unternehmens verlagert. Die volle Schuldenverrechnung war in Gesetzentwürfen der früheren rot/grünen Bundesregierung11 und auch der bayerischen Staatsregierung12 vorgesehen. Sie passt freilich nicht zu einer 100%-Verschonung, wenn man aus der Unternehmenserbschaftsteuer überhaupt ein Aufkommen erzielen will. Denn bei der 100%-Befreiung bliebe das begünstige Vermögen grundsätzlich steuerfrei (sofern die Behaltensfristen gewahrt bleiben) und auch das eigentlich nicht begünstigte Verwaltungsvermögen bliebe unbesteuert, weil es in der Regel deutlich geringer ist als die Betriebsschulden13. Mit der Festlegung eines einheitlichen Verschonungssatzes von z.B. 92 % (s. oben) fielen diese Probleme allerdings weg. Für diesen Vorschlag spricht zudem, dass die volle Schuldenverrechnung im beschlossenen Gesetz im wirtschaftlichen Ergebnis bereits annähernd erreicht ist, ohne freilich den nötigen Vereinfachungseffekt erbringen zu können. Nach dem ErbStG 2016 ergeben sich drei Ermittlungsstufen: Auf der Stufe erstens des Altersvorsorgevermögen nach § 13b Abs. 3 ErbStG und zweitens des Finanzmitteltests nach § 13b Abs. 4 Nr. 5 ErbStG erfolgt bereits jetzt eine volle Schuldenverrechnung; erst auf der dritten Stufe des § 13b Abs. 6 ErbStG ist die Schuldenzuordnung dann nur noch quotal, so dass im Regelfall eine exakte Bestimmung des Verwaltungsvermögens nötig wird. Mit der generell vollen Schuldenverrechnung in Verbindung mit dem Verschonungssatz von 92 % (oder einem anderen politisch zu findenden Satz unter 100 %) könnten die drei Ermittlungsstufen zusammengefasst werden. Damit würden zugleich der 10%-Freibetrag nach § 13b Abs. 7 ErbStG sowie die besonders problematische 90%-Klausel14 des § 13b Abs. 2 Satz 2 ff. ErbStG entbehrlich. Die in § 13b Abs. 5 ErbStG 2016 enthaltenen Reinvestitionsklauseln müssten deutlich seltener in Anspruch genommen werden als bei der derzeitigen Konzeption. 3. Junges Verwaltungsvermögen nur im Einlagefall Die Regelungen zum jungen Verwaltungsvermögen sollen verhindern, dass Privatvermögen kurz vor der Übertragung in den Betrieb eingelegt wird, um so an dem 11 BT-Drucks. 15/5555 = BR-Drucks. 322/05 vom 30.5.2005, Entwurf eines § 28a ErbStG. 12 BR-Drucks. 341/05 vom 4.5.2005, ebenfalls § 28a ErbStG-Entwurf. 13 Nicht repräsentativen Einzelerhebungen zufolge bewegt sich der Anteil des Verwaltungsvermögens am Unternehmenswert im Durchschnitt um 10 % mit starken Abweichungen nach oben und unten. Der Fremdkapitalanteil der Unternehmensfinanzierung liegt im groben Durchschnitt bei 60–70 %. 14 S. dazu Brabender/Winter, ZEV 2017, 81. Die 90%-Klausel ist offensichtlich im Verhandlungschaos entstanden und hätte aus A-Sicht wohl entfallen können.

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10%-Freibetrag nach § 13b Abs. 7 ErbStG oder an der Schuldenverrechnung teilzuhaben. Solche Gestaltungen setzen eine Einlage voraus; die bloße Umschichtung von betrieblichen Mitteln, wie z.B. die Neuanlage von fällig gewordenen Wertpapieren des Verwaltungsvermögens in neue Wertpapiere, ist keine Umgehungsgestaltung. Gleichwohl führt selbst die bloße Umschichtung von Verwaltungsvermögen nach dem ErbStG 2016 wie schon nach dem ErbStG 2008 zu jungem Verwaltungsvermögen. Dies ist vom Bundesrat mehrfach als überschießend kritisiert worden15. Die gesetzliche Regelung erweist sich in gesteigertem Maße als unsinnig, wenn man sie sogar auf konzerninterne Umschichtungen innerhalb des Verbundes nach § 13b Abs. 9 ErbStG anwendet. Umschichtungen sollten nur erfasst sein, soweit sie zuvor eingelegtes Verwaltungsvermögen betreffen. 4. Unternehmensbewertung Nach bisherigem Recht ergab sich der Vervielfältiger, der gem. § 203 Abs. 1 BewG auf den Jahresertrag anzuwenden ist, aus dem Kehrwert von Basiszinssatz plus (Risiko-) Zuschlag von 4,5 %. Der Vervielfältiger betrug für 2016 17,86. Die Regierungsparteien hatten vorgesehen, dass der Basiszins nur zwischen 3,5 % und 5,5 % schwanken sollte. Mithin wäre der Vervielfältiger bei der bestehenden Zinssituation für unabsehbare Zeit auf (1: [3,5 % + 4,5 %]) = 12,5 festgeschrieben worden16. Im Vermittlungsausschuss ist es den Bundesländern immerhin gelungen, den Faktor wieder auf 13,75 zu erhöhen und die Neuregelung mit einer Anpassungsermächtigung zugunsten des BMF zu versehen (über eine Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats). Wird der Faktor von 13,75 nun den Marktverhältnissen gerecht? Das ist im Gesetzgebungsverfahren nicht valide geprüft worden. Verprobungen anhand der Veranlagungsdaten in NRW deuten darauf hin, dass die bisherige Konzeption jedenfalls für Fälle bis 2014 durchaus angebracht und keineswegs überhöht war  – neuere Daten konnten damals noch nicht vorliegen. So oder so kann aber die Neuregelung nicht verfassungswidrig sein, weil das vereinfachte Ertragswertverfahren gem. § 199 BewG nur angewendet werden darf, wenn es nicht zu „offensichtlich unzutreffenden Ergebnissen führt“. Für viele Branchen ist der Vervielfältiger von 13,75 nach Aussagen externer Sachverständiger heute durchaus passend. Wenn der Wert im Einzelfall zu hoch ist, kann der Steuerpflichtige gem. § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG auf ein allgemein marktübliches Bewertungsverfahren ausweichen. Wenn der Wert im Einzelfall oder für die betreffende Branche allgemein zu niedrig ist, wird die Finanzverwaltung die Anwendung des Vervielfältigers gestützt auf § 199 BewG verweigern und den Steuerpflichtigen ihrerseits auf die Einholung eines Gutachtens nach allgemeinen marktüblichen Bewertungsstandards verweisen. Das ist für den Berufsstand der Wirtschafts15 Vgl. Beschluss des Bundesrats vom 27.8.2010, BT-Drucks. 17/2249 und 17/2823 zu Art. 14 Nr. 48 des JStG 2010; Bundesrats-Beschluss vom 6.7.2012, BR-Drucks. 302/12, zum Entwurf des JStG 2013; Beschluss des Bundesrats vom 25.9.2015, BR-Drucks. 353/15 unter Tz. 5 (§ 13b Abs. 4 ErbStG-E). 16 Zur verfassungsrechtlichen Problematik eines festen Vervielfältigers von 12,5 im Bereich der Grundstücksbewertung in Hinblick auf das BVerfG, Urt. v. 7.11.2006 − 1 BvL 10/02, FR 2007, 338, s. Thonemann-Micker, DB 2016, 2312, 2321.

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prüfer erfreulich, für die Steuerpflichtigen aber teuer. Deshalb ist es wichtig, dass die künftig erforderliche regelmäßige Evaluierung und Anpassung des Kapitalisierungsfaktors durch den BMF gelingt. Bisher ist nicht bekannt geworden, wie der BMF vorzugehen gedenkt, um seiner Evaluierungspflicht nachzukommen. 5. Großerwerbe Folgt man dem Wissenschaftlichen Beirat beim BMF, ist eine Begünstigungen von Betriebsvermögen an sich grundsätzlich nicht nötig oder sogar ökonomisch verfehlt. Das BVerfG hat diese Kritik wegen der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers beiseite geschoben17, erstaunlicherweise sogar ohne Anforderungen an das Zustandekommen und die spätere Evaluierung solcher gesetzgeberischer Einschätzungen zu formulieren. Die Richter sehen zwar – anders als in früheren Entscheidungen18 – den Gesetzgeber nicht mehr ausdrücklich in der Pflicht, Verschonungen für Betriebsvermögen vorzusehen. Sie erlauben aber weiterhin, Betriebsvermögen zu begünstigen und den Bedarf zu einer bis 100%igen Verschonung für kleine und mittlere Fälle sogar typisierend anzunehmen. Lediglich für Großerwerbe wird nunmehr eine konkrete Bedürfnisprüfung verlangt. Die Bedürfnisprüfung nach § 13c und § 28a ErbStG 2016 ist sehr kompliziert geraten. Schon Anfang Februar 2015 war aus dem Länderkreis eine viel einfachere Regelung vorgeschlagen worden: „1Der Verschonungsabschlag … wird vorbehaltlich der nachfolgenden Sätze nur gewährt, soweit der begünstigungsfähige Erwerb i.S.d. §  13b Abs.  1 einen gemeinen Wert von [100] Mio. Euro nicht überschreitet (Bedürfnisschwelle). 2 Für einen darüber hinausgehenden Teil des Erwerbs mindert sich die durch den Verschonungsabschlag vermittelte Begünstigung um [die Hälfte], höchstens jedoch um den nach Satz 3 zur Steuerzahlung einzusetzenden Betrag. 3 Der einzusetzende Betrag beläuft sich auf [die Hälfte] des Werts des Verwaltungsvermögens zzgl. [der Hälfte] des Werts der übrigen, nicht nach § 13b Abs. 1 begünstigungsfähigen Teile des Erwerbs.

Der Wert der übrigen Teile des Erwerbs ist nur heranzuziehen, soweit diese nicht steuerbefreit sind und ihr Wert den der nach § 10 Abs. 5 und 6 abziehbaren Schulden und Lasten übersteigt. 4

17 BVerfG vom 17.12.2014 − 1 BvL 21/12, BStBl. II 2015, 50, Rz. 145, 149, 154, FR 2015, 160. Der Wissenschaftliche Beirat begründet seine Kritik an der Verschonung u.a. damit, dass sie zu ökonomisch unsinnigen „lock in“-Effekten führe, sprich: das Geld im Unternehmen gehalten wird, auch wenn es u.U. anderweitig besser angelegt ist. Einen empirischen Beleg dazu konnten befragte Beiratsmitglieder allerdings nicht nennen. 18 BVerfG vom 22.6.1995 – 2 BvR 552/91, BStBl. II 1995, 671, Rz. 30, GmbHR 1995, 679.

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Ingo van Lishaut In die Berechnung nach Satz 3 und 4 sind einzusetzende Beträge aus Erwerben der letzten zwei Jahre vor und der nächsten zwei Jahre nach dem Besteuerungszeitpunkt einzubeziehen, soweit diese nicht bereits bei der Anwendung dieser Vorschrift auf frühere Erwerbe herangezogen sind. 5

Wird das begünstigungsfähige Vermögen i.S.d. § 13b Abs. 1 von Todes wegen erworben, bleiben für die Ermittlung der einzusetzenden Beträge Wirtschaftsgüter außer Betracht, die spätestens zwei Jahre nach dem Besteuerungszeitpunkt in begünstigungsfähiges Vermögen i.S.d. § 13b Abs. 1 investiert werden, das nicht zum Verwaltungsvermögen i.S.d. § 13b Abs. 2 gehört. 6

Die Bedürfnisschwelle mindert sich um Verschonungsabschläge i.S.d. §§ 13a und 13b jetziger und früherer Gesetzesfassungen, die dem Erwerber für Erwerbe der letzten zehn Jahre vor dem Besteuerungszeitpunkt gewährt worden sind.“ 7

Der Entwurf war überholt, nachdem das BMF im April 2015 mit seiner „Eigenentwicklung“ aufgewartet hatte, dem Vorläufer des jetzigen § 13c und § 28a ErbStG. Die vorstehende Konzeption hätte den Vorteil, dass Konkurrenzprobleme vor allem bei mehreren Erwerben im Zeitverlauf verringert werden und das beim Erwerber vorhandene sowie das steuerbefreite Vermögen nicht eingesetzt werden muss.

IV. Wie die Methode, so das Produkt – Gedanken zum Verfahrensablauf Das Verfahren der ErbSt-Reform war chaotisch. Das Ergebnis dürfte immerhin verfassungsgemäß sein. Jedenfalls sind die vom BVerfG aufgezeigten Mängel abgearbeitet. Gestaltungsmöglichkeiten sind weiter vorhanden19, aber jedenfalls nicht größer als bei anderen Steuerarten. Die Eingriffe in die Unternehmensbewertung sind unerfreulich, aber, wie ausgeführt, in ihren Wirkungen begrenzbar. Nichtsdesdotrotz ist das Ergebnis rechtlich und administrativ überkompliziert. Der nach dem Urteil vom 17.12.2014 fast zwei Jahre andauernde Reformprozess war kräftezehrend und mit erheblichem Streit auf allen Ebenen behaftet. Dies führt zu der Frage, ob aus dem Verfahren Lehren zu ziehen sind. Gerade schlechte Erfahrungen sollen zum Lernen ja besonders geeignet sein. Andersherum gewendet könnte eine Manöverkritik und Methodenreflexion die Chance eröffnen, künftige Gesetzgebungsverfahren effizienter zu gestalten, mit weniger Kräfteverschleiß über die richtigen Fragen zu streiten und ein Ergebnis zu er­ zielen, das den politischen Maßstäben und Mehrheitsverhältnissen näher kommt, das entscheidungsneutral, rechtssicher, gestaltungsfest und handhabbar ist. Das wäre 19 S. z.B. die BR-Stellungnahme vom 25.9.2015, BR-Drucks. 353/15 (Beschluss) Tz. 3. An der prominentesten verbliebenen Gestaltungslücke im Bereich des Unternehmenserbschaftsteuerrechts ist der BFH übrigens selber nicht „unschuldig“. Die Rede ist vom Themenkomplex disquotaler verdeckter Einlagen und verdeckter Gewinnausschüttungen. Der Teilkomplex verdeckte Einlage ist inzwischen durch § 7 Abs. 8 ErbStG gelöst (s. dazu van Lishaut/ Ebber/Schmitz, Ubg. 12, 1); zum Teilkomplex verdeckte Gewinnausschüttung (s. van Lishaut, FR 2013, 891 und ZEV 2016, 19) wird sich aus den aktuellen Revisionsverfahren II R 54/15, II R 32/16 und 42/16 hoffentlich ein Erkenntnisfortschritt im Sinne einer verfassungsrechtlich tragfähigen Auslegung ergeben.

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außer für die Akteure in Ministerialbürokratie und Politik vielleicht auch für die Hochschulforschung interessant; diese befasst sich bislang leider meist nur mit den Produkten der Gesetzgebungsverfahren und kaum mit der Methodik des Gesetzgebungsprozesses als solcher. 1. Zeittafel zum Gesetzgebungsverfahren Im Reformprozess lassen sich die folgenden Stationen ausmachen: (1) Vorlagebeschluss des BFH vom 27.9.201220, (2) AmtshilfeRLUmsG vom 26.6.201321, (3) Urteil des BVerfG vom 17.12.201422 nach mündlicher Verhandlung am 8.7.2014, (4) Erste Eckwerte des BMF vom 26.2.201523, (5) Regierungsentwurf vom 8.7.201524 nach dem Referentenentwurf vom 2.6.2015, (6) Stellungnahme des Bundesrats vom 25.9.201525, (7) Öffentliche Anhörung durch den BT-Finanzausschuss am 12.10.201526, (8) Erste Einigung der Regierungsfraktionen vom 11.2.2016, mit 8 Punkte-Nachforderungskatalog von Bayern und schriftlichem Widerspruch der Länder Niedersachsen und NRW, (9) Erster Beschluss des Bundestags am 24.6.201627 nach erneuter Einigung der Parteivorsitzenden der Regierungsparteien vom 20.6.2016,

20 BFH vom 27.9.2012 – II R 9/11, FR 2012, 233, FamRZ 2012, 30, GmbHR 2011, 1328 m. Anm. Seer, BStBl. II 2012, 899; vorausgegangen war die Beitrittsaufforderung an den BMF vom 5.10.2011, BStBl. II 2012, 29. 21 BGBl. I 2013, 1809; s. dazu Erkis/Mannek/van Lishaut, FR 2013, 245. Das BVerfG hielt die im Urteil vom 17.12.2014 − 1 BvL 21/12, FR 2015, 160 getroffene Fortgeltungsanordnung auch deshalb für hinnehmbar, weil mit dem AmtshilfeRLUmsG eine der Hauptlücken für unerwünschte steuerliche Gestaltungen durch „Cash-Gesellschaften“ weitgehend geschlossen wurde (Rz. 292, 271 des Urteils). Nach den dem BVerfG vom BMF vorgelegten Erhebungen machten die Gestaltungen über Cash-Gesellschaften zuvor rund 2/3 der vom BFH monierten Gestaltungsmöglichkeiten aus. 22 BVerfG vom 17.12.2014 − 1 BvL 21/12, BStBl. II 2015, 50, FR 2015, 160. 23 S. dazu Hechtner, NWB 2015, 732. 24 BR-Drucks. 353/15 vom 14.8.2015, BT-Drucks. 18/5923 vom 7.9.2015, s. dazu G. Hofmann StBJb 2015/2016, 227. Zum vorausgehenden Referentenentwurf vom 2.6.2015 s. Erkis, DStR 2015, 1409. 25 BR-Drucks. 353/15 (Beschluss). 26 S. dazu Wortprotokoll der 54. Sitzung des Finanzausschusses BT, Protokoll-Nr. 18/54 nebst Anlagen. 27 BR-Drucks. 344/16.

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(10) Ablehnung des Gesetzes durch den Bundesrat am 8.7.2016 und Anrufung des Vermittlungsausschusses28, (11) Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses von Bundestag und Bundesrat am 22.9.201629, (12) Zustimmung des Bundestags am 29.9.201630, (13) Zustimmung des Bundesrats am 14.10.201631, (14) Unterschrift des Bundespräsidenten am 4.11.2016, Verkündung im Bundesgesetzblatt am 9.11.201632. Wer mag, kann sich den 8. Juli also als Termin für Jahresgedächtnisse zu diesem Projekt vormerken. 2. Verfassungsrechtliche Klippen In der Rückschau konnte die ErbSt das Verfahren überhaupt nur überleben und war die Bereitschaft zu einem Kompromiss überhaupt nur vorhanden, weil das BVerfG den Urteilstenor anders gesetzt hat als in früheren Verfahren, wie z.B. dem zur Vermögensteuer, die Ende 1996 mangels rechtzeitiger Einigung außer Kraft trat33. Die vom BVerfG gesetzte Frist 30.6.2016 war nicht mehr wie früher als Ausschlussfrist sondern als Arbeitsfrist ausgestaltet. Der Berichterstatter Prof. Dr. Eichberger hat auf diese sprachlich unauffällige Variation des Tenors frühzeitig hingewiesen („kein stilles Sterben der Erbschaftsteuer möglich“); kurz vor Fristablauf hat der Gerichtssprecher des BVerfG den Hinweis nochmals bekräftigt34. Man mag an der verfahrensrechtlichen Basis des Vorgehens zweifeln, aber das Ziel ist klar: Das BVerfG hat damit die nötige parlamentarische Chancengleichheit hergestellt. Der Gesetzgeber musste sich entscheiden; es war einzelnen Gruppen nicht mehr möglich, das Vorhaben durch Hinhaltetaktik auszuhebeln.

28 BR-Drucks. 344/16 (Beschluss); BT-Drucks. 18/9155. 29 BT-Drucks. 18/9690. 30 BR-Drucks. 555/16. 31 BR-Drucks. 555/16 (Beschluss). 32 BGBl. I 2016, 2464 ff. als „Gesetz zur Anpassung des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes an die Rechtsprechung des BVerfG“. 33 Nach dem BVerfG, Urt. v. 22.6.1995 − 2 BvL 37/91, BStBl. II 1995, 655, GmbHR 1995, 668 war das VStG nur bei einer Neuregelung bis zum 31.12.1996 weiter anwendbar. Auch die ErbSt-Reform 2008 hatte mehrfach vor dem Scheitern gestanden; zuletzt hatte eine Professorengruppe den Bundespräsidenten kurz vor Frist­ende davon abhalten wollen, das doch noch parlamentarisch beschlossene Gesetz fristgerecht auszufertigen, s. Pressedienst AFP vom 11.12.2008. 34 Siehe auch die Pressemitteilung des BVerfG Nr. 41/2016 vom 14.7.2016. Mit Schreiben vom 12.7.2016 hatte der Vorsitzende des 1. Senats gegenüber den parlamentarischen Gremien angekündigt, dass sich der Senat erforderlichenfalls Ende September mit dem weiteren Vorgehen zur ErbSt befassen werde.

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Der Meinungswandel des BVerfG ist auf den Vortrag der dem Gerichtsverfahren beigetretenen Länder NRW und Niedersachsen zurückzuführen. Sie hatten darauf hingewiesen, dass der Einigungsdruck bei einer Ausschlussfrist einseitig bei den Befürwortern der Erbschaftsteuer liegt. Als Kronzeuge konnten sie den Präsidenten eines Interessenverbandes aus dem vorangegangenen Reformverfahren der Jahre 2006 bis 2008 zitieren: „Zur Abschaffung der Erbschaftsteuer kann man nur eines sagen: Man kann nur hoffen, dass es über Filibustern – das heißt, dass man lange streitet und nicht einig wird – plötzlich zu spät ist, um ein entsprechendes Gesetz vor dem 31.12.2008 in Kraft zu setzen.“35

Weitere verfassungsrechtliche Klippen, wie die Frage nach der Allgemeinheit der Steuer36 oder nach der Gesetzgebungskompetenz des Bundes37 haben zu Recht im Ergebnis keine Rolle gespielt. 3. Eindrücke aus dem Verlauf des Reformverfahrens Der Start der Reformarbeiten war von guten Vorsätzen und Bekenntnissen begleitet: BMF wollte die Reform in enger Zusammenarbeit mit den Ländern erarbeiten, zumal es ja um eine Ländersteuer geht. Die vom BVerfG gesetzte Frist 30.6.2016 sollte keineswegs ausgereizt werden. Die vorzunehmenden Änderungen sollten „minimalinvasiv“ bleiben. Vorarbeiten im Bund-Länder-Kreis wie auch Gespräche mit Fachverbänden hatten schon vor dem 17.12.2014 begonnen und wurde ab Januar 2015 fortgesetzt.

35 Zitiert nach Carl Ludwig Thiele: Was wird aus der Erbschaftsteuer [2007], Seite 65. 36 An der Allgemeinheit der Besteuerung war im Schrifttum gezweifelt worden, weil in der Praxis nur ein kleiner Teil der Erbschaften bzw. Schenkungen der Besteuerung unterworfen wird. In der Tat werden nach Zahlen aus dem Jahr 2014 gut 94 % der Sterbefälle mangels Überschreitung der persönlichen Freibeträge nicht aufgegriffen. Dies liegt einerseits an der Schonung des Familiengebrauchsvermögens (s. dazu BVerfG vom 22.6.1995 – 2 BvR 552/91, BVerfGE 93, 165–179, GmbHR 1995, 679 Rz. 27 ff.) durch die persönlichen Freibeträge, andererseits an der in Deutschland gegebenen Vermögensverteilung. Das BVerfG hat die Frage nach der Allgemeinheit der Besteuerung in der Entscheidung vom 17.12.2014 − 1 BvL 21/12, daher nicht einmal mehr angesprochen = FR 2015, 160. 37 Zu Recht attestiert das BVerfG in Rz. 106 ff. des Urteils vom 17.12.2014 − 1 BvL 21/12, BStBl. II 2015, 50, FR 2015, 160 dem Bund die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz im Bereich der Erbschaftsteuer, weil die Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. De lege ferenda wird immer wieder über eine Stärkung der Länderkompetenzen, z.B. durch das Recht zu länderspezifischen Steuersätzen diskutiert, wie es gem. Art. 105 Abs. 2a Satz 2 GG schon für die Grunderwerbsteuer besteht. Allerdings ist das Steuersubstrat der Erbschaftsteuer anders als das der Grunderwerbsteuer in großem Maße räumlich fungibel. Zudem kann die Erbschaftsteuer bei länderübergreifenden Sachverhalten nur im arbeitsteiligen Zusammenwirken der Landesfinanzverwaltungen festgesetzt werden. Länderspezifische Steuersätze würden daher über Verlagerungs- und Wegzugsgestaltungen letztlich zu einer kalten Abschaffung der Erbschaftsteuer führen.

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Ingo van Lishaut

a) Die Tätigkeit von BMF und Bund-Länder-Arbeitsgruppe Bereits unter dem 26.2.2015 gab der BMF erste sog. „Eckwerte zur Neuregelung der Erbschaftsteuer für Unternehmensvermögen“ heraus. Diese Eckwerte reflektierten in Einzelpunkten durchaus die Erkenntnisse aus der bereits angelaufenen Bund-LänderAG, waren aber unangekündigt und ohne Rückkopplung mit den AG-Mitgliedern herausgegeben. (1) Bei der Lohnsummengarantie nach §  13a Abs.  3 ErbStG hatte das BVerfG die Nichtaufgriffsgrenze von zunächst 20 Arbeitnehmern als zu hoch kritisiert38. Das BMF hatte dies so verstanden, dass mindestens annähernd die Hälfte der Unternehmen dem Lohnsummentest unterliegen soll. Um diese Bedingung verfassungsfest und praktikabel zu erfüllen, hatte das BMF die Nichtaufgriffsschwelle nicht mehr an einer Arbeitnehmerzahl, sondern an einer Unternehmenswertgrenze von 1 Mio. Euro festmachen wollen. Dieser Ansatz zielt nachvollziehbar auf die Aussonderung geringerer Erwerbswerte, hat aber mit dem eigentlichen Problem der Arbeitnehmerfluktuation nichts zu tun. Zudem unterliegt der Unternehmenswert natürlichen Schwankungen und seine Höhe steht oft erst im Nachhinein nach längeren Ermittlungen und Erörterungen fest. Der Rechtsanwender muss aber frühzeitig und rechtssicher erkennen können, ob die Lohnsummengarantie einzuhalten ist. Zudem stellte sich dann beim Blick in die Bund-Länder-Statistik heraus, dass deutlich mehr als 50 % der Unternehmen nur einen Wert von bis 1 Mio. Euro aufweisen, so dass die wertbezogene Grenze nicht weiterhalf. Im Referentenentwurf vom 2.6.2015 war die Grenze bei der Lohnsummengarantie den Ländern folgend wieder an eine Arbeitnehmerzahl geknüpft. Im endgültigen Gesetz ist dann eine Nichtaufgriffsgrenze von fünf Arbeitnehmern festgelegt worden. Die weiteren Regeln zur Staffelung der Mindestlohnsumme und zu möglichen Gestaltungen bei Betriebsaufspaltung wurden im Konsens entwickelt39. (2) Für die Länder gänzlich neu und überraschend war der Versuch, den Katalog des Verwaltungsvermögens nach § 13b Abs. 2 ErbStG durch einen gänzlich neuen Ansatz, den sog. Hauptzwecktest abzulösen. Dieser Ansatz war von der BVerfG-Entscheidung an sich nicht veranlasst und alles andere als minimalinvasiv. Er entfaltet gleichwohl eine vordergründige Schlüssigkeit, weil er sich an Regelungen zur Be­ wertung in § 200 Abs. 2 BewG anlehnen kann; außerdem wird auch im Katalog des Verwaltungsvermögens punktuell auf einen Hauptzweckgedanken abgestellt. Als allgemein anzuwendender Maßstab führt der Hauptzweckansatz indes zu Rechtsunsicherheiten und zu Ergebnissen, die zum Teil umstritten blieben. Probleme ergeben sich z.B. bei gewillkürtem Betriebsvermögen, bei Arbeitnehmerwohnungen, bei Beteiligungen, deren Geschäftszweck sich von dem der übergeordneten Gesellschaft un-

38 BVerfG vom 17.12.2014 − 1 BvL 21/12, BStBl. II 2015, 50, Rz. 219 ff., FR 2015, 160. 39 S. dazu Jülicher/Stalleiken/van Lishaut, StBJb 2015/2016, 246.

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Das ErbStG 2016 – Innenansichten einer Reform

terscheidet, bei Vorratsgrundstücken, bei Patenten aus inzwischen nicht mehr aktiv betriebenen Geschäftsfeldern u.a.m.40. Der Hauptzweckansatz wurde in der Folgezeit Gegenstand intensiver Diskussionen. Die Streitigkeiten über die materiell-rechtlichen wie auch die administrativen Wirkungen dieser Umstellung waren nicht aufzulösen, zumal es um Einschätzungen und Prognosen ging. Der Hauptzweckansatz wurde auch im Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 8.7.2015 beibehalten und ist dann erst im Rahmen des Gesetzesbeschlusses des Bundestags vom 24.6.2016 fortgefallen. In der Stellungnahme des Bundesrats vom 25.9.2015 war dazu eine Alternativlösung auf Basis des fortentwickelten Verwaltungsvermögenskatalogs vorgelegt worden, die nun auch der endgültigen Lösung in § 13b Abs. 4 ErbStG 2016 zugrunde liegt. Der Streit über den Hauptzweckansatz hat einen Großteil der Kapazitäten der AG gebunden. Hat er sich gelohnt? Hätte er vermieden werden können? Für die Fachebene ist es schwierig, sich von einer auf den ersten Blick schlüssigen Idee wieder zu lösen, wenn man seine Hausspitze entsprechend unterrichtet und diese sich auf dieser Basis politisch geäußert hat. Andererseits war die Änderung schlicht unnötig, wenn es nur darum ging, die Vorgaben des BVerfG „minimalinvasiv“ umzusetzen. Wäre es politisch sinnvoll gewesen, mit „Eckwerten“ zuzuwarten, bis der Erkenntnisstand in der Fach-AG in diesem und anderen Punkten weiter fortgeschritten war, oder die „Eckwerte“ zumindest offener zu gestalten? Zwischen Fachreferat und politischer Ebene war im BMF keine Instanz wirksam, die den „Expertenstreit“ hätte unter übergeordneten Gesichtspunkten bewerten und gewichten können. An diesem und anderen Problemen wird deutlich, dass die Erörterungen im parlamentarischen Verfahren nicht allein durch politische Interessen bedingt, sondern manchmal auch schon durch die Eigendynamik der ministeriellen Apparate vorgeprägt sind. (3) Bis zum Bundestagsbeschluss vom 24.6.2016 ist des Weiteren die Begünstigungsfähigkeit von vermögensverwaltenden Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften problematisiert worden, die nur kraft ertragsteuerlicher Fiktion Betriebsvermögen haben (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 ErbStG bzw. § 8 Abs. 2 KStG)41. Auch solche selber an sich nicht begünstigungswürdigen Gesellschaften können unmittelbar oder mittelbar über mehrere Stufen an operativen Gesellschaften mit begünstigtem Betriebsvermögen beteiligt sein. Strukturen mit einer selbst nur vermögensverwaltenden Spitzen­ einheit sind gerade im Kreis der Familienunternehmen relativ verbreitet. Die ­Erörterungen zu diesem und ähnlichen Punkten haben sich über mehrere Entwurfsstadien durchgezogen und waren stark davon geprägt, dass die Bund-Länder-AG ­nahezu durchgängig von Erbschaftsteuerleuten besetzt war; es hätte nahegelegen,

40 Zur Kritik s. van Lishaut, Steueranwaltsmagazin 6/2015, 198, Jülicher/Stalleiken/van Lishaut, StBJb 2015/2016, 237 (239 ff. m. Nachw.). 41 S. dazu Jülicher/Stalleiken/van Lishaut, StBJb 2015/2016, 237 (248 f.); van Lishaut, Steueranwaltsmagazin 2015, 198 (199 f.).

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Ingo van Lishaut

v­ erstärkt Bearbeiter mit Kenntnissen im Bilanz- und Konzernsteuerrecht hinzuzuziehen. (4) Entsprechendes gilt für das neue Konzept der Verbundbetrachtung nach §  13b Abs. 9 ErbStG 2016, das dem „Verstecken“ von Verwaltungsvermögen in nachgeordneten Gesellschaften entgegenwirken soll42. Die Verbundbetrachtung war auf AG-Ebene frühzeitig „gesetzt“, ohne dass die gestalterischen und administrativen ­Aspekte erörtert wurden. Erst der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme vom 25.9.2015 einige Sicherungsklauseln vorgesehen. Gemessen an der Neuartigkeit der Verbundbetrachtung ist ihr eindeutig zu wenig Beachtung geschenkt worden43. Vielleicht an dieser Stelle einige Anmerkungen zum Projektmanagement: Arbeitsgruppen können effektiv arbeiten, wenn sie eine Größe von etwa 12 Teilnehmern nicht überschreiten; bei stärkeren Gruppen ist eine Entlastung durch Aufspaltung in Teilprojektgruppen erreichbar. Alle Teilnehmer sollten auch als Mitarbeiter eingespannt werden, z.B. indem reihum „Hausaufgaben“ zur nächsten AG-Sitzung übernommen werden. Dabei hat sich in anderen Projekten die Bildung von Zweier- oder Dreier-Teams als fruchtbar erwiesen. Die Teilnehmerschaft in der AG sollte der Aufgabenstellung gemäß „interdisziplinär“ zusammengesetzt sein; Teilnehmerwechsel sind zur Vermeidung von Wiederholungen und Informationsverzerrungen möglichst zu vermeiden. Wissensunterschiede sind nicht störend, wenn die Bereitschaft zum Zuhören und zur Einarbeitung gegeben ist. Erfolgsfaktoren sind eine straffe und durchdachte Sitzungsleitung, ferner das Vertrauen, dass die Erörterungen ergebnisoffen sind und nicht nur dazu dienen, Wissen abzuschöpfen oder mögliche Einwände gegen eine bereits vorgefasste Auffassung auszuloten. Besonders zeitraubend sind Diskussionen mit „unerkannt ferngesteuerten Teilnehmern“: Wer bei der Vorbereitung in seiner eigenen Dienststelle inhaltliche Vorgaben bekommen hat und diese in der Diskussion nicht offenlegt, ist für die übrigen Gesprächsteilnehmer mit Argumenten faktisch nicht zu erreichen; zudem ist es schwer, die „Ferndiagnose“ über die Distanz zu entkräften. Ein loyaler, aber gleichwohl offener Umgang mit Hausvorgaben sollte allerdings Ehrensache sein. Die vollständige, geordnete und möglichst neutrale Dokumentation des Diskussionsverlaufs und der Arbeitsergebnisse ist selbstverständlich, desgleichen die transparente Planung des Vorgehens. Wenn die AG mit grundlegenden Richtungsentscheidungen nicht weiterkommt, ist häufig ein alternatives Vorgehen angezeigt. Die Grundsatzfrage kann dann ggf. in die Heimatdienststelle mitgenommen werden. Bei komplexen und absehbar politisch kontroversen Themen ist es hilfreich, wenn sich die Abteilungsleitungen von Bund und Ländern gemeinsam vom AG-Plenum unterrichten lassen; sie müssen ja für ihre Hausspitzen ohnehin „sprechfähig“ werden. Der unmittelbare Eindruck aus der ganzen AG ist durch noch so instruktive und objektive interne Ergebnisvermerke nicht zu ersetzen.

42 Zum sog. Kaskadeneffekt in mehrstufigen Strukturen s. BVerfG vom 17.12.2014 − 1 BvL 21/12, BStBl.  II 2015, 50, Rz.  259  ff., FR 2015, 160 m. Anm. Bareis, FamRZ 2015, 213, ­GmbHR 2015, 88. Zur Verbundbetrachtung mit Beispielen zur Sicherung gegen unberechtigte Steuervorteile s. van Lishaut, Steueranwaltsmagazin 6/2015, 198 (201). 43 S. dazu z.B. Königer ZEV 2017, 365.

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Das ErbStG 2016 – Innenansichten einer Reform

(5) Wieder zurück zu den Fachfragen: Zur Schuldenzuordnung kann auf die Ausführungen in Abschnitt III 2 verwiesen werden. Die Alternative einer vollen Schuldenverrechnung war auch im Länderkreis umstritten und wurde daher schon ab dem Referentenentwurf vom 2.6.2015 nicht weiterverfolgt. (6) Bei den Großerwerben (oben Abschnitt  III 5) war auf Fachebene eine Zeitlang unklar, ob die Grenze zum Großerwerb von der Größe des Unternehmens oder des Anteils am Unternehmen abhängen soll44. Nach der Systematik des ErbSt-Rechts wie auch gemäß früheren Gesetzentwürfen wird zu Recht auf die Erwerbersicht, also auf den Wert des erworbenen Anteils abgestellt. Aus der BVerfG-Entscheidung geben sich Anhaltspunkte dafür, einerseits die Größenschwelle bei 100 Mio. Euro anzusetzen und andererseits bei der Bedürfnisprüfung auf die Einbeziehung bereits vorhandenen eigenen Vermögens des Erwerbers zu verzichten45. Das BMF ist aber in seinen Eckwerten vom 26.2.2015 strenger vorgegangen, indem die Bedürfnisschwelle auf (zunächst) 20 Mio. Euro gesetzt und bei der Bedürfnisprüfung auch das beim Erwerber vorhandene selbst erwirtschaftete Vermögen einschließlich steuerbefreiter Gegenstände erfasst wurden. Der restriktive Vorstoß des BMF war politisch bemerkenswert, allerdings durch den Versuch zu erklären, eine gewisse Mindestzahl von Fällen in der Bedürfnisprüfung zu haben (auch als Reflex auf die Kritik des BVerfG an der zu hohen Nichtaufgriffsschwelle bei der Lohnsummengarantie). Politisch kam der Zahl von 20 Mio. Euro für die Folgezeit „Ankerwirkung“ zu, auch wenn sie noch auf die obere Tarifgrenze in §  19 ErbStG von 26 Mio. Euro hochgesetzt wurde. Die SPD-Seite konnte weder bei der Größenschwelle noch bei der Einbeziehung des eigenen Vermögens grundsätzlich hinter die Schäuble-Position zurückfallen. Man konnte „Schäuble ja nicht rechts überholen“. Dabei waren im Länderkreis zunächst durchaus großzügigere Ansätze aufgebracht worden. Die 20  Mio.  Euro-Grenze war zunächst als Freigrenze ausgestaltet, also mit einem „Fallbeileffekt“ versehen: Ein Euro mehr oder weniger an der Schwelle zum Großerwerb hätte massive steuerliche Unterschiede ausmachen können. Angesichts auch der typischen Unschärfen der Unternehmensbewertung sowie der Unsicherheiten etwa bei Zusammentreffen mehrerer Erwerbe im Zeitverlauf hätten sich erhebliche Zufalls­ effekte aufgetan. Einzelne Länder hatten daher eine Gleitzone angeregt, die im Referentenentwurf und Regierungsentwurf dann mit §  13c ErbStG umgesetzt wurde. Nachdem die Größenschwelle selbst vorgegeben war, konzentrierte sich die spätere politische Diskussion auf die Länge der Gleitzone und eine größenunabhängige „Sockelverschonung“ von 20 bzw. 35 %46. 44 S. dazu die unterschiedlichen Formulierungen z.B. in Rz. 170 und Rz. 175 des BVerfG-Urteils vom 17.12.2014 − 1 BvL 21/12, BStBl. II 2015, 50, FR 2015, 160. 45 Rz.  175 des BVerfG-Urteils vom 17.12.2014 − 1 BvL 21/12, BStBl.  II 2015, 50. S.  auch Rz. 153, wo das Gericht explizit ausführt, dass eine Ausweitung der Bedürfnisprüfung auf das bereits vorhandene Vermögen des Erwerbers in Widerspruch zur Systematik des ErbStRechts steht. 46 Zum Unterschied zwischen Regierungsentwurf und Bundesratsstellungsnahme s. Jülicher/ Stalleiken/van Lishaut, StBJb 2015/2016, 237 (249 ff.).

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Ingo van Lishaut

Das Konzept der §§  13c, 28a ErbStG 2016 führt zu Belastungssprüngen (bedingt durch die Stufen von 750.000 Euro, ursprünglich sogar von 1,5 Mio. Euro) sowie zu verschärften Konkurrenzproblemen bei mehreren Erwerben im Zeitverlauf. Der Bundesrat hatte in seiner Stellungnahme vom 25.9.2015 die Länge der Gleitzone, die Belastungssprünge und vor allem die Sockelverschonung kritisiert. In der endgültigen Gesetzesfassung ist die Sockelverschonung entfallen und die Gleitzone deutlich verkürzt worden. (7) Stundung. Im Regierungsentwurf war über die allgemeine Stundung nach §  28 Abs. 1 ErbStG 2008 hinaus eine Sonderstundung für Großerwerbe in § 28a Abs. 7 ErbStG vorgesehen. Diese Sonderstundung war nachfolgend Thema in allen weiteren Diskussionsstufen und ist letztendlich in reduzierter Form in die Neuregelung der allgemeinen Stundung nach § 28 Abs. 1 ErbStG 2016 eingeflossen. b) Von Regierungsbeschluss über die Bundesratsstellungnahme bis zum ­ersten Bundestagsbeschluss Schon auf den Regierungsentwurf hatten sich die Regierungsparteien CDU/CSU und SPD nur mühsam verständigen können. Sie hatten ihm – als politisches Novum – jeweils eine Protokollerklärung beigegeben. Die Bundesländer hatten sich zur Vorbereitung des Bundesratsverfahrens parteiübergreifend zusammengeschlossen und mit der Stellungnahme vom 25.9.2015 einen breiten, alle Teile des Regierungsentwurfs behandelnden Gegenentwurf vorgelegt. Das Verfahren war von NRW als SPD-geführtem A-Land gemeinsam mit Hessen als CDU-geführtem B-Land koordiniert worden. Angestrebt und eine Zeit lang möglich schien eine von A- und B-Ländern gemeinsam vorgetragene Haltung (mit prinzipieller Ausnahme von Bayern). Sie hätte eine Bestätigung des 10%igen Verwaltungsvermögens-Freibetrags nach §  13b Abs.  7 ErbStG, sowie bei den Großerwerben eine Streichung der Sockelverschonung und dafür die Herausnahme des eigenen Vermögens aus der Verschonungsbedarfsprüfung erfordert. Der Kompromiss scheiterte am linken Flügel im A-Lager, hätte in der Rückschau allerdings vor allem auf der A-Seite deutlich größeres politisches Interesse verdient; denn die letztendlich im Vermittlungsverfahren gefundene Einigung fällt aus A-Sicht doch deutlich hinter diese Linie zurück. Natürlich konnten die A-Länder die Stellungnahme vom 25.9.2015 mit ihrer damals breiten Mehrheit im Bundesrat auch ohne die B-Länder durchsetzen. Das Signal einer gemeinsamen A/B-Position zur ErbSt als Ländersteuer wäre aber gegenüber dem Bundestag weitaus stärker gewesen. Gebetsmühlenartig ist in der Folgezeit von konservativer Seite vorgetragen worden, die Länder hätten keine eigene Lösung vorgelegt. Das ist insoweit richtig, als der Vorschlag der Länderkammer zwar mit einer klaren Mehrheit verabschiedet, aber eben nicht parteiübergreifend war. Mit der Stellungnahme des Bundesrates war die Zeit der Bund-Länder-Arbeitsgruppe sowie der Länder-Arbeitsgruppe zu Ende. Befasst war nun der Finanzausschuss Bundestag, der am 12.10.2015 eine Expertenanhörung durchführte (u.a. mit Kritik am 604

Das ErbStG 2016 – Innenansichten einer Reform

Hauptzweckansatz) und in der Folgezeit in zahlreichen Runden beriet. Der Kontakt und die fachliche Unterstützung lief nunmehr nur über einzelne koordinierende Länder, auf A-Seite im Wesentlichen über das regulär für die steuerpolitische Koordination zuständige Rheinland-Pfalz. Im Bundestag kamen zwei weitere Themen zur Geltung, die in den Gesprächen zwischen BMF und Ländern zuvor eher ablehnend behandelt worden waren. Dies sind in der Zählung des vorherigen Textabschnitts (8) der Vorab-Abschlag und (9) Maßnahmen bei der Unternehmensbewertung. (8) Vorab-Abschlag. Bereits frühzeitig war von den Interessenverbänden vorgetragen worden, dass vor allem familiengeführte Unternehmen häufig Entnahme- und Verfügungsbeschränkungen unterliegen, denen durch einen Abschlag vom Unternehmenswert Rechnung zu tragen sei. Ein solcher Abschlag ist uninteressant, wenn der Unternehmenserwerb ohnehin zu 100 % verschont wird. Anders liegt es, wenn anstelle der 100%-Verschonung nur die 85%-Verschonung angewendet werden kann, wenn durch den Abschlag die Groß­ erwerbsgrenze eingehalten oder in geringerem Maße überschritten wird, oder wenn die Lohnsummenbindung oder Behaltensfrist nach § 13a Abs. 3 und 6 ErbStG nicht eingehalten werden kann. Der Abschlag war noch im Regierungsentwurf versagt geblieben; etwaigen Entnahme- und Verfügungsbeschränkungen wurde dort nur durch eine pauschale Verdopplung der Großerwerbsgrenze auf 52 Mio. Euro Rechnung getragen. Das ist nun keines­ falls nicht sachgerecht: Sofern Entnahme- und Verfügungsbeschränkungen überhaupt zu berücksichtigen sind, muss dies fraglos auch für kleine und mittlere Erwerbe gelten. Die SPD-Bundestagsfraktion hat sich dann doch einen Wertabschlag abhandeln lassen (offenbar für das Entgegenkommen bei der Gleitzone für Großerwerbe). Der bis 30%ige Abschlag hat, wenn auch mit erheblichen Nachbesserungen, das Vermittlungsverfahren überdauert und ist daher nunmehr Bestandteil geltenden Rechts. Die Gesetzesformulierung in § 13a Abs. 9 ErbStG 2016 ist eng, aber naturgemäß erweiternden Interpretationsversuchen ausgesetzt. Sie gilt nur für die ErbSt, also nicht für die Ertragsteuern; § 9 Abs. 3 BewG bleibt also unberührt47. Der Abschlag ist in der bestehenden Form weniger wegen seiner Aufkommenswirkung als wegen seiner konzeptionellen Folgerichtigkeit problematisch:

47 Das BVerfG hat das Argument der Verfügungsbeschränkungen zur Kenntnis genommen (Rz. 75 des Urteils vom 17.12.2014 − 1 BvL 21/12, BStBl. II 2015, 50, FR 2015, 160 m. Anm. Bareis, FamRZ 2015, 213, GmbHR 2015, 88), ohne ihm neben dem System des Verschonungsabschlags eigenständige Beachtung zu schenken. Der BFH hat die Außerachtlassung von satzungsrechtlichen Verfügungsbeschränkungen nach § 9 Abs. 3 BewG wiederholt bestätigt, s. z.B. BFH v. 19.12.2007 – II R 22/06, GmbHR 2008, 669; BFH vom 12.7.2005 – II R 8/04, BStBl. II 2005, 845, FR 2006, 93, FR 2006, 145, GmbHR 2005, 1575.

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−− Der Verschonungsabschlag nach § 13a Abs. 1 Satz 1 und Abs. 10 ErbStG 2016 wird gewährt, damit der Erwerber dem Unternehmen keine Mittel entzieht, um sie zur Steuerzahlung einzusetzen. Er soll den Erwerber also hindern, eine Entnahme zu tätigen, die er tätigen dürfte. Der Vorab-Abschlag nach § 13a Abs. 9 ErbStG 2016 hingegen wird damit begründet, dass der Erwerber rechtlich gehindert ist, dem Unternehmen Mittel zur Steuerzahlung zu entziehen. Ersichtlich „beißen“ sich die beiden Begründungen: Den Vorab-Abschlag erhält man, weil man nicht entnehmen darf, den Verschonungsabschlag, weil man entnehmen darf, aber bitte nicht entnehmen soll. Daher schließen die Vergünstigungen einander logisch aus. Wer also den Vorab-Abschlag für sachgerecht hält, muss zugleich den Verschonungsabschlag ablehnen (und tut das in Fachdiskussionen meist auch). −− Der Vorab-Abschlag setzt die Möglichkeit zu satzungsmäßigen Beschränkungen voraus. Er greift also insbesondere bei familiengeführten Personen- und Kapitalgesellschaften. Beim Einzelunternehmer sind naturgemäß keine satzungsmäßigen Entnahme- und Verfügungsbeschränkungen möglich; wohl aber, wenn das Unternehmen in der Form der Einmann-GmbH  & Co. KG geführt wird. Ist dieser Rechtsformunterschied wirklich überzeugend? Was geschieht mit dem Vorab-Abschlag, wenn z.B. nach dem Erwerb eines KG-Anteils die übrigen Gesellschafter ausscheiden, so dass die KG erlischt und die beschränkende Satzungsklausel hinfällig wird? −− Ist ein Erwerb eigentlich deswegen weniger wert, weil der Erwerber sich einer Entnahme- und Verfügungsbeschränkung unterwirft? Wie wird berücksichtigt, dass die Verfügungsbeschränkung freiwillig eingegangen wurde und dass sie bei insoweit gleichlaufenden Interessen in Abstimmung mit den Mitgesellschaftern später auch wieder aufgehoben werden kann? −− Warum greift der Vorab-Abschlag nur bei begünstigtem Vermögen, nicht aber z.B. beim Erwerb von Anteilen an einer Grundstücks- KG, die kein nach §§  13a/b ErbStG begünstigtes Vermögen hat? −− Im Umfang des Vorab-Abschlags wird Vermögen der Erbschaftsteuer entzogen. Noch stärker als eine satzungsmäßige Beschränkung nach §  13a Abs.  9 ErbStG 2016 würde die Übertragung auf eine Stiftung wirken. Das Stiftungsvermögen unterliegt potentiell alle dreissig Jahre der Erbersatzsteuer, s. § 1 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG. Warum soll das Vorab-Abschlagsvolumen insoweit steuerlich besser gestellt sein? −− Der Vorab-Abschlag bleibt sogar in dem (besonderen) Fall erhalten, dass die Arbeitnehmer zeitnah nach dem Erwerb entlassen oder das Betriebsvermögen zerschlagen und verkauft wird, ohne die Satzungsbindung nach § 13a Abs. 9 Satz 2 ErbStG 2016 aufzugeben. Wer die im Regierungsentwurf enthaltene Sockelverschonung verfassungsrechtlich problematisch fand, hätte in den Vorab-Abschlag erst recht nicht einwilligen dürfen. (9) Ebenfalls erst im Bundestag ist die Diskussion über die eigentliche Unternehmensbewertung in Fahrt gekommen, festgemacht an dem Vervielfältiger nach § 203 BewG, s. dazu oben Abschnitt III. 4. Eine marktgerechte Unternehmensbewertung ist 606

Das ErbStG 2016 – Innenansichten einer Reform

verfassungsrechtlich geboten48. Um so erstaunlicher ist, dass das BVerfG dem Gesetzgeber bislang keine systematische „Eichung“ der typisierenden Bewertungsverfahren des BewG anhand von echten Verkaufsfällen unter fremden Dritten vorgeschrieben hat. Die dem Gesetzgeber verfassungsrechtlich zugestandenen Beurteilungs- und Prognosespielräume sollten voraussetzen, dass die zugrunde liegenden Fakten in einem geordneten, der Beweisaufnahme in einem Gerichtsprozess angenäherten Verfahren ermittelt und Prognosen einer späteren parlamentarischen Überprüfung und Revision unterworfen werden. Während der Vorab-Abschlag nur für die ErbSt gelten soll, schlägt die Änderung der Unternehmensbewertung auch auf die Ertragsteuer durch. c) Das Vermittlungsverfahren Nach langem Streit hatten die Regierungsparteien am 11.2.2016 einen ersten Kompromiss erzielt, der allerdings seitens des Landes Bayern sogleich mit acht Nachforderungspunkten in Frage gestellt wurde. Damit war auch für die Mehrheit der in den letzten Monaten unbeteiligten A-Länder die Gelegenheit eröffnet, ihre erneute Einbindung einzufordern. Während der Bundestag den Kompromiss mit punktuellen Nachbesserungen am 24.6.2016 beschloss49, hatten die Länder Niedersachsen und NRW die Abstimmung eines Forderungskatalogs der A-Länder vorzubereiten, der schließlich ebenfalls acht Kernpunkte enthielt: 1. keine Änderung der Unternehmensbewertung auf den vom Bundestag damals vorgesehenen Faktor von 12,5; 2. Überarbeitung oder Ersetzung der Regelung zum Vorab-Abschlag; 3. Kürzung der Abschmelzzone; 4. Einschränkung der 100%-Verschonung je nach Anteil des Verwaltungsvermögens; 5. Streichung einer im Gesetzesbeschluss vorgesehenen zinslosen Stundung über 10 Jahre; 6. keine Wiederbelebung der sog. Cash-GmbH; 7. keine Begünstigung von Freizeit- und Luxusgegenständen; 8. Beschränkung bei den Altersvorsorge-Deckungsmitteln. Am 8.7.2016 wurde – mit den Stimmen von A- und B-Ländern! – der Vermittlungsausschuss angerufen. Bei den Verhandlungen konnten in allen genannten Punkten ganz oder teilweise Verbesserungen erreicht werden. 48 BVerfG 7.11.2006 − 1 BvL 10/02, BStBl. II 2007, 192, Rz. 92 ff., GmbHR 2007, 320, FamRZ 2007, 340, FR 2007, 338. 49 Zur verfassungsrechtlichen Beurteilung dieses Beschlusses s. Erkis, DStR 2016, 1441.

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Ingo van Lishaut

Der Beschlussempfehlung des Vermittlungsausschusses vom 22.9.2016 haben Bundestag und Bundesrat dann zugestimmt, so dass die Reform nach den erforderlichen formellen Schritten schließlich mit der Verkündung im Bundesgesetzblatt am 9.11.2016 in Kraft treten konnte50. In der Rückschau fällt auf, dass die scheinbar breite Bundesrats-Mehrheit von 10 A-Ländern von Anfang an uneinig war und kaum effektiv zusammenwirkte. Auch die Rückkopplung zwischen den Bundestagsfraktionen und den Finanzministerien der Länder war allzu schmal aufgestellt. Das Vermittlungsverfahren hat gezeigt, dass das nach langem Zögern doch noch erfolgte politische Eingreifen durchschlagende Wirkung haben kann. Für grundlegende Verbesserungen war es allerdings schon zu spät.

V. Versuch eines Fazits Das ErbStG berührt gegensätzliche Grundüberzeugungen der politischen Parteien, was die Reform naturgemäß besonders belastet hat. Gleichwohl lassen sich vier Aussagen herleiten, die für alle Gesetzgebungsverfahren bedeutsam erscheinen: 1. Der von der Fachebene vorgelegte Gesetzentwurf schafft einen Diskussionsrahmen, der die politische Diskussion und Entscheidung durchaus vorprägt. Die Arbeitsmethodik und Eigendynamik der Fachebene sowie die Qualität der Rückkopplung mit den jeweiligen Hausspitzen verdienen daher besondere Beachtung. 2. Die Erarbeitung eines fachlich überzeugenden Gesetzentwurfs braucht Ruhe, Zeit, die richtigen Mitarbeiter sowie Abschirmung gegen äußere Störungen. Wenn Facharbeiten allzu früh in die politische Öffentlichkeit gelangen oder durch politische Vorfestlegung belastet sind, können wesentliche Aspekte nicht oder nur oberflächlich bearbeitet werden. Der Gesetzentwurf gerät zu einer „Sturzgeburt“, was die nachfolgende parlamentarische Diskussion unnötig erschwert und die fachliche Qualität des endgültigen Gesetzes beeinträchtigt. 3. Politische Mehrheiten stehen nur auf dem Papier, wenn sie nicht durch frühzeitige und konsequente Führung koordiniert werden. 4. Fachliche und politische Diskussionen werden in hohem Maß von Tatsachenbehauptungen und Prognosen getrieben. Die einschlägigen Informationen sind in aller Regel nicht rechtzeitig zur Hand. Um so wichtiger wären breiter angelegte Datenerhebungen im Vorfeld und wissenschaftlich begleitete spätere Evaluierungen.

50 Einen guten Überblick über das endgültige Gesetz gibt Erkis, Steueranwaltsmagazin 2016, 221 ff.

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Detlev J. Piltz

Die latente Ertragsteuerbelastung beim erbschaftsteuerlichen Substanzwert Inhaltsübersicht

I. Problemstellung



V. Meinung der Finanzverwaltung

II. Rechtslage bis 2009

VI. Rspr. des BVerfG

III. Wortlaut des BewG

VII. FG Hamburg v. 20.1.2015

IV. Zivilrechtliche Wertung

VIII. Ergebnis

I. Problemstellung Anteile an nicht an der Börse notierten Kapitalgesellschaften sowie Betriebsvermögen (Personengesellschaften und Einzelunternehmen) werden für Zwecke der Erbschaftsteuer gem. § 11 Abs. 2 BewG bewertet (vgl. § 157 Abs. 4 und 5 BewG). Das Bewertungsziel ist der gemeine Wert (§ 11 Abs. 2 Satz 1 BewG). § 9 Abs. 2 Satz 1 BewG definiert den gemeinen Wert als den „Preis, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsguts bei einer Veräußerung zu erzielen wäre“. § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG ordnet hierzu speziell drei Methoden für die Ermittlung des gemeinen Wertes an, nämlich Ableitung aus Verkäufen, Ermittlung unter Berück­ sichtigung der Ertragsaussichten und Ermittlung mit Hilfe einer anderen anerkannten im gewöhnlichen Geschäftsverkehr auch für nichtsteuerliche Zwecke üblichen Methode. Als Ausnahme zur Bewertung anhand der Ertragsaussichten oder einer anerkannten im gewöhnlichen Geschäftsverkehr auch für nichtsteuerliche Zwecke üblichen Methode bestimmt § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG: Die Summe der gemeinen Werte der zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter und sonstigen aktiven Ansätze abzüglich der zum Betriebsvermögen gehörenden Schulden und sonstigen Abzüge (Substanzwert) der Gesellschaft darf nicht unterschritten werden. Um diese Vorschrift geht es hier, speziell um die Rechtsfrage: Ist bei der Ermittlung dieses Substanzwerts die Ertragsteuer, die sich ergeben würde, wenn das Unternehmen zu einem dem Substanzwert gleichkommenden Preis veräußert würde, für die erbschaftsteuerliche Bewertung abzuziehen? Beispiel: Die Steuerbilanz einer KG weist ein Eigenkapital von 8 Mio. Euro aus. Der Ertragswert der KG beläuft sich auf 10  Mio. Euro. Der Substanzwert im o.a. Sinne ohne Abzug einer (latenten) Ertragsteuer beträgt 15 Mio. Euro. Die Ertragsteuer, die bei einer Veräußerung entstehen würde, beläuft sich (vereinfacht) auf 3 Mio. Euro. Ist der Erbschaftsteuerwert der KG 15 Mio. Euro oder 12 Mio. Euro?

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II. Rechtslage bis 2009 Für Erbfälle vor 2009 ist diese Rechtsfrage unter dem Stichwort „Abzugsfähigkeit der latenten Ertragsteuern“ im Rahmen der Bewertung von Anteilen an Kapitalgesellschaften nach dem bis Ende 2008 anzuwendenden § 11 Abs. 2 BewG a.F. i.V.m. dem Stuttgarter Verfahren umfänglich diskutiert worden. Rechtsprechung und Finanzverwaltung haben diesen Abzug stets abgelehnt. Für die Bewertung von Betriebsvermögen in der Rechtsform von Einzelunternehmen und Personengesellschaften stellte sich die Frage nicht, weil diese (vereinfacht) mit ihren einkommensteuerlichen Buchwerten angesetzt wurden. Nachdem für Erbfälle ab 2009 auch Einzelunternehmen und Personengesellschaften mit dem gem. § 11 Abs. 2 BewG ermittelten gemeinen Wert angesetzt werden, wird auch insoweit die Rechtsfrage relevant, wenn der gemeine Wert höher ist als der Buchwert. Die Diskussion zu der Rechtslage bis Ende 2008 ist hier nicht nachzuzeichnen1. Denn die These dieses Beitrags ist: Aufgrund der ab 2009 geltenden neuen Bewertungsvorschrift für Anteile an Kapitalgesellschaften und Betriebsvermögen ist der Abzug der latenten Ertragsteuerbelastung bei der Ermittlung des Substanzwertes geboten. Aus folgenden Gründen:

III. Wortlaut des BewG Der Wortlaut des § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG spricht nicht ausdrücklich von latenten Ertragsteuern, sondern von „Schulden und sonstigen Abzügen“, welche Formulierung sich auch in § 103 Abs. 1 BewG findet. Was „Schulden“ sind, hat das Bewertungsgesetz nicht definiert. Nach allgemeiner Auffassung ist wegen der Maßgeblichkeit der Steuerbilanz für das bewertungsrechtliche Betriebsvermögen einerseits und der Handelsbilanz für die Steuerbilanz andererseits das Verständnis aus dem Bilanzrecht zu übernehmen2. Im Bilanzrecht sind Schulden der Oberbegriff für Verbindlichkeiten und Rückstellungen für ungewisse Verbindlichkeiten und für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften3. Im HGB findet sich in § 274 eine Regelung bezüglich „latente Steuern“. Dabei geht es jedoch ausschließlich um Steuerbelastungen, die sich aus Differenzen zwischen Ansätzen in der Handels- und Steuerbilanz ergeben, nicht um latente Steuern der vorliegend relevanten Art. Die hier fraglichen latenten Ertragsteuern werden im Handelsrecht weder als Verbindlichkeiten noch als Rückstellungen angesehen. Den Begriff der „sonstigen Abzüge“ definiert das BewG ebenfalls nicht und auch im Handels- und Steuerbilanzrecht findet sich keine entsprechende Formulierung. Laut Gesetzesbegründung zu § 103 Abs. 1 BewG soll eine Klarstellung gemeint sein, dass neben den Schulden im eigentlichen Sinne auch passive Ansätze aus der Steuerbilanz (z.B. Rückstellungen, Rechnungsabgrenzungsposten) 1 Darstellung bei FG Hamburg v. 20.1.2015 – 3 K 180/14, EFG 2015, 1000, n.rkr. Az. BFH II R 15/15. 2 Kreutziger/Schaffner/Stephany, 3. Aufl., § 103 BewG Rz. 5. 3 Schubert, in Beckscher Bilanzkommentar, 10. Aufl., § 247 HGB Rz. 201.

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Ertragsteuerbelastung beim erbschaftsteuerlichen Substanzwert

und Erbbauzinsverpflichtungen in die Vermögensaufstellung zu übernehmen seien4. Diese Spezialfälle können aber nicht abschließend als „sonstige Abzüge“ gemeint sein. Denn der Wortsinn von „sonstige Abzüge“ geht weiter. Eine Auslotung der Sachverhalte, die dieser Ausdruck beschreibt, kann hier unterbleiben, wäre auch angesichts der Offenheit des Begriffs kaum möglich, außer, dass es um Abzüge geht, die über die „Schulden“ hinausgehen. Hier reicht es festzustellen, dass latente Ertragsteuern jedenfalls vom Wortsinn der „sonstigen Abzüge“ umfasst sind.

IV. Zivilrechtliche Wertung Letztlich entscheidend ist, dass sich auch der Substanzwertbegriff im Rahmen des Bewertungsziels gemeiner Wert des Unternehmens halten muss. Der Begriff des gemeinen Werts eines Unternehmens umfasst seine Minderung durch den Abzug der durch eine Veräußerung entstehenden Steuern. Im Zivilrecht wird der gemeine Wert eines Unternehmens genau in diesem Sinne verstanden, wozu es eine mittlerweile ständige Rechtsprechung des BGH gibt. Beim Ansatz eines Unternehmens (gleich welcher Rechtsform) zwecks Berechnung des Zugewinnausgleichs ist gem. §  1376 BGB dessen „Wert“ zugrunde zu legen. Damit ist unstreitig der gemeine Wert oder Verkehrswert gemeint5. Die Definition des gemeinen oder Verkehrswerts im Zivilrecht beschreibt diesen (vereinfacht) als im gewöhnlichen Geschäftsverkehr erzielbaren Veräußerungserlös6. Das entscheidende hieran ist die Wertermittlung danach, was bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Das entspricht exakt der oben zitierten Definition des gemeinen Werts in § 9 Abs. 2 Satz 1 BewG. Der BGH hat in ständiger Rechtsprechung erkannt, dass ein in dieser Weise ermittelter Unternehmenswert nur dann dem gemeinen Wert entspricht, wenn die latente Ertragsteuerbelastung, die sich bei einer Veräußerung ergeben würde (und andere Veräußerungskosten), abgezogen wird7. Es kommt nicht darauf an, ob das Unternehmen tatsächlich verkauft wird oder ob sein Verkauf tatsächlich beabsichtigt ist. „Vielmehr handelt es sich um eine Konsequenz der Bewertungsmethode. Soweit der Wert danach ermittelt wird, was bei einer Veräußerung zu erzielen wäre, darf nicht außer Betracht bleiben, dass wegen der damit verbundenen Auflösung der stillen Reserven dem Verkäufer wirtschaftlich nur der um die fraglichen Steuern verminderte Erlös verbleibt. Insoweit geht es um unvermeidbare Veräußerungskosten.“ Und „Denn eine Bewertung, die auf den am Markt erzielbaren Preis abstellt, hat die mit einer Veräußerung zwangsläufig verbundene steuerliche Belastung wertmindernd einzubeziehen.“ 4 BT-Drucks. 12/5016, 106; Kreutziger/Schaffner/Stephany, 3. Aufl., § 103 BewG Rz. 6. 5 Brudermüller in Palandt, 76. Aufl., § 1376 BGB Rz. 45. 6 BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, MDR 2011, 1042 ff., FamRZ 2011, 1376; Brudermüller in Palandt, a.a.O. 7 Z.B. BGH v. 2.2.2011 – XII ZR 185/08, MDR 2011, 1042 ff., FamRZ 2011, 1367; Brudermüller in Palandt, 76. Aufl., § 1376 BGB Rz. 48.

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Da die steuerliche Definition des gemeinen Werts weder in der allgemeinen Vorschrift des § 9 BewG noch speziell in § 11 BewG den Abzug latenten Ertragsteuern und sonstigen Veräußerungskosten ausschließt, ist kein Grund ersichtlich, den gemeinen Wert im Steuerrecht anders zu definieren als im Zivilrecht. Folglich sind auch beim steuerlichen gemeinen Wert eines Unternehmens die latenten Ertragsteuern abzuziehen.

V. Meinung der Finanzverwaltung Die Finanzverwaltung und die wohl h.M. im Schrifttum verstehen den § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG nicht in diesem Sinne, sondern versagen den Abzug von Veräußerungsund sonstigen Liquidationskosten8. Es gibt aber niemanden, der annimmt, dass der Wortlaut des § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG den Abzug der latenten Ertragsteuern ausschließe. Wenn aber das Verständnis des gemeinen Werts in § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG in dem Sinne möglich ist, dass die latenten Ertragsteuern abzugsfähig sind, dann fordert eine verfassungskonforme Auslegung des Begriffs, dass er im Erbschaftsteuerrecht so und nur so verstanden wird, sie also abgezogen werden müssen. Verfassungskonforme Auslegung bedeutet, dass, wenn unter Anwendung der „normalen“ Auslegungsmethoden mehrere Möglichkeiten des Verständnisses möglich sind, diejenige gewählt wird, die mit dem Grundgesetz vereinbar ist9.

VI. Rspr. des BVerfG Der § 11 Abs. 2 BewG in der hier anwendbaren Fassung ist geschaffen worden auf der Grundlage der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7.11.200610. Dort hat das Bundesverfassungsgericht bekanntlich verfassungsrechtliche Regeln für die erbschaftsteuerliche Bewertung aufgestellt, die wegen ihrer Entscheidungserheblichkeit für den vorliegenden Fall wörtlich zitiert werden: „Der Gesetzgeber verfolgt mit der Erbschaftsteuer in ihrer derzeitigen Ausgestaltung das Ziel, den durch Erbfall oder Schenkung anfallenden Vermögenszuwachs jeweils gemäß seinem Wert zu erfassen und die daraus resultierende Steigerung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (die durch Erbfall oder Schenkung vermittelte Bereicherung) des Erwerbers … zu besteuern (§ 10 Abs. 1 ErbStG). … Eine diesem Gebot genügende Erbschafts- und Schenkungsbesteuerung ist wegen der beschriebenen Belastungsentscheidung des Gesetzgebers nur dann gewährleistet, wenn sich das Gesetz auf der Bewertungsebene am gemeinen Wert als dem maßgeblichen Be 8 Umkehrschluss aus R B 11.3 Abs. 9 ErbStR; Immes in Wilms/Jochum, § 11 BewG Rz. 63; Weinmann, in Moench/Weinmann, § 12 ErbStG Teil II. 3 Rz. 16 f. 9 Für viele Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., S. 209 m.w.N. insbes. des BVerfG. 10 BStBl. II 2007, 192.

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Ertragsteuerbelastung beim erbschaftsteuerlichen Substanzwert

wertungsziel orientiert. Denn die durch den Vermögenszuwachs beim Erwerber entstandene finanzielle Leistungsfähigkeit besteht darin, dass er aufgrund des Vermögenstransfers über Geld oder Wirtschaftsgüter mit einem Geldwert verfügt. Letzterer kann durch den Verkauf des Wirtschaftsguts realisiert werden. Die durch den Erwerb eines nicht in Geld bestehenden Wirtschaftsguts vermittelte finanzielle Leistungsfähigkeit wird daher durch den bei einer Veräußerung unter objektivierten Bedingungen erzielbaren Preis, mithin durch den gemeinen Wert im Sinne des § 9 Abs. 2 BewG, bemessen. Nur dieser bildet den durch den Substanzerwerb vermittelten Zuwachs an Leistungsfähigkeit zutreffend ab und ermöglicht eine gleichheitsgerechte Ausgestaltung der Belastungsentscheidung“. Der hier entscheidende Gesichtspunkt ist die Leistungsfähigkeit des Erwerbers. Um wie viel Geld wird die Leistungsfähigkeit des Erwerbers durch den Erbanfall gesteigert? Oder anders ausgedrückt: Um wie viel Geld ist der Erwerber durch den Erbanfall bereichert? Hier liegt die entscheidende Weichenstellung zwischen dem Erwerb von ertragsteuerlich „verhaftetem“ Vermögen und ertragsteuerlich „freiem“ Vermögen. Die in Geld gemessene Leistungsfähigkeit des Erwerbers von steuerverhaftetem Vermögen ist geringer als die des Erwerbers von freiem Vermögen. Denn die Leistungsfähigkeit des ersteren ist durch die Ertragsteuer gemindert, welche er bei einer Veräußerung des Gegenstandes zahlen muss. Das Bundesverfassungsgericht spricht ausdrücklich davon, dass die finanzielle Leistungsfähigkeit darin besteht, dass der Erwerber über Geld oder Wirtschaftsgüter mit einem Geldwert verfügt, der „durch den Verkauf des Wirtschaftsguts realisiert werden“ kann. Diese Verfügungsmöglichkeit kann der Erwerber von steuerverhaftetem Vermögen ohne die „Erleidung“ der Ertragsteuern eben nicht haben. Genauso sieht es auch der gewöhnliche Geschäftsverkehr, der den gemeinen Wert maßgeblich bestimmt (§ 9 Abs. 2 BewG). Das sei an folgendem Beispiel veranschaulicht: Man stelle sich zwei identische Grundstücke A und B vor, Anschaffungskosten 100.000, erzielbarer Veräußerungspreis 1 Mio. Das Grundstück A befindet sich seit mehr als zehn Jahren im Privatvermögen, das Grundstück B ist Betriebsvermögen z.B. als einziger Vermögensgegenstand einer GmbH & Co. KG. Es wird niemand bezweifeln, dass der Erbe des Grundstücks B wegen der latenten Ertragsteuerbelastung „weniger erbt“ als der des Grundstücks A. Der Bezug zum gewöhnlichen Geschäftsverkehr stellt sich leicht dadurch her, dass jeder Erwerber, der zwischen den beiden Grundstücken als Erbe oder Schenkungsgegenstand frei auswählen kann (Identität der Grundstücke unterstellt), das Grundstück A wählt, weil er dieses einkommensteuerfrei verkaufen kann. Wenn man die Aussage des Bundesverfassungsgerichts „Geldwert durch Verkauf des Wirtschaftsgut realisiert werden kann“ ernst nimmt, muss sich die latente Ertragsteuerbelastung in der Bewertung des der Erbschaftsteuer unterliegenden Erwerbs wertmindernd niederschlagen11.

11 Im Ergebnis gl. A. Popp/Schwind, DStR 2015, 2565.

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Detlev J. Piltz

VII. FG Hamburg v. 20.1.2015 Das FG Hamburg hat allerdings zur Bewertung eines GmbH-Anteils zwecks Erbschaftsteuer für einen Erbfall im Jahr 2012 die Auffassung vertreten, dass die latente Ertragsteuerbelastung bei der Bewertung nicht abzuziehen sei12. Diesem Urteil ist jedoch nicht zu folgen: Das FG Hamburg beschreibt richtig den Meinungsstreit bis einschließlich 2008 und wiederholt und überträgt die damaligen Argumente für einen Nichtabzug der latenten Ertragsteuern auch für Bewertungen nach dem ErbStG 2009. Darauf ist hier nicht einzugehen, weil – wie gesagt – die hiesige Argumentation den alten Meinungsstreit unberührt lässt und sich auf die Rechtsänderung konzentriert. Zu der hiesigen Argumentation, dass der steuerliche Begriff des gemeinen Werts (parallel zum Zivilrecht) so ausgelegt werden kann, dass er den Abzug von latenten Ertragsteuern und Liquidationskosten umfasst, nimmt das FG nicht Stellung, was aus seiner Sicht auch nicht erforderlich war. Zu dem verfassungsrechtlichen Gebot einer Bewertung mit dem gemeinen Wert ist das FG anderer Auffassung als hier vertreten13. Es heißt dort: „Im Übrigen ist der Gesetzgeber im Rahmen seiner Gestaltungsfreiheit auch durch Art. 3 oder Art 14 GG nicht gehalten, die steuerliche Bewertung ausschließlich nach betriebswirtschaftlichen Grundsätzen zu regeln und den Abzug einer latenten bzw. noch nicht entstandenen Ertragsteuer zuzulassen (vgl. BVerfG-Beschluss vom 03.10.1972 1 BvR 122/72, Juris zu § 105 BewG a.F., vorgehend BFH-Urteil vom 05.11.1971 III R 76/70 n.v.), auch wenn diese zusammen mit der ErbSt zu einer Doppelbelastung führen kann (vgl. BFH-Vorlagebeschluss vom 22.05.2002 II R 61/99, BFHE 198, 342, BStBl. II 2002, 598, Juris Rz. 141; FG Saarland, Urteil vom 16.11.2011 1 K 1071/08, EFG 2012, 922). Dass latente Ertragsteuern nicht aus Verfassungsgründen abgezogen werden müssen, stimmt im Übrigen überein mit der Nichtberücksichtigung anderer latenter Belastungen (vgl. BVerfG-Beschluss vom 02.05.1997 – 1 BvR 2142/96, Juris, vorgehend BFH-Urteil vom 13.08.1996 – II B 117/95, BFH/NV 1997, 16, vgl. oben 4a).“ Diesen Ausführungen ist nicht zu folgen. Das überraschende an ihnen ist, dass es die verfassungsrechtliche sedes materiae für die Bewertung, nämlich den Bewertungsbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 7.11.2006, in diesem Zusammenhang (nur in Rz. 79 und 82 in anderem Zusammenhang) überhaupt nicht erwähnt, sondern nur die vorangegangene Rechtsprechung.

12 FG Hamburg v. 20.1.2015 – 3 K 180/14, EFG 2015, 1000. 13 Rz. 113 f. des FG-Urteils.

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Ertragsteuerbelastung beim erbschaftsteuerlichen Substanzwert

VIII. Ergebnis Im Ergebnis kann dahingestellt bleiben, ob die Verweise des FG Hamburg auf diese ältere Rechtsprechung inhaltlich zutreffen. Denn die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7.11.2006 hat jedenfalls eine neue Grundlage für die Bewertung geschaffen, welche bei der Auslegung des ErbStG 2009 zwingend zu berücksichtigen ist, wie vorstehend dargelegt.

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Hermann-Ulrich Viskorf

Die Behandlung des Pflichtteils im Erbschaftsteuerrecht Aktuelle Rechtsentwicklungen und Problemlagen Inhaltsübersicht

I. Einleitung

II. Der originäre Pflichtteilserwerb 1. Begründung des Steueranspruchs 2. Abzug als Nachlassverbindlichkeit 3. Geltendmachung des Pflichtteils nach dem Tod des Erstverpflichteten 4. Verzicht auf den Pflichtteilsanspruch



5. Geltendmachung/Erfüllung eines ­verjährten Pflichtteilsanspruchs

III. Der derivative Pflichtteilserwerb durch Erbanfall IV. Der Pflichtteilsanspruch als „verfügbares Vermögen“ i.S. von § 28a ErbStG?

I. Einleitung Dem Jubilar war es als Hochschullehrer neben der wissenschaftlichen Durchdringung der Steuerrechtsmaterie stets ein Anliegen, zu praxistauglichen, vernünftigen und sachgerechten Ergebnissen zu gelangen. Mit dieser Grundeinstellung war er mit dem Verfasser dieses Beitrags, dem dies in seinem früheren Aufgabenfeld ebenfalls nicht fremd war, über Jahrzehnte kollegial und freundschaftlich verbunden. Die erbschaftsteuerrechtliche Behandlung des Pflichtteilsrechts hat für die Gestaltungs- und Beratungspraxis eine große Bedeutung. Schwierigkeiten bei der Beurteilung und Systembrüche entstehen hierbei vor allem insoweit, wie sich das Erbschaftsteuerrecht vom Zivilrecht löst und die Geltendmachung des Pflichtteils einerseits als steuerauslösendes Moment, andererseits als Voraussetzung für den Abzug der Pflichtteilslast als Nachlassverbindlichkeit ansieht. Es verwundert deshalb keinesfalls, dass der Bundesfinanzhof immer wieder Gelegenheit erhält, sich mit Fragestellungen aus dem Bereich des Pflichtteilsrechts zu befassen. Dieser Beitrag befasst sich deshalb vor allem an Hand der jüngsten BFH-Rechtsprechung mit der Besteuerung des Pflichtteilserwerbs und der Möglichkeit, die Pflichtteilslast als Nachlassverbindlichkeit in Abzug zu bringen, ferner mit der Behandlung verjährter Pflichtteilsansprüche, den Folgen des Pflichtteilsverzichts und schließlich mit der Frage, ob der nicht geltend gemachte Pflichtteilsanspruch im Falle des derivativen Erwerbs steuerauslösend wirkt und im Rahmen des neuen § 28a ErbStG als „verfügbares Vermögen“ des Betriebsnachfolgers anzusehen ist.

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Hermann-Ulrich Viskorf

II. Der originäre Pflichtteilserwerb Nach § 2303 Abs. 1 Satz 1 BGB kann ein Abkömmling des Erblassers, der durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen ist, von dem Erben den Pflichtteil verlangen. Das gleiche Recht steht den Eltern und dem Ehegatten des Erb­ lassers zu, wenn sie durch Verfügung von Todes wegen von der Erbfolge ausgeschlossen sind (§ 2303 Abs. 2 Satz 1 BGB). Der Pflichtteil besteht in der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils (§ 2303 Abs. 1 Satz 2 BGB). Der Pflichtteilsanspruch ist regelmäßig auf eine Geldforderung gerichtet1; er entsteht nach § 2317 Abs. 1 BGB zivilrechtlich bereits mit dem Erbfall als Vollrecht und gehört von da an zum Vermögen des Pflichtteilsberechtigten2. Der Pflichtteilsanspruch nach §§ 2303 ff. BGB gehört nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG zum Katalog der als Erwerb von Todes wegen geltenden Rechtsvorgänge. Unter die Vorschrift fällt auch der sogenannte Zusatzpflichtteil nach §  2305 BGB, wenn dem Pflichtteilsberechtigten ein Erbteil hinterlassen ist, der geringer ist als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils. Ob auch der Pflichtteilsergänzungsanspruch nach §  2325 BGB unter § 3 Abs. 1 Nr. 1 BGB fällt, ist streitig. Unter Hinweis darauf, dass es sich hierbei zivilrechtlich um einen vom Pflichtteilsanspruch losgelösten und damit selbstständigen Anspruch handelt, der unabhängig vom Pflichtteilsanspruch entsteht, wird z.T. die Auffassung vertreten, dass der Pflichtteilsergänzungsanspruch wegen Fehlens eines Tatbestandes nicht der Erbschaftsteuer unterliegt3. Die Praxis geht jedoch von einer Steuerbarkeit nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG aus4. 1. Begründung des Steueranspruchs Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gilt ein Pflichtteilsanspruch erst dann als Erwerb von Todes wegen, wenn er vom Pflichtteilsberechtigten geltend gemacht wird. Dem bloßen zivilrechtlichen Entstehen des Anspruchs auf einen Pflichtteil mit dem Erbfall (§ 2317 Abs. 1 BGB) kommt erbschaftsteuerrechtlich im Rahmen der Besteuerung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 3. Alternative ErbStG noch keine Bedeutung zu. Die Steuer für den Erwerb eines geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs entsteht nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) ErbStG erst mit dem Zeitpunkt der Geltendmachung. Damit löst sich das Erbschaftsteuerrecht, das gerade auf der Tatbestandsebene streng an das Zivilrecht anknüpft, in diesem Punkt vom Zivilrecht und von dem dort maßgebenden Anfallsprinzip. Die Gründe für diese Abweichung vom Zivilrecht sind ­vielschichtig. Erbschaftsteuerrechtlich ist sicherlich das hier maßgebende Bereicherungsprinzip von Bedeutung5. Eine Bereicherung tritt mit der Entstehung des Pflicht1 Weidlich in Palandt, 76. Aufl., § 2303 BGB Rz 7; § 2317 BGB Rz 2. 2 Vgl. BGH v. 8.7.1993 – IX ZR 116/92, BGHZ 123, 183. 3 Wie hier: Crezelius, Unternehmenserbrecht, 2. Aufl. 2009, S. 109; Geck in Kapp/Ebeling, § 3 ErbStG Rz. 226. 4 Weinmann in Moench/Weinmann, § 3 ErbStG Rz. 117; Wälzholz in Viskorf/Knobel/Schuck/ Wälzholz, 4. Aufl., § 13 ErbStG Rz. 150. 5 Geck in Kapp/Ebeling, § 3 ErbStG Rz. 211.

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Der Pflichtteil im Erbschaftsteuerrecht

teilsrechts, d.h. mit dem Tode des Erblassers beim Pflichtteilsberechtigten noch nicht ein. Die Regelung soll ausschließen, dass beim Pflichtteilsberechtigten auch dann Erbschaftsteuer anfällt, wenn er seinen Anspruch zunächst oder dauerhaft nicht erhebt6. Auch will die Vorschrift erkennbar die Gleichbehandlung des unentgeltlichen Verzichts auf den Pflichtteil im Sinne der Nichtgeltendmachung mit der unentgeltlichen Ausschlagung von Erbschaft und Vermächtnis sicherstellen und trägt damit dem Umstand Rechnung, dass es beim Pflichtteil zivilrechtlich ein der Ausschlagung entsprechendes Rechtsinstitut nicht gibt7. Erbschaftsteuerrechtlich soll in all diesen Fällen der unentgeltliche Verzicht auf eine durch Rechtserwerb von Todes wegen erworbene Rechtsposition beim Erwerber nicht der Erbschaftsteuer unterliegen und ein solcher Verzicht zu keinem weiteren Erwerb unter Lebenden zu Gunsten des oder der durch den Verzicht Begünstigten führen. Ein weiterer Rechtfertigungsgrund für die Tatbestandsverwirklichung erst mit der Geltendmachung eines originär erworbenen Pflichtteilsanspruchs wird in der Notwendigkeit gesehen, die Entschließungsfreiheit des Pflichtteilsberechtigten wegen des häufig nahen verwandtschaftlichen Umfelds und des Näheverhältnisses zwischen Erben und Pflichtteilsberechtigten sicherzustellen und diesen nicht durch die Entstehung der Steuer auf einen Erwerb, den er gar nicht will, zur Geltendmachung des Anspruchs zu veranlassen. Dieses zeitliche Hinausschieben der erbschaftsteuerrechtlichen Folgen eines Pflichtteilsanspruchs ist somit im Interesse des Berechtigten geschehen und soll ausschließen, dass bei ihm auch dann Erbschaftsteuer anfällt, wenn er seinen Anspruch zunächst oder dauerhaft nicht erhebt8. Der Vorschrift liegt insoweit der gleiche Gesichtspunkt zugrunde wie vollstreckungsrechtlich dem §  852 Abs. 1 ZPO. Dieser sieht das Recht der Geltendmachung als ein höchstpersönliches an, welches nur vom Berechtigten ausgeübt werden kann. Der Anspruch auf den Pflichtteil ist zivilrechtlich nur unter engen Voraussetzungen pfändbar, so dass ein Pfändungsgläubiger dem Pflichtteilsberechtigten die Geltendmachung des Anspruchs nicht aufzwingen kann9. Der originär entstandene Pflichtteilsanspruch wird danach erst dann steuerrelevant, wenn der Berechtigte seinen Entschluss, den Pflichtteil zu verlangen, erkennbar macht. Hierzu muss er dem Belasteten gegenüber zu erkennen geben, dass er aus seinem Pflichtteilsanspruch Rechte herleiten will. Die „Geltendmachung“ des Pflichtteilsanspruchs besteht somit in dem ernstlichen Verlangen auf Erfüllung des Anspruchs 6 BFH v. 7.10.1998 – II R 52/96, BFHE 187, 50, BStBl. II 1999, 23; v. 19.7.2006 – II R 1/05, BFHE 213, 122, BStBl. II 2006, 718; v. 31.3.2010 – II R 22/09, BFHE 229, 374, BStBl. II 2010, 806, Rz. 11 und v. 19.2.2013 – II R 47/1, BFHE 240, 186, BStBl. II 2013, 332 Rz. 11. 7 Vgl. Weinmann in Moench/Weinmann, § 3 ErbStG Rz 118; Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, § 3 ErbStG Rz. 224; Hülsmann in Wilms/Jochum, § 3 ErbStG Rz. 159; vgl. auch BFH v. 7.12.2016 − II R 21/14, BFHE 256, 381, DStR 2017, 724 Rz. 17. 8 Vgl. BFH v. 19.2.2013 – II R 47/11, BFHE 240, 186, BStBl. II 2013, 332 Rz. 11, m.w.N. und v. 7.12.2016 – II R 21/14, BFHE 256, 381, DStR 2017, 724 Rz. 17. 9 Vgl. BGH v. 6.5.1997 − IX ZR 147/96, NJW 1997, 2384.

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gegenüber dem Erben10. Für die Geltendmachung des Anspruchs ist die Bezifferung der Höhe nach nicht erforderlich11. Der Berechtigte muss seinen Entschluss, die Erfüllung des Anspruchs zu verlangen, in geeigneter Weise bekunden. Diese Voraussetzungen liegen (noch) nicht vor, wenn und soweit der Berechtigte lediglich ein Auskunftsverlangen stellt12. Dies gilt jedenfalls solange, wie das Auskunftsverlangen erst der Vorbereitung der Entscheidung über eine eventuelle Geltendmachung dienen soll13. Wird indes das Auskunftsverlangen mit einem unbeschränkten Leistungsverlangen verknüpft, liegt ein Geltendmachen vor, sodass zu diesem Zeitpunkt die Erbschaftsteuerpflicht grundsätzlich für den vollen Wert des Pflichtteils entsteht, §  9 Abs. 1 Nr. 1b ErbStG14. Etwas anderes gilt, wenn und soweit der Berechtigte lediglich einen Teil seines Anspruchs geltend gemacht; in einem solchen Fall entsteht nur in dieser Höhe die Erbschaftsteuer15. Dasselbe gilt, wenn sich der Pflichtteilsberechtigte nach ernstlichem Streit über die Höhe seines Pflichtteils vergleichsweise mit weniger zufrieden gibt, als er beansprucht hat, und ihm zusteht; auch in diesem Fall kann er nur aus diesem niedrigeren Wert besteuert werden16. 2. Abzug als Nachlassverbindlichkeit Nach § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG kann der Erbe die Verbindlichkeiten aus geltend gemachten Pflichtteilen als Nachlassverbindlichkeiten abziehen. Die Pflichtteilsansprüche sind aber nur in der Höhe anzusetzen, wie sie vom Erben tatsächlich geschuldet werden. Hat der Pflichtteilsberechtigte seinen Anspruch nur teilweise geltend gemacht, kann korrespondierend damit der Erbe von seinem Erwerb auch nur den geltend gemachten Teil des Anspruchs als Nachlassverbindlichkeit abziehen. Dasselbe gilt, wenn der Erbe und der Pflichtteilsberechtige sich nach ernstlichem Streit auf eine bestimmte Höhe des Anspruchs im Wege eines Vergleichs verständigen. Nach der Rechtsprechung des BFH zum Erbvergleich können die Pflichtteilsberechtigten in einem solchen Fall nur aus dem vergleichsweise vereinbarten, niedrigeren Wert besteuert werden17. Korrespondierend hiermit können beim verpflichteten Erben die entsprechenden Pflichtteilsverbindlichkeiten auch nur mit die10 BFH v. 31.3.2010 – II R 22/09, BFHE 229, 374, BStBl. II 2010, 806. 11 BFH v. 19.7.2006 – II R 1/05, BFHE 213, 122, BStBl. II 2006, 718. 12 Geck in Kapp/Ebeling, § 3 ErbStG Rz. 212. 13 Wälzholz in Viskorf/Knobel/Schuck/Wälzholz, 4. Aufl., § 3 ErbStG Rz. 152. 14 Geck in Kapp/Ebeling, § 3 ErbStG Rz. 213. 15 Vgl. BFH v. 19.7.2006 − II R 1/05, BFHE 213, 122, BStBl. II 2006, 718; Wälzholz in Viskorf/ Knobel/Schuck/Wälzholz, 4. Aufl., § 3 ErbStG Rz. 152; Gottschalk in Troll/Gebel/ Jülicher, § 3 ErbStG Rz. 227; Geck in Kapp/Ebeling, § 3 ErbStG Rz. 212, 213 und 213.2. 16 BFH v. 18.7.1973 – II R 34/69, BFHE 110, 196, BStBl. II 1973, 798; FG Baden-Württemberg v. 1.10.2014 – 7 K 1520/11, EFG 2015, 310 bestätigt durch BFH v. 21.8.2015 − II B 126/14, nv. 17 BFH v. 19.7.2006 – II R 1/05, BFHE 213, 122, BStBl. II 2006, 718; v. 18.7.1973 – II R 34/69, BFHE 110, 196, BStBl. II 1973, 798.

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sem niedrigeren Wert berücksichtigt werden18. Der belastete Erbe kann deshalb – anders als bei einem Vergleich über den Zugewinnausgleichsanspruch  − bei seinem Erwerb von Todes wegen nicht geltend machen, der Pflichtteilsanspruch sei höher als der Vergleichsbetrag gewesen. Umstritten war ferner, ob die Pflichtteilslast, bei der es sich um eine allgemeine Nachlassverbindlichkeit handelt, auch dann in voller Höhe abziehbar ist, wenn zum Erwerb von Todes wegen ganz oder teilweise steuerbefreite Vermögensgegenstände oder Vermögen i.S. des § 10 Abs. 6 Satz 1, 3, 4 oder 5 ErbStG gehören. Der BFH19 hat der Verwaltungsmeinung20 widersprechend entschieden, dass die Bemessung des Pflichtteils nach dem Wert des Nachlasses (§§ 2311 ff. BGB) keinen wirtschaftlichen, sondern allenfalls einen rechtlichen Zusammenhang der Pflichtteilslast mit den zum Nachlass gehörenden aktiven Vermögensgegenständen oder Vermögen begründe21 und der Pflichtteilsanspruch nicht gegenständlich konkretisiert in Bezug auf die zum Nachlass gehörenden aktiven Vermögensgegenstände oder Vermögen sei und es somit an einem wirtschaftlichen Zusammenhang der Pflichtteilslast mit diesen Vermögensgegenständen oder Vermögen im Sinne von § 10 Abs. 6 ErbStG fehle22. Die Finanzverwaltung hat mit der vorbehaltlose Veröffentlichung der Entscheidung im Bundessteuerblatt Teil II zu erkennen gegeben, dass sie an ihrer früheren gegenteiligen Auffassung nicht mehr festhält. 3. Geltendmachung des Pflichtteils nach dem Tod des Erstverpflichteten Der Tod des Erben als Erstverpflichteten lässt den Anspruch des Pflichtteilsberechtigten grundsätzlich unberührt. Denn der Erbe des Erstverpflichteten tritt als Universalrechtsnachfolger an seine Stelle (§ 1922 Abs. 1, § 1967 Abs. 1 BGB). Die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs nach dem Tod des Erstverpflichteten gegen dessen Erben hat danach grundsätzlich dieselben Wirkungen wie die Geltendmachung gegenüber dem Erstverpflichteten zu dessen Lebzeiten. Die Steuer entsteht auch in diesen Fällen nach § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) ErbStG erst mit dem Zeitpunkt der Geltendmachung. Komplexer sind die steuerlichen Auswirkungen beim Erben des Erstverpflichteten. Dieser hat als Gesamtrechtsnachfolger des Erstverpflichteten einen Anspruch darauf, dass die Pflichtteilslast beim Erwerb des Erstverpflichteten als Nachlassverbindlichkeit berücksichtigt wird. Die Geltendmachung des Pflichtteils wirkt steuerrechtlich auf den Erwerb des Erstverpflichteten im Sinne von § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO zurück. Der sich gegebenenfalls daraus ergebende Steuererstattungsanspruch ist beim Erben des Erstverpflichteten Teil seines Erwerbs durch Erbanfall. Ferner kann der 18 BFH v. 1.7.2008 – II R 71/06, BFHE 222, 63, BStBl. II 2008, 874. 19 V. 22.7.2015 – II R 12/14, BFHE 250, 225, BStBl. II 2016, 230 und II R 15/14, BFH/NV 2015, 1584. 20 R 31 Abs. 2 Satz 1 ErbStR 2003, R E 10.10 Abs. 2 Satz 1 ErbStR 2011. 21 So auch Meincke, ZEV 2006, 199; ders., 16. Aufl., § 10 ErbStG Rz. 55. 22 So für das Betriebsvermögen; BFH v. 2.3.1993 – VIII R 47/90, BFHE 170, 566, BStBl. II 1994, 619, unter 1.d.

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Erbe des Erstverpflichteten erst mit diesem Zeitpunkt von seinem Erwerb von Todes wegen die Pflichtteilslast als Nachlassverbindlichkeit abziehen (§  10 Abs.  5 Nr.  2 ErbStG). So kann der Berechtigte, der den (Erst-)Verpflichteten nicht beerbt, den Pflichtteil gegenüber dessen Erben geltend machen23. Dasselbe gilt in den Fällen, in denen der Berechtigte Miterbe wird. In einem solchen Fall kann er seinen Anspruch gegen die Miterben geltend machen. Besonderheiten gelten, wenn der Pflichtteilsberechtigte, der seinen Anspruch gegen den Erstverpflichteten zu seinen Lebzeiten nicht geltend gemacht hat, Alleinerbe des Erstverpflichteten wird. Denn hier erlöschen sowohl der Pflichtteilsanspruch als auch die entsprechende Verbindlichkeit des Erstverpflichteten durch die Vereinigung von Forderung und Schuld in einer Person, nämlich in der Person seines (pflichtteilsberechtigten) Erben24. Zivilrechtlich kann danach die Erfüllung des Anspruchs dann im Regelfall nicht mehr verlangt werden. Erbschaftsteuerrechtlich gelten die infolge des Erbanfalls durch Vereinigung von Recht und Verbindlichkeit oder von Recht und Belastung erloschenen Rechtsverhältnisse gemäß § 10 Abs. 3 ErbStG aber als nicht erloschen. Diese Fiktion umfasst auch das Recht des Pflichtteilsberechtigten, der der Alleinerbe des Pflichtteilsverpflichteten ist, die Geltendmachung des Pflichtteils (fiktiv) nachzuholen25. Gibt der Pflichtteilsberechtigte dem zuständigen Finanzamt gegenüber eine entsprechende Erklärung ab, hat es diese zu berücksichtigen und sowohl hinsichtlich der Besteuerung des Erwerbs des Pflichtteils gemäß §  3 Abs.  1 Nr.  1 ErbStG als auch hinsichtlich des Abzugs der Pflichtteilsschuld als Nachlassverbindlichkeit die sich hieraus unter Berücksichtigung der jeweils maßgebenden Freibeträge ergebenden steuerrechtlichen Folgerungen zu ziehen26. Wegen der Beurteilung eines solchen Sachverhalts bei einem verjährten Pflichtteilsanspruch siehe unten unter II.5. 4. Verzicht auf den Pflichtteilsanspruch Der bloße (unentgeltliche) Verzicht auf die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs und damit auch das bloße Nichtgeltendmachen ist zwar nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG als freigebige Zuwendung des Anspruchsberechtigten an den Anspruchsverpflichteten steuerbar, jedoch nach § 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG steuerfrei. Im Übrigen bleibt es mangels Geltendmachung des Anspruchs bei der Nichtsteuerbarkeit des Pflichtteilserwerbs (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) und der Nichtabzugsfähigkeit der Pflichtteilslast als Nachlassverbindlichkeit (§ 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG).

23 BFH v. 19.2.2013 − II R 47/11, BFHE 240, 186, BStBl. II 2013, 332. 24 Konfusion, vgl. dazu z.B. BGH v. 23.4.2009 − IX ZR 19/08, NJW-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht 2009, 1059 Rz. 19 f.; BFH v. 7.3.2006 − VII R 12/05, BFHE 212, 388, BStBl. II 2006, 584. 25 BFH v. 19.2.2013 − II R 47/11, BFHE 240, 186, BStBl. II 2013, 332; so ausdrücklich nur für den nicht verjährten Anspruch. 26 Ebenso Gebel in Troll/Gebel/Jülicher, § 3 ErbStG Rz. 232, § 10 ErbStG Rz. 98, 183; Schuck in Viskorf/Knobel/Schuck, 4. Aufl., § 10 ErbStG Rz. 85; Muscheler, ZEV 2001, 377, 381 f.; Moench, DStR 1987, 139, 144; Markus Hardt, Ungelöste Probleme bei der Zuwendung des Familienwohnheims, ZEV 2004, 408; jetzt auch Geck in Kapp/Ebeling, § 10 ErbStG Rz. 78.

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Wird für den Verzicht auf den noch nicht geltend gemachten Anspruch seitens des Verpflichteten eine Abfindung an den Berechtigten gewährt, unterliegt die Abfindung als fiktiver Erwerb des Pflichtteilsberechtigten vom Erblasser nach § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG der Erbschaftsteuer. Der Weg über den Verzicht gegen Abfindung eröffnet vielfache Gestaltungsmöglichkeiten, weil der Gegenstand der Abfindung fiktiver Erwerbsgegenstand (vom Erblasser kommend) wird und damit der Pflichtteilsberechtigte, dessen Anspruch eigentlich auf Geld gerichtet ist, u.U. sogar in den Genuss von Steuerverschonungen für einen Abfindungsgegenstand (z.B. Familienheim) kommen kann. Die Beteiligten sind grundsätzlich frei bei der Auswahl des Abfindungsgegenstandes wie auch hinsichtlich der Höhe der gewährten Abfindung. Der Abfindungsgegenstand muss nicht einmal Teil des Nachlasses sein, er kann aus dem Vermögen des Abfindenden stammen oder eigens von diesem angeschafft werden. Der Verzicht auf einen geltend gemachten Pflichtteilsanspruch unterliegt nach §  7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG der Schenkungsteuer. Wird für einen solchen Verzicht eine Abfindung gewährt, wirkt sich diese bereicherungsmindernd aus. Ungeachtet dessen hat der Berechtigte seinen Pflichtteilserwerb in voller Höhe und nicht nur in Höhe des Werts des Abfindungsgegenstandes zu versteuern und spiegelbildlich kann der Verpflichtete die volle Pflichtteilslast als Nachlassverbindlichkeit abziehen. Übersteigt der Wert der Abfindung den Pflichtteilsanspruch, liegt in Höhe der Wertdifferenz eine freigebige Zuwendung des Erben an den Pflichtteilsberechtigten vor. 5. Geltendmachung/Erfüllung eines verjährten Pflichtteilsanspruchs Wird der Pflichtteilsanspruch erst nach Eintritt der Verjährung geltend gemacht, stellt sich als erstes die Frage, ob auch in diesem Fall die Geltendmachung des Pflichtteils den Steueranspruch entstehen lässt (§ 9 Abs. 1 Buchst. b ErbStG). Dies ist m.E. zu bejahen. Der Eintritt der Verjährung beseitigt zivilrechtlich den Pflichtteilsanspruch nicht; der Ablauf der Verjährungsfrist begründet lediglich für den Schuldner das Recht, die Leistung zu verweigern27. Die Geltendmachung eines verjährten Anspruchs ist danach grundsätzlich tatbestandsmäßig. Der Verpflichtete, der die Einrede der Verjährung (noch) nicht erhoben hat, kann grundsätzlich die Pflichtteilslast abziehen. Diese Rechtsfolgen können aber nur eintreten, wenn und soweit der Berechtigte nach zivilrechtlichen Maßstäben durch den Erwerb des Pflichtteilsanspruchs objektiv bereichert ist und nach den steuerrechtlichen Bewertungsvorschriften die Forderung nicht außer Ansatz zu bleiben hat. Letzteres ist unter den Voraussetzungen des § 12 Abs. 2 BewG der Fall, wonach uneinbringliche Forderungen außer Ansatz zu bleiben haben. Von einer vollständigen Uneinbringlichkeit der Forderung im Sinne des § 12 Abs. 2 BewG ist auszugehen, wenn der Schuldner die Einrede der Verjährung erhoben hat28. Solange diese nicht erhoben wird, kann bei der Bewertung des Anspruchs wie auch der Last lediglich ein niedrigerer Schätzpreis zum Ansatz kommen. 27 Ellenberger in Palandt, 76. Aufl., Überblick vor § 194 BGB Rz. 5. 28 Siehe hierzu: BFH v. 2. 3. 1971 − II 64/65, BFHE 102, 126, BStBl. II 1971, 533; Eisele in Rössler/Troll, § 12 BewG Rz. 14; Weinmann in Moench/Weinmann, Bd. II, § 12 ErbStG

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Diese Möglichkeit scheidet aber aus, wenn der verjährte Anspruch vom Verpflichteten tatsächlich in voller Höhe erfüllt wird. In diesen Fällen muss der Berechtigte seinen Pflichtteilserwerb in voller Höhe versteuern; der Verpflichtete kann dementsprechend auch die volle Pflichtteilslast als Nachlassverbindlichkeit abziehen. Durch den Tod des (Erst-)Verpflichteten ändert sich an dieser Einschätzung nichts. Dessen Erbe tritt als Rechtsnachfolger in die Rechtsstellung als Schuldner des Pflichtteilsanspruchs ein. Die Steuer für den Erwerb des Pflichtteilsanspruchs entsteht unter den o.g. Voraussetzungen, dasselbe gilt für die Möglichkeiten, die Pflichtteilslast abzuziehen. Einen Sonderfall bildet wiederum der oben unter II.3. bereits angesprochene Fall, in dem der Pflichtteilsberechtigte, der seinen (mittlerweile verjährten) Anspruch gegen den Erstverpflichteten zu seinen Lebzeiten nicht geltend gemacht hat, Alleinerbe des Erstverpflichteten wird. Ob in einem solchen Fall die Pflichtteilslast des Erstverpflichteten trotz eingetretener Verjährung noch (nachträglich) zum Abzug zugelassen werden kann, ist in der Rechtsprechung29 umstritten. Eine höchstrichterliche Rechtsprechung fehlt noch30. In der Konsequenz der Entscheidung des BFH v. 19.2.2013 − II R 47/1131 liegt es m.E., die Frage der Steuerbarkeit/Abzugsfähigkeit auch im Falle der Verjährung nicht davon abhängig zu machen, ob es noch zu Erfüllungshandlungen kommt oder kommen muss oder ob der Anspruch eine wirtschaftliche Belastung für die Person darstellt, die vom Schuldner zum Pflichtteilsgläubiger geworden ist. Denn auch im Falle der Nichtverjährung des Anspruchs bedarf es außer der dem Finanzamt gegenüber abzugebenden Erklärung keiner (zusätzlichen) Erfüllungshandlung noch ist eine wirtschaftliche Belastung erkennbar. Der Umstand, dass keine rechtliche Verpflichtung besteht, den geltend gemachten Anspruch zu erfüllen, auf den das Hessische Finanzgericht abgestellt hat, kann deshalb nicht entscheidend sein, denn auch im Falle der Nichtverjährung fehlt es zivilrechtlich an einem entsprechenden Anspruch (gegen sich selbst). Dasselbe gilt für das Argument der fehlenden wirtschaftlichen Belastung32. Entscheidend ist m.E., dass wegen der ausdrücklichen Regelung in § 10 Abs. 3 ErbStG für die erbschaftsteuerrechtliche Beurteilung dieser Fällen der Anspruch auf den Pflichtteil sowie die Pflichtteilslast als fiktiv noch vorhanden anzusehen ist, obwohl beide Rechtspositionen sich in der Hand des zum Pflichtteilsgläubiger mutierten Schuldners befinden. Diese Rechtsfiktion gilt unabhängig vom Eintritt der Verjährung. Vielmehr liegt es nahe, die vom BFH geforderte Erklärung, den Pflichtteil zu verlangen, zugleich als Erklärung zu verstehen, diesen trotz eingetretener Verjährung Bewertung I Rz. 47; H.‑U. Viskorf in Viskorf/Knobel/Schuck/Wälzholz, 4. Aufl., § 12 ErbStG Rz. 42. 29 Pro: Schleswig-Holsteinisches FG v. 4.52016 – 3 K 148/15, EFG 2016, 1102, ZEV 2016, 404; Contra: Hessisches FG v. 3.11.2015 – 1 K 1059/14, EFG 2016, 298. 30 Siehe Revisionsverfahren vor dem BFH − II R 1/16 und II R 17/16. 31 BFHE 240, 186, BStBl. II 2013, 332. 32 So aber Geck in Kapp/Ebeling, § 10 ErbStG Rz. 78.1.

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auch erfüllen zu wollen und zu erfüllen. Anders machte eine solche Erklärung unabhängig von der Verjährungsfrage überhaupt keinen Sinn. In geeigneten Fällen kann die Verjährungsfrist durch letztwillige Verfügung, auch soweit die Berechtigten hieran nicht beteiligt sind, verlängert werden33.

III. Der derivative Pflichtteilserwerb durch Erbanfall Stirbt der Pflichtteilsberechtigte und befindet sich in seinem Nachlass noch der Pflichtteilsanspruch, wird dieser vom Erben durch Erbanfall im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 1. Alternative ErbStG und nicht aufgrund eigenen Rechts als Pflichtteilsberechtigter im Sinne von § 3 Abs. 1 Nr. 1 3. Alternative ErbStG erworben. Es stellte sich deshalb die Frage, ob die Beschränkung der Steuerbarkeit nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 3. Alternative ErbStG auf geltend gemachte Pflichtteilsansprüche auch im Rahmen des Erwerbs von Pflichtteilsansprüchen durch Erbanfall gelten. Der Bundesfinanzhof34 hat diese Frage verneint und die Auffassung vertreten, die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs sei bei einem ererbten (derivativen) Pflichtteilsanspruch für die Besteuerung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 1. Alternative ErbStG anders als beim originären Pflichtteilsanspruch des Pflichtteilsberechtigten nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 3. Alternative ErbStG nicht erforderlich. Der Pflichtteilsanspruch entstehe nach § 2317 Abs. 1 BGB bereits mit dem Erbfall als Vollrecht und gehöre von da an zivilrechtlich zum Vermögen des Pflichtteilsberechtigten, und zwar unabhängig davon, ob er gegen den oder die Erben geltend gemacht werde. Der Wortlaut des Gesetzes fordere lediglich für die 3. Alternative des § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG eine „Geltendmachung“ des Pflichtteilsanspruchs. Dem Sinn und Zweck der Vorschrift sei ein über den Wortlaut der Norm hinausgehendes Erfordernis der „Geltendmachung“ nicht zu entnehmen. Der Entscheidung ist nicht ganz bedenkenfrei. Sie erscheint nur unter dem Gesichtspunkt vertretbar, dass nach dem Wortlaut des § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG der originäre und der derivative Pflichtteilserwerb unterschiedliche Voraussetzungen haben. Zwingend ist aber die strikte Trennung nicht. Der Abgleich der Gründe durch den BFH, die den Gesetzgeber zu den an die Geltendmachung eines originär erworbenen Pflichtteilsanspruchs geknüpften Rechtsfolgen in § 3 Abs. 1 Nr. 1 3. Alternative, § 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b) und § 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG veranlasst haben, erscheint weniger überzeugend. Denn es entspricht nicht der vom Gesetz angestrebten Entscheidungsfreiheit beim Berechtigten, z.B. einem Enkel, der im Nachlass seiner Mutter Pflichtteilsansprüche gegen seine Großmutter vorfindet, die er nicht geltend machen wird, entgegenzuhalten, er könne ja zur Vermeidung der Steuerentstehung für den Pflichtteil gleich sein ganzes Erbe ausschlagen. Auch die Ausführungen zur Doppelbelastung nehmen nur einen Teilaspekt in den Blick, nämlich den Fall, dass der Erbe des Pflichtteilsberechtigten (Enkel) den Pflicht33 Geck in Kapp/Ebeling, § 10 ErbStG Rz. 78 a.E. und in DStR 2013, 1368. 34 BFH v. 7.12.2016 − II R 21/14, BFHE 256, 381 Rz. 15.

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teilsanspruch tatsächlich später geltend macht. Dass hierfür dann auf dem Boden der Rechtsauffassung des BFH keine weitere Steuer mehr entsteht, dürfte selbstverständlich sein. Eine Doppelbelastung tritt indes ein, wenn der Enkel den Pflichtteil nicht geltend macht. Abgesehen davon, dass sich dann möglicherweise die Frage eines steuerbaren Verzichts des Enkels zu Gunsten seiner Großmutter stellt35, hat der Enkel einen Vermögenszuwachs zu versteuern, der bei ihm tatsächlich nicht eingetreten ist. Dies ist mit dem Bereicherungsprinzip nur schwer vereinbar. Das zur Erfüllung des Anspruchs erforderliche Vermögen bleibt bei der Großmutter und unterliegt beim nachfolgenden Erwerb des Enkels von der Großmutter möglicherweise erneut als Erwerb durch Erbanfall der Erbschaftsteuer. Misslich ist auch, dass die Lösung des BFH beim Abzug der Pflichtteilslast weiter auf § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG verweist und die Geltendmachung des ­Anspruchs verlangt, was dem Bereicherungsgedanken entspricht, während die Besteuerung des derivativ erworbenen Pflichtteilsanspruchs ungeachtet seiner Geltendmachung der Steuer unterliegen soll. M.E. sollte die Abhängigkeit des Eintritts der Steuerpflicht von der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs als Ausdruck des Bereicherungsprinzips auch im Rahmen des § 3 Abs. 1 Nr. 1 1. Alternative ErbStG verstanden werden, um derartige Brüche zu vermeiden und überzeugende Lösungen zu finden. Der derivative Erwerber ist ohne die Geltendmachung des Anspruchs in gleicher Weise nicht bereichert wie der originäre Erwerber.

IV. Der Pflichtteilsanspruch als „verfügbares Vermögen“ i.S. von § 28a ErbStG? Nach § 28a Abs. 1 Satz 1 ErbStG kann bei Großerwerben (über 26 Mio Euro) von Betriebsvermögen die auf begünstigtes Betriebsvermögen entfallende Steuer auf Antrag des Steuerpflichtigen erlassen werden, soweit er nachweist, dass er persönlich nicht in der Lage ist, die Steuer aus seinem verfügbaren Vermögen zu begleichen. Zu dem „verfügbaren Vermögen“ gehört gemäß § 28a Abs. 4 Satz 1 i.V.m. Abs. 2 ErbStG u.a. 50 % der Summe der gemeinen Werte des Vermögens, welches der Erwerber innerhalb von 10 Jahren nach dem Zeitpunkt des Erwerbs des Betriebsvermögens durch Schenkung oder von Todes wegen erhält und welches nicht zum begünstigten Vermögen im Sinne von § 13b Abs. 2 ErbStG gehört. Mit dem Erwerb zusätzlichen, nicht begünstigten Vermögens von Todes wegen oder durch Schenkungen verliert der Erlass der Steuer auf den Erwerb des Betriebsvermögens rückwirkend seine Wirkung. Die steuerliche Gestaltungspraxis wird deswegen bestrebt sein, Erwerbe von Todes wegen oder Schenkungen an den Erwerber von Betriebsvermögen im 10-Jahreszeitraum möglichst zu vermeiden. Hierzu ist auch die Erbfolgeplanung Dritter in den Blick zu nehmen36. Soweit wie möglich, sollten Erbanfälle sowie Vermächtnis- und 35 Eine Situation, die durch die Regelungen zum originären Pflichtteilserwerb gerade vermieden werden sollte. 36 Vgl. Hannes in ZEV 2016, 554; Eisele in Kapp/Ebeling, § 28a ErbStG Rz. 13.

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Pflichtteilserwerbe des Erwerbers von Betriebsvermögen durch entsprechende Erbund Pflichtteilsverzichte vermieden werden. Dies ist  – soweit Dritte beteiligt sind oder mangels geeigneter anderer Erwerber – nicht immer möglich. Der Erwerb eines Pflichtteilsanspruchs durch den Erwerber von Betriebsvermögen im o.g. 10‑Jahreszeitraum erfolgt jedenfalls „von Todes wegen“ und zählt als gegen den Erben gerichteter, mit keinem Betriebsvermögen verknüpfter Geldanspruch nicht zum begünstigten Vermögen im Sinne des § 13b Abs. 2 ErbStG. Der Anspruch auf den Pflichtteil ist deswegen potentiell geeignet, zum „verfügbaren Vermögen“ zu gehören. Auch hier stellt sich – wie bereits beim derivativen Pflichtteilserwerb (siehe III.) – die vergleichbare Frage, ob die Zurechnung zum „verfügbaren Vermögen“ davon abhängig sein soll, dass der Berechtigte seinen Anspruch geltend gemacht hat. § 28a Abs. 4 Nr.  3 ErbStG enthält dazu keine weiteren Regelungen. Zivilrechtlich entsteht der Pflichtteilsanspruch in der Person des Berechtigten mit dem Eintritt des Erbfalls, sodass nach bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen der Erwerber um den Anspruch bereichert und damit leistungsfähig ist. Erbschaftsteuerrechtlich, d.h. für den Zeitpunkt des Eintritts der Steuerpflicht wird eine Bereicherung aber erst mit der Geltendmachung des Anspruchs angenommen. Ausschlaggebend wird hier sein müssen, ob es der Zielrichtung der Regelungen in § 28a ErbStG entspricht, einen zwar nicht geltend gemachten, aber rechtlich bestehenden und ohne weiteres realisierbaren Anspruch für die Bezahlung der Steuer auf den Erwerb des Betriebsvermögens einzusetzen. Nach der Gesetzesbegründung soll es entscheidend darauf ankommen, ob die Entrichtung der Steuer durch den Steuerschuldner zu einer Gefährdung des Betriebs führen würde. Dies sei nicht der Fall, wenn der Erwerber im Zeitpunkt der Steuerentstehung (§ 9 ErbStG) oder innerhalb des 10-Jahreszeitraums infolge eines Erwerbs von Todes wegen oder durch eine Schenkung über genügend übrige Mittel verfügt, um die Steuer für das Betriebsvermögen zu entrichten37. Letztlich geht es bei der Verschonungsbedarfsprüfung darum, das Ausmaß der Ungleichbehandlung bei Großerwerben im Vergleich mit Erwerbern von nicht begünstigtem Vermögen insbesondere bei der Vollverschonung zu beschränken und die Betriebsvermögensverschonung mit einer gleichheitsgerechten Besteuerung in Einklang zu bringen ist38. Die Inanspruchnahme des Betriebsnachfolgers aus einem ihm von Todes wegen zugeflossenen Pflichtteilsanspruch dürfte m.E. in der Zielrichtung des Gesetzes liegen. Angesichts der erheblichen Belastungen der Erwerber nichtbegünstigten Vermögens ist es gleichheitsgerecht, auf die dem Betriebsnachfolger rechtlich zustehenden Ansprüche, soweit sie von Todes wegen oder durch Schenkung erworben werden, zur Hälfte zuzugreifen. Die Nichtgeltendmachung des Pflichtteilsanspruchs oder auch der unentgeltliche Verzicht auf diesen schützen den Betriebsvermögenserwerber danach nicht vor einem Zugriff auf 50 % des Werts des Pflichtteilsanspruchs durch das Finanzamt. Etwas 37 BT-Drucks. 18/5923, 33. 38 BVerfG v. 17.122014 - 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136, BStBl. II 2015, 50 Rz. 170 ff.

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anderes dürfte allenfalls bei der Nutzung des § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG gelten, u.z. für den Fall, dass der Betriebsvermögenserwerber und Pflichtteilsberechtigte für den Verzicht auf seinen noch nicht geltend gemachten Pflichtteil eine Abfindung erhält, bei der es sich um begünstigtes Vermögen im Sinne des § 13b Abs. 2 ErbStG handelt. Denn in diesem Fall ist erbschaftsteuerrechtlicher Erwerbsgegenstand kein nichtbegünstigter Geldanspruch, sondern der Pflichtteilsberechtigte erwirbt fiktiv vom Erb­ lasser begünstigtes Vermögen.

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Schenkungsteuerbarkeit von Gebrauchs- und Nutzungsvorteilen zwischen Darlehens- und Wohnraumüberlassung Inhaltsübersicht

I. Einführung

II. Zivilrechtliche Grundlagen 1. Rechtsprechung des BGH 2. Maßgebliche Auffassungen im Schrifttum III. Entwicklungen im Schenkungsteuerrecht 1. Rechtsprechung a) Unverzinsliches Darlehen b) Unentgeltliche Wohnraumüber­ lassung 2. Maßgebliche Auffassung im Schrifttum a) Unverzinsliches Darlehen b) Unentgeltliche Wohnraumüber­ lassung 3. Zwischenergebnis

IV. § 7 Abs. 1 Nr. ErbStG als zentraler ­Anknüpfungspunkt 1. Die freigebige Zuwendung 2. Bereicherung des Erwerbers a) Grundsatz: Bereicherungsprinzip b) Unentgeltliche Gebrauchsüber­ lassung als tauglicher Zuwendungsgegenstand c) Ersparte Aufwendungen als taug­ licher Zuwendungsgegenstand

V. Differenzierte Betrachtungsweise (­Darlehen und sonstige Gebrauchsüberlassung)

VI. Anzeigepflichten VII. Fazit

I. Einführung Geht es um die Entwicklungen des deutschen Erbschafts- und Schenkungsteuerrechts, so kommt man am Namen des Jubilars nicht vorbei. Seit Jahrzehnten prägt er mit großer Leidenschaft die maßgeblichen Diskussionen rund um das ErbStG. Schon seit Beginn seiner akademischen Laufbahn hat er die zivilrechtliche Verankerung des Erbschaft- und Schenkungsteuerrechts fest im Blick und spricht sich regelmäßig gegen eine wirtschaftliche Betrachtungsweise in dieser Steuerart aus.1 Bereits als wissenschaftlicher Assistent setzte er sich beispielsweise mit der Schenkungsteuerpflicht von unverzinslichen Darlehen auseinander.2 Das unverzinsliche Darlehen ist ein Teil des sehr diffusen Feldes der unentgeltlichen Gebrauchs- und Nutzungsüberlassungen. Die praktische Relevanz der schenkungsteuerlichen Fragen rund um diesen Themenkomplex ist nach wie vor nicht zu unterschätzen, da unentgeltliche Gebrauchs- und Nutzungsüberlassungen gerade innerhalb einer Familie üblich sind. Dabei ist neben 1 Auch in seiner Promotion befasste er sich mit der Schnittstelle des Erbschaftsteuerrechts zum Zivilrecht. Vgl. Crezelius, Erbschaft- und Schenkungsteuer aus zivilrechtlicher Sicht, 1979. 2 Vgl. Crezelius, BB 1978, 621 ff.; Crezelius, BB 1979, 1594 f.

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dem unverzinslichen Darlehen eine Vielzahl von Fällen vorstellbar.3 Sie reichen von dem Gebrauch von Transportmitteln wie einem Auto und bei sehr wohlhabenden Familien auch einem Privatflugzeug, bis hin zur Überlassung einzelner Zimmer, Wohnungen oder ganzer Immobilien zu Wohnzwecken. Der Vielzahl möglicher Streitfälle steht allerdings nur eine geringe Anzahl von höchst­ richterlichen Entscheidungen gegenüber. Auch die Literatur widmet sich diesem Thema eher stiefmütterlich. Dies kann auch daran liegen, dass sich dieser Rechtsbereich durch ein großes Vollzugsdefizit auszeichnet. Nur die wenigsten Fälle werden überhaupt erkannt, geschweige denn streitig gestellt. Die Gratulanten möchten daher die Gelegenheit nutzen, um der Frage nachzugehen, inwieweit das Schenkungsteuerrecht in den Fällen von unentgeltlichen Gebrauchsbzw. Nutzungsüberlassungen von Gegenständen auf das Zivilrecht zurückgreifen muss und ob eine stärkere Differenzierung der verschiedenen Fallgruppen angezeigt ist.

II. Zivilrechtliche Grundlagen Für die zivilrechtliche Einordnung der unentgeltlichen Überlassung einer Sache zum Gebrauch oder zur Nutzung kommen die Rechtsinstitute der Leihe (§ 598 BGB) und der Schenkung (§ 516 BGB) in Betracht.4 Die Leihe zeichnet sich dadurch aus, dass dem Entleiher zwar gestattet wird, die Sache unentgeltlich zu gebrauchen, er zugleich jedoch zur Rückgabe der Sache verpflichtet ist.5 Eine Schenkung liegt demgegenüber vor, wenn der Beschenkte aus dem Vermögen des Schenkers bereichert wird und Einigkeit über die Unentgeltlichkeit der Leistung besteht, es also zu einer finalen Vermögensverschiebung kommt.6 Im Rahmen der Subsumtion unter die Rechtsinstitute Leihe und Schenkung sind Gebrauchs- nicht synonym mit der Nutzungsüberlassung zu verwenden, sondern vielmehr begrifflich zu trennen. Im Gegensatz zur bloßen Gebrauchsüberlassung, die den Erwerber zur Eigennutzung berechtigt, gewährt ihm die Nutzungsüberlassung das Recht, auch die Nutzungen der überlassenen Sache (§ 100 BGB) zu ziehen. Der Begriff Nutzungen umfasst dabei neben den Gebrauchsvorteilen auch die Früchte (§ 99 BGB) der Sache. Ist der Erwerber zur Fruchtziehung berechtigt, so soll von vornherein keine Leihe, sondern ein mit einer Schenkung gemischter Vertrag vorliegen.7 Demgegenüber ist die Einordnung der reinen unentgeltlichen Gebrauchsüberlassung seit jeher umstritten. 3 Vgl. auch die Beispielsfälle von Steiner, ErbStB 2007, 110. 4 Curdt, ZEV 2016, 685. 5 Reuter, in: Staudinger, September 2012, Vorbem zu §§  598  BGB  ff. Rz.  2; Häublein, in: Münch­Komm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 598 BGB Rz. 2. 6 Mühl/Teichmann, in: Soergel, 13. Aufl. 2014, § 516 BGB Rz. 6; Mansel, in: Jauernig, 15. Aufl. 2016, §  516 BGB Rz.  1; Koch, in: MünchKomm/BGB, 7.  Aufl. 2016, §  516 BGB Rz.  5; Häublein, in: MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 598 BGB Rz. 9. 7 Vgl. nur Weidenkaff, in: Palandt, 76. Aufl. 2017, § 598 BGB Rz. 5; Gebel, DStZ 1992, 577 (578).

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Schenkungsteuerbarkeit von Gebrauchs- und Nutzungsvorteilen

1. Rechtsprechung des BGH Der BGH ist ursprünglich davon ausgegangen, dass es sich bei einer unentgeltlichen Wohnungsüberlassung um eine Schenkung handelt.8 Diese Auffassung wurde in späteren Entscheidungen9 aufgegeben. Zur Begründung führt der BGH aus, dass in der bloßen vorübergehenden Gebrauchsüberlassung einer Sache grundsätzlich keine das Vermögen mindernde Zuwendung liegen könne, die aber per Definition für eine Schenkung i.S.d. §  516 Abs.  1 BGB erforderlich sei. Mangels Entreicherung bleibe eine überlassene Wohnung im Eigentum und damit im Vermögen des Leistenden. Es komme nicht darauf an, für welchen Zeitraum die Überlassung erfolge.10 Auch in einer aktuellen Entscheidung hat der BGH wieder auf diese Argumentationslinie zurückgegriffen.11 Im zugrundeliegenden Sachverhalt hatte die Mutter des Klägers als Vorerbin zum Nachlass des Erblassers gehörende Räume für die Dauer von 30  Jahren unentgeltlich den Beklagten zum Gebrauch überlassen. Der Kläger als Nacherbe wollte nun gegen die Gebrauchsüberlassungsverträge vorgehen, da die (Nach-)Erbschaft der Immobilie für ihn nutzlos sei, wenn er die Räume für einen so langen Zeitraum nicht nutzen könne. In Streit stand u.a. auch die Formwirksamkeit der Überlassungsvereinbarungen (für den Fall der Schenkung § 518 BGB). Gemäß seiner bisherigen Rechtsprechung hat der BGH die Verträge als Leihverträge und nicht als formbedürftige Schenkungsverträge eingeordnet. In der bloßen vorübergehenden Gebrauchsüberlassung einer Sache liege in der Regel keine das Vermögen mindernde Zuwendung. Erneut offengelassen hat der BGH allerdings die Frage, ob in Fallkonstellationen, in denen die Gebrauchsüberlassung der „wirtschaftlichen Weg­ gabe“ der Sache nahekommt, anders zu entscheiden ist.12 2. Maßgebliche Auffassungen im Schrifttum Im Einklang mit der neueren Rechtsprechung des BGH wird auch im Schrifttum die Qualifizierung einer unentgeltlichen Gebrauchsüberlassung als Schenkung überwiegend abgelehnt.13 Die zeitweilig auch vom BGH vertretene gegenteilige An 8 BGH v. 6.3.1970 – V ZR 57/67, NJW 1970, 941. Damit lag der BGH auf einer Linie mit dem gemeinen Recht und dem Preußischen Allgemeinen Landrecht, worin die unentgeltliche Gebrauchsüberlassung dann als Schenkung angesehen wurde, wenn der Leistende durch die Überlassung der Sache eine üblicherweise geldwerte Nutzungsmöglichkeit (in der Regel die Vermietung der Sache) zugunsten des Empfängers opferte, vgl. Dernburg, Pandekten, Band II, § 106, 290. 9 Grundlegend BGH v. 11.12.1981  – V ZR 247/80, NJW 1982, 820; bestätigend BGH v. 20.6.1984 – IVa ZR 34/83, NJW 1985, 1553; v. 1.7.1987 – IVb ZR 70/86, NJW 1987, 2816. 10 BGH v. 11.12.1981 – V ZR 247/80, NJW 1982, 820 (821). 11 BGH v. 27.1.2016 – XII ZR 33/15, ZEV 2016, 267 (268). Kritisch zu dieser Entscheidung Kuhn, ZEV 2016, 609. 12 Vgl. BGH v. 27.1.2016 – XII ZR 33/15, ZEV 2016, 267 (268); BGH v. 20.6.1984 – IVa ZR 34/83, NJW 1985, 1553. 13 Koch, in: MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 516 BGB Rz. 6; Gehrlein, in: Bamberger/Roth, 3. Aufl. 2012, § 516 BGB Rz. 4; Herrmann, in: Erman, 14. Aufl. 2014, § 516 BGB Rz. 4; Mühl/ Teichmann, in: Soergel, 13. Aufl. 2014, § 516 BGB Rz. 6. A.A. Reinicke, NJW 1970, 1447.

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sicht14 hat sich nicht durchgesetzt. Teilweise wird noch darauf hingewiesen, dass bei einer sehr langen Bindung des Schuldners, entsprechende Überlassungsverträge einer Schenkung sehr nahe kommen können, die Vorschriften des BGB über den Leihvertrag (§§ 598 ff. BGB) aber nur für kurzfristige Bindungen konzipiert worden seien.15 Daher seien die Schenkungsvorschriften zumindest teilweise anzuwenden (insbesondere § 518 BGB). Dem wird zu Recht entgegengehalten, dass so die Grenze ­zwischen Schenkung und unentgeltlichen Gebrauchsüberlassungen verwischt wird, was zugleich zu einer Schmälerung der Rechtssicherheit führt.16 Schließlich kollidiere die Erweiterung der Formerfordernisse auch mit dem Gedanken der Privatautonomie.17

III. Entwicklungen im Schenkungsteuerrecht 1. Rechtsprechung Die finanzgerichtliche Rechtsprechung hat sich bislang nur vereinzelt mit der Frage der unentgeltlichen Gebrauchs- und Nutzungsüberlassung beschäftigt, tendiert allerdings dahin, unentgeltliche Gebrauchs- und Nutzungsüberlassungen schenkungsteuerlich zu erfassen.18 Die entschiedenen Fälle behandeln zum einen die Frage nach der Schenkungsteuerbarkeit von unverzinslichen Darlehen sowie von unentgeltlichen Wohnraumüberlassungen. Neuerdings finden sich zudem finanzgerichtliche Entscheidungen zur Einräumung eines Mitbenutzungsrechts eines gemeinsam bewohnten Hauses. a) Unverzinsliches Darlehen Die Gewährung eines unverzinslichen Darlehens ist von den Finanzgerichten bislang nahezu durchwegs als freigebige Zuwendung behandelt worden.19 Dies geht bereits auf Urteile des RFH zurück. Der RFH stützte seine Entscheidungen auf das Argument der verkehrsüblichen Nutzbarkeit der überlassenen Darlehenssumme. In diesen Fällen stelle der „Zinsunterscheid“ den Zuwendungsgegenstand dar.20 14 Vgl. noch Nehlsen/van Stryk, AcP 187, 552 (589 ff.); Slapnicar, JZ 1983, 326 (329 ff.). 15 Vgl. Mansel, in: Jauernig, 15. Aufl. 2016, § 516 BGB Rz. 15; Larenz, Schuldrecht BT II/1, § 47 I, 197. Neuerdings auch Häublein, in: MünchKomm/BGB, 7. Aufl., 2016, § 598 BGB Rz. 9, 14, der offenbar schon bei Ausschluss der Kündigung wegen Eigenbedarfs des Verleihers von der analogen Anwendbarkeit des Schenkungsrechts ausgeht. 16 Koch, in: MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2016, § 516 BGB Rz. 8; Gehrlein, in: Bamberger/Roth, 3. Aufl. 2012, § 516 BGB Rz. 4. 17 Chiusi, in: Staudinger, April 2013, § 516 BGB Rz. 22. 18 So bereits Gebel, DStZ 1992, 577 (578). 19 FG Hamburg v. 13.6.1968 – II 157/66, EFG 1969, 23; FG Münster v. 27.2.1970 – II 3220/66 Erb, EFG 1970, 451; FG München v. 20.1.1977 – IV 52/73, EFG 1977, 328; FG Düsseldorf v. 15.12.1977 – XI 114/77 Erb, EFG 1978, 336. A.A. jedoch Niedersächsisches FG v. 18.7.1978 – III 314-315/76, EFG 1979, 140. 20 RFH v. 22.7.1932 – V eA 1022/31, StuW 1932, Nr. 1032; v. 18.3.1943 – III 155/42, RStBl. 1943, 419.

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Der BFH hat sich in seinem grundlegenden Urteil21 die Argumentation des RFH zu Eigen gemacht und die Gewährung eines unverzinslichen Darlehens der Schenkungsteuer unterworfen. Gegenstand der Schenkung sei die dem „Zuwendungsempfänger (Darlehensnehmer) gewährte Nutzungsmöglichkeit“. Der BFH führt aus, dass nicht nur Vermögenssubstanz Gegenstand einer Schenkung sein könne, sondern auch der Vermögensgebrauch ein aus dem Vermögen stammender Vorteil sei. Die Sache sei „als Quelle von Gebrauchsvorteilen“ zu sehen. Daher könne eine Minderung des Vermögens des Schenkers durch eine unentgeltliche Kapitalüberlassung eintreten, „sofern sich der Schenker damit eines Ertrags begibt, den er bei verkehrsüblichem Verhalten gezogen hätte“. Diese Auffassung hat der BFH in späteren Entscheidungen bestätigt22 und nochmals ausdrücklich festgestellt, dass der Empfänger eines zinslosen Darlehens durch die Gewährung des Rechts, das überlassene Kapital unentgeltlich zu nutzen, eine Vermögensmehrung erfahre, die der Schenkungsteuer unterliege. Der Zuwendende verzichte zugleich auf einen Ertrag, den er bei verkehrsüblichem Verhalten gezogen hätte und sei insoweit entreichert.23 Dadurch stellt der BFH abstrakt auf die Nutzungsmöglichkeit des Kapitals ab. Konsequenterweise spielt es dabei dann keine Rolle, ob im konkreten Fall tatsächlich eine Einnahmemöglichkeit besteht oder nicht.24 b) Unentgeltliche Wohnraumüberlassung Nach Auffassung des RFH25 handelt es sich auch bei der unentgeltlichen Wohnungsüberlassung um eine freigebige Zuwendung im Sinne des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Gegenstand der freigebigen Zuwendung sei die Sachnutzung als „Quelle von Gebrauchsvorteilen“. Der RFH stellte dabei auf die objektive Einordnung der Wohnung als Verkehrsgut ab und ließ eine Ausnahme nur für solche Wohnungen zu, die (objektiv) nicht vermietet werden können. Es ist erstaunlich, dass der Schenkungsteuersenat des BFH bislang noch nicht gezwungen war, sich zu diesem Themenkomplex zu äußern. Lediglich der VIII. Senat des BFH (Ertragsteuer) ist in Übereinstimmung mit dem BGH zu dem Ergebnis gekommen, dass in der bloßen Gebrauchsüberlassung einer Sache in der Regel „keine das Vermögen mindernde Zuwendung“ zu sehen sei.26

21 BFH v. 12.7.1979 – II R 26/78, BStBl. II 1979, 631. 22 Vgl. BFH v. 30.3.1994 – II R 105/93, BFH/NV 1995, 79; v. 27.10.2010 – II R 37/09, DStRE 2011, 163; v. 27.11.2013 – II R 25/12 NV, MittBayNot 2014, 489. So auch FG München v. 24.1.2007 – 4 K 2798/04, EFG 2007, 782. 23 BFH v. 27.11.2013 – II R 25/12 NV, MittBayNot 2014, 489 m. Anm. Crezelius. 24 Deshalb sah auch das FG Düsseldorf (v. 20.3.2012 – 4 K 3143/12 Erb, EFG, 951) ein Dar­ lehen nach iranischem Recht, wonach der Darlehensgeber aus religiösen Gründen zunächst keine Zinsen verlangen darf, als schenkungsteuerpflichtig an. Der BFH (v. 4.3.2015 – II R 19/13, BFH/NV 2015, 993) bestätigte das Urteil und führte aus, dass der Darlehensgeber objektiv die Möglichkeit hatte, das Kapital gewinnbringend anzulegen. 25 RFH v. 6.2.1936 – III eA 36/35, Mrozek-Kartei, § 3 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG Nr. 62. 26 BFH v. 29.11.1983 – VIII R 184/83, BStBl. II 1984, 371. Im zugrundeliegenden Sachverhalt hatte der Kläger seinem Sohn eine Wohnung unentgeltlich überlassen. Der Sohn hatte den Nutzwert der Wohnung nicht versteuert und auch der Kläger hatte in seiner Einkommen-

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Ob der II. Senat des BFH dieser Auffassung folgen wird, kann mit Blick auf die Rechtsprechung zu unverzinslichen Darlehen bezweifelt werden. Das FG Rheinland-Pfalz27 hat für den Fall der dinglichen Einräumung eines Mitbenutzungsrechtes das Merkmal der Entreicherung und damit eine freigebige Zuwendung abgelehnt. Das Gericht argumentierte, dass eine entreichernde Vermögenshingabe des Eigentümers vorliegen könne, wenn nach dem Verwendungsplan des Eigentümers anderenfalls eine erwerbswirtschaftliche Nutzung erfolgt wäre, was bei leicht vermietbaren Wohnungen regelmäßig anzunehmen sei. Dies gelte allerdings im Falle der Mitbenutzung nicht, da der Eigentümer selbst ein Nutzungsrecht habe. Das FG München28 hatte ebenfalls einen Fall zur Einräumung eines Mitbenutzungsrechts zu entscheiden und judizierte vergleichbar. Allerdings machte das FG München keine Einschränkung im Hinblick auf den Verwendungsplan der Eigentümerin, sondern stellte lediglich fest, dass es an der notwendigen Entreicherung fehle, wenn lediglich die Mitbenutzung einer Wohnung gestattet wird, die auch von der Eigentümerin für eigene Wohnzwecke genutzt wird. Die Rechtsprechung erscheint nicht ganz stringent. Der Steuerpflichtige soll – bis auf Ausnahmefälle – das Verkehrsgut Wohnung stets entgeltlich vermieten müssen. Eine Vermietung an „Mitbenutzer“ wird demgegenüber nicht als verkehrsüblich eingestuft, obwohl auch in diesen Fällen die eigene Nutzung der Wohnung durchaus eingeschränkt wird. Die Einzelfälle sind vielfältig und bergen angesichts der bisherigen Entscheidungen einen großen Beurteilungsspielraum durch die Finanzverwaltung. Die damit verbundenen Einzelfallentscheidungen sorgen für erhebliche Rechtsunsicherheit. 2. Maßgebliche Auffassung im Schrifttum Im Schrifttum ist die Frage der schenkungsteuerlichen Einordnung unentgeltlicher Gebrauchs- und Nutzungsüberlassungen nicht neu. Bereits in den historischen Kommentierungen zum ErbStG 1925 wurde in einem Nutzungsvorteil ein tauglicher Zuwendungsgegenstand gesehen.29 Auch die mietfreie Überlassung einer Wohnung und die Hingabe eines zinslosen Darlehens wurden schon früh als schenkungsteuerlich relevante Zuwendungen identifiziert.30 Anhand dieser beiden „Klassiker“ wird auch aktuell die maßgebliche Diskussion geführt.

steuererklärung keinen Mietwert angesetzt. Das Finanzamt schätzte sodann den Mietwert und erhöhte die Einkünfte des Klägers aus Vermietung und Verpachtung entsprechend. 27 FG Rheinland-Pfalz v. 18.4.2002 – 4 K 1869/01, DStRE 2002, 1078. 28 FG München v. 22.3.2006 – 4 K 1631/04, ErbStB 2006, 275. 29 Vgl. z.B. Kipp, ErbStG i.d.F. v. 22.8.1925, § 3 Anm. 21. 30 Vgl. Liebisch, Das Wesen der unentgeltlichen Zuwendung unter Lebenden im bürgerlichen Recht und im Rechtssteuerrecht, 1927, 113 ff., 133 f., 138, 143.

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Schenkungsteuerbarkeit von Gebrauchs- und Nutzungsvorteilen

a) Unverzinsliches Darlehen Die wohl herrschende Meinung sieht in der Überlassung eines unverzinslichen Darlehens einen schenkungsteuerpflichtigen Vorgang.31 Zuwendungsgegenstand sei dabei nicht die gewährte Nutzungsmöglichkeit, sondern vielmehr der Teil des zugewendeten Darlehens, der aufgrund der Unverzinslichkeit des Darlehens nicht durch die abgezinste Rückzahlungspflicht ausgeglichen werden kann.32 Die entsprechende Wertdifferenz soll der Entreicherung des Darlehensgebers und der Bereicherung des Darlehensnehmers entsprechen.33 Diese Auffassung fußt auf dem Gedanken, dass der Darlehensnehmer Eigentümer des ausgezahlten Kapitals wird und die Nutzungsmöglichkeit bereits aus seiner Stellung als Eigentümer folgt. Die Gegenauffassung im Schrifttum wird vom Jubilar angeführt. An den (genannten) Urteilen des BFH kritisiert er, dass unentgeltliche Gebrauchsüberlassungen zu keiner Entreicherung der Vermögenssubstanz des Zuwendenden führen und somit nicht als freigebige Zuwendung im schenkungsteuerlichen Sinne eingeordnet werden können.34 Diese Kritik hat er jüngst wiederholt und nochmals darauf hingewiesen, dass das ErbStG an das BGB anknüpft und die unverzinslichen oder niedrigverzinslichen Darlehen daher aus dem Anwendungsbereich des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG herausgenommen werden können. Der Zuwendende gebe gerade nichts aus seiner Vermögenssubstanz her.35 Auch Fischer schließt sich dieser Kritik an. Er argumentiert, dass es bereits an einer substanziellen Bereicherung des Darlehensnehmers fehle. Der Empfänger habe die Darlehensvaluta mangels endgültiger Bereicherung nicht geschenkt bekommen, da diese im Fälligkeitszeitpunkt zurückzuerstatten sei.36 Darüber hinaus fordert er, dass die schenkungsteuerrechtliche Behandlung von unverzinslichen Darlehen insgesamt neu überdacht werden sollte.37 Der BFH beziehe sich bei der Beurteilung von unverzinslichen Darlehen auf die „gewährte Nutzungsmöglichkeit“ als Zuwendungsgegenstand. Dem könne nach der Neufassung der Darlehensvorschriften in § 488 Abs. 1 S. 2 und § 488 Abs. 3 S. 3 BGB aber nicht mehr uneingeschränkt gefolgt werden, da beim Gelddarlehen Zinsen nur noch geschuldet werden, wenn sie vereinbart sind.38 Daher könne nicht mehr pauschal davon ausgegangen werden, dass die Entgeltlichkeit der Kapitalüberlassung „verkehrsüblich“ sei.39 31 Schuck, in: Viskorf/Schuck/Wälzholz, 5. Aufl. 2017, § 7 ErbStG Rz. 10; Gebel, in: Troll/Gebel/Jülicher, § 7 ErbStG Rz. 30 (Stand: 53. EL Juni 2017); Meincke, in: Meincke, 16. Aufl. 2012, § 7 ErbStG Rz. 51; Curdt, ZEV 2016, 685 (687 f.); Halaczinsky, ZEV 2004, 261 (262). 32 Gebel, in: Troll/Gebel/Jülicher, § 7 ErbStG Rz. 30 (Stand: 53. EL Juni 2017). 33 Schuck, in: Viskorf/Schuck/Wälzholz, 5. Aufl. 2017, § 7 ErbStG Rz. 10. 34 Crezelius, BB 1978, 621 (623 ff.); ders., BB 1979, 1594. 35 Crezelius, MittBayNot 2014, 491. 36 Fischer, in: Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 7 ErbStG Rz. 169. 37 Vgl. Fischer, in: Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 7 ErbStG Rz. 167. So auch Geck, in: Kapp/Ebeling, § 7 ErbStG Rz. 11.5 (Stand: 69. Lfg. März 2016). 38 Fischer, in: Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 7 ErbStG Rz. 167. 39 Gebel, in: Troll/Gebel/Jülicher, § 7 ErbStG Rz. 30 (Stand: 53. EL Juni 2017); Geck, in: Kapp/ Ebeling, § 7 ErbStG Rz. 11 (Stand: 69. Lfg. März 2016).

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Dieser Auffassung ist u.E. zu folgen. Gerade in Zeiten dauerhafter Niedrigzinsen kann nicht mehr von einer Verkehrsüblichkeit einer verzinslichen Geldüberlassung gesprochen werden. Es ist eher die Regel als die Ausnahme, dass Bankkunden für die der Bank zur Verfügung gestellten Beträge keine Verzinsung mehr erwarten dürfen. Sie müssen vielmehr froh sein, wenn sie nicht Strafzinsen für die Geldüberlassung bezahlen müssen. b) Unentgeltliche Wohnraumüberlassung Auch bei der unentgeltlichen Wohnraumüberlassung wird – entgegen der Rechtsprechung des RFH – vertreten, dass nur dann eine schenkungsteuerpflichtige freigebige Zuwendung vorliegen könne, wenn tatsächlich Vermögenssubstanz übergeht.40 Es komme insoweit allein auf eine Vermögensverschiebung im Rechtssinne an, die bei der unentgeltlichen Wohnungsüberlassung gerade nicht vorliege.41 Demgegenüber spricht sich insbesondere Gebel dafür aus, dass eine freigebige Zuwendung dann vorliege, wenn das Objekt nach der Verwendungsplanung des Eigentümers erwerbswirtschaftlich genutzt worden wäre.42 Die abstrakte Gebrauchsmöglichkeit hält er entgegen der Rechtsprechung des BFH für nicht maßgeblich, selbst wenn diese verkehrsüblich sein sollte.43 Allerdings geht auch Gebel bei einer „verkehrs­ üblicherweise regelmäßig genutzten Einnahmemöglichkeit“ (z.B. leicht vermietbare Wohnungen) von einer erwerbswirtschaftlichen Verwendungsplanung aus.44 Dies soll nur dann nicht gelten, wenn aufgrund besonderer Umstände anzunehmen ist, dass eine Eigennutzung des übertragenen Vermögensgegenstandes in Betracht gekommen wäre und der Vermögensgegenstand keine für die Lebenshaltung des Zuwendenden zentrale Bedeutung hatte.45 Geck überzeugt die Argumentation von Gebel und er führt weiter aus, dass die unentgeltliche Gebrauchsüberlassung dann keine schenkungsteuerlich zu berücksichtigende Vermögensminderung darstellt, wenn die Sache vor der Zuwendung für einen eigenwirtschaftlichen Einsatz bestimmt war und der entstandene Gebrauchsverlust wegen der geringen Bedeutung der Sache für den nur eine Eigennutzung aufgebenden Eigentümer keine Vermögensqualität besitzt.46 Gebel ist, soweit er die Auffassung der Rechtsprechung ablehnt, zu folgen. Das Abstellen auf die „Verkehrsüblichkeit“ würde den Eigentümer einer Sache verpflichten, 40 Fischer, in: Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 7 ErbStG Rz. 162. 41 Curdt, ZEV 2016, 685 (687). 42 Gebel, in: Troll/Gebel/Jülicher, § 7 ErbStG Rz. 28 (Stand: 53. EL Juni 2017). Dieses subjektive Merkmal hat auch das FG Rheinland-Pfalz in seinem Urt. v. 18.4.2002 – 4 K 1869/01, DStRE 2002, 1078 aufgegriffen. 43 Gebel, DStZ 1992, 577 (580 f.), vgl. auch Steiner, ErbStB 2007, 110. 44 Gebel, in: Troll/Gebel/Jülicher, § 7 ErbStG Rz. 28 (Stand: 53. EL Juni 2017). 45 Diese Argumentation ist aus dem Schadensersatzrecht bekannt, vgl. BGH v. 9.7.1986 – GSZ 1/86, ZIP 1086, 1394; v. 31.10.1986 – V ZR 140/85, NJW 1987, 771; v. 21.2.1992 – V ZR 268/90, NJW 1992, 1500. 46 Geck, in: Kapp/Ebeling, § 7 ErbStG Rz. 11.3 (Stand: 70. Lfg. Juli 2016).

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Schenkungsteuerbarkeit von Gebrauchs- und Nutzungsvorteilen

sämtliche Erwerbschancen, die sich in seinem Eigentum verbergen, auch zu nutzen. Sicher würde es zwar nicht der Verkehrsüblichkeit entsprechen, dass der Eigentümer einer Immobilie auch das letzte freie Zimmer in seinem Haus vermietet. Eine freie Stadtwohnung einer Familie könnte allerdings schon anders zu beurteilen sein, zumindest dann, wenn die Familie in derselben Stadt wohnt. Bereits die von der Rechtsprechung entschiedenen Grenzfälle lassen erahnen, wie schwierig in der Praxis eine Grenzziehung zwischen einer verkehrsüblichen Vermietung und einer unschädlichen Einräumung eines Mitnutzungsrechts sein wird. Schließlich ergeben sich auch erhebliche Abgrenzungsschwierigkeiten zu Gebrauchsvorteilen an Sachen, die nicht im selben Maße kommerzialisiert werden wie Wohnraum. Man denke an geliehenen Schmuck oder einen geliehenen Fernseher. Allerdings ersetzt Gebel die eine Rechtsunsicherheit nur durch eine andere Rechtsunsicherheit. Es erscheint vollkommen unklar, wie ein konkreter Verwendungsplan nachgewiesen werden kann bzw. mit welcher Art von Nachweis sich die Finanzverwaltung und die Gerichte zufriedengeben würden. Es besteht die Gefahr, dass die Entscheidungen rein vom Zufall abhängen.47 3. Zwischenergebnis Die Rechtsprechung sieht seit jeher unverzinsliche Darlehen als schenkungsteuerpflichtig an. Trotz gewichtiger Gegenstimmen stimmt dem die wohl herrschende Meinung im Schrifttum zu. Im Hinblick auf die unentgeltliche Wohnungsüberlassung ist die Situation aufgrund fehlender Rechtsprechung wesentlich unsicherer. Es fehlt an praxistauglichen Abgrenzungskriterien, um die Rechtsunsicherheit für den Steuerpflichtigen zu vermeiden. Es entsteht der Eindruck, dass die Diskussion sich in gewisser Weise verselbstständigt und den Blick auf das Gesetz verloren hat. Es wird sehr pauschal auf wirtschaftliche Erwägungen und weniger auf die einzelnen Tatbestandsmerkmale des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG abgestellt. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund erstaunlich, als dass selbst der BFH in jüngerer Vergangenheit bei der Identifizierung des Zuwendungsgegenstandes sich streng auf das Zivilrecht bezieht.48 Aus unserer Sicht kann die Antwort auf die Frage der Schenkungsteuerbarkeit nur streng anhand der einzelnen Tatbestandmerkmale des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG gegeben werden.

47 Vgl. auch Curdt, ZEV 2016, 685 (687), der auch von der „Gefahr von Zufallsergebnissen“ spricht. 48 Vgl. z.B. BFH v 9.12.2009 – II R 28/08, DStR 2009, 925 (zur verdeckten Einlage). Erhöht sich danach der Wert einer GmbH-Beteiligung eines Gesellschafters dadurch, dass ein ­anderer Gesellschafter Vermögen in die GmbH einbringt, ohne eine entsprechende Ge­ genleistung zu erhalten, liegt mangels Zuwendungsgegenstand keine freigebige Zuwendung des einbringenden Gesellschafters an den anderen Gesellschafter vor. Der Gesetzgeber hat auf diese Rechtsprechung bekanntlich mit der Einführung des § 7 Abs. 8 ErbStG reagiert.

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IV. § 7 Abs. 1 Nr. ErbStG als zentraler Anknüpfungspunkt 1. Die freigebige Zuwendung Ausgangspunkt der Frage nach der Schenkungsteuerpflicht von unentgeltlichen Gebrauchs- und Nutzungsüberlassungen ist stets der Begriff der freigebigen Zuwendung. Nur wenn Gebrauchs- bzw. Nutzungsvorteile Gegenstand einer Schenkung im Sinne des ErbStG sein können, können sie auch der Schenkungsteuer unterliegen. Der hier möglicherweise einschlägige § 1 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. dem Grundtatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG setzt für die steuerpflichtige Zuwendung unter Lebenden eine freigebige Zuwendung voraus, durch die der Bedachte auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird. Die Tatbestandmerkmale müssen kumulativ verwirklicht sein. Für die Prüfung der Tatbestandmerkmale ist zunächst der Bezugspunkt der möglichen freigebigen Zuwendung zu identifizieren.49 Obwohl der Begriff der freigebigen Zuwendung nicht deckungsgleich mit dem zivilrechtlichen Begriff der Schenkung50 ist, so muss doch die zivilrechtliche Würdigung des Sachverhalts als Ausgangspunkt der Prüfung genommen werden.51 Nach wie vor stellt die Schenkung im Sinne des Zivilrechts das Grundmodell der freigebigen Zuwendung dar.52 Gleichwohl trifft das ErbStG auch eigenständige Regelungen, die nicht zugleich für das Zivilrecht verwendet werden können.53 Der Begriff der freigebigen Zuwendung umfasst zwar den zivilrechtlichen Schenkungsbegriff, geht aber noch über ihn hinaus.54 Dies darf jedoch nicht in der Weise interpretiert werden, dass eine steuerlich relevante freigebige Zuwendung auch ohne zivilrechtliche Konturen angenommen werden darf, denn für „eine freigebige Zuwendung kommt es ausschließlich auf die Zivilrechtslage  … an“.55 Daraus folgt, dass die Bestimmung des Zuwendungsgegenstandes eine nicht der steuerrechtlichen Beurteilung unterworfene Vorfrage ist.56 Die Bestimmung des Zuwendungsgegenstandes erfolgt damit anhand des Zivilrechts, wobei vom Parteiwillen 49 Götz, in: Wilms/Jochum, § 7 ErbStG Rz. 80 (Stand: März 2017). 50 Zur historischen Entwicklung instruktiv Gebel, in: Troll/Gebel/Jülicher, § 7 ErbStG Rz. 2 (Stand: 53. EL Juni 2017) und Crezelius, FR 2007, 613. 51 Zumindest im Grundsatz ist von der Maßgeblichkeit des Zivilrechts für das Schenkungsteuerrecht auszugehen, vgl. Chiusi, in: Staudinger, April 2013, § 516 BGB Rz. 209; Wälzholz, in: Viskorf/Schuck/Wälzholz, 5. Aufl. 2017, § 3 ErbStG Rz. 2; Crezelius, BB 1978, 1406 (1408); Kapp, BB 1975, 933. 52 Meincke, in: Meincke, 16. Aufl. 2012, § 7 ErbStG Rz. 3; Fischer, in: Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 7 ErbStG Rz. 16; Chiusi, in: Staudinger, April 2013, § 516 BGB Rz. 211. 53 Götz, in: Wilms/Jochum, § 7 ErbStG Rz. 80 (Stand: März 2017); Tiedtke, in: Tiedtke, 2009, Einleitung ErbStG, Rz. 57. 54 Fischer, in: Fischer/Pahlke/Wachter, 6.  Aufl. 2017, §  7 ErbStG Rz.11. Vgl. auch BFH v. 2.10.1957 – II 127/57 U, BStBl. III 1957, 449. 55 So BFH v. 7.11.2007 – II R 28/06, DStR 2008, 346 (347); Meincke, in: Meincke, 16. Aufl. 2012, § 7 ErbStG Rz. 10. 56 BFH v. 5. 2. 1986 – II R 188/83, BStBl. II 1986, 460 (461); v. 3.10.1984 - II R 194/82, BStBl. II 1985, 73; Götz, in: Wilms/Jochum, § 7 ErbStG Rz. 80 (Stand: März 2017); Holthusen/Burgmann, in: Tiedtke, 2009, § 7 ErbStG Rz. 16; Meincke, in: Meincke, 16. Aufl. 2012, § 7 ErbStG

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bzw. dem Willen des Zuwendenden auszugehen ist, der nach den allgemeinen Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB zu ermitteln ist.57 Die Identifizierung des Zuwendungsgegenstandes ist im Rahmen der freigebigen Zuwendung von zentraler Bedeutung für die Frage der Steuerbarkeit, der Steuerpflicht und der Bewertung.58 Zuwendungsgegenstand können Sachen, Rechte und andere geldwerte Vermögensgegenstände, aber auch gegen den Zuwendenden gerichtete Forderungen und ihm gegenüber bestehende Schulden sein.59 Die Beurteilung was Zuwendungsgegenstand ist, hängt maßgeblich von der tatsächlichen Bereicherung des Erwerbers ab.60 2. Bereicherung des Erwerbers a) Grundsatz: Bereicherungsprinzip Das Erbschafts- und Schenkungsteuergesetz fußt auf dem Bereicherungsprinzip.61 Die objektive Bereicherung des Erwerbers ist zwingende Voraussetzung für eine freigebige Zuwendung i.S.d. § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG.62 Die Schenkungsteuer greift gerade auf die tatsächliche Bereicherung des Erwerbers zu.63 Die Bereicherung richtet sich wiederum nach dem, was der Erwerber endgültig erhalten hat und worüber er im Verhältnis zum Zuwendenden im Innenverhältnis tatsächlich und (zivil-)rechtlich frei verfügen kann.64 Das Vermögen des Erwerbes muss sich durch die Zuführung eines Vermögensgegenstandes vermehrt haben.65 Erforderlich ist insoweit ein Zufluss, der sich positiv auf das Vermögen des Erwerbers auswirkt.66 Maßgeblich für die Bereicherung ist die Zivilrechtslage.67 Ob daneben auch allgemeine wirtschaftliche Gesichtspunkte eine Rolle spielen können erscheint mehr als zweifelhaft.68 Jedenfalls Rz. 14; Chiusi, in: Staudinger, April 2013, § 516 BGB Rz. 227; Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl. 2015, § 15 Rz. 24. 57 So auch Chiusi, in: Staudinger, April 2013, § 516 BGB Rz. 231. 58 Holthusen/Burgmann, in: Tiedtke, 2009, § 7 ErbStG Rz. 15; Gebel, in: Troll/Gebel/Jülicher, § 7 ErbStG Rz. 57 (Stand: 53. EL Juni 2017); Meincke, in: Meincke, 16. Aufl. 2012, § 7 ErbStG Rz. 14. 59 Gebel, in: Troll/Gebel/Jülicher, § 7 ErbStG Rz. 59 (Stand: 52. EL Januar 2017). 60 Birk/Desens/Tappe, Steuerrecht, 19. Aufl. 2016, § 8 Rz. 1571; Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl. 2015, § 15 Rz. 24 jeweils m.w.N. 61 Crezelius, BB 1978, 621 (622). 62 Geck, in: Kapp/Ebeling, § 7 ErbStG Rz. 6 (Stand: 69. Lfg. März 2016); Meincke, in: Meincke, 16. Aufl. 2012, § 7 ErbStG Rz. 10. 63 Birk/Desens/Tappe, Steuerrecht, 19. Aufl., 2016, § 8 Rz. 1570. 64 Geck, in: Kapp/Ebeling, § 7 ErbStG Rz. 6 (Stand: 69. Lfg. März 2016). 65 Holthusen/Burgmann, in: Tiedtke, 2009, § 7 ErbStG Rz. 38; Gebel, in: Troll/Gebel/Jülicher, § 7 ErbStG Rz. 17 (Stand: 53. EL Juni 2017). 66 Götz, in: Wilms/Jochum, § 7 ErbStG Rz. 17 (Stand: Stand: März 2017). 67 Fischer, in: Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 7 ErbStG Rz. 31. 68 Fischer, in: Fischer/Pahlke/Wachter, 6.  Aufl. 2017, §  7 ErbStG Rz.  31; Geck, in: Kapp/­ Ebeling, § 7 ErbStG Rz. 6 (Stand: 69. Lfg. März 2016) mit Verweis auf BFH v. 22.8.2007 – II R 33/06, BFH/NV 2008, 160; BFH v. 25.1.2001 – II R 39/98, HFR 2001, 678.

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kommt es nicht darauf an, in welcher Gestalt sich die Vermögensminderung auf Seiten des Zuwendenden darstellt, sondern in welcher Gestalt die Vermögensmehrung beim Beschenkten eintritt.69 b) Unentgeltliche Gebrauchsüberlassung als tauglicher Zuwendungs­ gegenstand Bereits diese Darstellung der tatbestandlichen Anforderungen an die Bereicherung erweckt Zweifel, ob bei unentgeltlichen Gebrauchsüberlassungen überhaupt eine Bereicherung des Erwerbers gegeben sein kann. Es mangelt zunächst an einem Ver­ mögensgegenstand, der das Gesamtvermögen des Erwerbers erhöht. Es erfolgt keine ­Zuwendung von Vermögenssubstanz. Bei einer einfachen unentgeltlichen Gebrauchsüberlassung kann der Erwerber über den Zuwendungsgegenstand im Regelfall nicht tatsächlich und rechtlich frei verfügen.70 Er ist vielmehr zivilrechtlich zur Rückgewähr des zugewendeten Gegenstandes verpflichtet (vgl. § 604 BGB), was eine Bereicherung grundsätzlich ausschließt.71 Die Steuerbarkeit der Gewährung von Gebrauchsvorteilen kommt mithin nur in Betracht, wenn man den Zuwendungstatbestand nicht auf die gegenständliche Hingabe von Vermögenssubstanz beschränken will.72 Die Rechtsprechung geht davon aus, dass auch bei der Überlassung von Vermögensgegenständen zum Gebrauch oder zur Nutzung Vermögenssubstanz übertragen wird.73 Dem ist entgegenzuhalten, dass allein der wirtschaftliche Wert einer Sache (z.B. Ertragschancen), der zweifelsfrei gegeben ist, nicht als Vermögenssubstanz und auch nicht als eigenständiger Vermögensgegenstand angesehen werden kann. Dafür müsste in der Unentgeltlichkeit der Gebrauchsüberlassung ein Verzicht des Zuwendenden auf ein Entgelt zu sehen sein. Geschenkt würde in diesem Fall die Befreiung von einer Verbindlichkeit.74 Für eine solche Fiktion mangelt es allerdings an einer gesetzlichen Grundlage.75 Die unentgeltliche Gebrauchsüberlassung allein kann mangels Übergang von Vermögenssubstanz somit nicht tauglicher Zuwendungsgegenstand sein. c) Ersparte Aufwendungen als tauglicher Zuwendungsgegenstand Fehlt es an der Übertragung von Vermögenssubstanz versuchte man sich in der Vergangenheit zum Teil dadurch zu behelfen, dass ersparte eigene Aufwendungen als Zuwendungsgegenstand geprüft wurden. Es erscheint auf den ersten Blick nahelie69 Geck, in: Kapp/Ebeling, § 7 ErbStG Rz. 4 (Stand: 69. Lfg. März 2016). 70 Dies erfordert eine freigebige Zuwendung aber. Vgl. Weinmann, in: Moench/Weinmann, § 7 ErbStG Rz. 12 (Stand: November 2015). 71 Vgl. BFH v. 7.10.1998 – II R 30/97, BFH/NV 1999, 618. 72 Vgl. Weinmann, in: Moench/Weinmann, § 7 ErbStG Rz. 15 (Stand: November 2015); Gebel, in: Troll/Gebel/Jülicher, § 7 ErbStG Rz. 28 (Stand: 53. EL Juni 2017). 73 So ausdrücklich BFH v. 30.1.2013 – II R 38/11, ZEV 2013, 349. 74 Fischer, in: Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 7 ErbStG Rz. 164. 75 Fischer, Die Unentgeltlichkeit im Zivilrecht, 2002, 35 m.w.N.

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gend, dass derjenige, der eine Immobilie unentgeltlich nutzen darf, um die Miete bereichert sein könnte, die er ansonsten hätten aufwenden müssen. Allerdings ist die Diskussion um ersparte Aufwendungen als tauglicher Zuwendungsgegenstand nicht mehr aktuell.76 In jüngerer Zeit sind entsprechende Ausführungen – soweit ersichtlich  – nicht zu finden. Um eine schenkungsteuerrechtliche Bereicherung durch ersparte Aufwendungen annehmen zu können, müsste man sich an den Grundgedanken des Bereicherungsrechts bedienen. Eine Ersparnis kann nämlich nur dort vorliegen, wo eine Ausgabe verhindert wurde, die sonst gemacht worden wäre.77 Fischer äußert bereits dogmatische Vorbehalte gegen die Anwendung des Bereicherungsrechts. Die schenkungsrechtliche Bereicherung sei nicht mit dem bereicherungsrechtlichen Begriff der Bereicherung gleichzusetzen, da die schenkungsrechtliche Bereicherung neben der Vermögensmehrung der Aktiva bzw. der Minderung der Passiva auch die Verschaffung eines Vermögensvorteils voraussetze.78 Die Anwendung des Bereicherungsrechts führt aber auch praktisch in vielerlei Konstellationen zu extremen Abgrenzungsschwierigkeiten. In welchem Umfang wäre ein Kind bereichert, dem seine Eltern ein in ihrem Eigentum stehendes Penthouse am Central Park in New York City zur Verfügung stellen, das sie derzeit nicht bewohnen? Wie wäre ein Freiflug in einem Privatjet zu beurteilen? Müsste in diesen Fällen auf die Grundsätze der sog. Luxusaufwendungen zurückgegriffen werden, wenn sich der potentiell Beschenkte die entsprechenden Aufwendungen aus seinem eigenen Vermögen niemals hätte leisten können? Insofern scheint die Ablehnung dieser Hilfskonstruktion aus Gründen der Rechtssicherheit richtig zu sein. Im Ergebnis scheiden damit auch ersparte Aufwendungen als tauglicher Zuwendungsgegenstand aus. Damit fehlt es grundsätzlich an der Tatbestandvoraussetzung der Bereicherung des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG.

V. Differenzierte Betrachtungsweise (Darlehen und sonstige ­Gebrauchsüberlassung) Die Tatbestandsmerkmale des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG können nicht unabhängig von zivilrechtlichen Grundsätzen geprüft werden. Danach ist entscheidend, ob feststellbar und belastbar Vermögenssubstanz auf den Erwerber übergeht und dadurch das Vermögen des Zuwendenden gemindert, während das Vermögen des Erwerbers vermehrt wird. Maßgeblich ist das zivilrechtliche Verfügungsgeschäft. Eine bloße schuldrechtliche oder tatsächliche Gebrauchsüberlassung kann somit keine Auswirkungen auf das Vermögen haben. Die Gebrauchsüberlassung ist gerade der typische Gegenstand der Leihe und nicht der Schenkung. Insofern könnte man im Grundsatz Fischer 76 Vgl. z.B. Kipp, ErbStG i.d.F. v. 22.8.1925, § 3 Anm. 17. 77 So auch Kipp, ErbStG i.d.F. v. 22.8.1925, § 3 Anm. 17, der ausführt: „Es ist vielmehr anzuerkennen, daß eine Bereicherung schenkungshalber ebenfalls durch die Begründung einer Ersparnis, richtiger ausgedrückt, durch die Verhinderung einer Ausgabe, die sonst gemacht worden wäre, herbeigeführt werden kann.“ 78 Fischer, in: Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 7 ErbStG Rz. 200.

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zustimmen, dass unentgeltliche Gebrauchsüberlassungen keine freigebige Zuwendung sein können.79 Ganz so generell können wir dieser Aussage aber nicht für alle in Betracht kommenden Anwendungsfälle folgen. Sie trägt der Besonderheit einer Darlehensüberlassung nicht ausreichend Rechnung. Das Besondere einer Darlehensüberlassung ist nämlich die Eigentumsübertragung am Geldbetrag. Anders als bei einer normalen Gebrauchsüberlassung (z.B. von Wohneigentum) kann der Darlehensnehmer das erhaltene Kapital „frei“ nutzen. Zuwendungsgegenstand ist dabei zwar nicht – wie von der Rechtsprechung vermutet  – die Kapitalnutzungsmöglichkeit,80 die sich bereits aus der Eigentümerstellung des Erwerbers ergibt.81 Dennoch kann der Zuwendende dem Grunde nach durch die Übereignung des Kapitals entreichert und der Erwerber bereichert sein. Entscheidend hierfür ist die Bewertung des dem Darlehensgeber zustehenden zivilrechtlichen Rückzahlungsanspruchs (vgl. § 488 Abs. 1 Satz 2 BGB).82 Der Darlehensgeber tauscht den Darlehensbetrag gegen eine Forderung, die aufgrund der Unverzinslichkeit grundsätzlich abgezinst werden muss. Eine Bereicherung des ­Darlehensnehmers kann daher angenommen werden, wenn der zurückzuerstattende Betrag auf Grund der Abzinsung nicht dem ausgezahlten Darlehensbetrag entspricht.83 Die Bereicherung liegt damit in der Differenz zwischen dem Wert des ausgezahlten Kapitals und der abgezinsten Rückzahlungsverpflichtung.84 Insofern erscheint es sachgerecht, bei der Darlehensüberlassung eine Ausnahme von dem Grundsatz zu machen, dass eine Gebrauchsüberlassung mangels Übergang von Vermögenssubstanz nicht steuerbar ist. Ob bei unverzinslichen oder niedrig verzinslichen Darlehen allerdings tatsächlich eine Be- und Entreicherung stattfindet, ist stets eine Frage des Einzelfalls. Bei der Bewertung der Differenz zwischen Auszahlungs- und Rückzahlungsbetrag sind u.a. die Solvenz des Schuldners, gestellte Sicherheiten und die Darlehenslaufzeit zu beachten. Bei erstklassiger Bonität und ausreichenden Sicherheiten kann in der derzeitigen Niedrigzinsphase unter Umständen auch eine Unverzinslichkeit gerechtfertigt sein. Denn die Unverzinslichkeit ist gerade bei der Geldüberlassung an Banken eher die Regel als die Ausnahme, wenn nicht gar Strafzinsen verhängt werden.

VI. Anzeigepflichten Eine gesetzliche Anzeigepflicht für den Erwerber besteht bekanntlich drei Monate ab Kenntniserlangung vom Anfall der Schenkung, § 30 Abs. 1 ErbStG. Den Zuwenden-

79 So ausdrücklich Fischer, in: Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 7 ErbStG Rz. 162. 80 Vgl. auch Meincke, in: Meincke, 16. Aufl. 2012, § 7 ErbStG Rz. 51. 81 Meincke, in: Meincke, 16. Aufl. 2012, § 7 ErbStG Rz. 51. 82 Geck, in: Kapp/Ebeling, §  7 ErbStG Rz.  11.4  ff. (Stand: 69.  Lfg. März 2016); Curdt, ZEV 2016, 658 (688). 83 Gebel, in: Troll/Gebel/Jülicher, § 7 ErbStG Rz. 30 (Stand: 53. EL Juni 2017). 84 Gebel, in: Troll/Gebel/Jülicher, § 7 ErbStG Rz. 31 (Stand: 53. EL Juni 2017).

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den trifft ebenfalls eine gesetzliche Anzeigepflicht, § 30 Abs. 2 ErbStG.85 Durch die Anzeige soll dem Finanzamt die Prüfung erleichtert werden, ob die Abgabe einer Steuererklärung notwendig ist und wer diese ggf. abzugeben hat.86 Neben dem Gegenstand und des Werts des Erwerbs (§ 30 Abs. 4 Nr. 3 ErbStG) ist auch der Rechtsgrund des Erwerbs (§ 30 Abs. 4 Nr. 4 ErbStG) anzugeben. Bereits bei diesen an sich einfachen Angaben steht der Rechtsanwender vor dem Problem, was genau Gegenstand des Erwerbs ist. Daher ist die Frage zu stellen, ob bei unentgeltlichen Gebrauchsüberlassungen überhaupt eine Anzeigepflicht besteht. Die Anzeigepflicht besteht im Grundsatz nur, wenn ein erbschaftsteuerbarer Erwerb verwirklicht ist.87 Es genügt dabei die Möglichkeit der Steuererhebung bzw. die Möglichkeit einer Steuerpflicht.88 Die Anzeigepflicht besteht unabhängig vom Wissen des Anzeigepflichtigen über seine Pflicht,89 die nur dann entfällt, wenn zweifelsfrei feststeht, dass keine Steuerpflicht besteht.90 Bei der freigebigen Zuwendung setzt die Anzeigepflicht allerdings zusätzlich voraus, dass deren Charakter als steuerpflichtiger Vorgang für den Erwerber sicher erkennbar ist.91 Wie die obigen Ausführungen zeigen, kann an der Erkennbarkeit erheblich gezweifelt werden. Dennoch sollten für die Zwecke der Rechtssicherheit auch unentgeltliche Gebrauchsüberlassungen sicherheitshalber angezeigt werden.

VII. Fazit Die schenkungsteuerliche Einordnung von unentgeltlichen Gebrauchs- und Nutzungsüberlassungen ist schwer zu handhaben. Sowohl in der Rechtsprechung als auch in der Literatur ist die Tendenz zu beobachten, unentgeltliche Gebrauchs- und Nutzungsüberlassungen der Schenkungsteuer zu unterwerfen. Allerdings überzeugt weder das Argument der Verkehrsüblichkeit (Rechtsprechung) noch das Argument des konkreten Verwendungsplans des Gegenstandes (Teile des Schrifttums). Diese Linie führt zu enormen Abgrenzungsschwierigkeiten und damit zu hoher Rechtsunsicherheit aber auch zu einem großen Vollzugsdefizit. Angesichts der schwerwiegenden strafrechtlichen Konsequenzen ist dieser Befund unbefriedigend. Eine Qualifikation kann nur anhand der einzelnen Tatbestandsmerkmale des §  7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG erfolgen. Bei unentgeltlichen Gebrauchsüberlassungen einer Sache fehlt es bereits mangels Übertragung von Vermögenssubstanz an einer Bereicherung des Erwerbers. Weder kann die Ertragschance eines unentgeltlich überlassenen 85 Schuck, in: Viskorf/Schuck/Wälzholz, 5. Aufl. 2017, § 30 ErbStG Rz. 6. 86 Meincke, in: Meincke, 16. Aufl. 2012, § 30 ErbStG Rz. 2. 87 Meincke, in: Meincke, 16. Aufl. 2012, § 30 ErbStG Rz. 6. 88 Schuck, in: Viskorf/Schuck/Wälzholz, 5. Aufl. 2017, § 30 ErbStG Rz. 4; Jülicher, in: Troll/ Gebel/Jülicher, § 30 ErbStG Rz. 16 (Stand: 53. EL Juni 2017). 89 BFH v. 23.4.2008 – II R 52/06, BFH/NV 2008, 1493. 90 Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher, §  30 ErbStG Rz.  16 (Stand: 53. EL Juni 2017); Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl. 2015, § 15 Rz. 148. 91 Pahlke, in: Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 30 ErbStG Rz. 27; Meincke, in: Meincke, 16. Aufl. 2012, § 30 ErbStG Rz. 5.

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Gegenstandes als wirtschaftlicher Vorteil vom Eigentum abgespalten und übertragen werden noch besitzt der Erwerber die notwendige tatsächliche und rechtlich freie Verfügungsbefugnis. Es fehlt schlicht an einer Bereicherung und damit an einem tauglichen Zuwendungsgegenstand. Daher plädieren wir dafür, die unentgeltliche Wohnraumüberlassung (unabhängig ob Eigen- oder Mitbenutzung) einheitlich als nicht steuerbar zu behandeln. Möchte man die unentgeltlichen Wohnungsüberlassungen und andere unentgeltliche Gebrauchsüberlassungen steuerpflichtig stellen, so bedarf es einer Fiktion, wie sie der Gesetzgeber beispielsweise in § 7 Abs. 8 ErbStG geschaffen hat. Anders zu beurteilen ist jedoch die Gewährung eines unverzinslichen Darlehens. Hier kann bereits die Auszahlung des Darlehensbetrages den Darlehensnehmer bereichern. Die Höhe der Bereicherung liegt in der Differenz zwischen dem Wert des ausgezahlten Kapitals und der abgezinsten Rückzahlungsverpflichtung, wobei im Einzelfall auch gar keine Differenz gegeben sein muss. Diese Differenzierung zwischen schlichten Gebrauchsüberlassungen auf der einen und einer Darlehensüberlassung auf der anderen Seite entspricht u.E. auch der allgemeinen Verkehrsauffassung. Trotz dieses Ergebnisses sollten neben unverzinslichen Darlehen auch unentgeltliche Gebrauchsüberlassungen dem Finanzamt gegenüber angezeigt werden. Bei der ganzen Diskussion sollte jedoch zusätzlich beachtet werden, dass es sich bei unentgeltlichen Gebrauchsüberlassungen nicht um ein Gestaltungsmittel handelt, dass in der Praxis zur Übertragung von Vermögen tatsächlich eingesetzt wird. Insofern sollten entsprechenden Fälle – soweit ein Aufgriff wirklich für erforderlich gehalten wird – mit der angebrachten Sachlichkeit bearbeitet und der Rechtsprechung Gelegenheit gegeben werden, die aufgeworfenen Fragen nochmals zu überdenken.

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Thomas Wachter

Ausländisches Erbrecht und deutsches Erbschaftsteuerrecht Inhaltsübersicht

I. Einführung

II. Ausgangssituation III. Einzelfragen 1. Steuertatbestand a) Erwerb durch Erbanfall (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. ErbStG) b) Erwerb durch Vermächtnis (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt. ErbStG) c) Erwerb eines Pflichtteilsanspruchs (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3. Alt. ErbStG)



d) Erwerb aufgrund Gütergemeinschaft nach ausländischem Recht e) Vor- und Nacherbfolge nach ­ausländischem Recht 2. Entstehung der Erbschaftsteuer 3. Steuerbefreiungen a) Steuerfreier Zugewinn b) Sachliche Steuerbefreiungen c) Persönliche Freibeträge

IV. Fazit

I. Einführung In dem umfangreichen wissenschaftlichen Werk des Jubilars kommt dem Erbschaftsteuerrecht eine herausragende Bedeutung zu. Seit nunmehr beina­ he  ­vierzig  ­Jahren  hat Georg Crezelius in zahlreichen Aufsätzen,1 Festschrif­ 1 Siehe u.a. Crezelius, Erbschaftsteuerreform 2016: Ein rechtssystematischer Überblick, ZEV 2016, 541; Crezelius, ErbStG nach dem 30.6.2016 − Steuerpause?, ZEV 2016, 367; Crezelius, Konkurrenz zwischen Einkommensteuer und Erbschaft- und Schenkungsteuer, ZEV 2015, 392; Crezelius, UmwStG und ErbStG, DStZ 2015, 399; Crezelius, Die Erbschaftsteuerentscheidung des BVerfG  − erste steuersystematische Überlegungen, ZEV 2015, 1; Crezelius, Kunst im Nachlass − Ertrag- und erbschaftsteuerrechtliche Probleme, ZEV 2014, 637; Crezelius, Erbschaftsteuer auf Unternehmensvermögen, BB 2012, 2979; Crezelius, Noch einmal: Disquotale Einlagen und verdeckte Gewinnausschüttungen, Ubg. 2012, 190; Cre­zelius, Verfassungswidrigkeit des reformierten Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes?, ZEV 2012, 1; Crezelius, Disquotale Einlagen und verdeckte Gewinnausschüttungen − Bemerkungen zu einem Gesetzesentwurf, ZEV 2011, 393; Crezelius, Nachsteuertatbestände und Umwandlungssteuerrecht, FR 2011, 401; Crezelius, Systeminkonsequenzen und Rückausnahmen, FR 2009, 881; Crezelius, Das neue Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht im Rechtssystem, ZEV 2009, 1; Crezelius, Der Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts (Erbschaftsteuerreformgesetz − ErbStRG), DStR 2007, 2277; Crezelius, Die Erbschaft- und Schenkungsteuer nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7.11.2006, DStR 2007, 415; Crezelius, Mehrfachbelastungen mit Erbschaftsteuer und Ertragsteuern nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 7.11.2006, BB 2007, Heft 46, BB-Special 10, 1; Crezelius, Die Entwicklung des Erbschaftsteuerrechts in den letzten 100 Jahren, FR 2007, 613; Crezelius, Privilegierung von Produktivvermögen im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht, DB 2006, 2252; Crezelius, Erbschaftsteuerprobleme bei Pflichtteilsrecht, ZErb 2002, 142; Crezelius, Pflichtteilsabfindung und Erbschaftsteuer, BB 2000, 2333; Crezelius, Verhältnis der Erbschaftsteuer zur Einkommen- und Körperschaft-

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Thomas Wachter

ten2  und  ­Monographien3 zu unterschiedlichsten Fragen des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes Stellung genommen und dabei die weitere Entwicklung oftmals maßgeblich geprägt. Grundlegend war bereits seine Dissertation zu dem Thema „Erbschaft- und Schenkungsteuer in zivilrechtlicher Sicht“.4 Die meisten der damals behandelten Fragen sind heute unverändert aktuell und immer noch Gegenstand kontroverser Diskussionen. Dies gilt insbesondere auch für das hier behandelte Thema der „Erbfolge nach ausländischem Recht“.5 Das (deutsche) Erbschaftsteuergesetz knüpft für die Besteuerung traditionell an das (deutsche) Bürgerliche Gesetzbuch an (vor allem in § 3 Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. ErbStG mit Verweis auf § 1922 BGB). Bei Erbfällen mit Auslandsberührung richtet sich die Erbfolge aber keineswegs immer nach deutschem Erbrecht. Vielmehr erfolgt der Erwerb in zahlreichen Fällen (auch) auf der Grundlage ausländischen Erbrechts. Dies wirft die Frage auf, wie solche Erwerbe nach ausländischem Erbrecht im deutschen Erbschaftsteuerrecht zu behandeln sind.6

steuer, in: Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft, 1999, Bd. 22, S. 73 ff.; Crezelius, Die Erb­ ersatzsteuer im Steuersystem, BB 1982, 323; Crezelius, Steuersystematische Überlegungen zur überhöhten Gewinnbeteiligung, BB 1980, 1481; Crezelius, Zusammentreffen von Einkommensteuer und Erbschaftsteuer, BB 1979, 1342; Crezelius, Erbfolge und Erbschaftsteuer, NWB 1979, Nr. 33, Fach 10, S. 439; Crezelius, Schenkungsteuerliche Beurteilung gemischter Schenkungen, BB 1978, 1406; Crezelius, Unverzinsliches Darlehen und Schenkungsteuerrecht, BB 1978, 621. 2 Siehe u.a. Crezelius, Fictio naturam imitatur, quantum potest, Über Fiktionen im Erbschaftund Schenkungsteuergesetz, in: Festschrift für Jens-Peter Meincke, 2015, S. 65 ff.; Crezelius, Der Pflichtteilsanspruch zwischen Zivilrecht und Steuerrecht, in: Festschrift für Manfred Bengel und Wolfgang Reimann, 2012, S. 33 ff.; Crezelius, Schutz von Unternehmen gegen Zerschlagung durch Pflichtteil oder Zugewinn, in: Verdient-unverdient, Unternehmerische Arbeit und Vermögen, Recht und Steuern, 2008, S. 13 ff. 3 Zuletzt u.a. Crezelius, in: Benz/Blumenberg/Crezelius, Erbschaftsteuerreform 2016, 2017; Crezelius, Unternehmenserbrecht, 2. Aufl. 2009; Crezelius, Steuerrecht II, Die einzelnen Steuerarten, 2. Aufl. 1994 (zur Erbschaft- und Schenkungsteuer siehe 5. Teil, §§  19  ff., S. 319 ff.). 4 Crezelius, Erbschaft- und Schenkungsteuer in zivilrechtlicher Sicht, Herne/Berlin 1979.  − Zum Verhältnis des Steuerrechts zum Zivilrecht später auch Crezelius, Steuerrechtliche Rechtsanwendung und allgemeine Rechtsordnung. Grundlage für eine liberale Besteuerungspraxis, Herne/Berlin 1983 (zugleich Habilitation), grundlegend § 10, S. 178 ff. und zu den Folgen für die Rechtsanwendung § 20, S. 357 ff. 5 So die Überschrift von § 16 der Dissertation von Crezelius (Fn. 4), S. 59 ff. 6 Monographisch zum Ganzen zuletzt Klein, Ausländische Zivilrechtsformen im deutschen Erbschaftsteuerrecht, 2000, zuvor u.a. Möller, Erbschaftsteuergesetz und ausländisches Erb­ recht, 1970; Rädler/Raupach, Deutsche Steuern bei Auslandsbeziehungen, 1966, vor allem S. 534 ff. sowie ferner u.a. Gottschalk, ZEV 2009, 157; Klein, FR 2001, 118; Martiny, IStR 1998, 56; Real, RIW 1996, 54; Schaumburg, RIW 2001, 161. − Ausführlich zum Ganzen Geck, in: Kapp/Ebeling, § 1 ErbStG Rz. 69 ff. (Stand: November 2015); Jülicher, in: Troll/Gebel/ Jülicher/Gottschalk, § 2 ErbStG Rz. 91 ff. und Rz. 98 ff. (mit zahlreichen Einzelfällen) (Stand: April 2016); Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. 2011, Kapitel 7, Rz. 7.14 ff., S. 302 ff.

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Erbfolge nach ausländischem Recht

Georg Crezelius hat sich bereits im Jahr 1979 grundlegend mit diesem Thema befasst und kritisch zu der (damals) herrschenden Auffassung Stellung genommen. Einer seiner zentralen Kritikpunkte bestand darin, dass die Rechtsprechung die Besteuerung bei Erwerbsvorgängen nach ausländischem Erbrecht vielfach unter Hinweis auf den „nebulösen Begriff “ der „wirtschaftlichen Bedeutung“ begründet.7 Georg Crezelius hat nachgewiesen, dass dies mit dem Grundsatz der Tatbestandmäßigkeit der Be­ steuerung (Art. 20 Abs. 3 GG) nicht vereinbar ist. Der nachfolgende Beitrag knüpft an die damaligen Überlegungen des Jubilars an. Diese sind immer noch überzeugend, wenngleich die Rechtsprechung diesen bislang nicht gefolgt ist.8 Seit dem Jahr 1979 haben Erbfälle mit Auslandsberührung erheblich an Bedeutung gewonnen. Immer mehr Erblasser sind heute weltweit mobil und verfügen über international diversifizierte Vermögen. Die Kinder der Erblasser leben oftmals im Ausland oder sind mit Partnern aus anderen Rechts- und Kulturkreisen verheiratet. Die rechtlichen Rahmenbedingungen haben sich in den letzten Jahren (zumindest im Bereich des Zivilrechts) grundlegend geändert. Mit der Europäischen Erbrechtsverordnung9 wurde im internationalen Erbrecht der Wechsel vom Staatsangehörigkeitsprinzip (Art. 25 EGBGB a.F.) zum Domizilprinzip (Art. 21 EuErbVO) vollzogen. Die Europäischen Güterrechtsverordnungen10 ändern die Anknüpfungskriterien für das Güterrecht von Ehen und Partnerschaften und wirken sich mittelbar auch auf das Erbrecht aus (in Deutschland vor allem über § 1371 BGB11 und § 5 ErbStG). 7 Crezelius (Fn. 4), S. 62. 8 Geck, in: Kapp/Ebeling, § 1 ErbStG Rz. 81 ist dagegen der Auffassung, dass sich der BFH der Auffassung von Crezelius angeschlossen hat (zumindest in einzelnen Entscheidungen). 9 Verordnung (EU) Nr.  650/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 4.7.2012 über die Zuständigkeit, das anzuwendende Recht, die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen und die Annahme und Vollstreckung öffentlicher Urkunden in Erbsachen sowie zur Einführung eines Europäischen Nachlasszeugnisses, Amtsblatt der Europäischen Union v. 27.7.2012, L 201/107. − Siehe dazu statt vieler Dutta/Weber, Internationales Erb­ recht, München 2016. 10 Verordnung (EU) 2016/1103 des Rates v. 24.6.2016 zur Durchführung einer Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen des ehelichen Güterstands, Amtsblatt der Europäischen Union v. 8.7.2016, L 183/1, und Verordnung (EU) 2016/1104 des Rates v. 24.6.2016 zur Durchführung der Verstärkten Zusammenarbeit im Bereich der Zuständigkeit, des anzuwendenden Rechts und der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Fragen güterrechtlicher Wirkungen eingetragener Partnerschaften, Amtsblatt der Europäischen Union v. 8.7.2016, L 183/30. − Siehe dazu u.a. Dutta, FamRZ 2016, 1973; Heiderhoff, IPrax 2017, 231; Rieck, NJW 2016, 3755; Mankowski, ZEV 2016, 479; Meise, RNotZ 2016, 485 (Teil 1) und RNotZ 2016, 553 (Teil 2); Weber, DNotZ 2016, 659. 11 Zur güterrechtlichen Qualifikation des § 1371 BGB siehe BGH, Beschluss v. 13.5.2015 − IV ZB 30/14, ZEV 2015, 409 mit Anm. Reimann = FamRZ 2015, 1180 mit Anm. Mankowski = Rpfleger 2015, 646 mit Anm. Wiedemann = MittBayNot 2015, 507 mit Anm. Süß. − Ausführlich dazu u.a. Dörner, IPrax 2017, 81; Lorenz, NJW 2015, 2157.

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Nach einem kurzen Überblick über den aktuellen Stand der Diskussion zur Behandlung ausländischer Erbfälle im deutschen Erbschaftsteuerrecht (nachfolgend Teil II.) sollen verschiedene Einzelfragen anhand von typischen Fällen aus der Beratungspraxis vertieft werden (nachfolgend Teil III.). Die wichtigsten Ergebnisse werden abschließend in Thesenform zusammengefasst (Teil IV.). Nicht Gegenstand dieses Beitrags ist die internationale Anwendbarkeit des deutschen Erbschaftsteuergesetzes (einschließlich der Doppelbesteuerungsabkommen, siehe §§ 2, 21 ErbStG). Die besonderen Fragen im Zusammenhang mit der Besteuerung von (ausländischen) Stiftungen, Trusts und Vermögensmassen werden gleichfalls nicht behandelt (siehe §§ 3 Abs. 2 Nr. 1, § 7 Abs. 1 Nr. 8 und 9 ErbStG).

II. Ausgangssituation Das deutsche Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz beruht im Wesentlichen auf zwei Grundtatbeständen: dem Erwerb von Todes wegen (§§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 3 ErbStG) und den Schenkungen unter Lebenden (§ 1 Abs. 1 Nr. 2, 7 ErbStG). Das Schenkungsteuerrecht knüpft heute nicht mehr an das Vorliegen einer „Schenkung im Sinne des bürgerlichen Rechts“ an (so noch § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 192512), sondern erfasst „jede freigebige Zuwendung unter Lebenden, soweit der Bedachte durch sie auf Kosten des Zuwendenden bereichert wird“ (§ 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG).13 Eine Schenkung im Sinne des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§§ 516 ff. BGB)14 ist somit für einen steuerpflichtigen Erwerb zwar ausreichend, aber keineswegs notwendig.15 In internationalen Fällen ist es demnach ohne weiteres möglich, auch Schenkungen unter Lebenden nach ausländischem Zivilrecht16 unter das deutsche Schenkungsteuerrecht zu subsumieren. Entsprechende Fälle sind bislang wohl auch nicht streitig geworden.17 Ganz anders ist die Situation bei der Erbschaftsteuer. Nach dem Grundtatbestand des Erbschaftsteuergesetzes (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) gilt als Erwerb von Todes wegen 12 RGBl. I 1925, 320. 13 Eine Bezugnahme auf das BGB findet sich aber bei § 7 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG (§ 1415 BGB) und bei § 7 Abs. 1 Nr. 5 ErbStG (§§ 2346, 2352 BGB). 14 Das Schenkungsteuerrecht knüpft auch in anderem Zusammenhang nicht an das Zivilrecht an. Für das Entstehen der Steuer ist beispielsweise die Ausführung der Zuwendung und nicht etwa deren Wirksamkeit maßgebend (siehe § 9 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). 15 Ausführlich dazu Crezelius, FR 2007, 613, 619 ff. 16 Zum internationalen Schenkungszivilrecht siehe Magnus, in Dutta/Weber, Internationales Erbrecht 2016, S. 687 ff. 17 Dies gilt jedenfalls für den Grundtatbestand des § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. − Zur umstrittenen Besteuerung von Zuwendungen einer ausländischen Familienstiftung nach § 7 Abs. 1 Nr. 9 Satz 2 ErbStG siehe BFH, Beschluss v. 21.7.2014 − II B 40/14, BFH/NV 2014, 1554 = ZEV 2014, 504 (Steuerpflicht verneinend) und FG Baden-Württemberg v. 22.4.2015 − 7 K 2471/12, EFG 2015, 1461, Az. BFH II B 41/15 (Steuerpflicht bejahend). − Ausführlich zum Ganzen u.a. Gierhake, ZErb 2015, 366; Götz, DStR 2014, 1047; Jülicher, ZErb 2015, 357; Meilicke, DStR 2017, 227.

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Erbfolge nach ausländischem Recht

„der Erwerb durch Erbanfall (§ 1922 BGB), durch Vermächtnis (§§ 2147 ff. BGB) oder auf Grund eines geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs (§§ 2303 ff. BGB)“. Der Gesetzgeber knüpft die Besteuerung damit nicht nur an das Erbrecht an, sondern nimmt ausdrücklich auf einzelne Bestimmungen des (deutschen) Bürgerlichen Gesetzbuchs Bezug. Der Verweisung auf das Bürgerliche Gesetzbuch kommt nach allgemeiner Auffassung keine konstitutive Bedeutung in dem Sinne zu, dass Erwerbe nach ausländischem Erbrecht von vornherein keiner Besteuerung unterliegen.18 Gleichwohl wird der Steuertatbestand auf diese Weise in gewisser Weise beschränkt. Dies ergibt sich schon daraus, dass das deutsche Erbschaftsteuergesetz nicht von Anfang an auf das Bürgerliche Gesetzbuch Bezug genommen hat. In dem Erbschaftsteuergesetz 190619 wurde zwar vereinzelt auf das (damals) gerade in Kraft getretene Bürgerliche Gesetzbuch verwiesen (z.B. in § 2 Nr. 2 ErbStG 1906 auf §§ 2346, 2352 BGB oder in § 4 Abs. 3 ErbStG 1906 auf §§ 1483 ff. BGB), nicht aber bei dem Grundtatbestand des Erwerbs von Todes wegen (§ 1 ErbStG 1906). Vielmehr galt u.a. jeder Erwerb „durch Erbfolge, durch Vermächtnis oder als Pflichtteil“ als steuerpflichtiger Erwerb von Todes wegen. Im Erbschaftsteuergesetz 192520 wurde dann erstmals ein Verweis auf die zivilrechtlichen Regelungen über das Vermächtnis (§§ 2147 ff. BGB) aufgenommen (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 1925), nicht aber auch auf das Erb- oder Pflichtteilsrecht. Im Erbschaftsteuergesetz 195121 blieb der Steuertatbestand insoweit unverändert (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 1951). Die heutige Gesetzesfassung beruht weitgehend auf dem Erbschaftsteuergesetz 197422 (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Damals wurde erstmals der Verweis auf § 1922 BGB und §§ 2303 ff. BGB in das Gesetz aufgenommen. In den amtlichen Gesetzesmaterialien findet sich dafür allerdings keine nähere Begründung.23 Vielmehr heißt es dort lediglich, dass die Vorschrift (insoweit) dem früheren § 2 ErbStG entspreche. In den letzten Jahrzehnten hat der Gesetzgeber den Steuertatbestand des § 3 ErbStG mehrfach geändert, die Verweisungen auf das Bürgerliche Gesetzbuch aber nicht gestrichen. Entsprechende Änderungen waren (soweit ersichtlich) auch nicht Gegenstand der rechtspolitischen Diskussion. Die Verweisungen auf das Bürgerliche Gesetzbuch werden bei Erbfällen nach deutschem Erbrecht allgemein im Sinne einer strengen Anknüpfung des Erbschaftsteuerrechts an das Zivilrecht verstanden.

18 Crezelius (Fn. 4), S. 60 (unter Hinweis darauf, dass dieser Schluss, obwohl er nicht ganz fern liegt, bislang noch von niemanden gezogen worden ist). − Heute unstreitig, siehe zuletzt BFH, Urteil v. 4.7.2012 − II R 38/10, BStBl. II 2012, 782 = ZEV 2012, 621 = MittBayNot 2013, 269 mit Anm. M. Fischer = ZErb 2012, 270 mit Anm. Jülicher. 19 RGBl. 1906, 654. − Zur Entwicklung des Erbschaftsteuerrechts in den letzten 100 Jahren siehe Crezelius, FR 2007, 613. 20 RGBl. I 1925, 320. 21 BGBl. I 1951, 764. 22 BGBl. I 1974, 933. 23 Siehe BT-Drucks. VI/3418, 62 und BT-Drucks. 7/1333, 4.

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Der Bundesfinanzhof24 hat dies bereits im Jahr 1960 anschaulich wie folgt formuliert: „Das Erbschaftsteuerrecht ist auf dem Erbrecht des BGB aufgebaut (…), infolgedessen kann sich eine Erbschaftsteuer nur auf der Grundlage rechtlicher Beurteilung ergeben; es gibt keine Erbschaft im wirtschaftlichen Sinn (…).“

Im Jahr 1997 hat der Bundesfinanzhof25 dazu ausgeführt: „Das bürgerlich-rechtlich geprägte Erbschaftsteuerrecht (…) lässt es nicht zu, das Grundstück den (…) wirtschaftlichen Eigentümern zuzurechnen (…). Durch die Verweisung auf § 1922 BGB in § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG 1974 enthält das ErbStG eine ausdrückliche Bezugnahme auf das Zivilrecht, die insoweit eine wirtschaftliche Betrachtungsweise ausschließt. (…).“

Die steuerpflichtigen Erwerbsvorgänge von Todes wegen sind im Erbschaftsteuergesetz abschließend aufgezählt.26 Nicht im Gesetz genannte Erwerbsvorgänge unterliegen nicht der Erbschaftsteuer. Für die Annahme eines Erwerbs von Todes wegen genügt es nicht, dass der Erwerb lediglich im Zusammenhang mit einem Erbfall steht.27 Etwaige Lücken im Steuertatbestand müssen vom Gesetzgeber geschlossen werden. Bei Erbfällen nach ausländischem Erbrecht löst sich die Rechtsprechung dagegen nicht nur von der Verweisung auf das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch, sondern auch ganz allgemein von der Anknüpfung an das Zivilrecht. Vielmehr soll nur noch die „wirtschaftliche Bedeutung“ dessen, was das ausländische Recht für den Einzelfall vorschreibt, maßgebend sein. Der Bundesfinanzhof28 hat seine ständige Rechtsprechung zuletzt wie folgt zusammengefasst: 24 BFH, Urteil v. 30.6.1960 II 254/57 U, BStBl. III 1960, 348 (Im Zusammenhang mit der steuerlichen Behandlung von Teilungsanordnungen nach § 2048 BGB in einem deutschen Erbfall ohne Auslandsberührung). 25 BFH, Urteil v. 15.10.1997 − II R 68/95, BStBl.  II 1997, 820 (im Zusammenhang mit der Bewertung einer Sachleistungsverpflichtung aus einem Grundstückskaufvertrag in einem deutschen Erbfall ohne Auslandsberührung). − Siehe ferner BFH, Urteil v. 25.1.2001 − II R 39/98, BFH/NV 2001, 908 (wonach die zur wirtschaftlichen Zurechnung von Wirtschaftsgütern nach § 39 AO ergangene Rechtsprechung auf erbschaft- und schenkungsteuerliche Vorgänge nicht anwendbar ist). 26 Im Zusammenhang mit der Besteuerung der an einen weichenden Erbprätendenten geleisteten Abfindung (vor der entsprechenden Änderung von § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG n.F. durch das Steuerumgehungsbekämpfungsgesetz vom 23.6.2017, BGBl. I 2017, 1682) siehe BFH, Urteil v. 4.5.2011 − II R 34/09, BStBl. II 2011, 725 = ZEV 2011, 438 mit Anm. M. Fischer, und BFH, Urteil v. 15.6.2016 − II R 24/15, BStBl. II 2017, 128 = DStR 2016, 2095 = ZEV 2016, 594. − Ausführlich zum Ganzen u.a. Kamps, Stbg. 2017, 18; Kugelmüller-Pugh/Riehl, ErbR 2016, 622. 27 Im Zusammenhang mit einem deutsch-französischen Erbfall BFH, Urteil v. 4.7.2012 − II R 38/10, BStBl. II 2012, 782 = ZEV 2012, 621 = MittBayNot 2013, 269 mit Anm. M. Fischer = ZErb 2012, 270 mit Anm. Jülicher. 28 Urteil v. 4.7.2012 − II R 38/10, Rz. 22 f. (zum Erwerb von Todes wegen aufgrund einer Anwachsungsklausel nach französischem Ehegüterrecht), BStBl. II 2012, 782 = ZEV 2012, 621 = MittBayNot 2013, 269 mit Anm. M. Fischer = ZErb 2012, 270 mit Anm. Jülicher. − Ähnlich bereits zuvor u.a. BFH, Urteil v. 12.1.1973 − III R 30/72 (zur Schenkung unter Begründung einer bewind nach holländischem Recht), BStBl. II 1973, 440; BFH, Urteil v. 12.5.1970, Urteil v. 12.5.1970 II 52/64, BStBl. II 1972, 462 (zu einem Nachlasstrust nach dem Recht des US-Bundesstaates New York); BFH, Urteil v. 19.10.1956 − III 128/55 U, BStBl. III 1956, 363 (zum Erwerb des ungeteilten Gesamtguts einer dänischen Gütergemeinschaft durch die überlebende Witwe durch Konsolidation).

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Erbfolge nach ausländischem Recht „Die Verweisungen in § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG auf das BGB sind indes nach ständiger Rechtsprechung des BFH nicht so zu verstehen, dass die Vorschrift nur solche Erwerbe von Todes wegen der Erbschaftsteuer unterwerfe, die auf den in ihr genannten Vorschriften des BGB beruhen. Vielmehr kann auch ein nach ausländischem Recht erfolgter Erwerb von Todes wegen dem ErbStG unterliegen (…). Beruht der Erwerb auf ausländischem Recht, so ist (…) die Besteuerung unproblematisch, soweit im Einzelfall die Institutionen des ausländischen Erbrechts denen des deutschen Rechts entsprechen. Trifft dies nicht zu, können die Begriffe des ausländischen Rechts den Begriffen des deutschen bürgerlichen Rechts nicht gleichgesetzt werden. In diesem Fall ist nicht die formale Gestaltung des ausländischen Rechts maßgebend, weil dessen Konsequenzen im Einzelfall andere sein können, als sie die ungefähr vergleichbare Rechtsfigur des deutschen Rechts vorsieht; maßgebend ist in diesem Falle vielmehr die wirtschaftliche Bedeutung dessen, was das ausländische Recht für den Einzelfall vorschreibt (…) Nur soweit der Vermögensanfall in seiner wirtschaftlichen Bedeutung einem durch das ErbStG erfassten Erwerb gleichkommt, sind die Voraussetzungen eines Tatbestands erfüllt, an den das ErbStG die Leistungspflicht anknüpft (§ 38 AO). (…).“

In den Fällen, in denen die Rechtsinstitute des ausländischen Erbrechts mit denen des deutschen Erbrechts vergleichbar sind, wird die Besteuerung vom Bundesfinanzhof als „unproblematisch“ angesehen. Dabei bleibt völlig offen, nach welchen Kriterien und auf welcher Grundlage ein solcher Vergleich im Einzelfall erfolgen soll. Eine Besteuerung soll darüber hinaus aber selbst dann möglich sein, wenn die Regelungen des ausländischen und des inländischen Erbrechts nicht (oder nur „ungefähr“) miteinander vergleichbar sind. Maßgebend soll dann allein die „wirtschaftliche Bedeutung“ des Erwerbs nach ausländischem Erbrecht sein. Im Ergebnis bedeutet dies, dass allein die wirtschaftliche Vergleichbarkeit des Erwerbsvorgangs für die Besteuerung ausreichend ist. Die rechtliche Vergleichbarkeit der Erwerbsvorgänge ist danach nicht zwingend notwendig. Der Grundtatbestand des deutschen Erbschaftsteuergesetzes (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) wird damit bei Erbfällen nach ausländischem Erbrecht deutlich weiter ausgelegt als dies bei Erbfällen nach deutschem Erbrecht der Fall ist. Die (berechtigte) Kritik des Jubilars an der mangelnden Tatbestandsmäßigkeit einer solchen Besteuerung hat den Bundesfinanzhof (bislang) nicht zu einer Änderung seiner Auffassung veranlasst. Das Schrifttum29 folgt der Rechtsprechung ganz überwiegend.30 29 Siehe etwa Geck, in: Kapp/Ebeling, §  3 ErbStG Rz.  90.1 und (teilweise a­ llerdings abweichend) § 1 ErbStG Rz. 79 ff. (Stand: November 2015); Gottschalk, in: Troll/Gebel/Jülicher/ Gottschalk, § 3 EErbStG Rz. 15 ff.; Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 2 ErbStG Rz. 91 ff. und Rz. 98 ff. (mit zahlreichen Einzelfällen); Loose, in: von Oertzen/Loose, § 3 ErbStG Rz. 9 und 18; Meincke, 16. Aufl. 2012, § ErbStG 3 Rz. 30; Noll, in: Flick/Piltz, Der Internationale Erbfall, 2. Aufl. 2008, Rz.  1245  ff., S.  362  ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3. Aufl. 2011, Kapitel 7, Rz. 7.14 ff., S. 302 ff.; Wälzholz, in: Viskorf/Knobel/ Schuck/Wälzholz, 4. Aufl. 2012, § 3 ErbStG Rz. 4 f. 30 Zu Recht kritisch aber M. Fischer, in: Fischer/Pahlke, 6. Aufl. 2017, § 3 ErbStG Rz. 62 ff. m.w.N.

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Die weite Gesetzesauslegung bei Erwerben nach ausländischem Erbrecht hat dazu geführt, dass sich der Gesetzgeber bislang noch nicht mit dem Thema beschäftigen musste. Im Unterschied zu Erwerben nach deutschem Erbrecht waren hier keine Besteuerungslücken zu schließen. Lediglich für die Besteuerung von Trusts und ausländischen Vermögensmassen wurden die Steuertatbestände entsprechend erweitert (§§ 3 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2, 7 Abs. 1 Nr. 8 Satz 2 und Nr. 9 Satz 2).31 Im Rahmen der Anpassung des deutschen (Erb-)Rechts an die Vorgaben der Europäischen Erbrechtsverordnung32 hat der Gesetzgeber das Erbschaftsteuergesetz gleichfalls nicht geändert (obwohl dies durchaus nahe gelegen hätte). Anhand einiger praktischer Fälle soll nachfolgend dargestellt werden, dass die Besteuerung von Erwerben nach ausländischem Erbrecht alles andere als unproblematisch und die bislang herrschende Auffassung rechtsstaatlich bedenklich ist.

III. Einzelfragen 1. Steuertatbestand a) Erwerb durch Erbanfall (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. ErbStG) Beispiel 1: Ein deutscher Staatsangehöriger verstirbt mit letztem gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich. Der Erblasser hinterlässt kein Testament und wird (mangels erbrechtlicher Rechtswahl) nach österreichischem Erbrecht beerbt (Art. 21  ff. EuErbVO). Der Erbe wohnt in Deutschland. Der Erbe ist in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtig (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a) ErbStG i.V.m. § 8 AO). Ist der Erwerb (nach österreichischem Erbrecht) in Deutschland als Erwerb von Todes wegen zu versteuern (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt. ErbStG)?

Der Erwerb von Todes wegen ist hier nicht „durch Erbanfall (§ 1922 BGB)“, sondern nach österreichischem Erbrecht erfolgt.

31 Änderung durch Art. 10 des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 v. 24.3.1999 (BGBl. I 1999, 402). − Die frühere Rechtsprechung zur Besteuerung des Erwerbs von ausländischen Trusts ist damit weitgehend überholt. Siehe dazu u.a. BFH, Urteil v. 7.5.1986 − II R 137/79, BStBl.  II 1986, 615 (zur Erbschaftsteuer bei einem Erbfall nach dem Recht des US-Bundesstaates New York und Übergang des Vermögens auf einen Trust, an dem zunächst die Witwe und Tochter berechtigt waren und sodann die Abkömmlinge der Tochter); BFH, Urteil v. 28.2.1979 − II R 165/74, BStBl. II 1979, 438 (zum Zeitpunkt der Steuer­ entstehung bei Zwischenschaltung eines Trusts nach dem Recht des US-Bundesstaates Minnesota); BFH, Urteil v. 12.5.1970, Urteil v. 12.5.1970 − II 52/64, BStBl. II 1972, 462 (zu einem Nachlasstrust nach dem Recht des US-Bundesstaates New York: Keine Rückbeziehung des späteren Erwerbs der hereditas iacens auf den Erbfall). − Ausführlich zum Ganzen statt vieler Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 2 ErbStG Rz. 116 ff. m.w.N. 32 Gesetz zum internationalen Erbrecht und zur Änderung von Vorschriften zum Erbschein sowie zur Änderung sonstiger Vorschriften v. 29.6.2015, BGBl. I 2015, 1042. − Siehe dazu statt vieler u.a. Döbereiner, NJW 2015, 2449; Dutta, ZEV 2015, 493; Egidy/Volmer, Rpfleger 2015, 433; Lange, ErbR 2016, 58; Müller-Lukoschek, NotBZ 2016, 441.

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Eine Besteuerung des Erwerbs kommt nur dann in Betracht, wenn der Erwerb nach österreichischem Erbrecht mit dem Erwerb durch Erbanfall nach deutschem Erbrecht vergleichbar ist. Nach österreichischem Erbrecht33 kommt es (anders nach deutschem Recht, §§ 1922, 857 BGB) zu keinem Von-Selbst-Erwerb des Erben. Die Erbschaft muss vielmehr vom Erben förmlich angenommen werden (Erbantrittserklärung) und dem Erben vom Gericht übertragen werden (Einantwortung, §§  799  ff., 819 österreichisches ABGB i.V.m. §§ 157 ff. österreichisches Außerstreitgesetz). Bis zur gerichtlichen Einantwortung „ruht“ der Nachlass. Der Nachlass stellt insoweit ein eigenes Rechtssubjekt dar, über das der Erbe nicht verfügen kann (zu dem Nachlassverfahren siehe §§ 176 ff. Außerstreitgesetz i.V.m. §§ 1 ff. Gerichtskommissärgesetz). Eigentum und Besitz gehen somit nicht schon durch den Erbfall, sondern erst aufgrund der gerichtlichen Einantwortung auf den Erben über.34 Einer Besteuerung in Deutschland könnte somit sowohl der Gesetzeswortlaut (kein Erwerb „durch Erbanfall“) als auch die mangelnde Vergleichbarkeit des Erwerbsvorgangs (kein Von-Selbst-Erwerb) entgegenstehen. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass ein Erwerb von Todes wegen nach österreichischem Erbrecht in Deutschland der Besteuerung unterliegt. Bei einem Erwerb nach österreichischem Erbrecht handelt es sich unstreitig um keinen „Erwerb durch Erbanfall (§ 1922 BGB)“. Die Unterschiede beim Erwerb von Todes wegen zwischen deutschem und österreichischem Erbrecht sind zwar erheblich, betreffen aber mehr die Modalitäten der Nachlassabwicklung und weniger den Rechtsgrund des Erwerbs. Der Erbe ist (zumindest nach Abschluss des gerichtlichen Einantwortungsverfahrens) durch den Erwerb von Todes wegen bereichert. Eine Besteuerung aufgrund der erhöhten Leistungsfähigkeit ist sachlich gerechtfertigt. Auf der Ebene des Steuertatbestands (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) ist daher von einer rechtlichen Vergleichbarkeit des Erwerbs nach deutschem und österreichischem Erbrecht auszugehen. Den Unterschieden zwischen beiden Rechtsordnungen ist auf andere Weise Rechnung zu tragen. Die Erbschaftsteuer entsteht grundsätzlich mit dem Tod des Erblassers (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 HS 1 ErbStG). Dies ist bei einem Erwerb nach österreichischem Recht aber nicht sachgerecht, da der Nachlass zwischen Erbfall und Einantwortung zunächst „ruht“ und dem Erben noch nicht zugerechnet werden kann. Der Erwerb des Erben erfolgt gewissermaßen unter der aufschiebenden Bedingung des gerichtli33 Zum österreichischen Erbrecht siehe u.a. Haunschmidt, in Süß (Hrsg.), Erbrecht in Europa, 3. Aufl. 2015, Länderbericht Österreich, S. 957 ff., Rz. 96 ff. − Zur Reform des österreichischen Erbrechts im Jahr 2015 siehe u.a. Ferrari, FamRZ 2016, 1542; Meusberger-Hammerer/ Wittwer, ErbR 2016, 542; Steiner, ZEV 2016, 131; Umlauft/Oswald, Notar 2017, 43; Wittwer, ErbR 2017, 294. 34 Siehe zum Ganzen u.a. Schäuble, Die Einweisung der Erben in die Erbschaft nach österreichischem Recht durch deutsche Nachlassgerichte, Eine Untersuchung auf der Grundlage des FamFG und der Erbrechtsverordnung, 2011.

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chen Einantwortungsbeschlusses. Richtigerweise ist die Steuerbarkeit des Erwerbs nach österreichischem Erbrecht zu bejahen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG), der Zeitpunkt der Steuerentstehung aber von dem Erbfall auf die Einantwortung zu verschieben (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a) ErbStG analog). Dem steht nicht entgegen, dass die Erbschaftsteuer bei einem Erwerb nach deutschem Erbrecht auch dann schon mit dem Tod des Erblassers entsteht, wenn dem Erben noch kein Erbschein erteilt worden ist.35 Der Erbschein ist ein bloßer Nachweis über die mit dem Tod des Erblassers bereits eingetretene Erbfolge. Dagegen hat die gerichtliche Einantwortung nach österreichischem Recht für den Erwerb konstitutive Bedeutung. Der Beschluss dient nicht nur dem Nachweis des Erwerbs, sondern ist die Grundlage für den Erwerb. Gegen eine Besteuerung von Erwerben nach ausländischem Recht wird schließlich eingewandt, dass der Gesetzgeber solche Erwerbsvorgänge in verschiedenem Zusammenhang ausdrücklich geregelt hat (siehe § 3 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 ErbStG36 und 5 Abs. 3 ErbStG37), es bei dem Grundtatbestand (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) aber bei der Verweisung auf das deutsche Bürgerliche Gesetzbuch belassen hat. Dies könnte im Umkehrschluss darauf hindeuten, dass Erwerbsvorgänge nach ausländischem Recht in diesen Fällen nicht erfasst sein sollen. Dies überzeugt jedoch nicht. Aus den Gesetzesmaterialien ist ersichtlich, dass der Gesetzgeber jeweils nur bestimmte Sonderfälle regeln wollte. Eine grundsätzliche Stellungnahme zur Behandlung ausländischer Erwerbsvorgänge im deutschen Erbschaftsteuergesetz sollte damit nicht erfolgen. Zudem betreffen die beiden Regelungen auch inhaltlich ganz andere Fallkonstellationen. Die erste Regelung betrifft die Besteuerung der Vermögensausstattung von Trusts und Stiftungen. Als steuerpflichtiger Erwerb von Todes wegen gilt danach die Bildung oder Ausstattung einer „Vermögensmasse ausländischen Rechts“ (§ 3 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 ErbStG). Das Gesetz enthält aber keine Regelung, nach welchem Recht sich der Erwerbsvorgang richtet; lediglich bei dem Erwerber muss es sich um eine Vermögensmasse nach ausländischem Recht handeln. Die zweite Regelung betrifft den Erwerb bei Beendigung des Güterstands der Wahl-Zugewinngemeinschaft (§ 5 Abs. 3 ErbStG). Dabei wird kein neuer Erwerbstatbestand begründet, son-

35 Siehe dazu BFH, Urteil v. 2.2.1977 − II R 150/71, BStBl. II 1977, 425 (zur gesetzlichen Erbfolge nach dem Recht des US-Bundestaats Louisiana: die gerichtliche Entscheidung über die Besitzeinweisung „dokumentiert“ „wie der deutsche Erbschein“ die im konkreten Fall eingetretene Erbfolge). 36 Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 v. 24.3.1999, BGBl. I 1999, 402. 37 Gesetz zu dem Abkommen v. 4.2.2010 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik über den Güterstand der Wahl-Zugewinngemeinschaft v. 15.3.2012, BGBl. II 2012, 178. − Siehe dazu zuletzt u.a. Braun, MittBayNot 2012, 89; Hoischen, RNotZ 2015, 317; Knoop, NJW-Spezial 2016, 708; Knoop, NotBZ 2017, 202, und ­monographisch Frank, Alina, Ausgewählte Rechtsprobleme der deutsch-französischen Wahl-Zugewinngemeinschaft, 2016.

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dern lediglich klargestellt, dass der Zugewinnausgleich auch in diesem Fall kein steuerpflichtiger Erwerb ist.38 Im Ergebnis ist davon auszugehen, dass der Erwerb eines Erben nach österreichischem und nach deutschem Erbrecht (trotz zahlreicher Unterschiede) funktional miteinander vergleichbar ist und somit in beiden Fällen der deutschen Erbschaftsteuer unterliegt (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). In beiden Fällen liegt ein steuerpflichtiger Erwerb durch Erbfall vor. Die Besonderheiten des österreichischen Rechts führen aber dazu, dass die Steuer (anders als beim Erwerb nach deutschen Recht) nicht schon mit dem Tod des Erblassers, sondern erst mit der konstitutiv wirkenden Entscheidung des österreichischen Nachlassgerichts entsteht (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a) ErbStG analog).39 Der Bundesfinanzhof musste sich bislang noch nicht mit der Besteuerung eines Erwerbs nach österreichischem Erbrecht befassen. Entscheidungen der Finanzgerichte liegen gleichfalls nicht vor. Der Ausgang entsprechender Fälle ist daher alles andere als sicher. Der (vergleichsweise einfache) Ausgangsfall zeigt, dass selbst bei (vermeintlich ähnlichen) Rechtsordnungen (aus demselben Sprach- und Kulturraum) die Beurteilung der Vergleichbarkeit schnell an ihre Grenzen stößt. Die rechtliche Vergleichbarkeit des Erwerbs ist Bestandteil des Steuertatbestands und muss daher von dem Finanzamt in jedem Einzelfall konkret festgestellt und nachgewiesen werden. Bei Zweifeln an der Vergleichbarkeit muss eine Besteuerung ausscheiden. Der Steuertatbestand muss im Gesetz klar und eindeutig geregelt sein. Dies gebietet nicht nur das Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs.  3 GG), sondern auch das Schuldprinzip (Art. 103 Abs.  2 GG).40 Die wirtschaftliche Bedeutung des Erwerbsvorgangs kann eine Besteuerung nicht begründen.

38 Ähnlich auch Gottschalk, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 5 ErbStG Rz. 262 (Regelung in § 5 Abs. 3 ErbStG hat nur deklaratorischen Charakter). 39 Ähnlich auch BFH, Urteil v. 12.5.1970, Urteil v. 12.5.1970 − II 52/64, BStBl. II 1972, 462 (zu einem Nachlasstrust nach dem Recht des US-Bundesstaates New York: keine Rückbeziehung des späteren Erwerbs der hereditas iacens auf den Erbfall); BFH, Urteil v. 15.5.1964 − II 177/61 U, BStBl. III 1964, 408 (im Zusammenhang mit einer Erbeinsetzung unter Zwischenschaltung eines executors nach amerikanischem Recht: Zeitpunkt der Entstehung der Steuer ist grundsätzlich der Zeitpunkt des rechtskräftigen Verteilungsbeschlusses des amerikanischen Nachlassgerichts; aufgegeben durch BFH, Urteil v. 8.6.1988 − II R 243/82, BStBl. II 1988, 808). − Abweichend möglicherweise aber BFH, Urteil v. 8.6.1988 − II R 243/82, BStBl.  II 1988, 808 (kein aufschiebend bedingter Erwerb bei einer Erbeinsetzung unter Zwischenschaltung eines executors nach dem Recht des US-Bundesstaates New York, Aufgabe von BFH, Urteil v. 15.5.1964 − II 177/61 U, BStBl. III 1964, 408; BFH, Urteil v. 2.2.1977 − II R 150/71, BStBl. II 1977, 425 (zur gesetzlichen Erbfolge nach dem Recht des US-Bundestaats Louisiana: Erfordernis der besonderen gerichtlichen Besitzeinweisung des Erben ändert nichts an dem Entstehen der Erbschaftsteuer mit dem Tod des Erblassers). 40 Allgemein zur Bedeutung des Steuerstrafrechts siehe Crezelius, DStR 2013, Beihefter zu Heft 51-52, 99, 106 f.

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Der Gesetzgeber sollte daher prüfen, ob er es dauerhaft bei dieser unsicheren Rechtslage belassen möchte. Eine (klarstellende) gesetzliche Regelung wäre im Interesse der Transparenz wünschenswert. Beispielsweise könnte bei § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG am Ende ergänzt werden: „Entsprechendes gilt jeweils bei einem rechtlich vergleichbaren Erwerb nach ausländischem Erbrecht.“ b) Erwerb durch Vermächtnis (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt. ErbStG) Beispiel 2: Ein Erblasser ist deutscher und polnischer Staatsangehöriger. In seinem Testament trifft er eine erbrechtliche Rechtswahl zu Gunsten seines (auch) polnischen Heimatrechts (Art. 22 EuErbVO). Die Erbfolge richtet sich somit auch dann ausschließlich nach polnischem Erb­ recht, wenn der Erblasser mit letztem Aufenthalt in Deutschland verstirbt. Der Erblasser hat in seinem Testament u.a. ein Vermächtnis angeordnet, wonach ein in Deutschland belegenes Grundstück auf einen bestimmen Vermächtnisnehmer übertragen werden soll. Nach Eintritt des Erbfalls wird das Vermächtnis von dem Erben erfüllt. Der Erwerb des Vermächtnisnehmers unterliegt in Deutschland grundsätzlich der Besteuerung (zumindest der beschränkten Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG i.V.m. § 121 Nr. 2 BewG, bei Ansässigkeit von Erblasser oder Vermächtnisnehmer in Deutschland sogar der unbeschränkten Steuerpflicht nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Handelt es sich bei dem Erwerb des Vermächtnisnehmers (nach polnischem Erbrecht) in Deutschland um einen steuerpflichtigen Erwerb von Todes wegen (§  3 Abs.  1 Nr.  1, 2. Alt. ErbStG)?

Nach dem Gesetzeswortlaut gilt als steuerpflichtiger Erwerb von Todes wegen auch der Erwerb „durch Vermächtnis (§§ 2147 ff. BGB)“. In dem Ausgangsfall richtet sich der Erwerb des Vermächtnisnehmers nicht nach deutschem, sondern nach polnischem Erbrecht. Nach deutschem Erbrecht erwirbt der Vermächtnisnehmer das vermachte Grundstück nicht unmittelbar mit Eintritt des Erbfalls (Damnationslegat). Der Vermächtnisnehmer hat lediglich einen schuldrechtlichen Anspruch gegen den beschwerten Erben auf Übereignung des Grundstücks (§ 2174 BGB). Nach polnischem Erbrecht41 wird der Vermächtnisnehmer dagegen grundsätzlich bereits mit dem Erbfall Eigentümer des Grundstücks (Vindikationslegat, Art. 981 polnisches ZGB).42 Solche dinglich wirkenden Vindikationsvermächtnisse sind auch in zahlreichen anderen Rechtsordnungen (z.B. Portugal, Italien oder Frankreich) bekannt.43

41 Zum polnischen Erbrecht siehe (in deutscher Sprache) u.a. Kowalczyk, ZEV 2016, 496; Lakomy, in Süß (Hrsg.), Erbrecht in Europa, 3. Aufl. 2015, Länderbericht Polen, S.  995  ff., Rz. 47 ff. 42 Zum Vindikationslegat nach polnischem Recht siehe u.a. Margonski, ZErb 2012, 97; de Vries, ZEV 2013, 548. 43 Zur Behandlung eines Vermächtnisses über ein in Deutschland belegenes Grundstück nach kolumbianischem Erbrecht (noch vor Inkrafttreten der Europäischen Erbrechtsverord­

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Die unterschiedliche Ausgestaltung der Vermächtnisse im deutschen und polnischen Erbrecht könnte gegen eine rechtliche Vergleichbarkeit sprechen. Dies wäre jedoch zu weitgehend. Rechtsgrundlage für den Erwerb ist in beiden Fällen das vom Erblasser angeordnete Vermächtnis. Die nur schuldrechtliche oder auch dingliche Wirkung des Vermächtnisses ändert daran nichts. Letztlich geht es dabei nur um die Frage, ob und in welcher Form das Vermächtnis nach Eintritt des Erbfalls noch vollzogen werden muss. Die Bereicherung des Berechtigten eines dinglichen Vindikationsvermächtnisses ist im Übrigen größer als bei einem schuldrechtlichen Vermächtnis. Der Erwerber erwirbt nicht nur eine Forderung, sondern unmittelbar das Eigentum an dem Vermächtnisgegenstand. Nach dem steuerlichen Bereicherungsprinzip ist die Besteuerung von Vindikationsvermächtnissen daher sachgerecht. In dem Ausgangsfall betraf das Vermächtnis nach polnischem Erbrecht ein in Deutschland belegenes Grundstück. Derzeit ist umstritten, ob sich die dingliche Wirkung des polnischen Vindikationsvermächtnisses auch gegenüber dem deutschen Sachenrecht durchsetzen kann.44 Im (deutschen) Schrifttum45 wird dies überwiegend verneint, da die Europäische Erbrechtsverordnung das nationale Grundstücks- und Registerrecht unberührt gelassen hat. Das Vermächtnis muss somit nach Eintritt des Erbfalls noch durch Auflassung vollzogen werden. Faktisch wird das Vindikationsvermächtnis in Deutschland demnach wie ein Vermächtnis nach deutschem Recht behandelt. Dann sollten beide Vermächtnisarten aber auch beim Steuertatbestand gleichbehandelt werden. Im Ergebnis ist der Erwerb durch Vermächtnis somit unabhängig davon zu besteuern, wie das Vermächtnis inhaltlich ausgestaltet ist.46 Eine unterschiedliche Besteuerung ist aber dann geboten, wenn für den schuldrechtlichen Anspruch steuerlich andere Regeln gelten als für den Vermächtnisgegenstand selbst. Ein Beispiel47 dafür ist etwa nung) siehe BGH, Urteil v. 28.9.1994 − IV ZR 95/93, NJW 1995, 58. –Monographisch Titz, Das Vindikationslegat, 2017. 44 Zum Vorabentscheidungsersuchen zur sachenrechtlichen Wirkung des Vindikationslegats nach der Europäischen Erbrechtsverordnung siehe Krzymuski, ZEV 2016, 497. 45 Siehe dazu u.a. Buschbaum/Simon, ZEV 2012, 525, 527; Dörner, ZEV 2012, 505, 509; Dutta, FamRZ 2013, 4, 12; Wilsch, ZEV 2012, 530, 531. − Zur Gegenauffassung siehe Jan Peter Schmidt, ZEV 2014, 455; Jan Peter Schmidt, RabelsZ 77 (2013) 1.  − Monographisch zum Ganzen Teresa Lechner, Die Reichweite des Erbstatuts in Abgrenzung zum Sachenrechtsstatut anhand der Europäischen Erbrechtsverordnung, 2017. – Siehe dazu auch das anhängige Verfahren EuGH, Rs. C-218/16 (Kubicka). 46 Im Ergebnis wie hier, in der Sache aber differenzierend Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/ Gottschalk, § 2 ErbStG Rz. 111. 47 Ein weiteres Beispiel ist (bzw. war) die Bewertung. Seit dem 1.1.2009 sind Ansprüche und Sachen aber einheitlich mit dem gemeinen Wert zu bewerten (§  12 ErbStG), so dass es Unterschiede in der Bewertung nur noch selten geben dürfte. − Zur Rechtslage bis zum 31.12.2008 siehe BFH, Urteil v. 13.8.2008 − II R 7/07, BStBl. II 2008, 982 = ZEV 2008, 550 mit Anm. M. Fischer (zur Bewertung der Forderung auf einem Übernahme- oder Kaufrechtsvermächtnis mit dem gemeinen Wert).

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die Besteuerung von Inlandsvermögen bei beschränkter Steuerpflicht (§ 121 BewG i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG). Zum Inlandsvermögen gehört nur das inländische Grundvermögen (§ 121 Nr. 2 BewG). Dagegen unterliegen schuldrechtliche Ansprüche, die auf Übertragung des Eigentums an inländischen Grundstücken gerichtet sind, nicht der beschränkten Steuerpflicht (Umkehrschluss zu §  121 Nr.  7 und 8 BewG). Das Eingreifen des Steuertatbestands kann auch bei sonstigen Erwerben problematisch sein, auf die „die für Vermächtnisse geltenden Vorschriften des bürgerlichen Rechts Anwendung finden“ (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG). Dies umfasst nach deutschem Erbrecht u.a. den Voraus des überlebenden Ehegatten (§ 1932 BGB) und den Dreißigsten für unterhaltsberechtigte Familienangehörige (§ 1969 BGB). Auf vergleichbare Erwerbe nach ausländischem Recht dürfte der Tatbestand aufgrund seines Wortlauts kaum anwendbar sein. Allerdings hat die Vorschrift nur geringe Bedeutung. Zudem sind viele Erwerbe ohnehin steuerfrei (siehe § 13 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4 ErbStG). c) Erwerb eines Pflichtteilsanspruchs (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3. Alt. ErbStG) Beispiel 3: Ein deutscher Staatsangehöriger verstirbt mit letztem gewöhnlichem Aufenthalt in Italien. In seinem Testament hat er sein in Deutschland lebendes Kind enterbt. Eine Rechtswahl enthält das Testament nicht. Die Erbfolge richtet sich somit nach italienischem Erbrecht. Die Rechte des enterbten Kindes richten sich nicht nach deutschem Erb- und Pflichtteilsrecht, sondern nach italienischem Recht. Danach steht dem Kind ein dingliches Noterbrecht (quota di reserva) zu (Art. 536 ff. italienischer Codice Civile).48 Das Noterbrecht tritt allerdings nicht automatisch mit dem Tod des Erblassers ein, sondern erst mit erfolgreicher Herabsetzungs­ klage des Noterbberechtigten (azione di riduzione, Art. 554 ff. c.c.). Aufgrund des Herabsetzungsurteils werden die testamentarischen Verfügungen des Erblassers (und ergänzend auch Schenkungen des Erblassers zu Lebzeiten) verhältnismäßig gekürzt, bis die Quote des Noterbberechtigten aus dem Nachlass befriedigt werden kann. Das Herabsetzungsurteil selbst hat allerdings noch keine dingliche Wirkung. Dafür bedarf es einer gesonderten Restitutionsklage gegen den Bedachten. Unterliegt der Erwerb des Noterbberechtigten (nach italienischem Recht) in Deutschland der Erbschaftsteuer (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3. Alt. ErbStG)? Wann entsteht die Steuer (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b) ErbStG)? Der Erwerb des Noterbberechtigten ist nicht auf einen Geldanspruch gerichtet, sondern auf eine dingliche Berechtigung am Nachlass. Wie ist der Erwerb des Noterbberechtigten zu bewerten (§ 12 ErbStG)?

Als steuerpflichtiger Erwerb von Todes wegen gilt u.a. der Erwerb „auf Grund eines geltend gemachten Pflichtteilsanspruchs (§§  2303  ff. BGB)“ (§  3 Abs.  1 Nr.  1, 3. Alt. ErbStG).

48 Zum italienischen Erbrecht siehe (in deutscher Sprache) u.a. Cubeddu Wiedemann/Wiedemann, in Süß (Hrsg.), Erbrecht in Europa, 3. Aufl. 2015, Länderbericht Italien, S. 695 ff., Rz. 121 ff.

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Der Steuergesetzgeber weicht mit dieser Regelung (ausnahmsweise) vom Zivilrecht ab. Zivilrechtlich entsteht der Pflichtteilsanspruch mit dem Erbfall (§  2317 Abs.  1 BGB). Der Steuertatbestand wird dagegen erst dann verwirklicht, wenn der Pflichtteilsberechtigte seinen Anspruch tatsächlich geltend macht. Macht er nichts, fällt auch keine Erbschaftsteuer an (siehe § 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG). Der Steuertatbestand knüpft ersichtlich an den auf Geld gerichteten Pflichtteilsanspruch nach deutschem Erbrecht an. Noterbansprüche nach ausländischem Erbrecht sind davon nicht erfasst. Die Ansprüche sind rechtlich auch nicht ohne weiteres vergleichbar, weil die ausländischen Noterbrechte in der Regel eine dingliche Mitberechtigung am Nachlass und nicht nur einen Geldanspruch begründen.49 Für Zwecke des Erbschaftsteuertatbestands erscheint dieser Unterschied allerdings nicht maßgeblich. Dem Noterbberechtigten steht aufgrund des Erbfalls eine gewisse Mindestbeteiligung zu. Die inhaltliche Ausgestaltung des Noterbrechts (Geldanspruch oder Nachlassbeteiligung) mag unterschiedlich sein, ändert an dem Erwerb aufgrund des Erbfalls nichts. Die Rechtsposition des Noterbberechtigten ist vermutlich zwischen einem dinglich berechtigten Miterben (§§  2032  ff. BGB) und einem schuldrechtlichen Pflichtteilsberechtigten (§§ 2303 ff. BGB) einzuordnen. Die damit verbundene Bereicherung ist steuerlich aber in jedem Fall als Erwerb von Todes wegen zu erfassen (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG).50 Den Unterschieden bei der inhaltlichen Ausgestaltung der einzelnen Rechtepositionen ist aber in anderem Zusammenhang angemessen Rechnung zu tragen. Dies gilt vor allem für die Frage, wann der Steuertatbestand verwirklicht worden ist (§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 3. Alt. ErbStG) und wann die Erbschaftsteuer entsteht (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b) ErbStG). Im Ausgangsfall tritt an Stelle des Tatbestandsmerkmals der „Geltendmachung“ des Pflichtteilsanspruchs die Erhebung der Herabsetzungsklage nach italienischem Recht. Das bloße (ernstliche) Verlangen des Noterbrechts ist nach italienischem Erbrecht nicht ausreichend und kann daher auch für die Entstehung der deutschen Erbschaftsteuer nicht genügen. Die unterschiedliche Qualifikation von Pflichtteils- und Noterbberechtigten kann aber dann Probleme bereiten, wenn Steuervergünstigungen an den dinglichen Erwerb bestimmter Gegenstände anknüpfen. Ein Pflichtteilsberechtigter kommt beispielsweise nicht in den Genuss der sachlichen Steuerbefreiung für das selbstgenutzte Familienheim (§ 13 Abs. 1 Nr. 4a, 4b und 4c ErbStG). Dagegen könnte ein Noterbberechtigter als (faktischer) Miteigentümer durchaus begünstigt sein. Ähnliches gilt dann, wenn zum Nachlass begünstigtes unternehmerisches Vermögen gehört (§§ 13a, 13b ErbStG).

49 Ähnlich ist die Rechtslage auch in anderen Ländern des romanischen Rechtskreises wie etwa Frankreich, Portugal oder Spanien. 50 Ähnlich Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 2 ErbStG Rz. 108 f.

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d) Erwerb aufgrund Gütergemeinschaft nach ausländischem Recht aa) Erwerb der gemeinsamen Abkömmlinge Beispiel 4: Die in Dänemark lebenden Ehegatten sind im Güterstand der Gütergemeinschaft nach dänischem Recht verheiratet.51 Das Vermögen der Ehegatten wird nach dem dänischen Gesetz über die Ehewirkungen (mit Ausnahme des Vorbehaltsguts) zum Gemeinschaftsgut. Bei Tod eines Ehegatten übernehmen dessen Erben grundsätzlich die Hälfte des Gemeinschaftsguts. Nach dänischem Recht ist allerdings eine abweichende Vereinbarung für die Beendigung der Gütergemeinschaft durch Tod eines Ehegatten möglich (und vielfach üblich).52 Die Ehegatten können vereinbaren, dass die Gütergemeinschaft bei Tod eines Ehegatten mit den gemeinsamen Abkömmlingen ungeteilt fortgesetzt wird (uskifet bo).53 Die Ehegatten vereinbaren die Fortsetzung der Gütergemeinschaft im Todesfall. Die gemeinsamen Abkömmlinge leben in Deutschland. In Dänemark ist der Erwerb des Ehegatten und der Kinder ohnehin steuerfrei. Die Kinder sind in Deutschland ansässig und damit unbeschränkt steuerpflichtig. Unterliegt der Erwerb der Abkömmlinge in Deutschland der Besteuerung?

Das deutsche Recht kennt ein Rechtsinstitut der fortgesetzten Gütergemeinschaft, das in der Praxis heute allerdings nur selten vorkommt. Ehegatten können durch Ehevertrag den Güterstand der Gütergemeinschaft vereinbaren (§§ 1415 ff. BGB). Bei Tod eines Ehegatten gehört der Anteil des verstorbenen Ehegatten am Gesamtgut (§ 1416 BGB) grundsätzlich zum Nachlass (§ 1482 BGB).54 Der Erwerb unterliegt nach allgemeinen Vorschriften der Erbschaftsteuer (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Die Ehegatten können allerdings durch Ehevertrag auch vereinbaren, dass die Gütergemeinschaft (abweichend vom Regelfall) durch den Tod eines Ehegatten nicht beendet, sondern fortgesetzt wird (§  1483 Abs.  1 BGB). Die Gütergemeinschaft besteht dann zwischen dem überlebenden Ehegatten und den gemeinschaftlichen Abkömmlingen. Zivilrechtlich gehört der Anteil des verstorbenen Ehegatten am Gesamtgut „nicht zum Nachlass“ (§ 1483 Abs. 1 Satz 3 BGB). Grundlage für den Erwerb der Abkömmlinge ist damit das Ehegüterrecht und nicht das Erbrecht.

51 Zum Erwerb des ungeteilten Gesamtguts der dänischen allgemeinen Gütergemeinschaft durch den überlebenden Ehegatten aufgrund Konsolidation siehe BFH, Urteil v. 19.10.1956 III 128/55 U, BStBl. III 1956, 363 (im konkreten Fall wurde ein steuerpflichtiger Erwerb der Witwe von Todes wegen aufgrund der wirtschaftlichen Bedeutung des Rechtsvorgangs bejaht). − Zu Recht kritisch dazu Crezelius (Fn. 4), S. 66 ff. 52 Zum dänischen Erbrecht und Ehegüterrecht siehe (in deutscher Sprache) u.a. Ring/­OlsenRing, in Süß (Hrsg.), Erbrecht in Europa, 3. Aufl. 2015, Länderbericht Dänemark, S. 341 ff., Rz. 20 ff.; Ring/Olsen-Ring, in: Süß/Ring (Hrsg.), Eherecht in Europa, 3. Aufl. 2017, Länderbericht Dänemark, S. 437 ff., Rz. 14 ff. und Rz. 44 ff. 53 Siehe dazu zuletzt u.a. Herrmann/Eriksen, IWB 4/2015, 145, 146 ff. 54 Zur Gütergemeinschaft bei Tod eines Ehegatten siehe Ruby, ZEV 2017, 72.

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Aufgrund dieser zivilrechtlichen Vorgaben könnte der Erwerb der Abkömmlinge bei Fortsetzung der Gütergemeinschaft möglicherweise nicht der Erbschaftsteuer unterliegen. Der Steuergesetzgeber hat daher bereits vor über hundert Jahren (siehe §  4 Abs. 2 ErbStG 1906) klargestellt, dass bei Fortsetzung der Gütergemeinschaft der Anteil des verstorbenen Ehegatten so behandelt wird, als wäre er ausschließlich den anteilberechtigten Abkömmlingen angefallen. Diese Regelung gilt bis heute (§ 4 Abs. 1 ErbStG). Bei Tod des erstversterbenden Ehegatten unterliegt der Erwerb der Abkömmlinge damit der Erbschaftsteuer. Dies gilt unabhängig davon, ob der Erwerb güter- oder erbrechtlich zu qualifizieren ist. Das dänische Recht kennt eine ähnliche Form der fortgesetzten Gütergemeinschaft. Im Ausgangsfall stellt sich somit die Frage, ob für den Erwerb der gemeinsamen Abkömmlinge in solchen Fällen in Deutschland Erbschaftsteuer anfällt. Dagegen spricht zunächst der Gesetzeswortlaut, der ausdrücklich auf die fortgesetzte Gütergemeinschaft nach deutschem Recht (§§ 1483 ff. BGB) Bezug nimmt. Ein Erwerb aufgrund Ehegüterrechts soll demnach nur in diesem besonderen Fall, nicht aber generell besteuert werden. Im Übrigen besteuert das dänische Recht den Erwerb der fortgesetzten Gütergemeinschaft nicht. Diese Wertung des dänischen Rechts ist auch bei der Auslegung des deutschen Erbschaftsteuerrechts zu berücksichtigen. Schließlich hat bereits der Reichsfinanzhof55 entschieden, dass die Regelung des § 4 ErbStG nicht auf ausländische Gütergemeinschaften angewendet werden kann. Danach wäre der Erwerb der Abkömmlinge bei Tod des erstversterbenden Ehegatten steuerfrei. Diese Auffassung erscheint jedoch nicht überzeugend. Richtigerweise ist § 4 ErbStG auch auf die Fortsetzung einer Gütergemeinschaft nach ausländischem Recht anzuwenden, wenn diese mit der Regelung des deutschen Rechts (§§ 1483 ff. BGB) vergleichbar sind. Die rechtliche Vergleichbarkeit ist in vielen Fällen schon deswegen zu bejahen, weil die Regelungen zur Gütergemeinschaft in den einzelnen Nationalstaaten einen gemeinsamen historischen Ursprung haben. Die Grundstrukturen dieser Gütergemeinschaften sind weitgehend unverändert geblieben und entsprechen sich bis heute sowohl sprachlich als auch inhaltlich. Unterschiede in einzelnen Details stehen der Vergleichbarkeit nicht entgegen, da aufgrund der Ehevertragsfreiheit auch im deutschen Recht nicht alle Gütergemeinschaften vollständig übereinstimmen. Die Be­ zugnahme des Steuergesetzgebers auf die Regelungen der §§ 1483 ff. BGB ist daher lediglich beispielhaft und nicht etwa abschließend zu verstehen. Die abweichende Entscheidung des Reichsfinanzhofs aus dem Jahr 1944 war möglicherweise auch dem Zeitgeist geschuldet und kann heute nicht mehr maßgebend sein. Eine generelle Ungleichbehandlung deutscher und ausländischer Gütergemeinschaften erscheint unter der Geltung des Grundgesetzes jedenfalls nicht mehr sachgerecht (Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG). 55 RFH, Urteil v. 17.2.1944 − III 84/83, RFHE 54, 58. − Zustimmend Geck, in: Kapp/Ebeling, § 4 ErbStG Rz. 27; Meincke, 16. Aufl. 2012, § 4 ErbStG Rz. 1.

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Im Ergebnis ist hier davon auszugehen, dass der Erwerb der gemeinsamen Abkömmlinge aufgrund der Fortsetzung der Gütergemeinschaft in Deutschland steuerpflichtig ist (§§ 3 Abs. 1 Nr. 1, 4 Abs. 1 ErbStG). Die fortgesetzte Gütergemeinschaft nach deutschem und dänischem Recht ist rechtlich miteinander vergleichbar, so dass § 4 ErbStG in beiden Fällen zur Anwendung kommt.56 Gleichwohl ist die Rechtsunsicherheit auch in diesem Bereich nicht unerheblich. Eine klarstellende Regelung im Gesetz wäre daher in jedem Fall wünschenswert. Im Zusammenhang mit dem Gesetz zur Anpassung des deutschen Rechts an die europäischen Güterrechtsverordnungen könnte § 4 Abs. 1 ErbStG entsprechend ergänzt werden (z.B. Fortsetzung des Güterstands nach §§ 1483 ff. BGB oder einer vergleichbaren Regelung des ausländischen Ehegüterrechts). Darüber hinaus sollte auch die Verweisung auf § 1490 Sätze 2 und 3 des deutschen BGB in § 4 Abs. 2 ErbStG überprüft werden. bb) Erwerb des überlebenden Ehegatten Beispiel 5:57 Die Ehegatten leben in Deutschland und Frankreich und sind u.a. gemeinsam Eigentümer eines Grundstücks in Frankreich. Die Ehegatten haben vor einem (französischen) Notar einen Ehevertrag nach französischem Recht abgeschlossen. In dem Ehevertrag haben die Ehegatten den französischen Güterstand der allgemeinen Gütergemeinschaft vereinbart (communauté universelle, Art. 1526 Code Civil). Danach soll das zur Gütergemeinschaft gehörende Vermögen im Fall der Auflösung der Ehe durch den Tod eines Ehegatten alleine dem überlebenden Ehegatten zustehen (clause d’ attribution de la totalité de la communauté au conjoint survivant, Art. 1524 Abs.  1 CC).58 Der überlebende Ehegatte ist dabei zu keinen Ausgleichszahlungen verpflichtet. Bei Tod eines Ehegatten richtet sich die Erbfolge (mangels einer erbrechtlichen Rechtswahl) nach dem Erbrecht am letzten gewöhnlichen Aufenthaltsort des Erblassers. Das so ermittelte Erbrecht ist grundsätzlich auch für das in Frankreich belegene Grundstück maßgebend. Allerdings fällt das Grundstück hier gar nicht in den Nachlass, da das Ehegüterrecht insoweit vorrangig ist.59 Aufgrund der in dem Ehevertrag vereinbarten Regelung wächst der Grundstücks­ anteil des verstorbenen Ehegatten dem überlebenden Ehegatten aufgrund Ehegüterrechts an. Ein Erwerb aufgrund Erbrechts erfolgt insoweit nicht. Aus Sicht des französischen Rechts handelt es sich dabei grundsätzlich nicht um eine unentgeltliche Vereinbarung (Art. 1527 Code Civil). Dementsprechend wurde (früher) für den Er-

56 So im Ergebnis wohl auch Gottschalk, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, §  4 ErbStG Rz. 236; Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 2 ErbStG Rz. 105. 57 Fall nach BFH, Urteil v. 4.7.2012 − II R 38/10, BStBl. II 2012, 782 = ZEV 2012, 621 = MittBayNot 2013, 269 mit Anm. M. Fischer = ZErb 2012, 270 mit Anm. Jülicher. − Bereits zuvor ausführlich zu der Problematik Gottschalk, ZEV 2006, 99. 58 Zum französischen Erbrecht und Ehegüterrecht siehe (in deutscher Sprache) u.a. Döbereiner, in Süß (Hrsg.), Erbrecht in Europa, 3. Aufl. 2015, Länderbericht Frankreich, S. 491 ff., Rz. 118 ff. und Rz. 161 ff.; Döbereiner, in: Süß/Ring (Hrsg.), Eherecht in Europa, 3. Aufl. 2017, Länderbericht Frankreich, S. 539 ff., Rz. 104 ff. und Rz. 124 ff.; Steinhauer/Haydu, Internationales Erbrecht Frankreich, 2. Aufl. 2017, S. 17 ff. und S. 57 ff. 59 Die Frage, ob die Anwachsungsklausel in dem französischen Ehevertrag güterrechtlich oder erbrechtlich zu qualifizieren ist, wurde bislang allerdings noch nicht höchstrichterlich geklärt.

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Erbfolge nach ausländischem Recht werb des überlebenden Ehegatten in Frankreich auch keine Erbschaftsteuer erhoben. Seit 2007 wurde die Erbschaftsteuerpflicht des überlebenden Ehegatten ohnehin abgeschafft. Nachdem die Ehegatten auch in Deutschland ansässig sind bzw. waren stellt sich aber die Frage, ob der Erwerb des überlebenden Ehegatten (vorbehaltlich des bestehenden Doppelbesteuerungsabkommens) in Deutschland erbschaftsteuerpflichtig ist?

Der Bundesfinanzhof ist in einem ähnlichen Fall davon ausgegangen, dass der Erwerb des überlebenden Ehegatten in Deutschland der Erbschaftsteuer unterliegt (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Ein Erbanfall ist nach Auffassung des Bundesfinanzhofs gegeben, wenn nach dem ausländischen Recht der Tod einer Person unmittelbar kraft Gesetzes zu einer Gesamtrechtsnachfolge in ihr Vermögen führt. Unerheblich sei, wie das ausländische Recht den Erwerb zivilrechtlich qualifiziert. Das deutsche Recht sei an die Beurteilung des ausländischen Rechts nicht gebunden. Nicht erforderlich sei, dass sich „die Gesamtrechtsnachfolge auf das gesamte Vermögen des Erblassers“ erstreckt. Bei dieser Gesetzesauslegung handele es sich weder um eine „unzulässige steuerverschärfende Analogie“ noch um eine „außerrechtliche wirtschaftliche Beurteilung rechtlicher Sachverhaltsgestaltungen“. Vielmehr gehe es um die „an den spezifischen Zielen der steuerrechtlichen Regelung ausgerichtete steuerrechtliche Beurteilung, ob der bewirkte wirtschaftliche Erfolg einen Steuertatbestand erfüllt und die Belastung mit der Steuer daher gerechtfertigt ist“. Der Erwerb des überlebenden Ehegatten entspreche in seinen für die Erbschaftsteuer maßgebenden „rechtlichen und wirtschaftlichen Folgen“ einem Erwerb durch Erbanfall (§ 1922 BGB). Die Besteuerung des Erwerbs aufgrund der Anwachsungsklausel entspreche schließlich auch „den Wertungen des Gesetzgebers in § 3 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 ErbStG“. Der Bundesfinanzhof wollte mit seiner Entscheidung ersichtlich dazu beitragen, dass beim Erwerb eines Ehegatten aufgrund ausländischen Ehegüterrechts keine Besteuerungslücke entsteht. Dieses Ziel ist legitim und nachvollziehbar. Allerdings fehlt es für eine solche Besteuerung derzeit an einer Rechtsgrundlage. Die steuerpflichtigen Erwerbsvorgänge sind im Erbschaftsteuergesetz abschließend aufgeführt (§  3 ErbStG). Ein Erwerb aufgrund einer „clause d’ attribution“ ist dort naturgemäß nicht erwähnt. Der Erwerb aufgrund eines ausländischen Rechtsinstituts kann daher in Deutschland nur dann besteuert werden, wenn er mit einem inländischen Erwerbstatbestand rechtlich vergleichbar ist. Der Bundesfinanzhof führt in diesem Zusammenhang aus, dass ein Erwerb nach ausländischem Recht in Deutschland dann der Erbschaftsteuer unterliege, wenn „sowohl die Rechtsfolgen als auch die das wirtschaftliche Ergebnis einem der in § 3 ErbStG ausdrücklich genannten inländischen Tatbestände entsprechen“.

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Für die Steuerbarkeit eines Erwerbsvorgangs kommt es allerdings auf die Vergleichbarkeit des Tatbestandes und nicht der „Rechtsfolgen“ an. Das „wirtschaftliche Ergebnis“ kann nicht dazu dienen, eine Besteuerung zu begründen.60 Nach deutschem Recht ist der Erwerb durch Erbanfall steuerbar (§  3 Abs.  1 Nr.  1 ErbStG). Im Ausgangsfall ist der Erwerb des überlebenden Ehegatten aber gerade kein Erwerb aufgrund Erbrechts, sondern ein Erwerb aufgrund Ehegüterrechts. Der Bundesfinanzhof61 hat (für Sachverhalte ohne Auslandsberührung) wiederholt entschieden, dass der bloße Zusammenhang eines Erwerbs mit einem Erbfall für einen steuerpflichtigen Erwerb von Todes wegen nicht genügt. Der Besteuerung unterliegt nur der „Erwerb durch Erbanfall“ (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Dies gilt unabhängig davon, ob der Erwerb nach deutschem oder ausländischem Zivilrecht erfolgt. Eine Steuerbarkeit des Erwerbs des überlebenden Ehegatten ergibt sich (entgegen der Auffassung des Bundesfinanzhofs) auch nicht aus den Steuertatbeständen für den ­Anwachsungserwerb im Gesellschaftsrecht (§ 3 Abs. 1 Nr. 2 Sätze 2 und 3 ErbStG). Diese Steuertatbestände gelten nach dem eindeutigen Gesetzeswortlaut nur für eine Anwachsung bei Personen- und Kapitalgesellschaften und nicht auch für Gütergemeinschaften (wie sich auch aus einer Gegenüberstellung von § 4 und § 7 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG ergibt, wo die Gütergemeinschaft ausdrücklich geregelt ist). Der Ehegatte ist auch kein Gesellschafter und kann auch nicht wie ein solcher behandelt werden. Der Bundesfinanzhof nimmt demnach auch nur auf die in diesen Regelungen zum Ausdruck kommenden „Wertungen des Gesetzgebers“ Bezug. Die Wertung, dass jeder Anwachsungserwerb von Todes wegen steuerbar ist, lässt sich daraus allerdings nicht entnehmen. Zumindest ist eine solche Wertung nicht mit der erforderlichen Bestimmtheit im Gesetz geregelt. Die detailgenauen Regelungen für einzelne Anwach­ sungsfälle bei verschiedenen Gesellschaften deuten eher darauf hin, dass alle nicht geregelten Fälle keiner Besteuerung unterliegen sollen. Die Steuerbarkeit des Erwerbs des überlebenden Ehegatten lässt sich auch nicht mit der Regelung über die fortgesetzte Gütergemeinschaft begründen (§ 4 ErbStG i.V.m. §§ 1483 ff. BGB). Diese Vorschrift kann allenfalls dazu dienen, eine Steuerpflicht des Erwerbs von gemeinsamen Abkömmlingen bei Fortsetzung der Gütergemeinschaft zu begründen. Dagegen ist eine Besteuerung des überlebenden Ehegatten dort überhaupt nicht geregelt. Die Gütergemeinschaft wird im Ausgangsfall auch nicht fortgesetzt, sondern durch den Tod des Ehegatten gerade beendet. Der deutsche Gesetzgeber hat die Problematik, dass es aufgrund einer Gütergemeinschaft zu Vermögensverschiebungen zwischen Ehegatten kommen kann, im Übrigen gesehen (und auch geregelt). Die Bereicherung, die der Ehegatte bei Vereinbarung der 60 Dies ergibt sich im Übrigen auch aus einem Vergleich zu den Steuertatbeständen des Grund­ erwerbsteuergesetzes, wo das Innehaben einer „wirtschaftlichen Beteiligung“ seit 2013 ausdrücklich erfasst wird (§§ 1 Abs. 3a, 23 Abs. 11 GrEStG). Dagegen werden im Erbschaftsteuergesetz wirtschaftliche Erwerbsvorgänge nicht erfasst. 61 Siehe etwa BFH, Urteil v. 4.5.2011 − II R 34/09, BStBl. II 2011, 725; BFH, Urteil v. 6.3.1991 − II R 69/87, BStBl. II 1991, 412.

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Erbfolge nach ausländischem Recht

Gütergemeinschaft zu Lebzeiten erfährt, unterliegt der Schenkungsteuer (§ 7 Abs. 1 Nr. 4 ErbStG). Nicht geregelt ist dagegen der hier vorliegende Fall, dass ein Ehegatte bei Beendigung der Gütergemeinschaft von Todes wegen bereichert wird. Die Regelung kann auf den Erwerb von Todes wegen auch nicht entsprechend angewandt werden, da Begründung und Beendigung der Gütergemeinschaft nicht vergleichbar sind (siehe auch § 1 Abs. 2 ErbStG). Die Vorschrift zeigt aber, wie der deutsche Gesetzgeber die (tatsächliche bzw. vermeintliche) Besteuerungslücke rechtssicher schließen könnte. Der Katalog der steuerpflichtigen Erwerbsvorgänge in § 3 ErbStG wäre um eine weitere Ziffer wie folgt zu erweitern: „Als Erwerb von Todes wegen gilt die Bereicherung, die ein Ehegatte oder Lebenspartner bei Beendigung einer Gütergemeinschaft nach deutschem oder ausländischem Recht erfährt.“ Im Ergebnis ist der Erwerb aufgrund einer Anwachsung nach ausländischem Recht derzeit (entgegen der Auffassung des Bundesfinanzhofs) nicht steuerbar. Es fehlt an einem entsprechenden Steuertatbestand. Dem deutschen Gesetzgeber steht es aber frei, diese Besteuerungslücke zu schließen. Die (abweichende) Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs ist mit dem Gesetzeswortlaut (des § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) nicht zu vereinbaren und verstößt gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung. e) Vor- und Nacherbfolge nach ausländischem Recht Beispiel 6: Ein deutscher Staatsangehöriger verstirbt mit letztem gewöhnlichem Aufenthalt in Portugal. In seinem Testament hat der Erblasser Vor- und Nacherbfolge nach portugiesischem Recht angeordnet (Substituicao fideicomissaria, Art. 2286  ff. portugiesischer Codigo Civil).62 Eine erbrechtliche Rechtswahl ist nicht erfolgt. Die Erbfolge richtet sich nach portugiesischem Erbrecht. Vorerbe ist das Kind des Erblassers. Nacherbe ist die Ehefrau des Erblassers (und Mutter des Kindes). Der Nacherbfall tritt ein mit dem Tod des Vorerben (Art. 2293 CC). Vorerbe und Nacherbe wohnen (auch) in Deutschland, so dass der Erbe in Deutschland der unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht unterliegt (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a) ErbStG). Mit dem Tod des Erblassers wird der Vorerbe Erbe. Ist der Erwerb des Vorerben (nach portugiesischem Erbrecht) in Deutschland wie der Erwerb eines Vollerben zu besteuern (§ 6 Abs. 1 ErbStG)? Mit dem Tod des Vorerben geht das Nachlassvermögen auf den Nacherben über. Hat der Nacherbe den Erwerb (nach portugiesischem Erbrecht) in Deutschland als Erwerb vom Vorerben zu versteuern (§ 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG)? Für den Erwerb der Nacherbin (Mutter des Kindes) würde an sich Steuerklasse II gelten. Kann die Nacherbin (nach § 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG) beantragen, dass der Versteuerung das Verhältnis zum Erblasser (hier zu ihrem Ehemann, d.h. Steuerklasse I) zugrunde zu legen ist?

62 Zum portugiesischen Erbrecht siehe (in deutscher Sprache) u.a. Huzel/Wollmann, in Süß (Hrsg.), Erbrecht in Europa, 3. Aufl. 2015, Länderbericht Portugal, S. 1019 ff., Rz. 78 ff.

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Thomas Wachter

Nach deutschem Recht ist der Vorerbe Erbe des Erblassers (§§ 2100 ff. BGB). Der Erwerb des Vorerben unterliegt daher bereits nach allgemeinen Regeln der Erbschaftsteuer (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG). Gleichwohl hat der Steuergesetzgeber vorsorglich nochmals klargestellt, dass der Vorerbe als Erbe „gilt“ (§ 6 Abs. 1 ErbStG). Bei Eintritt der Nacherbfolge (§ 2106 BGB) geht das Vermögen auf den Nacherben über. Zivilrechtlich ist der Nacherbe Erbe des Erblassers (und nicht des Vorerben). Steuerrechtlich gilt der Erwerb des Nacherben dagegen als Erwerb vom Vorerben (§ 6 Abs. 2 Satz 1 ErbStG). Der Nacherbe kann allerdings beantragen, dass der Versteuerung das Verhältnis des Nacherben zum Erblasser zugrunde gelegt wird (§ 6 Abs. 2 Satz 2 ErbStG). Bei der Besteuerung der Vor- und Nacherbfolge weicht das deutsche Erbschaftsteuerrecht somit ausnahmsweise vom Zivilrecht ab. Die steuerrechtlichen Regelungen zur Vor- und Nacherbfolge (§§  6, 10 Abs.  4, 20 Abs. 4 ErbStG) verweisen (anders als § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG) nicht auf die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§§ 2100 ff. BGB). Eine Begründung für die unterschiedliche Gesetzestechnik findet sich nicht. Bei Erbfällen nach ausländischem Recht erweist sich die Regelung zur Vor- und Nacherbfolge gleichwohl als vorzugswürdig. Die Regelung ist von vornherein nicht auf die Vor- und Nacherbfolge nach deutschem Recht beschränkt, sondern lässt sich ohne weiteres auch auf die Vor- und Nacherbfolge nach ausländischem Recht anwenden. Der (international wertungsoffenen) Regelung könnte bei einer Gesetzesanpassung somit Vorbildfunktion für §§ 3 ff. ErbStG zukommen. Das portugiesische Erbrecht kennt mit der fideikommissarischen Substitution eine treuhänderische Ersatzerbschaft, die ihrem Wesen nach der deutschen Vor- und Nacherbfolge entspricht. Der Vorerbe ist nach portugiesischem Verständnis der (zeitlich befristete) Ersatzmann, für den eigentlichen (Nach-)Erben. Der Vorerbe hat dabei die Aufgabe, den Nachlass treuhänderisch zu verwalten. Dem Nacherben fällt der Nachlass mit dem Tod des Vorerben zu. Allerdings bestehen auch Unterschiede zwischen dem deutschen und portugiesischen Recht der Vor- und Nacherbfolge. In Portugal ist die Einsetzung eines Nacherben beispielsweise unwirksam, wenn sie über mehr als eine Generation hinausreicht. In Deutschland sind die Grenzen dagegen weiter gezogen (siehe § 2110 BGB). Zudem kann der Vorerbe nach portugiesischem Recht die der Nacherbschaft unterliegenden Nachlassgegenstände nur mit gerichtlicher Genehmigung verkaufen oder belasten. Das deutsche Recht eröffnet dem Vorerben hier mehr Gestaltungsspielraum (siehe §§ 2113, 2136 BGB). Das Rechtsinstitut der deutschen und portugiesischen Vor- und Nacherbfolge ist (trotz dieser Unterschiede) miteinander vergleichbar. In beiden Rechtsordnungen wird jeweils ein Sondervermögen begründet, dass der Vorerbe treuhänderisch verwahren muss und dass vor dem Zugriff von Gläubigern besonders geschützt wird. Für die Vergleichbarkeit sprechen vor allem auch die gemeinsamen historischen Wurzeln, die bis heute in zahlreichen Rechtsordnungen ihren Niederschlag gefunden haben. 666

Erbfolge nach ausländischem Recht

Ähnliche Regelungen finden sich beispielsweise auch in Spanien,63 Frankreich oder den Niederlanden. Die Regelungen zur Vor- und Nacherbfolge in den einzelnen Zivilgesetzbüchern sind naturgemäß nicht in jeder Hinsicht identisch. Das steht einer rechtlichen Vergleichbarkeit für erbschaftsteuerliche Zwecke aber keineswegs entgegen. Die Vor- und Nacherbfolge ist schon nach deutschem Recht keineswegs immer gleich. Vielmehr kann diese (unter Nutzung der Testierfreiheit) inhaltlich durchaus unterschiedlich ausgestaltet werden. Es gibt somit nicht nur eine Vor- und Nacherbfolge. Im Übrigen knüpft das Erbschaftsteuergesetz nicht an die einzelnen Rechte der Vor- und Nacherben an. Für die Besteuerung macht es beispielsweise keinen Unterschied, ob und inwieweit der Erblasser den Vorerben von den gesetzlichen Verfügungsbeschränkungen befreit hat. Im Ergebnis ist somit davon auszugehen, dass die Vor- und Nacherbfolge nach portugiesischem Erbrecht in Deutschland ebenso besteuert wird wie die Vor- und Nacherbfolge nach deutschem Erbrecht.64 Die rechtliche Vergleichbarkeit der beiden Rechtsinstitute rechtfertigt eine gleiche Besteuerung. Auf die wirtschaftliche Bedeutung des Erwerbs kommt es dagegen nicht an. Als Kehrseite der Besteuerung stehen dem Nacherben aber auch die Antrags- und Wahlrechte nach deutschem Erbschaftsteuergesetz zu. 2. Entstehung der Erbschaftsteuer Beispiel 7: Ein Erblasser stirbt mit letztem Wohnsitz in Großbritannien. Dort hatte er auch seinen gewöhnlichen Aufenthalt und sein domicile. Der Erblasser ist ausschließlich britischer Staatsangehöriger. Der Nachlass besteht aus beweglichem Vermögen in Deutschland und Großbritannien. Die Erben wohnen in Deutschland. Der Erwerb unterliegt damit in Deutschland der unbeschränkten Erbschaftsteuerpflicht. In Großbritannien erfolgt zunächst eine gesonderte Nachlassabwicklung. Diese führt dazu, dass die Erben über den Nachlass zunächst nicht verfügen können. Die Nachlassgegenstände werden erst nach Abschluss des Verfahrens an die Erben verteilt. Wann entsteht in diesem Fall die Erbschaftsteuer?

Nach deutschem Recht geht Eigentum und Besitz an den einzelnen Nachlassgegenständen mit dem Tod des Erblassers kraft Gesetzes unmittelbar auf die Erben (§§ 1922, 857 BGB). Der Erwerb erfolgt ohne weiteres Zutun der Erben; eine Annahme der Erbschaft ist dafür nicht erforderlich. Allerdings können die Erben die Erbschaft ausschlagen (§§ 1942 ff. BGB). Der Erwerb von Todes wegen vollzieht sich unabhängig von der Kenntnis der Erben (vom Erbfall und dem Nachlass und dessen Zusammensetzung). 63 Zur (ähnlichen) Rechtslage in Spanien siehe Klein, Ausländische Zivilrechtsformen im deutschen Erbschaftsteuerrecht, 2000, S. 211 ff. (der allerdings − trotz zivilrechtlicher Vergleichbarkeit − eine wirtschaftliche Betrachtung vornehmen will). 64 Ähnlich Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, §  2 ErbStG Rz.  106 (vor allem für Frankreich und die Niederlanden).

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Thomas Wachter

Der Von-selbst-Erwerb der Erben nach deutschem Recht ist die Grundlage dafür, dass die Erbschaftsteuer mit dem „Tode des Erblassers“ entsteht (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 HS 1 ErbStG). Der Erbe ist mit dem Tod des Erblassers Eigentümer und Besitzer der zum Nachlass gehörenden Gegenstände geworden. Der Erwerb ist erfolgt. Der Erbe ist bereichert, so dass die Besteuerung sachgerecht erscheint. Die Erbschaftsteuer entsteht somit unabhängig davon, ob der Erbe schon in der Lage ist, über den Nachlass zu verfügen. Auf die rechtliche oder tatsächliche Verfügungsbefugnis des Erben kommt es nicht an. Nach englischem Recht65 erfolgt dagegen nach Eintritt des Erbfalls zunächst immer eine gesonderte Nachlassverwaltung. Der Nachlass geht dabei auf einen personal representative über.66 Dieser wird als executor bezeichnet, wenn ihn der Erblasser im Testament benannt hat und als administrator, wenn er vom Gericht benannt wird. Der personal representative verwaltet den Nachlass nicht nur, sondern wird selbst Inhaber des Nachlasses. Der personal representative hat vor allem die Aufgabe, den Nachlass in Besitz zu nehmen und zu ordnen, diesen vorübergehend zu verwalten und die Nachlassverbindlichkeiten zu begleichen. Nach Abschluss des Verfahrens wird der verbleibende Restnachlass auf die Erben als Begünstigte (beneficiaries) überführt. Erst mit der Annahme ist der Erwerb erfolgt. Die zwingende Nachlassabwicklung nach englischem Recht muss auch Auswirkungen auf den Zeitpunkt der Steuerentstehung nach deutschem Recht haben. Nach englischem Recht erlangt der Erbe das Eigentum und den Besitz an den Nachlassgegenständen (anders als nach deutschem Recht) nicht schon mit dem Tod des Erblassers, sondern erst nach Abschluss eines gesetzlichen Nachlassverfahrens. Der Erwerb erfolgt somit nicht unmittelbar aufgrund des Erbfalls. Vielmehr handelt es sich um einen bloß mittelbaren Erwerb. Der Erwerb erfolgt aufgrund der Übertragung durch einen gerichtlich legitimierten Nachlassverwalter. Der Erbe erwirbt somit nur mittelbar vom Erblasser. Unmittelbar erfolgt der Erwerb vom Nachlassverwalter. Die Rechtstellung des englischen personal representative lässt sich auch nicht mit der eines deutschen Testamentsvollstreckers (§§  2197  ff. BGB) vergleichen. Der Testamentsvollstrecker verwaltet das fremde Vermögen der Erben. Dagegen ist der personal representative selbst Inhaber des Vermögens. Das englische Nachlassverfahren entspricht nicht dem Erbscheinverfahren nach deutschem Recht. Der Erbschein dient dem Nachweis der bereits eingetretenen Erbfolge. Das englische Nachlassverfahren ist dagegen Grundlage für den Erwerb (und dient nicht nur dessen Nachweis).

65 Zum englischen Erbrecht siehe (in deutscher Sprache) u.a. Odersky, in Süß (Hrsg.), Erb­ recht in Europa, 3. Aufl. 2015, Länderbericht Großbritannien, S.  585  ff., Rz.  14 ff und Rz. 62 ff. 66 Ähnlich ist die Rechtslage beispielsweise in Irland und Zypern (Republik Zypern), nicht aber auch in Malta.

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Erbfolge nach ausländischem Recht

Die rechtlichen Unterschiede zwischen beiden Rechtsordnungen sind erheblich und stehen einer steuerlichen Vergleichbarkeit entgegen. Bei einem Erwerb nach englischem Recht kann die Erbschaftsteuer nicht schon mit dem Tod des Erblassers entstehen. Der Erbe hat vor Abschluss des Nachlassverfahrens noch nichts erworben, so dass es an einer steuerlichen Bereicherung fehlt. Die Erbschaftsteuer kann in diesen Fällen vielmehr erst mit der Beendigung des Nachlassverfahrens entstehen. Es handelt sich insoweit um einen Erwerb von Todes wegen, der aufschiebend bedingt ist durch die Vermögensübertragung des personal representative (§ 9 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe a) ErbStG analog). Der Bundesfinanzhof67 und die Finanzgerichte68 mussten sich in der Vergangenheit immer wieder mit der Frage der Steuerentstehung bei Erbfällen nach ausländischem Recht befassen. Die meisten Fälle betrafen das Erbrecht von verschiedenen US-Bundesstaaten. Die Rechtsprechung ist allerdings keineswegs einheitlich und zudem stark von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls geprägt. Im Interesse der Rechtssicherheit wäre auch insoweit eine gesetzliche Klarstellung zweckmäßig. 3. Steuerbefreiungen a) Steuerfreier Zugewinn Beispiel 8: Die Ehegatten haben in der Schweiz geheiratet. Einen Ehevertrag haben sie nicht abgeschlossen. Nach Schweizer Recht gilt somit der ordentliche Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung (Art. 196 ff. CH-ZGB und Art. 52 ff. CH-IPRG).69

67 Siehe dazu (in chronologischer Reihenfolge) u.a. BFH, Urteil v. 8.6.1988 − II R 243/82, BStBl. II 1988, 808 (= Aufgabe von BStBl. III 1964, 408) (Erbeinsetzung unter Zwischenschaltung eines executors nach amerikanischem Recht ist selbst dann nicht aufschiebend bedingt, wenn dem executor für die Zeit der Nachlassabwicklung unbeschränkte Verfügungsmacht eingeräumt ist); BFH, Urteil v. 2.2.1977 − II R 150/71, BStBl.  II 1977, 425 (Steuer entsteht auch dann mit dem Tod des Erblassers, wenn für den in den USA belegenen Nachlass vom zuständigen Gericht ein administrator bestellt worden ist); BFH, Urteil v. 15.5.1964 − II 177/61 U, BStBl. III 1964, 408 (zwischenzeitlich aufgegeben durch BFH BStBl. II 1988, 808) (Erbeinsetzung unter Zwischenschaltung eines executors nach amerikanischem Recht ist aufschiebend bedingt, wenn die Erblasserin dem executor für die Zeit der Testamentsvollstreckung unbeschränkte Verfügungsmacht erteilt hat); RFH, Urteil v. 12.5.1938 − III e 49/37, RStBl. 1938, 717 (Steuerentstehung mit dem Tod des Erblassers bei Testamentsvollstreckung oder Nachlassverwaltung nach amerikanischem Recht); RFH, Urteil v. 2.12.1930 − I e A 395/397/30, RStBl. 1932, 122 (Steuerentstehung mit dem Tod des Erblassers bei einem Erwerb nach amerikanischem Erbrecht). 68 Siehe Niedersächsisches FG, Urteil v. 19.6.1991 − III 261/87, EFG 1992, 144 (Erbeinsetzung ist nicht deshalb aufschiebend bedingt, weil auf Antrag eines Beteiligten Nachlassverwaltung nach schwedischem Recht angeordnet ist). 69 Zum schweizerischen Erbrecht und Ehegüterrecht siehe u.a. Bürgi, Internationales Erb­ recht Schweiz, 3. Aufl. 2017, S. 101 ff., Rz. 498 ff.; Wolf/Brefin, in: Süß/Ring (Hrsg.), Eherecht in Europa, 3. Aufl. 2017, Länderbericht Schweiz, S. 1185 ff., Rz. 17 ff. und Rz. 105 ff.; Wolf/Dorjee-Good, in Süß (Hrsg.), Erbrecht in Europa, 3. Aufl. 2015, Länderbericht Schweiz, S. 1141 ff., Rz. 134 ff.

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Thomas Wachter Bei der Errungenschaftsbeteiligung wird kein gemeinsames eheliches Vermögen gebildet. Das Vermögen wird vielmehr entweder dem Eigengut des Ehegatten oder seiner Errungenschaft zugeordnet. Bei Auflösung der Ehe steht jedem Ehegatten die Hälfte des Vorschlags des anderen Ehegatten zu (Art. 215 ZGB). Der Vorschlag ist der Gesamtwert der Errungenschaft einschließlich etwaiger Hinzurechnungen und abzüglich etwaiger Schulden. Der Ehemann stirbt und wird von seiner Ehefrau beerbt. Zum Nachlass gehört auch in Deutschland belegenes Inlandsvermögen. Der Erwerb der Ehefrau unterliegt in Deutschland der beschränkten Steuerpflicht (§ 2 Abs. 1 Nr. 3 ErbStG i.V.m. § 121 BewG). Ist der (fiktive) Zugewinn der Ehefrau (ganz oder teilweise) steuerfrei (§ 5 Abs. 1 ErbStG)?

Nach deutschem Recht ist gesetzlicher Güterstand die Zugewinngemeinschaft (§§ 1363 ff. BGB). Bei Beendigung der Ehe durch Tod eines Ehegatten ist der Zugewinnausgleich beim überlebenden Ehegatten steuerfrei (§ 5 Abs. 1 ErbStG). Die Regelung zum steuerfreien Zugewinn knüpft ausdrücklich an den Güterstand der Zugewinngemeinschaft nach dem deutschen Bürgerlichen Gesetzbuch an. Steuerfrei ist die (fiktive) Ausgleichsforderung des überlebenden Ehegatten (nach § 1371 Abs. 2 BGB). Eine solche Ausgleichsforderung kann es nur im Güterstand der Zugewinngemeinschaft geben. Mit Wirkung zum 1.5.2013 hat der Gesetzgeber ausdrücklich geregelt, dass die Ausgleichsforderung bei Beendigung des (deutsch-französischen) Güterstands der Wahl-Zugewinngemeinschaft gleichfalls steuerfrei ist (§ 5 Abs. 3 ErbStG). Nach Gesetzeswortlaut und -systematik wäre die Steuerfreiheit somit auf den deutschen Zugewinn beschränkt. Eine solche Auslegung wäre allerdings nicht sachgerecht. Richtigerweise müssen auch vergleichbare Forderungen nach ausländischem Ehegüterrecht steuerfrei sein, die einem angemessenen Ausgleich des während der Ehe geschaffenen Vermögens unter den Ehegatten dienen.70 Der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung findet im vorliegenden Zusammenhang keine Anwendung. Die Vorschrift des § 5 ErbStG gehört nicht zum Steuertatbestand, sondern zu den Steuerbefreiungen. Bei der Vergleichbarkeit kann daher ein großzügigerer Maßstab als beim Steuertatbestand angelegt werden. Nach schweizerischem Recht gilt der gesetzliche Güterstand der Errungenschaftsbeteiligung. Die Güterstände der schweizerischen Errungenschaftsbeteiligung und der deutschen Zugewinngemeinschaft erscheinen funktional miteinander vergleichbar. In beiden Fällen wird kein gemeinsames Vermögen gebildet. Die Vermögen der Ehegatten bleiben grundsätzlich getrennt. Ein Vermögensausgleich erfolgt erst bei Beendigung der Ehe. Nach beiden Rechtsordnungen handelt es sich dabei um einen finanziellen Ausgleich und nicht um eine dingliche Beteiligung am Vermögen des anderen Ehegatten. Der Ausgleich erfolgt sowohl bei Beendigung der Ehe zu Lebzeiten als auch von Todes wegen. 70 Zu Ausgleichsansprüchen nach slowakischem Güterrecht siehe etwa OLG Nürnberg, Beschluss v. 28.9.2016 − 7 UF 1142/15, FamRZ 2017, 698.

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Erbfolge nach ausländischem Recht

Bei der Berechnung des Ausgleichs bestehen zwischen deutschem Zugewinn und schweizerischem Vorschlag durchaus auch gewisse Unterschiede (z.B. bei der Zuordnung von Schulden). Allerdings stehen diese einer steuerlichen Gleichbehandlung nicht entgegen. Entscheidend ist vielmehr der Normzweck der jeweiligen Regelungen. In beiden Fällen geht es darum, den anderen Ehegatten an dem während der Ehe gemeinsam erwirtschafteten Vermögen hälftig zu beteiligen. Damit soll ein fairer Vermögensausgleich sichergestellt werden. Im Ergebnis ist davon auszugehen, dass der Vorschlag nach schweizerischem Recht in gleicher Weise steuerfrei ist wie der Zugewinn nach deutschem Recht.71 Rechtsprechung zu dieser Frage liegt bislang noch nicht vor. Der Bundesfinanzhof72 hat lediglich einmal die Vergleichbarkeit des gesetzlichen Güterstands der früheren DDR mit dem deutschen Güterstand der Zugewinngemeinschaft bejaht. Der Vergleichbarkeit stand dabei nicht entgegen, dass der Ausgleich (nach dem Recht der früheren DDR) nur zu Lebzeiten und nicht auch im Todesfall erfolgt ist. Die Entscheidung dürfte allerdings auch durch das besondere Verhältnis zwischen den beiden deutschen Staaten beeinflusst worden sein und ist daher wohl auf andere Güterstände ausländischen Rechts nur eingeschränkt übertragbar. Die Vergleichbarkeit der einzelnen Güterstände ist (insbesondere außerhalb des deutschen Rechtskreises) vielfach nicht ohne weiteres möglich und führt zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit. In der Praxis kann unter Umständen eine vorsorgende Wahl des deutschen Ehegüterrechts überlegenswert sein. Im Zusammenhang mit der Anpassung des deutschen Rechts an die Europäischen Güterrechtsverordnungen sollte auch eine Erweiterung der Steuerfreiheit des Zugewinns auf vergleichbare Forderungen nach ausländischem Ehegüterrecht erwogen werden. Nachdem die Berechnung des steuerfreien Zugewinns unmittelbar an das Bürgerliche Gesetzbuch anknüpft (siehe nur § 5 Abs. 1 Sätze 2 ff. ErbStG) und die Berechnung der Ausgleichsforderung nach ausländischem Güterrecht vielfach schwierig sein dürfte, könnte insoweit eine fiktive Betrachtung erfolgen. Steuerfrei ist der fiktive Zugewinn nach deutschem Recht auch dann, wenn sich der Ausgleich tatsächlich nach ausländischem Recht bestimmt. Dies würde die bisherige Regelung fortführen, wonach es für die Steuerfreiheit auf den fiktiven (und nicht auf den tatsächlichen) Zugewinn ankommt. Im Ausgangsfall war der Erwerb der Ehefrau in Deutschland nur beschränkt steuerpflichtig. Dann stellt sich die weitere Frage, ob der Zugewinn bzw. Vorschlag in voller Höhe oder (nach dem Rechtsgedanken des § 10 Abs. 6 Satz 2 ErbStG) nur anteilig steuerfrei ist. Eine anteilige Kürzung des steuerfreien Betrages erscheint nicht sach­ 71 Im Ergebnis ähnlich wie hier Gottschalk, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 5 ErbStG Rz. 46 ff.; Noll, in: Flick/Piltz, Der Internationale Erbfall, 2. Aufl. 2008, Rz. 1325 ff., S. 386 f. (vor allem für Österreich, Schweiz und Schweden); Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 2 ErbStG Rz. 112 (für die Schweiz und Belgien). 72 BFH, Urteil v. 5.3.1975 − II R 125/68, BStBl. II 1975, 447.

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gerecht.73 Bei dem steuerfreien Zugewinn handelt es sich nicht um „Schulden und Lasten“, sondern um eine zivilrechtliche Ausgleichsforderung. Zudem steht der Zu­ gewinn auch nicht in „wirtschaftlichem Zusammenhang“ mit einzelnen Vermögensgegenständen, sondern beruht auf der Entwicklung des gesamten Vermögens der beiden Ehegatten. Schließlich hat der Gesetzgeber für andere Fälle eine anteilige Kürzung ausdrücklich geregelt (§  5 Abs.  1 Satz 5 ErbStG), nicht aber für die Fälle der beschränkten Steuerpflicht. Das Schweigen des Gesetzgebers spricht gegen eine Kürzung. b) Sachliche Steuerbefreiungen Beispiel 9: Nach luxemburgischem Recht74 kann die Ehe seit 2015 auch zwischen Personen gleichen Geschlechts geschlossen werden. Für Ehen von gleichgeschlechtlichen Ehegatten gelten die gleichen Regeln wie für Ehen von Personen mit verschiedenem Geschlecht.75 Ehegatten gleichen Geschlechts haben in Luxemburg wirksam die Ehe geschlossen. Die Ehegatten leben auch in Deutschland. Ein Ehegatte stirbt und wird von dem überlebenden Ehegatten beerbt. Ist bei dem überlebenden Ehegatten das selbst genutzte Familienwohnheim in Deutschland sachlich von der Erbschaftsteuer befreit (§ 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG)?

Das deutsche Erbschaftsteuerrecht enthält zahlreiche Steuerbefreiungen, die an das (formale) Verwandtschaftsverhältnis zwischen Erblasser und Erwerber anknüpfen (siehe etwa § 13 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 4a, 4b und 4c, Nr. 6 und Nr. 10 ErbStG). Der Erwerb des selbstgenutzten Familienwohnheims ist beispielsweise von der Erbschaftsteuer befreit, wenn es sich bei dem Erwerber um den Ehegatten oder Lebenspartner handelt (§ 13 Abs. 1 Nr. 4b ErbStG). Damit knüpft der Gesetzgeber (stillschweigend) an die Ehe bzw. Lebenspartnerschaft an. Die sachliche Steuerbefreiung hängt somit davon ab, ob die Ehe (siehe Art. 13 EG­ BGB) bzw. die Lebenspartnerschaft (siehe Art. 17b EGBGB) wirksam geschlossen worden ist. Im Inland erfolgt die Begründung einer Ehe (§§ 1310 ff. BGB) bzw. Lebenspartnerschaft (§§ 1 ff. LPartG) durch entsprechende Erklärung gegenüber dem Standesbeamten. Die Eheschließung bzw. Begründung der Lebenspartnerschaft kann dem Finanzamt durch Vorlage entsprechender Personenstandsurkunden (siehe §§ 11 ff., 17, 57 und 58 PStG) nachgewiesen werden.

73 So im Ergebnis auch (mit weiteren Nachweisen zum Streitstand) Geck, in: Kapp/Ebeling, § 5 ErbStG Rz. 92 ff. – Ausführlich dazu von Oertzen, ZEV 1994, 93. 74 Zum luxemburgischen Erbrecht und Ehegüterrecht siehe u.a. Frank, in Süß (Hrsg.), Erb­ recht in Europa, 3. Aufl. 2015, Länderbericht Luxemburg, S. 849 ff., Rz. 16 ff. und Rz. 50 ff.; Watgen, in: Süß/Ring (Hrsg.), Eherecht in Europa, 3. Aufl. 2017, Länderbericht Luxemburg, S. 847 ff., Rz. 3 ff. und Rz. 83 ff.. 75 Darüber hinaus können homosexuelle und heterosexuelle Partner in Luxemburg seit 2004 eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingehen.

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Bei einer Eheschließung76 im Ausland stellt sich zunächst die Frage, ob diese im Inland als formgültig anzuerkennen ist (siehe Art. 11 und 13 EGBGB).77 Die Form der Eheschließung beurteilt sich grundsätzlich alternativ nach dem Geschäfts- oder dem Ortsrecht. Danach kann eine Ehe beispielsweise allein durch kirchliche Trauung geschlossen werden, wenn dies der Ortsform genügt. Dem steht nicht entgegen, dass dies nach dem deutschen Heimatrecht der Verlobten nicht möglich wäre. Die in der Praxis derzeit häufig vorkommenden Eheschließungen in Dänemark oder in Las Vegas sind aus deutscher Sicht somit in aller Regel formwirksam. Eheschließungen (von deutschen Staatsangehörigen) im Ausland können auf Antrag vom Standes­ beamten im Eheregister beurkundet werden (siehe § 34 PStG). Die im Ausland geschlossenen Ehen müssen darüber hinaus im Inland auch inhaltlich anerkannt werden. Dies ist vor allem dann problematisch, wenn die Ehe im Ausland von den Grundprinzipien des deutschen Eherechts wesentlich abweicht. Beispiele dafür sind etwa Ehen mit mehreren Ehegatten oder Kinderehen.78 Solchen Ehen kann in Deutschland insbesondere dann die Anerkennung versagt werden, wenn ein Verstoß gegen Grundrechte vorliegt (vor allem Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG).79 Das wirksame Bestehen der Ehe und deren Anerkennung im Inland hat der Erwerber dem deutschen Finanzamt darzulegen und nachzuweisen. Im Ausgangsfall wurde die Ehe in Luxemburg jeweils formwirksam geschlossen. Nach deutschem Recht ist eine Ehe (bislang – Stand: Mai 2017) nur zwischen Mann und Frau zulässig. Gleichwohl dürfte einer im Ausland zwischen gleichgeschlechtlichen Ehegatten geschlossenen Ehe heute im Inland nicht mehr die Anerkennung versagt werden können. Eine Eheschließung, die in einem anderen EU-Mitgliedsstaat wirksam erfolgt ist, kann kaum gegen deutsche Grundrechte verstoßen. In Deutschland wird im Übrigen immer wieder darüber diskutiert, die Ehe auch für Ehegatten gleichen Geschlechts zu ermöglichen.80 Schließlich sind bei der Auslegung des Begriffs der Ehe nicht nur die Wertungen des deutschen Grundgesetzes (Art. 6 GG) und des Bürgerlichen Gesetzbuchs (§§ 1310 ff. BGB), sondern auch die weitergehenden Prinzipien der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 8 EMRK) zu berücksich­ tigen. Im Ergebnis sollte eine im Ausland wirksam geschlossene Ehe zwischen Ehe-

76 Entsprechendes gilt auch für die Begründung einer Lebenspartnerschaft im Ausland. 77 Siehe statt vieler G. Hohloch, in: Erman, 14. Aufl. 2014, Art. 13 EGBGB Rz. 56 ff.; Thorn, in: Palandt, 76. Aufl. 2017, Art. 13 EGBGB Rz. 19 ff., und aktuell Opris, ZErb 2017, 158. 78 Siehe dazu das Gesetz zur Bekämpfung von Kinderehen v. 17.7.2017, BGBl. I 2017, 2429. 79 Siehe dazu etwa die Rechtsprechungsübersichten bei G. Hohloch, in: Erman, 14. Aufl. 2014, Art. 6 EGBGB Rz. 31 ff. und Art. 13 EGBGB Rz. 9; Thorn, in: Palandt, 76. Aufl. 2017, Art. 6 EGBGB Rz. 18 ff. 80 Siehe dazu etwa die entsprechenden Gesetzesentwürfe des Bundesrats (BT-Drucks. 18/6655 v. 11.11.2015), von Bündnis 90/Die Grünen (BT-Drucks. 18/5098 v. 10.6.2015) und der Linken (BT-Drucks. 18/8 v. 23.10.2013). – Am 30.6.2017 hat der Bundestag der „Ehe für alle“ zugestimmt.

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gatten gleichen Geschlechts zumindest steuerrechtlich mit einer Lebenspartnerschaft nach deutschem Recht gleichgestellt werden.81 Entsprechendes gilt auch für Lebenspartnerschaften, die im Ausland zwischen Partnern gleichen Geschlechts begründet worden sind. Diese sind mit deutschen Lebenspartnerschaften vergleichbar, so dass dem Erwerber auch die entsprechenden Steuerbefreiungen zu gewähren sind. Schwieriger ist die Rechtslage dagegen bei den im Ausland begründeten Partnerschaften zwischen Partnern verschiedenen Geschlechts. Nach deutschem Recht können Partner verschiedenen Geschlechts außerhalb der Ehe keine förmliche Verbindung eingehen. Die deutsche Lebenspartnerschaft gilt bewusst nur für Partner gleichen Geschlechts. Gleichwohl kann solchen Partnerschaften nach ausländischem Recht nicht pauschal die (steuerliche) Anerkennung im Inland versagt werden.82 Eine rechtliche Vergleichbarkeit mit einer Ehe ist jedenfalls dann zu erwägen, wenn die Partnerschaft förmlich begründet worden ist (und damit rechtssicher nachweisbar ist) und mit ihr entsprechende Rechte einhergehen (insbesondere im Erb- und Pflichtteilsrecht). Nach luxemburgischem Recht wird der Partner bei der Erbschaftsteuer begünstigt, wenn die Partnerschaft im Zeitpunkt des Todes seit mindestens drei Jahren besteht und dem überlebenden Partner ein Vermächtnis zugewendet wird. Unter diesen Umständen sollte eine Gleichstellung auch im deutschen Erbschaftsteuerrecht möglich sein. Das wirksame Bestehen einer Ehe oder Lebenspartnerschaft ist nicht nur bei deren Begründung, sondern auch bei deren Beendigung zu prüfen. Ehescheidungen, die in EU-Mitgliedsstaaten (mit Ausnahme Dänemarks) erfolgt sind, werden im Inland grundsätzlich ohne weiteres anerkannt.83 Dagegen ist für die Anerkennung von Ehescheidungen, die in Drittstaaten (oder Dänemark) erfolgt sind, grundsätzlich84 die Durchführung eines förmlichen Verfahrens erforderlich (siehe §§ 107 ff. FamFG). Über die Anerkennung entscheidet in der Regel eine von der Landesjustizverwaltung benannte Stelle, meist ein Oberlandesgericht. Die förmliche Anerkennung dient zugleich als Nachweis gegenüber dem Finanzamt. Eine eigenständige Prüfung durch das Finanzamt ist dann entbehrlich.85 Im Ergebnis umfasst der Begriff der „Ehegatten“ und „Lebenspartner“ auch Ehen und Partnerschaften nach ausländischem Recht. Das deutsche Erbschaftsteuergesetz 81 Siehe dazu allgemein auch Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 15 Rz. 81 ff. (Zurückhaltung bei der Ablehnung von Rechtsbeziehungen nach ausländischem Recht). Ähnlich auch Stein, in: von Oertzen/Loose, 2017, § 15 ErbStG Rz. 11 f. (unter Hinweis auf Vertrauensschutzgesichtspunkte). 82 Siehe dazu auch Noll, in: Flick/Piltz, Der Internationale Erbfall, 2. Aufl. 2008, Rz.  1270, S. 368 (Einordnung wie einen Ehegatten in Steuerklasse I liegt nahe). 83 Siehe statt vieler Thorn, in: Palandt, 76. Aufl. 2017, Art. 2 Rom III Verordnung Rz. 3 ff. 84 Ausnahmen bestehen aufgrund von bilateralen Staatsverträgen zum Beispiel mit der Schweiz. 85 Siehe auch Stein, in: von Oertzen/Loose, 2017, § 15 ErbStG Rz. 15.

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nimmt insoweit gerade nicht auf Regelungen des deutschen Rechts Bezug (etwa §§  1310  ff. BGB und §§  1  ff. LPartG). Unter Berücksichtigung der Wertungen der Europäischen Menschenrechtskonvention (Art. 8 EMRK) sind daher auch andere Formen der Ehe und Partnerschaft als gleichwertig anzuerkennen. Die (förmliche und materielle) Anerkennung einer ausländischen Ehe oder Partnerschaft ist eine zivilrechtliche Vorfrage. Das Steuerrecht knüpft insoweit an das Zivilrecht an; es ist gewissermaßen zivilrechtsakzessorisch. Eine Änderung des Erbschaftsteuergesetzes ist insoweit nicht erforderlich. Gleichwohl ist die international privatrechtliche Frage der Anerkennung von ausländischen Ehen und Partnerschaften oftmals nicht ganz einfach zu klären. Die Finanzämter werden dazu oftmals aber nicht in der Lage sein. Aus Sicht der Beteiligten empfiehlt sich daher eine frühzeitige Beweisvorsorge. Mögliche Maßnahmen in diesem Zusammenhang sind etwa die (freiwillige) Anerkennung der ausländischen Ehe oder Partnerschaft im Inland, die Registrierung des Güterstands bei deutschen Standesämtern und Finanzbehörden sowie die (vorsorgliche) Vornahme einer entsprechenden Rechtswahl. Die frühzeitige Ausstellung und Hinterlegung von Personenstandsurkunden (samt Übersetzung, Beglaubigung und Apostillen bzw. Legalisationen) kann sich in der Praxis gleichfalls als hilfreich erweisen. c) Persönliche Freibeträge Beispiel 10:86 Die in Deutschland lebenden Ehegatten können keine Kinder bekommen. Ehemann und Ehefrau (vielfach auch als Wunsch- oder Bestelleltern bezeichnet) schließen daher mit einer in Kalifornien, USA lebenden Leihmutter einen Vertrag, wonach diese für die Ehegatten ein Kind austragen soll. Nach der Geburt des Kindes wird auf Antrag der Beteiligten von einem Gericht in Kalifornien festgestellt, dass die in Deutschland lebenden Ehegatten als Eltern des Kindes anzusehen sind, nicht aber die Leihmutter. Nach deutschem Recht ist ein Leihmutterschaftsvertrag unwirksam. Welche Steuerklasse gilt bei der deutschen Erbschaftsteuer zwischen den Wunsch- und Bestell­ eltern und dem Kind?

Im deutschen Erbschaftsteuerrecht richtet sich die Höhe der Steuerbelastung maßgeblich nach dem persönlichen Verhältnis zwischen dem Erblasser und dem Erwerber. Der Gesetzgeber trägt damit dem verfassungsrechtlichen Schutz von Ehe und Familie (Familienprinzip) Rechnung.87 Dabei werden heute drei Steuerklassen unterschieden (§ 15 Abs. 1 ErbStG). Die Steuerklassen sind u.a. von Bedeutung für den persönlichen Freibetrag (§ 16 ErbStG), den Versorgungsfreibetrag (§  17 ErbStG), einzelne sachliche Steuerbefreiungen (§  13 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG), den Steuersatz (§ 19 ErbStG) und bestimmte Steuerermäßigungen (§ 27 ErbStG). 86 Fall nach BGH, Beschluss v. 10.12.2014 − XII ZB 463/13, NJW 2015, 479 mit Anm. Heiderhoff (Wunsch- bzw. Bestelleltern waren allerdings zwei Männer, die in eingetragener Lebenspartnerschaft lebten). 87 BVerfG, Beschluss v. 22.6.1995 – 2 BvR 552/91, BVerfGE 93, 165 = BStBl. II 1995, 671.

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Das deutsche Erbschaftsteuergesetz knüpft für die Einteilung in die Steuerklassen an den Status als Ehegatte, Lebenspartner, Kinder, etc. an. Maßgebend sind allein die formalen Beziehungen zwischen den Beteiligten. Dagegen sind die tatsächlichen Verhältnisse, wie Vertrautheit, Fürsorge oder Zusammenleben aus Gründen der Rechtssicherheit insoweit ohne Bedeutung. Der Gesetzgeber hat die von ihm verwendeten Begriffe (Ehegatte, Lebenspartner, Kinder, etc.) nicht näher definiert, sondern als allgemein bekannt vorausgesetzt. Es wird nicht auf das Bürgerliche Gesetzbuch (siehe §§ 1310 ff., 1589 ff. BGB) oder andere Steuergesetze (z.B. den Begriff der Kinder in § 32 EStG) verwiesen. Im Regelfall orientiert sich das Erbschaftsteuerrecht an den Familien- und Verwandtschaftsverhältnissen des Bürgerlichen Gesetzbuchs.88 Mutter eines Kindes ist danach die Frau, die es geboren hat (§ 1591 BGB). Dies wäre hier alleine die Leihmutter und nicht auch die Wunsch-Mutter. Eine Anerkennung der Mutterschaft ist nicht vorgesehen. Danach würde das Kind im Verhältnis zur (kalifornischen) Leihmutter zur Steuerklasse I, im Verhältnis zur (deutschen) Wunsch-­ Mutter dagegen zur Steuerklasse III gehören. Vater eines Kindes ist nach deutschem Zivilrecht u.a. der Mann, der die Vaterschaft anerkannt hat (§ 1592 Nr. 2, § 1594 ff. BGB). Im Falle einer wirksamen Anerkennung der Vaterschaft würde somit zumindest im Verhältnis zu dem (deutschen) Wunsch-Vater Steuerklasse I gelten. Dem könnte allerdings entgegenstehen, dass Verträge über eine Leihmutterschaft nach deutschem Recht unwirksam sind. Entsprechende Vereinbarungen, die im Ausland wirksam geschlossen worden sind (z.B. wie hier in Kalifornien oder oftmals auch in der Ukraine) könnten daher im Inland nicht anzuerkennen sein. Der Bundesgerichtshof hat allerdings bereits entschieden, dass eine Leihmutterschaft jedenfalls dann nicht gegen den deutschen ordre public verstößt, wenn ein Wunschelternteil mit dem Kind genetisch verwandt ist. Eine ausländische Gerichtsentscheidung, die die Elternstellung den deutschen Wunsch-Eltern zuweist, ist demnach im Inland regelmäßig anzuerkennen (siehe §§ 108, 109 FamFG). Dann wäre aber nicht nur die Vaterschaft, sondern auch die Mutterschaft der deutschen Wunsch-Eltern anzuerkennen. Dies weicht vom deutschen Recht ab, wonach allein die Leihmutter als Mutter anzusehen ist. Die Anerkennung der ausländischen Entscheidung im Inland führt jedoch dazu, dass (auch) die Wunsch-Mutter als Mutter im Rechtssinne anzuerkennen ist. Richtigerweise gehört das Kind im Verhältnis zur deutschen Wunsch-Mutter zur Steuerklasse I. Das Kind hat dann zwei Mütter im Rechtssinne, so dass sowohl gegenüber der Leihmutter als auch gegenüber der Wunsch-Mutter die Steuerklasse I zur Anwendung kommen würde. Die rechtliche Mutterschaft der Wunsch-Mutter führt nicht 88 Allgemein zu neueren Entwicklungen im Abstammungsrecht Keuter, FamRZ 2017, 769, und der Abschlussbericht des Arbeitskreises Abstammungsrecht vom Juli 2017, Volltext im Internet unter www.bmjv.de.

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dazu, dass die biologische Mutterschaft der Leihmutter entfällt. Der deutsche Steuergesetzgeber hat für den Fall der Adoption ausdrücklich geregelt, dass die Steuerklasse I im Verhältnis zu den leiblichen Eltern auch dann zur Anwendung kommt, wenn das Verwandtschaftsverhältnis zivilrechtlich erloschen ist (§  15 Abs.  1a ErbStG und § 1755 BGB). Dieser Gedanke kommt auch hier zum Tragen und führt dazu, dass das Kind gegenüber beiden Müttern zur Steuerklasse I gehört. Im Ergebnis zeigt sich, dass für den erbschaftsteuerlichen Begriff des Kindes nicht zwingend allein das deutsche Zivilrecht maßgebend ist. Vielmehr ist eine eigenständige Auslegung geboten. Dabei sind auch die Entwicklungen im Familien- und Adoptionsrecht anderer (europäischer) Staaten zu berücksichtigen (siehe Art. 8 EMRK und Art. 6 GG). Erbschaftsteuerrechtlich ist es bereits heute möglich, dass ein Kind mehrere Eltern hat. Diese Fälle sind nicht auf Adoptionen89 und Väter90 beschränkt, sondern gelten auch für Mütter.91

IV. Fazit (1) Erbfälle mit Auslandsberührung haben in den letzten Jahren erheblich zugenommen  − Tendenz weiter steigend. Die Europäische Erbrechtsverordnung hat für das internationale Erbrecht neue Rahmenbedingungen geschaffen; das Steuerrecht blieb davon unberührt. Eine Anpassung des deutschen Erbschaftsteuergesetzes ist im Hinblick auf Erbfälle nach ausländischem Recht bislang nicht erfolgt. (2) Die Gerichte mussten sich bislang nur vergleichsweise selten mit Erbfällen nach ausländischem Recht befassen. Viele Fälle betrafen Trusts und Stiftungen nach ausländischem Recht, die zwischenzeitlich gesondert geregelt worden sind. Im Übrigen ist der Rechtsprechung nicht immer eine klare Linie zu entnehmen. Die künftige Entwicklung ist in vielen Fragen durchaus offen. (3) Der Bundesfinanzhof geht bislang davon aus, dass auch ein Erwerb nach ausländischem Erbrecht der deutschen Erbschaftsteuer unterliegt. Dabei soll auch die wirtschaftliche Bedeutung des Erwerbs zu berücksichtigen sein. (4) Der Jubilar hat bereits früh darauf hingewiesen, dass sich die Besteuerung mit der wirtschaftlichen Bedeutung eines Erwerbsvorgangs nicht begründen lässt. Notwendig ist vielmehr ein konkreter Vergleich zwischen dem deutschem und dem ausländischem Erbrecht im jeweiligen Einzelfall. Solche Rechtsvergleiche sind schwierig und 89 Zu Adoptionen mit Auslandsbezug siehe Jülicher, in: Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 15 ErbStG Rz. 43 ff. und Rz. 89 ff.; Stein, in: von Oertzen/Loose, 2017, § 15 ErbStG Rz. 24. 90 Siehe dazu Hessisches FG, Urteil v. 15.12.2016 − 1 K 1507/16, ZEV 2017, 288 mit Anm. von Oertzen (Steuerklasse I für die Zuwendung des biologischen, aber nicht rechtlichen Vaters an sein Kind). 91 Mit Fragen der rechtlichen, biologischen und sozialen Elternschaft hat sich u.a. auch die familienrechtliche Abteilung des 71. Deutschen Juristentags 2016 befasst. Siehe dazu das Gutachten von Helms und die Beschlüsse unter www.djt.de.

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aufwändig, aber gleichwohl unbedingt notwendig. In vielen Fällen wird die Einholung von Gutachten (in- und ausländischer) Sachverständiger unerlässlich sein. (5) Der Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung gilt gleichermaßen für alle Erbfälle. Gleichwohl wendet die Rechtsprechung den Grundsatz bislang vor allem bei Erwerben nach deutschem Erbrecht und nur selten (jedenfalls weniger streng) bei Erwerben nach ausländischem Erbrecht an. (6) Das Schuldprinzip gilt auch für die strafbewährte Erbschaftsteuer. Der Gesetzgeber muss daher insbesondere den Steuertatbestand klar und bestimmt regeln. (7) Ein Vergleich zwischen in- und ausländischen Rechtsinstituten kann auch bei Steuerbegünstigungen erforderlich sein. Dabei kann (zu Gunsten des Steuerpflichtigen) ein großzügiger Vergleichsmaßstab zugrunde gelegt werden. Besondere Schwierigkeiten bereiten Vergleiche des steuerfreien Vermögensausgleichs unter Ehegatten und Lebenspartnern. Eine fiktive Betrachtungsweise erscheint insoweit zulässig. (8) Die Anknüpfung des deutschen Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes an familiäre Beziehungen macht in vielen Fällen die Klärung zivilrechtlicher Vorfragen notwendig. Die Fortschritte in der Medizin (und die nachfolgenden Änderungen im Familien-, Adoptions- und Abstammungsrecht) führen dabei immer wieder zu neuen Fragestellungen, die mit dem traditionellen Begriffsverständnis von Ehe und Familie nicht ohne weiteres in Einklang zu bringen sind. (9) Erbfälle mit Auslandsberührung erfordern darüber hinaus auch Anpassungen im Bereich der Nachlassabwicklung. Der Testamentsvollstrecker hat in den meisten ausländischen Rechtsordnungen eine deutlich schwächere Stellung als im deutschen Recht, was auch bei den steuerlichen Pflichten berücksichtigt werden muss. (10) Das Erbschaftsteuerrecht wird sicherlich auch in Zukunft Gegenstand vieler Diskussionen sein. Es bleibt zu hoffen, dass der Jubilar sich daran noch viele Jahre aktiv beteiligen wird und damit seinen Beitrag zur freiheitsverbürgenden Funktion des Steuerrechts leistet.92

92 Für eine freiheitliche Besteuerungspraxis bereits Crezelius, Steuerrechtliche Rechtsanwendung und allgemeine Rechtsordnung. Grundlage für eine liberale Besteuerungspraxis, Herne/Berlin 1983 (zugleich Habilitation), und zuletzt Crezelius, DStR 2013, Beihefter zu Heft 51-52, 99, 109 (dort vor allem auch zur Bedeutung des Rechtsstaates für die Besteuerung).

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Aktuelle Entwicklungen bei der Besteuerung des Pflichtteils im Erbschaftsteuerrecht Inhaltsübersicht

I. Einführung

II. Steuersparende Grundgestaltung 1. Grundfall 2. Verzicht auf den Pflichtteil gegen Abfindung nach § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG 3. Ertragsteuerliche Chancen und Gefahren 4. Grunderwerbsteuerliche Folgerungen

III. Salto Mortale des BFH: Keine begünstigten Geschwisterzuwendungen mehr auf pflichtteilsrechtlicher Grundlage, BFH v. 10.5.2017 – II R 25/15 IV. Das Belastungsprinzip im Pflichtteilsrecht

V. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch

VI. Zusammenfassung

Der Jubilar, Prof. Georg Crezelius, ist ein vielfach literarisch ausgewiesener Experte des Pflichtteilsrechts und hat sich in vielen Fällen wissenschaftlich sowohl mit zivilrechtlichen als auch mit steuerrechtlichen Fragen des Pflichtteilsrechts beschäftigt.1 Daneben hat Prof. Crezelius sich selbstverständlich in seinem inzwischen zum Standardwerk avancierten Werk Unternehmenserbrecht, 2. Aufl. 2009, mit grundlegenden Fragen der steuerlichen Behandlung des Pflichtteils beschäftigt. Daher sollen zur Ehrung des Jubi­ lars aktuelle pflichtteilsrechtliche Probleme, insbesondere aus dem Blickwinkel der Gestaltungspraxis, näher beleuchtet werden.

I. Einführung Während der Pflichtteil zivilrechtlich für jeden Erblasser und Testamentsgestalter eher ein Hindernis, zumindest aber eine Herausforderung ist, so ist das Pflichtteilsrecht erbschaftsteuerrechtlich ein wichtiger und üblicher Baustein der Gestaltungspraxis, mit dem posthum steuerrechtlich verunglückte Testamente noch getuned werden können2. Gerade das in Deutschland so beliebte Berliner Testament ist bekanntlich 1 Siehe nur Crezelius, Pflichtteilsansprüche und Ertragsteuerrecht, JbFfSt 2011/2012, 699 ff.; Crezelius, Pflichtteilsanspruch zwischen Zivilrecht und Steuerrecht, Erbrecht und Vermögensnachfolge, FS für Manfred Bengel und Wolfgang Reimann zum 70. Geburtstag, 2012, 33  ff.; Crezelius, Erbschaftsteuerprobleme bei einem Pflichtteilsrecht, ZErb 2002, 142  ff.; ­Crezelius, Aktuelle Fragen der Vermögens- und Unternehmensnachfolge, Der Steueranwalt 2001, 55 ff.; Crezelius, Pflichtteilsabfindung und Erbschaftsteuer, BB 2000, 2333 ff. 2 Siehe Friedrich-Büttner/Herbst, Postmortale Gestaltungsmöglichkeiten im Erb(schaftsteuer)recht: Alternativen zur Ausschlagung, ZEV 2014, 593; Kanzleiter, Das Berliner Testament: immer aktuell und fast immer ergänzungsbedürftig, ZEV 2014, 225 ff.; Moench, Erbschaft-

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mit erheblichen erbschaftsteuerrechtlichen Nachteilen verbunden, weil sowohl die Freibeträge des vorverstorbenen Ehegatten gegenüber den Kindern verloren gehen, als auch das Vermögen beider Elternteile bei dem längerlebenden Elternteil akkumuliert wird, so dass beim Tode des Längerlebenden die aufaddierten Vermögensmassen beider Elternteile auf einen Schlag und ohne mehrfache Nutzung der Freibeträge nach §§ 16, 14 ErbStG auf die Folgegeneration übergehen. Die Nachteile eines solchen Berliner Testaments lassen sich auch nach dem Tod des erstversterbenden Elternteils abmildern, indem der längerlebende Ehegatte freiwillig die Pflichtteilsansprüche der gemeinschaftlichen Kinder erfüllt. Dies ist selbstverständlich auch bei einseitigen Kindern des vorverstorbenen Ehegatten möglich, erfolgt dann aber häufig weniger freiwillig.

II. Steuersparende Grundgestaltung 1. Grundfall Beispiel: Ein Erblasser hinterlässt ein Vermögen mit einem Reinwert von 2,4 Mio. Euro, das in seinem Todesfall durch ein Berliner Testament auf den längerlebenden Ehegatten übergeht. Ausschlagungsfristen wurden versäumt. Erst später entdeckt man die erbschaftsteuerlichen Wirkungen des Berliner Testaments. Die zwei gemeinschaftlichen Kinder haben noch nie einen Pflichtteilsverzicht erklärt und haben auch nichts unter Anrechnung auf Pflichtteilsansprüche vom vorverstorbenen Ehegatten erhalten. Die Pflichtteilsquote der beiden Kinder beträgt 1/8, wenn die Ehegatten im gesetzlichen Güterstand verheiratet waren. 1/8 von 2,4 Mio. Euro sind jeweils 300.000 Euro. Der längerlebende Ehegatte kann also 300.000 Euro an jedes Kind zur Erfüllung des Pflichtteils übertragen. Diese Zuwendung gilt als vom vorverstorbenen Elternteil stammend, mindert also nicht die Freibeträge des längerlebenden Ehegatten gegenüber den Kindern. Ferner kann der längerlebende Ehegatte diesen Gesamtbetrag von steuer-Belastung und Erbschaftsteuer-Ersparnis in der „Otto-Normal-Familie“, DStR 1987, 139; Mehne, Gestaltung des Erbschaftsteuerfalles nach dem Tode des Erblassers, BB 1988, 951; Moench, Zehn gut gemeinte Ratschläge zum Umgang mit der Erbschaft- und Schenkungsteuer, ZEV 1994, 353; Mayer, Wenn das Kind bereits in den Brunnen fiel – Möglichkeiten der Erbschaftsteuerreduzierung nach Eintritt des Erbfalls, DStR 2004, 1541; Berresheim, Steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten nach dem Tode des Erblassers, RNotZ 2007, 501; Brüggemann, Die unglückliche Testamentsanordnung  – Gestaltungsmöglichkeiten nach dem Erbfall, ErbBstg 2011, 129; Geck, Erleichterungen beim Berliner Testament: Geltendmachung des Pflichtteils nach Tod des Verpflichteten durch dessen Alleinerben, DStR 2013, 1368; Jülicher, Pflichtteilsansprüche im EStG und ErbStG  – steuersparende Überlegungen vor und nach dem Erbfall, ZErb 2014, 126; Wälzholz, Aktuelle Gestaltungsprobleme im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht  – insbesondere bei der Testamentsgestaltung, MittBayNot 2014, 417; Schothöfer, Die lebzeitige Vorbereitung der postmortalen Nachfolgegestaltung, DStR 2016, 2295; Geck, Gestaltungen zur Minderung der Erbschaftsteuer, KÖSDI 2015, 19239; s. auch Wälzholz in Viskorf/Schuck/Wälzholz, 5.  Aufl. 2017, §  3 ErbStG Rz. 103 ff.

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600.000  Euro von seinem Erwerb gegenüber dem vorverstorbenen Ehegatten be­ reicherungsmindernd abziehen3, so dass der längerlebende Ehegatte nur noch 1,8 Mio. Euro als erbschaftsteuerlichen Erwerb zu versteuern hat4. Erbschaftsteuerrechtlich kommt es dabei nicht darauf an, ob die Kinder den Pflichtteil gegen den Willen des Längerlebenden geltend gemacht haben oder ob der längerlebende Ehegatte den Pflichtteil freiwillig erfüllt hat5. Mit der freiwilligen Erfüllung ist die Zuwendung dann i.S.d. § 9 Abs. 1 Nr. 1b) ErbStG ausgeführt6. Dies gilt auch für den verjährten Pflichtteil7. Durch teilweises Geltendmachen8 eines Pflichtteilsanspruchs im Abstand von jeweils 10 Jahren kann bei einem ausreichend hohen Pflichtteilsanspruch der Freibetrag eines Erblassers nach §§  14, 16 ErbStG posthum mehrfach genutzt werden9. Maßgeblich für jede Teilgeltendmachung des zivilrechtlich einheiltichen Anspruchs ist insoweit § 9 Abs. 1 Nr. 1b) ErbStG. 2. Verzicht auf den Pflichtteil gegen Abfindung nach § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG Der Pflichtteil ist stets ein Baranspruch. Er wäre daher grundsätzlich durch Barzahlung zu erfüllen. In entsprechenden Gestaltungssituationen ist jedoch häufig anzutreffen, dass der längerlebende Ehegatte zwar substantielles Vermögen geerbt hat, aber nicht in der Lage ist, die entsprechenden Baransprüche durch Barzahlung zu erfüllen. Der Pflichtteil wird erbschaftsteuerrechtlich sowohl auf der Ebene des Pflichtteils­ berechtigten als auch auf der Ebene des Erben grundsätzlich erst mit der Geltend­ 3 Siehe auch Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 10 ErbStG Rz. 183 f.; Loose, Abzug von Vermächtnissen, Pflichtteils- und Zugewinnausgleichsansprüchen als Nachlassverbindlichkeit, ErbR 2016, 136  ff.; Meincke, Zur Abzugsfähigkeit von Pflichtteilsschulden, ZEV 2006, 199 ff.; v. Oertzen/Cornelius, Steuerrechtliche Gestaltungen mit und um das Pflichtteilsrecht, ErbStB 2006, 49 ff.; Riedel, Zur Abzugsfähigkeit von Pflichtteilslasten bei der Erbschaftsteuer, MittBayNot 2016, 207 ff. 4 Neben dem Abzug des fiktiven Zugewinns nach § 5 Abs. 1 ErbStG, der im Beispiel nicht weiter Berücksichtigung findet. 5 Dafür spricht auch die Möglichkeit des § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG, was gerade einen nicht geltend gemachten Plfichtteil voraussetzt. 6 Schuck in Viskorf/Schuck/Wälzholz, 5. Aufl. 2017, § 9 ErbStG Rz. 30 m.w.N.; Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 9 ErbStG Rz. 51, 66, der dies allerdings wohl als Fall des § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG ansieht – mit identischem Ergebnis. 7 Geck in Kapp/Ebeling, § 3 ErbStG Rz. 213.3 und ebendort § 10 Rz. 79; Uricher in Daragan/ Halaczinsky/Riedel, § 3 ErbStG Rz. 56; Gottschalk in Troll/Gebel/Jülicher, § 3 Rz. 232 und 226; Wälzholz in Viskorf/Schuck/Wälzholz, 5. Aufl. 2017, § 3 ErbStG Rz. 152. 8 Dies ist nach ganz h.M. möglich und steuerlich anzuerkennen, s. nur BFH v. 19.7.2006 – II R 1/05, FR 2006, 1096 m. Anm. Schlünder/Geißler, FamRZ 2006, 1526, FR 2006, 986, ZEV 2006, 514 m. Anm. Messner, NJW 2006, 3455; Geck in Kapp/Ebeling, § 3 ErbStG Rz. 213.2 und ders., ebendort § 9 Rz. 39. 9 Siehe bereits Wälzholz, Die (zeitliche) Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen – Zivilund steuerrechtliche Überlegungen aus Anlass aktueller Rechtsprechung, ZEV 2007, 162, 164; a.A. hingegen Geck in Kapp/Ebeling, § 3 ErbStG Rz. 198.1, da es sich stets um einen einheitlichen Erwerb handele.

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machung berücksichtigt10. Mit der Geltendmachung des Pflichtteils, also dem ­ernstgemeinten Verlangen der Auszahlung des Pflichtteils11 sind sämtliche Gestaltungsmöglichkeiten erloschen. Eine Ersetzung des Baranspruchs durch Sachleistung ist ab diesem Moment erbschaftsteuerlich nicht mehr möglich. Sogar der Erlass des Pflichtteilsanspruchs nach einer Geltendmachung ist eine freigebige Zuwendung des Kindes an den Pflichtteilsverpflichteten12. Nur der Verzicht auf den noch nicht geltend gemachten Pflichtteilsanspruch bzw. die Nichtgeltendmachung selbst sind erbschaftsteuerfrei13, § 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG. Sofern der Pflichtteil noch nicht geltend gemacht wurde, haben die Beteiligten die Möglichkeit, den Baranspruch durch eine Sachleistung zu ersetzen. Dies ist steuerrechtlich in § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG niedergelegt. Die Beteiligten können daher im Wege der vertraglichen Vereinbarung sich dahingehend einigen, dass beispielsweise das Kind auf den noch nicht geltend gemachten Pflichtteilsanspruch verzichtet und als Abfindung hierfür beispielsweise das selbstgenutzte Familienheim erhält und unverzüglich einzieht und dieses als Familienheim nutzt. Auf diese Weise kann beispielsweise die Erbschaftsteuerbefreiung nach § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG vom längerlebenden Ehegatten, der ggf. das große Haus nicht mehr bewohnen möchte, auf eines der Kinder transferiert werden. Dabei ist die 200 qm-Grenze Wohnraum für Kinder gem. § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG zu berücksichtigen. Ebenso können auf diese Art und Weise Mietwohnimmobilien gem. §  13d ErbStG oder betriebliche Einheiten gem. §§ 13a, 13b, 13c, 28a ErbStG auf das Kind als Gegenleistung für den Verzicht auf den noch nicht geltend gemachten Pflichtteilsanspruch übertragen werden. Nach herrschender Meinung führt die Vereinbarung des Verzichtes auf den noch nicht geltend gemachten Pflichtteil gegen Abfindung zu einem originären Erwerbsanspruch des Abfindungsvermögens. Daher kann das Kind dann ggf. die steuerlichen Begünstigungen für Mietwohnimmobilien nach § 13d ErbStG geltend machen oder auch die Betriebsvermögensbegünstigungen nach §§ 13a, 13b, 13c, 28a ErbStG nutzen14.

10 § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG, § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG. 11 Siehe BFH v. 31.3.2010 – II R 22/09, BStBl. II 2010, 806, FamRZ 2010, 1339, NotBZ 2011, 190; v. 19.7.2006 – II R 1/05, FR 2006, 1096 m. Anm. Schlünder/Geißler, FamRZ 2006, 1526, FR 2006, 986, ZEV 2006, 514 m. Anm. Messner; Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, §  3 ErbStG Rz.  224  ff.; Wälzholz in Viskorf/Schuck/Wälzholz, 5.  Aufl. 2017, §  3 ErbStG Rz. 152 ff. 12 BFH v. 19.7.2006 – II R 1/05, BStBl. II 2006, 718, FR 2006, 1096 m. Anm. Schlünder/Geißler, FamRZ 2006, 1526, FR 2006, 986; H.U. Viskorf in Viskorf/Schuck/Wälzholz, 5.  Aufl. 2017, § 13 ErbStG Rz. 121; Geck in Kapp/Ebeling, § 3 ErbStG Rz. 211. 13 H.U. Viskorf in Viskorf/Schuck/Wälzholz, 5. Aufl. 2017, § 13 ErbStG Rz. 121. 14 Ebenso Abschnitt  13b.1 Abs.  1 Nr.  7 AEErbStR 2017 vom 22.6.2017; s. auch Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, § 13a ErbStG Rz. 151; Geck in Kapp/Ebeling, § 13a ErbStG Rz. 107; Geck im Ergebnis aber dennoch für Begünstigung Geck in Kapp/Ebeling, §  13a ErbStG Rz. 7; zu den Anwendungserlassen vom 22.6.2017 s. auch Reich, BB 2017, 1879 ff.; Korezkij, DStR 2017, 1729 ff.; Eisele, NWB 2017, 2670 ff.; Höne, NWB-EV 2017, 265 ff.; Wälzholz, NWB-EV 2017, 275 ff.; s. auch Schulze-Osterloh, BB 2017, 427; Wehning, DStR 2017, 615 ff.; Hamminger, NWB 2016, 2359 ff.; Kahlert, BB 2016, 878; Frystatzki, DStR 2016, 2479 ff.

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3. Ertragsteuerliche Chancen und Gefahren Für entsprechende Abfindungsgestaltungen ist jedoch die ertragsteuerrechtliche „Nebenwirkung“ zu beachten. Für die Leistung an Erfüllung statt für einen privaten Anspruch ist anerkannt und vom BFH bereits entschieden worden, dass es sich insoweit um ein voll entgeltliches Veräußerungsgeschäft für den Erben handelt15. Die Verrechnung einer Sachwertabfindung mit dem auf Bargeld gerichteten Pflichtteilsanspruch führt also zu einem voll entgeltlichen, gewinnrealisierenden Veräußerungsgeschäft. Für ein Familienwohnheim i.S.d. § 13 Abs. 1 Nr. 4c ErbStG spielt dies meist keine Rolle, weil dieses regelmäßig nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 EStG aus der Besteuerung ausgeklammert ist16. Für Mietwohnimmobilien i.S.d. § 13d ErbStG kann die Entgeltlichkeit des Rechtsgeschäftes sogar zu einem verdoppelten Vorteil führen, soweit die Mietwohnimmobilie vor mehr als 10 Jahren angeschafft wurde, damit steuerfrei veräußert werden kann und bereits weitgehend abgeschrieben ist. Durch das Veräußerungsgeschäft kann beim Erwerber ein Anschaffungsgeschäft generiert werden, durch das eine neue Abschreibungsreihe in Gang gesetzt wird, während der Pflichtteilsverpflichtete den Veräußerungsgewinn außerhalb des § 23 EStG nicht zu versteuern hat. Soweit es sich hingegen um steuerverstricktes Betriebsvermögen i.S.d. § 16 EStG oder um Kapitalgesellschaftsanteile i.S.d. § 17 EStG oder § 20 Abs. 2 Nr. 1 EStG handelt, sollten entsprechende Gestaltungen mit Vorsicht genossen werden. Die ertragsteuerlichen Wirkungen bei steuerverstricktem Vermögen sind meist wesentlich nachteiliger, als die erbschaftsteuerrechtliche Ersparnis. 4. Grunderwerbsteuerliche Folgerungen Abwandlung: In Abwandlung zum vorstehenden Ausgangsbeispiel hat der vorverstorbene Elternteil nicht seinen Ehegatten, sondern seine nichteheliche Lebensgefährtin zur Erbin eingesetzt. Die Kinder des Vorverstorbenen möchten jetzt den Pflichtteil erhalten. Die Erbin (nichteheliche Lebensgefährtin) möchte den Pflichtteil jedoch nicht in bar auszahlen, sondern durch Grundstücksübertragung. Da nunmehr Grundbesitz von der nichtehelichen Lebensgefährtin an die Kinder des vorverstorbenen Vaters übertragen werden sollen, stellt sich hier die Problematik einer Grunderwerbsteuerpflicht. Da keine Verwandtschaftsverhältnisse zwischen der nichtehelichen Lebensgefährtin und den Kindern bestehen, kommen § 3 Nr. 4, Nr. 6 GrEStG als Grunderwerbsteuerbefreiung nicht in Betracht. Denkbar wäre lediglich die Anwendung des § 3 Nr. 2 GrEStG für Erwerbsvorgänge, die vorrangig dem ErbStG unterliegen. Soweit der Pflichtteilsanspruch im Wege der Leistung an Erfüllung statt i.S.d. § 364 BGB erfüllt wird, kann § 3 Nr. 2 GrEStG jedoch nicht eingreifen, da wei15 BFH vom 16.12.2004 – III R 38/00, BStBl. II 2005, 554, NotBZ 2005, 268, GmbHR 2005, 638, s. dazu Tiedtke/Langheim, FR 2007, 368 ff. 16 S. dazu BMF vom 5.10.2000, MittBayNot 2000, 581, Rz. 16 f.; Sauren, DStR 2000, 60 ff.; Risthaus, DB 1999, 1032 ff.

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terhin der Baranspruch erschaftsteuerrechtlich der Besteuerung zugrunde gelegt wird17. Sofern jedoch die Kinder auf den Pflichtteilsanspruch verzichten und dafür als Abfindung gem. § 3 Abs. 2 Nr. 4 GrEStG Grundbesitz erhalten, so handelt es sich um den originären erbschaftsteuerpflichtigen Erwerb des Grundbesitzes gem. § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG, so dass daher auch § 3 Nr. 2 GrEStG den Grundstückserwerb von der Grunderwerbsteuer befreit.

III. Salto Mortale des BFH: Keine begünstigten Geschwister­ zuwendungen mehr auf pflichtteilsrechtlicher Grundlage, BFH v. 10.5.2017 – II R 25/15 Bisher konnten sowohl durch lebzeitige Pflichtteilsabfindungen als auch durch Erbschaftsverträge nach § 311b Abs. 4, Abs. 5 BGB Zuwendungen zwischen Geschwistern auf der Grundlage der Steuerklasse I gestaltet werden. Diesen Gestaltungsmöglichkeiten hat der BFH durch Änderung seiner seit 1977 bestehenden Rechtsprechung18 einen Riegel vorgeschoben. Die Besteuerung der Abfindung, die ein künftiger gesetzlicher Erbe an einen anderen Erben für den Verzicht auf einen künftigen Pflichtteilsanspruch zahlt, richtet sich nach der zwischen den Erben maßgebenden Steuerklasse, also regelmäßig Steuerklasse II. Damit gibt der BFH seine bisherige Rechtsprechung auf19. Vielmehr legt der BFH nunmehr für entsprechende Zuwendungen das Zuwendungsverhältnis zwischen dem Zuwendenden und dem Zuwendungsempfänger zugrunde. Sofern ein Kind gegenüber seinen Eltern einen Pflichtteilsverzicht abgegeben hatte und ein Geschwisterkind die Abfindung für diesen Verzicht leistete, so wurde dem die Steuerklasse I zugrunde gelegt, weil bei Enterbung des verzichtenden Kindes und Leistung des Pflichtteils vom anderen Geschwister an das nun verzichtende Kind auch der Steuerklasse I unterlegen hätte. Die gleichen Grundsätze galten nach einer BFH-Entscheidung von 2001 für den Fall des Abschlusses eines Erbschaftsvertrages i.S.d. § 311b BGB, womit Geschwister Verpflichtungen über zukünftige Pflichtteilsansprüche eingegangen sind. Diese Rechtsprechung unterzieht der BFH nunmehr einer neuerlichen Kontrolle und gelangt zu einem abweichenden Ergebnis. Bisher hat der BFH sich dogmatisch vor allem darauf gestützt, dass bei Enterbung des Verzichtenden und späterer Pflichtteilszahlung auch die Steuerklasse I zur Anwendung gekommen wäre. Nunmehr weist der konkret zu entscheidende Fall systematische Probleme der bisherigen BFH-Recht17 BFH v. 7.10.1998 – II R 52/96, BStBl. II 1999, 23, FR 1999, 663 m. Anm. Viskorf; ebenso beim Pflichtteilsergänzungsanspruch: BFH v. 10.7.2002 – II R 11/01, BStBl. II 2002, 775, FamRZ 2003, 451; bestätigt durch BFH v. 29.9.2015 – II R 23/14, BStBl. II 2016, 104, FamRZ 2016, 467 (zum Abfindungsanspruch nach Höfeordnung). 18 BFH v. 25.5.1977 – II R 136/73, BStBl. II 1977, 733; v. 16.5.2013 – II R 21/11, BStBl. II 2013, 922; v. 25.1.2001 – II R 22/98, BFHE 194, 440, BStBl. II 2001, 456, FR 2001, 422 m. Anm. Kempermann. 19 Die bisherigen Urteile waren BFH v. 16.5.2013 – II R 21/11, BStBl. II 2013, 922; v. 25.5.1977 – II R 136/73, BStBl. II 1977, 733; v. 25.1.2001 – II R 22/98, BFHE 194, 440, BStBl. II 2001, 456, FR 2001, 422 m. Anm. Kempermann.

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sprechung auf, so dass der BFH sich genötigt sieht, seine bisherige Rechtsprechung aufzugeben. −− Haben die Eltern dem verzichtenden Kind innerhalb der letzten 10 Jahre bereits jeweils 400.000  Euro zugewandt, so kann durch die Zuwendung durch den Geschwister nochmals ein weiterer 400.000 Euro-Freibetrag genutzt werden. Sofern mehrere Geschwister vorhanden wären, könnte der Freibetrag von 400.000 Euro entsprechend der Anzahl der Geschwister zusätzlich vervielfacht werden. −− Die Zuwendungen durch die Eltern und die Zuwendungen durch das Geschwisterkind sind keine Zuwendungen durch dieselbe Person, so dass insoweit eine Zusammenrechnung nach § 14 ErbStG ausscheidet und dadurch die Vorschrift des § 14 ErbStG systemwidrig umgangen werden könnte. Die Dogmatik des BFH würde es auch nicht rechtfertigen, die Zuwendung der Geschwister als eine Zuwendung der Eltern anzusehen und insoweit § 14 ErbStG extensiv auszudehnen. Weil daher durch die frühere Rechtsprechung des BFH systemwidrige Wertungswidersprüche entstehen würden, sah der BFH sich genötigt, die bisherige, Jahrzehnte alte Rechtsprechung aufzugeben. Für die Vertragsgestaltungspraxis ist damit dieses Kapitel zu schließen. Steuerlich begünstigte Geschwisterzuwendungen auf dieser Grundlage können daher in Zukunft nicht mehr praktiziert werden. Die Entscheidung des BFH ist zweifelhaft; sinnvoller wäre es gewesen, die Zuwendung konsequent als Zuwendung der Eltern anzusehen und diesen Gedanken auch im Rahmen der §§ 14, 16 ErbStG konsequent zu Ende zu denken. Dann hätte § 14 ErbStG der weiteren Anwendung der bisherigen Rechtsprechung auch nicht entgegen gestanden und hätte die BFH-Rechtsprechugn auch nicht zu ungerechtfertigten Steuervorteilen geführt. Nach dem neuerlichen Rechtsprechungswandel wird man den Mandanten eher zu Gestaltungen von Todes wegen raten müssen wie z.B. Verschaffungsvermächtnissen, da sich so die gleichen Ziele weiterhin erreichen lassen.

IV. Das Belastungsprinzip im Pflichtteilsrecht In den vergangenen Jahrzehnten hatte der BFH ursprünglich immer den Abzug von Pflichtteilsverbindlichkeiten beim Erben nur nach dem sog. Belastungsprinzip zugelassen20. Symptomatisch war insoweit die Entscheidung des BFH vom 27.6.200721. 20 Siehe dazu BFH v. 31.3.2010 – II R 22/09, BStBl. II 2010, 806 (Stundung eines Pflichtteils bis zum Tode des längerlebenden Elternteils; mangels Belastung keine Geltendmachung, so in Rz. 15), FamRZ 2010, 1339, NotBZ 2011, 190; BFH v. 27.6.2007 – II R 30/05, BStBl. II 2007, 65, FR 2007, 1080, FamRZ 2007, 1736, NotBZ 2007, 337; aufweichend auch schon BFH v. 2.3.2011 – II R 5/09, BFH/NV 2011, 1147; s. auch Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 3 ErbStG Rz. 224; Wälzholz, Schenkungsangebot an die Kinder auf den Tod des längerlebenden Ehegatten, NotBZ 2010, 252 ff. 21 BFH v. 27.6.2007 – II R 30/05, BStBl. II 2007, 65, FR 2007, 1080, FamRZ 2007, 1736, NotBZ 2007, 337.

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Dem Sachverhalt lag ein typisches Berliner Testament zugrunde, bei dem der längerlebende Ehegatten zum Alleinerben und die Kinder zum Schlusserben eingesetzt wurden. Nach dem Eintritt des ersten Todesfalles vereinbarten die Kinder mit dem überlebenden Ehegatten einen Verzicht auf den bereits entstandenen Pflichtteil am Nachlass des vorverstorbenen Ehegatten. Als Gegenleistung hierfür sollte eine Abfindung gezahlt werden, die jedoch erst mit dem Tode des längerlebenden Ehegatten fällig werden sollte. Einen Abzug dieser Abfindungsverpflichtung als Nachlassverbindlichkeit i.S.d. § 10 Abs. 5 Nr. 1 ErbStG lehnte der BFH ab, weil diese Abfindungsverpflichtigungen für den überlebenden Ehegatten keine wirtschaftliche Belastung darstellten. Eine bloße Abzinsung der Abfindung nahm der BFH nicht vor. Dieses Belastungsprinzip hat der BFH auch in anderen Fällen bestätigt.22 Die Gestaltungspraxis musste daher bei allen steuersparenden Gestaltungen rund um das Berliner Testament einerseits die Klippe des § 6 Abs. 4 ErbStG umschiffen und andererseits das sog. Belastungsprinzip beachten. Von diesem Belastungsprinzip hat jedoch der BFH23 nunmehr eine wesentliche Ausnahme zugelassen: Verstirbt bei einem Berliner Testament der erste Ehegatte und verstirbt der zweite Ehegatte innerhalb von 3  Jahren, also vor Verjährung des Pflicht­ teilsanspruchs des Kindes gegen den längerlebenden Elternteil, so kann das alleinerbende Kind unter Beruffung auf § 10 Abs. 3 ErbStG später gegen sich selbst den Pflichtteilsanspruch geltend machen, den es gegen den längerlebenden Elternteil noch hätte geltend machen können. Eine Belastung hat dies für den längerlebenden Elternteil gewiss nicht bedeutet. Hierzu genügte die bloße Erklärung gegenüber dem Finanzamt, er mache den Anspruch geltend24. Der BFH betonte dabei den besonde22 BFH v. 15.5.2009 – II B 155/08, BFH/NV 2009, 1441; v. 24.3.1999 – II R 34/97, BFH/NV 1999, 1339; v. 31.3.2010 – II R 22/09, BStBl. II 2010, 806 (Stundung eines Pflichtteils bis zum Tode des längerlebenden Elternteils; mangels Belastung keine Geltendmachung, so in Rz. 15), FamRZ 2010, 1339, NotBZ 2011, 190. 23 BFH v. 19.2.2013 – II R 47/11, BStBl. II 2013, 332, FamRZ 2013, 1127 m. Anm. Mensch, FamRZ 2013, 700; s. dazu Geck, Erleichterungen beim Berliner Testament: Geltendmachung des Pflichtteils nach Tod des Verpflichteten durch dessen Alleinerben  – BFH v. 19.2.2013 – II R 47/11, FamRZ 2013, 1127 m. Anm. Mensch, FamRZ 2013, 700, DStR 2013, 1368; Tölle, Erbschaftsteuerliche Optimierung durch Pflichtteilsgestaltung – Steuergestaltung nach dem Erbfall, NWB 2013, 227; Zehentmeier, Geltendmachung des Pflichtteils nach Tod des Verpflichteten durch Alleinerben – Anmerkung zum BFH, Urt. v. 19.2.2013 – II R 47/11, FamRZ 2013, 1127 m. Anm. Mensch, FamRZ 2013, 700, NWB 2013, 3309; Billig, Zur erbschaftsteuer- und schenkungsteuerrechtlichen Bedeutung des Pflichtteilsanspruchs, UVR 2014, 314; Wolfer, Die gleichzeitige Geltendmachung von Erbenstellung und Pflichtteilsanspruch, ZEV 2016, 245; Riedel, Zur Abzugsfähigkeit von Pflichtteilslasten bei der Erbschaftsteuer, MittBayNot 2016, 207; Loose, Abzug von Vermächtnissen, Pflichtteils- und Zugewinnausgleichsansprüchen als Nachlassverbindlichkeit, ErbR 2016, 136; Carle, Pflichtteil im Steuerrecht: Gestaltungen, Steueroptimierung, KÖSDI 2016, 19773; Holler, Pflichtteil im Erbschaftsteuerrecht – allgemeiner Überblick mit Gestaltungsempfehlungen, ZNotP 2015, 202; Geck, Gestaltungen zur Minderung der Erbschaftsteuer, KÖSDI 2015, 19239. 24 BFH v. 19.2.2013 – II R 47/11, BStBl. II 2013, 332, FamRZ 2013, 1127 m. Anm. Mensch, FamRZ 2013, 700.

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ren Umstand des Sachverhaltes, dass der Pflichtteilsanspruch im Zeitpunkt der Mitteilung an das Finanzamt noch nicht verjährt war. Als Folgefrage ergab sich daher aber notwendigerweise die Überlegung, ob dies auch zu gelten habe, wenn der Pflichtteil bereits verjährt sei. In der Folge bejahte das FG Schleswig-Holstein25 in seiner Entscheidung vom 4.5.2016 – 3 K 148/15 diese Frage und ließ die Geltendmachung eines bereits verjährten Pflichtteilsanspruchs durch einen Alleinerben zu, obwohl der Anspruch bereits verjährt war. Diese Schuld konnte als Nachlassverbindlichkeit vom Erwerb abgezogen werden und war dementsprechend als Erwerb vom vorverstorbenen Ehegatten zu versteuern. Ferner musste konsequenterweise auch die Erbschaftsteuerung des längerlebenden Ehegatten unter Berücksichtigung des geltend gemachten Pflichtteils neu aufgerollt werden. So großartig die Ausgangsentscheidung des BFH vom 19.2.201326 aus Sicht der Gestaltungspraxis sein mag, so unzutreffend ist sie. Für die Gestaltungspraxis ließ sich diese Möglichkeit uneingeschränkt nutzen, indem der Pflichtteilsanspruch zunächst bis zum Ableben des längerlebenden Ehegatten gestundet27 wird und dadurch die Verjährung nicht eintreten kann28. Mit dem FG Schleswig-Holstein jedoch die Geltendmachung eines verjährten Anspruchs gegen sich selbst, der zivilrechtlich durch Konfusion erloschen ist, als Nachlassverbindlichkeit anzuerkennen, widerspricht jeglicher Systematik des Erbschaftsteuerrechtes. Der Nachlass des vorverstorbenen Ehegatten wurde in keiner Weise beschwert. Zumindest der verjährte Pflichtteilsanspruch kann daher m.E. nicht mehr zum Abzug zugelassen werden29. Gleichzeitig hat der BFH nunmehr mit den Folgen seiner Rechtsprechung zu kämpfen, durch die nunmehr das Gebäude einer systemkonformen, in sich stimmigen Erbschaftsbesteuerung des Pflichtteils ins Wanken gerät. So sah er sich in seiner Entscheidung vom 7.12.201630 genötigt, den bloßen Erbanfall einer Pflichtteilsforderung als Nachlassbestandteil im Todesfall des Pflichtteilsberechtigten als steuerpflichtigen Erwerb anzusehen, selbst wenn dieser Pflichtteil nie geltend gemacht worden wäre. Dies vermag nicht zu überzeugen31. Der Gesetzgeber hat in § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG und 25 Revision beim BFH unter Az. II R 17/16. 26 BFH v. 19.2.2013 – II R 47/11, BStBl. II 2013, 332, FamRZ 2013, 1127 m. Anm. Mensch, FamRZ 2013, 700. 27 Siehe zu einem vergleichbaren Fall den der BFH 2007 noch abgelehnt hatte BFH v. 27.6.2007 – II R 30/05, BStBl. II 2007, 651. Alternative: Verzicht auf die Einrede der Verjährung durch den längerlebenden Ehegatten, FR 2007, 1080, FamRZ 2007, 1736, NotBZ 2007, 337. 28 Ebenso mit Hinweisen zur Verjährungsverlängerung Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 3 ErbStG Rz. 224. 29 Ebenso FG Hessen v. 3.11.2015 – 1 K 1059/14, Revision beim BFH unter Az. II R 1/16; s. dazu auch Geck in Kapp/Ebeling, § 10 ErbStG Rz. 78 f. 30 BFH v. 7.12.2016 – II R 21/14, FamRZ 2017, 833, FR 2017, 652, DStR 2017, 724; s. dazu auch Geck in Kapp/Ebeling, § 10 ErbStG Rz. 79. 31 So bereits Wälzholz, BFH v. 7.12.2016 – II R 21/14, FamRZ 2017, 833, FR 2017, 652, NZG 2017, 552. Ohne Kritik hingegen Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, §  3 ErbStG Rz. 226; dogmatisch überzeugend nach Wachter, ZEV 2017, 285, 286 (für eine Lösung über die Bewertung des Anspruchs).

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§ 10 Abs. 5 ErbStG sowie § 13 Abs. 1 Nr. 11 ErbStG deutlich zum Ausdruck gebracht, dass Pflichtteilsansprüche und Verbindlichkeiten erst ab einer Geltendmachung zu berücksichtigen sein sollen. Dass dies nicht gelten soll, wenn der Erbe eines Pflichtteilsberechtigten den entsprechenden Pflichtteilsanspruch erwirbt, ist der Systematik des Gesetzes in keiner Weise zu entnehmen. Gemildert wird diese Fehlentwicklung der Rechtsprechung lediglich dadurch, dass ein verjährter Pflichtteilsanspruch als Nachlassbestandteil als wertlos zu betrachten sein wird und daher die vorstehend geschilderte Problematik des BFH v. 7.12.2016 – II R 21/14, DStR 2017, 724 sich nur bei nicht verjährten Pflichtteilsansprüchen als Nachlassbestandteil stellen dürfte. Das FG Baden-Württemberg32 hat es in der Folge der vorstehenden BFH-Rechtsprechung anerkannt, wenn ein Kind eine Abfindung für den Verzicht auf den Pflichteilsanspruch mit seiner Mutter vereinbart, diese Abfindung aber bis zum Ableben der Pflichtteilsverpflichteten gestundet wird. So lässt sich eine Pflichtteilsgestaltung ohne Auszahlung und damit ohne Liquiditätsabfluss beim Pflichtteilsverpflichteten erreichen33.

V. Der Pflichtteilsergänzungsanspruch Ungeklärt und seit vielen Jahren unentschieden ist die Frage, ob auch der geltend gemachte Pflichtteilsergänzungsanspruch i.S.d. § 2325 BGB einen Erbschaftsteuertatbestand nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG erfüllt.34 Crezelius hält es hier für möglich, dass der Pflichtteilsergänzungsanspruch keiner Besteuerung nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG unterliegt, weil der Pflichtteilsergänzungsanspruch zivilrechtlich vom Pflichtteilsanspruch zu unterscheiden sei und der Pflichtteilsergänzungsanspruch weder in §  3 Abs. 1 Nr. 1 noch in § 3 Abs. 2 Nr. 4 ErbStG erwähnt werde.35 Da der Gesetzgeber nur den Pflichtteilsanspruch ausdrücklich erwähnt, den Pflichtteilsergänzungsanspruch und aber auch alle anderen Nebenansprüche des Pflichtteilsrechts, wie die Auskunftsansprüche, den Zusatzpflichtteil und dergleichen nicht erwähnt, ist im Wege der Auslegung davon auszugehen, dass der Gesetzgeber mit dem Begriff des Pflichtteilsanspruchs i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG auch alle Nebenansprüche und selbständigen Bestandteile des Pflichtteilsrechts i.S.d. §§  2303  ff. BGB gemeint hat. Dafür spricht auch der umfassende Verweis auf die §§ 2303 ff. BGB im Gesetzeswortlaut des § 3 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG. Im spiegelbildlichen Anwendungsbereich des § 10 Abs. 5 Nr. 2 ErbStG – also bei der Abzugsfähigkeit auf der Ebene des Erben – ist im Übrigen anerkannt, dass der Erbe 32 FG Baden-Württemberg v. 29.7.2015 – 7 K 1250/13, EFG 2015, 1821 (unter faktischer Aufgabe des Belastungsprinzips). 33 Siehe auch Wälzholz in Viskorf/Schuck/Wälzholz, 5. Aufl. 2017, § 3 ErbStG Rz. 152. 34 Siehe dazu Crezelius, Unternehmenserbrecht, 2.  Aufl. 2009, Rz.  109; gegen eine Tatbestandsmäßigkeit des Pflichtteilsergänzungsanspruchs auch Geck in Kapp/Ebeling, ErbStG, § 3 ErbStG Rz. 226. 35 A.A. bereits Wälzholz in Viskorf/Schuck/Wälzholz, 5. Aufl. 2017, § 3 Rz. 150; s. auch Loose in v. Oertzen/Loose, ErbStG, 2017, § 3 Rz. 74.

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Aktuelle Entwicklungen bei der Besteuerung des Pflichtteils

auch Pflichtteilsergänzungsansprüche als Nachlassverbindlichkeiten bereicherungsmindernd berücksichtigen kann36. Auch dies spricht für eine korespondierende Behandlung beim Anspruchsinhaber.

VI. Zusammenfassung Der Pflichtteil ist ein weitgehend unverändertes Rechtsinstitut, das seit dem Jahre 1900 einen festen Bestandteil des zivilen Erbrechts darstellt. Auch die erbschaftsrechtliche Besteuerung ist gesetzlich grundsätzlich seit Jahrzehnten unverändert geregelt. Umso überraschender ist es, dass der BFH in den letzten Jahren einen unsteten Kurs gefahren ist und gerade im Bereich des Pflichtteilsrechts zahlreiche revolutionäre Entscheidungen, mit denen man kaum rechnen konnte, gefällt hat. Die Aufgabe des Belastungsprinzips im Pflichtteilsrecht war überraschend, für die Gestaltungspraxis jedoch grundsätzlich positiv. Dass spiegelbildlich dazu nun aber auch Forderungen auf Auszahlung des Pflichtteils als Nachlassbestandteil steuerpflichtig sein sollen, selbst wenn sie gar nicht geltend gemacht wurden, ist hingegen überraschend und abzulehnen. Die systematisch im Jahre 1977 begründete Entwicklung, wonach die Abfindung von Pflichtteilsansprüchen zu Lebzeiten nicht anders besteuert werden kann als die posthume Erfüllung von Pflichtteilsansprüchen, hat der BFH ebenfalls ohne Not aufgegeben. Der Gestaltungspraxis werden hierdurch wesentliche Gestaltungsmöglichkeiten zur Gestaltung begünstigter Geschwisterzuwendungen aus der Hand geschlagen. Die Vertragsgestaltungspraxis wird daher speziell die Entscheidung37 vom 7.12.2016 sehr vermissen. Der BFH hätte m. E. besser daran getan, die Freibetragsausnutzung i.S.d. § 14 ErbStG von Eltern und Geschwistern zusammenzurechnen, statt die Rechtsprechung insgesamt aufzugeben. Die Vertragsgestaltungspraxis wird sich nunmehr wieder mehr auf Verfügungen von Todes wegen und die Gestaltung von Verschaffungsvermächtnissen fokussieren müssen, um vergleichbare Ergebnisse zu erzielen. Das Pflichtteilsrecht steht nach alledem vor großen Herausforderungen der steuerrechtlichen Systematisierung. Es bleibt zu hoffen, dass der Jubilar, Prof. Dr. Georg Crezelius, noch viele Jahre mit mahnendem Finger und kreativen Beiträgen das Erbschaftsteuerrecht bereichern und zur systematischen Ordnung beitragen wird, nicht zuletzt auch in Fragen der erbschaftsteuerrechtlichen Behandlung des Pflichtteilsrechts.

36 Gebel in Troll/Gebel/Jülicher/Gottschalk, § 10 ErbStG Rz. 184; so auch Geck in Kapp/Ebeling, §  3 ErbStG Rz.  226; s. auch für eine Abfindungszahlung für den Pflichtteilsergänzungsanspruch BFH v. 8.10.2003 – II R 46/01, BStBl. II 2004, 234, FamRZ 2004, 875, FR 2004, 488, ZEV 2004, 124. 37 BFH v. 7.12.2016 – II R 21/14, FamRZ 2017, 833, FR 2017, 652, DStR 2017, 724.

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Der Vertrieb von Wert-Gutschein derzeit ein umsatzsteuerliches Nullum? Inhaltsübersicht

I. Einleitung

II. Aufsichtsrechtliche Restriktionen beim Handel mit Gutscheinen



III. Rechtliche Ausgestaltung des Vertriebs von Gutscheinen 1. Überblick 2. Vertrieb von Gutscheinen „im eigenen Namen“ 3. Vertrieb des Gutscheins „in fremdem Namen“ 4. Vertrieb von Gutscheinen auf eigene oder fremde Rechnung



IV. Umsatzsteuerrechtliche Beurteilung vor Anpassung an die Umsatzsteuersystemrichtlinie 1. Verkauf des Gutscheins durch den ­Herausgeber unmittelbar an den ­Endkunden 2. Vertrieb von Gutscheinen a) EuGH-Urteil in der Rechtssache Astra Zeneca b) EuGH-Urteil in der Rechtssache ­Lebara



c) Rechtsprechung des BFH d) FG 3. Ansichten in der Finanzverwaltung a) OFD Magdeburg b) OFD Karlsruhe c) OFD Frankfurt/M. d) OFD Niedersachsen e) BMF 4. Stellungnahme a) Verkauf von Gutscheinen durch den Herausgeber an Endkunden b) Vertrieb von Gutscheinen in ­fremdem Namen und auf fremde Rechnung c) Vertrieb von Gutscheinen in ­eigenem Namen und auf eigene Rechnung V. Änderung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie 1. Definition des Gutscheins 2. Einzweck-Gutschein 3. Mehrzweck-Gutschein 4. Zeitliche Anwendung und Umsetzung 5. Stellungnahme

I. Einleitung Als Wert-Gutschein (nachfolgend: Gutschein) werden solche Gutscheine bezeichnet, die zu einer Lieferung von Waren oder zu einem Bezug von Dienstleistungen berechtigen1. In der Beratungspraxis wurde in der Vergangenheit nicht nur gelegentlich die Ansicht vertreten, dass die Herausgabe und auch der Handel mit Gutscheinen ein nicht umsatzsteuerbarer Vorgang ist. Insoweit ist die Frage naheliegend, ob der Handel mit Wert-Gutscheinen ein Nullum ist. Ein solches Nullum liegt vor, wenn ein 1 Vgl. OFD Niedersachsen v. 17.1.2011 – S 7100 - 779 - St 171, UR 2011, 762; OFD Magdeburg v. 2.5.2006 – S - 7200 - 179 - St 244, USTK § 10 Abs. 1 UStG Karte 10, beide auch mit Beispielen; zu den in diesem Beitrag nicht behandelten Warengutscheinen, die im Fall des Bezugs von Ware einen Rabatt einräumen z.B. Forster, UStB 2000, 23.

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Tatbestand oder eine Handlung rechtlich nicht oder nicht mehr existent ist und daher auch keinerlei Rechtswirkung entfaltet2. In Anbetracht des Umfangs der sich im Wirtschaftskreislauf befindlichen Gutscheine wäre ein Nullum nicht nur aus fiskalischer Sicht ungewöhnlich, zumal bei dem Handel mit Gutscheinen von Unternehmen Umsätze erzielt werden. Soweit ersichtlich, wurde von der EU Kommission das Gutscheinvolumen innerhalb der EU schon im Jahr 2012 i.H.v. 52 Mrd. Euro3 allein für Telekommunikationsgutscheine beziffert. Im Weihnachtsgeschäft des Jahres 2011, 2014 und 2016 wurde in Deutschland ein Gutscheinvolumen von 1,4 Mrd. Euro, 1,75 Mrd. Euro und 1,69 Mrd. Euro prognostiziert4. Nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der weiter expandierenden Finanztechnologiebranche, kurz: FinTech5, die auch den Vertriebskanal von Gutscheinen für deren weitere Expansion nutzt, wird mit einem entsprechenden Volumen oder einem weiteren Anstieg von Gutscheinen zu rechnen sein. Angesichts dieser wirtschaftlichen Bedeutung der Absatzförderung durch Gutscheine ist es überraschend, dass die Umsatzbesteuerung des Vertriebs von Gutscheinen in der Fachliteratur, soweit ersichtlich mit nur wenigen Ausnahmen6, bislang keine Beachtung gefunden hat. Ein Grund für die Schwierigkeit in der umsatzsteuerrechtlichen Beurteilung des Handels von Gutscheinen liegt darin begründet, dass zum einen zumeist drei oder mehr Vertragsparteien in den Vertrieb involviert sind und zum anderen, dass die zivilrechtliche Ausgestaltung der Vertragsbeziehungen beim Handel mit Gutscheinen unterschiedlich ist. Insofern ist die umsatzsteuerrechtliche Behandlung des Handels mit Gutscheinen ein Beispiel dafür, dass die umsatzsteuerrechtliche Einordnung eines Sachverhalts, einer vorgelagerten Analyse der zivilrechtlichen Vereinbarungen bedarf. Umsatzsteuerrechtlich ist es unstreitig, dass die Bestimmung des Leistenden und des Leistungsempfängers regelmäßig den zivilrechtlichen Rechtsbeziehungen entnommen werden kann7. Ebenso liegt nach ständiger Rspr. ein steuerbarer Leistungsaustausch vor, wenn zwischen dem Unternehmer und dem Leistungsempfänger ein Rechtsverhältnis besteht, das einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Leistung und Entgelt begründet, so dass das Entgelt als Gegenwert für die Leistung anzusehen ist8. Demgegenüber ist die Hingabe von Geld keine Lieferung oder sonstige Leistung, sondern bloße Entgeltzahlung9. 2 Vgl. BFH v. 10.11.2010 – III B 191/09, BFH/NV 2011, 440 zu einer Beschwerde gegen einen Scheinbeschluss. 3 Pressemitteilung der Europäischen Kommission v. 10.5.2012. 4 GfK Pressemitteilung v. 28.11.2011; GfK Pressemitteilung v. 27.11.2014; GFK Analyse des bevorstehenden Weihnachtsgeschäfts v. 24.11.2016. 5 Z.B. http://paytechlaw.com/. 6 Feil/Kupke/Greisl, BB 2012, 3113; Serafini, GStB 2010, 417. 7 Statt aller EuGH v. 20.6.2013 – C-653/11 – Paul Newey, MwStR 13, 373; BFH v. 30.3.2006 – V R 9/03, BStBl. II 2006, 933 m.w.N., UR 2006, 395; Oelmaier in Bunjes/Geist, § 1 UStG Rz. 2a. m.w.N. 8 Vgl. z.B. EuGH v. 16.12.2010 – C-270/09 – Macdonald Resorts Ltd., DStR 2011, 119; BFH v. 27.11.2008 – V R 8/07, BStBl. II 2009, 397, UR 2009, 231; Oelmaier in Bunjes/Geist, § 1 UStG Rz. 36 m.w.N.; Crezelius, Steuerrecht II, 2. Aufl. 1994, § 24 Rz. 8. 9 EuGH v. 3.5.2012, C-520/10 – Lebara, BStBl. II 2012, 755; BFH v. 19.5.2010 – XI R 6/09, BStBl. II 2011, 831, UR 2010, 821; Oelmaier in Bunjes/Geist, § 1 UStG Rz. 6 m.w.N.; Crezelius, Steuerrecht II, 2. Aufl. 1994, § 25 Rz. 2.

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Wert-Gutscheine im Umsatzsteuerrecht

Die Darlegung der Querbezüge zwischen dem Zivil-, Gesellschafts- und Steuerrecht und dessen Bedeutung für die steuerrechtliche Subsumtion von Sachverhalten war dem Jubilar im Rahmen seiner wissenschaftlichen Arbeiten stets ein Anliegen10. Da­ rüber hinaus hat der Jubilar während seiner Lehrtätigkeit als ordentlicher Professor auch den juristisch nur rudimentär vorgebildeten Studenten der Betriebswirtschaftslehre die Bedeutung der Verzahnung zwischen dem Zivil- und Steuerrecht nahegebracht. Dieser Beitrag soll auch verdeutlichen, dass die Querbezüge zwischen Zivilund dem (Umsatz)Steuerrecht gerade für die Rechtsanwendung von Bedeutung sind.

II. Aufsichtsrechtliche Restriktionen beim Handel mit Gutscheinen Die zivilrechtliche Ausgestaltung des Vertriebs von Gutscheinen erfolgt unter Berücksichtung von aufsichtsrechtlichen Restriktionen11. Die Unternehmen müssen darauf achten, dass sie bei dem Handel mit Gutscheinen nicht gegen aufsichtsrechtliche Vorgaben des ZAG bzw. KWG verstoßen, weil sie mit dem Handel von Gutscheinen u.U. ein erlaubnispflichtiges Geschäft betreiben. Da die Einholung einer Erlaubnis z.B. als Zahlungsinstitut einen erheblichen einmaligen, aber auch laufenden finanziellen Mehraufwand bedeutet, muss der Vertrieb der Gutscheine zivilrechtlich so ausgestaltet sein, dass insbesondere keine Zahlungsdienste i.S.d. §  1 Abs.  2 ZAG, d.h. insbesondere kein Finanztransfergeschäft i.S.d. § 1 Abs. 2 Nr. 6 ZAG vorliegt. Gibt der Unternehmer Gutscheine im eigenem Namen aus, steht die aufsichtsrechtliche, hier nicht näher zu erläuternde Frage im Raum, ob er erlaubnispflichtige E-Geld-Geschäfte nach § 1a Abs. 2 ZAG betreibt oder ob der Herausgeber des Gutscheins unter eine der Ausnahmeregelungen fällt. Des Weiteren müssen die Unternehmen darauf achten, dass der Verkauf der Gutscheine gegen ein Entgelt an Verbraucher nicht die Voraussetzungen eines Einlagengeschäfts nach § 1 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 KWG erfüllt. Trotz der aufsichtsrechtlich zu beachtenden Restriktionen haben sich in der Praxis folgende vertragliche Grundstrukturen des Vertriebs von Gutscheinen herausgebildet.

III. Rechtliche Ausgestaltung des Vertriebs von Gutscheinen 1. Überblick In den Vertrieb von Gutscheinen sind meist drei oder mehr Parteien involviert. Der Herausgeber des Gutscheins, bei dem die Lieferung oder sonstige Leistung bezogen werden kann (im Weiteren: Herausgeber). Zudem ist mindestens ein weiteres Unternehmen eingeschaltet, welches die Gutscheine von dem Herausgeber gegen Zahlung eines Betrags unterhalb des Nennwerts des Gutscheins erwirbt und zum Nennwert an die Endkunden verkauft (im Weiteren: Unternehmen). Häufig sind auch zwei Unter10 Vgl. nur Crezelius, Steuerrechtliche Rechtsanwendung und allgemeine Rechtsordnung, 1983, passim; ders., Steuerrecht II, 2. Aufl. 1994, passim; 2. Aufl. 1995, passim. 11 Für die aufsichts- und zivilrechtliche Unterstützung bei der Erstellung des Beitrags bedankt sich der Autor bei Rechtsanwalt Dr. Matthäus Schindele, München.

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nehmen in den Vertrieb eingeschaltet, z.B. ein technischer Dienstleister, der z.B. die Aktivierung des Gutscheins durch Vergabe eines Zahlencodes mit Hilfe eines Terminals an der Verkaufsstelle (Kasse, sog. point of sale) abwickelt. Hinzu kommt der Händler, bei dem der Endkunde den Gutschein erwirbt. Für die umsatzsteuerliche Bestimmung steuerbarer Lieferungen oder sonstiger Leistungen kommt es wesentlich darauf an, ob die Vertragsparteien im eigenen oder fremden Namen und auf eigene oder fremde Rechnung tätig werden. Welche dieser Merkmale im Einzelfall vorliegen, ist anhand der zwischen den Parteien getroffenen zivilrechtlichen Vereinbarungen und den tatsächlichen Umständen zu ermitteln. Die vertragliche Ausgestaltung des Vertriebs von Gutscheinen folgt keinem gesetzlichen Leitbild eines Vertragstyps (Vertrag sui generis). Dennoch lassen sich vor dem Hintergrund der umsatzsteuerlichen Einordnung folgende idealtypische vertragliche Strukturen bilden. 2. Vertrieb von Gutscheinen „im eigenen Namen“ Die Grundlage für den Vertrieb von Gutscheinen auch in eigenem Namen ist der Vertrag zwischen dem Herausgeber des Gutscheins und dem Unternehmen, das den Gutschein an den Kunden in eigenem Namen verkauft. In diesem Vertrag räumt der Herausgeber dem Unternehmen ein, die Gutscheine in eigenem Namen zu verkaufen und verpflichtet sich über eine bestimmte Laufzeit, die Gutscheine als Entgelt für die an den Endkunden zu erbringende Leistung zu akzeptieren. Das Unternehmen erwirbt den Gutschein zu einem Wert der geringer ist, als der Nennwert des Gutscheins. Verkauft das Unternehmen den Gutschein an den Kunden, verpflichtet es sich gegenüber dem Kunden zur Abtretung des hauptvertraglichen Anspruchs aus beispielsweise einem Kauf- oder Dienstvertrag zu den im Gutschein niedergelegten Bedingungen gegen den Herausgeber, der die Kauf- oder Dienstleistung erbringt. Dabei haben das die Hauptleistung schuldende Unternehmen und das den Gutschein erwerbende Unternehmen den Hauptvertrag auf Vorrat geschlossen und dieser Anspruch aus dem Hauptvertrag auf die Leistung wird mit Verkauf des Gutscheins an den jeweiligen Kunden abgetreten. Es läge dann ein Forderungskauf als Spezialform des Rechtskaufs vor (§§ 433, 453 BGB)12. Dabei bezieht sich die Forderung – auch aus aufsichtsrechtlichen Gründen – nicht auf die Bezahlung eines Geldbetrags, sondern auf den Anspruch auf eine Lieferung oder Leistung in Höhe des bestimmten Geldbetrags. Die Erfüllung des Gutscheinvertrages tritt mit Abtretung des Anspruchs ein13. 12 Dienst/Scheibenpflug, 147/2012 – DOI 10.7328/jurpcb2012279143, Abs. 39 f.; Köfel, WM 2017, 833 (837); denkbar wäre auch, dass einem Kunden ein vorvertraglicher Anspruch bzw. ein Optionsrecht durch den Herausgeber eingeräumt wird. Mit Abtretung dieses Rechts in Form der Übermittlung des Gutscheins samt Codes träte gem. § 362 BGB Erfüllung ein. Eine weitere Variante wäre, dass der Herausgeber eines Gutscheins dem Käufer das Recht einräumt, einen Gutschein eines anderen Herausgebers zu beziehen; Dienst/ Scheibenpflug, ebenda; vgl. auch zu Papier- und Geschenkgutscheinen Zwickel, NJW 2011, 2753. 13 Vgl. Dienst/Scheibenpflug, (Fn. 12).

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Werden Gutscheine im eigenen Namen vertrieben, enthalten die Vertragsbestimmungen in der Regel keine Regelungen, wonach dem Kunden das Recht eingeräumt wird, die Waren oder Dienstleistungen unmittelbar von dem den Gutschein verkaufenden Unternehmen zu beziehen. Letzteres ist auch nachvollziehbar, da das Vertriebsunternehmen diese Leistung oder Lieferung nicht erbringen kann oder sie selbst erwerben bzw. beziehen müsste. Das den Gutschein an den Endkunden verkaufende Unternehmen haftet daher für die Akzeptanz des Gutscheins bei dem Herausgeber des Gutscheins, bei dem die Lieferung oder sonstige Leistung bezogen werden kann. Letztlich schließt der Endkunde durch die Inanspruchnahme der Lieferung und sonstigen Leistung mit dem Herausgeber einen Vertrag über die zu erbringende Leistung gegen Einlösung des Gutscheins14. Der Herausgeber eines Gutscheins mit einem anderen Unternehmen kann auch einen Geschäftsbesorgungsvertrag (§ 675 BGB) über den Vertrieb der Gutscheins abschließen, in dem sich das eingeschaltete Unternehmen verpflichtet, den Gutschein im eigenen Namen und auf Rechnung des Herausgebers des Gutscheins zu vertreiben. Umsatzsteuerrechtlich wird insoweit eine Lieferungs- bzw. Leistungskette fingiert (§ 3 Abs. 3 u. Abs. 11 UStG). Soweit ersichtlich, hat diese Vertragsgestaltung in der Praxis keine Relevanz und wird daher im Weiteren nicht weiter betrachtet15. 3. Vertrieb des Gutscheins „in fremdem Namen“ Der Erwerb des Gutscheins und dessen Verkauf in fremdem Namen setzt zivilrechtlich voraus, dass der Wille, im Namen des Vertretenen zu handeln, hinreichend zum Ausdruck kommt und für den Kunden erkennbar ist (§ 164 BGB)16. Auch bei dem Vertrieb von Gutscheinen in fremdem Namen schließt das Vertriebsunternehmen mit dem Herausgeber des Gutscheins einen Vertrag, in dem das Unternehmen bevollmächtigt wird, die Gutscheine im Namen des Herausgebers zu vertreiben. In diesen Fällen weisen die Unternehmen auf den Gutscheinen und auch in ihren Allgemeinen Geschäftsbedingungen darauf hin, dass der Herausgeber des Gutscheins derjenige ist, der die Dienstleistung oder die Ware dem Kunden schuldet und der Kunden mit dem Herausgeber des Gutscheins einen Vertrag über die Erbringung der Dienstleistung oder die Lieferung der Ware abschließt. Würde der Vertrieb des Gutscheins durch ein Unternehmen ohne dessen Bevollmächtigung durch den Herausgeber des Gutscheins erfolgen, läge ein Fall des Vertreters ohne Vertretungsmacht vor (§§ 177, 179 BGB). Ein solcher Fall der Vermittlung dürfte in der Praxis kaum vorkommen, da die Unternehmen mit den Herausgebern der Gutscheine Akzeptanzverträge über den Vertrieb der Gutscheine schließen, deren

14 Die Einlösung des Gutscheins kann z.B. physisch durch Übergabe erfolgen oder durch Eingabe eines Zahlencodes im Internet. 15 In diesen Fällen richtet sich die Umsatzbesteuerung nach § 3 Abs. 3 u. Abs. 11 UStG. 16 BGH v. 13.10.1994 – IX ZR 25/94, GmbHR 1995, 377, MDR 1995, 347, NJW1995, 44; z.B. Ellenberger in Palandt, 76. Aufl. 2017, § 164 BGB Rz. 2.

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wesentlicher Bestandteil neben der Bevollmächtigung zum Vertrieb der Gutscheine die vereinbarte Vermittlungsprovision für den Erwerb des Gutscheins ist. 4. Vertrieb von Gutscheinen auf eigene oder fremde Rechnung Es gibt keine Legaldefinition, unter welchen Voraussetzungen ein Unternehmen auf eigene oder fremde Rechnung tätig wird. Ein Unternehmen handelt auf eigene Rechnung, wenn die Vor- und Nachteile, d.h. Chancen und Risiken, aus einem Geschäft bei dem Unternehmen liegen und nicht bei einem eingeschalteten Mittler des Geschäfts17. Vor diesem Hintergrund ist ein Erwerb eines Gutscheins auf eigene Rechnung anzunehmen, wenn der Unternehmer den Gutschein für einen (unterhalb des Nennwerts des Gutscheins liegenden) Preis von dem Herausgeber erwirbt, den Gutschein nicht wieder an den Herausgeber gegen Zahlung des ursprünglichen Kaufpreises zurück geben kann und der von dem Endkunden für den Gutschein bezahlte Betrag nicht an den Herausgeber ganz oder zum Teil herauszugeben ist. Damit liegt das Risiko, den Gutschein zu verkaufen, bei dem Unternehmen, das den Gutschein erworben hat. Ebenfalls wird von dem Vertrieb der Gutscheine auf eigene Rechnung auszugehen sein, wenn der Unternehmer das von dem Kunden gezahlte Entgelt erst bei tatsächlicher Inanspruchnahme der Leistung durch den Kunden reduziert, da er das Entgelt an den die Lieferung oder Leistung erbringenden Unternehmer herausgeben muss. Löst der Kunde den Gutschein nicht ein und verbleibt das Entgelt in voller Höhe bei dem den Gutschein vertreibenden Unternehmer, ist von einem Handel auf eigene Rechnung auszugehen. Im Umkehrschluss zu dem Vertrieb der Gutscheine auf eigene Rechnung liegt der Vertrieb von Gutscheinen auf fremde Rechnung vor18, wenn das Unternehmen für jeden verkauften Gutschein eine Provision erhält und bei einem nicht erfolgten Verkauf der Gutscheine das Unternehmen nur das Risiko trägt, keine Provision zu erzielen.

IV. Umsatzsteuerrechtliche Beurteilung vor Anpassung an die ­Umsatzsteuersystemrichtlinie 1. Verkauf des Gutscheins durch den Herausgeber unmittelbar an den ­Endkunden Verkauft ein Unternehmen einen Gutschein, der ausschließlich zum Bezug von Waren oder Dienstleistungen bei dem Herausgeber des Gutscheins berechtigt, ist, soweit 17 Vgl. Häuser in MünchKomm/HGB, 3. Aufl. 2013, § 383 Rz. 30 m.w.N. zum Kommissionsgeschäft. 18 Vgl. Häuser in MünchKomm/HGB, 3. Aufl. 2013, § 383 Rz. 45 f. m.w.N. zum Kommis­ sionsgeschäft.

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ersichtlich, unstreitig, dass die Herausgabe des Gutscheins gegen Bezahlung des Nennbetrags ein nicht umsatzsteuerbarer Tausch von Zahlungsmitteln ist. Letzteres erscheint sachgerecht, da die Zahlung des Entgelts zivilrechtlich zwar eine Leistung ist, aber umsatzsteuerrechtlich nichtsteuerbar ist19 und die Ausgabe eines solchen Gutscheins gegen Entgelt nur ein Austausch des Entgelts ist. Steht bei Verkauf des Gutscheins bereits fest, wie die Umsatzbesteuerung bei dem Herausgeber des Gutscheins erfolgt, entsteht die Umsatzsteuer bei dem Herausgeber des Gutscheins bereits mit Verkauf des Gutscheins (§ 13 UStG). Die o.a. Ansicht zur Herausgabe eines Gutscheins durch den Unternehmer, bei dem der Gutschein ausschließlich eingelöst werden kann, geht auf veröffentlichte Ansichten einzelner Finanzbehörden zurück20. Ob und, wenn ja, inwieweit diese Ansicht auch im Fall des Vertriebs von Gutscheinen anzuwenden ist, war Gegenstand von verschiedenen Gerichtsverfahren. 2. Vertrieb von Gutscheinen a) EuGH-Urteil in der Rechtssache Astra Zeneca Der EuGH21 hat in der Sache Astra Zeneca entscheiden, dass die Weitergabe eines Gutscheins durch einen Arbeitgeber an seine Arbeitnehmer der britischen Umsatzsteuer unterliegt. Der Gutschein berechtigt zum Bezug von Waren bei einem Einzelhändler und wird von dem Arbeitgeber bei einem Zwischenhändler erworben. Der Arbeitnehmer verzichte, so der EuGH, als Gegenleistung auf eine Lohnzahlung. Die Umsatzsteuer entsteht mit Übergabe des Gutscheins an den Arbeitnehmer und ist aus dem Einkaufswert des Gutscheins herauszurechnen. Nach dem damals geltenden britischen Umsatzsteuerrecht berechtigt der Einkauf des Gutscheins zum Vorsteuerabzug22. In der Fachliteratur23 wurde aus diesem Urteil des EuGH geschlossen, dass der Verkauf von Gutscheinen grundsätzlich eine steuerbare Dienstleistung sei. Die Autoren sind sogar der Ansicht, dass der o.a. Verkauf eines Gutscheins durch den Herausgeber unmittelbar an den Endkunden eine umsatzsteuerbare sonstige Leistung ist. Konsequenterweise wurden die sich aufdrängenden Folgefragen in der Fachliteratur24 aufgeworfen. Insbesondere ist unklar, wie die Einlösung und der Verfall des mit dem Gutschein verbundenen Rechts umsatzsteuerrechtlich zu behandeln seien. Würde bei Einlösung des Gutscheins bei dem Herausgeber des Gutscheins Umsatzsteuer entstehen (aus dem Nennwert gem. § 10 Abs. 1 Satz 2 UStG), käme es zu einer Doppelbe19 Statt aller EuGH v. 3.5.2012  – C-520/10, ECLI:EU:C:2012:264 – Lebara, UR 2012, 523, ­BStBl. II 2012, 755; Oelmaier in Bunjes/Geist, § 1 UStG Rz. 6, m.w.N., auch zur Rspr. 20 Vgl. dazu in diesem Beitrag unten Abschnitt IV. 3. 21 EuGH v. 29.7.2010 – C-40/09, ECLI:EU:C:2010:450 – Astra Zeneca, UR 2010, 734, DStR 2010, 1623. 22 Feil/Kupke/Greisl, BB 2012, 3113 (3115). 23 Nieskens, UR 2010, 893; Korn, DStR 2010, 1662; Reiß, UR 2011, 729. 24 A.a.O. (Fn. 13).

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steuerung mit Umsatzsteuer. Diese Doppelbesteuerung wäre über eine Korrektur der Umsatzsteuer im Hinblick auf die bei Einlösung tatsächlich ermittelbaren Besteuerungsfolgen aufzulösen. Vermutlich vor dem Hintergrund der offenen Fragen, der nicht abzuschätzenden Besteuerungsfolgen und der damals bereits in Aussicht stehenden Änderung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie haben das BMF25 und die OFD Niedersachsen26 faktisch einen Nichtanwendungserlass veröffentlicht. In diesen Erlassen wurde klargestellt, dass derzeit keine Konsequenzen aus der Praxis mit Nennwertgutscheinen bzgl. der deutschen Rechtslage gezogen werden. Dieser unsichere Rechtszustand besteht bis heute fort. b) EuGH-Urteil in der Rechtssache Lebara Im Jahr 2012 hatte der EuGH27 in der Sache Lebara zu dem Vertrieb von Gutscheinen zur Erbringung von Telekommunikationsleistungen über Vertriebshändler zu entscheiden. Der EuGH kommt zu dem Ergebnis, dass der Herausgeber des Gutscheins, das Telekommunikationsunternehmen, an den Vertriebshändler und der Vertriebshändler an den Endkunden eine Telekommunikationsleistung gegen Entgelt erbringt, wenn die Gutscheine in eigenem Namen und auf eigene Rechnung verkauft werden. Der EuGH begründet die Annahme einer Telekommunikationsleistung damit, dass der Begriff der Telekommunikationsdienstleistung in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e zehnter Gedankenstrich der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie auch Dienstleistungen umfasst, mit denen die Telekommunikationsleistung ermöglicht wird. Wie der EuGH herausarbeitet, liegt die Besonderheit in diesem Fall darin, dass das mit dem Gutschein verbundene Recht, Telekommunikationsleistungen in Anspruch zu nehmen, auf internationale Anrufe mit bestimmten Zielorten und Tarifen beschränkt war sowie nach Wesen und Menge im Voraus bestimmt ist und einem eigenen Steuersatz unterliegt. Zum Zeitpunkt der Entstehung der Steuer hatte der EuGH sich nicht zu äußern. Der EuGH hat im Weiteren klargestellt, dass der Telekommunikationsanbieter keine zweite sonstige (Telekommunikations-)Leistung gegen Entgelt an den Kunden erbringt. Die Sichtweise des EuGH entspricht der Ansicht der deutschen Finanzverwaltung für den Vertrieb von Telekommunikationsgutscheinen im eigenen Namen und auf eigene Rechnung28. Der EuGH hat es aber versäumt, zu der seit seinem Urteil in der Rechts25 BMF v. 20.12.2010 – IV D 2 - S 7200/07/10011/002, UR 2011, 75; BMF v. 16.3.2011 – IV D 2 - S 7500/0:003. 26 OFD Niedersachsen v. 17.11.2011 – S 7100-779 - St 171, UR 2011, 762. 27 EuGH v. 3.5.2012 – C-520/10, ECLI:EU:C:2012:264 – Lebara, UR 2012, 523, BStBl. II 2012, 755. 28 Robisch/Greif, NWB 2013, 1229; z.B. OFD Frankfurt/M. v. 25.3.2010 – S - 7100 A - 172 - St 110, DB 2010, 1969.

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sache Astra Zeneca bestehenden Rechtsunsicherheit Stellung zu nehmen29. Dennoch hat er klargestellt, dass es bei der Annahme einer solchen Leistungskette nicht zu einer zweiten Besteuerung bei Erbringung der mit dem Gutschein verbundenen Leistung kommt. Da der EuGH seine Entscheidung im Kern auf die weite Fassung des Wortlauts des Art. 9 Abs. 2 Buchst. e zehnter Gedankenstrich der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie stützt, können die Grundsätze des EuGH-Urteils nach hier vertretener Ansicht nicht auf den Vertrieb von Gutscheinen, mit denen andere Leistungen bezogen werden können, angewendet werden. In Art. 9 Abs. 2 Buchst. e zehnter Gedankenstrich der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie30 wird eine Dienstleistung, mit der eine Übertragung von Signalen und Ton „ermöglicht“ wird, einschließlich der damit im Zusammenhang stehenden Abtretung von Nutzungsrechten an Einrichtungen zur Übertragung abweichend von den tatsächlichen Umständen als Telekommunikationsdienstleistung fingiert. Für eine solche Fiktion fehlt es bei anderen Dienstleistungen an einer rechtlichen Grundlage in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie und dem UStG. Wie der Jubilar31 zu Recht feststellte, wird im Fall einer Fiktion für die Norm­ anwendung ein Sachverhalt unterstellt, der so gar nicht gegeben ist und auch so nicht gesetzlich geregelt ist. Ein solches Vorgehen bedeutet „(…) eine Methodenunehrlichkeit und einen verdeckten Verstoß gegen das Prinzip der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung“32. Sachverhalte dürfen jedoch nur im Falle der strengen Voraussetzungen einer Analogie, unter den Voraussetzungen des § 42 AO oder, wie in dem hier vorliegenden Fall, bei ausdrücklicher gesetzlicher Regelung verändert werden33. Bemerkenswert an der Entscheidung des EuGH ist ferner, dass der EuGH zwar festgestellt hat, dass in dem Ausgangsverfahren angenommen wurde, dass der Händler in eigenem Namen und auf eigene Rechnung tätig war. Allerdings ist der EuGH nicht darauf eingegangen, ob die Händler nicht auch in fremden Namen oder auf fremde Rechnung tätig werden, zumal die Vertriebshändler die Telefonkarten auch unter der Marke von Lebara weiterverkaufen34. Unter Berücksichtigung der Ausführungen des EuGH kann die Ansicht vertreten werden, dass die Grundsätze des Urteils nur dann anzuwenden sind, wenn der Händler in eigenem Namen und auf eigene Rechnung tätig ist. Berücksichtigt man jedoch, dass gem. Art. 9 Abs. 2 Buchst. e zehnter Gedankenstrich der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie „alle“ Dienstleistungen, mit denen eine solche Übertragung „ermöglicht“ wird, kraft Fiktion eine Telekommunikationsleistung ist, wäre es bei sonst gleichen Umständen nicht sachgerecht und nicht zwingend, unter Verweis auf (umsatzsteuer-) rechtliche Unterschiede zwischen dem Auftreten in eigenem oder fremdem Namen

29 Zu Recht kritisch Wäger, UR 2013, 81. 30 Entspricht Art. 24 Abs. 2 MwStSystRL. 31 Crezelius, Steuerrechtliche Rechtsanwendung und allgemeine Rechtsordnung, 1983, 91 f. 32 Crezelius, Steuerrechtliche Rechtsanwendung und allgemeine Rechtsordnung, 1983, 92. 33 Z.B. die Negierung der Geschäftsbesorgungsleistung durch § 3 Abs. 11 UStG. 34 Vgl. Feil/Kupke/Greisl, BB 2012, 3113 (3122).

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bzw. auf eigene oder fremde Rechnung zu unterscheiden. Eine Vermittlungs- oder Geschäftsbesorgungsleistung ermöglicht ebenfalls eine Telekommunikationsleistung. Im Übrigen ist es offen, wie der EuGH entscheidet, wenn das mit dem Gutschein verbundene Recht auf Erbringung einer Telekommunikation nicht, wie in dem zu von dem EuGH zu entscheidenden Fall, hinsichtlich Wesen und Menge im Voraus bestimmt ist. c) Rechtsprechung des BFH aa) Geschenkgutschein Der BFH35 hat im Jahr 2007 entschieden, dass bei dem Bezug von Waren durch Dritte gegen Vorlage eines Gutscheins der Herausgeber des Gutscheins Empfänger der Lieferung ist, wenn die Waren nicht unmittelbar an den Herausgeber des Gutscheins, sondern an den Dritten herausgegeben wurden und hierauf auf den Gutscheinen ausdrücklich hingewiesen wurde. Der BFH begründete unter Verweis auf seine Rspr.36 die Zuordnung der Lieferung damit, dass die Zuordnung eines Leistungsbezugs zu dem Handelnden oder einem anderen danach bestimmt, ob der Handelnde gegenüber Dritten im eigenen Namen oder im Namen eines Anderen beim Bezug der Leistung aufgetreten sind. In dem vorliegenden Fall hat der Herausgeber des Gutscheins mit dem Lieferer der Waren in eigenem Namen und auf eigene Rechnung einen Kaufvertrag abgeschlossen, bevor der Dritte das Ladengeschäft des Lieferers betrat. Das vorliegende Urteil des BFH ist für die hier zu untersuchenden Fälle des Handels und Verkaufs von Gutscheinen nur eingeschränkt aussagekräftig, da in dem zu entscheidenden Fall der Dritte kein Entgelt für die Gutscheine entrichtet hat. Gleichwohl ist festzustellen, dass der BFH zu Recht bei der Zuordnung des Leistungsbezugs auf das Auftreten des Handelnden gegenüber Dritten abstellt. bb) Verkauf eines Hotelgutscheins Der BFH37 hat in einem Urteil entschieden, dass das Entgelt der Kunden für die Ausgabe eines Hotelchecks eine im Inland steuerpflichtige Anzahlung für vereinbarte Vermittlungsleistungen gegenüber dem Kunden ist. Der Leistungsort bestimmt sich nach § 3a Abs. 1 UStG, wenn im Zeitpunkt der Vereinnahmung des Entgelts nicht feststeht, ob sich die Vermittlungsleistung auf ein im Ausland gelegenes Grundstück bezieht. Sofern sich zu einem späteren Zeitpunkt ergibt, dass die Vermittlungsleistung im Zusammenhang mit einem ausländischen Grundstück steht, ist die Bemessungsgrundlage gem. § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG zu berichtigen. Mit dem Gutschein war das Recht des Kunden verbunden, maximal drei Übernachtungen aus einem Katalog von über 2.500 Hotels im In- und Ausland „kostenlos“ zu 35 BFH v. 24.8.2006 – V R 16/05, BStBl. II 2007, 340, UR 2007, 63. 36 Z.B. BFH v. 28.1.1999 – V R 4/98, BStBl. II 1999, 628, UR 1999, 283. 37 BFH v. 8.9.2011 – V R 42/10, BStBl. II 2012, 248, UR 2012, 153; Widmann, BB 2012, 367.

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buchen, wenn der Kunde für weitere Leistungen, wie z.B. Frühstück, ein separates Entgelt (an das jeweilige Hotel) entrichtet. Die Buchungsbestätigung wurde dem Gutscheinvertreiber mitgeteilt, der den Gutschein als Vermittler im Namen des Kunden an das gebuchte Hotel übersendet. Im Ausgangspunkt begründet der BFH38 die Annahme eines Leistungsaustausches unter Verweis auf das Urteil in der Rechtssache Astra Zeneca damit, dass das mit dem Gutschein verkörperte Recht an Gegenständen oder Dienstleistungen die Annahme eines Leistungsaustausches nicht ausschließe. Das Urteil des BFH39 trägt zur Rechtsunsicherheit der Umsatzbesteuerung des Vertriebs von Gutscheinen bei40. Der BFH verweist allgemein auf das Urteil des EuGH in der Sache Astra Zeneca. Damit bleibt unklar, unter welchen Umständen bei einem Verkauf eines Gutscheins eine (Vermittlungs-)Leistung an den Endkunden oder an das Hotel vorliegt. Aus (deutscher) fiskalischer Sicht ist das Urteil überzeugend41. Es stellt sicher, dass die Besteuerung des Entgelts der Kunden zunächst in voller Höhe in Deutschland erfolgt und zwar auch dann, wenn der Kunde die Hotelleistung nicht abruft. Letzteres ist, wie den Ausführungen des FG Düsseldorf42 zu entnehmen ist, nicht selten der Fall. Der BFH43 stellt  – ohne Begründung44  – fest, dass es sich um eine Anzahlung handelt. Wenn mit der Annahme einer Anzahlung die bestehende Ungewissheit über den Ort der Leistung „aufgefangen“ werden soll, wie es Widmann45 annimmt, ist dies aus methodologischer Sicht zumindest bedenklich. Wie der Jubilar46 ausgeführt hat, ist die Sicherung der Einnahmenerzielung des Staates kein Selbstzweck. Daher kann der Fiskalzweck im Rahmen der Auslegung von Vorschriften des Steuerrechts nicht herangezogen werden47. In dem vorliegenden Fall ist die steuerpflichtige sonstige Leistung, die im Zusammenhang mit dem Austausch der Zahlungsmittel steht, (noch) nicht bestimmbar. Daher liegt auch keine Regelungslücke vor, die im Wege eines Analogieschlusses zur Annahme einer umsatzsteuerpflichtigen Vermittlungsleistung führen soll, deren Bemessungsgrundlage im Nachhinein ggf. auf 0 Euro reduziert werden soll (§ 17 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 15 UStG)48. 38 BFH, a.a.O., (Fn. 37). 39 BFH, a.a.O., (Fn. 37). 40 So zu Recht Feil/Kupke/Greisl, BB 2012, 3113 (3115). 41 Widmann, BB 2012, 367. 42 FG Düsseldorf v. 6.10.2010 – 5 K 1818/08 U, EFG 2011, 486. 43 BFH, a.a.O., (Fn. 37). 44 Ebenso Widmann, BB 2012, 367. 45 So Widmann, BB 2012, 367. 46 Crezelius, Steuerrecht II, 2. Aufl. 1994, § 1 Rz. 6. 47 Ebenso ausdrücklich zur Auslegung von Normen des Umsatzsteuergesetzes Forster, Juristische Person des öffentlichen Rechts und Harmonisierung eines europäischen Mehrwertsteuersystems, 1997, 38. 48 A.A. wohl Widmann, BB 2012, 367; zu den engen Grenzen der Analogie im Steuerrecht Crezelius, Steuerrechtliche Rechtsanwendung und allgemeine Rechtsordnung, 1983, 149 f.; vgl. auch ders., BB 1984, 1377.

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In Frage kommt die sonstige Leistung des Hotelanbieters, das durch den Herausgeber des Gutscheins an den Unternehmer eingeräumte Recht oder aber eine – vom BFH nicht aufgeworfene – Vermittlungsleistung des Händlers an den Hotelbetreiber mit diesem Gutschein die sonstige Leistung des Hotelanbieters zu beziehen. cc) Abgrenzung zwischen Vermittlung und Eigenhandel beim Verkauf von ­Telefonkarten In einem Urteil aus dem Jahr 2016 hatte der BFH49 die Gelegenheit, zur Abgrenzung zwischen dem Verkauf von Telefonkarten in eigenem und in fremdem Namen Stellung zu nehmen. Darin stellte der BFH fest, dass ein Händler selbst dann Telekommunikationsleistungen an seine Kunden erbringen „kann“, wenn er die Gutscheine auf eigene Rechnung erwirbt und diese an seine Kunden veräußert, obwohl er nach seinen AGB als Vermittler auftritt. Handeln in fremdem Namen setze voraus, dass der Name des Vertretenen bei Vertragsabschluss genannt werde. In dem zugrunde liegenden Fall wurden Karten verkauft, auf denen verschiedene Markennamen aufgedruckt waren, die alle keinen Bezug zum Telekommunikationsanbieter hatten. Lediglich bei Karten, die nicht über den Onlinehandel vertrieben wurden, war auf der Rückseite der Karten ein Hinweis auf den Telekommunikationsanbieter enthalten. Der BFH vertritt die Ansicht, dass Feststellungen zu den Rechtsverhältnissen zu treffen sind. Zugleich verwies er auf das Urteil des EuGH in der Sache Lebara, wonach der Tatbestand der Erbringung von Telekommunikationsdienstleistungen „weit“ auszulegen sei. Die technische Möglichkeit zur Erbringung der Telefonleistung ist nach dem weiteren Begriff der Telekommunikationsdienstleistung keine Voraussetzung für ein Eigengeschäft. Ferner weist der BFH auf einen in dem vorliegenden Fall besonderen Umstand hin, dass der Händler die Gutscheine möglicherweise auf eigene Rechnung von dem Telekommunikationsunternehmen erworben hat. Wäre dies der Fall, würde der Händler als Vertreter ohne Vertretungsmacht tätig, so dass zivilrechtlich ein Eigengeschäft vorläge (§§  177, 179 BGB). Umsatzsteuerrechtlich läge demnach eine Leistung des vollmachtlosen Vertreters vor50. Der Hinweis des BFH auf die Möglichkeit, dass der Händler als vollmachtloser Vertreter selbst die sonstige (Telekommunikations-)Leistung an den Kunden erbringt, ist zwar zutreffend. Allerdings ist aus dem möglichen Umstand, dass der Händler die Gutscheine auf eigene Rechnung erworben hat, nicht zwingend darauf zu schließen, dass der Händler als vollmachtloser Vertreter gehandelt hat51. Der Händler kann die Gutscheine auf eigene Rechnung erwerben und für den Vertrieb der Gutscheine des Herausgebers gleichwohl bevollmächtigt sein. Das zuständige FG muss klären, ob der Händler ohne Vertretungsvollmacht tätig wurde. Häufig werden die Händler selbst 49 BFH v. 10.8.2016 – V R 4/16, BStBl. II 2017, 135, UR 2016, 912. 50 Unter Verweis auf BFH v. 25.4.2013 – V R 28/11, BStBl. II 2013, 656, ZWH 2013, 451 m. Anm. Höink/Adick, UR 2013, 764. 51 So aber auch Wäger, UR 2017, 85; Heuermann, StBp 2017, 29.

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oder über andere Anbieter zumeist als (Unter-)Bevollmächtigte tätig, und zwar auch dann, wenn sie die Gutscheine auf eigene Rechnung erwerben. Die Bevollmächtigung wird in der Regel in den Verträgen zwischen den Unternehmen geschlossen, in denen auch die Margen für die Händler über den Vertrieb der Gutscheine geregelt werden. d) FG aa) FG Berlin-Brandenburg (nrkr.) Das FG Berlin-Brandenburg52 hat in einem nicht rechtskräftigen Urteil im Jahr 2015 entschieden, dass mit dem Verkauf von Telefonkarten keine Telekommunikationsleistungen, sondern Vermittlungsleistungen für den Plattformbetreiber erbracht werden, wenn die Erwerber der Karten unter keinem Gesichtspunkt davon ausgehen können, dass der Verkäufer der Telekommunikationsleistungen selbst Leistungen erbringen werde. Das FG stützt seine Entscheidung im Kern darauf, dass in Anbetracht der unterschiedlichen Arten der angebotenen Telekommunikationsleistungen, der auf den Karten enthaltenen Angaben über den Plattformbetreiber und der erforderlichen Bestätigung der AGB durch den Kunden dem Kunden verdeutlicht wird, dass der Unternehmer nicht wie ein Eigenhändler eine Telekommunikationsleistung erbringt. Zudem erfolgte der Verkauf der Gutscheine auf fremde Rechnung. Wenn, wie das FG Berlin-Brandenburg festgestellt hat, der Vertrieb der Gutscheine in fremden Namen und auf fremde Rechnung erfolgt, sind die Grundsätze des EuGH53 in der Rechtssache Lebara nicht anzuwenden und dementsprechend liegt keine Telekommunikations-, sondern eine Vermittlungsleistung vor. bb) FG Hamburg (nrkr.) Das FG Hamburg54 hat entschieden, dass die Aushändigung einer Zahlungskarte zur Bezahlung von Caterern in einem Fußballstadion gegen Zahlung eines Pfandentgelts eine Lieferung i.S.d. § 3 Abs. 1 UStG ist. Das FG Hamburg ist damit nicht der Argumentation der Klägerin gefolgt, wonach die nach Erfahrung der Klägerin nicht mehr zu erstattenden Pfandgebühren keine unselbständige Nebenleistung zu einem nicht steuerbaren Leistungsaustausch sind. Das FG Hamburg stützt seine Argumentation im Wesentlichen auf die Sicht eines Durchschnittsverbrauchers. Die vertraglichen Leistungsbeziehungen werden nur am Rande gestreift, da der Vertreter der Klägerin diese wohl nicht vorgetragen hat55.

52 FG Berlin Brandenburg v. 15.1.2015 – 5 K 5381/13, EFG 2016, 684, nrkr. Rev. beim BFH V R 4/16. 53 EuGH, a.a.O., (Fn. 27). 54 FG Hamburg v. 7.2.2017 – 2 K 14/16, UR 2017, 714, EFG 2017, 783, nrkr., Rev. BFH XI R 12/17. 55 Insoweit kritisiert auch Philipowski, UR 2017, 705, die knappe Sachverhaltsdarstellung des FG Hamburg.

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3. Ansichten in der Finanzverwaltung a) OFD Magdeburg Die OFD Magdeburg56 hat im Jahr 2006 die Besteuerung von Gutscheinen erläutert. Danach ist die Ausgabe von Gutscheinen, die nicht zum Bezug von hinreichend bezeichneten Leistungen berechtigen, ein nicht umsatzsteuerbarer Tausch von Bargeld. Erst bei Einlösung des Gutscheins unterliegt die Leistung der Umsatzsteuer. Werden jedoch Gutscheine herausgegeben, die „bestimmte, konkret bezeichnete Leistungen“ beinhalten, unterliegt der Gutscheinbetrag mit Ausgabe des Gutscheins der Umsatzsteuer bei Anzahlungen (§ 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a UStG). Im Unterschied zu den in den folgenden Jahren veröffentlichten Verfügungen anderer Oberfinanzdirektionen geht die OFD Magdeburg auf den Fall ein, dass die Gutscheine auch bei anderen Unternehmen einer Handelskette eingelöst werden können. In diesen Fällen entsteht die Umsatzsteuer erst bei Einlösung des Gutscheins bei dem Händler, der die Leistung erbringt. Sofern der Herausgeber des Gutscheins dem die Leistung einlösenden Händler ein Entgelt in Rechnung stellt, unterliegt dieses Entgelt im Zeitpunkt der Einlösung des Gutscheins der Umsatzsteuer bei dem Herausgeber des Gutscheins. Der den Gutschein einlösende Händler hat insoweit einen Vorsteuerabzug. b) OFD Karlsruhe Im Jahr 2008 hat die OFD Karlsruhe57 ihre erste Verfügung zur Umsatzbesteuerung der Ausgabe von Gutscheinen veröffentlicht. Inhaltlich decken sich die Ausführungen mit denen der OFD Magdeburg58 bis auf zwei Ausnahmen. Zum einen enthält die Verfügung der OFD Karlsruhe keine Aussage zu dem Fall, dass der Gutschein bei einem anderen Unternehmer eingelöst werden kann. Zum anderen geht die OFD Karls­ ruhe davon aus, dass die Umsatzsteuer nach § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG in den Fällen zu berichtigen ist, in denen die Umsatzsteuer aufgrund der konkret bestimmbaren Leistung bereits mit Ausgabe des Gutscheins entstanden war. Im Jahr 2011 veröffentlichte die OFD Karlsruhe59 eine zweite Verfügung zur umsatzsteuerlichen Behandlung von Gutscheinen. Die wesentliche Abweichung in der zweiten Verfügung der OFD Karlsruhe ist, dass der Hinweis auf die Berichtigung der Umsatzsteuer gem. § 17 Abs. 2 Nr. 2 UStG bei Nichteinlösung des Gutscheins weggefallen ist. Mit dieser Änderung möchte die OFD Karlsruhe offenbar erreichen, dass es bei der endgültigen Umsatzbesteuerung bleibt, wenn der Gutschein für eine konkret bestimmte Leistung nicht eingelöst wird60.

56 OFD Magdeburg v. 2.5.2006 – S - 7200 - 179 - St 244, USTK § 10 Abs. 1 UStG Karte 10. 57 OFD Karlsruhe v. 29.2.2008 – S - 7270, UVR 2008, 264. 58 OFD Magdeburg v. 2.5.2006 – S - 7200 - 179 - St 244, USTK § 10 Abs. 1 UStG Karte 10. 59 OFD Karlsruhe v. 25.8.2011 – S - 7270, DStR 2011, 1910. 60 Ebenso Feil/Kupke/Greisl, BB 2012, 3113 (3115).

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Beide OFD-Verfügungen veranschaulichen anhand von Beispielen ihre Aussagen. In den Beispielen der OFD Karlsruhe ist nicht explizit klargestellt, dass die Gutscheine ausschließlich bei dem die Gutscheine herausgebenden Unternehmer eingelöst werden können. Allerdings sind die Beispiele so gewählt und formuliert, dass keine Anhaltspunkte vorliegen, die einen anderen Schluss zulassen. Daher ist den OFD-Verfügungen keine Aussage zu entnehmen, ob und, wenn ja, wie der Vertrieb von Gutscheinen gegen Entgelt umsatzsteuerlich zu besteuern ist. c) OFD Frankfurt/M. Die OFD Frankfurt61 hat im Jahr 2010 in einer Verfügung zur umsatzsteuerlichen Behandlung von Telefonkarten und anderen Zahlungskarten Stellung genommen. Soweit ersichtlich wurde mit dieser Verfügung erstmals der Begriff von sog. Multifunktionskarten verwendet. Eine solche Multifunktionskarte soll vorliegen, wenn sie zur Inanspruchnahme unterschiedlicher Leistungen verschiedener Anbieter benutzt werden kann. In diesen Fällen entsteht die Umsatzsteuer erst im Zeitpunkt der Erbringung der Leistung. d) OFD Niedersachsen Die OFD Niedersachsen62 hat nach dem Urteil des EuGH in der Sache Astra Zeneca im Jahr 2011 zur umsatzsteuerlichen Behandlung der Ausgabe von Gutscheinen Stellung genommen. Danach werden in Deutschland Nennwertgutscheine bislang als bloßes Zahlungsmittel nicht der Umsatzsteuer unterworfen. Umsatzsteuerliche Bedeutung erlangt nur der eigentliche Leistungsaustausch bei Einlösung des Gutscheins. Insoweit hat die OFD Niedersachsen klargestellt, dass der EuGH nicht darüber entschieden hat, „wie die Ausgabe des Gutscheins beim Einzelhändler und seine spätere Leistung bei Einlösung des Gutscheins zu behandeln ist“. Bis zum Abschluss der Erörterung der Rechtslage durch die obersten Finanzbehörden des Bundes und der Länder ist vorerst weiterhin nach der bisherigen Besteuerungspraxis zu verfahren. e) BMF Das BMF63 hat zu den Auswirkungen der umsatzsteuerrechtlichen Behandlung von Einzweckguthabenkarten in der Telekommunikation nach dem Urteil des EuGH in der Sache Lebara Stellung genommen und wendet die Grundsätze an. Danach wird mit dem Verkauf einer Einzweckguthabenkarte eine Telekommunikationsleistung an den Erwerber erbracht. Eine Einzweckguthabenkarte liegt vor, wenn mit der Karte dem Abnehmer ermöglicht wird, Anrufe über die zur Verfügung gestellte Infrastruktur zu tätigen, bei denen die Verwendung des Guthabens für andere Leistungen technisch ausgeschlossen ist und die alle zur Tätigung der Anrufe notwendigen Informationen enthalten. 61 OFD Frankfurt/M. v. 25.3.2010 – S - 7100 A - 172 - St 110, DB 2010, 1969. 62 OFD Niedersachsen v. 17.1.2011 – S 7100 - 779 - St 171, UR 2011, 762. 63 BMF v. 24.9.2012 – IV D 2 - S 7100/08/10004:004, BStBl. I 2012, 947.

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Damit wird abweichend von der bisherigen Ansicht der Finanzverwaltung im Zeitpunkt des Verkaufs der Einzweckguthabenkarte eine Telekommunikationsleistung angenommen und die Umsatzsteuer entsteht nicht mehr aufgrund der Besteuerung als Anzahlung. Werden die Einzweckguthabenkarten von mehreren Unternehmern vertrieben, ist, so das BMF64, auf jeder Stufe zu prüfen, ob eine Telekommunikations-, eine Vermittlungs- oder eine Leistung gem. § 3 Abs. 11 UStG vorliegt. Diese Schlussfolgerung ergibt sich, wie bereits oben dargelegt wurde65, nicht aus dem EuGH-Urteil in der Sache Lebara66 und ist nicht zwingend, da die Telekommunikationsleistung kraft der in Art. 9 Abs. 2 Buchst. e zehnter Gedankenstrich der Sechsten Mehrwertsteuerrichtlinie geregelten Fiktion angenommen wird. Im Übrigen stellt sich die Frage, wie und in welchem Umfang die Telekommunikationsleistung zu besteuern ist, wenn auf der ersten Stufe des Verkaufs der Einzweckguthabenkarte eine Telekommunikationsleistung und auf der zweiten Stufe z.B. eine Vermittlungsleistung anzunehmen ist. In diesem Fall müsste bei Erbringung der Telekommunikationsleistung der Anbieter die Differenz zwischen dem Nennwert der Leistung auf dem Gutschein und dem bereits vereinnahmten Entgelt aus dem Verkauf des Gutscheins auf erster Stufe als Umsatz versteuern. Die Provision für die Vermittlungsleistung auf der zweiten Stufe mindert das Entgelt der Telekommunikationsleistung nicht. 4. Stellungnahme a) Verkauf von Gutscheinen durch den Herausgeber an Endkunden Auf der Grundlage insbesondere der vorliegenden veröffentlichten Stellungnahmen der Finanzverwaltung steht auch unter Berücksichtigung der in den vergangenen Jahren ergangenen Rechtsprechung fest67, dass der Verkauf von Gutscheinen ein nichtsteuerbarer Vorgang ist, wenn der Gutschein ausschließlich berechtigt, Waren oder Dienstleistungen bei dem Herausgeber des Gutscheins zu beziehen. Würde der Unternehmer für den Verkauf des Gutscheins ein Entgelt berechnen, liegt es nahe, dass für den nicht umsatzsteuerbaren Tausch von einem Zahlungsmittel in ein anderes gegen Zahlung eines Entgelts ein umsatzsteuerpflichtiger Leistungsaustausch vorliegt68, da der Kunde für die sonstige Leistung des Umtausches von Zahlungsmitteln ein Entgelt bezahlt. Steht beim Verkauf des Gutscheins an den Kunden die Art der Umsatzbesteuerung fest (Lieferung oder sonstige Leistung, Steuersatz), entsteht die Umsatzsteuer mit Ver64 BMF, a.a.O. (Fn. 63). 65 Siehe in diesem Beitrag oben Abschnitt IV. 2. b). 66 EuGH v. 29.7.2010 – C-40/09, ECLI:EU:C:2010:450 – Astra Zeneca, UR 2010, 734, DStR 2010, 1623. 67 Zweifelnd Sarafini, GStB 2010, 417. 68 So auch zum Austausch von Währungen gegen Zahlung eines Entgelts BFH v. 19.5.2010 – XI R 6/09, BStBl.  II 2011, 831, UR 2010, 821; Oelmaier in Bunjes/Geist, §  1 UStG Rz.  6 m.w.N. zur Rspr.

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kauf des Gutscheins. Die Erhebung der Umsatzsteuer aufgrund der Annahme einer Anzahlung gem. § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 3 UStG erscheint auf den ersten Blick sachgerecht69. Bisher nicht geklärt ist, ob es bei dem nicht steuerbaren Tausch von Zahlungsmitteln bleibt, wenn der Kunde die Lieferung oder sonstige Leistung nicht mehr einfordert oder (vertraglich) einfordern kann. b) Vertrieb von Gutscheinen in fremdem Namen und auf fremde Rechnung Die Umsatzbesteuerung des Vertriebs von Gutscheinen eines Herausgebers über einen oder mehrere Unternehmer an den Endkunden ist eindeutig, wenn die Unternehmer in fremden Namen und auf fremde Rechnung auftreten. Wenn der Unternehmer den Gutschein in fremdem Namen und auf fremde Rechnung vertreibt, liegt ein Vertrag zwischen dem Gutscheinherausgeber, der zugleich der Erbringer der Lieferung oder sonstigen Leistung ist, und dem den Gutschein vertreibenden Unternehmen vor. In diesem Vertrag wird das Vertriebsunternehmen bevollmächtigt, im Namen des Gutscheinherausgebers den Gutschein an den Kunden zu verkaufen. Das Vertriebsunternehmen erhält für seine Vermittlungsleistung eine Provision, die es regelmäßig von dem erhaltenen Nennwert des Gutscheins einbehält. Daher erbringt das Vertriebsunternehmen eine Vermittlungsleistung an den Herausgeber des Gutscheins (§ 3a Abs. 2 UStG). Wie bereits o.a. ist die o.a. Entscheidung des BFH70 zu dem Vertrieb von Hotelgutscheinen zweifelhaft, wonach (zunächst) eine Vermittlungsleistung an den Kunden angenommen wird. Sie ist auf die typischen Fälle einer Vermittlungsleistung auch nicht anwendbar, da in dem zugrunde liegenden Fall das Vertriebsunternehmen die nicht eingelösten Gutscheinbeträge nicht an die Hotels weiterleiten musste. Letzteres spricht für den Vertrieb des Gutscheins auf eigene Rechnung und damit nicht für eine Vermittlungsleistung. Zudem hätte (schon das FG) den Vertrag zwischen dem Herausgeber und dem den Gutschein vertreibenden Unternehmen dahingehend prüfen müssen, inwieweit sich aus den darin enthaltenen Bestimmungen ein kausaler Zusammenhang für eine Vermittlungsleistung des Unternehmens an den Herausgeber ableiten lässt. Werden in den Vertrieb von Gutscheinen mehrere Unternehmen als Vermittler und Untervermittler eingeschaltet, erbringen diese jeweils eine Vermittlungsleistung an den in der Kette vorgeschalteten Unternehmer. Liegt eine Vermittlungsleistung vor, schuldet der Herausgeber des Gutscheins die Umsatzsteuer (erst) im Zeitpunkt des Bezugs der Lieferung oder sonstigen Leistung (§ 13 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a UStG). Das Vertriebsunternehmen schuldet die

69 Vgl. aber in diesem Abschnitt IV. 4. unter c). 70 BFH v. 8.9.2011 – V R 42/10, BStBl. II 2012, 248, UR 2012, 153; Widmann, BB 2012, 367.

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Umsatzsteuer auf die Provision mit Ausführung seiner Vermittlungsleistung. Vertraglich ist diese in der Regel dann ausgeführt, wenn der Gutschein verkauft ist. c) Vertrieb von Gutscheinen in eigenem Namen und auf eigene Rechnung Für die Umsatzbesteuerung des Verkaufs von Gutscheinen in eigenem Namen und auf eigene Rechnung kann nicht auf die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Lebara71 zurückgegriffen werden. In dem zugrunde liegenden Fall geht es um die Erbringung von Telekommunikationsdienstleistungen. Unter diesen Begriff fallen aufgrund der in der Mehrwertsteuersystemrichtlinie geregelten Fiktion auch die nicht originären, technischen Telekommunikationsdienstleistungen72. Werden Gutscheine in eigenem Namen und auf eigene Rechnung verkauft, liegt ein Forderungskauf als Spezialform des Rechtskaufs vor (§§ 433, 453 BGB). Da dem Kunden ein Recht eingeräumt wird, kann argumentiert werden, dass die Einräumung eines Rechts eine umsatzsteuerpflichtige sonstige Leistung ist und daher der von dem Kunden für den Gutschein bezahlte Betrag die Umsatzsteuer enthält (§  10 Abs.  1 Satz 2 UStG)73. Beim Vertrieb der Gutscheine durch eingeschaltete Unternehmen entsteht mit dem Verkauf des Gutscheins die Umsatzsteuer. Der erwerbende Unternehmer hat einen Vorsteuerabzug aus dem Betrag, den der Unternehmer dem Herausgeber gezahlt hat (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 UStG). Der Herausgeber wiederum erbringt an den Unternehmer eine umsatzsteuerpflichtige sonstige Leistung gegen Zahlung des Betrags durch den Unternehmer. Mit einer solchen Auslegung wird die Besteuerung der aus dem Hauptvertrag geschuldeten Lieferung oder sonstigen Leistung vorweggenommen. Für eine Besteuerung der von dem Endkunden bezogenen Lieferung oder sonstigen Leistung fehlt es an einem zuordenbaren Entgelt, da die Hingabe des Gutscheins kein Entgelt ist. Insoweit liegt auch kein Fall der Zahlung eines Entgelts durch den eingeschalteten Unternehmer als Dritter an den Herausgeber des Gutscheins vor (§ 10 Abs. 1 Satz 3 UStG), da die Beträge für die Einräumung des Rechts gezahlt werden und nicht (als Alimentierung) für die Erbringung der Hauptleistung. Die von dem Herausgeber zu erbringende Hauptleistung wäre demnach konsequenterweise nicht steuerbar. Nach hier vertretener Ansicht wird mit dem Gutschein jedoch „nur“ das Recht vermittelt, Lieferungen und Leistungen in einem durch den Gutschein betragsmäßig festgelegten Umfang von dem Herausgeber zu fordern (Forderungskauf als Spezialform des Rechtskaufs, §§ 433, 453 BGB)74. Es wird damit nicht, wie bei dem typischen Fall des Rechtskaufs, der unmittelbare Nutzen aus der Einräumung des Rechts durch den Erwerber gezogen. Der Gutschein wird zwar im Namen des Unternehmers an den Endkunden verkauft, allerdings steht die Zahlung des Entgelts auch aus Sicht des 71 EuGH v. 3.5.2012 – C-520/10, ECLI:EU:C:2012:264 – Lebara, BStBl. II 2012, 755, UR 2012, 523. 72 Dazu s. oben Abschnitt IV. 2. a). 73 Vgl. zur Übertragung von Rechten BFH v. 16.7.1970 – V R 95/66, BStBl. II 1970, 766; Abschn. 3.1. Abs. 1 S. 5 UStAE. 74 Dazu s. oben Abschnitt III. 2. b).

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Endkunden im kausalen Zusammenhang mit der zeitlich begrenzt angebotenen Lieferung oder sonstigen Leistung durch den Herausgeber. Allein das Angebot, diese Lieferungen oder sonstigen Leistungen in Anspruch nehmen zu können, veranlassen den Endkunden, den Gutschein zu erwerben. Ein (mündiger) Durchschnittsverbraucher wird nicht davon ausgehen, dass der den Gutschein verkaufende Unternehmer die Lieferung oder sonstige Leistung selbst erbringt. Gegen die Annahme einer sonstigen Leistung des Unternehmers an den Endkunden spricht auch der Umstand, dass der Unternehmer von dem Endkunden für die Einräumung eines Rechts kein Entgelt verlangt, sondern die Erzielung des Entgelts durch das Unternehmen im Innenverhältnis mit dem Herausgeber geregelt wird. Daher ist der Verkauf des Gutscheins im eigenen Namen und auf eigene Rechnung durch den Unternehmer an den Endkunden ein nicht steuerbarer Tausch von Zahlungsmitteln. Die vertragliche Basis für den Verkauf von Gutscheinen in eigenem Namen ist der Vertrag zwischen Herausgeber und Unternehmer, in dem geregelt wird, dass der Unternehmer die Gutscheine vertreiben darf und wie hoch der Einkaufspreis der Gutscheine und damit die von dem Unternehmer erzielbare Marge ist. Damit ermöglicht der Unternehmer dem Herausgeber des Gutscheins, seine Lieferungen oder sonstigen Leistungen dem Endkunden anzubieten. Im Zeitpunkt des Verkaufs der Gutscheine von dem Herausgeber an den Unternehmer gehen beide Parteien davon aus, dass die Gutscheine an den Endkunden verkauft werden und diese den Gutschein umsatzsteuerpflichtig einlösen werden. Daher ist der Einkauf der Gutscheine ebenfalls ein nichtsteuerbarer Tausch von Zahlungsmitteln. Verkauft der Unternehmer den Gutschein an den Endkunden, erbringt er eine umsatzsteuerpflichtige sonstige Leistung an den Herausgeber gegen Entgelt in Höhe der erzielbaren Marge. Im Zeitpunkt des Verkaufs des Gutscheins an den Endkunden entsteht die in der Marge des Unternehmens aus An- und Verkauf des Gutscheins enthaltene Umsatzsteuer. Verzichtet der Endkunde auf die ihm durch den Herausgeber eingeräumte Möglichkeit, Lieferungen oder sonstige Leistungen zu beziehen, liegt eine sonstige Leistung des Herausgebers an den Endkunden vor, da er auf einen mit dem Gutschein verkörperten Anspruch auf Erbringung einer Lieferung oder sonstigen Leistung durch den Herausgeber verzichtet75. Verkauft der Unternehmer innerhalb des Akzeptanzzeitraums nicht die Gutscheine, entfällt der kausale Zusammenhang zu der von dem Herausgeber an den Endkunden zu erbringenden Lieferung oder sonstigen Leistung. Vielmehr hat der Herausgeber dem Unternehmer das Recht auf Vertrieb der Gutscheine gegen Zahlung eines Entgelts eingeräumt und damit erbringt der Herausgeber eine umsatzsteuerpflichtige sonstige Leistung an den Unternehmer.

75 Vgl. zum Verzicht auf eine Rechtsposition BFH v. 7.7.2005 – V R 34/03, BStBl. II 2007, 66 m.w.N., UR 2005, 663 m. Anm. Hummel; Oelmaier in Sölch/Ringleb, § 1 UStG Rz. 103.

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V. Änderung der Mehrwertsteuersystemrichtlinie 1. Definition des Gutscheins Mit der Richtlinie (EU) 2016/1065 wurde die Richtlinie 2006/112/EG (Mehrwertsteuersystemrichtlinie; MwStSystRL) hinsichtlich der Behandlung von Gutscheinen geändert76. Die Änderung beruht auf einem Richtlinienvorschlag der EU-Kommission zur Änderung des Mehrwertsteuersystems hinsichtlich der umsatzsteuerlichen Behandlung von Gutscheinen aus dem Jahr 201277. Gemäß Art. 30a Nr. 1 der MwStSystRL ist ein Gutschein ein Instrument, bei dem die Verpflichtung besteht, es als Gegenleistung oder Teil einer solchen für eine Lieferung von Gegenständen oder eine Erbringung von Dienstleistungen anzunehmen und bei dem die zu liefernden Gegenstände oder zu erbringenden Dienstleistungen oder die Identität der möglichen Lieferer oder Dienstleistungserbringer entweder auf dem Instrument selbst oder der damit zusammenhängenden Unterlagen einschließlich der Bedingungen für die Nutzung dieses Instruments, angegeben sind. 2. Einzweck-Gutschein Die Gutscheine sind in Ein- und Mehrzweck-Gutscheine zu unterscheiden (Art. 30a Nr. 2 und Nr. 3 MwStSystRL). Ein Einzweck-Gutschein liegt vor, wenn der Ort der Lieferung der Gegenstände oder der Erbringung der Dienstleistungen, auf die sich der Gutschein bezieht und die für diese Gegenstände und Dienstleistungen geschuldete Mehrwertsteuer zum Zeitpunkt der Ausstellung des Gutscheins feststehen (Art. 30 a Nr. 2 MwStSystRL). Die Übertragung eines Einzweck-Gutscheins in eigenem Namen führt zur Umsatzbesteuerung der mit dem Einzweck-Gutschein verbundenen Lieferung oder sonstigen Leistung (Art. 30 b Abs. 1 MwStSystRL). Wird der Einzweck-Gutschein in fremden Namen übertragen, gilt die Übertragung als Lieferung oder sonstige Leistung desjenigen, in dessen Namen der Gutschein übertragen wird (Art. 30 b Abs. 1 MwStSystRL). Dementsprechend wird auch eine Lieferung oder sonstige Leistung des Lieferers oder Dienstleisters an den in eigenem Namen handelnden Unternehmer angenommen (Art. 30 b Abs. 1 MwStSystRL). Im Fall des Verkaufs eines Einzweck-Gutscheins wird demnach bei dem Vertrieb über mehrere Unternehmer eine Leistungskette fingiert, die zu einer Umsatzbesteuerung in dem Zeitpunkt des Verkaufs des Gutscheins auf jeder Stufe erfolgt. Bemessungs-

76 Richtlinie (EU) 2016/1065 des Rates v. 27.6.2016 zur Änderung der Richtlinie 2006/112/EG hinsichtlich der Behandlung von Gutscheinen, ABl. EU Nr. L 177 v. 1.7.2016, S. 9. 77 Vorschlag der Europäischen Kommission für eine Richtlinie des Rates zur Änderung der RL 2006/112/EG über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem hinsichtlich der Behandlung von Gutscheinen, 10.5.2012; vgl. dazu ausführlich Feil/Kupke/Greisl, BB 2012, 3113 (3118).

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grundlage ist das gezahlte Entgelt für den Einzweck-Gutschein und nicht der Nennwert des Gutscheins. 3. Mehrzweck-Gutschein Liegen die Voraussetzungen eines Einzweck-Gutscheins nicht vor, handelt es sich um einen Mehrzweck-Gutschein (Art. 30 a Nr. 3 MwStSystRL). Im Fall eines Mehrzweck-Gutscheins unterliegt die tatsächliche Übergabe der Gegenstände oder die ­tatsächliche Erbringung der Dienstleistung dem allgemeinen umsatzsteuerlichen ­Anwendungsbereich gem. Art.  2 MwStSystRL. Die Übertragung des Mehrzweck-­ Gutscheins ist nicht steuerbar. Allerdings unterliegen alle bestimmbaren Dienstleistungen wie etwa Vertriebs- oder Absatzförderungsleistungen der Mehrwertsteuer (Art. 30 b Abs. 2 MwStSystRL). In dem neu eingefügten Art. 73 a MwStSystRL wird die Bemessungsgrundlage für die Lieferung von Gegenständen oder die Erbringung von Dienstleistungen bei Mehrzweck-Gutscheinen geregelt. Danach bestimmt sich das Entgelt nach der für den Gutschein gezahlten Gegenleistung oder bei fehlenden Informationen nach dem auf dem Gutschein angegebenen Geldwert. 4. Zeitliche Anwendung und Umsetzung Nach Art. 410 a gelten die o.a. Art. 30 a, 30 b und 73 a für nach dem 31.12.2018 ausgestellte Gutscheine. Die Richtlinie ist bis zum 31.12.2018 in nationales Recht umzusetzen und ab dem 1.1.2019 anzuwenden. 5. Stellungnahme Die Unterscheidung zwischen einem Einzweck- und Mehrzweck-Gutschein wird künftig eine erhebliche Rolle spielen. Insofern bedarf es einer eingehenden Analyse der mit dem Gutschein verbundenen Lieferungen oder Dienstleistungen und deren Umsatzbesteuerung. Im Fall der über das Internet erbrachten Dienstleistungen dürfte die Annahme eines Einzweck-Gutscheins eine Ausnahme sein, da die Leistungen von Endkunden in verschiedenen Staaten abgerufen werden können und damit der Ort der Dienstleistung im Zeitpunkt des Verkaufs nicht feststeht. Im Fall des Vertriebs von Mehrzweck-Gutscheinen ist zwar in Art. 30 b MwStSysRL erwähnt, dass die in diesem Zusammenhang „bestimmbaren“ Dienstleistungen der Mehrwertsteuer unterliegen, allerdings wird offengelassen, wer an wen diese Dienstleistungen erbringt. In diesem Zusammenhang ist auch unklar, ob es dabei darauf ankommt, ob der Vertrieb der Mehrzweck-Gutscheine in eigenem oder fremdem Namen oder auf eigene oder fremde Rechnung erfolgt. Dem letztlich aber nicht maßgebenden Vorschlag der Europäischen Kommission ist zu entnehmen, dass die EU-Kommission von Vertriebsleistungen des eingeschalteten Unternehmens an den 713

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Herausgeber der Gutscheine ausgegangen ist78. Nach hier vertretener Ansicht werden sonstige Leistungen, wie auch schon nach derzeitiger Rechtslage, von dem Unternehmen an den Herausgeber erbracht und zwar unabhängig davon, ob die Gutscheine im eigenen Namen und auf eigene Rechnung verkauft werden79. In wessen Namen und auf wessen Rechnung der Mehrzweck-Gutschein verkauft wird, soll offenbar künftig keine Rolle spielen, da hierauf in dem neuen Art.  30b MwStSystRL nicht eingegangen wird. Gleichwohl hätte eine entsprechende Formulierung diesbzgl. in der MwStSystRL für mehr Klarheit gesorgt. In Anbetracht der schwierigen umsatzsteuerrechtlichen Bewertung des Vertriebs von Gutscheinen, die in eigenem Namen und auf eigene Rechnung erfolgt80, ist aber die vereinfachende Regelung aus Sicht der Rechtsanwender zu begrüßen. Ein Vorschlag für die Änderung des Umsatzsteuergesetzes liegt, soweit ersichtlich, derzeit noch nicht vor. Insoweit bleibt abzuwarten, wie die neuen Regelungen in der MwStSystRL in das Umsatzsteuergesetz umgesetzt werden.

78 Vgl. Feil/Kupke/Greisl, BB 2012, 3113. 79 Vgl. Feil/Kupke/Greisl, BB 2012, 3113. 80 Siehe oben Abschnitt IV. 4. c).

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Steuerfreie Zusammenschlüsse in der Umsatzsteuer Inhaltsübersicht

I. Ausgangslage 1. Steuerbarkeit 2. Steuerfreiheit nach nationalem Recht und Richtlinie 3. Problemstellung

II. Allgemeine Voraussetzungen für die Berufung auf das Unionsrecht 1. Richtlinienwidrigkeit des nationalen Rechts 2. Eigenständige Berufbarkeit der Richt­ linie 3. Branchenbezogene Einschränkungen a) Einschränkung auf gemeinwohl­ bezogene Unternehmer b) Folgen für die Berufung auf die Richtlinie III. Tatbestandliche Voraussetzungen der unionsrechtlichen Steuerfreiheit 1. Leistender und Leistungsempfänger a) Leistender





b) Leistungsempfänger c) Grundlage der Leistungserbringung 2. Leistungsverwendung a) Bisherige BFH-Rechtsprechung und Finanzverwaltung b) Alternativbetrachtung 3. Wettbewerbsklausel a) Bisherige Rechtsprechung b) EuGH und Generalanwältin 4. Entgelt a) Gesetzliche Regelungen b) Gewinnaufschlag kein Kosten­ bestandteil c) Folgebetrachtung

IV. Leistungen an Mitglieder, die keine Steuerpflichtigen sind 1. Juristische Personen des öffentlichen Rechts 2. Verbraucher

V. Zusammenfassung

Georg Crezelius hat sich immer wieder mit Fragen an der Schnittstelle von Gesellschaftsund Steuerrecht beschäftigt. Die Umsatzsteuer ist hier insbesondere dann von Bedeutung, wenn Gesellschaften Leistungen an ihre nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten Gesellschafter erbringen. Das Entstehen einer nichtabzugsfähigen Vorsteuerbelastung lässt sich dann nur über eine Steuerfreiheit der durch die Gesellschaft erbrachten Leistung vermeiden. Einen derartigen Befreiungstatbestand enthält das nationale Umsatzsteuerrecht nur für sehr eng begrenzte Ausnahmefälle. Wie der EuGH kürzlich entschieden hat, bleibt das nationale Recht damit hinter den Anforderungen des Unionsrechts zurück. Der folgende Beitrag geht der Frage nach, welche Folgen sich hieraus ergeben.

I. Ausgangslage 1. Steuerbarkeit Unternehmer können sich zusammenschließen, damit ein Gemeinschaftsunternehmen wie etwa eine GmbH an die Unternehmer als GmbH-Gesellschafter Leistungen erbringt, die diese für ihre unternehmerische Tätigkeit benötigen. Es liegen dann 715

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steuerbare und damit dem Anwendungsbereich der Umsatzsteuer unterliegende Leistungen der GmbH an ihre Gesellschafter vor. Das für die Steuerbarkeit erforderliche Entgelt ergibt sich aus der anteiligen Kostentragung durch die Gesellschafter. Bereits Aufwendungsersatz begründet die Entgeltlichkeit1. Das für den steuerbaren Leistungsaustausch erforderliche Rechtsverhältnis kann sich auch aus einem Gesellschaftsvertrag ergeben2. Ohne gesonderte Steuerfreiheit sind die Leistungen der GmbH steuerpflichtig und wirken kostenerhöhend, wenn die Gesellschafter nach ihrer Unternehmenstätigkeit nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sind. Dies ist auch die Sichtweise des EuGH, der in der Steuerfreiheit für den Zusammenschluss nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL einen konstitutiven Befreiungstatbestand sieht3. Er hat damit die Auffassung eines Generalanwalts4 verworfen, nach der sich aus dieser Regelung eigentlich eine fehlende Steuerbarkeit ergebe. Die Bestimmung hätte danach eigentlich nur deklaratorische Bedeutung gehabt. 2. Steuerfreiheit nach nationalem Recht und Richtlinie Das nationale Recht sieht eine Steuerfreiheit für eine Kostengemeinschaft mehrerer Personen nur im Gesundheitsbereich vor. So sind nach §  4 Nr.  14 Buchst.  d UStG sonstige Leistungen von Gemeinschaften an ihre Mitglieder steuerfrei, wenn die Mitglieder Berufsangehörige oder Einrichtungen i.S.v. § 4 Nr. 14 Buchst. a oder b UStG sind, die diese Leistungen für unmittelbare Zwecke ihrer dort genannten Tätigkeiten verwenden, und die Gemeinschaft von ihren Mitgliedern lediglich die genaue Erstattung des jeweiligen Anteils an den gemeinsamen Kosten fordert. Das Unionsrecht enthält einen weitergehenden Befreiungstatbestand in Art.  132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL. Steuerfrei sind danach Dienstleistungen, die selbstständige Zusammenschlüsse von Personen, die eine Tätigkeit ausüben, die von der Steuer befreit ist oder für die sie nicht Steuerpflichtige sind, an ihre Mitglieder für unmittelbare Zwecke der Ausübung dieser Tätigkeiten erbringen. Die Zusammenschlüsse dürfen von ihren Mitgliedern lediglich die genaue Erstattung des jeweiligen Anteils an den gemeinsamen Kosten fordern. Die Befreiung darf zudem nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung führen. 3. Problemstellung Die Befreiungstatbestände des nationalen Rechts und der Richtline entsprechen sich in den meisten Voraussetzungen, weisen aber auch offensichtliche Unterschiede auf.

1 BFH v. 5.12.2007 – V R 60/05, BStBl. II 2009, 486, UR 2008, 616, GmbHR 2008, 725. 2 BFH v. 5.12.2007 – V R 60/05, BStBl. II 2009, 486, UR 2008, 616, GmbHR 2008, 725. 3 EuGH v. 4.5.2017  – C-274/15, Kommission/Luxemburg, EU:C:2017:333, UR 2017, 424 Rz. 61. 4 Schlussanträge des Generalanwalts Wathelet v. 5.4.2017 in der Rechtssache Kommission/ Deutschland – C-616/15, EU:C:2017:272 Rz. 78 ff.

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Steuerfreie Zusammenschlüsse in der Umsatzsteuer

So befreien nationales Recht wie Richtline nur die Leistungen der Gemeinschaft und des Zusammenschlusses an seine (ihre) Mitglieder, nicht aber auch Leistungen an die Gemeinschaft oder den Zusammenschluss. Ebenso wenig sind Leistungen zwischen den Mitgliedern steuerfrei. Steuerfrei sind nach nationalem Recht und Richtlinie gleichermaßen nur sonstige Leistungen (Dienstleistungen), nicht aber auch Lieferungen. Das Mitglied muss die Leistung nach beiden Regelungskreisen für unmittelbare Zwecke seiner steuerfreien Tätigkeit verwenden5. Als Entgelt darf jeweils nur eine genaue Erstattung des jeweiligen Anteils an den gemeinsamen Kosten gewährt werden. Demgegenüber bestehen offensichtliche Unterschiede in zwei Bereichen. Zum einen verengt das nationale Recht die Steuerfreiheit auf den Gesundheitsbereich. Mitglieder der Gemeinschaft müssen Unternehmer mit nach § 4 Nr. 14 Buchst. a und b UStG steuerfreien Umsätzen und damit im Wesentlichen Ärzte und Krankenhäuser sein. Nach dem Wortlaut der Richtlinie kann Mitglied des Zusammenschlusses weitergehend jeder Unternehmer mit steuerfreien Umsätzen sein. Auch Nichtunternehmer können einen Zusammenschluss bilden. Zum anderen verzichtet das nationale Recht auf die von der Richtlinie vorgesehene Wettbewerbsprüfung. Damit stellt sich die Frage, ob Unternehmer mit steuerfreien Umsätzen außerhalb des Gesundheitsbereichs (gleichgestellt: Nichtunternehmer) einen Zusammenschluss bilden können, der dann unter Berufung auf die Richtlinie und unter Einhaltung des dort vorgesehenen Wettbewerbsvorbehalts steuerfreie Leistungen erbringen kann, obwohl das nationale Recht hierfür eine Steuerpflicht vorsieht.

II. Allgemeine Voraussetzungen für die Berufung auf das Unionsrecht 1. Richtlinienwidrigkeit des nationalen Rechts Nach dem EuGH-Urteil Kommission/Deutschland6 ist das nationale Recht richtlinienwidrig. Danach hat Deutschland gegen Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL verstoßen, da es die Mehrwertsteuerbefreiung auf selbständige Zusammenschlüsse von Personen beschränkt, deren Mitglieder eine begrenzte Anzahl von Berufen ausüben. Gegen das Vorbringen der Bundesrepublik, dass Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSyst­ RL auf Zusammenschlüsse beschränkt sei, deren Mitglieder eine berufliche Tätigkeit im Gesundheitsbereich ausübten, führt der EuGH an, dass Zusammenschlüsse aller Mitglieder mit nach Art. 132 MwStSystRL steuerfreien Umsätzen begünstigt seien. Die Steuerfreiheit solle vermeiden, dass jemand, der bestimmte Dienstleistungen anbietet, Mehrwertsteuer entrichten muss, wenn er genötigt ist, mit anderen Berufsaus5 Nach der Richtlinie kann es sich auch um eine nichtsteuerbare Tätigkeit des Mitglieds handeln; s. hierzu unten IV. 6 EuGH v. 21.9.2017 – C-616/15, Kommission/Deutschland, EU:C:2017:721, UR 2017, 792.

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übenden im Rahmen einer gemeinsamen Struktur zusammenzuarbeiten, die Tätigkeiten übernimmt, die zur Erbringung dieser Dienstleistungen erforderlich sind7. Die Einschränkung der Steuerfreiheit auf den Gesundheitsbereich könne auch nicht mit der für die Steuerfreiheit erforderlichen Wettbewerbsprüfung gerechtfertigt werden. Es stehe dem nationalen Gesetzgeber zwar frei, zum Zweck der Bestimmung, ob die Anwendung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL auf eine bestimmte Tätigkeit zu einer Wettbewerbsverzerrung führen kann, Vorschriften vorzusehen, die von den zuständigen Behörden einfach gehandhabt und kontrolliert werden können. Eine gesetzliche Wettbewerbsklausel dürfe sich aber nicht wie im Streitfall auf die Bestimmung des Inhalts der von dieser Richtlinie vorgesehenen Steuerbefreiungen beziehen8. 2. Eigenständige Berufbarkeit der Richtlinie Der so festgestellte Richtlinienverstoß eröffnet dem Steuerpflichtigen nicht automatisch die Möglichkeit für eine Berufung auf die Richtlinie. Es ist vielmehr gesondert zu prüfen, ob die jeweilige Bestimmung inhaltlich unbedingt und hinreichend genau ist9. Hierzu hat sich der EuGH bei Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL nicht geäußert. Nach den Schlussanträgen der Generalanwältin in der Rechtssache DNB Banka kommt Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL allerdings unmittelbare Wirkung zu. Sie sieht die Bestimmung als inhaltlich unbedingt und hinreichend genau an10. Auch der BFH hat die grundsätzliche Berufbarkeit der Steuerfreiheit bereits in der Vergangenheit bejaht. So kann nach seinem Urteil v. 23.4.200911 ein Zusammenschluss mehrerer gesetzlicher Krankenkassen nach der Richtlinie steuerfrei sein. 3. Branchenbezogene Einschränkungen a) Einschränkung auf gemeinwohlbezogene Unternehmer Hat der EuGH damit die sich aus einer Wortlautbetrachtung ergebende Richtlinienwidrigkeit fast schon erwartungsgemäß bestätigt, kommt der EuGH bei seiner Beurteilung dann doch zu einer etwas überraschenden Einschränkung in Bezug auf die Reichweite der sich aus der Richtlinie ergebenden Steuerfreiheit. 7 EuGH v. 21.9.2017 – C-616/15, Kommission/Deutschland, EU:C:2017:721, UR 2017, 792. 8 EuGH v. 21.9.2017 – C-616/15, Kommission/Deutschland, EU:C:2017:721, UR 2017, 792. 9 So hat der EuGH z.B. im Bereich der Organschaft im Urteil Larentia + Minerva v. 16.7.2015 C-108/14 und C-109/14, EU:C:2015:496 Rz. 46 und 52 entschieden, dass die Einschränkung in § 2 Abs. 2 Nr. 2 UStG auf juristische Personen Art. 11 MwStSystRL widerspricht. Gleichwohl können sich Steuerpflichtige hiergegen nicht auf die Richtlinie berufen, da Art. 11 MwStSystRL zu unbestimmt ist. 10 Schlussanträge der Generalanwältin Kokott v. 1.3.2017, EU:C:2017:145 Rz. 30. 11 BFH v. 23.4.2009 – V R 5/07, BFHE 226, 116, UR 2009, 762 zu einem Zusammenschluss mehrerer Krankenkassen der gesetzlichen Krankenversicherung.

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Steuerfreie Zusammenschlüsse in der Umsatzsteuer

So legt der Wortlaut von Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL eigentlich die Annahme nahe, dass der Zusammenschluss steuerfreie Leistungen an alle Mitglieder erbringen kann, die steuerfreie Umsätze beliebiger Art ausführen. Dies ist aber nicht die Sichtweise des EuGH. Nach seinen Urteilen DNB Banka und Aviva12 erfasst Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL nur die selbständigen Zusammenschlüsse, deren Mitglieder eine nach Art. 132 MwStSystRL dem Gemeinwohl dienende Tätigkeit ausüben, so dass die Dienstleistungen eines Zusammenschlusses, dessen Mitglieder eine wirtschaftliche Tätigkeit im Finanzdienstleistungsbereich oder im Versicherungswesen ausüben, nicht steuerfrei sind. Der EuGH begründet dies insbesondere mit der Systematik der Richtlinie. Das Ergebnis des EuGH überrascht, hat er doch im Urteil Taksatorringen13 die Steuerfreiheit eines Zusammenschlusses mehrerer Versicherungsgesellschaften unterstellt. Man kann daraus wohl nur ableiten, dass sich der EuGH bisweilen auf die Untersuchung der ihm vorgelegten Frage beschränkt, ohne sich mit deren Prämissen zu beschäftigen. Damit hat der nationale Gesetzgeber zu Recht gegen einen – nicht verwirklichten – Gesetzgebungsvorschlag14 zur Schaffung eines § 4 Nr. 29 UStG entschieden. Steuerfrei sollten danach die sonstigen Leistungen von Gemeinschaften sein, deren Mit­ glieder überwiegend steuerfreie Leistungen der in §  4 Nr.  8 oder Nr.  10 UStG bezeichneten Art erbringen. Die Steuerfreiheit sollte für Leistungen an Mitglieder gelten, soweit diese die bezogenen Leistungen für unmittelbare Zwecke der Ausführung von steuerfreien Leistungen der in § 4 Nr. 8 oder Nr. 10 UStG bezeichneten Art verwenden und die Gemeinschaft von ihren Mitgliedern lediglich die genaue Erstattung des jeweiligen Anteils an den gemeinsamen Kosten fordert. Nach Maßgabe der nunmehr vorliegenden EuGH-Rechtsprechung wäre eine derartige Regelung unionsrechtswidrig. b) Folgen für die Berufung auf die Richtlinie Die Einschränkung der Steuerfreiheit auf die Unternehmer, deren Leistungen nach Art. 132 MwStSystRL steuerfrei sind, mag für die gem. Art. 135 MwStSystRL steuerfreien Versicherungen und Banken bedauerlich sein und zu einer ganz erheblichen Einschränkung der Steuerfreiheit für Zusammenschlüsse führen. Gleichwohl verbleibt der Steuerfreiheit nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL ein bedeutsamer Anwendungsbereich, der sich zugunsten aller Unternehmer auswirken kann, die nach Art.  132 MwStSystRL steuerfreie Leistungen erbringen. Begünstigt sind somit insbesondere die Unternehmer mit nach § 4 Nr. 14 ff. UStG steuerfreien Umsätzen, soweit sich hierfür eine Grundlage in Art. 132 MwStSystRL findet. Zusam12 EuGH v. 21.9.2017  – C-326/15, DNB Banka, EU:C:2017:719, UR 2017, 801 und v. 21.9.2017 – C-605/15, Aviva, EU:C:2017:718, UR 2017, 806. 13 EuGH v. 20.11.2003 – C-8/01, Taksatorringen, EU:C:2003:621. 14 Bundesrat Drs 442/1/09, 12.

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menschlüsse können somit nicht nur im Gesundheitsbereich, sondern auch von Pflegeeinrichtungen15, Mitgliedern von Wohlfahrtsverbänden16, politischen Parteien17, Blinden18, oder von Einrichtungen in den Bereichen der Kultur19, des Unterrichts20 oder der Kinder- und Jugendbetreuung21 gebildet werden. Möglich ist auch ein Zusammenschluss von Unternehmern aus unterschiedlichen Bereichen, wie etwa bei einem Zusammenschluss von Pflege- und Kultureinrichtungen. Steuerfrei ist schließlich auch ein Zusammenschluss von Posteinrichtungen22 oder Rundfunk- und Fernsehanstalten23.

III. Tatbestandliche Voraussetzungen der unionsrechtlichen ­Steuerfreiheit 1. Leistender und Leistungsempfänger a) Leistender aa) Rechtsform des Zusammenschlusses Für den Zusammenschluss bestehen keine rechtsformbezogenen Vorgaben. Es kann sich um eine Personengesellschaft oder eine juristische Person handeln. Sieht der EuGH bei der Zusammenfassung zu einem Steuerpflichtigen (Organschaft) nach Art. 11 MwStSystRL aus Gründen der steuerlichen Neutralität eine Differenzierung zwischen juristischer Person und Personengesellschaft als grundsätzlich unzulässig an24, gilt dies ebenso für den Zusammenschluss gem. Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL. Für die Steuerfreiheit nach dieser Bestimmung spielt es daher keine Rolle, ob der Zusammenschluss in der Rechtsform einer GbR, einer offenen Handelsgesellschaft, eines Vereins, einer GmbH oder einer Genossenschaft gegründet wird25. Der BFH hat bereits in der Vergangenheit die GbR als Gemeinschaft für Zwecke der Steuerfreiheit angesehen26. 15 § 4 Nr. 16 UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL. 16 § 4 Nr. 18 UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. g MwStSystRL. 17 § 4 Nr. 18a UStG; die Grundlage hierfür im Unionsrecht ist zweifelhaft – in Betracht käme für Leistungen an Mitglieder Art. 132 Abs. 1 Buchst. l MwStSystRL. 18 § 4 Nr. 19 UStG; das Unionsrecht lässt dies aber nur über Art. 371 i.V.m. Anhang X Teil B Nr. 5 MwStSystRL zu. 19 § 4 Nr. 20 UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. n MwStSystRL. 20 § 4 Nr. 21 und 22 UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. i MwStSystRL. 21 § 4 Nr. 23 bis 27 UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. h und i MwStSystRL. 22 § 4 Nr. 11b UStG, Art. 132 Abs. 1 Buchst. a MwStSystRL. 23 Art. 132 Abs. 1 Buchst. q MwStSystRL. 24 EuGH-Urteil Larentia + Minerva v. 16.7.2015 − C-108/14 und C-109/14, EU:C:2015:496 Rz. 46. 25 Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob sich eine oder einige dieser Rechtsformen im Hinblick auf die weiteren Voraussetzungen der Steuerfreiheit als untauglich erweist, vgl. hierzu unten III.4. 26 BFH v. 21.6.1990 – V R 94/85, UR 1991, 48, BFH/NV 1992, 773.

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bb) Unternehmereigenschaft des Zusammenschlusses Der Zusammenschluss muss allerdings unternehmerfähig sein. Nach der EuGH-­ Rechtsprechung ist der Zusammenschluss ein eigener, von seinen Mitgliedern verschiedener Steuerpflichtiger. Der so verselbständigte Zusammenschluss erbringt ­seine Leistungen als eigenständiger Unternehmer. Bei Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL handelt es sich somit um eine konstitutive Steuerfreiheit für steuerbare Leistungen von Unternehmern und nicht nur um eine deklaratorische Bestimmung, die lediglich klarstellt, dass es bereits an der Steuerbarkeit fehlt27. Danach handelt es sich z.B. bei der Gemeinschaft nach Bruchteilen gem. §§ 741 ff. BGB, in deren Rahmen den Teilhabern die Nutzung eines gemeinschaftlich erworbenen Gegenstands ermöglicht wird, nicht um einen Zusammenschluss, der steuerfreie Leistungen erbringt, da diese Gemeinschaft weder Unternehmer ist noch steuerbare Umsätze ausführt28. Ebenso kann ein Zusammenschluss im Hinblick auf das Erfordernis einer eigenen Unternehmerstellung nicht auf rein schuldrechtlicher Grundlage durch synallagmatische Austauschverträge gegründet werden. cc) Zusammenschluss mehrere Personen Der Zusammenschluss muss durch mindestens zwei Personen erfolgen. So geht der BFH davon aus, dass es sich bei einer GmbH mit nur einem Gesellschafter nicht um einen Zusammenschluss handelt, so dass eine derartige GmbH keine steuerfreien Leistungen an ihren Alleingesellschafter erbringen kann29. dd) Verfolgung weiterer Zwecke Steht die Leistungserbringung an Nichtmitglieder der Steuerfreiheit der an Mitglieder erbrachten Leistung nicht entgegen30, kann der Zusammenschluss als zu einer beliebigen weiteren Zweckverfolgung berechtigt angesehen werden. Danach steht es der Steuerfreiheit nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL nicht entgegen, wenn der Zusammenschluss neben den nach dieser Bestimmung steuerfreien sonstigen Leistungen auch Waren liefert oder andere steuerfreie Leistungen nach Art.  132 oder Art. 135 MwStSystRL erbringt.

27 EuGH v. 4.5.2017  – C-274/15, Kommission/Luxemburg, EU:C:2017:333, UR 2017, 424 Rz. 61. 28 Zur Gemeinschaft nach Bruchteilen, vgl. Wäger in Birkenfeld/Wäger, USt-Hdb, Kap. I.3.A Rz. 235 ff. 29 BFH v. 2.12.2015 – V R 67/14, BFHE 251, 547, GmbHR 2016, 250, UR 2016, 199. 30 S. unten III.1.b)bb).

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b) Leistungsempfänger aa) Leistungen an Mitglieder Steuerfrei sind nur die Leistungen an Mitglieder, die diese für die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL genannten Zwecke verwenden. Für die Steuerfreiheit kommt es dabei nicht darauf an, dass alle Mitglieder im gleichen Umfang Leistungen beziehen31. Auch die Leistungen, die von einem selbständigen Zusammenschluss seinen Mitgliedern in verschiedenen Veranlagungszeiträumen oder nur einem oder einigen seiner Mitglieder im gleichen Veranlagungszeitraum erbracht werden, sind steuerfrei32. Der EuGH erkennt ausdrücklich an, dass die Steuerfreiheit auch dann zu gewähren ist, wenn sich die Bedürfnisse der Mitglieder unterscheiden. Zudem ist es für die Steuerfreiheit nicht erforderlich, dass die Mitglieder nur die in Art.  132 Abs.  1 Buchst.  f MwStSystRL bezeichneten Tätigkeiten ausüben. So beschränkt sich die Steuerfreiheit nach dem EuGH-Urteil Kommission/Luxemburg33 nicht auf die Zusammenschlüsse, deren Mitglieder ausschließlich eine Tätigkeit ausüben, die von der Steuer befreit ist oder für die sie nicht Steuerpflichtige sind. Danach kann der Zusammenschluss Dienstleistungen an Mitglieder auch dann steuerfrei erbringen, wenn diese in einem Teilbereich steuerpflichtig tätig sind. Es ist dann allerdings nach der Leistungsverwendung durch das Mitglied zu differenzieren. Steuerfrei sind nur die Leistungen, die das Mitglied für die in Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSyst­ RL bezeichneten Tätigkeiten verwendet. Nutzt es demgegenüber die Leistung für eigene steuerpflichtige Umsätze, ist der Leistungsbezug vom Zusammenschluss steuerpflichtig. bb) Folgen einer Leistungserbringung an Dritte Leistungen des Zusammenschlusses an Dritte, die nicht Mitglieder sind, sind steuerpflichtig34. Fraglich ist, ob sich derartige Leistungen auf die Steuerfreiheit der an die Mitglieder erbrachten Leistungen auswirken können. Ergäbe sich aus Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL ein Verbot einer Leistungserbringung an Dritte, würden derartige Leistungen zur Steuerpflicht der an die Mitglieder erbrachten Leistungen führen. Dem Wortlaut der Bestimmung ist eine derartige Einschränkung nicht zu entnehmen. Zu beachten ist allerdings auch, dass die einzelnen Voraussetzungen der Steuerfreiheit nicht völlig isoliert voneinander betrachtet werden können, sondern sich gegen31 EuGH v. 11.12.2008 − C-407/07, Stichting Centraal Begeleidingsorgaan voor de Intercollegiale Toetsing, EU:C:2008:713; Abschn. 4.14.8 Abs. 3 Satz 3 UStAE. 32 EuGH v. 11.12.2008 − C-407/07, Stichting Centraal Begeleidingsorgaan voor de Intercollegiale Toetsing, EU:C:2008:713. 33 EuGH v. 4.5.2017  – C-274/15, Kommission/Luxemburg, EU:C:2017:333, UR 2017, 424 Rz. 53. 34 S. oben I.3.

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seitig beeinflussen. So setzt die Steuerfreiheit auch voraus, dass es nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung kommt. Ist es dem Zusammenschluss möglich, Leistungen an Mitglieder steuerfrei und zugleich an Nichtmitglieder steuerpflichtig zu erbringen, kann es dem Zusammenschluss aufgrund des so vergrößerten Abnehmerkreises möglich sein, seine Leistungen aufgrund von Skaleneffekten kostengünstiger anzubieten. Dies kann für eine Wettbewerbsbeeinträchtigung sprechen35. c) Grundlage der Leistungserbringung Zu entscheiden ist auch, auf welcher Grundlage der Zusammenschluss für seine Mitglieder tätig sein kann. Ist der Zusammenschluss gesellschafts- oder vereinsrechtlicher Art, kann sich das der steuerfreien Leistungserbringung zugrunde liegende Rechtsverhältnis aus dem Gesellschaftsvertrag oder der Satzung ergeben. Besondere Formerfordernisse bestehen aber nicht. Daher steht auch eine Leistungserbringung auf der Grundlage ergänzender schuldrechtlicher Vereinbarungen der Steuerfreiheit nicht entgegen. 2. Leistungsverwendung a) Bisherige BFH-Rechtsprechung und Finanzverwaltung Der BFH hat das Erfordernis der Unmittelbarkeit in der Vergangenheit sehr restriktiv ausgelegt. So ging der BFH36 im Heilbehandlungsbereich davon aus, dass sich aus dem Erfordernis der Unmittelbarkeit der Ausschluss von Zwischenstufen ergibt. Die unmittelbare Verwendung erfordert danach, dass die jeweilige Gemeinschaftsleistung selbst gegenüber den Patienten eingesetzt wird. Danach reicht es nicht aus, dass die Leistung der Gemeinschaft die ärztliche Behandlungsleistung lediglich ermöglicht. Auf dieser Grundlage differenzierte der BFH zwischen −− den steuerfreien medizinisch-technischen Leistungen der Gemeinschaft, die in die ärztliche Behandlungsleistung einfließen und bei der heilberuflichen Betätigung am menschlichen Körper verwendet werden, und −− steuerpflichtigen Verwaltungsleistungen37, die auf einer Zwischenstufe erbracht werden, auf die die eigentliche ärztliche Leistung erst folgt und dabei die ärztliche Behandlung nur allgemein vorbereiten, unterstützen und ergänzen. Dabei hielt der BFH nach Sinn und Zweck eine „enge“ Auslegung für erforderlich. Der BFH hat hieran bis in jüngere Zeit festgehalten38.

35 S. unten III.3. 36 BFH v. 21.6.1990 – V R 94/85, UR 1991, 48, BFH/NV 1992, 773. 37 Im Streitfall ging es um Einstellung von Personal, Errechnung der Gehälter, Bezahlung von Rechnungen und Erstellung von Krankenscheinabrechnungen. 38 BFH v. 29.10.2013 – V B 58/13, BFH/NV 2014, 192.

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Dieser Rechtsprechung folgt die Finanzverwaltung. Danach sind Leistungen in den Bereichen Buchführung, Rechtsberatung oder als ärztliche Verrechnungsstelle von der Steuerfreiheit ausgeschlossen39. Laborleistungen können demgegenüber aus Sicht der Finanzverwaltung unter die Steuerfreiheit fallen40. Die Finanzverwaltung begründet ihre restriktive Sichtweise mit dem Wettbewerbskriterium41. b) Alternativbetrachtung Ob auch der EuGH einer derart restriktiven Sichtweise folgen würde, ist zweifelhaft. So fallen nach dem EuGH-Urteil Kommission/Deutschland42 Leistungen unter Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL, wenn sie unmittelbar zur Ausübung von Tätigkeiten beitragen, die nach Art. 132 dieser Richtlinie dem Gemeinwohl dienen. Dies deutet auf eine großzügigere Sichtweise des EuGH in Bezug auf das Verwendungserfordernis beim Leistungsempfänger hin. Grundlage hierfür könnte eine Parallele zum Vorsteuerabzug sein. Der EuGH differenziert hier bekanntlich zwischen Einzel- und Gemeinkosten. So kommt es für den direkten und unmittelbaren Zusammenhang zwischen Eingangs- und Ausgangsleistung darauf an, ob der Zusammenhang zu einem bestimmten Ausgangsumsatz oder zur wirtschaftlichen Gesamttätigkeit besteht43. Diese Differenzierung kann auch für die Auslegung von Art.  132 Abs.  1 Buchst.  f MwStSystRL von Bedeutung sein. Danach kommt es auf die bislang angenommene „Sachnähe“ der vom Zusammenschluss erbrachten Leistung zur steuerfreien Leistung des Mitglieds nicht an. Für die Steuerfreiheit der Leistungserbringung reicht es vielmehr aus, dass die vom Zusammenschluss bezogene Leistung zu den Einzelkosten der steuerfreien Leistung des Mitglieds gehört.

39 Abschn. 4.14.8 Abs. 3 Satz 2 UStAE. 40 Abschn. 4.14.8 Abs. 5 UStAE. 41 Abschn. 4.14.8 Abs. 7 UStAE. 42 EuGH v. 21.9.2017 – C-616/15, Kommission/Deutschland, EU:C:2017:721, UR 2017, 792 Rz. 48. 43 EuGH-Urteil Larentia  + Minerva v. 16.7.2015 C-108/14 und C-109/14, EU:C:2015:496 Rz. 23 f. Der EuGH führt hier aus: Die Mehrwertsteuer kann nur abgezogen werden, wenn die Eingangsumsätze direkt und unmittelbar mit zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätzen zusammenhängen. Das Recht auf Abzug der für den Bezug von Gegenständen oder Dienstleistungen auf der Eingangsstufe entrichteten Mehrwertsteuer ist nur gegeben, wenn die hierfür getätigten Aufwendungen zu den Kostenelementen der auf der Ausgangsstufe versteuerten, zum Abzug berechtigenden Umsätze gehören. Ein Recht auf Vorsteuerabzug wird jedoch zugunsten des Steuerpflichtigen auch bei Fehlen eines direkten und unmittelbaren Zusammenhangs zwischen einem bestimmten Eingangsumsatz und einem oder mehreren zum Abzug berechtigenden Ausgangsumsätzen dann angenommen, wenn die Kosten für die fraglichen Dienstleistungen zu den allgemeinen Aufwendungen des Steuerpflichtigen gehören und – als solche – Kostenelemente der von ihm gelieferten Gegenstände oder erbrachten Dienstleistungen sind. Derartige Kosten hängen nämlich direkt und unmittelbar mit der wirtschaftlichen Gesamttätigkeit des Steuerpflichtigen zusammen.

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Weitergehend könnte es für die Steuerfreiheit der vom Zusammenschluss erbrachten Leistung ausreichen, dass die Kosten dieser Leistung beim Mitglied zu den Gemeinkosten gehören. Erforderlich ist dann aber, dass das Mitglied nur die in Art. 132 Abs. 1 Buchst.  f MwStSystRL genannten Tätigkeit ausübt. Erbringt das Mitglied daneben auch steuerpflichtige Leistungen, kommt eine Steuerfreiheit für die Leistungen des Zusammenschlusses, die bei ihm zu den Gemeinkosten gehören, nicht in Betracht. 3. Wettbewerbsklausel a) Bisherige Rechtsprechung aa) EuGH-Rechtsprechung Zur Wettbewerbsklausel hatte der EuGH bereits in seinem Urteil Taksatorringen44 entschieden, dass die Steuerfreiheit abzulehnen ist, wenn die reale Gefahr besteht, dass die Befreiung für sich genommen unmittelbar oder in der Zukunft zu Wettbewerbsverzerrungen führen kann. Ist das Kriterium der „realen Gefahr“ schon etwas unbestimmt, mutet die Begründung hierfür noch verschwommener an. Der EuGH stellt darauf ab, dass „wenn die Zusammenschlüsse unabhängig von jeder Besteuerung oder Befreiung sicher sind, sich die Kundschaft ihrer Mitglieder zu erhalten, nicht anzunehmen [ist], dass die Befreiung, die ihnen gewährt wird, unabhängigen Wirtschaftsteilnehmern den Markt verschließt“45. Der vom EuGH dabei zitierte Generalanwalt stellte darauf ab, ob „die Zusammenschlüsse aufgrund ihrer Leistungskraft sicher sind, sich die Kundschaft ihrer Mitglieder zu erhalten“46. Der Generalanwalt ging zudem davon aus, dass der Zusammenschluss aufgrund seiner „Organisation eine Zwangskundschaft“ in Form seiner Mitglieder hat und es maßgeblich ist, „ob die dem einen gewährte Befreiung und die Besteuerung des anderen der bestimmende Grund dafür ist, dass die unabhängigen Wirtschaftsteilnehmer faktisch vom Markt ausgeschlossen wären“47. Nimmt man beides zusammen, kommt es für die Wettbewerbsprüfung wohl darauf an, ob den Mitglieder des Zusammenschlusses ein Leistungsbezug von Dritten überhaupt möglich ist48 und ob der Drittanbieter bei einer möglichen Leistungserbringung an die Mitglieder dadurch beeinträchtigt wird, dass er seine Leistungen anders als der Zusammenschluss steuerpflichtig anbieten muss.

44 EuGH v. 20.11.2003 – C-8/01, Taksatorringen, EU:C:2003:621. 45 EuGH v. 20.11.2003 – C-8/01, Taksatorringen, EU:C:2003:621 Rz. 59. 46 Schlussanträge des Generalanwalts Mischo v. 3.10.2002  – C-8/01, Taksatorringen, EU:C:2002:562 Rz. 131. 47 Schlussanträge des Generalanwalts Mischo v. 3.10.2002  – C-8/01, Taksatorringen, EU:C:2002:562 Rz. 127, 131. 48 Dabei können auch die Modalitäten der Leistungserbringung wie etwa in Bezug auf Qualität oder Vertraulichkeit von Bedeutung sein.

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bb) BFH-Rechtsprechung Der BFH hat in seiner Rechtsprechung die Wettbewerbsklausel eher weit und damit die Steuerfreiheit eng ausgelegt. Im Gefolge des EuGH stellt auch der BFH auf die reale Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung ab und bejaht diese bereits dann, wenn sich Leistungen nicht von den Leistungen unterscheiden, die auch von dritten Anbietern wie z.B. Softwareentwicklern hätten bezogen werden können49. Auch nach dieser Sichtweise bleibt die Bejahung der Steuerfreiheit möglich. So liegt z.B. unter den Voraussetzungen von § 80 Abs. 5 Nr. 2 SGB X kein schädlicher Wettbewerb vor. Nach dieser Vorschrift ist die Erhebung, Verarbeitung oder Nutzung von Sozialdaten im Auftrag durch nicht-öffentliche Stellen nur zulässig, wenn die über­ tragenen Arbeiten beim Auftragnehmer erheblich kostengünstiger besorgt werden können und der Auftrag nicht die Speicherung des gesamten Datenbestandes des Auftraggebers umfasst. Der überwiegende Teil der Speicherung des gesamten Datenbestandes muss beim Auftraggeber oder beim Auftragnehmer, der eine öffentliche Stelle ist, und die Daten zur weiteren Datenverarbeitung im Auftrag an nicht-öffentliche Auftragnehmer weitergibt, verbleiben. Auf dieser Grundlage sah es der BFH50 als entscheidend an, ob die Leistung des Zusammenschlusses auch die Speicherung des gesamten Datenbestandes umfasste, da dies nach § 80 Abs. 5 Satz 1 SGB X nicht Leistungsgegenstand bei einer Auftragserteilung an eine nicht-öffentliche Stelle sein kann. Das FG hat dann im zweiten Rechtsgang die Steuerfreiheit bejaht51. b) EuGH und Generalanwältin Der EuGH hat sich in seinen aktuellen Urteilen zur Wettbewerbsprüfung nicht geäußert. Demgegenüber befürwortet Generalanwältin Kokott in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache Aviva eine enge Auslegung des Wettbewerbskriteriums52. Sie begründet dies mit dem Normzweck der Steuerfreiheit. Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL solle einen Wettbewerbsnachteil im Vergleich zu demjenigen ausgleichen, der die gleichen Dienstleistungen durch eigene Angestellte oder im Rahmen einer Mehrwertsteuergruppe (Organschaft) erbringen lässt. Solle ein derartiger Wettbewerbsnachteil kompensiert werden, könne die Steuerbefreiung nicht zu einer Wettbewerbsverzerrung führen. Somit ergebe die Wettbewerbsklausel wenig Sinn und müsse folglich restriktiv ausgelegt werden53. Es sei grundsätzlich nicht davon auszu-

49 BFH v. 5.12.2007 – V R 60/05, BStBl. II 2009, 486, UR 2008, 616, GmbHR 2008, 725. 50 BFH v. 23.4.2009 – V R 5/07, BFHE 226, 116, UR 2009, 762. 51 FG Düsseldorf v. 4.4.2012 – 5 K 3139/09 U, MwStR 2013, 25. 52 Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache C-605/15, Aviva, EU:C:2017:150 Rz. 72. 53 Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache C-605/15, Aviva, EU:C:2017:150 Rz. 67.

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gehen, dass die Bildung eines Zusammenschlusses zu einer Verzerrung des Wettbewerbs führt54. Indiz für eine ausnahmsweise zweckwidrige Anwendung der Steuerfreiheit könne sein, dass der Zusammenschluss die gleichen Dienstleistungen entgeltlich an Nichtmitglieder erbringt und insoweit – unter Ausnutzung von Synergieeffekten – auf dem Markt agiert. Hier könne eine entsprechend reale Gefahr einer Wettbewerbsverzerrung bestehen. Ebenso könne Indiz sein, dass allein die Optimierung der Mehrwertsteuervorbelastung (Schaffung eines Wettbewerbsvorteils durch Verlagerung von externen beliebigen Leistungen auf einen Zusammenschluss) im Vordergrund steht und nicht die gegenseitige Kooperation zur Vermeidung eines Wettbewerbsnachteils. Ebenso sei es, wenn der Zusammenschluss keine eigens auf die Bedürfnisse seiner Mitglieder zugeschnittenen Dienstleistungen erbringt, so dass diese ohne Weiteres auch von anderen angeboten werden könnten55. Sieht man die zuletzt genannten Überlegung als entscheidend an, dürfte sich für den BFH in Bezug auf seine bisherige Rechtsprechung wenig bis kein Korrekturbedarf ergeben. 4. Entgelt a) Gesetzliche Regelungen Die Steuerfreiheit setzt sowohl nach der Richtlinie als auch nach dem UStG voraus, dass der Zusammenschluss von seinen Mitgliedern lediglich die genaue Erstattung des jeweiligen Anteils an den gemeinsamen Kosten fordert. Der EuGH geht insoweit davon aus, dass mit Hilfe der Kostenzurechnungsmethoden der genaue Anteil an den Ausgaben, der jeder einzelnen Dienstleistung zuzuordnen ist, ermittelt werden kann56. b) Gewinnaufschlag kein Kostenbestandteil Nicht eindeutig ist dabei aber bereits, was zu den Kosten (Ausgaben) gehört. Diese Frage stellt sich insbesondere im Hinblick auf einen ertragsteuerrechtlich erforderlichen Gewinnaufschlag. Nach den Schlussanträgen der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache DNB Banka gehört der Unternehmerlohn nicht zu den Kosten. Bezweckt die Steuerfreiheit die Beseitigung eines Wettbewerbsnachteils, ist danach ein Unternehmerlohn als Kostenelement des Zusammenschlusses nicht vereinbar. Danach steht es der Steuerfreiheit entgegen, wenn für die Dienstleistung eine Gegenleistung gezahlt wird, die über die entstandenen Kosten hinausgeht. Dies sei auch der Fall, 54 Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache C-605/15, Aviva, EU:C:2017:150 Rz. 69. 55 Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache C-605/15, Aviva, EU:C:2017:150 Rz. 71. 56 EuGH v. 11.12.2008 – C-407/07, Stichting Centraal Begeleidingsorgaan voor de Intercolle­ giale Toetsing, EU:C:2008:713 Rz. 38.

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wenn nach Maßgabe der Vorschriften über die direkte Besteuerung ein bloß pauschaler Kostenaufschlag gezahlt wird57. Dieser Sichtweise dürfte zuzustimmen sein. Ein Gewinnaufschlag, der zur Vermeidung einer verdeckten Gewinnausschüttung (vGA) erforderlich ist, könnte zwar als Kostenbestandteil steuerrechtlicher Art angesehen werden. Verlangt die Richtlinie aber die genaue Erstattung des jeweiligen Anteils an den gemeinsamen Kosten, kommt es hierfür vorrangig auf die Kosten an, die bei der Leistungserbringung selbst entstehen. Der Gewinnaufschlag gehört definitionsgemäß nicht zu diesen Kosten, sondern bildet einen ertragsteuerrechtlich bei bestimmten Rechtsformen erforderlichen Unternehmerlohn ab. c) Folgebetrachtung Schließt man sich der Sichtweise der Generalanwältin an, kommt die GmbH im Hinblick auf den dort erforderlichen Gewinnaufschlag als Rechtsform für einen Zusammenschluss, der für die Steuerfreiheit seiner Leistungen nur Kosten weiterbelasten darf, im Allgemeinen nicht in Betracht. Der BFH stellt insoweit darauf ab, dass eine GmbH, die sich am Wirtschaftsleben beteiligt, eine auf Gewinnerzielung ausgerichtete Tätigkeit ausübt, so dass der ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter für Leistungen der GmbH Vergütungen fordert, die nicht nur die Selbstkosten decken, sondern darüber hinaus auch einen angemessenen Gewinnanteil enthalten. Leistungen der GmbH an Gesellschafter zu einem danach unangemessen niedrigen Entgelt führen somit zu einer vGA58. Daran ändert sich auch dann nichts, wenn eine nach §§  52  ff. AO gemeinnützige GmbH Leistungen an seine ebenfalls gemeinnützigen Mitglieder erbringt. Zwar ist nach der Verwaltungsauffassung59 bei steuerbegünstigten Einrichtungen aufgrund der fehlenden Gewinnorientierung die Erhebung eines Gewinnaufschlags in der Regel nicht marktüblich. Ein Zusammenschluss, der sich auf Unterstützungsleistungen für die umsatzsteuerfreie Tätigkeit seiner gemeinnützigen Mitglieder beschränkt, ist aber nicht seinerseits gemeinnützig. Denn eine bloße Hilfspersonentätigkeit begründet noch keine Gemeinnützigkeit, wenn es um die Erbringung marktgängiger Dienstleistungen geht. Anders ist es nur, wenn die Hilfsperson darüber hinaus eine eigene steuerbegünstigte Tätigkeit ausführt60. Letzteres wird auf den steuerfreien Zusammenschluss in aller Regel nicht zutreffen. Ausnahmen könnten nur möglich sein, wenn eine originär gemeinnützige Körperschaft als Nebentätigkeit Unterstützungs-

57 Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in der Rechtssache C-326/15, EU:C:2017:145, DNB Banka Rz. 51 f. 58 Vgl. z.B. BFH v. 3.7.1968 I 83/65, BStBl.  II 1969 14 und Gosch, 3.  Aufl. 2015, §  8 KStG Rz. 1036. 59 Nach Nr. 2 des AEAO zu § 55 Nr. 1; vgl. hierzu z.B. Hüttemann, DB 2016, 1338 ff. 60 Hüttemann, Gemeinnützigkeits- und Spendenrecht, 3. Aufl. 2015, Rz. 4.55.

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leistungen erbringt, die in den Anwendungsbereich von Art.  132 Abs.  1 Buchst.  f MwStSystRL fallen61. Ein Gewinnaufschlag ist demgegenüber bei Leistungen durch rechtsfähige oder nichtrechtsfähige Stiftungen i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5 KStG sowie bei Leistungen durch nichtrechtsfähige Anstalten und Vermögensmassen als Zweckvermögen i.S.v. § 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG nicht erforderlich62. Ähnlich ist es bei Vereinen. Die Tätigkeit eines Vereins muss im Rahmen seines wirtschaftlichen Geschäftsbetriebes nicht darauf ausgerichtet sein, Gewinne zu erzielen. Der Verein kann sich vielmehr mit einer Deckung seiner Selbstkosten begnügen. Der BFH geht insoweit davon aus, dass z.B. ein Verein, dessen Zweck die Berufsvertretung von Landwirten ist und der zur steuerlichen Betreuung seiner Mitglieder eine landwirtschaftliche Buchstelle als rechtlich nichtselbständige Einrichtung unterhält, nicht auf Gewinnerzielung gerichtet zu sein braucht. Daher entspricht es dem Handeln eines ordentlichen und gewissenhaften Vereinsvorstands, wenn dieser die Höhe der von den Mitgliedern zu erbringenden Leistungsentgelte nach dem Kostendeckungsprinzip ermittelt63. In der „außerbetrieblichen Sphäre“ eines Vereins kommt es daher nicht zu einer vGA64.

IV. Leistungen an Mitglieder, die keine Steuerpflichtigen sind 1. Juristische Personen des öffentlichen Rechts Der Zusammenschluss kann steuerfreie Leistungen auch an Mitglieder erbringen, die eine Tätigkeit ausüben, für die sie nicht Steuerpflichtige sind. Dies trifft z.B. auf juristische Personen des öffentlichen Rechts (jPdöR) zu, die bei einem Handeln auf öffentlich-rechtlicher Grundlage ohne Wettbewerbsrelevanz nicht als Unternehmer anzusehen sind65. Damit kommt auch bei diesen dem Kriterium der Wettbewerbsrelevanz entscheidende Bedeutung zu. Für Kooperationen zwischen diesen bestehen nach § 2 Abs. 3 Nr. 2 UStG eigenständige Regelungen66. Bei Leistungen zwischen jPdöR auf öffentlich-rechtlicher Grundlage ist danach die Wettbewerbsrelevanz zu verneinen, wenn 61 Zur Frage, ob der Zusammenschluss ohne Verlust der Steuerfreiheit auch außerhalb des Anwendungsbereichs von Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL tätig werden darf s. oben III.1.a)dd). 62 Gosch, 3. Aufl. 2015, § 8 KStG Rz. 201. 63 BFH v. 19.8.1998 – I R 21/98, BStBl. II 1999, 99, FR 1999, 162; vgl. auch BFH v. 13.8.1997 – I R 85/96, BStBl. II 1998, 161, FR 1998, 283 und v. 15.1.2015 – I R 48/13, BStBl. II 2015, 713, FR 2015, 854; Gosch, 3. Aufl. 2015, § 8 KStG Rz. 1038. 64 Gosch, 3. Aufl. 2015, § 8 KStG Rz. 201. 65 Vgl. Art. 13 MwStSystRL und § 2b Abs. 1 UStG. 66 Für diese Vorschrift besteht im Unionsrecht keine ausdrückliche Rechtsgrundlage. Nach dem EuGH v. 21.9.2017 – C-616/15, Kommission/Deutschland, EU:C:2017:721, UR 2017, 792 Rz.  65 steht es dem nationalen Gesetzgeber allerdings frei, zum Zweck der Bestim-

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−− die Leistungen auf langfristigen öffentlich-rechtlichen Vereinbarungen beruhen, −− die Leistungen dem Erhalt der öffentlichen Infrastruktur und der Wahrnehmung einer allen Beteiligten obliegenden öffentlichen Aufgabe dienen, −− die Leistungen ausschließlich gegen Kostenerstattung erbracht werden und −− der Leistende gleichartige Leistungen im Wesentlichen an andere juristische Personen des öffentlichen Rechts erbringt. Im Vergleich zu Art. 132 Abs. 1 Buchst. f MwStSystRL kann § 2 Abs. 3 Nr. 2 UStG eine weitergehende Bedeutung zukommen. So ist diese Vorschrift auch auf öffentliche-rechtliche Zusammenschlüsse wie etwa bei einem Zweckverband67 anzuwenden, setzt einen derartigen Zusammenschluss aber nicht voraus. Im Hinblick auf die Verwendungsbedingungen ergeben sich aus § 2 Abs. 3 Nr. 2 UStG strengere Voraussetzungen. Es kommt auf den Erhalt der öffentlichen Infrastruktur oder eine gemeinsame Aufgabenwahrnehmung an, während es für Art. 132 Abs. 1 Buchst.  f MwStSystRL genügt, dass die Leistung für beliebige Hoheitszwecke ohne Unternehmenscharakter verwendet wird. Damit kann sich auch für jPdöR eine Berufung auf die Steuerfreiheit nach der Richtlinie gegenüber § 2b Abs. 3 UStG als vorzugswürdig erweisen. Über Art. 13 Abs. 2 MwStSystRL könnte der nationale Gesetzgeber die Tätigkeit des nach Art.  132 Abs.  1 Buchst.  f MwStSystRL steuerfreien Zusammenschluss bei jPdöR sogar als nichtsteuerbare Hoheitstätigkeit behandeln. 2. Verbraucher Kann der Zusammenschluss seine Leistungen steuerfrei an Mitglieder erbringen, die eine Tätigkeit ausüben, für die sie nicht Steuerpflichtige sind, stellt sich die Frage, ob es sich bei den Mitgliedern des Zusammenschlusses auch um Verbraucher handeln kann. Arbeitnehmervereine könnten dann Gegenstände erwerben und an ihre Mitglieder steuerfrei vermieten. Folgt man dem, besteht für die Steuerfreiheit bei der Verwaltung von Wohnungseigentum nach §  4 Nr.  13 UStG die bislang vermisste Rechtsgrundlage im Unionsrecht68. Weitergehend könnten z.B. auch Vereine, die Carsharing betreiben, ihre Leistungen an Mitglieder steuerfrei erbringen. Bislang unterliegen derartige Leistungen dem Regelsteuersatz. Dies gilt mangels Zweckbetriebseigenschaft auch für gemeinnützige Carsharing-Vereine69.

mung, ob die Anwendung einer Bestimmung auf eine Tätigkeit „zu einer Wettbewerbsverzerrung führen kann, Vorschriften vorzusehen, die von den zuständigen Behörden einfach gehandhabt und kontrolliert werden können“. 67 Vgl. z.B. Art. 17 ff. BayKommZG. 68 Vgl. hierzu Hummel in Rau/Dürrwächter, § 4 Nr. 13 UStG Rz. 25 ff. 69 BFH v. 12.6.2008 – V R 33/05, BStBl. II 2009, 221, UR 2008, 706.

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V. Zusammenfassung Die Leistungen von Zusammenschlüssen sind nach nationalem Recht nur steuerfrei, wenn ihre Mitglieder im Gesundheitsbereich tätig sind. Demgegenüber besteht im Unionsrecht eine weitergehende Steuerfreiheit für Zusammenschlüsse von Unter­ nehmern, die steuerfreie Leistungen mit Gemeinwohlbezug erbringen, und für Zusammenschlüsse von Nichtunternehmern. Zusammenschlüsse können sich für die Steuerfreiheit ihrer Leistungen an Mitglieder auf das Unionsrecht berufen. Rechtsformbezogene Vorgaben hat der Zusammenschluss dabei nicht einzuhalten. Die Steuerfreiheit setzt insbesondere voraus, dass das Mitglied die vom Zusammenschluss bezogenen Leistungen für Zwecke einer steuerfreien oder nichtsteuerbaren Tätigkeit verwendet. Dieses Kriterium hat der BFH in der Vergangenheit sehr eng ausgelegt. Hieran dürfte künftig nicht mehr festzuhalten sein. Die Steuerfreiheit steht zudem unter einem Wettbewerbsvorbehalt. Dieser dürfte dazu führen, dass sich der Zusammenschluss mit seiner Leistung von den Leistungen anderer steuerpflichtiger Anbieter abgrenzen kann. Das weiter zu beachtende Merkmal der bloßen Kostenerstattung schließt einen Gewinnaufschlag aus und führt dazu, dass Zusammenschlüsse in der Rechtsform der GmbH bei der Vereinbarung eines Gewinnaufschlags die Steuerfreiheit nicht in Anspruch nehmen können. Die Steuerfreiheit des Zusammenschlusses ist schließlich auch für jPdöR von Bedeutung, da sie eine weitergehende Nichtbesteuerung als nach § 2b UStG ermöglicht.

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„Sperrwirkungen“ Abkommensrecht und nationales Recht, allgemeines und ­spezielles Recht im Widerstreit Inhaltsübersicht

I. Einleitende (und „gebührende“) ­Bemerkungen

II. Der abkommensrechtliche und der ­nationale Fremdvergleichsgrundsatz 1. Die Ausgangsnorm: Art. 9 Abs. 1 OECD-MA 2. Spruchpraxis des BFH zu dieser Regelungslage bezogen auf § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG 3. Reaktionen auf die BFH-Spruchpraxis und deren Bewertung 4. Reichweite einer abkommensrecht­ lichen Sperrwirkung: Erstreckt sich diese auch auf die Existenz einer ­Geschäftsbeziehung (und deren unilaterale „Simulation“)? a) Die Regelungslage in § 1 Abs. 4 AStG b) Die daraus abzuleitende Prüfungsreihenfolge c) Beispiel zur Veranschaulichung 5. Gibt es ein „faktisches“ Überschreiben des Abkommens? Reicht ein solches aus, um ein Treaty override annehmen zu können? III. Weitere Sperrwirkungen des Dealing at arm’s length-Prinzips 1. Gesetzliche und „künstliche“ Modi­ fikationen des Fremdvergleichs a) Verträgt sich der „künstliche“ Fremdvergleich in § 1 Abs. 1 Satz 2, § 1 Abs. 3 Satz 4, Satz 7, Satz 11 ff. AStG (usf.) mit der abkommensrechtlichen Sperrwirkung?





b) Und wie steht es mit der Unionsrechtmäßigkeit des „künstlichen“ Fremdvergleichsmaßstabs? 2. Taugt der in § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG bestimmte Substanzwert als Bewertungsmaßstab für eine Einkünfte­ korrektur? a) Die bewertungsrechtliche Regelungslage b) Übertragbarkeit auf das Ertrag­ steuerrecht … c) … und damit auf die verdeckte ­Gewinnausschüttung? d) Ein international unüblicher Bewertungsmaßstab e) Fremdvergleichsgerechtes Verhalten eines gedachten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters 3. Das Abzugsverbot des § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG 4. Bedeutung des Fremdvergleichs beim abkommensrechtlichen Diskriminierungsverbot

IV. Weitere Sperrwirkungen infolge des abkommensrechtlichen Diskriminierungsverbots

V. Sperrwirkungen und abkommens­ eigene Mißbrauchsvermeidungsregeln

VI. Resümee (und der eine oder andere „hoffende“ Ausblick)

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Dietmar Gosch

I. Einleitende (und „gebührende“) Bemerkungen Diesen Beitrag widme ich Georg Crezelius zum 70. Geburtstag. Und das tue ich nicht nur in und aus kollegialer-fachlicher Verbundenheit, sondern mit freundschaftlichen Gefühlen. Nichtsdestotrotz steht an dieser Stelle natürlich der Charakter der Festschrift im Vordergrund, einer Festschrift, die vor allem dem Hochschullehrer Georg Crezelius und seiner fachlichen Brillanz, den „Footprints“ geschuldet ist, mit welchen er in langer Zeit, in vielen Jahren die deutsche Steuerrechtswissenschaft in Lehre und Forschung beschenkt hat. Dafür sei ihm gedankt. Dafür sei er geehrt. Den Bogen, den Georg Crezelius gespannt hat, ist ein weiter. Von Haus aus eher dem Zivilrecht zugewandt, ist sein Wirken vor allem an den Schnittstellen des Zivilrechts zum Steuerrecht spürbar, im Gesellschaftsrecht, im Erbschaft(steuer)recht. Er hat jedoch manchen und manchen tiefschürfenden, kreativen Blick in das „reine“ Steuerrecht geworfen, auch in das Internationale Steuerrecht1. Daran sei hier angeknüpft. Gegenstand der nachfolgenden Überlegungen ist das Abkommensrecht und das nationale Recht im Widerstreit. Aufgezeigt werden soll das zum einen an der Spruchpraxis des BFH zur sog. Sperr- oder Schrankenwirkung des abkommensrechtlichen Prinzips des Dealing at arm’s length2, wie dieses in Art. 9 Abs. 1 OECD-MA platziert ist, auf das nationale Recht – dabei nicht nur, aber doch namentlich auf § 1 Abs. 1 AStG –, an der daraufhin bewirkten Reaktion der Finanzverwaltung und (vielleicht) des deutschen Gesetzgebers, und das alles gespiegelt vor dem Hintergrund des – aus Sicht des Verfassers eher unglücklichen, ja leichtfertigen3 – Beschlusses des BVerfG v. 15.12.2015 – 2 BvL 1/124 zum sog. Treaty overriding. Aufgezeigt werden soll das zudem an ähnlichen Wirkungsphänomenen im bilateralen Kontext des Art. 24 OECDMA ebenso wie im Zusammenhang mit abkommensspezifischen Mißbrauchsverhinderungsvorschriften.

1 Zumeist im Kontext „seines“ Themas, der Personengesellschaften und Mitunternehmer, so – und das gewiß nur beispielhaft – immer wieder im „Generalthema Personengesellschaften“ auf den Jahrestagungen der Fachanwälte für Steuerrecht in Wiesbaden (z.B. Sondervergütungen bei international tätiger Personengesellschaft. JbFAStR 2002/2003, 362; Personengesellschaften als „Gestaltungsschutz“ vor Wegzügen: §  50i EStG im Lichte des neuen BMF-Schreibens, JbFASt 2014/2015, 486, und passim), aber vielfach ebenso andernorts, z.B. (und schon in seinem „Frühwerk“): „Zur Besteuerung inländischer Niederlassungen ausländischer Körperschaften“, WuB X § 49 EStG 1.1989, sodann „Die isolierende Betrachtungsweise, insbesondere die grenzüberschreitende Betriebsaufspaltung“, StVj 1992, 322; usf. z.B. und grundlegend: „Analogieanweisungen in Steuergesetzen“ (FR 2008, 889) oder „Restriktionen steuerrechtlicher Subsysteme  – Gewerblich geprägte Gesellschaften, Sondervergütungen, Betriebsaufspaltung, beherrschender Gesellschafter“ (FR 2013, 1065). 2 Der Begriff stammt bekanntermaßen aus der Fechtersprache: „Auf Armes Länge“ wird der faire Wettkampf garantiert. Z.B. Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., Rz. 16.262. 3 S. auch Mössner in Lüdicke (Hrsg.), Internationale Geschäftstätigkeiten in der Nach-BEPSWelt, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 46 (2018), 49 (59): „… zählt dieses Urteil nicht zu den überzeugenden Urteilen des BVerfG“ . 4 DStR 2016, 359.

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Widerstreit zwischen Abkommensrecht und nationalem Recht

II. Der abkommensrechtliche und der nationale Fremdvergleichsgrundsatz 1. Die Ausgangsnorm: Art. 9 Abs. 1 OECD-MA Art.  9 Abs.  1 OECD-MA, dem die meisten Doppelbesteuerungsabkommen, die Deutschland geschlossen hat, entsprechen, regelt die Frage, in welcher Weise die Geschäftsbeziehungen zwischen untereinander verbundenen Unternehmen ausgestaltet sein müssen, um eine zwischenstaatliche angemessene Zuweisung des Besteuerungssubstrats zu gewährleiten. Dafür ist bestimmt, daß die beiden verbundenen Unternehmen „in ihren kaufmännischen oder finanziellen Beziehungen an vereinbarte oder auferlegte Bedingungen gebunden sind, die von denen abweichen, die unabhängige Unternehmen miteinander vereinbaren würden“. Fehlt es daran, dann dürfen die Gewinne, die eines der Unternehmen ohne diese Bedingungen erzielt hätte, wegen dieser Bedingungen aber nicht erzielt hat, den Gewinnen dieses Unternehmens zugerechnet und entsprechend besteuert werden. Und in Abs.  2 Satz  1 ordnet Art.  9 OECD-MA sodann die wechselseitige Konsequenz einer Korrektur nach Abs. 1 an: „Rechnet ein Vertragsstaat dem Gewinn eines Unternehmens dieses Staates den Gewinn zu – und besteuert er diesen entsprechend –, bezüglich dessen ein Unternehmen des anderen Vertragsstaats im anderen Staat besteuert worden ist, und handelt es sich bei dem in dieser Weise zugerechneten Gewinn um einen, den das Unternehmen des erstgenannten Staates erzielt hätte, wenn die zwischen den beiden Unternehmen vereinbarten Bedingungen den zwischen unabhängigen Unternehmen vereinbarten Bedingungen entsprochen hätten, so nimmt der andere Staat eine angemessene Anpassung der dort auf diesem Gewinn erhobenen Steuer vor.“ Mit diesen Voraussetzungen und mit diesem Inhalt zielt Art. 9 OECD-MA darauf ab, die wirtschaftliche Doppelbesteuerung zu vermeiden. In seinem Abs. 1 werden dafür die Gewinne aus Transaktionen zwischen nahestehenden Unternehmen und in seinem Abs. 2 die daraus abgeleiteten Kosten zwischen den beiden betroffenen Vertragsstaaten „angemessen“ verteilt. „Meßlatte“ für jene Angemessenheit ist der Fremdvergleich. Das wird in Art. 9 Abs. 1 OECD-MA zwar konstitutiv bestimmt. Der gesetzte Rahmen erfordert allerdings eine innerstaatliche Rechtsgrundlage, die ihrerseits die Gewinnkorrektur nach Maßgabe des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA ermöglicht; die Regelung dient – als abkommensrechtliche Erlaubnisvorschrift – der Gewinnabgrenzung, nicht aber der (unmittelbaren) Gewinnkorrektur (keine sog. „self executing-Wirkung“). Art. 9 Abs. 1 OECD-MA legt also nur den „Rahmen“ und die abkommensrechtlichen Bedingungen für die „national“ vorzunehmenden Gewinnkorrekturen fest, in Deutschland also zuvörderst nach Maßgabe von § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und nach § 1 AStG. Zugleich kommt der Vorschrift als Ausprägung der sog. Schrankenwirkung des Abkommens begrenzende Wirkung zu: Auch wenn Art. 9 Abs. 1 OECDMA keine Korrekturmöglichkeiten des Anwenderstaats schafft5, so „sperrt“ sie für 5 Übrigens anders als Art. 9 Abs. 2 OECD-MA, der die Verpflichtung zu einer entsprechenden Gegenkorrektur enthält (und wohl gerade deshalb überwiegend nicht in die bilateral vereinbarten Abkommen aufgenommen wird).

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ihren Anwendungsbereich doch weiter gehende, innerstaatlich zulässige Korrekturmöglichkeiten jenes Staats – Möglichkeiten, die nicht auf die richtige Preisjustierung abzielen, sondern andere Zwecke verfolgen, etwa die Vermeidung steuerwirksamer Substanzminderungen (Teilwertabschreibungen) oder die Vermeidung unerwünschter, ggf. mißbräuchlicher Gewinnverlagerungen6. In diesem Sinne wirkt die Abkommensnorm unbeschadet ihrer mangelnden „selbstexekutierenden“ Wirkung konstitutiv. Nur so – durch einen einheitlichen und verbindlichen Beurteilungsmaßstab für beide Vertragsstaaten – läßt sich erreichen, daß die beanstandeten Preise und Preisbestandteile in den einzelnen Staaten nicht doppelt erfaßt werden7. Fraglich und kontrovers ist nun, wann und unter welchen (tatbestandlichen) Gegebenheiten von letzterem – einer Sperrwirkung – die Rede sein kann. 2. Spruchpraxis des BFH zu dieser Regelungslage bezogen auf § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG und § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG In seiner Spruchpraxis hat der BFH sich in der noch jüngeren Vergangenheit dieser Rechts- und Ausgangsfrage bislang in drei Judikaten angenommen, und er hat darin eine entsprechende Sperrwirkung rundweg bejaht. Dabei ging es zum einen um die Reichweite des abkommensrechtlichen Fremdvergleichsrahmens und die dadurch ausgelöste Sperrwirkung gegenüber den sog. Sonderbedingungen, denen beherrschende Unternehmen im Rahmen der Einkommenskorrektur nach § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG bei Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung unterworfen sind8. Tragende Erwägung war, daß in den maßgeblichen Vergleichsmaßstab des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nur diejenigen (Sachverhalts-)Umstände einbezogen sind, welche sich auf die besagten „wirtschaftlichen oder finanziellen Bedingungen“ auswirken, also die Angemessenheit (Höhe) des Vereinbarten berühren. „Eine Gewinnkorrektur, die sich nicht nur auf die Angemessenheit (Höhe) des Vereinbarten erstreckt, sondern – in einem zweistufigen Vorgehen  – gleichermaßen auf dessen ‚Grund‘ (Üblichkeit der Konditionen, Ernsthaftigkeit), ist den Vergleichsmaßstäben des ‚Dealing at arm’s length‘ als Gegenstand der Angemessenheitsprüfung fremd.“ Diese Vergleichsmaßstäbe seien einem abkommenseigenen und damit einheitlichen Begriffsverständnis 6 Art. 9 Abs. 1 OECD-MA dient als solcher nicht der Mißbrauchsverhinderung. Vgl. Wassermeyer, DBA, Art. 9 MA Rz. 1; Mössner in Lüdicke (Hrsg.), Internationale Geschäftstätigkeiten in der Nach-BEPS-Welt, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 46 (2018), 49 (63). 7 S. Eigelshoven in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl., Art. 9 Rz. 18 ff., 20. 8 BFH v. 11.10.2012 – I R 75/11, BStBl. II 2013, 1046; FG Hamburg v. 31.10.2011 – 6 K 179/10, IStR 2012, 190; FG Köln v. 29.6.2017 – 10 K 771/16, EFG 2017, 1812 (Rev. I R 62/17) m. Anm. Rehm; Böing, BB 2013, 360; s.a. FG Köln v. 22.8.2007 – 13 K 647/03, EFG 2008, 161; Baumhoff/Greinert, IStR 2008, 353; Nientimp/Mank, DB 2007, 2163; Eigelshoven/Nientimp, DB 2003, 2307. – Das dürfte sich im Kern auch auf die umfänglichen Dokumentationsanforderungen auswirken, die § 90 Abs. 3 AO für Geschäftsbeziehungen i.S.v. § 1 Abs. 4 AStG verlangt (s. dazu auch Baumhoff in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 1 AStG Rz. 2120 ff.), und ebenso auf in der Praxis übliche sog. Year-End-Adjustments bei Verrechnungspreisen (s. dazu Baumhoff/Liebchen, ebd., § 1 AStG Rz. 284, 274).

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unterworfen, der innerstaatlichen Modifikationen des Fremdvergleichsbegriffs ex ante entgegenstehe. In zwei weiteren Urteilen baute der BFH auf dieser Präferenzentscheidung auf9: Das was in jenem Urt. v. 11.10.2012 – I R 75/11 zum Verhältnis von Art. 9 Abs. 1 OECDMA und § 8 Abs. 3 Satz 2 KStG gesagt worden ist, treffe in gleichem Maße zum Verhältnis von Art. 9 Abs. 1 OECD-MA und § 1 Abs. 1 AStG a.F. zu; Anhaltspunkte, die hier im Grundsatz eine anderweitige Beurteilung rechtfertigen könnten, seien nicht ersichtlich, und dieser Grundsatz ziele darauf ab, die erlittene Gewinnminderung in Korrelation mit den auferlegten oder vereinbarten Bedingungen zu stellen. Auch hier könne eine Einkünftekorrektur im Ergebnis deshalb nur dann in Betracht kommen, wenn der vereinbarte Preis seiner Höhe, also seiner Angemessenheit nach, dem Fremdvergleichsmaßstab nicht standhalte. Zwar sei dem Ausdruck der „vereinbarten Bedingungen“ in Art. 9 Abs. 1 OECD-MA grundsätzlich alles zu subsumieren, das Gegenstand der kaufmännischen oder finanziellen Beziehungen und damit Gegenstand des schuldrechtlichen Leistungsaustauschs zwischen den verbundenen Unternehmen sei, so daß neben dem Preis sämtliche weiteren Geschäftsbedingungen einbezogen seien10. Es bleibe indessen dabei, daß sich die Vereinbarungskonditionen vor dem Grundsatz des in Art. 9 Abs. 1 OECD-MA angelegten Prüfmaßstabs nur insofern auswirkten, als deren „Qualität“ die Preishöhe im Fremdvergleich „nach oben“ oder „nach unten“ beeinflusse11. Konkret betraf das in beiden Entscheidungen den „objektiv“ zu ermittelnden Zins für Gesellschafterdarlehen12. Die Konditionen bilden so gesehen insoweit stets (nur) die Grundlage für die Überprüfung der Verrechnungspreise13. Und deshalb sei es unbeachtlich, wenn § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG ausweislich seines Wortlauts die Preisbedingung nur beispielhaft („ins­ besondere“) als eine der „anderen Bedingungen“ bezeichnet, die an der Referenz­ maßstab der fremdüblichen Bedingungen zu messen sind. Konsequenz: Bei einer konzerninternen unbesicherten Darlehensbegebung scheidet die Korrektur einer Abschreibung, die (nach § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG) auf den Teilwert der Forderung auf

9 BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261, und v. 24.6.2015 – I R 29/14, BStBl. II 2016, 258. 10 vgl. z.B. Ditz in Schönfeld/Ditz, a.a.O., Art. 9 OECD-MA Rz. 47; Wassermeyer, DBA, MA Art. 9 Rz. 62; Wolff, daselbst, USA Art. 9 Rz. 28; Oestreicher in Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA Deutschland/USA, 2009, Art. 9 Rz. 21, s. auch Rz. 13 ff. 11 ebenso z.B. Ditz/Quilitzsch, ISR 2014, 109 (113); Ditz in Schönfeld/Ditz, a.a.O., Art.  9 OECD-MA Rz. 18 ff. (19, 46 f.); Andresen, IStR 2014, 207, jeweils m.w.N.; s. auch Oestreicher in Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA Deutschland/USA, 2009, Art.  9 Rz.  21, s. auch Rz. 13 ff. 12 Eingehend dazu Mössner in Lüdicke (Hrsg.), Internationale Geschäftstätigkeiten in der Nach-BEPS-Welt, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 46 (2018), 49. 13 S. Eigelshoven in Vogel/Lehner, a.a.O., Art. 9 Rz. 50 f.; unklar und womöglich anders Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld, Außensteuerrecht, § 1 AStG Rz. 107 ff. einerseits, Rz. 98 ff. und 117 andererseits.

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Rückzahlung der Darlehensvaluta und auf Zinsrückstände vorzunehmen ist, im Ergebnis (und abweichend von der Verwaltungspraxis)14 aus15. 3. Reaktionen auf die BFH-Spruchpraxis und deren Bewertung Der BFH konnte sich bei seinen Entscheidungen auf eine wohlvorbereitete Fundierung in der Literatur stützen16. Doch änderte das nichts; er erfuhr in der Finanzverwaltung keine Gegenliebe. Sie hat der Spruchpraxis das Verdikt des Nichtgesetzmäßigen umgehängt und auch in der Diktion recht harsch deren Nichtanwendung verfügt17: „Der Wortlaut des Gesetzes und auch der Wille der vertragschließenden Parteien der DBA lässt die Auslegung, die der BFH seinen Urteilen zugrunde legt, nicht zu.“ Gestützt wird diese recht krasse Meinungsäußerung auf vermeintlich Durchschlagendes: „Im OECD-Kommentar zum OECD-MA wird ausdrücklich auf die Fremdüblichkeit der Bedingungen (arm’s length terms) abgestellt und ausgeführt, dass Art. 9 Abs. 1 OECD-MA eine Gewinnberichtigung (adjustments to profits) zum Gegenstand hat und gerade nicht eine Preisberichtigung.“ Und „eine historische Auslegung“ führe „zum gleichen Ergebnis: Der historische Gesetzgeber hat mit § 1 AStG eine Regelung für die Gewinnberichtigung von international verbundenen Unternehmen ge­schaffen, um das deutsche Steuerrecht an die Konzeptionen anderer moderner S­ teuerrechtsordnungen und an den Standard des internationalen Steuerrechts (s. OECD-MA und Kommentar) anzugleichen und international anerkannte Besteuerungsrechte auch national wahrnehmen zu können. Dazu hat er den in Art. 9 Abs. 1 OECD-MA enthaltenen Fremdvergleichsgrundsatz national in § 1 AStG umgesetzt und konkretisiert. Einen Widerspruch zwischen Art. 9 Abs. 1 OECD-MA und § 1 AStG hat er erkennbar nicht gesehen und nicht schaffen wollen. Die Auslegung des BFH widerspreche auch Sinn und Zweck sowohl von Art. 9 Abs. 1 OECD-MA als auch von § 1 AStG: Eine Beschränkung der Korrektur auf den jeweiligen Verrechnungspreis ist im Hinblick auf den Fremdvergleichsgrundsatz sinnwidrig, weil die Bedingungen eines konkreten Geschäftsvorfalls so gestaltet sein können, dass allein die Korrektur des Verrechnungspreises weder dazu geeignet ist noch ausreicht, ein Ergebnis zu erzielen, das dem Fremdvergleichsgrundsatz entspricht (z.B. Darlehen an eine Tochtergesellschaft, deren erkennbare Zahlungsunfähigkeit  – isoliert betrachtet – im Fremdvergleich nicht durch einen hohen Zinssatz ausgeglichen werden kann).“ 14 BMF v. 29.3.2011, BStBl. I 2011, 277. 15 Eine davon abzugrenzende weitere Frage ist jene danach, ob § 1 Abs. 1 AStG überhaupt die tatbestandlichen Möglichkeiten eröffnet, die Teilwertabschreibung rückgängig zu machen. Auch daran sei mehr als gezweifelt, weil die Abschreibung primär eine Folge der innerstaatlichen Bewertungsregelung des § 6 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 EStG ist, nicht aber des u.U. nicht fremdvergleichskonform begebenen Darlehens. Der BFH hat darauf bis dato nicht geantwortet (und brauchte das bislang auch nicht). 16 Ergiebig dazu m.Nachw. und Beispielen Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA, Art. 9 Rz. 18 ff. 17 BMF v. 30.3.2016, BStBl. I 2016, 455; OFD NRW v. 1.8.2017, IStR 2017, 1000; (offensichtlich allseits „lagerinduziert“) zustimmend Greil/Wargowske, ISR 2016, 157; Habammer, IStR 2016, 525; Schulz-Trieglaff, IStR 2017, 975, der ausgesprochen unwissenschaftlich vorgeht und nur (vermeintliche) Fürsprecher seiner Rechtsansicht zitiert und sich dabei zudem fälschlich auf Wassermeyer, DBA, Art. 9 Rz. 77a beruft.

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Diese Erkenntnisse sollten sodann sogleich auch noch in ein rechtsprechungsbrechendes Gesetz umgeformt werden: Der Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Änderung der EU-Amtshilferichtlinie und von weiteren Maßnahmen gegen Gewinnverkürzungen und -verlagerungen vom 5.9.2016 sah vor, § 1 Abs. 1 AStG um einen neuen Satz 5 zu erweitern18: „Der Inhalt des Fremdvergleichsgrundsatzes, der in den Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung enthalten ist, bestimmt sich nach den Regelungen dieses Gesetzes.“ Dadurch sollte „klargestellt“19 werden, daß § 1 AStG und die durch § 1 Abs. 6 AStG ermächtigte Rechtsverordnung „abschließend das deutsche Abkommensverständnis zum Inhalt des in den jeweiligen Doppelbesteuerungsabkommen enthaltenen Fremdvergleichsgrundsatzes definieren“. Immerhin: Die gesetzgebenden Institutionen fühlten sich damit erkennbar nicht so ganz wohl, denn nachfolgend schlug der Bundesrat vor, ein „unbeschadet der Abkommen“ zu ergänzen20. All das erweist sich bei Licht betrachtet als kaum, nein als überhaupt nicht tragfähig. Ausschlaggebend sind hier keine Argumente, vielmehr Behauptungen, getreu dem Grundsatz: Es sei nicht, was nicht sein darf. Das beginnt wie so oft damit, die OECD und deren Verlautbarungen zum Kronzeugen für die einzige Richtigkeit einer bestimmten Abkommensauslegung zu funktionieren. Sie ist das jedoch nicht. Der BFH hat das immer wieder betont: „Es handelt sich lediglich um das Meinungsbild der beteiligten Fisci, nicht um irgendwelche „Übungen“ der DBA-Vertragsstaaten (i.S.v. Art. 31 WÜRV21). Für die Judikative kommt es sonach allein auf den Abkommenstext und -zusammenhang an“22, und damit soll es an dieser Stelle sein Bewenden haben23. Es ist auch schlicht zirkelschlüssig und mutet kühn an, die Auslegung von Art.  9 Abs. 1 OECD-MA an dem Regelungsverständnis von § 1 Abs. 1 AStG festzumachen24. Umgekehrt wird „ein Schuh draus“. Denn wie schon betont, bedarf die „Non selfexecuting“-Norm des Abkommens der unilateralen Umsetzung, indessen nicht ihrer Kastration. Die Abkommensnorm setzt den Maßstab25, nicht die nationale Norm, 18 BT-Drucks. 18/9536, 56. 19 Sehr verklausuliert Kreienbaum in Lüdicke (Hrsg.), Internationale Geschäftstätigkeiten in der Nach-BEPS-Welt, Forum der Internationalen Besteuerung, Band  46 (2018), 85 (87): „… allein schon um sicherzustellen, dass die unterhalb der Abkommensebene geregelten Begriffsbestimmungen und sonstigen Regelungen in allen Details und Einzelheiten Geltung erreichen, rechtfertigte sich eine entsprechende Klarstellung im AStG“. 20 BR-Drucks. 406/16, 31. 21 V. 23.5.1969, BGBl. II 1985, 927. 22 Unter Hinweis auf Gosch, ISR 2013, 87. 23 Weiteres dazu findet sich z.B. bei Gosch, ISR 2013, 87 ff. m.w.N. 24 Mössner in Lüdicke (Hrsg.), Internationale Geschäftstätigkeiten in der Nach-BEPS-Welt, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 46 (2018), 49 (77): „Damit würden die Dinge auf den Kopf gestellt“. 25 Die früher vertretene Gegenmeinung, wonach Art. 9 Abs. 1 OECD-MA lediglich klarstellender Bedeutung wäre (vgl. z.B. Baranowski, Die Besteuerung von Auslandsbeziehungen, Rz.  478; Höppner, StBp 1981, 56; Menck, DStZ/A 1972, 68; Debatin, DStZ/A 1971, 385;

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und so liegt es auch bei § 1 AStG26. Andernfalls droht genau das, was vermittels des Abkommens in dessen Ausrichtung am OECD-MA vermieden werden soll, nämlich „die Doppelbesteuerung zu verhindern und zugleich die Basis für Gegenberichtigungen nach Art. 9 Abs. 2 OECD-MA zu schaffen“27. Und das fügt sich denn auch sehr schön in die Regelungshistorie des §  1 Abs.  1 AStG ein: Bis zu dessen Neufassung durch das Unternehmensteuerreformgesetz 200828, also von Beginn des seinerzeit neugeschaffenen AStG an, wurde der Fremdvergleichsgrundsatz nämlich sehr wohl und in uneingeschränktem Einklang mit Art. 9 Abs. 1 OECD-MA an den „anderen Bedingungen“ ausgerichtet; die beschränkende Ergänzung „insbesondere Preise (Verrechnungspreise)“ fehlte – mit gutem Grund. Denn für einen gleichlaufenden Paradigmenwechsel im OECD-Musterabkommen liegen keine Erkenntnisse vor, jedenfalls nicht im Abkommenstext29. Auch dafür, daß § 1 Abs. 1 AStG ein neuerlicher, bedeutungswandelnder Zweck der Mißbrauchsvermeidung beizumessen wäre, der der objektiven Preisfindung zusätzlich an die Seite gestellt würde – und zugleich im Sinne des verfassungsrechtlichen Folgerichtigkeitsgebots eine gewandelte Belastungsentscheidung –, ist nichts ersichtlich30. Inwieweit „eine historische Auslegung“ für all das dennoch Gegensätzliches belegen soll, bleibt das Geheimnis der Finanzverwaltung. Das ist mehr oder weniger selbsterklärend, und in nachfolgenden Gerichtsentscheidungen31 und im Schrifttum32 wird das denn auch weit überwiegend ganz anders geE.M. Weber in Conston (Hrsg.), Aktuelle Themen im U.S.-Deutschen Steuer- und Handelsrecht, 1988, FS für Otto L. Walter, 115 (133 f.), ist vereinzelt geblieben und hat sich zu Recht nicht durchsetzen können. 26 Getrübt sei allerdings eine damit verbundene Erwartung, nämlich, dass sich all das, was sperrwirkend unter der „Überdachung“ des bilateralen Abkommens gilt, dann auch innerstaatlich durchschlägt und aus Gründen der leistungsgerechten Gleichheit dort den Anforderungsstandard absenkt, etwa durch einen allgemeinen Verzicht auf die Sonderbedingungen zwischen Kapitalgesellschaft und beherrschendem Gesellschafter (dazu z.B. Rohler, GmbH-StB 2012, 304 ff. [309]). Ist der Rechtsrahmen ein anderer, fehlt dann auch die Vergleichbarkeit. S. dazu auch zur sog. umgekehrten Inländerdiskriminierung mit Blick auf grenzüberschreitende Erleichterungen aus Gründen des Unionsrechts Gosch, DStR 2007, 1553. 27 Zutr. Mössner in Lüdicke (Hrsg.), Internationale Geschäftstätigkeiten in der Nach-BEPSWelt, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 46 (2018), 49 (77). Auf die „Idee“ eines Gleichklangs von bi- und unilateralem Recht weisen auch Rasch/Thomsen, IWB 2016, 484; Sommer/Retzer, ISR 2016, 378; Lück, IWB 2016, 480, hin. 28 V. 14.8.2007, BGBl. I 2007, 1912. 29 Mössner in Lüdicke (Hrsg.), Internationale Geschäftstätigkeiten in der Nach-BEPS-Welt, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 46 (2018), 49 (63 ff., 70 ff.). 30 Mössner, ebenda. 31 FG Hamburg v. 31.10.2011  – 6 K 179/10, IStR 2012, 190; FG Köln v. 22.8.2007  – 13 K 647/03, EFG 2008, 161. 32 Puls/Schmidtke/Tränka, IStR 2016, 759; Gebhardt/Glatz, IStR 2016, 787; Rasch/Chwalek, IWB 2015, 377; Vogel, StuB 2016, 462; Ditz/Engelen/Quilitzsch, Ubg 2016, 513; Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl. 2017, Rz. 19.289 ff., 19.295; Schaumburg, daselbst, Rz. 21.236; Andresen in Wassermeyer/Andresen/Ditz, Betriebsstätten-Handbuch, 2. Aufl. 2017, Rz. 5.14; Böhmer, daselbst, Rz. 14.103; Eigelshoven/Retzer in

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sehen als die Finanzverwaltung und findet der BFH durchweg Gefolgschaft; das gilt wechselseitig auch im internationalen Rahmen33. Und so gesehen hat der Gesetzgeber34 auch noch Vernunft gegenüber der ihn bedrängenden Finanzverwaltung obwalten lassen: Auf die Ergänzung des AStG um einen § 1 Abs. 5 wurde (vorerst?) verzichtet; Gründe für diesen Verzicht sind nicht überliefert. Es ist anzunehmen, daß das hartnäckige Beharren der Finanzverwaltung nicht nachlassen wird. Dann müßte § 1 Abs. 1 AStG der Charakter eines Treaty overriding zukommen; der BFH hat das in seiner Spruchpraxis (bislang) verneint, aber dazu sogleich (sub 5.) mehr. 4. Reichweite einer abkommensrechtlichen Sperrwirkung: Erstreckt sich diese auch auf die Existenz einer Geschäftsbeziehung (und deren unilaterale „­Simulation“)? Einer anderen und ebenfalls überaus wichtigen (Vor-)Frage soll noch zuvor nachgegangen werden: Wann, unter welchen Umständen läßt sich überhaupt von einer schuldrechtlichen Beziehung zwischen den verbundenen Unternehmen sprechen? a) Die Regelungslage in § 1 Abs. 4 AStG Wie mühsam es ist, diese Frage zu beantworten, erweist sich geradezu sprichwörtlich an den pausenlosen Nachbesserungen, denen im deutschen nationalen Recht die dafür passende Vorschrift des § 1 Abs. 4 (zwischenzeitlich auch Abs. 5) AStG unterworfen ist. Referiert seien dazu nur die beiden letzten Formulierungsversuche des Gesetzgebers: Durch das „Gesetz zur Umsetzung der Amtshilferichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften“ (AmtshilfeRLUmsG) vom 26.6.201335 wurde § 1 Abs. 5 AStG a.F. wieder zu § 1 Abs. 4 AStG und inhaltlich neu gefaßt, anwendbar ab Veranlagungszeitraum 2013 (§ 21 Abs. 20 Satz 3 AStG). Diese Neufassung des § 1 Abs. 4 AStG definiert in § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AStG den Begriff „Geschäftsbeziehung“ als einzelne oder mehrere zusammenhängende wirtschaftliche Vorgänge (Geschäftsvorfälle) zwiKroppen, Handbuch Internationale Verrechnungspreise, OECD-Leitlinien, Vorbemerkungen Rz. 13 sowie Kap. I Der Fremdvergleichsgrundsatz Rz. 43; Hülshorst/Mank, daselbst, Teil I: Auswahl der Verrechnungspreismethode Rz. 9.1; Rasch in Gosch/Kroppen/Grotherr/ Kraft, DBA-Kommentar, Art.  9 Rz.  27, 129; Eigelshoven in Vogel/Lehner, DBA, 6.  Aufl. 2015, Art. 9 OECD-MA, Rz. 167; Kroppen in Lüdicke/Schnitger/Spengel (Hrsg.), Besteuerung ­internationaler Unternehmen, 2016, 204; ebenso und eingehend Mössner in Lüdicke (Hrsg.), Internationale Geschäftstätigkeiten in der Nach-BEPS-Welt, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 46 (2018), 49 (63 ff.), jew. m.w.N. 33 Illustrierend zur Rechtssache Chevron und der dazu ergangenen Entscheidung des australischen Federal Court v. 23.10.2015 (No. 4, 2015 FCA 1092) s. Bärsch/Engelen, DB 2016, 191. 34 S. Bericht des Finanzausschusses, BT-Drucks. 18/10506, 3. 35 BGBl. I 2013, 1809.

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schen einem Steuerpflichtigen und einer ihm nahestehenden Person. Falls einem Geschäftsvorfall keine schuldrechtliche Vereinbarung zugrunde liegt, wird nach §  1 Abs. 4 Satz 2 AStG widerlegbar das Vorliegen einer schuldrechtlichen Vereinbarung vermutet. Die einschränkende Bestimmung, daß nur dann ein Geschäftsvorfall vorliegt, wenn ihm keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung zugrunde liegt, befindet sich inhaltlich unverändert in § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AStG. Durch das „Gesetz zur Anpassung der Abgabenordnung an den Zollkodex der Union und zur Änderung weiterer steuerlicher Vorschriften“ vom 22.12.201436 wurde §  1 Abs.  4 AStG, anwendbar ab dem Veranlagungszeitraum 2015 (§  21 Abs.  22 AStG) abermals novelliert. Nunmehr wurde u.a. § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AStG inhaltlich konkretisiert, um klarzustellen, daß unter einer gesellschaftsvertraglichen Vereinbarung eine Vereinbarung zu verstehen ist, die unmittelbar zu einer rechtlichen Änderung der Gesellschafterstellung führt (z.B. die Beteiligungshöhe oder die Beteiligungsrechte). Die formale Aufnahme eines Geschäftsvorfalls in den Gesellschaftsvertrag zieht somit als solche keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung nach sich, die den Anwendungsbereich des §  1 AStG ausschließt, es sei denn, der Geschäftsvorfall veranlaßt (auch) eine rechtliche Änderung der Gesellschafterstellung. Diese sehr enge Sichtweise ist vor dem Hintergrund der ursprünglichen Regelungsfassungen und der dazu ergangenen Rechtsprechung des BFH zu sehen. Ursprünglich wurde der Terminus der Geschäftsbeziehung nämlich deutlich entspannter legaldefiniert. Eine solche Beziehung sollte vorliegen, „wenn die den Einkünften zugrunde­ liegende Beziehung entweder beim Steuerpflichtigen oder bei der nahestehenden ­Person Teil einer Tätigkeit ist, auf die die §§ 13, 15, 18 oder 21 des Einkommensteuergesetzes anzuwenden sind oder wären, wenn die Tätigkeit im Inland vorgenommen würde“. Danach – ab 2003 – hieß es37: „Geschäftsbeziehung ist jede den Einkünften zugrundeliegende schuldrechtliche Beziehung, die keine gesellschaftsvertragliche Vereinbarung ist und entweder beim Steuerpflichtigen oder bei der nahe stehenden Person Teil einer Tätigkeit ist, auf die die §§ 13, 15, 18 oder § 21 des Einkommensteuergesetzes anzuwenden sind oder im Fall eines ausländischen Nahestehenden anzuwenden wären, wenn die Tätigkeit im Inland vorgenommen würde.“ Exakt in diesem Sinne grenzte der BFH denn auch die schuld- und gesellschaftsrechtliche Grundlegung strikt voneinander ab38. Mit anderen Worten: Man baute folgerichtig auf dem in § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG benutzten Begriff der Geschäftsbeziehung auf, der sich seinerseits an die „kaufmännischen oder finanziellen Beziehungen“ in Art. 9 Abs. 1 OECDMA anlehnte, verstand diese Beziehungen zunächst konsequent in ihrem tatsächlichen schuldrechtlichen „Kleid“ („form over substance“), ging sodann ihrem „wahren Kern“ auf die Spur („substance over form“) und deformierte sie nicht durch eine 36 BGBl. I 2014, 2417. 37 § 1 Abs. 4, später Abs. 5 AStG i.d.F. des Gesetzes zum Abbau von Steuervergünstigungen und Ausnahmeregelungen (Steuervergünstigungsabbaugesetz vom 16.5.2003, BGBl.  I 2003, 660). 38 BFH v. 29.11.2000 – I R 85/99, BStBl. II 2002, 720, v. 27.8.2008 – I R 28/07, BFH/NV 2009, 123; v. 23.6.2010 – I R 37/09, BStBl. II 2010, 895.

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„Kunstsimulation“, die die „Armlänge“ beim Fremdvergleichen von vornherein verkürzt. Nunmehr ist das anders. § 1 Abs. 4 AStG und die gesetzlichen Vorgaben gehen in Richtung des § 42 Abs. 1 Satz 3 AO: An die Stelle des tatsächlich verwirklichten Sachverhalts tritt ein anderer, vom Gesetzgeber als „richtig“ erachteter Sachverhalt. Die gesellschafts- und die schuldrechtlichen Ebenen werden verwischt, deren Gegensätze überspielt. b) Die daraus abzuleitende Prüfungsreihenfolge Das alles macht jedenfalls deutlich: Das Gesetz geht nunmehr zweispurig vor. Zunächst definiert es, was eine gesellschaftsrechtliche Regelung ist, sodann erhebt es alles, was nicht darunter fällt, in den Rang einer schuldrechtlichen Vereinbarung, gleichviel, ob eine solche tatsächlich geschlossen worden ist oder nicht. Letzten Endes wirkt sich der gebotene Fremdvergleichsansatz auf dieser Basis in doppelter Hinsicht als virtuelle Soll-Größe aus: Er bestimmt zunächst den Maßstab dessen, was „üblicherweise“ schuldrechtlich vereinbart ist. Sodann wird auf dieser Basis dann das virtuell schuldrechtlich Vereinbarte der Prüfung unterzogen, ob es nach seinen Bedingungen und seiner Höhe seinerseits fremdvergleichsgerecht daherkommt. Es sei gefragt, ob das mit den abkommensrechtlichen Vorgaben ohne weiteres vereinbar ist. c) Beispiel zur Veranschaulichung Veranschaulichen läßt sich das gut an einem praxisgängigen Beispiel im Zusammenhang mit einer Markenüberlassung. Dazu wurde, Alternative 1, im Gesellschaftsvertrag vereinbart, daß die ausländische Tochtergesellschaft den gemeinsamen Markennamen in ihrem Logo mitnutzen darf39. In der Alternative  2 fehlt es insgesamt an jeglicher Äußerung zu der faktisch vollzogenen Überlassung des Firmennamens. Grund dafür soll sein, daß für die Namensüberlassung kein produktbezogener Vorteil im Raum steht, daß im Gegenteil der F&E-Aufwand für die Produkte ebenso wie eine gebräuchliche Eigenmarke sogar im anderen Vertragsstaat ent- und bestehen. In beiden Alternativen will die Finanzverwaltung, glaubt man dem BMF-Schr. v. 7.4.201740 zur „Namensnutzung im Konzern“, eine Schuldrechtsbeziehung annehmen, sei es „verdeckt“ durch den formalen Gesellschaftsvertrag und die Annahme einer konkludenten Absprache, sei es durch völlige „Simulation“41. Einer möglichen Namens- oder Markenüberlassung liegt in casu tatsächlich jedoch gerade keine schuldrechtliche Vereinbarung zugrunde. Die Finanzverwaltung argumentiert indessen anders: Bei Ansatz des Fremdvergleichsmaßstabs hätten verständi39 So lag es im Urteil des BFH v. 21.1.2016 – I R 22/14, BStBl. II 2017, 336. 40 BStBl. I 2017, 701. 41 S. dort Nr. 6: „Liegt für einen solchen Geschäftsvorfall keine nachweisbare schuldrechtliche Vereinbarung vor, ist nach § 1 Abs. 4 Satz 2 AStG widerlegbar das Vorliegen einer schuld­ rechtlichen Vereinbarung zu vermuten.“

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ge Dritte unter den vorliegenden Gegebenheiten die Marke nur auf Basis einer schuldrechtlichen Vereinbarung überlassen. Ein derartiger automatischer Schluß auf eine fiktive schuldrechtliche Basis übersteigt jedoch die tatbestandlichen Vorgaben in § 1 Abs. 1 und 5 AStG. Zwar trifft es zu, daß es zur Annahme einer Schuldrechtsbeziehung über ein Namens- und/oder Markenrecht nicht zwingend einer schriftlichen Niederlegung bedarf. Ein Überlassungsvertrag kann auch formfrei abgestimmt werden. Fehlt eine schuldrechtliche Abmachung und wird ein Wirtschaftsgut auf Basis einer gesellschaftsrechtlichen Basis überlassen, kann eine schuldrechtliche Ebene ­indessen nicht schlichtweg unterstellt werden. Es ist dann zu prüfen, ob verdeckt ­eingelegt worden ist. Ansonsten fehlt es dann und damit am Tatbestand für die beabsichtigte Einkommenskorrektur42. Das gilt allgemein, jedenfalls aber, wenn die Überlassung des Konzernnamens sich im Konzernverbund zulässigerweise im Rahmen „passiver Konzernwirkungen“ (sog. Konzernrückhalt) und damit jenseits eines Leistungsaustauschs bewegen kann43. Selbst wenn man nicht bereit ist, diesen Schritt mitzugehen, könnte die Korrektur wiederum und einmal mehr an den abkommensrechtlichen Erfordernissen des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA scheitern. Denn zu diesen gehören eben „kaufmännische oder finanzielle Beziehungen“, welche es zu beurteilen und an den „neutralen“ Vergleichsmaßstäben abzumessen gilt. Nur eine solche vorgegebene Situation ist anhand der Vergleichsmaßstäbe zu simulieren. Lassen sich derartige „Beziehungen“ nicht ausmachen, so lassen sich solche nicht schlicht substituieren. Der Fremdvergleichsmaßstab verändert nicht die Ausgangslage als „Gegenstand“ der Beurteilung, er „vermißt“ allein das tatsächlich Vorhandene  – das nicht zuletzt deshalb, weil sich nur so eine gleichmäßige Einschätzung in beiden Vertragsstaaten erreichen läßt, und damit auch eine Vermeidung der doppelten Besteuerung. Wenn dem aber so ist, dann ist der nationale Gesetzgeber, ist die nationale Finanzverwaltung nicht autorisiert, weiter­ gehende Korrekturmechanismen in abkommensrechtlich-grenzüberschreitenden Zusammenhängen zu schaffen. Die Finanzbehörden können allenfalls prüfen, ob eine „eigentlich“ schuldrechtliche Beziehung durch ein gesellschaftsrechtliches oder gesellschaftsvertragliches Kleid in rechtsmißbräuchlicher Weise verdeckt wird. Das jedoch hat im Einzelfall – und bei entsprechender objektiver Feststellungslast der Finanzbehörden – zu erfolgen, nicht pauschal, wie in § 1 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b AStG aber geschehen, und auch nicht terminologisch verengt auf eine „Änderung der Gesellschafterstellung“. Eine solche pauschale Verengung verträgt sich, wie bereits aufgezeigt, nicht mit den tatbestandlichen Vorgaben des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA und zugleich mit dem bindenden völkervertraglichen Ausgangspunkt der hiernach vorzunehmenden Verrechnungspreisprüfung44. Für ein „§  42-Implantat“ in die Verrechnungspreiskontrolle ist Art. 9 Abs. 1 OECD-MA nicht geschaffen.

42 Skeptisch denn auch Lappé/Heidecke/Feikus, IStR 2017, 373 (376). 43 S. auch Greil/Wargowske, IStR 2017, 12 (17). 44 Andeutungsweise ähnlich Wassermeyer/Leonhardt in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/ Schönfeld, Außensteuerrecht, § 1 AStG Rz. 2745 aE.

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5. Gibt es ein „faktisches“ Überschreiben des Abkommens? Reicht ein solches aus, um ein Treaty override annehmen zu können? Nun aber zu der schon angeschnittenen Frage danach, ob all das, das hier vorgestellt und diskutiert wurde, erübrigt, weil jegliche abkommensrechtlichen Sperrwirkungen, ausgelöst durch Art. 9 Abs. 1 OECD-MA, ohnehin unilateral „überschrieben“ werden: Das, was hier ausgeführt wurde, „erledigt“ sich nämlich, bejaht man und sieht man in § 1 AStG einen Treaty override, der de iure den durch Art. 9 Abs. 1 OECD-MA gesetzten Sperreffekte überschreibt. Der BFH hat das wiederholt verneint. Zum einen erkennt er nicht, dass §  1 Abs.  1 AStG nur den Regelungsinhalt des Art.  9 Abs.  1 OECD-MA und dessen Tatbestbestandsmerkmale „authentisch“ wiedergibt. Zum anderen mißt er der Vorschrift keine abkommensüberschreibende Eigenkraft zu. Letzteres ließ sich indessen in Zweifel ziehen. Denn das BVerfG scheint in seinem Beschluß vom 15.12.2015 2 BvL 1/1245 ein faktisches Treaty overriding sehr wohl für möglich zu halten: „Eine Abkommensüberschreibung (Treaty Override) führt zu keiner größeren Rechtsunsicherheit, als sie mit den Grundsätzen der lex posterior und der lex specialis allgemein verbunden ist. Im vorliegendem Fall kommt hinzu, dass der Gesetzgeber in § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG seinen Willen zur Abkommensüberschreibung (Treaty Override) eindeutig zum Ausdruck gebracht hat (‚ungeachtet des Abkommens‘), so dass weder mit Blick auf den Rang noch auf die Zeitfolge noch auf die Spezialität der Regelung Zweifel am Vorrang des § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG vor inhaltlich abweichenden völkerrechtlichen Vereinbarungen in Doppelbesteuerungsabkommen bestehen. Mit § 50d Abs. 8 Satz 1 EStG in der Fassung des Zweiten Gesetzes zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 15.12.2003 wollte der (Bundes-)Gesetzgeber vielmehr offensichtlich eine gegenüber Zustimmungsgesetzen zu Doppelbesteuerungsabkommen vorrangige Regelung treffen (vgl. Krumm, AöR 138 [2013], S. 363 ).“46

Anders gewendet: Offenbar sieht das BVerfG in der expliziten „Sichtbarmachung“ der nationalen (Vorrang-)Norm ein unterstützendes, ein „hinzukommendes“ Argument für das Vorliegen des Treaty override. Ausschlaggebend scheint ihm dieses Merkmal indessen nicht zu sein. Vielmehr gereichen ihm, so liest sich dieser „Schein“, die allgemeinmethodischen, römischrechtlichen Grundsätze des „lex posterior derogat legi priori“ und des „lex specialis derogat legi generali“, um ein taugliches Treaty override annehmen zu können. Das könnte in Einklang mit der entsprechenden Verlautbarung in dem OECD-Report on Tax Treaty Overrides aus dem Jahre 199047 stehen, wo es heißt: „legislation can also have effect of overriding treaties, even where no reference48 is made in the legislation to treaty provisions as such, because domestic interpretation of the effect of that legislation in relation to treaty provisions has the same effect in practise“.

45 DStR 2016, 359. 46 So in Rz. 88 der Entscheidungsgründe. 47 Tax Notes International (TNI) 1990, 25; dazu Gebhardt, IWB 2017, 851. 48 Kursive Hervorhebung nur hier.

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Die Annahme, auch eine „unbestimmte“ innerstaatliche Norm könne ein Treaty overriding bewirken, ist allerdings in Zweifel zu ziehen, und das mit guten Erwägungen. Zwar trifft es gewiß zu, daß sich nach allgemeinen Maßstäben die speziellere Norm von der allgemeinen Norm abgrenzen läßt, und das geschieht gemeinhin durch Auslegung; einer expliziten Kenntlichmachung bedarf es dafür nicht. Das gilt prinzipiell auch für das Recht der Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung (und neuerdings: zur Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung)49. Beispielhaft dafür sei auf einschlägige Entscheidungen des BFH verwiesen: So erwägt der BFH in seinem Urt. v. 29.8.2012 – I R 7/1250 ein mögliches „faktisches“ Treaty override in Gestalt der sog. Schachtelstrafe des § 8b Abs. 5 KStG: Überschreibt das pauschalierte Betriebsausgabenabzugsverbot das abkommensrechtlich kontrahierte sog. Schachtelprivileg? Der BFH hat solches verneint: „… stellt die sog. Schachtelstrafe … kein sog. Treaty override dar, das der prinzipiellen Schachtelprivilegierung des Art. 23 Abs. 2 Satz 1 Buchst. a Sätze 1 und 3 i.V.m. Art. 10 Abs. 4 DBA-USA 1989 für die Dividenden aus der Auslandsbeteiligung in ‚faktischer‘ … Weise … entgegenstünde. Die Schachtelprivilegierung wird vollen Umfangs eingeräumt. Dass die daraus erwachsende Steuerfreistellung der Auslandsdividenden wirtschaftlich dann wieder um 5 v.H. der Dividenden als nichtabziehbar behandelte fiktive Betriebsausgaben zurückgenommen wird, berührt die zunächst gewährte Freistellung aus rechtlicher Sicht ebenso wenig, wie dies infolge der Nichtabziehbarkeit der tatsächlich angefallenen Betriebsausgaben nach Maßgabe von § 3c EStG … der Fall wäre. In beiden Situationen wird kraft positiv-rechtlicher Anordnung lediglich dem Rechtsgedanken Rechnung getragen, dass steuerbefreite Einkommensbestandteile mit einem Abzugsverbot für damit in Zusammenhang stehenden Aufwand korrespondieren sollen, und zwar gleichviel, ob dabei auf den tatsächlich angefallenen Aufwand abgestellt wird oder ob die nicht abziehbaren Betriebsausgaben insoweit abweichend von § 3c EStG … pauschaliert werden. Keineswegs aber schafft § 8b Abs. 7 KStG 1999 n.F. einen Steuertatbestand, welcher rechtlich neben der Steuerfreistellung des DBA-Schachtelprivilegs stünde und diesen ‚überschriebe‘ (…).“

In seinem Urt. v. 8.9.2010 – I R 6/0951 prüfte der BFH, ob die Umqualifizierung von Zinsen in verdeckte Gewinnausschüttungen nach § 8a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KStG a.F. mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 25 Abs. 3 DBA-Schweiz 1971/1992 vereinbar ist. Er hat das verneint, und hierbei im Hinblick auf den im Eingangssatzteil der Abkommensvorschrift enthaltenen Anwendungsvorbehalt zugunsten des Dealing at arm’s length-Grundsatzes in Art. 9 Abs. 1 OECD-MA immerhin erwogen (im Ergebnis jedoch dahinstehen lassen), „ob es sich bei § 8a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KStG … a.F./n.F. bezogen auf vorgängig abgeschlossene Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung … im Ergebnis um ein faktisches sog. Treaty override handelt …“. Oder hat der Gesetzgeber mit § 50d Abs. 10 Satz 1 EStG „lediglich“ einen den Rechtsanwender bindenden „Auslegungsbefehl“ (oder DBA-Anwendungsgesetz)52 fabri49 S. dazu die (ministerielle) „Verhandlungsgrundlage für Doppelbesteuerungsabkommen im Bereich der Steuern vom Einkommen und Vermögen“ (BMF v. 17.4.2013, Stand: 22.8.2013; abgedruckt in IStR, Beihefter 10/2013 unter II. und berichtigt in IStR 2013, 440). Krit. dazu bezogen auf Altabkommen BFH v. 20.7.2016 – I R 50/15, BStBl. II 2017, 230. 50 BFH v. 29.8.2012 – I R 7/12, BStBl. II 2013, 89. 51 BStBl. II 2013, 186. 52 So der BR in seiner entsprechenden „Prüfbitte“ an die BReg., s. BT-Drucks. 17/10604, 17.

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ziert, um den „wahren“ Willen der Vertragsstaaten aufzuhellen, nicht aber um abkommensübergriffig zu werden? Ersteres läßt die Gesetzesbegründung53 anklingen, und das verstetigt sich dadurch, daß das Gesetz auf einen ausdrücklichen Abkommensvorbehalt54 verzichtet: Was „Unternehmensgewinne“ i.S.d. Art. 7 Abs. 1 OECDMA sind, das bestimme sich, so helfen uns die Regelungsmaterialien55, allein nach innerstaatlichem Recht nach Maßgabe des Art. 3 Abs. 2 OECD-MA, und eben deswegen sei auch das spezielle deutschrechtliche Besteuerungssystem des § 15 EStG mit seinen Sonderbetriebseinnahmen und Sonderbetriebsausgaben, mit seinem Sonderbetriebsvermögen, ausschlaggebend für das richtige Abkommensverständnis. Der BFH56 ist bekanntlich ganz anderer Auffassung. Er erkennt in den auslösenden Sonderbetriebseinnahmen solche Einkünfte, die der jeweils spezielleren Einkunftsart des DBA unterworfen sind; § 50d Abs. 10 Satz 1 EStG entpuppt sich damit als veritables Treaty override, obschon, wie gesagt, der Gesetzgeber das Gegenteil annimmt57. Gleichermaßen dürfte es sich – dazu mußte der BFH sich bis dato noch nicht äußern – bei dem jüngsten Absatz des § 50d EStG verhalten, bei § 50d Abs. 12 EStG. Danach gelten Abfindungen, die anläßlich der Beendigung eines Dienstverhältnisses gezahlt werden als für frühere Tätigkeit geleistetes zusätzliches Entgelt. Die Regelungsfiktion überschreibt die (bisherige) gegenläufige Spruchpraxis des BFH58 – offenbar abermals aber in einem vorgeblich „wahren“ Erkennen dessen, was der Abkommenstext ohnehin erzwinge. Kurzum: Ein „faktisches“ Treaty overriding erscheint in Anbetracht all dessen keineswegs als gänzlich ausgeschlossen. Doch wird das den Anforderungen kaum gerecht, welche im Kontext des Treaty overruling durch nationales Recht auch in Deutschland 53 BT-Drucks. 16/11108, 23; BT-Drucks. 17/10604, 17. Zu alledem Gosch in Kirchhof, 16. Aufl., § 50d EStG Rz. 44 ff., 44b. 54 Sog. Melford-Klausel: „ungeachtet der Vorschriften eines DBA“ oder „im Widerspruch zum Abkommen“; benannt nach der Reaktion des kanadischen Gesetzgebers auf die Entscheidung des Supreme Court of Canada in The Queen v. Melford Developments Inc., 82 DTC 6281 (SCC) (zur Auslegung des Zinsbegriffs) in Form eines ausdrücklichen Treaty Override. Vgl. Kofler/Rust, SWI 2016, 144 (149); Gosch, IStR 2008, 413; Frotscher, IStR 2009, 593 (597), m.w.N. 55 S. Fn. 53. 56 BFH v. 1.12.2013 – I R 4/13, BStBl. II 2014, 791. 57 BFH v. 1.12.2013 – I R 4/13, BStBl. II 2014, 791: „Dass der Gesetzgeber das anders gesehen hat und dass die Regelungen infolgedessen nicht als „offenes“, sondern als „verdecktes“ ­Treaty overriding … zu erkennen sind, widerspricht dem nicht. Auch ein verdecktes Treaty overriding ist aufgrund seines Inhalts und seiner Wirkungsweise als solches zu qualifizieren (im Ergebnis ebenso Frotscher, IStR 2009, 593, 595 und 597  f., und IStR 2009, 866; Frotscher, StbJb. 2009/2010, 151; Gosch in Kirchhof, a.a.O., § 50d EStG Rz. 44a; und allgemein z.B. Oellerich in Beermann/Gosch, AO § 2 Rz. 75; Schild/Eisele, IStR 2005, 217, 221; Bron, IStR 2007, 431, 433; s. auch BVerfG v. 26.3.1987 – 2 BvR 589/79, 2 BvR 740/81, 2 BvR 284/85, BVerfGE 74, 358).“ 58 Zuletzt BFH v. 10.6.2015  – I R 79/13, BStBl.  II 2016, 326 m.w.N.; Gosch in Kirchhof, 16.  Aufl., §  50d EStG Rz.  52  ff.; Blumenberg, JbFfSt. 2016/2017, 461; Gosch/Kroppen/­ Grotherr/Kraft, DBA-Kommentar, Art. 21 Rz. 40; a.A. Schönfeld/Ditz, DBA, 2013, Art. 21 Rz. 27.

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zu stellen sind. Denn vermittels der spezielleren Norm wird nicht nur eine gleichranginge Vorschrift „overruled“, vielmehr völkervertraglich „per se“ vorrangiges Recht. §  2 Abs.  1 AO bringt dieses inhaltliche Rangverhältnis klar zum Ausdruck59. Und deswegen genügt es nicht, wenn allein die Auslegung einen inhaltlichen Vorrang sichtbar machen könnte. Es geht auch nicht „abstrakt“ darum, ob der Gesetzgeber auf eine „versteckte“ Weise versucht, gegenüber den Gerichten in der Abkommensaus­ legung Recht zu behalten, das „letzte Wort“ zu beanspruchen. Es geht angesichts des §  2 Abs.  1 AO um mehr, und es bedarf deshalb eines hinlänglich erkennbaren „Durchbrechungswillens“60; ein solcher muß klar zum Ausdruck kommen61. Ob das durch die herkömmliche Formulierung des „ungeachtet eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung“ geschieht62, oder aber dadurch, daß der Gesetzgeber, wie in § 50d Abs. 10 Satz 1 und § 50d Abs. 12 Satz 1 EStG geschehen, eine Anwendungsfiktion mit dem Zusatz „für Zwecke der Anwendung eines Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung“ verknüpft, selbst, ob es ggf. auch bloß in den Gesetzesmaterialien zum Ausdruck kommt63, ist hierfür gesetzestechnisch einerlei64. Und in just diesem Sinne hat denn auch der BFH erkannt, in seinem Urt. v. 23.6.2010 – I R 71/0965. Dort ging es darum, ob Gewinnanteile aus Anteilen an einer polnischen 59 Vgl. Oellerich in Gosch, AO/FGO, § 2 AO Rz. 73 ff. 60 So Gebhardt, IWB 2017, 851, zu Recht entgegen FG Baden-Württemberg v. 7.6.2016 – 6 K 1213/14, EFG 2016, 1980, Rev. I R 80/16 (dazu Lüdicke, IStR 2017, 289), dort bezogen auf § 50 Abs. 2 Satz 7 EStG. 61 Kofler/Rust, SWI 2016, 144 (146); Haendel, IStR 2017, 436. 62 Einer solchen Formulierung wird seitens der Finanzverwaltung jedenfalls „intern“ offenbar ohnehin nur wenig Bedeutung beigemessen. Das könnte sich an einem (dem Verf. vorliegenden) Argumentationspapier („Notwendigkeit der Regelung des § 50d Abs. 11 EStG“) erweislich zeigen, das seinerzeit im BMF (und dort in dem damals von MinRat M. Naumann geleiteten Referat IV B 3) für die Fraktionen des Deutschen Bundestags im Hinblick auf die ins Auge gefasste Ergänzung des EStG durch das Gesetz zur Änderung des Gemeindefinanzreformgesetzes (sodann umgesetzt durch Gesetz v. 8.5.2012, BGBl. I 2012, 1030) erstellt worden ist. Darin heißt es bezogen auf besagten § 50d Abs. 11 u.a.: „die Formulierung ‚ungeachtet des Abkommens’ soll vorbeugend den Vorwurf eines völkerrechtlichen Verstoßes entkräften und ist – entgegen Gosch – kein Beleg für Treaty override. Sie ist vielmehr eine Anti-Gosch-Regelung.“ (sic!). – Und in der Sache ähnlich Kreienbaum in Lüdicke (Hrsg.), Internationale Geschäftstätigkeiten in der Nach-BEPS-Welt, Forum der Internationalen Besteuerung, Band  46 (2018), 85 (87  f.), der (u.U. ungewollt?) aufzeigt, wie indifferent sich zueinander ein möglicher „Durchbrechungswille“ des Gesetzgebers und eine von diesem vorgegebene „verbindliche Interpretation“ von Abkommensbegriffen verhalten. 63 Kofler/Rust, SWI 2016, 144 (146) unter Bezugnahme auf M. Lang, SWI 1994, 346 (350). 64 Folgt man dem BFH (v. 25.5.2016 – I R 64/13, DStR 2016, 2087), dann mag in Einzelfällen selbst der lex posterior-Grundsatz hinter einem weitergehenden gesetzgeberischen „Durchbrechungswillen“ (in §  50d Abs.  8 EStG) zurücktreten, obschon es befremdet, wenn ein vorgängiges Treaty override ein nachfolgendes DBA (und das dazu gegebene Zustimmungsgesetz) konterkarieren soll, das seinerseits vorbehaltlos formuliert ist (in casu das DBA-Türkei nF). Zutreffend methodisch wie inhaltlich zweifelnd deswegen Mössner in Lüdicke (Hrsg.), Internationale Geschäftstätigkeiten in der Nach-BEPS-Welt, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 46 (2018), 49 (60 ff.). 65 BStBl. II 2011, 129.

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Kapitalgesellschaft, die nach § 8b Abs. 1 KStG bei der Ermittlung des Einkommens außer Ansatz bleiben, zugleich aber auch nach Maßgabe eines sog. abkommensrechtlichen Schachtelprivilegs (nach Art. 21 Abs. 1 Buchst. a Satz 3 DBA-Polen 1972) von der Bemessungsgrundlage ausgenommen werden, nach § 8 Nr. 5 GewStG dem Gewinn aus Gewerbebetrieb hinzuzurechnen sind. Der BFH hat das verneint und wie folgt begründet: „Das ist auch folgerichtig und verwirklicht die Wertungen des § 2 AO, der den prinzipiellen Vorrang völkerrechtlicher Verträge i.S.d. Art. 59 Abs. 2 Satz 1 GG gegenüber den Steuergesetzen bestimmt: Zwar dienen die gewerbesteuerlichen Hinzurechnungen – auch jene nach § 8 Nr. 5 GewStG … – der Durchführung der (innerstaatlichen) Besteuerung (vor dem Hintergrund der besonderen, mit der Gewerbesteuer verbundenen Zielsetzungen, also dem Äquivalenz- und Objektsteuergedanken) und werden als solche von der abkommensrechtlichen Vermeidung der Doppelbesteuerung nicht umfasst … . Gehört jedoch – wie nach Art. 2 Abs. 3 DBA-Polen 1972  – auch die Gewerbesteuer zum sachlichen Regelungsbereich des Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und wird auch sie prinzipiell von der darin bestimmten Freistellung von der Bemessungsgrundlage erfasst, liefe eine Hinzurechnung der betreffenden Gewinnanteile zum Gewinn aus Gewerbebetrieb und damit die Einbeziehung in den Gewerbeertrag als die gewerbesteuerliche Besteuerungsgrundlage (vgl. § 6 GewStG) bezogen auf Art. 21 Abs. 1 Buchst. a Satz 3 DBA-Polen 1972 faktisch auf ein sog. Treaty override hinaus,  … das aber zumindest als solches durch einen entsprechenden ausdrücklichen Abkommensvorbehalt nach außen hin kenntlich zu machen ist ... . … auch daran fehlt es hier.“

Das zugrunde gelegt, beschränkt sich die Wirkung des § 1 Abs. 1 AStG dann aber – in Einklang mit der Normauslegung durch den BFH – allein auf die Justierung des vereinbarten Verrechnungspreises seiner Höhe nach auf Basis der getroffenen schuldrechtlichen Vereinbarung. Weitergehende Wirkungen kommen dem nicht zu66.

III. Weitere Sperrwirkungen des Dealing at arm’s length-Prinzips Die Spruchpraxis des BFH zur Schrankenwirkung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA auf § 1 Abs. 1 AStG hat die Beraterpraxis kreativ werden lassen. Gibt es noch weitere nationale Vorschriften, deren Anwendung infolge der abkommensrechtlichen Vorgaben beschränkt ist? Gedacht wird (oder zu denken ist) hierbei etwa an § 11 Abs. 2 BewG, an § 8b Abs. 3 Satz 6 KStG und auch an das abkommensrechtliche Diskriminierungsverbot des Art.  24 OECD-MA. Zu denken ist zudem an „künstliche“ Fremdvergleichsparameter, wie sie der Gesetzgeber etwa in § 1 Abs. 1 Satz 2, in § 1 Abs. 3 Satz 4, Satz 7, Satz 11 ff. AStG geschaffen hat. Das sei aufgezeigt.

66 BFH v. 17.12.2014 – I R 23/13, BStBl. II 2016, 261 und v. 24.6.2015 – I R 29/14, BStBl. II 2016, 258; FG Baden-Württemberg v. 12.1.2017 – 3 K 2647/15, EFG 2017, 635 (Rev. I R 5/17), mit Anm. Graw; FG Köln v. 17.5.2017 – 9 K 1361/14, juris; FG Münster v. 18.5.2017 – 3 K 2872/14 G, F, juris (Nichtzulassungsbeschwerde an den BFH I B 57/17); FG Düsseldorf v. 27.6.2017 – 6 K 896/17 K,G, EFG 2017, 1332 (Rev. I R 54/17), mit Anm. Rohde; zustimmend Engelen, ISR 2017, 322; Cloer, DStRK 2017, 260; Schaumburg/Häck in Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 4. Aufl., Rz. 19.289 ff., 19.295; Brandis, StbJb. 2014/2015, 331, 335.

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1. Gesetzliche und „künstliche“ Modifikationen des Fremdvergleichs a) Verträgt sich der „künstliche“ Fremdvergleich in § 1 Abs. 1 Satz 2, § 1 Abs. 3 Satz 4, Satz 7, Satz 11 ff. AStG (usf.) mit der abkommens­ rechtlichen Sperrwirkung? Es sei noch einmal hervorgehoben: „Der“ Maßstab der Einkünftekorrektur nach Art. 9 Abs. 1 OECD-MA und damit nach richtigem Verständnis auch des § 1 AStG ist der Grundsatz des Fremdvergleichs. Normative Grundlagen dafür suchte man lange vergebens. Der Grundsatz hat sich vielmehr in steter Rechtsprechung und Übung über Jahrzehnte entwickelt. Er wurzelt im Veranlassungsprinzip und zeigt ausdifferenzierte und vielfältige Spielarten, denen teilweise normgleiche Wirkung zukommt. In jüngerer Zeit hat der Gesetzgeber denn aber doch Hand angelegt. Er hat den Fremdvergleichsgrundsatz namentlich in grenzüberschreitendem Kontext konkretisiert, spezifiziert, typisiert und womöglich auch deformiert, nämlich in § 1 AStG und dort an manchen Stellen. Ob sich diese Spielarten samt und sonders mit dem vertragen, was international unter „Dealing at arm’s length“ verstanden wird, ist nun mehr als fraglich. „Künstliche“ Fremdvergleichsparameter, die sich mit dem tatsächlichen oder auch dem gedachten („hypothetischen“) Vorgang des Fremdvergleichens schlechterdings nicht vereinbaren lassen, scheitern an den abkommensrechtlichen Verständnisvorgaben. Um im Bild zu bleiben: Einer der beiden Fechter kämpft mit einer Doppelklinge, dem anderen wird der Fechtradius beschnitten – und von arm’s length kann keine Rede sein. Im einzelnen kann dem hier nur annähernd nachgegangen werden. Die „Sündenfälle“ sind wertend aufzulisten; Anhalt dafür liefert Ditz in seiner Zustandsbeschreibung des Verhältnisses von Art. 9 Abs. 1 OECD-MA zu § 1 AStG67: −− Hellseherklausel: Das Transparenzprinzip des § 1 Abs. 1 Satz 2 AStG geht davon aus, dass sich Marktpreise unter vollständiger Information bilden. Der Gesetzgeber geht damit – insbesondere bei Anwendung des hypothetischen Fremdvergleichs – von einer Figur des „allwissenden ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters (Hellseher)“ aus. −− Medianwert: Sofern der vom Steuerpflichtigen festgesetzte Verrechnungspreis außerhalb einer tauglichen Preisbandbreite liegt, soll eine Korrektur des Verrechnungspreises gem. § 1 Abs. 3 Satz 4 AStG stets auf den sog. Median der ermittelten Bandbreite erfolgen. −− Mittelwert: § 1 Abs. 3 Satz 7 AStG ordnet für die Aufteilung des Einigungsbereichs an, dass der Mittelwert zugrunde zu legen ist, soweit kein anderer Wert glaubhaft gemacht wird. −− Preisanpassung: § 1 Abs. 3 Satz 11 ff. AStG will für die Übertragung wesentlicher immaterieller Wirtschaftsgüter Unsicherheiten zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses abfangen, wenn die spätere Gewinnentwicklung erheblich von den Budgetwerten abweicht. Wurde hierbei vertraglich keine Preisanpassungsklausel ver67 Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA, Art. 9 Rz. 23 ff.; Gosch, KStG, 3. Aufl., § 8 KStG Rz. 300 ff.

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einbart, arbeitet das Gesetz mit einer Fiktion und ersetzt das „Versäumnis“ durch eine gleich auf zehn Jahre justierte Preisanpassungsanordnung. Die gegebenen Beispiele bezeugen es: Das alles wirkt doch recht kontraintuitiv. Die „Künstlichkeit“ jener Wertmaßstäbe – und noch einiger mehr68 – hat mit Fremdvergleichem, das sich tatsächlich wie hypothetisch an der Realität abzubilden hat, nur wenig zu tun. Es ist deshalb wegen Art. 9 Abs. 1 OECD-MA aus abkommensrechtlicher Perspektive nicht kompatibel. Aber nicht nur das, vielmehr auch in Bezug auf das Unionsrecht, denn: b) Und wie steht es mit der Unionsrechtmäßigkeit des „künstlichen“ ­Fremdvergleichsmaßstabs? Zwar können nach der Spruchpraxis des EuGH Verrechnungspreisvorschriften69 grundsätzlich eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit und ebenso der Kapitalverkehrsfreiheit darstellen. Die Beschränkung kann aber gerechtfertigt sein, wenn dem Steuerpflichtigen erstens im Falle des Verstoßes gegen den Fremdvergleichsgrundsatz gleichwohl die Möglichkeit gegeben wird, „Beweise für etwaige wirtschaftliche Gründe für den Abschluß dieses Geschäfts beizubringen“70, und zweitens die Einkünftekorrektur auf die Differenz zum „üblichen“ Fremdvergleichspreis beschränkt ist. Zudem widerspricht es der Verhältnismäßigkeit einer Korrektur, wenn eine solche nationale Korrekturregelung über das hinausgeht, was zur Erreichung der mit ihr verfolgten Ziele in ihrer Gesamtheit erforderlich ist, woran es wiederum fehlt, wenn die Korrektur „über das hinausgeht, was die betreffenden Gesellschaften unter Bedingungen des freien Wettbewerbs vereinbart hätten“; andernfalls ist die steuerliche Berichtigung auf den Teil zu beschränken, „der über das hinausgeht, was ohne die gegen­ seitige Verflechtung dieser Gesellschaften vereinbart worden wäre. Unter diesen Umständen steht eine solche nationale Regelung vorbehaltlich einer vom nationalen Gericht vorzunehmenden Prüfung dieser beiden letztgenannten Gesichtspunkte, die die Auslegung und Anwendung nationalen Rechts betreffen, in einem angemessenen Verhältnis zu den mit ihr verfolgten Zielen in ihrer Gesamtheit“71. Diese Aussagen traf der EuGH zu einer belgischen Regelung, die mit § 1 AStG vergleichbar war. Sie strahlen deshalb uneingeschränkt und gleichermaßen auf Einkommenskorrekturen aus, die auf anderer Rechtsbasis in grenzüberschreitendem Kontext vorgenommen werden, also auch auf § 1 Abs. 1 Satz 1 AStG. Und deshalb lassen sich „künstliche“ Fremdvergleichsmaßstäbe, wie sie teilweise mit § 1 AStG in Rede stehen und soeben näher dargestellt worden sind, damit per se nicht vereinbaren. Zudem 68 Ditz (a.a.O.) führt zu Recht etwa die Funktionsverlagerungsbesteuerung in § 1 Abs. 3 AStG an, namentlich die dort geregelte Bewertung eines „Transferpakets“. 69 Nicht aber der „Fremdvergleichsgrundsatz“, so jedoch Schulz-Trieglaff, IStR 2017, 975 (977 f.). 70 EuGH v. 21.1.2010  – Rs. C-311/08, SGI, IStR 2010, 144 Rz.  71; bestätigt durch BFH v. 25.6.20014 – I R 88/12, BFH/NV 2015, 57. Mit einer „Mißbrauchsvermeidung“ haben solche objektiven Korrekturen nichts zu tun, a.A. Schulz-Trieglaff, IStR 2017, 975 (977 f.). 71 EuGH v. 21.1.2010 – Rs. C-311/08, SGI, IStR 2010, 144 Rz. 72.

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fehlt einer „Teleologie des Fremdvergleichs“72, welcher unter allen Umständen danach trachtet, unabhängige und konzernabhängige Unternehmen gleichzubehandeln, ohnehin und allemal die unionsrechtliche Legitimation. Der EuGH entzieht einer derartigen Gleichbehandlung die Basis, wenn der konzerninternen Abstimmung von Verrechnungspreisen tragfähige wirtschaftliche Gründe zur Seite stehen. Das ist im Einzelfall zu verproben, das Gegenteil kann aus Sicht des EuGH nicht pauschal und typisierend mit Blick auf den Dealing at arm’s length-Grundsatz unterstellt werden73. 2. Taugt der in § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG bestimmte Substanzwert als ­Bewertungsmaßstab für eine Einkünftekorrektur? Eine weitere „Spielart“, an der sich die abkommensrechtlich ausgelöste Sperrwirkung verifizieren könnte, ist § 11 Abs. 2 BewG. Auch dazu ein Beispiel: Die inländische A-Holding GmbH war alleinige Anteilseignerin der A-BVBA mit Sitz in Belgien. Die Veräußerung sämtlicher Geschäftsanteile an der A-BVBA erfolgte an die Alleingesellschafterin der A-Holding GmbH, die A-BV mit Sitz in den Niederlanden. Vereinbart wurde ein Kaufpreis von, sagen wir, 100 Mio. Euro. Der Kaufpreis entsprach dem Marktwert der Anteile an der A-BVBA resultierend aus einer de lege artis durchgeführten Unternehmensbewertung (z.B. anhand der Discounted CashFlow-Methode) und ausgerichtet an den deutschen steuerlichen Anforderungen für einen konzerninternen Anteilsverkauf. Auf dieser Basis wichen der handels- und der steuerbilanzielle Ausweis der Buchwerte voneinander ab, weil das Wahlrecht gem. § 6 Abs. 1 Nr. 2. Satz 2 EStG nicht ausgeübt worden war. Aufgrund der Veräußerung der Beteiligung an der A-BVBA zum handelsbilanziellen Buchwert war der Vorgang in der Handelsbilanz erfolgsneutral, während sich in der Steuerbilanz ein Veräußerungsverlust von rd. 120 Mio. Euro ergab. Die Finanzverwaltung unterstellte, daß der Substanzwert der Anteile an der A-BVBA deutlich über dem ermittelten Ertragswert liegt. Die Anwendung des Substanzwertes ergäbe sich auf der Basis des § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG als Wertuntergrenze für die Anteile den angemessenen Kaufpreis auch für ertragsteuerliche Zwecke. Im Umfang der Wertdifferenz gelange man zu einer verdeckten Gewinnausschüttung. a) Die bewertungsrechtliche Regelungslage § 11 Abs. 2 BewG erhielt durch das SEStEG74 im Jahre 2006 die folgende Fassung: „(2) 1Anteile an Kapitalgesellschaften (Aktiengesellschaften, Kommanditgesellschaften auf Aktien, Gesellschaften mit beschränkter Haftung, bergrechtlichen Gewerkschaften), die nicht un72 Schön, IStR 2011, 777. 73 Vgl. eingehend Schön, IStR 2011, 777: „Der Fremdvergleich, der Europäische Gerichtshof und die ‚Theory oft the Firm‘“. 74 Gesetz über steuerliche Begleitmaßnahmen zur Einführung der Europäischen Gesellschaft und zur Änderung weiterer steuerrechtlicher Vorschriften v. 7.12.2006, BGBl. I 2006, 2782.

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Widerstreit zwischen Abkommensrecht und nationalem Recht ter Abs. 1 fallen, sind mit dem gemeinen Wert anzusetzen. 2Läßt sich der gemeine Wert nicht aus Verkäufen ableiten, die weniger als ein Jahr zurückliegen, so ist er unter Berücksichtigung des Vermögens und der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft zu schätzen. 3Satz 2 gilt nicht für ertragsteuerliche Zwecke.“

Mit anderen Worten: Waren unter den mit dem gemeinen Wert zu bewertenden Wirtschaftsgütern Anteile an Kapitalgesellschaften, sah der durch das SEStEG eingefügte § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG a.F. vor, daß weder die Schätzung nach § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG noch die dazu ergangenen Verwaltungsanweisungen (sog. Stuttgarter Verfahren) anzuwenden waren. Auch sollten nach dem Gesetzeswortlaut zeitnahe und repräsentative Anteilsverkäufe keine Rolle mehr spielen. Vielmehr sollte insoweit das Ertragswertverfahren zur Anwendung kommen. Die Vorschrift ist durch das ErbStRefG vom 24.12.200875 aufgehoben worden. Nunmehr heißt es: „(2) 1Anteile an Kapitalgesellschaften, die nicht unter Abs. 1 fallen, sind mit dem gemeinen Wert anzusetzen. 2Lässt sich der gemeine Wert nicht aus Verkäufen unter fremden Dritten ableiten, die weniger als ein Jahr zurückliegen, so ist er unter Berücksichtigung der Ertragsaussichten der Kapitalgesellschaft oder einer anderen anerkannten, auch im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für nichtsteuerliche Zwecke üblichen Methode zu ermitteln; dabei ist die Methode anzuwenden, die ein Erwerber der Bemessung des Kaufpreises zugrunde legen würde. 3 Die Summe der gemeinen Werte der zum Betriebsvermögen gehörenden Wirtschaftsgüter und sonstigen aktiven Ansätze abzgl. der zum Betriebsvermögen gehörenden Schulden und sonstigen Abzüge (Substanzwert) der Gesellschaft darf nicht unterschritten werden; die §§ 99 und 103 sind anzuwenden. 4Die §§ 199 bis 203 sind zu berücksichtigen.“

b) Übertragbarkeit auf das Ertragsteuerrecht … Nach den Gesetzesmaterialien zum SEStEG sollte es sich allerdings nur um eine Klarstellung handeln76. Glaubt man das, dann bliebe auch die Aufhebung von Satz 3 ohne Bedeutung; die Nichtgeltung von § 11 Abs. 2 Satz 2 BewG für das Ertragsteuerrecht ergäbe sich gewissermaßen „aus sich heraus“. Mißt man der Aufhebung des Satzes 3 a.F. hingegen konstitutive Bedeutung bei, dann ließe sich argumentieren, der Gesetzgeber habe den Anwendungsbereich des § 11 Abs. 2 BewG neuerlich erweitern wollen und erachte ihn jetzt ertragsteuerrechtlich für relevant77. Das ist offenbar auch die Meinung der Finanzverwaltung78. c) … und damit auf die verdeckte Gewinnausschüttung? Diese (kontroverse) Ausgangslage ist im Grundsatz für die Bewertung einer verdeckten Gewinnausschüttung bedeutsam. Nimmt man (mit der wohl h.M. und offenbar der Verwaltungspraxis) an, die bewertungsrechtlichen Maßstäbe wären ertragsteuer75 BGBl. I 2008, 3018. 76 BT-Drucks. 16/2710, 56. 77 So z.B. Piltz, DStR 2009, 1829; Drosdol, DStR 2011, 1258; a.A. Rödder in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, 2. Aufl., § 12 UmwStG Rz. 57; Dannecker/Rudolf/Risse, DB 2015, 1615. 78 S. BMF v. 22.9.2011, BStBl. I 2011, 859 i.V.m. BMF v. 17.5.2011, BStBl. I 2011, 606.

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rechtlich relevant, gälte das dann auch hier. Sie würden dann zumindest einen Anhalt für die Wertbestimmung liefern, welcher in vielen Fällen schon aus Praktikabilität zur Bestimmung des ertragsteuerrechtlichen Verkehrswerts greifen mag. Es erscheint aber als ausgeschlossen, daß das auch für die seinerzeit neugeschaffene „Mindestsubstanzregel“ des § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG gilt. Es fehlt dafür an einem expliziten Regelungsbefehl, und das wird nicht zuletzt durch die beschriebene Regelungshistorie beleg: Danach wurde der frühere Satz 3 des § 11 Abs. 2 BewG zwar aufgehoben, jener nahm jedoch nur die Anwendung des (früheren) Satzes 2 für Ertragsteuerzwecke aus. Eine nunmehr allgemeine Ausdehnung des § 11 Abs. 2 BewG in seiner jetzigen Gesamtfassung auf das Ertragsteuerrecht läßt sich der Aufhebung von Satz 3 a.F., der sich wie gesagt bloß auf Satz 2 bezog, nicht entnehmen. Folglich ist der Unternehmenswert allein auf Basis der Ertragslage zu justieren, nicht jedoch auf der Basis des Substanzwerts als Mindestwert. Wie gesagt: Daß sich das vor dem Hintergrund des § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG für das Bewertungsrecht anders darstellt, ist unbeachtlich. Er entspringt allein einer (bewertungsrechtlichen) Sonderregel mit beschränktem Anwendungsradius. Für die verdeckte Gewinnausschüttung gilt das um so mehr, als sich deren ertragsteuerrechtliche Einschätzung aus zwei Komponenten zusammensetzt, die verdeckte Gewinnausschüttung „dem Grunde nach“ und die verdeckte Gewinnausschüttung „der Höhe nach“. Für die erste Stufe kommt es darauf an, ob der gedachte ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter sich einer anerkannten Methode der Unternehmensbewertung bedient hat, woraus sich schließen läßt, daß keine gesellschaftsrechtlich motivierte Mitveranlassung im Spiel ist. Auf der zweiten Stufe geht es dann darum, eine etwaige verdeckte Gewinnausschüttung zu quantifizieren. Erst und nur an dieser Stelle kommen aber die Bewertungsmaßstäbe des § 11 Abs. 2 BewG zum Zuge, für die erste (die normausfüllende-tatbestandliche) Stufe sind sie unbeachtlich79. d) Ein international unüblicher Bewertungsmaßstab Unbeschadet all dessen sollte ohnehin – und hier kehren wir zu unserer Beitragsthematik zurück – die Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA greifen: Der Grundsatz des Dealing at arm’s length setzt den allgemeinen Rahmen (auch) dafür, in welcher Weise der Verrechnungspreis seiner Höhe nach zu bestimmen ist, nämlich nach einer drittvergleichsgerechten Wertmethode. Er besagt zwar nichts Konkretes darüber, welche Methode auszuwählen ist. Das überlässt er den (auch international) üblichen Maßstäben. Er sperrt aber solche Methoden und Bewertungsmaßstäbe, die allein auf innerstaatlichen Fiktionen beruhen, die international unüblich und nicht geläufig sind. Dazu gehört mit Gewißheit die sondergesetzliche Bestimmung des ­Substanzwerts als Mindestwert in § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG. Dieser „künstlich-determinierte“ Wertmaßstab ließe sich als tauglicher Fremdvergleichsmaßstab vor dem Hintergrund des Art.  9 Abs.  1 OECD-MA nur dann „halten“, mäße man ihm den

79 Ebenso Dannecker/Rudolf/Risse, DB 2015, 1615.

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Charakter eines Treaty override bei80. Doch dafür ist erneut und wie bei § 1 Abs. 1 AStG (und wie bei weiteren „Kunst-Vergleichsparametern“ in § 1 Abs. 1 und 3 AStG)81 weder nach den textlichen tatbestandlichen Normvoraussetzungen noch nach der Regelungshistorie etwas ersichtlich. e) Fremdvergleichsgerechtes Verhalten eines gedachten ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters Gilt damit „international“ aus Abkommenssicht (ebenso wie aus Unionssicht, vgl. III.1.b)) aber der Fremdvergleich in Gestalt einer simulierten Verkaufsverhandlung, ist Orientierungsgröße für die Annahme einer verdeckten Gewinnausschüttung im Rahmen des hypothetischen Vergleichens der „gedachte“ ordentliche und gewissenhafte Geschäftsleiter, und vor diesem Hintergrund bleibt dessen Verhalten beanstandungsfrei, soweit und solange er sich an Wertermittlungsmaßstäben ausrichtet, die fremdvergleichsüblich sind. Das ist bei Wahl einer anerkannten Methode zur Unternehmensbewertung der Fall, bei der Substanzwertuntergrenze nach § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG hingegen mit Gewißheit nicht82. 3. Das Abzugsverbot des § 8b Abs. 3 Satz 4 ff. KStG Unmittelbar nachdem der BFH seine Rechtsprechung zu der Sperrwirkung des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA justiert und verfeinert hatte, gelangte eine weitere Vorschrift in das Blickfeld: § 8b Abs. 3 Satz 6 KStG. Diese Vorschrift knüpft an die vorhergehenden beiden Sätze an, und danach unterliegen dem Abzugsausschluß des § 8b Abs. 3 Satz 3 KStG (auch) Gewinnminderungen im Zusammenhang mit einer Darlehensforderung oder aus der Inanspruchnahme von Sicherheiten, die für ein Darlehen oder eine Sicherheit hingegeben wurden, wenn das Darlehen oder die Sicherheit von einem Gesellschafter gewährt wird, der zu mehr als einem Viertel unmittelbar oder mittelbar am Grund- oder Stammkapital der Körperschaft, der das Darlehen gewährt wurde, beteiligt ist. Doch gilt das nach Satz 6 der Vorschrift eben nicht, wenn nachgewiesen wird, daß auch ein fremder Dritter das Darlehen bei sonst gleichen Umständen gewährt oder noch nicht zurückgefordert hätte. Die „Escape“-Möglichkeit des Satzes 6 verlangt mit anderen Worten einen Fremdvergleich. Ist auch dieser spezifische Fremdvergleich dem Sperriegel des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA unterworfen? Die Antwort sollte nein lauten. Denn §  8b Abs.  3 Satz  4  ff. KStG verfolgt den (alleinigen) Zweck, einer gestalterischen „Umgehung“ des Abzugsverbots vermittels Darlehensgewährung oder Sicherheitengestellung entgegenzuwirken, im weiteren Sinne also zur Mißbrauchsvermeidung83. Zudem entwickelt die Vorschrift ihre Wirkkraft als Ein80 Im Erg. ebenso auch insoweit Dannecker/Rudolf/Risse, DB 2015, 1615. S. a. Lorenz, DStR 2016, 2453. 81 S. dazu oben III.1. 82 S. auch dazu Dannecker/Rudolf/Risse, DB 2015, 1615. 83 Der Hinweis auf literarische „Gestaltungsempfehlungen“ (explizit „zB Gosch in Gosch, Kommentar zum KStG, Rz.  277 zu §  8b KStG Rz.  277)“ ergibt sich unmittelbar aus der Gesetzesbegründung zum JStG 2008, s. BT-Drucks. 16/6290, 73.

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kommensermittlungsregelung, nicht der Gewinnabgrenzung, auch nicht der Einkommenskorrektur. Das allein sollte genügen, um sie gegenüber Art. 9 Abs. 1 OECDMA immun zu machen84. 4. Bedeutung des Fremdvergleichs beim abkommensrechtlichen ­Diskriminierungsverbot Eine weitere Erscheinungsform des Dealing at arm’s length-Prinzips, wie dieses in Art. 9 Abs. 1 OECD-MA verankert ist, hängt mit den Diskriminierungsverboten des Art. 24 OECD-MA zusammen, konkret mit dessen Abs. 4. Denn dort heißt es, daß Zinsen, Lizenzgebühren und andere Entgelte, die ein Unternehmen eines Vertragsstaats an eine im anderen Vertragsstaat ansässige Person zahlt, bei der Ermittlung der steuerpflichtigen Gewinne dieses Unternehmens unter den gleichen Bedingungen abziehbar sein müssen, wie vergleichbare Zahlungen im Inland. Einschränkend gilt das aber immer nur, „sofern nicht Art. 9 Abs. 1, Art. 11 Abs. 6 oder Art. 12 Abs. 4 anzuwenden sind“. Das Diskriminierungsverbot steht also unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, daß der Dealing at arm’s length-Grundsatz unanwendbar ist. Anders gewendet: Es bleibt dem betreffenden Vertragsstaat unbenommen, den Betriebsausgabenabzug von dem Fremdvergleichsprinzip abhängig zu machen und den Abzug auf den der Höhe nach angemessenen Teil der jeweiligen Zins- oder Lizenzzahlung zu beschränken. Das bedeutet zugleich aber auch: Zinsen und Lizenzen, die gemessen am Fremdvergleich unbeanstandet bleiben, dürfen, was ihren Abzug bei der Gewinn­ ermittlung anbelangt, nicht schlechter behandelt werden als Inlandskonstellationen. Soweit, in diesem Punkt, greift dann wieder das allgemeine Sperrwirken des Art. 9 Abs. 1 OECD-MA. Das hat den Gesetzgeber nicht gehindert, Vorsicht obwalten zu lassen, als er die sog. Zins-und Lizenzschranke vermittels des neuen § 4j EStG geschaffen hat: Aufwendungen für die Überlassung der näher spezifizierten Nutzungs- und Rechteüberlassungen sind hiernach „ungeachtet eines bestehenden Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung“ nur nach Maßgabe des Abs. 3 abziehbar, wenn die Einnahmen des Gläubigers einer von der Regelbesteuerung abweichenden, niedrigen Besteuerung nach Abs. 2 unterliegen (Präferenzregelung). Nun mag man meinen – und wird auch gemeint85 –, das sei jedenfalls aus Sicht des Verfassungsrechts nicht weiter belangbar, habe das BVerfG sich doch auf die Seite der „Abkommensbrecher“ geschlagen und das Überschreiben des bilateralen Vertrags als verfassungsrechtlich unbeachtlich ge84 Ebenso FG Hamburg v. 9.2.2017 – 5 K 9/15, EFG 2017, 763 (Rev. I R 19/17); FG Münster v. 17.8.2016 –10 K 2301/13K, EFG 2016, 1810, m. Anm. Vasel; Berner, ISR 2016, 428; Gosch, BFH/PR 2015, 173 und StbJb. 2015/2016, 3; Brandis, StbJb. 2015/2016, 331 (335); Mössner in Lüdicke (Hrsg.), Internationale Geschäftstätigkeiten in der Nach-BEPS-Welt, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 46 (2018), 49 (80 f.); Habammer, IStR 2016, 531; anders Rudolf, BB 2015, 626; Schnorberger/Langkau, IStR 2015, 244; Hagemann/Kahlenberg, NWB 2015, 2728; Hagemann/Kahlenberg/Cloer, BB 2015, 2458; Buschmann, DB 2015, 1859; Berner, ISR 2015, 254. 85 Z.B. van Lück, IStR 2017, 388.

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heißen86. Allerdings: Das BVerfG hat mit Blick auf das grundgesetzliche Gleichheitsgebot immerhin konstatiert, daß die ihm zur Prüfung vorgelegte Norm des §  50d Abs. 8 EStG „zwar eine Ungleichbehandlung (enthält …). Diese weist jedoch nur geringe Eingriffsintensität auf  (…) und ist durch vernünftige, einleuchtende Gründe gerechtfertigt (…).“ Letzteres sei der Fall, weil man „der im Vergleich zu sonstigen Einkunftsarten erhöhten Gefahr des Missbrauchs der in einem Doppelbesteuerungsabkommen vorgesehenen Freistellung von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit von der deutschen Steuer“ habe entgegenwirken wollen. Nun bleibt abzuwägen, ob solches Argumentieren schlechterdings bei jedweder differenzierenden Abkommensüberschreibung herhalten kann, die auf eine strukturelle Vermeidung der doppelten Nichtbesteuerung angelegt ist. Das sei bezweifelt, selbst dann, wenn sich eine konkrete Mißbrauchsvermeidung als rechtfertigend anführen lassen sollte. Eine andere Ungleichbehandlung  – nämlich jene zwischen auslands- und inlandsradizierten Einkünften – wurde vom Gesetzgeber in Gestalt der Freistellungsmethode ja gerade zum Prinzip erhoben und wird abkommensrechtlich nur in ausdifferenzierten Katalogtatbeständen suspendiert87. Aber in der Situation des § 4j EStG liegt es auch sonst noch mit einiger Gewißheit anders: Der Gesetzgeber erhebt sich hier nicht nur über die Sperrwirkung des Art. 9 Abs.  1 OECD-MA, vielmehr zugleich und explizit über das abkommensrechtliche Diskriminierungsverbot des Art. 24 Abs. 4 OECD-MA, gerade also über jene bilaterale Verabredung, die eine strikte Gleichbehandlung gewährleisten soll. Anders gewendet: § 4j EStG kontrastiert sowohl mit dem verfassungsrechtlichen als auch mit dem spezifischen abkommensrechtlichen Gleichheitsgebot. Ob sich auch eine derartige Konstellation ohne weiteres mit dem Beschluß des BVerfG verträgt, erscheint mehr als nur fragwürdig.

IV. Weitere Sperrwirkungen infolge des abkommensrechtlichen ­Diskriminierungsverbots Und derartige Schrankenwirkungen löst das abkommensrechtliche Diskriminierungsverbot – Hand in Hand verbunden mit einer Quasi-Verwerfungskompetenz der Gerichte über die betreffende nationale Norm – auch andernorts aus. Das erweist sich an etlichen Beispielen aus der Rechtsprechung; diese sollen hier nur kursorisch aufgelistet sein: So hat der BFH die pauschale Ermittlung des Gewinns von Seeschiffahrtsund Luftfahrtunternehmen gem. §  49 Abs.  3 EStG als nicht mit dem Diskriminie86 S. oben II.4.d). 87 Es beeindruckt, wenn Kreienbaum an dieser Stelle (in Lüdicke [Hrsg.], Internationale Geschäftstätigkeiten in der Nach-BEPS-Welt, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 46 [2018], 85 [93]) bemerkt: „Sie hören das öfter vonseiten der Finanzverwaltung: Die Einschränkungen der Freistellungsmethode sind der Preis für die Freistellungsmethode“. Das hört man in der Tat des öfteren, aber es ist bemerkenswert, weil die freihändig und vermutlich freiwillig mit anderen Staaten ausgehandelte Freistellungsmethode und namentlich deren Vorteil, sich mit den Feinheiten des Auslandsrechts gerade nicht beschäftigen zu müssen, schlechterdings und immerfort konterkariert wird.

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rungsverbot des Art.  25 Abs.  2 DBA-Philippinen vereinbar angesehen88; war die Umqualifizierung von Zinsen in verdeckte Gewinnausschüttungen nach § 8a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 KStG 1999 a.F. nicht mit dem Diskriminierungsverbot des Art. 25 Abs. 3 DBA-Schweiz 1971/199289 und dem Diskriminierungsverbot des Art. 24 Abs. 4 DBAUSA 198990 vereinbar; konnte eine Kapitalgesellschaft mit Geschäftsleitung und Sitz im Inland im Rahmen einer gewerbesteuerlichen Organschaft Organgesellschaft eines in Großbritannien ansässigen gewerblichen Unternehmens als Organträger sein und vertrug sich die entgegenstehende Beschränkung in § 14 Halbs. 2 und § 14 Nr. 3 Satz 1 KStG a.F. i.V.m. § 2 Abs. 2 Satz 2 GewStG a.F. auf ein Unternehmen mit Geschäftsleitung und Sitz im Inland als Organträger nicht mit dem Diskriminierungsverbot des Art. XX Abs. 4 und 5 DBA-Großbritannien 1964/197091.

V. Sperrwirkungen und abkommenseigene Mißbrauchsvermeidungs­ regeln Schließlich können durch Art. 9 Abs. 1 OECD-MA ausgelösten Sperreffekte ggf. ihrerseits durch spezifische Mißbrauchsvermeidungsregeln relativiert werden: In die Abkommen werden zunehmend Mißbrauchsvermeidungsregeln „hineinverhandelt“, nicht zuletzt vor dem Hintergrund des von der OECD am 24.11.2016 im Rahmen des BEPS-Projekts den Vertragstext veröffentlichten „Multilateral Convention to Implement Tax Treaty Related Measures to Prevent Base Erosion and Profit Shifting“92. Das geschieht dann in Gestalt eines Special Purpose-Tests oder in Gestalt sog. Saving Clauses, für die das US-Musterabkommen Pate steht: DBA sollen danach in strikt verengter Wirkungsweise nur Besteuerungsrechte zuordnen, sie sollen die innerstaatlichen Zugriffsmöglichkeiten auf ansässige Personen jedoch nicht beschränken, insbesondere nicht solche aus Gründen der Mißbrauchsabwehr. Nähme man das beim Wort, so hätte das auch Bedeutung für den Fremdvergleichsgrundsatz und böte sich eine weitere, dann sogar abkommensimmanente Einflugschneise auch gegenüber den durch Art.  9 Abs.  1 OECD-MA ausgelösten Sperrwirkungen. Eines Treaty overriding bedürfte es dafür nicht. Momentan ist das allerdings wohl doch noch Zukunftsmusik93.

88 BFH v. 22.4.1998 – I R 54/96, IStR 1998, 504. 89 BFH v. 8.9.2010 – I R 6/09, BStBl. II 2013, 186. 90 BFH v. 16.1.2014 – I R 30/12, BStBl. II 2014, 721. 91 BFH v. 9.2.2011 – I R 54, 55/10, BStBl. II 2012, 106. 92 Oder „Multilaterales Instrument“,s. dazu z.B. Grotherr, DStZ 2017, 518; Reimer, IStR 2017, 1. 93 S. ebenso und eingehend Mössner in Lüdicke (Hrsg.), Internationale Geschäftstätigkeiten in der Nach-BEPS-Welt, Forum der Internationalen Besteuerung, Band 46 (2018), 49 (82 ff.).

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VI. Resümee (und der eine oder andere „hoffende“ Ausblick) Es hat sich erwiesen: Manche Fragen sind geklärt, manche (noch) nicht. Im Grundsatz aber gilt: Art. 9 Abs. 1 OECD-MA justiert den Grundsatz des Dealing at arm’s length. Das geschieht nicht rechtlich unverbindlich, sondern anordnend, abschließend, aber nicht „self executing“. Es bedarf der innerstaatlichen Rechtsgrundlage. Die Vorschrift des § 1 Abs. 1 Satz 1 und 4 AStG will das erklärtermaßen liefern, geht unilateral jedoch in mehrfacher Hinsicht über die abkommensrechtlichen Vorgaben hinaus. Ihr Anwendungsbereich erfährt deswegen aus Gründen des vorrangigen Abkommensrechts inhaltliche Schranken. Will der Gesetzgeber das verhindern, muß er die Korrekturnorm als qualifiziertes Treaty override umformen, was aber nur gelingt, wenn das in irgendeiner spezifizierten Form nach außen hin kenntlich gemacht wird. Zudem sind unionsrechtliche Anforderungen zu beachten, die sich nicht „einfach überschreiben“ lassen. Ähnlich verhält es sich bei Fremdvergleichsparametern, welche vom Gesetzgeber „frei“ und am simulierten Fremdvergleich vorbei geschaffen hat. Zu erwähnen sind hier die angesprochenen § 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 4, Satz 7, Satz 11 ff. AStG, auch § 11 Abs. 2 Satz 3 BewG. Vergleichbare Sperrwirkungen löst Art. 24 OECD-MA aus. Nicht gehindert ist der Gesetzgeber allerdings, unilaterale Einkommensermittlungsregelungen (auch) an einem Fremdvergleich zu messen; § 8b Abs. 3 Satz 6 KStG wird deswegen keiner Anwendungsschranke unterworfen. Zudem ist angesichts gegenwärtiger Bestrebungen der OECD nicht auszuschließen, daß spezielle abkommensrechtliche Mißbrauchsvermeidungsvorschriften geschaffen werden, die sich künftig dann auch auf den Fremdvergleich auswirken können. Es wäre zu wünschen und zu hoffen, daß die Finanzverwaltung, daß der Gesetzgeber sich auf diesem Grenzgebiet von allgemeinerem zu speziellerem Recht das eine oder andere zu Herzen nehmen. Systembrechende Flurschäden gilt es zu vermeiden – im nationalen wie im internationalen Recht gleichermaßen. Damit aber nicht genug der Hoffnungen: Ich hoffe vor allem, der kleine Streifzug und die dadurch gewonnenen Erkenntnisse haben unserem Jubilar bei der Lektüre Freude gemacht. Er hat  – wie auch der Verfasser dieser Zeilen  – vor einigen Jahren einen Seitenwechsel gewagt, von einer eher kontemplativ-nachvollziehenden Auseinandersetzung mit dem Steuerrecht hin zu der eher kontemplativ-gestalterischen Beschäftigung des Beraters. In beiden Funktionen hat er die „Szene“ mehr als bereichert. Und das wird er – noch eine Hoffnung – auch weiterhin tun, schon aus Pflichtgefühl, weil er uns das schuldig ist. Und daran hindert ihn das unvermeidliche Älterwerden gewiß nicht, denn, so Jupp Heynckes (72) bei seiner jüngst vierten Bestallung als Trainer des FC Bayern: „Das Alter ist nur eine Zahl, ich habe 60 Ruhepuls!“94.

94 So (u.a.) in der „Welt“ N24 v. 9.10.2017, abruf- und im Livestream sogar hörbar unter www. welt.de/sport/fussball/bundesliga/fc-bayern-muenchen/live169436937/Das-Alter-ist-nureine-Zahl-ich-habe-60-Ruhepuls.html.

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Rainer Stadler / Elmar Bindl

Die grenzüberschreitende Fondsverwaltung nach der Investmentsteuerreform 2018 Inhaltsübersicht

I. Einführung

II. Fall aus der Praxis III. Abstellen auf die einzelnen Teilfonds IV. Persönliche Steuerpflicht

V. Sachliche Steuerpflicht 1. Umfang der partiellen Steuerpflicht gem. § 6 Abs. 2 ff. InvStG 2018 2. Anwendung im vorliegenden Fall

a) Keine gewerbliche Tätigkeit im ­Inland b) Keine inländische Betriebsstätte i.S.d. § 12 AO c) Kein ständiger Vertreter i.S.d. § 13 AO d) Keine Gewerbesteuerpflicht der Teilfonds VI. Zusammenfassung

Die Abgrenzung zwischen der vermögensverwaltenden und der gewerblichen Tätigkeit ist eine Frage, mit der sich der Jubilar schon seit Jahren beschäftigt. Im Investmentsteuerrecht gibt es seit Inkrafttreten des AIFM-Steueranpassungsgesetzes am 23.12.2013 einen weiteren Rechtsbegriff, welcher bei Investmentfonds zu berücksichtigen ist, nämlich „die aktive unternehmerische Bewirtschaftung“. Der Begriff wurde in das neue Investmentsteuerrecht, das am 1.1.2018 in Kraft getreten ist („InvStG 2018“), übernommen. Der neue Rechtsbegriff ruft zahlreiche Abgrenzungsfragen zur Vermögensverwaltung bzw. zur Gewerblichkeit hervor. Dies gilt z.B. im Zusammenhang mit der grenzüberschreitenden Verwaltung von ausländischen Investmentfonds durch eine deutsche Kapitalverwaltungsgesellschaft (KVG). Mit diesem Beitrag wollen sich die Verfasser bei dem Jubilar für die immer menschlich angenehme und intellektuell anregende Zusammenarbeit herzlich bedanken. Der Jubilar vereint die seltene Gabe, sowohl in zivil- und gesellschaftsrechtlicher als auch in steuerrechtlicher Hinsicht immer auf höchstem Niveau zu beraten.

I. Einführung Seit Inkrafttreten der OGAW-IV-Richtlinie1 bzw. der AIFM-Richtlinie2 besteht im Rahmen der nationalen Umsetzungsgesetze aufsichtsrechtlich die Möglichkeit, dass

1 Richtlinie 2009/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13.7.2009 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) (ABl. Nr. L 302 vom 17.11.2009, 32). 2 Richtlinie 2011/61/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8.6.2011 über die Verwalter alternativer Investmentfonds und zur Änderung der Richtlinien 2003/41/EG und

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eine deutsche OGAW-KVG bzw. AIF-KVG einen EU-OGAW bzw. EU-AIF im Wege des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs verwaltet (§§ 50, 53 KAGB). Hiervon hatten deutsche KVGs unter Geltung des alten InvStG3 („InvStG a.F.“) gar nicht oder zumindest nur selten Gebrauch gemacht. Grund hierfür ist, dass es nach damaliger Rechtslage unklar war, ob die Verwaltung eines ausländischen Fonds durch eine deutsche KVG zu einer unbeschränkten oder beschränkten Steuerpflicht des EU-Investmentvermögens in Deutschland kommt. Nach unserer Auffassung war dies aus verschiedenen Gründen nicht der Fall. Verbindliche Auskünfte erteilte das Bundeszentralamt für Steuern (BZSt) nach der Erfahrung der Verfasser zu dieser Frage nach dem InvStG a.F. jedoch zumindest ab dem Zeitpunkt nicht mehr, in dem die Neureglung der Investmentbesteuerung mit Wirkung zum 1.1.2018 absehbar war4. Anders als nach der alten Rechtslage unterscheidet das neue Investmentsteuerrecht im Hinblick auf die sachliche Steuerpflicht nicht mehr zwischen unbeschränkt und beschränkt steuerpflichtigen Investmentfonds. Stattdessen ist nunmehr für in- und ausländische Fonds gleichermaßen zu prüfen, ob diese steuerpflichtige inländische Einkünfte i.S.d. § 6 Abs. 2 ff. InvStG 2018 erzielen. Bei dieser sog. partiellen Steuerpflicht handelt es sich unseres Erachtens um eine spezialgesetzliche Variante der sachlichen Steuerpflicht. Diese knüpft zwar im Grundsatz wie die beschränkte Steuerpflicht an den Katalog der inländischen Einkünfte des § 49 EStG an, sie ist jedoch nicht vollständig deckungsgleich mit der beschränkten Steuerpflicht. Denn zum einen sind z.B. Veräußerungsgewinne aus wesentlichen Beteiligungen i.S.d. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. e EStG nicht erfasst, zum anderen gibt es besondere Regelungen für inländische Investmentaktiengesellschaften (§ 6 Abs. 5 InvStG 2018). Im Ergebnis führt die grundsätzliche Anknüpfung an § 49 EStG jedoch dazu, dass nach neuer Rechtslage ganz ähnliche Fragen zu prüfen sind wie nach altem Recht. Dies betrifft insbesondere die Frage, ob die grenzüberschreitende Verwaltung eines EU-Investmentfonds durch eine deutsche KVG zur Begründung einer deutschen (Vertreter-)Betriebsstätte des EU-Investmentfonds i.S.v. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) EStG und somit zu partiell steuerpflichtigen Einkünften i.S.d. § 6 Abs. 5 InvStG 2018 führt. Die Begründung der partiellen Steuerpflicht gem. § 6 Abs. 2 ff. InvStG 2018 aufgrund einer grenzüberschreitenden Verwaltung des EU-Investmentfonds aus dem Inland hätte ggf. zur Folge, dass bestimmte oder ggf. sogar sämtliche Erträge des Fonds im Inland der Besteuerung unterliegen, weil sie einer inländischen Betriebsstätte zuzurechnen sind. Hiervon zu unterscheiden ist der Umstand, dass ein EU-Investmentfonds natürlich insoweit der partiellen Steuerpflicht im Inland unterliegt, als seine Vermögensanlagen zu inländischen Einkünften i.S.d. § 49 EStG führen (z.B. Dividenden aus deutschen Aktien oder Erträge aus deutschen Immobilien).

2009/65/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 1060/2009 und (EU) Nr. 1095/2010 (ABl. Nr. L 174 vom 1.7.2011, 1). 3 Investmentsteuergesetz vom 15.12.2003 idF. des Steuerumgehungsbekämpfungsgesetzes vom 23.6.2017. 4 Nach der Rechtslage bis Ende 2017.

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Eine Besteuerung auf Fondsebene infolge der grenzüberschreitenden Verwaltung hätte erhebliche Auswirkungen auf die Nachsteuerrendite der Fondsanleger und ggf. zur Folge, dass die Anleger der betroffenen Teilfonds Schadensersatzansprüche gegen die KVG geltend machen könnten. Die vorgenannten Fragen stellen sich nicht nur bei der grenzüberschreitenden Verwaltung von OGAW-Fonds, sondern auch von Alternativen Investmentfonds (AIF). Oftmals sind diese Fälle noch komplexer, was insbesondere daran liegt, dass OGAWFonds die passive Vermögensanlage zum Gegenstand haben, während AIF zum Teil eine aktivere Rolle bei der Verwaltung ihres Vermögens ausüben. Aus Vereinfachungsgründen sollen AIFs nachfolgend ausgeklammert werden. Der Beitrag befasst sich ausschließlich mit der grenzüberschreitenden Verwaltung von OGAW.

II. Fall aus der Praxis Nachfolgend soll die Rechtslage unter dem InvStG 2018 anhand des Beispiels eines typischen OGAW-Fonds in der Rechtsform einer Luxemburger SA SICAV dargestellt werden. Bei der Luxemburger SA SICAV handelt es sich um eine Aktiengesellschaft (société anonyme), die als Investmentgesellschaft mit variablem Kapital (société d’investissement à capital variable) ausgestaltet ist. Der OGAW-Fonds soll als sog. Umbrella-Fonds ausgestaltet sein. Dies bedeutet, dass das Fondsvehikel in mehrere haftungsund vermögensrechtlich voneinander abgeschirmte Teilfonds unterteilt ist. Für eine solche Struktur sprechen insbesondere die Reduzierung von administrativem Aufwand sowie Kostengründe. Das Anlageziel der Teilfonds soll jeweils darin bestehen, auf mittel- bis langfristige Sicht Kapitalwachstum zu erwirtschaften. Der kurzfristige Vermögensumschlag soll hingegen nicht im Vordergrund stehen. Die deutsche KVG soll die einzelnen Teilfonds auf Basis eines Managementvertrages verwalten. Danach wird insbesondere das Portfolio- und Risikomanagement auf die deutsche KVG ausgelagert. Ferner erhält die deutsche KVG eine umfassende Vollmacht im Hinblick auf den Kauf und Verkauf von Vermögensgegenständen der OGAW-Teilfonds. Es bestehe keine Personenidentität zwischen den Mitgliedern des Verwaltungsrates der SA SICAV und der Geschäftsführung der deutschen KVG.

III. Abstellen auf die einzelnen Teilfonds Bevor auf die persönliche und sachliche Steuerpflicht näher eingegangen wird, ist im Falle eines Umbrella-Fonds zunächst zu klären, welches Steuersubjekt überhaupt zu prüfen ist. In Betracht kommt grundsätzlich der jeweilige Teilfonds oder der Umbrella-Fonds, d.h. vorliegend die SA SICAV, insgesamt. 765

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Nach der Rechtslage bis Ende 2017 galten die einzelnen Teilfonds der SA SICAV für investmentsteuerliche Zwecke jeweils als eigenständige OGAW5 und – aufgrund Vorliegens der Voraussetzungen des § 1 Abs. 1b Satz 2 InvStG a.F. – als eigenständige Investmentfonds. Auch nach der Rechtslage ab 1.1.2018 ist investmentsteuerlich auf die einzelnen Teilfonds und nicht auf die SA SICAV insgesamt abzustellen. Dies ergibt sich aus §  1 Abs. 4 InvStG 2018. Danach gelten haftungs- und vermögensrechtlich voneinander getrennte Teile eines Investmentfonds für die Zwecke des InvStG 2018 als eigenständige Investmentfonds. Fraglich könnte in diesem Zusammenhang sein, ob die Qualifizierung der einzelnen Teilfonds als eigenständige Investmentfonds (und somit als Steuersubjekte) nur für investmentsteuerliche Zwecke oder generell für deutsche steuerliche Zwecke gilt (z.B. auch für verfahrensrechtliche Zwecke). Unseres Erachtens ist generell für steuerliche Zwecke auf die einzelnen Teilfonds und nicht auf den Umbrella-Fonds insgesamt abzustellen. Hierfür spricht aus unserer Sicht insbesondere die haftungs- und vermögensrechtliche Trennung der einzelnen Teilfonds. Die gleiche Auffassung vertritt die Finanzverwaltung im zweiten Entwurf eines BMF-­ Schreibens zu „Anwendungsfragen zum Investmentsteuergesetz in der Fassung des Gesetzes zur Reform der Investmentbesteuerung“ (IV C1-S1980-1/16/10010:001) vom 11.8.2017 („InvSt-Erlass-E“) in Bezug auf Teilfonds von Investmentvermögen in der Rechtsform einer Personengesellschaft6. Die Ausführungen betreffen in erfreulicher Klarheit explizit die Besteuerung nach dem Einkommen und nicht (nur) die investmentsteuerliche Behandlung, da Personengesellschaften ab dem 1.1.2018 grundsätzlich nicht mehr vom InvStG erfasst sind. Auch nach unseren Erfahrungen mit vergleichbaren Strukturen liegen uns keine Anzeichen vor, dass die Finanzverwaltung eine andere Auffassung vertritt. Bedeutung hat die oben diskutierte Thematik z.B. für die Frage, ob ein Antrag auf verbindliche Auskunft vom einzelnen Teilfonds oder vom Umbrella-Fonds zu stellen ist. Für die nachfolgend zu diskutierenden materiell-rechtlichen Fragen können diese Aspekte unseres Erachtens jedoch offenbleiben, weil sich nach unserer Auffassung im Ergebnis selbst dann nichts ändern würde, wenn man – unseres Erachtens unzutreffend – auf den Umbrella-Fonds insgesamt abstellen würde. Vor diesem Hintergrund erfolgt die nachfolgende Analyse bezogen auf die einzelnen Teilfonds.

IV. Persönliche Steuerpflicht Die persönliche Steuerpflicht richtet sich vorliegend nach der spezialgesetzlichen Vorschrift des § 6 Abs. 1 Satz 2 InvStG 2018. Danach gelten ausländische Investment5 § 1 Abs. 1 Satz 2 InvStG a.F. 6 S. InvSt-Erlass-E, Rz. 1.13.

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Die grenzüberschreitende Fondsverwaltung

fonds i.S.d. § 2 Abs. 3 InvStG 2018 als beschränkt steuerpflichtige Vermögensmassen nach § 2 Nr. 1 KStG. Die Teilfonds der SA SICAV erfüllen diese Voraussetzungen: −− Die Qualifizierung der Teilfonds als Investmentfonds folgt aus § 1 Abs. 2 Satz 1 InvStG 2018, denn bei den Teilfonds handelt sich um Investmentvermögen i.S.d. § 1 Abs. 1 KAGB. −− Die Einordnung als ausländische Investmentfonds i.S.d. § 2 Abs. 3 InvStG 2018 ergibt sich daraus, dass die Teilfonds einem ausländischen Recht (hier: dem Recht des Großherzogtums Luxemburg) unterliegen. Aufgrund der ausschließlichen Anknüpfung der Regelung an die Rechtsordnung des Staates, unter deren Geltung der Investmentfonds aufgelegt wurde und nach deren Bestimmungen sich die Ausgestaltung des Investmentfonds richtet (BT-Drucks. 18/8045, 68), spielt es keine Rolle, von welchem Ort aus der betreffende ausländische Investmentfonds verwaltet wird. Die Qualifizierung der Teilfonds als ausländische Investmentfonds gilt daher vorliegend auch, wenn die Teilfonds wie geplant von der deutschen KVG aus Deutschland heraus verwaltet werden. Der Verweis auf § 2 Nr. 1 KStG hat nicht zur Folge, dass die Teilfonds im Inland mit sämtlichen inländischen Einkünften i.S.d. § 49 EStG der beschränkten Steuerpflicht unterliegen. Stattdessen bestimmt §  6 Abs.  2  ff. InvStG 2018 als spezialgesetzliche Vorschrift den Umfang der sachlichen Steuerpflicht der Teilfonds (s. hierzu sogleich).

V. Sachliche Steuerpflicht Die grenzüberschreitende Verwaltung der Teilfonds durch die deutsche KVG führt unseres Erachtens im Ergebnis nicht dazu, dass die Teilfonds insoweit in Deutschland der partiellen Steuerpflicht gem. § 6 Abs. 2 InvStG 2018 unterliegen. Dies ergibt sich im Einzelnen wie folgt: 1. Umfang der partiellen Steuerpflicht gem. § 6 Abs. 2 ff. InvStG 2018 Der Umfang der partiellen Steuerpflicht gem. § 6 Abs. 2 ff. InvStG 2018 erklärt sich im Wesentlichen vor dem europarechtlichen Hintergrund der Investmentsteuerreform 2018. Ein wesentlicher Kritikpunkt des alten Investmentsteuerrechts war die Ungleichbehandlung in- und ausländischer Investmentfonds. Während inländische Investmentfons zwar unbeschränkt steuerpflichtig, aber persönlich steuerbefreit waren (§ 11 InvStG a.F.), waren ausländische Investmentfonds mit ihren inländischen Einkünften i.S.d. § 49 EStG vorbehaltlich abkommensrechtlicher Freistellungen im Inland steuerpflichtig. Dies betraf z.B. Dividenden inländischer Kapitalgesellschaften oder inländische Immobilienerträge. Die Ungleichbehandlung in- und ausländischer Fonds existierte auch in einer Reihe von anderen EU-Staaten und wurde vom EuGH

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zum Teil als europarechtswidrig angesehen7. Es war eine Frage der Zeit, bis der EuGH auch die deutschen Vorschriften kippt. Die Grundidee der Investmentsteuerreform 2018 besteht vor diesem Hintergrund darin, in- und ausländische Investmentfonds der gleichen sachlichen Steuerpflicht zu unterwerfen. Im Einzelnen umfasst diese partielle Steuerpflicht gem. §  6 Abs.  2  ff. InvStG 2018 −− inländische Beteiligungseinnahmen, −− inländische Immobilienerträge und −− sonstige inländische Einkünfte gem. § 49 Abs. 1 EStG (mit Ausnahme der Gewinne aus der Veräußerung inländischer wesentlicher Beteiligungen gem. §  49 Abs.  1 Nr. 2 Buchst. e) i.V.m. § 17 EStG). Die Ausnahme für Veräußerungsgewinne aus wesentlichen Beteiligungen erfolgte vor dem Hintergrund, dass die Doppelbesteuerungsabkommen das Besteuerungsrecht im Hinblick auf solche Gewinne regelmäßig dem Ansässigkeitsstaat zuweisen (Art. 13 Abs. 5 OECD-MA). Dies bedeutet, dass Investmentfonds mit einem wesentlichen Teil ihrer typischerweise erzielten Einkünfte keiner inländischen Besteuerung unterliegen. Neben Veräußerungsgewinnen aus Aktien und Renten betrifft dies insbesondere regelmäßig Zinsen (außer z.B. Zinsen aus Darlehen, die mit inländischem Grundbesitz besichert sind, oder erfolgsabhängige Zinsen) sowie sämtliche ausländischen Einkünfte (z.B. ausländische Dividenden oder ausländische Immobilienerträge). Die partielle Steuerpflicht betrifft grundsätzlich nur die Körperschaftsteuer. Der Gewerbesteuer unterliegen Investmentfonds – anders als z.B. Kapitalgesellschaften (§ 8 Abs. 2 KStG) – nur bei Vorliegen weiterer enger Voraussetzungen (§ 15 InvStG 2018). 2. Anwendung im vorliegenden Fall Es stellt sich vorliegend die Frage, ob die grenzüberschreitende Verwaltung der Teilfonds der Luxemburger SA SICAV durch eine deutsche KVG dazu führen kann, dass die Teilfonds im Inland der partiellen Steuerpflicht gem. § 6 Abs. 2 ff. InvStG 2018 unterliegen. In Betracht kommt hierbei konkret die Begründung einer inländischen (Vertreter-) Betriebsstätte, die zu steuerpflichtigen Einkünften i.S.d. § 6 Abs. 5 InvStG 2018 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) EStG führen könnte. Für eine solche partielle Steuerpflicht fehlt es unseres Erachtens jedoch bereits an einer gewerblichen Tätigkeit der Teilfonds (s.u. V.2.a)). Im Übrigen unterhalten die Teilfonds unseres Erachtens auch keine inländische Betriebsstätte im Sinne einer festen 7 Vgl. EuGH v. 10.5.2012 – Rs. C-338/11 bis C-347/11 („Santander“), ABl. EU 2012, Nr C 194, 4-5; EuGH v. 10.4.2014 – Rs. C-190/12, („Emerging Markets“), ABl. EU 2014, Nr C 175, 5, ISR 2014, 165 m. Anm. Kammeter.

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Geschäftseinrichtung (s.u. V.2.b), und sie haben auch keinen ständigen Vertreter (s.u. V.2.c)). a) Keine gewerbliche Tätigkeit im Inland Eine partielle Steuerpflicht im Inland gem. § 6 Abs. 5 Nr. 1 InvStG 2018 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) EStG scheidet unseres Erachtens schon deshalb aus, weil die Teilfonds nicht gewerblich tätig sind. Unseres Erachtens kommt es bei der Prüfung der Gewerblichkeit nach § 6 Abs. 5 Nr. 1 InvStG 2018 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) EStG auf das Merkmal der aktiven unternehmerischen Bewirtschaftung an. Dieses Merkmal ist vorliegend nicht erfüllt (s.u. aa)). Selbst wenn man – wie die Finanzverwaltung im InvSt-Erlass-E – bei der Auslegung der genannten Vorschriften die allgemeinen Grundsätze zur Abgrenzung der Gewerblichkeit von der Vermögensverwaltung zugrunde legt, sollte keine Gewerblichkeit vorliegen (s.u. bb)). Schließlich sind die Teilfonds unseres Erachtens auch nicht kraft gesetzlicher Fiktion gewerblich (s.u. cc)). aa) Keine aktive unternehmerische Bewirtschaftung Unseres Erachtens kommt es für die Frage, ob ein Investmentfonds aufgrund seiner Portfolioverwaltung für Zwecke des § 6 Abs. 5 Nr. 1 InvStG 2018 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) EStG gewerbliche Einkünfte erzielt, auf das Merkmal der aktiven unternehmerischen Bewirtschaftung an. Die Vorschrift ist unseres Erachtens normspezifisch und somit entsprechend wie die Regelung in § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 InvStG 2018 im Zusammenhang mit der Prüfung der Gewerbesteuerpflicht bzw. -befreiung eines Investmentfonds auszulegen. Zu § 15 InvStG 2018 führt die Gesetzesbegründung aus, dass bei Investmentfonds die allgemeinen Grundsätze zur Abgrenzung einer gewerblichen von einer vermögensverwaltenden Tätigkeit nur in eingeschränktem Maße geeignet seien. Es sei zu berücksichtigen, dass die Investmentanlage eine kollektive Anlageform sei, bei der es naturgemäß zu sehr umfangreichen Vermögensanlagen komme, die einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordern. Außerdem werde die Investmentanlage durch professionelle Verwalter mit entsprechenden beruflichen Erfahrungen durchgeführt. Insbesondere diese Merkmale seien für eine Abgrenzung ungeeignet8.

8 Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Investmentsteuerreformgesetz v. 7.4.2016, BTDrs. 18/8045, 84.

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Zwar wird der Begriff der aktiven unternehmerischen Bewirtschaftung im Wortlaut des § 6 Abs. 5 Nr. 1 InvStG 2018 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) EStG – anders als in § 15 InvStG 2018 – nicht verwendet. Nach dem Sinn und Zweck und nach der Gesetzessystematik ist unseres Erachtens jedoch kein Grund ersichtlich, weshalb für die Prüfung der partiellen Körperschaftsteuerpflicht andere Maßstäbe gelten sollten als für die Prüfung der Gewerbesteuerpflicht. Legt man das Merkmal der aktiven unternehmerischen Bewirtschaftung zugrunde, erfüllen die Teilfonds vorliegend nicht die Tatbestandsvoraussetzungen des § 6 Abs. 5 Nr. 1 InvStG 2018 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) EStG. Denn nach dem BMF, Schr. v. 3.3.2015, auf das die Gesetzesbegründung zum Investmentsteuerreformgesetz explizit verweist (und dessen Grundsätze nach unserer Einschätzung auch künftig angewendet werden), sind alle Tätigkeiten, die einem OGAW (hier: Teilfonds) erlaubt sind, nicht als aktive unternehmerische Tätigkeiten zu betrachten. Unseres Erachtens ist dies so zu verstehen, dass die aufsichtsrechtlich zulässigen Tätigkeiten von OGAW stets als Vermögensverwaltung angesehen werden9. Wir weisen darauf hin, dass die Finanzverwaltung im InvSt-Erlass-E der oben dargestellten Auslegung nicht folgt und bei § 6 Abs. 5 Nr. 1 InvStG 2018 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) EStG die allgemeinen einkommensteuerlichen Abgrenzungskriterien anwenden will. Das Merkmal der aktiven unternehmerischen Bewirtschaftung soll insoweit unbeachtlich sein10. Wie oben dargelegt, ist diese Auffassung unseres Erachtens zum einen mit dem Sinn und Zweck der Regelung und der Gesetzessystematik nicht vereinbar. Zum anderen sind die Ausführungen der Finanzverwaltung im InvSt-Erlass-E in sich selbst widersprüchlich: −− Einerseits soll die gewerbliche Tätigkeit i.S.d. § 6 Abs. 5 Nr. 1 InvStG 2018 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) EStG nach den allgemeinen einkommensteuerlichen Abgrenzungskriterien auszulegen sein (s.o.). −− Andererseits soll die Vorschrift des § 15 Abs. 4 InvStG 2018, die ebenfalls den Begriff der gewerblichen Tätigkeit (und nicht etwa der aktiven unternehmerischen Bewirtschaftung) verwendet, so auszulegen sein, dass nur solche Tätigkeiten, die eine aktive unternehmerische Bewirtschaftung darstellen und nicht unter die Ausnahmeregelung für Immobilienfonds fallen, eine gewerbliche Tätigkeit i.S.d. § 15 Abs. 4 Satz 1 InvStG 2018 darstellen. Die Finanzverwaltung selbst setzt damit bei der Auslegung des § 15 Abs. 4 Satz 1 InvStG 2018 den Begriff der gewerblichen Tätigkeit im Ergebnis mit dem Begriff der aktiven unternehmerischen Bewirtschaftung gleich11.

9 S. BMF v. 3.3.2015 – IV C 1-S 1980-1/13/10007:003, BStBl. I 2015, 227, Abschnitt 1. 10 S. InvSt-Erlass-E, Rz. 6.15. 11 S. InvSt-Erlass-E, Rz. 15.11.

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Die grenzüberschreitende Fondsverwaltung

Es bleibt abzuwarten, welche Auffassung die Finanzverwaltung diesbezüglich in der endgültigen Fassung des neuen Investmentsteuererlasses vertritt. bb) Auch keine Gewerblichkeit nach den allgemeinen Grundsätzen Selbst wenn man – wie die Finanzverwaltung im InvSt-Erlass-E (s.o. aa)) – bei der Auslegung des § 6 Abs. 5 InvStG 2018 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) EStG die allgemeinen Grundsätze zur Abgrenzung der Gewerblichkeit von der Vermögensverwaltung zugrunde legt, liegt unseres Erachtens keine Gewerblichkeit vor. (1) Allgemeine Gewerblichkeitskriterien Als Gewerbebetrieb qualifiziert § 15 Abs. 2 EStG nach den allgemeinen einkommensteuerlichen Grundsätzen jede selbständige nachhaltige Betätigung, die mit Gewinnerzielungsabsicht unternommen wird, sich als Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr darstellt, den Rahmen privater Vermögensverwaltung überschreitet und sich weder als Land- und Forstwirtschaft noch als selbständige Arbeit darstellt12. Nach ständiger BFH-Rechtsprechung ist die Grenze von der privaten Vermögensverwaltung zum Gewerbebetrieb überschritten, wenn nach dem Gesamtbild der Betätigung und unter Berücksichtigung der Verkehrsauffassung die Ausnutzung substantieller Vermögenswerte durch Umschichtung gegenüber einer Fruchtziehung aus zu erhaltenden Substanzwerten entscheidend in den Vordergrund tritt13. Der BFH stellt dabei auf die jeweiligen artspezifischen Besonderheiten ab. Dies bedeutet, dass die Gewerblichkeit unter Berücksichtigung der Besonderheiten des jeweiligen Wirtschaftsguts geprüft werden muss14. So zeichnet sich eine Vermögensanlage in Wertpapiere nach der BFH-Rechtsprechung dadurch aus, dass die Fruchtziehung nicht notwendigerweise im Zufluss von Dividenden und Zinsen bestehen muss, sondern sich die Ertragserwartung wirtschaftlich aus der Kursentwicklung ergeben kann. Bei Wertpapieren liegt es gerade in der Natur der Sache, den Bestand zu verändern, schlechte Papiere abzustoßen, gute zu  erwerben und Kursgewinne zu realisieren. Die Umschichtung von Wertpapieren  –  selbst in erheblichem Umfang  – gehört nach der Verkehrsauffassung danach noch der privaten Vermögensverwaltung an. Gewerblichkeit kann daher nur bei Vorliegen besonderer Umstände angenommen werden. Nach der jüngeren BFH-Rechtsprechung stellen die folgenden Kriterien starke Indizien für das Vorliegen eines gewerblichen Wertpapierhandels dar:

12 S. Wacker in Schmidt, 36. Aufl. 2017, § 15 EStG Rz. 8. 13 S. BFH v. 3.7.1995 – GrS 1/93, BStBl. II 1995, 617, FR 1995, 649 m.w.N. 14 Ständige Rechtsprechung, z.B. BFH v. 11.10.2012 – IV R 32/10, BFHE 239, 248, BStBl. II 2013, 538 Rz. 29 m.w.N., FR 2013, 418 m. Anm. Kanzler

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−− Tätigwerden für andere bzw. für fremde Rechnung; −− Handel mit institutionellen Partnern und nicht lediglich Marktteilnahme über eine Depotbank (ohne selbst Kontrahenten zu suchen); −− Wertpapierhandel als Haupttätigkeit des Steuerpflichtigen; −− Mindestmaß an kaufmännischer Organisation15. Im Ergebnis stellt der An- und Verkauf von Wertpapieren nach herrschender Auffassung nur in Ausnahmefällen eine gewerbliche Betätigung dar (z.B. Hochfrequenzhandel, Handel für fremde Rechnung, ggf. Daytrader). Im Hinblick auf Investmentfonds schränkt die Gesetzesbegründung zum InvStG 2018 den ohnehin schon sehr engen Bereich des gewerblichen Wertpapierhandels nochmals zusätzlich ein. Dies bringt der Gesetzgeber gleich an mehreren Stellen zum Ausdruck: −− Nach der Begründung zu § 6 Abs. 5 Nr. 1 InvStG 2018 erfasst diese Vorschrift nur „Sonderfälle, wenn ein Investmentfonds z.B. gewerbliche Tätigkeiten ausübt“16. Die OGAW-konforme Portfolioverwaltung durch eine KVG kann somit in keinem Fall den vom Gesetzgeber gemeinten Sonderfall darstellen, sonst würde aus dem Sonderfall ein Regelfall. Der Gesetzgeber kann mit diesem Hinweis nur Sonderfälle wie z.B. den Hochfrequenzhandel oder die systematische kurzfristige Ausnutzung von Preisunterschieden an verschiedenen Börsenplätzen oder bei Immobilienfonds den kurzfristigen An- und Verkauf von Immobilien gemeint haben. −− Der allgemeine Teil der Begründung zu § 15 InvStG 2018 führt wie oben dargelegt aus, dass insbesondere der kaufmännisch eingerichtete Geschäftsbetrieb sowie die Professionalität der Vermögensverwaltung bei Investmentfonds keine geeigneten Abgrenzungsmerkmale darstellen; dies bedeutet unseres Erachtens, dass diese Merkmale bei Investmentfonds keine Indizien für eine Gewerblichkeit darstellen17. −− Die spezielle Begründung zu § 15 Abs. 4 InvStG 2018 stellt ferner klar, dass der in der Vorschrift verwendete Begriff der gewerblichen Tätigkeiten enger „unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Investmentanlage“ auszulegen ist18.

15 S. BFH v. 30.7.2003 – X R 7/99, BStBl. II 2004, 408; v. 24.8.2011 – I R 46/10, BStBl. II 2014, 764, FR 2012, 39 m. Anm. Elser/Bindl; s. auch Buge in Herrmann/Heuer/Raupach, §  15 EStG Rz. 1171; Kauffmann in Frotscher, § 15 EStG Rz. 197 ff. 16 S. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Investmentsteuerreformgesetz v. 7.4.2016, BTDrucks. 18/8045, 74. 17 S. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Investmentsteuerreformgesetz v. 7.4.2016, BTDrucks. 18/8045, 83 ff. 18 S. Gesetzentwurf der Bundesregierung zum Investmentsteuerreformgesetz v. 7.4.2016, BTDrucks. 18/8045, 85.

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Die grenzüberschreitende Fondsverwaltung

(2) Anwendung im vorliegenden Fall Auf Basis der oben dargestellten Grundsätze zum Wertpapierhandel im Allgemeinen und zu Investmentfonds im Speziellen üben die Teilfonds vorliegend unseres Erachtens keine gewerblichen Tätigkeiten aus: −− Die Teilfonds werden weder im fremden Namen noch für fremde Rechnung tätig. −− Der Handel mit Wertpapieren erfolgt bei OGAW-Fonds über Depotbanken und nicht unmittelbar mit institutionellen Partnern. −− Der Wertpapierhandel stellt nicht die Haupttätigkeit der Teilfonds dar. Vielmehr besteht das Anlageziel der Teilfonds jeweils darin, auf langfristige Sicht Kapitalwachstum zu erwirtschaften. Dies bedeutet, dass die Fruchtziehung und nicht der kurzfristige Vermögensumschlag im Vordergrund steht. Unschädlich ist in diesem Zusammenhang, dass die Wertpapiererträge ggf. in Form von Kursgewinnen realisiert werden (s.o.). −− Das Vorliegen einer eigenen oder über die KVG zugerechneten kaufmännischen Organisation sowie die Professionalität der Vermögensverwaltung stellen Wesensmerkmale eines Investmentfonds dar und sind folglich unschädlich. cc) Keine Gewerblichkeit kraft Fiktion Schließlich sind die Teilfonds unseres Erachtens auch nicht aufgrund einer gesetzlichen Fiktion als gewerblich einzustufen. Insbesondere findet die Gewerblichkeitsfiktion des § 8 Abs. 2 KStG auf die Teilfonds keine Anwendung, da die Teilfonds nicht unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtig sind und ferner auch nicht als Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen i.S.d. § 1 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 KStG qualifizieren, sondern vielmehr als Vermögensmassen i.S.d. § 2 Nr. 1 KStG (s.o. IV.). Auch eine gewerbliche Prägung oder gewerbliche Infektion i.S.d. § 15 Abs. 3 EStG scheidet vorliegend aus19. b) Keine inländische Betriebsstätte i.S.d. § 12 AO Eine beschränkte Steuerpflicht gem. § 6 Abs. 5 Nr. 1 InvStG 2018 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. a) EStG scheidet unseres Erachtens auch deshalb aus, weil die grenz­ überschreitende Verwaltung der Teilfonds durch die deutsche KVG nicht dazu führt, dass die Teilfonds im Inland eine Betriebsstätte i.S.d. § 12 AO begründen. Denn hierfür fehlt es unseres Erachtens sowohl am Vorliegen eines Unternehmens (s.u. aa)), als auch an einer entsprechenden festen Geschäftseinrichtung (s.u. bb)).

19 S. Hawlitschek, IStR 2016, 177 (178).

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aa) Teilfonds stellen keine Unternehmen dar Das Vorliegen einer Betriebsstätte i.S.d. § 12 AO setzt u.a. voraus, dass die Geschäftseinrichtung oder Anlage einem Unternehmen dient. Der Begriff des Unternehmens umfasst dabei gewerbliche, selbständige sowie land- und forstwirtschaftliche Betätigungen, während die bloße Vermögensverwaltung von Grund- und Kapitalvermögen kein Unternehmen in diesem Sinne begründet20. Die Teilfonds sind unseres Erachtens vermögensverwaltend und nicht gewerblich tätig (s.o. V.2.a)) und stellen danach keine Unternehmen i.S.d. § 12 AO dar. bb) Keine feste Geschäftseinrichtung in Deutschland Im Übrigen fehlt es für das Vorliegen einer Betriebsstätte i.S.d. § 12 AO unseres Erachtens an einer festen Geschäftseinrichtung in Deutschland. Denn erstens verfügen die Teilfonds über keine eigenen Geschäftsräume in Deutschland. Zweitens scheidet vorliegend unseres Erachtens auch eine Zurechnung der Geschäftsräume Dritter (hier: der deutschen KVG) aus. Dies ergibt sich wie folgt: (1) Keine Zurechnung nach allgemeinen Grundsätzen Zwar ist grundsätzlich denkbar, dass einem Fonds (hier: den einzelnen Teilfonds) die Geschäftsräume einer Managementgesellschaft für steuerliche Zwecke zugerechnet werden. Dies ist auf Basis der Rechtsprechung aber nur der Fall, wenn −− eine laufende Überwachung der Managementgesellschaft durch den Fonds oder −− eine vollständige Personenidentität der Leitungsorgane des Fonds und der Managementgesellschaft vorliegen. Die entschiedenen Fälle betreffen, soweit ersichtlich, auch keine OGAWFonds, sondern geschlossene Immobilien- oder Private Equity Fonds, die jeweils gewerblich waren21. Eine solche Konstellation ist vorliegend nicht gegeben: −− Schon aus aufsichtsrechtlichen Gründen unterliegt die deutsche KVG als OGAW-Kapitalverwaltungsgesellschaft nicht der laufenden Überwachung durch die Teilfonds, sondern muss ihre Tätigkeit unabhängig und ausschließlich im Interesse der Anleger ausüben (s.u. V.2.c)bb)).

20 BFH v. 5.12.1990 – I R 94/88, BStBl. II 1991, 287; Koenig in Koenig, 3. Aufl. 2014, § 12 AO Rz. 17; Drüen in Tipke/Kruse, § 12 AO Rz. 17. 21 S. BFH v. 24.8.2011 – I R 46/10, BStBl. II 2014, 764, FR 2012, 39 m. Anm. Elser/Bindl; v. 23.2.2011 – I R 52/10, BFH/NV 2011, 1354; Kahle/Kindich, IStR 2016, 89 (93 f.).

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Die grenzüberschreitende Fondsverwaltung

−− Ferner besteht lt. Sachverhalt keine Personenidentität der Leitungsorgane der SA SICAV einerseits und der deutschen KVG als Verwaltungsgesellschaft andererseits (s.o. II.). (2) Auch keine Zurechnung nach den Grundsätzen zum ständigen Vertreter i.S.d. § 13 AO Die KVG wird unseres Erachtens nicht als ständiger Vertreter i.S.d. § 13 AO der Teilfonds tätig (zur Begründung s.u. V.2.c)), so dass auch unter diesem Gesichtspunkt eine Zurechnung einer ihrer inländischen Betriebsstätten zu den Teilfonds ausscheidet. Selbst wenn man – unseres Erachtens unzutreffend – zu der Auffassung gelangte, dass die deutsche KVG als ständiger Vertreter i.S.d. § 13 AO anzusehen ist, wäre dies für die Zurechnung ihrer Räumlichkeiten zu den Teilfonds aus unserer Sicht nicht ausreichend. Denn die Teilfonds haben keine Verfügungsgewalt über die Räumlichkeiten der deutschen KVG. Dies wäre für die gewerbesteuerliche Zurechnung der Räumlichkeiten zu den Teilfonds jedoch erforderlich22. c) Kein ständiger Vertreter i.S.d. § 13 AO Die grenzüberschreitende Verwaltung der Teilfonds durch die KVG führt unseres Erachtens auch nicht dazu, dass die deutsche KVG als ständiger Vertreter der Teilfonds i.S.d. § 13 AO anzusehen ist. aa) Teilfonds stellen keine Unternehmen dar Ebenso wie die Betriebsstätte i.S.d. § 12 AO setzt auch der ständige Vertreter i.S.d. § 13 AO das Vorliegen eines Unternehmens voraus. Die Teilfonds stellen jedoch keine Unternehmen dar. Insoweit gelten die Ausführungen zu § 12 AO entsprechend (s.o. V.2.b)aa)). bb) Aufsichtsrechtlich zwingende Unabhängigkeit der deutschen KVG Selbst wenn man – unseres Erachtens unzutreffend – davon ausginge, dass die Teilfonds Unternehmen darstellen, wäre die KVG nicht als ständiger Vertreter i.S.d. § 13 AO anzusehen. Denn die deutsche KVG muss als OGAW-Kapitalverwaltungsgesellschaft schon aus aufsichtsrechtlichen Gründen ihre Tätigkeit unabhängig und ausschließlich im Interesse der Anleger ausüben. Insbesondere unterliegt sie nicht den Sachweisungen i.S.d. § 13 AO der Teilfonds. Das Vorliegen einer Vertreterbetriebsstätte erfordert jedoch nach allgemeiner An22 H 2.9 Abs. 4 GewStR.

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sicht, dass der ständige Vertreter im Rahmen der Geschäftsbesorgung den Sachweisungen eines Geschäftsherrn unterliegt, wobei eine auf die konkrete Erledigung der Geschäfte bezogene – arbeits-, dienst- oder sonstige schuldvertragsrechtliche – Weisungsbefugnis ausreichend ist23. Vorliegend unterliegt die KVG weder auf Basis gesetzlicher Regelungen noch auf Basis der vertraglichen Regelungen den Weisungen der Teilfonds. Vielmehr ist das Gegenteil der Fall. Nach den gesetzlichen Regelungen zur Verwaltung von OGAW sind Weisungsrechte gegenüber der Kapitalverwaltungsgesellschaft nicht zulässig. Die Kapitalverwaltungsgesellschaft muss ihre Aufgaben unabhängig von der Verwahrstelle und ausschließlich im Interesse der Anleger wahrnehmen (§ 26 Abs. 1 KAGB). Dies bedeutet insbesondere, dass sich die Kapitalverwaltungsgesellschaft im Falle einer Interessenkollision gegenüber der Verwahrstelle im Interesse der Anleger durchsetzen kann. Kapitalverwaltungsgesellschaften handeln damit selbständig und nicht weisungsgebunden. Die Selbständigkeit der Kapitalverwaltungsgesellschaft wird unseres Erachtens auch nicht durch evtl. Kontrollfunktionen der Verwahrstelle ausgeschlossen24. d) Keine Gewerbesteuerpflicht der Teilfonds Die geplante grenzüberschreitende Verwaltung der einzelnen Teilfonds durch die KVG hat unseres Erachtens schließlich auch nicht zur Folge, dass für die Teilfonds insoweit eine Gewerbesteuerpflicht im Inland gem. § 15 InvStG 2018 i.V.m. § 2 ­GewStG begründet wird. aa) Allgemeine Voraussetzungen Nach dem InvStG 2018 gilt bei Investmentfonds (hier: Teilfonds) im Hinblick auf die persönliche und sachliche Gewerbesteuerpflicht zusammengefasst Folgendes: (1) Persönliche Gewerbesteuerpflicht Investmentfonds gelten nach künftiger Rechtslage als sonstige juristische Personen des privaten Rechts i.S.d. § 2 Abs. 3 GewStG. Sie stellen damit grundsätzlich eigene Gewerbesteuersubjekte dar, die bei Erfüllung der sachlichen Tatbestandsvoraussetzungen (s.u. bb)) der Gewerbesteuer unterliegen. Ein Investmentfonds ist jedoch gem. § 15 Abs. 2 InvStG 2018 persönlich von der Gewerbesteuer befreit, wenn −− sein Geschäftszweck auf die Anlage und Verwaltung seiner Mittel für gemeinschaftliche Rechnung der Anleger beschränkt ist und 23 S. Koenig in Koenig, 3. Aufl. 2014, § 13 AO Rz. 6; Drüen in Tipke/Kruse, § 13 AO Rz. 5; Musil in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 13 AO Rz. 11 f., jeweils m.w.N. 24 S. Steffen in Baur/Tappen, 3. Aufl. 2015, § 26 KAGB Rz. 26 ff.; vgl. auch Swoboda in Weitnauer/Boxberger/Anders, 2. Aufl. 2017, § 26 KAGB Rz. 17.

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Die grenzüberschreitende Fondsverwaltung

−− er seine Vermögensgegenstände nicht in einem wesentlichen Umfang aktiv unternehmerisch bewirtschaftet. Nach der Bagatellregelung des § 15 Abs. 3 InvStG 2018 gelten diese beiden Voraussetzungen als erfüllt, wenn die Einnahmen aus einer aktiven unternehmerischen Bewirtschaftung in einem Geschäftsjahr weniger als 5 % der gesamten Einnahmen des Investmentfonds betragen. (2) Sachliche Gewerbesteuerpflicht Sofern ein Investmentfonds die Voraussetzungen für die persönliche Steuerbefreiung nicht erfüllt, besteht die sachliche Gewerbesteuerpflicht entsprechend den allgemeinen gewerbesteuerlichen Grundsätzen nur insoweit, als der wirtschaftliche Geschäftsbetrieb durch eine Betriebsstätte im Inland betrieben wird (§ 15 Abs. 4 Satz 1 InvStG 2018 i.V.m. § 2 Abs. 3 i.V.m. Abs. 1 GewStG). Voraussetzung der Gewerbesteuerpflicht ist somit kumulativ, dass −− ein stehender Gewerbebetrieb (im Sinne einer aktiven unternehmerischen Bewirtschaftung) vorliegt (s.o. V.1.), −− für den im Inland eine Betriebsstätte unterhalten wird und −− die Einkünfte dieser Betriebsstätte funktional zugeordnet werden können. Der Begriff der inländischen Betriebsstätte i.S.d. § 2 Abs. 1 Satz 3 GewStG richtet sich nach ganz allgemeiner Auffassung nach § 12 AO, d.h. es muss eine feste Geschäftseinrichtung oder Anlage vorliegen, die der Tätigkeit des Unternehmens dient25. Die Tätigkeit kann grundsätzlich auch von einem ständigen Vertreter i.S.d. § 13 AO ausgeübt werden. Auch in diesem Fall muss jedoch eine inländische Betriebsstätte des Unternehmens vorliegen, in der der Vertreter seine Tätigkeit ausübt26. bb) Vorliegend keine Gewerbesteuerpflicht Die grenzüberschreitende Verwaltung durch die deutsche KVG führt unsers Erachtens nicht dazu, dass die Teilfonds insoweit der Gewerbesteuer unterliegen. Schon in persönlicher Hinsicht sollten die Teilfonds gem. § 15 Abs. 2 InvStG 2018 von der Gewerbesteuer befreit sein, weil ihr Geschäftszweck unseres Erachtens auf die Anlage und Verwaltung ihrer Mittel für gemeinschaftliche Rechnung der Anleger beschränkt ist und sie ihre Vermögensgegenstände nicht aktiv unternehmerisch bewirtschaften. Dies ergibt sich auf Basis der aktuellen Verwaltungsauffassung, die nach unserer Einschätzung auch nach künftiger Rechtslage Anwendung findet, bereits aus der Qualifizierung der Teilfonds als OGAW-Fonds (zur Begründung s.o. V.2.a)). 25 R 2.1 Abs. 4, H 2.1 Abs. 4, R 2.9 Abs. 1 GewStR. 26 R 2.9 Abs. 4 Satz 2, H 2.9 Abs. 4 GewStR.

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Selbst wenn man – unseres Erachtens unzutreffend – von einer persönlichen Gewerbesteuerpflicht ausginge, bestünde unseres Erachtens keine sachliche Gewerbesteuerpflicht. Denn hierfür fehlt es unseres Erachtens schon am Vorliegen einer inländischen Betriebsstätte i.S.d. § 12 AO (zur Begründung s.o. V.2.b)).

VI. Zusammenfassung Seit Inkrafttreten der Investmentsteuerreform 2018 mit Wirkung zum 1.1.2018 ist nunmehr auch die Verwaltung von EU-OGAW-Fonds im Wege des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs gem. §  50 KAGB durch eine inländische OGAWKVG in ertragsteuerrechtlicher Hinsicht so abgesichert worden, dass durch die Portfolioverwaltung keine Körperschaftsteuerpflicht und keine Gewerbesteuerpflicht der EU-OGAW-Fonds im Inland entsteht. Dies ist eine erfreuliche Entwicklung und ­bedeutet eine Stärkung des Fondsstandortes Deutschland, weil hierdurch erstmals solche Leistungen wirtschaftlich sinnvoll aus Deutschland heraus erbracht werden können. Die Neuregelung stellt somit eine Chance für die deutschen OGAW-Kapitalverwaltungsgesellschaften dar, wesentliche Teile der Wertschöpfung im Zusam­ menhang mit der Verwaltung von Fonds, die bisher von Luxemburger oder irischen Kapitalverwaltungsgesellschaften verwaltet wurden, zurück zu gewinnen und dementsprechend hoch qualifizierte Arbeitsplätze in der deutschen Fondsindustrie zu schaffen bzw. zu sichern. Der Gesetzgeber und die Finanzverwaltung bleiben jedoch aufgefordert, auch die Verwaltung von EU-AIF durch deutsche AIF-KVG im Wege des grenzüberschreitenden Dienstleistungsverkehrs in ertragsteuerrechtlicher Hinsicht so zu regeln, dass hierdurch ebenfalls keine Körperschaftsteuerpflicht und keine Gewerbesteuerpflicht der EU-AIF in Deutschland entsteht. Aktuell bestehen hier insbesondere Risiken aufgrund der aktuellen BFH-Rechtsprechung zu Private Equity Fonds und der Auslegung des Begriffs der aktiven unternehmerischen Bewirtschaftung i.S.v. § 15 GewStG durch die Finanzverwaltung. Ein Lösungsansatz könnte eine Orientierung an dem Erlass der Luxemburger Steuerverwaltung vom 9.1.2015 (Circulaire du directeur des contributions L.I.R. no. 14/4) sein, wonach die Tätigkeiten eines Alternativen Investmentfonds i.S.d. Luxemburger Umsetzungsgesetzes der AIFM-Richtlinie für Luxemburger steuerrechtliche Zwecke nicht als unternehmerische, zu einer kommunalen Unternehmenssteuer führende Tätigkeiten anzusehen sind.

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Beteiligungseinkünfte als abkommensrechtliche Unternehmensgewinne im Inbound-Fall Inhaltsübersicht





I. Unterm Radar der Rechtsprechung – oder einfach kein Problem? 1. Eingrenzung des Themas a) Personengesellschaft mit Beteiligungseinkünften im Inbound-Fall b) Personengesellschafts-Betriebsstätte vs. „einfache Betriebsstätte“ c) Gesamthandsvermögen vs. ­Sonderbetriebsvermögen („­Mitunternehmer-­Betriebsstätte“) 2. Beteiligungen des Gesamthands­ vermögens einer inländischen ­Personengesellschaft a) Grundsatz: Betriebsvermögen – Subsidiarität b) Ausnahme: Gekünstelte Gestaltung c) Weitere Ausnahme bei im Ausland ansässigen Personengesellschaftern? 3. Entstrickungsrisiko bei fehlender ­tatsächlicher Zugehörigkeit?

II. Subsidiarität, Spezialität, Prägung, Infizierung und Sonderbetriebsvermögen III. Vermintes Gebiet, allemal ein heißes Pflaster 1. Art. 3 OECD-MA a) Auslegung nach dem Recht des ­Anwenderstaates/Zwei Voraus­ setzungen



b) Fehlende bzw. unvollkommene ­Definition 2. Auffassungen im Schrifttum a) Abkommensautonome Auslegung b) Auslegung nach dem Recht des jeweiligen Anwenderstaates

IV. Einheitliche und unterschiedliche ­Auslegung 1. Korrespondierende Auslegung durch beide Anwenderstaaten? 2. Unterschiedliche Auslegung durch ­beide Anwenderstaaten 3. Unterschiedliche Auslegung durch denselben Staat als Betriebsstättenstaat bzw. Ansässigkeitsstaat a) Spiegelbildliche Freistellung für Zwecke der Anwendung des ­Methodenartikels b) Jedoch keine Freistellung bei gekünstelter Gestaltung c) Restriktive Auslegung des Betriebsstättenvorbehaltes im Outbound-­ Fall nicht widersprüchlich

V. Bestimmung beschränkt steuerpflich­ tiger Unternehmensgewinne nach ­innerstaatlichem Recht

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I. Unterm Radar der Rechtsprechung – oder einfach kein Problem? 1. Eingrenzung des Themas Die umfangreiche Rechtsprechung zu grenzüberschreitenden Personengesellschaften mit DBA-Bezug, auch jener seit Februar 19911, ist unübersichtlich. Viele BFH-Urteile betrafen sehr unterschiedliche Sachverhalte, deutlich öfter Outbound- als Inbound-­ Konstellationen. Während in Outbound-Fällen über den Methodenartikel (Art. 23A OECD-MA), also die Freistellung ausländischer Einkünfte in Deutschland bzw. die Anrechnung ausländischer Steuern gestritten wurde, ging und geht es in Inbound-Fällen um den Umfang der in Deutschland beschränkt steuerpflichtigen Unternehmensgewinne (Art. 7 OECD-MA). Eine Auswertung der BFH-Urteilssachverhalte führt für den Inbound- und den Outbound-Fall zu jeweils mehr als 10 Fallgruppen. Das, was für die eine Fallgruppe gilt, muss nicht notwendigerweise auch für die andere Gruppe Geltung haben2. Die Eingrenzung des Themas auf Inbound-Personengesellschaftssachverhalte ist auch deshalb geboten. 1 Nach den BFH-Urteilen v. 27.2.1991 – I R 15/89, BStBl. II 1991, 444 und I R 96/89, BFH/NV 1992, 385, jeweils zu einem Outbound-Fall, nämlich zu Zinsen/Sondervergütungen einer US-Personengesellschaft für ein Gesellschafter-Darlehen des in Deutschland ansässigen Personengesellschafters, können die früheren Entscheidungen zur abkommensrechtlichen Einordnung der Sondervergütungen nicht mehr unbesehen übernommen werden, so die Entscheidungen des BFH v. 29.1.1964  – I 153/61 S, BStBl.  III 1964, 165 (zu Lizenzen); v. 7.2.1968  – I 103/65, BStBl.  II 1968, 454 (zu Geschäftsführergehalt); v. 10.11.1983  – IV R 62/82, BStBl. II 1984, 605 (stille Beteiligung und Darlehenszinsen); v. 18.5.1983 – I R 5/82, BStBl.  II 1983, 771 (Veräußerung von Sonderbetriebsvermögen), FR 1983, 517 und v. 30.11.1938 – I 42/38, RStBl. 1939, 544 (zu Zinsen) als auch des FG Münster v. 18.1.1989 – XII 4874/86 F, EFG 1989, 294, rkr. (zu Geschäftsführervergütung); s. Wassermeyer, DBA, Art. 7 Rz. 109 EL Mai 2017 (ehemals Rz. 112 EL Okt. 2013), der auch auf FG Münster v. 12.12.2006 – 13 K 5352/01 F, EFG 2007, 1025 (zu § 2a EStG) verweist; dazu BFH v. 6.5.2008 – I R 16/07, Beschluss (Erledigung der Hauptsache). Dies gilt auch für einschlägige, ältere Verwaltungsanweisungen. 2 BFH v. 13.2.2008 – I R 63/06, BStBl. II 2009, 414, GmbHR 2008, 780, FR 2008, 1053, zu einem Inbound-Fall, in dem der BFH – gestützt auf Art. 13 Abs. 2 DBA Schweiz und einem sich nur an der wirtschaftlichen Zugehörigkeit orientierenden Zuordnungsmaßstab – Anteile eines Schweizers an einer US-Inc. bzw. damit erzielte Veräußerungsgewinne als SBV II bzw. SBE „dessen“ deutschen gewerblichen Personengesellschaft(-sbetriebsstätte) zurechnete. Auf eine tatsächliche Zugehörigkeit und die BFH-Rechtsprechung zu SBV I bzw. Sondervergütungen i.S.v. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG komme es in einem solchen Inbound-Fall nicht an; insoweit entgegen der Vorinstanz und der im Schrifttum vertretenen Auffassungen von Piltz, IStR 1996, 457 (459 f.) und Schaumburg in Internationales Steuerrecht, 2. Aufl., Rz. 16.388 Fn. 1425, der gleichwohl an seiner vom BFH ausdrücklich verworfenen Auffassung festhalten möchte: vgl. Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 3.  Aufl. 2011, Rz. 16.392, dort Fn. 4: „gegen BFH“. Auch sei ein solcher Inbound-Fall, so der BFH in I R 63/06, GmbHR 2008, 780, FR 2008, 1053, abzugrenzen von der BFH-Rechtsprechung zu einem Outbound-Fall, wie jenem in BFH v. 30.8.1995 – I R 112/94, BStBl. II 1996, 563, FR 1996, 151, bei dem es „nur um die Frage“ der Freistellung nach dem DBA-Methodenartikel geht.

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Beteiligungseinkünfte als abkommensrechtliche Unternehmensgewinne im Inbound-Fall

a) Personengesellschaft mit Beteiligungseinkünften im Inbound-Fall Das beklagte „Durcheinander3“ im Schrifttum4 und auch der Rechtsprechung beruht u.a. auf einer Vermengung der „systematischen abkommensrechtlichen Zusammenhänge“5. Das Verhältnis von DBA zum jeweils innerstaatlichen materiellen Steuerrecht des jeweiligen Anwenderstaates wird mitunter „miss- bzw. überinterpretiert“. Nicht selten mangelt es auch an der gebotenen Differenzierung bzw. Abgrenzung6 der 3 Kramer, IStR 2017, 782 (783), der einen Bierflaschen einsammelnden Obdachlosen zum Maßstab grenzüberschreitender Unternehmenssachverhalte herauf stilisiert; ders., Betriebsstättenbesteuerung – Notwendige Zuordnung von Wirtschaftsgütern zum Betriebsstättenvermögen? hierzu: Gabert, I., Protokoll zum Bochumer Steuerseminar für Praktiker und Doktoranden v. 11.12.2009, dort S. 6: „Wenn man sich vorstelle, dass der Obdachlose O regelmäßig derelinquierte Getränkedosen und -flaschen sammelt und diese mit Gewinn verkauft, würde man hier vergeblich nach einer Betriebsstätte suchen.“ 4 So werden beispielsweise die BFH-Entscheidungen v. 11.12.2013 – I R 4/13, FR 2014, 480, GmbHR 2014, 323, ISR 2014, 94 m. Anm. Hagemann/Kahlenberg, BFH/NV 2014, 614 (zu DBA Italien) und. v. 12.6.2013 – I R 47/12, FR 2014, 57 m. Anm. Kempermann, ISR 2013, 415 m. Anm. Ehlermann, GmbHR 2013, 1285, BFH/NV 2013, 1999 (zu DBA Thailand) im Schrifttum als eine Rechtsprechungsänderung bzw. als ein Beitrag zu weiterer Rechtsverunsicherung interpretiert; vgl. Hagemann/Kahlenberg/Kudert, Ubg 2014, 80 („… und wie der Wind sich dreht“); Hagemann/Kahlenberg, IStR 2014, 233, was indes Gosch nicht überzeugt, Gosch in Kirchhof, EStG, 14. Aufl. 2015, § 50d Rz. 45 ff. m.w.N.; s. auch Gosch in Kirchhof, EStG, 15. Aufl. 2016, § 50d Rz. 45a, dort Fn. 2 m.w.N. 5 Siehe den „Rüffel“ des BFH im Urt. v. 29.11.2000 – I R 84/99, IStR 2001, 185 am Urteil der Vorinstanz. Das Urteil betraf das 23  Jahre zurückliegende Streitjahr 1977. Das Verfahren entging „haarscharf “ einem dritten Rechtszug, denn das FG habe im zweiten Rechtszug, so der BFH, die „systematischen abkommensrechtlichen Zusammenhänge“ insoweit verkannt, als es die Voraussetzungen des einschlägigen Methodenartikels einerseits und der im Streitfall relevanten Verteilungsnorm andererseits „nicht miteinander verknüpft, vielmehr alternativ nebeneinander stellt“. Die tatrichterlichen Feststellungen und Schlussfolgerungen ermöglichten jedoch, gottlob, eine abschließende Entscheidung durch den BFH. 6 Auf eine solche – abkommensrechtlich erforderliche – „Abgrenzung“ weist der BFH im Leitsatz seines Vorlagebeschlusses v. 11.12.2013 – I R 4/13, FR 2014, 480, GmbHR 2014, 323, ISR 2014, 94 m. Anm. Hagemann/Kahlenberg, BFH/NV 2014, 614, zur Verfassungsmäßigkeit des § 50d Abs. 10 EStG 2002/2009 hin. Im Streitfall ging es um Zinsen, die eine deutsche Personengesellschaft ihrem in Italien ansässigen Gesellschafter zahlte. Ein solcher Inbound-Fall zu Sondervergütungen für ein Gesellschafterdarlehen eines im Ausland ansässigen Gesellschafters einer inländischen Personengesellschaft ohne „eigene“ Betriebsstätte im Ausland ist bereits abzugrenzen von einem vordergründig vergleichbaren Sachverhalt wie jenem, über die der BFH mit Urt. v. 8.9.2010 – I R 74/09, BFHE 231, 84, FR 2011, 179 m. Anm. Mitschke, GmbHR 2011, 50, zu entscheiden hatte. Dort überließ eine US-Inc. als zu 25,1 % beteiligte Kommanditistin „ihrer“ deutschen Personengesellschaft Lizenzrechte gegen Entgelt. Da in diesem speziellen Fall die überlassenen Lizenzrechte in den USA verwaltet und von dort aus weltweit vermarktet wurden, waren sie ebenso wie die daraus generierten Gewinne aus Sicht des Art. 7 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 DBA USA 1989 a.F. dem US-amerikanischen offensichtlich gewerblich tätigen „Stammhaus“, der US-Inc., und nicht der deutschen Personengesellschaft zuzurechnen. Anders als im zuvor genannten BFH-Beschluss v. 11.12.2013, a.a.O., bedurfte es deshalb keiner Überlegungen dazu, ob die rückwirkende Anwendung von § 50d Abs. 10 EStG 2002 n.F. gegen das Rechtsstaatsgebot verstößt oder ob § 50d Abs. 10 EStG insgesamt als sog. Treaty Override völker- und verfassungsrechtswidrig ist.

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jeweils zu beurteilenden grenzüberschreitenden Personengesellschafts-Sachverhalte, darunter: −− Gewerblich geprägte Personengesellschaften i.S.v. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG7 −− Betriebsaufspaltung8 −− Atypisch stille Gesellschaft9 −− Sondervergütungen aus Sonderbetriebsvermögen I (SBV I), insbesondere Vergütungen ȤȤ für eine noch ausgeübte oder frühere Tätigkeit im Dienst der Gesellschaft10

7 Inbound: BFH v. 4.5.2011  – II R 51/09, GmbHR 2011, 947; BFH/NV 2011, 1637 (DBA Schweiz). Outbound: BFH v. 9.12.2010 – I R 49/09; BStBl. II 2011, 482 (DBA Großbritannien), FR 2011, 683; v. 19.5.2010  – I B 191/09; BStBl.  II 2011, 156 (DBA Spanien); v. 28.4.2010 – I R 81/09, BStBl. II 2014, 754 (DBA USA), FR 2010, 903 m. Anm. Buciek. Schon im Urt. v. 17.12.1997 – I R 34/97, BStBl. II 1998, 296, FR 1998, 577 war die deutsche Besteuerung von Einkünften einer gewerblich geprägten US Personengesellschaft streitig. Die US Personengesellschaft erzielte „lediglich“ bzw. „nur“ Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, Zinsen und Spekulationsgewinne. Das damals geltende DBA USA 1954/1965 definierte – abweichend von anderen Abkommen – den Ausdruck „deutsches Unternehmen“ als „gewerbliche Unternehmung“ und den Ausdruck „gewerblicher Gewinn“ als Einkünfte eines Unternehmens aus der aktiven Ausübung einer gewerblichen Tätigkeit. Die streitigen Einkünfte erfüllten bereits diese Voraussetzungen nicht. Deshalb war seinerzeit – wie erst später in den zuvor genannten Urteilen  – (noch) nicht erforderlich, darüber zu entscheiden, ob eine bloß gewerblich geprägte Personengesellschaft abkommensrechtlich überhaupt Unternehmensgewinne erzielt. Zu einem Inbound-Fall ohne DBA-Bezug vgl. FG Bremen v. 25.6.2015 – 1 K 68/12 (6), EFG 2016, 88; Rev. anhängig: Az: I R 58/15 (CHILE). Schon 2003 urteilte das FG Hamburg im rechtskräftig gewordenen Urt. v. 12.6.2003 – VI 6/01 zu einem Inbound-Fall, dass eine bloß gewerblich geprägte inländische GmbH & Co. KG ihrem in den Niederlanden ansässigen Gesellschafter keine abkommensrechtlichen Unternehmensgewinne vermittelt; dazu Lüdicke, Jürgen, IStR 2004, 205 (208). 8 Outbound: BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, BStBl. II 2014, 760 (DBA Ungarn), FR 2011, 1175 m. Anm. Kempermann, GmbHR 2011, 1004 m. Anm. Suchanek. 9 Outbound: BFH v. 20.12.2006 – I B 47/05, BStBl. II 2009, 766 (DBA Großbritannien), FR 2007, 754; v. 19.7.2012 – II R 5/10 (NV), BFH/NV 2012, 1942 (NV) (DBA Großbritannien); v. 21.7.1999 – I R 110/98; BStBl. II 1999, 812 (DBA Schweiz), FR 1999, 1361 m. Anm. Lieber, GmbHR 1999, 1319; v. 31.5.1995 – I R 74/93/DBA (DBA USA). 10 Inbound: BFH v. 7.12.2011 – I R 5/11, BFH/NV 2012, 0556 (DBA USA); v. 8.11.2010 – I R 106/09, GmbHR 2011, 278, FR 2011, 290, BFH/NV 2011, 365 (DBA USA); v. 10.7.2002 – I R 71/01, BStBl. II 2003, 191 (DBA Großbritannien/DBA Schweiz), FR 2003, 236, GmbHR 2003, 302 m. Anm. Roser. Outbound: BFH v. 21.7.1999 – I R 71/98, BStBl. II 2000, 336 (DBA USA), FR 2000, 323, GmbHR 2000, 246 m. Anm. Roser. Von diesen und auch in den in Fn. 7 (gewerblich geprägte Personengesellschaft) genannten Fällen ist abzugrenzen das sehr interessante Urt. des FG Hamburg v. 15.09.2016 – 2 K 223/13, EFG 2017, 47 zur Zurechnung der von einer inländischen gewerblich geprägten Personengesellschaft an ihre inländischen Gesellschafter gezahlten Sondervergütungen zu einer Betriebsstätte in Großbritannien. Denn den streitigen Sondervergütungen, welche die Gesellschaft an ihre ­Gesellschafter zahlte, lagen originär gewerbliche Tätigkeiten der Gesellschafter zugrunde.

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Beteiligungseinkünfte als abkommensrechtliche Unternehmensgewinne im Inbound-Fall

ȤȤ für die Hingabe von Darlehen durch den Gesellschafter an die Personengesellschaft11 ȤȤ für die Überlassung von Lizenzrechten und Immobilien durch den Gesellschafter an die Personengesellschaft12 −− Sondervergütungen aus Sonderbetriebsvermögen (SBV II), darunter ȤȤ Dividenden aus Komplementär-Kapitalgesellschaftsbeteiligungen13 ȤȤ Zinsen und Lizenzeinnahmen von anderen Schuldnern als der Personengesellschaft14 ȤȤ Dividenden und Veräußerungsgewinne aus Anteilen an anderen Kapitalgesellschaften als der Komplementär-Kapitalgesellschaft15. Zu all diesen Sachverhalten musste der BFH Position beziehen. In grenzüberschreitenden Personengesellschafts-Sachverhalten mit DBA-Bezug musste geprüft werden, ob und inwieweit das Abkommensrecht innerstaatliches Steuerrecht beschränkt. Soweit ersichtlich, gibt es bislang keine BFH-Rechtsprechung zur Zurechnung von Kapitalgesellschaftsbeteiligungen im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden, gewerblich bloß infizierten Personengesellschaften i.S.v. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG16, weder für eine Outbound- noch für eine Inbound-Konstellation. Eine Zuordnung dieser gewerblichen Einkünfte, sozusagen ungeachtet § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Halbs. 2 EStG, zur britischen Betriebsstätte der Personengesellschaft lehnte das FG ab. 11 Inbound: BFH v. 11.12.2013 – I R 4/13, FR 2014, 480, GmbHR 2014, 323, ISR 2014, 94 m. Anm. Hagemann/Kahlenberg, BFH/NV-2014-0614 (DBA Italien); v. 17.10.2007 – I R 5/06, BStBl. II 2009, 356 (DBA USA), GmbHR 2008, 447, FR 2008, 729; v. 17.10.1990 – I R 16/89, BStBl. II 1991, 211 (DBA Schweiz). Outbound: BFH v. 10.8.2006 – II R 59/05, BStBl. II 2009, 758 (DBA Frankreich); v. 19.5.1993 – I R 60/92, BStBl. II 1993, 714 (DBA Frankreich), FR 1993, 779; v. 27.2.1991 – I R 15/89, BStBl. II 1991, 444 (DBA USA); v. 27.2.1991 – I R 96/89, BFH/NV 1992, 385 (DBA USA). 12 Inbound: BFH v. 8.9.2010 – I R 74/09, FR 2011, 179 m. Anm. Mitschke, GmbHR 2011, 50, BFH/NV 2011, 138 (DBA USA). Outbound: BFH v. 14.7.1993 – I R 71/92, BStBl. II 1994, 91 (DBA Schweiz), FR 1994, 59. 13 Inbound: BFH v. 26.2.1992 – I R 85/91, BStBl. II 1992, 937 (DBA Schweiz), GmbHR 1993, 58; v. 18.5.1983 – I R 5/82, BStBl. II 1983, 771(DBA Niederlande), FR 1983, 517. Outbound: BFH v. 21.1.2016 – I R 49/14, BStBl. II 2017, 107 (DBA Spanien), GmbHR 2016, 723 m. Anm. Suchanek, ISR 2016, 273 m. Anm. Kahlenberg, FR 2017, 38. 14 Inbound: BFH v. 12.6.2013 – I R 47/12, BStBl. II 2014, 770 (DBA Thailand/DBA Großbritannien), FR 2014, 57 m. Anm. Kempermann, ISR 2013, 415 m. Anm. Ehlermann, GmbHR 2013, 1285; v. 29.1.1964 – I 153/61 S; BStBl. III 1964, 165 (DBA USA). 15 Inbound: BFH v. 13.2.2008 – I R 63/06, BStBl. II 2009, 414 (DBA Schweiz), GmbHR 2008, 780, FR 2008, 1053. Outbound: BFH v. 17.7.2008 – I R 77/06 (DBA Österreich), FR 2008, 1149, GmbHR 2009, 48 m. Anm. Meilicke. 16 Im BFH-Urt. v. 28.4.2010 – I R 81/09, FR 2010, 903 m. Anm. Buciek, verweist der BFH zwar allgemein auf den gesamten § 15 Abs. 3 EStG; jedoch kann hieraus keine abschließende Aussage zu gewerblich infizierten Personengesellschaften i.S.d. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG abgeleitet werden. Siehe auch BFH v. 25.5.2011 – I R 95/10, FR 2011, 1175 m. Anm. Kempermann, GmbHR 2011, 1004 m. Anm. Suchanek, wonach die Aussagen in den Urteilen v.

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Mindestens 6 Mal musste der BFH indes zu ausländischen originär gewerblichen Personengesellschaften mit „gemischten“ Einkünften Stellung nehmen, darunter solche aus Kapitalgesellschaftsbeteiligungen und auch Lizenzeinnahmen17. Stets ging es hierbei um Outbound-Sachverhalte. Konkret war zu entscheiden, ob alle von einer ausländischen originär gewerblichen Personengesellschaft erzielten Einkünfte, darunter Beteiligungseinkünfte der Personengesellschaft aus rechtlich ihr gehörenden Anteilen, nach Maßgabe des Methodenartikels in Deutschland als Ansässigkeitsstaat freizustellen waren. Für Deutschland als Ansässigkeitsstaat musste konkret geprüft werden, ob für „Zwecke der Anwendung des Methodenartikels“18 von einer ausländischen Personengesellschaft aus deren Vermögen erzielte Beteiligungseinkünfte auf der Ebene eines deutschen Gesellschafters stets oder nur dann zu den freizustellenden ausländischen Unternehmensgewinnen zählen, wenn die Beteiligungen tatsächlich zu einer ausländischen Betriebsstätte der Personengesellschaft gehören. Mit Blick auf diese Rechtsprechung zu Outbound-Sachverhalten wird zunehmend die Auffassung vertreten, besser wohl die Befürchtung geäußert19, auch in einem Inbound-Fall richte sich die Zugehörigkeit von Beteiligungen zu der inländischen Personengesellschafts-Betriebsstätte nach den gleichen Grundsätzen wie im DBA-­ Outbound-Fall. Mit anderen Worten: Auch in einem solchen  – gewissermaßen spiegelbildlichen – Inbound-Fall komme es auch für zum Gesamthandsvermögen der Personengesellschaft gehörende Beteiligungen auf eine tatsächliche Zugehörigkeit dieser Beteiligungen zum inländischen Personengesellschaftsbetriebsvermögen an. Allein die zivilrechtliche Zugehörigkeit solcher Anteile zum Gesamthandsvermögen 28.4.2010 – I R 81/09, FR 2010, 903 m. Anm. Buciek, und v. 9.12.2010 – I R 49/09, FR 2011, 683 zu gewerblich geprägten Einkünften gleichermaßen für gewerblich „infizierte“ Einkünfte einer sog. Besitzgesellschaft nach Maßgabe einer Betriebsaufspaltung gelten. 17 Outbound: FG Münster v. 15.12.2014 – 13 K 624/11 F, ISR 2015, 124 m. Anm. Jochimsen, EFG 2015, 704; Rev. Az: I R 10/15 (DBA Niederlande); BFH v. 24.8.2011 – I R 46/10, FR 2012, 39 m. Anm. Elser/Bindl; BFH/NV 2011, 2165 (DBA Großbritannien); v. 19.12.2007 – I R 66/06, BStBl.  II 2008, 510 (DBA Niederlande), GmbHR 2008, 447, FR 2008, 724 m. Anm. Lohmann/Rengier; v. 17.12.2003 – I R 47/02, BFH/NV 2004, 771 (DBA Luxemburg); v. 7.8.2002  – I R 10/01, FR 2003, 151 m. Anm. Kempermann; BStBl.  2002, 848 (DBA Schweiz); v. 29.11.2000 – I R 84/99 (NV), IStR 2001, 185 (2. Rechtsgang, DBA Schweiz); v. 30.8.1995 – I R 112/94, BStBl. II 1996, 563 (1. Rechtsgang, DBA Schweiz), FR 1996, 151. 18 BFH v. 19.12.2007 – I R 66/06, BStBl. II 2008, 510 zu DBA Niederlande, dort unter II cc, GmbHR 2008, 447, FR 2008, 724 m. Anm. Lohmann/Rengier; BFH v. 30.8.1995 – I R 112/94, BStBl. II 1996, 563 zu DBA Schweiz („aus der Sicht des Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a erster Halbsatz DBA-Schweiz“), FR 1996, 151; s. auch FG Bremen v. 25.6.2015 – 1 K 68/12 (6), EFG 2016, 88, Rev: Az. I R 58/15. 19 Ditz in Rödder u.a., JbFSt 2015/2016, 75 ff. (110 ff.) zur Sicherung des deutschen Besteuerungsrechts bei „Internationalisierung“ des Gesellschafterkreises deutscher Familienunternehmen und mit dem Hinweis auf „katastrophale“ und „existenzgefährdende“ Folgen. Wiese, G.T./Lukas, P. GmbHR 2016, 803. Vgl. auch Dorenkamp, Ch., 16. IStR-Jahrestagung, Berlin, Tagungsband, 332 (361 ff.) zur Heraus-Verschmelzung einer deutschen GmbH mit zurückbleibender, inländischer „einfacher“ Betriebsstätte mit „Betriebsstättenungebundenem“ Vermögen. Zur Zuordnung liquider Finanzmittel zu einer inländischen Zweigniederlassung einer japanischen Kapitalgesellschaft für Zwecke der Vermögensteuer nach dem DBA Japan vgl. indes: BFH v. 29.7.1992 – II R 39/89, BStBl. II 1993, 64, GmbHR 1993, 61.

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der deutschen gewerblichen Gesellschaft genüge nicht, und  – so offensichtlich die Befürchtung – auch nicht die Zugehörigkeit und Zurechnung solcher Beteiligungen zum inländischen Betriebsvermögen nach deutschem Handels- und Steuerrecht. All das mündet in der entscheidenden Kardinalfrage: Wird die Bedeutung und Reichweite der Betriebsstättenvorbehalte ganz allgemein oder zumindest für Inbound-Fälle überschätzt? Was eigentlich ist mit der adjektivischen Ergänzung „tatsächlich“ tatsächlich gemeint, von der in einigen, aber nicht allen DBA-Betriebsstättenvorbehalten die Rede ist? Und was bedeutet „wirklich“ wirklich, wenn es heißt: „Tatsächlich“ sei nicht in einem Gegensatz zu rechtlich zu verstehen, sondern im Sinne von „wirklich“20. Denn es muss doch stutzig machen, dass es ausgerechnet zu einem solchen, praktisch nicht ungewöhnlichen Inbound-Sachverhalt mit einer inländischen Personengesellschaft, die neben Einkünften aus einer originär gewerblichen Tätigkeit auch Beteiligungserträge oder gar nur Zinsen aus der Anlage freier Mittel des Gesellschaftsvermögens bezieht und an der (auch) ausländische Gesellschafter beteiligt sind, keine (höchstrichterliche) Rechtsprechung gibt. Liegt das daran, dass solche Fälle entgegen der geäußerten Befürchtung möglicherweise gar nicht problematisch sind? Oder blieben sie bisher nur unter dem Radar der Rechtsprechung? b) Personengesellschafts-Betriebsstätte vs. „einfache Betriebsstätte“ Untersucht wird die steuerlich relevante Zugehörigkeit von Kapitalgesellschaftsanteilen zu einer inländischen (Geschäftsleitungs-)Betriebsstätte einer rechtlich selbständigen originär gewerblich tätigen Personengesellschaft, deren Gesellschafter (auch) im DBA-Ausland ansässig sind oder werden. Der Beitrag befasst sich nicht mit der Frage, unter welchen Voraussetzungen Kapitalgesellschaftsanteile einer rechtlich unselbständigen inländischen Betriebsstätte („einfache“ Betriebsstätte)21 oder dem sog. Stammhaus im anderen Staat steuerlich zuzurechnen sind22. Der Verfasser geht – wie schon Baranowski23 vor vielen Jahren – davon aus, dass in den Fällen einer „einfachen“, rechtlich unselbständigen Betriebsstätte andere Zuordnungskriterien Anwendung finden können (aber nicht müssen).

20 Vgl. Kaeser in Wassermeyer u.a., DBA, MA 2010, Art. 7 Rz. 798 (Okt 2013); Kaeser/Wassermeyer, ebenda, Art 10 Rz. 162 (133), Aug. 2012. 21 BMF-Schreiben v. 22.12.2016 – IV B 5 - S 1341/12/10001-03 (VWG BsGa), dort Rz. 13, BStBl. I 2017, 182. 22 BMF-Schreiben v. 24.12.1999 – IV B 4-S 1300-111/99, BStBl. I 1999, 1076; BMF-Schreiben v. 25.8.2009 – IV B 5 - S 1341/07/10004, DStR 2009, 1850, jeweils Tz. 2.4. 23 Baranowski, IWB 1996, Gruppe 1 513, 516 in einer Anmerkung zu BFH v. 30.8.1995 – I R 112/94, BStBl. II 1996, 563, zum DBA Schweiz, FR 1996, 151.

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c) Gesamthandsvermögen vs. Sonderbetriebsvermögen („­Mitunternehmer-­Betriebsstätte“) Der Beitrag befasst sich allein mit Kapitalgesellschaftsanteilen, die Gesamthandsvermögen, also zivilrechtlich Eigentum der inländischen gewerblichen Personengesellschaft sind. Der Beitrag befasst sich nicht mit Vermögenswerten, wie Darlehensforderungen, Grundvermögen oder Lizenzrechten, die zivilrechtlich im Eigentum eines ausländischen Personengesellschafters stehen und die dieser „seiner“ inländischen Personengesellschaft überlässt. Solche Vermögenswerte gelten zwar nach innerstaatlichem Recht als SBV I und Einkünfte daraus als fiktiv gewerbliche (Sonderbetriebs-)Einnahmen, die als Einkünfte auf Ebene der Personengesellschaft zu erfassen sind. Doch schlägt diese Fiktion – vorbehaltlich § 50d Abs. 10 EStG – schon deshalb nicht auf das Abkommensrecht durch, weil es sich bei entsprechenden Vermögenswerten oft um Schulden, jedenfalls nicht um tatsächlich zum Vermögen der Gesellschaft gehörende Aktivwerte handelt24. Der Beitrag befasst sich auch nicht damit, ob solche Vermögenswerte oder auch Kapitalgesellschaftsbeteiligungen im Eigentum eines Personengesellschafters der Personengesellschaft zwar nicht überlassen werden, gleichwohl aber deshalb  – auch abkommensrechtlich  – zum steuerlichen Betriebsvermögen der Personengesellschaft gehören, weil sie die Voraussetzungen von SBV II erfüllen. Denn auch in diesen Fällen mögen solche Vermögenswerte des ausländischen Gesellschafters (nicht der inländischen Personengesellschaft) auch abkommensrechtlich der inländischen Personengesellschaftsbetriebsstätte steuerrechtlich zuzurechnen sein, alternativ und nur unter bestimmten Voraussetzungen aber auch einer ausländischen Betriebsstätte des ausländischen Personengesellschafters25. Letztere bezeichnet der BFH als Mitunternehmer-Betriebsstätte26. 2. Beteiligungen des Gesamthandsvermögens einer inländischen ­Personengesellschaft a) Grundsatz: Betriebsvermögen – Subsidiarität Gehören Kapitalgesellschaftsbeteiligungen zivilrechtlich und wirtschaftlich zum Gesamthandsvermögen einer deutschen originär gewerblich tätigen (oder auch nur gewerblich geprägten27) Personengesellschaft und dienen die Beteiligungen der gemeinsamen Einkünfteerzielung der Gesellschafter, gehören sie handelsrechtlich zum

24 Siehe dazu die Rspr.-Nachweise in den Fn. 10 bis 12. 25 Siehe dazu die Rspr.-Nachweise in den Fn. 13 bis 15. 26 BFH v. 11.12.2013  – I R 4/13, FR 2014, 480, GmbHR 2014, 323, ISR 2014, 94 m. Anm. Hagemann/Kahlenberg, BFH/NV 2014, 614; möglicherweise anders, jedenfalls missverständlich BMF in BMF-Schreiben v. 22.12.2016 Rz. 13. 27 Vgl. FG Bremen v. 25.6.2015 – 1 K 68/12, EFG 2016, 88 zu einem Nicht-DBA Inbound-Fall.

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Betriebsvermögen der Personengesellschaft28. Aufgrund der Maßgeblichkeit der Handelsbilanz für die Steuerbilanz ist die Beteiligung auch als Wirtschaftsgut in der steuerlichen Gewinnermittlung anzusetzen (§ 5 Abs. 1 Satz 1 EStG). Die im Gesamthandsvermögen der Personengesellschaft befindlichen Wirtschaftsgüter, auch Beteiligungen, stellen deshalb in aller Regel auch steuerlich notwendiges Betriebsvermögen der Personengesellschaft dar29. In diesen Fällen besteuert Deutschland Dividenden und Veräußerungsgewinne aus solchen Beteiligungen einer inländischen, auch originär gewerblichen Personengesellschaft an inländischen und auch ausländischen Kapitalgesellschaften – geradezu wie selbstverständlich  – als gewerbliche Einkünfte nach den für solche Einkünfte i.S.d. § 15 EStG geltenden Regeln des innerstaatlichen Rechts. Das folgt aus § 20 Abs. 8 EStG30, der anordnet, dass Beteiligungseinkünfte einer originär gewerblichen Personengesellschaft den Einkünften aus Gewerbebetrieb zuzurechnen sind, soweit sie zu diesen gehören. Gehören die den Einkünften zugrunde liegenden Wirtschaftsgüter zum steuerlichen Betriebsvermögen der auch originär gewerblich tätigen Personengesellschaft, werden auch die Einkünfte, so gesehen konsequent, als gewerbliche Einkünfte behandelt, auch wenn diese bei isolierter Betrachtung (auch) Einkünfte aus Kapitalvermögen i.S.v. § 20 EStG sind (sog. Subsidiarität). Vorläuferbestimmungen zu § 20 Abs. 8 EStG finden sich bereits in § 12 Abs. 1 des preußischen EStG vom 24.6.1891, § 11 Abs. 1 des preußischen EStG vom 19.6.1906, §  8 Abs.  3 des reichsdeutschen EStG vom 29.3.1920 und §  37 Abs.  3 EStG31 vom 15.8.1925. Zu § 37 Abs. 3 EStG 1925 hatte indessen der RFH entschieden, dass die Vorschrift unvollständig sei und die Einkünfte aus Kapitalvermögen auch gegenüber 28 §§ 161 Abs. 2, 105 Abs. 2 HGB, § 718 Abs. 1 BGB. 29 Vgl. FG Bremen v. 25.6.2015 – 1 K 68/12, DStRE 2016, 394 zu einer inländischen vermögensverwaltenden, aber gewerblich geprägten GmbH & Co (Klägerin zu 1) zu deren Gesamthandsvermögen auch eine Beteiligung an einer GmbH P gehörte und an der in Chile (kein DBA-Staat) ansässige Gesellschafter beteiligt waren: „Die im Gesamthandsvermögen der Personengesellschaft befindlichen Wirtschaftsgüter stellen deshalb  – wie die Beteiligung der Klägerin zu 1) an der P – in aller Regel notwendiges Betriebsvermögen der Gesellschaft dar“. Das FG Bremen verweist auf BFH v. 25.11.2004 – IV R 7/03, BStBl. II 2005, 354, GmbHR 2005, 492; Bode in Blümich, 2015, § 15 EStG Rz. 451; Wacker in Schmidt, 33. Aufl., § 15 EStG Rz. 481 und Reiß in Kirchhof, 14. Aufl., § 15 EStG Rz. 276. Nach Wacker sind Wirtschaftsgüter, die zivilrechtlich und wirtschaftlich oder nur wirtschaftlich zum Gesellschaftsvermögen (Gesamthandsvermögen) einer OHG oder KG mit Gewerbebetrieb gehören, grds. notwendiges BV, da diese WG in die HB aufzunehmen sind (§§ 238, 242, 246, 6 HGB) und nach § 5 Abs. 1 EStG einkommensteuerrechtlich das BV anzusetzen ist, das nach den handelsrechtlichen GoB auszuweisen ist (z.B. BFH IV R 7/03, BStBl.  II 2005, 354, ­GmbHR 2005, 492). 30 § 20 Abs. 8 EStG: „Soweit Einkünfte der in den Abs. 1, 2 und 3 bezeichneten Art zu den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit oder aus Vermietung und Verpachtung gehören, sind sie diesen Einkünften zuzurechnen.“ 31 § 37 Abs. 3 EStG 1925: „Soweit Kapitalerträge der in den Abs. 1 und 2 bezeichneten Art in einem land- und forstwirtschaftlichen oder gewerblichen Betrieb anfallen, gelten sie als Einkünfte aus dem Betrieb der Land- und Forstwirtschaft oder aus Gewerbebetrieb.“

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den freiberuflichen Einkünften als nachrangig zurückzutreten hätten32. Das führte zu § 20 Abs. 3 EStG33 v. 16.10.1934, der in etwa der heutigen Regelung entspricht. Ebenso wie heute § 20 Abs. 8 EStG enthielt auch schon § 20 Abs. 3 EStG a.F. nicht etwa einen eigenen Besteuerungstatbestand, sondern lediglich eine Zuordnungsvorschrift, die – ebenso wie die Betriebsstättenvorbehalte in den DBA – das Konkurrenzverhältnis zwischen den Einkünften aus Kapitalvermögen und bestimmten anderen Einkunftsarten regelte. Dabei ordnet § 20 Abs. 8 EStG die Subsidiarität (Nachrangigkeit) der Einkünfte aus Kapitalvermögen gegenüber den Gewinneinkünften und zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung34 an. Ein Konkurrenzverhältnis, das im Sinne eines Zurücktretens der Einkunftsart „Kapitalvermögen“ zu lösen ist, kann von vornherein nur dann auftreten, wenn die zu beurteilenden Einkünfte einer Einkunftsart i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 oder 6 EStG unterfallen und gleichzeitig ihrer Art nach dem Katalog des § 20 Abs. 1 und 2 angehören. In einem solchen Fall tritt § 20 EStG zurück. § 20 Abs. 8 EStG ist hingegen keine Qualifikationsnorm in dem Sinne, dass sie Kapitalerträge i.S.v. §  20 zu solchen Einnahmen aus anderen Einkunftsarten umfunktioniert, die sie ohne § 20 Abs. 3 nicht wären35. Die alten Regelungen (vor 1934) nahmen noch eine Fiktion vor (Kapitaleinkünfte „gelten“ als gewerbliche Einkünfte). Die neuen Regelungen (seit 1934) gehen für die von § 20 Abs. 8 EStG erfassten Fälle zu Recht davon aus, dass beide Tatbestände erfüllt sind, der allgemeine gewerbliche und der konkrete Tatbestand der Einkünfte aus Kapitalvermögen. Hierin liegt der Unterschied zu den bloß fiktiv gewerblich infizierten (Beteiligungs-)Einkünften i.S.v. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG, ein Unterschied, dem bisher – soweit ersichtlich – keine Beachtung geschenkt wird. Es handelt sich also bei § 20 Abs. 8 EStG jedenfalls um eine konstitutiv wirkende Zuordnungs- bzw. Konkurrenznorm. Diese ist den sog. Betriebsstättenvorbehalten in den einschlägigen DBA-Verteilungsnormen vergleichbar, wenn sie nicht sogar einen identischen Regelungsgehalt hat. Anders als z.B. bei § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG und auch 32 RFH v. 5.5.1927 – I A 212/27, RStBl. 1927, 217, RFHE 21, 281. 33 § 20 Abs. 3 EStG 1934, RGBl I 1934, 1005 ff.: „Soweit Einkünfte der in den Abs. 1 und 2 bezeichneten Art zu den Einkünften aus Land- und Forstwirtschaft, aus Gewerbebetrieb, aus selbständiger Arbeit oder aus Vermietung und Verpachtung gehören, sind sie diesen Einkünften zuzurechnen.“ 34 Für Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung gilt indes eine abkommensrechtliche Besonderheit. Auch wenn diese Einkünfte zu den gewerblichen Einkünften gehören sollten (z.B. Einkünfte aus gewerblichem Grundstückshandel), richtet sich die abkommensrechtliche Behandlung dieser Einkünfte nicht nach Art 7 OECD-MA, sondern nach dem insoweit spezielleren und vorrangigen Art.  6 OECD-MA. Dazu auch Wassermeyer, DBA, Art 7 OECD-MA (2000), Rz. 27 (29). Siehe auch BFH v. 28.4.2010, a.a.O., zu einer gewerblich geprägten US-Personengesellschaft und einer Abgrenzung auch zu Art.  6 DBA USA 1989 a.F. 35 Zu alledem ausführlich Dötsch in Kirchhof/Mellinghoff/Söhn, § 20 Abs. 3 EStG a.F., dort unter Q 1 bis Q 8 (55. EL, Sept. 1994) und Hinweis auf Raupach, FR 1978, 570 (578); ders. StbJb. 1977/78, 298, sowie unter Hinweis auf Thiel, DB 1976, 1495 (1496) und der Aussage in Q5, dass die Vorschrift überwiegend klarstellenden (deklaratorischen) Charakter hat.

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den Vorläuferbestimmungen zu § 37 Abs. 3 EStG 1934 handelt es sich bei den von der Subsidiaritätsklausel in § 20 Abs. 8 EStG erfassten Einkünften nicht um bloß fiktiv gewerbliche Einkünfte. Es kommt insoweit auch nicht darauf an, ob die Beteiligungen von der – gewerblichen  – Personengesellschaft als bloße Kapitalanlage gehalten werden oder mit der übrigen gewerblichen Tätigkeit in einem tatsächlich funktionalen Zusammenhang stehen. Ausreichend, aber auch erforderlich, ist eine wirtschaftliche, betriebliche Veranlassung der Beteiligung mit dem Betrieb der Personengesellschaft. Ein solcher Zusammenhang wird angenommen, wenn der Erwerb der Beteiligungen aus Mitteln des Personengesellschaftsvermögens finanziert wurde, diese zivilrechtlich zum Gesamthandsvermögen gehören und von der Mitunternehmerschaft dazu eingesetzt werden, dem Betrieb zur Gewinnerzielung im Rahmen einer nachhaltigen Betätigung zu dienen und so auch der gemeinsamen Einkünfteerzielung aller Gesellschafter36. Denkbar ist indes folgende Konstellation, die zur Auflösung eines wirtschaftlichen Veranlassungs- und Verursachungszusammenhangs von Beteiligungen des Gesamthandsvermögens einer Personengesellschaft zu deren steuerlich relevanten Betriebsvermögen führen kann: Kapitalgesellschaftsanteile des Gesamthandsvermögen einer Personengesellschaft X mögen zunächst zum steuerlich relevanten Personengesellschaftsbetriebsvermögen gehört haben, weil der Erwerb dieser Beteiligungen wirtschaftlich durch den Betrieb der Personengesellschaft X veranlasst bzw. verursacht war. Wird eine solche Beteiligung im Rahmen einer gruppeninternen Umstrukturierung, die durch einen betrieblich selbst tätigen Gesellschafter – und eventuell auch durch steuerliche Optimierungsüberlegungen  – veranlasst war, auf eine andere (Schwester-)Personengesellschaft Y nur gruppenintern übertragen, stellt sich die Frage, ob die so „verlagerte“ Beteiligung (auch/noch) einen für die steuerliche Zurechnung ausreichenden, aber auch erforderlichen Veranlassungs- und Verursachungszusammenhang zu dem Betriebsvermögen der neuen Personengesellschaft Y aufweist. Bei solchen Gestaltungen mag man zu dem Ergebnis gelangen, dass ein vorrangiger Veranlassungszusammenhang nun zum Betrieb des Gesellschafters besteht. Das hätte zur Folge, dass in einem grenzüberscheitenden Inbound-Fall solche Beteiligungen dann dem ausländischen Betriebsvermögen des Gesellschafters, also „seiner“ Mitunternehmerbetriebsstätte zuzurechnen wären. Mit einer vergleichbaren Konstellation in einem sehr komplexen Sachverhalt und entsprechenden Fragen wird sich vermutlich das FG Bremen im zweiten Rechtszug auseinandersetzen müssen. Denn der BFH hat im Dezember 2017 in der Revisionsentscheidung I R 58/15 den Fall an das FG Bremen zurückverwiesen. Zum Zeitpunkt der Drucklegung war das BFH-Urteil noch nicht veröffentlicht. Allerdings finden auch bei der Besteuerung der Beteiligungseinkünfte als gewerbliche Einkünfte die für Beteiligungseinkünfte geltenden Sonderregeln in § 3 Nr. 40 EStG und § 8b KStG Berücksichtigung. Das gilt allgemein, nicht nur bei Erzielung solcher Einkünfte durch eine gewerbliche Personengesellschaft, sondern auch bei Erzielung durch eine Kapitalgesellschaft (freilich hier nur § 8b KStG). Auch das für gewerbliche 36 BFH v. 25.11.2004 – IV R 7/03, GmbHR 2005, 492.

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Einkünfte maßgebliche Besteuerungsverfahren (Veranlagung) gilt  – mit möglicher Anrechnung bzw. Erstattung „überzahlter“ Kapitalertragsteuer. Bei Zugehörigkeit der Dividenden zu den Unternehmensgewinnen ist zwar das Besteuerungsrecht des Betriebsstättenstaates (hier Deutschland), wenn auch bezogen auf die Nettodividende, der Höhe nach nicht begrenzt. Doch führt das für Dividenden aus inländischen Beteiligungen seit Anwendung des seit 2000/2001 geltenden § 8b KStG im Rahmen der beschränkten Steuerpflicht ausländischer Kapitalgesellschaften als Gesellschafter inländischer Personengesellschaften regelmäßig zu einer geringeren Steuerbelastung als die Belastung „nur“ mit Kapitalertragsteuer37. b) Ausnahme: Gekünstelte Gestaltung Diese handelsrechtliche Zugehörigkeit und Zurechnung von Beteiligungen zum Betriebsvermögen einer Personengesellschaft gilt für die steuerrechtliche Zurechnung zum steuerlichen Betriebsvermögen der Personengesellschaft nur dann nicht, wenn sich aus den ertragsteuerlichen Gewinnermittlungsvorschriften, insbesondere §  4 EStG, etwas anderes ergibt. Das kann dann der Fall sein, wenn die Beteiligungen lediglich der privaten Lebensführung eines oder aller Gesellschafter dienen oder bei dem Erwerb der Beteiligungen bereits absehbar war, dass die Beteiligung der Personengesellschaft lediglich Verluste bringen würde, die Beteiligungen also gerade nicht der gemeinsamen Einkünfteerzielung der Gesellschafter dienen38. Sollte das bei Personengesellschaften mit mehreren Gesellschaftern überhaupt möglich sein, mag man auch von einer künstlichen „Verlagerung“ der Beteiligungen in das Vermögen der Personengesellschaft sprechen39, u.U. auch von einer steuerlich nicht anzuerkennenden Gestaltung i.S.v. § 42 AO. c) Weitere Ausnahme bei im Ausland ansässigen Personengesellschaftern? Gelten die zuvor genannten Regeln auch, wenn alle, einige oder nur ein Gesellschafter im Ausland ansässig sind bzw. ist oder ansässig werden bzw. wird? Kann Deutschland als Betriebsstättenstaat Dividenden und Veräußerungsgewinne aus Kapitalgesellschaftsanteilen des Gesamthandsvermögens einer inländischen, originär gewerblichen Personengesellschaft auch insoweit nach den für solche Einkünfte geltenden Regeln des innerstaatlichen Rechts besteuern, als die Beteiligungseinkünfte der Personengesellschaft auf im Ausland ansässige Personengesellschafter entfallen? Und weiter: Hängt das in einem solchen grenzüberschreitenden Inbound-Sachverhalt davon ab, ob 37 Es mag zwar auf Seiten der Verwaltung Unmut hervorrufen, dass ein der Höhe nach nicht begrenztes Besteuerungsrecht im Ergebnis zu einer geringeren Steuerbelastung führt als ein der Höhe nach begrenztes Besteuerungsrecht. Aber Gesetz ist nun mal Gesetz. 38 BFH v. 25.11.2004  – IV R 7/03, GmbHR 2005, 492; weitere Nachweise bei Wacker in Schmidt, 2017, § 15 EStG Rz. 481ff. (484). 39 So der BFH für das Abkommensrecht und einen Outbound-Sachverhalt in der Entscheidung v. 19.12.2007; vgl. auch FG Münster v. 15.12.2014 – 13 K 624/11 F, ISR 2015, 124 m. Anm. Jochimsen, EFG 2015, 704; Rev. Az: I R 10/15.

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−− der ausländische Personengesellschafter in einem DBA-Staat ansässig ist, und/oder −− die Beteiligungen „tatsächlich“ bzw. „tatsächlich funktional“ zum (steuerlichen) inländischen Betriebsvermögen der Personengesellschaft gehören, und/oder −− der ausländische Personengesellschafter in seinem Ansässigkeitsstaat selbst eine eigene (Mitunternehmer-)Betriebsstätte unterhält, welche für eine alternative steuerliche Zurechnung der zivilrechtlich zum Gesamthandsvermögen gehörenden Beteiligungen der inländischen, gewerblichen Personengesellschaft in Betracht kommen könnte? All dies wird streitig diskutiert: sowohl für Gesellschafter, die in einem DBA-Staat ansässig sind und bemerkenswerterweise auch für Gesellschafter in Nicht-DBA-Staaten. Denn ist kein DBA zu berücksichtigen, z.B. weil es keines gibt, richten sich die Steuerfolgen in Deutschland naturgemäß allein nach innerstaatlichem Recht40. In einem DBA-Inbound-Fall (inländische Personengesellschaft mit Gesellschaftern in einem anderen DBA-Staat) geht es konkret um folgende Fragen: Wie hat Deutschland als DBA-Anwenderstaat den Umfang seines auch abkommensrechtlich zulässigen Besteuerungsrechtes für die anteiligen, auf den ausländischen Gesellschafter entfallenen Betriebsstätteneinkünfte einer auch originär gewerblichen Personengesellschaft zu bestimmen, die jedenfalls nach innerstaatlichem Recht die Beteiligungseinkünfte umfassen? Liegen auch abkommensrechtlich insoweit anteilige „Unternehmensgewinne“ i.S.v. Art. 7 OECD-MA vor, für die Deutschland als Betriebsstättenstaat ein uneingeschränktes Besteuerungsrecht zusteht, das zur (Mit-)Erfassung und Besteuerung der Beteiligungseinkünfte als gewerbliche Einkünfte i.S.d. § 15 EStG bzw. Unternehmensgewinne führt? Deutschland könne, so die wohl h.M., als Betriebsstättenstaat in einem DBA-Inbound-Fall von der deutschen Personengesellschaft aus ihren Anteilen erzielte Dividenden und Anteilsveräußerungsgewinne aus Kapitalgesellschaftsanteilen abkommensrechtlich als „Unternehmensgewinne“ (Art. 7 OECD-MA) nur dann besteuern, wenn die Kapitalgesellschaftsanteile „tatsächlich funktional“ zum Betriebsvermögen der inländischen Personengesellschaftsbetriebsstätte gehören. Das solle selbst dann gelten, wenn die fraglichen Anteile Gesamthandsvermögen einer auch originär gewerblich tätigen Personengesellschaft sind41, der Erwerb der Anteile ausschließlich aus Mitteln der auch originär gewerblich tätigen inländischen Personengesellschaft finanziert wurde und möglicherweise sogar dann, wenn andere als die inländische Personengesellschafts-Betriebsstätte für eine Zuordnung der Anteile nicht in Sicht sind42.

40 Dazu Töben, FR 2016, 543 u.a. zu FG Bremen v. 25.6.2015 – 1 K 68/12 (6), EFG 2016, 88; in diesem Urteil unter I. 2b) bb), das einen solchen Nicht-DBA-Inbound-Fall betrifft; Rev. Az.: I R 58/15. 41 So sowohl Wiese/Lukas, GmbHR 2016, 903 ff.; Ditz in Rödder u.a. JbFStR 2015/2016, 110 ff. 42 Vgl. zu sog. Floating Income ausführlich, indes nicht unbestritten: Hagemann, StuW 2016, 172 ff. mit zahlreichen Nachweisen.

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Eine andere Frage in diesem Zusammenhang geht dahin, ob ein uneingeschränktes deutsches Besteuerungsrecht für Unternehmensgewinne einschließlich der Beteiligungseinkünfte unabhängig davon besteht, ob der ausländische DBA-Staat, also der Ansässigkeitsstaat des Personengesellschafters bei dessen Besteuerung für Zwecke des Methodenartikels im Hinblick auf die Beteiligungseinkünfte der Personengesellschaft ebenfalls von Unternehmensgewinnen (Art. 7 OECD-MA) ausgeht (dann i.d.R. Freistellung im Ansässigkeitsstaat) oder – abkommensrechtlich – insoweit von Dividenden (Art. 10, 21 OECD-MA) und Anteilsveräußerungsgewinnen (Art.  13, 21 OECD-MA; dann i.d.R. Anrechnung der deutschen, evt. auch einer Drittstaatensteuer bei Drittstaatenbeteiligungen). 3. Entstrickungsrisiko bei fehlender tatsächlicher Zugehörigkeit? Fehle es an der tatsächlich funktionalen Zugehörigkeit der Kapitalgesellschaftsanteile zu einer inländischen Betriebsstätte bzw. einem inländischen Betriebsvermögen, drohe bei Wegzug auch nur eines Personengesellschafters (jedenfalls) in DBA-Drittstaaten die (anteilige) Realisierung stiller Reserven in solchen Kapitalgesellschaftsanteilen. Wäre diese „Bedrohung“ bei Wegzug in einen DBA-Staat Folge der Auslegung von DBA, könnte sie schon solange bestehen, wie es DBA gibt, d.h. mehr als 100 Jahre. Bemerkenswerterweise wird ein solches Entstrickungsrisiko jedoch erst seit einigen Jahren problematisiert, in etwa seit Einführung des § 50i EStG43. Möglicherweise wird die Quelle der Bedrohung daher auch in § 50i EStG gesehen, der nicht nur auf gewerblich geprägte Personengesellschaften i.S.d. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG Bezug nimmt (so aber die Gesetzesbegründung), sondern auf § 15 Abs. 3 EStG insgesamt, damit auch auf gewerblich infizierte Personengesellschaften i.S.v. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG. Das sind solche Personengesellschaften, die i.d.R. überwiegend „passive“ Beteiligungseinkünfte (dem Grunde nach sog. Überschusseinkünfte) beziehen und nur daneben, zumeist nur in sehr geringem Umfang, „auch“ gewerbliche Einkünfte erzielen44 bzw. zugerechnet45 bekommen. Der hier untersuchte Sachverhalt einer im Ausgangspunkt originär gewerblichen Personengesellschaft, die neben ihren – zumeist überwiegend – gewerblichen Einkünften auch Beteiligungseinkünfte aus Kapitalgesellschaftsanteilen erzielt, ist ein anderer. Zugegebenermaßen mögen allerdings die Grenzen zwischen gewerblich infizierten Personengesellschaften i.S.v. § 15 Abs. 3 EStG und jenen gewerblichen Personengesellschaften, die auch von § 20 Abs. 8 EStG erfasste Beteiligungseinkünfte beziehen, gelegentlich verschwimmen46. 43 Rödder/Ditz, in JbFSt 2015/2016, Hrsg. Drüen, 77 ff. unter I. zu § 50i EStG und dort in einem Exkurs ab 110 ff. zu Maßnahmen zur Sicherung des deutschen Besteuerungsrechts bei „Internationalisierung“ des Gesellschafterkreises deutscher Familienunternehmen. 44 § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 erste Alternative EStG. 45 § 15 Abs. 3 Nr. 1 Satz 1 zweite Alternative EStG. 46 Im Sachverhalt des BFH-Urteils v. 17.12.1997 – I R 34/97, BStBl. II 1998, 296, FR 1998, 577 bezog eine (gewerblich geprägte) US-Personengesellschaft nur Zinsen, Spekulationsgewin-

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II. Subsidiarität, Spezialität, Prägung, Infizierung und Sonderbetriebsvermögen Verschiedene Themenkomplexe verwirren. Dem innerstaatlichen Recht sind die gewerbliche Prägung, das SBV I (nicht notwendigerweise auch das SBV II), „mutmaßlich“47 auch die sog. Infizierung, und, so scheint es48, sogar der „Grundsatz der Subsidiarität“ vorbehalten. Dagegen wird vom „Grundsatz der Spezialität“ und dem daraus abgeleiteten „allgemeinen“ Vorrang der spezielleren DBA-Verteilungsnormen sowie den darin enthaltenen sog. Rückfallklauseln (Betriebsstättenvorbehalte) zumeist nur im Abkommenskontext gesprochen. Letzteres überrascht, denn die unterschiedlich formulierten Betriebsstättenvorbehalte in den DBA einerseits und die Subsidiaritätsklausel in § 20 Abs. 8 EStG laufen parallel. Wie auch immer: Einiges hierzu ist nach jahrzehntelangem Streit geklärt, vieles nach wie vor ungeklärt. Zentrale Bedeutung für die hier aufgeworfene Frage zu einem Inbound-Personengesellschaftssachverhalt hat die Auslegung der in den Doppelbesteuerungsabkommen verwendeten, jedoch  – wenn überhaupt  – nur sehr unvollkommen49 definierten Begriffe „Unternehmensgewinn“ und „Betriebsvermögen“.

III. Vermintes Gebiet, allemal ein heißes Pflaster Auf die Auslegung der Begriffe „Unternehmensgewinn“ und „Betriebsvermögen“ kommt es jedoch maßgeblich an. Indessen wird gerade diese Auslegung als „vermintes Gebiet“, allemal als ein „heißes Pflaster“ wahrgenommen50. Im Kern geht es darum, welche Bedeutung dem deutschen Recht zukommt, wenn Deutschland als DBA-Anwenderstaat die Begriffe „Unternehmen“ und „Gewinn“ zu ne und Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Wie hätte der BFH entschieden, wenn die US-Gesellschaft auch originär gewerbliche Einkünfte bezogen hätte  – überwiegend oder gar nur zu einem geringen Teil? 47 Wacker in Schmidt, 36. Aufl. 2017, § 15 EStG Rz. 173, der m.w.N. zusammenfasst: „Gewerblich geprägte ausländische Personengesellschaften sind DBA-rechtlich nicht unternehmerisch tätig; ebenso bei Gewerblichkeit kraft Betriebsaufspaltung. Gleiches gilt für inländische Personengesellschaften und mutmaßlich auch i.R.v. § 15 III Nr. 1 EStG“. 48 Vgl. z.B. Kroppen in Gosch/Kroppen/Grotherr, DBA, OECD-MA Art. 7 Rz. 287 m.w.N (25. EL 2015). 49 Siehe aber auch BFH v. 28.4.2010 – I R 81/09, FR 2010, 903 m. Anm. Buciek, zum DBA USA 1989 mit einer damals im DBA USA 1989 a.F. enthaltenen Definition. 50 Gosch, ISR 2013, 87 ff. (88, 95). Siehe jüngst auch Leidel, IStR 2017, 348 sowie Wassermeyer, Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge – Haltung des BFH in Mössner/Blumenwitz u.a., Doppelbesteuerungsrecht und nationales Recht, 1995, 19  f.; Mössner in Lang/Mössner/ Waldburger, Die Auslegung von DBA in der Rspr. der Höchstgerichte Deutschlands, der Schweiz und Österreichs, 1998, 19 ff.; Mössner in Böckstiegel/Folz/Mössner/Zemanek, Völkerrecht – Recht der Internationalen Organisationen – Weltwirtschaftsrecht, FS Seidl-Hohenveldern, 1988, 403; Lang, Art. 3 Abs. 2 OECD-MA und die Auslegung von Doppelbesteuerungsabkommen – Auslegungsgrundsätze für DBA, IWB 2011, IWB 2011, 281.

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bestimmen hat: im Outbound-Fall als Ansässigkeitsstaat für Zwecke der Anwendung des Methodenartikels, im Inbound-Fall als Betriebsstättenstaat für Zwecke der Bestimmung des Umfanges beschränkt steuerpflichtiger Unternehmensgewinne, die Deutschland auch abkommensrechtlich als solche besteuern darf. 1. Art. 3 OECD-MA a) Auslegung nach dem Recht des Anwenderstaates/Zwei Voraussetzungen Art. 3 Abs. 2 OECD-MA bestimmt: „Bei der Anwendung des Abkommens durch einen Vertragsstaat hat, wenn der Zusammenhang nichts anderes erfordert, jeder im Abkommen nicht definierte Ausdruck die Bedeutung, die ihm im Anwendungszeitraum nach dem Recht dieses Staates über die Steuern zukommt, für die das Abkommen gilt.“ Man kann (und muss) den etwas schwerfälligen Art. 3 Abs. 2 OECD-MA so verstehen, dass bei Anwendung des Abkommens durch einen Vertragsstaat jeder im Abkommen nicht definierte Ausdruck im Ausgangspunkt grundsätzlich die Bedeutung hat, die ihm nach dem (vorrangigen Steuer-)Recht des Anwenderstaates zukommt51. Dagegen soll der sog. abkommensautonomen Auslegung nur dann, wenn man so will ausnahmsweise, der Vorrang gebühren, „wenn“ der Zusammenhang, in den der nicht oder unvollkommen definierte Ausdruck gestellt ist, etwas anderes erfordert52. Aber wann ist das der Fall53? 51 In diesem Sinne jüngst auch FG Hamburg v. 15.9.2016 – 2 K 223/13, EFG 2017, 47. 52 Ausnahmen nur „wenn …“. A.A. möglicherweise Gosch, ISR 2013, 87 ff.: Das Landesrecht sei „allenfalls auslegungskomplementär, eher auslegungssekundär, jedenfalls nicht auslegungsprimär“. Siehe auch BFH v. 27.10.2011 – I R 26/11, BStBl. II 2012, 457, FR 2012, 738: „Vorausgesetzt wird  … die Existenz eines Unternehmens, wobei der Begriff des Unternehmens selbst im DBA-Spanien nicht näher definiert wird. …. Soweit das FG aus der fehlenden abkommensrechtlichen Definition indes schließt, es sei für die Auslegung auf die nach dem deutschen innerstaatlichen Recht maßgebliche Zuordnung zu den Tatbestandsmerkmalen des § 15 Abs. 2 EStG 1997 abzustellen, pflichtet der Senat dem nicht bei. Was als Unternehmen anzusehen ist, muss vielmehr (zunächst) unter Berücksichtigung des Wortlauts und des Zwecks des Art. 5 DBA-Spanien sowie seines systematischen Zusammenhangs mit anderen Abkommensbestimmungen ermittelt werden“. Diese Ausführungen könnten dazu verleiten, missverständlich überinterpretiert zu werden. Das wäre unzutreffend. Denn im Streitfall ging es um Einkünfte aus Land und Forstwirtschaft aus in Spanien belegenen Plantagen und darum, ob diese einer spanischen Betriebsstätte zuzuordnen waren. Das verneinte der BFH zutreffend. Denn abkommensrechtlich fiel die Land und Forstwirtschaft unter den vorrangigen Art. 6 (nicht Art. 7) DBA Spanien und konnte damit keine Betriebsstätte begründen. Die Entscheidung mag zwar auf der Auslegung abkommensystematischer Zusammenhänge beruhen, besagt aber nicht allgemein, dass das, was ein Anwenderstaat als „Unternehmen“ ansieht bzw. anzusehen hat, sich stets nur aus dem Abkommenszusammenhang ergäbe, sich also jedenfalls im Inbound-Fall nicht nach dem Recht des Betriebsstättenstaat als Anwenderstaat richte. 53 Der Grat zwischen einer Auslegung unbestimmter DBA-Begriffe nach dem Recht des Anwenderstaates einerseits und einer abkommensautonomen Auslegung andererseits erscheint schmal, wie das Urteil des FG München v. 3.6.2016 – 1 K 848/13 mit Anm. Hagemann in IStR 2017, 581ff., zum Begriff der „festen Einrichtung“ unter dem DBA-Belgien

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Die Auslegung nach dem Recht des Anwenderstaates hat jedenfalls zwei Voraussetzungen: (a) der Begriff darf im Abkommen nicht definiert sein und (b) der Zusammenhang der Vorschriften des Abkommens darf nichts anderes erfordern. b) Fehlende bzw. unvollkommene Definition Der in Art.  7 OECD-MA verwendete Begriff „Unternehmensgewinn“ ist in seine Wortteile „Unternehmen“ und „Gewinn“ zu zerlegen. Beide Wortteile sind für sich auszulegen54. Nach Art. 3 Abs. 1 Buchstabe c OECD-MA (ab 2000) „bezieht sich der Ausdruck ‚Unternehmen‘ auf die Ausübung einer Geschäftstätigkeit“. Insoweit enthält das OECDMA zwar eine (Art) Definition des Begriffs „Unternehmen“. Diese ist nach Wassermeyer jedoch „nichtssagend und oberflächlich“55, überdies ein Pleonasmus: denn in Art. 7 OECD-MA wird die Tätigkeit des Unternehmens als „Geschäftstätigkeit“ bezeichnet56. Damit verlagert sich das Problem auf die Auslegung des Begriffs „Geschäftstätigkeit“, ein Begriff, der im Abkommen wiederum keine Konkretisierung findet. Über Art. 3 Abs. 1 Buchstabe c OECD-MA hinaus bestehen für den Unternehmensbegriff keine abkommensrechtlich klar abgrenzbaren Konturen57. Zu der Auslegung des Begriffs „Unternehmen“ besteht nach wie vor Meinungsstreit, wenn auch zwischenzeitlich Einvernehmen darüber besteht, dass gewerblich geprägte, also bloß zeigt: Mangels „umfassender“ Definition des Begriffs „feste Einrichtung“ im DBA Belgien verweist das FG zwar zunächst auf die Auslegung nach dem Recht Deutschlands als Anwender- und Ansässigkeitsstaat eines Anwaltes, der ein verlustträchtiges Büro in Belgien unterhielt, aber sodann auch auf die dafür erforderliche, weitere Voraussetzung „wenn der Zusammenhang nichts anderes erfordert“; das wiederum sei erneut durch Auslegung zu ermitteln. Da der Begriff „feste Einrichtung“, so das FG, „in rechtssystematisch relevanter Weise Einfluss auf die Verteilungsnormen des Art. 14 und 7 DBA-Belgien“ nehme und geeignet sei, „diesen Bestimmungen, je nach Auslegung, ihre Wirkung zu nehmen“, gelangt das FG zu der Auffassung, „dass für den Begriff der ‚festen Einrichtung‘ eine abkommensautonome Auslegung zu wählen“ sei. 54 Hierzu Wassermeyer, Über Unternehmensgewinne i.S.d. Art. 7 OECD-MA in IStR 2010, 37 mit einem Beispiel zu einer gewerblich tätigen Personengesellschaft mit nur einer deutschen Geschäftsleitungsbetriebsstätte und zwei an ihr zu jeweils 50 % beteiligten natürlichen Personen (X und Y), von denen X nur in dem ausländischen DBA-Staat A und Y sowohl in Deutschland als auch in dem DBA-Staat A unbeschränkt steuerpflichtig sind; Letzterer im Staat A auch mit seinen Mittelpunkt der Lebensinteressen. Wassermeyer untersucht, ob sich die abkommensrechtliche Behandlung von Zinsen für ein Darlehen der Personengesellschaft an eine in einem DBA-Staat B ansässige Person in Deutschland nach Art. 7 oder nach Art. 11 bzw. Art. 21 Abs. 1 OECD-MA richtet und – aus der Sicht der Mitunternehmer – das Besteuerungsrecht für die Zinsen Deutschland oder dem DBA-Staat A zusteht. Ein mögliches Quellenbesteuerungsrecht des Staates B beurteile sich einerseits nach dem zwischen den Staaten A und B und andererseits nach dem zwischen Deutschland und dem Staat B abgeschlossenen DBA. 55 Vgl. Wassermeyer, IStR 2010, 37. 56 Dürrschmitt in Vogel/Lehner, DBA, 5. Aufl. (2015), Art. 3 OECD-MA Rz. 40. 57 Vgl. Wassermeyer, DBA, 2013, Art. 7 OECD-MA Rz. 14 bis 16, mit Verweis auf Hemmelrath in Vogel/Lehner, 5. Aufl., Art. 7 OECD-MA Rz. 30.

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fiktiv gewerbliche Personengesellschaften i.S.v. § 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG, kein Unternehmen betreiben. Insoweit wurde das Kriegsbeil begraben58. Der Wortteil „Gewinn“ hat zwei Perspektiven59. Zum einen geht es um die Höhe des Gewinns. Diese Frage berührt die Technik der Gewinnermittlung (Bilanzierung/ Überschussrechnung), nicht abziehbare Betriebsausgaben, Steuerbefreiungen, Bewertungsfragen, Gewinnkorrekturen, AfA-Sätze u.a.m. Insoweit besteht Einvernehmen darüber, dass jeder Anwenderstaat den Gewinn nach seinem eigenen innerstaatlichen Recht ermittelt. Zum anderen berührt der Gewinnbegriff auch die Vorfrage, ob für von einer Personengesellschaft erzielte Beteiligungseinkünfte Art. 7 oder Art. 10 und Art. 13 bzw. Art. 21 Abs. 1 OECD-MA gilt, d.h. ob auf solche Einkünfte abkommensrechtlich die Rechtsfolge der einen oder der anderen Vorschriften anzuwenden ist. Diese Frage betrifft eher den Gewinnbegriff dem Grunde nach. Gerade hierzu bestehen erhebliche Meinungsunterschiede. 2. Auffassungen im Schrifttum Zwei Meinungen stehen sich gegenüber. Soweit ein DBA eine dem Art. 3 Abs. 1 Buchstabe c OECD-MA entsprechende Definition60 enthalte, gelte ausschließlich eine abkommensautonome Auslegung des Begriffs „Unternehmen“, was immer damit im Einzelfall gemeint ist. Eine solche Auslegung könne zur Folge haben, dass bestimmte Einkünfte nach deutschem Recht zwar gewerbliche Einkünfte sein mögen, besser wohl als solche nur gelten, und deshalb abkommensrechtlich keine Unternehmensgewinne sind61 (unten a). Nach der Gegenauffassung62 ist der Begriff Unternehmensgewinn ungeachtet einer dem Art.  3 Abs.  1 Buchstabe  c OECD-MA entsprechenden (Teil-)Definition nach dem Recht des Anwenderstaates auszulegen63 (unten b).

58 Wassermeyer, IStR 2010, 37 ff. (41). 59 Wassermeyer, IStR 2010, 37. 60 OECD-MA: Art. 3 Abs. 1 Buchstabe c: „Im Sinne dieses Abkommens, wenn der Zusammenhang nichts anderes erfordert, …. bezieht sich der Ausdruck „Unternehmen“ auf die Ausübung einer Geschäftstätigkeit“. 61 Z.B. Einkünfte einer gewerblich geprägten Personengesellschaft i.S.v. §  15 Abs.  3 Nr.  2 EStG; Vorwegvergütungen i.S.v. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Halbs. 2 und Nr. 3 Halbs. 2 EStG. 62 Insbes. Wassermeyer, DBA, 2013, Art. 7 OECD-MA Rz. 16 (16a) m.w.N. auch zur Gegenauffassung. 63 Vgl. jüngst auch FG Hamburg v. 15.9.2016 – 2 K 223/13, EFG 2017, 47 zum vermeintlich im DBA Großbritannien nicht definierten Begriff der gewerblichen Tätigkeit, der sich deshalb gem. Art. II Abs. 3 DBA-Großbritannien nach innerstaatlichem Verständnis richte. Dazu aber Leidel, IStR 2017, 348, dort Fn. 5.

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a) Abkommensautonome Auslegung Vertreter der abkommensautonomen Auslegung des Begriffs „Unternehmen“, genauer des Begriffs „Unternehmensgewinn“64, stützen ihre Auffassung wesentlich darauf, dass die von Art. 3 Abs. 2 OECD-MA geforderten beiden Voraussetzungen für einen Rückgriff auf das innerstaatliche Recht nicht vorliegen würden. Art. 3 Abs. 1 Buchstabe c (i.V.m. Buchstabe h) OECD-MA enthalte eine, wenn auch nur rudimentäre65 und wenig konkrete66 Definition des Begriffs Unternehmen; gleichwohl existiere sie67. Damit sei der Rückgriff auf das nationale Recht schon aus rechtlichen Gründen nicht möglich68. Im Ergebnis sei folglich der Begriff „Unternehmen“ aus dem Abkommen selbst heraus auszulegen. Dies ergebe sich aus der Rechtsprechung des BFH. Ditz69 und Kroppen70 verweisen insoweit auf BFH v. 27.10.201171. Ditz zusätzlich auf BFH v. 12.10.201172; Kroppen außerdem auf BFH v. 24.8.201173 und vom 28.4.201074 sowie auf BFH v. 9.12.201075. Allerdings führten  – so etwas beschwichtigend  – im Kernbereich der gewerblichen Einkünfte alle Auffassungen zum gleichen Ergebnis. Nur in den Randbereichen könne es ohnehin zu Unterschieden kommen76. Es erscheint indes fraglich, ob die zitierten BFH-Entscheidungen für den hier untersuchten Inbound-Sachverhalt eine derartige Schlussfolgerung hergeben. Denn die zitierten Entscheidungen waren allesamt durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass im konkreten Streitfall der Zusammenhang etwas anderes erforderte, sprich ein

64 Der sich, sofern in den maßgeblichen Abkommen Art. 14 noch vorhanden ist, nur auf diejenigen Gewinne eines Unternehmens bezieht, die aus einer gewerblichen Tätigkeit stammen; Kroppen (Fn. 48), Art. 7 OECD-MA Rz. 43. 65 Kroppen (Fn. 48), Art. 7 Rz. 46/1. 66 Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA, 2013, Art. 7 OECD-MA Rz. 51. 67 Ditz in Schönfeld/Ditz, DBA, 2013, Art. 7 OECD-MA Rz. 51. 68 Vgl. Kroppen (Fn. 48), Art. 7 OECD-MA Rz. 46/1. 69 Ditz (Fn. 66), Art. 7 OECD-MA Rz. 51. 70 Kroppen (Fn. 48), Art. 7 OECD-MA Rz. 46/1. 71 I R 26/11, BStBl. II 2012, 457, FR 2012, 738 zu DBA Spanien und einer jedoch gewerblich geprägten Personengesellschaft. 72 I R 15/11, BFH/NV 2012, 640: Berechnung der Aufenthaltsdauer nach der 183-Tage-Regelung: Es sind nur solche Tage zu berücksichtigen, an denen sich der Arbeitnehmer tatsächlich im Tätigkeitsstaat aufgehalten hat. 73 I R 46/10, FR 2012, 39 m. Anm. Elser/Bindl, BStBl. II 2014, 764, BFH/NV 2011, 2165: Vermeintlich originär gewerbliche UK LP/Deutsche Gesellschafter/Beteiligung mit auch Ausführungen zu abkommensrechtlichen Behandlung einer gewerblich geprägten Gesellschaft i.S.v. § 15 Abs. 3 Nr. 2 Satz 1 EStG 1997. 74 I R 81/09, zu einer gewerblich geprägten US-Partnership mit inländischen Gesellschaftern und Zinseinkünften aus Anlage von Mieteinnahmen sowie der Aussage: „Insoweit fordert vielmehr der in Art. 3 Abs. 2 DBA-USA 1989 a.F. genannte abkommensspezifische „Zusammenhang“ eine vom nationalen Recht losgelöste Einordnung“. 75 I R 49/09, BStBl. II 2011, 482, FR 2011, 683 zu einer gewerblich geprägte UK Personengesellschaft mit Zinseinkünften und deutschen Gesellschaftern. 76 Vgl. Kroppen (Fn. 48), Art. 7 Rz. 46/1a.E.

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Abweichen von der an sich vorrangigen Auslegung nach dem vom Recht des Anwenderstaates. b) Auslegung nach dem Recht des jeweiligen Anwenderstaates Wenn indes der Zusammenhang, in den der nicht oder unvollkommen definierte Ausdruck gestellt ist, nichts anderes erfordert, ist der Rückgriff auf das innerstaatliche Recht eröffnet und auch geboten. Das ist nach der hier vertretenen Auffassung dann der Fall, wenn Deutschland in einem DBA-Inbound-Fall den Umfang der beschränkt steuerpflichtigen Unternehmensgewinne einer inländischen originär gewerblichen Personengesellschaft bestimmen muss, die auch Beteiligungseinkünfte erzielt. Es muss deshalb zunächst gefragt werden, ob die Kapitalgesellschaftsbeteiligungen nach innerstaatlichem Recht zum auch steuerrechtlich relevanten inländischem Betriebsvermögen der originär gewerblichen Personengesellschaft gehören. Hat eine gewerblich tätige Personengesellschaft nur inländische oder gar nur eine inländische (Geschäftsleitungs-)Betriebsstätte, sind die Beteiligungen zivilrechtlich (Gesamthands-)Eigentum der Gesellschaft, wurde der Erwerb der Beteiligungen aus Mitteln des Personengesellschaftsvermögens finanziert und dienen die Beteiligungen der gemeinsamen Einkünfteerzielung aller Gesellschafter, gehören die Beteiligungen auch zum steuerrechtlich relevanten inländischen Betriebsvermögen der Personengesellschaft. Es fällt schwer, sich anderes überhaupt vorzustellen. Es müsste sich schon um einen extremen Missbrauchsfall handeln. Der Erwerb von Kapitalgesellschaftsanteilen durch eine originär gewerblich tätige Personengesellschaft ist jedoch weder ungewöhnlich noch unüblich, jedenfalls nicht rechtsmissbräuchlich, ebenso wenig wie eine zinstragende Anlage freier Liquidität des Gesellschaftsvermögens. Davon geht ersichtlich auch § 20 Abs. 8 EStG aus. Es bliebe damit allein die Frage, ob und warum der Abkommenszusammenhang für diesen Fall einer inländischen, originär gewerblichen Personengesellschaft, die aus rechtlich nur ihr gehörenden Vermögen auch Beteiligungseinkünfte oder auch Zinsen erzielt, etwas anderes erfordern sollte, obwohl alle Einkünfte der Gesellschaft jedenfalls auch vom Tatbestand der gewerblichen Einkünfte erfasst sind. Warum sollte ein DBA in einem solchen Fall eine anderweitige, i.d.R dann ja auch nur teilweise Zurechnung von Vermögen der Gesellschaft zu nur einem oder auch einigen ausländischen Gesellschaftern verlangen – und auch das ja nur für die Dauer deren Auslandsansässigkeit. Warum sollte ein DBA derartiges fordern?

IV. Einheitliche und unterschiedliche Auslegung Eine andere von der Bestimmung des Umfangs der in Deutschland auch abkommensrechtlich beschränkt steuerpflichtigen Unternehmensgewinne durch Deutschland als Betriebsstättenstaat zu unterscheidende Frage ist jene danach, ob auch der ausländische Ansässigkeitssaat des Gesellschafters bei dessen Besteuerung für Zwecke des Me-

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thodenartikels – wie Deutschland als Betriebsstättenstaat – ebenfalls von Unternehmensgewinnen ausgeht bzw. auszugehen hat. 1. Korrespondierende Auslegung durch beide Anwenderstaaten? In BFH v. 25.5.201177 zu einem Outbound-Fall wurde über die Anrechnung bzw. Freistellung von Einkünften gestritten, die von einer ungarischen KG als Besitzgesellschaft im Rahmen einer Betriebsaufspaltung in Ungarn erzielt wurden und die einem in Deutschland ansässigen Gesellschafter zuzurechnen waren. Den Ausführungen in Rz. 23 des Urteils ist zu entnehmen, dass die Parteien u.a. die Frage kontrovers diskutierten, ob „ein korrespondierendes Verständnis geboten ist“, soweit ein im DBA-Methodenartikel vereinbarter Aktivitätsvorbehalt zu einem Rückfall des Besteuerungsrechtes für an sich freigestellte ungarische (gewerbliche) Einkünfte an Deutschland führt. Der BFH musste im Streitfall über diese Frage nicht entscheiden. Die Anmerkung in Rz. 23 des Urteils belegt aber, dass die Frage der korrespondierenden Behandlung entsprechender Einkünfte durch den (im Urteilsfall ungarischen) Betriebsstättenstaat und den (im Urteilsfall deutschen) Ansässigkeitsstatt offenbar streitig und nicht geklärt ist. Die Frage danach, ob die beiden Anwenderstaaten eines DBA die jeweils maßgeblichen, im DBA nicht oder nur unvollkommen definierten Begriffe stets einheitlich auslegen müssen, hat erhebliche Bedeutung. Vieles mag für eine einheitliche Auslegung der relevanten DBA-Begriffe durch beide Vertragsstaaten sprechen. Das führt aber zwingend auch zu einer Anschlussfrage: Wie wollte man eine einheitliche Auslegung sicherstellen, nicht nur dann, wenn eine Auslegung nach innerstaatlichem Recht der jeweiligen Anwenderstaaten möglich ist, sondern auch dann, wenn einer abkommensautonomen Auslegung der Vorrang gebühren sollte? 2. Unterschiedliche Auslegung durch beide Anwenderstaaten Einige vom BFH entschiedene Streitfälle belegen, dass eine korrespondierende Auslegung durch beide Vertragsstaaten jedenfalls nicht zwingend ist. −− So geht der BFH in Outbound-Fällen, also dann, wenn Deutschland Ansässigkeitsstaat ist, für Zwecke des Methodenartikels zwar von Einkünften i.S.d. spezielleren Verteilungsnormen aus, z.B. Dividenden i.S.d. Art. 10 OECD-MA, für die Deutschland keine Freistellung, sondern nur die Anrechnung gewähren muss, −− nimmt dabei aber keinen Anstoß daran, dass der andere (Personengesellschafts-) Betriebsstätten-Staat für denselben Sachverhalt seiner Besteuerung abkommensrechtlich Unternehmensgewinne i.S.v. Art. 7 OECD-MA zugrunde legt78.

77 I R 95/10, dort Rz. 23. 78 Siehe die Urteile in Fn. 17, dort insbesondere v. 19.12.2007 – I R 66/06, zu DBA-Niederlande.

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In diesem Zusammenhang ist vor allem auf den BFH-Beschluss vom 19.12.2007 hinzuweisen, der auch heute noch große Beachtung findet. Es ging um eine unstreitig gewerbliche niederländische Personengesellschaft, an der eine deutsche GmbH als Mitunternehmerin beteiligt war. Die deutsche GmbH übertrug zuvor ihr gehörende Anteile an Kapitalgesellschaften auch in Drittstaaten auf die niederländische Personengesellschaft. In den Niederlanden wurden die Beteiligungen offensichtlich als Betriebsvermögen der niederländischen Personengesellschaft behandelt. Dividenden aus diesen Beteiligungen wurden als Unternehmensgewinne der niederländischen Besteuerung zugrunde gelegt (beschränkte Steuerpflicht der deutschen GmbH in den Niederlanden), waren aber gerade deshalb (schon) in den Niederlanden aufgrund eines dortigen innerstaatlichen Schachtelprivilegs steuerbefreit. Gerade diese, wenn man so will zwingende „steuerliche Erfassung“ der Dividenden als niederländische (wenn auch schachtel-privilegierte) Unternehmensgewinne auch nach Maßgabe des deutsch/niederländischen DBA war sogar Voraussetzung dafür, dass die GmbH in ihren Steuererklärungen für deutsche Besteuerungszwecke eine Freistellung nach Maßgabe des Methodenartikels im DBA Deutschland/Niederlande überhaupt reklamieren durfte – wenn auch ohne Erfolg. Denn ungeachtet der Tatsache, dass die Dividenden in den Niederlanden nach dortigem Recht als Unternehmensgewinne auch i.S.d. des damals geltenden DBA behandelt wurden, versagte bekanntermaßen der BFH für deutsche Besteuerungszwecke die begehrte Freistellung entsprechender Dividenden als Unternehmensgewinne im Sinne des DBA Niederlande. Vielmehr bejahte der BFH für die Dividenden jedenfalls aus Drittstaaten ein deutsches Besteuerungsrecht, was Deutschland für Zwecke des Methodenartikels allenfalls zur Anrechnung einer etwaigen (tatsächlich aber wohl nicht gezahlten) ausländischen Steuer verpflichtete. Über einen vergleichbaren Fall muss der BFH in dem anhängigen Revisionsverfahren I R 10/15 befinden. Die Vorinstanz, das FG Münster79, versagte – wie der BFH im Urt. v. 19.12.2007 – die von einer deutschen KG (im Rahmen des Feststellungsverfahrens) begehrte Freistellung für Dividenden als niederländische Unternehmensgewinne für deutsche Besteuerungszwecke. Die KG war über eine organschaftlich verbundene Tochter-GmbH mittelbar Gesellschafterin einer auch gewerblichen niederländischen Personengesellschaft, einer C.V. Die C.V. erhielt die der KG zugerechneten Dividenden aus zivilrechtlich ihr gehörenden Anteilen an einer niederländischen Tochterkapitalgesellschaft, einer BV. Die Anteile an dieser BV, die ihrerseits verschiedene Beteiligungen an Vertriebsgesellschaften in mehreren europäischen und außereuropäischen Staaten hielt, hatte die C.V. erlangt, indem zuvor die deutsche Organtochter-GmbH die BV-Beteiligung in das Vermögen der C.V. gegen Gewährung von Gesellschaftsrechten eingebracht hatte. In dem Jahresabschluss der C.V. waren neben dem Ergebnis der eigenen Geschäftstätigkeit der C.V. auch die Dividenden von der BV ausgewiesen. Letztere blieben in den Niederlanden aufgrund eines innerstaatlichen sog. Schachtelprivilegs steuerfrei. 79 FG Münster v. 15.12.2014 – 13 K 624/11 F, ISR 2015, 124 m. Anm. Jochimsen, EFG 2015, 704.

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Beide Entscheidungen betreffen sehr vergleichbare, teils identische Outbound-Sachverhalte, bei denen es für Deutschland als Ansässigkeitsstaat der KG-Gesellschafter letztendlich um die Frage ging bzw. geht, ob für ausländische Einkünfte nach dem Methodenartikel eine Freistellung zu gewähren oder eine (etwaige) ausländische Steuer auf die deutsche Steuer nur anzurechnen ist. Der in diesen Fällen ausländische Betriebsstättenstaat einerseits und Deutschland als Ansässigkeitsstaat können insoweit jeweils andere Auffassungen vertreten. Lüdicke verwies schon vor fast 20 Jahren darauf, dass andere Staaten bei im Gesamthandsvermögen anfallenden Erträgen eine andere Sicht als Deutschland haben können80. So ist auch Wassermeyer in seiner Kommentierung aus Oktober 2013 zu Art. 7 OECD-MA zu verstehen: „Innerhalb eines Unternehmens oder einer Betriebsstätte können andersartige Einkünfte (z.B. Dividenden, Lizenzgebühren, Zinsen oder Einkünfte aus unbeweglichem Vermögen) erzielt werden. In diesem Fall stellt sich die Frage, ob die andersartigen Einkünfte abkommensrechtlich isoliert anzuknüpfen oder ob sie als Teile des Unternehmensgewinns zu behandeln sind. Die Frage kann sich gleichermaßen aus der Perspektive des Quellenstaates der andersartigen Einkünfte oder aber eines Betriebsstättenstaates oder aber des Ansässigkeitsstaates des die Einkünfte erzielenden Unternehmers (Mitunternehmers) stellen und jeweils unterschiedlich zu beantworten sein. … Wichtig ist, dass die in Art. 10 Abs. 4, Art. 11 Abs. 4 und Art. 12 Abs. 3 genannten Ausnahmen nicht auf die Behandlung im Ansässigkeitsstaat durchschlagen“81. Aus der Sicht des Betriebsstättenstaates als Anwenderstaat mögen also Beteiligungseinkünfte auch abkommensrechtlich zu den Unternehmensgewinnen einer Personengesellschaft in seinem Staat gehören, weil dieser Staat die Voraussetzungen des Betriebsstättenvorbehaltes als erfüllt ansieht. Das aber muss nicht bedeuten, dass auch der Ansässigkeitsstaat für Zwecke des Methodenartikels im Hinblick auf die von der ausländischen Personengesellschaft aus den ihr gehörenden Beteiligungen erzielte Beteiligungseinkünfte ebenfalls von Unternehmensgewinnen auszugehen hat. 3. Unterschiedliche Auslegung durch denselben Staat als Betriebsstättenstaat bzw. Ansässigkeitsstaat Die insoweit, wenn man so will, restriktivere Auslegung des Betriebsstättenvorbehaltes durch den Ansässigkeitsstaat für Zwecke des Methodenartikels erinnert an ein Thema, das unter dem Titel „Betriebsstättenvorbehalt und Ansässigkeitsstaat“ im Zeitraum August 2002 bis August 2011 kontrovers diskutiert wurde82, betrifft jedoch eine andere Konstellation. Dennoch sind Erläuterungen und Abgrenzungen hilfreich. 80 Lüdicke, Jürgen, StbJb. 1997/98, 449 (470). 81 Wassermeyer, DBA, 2013, Art. 7 OECD-MA Rz. 155 (160) sowie Rz. 160 (161). 82 Vgl. zu diesem Streit M. Lang in Kirchhof/K. Schmidt/Schön/Vogel, Steuer- und Gesellschaftsrecht zwischen Unternehmerfreiheit und Gemeinwohl, FS für Raupach, 2006, 601 ff.; Wassermeyer in Achatz/Ehrke-Rabel/Heinrich/Leitner/Taucher, Steuerrecht, Verfassungs-

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a) Spiegelbildliche Freistellung für Zwecke der Anwendung des Methoden­ artikels Nach einer (zu) kurz begründeten Entscheidung des BFH vom 7.8.200283 zum DBA Schweiz wurde darüber gestritten, ob der Betriebsstättenvorbehalt „von vornherein nur im Quellenstaat zum Tragen kommt, während der Ansässigkeitsstaat weiterhin nach Maßgabe einer isolierenden Betrachtungsweise die Existenz von Dividenden anzunehmen hat, was ihn allenfalls zur Steueranrechnung, jedoch nicht zur Einkünftefreistellung zwingt.“84 Gemeint ist hiermit nicht, wie der Quellen-, besser der Betriebsstättenstaat, den Umfang der Unternehmensgewinne bestimmt (mit oder ohne Beteiligungseinkünfte), die in diesem Staat als solche im Rahmen der dortigen beschränkten Steuerpflicht als Unternehmensgewinne besteuert werden können. Das bestimmt der Quellenstaat/ Betriebsstättenstaat, freilich unter Beachtung eines einschlägigen DBA, nach seinen Regeln bzw. seinem Recht85. Vielmehr ist mit der zitierten Aussage „nur“ gemeint, dass der Ansässigkeitsstaat selbst zwar einerseits von Unternehmensgewinnen im Sinne der hierfür relevanten Verteilungsnorm (Art. 7 OECD-MA) und insoweit auch von einer tatsächlichen Zugehörigkeit bspw. von Kapitalgesellschaftsanteilen zu einer ausländischen (Personengesellschafts-)Betriebsstätte ausgeht, derselbe Ansässigkeitsstaat aber gleichwohl für Zwecke der Anwendung des Methodenartikels Dividenden annimmt, für die er, der Ansässigkeitsstaat, anders als für die von ihm selbst zunächst konzedierten Unternehmensgewinne, nur die Anrechnung gewährt. Eben dieser Widerspruch wurde der zunächst von Wassermeyer, später auch von anderen prominenten Autoren vertretenen Auffassung entgegengehalten. Es gehe nicht an, dass der Ansässigkeitsstaat unter Berücksichtigung des Betriebsstättenvorbehaltes in der Rückfallklausel für Dividenden (Art. 10 Abs. 4 OECD-MA) Unternehmensgewinne annehme und hierdurch die Dividendenbesteuerung im Ansässigkeitsstaat, sozusagen im ersten Schritt ausschließe, um sie sodann, in einem zweiten Schritt, über den Methodenartikel wieder zu restituieren86.

recht, Europarecht, FS für Ruppe, 2007, 681 (686 f.); Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, Art. 7 OECD-MA Rz. 160 ff.; derselbe in Lüdicke, Besteuerungspraxis bei grenzüberschreitender Tätigkeit, 2003, 207  ff.; s. auch Gosch in Gocke/Gosch/Lang, Körperschaftsteuer, Internationales Steuerrecht, Doppelbesteuerung, FS für F. Wassermeyer, 2005, 262 (276 ff.); Kluge, daselbst, 663, jeweils m.w.N. 83 BFH v. 7.8.2002 – I R 10/01, FR 2003, 151 m. Anm. Kempermann; BStBl. 2002, 848 (DBA Schweiz). 84 So der I. BFH-Senat in seinem späteren Urteil vom 19.12.2007 – I R 66/06, BStBl. II 2008, 510 (DBA Niederlande) zu einer niederländischen Holding-Personengesellschaft, GmbHR 2008, 447, FR 2008, 724 m. Anm. Lohmann/Rengier. 85 So auch Jürgen Lüdicke (Fn. 80), 460 f. (480). 86 Vgl. BFH v. 24.8.2011 – I R 46/10, FR 2012, 39 m. Anm. Elser/Bindl, unter Hinweis auf die einschlägige Literatur.

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Den BFH haben diese Bedenken überzeugt. Im Urteil vom 24.8.201187 stellte er klar: „Ausschlaggebend ist, dass die betreffenden Betriebsstätteneinkünfte aufgrund des Betriebsstättenvorbehalts in Art. 10 Abs. 4 i.V.m. Art. 7 Abs. 1 OECD-MA im Quellenstaat in ihrer Gesamtheit besteuert werden können88, was wiederum „spiegelbildlich“ die Freistellung der betreffenden Einkünfte im Ansässigkeitsstaat nach Maßgabe von Art. 23A Abs. 1 OECD-MustAbk auslöst.“ Für ein und denselben Sachverhalt kann derselbe Staat (hier der Ansässigkeitsstaat) im Hinblick auf bestimmte Einkünfte (hier Dividenden) nicht zugleich Unternehmensgewinne einerseits und Dividenden andererseits annehmen. Nur dies und nicht mehr ist mit „spiegelbildlich“ gemeint: „Wer hü sagt, muss auch hott sagen“. b) Jedoch keine Freistellung bei gekünstelter Gestaltung Die hier vertretene Auffassung betrifft eine andere Konstellation. Es geht auch nicht um widersprüchliches Verhalten desselben Staates für ein und denselben Sachverhalt. Vielmehr stellt sich folgende Frage: Kann ein Vertragsstaat, der in einem Outbound-Fall als Anwenderstaat „Ansässigkeitsstaat“ ist, für Zwecke der Anwendung des Methodenartikels (Freistellung oder Anrechnung) sozusagen „strengere“ Anforderungen an eine tatsächliche Zugehörigkeit von Anteilen zu einem ausländischen Betriebsvermögen aufstellen89 als er in einem Inbound-Fall, also dann, wenn er als (evt. Quellen- und zugleich) Betriebsstättenstaat, nicht als Ansässigkeitsstaat, den Umfang des beschränkt steuerpflichtigen Unternehmensgewinnes eines im anderen DBA-Staat ansässigen Steuerpflichtigen bestimmen muss. Yes – we can! Auch die Ausführungen in Ziff. 6 des OECD-Kommentars zu Art. 21 Abs. 2 OECD-MA sprechen für solche strengeren Anforderungen an eine Zugehörigkeit von Vermögenswerten zu einer Betriebsstätte zugunsten des Ansässigkeitsstaates, soweit es für Zwecke der Anwendung des Methodenartikels um die Steuerfreistellung geht. Diese Kommentierung richtet sich nur an den Ansässigkeitsstaat, nicht an den Betriebsstättenstaat. Manche Staaten, so heißt es dort, die als Ansässigkeitsstaat bei Anwendung des Methodenartikels (Art. 23A OECD-MA) zur Freistellung von Unternehmensgewinnen verpflichtet werden, „könnten befürchten, dass Unternehmen eines Vertragsstaats durch die in (Art 21.) Abs.  2 (OECD-MA) vorgesehene Behandlung veranlasst werden, Vermögenswerte wie z.B. Aktien, Obligationen oder Patente auf eine im anderen Vertragsstaat gelegene Betriebsstätte zu übertragen, um dort steuerlich günstiger behandelt zu werden90. Um solche als missbräuchlich anzusehenden Gestaltungsmöglichkeiten zu vereiteln, werden einige Staaten den Standpunkt vertreten, dass es sich dabei um ein Scheingeschäft handelt und deshalb die Vermögenswerte als nicht zur Betriebsstätte gehörend ansehen. Andere Staaten werden gegebenenfalls ihre Stel87 BFH v. 24.8.2011 – I R 46/10, FR 2012, 39 m. Anm. Elser/Bindl. 88 Aber bei möglicher anderer Auslegung durch den Betriebsstättenstaat nicht müssen. 89 Und insoweit an die Annahme von Unternehmensgewinnen, für die dieser Staat die Freistellung, nicht nur eine Steueranrechnung, zu gewähren hat. 90 So ersichtlich der Sachverhalt, über den der BFH im Beschluss vom 19.12.2007 zu urteilen hatte.

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Thomas Töben lung durch Aufnahme einer Bestimmung verbessern, wonach (Art. 21) Abs. 2 (OECD-MA) nicht gilt, wenn die erwähnten Gestaltungsmöglichkeiten in erster Linie dazu verwendet wurden, die Vorteile dieser Bestimmung zu nutzen91.“

Die dieser Kommentierung zugrunde liegenden Überlegungen bzw. Befürchtungen können auch auf die anderen speziellen DBA-Verteilungsnormen übertragen werden. Sie belegen Zweierlei: Das Abkommensrecht erkennt die Dispositionsfreiheit eines Unternehmens und damit dessen Entscheidung zur Zuordnung auch von Kapitalgesellschaftsanteilen zu dieser oder jener Betriebsstätte grundsätzlich an92. Auch und insbesondere stellt er ein umfassendes Besteuerungsrecht des Betriebsstättenstaates für Unternehmensgewinne einschließlich von Beteiligungseinkünften nicht in Frage (ausgenommen das rein zufällige nebeneinander von Betriebsstätteneinkünften einerseits und Beteiligungseinkünften andererseits, die von derselben steuerpflichtigen Person erzielt werden). Erst recht wird das gelten, wenn es um rechtlich selbständige Personengesellschaften mit zivilrechtlich eigenem Vermögen, Einkünften daraus und deren Betriebsstätten geht. Vorsorge, z.B. bloße Anrechnung statt einer weitereichenden Freistellung, ist nur für gekünstelte Gestaltungen zugunsten jenes Staates geboten, den die Folgen einer solchen „Gestaltung“ schmerzlich treffen93. Für missbräuchliche Gestaltungen, die der Kommentar in Ziff.  6 zu Art.  21 OECD-MA an dieser Stelle ebenfalls erwähnt (s. oben), dürften die Vertragsstaaten andere Register zum Schutz ihres Steueraufkommens ziehen können. Das mag es rechtfertigen, dass der Ansässigkeitsstaat den nur für ihn geltenden Methodenartikel, soweit dieser auf Unternehmensgewinne (die auch Beteiligungseinkünfte umfassen können) mit einer für diesen Staat sehr einschneidenden Konsequenz (nämlich der Nichtbesteuerung durch Freistellung) Bezug nimmt, auch unter dem Gesichtspunkt gekünstelter Gestaltungen auslegen kann. So gesehen ist er ­berechtigt, „für Zwecke der Anwendung des Methodenartikels“ den Begriff „Unter91 So Kommentar Ziff. 6 zu Art 21 OECD-MA- Allein der buchmäßige Ausweis einer Beteiligung in der Bilanz einer Betriebsstätte im anderen Staat mit dem Ziel eine Freistellung von Einkünften aus dieser Beteiligung im Ansässigkeitsstaat zu erreichen, genügt jedenfalls für Zwecke des Methodenartikels (Freistellung) nicht. In der englischen Kommentierung heißt es an dieser Stelle seit dem 22.7.2010 daher auch ergänzend: „Also, the requirement that a right or property be ‚effectively connected‘ with such a location requires more than merely recording the right or property in the books of the permanent establishment for accounting purposes“. 92 OECD-Kommentar 2008, Ziff.  10 zu Art 7; dazu Hemmelrath in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Art. 7 OECD-MA Rz. 43; Wassermeyer, OECD-MA, Art. 7 Rz. 4 (2) (Okt 2013). 93 In diesem Sinne offensichtlich auch Gosch in GKG, DBA, Art. 13 OECD-MA Rz. 83 (22. EL 2009): „Problematisch sind im Ergebnis allein willkürliche oder vorgeschobene Gestaltungen“ unter Hinweis auf das BFH-Urt. v. 29.11.2000 (2. Rechtsgang), I R 84/99, sowie das BFHUrt. v. 20.8.1996 (1. Rechtsgang), I R 112/94, FR 1996, 151, in welchem der BFH für Lizenzrechte einer Schweizer Personengesellschaft ausführt, es sei als „Indiz gegen die tatsächliche Zugehörigkeit eines Vermögenswertes zu einer (ausländischen) Betriebsstätte“ zu werten, „wenn die aus seiner Nutzung erzielten Einkünfte in gleicher Weise hätten vom Inland aus erzielt werden können“.

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nehmensgewinn“ bzw. den Betriebsstättenvorbehalt in den Rückfallklauseln der spezielleren Verteilungsnormen restriktiver zu deuten, als derselbe Staat den Betriebsstättenvorbehalt im umgekehrten Fall bestimmen bzw. auslegen kann und muss, nämlich dann, wenn er nicht Ansässigkeitsstaat, sondern Betriebsstättenstaat ist. Denn die DBA haben neben dem Ziel der Vermeidung einer Mehrfachbesteuerung – vorbehaltlich des Verbots einer sog. virtuellen Doppelbesteuerung – auch den Zweck, das nach innerstaatlichem Recht gegebene Besteuerungsrecht zu sichern, wie an dem begrenzten Quellenbesteuerungsrecht vor allem für Dividenden auch deutlich wird94. Aus diesem Grund haben auch die Betriebsstättenvorbehalte „lediglich“ den Zweck, Dividenden – und auch Anteilsveräußerungsgewinne – dann dem Unternehmensgewinn-Artikel zu unterwerfen, wenn die zugrunde liegenden Beteiligungen entweder Teile des Betriebsvermögens einer Betriebsstätte sind oder auf andere Weise tatsächlich zu dieser gehören. Das entscheidet sich aus der Sicht des Betriebsstättenstaates als DBA-Anwenderstaat mangels konkreter Definitionen der Begriffe „Unternehmensgewinn“ und „Betriebsvermögen“ in den DBA, wenn man so will zunächst vorrangig, nach dem innerstaatlichen Recht dieses Betriebsstättenstaates95. Denn dieser Staat hat sozusagen das Recht des ersten Steuerzugriffs, während der Ansässigkeitsstaat „nur“ auf die Vermeidung der Doppelbesteuerung durch entweder Anrechnung oder Freistellung verwiesen wird. Zugunsten einer hier befürworteten unterschiedlichen Auslegung durch denselben Anwenderstaat im Inbound-Fall einerseits und im Outbound-Fall andererseits spricht auch, dass durch eine solche Auslegung keine Doppelbesteuerung droht, die Doppelbesteuerungsabkommen zu vermeiden suchen. Vielmehr kann dadurch „gekünstelten“ Gestaltungen entgegengewirkt werden. Gestaltungen die nicht nur wegen einer dem Unternehmer belassenen Dispositionsfreiheit, sondern vor allem auch zivil- und steuerrechtlich in beiden Staaten anerkannt werden, gerade im deutschen Recht. Insbesondere in Zeiten von BEPS folgt eine solche Auslegung auch vorauseilendem Gehorsam und ist insoweit zumindest „zeitgemäß“. Jedenfalls lässt die Rechtsprechung zu Personengesellschaften mit DBA-Bezug eine derartige unterschiedliche, besser differenzierende Auslegung zu, wenn nicht sogar die bisherige Rechtsprechung zur Auslegung der Betriebsstättenvorbehalte bereits in dieser Weise zu verstehen ist. c) Restriktive Auslegung des Betriebsstättenvorbehaltes im Outbound-Fall nicht widersprüchlich Einer derart unterschiedlichen Auslegung kann auch nicht entgegengehalten werden, derselbe Anwenderstaat würde sich widersprüchlich verhalten, weil er in dem einen Fall den Begriff „Unternehmensgewinn“ bzw. „Betriebsvermögen“ weiter und im anderen Fall enger und insofern anders auslege. Gerade das ist nicht der Fall. 94 Vgl. auch Tischbirek/Lobeck, in Vogel/Lehner, DBA, 6. Aufl. 2015, Vor Art. 6-10 OECD-MA Rz. 3. 95 Siehe oben im Text III. m.w.N.

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Denn die Anwendung des Betriebsstättenvorbehaltes auf der Rechtsfolgenseite verlangt im Tatbestand eine Konkurrenzsituation zwischen Art. 7 OECD-MA einerseits und den anderen DBA-Verteilungsnormen (hier Art. 10, 21 und 13 OECD-MA) andererseits. Nur wenn aus der Sicht des jeweiligen Anwenderstaates – auch – abkommensrechtliche Unternehmensgewinne überhaupt vorliegen, ist hinsichtlich der Rechtsfolgen zu entscheiden, ob die spezielleren Verteilungsnormen für Dividenden und Anteilsveräußerungsgewinnen vorrangig anzuwenden sind oder, weil die Voraussetzungen des Betriebsstättenvorbehaltes vorliegen, über die Rückfallklausel in den spezielleren Verteilungsnormen eben doch – als Regelfall – der Unternehmensgewinnartikel, dann spiegelbildlich eben auch mit Wirkung für den Methodenartikel. In beiden Fällen, dem Inbound-Fall und dem Outbound-Fall, in dem jeweils Deutschland Anwenderstaat ist, legt Deutschland die Begriffe „Unternehmensgewinn“ und „Betriebsvermögen“ gleich aus, verhält sich also nicht widersprüchlich.

V. Bestimmung beschränkt steuerpflichtiger Unternehmensgewinne nach innerstaatlichem Recht Bereits dem BFH-Urteil vom 29.7.199296, das zwar keine (inländische) Personengesellschaft, sondern „nur“ die inländische Zweigniederlassung einer japanischen Kapitalgesellschaft betraf, mag man entnehmen, dass jedenfalls finanzielle, von der Zweig­ niederlassung auch nicht benötigte Mittel, mit denen Zinserträge erwirtschaftet werden, auch in einem DBA-Fall97 für inländische Besteuerungszwecke (beschränkte Steuerpflicht der ausländischen Kapitalgesellschaft bezüglich des Vermögens der inländischen Zweigniederlassung) jedenfalls dann und so lange auch abkommensrechtlich Betriebsvermögen einer inländischen Zweigniederlassung sein können, wie die zinstragenden Finanzmittel nicht an das ausländische Stammhaus, im Streitfall die japanische Kapitalgesellschaft als Stammhaus, transferiert werden98. Nimmt man diese, zugegebenermaßen schon recht alte Entscheidung ernst, gehören von der Betriebsstätte (Zweigniederlassung) erwirtschafte, finanzielle Mittel aus der Sicht des Betriebsstättenstaates zu deren Betriebsvermögen. Korrespondierend gehören dann auch die mit diesem Vermögen verdienten Zinsen auch abkommensrechtlich zu den beschränkt steuerpflichtigen Unternehmensgewinnen. Erwirbt eine originär gewerbliche Personengesellschaft mit finanziellen Mittel ihres eigenen Vermögens Kapitalgesellschaftsanteile, die der gemeinsamen Erzielung von Einnahmen zugunsten aller Gesellschafter dienen, wird für diese Beteiligungen und für die erzielten Dividenden und Anteilsveräußerungsgewinne nichts anderes gelten können. 96 BFH v. 29.7.1992 – II R 39/89, GmbHR 1993, 61. 97 Im Streitfall ging es um das DBA Japan und die Vermögensteuer. 98 Das Abstellen auf einen solchen bloßen Transfer zeigt, dass es auf die „Betriebsnotwendigkeit“ bzw. „tatsächlich funktionale Zugehörigkeit“ der – noch nicht – transferierten Mittel in einem solchen Inbound-Fall offenbar nicht ankommt.

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Beteiligungseinkünfte als abkommensrechtliche Unternehmensgewinne im Inbound-Fall

Die auch abkommensrechtliche Zugehörigkeit von Kapitalgesellschaftsbeteiligungen, die zum Gesamthandsvermögen einer auch originär gewerblich tätigen, inländischen Personengesellschaft gehören und die der gemeinsamen Einkünfteerzielung zugunsten aller Gesellschafter dienen, zum inländischen Personalgesellschaftsbetriebsvermögen folgt auch abkommensrechtlich dem innerstaatlichen deutschen Recht, insoweit in Übereinstimmung mit den Betriebsstättenvorbehalten und dem Gesetzesbefehl in § 20 Abs. 8 EStG. Findet indes § 20 Abs. 8 EStG deshalb keine Anwendung, weil es sich bei der Personengesellschaft um eine nur gewerblich infizierte Gesellschaft i.S.v. § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG handelt, kann – und wird – hingegen eine andere Sichtweise geboten sein99. In diesen Fällen sind die „passiven“ Beteiligungseinkünfte (Dividenden/Anteilsveräußerungsgewinne) abkommensrechtlich von jenen  – zumeist  – geringen gewerblichen Einkünften zu separieren und nach dem DBA als das zu besteuern, was sie sind: nämlich Dividenden i.S.v. Art.  10, 21 OECD-MA bzw. Anteilsveräußerungsgewinne (Art. 13, 21 OECD-MA). Die bloße Infizierung solcher Dividenden und Anteilsveräußerungsgewinne mit der Folge deren Behandlung als bloß fiktiv gewerbliche Einkünfte nach innerstaatlichem Recht gilt für das Abkommensrecht nicht. Ebenso wie die Fiktion einer nur gewerblichen Prägung (§ 15 Abs. 3 Nr. 2 EStG) und auch die Fiktion gewerblicher Einkünfte in § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 Halbs. 2 und Nr. 3 Halbs. 2 EStG nicht auf das Abkommensrecht durchschlägt, kann auch durch die bloße Fiktion gewerblicher Einkünfte in § 15 Abs. 3 Nr. 1 EStG die abkommensrechtliche Rechtsfolge nicht außer Kraft gesetzt, ja konterkariert werden, welche die Vertragsstaaten für Einkünfte einvernehmlich ausgehandelt haben, die der Sache nach Dividenden und Anteilsveräußerungsgewinne sind.

99 Vgl. Wacker in Schmidt, 36. Aufl. 2017, § 15 EStG Rz. 173.

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Die Beteiligung an ausländischen Zwischengesellschaften als Problem einer systematischen Hinzurechnungsbesteuerung Inhaltsübersicht

I. Widmung

II. Die Grundvoraussetzungen der ­Hinzurechnungsbesteuerung III. Grundprobleme der Beteiligung eines Steuerinländers an einer ausländischen Zwischengesellschaft 1. Beteiligung am Ende des Wirtschaftsjahres der ausländischen Gesellschaft 2. Beteiligung einer ausländischen Obergesellschaft gemäß § 14 AStG an einer ausländischen Untergesellschaft 3. Tatbestandsvoraussetzungen einer ­ausländischen Gesellschaft i.S. des § 7 Abs. 1 AStG





4. Die Hinzurechnung bei ausländischen Nicht-Kapitalgesellschaften 5. Hinzurechnungsbesteuerung und ­außerbetriebliche Sphäre einer ausländischen Kapitalgesellschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse 6. Unterschiedliche Arten von Rechts­ beziehungen zu einer ausländischen Gesellschaft

IV. Sonderproblem: Beteiligung einer ausländischen Gesellschaft an einem inoder ausländischen Investmentfonds V. Schlusswort

I. Widmung Dieser Beitrag ist Georg Crezelius aus Anlass seines 70. Geburtstages gewidmet. Mit dem Geburtstagskind verbindet den Verfasser eine freundschaftliche und auf dem Interesse am Steuerrecht aufbauende Beziehung. Wir traten noch vor einigen Jahren auf diversen Fortbildungsveranstaltungen gemeinsam als Vortragende auf. Wir hatten oft einen vertrauensvollen Gedankenaustausch. Mag das Geburtstagskind noch viele Jahre bei guter Gesundheit erleben. Das Thema dieses Beitrages ist bewusst einem Randgebiet des Steuerrechts entnommen. Es sollte im Zusammenhang mit der EU-Anti-Tax-Avoidance-Direktive (ATAD)1 gesehen werden, die aus deutscher Sicht die Frage aufwirft, welcher Änderungsbedarf im Rahmen der §§ 7 – 14 AStG besteht2. Die ATAD muss bis zum 31.12.2018 in innerstaatliches Recht umgesetzt werden. Dies sollte Anlass sein, über die Schwierigkeiten nachzudenken, die entstehen, wenn gesetzliche Regelungen Sachverhalte erfassen, die eigentlich unter die Vorschriften nicht passen.

1 Richtlinie 2016/1164 des Rates der EU v. 12.7.2016, ABl.EU L 193/1. 2 Vgl. Linn, IStR 2016, 645; Oppel, IStR 2016, 797; Schnitger/Nitschke/Gebhardt, IStR 2016, 960; Schönfeld, IStR 2017, 721.

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II. Die Grundvoraussetzungen der Hinzurechnungsbesteuerung § 7 Abs. 1 AStG definiert die ausländische Gesellschaft als Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse, die weder Geschäftsleitung noch Sitz im Geltungsbereich des AStG hat und die nicht gemäß § 3 Abs. 1 KStG von der Körperschaft­steuer ausgenommen ist. Die Einkünfte einer solchen ausländischen Gesellschaft unterliegen nur dann und auch nur insoweit der Hinzurechnungsbesteuerung, als sie sich als niedrig besteuerte Zwischeneinkünfte darstellen und unbeschränkt Steuerpflichtige an der ausländischen Gesellschaft – ggf. zusammen mit Personen i.S. des § 2 AStG − zu mehr als der Hälfte beteiligt sind. Erzielt die ausländische Gesellschaft niedrig besteuerte Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter i.S. des § 7 Abs. 6a AStG, so löst schon die Beteiligung eines unbeschränkt Steuerpflichtigen von mindestens 1 Prozent die anteilige Hinzurechnungsbesteuerung aus (§ 7 Abs. 6 Satz 1 AStG). Unter den Voraussetzungen des § 7 Abs. 6 Satz 3 AStG zieht sogar die Beteiligung eines unbeschränkt Steuerpflichtigen von weniger als 1 Prozent die anteilige Hinzurechnung der Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter nach sich. Wann eine Beteiligung unbeschränkt Steuerpflichtiger zu mehr als der Hälfte anzunehmen ist, regelt §  7 Abs. 2 AStG. Die Vorschrift stellt alternativ auf mehr als 50 Prozent der Anteile oder der Stimmrechte ab. Von der Beteiligung zu mehr als der Hälfte ist die Rechtsfolge der Hinzurechnungsbesteuerung zu unterscheiden. Die Rechtsfolge der Hinzurechnungsbesteuerung ist in § 7 Abs. 1 AStG geregelt. Der Höhe nach orientiert sie sich an der dem unbeschränkt Steuerpflichtigen zuzurechnenden Beteiligung am Nennkapital der ausländischen Gesellschaft. Ist für die Verteilung des Gewinns der ausländischen Gesellschaft nicht die Beteiligung am Nennkapital maßgebend oder hat die Gesellschaft kein Nennkapital, so bemisst sich die Höhe der Hinzurechnung nach dem Maßstab für die Gewinnverteilung. Die Hinzurechnungsbesteuerung ist in § 10 Abs. 2 AStG als Quasi-Dividende ausgestaltet.

III. Grundprobleme der Beteiligung eines Steuerinländers an einer ­ausländischen Zwischengesellschaft 1. Beteiligung am Ende des Wirtschaftsjahres der ausländischen Gesellschaft Nach dem Grundtatbestand des § 7 Abs. 1 AStG greift die Hinzurechnungsbesteuerung dann ein, wenn Steuerinländer einschließlich Personen i.S. des § 2 AStG an einer ausländischen Zwischengesellschaft zu mehr als der Hälfte beteiligt sind. Nach § 7 Abs. 2 AStG kommt es auf die Beteiligung am Ende des Wirtschaftsjahres an. Dies ist insoweit nachvollziehbar, als die Hinzurechnungsbesteuerung auf dem Gedanken einer fiktiven Gewinnausschüttung aufbaut. In der Regel werden Gewinne einer Körperschaft an die Personen ausgeschüttet, die am Ende des maßgebenden Geschäftsjahres an der Körperschaft beteiligt sind. Auch würde jede andere Handhabung bedeuten, dass die Zwischeneinkünfte bezogen auf die Dauer der Beteiligung jedes einzelnen Steuerinländers innerhalb eines Wirtschaftsjahres zu ermitteln wären. Dies würde erhebliche Einkünfteermittlungsprobleme auslösen. Die Regelung hat aber auch ihre Nachteile. Die an einer ausländischen Zwischengesellschaft beteiligten 810

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Steuerinländer müssen untereinander nicht verbunden sein. Dies hat zur Folge, dass sich z.B. der Anteilserwerb durch einen Steuerinländer kurz vor Ende des Wirtschaftsjahres der ausländischen Zwischengesellschaft zum Nachteil anderer Steuerinländer auswirken kann, die erst durch die Übertragung der Beteiligung mehrheitlich beteiligt werden und von dem Anteilserwerb durch den weiteren Steuerinländer keinerlei Kenntnis haben müssen. Natürlich gibt es auch den umgekehrten Fall, dass ein Steuerinländer kurz vor Ende eines Wirtschaftsjahres seine Beteiligung an einer ausländischen Zwischengesellschaft auf einen Steuerausländer überträgt und damit die Beteiligung von Steuerinländern „zu mehr als der Hälfte“ an der konkreten ausländischen Gesellschaft entfällt. Man muss ferner an die Möglichkeit denken, dass eine Zwischengesellschaft kurz vor dem Ende eines Wirtschaftsjahres ihre Geschäftsleitung ins Inland verlegt. Damit wird aus einer ausländischen Zwischengesellschaft eine unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaft, was die Hinzurechnungsbesteuerung auch für den Teil des Wirtschaftsjahres ausschließt, in dem die Körperschaft noch nicht unbeschränkt steuerpflichtig war. Vor diesem Hintergrund muss die in Art. 7 Abs. 1 Buchst. a ATAD vorgesehene Regelung bedacht werden. Danach soll die Hinzurechnungsbesteuerung nur dann greifen, wenn der Steuerpflichtige selbst oder zusammen mit seinen verbundenen Unternehmen unmittelbar oder mittelbar mehr als 50 % der Stimmrechte, des Nennkapitals oder der Gewinnansprüche besitzt. Art. 3 ATAD stellt klar, dass die Richtlinie nur Mindestvoraussetzungen aufstellt. Die Mitgliedstaaten sind also nicht gehindert, in ihrem innerstaatlichen Recht weitergehende Hinzurechnungen zu schaffen. Dies schließt jedoch nicht aus, dass sich der deutsche Gesetzgeber stärker an Art. 7 Abs. 1 Buchst. a ATAD orientiert. Sehr deutlich wird das Problem, wenn man sich vorstellt, dass ein Steuerinländer eine Mini-Beteiligung an einer ausländischen aktiven Kapitalgesellschaft hält. Das entsprechende Halten einer entsprechenden Beteiligung schließt nicht aus, dass der aktiven Obergesellschaft  – ggf. auf mehreren Stufen – eine ausschließlich passive und niedrig besteuerte ausländische Untergesellschaft nachgeschaltet ist. Der beteiligte Steuerinländer muss von der Existenz der nachgeschalteten passiven Untergesellschaft keine Kenntnis haben. Die Existenz der Untergesellschaft muss sich auf den Wert der Anteile an der Obergesellschaft nicht auswirken. Dennoch ist der Steuerinländer der Gefahr einer Hinzurechnungsbesteuerung ausgesetzt. Streng genommen ist jeder Erwerb von Anteilen an einer ausländischen Kapitalgesellschaft mit dem Risiko verbunden, dass der ausländischen Kapitalgesellschaft unmittelbar oder mittelbar eine andere ausländischen Kapitalgesellschaft nachgeschaltet ist, die ausschließlich niedrig besteuerte Zwischen­ einkünfte mit Kapitalanlagecharakter erzielt. Geht man davon aus, dass dies eine Hinzurechnungsbesteuerung gemäß § 14 AStG i.V. mit § 7 Abs. 6 AStG auslöst, so darf ein Steuerinländer das damit verbundene Risiko gar nicht eingehen. Das insoweit geltende deutsche Recht behindert den Erwerb von Anteilen an ausländischen Kapitalgesellschaften, was die Frage nach der Verletzung der Kapitalverkehrsfreiheit aufwirft. 2. Beteiligung einer ausländischen Obergesellschaft gemäß § 14 AStG an ­einer ausländischen Untergesellschaft Nach § 14 Abs. 1 AStG setzt die in der Vorschrift geregelte Zurechnung von Zwischen­ einkünften die Beteiligung einer ausländischen (Ober-)Gesellschaft allein oder zu811

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sammen mit unbeschränkt Steuerpflichtigen gemäß § 7 AStG an einer anderen ausländischen Gesellschaft voraus (Untergesellschaft). Unstreitig müssen an der Obergesellschaft die Beteiligungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 AStG erfüllt sein. An ihr müssen deshalb unbeschränkt Steuerpflichtige − ggf. zusammen mit Personen im Sinne des § 2 AStG − zu mehr als der Hälfte beteiligt sein. Stellt man sich vor, dass an einer ausländischen Obergesellschaft Steuerinländer zu 51 % beteiligt sind und dass die Obergesellschaft die Beteiligung an einer Untergesellschaft ebenfalls in Höhe von 51 % hält, so sind die Steuerinländer an der Untergesellschaft mittelbar nur zu 26,01 %, d.h. zu weniger als der Hälfte beteiligt. Dennoch ist die Obergesellschaft mehrheitlich an der Untergesellschaft beteiligt. Außerdem besteht an der Obergesellschaft eine Beteiligung von Steuerinländern i.S. des § 7 Abs. 2 AStG. Letztlich geht in dem gebildeten Sachverhalt die Frage dahin, ob § 14 AStG tatsächlich die Beteiligung der Obergesellschaft zu mehr als der Hälfte ausreichen lässt oder ob auf der Grundlage einer teleologisch reduzierten Auslegung zusätzlich auf eine zumindest mittelbare Beteiligung von Steuerinländern − ggf. zusammen mit Personen im Sinne des § 2 AStG – zu mehr als der Hälfte abzustellen ist. Im Schrifttum wird letztere Auffassung unter Hinweis auf Art. 3 GG vertreten3. Die Finanzverwaltung hat sich dieser Auffassung angeschlossen4. Der Gesetzgeber hat es dennoch innerhalb der letzten 45 Jahre unterlassen, § 14 AStG bezüglich dieser Rechtsfrage klarer zu formulieren. Das Problem wird noch deutlicher, wenn man über die Zurechnung von Zwischen­ einkünften mit Kapitalanlagecharakter gemäß § 14 Abs. 1 AStG i.V. mit § 7 Abs. 6 AStG nachdenkt. Bekanntlich hat der Gesetzgeber mit dem StÄndG 19925 § 10 Abs. 6 AStG eingeführt. Durch die Vorschrift wurde die Anwendung des § 10 Abs. 5 AStG a.F. ausgeschlossen, wenn eine ausländische Gesellschaft Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter erzielte. Gleichzeitig erhielt die Hinzurechnung von Zwischen­ einkünften mit Kapitalanlagecharakter in § 7 Abs. 6 AStG eine Sonderregelung. Die Mindestbeteiligungsquote von Steuerinländern an einer ausländischen Zwischengesellschaft wurde auf 10 % für den Fall abgesenkt, dass die ausländische Gesellschaft Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter erzielte. Unter dieser Voraussetzung sollten zumindest die niedrig besteuerten Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter der Hinzurechnungsbesteuerung unterliegen. Durch das UntStFG6 wurde die Beteiligungsquote in § 7 Abs. 6 AStG auf 1 % abgesenkt. Auf die Beteiligungsquote sollte es nicht ankommen, wenn die ausländische Gesellschaft ausschließlich oder fast ausschließlich Bruttoerträge erzielt, denen Zwischeneinkünften mit Kapitalanlage­ charakter zugrunde liegen. Durch das StVergAbG7 wurde § 10 Abs. 5 bis 7 AStG aufgehoben. Der Wortlaut des § 14 AStG blieb von den angesprochenen Gesetzesänderungen unberührt. Dies wirft die Frage auf, ob § 7 Abs. 6 AStG innerhalb des § 14 3 Vgl. Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld (Hrsg.), §  14 AStG Rz.  45; ­Geurts in Fuhrmann (Hrsg.), 3. Aufl., §  14 AStG Rz.  36; Hauswirth in Strunk/Kaminski/ Köhler (Hrsg.), § 14 AStG Rz. 21. 4 Vgl. BMF, Schreiben v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 - 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1, Rz. 14.0.1 Satz 1. 5 StÄndG 1992 v. 25.2.1992, BGBl. I 1992, 297, BStBl. I 1992, 146. 6 UntStFG v. 20.12.2001, BGBl. I 2001, 3858, BStBl. I 2002, 35. 7 StVergAbG v. 16.5.2003, BGBl. I 2003, 660, BStBl. I 2003, 321.

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AStG entsprechende Anwendung findet. Dafür spricht der Grundgedanke des § 14 AStG, wonach die Hinzurechnungsbesteuerung auch Zwischeneinkünfte nachgeschalteter ausländischer Gesellschaft erfassen soll. Bedenken gegen eine entsprechende Anwendung ergeben sich aber aus dem gebotenen Schutz der Kapitalverkehrsfreiheit. Wer Aktien einer aktiven ausländischen Kapitalgesellschaft hält, wird häufig keine Kenntnis darüber haben, ob der ausländischen Kapitalgesellschaft ggf. auf einer Stufe 5 oder 6 eine weitere Kapitalgesellschaft nachgeschaltet ist, die ausschließlich niedrig besteuerte Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter erzielt. Der im Inland ansässige Aktionär muss auch von der Existenz der nachgeschalteten Zwischengesellschaft mit Kapitalanlagecharakter keinen unmittelbaren Vorteil haben. Vor diesem Hintergrund kommt der Formulierung des § 14 AStG große Bedeutung zu, der in seiner bis heute geltenden Fassung die „Beteiligung einer ausländischen Gesellschaft gemäß §  7 AStG an einer anderen ausländischen Gesellschaft (Untergesellschaft)“ voraussetzt. Die Beteiligung gemäß § 7 AStG wird jedoch in § 7 Abs. 2 AStG als eine solche zu mehr als der Hälfte definiert, wobei es vorrangig um Anteile und Stimmrechte geht. Die Beteiligung zu mehr als der Hälfte drückt eine Beherrschung der ausländischen Gesellschaft durch Steuerinländer aus, wobei die Anteile und Stimmrechte der Steuerinländer addiert werden. Die mittelbare Mini-Beteiligung eines Steuerinländers an einer nachgeschalteten ausländischen Zwischengesellschaft setzt jedoch keine Beherrschung voraus. § 14 Abs. 1 AStG verlangt als Tatbestandsvoraussetzung „die Beteiligung einer ausländischen Gesellschaft allein oder zusammen mit unbeschränkt Steuerpflichtigen gemäß § 7 AStG“. Die Beteiligung gemäß § 7 AStG wird an sich nur in dessen Abs. 2 als eine solche „zu mehr als der Hälfte“ definiert. Zwar erweitert § 7 Abs. 6 AStG die Hinzurechnungsbesteuerung bezogen auf Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter. Die Vorschrift ändert jedoch den Begriff der Beteiligung gemäß § 7 AStG nicht. Dies spricht dafür, dass § 7 Abs. 6 AStG innerhalb des § 14 Abs. 1 AStG keine Anwendung findet, auch wenn dies zu entsprechenden Umgehungsgestaltungen einlädt. Es besteht die Gefahr, dass ausländische Gesellschaften, die Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter erzielen sollen, nur noch als Untergesellschaften organisiert werden. Das entsprechende Rechtsproblem muss auch unter Rechtsfolgegesichtspunkten gesehen werden. §  14 Abs.  1 AStG sieht nämlich die Zurechnung sämtlicher niedrig besteuerter Einkünfte der Untergesellschaft vor, soweit nicht nachgewiesen wird, dass die Untergesellschaft diese Einkünfte aus unter § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 7 AStG fallenden Tätigkeiten oder Gegenständen erzielt hat oder es sich um Einkünfte im Sinne des § 8 Abs. 1 Nr. 8 bis 10 AStG handelt oder dass diese Einkünfte aus Tätigkeiten stammen, die einer unter § 8 Abs. 1 Nr. 1 bis 6 AStG fallenden Tätigkeit der ausländischen Gesellschaft dienen. Nach § 7 Abs. 6 AStG werden dagegen nur die Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter hinzugerechnet. § 14 Abs. 1 AStG differenziert rechtsfolgemäßig nicht zwischen Einkünften, Einkünften aus passivem Erwerb und Einkünften mit Kapitalanlagecharakter. Anders ausgedrückt sieht § 14 Abs. 1 AStG nicht die bloße Zurechnung von Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter vor, was dem Wesen des § 7 Abs. 6 AStG entsprechen würde. Dies spricht zwingend dafür, dass es für Zwischeneinkünfte aus Kapitalanlagecharakter, die eine Untergesellschaft erzielt, an einer gesonderten Zurechnungsfolge fehlt, was auf einem Fehler des Gesetzgebers 813

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beruhen mag. Die in § 14 Abs. 1 AStG sehr weit gefasste Rechtsfolge der Zurechnung ist ohnehin wenig folgerichtig, weil der Hinzurechnung nur Einkünfte aus passivem Erwerb unterliegen. § 14 Abs. 1 AStG ermöglicht die Prüfung des passiven Erwerbs schon auf der Ebene der ausländischen Untergesellschaft für Zwecke der Zurechnung. Wird der Nachweis auf dieser Ebene nicht erbracht, muss das für die ausländische Obergesellschaft zuständige Finanzamt die Prüfung auf dieser Ebene für Zwecke der Hinzurechnung noch einmal wiederholen. Dies macht keinen Sinn, selbst wenn der Gesetzgeber auch insoweit seit 1972 untätig geblieben ist. Dies schließt nicht aus, dass dann, wenn Steuerinländer i.S. des § 7 Abs. 2 AStG mittelbar an einer nachgeschalteten Zwischengesellschaft zu mehr als der Hälfte beteiligt sind, auch deren Zwischen­ einkünfte mit Kapitalanlagecharakter zugerechnet werden. Vor diesem Hintergrund ist die von der Finanzverwaltung in Rz. 14.0.4 des BMF-Schreibens vom 14.5.20048 vertretene Rechtsauffassung nicht haltbar9, selbst wenn im Schrifttum auch eine andere Auffassung vertreten wird10. In diesem Zusammenhang muss noch einmal auf die Möglichkeit hingewiesen werden, dass ein Steuerinländer Aktien an einer aktiven ausländischen Kapitalge­sellschaft hält, der ggf. auf einer Vielzahl von Stufen eine weitere ausländische Kapitalgesellschaft nachgeschaltet ist, die ihrerseits ausschließlich niedrig besteuerte Zwischeneinkünfte mit Kapitalanlagecharakter erzielt. Der Steuerinländer muss von der Existenz dieser nachgeschalteten Kapitalgesellschaft keine Kenntnis haben. Er muss aus der Existenz der nachgeschalteten Kapitalgesellschaft keine wirtschaftlichen Vorteile erzielen. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob das AStG den Steuerinländer der Gefahr einer Hinzurechnungsbesteuerung von Zwischeneinkünften mit Kapitalanlagecharakter aussetzen will und soll. 3. Tatbestandsvoraussetzungen einer ausländischen Gesellschaft i.S. des § 7 Abs. 1 AStG Es wurde bereits darauf hingewiesen, dass § 7 Abs. 1 AStG die ausländische Gesellschaft als Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse definiert, die weder Geschäftsleitung noch Sitz im Geltungsbereich des AStG hat und die nicht gemäß § 3 Abs. 1 KStG von der Körperschaftsteuer ausgenommen ist. Die Hinzurechnung orientiert sich als Rechtsfolge im Grundsatz an der Beteiligung des Steuerinländers am Nennkapital und ersatzweise gemäß § 7 Abs. 6 AStG an dem Maßstab der Gewinnverteilung. Das wirft die Frage auf, ob alle ausländischen Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen die Eignung haben, eine Hinzurechnungsbesteuerung auszulösen, bzw. wann eine Beteiligung am Nennkapital der ausländischen Gesellschaft besteht und ggf. was unter einem Maßstab für die Gewinn 8 BMF, Schreiben v. 14.5.2004 – IV B 4 - S 1340 - 11/04, BStBl. I 2004, Sondernummer 1. 9 Wie hier: Protzen in Kraft (Hrsg.), § 14 AStG Rz. 59 ff.; Uterhark in Haase (Hrsg.), 3. Aufl., § 14 AStG Rz. 39. 10 Geurts in Fuhrmann (Hrsg.), 3. Aufl., § 14 AStG Rz. 37 ff.; Vogt in Blümich (Hrsg.), Anhang § 14 AStG Rz. 7; Hauswirth in Strunk/Kaminski/Köhler (Hrsg.), § 14 AStG Rz. 31 ff.; Franz/ Abele in Haun/Kahle/Goebel/Reiser (Hrsg.), § 14 AStG Rz. 30 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, 2. Aufl., Rz. 10.318; Köhler, IStR 1994, 105; Gundel, IStR 1993, 49, 56.

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verteilung zu verstehen ist. Dies berührt auch das Grundverhältnis zwischen §§ 7 – 14 und § 15 AStG, weil die in § 15 Abs. 1 AStG erwähnte Familienstiftung im Grundsatz eine Vermögensmasse i.S. des KStG ist. Möglicherweise kommt auch dem § 20 Abs. 1 Nr. 9 EStG eine Bedeutung zu. Dabei ist zu bedenken, dass die „ausländische Gesellschaft“ regelmäßig ausländischem Recht unterliegt. Deshalb müssen die angesprochenen Rechtsfragen unter dem Gesichtspunkt eines Typenvergleichs beurteilt werden11, was die Möglichkeit einschließt, dass im Verhältnis zu bestimmten Staaten die Rechtsfolgen unterschiedliche sind. 4. Die Hinzurechnung bei ausländischen Nicht-Kapitalgesellschaften Wenn §  7 Abs.  1 AStG davon ausgeht, dass die ausländische Gesellschaft Körperschaft, Personenvereinigung oder Vermögensmasse i.S.  des KStG sein muss, dann spricht dies dafür, dass alle ausländischen Körperschaften, Personenvereinigungen und Vermögensmassen jedenfalls nach der Vorstellung des Gesetzgebers die Eignung haben, ausländische Gesellschaft i.S. der Vorschrift zu sein. Es gibt aber insbesondere Vermögensmassen, die über kein Nennkapital verfügen und auch keine Gewinne ausschütten. Auch gibt es Personenvereinigungen (z.B. Vereine), die zwar Einkünfte ­erzielen, dieselben aber nicht zu Ausschüttungszwecken verwenden. Dies wirft die Frage auf, ob es ausländische Körperschaften, Personenvereinigungen oder Vermögensmassen gibt, die schon auf Grund ihrer Struktur aus dem Kreis der potentiellen ausländischen Gesellschaften ausscheiden. Dazu folgt aus § 1 Abs. 1 Nr. 4 und 5 KStG, dass juristische Personen rechtsfähig oder auch nicht rechtsfähig sein können12. Die juristische Person kann nach Zivilrecht oder nach öffentlichem Recht errichtet worden sein. Sie kann ihre Rechtsfähigkeit, soweit eine solche besteht, aus dem Zivilrecht oder aus dem öffentlichen Recht ableiten. Insoweit ergeben sich aus der Sicht der §§  7  ff. AStG keine Ansatzpunkte für Differenzierungen. Allerdings folgt aus §  10 Abs. 2 Satz 1 AStG, dass die Hinzurechnungsbesteuerung auf dem Gedanken einer fiktiven Gewinnausschüttung aufbaut. In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass Leistender von (verdeckten) Ausschüttungen auch Nicht-Kapitalgesellschaften, d.h. Personenvereinigungen oder Vermögensmassen sein können13. Insoweit ist die Erwähnung von Personenvereinigungen und Vermögensmassen in §  7 Abs.  1 AStG noch folgerichtig. Einschränkend gilt dies aber nur, wenn zu der Personenvereinigung oder Vermögensmasse Rechtsbeziehungen auf mitgliedschaftlicher oder mitgliedschaftsähnlicher Grundlage bestehen. Insoweit können vor allem Genossenschaften (vgl. § 1 Abs. 1 Nr. 2 KStG), ein VVaG (§ 1 Abs. 1 Nr. 3 KStG) und Vereine (§  1 Abs.  1 Nr.  4 KStG) Ausschüttungen tätigen. Dies spricht dafür, ausländischen 11 RFH v. 12.2.1930 – VI A 899/27, RFHE 27, 73, 77 ff.; BFH v. 23.6.1992 – IX R 182/87, BFHE 168, 285, BStBl. II 1992, 972, DB 1992, 2067, GmbHR 1993, 184; v. 4.4.2007– I R 110/05, BFHE 217, 535, BStBl. II 2007, 521, DB 2007, 1388, FR 2007, 923, GmbHR 2007, 717; v. 20. 8. 2008 – I R 34/08, BFHE 222, 521, BStBl. II 2009, 263, 266, DB 2008, 2457, FR 2009, 299 (Leitsatz). 12 Vgl. BFH v. 23.6.1992 – IX R 182/87, BFHE 168, 285, BStBl. II 1992, 972, DB 1992, 2067, GmbHR 1993, 184. 13 BFH v. 9.8.1989 – I R 4/84, BFHE 158, 510, BStBl. II 1990, 237, DB 1990, 766, FR 1990, 254.

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Genossenschaften, VVaG und Vereinen die Eignung zuzusprechen, eine Hinzurechnung i.S. der §§ 7 ff. AStG auslösen zu können. Stiftungen, Anstalten und Vermögensmassen vermitteln jedoch keine mitgliedschaftliche oder mitgliedschaftsähnliche Beziehungen, es sei denn, dass sich etwas anderes aus dem maßgebenden ausländischen Recht ergibt. Insoweit stellt sich die Frage, ob die entsprechende Einschränkung eine Hinzurechnungsbesteuerung ausschließt. Dagegen spricht die Tatsache, dass die Definition der ausländischen Gesellschaft in § 7 Abs. 1 AStG keine Einschränkung enthält. Dafür spricht die Existenz des § 15 AStG. Der Gesetzgeber geht offensichtlich davon aus, dass ausländische Familienstiftungen die Rechtsfolge der §§ 7 ff. AStG in der Regel nicht auslösen, weshalb es der Spezialregelung in § 15 AStG bedarf. Dafür spricht auch, dass sich die Rechtsfolge der Hinzurechnungsbesteuerung an der Beteiligung am Nennkapital und hilfsweise an dem Maßstab für die Gewinnverteilung orientiert. Bei Stiftungen, Anstalten und Vermögensmassen gibt es in der Regel keine Beteiligung an einem Nennkapital und auch keine Gewinnverteilung. Dies schließt die Annahme von Bezügen i.S. des § 15 AStG nicht aus. Letztlich stellt sich auch die Frage, ob nicht der Begriff der ausländischen Gesellschaft die Gewährung von Mitwirkungsrechten in einer Mitgliederversammlung sowie die Begründung von Gewinn­ ansprüchen und die Teilnahme an einem Liquidationserlös voraussetzt. Die Abgrenzung zwischen Bezügen i.S. des § 15 AStG und Gewinnausschüttungen i.S. der §§ 7 ff. AStG ist allerdings bis heute durch die Rechtsprechung ungeklärt. 5. Hinzurechnungsbesteuerung und außerbetriebliche Sphäre ­einer ­ausländischen Kapitalgesellschaft, Personenvereinigung oder ­Vermögensmasse Sowohl für ausländische Kapitalgesellschaften als auch z.B. für ausländische Vereine gilt der Grundsatz, dass sie über eine außerbetriebliche Sphäre verfügen können14. Zwar schließt die Existenz einer außerbetrieblichen Sphäre die Hinzurechnung dem Grunde nach nicht aus. Auch ein ausländischer Rechtsträger, der über eine außerbetriebliche Sphäre verfügt, kann Gewinne i.S.  des §  20 EStG ausschütten. Die Frage geht allerdings dahin, ob nicht bei der Ermittlung der dem Hinzurechnungsbetrag zugrunde liegenden Einkünfte Vermögensbewegungen, die einer außerbetrieblichen Sphäre zuzuordnen sind, außer Ansatz bleiben müssen. Als Beispiel sei auf den Sachverhalt verwiesen, der dem BFH-Urteil vom 12.6.201315 zugrunde lag. Es ging um ein spanisches Ferienhaus, dass eine spanische Kapitalgesellschaft für ihren in Deutschland ansässigen Gesellschafter hielt, ohne eine Miete zu verlangen. Die Frage geht dahin, ob das Fehlen einer Vermietungsabsicht nicht die Annahme von Einkünften der ausländischen Gesellschaft ausschließt. § 8 Abs. 2 KStG steht dem nicht entgegen. Die Vorschrift ist nur auf die Einkünfteermittlung von unbeschränkt körperschaftsteuerpflichtigen Personen anzuwenden. Auch setzt das Erzielen von Einkünften 14 BFH v. 15.1.2015 – I R 48/13, BFHE 248, 535, BStBl. II 2015, 713, DB 2015, 1019, FR 2015, 854 (Leitsatz); v. 22.8.2007 – I R 32/06, BFHE 218, 523, BStBl. II 2007, 961, FR 2007, 1160, GmbHR 2007, 1275, Der Konzern 2008, 852, DB 2007, 2517. 15 BFH v. 12.6.2013  – I R 109/111, BFHE 241, 549, BStBl.  II 2013, 1024, DB 2013, 2311, ­GmbHR 2013, 1227, FR 2014, 490 (Leitsatz).

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i.S. des § 20 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG durch einen Gesellschafter nicht voraus, dass die  ausschüttende Gesellschaft ihrerseits steuerpflichtige Einkünfte erzielt. §  10 Abs. 3 AStG ordnet die Anwendung der Vorschriften des deutschen Steuerrechts auf die ­Ermittlung der dem Hinzurechnungsbetrag zugrunde liegenden Einkünfte an. Dies schließt die Verweisung auf §§ 8 und 9 EStG und die Berücksichtigung einer außerbetrieblichen Sphäre ein. Es kommt nicht darauf an, ob auch das an sich maßgebliche ausländische Steuerrecht eine solche außerbetriebliche Sphäre berücksichtigt. Allerdings kann im Einzelfall § 49 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. f EStG zu beachten sein, was jedoch nicht zum Einbezug einer außerbetrieblichen Sphäre bei der Gewinnermittlung führt. 6. Unterschiedliche Arten von Rechtsbeziehungen zu einer ausländischen ­Gesellschaft Unter bestimmten Voraussetzungen kann sich die Frage stellen, welche Rechtsbeziehungen zu einer ausländischen Gesellschaft eine Hinzurechnungsbesteuerung ausschließen bzw. wie die damit verbundenen Einnahmen und Aufwendungen im Rahmen der Einkünfteermittlung zu berücksichtigen sind. Das Problem stellt sich insbesondere bei der Bestellung von Nießbrauchsrechten, der Beteiligung als stiller Gesellschafter, der Bestellung von Genussrechten und bei ähnlichen Rechtsbeziehungen zu Gunsten eines Vertragspartners der ausländischen Gesellschaft. Insoweit gilt als Grundsatz, dass immer dann, wenn die Einkünfte dem Vertragspartner der genannten Rechtsbeziehungen originär zuzurechnen sind, dieselben nicht gleichzeitig Zwischeneinkünfte der ausländischen Gesellschaft sein können. Es fehlt an einer mitgliedschaftlichen Strukturierung. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass die ausländische Gesellschaft i.S. des § 7 Abs. 1 AStG eine mitgliedschaftliche Strukturierung voraussetzt. Problematisch kann es sein, wenn die angesprochenen Rechtsbeziehungen zusätzlich eine verdeckte Gewinnausschüttung an einen Gesellschafter enthalten. Dann scheidet die Annahme von Zwischeneinkünfte nur insoweit aus, als das vereinbarte und gezahlte Entgelt dem Fremdvergleich entspricht.

IV. Sonderproblem: Beteiligung einer ausländischen Gesellschaft an ­einem in- oder ausländischen Investmentfonds Man stelle sich vor, dass eine ausländische Gesellschaft i.S. des § 7 Abs. 1 AStG an einem ausländischen oder inländischen Investmentvermögen beteiligt ist. Hier stellt sich die Frage, ob eine entsprechende Beteiligung eine Hinzurechnungsbesteuerung auslösen kann. Bekanntlich hat der Bundestag mit Zustimmung des Bundesrates unter dem Datum vom 19.7.2016 das InvSt­RefG16 beschlossen. Das Gesetz enthält die Besonderheit, dass in seinem Art. 2 einzelne Vorschriften des bis zum 31.12.2017 noch anzuwendenden InvStG geändert werden, während in Art. 1 ein neues und ab dem 1.1.2018 anzuwendendes InvStG verabschiedet wird. Ist eine als Kapitalgesell16 InvStRefG v. 19.7.2016, BGBl. I 2016, 1730.

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schaft einzuordnende ausländische Untergesellschaft an einem Fonds „beteiligt“ oder betreibt sie selbst den Fonds, so stellt sich die grundsätzliche Frage, ob die Untergesellschaft eigene Einkünfte aus dem Fondsvermögen erzielt oder ob die Einkünfte einem neben der Untergesellschaft bestehenden Zweckvermögen zuzurechnen sind, für das sich die Frage stellt, ob es als nachgeschaltete „weitere ausländische Gesellschaft“ i.S. des § 14 Abs. 3 AStG zu behandeln ist. Letztere Auffassung vertritt Vogt17, die die Anwendung des § 14 AStG mit der Begründung ausschließt, dass an einem Zweckvermögen keine Beteiligung besteht. Aus § 7 Abs. 1 AStG folgt allerdings, dass die Beteiligung an einer Vermögensmasse zumindest denkbar ist. Auch muss man bedenken, dass der Bestand einer Beteiligung an einer ausländischen Vermögensmasse nach ausländischem Recht zu beurteilen ist. Ferner zeigt das Beispiel einer REIT-AG, dass ein Fondsvermögen sehr wohl einer Kapitalgesellschaft zuzuordnen sein kann. Nach § 6 Abs. 1 Sätze 1 und 2 InvStG18 gelten allerdings inländische Investmentfonds als Zweckvermögen i.S. des § 1 Abs. 1 Nr. 5 KStG und ausländische Invest­mentfonds als Vermögensmassen i.S. des § 2 KStG. Sind unbeschränkt Steuerpflichtige an einer ausländischen Gesellschaft beteiligt und ist die ausländische Gesellschaft an einer (inoder ausländischen) Gesellschaft i.S. des § 16 REIT-Gesetzes vom 28.5.200719 beteiligt, so werden die Zwischeneinkünfte der REIT-Gesellschaft gemäß § 7 Abs. 8 AStG den unbeschränkt Steuerpflichtigen anteilig hinzugerechnet. Aus der Sicht der §§ 7 ff. AStG stellt sich ab dem 1.1.2018 nur die Frage, ob eine mittelbare Beteiligung der unbeschränkt Steuerpflichtigen an der Vermögensmasse besteht oder ob für die Aufteilung der Einkünfte des Fondsvermögens der Maßstab der Gewinnverteilung i.S. des § 7 Abs. 5 AStG maßgebend ist. § 10 Abs. 3 Satz 1 AStG in der heute geltenden Fassung belegt die Vorstellung des Gesetzgebers, dass eine ausländische Gesellschaft Zwischeneinkünfte aus einem Investmentvermögen erzielen kann, die dann unter Anwendung des InvStG zu ermitteln sind. §  10 Abs.  3 Satz 1 AStG wurde jedoch durch Art. 6 InvStRefG vom 19.7.2016 mit Wirkung ab dem 1.1.2018 neu formuliert. Auch lässt die neue Gesetzesformulierung allenfalls mit Rücksicht auf §  14 Abs.  2 AStG den Rückschluss zu, dass die Einkünfte aus einem Fondsvermögen einer ausländischen Gesellschaft zuzurechnen sein können. Die Anwendung des § 14 Abs. 1 AStG und der Vorschriften des InvStG auf Einkünfte aus einem Fondsvermögen muss man vor dem Hintergrund der §§ 7 Abs. 7 und 10 Abs. 3 Satz 1 AStG beurteilen. § 7 Abs. 7 AStG erklärt die Vorschriften des InvStG mit bestimmten Einschränkungen für vorrangig anwendbar20. § 7 Abs. 7 AStG betrifft allerdings nur die Anwendung des § 7 Abs. 1 bis 6a AStG und nicht die des § 14 AStG. Jedoch gilt gemäß § 14 Abs. 1 Satz 1 AStG u.a. der § 7 AStG auch bezogen auf die Einkünfte der Untergesellschaft. Außerdem finden nach § 10 Abs. 3 Satz 1 AStG die Vorschriften des deutschen Steuerrechts im Rahmen der Hinzurechnungsbesteuerung Anwendung. Daraus leitet die herrschende Meinung in der Literatur mit unterschiedlicher Begründung ab, dass das

17 Vogt in Blümich (Hrsg.), § 14 AStG Rz. 7. 18 Art. 1 Investmentsteuerreformgesetz v. 19.7.2016, BGBl. I 2016, 1730, 1731. 19 REIT-Gesetz v. 28.5.2007, BGBl. I 2007, 914. 20 Vgl. Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld (Hrsg.), § 7 AStG Rz. 225 ff.; Reiche in Haase (Hrsg.), 3. Aufl., § 7 AStG Rz. 45.

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Beteiligung an ausländischen Zwischengesellschaften

InvStG vor § 14 AStG anzuwenden ist21. Richtigerweise finden die Vorschriften des InvStG wegen § 7 Abs. 7 vorrangige Anwendung, wenn Steuerinländer an einem als ausländische Obergesellschaft organisierten ausländischen Fonds zu mehr als der Hälfte beteiligt sind. Dies gilt auch dann, wenn die als Investmentfonds organisierte Obergesellschaft Beteiligungen an nachgeschalteten in- oder ausländischen Untergesellschaften hält bzw. wenn sie in weitere Fonds investiert. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Einkünfte der Obergesellschaft auf Grund eines DBA nicht nach §§ 10, 1, 2 und 4 InvStG besteuert werden können. In diesem Fall greift dem Grunde nach die Hinzurechnungsbesteuerung ein, was jedoch die Einkünfteermittlung nach dem InvStG gemäß § 10 Abs. 3 Satz 1 AStG nicht ausschließt. Ist eine ausländische Obergesellschaft an einer ausländischen Untergesellschaft beteiligt, die ihrerseits ein Investmentvermögen betreibt, so findet §  14 AStG mit der Maßgabe Anwendung, dass die zuzurechnenden Zwischeneinkünfte wegen § 10 Abs. 3 Satz 1 AStG nach den Vorschriften des InvStG zu ermitteln sind. Zu beachten ist allerdings, dass die investmentsteuerrechtliche Zurechnung von Einkünften jeweils auf der 2. Stufe endet. Bei mehr als 2-stufigen Beteiligungen findet das InVStG keine Anwendung. Aus der Sicht des § 7 Abs. 7 stellt sich in diesem Fall die Frage, ob dieser Umstand die Anwendung der Rechtsfolge der Vorschrift ausschließt oder ob es bei der Nichtanwendung des § 7 Abs. 1 bis 6a AStG verbleibt. Soweit man erstere Auffassung vertritt, muss das Investmentvermögen einer weiteren ausländischen Gesellschaft i.S. des § 14 Abs. 3 AStG zuzurechnen sein. Wird der Fonds dagegen von einer Personengesellschaft betrieben, an der die Untergesellschaft beteiligt ist, so findet der Rechtsgedanke des § 7 Abs. 3 AStG Anwendung.

V. Schlusswort Die Ausführungen sollten deutlich gemacht haben, dass der Gesetzgeber Anlass hat, die Hinzurechnungsbesteuerung unter systematischen Gesichtspunkten zu überdenken. Deshalb muss die Hinzurechnungsbesteuerung nicht abgeschafft werden. Es ist jedoch sinnvoll, die Hinzurechnungsbesteuerung auf Sachverhalte zu beschränken, in denen ausländische Körperschaften eingeschaltet werden, um Einkünfte aus passivem Erwerb von der deutschen Besteuerung abzuschirmen. Dieser Funktion der Hinzurechnungsbesteuerung sollte größere Bedeutung beigemessen werden.

21 Vgl. Wassermeyer in Flick/Wassermeyer/Baumhoff/Schönfeld (Hrsg.), §  7 AstG Rz.  231; Geurts in Fuhrmann (Hrsg.), 3. Aufl., § 14 AStG Rz. 43 ff.; Schnitger/Schachinger, BB 2007, 801; Fock, IStR 2006, 734; Krause in Kraft (Hrsg.), § 7 AStG Rz. 425 ff.; Grotherr, IWB Fach 3 Gr. 1 S. 1883, 1890; Lieber, FR 2002, 139, 149; Helios/Schmies, BB 2009, 110; a.A. Köhler in Strunk/Kaminski/Köhler (Hrsg.), § 7 AStG Rz. 212.

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Sozialrecht und Steuerrecht – zwei ungleiche Schwestern? Von der Parallelität von Steuer- und Beitragspflicht Inhaltsübersicht

I. Der Grundsatz und seine Durch­ brechungen

II. Verstärkung des Grundsatzes durch zeitgleiche Außenprüfungen gem. § 42f Abs. 4 EStG 1. Allgemeines 2. Die sozialversicherungsrechtliche ­Betriebsprüfung durch die Renten­ versicherungsträger a) Prüfschwerpunkte b) Allgemeine Grundsätze c) Sozialversicherungsrechtliche ­Überlegungen zum Status eines ­geschäftsführenden GmbH-Gesellschafters



d) Sozialversicherungsrechtliche ­Überlegungen zum Status einer ­Person im Zusammenhang mit der Scheinselbstständigkeit 3. Die steuerrechtliche Außenprüfung/ Betriebsprüfung durch die Finanz­ behörden a) Steuerrechtliche Überlegungen zum Status eines geschäftsführenden GmbH-Gesellschafters b) Steuerrechtliche Überlegungen zum Status einer Person im Zusammenhang mit der Scheinselbständigkeit

III. Fazit

I. Der Grundsatz und seine Durchbrechungen Häufig wird der „Grundsatz der Parallelität von Steuer- und Beitragspflicht“1 herangezogen, wenn z.B. die Auslegung einer Norm oder die Ausfüllung einer angeblichen Gesetzeslücke in einem der o.g. Rechtsgebiete notwendig erscheint. Tatsächlich findet man im Sozialrecht und im Steuerrecht, vor allem in den Vorschriften über das Verwaltungsverfahren (Abgabenordnung [AO] und Sozialgesetzbuch 10. Buch [SGB X]), viele Gemeinsamkeiten bzw. übereinstimmende Regelungen, was im Übrigen aber auch für die Regelungen des allgemeinen Verwaltungsrechts, vor allem des Verwaltungsverfahrensgesetzes (VwVerfG) gilt. Ob dieser Grundsatz tatsächlich den Praxistest besteht bzw. wie er dort gehandhabt wird, soll in dieser Abhandlung untersucht werden. Zunächst ist festzustellen, dass beispielsweise der aktuelle und eine zentrale Bedeutung besitzende § 1 Abs. 1 Nr. 1 Sozialversicherungsentgeltverordnung (SvEV) regelt, dass bestimmte Einnahmen dem Arbeitsentgelt nicht zuzurechnen sind, „soweit sie lohnsteuerfrei sind“. Er gleicht damit die sozialversicherungsrechtliche Rechtsfolge der steuerrechtlichen an. 1 S. z.B. schon BR-Drucks. 579/89, 6.

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Das gilt auch für weitere Einnahmen, Bezüge, Beiträge nach §§ 3, 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2, 40b EStG, bei denen die sozialversicherungsrechtliche Beitragsfreiheit von der Lohnsteuerfreiheit abhängt. Weiter wird in § 1 Abs. 1 Satz 2 SvEV die Nichtanrechnung auf das Arbeitsentgelt und damit die Beitragsfreiheit mancher Einnahmen, Zuwendungen und Leistungen nur zugelassen, wenn diese vom Arbeitgeber oder einem Dritten lohnsteuerfrei belassen oder pauschal besteuert werden. Die ausnahmsweise Übernahme der Lohnsteuer für den Arbeitnehmer durch den Arbeitgeber bzw. vom Arbeitgeber getragene Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung sind lohnsteuerpflichtige geldwerte Vorteile nach §§ 8 Abs. 1, 19 Abs. 1 Satz 1 EStG bzw. lohnsteuerpflichtiger Arbeitslohn. Gleichzeitig wird durch die Übernahme von Lohnsteuer und Arbeitnehmeranteilen durch den Arbeitgeber die sozialversicherungsrechtliche Bemessungsgrundlage, von der aus die Beitragsschuld berechnet wird, erhöht. Die Parallelität von Beitragsfreiheit und Lohnsteuerfreiheit nach §  1 Abs.  1 SvEG ­endet aber bereits auf dem Gebiet der gesetzlichen Unfallversicherung und in der ­Seefahrt, § 1 Abs. 2 SvEV. Dort sind lohnsteuerfreie Zuschläge für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit dem Arbeitsentgelt in Durchbrechung des o.g. Grundsatzes zuzurechnen. In einer weiteren Regelung (§ 1 Abs. 2 Halbs. 2 SvEV) wird dann allerdings wiederum bestimmt, dass dies in der gesetzlichen Unfallversicherung nicht für Erwerbseinkommen gilt, das bei einer Hinterbliebenenrente zu berücksichtigen ist. Aber selbst in den Gebieten, in denen die Lohnsteuerfreiheit die Beitragsfreiheit nach sich zieht (§ 1 SvEV i.V.m. § 3 EStG), können die endgültigen Ergebnisse sich völlig verschieden darstellen, indem Lohnsteuerfreiheit auf der einen und trotzdem Beitragspflicht auf der anderen Seite entstehen. Dies kann beispielsweise anhand des nicht selten auftretende Falls aufgezeigt werden, in dem ein Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer Zulagen für Sonntags-, Feiertags- und Nachtarbeit (SFN-Zulagen) während eines Urlaubs oder einer Zeit der Arbeitsunfähigkeit mit der Begründung, in dieser Zeit falle die durch die Zulagen auszugleichende Belastung ja nicht an, nicht zahlt, obwohl er hierzu gesetzlich oder tarifvertraglich verpflichtet ist. Lohnsteuerrechtlich ist der Fall einfach. Da dem Arbeitnehmer kein Einkommen zufließt, entsteht keine Verpflichtung zur Versteuerung. Arbeitsrechtlich besteht ein Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung der Zulagen gegen seinen Arbeitgeber. Sozialversicherungsrechtlich sind dagegen Beiträge zu zahlen, obwohl der Arbeitnehmer kein weiteres Entgelt erhält, weil im Sozialversicherungsrecht anstelle des im Steuerrecht geltenden Zuflussprinzips das Entstehungsprinzip (§ 22 Abs. 1 Satz 1 SGB IV) 824

Sozialrecht und Steuerrecht

gilt, nach dem Beiträge auch auf Einkommen bzw. Entgelt zu zahlen sind, wenn die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Zahlung dieses Entgelts bzw. Einkommens aus Gesetz bzw. auf Grund eines Gesetzes gegeben sind2. Dem juristischen Laien wird es nur schwerlich verständlich zu machen sein, dass er zwar keine Steuern zahlen muss, wohl aber mit Sozialbeiträgen belastet wird. Diese unterschiedlichen Erhebungsprinzipien stellen die größten Durchbrechungen des o.g. Grundsatzes der Parallelität von Steuer- und Sozialrecht dar. Allerdings gilt das Entstehungsprinzip im Sozialversicherungsrecht nicht uneingeschränkt. Auch hier gilt das Zuflussprinzip, wenn dem Arbeitnehmer mehr als nach dem Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes geschuldet zugewendet wird, es sich um einmalig gezahltes Arbeitsentgelt handelt oder bei Arbeitsentgelt, das aus Arbeitszeitguthaben abgeleitetem Entgeltguthaben errechnet wird (§ 22 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Hier entstehen die Beitragsansprüche erst, sobald das Arbeitsentgelt tatsächlich ausgezahlt worden ist. Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, dass seit Längerem nicht nur vereinzelt eine „grundlegend verbesserte Abstimmung zwischen Sozialrecht und Steuerrecht“ gefordert3 und ausgeführt wird, die Verbesserung der Verzahnung von Sozialrecht und Steuerrecht sei eine in ihrer Bedeutung kaum zu überschätzende gesetzgeberische Aufgabe. Die Integration von Sozialrecht und Steuerrecht könne z.B. durch die Einführung einer Negativsteuer vorbereitet werden. Auf jeden Fall müssten die so­ zialrechtlichen und steuerrechtlichen Bemessungsgrundlagen angeglichen werden, indem die Bemessungsgrundlage der Einkommenssteuer auch als Bemessungsgrundlage z.B. bei Transferleistungen herangezogen werde. Zuvor sei die derzeit starke Aushöhlung des Einkommensbegriffs im Einkommensteuerrecht durch die Streichung von Steuervergünstigungen und sonstigen unsystematischen steuerlichen Regelungen zu beseitigen. Die Angleichung der Bemessungsgrundlagen sei eine notwendige Folge der vom BVerfG verlangten Orientierung der Einkommensteuer an sozialhilferechtlichen Größen4.

II. Verstärkung des Grundsatzes durch zeitgleiche Außenprüfungen gem. § 42f Abs. 4 EStG 1. Allgemeines Zu einer stärkeren, wenn auch vielleicht nur auf einem Teilgebiet wirksamen Verzahnung von Steuerrecht und Sozialrecht könnte die seit einigen Jahren mögliche zeit2 BSG v. 30.8.1994 – 12 RK 59/92, MDR 1995, 939, NZA 1995, 701 („Die Einzugsstelle kann vom Arbeitgeber Beiträge auch auf Arbeitsentgelt fordern, das der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber wegen einer tariflichen Ausschlussklausel nicht mehr verlangen kann“). 3 Thesen der Einkommensteuer-Kommission zur Steuerfreistellung des Existenzminimums, BB Beilage 1994, Nr. 24 These 10. 4 A.a.O., 11.

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gleiche Außenprüfung von Finanzamt und Rentenversicherung nach § 42f Abs. 4 EStG führen. Der Gesetzgeber hat diese Regelung geschaffen, um die Belastungen der Arbeitgeber, die durch getrennte Prüfungen der Finanzverwaltung sowie der Rentenversicherungsträger entstehen, zu reduzieren oder ganz zu vermeiden5. Zwar gibt es keinen Rechtsanspruch auf zeitgleiche Außenprüfungen6, sondern nur auf gesetzmäßige Ermessensausübung7. Die zur gleichen Zeit durchgeführten Außenprüfungen führen im Übrigen nicht zu einer einheitlichen Prüfung beider Verwaltungszweige. Der Gesetzgeber verband mit der Regelung allerdings die Hoffnung, dass auf längere Sicht die Träger der Rentenversicherung die sozialversicherungsrechtlichen Außenprüfungen mit einer gleichzeitigen Prüfung des Lohnsteuerabzugs verbinden könnten (einheitliche, verbundene Prüfung)8. Diese Hoffnung hat sich allerdings bisher nicht erfüllt9. Sinnvoll wäre eine einheitliche, verbundene Prüfung aber nur, wenn damit für die Unternehmen und die Rentenversicherungsträger eine Arbeits- oder sonstige Ersparnis bzw. Erleichterung gegenüber dem gegenwärtigen Status verbunden wäre. Davon könnte ausgegangen werden, wenn eine Betriebsprüfung nur einmal durchgeführt würde und das Ergebnis für beide Prüfbehörden verbindlich wäre. Das setzte wiederum voraus, dass die Prüfgegenstände im Sozial- und Steuerrecht zwar nicht deckungsgleich wären, aber einander glichen oder doch zumindest ähnelten, ihre Bedeutung für die einzelnen Rechtsgebiete annähernd gleich wäre bzw. ihre Prüfung in etwa gleich durchgeführt werden könnte und die Ergebnisse für beide Prüfbehörden annehmbar wären. Dies soll im Folgenden anhand der unterschiedlichen, tatsächlich ablaufenden Betriebsprüfungen im Steuer- und Sozialrecht untersucht werden. 2. Die sozialversicherungsrechtliche Betriebsprüfung durch die Renten­ versicherungsträger a) Prüfschwerpunkte Die Prüfschwerpunkte sowie die Beanstandungen der Prüfer in den sozialversicherungsrechtlichen Betriebsprüfungen variieren von Jahr zu Jahr nur geringfügig. Im Mittelpunkt der sozialversicherungsrechtlichen Betriebsprüfungen stehen seit Jahren aber unverändert Statusfragen, d.h. regelmäßig die Frage, ob geschäftsführende oder anderweitig mitarbeitende Gesellschafter einer GmbH als Arbeitnehmer (ab5 BT-Drucks. 16/10188, 26. 6 BT-Drucks. a.a.O. 7 Eisgruber in: Kirchhof, 16. Aufl. 2017, § 42 EStG f. Rz. 13. 8 BT-Drucks. a.a.O. 9 Eisgruber in: Kirchhof, 16. Aufl. 2017, § 42 EStG f. Rz. 1.

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hängig Beschäftigte) oder selbstständig Tätige anzusehen sind sowie vorrangig die v.g. Statusfragen im Zusammenhang mit dem Verdacht auf Scheinselbstständigkeit, die im Allgemeinen keine beitragsfreie Selbstständigkeit, sondern eine (beitragspflichtige) abhängige Beschäftigung ist. Das Gebiet der Scheinselbstständigkeit ist fast unübersehbar groß und seit Jahren in vielen Facetten Gegenstand der sozialversicherungsrechtlichen Betriebsprüfungen, sei es beim Fahrer ohne eigenes Fahrzeug, sei es bei Familienhelfern, Masseuren oder Pflegepartnern/Familienbetreuern, Honorarärzten in Krankenhäusern, Lehrbeauftragten/Dozenten, Logopäden, Piloten, Kameraleuten, Synchronsprechern, Prostituierten, IT-Fachleuten usw. An den Umfang und die Bedeutung dieses Prüfgebietes reichen die anderen Prüfgebiete nicht heran. Das gilt auch für die Prüfung des Status von Werkstudenten, der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse, der „Verbeitragung“ eines Differenzbetrages zwischen dem tatsächlich gezahlten Lohn und (höheren) Entgeltansprüchen des Arbeitnehmers nach einem Tarifvertrag (sog. Phantomlohn-Rechtsprechung)10, aber auch für die Umlagepflicht (U1, U2) des Arbeitsentgelts eines Minijobbers oder die Beitragsfreiheit von Zulagen. Immer wird die Insolvenzfestigkeit von Wertguthaben nach § 7e SGB IV geprüft, aber z.B. auch die Beitragspflicht nach Sachzuwendungen trotz Pauschalversteuerung, wie auch die Problematik, was zum Arbeitsentgelt gehört und trotz Steuerfreiheit sozialversicherungspflichtig ist. Einmalzahlungen und die sog. Märzklausel können ebenso wie die unzulässige Anwendung der Gleitzonenregelung nach § 20 Abs. 2 SGB IV auf bestimmte Personengruppen (Auszubildende, Praktikanten in vorgeschriebenen Praktika, Umschüler, Teilnehmer des Bundesfreiwilligendienstes usw.) zu Beitragsnachzahlungen führen. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die Prüfung der Versicherungspflicht ausländischer Saisonarbeitnehmer, vor allem, wenn sie auf Grund eines Werkvertrages beschäftigt werden, bei dem die besondere Gefahr der Strafbarkeit (§ 266a StGB) auftritt, wenn ein solcher Werkvertrag als „Schein“-Werkvertrag erkannt wird und damit (unerlaubte) Arbeitnehmerüberlassung vorliegt. Abgesehen von der letzten Fallgruppe reichen die vorgenannten Prüfgebiete in ihrer Häufigkeit, ihrer Bedeutung und ihren Rechtsfolgen nicht an die oben angesprochenen Statusfragen bei der Scheinselbstständigkeit sowie beim geschäftsführenden oder anderweitig mitarbeitenden GmbH-Gesellschafter heran. Dabei ist zu bedenken, dass mit der Entscheidung über die Versicherungspflicht einer Person in aller Regel auch die Frage der immerhin doch mit etwa 42 % vom Bruttolohn zu berechnenden Beitragspflicht einhergeht. 10 BayLSG v. 24.11.2009 – L 5 R 952/08 unter Bezugnahme auf BSG v. 14.7.2004 – B 12 KR 7/03 R, 34/03 R, 7/04 R.

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b) Allgemeine Grundsätze Die Rechtsprechung hat mangels einer ausreichenden gesetzlichen Regelung bei der Abgrenzung der selbstständigen Tätigkeit von der abhängigen Beschäftigung zunächst Grundsätze für die Behandlung dieser Fälle aufgestellt und daneben auch Abgrenzungsmerkmale/Indizien formuliert. Dabei hat das BSG in ständiger Rechtsprechung11 darauf hingewiesen, dass bestimmte Arbeiten grundsätzlich sowohl als Arbeitnehmer-Beschäftigungen als auch im Rahmen eines freien Dienstverhältnisses/eines Werkvertrages selbstständig ausgeübt werden können. Zu den wichtigsten Grundsätze gehören: aa) Tatsächliche Verhältnisse gehen vertraglichen Vereinbarungen vor Ob eine abhängige Beschäftigung oder eine selbstständige Tätigkeit vorliegt, wird zwar zunächst anhand der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden vertraglichen Vereinbarungen geprüft12, sodann wird aber immer festzustellen sein, ob das vertraglich Vereinbarte auch tatsächlich im Arbeitsalltag umgesetzt wird, bzw., ob es den Umständen der tatsächlichen Arbeitsbeziehungen entspricht. Ist das nicht der Fall, ist bei der Beurteilung der abhängigen Beschäftigung vor allem von den tatsächlichen Verhältnissen und nicht von dem rechtlich Vereinbarten auszugehen. bb) Keine nachträglichen Vereinbarungen möglich Die Parteien des Arbeitsvertrages können über das öffentlich-rechtliche Beschäftigungsverhältnis nicht disponieren, da an ihm außer ihnen auch die Sozialleistungsträger als Dritte beteiligt sind! Arbeitnehmer und Arbeitgeber können sich nicht einfach ein Auftragsverhältnis „wünschen“, wenn sich dies nicht aus den Umständen, die für eine Selbstständigkeit sprechen, tatsächlich ergibt. cc) Wahrnehmung von Unternehmerfunktionen ist kein Unterscheidungsmerkmal Die Notwendigkeit, zu prüfen, ob ein Geschäftsführer selbständig tätig oder abhängig beschäftigt ist, entfällt nicht etwa, weil der Betreffende Unternehmerfunktionen ausübt. Mitarbeitende Gesellschafter, Geschäftsführer, Leitende Angestellte usw. können nach sozialversicherungsrechtlichen Regelungen sowohl abhängig beschäftigt als Arbeitnehmer als auch selbstständig tätig sein. Auch ein organschaftlicher Vertreter kann – von der gesetzlichen Ausnahmeregelung für Mitglieder des Vorstandes einer Aktiengesellschaft abgesehen – im Gegensatz z.B. zu den Regelungen des Kündigungsschutzrechts Arbeitnehmer und damit abhängig beschäftigt sein. 11 S. z.B. BSG v. 25.4.2012 – B 12 KR 24/10 R, SGb 2013, 364. 12 BSG v. 31.3.2017 – B 12 R 7/15 R, Rz. 22, NZS 2017, 664.

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Die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung zu diesem Problembereich ist im Sozialrecht nicht anwendbar. dd) Der Wille ist nur begrenzt entscheidend Der im Vertrag zum Ausdruck gekommene Wille ist zwar bei jeder Statusprüfung zunächst festzustellen, ihm kommt aber nur dann entscheidende Bedeutung zu, wenn bei Beurteilung des Gesamtbildes der Tätigkeit die prägenden Kriterien für Selbstständigkeit und nicht für Abhängigkeit sprechen. ee) Keine Bindung an Entscheidungen anderer Behörden oder Gerichte Weder Arbeitsagenturen noch Rentenversicherungsträger oder Berufsgenossenschaften und auch nicht die Sozialgerichte sind an Entscheidungen anderer Behörden oder Gerichte, z.B. der Steuerbehörden über die Abhängigkeit oder Selbstständigkeit einer Beschäftigung bzw. Tätigkeit und der hieraus folgenden Steuerpflicht gebunden. ff) Gesamtwürdigung aller Umstände Sprechen bestimmte Merkmale für eine abhängige, andere für eine selbstständige Tätigkeit, ist die Entscheidung nach einer Gesamtwürdigung aller Umstände danach zu treffen, welche Merkmale der Beziehung das Gepräge geben. Dabei setzt die jeweilige Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung bzw. selbstständigen Tätigkeit voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, d.h. den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei, gegeneinander abgewogen werden13. Die Zuordnung einer Tätigkeit nach lediglich einzelnen Indizien, wie es in der Praxis häufig vorkommt, ist demnach unzulässig. c) Sozialversicherungsrechtliche Überlegungen zum Status eines geschäftsführenden GmbH-Gesellschafters aa) Allgemeines Sozialversicherungsrechtlich kann der mitarbeitende Gesellschafter einer GmbH selbstständig oder (unabhängig davon, dass er ein Organ der Gesellschaft ist) abhängig Beschäftigter (Arbeitnehmer) sein, in Ausnahmefällen (z.B. wenn er kein Entgelt für seine Tätigkeit erhält) allerdings auch ausschließlich in Wahrnehmung seiner Gesellschafterrechte arbeiten14. 13 BSG v. 31.3.2015 – B 12 KR 17/13 R, Rz. 15, SGb 2015, 327; BSG v. 23.5.2017 – B 12 KR 9/16 R, Rz. 24, SGb 2017, 394. 14 BSG v. 4.6.2009 – B 12 KR 3/08 R, NJW 2010, 1836.

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Ist er selbstständig, wird er im Allgemeinen keine Beiträge zur Sozialversicherung abführen, jedoch auch keine Leistungsansprüche besitzen. Dieser Satz wird häufig – auch von Angehörigen der rechtsberatenden Berufe – zu absolut gesetzt. Dass er in dieser Allgemeinheit nicht richtig ist, zeigt § 2 SGB VI. Nach dieser Vorschrift, die für den hier dargestellten Problemkreis nicht einschlägig ist, kann nämlich auch ein Selbstständiger versicherungs- und damit beitragspflichtig sein. Allerdings besteht die Versicherungs- und Beitragspflicht nur zur gesetzlichen Rentenversicherung und nicht zu den anderen Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung. Die gesetzliche Rentenversicherung hat allerdings mit 18,6 % den höchsten Anteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag. Diese Beitragslast kommt nach § 2 SGB VI auf einzelne, enumerativ in der Vorschrift aufgeführte Selbstständige (z.B. selbstständige Lehrer und Erzieher, Pflegepersonen, Hebammen, Seelotsen, Künstler und Publizisten, Hausgewerbetreibende, Küstenschiffer, Gewerbetreibende, die in die Handwerksrolle eingetragen sind, sowie sog. „arbeitnehmerähnliche“ Personen) zu. Zu den arbeitnehmerähnlichen Personen zählen alle Personen, die im Zusammenhang mit ihrer selbstständigen Tätigkeit regelmäßig keinen versicherungspflichtigen Arbeitnehmer beschäftigen und außerdem auf Dauer und im Wesentlichen nur für einen (1) Auftraggeber tätig sind (§ 2 Satz 1 Nr. 9 SGB VI). Davon unabhängig: Die Frage, um deren Antwort die Sozialversicherung seit mehr als einhundert Jahren ringt15, lautet also, wann eine Person (hier: der geschäftsführende Gesellschafter einer GmbH) als abhängig Beschäftigter/Arbeitnehmer und wann er als Selbstständiger einzustufen ist. bb) Die Abgrenzungsmerkmale Da eine Antwort des Gesetzgebers zu der v.g. Frage im Sozialversicherungsrecht ausschließlich § 7 Abs. 1 SGB IV zu entnehmen ist, diese Vorschrift aber lediglich zwei Abgrenzungsmerkmale (das Weisungsrecht und die Eingliederung in eine fremde Organisation) nennt und dies für die Entscheidungen auf diesem Gebiet im Allgemeinen nicht ausreicht, haben die Gerichte der Sozialgerichtsbarkeit die Rolle des Gesetzgebers eingenommen und in einer überaus großen Vielzahl von Urteilen versucht, die Frage anhand der Kreierung weiterer Abgrenzungsmerkmale zu klären. Dabei hat sich bei der Statusprüfung des geschäftsführenden bzw. anderweitig mitarbeitenden Gesellschafters einer GmbH folgendes Beurteilungsschema zur Abgrenzung der „Selbständigkeit“ von der „abhängigen Beschäftigung als Arbeitnehmer“ im

15 BSG v. 5.4.1956  – 3 RK 65/55 unter Verweis auf RVA GE 1605, AN 1912, 825; BSG v. 27.9.1963 – 2 RU 119/59 unter Verweis auf RVA AN 1899, 470 Nr. 1759.

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Laufe der Jahre entwickelt16, wobei seit August 2012 im Vordergrund die „Abgrenzung nach der Rechtsmacht steht, wie sie sich aus den Kapitalanteilen ergibt“17: 1. Feststellung des objektiven, sich aus den Umständen ergebenden Willens der Vertragsparteien 2. Beteiligung am Stammkapital a. 100  % bis 50  %  = selbstständig (beim nicht geschäftsführenden, sondern nur anderweitig mitarbeitenden Gesellschafters werden 51 % gefordert18 b. unter 50 % bis 0 % = abhängig Beschäftigter (Arbeitnehmer) Ausnahmen (nicht abschließend): −− Wenn die Kapitalbeteiligung nur treuhänderisch für Dritte wahrgenommen wird, kann ein geschäftsführender Gesellschafter trotz 100 % Kapitalanteil Arbeitnehmer sein19. −− Besitzt ein Gesellschafter mit weniger als 50 % der Kapitalanteile eine Sperrmi­ norität, mit der er alle ihm nicht genehmen Entscheidungen der Gesellschafterversammlung verhindern kann, ist er als Selbständiger anzusehen20. −− Liegt der Kapitalanteil unter 50 % oder ist er überhaupt nicht vorhanden, kann der Geschäftsführer als selbstständig angesehen werden, wenn er in der Gesellschaft „frei schalten und walten“ kann, weil der Inhaber der Kapitalmehrheit sich in seiner Rechtsmacht wirksam beschränkt hat, d.h. die Beschränkung nicht ohne weiteres wieder aufgehoben werden kann („Keine Schönwetter-Selbstständigkeit“)21. Eine lediglich schuldrechtliche Beschränkung (z.B. durch Stimmrechtsvereinbarungen, die allerdings als Indiz für eine selbstständige Tätigkeit angesehen werden können)22 reicht nicht aus. Die Rechtsprechung hierzu ist äußerst restriktiv. Die Rechtsprechung hat noch weitere Merkmale herangezogen, denen in der Praxis in diesem Fallfeld allerdings keine prägende Bedeutung zukommt. 3. Wesentliches Unternehmerrisiko, das sich in der wesentlichen Teilhabe am Gewinn bzw. Verlust der GmbH zeigt. 16 Jürgen Brand, Die geänderte Rechtsprechung des BSG zu geschäftsführenden GmbH-Gesellschaftern, DStR 2017, 728. 17 BSG v. 29.8.2012 – B 12 KR 25/10 R, BSGE 111, 257, DB 2008, 708, BB 2013, 894, NZS 2013, 181. 18 BayLSG v. 26.6.2015 – L 16 R 1240/13. 19 BSG v. 25.1.2006 – B 12 KR 30/04 R, GmbHR 2006, 645. 20 LSG Berlin-Brandenburg v. 10.5.2017  – L 1 KR 281/15 unter Bezugnahme auf BSG v. 29.6.2016 – B 12 R 5/14 R. 21 BSG v. 29.8.2012 – B 12 R 14/10 R und v. 29.8.2012 – B 12 KR 25/10 R, NZS 2013, 181 im Anschluss an LSG Niedersachsen-Bremen v. 22.9.2010  – L 1 KR 41/09 und BSG v. 11.11.2015 – B 12 R 2/14 R, GmbHR 2016, 537; B 12 KR 13/14 R, NotBZ 2016, 274 m. Anm. Heckschen, GmbHR 2016, 528; v. 11.11.2015 – B 12 KR 10/14 R, GmbHR 2016, 533. 22 BSG v. 11.11.2015 – B 12 R 2/14 R, GmbHR 2016, 537; B 12 KR 13/14 R, NotBZ 2016, 274 m. Anm. Heckschen, GmbHR 2016, 528; v. 11.11.2015 – B 12 KR 10/14 R, GmbHR 2016, 533.

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4. Erfolgsabhängige Vergütung  – Vergütung wird als „Gewinn-Vorwegentnahme“ bezeichnet. 5. Abberufung nur aus wichtigem Grund möglich. 6. Befreiung vom Selbstkontrahierungsverbot des § 181 BGB. 7. Eigene Betriebsstätte. 8. Keine oder nur sehr geringe Weisungsunterworfenheit. 9. Alleinige oder umfassende Branchenkenntnisse. 10. Alleinige Entscheidungsverantwortlichkeit für die wesentlichen Funktionen des Unternehmens. 11. Vergütung wird im Krankheitsfall nicht weitergezahlt. 12. Urlaubsantritt ohne vorherige Genehmigung. Die Liste ließe sich fortsetzen. Zu beachten ist, dass im Vordergrund der Prüfung stets die Merkmale Nr. 1 und 2 stehen und die folgenden Kriterien nur als Hilfskriterien anzusehen sind. Im Übrigen gilt: Entscheidend ist stets das Gesamtbild der Tätigkeit, nicht, welche Merkmale rein zahlenmäßig überwiegen. d) Sozialversicherungsrechtliche Überlegungen zum Status einer Person im Zusammenhang mit der Scheinselbstständigkeit aa) Allgemeines Auch in diesem Bereich geht es um die Frage, ob jemand selbstständig oder wie ein Arbeitnehmer abhängig beschäftigt ist. Der „Scheinselbstständige“ ist nur zum Schein selbstständig, tatsächlich ist er Arbeitnehmer. Die Problematik, den Status einer Person festzustellen, ist oben bereits dargelegt worden. Es ist in vielen Fällen äußerst schwierig, festzustellen, ob man in einem Auftragsverhältnis als Auftragnehmer und Auftraggeber steht oder in einem Arbeitsverhältnis als Arbeitnehmer bzw. Arbeitgeber. Im Rahmen der Scheinselbstständigkeit fehlt ein derart überragend prägendes Abgrenzungsmerkmal wie die Beteiligung am Stammkapital, die beim mitarbeitenden bzw. geschäftsführenden GmbH-Gesellschafter in aller Regel die Statusfrage beantwortet. Auch im Bereich der Scheinselbstständigkeit, d.h. bei der Beantwortung der Frage, ob eine Person selbstständig tätig oder abhängig beschäftigt ist, hat die Rechtsprechung seit längerem feste Regeln aufgestellt. Zum einen gelten auch hier die unter 2. b) dargestellten allgemeinen Grundsätze, zum anderen finden sich in vielen Entscheidungen der Gerichte Abgrenzungsmerkmale, die über die beiden in § 7 Abs. 1 SGB IV vom Gesetzgeber formulierten hinausgehen.

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bb) Die Abgrenzungsmerkmale Immer ist zunächst der objektive Wille der Vertragsschließenden zu prüfen – wie er sich aus den gegebenen Umständen ergibt – und sodann festzustellen, ob die nachfolgenden Kriterien/Abgrenzungsmerkmale dem entgegenstehen23. Dabei beginnt die Feststellung mit den beiden gesetzlich festgelegten Markmalen, nämlich der Weisungsbefugnis des Arbeitgebers gegenüber der betreffenden Person und der Eingliederung des Betreffenden in den Betrieb. Regelmäßig wird geprüft, ob der Betroffene befugt ist, seine Arbeitsleistung auf andere Personen zu delegieren (Delegationsbefugnis) und ob er versicherungspflichtige Arbeitnehmer beschäftigt. Sowohl die Delegationsbefugnis als auch die Beschäftigung von Arbeitnehmern („Arbeitnehmer haben keine Arbeitnehmer“) sind starke Indizien für eine selbstständige Tätigkeit. Auf der gleichen Ebene wird geprüft, ob der Betreffende auch für andere Auftraggeber tätig sein darf und dies jedenfalls theoretisch möglich ist. Das Fehlen einer Ausschließlichkeitsklausel spricht ebenfalls für das Vorliegen von Selbstständigkeit. Immer wird bei der Feststellung der Selbstständigkeit geprüft, ob der Betreffende ein Unternehmerrisiko trägt. Für die Annahme eines Unternehmerrisikos ist maßgebend, ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlustes bzw. der Nichthonorierung eingesetzt wird, d.h, ob der Erfolg des Einsatzes der sächlichen oder persönlichen Mittel ungewiss ist. Ein unternehmerisches Risiko ist allerdings nur dann Hinweis auf eine selbstständige Tätigkeit, wenn diesem Risiko auch größere Freiheiten in der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft gegenüberstehen24. Auch die Existenz einer eigenen Betriebsstätte bzw. der Einsatz eigener Betriebsmittel wird geprüft25. Vor allem diese sieben Abgrenzungsmerkmale besitzen neben dem Willen der Vertragsparteien eine prägende Wirkung auf die Feststellung einer selbstständigen Tätigkeit gegenüber einer abhängigen Beschäftigung. Dies erklärt sich zum Teil daraus, dass das Indiz der Beschäftigung versicherungspflichtiger Arbeitnehmer, der Möglichkeit, auch für andere Auftraggeber tätig zu sein sowie das Unternehmerrisiko von 1999 bis 2003 zusammen mit den Indizien der vorherigen Ausübung der gleichen Tätigkeit als abhängige Beschäftigung beim gleichen Arbeitgeber sowie die Erbringung einer für eine abhängige Beschäftigung typischen Arbeitsleistung vom Gesetzgeber für so wichtig gehalten wurde, dass er sie seinerzeit in § 7 Abs. 4 SGB IV aufge-

23 BSG v. 31.3.2015 – B12 KR 17/13 R, Rz. 15 und v. 25.4.2012 – B 12 KR 24/10 R, Rz. 23 a.E.; so auch LSG Berlin-Brandenburg v. 14.5.2014 – L 9 KR 153/11 unter Bezugnahme auf BSG v. 28.5.2008 – B 12 KR 13/07 R. 24 BSG v. 31.3.2015 – B 12 KR 17/13 R, Rz. 27 m.w.N. 25 BSG a.a.O.

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nommen hatte und inhaltlich ähnlich 2013 als Abs. 1c in § 7 SGB IV wieder aufnehmen wollte26. Die von den Sozialgerichten häufiger zur Abgrenzung herangezogenen Merkmale der weitreichenden Kontroll- und Mitspracherechte des Auftraggebers, der umfangreichen Berichtspflicht, des Verbots, gegenüber Kunden mit eigenem Logo, im eigenen Namen, auf eigene Rechnung aufzutreten, der Bezeichnung der Entlohnung als festes Gehalt anstelle einer Umsatzbeteiligung, des Bestehens von tariflichen Urlaubs- und Lohnfortzahlungsansprüchen, der Existenz eines direkten Vorgesetzten, der den Arbeitsablauf regelt, der jederzeitigen Zugriffs- und Einwirkungsmöglichkeiten des Auftraggebers (z.B. durch Betriebsfunk, Online-Dienste), der fehlenden Mitgliedschaft in Organisationen (z.B. IHK, Handwerkskammer) und der Bewertung der Einkünfte durch die Finanzverwaltung als Einkünfte aus selbständiger Tätigkeit oder Gewerbebetrieb besitzen diese gleiche prägende Kraft nicht, stellen aber auf einer niedrigeren Stufe durchaus Abgrenzungsmerkmale dar. Diese Indizien sind, wie bereits ausgeführt, einzeln zu prüfen, aber nicht mathematisch gegenüberzustellen. Es gibt kein Indiz, das allein für den sozialversicherungsrechtlichen Status einer Person ausschlaggebend ist. Es ist entscheidend, welches Gesamtbild sich nach der Gegenüberstellung der verschiedenen Abgrenzungsmerkmale ergibt! Diese Abgrenzungsmerkmale sind – soweit sie nicht der „Natur der Sache“ nach in Einzelfällen ausscheiden – bei jeder Abgrenzungsproblematik heranzuziehen, sie sind jedoch durch die Rechtsprechung bei einzelnen Berufen durchaus in einzelnen Bestandteilen modifiziert worden. Das BSG weist darauf hin, dass zwar alle in Betracht kommenden Abgrenzungsmerkmale, die für den jeweiligen Fall in Frage kommen könnten, zu prüfen seien, manche Merkmale aber der Natur der Sache nach nicht in Betracht kämen. 3. Die steuerrechtliche Außenprüfung/Betriebsprüfung durch die Finanz­ behörden Durch die Außenprüfung werden im Bereich des Steuerrechts von den Finanzbehörden im Außendienst steuerlich relevante Sachverhalte überprüft. Dies dient der Ermittlung, Prüfung und Beurteilung der Verhältnisse eines Steuerpflichtigen, um die Gleichmäßigkeit der Besteuerung sicherzustellen.

26 Gesetz zur Förderung der Selbständigkeit vom 20.12.1999 (BGBl. I 2000, 2), durch das auch Abs. 1 Satz 2 eingefügt wurde. Abs. 4 ursprünglich eingefügt durch das Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte vom 19.12.1998 (BGBl. I 1998, 3843).

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a) Steuerrechtliche Überlegungen zum Status eines geschäftsführenden ­GmbH-Gesellschafters In einer Entscheidung des FG Rheinland-Pfalz v. 15.7.2016 wurde der Geschäftsführer einer luxemburgischen S.a.r.l. als Arbeitnehmer angesehen, obwohl er im Streitzeitraum zunächst mit 50 %, später mit 100 % an dem Unternehmen beteiligt war. Dieses Urteil hob der BFH mit Urteil vom 29.3.201727 auf, weil das FG der Beteiligung des Geschäftsführers am Unternehmenskapital keine Bedeutung zugemessen hatte. Der BFH stützte sich – wie stets in Fällen der Statusbestimmung – auf § 1 Abs. 2 Sätze 1 und 2 der Lohnsteuer-Durchführungsverordnung (LStDV) i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a EStG, durch die nach ständiger Rechtsprechung des BFH der Arbeitnehmerbegriff zutreffend ausgelegt werde28. Der BFH verwies darauf, dass nach ständiger Rechtsprechung der Arbeitnehmerbegriff sich nicht durch Aufzählung feststehender Merkmale abschließend bestimmen lasse. Es handele sich vielmehr um einen offenen Typusbegriff, der nur durch eine größere und unbestimmte Zahl von Merkmalen beschrieben werden könne. Die Frage, ob jemand eine Tätigkeit selbstständig oder nicht selbstständig ausübe, sei deshalb anhand einer Vielzahl in Betracht kommender Merkmale nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu beurteilen. Diese Merkmale seien im konkreten Einzelfall zu gewichten und gegeneinander abzuwägen. Diese im Wesentlichen auf tatrichterlichem Gebiet liegende Beurteilung sei revisionsrechtlich nur begrenzt überprüfbar. Der Beteiligung des Geschäftsführers an dem Unternehmen dürfe nicht von vornherein jede rechtliche Relevanz abgesprochen werden. Vielmehr sei die Kapitalbeteiligung eines von vielen Indizien, die im Rahmen der Gesamtwürdigung berücksichtigt werden müsse. Als einem Einzelmerkmal von vielen komme dem Umstand der Mehrheitsbeteiligung allerdings auch nicht die Bedeutung zu, dass bei einer Mehrheitsbeteiligung regelmäßig von einer selbstständigen Tätigkeit des Geschäftsführers auszugehen wäre. In diesem Bereich unterscheidet sich die Rechtsprechung des BSG von derjenigen des BFH grundlegend. Ein Geschäftsführer oder auch anderweitig tätiger Gesellschafter eines Unternehmens, der mit 50  % bzw. beim Nicht-Geschäftsführer mit 51  % am Kapital eines Unternehmens beteiligt ist, ist nach der unter 2.c) aufgeführten Rechtsprechung des BSG immer selbstständig, es sei denn, er hält die Kapitalanteile nur als Treuhänder. Nach der Rechtsprechung des BFH stellt die Beteiligung am Kapital dagegen nur eines von vielen Indizien (z.B. die Weisungsgebundenheit und Eingliederung in die betriebliche Organisation) dar, so dass danach auch der Mehrheit-Kapitaleigner Arbeitnehmer sein kann. Zu diesem Ergebnis war der BFH bereits in seiner Entscheidung vom 23.4.200929 gelangt, in der ein alleinvertretungsberechtigter Geschäftsführer mit 65 % an dem Un27 BFH v. 29.3.2017 – I R 48/16. 28 BFH, a.a.O., Rz. 9. 29 BFH v. 23.4.2009 – VI R 81/06, GmbHR 2009, 833, FR 2009, 1069 m. Anm. Bergkemper unter Hinweis auf die Urteile des BFH v. 19.2.2004 – VI R 122/00, GmbHR 2004, 829, FR

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ternehmen beteiligt war. Entscheidend für die Gesamtwürdigung des Geschäftsführers als Arbeitnehmer waren, dass der Geschäftsführer über ein festes Grundgehalt sowie wesentliche Arbeitnehmerrechte (z.B. Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, Urlaubsanspruch, Urlaubs- und Weihnachtsgeld) verfügte. Hieraus schloss der BFH im Übrigen, dass der Gesellschafter-Geschäftsführer kein Unternehmerrisiko trage. Der BFH hat ausgeführt, dass der Geschäftsführer einer GmbH steuerlich regelmäßig Arbeitnehmer nach § 1 Abs. 2 Sätze 1 und 2 LStDV sei, weil er als Organ in den Organismus der Gesellschaft eingegliedert sei und den Weisungen zu folgen habe, die sich aus dem Anstellungsvertrag und den Gesellschafterbeschlüssen in Verbindung mit den gesetzlichen Vorschriften ergäben. Der Gesellschafter-Geschäftsführer sei nicht von den Weisungen und der Kontrolle durch die Gesellschafterversammlung freigestellt, sondern unterliege lediglich aufgrund seiner Mehrheitsbeteiligung faktisch nicht dem Direktionsrecht der Gesellschafter. Diese Auffassung wird von der sozialgerichtlichen Rechtsprechung nicht geteilt. Die rein tatsächliche Möglichkeit, mit seiner Stimmenmehrheit jeden ihm nicht genehmen Beschluss der übrigen Gesellschafter zu blockieren, sieht die sozialgerichtliche Rechtsprechung als ein zwingendes Merkmal für die Selbstständigkeit des Mehrheitsgesellschafter-Geschäftsführers an. Der BFH meint dagegen, dass es entscheidungserheblich sei, dass im Anstellungsvertrag des Geschäftsführers keine Regelungen über die Arbeitszeit bzw. den Arbeitsort getroffen sowie eine gewinnabhängige Tantieme vereinbart worden sei. Der Annahme einer Beschäftigung als Arbeitnehmer stehe auch nicht entgegen, dass eine spätere steuerliche Außenprüfung eine Tantiemerückstellung als verdeckte Gewinnausschüttung beurteilt habe. Das BSG habe bereits in seinem Urteil vom 10.2.200530 die Auffassung vertreten, dass die Vereinbarung einer erfolgsbezogenen Entlohnung noch nicht die Übernahme eines Unternehmerrisikos bedeute, solange sich dies lediglich als Arbeitnehmerrisiko besonderer Art darstelle. Allerdings stimmt diese Rechtsprechung mit der Rechtsprechung des BSG überein, wenn ausgeführt wird, die Beurteilung der jeweils anderen Gerichtsbarkeit über den Status einer Person könne als Indiz gewertet werden. Es bestehe jedoch in dieser Frage keine Bindung zwischen Arbeits- und Sozialversicherungsrecht einerseits und Steuerrecht andererseits31. Im Gegensatz hierzu wurde ein Alleingeschäftsführer einer GmbH, der mit den Gesellschaftern einen Beratervertrag abgeschlossen hatte, der alle typischen Wesensmerkmale eines Vertrages über eine freie Mitarbeit aufwies, insbesondere keine Weisungsgebundenheit beinhaltete, als selbstständig angesehen32. 2004, 755 sowie v. 9.10.1996 – XI R 47/96, BFHE 182, 384, BStBl. II 1997, 255, GmbHR 1997, 374, DB 1997, 812. 30 BFH v. 10.2.2005 – IX B 183/03. 31 So schon BFH v. 17.2.2006 – V B 103/05; s. auch FG Rheinland-Pfalz v. 23.1.2014 – 6 K 2294/11 LS Nr. 1. 32 FG Berlin v. 6.3.2006 – 9 K 2574/03.

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Dabei verwies das FG auf die ständige Rechtsprechung des BFH, dass die Frage nach dem selbstständigen oder nicht-selbstständigen Tätigwerden natürlicher Personen für die Umsatz-, Einkommens- und Gewerbesteuer nach denselben Grundsätzen zu beurteilen sei33. Finanzgerichtliche und sozialgerichtliche Rechtsprechung verwenden bei der Abgrenzung der selbstständigen Tätigkeit von der abhängigen Beschäftigung/dem Arbeitnehmerbegriff im Wesentlichen die gleichen Merkmale, wenden diese aber in sehr unterschiedlicher Art und Weise an. Dies gilt vor allem für das Abgrenzungsmerkmal einer Mehrheitsbeteiligung, die in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung mit Ausnahme der Treuhandfälle regelmäßig zur Annahme einer selbstständigen Tätigkeit des Geschäftsführers, aber auch des anderweitig mitarbeitenden Gesellschafters führt, in der finanzgerichtlichen Rechtsprechung dagegen lediglich ein Indiz für Selbstständigkeit darstellt. b) Steuerrechtliche Überlegungen zum Status einer Person im Zusammenhang mit der Scheinselbstständigkeit Die finanzgerichtliche Rechtsprechung verwendet den Begriff der Scheinselbstständigkeit nur sehr selten und wenn dies geschieht, wird darauf hingewiesen, dass der Begriff der Scheinselbstständigkeit nicht mit dem steuerrechtlichen Arbeitnehmerbegriff nach § 1 Abs. 2 LStDV übereinstimmt34. In Abgrenzung des steuerrechtlichen Begriffs des Arbeitnehmers von dem des Gewerbetreibenden führt der BFH in seiner Entscheidung vom 13.12.2016 aus, dass der Arbeitnehmer seine Arbeitskraft schuldet, namentlich in der Betätigung seines geschäftlichen Willens unter der Leitung seines Arbeitgebers steht oder im geschäftlichen Organismus des Arbeitgebers dessen Weisungen zu folgen verpflichtet ist35. Ebenso wie bei der Abgrenzung des selbstständigen geschäftsführenden GmbH-Gesellschafters vom abhängig beschäftigten geschäftsführenden GmbH-Gesellschafter als Arbeitnehmer wird die Frage, ob eine Tätigkeit selbstständig oder nicht selbstständig ausgeübt wird, anhand einer Vielzahl in Betracht kommender Merkmale nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beurteilt36. Dabei bezieht die finanzgerichtliche Rechtsprechung auch das der Beschäftigung zugrunde liegende Vertragsverhältnis in die Überprüfung ein. In dieser Entscheidung, die den steuerrechtlichen Status eines Telefoninterviewers beinhaltete, wurde die Art der Vergütung (hier: Erfolgshonorare) als ein wesentliches Indiz angesehen, dass kein lohnsteuerrechtliches Beschäftigungsverhältnis vorliege. Im Gegensatz zu der sozialgerichtlichen Rechtsprechung vertritt der BFH in der v.g. Entscheidung die Auffassung, dass typischerweise keine Arbeitnehmertätigkeit vorliege, wenn Arbeitnehmer im Falle einer Erkrankung oder Ur33 Z.B. BFH v. 2.12.1998 – X R 83/96, BFHE 188, 101, BStBl. II 1999, 534, FR 1999, 521, DB 1999, 1044. 34 FG Köln v. 20.9.2015 – 1 K 2185/12; Hey in Tipke/Lang, Steuerrecht, 22. Aufl., G. Rz. 472. 35 BFH v. 13.12.2016 – X R 18/12, BFHE 256, 323, BStBl. II 2017, 450, DB 2017, 698. 36 BFH v. 18.6.2015 – VI R 77/12, FR 2015, 1086 m. Anm. Bergkemper m.w.N.

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laubsabwesenheit keine Aufträge ausführten, damit auch keine Einnahmen erzielen könnten und darüber hinaus die Möglichkeit besäßen, Aufträge abzulehnen. Ein fehlendes Unternehmerrisiko, so der BFH, lasse sich nicht daraus ableiten, dass die Interviewer nach der Rahmenvereinbarung ausschließlich im Rahmen einer Nebentätigkeit, also in nur geringem zeitlichen Umfang, arbeiten sollten. Denn der Umfang des wirtschaftlichen Risikos richte sich nicht nach dem Verhältnis der tatsächlichen zu der maximal möglichen gesamten Wochen- oder Monatsarbeitszeit. Dementsprechend trage auch ein ganztägig Beschäftigter nicht allein deshalb ein Unternehmerrisiko, weil er in Vollzeit tätig sei. Anders als die sozialgerichtliche Rechtsprechung geht die finanzgerichtliche Rechtsprechung davon aus, dass die Nichtgewährung von Sozialleistungen, insbesondere die Nichtgewährung von Lohnfortzahlung im Urlaubs- und im Krankheitsfall sowie weitere Transferleistungen für die Selbstständigkeit der betreffenden Personen spräche. Vielmehr deuteten die Merkmale Urlaubsanspruch, Anspruch auf sonstige Sozialleistungen und Anspruch auf Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfall auf eine Arbeitnehmereigenschaft hin. Der BFH sieht sich hierbei zu Recht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG37. Unter Bezugnahme auf die richtungsweisende Entscheidung des BFH v. 14.6.198538 („Werbedamenurteil“) wird eine Tätigkeit als selbstständig bezeichnet, wenn der sie Ausübende auf eigene Rechnung und eigene Gefahr sowie unter eigener Verantwortung arbeitet. Für eine Arbeitnehmereigenschaft sprechen nach dieser Auffassung die persönliche Abhängigkeit, die Weisungsgebundenheit hinsichtlich Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit, feste Arbeitszeiten, feste Bezüge, Urlaubsanspruch, Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfall, Unselbstständigkeit in Organisation und Durchführung der Tätigkeit, kein Unternehmerrisiko, keine Unternehmerinitiative, kein Kapitaleinsatz, Schulden der Arbeitskraft und nicht eines Arbeitserfolges. Insbesondere die Eingliederung in einen fremden Betrieb wird als prägend empfunden. Hierzu gehören z.B. die Nutzung der technischen Einrichtung eines anderen Betriebes wie Kameras, Mikrofone, Schnittplatz und Tonstudio zur Herstellung eigener Beiträge; ebenso die Pflicht, sich zur Nutzung der Ressourcen anzumelden und mit anderen Mitarbeitern des anderen Betriebes abzustimmen. Auch das Innehaben eines Postfachs, einer eigenen Mailadresse bei dem anderen Unternehmen sowie eigener Kennwörter für das Einloggen in das Netzwerk des Unternehmens, die Aushändigung eines Zwischenzeugnisses sowie einer Tätigkeitsbescheinigung, die Aushändigung eines Verhaltenskodex sprächen für einen Arbeitnehmerstatus. Unter Anwendung dieser Abgrenzungsmerkmale hat das FG Hamburg in seiner Entscheidung vom 2.8.2013 ausgeführt, programmgestaltende Mitarbeiter einer ­ öffentlich-­rechtlichen Rundfunkanstalt, die aufgrund von zeitlich befristeten Rahmenvereinbarungen über einen längeren Zeitraum beschäftigt und im Wesentlichen 37 BFH, a.a.O., Rz. 20; s. z.B. BSG v. 30.10.2013 – B 12 KR 17/11 R. 38 BFH v. 14.6.1985 – VI R 150-152/82, VI R 150/82, VI R 151/82, VI R 152/82.

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nur für einen Auftraggeber tätig werden, können, auch wenn nach den geschlossenen Verträgen keine Verpflichtung zur Erteilung bzw. Annahme einzelner Aufträge bestand, ihre berufliche Tätigkeit nach § 2 UStG nicht selbstständig ausüben mit der Folge, dass sie keine Unternehmer im umsatzsteuerrechtlichen Sinne sind39. Wegweisend hatte der BFH in seiner Entscheidung vom 25.6.2009 Merkmale, die für die Selbstständigkeit im Umsatzsteuerrecht sprechen, aufgestellt40. Hierzu gehören auf Selbstständigkeit hindeutend die Selbstständigkeit in der Organisation und bei der Durchführung der Tätigkeit, ein Unternehmerrisiko, eine Unternehmerinitiative, die Bindung nur für bestimmte Tage an den Betrieb sowie die geschäftlichen Beziehungen zu mehreren Vertragspartnern. Besondere Bedeutung kommt dem Handeln auf eigene Rechnung und Eigenverantwortung sowie dem Unternehmerrisiko (Vergütungsrisiko) zu. Wird eine Vergütung für Ausfallzeiten nicht gezahlt, spricht dies (anders in der sozialgerichtlichen Rechtsprechung) für Selbstständigkeit. Dagegen sprechen für persönliche Abhängigkeit die Weisungsgebundenheit bezüglich Ort, Zeit und Inhalt der Tätigkeit, feste Arbeitszeiten, Ausübung der Tätigkeit gleichbleibend an einem bestimmten Ort, feste Bezüge, Urlaubsanspruch, Anspruch auf sonstige Sozialleistungen, Fortzahlung der Bezüge im Krankheitsfall, Notwendigkeit der engen ständigen Zusammenarbeit mit anderen Mitarbeitern, Eingliederung in den Betrieb, Schulden der Arbeitskraft und nicht eines Arbeitserfolges, Ausführung von einfachen Tätigkeiten, die regelmäßig weisungsgebunden sind. Die Frage, ob eine Tätigkeit selbstständig oder nicht selbstständig ausgeübt wird, ist nach dem Gesamtbild der Verhältnisse zu beantworten. Diese Merkmale gleichen den Abgrenzungsmerkmalen der sozialgerichtlichen Rechtsprechung.

III. Fazit Nach der vorstehenden, ohne Anspruch auf Vollständigkeit durchgeführten Überprüfung der Gemeinsamkeiten und dem Trennenden steuerrechtlicher und beitragsrechtlicher Regelungen ist festzustellen, dass es zwischen beiden Gebieten viele ­Gemeinsamkeiten, aber auch einige Unvereinbarkeiten gibt. Vor allem die unterschiedlichen Heranziehungsprinzipien  – das im Sozialversicherungsrecht überwiegend geltende Entstehungsprinzip gegenüber dem steuerrechtlichen Zuflussprinzip (s. Seiten 824 a.E., 825) – verhindern häufig gleichartige bzw. übereinstimmende Entscheidungen in den beiden Rechtsgebieten.

39 FG Hamburg v. 2.8.2013 – 5 K 52/10. 40 BFH v. 25.6.2009 – V R 37/08 Rz. 17, BFHE 226, 415, BStBl. II 2009, 873, DB 2009, 2024, UR 2009, 88.

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Zu dem Trennenden gehört auch die Behandlung des Abgrenzungsmerkmals „Beteiligung am Unternehmenskapital“ bei der Statusfeststellung beim geschäftsführenden bzw. mitarbeitenden GmbH-Gesellschafter, das im Steuerrecht lediglich als eines von vielen Indizien angesehen wird, wohingegen es im Sozialversicherungsrecht als das für den sozialversicherungsrechtlichen Status prägende und in aller Regel entscheidende Kriterium behandelt wird (s. Seite 832). Ein geschäftsführender Gesellschafter, der mit 50 % am Geschäftskapital beteiligt ist, wird im Sozialversicherungsrecht im Gegensatz zum Steuerrecht in nahezu allen Fällen als selbstständig tätig angesehen werden. Dem stehen aber viele Gemeinsamkeiten gegenüber. Die Struktur der Außenprüfungen und der Feststellung des steuer- bzw. sozialversicherungsrechtlichen Status in beiden Rechtsgebieten ist gleich. In beiden Rechtsgebieten wird von einem offenen Typusbegriff des abhängig beschäftigten Arbeitnehmers bzw. des selbstständig Tätigen ausgegangen, der durch eine nicht abgeschlossene Anzahl von Abgrenzungskriterien auszufüllen ist. Sowohl die Grundsätze (s. Seite 825) der Feststellung als auch die Abgrenzungsmerkmale (s. Seite 831) sind ganz überwiegend gleich oder ähneln sich. In beiden Gebieten wird der sozialversicherungsrechtliche bzw. steuerrechtliche Status einer Person im Rahmen einer Gesamtwürdigung der Abgrenzungsmerkmale und nicht aus einer mathematischen Gegenüberstellung der Abgrenzungsmerkmale gewonnen. Die gesetzlichen Grundlagen (§ 1 LStDV auf der einen und § 7 Abs. 1 SGB IV auf der anderen Seite) werden ähnlich ausgelegt. Im Vordergrund stehen in beiden Gebieten die Abgrenzungsmerkmale des Weisungsrechts und der Eingliederung. Danach dürfte es keine unüberwindbaren Schwierigkeiten geben, beide Gebiete in einer einheitlichen Prüfung – durch einen Prüfer – durchzuführen. Der manchmal vorgebrachte Hinweis auf den „anderen Sinn und Zweck“ bzw. die „andere Zielrichtung“ des jeweils anderen Rechtsgebietes geht jedenfalls fehl, da das Sozialrecht als Beitragsrecht ebenso Teil der Eingriffsverwaltung ist wie das Steuerrecht.

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§ 70 AO – Zum Anwendungsbereich der Haftung des Vertretenen Inhaltsverzeichnis

I. Problemstellung und Grundlagen der Haftung

II. Anwendung nur auf Zölle und ­Verbrauchsteuern? III. Keine Anwendung auf Abzugsteuern? IV. Weitere Einschränkung: Reichweite „in Ausübung ihrer Obliegenheiten“

V. Einschränkung durch Ausschlusstat­ bestände des § 70 Abs. 2 AO



1. Kein Vermögensvorteil 2. Kein Auswahl- oder Beaufsichtigungsverschulden, § 70 Abs. 2 Satz 2 AO a) Voraussetzung des „Vermögens­ vorteils“ auch bei der Exkulpation nach Abs. 2 Satz 2 erforderlich? b) Auswahl- und Beaufsichtigungs­ verschulden nach Abs. 2 Satz 2

VI. Zusammenfassung

I. Problemstellung und Grundlagen der Haftung Deliktisches Handeln im Steuerrecht löst in den meisten Fällen eine eigene Steuerschuld aus. Der Handelnde wird Steuerschuldner der hinterzogenen Steuern und verantwortet strafrechtlich sein Delikt nach dem Tatbestand des § 370 AO. Im „Normalfall“ der Steuerhinterziehung ist regelmäßig der Begünstigte des Delikts also auch Täter und Steuerschuldner. Dasselbe gilt aufgrund des Transparenzprinzips bei der Deliktsbegehung als Gesellschafter der Personengesellschaft. Ist der Täter oder Teilnehmer des Delikts aber z.B. als Geschäftsführer bzw. Vorstand einer Kapitalgesellschaft tätig, so löst seine Steuerhinterziehung i.d.R. Steuerschulden der Gesellschaft aus. Werden die entstandenen Steuerschulden nicht beigetrieben, haften die handelnden Personen als Vertreter gem. §§ 69, 34, 35 AO sowie als Steuerhinterzieher gem. § 71 AO. Die Haftungstatbestände der §§ 69 und 71 AO normieren also für die Fälle der Pflichtverletzung und Steuerhinterziehung eine Haftung auf Schadensersatz und schließen damit u.a. eine Lücke im Regime der deliktischen Haftung des Zivilrechts1. Die Haftung für Steuerschulden aus den §§ 823 ff. BGB ist zwar ausweislich der Gesetzesbe-

1 Boeker in H/H/Sp, § 71 AO Rz. 3 f.; Loose in Tipke/Kruse, § 69 AO Rz. 2 ff.; zum zivilrechtlichen Hintergrund insb. des § 69 AO s. Beermann in FS Klein 1994, 953 (961), mit Hinweis auf die Begründung zum Entwurf der RAO, Drucks. Nr.  759 der Verfassungsgebenden Deutschen Nationalversammlung, 104.

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gründung zumindest durch § 71 nicht ausgeschlossen2, scheitert aber daran, dass bei der Steuerhinterziehung lediglich das Vermögen des Fiskus geschmälert wird und § 370 AO keinen individualschützenden Charakter hat3. Denkbar sind jedoch auch Fälle, bei denen der Begünstigte einer Steuerstraftat diese nicht selbst begeht, etwa weil er als Kapitalgesellschaft keines eigenen deliktischen Handelns fähig ist und sich von daher natürlicher Personen als Vertreter bemächtigen muss oder weil er als begünstigte natürliche Person durch Dritte vertreten wird. Sind die Vertreter Täter oder Teilnehmer einer Steuerstraftat, kommt eine Haftung nach § 70 AO in Betracht, soweit der Vertretene nicht selbst Steuerschuldner ist: „(1) Wenn die in den §§ 34 und 35 bezeichneten Personen bei Ausübung ihrer Obliegenheiten eine Steuerhinterziehung oder eine leichtfertige Steuerverkürzung begehen oder an einer Steuerhinterziehung teilnehmen und hierdurch Steuerschuldner oder Haftende werden, so haften die Vertretenen, soweit sie nicht Steuerschuldner sind, für die durch die Tat verkürzten Steuern und die zu Unrecht gewährten Steuervorteile. (2) Abs. 1 ist nicht anzuwenden bei Taten gesetzlicher Vertreter natürlicher Personen, wenn diese aus der Tat des Vertreters keinen Vermögensvorteil erlangt haben. Das Gleiche gilt, wenn die Vertretenen denjenigen, der die Steuerhinterziehung oder die leichtfertige Steuerverkürzung begangen hat, sorgfältig ausgewählt und beaufsichtigt haben.“

Anknüpfungspunkt für den Haftungsanspruch aus § 70 AO ist die Übertragung von (steuerlichen) Aufgaben auf Personen der §§ 34, 35 AO z.B. auf den Geschäftsführer einer GmbH und/oder auf den Vorstand einer AG. Dem Steuergläubiger droht eine Beeinträchtigung seiner Ansprüche, soweit es auf Seiten des Vertretenen mittels seiner Vertreter zu Pflicht- bzw. Obliegenheitsverletzungen oder Straftaten kommt und die Täter selbst nicht zum Ausgleich des Steuerschadens in der Lage sind, da die Vorteile der Tat beim Vertreter liegen4. Vor dieser Gefährdung zu schützen, ist der vorrangige Zweck des § 70 AO. Um das Risiko auszuschalten, dass durch Einschaltung einer nach §§ 34, 35 AO 1977 genannten Person, die Ansprüche des Steuergläubigers gefährdet werden, hat der Vertretene nicht für steuerliche Pflichtverletzungen seiner Vertreter5, aber für Verletzungen der eigenen Pflicht, diese sorgfältig auszuwählen und zu überwachen, unter bestimmten Voraussetzungen einzustehen. § 70 AO verfolgt daher nicht zuletzt den Zweck, dem Vertretenen gewisse Kontroll- und Überwachungspflichten aufzuerlegen. Orientiert man sich erneut am Deliktsrecht des BGB, so lassen sich die Parallelen zu § 831 BGB kaum verleugnen. Es geht hierbei neben der schlichten Kompensation von Steuerausfällen auch um die präventive Bedrohung des Vertretenen, für eigene Pflichtverletzungen bei Taten der

2 BT-Drucks. VI/1982, 120; so auch FG Düsseldorf v. 4.8.1992 – 14 V 2425/92 A (H), EFG 1992, 702; Das Konkurrenzverhältnis ist bei § 69 umstritten, s. Klein/Rüsken, § 69 AO Rz. 5 sowie Loose in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 69 AO Rz. 2. 3 BFH v. 19.8.2008 – VII R 6/07, BStBl. II 2008, 947 m.w.N.; v. 20.3.2012 – VII R 12/11, ­BStBl. II 2012, 491. 4 So die Regierungsbegründung BT-Drucks. VI/1982, 119 f. 5 So aber Fehsenfeld, DStZ 2012, 852 (853).

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in §§ 34, 35 AO bezeichneten Personen unter bestimmten Voraussetzungen eintreten zu müssen. Der Wortlaut der Vorschrift ist sehr weit gefasst. Nahezu alle denkbaren Fälle steuerdeliktischen Vertreterhandelns sind umfasst. Die bisherige Rechtsprechung hierzu ist hingegen (noch) übersichtlich. Das FG Münster hatte im Urteil vom 10.12.2013 (Urt. v. 10.12.2013 – 2 K 4490/12, EFG 2014, 801) die Haftung einer Fleischwaren-Produktions-GmbH bejaht, bei der der Geschäftsführer mit zahlreichen Kunden der Klägerin ein Rechnungssplitting betrieben hatte. Das FG Kassel entschied mit Beschluss vom 26.5.2011 (Beschl. v. 26.5.2011 – 7 V 2951/10, PStR 2012, 188) über die Haftung eines Milcheinkäufers, der aus Produktionsbetrieben beliefert wurde. Die dort anfallenden Milchgarantieabgaben fielen in einem Fall der Insolvenz eines Produzenten und Belieferers nach deliktischem Handeln der dortigen Arbeitnehmer aus und waren Gegenstand der Haftung der Klägerin, des Milcheinkäufers. Das FG Düsseldorf hatte im Urteil vom 18.2.2010 (8 K 4290/06 H, EFG 2010, 998) über die Haftung eines inländischen Bankinstituts zu entscheiden, nachdem ihre Mitarbeiter Kunden einen anonymen Transfer von Wertpapieren zu einer Auslandstochter der Bank ermöglicht hatten und dadurch den Kunden halfen, steuerpflichtige Kapitalerträge zu hinterziehen. Gegenstand der Klageabweisung waren hier nur unvollständige Feststellungen der Delikte der Kunden. Den Anwendungsbereich des § 70 AO sah das FG Düsseldorf für gegeben. Alle vorgenannten gerichtlichen Entscheidungen gingen von dem uneingeschränkten Anwendungsbereich der Norm nach ihrem Wortlaut aus. Hiernach lassen sich enorm viele Fallgestaltungen denken, in denen die Haftung des Vertretenen künftig Anwendung finden könnte. Banken und Versicherungen beauftragen regelmäßig ihre Vertreter, steuerliche Pflichten ihrer Kunden zu unterstützen. Im Falle deliktischen Handelns der Versicherungs- oder Bankkunden können Beihilfetaten der Mitarbeiter (soweit nach §§  34, 35 AO legitimiert) zu Haftungstatbeständen der Banken oder Versicherungen führen. Der obige Fall des FG Düsseldorf dürfte hier ein Startschuss dieser Fallgestaltungen im Bereich der Banken gewesen sein. Alle cum-ex-Fälle, die zwischenzeitlich auch als strafbare Handlungen erkannt werden, betreffen Haftungen der Banken und der Beratungsgesellschaften nach § 70 AO über Beihilfetaten ihrer Mitarbeiter. Im Handel können Programmier-Unternehmen oder IT-Dienstleistungsunternehmen für Beihilfetaten ihrer Mitarbeiter (§§ 34, 35 AO) haften, wenn elektronische Systeme Steuerhinterziehungen der Programmkunden ermöglichen oder leichtfertige Steuerverkürzungen nicht ausreichend ausschließen. Berechnen Versicherungsdienstleister Besteuerungsgrundlagen der Kunden und verantworten sich hier Mitarbeiter der Beihilfe zur Steuerhinterziehung aufgrund wissentlich unrichtiger Angaben der Kunden (z.B. bei der Berechnung der Höhe von Pensionsrückstellungen bei wissentlich durch die Kunden rückdatiertem Pensionsverzicht, der bei den Kunden Einkünfte aus § 19 EStG auslösen, die dort aber nicht erklärt wurden und die Steuererhebung ausfällt), ist der Vertretene nach dem Wortlaut des § 70 AO in der Haftung für diese Steuern. Ermöglicht eine Online-Handelsplattform den Kunden eine Steuerhinterziehung oder ist hieran in Beihilfe verantwortlich, kommt ebenfalls eine Haftung dieser Ver843

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tretenen in Betracht6. Unendlich viele weitere Fälle – insbesondere der Beihilfe – zur Steuerhinterziehung lassen sich denken. Auch Taten des Vertreters als Mittäter von Steuerhinterziehungen Dritter (z.B. in Ketten von Abdeckrechnungen, in Umsatzsteuerkarussellen etc.) könnte nach dem weiten und offenen Wortlaut zu einer Haftung des Vertretenen führen. Lediglich von Vornherein aus dem Anwendungsbereich des § 70 AO ausgenommen sein dürfte der Gesellschafter als Vertreter von Personengesellschaften, da die Gesellschaft bzw. die weiteren Gesellschafter aufgrund des Prinzips der Selbstorganschaft nicht zur Auswahl und Überwachung des geschäftsführenden Gesellschafters berufen sind7. Dies wird allerdings durch den Ausschlusstatbestand des § 71 Abs. 2 Satz 2 AO vorausgesetzt. Darüber hinaus werden Personengesellschaften auch nach § 34 Abs. 1, 2 AO nicht vertreten und sind daher in diesem Zusammenhang nicht Haftungsschuldner nach § 70 AO. Es fehlt hier schlicht an einer von der Norm vorausgesetzten Prinzipal-Agent-Beziehung, wie sie z.B. zwischen GmbH-Geschäftsführer und Gesellschafterversammlung oder AG-Vorstand und Aufsichtsrat besteht. Aufgrund des weiten Anwendungsbereichs fragt sich, ob die Norm ihrem Wortlaut nach uneingeschränkt anwendbar ist und erst durch die Ausschlusstatbestände des Abs. 2 beschränkt wird, oder ob sich bereits in ihrer Auslegung Einschränkungen ergeben.

II. Anwendung nur auf Zölle und Verbrauchsteuern? Schon die Begründung zum Regierungsentwurf8 der damaligen Neuregelung des § 70 AO erkannte den Anwendungsbereich auf dem Gebietes des Zoll- und Verbrauchsteuerrechts: „Die Vorschrift regelt nach dem Vorbild des § 111 Abs. 1 AO die Haftung der Vertretenen in den Fällen, in denen Vertreter i.S.d. §§ 37 und 389 dadurch Steuerschuldner oder Haftende werden, dass sie vorsätzlich oder leichtfertig Steuern verkürzen. Die Vorschrift hat insbesondere Bedeutung auf dem Gebiet des Zoll- und Verbrauchsteuerrechts. (…)“ Schon vor Einführung der Reichsabgabenordnung 1919 enthielten einige Zoll- und Verbrauchsteuergesetze Haftungstatbestände, die eine Haftung des Vertretenen durch seinen Vertreter bezeichneten. Hiernach hafteten der Betriebsinhaber, Warenhersteller usw. für die gegen seine Angestellten und Familienangehörigen festgesetzten Geldstrafen aufgrund deren Steuervergehen und für die nicht entrichteten Steuern, vgl. 6 Hier ist insbesondere an den Verkauf von Waren über den sog. Amazon Marketplace durch Händler mit Sitz im Ausland zu denken. Zu den umsatzsteuerrechtlichen Risiken s. Denker/ Trinks, UStB 2017, 54. 7 Ähnliches erkennt auch Loose in Tipke/Kruse, § 70 AO Rz. 19, zieht daraus aber nur Rückschlüsse auf die Exkulpation. 8 BT-Drucks. VI/1982, 119 f.; Mittelsteiner/Schaumburg, AO 1977, 126 f. 9 Jetzt §§ 34 und 35 AO 1977.

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§ 70 AO – Zum Anwendungsbereich der Haftung des Vertretenen

z.B. § 153 VZG10, § 151 GewO, § 21 ZigStG11, § 52 TabakStG oder § 31 WeinStG12. Die Haftung beschränkte sich hierbei nur dann auf die nicht entrichteten Steuern, wenn die Steuervergehen ohne Wissen des Betriebsinhabers begangen worden sind. 10 § 153. Vereinszollgesetz, Bundesgesetzblatt des Norddeutschen Bundes Band 1869, Nr. 30, Seite 317 – 364: „Subsidiarische Vertretungsverbindlichkeit dritter Personen 1) Handel- und Gewerbtreibende haben für ihre Diener, Lehrlinge, Markthelfer, Gewerbsgehülfen, Ehegatten, Kinder, Gesinde, und die sonst in ihrem Dienste oder Tagelohn stehenden oder sich gewöhnlich bei der Familie aufhaltenden Personen, 2) Eisenbahnverwaltungen und Dampfschifffahrtsgesellschaften für ihre Angestellten und Bevollmächtigten, 3) andere nicht zur Handel- und gewerbtreibenden Klasse gehörenden Personen aber nur für ihre Ehegatten und Kinder, rücksichtlich der Geldbußen, Zollgefälle und Prozesskosten zu haften, in welche die solchergestalt zu vertretenden Personen wegen Verletzung der zollgesetzlichen oder Zollverwaltungs-Vorschriften verurtheilt worden sind, die sie bei Ausführung der [362] ihnen von den subsidiarisch Verhafteten übertragenen oder ein- für allemal überlassenen Handels-, Gewerbs- und anderen Verrichtungen zu beobachten hatten. Der Zollverwaltung bleibt in dem Falle, wenn die Geldbuße von dem Angeschuldigten nicht beigetrieben werden kann, vorbehalten, die Geldbuße von dem subsidiarisch Verhafteten einzuziehen, oder stattdessen und mit Verzichtung hierauf die im Unvermögensfalle an die Stelle der Geldbuße tretende Freiheitsstrafe sogleich an dem Angeschuldigten vollstrecken zu lassen. Weisen indessen die unter 1. und 3. bezeichneten subsidiarisch Verhafteten nach, dass das Zollvergehen ohne ihr Wissen verübt worden ist, so haften sie nur für die Zollgefälle.“ 11 § 21 Zigarettensteuergesetz: Deutsches Reichsgesetzblatt Band 1906, Nr. 31, Seite 631-642: „Haftung für andere Personen Hersteller und Verkäufer von der Zigarettensteuer unterliegenden Waren haften für die von ihren Verwaltern, Geschäftsführern, Gehilfen und sonstigen in ihrem Dienste oder Lohne stehenden Personen sowie von ihren Familien- oder Haushaltungsmitgliedern verwirkten Geldstrafen und Prozesskosten und für die nachzuzahlende Steuer im Falle des Unvermögens der eigentlich Schuldigen. Wird nachgewiesen, dass die Zuwiderhandlung ohne ihr Wissen verübt ist, so haften sie nur für die Steuer. Die Haftung für Geldstrafen kann nur durch richterliches Urteil ausgesprochen werden. Ist die Geldstrafe von dem Schuldigen nicht beizutreiben, so kann die Steuerbehörde davon absehen, den für die Geldstrafe Haftenden in Anspruch zu nehmen, und die an Stelle der Geldstrafe tretende Freiheitsstrafe an dem Schuldigen vollstrecken lassen.“ 12 §  31 Weinsteuergesetz vom 26.7.1918 (RGBl.  S.  831), in neuer Fassung vom 10.8.1925 (RGBl. I S. 248): „§ 31 Haftung für andere Personen Inhaber der unter das Weinsteuergesetz fallenden Betriebe haften für die von Ihren Verwaltern, Geschäftsführern, Gehilfen und sonstigen in ihrem Dienste oder Lohne stehenden Personen sowie von ihren Familien- oder Haushaltsmitgliedern auf Grund dieses Gesetzes verwirkten Geldstrafen und Kosten des Strafverfahrens sowie für die nachzuzahlende Steuer. Die Haftung für die Geldstrafe und die Kosten tritt nicht ein, wenn die Zuwiderhandlung nachweislich ohne Wissen des Inhabers begangen worden ist; die Haftung ist aber auch in diesem Falle begründet, wenn es der Inhaber bei der Auswahl oder der Beaufsichtigung des Angestellten oder bei der Beaufsichtigung der Familien- oder Haushaltsmitglieder an der erforderlichen Sorgfalt hat fehlen lassen oder wenn er aus der Tat einen Vorteil gezogen hat.“

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Mit der Einführung der Reichsabgabenordnung 1919 wurden die in den jeweiligen Einzelsteuergesetzen vorhanden Normen „allgemeingültig kodifiziert“13. Im Gegensatz zu den Zoll- und Verbrauchsteuergesetzen erfolgte eine Trennung der Haftung für die verkürzten Steuern, von der Haftung für die vom Vertreter verwirkten Geldstrafen. Letztere wurde in § 381 RAO 1919 gesondert geregelt. Die Begründung des Entwurfes der RAO 1919 enthielt hierzu lediglich die Anmerkung, dass § 92 RAO 1919 bereits für alle Verbrauchsabgaben und Zölle gilt, grundsätzlich aber auf alle Steuern auszudehnen sei14. In Anlehnung an die zoll- und verbrauchsteuerrechtlichen Regelungen sahen auch die §§ 92 und 381 RAO 1919 eine Exkulpationsmöglichkeit vor (§§ 92 Abs. 2, 381 Abs. 2 RAO). Zudem wurde hierdurch die Regelung des § 831 BGB – die Haftung für den Verrichtungsgehilfen – und die entsprechenden Exkulpationsmöglichkeiten aufgegriffen15. Im Gegensatz zur Regelung nach § 153 VZG, die auch eine Haftung für Zollgefälle vorsah, wenn die Zollübertretung ohne Wissen des Haftenden begangen worden ist, bedeutete die Neuregelung des § 92 Abs. 2 RAO 1919 eine deutliche Abmilderung16. Mit der Neufassung der Vorschrift durch § 111 RAO 1931 wurde der Wortlaut der „Steuergefährdung“ aus § 92 RAO 1919 durch die Bezeichnung „leichtfertige Steuerverkürzung“ ersetzt. Der Reichsfinanzhof entschied 1936 zum Verhältnis der Abs. 1 und 2, dass diese selbständig nebeneinander stehen und Abs. 2 keine Sondervorschrift zu Abs. 1 darstellt. Demnach gilt im Verhältnis der Absätze zueinander, dass, wenn ein Angestellter oder eine sonstige in Abs. 2 genannte Person als Vertreter, Verwalter oder Bevollmächtigter eine Hinterziehung oder Steuergefährdung i.S.d. Abs. 1 begangen hat, die Haftung des Vertretenen aus Abs. 1 gegeben ist, auch wenn die im Fall des Abs. 2 entlastenden Voraussetzungen vorliegen17. Mit Einführung der heutigen Vorschrift des § 70 AO 1977 wurde der Anwendungsbereich nochmals eingeschränkt: Die Vorgängerregelung umfasste noch in § 111 Abs. 2 eine Haftung für Familien- und Haushaltsangehörige sowie Arbeitnehmer. Diese Haftung ist auf Personen i.S.d. §§ 34, 35 AO eingeschränkt worden. Mit der Geltung der heutigen Regelung der Zölle im Zollkodex ist die erweiterte und umfassende Entstehung der Zollschuld in den Art. 201–205 ZK geregelt, jeweils gegliedert gleichermaßen in Abs. 1 (Entstehen des Zollanspruchs), Abs. 2 (Zeitpunkt) und Abs. 3 (Zollschuldner). Hierbei ist die Zollschuldnerschaft weit ausgedehnt worden. Zollschuldner sind z.B. in Art 202 Abs. 3 (Vorschriftswidriges Verbringen in das Zollgebiet): −− die Person, welche die Ware vorschriftswidrig in dieses Zollgebiet verbracht hat; 13 Barske, Reichsabgabenordnung, 62, Anlage 3, m.w.N. 14 Drucks. der Nationalversammlung Nr. 759, 586. 15 Hensel, Der Einfluss des Steuerrechts auf die Begriffsbildung des öffentlichen Rechts, 117 Fn. 4 zu § 111 Abs. 2 RAO. 16 Drucks. der Nationalversammlung Nr. 1460, 1394. 17 RFH v. 4.3.1936, RStBl. 1936, 225.

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§ 70 AO – Zum Anwendungsbereich der Haftung des Vertretenen

−− die Personen, die an diesem Verbringen beteiligt waren, obwohl sie wussten oder vernünftigerweise hätten wissen müssen, dass sie damit vorschriftswidrig handeln; −− die Personen, welche die betreffende Ware erworben oder im Besitz gehabt haben, obwohl sie in dem Zeitpunkt des Erwerbs oder Erhalts der Ware wussten oder vernünftigerweise hätten wissen müssen, dass diese vorschriftswidrig in das Zollgebiet verbracht worden war. Jede Zollhinterziehung ist zugleich eine Steuerhinterziehung gem. § 370 AO. Steuergesetze i.S.d. § 369 AO sind auch die nationalen sowie europäischen Vorschriften für Zölle. Jedoch ist trotz dieser Ausweitung der Steuerschuldnerschaft in den Fällen, in denen der Steuerschuldner mit der Zahlung ausfällt, eine Haftung des Vertretenen nach § 70 AO bei deliktischem Handeln der nach §§ 34, 35 AO beauftragten Arbeitnehmer denkbar, soweit hierdurch der Vertretene nicht selbst Zollschuldner wird, so dass die Anwendung des §  70 im Zollbereich nicht vollständig durch die heutigen Regelungen im Zollkodex ausgeschlossen ist18. Die frühere Einschränkung im AO-Anwendungserlasses (AEAO) zu § 70 AO, dass die Vorschrift vor allem Bedeutung auf dem Gebiet des Zoll- und Verbrauchsteuerrechts hat19, wurde mit BMF-Schr. v. 4.8.200520 erweitert und die Formulierung „insbesondere bei Abzugsteuern“ ergänzt. Damit hat die Finanzverwaltung Ihre Auffassung dahingehend präzisiert, dass die Haftung des Vertretenen auch auf weitere Besitz- und Verkehrssteuern, wie z.B. die Einkommensteuer Anwendung finden soll. Soweit in der Literatur vertreten wird, dass § 70 AO sich nur im Bereich der Zölle und Verbrauchsteuern auswirkt, „da in den anderen Fällen der Vertreter bereits Schuldner und damit Eigenhafter ist“21, lässt sich hierfür methodisch keine Grundlage finden. Auch wenn sich gezeigt hat, dass die Norm nach ihrer Entstehungsgeschichte nur auf Verbrauchsteuern und Zölle begrenzt sein kann, so wäre bei einer dahingehenden historischen Auslegung die Grenze des Wortsinns22 überschritten. Der Wortlaut des § 70 AO lässt nämlich keine Beschränkung auf bestimmte Steuerarten erkennen. Für eine teleologische Reduktion ergibt sich ebenfalls kein Raum, da es hierfür einer Divergenz zwischen Gesetzeswortlaut und Gesetzeszweck bedürfte. Wie bereits gezeigt, möchte §  70 AO zunächst dem Vertretenen Vorteile entziehen, die er durch rechtswidriges Verhalten seines Vertretenen erhalten und im Anschluss daran den Kreis der Haftenden erweitern kann, da die Täter selbst häufig nicht in der Lage sein werden, den verursachten Steuerschaden auszugleichen. Etwas anderes ergibt sich 18 A.A. Olgemüller, ZfZ 2006, 74, der die Anwendung der Haftungsvorschriften aufgrund des Absolutheitsgrundsatzes der Art. 201 ff. ZK für ausgeschlossen hält. 19 In der Fassung des AEAO v. 15.7.1998, BStBl. I 1998, 630 (685) hieß es noch: „[…] im Bereich der Besitz- und Verkehrsteuern kommt ihre Anwendung nur bei Abzugsteuern in Betracht.“ 20 BMF – IV A 4 - S 0062 - 4/05; BStBl. I 2005, 838. 21 Tipke, Steuerrecht, 11. Aufl., § 7 Rz. 56. 22 Dieser ist nach st. Rspr. des BVerfG die Grenze jeder Auslegung, vgl. etwa 2 BvR 2238/07, NJW 2008, 3627.

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auch nicht aus der Gesetzesbegründung23. Mit der Formulierung „Die Vorschrift hat insbesondere Bedeutung auf dem Gebiet des Zoll- und Verbrauchsteuerrechts.“ hat der Gesetzgeber zum Ausdruck gebracht, dass auch darüber hinaus ein Anwendungsbereich der Norm besteht24. Sie dürfte maßgeblich darauf zurückzuführen sein, dass der Vertretene bei anderen Steuerarten zumeist zugleich Steuerschuldner ist und damit eine Haftung systematisch ausgeschlossen ist.

III. Keine Anwendung auf Abzugsteuern? Streitig in der Literatur ist, ob die Anwendung des § 70 AO teleologisch dahingehend zu reduzieren ist, dass Abzugsteuern nicht in den Anwendungsbereich der Norm fallen. Hierzu vertritt Loose25, dass Abzugsteuern durchaus vom Wortlaut erfasst sind, bei Abzugsteuern aber auch die Vertretenen i.d.R. bereits haften und der Wortlaut der Vorschrift des § 70 AO insofern erweitert einzuschränken ist, dass die Einschränkung des § 70 Abs. 1 AO „soweit sie nicht Steuerschuldner sind“ auch auf Haftungsschuldner zu ergänzen ist. Es fehlten im Wortlaut die Worte „oder Haftende“26. Diese spe­ zialgesetzlichen Haftungsnormen der Abzugsteuern seien hier leges speciales. Denkbare Fälle betreffen z.B. die Verletzung der Einbehaltungs- und Abführungspflicht durch den gesetzlichen Vertreter. In diesen Fällen wird der Vertretene Haftungsschuldner z.B. Haftung nach § 42d EStG bei Arbeitnehmern (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG), Haftung nach 44 Abs. 5 Satz 1 EStG betreffend die Gläubiger der Kapitalerträge (§ 44 Abs. 1 Satz 1 EStG), § 48a Abs. 3 Satz 1 EStG als beschränkt Steuerpflichtiger nach § 50a Abs. 5 Satz 4 EStG, oder als Erbringer von Bauleistungen, § 48a III 1 EStG sowie als Haftender nach § 7 Abs. 1 Satz 2 VersStG betreffend die Verpflichtungen der Versicherungsnehmer (§ 7 Abs. 1 Satz 1 VersStG). Loose sieht hier die speziellere Ausgestaltung der Haftung als Begründung, dass die allgemeinere Haftung nach § 70 AO hinter diesen Vorschriften zurücktritt27. Die Gegenauffassung vertritt das BMF im oben zitierten AEAO zu § 70 AO, das wie ausgeführt, den Anwendungsbereich „insbesondere bei Abzugssteuern“ erkennt28. Die Frage nach dem Anwendungsbereich des § 70 AO ist vor dem Hintergrund der durch die Steuerhinterziehung nach § 70 AO auf 5 Jahre bei leichtfertiger Steuerverkürzung des Vertreters bzw. 10 Jahre bei Steuerhinterziehung des Vertreters verlängerten Festsetzungsfrist gem. § 191 Abs. 3 Satz 2 AO nicht nur von akademischer Be-

23 BT-Drucks. VII/1982, 119 f. 24 A.A. wohl Fehsenfeld, DStZ 2012, 852 (857 f.), der hierin den Willen des Gesetzgebers zur Begrenzung des Anwendungsbereichs erkennen will. 25 Loose in Tipke/Kruse, § 70 AO Rz. 3. 26 Loose in Tipke/Kruse, § 70 AO Rz. 3. 27 So auch Klein/Rüsken, § 70 AO Rz. 1a. 28 AaO, dem folgend Boeker in H/H/Sp, § 70 AO Rz. 10; BG/Jatzke, § 70 Rz. 2; S/P/Schwarz, § 70 AO Rz. 3a.

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§ 70 AO – Zum Anwendungsbereich der Haftung des Vertretenen

deutung29. Der BFH erkennt diese Festsetzungsfristen ausdrücklich nur dann an, wenn der Haftungsbescheid auf § 70 AO (und in dem parallelen Fall der Festsetzungsverlängerung auf § 71 AO) gestützt sei30. Ein auf allgemeine Pflichtverletzung nach §§ 69, 34, 35 AO gestützter Haftungsbescheid könne daher nach Auffassung des BFH die Festsetzungsfrist selbst dann nicht verlängern, wenn dem schuldhaften Verhalten des Geschäftsführers zwar eine Steuerstraftat zugrunde liege, aber der Haftungsbescheid sich nicht auf §§ 70, 71 AO stütze31. Die Argumentation, die auch Abzugsteuern in den Anwendungsbereich des § 70 AO einbeziehen möchte, übersieht, dass eine Spezialität der Haftungsnormen nicht von der Reichweite der jeweiligen Rechtsfolgen bestimmt wird, sondern zunächst allein vom Tatbestand. Der Umstand, dass § 70 AO in den Rechtsfolgen gegenüber den o.g. speziellen Haftungstatbeständen auf eine erweiterte Festsetzungsfrist verweisen soll, ist nicht relevant. Eine Haftungsvorschrift tritt regelmäßig dann hinter speziellen Normen zurück, wenn der Tatbestand spezieller ausgestaltet ist32. Dies ist hier bei den genannten §§ 42d EStG, §§ 44 Abs. 5 Satz 1 und 45a Abs. 7 EStG, § 7 Abs. 1 Satz 2 VersStG, § 50a Abs. 5 Satz 4, 5 EStG und § 20 Abs. 5 ErbStG nicht ganz klar zu beantworten, da sich zwischen den Tatbeständen zwar Schnittmengen ergeben, eine Straftat aber nicht zugleich Voraussetzung der Haftungsnormen der Einzelsteuergesetze ist. Dass es sich bei dem nach Loose fehlenden Zusatz „oder Haftender“ in Abs. 1 nur um ein Redaktionsversehen gehandelt haben kann, lässt sich aber mit dem Telos der Norm begründen, der durch die Rückgriffsmöglichkeit auf den Vertretenen Steuerschäden vermeiden möchte. Sofern der Vertretene bereits Haftungsschuldner ist, wäre eine weitere Haftung redundant. So verhält es sich jedenfalls im Falle der Ab­ zugsteuern. Alle Haftungstatbestände treffen den jeweiligen Vertretenen in seiner Form als Arbeitgeber, als auszuzahlende Stelle der Kapitalerträge, als Versicherer, als Schuldner der Aufsichtsratsvergütung oder unentgeltlich Zuwendenden einer Erbschaft vor Entrichtung der Erbschaftsteuer. Soweit hier der Vertreter über sein haftungsauslösendes Handeln hinaus noch zusätzlich deliktisch handelt, mag dies zu einer Haftung des Vertreters nach § 71 AO führen. Die verdrängende Spezialität dieser die Abzugssteuern betreffenden Haftungsnormen wird jedoch von § 70 AO aufgrund der vorzunehmenden teleologischen Reduktion nicht berührt.

IV. Weitere Einschränkung: Reichweite „in Ausübung ihrer ­Obliegenheiten“ Erforderlich ist weiterhin, dass die Vertreter im oben genannten Sinne die Steuerhinterziehung oder die leichtfertige Steuerverkürzung „bei Ausübung ihrer Obliegenheiten“ begangen haben. Hiermit wird der Haftungstatbestand eingegrenzt. Handlungen außerhalb der Obliegenheiten des Vertreters sollen nicht zur Haftung des Vertretenen 29 Halaczinsky, Die Haftung im Steuerrecht, Rz. 139, 163. 30 BFH v. 22.4.2008 – VII R 21/07, BStBl. II 2008, 735. 31 BFH v. 22.4.2008 – VII R 21/07, BStBl. II 2008, 735. 32 Wank, Die Auslegung von Gesetzen, 114 f.

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führen können. Über die Definition der Obliegenheit ergibt sich also die erste Möglichkeit den sehr weiten Anwendungsbereich des § 70 AO zu begrenzen. Obliegenheiten dürfen hier nicht mit konkreten Befugnissen oder Weisungen verwechselt werden, da die im weiteren Tatbestand erforderliche Steuerhinterziehung und leichtfertige Steuerverkürzung üblicherweise wohl nicht zu den Befugnissen gehören, die den Vertretern i.S.d. §§ 34, 35 AO „als Obliegenheit“ eingeräumt werden oder auch nur eingeräumt werden dürfen33. Der Begriff der „Obliegenheiten“ ist seit der RAO 1919 unverändert fortgeführt worden, eine legale Definition existiert nicht. In jedem Fall ist aber an den Bereich der dem Vertreter übertragenen Aufgaben anzuknüpfen, so dass die Steuerstraftat oder Ordnungswidrigkeit in einem Abhängigkeits- oder sogar Ursächlichkeitsverhältnis zu der Erfüllung übertragener Aufgaben stehen muss. Auch hier zeigen sich deutlich die Parallelen zum Verrichtungsgehilfen, dessen Handlung ebenfalls nur dann zu einer Haftung des Geschäftsherren führt, sofern ein qualifizierter innerer Zusammenhang zwischen den übertragenen Aufgaben und der Schadenszufügung besteht und nicht ein bloßes Handeln bei Gelegenheit vorliegt34. In der Rechtsprechung und Literatur wird die Obliegenheit entsprechend dahingehend eingegrenzt, dass die Steuerstraftat in unmittelbarer Beziehung zu der Stellung und den damit verbundenen Aufgaben des Täters stehen muss und so, wie sie geschehen ist, ohne die Stellung des Täters also nicht hätten begangen werden können35. Schon seit der Rechtsprechung des Reichsfinanzhofes36, dem auch der BGH für Strafsachen37 und die Literatur38 weitgehend folgen, wird fast einhellig die Ansicht vertreten, dass zwischen Ort, Zeit und Art der Ausführung der Tat sowie der Ausübung der Obliegenheit ein ursächlicher Zusammenhang bestehen muss. Die Steuerstraftat muss hiernach in unmittelbarer Beziehung zu den Obliegenheiten des Vertreters stehen39. Allerdings ist es dabei nicht entscheidend, ob die Tat in den Rahmen der Befugnisse des Vertreters fiel und steuerliche Pflichten des Vertretenen verletzt wurden40. Die Tat des Vertreters dürfte also ohne die Aufgabenübertragung nicht begangen worden sein und muss in unmittelbarem örtlichen, zeitlichen und sachlichen Zusammenhang mit der Erfüllung der (steuerlichen) Pflichten des Vertretenen stehen.

33 RFH v. 8.3.1929 – IV A 31/29, RFHE 25, 46; BFH v. 30.11.1951 – II z 148/51 U, BStBl. III 52, 16 (18). 34 Wagner in MünchKomm/BGB, § 831 Rz. 25; ähnlich zu § 70 AO S/P/Schwarz, Rz. 11. 35 FG Münster v. 10.12.2013 – 2 K 4490/12, EFG 2014, 801; Klein/Rüsken, § 70 AO Rz. 4; K/ vW/Blesinger, §  70 AO Rz.  6; Mösbauer, Die Haftung für die Steuerschuld, 92; Loose in Tipke/Kruse, § 70 AO Rz. 16. 36 RStBl. 1939, 1118. 37 BGH v. 5.9.2017 – 1 StR 677/16, NStZ-RR, 2017, 342. 38 Z.B. Boeker in: H/H/Sp, § 70 AO Rz. 16; Loose in: Tipke/Kruse, § 70 AO Rz. 16; König/Intemann, § 70 AO Rz. 5; Klein/Rüsken, § 70 AO Rz. 4; K/vW/Blesinger, § 70 AO Rz. 6. 39 So bereits RFH v. 8.3.1929 – IV A 31/29, RFHE 25, 46. 40 BFH v. 30.11.1951 – II z 148/51, BStBl. III 52, 16.

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Da der Hauptanwendungsfall des § 70 AO Beihilfehandlungen und mittäterschaftliche Delikte Dritter betrifft, sind diese nur Haftungsgegenstand, soweit sie mit steuerlichen Pflichten des Vertretenen zusammenhängen41. Aus diesem einschränkenden Haftungszweck des § 70 AO ist eine Ausweitung auf alle Teilnahmetaten des Vertretenen ausgeschlossen. Der Vertreter soll nicht dafür einstehen müssen, dass sein Ver­ treter irgendein anderes Steuerdelikt Dritter fördert. Der Haftungszweck der Norm umfasst nur die Bereiche deliktischer Teilnahmehandlungen des Vertreters, deren Aufgabenbereich in die unmittelbare Verantwortung des Vertretenen fällt. Der Vertretene soll sich aber nicht entlasten dürfen, wenn die Ausgliederung eigener steuerlicher Obliegenheiten durch die beauftragten Vertreter deliktisch ausgeführt werden. So haftet der Vertretene z.B. für die Beihilfe seines Geschäftsführers an einer Steuerhinterziehung Dritter, wenn dieser durch Rechnungssplitting der Ausgangsrechnungen einer GmbH Dritten eine (eigene) Steuerhinterziehung ermöglicht. Dieser Fall lag dem Urteil des FG Münster v. 10.12.201342 zugrunde. Hier hatte (verkürzt) ein Dönerfleischvertrieb, die hier Vertretene, an Dönerläden Fleischspieße veräußert, wobei der Geschäftsführer die Rechnungen gesplittet hatte. Der Kunde hatte also die Möglichkeit die Einkäufe nur zum Teil in der Buchhaltung zu erfassen, entsprechend konnten eine Zeit lang dann auch unerkannt entsprechend Erlöse verkürzt werden. Das FG stellt zu der so geleisteten Beihilfe zur Steuerhinterziehung bei Ausübung der Obliegenheiten des Geschäftsführers fest (Rz. 23, 24 der Entscheidungsbegründung): „Ein Vertreter begeht ein Delikt in Ausübung seiner Obliegenheiten, wenn er aufgrund seiner Stellung dazu in der Lage war. Die Tat muss im Rahmen der übertragenen Aufgaben des Vertreters – und nicht nur gelegentlich – begangen worden sein43. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Denn die Abrechnung der Lieferungen ist wesentlicher Bestandteil des Geschäfts und Aufgabe des oder der Geschäftsführer. Sie ist ohne dessen/deren Kenntnis und ohne deren Zutun nicht möglich. Herr TE war als bestellter Geschäftsführer der Klägerin für den Verkauf, also auch für die Rechnungserteilung […] verantwortlich.“ Die sich hieraus ergebende Haftung des Geschäftsführers aufgrund Beihilfe zur Steuerhinterziehung (§ 71 AO) erfüllte zugleich den Tatbestand „in Ausübung der Obliegenheit des Geschäftsführers“ i.S.d. § 70 AO. Das Urteil zeigt, dass zumindest Körperschaften, also durch Personen i.S.d. §  34 Abs.  1 AO Vertretene, einem relativ hohen Haftungsrisiko ausgesetzt sind, da der Pflichten und Obliegenheitskreis ihrer Vertreter sehr weitreichend ist.

41 Loose in Tipke/Kruse, § 70 AO Rz. 16; Klein/Rüsken, § 70 AO Rz. 4; Fehsenfeld, DStZ 2012, 852, 860; i.Erg. ebenso FG Düsseldorf v. 18.2.2010 – 8 K 4290/06 H, EFG 2010, 998 wonach eine Bank nicht nach § 70 wegen der vom FA lediglich vermuteten Hinterziehung von Kapitaleinkünften haftet. 42 2 K 4490/12, EFG 2014, 801. 43 S/P/Schwarz, § 70 AO Rz. 11.

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V. Einschränkung durch Ausschlusstatbestände des § 70 Abs. 2 AO Nach § 70 Abs. 2 AO 1977 ist die Haftung bei Taten gesetzlicher Vertreter natürlicher Personen ausgeschlossen, wenn die natürlichen Personen aus der Tat ihres Vertreters keinen Vermögensvorteil erlangt haben (Satz 1) oder bei natürlichen Personen und allen übrigen Vertretenen, wenn sie ihren gesetzlichen oder gewillkürten Vertreter sorgfältig ausgesucht und beaufsichtigt haben (Satz 2), aus der Tat ihres gesetzlichen oder gewillkürten Vertreters usw. keinen Vermögensvorteil erlangt haben. Der Zweck der Norm des § 70 AO wird maßgeblich auch durch Abs. 2 definiert. Hier wird die Haftung eingeschränkt. Bei natürlichen Personen, soweit ihnen kein wirtschaftlicher Vorteil durch die Steuerstraftat des Vertreters entstanden ist (Satz 1) und ohne Einschränkung des Personenkreises besteht die Exculpationsmöglichkeit in Satz 2, ähnlich der Norm des § 831 BGB bei sorgfältiger Auswahl und Überwachung von Vertretenen. Beide Ausschlusstatbestände bestehen selbständig nebeneinander44. 1. Kein Vermögensvorteil Vermögensvorteil ist jede finanzielle oder wirtschaftliche Besserstellung oder vermiedene Schlechterstellung des Vertretenen durch die Steuerstraftat des Vertreters45. Ein finanzieller bzw. wirtschaftlicher Vorteil des Vertretenen durch die Straftat des Vertreters besteht z.B. nicht in Fällen des Kompensationsverbots. Die Steuerhinterziehung erfasst in diesen Fällen die Tat des Vertreters, ohne dass entsprechende Abzüge oder Verlustvorträge den Tatbestand der Steuerhinterziehung mindern, da diese Ermäßigungen „aus anderen Gründen“ i.S.d. § 370 Abs. 4 Satz 3 AO erfolgen, die nicht strafrechtlich zur Kompensation des Verkürzungstatbestands führen46. In diesen Fällen entsteht für den Vertretenen kein finanzieller Vorteil durch die Straftat des Vertreters. Die Steuerhinterziehung des Vertreters muss in der Vermögenssphäre des Vertretenen messbar erscheinen. Steuerhinterziehungen des Vertretenen zugunsten Dritter lösen daher keinen Vermögensvorteil bei dem Vertretenen aus, da der Vorteil in diesen Fällen allein dem Dritten verbleibt. Dies betrifft z.B. Fälle, in denen die Vertretungsperson i.S.d. §§ 34, 35 AO an der Steuerhinterziehung eines Geschäftspartners mitwirkt47.

44 Vgl. Loose in Tipke/Kruse, § 70 AO Rz. 17. 45 Loose in Tipke/Kruse, § 70 AO Rz. 17, BFH v. 31.1.1989 – VII R 77/86, BStBl. II 1989, 442; FG Münster v. 10.12.2013 – 2 K 4490/12, EFG 2014, 801; Boeker in H/H/Sp, § 70 AO Rz. 21; Klein/Rüsken, § 70 AO Rz. 10. 46 Vgl. zum Kompensationsverbot: P. Haas in FS Haarmann, 539 ff. m.w.N. 47 Loose in Tipke/Kruse, § 70 AO Rz. 17.

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§ 70 AO – Zum Anwendungsbereich der Haftung des Vertretenen

Erreicht der Vermögensvorteil nicht die wirtschaftliche Sphäre des Vertretenen, weil z.B. der Vertreter den Steuervorteil für sich behält, eine Steuervergütung unterschlägt oder den Vermögensvorteil nachträglich wieder verliert, so dass der Vertretene nicht bereichert bleibt, entfällt entsprechend dem Rechtsgedanken des Bereicherungsrechts (§§ 812, 818 Abs. 3 BGB) die Haftung des Vertretenen48. Auch hier treten konsequent die zivilrechtlichen Hintergründe der Haftung des § 70 AO hervor, der, auch wenn keine eigene Steuerschuld besteht, die Vorteile des Vertreterhandelns nach dem Vorbild des Bereicherungsrechts abschöpfen möchte. Umstritten ist, ob der Vertretene auch dann einen wirtschaftlichen Vorteil erzielt, wenn der Vertreter durch seine Beihilfe zur Steuerhinterziehung Dritter dem Vertretenen lediglich eine allgemeine Verbesserung der Marktposition ermöglicht. Der dem Urteil des FG Münster49 zugrunde liegende Sachverhalt betraf den oben schon zitierten „Döner-Fall“ des Rechnungssplittings durch den Geschäftsführer einer Dönerfleisch-Vertriebs-GmbH, der mit diesem Verfahren den Kunden der GmbH ermöglichte, ihrerseits Steuern zu hinterziehen. Das FG sah in der Verbesserung der Marktdurchdringung aufgrund dieser Taten des Geschäftsführers einen wirtschaftlichen Vorteil des Vertretenen, der Vertriebs-GmbH. Es stellte darauf ab, dass die Vertretene, die Vertriebs-GmbH, sich durch das vom Geschäftsführer initiiere Rechnungssplitting sicher sein konnte, dass die Kunden ihren Lieferanten nicht wechseln würden, allein schon aufgrund der Gefahr, dass die Steuerhinterziehung entdeckt werden würde. Auch lag die „Kundenbindung“ durch dieses System darin, dass die Kunden nicht ohne weiteres zu einem anderen Lieferanten mit gleichem System wechseln konnten. Das System der deliktischen Rechnungserteilung sichere damit die Geschäftsbeziehung im Sinne eines Vorteils, den der Vertretene gegenüber anderen Wettbewerbern in Anspruch genommen habe und der einen Vermögensvorteil i.S.d. § 70 Abs. 2 AO darstelle. Loose lehnt diese weite Auffassung ab50 und vertritt, dass die bloße Verbesserung der Geschäftsbeziehungen zu Kunden z.B. durch das Ausstellen von Gefälligkeitsrechnungen oder die allgemeine Verbesserung der Marktposition keinen Vermögensvorteil i.S.v. § 70 Abs. 2 AO darstelle. Diese Auffassung verdient Zustimmung, da ein Vermögensvorteil nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen zu beurteilen ist und sich weder in ideellen abstrakten Rechtspositionen bewerten lässt, noch einen wirtschaftlichen Vorteil darstellt, der liquide Mittel hervorbringt, die zur Begleichung einer Haftungsschuld als verwertbares Rechtsgut dem Vertretenen zur Verfügung stehen. Zieht man den Rechtsgedanken des § 818 Abs. 3 BGB heran und differenziert zwischen Bereicherungsgegenstand und Bereicherung, so zeigt sich, dass, sofern eine Bereicherung nicht mehr in Natura vorhanden ist, was in diesen Konstellationen regelmäßig der Fall sein dürfte, nur im Vermögen des Haftungsschuldners vorhandene Vorteile abgeschöpft werden sollen. 48 Loose in Tipke/Kruse, § 70 AO Rz. 17; Mösbauer, Die Haftung für die Steuerschuld, 94. 49 AaO, FG Münster v. 10.12.2013 – 2 K 4490/12, EFG 2014, 801. 50 Loose in Tipke/Kruse, § 70 AO Rz. 17.

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Zu Recht weist das FG Münster in der o.g. Entscheidung51 (Rz. 27) zwar darauf hin, dass nicht nur ein finanzieller Vorteil Vermögensvorteil i.S.d. § 70 Abs. 2 AO ist, sondern auch sonstige wirtschaftliche Vorteile, die ohne die Tat des Vertreters nicht eingetreten wären52. Aber auch diese Vorteile müssen nach bereicherungsrechtlichen Grundsätzen messbar sein, übertragen auf das Steuerrecht mithin einlagefähig sein. Die Abgrenzung zu unerheblichen ideellen Vorteilen ist nach den Grundsätzen der verdeckten Einlage zu bemessen, die bilanzierungsfähige Wirtschaftsgüter bezeichnet und damit den Anforderungen an eine Abgrenzung zu schlichten Nutzungsvorteilen gerecht wird. Eine verdeckte Einlage liegt vor, wenn ein Gesellschafter oder eine ihm nahestehende Person der Kapitalgesellschaft einen einlagefähigen Vermögensvorteil gegenleistungslos oder verbilligt zuwendet und dies durch das Gesellschaftsverhältnis veranlasst ist, d.h., wenn ein Nichtgesellschafter bei Anwendung der Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns der Gesellschaft den Vermögensvorteil nicht eingeräumt hätte53. Als verdeckte Einlagen sind nur Wirtschaftsgüter geeignet, die das Vermögen der Kapitalgesellschaft vermehrt haben, sei es durch den Ansatz oder die Erhöhung eines Aktivpostens, sei es durch den Wegfall oder die Verminderung eines Passivpostens54. Ein einlagefähiger Vermögensvorteil ist nicht gegeben, wenn der Gesellschaft lediglich Nutzungsvorteile gewährt werden55. 2. Kein Auswahl- oder Beaufsichtigungsverschulden, § 70 Abs. 2 Satz 2 AO § 70 Abs. 2 Satz 2 AO enthält einen Ausschlusstatbestand für die Taten von Vertretern, die keine natürlichen Personen sind. Anders als es der Wortlaut der Vorschrift vermuten lässt, sind dessen Voraussetzungen umstritten. a) Voraussetzung des „Vermögensvorteils“ auch bei der Exkulpation nach Abs. 2 Satz 2 erforderlich? Die Einschränkung der Norm in Abs. 2 Satz 1 bezieht sich nur auf natürliche Personen, so dass m.E. im Umkehrschluss gefolgert werden kann, dass nicht jeder Vertretene bei Mangel eines eigenen Vorteils aus der Tat haften soll. Der Sinn der Vorschrift ist offenbar hiernach, dass die Vorteilsabschöpfung beim Vertretenen aus dem deliktischen Handeln des Vertreters im Vordergrund dieser Haftung steht. Damit sollen

51 FG Münster v. 10.12.2013 – 2 K 4490/12, EFG 2014, 801. 52 Vgl. BFH v. 2.5.1991 – VII R 7/89, BFH/NV 1992, 219; Boeker in H/H/Sp, § 70 Rz. 21; Klein/Rüsken, § 70 AO Rz. 10, S/P/Schwarz, § 70 AO Rz. 14. 53 Vgl. BFH v. 18.12.1990 – VIII R 17/85, BStBl. II 1991, 512; v. 15.101997 – I R 80/96, G ­ mbHR 1998, 750, BFH/NV 1998, 624. 54 Vgl. BFH v. 22.11.1983 – VIII R 133/82, BFHE 140, 69, FR 1984, 183, GmbHR 1984, 110; v. 6.11.2003 – IV R 10/01, BStBl. II 2004, 416, GmbHR 2004, 590 m. Anm. Hoffmann, FR 2004, 597. 55 Beschluss des Großen Senats des BFH v. 26.10.1987 – GrS 2/86, BStBl. II 1988, 348, AG 1988, 237, FR 1988, 160, GmbHR 1988, 159; BFH v. 10.4.1990 – VIII R 289/84, BStBl. II 1990, 741, FR 1990, 486.

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§ 70 AO – Zum Anwendungsbereich der Haftung des Vertretenen

vor allem diejenigen Vertretenen geschützt werden, die sich ihre Vertreter nicht aussuchen können, wie z.B. Minderjährige56. Das FG Münster57 vertritt unter Hinweis auf Pahlke/Koenig58, die abweichende Auffassung, dass die Voraussetzungen des § 70 Abs. 2 Satz 1 und 2 AO kumulativ vorliegen müssen. Auch Loose vertritt unter Hinweis auf den BFH und die Literatur59, dass auch der Haftungsausschluss nach Abs. 2 Satz 2 voraussetzt, dass der Vertretene durch die Steuerhinterziehung keinen Vermögensvorteil erlangt hat. Rüsken erkennt in Abs. 2 Satz 2 in Anschluss an den BFH60 eine ungeschriebene Rechtsvoraussetzungsverweisung auf Abs. 2 Satz 161. Dem kann m.E. nicht gefolgt werden, da der Haftungsausschluss nach Satz  1 aufgrund des eben geschilderten Zwecks allein den natürlichen Personen zukommt, die Haftung nach Satz 2 für die übrigen Vertretenen gilt, denen die Möglichkeit gegeben ist ihre Vertreter auszuwählen und zu überwachen. Vermögensvorteil und fehlendes Auswahl- bzw. Beaufsichtigungsverschulden müssen nach hier vertretener Auffassung also nicht kumulativ vorliegen. Dies entspricht auch dem Sinn der Annahme des Haftungsausschlusses, dessen Wurzeln, wie gezeigt, im Deliktsrecht des BGB liegen. Der Vermögensvorteil ist nur bei natürlichen Personen auf der Ebene desjenigen erzielt, der einen unmittelbaren Vorteil „in eigener Tasche“ verspürt. Der Vermögensvorteil auf Ebene der Kapitalgesellschaft ist solange „abstrakt“, wie dieser nicht durch Gewinnausschüttungen den Anteilseignern zugutekommt. Um nicht auf die Gewinnverwendung abstellen zu müssen, hat der Gesetzgeber in Abs. 2 Satz 2 darauf verzichtet, einen fehlenden Vermögensvorteil als Haftungsausschluss vorbringen zu können und für diese Fälle die Exkulpation durch dem Vortrag fehlenden Beaufsichtigungsoder Auswahlverschuldens ermöglicht. Zudem haben natürliche Personen auf die Auswahl und die Tätigkeit ihrer gesetzlichen Vertreter keinen Einfluss. Dies ist der eigentliche Grund, warum es nicht gerechtfertigt ist, sie für Steuerhinterziehungen und leichtfertige Steuerverkürzungen ihrer gesetzlichen Vertreter haften zu lassen62. Die Richtigkeit dieser Auslegung bestätigt sich auch mit dem erneuten Blick auf § 831 BGB. In § 831 BGB ist eigenes Fehlverhalten des Geschäftsherrn der Haftungsgrund. Eine Zurechnung fremden deliktischen Verhaltens begründet die Haftung nicht. Als Pflicht des Geschäftsherrn wird die Auswahl, Anleitung und Überwachung definiert63. Hierbei kommt es weder auf das Verschulden des Verrichtungsgehilfen an, noch auf das Erzielen eines eigenen wirtschaftlichen Vorteils aus dessen Handlungen. 56 B/G/Jatzke, § 70 AO Rz. 10. 57 FG Münster v. 10.12.2013 – 2 K 4490/12, EFG 2014, 801 ff. Rz. 30 der Entscheidungsgründe. 58 2. Aufl., § 70 AO Rz. 11. 59 BFH v. 30.8.1994 – VII R 101/92, BStBl. II 1995, 278 (280), GmbHR 1995, 239; Boeker in H/H/Sp, § 70 AO Rz. 23, S/P/Schwarz, § 70 AO Rz. 13. 60 BFH v. 2.5.1991 – VII R 7/89, BFH/NV 1992, 219 Rz. 11 der Entscheidungsgründe. 61 Klein/Rüsken, § 70 AO Rz. 11 a.E. 62 Loose in Tipke/Kruse, § 70 AO Rz. 19 unter Verweis auf Bax, Die Haftung nach allgemeinem Abgabenrecht aus steuer- und verfassungsrechtlicher Sicht, 109 f. 63 Wagner in MünchKomm/BGB, § 831 Rz. 35 ff.

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b) Auswahl- und Beaufsichtigungsverschulden nach Abs. 2 Satz 2 Schließlich ist noch zu klären, welche Voraussetzungen an die sorgfältige Auswahl und Beaufsichtigung der Vertreter zu stellen ist. Aus der Rechtsprechung des BFH64 ist bisher nicht ersichtlich, ob dieser einen objektiven oder subjektiven Maßstab anlegen möchte. Aus dem Vergleich mit § 169 Abs. 2 Satz  3 AO, der „die im Verkehr erforderlichen Vorkehrungen“ zur Sorgfaltspflicht macht, lässt sich aber entnehmen, dass in § 70 Abs. 2 Satz 2 AO, der nur von einer sorgfältigen Auswahl ausgeht, nicht an eine objektiv verkehrsübliche Sorgfalt anzuknüpfen ist65. Insofern liegt es nah den Sorgfaltsmaßstab des § 69 AO anzuwenden und die Sorgfaltspflicht subjektiv nach den Fähigkeiten, Kenntnissen und Erfahrungen des Vertretenen zu bestimmen66. Hier ergibt sich eine Abweichung zum Haftungsregime des §  831 BGB, der seinem Wortlaut nach aber ausdrücklich auf die verkehrsübliche Sorgfalt abstellt. Speziell der Maßstab an die Überwachung sollte mit zunehmendem Pflichtenkreis des Vertreters nicht zu streng angelegt werden, da nicht erwartet werden kann, dass der Vertretene jede Handlung seines Vertreters kontrolliert. Eine gelegentliche stichprobenartige Überwachung des Vertreters genügt dem Zweck des § 70 AO und den Anforderungen des Abs. 2 Satz 2. Auch bei der Bestimmung der Anforderungen an die Darlegung des Exkulpation hilft ein Blick auf § 169 Abs. 2 Satz 3 AO, der – „es sei denn, der Steuerschuldner weist nach“ – einen Entlastungsbeweis fordert. Insofern gilt im Rahmen von § 70 Abs. 2 Satz 2 AO weiterhin der Amtsermittlungsgrundsatz des § 76 FGO bzw. der Untersuchungsgrundsatz des § 88 AO67. Der Vertretene wird aber im Rahmen der Mitwirkungspflicht des § 90 AO Umstände darlegen müssen, aus denen sich die Beachtung der Sorgfaltspflicht ergibt68. Beim Alleingesellschafter-Geschäftsführer einer GmbH scheidet eine Exkulpation nach § 70 Abs. 2 Satz 2 AO naturgemäß aus. Der Fall dürfte für die Praxis ohnehin nicht von Belang sein, da der Geschäftsführer nach den §§ 69, 71 AO haftet, was zugleich den Zugriff auf den Gesellschaftsanteil ermöglicht.

VI. Zusammenfassung Das Haftungsregime der §§ 69 ff. AO birgt mit seinen Parallelen zur deliktischen Haftung des § 831 BGB nicht nur dann Haftungsrisiken, wenn der Vertretene selbst Steu64 BFH v. 2.5.1991 – VII R 7/89, BFH/NV 1992, 219. 65 Boeker in H/H/Sp, § 70 AO Rz. 24. 66 Vgl. BFH zu § 69 AO, BFH v. 30.8.1994 – VII R 101/92, BStBl. II 1995, 278, GmbHR 1995, 239; so auch S/P/Schwarz, § 70 AO Rz. 19; B/G/Jatzke, § 70 AO Rz. 11; Klein/Rüsken, § 70 AO Rz. 12; a.A. nur K/vW/Blesinger, § 70 AO Rz. 11. 67 Boeker in H/H/Sp, § 70 AO Rz. 25. 68 Klein/Rüsken, § 70 AO Rz. 13.

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§ 70 AO – Zum Anwendungsbereich der Haftung des Vertretenen

erschuldner ist, sondern auch dann, wenn er seine Vertreter nicht ordnungsgemäß auswählt und beaufsichtigt. Dabei hat sich gezeigt, dass der Anwendungsbereich des §  70 AO äußerst weitreichend ist. Abgesehen von den Fällen der geschäftsführenden Gesellschafter von Personengesellschaften, sind durch den Verweis auf die §§ 34, 35 AO eine Vielzahl von Personen erfasst, deren strafrechtlich relevantes Verhalten zu einer Haftung des Vertretenen führen kann. Besondere Gefahren birgt dabei die Täterschaft oder Teilnahme an einer Steuerhinterziehung Dritter durch eine von §§ 34, 35 AO umfasste Person. Hinzu kommt, dass die Wurzeln und der Hauptanwendungsbereich der Haftung des Vertreten zwar im Gebiet des Zoll- und Verbrauchsteuerrechts liegen, die Entwicklung im Anschluss an die allgemeingültige Kodifizierung in der RAO aber dazu geführt hat, dass der Anwendungsbereich nicht mehr auf bestimmte Steuerarten begrenzt ist. Trotzdem ist der Vertretene nicht erst durch die Ausschlusstatbestände des Abs.  2 geschützt. Nach hier vertretener Auffassung findet § 70 AO nämlich keine Anwendung auf Abzugsteuern. Darüber hinaus muss zwischen der Steuerstraftat bzw. Steuerordnungswidrigkeit des Vertreters und den übertragenen Obliegenheiten ein ursächlicher Zusammenhang bestehen. Nicht jede Tat oder Teilnahme des Vertreters eröffnet also den Anwendungsbereich des § 70 AO. Insbesondere bei Beihilfen zu einer Steuerstraftat Dritter, dürfte es regelmäßig an einem Zusammenhang zu auf den Vertreter übertragenen Obliegenheiten fehlen. Ist der Anwendungsbereich des § 70 AO eröffnet, stehen dem Vertretenen zwei selbstständige Ausschlusstatbestände zur Verfügung. § 70 Abs. 2 Satz 1 AO schließt eine Haftung aus, sofern der Vertretene natürliche Person ist und keinen eigenen Vermögensvorteil erlangt hat. Als Vermögensvorteil in diesem Sinne können nur solche Vorteile angesehen werden, die sich in einem einlagefähigen Vermögensgegenstand auswirken. Reine Geschäftschancen oder potentiell kundenbindende Maßnahmen stellen damit noch keinen Vermögensvorteil dar und führen damit zur Exkulpation des Vertretenen. Entgegen einer vielfach vertretenen Auffassung, ist das Fehlen eines Vermögensvorteils nicht Voraussetzung des Ausschlusstatbestandes aus § 70 Abs. 2 Satz 2 AO. Dieser schränkt die Haftung bereits dann ein, wenn der Vertretene Umstände darlegen kann, aus denen sich ergibt, dass er die ihm mögliche Sorgfalt bei Auswahl und Beaufsichtigung seiner Vertreter hat walten lassen.

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Steuer- und Sozialabgabenstrafrecht – zur Frage der einheitlichen prozessualen Tat bei § 370 AO und § 266a StGB Inhaltsübersicht

a) Materiell-rechtlicher Ausgangspunkt b) Das prozessuale Verhältnis verschiedener Vorenthaltungshand­ lungen im Spiegel der Präjudizien c) Leitlinien der Rechtsprechung – Versuch einer Synthese

I. Hinführung

II. Illustration anhand eines Beispielsfalls III. Grundlagen 1. Zum Begriff der Tat im strafprozes­ sualen Sinn und seiner Abgrenzung vom materiell-rechtlichen Tatbegriff 2. Überblick zur Rechtsprechung zum materiellen und prozessualen Tat­ begriff bei der Nichtentrichtung von Abgaben

IV. Konsequenzen für das Ausgangs­ beispiel

V. Zusammenfassung und Fazit

I. Hinführung Georg Crezelius hat in Forschung und Lehre einen klaren Schwerpunkt im Steuerrecht gesetzt. Indes hat er dieses nicht isoliert behandelt, sondern – wohl auch seinem weniger öffentlich-rechtlichen als vielmehr privatrechtlichen Zugriff auf das Steuerrecht geschuldet1 – immer die Zusammenhänge zwischen steuerrechtlicher Lage (und auch Gestaltung) und anderen Rechtsgebieten, insbesondere im Erb- und Gesellschaftsrecht in den Blick genommen.2 Allein deshalb wage ich es auch, als kernsteuerrechtlicher Dilettant zu einer Festschrift zu Ehren des Jubilars beizutragen und ihm einen Beitrag an der Schnittstelle zwischen Steuerrecht und Strafrecht – genau betrachtet, sogar im Kräfteparallelogramm von Steuerrecht, Sozialrecht, Strafrecht und Strafverfahrensrecht – zuzuwidmen. Steuerrecht und materielles Strafrecht spielen dabei bekanntlich oft zusammen und verbinden sich im zentralen Straftatbestand des § 370 AO. Dieser ist freilich akzessorisch zum materiellen Steuerrecht geschaffen, so dass seine Behandlung sehr oft mehr steuerrechtliche als strafrechtliche Kenntnisse erfordert. Verkürzt werden können nur Steuern, die tatsächlich geschuldet werden, daher finden die entscheidenden Wei1 Selbstverständlich ist das Steuerrecht öffentliches Recht. Jedenfalls für den universitären Bereich lassen sich aber solche Steuerrechtler, die als „Hauptfach-Disziplin“ vom öffentlichen Recht herkommen, von solchen (an den Universitäten eher seltener vorkommenden) unterscheiden, die als dogmatische Heimatdisziplin das Privatrecht pflegen. Georg Crezelius zählt zur zweiten Gruppe. 2 Vgl. statt vieler nur Crezelius, Unternehmenserbrecht, 2. Aufl. 2009; dens., JbFfSt 2011/2012, 699 (zum Pflichtteils- und Ertragssteuerrecht) oder die regelmäßigen Übersichten des Jubi­ lars zu steuerrechtlichen Fragen in der Insolvenz (zuletzt NZI 2017, 57 und 256).

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chenstellungen zur Konturierung der blankettartigen3 Verhaltensnorm des § 370 AO im Steuerrecht statt. Schwierigkeiten insbesondere aus der genuinen Strafrechtsdogmatik können sich stellen, wenn es um die Anwendung allgemeiner dogmatischer Kategorien auf den Tatbestand geht, sei es etwa bei der Frage, mit welchen Handlungen jemand dem Steuerhinterzieher eine rechtlich relevante Beihilfe leisten kann4 oder wie das Konkurrenzverhältnis zwischen verschiedenen Steuerdelikten zu bewerten ist.5 Ganz ähnlich liegt es bei der hier interessierenden Frage, in welchem strafprozessualen Verhältnis eine Lohnsteuerhinterziehung und ein Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung (§  266a StGB) stehen, ob es sich also um die gleichen Taten im prozessualen Sinne handelt bzw. zumindest handeln kann. Dies kann insbesondere relevant für die Frage sein, wie sich eine Einigung mit dem die Steuerhinterziehung verfolgenden Finanzamt mit einer Verfahrenseinstellung nach § 153a StPO i.V.m. § 385 Abs. 1 AO auf die weitere Verfolgbarkeit des § 266a StGB auswirkt. Hat man im Blick, dass die Verfahrenseinstellung nach §  153a StPO der Sache nach (meist) auch ein Fall der konsensualen Erledigung ist,6 kann auch diese Frage in den Kontext des nicht einfachen Verhältnisses zwischen tatsächlicher Verständigung im Steuerverfahren und konsensualer Erledigung im Strafverfahren (sei es durch eine Einstellung nach §  153a StPO, sei es durch einen „ausgehandelten“ Strafbefehl, sei es durch eine Verständigung in der Hauptverhandlung nach § 257c StPO) gerückt werden,7 das hier freilich nicht vertieft werden soll.

3 Zur Streitfrage, ob § 370 AO ein Blankettstraftatbestand ist oder einen Straftatbestand mit normativen, unter Einbeziehung des Steuerrechts auszulegenden Tatbestandsmerkmalen bildet, vgl. statt vieler nur Kudlich/Oğlakcıoğlu, Wirtschaftsstrafrecht, 2. Aufl. 2014, Rz. 52. 4 Wohl nicht ganz zufällig betrifft etwa eine der Leitentscheidungen zur „neutralen Beihilfe“ einen steuerstrafrechtlichen Sachverhalt (im Zusammenhang mit der Einführung der Kapitalertragsabschlagssteuer im Jahre 1991), vgl. BGH v. 1.8.2000 – 5 StR 624/99, BGHSt 46, 107, sowie dazu etwa Wittig, Wirtschaftsstrafrecht, 4. Aufl. 2017, § 6 Rz. 151 ff.; eingehend auch Kudlich, Die Unterstützung fremder Straftaten durch berufsbedingtes Verhalten, 2004, 368; zur Übertagung dieser Problematik auf die Frage einer berufsbedingten Anstiftung ebenfalls am Beispiel etwaiger Steuerdelikte vgl. Kudlich in Sieber/Dannecker/Kindhäuser/ Vogel/Walter (Hrsg.), FS Tiedemann, 2008, 221 ff. 5 Praktisch relevant etwa das Verhältnis zwischen fehlerhaften Umsatzsteuervoranmeldungen und einer diese bestätigenden fehlerhaften Umsatzsteuerjahreserklärung: Handelt es sich (intuitiv naheliegend) bei den Voranmeldungen um mitbestrafte Vortaten zur Jahreserklärung; oder stellt diese (dogmatisch gut begründbar) eine mitbestrafte Nachtat zu den fehlerhaften Voranmeldungen dar (so mit guten Argumenten Grommes, NZWiSt 2017, 201)? 6 Ebenso deutlich wie zutreffend Sauer/Münkel, Absprachen im Strafprozess, 2.  Aufl. 2014, 48 ff., 70 ff. 7 Vgl. hierzu unter dem Blickwinkel von „Paketlösungen“ etwa anschaulich Gentzik/Wolf, ZFN 2015, 79 ff.

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II. Illustration anhand eines Beispielsfalls Naturgemäß können Steuerhinterziehung (§ 370 AO) und Vorenthaltung von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung (§  266a StGB) in ganz unterschiedlichen Sachverhaltsgestaltungen zusammentreffen. Eine nicht ganz untypische Konstellation, in der sich die Frage nach einer einheitlichen prozessualen Tat in ganz besonderer Deutlichkeit stellt, könnte wie folgt aussehen: A ist Geschäftsführer eines als GmbH organisierten mittelständischen Dienstleisters und erstattet seinen Arbeitnehmern Fahrtkosten anlässlich von Dienstreisen mit dem eigenen Pkw. Dieser Fahrkostenersatz unterliegt nach § 3 Nr. 16 EStG nicht der Lohnsteuer/Einkommensteuer. Für die sozialversicherungsrechtliche Behandlung der Reisekosten wird gemeinhin angenommen, dass Ersatzleistungen des Arbeitgebers für Aufwendungen auch nicht zum sozialversicherungspflichtigen Entgelt zählen, soweit sie lohnsteuerfrei sind.8 In einigen Fällen wird Arbeitnehmern ein Fahrtkostenersatz steuer- und in der Folge auch sozialversicherungsfrei gewährt, der ihnen eigentlich nicht zusteht.9 Dabei teilt A dem Steuerbüro der GmbH mit, wie viele Stunden der Arbeitnehmer in einem Monat gearbeitet hat, meldet aber den Fahrtkostenersatz nicht, da er nicht Bestandteil der Gehaltsabrechnung ist. Das Steuerbüro erstellt die Abrechnung und versendet per EDV die Daten an das Finanzamt (Lohnsteueranmeldungen) sowie an den Sozialversicherungsträger (Beitragsnachweise).10 Dies hat zur Konsequenz, dass auf der Grund­ lage der zu niedrig errechneten Bruttosumme insoweit die Lohnsteuer verkürzt wird und entsprechend auch zu geringe Sozialversicherungsbeiträge geleistet werden. Das Finanzamt erwägt, das wegen des Verdachts der Steuerhinterziehung eingeleitete Strafverfahren gegen Geldauflage nach §  153a StPO endgültig einzustellen. Soweit nun parallel auch ein Strafverfahren wegen des Verdachts des Vorenthaltens und Veruntreuens von Arbeitsentgelt gemäß § 266a StGB eingeleitet wurde, stellt sich die Frage, welche Auswirkungen die endgültige Einstellung des Steuerstrafverfahrens auf die Verfolgung des Vorenthaltens von Sozialversicherungsbeiträgen hat. Eine Anklage (oder auch der Antrag auf Erlass eines Strafbefehls als Sonderform der Erhebung der öffentlichen Klage, vgl. § 407 Abs. 1 Satz 4 StPO) setzt einen genügenden Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage voraus (vgl. § 170 Abs. 1 StPO). Daran würde es fehlen, wenn der Verfolgung ein Verfahrenshindernis entgegenstünde,11 welches hier im

8 Vgl. nur Schönfeld, Lexikon für das Lohnbüro, 2016, Anhang 4.1, 990. 9 An dieser Stelle kann der Sachverhalt natürlich ganz anders gestaltet sein, was aber die rechtlichen Folgefragen nicht notwendig beeinflusst. Entscheidend ist nur, dass für Zahlungsbestandteile weder Lohnsteuer noch Sozialversicherung abgeführt wird. 10 Dagegen dürfte dieser für die Folgefragen wichtiger Bestandteil nicht untypisch sein, weil bei der Lohnbuchhaltung ganz typisch nicht nur Steuer-, sondern auch Sozialversicherungsfragen für den Arbeitgeber mit behandelt werden. 11 Vgl. nur Meyer-Goßner/Schmitt, 59. Auf. 2016, § 170 StPO Rz. 1; Kölbel in MünchKomm/ StPO, 2016, § 170 StPO Rz. 12.

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beschränkten Strafklageverbrauch nach § 153a Abs. 1 Satz 5 StPO12 liegen könnte, da es sich bei § 266a StPO um ein Vergehen handelt. Voraussetzung hierfür wäre aber, dass es sich bei der Steuerhinterziehung und dem Vorenthalten von Arbeitnehmerbeiträgen zur Sozialversicherung um eine einheitlich strafprozessuale Tat handelt.

III. Grundlagen 1. Zum Begriff der Tat im strafprozessualen Sinn und seiner Abgrenzung vom materiell-rechtlichen Tatbegriff Der Meinungsstand zum Begriff und Umfang der strafprozessualen Tat lässt sich – notwendig verknappt – wie folgt allgemein skizzieren:13 Die Rechtsprechung vertritt seit jeher ein faktisches Verständnis der Tat im prozessualen Sinn, wonach „unter ‚Tat‘ im Sinne des § 264 StPO (…) der vom Eröffnungsbeschluss betroffene Vorgang in seiner Gesamtheit zu verstehen“ sein soll. „Gegenstand der Urteilsfindung ist dieser Vorgang ‚einschließlich aller damit zusammenhängenden und darauf bezüglichen Vorkommnisse und tatsächlichen Umstände‘, die nach der Auffassung des Lebens eine natürliche Einheit bilden“.14 Daneben wird häufig auch formuliert, zwischen einzelnen Verhaltensweisen des Täters müsse eine innere Verknüpfung dergestalt bestehen, dass ihre getrennte Aburteilung in verschiedenen erstinstanzlichen Verfahren als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden würde.15 Ungeachtet der an diesen – zugegebenermaßen weiten und weichen – Formeln geübten Kritik16 ist ihnen zuzugestehen, dass sie die erforderlichen Bewertungen im Einzelfall ermöglichen und sich dabei zu Recht17 von den starren Begrifflichkeiten des materiellen Tatbegriffs zumindest teilweise lösen, soweit diese der Dynamik des prozessualen Geschehens nicht angemessen sind. Soweit insbesondere im zweiten Teil der Formel auch auf den Umfang der richterlichen Kognitionspflicht Bezug genommen wird, wird zu Recht darauf abgestellt, dass im Einzelfall auch jenseits der feinziselierten Grenzen einer materiell-rechtlichen Handlungseinheit der angeklagte Täter legitimerweise damit rechnen muss, dass bestimmte Geschehnisse noch mit im Prozess eine Rolle spielen werden (umgekehrt aber auch dem aburteilenden Richter klar

12 Vgl. nur Meyer-Goßner/Schmitt, 59. Aufl. 2016, § 153a StPO Rz. 52 f.; Peters in MünchKomm/StPO, 2016, § 153a StPO Rz. 99 ff. 13 Vgl. zusammenfassend auch Meyer-Goßner/Schmitt, 59. Aufl. 2016, §  264 StPO Rz.  1  f.; eingehend Norouzi in MünchKomm/StPO, 2016, § 264 StPO Rz. 10 ff. 14 Vgl. nur BGH v. 3.11.1959 – 1 StR 425/59, BGHSt 13, 320; v. 29.9.1987 – 4 StR 376/87, BGHSt 35, 60; v. 18.10.1995 – 3 StR 324/94, BGHSt 41, 292; std. Rspr. 15 Vgl. BGH v. 19.12.1995 – KRB 33/95, BGHSt 41, 385, MDR 1996, 1257; v. 21.12.1983 – 2 StR 578/83, BGHSt 32, 215; v. 1.10.1997 – 2 StR 520/96, BGHSt 43, 252. 16 Vgl. im Überblick bei Norouzi in MünchKomm/StPO, 2016, § 264 StPO Rz. 12 sowie ebd. Rz. 13 ff. zu im Schrifttum vertretenen Alternativkonzepten. 17 Vgl. aber zur Kritik, es würde damit eine „Volkstümlichkeit“ suggeriert, die das Verfahrensrecht nicht leisten könne, Hruschka, JZ 1966, 700.

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sein muss, dass diese Geschehnisse dann nicht mehr Gegenstand eines neuen Verfahrens sein können). Dabei geht zwar – in einem gewissen Gegensatz zu der in ständiger Rechtsprechung postulierten begrifflichen Unabhängigkeit der prozessualen Tat von der materiell rechtlichen Frage der Tateinheit oder -mehrheit18 – von der materiell rechtlichen Bewertung als tatein- oder tatmehrheitliches Verhalten eine gewisse (wenngleich widerlegbare19) Indizwirkung für den prozessualen Tatbegriff aus; gleichwohl können auch in Fällen materieller Tatmehrheit durchaus abweichend von der Regel prozessual einheitliche Taten vorliegen.20 Dies gilt – allgemein gesprochen – „wenn die einzelnen Handlungen nicht nur äußerlich ineinander übergehen, sondern wegen der ihnen zugrundeliegenden Vorkommnisse unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung auch innerlich derart miteinander verknüpft sind, dass der Unrechts- und Schuldgehalt der Einzelhandlung nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Tat geführt haben, richtig gewürdigt werden kann und ihre getrennte Würdigung und Aburteilung als unnatürliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebensvorgangs empfunden würde.“21 2. Überblick zur Rechtsprechung zum materiellen und prozessualen Tatbegriff bei der Nichtentrichtung von Abgaben Der hier beispielhaft gewählte Sachverhalt ist dadurch gekennzeichnet, dass −− es sich um zwei unterschiedliche Arten von Abgaben handelt, −− die Nicht-Entrichtungen nur (mehr oder weniger geringe) Teile der Lohnsteuer bzw. der Sozialversicherung betreffen (und nicht etwa eine vollständige „Schwarz-­ Beschäftigung“ eines Arbeitnehmers vorliegt) und −− die vom Täter gesetzte Ursache für die konkret durchgeführte Falschberechnung und defizitäre Abführung der Beträge jeweils in einer identischen Handlung (Meldung des zu geringen Bruttobetrages an das Steuerbüro) liegt. Eine solche Gestaltung ist – obgleich gewiss nicht atypisch – soweit ersichtlich noch nicht in veröffentlichter Weise obergerichtlich entschieden. Gleichwohl existiert eine ganze Reihe von Entscheidungen, die zum materiellen und/oder prozessualen Verhältnis verschiedener verletzter Zahlungspflichten Stellung beziehen. Aus deren  – freilich z.T. durchaus unterschiedlichen – Ergebnissen könnten sich Anhaltspunkte für eine Differenzierung und damit auch für eine Behandlung der hier gewählten Konstellation ergeben:

18 Vgl. nur BVerfG v. 7.9.1977 – 2 BvR 674/77, BVerfGE 45, 434; BGH v. 29.9.1987 – 4 StR 376/87, BGHSt 35, 60, MDR 1988, 69; v. 11.8.1988 – 4 StR 217/88, BGHSt 35, 318, MDR 1988, 1068. 19 Vgl. Rieß NStZ 1981, 74. 20 Zusammenfassend Norouzi in MünchKomm/StGB, 2016, § 264 StGB Rz. 33 f. 21 Vgl. als Zusammenfassung der ständigen Rechtsprechung BGH, NStZ 2014, 102.

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a) Materiell-rechtlicher Ausgangspunkt Materiell-rechtlicher Ausgangspunkt der h.M. ist, dass Beitragsvorenthaltung und Steuerhinterziehung grundsätzlich in Realkonkurrenz stehen, und zwar auch dann, wenn die Vorenthaltung und die Steuerhinterziehung denselben Tatzeitraum betreffen.22 Dahinter steht wohl der allgemeine Gedanke, dass auch zeitlich paralleles Unterlassen keine einheitliche Tat ist, soweit verschiedene Handlungspflichten verletzt werden bzw. zur Vermeidung des Unterlassungsvorwurfs unterschiedliche Handlungen vorgenommen werden müssten.23 Konsequenterweise nimmt auch der BGH im durchaus vergleichbaren Fall der Hinterziehung mehrerer Steuerarten materiell-rechtliche Handlungseinheit an, wenn die erforderlichen Angaben, die der Täter pflichtwidrig unterlassen hat, durch ein und dieselbe Handlung zu erbringen gewesen wären.24 Vor diesem Hintergrund erscheint für unser Beispiele die Annahme einer materiell-rechtlichen Handlungseinheit nicht abwegig, auch wenn die Rechtsprechung wohl eher einer Handlungsmehrheit zuneigen dürfte. Doch führt auch das nicht zwingend zur Annahme mehrerer prozessualer Taten, verschiebt aber doch faktisch die „Begründungslast“ dahin, dass weitere zusätzliche Umstände für die Annahme einer einheitlichen Tat hinzutreten müssten.25 b) Das prozessuale Verhältnis verschiedener Vorenthaltungshandlungen im Spiegel der Präjudizien aa) Grundsätzlich betont die Rechtsprechung, dass das bloße Vorliegen eines zeitlichen Zusammenhangs für sich genommen nicht genügt, um eine einheitliche prozessuale Tat anzunehmen. Nach einer Entscheidung des 5. Strafsenats des BGH gilt dies für das Verhältnis zwischen Vorwürfen nach § 266a StGB und nach dem Ordnungswidrigkeitentatbestand des § 5a AEntG a.F. selbst bei einem logischen Zusammenhang im Sinne eines technischen Zusammenfallens der abzugebenden Erklärungen oder ihres zwingenden Aufeinanderfolgens.26 Er führt hierzu u.a. aus: „Ob ‚ein und dieselbe Unterlassung‘ zu mehreren Gesetzesverletzungen geführt hat, kann vielmehr nur im Hinblick auf die Handlungspflichten beurteilt werden, die durch die Unterlassung verletzt worden sind. Sind mehrere Pflichten durch ‚ein und dieselbe Handlung‘ zu erfüllen, so wird in ihrer Unterlassung regelmäßig nur eine Handlung  – im weiteren Sinne – gesehen werden können. Sind hingegen mehrere Handlungen erforder22 Vgl. BGH v. 24.7.1987 – 3 StR 36/87, BGHSt 35, 14, MDR 1987, 1043, NStZ 1988, 77; v. 16.3.1989 – 4 StR 60/89, BGHSt 36, 151, MDR 1989, 653, NStZ 1989, 540; weitere Nachweise bei Radtke in MünchKomm/StGB, 2. Aufl. 2014, § 266a StGB Rz. 103. 23 Vgl. etwa Kudlich in Satzger/Schluckebier/Widmaier, 3.  Aufl. 2016, §  13 StGB Rz.  53 m.w.Nachw. Anders aber, wenn die Vornahme der zeitlich ersten Handlungspflicht den Eintritt sämtlicher Schäden verhindert hätte, BGH v. 6.7.1990 – 2 StR 549/89, BGHSt 37, 106, MDR 1990, 1025. 24 Vgl. BGH, wistra 2014, 443. 25 Vgl. BGH v. 16.3.1989 – 4 StR 60/89, BGHSt 36, 151, MDR 1989, 653, NStZ 1989, 540; v. 29.9.1987 – 4 StR 376/87, BGHSt 35, 60, MDR 1988, 69, NJW 1988, 1742. 26 Vgl. BGH v. 15.3.2012 – 5 StR 288/11, BGHSt 57, 175, NJW 2012, 2051, NStZ 2012, 461.

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lich, um mehreren  – selbst gleichartigen  – Pflichten nachzukommen, so sind in ihrer Nichtvornahme in aller Regel mehrere Unterlassungen zu finden; es ist also Tatmehrheit gegeben (…). So liegt es hier. Auch wenn man, wofür viel spricht, für den Fall der Auszahlung zu geringen Lohns den sozialen Handlungsschwerpunkt in der Tätigkeit des Auszahlens und damit in einem positiven Tun sieht, ergibt sich nichts anderes. Denn dann liegt die relevante Handlung in einer den gesetzlichen Mindestarbeitsbedingungen nicht genügenden Leistung an den Arbeitnehmer. Sie fällt gleichfalls nicht mit Tathandlungen nach §  266a StGB zusammen,  (…). Das Erfordernis, die Mindestlohnunterschreitung gem. § 5 I Nr. 1 AEntG a.F. auch bei fahrlässigem Unterlassen als Ordnungswidrigkeit sanktionieren zu können, spricht vielmehr gegen die Annahme einer inneren Verknüpfung. Gerade die getrennte Würdigung von Straftat und Ordnungswidrigkeit in getrennten Verfahren ist im Gesetz angelegt. Auch der Umstand, dass die auszuzahlenden Löhne und die danach abzuführenden Sozialversicherungsbeiträge gleichermaßen in einem Steuerberatungsbüro (…) errechnet worden sind, führt als bloße gemeinsame Vorbereitungshandlung nicht zur Annahme prozessualer Tatidentität.“ bb) In etwas weiter zurückliegenden Entscheidungen finden sich – worauf der 5. Senat auch verweist – ähnliche Überlegungen auch zum hier interessierenden Verhältnis zwischen Beitragsvorenthaltung und Lohnsteuerhinterziehung, indes sind diese Entscheidungen für die vorliegende Frage nicht unmittelbar einschlägig bzw. unterscheiden sich im Sachverhalt deutlich.27 Dagegen nimmt das OLG Jena eine Verklammerungswirkung an, wenn „derselbe Berechnungsvorgang“ betroffen ist, und führt aus:28 „Bei den Gegenständen des Verfahrens (…) der Staatsanwaltschaft Meiningen und der hier vorliegenden Sache handelt es sich um eine Tat im prozessualen Sinn nach § 264 StPO. (…) Hier wird der Betroffenen zur Last gelegt, für den Arbeitnehmer D. nicht den nach dem Arbeitnehmerentsendegesetz (AEntG) vorgeschriebenen Mindestlohn gezahlt zu haben. Sie hatte mit dem Arbeitnehmer einen darunter liegenden Stundenlohn vereinbart, die Stundenlöhne und darauf entfallenden Sozialversicherungsbeiträge durch ein Steuerberatungsbüro berechnen lassen und dann die Auszahlungen dementsprechend vorgenommen. Dadurch wurden zu geringe Beiträge zur ULAK abgeführt und ein niedrigerer als der nach dem durch Verordnung aufgrund des AEntG für allgemeinverbindlich erklärten Tarifvertrag geschuldete Lohn gezahlt. Im Verfahren  (…) der Staatsanwaltschaft Meiningen wurde der Betroffenen zur Last gelegt, auf die Differenz 27 So wird in der Entscheidung BGH v. 13.5.1992 – 5 StR 38/92, BGHSt 38, 285 (286), MDR 1992, 686, NJW 1992, 2240, NStZ 1992, 441 ohnehin nur die materiell-rechtliche Frage behandelt, ohne dass auf die Tat im prozessualen Sinne eingegangen wird. In der Entscheidung BGH v. 24.7.1987 – 3 StR 36/87, BGHSt 35, 14, MDR 1987, 1043, NJW 1988, 1800, NStZ 1988, 77 geht es zwar auch um den prozessualen Tatbegriff, allerdings wurden dort für die Arbeitnehmer insgesamt weder Lohnsteuer noch Sozialversicherungsbeiträge abgeführt, so dass reine Unterlassungskonstellationen vorlagen. Dieses vollständige Fehlen von Zahlungen wird auch vom OLG Saarbrücken (Beschl. v. 23.7.2010 – Ss (B) 50-10, 82/10, BeckRS 2011, 14022) als potentiell entscheidungs-, jedenfalls aber differenzierungserheblich („denn diese Entscheidung betrifft einen abweichenden Sachverhalt“) erachtet. 28 Vgl. OLG Jena, wistra 2010, 39.

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zwischen dem vereinbarten und tatsächlich gezahlten Lohn und dem gesetzlichen Mindestlohn keine Sozialversicherungsbeiträge, und zwar sowohl Arbeitnehmer- wie Arbeitgeberanteile, abgeführt zu haben. Konkret bestand der Vorwurf darin, dass die Betroffene die zu niedrigen Löhne und darauf entfallenden Sozialabgaben durch das Steuerbüro hatte berechnen lassen und dementsprechend zu niedrige Beiträge an die Krankenkasse als Einzugsstelle für die Gesamtsozialversicherungsbeiträge gemeldet und abgeführt hatte. (…) Bei dem Gegenstand der beiden Verfahren handelt es sich um einen Lebenssachverhalt, der nicht aufgespaltet werden kann und somit eine Tat im prozessualen Sinne darstellt. Es geht um denselben Berechnungsvorgang, der zu jeweils im gleichen relativen Ausmaß zu geringeren Zahlungen geführt hat (…).“ cc)  Auch in anderen obergerichtlichen Entscheidungen werden die gemeinsamen Grundlagen verschiedener abgaben- und/oder sozialrechtlicher Verpflichtungen als Indiz für das Vorliegen einer einheitlichen prozessualen Tat betrachtet.29 Und soweit innerhalb einer einheitlichen Beitrags- bzw. Abgabenart mehrere Erklärungen hätten abgegeben werden müssen (aber unterblieben sind), wird in der Rechtsprechung zumindest teilweise ungeachtet der materiell-rechtlichen Tatmehrheit30 eine einheitliche Tat im prozessualen Sinn angenommen. Intensive Beachtung hat dabei zum einen eine Entscheidung des damals für das Steuerstrafrecht noch zuständigen 5. Strafsenats aus dem Jahre 2004 gefunden,31 in welcher der zwischen den Umsatzsteuervoranmeldungen und der Umsatzsteuerjahreserklärung trotz der zahlreichen zwischen den Taten liegenden Monaten eine Tat im prozessualen Sinn bejaht wurde, da die „einzelnen Handlungen nicht nur äußerlich ineinander übergehen, sondern wegen der ihnen zugrundeliegenden Vorkommnisse unter Berücksichtigung ihrer strafrechtlichen Bedeutung auch innerlich derart miteinander verknüpft sind, daß der Unrechts- und Schuldgehalt der einen Handlung nicht ohne die Umstände, die zu der anderen Handlung geführt haben, richtig gewürdigt werden kann“. Denn die „aus dem materiellen Steuerrecht folgenden engen Verzahnungen führen (…) dazu, daß Umsatzsteuervoranmeldungen und Umsatzsteuerjahreserklärung eines Jahres hinsichtlich ihrer strafrechtlichen Bedeutung innerlich derart miteinander verknüpft sind, daß der Unrechts- und Schuldgehalt der einzelnen Taten nur in der Zusammenschau richtig gewürdigt werden kann“. Vergleichbar hat im Bereich der Sozialabgaben das OLG  Hamm entschieden, dass zwar Beitragsvorenthaltungen je Monat und gegenüber jeder einzelnen Einzugsstelle jeweils als rechtlich selbständige Tat zu würdigen sein können, dass aber etwas ande-

29 So das OLG  Oldenburg v. 22.6.2010  – 2 SsBs 27/10 (BeckRS  2010, 17931) und das OLG Stuttgart v. 12.5.1982 – 3 Ss (25) 210/82 (NStZ 1982, 514) jeweils für die unterlassene Abführung der Sozialversicherungsbeiträge (§ 266a StGB) und die unerlaubte Beschäftigung von Ausländern entgegen § 284 I SGB III (§ 404 II Nr. 2 SGB III). 30 Zum Sozialversicherungsrecht: BGH v. 30.7.2003  – 5 StR 221/03, BGHSt  48, 307 (314); zust. etwa Perron in Schönke/Schröder, 29. Aufl. 2014, § 266a StGB Rz. 28; zum Steuerrecht Joecks in Joecks/Jäger/Randt, 8. Aufl. 2015, § 370 AO Rz. 721 ff., teilweise krit. Rz. 724. 31 BGH v. 24.11.2004  – 5 StR 206/04, BGHSt  49, 359, NJW  2005, 836 m. Anm. Kudlich, JR 2005, 170; Otto, NStZ 2005, 515; Salditt, PStR 2005, 30.

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res gilt, wenn die Unterlassungstaten hinsichtlich aller prägenden Gesichtspunkte miteinander verknüpft sind.32 c) Leitlinien der Rechtsprechung – Versuch einer Synthese Der Rechtsprechung lässt sich somit zwar keine ganz einheitliche Linie entnehmen, gleichwohl sind Fixpunkte auszumachen: aa) Zwar wird praktisch nach einhelliger Auffassung davon ausgegangen, dass einzelne Vorenthaltungs- und Hinterziehungsakte – und zwar sowohl in zeitlich „hintereinander“ erfolgender Reihung als auch „nebeneinander“ gegenüber mehreren Stellen – materiell-rechtlich regelmäßig im Verhältnis der Handlungsmehrheit zueinander stehen. Dies ergibt sich für verschiedene Erklärungen daraus, dass diese – wenn sie zu unterschiedlichen Zeiten oder gegenüber verschiedenen Adressaten abgegeben werden – praktisch immer mehrere Handlungen im natürlichen Sinne darstellen; für verschiedene Unterlassungen daraus, dass hier nicht auf die parallele Untätigkeit, sondern (in Übereinstimmung auch mit der herrschenden Lehre) darauf abgestellt wird, dass die zu fordernden pflichtgemäßen Handlungen unterschiedliche wären. bb)  Gleichwohl wird  – soweit die Frage auftaucht  – bei mehreren (im o.g. Sinne) nach- oder nebeneinander erfolgenden „Entrichtungsverstößen“ (um einen neutralen Oberbegriff zu verwenden) immer wieder diskutiert und auch teilweise bejaht, ob nicht ein Fall vorliegt, in dem die Vermutungswirkung der materiell-rechtlichen Tatmehrheit widerlegt werden kann. Diese Überlegungen sind ersichtlich von dem Empfinden geprägt, dass die für die Bestimmung der prozessualen Tat bedeutsame „Auffassung des Lebens“ hier einer zusammenhängenden Bewertung intuitiv zuneigt, wenn alle „Entrichtungsverstöße“ eine gleiche Grundlage und Zielrichtung haben, und zwar im Sinne der o.g. faktisch-normativen Betrachtung umso stärker, je mehr Aspekte die verschiedenen Verstöße auch rechtlich als „zusammengehörend“ erscheinen lassen. cc) Betrachtet man die angeführten Entscheidungen in ihrer Gesamtheit, lässt sich in der veröffentlichten Rechtsprechung jedenfalls dann sogar eine gewisse Tendenz hin zur Annahme einer einheitlichen prozessualen Tat erkennen, wenn die Verstöße auf einheitlichen Berechnungsvorgängen beruhen – freilich mit der wichtigen Einschränkung, dass gerade die (soweit ersichtlich) jüngste und höchstrangige Entscheidung, nämlich diejenige des 5. Strafsenats des BGH aus dem Jahr 2012, gerade in eine andere Richtung weist. Das dort betroffene Verhältnis zwischen § 266a StGB und § 5 Abs. 1 Nr.  1 AEntG ist dabei (z.T. auch in der Begründung betont) allerdings zum einen durch das Verhältnis von Straftat (mit zwingendem Vorsatzerfordernis) und (auch eine Fahrlässigkeit kennende) Ordnungswidrigkeit geprägt, zum anderen durch zwei Rechtsverhältnisse mit Zahlungspflichten gegenüber den Sozialversicherungsträgern auf der einen und den Arbeitnehmern als Privatpersonen auf der anderen Seite. Ferner fehlte es in den der Entscheidung des BGH zugrundeliegenden Einzelfällen vollständig an einer Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen. 32 Vgl. OLG Hamm v. 1.3.2001 – 2 Ss 44/01, wistra 2001, 238.

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All diese Umstände sprechen kriminalpolitisch gegen den durch die Annahme einer strafprozessualen Tat entstehenden engen „Verbund“: Während nämlich beim Fehlen einer Erklärung insgesamt (v.a. in klassischen Schwarzarbeiterkonstellationen) die Befürchtung naheliegt, dass man verschiedenste Handlungspflichten über einen sehr langen Zeitraum miteinander verbindet und mithin einen Strafklageverbrauch von noch gar nicht erkannten Delikten „riskiert“, die einen umfassenden Arbeitnehmerschutz gewährleisten und den Arbeitsmarkt regulieren sollen, ist dieses Risiko bei der Abgabe unvollständiger / zu niedriger Erklärungen (und daneben bestehenden weiteren Erklärungs- und Handlungspflichten) gering. Ein weiterer, mit der Unterscheidung zwischen fehlenden und „nur“ zu geringen Meldungen auch zusammenhängender, Topos ist das „Erklärungsargument“ bzw. die „gemeinsame Berechnungsgrundlage“. Diesem namentlich vom OLG Jena betonten Aspekt tritt der 5. Strafsenat zwar nicht ausdrücklich bei, aber auch nur insoweit entgegen, als er unter Hinweis auf vgl. BGHSt 35, 1433 Berechnungen „als bloße gemeinsame Vorbereitungshandlung“ als nicht „zur Annahme prozessualer Tatidentität“ hinreichend erachtet werde. Interessanterweise betrifft auch diese Entscheidung einen Fall,34 in dem überhaupt keine Anmeldung zur Lohnsteuer und zur Sozialversicherung erfolgt ist, so dass in der „Lohnbuchhaltung“ in der Tat diesbezüglich fast denknotwendig nur „Vorbereitungshandlungen (wie zum Beispiel der Verschleierung der Lohnzahlungen)“,35 aber keine Mitwirkungsakte an den inkriminierten Berechnungen bzw. Anmeldungen selbst erfolgen konnten.

IV. Konsequenzen für das Ausgangsbeispiel Betrachten wir vor diesem Hintergrund nun unser Ausgangsbeispiel, so gilt Folgendes: Neben der (für sich genommen für die Annahme einer einheitlichen prozessualen Tat nicht genügenden) zeitlichen Parallelität besteht eine innere Verbindung zwischen den jeweiligen Vorenthaltungen vor allem darin, dass diese jeweils auf der Meldung einer Stundenzahl an das Steuerbüro beruhen, auf deren Grundlage von dort die entsprechenden Beiträge berechnet und abgeführt wurden. Obwohl mithin materiell-rechtlich die formalen Pflichten, den jeweils zutreffenden Sozialversicherungsbeitrag und die jeweils zutreffende Lohnsteuer abzuführen, unterschieden werden können, wären sie für A durch eine einzige (tatsächlich) Handlung  – nämlich die Meldung einer korrekten Auszahlungssumme – erfüllbar gewesen. Im materiell-rechtlichen Konstrukt der Tatbestände lassen sich die beiden geschuldeten Handlungen somit zwar trennen, weil nicht auf die tatsächlichen Handlungen des Pflichtigen, sondern auf die Rechtsbeziehungen (Meldung gegenüber dem Finanzamt 33 BGH v. 24.7.1987 – 3 StR 36/87, MDR 1987, 1043, NJW 1988, 1800, NStZ 1988, 77. 34 Ebenso ferner in BayObLG v. 26.11.1985 – RReg 4 St 183/85, MDR 1986, 427, NStZ 1986, 173. 35 So BGH v. 24.7.1987 – 3 StR 36/87, BGHSt 35, 14, MDR 1987, 1043, NJW 1988, 1800.

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und Meldung gegenüber dem Sozialversicherungsträger) abgestellt wird. Bei einer natürlichen Betrachtung des lebensgegenständlichen Geschehensablaufs handelt es sich aber um ein einheitliches Fehlverhalten mit Auswirkungen an verschiedenen Stellen des Rechtssystems. Diese innere Verbindung ist auch keine zufällige zeitliche Koinzidenz, sondern beruht darauf, dass beide Tatbestände – § 266a StGB wie § 370 AO – am Arbeitslohn und der Zusammensetzung des Netto-Lohns im Vergleich zum Brutto-Lohn anknüpfen. Insoweit handelt es sich auch – abweichend von einer Entscheidung des BGH aus dem Jahr  2012  – nicht im eigentlichen Sinne nur um eine gemeinsame „Vorbereitungshandlung“, sondern aus Rechtsgründen (nämlich wegen der Abhängigkeit sowohl der Sozialversicherungsbeiträge als auch der Lohnsteuer von der Höhe des Arbeitslohnes) gerade um die „Ausführungshandlung“; dies gilt zwar nicht in einem streng dogmatischen Sinne (da insbesondere § 266a StGB keine Begehungs-, sondern Unterlassungsdelikte enthält), aber es handelt sich doch – bei Betrachtung des lebensgegenständlichen Geschehensverlaufs – um die Handlung, in welcher sich die Pflichtverletzung gleichsam manifestiert. Noch deutlicher wird dieser Zusammenhang, wenn man ihn aus der Perspektive der Steuer- und Beitragspflichtigkeit betrachtet: Vergütungen zur Erstattung von Reisekosten sind unter den Voraussetzungen des § 3 Nr. 16 EStG nicht steuerpflichtig; und parallel dazu gehören Ersatzleistungen des Arbeitgebers für Aufwendungen nicht zum sozialversicherungspflichtigen Entgelt, soweit sie lohnsteuerfrei sind. Der einheitliche Fehler liegt in unserem Ausgangsbeispiel also darin, die Zahlungen nicht als steuerpflichtige Zusatzzahlungen zu erklären, sondern als steuerfreien Aufwendungsersatz, woraus sich für das Lohnbüro automatisch auch die fehlende Beitragspflichtigkeit ergibt. Damit liegt nicht nur tatsächlich, sondern auch rechtlich ein deutlicher innerer Zusammenhang vor. Dies spricht dafür, dem Argument der „gemeinsamen Berechnung“ mit einer Reihe von obergerichtlichen Entscheidungen jedenfalls für die Beispielskonstellation größere Bedeutung zuzumessen als der BGH in seiner insoweit anders gelagerten Entscheidung, in der es um das Verhältnis von § 266a StGB zu einer Zahlungspflichtverletzung gegenüber dem Arbeitnehmer selbst geht. Es kommt hinzu, dass im Ausgangsbeispiel auch die durch das Verhalten beein­ trächtigten Rechtsgüter einander viel ähnlicher sind als in der vom BGH zuletzt ­entschiedenen Konstellation des Zusammentreffens von Beitragsvorenthaltung und Unterschreitung des Mindestlohns: Während in der Entscheidung des BGH die Sozialversicherungsträger einerseits und die Arbeitnehmer selbst andererseits geschädigt werden, ist die Zielrichtung von § 370 AO und § 266a StGB deutlich ähnlicher: In beiden Fällen geht es um die Verletzung von öffentlich-rechtlichen Pflichten gegenüber einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft, welche Ansprüche geltend macht, deren Erträge im Einzelfall gar nicht notwendig dem einzelnen Arbeitnehmer, sondern einer mehr oder weniger breiten Allgemeinheit zu Gute kommen. Die finanzrechtlichen Unterschiede zwischen Steuern und Beiträgen werden hierbei nicht verkannt, sind aber eher rechtstechnischer Natur und spielen für den Unrechtsgehalt dieser 869

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identisch „opferlosen Delikte“ keine entscheidende Rolle. Die (teils bestehenden, teils diskutierten) Interdependenzen zwischen Steuereinnahmen und sozialen Sicherungssystemen zeigen das sehr deutlich. Beide Verstöße sind aber nicht nur insoweit ähnlicher Natur – es handelt es sich auch in beiden Fällen um Straftaten, so dass die vom BGH ergänzend herangezogenen Überlegungen zum Verhältnis zwischen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten in diesem Fall keine Bedeutung haben. Im Ergebnis liegen somit neben der zeitlichen Parallelität überwiegende Gründe vor, auf Grund des inneren Zusammenhangs der Taten nach der Auffassung des Lebens und in Abweichung vom materiell-dogmatischen Rekurrieren auf die Erfüllung zweier nicht identischer Leistungspflichten eine Tat im prozessualen Sinne anzunehmen. Etwas anderes könnte sich allerdings ergeben, wenn mit der gleichzeitigen Behandlung beider Fragen ein Angeklagter in einer hypothetischen Hauptverhandlung überrascht und/oder die Kognitionspflicht eines Gerichts überfordert wäre. Indes ist dies vorliegend gerade nicht der Fall: Lohnsteuer einerund Sozialabgaben andererseits werden auch sonst in der Arbeitswelt als eng zusammenhängendes, ja geradezu als einheitliches Thema verstanden, bilden sie doch gerade die Differenz zwischen Brutto- und Nettolohn bzw. zwischen Arbeitslohn und tatsächlichen Lohnkosten. Es ginge also um keine „versteckte“, zufällig zeitlich zusammenfallende Strafbarkeit, die leicht „übersehen“ worden sein kann und bezüglich derer deshalb der Strafklageverbrauch eine unerwünschte und fernliegende Folge ist, sondern Lohnsteuer und Sozialabgaben stellen sich nahezu als „siamesische Zwillinge“ dar. Letztlich spricht daher auch dieser Gesichtspunkt nicht gegen, sondern maßgeblich für die Annahme einer Tat im prozessualen Sinne.

V. Zusammenfassung und Fazit § 153a Abs. 1 Satz 5 StPO entfaltet einen begrenzten Strafklageverbrauch, der sich – soweit kein Verbrechen vorliegt – auf die gesamte Tat im strafprozessualen Sinne bezieht. Dabei wird zwar regelmäßig die Nichtentrichtung verschiedener Steuern und Abgaben als Fall der Handlungsmehrheit betrachtet, da insoweit verschiedene Zahlungspflichten zugrunde liegen, die nicht durch eine einzelne Handlung erfüllt werden könnten. Von den Obergerichten wird allerdings – unter im Einzelnen streitigen und uneinheitlichen Voraussetzungen – für möglich gehalten, dass dennoch eine einheitliche Tat im prozessualen Sinne vorliegen kann. Hier hängt letztlich viel von der konkreten Konstellation ab. Als Kriterien werden etwa die getrennte Betrachtung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten, die einheitliche Berechnungsgrundlage oder das vollständige Nichtentrichten im Unterschied zu einer nur zu niedrigen Entrichtung genannt. All dies spricht für die Annahme einer einheitlichen prozessualen Tat, soweit ein Fall vorliegt, in dem die unrichtige (lohn‑)steuerliche und sozialabgabenrechtliche Behandlung einheitlich darauf beruht, dass der Arbeitgeber der Lohnbuchhaltung falsche Angaben übermittelt hat, die dort zur Grundlage der Errechnung und Abfüh870

Steuer- und Sozialabgabenstrafrecht

rung von Lohnsteuer und Sozialabgaben gemacht werden. Es handelt sich um zwei Straftatbestände, es finden eine einheitliche Berechnung und eine einheitliche Weitergabe an ein Steuerbüro statt und es handelt sich rechtsethisch um vergleichbare, gleichsam „opferlose“ Delikte. Schließlich ist die jeweils andere „Abgabenart“ beim vorliegenden modus operandi fast notwendig auch immer mit im Blick, wenn die ­Hinterziehung der einen von beiden strafrechtlich gewürdigt wird, so dass beide Nicht-Entrichtungen natürlicher gemeinsamer Gegenstand der jeweiligen Kognitionspflicht der Strafverfolgungsbehörden sind. Ob die Praxis – teilweise oder gar einheitlich – einen solchen Weg „mitgehen“ würde, lässt sich naturgemäß schwer prognostizieren. Die wesentlichen Argumente einer ergebnisoffenen und differenzierten Betrachtung sind hier indes dargelegt, und man darf auch in der Rechtspraxis auf die Kraft des (besseren) dogmatischen Arguments zumindest hoffen. In dieser Hoffnung weiß ich mich mit dem Jubilar einig, der seine herausragenden steuerrechtlichen Kenntnisse nach dem Eintritt in den Ruhestand noch mehr als früher schon – hier als Of Counsel einer renommierten Großkanzlei – in die Praxis einbringt. Davon kann eben diese Rechtspraxis nur profitieren.

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Heinz Vallender

Steuerforderungen und Restschuldbefreiung – Fiskusprivileg oder fresh start? Inhaltsübersicht

I. Einführung

II. Von der Restschuldbefreiung ausgenommene Forderungen, § 302 InsO 1. Restschuldbefreiung und strafbare Steuerhinterziehung gem. § 370 AO 2. Rechtsnatur von Steuer- und Haftungsansprüchen 3. BFH: Straftatbestand der Steuerhinterziehung kein Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB III. Wiedereinführung des Fiskusprivilegs nach Inkrafttreten der Insolvenzordnung 1. Privilegierung von Steuerforderungen nach der KO 2. Wiederholte Versuche zur Einführung des Fiskusprivilegs auch nach Inkrafttreten der InsO

IV. Offene Fragen zur Ausklammerung der Katalogstraftaten der §§ 370, 373 oder 374 AO aus der Restschuldbefreiung 1. Art und Umfang der Verbindlichkeiten 2. Anwendbarkeit des § 302 Nr. 1 InsO auch bei geringfügigen Verurteilungen 3. Zeitpunkt der strafrechtlichen Verurteilung 4. Wahlrecht des Fiskus?

V. Internationale Aspekte 1. Die Behandlungen von Steuerfor­ derungen in ausländischen Insolvenzverfahren 2. Steuerforderungen ausländischer ­Gläubiger in einem deutschen Insolvenzverfahren und die Wirkungen der Restschuldbefreiung

VI. Fazit

I. Einführung Deutschland zählt zu den Staaten, dessen Insolvenzrecht relativ spät die Möglichkeit der Erteilung von Restschuldbefreiung für natürliche Personen eröffnet hat. Erst seit Einführung der Insolvenzordnung im Jahre 1999 erhalten Schuldner die Chance, mit diesem Rechtsinstrument einer nahezu uneingeschränkten Nachhaftung nach Durchführung eines Insolvenzverfahrens zu entgehen. Von den Wirkungen der Restschuldbefreiung werden gem. § 301 Abs. 1 InsO die Forderungen sämtlicher Insolvenzgläubiger umfasst. Bis vor wenigen Jahren zählten dazu auch Steuerverbindlichkeiten. Mit Inkrafttreten des Gesetzes zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte1 am 1.7.2014 hat der deutsche Gesetzgeber trotz Bestrebungen der EU-Kommission, Schuldnern einen weitgehenden fresh start zu ermöglichen2, insoweit einen Rückschritt vollzogen, als er den Katalog des § 302 InsO erweitert und Verbindlichkeiten aus einem „Steuerschuldverhältnis, sofern der Schuldner im Zusammenhang damit wegen einer Steuerstraftat nach den §§ 370, 373 1 BGBl. I 2013, 2379. 2 Näher dazu Vallender, IWRZ 2017, 51; Stephan, VIA 2017, 9.

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oder 374 der Abgabenordnung rechtskräftig verurteilt worden ist“, von der Restschuldbefreiung ausgenommen hat. Der nachfolgende Beitrag geht insbesondere der Frage nach, welche Auswirkungen die Restschuldbefreiung auf Steuerforderungen inund ausländischer Gläubiger hat. Dem Jubilar dürfte diese Thematik angesichts seiner umfassenden steuerrechtlichen Expertise zwar vertraut sein. Gleichwohl soll das Thema zu seinen Ehren aufgriffen werden, um auch auf einige bislang wenig diskutierte Aspekte hinzuweisen.

II. Von der Restschuldbefreiung ausgenommene Forderungen, § 302 InsO § 302 InsO bestimmt drei Gruppen von Forderungen, für die ungeachtet der Restschuldbefreiung die Nachhaftung des Schuldners bestehen bleibt. Bei Einführung der Insolvenzordnung schien es dem Gesetzgeber im Hinblick auf die Ausgleichsfunktion des Deliktsrechts sachgerecht, die in Ziffer 1 der Vorschrift aufgeführten Schadensersatzpflichten aus vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlungen (§ 302 Nr. 1 Halbsatz 1 Alt. 1 InsO) von der Restschuldbefreiung auszunehmen3. Obwohl auch nach der bis zum 1.7.2014 geltenden Fassung der Insolvenzordnung Forderungen der Finanzbehörden nicht vom Anwendungsbereich der vorgenannten Bestimmung erfasst wurden, erhoben sich schon früh Stimmen4, die dafür plädierten, zumindest Forderungen aus einer strafbaren Steuerhinterziehung von der Restschuldbefreiung auszuklammern, um dem Schuldner nicht die durch die Straftat gezogenen Früchte zu erhalten. 1. Restschuldbefreiung und strafbare Steuerhinterziehung gem. § 370 AO Ausgangspunkt der nach Inkrafttreten der Insolvenzordnung geführten Diskussion über die Privilegierung bestimmter Steuerforderungen im Insolvenzverfahren ist die Regelung des § 302 Nr. 1 InsO a.F. Danach werden − wie bereits ausgeführt − von der Erteilung der Restschuldbefreiung Verbindlichkeiten des Schuldners aus einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung nicht berührt, sofern der Gläubiger die von ihm geltend gemachte Forderung unter Angabe dieses Rechtsgrundes nach § 174 Abs.  2 InsO angemeldet hatte. Eine nähere Begriffsbestimmung der unerlaubten Handlung oder eine ausdrückliche Bezugnahme z.B. auf die §§  823 und 826 BGB enthält die Vorschrift nicht. Nach allgemeinem Verständnis sind Deliktsforderungen nach § 823 Abs. 1 BGB, § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit einem entsprechenden Schutzgesetz und § 826 BGB als Verbindlichkeiten i.S.d. § 302 Nr. 1 InsO anzusehen. Ob hierunter auch die Steuerhinterziehung gem. § 370 AO fällt, war bis zur Entscheidung des Bundesfinanzhofs im Jahre 2008 höchstrichterlich nicht geklärt. In seinem Urteil v. 19.8.20085 stellt der 7. Senat fest, dass eine Steuerhinterziehung als solche keinen deliktischen Anspruch aus § 823 Abs. 1 BGB begründe. 3 Begr. zu § 251 RegE, BR-Drucks. 1/92, 194. 4 Klaproth, ZInsO 2006, 1078. 5 VII R 6/07, DStR 2008, 2061.

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2. Rechtsnatur von Steuer- und Haftungsansprüchen Bei Steuer- und Haftungsansprüchen handelt es sich um eigenständige, dem öffentlichen Recht zugehörige Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 37 Abs. 1 AO), die sowohl nach ihrer Entstehung als auch nach ihrem Inhalt und ihrer Durchsetzung eigenen, von den zivilrechtlichen Deliktsansprüchen unterschiedlichen Regeln unterliegen und deshalb keine Schadensersatzansprüche aus unerlaubter Handlung darstellen6. Das Prozedere der Anmeldung dieser Ansprüche im Insolvenzverfahren, die vor Verfahrenseröffnung begründet waren, ist in einem BMF-Schreiben v. 17.12.19987 dargestellt. Dieses Schreiben stellt auch die Fallvarianten dar, falls diese Forderungen bestritten werden8. Selbst wenn der zur Insolvenztabelle angemeldete Steueranspruch auf eine vorsätzliche Nichtentrichtung der Steuer bzw. auf eine Steuerhinterziehung nach §  370 AO zurückzuführen sein sollte, beruht er nach Auffassung des BFH9 nicht auf einer unerlaubten Handlung des Steuerschuldners, sondern auf der Verwirklichung eines steuerrechtlichen Tatbestandes, an den das Gesetz eine Zahlungspflicht knüpft (§  38 InsO). Der Umstand, dass Steuerhinterziehung nicht erlaubt und insbesondere aus Präventions- und Sanktionsgründen mit Strafe bedroht ist, vermag an der rechtlichen Qualifizierung des Steueranspruchs als solchem nichts zu ändern. Dies entspricht auch der herrschenden Auffassung im Schrifttum10. 3. BFH: Straftatbestand der Steuerhinterziehung kein Schutzgesetz i.S.d. 823 Abs. 2 BGB Bereits vor Inkrafttreten der Insolvenzordnung hatte der BFH11 im Jahre 1997 in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs entschieden, dass der Straftatbestand der Steuerhinterziehung auch nicht als Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB eingestuft werden könne. Ein Schutzgesetz erfordere die zumindest teilweise Ausrichtung auf den Schutz von Individualinteressen vor einer näher bestimmten Art ihrer Verletzung12. § 370 AO schütze indes nicht ein Individualinteresse, das dem eines geschädigten und auf einen zivilrechtlichen Ausgleich bedachten Bürgers vergleichbar wäre, sondern das öffentliche Interesse des Fiskus und damit des Staates am rechtzeitigen und vollständigen Aufkommen bestimmter einzelner Steuern13. Damit diene §  370 AO der Sicherung des aus der Steuererhebung erwarteten Ertrages und den damit verbundenen Belangen des Gemeinwesens. 6 BFH v. 24.10.1996 – VII R 113/94, BFHE 181, 552, BStBl. II 1997, 308. 7 S 0550, BStBl. I 1998, 1500. 8 Beck/Depre, Praxis der Insolvenz, 3. Aufl. 2017, § 35 Rz. 12. 9 BFH v. 19.8.2008 − VII R 6/07, DStR 2008, 2061. 10 Vgl. statt vieler Uhlenbruck/Sternal, 14. Aufl., § 302 InsO Rz. 21 m.w.N. 11 BFH v. 24.10.1996 – VII R 113/94, BFHE 181, 552, BStBl. II 1997, 308. 12 BGH v. 13.12.1988 – VI ZR 235/87, NJW 1989, 974; BGH v. 2.2.1987 – VI ZR 32/86, BGHZ 100, 13. 13 BGH v. 23.3.1994 – 5 StR 91/94; BGH v. 23.3.1994 – 5 StR 91/94, BGHSt 40, 109; BGH v. 1.2.1989 – 3 StR 179/88, BGHSt 36, 100.

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III. Wiedereinführung des Fiskusprivilegs nach Inkrafttreten der ­Insolvenzordnung Das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und zur Stärkung der Gläubigerrechte v. 15.7.201314, in Kraft getreten am 1.7.2014, hat die insbesondere aus der Sicht des Fiskus unbefriedigende Rechtslage beseitigt, dass Steuerstraftäter sich ggf. über den Weg der Restschuldbefreiung der sie betreffenden Nachzahlungspflicht doch noch entziehen können15. Denn für alle ab dem 1.7.2014 beantragten Insolvenzverfahren sieht § 302 Nr. 1 Alt. 3 InsO n.F. vor, dass Verbindlichkeiten des Schuldners aus dem Steuerschuldverhältnis von der Erteilung der Restschuldbefreiung ausgenommen sind, sofern der Schuldner wegen einer Steuerstraftat nach den §§ 370, 373 oder § 374 der Abgabenordnung rechtskräftig verurteilt worden ist und die entsprechende Forderung von den Steuerbehörden unter Angabe des Rechtsgrundes nach §  174 Absatz 2 InsO zur Tabelle angemeldet wurde. Unbeachtlich ist, zu welchem Zeitpunkt die Verurteilung erfolgt. Zur Begründung dieser Erweiterung des § 302 Nr. 1 InsO führt der Gesetzgeber an, dass der Unrechtsgehalt der genannten Straftaten es rechtfertige, die in diesem Zusammenhang bestehenden Verbindlichkeiten des Schuldners dem unbegrenzten Nachforderungsrecht des Fiskus zu unterwerfen. Demgegenüber sollen gewöhnliche Steuerrückstände des Schuldners oder andere Geldforderungen der Steuerbehörden – wie etwa Zwangsgelder – weiterhin von der Restschuldbefreiung erfasst werden. Um dem Gericht zu ersparen, selbst die objektiven und subjektiven Voraussetzungen einer solchen Straftat feststellen zu müssen, wird eine rechtskräftige Verurteilung vorausgesetzt16. Auch wenn die gesetzgeberische Entscheidung, Verbindlichkeiten des Schuldners aus dem Steuerschuldverhältnis von der Erteilung der Restschuldbefreiung auszunehmen, sofern der Schuldner wegen einer Steuerstraftat nach den §§ 370, 373 oder § 374 der Abgabenordnung rechtskräftig verurteilt worden ist und die entsprechende Forderung von den Steuerbehörden unter Angabe des Rechtsgrundes nach § 174 Absatz 2 InsO zur Tabelle angemeldet wird, aus Sicht der Allgemeinheit als begrüßenswert anzusehen sein mag, ändert sie nichts daran, dass auf diese Weise dem Fiskus ein Privileg eingeräumt wird. Dabei schien man sich mit der Abschaffung des § 61 Abs. 1 Nr. 2 KO von dessen Bevorzugung in einem Insolvenzverfahren längst befreit zu haben17. So verwundert es nicht, dass zahlreiche Stimmen in der Literatur die Neufassung des § 302 Nr. 1 InsO kritisieren und darin den Einstieg in die Aushöhlung der Restschuldbefreiung sehen. Sie mutmaßen, dass die gesetzgeberische Entscheidung neue Be-

14 BGBl. I 2013, 2379. 15 Graf-Schlicker/Kexel, 4. Aufl., § 302 InsO Rz. 10. 16 BT-Drucks. 17/11268, 32. 17 Näher dazu Ausführungen III 1.

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gehrlichkeiten für weitere Ausnahmen wecke18. Grote/Pape19 befürchten gar, dass auf Grund der Neufassung des § 302 Nr. 1 InsO mit einer zunehmenden Kriminalisierung säumiger Steuerschuldner zu rechnen sei, bei denen es sich für den Fiskus lohne, Verurteilungen wegen Steuerhinterziehung zu erreichen, um in den Genuss von privilegierten Forderungen zu kommen. Ob dies zutrifft, entzieht sich der Kenntnis des Verfassers. Die Autoren lassen aber nicht unberücksichtigt, dass auch für diese Schuldner die Möglichkeit der vollständigen Entschuldung besteht, wenn sie ein Insolvenzverfahren in einem anderen Mitgliedstaat der EU beantragen, dessen Restschuldbefreiungsbestimmungen auch die in Deutschland von der Restschuldbefreiung ausgenommenen Forderungen umfassen20. 1. Privilegierung von Steuerforderungen nach der KO Zur Zeit der Konkursordnung genossen Steuerforderungen jahrzehntelang ein gewisses Privileg. Zwar wurden die vor Konkurseröffnung entstandenen Steuerforderungen als Konkursforderungen behandelt, während die nachher entstandenen unberücksichtigt zu lassen waren, soweit es sich nicht um Masseforderungen handelte21. §  61 Abs.  1 Nr.  2 KO22 bestimmte indes, dass nicht die Entstehung der Steuerschuld  sondern deren Fälligkeit den Lauf der Vorrechtsfrist auslöse23. Diese Privi­ legierung trug dem öffentlichen Interesse an staatlichem Schutz und staatlicher ­Fürsorge Rechnung. Sie beruhte auf dem Gedanken, dass die Hilfsquellen, derer der Staat zur Gewährung dieses Schutzes bedarf, vorzugsweise sichergestellt werden müssten24. Zu einer weiteren Privilegierung des Fiskus während der Geltung der Konkursordnung führte auch das Gesetz zur Neuregelung der Zinsbesteuerung (Zinsabschlags­ gesetz) v. 9.11.199225. Darin wurde ebenfalls ein Verstoß gegen Zielsetzungen des ­Insolvenzrechts gesehen26, weil im Konkurs von Personengesellschaften der Konkursverwalter den Zinsabschlag nicht für die Masse zurückgewinnen konnte. 30 % der Kapitalerträge gingen dadurch unwiederbringlich verloren. Mit Einführung der Insolvenzordnung am 1.1.1999 hat der Gesetzgeber die Konkursvorrechte im Interesse einer erhöhten Verteilungsgerechtigkeit abgeschafft; sie seien wirtschaftlich nicht gerechtfertigt und würden zu ungerechten Verfahrensergebnis-

18 Schmerbach, NZI 2013, 566, 571. 19 ZInsO 2013, 1433, 1445. 20 Näher dazu Ausführungen unter IV 2. 21 Jaeger/Lent, 8. Aufl., § 3 KO Rz. 15. 22 Kritisch dazu Habscheid, KTS 1996, 201. 23 Nach Auffassung des FG Hamburg v. 3.10.1979  – II 119/78, ZIP 1980, 474, verstößt die Vorschrift nicht gegen Art. 3, 14 GG. 24 BGHZ 52, 155, 165. 25 BGBl. I 1992, 1853. 26 Welzel, DStZ 1993, 197.

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sen führen27. Darüber hinaus dürften – worauf Uhlenbruck28 verweist  – praktische Überlegungen eine Rolle für die gesetzgeberische Entscheidung gespielt haben. Denn angesichts der Höhe der Steuern, deren Bezahlung gerade von schwachen Schuldnern, begünstigt durch die Überlastung der Finanzämter, verschleppt werde, komme der Vorschrift des § 61 Nr. 2 KO keine besondere Bedeutung zu. 2. Wiederholte Versuche zur Einführung des Fiskusprivilegs auch nach ­Inkrafttreten der InsO Nach der Grundsatzentscheidung des InsO-Gesetzgebers, die verständlicherweise nicht den Beifall der Finanzverwaltung fand29, gelang es dem Fiskus zunächst punktuell, Normen zur Vermeidung von Steuerausfällen im Insolvenzverfahren einzuführen (§§ 13b30, 13c UstG)31. Einen direkten Angriff auf die InsO stellte das sogenannte Eckpunktepapier der Bundesregierung v. 7.6.2010 dar, das in Nr. 5 ausdrücklich die Wiedereinführung des Fiskusprivilegs forderte. Die Umsetzung erfolgte in dem Entwurf des Art. 4 des Haushaltsbegleitgesetzes 201132. Die Kritiker dieser Initiative hatten zwar insoweit Grund zum Jubeln, als im Gesetzgebungsverfahren der geplante § 96 Abs. 3 InsO, mit dem Aufrechnungsverbote für den Fiskus außer Kraft gesetzt werden sollten, nicht weiter verfolgt wurde. Gleichwohl fand das Fiskusprivileg wieder Eingang in die Insolvenzordnung, als Art. 3 des Haushaltsbegleitgesetzes §  55 Abs. 4 InsO einführte. Gescheitert ist der Fiskus allerdings mit seinem Versuch, eine Einschränkung der Inkongruenzanfechtung gem. § 131 InsO zu erreichen. Zur Begründung für die Änderung der vorgenannten Bestimmung führt die Bundesregierung in ihrem Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtssicherheit bei Anfechtungen nach der Insolvenzordnung und nach dem Anfechtungsgesetz v. 16.12.201533 aus, eine Sicherung oder Befriedigung solle nicht alleine deswegen inkongruent sein, weil sie in der „kritischen“ Zeit durch Zwangsvollstreckung erwirkt worden ist. Eine solche Deckung solle, sofern sie nicht aus einem anderen Grund inkongruent sei, künftig nur unter den weitergehenden Voraussetzungen des § 130 Abs. 1 InsO anfechtbar sein. Hierdurch werde zum Ausdruck gebracht, dass Gläubiger, die lediglich von den gesetzlich vorgesehenen Zwangsmitteln Gebrauch machen, nur dann um die Früchte ihrer ­Anstrengungen gebracht werden können, wenn sie bei der Vollstreckung Kenntnis von der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners hätten. Der Deutsche Bundestag hat am 16.2.2017 auf die Empfehlung des Ausschusses für Recht und Verbraucherschutz (6. Ausschuss) zu dem Gesetzentwurf der Bundesregierung34 die Reform des Anfechtungsrechts verabschiedet und § 131 InsO-E gestrichen. Er hat damit der von Seiten 27 Allgem. Begr. RegE, BR-Drucks. 1/92. 28 11. Aufl., § 61 KO Rz. 51. 29 Werres, NZI 2013, 605. 30 Siehe hierzu BFH v. 29.1.2009 – V R 64/07, NZI 2009, 447. 31 Ausführlich Kahlert, ZIP 2010, 1274. 32 Näher hierzu Werres, ZInsO 2010, 2055. 33 Drucks. 18/7054, 14. 34 Drucks. 18/7054.

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der Sachverständigen in der öffentlichen Anhörung geäußerten Kritik, dass die – gestrichene − Regelung aufgrund der Möglichkeit der Selbsttitulierung eine ungerechtfertigte Privilegierung hoheitlicher Rechtsträger gegenüber privaten Gläubigern bewirke, Rechnung getragen. Mag man insoweit gescheitert sein, finden die Bestrebungen des Fiskus, die eigene Rechtsstellung im Insolvenzverfahren zu stärken, wiederholt Unterstützung von dritter Seite. In seinem Urteil v. 29.1.200935 postulierte der Bundesfinanzhof einen Vorrang des Steuerrechts vor dem Insolvenzrecht. Damit – so Werres36 – verließ der Senat das klassische Verständnis des Begriffs der „Insolvenzordnung“, wonach keine vollständige Begründung eines (Steuer-)Tatbestands zu fordern ist, sondern bereits eine Entstehung des Schuldrechtsorganismus vor Verfahrenseröffnung zur Begründetheit i.S.d. §  38 InsO führt. Auch die insbesondere von Seiten der Insolvenzverwaltung stark kritisierte Rechtsprechung des Bundesfinanzhofes37 zur doppelten Korrektur der Umsatzsteuer wegen der Uneinbringlichkeit des Entgelts auf Grund der Eröffnung des Insolvenzverfahrens und späterer Vereinnahmung des Entgelts38 bewegt sich in diese Richtung. Harder39 wirft dem BFH vor, dass mit seiner Rechtsprechung ein gesetzlich nicht vorgesehenes Fiskusprivileg unter Überschreitung der Grenzen der richterlichen Rechtsfortbildung geschaffen werde.

IV. Offene Fragen zur Ausklammerung der Katalogstraftaten der §§ 370, 373 oder 374 AO aus der Restschuldbefreiung Dem Gesetzgeber bleibt es in den Grenzen der verfassungsmäßigen Ordnung unbenommen, auch in einem Insolvenzverfahren, das der gemeinschaftlichen Befriedigung der Gläubiger dient (§ 1 Satz 1 InsO), bestimmte Forderungen zu privilegieren. Für die Katalogstraftaten des §§ 370, 373 oder 374 AO hat er diesen – nachvollziehbaren und vertretbaren – Weg gewählt40. Der Staat und seine Bürger haben ein legitimes Interesse daran, dass Steuerforderungen, die aus strafrechtlich relevanten Vorsatzhandlungen resultieren, von der Restschuldbefreiung ausgenommen werden. Dies gilt umso mehr, als sie dem materiellen Unwertgehalt der Tathandlung einer vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB gleichzustellen sind41.

35 V R 64/07, DStR 2009, 851. 36 NZI 2013, 605. 37 Werres, a.a.O.; Roth, ZInsO 2014, 309; Harder, ZInsO 2016, 1683. 38 BFH v. 6.9.2016 – V B 52/16, NZI 2017, 40 m.w. Rechtsprechungsnachweisen. 39 NZI 2017, 41. 40 Kritisch dazu Dornblüth/Pape, ZInsO 2014, 1625, 1636; MüKo/Stephan, 3. Aufl., § 302 InsO Rz. 8; Ahrens, ZVI 2012, 122, 126. 41 Waltenberger, ZInsO 2013, 1458, 1463; Braun/Pehl, 7. Aufl., § 302 InsO Rz. 5; siehe aber BFH v. 24.10.1996 – VII R 113/94, BFHE 181, 552, BStBl. II 1997, 308.

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1. Art und Umfang der Verbindlichkeiten Der vom Gesetzgeber eingeschlagene Weg ist für den Fiskus allerdings nicht völlig barrierefrei. Vielmehr wirft die Neufassung des § 302 Nr. 1 Alt. 3 InsO zahlreiche Fragen auf42, die teilweise noch einer abschließenden Klärung durch die höchstrichterliche Rechtsprechung bedürfen. So erschließt sich aus der Vorschrift nicht ohne weiteres, welche Forderungen im Einzelnen privilegiert sein sollen. Erfasst sind „Verbindlichkeiten des Schuldners … aus einem Steuerverhältnis“. Nach der Definition des § 37 Abs. 1 AO sind Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis der Steueranspruch, der Steuervergütungsanspruch, der Haftungsanspruch, der Anspruch auf eine steuerliche Nebenleistung, der Erstattungsanspruch nach Absatz 2 sowie die in Einzelsteuergesetzen geregelten Steuererstattungsansprüche. Hierbei handelt es sich um eine abschließende Aufzählung43, die allerdings keine insolvenzrechtliche verbindliche Festlegung bedeutet. Hierfür spricht die Regelung des § 251 Abs. 2 AO, die hinsichtlich der Vollstreckung von Verwaltungsakten klarstellt, dass die Vorschriften der Insolvenzordnung unberührt bleiben. Ahrens44 zieht hieraus den zutreffenden Schluss, dass § 37 Abs. 1 AO jedenfalls den äußersten Rahmen absteckt, innerhalb dessen eine eigene, durch § 302 Nr. 1 Alt. 3 InsO geprägte Abgrenzung zu finden ist. Steuerliche Nebenleistungen, die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden, und Gegenstand der rechtskräftigen Verurteilung wegen einer Steuerstraftat nach den §§ 370, 373 oder 374 AO sind, erfahren im Insolvenzverfahren nur dann eine Privilegierung, wenn sie mit ihr in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen. Dies folgt aus dem Ausnahmecharakter der Vorschrift. Dieser gebietet eine strikte Begrenzung auf die strafgerichtlich festgestellten Steuertatbestände einschließlich des im Strafurteil festgestellten Umfangs der Steuerhinterziehung45. Vor diesem Hintergrund erfahren strafprozessuale Ansprüche auf Entrichtung der dem Schuldner auferlegten Gerichtskosten keine Privilegierung, weil es sich dabei um öffentliche Abgaben handelt, die nach dem Veranlassungsprinzip auferlegt werden46. 2. Anwendbarkeit des § 302 Nr. 1 InsO auch bei geringfügigen Verurteilungen Anders als bei den Versagungstatbeständen der §§ 290 Abs. 1 Nr. 1, 297 InsO verlangt die Vorschrift keine Mindeststrafe. Ausreichend für die Ausklammerung der vorgenannten Straftaten ist eine rechtskräftige Verurteilung. Dies erscheint wegen der Tragweite der Vorschrift nicht unbedenklich, ist aber vertretbar, weil die Bevorrechtigung eine weniger einschneidende Maßnahme als die Versagung der Restschuldbefreiung darstellt47. Dies gilt gleichermaßen für den Zeitpunkt der Verurteilung. Anders als die vorgenannten Bestimmungen stellt § 302 Nr. 1 keine zeitliche Grenze für 42 So auch Dornblüth/Pape, ZInsO 2014, 1625, 1634 ff. 43 BFH v. 24.3.1998 – I R 120/97, DStZ 1998, 872. 44 Das neue Privatinsolvenzrecht, Rz. 1151. 45 Dornblüth/Pape, ZInsO 2014, 1625, 1635. 46 Vgl. BGH v. 21.7.2011 – IX ZR 151/10, BGHZ 190, 353 Rz. 12; BGH v. 16.11.2010 – VI ZR 17/10, NZI 2011, 64 Rz. 9. 47 A.A. K/P/B, § 302 InsO Rz. 7; Dornblüth/Pape, ZInsO 2014, 1625, 1636.

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die Verurteilung auf. Dies bedeutet indes nicht, dass die Möglichkeit, Forderungen mit dem Privileg des § 302 Nr. 1 InsO anzumelden, grenzenlos ist48. Maßgeblich ist insoweit die Vorschrift des § 51 BZRG, die bestimmt, dass die Tat und die Verurteilung dem Betroffenen im Rechtsverkehr nicht mehr vorgehalten und nicht zu seinem Nachteil verwertet werden dürfen, wenn die Eintragung über eine Verurteilung im Register getilgt worden oder zu tilgen ist. Gestaffelt nach der Höhe der Verurteilungen beträgt die Länge der Tilgungsfristen gem. § 46 Abs. 1 BZRG zwischen fünf und fünfzehn Jahren. 3. Zeitpunkt der strafrechtlichen Verurteilung Nach der Gesetzesbegründung zu § 302 Nr. 1 Alt. 3 InsO ist es unbeachtlich, zu welchem Zeitpunkt die Verurteilung erfolgt49. Soweit in der Literatur die Ansicht vertreten wird, spätestens bis zur Entscheidung über die Erteilung der Restschuldbefreiung gem. § 300 InsO müsse die Rechtskraft des Urteils eingetreten sein50, kann dem nicht gefolgt werden. Letztlich ist der nachträgliche Nachweis einer rechtskräftigen Verurteilung einer nachträglichen Forderungsanmeldung gleichzustellen. Da Forderungen noch bis zum Schlusstermin angemeldet werden können, muss spätestens zu diesem Zeitpunkt die rechtskräftige Verurteilung vorliegen51. 4. Wahlrecht des Fiskus? Die Frage, ob der Steuergläubiger, dessen angemeldete Forderung nach § 302 Nr. 1 Alt.3 InsO privilegiert ist, im Falle des Vorliegens des Voraussetzungen des §  290 Abs. 1 Nr. 2 InsO ein Wahlrecht hat oder er nur von der einen oder anderen Möglichkeit Gebrauch machen kann, ist in der Literatur umstritten. Während Wenzel52 die Auffassung vertritt, § 302 Nr. 1 Alt. 3 InsO greife nur für diejenigen Steuerhinterziehungen ein, die nicht von dem Versagungsgrund des § 290 Abs. 1 Nr. 2 InsO erfasst seien, geht Schmerbach53 von einem uneingeschränkten Wahlrecht aus. Der letztgenannten Auffassung ist der Vorzug zu geben, weil die erstgenannte Meinung im Gesetz keine Stütze findet. Im Übrigen ist – worauf Dornblüth/Pape54 – zutreffend hinweisen, nicht einzusehen, aus welchem Grund der Gläubiger zwingend gehalten sein soll, die Restschuldbefreiung des Schuldners zu verhindern, wenn er sich – etwa bei einer nicht allzu hohen Forderung aus Steuerhinterziehung  – darauf beschränken muss, die Versagung zu beantragen. 48 Dies verkennen Dörnbluth/Pape, ZInsO 2014, 1625, 1636, die § 302 Nr. 1 3. Alt. InsO als Beleg für „die Kompromisslosigkeit und Unnachgiebigkeit, mit welcher der Staat seine Inte­ ressen über die der Bürger stellt“, anführen. 49 BT-Drucks. 17/11268, 32. 50 Uhlenbruck/Sternal, 14. Aufl., § 302 InsO Rz. 22; a.A. Grunicke, ZVI 2014, 361, 366, der auf den Zeitpunkt abstellt, zu dem der Schuldner einen Anspruch auf Erteilung hat. 51 Ahrens, Das neue Privatinsolvenzrecht, Rz.  1149; ähnlich Dornblüth/Pape, ZInsO 2014, 1623. 52 K/P/B, § 302 InsO Rz. 8. 53 NZI 2013, 566, 571. 54 ZInsO 2014, 1625, 1636.

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V. Internationale Aspekte Durch die vielfachen wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen den Rechtssubjekten innerhalb und außerhalb der Europäischen Gemeinschaft kommt es immer häufiger zu grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren. Die Geschäftstätigkeit von Unternehmen greift mehr und mehr über die einzelstaatlichen Grenzen hinaus. Dies führt dazu, dass das Vermögen von Unternehmen und Personen sich nicht auf den Ver­ waltungs- oder Wohnsitz beschränkt, sondern über verschiedene Staaten verteilt ist. Damit untersteht es voneinander unabhängigen Rechtsordnungen55. Darüber hinaus ermöglicht das in Art. 49 bis 55 (Niederlassung) sowie Art. 56 bis 62 (Dienstleis­ tungen) des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union(AEUV) kodi­ fizierte Niederlassungsrecht, dass Bürger der Europäischen Gemeinschaft in einem anderen Mitgliedstaat nach den gleichen Bestimmungen, die dieser für seine eigenen Staatsbürger festgelegt hat, selbstständige Erwerbstätigkeiten aufnehmen und ausüben sowie Unternehmen gründen und leiten können. Da die Steuerhoheit zu den grundlegenden Souveränitätsrechten der Mitgliedstaaten gehört, unterliegen die „Zugewanderten“ grundsätzlich der Steuerhoheit des Aufenthaltsstaates und sind damit auch entsprechenden Steuerforderungen ausgesetzt56. 1. Die Behandlungen von Steuerforderungen in ausländischen ­Insolvenzverfahren In zahlreichen Rechtsordnungen genießen Steuerforderungen in einem Insolvenzverfahren nach wie vor eine Privilegierung. Nach einer Studie der Weltbank57 sehen zahlreiche Staaten, deren Insolvenzrecht verschuldeten natürlichen Personen die Möglichkeit einer Restschuldbefreiung eröffnet, einen Ausschluss der Steuerforderungen von den Wirkungen der Restschuldbefreiung vor. Es wird immer noch als ungerecht angesehen, dass sich Schuldner auf diese Weise ihrer Steuerzahlungspflicht entziehen können. Inzwischen zeichnet sich jedoch eine gegenteilige Entwicklung ab58. Innerhalb der Europäischen Gemeinschaft nehmen die Insolvenzgesetze von Griechenland, Holland, Irland, Italien, Portugal, Slowenien und Ungarn Steuerforderungen von den Wirkungen der Restschuldbefreiung aus59. Andere Mitgliedstaaten wie z.B. Belgien, Dänemark, Estland, Rumänien, Slowakei und Zypern60 ermöglichen Schuldnern indes eine vollständige Befreiung von Steuerforderungen in einem In­ 55 HK-Stephan, Vor §§ 335 ff. Rz. 1. 56 Siehe aber FG Köln v. 22.11.2011 – 1 K 3560/08, openJur 2012, 78462. 57 Draft Report in the Treatment of the Insolvency of Natural Persons, May 2012. 58 “More and more legislatures have accepted that, if they are willing to force “ordinary” creditors to forego their legitimate claims against debtors, then the state, too, should be willing to play by the same rules and support the relief system, at least for non‐punitive debts like taxes and fees” (Draft Report in the Treatment of the Insolvency of Natural Persons S. 119 ). 59 Quelle: Study on a new approach to business failure and insolvency, Comparative lega analysis of the Member States’ relevenat provisionsand practices, 2015, S. 367 ff. 60 Quelle: Study on a new approach to business failure and insolvency, Comparative lega analysis of the Member States’ relevenat provisionsand practices, 2015, S. 367 ff.

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solvenzverfahren. Dies könnte insbesondere für solche Schuldner, deren nationales Recht bestimmte Steuerforderungen in einem Insolvenzverfahren privilegiert, hinreichender Anreiz sein, in diesen Staaten ein Insolvenzverfahren zu beantragen. Innerhalb des Anwendungsbereichs der Europäischen Insolvenzverordnung61 setzt die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen eines Schuldners die internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts voraus. Diese bestimmt sich nach Art. 3 EuInsVO. Bei einer nicht unternehmerisch tätigen natürlichen Person wird deren Mittelpunkt der hauptsächlichen Interessen an deren gewöhnlichem Aufenthalt angeknüpft (Art. 3 Abs. 1 UAbs. 4 Satz 1 EuInsVO). Allerdings gilt diese Annahme nur, wenn der gewöhnliche Aufenthalt nicht in einem Zeitraum von sechs Monaten vor dem Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens in einen anderen Mitgliedstaat verlegt wurde. Kommt es zur Eröffnung des Insolvenzverfahrens in dem anderen Mitgliedstaat, gilt nach Art. 7 EuInsVO für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des Mitgliedsstaats, in dessen Hoheitsgebiet das Verfahren eröffnet wird. Wird dem Schuldner Restschuldbefreiung erteilt, richten sich die Rechte der Gläubiger nach Beendigung des Insolvenzverfahrens gem. Art. 7 Abs. 2 Satz 1 lit. k EuInsVO n.F. nach dem Insolvenzstatut des Eröffnungsstaates. Die vorgenannte Bestimmung erfasst nach einhelliger Ansicht in der Literatur auch die vollständige Restschuldbefreiung62. Danach hat es der deutsche Fiskus grundsätzlich hinzunehmen, dass auch Verbindlichkeiten aus einem Steuerschuldverhältnis nach Maßgabe des § 302 Nr. 1 Alt. 3 InsO nicht mehr gegen den Schuldner geltend gemacht werden können, wenn diesem in einem anderen Mitgliedstaat der EU Restschuldbefreiung erteilt worden ist. Fraglich erscheint in diesem Fall nur, ob sich der Fiskus bei einer etwaigen Vollstreckung der Steuerforderungen und einer gegen diese Maßnahme gerichteten Vollstreckungsgegenklage des Steuerschuldners darauf berufen kann, dass die ausländische Regelung einen Verstoß gegen den ordre public darstelle (Art. 33 EuInsVO). Eine Anwendung des ordre-public-Vorbehalts kommt in Betracht, wenn das Ergebnis der Anerkennung oder Vollstreckung der in einem anderen Mitgliedstaat erlassenen Entscheidung gegen einen wesentlichen Rechtsgrundsatz verstieße und deshalb in einem nicht hinnehmbaren Gegensatz zur Rechtsordnung des Anerkennungs- oder Vollstreckungsmitgliedstaats stünde. Es muss sich bei diesem Verstoß um eine offensichtliche Verletzung einer in der Rechtsordnung des Anerkennungs- oder Vollstreckungsmitgliedstaats als wesentlich geltenden Rechtsnorm oder eines dort als grundlegend anerkannten Rechts handeln63 . Der ordre public-Vorbehalt will das Ergebnis eines ausländischen Rechtssatzes oder einer ausländischen Entscheidung, das als unerträglich empfunden wird, verhindern. Allein der Umstand, dass eine ausländische Rechts61 Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates v. 20.5.2015 über Insolvenzverfahren, ABl. L 141/19. 62 Mankowski/Müller/J. Schmidt, Art. 7 EuInsVO Rz. 62, 145. 63 EuGH v. 28.3.2000 − C-7/98, Krombach, Slg. 2000, I-01935 Rz. 37; BGH v. 10.9.2015 – IX ZR 304/13, NZI 2016, 93, Rz. 10.

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norm sämtliche Steuerforderungen im Falle der Restschuldbefreiung umfasst, stellt keinen Verstoß gegen den ordre public dar64. Dies entsprach im Übrigen der Rechtslage in Deutschland bis zum 1.7.2014. Ein Verstoß gegen die öffentliche Ordnung gemäß Art. 26 EuInsVO a.F. folgt auch nicht daraus, dass ein Schuldner die Vorteile einer ausländischen Rechtsordnung für sich in Anspruch nimmt. Etwas anderes gilt nur dann, wenn das ausländische Gericht seine internationale Zuständigkeit willkürlich angenommen hat65. 2. Steuerforderungen ausländischer Gläubiger in einem deutschen Insolvenzverfahren und die Wirkungen der Restschuldbefreiung Soweit ein Schuldner in einem anderen Mitgliedstaat Steuerforderungen begründet hat, im Falle seiner Insolvenz indes erfolgreich den Zugang zum deutschen Insolvenz­ verfahren sucht, stellt sich für den ausländischen Fiskus die Frage, auf welche Art und Weise er seine Forderungen im inländischen Insolvenzverfahren realisieren kann. In einem grenzüberschreitenden Insolvenzverfahren innerhalb des Anwendungsbereichs der EuInsVO sind auch ausländische Gläubiger berechtigt, ihre Steuerforderungen anzumelden (vgl. Art. 53 EuInsVO). Nach der Definition in Art. 2 Nr. 12 der reformierten EuInsVO, die ab dem 26.6.2017 gilt, zählt zu den ausländischen Gläubigern derjenige, der seinen gewöhnlichen Aufenthalt, Wohnsitz oder Sitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem Mitgliedstaat der Verfahrenseröffnung hat, einschließlich der Steuerbehörden und der Sozialversicherungsträger der Mitgliedstaaten. Eine etwaige Rangstellung der Forderungen der Steuerbehörden oder Sozialversicherungsträger richtet sich nach der lex fori concursus66. Art. 53 EuInsVO ändert daran nichts. Die Vorschrift räumt den Forderungen ausländischer Behörden nicht den Vorrang ein, den sie in ihrem Heimatland möglicherweise genießen könnten. Wird dem Schuldner Restschuldbefreiung nach Maßgabe der Insolvenzordnung erteilt, werden hiervon auch gewöhnliche Steuerforderungen des Schuldners oder andere Geldforderungen – wie Zwangsgelder – der ausländischen Steuerbehörden von der Restschuldbefreiung erfasst (§ 301 Abs. 1 Satz 1 InsO). Denn die Rechte der Gläubiger nach Beendigung des Insolvenzverfahrens richten sich gem. Art. 7 Abs. 2 Satz 1 lit. k EuInsVO n.F. nach dem Insolvenzstatut des Eröffnungsstaates. Die vorgenannte Bestimmung erfasst nach einhelliger Ansicht in der Literatur auch die vollständige Restschuldbefreiung67. Ob der ausländische Steuergläubiger seine Forderung angemeldet hat oder nicht, ist für die Wirkung der Restschuldbefreiung unbeachtlich (siehe § 301 Abs. 1 Satz 2 InsO). Auch diesen Gläubigern ist zuzumuten, von den im Internet veröffentlichten Verlautbarungen über anhängige Insolvenzverfahren Kenntnis zu nehmen68. 64 Vgl. BGH v. 10.9.2015 – IX ZR 304/13, NZI 2016, 93, Rz. 12. 65 BGH v. 10.9.2015 – IX ZR 304/13, NZI 2016, 93, Rz. 13. 66 Pannen, Art. 39 EuInsVO a.F. Rz. 12. 67 Mankowski/Müller/J. Schmidt, Art. 7 EuInsVO Rz. 62, 145. 68 Siehe BGH v. 23.10.2008 – IX ZB 193/06, WM 2009, 95.

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Künftig dürfte es für Gläubiger einfacher werden, sich über die Insolvenzeröffnung in anderen Mitgliedstaaten zu informieren. Denn Art. 24 EuInsVO verpflichtet die Mitgliedstaaten, in ihrem Hoheitsgebiet ein oder mehrere Register zu errichten und zu unterhalten, um Informationen über Insolvenzverfahren bekanntzumachen. Art. 25 EuInsVO schafft die Ermächtigungsgrundlage für die Errichtung eines dezentralen Systems zur Vernetzung der Insolvenzregister. Die Vorschrift soll nach Erwägungsgrund 76 Satz 2 EuInsVO die Vernetzung der nationalen Insolvenzregister über das Europäische Justizportal vorsehen, um Gläubigern und Gerichten in anderen Mitgliedstaaten den Zugriff auf die Informationen über grenzüberschreitende Insolvenzverfahren zu erleichtern69. Soweit deutsches Recht Anwendung findet, richtet sich die Frage, welche Forderungen von der Restschuldbefreiung ausgenommen sind, ausschließlich nach § 302 InsO. Fraglich erscheint, wie mit einer Steuerforderung zu verfahren ist, der eine strafrechtliche Verurteilung des Schuldners in einem anderen Mitgliedstaat zugrunde liegt. Da Nr. 1 Alt. 3 der vorgenannten Bestimmung auf eine Steuerstraftat nach den §§ 370, 373 und 374 AO abstellt, greift zu Gunsten des ausländischen Fiskus die Ausnahmeregelung des §  302 InsO mangels Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen nicht ein. In Deutschland ist es ihm nach der Erteilung der Restschuldbefreiung verwehrt, weiter aus der Steuerforderung gegen den Schuldner vorzugehen.

VI. Fazit Im Vergleich zu zahlreichen anderen Rechtsordnungen innerhalb der Europäischen Gemeinschaft hat sich der deutsche Gesetzgeber für eine moderate Privilegierung von Steuerforderungen in einem Insolvenzverfahren entschieden. So werden gewöhnliche Steuerrückstände des Schuldners oder andere Geldforderungen der Steuerbehörden – wie etwa Zwangsgelder – von der Restschuldbefreiung erfasst. Dagegen sind seit dem 1.7.2014 aus nachvollziehbaren und vertretbaren Gründen Verbindlichkeiten aus Steuer­straftaten nach §§ 370, 373 und 374 AO von der Erteilung der Restschuldbefreiung ausgenommen. Allerdings ist seit Jahren eine Tendenz des Fiskus zu beobachten, die Privilegierung seiner Forderungen im Insolvenzverfahren auszuweiten. Dem ist entgegenzuwirken, weil dies dem Grundsatz der par condicio creditorum widerspricht. Eine Privilegierung von Steuerforderungen im Insolvenzverfahren ist wirtschaftlich nicht gerechtfertigt, führt zu ungerechten Verfahrensergebnissen und steht einem fresh start des Schuldners nach Erteilung der Restschuldbefreiung entgegen.

69 Mankowski/Müller/J. Schmidt, Art. 25 EuInsVO Rz. 1.

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Der kausal-finale Arbeitslohn im Steuerrecht Inhaltsübersicht

I. Einleitung 1. Kausalität 2. Finalität

II. Der Begriff des Arbeitslohns im ­deutschen Rechtssystem III. Der Begriff der Vergütung im Arbeitsrecht 1. Definition und Inhalt der Vergütung a) Feste und variable Bestandteile des Lohns b) Geldlohn c) Sachbezug 2. Sonstige Arbeitgeberleistungen im Zusammenhang mit dem Arbeitsvertrag 3. Leistungen des Arbeitgebers aufgrund von Sonderrechtsbeziehungen 4. Entstehung des Anspruchs 5. Kausalität und Finalität IV. Der Begriff des Arbeitsentgelts im ­Sozialversicherungsrecht 1. Definition und Inhalt des Arbeits­ entgelts a) Beitragsrechtlich relevante Ein­ ordnung § 23a SGB IV



aa) Laufende Arbeitsentgelte bb) Einmalig gezahltes Arbeits­ entgelt b) Abfindungen 2. Entstehungsprinzip 3. Kausale oder finale Bestimmung des Arbeitsentgelts V. Der Begriff des Arbeitslohns im ­Steuerrecht 1. Definition und Inhalt des Arbeitslohns 2. Geldwerter Vorteil 3. Drittlohn 4. Kein Arbeitslohn bei überwiegend ­eigenbetrieblichem Interesse 5. Kein Arbeitslohn bei Zuwendungen wegen anderer Rechtsbeziehungen 6. Schadenersatz 7. Zuflussprinzip 8. Kausal-finaler Begriff des Arbeitslohns im Steuerrecht a) Kausalität im Steuerrecht b) Finalität im Steuerrecht

VI. Zusammenfassung

I. Einleitung Herr Prof. Crezelius hat sich in seinem Vortrag „Leistungen an und durch Dritte“ auf der Jahrestagung der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft e.V. (DStJG) vom 26.9./27.9.1985 in Bad Ems vertieft mit dem Begriff des Arbeitslohns im Lohnsteuerrecht auseinandergesetzt. Ausgangspunkt seiner Überlegungen war die steuerrechtsdogmatische Einordnung der durch Arbeitsverhältnisse ausgelösten Zahlungen an und durch Dritte im Allgemeinen und die Bewältigung des Kausalitätsproblems zwischen geleisteter Arbeit und Entgelt im Besonderen1. Herr Prof. Crezelius diskutierte die heute noch geltende Voraussetzung des Veranlassungsprinzips, dass nämlich die 1 Crezelius, „Leistungen an und durch Dritte im Lohnsteuerrecht“ in „Grundfragen des Lohnsteuerrechts“, Tagungsband der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft e.V. v. ­ 26.9./27.9.1985, S. 85–116.

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vom Arbeitnehmer erzielten steuerbaren Einnahmen durch das Arbeitsverhältnis veranlasst sein müssen2. Er kritisiert, dass sich noch keine allgemeinen Grundsätze zur steuerbarkeitsbegründenden Kausalität im Rahmen der Überschusseinkunftsarten herausgebildet haben3. Allein der Kausalzusammenhang zwischen einer Leistung und dem Arbeitsverhältnis begründet die Leistung als Arbeitslohn. Herr Prof. Crezelius rügt zu Recht die einzelfallorientierte wirtschaftliche Betrachtungsweise im deutschen Steuerrecht4. Die Ableitung des steuerbaren und steuerpflichtigen Arbeitslohns anhand des kausalen Zusammenhangs zwischen der Vergütung des Arbeitgebers oder eines Dritten und dem Dienstverhältnis erfährt inzwischen eine Einschränkung durch die Forderung des Bundesfinanzhofs (BFH) nach dem Entlohnungscharakter der Arbeitnehmervergütung5. Dieses Verständnis ist in der Rechtsprechung bereits der 1980er Jahre angesprochen, jedoch ohne konkret neben dem kausalen auch einen finalen Zusammenhang zu verlangen6. Ziel dieses Beitrages ist es, für die Bestimmung des Arbeitslohns neben dem kausalen auch den erforderlichen finalen Bezug aufzuzeigen. 1. Kausalität Die Kausalität beschreibt den Zusammenhang von Ursache und Wirkung. Kausal bedeutet also ursächlich. Den Gegensatz dazu bildet die Finalität7. 2. Finalität Die Finalität ist die Bestimmung eines Geschehens oder einer Handlung durch ihre Ziele. Die Finalität fragt danach, welches Ziel durch ein Handeln erreicht werden soll. Den Gegensatz hierzu bildet die Kausalität8.

II. Der Begriff des Arbeitslohns im deutschen Rechtssystem Der Begriff des Arbeitslohns ist im deutschen Rechtssystem nicht einheitlich definiert. So gibt es im Arbeitsrecht, im Sozialrecht und im Steuerrecht jeweils eine eigene Definition, die den „Arbeitslohn“ umschreibt und dessen Inhalt festlegt. Im Arbeitsrecht spricht man im Allgemeinen von der Vergütung, im Sozialversicherungsrecht vom Arbeitsentgelt und im Steuerrecht vom Arbeitslohn. 2 Crezelius (Fn. 1), S. 93, 94. 3 Crezelius (Fn. 1), S. 95. 4 Crezelius (Fn. 1), S. 88, 95. 5 BFH v. 17.7.2014 – IV R 69/13, BFHE 246, 363, BStBl. II 2015, 41. 6 Vgl. z.B. BFH v. 17.7.1981 – VI R 205/78, BFHE 133, 553, BStBl. II 1981, 773–775; BFH v. 29.10.1993 – VI R 4/87. 7 Duden, Das Fremdwörterbuch. 8 Duden, Das Fremdwörterbuch.

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Ziel der nachstehenden Überlegungen ist die Herausarbeitung der Kriterien, die den Arbeitslohn im Steuerrecht für die Rechtsanwendung definieren. Die große Anzahl der richterlichen Entscheidungen zeigt, dass sich ein „case law“ entwickelt hat, das im Einzelfall die Kausalität eingrenzt. Auch aus Sicht der Finanzverwaltung werden Vorteile des Arbeitnehmers, die vorrangig dem betrieblichen Bereich des Arbeitgebers zuzuordnen sind, nicht (mehr) als Arbeitslohn erfasst9, obwohl sie kausal veranlasst sind.

III. Der Begriff der Vergütung im Arbeitsrecht 1. Definition und Inhalt der Vergütung Arbeitsrechtlich spricht man von der „Vergütung“ bzw. vom „Entgelt“. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird zwischen dem Lohn für Arbeiter und dem Gehalt für Angestellte unterschieden10. Gesetzliche Grundlage für die Vergütung ist der in § 611 BGB geregelte Dienstvertrag. Die vereinbarte Vergütung wird für die versprochenen Dienste „gewährt“. Arbeitgeber und Arbeitnehmer können die Höhe des Entgelts, die einzelnen Lohn- und Gehaltsbestandteile, die Zahlstelle und den Empfänger des Lohns individuell frei vereinbaren11. Auch das dreizehnte Monatsgehalt zählt zum Entgelt12. Vertragliche Grundlage für die Vergütung kann auch eine Betriebsvereinbarung13 und/oder ein geltender Tarifvertrag14 sein, die das Arbeitsentgelt für einen Teil der oder alle Arbeitnehmer des Arbeitgebers, in der Regel zum Schutz des Arbeitnehmers, einheitlich regeln15. a) Feste und variable Bestandteile des Lohns Das Entgelt kann aus festen und variablen Bestandteilen bestehen. Zu den variablen Vergütungsbestandteilen zählen z.B. Boni, Tantiemen, Gewinnbeteiligungen oder Provisionszahlungen. Diese werden bei Eintritt des festgelegten Erfolges an einem vereinbarten Stichtag ausgezahlt. Je nach Zweck und Charakter der variablen Vergütungsbestandteile werden diese unterschieden in variable Vergütungsbestandteile mit Entgeltcharakter und variable Vergütungsbestandteile ohne Entgeltcharakter. Variab 9 Vgl. Breinersdorfer, „Arbeitslohn und seine Grenzen“, in „Besteuerung von Arbeitnehmern“, Tagungsband der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft v. 19.9./20.9.2016, 130. 10 Preis in Müller-Glöge/Preis/Schmidt, Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht, 17. Aufl. 2017, § 611 BGB Rz. 389a. 11 Weidenkaff in Palandt, 76. Aufl. 2017, Einf. v. § 611 BGB Rz. 63, 75. 12 BAG v. 19.4.1995 – 10 AZR 49/94, NJW 1996, 278. 13 Weidenkaff (Fn. 11), Einf. v. § 611 BGB Rz. 73. 14 Weidenkaff (Fn. 11), Einf. v. § 611 BGB Rz. 65. 15 Borggräfe, Betriebliche Sozialleistungen – ihre lohn- und umsatzsteuerrechtliche Behandlung auf Grundlage arbeitsrechtlicher Überlegungen, DB 1977, 1379.

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le Vergütungsbestandteile mit Entgeltcharakter werden für eine im Bezugsraum tatsächlich erbrachte Leistung als Belohnung gewährt. Der Betroffene hat Anspruch auf die Belohnung, wenn er sie durch seine Leistung erdient hat. Die Auszahlung darf nicht von zusätzlichen Voraussetzungen wie z.B. dem ungekündigten Bestand des Arbeitsverhältnisse im Zeitpunkt des Auszahlungsstichtags abhängig gemacht werden16. Variable Vergütungsbestandteile ohne Entgeltcharakter sind eine Belohnung für vergangene und/oder zukünftige Betriebstreue bzw. Betriebszugehörigkeit17. b) Geldlohn Der Geldlohn ist der Regelfall der Vergütung18. Lohn- und Gehaltszuschläge sind Vergütungsbestandteile in Form von Geldlohn, welche aus besonderem Grund bzw. Anlass gezahlt werden. Hierzu zählen Nacht-, Sonntags-, Feiertags-, Gefahrenzuschläge, Kinderzulagen oder Jahresleistungen als 13. Monatsgehalt19. c) Sachbezug Sachbezug ist jeder Lohn, der nicht Geldlohn ist. Hierzu zählen z.B. der kostenlose oder verbilligte Bezug von Waren, Lebensmitteln, Übernachtungen und die Überlassung eines Fahrzeugs oder Smartphones zur privaten Nutzung. Die Nutzung einer Wohnung wird Sachbezug, wenn sie als Teil der Vergütung im Dienst- oder Arbeitsvertrag ohne besonderes Entgelt zur Nutzung überlassen wird20. 2. Sonstige Arbeitgeberleistungen im Zusammenhang mit dem ­Arbeitsvertrag Vom Lohn und Gehalt abzugrenzen sind sonstige Arbeitgeberleistungen, die nach dem Dienst- oder Arbeitsvertrag nicht im Gegenseitigkeitsverhältnis stehen21. Diese Aufwendungen des Arbeitgebers zielen nicht darauf ab, die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers zu erhalten, weil dieser seine Tätigkeit auch ohne Bezug auf die Zusatzleistungen des Arbeitgebers erbringt. Es handelt sich z.B. um Sozialleistungen des Arbeitgebers, die ohne vertragliche Vergütungsvereinbarung bzw. ohne eine berechtigte Vergütungserwartung des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber freiwillig bzw. im betrieblichen Interesse erbracht werden. Hierzu zählen z.B. die Gewährung betrieblicher Mahlzeiten und Erfrischungen. Auch die im betrieblichen Interesse erfolgende ärztliche, juristische oder berufliche Beratung und Betreuung der Arbeitnehmer gehören dazu, ebenso wie Vorsorgeuntersuchungen und Fortbildungskurse oder die 16 BAG v. 12.4.2011 – 1 AZR 412/09, BAGE 137, 300. 17 Wörz/Bahnmüller, Nachträgliche Zahlungen aus einem beendeten Arbeitsverhältnis und Abfindungszahlungen, NWB 2016, 3315, 3319. 18 Weidenkaff (Fn. 11), § 611 BGB Rz. 55. 19 Weidenkaff (Fn. 11), § 611 BGB Rz. 59. 20 Weidenkaff (Fn. 11), § 611 BGB Rz. 56. 21 Weidenkaff (Fn. 11), § 611 BGB Rz. 92.

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Der kausal-finale Arbeitslohn im Steuerrecht

Unterhaltung betrieblicher Einrichtungen zur Verbesserung der allgemeinen Arbeitsbedingungen und die Einrichtungen für Freizeitgestaltung der Arbeitnehmer wie Aufenthaltsräume, Bade- und Sportanlagen, Betriebskindergärten, Kantinen und Parkplätze22. Sonstige Arbeitgeberleistungen sind auch Darlehen mit günstigen Zinskonditionen, Zuschüsse aus sozialem Anlass (z.B. Umzug oder Krankheit), die Übernahme von Aus- und Fortbildungskosten oder die Einräumung eines Werksangehörigenrabatts23. Geldleistungen Dritter, z.B. Zahlungen von anderen Konzerngesellschaften, können Vergütung sein, wenn sich aus den Umständen ein eigener Verpflichtungswille des Vertragsarbeitgebers ergibt24. Aktienoptionen sind Arbeitsvergütungen, auch wenn sie dem Arbeitnehmer von Dritten, wie der Konzernmutter, als Sachlohn gewährt werden25. Das von einem Dritten dem Arbeitnehmer gezahlte Trinkgeld gehört jedoch nicht zum Entgelt26, weil es nicht auf dem Arbeitsvertrag zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber beruht. 3. Leistungen des Arbeitgebers aufgrund von Sonderrechtsbeziehungen Parallel zum Arbeitsvertrag kann der Arbeitgeber aufgrund von vertraglichen Sonderrechtsbeziehungen, wie z.B. einem Miet- oder Pachtvertrag, Leistungen an den Arbeitnehmer erbringen. Hierunter fällt auch die Einräumung eines vertraglich vereinbarten Darlehens. Die Leistungen des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer erfolgen in diesen Fällen aufgrund eines gesonderten, vom Inhalt des Arbeitsvertrags rechtlich unabhängigen Leistungsaustauschs27. 4. Entstehung des Anspruchs Der Anspruch auf Entgelt entsteht nach Leistung der Dienste, § 614 BGB. Die Vertragsparteien können aber auch eine hiervon abweichende Regelung zur Fälligkeit treffen. Der Anspruch auf die Vergütung entsteht also entweder erst mit der Erbringung der Leistung des Arbeitnehmers oder mit Vorliegen der Voraussetzungen, nach denen eine Vergütung ohne Leistung zu zahlen ist28. 5. Kausalität und Finalität Die beschriebene Sachlage lässt folgende Abhängigkeiten zwischen der Leistung und ihrer Vergütung erkennen. 22 Borggräfe (Fn. 15), 1379. 23 Weidenkaff (Fn. 11), § 611 BGB Rz. 92–95; Preis (Fn. 10), § 611 BGB Rz. 426 ff. 24 Preis (Fn. 10), § 611 BGB Rz. 389a. 25 Weidenkaff (Fn. 11), § 611 BGB Rz. 95a. 26 BAG v. 28.6.1995 – 7 AZR 1001/94, BAGE 80, 230. 27 Borggräfe (Fn. 15), 1379. 28 BAG v. 22.10.2014 – 5 AZR 713/12, BAGE 149, 343–354.

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Die Vergütung ist kausal zur erbrachten Leistung. Sie gehört zu den ausgehandelten Arbeitsbedingungen29. Kausal, also ursächlich für die Entrichtung der vereinbarten Vergütung, sind die erbrachten Dienste des Arbeitnehmers (§ 611 Abs. 1 BGB). Die Zahlung der Vergütung ist Hauptpflicht des Arbeitgebers und steht im Gegenseitigkeitsverhältnis (§§ 320 ff. BGB) zu der geschuldeten Leistung des Arbeitnehmers30. Die Entrichtung der Vergütung ist aber auch final bestimmt. Sie ist zielgerichtete Entlohnung des Arbeitgebers für die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers. Abzustellen ist auf den Willen der Vertragsparteien31 oder die nach den Umständen zu bestimmende Erwartung (§ 612 Abs. 1 BGB), dass die Dienstleistung nur „gegen eine Vergütung“ erbracht wird. Eine Vergütung im arbeitsrechtlichen Sinn liegt also nur vor, wenn Leistung und Gegenleistung in einem kausalen Gegenseitigkeitsverhältnis stehen und zugleich der Dienstherr die Vergütung zahlt, um die Leistung des Dienstverpflichteten zu erhalten. Aufwendungen des Arbeitgebers, die der Verbesserung des Arbeitsklimas oder zur betrieblichen Optimierung der Leistungen des Arbeitnehmers dienen, sind somit keine Vergütung. Zwar liegt ein kausaler Bezug zur Arbeitsleistung vor; eine finale Qualifikation der Vergütung i.S.v. § 612 BGB fehlt aber. Dies ist in der Regel auch bei den sonstigen „Sozialleistungen“ des Arbeitgebers der Fall.

IV. Der Begriff des Arbeitsentgelts im Sozialversicherungsrecht Das Sozialversicherungsrecht weicht mit seiner eigenen Definition des Arbeitsentgelts von der Definition der Vergütung im Arbeitsrecht ab. Aus Sicht des Sozialversicherungsrechts sind Wertungen in anderen Rechtsgebieten zwar zu beachten, um sie im Hinblick auf die Einheit der Rechtsordnung fruchtbar zu machen. Sie genießen aber keinen Vorrang, sondern haben sich den vorrangigen rechtsbereichsspezifischen Wertungen desselben Gesetzgebers unterzuordnen. Dem Arbeits- und Steuerrecht können zwar Wertungen entnommen werden. Sie sind jedoch nicht bindend für die sozialrechtliche Beurteilung des Falles32.

29 Weidenkaff (Fn. 11), § 611 BGB Rz. 49; Preis (Fn. 10), § 611 BGB Rz. 389. 30 Weidenkaff (Fn. 11), § 611 BGB Rz. 49; Preis (Fn. 10), § 611 BGB Rz. 389. 31 Borggräfe (Fn. 15), 1379. 32 Berchtold in Kommentar zum Sozialrecht, Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, 4. Aufl. 2015, § 7 SBG IV Rz. 17; vgl. zur Unabhängigkeit von Entscheidungen der Finanzgerichte BSG v. 5.4.1956 – 3 RK 65/55, BSGE 3, 30.

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1. Definition und Inhalt des Arbeitsentgelts Das Sozialversicherungsrecht differenziert zwischen Arbeitsentgelt und Arbeitseinkommen. Arbeitsentgelt sind die Einnahmen aus unselbständiger Arbeit. Arbeitseinkommen sind die aus selbständiger Tätigkeit erzielten Einnahmen33. Der Begriff „Arbeitsentgelt“ ist in §  14 SGB IV geregelt. Er gilt einheitlich für alle Sozialversicherungszweige34 als Bemessungsgrundlage für die jeweilige Beitragspflicht. Der Entgeltbegriff des § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist weit gefasst35. Danach gehören zum Arbeitsentgelt alle laufenden oder einmaligen Einnahmen, die unmittelbar aus einer Beschäftigung oder im Zusammenhang mit ihr erzielt werden. Gleichgültig ist, ob hierauf ein Rechtsanspruch besteht und unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form (z.B. Geld- oder Sachleistung oder geldwerter Vorteil, z.B. Gratifikationen, Beihilfen, Urlaubsgeld, Rabatte, Überlassung eines Dienstwagens zur privaten Nutzung) sie geleistet werden. § 14 Abs. 1 SBG IV geht vom Bruttoarbeitslohn aus36. Zur Vermeidung von Beitragsausfällen für die Sozialversicherung enthält § 14 Abs. 1 Satz 2 SGB IV eine Entgelt-Fiktion für diejenigen Beträge, die bei der betrieblichen Altersvorsorge zu einer Entgeltumwandlung (§ 1 Abs. 2 Nr. 2, § 1a BetrAVG) führen. Bei der Dotierung von Direktzusagen (§ 1b, § 4 BetrAVG) sind Beträge bis zur Grenze von 4 % (zukünftig ggf. 8 %) der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze nicht als Arbeitsentgelt zu berücksichtigen37. Ist ein Nettoarbeitsentgelt vereinbart, gelten die Einnahmen des Beschäftigten einschließlich der darauf entfallenden Steuern und der seinem gesetzlichen Anteil entsprechenden Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung als Arbeitsentgelt (§ 14 Abs. 2 SGB IV). Sind bei illegalen Beschäftigungsverhältnissen Steuern und Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung nicht entrichtet worden, gilt ein Nettoarbeitsentgelt als vereinbart. Beschäftigung ist gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 SBG IV die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem (abhängigen) Arbeitsverhältnis. Auch die in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis stehenden Beamten, Richter und Soldaten sind im sozialversicherungsrechtlichen Sinne Beschäftigte und deswegen „dem Grunde nach“ sozialversicherungspflichtig38. Der besondere Schutzzweck der Sozialversicherung und ihre Natur als eine Einrichtung des öffentlichen Rechts schließen es aus, dass die Vertragsparteien nach ihrem 33 Von Koppenfels-Spies in Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, Kommentar zum Sozialrecht, 4. Aufl. 2015, § 14 SGB IV Rz. 2. 34 Von Koppenfels-Spies (Fn. 33), § 14 SGB IV Rz. 3. 35 BSG v. 15.7.2009 – B 12 KR 1/09 R, BSGE 104, 71–76. 36 Von Koppenfels-Spies (Fn. 33), § 14 SGB IV Rz. 5 f. 37 Von Koppenfels-Spies (Fn. 33), § 14 SGB IV Rz. 11, 12. 38 BSG v. 15.7.2009 – B 12 KR 1/09 R, BSGE 104, 71–76 m.w.N.

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Willen, Vereinbarungen oder Vorstellungen über die (sozial-)rechtliche Einordnung der Vergütung entscheiden39; das Gleiche gilt für tarifrechtliche Regelungen40. Der Begriff des Arbeitsentgelts umfasst zwar alle Einnahmen eines Arbeitnehmers aus dem Beschäftigungsverhältnis. Durch § 1 Sozialversicherungsentgeltverordnung (SvEV) werden vom Arbeitsentgelt jedoch bestimmte Entgeltarten, die steuerfrei oder pauschalbesteuert werden, von der Beitragspflicht ausgenommen. Für die Einordnung als Arbeitsentgelt kommt es nicht darauf an, ob die Zuwendungen vom Arbeitgeber selbst gezahlt werden oder ob sie dem Arbeitnehmer im Hinblick auf die Beschäftigung von Dritten gewährt werden. Ob auf die Einnahmen ein Rechtsanspruch besteht, ist für die Zuordnung zum Arbeitsentgelt gemäß § 14 SGB IV unerheblich. Daher zählen neben den arbeitsrechtlichen Einnahmen auch alle sonstigen, tatsächlich zugeflossenen Einnahmen wie etwa Trinkgelder, Metergelder im Möbeltransportgewerbe und Bedienungszuschläge im Hotel- und Gaststättengewerbe zum Arbeitsentgelt41. a) Beitragsrechtlich relevante Einordnung gem. § 23a SGB IV Zur sozialversicherungsrechtlichen, d.h. beitragsrechtlich relevanten Einordnung (Beitragspflicht und Berechnung der Beiträge) wird zwischen laufenden Arbeitsentgelten und einmalig gezahltem Arbeitsentgelt unterschieden42. aa) Laufende Arbeitsentgelte Laufendes Arbeitsentgelt sind die Bezüge, die in einem bestimmten Entgeltabrechnungszeitraum verdient werden. Neben einem monatlichen Fixgehalt zählen hierzu z.B. Überstundenvergütungen, Erschwerniszulagen oder Nachtarbeitszuschläge43 sowie Zuschüsse, Prämien und Feiertagszuschläge44 als auch geldwerte Vorteile, wie z.B. die Überlassung eines Dienstwagens zur privaten Nutzung. Dies gilt auch, wenn die entsprechende Zahlung einmalig für einen großen Zeitraum getätigt wird45. bb) Einmalig gezahltes Arbeitsentgelt Einmalig gezahltes Arbeitsentgelt sind alle Zuwendungen des Arbeitgebers, die dem Arbeitsentgelt zuzurechnen sind und nicht für die Arbeit in einem einzelnen Ent­ geltabrechnungszeitraum gezahlt werden (§  23a Abs.  1 SGB IV). Hierunter fallen alle  Zahlungen, die in größeren Zeitabständen als monatlich gezahlt werden und kein laufendes Arbeitsentgelt darstellen, z.B. Weihnachtsgeld, Urlaubsgeld oder das 39 BSG v. 18.12.2001 – B 12 KR 8/01 R, SozR 3-2400 § 7 Nr. 19 m.w.N. 40 BSG v. 20.3.2013 – B 12 R 13/10 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 19. 41 Von Koppenfels-Spiel (Fn. 33), § 14 SGB IV Rz. 10. 42 Wörz/Bahnmüller (Fn. 17), 3315. 43 Wörz/Bahnmüller (Fn. 17), 3315. 44 Von Koppenfels-Spies (Fn. 33), § 14 SGB IV Rz. 7. 45 BSG v. 17.12.1964 – 3 RK 74/60, BSGE 22, 162.

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13. Monatsgehalt46, ebenso die bei Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses gezahlte Urlaubsabgeltung47. Auch variable Vergütungsbestandteile wie z.B. Gratifika­ tionen, Tantiemen oder ähnliche Leistungen fallen darunter, wenn sie ohne Bezug auf bestimmte Entgeltabrechnungszeiträume geleistet werden. Die Sonderzuwendung kann auch in mehreren Etappen ausgezahlt werden. Insoweit ist nicht der Zeitpunkt der Auszahlung maßgebend, sondern es kommt entscheidend darauf an, ob das gezahlte Entgelt Vergütung für die in einem einzelnen, das heißt bestimmten Abrechnungszeitraum geleistete Arbeit ist48. b) Abfindungen Abfindungen, die wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses gezahlt werden, sind kein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt. Zweck der Abfindung ist nämlich nicht die Entlohnung für eine Beschäftigung, sondern die Entschädigung für den Wegfall künftiger Verdienstmöglichkeiten bei Verlust des Arbeitsplatzes49. 2. Entstehungsprinzip Der Begriff des Arbeitsentgelts knüpft materiell im Sozialversicherungsrechts nicht an das Arbeitsrecht an50. Während im Arbeitsrecht die Vergütung mit der erbrachten Leistung fällig ist, gilt im Sozialversicherungsrecht das Entstehungsprinzip51. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung einer Zuwendung als laufendes Arbeitsentgelt oder Einmalzahlung ist derjenige der Entstehung des Beitragsanspruchs. Der Beitragsanspruch entsteht, sobald seine im Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen vorliegen (§ 22 Abs. 1 SGB IV). Das ist in der Regel dann, wenn der Beschäftigte einen Anspruch auf das Entgelt hat. Die Geltung des Entstehungsprinzips entspricht im sozialversicherungsrechtlichen Beitragsrecht der herrschenden Meinung52. Hat der Arbeitnehmer Arbeitsentgelt tatsächlich erhalten (erzielt), kommt es nach § 14 Abs. 1 Satz 1 SGB IV nicht darauf an, ob ein wirksamer (arbeitsrechtlicher) Anspruch auf das gezahlte Arbeitsentgelt bestand. Insoweit löst bereits der Zufluss des Arbeitsentgelts den Beitragsanspruch aus53. Hierzu zählen auch Zahlungen von Dritten, wie etwa Trinkgelder54. 46 Von Koppenfels-Spies (Fn. 33), § 14 SGB IV Rz. 7. 47 BSG v. 1.4.1993 – 1 RK 38/92, SozR 3-2200 § 182 Nr. 16. 48 BSG v. 3.6.2009 – B 12 R 12/07 R, BSGE 103, 229–235. 49 BSG v. 21.2.1990 – 12 RK 20/88, NJW 1990, 2274. 50 Von Koppenfels-Spies (Fn. 33), § 14 SGB IV Rz. 4. 51 BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 11.9.2008 – 1 BvR 2007/05, BVerfGK 14, 266–270. 52 BVerfG, Nichtannahmebeschluss v. 11.9.2008 – 1 BvR 2007/05 (Fn. 51); BSG v. 11.11.1975 – 3/12 RK 12/74, BSGE 54, 134; BSG v. 26.11.1985  – 12 RK 51/83, BSGE 59, 183; BSG v. 21.5.1995 – 12 RK 64/94, BSGE 78, 224; von Koppenfels-Spies (Fn. 33), § 14 SGB IV Rz. 9. 53 BSG v. 3.6.2009 – B 12 R 12/07, BSGE 103, 229–235, SozR 4-2400 § 23a Nr. 5. 54 Von Koppenfels-Spies (Fn. 33), § 14 SGB IV Rz. 10.

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3. Kausale oder finale Bestimmung des Arbeitsentgelts Für die Definition als Arbeitsentgelt müssen Einnahmen unmittelbar aus einer Beschäftigung heraus oder im Zusammenhang mit ihr erzielt wird. Der Zufluss der Einnahmen muss also kausal begründet sein. An den inneren Zusammenhang zwischen Beschäftigung und Einnahme sind dabei keine strengen Anforderungen anzulegen55. Es genügt, wenn die konkrete Zahlung ohne das Beschäftigungsverhältnis nicht denkbar wäre bzw. die Einnahme im weitesten Sinne eine Gegenleistung für die indivi­ duelle Arbeitsleistung des Arbeitnehmers darstellt56. Auch Leistungen eines Dritten gehören zum Arbeitsentgelt, wenn das Beschäftigungsverhältnis ursächlich für die Drittvergütung ist57. Sozialversicherungsrechtlich besteht vorrangig ein kausaler Zusammenhang zwischen der Tätigkeit und dem Entgelt. Zu der Frage, ob eine beitragspflichtige Beschäftigung vorliegt, wird in § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV auf das Arbeitsverhältnis als Normalfall der Beschäftigung verwiesen. Dieses ist seinerseits durch das Entgelt i.S.d. § 611 Abs. 1 BGB konstitutiv bestimmt58. Das Entgelt ist daher ein Kriterium für das Vorliegen einer Erwerbstätigkeit. Nach dieser Ableitung besteht folglich auch ein finaler Zusammenhang zwischen einer Beschäftigung und dem hierfür gezahlten Entgelt59. Obwohl das Entstehungsprinzip rein kausal gedacht werden könnte, zeigt der gesetzliche Verweis auf den Dienstleistungsvertrag, dass auch dem Sozialrecht ein kausal-finales Verständnis des Arbeitsentgelts zugrunde liegt.

V. Der Begriff des Arbeitslohns im Steuerrecht Der Begriff des Arbeitslohns wird im Steuerrecht in erster Linie im Lohnsteuerrecht verwendet. Die arbeits- und sozialrechtliche Einordnung einer Vergütung als Arbeitslohn ist für das Steuerrecht im Grundsatz ohne Belang60. 1. Definition und Inhalt des Arbeitslohns Das Lohnsteuerrecht erfasst steuerlich eine große Anzahl von Personen und sichert damit ein hohes Steueraufkommen. Trotz seiner großen fiskalen Bedeutung ist das materielle Lohnsteuerrecht im Einkommensteuergesetz nur rudimentär geregelt. § 38 Abs. 1 EStG bestimmt zwar, dass bei Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 19 EStG) die Einkommensteuer durch Abzug vom Arbeitslohn (Lohnsteuer) erhoben 55 BSG v. 26.5.2004 – 12 KR 2/03 R, SozR 4-2400 § 14 Nr. 2. 56 Von Koppenfels-Spies (Fn. 33), § 14 SGB IV Rz. 6 mit Hinweis auf BFH v. 30.5.2001 – VI R 159/99, BStBl. II 2001, 815. 57 Barth „Drittarbeitslohn aus Sonderrechtsbeziehungen zwischen Arbeitnehmern und Dritten im Steuerrecht und Sozialversicherungsrecht“ in DStR 2016, 2907. 58 BSG v. 4.6.2009 – B 12 KR 31/07 R, SozR 4-2400 § 7a Nr. 3. 59 Berchtold (Fn. 32), § 7 SGB VI 40 Rz. 23 – Entgelt. 60 Krüger in Schmidt, Einkommensteuergesetz, 35. Aufl. 2016, § 19 Rz. 11; BFH v. 28.2.1975 – VI R 29/72, BFHE 115, 251, BStBl. II 1975, 520.

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wird. Schuldner der Lohnsteuer ist der Arbeitnehmer (§ 38 Abs. 2 EStG). Der Begriff des Arbeitslohns ist jedoch im Gesetz selbst nicht definiert. § 19 Abs. 1 EStG listet Beispiele für Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit auf: Gehälter, Löhne, Gratifikationen usw. Dabei zählen neben „anderen Bezügen und Vorteile für eine Beschäftigung im privaten Dienst“ auch solche „für eine Beschäftigung im öffentlichen Dienst“ zum Arbeitslohn61. Eine Definition des Arbeitslohns enthält die Lohnsteuerdurchführungsverordnung. § 2 Abs. 1 Satz 1 LStDV definiert den Arbeitslohn als „alle Einnahmen, die dem Arbeitnehmer aus dem Dienstverhältnis zufließen“. Unerheblich ist, unter welcher Bezeichnung oder in welcher Form die Einnahmen erzielt werden62. In den Steuerrichtlinien, die nur für die Finanzverwaltung, nicht jedoch für den Steuerpflichtigen bindend sind, regelt R 39b.2 EStR die Zuordnung des Entgelts zum laufenden Arbeitslohn und zu den sonstigen Bezügen. Laufender Arbeitslohn ist der Arbeitslohn, der dem Arbeitnehmer regelmäßig fortlaufend zufließt, z.B. Monatsgehälter, Mehrarbeitsvergütungen, Zuschläge und Zulagen und der geldwerte Vorteile aus der ständigen Überlassung eines Dienstwagens zur privaten Nutzung. Ebenfalls zum laufenden Arbeitslohn gehört Arbeitslohn für Lohnzahlungszeiträume eines abgelaufenen Kalenderjahres, der innerhalb der ersten drei Wochen des nachfolgenden Kalenderjahres zufließt. Ein sonstiger Bezug ist der Arbeitslohn, der nicht als laufender Arbeitslohn gezahlt wird. Zu den sonstigen Bezügen gehören z.B. das dreizehnte und vierzehnte Monatsgehalt, einmalige Abfindungen und Entschädigungen, Gratifikationen und Tantiemen, Jubiläumszuwendungen und Entschädigungen zur Abgeltung nicht genommenen Urlaubs. Als Zwischenergebnis lässt sich festhalten, dass der Arbeitslohn im Steuerrecht ebenso wie der Arbeitnehmerbegriff ein offener Typusbegriff63 ist. 2. Geldwerter Vorteil Steuerlich erfährt der Arbeitslohn neben dem in Geld zu zahlenden Barlohn eine Ergänzung durch den geldwertem Vorteil gemäß § 8 EStG. Zuwendungen, die dem Steuerpflichtigen nicht in Geld, sondern in Form von „Gütern in Geldeswert“ zufließen (§ 8 Abs. 1 EStG), gehören als geldwerter Vorteil zum Arbeitslohn, wenn deren Gewährung durch das Dienstverhältnis veranlasst ist64. Geldwerter Vorteil kann z.B. die verbilligte oder unentgeltliche Überlassung von Wa-

61 Lang, Arbeitslohn in der neueren Rechtsprechung des BFH in DB, 2006, 16–23. 62 Lang (Fn. 61), 16. 63 Vgl. BFH v. 20.11.2008 – VI R 4/06, BFHE 223, 425, BStBl. II 2009, 374; BFH v. 13.12.2016 – X R 18/12, juris. 64 BFH v. 13.9.2007 – VI R 54/03, BFHE 219, 49, BStBl. II 2008, 58 m.w.N.

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ren65, eines Fahrzeugs66 oder Mahlzeiten67 durch den Arbeitgeber an den Arbeitnehmer sein, die Zurverfügungstellung von Sportmöglichkeiten68 oder wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen Pkw-Führerschein69, Vorsorgeuntersuchungen70 oder Kuren71 bezahlt. Das gilt auch für ein durch das Dienstverhältnis veranlassten Verzicht des Arbeitsgebers auf eine realisierbare Schadenersatzforderung gegenüber seinem Arbeitnehmer72. Die Bewertung des geldwerten Vorteils erfolgt anhand von § 8 Abs. 2 EStG mit dem um den üblichen Preisnachlass geminderten üblichen Endpreis am Abgabeort. Der geldwerte Vorteil kann durch Zuzahlungen des Arbeitnehmers gemindert werden. Für die Überlassung eines PKW auch zu dessen privater Nutzung erfolgt die Bewertung entweder anhand der 1%-Regelung (§ 8 Abs. 2 Satz 2 EStG) oder aufgrund der Fahrtenbuchmethode (§ 8 Abs. 2 Satz 4 EStG), welche als lex specialis dem § 8 Abs. 2 Satz 1 EStG vorgehen. Zahlt der Arbeitnehmer an den Arbeitgeber für die außerdienstliche Nutzung, das heißt für die Nutzung zu privaten Fahrten und zu Fahrten zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte, eines betrieblichen Kfz ein Nutzungsentgelt, mindert dies den Wert des geldwerten Vorteils aus der Nutzungsüberlassung sowohl bei Anwendung der 1%-Regelung73 als auch bei Verwendung eines Fahrtenbuches74. Ein steuerpflichtiger geldwerter Vorteil aus dem Dienstverhältnis kann auch dann angenommen werden, wenn der Arbeitgeber einem Arbeitnehmer ein Wirtschaftsgut nicht bewusst und gewollt unter dem Verkehrswert überlassen hat, wenn aber aus den gesamten Umständen bei objektiver Betrachtung zu schließen ist, dass der Vorteil gerade im Hinblick auf das Dienstverhältnis gewährt worden ist75. Was eine „objektive“ Betrachtung ist, legt dabei die Finanzverwaltung fest. Im Laufe der Zeit hat die Versteuerung geldwerter Vorteile einen Wandel erfahren, in dem der Gesetzgeber einzelne steuerbare Sachbezüge als nicht steuerpflichtig bestimmt hat. Der Bundesfinanzhof (BFH) entschied z.B. noch Mitte der 1970er Jahre, dass das den Bediensteten der Deutschen Bundespost gestattete kostenlose Führen privater Fern65 Z.B. BFH v. 2.10.1968 – VI R 295/67, BFHE 94, 219, BStBl. II 1969, 115; für Bezug von einem Dritten BFH v. 18.10.2012 – VI R 64/11, BFHE 239, 270, BStBl. II 2015, 184. 66 BFH v. 18.12.2008 – VI R 34/07, BFHE 224, 108, BStBl. II 2009, 381. 67 BFH v. 5.5.1994 – VI R 55/92, BFHE 174, 425, BStBl. II 1994, 771. 68 BFH v. 27.9.1996 – VI R 44/96, BFHE 181, 202, BStBl. II 1997, 146. 69 BFH v. 26.6.2003 – VI R 112/98, BFHE 203, 53, BStBl. II 2003, 886. 70 BFH v. 17.9.1982 – VI R 75/79, BFHE 137, 13, BStBl. II 1983, 39. 71 BFH v. 31.10.1986 – VI R 73/83, BFHE 148, 61, BStBl. II 1987, 142. 72 Ständige Rechtsprechung, z.B. BFH v. 27.3.1992 – VI R 145/89, BFHE 168, 99, BStBl. II 1992, 837. 73 BFH v. 30.11.2016 – VI R 49/14, DB 2017, 345 m.w.N. 74 BFH v. 30.11.2016 – VI R 2/15, DB 2017, 342 m.w.N. 75 BFH v. 18.10.1974 – VI R 249/71, BFHE 114, 56, BStBl. II 1975, 182.

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gespräche auf Dienstapparaten bei ihnen ein lohnsteuerpflichtiger Sachbezug sei76. Heutzutage bleibt die private Nutzung eines betrieblichen Telefons oder Smartphones als geldwerter Vorteil gemäß § 3 Nr. 45 EStG steuerfrei. Ebenfalls Mitte der 1970er Jahre entschied der BFH, die Zahlung von Zuschüssen an betriebsfremde Kindergärten zwecks Unterbringung und Betreuung von Kindern männlicher Arbeitnehmer sei lohnsteuerpflichtiges Arbeitsentgelt, und zwar selbst dann, wenn der Arbeitgeber die Zuschüsse deshalb zahlt, weil er aus Kostenersparnisgründen die betriebseigenen Kindergärten geschlossen hat77. Heute ist die zusätzlich zum ohnehin geschuldete Arbeitslohn erbrachte Leistung des Arbeitgebers zur Unterbringung und Betreuung von nicht schulpflichtigen Kindern der Arbeitnehmer in Kindergärten als geldwerter Vorteil gemäß § 3 Nr. 33 EStG steuerfrei. Bezogen auf Schadensersatzleistungen des Arbeitgebers vertrat die Rechtsprechung früher die Ansicht, der Ersatz eines Schadens gehöre zum steuerpflichtigen Arbeitslohn, wenn er infolge einer Verletzung der arbeitsvertraglichen Pflichten durch den Arbeitgeber erbracht werde78. Nach neuerer höchstrichterlicher Rechtsprechung ist der vom Arbeitgeber oder auf seine Weisung von einem Dritten gezahlte Schadenersatz auch dann kein Arbeitslohn, wenn sich der Schadenersatzanspruch des Arbeitnehmers auf die Verletzung arbeitsvertraglicher Pflichten durch den Arbeitgeber bezieht79. Ebenso hat der Gesetzgeber steuerbare geldwerte Vorteile aus Trinkgeldern (§ 3 Nr. 51 EStG)80, den Aufwendungen für die Berufskleidung des Arbeitnehmers (§ 3 Nr. 31 EStG) und der im betrieblichen Einsatz erfolgenden Sammelbeförderung (§ 3 Nr. 32 EStG) steuerfrei gestellt. Weitere Beispiele enthält der Katalog in § 3 EStG. 3. Drittlohn Eine Erweiterung erfährt der Arbeitslohn neben dem Lohn, der vom Arbeitgeber geleistet wird, durch Zahlungen oder geldwerte Vorteile, die von einem Dritten geleistet werden. Der BFH hat mittlerweile in ständiger Rechtsprechung entschieden81, dass Arbeitslohn „ausnahmsweise“ auch bei der Zuwendung eines Dritten anzunehmen sei, wenn sie ein Entgelt „für“ eine Leistung bilde, die der Arbeitnehmer im Rahmen des Dienstverhältnisses für seinen Arbeitgeber erbringt, erbracht hat oder erbringen soll. Damit 76 BFH v. 22.10.1976 – VI R 26/74, BFHE 120, 379–388, BStBl. II 1977, 99–104. 77 BFH v. 19.9.1975 – VI R 161/73, BFHE 117, 58, BStBl. II 1975, 888. 78 BFH v. 28.2.1975 – VI R 29/72, BFHE 115, 251, BStBl. II 1975, 520. 79 BFH v. 20.9.1996 – VI R 57/95, BFHE 181, 298, BStBl. II 1997, 144; Arndt, Anmerkung zu FG Köln v. 29.10.2015 – 15 K 1581/11, EFG 2017 Nr. 3, Entscheidung Nr. 58, Revision anhängig beim BFH – VI R 34/16 m.w.N. 80 BFH v. 18.6.2015 – VI R 37/14, BStBl. II 2016, 751. 81 Z.B. BFH v. 17.7.2014 – VI R 69/13, BFHE 246, 363, BStBl. II 2015, 41; BFH v. 18.10.2012 – VI R 64/11, BFHE 239, 270, BStBl. II 2015, 184; BFH v. 20.5.2010 – VI R 41/09, BFHE 229, 346, BStBl. II 2010, 1022; jeweils m.w.N.

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ist zum Ausdruck gebracht, dass Arbeitslohn im Regelfall durch den Arbeitgeber gezahlt wird und die Zahlung durch einen Dritten eine Ausnahme von diesem Regelfall darstellt82. Leistungen des Arbeitgebers an Dritte können danach Arbeitslohn sein, wenn sie sich wirtschaftlich als Ertrag der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers darstellen83. Auch die gesetzliche Regelung weitet im fiskalen Interesse die Erfassung des Arbeitslohns durch die Lohnsteuer als Quellensteuer auf den Dritten aus, wenn der Arbeitslohn von dem Dritten für die ihm geleistete Arbeit mit Einwilligung des Arbeitgebers gezahlt wird (§ 38 Abs. 1 Sätze 2 und 3 EStG)84. 4. Kein Arbeitslohn bei überwiegend eigenbetrieblichem Interesse Das überwiegend eigenbetriebliche Interesse ist kein Tatbestandsmerkmal einer Norm. Der BFH hat aber dieses Kriterium herangezogen, um zahlreiche Fälle von Sachzuwendungen sachgerecht zu lösen85. Seit einer Entscheidung des BFH Mitte der 1970er Jahre beantwortet die Rechtsprechung die Frage, ob bei einer Vergütung des Arbeitnehmers Arbeitslohn vorliegt, anhand des Kriteriums des eigenbetrieblichen Interesses des Arbeitgebers86. Die freiwillige und kostenlose oder verbilligte Inanspruchnahme geldwerter Vorteile, die im Bereich der allgemeinen Lebensführung i.S.v. § 12 Nr. 1 EStG liegen, führt regelmäßig zum Zufluss von Arbeitslohn i.S.v. § 19 Abs. 1 EStG, wenn sie vom Arbeitgeber gewährt werden. Solche Vorteile sind aber dann kein Arbeitslohn, wenn sie sich bei objektiver Würdigung aller Umstände nicht als Entlohnung, sondern lediglich als notwendige Begleiterscheinung betriebsfunktionaler Zielsetzungen erweisen. Die Vorteile besitzen keinen Arbeitslohncharakter, wenn sie im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers gewährt werden. Das ist der Fall, wenn sich im Rahmen einer Gesamtwürdigung aus den Begleitumständen wie Anlass, Art und Höhe des Vorteils, Auswahl der Begünstigten, freie oder nur gebundene Verfügbarkeit, Freiwilligkeit oder Zwang zur Annahme des Vorteils und seiner besonderen Geeignetheit für den jeweils verfolgten betrieblichen Zweck ergibt, dass solche Ziele beim Arbeitgeber im Vordergrund stehen und ein damit einhergehendes eigenes Interesse des Arbeitnehmers, den betreffenden Vorteil durch seine Dienstleistung zu erlangen, vernachlässigt werden kann87. 82 BFH v. 1.9.2016 – VI R 37/14, BFHE 225, 125, BStBl. II 2017, 69. 83 FG Münster v. 21.9.2016 – 7 K 990/12, juris, Revision anhängig beim BFH – VI R 37/16; Hessisches FG v. 4.9.2001 – 10 K 1604/00 m.w.N., juris. 84 Vgl. auch BMF, Schreiben v. 20.1.2015, BStBl.  I 2015, 143 „Steuerliche Behandlung der Rabatte, die Arbeitnehmern von dritter Seite eingeräumt werden“. 85 Kirchhof, „Rechtsetzung und Rechtsanwendung im steuerlichen Massenfallrecht“ in „Besteuerung von Arbeitnehmern“, Tagungsband der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft e.V. v. 19.9./20.9.2016, 55. 86 BFH v. 24.1.1975 – VI R 242/71, BFHE 114, 496, BStBl. II 1975, 340. 87 Z.B. BFH v. 27.9.1996 – VI R 44/96, BFHE 181/ 302, BStBl. II 1997, 146 m.w.N.

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Dabei sieht der BFH eine Wechselwirkung zwischen der Intensität des eigenbetrieblichen Interesses des Arbeitgebers und dem Ausmaß der Bereicherung beim Arbeitnehmer. Je höher die Bereicherung aus Sicht des Arbeitnehmers ist, desto geringer wiegt das aus Sicht des Arbeitgebers zu berücksichtigende eigenbetriebliche Interesse. Eine Lohnzuwendung kann zu verneinen sein, wenn das Interesse des Arbeitnehmers gegenüber dem des Arbeitgebers in den Hintergrund tritt. Liegt jedoch – neben dem eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers – ein nicht unerhebliches Interesse des Arbeitnehmers vor, so liegt die Vorteilsgewährung nicht im ganz überwiegend eigenbetrieblichen Interesse des Arbeitgebers und sie führt zur Lohnzuwendung88. Das eigenbetriebliche Interesse überwiegt nach den Entscheidungen des BFH und der Finanzgerichte z.B. in folgenden Einzelfällen; es liegt kein steuerpflichtiger Arbeitslohn vor: −− Wendet der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern Kreislauftrainingskuren zu, überwiegt das eigenbetriebliche Interesse, wenn die Teilnehmer durch Betriebsärzte ausgewählt werden, wenn die Kur medizinisch notwendig ist und wenn sie unter betriebsärztlicher Aufsicht in einer streng auf den Zweck der Kur abgestellten Weise durchgeführt wird89; −− Vom Arbeitgeber veranlasste unentgeltliche Vorsorgeuntersuchungen90; −− Bei der Gestellung einheitlicher, während der Arbeitszeit zu tragender bürgerlicher Kleidung kann das eigenbetriebliche Interesse des Arbeitsgebers im Vordergrund stehen91; −− Die auf Weisung des Arbeitgebers erfolgte Teilnahme von Außendienstmitarbeitern zur Kundenbetreuung auf einem Regattabegleitschiff92; −− Die Mitversicherung angestellter Klinikärzte in der Betriebshaftpflichtversicherung eines Krankenhauses nach § 102 Abs. 1 VVG93; −− Die Beitragszahlung für die eigene Berufshaftpflichtversicherung einer Rechtsanwalts-GbR (mit bloßer Reflexwirkung für die bei ihr angestellten Rechtsanwälte mit jeweils eigener gemäß § 51 BRAO abgeschlossenen Berufshaftpflichtversicherung)94; −− Die Zahlung von Verwarnungsgeldern, die gegen den Arbeitgeber wegen Verstößen der Arbeitnehmer festgesetzt werden95 (BFH anderer Ansicht bei Übernahme von Verwarnungsgeldern, die gegen die Arbeitnehmer festgesetzt werden, s.u.). 88 Ständige Rechtsprechung, vgl. BFH v. 22.6.2006  – VI R 21/05, BFHE 214, 252, BStBl.  II 1994, 771; BFH v. 21.1.2010 – VI R 51/08, BFHE 228, 85, BStBl. II 2010, 700 m.w.N. 89 BFH v. 24.1.1975 – VI R 242/71, BFHE 114, 496, BStBl. II 1975, 340. 90 BFH v. 17.9.1982 – VI R 75/79, BFHE 137, 13, BStBl. II 1983, 39. 91 BFH v. 22.6.2006 – VI R 21/05, BFHE 214, 252, BStBl. II 2006, 915. 92 BFH v. 16.10.2013 – VI R 78/12, BFHE 243, 242, BStBl. II 2015, 495. 93 BFH v. 19.11.2015 – VI R 47/14, DStRE 6/2016, 331–333. 94 BFH v. 10.3.2016 – VI R 58/14, BFHE 253, 243, BStBl. II 2016, 624. 95 FG Düsseldorf v. 4.11.2016 – 1 K 2470/14 L, EFG 2017 Nr. 4, 315, Revision beim BFH anhängig unter VI R 1/17.

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Das eigenbetriebliche Interesse tritt dagegen in folgenden Fällen zurück, so dass die Ausgaben des Arbeitgebers zu steuerpflichtigem Arbeitslohn beim Arbeitnehmer führen: −− Mietet ein Arbeitgeber für seine Arbeitnehmer Tennis- und Squashplätze an, so führt die unentgeltliche Nutzung bei den Arbeitnehmern zum Zufluss von Arbeitslohn96; −− Die Ablösung einer vom Arbeitgeber erteilten Pensionszusage führt beim Arbeitnehmer auch dann zum Zufluss von Arbeitslohn, wenn der Ablösungsbetrag auf Verlangen des Arbeitnehmers (Wahlrecht) zur Übernahme der Pensionsverpflichtung an einen Dritten gezahlt wird97; −− Die Auszahlung eines Versorgungsguthabens, das nach Ausscheiden des Arbeitgebers aus der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) wegen einer Direktzusage des Arbeitgebers zur Sicherung der zugesagten Gesamtversorgung gebildet worden ist, führt neben zuvor lohnversteuerten Umlagezahlungen an die VBL zu Arbeitslohn98; −− Verpflegt der Arbeitgeber die Besatzungsmitglieder an Bord eines Flusskreuzfahrtschiffes unentgeltlich, so ist der den Arbeitnehmern gewährte Vorteil nur dann kein Arbeitslohn, wenn das eigenbetriebliche Interesse des Arbeitgebers an einer Gemeinschaftsverpflegung wegen besonderer betrieblicher Abläufe den Vorteil der Arbeitnehmer bei Weitem überwiegt99; −− Übernimmt der Arbeitgeber (Spedition) die Bußgelder, die gegen die bei ihm angestellten Fahrer wegen Verstößen gegen die Lenk- und Ruhezeiten verhängt werden, handelt es sich hierbei um Arbeitslohn100; der BFH führt in einem obiter dictum aus, dass er an seiner zuvor vertretenen Auffassung, die vom Arbeitgeber (Paketzusteller) übernommenen Zahlungen von Verwarngeldern, die gegen die bei ihm angestellten Fahrer wegen Verletzung des Halteverbots verhängt worden sind, seien kein Arbeitslohn101, nicht mehr festhält102; −− Vom Arbeitgeber getragene Aufwendungen für die Teilnahme seiner Arbeitnehmer an einwöchigen Seminaren zur Vermittlung grundlegender Erkenntnisse über einen gesunden Lebensstil (sogenannte „Sensibilisierungswoche“) im Rahmen eines ganzheitlichen Personalentwicklungsprogramms103.

96 BFH v. 27.9.1996 – VI R 44/96, BFHE 181/ 302, BStBl. II 1997, 146. 97 BFH v. 18.8.2016 – VI R 18/13, BFHE 255, 58; BFH v. 12.4.2007 – VI R 6/02, BFHE 217, 547, BStBl. II 2007, 581. 98 BFH v. 7.5.2009 – VI R 16/07, BFHE 225, 78, BStBl. II 2010, 130. 99 BFH v. 21.1.2010 – VI R 51/08, BFHE 228, 85, BStBl. II 2010, 700. 100 BFH v. 14.11.2013 – VI R 36/12, BFHE 243, 520, BStBl. II 2014, 278. 101 BFH v. 7.7.2004 – VI R 29/00, BFHE 208, 104, BStBl. II 2005, 67. 102 BFH v. 14.11.2013 – VI R 36/12, BFHE 243, 520, BStBl. II 2014, 278. 103 FG Düsseldorf v. 26.1.2017 – 9 K 3682/15 L, EFG 2017, 732, Revision beim BFH anhängig unter VI R 10/17.

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Auch die Finanzverwaltung nimmt in Einzelfällen zur lohnsteuerlichen Behandlung von Sachbezügen des Arbeitgebers, in denen nach Meinung der Finanzverwaltung das eigenbetriebliche Interesse hinter die Interessen des Arbeitnehmers zurücktritt, Stellung104. Beispiele zur Annahme und Verneinung von Arbeitslohn wegen des eigenbetrieblichen Interesses lassen sich nach der Judikatur der Finanzgerichte beliebig fortsetzen. Zum Arbeitslohncharakter von Zukunftssicherungsleistungen gibt es eine umfangreiche Rechtsprechungsübersicht105, wobei steuerbare Leistungen an betriebliche Versorgungseinrichtungen zum Teil gemäß § 3 Nrn. 56, 63 EStG steuerfrei gestellt worden sind. 5. Kein Arbeitslohn bei Zuwendungen wegen anderer Rechtsbeziehungen Kein Arbeitslohn liegt vor, wenn die Zuwendungen wegen anderer Rechtsverhältnisse oder wegen sonstiger, nicht auf dem Arbeitsverhältnis beruhender Rechtsbeziehungen vom Arbeitgeber gewährt werden. Solchen Rechtsbeziehungen kann zwar auch ein eigenbetriebliches Interesse des Arbeitgebers zugrunde liegen. Sie zeigen aber ihre Unabhängigkeit und Eigenständigkeit dem Grunde nach dadurch, dass sie auch selbständig und losgelöst vom Arbeitsverhältnis bestehen können106. Ob ein Leistungsaustausch zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit oder aufgrund einer Sonderrechtsbeziehung einer an­ deren Einkunftsart oder dem nicht steuerbaren Bereich zuzuordnen ist, ist nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung aufgrund einer in erster Linie der Tatsachen­ instanz obliegenden tatsächlichen Würdigung zu entscheiden107. Die Beurteilung erfolgt nach dem wirtschaftlichen Gehalt des zu beurteilenden Lebenssachverhalts und nicht nach seiner äußeren Erscheinungsform108. Als derartige Zuwendungen auf Grund von Sonderrechtsbeziehungen kommen insbesondere die Veräußerung und die entgeltliche (zeitlich befristete) Nutzungsüberlassung von Sachen oder Rechten in Betracht109. Der BFH hebt allerdings hervor, dass trotz des Vorliegens einer Sonderrechtsbeziehung geprüft werden muss, ob der entsprechende Leistungsaustausch nicht dennoch den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zuzurechnen ist110.

104 Vgl. z.B. BMF, Schreiben v. 8.12.2016 „Lohnsteuerliche Behandlung von unentgeltlichen oder verbilligten Mahlzeiten der Arbeitnehmer ab Kalenderjahr 2017“, DB 2016, 2933. 105 BFH v. 7.5.2009 – VI R 16/07, BFHE 225, 78, BStBl. II 2010, 130. 106 BFH v. 17.6.2009 – VI R 96/06, BFHE 226, 47, BStBl. II 2010, 69. 107 Grundlegend BFH v. 1.2.2007  – VI R 72/05, juris; Bergkemper, Lohnsteuer-Merkblatt 2016, DB, Beilage 02 zu Heft Nr. 8 v. 26.2.2016, 11. 108 BFH v. 30.6.2011 – VI R 80/10, BFHE 234, 195, BStBl. II 2011, 948. 109 BFH v. 20.5.2010 – VI R 12/08, BFHE 230, 136, BStBl. II 2010, 1069. 110 BFH v. 20.5.2010 – VI R 41/09, BStBl. II 2010, 1022; BFH v. 17.6.2009 – VI R 69/06, BStBl. II 2010, 69; BFH v. 23.6.2005 – VI R 10/03, BStBl. II 2005, 770.

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In folgenden Einzelfällen hat der BFH eine Sonderrechtsbeziehung mit dem Arbeitgeber bzw. mit einem Dritten angenommen, die eine Versteuerung der Zuwendung als Arbeitslohn ausschließt: −− Eine Mietzahlung vom Arbeitgeber an den Arbeitnehmer für die Anmietung von Büroräumen111; −− Die Mietzahlungen vom Arbeitgeber an den Arbeitnehmer für die Anmietung einer Garage112; −− Die Zahlung von Wiederholungshonoraren und Erlösbeteiligungen, die an ausübende Künstler von Hörfunk- oder Fernsehproduktionen als Nutzungsentgelte für die Übertragung originärer urheberrechtlicher Verwertungsrechte gezahlt werden113; −− Der Veräußerungsgewinn aus einer Kapitalbeteiligung an einem Unternehmen führt nicht allein deshalb zu Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit, weil die Kapitalbeteiligung von einem Arbeitnehmer des Unternehmens gehalten und nur den Arbeitnehmern angeboten worden war114; gleiches gilt bei sogenannten Managementbeteiligungen, wenn die Beteiligung nur leitenden Mitarbeitern angeboten worden ist115; −− Verzichtet eine Bausparkasse sowohl bei Arbeitnehmern ihrer „Partnerbanken“ als auch bei ihren freien Handelsvertretern und deren Arbeitnehmern sowie den Beschäftigten anderer genossenschaftlich organisierter Unternehmen und Kooperationspartner auf die Erhebung von Abschlussgebühren, begründet der Gebührenvorteil keinen Arbeitslohn, sondern kann einer Sonderrechtsbeziehung oder dem nicht einkommensteuerlichen Bereich zugeordnet werden116; −− Ist der Arbeitgeber Leasingnehmer eines Kfz und gibt er dieses Kfz mit Unterleasingvertrag an seinen Arbeitnehmer weiter, liegt auch bei einer vergünstigten Überlassung kein Arbeitslohn vor117. Auch die Finanzverwaltung grenzt in Einzelfällen, zum Beispiel im Fall des Unterleasingvertrages118, zwischen einem Entgeltanspruch aufgrund des Arbeitsverhältnisses und aufgrund einer Sonderrechtsbeziehung ab.

111 BFH v. 19.10.2001 – VI R 131/00, BFHE 197, 98, BStBl. II 2002, 300; keine Übertragbarkeit dieser Rechtsprechung auf Selbständige/Gewerbetreibende: bei Vorliegen von Einkünften aus der Vermietung eines häuslichen Arbeitszimmers an den Auftraggeber eines Gewerbetreibenden liegen insgesamt Einkünfte aus Gewerbebetrieb vor, wenn die Vermietung ohne den Gewerbebetreib nicht denkbar wäre, BFH v. 13.12.2016 – XI R 18/12, juris. 112 BFH v. 7.6.2002 – VI R 145/99, BFHE 199, 322, BStBl. II 2002, 829. 113 BFH v. 26.7.2006 – VI R 49/02, BFHE 214, 373, BStBl. II 2006, 917. 114 BFH v. 17.6.2009 – VI R 69/06, BFHE 226, 47 BStBl. II 2010, 69. 115 BFH v. 4.10.2016 – IX R 43/15, BFHE 255, 442. 116 BFH v. 20.5.2010 – VI R 41/09, BFHE 229, 346, BStBl. II 2010, 1022. 117 BFH v. 18.12.2014 – VI R 75/13, BFHE 248, 336; BStBl. II 2015, 670. 118 BMF v. 15.12.2016, BStBl. I 2016, 1449 „Dienstwagenbesteuerung in Leasingfällen“.

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In folgenden Einzelfällen hat der BFH keine Sonderrechtsbeziehung, sondern die Versteuerung der Zuwendung als Arbeitslohn angenommen: −− Der Gewinn aus der Veräußerung eines Wandeldarlehens ist geldwerter Vorteil (Arbeitslohn), soweit sich die bis dahin latent bestehende Möglichkeit zum verbilligten Aktienerwerb verwirklicht119; −− Überlässt eine GmbH ihren Mitarbeitern Genussrechte am Unternehmen, ist die Verzinsung der Genussrechte Arbeitslohn, wenn die Höhe der Verzinsung völlig unbestimmt ist und von einem aus Arbeitgeber und einem Vertreter der Arbeitnehmer bestehenden Partnerschaftsausschuss bestimmt wird120. Der BFH hat in weiteren zahlreichen Fällen der vergünstigten Überlassung von Wertpapieren, Aktienoptionen und anderen Beteiligungen die Differenz zwischen dem Endpreis der Aktien am Verschaffungstag und den diesbezüglichen Erwerbsaufwendungen als geldwerten Vorteil zum Zeitpunkt der Einbuchung der Aktien in das Depot des Arbeitnehmers als Arbeitslohn qualifiziert121. Die Beispiele zur Abgrenzung des Arbeitslohns aus nichtselbständiger Arbeit zu anderen Einkunftsarten oder dem nicht steuerbaren Bereich lassen sich ebenfalls beliebig fortsetzen. 6. Schadenersatz Schadensersatzleistungen des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer können unter bestimmten Umständen steuerbarer und steuerpflichtiger Arbeitslohn sein. Gemäß § 24 Nr. 1 lit. a i.V.m. § 19 EStG ist das der Fall, wenn die Entschädigung als Ersatz für entgangene oder entgehende Einnahmen gewährt wird. Nach § 24 Nr. 1 lit. b i.V.m. §  19 EStG sind Entschädigungen steuerpflichtig, wenn sie für die Aufgabe oder Nichtausübung einer Tätigkeit gewährt werden. Dagegen liegt kein Arbeitslohn vor, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer einen Schaden ersetzt, welchen dieser infolge einer Verletzung arbeitsrechtlicher (Fürsorge-)Pflichten oder einer unerlaubten Handlung des Arbeitgebers z.B. an einem materiellen oder immateriellen Wirtschaftsgut erlitten hat. Damit werden nämlich nicht die Dienste des Arbeitnehmers vergütet, sondern ein vom Arbeitgeber verursachter Schaden ausgeglichen122. Bei wertender Betrachtung erweist sich etwa der Ersatz des dem Arbeitnehmer aus einer auf schuldhaftem Verhalten des Arbeitgebers beruhenden fehlerhaften Besteuerung entstandenen Schadens nicht als Frucht seiner Arbeitsleistung. Vielmehr wird ein dem Arbeitnehmer in dessen Privatvermögen entstandener Schaden ausgeglichen. Der Arbeitnehmer erhält die Zuwendung nicht, weil er 119 BFH v. 20.5.2010 – VI R 12/08, BFHE 230, 136, BStBl. II 2010, 1069. 120 BFH v. 21.10.2014 – VIII R 44/11, BFHE 247, 308, BStBl, II 2015, 593. 121 Z.B. BFH v. 20.11.2008 – VI R 25/05, BFHE 223, 419, BStBl. II 2009, 382; BFH v. 1.2.2007 – VI R 72/05, juris; BFH v. 1.9.2016 – VI R 67/14, BFHE 255, 125, BStBl. II 2017, 69. 122 BFH v. 26.8.2016 – VI B 95/15, juris; BFH v. 20.6.1996 – VI R 57/95, BFHE 181, 298, BStBl. II 1997, 144; BFH v. 24.5.2000 – VI 17/96, BFHE 192, 293, BStBl. II 2000, 584.

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eine Arbeitsleistung erbracht hat, sondern weil ihm gegen den Arbeitgeber ein zivilrechtlicher Anspruch auf Schadensausgleich zusteht. Dass dieser Anspruch ohne das Arbeitsverhältnis nicht entstanden wäre, ist dabei unerheblich123. In folgenden Fällen stellt die Schadenersatzleistung steuerpflichtigen Arbeitslohn dar: −− Eine steuerpflichtige Entschädigung liegt vor, wenn eine Schadensersatzleistung aus Amtshaftung als Surrogat für die durch eine rechtswidrige Abberufung als Bankvorstand entstandenen Verdienst- und Betriebsrentenausfälle geleistet wird124; −− Ausgleichszahlungen, die der Dienstherr anstelle des vorrangig zu gewährenden Freizeitausgleichs für unionsrechtswidrig zu viel geleisteten Dienst an Berufsfeuerwehrleute leistet, sind kein steuerfreier Schadenersatz, sondern als Arbeitslohn für mehrjährige Tätigkeit ermäßigt zu besteuern125. Hingegen liegt kein Arbeitslohn, sondern ein nicht steuerbarer Schadensersatz in folgenden Fällen vor: −− Eine Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG, die ein Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer wegen Diskriminierung am Arbeitsplatz zahlen muss, ist auch dann steuerfrei und kein Arbeitslohn, wenn der Arbeitgeber die behauptete Benachteiligung bestritten und sich lediglich in einem gerichtlichen Vergleich zur Zahlung bereit erklärt hat126; −− Bewirkt die fehlerhafte Lohnsteuerbescheinigung durch den Arbeitgeber, dass der Arbeitnehmer zu einer überhöhten Einkommensteuer veranlagt wird, kann dem Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber ein Schadensersatzanspruch zustehen, dessen Erfüllung durch den Arbeitgeber nicht zum Lohnzufluss führt127. 7. Zuflussprinzip Im Steuerrecht findet für die Besteuerung des Arbeitslohns das Zuflussprinzip (§ 11 Abs. 1, § 38 Abs. 2 Satz 2 EStG) Anwendung. Das Zuflussprinzip ist ebenso wenig wie der Begriff des Arbeitslohns gesetzlich definiert. Die ständige höchstrichterliche Rechtsprechung konkretisiert den in § 11 EStG genannten Begriff des Zuflusses128 wie folgt: Einnahmen sind zugeflossen, sobald der Steuerpflichtige über sie wirtschaftlich verfügt hat oder verfügen kann; das ist i. d. R. 123 BFH v. 20.9.1996 – VI R 57/95, BFHE 181, 298, BStBl. II 1997, 144. 124 BFH v. 12.7.2016 – IX R 33/15, BFHE 254, 568, BStBl. II 2017, 158. 125 BFH v. 26.8.2016 – VI B 95/15, juris; vgl. auch BFH v. 14.6.2016 – IX R 2/16, BFHE 254, 260, BStBl. II 2016, 901. 126 FG Rheinland-Pfalz v. 21.3.2017 – 5 K 1594/14, EFG 2017, 835. 127 BFH v. 20.9.1996 – VI R 57/95, BFHE 181, 298, BStBl. II 1997, 144; vgl. auch FG Köln v. 29.10.2015  – 15 K 1581/11, EFG 2017, 196, Revision anhängig beim BFH unter IV R 34/16. 128 Seit RFH v. 13.11.1928, RFHE 24, 272; ferner z.B. BFH v. 11.8.1987 – IX R 163/83, BStBl. II 89, 702.

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der Zeitpunkt des Leistungserfolgs, wobei bereits die Möglichkeit genügt, den Leistungserfolg herbeizuführen. Das bloße „Innehaben“ eines Anspruchs führt den Zufluss jedoch noch nicht herbei129. Den Zuflusszeitpunkt hat der BFH beispielsweise in folgenden Fällen konkretisiert. −− Wechselt lediglich der Schuldner einer Pensionszusage gegen Zahlung eines Ablösungsbetrags, führt dies beim versorgungsberechtigten Arbeitnehmer nicht zum Zufluss von Arbeitslohn. Voraussetzung ist, dass dem Arbeitnehmer kein Wahlrecht zusteht, sich den Ablösungsbetrag alternativ an sich selbst auszahlen zu lassen130; −− Die Ablösung einer vom Arbeitgeber erteilten Pensionszusage führt beim Arbeitnehmer zum Zufluss von Arbeitslohn, wenn der Ablösungsbetrag wegen eines dem Arbeitnehmer eingeräumten Wahlrechts auf dessen Verlangen zur Übernahme der Pensionsverpflichtung an einen Dritten gezahlt wird. Hierin liegt eine vorzeitige Erfüllung des Anspruchs aus einer in der Vergangenheit erteilten Pensionszusage131; −− Räumt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer handelbare Optionsrechte ein, gelangt der für den Zufluss von Arbeitslohn maßgebliche Vorteil in Gestalt eines Preisnachlasses auf gewährte Aktien erst aufgrund der Verwertung der Aktienoption in das wirtschaftliche Eigentum des Arbeitnehmers als Optionsnehmer132; −− Gewährt ein Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber ein Darlehen, das mit einem Wandlungsrecht zum Bezug von Aktien ausgestattet ist (Wandelschuldverschreibung), wird ein Zufluss von Arbeitslohn nicht bereits durch die Hingabe des Darlehens begründet. Erst bei Ausübung des Wandlungsrechts durch den Arbeitnehmer fließt diesem ein geldwerter Vorteil aus dem Bezug von Aktien zu einem unter dem Kurswert liegenden Übernahmepreis zu, wenn ihm durch die Erfüllung des Anspruchs das wirtschaftliche Eigentum an den Aktien verschafft wird133. Überträgt der Arbeitnehmer das Darlehen einschließlich des Wandlungsrechts entgeltlich auf einen Dritten, fließt ihm ein geldwerter Vorteil bereits im Zeitpunkt der Übertragung zu134. Auch die Beispiele zum Zeitpunkt des Zuflusses von Arbeitslohn lassen sich beliebig fortsetzen.

129 Zum Lohnanspruch: BFH v. 23.6.2005 – VI R 10/03, BFHE 209, 559, BStBl. II 2005, 770 und VI R 124/99, BStBl. II 2005, 766. 130 BFH v. 18.8.2016 – VI R 8/13, BFHE 255, 58. 131 BFH v. 12.4.2007 – VI R 6/02, BFHE 217, 547, BStBl. II 207, 581. 132 BFH v. 20.11.2008 – VI R 25/05, BFHE 223, 419, BStBl. II 2009, 382. 133 BFH v. 23.6.2005 – VI R 124/99, BFHE 209, 549, BStBl. II 2005, 766; BFH v. 23.6.2005 – VI R 10/03, BFHE 209, 559, BStBl. II 2005, 770. 134 BFH v. 23.6.2005 – VI R 10/03, BFHE 209, 559, BStBl. II 2005, 770.

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8. Kausal-finaler Begriff des Arbeitslohns im Steuerrecht Versucht man für das zuvor Erörterte einen „roten Faden“ zu finden, ist festzustellen, dass die steuerliche Qualifikation des Arbeitslohns einen kausalen Zusammenhang zwischen der Beschäftigung und der Vergütung erfordert. Die Rechtsprechung fordert ergänzend einen finalen Zusammenhang zwischen Vorteilszuwendung und erbrachter Arbeitsleistung. Sie grenzt damit die Definition des Arbeitslohns für steuerliche Zwecke ein. a) Kausalität im Steuerrecht Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG gehören zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit neben Gehältern und Löhnen auch andere Bezüge und Vorteile, die für eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst gewährt werden. Aus § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG i.V.m. § 2 Abs. 1 Satz 1 LStDV ergibt sich, dass der Arbeitslohn zwei Kriterien erfüllen muss. Er muss erstens zu einer objektiven Bereicherung des Arbeitnehmers führen und es muss zweitens ein Veranlassungszusammenhang zwischen dieser Bereicherung mit dem Dienstverhältnis bestehen135. Die Rechtsprechung hat dieses Veranlassungsprinzip (ebenfalls offener Typusbegriff136) aufgegriffen. Die Bezüge oder Vorteile gelten dann als für eine Beschäftigung gewährt, wenn sie durch das individuelle Dienstverhältnis veranlasst sind137. Es ist nicht erforderlich, dass die Entlohnung eine Gegenleistung für eine konkrete (einzelne) Dienstleistung des Arbeitnehmers ist. Eine Veranlassung durch das individuelle Dienstverhältnis ist vielmehr zu bejahen, wenn die Einnahmen dem Empfänger mit Rücksicht auf das Dienstverhältnis zufließen und sich als Ertrag der nichtselbständigen Arbeit darstellen, wenn sich also die Leistung des Arbeitgebers im weitesten Sinne als Gegenleistung für das Zurverfügungstellen der individuellen Arbeitskraft des Arbeitnehmers erweist138. Arbeitslohn kann kausal auch bei der Zuwendung eines Dritten anzunehmen sein, wenn sie ein Entgelt „für“ eine Leistung bildet, welche der Arbeitnehmer im Rahmen des Dienstverhältnisses für seinen Arbeitgeber erbringt, erbracht hat oder erbringen soll. Voraussetzung ist, dass sie sich für den Arbeitnehmer als Frucht seiner Arbeit für den Arbeitgeber darstellt und im Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis steht139. Diese sehr weite kausale Definition des Arbeitslohns erfährt eine Einschränkung in den Fällen, in denen ein eigenbetriebliches Interesse des Arbeitgebers an der Zahlung 135 Eisgruber in Kirchhof, 15. Aufl. 2016, § 19 EStG Rz. 55. 136 Breinersdorfer, (Fn. 9), 126. 137 Ständige Rechtsprechung seit BFH v. 17.9.1982 – VI R 75/79, BFHE 137, 13, BStBl. II 1983, 39. 138 Ständige Rechtsprechung, z.B. BFH v. 1.9.2016  – VI R 67/14, BFHE 255, 125, BStBl.  II 2017, 69; BFH v. 17.7.2014  – VI R 69/13, BFHE 246, 363, BStBl.  II 2015, 41; BFH v. 7.5.2009 – VI R 16/07, BFHE 225, 78, BStBl. II 2010, 130. 139 BFH v. 1.9.2016 – VI R 67/14, BFHE 255, 125, BStBl. II 2017,69; BFH v. 17.7.2004 – VI R 69/13, BFHE 246, 363, BStBl. II 2015, 41, jeweils m.w.N.

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überwiegt. Die DStJG hat sich auf ihrer 41. Jahrestagung am 19./20.9.2016 in Hannover erneut mit der „Besteuerung von Arbeitnehmern“ steuersystematisch beschäftigt. Eine weitere Eingrenzung der Kausalität nehmen Rechtsprechung und Verwaltung bei der Prüfung des Einzelfalles unter wirtschaftlicher Betrachtungsweise danach vor, ob die Leistung des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer aufgrund des Arbeitsverhältnisses oder einer Sonderrechtsbeziehung erfolgt. Liegt eine solche Sonderrechtsbeziehung vor, fehlt bereits eine kausale Verknüpfung zum Arbeitsverhältnis. b) Finalität im Steuerrecht Der BFH hat den bisher weit verwendeten Begriff des nur kausal veranlassten Arbeitslohns in seiner Praxis modifiziert. Nach höchstrichterlicher Rechtsprechung genügt ein einfacher Kausalzusammenhang nicht mehr für die Annahme von Arbeitslohn140. Für die Annahme von steuerpflichtigem Arbeitslohns darf nicht nur darauf abgestellt werden, dass zwischen der Leistung und der Vergütung ein ursächlicher Zusammenhang im Sinne einer „conditio sine qua non“ (kausaler Zusammenhang) besteht. Vielmehr ist es erforderlich, dass der Vorteil vom Arbeitgeber zugewendet wird, um die Dienste des Arbeitnehmers zu entlohnen (finaler Zusammenhang). Die Zuwendung muss einen Entlohnungscharakter aufweisen141. Der BFH hatte zwar bereits früher gefordert, dass eine Zuwendung Entlohnungscharakter haben muss. Jedoch hatte er dieses Kriterium immer mit unter die Kausalität subsumiert und nie expressis verbis einen finalen Zusammenhang zwischen der Arbeitsleistung und der Zuwendung gefordert142. Der BFH leitet aus heutiger Sicht für die Prüfung des Arbeitslohns folglich vom bloßen kausalen Zusammenhang auf den finalen Zusammenhang über. Die Zuwendung muss auch final einen Entlohnungscharakter aufweisen, das heißt eine Erfüllungsleistung im Rahmen des Rechtsverhältnisses zwischen dem Arbeitnehmer und seinem Dienstherrn darstellen143. Der Vorteil, den der Arbeitnehmer erhält, muss sich, egal ob er vom Arbeitgeber oder einem Dritten gewährt wird, als „Frucht“ der nichtselbständigen Arbeit darstellen. Ob dies zutrifft, ist jeweils durch Würdigung aller wesentlichen Umstände des Einzelfalles zu entscheiden144. 140 Arndt, Anmerkung zu FG Köln v. 29.10.2015 – 15 K 1581/11, EFG 2017 Nr. 3, Entscheidung Nr. 58, Revision anhängig beim BFH – VI R 34/16; Barth, Fn. 57, S. 2907. 141 Zur Zuwendung einer Ehrenmitgliedschaft in einem Golfklub BFH v. 17.7.2014 – VI R 69/13, BFHE 246, 363, BStBl. II 2015, 41. 142 Vgl. z.B. BFH v. 17.7.1981 – VI R 205/78, BFHE 133, 553, BStBl. II 1981, 773–775; BFH v. 29.10.1993 – VI R 4/87; BFH v. 20.9.1996 – VI R 57/95, BFHE 181, 298, BStBl. II 1997, 144; BFH v. 22.6.2006 – VI R 21/05, BFHE 214, 252, BStBl. II 2006, 915. 143 BFH v. 26.8.2016 – VI B 95/15, BFH/NV 2016, 1726–1727. 144 Zur verbilligten Überlassung von GmbH-Anteilen BFH v. 1.9.2016 – VI R 67/14, BFHE 255, 125, BStBl. II 2017, 69.

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Der BFH fordert den finalen Zusammenhang auch expressis verbis für den Drittarbeitslohn145. Die von dem Dritten eingeräumten Vorteile sind ein Entgelt für eine Leistung, die der Arbeitnehmer im Rahmen seines individuellen Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber erbringt oder der Arbeitgeber einen ihm zustehenden Vorteil im abgekürzten Zahlungsweg als Arbeitsentgelt an seine Mitarbeiter weitergibt146. Ein finaler Zusammenhang fehlt jedoch, wenn der Dritte mit der Vorteilszuwendung an den Arbeitnehmer eigene wirtschaftliche Zwecke verfolgt, wie z.B. die Kundenbindung oder die Gewinnung von Neukunden147. Dabei sind angestrebte Synergieeffekte148 oder Reputationsgewinne durch die kostenlose Aufnahme von Ehrenmitgliedern in einen Golfclub genauso beachtlich, wie erwartete Werbezwecke und neue Kundenkontakte149. Bei der Prüfung des finalen Zusammenhangs zwischen Leistung des Arbeitnehmers und Entgelt wird teilweise sogar auf den – fiskalpolitisch völlig untypisch – objektiven Willen der Parteien, auf den aus den tatsächlichen Umständen zu schließen ist, abgestellt150. Die Finanzverwaltung hat in ihrer Praxis zur Bejahung des Arbeitslohns das Kriterium der Finalität zusätzlich zum kausalen Zusammenhang zwischen Arbeitsleistung und gewährtem Vorteil übernommen. So sind z.B. Preisvorteile, die Arbeitnehmern von dritter Seite gewährt werden, Arbeitslohn, wenn sie sich für den Arbeitnehmer als Frucht seiner Arbeit darstellen und wenn sie im Zusammenhang mit dem Dienstverhältnis stehen. Ein überwiegend eigenwirtschaftliches Interesse des Dritten schließt die Annahme von Arbeitslohn dagegen in der Regel aus. Arbeitslohn liegt nicht vor, wenn und soweit der Preisvorteil auch fremden Dritten üblicherweise im normalen Geschäftsverkehr eingeräumt wird151. Eine Überprüfung der von Rechtsprechung und Finanzverwaltung entschiedenen Fälle am Maßstab eines kausal-finalen Arbeitslohns ergibt, dass heute (noch) zu versteuernde Zahlungen des Arbeitgebers lohnsteuerfrei bleiben bzw. bleiben sollten und müssten: −− Den Zuwendungen des Arbeitgebers einschließlich der Zuwendungen in Form von Betriebsveranstaltungen fehlt der finale Bezug zur Arbeitsleistung (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1a EStG); gleiches gilt z.B. für Naturalleistungen (Verköstigung und Abgabe vom Verkauf ausgeschlossener Waren aus der eigenen Produktion), die der Unternehmer seinen Mitarbeitern laufend gewährt152; es handelt sich hierbei viel-

145 BFH v. 17.7.2014 – VI R 69/13, BFHE 246, 363, BStBl. II 2015, 41. 146 BFH v. 18.10.2012 – VI R 64/11, BStBl. II 2015, 184. 147 Barth (Fn. 57), S. 2907. 148 BFH v. 18.10.2012 – VI R 64/11, BStBl. II 2015, 184. 149 BFH v. 17.7.2014 – VI R 69/13, BFHE 246, 363, BStBl. II 2015, 41. 150 Barth (Fn 57), S. 2908 m.w.N. 151 BMF v. 20.1.2015, BStBl. I 2015, 143. 152 Von der Rechtsprechung als Arbeitslohn eingeordnet, vgl. BFH v. 6.2.1975 – VI R 103/72, BFHE 115, 75, BStBl. II 1975, 255.

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Der kausal-finale Arbeitslohn im Steuerrecht

mehr um eine zusätzliche, freiwillige, spontane Belohnung, die arbeitsvertraglich nicht als „do ut des“ vereinbart ist; −− Den Zahlungen des Arbeitsgebers an betriebliche Versorgungseinrichtungen, die keinen Bezug zu einer individuellen Arbeitsleistung des Mitarbeiters haben, fehlt der finale Bezug zur Arbeitsleistung (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EStG); −− Aufwendungen des Arbeitgebers für Betriebssportanlagen stellen final keinen Arbeitslohn dar (entgegen BFH zur Nutzung von Tennis-und Squashplätzen153), weil sie primär dem Erhalt der allgemeinen Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers dienen; vgl. hierzu auch die Steuerfreiheit von Sachzuwendungen des Arbeitgebers an seine Arbeitnehmer in Form einer Kur154; vgl. hierzu auch: Beugt eine Maßnahme des Arbeitgebers einer spezifisch berufsbedingten Beeinträchtigung der Gesundheit des Arbeitnehmers vor oder wirkt ihr entgegen, kann der dem Arbeitnehmer aus der Maßnahme erwachsende Vorteil im Einzelfall nicht als Arbeitslohn zu erfassen sein155; −− Arbeitgeberbeiträge zu Versicherungen (Unfall-, Krankheit-, Haftpflicht- oder Kaskoversicherung), die Risiken aus einer gefahrgeneigten Arbeit für den Arbeitnehmer finanziell auffangen sollen, haben keinen finalen Entgeltcharakter (vgl. § 2 Abs. 2 Nr. 3 LStDV); −− Entschädigungen, Schadenersatzleistungen und Zuschüsse jeder Art, die der Arbeitnehmer nicht durch eigenes Tun verdienen kann, fehlt der finale Bezug zur Arbeitsleistung (vgl. § 2 Abs. 2 Nrn. 4, 5 LStDV). Ziel der zukünftigen Gesetzgebung sollte es sein, den Begriff des kausal-finalen Arbeitslohns als Maßstab für die finanzgerichtliche Rechtsprechung und die Praxis der Finanzverwaltung normativ zu verankern.

VI. Zusammenfassung Arbeits-, Sozial- und Steuerrecht stellen für die Definition einer Zuwendung an den Arbeitnehmer als Arbeitslohn auf den kausal-finalen Zusammenhang zwischen der Beschäftigung und der Vergütung ab. Arbeitsrecht, Sozialrecht und Steuerrecht enthalten jeweils eine eigene Definition, die den „Arbeitslohn“ inhaltlich festlegt. Dabei steht der kausale Bezug im Vordergrund. Der finale Bezug darf jedoch nicht fehlen. Mit seiner Leistung zielt sowohl der Leistende als auch der Leistungsempfänger darauf ab, die Leistung des jeweils anderen zu erhalten. Das Handeln der Vertragspartner ist auf die innere Verknüpfung von Leistung und Gegenleistung gerichtet, also kausal

153 BFH v. 27.9.1996 – VI R 44/96, BFHE 181, 202, BStBl. II 1997, 146. 154 BFH v. 24.1.1975 – VI R 242/71, BFHE 144, 496, BStBl. II 1975, 340. 155 BFH v. 30.5.2001 – VI R 177/99, BFHE 195, 373, BStBl. II 2001, 671.

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begründet und final ausgerichtet. Das Erbringen der Leistung selbst ist für das Bewirken der Gegenleistung kausal-final; dasselbe gilt umgekehrt156. Im Arbeitsrecht ist der Begriff der Vergütung weit gefasst und aufgrund der Privatautonomie von den Vertragsparteien inhaltlich selbst zu bestimmen. Im Sozialrecht ist der Begriff des Entgelts gesetzlich definiert. Die besondere Zielsetzung der Sozialversicherung schließt es grundsätzlich aus, über die (sozial-)rechtliche Einordnung einer Vergütung allein nach dem Willen der Vertragsparteien, ihren Vereinbarungen oder ihren Vorstellungen zu entscheiden157. Im Steuerrecht gibt es keine gesetzliche Definition des Arbeitslohns. Arbeitslohn sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 LStDV alle Einnahmen, die dem Arbeitnehmer für eine Beschäftigung aus dem Dienstverhältnis zufließen. Diese kausale Begriffsbestimmung erfährt durch die Rechtsprechung Einschränkungen, indem sie im Rahmen einer Einzelfallprüfung einen finalen Bezug zwischen erbrachter Dienstleistung und erhaltener Vergütung herstellt. Erleichterungen erfahren Arbeitgeber und Arbeitnehmer bisher in den Fällen, in denen materiell zwar steuerbarer Arbeitslohn vorliegt, dieser jedoch aufgrund einer gesetzlichen Steuerfreistellung gemäß §  3 EStG von der Besteuerung ausgenommen wird. Der Gesetzgeber ist aufgerufen, die Definition des Arbeitslohns im Arbeitsrecht, Sozialrecht und Steuerrecht auf ein kausal-finales Begriffsverständnis hin fortzuentwickeln. Dem Gesetzgeber obliegt es, durch allgemein verbindliche Regeln für eine Vielzahl von Fällen Rechtssicherheit zu schaffen, statt weiterhin ein case law heranwachsen zu lassen. Der Jubilar hat die Intention hierzu durch seine wissenschaftlichen Arbeiten zu diesem Thema angestoßen. Bereits in der Schlussbemerkung seines eingangs zitierten Vortrags „Leistungen an und durch Dritte“ auf der Jahrestagung der DStJG vom 26.9./27.9.1985 hat Herr Prof. Crezelius darauf hingewiesen, dass die Aufgabe einer steuerjuristischen Betrachtung nicht rein wirtschaftliche oder (angeblich) vernünftige Überlegungen – etwa: Trinkgeld gehört zum Arbeitslohn – sein können, sondern nur solche rechtlicher zu Dogmatik und Rechtssicherheit führender Art. In einer steuerrechtlichen Untersuchung sei der advocatus diaboli eben nicht immer der advocatus fisci158.

156 Borggräfe, DB 1977, 1382 mit Hinweis auf Weiss, Umsatzsteuer aktuell, Die Besteuerung von betrieblichen Zuwendungen an Arbeitnehmer, in Steuerreport 1976, 249, 252 ff. 157 BSG v. 18.12.2001 – B 12 KR 8/01 R, SozR 3-2400 § 7 Nr. 19 m.w.N; BSG v. 20.3.2013 – B 12 R 13/10 R, SozR 4-2400 § 7 Nr. 19. 158 Crezelius (Fn. 1), S. 116.

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Einzug der wirtschaftlichen Betrachtungsweise in das Grunderwerbsteuergesetz? – eine Analyse vor dem Hintergrund des § 1 Abs. 3a GrEStG Inhaltsübersicht

I. Einleitung

II. Grunderwerbsteuerliche Erfassung von Share Deals III. Interessenlage der Vertragsparteien IV. Die Norm des § 1 Abs. 3a GrEStG

V. Von § 1 Abs. 3a GrEStG erfasste RETT-Blocker-Strukturen 1. Erwerb von Zielgesellschaften in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft 2. RETT-Blocker-Struktur beim Erwerb von Anteilen an Zielgesellschaften in der Rechtsform der Personengesellschaft

VI. Tatbestandsmerkmale der gesetzlichen Neuregelung des § 1 Abs. 3a GrEStG 1. Begriff der „wirtschaftlichen ­Beteiligung“ 2. Beteiligung am Kapital oder am ­Vermögen der Gesellschaft 3. Begriff einer nur „mittelbaren“ ­wirtschaftlichen Beteiligung und ­Berechnungsmodalität VII. Zusammenfassung

I. Einleitung Ein besonderes Verdienst des Jubilars besteht darin, dass er sich seit Jahrzehnten mit den Querverbindungen zwischen Zivil-, Bilanz- und Steuerrecht befasst, und, aufbauend auf dem Zivilrecht, das Steuerrecht auf diese Weise für den Rechtsanwender in nicht zu überbietender Prägnanz verständlich macht. In der Gestaltungspraxis, aber auch in der Praxis der Finanzverwaltung, sieht man demgegenüber immer häufiger, dass sich die Rechtsanwender vom Gesetzeswortlaut und einer sorgfältigen Analyse der Rechtslage lösen und stattdessen einer „wirtschaftlichen Betrachtungsweise“ das Wort reden, die mit der steuerlichen Realität nichts zu tun hat. Ein Paradebeispiel hierfür ist das Grunderwerbsteuerrecht, das an zivilrechtliche Tatbestände anknüpft und in dem wirtschaftliche Überlegungen, jedenfalls bislang, kaum eine Rolle gespielt haben. Eine Ausnahme ist die Rechtsprechung zu mittelbaren Anteilsübertragungen im Bereich des § 1 Abs. 2a GrEStG, wo der BFH, z.B. mit Urteil vom 9.7.20141, in Ermangelung der zivilrechtlichen Existenz einer nur mittelbaren Anteilsübertragung entschieden hat, dass der Begriff „mittelbar“ wirtschaftlich auszulegen sei. Gleichzeitig bestätigt der BFH in dieser Entscheidung allerdings auch, 1 BFH v. 9.7.2014 – II R 49/12, BStBl. II 2016, 57, GmbHR 2014, 1171 m. Anm. Rodewald, Der Konzern 2014, 417, DB 2014, 2942; vgl. auch BFH v. 24.4.2013 – II R 17/10, GmbHR 2013, 822 m. Anm. Klass, DStR 2013, 1280, GmbHR 2013, 822.

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dass eine wirtschaftliche Betrachtungsweise im Grunderwerbsteuerrecht nur im Einzelfall in Betracht komme, nämlich dann, wenn sich aus der Auslegung eines im GrEStG verwendeten gesetzlichen Merkmals ergebe, dass es nicht auf die zivilrechtlichen, sondern auf die wirtschaftlichen Gegebenheiten ankomme, was immer dann nicht der Fall sei, wenn das GrEStG an einen bürgerlich-rechtlichen Rechtsvorgang unter Verwendung von Begriffen des bürgerlichen Rechts anknüpfe. Allerdings hat der Gesetzgeber in 2013 erneut den Begriff „wirtschaftlich“ in Gestalt einer nur „wirtschaftlichen Beteiligung“ in das GrEStG eingeführt, nämlich in §  1 Abs. 3a GrEStG, nachdem die ursprüngliche Fassung des § 1 Abs. 2a GrEStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 1997, die in Satz 2 von der Notwendigkeit einer „wirtschaftlichen Betrachtung“ gesprochen hatte, u.a. wegen ihrer verfassungsmäßigen Unbestimmtheit schon vor vielen Jahren wieder verworfen wurde2. Dies wird im Folgenden zum Anlass genommen, die der Einführung des § 1 Abs. 3a GrEStG zugrunde liegenden RETT-Blocker-Strukturen und dessen Tatbestandsmerkmale zu analysieren und zu zeigen, dass durch die Einfügung des § 1 Abs. 3a mitnichten eine wirtschaftliche Betrachtungsweise in das Grunderwerbsteuerrecht Einzug gehalten hat.

II. Grunderwerbsteuerliche Erfassung von Share Deals Bereits seit vielen Jahren ist es das Bestreben des Gesetzgebers, sog. „Share Deals“, also den Verkauf von Anteilen an grundbesitzenden Gesellschaften, auch grunderwerbsteuerlich zu erfassen, sofern zum Vermögen der betreffenden Gesellschaft ein inländisches Grundstück gehört. Das GrEStG bedient sich hierzu verschiedener Tatbestände, −− § 1 Abs. 2a GrEStG (Änderung des Gesellschafterbestandes einer Personengesellschaft), −− § 1 Abs. 3 GrEStG (Anteilsvereinigung und Anteilsübertragung), und −− § 1 Abs. 3a GrEStG (wirtschaftliche Beteiligung). Die Systematik und auch die Rechtsfolgen der verschiedenen Tatbestände sind sehr unterschiedlich: Während § 1 Abs. 2a GrEStG eine Übertragung des zum Vermögen einer Personengesellschaft gehörenden Grundstücks auf eine neue Personengesellschaft fingiert, wenn innerhalb von 5 Jahren 95 % oder mehr der Anteile am Gesellschaftsvermögen auf neue Gesellschafter übertragen werden, erstreckt sich der Anwendungsbereich des § 1 Abs. 3 GrEStG nicht nur auf Personen-, sondern auch auf Kapitalgesellschaften, allerdings mit einer gänzlich anderen Rechtstechnik. Maßgeblich ist nämlich, anders als bei §  1 Abs.  2a GrEStG, nicht die gesamthänderische Mitberechtigung am Vermögen der Gesamthand, verstanden als „kapitalistische“ Teilhabe, sondern die 2 Zur Verfassungswidrigkeit des §  1 Abs.  2a GrEStG i.d.F. vor dem StEntlG 1999  ff. vgl. Boruttau, 15. Aufl. 2002, § 1 GrEStG Rn. 814 f., 835 ff. m.w.N.

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Wirtschaftliche Betrachtungsweise im GrEStG?

allein sachenrechtlich zu beurteilende Vereinigung von 95 % oder mehr der Anteile an einer Personen- oder Kapitalgesellschaft in einer Hand. Die unterschiedliche Regelungstechnik verdeutlicht ein einfaches Beispiel: Kommanditisten der X GmbH & Co. KG sind A mit 99 % und B mit 1 %. Die Komplementär-GmbH, deren Geschäftsanteile zu  100  % von C gehalten werden, ist nicht vermögensmäßig an der X GmbH & Co. KG beteiligt. A überträgt seine 99%ige Kommanditbeteiligung auf D. Lösung: § 1 Abs. 3 GrEStG ist nicht erfüllt, weil D nur einen von insgesamt drei Anteilen erwirbt. Allerdings ist der Tatbestand des § 1 Abs. 2a GrEStG erfüllt, weil mehr als 95  % der Anteile am Gesellschaftsvermögen auf neue Gesellschafter übertragen werden. Auch die Rechtsfolgen beider Normen und damit die wirtschaftlichen Konsequenzen sind fundamental verschieden: So ist z.B. Schuldner der Grunderwerbsteuer im Falle des § 1 Abs. 2a GrEStG die Personengesellschaft, was insofern konsequent ist, als der dem § 1 Abs. 2a GrEStG zugrunde liegende Rechtsvorgang „als (…) auf die Übereignung eines Grundstücks auf eine neue Personengesellschaft gerichtetes Rechtsgeschäft“ gilt. Schuldner der Grunderwerbsteuer i.S.d. § 1 Abs. 3 GrEStG ist demgegenüber diejenige Person, in deren Hand die Anteile (unmittelbar oder mittelbar) vereinigt werden. Hinzu kommt, dass es für Zwecke des § 1 Abs. 2a GrEStG allein auf den dinglichen Vollzug ankommt, wohingegen § 1 Abs. 3 GrEStG nicht allein den dinglichen Vollzug, also das Verfügungsgeschäft, sondern bereits den Kaufvertragsabschluss, das Verpflichtungsgeschäft, in den Blick nimmt. Beide Normen sind daher, auch wenn sie letztlich dasselbe Ziel verfolgen – die grund­ erwerbsteuerliche Erfassung von Share Deals – elementar verschieden. Ihre einzige Gemeinsamkeit besteht in der magischen Grenze von 95 %. Es verwundert daher nicht, dass es zwar einerseits Schnittmengen zwischen beiden Tatbeständen gab (und gibt), die der Gesetzesgeber dadurch aufgelöst hat, dass § 1 Abs. 3 GrEStG nur dann anwendbar ist, „soweit eine Besteuerung nach Abs. 2a nicht in Betracht kommt“, dass es aber ebenso Regelungslücken gibt, in denen beide Normen – trotz Überschreitung der 95%-Grenze – nicht zur Anwendung gelangen. 917

Oliver Mensching

Der Gesetzgeber hat im Jahre 2013 versucht, diese Regelungslücken durch Einfügung des § 1 Abs. 3a GrEStG unter Verwendung des Begriffs einer „nur wirtschaftlichen Beteiligung“ von 95 % oder mehr zu schließen. Dies ist, wie im Folgenden gezeigt wird, nur teilweise gelungen und ändert nichts daran, dass eine wirtschaftliche Betrachtungsweise im Grunderwerbsteuerrecht auch weiterhin keinen Platz hat.

III. Interessenlage der Vertragsparteien Zielsetzung der Gestaltungspraxis war es von jeher, einen pragmatischen Umgang mit der 95%-Grenze zu finden und diese, wo möglich, zu umgehen. Denn einerseits haben der oder die Verkäufer ein Interesse daran, nicht nur 94,9 %, sondern möglichst 100 % der Anteile zu verkaufen. Und andererseits besteht das Interesse der Käufer häufig darin, sich vom Verkäufer zu emanzipieren und nicht nur 94,9  %, sondern 100 % der Anteile zu erwerben. In der Gestaltungspraxis geht es daher häufig darum, die 95%-Grenze zwar formal zu beachten, wirtschaftlich aber zu überschreiten.

IV. Die Norm des § 1 Abs. 3a GrEStG Die Strukturen, die diesen Gestaltungen zugrunde liegen, werden auch als „RETT-Blocker-Strukturen“ bezeichnet. Sie erfreuen sich, insbesondere vor dem Hintergrund der in den letzten Jahren stark gestiegenen Grunderwerbsteuersätze, bei größeren Transaktionen großer Beliebtheit und dienen dazu, eine Grunderwerbsteuerbelastung von Share Deals zu vermeiden. Dem wirkt §  1 Abs.  3a GrEStG, der im Zuge des Jahressteuergesetzes 2013 in das Grunderwerbsteuergesetz eingefügt wurde, entgegen, indem der Erwerb einer wirtschaftlichen Beteiligung von mindestens 95 % qua Fiktion „als Rechtsvorgang i.S.d. Abs.  3“ erklärt wird, wenn der Vorgang nicht bereits nach den §  1 Abs.  2a oder 3 GrEStG der Grunderwerbsteuer unterliegt. Es gilt also folgendes Verhältnis: § 1 Abs. 3 ist subsidiär zu § 1 Abs. 2a und § 1 Abs. 3a ist subsidiär zu § 1 Abs. 2a und 3 GrEStG. In der Immobilienwirtschaft und der Beraterschaft wird seit Einführung des §  1 Abs. 3a GrEStG immer häufiger die Befürchtung geäußert, dass jede Konstellation, in der sich ein Käufer „wirtschaftlich“ zu 95 % oder mehr an einer Immobiliengesellschaft beteiligt, möglicherweise grunderwerbsteuerpflichtig sei. Bei der Quotenermittlung der wirtschaftlichen Beteiligung seien dabei – auch wenn dies dem Grund­ erwerbsteuerrecht an sich wesensfremd ist  – auch Gesellschafterdarlehen, stille Beteiligungen o.Ä. zu berücksichtigen3. Eine nähere Analyse des Gesetzeswortlautes des § 1 Abs. 3a GrEStG zeigt jedoch, dass dies nicht der Fall ist. 3 Reckwardt, Steuerboard DB0567221; unklar auch Schober/Kuhnke, NWB 2013, 2225 (2231 f.).

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Wirtschaftliche Betrachtungsweise im GrEStG?

Betroffen durch § 1 Abs. 3a GrEStG sind vielmehr nur RETT-Blocker-Strukturen im engeren Sinne. Dies betrifft z.B. die Konstellation, in der sich der Käufer einer 94,9%igen Kommanditbeteiligung an einer Immobilien GmbH  & Co. KG zugleich zu 94,9 % an deren Komplementär-GmbH beteiligt, die die verbleibenden 5,1 % des Festkapitals der GmbH & Co. KG hält, oder auch die Situation, in der wirtschaftlich nahezu 100 % der Anteile an einer grundbesitzenden GmbH gekauft werden, indem 94,9 % der GmbH-Anteile direkt und die verbleibenden 5,1 % indirekt über eine sog. RETT-Blocker-KG erworben werden, an der der Käufer, je nach Risikopräferenz, zu 94,9 % oder sogar 100 % beteiligt ist. Nur diese Konstellationen werden durch § 1 Abs. 3a GrEStG unterbunden. Nicht erfasst sind demgegenüber Situationen, in denen die „wirtschaftliche“ Beteiligung durch schuldrechtliche Instrumente (z.B. stille Beteiligung, Darlehen oder Genussrechte) oder auch gesellschaftsvertraglich vereinbarte Gewinnvorabs über die 95%-Grenze „gehoben“ wird, weil der Begriff der „wirtschaftlichen Beteiligung“ eben nicht freischwebend nach kaufmännischem Bauchgefühl auszulegen ist, sondern durch § 1 Abs. 3a GrEStG legal definiert wird als „Summe der unmittelbaren und mittelbaren Beteiligungen am Kapital oder am Vermögen“4. Eine Beteiligung am Kapital oder am Vermögen liegt insbesondere dann nicht vor, wenn der Anspruch des Käufers rein obligatorischer Natur ist, was z.B. dann der Fall ist, wenn der Käufer die Zielgesellschaft über Gesellschafterdarlehen finanziert, die so verzinst werden, dass faktisch der gesamte Mietüberschuss der Immobiliengesellschaft „abgesaugt“ wird. Im Folgenden sollen die zentralen Tatbestandsvoraussetzungen des §  1 Abs.  3a GrEStG beleuchtet und gegenüber denjenigen Gestaltungen abgrenzt werden, die es auch heute noch erlauben, Share Deals grunderwerbsteuerneutral zu strukturieren. Der Wortlaut des § 1 Abs. 3a GrEStG lautet wie folgt: „Soweit eine Besteuerung nach Abs.  2a und Abs.  3 nicht in Betracht kommt, gilt als Rechtsvorgang i.S.d. Abs. 3 auch ein solcher, aufgrund dessen ein Rechtsträger unmittelbar oder mittelbar oder teils unmittelbar, teils mittelbar eine wirtschaftliche Beteiligung i.H.v. mindestens 95 vom Hundert an einer Gesellschaft, zu deren Vermögen ein inländisches Grundstück gehört, innehat. Die wirtschaftliche Beteiligung ergibt sich aus der Summe der unmittelbaren und mittelbaren Beteiligungen am Kapital oder am Vermögen der Gesellschaft. Für die Ermittlung der mittelbaren Beteiligungen sind die Vomhundertsätze am Kapital oder am Vermögen der Gesellschaften zu multiplizieren.“ Der Wortlaut des § 1 Abs. 3a GrEStG ist einerseits unpräzise, weil er den Begriff der „wirtschaftlichen Beteiligung“ verwendet, andererseits aber auch sehr präzise, weil sich dem Wortlaut bei genauerem Nachlesen nicht nur eine Definition der „wirtschaftlichen Beteiligung“, sondern zugleich auch eine Definition einer nur „mittelbaren“ wirtschaftlichen Beteiligung entnehmen lässt. Der Tatbestand des §  1 Abs.  3a 4 Pahlke in Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 1 ErbStG Rz. 429; Meßbacher-Hönsch in Boruttau, 18. Aufl. 2016, § 1 GrEStG Rz. 1227; Behrens, DStR 2013, 2726; Wischott/Keller/ Graessner/Bakeberg, DB 2013, 2235 (2237).

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GrEStG trifft daher im Wesentlichen nur die Fallkonstellationen, die nachfolgend unter V. aufgezeigt werden.

V. Von § 1 Abs. 3a GrEStG erfasste RETT-Blocker-Strukturen Die bis zur Einfügung des § 1 Abs. 3a GrEStG verwendeten RETT-Blocker-Modelle, die nunmehr durch § 1 Abs. 3a GrEStG unterbunden werden, unterscheiden danach, ob es sich bei der Immobiliengesellschaft um −− eine Kapitalgesellschaft (GmbH, AG oder vergleichbare ausländische Rechtsform) oder um −− eine Personengesellschaft (oHG, KG, GbR oder vergleichbare ausländische Rechtsform) handelt. 1. Erwerb von Zielgesellschaften in der Rechtsform der Kapitalgesellschaft Eine typische RETT-Blocker-Struktur für Kapitalgesellschaften sah bis zur Einführung des § 1 Abs. 3a GrEStG wie folgt aus: Verkäufer 100 % GmbH

phG 0 %

RETT-BlockerGmbH & Co. KG

Kdt. 100 %

Käufer

94,9 %

5,1 %

GmbH

Dreh- und Angelpunkt der Struktur war, dass die von der RETT-Blocker-GmbH & Co. KG gehaltenen Anteile an der Ziel-GmbH dem Käufer (K) nur dann zugerechnet werden konnten, wenn dieser zu 95 % oder mehr an der RETT-Blocker-GmbH & Co. KG beteiligt war. 920

Wirtschaftliche Betrachtungsweise im GrEStG?

Dabei galt die Besonderheit, dass bei Personengesellschaften, wie bereits erwähnt, unter „Anteil an der Gesellschaft“ die gesellschaftsrechtliche Beteiligung an dieser, also die aus der Mitgliedschaft in der Personengesellschaft folgende gesamthänderische Mitberechtigung hinsichtlich des Gesellschaftsvermögens, zu verstehen war. Jedem Mitglied einer Personengesellschaft stand daher stets nur eine (einzige) Beteiligung zu, und zwar unbeschadet dessen, dass deren Vermögenswert im Sinne der Teilnahme am Reinvermögen im Verhältnis zu demjenigen der Mitgesellschafter unterschiedlich hoch sein konnte. Bei Personengesellschaften wurden die Anteile der einzelnen Gesellschafter also lediglich „durchgezählt“ mit der Folge, dass es bei einer zweigliedrigen Gesellschaft (z.B. einer typischen GmbH & Co. KG mit einer Komplementär-GmbH und einem zu 100 % beteiligten Kommanditisten) 2, bei einer drei­ gliedrigen Personengesellschaft 3 und bei einer mehrgliedrigen Personengesellschaft ebenso viele Anteile gab, wie Gesellschafter an dieser beteiligt waren. Bezogen auf das vorstehende Beispiel hält K trotz seiner 100%igen vermögensmäßigen Beteiligung an der RETT-Blocker-GmbH & Co. KG nur einen von insgesamt zwei Anteilen, also nicht 95  % oder mehr, mit der Folge, dass die von der RETT-Blocker-GmbH & Co. KG gehaltenen 5,1 % an der Ziel-GmbH K nicht zugerechnet werden konnten. Der Tatbestand des §  1 Abs.  3 GrEStG war daher nicht erfüllt, obwohl K im wirtschaftlichen Ergebnis 100 % der Anteile an der Ziel-GmbH erworben hat. 2. RETT-Blocker-Struktur beim Erwerb von Anteilen an Zielgesellschaften in der Rechtsform der Personengesellschaft Anders war die Situation bei Objektgesellschaften in der Rechtsform der Personengesellschaft: Verkäufer 5,1 % GmbH

94,9 %

(ehemalige Komplementärin der GmbH & Co. KG)

Käufer

Kdt. 94,9 %

Kdt. 5,1 %

GmbH & Co. KG

phG 0 %

100 %

KomplementärGmbH

921

Oliver Mensching

Hier war es so, dass ein Käufer typischerweise 94,9 % der Kommanditanteile an der Ziel-GmbH & Co. KG und 94,9 % der Anteile an der Komplementär-GmbH erworben hat, deren vermögensmäßige Beteiligung an der Ziel-GmbH & Co. KG spätestens mit dem Closing von 0 % auf 5,1 % erhöht wurde. Die Beteiligungsquote von K betrug damit 94,9 % zzgl. 94,9 % von 5,1 %, durchgerechnet also 99,74 %. In diesem Fall basierte die Grunderwerbsteuervermeidung darauf, dass die Erhöhung der Beteiligungsquote der bisherigen Komplementär-GmbH auf 5,1 % grunderwerbsteuerlich unschädlich war, weil die Komplementär-GmbH Altgesellschafterin i.S.d. § 1 Abs. 2a GrEStG war. Durch die Begrenzung der Beteiligungsquote von K an der ehemaligen Komplementär-GmbH auf 94,9 % wurde zudem sichergestellt, dass die vermögensmäßige Beteiligung der ehemaligen Komplementär-GmbH an der Zielgesellschaft K nicht mittelbar zugerechnet werden konnte. Der Tatbestand des §  1 Abs. 2a GrEStG war daher nicht erfüllt. Auch in dieser Konstellation fiel daher keine Grunderwerbsteuer an, obwohl sich K wirtschaftlich zu 99,74 % an der Ziel-GmbH & Co. KG beteiligt hat.

VI. Tatbestandsmerkmale der gesetzlichen Neuregelung des § 1 Abs. 3a GrEStG Die vorstehend unter Ziffer V. dargestellten RETT-Blocker-Strukturen sind seit der Einführung des § 1 Abs. 3a GrEStG ausgeschlossen und führen nicht mehr zum gewünschten Ergebnis der Grunderwerbsteuervermeidung, weil K im Beispiel  1 zu durchgerechnet 100 % und im Beispiel 2 zu durchgerechnet 99,74 %, also zu jeweils 95  % oder mehr, unmittelbar und mittelbar an den Zielgesellschaften beteiligt ist. Hieraus kann jedoch nicht abgeleitet werden, dass durch die Einführung des §  1 Abs. 3a GrEStG eine wirtschaftliche Betrachtungsweise in das Grunderwerbsteuergesetz Einzug gehalten hätte, wie sich aus den folgenden Ausführungen ergibt: 1. Begriff der „wirtschaftlichen Beteiligung“ Durch § 1 Abs. 3a GrEStG wurde erstmals den Begriff der „wirtschaftlichen Beteiligung“ in das Grunderwerbsteuergesetz eingeführt. Finanzgerichtliche Urteile dazu, was hierunter zu verstehen ist, existieren bislang nicht. Einerseits könnte man die Auffassung vertreten, dass § 1 Abs. 3a GrEStG keine Definition der „wirtschaftlichen Beteiligung“ enthält, wenn man davon ausgeht, dass § 1 Abs. 3a Sätze 2 und 3 GrEStG („Die wirtschaftliche Beteiligung ergibt sich ...“) sprachlich als Beschreibung der Berechnungsmodalität, nicht aber als Definition im engeren Sinne zu verstehen sei. Dann wäre der Begriff der „wirtschaftlichen Beteiligung“ „wirtschaftlich“, also nach kaufmännischem Bauchgefühl, auszulegen mit der Folge, dass die gesetzliche Neuregelung nach hier vertretener Rechtsauffassung, ebenso wie bereits die Norm des § 1 Abs. 2a S. 2 GrEStG i.d.F. des Jahressteuergesetzes 1997, die die wirtschaftliche Betrachtungsweise explizit zum Tatbestandsmerkmal erhoben 922

Wirtschaftliche Betrachtungsweise im GrEStG?

hatte, gegen das verfassungsrechtliche Bestimmtheitsgebot des Art. 20 Abs. 3 GG verstieße5. Sinnvoller – und so scheint es auch die Finanzverwaltung zu sehen6 – ist es daher, in den Sätzen 2 und 3 des § 1 Abs. 3a GrEStG nicht nur eine Regelung der Berechnungsmodalität, sondern zugleich eine Legaldefinition zu erblicken7. Eine „wirtschaftliche Beteiligung“ ist damit „die Summe der unmittelbaren und mittelbaren Beteiligungen am Kapital oder am Vermögen der Gesellschaft“. Hierfür spricht auch, dass, wenn man dem Begriff der „wirtschaftlichen Beteiligung“ einen über die Berechnungsmodalität der Sätze 2 und 3 hinausgehenden Inhalt zubilligen wollte, unklar bliebe, wie konkret die Höhe der wirtschaftlichen Beteiligung zu ermitteln wäre. Die Sätze 2 und 3 regeln daher nicht nur, wie die wirtschaftliche Beteiligung zu ermitteln ist, sondern auch, was hierunter zu verstehen ist. 2. Beteiligung am Kapital oder am Vermögen der Gesellschaft Auch was unter einer Beteiligung am Kapital oder am Vermögen der Zielgesellschaft zu verstehen sein soll, war bislang nicht Gegenstand der Rechtsprechung der FG. Nach h.M. trägt die Differenzierung zwischen einer „Beteiligung am Kapital“ und einer „Beteiligung am Vermögen“ der Tatsache Rechnung, dass der Begriff des „Anteils“ bei Personengesellschaften und Kapitalgesellschaften unterschiedlich ausgelegt wird. Der Begriff des „Anteils“, wie er von § 1 Abs. 3 GrEStG verwendet wird, ist auf Kapitalgesellschaften zugeschnitten, an deren Grund- oder Stammkapital der Gesellschafter quotal beteiligt ist. Der Begriff des „Anteils an einer Personengesellschaft“ ist dem bürgerlichen Recht demgegenüber fremd. Denn die Personengesellschaft ist, anders als Kapitalgesellschaften, keine juristische Person, an der die Gesellschafter „Anteile“ hätten, sondern der Verbund ihrer Gesellschafter, die kraft dieses Verbundes Eigentümer des Gesellschaftsvermögens zur gesamten Hand sind8. Unter „Anteil an einer Personengesellschaft“ wird daher für Zwecke des §  1 Abs.  3 GrEStG die Mitgliedschaft als solche, nicht die Höhe der vermögensmäßigen Beteiligung an der Personengesellschaft, bezeichnet mit der Folge, dass die Anteile an einer Personengesellschaft bei der Frage, ob eine Anteilsvereinigung i.S.d. § 1 Abs. 3 GrEStG vorliegt, schlicht „durchgezählt“ werden. Dies ist auch der Grund dafür, dass § 1 Abs. 3 GrEStG bei Personengesellschaften, von Fällen der mittelbaren Anteilsvereinigung oder Organschaftskonstellationen einmal abgesehen, weitgehend leer läuft, und hat letzten Endes dazu geführt, dass das Grund­ 5 Vgl. BVerfG v. 24.1.1962, BVerfGE 13, 318 (328), BStBl. I 1962, 506, MDR 1962, 276, NJW 1962, 442; vgl. auch Felix, ZIR 1997, 10 (12). 6 Oberste Finanzbehörden der Länder v. 9.10.2013, BStBl. I 2013, 1364 Rz. 5. 7 Pahlke in Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 1 GrEStG Rz. 425; Behrens, DStR 2013, 1405 (1406). 8 Meßbacher-Hönsch in Boruttau, 18. Aufl. 2016, § 1 GrEStG Rz. 975.

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erwerbsteuergesetz bereits durch das Jahressteuergesetz 19979 um § 1 Abs. 2a GrEStG ergänzt wurde, in dem anders als in § 1 Abs. 3 GrEStG nicht auf die bloße Mitgliedschaft, sondern den „Anteil am Gesellschaftsvermögen“, also die wertmäßige Teilhabe am Gesellschaftsvermögen, abgestellt wird. Diese Differenzierung zwischen dem Begriff des „Anteils“ im engeren Sinne, wie er von § 1 Abs. 3 GrEStG verwendet wird, und dem „Anteil am Gesellschaftsvermögen“ i.S.d. § 1 Abs. 2a GrEStG, greift § 1 Abs. 3a GrEStG auf, indem bei der Definition der „wirtschaftlichen Beteiligung“ als Summe der unmittelbaren und mittelbaren Beteiligungen am Kapital oder am Vermögen implizit auf § 1 Abs. 2a bzw. Abs. 3 GrEStG referenziert wird. Handelt es sich bei der Zielgesellschaft demgemäß um eine Kapitalgesellschaft, setzt sich die wirtschaftliche Beteiligung aus den unmittelbaren und mittelbaren Beteiligungen am Kapital der Zielgesellschaft zusammen. Handelt es sich demgegenüber bei der Zielgesellschaft um eine Personengesellschaft, ist auf die Summe der unmittelbaren und mittelbaren Beteiligungen am Gesellschaftsvermögen, wie dieses für Zwecke der §§ 1 Abs. 2a, 5 und 6 GrEStG verstanden wird, abzustellen. 3. Begriff einer nur „mittelbaren“ wirtschaftlichen Beteiligung und ­Berechnungsmodalität § 1 Abs. 3a Satz 3 GrEStG ist Definition und Berechnungsmodalität einer nur mittelbaren Beteiligung zugleich. Denn anders als im Rahmen des § 1 Abs. 2a GrEStG wird genau beschrieben, wie der Prozentsatz einer nur mittelbaren wirtschaftlichen Beteiligung zu ermitteln ist, nämlich durch Multiplikation der jeweils unmittelbaren Beteiligungsquoten am Kapital oder am Vermögen vertikal durch sämtliche Beteiligungsebenen hindurch. Es ist also entsprechend „durchzurechnen“10. Hieraus folgt zugleich, dass die Rechtsprechung des BFH11 zu mittelbaren Änderungen des Gesellschafterbestandes i.S.d. § 1 Abs. 2a GrEStG im Rahmen des § 1 Abs. 3a GrEStG keine Anwendung findet12. Denn Ausgangspunkt für die Entscheidung des BFH war, dass das Vorliegen einer mittelbaren Änderung des Gesellschafterbestandes einer grundbesitzenden Personengesellschaft i.S.d. § 1 Abs. 2a GrEStG (notgedrungen) nach wirtschaftlichen Gesichtspunkten beurteilt werden muss, weil −− es zivilrechtlich keine mittelbare Änderung des Gesellschafterbestandes gibt, −− bei der mittelbaren Änderung des Gesellschafterbestandes i.S.d. § 1 Abs. 2 Satz 1 GrEStG zivilrechtlich kein Anteil an der Gesellschaft auf einen neuen Gesellschafter übergeht und −− § 1 Abs. 2a GrEStG auch keine Definition dessen beinhaltet, was unter dem Begriff „mittelbar“ zu verstehen ist. 9 JStG 1997 v. 20.12.1996, BGBl. I 1996, 2049. 10 Statt aller Oberste Finanzbehörden der Länder v. 9.10.2013, BStBl. I 2013, 1364 Rz. 5. 11 BFH v. 9.7.2014 – II R 49/12, BStBl. II 2016, 57, GmbHR 2014, 1171 m. Anm. Rodewald. 12 Pahlke in Fischer/Pahlke/Wachter, 6. Aufl. 2017, § 1 GrEStG Rz. 439; ebenso Joisten/Liekenbrock, Ubg 2013, 469 (475 f.); a.A. möglicherweise Meßbacher-Hönsch in Boruttau, 18. Aufl. 2016, § 1 GrEStG Rz. 1198.

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Wirtschaftliche Betrachtungsweise im GrEStG?

Es bleibe daher nur eine am Sinn und Zweck der Regelung und an wirtschaftlichen Gesichtspunkten ausgerichtete Auslegung. Dies ist im Rahmen des § 1 Abs. 3a GrEStG anders, weil Satz 3 der Norm nicht nur beschreibt, was unter einer nur mittelbaren Beteiligung zu verstehen ist, sondern auch wie konkret diese zu ermitteln ist, nämlich durch Durchrechnung der unmittelbaren und mittelbaren Beteiligungen am Kapital oder am Vermögen durch alle Beteiligungsebenen einer Beteiligungskette hinweg. Die Differenzierung zwischen einer unmittelbaren oder mittelbaren „Beteiligung am Kapital“ (bei Kapitalgesellschaften) bzw. am Vermögen (bei Personengesellschaften) bedeutet daher im übrigen auch mitnichten, dass die Höhe einer nur mittelbaren Beteiligung am Kapital oder Vermögen, je nachdem, ob es sich bei der Zielgesellschaft um eine Kapital- oder um eine Personengesellschaft handelt, stringent von oben nach unten nach den im Rahmen des § 1 Abs. 3 bzw. § 1 Abs. 2a GrEStG geltenden Grundsätzen zu ermitteln wäre. Ist also z.B. der Käufer zu 94,9 % an einer zweigliedrigen RETT-Blocker-KG beteiligt, die 5,1 % an einer Zielgesellschaft in der Rechtsform der GmbH hält, und ist der Käufer zu 94,9 % direkt an der Zielgesellschaft beteiligt, so beträgt die mittelbare Beteiligung am Kapital der Zielgesellschaft nicht 50 % von 5,1 % = 2,55 %, sondern 94,9 % von 5,1 % = 4,84 % und die Summe aus unmittelbarer und mittelbarer Beteiligung am Kapital der GmbH nicht 97,45 % (= 2,55 % plus 94,9 %), sondern 99,74 % (= 4,84 % plus 94,9 %). Dies folgt aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 3a Satz 3 GrEStG, wonach für die Ermittlung einer mittelbaren Beteiligung „die vom Hundertsätze am Kapital oder am Vermögen der Gesellschaften (sic!) zu multiplizieren (sind)“.

VII. Zusammenfassung Die Einfügung des § 1 Abs. 3a GrEStG in das GrEStG bedeutet trotz Verwendung des Begriffs „wirtschaftliche Beteiligung“ nicht, dass auf diesem Wege eine wirtschaftliche Betrachtungsweise in das GrEStG Einzug gehalten hätte. Eine genaue Betrachtung des Gesetzeswortlautes und des § 1 Abs. 3a GrEStG und seines Zusammenspiels mit den § 1 Abs. 2a und 3 GrEStG zeigt vielmehr, dass § 1 Abs. 3a GrEStG eine doppelte Definition enthält, nämlich einerseits eine Definition des Begriffs der „wirtschaftlichen Beteiligung“ und andererseits, einhergehend hiermit, eine Definition dessen, was unter einer nur „mittelbaren“ wirtschaftlichen Beteiligung zu verstehen ist, nämlich die durch Multiplikation der jeweils unmittelbaren Beteiligungsquoten sich ergebende „durchgerechnete“ Beteiligung am Kapital oder am Vermögen der grundbesitzenden Gesellschaft. Anders als § 1 Abs. 2a GrEStG enthält § 1 Abs. 3a GrEStG daher eine Definition, was unter einer mittelbaren Beteiligung zu verstehen ist. Die Rechtsprechung des BFH zu § 1 Abs. 2a GrEStG, wonach sich eine mittelbare Beteiligung jenseits der zivilrechtlichen Ebene auch aus schuldrechtlichen Bindungen des an der Personengesellschaft 925

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unmittelbar beteiligten Gesellschafters ergeben könne, findet daher keine Anwendung. Ganz anders liegt die Sachlage bei § 1 Abs. 3a GrEStG: In dieser Norm findet sich nicht nur eine eindeutige Definition dessen, was unter einer wirtschaftlichen Beteiligung zu verstehen ist, sondern auch, wie bei mehrstufigen Beteiligungsstrukturen die Höhe der nur mittelbaren Beteiligung zu ermitteln ist. Zusammenfassend ist daher festzustellen, dass § 1 Abs. 3a GrEStG zwar einerseits den Begriff der „wirtschaftliche Beteiligung“ verwendet, andererseits aber, abgesehen von der Rechtsfolge, dass bei mehrstufigen Beteiligungsverhältnissen durchzurechnen ist, genau im Gegenteil dazu führt, dass wirtschaftliche Gesichtspunkte bei der Anwendung des § 1 Abs. 3a GrEStG außer Betracht bleiben. Eine wirtschaftliche Betrachtungsweise ist daher nur und ausschließlich im Rahmen des § 1 Abs. 2a GrEStG angezeigt. Für Zwecke des § 1 Abs. 3a GrEStG ist diese unzulässig. Aus der Verwendung des Begriffs „wirtschaftlich“ in § 1 Abs. 3a GrEStG können daher auch keinerlei Rückschlüsse darauf gezogen werden, dass wirtschaftliche Gesichtspunkte durch die Einführung der Norm in 2013 eine gesteigerte Bedeutung erlangt hätten.

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Andreas Schaflitzl / Katrin Laschewski

Von der konzernsteuerrechtlichen Beratungspraxis bis hin zur Versicherungsteuer – Beispiele aus der fachlichen Zusammenarbeit mit Georg Crezelius Inhaltsübersicht

I. Einleitung

II. „Fallstrick“ Sonderbetriebsvermögen bei steuerneutralen Einbringungen nach § 20 UmwStG 1. Steuerrechtliche Problemstellung 2. Einbringung eines Betriebs gem. § 20 UmwStG 3. Grundstücke im Sonderbetriebs­ vermögen 4. Grundstücke des Sonderbetriebs­ vermögens II stellen keine wesentliche Betriebsgrundlage dar III. Der steuerliche Teilbetrieb – ­Herausforderungen in der Praxis und Lösungsansätze 1. Steuerrechtliche Problemstellung 2. Voraussetzungen für eine Qualifi­kation als Teilbetrieb 3. Schuldrechtliche Vereinbarung einer verdeckten Stellvertretung als Surrogat für den Einsatz eigenen Personals IV. Schenkungsteuerliche Begünstigungen für Drittstaatenvermögen, das im Rahmen eines deutschen Sonderbetriebsvermögens gehalten wird





V. Einbringung nießbrauchsbelasteter Anteile an Personengesellschaften nach § 20 UmwStG – Fußangeln in der Praxis 1. Steuerrechtliche Problemstellung 2. Einbringung mit Beendigung des ­bisherigen Nießbrauchs 3. Einbringung bei fortbestehendem Nießbrauch 4. Fortbestehender Nießbrauch stellt ­keine Gegenleistung i.S.v. § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 UmwStG dar

VI. Die Behandlung rechtlich unselb­ ständiger Niederlassungen und ­Betriebstätten für Zwecke der deutschen Versicherungsteuer – zivilrechtliche Betrachtung vs. Prinzip der ­Risikobelegenheit 1. Versicherungsvertrag zwischen ­Drittlands-Versicherer und rechtlich unselbständiger Drittland-Nieder­ lassung bzw. -Betriebstätte 2. Gruppenversicherung zwischen ­Drittlands-Versicherer und deutschem Versicherungsnehmer

I. Einleitung Georg Crezelius ist auf seine Art etwas Besonderes. Vereint er doch im Steuerrecht in nahezu perfekter Art und Weise wissenschaftliche Tugenden mit einer pragmatischen und lösungsorientierten Herangehensweise und einem allzeit scharfen Blick fürs Wesentliche. Geprägt haben mag diese wertvolle Kombination insbesondere die langjährige Tätigkeit des Jubilars als Tagungsleiter des DAI Steuerseminars in Wiesbaden. Wir haben seit gut vier Jahren das Vergnügen, mit Georg Crezelius täglich an verschiedenen Fällen arbeiten zu können. Es ist faszinierend, welch große Bandbreite des 927

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Steuerrechts er mit seinem Wissen abdeckt. Neben seinen klassischen Schwerpunkten im Konzern- und Bilanzsteuerrecht sowie im Recht der Unternehmensnachfolge einschließlich Stiftungsrecht ist er ein wertvoller Ratgeber zu Fragen des internationalen Steuerrechts. Daneben deckt er auch das Grunderwerbsteuerrecht sowie „exotische“ Bereiche, wie etwa das Versicherungsteuerrecht ab. Bei all dieser fachlichen Kompetenz und Expertise hat sich der Jubilar überdies eine offene, humorvolle und sympathische Art erhalten und ist für Jung und Alt ein allzeit geschätzter Diskussionspartner und Ideengeber. Mit unserem nachfolgenden Beitrag wollen wir einen kleinen Einblick in das facettenreiche Wirken des Jubilars in seiner aktuellen Position als Of Counsel einer internationalen Anwaltssozietät geben und ausgewählte Fragestellungen aus der steuerrechtlichen Beratungspraxis vorstellen. Dabei gehen wir auf folgende Themenbereiche ein: −− „Fallstrick“ Sonderbetriebsvermögen bei steuerneutralen Einbringungen nach § 20 UmwStG. −− Der steuerliche Teilbetrieb – Herausforderungen in der Praxis und Lösungsansätze. −− Schenkungsteuerliche Begünstigungen für Drittstaatenvermögen, das im Rahmen eines deutschen Sonderbetriebsvermögens gehalten wird. −− Einbringung nießbrauchsbelasteter Anteile an Personengesellschaften nach §  20 UmwStG – Fußangeln in der Praxis. −− Die Behandlung einer rechtlich unselbständigen Niederlassung für Zwecke der deutschen Versicherungsteuer – zivilrechtliche Betrachtung vs. Prinzip der Risikobelegenheit.

II. „Fallstrick“ Sonderbetriebsvermögen bei steuerneutralen ­Einbringungen nach § 20 UmwStG 1. Steuerrechtliche Problemstellung Die steuerneutrale Behandlung einer Einbringung eines Betriebs nach § 20 UmwStG setzt insbesondere voraus, dass die funktional wesentlichen Betriebsgrundlagen des Betriebs mit einzubringen sind. Grundstücke, die für die betriebliche Tätigkeit genutzt werden und es ermöglichen, den Geschäftsbetrieb aufzunehmen und auszuüben, gehören regelmäßig zu den funktional wesentlichen Betriebsgrundlagen. Zweifelsfragen können sich dabei im Zusammenhang mit Grundstücken ergeben, die im Sonderbetriebsvermögen des Mitunternehmers einer Personengesellschaft gehalten werden, deren Betrieb in eine Kapitalgesellschaft eingebracht wird. Es stellt sich dabei insbesondere die Frage, ob Grundstücke, die als Sonderbetriebsvermögen II qualifizieren, im Rahmen der Einbringung eines Betriebs nach §  20 UmwStG mit einzubringen sind. 928

Aus der Zusammenarbeit mit Georg Crezelius

2. Einbringung eines Betriebs gem. § 20 UmwStG Die Verschmelzung einer Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft stellt aus steuerlicher Sicht eine Einbringung nach § 20 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 Satz 2 UmwStG dar. Gegenstand der Einbringung ist im Falle der Verschmelzung einer Personengesellschaft der Betrieb, nicht der Mitunternehmeranteil an der Personengesellschaft1. Entscheidende Voraussetzung für eine steuerneutrale Behandlung der Einbringung eines Betriebs ist gem. §  20 Abs.  1 UmwStG, dass alle wesentlichen Betriebsgrundlagen übertragen werden2. Unter Berücksichtigung der gebotenen Einzelfallbetrachtung sind wesentliche Betriebsgrundlagen eines Betriebs diejenigen Wirtschaftsgüter, die zur Erreichung des Betriebszwecks erforderlich sind und denen ein besonderes wirtschaftliches Gewicht für die Betriebsführung zukommt3. Die Wesentlichkeit eines Wirtschaftsgutes beurteilt sich nach einer funktionalen Betrachtungsweise. Danach kommt es darauf an, ob das Wirtschaftsgut in dem Unternehmen tatsächlich eingesetzt wird, auf Grund seiner Funktion im Betriebsablauf zur Erreichung des Unternehmenszwecks erforderlich und auch von einem besonderen Gewicht für die Führung des Betriebs ist4. 3. Grundstücke im Sonderbetriebsvermögen Wird der Betrieb einer Personengesellschaft eingebracht, gehören zur Einbringung des Betriebs grundsätzlich auch die wesentlichen Betriebsgrundlagen des Mitunternehmers, die im Betrieb eingesetzt werden und demzufolge Sonderbetriebsvermögen sind5. Es ist dabei jedoch zu differenzieren, ob es sich bei den in Frage stehenden Wirtschaftsgütern um Sonderbetriebsvermögen I oder um Sonderbetriebsvermögen II handelt: Als Sonderbetriebsvermögen I werden die einem Mitunternehmer gehörenden oder steuerlich zuzuordnenden Wirtschaftsgüter bezeichnet, die unmittelbar dem Betrieb der Mitunternehmerschaft dienen6. Als wesentliche Betriebsgrundlagen sind Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens I aber nur dann einzustufen, wenn sie ein wesentliches wirtschaftliches Gewicht für das Unternehmen besitzen7. Dies gilt beispielsweise für Grundstücke, die einer Personengesellschaft unmittelbar von einem Mitunternehmer überlassen werden und die für den Betrieb wirtschaftlich von nicht nur geringer Bedeutung sind. 1 S. BMF, Schr. v. 11.11.2011, BStBl. I 2011, 1314 (UmwSt-Erlass – „UmwStE“), Rz. E 20.05. 2 Vgl. BFH v. 16.2.1996 – I R 183/94, BStBl. II 1996, 342, FR 1996, 500 m. Anm. Kempermann, GmbHR 1996, 549; UmwStE Rz. 20.06; Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, 7. Aufl. 2012, § 20 UmwStG Rz. 40 m.w.N. 3 S. BFH v. 14.7.1993 – X R 74/90, X R 75/90, BStBl. II 1994, 15, FR 1993, 841. 4 Vgl. UmwStE Rz. 20.06; Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 20 UmwStG Rz. 41. 5 Vgl. UmwStE Rz. 20.06. 6 Vgl. BFH v. 14.4.1988 – IV R 271/84, BStBl. II 1988, 667, FR 1988, 420, GmbHR 1988, 407; v. 19.2.1991 – VIII R 65/89, BStBl. II 1991, 789, FR 1991, 488; v. 30.3.1993 – VIII R 8/91, BStBl. II 1993, 864, FR 1993, 781. 7 Vgl. Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 20 UmwStG Rz. 135.

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Wirtschaftsgüter gehören hingegen zum Sonderbetriebsvermögen II, wenn die dem Mitunternehmer gehörenden oder (wirtschaftlich) zuzurechnenden Wirtschaftsgüter unmittelbar zur Begründung oder Stärkung seiner Beteiligung eingesetzt werden8. Dies gilt beispielsweise für Grundstücke, die ein Mitunternehmer einem Dritten entgeltlich überlässt und die von diesem Dritten an die Personengesellschaft weitervermietet werden9. Es ist jedoch zu beachten, dass die Zuordnung eines Wirtschaftsgutes zum Sonderbetriebsvermögen nicht zugleich auch seine funktionale Wesentlichkeit indiziert. Die Bedeutung eines Wirtschaftsguts aus dem Bereich des Sonderbetriebsvermögens ist unter Beachtung der Eigenschaften und Funktionalität des Wirtschaftsgutes und der steuerlichen Besonderheiten des Einbringungsgegenstandes zu beurteilen10. Grundlegend stellt sich zunächst die Frage, ob Sonderbetriebsvermögen II überhaupt eine wesentliche Betriebsgrundlage sein kann. Der BFH hat in einem Urteil zu § 20 UmwStG 1977 die Auffassung vertreten, dass eine Sacheinlage sämtlicher Mitunternehmeranteile zwar grundsätzlich nur dann in den Anwendungsbereich des §  20 UmwStG 1977 fallen kann, wenn auch wesentliche Betriebsgrundlagen des Sonderbetriebsvermögen des einbringenden Mitunternehmers übertragen werden; es soll jedoch etwas anderes gelten, wenn es sich um Wirtschaftsgüter handelt, die der Beteiligung des Gesellschafters an der Gesellschaft förderlich und damit dem Sonderbetriebsvermögen II zuzurechnen sind. Solche Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens II sollen grundsätzlich nicht als wesentliche Betriebsgrundlage anzusehen sein11. Auch Stimmen in der Literatur halten Sonderbetriebsvermögen II nicht für eine wesentliche Betriebsgrundlage, weder bezogen auf den Betrieb einer Mitunternehmerschaft, noch bezogen auf den Anteil des jeweiligen Mitunternehmers, dem das jeweilige Sonderbetriebsvermögen zuzurechnen ist12. Teilweise wird allerdings in der Literatur – jedoch nur für bestimmte Ausnahmefälle – die Ansicht vertreten, dass auch Wirtschaftsgüter des Sonderbetriebsvermögens II wesentliche Betriebsgrundlagen sein können. Zwar weisen zum Sonderbetriebsvermögen II gehörende Wirtschaftsgüter regelmäßig keinen hinreichenden Funktions 8 Vgl. BFH v. 10.11.1994 – IV R 15/93, BStBl. II 1995, 452, FR 1995, 467, GmbHR 1995, 458; v. 1.10.1996  – VIII R 44/95, BStBl.  II 1997, 530, FR 1997, 482, GmbHR 1997, 662; v. 15.10.1998 – IV R 18/98, BStBl. II 1999, 286, FR 1999, 262, GmbHR 1999, 193; v. 23.1.2001 – VIII R 12/99, BFHE 194, 397, BStBl. II 2001, 825, FR 2001, 529; v. 17.11.2011 – IV R 51/08, BFH/NV 2012, 723, FR 2012, 635 m. Anm. Prinz, GmbHR 2012, 702. 9 Vgl. BFH v. 31.3.2008 – IV B 120/07, BFH/NV 2008, 1320. 10 Vgl. Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 20 UmwStG Rz. 136. 11 S. BFH v. 16.2.1996 – I R 183/94, BStBl. II 1996, 342, FR 1996, 500 m. Anm. Kempermann, GmbHR 1996, 549; v. 14.4.1988 – IV R 271/84, BStBl. II 1988, 667, FR 1988, 420, GmbHR 1988, 407. 12 Vgl. Nitzschke, DStR 2011, 1068 (1069); s.a. Widmann in Widmann/Mayer, Umwandlungsrecht, Stand: September 2010, § 20 UmwStG Rz. 30, der die Qualifikation von Wirtschaftsgütern des SBV II als wesentliche Betriebsgrundlage regelmäßig für ausgeschlossen hält.

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zusammenhang auf, sie können aber bei entsprechender funktioneller Bedeutung für das Unternehmen aufgrund Unverzichtbarkeit oder überragender Bedeutung für die Betriebsfortführung ausnahmsweise doch wesentliche Betriebsgrundlagen darstellen. Dies gilt nach Auffassung der Literatur jedoch nur bezogen auf einen Mitunternehmeranteil13. 4. Grundstücke des Sonderbetriebsvermögens II stellen keine wesentliche ­Betriebsgrundlage dar Das Erfordernis einer Mitübertragung des Sonderbetriebsvermögens II kann sich bei der Verschmelzung einer Personengesellschaft auf eine Kapitalgesellschaft gerade nicht daraus ergeben, dass die Grundstücke des Sonderbetriebsvermögens II funktional wesentlich für den Mitunternehmeranteil sind. Denn die Verschmelzung stellt ertragsteuerlich die Einbringung des Betriebs der Personengesellschaft dar und gerade nicht die Einbringung von Mitunternehmeranteilen. Es sind folglich nur die wesentlichen Betriebsgrundlagen des Betriebs der Personengesellschaft einzubringen, die sich im Gesamthandsvermögen der Personengesellschaft befinden. Soweit Grundstücke bei einer Personengesellschaft zum Sonderbetriebsvermögen II gehören, handelt es sich bei diesen nicht um wesentliche Betriebsgrundlagen. Mit Verschmelzung der Personengesellschaft auf eine Kapitalgesellschaft geht zugleich die Mitunternehmerstellung des Gesellschafters der Personengesellschaft unter; dieser erlangt als Gegenleistung im Zuge der Einbringung neue Gesellschaftsanteile an der Kapitalgesellschaft. Die Grundstücke des Sonderbetriebsvermögens bleiben im Alleineigentum des Gesellschafters, verlieren jedoch im Rahmen der Einbringung ihre Eigenschaft als Sonderbetriebsvermögen. Die Einbringung des Betriebs der Personengesellschaft bewirkt gem. § 6 Abs. 5 Satz 2 EStG damit zugleich eine ertragsteuerneutrale Überführung der Immobilien des Sonderbetriebsvermögens aus dem Sonderbetriebsvermögen II des Mitunternehmers bei der Personengesellschaft in das eigene steuerliche Betriebsvermögen des Mitunternehmers.

III. Der steuerliche Teilbetrieb – Herausforderungen in der Praxis und Lösungsansätze 1. Steuerrechtliche Problemstellung Die steuerneutrale Abspaltung von Vermögen einer Kapitalgesellschaft auf eine andere Kapitalgesellschaft setzt insbesondere die Erfüllung des sog. doppelten Teilbetriebserfordernisses voraus. Dabei muss von der übertragenden Kapitalgesellschaft

13 Vgl. Herlinghaus in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, 2. Aufl. 2013, § 20 UmwStG Rz. 110; Menner in Haritz/Menner, 4. Aufl. 2015, § 20 UmwStG Rz. 168; Patt in Dötsch/Pung/Möhlenbrock, § 20 UmwStG Rz. 136; Schmitt in Schmitt/Hörtnagl/Stratz, 7. Aufl. 2016, § 20 UmwStG Rz. 70.

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ein Teilbetrieb auf die übernehmende Kapitalgesellschaft übertragen werden und bei der übertragenden Kapitalgesellschaft zugleich ein Teilbetrieb verbleiben. Bei der Abspaltung einer Vertriebsfunktion setzt die Teilbetriebseigenschaft grundsätzlich voraus, dass die Vertriebsmitarbeiter und die externen Kundenbeziehungen auf die übernehmende Kapitalgesellschaft übergehen. Dies mag in der Praxis häufig nicht gewünscht sein, da die Kunden dies ggf. für eine Neuverhandlung der Konditionen nutzen könnten. Ein Ausweg besteht darin, die entsprechenden Kundenbeziehungen und Mitarbeiter nicht mit zu übertragen und auf diese Weise die Kundenbeziehung nach außen hin wie bisher abzuwickeln. Im Innenverhältnis wird jedoch vereinbart, dass die übertragende Kapitalgesellschaft insoweit auf Rechnung der übernehmenden Kapitalgesellschaft tätig wird. Rechtlich umgesetzt wird dies durch eine entsprechende schuldrechtliche Vereinbarung (verdeckte Stellvertretung/undis­ closed agent). Aus steuerlicher Sicht stellt sich in diesem Fall die Frage, ob das übergehende Vermögen samt verdeckter Stellvertretung als Teilbetrieb angesehen werden kann, also letztlich die verdeckte Stellvertretung die Übertragung der Vertriebsmitarbeiter samt Kundenbeziehungen ersetzen kann. 2. Voraussetzungen für eine Qualifikation als Teilbetrieb Ein Teilbetrieb ist die Gesamtheit der in einem Unternehmensteil einer Gesellschaft vorhandenen aktiven und passiven Wirtschaftsgüter, die in organisatorischer Hinsicht einen selbständigen Betrieb, d.h. eine aus eigenen Mitteln funktionsfähige Einheit, darstellen14. In Anlehnung an das europäische Teilbetriebsverständnis gehören zu einem Teilbetrieb alle funktional wesentlichen Betriebsgrundlagen sowie diesem Teilbetrieb nach wirtschaftlichen Zusammenhängen zuordenbaren Wirtschaftsgüter15. Die Finanzverwaltung hält den Teilbetriebsbegriff nach der Fusionsrichtlinie („FRL“) für die Anwendung der Vorschriften des UmwStG für maßgeblich, wendet aber dennoch (hilfsweise) die einschlägige nationale BFH-Rechtsprechung zur Auslegung des Teilbetriebsbegriffs an16. Dies gilt jedoch nur insoweit, als der speziellere Teilbetriebsbegriff der FRL bzw. der UmwSt-Erlass keine abweichende Auslegung erforderlich macht17. Die Beurteilung der Teilbetriebseigenschaft erfolgt letztlich im Rahmen einer Gesamtschau aller relevanten Merkmale unter Berücksichtigung der einzelnen Branche. Den einzelnen Merkmalen, wie z.B. dem Einsatz eigenen Personals, eigenen Einkaufsbeziehungen, eigenem Kundenstamm, eigenem Marktauftritt, kommt dabei un14 Vgl. Herlinghaus in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, § 20 UmwStG Rz. 61b ff.; Menner in Haritz/Menner, § 20 UmwStG Rz. 90. 15 Vgl. UmwStE Rz. 20.06, 15.02; diese sind zu übertragen, s. UmwStE Rz. 15.07. 16 Vgl. UmwStE Rz. 15.02 mit Verweis auf BFH v. 7.4.2010 – I R 96/08, BStBl. II 2011, 467, FR 2010, 890 m. Anm. Benecke/Staats; GmbHR 2010, 933. 17 Vgl. Schumacher in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, § 15 UmwStG Rz. 122.

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terschiedliche Bedeutung zu, je nachdem, ob es sich um einen Produktions-, Handels-, oder Dienstleistungsbetrieb handelt18. Ein Dienstleistungsbetrieb ist demnach primär vom persönlichen Arbeitseinsatz des Betriebsinhabers bzw. seiner Beschäftigten sowie von den jeweiligen Kundenbeziehungen geprägt. Ein Indiz für die Selbständigkeit eines Betriebsteils ist der Einsatz „verschiedenen Personals“19. Die Rechtsprechung verlangt dabei „ein personelles Eigenleben innerhalb des Gesamtbetriebs“20. Es wird dabei insbesondere vorausgesetzt, dass der jeweilige Teilbetrieb mit Arbeitskräften betrieben wird, der im Rest-Unternehmen nicht eingesetzt wird. Dies wird in der Regel dadurch sichergestellt, dass die für den übergehenden Betriebsteil erforderlichen Mitarbeiter im Rahmen der Abspaltung auf die übernehmende Gesellschaft übergehen. 3. Schuldrechtliche Vereinbarung einer verdeckten Stellvertretung als ­Surrogat für den Einsatz eigenen Personals Oftmals sollen aber in der Praxis gerade konzerninterne Restrukturierungen nicht gegenüber Kunden offengelegt werden, um die bestehende Kundenbeziehung nicht zu stören, d.h. der Abschluss von Verträgen mit den Kunden des abgespaltenen Bereichs soll weiterhin durch die übertragende Gesellschaft, jedoch auf Rechnung der übernehmenden Gesellschaft erfolgen. Dazu verbleiben Mitarbeiter, die im Vertrieb gegenüber den Kunden tätig sind und im Außenverhältnis gegenüber den Kunden auftreten, v.a. sog. Key Account Manager, bei der übertragenden Einheit zurück, werden jedoch im Interesse bzw. auf Rechnung der übernehmenden Gesellschaft auf Basis einer schuldrechtlichen Vereinbarung tätig. Die übertragende Gesellschaft tritt insoweit im eigenen Namen gegenüber den Kunden auf, führt das Geschäft bzw. den Vertrieb der Produkte gegenüber den Kunden jedoch auf Rechnung und im Interesse der übernehmenden Gesellschaft aus. Dies führt zwar dazu, dass diejenigen Vertriebsmitarbeiter, die im direkten Kontakt zu externen Kunden stehen, bei der übertragenden Gesellschaft angestellt bleiben, jedoch auf Rechnung und im Interesse der übernehmenden Gesellschaft tätig werden. In organisatorischer Hinsicht sind diese Mitarbeiter faktisch der übernehmenden Gesellschaft zuzurechnen, als sie auf Basis der Vereinbarung der verdeckten Stellvertretung Vorgaben für ihre Tätigkeit von der übernehmenden Gesellschaft erhalten. Darüber hinaus ist auch das wirtschaftliche Ergebnis ihrer Tätigkeit der übernehmenden Gesellschaft zuzurechnen.

18 Vgl. auch Ropohl, DB 2014, 2673 (2677) mit Verweis auf BFH-Rechtsprechung; BFH v. 5.6.2003 – IV R 18/02, BStBl. II 2003, 939, FR 2003, 1181 m. Anm. Wendt; v. 24.8.1989 – IV R 120/88, BStBl. II 1990, 55, FR 1990, 86; Herlinghaus in Rödder/Herlinghaus/van Lishaut, § 20 UmwStG Rz. 63. 19 Vgl. BFH v. 12.4.1989 – I R 105/85, BStBl. II 1989, 653, FR 1989, 494. 20 Vgl. BFH v. 12.12.2013 – X R 33/11, BFH/NV 2014, 693; v. 18.6.1998 – IV R 56/97, BStBl. II 1998, 735, FR 1998, 1004; Geissler in Herrmann/Heuer/Raupach, § 16 EStG Rz. 144 (Stand: März 2013).

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Im Ergebnis kann aus unserer Sicht das Kriterium des eigenen Personals auch dann als erfüllt angesehen werden, wenn die Tätigkeit der übernehmenden Gesellschaft wirtschaftlich auf Basis einer schuldrechtlichen Vereinbarung in Form einer verdeckten Stellvertretung zuzurechnen ist.

IV. Schenkungsteuerliche Begünstigungen für Drittstaatenvermögen, das im Rahmen eines deutschen Sonderbetriebsvermögens gehalten wird Der Jubilar ist bekannt als Experte zu Fragen der Erbschaft- und Schenkungsteuer. Dieser Bereich ist und bleibt ein zentraler Aspekt bei der langfristigen Vermögensund Nachfolgeplanung. Insbesondere bei grenzüberschreitenden Sachverhalten stellen sich sowohl Probleme in Bezug auf die verschiedenen Anknüpfungspunkte der Steuerpflicht, als auch in Bezug auf die Begünstigungsfähigkeit von ausländischem Betriebsvermögen. Auch nach der Erbschaftsteuerreform 2016 kann der Erwerb von Betriebsvermögen unter bestimmten Voraussetzungen weiterhin steuerlich begünstigt sein, vgl. §§ 13a und 13b ErbStG. Begünstigungsfähig ist neben dem Erwerb von inländischem Betriebsvermögen auch entsprechendes Betriebsvermögen in einem Mitgliedstaat der EU oder einem EWR-Staat21. Nicht begünstigungsfähig ist jedoch der Erwerb von direkt gehaltenem Drittstaatenvermögen22. Es stellt sich die Frage, ob eine direkt gehaltene Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft mit Sitz im Drittstaat (Beteiligungshöhe mehr als 25 %) begünstigungsfähiges Vermögen darstellt, wenn diese im Rahmen eines inländischen Sonderbetriebsvermögens eines Gesellschafters (Mitunternehmers) gehalten wird. Der koordinierte Ländererlass vom 22.6.2017 enthält hierzu folgende Aussagen: Ausländisches Betriebsvermögen in Drittstaaten kann begünstigungsfähig sein, wenn es als Beteiligung an einer Personengesellschaft oder Anteile an einer Kapitalgesellschaft Teil einer wirtschaftlichen Einheit des Betriebsvermögens im Inland, in einem Mitgliedstaat der EU oder in einem EWR-Staat ist23. Anteile an einer Kapitalgesellschaft mit Sitz in einem Drittstaat, die zum Vermögen einer Personengesellschaft gehören, stellen begünstigungsfähiges Betriebsvermögen dar. Offen bleibt, ob es sich um Gesamthandsvermögen der Personengesellschaft handeln muss, oder eine Zuordnung zum steuerlichen Sonderbetriebsvermögen im Rahmen der inländischen Mitunternehmerschaft ausreichend ist. Unseres Erachtens ist dies der Fall: 21 Vgl. Abschn.  13b.5 Abs.  1 und Abs.  4 Satz  1 Koordinierte Ländererlasse vom 22.6.2017 („Erbschaftsteuer, Koordinierte Ländererlasse vom 22.6.2017, Anwendung der geänderten Vorschriften des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes“, BStBl. I 2017, 902). 22 Vgl. Abschn. 13b.5 Abs. 4 Satz 2 Koordinierte Ländererlasse vom 22.6.2017. 23 Vgl. Abschn. 13b.5 Abs. 4 Satz 4 Koordinierte Ländererlasse vom 22.6.2017.

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Zum inländischen Betriebsvermögen einer Mitunternehmerschaft gehört grundsätzlich auch das Sonderbetriebsvermögen. Daher sollten auch im Sonderbetriebsvermögen gehaltene Beteiligungen an in- und ausländischen Kapitalgesellschaften indirekt begünstigt sein, wenn sie dem inländischen Betriebsvermögen zuzurechnen sind und der Erwerb der Beteiligung aus dem Sonderbetriebsvermögen unmittelbar mit dem Erwerb einer Gesellschaftsbeteiligung verbunden ist24. Es kommt dabei weder auf den Sitz, noch auf die Geschäftsleitung oder die Belegenheit des Vermögens der Kapitalgesellschaft an. Dies scheint auch die Finanzverwaltung so zu sehen. Denn aus Abschnitt  13b.20 Abs.  2 des Koordinierten Ländererlasses vom 22.6.2017 ergibt sich, dass Anteile, die im Sonderbetriebsvermögen gehalten werden, zu berücksichtigen sind. Allerdings setzt die Zugehörigkeit zum begünstigungsfähigen Betriebsvermögen voraus, dass die Beteiligungsquote jeweils mehr als 25 % betragen muss und die Quote für jeden Mitunternehmer einzeln und getrennt nach Gesamthands- und Sonderbetriebsvermögen zu prüfen ist. Unseres Erachtens sollte die Beteiligungsquote dagegen irrelevant sein25. Denn das Sonderbetriebsvermögen ist Teil des begünstigungsfähigen Mitunternehmeranteils, ohne dass es auf weitere Voraussetzungen ankommen kann. Fehlt es hingegen an der Verknüpfung des Erwerbs der Beteiligung aus dem Sonderbetriebsvermögen mit dem unmittelbaren Erwerb einer Gesellschaftsbeteiligung, ist die Begünstigungsfähigkeit der zum Sonderbetriebsvermögen gehörenden Anteile selbständig zu prüfen.

V. Einbringung nießbrauchsbelasteter Anteile an Personen­ gesellschaften nach § 20 UmwStG – Fußangeln in der Praxis 1. Steuerrechtliche Problemstellung Nach §§  1030, 1068  ff. BGB kann an einem Personengesellschaftsanteil ein Nießbrauch bestellt werden. Der Nießbraucher ist dann berechtigt, die Nutzungen aus dem Recht, d.h. aus der personengesellschaftsrechtlichen Beteiligung, zu ziehen. Erfolgt eine Umwandlung der Personengesellschaft in eine Kapitalgesellschaft, liegt steuerlich eine Einbringung der nießbrauchsbelasteten Mitunternehmeranteile in eine Kapitalgesellschaft nach § 20 UmwStG vor. Es ist zu prüfen, ob eine derartige Einbringung auch im Hinblick auf den Nießbrauch steuerneutral möglich ist. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Nießbrauch steuerlich verschiedenartig behandelt wird. Je nach Ausgestaltung des Nießbrauchs kann der Nießbrauchsbegünstigte selbst als steuerlicher Mitunternehmer anzusehen sein, mit der Folge, dass er die Erträge des Nießbrauchs als gewerbliche Einkünfte nach § 15 EStG versteuert. Möglich ist auch eine Strukturierung des Nießbrauchs dergestalt, dass die nießbrauchsbelaste24 Vgl. Abschn. 13b.5 Abs. 3 Satz 9 Koordinierte Ländererlasse vom 22.6.2017; Stalleiken in von Oertzen/Loose, 2017, § 13b ErbStG Rz. 31; Wachter in Fischer/Jüptner/Pahlke/Wachter, 5. Aufl. 2014, § 13b ErbStG Rz. 41; Weinmann in Moench/Weinmann, § 13b ErbStG Rz. 24 u. 45 (Stand: März 2017). 25 So auch Fischer in Fischer/Jüptner/Pahlke/Wachter, § 3 ErbStG Rz. 251.

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ten Gesellschafter die Erträge des Nießbrauchs als Mitunternehmer versteuern und die Weitergabe an den Nießbrauchsbegünstigten einen Vorgang der nicht steuerbaren privaten Vermögenssphäre nach § 12 EStG darstellt. Bei Fortbestehen eines Nießbrauchs ist zudem fraglich, ob dies eine schädliche Gegenleistung i.S.d. § 20 Abs. 2 Nr. 4 UmwStG darstellt, die insoweit zu einer steuerpflichtigen Gewinnrealisierung führt. 2. Einbringung mit Beendigung des bisherigen Nießbrauchs Wird ein Mitunternehmeranteil in eine Kapitalgesellschaft eingebracht und erhält der einbringende Mitunternehmer dafür neue Anteile an der aufnehmenden Kapitalgesellschaft, dann ist grundsätzlich der Anwendungsbereich des § 20 UmwStG eröffnet. Der übernehmende Rechtsträger hat das eingebrachte Vermögen mit dem gemeinen Wert anzusetzen, wobei nach § 20 Abs. 2 Satz 2 UmwStG das übernommene Betriebsvermögen auf Antrag mit dem Buchwert oder einem Zwischenwert angesetzt werden kann, sofern die weiteren Voraussetzungen des § 20 Abs. 2 Satz 2 Nrn. 1–4 UmwStG erfüllt sind. Ist auch der Nießbraucher Inhaber einer mitunternehmerischen Position i.S.v. § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, dann dürfte eine steuerneutrale Behandlung nach § 20 Abs. 1 UmwStG unseres Erachtens voraussetzen, dass auch der bisherige Nießbraucher am Personengesellschaftsanteil aufgrund der Einbringung neue Anteile an der übernehmenden Kapitalgesellschaft erhält. Es wird die Ansicht vertreten, dass sich der Nießbrauch an den neuen Anteilen an der übernehmenden Kapitalgesellschaft fortsetzt26. Werden dem Nießbraucher zusätzlich keine Gesellschaftsrechte an der Kapitalgesellschaft gewährt, bleibt er also lediglich Nießbraucher an der kapitalgesellschaftsrechtlichen Beteiligung, kommt es nach unserer Auffassung in der Person des Nießbrauchers bzw. Mitunternehmers zu einer steuerpflichtigen Gewinnrealisierung. Denn es liegt eine Betriebsaufgabe nach § 16 Abs. 3 Satz 1 EStG oder ein tauschähnlicher Veräußerungsvorgang i.S.v. § 16 Abs. 1 Nr. 2 EStG vor. Der Nießbrauch an einer kapitalgesellschaftsrechtlichen Beteiligung kann keine Mitunternehmerposition vermitteln. Der Nießbraucher erzielt dann keine Einkünfte mehr i.S.v. § 15 EStG, sondern Kapitaleinkünfte nach § 20 EStG. 3. Einbringung bei fortbestehendem Nießbrauch Unseres Erachtens ist es zivilrechtlich möglich, zu vereinbaren, dass sich der Nießbrauch an dem Personengesellschaftsanteil in der Weise fortsetzen soll, dass künftig die aufnehmende Kapitalgesellschaft als Inhaberin des Mitunternehmeranteils mit dem Nießbrauch belastet ist. In diesem Fall ist zunächst zu prüfen, ob der Vorgang als steuerpflichtige Beendigung (bzw. Tausch) des bisherigen Nießbrauchs anzusehen ist.

26 Vgl. Baßler, Ubg 2011, 863 (868).

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Dafür könnte insbesondere sprechen, dass der Nießbrauch nach §§ 1059 Satz 1, 1068 Abs. 2 BGB nicht übertragbar ist. Die Nichtübertragbarkeit des Nießbrauchs bezieht sich jedoch allein auf die Person des Nießbrauchers. Demgegenüber bleibt bei Fortbestehen des Nießbrauchs bei der Kapitalgesellschaft das Substrat des Nießbrauchs dasselbe und lediglich der Inhaber der mitunternehmerischen Beteiligung wird ausgetauscht. Die Nießbrauchsbelastung klebt quasi dinglich an den Anteilen, unabhängig davon, wer Gesellschafter ist. Durch den Nießbrauch an einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung – dabei kann es sich um eine personengesellschaftsrechtliche, aber auch um eine kapitalgesellschaftsrechtliche Beteiligung handeln – wird das Mitgliedschaftsrecht im Ganzen belastet. Daraus folgt, dass eine Verfügung über das Mitgliedschaftsrecht das Recht des Nießbrauchers nicht berührt27. Der dingliche Charakter des Nießbrauchs gibt dem Nießbraucher das Recht, einen eigenen Anspruch gegenüber demjenigen geltend zu machen, dem zivilrechtlich die mitunternehmerische Beteiligung zuzuordnen ist. Aufgrund der Qualifikation als dingliche Belastung des Mitgliedschaftsrechts, bleibt der Nießbrauch im Fall einer Übertragung der Beteiligung daher bestehen28. Der Nießbrauch bleibt insofern unseres Erachtens auch nach einer Einbringung des Mitunternehmeranteils gem. § 20 UmwStG bestehen, so dass sich die ertragsteuerrechtliche Situation für den mitunternehmerischen Nießbraucher nicht verändert. 4. Fortbestehender Nießbrauch stellt keine Gegenleistung i.S.v. § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 UmwStG dar Bei Fortbestehen des Nießbrauchs stellt sich außerdem die Frage, ob die aufnehmende Kapitalgesellschaft, die nunmehr Kommanditistin eines nießbrauchsbelasteten Anteils wird, mit der Übernahme der Nießbrauchsbelastung eine Gegenleistung i.S.d. § 20 Abs. 2 Nr. 4 UmwStG an den Personengesellschafter/nunmehrigen Kapitalgesellschafter erbracht hat. Nach § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 UmwStG kann es zu einer schädlichen Gegenleistung kommen, wenn neben den dem Einbringenden gewährten neuen Gesellschaftsanteilen (§ 20 Abs. 1 UmwStG) für seine Sacheinlage andere Gegenleistungen (so die Regelungen in der neuen Fassung nach dem StÄndG 2015) gewährt werden. Dabei ist auffällig, dass der Gesetzgeber durch das StÄndG 2015 in § 20 Abs. 2 Satz 2 Nr. 4 und Abs. 2 Satz 4 UmwStG den Begriff „andere Wirtschaftsgüter“ durch den Begriff „sonstige Gegenleistungen“ ersetzt hat, demgegenüber in § 20 Abs. 3 Satz 3 UmwStG weiterhin von anderen Wirtschaftsgütern gesprochen wird. Es ist davon auszugehen, dass mit dem Begriff der „sonstigen Gegenleistungen“ auch Fälle erfasst werden sollen, in welchen die übernehmende Kapitalgesellschaft nicht 27 Vgl. Pohlmann in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2017, § 1068 Rz. 38. 28 Vgl. Pohlmann in MünchKomm/BGB, 7. Aufl. 2017, § 1068 Rz. 39; Schön, ZHR 1994, 229 (267).

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ein Wirtschaftsgut gewährt, sondern Leistungen zusagt29. Das führt im Ergebnis dazu, dass Leistungen im weitesten Sinne an den einbringenden Personengesellschafter in den Anwendungsbereich des § 20 Satz 2 Nr. 4 UmwStG geraten können. Wird von diesem weiten Verständnis der „sonstigen Gegenleistungen“ ausgegangen, dann könnte argumentiert werden, dass es sich um eine Leistung an den bisherigen Personengesellschafter und nunmehrigen Kapitalgesellschafter in der Weise handelt, dass er zukünftig von der „Nießbrauchsverpflichtung“ frei wird, weil diese dann von der aufnehmenden Kapitalgesellschaft zu tragen ist. Das ist allerdings aus mehreren Gründen nicht überzeugend: Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass dem bisherigen Personengesellschafter kein Anspruch gegen die aufnehmende Kapitalgesellschaft eingeräumt wird30. Im Übrigen besteht auch keine Verpflichtung der aufnehmenden Kapitalgesellschaft, weil sich die Nießbrauchsbelastung als dingliches Recht nicht als schuldrechtliche Verpflichtung begreifen lässt. Wird allein auf den Charakter des Nießbrauchs an dem Personengesellschaftsanteil als dingliche Belastung abgestellt, dann sollte eine „Nettobetrachtung“ gelten, die dazu führt, dass der nach § 20 Abs. 1 UmwStG eingebrachte Mitunternehmeranteil unter Einschluss/Abzug der Nießbrauchsbelastung zu beurteilen ist. Der dingliche Charakter der Nießbrauchsbelastung führt dazu, dass der Anspruch des Nießbrauchers nur für Gewinnanteile aus dem eingebrachten Personengesellschaftsanteil besteht und daher nicht als eine wie auch immer zu verstehende „Gegenleistung“ der aufnehmenden Kapitalgesellschaft an den Einbringenden zu beurteilen ist. Abschließend sollte eine Gegenleistung auch deshalb zu verneinen sein, weil vor dem Umstrukturierungsvorgang der Mitunternehmeranteil des Einbringenden um den Gewinnanteil des Nießbrauchers zu kürzen war und sich diese wirtschaftliche Position auch nach der Umstrukturierung ergibt. Es ist nämlich zu berücksichtigen, dass bei Fortbestehen der Nießbrauchsbelastung bei der übernehmenden Kapitalgesellschaft der ihr zustehende Gewinnanteil aus der (Tochter-) Personengesellschaft zugleich dazu führt, dass das Dividendenausschüttungspotential zu Lasten des Einbringenden i.S.d. § 20 UmwStG gekürzt wird. Damit wird im Ergebnis aus der unmittelbaren Belastung des Personengesellschaftsanteils eine mittelbare Belastung des erhaltenen Kapitalgesellschaftsanteils, so dass auch aus diesem Grunde eine Gegenleistung an den Einbringenden abzulehnen ist.

29 Vgl. Widmann/Mayer, § 20 UmwStG Rz. 580. 30 Vgl. dazu das Beispiel zur sonstigen Gegenleistung bei Widmann/Mayer, a.a.O.

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VI. Die Behandlung rechtlich unselbständiger Niederlassungen und ­Betriebstätten für Zwecke der deutschen Versicherungsteuer – zivilrechtliche Betrachtung vs. Prinzip der Risikobelegenheit Den Fragen zum internationalen Versicherungsteuerrecht wird bislang in der Rechtsprechung und im Schrifttum wenig Aufmerksamkeit entgegengebracht. Der Jubilar selbst hat die Versicherungsteuer jüngst als terra incognita des Steuerrechts bezeichnet31. Dabei ergeben sich eine Reihe von interessanten Abgrenzungsproblemen, die in der Beratungspraxis zu Rechtsunsicherheit führen. Der nachfolgende Beitrag geht auf offene Fragen der Besteuerung rechtlich unselbständiger Niederlassungen und Betriebstätten im Ausland ein. Das deutsche Versicherungsteuergesetz regelt in § 1 Abs. 2 und 3 VersStG die Anknüpfungspunkte für Auslandsrisiken. Beide Absätze wurden mit Wirkung zum 1.1.2013 durch das VerkehrStÄndG neu gefasst32. § 1 Abs. 2 VersStG beruht auf europäischem Recht und betrifft Versicherungsverhältnisse mit im EU/EWR-Gebiet niedergelassenen Versicherern. Anknüpfungspunkte für die deutsche Versicherungsteuerpflicht sind danach im Falle einer natürlichen Person als Versicherungsnehmer der inländische Wohnsitz und in anderen Fällen der Sitz des Unternehmens, die Betriebstätte, oder die entsprechende Einrichtung, auf die sich das Versicherungsverhältnis bezieht, im Inland. Es wird also in Konzernfällen auf den Ort der Risikobelegenheit abgestellt. § 1 Abs. 3 VersStG betrifft Versicherungsverträge mit im Drittland niedergelassenen Versicherern. Danach wird für die deutsche Versicherungsteuerpflicht auf den inländischen Sitz des Versicherungsnehmers abgestellt. Durch das VerkehrStÄndG ist in § 1 Abs. 3 Nr. 3 VersStG eine Neuregelung aufgenommen worden. Diese ordnet eine Steuerbarkeit nach deutschem Recht an, wenn sich das Versicherungsverhältnis auf ein Unternehmen, eine Betriebstätte, oder sonstige Einrichtung im Geltungsbereich dieses Gesetztes unmittelbar, oder mittelbar bezieht. Betroffen sind also insbesondere Fallkonstellationen, in denen inländische Risiken durch ausländische Konzerngesellschaften bei Drittlands-Versicherern abgesichert sind. Während der Gesetzgeber in § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VersStG das Prinzip des Belegenheitsortes des Risikos umsetzt und damit im EU/EWR-Gebiet die Gefahr von Doppelbesteuerungen vermeidet, kann es in Drittlands-Fällen wegen der dort gewählten Anknüpfungspunkte zu einer Doppelbesteuerung kommen, die u.E. nicht gerechtfertigt ist33. Dies soll anhand der folgenden Beispiele veranschaulicht werden.

31 Vgl. Crezelius in FS Haarmann, 2015, 429 (429). 32 Vgl. Medert/Axer/Voß, 2015, § 1 VersStG Rz. 12 ff. 33 Vgl. Grünwald/Dallmayr, 2016, § 1 VersStG Rz. 180 ff.

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1. Versicherungsvertrag zwischen Drittlands-Versicherer und rechtlich ­unselbständiger Drittland-Niederlassung bzw. -Betriebstätte Zu untersuchen ist zunächst der Fall, in dem eine Auslandsniederlassung eines in Deutschland gelegenen Stammhauses mit einem Drittland-Versicherer einen Versicherungsvertrag nach ausländischem Recht schließt. Dabei kann es sich beispielsweise um eine Kreditausfallversicherung handeln, mit der Kreditrisiken der Auslands­ niederlassung abgesichert werden. Nach deutschem zivilrechtlichen Verständnis fehlt es einer Niederlassung oder Betriebstätte an einer eigenen rechtlichen Selbstständigkeit. Bei dieser Betrachtung wäre nicht die Niederlassung, sondern das deutsche Stammhaus als Versicherungsnehmer anzusehen. Nach § 1 Abs. 3 Nr. 1 VersStG unterlägen die Prämienzahlungen für die Kreditausfallversicherung der deutschen Versicherungsteuer. Der Gesetzgeber knüpft in § 1 Abs. 3 Nr. 1 VersStG formal an die Ansässigkeit des Versicherungsnehmers an34. Als Folge kann sich eine Doppelbesteuerung ergeben, wenn das Versicherungsrecht des Drittstaats auf den Belegenheitsort des versicherten Risikos abstellt. Dies ist häufig der Fall. Zu einer derartigen Doppelbesteuerung kann es in einer vergleichbaren Konstellation mit einem EU-/EWR-Versicherer nicht kommen. Denn in diesem Fall stellt § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VersStG auf den Ort der Risikobelegenheit ab. Der Ort der Risikobelegenheit ist nach Rechtsprechung des EuGH in § 1 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 VerStG nach konkreten und physischen Merkmalen zu bestimmen, es ist nicht auf rechtliche Merkmale abzustellen35. Dieser Bestimmung der Risikobelegenheit folgt auch der BFH36. Damit wäre das Risiko eines Kreditausfalls dem Ort der Niederlassung zuzurechnen. Unseres Erachtens ist diese Ungleichbehandlung nicht zu rechtfertigen: Die Versicherungsteuer ist wie die Umsatzsteuer eine Verkehrsteuer. Verkehrsteuern ist eine Anknüpfung an ein Steuersubjekt, ohne Bezugnahme auf die Belegenheit des versicherten Risikos, jedoch fremd. Gegen eine formale Auslegung des Begriffes des Versicherungsnehmers in § 3 Abs. 1 VersStG spricht darüber hinaus auch die Einführung des § 1 Abs. 3 Nr. 3 VersStG. Dort bejaht der Gesetzgeber eine Steuerbarkeit bei einer Risikobelegenheit im Inland auch dann, wenn der Versicherungsvertrag zwischen einem Drittland-Versicherer und einem nicht in Deutschland ansässigen Versicherungsnehmer geschlossen wird. In der Gesetzesbegründung zu der neu eingeführten Vorschrift wird explizit darauf hingewiesen, dass das Grundprinzip der Risikobelegenheit in Drittlands-Fällen nun ausdrücklich gesetzlich geregelt werde37.

34 Medert/Axer/Voß, § 1 VersStG Rz. 343; Schmidt, 2015, § 1 VersStG Rz. 18, 75. 35 S. EuGH v. 14.6.2001 – C-191/99 – Kvaerner, Sgl. 2002, I-4447 – BeckRS 2004, 74833. 36 Vgl. BFH v. 11.12.2013  – II R 53/11, BStBl.  II 2014, 352; Medert/Axer/Voß, §  1 VersStG Rz. 230, 392, 314 ff. 37 Vgl. BT-Drucks. 17/10039, 17.

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Das Prinzip der Risikobelegenheit sollte daher das vorherrschende Anknüpfungskriterium sein. Das Prinzip der Risikobelegenheit entspricht folglich dem inneren System des Versicherungsteuergesetzes, so dass der Wortlaut des § 1 Abs. 3 Nr. 1 VersStG teleologisch zu reduzieren sei38. 2. Gruppenversicherung zwischen Drittlands-Versicherer und deutschem ­Versicherungsnehmer Hier schließt die inländische Muttergesellschaft als Versicherungsnehmerin mit einem Drittlands-Versicherer einen Versicherungsvertrag, mit dem Risiken der gesamten Konzerngruppe versichert sind, z.B. im Rahmen einer D&O Versicherung. Die Prämienzahlungen der Muttergesellschaft werden nach einem (ertragsteuerlich anzuerkennenden) Zuteilungsschlüssel an die ausländischen Tochtergesellschaften weiterbelastet. Anknüpfungspunkt für die deutsche Versicherungsteuer ist in dieser Fallkonstellation ebenfalls § 1 Abs. 3 Nr. 1 VersStG. Danach unterliegt die von der Muttergesellschaft gezahlte Prämie der deutschen Versicherungsteuer. Bislang ungeklärt ist jedoch die Frage, ob die an die ausländischen Tochtergesellschaften weiterbelasteten anteiligen Versicherungsprämien zu einer Kürzung der Bemessungsgrundlage (Versicherungsentgelt gem. § 3 Abs. 1 VerStG) führen. Das Versicherungsteuergesetz enthält hierzu keine ausdrückliche Regelung. Unseres Erachtens ist aus den nachfolgenden Gründen eine Kürzung vorzunehmen: Neben den bereits angeführten Kritikpunkten an der formellen Auslegung des §  1 Abs. 3 Nr. 1 VersStG ist die im Steuerrecht grundsätzlich anzuwendende wirtschaftliche Betrachtungsweise zu berücksichtigen. Typischerweise werden die vom Versicherungsnehmer (Muttergesellschaft) zu zahlenden Versicherungsprämien an die mitversicherten Personen (Konzerngesellschaften) im Drittland weiterbelastet. Der formale Versicherungsnehmer fungiert insoweit lediglich als Zahlstelle für die versicherten Personen und leitet die entsprechenden Prämien an den Versicherer weiter. Die Abkehr von einer rein formalen Betrachtungsweise ergibt sich bereits aus dem Versicherungsvertragsrecht selbst: Nach der versicherungsvertraglichen Figur des Vertrages für „wen es angeht“ gem. § 48 VVG können die Parteien bei Vertragsschluss sogar unbestimmt lassen, ob der Versicherungsnehmer selbst, oder ein Dritter versichert sein soll. Erst im Schadensfall muss der Träger des versicherten Interesses festzustellen sein. An dieser Behandlung ändert u.E. auch eine kürzlich veröffentlichte Entscheidung des BFH39 zur Bemessung des Versicherungsentgelts nichts. Im Urteilsfall hatte ein Reiseveranstalter als Versicherungsnehmer mit dem Versicherer einen Vertrag über die Verschaffung von Reiseversicherungsschutz für Kunden der Reiseveranstalter ge38 Vgl. Crezelius in FS Haarmann, 2015, 429 (438). 39 BFH v. 7.12.2016 – II R 1/15, BFHE 256, 534, BStBl. II 2017, 360, DStR 2017, 783, VersR 2017, 1168.

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schlossen. Diese Reiseversicherungen wurden fortan vom Reiseveranstalter an dessen Kunden vertrieben. Die Höhe der Verkaufspreise (sog. Nettoprämien) wurden zwischen Versicherer und Reiseveranstalter abgesprochen und waren für den Reiseveranstalter verbindlich. Die Reisenden entrichteten dann an den Reiseveranstalter zzgl. zur Nettoprämie noch einen Verkaufsaufschlag (sog. Bruttoprämie). Dieser wurde vom Reiseveranstalter einbehalten. Gegenüber den Reisenden wurde nicht offengelegt, wie sich die Verkaufspreise zusammensetzten. Der BFH stellt in einer derartigen Konstellation für die Bestimmung des Versicherungsentgelts auf die entrichtete Bruttoprämie ab. Ausnahmsweise sei dies wegen der Besonderheiten der Vertriebsform angezeigt. Im vorliegenden Fall fungiert die Muttergesellschaft dagegen nicht als Vertriebseinheit für die Gruppenversicherungsverträge. Vielmehr wird ein Gruppenversicherungsvertrag abgeschlossen, mit dem zugleich in einem von vornherein feststehenden Umfang die Risiken der ausländischen Tochtergesellschaften mitversichert sind.

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Die steuerliche Bewertung von Kunst Inhaltsübersicht

I. Überraschende Einsichten 1. Sex, Sozialprestige und Steuern 2. Strukturelle Parallelen 3. Agenda

II. Kunstsachverständige Bewertung von Kunst 1. Anlageklasse „Emotional Assets“ 2. Bewertungsanlässe 3. Preisbildende Faktoren 4. Bewerten heißt vergleichen 5. Prozedurale Aspekte

III. Steuerliche Bewertung von Kunst 1. Steuerliche Wertbegriffe und ­Bewertungsanlässe 2. Der gemeine Wert 3. Der Teilwert 4. Der Vertragswert 5. Vorsichtige Bewertung, Günstiger­ prinzip und Erstbewertungspflicht 6. Verfahrensfragen IV. Es bleibt viel zu tun 1. Zusammenfassung 2. Steuern, Staudinger und Vergnügen

I. Überraschende Einsichten 1. Sex, Sozialprestige und Steuern „Männer, die Kunst sammeln, haben meistens Übergewicht, schlechte Manieren und sind oft im Bordell“1. In der kunstsoziologischen Analyse des Sammelns von Kunst sind Wünsche nach Sex, Freundschaft, Geselligkeit, Sozialprestige einerseits, Kaufsucht im Sinne einer pathologischen Zwangsstörung2 andererseits als Motive für das Sammeln von Kunst bekannt3. Bei Kunstsoziologen und Kunsthistorikern weniger verbreitet ist die Erkenntnis, dass ein starkes Motiv für den Erwerb von Kunstwerken auch in der Erlangung steuerlicher Vorteile und Optimierungen liegen kann4. Bei Kunstsammlern ist dies allerdings durchaus bekannt, und wir dürfen vermuten, dass Kunst als alternative Investmentklasse auch aufgrund steuerlicher Überlegungen an Attraktivität gewinnt5. 1 Biller, 39 Gründe, nicht Kunst zu sammeln, Grund Nr. 19, in: Faces, März 2005, 36. 2 Symptomatisch – und pro domo – Boll, Die Zeit vom 23.2.2017, 46: „Und je mehr Kunst man hat, desto mehr Kunst will man haben. Das sind Phänomene, die unabhängig von Preiskategorien funktionieren.“ 3 Ausführlicher Saehrendt, Neue Zürcher Zeitung, 9.9.2017, 23. 4 Eine Ausnahme stellt insoweit Julia Voss dar, die steuerliche Vorteile und Anreize als einen wesentlichen sozioökonomischen Faktor für Kunstsammlung und Museen hervorhebt, s. beispielsweise ihren Beitrag „Öffentliche Museen und private Sammler – Konkurrenz oder Symbiose?“ in Graf Kanitz, Schüppen & Partner (Hrsg.), Kunst und Steuern (2016), 11, oder ihre 2015 erschienene Monografie „Hinter weißen Wänden – behind the white cube“. 5 Die tatsächliche Bedeutung steuerlicher Aspekte für den Kunstmarkt ist empirisch bisher nicht erforscht, aber wohl kaum zu überschätzen, vgl. symptomatisch den Bericht über eine Entscheidung des Schweizer Bundesgerichts, Neue Zürcher Zeitung vom 31.12.2016, 19,

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Insbesondere das Erbschaftsteuerrecht6 hält interessante Befreiungs- und Sonder­ vorschriften für Kunstwerke und Kunstsammlungen bereit. Kunstgegenstände und Kunstsammlungen sind unter bestimmten Voraussetzungen zu  60  % steuerbefreit; werden zusätzliche Anforderungen erfüllt, kommt auch eine Steuerbefreiung in vollem Umfang in Betracht (§ 13 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG). Erforderlich ist für eine partielle Steuerbefreiung, dass −− die Erhaltung der Kunstwerke wegen ihrer Bedeutung für Kunst, Geschichte oder Wissenschaft im öffentlichen Interesse liegt, −− die mit dem Kunstwerk verbundenen jährlichen Kosten in der Regel die erzielten Einnahmen übersteigen und −− die Gegenstände den Zwecken der Forschung oder der Volksbildung nutzbar gemacht sind oder werden. Eine vollständige Steuerbefreiung (100 %) erfordert über diese Bedingungen hinaus, dass −− der Steuerpflichtige bereit ist, die Gegenstände den Bestimmungen der Denkmalspflege zu unterstellen und −− die Kunstwerke sich seit mindestens 20 Jahre im Besitz der Familie befinden oder im Verzeichnis national wertvollen Kulturguts nach der jeweils geltenden Fassung des Kulturgüterschutzgesetzes eingetragen sind. Sowohl die partielle als auch die vollständige Steuerbefreiung kommen bei Erfüllung dieser Voraussetzungen sowohl im Schenkungs- als auch im Erbschaftsfall zur Anwendung. Die Steuerbefreiung entfällt rückwirkend, wenn die Gegenstände innerhalb von 10 Jahren nach dem Erwerb veräußert werden oder eine der Voraussetzungen für die Steuerbefreiung innerhalb dieses Zeitraums nicht mehr eingehalten ist. Mit der jüngsten Erbschaftsteuerreform7 hat die Steuerbefreiung weiter an Bedeutung gewonnen, weil für im Betriebsvermögen gehaltene Kunstgegenstände, die nach wie vor gem. § 13b Abs. 4 Nr. 3 ErbStG zum Verwaltungsvermögen gehören, auch bei einer Verwaltungsvermögensquote von weniger als 50 % nicht mehr die Begünstigung für Betriebsvermögen in Anspruch genommen werden kann.8 über den Milliardär, Devisenhändler, Kunstsammler und Hotelier Urs E. Schwarzenbach, der nach Auffassung der Schweizer Behörden 10 Millionen SFr Mehrwertsteuern, 3 Millionen SFr Buße wegen Mehrwertsteuerhinterziehung und 110 Millionen SFr Nachsteuern wegen Einkünften aus nicht deklariertem Kunsthandel zahlen soll. Siehe auch Vivien Stein, Heinz Berggruen – Leben und Legende (2011), die deutlich macht, dass ertrag- und umsatzsteuerliche Motive für das Verhalten dieses großen Kunstsammlers und -händlers eine bedeutende Rolle gespielt haben. 6 Für einen breiteren Überblick über das kunstrelevante Steuerrecht vgl. Schlösser/Schüppen/ Walz in Graf Kanitz, Schüppen  & Partner (Hrsg.) Konkurrenz und Symbiose, Kunst und Steuern, Stuttgart 2016, 62; Schack, Kunst und Recht, 3. Aufl. 2017, Kapitel 27 (382); Heuer/ von Cube, DStR 2017, 129. 7 Gesetz zur Anpassung des Erbschafts- und Schenkungsteuergesetzes an die Rspr. des ­BVerfG, 4.11.2016, BGBl. I 2016, 2464; hierzu ausführlich Benz/Blumenberg/Crezelius, Erbschaftsteuerreform 2016 (2017). 8 Hierzu Crezelius, ZEV 2016, 541.

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2. Strukturelle Parallelen Strukturell ähnelt die Steuerbefreiung für Kunstsammlungen damit in verblüffender Weise den für den Generationsübergang von Familienunternehmen und Betriebs­ vermögen (§§  13a, 13b ErbStG) bestehenden Befreiungsvorschriften, die ebenfalls abhängig von bestimmten Bedingungen eine partielle oder vollständige Erbschaftund Schenkungssteuerbefreiung vorsehen9. Während dies bei Unternehmen und Betriebsvermögen an den durch die Lohnsumme gemessenen längerfristigen Erhalt von Arbeitsplätzen, den befristeten Verzicht auf Überentnahmen und eine Veräußerung des (ggf. vorweggenommen) Ererbten (und bei sehr großen Erbschaften neuerdings auch eine „Bedürftigkeit“10) anknüpft, ist bei Kunstwerken neben einem entsprechenden befristeten Verzicht auf eine Veräußerung entscheidend, dass es sich um ein Kulturgut handelt und dieses der Öffentlichkeit längerfristig zugänglich gemacht wird. 3. Agenda Ganz der strukturellen Parallele der Befreiungsvorschriften entsprechend steht am Anfang und häufig im Mittelpunkt der zivilrechtlichen und steuerlichen Verarbeitung des Erbfalls bei Unternehmen ebenso wie bei Kunstsammlungen die Frage der Bewertung11. Hier zeigen sich Parallelen, aber auch gewichtige Unterschiede. Es lohnt sich jedenfalls, an dieser Stelle genauer hinzuschauen, zunächst auf die kunstsachverständige Bewertung von Kunst (unten II.), sodann auf verschiedene Probleme steuerlicher Bewertung, die sich nicht nur, aber vor allem im Schenkung- und Erbschaftsteuerrecht stellen (unten III.). Zu den Hauptarbeitsgebieten von Georg Crezelius gehört das Erbschaftsteuerrecht. Wir dürfen daher hoffen, dass diese Überlegungen sein Interesse finden, zumal er sich nicht nur intensiv mit der Steuerbefreiung für Betriebsvermögen12, sondern auch bereits mit der Steuerbefreiung für Kunstsammlungen literarisch auseinandergesetzt hat13.

II. Kunstsachverständige Bewertung von Kunst 1. Anlageklasse „Emotional Assets“ Der Kunstmarkt boomt, die Umsätze allein in Deutschland betragen mehr als zwei Milliarden Euro jährlich; begünstigt durch die aktuelle Niedrigzinsphase steigt die 9 Hierzu Crezelius, ZEV 2014, 637. 10 Verschonungsbedarfsprüfung gem. § 28a ErbStG, ausführlich Maier, ZEV 2017, 10 ff.; zusammenfassend zu den diesbezüglichen Regelungen des Anwendungserlasses Wachter, GmbHR 2017, 841 (847 f.). 11 Zu Problemen der steuerlichen Bewertung bei Schenkung/Vererbung von Betriebsvermögen beispielsweise Lorenz, DStR 2017, 1681; Popp, WPg 2017, 850; Bruckmeier u.a., DB 2017, 797. 12 Siehe bereits oben in Fn. 7 und 8. 13 Crezelius, Kunst im Nachlass – Ertrag- und erbschaftsteuerrechtliche Probleme, ZEV 2014, 637.

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Bedeutung von Kunst als langlebige Kapitalanlage14. Das globale Marktvolumen wird auf USD 40–60 Milliarden geschätzt15. Gleichwohl bleibt ein Paradox: „Kunstwerke sind verkäufliche Ware mit einem abgesehen vom Materialwert emotionalen oder ideellen Wert, der vor allem darin besteht, dass ihre vordergründige Nutzlosigkeit als Ausdruck geistiger künstlerischer Freiheit gesehen werden kann. Das Kunstwerk leugnet seinen Warencharakter und wird deshalb so wertvoll“16. Während die Bewertung von Unternehmen rational handelnde Wirtschaftssubjekte unterstellt und Kalküle auf der Basis des künftigen finanziellen Nutzens (künftige Erträge oder CashFlows) anstellt17, ist dies bei der Bewertung von Kunstwerken kaum möglich. Aber auch der Erwerb von Kunstwerken erfolgt häufig nicht rein hedonisch motiviert, sondern durchaus in der Erwartung der Erzielung finanziellen Nutzens. Dabei geht es allerdings nicht um künftig durch das Kaufobjekt laufend zu generierende Erträge, sondern um die spekulative Erwartung von Wertsteigerungen und/oder um die Anlage in wertstabile, als Wertspeicher und Tauschobjekte brauchbare Sachwerte. Als sog. „Emotional Assets“ sollen Kunstwerke für vermögende Anleger zu einem ausgewogenen Portfolio gehören18. 2. Bewertungsanlässe Abgesehen von den weiter unten zu behandelnden steuerlichen Bewertungsanlässen ist eine Bewertung von Kunstwerken sinnvoll oder notwendig in den Fällen von −− Kauf- oder Verkaufsabsicht (Bestimmung der Preisober und -untergrenze) −− Tauschgeschäften −− Einsatz als Kreditsicherheit −− Ermittlung familienrechtlicher Ansprüche (Zugewinnausgleich, Unterhalt) −− Ermittlung erbrechtlicher Ansprüche (Pflichtteil, Pflichtteilergänzung) −− Bezifferung von Schadenersatzansprüchen bei Verlust oder Beschädigung.

14 So eine leitende Mitarbeiterin der R+V-Versicherung, FAZ vom 29.8.2017, 23: „Das teure Ölgemälde übers Internet versichern“. 15 Zur ökonomischen Relevanz ausführlicher Clement/Lepthien/Schulze, ZfbF (2016) 68, 377 (378); s. auch mit zahlreichen Zahlenangaben den „MM-Kunstindex“, manager magazin Mai 2017, 98. Aufsehen als „teuerstes Bild der Welt“ erregte zuletzt Leonardo da Vinci’s „Salvator Mundi“ mit einem Auktionserlös von 400 Mio. USD (450 Mio. incl. Gebühren), vgl. FAS vom 19.11.2017 oder FT/Life & Arts, S. 18 vom 9.12/10.12.2017. 16 Saehrendt, Neue Zürcher Zeitung, 9.9.2017, 23; „Ein käuflicher Fetisch, der die Aura des Unverkäuflichen ausstrahlt“ (Adorno). 17 Ausführlicher Ballwieser/Hachmeister, Unternehmensbewertung, 5. Aufl. 2016; WP Handbuch, Band II, 14. Aufl. 2014, Kapitel A. 18 Kräussl, MM Mai 2017, 98 (104); s. auch derselbe, www.art-finance.com. Anders akzentuiert – aber vermutlich eher wishful thinking – der Galerist Thaddeus Ropac, manager magazin Reichstenheft Oktober 2017, 98 (99): „Bei jedem wichtigen Werk diskutieren wir intensiv, an wen wir es abgeben. Wir wollen vermeiden, dass Kunst in die Hände von Investoren und Spekulanten gerät. Für ernsthafte Sammler ist Kunst eine Leidenschaft, die ihr Leben bereichert.“

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3. Preisbildende Faktoren Diese Anlässe und generell die Tauglichkeit von Kunst als Wertanlage und mögliche Tauschwährung bedingen und sind bedingt durch Handel und Preisbildung, durch Existenz eines Marktes. Bezahlt wird abhängig vom Bekanntheitsgrad des Künstlers nach den Kriterien Echtheit, Erhaltungszustand, Marktfrische, Signatur, Qualität, Marktgängigkeit, Sujet und Format, Stellung des einzelnen Kunstwerks im Gesamtwerk und (möglichst lückenloser) Provenienz. Wertsteigernd wirkt sich auch aus, wenn das Werk in einer namhaften Museumsausstellung (und idealerweise im dazu gehörigen Katalog) vertreten war. Als Sonderfaktoren können Ausfuhrbeschränkungen19 oder bei einem Erwerb „en gros“ Paketabschläge eine Rolle spielen. Die Er­ folgsfaktoren der Vermarktung von Kunst sind in jüngerer Zeit häufiger Gegenstand wirtschaftswissenschaftlicher, empirischer Untersuchungen gewesen. In einer umfassenden Literaturanalyse haben Clement/Lepthien/Schulze die folgende tabellarische Übersicht der in den Kategorien Produkt, Künstler und Handel empirisch nachgewiesenen Erfolgsfaktoren erarbeitet20: Produktfaktoren

Künstlerfaktoren

Handelsfaktoren

• Größe • Medium: • Technik (Öl, Acryl • Malgrund/Material • (Leinwand, Papier) • Authentizität/Attribution • Signatur • Datiert • Monogramm • Stempel • in Werksverzeichnis • Zuordnungsvermerk • Thema/Genre/Inhalt • Vorbesitz • Vorher Privatbesitz • Vorher öffentlicher Besitz • Wichtigkeit Vorbesitzer • Anzahl Vorbesitzer • Prestige/Popularität • Ausgestellt • Anzahl Ausstellungen • Erwähnung in Literatur • Anzahl Zitationen • kein Einzelstück • Anzahl der Drucke • Stilrichtung/Schaffensperiode • Datum der Erstellung/Alter des Kunstwerks • Geschenk des Künstlers an Erstbesitzer • Aus Nachlass des Künstlers

• Objekt bekannt für Künstler • Stil bekannt für Künstler • Vorher bereits verkauft • Name • Reputation/Popularität: • Anzahl Einzelausstellungen • Auf Documenta ausgestellt • Auszeichnungen Professur • Im Kunstgeschichte-Handbuch • Öffentlichkeit (Index aus Monografien, Kataloge, Presse) • Anzahl verkaufter Werke • Karrieredauer • Stimmung zu Künstler • Alter • Bei Auktion • Bei Erschaffung des Werkes • Geburtsjahr • Todeseffekt • Todesjahr • tot bei Auktion • Jahre nach Tod • Herkunft • Geburtsland • Nationalität • Wohnort • Schule in Herkunftsland • Geschlecht • An Museum verkauft • Anzahl Galerien • Teilnahme an Förderprogramm

• Angebot an Werken des Künstlers • Lebenserwartung bei Auk­ tion • Auktionsnummer • Abbildung in Auktions­ katalog • Zuordnungsvermerk im Auktionskatalog • Auktionshaus • Galerie-Reputation • Galerie-Standort • Alter der Galerie • Marktanteil • Erfahrung mit dem Künstler • Pre-Sales-Schätzung • Auktion/Handel • Marktfaktoren • Verkaufsdatum • Monat, • Quartal, • Halbjahr, • Jahr • Verkaufsort • Stadt, • Land • Verkauf/Wiederverkauf in bestimmter Phase (Rezes­ sion, etc.) • Wertpapierrendite

19 Zur vieldiskutierten Novellierung des deutschen Kulturgutschutzes durch das am 6.8.2016 in Kraft getretene Kulturgutschutzgesetz (BGBl. I 2016, 1914) s. von Cube, NJW 2017, 787. 20 Clement/Lepthien/Schulze, Erfolgsfaktoren bei der Vermarktung von Kunst, zfbf (2016) 68, 377 (384).

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4. Bewerten heißt vergleichen „Bewerten heißt vergleichen“21. Diese für Unternehmensbewertungen geltende Grundregel gilt natürlich auch für die Bewertung von Kunstwerken. Da anders als bei der Bewertung von Unternehmen Kalküle auf der Basis des künftigen finanziellen Nutzens22 kaum möglich sind, liegt die „Kunst“ der Bewertung von Kunstwerken noch weit mehr als bei der Bewertung von Unternehmen darin, aus dem Vergleich mit beobachteten Preisen „vergleichbarer“ Objekte und unter erfahrungsgeleiteter Berücksichtigung der oben dargestellten Erfolgsfaktoren einen (fiktiven) Marktwert zu ermitteln. Denn der „Liebhaberwert“ ist nicht der „Verkehrswert“ und der Wert eines Kunstgegenstandes entspricht nicht dem, was ein einzelner Käufer (zufällig) für ihn zu zahlen bereit ist23. Preis und Wert sind grundsätzlich zu unterscheiden24. Für den Wert gilt nach wie vor, was ein seinerzeit führendes Lehrbuch zum BGB 1959 feststellt: „Wert ist der Grad der Brauchbarkeit eines Gegenstandes gemessen am Geld“25. Gleichwohl liefern bezahlte Preise für die betroffenen oder „vergleichbare“ Kunstgegenstände im Prinzip eine wichtige Wertindikation und insbesondere über längere Zeiträume erzielte höhere Preise indizieren durchaus eine hohe Qualität26. Dabei sind allerdings gerade Auktionsergebnisse aus einer Reihe von Gründen mit Vorsicht zu genießen. Verkäufer und Auktionator sind selbstverständlich an einem möglichst hohen Preis interessiert; aber auch die mitbietenden Kaufinteressenten sind keineswegs grundsätzlich an einem besonders niedrigen Preis interessiert, insbesondere soweit sie bereits andere Werke des vom Gebot betroffenen Künstlers besitzen. „Werbewirksam hinausposaunt wurden Rekorderlöse, niemals aber sinkende Preise“27. Gerade bei Rekordsummen kommt es zudem immer wieder zu sog. Deadbeats, nicht eingelösten Zuschlägen28. Die Gründe hierfür sind vielfältig, neuerdings scheinen vor allem Chinesen in dem erteilten Zuschlag nur ein Ausloten des Preises als Verhandlungsbasis für anschließende Verhandlungen mit Verkäufer und Versteigerer zu sehen29. Für die Preisstatistiker ist im Nachhinein kaum nachvollziehbar, welche Auktionsergebnisse aus solchen Gründen tatsächlich nur auf dem Papier standen. 21 Moxter, Grundsätze ordnungsmäßiger Unternehmensbewertung, 2. Aufl., 123. 22 Siehe bereits oben in/bei Fn. 17. 23 Schack, 297 ff. Rz. 564 ff. Dem enstpricht in der Diktion von Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 13. Aufl. 1959, 853 und 854 die Unterscheidung von „pretium commune“ (objektiver Wert, den der Gegenstand mit Rücksicht auf Zeit und Ort für jedermann hat) und „pretium singulare“ (subjektiver Wert, den der Wert gerade für eine bestimmte einzelne Person hat). 24 Schüppen in FS Haarmann, 2015, 207 (214); Winner, Wert und Preis im Zivilrecht (2008), 6 f.; beide m.w.N. 25 Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil des Bürgerlichen Rechts, 15. Aufl., 852. 26 Boll, Die Zeit vom 23.2.2017, 46. 27 Schack, Kunst und Recht, 3. Aufl. 2017, S. 59 Rz. 103. 28 Ausführlicher und mit Beispielen Dittmar, Die Zeit vom 17.8.2017, 25. 29 Juristisch besteht natürlich eine Bindung an den Zuschlag, aber faktisch ist diese ebenso wenig wie Schadensersatzansprüche durchzusetzen, wenn der Bieter nicht eine ausreichend hohe Kaution hinterlegen musste; solche Kautionen i.H.v. etwa einem Fünftel der Taxe werden in vielen Fällen gefordert, s. Dittmar, a.a.O.

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5. Prozedurale Aspekte All dies lässt der hiermit beauftragte Sachverständige in seine fakten- und erfahrungsgeleitete Bewertung einfließen. Ganz wesentlich ist dabei der Vergleich mit Preisen, die vergleichbare Werke in zeitlicher Nähe zum Bewertungsstichtag erzielt haben. Nachdem aktuelle Preise für das zu bewertende Werk selbst in der Regel nicht vorliegen, geht es vor Allem darum zu beurteilen, welche Werke desselben oder anderer Künstler „vergleichbar“ sind. Hier ergibt sich auch wieder eine Parallele zur Unternehmensbewertung, denn spätestens bei der Ermittlung der Marktrisikoprämie geht es auch bei jener darum festzulegen, welche (börsennotierten) Unternehmen mit dem zu bewertenden Unternehmen „vergleichbar“ sind30. Neben einschlägig ausgewiesenen Hochschullehrern, pensionierten Museumsdirektoren und freien Sachverständigen mit entsprechendem Erfahrungs- und Ausbildungshintergrund31 kommen zur Bewertung insbesondere Auktionshäuser in Betracht, weil diese aufgrund ihrer Marktkenntnis und Datenbanken gute Voraussetzungen für die anzustellenden Vergleiche mitbringen. Verfehlt ist allerdings eine vereinzelt in der Rechtsprechung vertretene Auffassung, dass zur Bewertung die Vorlage einer nicht weiter erläuterten und begründeten Wertbestimmung durch ein international renommiertes Auktionshaus ausreiche32. Richtigerweise ist für eine seriöse Wertbestimmung zu verlangen, dass sie intersubjektiv nachvollziehbar auf der Grundlage der oben aufgezählten Kriterien begründet wird. Der These, Wertgutachten seien unbrauchbar, weil die wertbildenden Faktoren zu sehr von subjektiven Einschätzungen abhängen33, ist keineswegs zu folgen. Das Beispiel, wonach sechs Experten im Fall des Gemäldes „La Méditation“ von Corot zu Ergebnissen zwischen USD 40.000 und 265.000 gekommen sind, taugt keineswegs als Beleg34. Abgesehen davon, dass die Diskrepanzen bei Unternehmensbewertungen oft ähnlich sind, ist entscheidend die jedem Gutachten immanente Notwendigkeit, subjektive Einschätzungen anhand objektivierter Kriterien intersubjektiv nachvollziehbar machen zu müssen. Der „Begründungszwang“ ermöglicht es – nicht anders als bei juristischen Entscheidungen – vertretbare von nicht vertretbaren oder gar überhaupt nicht begründeten Urteilen zu unterscheiden. Dies ist umso bedeutsamer, als Bewertungen typischerweise zu einer Bandbreite vertretbarer Werte führen. Vor diesem Hintergrund ist vom Gutachter sowohl das Aufzeigen dieser Bandbreite als auch eine nachvollziehbare Begründung seiner Entscheidung für einen der Werte aus dieser Bandbreite zu verlangen.

30 Hierzu Ballwieser/Friedrich, CF 2015, 449. 31 Siehe auch Schack, Kunst und Recht, 3. Aufl., S. 78 Rz. 144, mit warnendem Hinweis auf alternde Kunsthistoriker, denen der Lohn für eine Gefälligkeitsexpertise wichtiger ist als ihr ehemals guter Ruf, und interessanter rechtsvergleichender Information darüber, dass in Frankreich staatlichen Museumskuratoren eine Nebentätigkeit als Kunstsachverständige gesetzlich verboten ist. 32 OLG Köln v. 5.10.2005 – 2 U 153/04, NJW 2006, 625. 33 Schack, Kunst und Recht, 3. Aufl., S. 77 f. Rz. 143. 34 A.A. Schack, Kunst und Recht, 3. Aufl., S. 77 f. Rz. 143.

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III. Steuerliche Bewertung von Kunst 1. Steuerliche Wertbegriffe und Bewertungsanlässe Das Steuerrecht kennt keinen einheitlichen Wertbegriff, hat aber eigene Wertkategorien, so dass eine kunstsachverständige Bewertung nicht ohne weiteres ins Steuerrecht übernommen werden kann. In unterschiedlichsten Vorschriften kennt das Steuerrecht als Verkehrswerte den Teilwert und den gemeinen Wert, außerdem den Fremdvergleichspreis. Erstere sind „Verkehrswerte“, weil sie auf eine – fiktive – Bewertung durch den „gewöhnlichen Geschäftsverkehr“ oder den „Erwerber des ganzen Betriebes“ abstellen. Ist eine Bewertung für Steuerzwecke erforderlich, so ist zunächst zu entscheiden, welcher der genannten steuerlichen Werte einschlägig ist. Innerhalb des Steuerrechts kann dabei die Interessenlage sehr unterschiedlich sein: der schenkungsteuerpflichtige Beschenkte ist an einer möglichst niedrigen Bewertung interessiert, der den steuerlichen Spendenabzug in Anspruch nehmende Mäzen, der ein Kunstwerk als Sachspende hingibt, an einer möglichst hohen35, ebenso der Steuerpflichtige, der Kunstwerke unter Nutzung des § 224a AO als Tauschwährung einsetzen will. 2. Der gemeine Wert Bei der Bewertung für Erbschaft- und Schenkungsteuerzwecke ist der gemeine Wert maßgeblich (§ 12 Abs. 1 ErbStG i.V.m. § 9 BewG). Ebenfalls auf den gemeinen Wert abzustellen ist grundsätzlich zur Bewertung von Sachspenden an eine gemeinnützige Körperschaft (§ 10b Abs. 3 Satz 2 EStG), soweit Spenden von Kunstgegenständen, die sich immer im Privatvermögen befunden haben, betroffen sind. Statt einer Geldspende können gem. § 10b Abs. 3 EStG Sachspenden geleistet werden. Zu den als Sachspenden geeigneten Wirtschaftsgütern zählen in vielen Fällen insbesondere Kunstgegenstände. Die Spende hat eine vergleichbare Wirkung wie die Hingabe eines Kunstgegenstandes an Zahlung statt. Sie führt zwar nicht zum Wegfall einer bereits festgesetzten Steuerschuld, reduziert aber eine ohne die Zuwendung höhere Steuerschuld und ist so „bares Geld“. Die Höhe des Spendenabzugs ist gem. § 10b Abs. 1 EStG in betragsmäßig begrenztem Umfang möglich, der bei Privatpersonen 20 % des Gesamtbetrags der Einkünfte ausmacht. Für Spenden zur Förderung steuerbegünstigter Zwecke in den Vermögensstock einer Stiftung36 ermöglicht (seit 2007) §  10b Abs.  1a EStG einen erweiterten Spendenabzug. Entscheidend ist, dass mit der Spende eine Zweckbestimmung zur dauerhaften Ausstattung bzw. Erhöhung des Stiftungsvermögens getroffen wird. Eine solche Zuwendung kann anlässlich der Errichtung einer Stiftung oder zugunsten ei35 Zutreffend Schack, Kunst und Recht, 3. Aufl., S. 391 Rz. 760. 36 Nicht erfasst von der besonderen Begünstigung sind Spenden an eine Verbrauchsstiftung, der Vermögen zum Verbrauch innerhalb eines bestimmten Zeitraums bestimmt ist. Solche Spenden unterliegen dem allgemeinen Spendenabzug gem. § 10b Abs. 1 EStG, wenn die Stiftung steuerbegünstigte Zwecke verfolgt.

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ner bestehenden Stiftung als Zustiftung erfolgen37. Der nach § 10b Abs. 1a EStG zusätzlich zum Spendenabzug gem. § 10b Abs. 1 EStG mögliche Abzug ist auf Antrag des Steuerpflichtigen zu gewähren und ist innerhalb eines Zehnjahreszeitraums i.H.v. bis zu 1.000.000 Euro (2.000.000 Euro bei zusammenveranlagten Ehegatten) möglich, wobei der Abzugsbetrag innerhalb dieses Zeitraums nur einmal in Anspruch genommen werden kann38. In der Tradition von § 112 Abs. 1 Satz 2 PreußALR wird der gemeine Wert nach der Legaldefinition des § 9 Abs. 2 Satz 1 BewG „durch den Preis bestimmt, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des Wirtschaftsgutes bei einer Veräußerung zu erzielen wäre“. Dass der Kreis potentieller Käufer wie etwa bei seltenden Kunstgegenständen sehr klein ist, schließt einen gewöhnlichen Geschäftsverkehr nicht aus39. Damit knüpft der Gesetzgeber an soziale Verhaltensmuster an, die nicht eindeutig und abschließend sind und aufgrund ihrer Abhängigkeit von verschiedenen Faktoren zu einer Bandbreite von Werten führe40. Konzeptionell entspricht der gemeine Wert dem Einzelveräußerungspreis unter den Bedingungen des Absatzmarktes41. Aus der Sicht eines Kunsthändlers ist dabei der Absatzmarkt natürlich anders definiert als aus Sicht einer Privatperson oder eines Unternehmens, dass ein nicht betriebsnotwendiges Kunstwerk verkaufen will: Während für Ersteren der Händlerverkaufspreis maßgeblich ist, ist für Letztere der Händlereinkaufspreis zugrunde zu legen. Die Finanzverwaltung orientierte sich zunächst an drei außersteuerlichen Werten, soweit sie feststellbar waren: Den Anschaffungskosten, dem Versicherungswert sowie einem späteren Verkaufswert. Schon nach dem Gesetz sind allerdings „ungewöhnliche und persönliche Verhältnisse“ (§ 9 Abs. 2 Satz 3 BewG) und daher ein bei Kunsterwerben typisches besonderes Affektionsinteresse nicht zu berücksichtigen42. Die Bedeutung aller drei genannten Werte hat zudem die grundlegende Entscheidung des BFH vom 6.6.2001 relativiert43. Für den im dort entschiedenen Fall maßgeblichen Gemeinen Wert ist nach der gesetzlichen Definition auf den Preis abzustellen, der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr nach der Beschaffenheit des jeweiligen Kunstwerks bei einer Veräußerung zu erzielen wäre. Zu ermitteln ist also der Händlereinkaufspreis. Somit entsprechen die historischen Anschaffungskosten, jedenfalls wenn der Kunstgegenstand von einem Kunsthändler/Auktionshaus erworben worden ist, nicht dem gemeinen Wert. Es handelt sich dabei vielmehr um den Verkehrswert, der die Handelsspanne bzw. Auktionsmarge enthält und daher aus der Sicht einer Privatperson nicht die Verhältnisse des Absatzmarktes widerspiegelt. Im Nachgang zu der Entscheidung des BFH hat die Finanzverwaltung akzeptiert, dass bei Ermittlung des ge37 BMF v. 15.9.2014, BStBl. I 2014, 1278. 38 Dazu BMF v. 18.12.2008, BStBl. I 2009, 16 Rz. 3. 39 Rössler/Troll/Halaczinsky, § 9 BewG Rz. 9 (Stand: April 2017). 40 Krumm, Steuerliche Bewertung als Rechtsproblem, 2014, 154 ff. 41 Kahle/Hiller, WPg 2013, 403 (409); Krumm, Steuerliche Bewertung als Rechtsproblem, 2014, 181. 42 Schack, Kunst und Recht, 3. Aufl. 2017, S. 391 Rz. 759. 43 II R 7/98, DStRE 2002, 460.

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meinen Wertes von Kunstgegenständen und Sammlungen unter Berücksichtigung der schwierigen Verwertungsaussichten vorsichtig zu bewerten ist (R  B 9.3 Satz  2 ErbStR). Nach Auffassung des FG München44 bestehen jedenfalls keine Bedenken, einen Abschlag von 20 % anzunehmen und herauszurechnen. Damit hat das FG allerdings keine Aussage zu einer Obergrenze für einen Abschlag definiert. In der Fachliteratur werden, basierend auf entsprechenden Praxiserfahrungen, Abschläge i.H.v. 50 % angenommen45. Erst recht entsprechen die Versicherungswerte nicht dem Gemeinen Wert46. Diese orientieren sich an den Händlerverkaufspreisen und werden zudem von den Versicherungsnehmern aus psychologischen und Vorsichtsgründen meist noch deutlich höher angesetzt. Vereinfacht lässt sich sagen, dass der gemeine Wert sich aus der Sicht des Eigentümers am Absatzmarkt (Händlereinkaufspreis) orientiert. Weitere Paketabschläge müssen für Spezialsammlungen und Künstlernachlässe vorgenommen werden, weil bei einer am Bewertungsstichtag fingierten Veräußerung mehr Werke an den Markt kommen würden, als dieser aufnehmen könnte47. Die auf dem Kunstgegenstand selbst lastende Erbschaft- oder Schenkungsteuer erlischt gem. § 29 Abs. Nr. 1 Nr. 4 ErbStG auch durch eine Zuwendung des Gegenstands an eine als gemeinnützig anerkannte Stiftung. Aus wirtschaftlichen Gründen sollte von dieser Möglichkeit allerdings nur Gebrauch gemacht werden, wenn ohnehin eine entsprechende Spende geplant ist. Und selbst dann ist zu beachten, dass ein Spendenabzug nach §  10b EStG dadurch verschlossen wird. Deshalb ist insbesondere einkunftsstarken Steuerpflichtigen als Alternative zu empfehlen, den Spendenabzug bei der Einkommensteuer zu nutzen. 3. Der Teilwert Wird ein Kunstgegenstand aus einem Betriebsvermögen gespendet, so stellt dies bei Einzel- oder Personenunternehmen zugleich eine Entnahme aus dem Unternehmen dar48. Die Bewertung einer Entnahme erfolgt grundsätzlich gem. §  6 Abs.  1 Nr.  4 Satz 1 EStG zum Teilwert. Für Sachspenden an gem. § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG steuerbefreite Steuersubjekte enthält § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 4 EStG ein Wahlrecht für eine Bewertung der Entnahme zum Buchwert. Da der Teilwert den Buchwert in der Regel übersteigt, kann durch die Regelung eine Gewinnrealisierung vermieden werden. Die Bewertung der Spende erfolgt gem. § 10b Abs. 3 Satz 2 EStG mit dem Entnahmewert. Für Körperschaften, aus denen mangels außerbetrieblicher Sphäre keine Wirtschaftsgüter entnommen werden können, gelten die genannten Bewertungsvorschriften des 44 V. 8.10.1998 − 4 V 1954/98, DStRE 1999, 876. 45 Vgl. z.B Schack, Kunst und Recht, 3. Aufl. 2017, S. 392 Rz. 761, der einen Abschlag von 1525 % für Aufgeld und Nebenkosten des Auktionators und von weiteren 20–25 % wegen unsicherer Verwertungschancen für sachgerecht hält. 46 Schack, Kunst und Recht, 3.  Aufl. 2017, S.  392 Rz.  761; gleichwohl können  – bei Fehlen anderer Anhaltspunkte und im Übrigen unter diesen anderen – Versicherungswerte natürlich einen Rationalitätsgewinn bedeuten, zutreffend Krumm, Steuerliche Bewertung als Rechtsproblem, 2014, 327. 47 Zutreffend Schack, Kunst und Recht, 3. Aufl. 2017, S. 392 Rz. 761. 48 Heinicke in Schmidt, 35. Aufl. 2016, § 10b EStG Rz. 2.

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EStG – und damit die Bewertung zum Teilwert, ggf. mit Buchwertwahlrecht – gem. § 9 Abs. 2 Satz 3 KStG entsprechend. Auch insoweit besteht eine Bewertungsambivalenz, weil einerseits ein Buchwertansatz oder eine niedrige Bewertung zur Vermeidung oder Minimierung einer Gewinnrealisierung erwünscht sein können, andererseits ein höherer Spendenabzug oder eine höhere Gewinnrealisierung bei vorhandenen Verlusten erwünscht sein können. Der Teilwert ist nach der Legaldefinition des § 10 Satz 2 BewG „der Betrag, den ein Erwerber des ganzen Unternehmens im Rahmen des Gesamtkaufpreises für das ­einzelne Wirtschaftsgut ansetzen würde“. Während der gemeine Wert sich am Absatzmarkt orientiert (und in etwa dem Verkehrswert entspricht, der sich als Händ­ lereinkaufspreis ergibt), sind für den Teilwert grundsätzlich die Bedingungen des Beschaffungsmarktes maßgeblich49. Aus der Sicht einer Privatperson sind dies die Händlerverkaufspreise einschließlich Provisionen/Auktionsmarge, während für gewerbliche Kunsthändler umgekehrt grundsätzlich die Händlereinkaufspreise maßgeblich sind. Allerdings ist zusätzlich zu bedenken, dass nach der gesetzlichen Definition der Teilwert den wertbestimmenden Einfluss der Betriebszugehörigkeit berücksichtigt. Der Teilwert von Vorräten liegt daher um die Gewinnspanne unterhalb des gemeinen Wertes, weil der Erwerber die Gewinnspanne für sich selbst einkalkulieren würde50. Handelt es sich bei den Kunstwerken – wie häufig – nicht um Vorräte und zum Verkauf bestimmte Waren, ist dieser Aspekt jedoch nicht zu beachten. Stellt man dem Konzept des Teilwerts entsprechend in diesen Fällen auf den (Wieder-)Beschaffungswert ab, ist der Teilwert regelmäßig höher als der gemeine Wert. 4. Der Vertragswert Kunstgegenstände und Kunstsammlungen können gem. § 224a AO zur Tilgung der Steuerschuld an Zahlungs statt verwendet werden, wenn an deren Erwerb wegen ihrer Bedeutung für die Kunst ein öffentliches Interesse besteht51. Dazu bedarf es eines entsprechenden Vertrages mit dem Land, dem das Steueraufkommen zusteht. Die Regelung ist nicht auf Kunstgegenstände beschränkt, die Teil der zu besteuernden Erbschaft sind. Sie ist aber auch interessant, wenn dies der Fall ist, weil gem. § 13 Abs. 1 Nr. 2 ErbStG steuerbefreite Kunstgegenstände ohne Verstoß gegen die 10-jährige Haltefrist hingegeben werden können. Für die Hingabe von Kunstwerken an Zahlungs statt kommt es auf den Wert an, auf den sich der Steuerpflichtige mit den Vertretern des Landes geeinigt hat. § 224a AO enthält keine Bewertungsgrundsätze. Teilweise wird daraus geschlossen, dass keine Bindung an das BewG besteht52. Die Gegenauffassung billigt dem Land keinen Ermessensspielraum zu, da über einen öffentlich-rechtlichen Steueranspruch verfügt 49 Kahle/Hiller, WPg 2013, 403 (409); Krumm, Steuerliche Bewertung als Rechtsproblem (2014), 181. 50 BFH I 175/60, BStBl. III 1960, 492; Kulosa in Schmidt, 36. Aufl., § 6 EStG Rz. 235. 51 Hierzu eingehend Carl/Klos, 1992, 156; Winands/Lenk, StVj 1992, 156. 52 Schwarz in Schwarz/Pahlke, § 224a AO Rz. 11a.

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wird; die Bewertung soll zwingend zum gemeinen Wert erfolgen53. Eine dritte Auffassung legt den „vollen Verkehrswert“ zugrunde54. Die letztgenannte Auffassung birgt ein gewisses „Steuersparpotential“, da der für die Steuerschuld maßgebliche Erwerb mit dem niedrigeren Gemeinen Wert zu bewerten ist: „Den Vorteil haben die staatlichen Museen, den Nachteil die Finanzminister“55. Bereits nach dem Gesetzeswortlaut ist eindeutig, dass für die Bewertung im Falle des § 224a AO ausschließlich die vertragliche Vereinbarung maßgeblich ist, denn in deren Höhe erlischt die Steuerforderung. Für die steuerliche Bewertung gilt hier (ausnahmsweise) die Gleichung Wert = Preis; wenn man eine steuerliche Kategorie für diesen Wert suchen wollte, so wäre dies am ehesten der „Fremdvergleichspreis“. Eine ganz andere Frage ist, welchen rechtlichen Bindungen das Bundesland beim Abschluss des öffentlich-rechtlichen Vertrages unterliegt. Fernliegend ist es, hierbei auf den gemeinen Wert abzustellen. Denn man muss sich klarmachen, dass der Erbe das betroffene Kunstwerk alternativ am Markt veräußern und die Erbschaftsteuer bezahlen könnte. Zu dieser Veräußerungsmöglichkeit tritt der Staat in Konkurrenz, wenn er im öffentlichen Interesse – das der Tatbestand voraussetzt und das vom Kultusministerium geprüft wird56  – Erbschaftsteueraufkommen für den Kunsterwerb einsetzt57. Insofern kann und muss der Marktpreis und nicht ein hiervon verschiedener steuerlicher Wert auch für den öffentlich-rechtlichen Verhandlungsspielraum maßgeblich sein. Das Ziel der Norm, einer Zerschlagung bedeutender Sammlungen und der Abwanderung wertvoller Kunstwerke ins Ausland entgegenzuwirken58, kann in der Handlungsform des öffentlich-rechtlichen Vertrages nur bei Annahme einer Kompetenz zur Vereinbarung von Marktpreisen erreicht werden. Die Tatsache, dass dies im Schrifttum teilweise anders gesehen wird, erzeugt allerdings für die handelnden Beamten eine Rechtsunsicherheit, die einer Gründe hierfür sein mag, dass die praktische Bedeutung des § 224a AO bisher begrenzt geblichen ist. Zu kritisieren ist auch, dass sich auch bei Erfüllung der Tatbestandsmerkmale ein Rechtsanspruch des Steuerpflichtigen auf die „Inzahlungnahme“ wohl nicht begründen lässt59, so dass der aus Sicht des Steuerpflichtigen potentiell bestehende und von der Norm auch intendierte Vereinfachungseffekt60 nur in glücklichen Einzelfällen, aber nicht generell erreicht wird. De lege ferenda besteht daher erheblicher Reformbedarf, um die zu begrüßenden Zielsetzungen der Norm zu effektuieren.

53 Alber in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 224a AO Rz. 19. 54 Ganteführer, S. 52; ebenso Schack, Kunst und Recht, 3. Aufl., S. 393 Rz. 765, der dies allerdings für problematisch hält und daher eine restriktive Handhabung durch die Bundesländer anmahnt und begrüßt; ähnlich auch Carl/Klos, StVj 1992, 156 (168). 55 Schack, Kunst und Recht, 3. Aufl., S. 393 Rz. 765. 56 Winands/Lenk, KUR 2003, 1 (3). 57 Haushaltsrechtl. Bedenken daher bei Carl/Klos, StVj 156, 167 f.; Kirchhof, NJW 1985, 225 (229 f.). 58 Winands/Lenk, KUR 2003, 1 (3). 59 Winands/Lenk, KUR 2003, 1 (2); zweifelnd Carl/Klos, StVj 1992, 156 (169). 60 Diesen insbesondere für Künstlernachlässe betonend Winands/Lenk, KUR 2003, 1 (6).

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5. Vorsichtige Bewertung, Günstigerprinzip und Erstbewertungspflicht Bei der Ermittlung des Gemeinen Wertes akzeptiert die Finanzverwaltung in Folge des BFH-Urteils vom 6.6.200161 – wie bereits oben 2. dargestellt – erhebliche Abschläge auf Auktions- und Erwerbspreise und einen Grundsatz „vorsichtiger Bewertung“. Das ist allerdings keineswegs stets interessengerecht, denn zuweilen ist der Steuerpflichtige gar nicht an einer möglichst niedrigen, sondern an einer tendenziell hohen Bewertung interessiert. Dies berücksichtigt eine umfassende jüngere wissenschaftliche Arbeit, die Veranlassung gibt, die steuerlichen Bewertungsüberlegungen auf ein neues und richtigeres dogmatisches Fundament zu stellen. Anschaffungskosten und (dem Bewertungsstichtag nicht zeitnah vorangehende) Verkaufspreise sind Preise und als solche keine Verkehrswerte. Kunstsachverständige Bewertungen, die die Grundlage auch steuerlicher Ermittlung von Verkehrswerten sein müssen, können stets nur eine Wertbandbreite aufzeigen62. Indem der Gesetzgeber mit der Bewertungsnorm auf die soziale Wirklichkeit rekurriert („Preis im gewöhnlichen Geschäftsverkehr“, „Preis, den der Erwerber des ganzen Unternehmens ansetzen würde“), akzeptiert er zugleich, dass alle möglichen Tauschwerte innerhalb der vertretbaren Wertbandbreite normkonform sind63. Dies begegnet auch keinen gleichheitsrechtlichen Bedenken, denn so wenig wie es den einen Verkehrswert gibt, gibt es eine mathematisch exakt messbare Leistungsfähigkeit64. Jeder Wert innerhalb der Bandbreite gewährleistet Besteuerungsgleichheit65. Umgekehrt ist es jedoch freiheitsrechtlich sub specie des Art.  14 GG und des Art .103 Abs. 2 GG (da die Bewertungsvorschriften über § 370 AO Tatbestandselemente eines strafrechtlichen Blanketttatbestandes sind) geboten, ein Günstigerprinzip und eine Bewertungsprärogative des Steuerpflichtigen innerhalb der Bandbreite vertretbarer Werte anzuerkennen66. Fallweise wird dies auch bisher schon durch den Gesetzgeber und die Rechtsprechung anerkannt67. Sofern sich aus der Bewertungsnorm nichts anderes ergibt, ist sie grundsätzlich so auszulegen, dass der günstigste der vertretbaren Werte in Ansatz zu bringen ist68. Dabei handelt es sich um ein materielles Anwendungsprinzip, nicht um eine Frage der Feststellungslast69. Zugespitzt und zusammenfassend70: 61 II R 7/98, DStR 2002, 460. 62 Krumm, Steuerliche Bewertung als Rechtsproblem, 2014, 238  ff. mit ausführlicher und überzeugender Darstellung der Ursachen dafür, dass jeder Verkehrswert vom „Bandbreiten-Phänomen“ betroffen ist. 63 Krumm, Steuerliche Bewertung als Rechtsproblem, 2014, 235. 64 Krumm, Steuerliche Bewertung als Rechtsproblem, 2014, 358 und 370 f. mit Diskussion der Gegenauffassung. 65 Krumm, Steuerliche Bewertung als Rechtsproblem, 2014, 527. 66 Krumm, Steuerliche Bewertung als Rechtsproblem, 2014, 426 ff. 67 Vgl. die Analyse von § 1 Abs. 3 AStG und die Rechtsprechungsnachweise bei Krumm, Steuerliche Bewertung als Rechtsproblem, 2014, 528 ff. 68 Krumm, Steuerliche Bewertung als Rechtsproblem, 2014, 540  f.; ebenso für den Fall der Unternehmensbewertung Lorenz, DStR 2017, 1681 (1686). 69 Krumm, Steuerliche Bewertung als Rechtsproblem, 2014, 542. 70 Krumm, Steuerliche Bewertung als Rechtsproblem, 2014, 544.

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„Wenn sich die Steuerpflichtigen bei normativer Anerkennung von Wertbandbreiten nur so viel Gleichheit wie nötig schulden und diese „Schuld“ durch jeden intersubjektiv nachvollziehbar begründeten Bandbreitenwert gleichermaßen „gerecht“ erfüllt werden kann, dann ist es nur folgerichtig, das Günstigerprinzip dahingehend zu verstehen, dass immer der Wert zu wählen ist, der für den Steuerpflichtigen aus seiner subjektiven Zielsetzung heraus am günstigsten ist. Dies kann dann eben auch der „Höchstwert“ sein …“. 6. Verfahrensfragen Verfahrensrechtlich entspricht dem Günstigerprinzip eine Bewertungsprärogative zugunsten des Steuerpflichtigen, wonach sowohl die prognostischen als auch die wertenden Rechtsanwendungsbeiträge als auch die Konkretisierungen innerhalb der Wertbandbreite ihm zugewiesen sind71. Die Kehrseite dieser Bewertungsprärogative ist, dass der Erstbewertungsvorschlag des Steuerpflichtigen einer inneren wie äußeren Plausibilitätskontrolle zugänglich sein und den Anforderungen an eine rationale Bewertung genügen muss; dies gilt für die Begründung und deren Dokumentation72. Das Erstbewertungsrecht ist daher auch eine Erstbewertungspflicht; bei mangelnder eigener Sach- und Rechtskunde ist der Steuerpflichtige gehalten, externen Sachverstand heranzuziehen, eigene Unkenntnis entlastet nicht73. Die Bewertung – von Kunstwerken ebenso wie von Unternehmen – ist eine Tatsachenfrage, keine Rechtsfrage74. Auch die Schätzung ist im Prozess der Rechtsanwendung grundsätzlich der Sachverhaltsfeststellung zuzurechnen75. Jede Verkehrsbewertungsnorm beinhaltet bereits eine von § 162 Abs. 1 AO unabhängige, eigenständige bewertungsspezifische Schätzungsbefugnis76. Ob es sich  – wie im Fachschrifttum postuliert  – „wegen der unverhältnismäßig hohen Kosten“ in der Regel nicht empfiehlt, ein unabhängiges Wertgutachten einzuholen77, ist daher außerordentlich zweifelhaft. Denn die Suche „nach anderen, möglichst objektiven Anhaltspunkten für den Wert von Kunstgegenständen auf dem legalen Kunstmarkt“78 ist kein aliud, sondern deren Feststellung und Einordnung gerade die Aufgabe des Sachverständigen. Ebenso ist es unzutreffend, dass verbleibende Zweifel zu Lasten des Steuerpflichtigen gehen79. Die Bewertung unterliegt als Teil der Sachverhaltsermittlung grundsätzlich der Amtsaufklärung (§ 88 AO). Wenn der Steuerpflichtige von seiner Bewertungsprärogative nicht in – aus Sicht des FG – begründeter und plausibler Weise Gebrauch gemacht hat 71 Krumm, Steuerliche Bewertung als Rechtsproblem, 2014, 559. 72 Krumm, Steuerliche Bewertung als Rechtsproblem, 2014, 562. 73 Krumm, Steuerliche Bewertung als Rechtsproblem, 2014, 502 f. 74 BGH v. 29.9.2015 – II ZIP 23/14, AG 2016, 135, MDR 2016, 337, ZIP 2016, 110 mit insoweit zustimmender Besprechung Schüppen, ZIP 2016, 393 (395); Krumm, steuerliche Bewertung als Rechtsproblem, 2014, 260 ff. 75 Rüsken in Klein, 13. Aufl., § 162 AO Rz. 1; Krumm, Steuerliche Bewertung als Rechtsproblem, 2014, 547. 76 Krumm, Steuerliche Bewertung als Rechtsproblem, 2014, 548. 77 Schack, Kunst und Recht, 3. Aufl. 2017, S. 391 Rz. 760. 78 Schack, Kunst und Recht, 3. Aufl. 2017, S. 391 Rz. 760. 79 So aber Schack, Kunst und Recht, 3. Aufl. 2017, S. 391 Rz. 760.

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und die vertretbare Wertbandbreite streitig geblieben und entscheidungserheblich ist (§  76 FGO), wird das FG in aller Regel ein Sachverständigengutachten einzuholen haben80. Denn es ist aufgrund des in § 76 Abs. 1 Satz 1 FGO normierten Amtsermittlungsgrundsatzes Sache des Gerichts, die tatsächlichen Grundlagen der zu treffenden Entscheidung zu ermitteln81. Eine fachkundig vertretene Partei ist jedoch verpflichtet, in zumutbarer Weise Beweisanträge zu stellen und Angaben aus ihr vorliegenden oder von ihr beschaffbaren Unterlagen in das Verfahren einzubringen; in der Regel ergibt sich daraus für den Steuerpflichtigen die Obliegenheit, im Klageverfahren konkrete Beweisanträge zu stellen82.

IV. Es bleibt viel zu tun 1. Zusammenfassung (i) Das Sammeln von Kunst hat zahlreiche steuerliche Aspekte und manchmal steuerliche Motive. Mit der zunehmenden wirtschaftlichen Bedeutung des „emotional assets“ Kunst steigt die praktische Bedeutung der steuerlichen Bewertungsfragen. (ii) Der Kunstkäufer orientiert sich typischer Weise – anders als der Erwerber eines Unternehmens  – nicht an einem betriebswirtschaftlichen Modellen zugänglichen Nutzenkalkül. Gleichwohl haben sich in langjähriger Kunsthandelspraxis und wissenschaftlicher Beschäftigung mit den Wertfaktoren Kriterien entwickelt, die es erlauben, die Gründe einer (notwendig subjektiven) Bewertung ausführlich und unter Anknüpfung an nachprüfbare Tatsachen zu dokumentieren. Kunstsachverständige Bewertung von Kunstwerken bleibt eine Kunst, muss aber in einer intersubjektiv nachvollziehbaren Weise und insoweit „objektivierbar“ und kritischer Überprüfung zugänglich erfolgen. Gleichwohl bleibt in praktisch jedem Bewertungsfall eine mehr oder weniger große Bandbreite vertretbarer Werte. (iii) Die steuerliche Bewertung setzt im Falle des § 224a AO Wert und Preis gleich und erklärt damit die Einigung der Parteien für verbindlich. Dass das Bundesland beim Abschluss des öffentlich-rechtlichen Vertrages durch steuerliche Wertkategorien gebunden sein sollte, ist nicht ersichtlich. Im Übrigen knüpft die steuerliche Bewertung mit ihren beiden Verkehrswerten „gemeiner Wert“ und „Teilwert“ an die kunstsachverständige Bewertung an. Neben der konzeptionell vorgegebenen Unterscheidung von Beschaffungs- und Absatzmarkt berücksichtigt die Finanzverwaltung „schwierige Verwertungsaussichten“ für Kunstwerke durch eine „vorsichtige Bewertung“. Diese Überlegung weist in die richtige 80 Vgl. zur entsprechenden Problematik bei der Bewertung von Unternehmen und Immobilien BFH v. 16.12.2015 – IV R 18/12, BFHE 252, 408 = BStBl. II 2016, 346 Rz. 31 ff.; BFH v. 11.5.2017 – IX B 23/17, BFH/NV 2017, 1059 Rz. 13. 81 BFH v. 17.9.2003 – I B 18/03, BFH/NV 2004, 207; v. 21.7.2017 – X B 167/16, BFH/NV 2017, 1447. 82 BFH v. 21.7.2017 – X B 167/16, BFH/NV 2017, 1447.

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Richtung, greift aber zu kurz. Denn aus Sicht des Steuerpflichtigen ist nicht stets eine „vorsichtige Bewertung“ erwünscht. Jüngere wissenschaftliche Arbeiten haben in Anknüpfung an Judikate des BVerfG und des BFH gezeigt, dass innerhalb einer Bewertungsbandbreite einfachrechtlich und verfassungsrechtlich de lege lata ein Günstigerprinzip dergestalt gilt, dass der vom Steuerpflichtigen aus der vertretbaren Bandbreite angesetzte Wert für die steuerliche Bewertung verbindlich ist. (iv) Diesem Günstigerprinzip und der Erstbewertungspflicht des Steuerpflichtigen korrespondiert eine erhöhte Darlegungs- und Dokumentationslast. Wenn der Steuerpflichtige die vertretbare Bandbreite nachvollziehbar und intersubjektiv nachprüfbar dargelegt und dokumentiert hat, ist der innerhalb dieser Bandbreite gewählte Wert verbindlich. Soweit dies nicht der Fall ist, ist ein Schätzungsermessen der Finanzverwaltung (§ 162 AO) bzw. des FG (§ 96 Abs. 1 FGO) eröffnet, wobei allerdings auch diese Schätzung Anknüpfungstatsachen benötigt, die im gerichtlichen Verfahren in aller Regel nur durch die Erhebung eines Sachverständigenbeweises geschaffen werden können. 2. Steuern, Staudinger und Vergnügen Wir hoffen, dass der Jubilar zur wissenschaftlichen Vertiefung und praktischen Durchsetzung der vorstehend formulierten Erkenntnisse und Thesen noch manchen Beitrag leisten wird. Dazu wünschen wir ihm noch viele Jahre und manches Jahrzehnt große Schaffenskraft und -freude. Dies gilt umso mehr, als das Günstigerprinzip in seiner Herleitung und Reichweite selbstverständlich nicht nur die Bewertung von Kunstwerken, sondern auch von Unternehmen betrifft. Georg Crezelius ist bekannt dafür, dass er gerne – wohl nur halb im Scherz – einen der Bände der Staudinger’schen Kommentierung des BGB als Gute-Nacht-Lektüre empfiehlt. Deshalb und aufgrund langjähriger Bekanntschaft vermuten wir, dass ihm auch die praktische und wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Steuerrecht eher intellektuelles Vergnügen als Arbeitslast ist. Die intensive Beschäftigung mit Kunst und ihren Schnittstellen zum Steuerrecht mag eine Möglichkeit sein, dieses Vergnügen noch zu steigern.

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Schriftenverzeichnis Georg Crezelius

Monographien, Kommentare usf. Erbschaft- und Schenkungsteuer in zivilrechtlicher Sicht, 1979 Steuerrechtliche Rechtsanwendung und allgemeine Rechtsordnung, 1983 Teilkommentierung, in: Kirchhof/Söhn, EStG, 1986ff. Handbuch der Personengesellschaften (Hrsg. Westermann u. a.) Teil „Steuerrecht“, Loseblatt (zuletzt 2017) Peter/Crezelius, Neuzeitliche Gesellschaftsverträge und Unternehmensformen, 5. Aufl., 1987 Bilanzrecht, 1988 Steuerrecht BT, 1991 Teilkommentierung, in: Scholz, GmbHG, 8. Aufl., 1993 Rückstellungen bei Umweltschutzmaßnahmen, 1993 Steuerrecht BT – Die einzelnen Steuerarten, 2. Aufl., 1994 Peter/Crezelius, Gesellschaftsverträge und Unternehmensformen, 6. Aufl., 1995 Grundkurs Bilanzrecht, 2. Aufl., 1995 Crezelius u. a., Unternehmenssicherung, 1995 Crezelius u. a., Unternehmensgestaltung durch Gesellschafterwechsel, 1995 Crezelius u. a., Gestaltungsplanung für den Erbfall und nach dem Erbfall, 1996 Crezelius u. a., Die GmbH und ihre Gesellschafter, 1997 Unternehmenserbrecht, 1998 Teilkommentierung, in: Scholz, GmbHG, 9. Aufl., 2000 Teilkommentierung, in: Kirchhof, EStG, 1. Aufl., 2001 Teilkommentierung, in: Kirchhof, EStG, 2. Aufl., 2002 Teilkommentierung, in: Kirchhof, EStG, 3. Aufl., 2003 Teilkommentierung, in: Kirchhof, EStG, 4. Aufl., 2004 Teilkommentierung, in: Kirchhof, EStG, 5. Aufl., 2005 Teilkommentierung, in Kirchhof, EStG, 6. Aufl., 2006

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Schriftenverzeichnis Georg Crezelius

Teilkommentierung, in Kirchhof, EStG, 7. Aufl., 2007 Teilkommentierung, in Kirchhof, EStG, 8.Aufl., 2008 Teilkommentierung in Scholz, GmbHG, 10.Aufl., 2007 Teilkommentierung in Scholz, GmbHG, 11.Aufl., 2014 Unternehmenserbrecht, 2. Aufl., 2009 Teilkommentierung, in: Kirchhof, EStG, 9. Aufl., 2010 Teilkommentierung, in: Kirchhof, EStG, 10. Aufl., 2011 Teilkommentierung, in: Kirchhof, EStG, 11. Aufl., 2012 Teilkommentierung, in: Kirchhof, EStG, 12. Aufl., 2013 Teilkommentierung, in: Kirchhof, EStG, 13. Aufl., 2014 Teilkommentierung, in: Kirchhof, EStG, 14. Aufl., 2015 Teilkommentierung, in: Kirchhof, EStG, 15. Aufl., 2016 Teilkommentierung, in: Kirchhof, EStG, 16. Aufl., 2017 Erbschaftsteuerreform 2016, 2017 (mit Benz, Blumenberg)

Aufsätze Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Verhältnis von Art. 12 GG und Besteuerung, in: Gedächtnisschrift für Friedrich Klein, 1977, S. 542 Konstitutives und deklaratorisches Schuldanerkenntnis, DB 1977, 1541 Culpa in contrahendo des Vertreters ohne Vertretungsmacht, JuS 1977, 796 Unverzinsliches Darlehen und Schenkungsteuerrecht, BB 1978, 621 Bewertung von Ansprüchen und Verpflichtungen auf Lieferung von Sachen, DStZ 1978, 243 Schenkungsteuerrechtliche Beurteilung gemischter Schenkungen, BB 1978, 1406 Zusammentreffen von Einkommensteuer und Erbschaftsteuer, BB 1979, 1342 Schenkungsteuer bei Grundstücksschenkungen, NWB 1979, 483 Erbfolge und Erbschaftsteuer, NWB 1979, 1967 Teilungsanordnung im Erbschaftsteuerrecht, NWB 1979, 2321 Vermächtnisse im Erbschaftsteuerrecht, NWB 1979, 2637 Gestaltungsmöglichkeiten des Ehegattenerbrechts, NWB 1980, 33 Ersparnismöglichkeiten im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht, NWB 1980, 1435

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Zur einkommensteuerrechtlichen Beurteilung des sogenannten Mietkauf-Modells, BB 1980, 619 Die Stellung der Vertretungsorgane in § 32 MitbestG – Zugleich zur Bedeutung der ultra-vires-Doktrin für das deutsche Recht, ZGR 1980, 359 Steuersystematische Überlegungen zur überhöhten Gewinnbeteiligung, BB 1980, 1481 Rechtsprechungstendenzen zur gemischten Schenkung, NWB 1981, 1303 Erlösverteilung bei Veräußerung von Sicherungsgut im Konkurs, NJW 1981, 383 Verkappte Analogien in der Finanzrechtsprechung, StuW 1981, 117 Zivilrechtliche Beziehungen beim Bauherren-Modell, JuS 1981, 494 Geldwerter Vorteil und Einkommensteuersystem – Zugleich zur einkommensteuerrechtlichen Beurteilung von Arbeitnehmerbeteiligungen, BB 1981, 1589 Das gemeinschaftliche Testament, NWB 1982, 447 Erbrechtswidrige Auseinandersetzungen und Erbschaftsbesteuerung, NWB 1982, 278 Die Erbersatzsteuer im Steuersystem, BB 1982, 323 Zur Stellung des § 176 HGB im Handels- und Gesellschaftsrecht, BB 1983, 5 „Aktienrechtliches Eigentum“, DB 1983, 2019 Untermiete und Mieterschutz, JZ 1984, 70 Beschränkte Steuerpflicht und Gestaltungsmissbrauch, DB 1984, 530 Zu den Rechtswirkungen der Anscheinsvollmacht, ZIP 1984, 791 Tendenzen der Rechtsfortbildung im Steuerrecht, BB 1984, 1377 Grundzüge der Erbschaft- und Schenkungsteuer, SteuerStud 1984, 76 Mieterinvestitionen und Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung, NWB 1985, 22 Grauer Kapitalmarkt und Rechtsordnung, BB 1985, 209 Ertragsbesteuerung der GmbH & Co. KG, SteuerStud 1985, 84 Zur Entwicklung der Kartellbesteuerung, in: Kartelle und Kartellgesetzgebung in Praxis und Rechtsprechung vom 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart, 1985, S. 167 Reaktionsmöglichkeiten der vorsorgenden Vertragspraxis für die GmbH auf das Bilanzrichtlinie-Gesetz, JbFASt. 1984/85, 425 Einführung in das Steuerrecht, JURA 1985, 243 Das Verhältnis des Steuerrechts zum Zivilrecht, SteuerStud 1985, 162 Steuerrechtliche Einordnung und arbeitsrechtliche Konsequenzen der pauschalen Lohnsteuer, BB 1985, 2057

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Zivilrechtliche und steuerrechtliche Probleme der Finanzierung von Personengesellschaften, JbFASt. 1985/86, 389 Leistungen an und durch Dritte im Lohnsteuerrecht, in: Grundfragen des Lohnsteuerrechts, JDStJG 9 (1986), S. 85 Abschied von der faktischen Mitunternehmerschaft, SteuerStud 1986, 263 Bereicherungshaftung der BGB-Gesellschafter, JuS 1986, 685 Witwenpensionen bei persönlich haftenden Gesellschaftern, NWB 1986, 2959 Das Handelsbilanzrecht in der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, ZGR, 1987, 1 Die Unternehmensbilanz auf dem Prüfstand des neuen Bilanzrechts – Handels- und Steuerrecht, JbFASt. 1986/87, 387 Die werdende GmbH – Gesellschaftsrechtliche Grundlagen, bilanz- und steuerrechtliche Konsequenzen, DStR 1987, 743 Mitunternehmerschaft, JbFASt. 1987/88, 367 Das sog. schwebende Geschäft in Handels-, Gesellschafts- und Steuerrecht, in: Festschrift für Georg Döllerer, 1988, S. 81 Einfluss der Handelsbilanz auf das zu versteuernde Einkommen/Bewertungsstetigkeit, Harzburger Protokoll 1988, 1988, S. 403 Mittelbare Grundstücksschenkung bei Übernahme von Baukosten, NWB 1989, 99 Erbschaftsbesteuerung und Witwenpensionen, NWB 1989, 1809 Rechtsprechungsüberholende Gesetzgebung und gesetzesüberholende Rechtsprechung, in: Festgabe für Günter Felix, 1989, S. 37 Aufwendungen und Zufluss  – Probleme der Praxis in steuersystematischer Sicht, ­JbFASt. 1988/89, 175 Rechtsordnung und Rechtskultur, GmbHR 1989, 242 Grundstücksveräußerung und Umsatzsteueroption, DB 1989, 1254 Wechsel im Gesellschafterbestand von Personengesellschaften, JbFASt. 1989/90, 219 Vom Beruf des Juristen für das Steuerrecht, JZ 1990, 985 Zu den Rechtsfolgen verdeckter Sacheinlagen im GmbH-Recht, DB 1990, 2458 Einführung in das Handelsbilanzrecht, JA 1990, 366, 1991, 1 Entwicklungen zu Kernfragen der Gestaltungspraxis bei Personengesellschaften, ­JbFASt. 1990/91, 225 Gestaltungsüberlegungen bei der Nachfolge in Unternehmensvermögen, Deutscher Steuerberatertag 1990, 129 Zivilrechtliche Aspekte des Schütt-aus-hol-zurück-Verfahrens, ZIP 1991, 499 962

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Die doppelstöckige Personengesellschaft im Einkommensteuerrecht, JZ 1991, 546 Ertragsteuerliche Kernfragen der Gestaltungspraxis bei Personengesellschaften, ­JbFASt. 1991/92, 187 Unternehmertestament und Erbvertrag im Lichte neuester Rechtsprechung des BGH und des BFH, Harzburger Protokoll 1991, S. 127 Steuerrechtliche Aspekte von Investitionen in den neuen Bundesländern, Deutscher Steuerberatertag 1991, 53 Gewinnermittlung vs. Gewinnverwendung, in: Festschrift 100 Jahre GmbH-Gesetz, 1992, S. 315 Zur Bildung von Rückstellungen für Umweltschutzmaßnahmen, DB 1992, 1353 Der Steuerjurist der Zukunft und die Universitäten, in: Perspektiven der Finanzverwaltung, 1992, S. 146 Die isolierende Betrachtungsweise, insbesondere die grenzüberschreitende Betriebsaufspaltung, StVj 1992, 322 Unternehmenssteuerreform aus nationaler Sicht und Entwicklungen in Europa, ­JbFASt. 1992/93, 33 Ertragsteuerrechtliche Gestaltungsberatung zu Kernbereichen der Personengesellschaften, JbFASt. 1992/93, 205 Kapitalersetzende Darlehen und qualifizierter faktischer Konzern  – gesellschaftsrechtliche Tendenzen und steuerrechtliche Konsequenzen für die GmbH, Deutscher Steuerberatertag 1992, 169 Der Mitunternehmerbegriff – ein Chamäleon?, in: Festschrift für Ludwig Schmidt, 1993, S. 355 Organschaft und Ausland, in: Festschrift für Karl Beusch, 1993, S. 153 Gefahren verdeckter Sacheinlagen bei der GmbH, Wprax 1/1994, 5 Probleme des Anteilsübergangs und § 16 GmbHG, Wprax 1/1994, 7 Eigenkapitalersetzende Nutzungsüberlassungen, Wprax 1/1994, 9 Schwerpunkte ertragsteuerrechtlicher Entwicklungen bei den Personengesellschaften, JbFASt. 1993/94, 277 Kommanditeinlage von Todes wegen, Wprax 6/94, 2 Maßgeblichkeitsgrundsatz in Liquidation?, DB 1994, 689 Rückstellungen für Umweltschutz?, NJW 1994, 981 GmbH-Anteile im Erbfall, Wprax 7/94, 2 Pflichtteilsverzicht als Nachlassgestaltung, Wprax 8/94, 2

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Sicherung der Unternehmensnachfolge und Besteuerung, in: Grundfragen der Unternehmensbesteuerung, DStJG 17 (1994), S. 135 Ertragsteuerliche Praxisprobleme, Deutscher Steuerberatertag 1993, 241 Auswirkungen des Unentgeltlichkeitsbegriffs bei der vorweggenommenen Erbfolge, Wprax 18/94, 11 Schenkungsteuerpflicht ehebedingter Zuwendungen, NJW 1994, 3066 Steuervereinfachung und Steuerstaat, in: Festschrift für Dietrich Meyding, 1995, S. 61 Personengesellschaften in der Landwirtschaft, in: Vorträge der 45. Godesberger Steuerfachtagung 1994, 1994, S. 7 Zivilrechtsprobleme der Betriebsaufspaltung, Wprax 1995, 22 Formwechsel und Grunderwerbsteuer, Wprax 1995, 102 Personengesellschaften im Spannungsfeld von Zivilrecht und Steuerrecht, JbFASt. 1994/95, 251 Ertragsteuerrechtliche Praxisprobleme, Deutscher Steuerberatertag 1994, 1995, 317 Grundsätzliches und Zweifelsfragen zum Umwandlungsrecht 1995,  Stbg. 1995, 438 (Teil I), 497 (Teil II) Erbschaftsteuerrecht und Erbschaftsteuerpolitik, in: Festschrift für Klaus Tipke, 1995, S. 403 Kodifizierte und rechtsprechungstypisierte Umgehungen, StuW 1995, 313 Die Übertragung von GmbH-Beteiligungen  – Zivilrecht und Steuerrecht, in: Festschrift für Karlheinz Boujong, 1996, S. 47 Offene Felder der Ertragsbesteuerung bei den Personengesellschaften, JbFASt. 1995/96, 275 Ertragsteuerrechtliche Praxisprobleme mit Renten, dauernden Lasten und Nießbrauch, Stbg. 1996, 193, 251 Wettbewerbsverbote im GmbH-Recht  – Steuerrecht contra Gesellschaftsrecht? in: Gesellschaftsrecht 1995 (Hrsg. Henze/Timm/Westermann), 1996, S. 47 Zu einbringungsgeborenen Anteilen, in: Festschrift für Franz Josef Haas, 1996, S. 79 Die Bilanz als Rechtinstitut, in: Festschrift für Carl Zimmerer, 1996, S. 509 Steuerrechtliche Folgen der Sanierung, in: Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz (Hrsg. K. Schmidt/Uhlenbruck), 1997, S. 210 Steuerrechtliche Folgen der Liquidation, in: Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz (Hrsg. K. Schmidt/Uhlenbruck), 1997, S. 246 Steuerrechtliche Folgen im eröffneten Insolvenzverfahren, in: Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz (Hrsg. K. Schmidt/Uhlenbruck), 1997, S. 429 964

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Erbschaftsteuerrecht als Unternehmensrecht, in: Festschrift für Wolfgang Ritter, 1997, S. 331 Einkunftsermittlung bei Personengesellschaften, JbFASt. 1996/97, 271 Pläne für Neuregelung der Substanzsteuern nach den Beschlüssen des BVerfG zur Verfassungswidrigkeit der derzeitigen Einheitsbewertung, JbFASt. 1996/97, 493 Ertragsteuerliche Praxisprobleme, Stbg. 1997, 97 Der Verstrickungswert bei § 17 EStG, DB 1997, 195 Gesamthandsbilanz und Körperschaftsteuersystem, in: Festschrift für Carsten Peter Claussen, 1997, S. 621 Steuerrechtsfolgen der Liquidation der Kapitalgesellschaft, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 1997, S. 1031 Überlegungen zu § 13a Abs. 4 und 5 ErbStG 1997, DB 1997, 1584 Faktischer Konzern und steuerrechtliche Organschaft, in: Festschrift für Bruno Kropff, 1997, S. 37 Identitätswahrende Sitzverlegung und wesentliche Beteiligung, DStR 1997, 1712 Bestimmte Zeit und passive Rechnungsabgrenzung, DB 1998, 633 Gestaltungsprobleme nach der Erbschaftsteuerreform, Harburger Steuerprotokoll 1997, 1998, S. 301 Ertragsteuerrechtliche Praxisprobleme, Stbg. 1998, 202, 252, 304 Problemfelder in der Gestaltungspraxis der Personengesellschaften, JbFASt. 1997/98, 275 Entlastung von Betriebsvermögen im neuen Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht, JbFASt. 1997/98, 507 Steuerrechtliche Folgen der Sanierung, in: Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz (Hrsg. K. Schmidt/Uhlenbruck), 2. Aufl., 1999, S. 242 Steuerrechtliche Folgen der Liquidation, in: Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz (Hrsg. K. Schmidt/Uhlenbruck), 2. Aufl., 1999, S. 294 Steuerrechtliche Folgen im eröffneten Insolvenzverfahren, in: Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz (Hrsg. K. Schmidt/Uhlenbruck), 2. Aufl., 1999, S. 558 Jahresabschlusspublizität bei deutscher Kapitalgesellschaft, ZGR 1999, 252 Stiftungsrecht – quo vadis?, ZIP 1999, 337 Einfluss körperschaftsteuerrechtlicher Grundsätze auf die Mitunternehmerbesteuerung, JbFASt. 1998/99, 269 Gestaltungs- und Anwendungsprobleme des ErbStG 1997, JbFASt. 1998/99, 495

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Die „Rückgabe“ gesellschaftsrechtlicher Beteiligungen, in: Der Fachanwalt für Steuerrecht im Rechtswesen, 1999, S. 221 Ertragsteuerliche Praxisprobleme, Stbg. 1999, 263, 335 Verhältnis der Erbschaftsteuer zur Einkommen- und Körperschaftsteuer, in: Steuern auf Erbschaft und Vermögen, DStJG 22 (1999), S. 73 Vermeidung von Sanierungsgewinnen, EStB 1999, 85 Steuerrechtsfolgen der Liquidation der Kapitalgesellschaft, in: Kölner Schrift zur Insolvenzordnung, 2. Aufl., 2000, S. 1347 Gestaltungen mit Nachfolgeklauseln, EStB 2000, 15 Eigenkapitalersatz und Steuerrecht, in: Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2000, S. 361 Überlegungen zu einem Allgemeinen Teil des Umwandlungsrechts, in: Festschrift für Siegfried Widmann, 2000, S. 241 Kernfragen der Personengesellschaften im Umbruch, JbFASt. 1999/2000, 339 Gestaltungsüberlegungen bei Vermögensübertragungen, insbesondere bei Unternehmensvermögen, JbFASt. 1999/2000, 589 Steuersenkungsgesetz: § 8b Abs. 3 Satz 2 KStG 2001 – ein steuergesetzliches Verwirrspiel, DB 2000, 1631 Objektive und subjektive Elemente bei Unterbilanzen, in: Festschrift für Wilhelm Uhlenbruck, 2000, S. 619 Das Gesetz zur weiteren steuerlichen Förderung von Stiftungen, ZEV 2000, 421 Pflichtteilsabfindung und Erbschaftsteuer, BB 2000, 2333 Dogmatische Grundstrukturen der Unternehmenssteuerreform, DB 2001, 221 Dogmatik der vorweggenommenen Erbfolge und § 13a ErbStG, ZEV 2001, 209 Neuregelung des § 42 AO? – Vom Missbrauch des Missbrauchs, DB 2001, 2214 Quintessenzen aus Entwicklungen der traditionellen Gestaltungen bei Personengesellschaften, JbFASt. 2000/2001, 259 Unternehmensperpetuierung  – Zivil- und steuerrechtliche Gestaltungsmöglichkeiten, JbFASt. 2000/2001, 505 Fairness im Steuerrecht, Stbg. 2001, 11 Grenzüberschreitungen bei steuerrechtlichen Dokumentationspflichten, BB 2002, 1121 Erbschaftsteuerprobleme beim Pflichtteilsrecht, ZErb 2002, 142 Finanzierungsaufwendungen in der Betriebsaufspaltung, DB 2002, 1124 Steuerrechtliche Verfahrensfragen bei grenzüberschreitenden Sachverhalten, IStR 2002, 433 966

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Eigenkapitalersatz und Steuerrecht, in: Handbuch des Kapitalersatzrechts, 2.  Aufl., 2002, S. 425 Besteuerung aus Drittverhalten?, FR 2002, 805 Personengesellschaftsbesteuerung zwischen Unternehmenssteuerreform und Rechtsprechungsentwicklung, JbFASt. 2001/2002, 277 Das Unternehmenstestament und die vorweggenommene Erbfolge nach der Unternehmenssteuerreform – Zivilrecht und Steuerrecht, JbFASt. 2001/2002, 507 Vom Zustand des gegenwärtigen Steuerrechts, Stbg. 2002, 558 Zum Grundverständnis des Mantelkaufs, DB 2002, 2613 Ertragsteuerliche Folgen bei Verfügungen und Gestaltungen im Leben der Personengesellschaften nach der Unternehmenssteuerreform, JbFASt. 2002/2003, 293 Gestaltungsstrukturen der Vermögens- und Unternehmensnachfolge, JbFASt. 2002/2003, 579 Die Rückbezüglichkeit in § 17 EStG, DB 2003, 230 Was ist Recht im Bilanzrecht?, ZIP 2003, 461 Steuerrechtliche Folgen der Sanierung, in: Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz (Hrsg. K. Schmidt/Uhlenbruck), 3. Aufl., 2003, S. 274 Steuerrechtliche Folgen der Liquidation, in: Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz (Hrsg. K. Schmid/Uhlenbruck), 3. Aufl., 2003, S. 364 Steuerrechtliche Folgen im eröffneten Insolvenzverfahren, in: Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz (Hrsg. K. Schmidt/Uhlenbruck), 3. Aufl., 2003, S. 755 Das Argumentationsmuster des sog. Gesamtplans, FR 2003, 537 Rechtliche und steuerrechtliche Aspekte der Unternehmenskrise, in: Steuergestaltung und Beratungskonsequenzen 2003, 2003, S. 255 Steuerrechtliches zu Arbeitnehmerentschädigungen, in: Festschrift für Peter Schwerdt­ ner, 2003, S. 541 Mitunternehmerschaften – national und international, JbFASt. 2003/2004, 335 Kompetenz- und Verfahrensprobleme bei der Unternehmensnachfolge, JbFASt. 2003/2004, 557 Gewährung von Gesellschaftsrechten bei §  6 Abs.  5 EStG, §§  20,  24  UmwStG, DB 2004, 397 10 Jahre ZEV: Die Entwicklung des Steuerrechts, ZEV 2004, 45 Die Vor- und Nacherbschaft und das Erbschaftsteuerrecht – ein rechtssystematisches Kuriosum, in: Festschrift für Helmut Kollhosser, 2004, Bd. II, S. 65 Die Finanzierung der GmbH, Steuer-Journal 2004, H. 23/S. 33 967

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Bewertung eines im Wege eines Vermächtnisses übergegangenen Grundstücks, ZEV 2004, 476 Vereinbarung von Vermögensübertragungen gegen Versorgungsleistungen, in: 55. Godesberger Steuerfachtagung 2004, 2004, S. 31 Steuerrechtsfragen der Sachwertabfindung, in: Festschrift für Klaus Korn, 2005, S. 273 Die werdende Kapitalgesellschaft im Körperschaftsteuerrecht, in: Festschrift für Franz Wassermeyer, 2005, S. 15 Steuergesetzgebung im Steuerstaat, Stbg 2005, 101 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2005, 212 Scheingeschäfte und Strohmanngeschäfte, insbesondere im Steuerrecht, in: Festschrift für Gerhard Otte, 2005, S. 39 Überschuldung und Bilanzierung, in: Festschrift für Volker Röhricht, 2005, S. 787 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2005, 321 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2005, 442 Währungsgewinne bei § 17 EStG, DB 2005, 1924 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2005, 542 Friktionen zwischen Insolvenzrecht und Steuerrecht, NZI 2005, 583 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2005, 668 Überlegungen zu einer Reform der Erbschaftsteuer in: Festschrift für Hermann Otto Solms, 2005, S. 213 Personengesellschaften: Entwicklungen in Gesetzgebung, Rechtsprechung und Verwaltung, JbFASt. 2004/2005, 335 Entwicklungslinien bei Vermögens- und Unternehmensnachfolge, JbFASt. 2004/2005, 569 Erbschaft- und Schenkungsteuer als Beratungsaufgabe, FR 2005, 1223 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2005, 86 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2006, 210 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2006, 338 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2006, 450 Erbschaft als Betriebseinnahme, ZEV 2006, 421 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2006, 572 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2006, 690 Ertragsteuerrechtliche Problemfelder der Personengesellschaften, JbFASt 2005/2006, 321 968

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Entwicklungslinien bei Vermögens- und Unternehmensnachfolge JbFASt 2005/2006, 539 Privilegierung von Produktivvermögen im Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht, DB 2006, 2252  Überlegungen zum steuerrechtlichen Eigenkapitalersatz in: Festschrift für Arndt Raupach, 2006, S. 327 Neue erbschaft- und schenkungsteuerrechtliche Aspekte für die Unternehmensnachfolge, in: HLBS Fachtagung 2006, 2007, S. 21 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2007, 91 Ertragsteuerrechtliche Entwicklungen und Gestaltungen im Leben der Personengesellschaften, JbFASt. 2006/2007, 315 Entwicklungslinien bei Vermögens- und Unternehmensnachfolge, JbFASt. 2006/2007, 541 Die Erbschaft- und Schenkungsteuer nach der Entscheidung des BVerfG vom 7.11.2006, DStR 2007, 415 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2007, 220 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2007, 332 Gesellschaftsrecht und § 17 EStG, in: Festschrift für Hans-Joachim Priester, 2007, S. 55 Vom Missbrauch zum Misstrauen: Zur geplanten Änderung des § 42 AO, DB 2007, 1428 Die Entwicklung des Erbschaftsteuerrechts in den letzten 100 Jahren, FR 2007, 613 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2007, 444 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2007, 571 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2007, 708 Zur Methodologie des gegenwärtigen Steuerrechts, Stbg. 2007, 449 Mehrfachbelastungen mit Erbschaftsteuer und Ertragsteuern nach der Entscheidung des BVerfG vom 7.11.2006, BB 2007, Beilage 10 Der Entwurf eines Gesetzes zur Reform des Erbschaftsteuer- und Bewertungsrechts, DStR 2007, 2277 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2008, 83 Ertragsteuerrechtliche Entwicklungen und Gestaltungen im Leben der Personengesellschaften, JbFASt. 2007/2008, 323 Entwicklungslinien bei Vermögens- und Unternehmensnachfolge, JbFASt. 2007/2008, 577 Rechtssystematisches zur Kunstrestitution, KuR 2007, 125 969

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Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2008, 226 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2008, 351 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2008, 472 Schiedsgerichte und Erbrecht, in: Festschrift für Harm Peter Westermann, 2008, S. 161 Zur Thesaurierungsbegünstigung nach § 34a EStG, in: Festschrift für Wolfram Reiß, 2008, S. 399 Schenkungsteuer bei Gesellschafterleistungen an eine Kapitalgesellschaft, ZEV 2008, 154 Verdeckte Gewinnausschüttungen zwischen Zivilrecht, Ertragsteuerrecht und Schenkungsteuerrecht, ZEV 2008, 268 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2008, 602 Schutz von Unternehmen gegen Zerschlagung durch Pflichtteil oder Zugewinn, in: Verdient – unverdient, 2008, S. 13 Analogieanweisungen in Steuergesetzen, FR 2008, 889 Aktuelle Schnittstellen zwischen Gesellschaftsrecht und Steuerrecht, in: GesRJA­ Tagung 2008, 2008, S. 219 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2008, 727 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2009, 94 Das neue Erbschaft- und Schenkungsteuerrecht im Rechtssystem, ZEV 2009, 1 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2009, 222 Steuerrechtliche Folgen der Sanierung, in: Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 4.Aufl., 2009, S. 305 Steuerrecht in der Liquidation, in: Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 4.Aufl., 2009, S. 374 Steuerrechtliche Folgen im eröffneten Insolvenzverfahren, in: Die GmbH in Krise, Sanierung und Insolvenz, 4.Aufl., 2009, S. 827 Ertragsteuerliche Entwicklungen und Gestaltungen im Leben der Personengesellschaften, JbFASt. 2008/2009, 381 Entwicklungslinien bei Vermögens- und Unternehmensnachfolge, JbFASt. 2008/2009, 659 MoMiG – Steuerrechtliche Aspekte, Steueranwalt 2008/2009, S. 41 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2009, 364 Personengesellschaftsverträge und Thesaurierungsbegünstigung in: Festschrift für Sebastian Spiegelberger, 2009, S. 65

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Steuerrechtsfragen der atypisch stillen Gesellschaft, in: Festschrift für Harald Schaumburg, 2009, S. 239 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolven, NZI 2009, 507 Die Umsetzung der sog. Washingtoner Prinzipien, in: Verantwortung übernehmen, 2009, S. 133 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2009, 675 Systeminkonsequenzen und Rückausnahmen, FR 2009, 881 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2009, 837 Zum Verweis auf § 302 AktG in § 17 KStG, Ubg. 2009, 733 Aussetzung der Vollziehung ErbStG 2009, ZEV 2009, 647 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2010, 88 Ertragsteuerliche Entwicklungen und Gestaltung im Leben der Personengesellschaften, JbFASt. 2009/2010, 419 Entwicklungslinien bei Vermögens- und Unternehmensnachfolge, JbFASt. 2009/2010, 655 Steuerrechtliches zu Eigenkapital und Fremdkapital, in: Gedächtnisschrift für Malte Schindhelm, 2009, S. 179 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2010, 252 Betriebsaufspaltung mit börsennotierter AG?, FR 2010, 297 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2010, 435 Latente Einkommensteuer und Erbschaftsteuer, ZEV 2010, 328 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2010, 599 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2010, 761 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2010, 935  Pflichtteilsverzicht und Einkommensteuer, MittBayNot 2010, 510 Ertragsteuerrechtliche Entwicklungen der Personengesellschaften, JbFASt. 2010/2011, 429 Entwicklungslinien bei Vermögens- und Unternehmensnachfolge, JbFASt. 2010/2011, 711 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2011, 100 Die Betriebsaufspaltung – ein methodologischer Irrgarten, in: Festschrift für Michael Streck, 2011, S. 45 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2011, 279 Geringwertige Wirtschaftsgüter im Stuttgarter Verfahren, ZEV 2011, 276 971

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Nachsteuertatbestände und Umwandlungsteuerrecht, FR 2011, 401 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2011, 437 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2011, 581 Disquotale Einlagen und verdeckte Gewinnausschüttungen, ZEV 2011, 393 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2011, 757 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2011, 932 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2012, 72 Verfassungswidrigkeit des reformierten Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes?, ZEV 2012, 1 Ertragsteuerrechtliche Entwicklungen und Gestaltungen im Leben der Personengesellschaften, JbFASt. 2011/2012, 433 Entwicklungslinien bei Vermögens- und Unternehmensnachfolge, JbFASt. 2011/2012, 691 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2012, 267 „Einheitsbilanzierung“ bei Betriebsaufspaltung?, DB 2012, 651 Noch einmal: Disquotale Einlagen und verdeckte Gewinnausschüttungen, Ubg. 2012, 190 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2012, 446 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2012, 606 Steuerschulden des Erblassers, ZEV 2012, 504 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2012, 750 Der Pflichtteilsanspruch zwischen Zivilrecht und Steuerrecht, in: Festschrift für Manfred Bengel und Wolfgang Reimann, 2012, S. 33 Erbschaftsteuer auf Unternehmensvermögen, BB 2012, 2979 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2012, 958 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2013, 76 Ertragsteuerrechtliche Entwicklungen und Gestaltungen im Leben der Personengesellschaften, JbFASt. 2012/2013, 429 Entwicklungslinien bei Vermögens- und Unternehmensnachfolge, JbFASt. 2012/2013, 799 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2013, 281 Inkongruente Einlagen und verdeckte Gewinnausschüttungen  – Schenkungsteuerrecht, Ertragsteuerrecht, Zivilrecht, Steueranwalt 2012/2013, 2013, S. 139 Freigebige Zuwendungen bei Kapitalgesellschaften, ZEV 2013, 286 972

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Erbe und Leistung: Für und Wider einer Ausweitung der Erbschaftsteuer, Bucerius Law Journal 2013, 39 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2013, 480 Umstrukturierungen und Gesamtplan, BB Unternehmenssteuerrecht, 2013, 27 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2013, 633 Gesellschaftsrechtliche Gestaltungen zur Erbschaftsteueroptimierung, in: Die Verträge der Familienunternehmer (Hrsg. Röthel / K. Schmidt), 2013, S. 9 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2013, 838 Konzeptionswechsel bei der Erbschaftsteuer?, DB 2013, H. 44 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2013, 1010 Restriktionen steuerrechtlicher Subsysteme, FR 2013, 1065 Steuerrecht zwischen Konsens und Konfrontation, DStR 2013, Beihefter H. 51-52 Ertragsteuerrechtliche Entwicklungen und Gestaltungen im Leben der Personengesellschaften, JbFASt. 2013/2014, 389 Entwicklungen bei Vermögens- und Unternehmensnachfolge, JbFASt. 2013/2014, 703 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2014, 63 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2014, 255 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2014, 447 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2014, 646 Zinslose Darlehen bei nichtehelichen Lebensgemeinschaften, MittBayNot 2014, 49 Sanierungsgewinne – ein Sanierungshindernis, SteuerStud 2014, 505 Phantomgewinne?, NZI 2014, Editorial H. 18 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2014, 798 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2014, 995 Kunst in Nachlass – Ertrag- und erbschaftsteuerrechtliche Probleme, ZEV 2014, 637 Ertragsteuerliche Entwicklungen und Gestaltungen im Leben der Personengesellschaften, JbFASt. 2014/2015, 395 Entwicklungslinien bei Vermögens- und Unternehmensnachfolge, JbFASt. 2014/2015, 753 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2015, 60 Die Erbschaftsteuerentscheidung des BVerfG – erste steuersystematische Überlegungen, ZEV 2015, 1 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2015, 268 973

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Bilanzsteuerrecht zwischen rechtlicher und wirtschaftlicher Behandlungsweise, in: Festgabe für Heinrich List zum 100. Geburtstag, 2015, S. 54 UmwStG und ErbStG, DStZ 2015, 399 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2015, 459 Versicherungssteuer  – terra incognita des Steuerrechts? in: Festschrift für Wilhelm Haarmann, 2015, S. 425 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2015, 647 Konkurrenz zwischen Einkommensteuer und Erbschaft- und Schenkungsteuer, ZEV 2015, 392 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2015, 794 Fictio naturam imitatur, quantum potest – über Fiktionen im Erbschaft- und Schenkungsteuergesetz, in: Festschrift für Jens Peter Meincke, 2015, S. 65 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2015, 973 Risiko Rangrücktritt, NZI 2015, Editorial H. 24 Aktuelle Ertragsteuerfragen zu Personengesellschaften, JbFASt. 2015/2016, 451 Entwicklungslinien bei Vermögens- und Unternehmensnachfolge, JbFASt. 2015/2016, 737 Methodologisches zur Rechtsprechung des I. Senats des BFH, in: Festschrift für Dietmar Gosch, 2016, S. 47 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2016, 75 Mietzahlungen bei GmbH und Schenkungsteuer, ZEV 2016, 107 Gewaltenteilung aktuell, Steuer und Studium 2016, 205 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2016, 251 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2016, 440 Verdeckte Einlagen und Schenkungsteuer, ZEV 2016, 283 Einkunftsartenkonkurrenz bei Mitarbeiterbeteiligungen in: Festschrift für H.-Michael Korth, 2016, S. 199 ErbStG nach dem 30.6.2016 – Steuerpause?, ZEV 2016, 367 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2016, 620 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2016, 769 Erbschaftsteuerreform 2016 – Ein rechtssystematischer Überblick, ZEV 2016, 541 Reformoptionen bei der Erbschaftsteuer, in Halbzeitbilanz GroKo, 2016, S. 2i Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2016, 943 974

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Rechtsentwicklungen im Bilanzrecht, DB 2016, Beilage 6, S. 3 (mit Schaflitzl) Aktuelle Ertragsteuerfragen in Personengesellschaften, JbFASt. 2016/2017, 481 Entwicklungslinien bei Vermögens- und Unternehmensnachfolge, JbFASt. 2016/2017, 767 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2017, 57 Erbschaft als Betriebseinnahme ZEV 2017, 172 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2017, 256 Versteuerrechtlichung, NZI 2017, Editorial H. 9 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2017, 439 § 8c KStG nach der Entscheidung des BVerfG, DB 2017, 1406 (mit Blumenberg) Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2017, 602 Aktuelle Steuerrechtsfragen in Krise und Insolvenz, NZI 2017, 748 Reform des Erbschaft- und Schenkungsteuergesetzes, in: Hereditare 7 (2017), S. 47 Rechtsentwicklungen im Bilanzrecht 2017, DB 2017, Beilage 3, S. 3 (mit Schaflitzl) Aktuelle Ertragsteuerfragen zu Personengesellschaften, JbFASt. 2017/2018, 481 Entwicklungslinien bei Vermögens- und Unternehmensnachfolge, JbFASt. 2017/2018, 747

Anmerkungen: KG, NJW 1976, NJW 1976, 1639 LG Arnsberg, NJW 1978, 1588, NJW 1978, 2158 BFHE 127, 437, StRK ErbStG 1959 § 14 R. 4 BFHE 128, 266, BB 1979, 1594 BFH v. 12.7.1979 II R 26/78, SteuerStud 1980, 43 BFH v. 11.10.1978 II R 172/72, SteuerStud 1980, 212 BFH v. 30.3.1982 III R 150/80, ZIP 1982, 874 BFH v. 1.7.1982 IV R 152/79, StRK EStG 1975 § 16 Erbfall R. 7 BFH v. 13.7.1983 II R 105/83, StRK ErbStG 1974 § 10 R 4 BFH v. 10.11.1983 IV R 62/82, DB 1984, 650 BFH v. 14.2.1984 VIII R 221/80, StRK EStG 1975 § 11 R BGH v. 25.10.1984 VII ZR 2/84, EWiR § 714 BGB 1/85, 81 BGH v. 6.12.1984 X ZR 103/83, EWiR § 419 BGB 1/85, 69 975

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OLG Hamm v. 7.11.1984 8 U 338/83, EWiR § 705 BGB 1/85, 281 BFH v. 24.7.1984 VIII R 65/84, StRK EStG 1975 § 15 Abs. 1 Nr. 2 Mitunternehmer R 10 BFH v. 8.11.1984 IV R 186/82, v. 6.12.1984 IV R 135/83, JZ 1985, 904 BGH v. 27.3.1985 VIII ZR 5/84, EWiR § 387 BGB 1/85, 363 BGH v. 8.7.1985 II ZR 269/84, EWiR § 171 HGB 2/85, 793 BFH v. 6.3.1985 II R 19/84, SteuerStud 1985, 337 BGH v. 8.7.1985 II ZR 150/84, EWiR § 2314 BGB 1/85, 877 BGH v. 24.10.1985 VII ZR 337/84, EWiR § 51 ZPO 1/86, 203 BGH v. 15.1.1986 VIII ZR 6/85, EWiR § 164 BGB 2/86, 335 BFH v. 11.6.1985 VIII R 252/80, StRK EStG 1975 § 15 Abs. 1 Nr. 2 Mitunternehmer R. 15 OLG Köln v. 7.1.1986 22 U 93/85, EWiR § 19 GmbHG 2/86, 585 BGH v. 27.5.1986 III ZR 239/84, EWiR § 839 BGB 1/86, 789 BGH v. 16.12.1985 II ZR 38/85, WuB § 740 BGB 1/86, 1113 BFH v. 24.9.1985 IX R 2/80, StRK § 10 EStG 1985 Allg. R 1 BFH v. 24.4.1986 IV R 282/84, EWiR § 3 Nr. 66 EStG 1/86, 987 BFH v. 30.7.1986 V R 41/76, EWiR § 1 UStG 2/86, 1143 BFH v. 5.6.1986 IV R 52/82, EWiR § 15 EStG 1/87, 47 BFH v. 6.5.1986 VIII R 300/82, SteuerStud 1987, 145 OLG Köln v. 11.3.1987 2 Wx 72/86, EWiR § 3 GmbHG 2/87, 477 BFH v. 29.10.1986 I R 318 – 319/83, I R 202/82, JZ 1987, 731 BFH v. 12.11.1986 I R 113/83, EWiR § 15 EStG 2/87, 683 BGH v. 2.6.1987 X ZR 39/86, EWiR § 649 BGB 1/87, 875 BGH v. 7.10.1987 IVa ZR 67/86, EWiR § 675 BGB 8/87, 1181 BFH v. 29.4.1987 I R 192/82 JZ 1988, 53 BFH v. 8.10.1987 IV R 18/86, EWiR § 249 HGB 1/88, 281 BFH v. 25.8.1987 IX R 65/86, WuB I G 5 Börsenrecht 4/88, 407 BGH v. 7.12.1987 II ZR 201/87, EWiR § 730 BGB 1/88, 447 OLG Koblenz v. 28.4.1988 6 U 227/87, EWiR § 27 AktG 1/88, 635 BFH v. 11.8.1987 II R 163/83, WuB I G 7 Immobilienanlagen 14/88, 1215 BFH v. 7.10.1987 II R 187/80, EWiR § 97 BewG 1/88, 1155 976

Schriftenverzeichnis Georg Crezelius

BFH v. 22.7.1988 III R 175/85, KFR § 4 EStG 4/89, 17 BFH v. 14.4.1988 IV R 225/85, EWiR § 4 EStG 1/89, 47 BFH v. 3.8.1988 II R 39/86, JZ 1989, 303 BayObLG v. 24.11.1988 BReg 3 Z 111/88, EWiR § 68 AktG 1/89, 427 BGH v. 7.11.1988 3 StR 258/88, EWiR § 8 KStG 1/89, 499 BFH v. 13.10.1988 IV R 220/85, WuB IG 5 Bankrecht 6/89, 731 BFH v. 20.7.1988 I R 49/84, WuB X Steuerrecht § 49 EStG 1/89, 801 OLG Hamm v. 19.5.1989 11 U 158/88, EWiR § 714 BGB 1/89, 979 BFH v. 27.6.1989 VII R 100/86, EWiR § 714 BGB 1/90, 43 BGH v. 11.12.1989 II RZ 78/89, EWiR § 172 HGB 1/90, 169 OLG Köln v. 22.5.1990 22 U 272/89, EWiR § 19 GmbHG 3/90, 693 BGH v. 24.9.1990 II ZR 203/89, EWiR § 7 GmbHG 1/90, 1207 BFH v. 5.7.1990 GrS 2/89, EWiR § 16 EStG 1/91, 61 FG Köln v. 21.2.1990 12 K 213/84, WuB X Steuerrecht § 15 EStG 1/91, 317 BGH v. 28.1.1991 II RZ 20/90, WuB IV D § 249 HGB 1/91, 749 BGH v. 7.11.1991 IX ZR 3/91, EWiR § 249 BGB 4/92, 235 BGH v. 28.1.1992 XI ZR 149/91, EWiR § 164 BGB 1/92, 435 BFH v. 5.2.1992 I R 127/90, EWiR § 8 KStG 1/92, 691 AG Düsseldorf v. 11.3.1993 51 C 11.687/82, EWiR § 302 AktG 3/93, 531 BGH v. 5.7.1993 II RZ 134/92, EWiR § 730 BGB 2/93, 971 BGH v. 5.11.1993 II ZR 235/92, EWiR § 256 AktG 1/94, 9 BGH v. 21.7.1994 II ZR 82/93, EWiR § 246 HGB 1/94, 891 BFH v. 30.8.1995 I R 155/94, EWiR § 8 KStG 1/96, 35 OLG Karlsruhe v. 23.1.1995 9 U 24/95, ZIP 1996, 230 BGH v. 13.11.1995 II ZR 113/94, EWiR § 30 GmbHG 1/96, 121

977

Stichwortverzeichnis

Abfärbewirkung

– atypisch stille Gesellschaft 284 Abfindungsregelung – Mitunternehmer 215 Abkommensrecht – Art. 9 Abs. 1 OECD-MA 737 ff. – Auslegung 793 ff., 798 ff. – Fremdvergleich 735 ff. – Sperrwirkungen 735 ff. Abstraktes Schuldanerkenntnis 3 f.; s. a. Schuldanerkenntnis Abstraktionsprinzip – Ausschluss der causa 22 ff. – Erfüllungstheorie 19 ff. – Leistungstheorie 19 ff. – rechtlicher Grund 19 ff., 22 ff. – Schuldanerkenntnis 22 ff. – Verfügungsgeschäft 19 ff. – Zweckverfolgung 19 ff. Abzugsfähigkeit – latente Ertragsteuern 609 ff. Abzugsteuer – Haftung des Vertretenen gemäß § 70 AO 848 f. Abzugsverbot, § 4 Abs. 5 EStG – betrieblich genutztes Arbeitszimmer 338, 347 f. – privat genutztes Betriebs-Kfz 338 ff., 348 f. – Rechtsprechung 334 ff. – Repräsentationsaufwand 337 f., 347 – Veräußerung von Wirtschaftsgütern 329 ff. – Veräußerungsgewinn 334 ff. AGB-Kontrolle – Möglichkeit der Einflussnahme 148 f. – Schiedsklausel 148 f. – überraschende Klausel 149 – unangemessene Benachteiligung 149 AIFM-Steueranpassungsgesetz 763

Aktiengesellschaft – Formwechsel 161 f., 167 ff. – mittelbare eigene Anteile 161 f., 167 – Organhaftung 153 – Schiedsklausel 152 f. – Verbrauchereigenschaft, Vorstand 140 ff. Aktivierung – streitige Forderung 243 Anfallprinzip – Erbfall/Erbauseinandersetzung 43 Anteile, eigene – Formwechsel 158 ff. – mittelbare 157 ff. Anteile, mittelbare eigene – an Aktiengesellschaften 161 f. – Anwendbarkeit der Grundsätze zu eigenen Anteilen 166 – bei dem Ausgangsrechtsträger des Formwechsels 160 ff. – Einheits-GmbH & Co. KG 169 f. – Formwechsel 160 ff. – Formwechsel von AG in GmbH 168 f. – im Gesellschaftsrecht 160 ff. – Gesellschaftsstruktur nach Formwechsel 165 f. – an GmbH gemäß § 33 GmbHG analog 162 f. – an Personengesellschaft 161 – Umgang damit nach Wirksamkeit des Formwechsels 166 ff. – Umgehungsgefahren gemäß § 71d Satz 2 AktG 167 – Umgehungsschutz 160 ff. – Zielrechtsträger 166 f. – Zulässigkeit des Formwechsels 164 f. Anteilserwerb – an grundbesitzender Gesellschaft 916 ff. – Share Deals 916 ff. 979

Stichwortverzeichnis

– wirtschaftliche Beteiligung i.S.d. § 1 Abs. 3a GrEStG 916 ff. Anteilstausch – Fälle des § 13 Abs. 2 UmwStG 197 f. – Verschmelzung 196 ff. Anwachsungserwerb – Steuerverschonung 416 f. – Verfügungsbeschränkung 417 f. – Vorab-Abschlag gemäß § 13a Abs. 9 ErbStG 415 ff. Anzeigepflichten – Erbschaft- und Schenkungsteuer 490 f. – Gebrauchsüberlassung 643 – Schenkungsteuer 643 Arbeitnehmerbeiträge – zur Sozialversicherung, Vorenthaltung 860 ff. Arbeitsentgelt   s. a. Arbeitslohn; s. a. Vergütung – Abfindung 897 – Begriff im Sozialversicherungsrecht 894 ff. – beitragsrechtlich relevante Einordnung 896 f. – einmalig gezahltes 896 f. – Entstehungsprinzip 897 – kausale oder finale Bestimmung 898 – laufendes 896 – Sozialversicherungsentgeltverordnung 823 Arbeitslohn   s. a. Arbeitsentgelt; s. a. Vergütung – im Arbeitsrecht 891 – Begrifflichkeiten 890 ff. – Definition 898 f. – Drittlohn 901 f. – geldwerter Vorteil 899 ff. – kausal-finaler 889 ff., 893 f., 910 ff. – Schadensersatzleistung 907 f. – im Sozialversicherungsrecht 894 ff. – im Steuerrecht 898 ff. – überwiegend eigenbetriebliches Interesse 902 ff. – Zuflussprinzip 908 f. – Zuwendungen wegen anderer Rechtsbeziehungen 905 ff. 980

Arbeitsrecht – Begriff der Vergütung 891 Arbeitszimmer – betrieblich genutztes 338, 347 f. ATAD 811 Atypisch stille Gesellschaft   s. a. Atypische GmbH & Still – Begründung nach § 24 UmwStG 285 f. – einkommensteuerlicher Formwechsel 289 ff. – Einkünftequalifikation 284 – Gewerbesteuererklärung 292 – Gewinnermittlung durch Bestandsvergleich 280 ff. – Gewinnermittlung nach § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG 282 ff. – Innengesellschaft 435 f. – körperschaftsteuerliche Organschaft 286 ff. – Rechtsgrundlagen 276 – schenkweise Begründung 276 ff. – Sonderbetriebsvermögen 284 f. – Verlustvortrag 292 ff. – Vorbehaltsnießbrauch 435 f. Atypische GmbH & Still   s. a. Atypisch stille Gesellschaft – einkommensteuerlicher Formwechsel 289 ff. – körperschaftsteuerliche Organschaft 286 ff. – Sonderbetriebsvermögen 284 f. Aufschiebende Bedingung – drohende Verluste 113 ff. – Insolvenzantragspflicht 113 ff. – Passivierungspflicht 104 ff., 112 f. Aufsichtsratsmitglied – Verbraucheigenschaft 144 f. Aufwendungen – teilweise vom Betriebsausgabenabzug ausgeschlossene 329 ff. Ausland – Erbrecht 645 ff. – Erbschaftsteuer, Entstehung 667 ff. – Erbschaftsteuerbefreiungen 669 ff. – Erbschaftsteuerbefreiungen, persönliche Freibeträge 675 ff.

Stichwortverzeichnis

– Erbschaftsteuerbefreiungen, sachliche Steuerbefreiungen 672 ff. – Erbschaftsteuerbefreiungen, steuerfreier Zugewinn 669 ff. – Erwerb von Todes wegen 650 ff. – Restschuldbefreiung 883 ff. – Vor- und Nacherbfolge 665 ff. Auslegung – steuerbilanzielle Teleologie 358 ff. Außenprüfung – steuerrechtliche 834 ff. – zeitgleiche gemäß § 42f Abs. 4 EStG 825 ff. Außensteuerrecht – ausländische Zwischengesellschaften 809 ff. – Beteiligung einer ausländischen Obergesellschaft an ausländischen Untergesellschaft 812 ff. – Hinzurechnungsbesteuerung 810 ff. – Quasi-Dividende 810 – Voraussetzungen einer ausländischen Gesellschaft i.S.d. § 7 Abs. 1 AStG 814 f. Auswahlverschulden – Steuerhinterziehung, Haftung des Vertretenen 856

B

eaufsichtigungsverschulden – Steuerhinterziehung, Haftung des Vertretenen 856 Bedingung, aufschiebende   s. Aufschiebende Bedingung Bedürfnisprüfung – Erbschaftsteuerreform 2016 513 ff. Begriffsbestimmung gemäß Art. 3 Abs. 2 OECD-MA – abkommensautonome Auslegung 793 ff. – Gewinn 793 ff. – Unternehmen 793 ff. Behaltefrist – Nachsteuerfrist gemäß § 13a Abs. 6 ErbStG 46 f. Beitragspflicht – Parallelität mit Steuerpflicht 823 ff.

– Sozialversicherungsrecht 823 ff. Belastungsprinzip – Erbschaftsteuer 685 ff. – Pflichtteil 685 ff. Beraterpflichten – due dilligence 230 ff. – M&A 224 ff., 232 ff. – MAC/MAE-Klauseln 221 ff. – Unternehmenskauf 225 ff. Beratungskosten – des Erblassers 576 – Klageverfahren 575 – Nachlassverbindlichkeit 576 – Rechtsbehelfsverfahren 575 – Steuerhinterziehung 574 ff. Bereicherungsprinzip – freigebige Zuwendung 476 ff. – Schenkungsteuerrecht 639 f. Berliner Testament – Erbschaftsteuer 679 ff. Beschränkte Steuerpflicht – Unternehmensgewinn 806 f. – Zebragesellschaft 303 ff. Besitzpersonengesellschaft – Einheitsbetriebsaufspaltung 439 f., 443 – Nießbrauch 439 f. – Stimmrechtskonkordanz 438 f. – vorweggenommene Erbfolge 407 ff. Besserungsschein – Beteiligung i.S.d. § 17 EStG 204 Besteuerung – Beteiligung i.S.d. § 17 EStG 195 ff. – Betriebsübertragung 432 ff. – Einzelunternehmen 431 ff. – Gesellschafter 375 ff. – Mitunternehmerkonzept 128 ff. – Personengesellschaft 122 ff. – Pflichtteil 679 ff. – Pflichtteilsergänzungsanspruch 688 f. – Teilfonds 765 ff. – Übertragung von Wirtschaftsgut aus Betriebsvermögen des Gesellschafters 420 ff. 981

Stichwortverzeichnis

– Übertragung von Wirtschaftsgut aus Privatvermögen des Gesellschafters 427 – Veräußerungsgewinn aus Kapitalgesellschaftsbeteiligung 787 ff. – Vorbehaltsnießbrauch 431 ff. Beteiligung – einer ausländischen Gesellschaft an Investmentfonds 817 ff. – eines Steuerinländers an ausländischer Zwischengesellschaft 810 ff. Beteiligung i.S.d. § 17 EStG – Barabfindung 203 f. – Besserungsschein 204 – Besteuerung 195 ff. – Entstehung 202 – Fiktion 199 ff. – nicht steuerverhaftete Anteile 204 Beteiligungseinkünfte – Besteuerung 787 ff. – Gestaltungsmissbrauch 789 f. – Inbound-Fall 790 f. – Kapitalertragsteuer 789 – Personengesellschaft 781 ff., 787 ff. – Rechtsgeschichte 787 ff. – Subsidiarität 786 ff. Betriebsaufgabe – Betriebsverpachtungsrechtsprechung 436 – landwirtschaftliche Betriebe 436 f. – Vorbehaltsnießbrauch 429 ff. Betriebsaufspaltung – begünstigtes Vermögen i.S.d. § 13b Abs. 2 ErbStG 406 f. – begünstigungsfähiges Vermögen i.S.d. § 13b Abs. 1 ErbStG 406 – Beherrschung 441 – Besitzpersonengesellschaft 407 ff. – Betriebskapitalgesellschaft 407 – BFH-Entscheidung vom 21.1.2015 437 ff. – Einheitsbetriebsaufspaltung 439 f., 443 – erbschaftsteuerliche 407 – Nießbrauch 439 f. – Schenkungsteuer 405 ff. 982

– Steuerverschonung 405 ff. – Stimmrechtskonkordanz 438 f. – Stimmrechtsverteilung 440 – Vorbehaltsnießbrauch 437 ff. – vorweggenommene Erbfolge 405 ff. – Wesen 405 f. Betriebsausgabenabzug – betrieblich genutztes Arbeitszimmer 338, 347 f. – objektives Nettoprinzip 332 ff. – privat genutztes Betriebs-Kfz 338 ff., 348 f. – private Mitveranlassung 331 f. – Repräsentationsaufwand 337 f., 347 – teilweise ausgeschlossene Aufwendungen 329 ff. – Veräußerung von Wirtschaftsgütern 334 ff. Betriebsbegriff – Betriebsübergang 465 ff. Betriebseinbringung – steuerneutral gemäß § 20 UmwStG 928 ff. Betriebskapitalgesellschaft – Einheitsbetriebsaufspaltung 439 f., 443 – Nießbrauch 439 f. – vorweggenommene Erbfolge 407 ff. Betriebsprüfung – durch Finanzbehörde 834 ff. – sozialversicherungsrechtliche 826 ff. – steuerrechtliche 834 ff. Betriebsstätte – beschränkte Steuerpflicht 773 ff. – Doppelbesteuerungsabkommen 785 ff. – Geschäftseinrichtung 774 f. – Personengesellschaft 785 f. – Unternehmen 773 – Versicherungsteuer 939 ff. – Zurechnung von Geschäftsräumen 774 Betriebsstättenvorbehalt – Doppelbesteuerungsabkommen 788 f.

Stichwortverzeichnis

Betriebsübergang – Betriebsbegriff 465 ff. – Buchwertfortführung 458 ff., 463 ff. – einkommensteuerneutraler 458 ff. – Entfernung wesentlicher Betriebsgrundlagen 464 f. – Erbschaft- und Schenkungsteuer 458 – Regelungskonkurrenz 467 f. – Sonderregelung in § 6 Abs. 3 Satz 2 EStG 468 f. – stille Reserven 459 ff. – Subjektsteuerprinzip 459 ff. – Subjektsteuerprinzip, Buchwertfortführung bei Sachgesamtheiten 463 – Subjektsteuerprinzip, Durchbrechung 460 f. – Subjektsteuerprinzip, Rechtfertigung des Systembruchs 462 f. – Subjektsteuerprinzip, Rechtsgeschichte 461 f. – Umstrukturierungen bei Übertragung 463 ff. Betriebsübertragung – Besteuerung 432 ff. – Buchwertfortführung 432 ff. – landwirtschaftliche Betriebe 436 f. – Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz 2001 434 – Vorbehaltsnießbrauch 431 ff. – vorweggenommene Erbfolge 434 ff. Betriebsvermögen – abkommensautonome Auslegung 796 f. – Auslegung nach dem Recht des Anwenderstaates 793 f., 797 f. – Begriffsbestimmung gemäß Art. 3 Abs. 2 OECD-MA 793 ff. – Bewertungsabschlag in § 13a Abs. 9 ErbStG 524 ff. – Definition nach Art. 7 OECD-MA 795 f. – Erbschaftsteuer, Verschonungsregelungen 523 ff. – Erbschaftsteuerreform 2016 587 ff. – Familienunternehmen 523 ff.

– des Gesellschafters, Übertragung in Gesamthandsvermögen 420 ff. Betriebsverpachtung – Buchwertfortführung 436, 442 – Rechtsprechung 436 Bewertung – Anlässe bei Kunstwerken 946 – Betriebsübertragung gemäß § 6 Abs. 3 EStG 432 ff. – Buchwertfortführung 432 ff. – Buchwertübertragung nach § 6 Abs. 3 EStG 463 ff. – gemeiner Wert 950 ff. – Günstigerprinzip 955 f. – Kunstsachverständige 945 ff. – Kunstwerke 945 ff. – Kunstwerke, Verfahrensfragen 956 f. – latente Steuerbelastung 609 ff. – preisbildende Faktoren bei Kunstwerken 946 ff. – steuerliche Wertbegriffe 950 – Teilwert 952 f. – Vertragswert 953 f. Bewertungsabschlag – § 13a Abs. 9 ErbStG 524 ff. – Abfindungsregelung 534 ff. – Entnahmebegrenzung 525 ff. – Nebenbedingungen 536 ff. – Verfügungsbeschränkung über die Anteile gemäß § 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 ErbStG 532 f. BGH-Rechtsprechung – Einziehung von Nachlassforderungen 56 ff. – Erbengemeinschaft, Auseinandersetzung 63 ff. – Erbengemeinschaft, Gutglaubensschutz 66 ff. – Erbengemeinschaft, Prozessuales 69 f. – Erbengemeinschaft, Rechtsnatur 50 f. – Nachlassverwaltung 53 ff. – Verfügungen über Nachlassgegenstände 58 ff. – Vorkaufsrecht der Miterben 51 ff. 983

Stichwortverzeichnis

Bilanzierung – fehlerhafter Jahresabschluss 239 ff. – Wirtschaftsgüter, betrieblich genutzte 329 ff. – von Wirtschaftsgütern 329 ff. Bilanzrecht – betriebswirtschaftsrechtliche Bilanztheorien 351 ff. – dynamische Bilanztheorie 366 ff. – Einheitsbilanz 354 – Ergänzungsbilanz 372 ff. – Gebäude auf fremdem Grund und Boden 362 ff. – Genussrechtskapital 360 ff. – Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung 353 ff. – IFRS 351 f., 368 f. – „Maßgeblichkeitsfalle“ 360 f. – Maßgeblichkeitsgrundsatz 353 ff. – Rechnungsabgrenzungsposten 366 ff. – Rechtsgewinnungsprozess 351 – Rückstellungen 364 ff. – steuerrechtsteleologische Auslegung 358 ff. – wirtschaftliches Eigentum 355 ff. Billigkeitsmaßnahmen – Übernahmeverlust gemäß § 4 Abs. 6 UmwStG 453 f. Bruchteilsbetrachtung – Zebragesellschaft 309 ff. Buchwertfortführung – Betriebsbegriff 465 ff. – Betriebsübergang 463 ff. – Betriebsübertragung 433 ff. – Betriebsumstrukturierungen bei Übertragung 463 ff. – Betriebsverpachtung 436, 442 – Betriebsverpachtungsrechtsprechung 436 – einkommensteuerneutrale Unternehmensnachfolge 458 ff. – Entfernung wesentlicher Betriebsgrundlagen 464 f. – Mitunternehmeranteil 543 ff. – Regelungskonkurrenz 467 f. 984

– Sonderregelung in § 6 Abs. 3 Satz 2 EStG 468 f. – Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz 2001 434 – vorweggenommene Erbfolge 433 f. Buchwertübertragung gemäß § 6 Abs. 3 EStG   s. a. Buchwertfortführung – Bewertung 463 ff.

C

arve out – MAC/MAE-Klauseln 223 f., 228 ff.

D

arlehen – Schenkungsteuer 632 f., 635 f. Dealing at arm´s length – Fremdvergleich 738 Deklaratorisches Schuldanerkenntnis 3 ff., 26 ff.; s. a. Schuldanerkenntnis Deliktsrecht – Haftungstatbestände der §§ 69, 71 AO 841 ff. – Steuerschuldner 841 f. Diskriminierungsverbot, abkommensrechtliches – Fremdvergleich 758 f. – Sperrwirkung 758 f., 759 f. Domizilprinzip – Erbrecht 647 Doppelbesteuerungsabkommen – Art. 9 Abs. 1 OECD-MA 737 ff. – Begriffsbestimmung gemäß Art. 3 Abs. 2 OECD-MA 793 ff. – Betriebsstätte 785 ff. – Betriebsstättenvorbehalte 788 f. – Betriebsvermögen 792 ff. – Diskriminierungsverbot 758 f., 759 f. – Fremdvergleich 737 ff. – grenzüberschreitende Personengesellschaft 780 ff. – Hinzurechnungsbesteuerung 819 – Missbrauchsvermeidungsregeln 760 – Rückfallklauseln 791 – Sperrwirkung 737 ff. – Unternehmensgewinn 792 ff.

Stichwortverzeichnis

Drittstaatenvermögen – in deutschem Sonderbetriebsvermögen 934 f. – schenkungsteuerliche Begünstigung 934 f. Drohende Verluste – Überschuldung aus aufschiebend bedingten Verträgen 114 f. – Zahlungsunfähigkeit aus aufschiebend bedingten Verträgen 115 f. Drohverlustrückstellungen – Insolvenzantragspflicht 114 f. Due dilligence – Unternehmenskauf 230 ff.

Eigentum, wirtschaftliches   s. Wirt-

schaftliches Eigentum Einbringung – eines Betriebs gemäß § 20 UmwStG 928 ff. – nießbrauchsbelasteter Anteile an Personengesellschaften gemäß § 20 UmwStG 935 ff. Einbringung von Nachlassgegenständen   s. Nachlassgegenstand Einheitsbetriebsaufspaltung 439 f., 443 Einheitsbilanz – Maßgeblichkeitsgrundsatz 354 Einheits-GmbH & Co. KG – Formwechsel 169 – mittelbare eigene Anteile 169 Einkommensteuer – steuerneutrale Unternehmensnachfolge 458 ff. – Subjektsteuerprinzip 459 ff. Einkünfteermittlung – Zebragesellschaft 301 ff., 308 f. Einlage, verdeckte – Verschmelzung 198 f. Einlageleistung – enthaftende 176 Einmalbesteuerung – objektives Nettoprinzip 455 f. – stille Reserven 449 ff. – Subjektsteuerprinzip 450 ff.

– Trennungsprinzip 450 ff. Einzelunternehmen – Stimmrechtskonkordanz 438 f. – Vorbehaltsnießbrauch 431 ff. Einzweck-Gutschein 712 f. Emotional Assets – Bewertung von Kunstwerken 945 f. Enthaftung – Kommanditist 178 Entnahmebegrenzung gemäß § 13a Abs. 9 – Entnahmerechte für andere Steuerarten 529 ff. – freie Einnahmen 525 ff. Entstrickungsrisiko – Kapitalgesellschaftsbeteiligung 791 f. Erbanfall – durch Erwerb des Pflichtteilsanspruchs 624 ff. Erbauseinandersetzung – Nachlassgegenstand 183 f. Erbengemeinschaft – Auseinandersetzung 63 ff. – BGH-Entscheidung „Auflösung durch Anteilserwerb“ 64 f. – BGH-Entscheidung „Ausgleichungspflicht“ 63 f. – BGH-Entscheidung „Kündigung eines Mietvertrages“ 50 – BGH-Entscheidung „Unzulässige Berufsausübung“ 50 f. – BGH-Entscheidung „Vollständige Auseinandersetzung“ 64 – Gutglaubensschutz 66 ff. – Nachlassverwaltung 53 ff. – Prozessuales 69 f. – Rechtsnatur 50 f. – Vorkaufsrecht der Miterben 51 ff. Erbfall – Anfallprinzip 43 – ausländischer, im deutschen Erbschaftsteuerrecht 648 ff. – mit Auslandsbezug 645 ff. – Leistung an Erfüllungsstatt 47 – Maßnahmen mit Rückwirkung/Auswirkung 45 f. 985

Stichwortverzeichnis

– Maßnahmen während Behaltefrist 46 f. – Vor- und Nacherbfall, Surrogation 39 f. Erbfolge, vorweggenommene   s. Vorweggenommene Erbfolge Erbrecht – ausländisches 650 ff. – Domizilprinzip 647 – Europäische Erbrechtsverordnung 647 – Europäische Güterrrechtsverordnung 647 – Pflichtteilsergänzungsanspruch 688 f. – Staatsangehörigkeitsprinzip 647 Erbschaft- und Schenkungsteuer – Anknüpfung an Zivilrecht 649 ff. – Anwachsungserwerb, Mitunternehmeranteil 415 ff. – Anwachsungserwerb und Steuerverschonung 416 f. – Anwachsungserwerb und Verfügungsbeschränkung 417 f. – Anwachsungserwerb, vorweggenommene Erbfolge 415 ff. – Anzeige- und Erklärungspflichten 490 f. – ausländisches Erbrecht 650 ff. – Begünstigung für Drittstaatenvermögen 934 f. – Belastungsprinzip 685 ff. – Bereicherungsprinzip 639 f. – Berliner Testament 679 ff. – Betriebsaufspaltung 405 ff. – Betriebsaufspaltung, vorweggenommene Erbfolge 405 ff. – Betriebsübergang 458 – Bewertung 610 ff. – Bewertungsabschlag, Abfindungsregelung 534 ff. – Bewertungsabschlag, Entnahmebegrenzung 525 ff. – Bewertungsabschlag in § 13a Abs. 9 ErbStG 524 ff. – Bewertungsabschlag, Verfügungsbeschränkung 532 f. 986

– Entstehung bei Auslandsbezug 667 ff. – Erbfallschulden 581 – Erblasserschulden 480 – Erbschaftsteuerreform 2016 505 ff., 587 ff. – freigebige Zuwendung 473 ff., 632 ff., 638 ff., 648 – Gebrauchsüberlassung 629 ff. – Grundtatbestand 649 ff. – juristische Person 123 f. – latente Steuern 566 ff., 609 ff. – Mitunternehmeranteil 545 ff. – Nachlassverbindlichkeiten 558 ff. – Nießbrauch, mitunternehmerischer 318 – Nutzungsüberlassung 631 ff. – Personengesellschaft 123 f. – Pflichtteilergänzungsanspruch 688 f. – Pflichtteilsanspruch 617 ff., 679 ff. – Pflichtteilsverzicht 681 ff. – Schuldenabzug gemäß § 10 ErbStG 577 ff. – Schuldenkürzung aufgrund rechtlichen Zusammenhangs 584 ff. – Schuldenkürzung aufgrund wirtschaftlichen Zusammenhangs 584 ff. – Steuerbefreiung für Kunstwerke 944 f. – Steuerbefreiungen bei Auslandsbezug 669 ff. – Steuerbefreiungen bei Auslandsbezug, persönliche Freibeträge 675 ff. – Steuerbefreiungen bei Auslandsbezug, sachliche Steuerbefreiungen 672 ff. – Steuerbefreiungen bei Auslandsbezug, steuerfreier Zugewinn 669 ff. – Steuerbescheid, Korrektur 571 ff. – Steuererklärung 574 ff. – Steuerfestsetzung 558 ff. – Steuerhinterziehung 490 ff., 568 ff. – Steuerrechtsfähigkeit 123 f. – Steuerschulden 558 ff. – Steuersparmodell 680 ff. – Stichtagsprinzip 543 ff., 577 ff.

Stichwortverzeichnis

– Substanzwert 609 ff. – unverzinsliches Darlehen 632 f. – Verschonungsregelung 541 ff. – Verschonungsregelung, Mitunternehmeranteile 405 ff. – Vorab-Abschlag gemäß § 13a Abs. 9 ErbStG 411 ff. – vorweggenommene Erbfolge 404 ff. – Wohnraumüberlassung 631 f., 633 f. – Zuwendungsgegenstand 475 f., 640 f. Erbschaft- und Schenkungsteuer, Steuerhinterziehung – Anzeige- und Erklärungspflichten 490 f. – durch positives Tun 491 f. – durch Unterlassen bei Nichtabgabe einer Steuererklärung 494 f. – durch Unterlassen einer gesetzlichen Anzeigepflicht 492 ff. – durch unterlassene Angabe von Vorschenkungen 495 ff. – Versuch bei aktivem Tun 498 f. – Versuch bei Unterlassen 499, 502 – Versuch und Vollendung 497 f. – Vollendung bei aktivem Tun 498 f. – Vollendung bei Unterlassen 499 ff., 502 Erbschaftsteueranpassungsgesetz – Begünstigung von Familienunternehmen 523 Erbschaftsteuererklärung – Kosten der Berichtigung/Änderung 574 f. Erbschaftsteuerreform 2016 – Bedürfnisprüfung 513 ff. – Begünstigung von Betriebsvermögen 587 ff. – Bewertungsabschlag gemäß § 13a Abs. 9 ErbStG 524 ff. – Familienunternehmen 524 ff. – „Flat Tax“ 511 f. – Gang der Reformarbeiten 505 ff. – Gesetzgebungsverfahren 505 ff. – Interimsperiode 507 ff. – Niedrigsteuermodell 511 f.

– Reformüberlegungen 509 ff. – Reformverfahren 596 ff., 599 ff. – Reformvorschlag zu Großerwerben 595 f. – Reformvorschlag zum Verschonungsabschlag 591 f. – Reformvorschlag zum Verwaltungsvermögen 593 f. – Reformvorschlag zur Schuldenverrechnung 592 f. – Reformvorschlag zur Unternehmensbewertung 594 f. – Sonderbegünstigung für Familienunternehmen 515 f. – Überblick 587 ff. – Unternehmensbesteuerung 457 f. – Unternehmensbewertung 520 f. – Verfahren 597 ff. – Verschonungsregelungen 509 f., 524 ff. – Verschonungsregelungen, Missbrauchsvermeidung 518 f. – Verschonungsregelungen, Verwaltungsvermögenstest 516 ff. – Weitergeltungsanordnung 507 ff. Erbschaftsteuerreform 2016, Verfahren – Bundesratsstellungnahme 604 f. – Bundestagsbeschluss 604 f. – Bund-Länder-Arbeitsgruppe 600 ff. – Regierungsentwurf 604 f. – Verfassungsrecht 598 f. – Vermittlungsverfahren 607 f. – Zeittafel 597 f. Erfüllungstheorie – Abstraktionsprinzip 19 ff. Ergänzungsbilanz – Beteiligung an Personengesellschaft 383 ff., 385 f. – Eintritt als Komplementär 392 ff. – Gesellschafter, persönlich haftender 377 ff., 386 ff. – KGaA 372 ff. – KGaA, Veräußerung eines Anteils 395 ff. – Korrekturansätze 382 f. 987

Stichwortverzeichnis

– Mehr- oder Minderaufwendungen 380 f. – Mitunternehmeranteil 449 ff. – Personengesellschaft 377 ff. Erklärungskosten – des Erblassers 576 – Steuerhinterziehung 574 ff. Erklärungspflichten – Erbschaft- und Schenkungsteuer 490 f. Ertragsteuer – Kapitalkonto 421 ff. – Mitunternehmeranteil 543 ff. – Pflichtteilsverzicht 683 – Sanierungsgewinne 264 ff. – Übertragung von Wirtschaftsgut aus Betriebsvermögen des Gesellschafters 420 ff. – Übertragung von Wirtschaftsgut aus Privatvermögen des Gesellschafters 427 – Übertragungswege in das Gesamthandsvermögen 419 ff. – vorweggenommene Erbfolge, Mitunternehmeranteile 418 ff. Ertragsteuern, latente – Abzugsfähigkeit 609 ff. – Rechtsprechung des BVerfG 612 ff. – Verwaltungsansicht 612 Erwerb aufgrund Gütergemeinschaft nach ausländischem Recht – gemeinsamer Abkömmlinge 659 ff. – des überlebenden Ehegatten 622 ff. Erwerb von Todes wegen – ausländisches Erbrecht 652 ff., 656 ff. – durch Erbanfall 652 ff. – aufgrund Gütergemeinschaft nach ausländischem Recht 659 ff. – aufgrund Pflichtteilsanspruchs 658 f. – durch Vermächtnis 656 ff. Europäische Erbrechtsverordnung 647 Europäische Güterrechtsverordnung 647 988

Europäische Insolvenzverordnung 883 f. Exkulpation – Steuerhinterziehung, Haftung des Vertretenen 854 f.

F

amilienstiftung – Selbstzweck 91 ff. Familienunternehmen – Bewertungsabschlag gemäß § 13a Abs. 9 ErbStG 523 ff. – Erbschaftsteueranpassungsgesetz 523 – Erbschaftsteuerreform 2016 515 f. – Steuerbefreiung 524 ff. Feststellungsbeschluss, Jahresabschluss – Bindungswirkung 251 ff. – fehlerhafter 245 ff. – Kapitalgesellschaft 247 – Personengesellschaft 248 ff. – Rechtsnatur 245 f. Fiskusprivileg – nach Inkrafttreten der InsO 876 f., 878 f. – Privilegierung von Steuerforderungen 877 f. – Restschuldbefreiung 876 ff. Flat Tax – Erbschaftsteuerreform 2016 511 f. Fondsverwaltung – grenzüberschreitende 763 ff. – Investmentsteuerreform 2018 763 ff.; s. a. Investmentfonds – Steuerpflicht 766 ff. – Teilfonds 765 f. Formwechsel – Aktiengesellschaft 161 f., 167 ff. – eigene Anteile 158 ff. – Einheits-GmbH & Co. KG 169 – einkommensteuerlicher 289 ff. – Ergänzungsbilanz 449 ff. – GmbH 162 ff., 167 ff. – Kapitalgesellschaft in Personengesellschaft 446 ff. – mittelbare eigene Anteile 157 ff.

Stichwortverzeichnis

– Personengesellschaft 161 – Rechtsprechung zum Übernahmeverlust 447 ff. – Schlussbilanz 449 ff. – Übernahmeverlust 445 ff. – Umgehungsschutz 160 ff., 167 Freigebige Zuwendung – Anknüpfung des ErbStG 648 – Bereicherungsprinzip 476 ff., 639 f. – Entreicherung 478 f. – Ersparnis von Aufwendungen als Zuwendung 486 f. – Feststellungslast 480 f. – Grundlagen 474 f. – Schenkungsteuerpflicht 638 ff. – unentgeltliche Wohnraumüberlassung 633 f., 636 f. – unverzinsliches Darlehen 632 f., 635 f. – Voraussetzungen 475 ff. – Wille zur Freigebigkeit 479 f. – Zuwendung von Gebrauchs- und Nutzungsvorteilen 483 ff. – Zuwendung von Vermögenssubstanz 481 ff. – Zuwendungsgegenstand 475 f., 481 ff. Fremdvergleich – Abzugsverbot gemäß § 8 Abs. 3 KStG 757 ff. – Art. 9 Abs. 1 OECD-MA 737 ff. – Dealing at arm´s length 738 – Diskriminierungsverbot 758 f., 759 f. – Einkünftekorrektur 754 ff. – Rechtsprechung 738 ff. – verdeckte Gewinnausschüttung 738 ff. Fresh start – Restschuldbefreiung 873 f. Fußstapfentheorie – Fälle des § 13 Abs. 2 UmwStG 198

Gebäude auf fremdem Grund und Boden – Bilanzierung 362 ff.

Gebrauchsüberlassung – Anzeigepflichten 643 – freigebige Zuwendungen 483 ff. – rechtliche Einordnung 630 ff. – Schenkungsteuer 632 ff. – unentgeltliche Wohnraumüberlassung 633 ff. – unverzinsliches Darlehen 632 ff. Gebrauchsvorteile   s. Gebrauchsüberlassung Gemeiner Wert – Bewertung von Kunstwerken 950 ff. Genussrechtskapital – Bilanzrecht 360 ff. Geprägerechtsprechung – Zebragesellschaft 298, 300 f. Gesamthandsgesellschaft – juristische Person 117 ff., 131 ff. – Rechtsfähigkeit 117 ff., 131 ff. – Steuerrecht 117 ff. – Steuerrechtsfähigkeit 122 ff. Gesamthandsvermögen – Kapitalgesellschaftsbeteiligung 786 ff. – „Mitunternehmer-Betriebsstätte“ 786 – Übertragungswege einzelner Wirtschaftsgüter 419 ff., 427 Gesamtplanrechtsprechung – Mitunternehmeranteil 543 ff. Geschäftseinrichtung – inländische Betriebsstätte 774 f. Geschäftsführer – due dilligence 230 ff. – Haftung, MAC-Klausel 225 ff. – M&A 224 ff., 232 ff. – Pflichten 225 ff. – Steuerhinterziehung 851 – Unternehmenskauf 225 ff. Geschenkgutschein 702 Geschwisterzuwendungen – Pflichtteil 684 f. Gesellschaft – atypisch stille 275 ff. – ausländische i.S.d. § 7 Abs. 1 AStG 814 f. 989

Stichwortverzeichnis

– grundbesitzende 916 ff. – typisch stille 279 – Zebragesellschaft 297 ff. Gesellschaft, atypisch stille   s. Atypisch stille Gesellschaft Gesellschaft, typisch stille 279 Gesellschafter – Ansässigkeit im Ausland 790 f. – Besteuerung 375 ff. – Bilanzierung von Anteilen 385 f. – Bilanzierung von Wirtschaftsgütern 385 f. – Ergänzungsbilanz 372 ff., 386 ff. – Ergänzungsrechnungen bei Gewerbesteuer 399 ff. – Kapitalkonto 421 ff. – Mehr- oder Minderaufwendungen 380 f. – Personengesellschaft im Ausland 790 f. – Sonderbetriebsvermögen 378 f. – Übertragung von Privatvermögen in Gesamthandsvermögen 427 – Übertragung von Wirtschaftsgut aus Privatvermögen in Gesellschaftsvermögen 427 – Wegzug 791 f. Gesellschafter, persönlich haftender – Beteiligung am Gesellschaftswert 215 f. – gesetzliche Abfindungsregelung 215 – Gewinn- und Verlustbeteiligung 213 f. – Gewinnverteilung 214 f. – Haftung im Außenverhältnis 216 f. – Haftung im Innenverhältnis 217 f. – Mitunternehmerinitiative 219 – Mitunternehmerrisiko 213 – Mitunternehmerstellung 209 ff. – Zulässigkeit einer „Null-Beteiligung“ 212 f. Gesellschafterdarlehen – gesellschafterbezogene Betrachtung 551 ff. – Sonderbetriebsvermögen 551 ff. 990

Gesellschaftsanteil – Vorbehaltsnießbrauch 435 f. Gesellschaftsrecht – Wechselwirkungen mit Steuerrecht 122 f. Gesellschaftswert – Beteiligung des Mitunternehmers 215 f. Gestaltungsmissbrauch – Beteiligungseinkünfte 789 f. Gewerbesteuer – atypisch stille Gesellschaft 292 – Ergänzungsrechnungen für Gesellschafter 399 ff. – Ergänzungsrechnungen für KGaA 399 ff. – Investmentfonds 776 f. – Kapitalverwaltungsgesellschaft 776 f. – KGaA 399 ff. – Teilfonds 776 f. – Zebragesellschaft 305 ff. Gewinn – Begriffsbestimmung gemäß Art. 3 Abs. 2 OECD-MA 793 ff. Gewinnausschüttung, verdeckte – Fremdvergleich 738 ff. – Sperrwirkung 738 ff. Gewinnermittlung – atypisch stille Gesellschaft 280 ff. – Personengesellschaft 379 f. – Veräußerung von Wirtschaftsgütern 334 ff. GmbH   s. a. Atypische GmbH & Still – aufschiebend bedingte Verbindlichkeiten der Vor-GmbH 103 ff. – Formwechsel 162 ff., 167 ff. – Geschäftsführer, Verbrauchereigenschaft 145 – Gründung, aufschiebend bedingte Verbindlichkeiten 103 ff. – mittelbare eigene Anteile 162 ff. – Prüfung der Insolvenzreife 103 ff. GmbH-Anteile – Sonderbetriebsvermögen 551

Stichwortverzeichnis

GmbH-Gesellschafter, geschäftsführender – sozialversicherungsrechtlicher Status 829 ff. – steuerrechtlicher Status 835 ff. Großerwerbe – Reformvorschlag zur Erbschaftsteuerreform 595 f. Grunderwerbsteuer – „mittelbare“ wirtschaftliche Beteiligung 924 f. – Personengesellschaft 124 f. – Pflichtteilsverzicht 683 f. – RETT-Blocker-Struktur 918 ff. – Share Deals 916 ff. – Steuerrechtsfähigkeit 124 f. – Vermeidung 918 ff. – wirtschaftliche Beteiligung i.S.d. § 1 Abs. 3a GrEStG 918 ff., 922 ff. – wirtschaftliche Betrachtungsweise 915 ff. Grundsätze ordnungsmäßiger Buchführung – Maßgeblichkeitsgrundsatz 353 ff. Grundstück – Sonderbetriebsvermögen 929 ff. Grundstückserwerb – RETT-Blocker-Struktur 919 ff. – Share Deals 916 ff. – durch wirtschaftliche Beteiligung i.S.d. § 1 Abs. 3a GrEStG 916 ff. Günstigerprinzip – Bewertung von Kunstwerken 955 f. Gütergemeinschaft – nach ausländischem Recht 659 ff. Gutglaubensschutz – BGH-Entscheidung „Erbschein und Verkehrsgeschäft“ 66 ff. – Erbengemeinschaft 66 ff. Gutschein – Definition 712 – Einzweck-Gutschein 712 f. – Geschenkgutschein 702 – Handelsrestriktionen 695 – Hotelgutschein 702 ff.

– Mehrwertsteuersystemrichtlinie 712 ff. – Mehrzweck-Gutschein 713 – Rechtsprechung zum Vertrieb 699 ff. – Telefonkarten 704 f. – Umsatzsteuer 698 ff. – Umsatzsteuersystemrichtlinie 698 ff. – Umsetzung 713 – Verkauf durch Herausgeber 698 f., 708 f. – Vertrieb auf Rechnung 698, 710 ff. – Vertrieb in eigenem Namen 696 f. – Vertrieb in fremdem Namen 697 f., 709 f. – Verwaltungsansicht zum Vertrieb 706 ff. – zeitliche Anwendung 713

Haftung

– des Geschäftsführers bei MAC-Klausel 225 ff. – Kommanditist 173 ff. – MAC/MAE-Klauseln 232 ff. – Mitunternehmer 216 ff. – des Stifters, Bedingungslösung 81 – des Stifters, Lösungsvorschlag 83 ff. – des Stifters, Rechtsentwicklung 79 f. – des Stifters, Streitstand 78 f. – des Stifters, Vermächtnislösung 81 ff. – des Stifters zwischen Errichtung und Anerkennung 78 ff. – des Vertretenen, § 70 AO 841 ff. Haftung des Vertretenen – Abzugsteuern 848 f. – Anwendungsbereich 844 ff. – Ausschlusstatbestände 852 ff. – Auswahl- und Beaufsichtigungsverschulden 856 – Exkulpation 854 f. – Geschäftsführer 851 – Reichsabgabenordnung 846 ff. – Steuerhinterziehung, in Ausübung ihrer Obliegenheiten 849 ff. – Verbrauchsteuern 844 ff. – Vereinszollgesetz 845 991

Stichwortverzeichnis

– Vermögensvorteil 852 ff. – Vertreter gemäß §§ 34, 35 AO 842 ff. – Weinsteuergesetz 845 – Zigarettensteuergesetz 845 – Zölle 844 ff. Haftungsanspruch – Rechtsnatur 875 Halbeinkünfteverfahren 451 ff. Hinterziehungszinsen – Nachlassverbindlichkeiten 568 f. Hinzurechnungsbesteuerung – ATAD 811 – ausländische Gesellschaft i.S.d. § 7 Abs. 1 AStG 814 f. – ausländische Nicht-Kapitalgesellschaft 815 f. – außerbetriebliche Sphäre, ausländische Kapitalgesellschaft 816 f. – außerbetriebliche Sphäre, Personenvereinigung 816 f. – außerbetriebliche Sphäre, Vermögensmasse 816 f. – Beteiligung am Ende des Wirtschaftsjahres der ausländischen Gesellschaft 810 f. – Beteiligung an ausländischen Zwischengesellschaften 809 ff. – Beteiligung ausländischer Gesellschaft an Investmentfonds 817 ff. – Beteiligung ausländischer Obergesellschaft an ausländischer Untergesellschaft 812 ff. – Doppelbesteuerungsabkommen 819 – Quasi-Dividende 810 – Rechtsbeziehungen zu ausländischer Gesellschaft 817 – REIT-Gesellschaft 818 – Voraussetzungen 810 – Voraussetzungen einer ausländischen Gesellschaft i.S.d. § 7 Abs. 1 AStG 814 f. Hotelgutschein 702 ff.

I

FRS – Bilanzrecht 351 f., 368 f. Inbound-Fall 992

– abkommensrechtliche Auslegung 793 ff., 798 ff. – ausländischer Personengesellschafter 790 f. – Betriebsvermögen 792 ff. – Kapitalgesellschaft 783 ff. – Personengesellschaft 780 ff. – Unternehmensgewinn 792 ff. Innengesellschaft – Vorbehaltsnießbrauch 435 f., 441 ff. Insolvenzantragspflicht – aufschiebend bedingte Austauschverträge 113 ff. – drohende Verluste 113 ff. Insolvenzrecht – Europäische Insolvenzverordnung 883 f. – Unternehmensbesteuerung 257 ff. Insolvenzverfahren – Ausland 883 ff. – Fiskusprivileg 876 f., 878 f. – grenzüberschreitendes 882 ff. – privilegierte Forderungen 879 ff. – Restschuldbefreiung 873 ff. Investmentbank – Haftung, MAC-Klausel 232 ff. Investmentfonds   s. a. Teilfonds – ausländische Zwischengesellschaften 817 ff. – Gewerbesteuer 776 f. – Hinzurechnungsbesteuerung 817 ff. – Kapitalverwaltungsgesellschaft 763 ff. – Steuerpflicht 766 ff. – Teilfonds 765 ff. Investmentsteuerreform 2018 – Fondsverwaltung 763 ff.

Jahresabschluss, fehlerhafter

– Analogie zu § 256 AktG bei Personengesellschaft 248 ff. – Änderung durch Betriebsprüfung 254 – Anspruch auf Korrektur 253 f. – Bilanzierungsvorschriften 243 f. – fehlerhafte Aufstellung 241 ff.

Stichwortverzeichnis

– Feststellungsbeschluss 245 ff. – Geltendmachung von Fehlern 250 ff. – Kapitalgesellschaft 247 – Personengesellschaft 239 ff., 248 ff. – Rechnungslegungsvorschriften 242 f. – Rechtsfolgen fehlerhafter Aufstellung 244 – streitige Forderungen 243 – streitige Verbindlichkeiten 243 – unberechtigte Aufwendungen 241 f. Juristische Person – Außen-Personengesellschaft 117 ff., 131 ff.

Kapitalertragsteuer

– Beteiligungseinkünfte 789 Kapitalgesellschaft – Abgrenzung zur Personengesellschaft 377 f. – Beteiligung im Gesamthandsvermögen einer Personengesellschaft 786 ff. – Beteiligung mit grenzüberschreitender Personengesellschaft 783 ff. – Einbringung von Nachlassgegenständen 181 ff. – Entstrickungsrisiko der Anteile bei Wegzug 791 f. – Feststellung eines fehlerhaften Jahresabschlusses 247 – Inbound-Fall 783 ff. – Nachfolgeregelung 188 – Outbound-Fall 783 ff. – RETT-Blocker-Struktur 920 f. – Teilbetrieb 931 ff. – Verbindlichkeiten bei Liquidation 271 ff. – Verschmelzung 196 ff. Kapitalkonto – Ergänzungsbilanz 381 f. – Übertragung aus dem Betriebsvermögen des Gesellschafters in Gesamthandsvermögen 420 ff. Kapitalverwaltungsgesellschaft

– aufsichtsrechtliche Unabhängigkeit 775 f. – Fondsverwaltung 763 ff. – Gewerbesteuerpflicht 776 f. Katalogstraftaten – Ausklammerung bei Restschuldbefreiung 879 ff. Kausal-finaler Begriff des Arbeitslohns 910 ff. Kfz – privat genutztes Betriebs-Kfz 338 ff., 348 f. KGaA – Ergänzungsbilanz 372 ff., 386 ff. – Ergänzungsbilanz, Eintritt als Komplementär 392 ff. – Ergänzungsbilanz, Veräußerung eines Anteils 395 ff. – Ergänzungsrechnungen bei Gewerbesteuer 399 ff. – Gesellschafter, Besteuerung 375 ff. – persönlich haftender Gesellschafter, Ergänzungsbilanz 386 ff. – rechtliche Zuordnung 374 f. Klageverfahren – Beratungskosten 575 Klauselrichtlinie – Schiedsklauseln 147 f. Kommanditgesellschaft – Einlageleistung 173 ff. – Enthaftung 178 f. – Tilgungsbestimmung 177 f. Kommanditist – enthaftende Einlageleistung 173 ff. – Haftung 178 f. – Tilgungsbestimmung 177 f. Konstitutives Schuldanerkenntnis 26 ff.; s. a. Schuldanerkenntnis Konzernbesteuerung – Rangrücktritt 262 f. Kunstwerk – Bewertung 945 ff. – Bewertung, gemeiner Wert 950 ff. – Bewertung, Günstigerprinzip 955 f. 993

Stichwortverzeichnis

– Bewertung, preisbildende Faktoren 946 ff. – Bewertung, steuerliche Wertbegriffe 950 – Bewertung, Teilwert 952 f. – Bewertung, Verfahrensfragen 956 f. – Bewertung, Vertragswert 953 f. – Bewertungsanlässe 946 – „Emotional Assets“ 945 f. – Erbschaftsteuerbefreiung 944 f.

L

andwirtschaftlicher Betrieb – Betriebsübertragung 436 f. – Vorbehaltsnießbrauch 436 f. Leistungstheorie – Abstraktionsprinzip 19 ff. Liquidation – Verbindlichkeiten bei Kapitalgesellschaften 271 ff. Lohnsteuer – geschäftsführender GmbH-Gesellschafter 835 ff. – Scheinselbständigkeit 837 ff. Lohnsteuerhinterziehung – materiell-rechtlicher Tatbegriff 859 ff. – Rechtsprechung zum Tatbegriff 863 ff. – strafprozessualer Tatbegriff 862 ff. – Vorenthaltungshandlungen 864 ff.

M&A

– MAC/MAE-Klauseln 232 ff. – Unternehmenskauf 224 ff. MAC/MAE-Klauseln – carve out 223 f., 228 ff. – M&A 232 ff. – Unternehmenskauf 221 ff. – Wertpapierübertragungsgesetz 221 f. Maßgeblichkeitsgrundsatz – „handelsrechtliche GoB“ 353 ff. Mehr- oder Minderaufwendungen – Ergänzungsbilanz 380 f. – Gesellschafter 380 f. Mehrwertsteuersystemrichtlinie – branchenbezogene Einschränkungen 718 ff.

994

– Gutschein 712 ff. – Richtlinienwidrigkeit nationalen Rechts 717 f. – steuerfreie Zusammenschlüsse 716 f. Mehrzweck-Gutschein 713 Methodenartikel – abkommensrechtliche Auslegung 793 ff., 798 ff. – Personengesellschaft 784 f. Miterben – BGH-Entscheidung „Aufnahme des Verfahrens“ 69 – BGH-Entscheidung zum Streitwert 69 f. – Vorkaufsrecht 51 ff. Miterbengemeinschaft – Einbringung von Nachlassgegenständen 183 f. Mitunternehmer – Begriff 207 ff. – Beteiligung am Gesellschaftswert 215 f. – BFH-Urteile vom 3.11.2015 209 ff. – gesetzliche Abfindungsregelung 215 – Gewinn- und Verlustbeteiligung 214 – Gewinnverteilung 214 f. – Haftung im Außenverhältnis 216 f. – Haftung im Innenverhältnis 217 f. – Initiative 219 – persönlich haftender Gesellschafter 209 ff. – Risiko 213 ff. – Zulässigkeit einer „Null-Beteiligung“ 212 f. Mitunternehmer-Betriebsstätte 786 Mitunternehmeranteil – Anwachsungserwerb, vorweggenommene Erbfolge 415 ff. – Betriebsaufspaltung 405 ff. – Buchwertfortführung 543 ff. – Erbschaftsteuer 545 ff. – erbschaftsteuerliches Stichtagsprinzip 545 ff. – Ergänzungsbilanz 449 ff. – Ertragsteuer 543 ff.

Stichwortverzeichnis

– Gesamtplanrechtsprechung 543 ff. – Nießbrauch 315 ff. – Schenkungsteuer 405 ff. – Unternehmensnachfolge 543 ff. – Vorab-Abschlag gemäß § 13a Abs. 9 ErbStG 411 ff. Mitunternehmergesellschaft – Rechtsfähigkeit 117 ff., 131 ff. Mitunternehmerinitiative – Nießbrauch, mitunternehmerischer 318 ff. Mitunternehmerkonzept – Besteuerung von Personengesellschaften 128 ff. Mitunternehmerschaft – atypisch stille Gesellschaft 275 ff. – atypische Unterbeteiligung 42 f. – Rechtsprechung zum Übernahmeverlust 447 ff. – Surrogation bei laufender Besteuerung 42 f. – Übernahmeverlust gemäß § 4 Abs. 6 UmwStG 446 ff. – Übertragung von Wirtschaftsgut aus Betriebsvermögen des Gesellschafters 420 ff. – Übertragung von Wirtschaftsgut aus Privatvermögen des Gesellschafters 427 – Übertragungswege einzelner Wirtschaftsgüter 419 ff., 427 – vorweggenommene Erbfolge, Ertragsteuer 403 ff. Mitveranlassung, private – Betriebsausgabenabzug 331 f.

N

achfolgeberatung – Nießbrauch, mitunternehmerischer 315 ff. Nachfolgeregelung – Nachlassgegenstand 188 Nachlassforderung – BGH-Entscheidung „Einziehungsermächtigung“ 56 f. – BGH-Entscheidung „Kostenfestsetzungsverfahren“ 57 f.

– BGH-Entscheidung „Vollstreckungsgegenklage“ 56 – Einziehung 56 ff. Nachlassgegenstand – BGH-Entscheidung „Kündigung eines Darlehensvertrages“ 61 f. – BGH-Entscheidung „Kündigung eines Mietverhältnisses“ 60 – BGH-Entscheidung „Kündigung eines Pachtverhältnisses“ 59 f. – Einbringung bei Miterbengemeinschaft 183 f. – Einbringung bei Nacherbfolge 184 ff. – Einbringung bei Testamentsvollstreckung 190 ff. – Einbringung in Gesellschaft 181 ff. – Nachfolgeregelung 188 – Surrogation 186 f. – Verfügungen darüber 58 ff. – voll entgeltliche Einbringung 187 f. Nachlassverbindlichkeit – Abzug des Pflichtteils 620 f. – Beratungskosten des Erblassers 576 – Erbschaftsteuer 558 ff. – Hinterziehungszinsen 568 f. – Steuerhinterziehung 568 ff. – Steuerschulden des Erblassers 558 ff. Nachlassverwaltung – BGH-Entscheidung „Die streitenden Brüder“ 55 f. – BGH-Entscheidung „Stimmrechtsausschluss“ 54 f. – BGH-Entscheidung „Veräußerung des Ferienhauses“ 54 – Einziehung von Nachlassforderungen 56 ff. – Verfügungen über Nachlassgegenstände 58 ff. Nachsteuer – Sonderbetriebsvermögen 553 ff. Nettoprinzip, objektives – Betriebsausgabenabzug 332 ff. – Einmalbesteuerung 455 f. – Subjektsteuerprinzip 455 f. – Trennungsprinzip 455 f. 995

Stichwortverzeichnis

– Übernahmeverlust gemäß § 4 Abs. 6 UmwStG 455 f. Nichtentrichtung von Abgaben – materiell-rechtlicher Tatbegriff 859 ff. – Rechtsprechung zum Tatbegriff 863 ff. – strafprozessualer Tatbegriff 862 ff. – Verhältnis zur Steuerhinterziehung 861 ff. – Vorenthaltungshandlungen 864 ff. Niederlassung – Versicherungsteuer 939 ff. Niedrigsteuermodell – Erbschaftsteuerreform 2016 511 f. Nießbrauch – Betriebsübertragung 431 ff. – Buchwertfortführung 433 ff. – Einbringung von Anteilen an ­Personengesellschaften gemäß § 20 UmwStG 935 ff. – Einheitsbetriebsaufspaltung 439 f., 443 – Innengesellschaft 435 f., 441 ff. – landwirtschaftliche Betriebe 436 f. – an Mitunternehmeranteil 315 ff. – Quotennießbrauch 435 f. – Rechtsgeschichte 429 ff. – Sonderbetriebsvermögen 547 ff. – Stimmrechtskonkordanz 438 f. – Stimmrechtsverteilung 440 – Vorbehaltsnießbrauch 429 ff. Nießbrauch, mitunternehmerischer – Beteiligung an außerordentlichen Beträgen 317 f. – diagonale Spaltung 315 f. – Einbringung des belasteten Anteils in Kapitalgesellschaft 321 f. – Erbschaftsteuer 318 – als Gestaltungsmittel für Übertragung gegen wiederkehrende Leistungen 325 ff., 327 – Inhalt des Nießbrauchsrechts 321 f. – Mitunternehmeranteil 315 ff. – Mitunternehmerinitiative 318 ff. 996

– Nutzungen des Nießbrauchers 316 f. – Verlustverteilung 320 f. – Verzicht 322 ff. – Verzicht an WG des Sonderbetriebsvermögens 322 ff. – Vollmacht für Nießbraucher 318 ff. – vorweggenommene Erbfolge 325 ff. Nießbrauchsvorbehalt   s. Vorbehalts­ nießbrauch Null-Beteiligung – Mitunternehmerschaft 212 f. Nutzungsüberlassung – freigebige Zuwendung 483 ff. – rechtliche Einordnung 630 ff. – unverzinsliches Darlehen 632 f., 635 f. Nutzungsvorteile   s. Nutzungsüberlassung

Obergesellschaft

– ausländische, Beteiligung an ausländischer Untergesellschaft 812 ff. Obliegenheiten – Steuerhinterziehung des Vertretenen 849 ff. Organhaftung – Aktiengesellschaft 153 Organmitglieder – Schiedsklausel 139 f. Organschaft – atypische GmbH & Still 286 ff. – körperschaftsteuerliche 286 ff. – Umsatzsteuer 126 ff. Outbound-Fall – abkommensrechtliche Auslegung 793 ff., 798 ff. – Kapitalgesellschaft 783 ff. – Personengesellschaft 780 ff.

Parallelität von Steuer- und Beitrags-

pflicht – beim geschäftsführenden GmbH-Gesellschafter 829 ff., 835 ff. – Grundsatz 823 ff. – bei Scheinselbständigkeit 832 ff., 837 ff.

Stichwortverzeichnis

– zeitgleiche Außenprüfungen 825 ff. Passivierung – aufschiebend bedingte Verbindlichkeiten 104 ff. – Rangrücktritt 258 ff., 261 ff. – schwebendes Geschäft 110 f. – streitige Verbindlichkeiten 243 Personengesellschaft – Abgrenzung zur Kapitalgesellschaft 377 f. – im Ausland ansässiger Gesellschafter 790 f. – Beteiligungseinkünfte 781 ff., 787 ff. – Betriebsaufspaltung 405 ff. – Betriebspersonengesellschaft 407 ff. – Betriebsstätte 785 f. – Einbringung nießbrauchsbelasteter Anteile gemäß § 20 UmwStG 935 ff. – Einbringung von Nachlassgegenständen 181 ff. – Erbschaftsteuer 123 f. – Ergänzungsbilanz 377 ff. – fehlerhafter Jahresabschluss 239 ff. – fehlerhafter Jahresabschluss, Analogie zu § 256 AktG 248 ff. – Feststellungsbeschluss des Jahresabschlusses 248 ff. – grenzüberschreitend mit DBA-Bezug 780 ff. – grundbesitzende 916 ff. – Grunderwerbsteuer 124 f. – Inbound-Fall 781 ff. – juristische Person 117 ff., 131 ff. – Kapitalgesellschaftsbeteiligung 786 ff. – Methodenartikel 784 f. – mittelbare eigene Anteile 161 – „Mitunternehmer-Betriebsstätte“ 786 – Mitunternehmerkonzept 128 ff. – Mitunternehmerstellung 207 ff. – Nachfolgeregelung 188 – Parteifähigkeit 117 ff. – Rechtsfähigkeit 117 ff., 131 ff. – RETT-Blocker-Struktur 921 f. – Steuerrechtsfähigkeit 122 ff.

– Übertragung von Wirtschaftsgut aus Betriebsvermögen des Gesellschafters 420 ff. – Übertragung von Wirtschaftsgut aus Privatvermögen des Gesellschafters 427 – Umsatzsteuer 125 ff. – vorweggenommene Erbfolge 403 ff. – wirtschaftliche Beteiligung i.S.d. § 1 Abs. 3a GrEStG 918 ff. Pflichtteil – Abfindung, ertragsteuerliche Folgen 683 – Abfindung, grunderwerbsteuerliche Folgen 683 f. – Abzug als Nachlassverbindlichkeit 620 f. – Anspruch als „verfügbares Vermögen“ i.S.d. § 28a ErbStG 626 f. – ausländisches Erbrecht 658 f. – Begründung des Steueranspruchs 618 ff. – Belastungsprinzip 685 ff. – Besteuerung 679 ff. – derivativer Erwerb durch Erbanfall 624 ff. – Erwerb von Todes wegen 658 f. – Geltendmachung nach dem Tod des Erstverpflichteten 621 f. – Geltendmachung verjährter Ansprüche 622 f. – Geschwisterzuwendungen 684 f. – originärer Erwerb 618 ff. – Pflichtteilsergänzungsanspruch 688 f. – Verzicht 623 f. – Verzicht gegen Abfindung 681 ff. – Verzicht, Surrogation bei Abfindung 38 f. Pflichtteilsergänzungsanspruch – Besteuerung 688 f. Prinzip der Risikobelegenheit – Versicherungsteuer 939 ff.

Quasi-Dividende

– Außensteuerrecht 810 997

Stichwortverzeichnis

Quotennießbrauch – Vorbehaltsnießbrauch 435 f.

R

angrücktritt – Anforderungen 259 ff. – einfacher, Auswirkungen des § 5 Abs. 2a EStG 262 – in einer Konzernsituation 262 f. – Passivierung von Verbindlichkeiten 258 ff., 261 ff. – qualifizierter, Auswirkungen des § 5 Abs. 2a EStG 262 – Überschuldung 258 ff. Real Estate Transfer Tax Blocker-Struktur – RETT-Blocker-Struktur 918 ff. Rechnungsabgrenzungsposten – Bilanzrecht 366 ff. Rechtsbehelfsverfahren – Beratungskosten 575 Rechtsfähigkeit – Personengesellschaft 117 ff., 131 ff. Rechtsgeschäft, aufschiebend bedingtes – drohende Verluste 113 ff. – Insolvenzantragspflicht 113 f. – Passivierungspflicht 112 f. – Überschuldung 114 f. – Zahlungsunfähigkeit 115 f. Rechtsgewinnungsprozess – Bilanzrecht 351 Reichsabgabenordnung – Haftung des Vertretenen gemäß § 70 AO 846 ff. REIT-Gesellschaft – Hinzurechnungsbesteuerung 818 Rentenversicherungsträger – sozialversicherungsrechtliche Betriebsprüfung 826 ff. Restschuldbefreiung – ausgenommene Forderungen 874 ff. – Ausklammerung der Katalogstraftaten 879 ff. – Auslandsbezug 883 ff. – Fiskusprivileg 876 ff. – fresh start 873 f. 998

– Rechtsnatur von Haftungsansprüchen 875 – Rechtsnatur von Steueransprüchen 875 – Steuerhinterziehung 874 – strafbare Handlungen 879 ff. RETT-Blocker-Struktur – Begriff der Beteiligung 923 f. – Begriff der „mittelbaren“ wirtschaftlichen Beteiligung 924 f. – Begriff der wirtschaftlichen Beteiligung 922 f. – Erwerb von Kapitalgesellschaft 920 f. – Erwerb von Personengesellschaft 921 f. – wirtschaftliche Beteiligung i.S.d. § 1 Abs. 3a GrEStG 918 ff. Richtlinie – AIFM 763 ff. – Klauselrichtlinie 147 f. – Mehrwertsteuersystemrichtlinie 712 ff., 716 f. – OGAW-IV 763 ff., 778 – Umsatzsteuersystemrichtlinie 698 ff. Rückstellungen – Bilanzrecht 364 ff.

S

anierungserlass – Mindestbesteuerung 265 f. – „Neufälle“ 267 f. – Rechtswidrigkeit 266 f. Sanierungsgewinne, ertragsteuerliche Behandlung – alte Rechtslage 264 ff. – Gewerbesteuer 269 f. – neue Rechtslage 268 ff. – Vereinbarkeit mit EU-Beihilferecht 270 f. Satzung – Schiedsklausel 149 ff. Schadensersatzleistung – als Arbeitslohn 907 f. Scheinselbständigkeit – Lohnsteuerrecht 837 ff. – Sozialversicherungsrecht 832 ff.

Stichwortverzeichnis

Schenkung, mittelbare – Surrogation 37 Schenkung unter Lebenden – unter Nießbrauchsvorbehalt 38 – unter Nießbrauchsvorbehalt, Surrogation 40 ff. – Surrogation 35 ff. Schenkungsteuererklärung – Kosten der Berichtigung/Änderung 574 f. Schiedsklauseln – AGB-Kontrolle 148 f. – Aktiengesellschaft 152 f. – Form 153 f. – Klauselrichtlinie 147 f. – Möglichkeit der Einflussnahme 148 f. – Organmitglieder 139 f. – Reichweite 153 – Satzungsänderung 151 f. – Satzungsbestandteil 149 ff. – überraschende Klausel 149 – unangemessene Benachteiligung 149 – Verbraucherbegriff 139 ff. – Vertrag 138 ff. Schuldanerkenntnis – abstraktes 3 f. – Abstraktionsprinzip 19 ff., 22 ff. – Ausschluss der causa 22 ff. – deklaratorisches 3 ff., 26 ff. – dogmatische Kritik 6 ff. – dogmatische Rechtfertigung 10 f. – Erfüllungstheorie 19 ff. – gesetzliche Regelung 13 ff., 31 f. – Hilfsgeschäft 24 ff. – kausales 3 ff. – konstitutives 26 ff. – Leibrentenversprechen 4 ff. – Leistung i.S.d. § 812 Abs. 2 BGB 5 – Leistungstheorie 19 ff. – Rechtsentwicklung 15 ff. – Rechtsmethodik 12 f. – schenkweise erteiltes 21, 26 ff. – Verfügungsgeschäft 19 ff. – vertragliches 26 ff. – Wirksamkeitsvoraussetzungen 4 ff.

– Zweckverfolgung 19 ff. Schuldenabzug gemäß § 10 ErbStG – Erbfallschulden 581 – Erblasserschulden 580 – Schuldenkürzung aufgrund rechtlichen Zusammenhangs 584 ff. – Schuldenkürzung aufgrund wirtschaftlichen Zusammenhangs 584 ff. – Stichtagsprinzip 577 ff. Schuldenverrechnung – Reformvorschlag zur Erbschaftsteuerreform 592 f. Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB – Steuerhinterziehung 875 Schwebendes Geschäft – Passivierungspflicht 110 f. Selbstzweckstiftung – im Errichtungsstadium 97 – Familienstiftung 91 ff. – als rechtsfähig anerkannte 97 – Rechtsfolgen 97 ff. – unternehmensverbundene 91 ff. – verdeckte 95 ff. – Zulässigkeit 87 ff. Share Deals – Begriff der Beteiligung 923 f. – Begriff der „mittelbaren“ wirtschaftlichen Beteiligung 924 f. – Begriff der wirtschaftlichen Beteiligung 922 f. – Grunderwerbsteuer 916 ff. Sonderbetriebsvermögen – atypische GmbH & Still 284 f. – Ausgliederung 554 f. – begünstigtes Vermögen 548 ff. – Drittstaatenvermögen 934 f. – Gesellschafter 379 f. – Gesellschafterdarlehen 551 ff. – GmbH-Anteile 551 – Grundstück 929 ff. – „Mitunternehmer-Betriebsstätte“ 786 – Nachsteuer 553 ff. – nicht begünstigtes Vermögen 458 ff. – Nießbrauch 439 f., 547 ff. – Personengesellschaft 379 f. 999

Stichwortverzeichnis

– steuerneutrale Einbringung gemäß § 20 UmwStG 928 ff. – Vermögensbindungsmodell 553 f. – Verschonungsregelung 541 ff. – Verwaltungsvermögen 548 ff. – Vorab-Abschlag gemäß § 13a Abs. 9 ErbStG 555 ff. Sozialabgabenstrafrecht – materiell-rechtlicher Tatbegriff 859 ff. – Nichtentrichtung von Arbeitnehmerbeiträgen 863 ff. – Rechtsprechung zum Tatbegriff 863 ff. – strafprozessualer Tatbegriff 862 ff. Sozialrecht – Gemeinsamkeiten mit dem Steuerrecht 823 ff. Sozialversicherungsentgeltverordnung – Arbeitsentgelt 823 Sozialversicherungsrecht – Begriff des Arbeitsentgelts 894 ff. – Beitragspflicht 823 ff. – Betriebsprüfung 826 ff. – Entstehungsprinzip 824 f. – geschäftsführender GmbH-Gesellschafter 829 ff. – Scheinselbständigkeit 832 ff. Sperrwirkung, abkommensrechtliche – Abzugsverbot gemäß § 8 Abs. 3 KStG 757 ff. – Dealing at arm´s length 751 ff. – Diskriminierungsverbot 758 f., 759 f. – Einkünftekorrektur 754 ff. – Fremdvergleich 735 ff., 751 ff. – Missbrauchsvermeidungsregeln 760 – Reichweite 743 ff. – Treaty override 746 ff. – verdeckte Gewinnausschüttung 738 ff. Staatsangehörigkeitsprinzip – Erbrecht 647 Steueranspruch – Rechtsnatur 875 1000

Steuerbefreiung   s. a. Steuerverschonung – Bewertungsabschlag gemäß § 13a Abs. 9 ErbStG 523 ff. – Erbschaftsteuer bei Auslandsbezug 669 ff. – Erbschaftsteuer bei Auslandsbezug, persönliche Freibeträge 675 ff. – Erbschaftsteuer bei Auslandsbezug, sachliche Steuerbefreiungen 672 ff. – Erbschaftsteuer bei Auslandsbezug, steuerfreier Zugewinn 669 ff. – Familienunternehmen 524 ff. Steuerbescheid – keine Korrektur gemäß § 175 AO 572 f. – Korrektur gemäß § 173 Abs. 1 Nr. 2 AO 572 – Korrektur gemäß §§ 5, 6 BewG 573 f. Steuerbilanz – Bilanzierung von Wirtschaftsgütern 329 ff. Steuererklärung – Steuerhinterziehung bei Nichtabgabe 494 f. Steuerfestsetzung – Erbschaftsteuer 558 ff. – gegen Erblasser 559 ff. Steuerforderung – Privilegierung nach KO 877 f. – Restschuldbefreiung 873 ff. Steuerfreie Zusammenschlüsse – branchenbezogene Einschränkungen 718 ff. – Entgelt 727 ff. – Leistender 720 ff. – Leistung an Verbraucher 730 – Leistungen an juristische Personen des öffentlichen Rechts 729 f. – Leistungsempfänger 722 f. – Leistungsverwendung 723 ff. – Mehrwertsteuersystemrichtlinie 716 f. – Richtlinienwidrigkeit nationalen Rechts 717 f.

Stichwortverzeichnis

– Steuerbarkeit 715 f. – tatbestandliche Voraussetzungen nach Unionsrecht 720 ff. – Umsatzsteuer 715 ff. – Unionsrecht 717 ff. – Wettbewerbsklausel 725 ff. Steuerhinterziehung   s. a. Steuerhinterziehung, Erbschaft- und Schenkungsteuer – Beratungskosten 574 ff. – Erbschaft- und Schenkungsteuer 490 ff., 568 ff. – Erklärungskosten 574 ff. – Geschäftsführer 851 – Haftung des Vertretenen gemäß § 70 AO 841 ff. – Hinterziehungszinsen 568 f. – Lohnsteuer 860 ff. – materiell-rechtlicher Tatbegriff 859 ff. – Nachlassverbindlichkeiten 568 ff. – Rechtsprechung zum Tatbegriff 863 ff. – Restschuldbefreiung 874 – Schutzgesetz i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB 875 – Steuerschulden 568 ff. – strafprozessualer Tatbegriff 862 ff. – Verhältnis zur Nichtentrichtung von Abgaben 859 ff. – Vertreter, in Ausübung der Obliegenheiten 849 ff. – Vertreter nach §§ 34, 35 AO 842 ff. – Vorenthaltungshandlungen 864 ff. Steuerhinterziehung, Erbschaft- und Schenkungsteuer – durch positives Tun 491 f. – durch Unterlassen bei Nichtabgabe einer Steuererklärung 494 f. – durch Unterlassen einer gesetzlichen Anzeigepflicht 492 ff. – durch unterlassene Angabe von Vorschenkungen 495 ff. – Versuch bei aktivem Tun 498 f. – Versuch bei Unterlassen 499, 502 – Versuch und Vollendung 497 f.

– Vollendung bei aktivem Tun 498 f. – Vollendung bei Unterlassen 499 ff., 502 Steuerpflicht – beschränkte, inländische Betriebsstätte 773 ff. – Lohnsteuer 823 ff. – Parallelität mit Beitragspflicht 823 ff. – partielle 767 f. – partielle, gewerbliche Tätigkeit im Inland 768 ff. – partielle, Gewerblichkeit 770 ff. – partielle, Investmentfonds 767 f. – partielle, unternehmerische Bewirtschaftung 769 f. – persönliche, Investmentfonds 766 f. – sachliche 767 ff. – sachliche, Investmentfonds 767 ff. Steuerrecht – Gemeinsamkeiten mit dem Sozialrecht 823 ff. – Wechselwirkungen mit dem Gesellschaftsrecht 122 f. Steuerrechtsfähigkeit – Erbschaftsteuer 123 f. – Grunderwerbsteuer 124 f. – juristische Person 122 ff. – Personengesellschaft 122 ff. – Umsatzsteuer 125 ff. Steuerschulden – Abzugsfähigkeit 558 – des Erblassers, private 559 ff. – Hinterziehungszinsen 568 f. – latente, Erbschaftsteuer 566 ff. – als Nachlassverbindlichkeiten 558 ff. Steuersparmodell – Erbschaftsteuer 680 ff. Steuerstrafrecht – Erbschaft- und Schenkungsteuer 490 ff. – Haftung des Vertretenen gemäß § 70 AO 841 ff. – materiell-rechtlicher Tatbegriff 859 ff. – prozessualer Tatbegriff 862 ff. 1001

Stichwortverzeichnis

– Rechtsprechung zum Tatbegriff 863 ff. – Steuerhinterziehung 489 ff. Steuerverbindlichkeiten – Restschuldbefreiung 873 ff. Steuervergünstigungen – Familienunternehmen 524 ff. Steuerverschonung   s. a. Steuervergünstigungen – begünstigtes Vermögen i.S.d. § 13b Abs. 2 ErbStG 406 f. – begünstigungsfähiges Vermögen i.S.d. § 13b Abs. 1 ErbStG 406 – Betriebsaufspaltung 405 ff. – Bewertungsabschlag gemäß § 13a Abs. 9 ErbStG 524 ff. – Erbschaftsteuerreform 2016 509 f., 516 ff. – Familienunternehmen 523 ff. – Gestaltungsfestigkeit 516 ff. – Missbrauchsvermeidung 518 f. – Reformvorschlag zur Erbschaftsteuerreform 591 f. – Schenkungsteuer, Mitunternehmer­ anteile 405 ff. – Sonderbetriebsvermögen 541 ff. – Verwaltungsvermögenstest 516 ff. – Vorab-Abschlag gemäß § 13a Abs. 9 ErbStG 411 ff. – vorweggenommene Erbfolge 405 ff. Stichtagsprinzip – Erbschaftsteuer 577 ff. – Mitunternehmeranteil 545 ff. – Schuldenabzug gemäß § 10 ErbStG 577 ff. Stifter – des Stifters, Vermögenshaftung 78 ff. – nach dem Tod anerkannte Stiftung 75 ff. Stifterhaftung – Bedingungslösung 81 – zwischen Errichtung und Anerkennung 78 ff. – zwischen Errichtung und Anerkennung, Lösungsvorschlag 83 ff. 1002

– zwischen Errichtung und Anerkennung, Streitstand 78 ff. – Rechtsentwicklung 79 f. – Vermächtnislösung 81 ff. – Vermögenshaftung 71 ff. Stiftung – Familienstiftung 91 ff. – Nutzungen des Widmungsvermögens zwischen Errichtung und Anerkennung 78 – Selbstzweck 87 ff. – Selbstzweck, Rechtsfolgen 97 ff. – unter Lebenden, nach dem Tod des Stifters anerkannte 75 ff. – unternehmensverbundene 91 ff. – verdeckte Selbstzweckstiftung 95 ff. – Vermögenserwerb gemäß § 82 Satz 1 BGB 71 f. – Vermögenserwerb mit Anerkennung 72 ff. Stille Reserven – Betriebsübergang, Subjektsteuerprinzip 459 ff. – Einmalbesteuerung 449 ff. – Subjektsteuerprinzip 450 ff. – Trennungsprinzip 450 ff. – Wegzug 791 f. Stimmrechtskonkordanz – Betriebsaufspaltung 438 f. Stimmrechtsverteilung – Betriebsaufspaltung 440 Strafbare Handlungen – Restschuldbefreiung 879 ff. Strafprozessrecht – materiell-rechtlicher Tatbegriff 859 ff. – prozessualer Tatbegriff 862 ff. – Rechtsprechung zum Tatbegriff 863 ff. Subjektsteuerprinzip – Buchwertfortführung bei betrieblichen Sachgesamtheiten 463 – Durchbrechung 460 f. – Einkommensteuerrecht 459 ff. – Einmalbesteuerung 450 ff. – objektives Nettoprinzip 455 f.

Stichwortverzeichnis

– Rechtfertigung des Systembruchs 462 f. – Rechtsgeschichte 461 f. Subsidiarität – Beteiligungseinkünfte 786 ff. Substanzwert – Erbschaftsteuer 609 ff. Surrogation im Steuerrecht – bei Abfindung für Pflichtteilsverzicht 38 f. – bei Abfindung statt Gesellschaftsbeteiligung 45 f. – bei abweichender Vereinbarung zur Erbauseinandersetzung 44 – bei atypischer Unterbeteiligung 42 f. – Austausch des Steuerobjekts 33 ff. – Besteuerungsobjekt 35 f. – bei einmaligem Rechtsvorgang 35 ff. – bei Einziehung und Abtretung 45 – bei Erbauseinandersetzung 43 f. – bei Erbfall 34 – bei Ertragsteuern 44 f. – bei laufender Besteuerung 40 ff. – bei Leistung an Erfüllungsstatt 47 – bei Maßnahmen während der Behaltefrist 46 f. – bei mittelbarer Schenkung 37 – bei Schenkung unter Lebenden 35 ff. – bei Schenkung unter Nießbrauchsvorbehalt 38, 40 ff. – bei Übergang einer Gesellschaftsbeteiligung 45 – nach Verwirklichung eines Steuertatbestandes 43 ff. – bei Vor- und Nacherbfall 39 f. Surrogation im Zivilrecht – dingliche Surrogation 34 f. – schuldrechtliche Surrogation 34 f. Surrogationsprinzip – Erbrecht 191 f. – Testamentsvollstreckung 191 f.

T

atbegriff – Abgabenordnung 859 ff. – materiell-rechtlicher 862 ff. – Nichtentrichtung von Abgaben 863 ff.

– Rechtsprechung 863 ff., 867 f. – strafprozessualer 862 f. – Vorenthaltungshandlungen 864 ff. Tausch von Anteilen – Fälle des § 13 Abs. 2 UmwStG 197 f. – Verschmelzung 196 ff. Teilanteilsübertragung – Buchwert 468 f. – Sonderregelung in § 6 Abs. 3 Satz 2 EStG 468 f. Teilbetrieb – verdeckte Stellvertretung 933 f. – Voraussetzungen 932 f. Teileinkünfteverfahren 450 ff. Teilfonds   s. a. Investmentfonds – beschränkte Steuerpflicht 773 ff. – Besteuerung 765 ff. – Betriebsstätte 773 ff. – Geschäftseinrichtung 774 f. – gewerbliche Tätigkeit 768 ff. – grenzüberschreitende Verwaltung 768 ff. – partielle Steuerpflicht 768 ff. – Unternehmen 773, 775 – Zurechnung von Geschäftsräumen 774 Teilunternehmensanteilsübertragung – Unternehmensnachfolge 468 f. Teilwert – Bewertung von Kunstwerken 952 f. Telefonkarte 704 f. Testamentsvollstreckung – Änderung des Gesellschaftsvertrags 192 f. – Einbringungsvorgänge 190 ff. – Nacherbfolge 193 f. – Surrogationsprinzip 191 f. – Testamentsvollstrecker 192 Tilgungsbestimmung – Kommanditist 177 f. Treaty override – abkommensrechtliche Sperrwirkung 746 ff. Trennungsprinzip – Einmalbesteuerung 450 ff. – objektives Nettoprinzip 455 f. 1003

Stichwortverzeichnis

Ü

bernahmeverlust – Billigkeitsmaßnahmen 453 f. – Formwechsel 445 ff. – objektives Nettoprinzip 455 f. – Rechtsprechung 447 ff. Überschuldung – drohende Verluste aus aufschiebend bedingten Verträgen 114 f. – Rangrücktritt 258 ff. Umgehungsschutz – Formwechsel 160 ff., 167 – mittelbare eigene Anteile 160 ff. Umsatzsteuer – Gutschein 693 ff. – Mehrwertsteuersystemrichtlinie 716 f. – Organschaft 126 ff. – Personengesellschaft 125 ff. – steuerfreie Zusammenschlüsse 715 ff. – Steuerrechtsfähigkeit 125 ff. – unionsrechtliche Steuerfreiheit von Zusammenschlüssen 720 ff. – Vertrieb von Gutscheinen 696 ff., 709 ff. – Wettbewerbsklausel, Rechtsprechung 725 ff. – Zusammenschluss, Entgelt 727 ff. – Zusammenschluss, Leistender 720 ff. – Zusammenschluss, Leistung an Verbraucher 730 – Zusammenschluss, Leistungen an juristische Personen des öffentlichen Rechts 729 f. – Zusammenschluss, Leistungsempfänger 722 f. – Zusammenschluss, Leistungsverwendung 723 ff. – Zusammenschluss, Wettbewerbsklausel 725 ff. Umsatzsteuersystemrichtlinie – Gutschein 698 ff. Umwandlung – GmbH & Co. KG in atypische GmbH & Still 289 ff. 1004

Umwandlungssteuer – Billigkeitsmaßnahmen 453 f. – Einbringung nießbrauchsbelasteter Anteile an Personengesellschaften gemäß § 20 UmwStG 935 ff. – Fall des § 13 Abs. 2 UmwStG 197 f. – Fußstapfentheorie 198 – Rechtsprechung zum Übernahmeverlust 447 ff. – steuerneutrale Einbringung eines Betriebs gemäß § 20 UmwStG 928 ff. – Übernahmeverlust gemäß § 4 Abs. 6 UmwStG 445 ff. – Verschmelzung 195 ff. Unterbeteiligung, atypische – Surrogation 42 f. Unterbilanzhaftung – Rechtsentwicklung 108 ff. – Vorbelastungsverbot 110 Untergesellschaft – ausländische, Beteiligung einer ausländischen Obergesellschaft 812 ff. Unternehmen – Begriff 773 – Begriffsbestimmung i.S.d. Art. 3 Abs. 2 OECD-MA 793 ff. – Teilfonds 773, 775 Unternehmensbewertung – Erbschaftsteuerreform 2016 520 f. – Reformvorschlag zur Erbschaftsteuerreform 594 f. Unternehmensgewinn – abkommensautonome Auslegung 796 f. – abkommensrechtliche Auslegung 793 ff., 798 ff. – Auslegung nach dem Recht des Anwenderstaates 793 f., 797 f. – beschränkte Steuerpflicht 780 ff., 806 f. – Definition nach Art. 7 OECD-MA 795 f. – Inbound-Fall 781 ff. Unternehmenskauf – carve out 223 f. – due dilligence 230 ff.

Stichwortverzeichnis

– Geschäftsführerpflichten 225 ff. – M&A 224 ff. – MAC/MAE-Klauseln 221 ff. Unternehmensnachfolge – einkommensteuerneutrale 458 ff. – Mitunternehmeranteil 543 ff. – Sonderregelung gemäß § 6 Abs. 3 Satz 2 EStG 468 f. – Teilunternehmensanteilsübertragung 468 f. Unternehmenssteuer – Beratungspraxis 257 ff. – Erbschaftsteuerreform 2016 457 f., 587 ff. Unternehmenssteuerfortentwicklungsgesetz 2001 434

Veräußerung von Wirtschaftsgütern

– Ausschluss vom Betriebsausgabenabzug 329 ff. – Betriebsausgabenabzug 334 ff. – objektives Nettoprinzip 332 ff. Veräußerungsgewinn – betrieblich genutztes Arbeitszimmer 338, 347 f. – Betriebsausgabenabzug 334 ff. – Gewinnermittlungsgrundsätze 344 ff. – Inbound-Fall 790 f. – aus Kapitalgesellschaftsbeteiligung 787 ff. – privat genutztes Betriebs-Kfz 338 ff., 348 f. – Repräsentationsaufwand 337 f., 347 – Subjektsteuerprinzip 450 ff. – teilweise ausgeschlossener Betriebsausgabenabzug 329 ff. – Trennungsprinzip 450 ff. Verbindlichkeiten – Liquidation von Kapitalgesellschaften 271 ff. – Passivierung, Rangrücktritt 261 ff. Verbindlichkeiten, aufschiebend bedingte – GmbH-Gründung 103 ff. – Insolvenzreife 103 ff.

– Passivierungspflicht 104 ff. – Prüfung der Insolvenzreife 103 ff. Verbraucher – Aktiengesellschaft 140 ff. – Aufsichtsratsmitglied 144 f. – Begriff 139 ff. – GmbH-Geschäftsführer 145 – Schiedsklauseln 139 ff. Verbrauchsteuern – Steuerhinterziehung 844 ff. Verdeckte Einlage – Verschmelzung 198 f. Verdeckte Gewinnausschüttung – Fremdvergleich 738 ff. – Sperrwirkung 738 ff. Vereinszollgesetz – Haftung des Vertretenen gemäß § 70 AO 845 Verfassungsrecht – Erbschaftsteuerreform 2016 598 f. Verfügungsbeschränkung über die Anteile, § 13a Abs. 9 Satz 1 Nr. 2 ErbStG – Begünstigung von Familienunternehmen 532 f. Verfügungsgeschäft – Erfüllungstheorie 19 ff. – Leistungstheorie 19 ff. Vergütung   s. a. Arbeitsentgelt; s. a. Arbeitslohn – Begriff im Arbeitsrecht 891 – Entstehung des Anspruchs 893 – Geldlohn 892 – Kausalität und Finalität 890 – Lohnbestandteile 891 f. – Sachbezug 892 – Sonderrechtsbeziehungen 893 – sonstige Arbeitgeberleistungen 892 f. Verjährung – Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs 622 f. Verluste, drohende – Überschuldung aus aufschiebend bedingten Verträgen 114 f. – Zahlungsunfähigkeit aus aufschiebend bedingten Verträgen 115 f. 1005

Stichwortverzeichnis

Verlustvortrag – atypisch stille Gesellschaft 292 ff. Vermächtnis – ausländisches Erbrecht 656 ff. – Erwerb von Todes wegen 656 ff. Vermögensbindungsmodell – Nachsteuerfrist 553 f. Vermögenshaftung   s. a. Haftung; s. a. Stifterhaftung – Stifter 71 ff. Verpflichtungsüberschuss – Vor-GmbH 107 f. Verschmelzung – Anteilstausch 196 ff. – Barabfindung 203 f. – Besserungsschein 204 – Entstehen einer Beteiligung i.S.d. § 17 EStG 202 – Fälle des § 13 Abs. 2 UmwStG 197 f. – Fiktion einer Beteiligung i.S.d. § 17 EStG 199 ff. – Kapitalgesellschaft 196 ff. – nicht steuerverhaftete Anteile 204 – Umwandlungssteuerrecht 195 ff. – verdeckte Einlage 198 f. Verschonungsregelung   s. a. Steuerverschonung – begünstigtes Vermögen i.S.d. § 13b Abs. 2 ErbStG 406 f. – begünstigungsfähiges Vermögen i.S.d. § 13b Abs. 1 ErbStG 406 – Vorab-Abschlag gemäß § 13a Abs. 9 ErbStG 411 ff. Versicherungsteuerrecht – Drittlands-Versicherer 940 ff. – Gruppenversicherung 941 f. – internationales 939 ff. – Niederlassungen und Betriebstätten 939 ff. – Prinzip der Risikobelegenheit 939 ff. Vertreter – ständiger, inländische Betriebsstätte 774 f., 775 – ständiger, Teilfonds 774 f., 775 – Steuerhinterziehung 842 ff. 1006

– Steuerhinterziehung, in Ausübung ihrer Obliegenheiten 849 ff. Vertrieb – von Gutscheinen auf eigene oder fremde Rechnung 698 – von Gutscheinen aus umsatzsteuerlicher Sicht 698 ff. – von Gutscheinen im eigenen Namen 696 f. – von Gutscheinen in fremdem Namen 697 f. Verwaltungsvermögen – begünstigungsfähiges Vermögen gemäß § 13b Abs. 1 ErbStG 458 ff. – Einlagefall, Reformvorschlag zur Erbschaftsteuerreform 593 f. Verwaltungsvermögenstest – Kaskadeneffekte 516 ff. – Steuerverschonung 516 ff. Verzicht – Pflichtteil 623 f. Vor- und Nacherbfolge – ausländisches Recht 665 ff. – Einbringung von Nachlassgegenständen 184 ff., 193 f. – Surrogation 40 ff. Vorab-Abschlag gemäß § 13a Abs. 9 ErbStG – Anwachsungserwerb 416 f. – Entnahmebeschränkung 413 – Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts 411 f. – Regelungsinhalt 412 – Sonderbetriebsvermögen 555 ff. – Steuerbegünstigung von Familienunternehmen 555 – Verfügungsbeschränkung 417 f. – vorweggenommene Erbfolge 411 ff. Vorbehaltsnießbrauch – atypisch stille Gesellschaft 435 f. – Betriebsaufgabe 429 ff. – Betriebsübertragung 431 ff. – BFH-Entscheidung vom 21.1.2015 437 ff. – Buchwertfortführung 433 ff.

Stichwortverzeichnis

– Einzelunternehmen 431 ff. – Immobilienübertragung, AfA-Befugnis 40 f. – Immobilienübertragung, Fortsetzung am neuen Objekt 41 f. – Innengesellschaft 435 f., 441 ff. – landwirtschaftliche Betriebe 436 f. – Quotennießbrauch 435 f. – Stimmrechtskonkordanz 438 f. – Surrogation bei Schenkungen 40 ff. Vorbelastungsverbot – Unterbilanzhaftung 110 Vor-GmbH – aufschiebend bedingte Verbindlichkeiten bei Eintragung 112 f. – bedingte Verpflichtung 107 ff. – Verpflichtungsüberschuss 107 f. Vorkaufsrecht der Miterben – BGH-Entscheidung „Der dritte Weg“ 51 f. – BGH-Entscheidung „Keine Verkehrsfähigkeit des Vorkaufsrechts“ 52 – BGH-Entscheidung „Maklerhonorar“ 52 f. – Erbengemeinschaft 51 ff. Vorweggenommene Erbfolge – Anwachsungserwerb, Mitunternehmeranteil 415 ff. – Anwachsungserwerb und Steuerverschonung 416 f. – Anwachsungserwerb und Verfügungsbeschränkung 417 f. – Betriebsaufspaltung 405 ff. – Betriebsübertragung 434 ff. – Buchwertfortführung 433 f. – Ertragsteuer 418 ff. – Mitunternehmeranteile 403 ff., 418 ff. – Nießbrauch, mitunternehmerischer 325 ff. – Schenkungsteuer 403 ff. – Stimmrechtskonkordanz 438 f. – Vorab-Abschlag gemäß § 13a Abs. 9 ErbStG 411 ff.

Wegzug

– Entstrickungsrisiko der Kapitalgesellschaftsanteile 791 f. – Gesellschafter 791 f. – stille Reserven 791 f. Weinsteuergesetz – Haftung des Vertretenen gemäß § 70 AO 845 Weitergeltungsanordnung – Erbschaftsteuerreform 2016 507 ff. Wert-Gutschein   s. Gutschein Wertpapierübertragungsgesetz – MAC/MAE-Klauseln 221 f. Wettbewerbsklausel – Rechtsprechung 725 ff. – steuerfreie Zusammenschlüsse 725 ff. Widmungsvermögen – Stiftung 78 Wirtschaftliche Beteiligung i.S.d. § 1 Abs. 3a GrEStG – Begriff 922 f. – grundbesitzende Personengesellschaft 916 ff. – Grunderwerbsteuer 918 ff., 922 ff. Wirtschaftliches Eigentum – personelle Zurechnung von Wirtschaftsgütern 355 ff. Wirtschaftsgut – Beteiligung an Personengesellschaft 383 ff., 385 f. – betrieblich genutztes 329 ff. – Bilanzierung 383 ff. – personelle Zurechnung 355 ff. – Übertragung aus Betriebsvermögen des Gesellschafters in Gesamthandsvermögen 420 ff. – Übertragung aus Privatvermögen des Gesellschafters in Gesamthandsvermögen 427 – Übertragungswege in das Gesamthandsvermögen 419 ff., 427 – Veräußerungsgewinn 334 ff. – Vorrang wirtschaftlichen Eigentums 355 ff. 1007

Stichwortverzeichnis

Wohnraumüberlassung – Schenkungsteuer 633 f.

Zahlungsunfähigkeit

– drohende Verluste aus aufschiebend bedingten Verträgen 115 f. Zebragesellschaft – anteiliger eigener Grundbesitz 305 ff. – beschränkte Steuerpflicht 303 ff. – Bruchteilsbetrachtung 309 ff. – Dogmatik 308 ff. – ohne eigenes Betriebsvermögen 309 ff. – Einkünfteermittlung 301 ff., 308 f. – Geprägerechtsprechung 298, 300 f. – Gewerbesteuer 305 ff. – Grundlagen 298 ff. – verfahrensrechtliche Besonderheiten 312 f. Zigarettensteuergesetz – Haftung des Vertretenen gemäß § 70 AO 845 Zölle – Steuerhinterziehung 844 ff. Zuflussprinzip – Arbeitslohn 908 f. Zuwendung, freigebige   s. Freigebige Zuwendung Zuwendungsgegenstand – Ersparnis von Aufwendungen als Zuwendungen 486 f. – freigebige Zuwendung 475 ff. – Gebrauchs- und Nutzungsvorteile 483 ff. – Zuwendung von Vermögenssubstanz 481 ff. – Zuwendungstatbestand gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1. ErbStG 475 f.

1008

Zuwendungstatbestand, § 7 Abs. 1 Nr. 1 ErbStG – Bereicherung des Bedachten 476 ff. – Entreicherung auf Kosten des Zuwendenden 478 f. – Ersparnis von Aufwendungen als Zuwendung 486 f. – Feststellungslast 480 f. – Wille zur Freigebigkeit 479 f. – Zuwendung von Gebrauchs- und Nutzungsvorteilen 483 ff. – Zuwendung von Vermögenssubstanz 481 ff. – Zuwendungsgegenstand 475 f. Zweckverfolgung – Schuldanerkenntnis 19 ff. Zwischengesellschaft, ausländische – außerbetriebliche Sphäre, ausländische Kapitalgesellschaft 816 f. – außerbetriebliche Sphäre, Personenvereinigung 816 f. – außerbetriebliche Sphäre, Vermögensmasse 816 f. – Beteiligung am Ende des Wirtschafsjahres der ausländischen Gesellschaft 810 f. – Beteiligung ausländische Obergesellschaft an ausländischer Untergesellschaft 812 ff. – Beteiligung ausländischer Gesellschaft an Investmentfonds 817 ff. – Beteiligung Steuerinländer 810 ff. – Hinzurechnung bei ausländischer Nicht-Kapitalgesellschaft 815 f. – Hinzurechnungsbesteuerung 809 ff. – Rechtsbeziehungen zu ausländischer Gesellschaft 817 – Voraussetzungen einer ausländischen Gesellschaft i.S.d. § 7 Abs. 1 AStG 814 f.