Zentralbanken, Währungsunion und stabiles Finanzsystem: Festschrift für Helmut Siekmann [1 ed.] 9783428556946, 9783428156948

Im Mittelpunkt des Sammelbandes steht die Stabilität der Geld-, Währungs- und Finanzordnung. In 36 Aufsätzen beleuchten

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German Pages 712 [713] Year 2019

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Zentralbanken, Währungsunion und stabiles Finanzsystem: Festschrift für Helmut Siekmann [1 ed.]
 9783428556946, 9783428156948

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Zentralbanken, Währungsunion und stabiles Finanzsystem

Festschrift für Helmut Siekmann

Herausgegeben von

Theodor Baums, Hermann Remsperger, Michael Sachs und Volker W. Wieland

Duncker & Humblot . Berlin

Theodor Baums, Hermann Remsperger, Michael Sachs und Volker W. Wieland (Hrsg.)

Zentralbanken, Währungsunion und stabiles Finanzsystem

Zentralbanken, Währungsunion und stabiles Finanzsystem Festschrift für Helmut Siekmann

Herausgegeben von

Theodor Baums, Hermann Remsperger, Michael Sachs und Volker W. Wieland

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe und der Übersetzung, für sämtliche Beiträge vorbehalten © 2019 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Druck: Das Druckteam Berlin Printed in Germany ISBN 978-3-428-15694-8 (Print) ISBN 978-3-428-55694-6 (E-Book) ISBN 978-3-428-85694-7 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Vorwort Vorwort

Zunächst sei der „Stiftung Geld und Währung“ ausdrücklich dafür gedankt, dass mit ihrer finanziellen Unterstützung ein Buchprojekt zur Stabilität der Geld-, Währungs- und Finanzordnung verwirklicht werden konnte. Aus diesem Projekt entstand ein Sammelband, der 36 Aufsätze von Juristen und Ökonomen zu Themen bündelt, mit denen sich die Stiftung als Förderer der Wissenschaft und Helmut Siekmann als Forscher und Lehrer immer wieder auseinandergesetzt haben. Die einzelnen Kapitel der vorliegenden Veröffentlichung spiegeln dies wider: „Recht und Ökonomie der Europäischen Währungsunion und EU“, „Zentralbanken und Geldpolitik“, „Stabiles Finanzsystem und Bankenregulierung“, „Öffentlicher Haushalt und Finanzkontrolle“ sowie „Staatseinnahmen, Finanzausgleich und kommunale Infrastruktur“. Und wer Helmut Siekmann kennt, weiß schließlich auch um sein ausgeprägtes Interesse für „Varia“. Ihm widmen die Herausgeber den Sammelband mit dem Titel „Währungsunion, Zentralbanken und stabile Finanzordnung“ als Festschrift. Helmut Siekmann stammt aus dem Niederbergischen Land, einer klein-industriell geprägten Mittelgebirgslandschaft südlich des Ruhrgebiets. Er wurde am 27. November 1947 in Velbert geboren. Dort ging er auch zur Schule, unterbrochen von einem einjährigen Aufenthalt in den Vereinigten Staaten von Amerika. Nach dem Erwerb des High School Diploma in den USA (San Diego, 1965) und der Hochschulreife in Deutschland (Velbert, 1966) studierte er Rechtswissenschaften an den Universitäten Bonn und Köln. Sofort nach der glanzvoll bestandenen ersten juristischen Staatsprüfung (1971) nahm er das Studium der Volkswirtschaftslehre an der Universität Bonn auf, das er nach sechs Semestern mit der Verleihung des akademischen Grades „Diplom-Volkswirt“ (1974) abschloss. Es folgten – ebenfalls mit herausragendem Ergebnis – die zweite juristische Staatsprüfung (1977) sowie Promotion und Habilitation durch die Rechtswissenschaftliche Fakultät der Universität zu Köln. Helmut Siekmanns Dissertation zum Thema „Institutionalisierte Einkommenspolitik“ wurde von der Universität zu Köln mit dem Universitätspreis ausgezeichnet. In Köln war Helmut Siekmann zunächst als Assistent des Dekans der Juristischen Fakultät tätig und dann im Institut für Öffentliches Recht und Verwaltungslehre als Mitarbeiter von Klaus Stern, der auch seine Dissertation und Habilitation betreut hat. Die Tätigkeit bei Klaus Stern hat ihm die gesamte Breite des Öffentlichen Rechts eröffnet und vor allem auch sein Interesse für die historischen und methodischen Grundlagen des Rechts geweckt. Unmittelbar im Anschluss an

VI

Vorwort

die Habilitation wurde Helmut Siekmann zum Professor für Öffentliches Recht an die Ruhr-Universität Bochum berufen. Dort übte er von 1997 bis 1999 das Amt des Dekans aus, war fünf Jahre Mitglied des Senats der Universität und drei Jahre Mitglied der Universitätsstrukturkommission. Im Jahre 2006 wechselte Helmut Siekmann an die Johann Wolfgang Goe­theUniversität in Frankfurt am Main und wurde zum Inhaber der „Stiftungsprofessur für Geld-, Währungs- und Notenbankrecht“ ernannt. Sie war im Rahmen eines von der Stiftung Geld und Währung finanzierten Projektes neu geschaffen worden, das die Stiftung auf Grund eines Wettbewerbsverfahrens an die Universität Frankfurt vergeben hatte. Die Stiftung ist eine durch Bundesgesetz errichtete juristische Person des öffentlichen Rechts des Bundes. Im Rahmen dieses Projektes baute Helmut Siekmann das „Institute for Monetary and Financial Stability“ (IMFS) als fakultätsübergreifende, interdisziplinäre wissenschaftliche Einrichtung der Universität auf und war dessen langjähriger geschäftsführender Direktor. Zugleich hat Helmut Siekmann von Anfang an bei der Entwicklung eines Konzepts für das neu zu errichtende House of Finance an leitender Stelle mitgearbeitet. Zunächst war er einer der Direktoren und später Mitglied des Präsidiums bis zum Jahre 2009. Er gehörte auch zu den Gründern der „policy unit“ im House of Finance. In vielen Gesprächen und Diskussionen mit hochrangigen Entscheidungsträgern der Europäischen Union, des Bundes und des Landes Hessen sowie ihrer nachgeordneten Einrichtungen sind die Fragen der Politik an die Wissenschaft, aber auch der Anliegen der Wissenschaft an die Politik intensiv erörtert worden. Hinzu kam die Mitwirkung in zahlreichen Gremien und Workshops, nicht zuletzt auch zur Fortentwicklung des LOEWE-Zentrums SAFE (Sustainable Architecture for Finance in Europe). Helmut Siekmanns Forschungstätigkeit deckt die gesamte Breite des Öffentlichen Rechts ab. Sie umfasst sowohl das Verwaltungs- als auch das Staatsrecht und – seit seiner Berufung an die Goethe-Universität nach Frankfurt am Main – zunehmend das Europarecht. Von Beginn an waren das Finanzverfassungsrecht des Bundes und der Länder sowie das Recht der öffentlichen Unternehmen beherrschende Themen, jeweils mit ihren ökonomischen und historischen Bezügen. Die Befassung mit dem Notenbankrecht und den Instrumenten der Geldpolitik gehörten ebenfalls seit langem zu seinen Tätigkeitsfeldern, gewannen aber seit der Übernahme der Stiftungsprofessur in Frankfurt einen immer größeren Stellenwert. Durch den Ausbruch der Finanzkrise im Jahre 2007, deren Tragweite zunächst nur unvollständig erkannt wurde, erhielten diese Forschungsbereiche eine kaum geahnte Aktualität und öffentliche Aufmerksamkeit, die sich auch in zahlreichen Interviews und Namensbeiträgen von Helmut Siekmann in den Medien niederschlug. Nicht zuletzt spiegelten seine Forschungsaktivitäten die Probleme der Ratingagenturen und der Aufsichtssysteme wider.

Vorwort

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Hinzu kam die kritische Auseinandersetzung mit den unkonventionellen Maßnahmen in der Geldpolitik, wobei die verschiedenen Ankaufsprogramme der Notenbanken oft im Zentrum standen. Sie und die anschließenden Gerichtsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht und dem Gerichtshof der Europäischen Union prägen die wissenschaftliche Tätigkeit von Siekmann bis heute. Eine besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang der von ihm herausgegebene Kommentar zum Recht der Europäischen Währungsunion (2013), an dem Universitätsprofessoren und Praktiker aus den Rechtsabteilungen der Notenbanken mitgewirkt haben. Das Werk enthält auch eine umfassende Kommentierung der Vorschriften der Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank. Sie gehört als Protokoll zum Vertrag zum Primärrecht der EU. Eine aktualisierte englische Ausgabe ist in Vorbereitung. Seit der Berufung von Siekmann an die Ruhr-Universität im Jahre 1993 hat das Grundgesetz 25 Änderungen erfahren, zum Teil ohne die erforderliche Verfassungsdignität, zum Teil aber auch, um das Finanzverfassungsrecht des Grundgesetzes einschließlich des Haushaltsrechts und des Staatsschuldenrechts grundlegend umzugestalten. Diese Veränderungen erfolgten zum größten Teil in Bereichen, die zu den Forschungsschwerpunkten von Siekmann gehören. Vor allem waren sie in dem von Michael Sachs herausgegebenen Kommentar zum Grundgesetz, an dem Siekmann seit seiner ersten Auflage im Jahre 1996 mitgewirkt hat, zu erfassen, zu systematisieren und zu erläutern. Namentlich die tiefgreifenden Umgestaltungen des Finanzverfassungsrechts und des Rechts der Gemeinschaftsaufgaben mit der Änderung zahlreicher bestehender und der Einfügung einer großen Zahl von neuen Vorschriften in den Jahren 2006, 2009 und 2017 mussten wissenschaftlich bewältigt werden, was aufgrund der zahlreichen Systembrüche und sprachlichen Inkonsistenzen eine große Herausforderung darstellte. Der im Jahre 2019 verabschiedete „Digitalpakt“ zeigt, dass ein Ende dieser Herausforderung nicht abzusehen ist. Mittlerweile ist es ein Alleinstellungsmerkmal dieses Kommentars zum Grundgesetz, dass das gesamte Gebiet des Haushalts- und Finanzverfassungsrechts und zusätzlich das Recht der Notenbanken im Grundgesetz (Artikel 88) aus einer Hand wissenschaftlich bearbeitet werden. Die rasche Weiterentwicklung des Zahlungsverkehrs, vor allem der Einsatz digitaler, teilweise nicht-physischer Instrumente und neuartiger Technologien (distributed ledgers, blockchain), erfordern eine grundsätzliche Neuvermessung des Geldrechts. Dabei spielen die Geschichte des (Fiat-)Geldes in der westlichen Rechtstradition und die Entstehung des Konzepts eines „gesetzlichen Zahlungsmittels“ eine wichtige Rolle. Nicht zuletzt wird über die Wertaufbewahrungsfunktion des von den Geschäftsbanken geschaffenen Buchgeldes trotz der (fragmentarischen) Einlagensicherungssysteme diskutiert. Hinzu tritt der Disput in der Wissenschaft und in der Politik sowie in der Wirtschaft über die Rolle des

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Vorwort

Bargelds. In Verbindung mit der nicht über jeden Zweifel erhabenen Solvenz von Banken und der Leistungsfähigkeit der Sicherungseinrichtungen sind dieser Aspekt des Geldrechts und die Ausgestaltung des Rechts der gesetzlichen Zahlungsmittel sowie die Neu- oder Wiedererrichtung von insolvenzgesicherten Zahlungsverkehrsinstituten ein wichtiges Thema für die Forschung von Helmut Siekmann geworden; nicht zuletzt im Hinblick auf den Expansionsdrang von Amazon, Google, Paypal und Alibaba. Diese Entwicklungen werden mit hoher Wahrscheinlichkeit auch schwerwiegende Auswirkungen auf die Geldpolitik und die Finanzaufsicht haben. Alle diese Forschungsfelder zeichnen sich durch eine enge Verzahnung von juristischen und makroökonomischen Problemstellungen aus. Das gilt bis hin zu den Bilanzen und Gewinn- und Verlustrechnungen von Zentralbanken. Zur Forschungsaktivität von Helmut Siekmann gehört schließlich auch die Beteiligung an dem Projekt EURHISFIRM (Long-term company-level data for Europe), das im April 2018 offiziell eröffnet worden ist. In ihm leitet er das „Legal and ethical design“. Zugleich ist Siekmann Mitglied des Steering Committees für das Gesamtprojekt. Mit ihm soll eine Forschungsinfrastruktur entwickelt werden, die es ermöglicht, Daten über lange Zeiträume (1815 – Gegenwart) zu sammeln und wissenschaftlich aufzubereiten. Für die Forschung sollen verlässliche, detaillierte und standardisierte Langfristzahlen auf Unternehmensebene verfügbar gemacht werden. Es handelt sich um die Schaffung einer Infrastruktur für die Arbeit mit „Big Data“ in den Sozialwissenschaften. Bisher sind derartige Primärdaten entweder überhaupt nicht erschlossen oder von unzureichender Qualität. An dem Projekt sind Wissenschaftler verschiedener Disziplinen aus sieben Mitgliedstaaten der Europäischen Union beteiligt. Es wird von ihr im Rahmen des Programms „Horizon 2020“ finanziert. Die akademische Lehre von Helmut Siekmann hat zunächst nicht nur alle Gebiete des Staatsrechts und des Verwaltungsrechts abgedeckt, sondern auch die Verfassungsgeschichte, die er regelmäßig an der Ruhr-Universität Bochum gelesen hat. Hinzu kamen Veranstaltungen in Law and Economics. Seit Beginn seiner Tätigkeit in Frankfurt hat er jedes Semester ein interdisziplinäres staatswissenschaftliches Seminar für Studierende der Fachbereiche Rechtswissenschaft und Wirtschaftswissenschaften unter aktiver Beteiligung von Praktikern aus den Notenbanken und den Aufsichtsbehörden durchgeführt. In den letzten zwölf Jahren hat immer ein Hochschullehrer für Makroökonomie (Geldtheorie und Geldpolitik) maßgebend mitgewirkt. Mit dieser gelebten Interdisziplinarität und der Verbindung zur Praxis stellt das Seminar ein Aushängeschild des IMFS dar. Es gehört zu seinem „Markenkern“. Zu Beginn des Sommersemesters 2018 wurde Helmut Siekmann in den Ruhestand versetzt, er führte aber seine wissenschaftliche Tätigkeit am IMFS weiter fort. Mit Wirkung vom 1. November 2018 wurde er zum „Distinguished Professor

Vorwort

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for Money, Currency and Banking Law“ an der Goethe-Universität Frankfurt am Main ernannt. Er ist weiterhin vollberechtigtes Mitglied des Direktoriums des IMFS. Als Gastprofessor lehrte Helmut Siekmann, dem die Université Paris Dauphine im Jahre 2010 den Grad eines „docteur honoris causa“ verlieh, an vielen ausländischen Universitäten: Saint Louis University School of Law, Saint Louis, Missouri (1996, 1999, 2001), Université d’Orléans (2003, 2004, 2005, 2006), ­Université Paris-Dauphine (2005, 2007), Université de Luxembourg (2009) und Donau-Universität Krems (2013). International ist er zu Vorträgen und „key note addresses“ eingeladen worden: e.g. Paris (Sorbonne), Istanbul, Florenz, Luxemburg, Cambridge, Taipeh, Hongkong, Zürich, Brüssel, New York, Vilnius, Saint Louis, Königsberg (Kaliningrad) und zuletzt im Jahre 2018: Paris School of Economics, German-Southeast Asian Center of Excellence for Public Policy and Good Governance, Thammasat University, Bangkok, und Harvard Law School. Über seine Forschungs- und Lehrtätigkeit hinaus hat Helmut Siekmann in zahlreichen Fragen obere und oberste Staatsorgane des Bundes und der Länder beraten und auch in Verfassungsgerichtsverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht und den Verfassungsgerichten der Länder vertreten. Als Sachverständiger war er bei einer großen Zahl von Gesetzgebungsverfahren beteiligt. Zum Schluss bedanken sich die Herausgeber noch sehr herzlich für die redaktionelle Bearbeitung der Manuskripte bei Frau Rechtsanwältin Dr. Melanie Döge und Frau Ass. Karolin Keiser, für logistische Unterstützung bei Frau Monika Schneyer, Sekretärin am Lehrstuhl des Mitherausgebers Michael Sachs. Frankfurt a. M., im Mai 2019

Die Herausgeber

Inhaltsverzeichnis Inhalt

I. Recht und Ökonomie der Europäischen Währungsunion und EU Christoph Ohler Integration durch Recht und ihre Grenzen: das Beispiel der Währungsunion  . . . . . . 3 Christoph Degenhart EZB, EuGH und BVerfG – Garanten einer stabilen Geld- und Währungsordnung?  19 Thomas M. J. Möllers Richtlinienkonforme Rechtsfortbildung als Teil einer modernen Methodenlehre  .. . 37 Jörn Axel Kämmerer Das Memorandum of Understanding (MoU): Vom Eingang einer exotischen Rechtsfigur in das Europarecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 Yves Mersch Vertiefung der WWU – politische Integration und wirtschaftliche Konvergenz  . . . . 87 Jan P. Krahnen Über Scheinriesen: Was TARGET-Salden tatsächlich bedeuten. Eine finanzökonomische Überprüfung  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 II. Zentralbanken und Geldpolitik Otmar Issing Unabhängigkeit der Notenbank – Garantie für stabiles Geld?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 Moritz Bälz und Markus Heckel Die Unabhängigkeit der Bank of Japan in Zeiten der Abenomics  . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 Carl-Ludwig Holtfrerich Macht oder ökonomisches Gesetz? Überlegungen zur Geldpolitik der EZB  . . . . . . . 157 Volker Wieland R-Star – The Natural Rate and its Role in Monetary Policy  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Niklas Benner, Jörg Schmidt und Peter Tillmann Politische Unsicherheit und die Zinsdifferenzen in der Eurozone. Die Rolle der Geldpolitik  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 Franz Seitz Bargeld, Geldpolitik und das Finanzsystem  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201

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Inhaltsverzeichnis III. Stabiles Finanzsystem und Bankenregulierung

Andreas R. Dombret und Roman Goldbach „Zu weit gegangen oder zu kurz gesprungen? Ein Überblick über die Reformen der Bankenregulierung seit der letzten Finanzkrise“  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 Ignazio Angeloni and Roberto Ugena Banks and the State: crisis management and state aid control in the banking union  239 Chiara Zilioli Proportionality as the Organising Principle of European Banking Regulation  .. . . . . 257 Matthias Goldmann Die Bedeutung intraexekutiver Kontrollen für die Gewaltenteilung in der Bankenunion  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 Tobias Tröger Verbesserungen des Bail-in-Instruments. Beobachtungen aus der Europäischen Perspektive  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 Michael Haliassos Household Financial Behavior and National Borders  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Reinhard H. Schmidt Zur Veränderung des deutschen Finanzsystems  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 Bernd Rudolph Funktionen und Risiken von Banken und Nicht-Banken-Finanzintermediäre  . . . . . . 373 IV. Öffentlicher Haushalt und Finanzkontrolle Michael Sachs Probleme mit dem Vorherigkeitsgebot  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 Christian Waldhoff Gefährdungen der parlamentarischen Haushaltsautonomie  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 Andressa Guimarães Torquato Fernandes The Constitutional Principle of Fiscal Sustainability: Considerations Regarding its Definition and Application in Judicial Decisions Involving Budgetary Issues  .. . 439 Walter Wallmann Finanzkontrolle des Bundesrechnungshofes bei Landesbehörden. Die Grundgesetzänderung aus Sicht eines Landesrechnungshofes  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 Ute Scholle, Ruth Susallek und Thomas Schindler Grundsatzentscheidung des Landesverfassungsgerichts NRW hinsichtlich der Prüfrechte des Landesrechnungshofs NRW  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 Christoph Brüning Rechtskontrolle der Wasserentgelte nach Öffentlichem Preisrecht  . . . . . . . . . . . . . . . . . 495

Inhaltsverzeichnis

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V. Staatseinnahmen, Finanzausgleich und kommunale Infrastruktur Klaus-Dieter Drüen Verteilung der Steuerverwaltungskompetenzen im deutschen Bundesstaat  .. . . . . . . . 509 Roman Seer Gesetzgebungskompetenz zur Grundsteuer  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 Kunka Petkova und Alfons Weichenrieder Grunderwerbsteuer: Eine Steuer für das 21. Jahrhundert?  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 Florian Becker Die verfassungsrechtlichen Vorgaben für den kommunalen Finanzausgleich  . . . . . . 567 Rudolf Wendt Investitionshilfen des Bundes im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur  . 585 Joël Monéger Contribution de la Cour de justice de l’Union européenne à un urbanisme commercial raisonné: le retour du commerce au centre des villes  .. . . . . . . . . . . . . . . . . 605 VI. Varia Franz Waldenberger Einige Überlegungen zu den Möglichkeiten und Grenzen staatlicher Regulierung in einer durch Arbeitsteilung geprägten Wissensgesellschaft  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 621 Henry Ordower Exploring the Impact of Taxation on Immigration  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 637 Thomas Mann Corporate Social Responsibility öffentlicher Unternehmen  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 653 Jörg Ennuschat Gemeinwohlförderung durch Glücksspielabgaben  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 673 Schriftenverzeichnis  .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 687 Verzeichnis der Autoren und Herausgeber  . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 696

I. Recht und Ökonomie der Europäischen Währungsunion und EU I. der Europäischen Währungsunion und EU

Recht

und

Ökonomie

Christoph Ohler: Integration durch Recht und ihre Grenzen: das Beispiel der Währungsunion

Integration durch Recht und ihre Grenzen: das Beispiel der Währungsunion Christoph Ohler Christoph Ohler Integration durch Recht und ihre Grenzen: das Beispiel der Währungsunion

I.  Einleitung Zehn Jahre nach Beginn der globalen Finanzkrise im September 2008, die in Europa in die Schuldenkrise mündete, ist die Frage offen, ob die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) so widerstandsfähig ist, dass sie auch in der Zukunft schwierige wirtschaftliche Zeiten unbeschadet überstehen kann.1 Das schließt die Frage ein, ob die Architektur der WWU geeignet ist, die Wohlstandserwartungen der verschiedenen Mitgliedstaaten dauerhaft zu erfüllen, ohne dass wesentliche Kompetenzverlagerungen erforderlich sind, um das europäische Haus in diesem Bereich zu befestigen.2 Der nachfolgende Beitrag konzentriert sich auf die gegensätzlichen juristischen Positionen, wie sie in der Praxis der Unionsorgane einerseits, der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts andererseits zum Ausdruck kommen. Er geht der Frage nach, welche divergierenden Integrationsverständnisse ihnen zugrunde liegen und in welchem Maße das Unionsrecht geeignet ist, zur Bewältigung der Konflikte beizutragen. Die erste Kernthese des Verfassers ist es, dass die inhaltliche Offenheit vieler der WWU zugrunde liegenden Normen verschiedene Deutungen in Abhängigkeit von integrationspolitischen wie auch wirtschaftspolitischen Ordnungsvorstellungen erlaubt. Die zweite Kernthese lautet, dass die Verwirklichung beider Integrationsverständnisse nicht allein von rechtlichen Voraussetzungen, sondern ebenso von wirtschaftlichen wie politischen Gegebenheiten abhängt. Sie wird anhand zweier Referenzbereiche, der Beitrittsvoraussetzungen zum Euro-Währungsraum und 1  Für eine nüchterne, grundsätzlich positive Betrachtung Helmut Siekmann, in: ders. (Hrsg.), EWU, 2013, Einleitung Rn. 142 ff. 2  Zu erwähnen ist der sog. „Bericht der fünf Präsidenten“, Die Wirtschafts- und Währungsunion Europas vollenden, vom 22. 06. 2015; weitergehende Überlegungen der Kommission finden sich im Reflexionspapier zur Vertiefung der Wirtschafts- und Währungsunion vom 31. 5. 2017, COM(2017) 291. S. auch Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2017/2018, S. 39 ff.; zu grundlegenden Reformoptionen Johannes Becker/Clemens Fuest, Eine Eurozone souveräner Staaten, ZSE 2017, 50 ff.

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Christoph Ohler

der Regeln zur Begrenzung öffentlicher Verschuldung in den Mitgliedstaaten, näher erläutert.

II.  Status-quo: gegensätzliche juristische Positionen Die Kontroversen um den status-quo der Währungsunion, wie auch die Bedeutung der zahlreichen Reformmaßnahmen der vergangenen Jahre, wurden und werden von zwei unterschiedlichen juristischen Standpunkten aus geführt. Die eine Position, die vor allem von der Europäischen Zentralbank (EZB) und den weiteren Unionsorganen vertreten wird, sieht die WWU als unauflöslich an.3 Die WWU bildet einen wesentlichen Baustein im Prozess der europäischen Integration, den es nach Möglichkeit zu befestigen gilt.4 Sprichwörtlich steht hierfür die Aussage des Präsidenten der EZB, Mario Draghi, den Euro zu schützen, „what­ ever it takes“.5 Dafür erforderliche Maßnahmen, seien sie sekundärrechtlicher Natur oder, wie der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), völkerrechtlich fundiert, haben funktionalen Charakter und dienen der Sicherung des Integrationsziels. Das dahinter stehende Konzept stützt sich auf die Vorstellung von „integration through law“, die erstmals in den 1980er Jahren entwickelt worden war.6 Recht bildet hiernach ein zentrales Instrument der europäischen Integration, so dass ihr Gelingen davon abhängt, dass die verfügbaren Instrumente eingesetzt und bestehende Mechanismen nach Möglichkeit gestärkt werden. Über die rein funktionale Betrachtung von Recht hinaus steht dieses Denken tendenziell einer föderalen Vorstellung nahe, die die Union als eigenständige politische Einheit und nicht lediglich als einen Staatenverbund betrachtet.7 Die WWU, die aufgrund 3  Vgl. stellvertretend Martin Selmayr, in: Peter-Christian Müller-Graff (Hrsg.), Europäisches Wirtschaftsordnungsrecht, Enzyklopädie Europarecht, Bd. 4, 2015, § 23 Rn. 128 ff.; Chiara Zilioli/Martin Selmayr, The Law of the European Central Bank, 2001, S. 12 f. 4  Aus dem deutschen Schrifttum s. Christoph Herrmann, Die Bewältigung der Euro-Staatsschulden-Krise an den Grenzen des deutschen und europäischen Verfassungsrechts, EuZW 2012, 805 ff. 5  Der Wortlaut der Rede vom 12. 07. 2012 auf der Global Investment Conference in London findet sich unter https://www.ecb.europa.eu/press/key/date/2012/html/sp120726. en.html. Draghi eröffnete seine Aussage indes mit den Worten: „Within our mandate, the ECB is ready to do (…).“ 6  Grundlegend ist das Werk von Mauro Cappelletti/Monica Seccombe/Joseph Weiler (Hrsg.), Integration through Law. Europe and the American Federal Experience, Bd. 1, Methods, Tools and Institutions, 1986. Zur Einordnung s. Ulrich Haltern, Integration durch Recht, in: Hans-Jürgen Bieling/Marika Lerch (Hrsg.), Theorien der europäischen Integration, 3. Aufl. 2012, S. 339 ff. 7 Vgl. Joseph Weiler, The transformation of Europe, The Yale Law Journal, Bd. 100 (1991), 1403 (2481), der zugleich betont: „the unease with the unity vision nonetheless remains“.

Integration durch Recht und ihre Grenzen: das Beispiel der Währungsunion

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der ausschließlichen Zuständigkeit für die Währungspolitik stärker als die meisten anderen Politikbereiche der Union integriert ist, hat daher Modellcharakter für das europäische Einheitsdenken. In der politischen Praxis nicht hoch genug einzuschätzen war auch der Druck, angesichts der quälenden wirtschaftlichen Krisen seit 2008 endlich Mittel und Wege zu finden, die die Handlungsfähigkeit der Politik bestätigten und geeignet waren, verloren gegangenes Vertrauen in die Funktionsfähigkeit der WWU wiederherzustellen. Das belegen vor allem die stark symbolhaften Maßnahmen wie der Fiskalpakt vom 2. März 20128 und das, sich im Wesentlichen in einer Ankündigung erschöpfende, OMT-Programm vom 6. September 2012.9 Dieser Position steht vor allem in Deutschland, nicht zuletzt geprägt durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG), die Auffassung entgegen, dass die WWU nur in den eng zu verstehenden Grenzen der Verträge verwirklicht werden darf.10 Das damit begründete Integrationsprogramm darf, außer im Wege der Vertragsänderung, nicht verlassen werden, was das BVerfG mit dem Institut der Ultra-vires-Kontrolle prüft.11 Sie dient dem Schutz der Mitgliedstaaten als Herren der Verträge,12 die darin zugleich die rechtlichen Bedingungen und Ziele der Integration definieren. Die Geschäftsgrundlage der WWU in den Verträgen bildet das Konzept einer wirtschaftlichen Stabilitätsgemeinschaft. Sie beruht auf der normativen Verbindlichkeit und Gegenseitigkeit der Rechte und Pflichten der Mitgliedstaaten, insbesondere ihrer haushaltspolitischen Eigenverantwortung einschließlich des Verbots der Haftungsübernahme, der strikten Trennung von Geldpolitik und Haushaltspolitik und der Vorrangigkeit des Ziels der Preisstabilität für die Geldpolitik.13 Änderungen dieses Konzeptes, soweit sie das Demokratieprinzip des Grundgesetzes berühren, bedürfen der parlamentarischen Begleitung und Zustimmung durch den Bundestag.14 Grenzen der Änderbarkeit (oder Fortentwicklung) der Verträge folgen aus Art. 79 Abs. 3 GG, was 8 

BGBl. 2012 II, S. 1006. Press Release, Technical Features of Outright Monetary Transactions, 06. 09. 2012, https://www.ecb.europa.eu/press/pr/date/2012/html/pr120906_1.en.html. 10  Ausgangspunkt ist die Maastricht-Entscheidung vom 12. 10. 1993, BVerfGE 89, 155 (200 ff.); ferner anlässlich des Eintritts in die dritte Stufe der WWU der Beschluss vom 31. 03. 1998, BVerfGE 97, 350 (370 ff.). 11 Vgl. insbesondere das OMT-Urteil vom 21.  06. 2016, BVerfGE 142, 123 (198, Rn. 143 ff.). 12  Zu diesem Grundanliegen Peter M. Huber, Die EU als Herausforderung für das Bundesverfassungsgericht, in: Ingolf Pernice/Rüdiger Schwarz (Hrsg.), Europa in der Welt – Von der Finanzkrise zur Reform der Union, 2013, S. 329 (330 passim). 13  Vgl. die Aufzählung in BVerfGE 129, 124 (181). Zu den Grundprinzipien der Währungsunion s. auch Siekmann, in: ders. (Fn. 1), Einleitung Rn. 66 ff. 14  Hervorgehoben sei das ESM-Urteil vom 18. 03. 2014, BVerfGE 135, 317, Ls. 2 bis 4. 9 EZB,

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das BVerfG mit der sog. Identitätskontrolle prüft.15 Vor dem Hintergrund dieses strikten Verständnisses wurden im Schrifttum als Ursachen der Finanz- und Schuldenkrise schwerwiegende Rechtsverstöße ausgemacht.16 Auch die daraufhin getroffenen Rettungsmaßnahmen wurden vielfach als Rechtsverstöße gegen das Primärrecht gewertet.17 Die damit aufgezeigte Spannungslage zwischen diesen grundlegenden juristischen Positionen ist abstrakt kaum auflösbar. Viel spricht dafür, dass sie fortbestehen wird, solange die WWU durch den Gegensatz von zentralisierter Geldpolitik und weitgehender haushaltspolitischer Autonomie der Mitgliedstaaten gekennzeichnet ist. Sie wird außerdem durch die Bereitschaft des EuGH und des BVerfG befeuert, aus ihrer jeweils eigenen Sicht das letzte Wort behalten zu wollen.18 Beide Gerichte zielen auf den Schutz der ihnen anvertrauten Rechtsordnung: der EuGH auf die Aufrechterhaltung, mitunter auch auf die Dynamisierung des europäischen Integrationsprozesses und die Autonomie des Unionsrechts,19 das BVerfG auf die Unverletzlichkeit des Grundgesetzes und den Fortbestand souveräner deutscher Staatlichkeit.20 In diesem Spannungsfeld wird es auch künftig darauf ankommen, weniger auf der abstrakten Ebene, sondern bezogen auf konkrete Maßnahmen den Spielraum auszuloten, den die Verträge wie auch das nationale Verfassungsrecht den Unionsorganen lassen. Im Übrigen muss die Spannung zwischen den unterschiedlichen Grundpositionen schlicht ausgehalten werden. Sie kann zudem in fruchtbarer Weise genutzt werden, um diese Positionen auf ihre juristische Überzeugungskraft, aber auch auf ihre Abhängigkeit von außerjuristischen Voraussetzungen zu befragen.

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Vgl. BVerfGE 142, 123 (194, Rn. 136 ff.). beispielhaft Paul Kirchhof, Stabilität von Recht und Geldwert in der Europäischen Union, NJW 2013, 1 (3); Andreas Voßkuhle, „Integration durch Recht“ – Der Beitrag des Bundesverfassungsgerichts, JZ 2016, 161 (161). 17  Vgl. die Beiträge im Band „Europa als Rechtsgemeinschaft – Währungsunion und Schuldenkrise“, hrsg. v. Thomas Möllers/Franz-Christoph Zeitler, 2013. Dort auch der Beitrag von Helmut Siekmann, Missachtung rechtlicher Vorgaben des AEUV durch die Mitgliedstaaten und die EZB in der Schuldenkrise, S. 101 ff. S. auch Gregor Kirchhof/ Hanno Kube/Reiner Schmidt (Hrsg.), Von Ursprung und Ziel der Europäischen Union, 2016, insbesondere dies. in diesem Band, S. 187 ff. 18  Vgl. die ausdrückliche Analyse im Lissabon-Urteil: BVerfGE 123, 267 (400 f.). 19  Zur Autonomie-Rechtsprechung s. zuletzt EuGH, Rs. C-284/16, Achmea, EU:C:2018:158, Rn. 32 ff. 20  Zur Betonung des Zusammenhangs von Demokratieprinzip und staatlicher Souveränität s. BVerfGE 123, 267 (344 ff.). 16  Vgl.

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III.  Integration durch Recht 1.  Verfassungsfunktionen des Unionsrechts Es ist heute weitgehend unbestritten, dass dem primären Unionsrecht Verfassungscharakter zukommt.21 Mit dem staatlichen Verfassungsrecht teilt es wichtige Funktionen wie die Legitimation von Herrschaft und die Konstituierung von Organen, die die Hoheitsgewalt ausüben. Es bildet die Rechtsgrundlage für den Erlass abgeleiteten Rechts, wofür es zugleich grundlegende Ordnungs- und Wertentscheidungen vorgibt und insoweit die Ausübung hoheitlicher Gewalt begrenzt.22 Es weist verfassungsrechtliche Merkmale wie die Eigenschaft als ranghöchste Norm der Rechtsordnung, Schriftlichkeit und erschwerte eigene Abänderbarkeit auf.23 Vom staatlichen Verfassungsrecht unterscheidet es sich möglicherweise nicht so sehr durch seine völkerrechtliche Grundlage,24 die auch in der deutschen Verfassungsgeschichte mit der Gründung des Norddeutschen Bundes 1866 oder dem Beitritt der DDR 1990 eine wesentliche Rolle für den Prozess der Verfassunggebung gespielt hat. Für die eingangs beschriebenen, juristischen Grundpositionen bedeutet dieser Befund zunächst, dass sie beide nebeneinander im Unionsverfassungsrecht verankert sind. Das Primärrecht ist auf weitergehende Ausgestaltung und – bereichsspezifisch – zunehmende Integration angelegt. Zugleich gewährleistet es zum Schutz der Mitgliedstaaten wie auch der Bürger Grenzen des Integrationsstrebens in Gestalt des Grundsatzes der begrenzten Einzelermächtigung gemäß Art. 5 Abs. 1 EUV, verfahrensrechtlicher und inhaltlicher Bindungen der Organe im AEUV und grundrechtlicher Vorgaben in der Charta der Grundrechte. 2.  Kompromisscharakter des Unionsrechts Die Besonderheit des Primärrechts liegt jedoch in dem ausgeprägten politischen Kompromisscharakter vieler seiner Bestimmungen.25 Ihre mangelnde textliche Schärfe ist weniger Ausdruck von bewusst gewollter Zukunftsoffenheit und 21  Statt vieler s. Christian Calliess, in: ders./Matthias Ruffert (Hrsg.), EUV/AEUV, 5. Aufl. 2016, Art. 1 EUV Rn. 64; Martin Nettesheim, in: Thomas Oppermann/Claus Dieter Classen/ders., Europarecht, 8. Aufl. 2018, § 9 Rn. 4. 22  Zu diesen Funktionen vgl. Sebastian Unger, Verfassung im Nationalstaat: Von der Gesamtordnung zur europäischen Teilordnung?, DVBl. 2015, 1069 (1070). 23  Christoph Möllers, Verfassungsgebende Gewalt – Verfassung – Konstitutionalisierung, in: Armin v. Bogdandy/Jürgen Bast (Hrsg.), Europäisches Verfassungsrecht, 2. Aufl. 2009, S. 227 (255 ff.). 24  So aber Rudolf Streinz, Europarecht, 10. Aufl. 2016, Rn. 88. 25  Vgl. beispielhaft zum Binnenmarktkonzept Christian Tietje, in: Eberhard Grabitz/ Meinhard Hilf/Martin Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 114

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Selbstbeschränkung der Urheber auf Grundfragen, sondern Ergebnis mühsamer und oftmals unvollständiger Konsenssuche. Auch die Überladung vieler Bestimmungen mit schwierigen technischen Details26 spiegelt am ehesten einen Prozess gegenseitigen Gebens und Nehmens in den Vertragsverhandlungen zwischen den Mitgliedstaaten und weniger ausgeprägte Ordnungsvorstellungen wider. Aus diesem Befund lassen sich verschiedene Schlussfolgerungen für den Umgang mit dem Verfassungsrecht der Union ziehen. Je weniger die Verhandlungspositionen der Mitgliedstaaten übereinstimmten und je unklarer oder formelhafter daraufhin die sprachliche Ausgestaltung des Primärrechts geriet, desto geringer ist die Determinierungskraft (oder zumindest Orientierungsfunktion) der entsprechenden primärrechtlichen Normen. Diese Schwäche muss sich nicht zwangsläufig offenbaren, da auch die spätere Vertragspraxis oder eine gerichtliche Entscheidung durch den EuGH einen nachträglichen Konsens stiften kann. Gelingt dies aber nicht, so liegen im politischen Konfliktfall die Ausgangspositionen wieder offen. Je stärker der Kompromisscharakter einer Bestimmung des Unionsrechts ausgeprägt ist, desto mehr lässt sie Raum für unterschiedliche Deutungen und bietet Anlass für gegenläufige Lösungsversuche. Besonders betroffen von diesem Problem sind Politikbereiche, die mit politischen, wirtschaftlichen oder sozialen Verteilungskonflikten einhergehen können. Die WWU zählt zu diesen Bereichen,27 nicht nur weil sie eine erhebliche, auch politisch relevante Souveränitätsverlagerung auf die EZB zur Folge hatte. Vielmehr legte die Schuldenkrise auch die mit der geldpolitischen Integration verbundenen Lasten offen, da die Rettungsmaßnahmen zugunsten der notleidenden Mitgliedstaaten bei den unterstützenden Mitgliedstaaten unmittelbar haushaltswirksam wurden. Auch die von der EZB ergriffenen, unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen ließen vor allem in Deutschland die Sorge laut werden, dass sie am Ende zu einer wirtschaftlichen Umverteilung führen werden, sei es in Gestalt von Inflationsrisiken oder aufgrund von Ausfallrisiken, die die nationalen Zentralbanken des Eurosystems durch die Anleihekäufe eingehen müssen und die letztendlich budgetwirksam werden können.28 AEUV (Stand: 64. Lieferung Mai 2018), Rn. 73; zum Sekundärrecht ebenso Bernhard Wegener, in: Calliess/Ruffert (Fn. 21), Art. 19 EUV Rn. 13 f. 26  Ein Beispiel bildet die Gemeinsame Handelspolitik nach Art. 207 AEUV, die Gegenstand einer Reihe primärrechtlicher Reformen war. 27 Eine Analyse der unterschiedlichen Ordnungsvorstellungen in Deutschland und Frankreich findet sich bei Markus Brunnermeier/Harold James/Jean-Pierre Landau, The Euro and the Battle of Ideas, 2016, S. 56 ff.; Christoph Ohler, The role of central banking in EMU, in: Gregory Kalflèche/Thomas Perroud/Matthias Ruffert (Hrsg.), L’avenir de l’Union économique et monétaire: une perspective franco-allemande, 2018, S. 163 ff. 28  Zu den möglichen Folgen für die Bundesbank s. BVerfGE 142, 123 (231 f., Rn. 216 f.). Zur haushaltsrechtlichen Bedeutung s. Beschluss v. 18. 07. 2018, BVerfGE 146, 216 (289, Rn. 125).

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3.  Gegenläufige Integrationsverständnisse Die kompromisshaften Eigenschaften des Unionsrechts zeigen sich auch bei der Frage, was „Integration“ als rechtliches wie politisches Ziel bedeutet.29 So spricht die Präambel des EUV in ihrem ersten Erwägungsgrund davon, dass die Mitgliedstaaten entschlossen sind, den mit der Gründung der Europäischen Gemeinschaften eingeleiteten Prozess der europäischen Integration auf eine neue Stufe zu heben. Integration bedeutet die Herstellung von Einheit aus bestehenden Teilen und stellt eine weitere wesentliche Verfassungsfunktion dar,30 durch die auch die Verträge gekennzeichnet sind. Sprachlich kommt der Einheitsgedanke im Begriff der „Union der Völker Europas“ zum Ausdruck, den Art. 1 Abs. 2 EUV verwendet und der zugleich auf ein prozesshaftes Geschehen („immer engere“) verweist.31 Das hierfür erforderliche Integrationsprogramm entfaltet das Unionsrecht in einem ersten Schritt in Art. 3 EUV. Die eigentliche Ausgestaltung erfolgt allerdings bereichsspezifisch in den Einzelregelungen des AEUV, die von durchaus heterogenen Ordnungsvorstellungen getragen sind und der Union auch ein sehr unterschiedliches Maß an anzustrebender Einheit vorgeben. Damit fehlt aber ein kohärentes Gesamtverständnis,32 was die Unschärfe wie auch die Relativität des Integrationsbegriffes offenbart. Im politischen Prozess kommt dies mitunter auch sprachlich zum Ausdruck: Die Währungsunion wurde durch die „Bankenunion“ ergänzt und soll zudem künftig von einer „Kapitalmarktunion“ flankiert werden. Das europäische Integrationsziel, wie auch immer es bereichsspezifisch konkretisiert wird, steht zudem in einem kaum auflösbaren Spannungsverhältnis zu dem nationalen Integrationsverlangen. Auch die mitgliedstaatlichen Verfassungen zielen auf die Herstellung und Wahrung von politischer Einheit im staatlichen Verband,33 selbst wenn sie, wie Art. 23 Abs. 1 GG, zur Übertragung von Hoheitsrechten auf die EU ermächtigen und sich damit zugleich für die Einwirkungen des Unionsrechts öffnen. Die deutschen Verfassungsorgane müssen im Rahmen ihrer „Integrationsverantwortung“, wie es das BVerfG bezeichnete, die Belange des europäischen Integrationsprozesses beachten, dürfen dabei aber 29  Stefan Kadelbach, in: Hans von der Groeben/Jürgen Schwarze/Armin Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Bd. 1, Präambel Rn. 6; zur offenen Finalität s. Martin Nettesheim, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 25), Art. 1 EUV (Stand: 48. Lieferung Aug. 2012), Rn. 87. 30  Die ursprünglich von Rudolf Smend entwickelte Konzeption findet sich modifiziert bei Konrad Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1999, § 1 Rn. 5 ff. 31 Vgl. Calliess, in: ders./Ruffert (Fn. 21), Art. 1 EUV Rn. 9 ff. 32  Vgl. die Diskussion bei Claus Dieter Classen/Martin Nettesheim, in: Oppermann/ Classen/Nettesheim (Fn. 21), § 4. 33 S. Huber, in: Pernice/Schwarz (Fn. 12), S. 330.

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nicht die vom Grundgesetz geschützte Verfassungsidentität verletzen.34 Das dadurch geschaffene Spannungsverhältnis zwischen europäischem und nationalem Einheitsstreben lässt sich im besten Fall nur moderieren. Im ungünstigsten Fall wird es durch den Austritt eines Mitgliedstaats wie im Fall des Vereinigten Königreichs aufgelöst oder aber durch den offenen Widerstand einzelner Mitgliedstaaten verschärft, wie im Winter 2018 bei der Verschuldungspolitik der italienischen Regierung zu beobachten ist. Das Spannungsverhältnis nimmt allerdings auch zu, wenn europäisches Einheitsdenken zunehmend zulasten des legitimen Einheitsanspruchs der Mitgliedstaaten ausgreift. Wiederum bildet die WWU ein Beispiel für die schwierige juristische Grenzziehung, wie auch die politischen Risiken solcher konfligierenden Einheitsansprüche. Die Geldpolitik ist zentralisiert, kann aber faktisch weit in den Bereich autonom verantworteter Wirtschafts- und Haushaltspolitik übergreifen. Gerade diese Problematik bildete die Grundlage des OMT-Verfahrens und liegt auch dem aktuellen Vorlagebeschluss des BVerfG zum Public Sector Purchase Programme der EZB zugrunde.35 4.  Die Herrschaft des Rechts Hilft vor diesem Hintergrund die Berufung auf die Herrschaft des Rechts und das Wesen der Union als Rechtsgemeinschaft?36 Die Union ist ein Geschöpf des Rechts, nämlich der von den Mitgliedstaaten vereinbarten Verträge. Auch ihre weitere Entwicklung wird von rechtlich verfassten und mit höherrangigem Recht vereinbaren Maßnahmen abhängen, will sie hierfür die im Mindestmaß gebotene Legitimität für sich beanspruchen. Sollen diese Entwicklungsschritte nur auf Ebene des Sekundärrechts – und damit grundsätzlich ohne unmittelbare Mitwirkung der Mitgliedstaaten – erfolgen, so geschieht dies innerhalb des von den Verträgen vorgegebenen horizontalen wie vertikalen Gewaltenteilungsschemas. Für den Unionsgesetzgeber geht damit eine Ermächtigung wie auch eine Beschränkung einher: die Ermächtigung zur Herrschaftsausübung durch Recht, die ihm die Gestaltung der sozialen Wirklichkeit erlaubt, vorausgesetzt, er wahrt hierbei die ihm primärrechtlich vorgegebenen Grenzen. Für die Unionsgerichte bedeutet dies, wie Art. 19 Abs. 1 EUV zum Ausdruck bringt, die Verpflichtung zur Wahrung des Rechts bei der Auslegung und Anwendung der Verträge. Mit dieser genuin rechtsstaatlichen Aufgabe verbunden sind Aufklärungspflichten zur Ermittlung des Sachverhalts, die Einhaltung allgemein anerkannter juristischer Methoden und die Erfüllung von sachgerechten Begründungsanforderungen.37 34 

Voßkuhle (Fn. 16), 165. Zu letzterem s. BVerfGE 146, 216 (259, Rn. 62 ff.). 36  So etwa Kirchhof/Kube/Schmidt, in: dies. (Fn. 17), S. 197 f. Grundlegend zum Topos der Rechtsgemeinschaft Walter Hallstein, Die Europäische Gemeinschaft, 1973, S. 31. 37 Vgl. Nettesheim, in: Oppermann/Classen/Nettesheim (Fn. 21), § 9 Rn. 166. 35 

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5.  Folgen für die Auslegung des Unionsrechts Weniger bei den herkömmlichen Auslegungsmethoden als solchen, sondern vielmehr beim Methodenverständnis scheiden sich die Geister, welche Herangehensweise bei der Auslegung des Unionsrechts geboten ist. Erlaubt Art. 19 Abs. 1 EUV einen genuin verfassungsrechtlichen und damit zielorientierten Maßstab, was eine dynamische Auslegung zur Folge haben kann, oder gebietet die Struktur der Unionsverfassung, gerade in Hinblick auf Art. 4 Abs. 1 und 2 EUV, nicht ebenso eine die Souveränität und Identität der Mitgliedstaaten schonende Auslegung?38 Beide Ausgangsverständnisse erfordern, bezogen auf den konkreten Streitfall, eine realitätsgerechte Folgenbetrachtung: Welche Folgen hat eine bestimmte Interpretation und daran anschließende Anwendung der Norm für die im Unionsrecht formulierten Integrationsziele oder die Zuständigkeitsverteilung zwischen Union und Mitgliedstaaten? Erweitert sie im Ergebnis die Autonomie der Unionsrechtsordnung oder schränkt sie die nach der primärrechtlich vorgesehenen Zuständigkeitsverteilung bestehenden Spielräume der Mitgliedstaaten weiter ein? Derartige Folgenbetrachtungen scheinen im klassischen Methodenverständnis zwar keinen Platz zu finden,39 zumal sie durch Vorverständnisse der Interpreten belastet sein können und die Auswahl der einzustellenden Gesichtspunkte unvollständig oder unsachgemäß sein kann. Dort, wo die auszulegenden Normen, wie typischerweise im Verfassungsrecht, den Gerichten weite Spielräume lassen, ist diese Herangehensweise in der Praxis gleichwohl anerkannt.40 Doch im Unionsrecht sind die Folgen vieler Auslegungsentscheidungen für die Mitgliedstaaten keineswegs einheitlich zu sehen. Geschuldet ist dieser Umstand nicht nur der politischen und sozialen Heterogenität der Mitgliedstaaten, sondern oftmals schlichten Interessengegensätzen im konkreten Einzelfall. In der Schuldenkrise erwies sich beispielsweise die extensive Nutzung von Art. 122 Abs. 2 AEUV, auf deren Grundlage Hilfsmaßnahmen ergriffen wurden,41 ebenso wie die restriktive Auslegung der no-bail-out Klausel des Art. 125 AEUV42 für die Empfängerstaaten als Gebot der Stunde, für die Geberstaaten als Einfallstor ordnungspolitischer Sündenfälle. Allein das verdeutlicht, dass – gerade bei Ver38  So schon Hans Peter Ipsen, Europäisches Gemeinschaftsrecht, 1972, 5/72; vgl. ferner Nettesheim, in: Oppermann/Classen/Nettesheim (Fn. 21), § 9 Rn. 168. 39  Für eine strikt am Methodenkanon orientierte Auslegung etwa Christian Starck, Maximen der Verfassungsauslegung, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. XII, 3. Aufl. 2014, § 271 Rn. 19 ff, der aber auch verlangt, dass die „Norm deshalb in ihren Konsequenzen durchdacht werden [muss]“, Rn. 22. 40  Vgl. die differenzierte Analyse für das deutsche Verfassungsrecht bei Hesse (Fn. 30), § 2 Rn. 49 ff.; s. auch Voßkuhle (Fn. 16), 167, der von einem „rechtsrealistischen Blick“ spricht. 41  S. VO (EU) Nr. 407/2010, ABl. 2010 L 118, S. 1. 42  S. EuGH, Rs. C-370/12, Pringle, EU:C:2012:756, Rn. 129 ff.

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teilungskonflikten – der abstrakte Maßstab einer zielorientierten im Gegensatz zu einer souveränitätsschonenden Auslegung nicht weiterführt. So kann ebenso nach kurzfristigen und langfristigen Folgen unterschieden werden, was innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens – bildlich gesprochen – einen ordnungspolitischen „Kompass“, eine zutreffende Verortung des dem Streitfall zugrundeliegenden Sachproblems und eine Selbstverortung des Verfassungsgerichts im institutionellen Verfassungsgefüge erfordert. Will man deshalb innerhalb bestehender Auslegungsspielräume eine Folgenabwägung zulassen, so kann sie nicht auf die unterkomplexe Dichotomie „integrationsfreundliche“ vs. „souveränitätsschonende“ Auslegung begrenzt sein. Vielmehr erfordert der genuin juristische Vorgang der Konkretisierung verfassungsrechtlicher Vorgaben43 eine dogmatische wie auch funktionale Betrachtung der anwendbaren Normen, eine problembezogene Analyse der politischen und ökonomischen Sachzusammenhänge des jeweiligen Rechtsstreits, in die auch, ohne zwingende Determinierung des Ergebnisses, Folgenerwägungen eingebunden sein können. Ganz generell schließen die oben beschriebenen Merkmale der politischen Kompromisshaftigkeit und inhaltlichen Offenheit vieler Normen des Primärrechts es nämlich aus, die Auslegungsergebnisse als bereits durch das geschriebene Recht determiniert zu betrachten.44 Verfassungsrechtsprechung – wie sie auch der EuGH seit Jahrzehnten praktiziert – führt zwar im Idealfall zu einer Rationalisierung politischer Kontroversen und ermöglicht die Befriedung der damit verbundenen Konflikte. Doch stellt sie selbst keinen unpolitischen Vorgang dar, so dass die immer wieder geäußerte Erwartung einer Entpolitisierung kraft Verrechtlichung oder kraft des bloßen Wirkens der Verfassungsgerichte in der Realität nur beschränkt einlösbar ist. Die Gründe für ihre – eigentümliche – politische Natur liegen meist schon im Betrachtungsgegenstand selbst sowie in der Offenheit der Entscheidungsmaßstäbe, deren Konkretisierung es erfordert, nicht lediglich Rechtsauslegung, sondern bezogen auf den Streitfall häufig auch Rechtsgestaltung zu betreiben. Diese Charakteristika verlieren (das festzustellen ist eine Selbstverständlichkeit) umso mehr an Bedeutung, je klarer die verfassungsrechtlichen Maßstäbe bereits für sich genommen sind oder jedenfalls durch eine langjährige Rechtsprechung herausgearbeitet und in der Verfassungspraxis rezipiert wurden. Zugleich kann der Gewaltenteilungsgrundsatz die Rücknahme der gerichtlichen Kontrollmaßstäbe und die Anerkennung der Entscheidungsprärogative anderer Organe, sei es des Unionsgesetzgebers oder der Exekutive, hier insbesondere der EZB, gebieten. Auch diese Selbstbeschränkung ist kein allein durch methodische Erwägungen im engeren Sinne erklärbarer richterlicher Akt. Schlussendlich sind die internen Entscheidungsprozesse auf der Richter43 

Zu dieser Kategorie s. Hesse (Fn. 30), § 2 Rn. 60 ff. Uwe Volkmann, Vom Ursprung und Ziel der Europäischen Union: Die Perspektive der Rechtswissenschaft, in: Kirchhof/Kube/Schmidt (Fn. 17), S. 57 (63 f.). 44 Ähnlich

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bank selbst durch die oftmals mühsame Suche nach gemeinsamen Lösungsansätzen und die Bewältigung divergierender Auffassungen gekennzeichnet.

IV.  Steuerung durch Recht und ihre Grenzen Integration durch Recht, gleichgültig ob man sie auf eine „immer engere Union“ oder auf einen Staaten- und Verfassungsverbund bezieht, ist schließlich abhängig von der Steuerungsfähigkeit des Rechts in der politischen und sozialen Wirklichkeit. Was wie ein Gemeinplatz klingt, entfaltet in der WWU Sprengkraft, wenn die von den Verträgen beabsichtigte Integration sich nicht oder nur in unzureichender Weise vollzieht, weil Mitgliedstaaten sich wirtschaftlich nicht in der gewünschten Weise entwickeln oder bewusst Teile der europarechtlichen Vorgaben missachten. Die Wirksamkeit und Durchsetzung rechtlicher Vorgaben ist damit von zahlreichen Voraussetzungen abhängig, die ihrerseits rechtlich nicht determiniert sind und sich teilweise auch nicht determinieren lassen. Das soll am Beispiel der Regeln zur Aufnahme von Mitgliedstaaten in den Euro-Währungsraum und der Vorschriften zur Begrenzung öffentlicher Verschuldung erläutert werden. 1.  Aufnahme von Mitgliedstaaten in den Euro-Währungsraum Die Bedingungen und das Verfahren zur Aufnahme von Mitgliedstaaten in den Euro-Währungsraum beschreibt Art. 140 AEUV näher. Diese Mitgliedstaaten bezeichnet das Primärrecht als Mitgliedstaaten mit einer Ausnahmeregelung, während sie im politischen Jargon der Unionsorgane als „Pre-Ins“ firmieren. Zu den Verpflichtungen der Pre-Ins gehört es zunächst, ihre innerstaatlichen Rechtsvorschriften einschließlich der Satzung ihrer nationalen Zentralbanken mit den Verträgen sowie mit der ESZB-Satzung45 in Einklang zu bringen, Art. 131 i. V. m. Art. 140 Abs. 1 AEUV. Die Anpassungspflicht soll sicherstellen, dass nationale und europäische Vorschriften einander entsprechen, soweit die Mitgliedschaft in der Wirtschafts- und Währungsunion berührt ist.46 Anders als sonst genügt es also nicht, dass der Vorrang des Unionsrechts die Anwendung widersprechenden nationalen Rechts ausschließt. Art. 131 AEUV zielt auf textliche wie sachliche Widerspruchsfreiheit der nationalen Rechtsordnung gegenüber Unionsrecht und verwirklicht auf diese Weise gerade in Hinblick auf nationale Rechtsanwender ein erhöhtes Maß an Rechtssicherheit. Thematisch erstreckt sich Art. 131 AEUV auf die Vorgaben der Art. 119 bis 144 AEUV sowie 45  Protokoll (Nr. 4) über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank, ABl. 2010 C 83, S. 230. 46  Sog. rechtliche Konvergenz, s. EZB, Konvergenzbericht Juni 2014, S. 23.

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der ­ESZB-Satzung,47 soweit nicht die ausdrücklichen Befreiungen aus Art. 139 Abs. 2 AEUV eingreifen. Neben den rein juristischen Anpassungspflichten muss ein Mitgliedstaat mit Ausnahmeregelung seine Volkswirtschaft so ausrichten, dass sie den Anforderungen des Euro-Währungsraums genügen. Art. 140 Abs. 1 AEUV fordert insoweit einen „hohe[n] Grad an dauerhafter Konvergenz“, der in vier zwingenden Kriterien sowie weiteren, thematisch weitgehend offenen Gesichtspunkten zum Ausdruck kommt. Bei den vier zwingenden Kriterien handelt es sich um die Erreichung eines hohen Grades an Preisstabilität, eine auf Dauer tragbare Finanzlage der öffentlichen Hand, die Einhaltung der normalen Bandbreiten des Wechselkursmechanismus des Europäischen Währungssystems und schließlich das Niveau der langfristigen Zinssätze. Nähere Definitionen dieser Kriterien finden sich im Protokoll über die Konvergenzkriterien.48 Es bringt das Bemühen zum Ausdruck, die Beitrittsvoraussetzungen streng zu formulieren und ihre Überprüfung anhand messbarer Kriterien zu verobjektivieren.49 Inhaltlich zielen die Konvergenzkriterien darauf ab, die Kompatibilität des Wirtschaftssystems mit einer geldpolitischen Ordnung sicherzustellen, die dem vorrangigen Ziel der Preisstabilität nach Art. 127 Abs. 1 AEUV verpflichtet ist, so dass sich auch die drei weiteren zwingenden Konvergenzkriterien direkt oder indirekt auf diese Vorgabe beziehen.50 Die Finanz- und Schuldenkrise offenbarte aber, dass diese Kriterien des Art. 140 Abs. 1 AEUV zwar notwendig, aber nicht hinreichend sind, um die Frage nach der realen, wirtschaftlichen Konvergenz vollständig erfassen können. Bei gesamtwirtschaftlicher Betrachtung wären neben den fiskal- und geldpolitischen Gesichtspunkten des Art. 140 Abs. 1 AEUV beispielsweise auch die Situation der Arbeitsmärkte sowie die Kapitalausstattung und internationale Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen zu berücksichtigen.51 Derartige Fragen könnten zwar nach Art. 140 Abs. 1 UAbs. 2 S. 2 AEUV als sonstige Gesichtspunkte (Marktintegration; Leistungsbilanzen; Lohnstückkosten) in den Berichten von Kommission und EZB Berücksichtigung finden.52 Die weiche vertragliche Formulierung, vor allem aber der Umstand, dass die Verfasser der Verträge diese Themen im Übrigen in den Bereich der wirtschaftspolitischen Koordination nach 47  Im Ergebnis ebenso Stefan Griller, in: Grabitz/Hilf/Nettesheim (Fn. 25), Art. 131 AEUV (Stand: 50. Lieferung Mai 2013), Rn. 7 ff.; Ulrich Häde, in: Calliess/Ruffert (Fn. 21), Art. 131 AEUV Rn. 2. 48  Protokoll (Nr. 13) über die Konvergenzkriterien, ABl. EU 2010 C 83/281. 49  Zur Bedeutung der statistischen Grundlagen s. Heinz Herrmann/Christine Steven, in: Siekmann (Fn. 1), Art. 140 AEUV Rn. 32. 50  Häde, in: Calliess/Ruffert (Fn. 21), Art. 140 AEUV Rn. 11. 51  Zur dahinterstehenden Problematik des optimalen Währungsraums Matthias Ruffert, Mehr Europa – eine rechtswissenschaftliche Perspektive, ZG 2013, 1 (9). 52  Herrmann/Steven, in: Siekmann (Fn. 1), Art. 140 AEUV Rn. 13.

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Art. 121 AEUV verlagert haben, führte faktisch zu ihrer weitgehenden Vernachlässigung.53 Erst aufgrund der Erfahrungen der Wirtschaftskrise wurde versucht, diesen Mangel zu heilen. Gestützt auf Art. 121 Abs. 6 AEUV erließ der Rat die Verordnung (EU) Nr. 1176/2011 über die Vermeidung und Korrektur makroökonomischer Ungleichgewichte.54 Sie hat zum Gegenstand, schwere Fehlentwicklungen im Bereich der Wettbewerbsfähigkeit und von Leistungsbilanzdefiziten55 frühzeitig zu erkennen und möglichst zu beseitigen. Der Steuerungsansatz der Verordnung ist mithin präventiver Natur zum Schutz der Funktionsfähigkeit der Währungsunion. Dagegen verlangt die Verordnung keinen positiven Gleichlauf der strukturellen und konjunkturellen Entwicklungen in den Mitgliedstaaten. In der Praxis stellte sich nicht nur die Auswahl, sondern auch die Anwendung der zwingenden Konvergenzkriterien nach Art. 140 Abs. 1 AEUV als schwierig dar,56 was auf den politischen Beurteilungsspielraum der Unionsorgane im Beitrittsverfahren zurückverweist.57 Hinsichtlich des Kriteriums der tragbaren Finanzlage der öffentlichen Hand zeigte sich das vor allem beim Beitritt Griechenlands zum 1. Januar 2001. Hier entsprachen die offiziellen und von der EU akzeptierten Haushaltsdaten58 nicht der Realität. Zudem überschätzten die Unionsorgane – wie auch die Mitgliedstaaten – die Chancen für die Entwicklung des Wirtschaftswachstums aufgrund der Einführung des Euro und unterschätzen gleichzeitig die langfristigen Risiken hoher Schuldenstände für den Fall, dass sich die Wachstumserwartungen nicht verwirklichten.59 2.  Haushaltspolitische Disziplin Innerhalb der Vorschriften, die die WWU konstituieren, kommt den Verschuldungsverboten nach Art. 126 AEUV wesentliche Bedeutung zu. Sie begrenzen 53  Zu den theoretischen Gründen s. Herrmann/Steven, in: Siekmann (Fn. 1), Art. 140 AEUV Rn. 10. 54  ABl. 2011 L 306, S. 25. 55  Vgl. Erwägungsgründe 4 und 17 der VO. 56  Selmayr, in: Müller-Graff (Fn. 3), § 23 Rn. 46. 57  Martin Selmayr, Das Recht der Wirtschafts- und Währungsunion, 2002, S. 269 f.; Herrmann/Steven, in: Siekmann (Fn. 1), Art. 140 AEUV Rn. 6; Bernhard Kempen, in: Rudolf Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 140 AEUV Rn. 5. 58 Report from the Commission, Convergence Report 2000, COM(2000) 277 final, S. 10 f.; Beschluss des Rates 2000/427/EG, ABl. 2000 L 167, S. 19. 59  Vorsichtige Skepsis wurde schon von der EZB, Konvergenzbericht 2000, S. 3, zum Ausdruck gebracht. Kritisch zur realen wirtschaftlichen Entwicklung Jan Henrik Klement, Der Euro und seine Demokratie, ZG 2014, 169 f. Zur Problematik hoher Schuldenstände Christoph Ohler, Die Finanzkrise als Herausforderung für die Nachhaltigkeit staatlicher Verschuldungspolitik, in: Wolfgang Kahl (Hrsg.), Nachhaltige Finanzstrukturen im Bundesstaat, 2011, S. 216 f.

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das Haushaltsdefizit wie den Schuldenstand auf ein mit der gesamtwirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, ausgedrückt als Referenzwerte zum Bruttoinlands­ produkt (BIP), vereinbares Maß. Der Vorzug der nominalen Ansätze (3 % des BIP für das Defizit und 60 % des BIP für den Schuldenstand) liegt nicht zuletzt in ihrer einfachen politischen Kommunizierbarkeit. Zugleich war und ist ihre Schwäche, dass sie als rein normative Setzungen, nicht aber als Ausdruck einer zwingenden wirtschaftlichen Logik wahrgenommen wurden.60 Frühzeitig war daher klar, dass die Mechanismen zur Durchsetzung der primärrechtlichen Referenzwerte in Art. 126 AEUV der verfahrensmäßigen Konkretisierung wie auch einer Ergänzung im präventiven Bereich bedurften. Das Ergebnis in Gestalt des Stabilitäts- und Wachstumspakts aus dem Jahr 1997 mit einem korrektiven und einem präventiven Arm war bereits Gegenstand zweier großer Reformen, die mittlerweile die Regelungsdichte wesentlich erhöht, zugleich die Transparenz des Mechanismus aber auch verringert haben.61 Auf dem Höhepunkt der Schuldenkrise versuchte die Bundesregierung, den deutschen Ansatz einer verfassungsrechtlich verankerten Schuldenbremse62 europarechtlich zu verankern. Als eine Änderung des Primärrechts scheiterte, einigten sich 25 Mitgliedstaaten auf eine völkerrechtliche Lösung. Sie sollte über die bisherigen Ansätze im Sekundärrecht hinausgehen, die es bislang im Ermessen der Mitgliedstaaten lässt, ihre mittelfristigen Haushaltsziele konkret zu definieren. Das betrifft vor allem die Frage nach der Höhe des strukturellen Defizits, d. h. des Haushaltsdefizits, soweit es nicht allein konjunkturell bedingt ist. Es ist, neben dem Schuldenstand, ein wichtiger Indikator für den Konsolidierungsbedarf eines öffentlichen Haushalts. Vor diesem Hintergrund enthält der Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschafts- und Währungsunion vom 2. März 2012,63 der sog. Fiskalpakt, in seinem Art. 3 einen Korrekturmechanismus zur Begrenzung des strukturellen Defizits auf 0,5 % des BIP und in Art. 4 die Verpflichtung zum zügigen Abbau von Schuldenständen oberhalb der 60 %-Marke. In der politischen Wirklichkeit erreichte der Vertrag aber die erwünschten Ziele nicht. Nur ein Teil der Vertragsparteien hat die Vorschriften innerstaatlich auf verfassungsrechtlicher Ebene umgesetzt. Bei der Formulierung der innerstaatlichen Umsetzungsvorschriften wurden die vertraglichen Spielräume teilweise maximal genutzt, in Einzelfällen verzichteten Mitgliedstaaten auf die ausdrückli60 Vgl.

Häde, in: Calliess/Ruffert (Fn. 21), Art. 126 AEUV Rn. 24. die überblicksartige Darstellung bei Jens Hamer, in: Hans von der Groeben/ Jürgen Schwarze/Armin Hatje (Hrsg.), Europäisches Unionsrecht, 7. Aufl. 2015, Art. 126 AEUV Rn. 13 ff. 62  Vgl. Art. 115 Abs. 2 GG. 63  BGBl. 2012 II, S. 1006. Analysen bei Christian Calliess/Christopher Schoenfleisch, Auf dem Weg in die europäische „Fiskalunion“?, JZ 2012, 477 (481 ff.); Frank Schorkopf, Europas politische Verfasstheit im Lichte des Fiskalvertrags, ZSE 2012, 1 ff. 61  Vgl.

Integration durch Recht und ihre Grenzen: das Beispiel der Währungsunion

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che Nennung der numerischen Grenzwerte, wie z. B. Italien.64 Die Durchsetzung des Vertrags mit den Mechanismen des Europarechts (Vorrang und unmittelbare Anwendbarkeit) scheidet aus, da er dem Völkerrecht angehört. Auch das Verfahren der gerichtlichen Kontrolle aufgrund einer Klage zum EuGH nach Art. 8 des Vertrags blieb bislang toter Buchstabe. In einem Bericht aus dem Jahr 2017 gelangt die Kommission zur Schlussfolgerung: „Given the diversity in national budgetary settings, the Report finds a significant degree of heterogeneity in the national provisions adopted by the Contracting Parties.“65 Bewusst lässt sie offen, ob die Vertragsparteien „ownership“ für die Vorgaben entwickelt haben und wie ihr realer Einfluss auf die Haushaltspraxis ist. Damit ist ein entscheidender Punkt berührt. Nicht an der Frage, ob solche Regeln überhaupt existieren, sondern ob der Mitgliedstaat sie sich zu eigen macht und sein Verhalten daran ausrichtet, zeigt sich ihr steuernder Einfluss.66 Wie wenig die Kommission sich selbst mit dem Fiskalpakt identifizieren möchte, zeigt sich schließlich in ihrem Vorschlag vom 6. Dezember 2017 zu seiner Überführung in das Sekundärrecht.67 Dieses Dokument enthält keine einzige der numerischen Vorgaben des Fiskalpaktes, sondern überlässt ihre Konkretisierung den Mitgliedstaaten. Eine straffe Verpflichtung zum Abbau von Schuldenständen jenseits der 60 %-Marke fehlt, sondern wird nur mit der autonom zu bestimmenden Regel für das strukturelle Defizit verknüpft. Dahinter steht die Vorstellung, dass die Schuldenstände automatisch sinken, wenn das strukturelle Defizit niedrig bleibt und die Wirtschaftsleistung des Mitgliedstaats wächst. Doch die Frage bleibt, wie realistisch dieses Konzept nach den Erfahrungen der letzten zehn Jahre ist.

V.  Schlussbetrachtung Der Ausgang der Suche nach der richtigen Balance von europäischer Integration und nationaler Einheit und nach den richtigen Rechtsregeln zur Anleitung dieses Prozesses ist offen. In besonderem Maße gilt das für den Bereich der WWU. 64  Report

from the Commission, presented under Article 8 of the Treaty on Stabil­ ity, Coordination and Governance in the Economic and Monetary Union, 22. 02. 2017, COM(2017), 1201 final, Annex 12, Country Annex Italy, S. 3. 65 Communication from the Commission, The Fiscal Compact: Taking Stock, 22. 02. 2017, COM(2017), 1200 final, S. 4. 66 Vgl. Becker/Fuest (Fn. 2), 59; s. auch Paul de Grauwe, The Economics of Monetary Union, 11. Aufl. 2016, S. 140, der einen „lacking sense of common purpose“ als wesentliches Risiko der WWU ausmacht. 67 Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung von Bestimmungen zur Stärkung der haushaltspolitischen Verantwortung und der mittelfristigen Ausrichtung der Haushalte in den Mitgliedstaaten, COM(2017), 824 final.

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Sowohl forcierte europäische Schritte zur Vertiefung der Integration wie auch das Abweichen einzelner Mitgliedstaaten vom vereinbarten Stabilitätskurs können das prekäre Gleichgewicht empfindlich stören. Zugleich kommen die Unterstützungsmechanismen in Gestalt der unkonventionellen Geldpolitik der EZB an ihre Grenzen, wenn Mitgliedstaaten ihre öffentlichen Haushalte nicht in Ordnung bringen. Sollten sehr große Mitgliedstaaten fiskalisch scheitern und den Zugang zu den Kapitalmärkten verlieren, um ihre Haushaltsdefizite zu finanzieren, wäre auch der ESM als Rettungsinstanz überfordert. Für das Gelingen der Balance ist es daher von existenzieller Bedeutung, dass sich die Mitgliedstaaten – gerade im fiskalischen Bereich – mit den Regeln der WWU auch im eigenen Interesse identifizieren. Das ist aber keine juristische, sondern eine nur politisch übersetzbare Anforderung.

Christoph Degenhart: EZB, EuGH und BVerfG – Garanten einer stabilen Geld- und Währungsordnung?

EZB, EuGH und BVerfG – Garanten einer stabilen Geld- und Währungsordnung? Christoph Degenhart Christoph Degenhart EZB, EuGH und BVerfG – Garanten einer stabilen Geld- und Währungsordnung?

Die Beachtung der rechtlichen Vorgaben einer Währungsunion ist entscheidend für ihren Bestand – diese Feststellung Helmut Siekmanns im Vorwort zu dem monumentalen, von ihm als Herausgeber und Mitautor maßgeblich gestalteten Kommentar zur Europäischen Währungsunion1 bezeichnet eine Konstante seiner wissenschaftlichen Arbeit, bringt sein zentrales Anliegen zum Ausdruck: die Bedeutung des Rechts für eine stabile Geld-, Währungs- und Finanzordnung.2

I.  Bundesverfassungsgericht und Europäischer Gerichtshof als Garanten einer stabilen Währungsordnung 1.  Währungsunion in rechtlicher Gebundenheit Eben darum, um die Bedeutung des Rechts für die Währungsunion ging es und geht es weiterhin in den Verfahren um die Politik der Europäischen Zentral­ bank als des entscheidenden und mittlerweile auch des mächtigsten Akteurs der Währungsunion, im Verfahren um das OMT-Programm3 und das Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors (public sector asset pur­ chase programme – PSPP)4 im Zuge des Quantitative Easing (QE) der EZB.5 Die1  Helmut Siekmann (Hrsg.), EWU, Kommentar zur Europäischen Währungsunion, 2013. 2  S. hierzu den Sammelband: Helmut Siekmann – Eine stabile Geld-, Währungs- und Finanzordnung, Gesammelte Schriften, hrsg. von Theodor Baums, 2013. 3  Sog. Outright Monetary Transactions (OMT), vgl. den Monatsbericht der EZB vom September 2012: „Am 6. September 2012 legte der EZB-Rat die Modalitäten für die Durchführung von geldpolitischen Outright-Geschäften (Outright Monetary Transactions – OMTs) an den Sekundärmärkten für Staatsanleihen im Eurogebiet fest.“ 4  Beschluss des Rates der Europäischen Zentralbank vom 22. Januar 2015 über ein erweitertes Programm zum Ankauf von Vermögenswerten (ECB/2015/10) und die Entscheidung der Europäischen Zentralbank vom 04. März 2015 (Beschluss [EU] 2015/774) über ein Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors (public sector asset purchase programme); der Beschluss wurde mehrfach geändert. 5 Zu OMT s. BVerfGE 134, 366 – Vorlagebeschluss –; EuGH EuZW 2015, 599; ­BVerfGE 142, 123 – Endentscheidung –; zu PSPP BVerfGE 146, 216 – Vorlagebeschluss –;

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se agiert im Geltungsbereich allein des europäischen Rechts. Die Bundesbank unterliegt, ebenso wie Bundestag und Bundesregierung als Akteure der Währungsunion auch nationalem Verfassungsrecht und damit der Jurisdiktion des Bundesverfassungsgerichts. Die verbindliche Auslegung europäischen Rechts demgegenüber obliegt dem Europäischen Gerichtshof. EuGH und Bundesverfassungsgericht stehen damit in der Verantwortung für Stabilität in der Währungsunion, für die Beachtung des Rechts als Voraussetzung einer stabilen Geld- und Währungsordnung. Die Grundlagen sieht das Bundesverfassungsgericht im Vertrag von Maastricht gelegt,6 in der vorrangigen Zielsetzung der Preisstabilität, in der Unabhängigkeit einer europäischen Zentralbank, im Verbot monetärer Staatsfinanzierung und der No-bail-out-Klausel. Es betont im Urteil zur Griechenlandhilfe erneut die Bedeutung des Verbots des unmittelbaren Erwerbs von Schuldtiteln der öffentlichen Hand und der Haftungsübernahme für Willensentscheidungen Dritter sowie der Stabilitätskriterien als Garantie für die nationale Haushaltsautonomie und damit eine hinreichende demokratische Legitimation der europäischen Organe.7 Die mit der Einschränkung der No-bail-out-Regel des Art. 125 AEUV durch den neu eingefügten des Art. 136 Abs. 3 AEUV bewirkte grundlegende „Umgestaltung“ der Wirtschafts- und Währungsunion wurde vom Bundesverfassungsgericht akzeptiert8 – es sah die verbleibenden Säulen als hinreichende normative Stütze der Stabilitätsarchitektur. Im Verfahren zum OMT-Programm der Europäischen Zentralbank vom 14. 1. 20149 bekräftigt der Senat das Recht auf Demokratie auch gegenüber Maßnahmen der Europäischen Zentralbank.10 Nur durch eine ausgesprochen optimistische und wohlwollende Deutung der Maßgaben des EuGH für die Durchführung des Programms vermochte der Senat seine Position mit der des EuGH annähernd in Einklang zu bringen.11 Im Verfahren um das PSPP offenbart sich ein prinzipieller Dissens der Gerichte bereits in der Grundsatzfrage einer engen oder weiten Auslegung des Mandats der EZB. Die Bedenken gegen das Programm, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Vorlagebeschluss sehr deutlich zum Ausdruck bringt, werden vom EuGH durchweg zurückgewiesen.

EuGH, Urt. v. 11. 12. 2018 – Rs. C-493/17; der Verf. war bzw. ist in beiden Verfahren als Vertreter mehrerer Beschwerdeführer beteiligt. 6  BVerfGE 89, 155 (204 ff.). 7  BVerfGE 129, 124 (181). 8  BVerfGE 132, 195 Rn. 128 ff. 9  BVerfGE 134, 366 (Vorlagebeschluss); BVerfGE 142, 123 (Endurteil). 10  BVerfGE 142, 123 Rn. 126. 11  BVerfGE 142, 123 Rn. 190 f.

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2.  EuGH und BVerfG im Kooperationsverhältnis? Mit der EZB gerät damit eine europäische Institution in jenes Beziehungsgeflecht zwischen nationaler und supranationaler Verfassungsgerichtsbarkeit, dessen Beschreibung als Kooperationsverhältnis12 eine prinzipielle Gleichordnung zum Ausdruck bringen soll, jedenfalls aus Sicht des nationalen Gerichts, gleichwohl nur bedingt auf den Kollisionsfall zugeschnitten ist. Denn auch die Beschreibung des Verhältnisses der Gerichtsbarkeiten als Kooperationsverhältnis beantwortet nicht die Frage, bei welcher der Gerichtsbarkeiten das Letztentscheidungsrecht liegt. Für den Europäischen Gerichtshof allerdings dürfte sich die Frage nicht stellen – er sieht das Bundesverfassungsgericht ganz selbstverständlich als eines von Fachgerichten, dem es die verbindliche Auslegung des Unionsrechts vorgibt. Der Duktus in der Begründung seiner Vorabentscheidungen zum OMT-Programm und besonders zum PSPP macht dies augenfällig. Demgegenüber ist das Bundesverfassungsgericht erkennbar bestrebt, dem Begriff des Kooperationsverhältnisses Konturen zu verleihen. Es behält sich zwar ein Letzt­ entscheidungsrecht darüber vor, ob europäisches Recht bzw. dessen Auslegung durch den EuGH die Verfassungsidentität des Grundgesetzes verletzt13 oder ob ein Rechtsakt ultra vires ergeht.14 Gleichzeitig aber nimmt es seinen Kontrollanspruch in mehrfacher Hinsicht so weit zurück, dass der Kollisionsfall praktisch nahezu ausgeschlossen erscheint oder jedenfalls vermieden werden kann. Zunächst will es seine Kontrolle „zurückhaltend und europarechtsfreundlich“ ausüben.15 In der Konsequenz will es Zurückhaltung insbesondere in der Beurteilung der Rechtsauffassung des EuGH an den Tag legen, indem es ihm einen Anspruch auf „Fehlertoleranz“ zugestehen will.16 Und auch dann, wenn – im Fall der Ultravires-Kontrolle – eine Kompetenzüberschreitung durch einen Rechtsakt der EU festgestellt werden sollte, ist weitere Voraussetzung, dass dieser zu einer „strukturell bedeutsamen Verschiebung zu Lasten der Mitgliedstaaten führt“.17 Eine 12  BVerfGE 134, 366 Rn. 27, 103; vgl. zum Kooperationsverhältnis der Gerichte Peter Michael Huber, Das Verhältnis des EuGH zu den nationalen Gerichten, HGR VI/2, 2009, § 172 Rn. 62, 70 ff. 13  Vgl. zur Identitätskontrolle unter dem Gesichtspunkt der haushaltspolitischen Gesamtverantwortung des Bundestags BVerfGE 129, 124 (177); 132, 195 Rn. 210; 135, 317 Rn. 161; 42, 123 Rn. 138; 146, 216 Rn. 86 ff.; Christoph Degenhart, Staatsrecht I – Staatsorganisationsrecht, 34. Aufl. 2018 Rn. 272. 14  BVerfGE 123, 267 (353 f.); 126, 286 (302 f.); 142, 123 Rn. 138, 143 dd.; s. hierzu Christian Hillgruber/Christoph Goos, Verfassungsprozessrecht, 4. Aufl. 2015 Rn. 960 b; Degenhart (Fn. 13) Rn. 270 ff. 15  BVerfGE 142, 123 Rn. 134. 16  BVerfGE 126, 286 (307); 142, 123 Rn. 149; vgl. für das OMT-Urteil Franz Mayer, NJW 2015, 1999 (2002). 17  BVerfGE 126, 286, (304 ff., 398).

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solche strukturell bedeutsame Verschiebung sieht das Bundesverfassungsgericht für den Fall, dass das Ankaufsprogramm als Mandatsüberschreitung zu werten sein sollte – was der Senat aus seiner Sicht bejaht, der EuGH aber ohne Einschränkung verneint. Bereits im OMT-Verfahren war der Gerichtshof auf die Vorschläge des Verfassungsgerichts für eine „verfassungskonforme Auslegung“ des Unionsrechts18 nicht eingegangen.

II.  Die Europäische Zentralbank zwischen EuGH und BVerfG 1.  Unabhängigkeit der EZB und Demokratieprinzip Damit rückt das Mandat der Europäischen Zentralbank in den Focus der Bestimmung der rechtlichen Grundlagen der Währungsunion. Sie ist als maßgeblicher Akteur innerhalb der Währungsunion mit weitgehender Unabhängigkeit gegenüber der Europäischen Union und den Mitgliedstaaten ausgestattet. Diese Durchbrechung der für die demokratische Ordnung essentiellen ununterbrochenen Legitimationskette vom Volk hin zu den Trägern staatlicher Befugnisse,19 des „Zurechnungszusammenhang(s) zwischen Volk und staatlicher Herrschaft“20 ist gewollt und wird als „Modifikation des Demokratieprinzips“21 gerechtfertigt auf Grund der Erkenntnis, dass eine unabhängige Zentralbank den Geldwert besser sichert als „Hoheitsorgane, die … auf die kurzfristige Zustimmung politischer Kräfte angewiesen sind.“22 Unabhängigkeit bedeutet nicht die Freistellung von rechtlichen Bindungen. In einer Rechtsgemeinschaft, als die die Europäische Union bzw. die Europäische Gemeinschaft gegründet wurde,23 kann dies keiner der Akteure beanspruchen. Fehlende parlamentarische Kontrolle und eine allenfalls sehr mittelbare demokratische Legitimation des Europäischen Systems der Zentralbanken 24 sind hinnehmbar, weil nur so die EZB ihr Mandat wahrnehmen kann – eben deshalb aber auch nur mit der Maßgabe eines klar begrenzten und strikt eingehaltenen Mandats, klar konturierter kontrollfreier Räume. Die EZB agiert also in rechtlicher Gebundenheit, und dies bedeutet, dass sie gerichtlicher Kontrolle unterliegt. Hierin bekunden EuGH und Bundesverfassungsgericht im

18 

Jan Henrik Klement, ZG 2014, 169 (177) unter Bezugnahme auf P. M. Huber. Ernst-Wolfgang Böckenförde, HStR II, 3. Aufl. 2008, § 24 Rn 11. 20  BVerfGE 83, 60 (71 f.). 21  BVerfGE 89, 156 (208 f.); vgl. Ulrich Häde, in: BonnK, Art. 88 (2012) Rn. 282. 22 BVerfGE 146, 216 Rn. 59; ebenso bereits BVerfGE 89, 155 (207 ff.); 134, 366 Rn. 32 f.; zur Unabhängigkeit der Europäischen Zentralbank als Grundvoraussetzung für den Eintritt in die Währungsunion s. Schmidt, JZ 2015, 317 (318). 23  BVerfGE 89, 155 (202); Christian Callies, ZeUS 2011, 213 (222 ff.). 24 Vgl. Reiner Schmidt, Geld und Währung, in: HStR V, 3. Aufl. 2007, § 117 Rn. 40. 19 Vgl.

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Grundsatz Übereinstimmung25 – jedoch nur im Grundsatz. Die Gerichte divergieren grundlegend sowohl im methodischen Kontrollansatz wie auch und vor allem in der Kontrollintensität. Während der EuGH aus der spezifischen Aufgabenstellung des ESZB und den Gegebenheiten der Rechtsmaterie eine deutlich abgeschwächte Intensität der gerichtlichen Kontrolle ableiten will, sieht das Bundesverfassungsgericht dies als Rechtfertigung für die Unabhängigkeit des ESZB, um dann eben hieraus ein Postulat intensivierter rechtlicher Kontrolle abzuleiten. 2.  BVerfG und EuGH: Restriktive oder weite Auslegung des Mandats? Das Bundesverfassungsgericht sieht die durch Art. 130 und Art. 282 Abs. 3 S. 3 und S. 4 AEUV garantierte Unabhängigkeit der EZB und der nationalen Zentralbanken in einem deutlichen Spannungsverhältnis zum Demokratieprinzip und zum Grundsatz der Volkssouveränität: Ein wesentlicher Politikbereich wird, so das BVerfG, „der Weisungsbefugnis der unmittelbar demokratisch legitimierten Repräsentanten und zugleich der gesetzgeberischen Kontrolle … entzogen“.26 Die Durchbrechung demokratischer Legitimation soll kompensiert werden, so das Bundesverfassungsgericht, durch „eine restriktive Auslegung des währungspolitischen Mandates der Europäischen Zentralbank und eine strenge gerichtliche Kontrolle seiner Einhaltung, um das abgesenkte demokratische Legitimationsniveau ihres Handelns zumindest auf das unbedingt Erforderliche zu beschränken“.27 Während das Bundesverfassungsgericht im Demokratieprinzip des Gebot einer engen Auslegung des Mandats der EZB begründet sieht,28 will der EuGH – der auf die Bedeutung des Demokratieprinzips nicht eingeht – den Akteuren, insbesondere der EZB durchweg weite Ermessensspielräume eröffnen und sich weitgehend auf eine Missbrauchskontrolle zurückziehen.29 Eine „strenge gerichtliche Kontrolle“ wie das Bundesverfassungsgericht will der EuGH nicht vornehmen. Er nimmt seinen Kontrollanspruch im gleichen Atemzug mit dessen Erklärung weitestgehend zurück, wenn er der EZB ein weites Ermessen in ihren Entscheidungen einräumt und vom ESZB nicht mehr „als den Einsatz seines wirtschaftlichen Sachverstandes und der ihm zur Verfügung stehenden geldpolitischen Mittel“

25  Für den EuGH s. Urt. v. 16. 6. 2015 – EuZW 2015, 599 (OMT) Rn. 37 f.; 40 f., 68 ff.; Urt. v. 11. 12. 2018 – (QE) Rn. 49; für das BVerfG s. BVerfGE 146, 216 Rn. 61. 26  BVerfGE 146, 216 Rn. 61, 27  BVerfG a.a.O. unter Bezugnahme auf BVerfGE 142, 123 Rn. 187 ff. 28  BVerfGE 146, 216 Rn. 103. 29  EuGH, Urt. v. 11. 12. 2018 – Rs. C-493/17 – Rn. 130¸ vgl. kritisch zur Kontrolldichte gegenüber Organen und Institutionen der EU Peter Michael Huber, in: Streinz, EUV/ AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 19 EUV Rn. 19.

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verlangt.30 Während nach dem Demokratieverständnis des Bundesverfassungsgerichts die Durchrechnung des Grundsatzes demokratischer Legitimation ein klar konturiertes und begrenztes Ermessen der EZB bedingt,31 sieht der EuGH in der Aufgabenstellung des ESZB ein notwendig weites Ermessen angelegt. 3.  EZB und Demokratie – prinzipieller Dissens der Gerichte Die Wechselbezüglichkeit von währungspolitischer Unabhängigkeit, demokratischer Legitimation und gerichtlicher Kontrolldichte, das abgesenkte demokratische Legitimationsniveau der Maßnahmen des ESZB gerät nicht ins Blickfeld des EuGH. Diesen Fragenkreis hatte das BVerfG bereits im OMT-Vorlagebeschluss angesprochen,32 ohne dass der EuGH in seinem Urteil vom 16. 6. 2015 in der Rechtssache C-62/14 – Gauweiler u.a. – hierauf eingegangen wäre, was der Zweite Senat im Vorlagebeschluss zum PSPP33 denn auch ausdrücklich moniert.34 Dass der EuGH seinerseits im Urteil zu PSPP vom 11. 12. 2018 in der Rechtssache C-493/17 – Weiss u.a. – sie erneut mit keinem Wort erwähnt, belegt dessen durchaus eigene Konzeption von einem Kooperationsverhältnis der Gerichte. So moniert denn auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Endurteil im OMT-Verfahren, dass, anders als der Senat, der Gerichtshof die von Seiten der EZB angegebenen Ziele nicht hinterfragt und die Indizien, die aus Sicht des Senats gegen die behauptete Zielsetzung sprechen, jeweils isoliert beurteilt, anstatt sie auch in ihrer Gesamtheit zu bewerten, und will dies nur deshalb noch hinnehmen, weil der Gerichtshof eine mögliche einschränkende Auslegung des Beschlusses der EZB „der Sache nach“ – also keinesfalls explizit – vorgenommen habe.35 Dies führt zu einem grundlegenden Dissens auch in der Methodik, wie im Vergleich des Vorlagebeschlusses des Bundesverfassungsgerichts zum PSPP und der Vorabentscheidung des EuGH hierzu beispielhaft deutlich wird.

30 Urt.

v. 16. 6. 2015 – EuZW 2015, 599 (OMT) Rn. 68; Urt. v. 11. 12. 2018 – (QE) Rn. 73, 91. 31  Reiner Schmidt, JZ 2015, 317 (319), dort auch zur entgegengesetzten Auffassung des Generalanwalts Cruz Villalon im OMT-Verfahren. 32  BVerfGE 134, 366 Rn. 58 f.; ebenso in der OMT-Endentscheidung, BVerfGE 142, 123 Rn. 188 f. 33 Entscheidung der Europäischen Zentralbank vom 4. März 2015 (Beschluss [EU] 2015/774) über ein Programm zum Ankauf von Wertpapieren des öffentlichen Sektors (Public Sector Asset Purchase Programme). 34  BVerfGE 146, 216 Rn. 61. 35  BVerfGE 142, 123 Rn. 190.

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III.  Insbesondere: BVerfG und EuGH zum PSPP Eine vergleichende Betrachtung der Entscheidungen des BVerfG und des EuGH zum PSPP, also des Vorlagebeschlusses vom 18. 7. 2017 und des Urteils des EuGH vom 11. 12. 2018, verdeutlicht das unterschiedliche Rollenverständnis und die unterschiedliche Herangehensweise der Gerichte. 1.  Formelle Anforderungen – Begründungspflichten In formeller Hinsicht besteht zunächst Übereinstimmung dahingehend, dass auch die Europäische Zentralbank ungeachtet ihrer weitgehenden Unabhängigkeit rechtlicher Kontrolle unterliegen muss und dass sie einer Pflicht zur eingehenden Begründung ihrer Entscheidungen unterliegt. Insbesondere der EuGH sieht diese Begründungspflicht als korrespondierend zu dem weiten Ermessen, das er ihr in der Bestimmung ihres Mandats einräumt, will also die Weite der materiellen Kontrollmaßstäbe damit im Verfahren kompensieren. Das Bundesverfassungsgericht allerdings vermisst eine hinreichende Begründung für den Beschluss der EZB, der die Grundlage für das Programm und dessen Vollzug bildet.36 Der EuGH setzt sich über diesen Einwand hinweg, indem er auf die Gesamtheit der Begleitumstände und das mediale Umfeld abstellt, in dem die Entscheidung getroffen und verkündet wurde.37 So sollen u.a. in einer methodisch bemerkenswerten Auslegung Pressemitteilungen, nachgeschobene Erklärungen auf den Pressekonferenzen der EZB und dort geäußerte Antworten auf Fragen der Teilnehmer für die Auslegung der Rechtsakte herangezogen werden. 2.  Zum Mandat der EZB – Wirtschafts- und Währungspolitik Zur Abgrenzung von Wirtschafts- und Währungspolitik fordert das BVerfG im Hinblick auf die Durchbrechung demokratischer Legitimation durch die EZB eine restriktive Auslegung ihres Mandats unter strikter Beschränkung auf die Währungspolitik.38 Auf diese Grundsatzfragen des Demokratieprinzips geht der EuGH nicht ein. Er verneint die wirtschaftspolitische Natur des PSPP. Ein grundlegender Dissens zwischen EuGH und BVerfG wird darin deutlich, dass ersterer im Wesentlichen auf die erklärten Zielsetzungen der EZB abstellt,39 das BVerfG demgegenüber verstärkt auf die tatsächlichen Auswirkungen.40 Bereits zum OMT-Urteil des EuGH hatte es ja festgestellt, dass dieser die „behaupteten“ 36 

BVerfGE 146, 216 Rn. 123. EuGH, U.v. 11. 12. 2018 – Rs. C-493/17 – Rn. 29 – 44. 38  BVerfGE 146, 216 Rn. 103. 39  EuGH, Urt. v. 11. 12. 2018 – Rs. C-493/17 – Rn. 53. 40  BVerfGE 146, 216 Rn. 119 ff. 37 

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Zielsetzungen der EZB in keiner Weise hinterfragt hatte.41 Mit dem BVerfG ist daran festzuhalten, dass ganz maßgeblich auf die objektiven Zielsetzungen der Maßnahmen abzustellen ist, die nur an Hand ihrer Wirkungen festgestellt werden können.42 Dies entsprach auch dem Ansatz des Europäischen Gerichtshofs in der Rechtssache Pringle.43 a)  Insbesondere: zu den eingesetzten Mitteln Dass auch die eingesetzten Mittel in die Bewertung einzubeziehen sind, darin ist dem EuGH zuzustimmen. Mit der Bezugnahme auf die währungspolitische Natur der eingesetzten Instrumente negiert jedoch der EuGH44 wie schon der Generalanwalt, dass das Instrumentarium des Anleiheerwerbs als solches beides sein kann: wirtschaftspolitischer oder währungspolitischer Natur. Damit werden die wirtschaftspolitischen Auswirkungen des Einsatzes dieser Instrumente zu bloßen Nebenwirkungen, die deren währungspolitische Natur unberührt lassen. Das BVerfG stellt für die Abgrenzung von Wirtschafts- und Währungspolitik entscheidend auf die Präponderanz der wirtschaftspolitischen Auswirkungen ab, die eine wirtschaftspolitische Zielsetzung induzieren. Es sieht in der Akzeptanz der von den europäischen Organen erklärten Zielsetzungen im Zusammenwirken mit einem diesen Organen eingeräumten weiten Beurteilungsspielräume bei gleichzeitiger Zurücknahme der gerichtlichen Kontrolldichte eine relevante und strukturell bedeutsame Bedrohung des Prinzips der begrenzten Einzelermächtigung (Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 EUV).45 Dieser Sehweise verschließt sich der EuGH, wenn er entscheidend darauf abstellt, dass währungspolitische Maßnahmen zwangsläufig wirtschaftspolitische Auswirkungen haben.46 Damit wird eine Abgrenzung unmöglich und das Mandat der EZB in vertragswidriger Weise entgrenzt. Eine gewisse Einseitigkeit der Betrachtungsweise des EuGH zeigt sich u.a. auch in der geäußerten Befürchtung, das BVerfG wolle, wenn es auf die mittelbaren wirtschaftspolitischen Auswirkungen und deren Gewicht abstelle,47 der EZB die Instrumente aus der Hand schlagen, mit der sie auf eine Wirtschaftskrise, mit der ein Deflationsrisiko einhergehe, reagieren könne.48 Davon abgesehen, 41 

BVerfGE 142, 216 Rn. 190. BVerfGE 134, 366 Rn. 65. 43  EuGH, Urt. v. 27. 11. 2012 – Rs. C-370/12 – Rn. 53 ff. 44  EuGH, Urt. v. 11. 12. 2018 – Rs. C-493/17 – Rn. 69 f. 45  BVerfGE 146, 216 Rn. 119. 46  EuGH, Urt. v. 11. 12. 2018 – Rs. C-493/17 – Rn. 63 – 67. 47  Zu vorhersehbaren mittelbaren Auswirkungen, die gleichwohl keinen Einfluss auf die Einstufung haben sollen, s. EuGH, Urt. v. 11. 12. 2018 – Rs. C-493/17 – Rn. 63 unter Bezugnahme auf die Urteile in der Rs. C-370/12 (Pringle) und C-62/14 (OMT-Urteil). 48  EuGH, Urt. v. 11. 12. 2018 – Rs. C-493/17 – Rn. 67. 42 

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dass es die EZB selbst ist, die ihr Instrumentarium weitgehend ausgeschöpft hat: das BVerfG fordert eine Gesamtbetrachtung in Abhängigkeit von der konkreten Situation – was im Fall einer Wirtschaftskrise der EZB keineswegs am flexiblen Einsatz ihres Instrumentariums hindern würde. Der EuGH unterliegt in seinem zentralen Ansatz der Unvermeidbarkeit haushalts- und fiskalpolitischer Kollateralschäden einem Zirkelschluss: weil die Vorgehensweise des ESZB Währungspolitik sei, handle es sich bei ihren wirtschafts- und fiskalpolitischen Wirkungen nur um unbeachtliche mittelbare Nebenwirkungen, und weil es sich um immanente Nebenwirkungen handle, betreibe das ESZB Währungspolitik. b)  Verhältnismäßigkeit Im Rahmen seiner Ausführungen zur Verhältnismäßigkeit zeigt sich der EuGH unbeeindruckt vom Volumen des PSPP.49 Die Ausführungen hierzu müssen geradezu als Ermunterung an die EZB verstanden werden, ihre Programme stetig auszuweiten. So wird wenn das Gesamtvolumen schon daraus gerechtfertigt, dass bisherige Maßnahmen nicht hinreichend wirksam waren und die Einlassung der EZB übernommen, dass die Effizienz des Programms nicht nur ein hinreichend großen Volumen bedingt, sondern auch das Halten der Anleihen bis zur Endfälligkeit und ihre Reinvestition. Im Zusammenhang der Entscheidung mit ihren der EZB konzedierten weitreichenden Beurteilungs- und Ermessensspielräumen bedeutet dies den Verzicht auf jede umfangmäßige Begrenzung. Das Mandat der EZB ist jedoch auf die Unterstützung der Wirtschaftspolitik begrenzt. Es wird in unzulässiger Weise darüber hinausgehend erweitert, wenn der Umfang der Unterstützung nicht begrenzt sein soll. Damit würde das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung verletzt. Das PSPP war nach Ansicht des Gerichtshofs auch deshalb erforderlich, weil die EZB alle anderen Möglichkeiten ebenso wirksamer währungspolitischer Maßnahmen bereits ausgeschöpft hätte.50 Mit diesem Argument allerdings lässt sich jede Mandatsausweitung rechtfertigen. Bereits in der Frage der Abgrenzung der wirtschafts- zur währungspolitischen Natur einer Maßnahme wird ein grundsätzlicher Dissens zwischen Bundesverfassungsgericht und Europäischem Gerichtshof nicht nur im Kontrollansatz und in der Kontrollintensität erkennbar. Erhebliche Divergenzen bestehen auch in der Definition der Rolle der EZB innerhalb der Währungsunion wie auch letztlich in der jeweiligen Auffassung von ihrem rechtlichen Ordnungsrahmen.

49  50 

A.a.O. Rn. 90. A.a.O. Rn. 131.

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3.  Monetäre Haushaltsfinanzierung – Art. 123 AEUV a)  Faktische Gewissheit der Marktteilnehmer Der unterschiedliche Ansatz in der rechtlichen Kontrolle wird auch deutlich in der Frage eines Verstoßes gegen das Verbot der monetären Haushalsfinanzierung nach Art. 123 AEUV. Zur „angeblich gleichen Wirkung des Tätigwerdens im Rahmen des PSPP und des Erwerbs von Anleihen auf den Primärmärkten“ – so die Formulierung des EuGH,51 die bereits dessen Einschätzung der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts deutlich macht – stellt das Bundesverfassungsgericht wiederum auf die tatsächlichen Wirkungen des Programms ab, so vor allem die faktische Gewissheit der Marktteilnehmer, die auf dem Primärmarkt erworbenen Anleihen auf dem Sekundärmarkt an das ESZB bzw. die emittierende Zentralbank veräußern zu können. Auch hier bleibt der Ansatz des EuGH deutlich formalistisch, wenn er wiederum auf die von der EZB bekundeten Bedingungen und rechtlichen Garantien abstellt. Schwer nachvollziehbar ist die Erwägung, wonach Ankäufe auf Grundlage des PSPP nur in der Höhe des im Rahmen des APP verbleibenden Restvolumens getätigt werden dürfen (Rn. 119). Der Gerichtshof übernimmt damit ist das Argument der Subsidiarität des PSPP innerhalb des APP im Votum des Generalanwalts – das PSPP hat jedoch mit Abstand den höchsten Anteil am APP. Das BVerfG hat in seinem Vorlagebeschluss dies eingehend dargelegt, ohne dass der EuGH hierauf einginge. Auch dies belegt den divergierenden Ansatz der Gerichte. Dass es dem ESZB erlaubt ist, ausnahmsweise von den vorgesehenen Volumina abzuweichen, ändert nichts an der faktischen Gewissheit der Marktteilnehmer und ändert vor allem nichts daran, dass das Ankaufsprogramm die Marktteilnehmer zum Erwerb der in Frage stehenden Anleihen auf dem Primärmarkt ermutigt.52 Zur Frage der Wirkungsgleichheit53 verneint der Gerichtshof die Vorhersehbarkeit des Anleihewerbs für die Marktteilnehmer. Er setzt sich jedoch nicht mit den von den Beschwerdeführern im Ausgangsverfahren in das Verfahren eingeführten Untersuchungen auseinander, wonach, obwohl die „Sperrfrist“ nicht öffentlich ist, es möglich sein kann, durch die Beobachtung der Ankaufspraxis des ESZB die Dauer der „Sperrfrist“ einzuschätzen. Zur Frage der faktischen Gewissheit der Marktteilnehmer war zudem von verschiedenen Beteiligten im Verfahren geltend gemacht worden, dass es die Ankaufsbedingungen der EZB sind, an denen die Marktteilnehmer sich maßgeblich ausrichten; die Argumentation des EuGH mit den Risiken für die Marktteilnehmer ist daher nicht überzeugend.54 Nachdem bereits der Generalanwalt von einer 51 

A.a.O. vor Rn. 109. Vgl. zum Ermutigungseffekt BVerfGE 134, 366 Rn. 87. 53  EuGH, Urt. v. 11. 12. 2018 – Rs. C-493/17 – vor Rn. 109. 54  EuGH, Urt. v. 11. 12. 2018 – Rs. C-493/17 – Rn. 125. 52 

EZB, EuGH und BVerfG – Garanten einer stabilen Geld- und Währungsordnung? 29

vom BVerfG „behaupteten“ Verknappung von ankaufsfähigen Titeln gesprochen hatte – obschon eben diese Verknappung zur Lockerung der Ankaufsbedingungen führte –, übernimmt der EuGH ohne weiteres die diesbezüglichen Behauptungen der EZB, ähnlich wie schon im Verfahren um das OMT-Programm.55 b)  Anreize für eine gesunde Haushaltspolitik Der grundsätzliche methodische Dissens zwischen den Gerichten wird auch deutlich in der Einschätzung der Anreize für eine gesunde Haushaltspolitik bzw. deren Wegfall.56 Während das BVerfG auf die tatsächliche Gewissheit der Staaten abstellt, dass ihre Anleihen in bestimmtem Umfang erworben werden, stützt sich der EuGH wiederum allein auf die Erwägungsgründe und Regularien der Beschlüsse der EZB. Nicht nachvollziehbar ist der Hinweis auf einen nur „geringen“ Teil der emittierten Staatsanleihen, die durch das ESZB erworben werden.57 Wenig überzeugend ist in diesem Zusammenhang der wiederholte Hinweis darauf, dass das ESZB die erworbenen Anleihen jederzeit wieder verkaufen könnte. Genau das tut es nicht, im Gegenteil: die Anliehen werden bis zur Endfälligkeit gehalten, fällige Anleihen werden reinvestiert, Verkäufe haben, wie das Bundesverfassungsgericht unwidersprochen konstatiert, nicht stattgefunden.58 Das Volumen der vom ESZB gehaltenen Staatsanleihen wird, entsprechend dem Beschluss des Rates der EZB vom 13. Dezember 2018,59 nicht etwa reduziert, sondern gehalten. Die in den Anleihen verkörperten Staatsschulden werden damit dauerhaft dem Markt entzogen und neutralisiert. Dies ist Staatsfinanzierung. Wenn Art. 123 AEUV schon deshalb nicht tangiert sein soll, weil Geldpolitik stets zwingend Auswirkungen auf die Finanzierungsbedingungen der Defizite der Mitgliedstaaten hat, so bleibt ausgeklammert, dass diese Finanzierungsbedingungen in durchaus unterschiedlicher Weise beeinflusst werden können. c)  Halten bis zur Endfälligkeit aa)  Einschränkende Konditionen im OMT-Urteil des EuGH? Das Halten der erworbenen Anleihen bis zur Endfälligkeit war im OMT-Verfahren vom Bundesverfassungsgericht als Indiz für die wirtschafts- und nicht geldpolitische Natur des Programms gewertet worden. Die vom EuGH bejahte Möglichkeit des Haltens bis zur Endfälligkeit dürfe „nur dann genutzt werden, wenn sie geldpolitisch begründbar sei. Eine zeitlich und volumenmäßig unbe55 

BVerfGE 142, 123 Rn. 190. EuGH, Urt. v. 11. 12. 2018 – Rs. C-493/17 – Rn. 129 ff.; BVerfGE 146, 216 Rn. 91. 57  EuGH, Urt. v. 11. 12. 2018 – Rs. C-493/17 – Rn. 141. 58  BVerfGE 146, 216 Rn. 97. 59 Press release vom gleichen Tag, www.ecb.europa.eu/press/pr/date/2017/html. 56 

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grenzte Nutzung dieser Möglichkeit dürfte in der Regel geldpolitisch nicht zu begründen sein, so dass ein regelmäßiges Halten der Anleihen bis zur Endfälligkeit ein Indiz für die Motivation sein kann, Ausfallrisiken übernehmen zu wollen.“60 Im Vorlagebeschluss zum PSPP bewertet der Senat dies vor allem unter dem Gesichtspunkt einer Umgehung des Verbots monetärer Haushaltsfinanzierung und damit eines Verstoßes gegen Art. 123 AEUV. Im OMT-Verfahren hatte der EuGH die grundsätzliche Möglichkeit des Haltens bis zur Endfälligkeit bejaht, jedoch hatte das Bundesverfassungsgerichts dies im Blick auf gewisse einschränkende Maßgaben im Urteil des EuGH als noch vertretbar erachtet.61 bb)  Carte blanche für PSPP So hatte das BVerfG, wie es nunmehr im Vorlagebeschluss zum PSPP ausführt, dem Urteil des EuGH zu OMT die Aussage entnommen, dass erworbene Schuldtitel nur ausnahmsweise bis zur Endfälligkeit gehalten werden dürften.62 Tatsächlich allerdings sieht der Gerichtshof nunmehr ohne weiteres das ESZB als befugt, für Offenmarktgeschäfte darüber zu entscheiden, ob die erworbenen Anleihen bis zur Endfälligkeit gehalten werden und führt hierzu wörtlich aus: „es ist nicht davon auszugehen, dass sie grundsätzlich wieder verkauft werden müssen und nur als Ausnahme von diesem Grundsatz gehalten werden dürfen“.63 Das Bundesverfassungsgericht geht davon aus, dass, wie es im Vorlagebeschluss zum PSPP ausführt, der EuGH die das OMT-Programm in seiner Reichweite einschränkenden Konditionen als rechtsverbindliche Kriterien ansehen würde, deren Missachtung einen Kompetenzverstoß darstellt.64 Dies dürfte auch gelten für die Aussage des Gerichtshofs, dass die Ankäufe begrenzt oder eingestellt werden müssten, wenn deren Fortführung zur Verwirklichung der geldpolitischen Ziele nicht (mehr) erforderlich ist. Die Forderung allerdings, erworbene Schuldtitel müssten dann wieder dem Markt zugeführt werden, war bereits dem OMT-Urteil des EuGH schwerlich zu entnehmen; nunmehr ist davon nicht mehr die Rede. Tatsächlich kann dann, wenn die fälligen Anleihen sogleich reinvestiert werden, nicht davon gesprochen werden, dass sie wieder dem Markt zugeführt werden. Als problematisch erweist sich in diesem Zusammenhang die Erwägung, nach Art. 18.1 des Protokolls über das ESZB sei eine solche Vorgehensweise, also das Halten keineswegs ausgeschlossen.65 Denn die EZB darf im Rahmen ihres 60 

BVerfGE 142, 123 Rn. 195. BVerfGE 142, 123 Rn. 196. 62  BVerfGE 146, 216 Rn. 78 unter Hinweis auf EuGH – Gauweiler – Rn. 112 ff. ,117. 63  EuGH, Urt. v. 11. 12. 2018 – Rs. C-493/17 – Rn. 147. 64  So aber BVerfGE 146, 216 Rn. 79. 65  EuGH, Urt. v. 11. 12. 2018 – Rs. C-493/17 – Rn. 146. 61 

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Mandats gerade nicht alles tun, was ihr nicht explizit verboten ist. Ähnlich argumentiert der Gerichtshof zum Erwerb von Anleihen mit negativer Rendite. Diese negative Rendite kommt letztlich den Staaten zugute, die die Anleihen begeben, die Lockerung der Ankaufbedingungen bedeutet zudem, dass der Kreis der Anleihen, die im Rahmen des PSPP erworben werden können, erweitert wird. Eben dies stellt der Gerichtshof in Rechnung, als einen Gesichtspunkt jedoch, der gegen monetäre Staatsfinanzierung spricht: dadurch mindere sich für die Erwerber die Gewissheit des Erwerbs auf dem Sekundärmarkt durch das ESZB.66

IV.  Institutionen der EU ultra vires: EZB und EuGH 1.  EuGH und BVerfG zum PSPP: Divergenzen in Methodik und Ergebnis Eine vergleichende Betrachtung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und des EuGH zu den Befugnissen der EZB im Zusammenhang des OMT-Programms und des PSPP belegt nicht nur die unterschiedliche Kontrollintensität, die die Gerichte an den Tag legen, sondern auch erhebliche Unterschiede im methodischen Ansatz. Auch wenn beide Gerichte für die rechtliche Qualifikation einer Maßnahme, ihrer Zuordnung zur Geld- oder zur Wirtschaftspolitik auf die zugrundeliegende Zielsetzung abstellen, legt doch der EuGH die von Seiten der EZB erklärten Zielsetzungen zugrunde, ohne diese zu hinterfragen, wie das Bundesverfassungsgericht zu Recht anmerkt,67 das seinerseits maßgeblich auch die tatsächlichen, auch mittelbaren Auswirkungen in die Bewertung einbezieht. Ebenso stellt es sich als Ausdruck einer spezifischen Methodik der Entscheidungsfindung dar, wenn der EuGH Tatsachenbehauptungen von Organen europäischer Institutionen übernimmt, ohne sie zu überprüfen,68 wenn er die behaupteten bzw. erklärten Zielsetzungen ausreichen lässt.69 Dass das Verbot der monetären Staatsfinanzierung von BVerfG und EuGH unterschiedlich interpretiert wird, liegt auch daran, dass das BVerfG häufig das dahinterstehende Prinzip, der EuGH jedoch vorwiegend den Wortlaut einer Regelung betrachtet.70 So zieht sich der Gerichtshof – etwa zur Frage des Haltens erworbener Anleihe bis zur Endfälligkeit oder des Erwerbs negativ rentierender Anleihen – auf die Feststellung zurück, dass die einschlägigen Vorschriften dies jeweils nicht verbieten, ohne aber sich Erfordernissen einer teleologisch ein66 

EuGH, Urt. v. 11. 12. 2018 – Rs. C-493/17 – Rn. 56. BVerfGE 142, 123 Rn. 190. 68  Vgl. dazu Dietrich Murswiek, Die Eurokrise vor dem Bundesverfassungsgericht, 2016, S. 701 ff. (Dokumentation des Schriftsatzes vom 26. 2. 2016). 69  Murswiek a.a.O. S. 637 (Dokumentation des Schriftsatzes vom 31. 8. 2015). 70  Roland Ismer/Dominika Wiesner, DÖV 2015, 81. 67 

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schränkenden Auslegung zu stellen. Der EuGH offenbart ein Verständnis von richterlicher Kontrolle, die der des Bundesverfassungsgerichts und des Grundgesetzes widerspricht – es kommt eben nicht nur darauf an, was erklärt wird. Der Grundzug der Rechtsprechung des EuGH ist nahezu durchweg auf Entgrenzung des Mandats der EZB angelegt. 2.  Zum Rollenverständnis des EuGH Es ist an sich die originäre Funktion der rechtsprechenden Gewalt, die Grenzen zu markieren, die staatlichem Handeln durch die Rechtsordnung gezogen sind, sei es auf nationaler, sei es auf supranationaler Ebene. Recht soll Grenzen setzen, Gerichte sollen diese Grenzen im Einzelfall deutlich machen.71 Dies jedenfalls entspricht unserem Verständnis der dritten Gewalt – dem Europäische Gerichtshof scheint es demgegenüber mitunter um Entgrenzung zu gehen, wie etwa im Pringle-Urteil in seinem apologetischen Duktus,72 oder auch im OMT-Urteil, verstärkt noch im Urteil zum PSPP. Dies betrifft auch die Rolle der Verfassungsgerichtsbarkeit bzw. auf Unions­ ebene also des EuGH als des Gerichts, das in der Sache die Funktionen (auch) eines Verfassungsgerichts wahrnimmt. Dessen Rollenverständnis geht jedoch seit jeher in eine dezidiert andere Richtung. In Methodik und Begründung ebenso wie im Ergebnis scheinen die Urteile des EuGH auch für Konflikte im Rahmen der Wirtschafts- und Währungsunion zu bestätigen, dass, wie Dieter Grimm73 konstatiert, er „sich immer noch als treibende Kraft der Integration, nicht als neutraler Schiedsrichter zwischen der Union und den Mitgliedstaaten versteht“ und er demgemäß höchst selten Akte der Union als kompetenzwidrig beanstandet.74 Dieses Selbstverständnis des Gerichtshofs dürfte nicht zuletzt dem dynamischen Charakter der Union geschuldet sein. Die finale Ausrichtung der Europäischen Union auf das Fundamentalziel75 der „immer engeren Union“ wirkt als Direktive auch für die Union als Rechtsgemeinschaft, ebenso wie seit jeher die Finalität der Kompetenzzuweisungen. Der Gerichtshof wird dort dazu tendieren, nicht 71 

Markus C. Kerber, KJ 2013,198. Martin Nettesheim, NJW 2013, 14. 73  Dieter Grimm, Souveränität in der Europäischen Union, in: ders., Europa ja – aber welches? Zur Verfassung der Europäischen Demokratie, 2016, S. 49 (66), Erstfassung in van der Walt/Ellsworth, Constitutional Sovereignty and Social Solidarity in Europe, 2015, S. 39 ff., Übersetzung durch den Verf.; ebenso Grimm, Die demokratischen Kosten der Konstitutionalisierung, in: ders., Europa ja – aber welches?, S. 95 (115 f.), Erstveröffentlichung in englischer Sprache in: European Law Journal Vol. 21 (2015), 460 ff.; ebenso Huber (Rn. 29), Art. 19 EUV Rn. 32. 74 Ebenso Huber (Rn. 29), Art. 19 EUV Rn. 32 f., wonach der EuGH in 60 Jahren Rechtsprechung nur in vier Fällen einen Kompetenzverstoß angenommen hat. 75 Vgl. Matthias Pechstein, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 1 EUV Rn. 19. 72 

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in der gebotenen rechtsstaatlichen Distanz zu entscheiden, wo er sich dem Fundamentalziel der engeren Integration verpflichtet sieht. Effet utile76 und acquis communitaire als Leitlinien der Interpretation77 sind Ausdruck dieses Rollenverständnisses. Dass daher OMT und PSPP vom Bundesverfassungsgericht und vom Europäischen Gerichtshof in ihrer Vereinbarkeit mit europäischem Recht diametral entgegengesetzt beurteilt werden, dass der EuGH in beiden Verfahren, deutlicher noch zum PSPP, zugunsten der europäischen Institution entschieden hat, vermag nicht zu überraschen, entspricht vielmehr dem tradierten Rollenverständnis des Gerichtshofs. Zur Stärkung dieses Rollenverständnisses dürfte auch beigetragen haben, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs in geringerem Maße als etwa die des Bundesverfassungsgerichts und der sonstigen Obergerichte dem kritischen Diskurs ausgesetzt war. Wie generell internationale Gerichte, operiert auch der Europäische Gerichtshof in einer gewissen Abgehobenheit gegenüber der Gesellschaft, für die sie ihre Funktion ausüben.78 Beide Gerichte, nationales Verfassungsgericht und Gerichtshof der Union, sind aus dem unmittelbar demokratischen Verantwortungszusammenhang ausgegliedert, doch wird dies beim nationalen Verfassungsgericht abgefedert durch dessen Einbindung in den gesellschaftlichen und fachlichen Diskurs.79 Wenn die europäischen Institutionen sich nur bedingt in die klassische Vorstellung der checks and balances fügen,80 so gilt dies nicht zuletzt auch für den Europäischen Gerichtshof selbst. 3.  Entgrenztes Mandat der EZB: ultra vires-Entscheidung des EuGH a)  Begrenzte Einzelermächtigung und Fehlertoleranz Auch aus der vergleichenden Betrachtung der Entscheidungen zu den Programmen der EZB, insbesondere dem PSPP, wird deutlich: Der Europäische Gerichtshof entgrenzt die Befugnisse der EZB in einem Maße, die in Widerspruch zum Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung geraten muss. Wenn es für die Abgrenzung von Wirtschafts- und Währungspolitik auf die erklärten Zielsetzungen der EZB ankommen soll, die wesentlichen Handlungsinstrumente für beide 76 Vgl. Rudolf Streinz, in: Streinz, EUV/AEUV, 2. Aufl. 2012, Art. 4 EUV Rn. 33; Stephan Hobe, Europarecht, 5. Aufl. 2010, § 10 Rn. 50; Kurt Faßbender, NVwZ 2010, 799 (800). 77  S. hierzu BVerfGE 123, 267 (351 f., 355). 78  Vgl. hierzu Dieter Grimm, Bedeutung nationaler Verfassungen in einem vereinten Europa, HGr VI/2, 2009, § 168 Rn. 43 ff., 49 (abgedr. auch in: Europa ja, aber welches?, 2016, S. 147 (171). 79 Entgegen Claus Dieter Classen, EuR 2015, 477 (481) kann also nicht von gleichwertiger demokratischer Legitimation ausgegangen werden. 80  Reiner Schmidt, JZ 2015, 317 (326).

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Bereiche einsetzbar, also neutral sind, wird die Abgrenzung obsolet und die EZB in die Lage versetzt, ihr Mandat weitestgehend autonom zu bestimmen. Wenn das Halten von Staatsanleihen bis zur Endfälligkeit schon deshalb als unschädlich im Hinblick auf das Verbot monetärer Staatsfinanzierung gewertet wird, weil die Möglichkeit vorzeitiger Veräußerung offengehalten wird, ohne dass es darauf ankäme, ob von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht wird oder dies überhaupt intendiert war, ebenso wie für weitere rechtliche Garantien, so werden damit weitere wesentliche rechtliche Grundlagen der Währungsunion obsolet. Der Gerichtshof, der auf diese Weise die Grenzen des Mandats einer europäischen Institution hinausschiebt, bewegt sich nicht mehr in den Bahnen zulässiger methodisch gesicherter Rechtsfortbildung.81 Diese findet ihre Grenzen insbesondere dort, wo Rechtsprechung über den Einzelfall hinaus politische Grundsatzentscheidungen trifft oder „strukturelle Verschiebungen im System konstitutioneller Macht- und Einflussverteilung“ bewirkt.82 Eben dies ist der Fall bei der Rechtsprechung des EuGH zu den Befugnissen des ESZB, insbesondere zum PSPP. Hier wird eine Grundentscheidung über die Funktion des ESZB in der Währungsunion getroffen. Wenn zudem ein Handeln der EZB außerhalb ihres geld- und währungspolitischen Mandats oder ein Verstoß gegen das Verbot monetärer Haushaltsfinanzierung durch das PSPP als eine offensichtliche und strukturell bedeutsame Kompetenzüberschreitung einzustufen ist,83 so bedeutet es eine strukturelle Verschiebung im Kompetenzgefüge, wenn der Gerichtshof die Befugnisse der EZB in einer Weise entgrenzt, dass ihr geld- und währungspolitisches Mandat nicht mehr von Maßnahmen abgegrenzt werden kann, die über bloße Unterstützung der Wirtschaftspolitik in der Union hinausgehen, oder aber die Garantien gegen unzulässige monetäre Staatsfinanzierung obsolet werden. Nicht nur die EZB, sondern auch der EuGH selbst handelt hier ultra vires, wenn er einer europäischen Institution derart weitgehende Spielräume für die Ausweitung ihrer Aktivitäten eröffnet und diese zudem, bedingt durch die Unabhängigkeit dieser Institution, der EZB, aus dem demokratischen Legitimationszusammenhang ausgliedert. Dies berührt sowohl die demokratischen Grundlagen der Europäischen Union, als auch die demokratische Identität des Grundgesetzes. Dies negiert der EuGH, wenn er die demokratische Fragestellung aus seiner Betrachtung vollständig ausklammert und damit den Weg zu einer Kooperation der Gerichte versperrt. Hierin jedenfalls darf dem Gerichtshof, dem, in anderem Zusammenhang, eine Verselbständigung von den demokratischen Prozessen in

81 

Dazu BVerfGE 126, 286 (305 f.). BVerfGE 126, 286 (306). 83  BVerfGE 146, 216 Rn. 64. 82 

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der EU und den Mitgliedstaaten attestiert wurde,84 keine wie immer geartete Fehlertoleranz85 zugestanden werden. b)  Rechtsschutz und Verfassungsidentität Dann insbesondere, wenn identitätsbestimmende Grundsätze wie das Demokratieprinzip von vornherein ausgeklammert bleiben, wird sich die Frage stellen, ob nach Maßgabe einer europarechtsfreundlichen Ausübung der Ultra-viresund der Identitätskontrolle jede nicht evident fehlsame Beurteilung zu tolerieren ist. In dem Maße, in dem der EuGH seinerseits von einer Fehlerkontrolle durch das Bundesverfassungsgericht im Rahmen der Identitäts- und seiner Ultravires-Kontrolle freigestellt wird, wird wiederum diejenige europäische Institution, um deren Maßnahmen es im Verfahren vor dem EuGH geht, der Ultravires-Kontrolle bzw. der Identitätskontrolle durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Werden nun dieser Institution wie im Fall der EZB bzw. des ESZB vom Gerichtshof weite Ermessensspielräume zuerkannt, so verflüchtigt sich durch diese zweifach gebrochene Kontrolle der grundrechtlich geforderte Rechtsschutz und verliert an der gebotenen Effektivität, gerät damit in Widerspruch zum Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung und vermag dann nicht mehr die Defizite an demokratischer Legitimation der EZB zu kompensieren. Dies verletzt auch die Verfassungsidentität der Bundesrepublik.

84  Dieter Grimm, Die Ursachen der Demokratie werden an der falschen Stelle gesucht, in: Europa ja – aber welches?, 2016, S. 121 (131), Erstveröffentlichung FAZ vom 11. 8. 2014 S. 11. 85  Vgl. im OMT-Urteil BVerfGE 142, 123 Rn. 149; s. dazu auch BVerfGE 146, 216 Rn. 53; Hans-Georg Dederer, JZ 2014, 313 (320).

Thomas M. J. Möllers: Richtlinienkonforme Rechtsfortbildung als Teil einer modernen Methodenlehre

Richtlinienkonforme Rechtsfortbildung als Teil einer modernen Methodenlehre Thomas M. J. Möllers Richtlinienkonforme Rechtsfortbildung als Teil einer modernen Methodenlehre

I.  Einleitung: Relevanz, Begriff und allgemeine Zulässigkeit der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung 1.  Der Umfang der richtlinienkonformen „Interpretation“ als Dauerbrenner der Methodenlehre Helmut Siekmann hat sich zeitlebens nicht nur dem Währungsrecht, sondern auch dem Staats- und Europarecht gewidmet. Dabei standen oft Fragen der Kompetenz, aber auch der Rechtsdurchsetzung im Raume.1 Zur Rechtsharmonisierung verwendet der europäische Gesetzgeber im Banken-, Kapitalmarkt- und Währungsrecht in hohem Maße auch Richtlinien.2 Ein „Dauerbrenner“ ist auch die Frage, in welchem Umfang der Mitgliedstaat zu einem richtlinienkonformen Ergebnis verpflichtet ist. Die Juristische Methodenlehre versucht, das Recht mit zahlreichen Argumentationsfiguren zu erschließen: Sie ist Legitimations- und Begründungslehre. So sehr sich unser Recht im Zuge der europäischen Einigung in zahlreichen Teilbereichen unserer Rechtsordnung gewandelt hat, so sehr verlangt die Europäisierung von der klassischen Methodenlehre eine Öffnung, ein „Update“ ihrer teilweise jahrhundertealten Traditionen.3 Das lässt sich anhand eines knapp 30 1 Etwa Helmut Siekmann (Hrsg.), Kommentar zur Europäischen Währungsunion, 2012; Helmut Siekmann, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 8. Aufl. 2018, Art. 88, 91a-91e, vor Art. 104a, Art. 104a-115, 120, 120a, 125c, 143c, d, f, g GG. 2  S. etwa Richtlinie 2009/110/EG v. 16. 9. 2009, ABl. Nr. L 267, S. 7 (E-Geldinstitute); Richtlinie 2014/62/EU v. 15. 5. 2014, ABl. Nr. L 151, S. 1 (strafrechtlicher Schutz des Euro gegen Geldfälschung); Richtlinie (EU) 2018/843 v. 30. 5. 2018, ABl. Nr. L 156, S. 43 (Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems für Geldwäsche/Terrorismusfinanzierung). 3  Für eine moderne juristische Methodenlehre Thomas M. J. Möllers, Juristische Methodenlehre, 2017, mit Buchbesprechung von Sebastian Martens, ZEuP 2018, 724 ff.; Hanno Merkt, NZG 2018, 779; Martin Oppitz, Der Gesellschafter 2018, 134; Adolf Rebler, DVBl. 2018, 1060.

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Jahre alten Beispiels aufzeigen. Es war nämlich die methodische Arbeit des BAG in der Harz-Entscheidung, die schon im Jahr 1989 den in der europäischen Anti-Diskriminierungsrichtlinie geregelten Arbeitnehmerschutzrechten in Deutschland entscheidend zum Durchbruch verhalf: Die Richtlinie sah vor, dass ein Bewerber um einen Arbeitsplatz im Falle der Diskriminierung Zugang zu den Gerichten haben müsse. Der deutsche Gesetzgeber hatte dem Bewerber in der alten Fassung des § 611a BGB ausschließlich den Ersatz der Bewerbungskosten zugestanden, was der EuGH als nicht ausreichend – da zu wenig effektiv und zu wenig abschreckend – für den Schutz des Bewerbers vor Diskriminierung ansah.4 Das BAG hatte daraufhin § 823 Abs. 1 BGB als „kleine Generalklausel des Deliktsrechts“ geprüft, die Diskriminierung des Bewerbers wegen des Geschlechts als Persönlichkeitsverletzung gewertet und der Klägerin Schadensersatz zugesprochen.5 Dieses Urteil ist wegen seiner Methodik heftig angegriffen worden,6 insbesondere sei die Diskriminierung nur als hinzunehmende „Benachteiligung“ anzusehen.7 Inzwischen sind 30 Jahre ins Land gegangen und die Rechtsprechung hat sich expressis verbis mit der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung auseinandergesetzt: In der Quelle-Entscheidung war zu prüfen, ob der Käufer eine Nutzungsentschädigung zu zahlen hat, wenn er eine mangelhafte Sache erst nach einiger Zeit dem Käufer zurückgibt. Im deutschen Recht gab es bis dato jahrzehntelang Entschädigung für die Nutzung einer mangelhaften Sache. Der EuGH verneinte dagegen einen Anspruch des Verkäufers auf Nutzungsersatz gegenüber dem Verbraucher, weil die Mängelgewährleistungsansprüche gem. Art. 3 der Verbrauchsgüterkauf-RiL unentgeltlich seien.8 Der BGH änderte nun seine Rechtsprechung. Er übernahm erstmals die Rechtsfigur der richtlinienkonformen Auslegung, die

4  EuGH, Urt. v. 10. 4. 1984, C-79/83, EU:C:1984:155, Rn. 21 ff., 28 – Harz. Am selben Tag erging auch die Entscheidung EuGH, Urt. v. 10. 4. 1984, C-14/83, EU:C:1984:153, Rn. 21 ff., 28 – von Colson und Kamann. 5  BAG, Urt. v. 14. 3. 1989 – 8 AZR 447/87, BAGE 61, 209 (212 ff.) – Harz. 6  Günther Wiese, Verbot der Benachteiligung wegen des Geschlechts bei der Begründung eines Arbeitsverhältnisses, JuS 1990, 357 (362); Claus-Wilhelm Canaris, Die richtlinienkonforme Auslegung und Rechtsfortbildung im System der juristischen Methodenlehre, in: Helmut Koziol/Peter Rummel (Hrsg.), Festschrift für Franz Bydlinski, 2002, S. 47 (97 f.); Martin Franzen, Privatrechtsangleichung durch die europäische Gemeinschaft, 1999, S. 409 ff., 441 f.; Burkhard Heß, Anmerkung zu EuGH, Slg. 1994, 3327, JZ 1995, 150 (151 f.). Dem BAG zustimmend allerdings Thomas C. W. Beyer/Thomas M. J. Möllers, Die Europäisierung des Arbeitsrechts, JZ 1991, 24 (28 ff.); Winfried Brechmann, Die richtlinienkonforme Auslegung, 1994, S. 270. 7  Karl Larenz/Claus-Wilhelm Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Besonderer Teil, Bd. II/2, 13. Aufl. 1994, S. 502. 8  EuGH, Urt. v. 17. 4. 2008, C-404/06, EU:C:2008:231, Rn. 31 ff. – Quelle.

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schon in den 1990er Jahren entwickelt worden war,9 und bejahte gegen den Wortlaut des Gesetzes eine teleologische Reduktion des § 439 Abs. 4 BGB a. F., um den bisher in Deutschland anerkannten Nutzungsersatzanspruch auszuschließen.10 Dieses Vorgehen wurde in der Literatur heftig kritisiert.11 Im Fliesen-Fall erwarb der Kläger mangelhafte Fliesen und baute diese in sein Haus ein. Nachdem der Mangel erkannt wurde, forderte der Käufer nicht nur Lieferung mangelfreier Fliesen, sondern zudem die Zahlung der Ausbaukosten der alten und der Kosten für den Einbau der neuen Fliesen i. H. v. 5.830 €. Auch hier lehnte die Rechtsprechung in der Vergangenheit entsprechende Ansprüche ab12 bzw. bejahte diese nur, wenn der Verkäufer die Pflichtverletzung zu vertreten hatte.13 Auch hier musste der BGH zumindest teilweise rechtsfortbildend tätig werden, um den Vorgaben des EuGH14 gerecht zu werden: Gegen den Wortlaut des § 439 Abs. 3 S. 3 BGB a. F. durfte sich der Verkäufer im „Business-to-Consumer-Verhältnis (sog. B2C-Verhältnis)“ nicht mehr auf die Unverhältnismäßigkeit der einzig möglichen Art der Nacherfüllung berufen. Methodisch handelte es sich hierbei um eine teleologische Reduktion für die Fälle des Verbrauchsgüterkaufs.15 Auch hier protestierten Teile der Literatur: Die Fliesen-Entscheidung des BGH sei eine unzulässige Rechtsfortbildung contra legem, weil das absolute Leistungsverweigerungsrecht des § 439 Abs. 3 S. 3 BGB a. F. das Ergebnis einer

9  Stefan Grundmann, Richtlinienkonforme Auslegung im Bereich des Privatrechts – insbesondere: der Kanon der nationalen Auslegungsmethoden als Grenze?, ZEuP 1996, 399 (420); Thomas M. J. Möllers, Doppelte Rechtsfortbildung contra legem? Zur Umgestaltung des Bürgerlichen Gesetzbuchs durch den EuGH und nationale Gerichte, EuR 1998, 20 (45). 10  BGH, Urt. v. 26. 11. 2008, VIII ZR 200/05, BGHZ 179, 27, Rn. 26 – Quelle. 11  Statt vieler Stephan Lorenz, in: Münchener Kommentar zum BGB, Bd. 3, 7. Aufl. 2016, vor § 474, Rn. 3: „Sämtliche Auslegungskriterien des deutschen Rechts einschließlich des ausdrücklichen Willens des deutschen Gesetzgebers sprachen für eine entsprechende Verpflichtung des Verbrauchers.“ 12  BGH, Urt. v. 15. 7. 2008, VIII ZR 211/07, NJW 2008, 2837, Rn. 23 ff. – Ablehnung von Einbaukosten gem. § 439 Abs. 2 BGB. 13  BGH, Urt. v. 2. 4. 2014, VIII ZR 46/13, NJW 2014, 2183, Rn. 23 ff. – keine Einbaukosten zwischen Unternehmen. 14  EuGH, Urt. v. 16. 6. 2011, C-65/09 u.a., EU:C:2011:396, Rn. 62, 78 – Gebr. Weber GmbH/Jürgen Wittmer (Fliesen). Der zweite wichtige Aspekt, den der EuGH entschied, betraf den Umfang des Anspruchs auf Nacherfüllung. Nach dem EuGH umfasst dieser auch den Ausbau der mangelhaften sowie den Einbau der neuen Fliesen. Diese Vorgabe konnte der BGH noch mittels richtlinienkonformer Auslegung des § 439 Abs. 1, Abs. 2 BGB umsetzen. 15  Die Kosten werden allerdings auf einen angemessenen Betrag begrenzt, s. BGH, Urt. v. 21. 12. 2011, VIII ZR 70/08, BGHZ 192, 148, Rn. 28 ff., Rn. 54 – Fliesen.

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Abwägung der widerstreitenden Parteiinteressen darstelle.16 Eine planwidrige Unvollständigkeit liege nicht vor, weil Wortlaut, Gesetzesgeschichte, Systematik und Telos bei absoluter Unverhältnismäßigkeit eindeutig zur Verweigerung der Nacherfüllung berechtigen würden.17 Inzwischen gibt es zahlreiche weitere Urteile in Deutschland,18 die zu den Grenzen der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung Stellung nehmen – das Thema, wie weit die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung möglich ist und ab wann die Contra-legem-Grenze überschritten wird, gehört zu den aktuellsten Problemen der juristischen Methodenlehre. Um sich dieser anspruchsvollen Materie zu nähern, ist vorab die Klärung hilfreich, was unter richtlinienkonformer Rechtsfortbildung überhaupt zu verstehen ist (I.2.). Es zeigt sich, dass der EuGH und das BVerfG zwar Vorgaben zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung machen, es aber letztlich den nationalen Gerichten überlassen, die Grenze zulässiger Rechtsfortbildung zu bestimmen (I.3.). Die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung erlaubt eine nationale, aber auch eine europäische Perspektive. Fraglich und umstritten ist nun, ob eine den status quo wahrende Perspektive oder eine stärker pro-europäische Perspektive vorzugswürdig ist. Zum Teil werden die Grenzen der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung eher eng gezogen, weil vermeintliche Auslegungsfiguren dem entgegenstehen würden. Auf diese Überlegungen ist zuerst einzugehen (II.). Es wird gezeigt, dass aber deutlich mehr Argumente für den modernen, europäischen Ansatz streiten, der eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung in weiterem Umfang zulässt und zu einer sachgerechteren Begründung der Contra-legem-Grenze führt (III.). In der Literatur wird zudem davor gewarnt, nationale Methoden mit dem europäischen Recht zu vermengen: Eine solche Gemengelage bleibe hinter dem zurück, was die europäische Methodenlehre in den letzten Jahren erreicht habe.19 16  So bereits angelegt in BT-Drucks. 14/6040, S. 232. Clemens Höpfner, Anmerkung zur Entscheidung des BGH vom 21. 12. 2011 (VIII ZR 70/08), JZ 2012, 473 (475); ablehnend auch Lorenz, in: MünchKomm-BGB (Fn. 11), vor § 474, Rn. 3. 17  Dagmar Kaiser, Anmerkung zum Urteil des EuGH v. 16. 06. 2011 (C-65/09, C-87/09), JZ 2011, 978 (986); Stephan Lorenz, Ein- und Ausbauverpflichtung des Verkäufers bei der kaufrechtlichen Nacherfüllung, NJW 2011, 2241 (2244); Beate Gsell, Anmerkung zur Entscheidung des BGH v. 21. 12. 2011 (VIII ZR 70/08), ZJS 2012, 369 (374). 18  Z. B. BAG, Urt. v. 24. 3. 2009, 9 AZR 983/07, BAGE 130, 119, Rn. 57 ff. – Urlaubsentgelt; BGH, Urt. v. 8. 1. 2014, V ZB 137/12, NSW AufenthG § 11 (BGH-intern), Rn. 10 ff.; BGH, Urt. v. 7. 5. 2014, IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101, Rn. 22 ff. – Widerruf von Lebensversicherung; BGH, Urt. v. 28. 10. 2015, VIII ZR 158/11, BGHZ 207, 209, Rn. 34 ff.– Preisanpassungsklausel Gas; BVerwG, Urt. v. 31. 1. 2017, 6 C 2.16, BVerwGE 157, 249, Rn. 26 ff. – Preisanpassung TKG; BVerfG, Beschl. v. 26. 9. 2011, 2 BvR 2216/06 u.a., NJW 2012, 669, Rn. 51 ff. = BVerfGK 19, 89 – § 5 HWiG; BVerfG, Beschl. v. 17. 1. 2013, 1 BvR 121/11 u.a., ZIP 2013, 924, Rn. 33 – § 264 Abs. 3 HGB. 19  Christian Baldus/Thomas Raff, Unionsrechtliche Überformung mitgliedstaatlicher Methodik?, GPR 2016, 71 (75).

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Es drohe eine „kaum zu bewältigende Rechtsunsicherheit“.20 Nur ist dem so? Im Folgenden ist zu diskutieren, welche Vor- und Nachteile entstehen, wenn man den Umfang der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung enger oder weiter definiert, weil die Contra-legem-Grenze entsprechend enger oder weiter gezogen wird. 2.  Zum Begriff der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung a)  Begriffswirrwar Neben dem Begriff der richtlinienkonformen Auslegung21 werden die Begriffe der richtlinienkonformen Rechtsfindung,22 der richtlinienkonformen Anwendung23 und der richtlinienkonformen Interpretation 24 verwendet. Schließlich wurde in der Vergangenheit mit dem Begriff der richtlinienkonformen Auslegung auch die Rechtsfortbildung gemeint und der Begriff damit weit verstanden.25 Traditionell kennt der EuGH in Anlehnung an den französischen Begriff der „interprétation“26 die strikte Unterscheidung zwischen einer Wortlautgrenze und ergänzender richterlicher Rechtsfortbildung nicht.27 Sollte man diese weite Begriffsbildung jetzt auch für die eigene nationale Methodik übernehmen und 20  Friedemann Kainer, Privatrecht zwischen Richtlinien und Grundrechten, GPR 2016, 262 (265), der Baldus/Raff (Fn. 19), GPR 2016, 71 (75) ausdrücklich zustimmt. 21  Georg E. Kodek, in: Peter Rummel/Meinhard Lukas, ABGB, 4. Aufl. (Stand: 1. 7. 2015), § 6, Rn. 237. 22  Karl Riesenhuber/Ronny Domröse, Richtlinienkonforme Rechtsfindung und nationale Methodenlehre, RIW 2005, 47 (50); Stefan Perner, EU-Richtlinien und Privatrecht, 2012, S. 77. 23  Robert Rebhahn, in: Heinrich Klang (Begr.)/Attila Fenyves/Ferdinand Kerschner/ Andreas Vonkilch (Hrsg.), ABGB, 3. Aufl. 2014, nach §§ 6, 7, Rn. 136 ff. 24 Etwa Brigitta Jud, Die Grenzen der richtlinienkonformen Interpretation, ÖJZ 2003, 521; Brigitta Zöchling-Jud, in: Constanze Fischer-Czermak/Gerhard Hopf/Georg Kathrein/Martin Schauer (Hrsg.), FS 200 Jahre ABGB, 2011, Bd. 2, S. 1757, 1762; Helene Hayden, Richtlinienkonforme Interpretation und Methodenautonomie, ZfRV 2016, 244; Perner (Fn. 22), S. 77. 25  So etwa noch BGH, Beschl. v. 12. 9. 2006, XI ZR 429/04, BGHZ 150, 248, 254 – Heininger: teleologische Reduktion als „einschränkende Auslegung“ bezeichnet; kritisch das BVerfG, Kammerbeschl. v. 26. 9. 2011, 2 BvR 2216/06 u.a., BVerfGK 19, 89, 103 – § 5 HWiG. 26  Werner Schroeder, in: Holger Altmeppen/Hanns Fitz/Heinrich Honsell (Hrsg.), Festschrift für Günther H. Roth, 2011, S. 735, 739; eine strikte Trennung zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung sei auch nicht möglich nach Klaus-Dieter Borchardt, Richterrecht durch den EuGH, in: Albrecht Randelzhofer/Rupert Scholz/Dieter Wilke (Hrsg.), Gedächtnisschrift für Eberhard Grabitz, 1995, S. 29, 37. 27  EuGH, Urt. v. 4. 7. 2006, C-212/04, EU:C:2006:443, Rn. 110 f. – Adeneler. S. auch BGH, Urt. v. 26. 11. 2008, VIII ZR 200/05, BGHZ 179, 27, Rn. 21 – Quelle; Ulrike Babusiaux, Die richtlinienkonforme Auslegung im deutschen und französischen Zivilrecht, 2007,

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künftig nur noch von Interpretation, Anwendung oder Auslegung im weiteren Sinne sprechen? b)  Der Begriff der Rechtsfortbildung In Deutschland und Österreich ist die begriffliche Unterscheidung zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung weitestgehend anerkannt. Die Auslegung i. e. S. verbleibt innerhalb des äußersten möglichen Wortsinns, die Rechtsfortbildung überschreitet den Wortsinn des Gesetzes.28 Diese begriffliche Unterscheidung ist auch sinnvoll, denn sie erhöht die Begründungspflicht für die Rechtsfortbildung. Diese Begründungspflicht ergibt sich einerseits im Verhältnis der Judikative gegenüber der Legislative aus den Artt. 20 Abs. 3, 97 Abs. 1 GG,29 andererseits im Verhältnis der Judikative gegenüber dem Bürger aus Art. 103 Abs. 1 GG.30 In beiden Verhältnissen gilt: Je weiter ein Richter sich vom geschriebenen Gesetz entfernt, umso mehr muss er die Rückanbindung seiner Entscheidung an andere Rechtsquellen (allgemeine Rechtsprinzipien, höherrangiges Recht) begründen. Dies dient der Machtbegrenzung des Juristen, vor allem des Richters. Bei nicht ausreichender Begründung muss der Richter auf den Gesetzgeber verweisen und darf nicht zulasten des Bürgers entscheiden, weil er selbst dann nicht zu einer Entscheidung legitimiert ist. Vor diesem Hintergrund sollte man weiterhin zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung unterscheiden. Mit dem Begriff der „Interpretation“ würde man leichtfertig Scheinbegründungen Vorschub leisten und die Gefahr vergrößern, dass der Rechtsanwender auf den für die Rechtsfortbildung gerade genannten erforderlichen höheren Begründungsaufwand verzichtet. In concreto muss also der Rechtsanwender nachweisen, warum er gegen den Wortlaut, gegen die Gesetzesgeschichte oder sogar gegen Systematik oder Telos eine Rechtsfortbildung begründen will. Inzwischen hat der EuGH dies offenbar verstärkt erkannt und seine methodische Terminologie geschärft. Er spricht nun von Rechtsfortbildung und kennt S. 137 f.; Bettina Heiderhoff, Europäisches Privatrecht, 4. Aufl. 2016, Rn. 107; Möllers (Fn. 9), EuR 1998, 20 (44); Canaris, in: FS Bydlinski (Fn. 6), 2002, S. 47, 81. 28  Karl Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6. Aufl. 1991, S. 366; Franz Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, 2. Aufl. 1991, S. 467 ff. Man kann die Rechtsfortbildung noch weiter verstehen und darunter auch die Rechtsprechungsänderung und Bereiche der Konkretisierung umfassen, s. Thomas M. J. Möllers, Juristische Methodenlehre, 2017, § 13, Rn. 14 f. 29  Helmuth Schulze-Fielitz, in: Horst Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, 3. Aufl. 2015, Art. 20 (Rechtsstaat), Rn. 101 m.w.N. 30  Aus der Berücksichtigungs- und Erwägungspflicht folgt konsequenterweise auch eine verfassungsrechtliche Begründungspflicht, BVerfG, Beschl. v. 17. 5. 1983, 2 BvR 731/80, BVerfGE 64, 135, 143 ff.; BVerfG, Beschl. v. 15. 2. 1992, 2 BvR 207/92, Inf­ AuslR 1992, 300 Ls. 1.

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Rechtsfiguren wie Lücke, Analogie31 oder Rechtsfortbildung contra legem.32 Auch die höchsten deutschen Gerichte sind bereit, die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung auch als solche zu bezeichnen.33 Speziell von richtlinienkonformer Rechtsfortbildung34 sollte man daher nur dann sprechen, wenn der nationale Richter nationales Recht im Lichte einer europäischen Richtlinie nicht mehr nur auslegt, sondern den Wortlaut des nationalen Begriffs überschreitet und damit fortbildet oder ggf. im Rahmen des Wortlautes neue Fallgruppen schafft oder die Rechtsprechung korrigiert. 3.  Die Grenzen der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung nach der Rechtsprechung des EuGH und BVerfG a)  Die konkretisierungsbedürftigen Vorgaben des EuGH zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung Im Mehrebenensystem spielt die Kompetenz zwischen höherer und niedrigerer Ebene eine große Rolle. In zahlreichen Urteilen hat der EuGH zu wichtigen Argumentationsfiguren der richtlinienkonformen Interpretation Stellung genommen. Allerdings sind die Vorgaben des EuGH nicht immer homogen. Im Rahmen des Gesetzgebungswillens geht der EuGH davon aus, dass der Mitgliedstaat bei der Umsetzung von Richtlinien prinzipiell „die Absicht hatte, den sich aus der Richtlinie ergebenden Verpflichtungen in vollem Umfang nachzukommen“.35 Dies müsse „ungeachtet entgegenstehender Auslegungshinweise, die sich aus den 31 Z. B. EuGH, Urt. v. 12. 12. 1985, C-165/84, EU:C:1985:507, Rn. 14, 29 – Krohn/ Balm; s. auch EuGH, Urt. v. 26. 10. 2006, C-248/04, EU:C:2006:666, Rn. 40 – Koninklijke Coöpertie Consun UA; EuGH, Urt. v. 11. 7. 1978, C-6/78, EU:C:1978:154, Rn. 4 – Union françaises de céréales/HZA Hamburg Jonas. 32  EuGH, Urt. v. 4. 7. 2006, C-212/04, EU:C:2006:443, Rn. 110 f. – Adeneler. 33  S. oben Fn. 18. Auch das BVerfG spricht jetzt klar von Rechtsfortbildung und verwendet den ursprünglich vom BGH verwendeten Begriff der „einschränkenden Auslegung“ kritisch nur mit Anführungszeichen, BVerfG, Beschl. v. 26. 9. 2011, 2 BvR 2216/06 u.a., NJW 2012, 669, Rn. 58 – § 5 HWiG. Dies entbehrt nicht einer gewissen Ironie, weil das BVerfG selbst im Bereich des Verfassungsrechts nicht sauber zwischen Auslegung und Rechtsfortbildung trennt, sondern auch den Begriff der verfassungskonformen Rechtsfortbildung für den Bereich der klaren Wortlautüberschreitung verwendet. Kritisch folglich Horst Dreier, Grundrechtsdurchgriff contra Gesetzesbindung? Exemplarische Betrachtungen zum Verhältnis von Verfassungs- und Verwaltungsrecht anhand der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, Die Verwaltung 36 (2003), 105 (111 Fn. 43); Möllers, Juristische Methodenlehre (Fn. 28), § 7, Rn. 65 ff. Hierzu unten III.4.a). 34  Möllers, Juristische Methodenlehre (Fn. 28), § 8, Rn. 55 ff. 35  EuGH, Urt. v. 16. 12. 1993, C-334/92, EU:C:1993:945, Rn. 20 – Wagner Miret; in ähnlicher Formulierung EuGH, Urt. v. 5. 10. 2004, C-397/01 u.a., EU:C:2004:584, Rn. 112 – Pfeiffer.

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vorbereitenden Arbeiten zu den nationalen Regelung ergeben könnten“, gelten.36 Im Rahmen der Systematik stellte der EuGH auf die Richtlinie ab, so dass die Mitgliedstaaten im Rahmen ihres nationalen Beurteilungsspielraumes die nationale Norm „im Lichte der Richtlinie“ auszulegen hätten.37 Der Telos der Richtlinie sei zu berücksichtigen.38 Zudem hat der EuGH betont, dass eine bisherige Rechtsprechung einer richtlinienkonformen Auslegung nicht entgegenstehen dürfe.39 Allerdings hat der EuGH diese Vorgaben deutlich eingeschränkt, weil die Mitgliedstaaten nur den Beurteilungsspielraum des nationalen Rechts voll auszuschöpfen haben.40 Dazu müsse das nationale Gericht entscheiden, ob es die in Rede stehende nationale Vorschrift unangewendet lassen möchte.41 Zudem würde die Verpflichtung des nationalen Richters, bei der Auslegung der einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts den Inhalt einer Richtlinie heranzuziehen, durch die allgemeinen Rechtsgrundsätze und insbesondere durch den Grundsatz der Rechtssicherheit und das Rückwirkungsverbot begrenzt und darf nicht als Grundlage für eine Auslegung contra legem des nationalen Rechts dienen.42 b)  Die konkretisierungsbedürftigen Vorgaben des nationalen Verfassungsrechts In Deutschland wird zwar im Grundsatz unstrittig anerkannt, dass Unionsrecht auf das nationale Recht einwirkt und von deutschen Gerichten anzuwenden ist.43 Zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung gibt es bisher allerdings nur 36  EuGH, Urt. v. 29. 4. 2004, C-371/02, EU:C2004:275, Rn. 13 – Björnekulla Fruktindustrier AB. 37  EuGH, Urt. v. 10. 4. 1984, C-14/83, EU:C:1984:153, Rn. 26 – von Colson und Kamann; EuGH, Urt. v. 8. 10. 1987, 80/86, EU:C:1987:431, Rn. 12 – Kolpinghuis Nijmegen. 38  EuGH, Urt. v. 4. 7. 2006, C-212/04, EU:C:2006:443, Rn. 110 f. – Adeneler.   EuGH, Urt. v. 4. 7. 2006, C-212/04, EU:C:2006:443, Rn. 111 – Adeneler: „Der Grundsatz der gemeinschaftsrechtskonformen Auslegung [besser: richtlinienkonformen Interpretation, Anm. des Verfassers] verlangt […], dass die nationalen Gerichte unter Berücksichtigung des gesamten nationalen Rechts und unter Anwendung ihrer Auslegungsmethoden alles tun, was in ihrer Zuständigkeit liegt, um die volle Wirksamkeit der fraglichen Richtlinie zu gewährleisten und zu einem Ergebnis zu gelangen, das mit dem von der Richtlinie verfolgten Ziel übereinstimmt“; s. auch EuGH, Urt. v. 16. 7. 2011, C12/08, C:2009:466, Rn. 61 – Mono Car Styling; EuGH, Urt. v. 27. 02. 2014, C-351/12, EU:C:2014:110, Rn. 45 OSA. 39  EuGH, Urt. v. 19. 4. 2016, C-441/14, EU:C:2016:278, Rn. 33 f. – Dansk Industrie. 40  EuGH, Urt. v. 10. 4. 1984, C-14/83, EU:C:1984:153, Rn. 28 – von Colson und Kamann. 41  EuGH, Urt. v. 19. 4. 2016, C-441/14, EU:C:2016:278, Rn. 37 – Dansk Industrie. 42  EuGH, Urt. v. 19. 4. 2016, C-441/14, EU:C:2016:278, Rn. 33 f. – Dansk Industrie. 43  BVerfG, Beschl. v. 18. 10. 1967, 1 BvR 248/63 u.a., BVerfGE 22, 293, 296 – EWG-Verordnungen; BVerfG, Beschl. v. 22. 10. 1986, 2 BvR 197/83, BVerfGE 73, 339, 375 – Solange

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einige erste noch nicht homogene Kammerbeschlüsse des Bundesverfassungsgerichts. Es erkennt die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung als Argumentationsfigur ausdrücklich an und akzeptiert auch die Rechtsfigur, dass der Wille des nationalen Gesetzgebers dahingehe, im Zweifel nicht gegen seine Pflicht zur Umsetzung der Richtlinie gem. Art. 288 Abs. 3 AEUV zu verstoßen.44 Daraus ergäbe sich auch die planwidrige Lücke und damit die Eröffnung der Möglichkeit der Rechtsfortbildung.45 Zudem seien die Grundsätze des Vertrauensschutzes in concreto nicht verletzt.46 Allerdings betont das BVerfG auch, dass alleine die nationalen Gerichte über die Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung entscheiden.47 Zudem sei eine verfassungsrechtlich unzulässige richterliche Rechtsfortbildung dadurch gekennzeichnet, so wörtlich, „dass sie, ausgehend von einer teleologischen Interpretation, den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, ihren Widerhall nicht im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder – bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke – stillschweigend gebilligt wird.“48 „Richterliche Rechtsfortbildung überschreitet die verfassungsrechtlichen Grenzen, wenn sie deutlich erkennbare, möglicherweise sogar ausdrücklich im Wortlaut dokumentierte gesetzliche Entscheidungen abändert oder ohne ausreichende Rückbindung an gesetzliche Aussagen neue Regelungen schafft.“49 Diese Ausführungen sind zur Zeit noch tastend, um die Rolle der richterlichen Rechtsfortbildung im Verhältnis zum europäischen Recht richtig zu verorten. Unklar und damit wenig hilfreich ist etwa die Aussage, ob mit der Rückbindung an die „gesetzlichen Aussagen“ ausschließlich das nationale Recht oder aber vielmehr das europäische Recht der Richtlinie gemeint ist.

II; BVerwG, Urt. v. 17. 2. 1993, 11 C 47/92, BVerwGE 92, 81, 83, 85 ff. – Rückforderung von rechtswidrigen Beihilfen; BGH, Urt. v. 5. 2. 1998, I ZR 211/95, BGHZ 138, 55, 59 ff. – Vergleichende Werbung. 44  BVerfG, Beschl. v. 26. 9. 2011, 2 BvR 2216/06 u.a., NJW 2012, 669, Rn. 51 = BVerf­ GK 19, 89 – § 5 HWiG; BVerfG, Beschl. v. 17. 1. 2013, 1 BvR 121/11 u.a., ZIP 2013, 924, Rn. 33 – § 264 Abs. 3 HGB. 45  BVerfG, Beschl. v. 17. 1. 2013, 1 BvR 121/11 u.a., ZIP 2013, 924, Rn. 33 – § 264 Abs. 3 HGB. 46  BVerfG, Beschl. v. 26. 9. 2011, 2 BvR 2216/06 u.a., NJW 2012, 669, Rn. 62 ff. – § 5 HWiG. 47  BVerfG, Beschl. v. 26. 9. 2011, 2 BvR 2216/06 u.a., NJW 2012, 669, Rn. 48 – § 5 HWiG; BVerfG, Beschl. v. 17. 11. 2017, 2 BvR 1131/16, NJW-RR 2018, 305, Rn. 36 f. – Preisanpassung TKG. 48  BVerfG, Beschl. v. 14. 6. 2007, 2 BvR 1447/05, 2 BvR 136/05, BVerfGE 118, 212, 243. 49  BVerfG, Beschl. v. 26. 9. 2011, 2 BvR 2216/06, NJW 2012, 669, Rn. 56 – § 5 HTwG.

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II.  Die enge, traditionelle Grenze zulässiger Rechtsfortbildung 1.  Argumentationsfiguren zur Ablehnung der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung Für viele Autoren sind die Ausführungen des EuGH reine „fakultative“ Hilfestellungen;50 entscheidend bleibe die nationale Methodik.51 Zudem gibt es weiterhin eine prominente Ansicht, die vehement die Grenzen zulässiger richtlinienkonformer Rechtsfortbildung sehr eng zieht und dabei zahlreiche Argumente vorträgt: Maßgeblich sei ausschließlich der Wertungsplan des nationalen Rechts.52 Der Richter sei zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung nur dann berechtigt, wenn sich aus dem nationalen Recht ein Beurteilungsspielraum ergebe.53 Die Richtlinie sei nicht unmittelbar anwendbar, der Richter würde in das Gestaltungsrecht des nationalen Gesetzgebers eingreifen, wenn er das Recht gegen den Wortlaut fortbilden würde; der Hinweis auf den hypothetischen Willen des nationalen Gesetzgebers sei Fiktion und unbeachtliches Motiv,54 der Vergleich mit dem Altern einer Kodifikation absurd, weil dann das Gesetz bei Zustandekommen schon veraltet sei.55 Fehle ein nationaler Umsetzungsakt, könne man die Richtlinie nicht zur Interpretation heranziehen.56 Folglich dürfe eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung das Gesetz nicht derogieren57 oder „ver50 

So die Formulierung von Hayden (Fn. 24), ZfRV 2016, 244 (249). Wulf-Henning Roth/Christian Jopen, in: Karl Riesenhuber (Hrsg.), Europäische Methodenlehre, 3. Aufl. 2015, § 13, Rn. 48; Ernst A. Kramer, Duplik zu Riesenhuber, Methodendivergenzen ertragen, GPR 2016, 210. 52  Christian Baldus/Rainer Becker, Bürgschaftsvertrag deutschen Rechts als Vertrag im Sinne des EWGRL 577/85 Art. 1 Abs. 1, ZEuP 1997, 875 (882); Clemens Höpfner, Voraussetzungen und Grenzen richtlinienkonformer Auslegung und Rechtsfortbildung, JbJZ 2009, 73 (85); Bernd Rüthers/Christian Fischer/Axel Birk, Rechtstheorie, 10. Aufl. 2018, Rn. 912e: „Die Zulässigkeit einer ,richtlinienkonformen Auslegung‘ bemißt sich allein am Wertungsplan der nationalen Gesetzgebung“; in diese Richtung auch Beate Gsell, Zur Frage des Nutzungsersatzes bei Lieferung einer mangelhaften Kaufsache beim Verbrauchsgüterkauf, JZ 2009, 522 (525). 53  Höpfner (Fn. 52), JBJZ 2009, 85. 54  Matthias Herdegen, Richtlinienkonforme Auslegung im Bankrecht: Schranken nach Europa- und Verfassungsrecht, WM 2005, 1921 (1923); Jan Schürnbrand, Die Grenzen richtlinienkonformer Rechtsfortbildung im Privatrecht, JZ 2007, 910 (913); Canaris, in: FS Bydlinski (Fn. 6), S. 47, 99; Peter Bydlinski, Richtlinienkonforme „gesetzesübersteigende“ Rechtsfindung und ihre Grenzen – eine methodische Vergewisserung anlässlich 20 Jahre EU-Mitgliedschaft, JBl. 2015, 2 (8). 55  Nicole Baldauf, Richtlinienverstoß und Verschiebung der Contra-legem-Grenze im Privatrechtsverhältnis, 2013, S. 220. 56  Perner (Fn. 22), S. 108 ff. 57  Canaris, in: FS Bydlinski (Fn. 6), S. 47, 94. 51 

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biegen“58; konsequenterweise sei auch eine teleologische Reduktion auf Null eine unzulässige Rechtsfortbildung contra legem.59 Und schließlich: Die richterliche Rechtfortbildung komme einer unzulässigen horizontalen Drittwirkung gleich.60 Da die richtlinienkonforme Auslegung und ihre Grenze Argumentationsfiguren des nationalen Rechts seien, dürfe der Richter den normativen Gehalt der nationalen Regelung nicht grundlegend neu bestimmen61 oder ihr einen anderen Sinn geben.62 Der BGH betonte, bei einem eindeutigen Wortlaut sei eine „richtlinienkonforme Auslegung“ – gemeint ist offenbar eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung – nicht möglich.63 Der Richter sei zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung nur dann berechtigt, wenn sich aus dem nationalen Recht ein Beurteilungsspielraum ergebe.64 Das BVerfG betont, dass die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung nicht erlaube, der nach Wortlaut und Sinn eindeutigen nationalen Regelung einen abweichenden oder entgegengesetzten Sinn zu geben.65 Unzulässig sei damit eine normative Neubestimmung der Norm. Zweifelhaft sei auch, in welchem Umfang Tatbestandsmerkmale neu begründet werden können.66

58 

Heß (Fn. 6), JZ 1995, 150 (151); Canaris, in: FS Bydlinski (Fn. 6), S. 47, 97. OLG München, Urt. v. 20. 6. 2013, 14 U 103/13, VersR 2013, 1025, 1028 – Widerruf von Lebensversicherung. 60  Markus C. Zöckler, Probleme der richtlinienkonformen Auslegung des nationalen Zivilrechts, JbJZ 1992, S. 141, 157 sowie die Autoren in Fn. 6. 61  OGH, Urt. v. 8. 9. 2005, 8 ObS 13/05b, S. 5; OGH, Urt. v. 19. 12. 2007, 9 ObA 106/06p, S. 10; OGH, Urt. v. 7. 2. 2008, 9 ObA 161/07b, S. 3; Rebhahn, in: Klang, AGBG (Fn. 23), nach §§ 6, 7, Rn. 140; Bydlinski (Fn. 54), JBl. 2015, 2 (10). 62  Rebhahn, in: Klang, AGBG (Fn. 23), nach §§ 6, 7, Rn. 140; Perner (Fn. 22), S. 94; s. auch die Autoren in Fn. 125. 63  BGH, Urt. v. 14. 10. 2003, XI ZR 134/02, NJW 2004, 154, 155 f.; BGH, Beschl. v. 18. 1. 2005, XI ZR 54/04, BeckRS 2005, 01615. Ebenso die Ansicht für die primärrechtskonforme Auslegung, etwa bei der Frage der Anwendung der Deutschen-Grundrechten für EU-Mitbürger, s. Hartmut Bauer/Wolfgang Kahl, Europäische Unionsbürger als Träger von Deutschen-Grundrechten?, JZ 1995, 1077 (1085); Rupert Scholz, in: Theodor Maunz/ Günter Dürig (Begr.), Grundgesetz (Stand: 81. Lieferung Sep. 2017), Art. 12, Rn. 104; Horst Dreier, in: Dreier, Vorb. Rn. 116; ausdrücklich offen gelassen von BVerfG, Beschl. v. 4. 11. 2015, 2 BvR 282/13 u.a., NJW 2016, 1436, Rn. 8 ff. 64  Höpfner (Fn. 52), JBJZ 2009, 85. 65  S. oben Fn. 49. 66 Angesprochen bei Ansgar Staudinger, Europarechtswidrigkeit der Nutzungsentschädigung bei Ersatzlieferung im Rahmen des Verbrauchsgüterkaufs, ZJS 2008, 309 (310), indem er zwischen der positiven Begründung eines Anspruchs und dem Ausschluss von nationalem Recht durch eine Richtlinie unterscheidet. 59 Etwa

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2.  Vor- und Nachteile der traditionellen Perspektive a)  Argumente für eine enge Contra-legem-Grenze Eine Reihe von Argumenten sprechen für eine solche traditionell eng verstandene Contra-legem-Grenze: Die Beibehaltung des gerade genannten Argumentationskanons erscheine methodisch stimmig, weil Art. 288 Abs. 3 AEUV nun einmal die Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht erlaube und deshalb auch die Sinnerschließung durch die juristischen Methoden sich ausschließlich national erschließe.67 Der Richter müsste keine methodischen „Verrenkungen“ machen. Vor allem kann der Richter mit der nationalen Perspektive das überraschende „ausbrechende Auslegungsergebnis“68 des EuGH zurückweisen und muss sich keine Gedanken machen, wie er ein solches rechtsfortbildend noch in das nationale Recht hineinlesen muss. Und schließlich kann die konkrete Sachentscheidung des nationalen Gesetzgebers Vorrang vor dem vermeintlich allgemeinen Umsetzungswillen des nationalen Gesetzgebers haben, richtlinienkonform zu handeln.69 b)  Rechtsfortbildung und die Methodik als Legitimationslehre im europäischen Mehrebenensystem: das europäische Parlament, das nationale Parlament und der EuGH Oben wurde die juristische Methodenlehre als Legitimationslehre zur Begrenzung der Macht des Richters gegenüber dem Parlament und dem Bürger beschrieben.70 Es ist allerdings fraglich, ob diese Frage zulässiger Rechtsfortbildung als Legitimationsfrage des Richters gegenüber dem Parlament oder dem Bürger hier wirklich passt. Denn es geht mitnichten darum, dass sich der nationale Richter Kompetenzen anmaßt, die dem Parlament zustehen und er sich zum gesetzgebenden Richter aufschwingt. Er ist nicht Pianist,71 sondern muss gleich drei Herren dienen:72 (1.) auf europäischer Ebene erlassen Kommission, Rat und Parlament die Richtlinie, die einen Geltungsanspruch erhebt und damit auf nationaler Ebene gilt.73 (2.) Der nationale Gesetzgeber hat die europäische Richtlinie umzusetzen. Der nationale Richter ist an die Umsetzungsvorgaben gebunden. (3.) Und schließlich konkretisiert der EuGH, dem der nationale Richter typischerweise in einem 67 

Baldus/Becker (Fn. 52), ZEuP 1997, 874 (882). So die Formulierung v. OGH, Urt. v. 25. 3. 2014, 9ob64/13x, Rn. 4.10. 69  S. unten IV.3.b). 70  S. oben I.1. und I.2.b). 71  Günter Hirsch, Zwischenruf – Der Richter wird`s schon richten, ZRP 2006, 161. 72  Zum Bild des Richters als Diener des Gesetzgebers Philipp Heck, Gesetzesauslegung und Interessenjurisprudenz, AcP 112 (1914), 1, 19 ff. 73  S. sogleich unter III.3.b). 68 

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Vorabentscheidungsverfahren eine Auslegungsfrage zur europäischen Richtlinie vorlegt, das europäische Recht. Zeitlich darauffolgend muss der nationale Richter entscheiden, wie er dieses mehrpolige Spannungsverhältnis auflöst, ob er richtlinienkonform den Vorgaben des EuGH folgen kann oder aber dies verneinen und den Umsetzungsauftrag an das nationale Parlament weitergeben muss. Es geht hier nicht um Rechtsgestaltung des Richters zulasten der Legislative, sondern der nationale Richter versucht bestmöglich, allen drei Herren gerecht zu werden.

III.  Die neue, moderne Linie der Rechtsprechung zur Grenze zulässiger richtlinienkonformen Rechtsfortbildung Wie lassen sich die Urteile des BAG74 und des BGH75 rechtfertigen, die den Anwendungsbereich einer Norm ausschließen und dies mit einer teleologischen Reduktion der jeweiligen Norm begründen, um diese dann in concreto nicht anzuwenden? Im Folgenden ist entgegen der unter II. dargestellten traditionell engen Perspektive zu zeigen, dass zahlreiche Argumentationsfiguren für eine weitere, moderne Grenze der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung sprechen. Dazu lassen sich interessenorientierte (1.), historische (2.), teleologische (3.) und systematische (4.) Argumente anführen. 1.  Interessenorientierte Überlegungen bei der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung a)  Der interessengerechte Paternalismus zugunsten des Willens des nationalen Parlaments Bei der Lösung eines Rechtsproblems sind insbesondere auch die Interessen und Wertungen des Gesetzes zu berücksichtigen.76 Eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung entspricht zuvörderst dem Willen des nationalen Parlaments. Wenn das nationale Parlament irrt, kann die Rechtsprechung den Fehler durch eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung heilen. Bejaht man die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung in einem weiteren Umfang, erlaubt dies dem Mitgliedstaat, zur Umsetzung mit dem damit verbundenen Risiko schadlos Fehler zu machen. Mit anderen Worten: Jetzt nutzt das nationale Parlament seinen Ermessensspielraum, die Richtlinie so umzusetzen, dass möglichst wenig 74 

Z. B. BAG, Urt. v. 24. 3. 2009, 9 AZR 983/07, BAGE 130, 119, Rn. 64 – Urlaubsentgelt. BGH, Urt. v. 26. 11. 2008, VIII ZR 200/05, BGHZ 179, 27, Rn. 25 ff. – Quelle; BGH, Urt. v. 21. 12. 2011, VIII ZR 70/08, BGHZ 192, 148, Rn. 30 ff. –Fliesen; BGH, Urt. v. 7. 5. 2014, IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101, Rn. 22 ff. – Widerruf von Lebensversicherung. 76  Zur Interessen- und Wertungsjurisprudenz, s. Möllers, Juristische Methodenlehre (Fn. 28), § 5, Rn. 19 ff. 75 

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an bisheriger nationaler Dogmatik aufgegeben werden muss.77 Das zeigen die Fälle zur Verbrauchsgüterkaufrichtlinie auf das Beste.78 Würde man umgekehrt den nationalen Richtern dieses Instrument nehmen, dem nationalen Parlament damit die Staatshaftung androhen, könnte man künftig dem Parlament nur anraten, auf jede Umsetzung in nationale Kodifikationen zu verzichten und die Richtlinie dann nach Ablauf der Umsetzungsfrist einfach als verbindliches nationales Gesetz zu erklären. Damit hätte man sich jeden Gestaltungsspielraum genommen. Damit wäre die Idee der Richtlinie, dass sie weniger stark als die Verordnung in das nationale Recht eingreift und „innerstaatlichen Stellen die Wahl der Form und Mittel“ gem. Art. 288 Abs. 3 AEUV überlässt, aber hinfällig. Zudem greift das Gericht nur vorübergehend in die Zuständigkeit des Gesetzgebers ein, weil das vom EuGH entwickelte Transparenzgebot mittelfristig die klare Regelung im nationalen Gesetz verlangt.79 In allen drei o. g. Fällen80 hatte der deutsche Gesetzgeber eine gesetzliche Regelung zur Umsetzung der EuGH-Vorgaben geschaffen.81 Auch steht es dem Gesetzgeber jederzeit frei, die Lösung des Gerichts zu korrigieren. Ausweislich der Gesetzesbegründung zu § 439 Abs. 3 BGB n. F. gilt die Fliesen-Rechtsprechung nunmehr nicht nur für B2C-Geschäfte, sondern auch für „Business-to-Business-Geschäfte (sog. B2B-Geschäfte)“. Die frühere gegenteilige Rechtsprechung des BGH wird damit durch den Gesetzgeber aufgehoben.82 Das ist dann Gewaltenteilung par excellence. Würde man die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung eng interpretieren, würde man den Kläger zwingen, Ansprüche wegen unzureichender Umsetzung der Richtlinie gegen die Bundesrepublik Deutschland geltend zu machen. Letztlich hätte der EuGH zu entscheiden, ob ein hinreichend qualifizierter Verstoß gegen das nationale Recht vorliegt, der einen unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruch begründen kann.83 77  Hierzu bereits Thomas M. J. Möllers, Die Rolle des Rechts im Rahmen der euro­ päischen Integration, 1999, S. 72. 78  S. sogleich III.2.b). 79  EuGH, Urt. v. 10. 5. 2001, C-144/99, EU:C:2001:257, Rn. 21 – Transparenzgebot in AGB-RiL; hierzu Micklitz, EWS 2001, 486, 487. 80  S. oben unter I.1. 81  Nach dem Draehmpaehl-Urteil des EuGH hatte der deutsche Gesetzgeber in § 611a BGB a.F. einen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch eingeführt, BGBl. 2002 I, S. 42, 156. Die Quelle-Entscheidung des BGH nahm der Gesetzgeber zum Anlass, um bei einem Verbrauchsgüterkauf Nutzungsansprüche des Verkäufers auszuschließen, § 474 Abs. 5 BGB, BT-Drucks. 16/10607, S. 5 f. Die Umsetzung der Fliesen-Entscheidung erfolgt in § 439 Abs. 3 BGB, BGBl. 2017 I, S. 969 f. 82 So ausdrücklich BT-Drucks. 18/8486, S. 27. Zum früheren Recht BGH, Urt. v. 17. 10. 2012, VIII ZR 226/11, BGHZ 195, 135, Rn. 17 ff.

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b)  Die Interessen des Klägers Der EuGH hat die ausschließliche Kompetenz, europäisches Recht auszulegen, Art. 19 Abs. 3 lit. b) EUV. Der Bürger erhebt Klage, das nationale Gericht fragt den EuGH, der EuGH gibt dem Kläger Recht oder nicht. Vorabentscheidungsverfahren dauern lange. Als Zwischenverfahren werden sie regelmäßig erst von den höchsten nationalen Gerichten, also nach teilweise langwierigem Instanzenzug, gestartet. So dauern die Verfahren oft sechs, acht, zehn Jahre. Und selbst dann, wenn der EuGH zugunsten des Klägers entscheidet, bedeutet das nicht automatisch, dass dies auch das zuständige nationale Gericht tut. Wenn das nationale Gericht die Grenzen seiner methodischen Möglichkeiten als überschritten ansieht, versagt es dem Zivilkläger den Anspruch, weil die Richtlinie nicht unmittelbar unter Privaten wirkt und damit der Anwendungsvorrang nicht eingreifen kann. In Frage stehen aber immer Rechte des Bürgers, welche das europäische Recht hergibt und welche die inkorrekte Umsetzung der Richtlinie in nationales Recht verweigert. Gerade für den Anwendungsvorrang und der unmittelbaren Geltung war der Umstand, dass europäisches Recht dem Bürger Rechte verleiht, aber ein wichtiger Topos.84 Kurzum: Wer möchte in der Haut des Anwaltes stecken, der der Partei erzählen muss, man habe in der Sache vor dem EuGH als höchstem europäischen Gericht gewonnen, aber leider ließe die deutsche Methodik die Durchsetzung der Ansprüche nicht zu? Der Staatshaftungsanspruch mag ein scharfes Schwert sein, wenn der nationale Gesetzgeber die Richtlinie nicht umsetzt, wie der Francovich-Fall zeigt. Ansonsten sind die Voraussetzungen eines „qualifizierten Verstoßes“ eher nicht gegeben, vor allem, wenn der nationale Gesetzgeber nicht vorsätzlich handelt, sondern sich schlicht irrt.85 Es entsteht dann eine Rechtsschutzlücke.86 83

c)  Die Erwartung der Allgemeinheit und des EuGH Solange der nationale Gesetzgeber die Vorgaben des EuGH nicht umsetzt, existiert ein Schwebezustand, der die Rechtsunsicherheit perpetuiert. Die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung ermöglicht schneller als der nationale Gesetz83  EuGH, Urt. v. 19. 11. 1991, C-6/90 u.a., EU:C:1991:428, Rn. 11, 16 ff. – Francovich. Es kann wohl kaum im Interesse der Mitgliedstaaten sein, dem EuGH Fallmaterial für solche Fallkonstellationen zu geben. 84  EuGH, Urt. v. 5. 2. 1963, 26/62, EU:C:1963:1, 7, 24, 27 – van Gend. 85 EuGH, Urt. v. 5.  3. 1996, C-46/93 u.a., EU:C:1996:79, Rn. 55 f. – Brasserie du Pêcheur. Riesenhuber/Domröse (Fn. 22), RIW 2005, 47 (52); ähnlich Bydlinski (Fn. 54), JBl. 2015, 2 (5): „steiniger Weg“. 86  Das müssen auch die Gegner einer richtlinienkonformen Rechtsfortbildung anerkennen, s. etwa Hans Schulte-Nölke/Christoph Busch, Mittelbare horizontale Direktwirkung von umgesetzten EG-Richtlinien, in: Festschrift für Claus-Wilhelm Canaris, 2007, 795 (806); Gsell (Fn. 52), JZ 2009, 522 (525); Baldauf, Richtlinienverstoß und Verschiebung der Contra-legem-Grenze im Privatrechtsverhältnis, S. 249 ff.

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geber, auf die Vorgaben des EuGH zu reagieren, ohne dass die Staatshaftung droht. Durch die Rechtsfortbildung entwickelt das nationale Gericht das Recht fort, indem es die Sache positiv entscheidet. Damit schafft es Rechtssicherheit.87 Die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung entspricht der Erwartung des EuGH und der Allgemeinheit. Der EuGH entscheidet; seine Vorgaben binden die Parteien und die Ausgangsgerichte:88 Oft irrt nicht nur der nationale Gesetzgeber, sondern auch das nationale Gericht. Wenn das nationale Gericht eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung ablehnt, gewinnt man den Eindruck, es wäre resistent und würde die Vorgaben des EuGH ignorieren wollen. Für den Glauben an den Rechtsstaat wäre es der Allgemeinheit kaum vermittelbar, ihm nach acht oder zehn Jahren in der Sache Recht zu geben, die Klage dann aber doch abweisen zu müssen. d)  Das geschützte Vertrauen des Beklagten Letztendlich wird auch die Position des Beklagten berücksichtigt, weil das Rückwirkungsverbot und der Vertrauensschutz ausdrücklich als Schranke der Rechtsfortbildung anerkannt werden.89 2.  Der Wille des nationalen Gesetzgebers a)  Der generelle Wille zur korrekten Umsetzung der Richtlinie Die Vermutung, dass der Gesetzgeber die Richtlinie richtig umsetzen wollte, kann der EuGH als Prämisse nicht aufstellen.90 Denn wenn die Frage der Reichweite richtlinienkonformer Auslegung auf nationalem Recht beruht, kann nur das nationale Recht eine solche Prämisse begründen. Folglich muss der Wille des nationalen Gesetzgebers, richtlinienkonform zu handeln, autonom aus dem Recht des Mitgliedstaates begründet werden. So lässt sich argumentieren, dass der deutsche Gesetzgeber nicht gegen seine Umsetzungspflicht aus Art. 288 Abs. 3 AEUV verstoßen wollte,91 weil er ansonsten riskiert, sich schadensersatzpflichtig zu machen. Einen solchen generellen Umsetzungswillen zu bejahen widerspricht 87 

Zu diesem Topos s. Möllers, Juristische Methodenlehre (Fn. 28), § 13, Rn. 63. EuGH, Urt. v. 3. 2. 1977, C-52/76, EU:C:1977:16, Rn. 26 f. – Benedetti; BAG, Urt. v. 24. 3. 2009, 9 AZR 983/07, BAGE 130, 119, Rn. 47 – Urlaubsentgelt. 89  S. unten IV.3.d). 90  Kritisch zu dieser europäischen Vermutungsregel folglich Schürnbrand (Fn. 54), JZ 2007, 910 (916); Roth/Jopen, in: Riesenhuber (Fn. 51), § 13, Rn. 29 f. 91  BVerfG, Kammerbeschl. v. 26. 9. 2011, 2 BvR 2216/06 u.a., BVerfGK 19, 89, 101 – § 5 HWiG: „[…] weil es sich um ein Umsetzungsgesetz zu einem unionalen Rechtsakt wie einer Richtlinie handelt, kann innerstaatlich durch die Annahme Rechnung getragen werden, dass der mitgliedstaatliche Gesetzgeber im Zweifel nicht gegen seine Pflicht aus Art. 288 Abs. 3 AEUV, das Ziel der Richtlinie fristgemäß umzusetzen, verstoßen wollte.“ 88 

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auch nicht der Gewaltenteilung, sondern stellt sie gerade sicher, weil mit der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung das Ziel des nationalen Gesetzgebers, eine richtlinienkonforme Regelung zu schaffen, erreicht wird.92 Wenn folglich das BVerfG den konkreten Umsetzungswillen des nationalen Parlamentes bejaht, eine richtlinienkonforme Regelung schaffen zu wollen, ist dem zuzustimmen.93 b)  Der Widerspruch zwischen konkretem und generellem Umsetzungswillen – weitere Konkretisierungen durch die Rechtsprechung Problematisch ist nun der Fall, dass die konkrete Umsetzungsabsicht falsch ist. In diesem Fall hat der generelle Umsetzungswille des Gesetzgebers Vorrang gegenüber der konkreten Regelungsabsicht, soweit der Gesetzgeber unbewusst von der Richtlinie abweicht, weil er irrt, also von einem Fehlverständnis der Richtlinie ausgeht. In der Quelle-Entscheidung hielt der BGH den subjektiven Willen des Gesetzgebers zur richtigen Umsetzung der Richtlinie für beachtlich und bejahte folglich eine planwidrige Lücke, die zur Rechtsfortbildung in Form der teleologischen Reduktion des § 439 Abs. 4 BGB a. F. im B2C-Verhältnis berechtige.94 Definiert man die Grenze der Rechtsfortbildung als Interpretation, die ihren Widerhall nicht im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder – bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke – stillschweigend gebilligt wird,95 so kommt diesem Willen des Gesetzgebers eine entscheidende Komponente zu. Einfach sind die Fälle, in denen ein Umsetzungswillen des nationalen Gesetzgebers nachweisbar ist. Die Rechtsprechung hat nun versucht, mit zwei Formeln diesen Umsetzungswillen zu konkretisieren: Erstens wird gefragt, ob durch eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung der erkennbare Wille des Gesetzgebers nicht verändert wird, sondern die Rechtsfortbildung seinem Willen noch entspricht.96 92  Thomas M. J. Möllers/Alexandra Möhring, Recht und Pflicht zur richtlinienkonformen Rechtsfortbildung bei generellem Umsetzungswillen des Gesetzgebers, JZ 2008, 919 (922); Thomas M. J. Möllers, Schlusswort, JZ 2009, 405 (406); Schulte-Nölke/Busch, in: FS Canaris (Fn. 86), S. 795, 800 ff.; Thomas Pfeiffer, Richtlinienkonforme Auslegung gegen den Wortlaut des nationalen Gesetzes – Die Quelle-Folgeentscheidung des BGH, NJW 2009, 412; Detlef Leenen, Die Auslegung von Richtlinien und die richtlinienkonforme Auslegung und Fortbildung des nationalen Rechts, Jura 2012, 753 (760 f.); Roth/Jopen, in: Riesenhuber (Fn. 51), § 13, Rn. 57. 93  S. oben Fn. 44. 94  BGH, Urt. v. 26. 11. 2008, VIII ZR 200/05, BGHZ 179, 27, 38 f. – Quelle. Vorher schon Grundmann (Fn. 9), ZEuP 1996, 399 (420); ähnlich Carsten Herresthal, Die Grenzen der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung im Kaufrecht, WM 2007, 1354 (1356 f.); Wolfgang Dänzer-Vanotti, Richtlinienkonforme Auslegung und Rechtsfortbildung, StVj 1991, 1 (5 ff.). 95  S. oben Fn. 49. 96  BGH, Urt. v. 28. 10. 2015, VIII ZR 158/11, BGHZ 207, 209, Rn. 43 – Preisanpassungsklausel. Die Hinweise auf weiterführende Rechtsprechung tragen allerdings nicht!

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Zum Zweiten ließe sich der allgemeine Umsetzungswille leicht modifizieren, indem man fragt, was der Gesetzgeber getan hätte, wenn er seinen Verstoß gegen die Richtlinie bemerkt hätte.97 Die Rechtsprechung hat inzwischen eine Lücke für den Fall bejaht, dass ausgeschlossen werden kann, dass der Gesetzgeber die Regelung in gleicher Weise getroffen hätte, wenn ihm bekannt gewesen wäre, dass sie nicht richtlinienkonform ist.98 Zugebenermaßen sind solche Fragen sehr hypothetisch und deren Beantwortung spekulativ. Hier wird nicht mehr die subjektive ex-antePerspektive, sondern eine objektive ex-post-Perspektive eingenommen. c)  Stellungnahme Statt zu spekulieren, lässt sich recht einfach unterscheiden: Wenn sich der nationale Gesetzgeber bewusst über das europäische Recht hinwegsetzt, ist eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung nicht möglich.99 Gleiches gilt, wenn der Gesetzgeber die Fallkonstellation nicht regeln wollte.100 Dann setzt sich der klare Wille des nationalen Gesetzgebers durch und ein Gericht darf sich nicht darüber hinwegsetzen. Ansonsten sperrt der historische Wille eine Rechtsfortbildung aber nicht, weil das historische Argument selten besonders stark ist. Oft ist der historische Wille mehrdeutig.101 Zudem kann der damals gültige Wille durch eine objektive Auslegung außer Kraft gesetzt werden.102 Der hypothetische Wille ist 97  So bereits Peter Rott, Austausch der fehlerhaften Kaufsache nur bei Herausgabe von Nutzungen?, BB 2004, 2478 (2479); Hans Schulte-Nölke, Alter Herd ist Geldes wert? – Das neue Schuldrecht auf dem Prüfstand des Europarechts, ZGS 2006, 321; Carl-Heinz Witt, Nutzungsersatz bei Nachlieferung – BGH-Vorlage an den EuGH, NJW 2006, 3322 (3324 Fn. 30) (im Widerspruch zu S. 3324 im Text); Dirk Looschelders/Wolfgang Roth, Juristische Methodik im Prozess der Rechtsanwendung, 1996, S. 227, 298. 98  BGH, Urt. v. 26. 11. 2008, VIII ZR 200/05, BGHZ 179, 27, Rn. 25 – Quelle; BGH, Urt. v. 21. 12. 2011, VIII ZR 70/08, BGHZ 192, 148, Rn. 34 – Fliesen; BVerwG, Urt. v. 31. 1. 2017, 6 C 2.16, BVerwGE 157, 249, Rn. 29 – Preisanpassung TKG. 99  BAG, Urt. v. 23. 3. 2006, 2 AZR 343/05, BAGE 117, 281, 289 – Junk; Canaris, in: FS Bydlinski (Fn. 6), S. 47, 85; Möllers/Möhring (Fn. 92), JZ 2008, 919 (923); Roth/Jopen, in: Riesenhuber (Fn. 51), § 13, Rn. 66. Diskutiert auch von s. BAG, Urt. v. 24. 3. 2009, 9 AZR 983/07, BAGE 130, 119, Rn. 69 ff. – Urlaubsentgelt. 100  Dazu wird weiter unten Stellung genommen, s unten IV.3.b). 101  Ulrich Seibert, „Gesetzesmaterialien“ in der Gesetzgebungspraxis, in: Holger Fleischer (Hrsg.), Mysterium „Gesetzesmaterialien“, 2013, S. 111, 116; kritisch folglich das Sondervotum Schluckebier und Hermanns, in: BVerfG, Beschl. v. 17. 1. 12015, 1 BvR 471/10 u.a., BVerfGE 138, 296, Rn. 23 – Kopftuch II; Möllers, Juristische Methodenlehre (Fn. 28), § 6, Rn. 42 ff. 102  BVerfG, Urt. v. 21. 5. 1952, 2 BvH 2/52, BVerfGE 1, 299, 312 – Wohnungsbauförderung; Karl Larenz/Claus-Wilhelm Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 3. Aufl. 1995, S. 137 f.; Heinrich Honsell, in: Julius von Staudinger (Begr.), Kommentar zum BGB, Neubearb. 2013, Einl. zum BGB, Rn. 137; Ernst A. Kramer, Juristische Methodenlehre, 5. Aufl. 2016, S. 143 f.; Klaus Friedrich Röhl/Hans Christian Röhl, Allge-

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per definitionem hypothetisch und damit oft spekulativ. Aus dem Schweigen des Gesetzgebers etwas ableiten zu wollen, ist schwierig, oft ist es irrelevant, ein juristisches „nullum“.103 Eine große Anzahl von Stimmen hat deshalb Zweifel, den generellen Umsetzungswillen immer durchgreifen zu lassen.104 Schließlich versagt er, wenn der nationale Gesetzgeber die Richtlinie noch gar nicht umgesetzt hat. Wird die Richtlinie überhaupt nicht umgesetzt, kann mit dem Willen zur Umsetzung kaum argumentiert werden.105 Allerdings soll dann wohl die Pflicht zur richtlinienkonformen Interpretation weiterhin gelten.106 Gerade weil die Rechtsfortbildung stärker als die Auslegung das geltende Recht ändert, sollte die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung neben dem Willen des nationalen Gesetzgebers mit weiteren Argumentationsfiguren abgestützt werden.107 3.  Die Ausrichtung methodischer Argumentationsfiguren auf das Telos der Richtlinie Neben der Folgenorientierung und dem historischen Willen ist schließlich das Telos der Richtlinie heranzuziehen, um die Grenzen der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung zu bestimmen. Allerdings sind die Begründungsansätze in der Rechtsliteratur zum Teil unzureichend. a)  Unzureichende Begründungsansätze in der Literatur Eine Ansicht legt die deutsche Rechtsnorm im Lichte der Richtlinie aus, betrachtet also die deutsche Norm im Kontext der Gesamtrechtsordnung, die sich aus nationalem Recht und Richtlinie zusammensetzt.108 Daran ist kritisiert worden, die Richtlinie sei ein eigenes Regelungsgebäude, ohne aber unmittelbar in Deutschland für jedermann zur Anwendung zu kommen. Würde man diesen systematischen Überlegungen folgen, würde der innerstaatliche Normbefehl zu meine Rechtslehre, 3. Aufl. 2008, S. 632; ausführlich Möllers, Juristische Methodenlehre (Fn. 28), § 6, Rn. 60 ff. 103 Hierzu Möllers, Juristische Methodenlehre (Fn. 28), § 13, Rn. 39 ff. 104  Ferdinand Kerschner/Johannes Kehrer, in: Klang (Fn. 23), § 7, Rn. 141; Kodek, in: Rummel/Lukas (Fn. 21), § 6, Rn. 246. 105  Kritisch auch Gsell (Fn. 52), JZ 2009, 522 (523): „Es fehlt dem Kriterium aber die sachliche Überzeugungskraft“. 106  Das übersieht Perner (Fn. 22), S. 109 f. 107  Zur erhöhten Begründungs- und Legitimationspflicht im Rahmen der Rechtsfortbildung s. bereits oben I.2.c). 108  Marietta Auer, Neues zu Umfang und Grenzen der richtlinienkonformen Auslegung, NJW 2007, 1106 (1108); Oliver Mörsdorf, Verpflichtung des Käufers zur Zahlung eines Nutzungsentgelts im Rahmen der Neulieferung einer mangelhaften Kaufsache, ZIP 2008, 1409 (1415).

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einer dynamischen Verweisung auf die Richtlinie in ihrer jeweils vom EuGH propagierten Fassung degradiert.109 Zudem widerspräche eine solche Auslegung den Grundsätzen des Vertrauensschutzes, insbesondere den Anforderungen an Normenklarheit und Normenbestimmtheit.110 Eine zweite Ansicht will die Höherrangigkeit der Richtlinie ausreichen lassen, um sie als „objektiv-teleologisches Kriterium“ zu berücksichtigen.111 Dem wird zu Recht vorgeworfen, dass die Höherrangigkeit als solches noch keine Verpflichtung begründen kann.112 Es bedarf deshalb einer anderen Begründung, um die Relevanz der Richtlinie bei der Auslegung des nationalen Rechts zu begründen. b)  Der Geltungsanspruch der Richtlinie als Grundlage für rechtliche Relevanz im Mitgliedstaat Der EuGH hat ein Zweistufenkonzept entwickelt und unterscheidet zwischen unmittelbarer Geltung und dem Anwendungsvorrang. Eine europäische Norm gilt unmittelbar in jedem Mitgliedstaat, ohne dass es einer konkreten Zustimmung des Mitgliedstaates bedarf.113 Der EuGH begründet diese unmittelbare Geltung114 des europäischen Rechts in den Mitgliedstaaten damit, dass die Rechtsetzungskompetenzen schon durch die Unterzeichnung des EWG-Vertrages von den Mitgliedstaaten auf die EU übergegangen sind. Die Europäische Union bildet, wie der EuGH in der Costa/E.N.E.L.-Entscheidung festgestellt hat, eine eigene Rechtsordnung, welche die Souveränitätsrechte der Mitgliedstaaten beschränkt hat. Zudem stellt der EuGH auf den Grundsatz des effet utile ab, der die Durchsetzbarkeit und Wirksamkeit des Europarechts sicherstellen soll.115 Die Geltungswirkung findet sich für Verordnungen in Art. 288 Abs. 2 AEUV und lässt sich mit einem Erst-Recht-Schluss auch auf das Primärrecht übertragen.116 Diese Gel109  Herdegen (Fn. 54), WM 2005, 1921 (1928 f.); Schürnbrand (Fn. 54), JZ 2007, 910 (913); Lorenz, in: MünchKomm-BGB (Fn. 11), Vor § 474, Rn. 5; Götz Schulze, Kein Nutzungsersatz bei Ersatzlieferung: Anmerkung zu EuGH, Urteil vom 17. 4. 2008, C-404/06-Quelle, GPR 2008, 128 (131). 110  Herdegen (Fn. 54), WM 2005, 1921 (1929); Schürnbrand (Fn. 54), JZ 2007, 910 (916); Martin Franzen, Heininger und die Folgen – ein Lehrstück Gemeinschaftsprivatrecht, JZ 2003, 321 (327). 111  Canaris, in: FS Bydlinski (Fn. 6), S. 47, 87 ff. 112  Perner (Fn. 22), S. 108 f. 113  Martin Nettesheim, in: Eberhard Grabitz/Meinhard Hilf/Martin Nettesheim (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, Art. 288 AEUV (Stand: 60. Lieferung Okt. 2016), Rn. 41; Franz, Europarecht, 2. Aufl. 2016, Rn. 9. 114  „Direct applicability; applicabilité directe“. 115  S. vorher auch schon EuGH, Urt. v. 15. 7. 1964, C-6/64, EU:C:1964:66, Slg. 1964, 1259, 1269 ff. – Costa/E.N.E.L. 116  EuGH, Urt. v. 15. 7. 1964, C-6/64, EU:C:1964:66, Slg. 1964, 1259, 1270 – Costa/ E.N.E.L.; Werner Schroeder, in: Rudolf Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018,

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tung bezieht sich auf alle Rechtsquellen des Unionsrechts einschließlich europäischer Richtlinien. Diese Grundsätze wurden in der Simmenthal-II-Entscheidung weiterentwickelt. Einer monistischen Sichtweise folgend gelten europäische Normen unmittelbar in den Mitgliedstaaten.117 Dass bereits die unmittelbare Geltung einer Richtlinie die Pflicht zur richtlinienkonformen Auslegung auslöst, zeigt sich auch darin, dass eine Vorwirkung der Richtlinie anerkannt wird, die bereits dann einsetzt, wenn die Richtlinie in Kraft, aber die Umsetzungsfrist noch nicht abgelaufen ist.118 Dogmatisch bilden damit nationales Recht und die Richtlinie eine Gesamtrechtsordnung.119 Auch wenn die Richtlinie selbst keine unmittelbare Drittwirkung zwischen den Bürgern entfaltet, kann sie aber mittelbar Geltung beanspruchen, denn nach Art. 288 Abs. 3 AEUV ist sie für jeden Mitgliedstaat verbindlich. Erst daraus lässt sich Verpflichtung ableiten, das nationale Recht teleologisch im Lichte der Richtlinie auszulegen. c)  Das Telos („im Lichte“) der Richtlinie als Bezugsgröße der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung Schon vor gut zwanzig Jahren wurde dogmatisch die Verpflichtung des Mitgliedstaates begründet, dass sich die Wertentscheidung der Richtlinie in unvollkommener Form auch im nationalen Recht wiederfinden muss.120 Dazu lässt sich

Art. 288 AEUV, Rn. 36. A.A. für Richtlinien Eckart Klein, Unmittelbare Geltung, Anwendbarkeit und Wirkung von Europäischem Gemeinschaftsrecht, 1988, S. 11; Alina Berger, Anwendungsvorrang und nationale Verfassungsgerichte, 2015, S. 52; Bydlinski (Fn. 54), JBl. 2015, 2 (7). Von Beachtungsvorrang spricht Carsten Herresthal, Rechtsfortbildung im europarechtlichen Bezugsrahmen, 2006, S. 168. 117  EuGH, Urt. v. 9. 3. 1978, C-106/77, EU:C:1978:49, Rn. 8 ff.– Simmenthal II. 118  EuGH, Urt. v. 18. 12. 1997, C-129/96, EU:C:1997:628, Rn. 48 – Inter-Environnement; EuGH, Urt. v. 4. 7. 2006, C-212/04, EU:C:2006:443, Rn. 121 – Adeneler; hierzu Schroeder, in: Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, Art. 288 AEUV, Rn. 68 f. 119  Canaris, in: FS Bydlinski (Fn. 6), S. 47, 85, 87 ff.; Roth/Jopen, in: Riesenhuber (Fn. 51), § 13, Rn. 50; Herresthal, Rechtsfortbildung im europarechtlichen Bezugsrahmen, 2006, S. 224; Alexander Drexler, Die richtlinienkonforme Interpretation in Deutschland und Frankreich, 2012, S. 176. 120  So bereits Möllers (Fn. 9), EuR 1998, 20 (45); ders., Die Rolle des Rechts im Rahmen der europäischen Integration, 1999, S. 72; ders./Möhring (Fn. 92), JZ 2008, 919 (921 ff.); zustimmend York Schnorbus, Die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung im nationalen Privatrecht, AcP 201 (2001), 860 (896); Roth/Jopen, in: Riesenhuber (Fn. 51), § 13, Rn. 57; ähnlich Carsten Herresthal, Voraussetzungen und Grenzen der gemeinschaftsrechtskonformen Rechtsfortbildung, EuZW 2007, 396 (400); ders., Die richtlinienkonforme und die verfassungskonforme Auslegung im Privatrecht, JuS 2014, 289 (292).

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das Bild vom „Hin- und Herwandern des Blickes“ nutzen.121 Teleologisch ist entscheidend, ob das nationale Recht im Lichte des europäischen Rechts ausgelegt werden kann. Die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung verharrt somit nicht in der bisherigen nationalen Systematik und erzwingt nicht das Auslegungsergebnis der Richtlinie. Dogmatisch ist die Übereinstimmung von Richtlinie und nationaler Norm als Auslegungsziel und damit bereits auf der Ebene der Inhaltsbestimmung der nationalen Norm zu berücksichtigen. Die teleologische Auslegung ist zweistufig, weil zunächst die Prämisse, die Zweckbehauptung, mit Argumenten verteidigt werden muss, um dann die Konsequenzen für die Interpretation zu entwickeln.122 Man kann insoweit auch von einem normsystemimmanenten Telos sprechen.123 Damit ist die Suche nach dem Telos nur eine Prämisse, die durch weitere Argumentationsfiguren gestärkt werden muss.124 Wenn aber die Richtlinie Teil der Gesamtrechtsordnung ist und die richtlinienkonforme Auslegung das Hin- und Herwandern zwischen nationalem Recht und Richtlinie erfordert, dann ist maßgebliches Regelungsziel nicht mehr die nationale Norm, sondern die Richtlinie. Die Frage nach der Lücke, dem Beurteilungsspielraum oder dem Normzweck muss deshalb die Richtlinie in die Argumentation mit einbeziehen. Es kommt zwar zu einer Neuinterpretation der Norm, aber unter Hinzuziehung des Auslegungsergebnisses der geltenden Richtlinie durch den EuGH. Wenn man den obigen Überlegungen folgt, dass nationales Recht und die Richtlinie eine Gesamtrechtsordnung darstellen, dann führt dies mangels unmittelbarer horizontaler Drittwirkung mitnichten dazu, dass die Regelungen des europäischen Rechts automatisch zu beachten sind. Vielmehr gilt weiterhin die Contra-legem-Grenze, allerdings mit eingeschränktem Umfang. Unrichtig ist dann aber die noch weit verbreitete These, dass sich die richtlinienkonforme Auslegung ausschließlich am Wertungsplan des nationalen Rechts ausrichtet.125 121  Karl Engisch, Logische Studien zur Gesetzesanwendung, 3. Aufl. 1963, S. 15; zustimmend etwa Martin Kriele, Theorie der Rechtsgewinnung, 2. Aufl. 1976, S. 197; Josef Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, 2. Aufl. 1972, S. 79; Bydlinski, Juristische Methodenlehre und Rechtsbegriff, S. 421 f.; ähnlich auch Canaris, in: FS Bydlinski (Fn. 6), S. 47, 97; Pfeiffer (Fn. 92), NJW 2009, 412 (413): Pendelblick zwischen nationalem Recht und dem maßgebenden Richtlinienrecht. 122  Martin Morlok, in: Gottfried Gabriel/Rolf Gröschner (Hrsg.), Subsumtion, 2012, S. 179, 204. Eine Folgerung ist die Rechtsfortbildung durch Analogie oder teleologische Reduktion, um den Normzweck zu verwirklichen. 123  Josef Franz Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, 2005, S. 160 ff. Vorher schon Klaus Stern, in: ders., Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. III/2, 1994, S. 1663. 124  Friedrich Müller/Ralph Christensen, Juristische Methodik, Bd. II, 3. Aufl. 2013, Rn. 103; Sebastian A. E. Martens, Methodenlehre des Unionsrechts, 2013, S. 457, 461. 125  S. die Autoren in Fn. 52.

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d)  Die neueste Entwicklung von BGH und BVerwG – das Telos der Richtlinie als Bezugsgröße der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung Erfreulicherweise übernehmen inzwischen verschiedene höchste Gerichte – wenn auch noch tastend und vorsichtig – die Perspektive, die der Autor bereits vor 20 Jahren vorgetragen hat.126 So schreiben etwa das BVerwG und der BGH: „Eine planwidrige Regelungslücke ist nicht nur dann gegeben, wenn Wertungswidersprüche zwischen zwei innerstaatlichen Normen bestehen“.127 Und noch deutlicher: „Die Richtlinie dient damit zugleich als Maßstab der Lückenfeststellung sowie der Lückenschließung.“128 Damit wird man fragen müssen, in welchem Umfang das nationale Recht durch die Wertungen der Richtlinie „um-“ oder „neuinterpretiert“ werden kann. Die Lücke ergibt sich danach aus der unzureichenden Umsetzung des europäischen Rechts durch den nationalen Gesetzgeber.129 4.  Rechtsdogmatische Stimmigkeit des Systems Die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung ist rechtsdogmatisch stimmig: Sie passt einerseits zur verfassungskonformen Rechtsfortbildung und andererseits in die europäische Trias zwischen richtlinienorientierter Auslegung und primärrechtskonformer Rechtsfortbildung. Die Richtlinie wurde mit den Stimmen des Mitgliedstaates im Rat und dem Europäischen Parlament beschlossen; sie ist ohne Zweifel demokratisch ausreichend legitimiert. Akzeptiert man diesen Umstand und das Bild der drei Herren, erscheint es auch folgerichtig, die Rechtsdogmatik und nationale Methodik zu den Grenzen der Rechtsfortbildung zur Auflösung des Spannungsverhältnisses anzupassen. a)  Stimmigkeit mit dem nationalen System – die verfassungskonforme Rechtsfortbildung Auch im Verfassungsrecht kann höherrangiges Recht zu einer Rechtsfortbildung gegen den Wortlaut zwingen, so dass die verfassungskonforme Rechts-

126 

S. oben Fn. 9. Urt. v. 7. 5. 2014, IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101, Rn. 23 – Widerruf von Lebensversicherung 128  BGH, Urt. v. 7. 5. 2014, IV ZR 76/11, BGHZ 201, 101, Rn. 23 – Widerruf von Lebensversicherung; zustimmend BVerwG, Urt. v. 31. 1. 2017, 6 C 2.16, BVerwGE 157, 249, Rn. 26 – Preisanpassung TKG. 129  Herresthal, Rechtsfortbildung im europarechtlichen Bezugsrahmen (Fn. 116), S. 114 Fn. 48; Drexler, Die richtlinienkonforme Interpretation in Deutschland und Frankreich (Fn. 119), S. 174 f. 127  BGH,

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fortbildung statthaft ist.130 Am deutlichsten wird die verfassungskonforme Rechtsfortbildung heute immer noch mit der Entscheidung des BGH über den Schmerzensgeldanspruch bei Persönlichkeitsverletzung, in welcher der BGH gegen Wortlaut und Willen des Gesetzgebers131 einen Schmerzensgeldanspruch bei einer Persönlichkeitsverletzung entwickelte. In der Literatur wurde diese Rechtsprechung als unzulässige Rechtsfortbildung contra legem kritisiert und gefordert, dass stattdessen das BVerfG die jeweils zu prüfende Norm hätte verwerfen müssen.132 In der Soraya-Entscheidung hatte sich das BVerfG ausdrücklich zu einem Wertewandel und dem geänderten Verständnis der Normen bekannt.133 Auch im Rahmen von Generalklauseln zwingt das deutsche BVerfG die Zivilgerichte, ihre Rechtsprechung zu korrigieren: Prominentes Beispiel ist die Rechtsprechung zur Bürgschaft gegenüber Angehörigen, in welchem das BVerfG gerade nicht am Grundsatz „pacta sunt servanda“ festhielt.134 b)  Die Stimmigkeit des europäischen Systems bei der Durchsetzung europäischen Rechts in den Mitgliedstaaten Die richtlinienkonforme Interpretation bewegt sich zwischen primärrechtskonformer und richtlinienorientierter Auslegung. Sie ist mehr als die richtlinienorientierte Interpretation, weil der Anwendungsbereich der Richtlinien zwingend vom Mitgliedstaat umgesetzt werden muss, während dies im überschießenden Bereich außerhalb des Anwendungsbereichs gerade nicht gilt.135 Folglich konn130 Ausführlich Möllers, Juristische Methodenlehre (Fn. 28), § 7, Rn. 55 ff.; ders., Die Trias von verfassungsorientierter und verfassungskonformer Auslegung sowie der verfassungskonformen Rechtsfortbildung, in: Festschrift für Christoph Vedder, 2017, S. 721 ff. 131  Prot. II, S. 573 f., 640 f.; im Unterschied zum § 704 Abs. 2 des 1. Entwurfs eines BGB. RG, Urt. v. 7. 11. 1908, I 638/07, RGZ 69, 401, 403 – Nietzsche-Briefe: „Ein allgemeines subjektives Persönlichkeitsrecht ist dem geltenden bürgerlichen Rechte fremd.“ 132 Konsequent kritisch zu dieser verfassungskonformen Rechtsfortbildung Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (Fn. 28), S. 426 ff.; Claus-Wilhelm Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, 2. Aufl. 1983, S. 187 f.; Christian Hillgruber, Richterliche Rechtsfortbildung als Verfassungsproblem, JZ 1996, 118 (119 ff.); Georg Hermes, Verfassungsrecht und einfaches Recht – Verfassungsgerichtsbarkeit und Fachgerichtsbarkeit, VVDStRL 61 (2002), 119 (131 f.); Jörg Neuner, Die Rechtsfindung contra legem, 2. Aufl. 2005, S. 130 f.; Uwe Diederichsen, Die Selbstbehauptung des Privatrechts gegenüber dem Grundgesetz, Jura 1997, 57 (59 ff.). 133  BVerfG, Beschl. v. 14. 2. 1973, 1 BvR 112/65, BVerfGE 34, 269, 288 – Soraya. 134 BVerfG, Beschl. v. 19. 10. 1993, 1 BvR 567/89 u.a., BVerfGE 89, 214, 231 ff. – Bürgschaftsverträge. Zur früheren Rechtsprechung s. etwa BGH, Urt. v. 9. 1. 1989, IX ZR 124/88, BGHZ 106, 269, 272; BGH, Urt. v. 24. 11. 1992, XI ZR 98/92, BGHZ 120, 272 ff.; Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Besonderer Teil, Bd. II/2 (Fn. 7), S. 9 f. S. ausführlich Möllers, Juristische Methodenlehre (Fn. 28), § 7, Rn. 57 ff. 135  Mathias Habersack/Christian Mayer, in: Riesenhuber (Fn. 51), § 14, Rn. 45 ff.; Möllers, Juristische Methodenlehre (Fn. 28), § 8, Rn. 90 ff.

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te der OGH diskutieren, ob das „ausbrechende Auslegungsergebnis“ des EuGH auch dem Willen des nationalen Gesetzgebers entsprach.136 Die richtlinienkonforme Interpretation ist aber methodisch weniger als der Anwendungsvorrang und die primärrechtskonforme Interpretation, weil dieser zur Folge hat, dass das europäische Recht unmittelbar angewendet werden muss. Entscheidend ist die Prämisse, dass die europäischen Richtlinienvorgaben mit dem Telos und dem System des nationalen Rechts kompatibel sind. In weiten Bereichen kommt es durchaus zu einer faktischen horizontalen Drittwirkung. Der nationale Richter muss sein Recht unter den Vorgaben des EuGH neu interpretieren. Das ist Rechtsfortbildung. Gegebenenfalls sind Tatbestandsmerkmale zu derogieren, wie dies im deutschen Recht beim Staatshaftungsanspruch137 und bei der Rückforderung rechtswidrig erhaltener Beihilfen138 der Fall ist. Die hier vertretene Ansicht setzt auch nicht die Wirkung einer Richtlinie mit einer horizontalen Drittwirkung gleich,139 weil weiterhin die Contra-legem-Grenze und die nationale Dogmatik zur Anwendung kommen.

IV.  Folgerungen 1.  Rechtsfortbildung des EuGH als Überraschungsakt Rechtsfortbildung ist immer überraschend und kündigt sich grundsätzlich nicht an.140 Das gilt auch für die Entscheidungen des EuGH, die ggf. den nationalen Richter zwingen, seine bisherige Rechtsansicht aufzugeben. Die Rechtsfortbildung passt oft nicht in die bisherige Dogmatik des nationalen Rechts; der nationale Gesetzgeber hofft, bestimmte Rechtsinstitute zu erhalten. Die Rechtsfortbildung erzwingt nun einen „Schwenk um 180 Grad“; ein typisches Element der Rechtsfortbildung.141 Dieses Phänomen ist aber, wie gerade bei der verfassungskonformen Rechtsfortbildung gesehen, nicht vollständig unbekannt.

136  OGH, Urt. v. 25. 3. 2014, 9 Ob 64/13x, ÖJZ 2014, 612 unter 4.10 – Einbaukosten zwischen Unternehmen. 137  BGH, Urt. v. 13. 11. 2001, X ZR 134/00, BGHZ 149, 165, 173. 138  BVerwG, Urt. v. 17. 2. 1993, 11 C 47/92, BVerwGE 92, 81 – Rückforderung von rechtswidrigen Beihilfen. 139  So aber Franzen, JZ 2003, 321 (327); Schürnbrand (Fn. 54), JZ 2007, 910 (913); Gsell (Fn. 52), JZ 2009, 522 (524); dies., Zivilrechtsanwendung im Europäischen Mehrebenensystem, AcP 214 (2014), 99 (138). 140  Eine Ausnahme sind die gewandelten Lebensverhältnisse, die Anlass zur Rechtsfortbildung geben, etwa beim Schutz des Persönlichkeitsrechts oder der nichtehelichen Lebensgemeinschaft, s. Möllers, Juristische Methodenlehre (Fn. 28), § 13, Rn. 44 ff. 141  Zur Definition s. oben I.2.b).

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2.  Die Verschiebung der Contra-legem-Grenze a)  Ein bewegliches System der klassischen Auslegungsfiguren zur Neubestimmung der Grenze zulässiger richtlinienkonformer Rechtsfortbildung Nach der hier vertretenen Ansicht sind bei der richtlinienkonformen Rechtsfortbildung historische, systematische und teleologische Argumente im nationalen und europäischen Kontext zu verbinden. Dies erlaubt eine Weiterentwicklung der nationalen Rechtsfiguren, die zu den Grenzen zulässiger Rechtsfortbildung entwickelt wurden.142 Zu Lasten und gegen die Rechtsfortbildung sprechen im Strafrecht und in der Eingriffsverwaltung der Wortlaut. Der Wille des nationalen Gesetzgebers ist nur beachtlich, wenn er eine Umsetzung ablehnt; dies hat er deutlich zum Ausdruck zu bringen.143 Ansonsten bildet der Wortlaut gerade keine unzulässige Grenze der Rechtsfortbildung. Wie gezeigt, ist die ganze Diskussion zur Gewaltentrennung von Legislative und Judikative im europäischen Mehrebenensystem wenig überzeugend.144 Systematische Überlegungen haben das europäische Recht zu berücksichtigen. Beurteilungsspielräume sind also europäisch zu beantworten. Nach der hier vertretenen Ansicht ist das Telos einer Richtlinie entscheidend, das zunächst als Prämisse durch Argumentationsfiguren bestätigt werden muss.145 Bezieht man dieses mit ein, lassen sich unschwer Argumentationsfiguren wie Beurteilungsspielraum, Lücke etc. begründen. Entscheidend ist vor allem die Überlegung, dass erst ein Zusammenspiel mehrerer Argumentationsfiguren zum überzeugenden Ergebnis führt. Bezieht man das Telos der Richtlinie mit ein, nähert sich die richtlinienkonforme Rechtsfortbildung der primärrechtskonformen Rechtsfortbildung an: Wenn es das Ziel ist, den Regelungszweck der Richtlinie zu erreichen, treten die formalen Argumentationsfiguren zur Begrenzung der Rechtsfortbildung in den Hintergrund. Logischerweise ist dann die Derogation von Tatbestandsmerkmalen146 ebenso möglich wie die teleologische Reduktion auf Null147 oder die Begründung einer Analogie.148 Folgenorientiert ist zu berücksichtigen, dass der nationale Gesetzgeber nicht alle Konkretisierungsschritte 142  Für eine Grafik der einschlägigen Argumentationsfiguren s. Möllers, Juristische Methodenlehre (Fn. 28), § 13, Rn. 118. 143  S. sogleich IV.3.b). 144  S. oben II.2.b). 145  S. oben III.3. 146  Roth/Jopen, in: Riesenhuber (Fn. 51), § 13, Rn. 65. 147  BGH, Urt. v. 26. 11. 2008, VIII ZR 200/05, BGHZ 179, 27, 38 f., Rn. 29 – Quelle; BGH, Urt. v. 21. 12. 2011, VIII ZR 70/08, BGHZ 192, 148, Rn. 26 – Fliesen; zustimmend Roth/Jopen, in: Riesenhuber (Fn. 51), § 13, Rn. 65. 148  BVerwG, Urt. v. 31. 1. 2017, 6 C 2.16, BVerwGE 157, 149, Rn. 29 – Preisanpassung TKG.

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des EuGH voraussehen konnte.149 Zudem will er wohl nur ausnahmsweise ein Vertragsverletzungsverfahren und einen Staatshaftungsanspruch riskieren. Folgenorientiert lässt sich fragen, in welchem Umfang die Richtlinie Rechte des Bürgers gewährt und umgekehrt durch eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung Ansprüche der Gegenseite tangiert werden. Gegebenenfalls kann das berechtigte Vertrauen die Rechtsfortbildung begrenzen.150 3.  Die Contra-legem-Grenze als Grenze zulässiger Rechtsfortbildung Noch nicht vollständig geklärt ist, was die Contra-legem-Grenze nach der hier vertretenen europäischen Perspektive eigentlich bedeutet. a)  Die Neudefinition der Contra-legem-Grenze Eine Rechtsfortbildung contra legem soll zum Teil schon bei einer Überschreitung des Wortlautes bestehen.151 Dem steht entgegen, dass die ganz herrschende Ansicht die Wortlautgrenze nicht als Grenze zulässiger Rechtsfortbildung ansieht.152 Nach anderer Ansicht sollen der eindeutige Wortlaut und der eindeutig feststellbare Zweck des nationalen Rechts die Contra-legem-Grenze bilden.153 Wenn aber europäisches Recht einzubeziehen ist, ist das wenig überzeugend.154 Nach Larenz liegt die Contra-legem-Grenze erst dann vor, wenn eine gesetzesübersteigende Rechtsfortbildung nicht mehr mit spezifisch rechtlichen Erwägungen begründet werden kann.155 Allerdings können nach seiner Ansicht selbst dann sehr schwerwiegende (rechtliche) Gründe eine solche Rechtsfortbildung rechtfertigen.156 Neuner weitet den Bereich zulässiger Rechtsfortbildung contra legem weiter aus. Sie soll zulässig sein bei Rechtsnotstand157 oder Verstößen gegen das Willkürverbot, Änderungen der Normsituation, Wandlungen im Wertungsgefüge der Rechtsordnung oder krassen Beeinträchtigungen der Einzelfallgerechtigkeit.158 149 

S. oben III.1.a). sogleich IV.3.d). Zu einer vergleichbaren Abwägung im Rahmen klassischer Rechtsfortbildung s. Möllers, Juristische Methodenlehre (Fn. 28), § 13, Rn. 67 ff. 151 GA Bot, SchlA v. 25. 11. 2015, C-441/14, EU:C:2015:776, Rn. 68. – Dansk Industrie. 152  Kainer (Fn. 20), GPR 2016, 262 (265). S. Möllers, Juristische Methodenlehre (Fn. 28), § 13, Rn. 15 ff. 153  Canaris, in: FS Bydlinski (Fn. 6), S. 47, 92. 154  Zu dem Versuch, Ausnahmen zu definieren, s. Grundmann (Fn. 9), ZEuP 1996, 399 (420); Riesenhuber/Domröse (Fn. 22), RIW 2005, 47 (53). 155  Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (Fn. 28), S. 427. 156  Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (Fn. 28), S. 367, 427 f.; Neuner (Fn. 132), Die Rechtsfindung contra legem, S. 139 ff., 187 ff. Fn. 31. 157  Larenz/Canaris, Methodenlehre der Rechtswissenschaft (Fn. 102), S. 251. 158  Neuner, Die Rechtsfindung contra legem (Fn. 132), S. 148 ff. 150 S.

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Eine Rechtsfortbildung als contra legem zu bezeichnen, sie dann aber doch für ausnahmsweise zulässig zu erklären, ist irreführend. Denklogisch stört schon, eine Contra-legem-Grenze zu postulieren, dann aber so viele Ausnahmen zuzulassen, dass von der Regel kaum noch etwas übrig bleibt: Die erstrebte Verbesserung der Methodenklarheit und Methodenehrlichkeit gelingt so schwerlich.159 In Abgrenzung zu Larenz und Neuner soll der Begriff der Rechtsfortbildung contra legem deshalb nur verwendet werden, wenn die Rechtsfortbildung ausnahmslos unzulässig ist.160 Sie ist insoweit neu zu bestimmen und liegt nur vor, wenn eine der folgenden Fallgruppen eingreift. b)  Der klar erkennbar entgegenstehende konkrete Wille des nationalen Gesetzgebers Wenn sich der nationale Gesetzgeber bewusst über das europäische Recht hinwegsetzt, ist eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung nicht möglich. Gleiches gilt, wenn der Gesetzgeber die Fallkonstellation nicht regeln wollte.161 Der 8. Senat des BGH, der die Quelle- und die Fliesen-Entscheidung zu verantworten hat, hat jüngst eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung abgelehnt. Der EuGH hatte festgestellt, dass das deutsche Preisänderungsrecht der Gasversorger gegen die Transparenzanforderungen der Richtlinie verstoße.162 Der 8. Senat erwog, eine Rechtsfortbildung zu verneinen, weil der Gesetzgeber die Transparenzregelungen nicht selber regeln, sondern die Regelung dem Verordnungsgeber überlassen wollte.163 Im Ergebnis kam er aber durch eine ergänzende Vertragsauslegung zum selben Ergebnis. An dem Urteil lässt sich kritisieren, dass der BGH bei konsequenter Anwendung der obigen Formel, „dass ausgeschlossen werden kann, dass der Gesetzgeber die Regelung in gleicher Weise getroffen hätte, wenn ihm be159  So die Kritik von Bydlinski (Fn. 160), in: Koller u.a., Einheit und Folgerichtigkeit im juristischen Denken, 1998, S. 27, 32 mit zahlreichen weiteren Argumenten. 160  So etwa die Definition von Franz Bydlinski, Über die lex-lata-Grenze der Rechtsfindung, in: Ingo Koller u.a. (Hrsg.), Einheit und Folgerichtigkeit im Juristischen Denken, 1998, S. 27, 28; Möllers (Fn. 9), EuR 1998, 20 (42 ff.); ders., in: FS G. Roth, 2011, S. 473, 478; Peter Schwacke, Juristische Methodik, 5. Aufl. 2011, S. 123; Patrick Meier/ Felix Jocham, Rechtsfortbildung – Methodischer Balanceakt zwischen Gewaltenteilung und materieller Gerechtigkeit, JuS 2016, 392 (394); in diese Richtung auch Schulte-Nölke/ Busch, in: FS Canaris (Fn. 86), S. 795, 808; so wohl auch der EuGH, Urt. v. 4. 7. 2006, C-212/04, EU:C:2006:443, Rn. 110 f. – Adeneler. Zu einer funktionalen Bestimmung der contra-legem-Grenze s. auch BAG, Urt. v. 24. 3. 2009, 9 AZR 983/07, BAGE 130, 119, Rn. 65 – Urlaubsentgelt. 161  S. oben Fn. 99 f. 162  EuGH, Urt. v. 23. 10. 2014, C359/11 u.a., EU:C:2014, 2317, Rn. 53. 163  BGH, Urt. v. 28. 10. 2015, VIII ZR 158/11, NJW 2016, 1718, 1722, Rn. 44 – Preis­ anpassungsklausel; zustimmend BVerfG, Kammerbeschl. v. 17. 11. 2017, 2 BvR 1131/16, NJW-RR 2018, 305, Rn. 38 – Preisanpassung TKG.

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kannt gewesen wäre, dass sie nicht richtlinienkonform ist,“164 zu einem gegenteiligen Ergebnis hätte kommen müssen.165 In solchen Fällen ist dann auch die Bejahung des unionsrechtlichen Staatshaftungsanspruchs sachgerecht, weil sich der nationale Gesetzgeber gegen die Vorgaben des demokratisch legitimierten Unionsgesetzgebers stellt und bei einem vorsätzlichen Handeln auch ein hinreichend schwerer Verstoß gegen die Umsetzungspflicht vorliegt.166 c)  Bruch mit der grundlegenden Systematik und den grundlegenden Wertungen des nationalen Zivilrechts Eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung ist zudem nicht möglich, wenn sich der Wille, europäisches Recht umzusetzen, nicht als Wertentscheidung im nationalen Gesetz wiederfindet und eine richtlinienkonforme Rechtsfortbildung im nationalen Recht zu einem erheblichen Systembruch führen würde. Dann spricht man von einem geschlossenen System und eine Rechtsfortbildung würde die Grundkonzeption des Gesetzgebers ändern. Beispiele bilden etwa Trennung zwischen Verschuldens- und Gefährdungshaftung im deutschen Zivilrecht.167 Nachdem das BAG in der Harz-Entscheidung einen Schmerzensgeldanspruch wegen Persönlichkeitsverletzung gem. § 823 Abs. 1 BGB anerkannt hatte,168 stellte sich die Frage, ob auch auf das Verschuldensmerkmal in § 823 Abs. 1 BGB verzichtet werden könnte. Dies lehnte das BAG in der Kalanke-Entscheidung mit deutlichen Worten ab.169 Das war auch sachgerecht und hätte eine unzulässige Rechtsfortbildung contra legem bedeutet, weil dem BGB als Generalklausel ein allgemeiner Gefährdungstatbestand fremd ist.170 Eine Streichung des Verschul164  BGH, Urt. v. 26. 11. 2008, VIII ZR 200/05, BGHZ 179, 27, Rn. 25 – Quelle; BGH, Urt. v. 21. 12. 2011, VIII ZR 70/08, BGHZ 192, 148, Rn. 34 – Fliesen. BVerwG, Urt. v. 31. 1. 2017, 6 C 2.16, BVerwGE 157, 249, Rn. 29 – Preisanpassung TKG. 165  Kritisch wohl auch Karl Riesenhuber, LMK 2016, 375867: Der Senat hätte aber zuvor prüfen müssen, ob er das in der Vorschrift des § 4 I und II AVBGasV begründete Preisanpassungsrecht derogieren kann. 166  Carsten Herresthal, in: Katja Langenbucher (Hrsg.), Europäisches Privat- und Wirtschaftsrecht, 3. Aufl. 2013, § 2, Rn. 182 Fn. 579; Möllers/Möhring (Fn. 92), JZ 2008, 919 (923). 167  Möllers, Juristische Methodenlehre (Fn. 28), § 13, Rn. 29 ff. 168  BAG, Urt. v. 14. 3. 1989, 8 AZR 447/87, BAGE 61, 209, 212 ff. – Harz. 169  BAG, Urt. v. 5. 3. 1996, 1 AZR 590/92, BAGE 82, 211, 230 – Kalanke (Bremer Frauenquote): „Eine gemeinschaftsrechtskonforme Auslegung der §§ 823, 847 BGB [jetzt: §§ 823, 253 Abs. 1 BGB], wonach in Fällen der Diskriminierung auf ein Verschulden zu verzichten wäre, ist nicht möglich.“ 170  RG, Urt. v. 11. 1. 1912, VI 86/11, RGZ 78, 171, 172 – Luftschiffer; BGH, Urt. v. 29. 4. 1960, VI ZR 113/59, NJW 1960, 1345, 1346 – Schlepplift (Analogie zum HaftPflG

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densmerkmals wäre systemfremd gewesen und hätte das Haftungsregime des BGB gesprengt. d)  Allgemeine Rechtsprinzipien, insbesondere Vertrauensschutz des belastenden Bürgers Bereits in der Kolpinghuis Nijmegen-Entscheidung hatte der EuGH festgestellt, dass auch bei der Umsetzung einer Richtlinie die allgemeinen Grundsätze zu beachten seien, sodass eine Richtlinie ohne Umsetzungsakt keine strafrechtliche Sanktionen hervorrufen kann.171 In der Adeneler-Entscheidung hatte der EuGH als Grenze der Rechtsfortbildung noch das Rückwirkungsverbot und den Vertrauensschutz angesprochen.172 Tatsächlich können die beiden Prinzipien dazu führen, dass die Gerichte Änderungen ihrer Rechtsprechung erst ankündigen oder aber nur für die Zukunft (ex nunc) aussprechen.173 Grundsätzlich muss sich der Bürger darauf einstellen, dass sich die Rechtsprechung ändern kann; denkbar ist aber ein Vertrauensschutz, wenn Grundrechte massiv beeinträchtigt würden. In einer Entscheidung zum irischen Recht hatte der EuGH akzeptiert, dass eine Rückwirkung zulasten des Bürgers nicht möglich sei.174

V.  Ausblick Der Umfang der richtlinienkonformen Interpretation ist weiterhin offen: Wer den status quo und die nationale Fahne hochhält, wird jede Rechtsfigur nutzen, um eine weitere Rechtsfortbildung zu verneinen. Wenn man die richtlinienkonforme Interpretation im europäischen Kontext liest, hilft sie dem Gesetzgeber bei seiner unzureichenden Umsetzung der Richtlinie in das nationale Recht. Sie ist einfach und auch stimmig im Vergleich zu den anderen Argumentationsfiguren des höherrangigen Verfassungs- und Europarechts. Sie verdrängt im Zweifel entgegenstehende Argumentationsfiguren, weil es darum geht, den Willen des nationalen Gesetzgebers optimal zu berücksichtigen, europäisches Recht richtig verneinend); Larenz/Canaris, Lehrbuch des Schuldrechts, Besonderer Teil, Bd. II/2 (Fn. 7), S. 602; Gerhard Wagner, in: MünchKomm-BGB, vor § 823, Rn. 25 f. 171  EuGH, Urt. v. 8. 10. 1987, 80/86, EU:C:1987:431, Rn. 13 – Kolpinghuis Nijmegen. 172  EuGH, Urt. v. 4. 7. 2006, C-212/04, EU:C:2006:443, Rn. 110 – Adeneler; BVerfG, Kammerbeschl. v. 26. 9. 2011, 2 BvR 2216/06 u.a., BVerfGK 19, 89, 104 – § 5 HWiG: in concreto verneinend; Thomas M. J. Möllers, Die unionskonforme und die richtlinienkonforme Interpretation, in: GS Wolf, 2011, S. 669, 682; Roth/Jopen, in: Riesenhuber (Fn. 51), § 13, Rn. 59. 173  Möllers, Juristische Methodenlehre (Fn. 28), § 3, Rn. 39 f. 174  EUGH, Urt. v. 5. 4. 2008, C-268/06, EU:2008:223, Rn. 102 f. – Impact. Zu einer umfangreichen Diskussion des Vertrauensschutzes s. BAG, Urt. v. 24. 3. 2009, 9 AZR 983/07, BAGE 130, 119, Rn. 71 ff. – Urlaubsentgelt.

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anzuwenden. Dazu ist der Zweck der Richtlinie in das nationale Recht „soweit wie möglich“ hineinzulesen, soweit die Wertungen mit denen des nationalen Rechts noch kompatibel sind. Mit einer eng verstandenen Contra-legem-Grenze erlaubt sie dem Richter weiterhin, auf die Besonderheiten des nationalen Rechts einzugehen.175

175 

Zur deliktsrechtlichen Generalklausel im BGB, s. gerade IV.3.c).

Jörn Axel Kämmerer: Das Memorandum of Understanding (MoU): Vom Eingang einer exotischen Rechtsfigur in das Europarecht

Das Memorandum of Understanding (MoU): Vom Eingang einer exotischen Rechtsfigur in das Europarecht Jörn Axel Kämmerer Jörn Axel Kämmerer Das Memorandum of Understanding (MoU): Vom Eingang einer exotischen Rechtsfigur in das Europarecht

I. Einleitung: MoU und die Intergouvernementalisierung der Finanzhilfen für EU-Mitgliedstaaten Ein gutes Jahrzehnt nach Ausbruch der Finanz- und Fiskalkrise wird man dem Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) zwar attestieren dürfen, dass er dazu beigetragen hat, die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion zu stabilisieren. Doch haben die Rettungsaktionen ihren Tribut gefordert: Nicht nur sind – wie gerade der Jubilar wiederholt beanstandete – die Regeln der Gründungsverträge über mitgliedstaatliche Verschuldung und Bail-out aus den Angeln gehoben worden.1 Hinzu kommt die Preisgabe der institutionellen Einheit der Union. Völkerrechtliche Verträge – neben dem ESMV2 sind der SKS-Vertrag3 und auch die intergouvernementale Vereinbarung zum einheitlichen Abwicklungsmechanismus der Bankenunion4 zu nennen – haben rechtliche Ordnungen jenseits der Gründungsverträge geschaffen, die sich als „Neben-“5 oder „Paraunionsrecht“6 apostrophieren lassen, und mit dem ESM überdies eine internationale Organisa1  Vgl. nur Helmut Siekmann, Missachtung rechtlicher Vorgaben des AEUV durch die Mitgliedstaaten und die EZB in der Schuldenkrise, in: Thomas M. J. Möllers/Franz-Christoph Zeitler (Hrsg.), Europa als Rechtsgemeinschaft – Währungsunion und Schuldenkrise, 2013, S. 101 (insbes. S. 124 ff., 156 f.). 2 Vertrag v. 2.  2. 2012 zur Einrichtung des Europäischen Stabilitätsmechanismus, BGBl. 2012 II Nr. 28, S. 981. 3  Vertrag v. 2. 3. 2012 über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschaftsund Währungsunion, BGBl. 2012 II Nr. 28, S. 1006. 4 Übereinkommen über die Übertragung von Beiträgen auf den einheitlichen Abwicklungsfonds und über die gemeinsame Nutzung dieser Beträge, BGBl. 2014 II Nr. 31, S. 1299. 5 Vgl. Andreas Fischer-Lescano/Lukas Oberndorfer, Fiskalvertrag und Unionsrecht – Unionsrechtliche Grenzen völkervertraglicher Fiskalregulierung und Organleihe, NJW 2013, 9 (10). 6  Jörn Axel Kämmerer, Verfassung im Nationalstaat: Von der Gesamtordnung zur europäischen Teilordnung?, NVwZ 2015, 1321 (1327).

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tion, deren Grundcharakter kein supranationaler, sondern ein intergouvernementaler ist. Dies spiegelt sich auch im institutionellen Gefüge wider: Die als „immer enger“ gedachte Union (Art. 1 Abs. 2 EUV) generiert Spin-offs, die in andernorts überwundene intergouvernementale Muster zurückfallen. Dieser Rückfall in den Intergouvernementalismus wäre hinnehmbar, wenn der ESM ein Übergangsphänomen wäre, das im Anschluss an die akute Krisenbewältigung in den Standby-Modus zurückfällt, oder seine Handlungen ohnedies intergouvernemental geprägt wären und in die Rechtssphäre Einzelner nicht hineinwirkten. Der ESM wurde jedoch als „ständiger Stabilitätsmechanismus“ (ESMV, erster Erwägungsgrund) geschaffen, so dass von einem Übergangsphänomen nicht die Rede sein kann, auch wenn nach Auszahlung der letzten ESM-Kredittranche an Griechenland7 (und Rückkehr der Hellenen zu den globalen Finanzmärkten) erstmals seit Einrichtung der europäischen „Rettungsschirme“ einstweilen kein Mitgliedstaat mehr am gemeinsamen Finanztropf hängen wird. Ob die Krisenbewältigung nachhaltig ist, ESM-Mittel also für Griechenland oder einen der anderen Programmstaaten nicht mehr benötigt werden, ist jedoch unsicher. Politische Überlegungen, den ESM noch auszubauen und zu einem Europäischen Währungsfonds (EWF) fortzuentwickeln,8 unterstreichen dessen Permanenz. Überdies hat sich rasch erwiesen, dass die Konditionen (bzw., wie es im deutschen Text des Art. 136 Abs. 3 AEUV juristisch ungenau heißt, „strengen Auflagen“) finanzieller Unterstützung, wiewohl völkerrechtlich ausgehandelt, sehr wohl in die nationalen Rechtsräume hineinstrahlen, vor allem dort, wo sie sich in Grundrechtsbeschränkungen durch die Programmstaaten manifestieren. Gerade vor dem Hintergrund solcher Grundrechtsbeschränkungen, ihrer Mitveranlassung durch intergouvernementale Strukturen und damit verbundener Verkürzungen der Rechtsschutzperspektiven wird die oft erhobene Forderung9 nach Rückführung des ESM in das Recht der Gründungsverträge verständlich. Da sie nicht ohne eine Änderung der Gründungsverträge im Verfahren nach Art. 48 EUV veranlasst werden könnte, dürfte mit ihr nicht in naher Zukunft zu rechnen sein. Es waren ja gerade die politischen und juristischen Hürden der Vertragsänderung, vor denen die Mitgliedstaaten auf ein intergouvernementales Instrumentarium auswichen. 7  Die letzte Tranche des dritten Pakets i. H. v. 15 Mrd. Euro wurde am 6. 8. 2018 an Griechenland ausgezahlt, ESM, Pressemitteilung v. 6. 8. 2018, abrufbar unter: https://www. esm.europa.eu/press-releases/esm-disburses-final-loan-tranche-%E2%82%AC15-billiongreece. 8  Europäische Kommission, Vorschlag für eine Verordnung des Rates über die Einrichtung des Europäischen Währungsfonds, COM(2017) 827 final v. 6. 12. 2017. 9  Mittlerweile auch vom Europäischen Parlament in seiner Entschließung v. 16. 2. 2017 zu möglichen Entwicklungen und Anpassungen der derzeitigen institutionellen Struktur der Europäischen Union, 2014/2248(INI), basierend auf dem sog. Verhofstadt-Report.

Das Memorandum of Understanding (MoU)

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Die Intergouvernementalisierung der Krisenbewältigung erschöpft sich nicht in völkerrechtlichen Mechanismen und Regeln, die neben die „eigenständigen“ des Unionsrechts treten. Sie bereitet auch den Boden für „hybride“10 und „weiche“ Gestaltungsmodi, deren (völker-)rechtliche Verbindlichkeit fehlt oder zumindest nicht unbestritten ist. Die Rede ist von Memoranda of Understanding (MoU): „commitments“ der Schuldnerstaaten, auf deren Basis der ESM über beantragte Kredite entscheidet. Auf den ersten Blick scheinen sie die hochpolitische Natur der intergouvernementalen Fiskalmechanismen zu bestätigen.11 Sie drohen zudem das in das Unionsrecht hineingetragene Problem – die verfahrensrechtliche Schutzlosigkeit Einzelner im Völkerrecht – noch zu verschärfen; denn Rechtsschutz gegen Regeln, die nicht verbindlich wirken, ist nicht eröffnet. Irrig wäre allerdings die Annahme, damit wäre der Politik gegenüber dem Recht freie Bahn eröffnet; denn der Rechtsschutz verlagert sich nur auf die mitgliedstaatliche Ebene, wo Einzelne gegen staatliche Maßnahmen, mit denen MoU umgesetzt werden, bis hoch zu den Verfassungsgerichten Schutz durch die Judikative suchen – und vielfach auch erhalten. Damit indes erwächst der EU ein Autoritätsproblem: In Ermangelung ausreichenden Rechtsschutzes wird die Wirksamkeit von Sparmaßnahmen durch die Justiz der Mitgliedstaaten selbst beschränkt; und deren Gerichte agieren hierbei, weil die Maßnahmen nicht supranational vereinbart worden sind und ein Rechtsschutz auf mehreren Ebenen nicht zur Verfügung steht, auch nicht unbedingt als funktionale Unionsgerichte.12 Vor diesem skizzierten Hintergrund will dieser Beitrag der Frage nachgehen, wie MoU rechtlich zu qualifizieren sind und welche Rechtsschutzperspektiven mit Blick auf die seit der Begründung des ESM ergangenen Urteile des EuGH direkt oder indirekt gegen sie eröffnet sind. Die Beantwortung dieser Frage ist nicht zuletzt eine Determinante für die in Aussicht genommene Weiterentwicklung des ESM zu einem EWF. Ihr gebricht es aber auch nicht mit Blick auf den ESM an Aktualität. Gewiss erledigt sich mit dem Auslaufen der Finanzhilfen an Griechenland13 unmittelbar die (in den MoU verkörperte) Konditionalität der Kreditgewährung. Zwar bleibt Griechenland für ein knappes halbes Jahrhundert noch Schuldner des ESM,14 doch solange keine weiteren Kredittranchen mehr zur Auszahlung bereitstehen, entfällt das Druckmittel ihrer Zurückbehaltung: 10 

Alexander Lorz/Heiko Sauer, Ersatzunionsrecht und Grundgesetz, DÖV 2012, 573. Andreas Fischer-Lescano, Troika in der Austerität – Rechtsbindungen der Unionsorgane beim Abschluss von Memoranda of Understanding, KritJ 2014, 2 (3 f.). 12  Peter Huber, in: Rudolf Streinz (Hrsg.), EUV/AEUV, 3. Aufl. 2018, Art. 19 EUV, Rn. 50. 13  Am 6. 8. 2018 wurde die letzte Tranche i. H. v. 15 Mrd. Euro an Griechenland ausgezahlt, ESM (Fn. 7). 14  Die Tilgung der letzten Tranche ist für den Zeitraum von 2043 bis 2060 vorgesehen, ESM Dibursements to Greece, https://www.esm.europa.eu/assistance/greece. 11 Vgl.

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Konditionen wären nicht durchzusetzen und infolgedessen auch nicht im Sinne des Art. 136 Abs. 3 AEUV strikt.15 Dass der griechische Patient in einer Weise stabilisiert ist, dass er nicht erneut an den gemeinschaftlichen Finanztropf angeschlossen werden muss und damit die Hilfsmaschinerie nicht erneut in Gang gesetzt werden muss, ist aber keineswegs sicher – und auch künftige Anträge anderer, bisher nicht betroffener Mitgliedstaaten liegen weiterhin im Bereich des Möglichen.

II. Finanzhilfen für Euro-Mitgliedstaaten: Harte Schale, weicher Rechtskern? 1. Vom EFSM zur EFSF: Entsupranationalisierung durch Einführung des MoU Finanzhilfen, die Programmstaaten ab 2010 unter dem EFSM gewährt wurden, waren als solche der Union noch supranational geprägt. Die EFSM-VO16 überließ es dem Rat, mit qualifizierter Mehrheit über den finanziellen Beistand und die erforderlichen Details zu entscheiden (Art. 3 Abs. 2 – Abs. 4). Laut Art. 3 Abs. 5 EFSM-VO legten „[d]ie Kommission und der begünstigte Mitgliedstaat […] in einer Vereinbarung die vom Rat festgelegten allgemeinen wirtschaftspolitischen Bedingungen fest.“17 Die englische Textfassung sprach hier von MoU. Bestimmt war auch, dass der Rat auf Vorschlag der Kommission über etwaige Änderungen an den ursprünglichen allgemeinen wirtschaftspolitischen Bedingungen beschließt und das vom begünstigten Mitgliedstaat vorgelegte überarbeitete Sanierungsprogramm „billigt“ (Art. 3 Abs. 7 EFSM-VO). Art. 3 Abs. 8 EFSM-VO stellte Kompatibilität mit dem Recht und der Vergabepraxis des IWF her. Mit der EFSF setzte zeitgleich die „Entsupranationalisierung“ der europäischen Finanzsolidarität ein, obwohl auch hier das Verfahren zweistufig war. Das MoU wurde verabredet zwischen der Kommission und dem Mitgliedstaat, der Finanzhilfe beantragt hat. Es bildete die Basis für weitere Vereinbarungen der 15  Für die Zeit nach Programmende sieht Erwägungsgrund 17 ESMV die Überwachung durch Kommission und Rat im Rahmen von Art. 121 und 136 AEUV vor. Dieser Überwachungsmechanismus kann jedoch einen Mitgliedstaat nicht zu Reformen verpflichten oder von der Rückgängigmachung der Reformen abhalten. S. dazu auch Ulrich Forsthoff, Fünf Jahre ESM – Entwicklungsperspektiven, EuZW 2018, 108 (116). 16  VO (EU) Nr. 407/2010 des Rates v. 11. 5. 2010 zur Einführung eines europäischen Finanzstabilisierungsmechanismus, ABl. Nr. L 118 S. 1, ber. ABl. 2012 Nr. L 188 S. 19. 17  Dass es sich bei dieser „Festlegung des Festgelegten“ um ein (recht grobes) Übersetzungsversehen handelt, zeigt der wesentlich feiner ziselierte französische Wortlaut: „La Commission et l‘État membre bénéficiaire concluent un protocole d‘accord reprenant, en détail, les conditions de politique économique générales fixées par le Conseil.“ (Kursive Hervorhebung des Verfassers).

Das Memorandum of Understanding (MoU)

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EFSF mit dem Mitgliedstaat über die Finanzhilfefazilität, der ein Vorschlag der Eurogroup Working Group zugrunde lag. Parallel dazu wurden Memoranden mit dem IWF vereinbart und mit den „europäischen“ MoU abgestimmt. Die mit dem IWF vereinbarten Memoranden gingen allerdings wesentlich stärker ins Detail und führten sehr konkrete Zahlen betreffend Haushaltskonsolidierung, Eigenkapital der Banken oder Kürzung der Beamtenpensionen an.18 Rechtsgrundlage dieser Maßnahmen ist der EFSF-Rahmenvertrag.19 Dennoch wies auch dieses Finanzhilfemodell noch eine beachtliche Zahl supranationaler „Einschlüsse“ auf: • Anknüpfungsbasis des MoU war entweder ein Ratsbeschluss nach Art.  136 Abs. 1 AEUV oder – alternativ – eine mit dem EFSM (als Einrichtung der Union) geschlossene Vereinbarung. • Die EFSF war als Hilfsaufstockungsmechanismus konzipiert und insofern zum EFSM akzessorisch.20 Damit strahlte das EFSM-Monitoring auch auf die EFSF aus. Dies galt für Maßnahmen nach Art. 126 Abs. 9 und Abs. 11 AEUV in einem Defizitverfahren, das parallel zur Finanzhilfegewährung fortgeführt werden konnte, in gleicher Weise.21 • Die Kommission agierte im Zusammenhang mit der EFSF nicht eindeutig in Organleihe. Hinzu kommt, dass die Vereinbarkeit von EFSF und EFSM mit Art. 125 AEUV sehr umstritten war und ist.22 Würde sie verneint, agierte die Kommission in der EFSF ultra vires; dann müssten ihre Handlungen in jedem Fall an den Gründungsverträgen gemessen werden können. 2. Das MoU im ESM Im ESM wird Supranationalität praktisch ganz verdrängt. Der ESM-Vertrag, dessen strukturelle Kompatibilität mit den Gründungsverträgen durch Art. 136 Abs. 3 AEUV sichergestellt wird, ist ein intergouvernementales, auch „nebenunionsrechtlich“23 genanntes Instrument. Dennoch werden beim Bewilligungsverfahren und bei der nachfolgenden Überwachung der Kommission Aufgaben 18 

Vgl. für Irland http://www.imf.org/external/np/loi/2010/irl/120310.pdf; vgl. für Griechenland https://www.imf.org/external/np/loi/2014/grc/051414.pdf. 19  Abrufbar über das Bundesfinanzministerium unter https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Downloads/Europa/Einleitungstext_Anlage_EFSF_Rahmen vertrag.pdf?__blob=publicationFile&v=3. 20 Vgl. Christian Calliess, Der ESM zwischen Luxemburg und Karlsruhe, NVwZ 2013, 97 (99). 21  Die Beschlüsse des EuG, Rs. T-541/10 und T-215/11, ADEDY, v. 27. 11. 2012, bezogen sich auf solche Akte. 22  Dazu ausführlich Siekmann, in: Möllers/ Zeitler (Fn. 1), S. 129 ff. 23 Vgl. Fischer-Lescano/Oberndorfer (Fn. 5).

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übertragen. Das vorgesehene Verfahren lehnt sich an das von der EFSF bekannte an (Art. 13 Abs. 3, 4 ESMV): Der Mitgliedstaat ersucht den ESM-Gouverneursrat um eine Finanzhilfe; dieser ersucht die Kommission, ein MoU auszuhandeln, und zwar „im Benehmen mit der EZB und nach Möglichkeit zusammen mit dem IWF“. Die Kommission unterzeichnet das MoU ebenfalls, allerdings nicht im Namen der EU, sondern im Namen des ESM. Dabei handelt es sich ebenso um eine Organleihe24 wie bei der Streitbeilegung durch den EuGH nach Art. 37 ESMV, die allerdings im AEUV als Option schon angelegt ist (Art. 273). Gleichzeitig, heißt es in Art. 13 Abs. 3 S. 3 ESMV, „arbeitet der Geschäftsführende Direktor des ESM einen Vorschlag für eine Vereinbarung über eine Finanzhilfefazilität aus, der unter anderem die Finanzierungsbedingungen sowie die gewählten Instrumente enthält und vom Gouverneursrat anzunehmen ist.“25 Parallel dazu wird ein Memorandum mit dem IWF vereinbart, das detaillierter gefasst scheint als vor Gründung des ESM.26 Aufgrund der konditionellen Verschränkung zwischen IWF- und EU- bzw. ESM-Hilfen können die jeweiligen Memoranden schwerlich getrennt voneinander betrachtet werden, sondern stellen funktional eine Einheit dar, was die rechtliche Zuordnung, aber auch die Suche nach Problemlösungen nicht unbedingt vereinfacht. 3. Rechtsnatur und Bindungswirkung der MoU a) Verträge oder „soft law“? Der Terminus „Memorandum of Understanding“ ist der Praxis des IWF entlehnt. Ein Mitgliedstaat verspricht dort in einem „letter of intent“ Reformen. Dem „letter“ werden üblicherweise Festlegungen technischer Art („technical MoU“) und ein weiteres „Memorandum of Economic and Fiscal Policies“ (MEFP) beigegeben.27 Wird der „letter“ vom Executive Board gutgeheißen, kann die Finanzhilfe, allerdings in Tranchen, fließen. Die Verwirklichung des angezeigten Reformprogramms ist grundsätzlich Voraussetzung für die Auszahlung der jeweils folgenden Tranche. Um einen rechtlichen Automatismus handelt es sich dennoch 24 

Fischer-Lescano/Oberndorfer (Fn. 5), 9 f. auf der anderen Seite an der Vereinbarung beteiligt ist, erwähnt der Vertrag nicht; im Falle Zyperns waren es sowohl der Staat als auch dessen Zentralbank: Financial Assistance Facility Agreement between European Stability Mechanism and The Republic of Cyprus and Central Bank of Cyprus v. 8. 5. 2013, abrufbar unter https://www.esm.europa. eu/sites/default/files/esm_ffa_cyprus_publication_version_final.pdf. 26  Vgl. für Zypern das Memorandum v. 29. 4. 2013, https://www.imf.org/external/np/ loi/2013/cyp/042913.pdf. 27  Vgl. etwa – für Argentinien – diejenigen aus dem Jahr 2001: http://www.imf.org/ external/np/loi/2001/arg/02/; ihre Einhaltung wurde nach dem Staatsbankrott verweigert. Erst 2004 konnte ein neuer Kredit erwirkt werden. 25  Wer

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nicht: In der argentinischen Schuldenkrise zwischen 2001 und 2003 leistete der IWF Zahlungen an das südamerikanische Land, obwohl die Standards nicht gänzlich erfüllt bzw. revidiert worden waren.28 Ganz unabhängig davon werden IWF-Memoranden in Zeitabständen zwischen sechs Monaten und einem Jahr novelliert und an veränderte Umstände angepasst. Die Bindungswirkung der MoU wird im Schrifttum kaum erörtert;29 meist werden MoU jedoch als Beispiel für unverbindliche Instrumente angeführt.30 Der IWF scheint selbst kein Problem zu haben, die Frage nach der kategorialen Zuordnung seiner MoU offenzulassen; auf seiner Homepage beschreibt er sie als „lending ‚arrangement‘“ und stellt das zweite Wort in Anführungszeichen.31 Sind die Memoranda of Understanding also als völkerrechtliche Verträge oder einseitige Zusagen verbindlich? Oder handelt es sich um „soft law“ oder Absichtserklärungen, deren Nichtbeachtung nur als Obliegenheitsverletzung zu qualifizieren wäre, also den Mitgliedstaat bloß in die Gefahr brächte, einen Vorteil – weitere Hilfszahlungen nämlich – zu verlieren? Ein völkerrechtlicher Vertrag erfordert eine Vereinbarung zweier Völkerrechtssubjekte, die vom Völkerrecht bestimmt und von einem Rechtsbindungswillen getragen ist. Nicht entscheidend ist die Bezeichnung eines Textes.32 Mag die Bezeichnung als „Memorandum of Understanding“ auch üblicherweise ein Indiz für den intendierten Ausschluss einer Bindungswirkung sein,33 ist letztlich entscheidend, ob sich aus dem Inhalt der übereinstimmende Wille der beteiligten Völkerrechtssubjekte ergibt, rechtlich gebunden zu sein.34 Das Vorliegen eines Rechtsbindungswillens ist dabei anhand objektiver Kriterien wie der Sprache, der Form und der Umstände zu bestimmen, nicht aus der subjektiven Sicht der beteiligten Völkerrechtssubjekte.35 ESM-MoU werden seitens der Kommission „ausgehandelt“ und von ihr im Namen des ESM „unterzeichnet“ (Art. 13 Abs. 3 UAbs. 1, Abs. 4 ESMV). Diese Formulierungen deuten auf Verbindlichkeit hin, gar auf einen Vertrag. Dem28 Dazu

Jörn Axel Kämmerer, Argentine Debt Crisis, MPEPIL I, Rn. 4 f. m.w.N. ausführliche Darstellung findet sich jedoch bei Anthony Aust, Modern Treaty Law and Practice, 3. Aufl. 2013, S. 28 ff. 30  Malgosia Fitzmaurice, Treaties, in: MPEPIL IX, Rn. 20: „States have always, in the course of their normal diplomatic or political relations, entered into non-binding arrangements (or informal agreements), frequently referred to as memoranda of understanding or modus vivendi.“ 31 http://www.imf.org/external/np/exr/facts/howlend.htm. 32  Andreas von Arnauld, Völkerrecht, 3. Aufl. 2016, Rn. 188; James Crawford, Brownlie’s Principles of Public International Law, 8. Aufl. 2012, S. 369 m.w.N. 33  Einen Überblick zur Staatenpraxis liefert Aust (Fn. 29), S. 35 ff. 34  Crawford (Fn. 32), S. 371; Fischer-Lescano (Fn. 11), KritJ 2014, 2 (14). 35  von Arnauld (Fn. 32), Rn. 192. 29  Eine

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gegenüber lässt die in den MoU verwendete Terminologie keinen eindeutigen Schluss zu.36 b) Über die Bedeutung von „Konditionalität“ Jedoch könnte Art. 136 Abs. 3 AEUV Aufschluss liefern. Danach unterliegen Finanzhilfen „strict conditionality“ bzw. „stricte conditionnalité“, was die deutsche Vertragsfassung inadäquat mit „strengen Auflagen“ übersetzt. Dem Verständnis der Auflage als Nebenbestimmung (wie in § 36 Abs. 2 Nr. 4 VwVfG), bei deren Missachtung die zuwendende Stelle nicht nur den Widerruf der Leistung erklären, sondern sie auch zurückfordern kann (vgl. § 49 Abs. 3 S. 1 Nr. 2 VwVfG), entspricht die Kreditvergabe des IWF und ESM aber gerade nicht. Der IWF versucht, sich mit dem Krisenstaat auf neue Ziele oder eine Veränderung der Erfüllungsmodalitäten zu verständigen und nicht selten auch über Zielverfehlungen hinwegzusehen. Im schlimmsten Fall wurde die Auszahlung weiterer Tranchen blockiert. Obwohl Argentinien Ende der 1990er und Anfang der 2000er Jahre unrealistische Versprechungen abgab, obwohl der IWF dies erkennen musste und obwohl Argentinien seine Versprechungen kaum jemals einhielt, wurden die MoU immer wieder novelliert und der IWF kehrte die Hilfstranchen am Ende doch immer wieder aus, um dann erst sehr spät die Reißleine zu ziehen und die Vergabe weiterer Kredittranchen bzw. deren Auszahlung zu stoppen – aber auch nicht mehr.37 Ähnliches gilt für den ESM: Obgleich Griechenland im Herbst 2014 nicht alle im MoU festgehaltenen Ziele erreicht hatte, wurden weitere Hilfspakete freigegeben. Konditionalität im Sinne des Art. 136 Abs. 3 AEUV steht damit für das funktionale Synallagma zwischen dem im MoU enthaltenen „commitment“ und der Auszahlung der Hilfe. Dass die Institution, welche das MoU „absegnet“, die Kommission also, gar nicht mit jener übereinstimmt, die über die Finanzhilfe entscheidet (dies macht der Gouverneursrat des ESM), steht dem nicht entgegen, da auch die Kommission für den ESM agiert. c) Ergebnis: Vorverträge eigener Art Man kann MoU danach im Grundsatz als völkerrechtliche Verträge qualifizieren, wenn auch als solche sehr spezieller Art; man kann sie, weil sie nur die Geschäftsgrundlage für die Kredite ebnen, als Vorverträge bezeichnen. An der Rechtswirklichkeit geht diese Einordnung durchaus nicht vorbei, obwohl viel36 So wird im letzten MoU mit Griechenland sowohl vertragstypische als auch MoU-spezifische Terminologie verwendet, abrufbar unter: https://ec.europa.eu/info/sites/ info/files/01_mou_20150811_en1.pdf; eine Aufstellung üblicher Formulierungen findet sich bei Aust (Fn. 29), S. 31. 37  Die Materialien (Zeitraum 1998 – 2015) finden sich unter http://www.imf.org/external/country/ARG/.

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fach zu lesen ist, die Sparmaßnahmen seien den betroffenen Mitgliedstaaten von der „Troika“ bzw. „Quadriga“ aufgezwungen worden.38 Dass der Inhalt der MoU ohne Ausnahme vom ESM bzw. der Kommission oktroyiert werde, ist keine ganz realistische Annahme. Dies gilt umso mehr, als der Mitgliedstaat selbst, vom Verzicht auf Kreditaufnahme ganz abgesehen, grundsätzlich immer zwei Lösungswege anbieten und damit zumindest die Drehrichtung des Stellrades bestimmen kann: Er kann anbieten, mehr einzusparen – oder mehr einzunehmen. In den Dokumenten des IWF treten MoU gar als einseitige Erklärungen der Mitgliedstaaten in Erscheinung.39 Was ihnen politisch vorausgeht, ist nicht dokumentiert, das Fehlen jeglicher Verhandlungsspielräume darf aber auch nicht einfach unterstellt werden. Das vom üblichen Muster des Vertragsschlusses abweichende Verfahren steht der Vertragsqualifikation ebenso wenig entgegen, zumal Art. 9 WVK einen ganzen Strauß prozeduraler Varianten offeriert, mit denen völkerrechtliche Bindungswirkung erzeugt werden kann.40 ESM-MoU weisen allerdings Merkmale eines „self-contained régime“ auf, da bei Nichterfüllung der im MoU eingegangenen „commitments“ Repressalien ebenso unzulässig wie die Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens durch die Kommission. MoU sind, wenn man so will, „hard law with soft features“. Dies sieht das portugiesische Verfassungsgericht für die (EFSF-)MoU offenbar ähnlich, ohne daraus prozessuale Konsequenzen ableiten zu wollen. Die Memoranden seien für Portugal insofern bindend, als sie auf Verträgen fußten, welche die Verfassung anerkenne, und der Staat sei verpflichtet, sie durch Umsetzungsakte zu erfüllen.41 In Griechenland gingen die Ansichten auseinander: Während 38  S. exemplarisch Oliver Nachtwey, Postsouveränität und Postdemokratie, in: Stephan Braun/Alexander Geisler (Hrsg.), Die verstimmte Demokratie, Wiesbaden 2012, S. 45; anders Werner Mussler, „Schluss mit lustig in Athen“, FAZ v. 16. 2. 2015, S. 15. 39  Vgl. Letter of Intent, Memorandum of Economic and Financial Policies, and Technical Memorandum of Understanding Irlands v. 3. 12. 2010, abrufbar unter http://www.imf. org/external/np/loi/2010/irl/120310.pdf. 40  Insofern ist die Auffassung von Fischer-Lescano (Fn. 11), KritJ 2014, 2 (15, 19) – MoU seien als „Rechtsakte sui generis […] mit Völkerrechtsverträgen vergleichbar – auch wenn sie keinen Völkerrechtsvertrag im formellen Sinn darstellen“ – kritisch zu sehen. Zudem bleibt die Frage, worin sich ein „mit Völkerrechtsverträgen vergleichbare[r]“ Rechtsakt, der „Bindungswirkungen mit völkerrechtlichen Konsequenzen“ erzeugt, von einem völkerrechtlichen Vertrag abhebt. 41  Tribunal Constitucional, Acórdão 353/2012, Nr. 2: „Estes memorandos são vinculativos para o Estado Português, na medida em que se fundamentam em instrumentos jurídicos – os Tratados institutivos das entidades internacionais que neles participaram, e de que Portugal é parte – de Direito Internacional e de Direito da União Europeia, os quais são reconhecidos pela Constituição, desde logo no artigo 8.º, n.º 2. Assim, o memorando técnico de entendimento e o memorando de políticas económicas e financeiras baseia-se no artigo V, Secção 3, do Acordo do Fundo Monetário Internacional, enquanto o memorando de entendimento relativo às condicionalidades específicas de política económica se

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für die Richtermehrheit die MoU ein (für sich genommen noch keine Eingriffswirkung zeitigendes) „Regierungsprogramm“ waren – womit sie eine klare Festlegung vermied –, qualifizierte sie die abweichende Auffassung als Griechenland bindende und verpflichtende völkerrechtliche Verträge.42 Der EuGH hatte sich mit MoU nur in zwei Entscheidungen zu befassen: im „Pringle“-Urteil aus dem Jahre 201243 und sodann im Urteil in der Rechtssache „Ledra“ aus dem Jahre 2016.44 Zur Rechtsnatur des MoU bezog er in diesen Entscheidungen nicht klar Position, sondern stellte nur kryptisch fest, die Kommission nehme dabei „keine Entscheidungsbefugnis im eigentlichen Sinne“ wahr.45 Er ließ dennoch erkennen, dass er dem Abschluss bzw. der Annahme des MoU durch die Kommission, wie in Art. 13 Abs. 3 und Abs. 4 ESMV vorgesehen, Rechtsverbindlichkeit (für den ESM) zubilligt.46

fundamenta, em última análise, no artigo 122.º, n.º 2, do Tratado sobre o Funcionamento da União Europeia. Tais documentos impõem a adoção pelo Estado Português das medidas neles consignadas como condição do cumprimento faseado dos contratos de financiamento celebrados entre as mesmas entidades.“ (Übersetzt: Diese Memoranden sind für den portugiesischen Staat bindend, soweit sie sich auf Rechtsinstrumente – die Gründungsverträge daran beteiligter internationaler Organisationen, zu denen Portugal gehört – des Völkerrechts und des Rechts der Europäischen Union gründen, die von der Verfassung seither in Art. 8 Abs. 2 anerkannt werden. Somit stützen sich das technische Memorandum of Understanding und das Memorandum über Wirtschafts- und Finanzpolitik auf Art. 5 Abs. 3 des Übereinkommens über den Internationalen Währungsfonds, während das Memoran­ dum of Understanding betreffend die spezifischen wirtschaftspolitischen Konditionalitäten letztlich auf Art. 122 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union basiert. Diese Rechtsakte erlegen dem portugiesischen Staat auf, die darin bezeichneten Maßnahmen als Voraussetzung für den gestaffelten Abschluss der zwischen denselben Entitäten abgeschlossenen Finanzierungsverträge durchzuführen.) Kritisch hierzu José de Melo Alexandrino, Jurisprudência da Crise. Das Questões Prévias às Perplexidades, in: Gonçalo de Almeida Ribeiro/Luís Pereira Coutinho (Hrsg.), O Tribunal Constitucional e a Crise, 2014, S. 60 ff. 42  Sotirios Rizos, Die „Kraft des Faktischen“ in der jüngeren Rechtsprechung des Staatsrats, in: Armin Hatje et al. (Hrsg.), Verantwortung, Solidarität und Kooperation in der Europäischen Union: Ein deutsch-griechischer Rechtsdialog, 2015, S. 151. 43  EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Urt. v. 27. 11. 2012. 44  EuGH, Rs. C-8/15 P, C-9/15 P, C-10/15 P (Ledra Advertising u.a.), Urt. v. 20. 9. 2016. 45  EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Urt. v. 27. 11. 2012, Rn. 161. 46  EuGH, Rs. C-8/15 P, C-9/15 P, C-10/15 P (Ledra Advertising u.a.), Urt. v. 20. 9. 2016, Rn. 52.

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III. Eine kopernikanische Wende: MoU als „Einfallstore des Unionsrechts“ Dass eine „unionsrechtliche Volte“ bei den Rettungsschirmen – die eines fernen Tages in deren Eingliederung ins Unionsprimärrecht münden könnte – ausgerechnet von den MoU ihren Ausgang nimmt, ist weniger in deren rechtlichen Eigenschaften begründet als in einer verfahrensrechtlichen Besonderheit, welche der EuGH in der Rechtssache „Ledra“ zum Einfallstor für das Unionsrecht erklärt hat. Ohne Zuerkennung einer Bindungswirkung hätte dieses Einfallstor für das Unionsrecht, konkret: die Unionsgrundrechte, aber nicht geöffnet werden können, da es andernfalls ausschließlich auf die Kreditvereinbarung angekommen wäre. Diese jedoch ist nach Auffassung des EuGH dessen eigener Überprüfung entzogen. 1. Nichtgeltung der Grundrechtecharta für den ESM … Die angesprochene Besonderheit der MoU besteht darin, dass sie zwar mit Wirkung für den ESM vereinbart werden, aber durch die Europäische Kommission. Im Fall „Pringle“ hatte der EuGH die Frage zu beantworten, ob die Rechtsgrundlagen des ESM an Art. 51 GRCh gemessen werden könnten. Dies verneinte der Gerichtshof: Die Charta gelte nach Art. 51 Abs. 1 GRCh ausschließlich bei der Durchführung des Rechts der Union und dehne nach Art. 51 Abs. 2 GRCh den Geltungsbereich des Unionsrechts nicht aus und begründe weder neue noch geänderte Zuständigkeiten oder Aufgaben. Die Einrichtung des ESM durch die Mitgliedstaaten sei keine Durchführung von Unionsrecht im Sinne des Art. 51 Abs. 2 GRCh – und somit nicht an den Unionsgrundrechten zu prüfen.47 Dies will der EuGH im Urteil „Ledra“ nicht nur für die Einrichtung des ESM, also den Vertragsschluss, sondern offenbar für jedwedes Handeln im Rahmen des Vertrags verstanden wissen.48 Für MoU hat dies eine Zweiteilung mit erheblichem Nachhall zur Folge: Der Anteil der Kommission am MoU ist keine Setzung oder Durchführung von Unionsrecht und daher weder der Charta noch der Nichtigkeitskontrolle durch den Gerichtshof (Art. 263 AEUV) unterworfen; auch der Anteil des Mitgliedstaats am MoU kann keine „Durchführung von Unionsrecht“ sein, zu welchem der ESM nicht zählt, aber er wenigstens kann rechtlich überprüft werden, nämlich vor nationalen Gerichten. Damit gibt der EuGH spätestens im „Ledra“-Urteil letztlich Carte Blanche für das, was auf mitgliedstaatlicher Ebene längst angelaufen war: eine höchstrichterliche Überprüfung zwar nicht

47 

EuGH, Rs. C-370/12 (Pringle), Urt. v. 27. 11. 2012, Rn. 179 und 180. EuGH, Rs. C-8/15 P, C-9/15 P, C-10/15 P (Ledra Advertising u.a.), Urt. v. 20. 9. 2016, Rn. 67. 48 

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des MoU selbst, aber nationaler Rechtsakte, die zu seiner Umsetzung ergangen waren. Nationale Austeritätsgesetzgebung ist also jedenfalls (auch) an den mitgliedstaatlichen Grundrechten zu messen: Genau dies haben das portugiesische Verfassungsgericht, das – nach Ansicht mancher portugiesischer Juristen in maßloser Weise49 – vor allem einen verschärften Vertrauensschutzmaßstab in Ansatz brachte,50 und der griechische Staatsrat51 auch der Sache nach getan. Dreimal erklärte das portugiesische Verfassungsgericht (Tribunal Constitucional) haushaltsgesetzliche Regelungen, die Teil des „Programa de Ajustamento Económico e Financeiro“ (PAEF) waren, für verfassungswidrig: am 5. 7. 2012,52 am 5. 4. 201353 und erneut am 30. 5. 2014,54 als Portugal den sog. Rettungsschirm bereits verlassen hatte (ESM-Hilfen hat es nicht in Anspruch genommen). Die mit dem PAEF verbundene Rücknahme sozialer Standards (wie Kürzungen von Pensions- und Urlaubsansprüchen)55 widersprachen nach Auffassung des Gerichts dem Gleichheitssatz und griffen in unverhältnismäßiger Weise in die (allerdings zahlreichen) sozialen Verfassungsgarantien ein. Schon dass ein Verfassungsgericht dem Haushaltsgesetzgeber mehrfach aus den gleichen Gründen in die Parade fährt,56 ist bemerkenswert. Auch mit der „Troika“ vereinbarte Korrekturen der Hilfsvoraussetzungen konnten das Verfassungsgericht nicht zufrieden stellen.57 Etwas weniger dramatisch hatten sich die Dinge zunächst in Griechenland entwickelt, dessen Staatsrat aber schon mehrfach mit ganz ähnlichen Bestimmungen befasst war wie das portugiesische Verfassungsgericht.58 Irland sah sich erst nach Verlassen des sog. Rettungsschirms mit Protesten gegen Maßnahmen konfrontiert, die ihm von der „Troika“ abverlangt worden waren, in diesem Fall die Ein-

49  Gonçalo de Almeida Ribeiro, O Constitucionalismo dos Princípios, in: de Almeida Ribeiro/Pereira Coutinho (Hrsg.) (Fn. 41), S. 71 (81 ff.). 50  Paulo Mota Pinto, A Proteção da Confiança na „Jurisprodência da Crise“, in: de Almeida Ribeiro/Pereira Coutinho (Hrsg.) (Fn. 41), S. 133 ff. 51  Name des obersten griechischen Verwaltungs- und Verfassungsgerichts. 52  Tribunal Constitucional, Acórdão 353/2012 (5. 7. 2012); ebenso wie die in den folgenden Fußnoten zitierten Entscheidungen abrufbar unter www.tribunalconstitucional.pt. 53  Tribunal Constitucional, Acórdão 187/2013 (5. 4. 2013). 54  Tribunal Constitucional, Acórdão 413/2014 (30. 5. 2014). 55  Kritische Betrachtung bei Alexandre Abreu et al., A Crise, a Troika e as Alternativas Urgentes, 2. Aufl. 2013, insb. S. 95 ff. 56  Näher hierzu de Melo Alexandrino (Fn. 41), S. 49 ff. 57  Vgl. Diário de Noticias (online) v. 15. 4. 2013: „,Troika‘ em Portugal após chumbo do Constitucional“, abrufbar unter https://www.dn.pt/economia/interior/troika-em-portugalapos-chumbo-do-constitucional-3166347.html. 58  Überblick bei Rizos (Fn. 42), S. 149 ff.

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führung einer höchst unbeliebten Wassergebühr.59 Dass die „Hilfspakete“ auch auf der Grünen Insel juristisch umstritten waren, offenbart bereits der Umstand, dass das „Pringle“-Urteil des EuGH zur Vereinbarkeit des ESM mit Unionsrecht auf einer Vorlage des irischen Supreme Court beruhte.60 So gesehen, ist die „Ledra“-Judikatur des EuGH ambivalent: Indem sie den ESM und das MoU selbst als unantastbar aus der Schusslinie nimmt, rückt sie es in diejenige der nationalen Gerichte, die insoweit keinem effet utile, sondern nur der nationalen Verfassung verbunden sind. Die Gefahr, dass Konsolidierungsmaßnahmen nicht so umgesetzt werden können wie vereinbart, scheint er in Kauf nehmen zu wollen – möglicherweise auch nur, um den Mitgliedstaaten damit zu signalisieren, dass die außerunionsrechtliche Verortung des ESM keine Lösung von Dauer sein sollte. 2. … aber doch Geltung für die Kommission Im Schrifttum wurde nach dem „Pringle“-Urteil gemahnt, Grund- und Menschenrechtsbindungen dürften nicht durch eine „Flucht in die Organleihe“ umgangen werden.61 Die strikte Trennung zwischen chartagebundener Union und nicht-chartagebundenem ESM im „Pringle“-Urteil ist allerdings auch dessen Verfahrensgegenstand geschuldet. Der Fall „Ledra“ hingegen betraf das MoU als Sekundärrecht des ESM. Es wurde u. a. begehrt, die Kommission zur Zahlung von Schadensersatz zu verurteilen. Den Umstand, dass die Kommission und nicht etwa der Gouverneursrat des ESM das MoU aushandelt, nimmt der EuGH nun zum Anlass, eine Bindung an die Unionsgrundrechte herzustellen – auch wenn er die Kugel zu diesem Zweck gleich mehrfach über die Bande spielen muss: Zwar hält er daran fest, dass die Kommission in Organleihe agiert. „Eine Beteiligung der Kommission und der EZB – wie in dieser Bestimmung vorgesehen – an dem Verfahren, das zur Unterzeichnung des MoU vom 26. 4. 2013 [mit Zypern] geführt hat, erlaubt es […] nicht, dieses MoU als eine Handlung einzustufen, die ihnen zurechenbar ist.“62 Die Kommission bleibe aber „Hüterin der Verträge“ und müsse nach Art. 17 Abs. 1 EUV die Interessen der Union stets fördern und nach Art. 13 Abs. 3, 4 ESMV über die Vereinbarkeit des abgeschlossenen MoU mit dem Unionsrecht wachen.63 In dieser Eigenschaft bleibe sie auch für ein Han59 

Marcus Theurer, Wassergebühr lässt Irland erbeben, FAZ v. 18. 11. 2014, S. 18. Pringle v The Government of Ireland & others [2012] IESC 47. 61  Fischer-Lescano (Fn. 11), KritJ 2014, 2 (8). 62  EuGH, Rs. C-8/15 P, C-9/15 P, C-10/15 P (Ledra Advertising u.a.), Urt. v. 20. 9. 2016, Rn. 52. 63  Vgl. aber auch Art. 7 Abs. 2 UAbs. 2 VO 472/2013 v. 21. 5. 2013 über den Ausbau der wirtschafts- und haushaltspolitischen Überwachung von Mitgliedstaaten im Euro-Währungsgebiet, die von gravierenden Schwierigkeiten in Bezug auf ihre finanzielle Stabilität 60 

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deln außerhalb des Unionsrechtsrahmens an die Grundrechtecharta gebunden und könne für Grundrechtsverstöße, auch wenn sie nicht über Nichtigkeitsklagen überprüft werden könnten, ggf. haftbar gemacht werden.64 Rechtspolitisch ist das Ergebnis begrüßenswert, seine Begründung aber wirkt unausgegoren: Während Staaten nach Völkerrecht nur für Handlungen (deliktisch) haften, die ihnen auch zurechenbar sind (Art. 2 ASR), lässt der Gerichtshof die Kommission für Handlungen (MoU) haften, die nicht ihr (darum geht es im EU-Haftungsrecht, das keine Organhaftung vorsieht, ohnehin nicht) und schon gar nicht der Union zurechenbar sind. Der EuGH trennt also zwischen Zurechnung einer Handlung und Zurechnung der Haftung für Rechtsfehler bei dieser Handlung. Nun gibt es aber eine Institution mit Rechtspersönlichkeit, der sich die Handlungen zurechnen lassen, nämlich den ESM – welcher freilich mit dem Manko behaftet bleibt, dass für ihn kein Haftungsregime errichtet worden ist. 3.  Ergebnis: Inversion der Zurechnung Der ESM steht jedoch keineswegs außerhalb jeder Grundrechtsbindung, sondern würde als Internationale Organisation – ebenso wie der IWF – immerhin völkerrechtliche Mindeststandards zu beachten haben,65 nur dass diese sich prozessual auf völker- und unionsrechtlicher Ebene kaum durchsetzen lassen. Es liegt in der Natur der Organleihe, dass jedenfalls bei funktionsimmanenten Aspekten – und dazu gehört hier das MoU – an sich diejenigen rechtlichen Maßstäbe gelten müssen, denen die entleihende Körperschaft (also der ESM) unterliegt. Wo organimmanente Aspekte in Rede stehen, welche für das Wesen des entliehenen Organs bestimmend sind, kann möglicherweise das Recht der verleihenden Körperschaft (mithin der EU) noch Geltung beanspruchen;66 aber reicht dafür bereits ein als „uneigentliche“ Entscheidung eingestuftes MoU aus? Im Fall „Ledra“ wurden die Klagen für unbegründet erklärt. Hätten die Kläger obsiegt, so hätten sie von der Union ihren Schaden einzig aus dem Grund ersetzt erhalten, dass die Kommission (und die EZB) in der Aushandlung des MoU involviert waren. Insoweit spielt der EuGH die Kugel nicht nur einmal, sondern zweibetroffen oder bedroht sind, ABl. L 140 v. 27. 5. 2013, S. 7; danach hat die Kommission sicherzustellen, „dass das von der Kommission im Namen des ESM oder der EFSF unterzeichnete Memorandum of Understanding in vollem Einklang mit dem vom Rat gebilligten makroökonomischen Anpassungsprogramm steht“, welches für unter sog. verstärkte Überwachung gestellte Mitgliedstaaten nach Art. 2, 3 dieser VO beschlossen werden kann. 64  EuGH, Rs. C-8/15 P, C-9/15 P, C-10/15 P (Ledra Advertising u.a.), Urt. v. 20. 9. 2016, Rn. 56 ff. und 67. 65 Vgl. Cornelia Janik, Die Bindung internationaler Organisationen an internationale Menschenrechtsstandards, 2012, insb. S. 482 ff., 514 (für den IWF). 66 So Max Hirschberger, Organleihe, 1989, S. 192; i. E. wohl auch Martin Nettesheim, Europarechtskonformität des Europäischen Stabilitätsmechanismus, NJW 2013, 14 (15).

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mal über die Bande: Eine Beteiligung des Unionsorgans am Gesamtverfahren reicht schon dann aus, wenn sie auf einen Vorvertrag beschränkt ist, an dem der Mitgliedstaat überdies teilhat, und die eigentlich schadenstiftenden Handlungen nicht die der Union, sondern die des ESM (Kreditvereinbarung) und nicht zuletzt des Mitgliedstaats sind, der den Inhalt des MoU in ein Gesetz gießt. Die Union haftet also für den ESM: Dies ist die mit der „Ledra“-Entscheidung verbundene Botschaft. Dass schwerlich eine überzeugende Haftungsentscheidung zustande hätte kommen können, wenn der EuGH tatsächlich einen Grundrechtsverstoß angenommen hätte, ist insofern nebensächlich. In der vermittelten Botschaft jedenfalls werden sich jene bestätigt sehen, die dem „Outsourcing“ von Entscheidungsträgern und Entscheidungen skeptisch gegenüberstehen.

IV.  Ausblick auf den EWF: Eine supranationale Zukunft für das MoU? In der Krise sollten sich europäische Werte und Grundrechte eigentlich besonders bewähren; doch gerade in der Krise scheint der europäische Geist zu verfliegen und Europa – um Papst Franziskus zu zitieren – „seine Seele zu verlieren“67. Es mag sein, dass, um einen Finanzierungsmechanismus zu etablieren, keine Alternative zum Ausweichen auf völkerrechtliche Instrumente bestand; als „Spin-off“ der Union hätte der ESM aber mit dem gleichen materiell- und verfahrensrechtlichen Rüstzeug ausgestattet werden sollen wie die „Mutterinstitution“. Stattdessen sind diffuse Rechtsinstrumente mit nicht klar definierter Zurechnung geschaffen worden, die sich – obwohl gerade sie einschneidende Rechtsverkürzungen bewirken können – grundrechtlichen Maßstäben weitestgehend entziehen, von verfahrensrechtlichen Garantien ganz zu schweigen. Mitunter hat es den Anschein, als würde unter dem „Rettungsschirm“ ein Raum geringerer Rechtsdichte geschaffen, in dem zu Lasten der Bevölkerung eines Mitgliedstaats und teils auch seiner Gläubiger ausgetestet wird, was unter anderen Koordinaten abgelehnt worden ist.68 Auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht sollte die Union den nationalen Verfassungsordnungen mehr Respekt zollen. So gesehen hätte alles 67 

Daniel Deckers, „Europa ist in Gefahr, allmählich seine Seele zu verlieren“, FAZ online v. 25. 11. 2014 (Bericht über die Ansprache des Papstes vor dem Europarat). 68 So galt die einseitige Erzwingung einer Umschuldung argentinischer Schuldverschreibungen durch Argentinien als emittierenden Staat als ökonomischer und juristischer Sündenfall und wurde in den meisten Mitgliedstaaten nicht anerkannt, dazu Kämmerer (Fn. 28); Griechenland hingegen konnte und musste, weil die „Troika“ es verlangte, seine Staatsschuldverschreibungen nachträglich mit „Collective Action Clauses“ versehen; dazu ausführlich Otto Sandrock, Nationaler und internationaler Schutz von privaten Inhabern von Staatsanleihen gegenüber Schuldenschnitten, WM 2013, 393. Dass Art. 12 Abs. 3 ESMV dies – sinnvollerweise – für künftige Emissionen innerhalb der Eurozone vorgibt, ist kein Freibrief für so weitreichende Eingriffe in Anlegerrechte.

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Jörn Axel Kämmerer

sogar noch schlimmer kommen können: Während in Griechenland und Irland die MoU erst besiegelt wurden, nachdem die jeweiligen Parlamente ihr Einverständnis erteilt hatten, agierte in Portugal ausschließlich die (noch dazu nur geschäftsführende) Regierung. Diesen Mangel an demokratischer Legitimation ließ das Verfassungsgericht aber überraschenderweise unbeanstandet.69 Die Mitgliedstaaten haben, wenn sie die Vergabe von Krediten durch den ESM nicht ins Primärrecht der Union eingliedern, keine Vorteile: Sie selbst müssen gewärtigen, vor eigenen Gerichten verklagt und verurteilt zu werden, wozu sich nun die – mögliche – Haftung der Union für die Verletzung von Unionsgrundrechten im Zusammenhang mit MoU gesellt. Dreierlei setzt die Mitgliedstaaten unter Zugzwang: erstens die fortbestehende Gefahr, dass die Wirkung von MoU durch nationale Verfassungsgerichte abgebremst wird, zweitens die Gefahr einer Haftung über den „Umweg“ der Europäischen Union und drittens die Unübersichtlichkeit der vom EuGH skizzierten Haftungsordnung. Die angerissene Wirkungsbeschränkung kann ihrerseits gravierende Nebenwirkungen für einzelne Schuldnerstaaten zeitigen: Halten sie sich nicht an Sparvorgaben, müssen sie nicht nur damit rechnen, dass ihnen die finanzielle Unterstützung gekappt wird, sondern auch, dass die EZB ihre Staatsanleihen, deren Erwerb an das Vorhandensein eines ESM-Rettungsschirms für den emittierenden Staat gekoppelt ist, nicht mehr aufkauft.70 Da ESM und EZB für betroffene Staaten, die sich am offenen Markt kaum noch finanzieren können, in einer solchen Situation praktisch die einzigen Finanzquellen sind, droht der Staatsbankrott.71 Der EuGH ist zu seiner jetzigen Rechtsprechungslinie gelangt, ohne den Schleier von den enigmatischen MoU zu ziehen, über deren Rechtsnatur man auch weiterhin wahrscheinlich keinen Konsens erzielen wird. Die hier vorgeschlagene Einordnung als völkerrechtlicher Vorvertrag harmoniert jedenfalls mit dem Gewicht, das die Unionsgerichtsbarkeit dem Rechtsinstrument beimisst, und auch mit den im ESMV verankerten Abschlussmodalitäten. Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob und in welcher Form das MoU bei einer Eingliederung des ESM oder eines künftigen EWF in die supranationale Ordnung noch Bestand haben könnte. Schon die Notwendigkeit, auf parallele Unterstützung des IWF rekurrieren zu können, legt es nahe, am MoU festzuhalten.

69 

De Almeida Ribeiro (Fn. 49), S. 69 (95 ff.). hatte die EZB mit Blick auf Griechenland in Aussicht gestellt (aber im Gegenzug ihre „Emergency Liquidity Assistance erhöht); vgl. FAZ v. 5. 2. 2015, S. 15 („Die Griechen laufen gegen eine Wand“). 71  D. h. die Unfähigkeit des Schuldnerstaates, seine Zahlungsverpflichtungen zu erfüllen, s. Jörn Axel Kämmerer, Der Staatsbankrott aus völkerrechtlicher Sicht, ZaöRV 2005, 651 (652). 70  Dies

Das Memorandum of Understanding (MoU)

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Der Kommissionsvorschlag für die Einrichtung des EWF sieht in Art. 13 des Satzungsentwurfs72 weiterhin den Abschluss von MoU vor, allerdings unter Beteiligung des EWF, so dass die Zurechnungsproblematik entfällt. So soll die Kommission bei Aushandlung des MoU gemäß Art. 13 Abs. 3 S. 1 des Satzungsentwurfs mit dem EWF zusammenarbeiten, welcher das MoU – anders als bisher der ESM – gemäß Art. 13 Abs. 4 auch selbst unterzeichnen soll. Die Kommission stützt ihren Vorschlag auf die Vertragsabrundungskompetenz in Art. 352 ­AEUV.73 Diese Anknüpfung stößt jedoch auf begründete Skepsis.74 Eine Überführung des ESM in das Gemeinschaftsrecht hin zu einem EWF müsste daher durch Vertragsänderung erfolgen, in deren Rahmen das MoU entweder zu einem unverbindlichen Akt degradiert oder als verbindlicher Sekundärrechtsakt außerhalb des Kanons des Art. 288 AEUV verankert werden könnte. Als solcher würde er konsequenterweise auch Gegenstand von Nichtigkeitsklagen sein können; nationalem Grundrechtsschutz wäre durch Art. 51 Abs. 1 GRCh dann aber weitgehend der Boden entzogen.

72 

COM(2017) 827 final, Annex. COM(2017) 827 final, insb. S. 6, 12 f. 74  S. dazu ausführlich das Rechtsgutachten des Deutschen Bundestages/Unterabteilung Europa Fachbereich Europa, Fragen zur Rechtsgrundlage und Subsidiarität des Vorschlags der Europäischen Kommission zur Einrichtung eines Europäischen Währungsfonds, PE 6 – 3000 – 05/18 v. 25. 1. 2018, S. 5 ff.; Jens Brauneck, Erlauben die Europäischen Verträge einen Europäischen Währungsfonds und einen Europäischen Finanzminister?, EWS 2018, 81. 73 

Yves Mersch: Vertiefung der WWU – politische Integration und wirtschaftliche Konvergenz

Vertiefung der WWU – politische Integration und wirtschaftliche Konvergenz1 Yves Mersch Yves Mersch Vertiefung der WWU – politische Integration und wirtschaftliche Konvergenz

Bereits in den Diskussionen zum ersten bedeutsamen Entwurf einer europäischen Währungsunion wurden Herausforderungen offenkundig, die wir noch nicht ganz gemeistert haben. Der Plan, bis 1980 eine gemeinsame Währung einzuführen, der 1970 von einem Expertenausschuss unter dem Vorsitz des damaligen luxemburgischen Premierministers Pierre Werner ausgearbeitet wurde, betonte – angesichts unzureichender wirtschaftlicher Konvergenz und fehlender fiskalischer Transfers – die Notwendigkeit einer wirtschaftspolitischen Koordinierung, für die eine politische Union erforderlich wäre. Spätere Entwürfe, einschließlich des Maastricht-Vertrags von 1992, haben die zwangsläufigen Spannungen, die sich aus einer Währung ohne Staat ergeben, nicht ausreichend berücksichtigt. Europa leidet noch immer unter diesen Defiziten, auch wenn es sich von der schwersten Finanz- und Wirtschaftskrise der vergangenen 100 Jahre erholt hat, die eine Bedrohung für unsere Demokratien darstellte. Da der Euro eine gemeinsame Währung ist, können Länder mit niedrigem Produktivitätswachstum nicht auf das Instrument der Währungsabwertung zurückgreifen; in dynamischeren Ländern, deren Währungen normalerweise aufwerten würden, verharren die Inflationsraten auf niedrigem Niveau. Das Problem kann nur durch interne Abwertung gelöst werden, was sinkende Nominallöhne und steigende Produktivität zur Folge hat. Doch dies ruft sozialen Widerstand hervor und leistet dem Populismus Vorschub. Die jüngsten politischen Vorschläge in Italien konnten nur durch den Druck der Märkte und die Vernunft der etablierten – nationalen und europäischen – Institutionen im Zaum gehalten werden. Die konzeptionellen Schwächen der Währungsunion zu erkennen, kann indes nicht bedeuten, das Projekt als solches infrage zu stellen. Zu viel Finanz-, politisches und soziales Kapital wurde bereits investiert, und die Kosten einer Auflösung der Union wären unbezahlbar; sie hätten verheerende wirtschaftliche, soziale und politische Folgen. 1  Dieser Beitrag beruht auf einer Rede von Yves Mersch, Mitglied des Direktoriums der EZB, auf der Tagung „Economic and Monetary Union – Deepening and Convergence“, Linz, 5. Juli 2018.

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Die einzige praktikable Option besteht in der fortgesetzten Vertiefung unserer Wirtschafts- und Währungsunion (WWU) durch politische und wirtschaftliche Konvergenz. Beide Aspekte sind für die WWU unverzichtbar. Ich werde mich in diesem Beitrag mit drei Bereichen beschäftigen, in denen dringend Fortschritte erzielt werden müssen. Erstens müssen wir fiskalische und strukturelle Reformen aktiver vorantreiben. Zweitens müssen wir die Risiken im Finanzsektor und seine Fragmentierung weiter reduzieren. Und drittens müssen wir die institutionelle Architektur der WWU entschieden ausbauen, um den aktuellen und künftigen Herausforderungen besser standhalten zu können. Trotz eines robusten wirtschaftlichen Wachstums ist der Euroraum weiterhin anfällig für negative Schocks. Die Gefahr eines – wenngleich ursprünglich symmetrischen – externen Schocks ist in jüngster Zeit in den Vordergrund getreten, da sich das globale Umfeld als zunehmend unsicher erweist, ein Rückzug hinter die nationalen Grenzen zu beobachten ist und das multilaterale System unter Druck steht.

I.  Fiskalpolitik und Strukturreformen Sämtliche Länder des Euroraums müssen zuallererst ihre Widerstandsfähigkeit verbessern. Dies ist für das Euro-Währungsgebiet von besonderer Bedeutung. Angesichts asymmetrischer Schocks, die sich der Kontrolle nationaler Behörden entziehen, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Kosten aufgrund der starken Verflechtungen in den Bereichen Handel und Finanzwesen über die nationalen Grenzen hinweg innerhalb der Währungsunion weitergeleitet werden. Selbst bei einem allgemeinen Schock erweist sich das unterschiedliche Ausmaß der Widerstandsfähigkeit der einzelnen Länder als besondere Herausforderung für die Transmission der einheitlichen Geldpolitik. Dennoch kann die Geldpolitik die nationalen Defizite nicht ausgleichen. Daher ist es von entscheidender Bedeutung, flexible Arbeits- und Gütermärkte zu entwickeln, die die Krisengefahr verringern und eine schnellere Erholung ermöglichen, indem sie eine raschere Verlagerung der Produktionsfaktoren zwischen den Sektoren ermöglichen.2 Laut Forschungsergebnissen des IWF, der OECD und der EZB können gut aufeinander abgestimmte und synergetisch konzipierte Reformpakete in diesen Bereichen das Wachstumspotenzial und die Widerstandsfähigkeit steigern. Gleichzeitig müssen dringend weitere Anstrengungen unternommen werden, um die Solidität und Effektivität der nationalen Institutionen zu verbessern.3, 4 2  David Sondermann, Towards more resilient economies, Journal of Policy Modelling, Bd. 40(1) (2018), S. 97 – 117. 3  Konstantinos Dellis/David Sondermann/Isabel Vansteenkiste, Determinants of FDI inflows in advanced economies: Does the quality of economic structures matter?, Working Paper Series der EZB, Nr. 2066, Frankfurt am Main, Mai 2017.

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Was den fiskalischen Aspekt betrifft, ist es unerlässlich, dass die Mitgliedstaaten das anhaltende Wachstum dazu nutzen, um Finanzpolster zu bilden und Schulden abzubauen, und dass Staaten, die über haushaltspolitischen Spielraum verfügen, die öffentlichen Investitionen ankurbeln. Ein niedrigerer Schuldenstand und größere Polster erhöhen die Widerstandsfähigkeit für den Fall eines Schocks. Durch die Einhaltung der Regeln, einschließlich der Anforderung niedriger Schuldenstände, erhöhen Staaten, die einen Konjunkturabschwung erleben, die Wahrscheinlichkeit, dass die Finanzmärkte weiterhin auf ihre Solvenz vertrauen. Sie schaffen dadurch auch bessere Voraussetzungen, um sich von einem Schock zu erholen. Durch beträchtliche Finanzpolster kann der haushaltspolitische Spielraum zur Abfederung von Konjunkturabschwüngen geschaffen werden. Auf diese Weise können Produktionsverluste minimiert und die Kapazitäten eines Landes zur Abzahlung der Staatsschulden ausgebaut werden. 4

Für die Umsetzung einer soliden Wirtschafts- und Finanzpolitik sind letztlich die nationalen Regierungen zuständig. Wegen der hiermit verbundenen potenziellen Ansteckungseffekte sind diese Politikfelder jedoch auch ein gemeinsames Anliegen der Union. Vor diesem Hintergrund müssen wir uns die Instrumente, die uns bereits zur Verfügung stehen, besser zu eigen machen, insbesondere den Stabilitäts- und Wachstumspakt (SWP) und das Verfahren bei einem makroökonomischen Ungleichgewicht. Die Tatsache, dass die aggregierten Schulden- und Defizitquoten im Euroraum nun niedriger sind als in jeder anderen großen Volkswirtschaft, liefert den Beweis, dass unsere gemeinsamen Fiskalregeln Wirkung zeigen. Dennoch sind weitere strukturelle haushaltspolitische Anpassungen erforderlich, insbesondere in den Ländern mit den höchsten Schuldenständen. Und obwohl sich das Verfahren bei einem makroökonomischen Ungleichgewicht im Hinblick auf die Identifizierung von Reformbedarf als sehr wirksam erwiesen hat, verläuft die Implementierung schleppend. Gleichzeitig könnten weitere Instrumente auf der Ebene des Euro-Währungsgebiets entwickelt werden. Die Vorschläge lassen sich grob in zwei Kategorien unterteilen. Die erste Kategorie legt den Schwerpunkt auf die Förderung der Konvergenz durch eine direkte Steigerung der Allokationseffizienz, was über die bislang im EU-Haushalt vorgesehenen Struktur- und Kohäsionsfonds hinausgeht. In der zweiten Kategorie besteht das Ziel in einer Stabilisierung auf der Ebene des Euro-Währungsgebiets. Außerdem gibt es Vorschläge, die beide Ansätze miteinander verbinden, z. B. durch die Förderung von Investitionen bei Konjunkturabschwüngen. Mit diesen Vorschlägen werde ich mich heute allerdings nicht befassen. 4  Klaus Masuch/Edmund Moshammer/Beatrice Pierluigi, Institutions and Growth in Europe, CEPS Working Paper, April 2016.

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Was die Konvergenz betrifft, schlägt die Europäische Kommission beispielsweise vor, Strukturreformen durch den EU-Haushalt zu fördern. Grundsätzlich könnte ein solches Instrument durch positive Anreize einen Beitrag zur Umsetzung von Reformen leisten. Damit dies tatsächlich funktioniert, muss der Vorschlag der Kommission in dreierlei Hinsicht optimiert werden. Erstens sollten Reformen nach Maßgabe ihrer Auswirkungen auf die gesamtwirtschaftlichen Aussichten ausgewählt werden. Zweitens sollte die Verteilung der Finanzhilfen auf der Grundlage einer qualitativen Beurteilung und nicht aufgrund des Anspruchs eines Landes auf „ein Stück vom Kuchen“ erfolgen. Um die Wirksamkeit der Beurteilung zu fördern, sollten die Finanzmittel an synergetisch konzipierte Reformpakete, Reformen mit kurzfristigen Belastungen des Staatshaushalts oder die Finanzierung flankierender Maßnahmen gekoppelt werden.5 Rentenreformen wären ein passendes Beispiel, da sie mit kurzfristigen Belastungen des Staatshaushalts verbunden sein können.6 Drittens sollten angemessene und durchsetzungsstarke „Clawback“-Mechanismen zur Rückforderung der Finanzmittel im Fall einer Rückgängigmachung von Reformen vorgesehen werden. Zwar erwähnt die Kommission einen solchen Mechanismus, doch ist weitgehend unklar, wie festgestellt werden soll, dass eine Reform rückgängig gemacht wurde. Sowohl die Kommission als auch das aktuelle deutsch-französische Positionspapier sehen zusätzliche Instrumente zur makroökonomischen Stabilisierung vor. Für die Wirksamkeit solcher Instrumente sind zwei Aspekte entscheidend. Erstens sollte eine zentrale Fiskalkapazität entwickelt werden, um den Euroraum besser in die Lage zu versetzen, schwerwiegende flächendeckende Rezessionen zu bewältigen, und somit die Geldpolitik zu unterstützen. Zweitens sollte eine solche Fiskalkapazität über angemessene Anreize für eine solide Haushalts- und Wirtschaftspolitik verfügen. Beide Aspekte werden von den bisherigen Vorschlägen nicht berücksichtigt. Was ihre Wirksamkeit betrifft, weisen die Vorschläge Defizite auf, da sie vom Umfang her begrenzt sind und anscheinend den Schwerpunkt auf asymmetrische und nicht auf symmetrische Schocks legen, obwohl die bestehenden Regelungen des Vertrags bereits Finanzhilfen für Mitgliedstaaten ermöglichen, die aufgrund von außergewöhnlichen Ereignissen, die sich ihrer Kontrolle entziehen, von gravierenden Schwierigkeiten bedroht sind.7 Außerdem tragen die Vorschläge der 5  Romain Duval, Is there a role for macroeconomic policy in fostering structural reforms? Panel evidence from OECD countries over the past two decades, European Journal of Political Economy, Bd. 24 (2) (2008), 491 – 502. 6  Europäische Zentralbank, The short-term fiscal implications of structural reforms, Wirtschaftsbericht 7/2015, S. 52 – 70, November 2015. 7  „Ist ein Mitgliedstaat aufgrund von Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen, von Schwierigkeiten betroffen oder von gravierenden Schwierigkeiten ernstlich bedroht, so kann der Rat auf Vorschlag der Kom-

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Frage, wie Fehlanreizen entgegenzuwirken ist, nicht ausreichend Rechnung. Die deutsch-französischen Vorschläge sehen dafür keine Mechanismen vor. Darüber hinaus böte ein an die Erwerbslosenquote gekoppelter Trigger, wie er von der Kommission vorgesehen ist, Entscheidungsträgern nicht die Möglichkeit, zwischen „unglücklichem Zufall“ und „schlechter Politik“ zu unterscheiden. Er könnte sogar dazu führen, dass ein Anstieg der Arbeitslosigkeit, der durch politische Maßnahmen bedingt ist, belohnt wird. Diese Beispiele verdeutlichen, dass die Einführung einer zentralen Fiskalkapazität an die Überarbeitung des wirtschafts- und finanzpolitischen Steuerungsrahmens gekoppelt werden sollte. Die Chancen einer Einigung würden außerdem steigen, wenn die Vorschläge nicht dazu verwendet würden, fragwürdige Steuervorhaben, die in der Vergangenheit abgelehnt wurden, in neuem Gewand zu präsentieren.

II.  Risiken und Fragmentierung des Finanzsektors reduzieren Zweifelsfrei wurden Fortschritte bei der Steigerung der Widerstandsfähigkeit des Finanzsektors im Euroraum erzielt. Mit der Bankenunion hat Europa einige entscheidende Lehren aus der Krise gezogen und einen solideren Rahmen geschaffen. Die Bankenunion ruht auf drei Säulen. Zwei von ihnen sind bereits vollständig aufgerichtet, während sich die dritte im Prozess der politischen Einigung befindet. In der ersten Säule der Bankenunion werden die größten Banken des Euroraums von der EZB über ein einheitliches Regelwerk beaufsichtigt, das die Rechtsvorschriften und Regelungen im Bankenrecht harmonisiert. Der Einheitliche Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism – SSM) dient nicht nur der Vereinheitlichung der Aufsicht im Euroraum unter Einhaltung höchster internationaler Standards, sondern auch der Förderung einheitlicher Rahmenbedingungen für eine verbesserte Finanzmarktintegration in Europa. Die zweite Säule schafft einen Rahmen zur Bankenabwicklung für bedeutende Institute, der das Risiko minimiert, dass staatliche Gelder bei Bankeninsolvenzen in Anspruch genommen werden. Der Einheitliche Abwicklungsmechanismus (Single Resolution Mechanism – SRM) ist eine logische Ergänzung des Systems der einheitlichen Aufsicht im Euroraum: Große Banken werden auf Unionsebene nicht nur beaufsichtigt, auch ihr Ausfall wird zentral abgewickelt. Der SRM stellt einen bedeutenden Fortschritt dar, da Banken nun ausfallen können, ohne das gesamte Finanzsystem in Mitleidenschaft zu ziehen. Das reibungslose Funktioniemission beschließen, dem betreffenden Mitgliedstaat unter bestimmten Bedingungen einen finanziellen Beistand der Union zu gewähren. …“, Art. 122 Abs. 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union.

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ren des SRM wird außerdem durch die Einführung eines Einheitlichen Abwicklungsfonds (Single Resolution Fund – SRF) unterstützt. Der SRF gewährleistet, dass die Finanzbranche als Ganzes die Stabilisierung des Finanzsystems durch die Bündelung von Beiträgen finanziert. Dies erfordert jedoch die Einrichtung eines – solvenz- und liquiditätssichernden – Sicherheitsmechanismus für den SRF, der an den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) angeschlossen ist. Die Maßnahmen, die hinsichtlich Aufsicht und Abwicklung ergriffen worden sind, ebnen wiederum politischen Diskussionen über ein europäisches Einlagensicherungssystem (European Deposit Insurance Scheme – EDIS) den Weg. Und sie dürften diese Diskussionen erleichtern, da sie die Wahrscheinlichkeit, dass EDIS überhaupt jemals eingesetzt werden muss, deutlich verringern. Der wichtigste Beitrag von EDIS ist vielmehr, dass es Vertrauen in das Finanzsystem als Ganzes schaffen wird, ohne wahrscheinlich jemals zum Einsatz zu kommen.8 Das ist das Schöne an solchen Sicherheitsmechanismen. Dies wird sich jedoch nur bestätigen, wenn die Diskussionen über EDIS vollständig anreizkompatibel bleiben. Mit anderen Worten: EDIS darf in keiner Weise zur Verwässerung der Standards von MREL („Minimum Requirement for Own Funds and Eligible Liabilities“) und TLAC („Total Loss Absorbing Capacity“) oder anderen Maßnahmen der Risikoreduzierung führen, wie etwa Initiativen, die darauf abzielen, die Bestände an problematischen Krediten zu verringern und den Aufbau neuer Bestände zu verhindern. Wenn diese Voraussetzungen jedoch erfüllt sind, kann ein etwaiger verbleibender Widerstand gegen EDIS nur auf ein falsches Verständnis seines Wesens als Sicherungsmechanismus zurückzuführen sein. Dank der Bankenunion und ihres verbesserten Regulierungs- und Aufsichtsrahmens konnten deutliche Fortschritte hinsichtlich der Reduzierung des Gesamtrisikos erzielt werden. Die Quote des harten Kernkapitals bedeutender Kreditinstitute ist von 9,7 % im Jahr 2008 auf zuletzt über 14 % gestiegen. Die Verschuldungsquoten sind von 3,7 % auf 5,8 % angewachsen. Darüber hinaus sind Liquidität und Refinanzierung der Banken deutlich stabiler. Weitere Maßnahmen zur Risikoreduzierung werden derzeit umgesetzt.9 Wir sollten uns jedoch nicht auf unseren Erfolgen ausruhen. Der Finanzsektor des Euroraums bleibt anfällig für Altlasten.10 Zudem müssen für eine verstärkte 8  Jacopo Carmassi/Sonja Dobkowitz/Johanne Evrard/Laura Parisi/André Silva/Michael Wedow, Completing the Banking Union with a European Deposit Insurance Scheme: who is afraid of cross-subsidisation?, Occasional Paper Series der EZB, Nr. 208, 2018. 9 S. Mario Draghi, Risk reducing and risk sharing in the euro area, Rede am Europäischen Hochschulinstitut, Florenz, 11. Mai 2018. 10  Dan Andrews/Filippos Petroulakis, Breaking the shackles: zombie firms, weak banks and depressed restructuring in Europe, Working Paper Series der OECD, Nr. 1433, 2017.

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Risikoteilung Meilensteine gesetzt werden, um Fortschritte in Bereichen zu gewährleisten, die für das optimale Funktionieren der Bankenunion von zentraler Bedeutung sind. So sind beispielsweise zielgerichtete Schritte hin zu einer Harmonisierung und Verbesserung bestimmter Elemente nationaler Insolvenzregelungen zu ergreifen, darunter die Angleichung der Bedingungen, unter denen eine Bank als ausfallend oder wahrscheinlich ausfallend erachtet wird, sowie der Bedingungen für Liquidationen gemäß der nationalen Rechtsvorschriften für Kreditinstitute. Auch im Bereich der zuvor erwähnten problematischen oder sogenannten notleidenden Kredite (Non-Performing Loans – NPLs) müssen Fortschritte erzielt werden, insbesondere eine rasche Umsetzung des ECOFIN-Aktionsplans. Und schließlich müssen wir das einheitliche europäische Regelwerk für eine weitere Reduzierung der Fragmentierung nutzen, indem Möglichkeiten zur Regulierungsarbitrage beseitigt sowie Aufsichtsbefugnisse harmonisiert werden und sichergestellt wird, dass große grenzüberschreitend tätige Investmentfirmen, die ähnliche Risiken wie Kreditinstitute aufweisen, auf europäischer Ebene wie Banken beaufsichtigt werden. Alle diese politischen Ziele gehen mit einem effizienteren Funktionieren des SSM Hand in Hand. Darüber hinaus besteht für Banken weiterhin die Notwendigkeit, vorausplanen und sich Liquidität beschaffen zu können – selbst dann, wenn sie als „ausfallend oder wahrscheinlich ausfallend“ eingestuft sind oder der Abwicklungsprozess eingeleitet wurde. Bei der Abwicklungsplanung sollte jedoch in keinem Fall automatisch davon ausgegangen werden, dass die Zentralbank Liquidität bereitstellt – sei es über geldpolitische Geschäfte oder in Form von NotfallLiquiditätshilfe. Die Abwicklungsfinanzierung ist vor allem Aufgabe der jeweiligen Regierung. Als Ergänzung dienen jetzt die Regeln und Verfahren, die vom Einheitlichen Abwicklungsausschuss und den nationalen Abwicklungsbehörden im Rahmen des SRM angewandt werden. Zentralbanken stellen Liquidität bereit, tragen aber nicht zur Solvenz bei. Refinanzierungslücken, die nicht durch den Bankensektor oder den SRF bewältigt werden können, sollten letztlich durch die Mitgliedstaaten oder in ihrem Namen oder durch zwischenstaatliche Institutionen geschlossen werden.

III.  Stärkung der institutionellen Architektur der Wirtschafts- und Währungsunion Die bis hierher erörterten Elemente können sich gegenseitig verstärken. Im fiskalischen und im wirtschaftlichen Bereich können gemeinsame Instrumente die Konvergenz stärken und so einen Schutz vor schlechten Gleichgewichtszuständen und wirtschaftlichen Schäden in Krisen bieten. Zudem helfen die richtigen Maßnahmen dabei, politischen Spielraum zu schaffen, um überhaupt erst auf

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Schocks reagieren zu können. Im Finanzbereich sorgen Sicherungsmechanismen dafür, die Risiken im gesamten System zu reduzieren, indem Panikreaktionen der Märkte bei Ausbruch einer Krise eingedämmt werden. Und ein starker Abwicklungsrahmen gewährleistet, dass im Krisenfall tatsächlich nur ein sehr geringes Maß an Risikobeteiligung durch den öffentlichen Sektor erforderlich ist, da die Kosten in erster Linie vom privaten Sektor getragen werden. Dennoch ist es eine Realität des Wirtschaftslebens, dass das Risiko schwerer wirtschaftlicher Schocks nie vollständig eliminiert werden kann. Daher ist ein wirksamer Rahmen für das Krisenmanagement auch künftig unverzichtbar. Somit ist es von Vorteil, wenn die Rolle des ESM beim Krisenmanagement gestärkt wird, sofern die Governance-Regelungen im Hinblick auf ihre Einbeziehung in die föderale Struktur der EU ordnungsgemäß überprüft werden. Sollte der ESM als zwischenstaatliche Institution weiterhin außerhalb der Rechtsordnung der EU bleiben, müssen in künftigen Diskussionen über die Aufgaben, die ihm im Bereich der wirtschaftspolitischen Steuerung übertragen werden könnten, die bestehenden Zuständigkeiten berücksichtigt werden, die der EU und ihren Institutionen durch das Unionsrecht übertragen wurden. Marktanreize, die eine umsichtige Finanzpolitik angemessen fördern und die Risiken in Bezug auf Bankbilanzen reduzieren, können eine sinnvolle Unterstützung des bestehenden regelbasierten Rahmens darstellen. Um die Glaubwürdigkeit der Nicht-Beistands-Klausel zu stärken und Probleme hinsichtlich der Tragfähigkeit der Verschuldung besser vorhersehen zu können, muss der ESM in der Lage sein, frühzeitig zwischen Liquiditäts- und Solvenzproblemen zu unterscheiden.11 Mehr Klarheit in unseren geldpolitischen Rahmen würde es uns ermöglichen, die Probleme in einem frühen Stadium anzugehen, anstatt später Notfallmaßnahmen ergreifen zu müssen. Ebenso müssen wir, um die Verflechtung zwischen Banken und Staaten endgültig aufzubrechen, weiterhin über das regulatorische Instrumentarium nachdenken, mit dessen Hilfe die übermäßige Anhäufung von Ausfallrisiken bei Staatsanleihen in Bankbilanzen eingedämmt werden kann, ohne Marktstörungen auszulösen. In diesem Sinne sind die angemessene regulatorische Behandlung von Ausfallrisiken bei Staatsanleihen und die Förderung einer ordnungsgemäßen Schuldenrestrukturierung zwei Seiten derselben Medaille, in denen sich die Tatsache widerspiegelt, dass öffentliche Schulden nicht mehr völlig risikofrei sind. Dennoch müssen wir bedenken, dass Europa diesen Weg möglicherweise allein gehen würde. Zugleich sollten wir uns darüber im Klaren sein, dass eine vom Markt auferlegte Disziplin oftmals plötzlich kommt, Schockeffekte auslöst und negative 11  Yves Mersch, Reflections on the feasibility of a sovereign debt restructuring mechanism in the euro area, ESCB Legal Conference 2016, 2016.

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Folgen für die Finanzstabilität haben kann. Daher sind die deutsch-französischen Vorschläge zur Einführung einstufiger Umschuldungsklauseln und zur Angleichung der Rollen von ESM und IWF bei Umschuldungsverhandlungen sinnvolle erste Schritte zur Erarbeitung eines berechenbareren Rahmens für die geordnete Beilegung von Schuldenkrisen.12 Damit möchte ich auf meinen letzten Punkt zu sprechen kommen, nämlich dass institutionelle Regelungen und demokratische Kontrollen im Einklang mit den Fortschritten in der Wirtschaft-, Fiskal- und Finanzunion angepasst werden müssen, um die Anforderungen an ihre Verfassungsmäßigkeit zu erfüllen. Europäische Regelungen werden mit der Zeit eine immer stärkere Rolle spielen, und ihre Effizienz und Legitimität werden durch eine unklare Zuweisung von Verantwortlichkeiten und Rechenschaftspflichten gefährdet. Stärkere Kontrollen auf EU-Ebene sind jedoch aus zwei Gründen von Bedeutung. Erstens wäre dies ein echtes Merkmal einer funktionierenden Demokratie, in der die Hoheitsgewalt entweder vollständig auf die EU übertragen wurde (z. B. bei der Geldpolitik) oder eine gemischte Zuständigkeit unter Beteiligung der nationalen und der EU-Ebene besteht (z. B. bei prudenziellen Maßnahmen). Und zweitens müssen Haftung und Kontrolle Hand in Hand gehen – wer die Musik bezahlt, bestimmt, was gespielt wird. Wenn auf europäischer Ebene das Geld der Steuerzahler betroffen ist, bedarf es einer europäischen Kontrollfunktion. In dieser Hinsicht ist die Wirtschafts- und Währungsunion einzigartig. Da der Euroraum nicht mit der EU gleichzusetzen ist, erweist es sich als schwieriger, die Rechenschaftspflicht genau an die Aufgaben des Euroraums anzupassen. Insbesondere finden Debatten des Europäischen Parlaments über Angelegenheiten des Euroraums nicht in einer dem Euroraum entsprechenden Zusammensetzung statt, obwohl eine solche Vorgehensweise durchaus dem gesunden Menschenverstand entspräche. Rechenschaftspflicht und Souveränität müssen auch in den Bereichen angemessen sein, die nicht ausschließlich auf Ebene der EU oder des Euroraums behandelt werden, sondern in denen es eine gemeinsame Zuständigkeit gibt. Dies trifft auf den ESM und die Finanzpolitik zu, wo die Situation etwas komplexer und verschwommener ist. Der ESM beispielsweise wurde auf Grundlage zwischenstaatlicher Vereinbarungen und für Aufgaben ins Leben gerufen, bei denen die EU lediglich eine koordinierende Rolle innehat und noch keine Rechenschaftspflicht gegenüber dem 12 S. Agnès Bénassy-Quéré/Markus K. Brunnermeier/Henrik Enderlein/Emmanuel Fahri/Marcel Fratzscher/Clemens Fuest/Pierre-Olivier Gourinchas/Philippe Martin/ Jean Pisani-Ferry/Hélène Rey/Isabel Schnabel/Nicolas Véron/Beatrice Weder Di Mauro/ Jeromin Zettelmeyer, Reconciling risk sharing with Market Discipline, CEPR Policy Insight, Nr. 91, Centre for Economic Policy Research, Januar 2018.

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Europäischen Parlament herrscht. Daher müssen wir einen Mittelweg finden. Einerseits sollte die Rechenschaftspflicht bei Entscheidungen, die vollständig in der Hand nationaler Behörden liegen, gegenüber den nationalen Parlamenten bestehen. Andererseits muss der ESM über rasche und glaubwürdige Entscheidungsverfahren verfügen. Dies wird in einem zwischenstaatlichen Umfeld, das durch nationale Vetos eingeschränkt ist und außerhalb des verfassungsmäßigen Schutzes des gemeinschaftlichen Besitzstands liegt, nie vollständig gewährleistet sein. Vor diesem Hintergrund sollte der ESM in eine Institution umgewandelt werden, die EU-Recht unterliegt und gegenüber dem Europäischen Parlament rechenschaftspflichtig ist. Dies würde sicherstellen, dass der ESM besser in der Lage ist, im alleinigen Interesse des Euro-Währungsgebiets und somit im Einklang mit seinem funktionellen Mandat zu handeln, d. h. die Stabilität der Wirtschafts- und Währungsunion als Ganzes zu gewährleisten. Eine ähnliche Logik gilt bei weiteren Diskussionen in Bezug auf eine Fiskalkapazität für den Euroraum, die mögliche Zentralisierung von EU-Kapitalanlagen oder die Befugnisse, die ein europäischer Finanzminister möglicherweise haben könnte. Fiskalische Instrumente müssen durch institutionelle Regelungen und demokratische Kontrolle auf der entsprechenden Ebene ergänzt werden. Falls ein Haushalt für den Euroraum eingeführt wird, so sollte dies, wie auch seine Rolle auf der Einnahmen- und auf der Ausgabenseite, im Rahmen der laufenden Debatte über ein Finanzministerium für den Euroraum sowie eine dem Euroraum entsprechende Zusammensetzung des Europäischen Parlaments erörtert werden. Auch wenn mit der Schaffung neuer Dachfonds wie etwa dem InvestEU-Programm möglicherweise lobenswerte Gemeinwohlziele verfolgt werden, sollten wir es tunlichst vermeiden, bewährte Verfahrensweisen der Union zu untergraben. Insofern sollten wir nicht der Versuchung nachgeben, uns in Bereichen, in denen das Primärrecht unmissverständliche Regelungen trifft, auf Sekundärrecht zu berufen.

IV.  Schlussbemerkungen Während wir weitere Schritte zur Vollendung der WWU ergreifen, sollten wir zwei Prinzipien berücksichtigen, die in einer demokratischen Gesellschaft das Kernstück effektiver Politik darstellen, nämlich die wirksame Angleichung von Haftung und Kontrolle sowie die Erfüllung demokratischer Kontroll- oder Rechenschaftspflichten auf der Ebene, auf der politische Entscheidungen getroffen werden. Die Aufrechterhaltung dieser zwei Prinzipien ist eine notwendige Voraussetzung für die anhaltenden Bemühungen, die wirtschaftliche Konvergenz und eine stärkere Finanzintegration im Euroraum zu fördern. Betrachtet man die Erfahrungen der letzten 20 Jahre, so haben die bisher erzielten Fortschritte zwei-

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fellos das Fundament für weitere erforderliche Schritte im Sinne einer „Währung jenseits des Staates“ gelegt – eine Tatsache, der sich die geistigen Väter der Währungsunion bereits bewusst waren. Oder, um es mit den Worten des früheren Kommissionspräsidenten Jacques Delors zu sagen: „Europa ist wie ein Fahrrad. Es muss in Bewegung bleiben, sonst fällt es um.“

Jan P. Krahnen: Über Scheinriesen: Was TARGET-Salden tatsächlich bedeuten. Eine finanzökonomische Überprüfung

Über Scheinriesen: Was TARGET-Salden tatsächlich bedeuten. Eine finanzökonomische Überprüfung1 Jan P. Krahnen Jan P. Krahnen Über Scheinriesen: Was TARGET-Salden tatsächlich bedeuten. Eine finanzökonomische Überprüfung

I.  Das erstaunliche Interesse an der Organisation des internationalen Zahlungsverkehrs und dessen Salden Die Organisation des Zahlungsverkehrs innerhalb eines Landes und über Ländergrenzen hinweg innerhalb eines Währungsraums ist eine komplexe Aufgabenstellung, bei der Effizienz- und Stabilitätsüberlegungen gleichermaßen eine wichtige Rolle spielen.2 Das europäische TARGET-System3 ist eine von dem System europäischer Zentralbanken seit 1999 angebotene Infrastruktur zur schnellen und reibungsfreien Abwicklung internationaler Geldüberweisungen. In dem System werden Zahlungen von Kontoinhabern eines Landes an Zahlungsempfänger in anderen Ländern gebündelt und über die Zentralbank des jeweiligen Empfängerlandes an den Letztempfänger, eine Person oder eine Firma, geleitet. Insofern als hier Zentralbankgeld übertragen wird – sprich: Buchungen zwischen Zentralbanken stattfinden, die in ein gemeinsames Währungssystem eingebunden sind, können unausgeglichene Zahlungsverkehrssalden zwischen den Zen­ tralbanken entstehen. Weil die gegenseitigen Zahlungen zwischen zwei Ländern, 1  Dieser Beitrag zu der Festschrift für Helmut Siekmann basiert auf dem SAFE Policy Working Paper #56, das unter dem gleichen Titel im August 2018 erschienen ist. Ich danke in diesem Zusammenhang Helmut Siekmann für eine langjährige und sehr fruchtbare Zusammenarbeit auf verschiedenen Themenfeldern, bei denen sich unsere Interessen hervorragend ergänzt haben. Die Entstehung einer Kultur der wissenschaftsbasierten Politikberatung im House of Finance der Goethe Universität, heute dort vertreten durch das LOEWE-Zentrum SAFE und das IMFS, sind durch Helmut Siekmanns Aktivitäten wesentlich geprägt worden. 2 Obzwar nicht Gegenstand dieses Aufsatzes, darf eine bedeutende Errungenschaft nicht übersehen werden, die das von Zentralbanken organisierte System des Zahlungsverkehrs für eine nachhaltige Finanzarchitektur beiträgt: Ohne ein TARGET-System würde der Zahlungsverkehr über Interbankenmärkte ablaufen – mit entsprechend hohen systemischen Risiken in Krisenzeiten. 3  Die Abkürzung steht für Trans-European Automated Real-time Gross Settlement Express Transfer System.

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die innerhalb eines Tages ausgetauscht werden, nur zufällig exakt gleich sind, entstehen täglich Überschüsse oder Defizite auf den verschiedenen Zentralbankkonten, sogenannte TARGET-Salden. Die spannende Frage, auf die dieser Beitrag eine Antwort zu geben versucht, lautet: Wie sind TARGET-Salden, die im Zahlungsverkehr einer Währungsunion unter bestimmten Organisationsregeln des Zahlungsverkehrs entstehen können, aus (finanz-)ökonomischer Sicht einzuschätzen? Handelt es sich bei den offenen TARGET-Salden um finanzielle Forderungen und Verbindlichkeiten, die sinnvollerweise mit Sicherheiten zu unterlegen sind oder gar jederzeit zu tilgen sind? Was würde ein abruptes Ende der Währungsunion oder ein Ausstieg eines einzelnen Landes („Italoexit“, „Dexit“) für die dann „offenen“ TARGET-Positionen bedeuten? Und schließlich: Falls sich TARGET-Salden als problematisch erweisen sollten, welche institutionelle Reform oder Weiterentwicklung im Eurosystem bietet sich an? Eng damit zusammenhängend ist die Frage, die in Deutschland und Europa bereits vor höchsten Gerichten ausgefochten wurde: ob der mit unkonventioneller Geldpolitik der Europäischen Zentralbank verbundene Aufbau hoher Positionen von ausfallgefährdeten Staats- und Unternehmensanleihen, wie sie für die Gegenwart im Eurosystem gegeben ist, eine Überdehnung des monetären Mandats der Zentralbank und insbesondere eine Haftung nationaler Steuerzahler impliziert. Zu dieser Frage hat in einem wichtigen Grundsatzbeitrag Helmut Siekmann Stellung genommen4 und dabei auf die begrenzte Einstandsverpflichtung des deutschen Staates für Verbindlichkeiten der Bundesbank und, weitergehend, auf die Unerheblichkeit negativer Eigenkapitalkonten für die Funktionsfähigkeit nationaler Notenbanken in der europäischen Währungsunion hingewiesen. Die weiteren Ausführungen in dem vorliegenden Aufsatz ergänzen Siekmanns rechtliche Analyse um eine ökonomische Untersuchung der Frage, inwieweit negative Target-Salden, auch wenn sie hohe Werte annehmen, für sich genommen ein fiskalisches Risiko einzelner Staaten darstellen, für dessen Reduzierung politisches Handeln – bis hin zu einem Verlassen der Währungsunion – zu erwägen sei. Das Ergebnis ist dem Tenor nach ähnlich wie bei Siekmann (2017): Eine panikmachende Verallgemeinerung höchst unwahrscheinlicher Extremszenarien, wie sie in der deutschen Öffentlichkeit immer wieder vorgetragen wird, ist kein guter Ratgeber für eine auf nachhaltige Finanzarchitektur ausgerichtete Politik. Das europäische Target-System bedeutet für die Steuerzahler der Euro-Länder keineswegs eine Falle, aus der sie sich nur durch radikale politische Maßnahmen befreien können. 4 Vgl.

Siekmann 2017 in der Festschrift für Theodor Baums.

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Der vorliegende Text wurde inhaltlich im Spätherbst 2018 fertiggestellt und er spiegelt den zu dieser Zeit erreichten Diskussionsstand wider.5 Schauen wir uns die Ausgangssituation etwas genauer an. Im Juni 2018 belief sich der TARGET-Saldo der Bundesbank auf knapp EUR 1 Billion (956 Milliarden); er hat damit den höchsten Stand seit 2007 erreicht.6 Spiegelbildlich hierzu weisen vor allem die südeuropäischen Länder negative Salden in entsprechender Höhe auf, weil sich die Salden aller beteiligten Länder stets zu null addieren; bei Italien, dem Land mit dem höchsten Negativsaldo, belief sich dieser im Mai 2018 auf 464 Mrd. EUR, bei Spanien auf 393 Milliarden EUR. Um diese Zahlen ins Verhältnis zu setzen: Das Umsatz- bzw. Transfervolumen auf TARGET2 belief sich in 2016 auf 445 Billionen Euro; im Tagesdurchschnitt sind dies etwa 1.800 Milliarden EUR.7 Auch in den USA gibt es ein über die Federal Reserve Banken betriebenes inneramerikanisches Zahlungsverkehrssystem, Fedwire, das einen etwa 60% größeren Umfang hat als TARGET2. Hier belief sich 2016 das Transfervolumen auf ca. 725 Billionen EUR (täglich 2.900 Milliarden EUR).8 Die Gretchenfrage in Bezug auf die beobachteten Salden lautet: Was tun, wenn diese TARGET-Salden sehr groß werden? Sind sie ein eigenständiger Risikofaktor, der politisches oder finanzielles Handeln erfordert, und falls das bejaht wird, welche Maßnahmen sollten ergriffen werden? Die Warnung vor exzessiven TARGET-Salden spielt insbesondere in der öffentlichen Diskussion in Deutschland eine bemerkenswerte Rolle, seit der seinerzeitige Präsident des IFO-Instituts, Hans-Werner Sinn, im Jahre 2011 auf 5  Wer den weiteren Verlauf der Target-Debatte verfolgen möchte, sei auf den entsprechenden Blog beim LOEWE-Forschungszentrum SAFE verwiesen: https://safe-frankfurt. de/policy-blog/tag/target.html. 6  Zum Zeitpunkt der Fertigstellung dieses Textes beträgt der Target-Saldo der Bundesbank 868 Mrd. Euro (31. 01. 2019). 7 Das TARGET-System operiert real-time, d.h. ohne Zeitverzug – es ist aber nicht das einzige Zahlungsverkehrssystem, das für internationale Überweisungen zur Verfügung steht. So werden Devisentransaktionen unter Banken überwiegend mit dem privaten CLS-System (Continuous Linked Settlement) abgewickelt, das von den wichtigsten internationalen Banken gemeinsam betrieben wird; die Volumina sind etwa doppelt so hoch wie jene im TARGET-System, die Ausführungsgeschwindigkeit ist aber deutlich langsamer. Ein Erfüllungsrisiko wird hier durch zeitgleiche Ausführung von Aufträgen in entgegengesetzter Richtung ausgeschlossen. Für diese Synchronisierung der Zahlungsvorgänge (Clearing) sorgt die CLS Bank mit Sitz in New York. Eine dauerhafte Saldenbildung kann es aufgrund der zentralen Clearing- und Settlement-Bank nicht geben. 8  In den USA und in Europa gibt es außerdem private Zahlungsverkehrssysteme, wie CHIPS (USA) oder EURO1 in Europa, die vom Volumen her teilweise größer sind als die zentralbankbetriebenen Systeme und von der Funktionsweise ähnlich wie CLS gestaltet sind.

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diese Entwicklung hingewiesen hat. In zahlreichen Veröffentlichungen hat Sinn, Deutschlands derzeit wohl bekanntester Ökonom, das zuvor unbeachtet gebliebene Phänomen der TARGET-Salden durch seine Untersuchungen und zugespitzten wirtschaftspolitischen Kommentare in die öffentliche Diskussion gezogen und es in das Zentrum einer umfassenden Kritik des Eurosystems gestellt.9 Das ist eine bemerkenswerte wissenschaftliche und politikberatende Leistung, die allerdings im Unterschied zur öffentlichen Diskussion in Fachkreisen höchst umstritten ist. Die auf den folgenden Seiten vorgetragene Überprüfung der von Sinn eingenommenen Position bezieht sich in erster Linie auf die ökonomische Interpretation dessen, was TARGET-Salden darstellen – und daraus abgeleitet auf die Handlungsempfehlungen, die aus der Analyse abgeleitet werden können. Um diese kritische Position mit einem Bild zu illustrieren: TARGET-Salden ähneln nach der hier vertretenen Sicht einem Messinstrument der interregionalen (und internationalen) Ausgeglichenheit von Zahlungsströmen. Damit ist ein dauerhaft hoher TARGET-Saldo ein Hinweis auf eine Unausgeglichenheit von Geldströmen zwischen Regionen. Dies kann eine Problemlage in dem zugrundeliegenden Wirtschaftssystem anzeigen, muss es aber nicht – der Saldo ist aber selbst weder notwendiger noch hinreichender Ansatzpunkt für wirtschaftspolitisches Handeln. Um eine Thermometer-Analogie zu verwenden: Ebenso wie es keine sinnvolle Behandlung einer Entzündung im menschlichen Organismus sein kann, ein Thermometer, das erhöhte Fieberwerte anzeigt, einfach abzukühlen oder lediglich fiebersenkende Mittel zu verabreichen. Stattdessen verlangt ein sinnvoller Therapieansatz die Behandlung von Krankheitsursachen – wenn es sich denn überhaupt um eine Krankheit handelt. In einem 2018 erschienen FAZ-Aufsatz10 fasst Sinn seine Argumente noch einmal zusammen und beschreibt die Falle, in die die Bundesbank und mit ihr der deutsche Steuerzahler im Rahmen des Zahlungsverkehrssystems „TARGET“ geraten sei. Deutschland ist, so schreibt er, zu einem Selbstbedienungsladen geworden, in dem sich andere Länder nach Belieben verschulden dürfen, während es als Gegenleistung wertlose Buchforderungen erhält, die nicht einmal fällig gestellt werden dürfen. Er stellt weiterhin fest, dass die bei der EZB hinterlegten Sicherheiten der Schuldnerländer heute sogar Schrottpfänder sein dürfen. Im Gegenzug dürften die Verkäufer dieser wertlosen Papiere werthaltige Beteiligungen an deutschen Unternehmen erwerben. 9  Unter den zahlreichen Debattenbeiträgen ist vor allem die grundlegende Untersuchung in Sinn/Wollmershäuser (2012) zu nennen. 10  „Fast 1000 Milliarden Euro“, Hans-Werner Sinn, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 18. August 2018, S. 20; dem Artikel liegt eine Langfassung zugrunde, die ebenfalls im Netz verfügbar ist: „Fast 1000 Milliarden Target-Forderungen der Bundesbank: Was steckt dahinter?“, auch erschienen in ifo-Schnelldienst 14/2018.

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Damit öffnet, so der Autor, das jetzige System – mit TARGET2 als Kernelement – im Falle einer Übereignung des Zentralbanksystems an die EU einer gesamteuropäischen Planwirtschaft Tür und Tor, wie es seinerzeit die DDR mit ihrem System der Planwirtschaft NÖSPL11 angestrebt hatte. Dieses Schreckensbild einer im Wesentlichen südeuropäisch getriebenen, währungsbezogenen konzertierten Aktion gegen Deutschland und dessen Steuerzahler wird unterstützt durch die Stimmenverhältnisse im Governing Council der EZB. Sinn fordert unverzüglich politisches Eingreifen und schlägt vier Handlungsmöglichkeiten vor, um einer Überdehnung des Finanz- und Währungssystems durch Reform des TARGET-Mechanismus entgegenzuwirken: eine Saldenobergrenze, einen Saldenausgleich, eine fiskalische Saldenabsicherung – und wenn alles nicht hilft, so heißt es in der Langfassung des Aufsatzes: eine vollständige Saldenvermeidung durch Deutschlands Austritt aus dem Euro.12 Auf den folgenden Seiten wird versucht, dieser Analyse des TARGET-Systems eine zweite Analyse an die Seite zu stellen, die sich auf die finanzwirtschaftliche Sichtweise konzentriert. Dabei sollen einzelne Transaktionen, die zur Entstehung von TARGET-Positionen beitragen, anhand einfacher Beispiele erläutert und in ihrer Buchungslogik dargestellt werden. Wir werden dabei auf Merkmale jeder derartigen grundlegenden Transaktion („Grundgeschäfte“) schauen, deren Abschluss in die eine oder andere Richtung den TARGET-Saldo beeinflusst, und die die wirtschaftliche Bewertung etwaiger bilateraler Zahlungsverkehrssalden beeinflussen können. Die Analyse legt eine andere Handlungsmöglichkeit nahe, mit der TARGET-Salden zum Verschwinden gebracht werden können. Diese läuft auf die institutionelle Weiterentwicklung des europäischen Zahlungsverkehrs und der Währungsunion hinaus – durch regelmäßige Umverteilung der TARGET-Salden auf alle Länder der Währungsunion im Verhältnis ihres Beitrags zur Geldschöpfung oder durch die Bündelung aller Transaktionen zur Umsetzung der Geldpolitik bei einer einzigen Zentralbank, der EZB. Wird eine dieser Reformen realisiert, ist auch der Exit eines Landes zumindest aus TARGET-Sicht ein weniger schweres Problem, als er heute einigen Beobachtern erscheinen mag – und mag sie daher mit einem europäischen Zahlungsverkehrssystem versöhnen. 11  Neues Ökonomisches System der Planung und Leitung der Volkswirtschaft. Sinn merkt hierzu in privater Korrespondenz an, dass sich die Parallele zu NÖSPL präziser auf den Fall einer Vergemeinschaftung der nationalen Zentralbanken bezieht. 12  Im Text wird diese Aussage anschließend relativiert: Der Euro-Austritt, so ergänzt der Autor, sei „natürlich ein radikaler Schritt, bei dem noch viele andere Dinge zu beachten wären, deren Erörterung den Rahmen dieses Beitrags übersteigt und der deshalb auch nicht als Empfehlung verstanden werden sollte.“ (Sinn 2018b, S. 37). In privater Korrespondenz stellt Sinn klar, dass er diese Aussage als Diskussionspunkt und nicht als Empfehlung verstanden sehen möchte.

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Der TARGET-Saldo resultiert als Netto-Transfer aus dem Zusammenwirken zahlreicher gegenseitiger, gleichzeitiger und überlappender Grundgeschäfte. Dabei gilt, dass dieser Saldo nicht einfach einer dieser Transaktionen ursächlich zugerechnet werden kann – es ist die Summe aller in einer Periode13 stattfindenden Grundgeschäfte, einige mit positivem, andere mit negativem Vorzeichen, die den Saldo eines Tages, einer Woche, eines Jahres oder – wie im Falle der Eurozone – die Kumulation der Tagessalden über mehr als zehn Jahre bis auf den heutigen Tag ausmacht. Deswegen ist eine Beschreibung „der“ Ursache eines TARGET-Saldos gar nicht möglich – er (der Saldo) ergibt sich aus dem Zusammenfließen vieler Transaktionen mit unterschiedlichen Vorzeichen über einen langen Zeitraum.14 Um so wichtiger ist es, die verschiedenen Grundgeschäfte zu kennen, die den hohen Forderungs- und Saldenstand auf Seiten einer Zentralbank – vor allem der der Bundesbank – beeinflussen können. Nach der Betrachtung der Einzeltransaktionen können die verschiedenen Grundgeschäfte zusammenhängend betrachtet werden. Dies wird in Abschnitt IV dieses Beitrags geschehen. Die Betrachtung kann einen Anhaltspunkt dafür liefern, unter welchen Bedingungen der TARGET-Saldo eines Landes über längere Zeiträume positiv, der eines anderen Landes aber negativ werden kann. Da aber die Summe der TARGET-Salden aller teilnehmenden Länder stets null beträgt, kann man dauerhaft positive und negative Salden als Indikator für anhaltende Verschiebungen von Vermögen und Wertschöpfung zwischen den Ländern interpretieren. Damit gelangen wir zum Kernpunkt dieses Abschnitts: Wenn TARGET-Salden Symptome für unausgewogene interregionale Zahlungsströme sind, dann könnten sie auch tieferliegende wirtschaftliche Ungleichgewichte hinweisen – dann kann eine Begrenzung der Höhe von TARGET-Salden nur dann ein sinnvolles Ziel sein, wenn regional ausgeglichener Zahlungsverkehr ein ökonomisch sinnvolles Ziel, oder Zwischenziel ist. Symptome können helfen, die Frage nach den Ursachen eines Phänomens (der Höhe des TARGET-Saldos, z.B.) zu stellen – sie selbst zum Gegenstand der Therapie zu machen, ist dagegen wenig aussichtsreich. Daher wird eine ökonomisch sinnvolle Handlungssuche bei diesen grundlegenden Ursachen und nicht bei den TARGET-Salden selbst ansetzen müssen.

13  Diese „Periode“ kann auch die Totalperiode sein, also der Zeitraum von der Begründung des Zahlungssystems bis zur Gegenwart – so wie es im TARGET-System tatsächlich der Fall ist. Der heute ausgewiesene TARGET-Saldo Deutschlands ergibt sich aus allen Zahlungsvorgängen, die seit dem Beginn des Systems in 2007 gebucht worden sind. 14  Dennoch kann man auf der Grundlage fundamental erwarteter Zahlungsvorgänge einen Saldo abschätzen, der sich auch ökonomisch interpretieren lässt.

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Mehr noch, gerade weil TARGET-Salden auf eine regionale Unausgeglichenheit im europäischen Wirtschafts- und Währungsraum hinweisen, ist zu fragen, ob hierdurch Probleme der Nachhaltigkeit oder der längerfristigen Stabilität entstehen können, ob sie Symptome eines tieferliegenden Problems sind. Aus diesem Grunde lassen sich kumulierte TARGET-Salden auch als Indikatoren für einen politischen Handlungsbedarf deuten – wobei der Begriff Indikator auch darauf hinweisen soll, dass er Handlungsbedarf anzeigen kann, aber nicht muss. Denn es kann auch nachhaltige, langfristig durchhaltbare Salden geben – etwa wenn Konsumenten eines Landes dauerhaft mehr exportieren, als sie importieren und dadurch dauerhaft unausgeglichene Zahlungsströme zwischen den Ländern entstehen. Oder wenn eine langanhaltende expansive Geldpolitik so umgesetzt wird, dass dauerhafte Salden entstehen. Oder wenn die Herausbildung eines Finanzzentrums in einem der Länder zu Überweisungsstrukturen zwischen Banken führen, die dauerhaft Salden erzeugen. Saldenbeseitigung durch Umbuchung oder Umschuldung wäre daher im Allgemeinen kein sinnvoller Schritt nach vorne. Wie wir noch sehen werden, laufen die meisten der in der aktuellen Diskussion gemachten Vorschläge zur Saldentilgung auf eine solche Umschuldung und damit auf Verschleierung des Problemindikators „TARGET-Saldo“ hinaus. Schließlich bleibt noch die Frage nach der Allgemeinheit dieser Aussagen: Wir konzentrieren uns in diesem Beitrag auf das TARGET-System und die dort auftretenden Salden. Gelten die Aussagen aber auch für andere Zahlungssysteme? Anhand des US-Systems (Fedwire) kann begründet werden, dass die hier vorgetragene Kritik an der Saldentilgung sich auch auf andere Zahlungssysteme übertragen ließe. Sie (die hier vorgetragene Kritik) ist dann auch ein Grund dafür, dass seit Ende des Goldstandards im US-amerikanischen Fedwire-System keine Saldentilgung mehr vorgenommen wird – sondern eine jährliche Umbuchung zwischen den 12 regionalen Reservebanken auf dem gemeinsamen Offenmarkt-Konto des kontoführenden Instituts (FRBNY). Der Rest dieses Papiers gliedert sich wie folgt. Teil II wird anhand von Beispielen zeigen, wie sich die wichtigsten Grundgeschäfte im Rahmen des internationalen Leistungs- und Kapitalverkehrs auf TARGET-Salden auswirken. Hierfür wird auf der Basis von T-Konten illustriert, wie TARGET-Positionen überhaupt entstehen – und was sie bedeuten. Teil III zeigt, dass eine direkte Begrenzung der TARGET-Salden, etwa durch ein Verbot oder durch eine Tilgungsvereinbarung, keine sinnvolle, ökonomisch begründbare Problemlösung darstellen kann. Teil IV führt die Überlegungen zusammen und vergleicht die Bedeutung von TARGET-Salden in einer stabilen Währungsunion (Normalszenario) und in einer instabilen Währungsunion (Extrem-Exitszenario). Aus der Analyse ergeben sich zwei Lösungsvorschläge, die im Sinne einer institutionellen Reform des Eurosystems TARGET-Salden beseitigen.

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II.  Die Entstehung von TARGET-Positionen – eine Analyse ausgewählter Grundgeschäfte Die Darstellung von Grundgeschäften, die zu TARGET-Positionen führen, nutzt typischerweise die Darstellung von T-Konten oder eine entsprechende tabellarische Darstellung. Beispiele finden sich bei Checchetti (2018), Whelan (2017), Bindseil/König (2011); vgl. auch Ulbrich/Lipponer (2011) und ebenfalls ausführlich Sinn/Wollmershäuser (2012). Dabei wird typischerweise ein Transaktionsaufbau auf nationaler und internationaler Ebene miteinander verglichen. Es geht jeweils um eine Überweisung von einem Wirtschaftssubjekt W1 (ein Haushalt oder eine Firma) an ein anderes Wirtschaftssubjekt W2. 1.  Buchungssätze im internationalen Zahlungsverkehr mit und ohne Währungsunion Sitzen die Wirtschaftssubjekte W1 und W2 im gleichen Land und nutzen sie für die Zahlung ihre laufenden Konten, die sie bei derselben Bank B1 unterhalten, so findet eine Umbuchung vom Konto des W1 auf jenes des W2 innerhalb der Konten von Bank 1 statt. In diesem einfachen Falle wird weder ein Interbankenkonto noch gar ein Zentralbankkonto berührt. Dies ist in Abbildung 1 mit einem Pfeildiagramm dargestellt. Dabei steht der Pfeil für den jeweiligen Buchungssatz, hier z.B. von Guthabenkonto W1 an Guthabenkonto W2. Konto W1 wird belastet, Konto W2 erkannt. 





Abbildung 1: Buchungssätze Innerbank

Sitzen W1 und W2 im gleichen Land, führen ihre Konten aber bei unterschiedlichen Banken (W1 bei Bank B1 und W2 bei Bank B2), so entstehen Interbankpositionen, damit eine Zahlung von W1 nach W2 übertragen werden kann. Diese Interbankbeziehung ist in Abbildung 2 dargestellt. Sie wird durch eine Umbuchung auf den Konten abgebildet, die beide Banken bei ihrer nationalen Zentralbank Z unterhalten. Damit entsteht analog zu der Überweisung von W1 an W2 in Abbildung 1 eine Umbuchung auf den Zentralbankkonten von B1 und B2. B1 bucht eine Forderung gegen B2 ein, B1 weist entsprechend die spiegelbildliche Verbindlichkeit gegenüber B2 aus.15

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Sitzen W1 und W2 in unterschiedlichen Ländern, so sind nun zwei Zentralbanken involviert, Z1 und Z2 wie in Abbildung 3 dargestellt. Ganz analog zum vorausgegangenen Fall, nur um eine Ebene erweitert, läuft die Kette der Buchungssätze im Falle einer Überweisung von W1 bei Bank 1 in Land A an W2 bei Bank 2 in Land B über eine Interzentralbankbeziehung, ähnlich der Korrespondenzbankbeziehung in Fußnote 14. Die beiden betroffenen Zentralbanken unterhalten gegenseitig Guthabenkonten (die natürlich auch Negativsalden aufweisen können), mit deren Hilfe die gewünschte Übertragung des Guthabens von W1 an W2 erfolgen kann. Der Buchungssatz auf der Ebene der beiden Zentralbanken lautet: Von Zentralbank Z1 (Soll) an Zentralbank Z2 (Haben). Z2 erwirbt also eine Forderung gegen Z1, während Z1 eine spiegelbildliche Verbindlichkeit einbucht. 15















Abbildung 2: Buchungssätze Interbank

Als letzter Schritt der Verkomplizierung der an und für sich elementaren Überweisung zwischen W1 und W2 nehmen wir nun noch an, dass die beiden Länder 1 und 2 einem gemeinsamen Währungsraum angehören und es eine gemeinsame Zentralbank für den Währungsraum gibt, nennen wir sie WZB. Das Schaubild erfährt jetzt seine letzte Ergänzung, die über allen Beteiligten thronende WZB. Eine Überweisung von W1 an W2 führt nun über das zentrale Zahlungsverkehrskonto der WZB. Sollte die beispielhaft betrachtete Überweisung von W1 an W2 tatsächliche die einzige Transaktion des Tages bleiben, so ist sie zugleich der Tagessaldo und erhöhte die Forderungsposition der Zentralbank Z2 gegenüber der WZB (die wiederum das System der Zentralbanken ausmacht), während die Verbindlichkeit der Zentralbank Z1 um den gleichen Betrag ansteigt. 15  Die genannte Überweisung kann aber auch ohne Einschaltung einer Zentralbank zwischen den beiden Banken im Rahmen einer direkten Korrespondenzbankentransaktion stattfinden. In diesem Fall unterhalten die beiden Banken gegenseitige Guthabenkonten, die im Falle einer Überweisung belastet bzw. erkannt werden (Loro- und Nostro-Konten).

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Nur am Rande sei angemerkt, dass die WZB natürlich auch die Zentralbanken des Systems, zu dem auch Z1 und Z2 zählen, konsolidieren könnte und sie, die regionalen Zentralbanken, zu Zweigstellen machen könnte. In diesem Fall gäbe es aufgrund der kontomäßigen Konsolidierung keine ausgewiesenen Regionalforderungen und -verbindlichkeiten und damit auch keine Salden mehr. Werden in einer Periode viele Transaktionen zwischen Wirtschaftssubjekten aus A und B abgewickelt, teilweise in die eine, teilweise in die andere Richtung, so können diese Transaktionen über einen gewissen Zeitraum, z.B. 1 Tag oder 1 Jahr zusammengefasst werden. Es ergibt sich die zeitraumbezogene Differenz von Transaktionen zwischen den beiden Ländern, zahlreiche Transaktionen werden sich gegenseitig neutralisieren. Was als Differenz am Ende des gewählten Zeitraums bleibt, entspricht ihrem Wesen nach dem TARGET-Saldo. Er zeigt an, in wie weit sich die gegenseitigen Transaktionen gerade ausgleichen. Bezogen auf das Eurosystem belaufen sich die kumulierten Salden über einen 10-Jahres-Zeitraum auf etwa 0,5 Promille des Transaktionsvolumens. 

 































Abbildung 3: Buchungssätze Internationaler Zahlungsverkehr

Angesichts der Fülle von Anlässen, die zu internationalen Überweisungen führen können, ist es ein Zufall, wenn sich diese bilateralen Salden zwischen je zwei Zentralbanken über einen gegebenen Zeitraum gerade ausgleichen. Sie sind nichts anderes als die Überweisungssalden zwischen Wirtschaftssubjekten, die in bestimmten Regionen leben, wobei die Regionen beschrieben sind als die Einzugsgebiete der jeweiligen Zentralbanken – wir bezeichnen diese Salden daher im Folgenden als Regionalzahlungsverkehrssalden.16 16  Wie wir später noch sehen werden, können Regionalzahlungsverkehrssalden durchaus auf mögliche Disparitäten der wirtschaftlichen Entwicklung zwischen Regionen

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2.  Ausgewählte Grundgeschäfte und die Entstehung von TARGET-Positionen Nach dieser Illustration der Buchungssätze im internationalen Zahlungsverkehr wenden wir uns nun einigen typischen Zahlungsvorgängen zu, und fragen, wie sie sich auf die Forderungssituation einer Zentralbank auswirken, und wie sie sich auf den Zentralbanksaldo in unserem Beispiel, dem Äquivalent zum europäischen TARGET-Saldo auswirken würde. Am Ende jedes Beispiels wird erläutert, wie sich eine Saldentilgung darstellt, wenn die jeweils betrachtete Transaktion den Saldo ausmacht. Beispiel 1: Private Urlaubsreise Wirtschaftssubjekt 1 aus dem Land A verbringt seinen Urlaub in Land B. Sie bezahlt am Abreisetag die aufgelaufenen Kosten für Übernachtung mit Vollpension mit ihrer EC-Karte. Durch die Verwendung der EC-Karte wird eine Belastung des Kontos im Heimatland A bei ihrer Bank ausgelöst. Die dann laufende Geldüberweisung von W1 zu dem Empfänger-Kontoinhaber W2 im Land B läuft mit Blick auf die Buchungssätze genauso ab, wie in Abbildung 3 dargestellt. Auf diese Weise entsteht eine TARGET-Position bei der Zentralbank Z1 als Verbindlichkeit, bei Z2 als Forderung. Wenn Reisende aus Deutschland ihren Urlaub in Italien verbringen, und die dadurch ausgelösten Zahlungen werden unbar und über die Zentralbanken der beiden Länder geleitet, dann und nur dann entstehen Forderungen (gegen das Eurosystem) bei der Banca d‘Italia und Verbindlichkeiten gegenüber dem Eurosystem bei der Bundesbank. Würde der Urlaub bei Abreise in bar bezahlt, oder durch Abhebung von einem Konto, das der Urlauber im Gastland unterhält, werden die TARGET-Positionen der beiden Länder nicht berührt. Nehmen wir nur einmal kurz an, es gäbe nur diese eine Art von internationalen Transaktionen (Urlauber aus Deutschland reisen nach Italien), oder zumindest es reisen mehr Personen aus Deutschland nach Italien als Touristen in umgekehrter Richtung reisen, dann könnte man sagen: der TARGET-Saldo am Jahresende ist gewissermaßen das Spiegelbild einer realwirtschaftlichen Transaktion, nämlich des Überschusses an Reisekonsum, den Deutsche in Italien zu sich nehmen. Es handelt sich um ein (deutsches) Leistungsbilanzdefizit, dem in der Kapitalbilanz eine Transaktion mit umgekehrten Vorzeichen gegenübersteht. Sofern sich jemand an diesem Ungleichgewicht des Reisekonsums stört, also an der Tatsache, dass mehr Deutsche in Italien Urlaub machen als umgekehrt, so würde eine Reisekontingentierung (oder eine Reisebesteuerung) hier Abhilfe schaffen – ob sie politisch wünschenswert ist, steht auf einem anderen Blatt. hinweisen und können daher Hinweise auf wirtschaftspolitische Maßnahmen geben, mit deren Hilfe sich Regionalzahlungsverkehrssalden verändern lassen – so dies politisch erwünscht ist.

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Jedenfalls ließe sich so die Ursache des TARGET-Saldos gewissermaßen an der Quelle bekämpfen. Dagegen wäre als Reaktion auf den entstandenen Saldo eine Tilgung desselben nur schwer zu begründen: Im genannten Beispiel würde die Tatsache, dass mehr Reisende in den Süden als in den Norden fahren dazu führen, dass der entstandene negative TARGET-Saldo bei der Bundesbank mit der Übertragung von Staatsschuldpapieren Deutschlands an Italien „ausgeglichen“ würde. Mit anderen Worten, um einen TARGET-Tilgung zu erreichen, würde sich der deutsche Staat in Höhe des Mehrkonsums Deutscher in Italien verschulden und diese verzinslichen Papiere bei der Banca d’Italia abliefern. Je mehr Touristen aus Deutschland ihr Geld in Italien ausgeben, umso mehr staatlichen Vermögenstransfer erwartet die Banca d’Italia von der Bundesbank. Zu Ende gedacht bedeutet die TARGET-Saldentilgung daher eine staatliche Rückerstattung der Konsumdifferenz Deutscher in Italien – auf diese Weise löst der überschießende private Konsumeinkommenstransfer von Nord nach Süd (i.e. mehr Urlaub in Italien als in Deutschland) einen kreditierten staatlichen Konsumeinkommenstransfer in die entgegengesetzte Richtung aus: der nach Italien abfließende private Konsum wird durch einen Zufluss staatlichen Konsums auf Kreditbasis kompensiert. Beispiel 2: Export eines PKW Betrachtet wird der Verkauf eines im Land A hergestellten Fahrzeugs an einen Haushalt in Land B, der jeweils mittels Inlandskredit finanziert wird (d.h. das Unternehmen und der Haushalt verschulden sich beide gegenüber ihrer lokalen Bank in Höhe des Gesamtkaufpreises). Die relevanten Buchungssätze sind in Abbildung 3 schematisch dargestellt. Das charakteristische Zick-zack-Muster der Buchungen zwischen den Bilanzen der beteiligten Akteure führt zu einer TARGET-Forderung der Zentralbank Z1 des Herstellerlandes und einer gleichhohen Verbindlichkeit auf Seiten der Zentralbank Z2 des Käuferlandes. Gäbe es keine weiteren grenzüberschreitenden Transaktionen, so wäre damit auch ein TARGET-Saldo in Höhe der Gesamtzahlung entstanden. Würden dagegen weitere Transaktionen erfolgen, z.B. Konsumenten aus A verbringen ihren Urlaub in B, so müsste die Differenz der beiden in Gegenrichtung verlaufenden Zahlungsströme ermittelt werden, um den TARGET-Saldo zu bestimmen. Bleiben wir für einen Moment bei der Ausgangssituation, und nehmen an, es gibt in der betrachteten Periode nur den PKW-Export. Nehmen wir weiterhin an, dass der entstandene TARGET-Saldo wie zuvor durch die Übereignung von Staatsanleihen des Defizitlandes getilgt werden soll, dann wird die Zentralbank Z2 Staatsanleihen im Nominalwert des TARGET-Saldos übereignen und damit dauerhaft Zinsen zahlen. Wie ist dieser Sach-

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verhalt ökonomisch zu bewerten? Die sogenannte Saldentilgung bewirkt, dass im Umfang des privaten Mehrkonsums der B-Konsumenten über den der A-Konsumenten es zu einem staatlichen Minderkonsum im Land B und einem entsprechenden Mehrkonsum im Land A kommt. Wiederum gilt: Der private Einkommenstransfer wird durch einen entgegengesetzten staatlichen Transfer kompensiert, wodurch gesamtwirtschaftlich wiederum das Wettbewerbsergebnis (Güterexport, Tourismus) durch staatliche Transfers rückgängig gemacht wird. Beispiel 3: Kapitalflucht (gleichbedeutend: Auslandsinvestition) Eine Sparerin in Land B, dem Südland, beurteilt die zukünftige Lage in ihrem Lande kritisch – sei es aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen – und möchte deswegen ihre Altersvorsorge stärker international diversifizieren. Sie bittet ihre Bank, die Südland-Staatsanleihen in ihrem Depot zu veräußern und mit dem Erlös Aktien in Nordland zu kaufen. Die Bank beauftragt ihre Korrespondenzbank oder, wenn sie eine Niederlassung in Nordland unterhält, ihre dortige Niederlassung, ein Aktien-ETF mit Nordaktien zu erwerben. Diese sind wiederum an einer Börse in Nordland notiert. Die dadurch ausgelösten Buchungssätze lassen sich wiederum schematisch aus Abbildung 3 ablesen. Nach einer Umbuchung auf den Kundenkonten von Wertpapierdepot an Kasse erfolgt eine Serie von Buchungen, mit deren Hilfe eine Überweisung des Geldes von dem laufenden Konto der Sparerin an die Verkäufer des ETF über die Handelsbank erfolgt, die die Verkäuferseite an der Nordbörse repräsentiert. Auf den uns besonders interessierenden Zentralbankkonten des Nord- und des Südlandes geschieht das Folgende: Die Nordland-Zentralbank erwirbt aufgrund des Zahlungsvorgangs „Südländer kauft Nord-ETF“ eine Forderung gegen die Südland-Zentralbank. Lassen wir einmal mögliche weitere Zahlungstransaktionen außer Acht und lassen diesen Wertpapierkauf die einzige relevante Transaktion der Periode sein, dann entsteht ein TARGET-Saldo zu Gunsten der Nordland-Zentralbank, und spiegelbildlich ein Defizit („eine Verschuldung“) auf Seiten der Südland-Zen­tralbank. Wie würde sich in diesem Falle eine sogenannte Saldentilgung mittels Übereignung von Staatsanleihen auswirken? Im ersten Schritt ist die Südland-Zentralbank nun aufgefordert, inländische (ggf. auch ausländische) Staatsanleihen zu erwerben und diese an die Nordland-Zentralbank zu übertragen. Was wäre ökonomisch geschehen? Eine private Auslandsinvestition (oder auch eine private Kapitalflucht) aus dem Südland müsste, sofern sie nicht von einer gegenläufigen Auslandsinvestition des Nordlandes im Süden ausgeglichen wird und dadurch zu einem TARGET-Saldo von null führte, um einen staatlichen, zinstragenden Vermögenstransfer von Süd nach Nord ergänzt werden. Anders

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ausgedrückt, in Höhe der privaten Kapitalflucht müsste der Südstaat sich verschulden und zukünftig Zinsen an den Norden zahlen. Es wiederholt sich das Muster aus den vorangegangenen Beispielen: Die im Ausland erbrachte, private Sparleistung des Südlandes (Konsumminderung im Inland auf Zeit, nämlich bis zur Rückholung der Spargelder) wird kompensiert von einer staatlichen Verschuldungsleistung des gleichen Landes gegenüber dem Ausland (Konsumerhöhung im Inland auf Zeit, nämlich bis zur Rückzahlung der Staatsanleihe). Das Verlangen nach Tilgung von TARGET-Salden läuft damit zusammengefasst auf die Rückabwicklung eines Vermögenstransfers hinaus, der privatwirtschaftlich auf Märkten als Grundgeschäft stattgefunden hat, indem kompensierend ein staatlicher Vermögenstransfer erzwungen wird. Beispiel 4: Unorthodoxe Geldpolitik der Zentralbank In diesem Fall realisiert die WZB ihr geldpolitisches Ziel durch den Aufkauf von Staatsanleihen in allen Ländern der Währungsgemeinschaft, wobei zusätzlich im Sinne einer Aufkaufpolitik vorgegeben ist, dass Staatsanleihen eines Landes nur von der jeweiligen Landes-Notenbank aufgekauft werden dürfen, Staatsanleihen des Landes A dürfen also nur von der A-Notenbank erworben werden, B-Staatsanleihen nur von der B-Notenbank usw. Für die Buchungssätze, – und damit für die TARGET-Saldenentstehung – die mit dieser geldpolitischen Maßnahme verbunden sind, kommt es nun darauf an, in welchem Land die jeweiligen Staatsanleihen gehalten werden. Im einfachsten Fall werden Anleihen nur von Inländern gehalten – italienische Anleihen nur von Italienern, deutsche Anleihen nur von Deutschen usw. In diesem Fall entstehen durch die Aufkäufe keine TARGET-Positionen, weil kein internationaler Zahlungsverkehr stattfindet. Die geldpolitische Maßnahme ist also „TARGET-neutral“. Im zweiten, realistischeren Fall werden alle Staatsanleihen von Anlegern aller Länder gehalten, und zwar – der Einfachheit halber angenommen – wohldiversifiziert und proportional zum Finanzvermögen der Länder. Sollte das betrachtete Nordland groß und das Südland klein sein, dann befindet sich ein Großteil aller Staatsanleihen in den Portfolios der Nordland-Haushalte. Aufgrund der vereinbarten Aufkaufpolitik wird daher ein überproportionaler Anteil der Südland-Anleihen von der Südland-Zentralbank durch internationalen Zahlungsverkehr erworben, während dies für die Nordland-Zentralbank nur in unterproportionalem Umfang gilt. Zusammengenommen entsteht auf diese Weise reger internationaler Zahlungsverkehr über das TARGET-System, und zugleich ein TARGET-Saldo, der eine Forderung der Nordland-Zentralbank und eine Verbindlichkeit der Südland-Zentralbank aufweist. Es entsteht also ein TARGET-Forderungssaldo auf der Nordlandseite. Was tun? Instinktiv könnte man wiederum meinen: Eine Tilgung muss her. Was würde die-

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se Tilgung ökonomisch bedeuten? Wie schon in den vorangegangenen Beispielen würde die Südland-Zentralbank im Zuge einer Tilgung verpflichtet, in dem Ausmaß, in dem ihre Staatsanleihen von Nordländern gehalten werden, eigene (Südland-)Anleihen zu erwerben und diese zinstragend an die Nordland-Zentralbank zu übertragen. Auch hier wird eine in diesem Fall von der WZB veranlasste Investitionsentscheidung (hier der Kauf von Südland-Anleihen aus dem Besitz von Nordland-Haushalten, und damit eine Konsumerhöhung bzw. Entsparung im Norden) durch eine entgegengesetzte staatliche Finanztransaktion (hier die Übereignung von Südland-Staatsschulden an die Nordland-Zentralbank (und damit eine Entsparung bei privaten Haushalten im Süden) quasi aufgehoben. Wir könnten die Liste der Beispiele fortsetzen, die Quintessenz aller Beispiele ist aber die gleiche: Eine Tilgung von TARGET-Salden ist ökonomisch kaum begründbar. Und was schwerer wiegt: Sie würde eine Art staatsgelenktem Gegensteuern von Vermögenstransfers bedeuten, die von Privaten (oder der WZB, wie in Beispiel 4) vorgenommen worden sind – das erinnert an eine weiter oben erwähnte staatlichen Konsumlenkungspolitik im Stile einer NÖSPL – nur dass sie bei der hier präsentierten, finanzökonomischen Betrachtung eine Folge der TARGET-Saldentilgung ist, und nicht dessen Ursache. Allerdings sollte man nicht vergessen, dass TARGET-Salden, um deren „Tilgung“ es hier geht, nur einen kleinen Teil der zugrundeliegenden Brutto-Zahlungsströme ausmachen. Die Tatsache, dass die regionalen Differenzen in den Bruttozahlungen in der Eurozone seit 2008 kontinuierlich gestiegen sind, wirft die Frage nach möglichen Entstehungsgründen auf. Wie in einer Studie der Europäischen Zentralbank vom September 2017 argumentiert wird, lässt sich der Anstieg der TARGET-Salden in 2016 – 2017 weitgehend durch die Implementierung des Wertpapierkaufprogramms der EZB (Asset Purchase Program) erklären. Grund hierfür ist der auf die einzelnen Notenbanken aufgeteilte Erwerb der Wertpapiere, wobei die Käufe jeweils von der Notenbank des Emissionslands erworben werden – unabhängig vom Ort der aktuellen Portfoliohaltung, vgl. ECB (2017b). In ähnlicher Weise wurde der erste Schub des TARGET-Saldenaufbaus nach 2008 mit der Kapitalflucht aus Peripherie-Ländern in „sichere Häfen“, zumeist nach Deutschland in Verbindung gebracht (Whelan 2017).

III.  Warum eine Beseitigung von TARGET-Salden keine wirkungsvolle Therapie darstellt Von den Kritikern des TARGET-Systems wird immer wieder gefordert, die TARGET-Saldenhöhe zu begrenzen und einen regelmäßigen Saldenausgleich durch eine Tilgung zu erreichen, wobei der ökonomische Vorgang des Tilgens selten thematisiert wird. Der einfachste Vorschlag läuft darauf hinaus, alle be-

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teiligten Länder im Rahmen des TARGET-Systems jährlich zu veranlassen, die zwischenzeitlich entstandenen Salden durch die Übertragung von Vermögenswerten auszugleichen, und damit die Verbindlichkeiten auf der Ebene der Zentralbanken zu tilgen (vgl. Sinn 2018). Andere Vorschläge, wie etwa die Einführung einer TARGET-Salden-Obergrenze oder die fiskalische Absicherung entstehender Salden sind mit dem Vorschlag einer jährlichen Tilgung entstandener Salden eng verwandt. Was auf den ersten Blick sehr plausibel erscheint, die Tilgung entstandener Salden, erweist sich bei genauerer, auf die Finanztransaktionen abstellender Betrachtung als weitgehend unwirksam. Hier ist der Tilgungsvorschlag noch einmal ausführlicher erläutert: In jährlichem Abstand sollen Zentralbanken etwaige Salden, die im Laufe des Jahres auf ihrem Zahlungskonto im Eurosystem aufgelaufen sind, durch den Austausch von Gold oder Wertpapieren wieder auf null bringen. Damit würden, so wird behauptet, die Schuldverhältnisse zwischen Zentralbanken in jährlichem Abstand bereinigt. Das klingt zwar sehr gut, ist aber von zweifelhaftem Wert, insbesondere wenn die Tilgung mit Staatsanleihen erfolgt. In diesem Fall findet ein Tausch des Forderungssaldos der Zentralbank des Landes A, die einen Überschuss verzeichnet, gegen Wertpapiere des Landes B, das ein Defizit verzeichnet, statt. Auf diese Weise wird eine TARGET-Forderung der Zentralbank des Landes A gegen das Eurosystem ersetzt durch eine verbriefte Forderung an den Staat B. Zwei Wege zur Realisierung dieses Tilgungsvorgangs sind denkbar: eine direkte Übertragung der Staatsanleihen von dem Land mit dem Negativsaldo (Land B, „Italien“) an das Land mit dem Positivsaldo (Land A, „Deutschland“), oder eine indirekte Übertragung durch Nutzung eines gemeinsamen TARGET-Kontos des Eurosystems, dem die B-Anleihen gutgeschrieben werden, wohingegen Land A einen Anspruch in entsprechender Höhe gegen das gemeinsame TARGET-Konto erwirbt. Betrachten wir den direkten Ausgleich zuerst. Ein Vergleich der Vermögensposition der Zentralbank des Landes A vor und nach Erhalt der Tilgungszahlung lässt erkennen, dass keine Bilanzverlängerung, sondern lediglich ein Austausch von Vermögenspositionen innerhalb der A-Bilanz stattgefunden hat, ein sogenannter Aktivtausch. Eine Forderung gegenüber dem Euro-System, der sogenannte TARGET-Saldo, wird ausgetauscht gegen eine direkte Forderung gegen den Fiskus des Landes B. Hat sich die Vermögensposition des Landes A durch diesen Tausch insgesamt geändert? Die Antwort ist ein klares „Nein“, wie es auch schon Sinn (2012) in einem VoxEU-Beitrag festgestellt hat: Vor und nach dieser sogenannten Tilgung hält die A-Zentralbank eine Forderung in gleicher Höhe, vorher gegen die Gruppe

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aller Euro-Zentralbanken, nachher allein gegen den Staat Italien. Der erwartete Forderungserlös ist in beiden Fällen gleich hoch.17, 18 Wenn man noch genauer hinschaut, kann sogar argumentiert werden, dass sich nach dem Tausch des TARGET-Saldos in B-Anleihen die Vermögensposition des A tatsächlich verschlechtert hat. Besaß A zuvor Forderungen gegen eine Gruppe von Staaten bzw. deren Zentralbanken, so besitzt es nun einen Anspruch gegen einen einzelnen Staat, möglicherweise sogar gegen einen Staat mit besonders schlechtem Rating, also mit besonders hohem Ausfallrisiko. Zu Erinnerung: Zuvor besaß A eine Forderung gegen das Eurosystem, das als Gruppe von Notenbanken bzw. Staaten naturgemäß ein besseres, nämlich ein durchschnittliches Rating besitzt. Nun betrachten wir den indirekten Ausgleich, der über ein gemeinsames TARGET-Konto aller Zentralbanken läuft. In diesem Fall tauscht die A-Zentralbank im Rahmen einer Saldentilgung eine Forderung gegen das Eurosystem gegen einen Anspruch an das TARGET-Konto aller Zentralbanken. Auf diesem Konto haben alle Defizitländer in Höhe des Negativsaldos, der sich bei ihnen am Jahresende eingestellt hat, Staatsanleihen gutgeschrieben. Wenn z.B., wie derzeit in der Eurozone 10 Länder ein TARGET-Defizit und 10 Länder ein TARGET-Überschuss verbuchen, dann liefern die Defizitländer eigene Staatsanleihen in Höhe ihrer jeweiligen Negativsalden ein. Diese Wertpapiere werden dem gemeinsamen TARGET-Konto gutgeschrieben und tauchen dort wie bei einem privaten Anlageportfolio als eine Liste von Wertpapierbeständen auf. Die Überschussländer erhalten im Gegenzug jeweils einen Anteil an dem gemeinsamen Anleihekonto, wobei jeder Anteil proportional ist zur Höhe des eigenen TARGET-Saldos. Gerechnet in Euro ist der Anteil der A-Zentralbank am Wertpapierportfolio exakt so hoch wie sein bisher bestehender TARGET-Saldo.19 17  Dies gilt übrigens unabhängig von der Qualität der getauschten Wertpapiere. Selbst sogenannte „Schrottpapiere“, also Wertpapiere mit einem Rating unterhalb BBB, erfüllen diese Bedingung, solange sie zu Marktpreisen getauscht werden. Dann erhält der Investor nämlich eine Kompensation für das schlechtere Rating durch eine höhere Rendite. Sinn schlägt in (2018b) eine Übertragung von Gold oder Immobiliengesicherten Pfandbriefen anstelle von Staatsanleihen vor, um „eine Unterbietung der Konditionen des Kapitalmarktes zu verhindern“. 18  Allerdings darf nicht vergessen werden, dass in einem integrierten Wertpapiermarkt, der auch Staatsanleihen und immobiliengesicherter Pfandbriefe umfasst, die erwarteten, risikoadjustierten Renditen für alle Titel gleicher Laufzeit identisch sind – mithin ein höherer Zins nur unter Inkaufnahme von Risiken realisiert werden kann. 19  Nach jedem weiteren Jahr und jeder weiteren Tilgungsaktion verändert sich die Zusammensetzung des TARGET-Wertpapierportfolios. Da im Laufe der Zeit unterschiedliche Länder ein Defizit oder einen Überschuss erleben können, kann sich im Zeitablauf eine Struktur des Wertpapierportfolios herausbilden, die in ihrer Zusammensetzung Ähnlichkeiten mit Eurobonds hat – allerdings unter Weglassung dauerhafter Überschussländer.

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Eine Saldentilgung im TARGET-System ist damit im Grunde eine Umbuchung von einer Forderung in eine andere – mit den gleichen Gegenparteien. Die Ursprungsforderung des TARGET-Kontos richtet sich gegen das Eurosystem, sie wird nun eingetauscht gegen eine Forderung in gleicher Höhe gegen einzelne Länder, oder – im Falle des indirekten Ausgleichs – gegen das gemeinsame Wertpapierkonto des Eurosystems. Was hier als Tilgung bezeichnet wird, ist daher im Grunde eine Umbuchung oder ein Aktivtausch ohne „realen Vermögenstransfer“ – eben die im Eingangsabsatz angesprochene „sogenannte Tilgung“. Manche Autoren (Sinn 2018b) plädieren anstelle von Staatsanleihen für die Übereignung von Gold oder immobiliengesicherten Pfandbriefen, also Zahlungsansprüche gegen private Haushalte der Defizitländer, als Tilgungsinstrument vor. Abgesehen davon, dass unklar bleibt, wieso im Falle einer Rückzahlungsverweigerung durch Staaten deren Bürger rückzahlungswillig sein sollten, wirft die Vorstellung einer realen Saldentilgung die interessante Frage auf, wie man sich einen gemeinsamen Währungsraum vorstellen kann, dessen Regionen sich verpflichten, untereinander jederzeit eine ausgeglichene Leistungsbilanz aufzuweisen. Es ist wohl zu vermuten, dass ein derartiger interregionaler Leistungsbilanz­ ausgleichszwang eine Fortdauer einer Währungsunion belastet, denn er würde bei strenger Auslegung freie und unabhängige Import- und Exportentscheidungen der Wirtschaftssubjekte unter die Bedingung stellen, dass sich insgesamt ein Saldenausgleich ergibt. Dies wird aber ohne steuernde Eingriffe des Staates nur zufällig gelingen. Derartige steuernde Eingriffe, etwa durch eine Festsetzung regionaler Importquoten oder Exportbeschränkungen schafft zusätzliche Anforderungen an die Mobilität von Arbeit und Kapital, die die Vorteile einer Währungsunion in Frage stellen können. Ein weiteres Argument, das gegen die Idee einer Tilgung durch direkte Vermögensübertragung vom Defizit- ins Überschussland vorgebracht werden kann, lautet wie folgt: Angenommen, die Vermögensübertragung würde in Form von Bargeld (Noten) erfolgen – sicherlich die „härteste“ Form der Übertragung, die denkbar ist. Hierfür würde die eine Notenbank ihrem Geldkreislauf eine entsprechende Notensumme entziehen und diese im Eurosystem stilllegen, bzw. auf die eigene Bilanz („Banknoten im Eigenbestand“) nehmen. Der Betrag wird sodann an die zweite Zentralbank überwiesen. Im Zuge der Überweisung entsteht naturgemäß eine Target-Forderung des Empfängers gegenüber dem Absender, wodurch sich der bestehende Saldo weiter erhöht. Bei der Begründung einer Tilgungspflicht wird von vielen Autoren auf die Praxis der Saldentilgung innerhalb des amerikanischen Notenbanksystems als Vorbild verwiesen. Die interessante Frage ist nun: als Vorbild für eine „reale“ oder für eine „sogenannte“ Tilgung? Eine genauere Betrachtung zeigt, dass auch in den USA von einer tatsächlichen Tilgung nicht die Rede sein kann.

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Das US-amerikanische Fedwire-System vereinfacht und beschleunigt den Zahlungsverkehr, indem es die Zahlungen zwischen Privaten über die regionalen Banken des Federal Reserve Systems kanalisiert, woraus sich Verrechnungsungleichgewichte zwischen Regionen (bspw. Kalifornien und Neu-England) ergeben können, die auf Interdistrict Settlement Accounts (ISA) erscheinen, die ganz ähnliche Bedeutung haben wie die TARGET-Salden in der Eurozone. Die jährliche Tilgung zwischenzeitlich entstandener Salden schafft hier gewissermaßen einen Vermögensausgleich zwischen den Regionen und stellt ein ausgeglichenes Verrechnungskonto für alle Banken her, die am Fedwire-System teilnehmen. Eine Darstellung der Saldentilgung im Fedwire-System findet sich bei Wolman (2013). Während der Ausgleich zu Beginn noch in Gold erfolgte, ging man nach dem Ende des Bretton Woods-Abkommens und der Aufgabe des Goldstandards dazu über, die Zentralbanken nicht in Gold, sondern in Staatsanleihen der US-Regierung (US Treasuries) zu tilgen. Seit dieser Zeit besitzen Federal Reserve Banken ein Goldkonto. Die Goldvorräte des Zentralbanksystems der Vereinigten Staaten sind auf die Goldkonten der Zentralbanken verteilt. 20 Obwohl die Tilgung auf den ersten Blick wie ein Transfer realer Konsumansprüche von einer Zentralbank-Region an eine andere erscheint, findet tatsächlich kein Realtransfer, sondern eine Umverteilung statt. Um dies zu verstehen, ist neben dem Goldkonto, das jede Reservebank vorhält, auch das SOMA-Konto zu beachten. Das Kürzel steht für System Open Markt Account, und ist ein Konto, das von der Reservebank von New York geführt wird.21 Über dieses (Wertpapier-)Konto werden stellvertretend für alle übrigen Reservebanken die geld- und kreditpolitischen Transaktionen der USA abgewickelt werden. Die sich am Jahresende ergebenden Salden einzelner Reservebanken werden zu einem Stichtag (approximativ) untereinander ausgeglichen. Dies geschieht unter Nutzung der Goldkonten jeder Zentralbank sowie dem gemeinsamen SOMA-Verrechnungskonto.22 Jahresdurchschnittssalden der einzelnen Reservebanken werden umgebucht auf das Goldkonto. Es wird dann für jede Reservebank das Verhältnis des neuen Stands des Goldkontos zu den (je Reservebank) umlaufenden Banknoten errechnet. Dieser Koeffizient kann für jede einzelne Bank kleiner oder größer als der gewichtete Durchschnitt sein (dem Verhältnis aller 20  Vergleiche hier zu Wolman, A. (2013). „Federal Reserve Interdistrict Settlement“, Economic Quarterly 99.2, 117 – 141. 21  Im Unterschied zu EWU gibt es in den USA zwar ein System der Reservebanken, aber keine übergeordnete Notenbank. 22  Die Tilgungsrechnung basiert auf Jahresdurchschnittssalden, so dass am Stichtag die Salden nur approximativ ausgeglichen sind.

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Goldkonten zum Banknotenumlauf). Ist er kleiner, so erhält die betreffende Reservebank solange eine Erhöhung ihres Anteils am SOMA-Konto, bis der Durchschnittswert erreicht wird. Umgekehrt, ist der Koeffizient für eine Reservebank größer als der Durchschnitt, wie dies für eine Bank mit ISA-Überschuss der Fall ist, so vermindert sich ihr Anteil am SOMA-Konto. Wie man leicht sehen kann, sind die Goldkonten aller Reservebanken anschließend (approximativ) gleich, jeweils relativ zu den von den einzelnen Notenbanken ausgegebenen Banknoten. Auch hier findet zwar ein formaler Forderungstausch statt, er ist aber ohne reale Bedeutung.23 Zeichnet sich eine Region durch wiederholte Saldenüberschüsse relativ zu ihrem Anteil an der Geldmenge (Notenumlauf) aus, so steigt im Zeitablauf deren Anspruch auf das gemeinsame SOMA-Konto.24 Zusammengefasst würde eine Tilgung von TARGET-Salden mittels Übertragung von Staatsanleihen innerhalb des Eurosystems keinen Transfer von Kaufkraft darstellen, sondern eine Buchforderung durch eine gleichwertige andere ersetzen. Die regelmäßig als Vorbild herangezogene Saldentilgung innerhalb des Zahlungsverkehrssystems der US-Notenbank, das Fedwire-System, leistet tatsächlich keinen Transfer von Kaufkraft, sondern erzielt einen Saldenausgleich durch Umbuchung auf einem gemeinsamen Offenmarktkonto. In beiden Fällen handelt es sich um eine Ausbuchung von TARGET-Salden ohne realwirtschaftliche Transfers, immer unter der Annahme, dass die gemeinsame Währung erhalten bleibt. Insoweit als das amerikanische System Vorbild für die Eurozone sein sollte, wäre also auch hier durch Einrichtung eines bei der EZB geführten Offenmarktkontos durch Umverteilung zwischen den Ländern eine Ausbuchung des Saldos darstellbar – allerdings um den Preis des Verlusts der Information, die in der Höhe des TARGET-Saldos als finanzwirtschaftlichen Indikator enthalten ist.25 23  Robert Eisenbeis kommentierte auf einer Tagung des Financial Economists Roundtable im Sommer 2018 die Praxis des Saldenausgleichs im Rahmen des Fedwire-Systems in den USA und von einem „fictitious settlement system“, von einer fiktiven Tilgung, die der Fortführung einer Tradition ausgeglichener Salden dient, nicht aber dem Transfer von Ressourcen aus einer Region in eine andere. Zur Erinnerung: Im TARGET-System würde eine Saldentilgung nicht ganz so leicht möglich sein, weil der Austausch von TARGET-Forderungen gegen Staatsschuldtitel erfolgt, die der Schuldner nicht unbegrenzt selbst schaffen kann – weil die Möglichkeit zur Emission von Staatsanleihen eben durch die Zahlungswilligkeit und -fähigkeit begrenzt ist. 24  Ob auch der relative Anteil zunimmt, hängt von weiteren Faktoren, insbesondere dem von der jeweiligen Reservebank emittierten Noten ab, vgl. Wolman (2013), S. 139f. 25  Wolman (2013) vermutet, dass eine Kumulation der jährlichen ISA-Salden in den USA ein ähnliches Bild wie in der Eurozone ergeben würde – wobei dann die Reservebank von New York eine vergleichbar hohe Forderung gegen das System der Reservebanken hätte, wie es Deutschland gegenüber dem Eurosystem hat. Der Autor vermutet, dass die

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IV.  Die wirtschaftspolitische Bewertung von TARGET-Salden – Eine Einordnung 1.  TARGET-Salden in einer stabilen Währungsunion Im vorangehenden Abschnitt wurde anhand elementarer Grundgeschäfte und der von ihnen im internationalen Zahlungsverkehr ausgelösten Buchungssätzen gezeigt, dass die Forderung nach TARGET-Saldentilgung, wie sie verschiedentlich in der jüngsten Debatte in Deutschland erhoben worden ist, einen Forderungstausch, aber keinen realwirtschaftlichen Transfers bewirkt. Eine Umbuchung zwischen den Notenbanken, wie sie in den USA unter Zuhilfenahme eines zentralen Wertpapierkontos stattfindet, das bei der New Yorker Fed geführte SOMA-Konto, könnte einen Weg zu einer regelmäßigen Glattstellung von TARGET-Salden weisen. Hierfür müsste ein bei der EZB geführtes Offenmarktkonto eingerichtet werden, dessen Bestände für die Umverteilung zwischen den Ländern genutzt werden können. Bevor man sich der Praxis in den USA anschließt, sollte man bedenken, welcher interessante Informationswert in dem TARGET-Saldo heutiger Berechnungsweise steckt – der bei einer regelmäßigen „sogenannten“ Tilgung, also einer Ausbuchung gegen ein gemeinsames Offenmarktkonto, verloren gehen würde. Der TARGET-Saldo europäischer Machart, also als Kumulation von Regionalzahlungsverkehrssalden, ist nämlich bei korrekter Interpretation durchaus nutzbar im Sinne eines europäischen Indikators, oder einer Art europäischem Blutdruckmessgerät, das Aufschluss geben kann über regionale Wirtschaftsentwicklung. Was ist die „richtige“ Interpretation des TARGET-Saldos? Eine ökonomisch sinnvolle Interpretation des Buchungspostens TARGET-Saldo ergibt sich aus der Darstellung der TARGET-Positionsentwicklung ganz natürlich. TARGET-Salden sind nicht nur buchungstechnisch Forderungen oder Verbindlichkeiten einer Notenbank an eine andere, sondern sie sind Ausdruck einer Unausgeglichenheit von interregionalen Zahlungstransaktionen. Diese Salden resultieren aus dem Zusammenwirken aller in Abschnitt II genannten (und weiterer) „Grundgeschäfte“, die Zahlungsverkehr über die Regionalgrenze hinweg auslösen: Sachinvestitionen, Güterhandel, Tourismus, Aktivitäten eines Finanzzentrums, Kapitalflucht, konventionelle und unkonventionelle Geldpolitik – diese und weitere Transaktionen wirken auf den TARGET-Konten ein und erzeugen über einen Betrachtungszeitraum (Tag, Monat, Jahr) hinweg den TARGET-Saldo. Rolle New Yorks als Finanzzentrum der USA der wichtigste Treiber für diese Entwicklung der Salden darstellt.

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Wie wir gezeigt haben, stößt die instinktive Befürchtung, es handele sich bei diesem Saldo um ein finanzielles Ungleichgewicht, dass durch einen Vermögens­ übertrag zwischen Regionen auszugleichen ist, ökonomisch kaum begründet werden kann. Sie ist vor allem dann nicht nachvollziehbar, wenn eine marktwirtschaftliche Ordnung mit internationalem Wettbewerb gegeben ist, bei der es zu Transfers von Vermögen oder Investitionskapital zwischen Regionen oder Nationalstaaten in einem Währungsraum nicht nur kommen darf, sondern sogar – wettbewerbsbedingt – kommen soll. Eine Neutralisierung privater Wettbewerbsergebnisse durch staatliche Gegentransfers, wie es eine TARGET-Tilgung erfordern würde, passt dagegen besser in ein planwirtschaftliches Modell europäischer Wirtschaft, und ist daher abzulehnen. Dennoch, wenn man einer auf Entwicklung und interregionalen Ausgleich gerichteten Regionalförderpolitik Raum geben möchte, und dies geschieht sowohl innerhalb von Nationalstaaten als auch innerhalb der europäischen Union, dann können TARGET-Salden durchaus wichtige Hinweise auf interregionale Ungleichgewichte liefern. Um TARGET-Salden in diesem Sinne als Analyseinstrument zu verwenden, müssten die Zahlungsströme, die grundlegend für die Entstehung der Salden sind, auf ihren Ursachen hin untersucht werden, also auf die Grundgeschäfte, deren außergewöhnliches Volumen zu der Abweichung eines Gleichlaufs von ein- und ausgehenden Zahlungsvorgängen in ungewöhnlichem Ausmaß beigetragen hat. Nehmen wir zum Beispiel die Exporterfolge der Firmen des A-Landes auf den Märkten des B-Landes. Wenn diese Erfolge mit unsolider Leasingfinanzierung ermöglicht wurden, so dass aus ökonomischer Sicht die Exporterlöse von späteren Kreditverlusten geschmälert werden, dann sind zwischenzeitliche Salden des Zahlungsverkehrssystems, die auf derartige Exporte zurückgeführt werden können, eng verbunden mit späteren Bankverlusten. Ein entsprechender TARGET-Saldo signalisiert dann uneinbringliche Forderungen im Grundgeschäft und kann damit ein Finanzstabilitätsrisiko anzeigen. Dies ist dann der Fall, wenn die Aufblähung des Exports eines Landes strukturell durch unsolide Kreditierung erfolgt ist und damit längerfristig zu wirtschaftlichen Verlusten im Exportland führen wird. Das TARGET-System spiegelt diese Grundgeschäfte lediglich wider – ein etwaiger Saldo ist daher so risikotragend oder so solide, wie das Portfolio an Grundgeschäften, das ihm zugrunde liegt. Im eben geschilderten Falle unsolider Exportfinanzierung signalisiert der Saldo tatsächlich ein Risiko. Umgekehrt gilt aber auch, solange die beteiligten Geschäftsbanken aufgrund ausreichenden haftenden Eigenkapitals und weitere nachrangiger Kapitalpositionen gezwungen sind, leichtfertige Kreditvergabe aus Eigenmitteln zu bedienen, und damit einen starken Anreiz haben, leichtfertige Kreditvergabe erst gar nicht stattfinden zu lassen, solange stellen die im TARGET-Saldo aufscheinenden Exporterfolge der Firmen des A-Landes tatsächliche Erfolge, ohne anschließende Kreditverluste

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dar – und sind somit kein Anlass zur Besorgnis. Die soeben aufgezählten Bedingungen der Harmlosigkeit eines Grundgeschäftssaldos deckt sich daher weitgehend mit den Funktionsbedingungen der Bankenunion.26 Nehmen wir als zweites Beispiel die Kapitalflucht aus Land B in Land A. Die Überweisungskette der Anleger in Land B über ihre Banken, die beteiligten Zentralbanken und die Empfängerbank in Land A führt ebenfalls zu einem positiven TARGET-Saldo in Land A und einem negativen in Land B. Eine anhaltende Kapitalabwanderung aus B nach A wird möglicherweise die Produktionskapazitäten in A erweitern, und mit ihnen die Einkommen und allgemein die wirtschaftliche Stabilität in A steigern – und gleichzeitig jene in Land B verringern. Eine derartige Situation signalisiert eine nicht ausreichend attraktive wirtschaftliche Rahmensituation in B, und kann Anlass für politisches Handeln sein.27 Sollte sich die Situation auch langfristig nicht bessern, so kann auf Dauer die Zahlungsfähigkeit des B-Landes sinken und damit ein Ausfallrisiko auf öffentliche Schulden zunehmen. Insofern kann ein TARGET-Saldo bei Kapitalflucht durchaus eine Problemsituation signalisieren, ohne selbst Treiber dieser Entwicklung zu sein. Die beiden Beispiele – der Exporterfolg mit solider oder unsolider Kreditfinanzierung sowie die Kapitalwanderung mit oder ohne sinkende Steuerkraft im Fluchtland – können zu TARGET-Salden beitragen und legen sehr unterschiedliches politisches Handeln nahe. Eine Tilgung der Salden mit Staatsanleihen hat mit dieser Einschätzung wenig (oder gar nichts) zu tun, weil bei dauernder Fortführung der gemeinsamen Währung eine Salden-Tilgung keine Veränderung der Grundsituation und auch keine Veränderung der gegenseitigen Forderungen und Verbindlichkeiten bewirkt. 2.  TARGET-Salden in einer instabilen Währungsunion („Exit-Szenario“) Die vorangegangene Analyse hat zwei Einsichten erarbeitet, die für den Fall eines Exits von besonderer Bedeutung sind. TARGET-Salden sind im laufenden Verkehr einer Währungsunion aktivische oder passivische Verrechnungsgrößen ohne Anspruchscharakter Dritter, sogenannte Perioden- und-Regionalabgrenzungsposten. Sie lassen sich auch ohne Realtransfers unter Hinzuziehung eines gemeinsamen Wertpapierkontos der EZB in regelmäßigen Abständen auf null stellen. 26  Eine strikt implementierte BRRD, einschließlich eines funktionsfähigen SSM, einer wohl-präparierten SRB samt nationaler Abwicklungseinrichtungen trägt damit zu der Solidität der Gesamtheit der Grundgeschäfte wesentlich bei. 27  Die geschilderte Situation muss aber keineswegs instabil sein. Auch bei langfristigen Kapitalabflüssen aus B kann sich dieses Land in ein Land von Rentiers verwandeln, deren Einkommen Kapitaleinkommen ist, das überwiegend im A-Land erwirtschaftet wird.

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Zum ersten Punkt: Die Entstehung von TARGET-Salden aus den Zu- und Abflüssen des internationalen Zahlungsverkehrs begründen keine Rechtspositionen gegenüber Dritten – sie sind interregionale oder intertemporale Abgrenzungspositionen, die im Laufe der Zeit zu einer Gegenbuchung führen werden. Zum Beispiel kann die im Beispiel 3 genannte Auslandsinvestition (Kapitalflucht) zu einem noch nicht bekannten späteren Zeitpunkt zu einer Auslandsdesinvestition führen, die eine TARGET-Position in entgegengesetzter Richtung auslöst. Ein TARGET-Saldo stellt insofern eine Regional- und Periodenabgrenzung bezogen auf die Differenz aller Einzeltransaktionen dar. Aus dieser Position ergibt sich zwar ein Hinweis auf die Saldenmechanik und -dynamik des Zahlungsverkehrs einer Währungsunion – aber es entsteht keine Forderung oder einklagbarer Rechtsanspruch gegen ausgewiesene Dritte. Wenn überhaupt, dann besteht ein Anspruch gegen die Gemeinschaft als Ganze. Zum zweiten Punkt: Entsprechend der hier vertretenen Ansicht richten sich TARGET-Salden als Abgrenzungsposten vermögensmäßig gegen die Währungsgemeinschaft insgesamt. Dies ermöglicht auch eine regelmäßige Saldentilgung, wie es in den USA im Rahmen des Fedwire Systems in jährlichem Rhythmus geschieht. Wir im vorangegangenen Abschnitt gezeigt, findet bei Fedwire keine reale Tilgung statt, wie es manche deutsche Beobachter vermutet haben, sondern tatsächlich wird durch nominelle Umverteilung des Bestands im zentralen Offenmarktkonto der federführenden Reservebank (New York) eine Art Nullsetzung des Verrechnungssaldos erreicht. Damit eignet sich die Fedwire-Prozedur auch für die Eurozone: Durch jährliche Aufteilung eines gemeinsamen Offenmarktkontos der EZB (GOM-Konto) zwischen den Teilnehmern der Währungsunion kann es gelingen, die TARGET-Salden aller beteiligten Länder regelmäßig wieder auf null zu setzen. Zu diesem Zweck kann ein Ausgleichskonto in jeder Zentralbankbilanz eingerichtet werden. Dieses Konto kann als Euro-Saldenkonto bezeichnet werden.28 Zum Jahresschluss bucht jede Zentralbank den Schlussbestand ihres TARGET-Kontos auf das eigene Euro-Saldenkonto; dies ist ein reiner Aktiv- oder Passivtausch, je nachdem ob der Saldo positiv oder negativ ist. Der TARGET-Saldo wird zusammengefasst mit dem Übertrag des Euro-Saldenkontos aus dem Vorjahr. Es kann daher aktivisch („Forderung“) oder passivisch („Verbindlichkeit“) sein. Im nächsten Schritt wird eine gemeinsame Bezugsgröße gewählt, etwa der Bargeldumlauf im jeweiligen Zentralbankbezirk, oder die Größe M1 je Zentral28  Zur Eröffnung werden auf diesem Konto die Beteiligungen der nationalen Zentralbanken an dem Gegenkonto der EZB zu ihrem Offenmarktkonto, oder einem Unterkonto, eingebucht (Buchungssatz: „Euro-Saldenkonto der Zentralbank 1,.2,.3,…“ an „Wertpapierbestand aus Offenmarktgeschäften der EZB“).

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bank. Sodann wird das Verhältnis von Euro-Saldenkonto zu Bargeldumlauf/M1 gebildet und als γ(i,t), wobei Gamma für die Verhältniszahl, i für das Land und t für das Jahr steht. Für jedes Jahr werden zu einem Stichtag alle γ(i,t) ermittelt, sodann γ(t) als Durchschnittswert über alle Länder zu diesem Zeitpunkt errechnet und anschließend kann die Differenz γ(i,t) - γ(t) = (∆γ)(i,t) bestimmt werden. Anschließend erfolgt eine Zuweisung aus dem GOM-Konto der EZB, so dass der Koeffizient γ(i,t) für alle Zentralbanken gleich wird. Bei entsprechender Normierung addieren sich die Summe aller Transfers eines Jahres gerade zu null – Länder mit anhaltend positivem/negativem TARGET-Saldo, der über den Aufwuchs an Bargeldumlauf/M1 hinausgeht, erwerben dann über die Zeit einen zunehmenden/abnehmenden Anteil am GOM-Konto. Nationale TARGET-Salden sind damit im Ergebnis verschwunden und stellen zum Zeitpunkt der Exit kein Problem dar – was bleibt ist die EZB-Bilanz, und das Vertragsverhältnis zwischen der ausscheidenden Notenbank und dem Eurosystem. Eine vertragliche Klärung dieses Verhältnisses steht dann ohnehin an – und ist unabhängig von dem Stand des TARGET-Saldos. Eine vollständige Behandlung des Austritt-Szenarios kann hier nicht geleistet werden – ein realistisches Euro-Ausstiegsszenario ist nach den bisherigen Erfahrungen mit dem Brexit, der eigentlich technisch einfacher, da ohne Währungsunion, sein sollte, nicht seriös planbar. Offene TARGET-Salden oder Anteile an einem gemeinsamen GOM-Konto werden dann vermutlich das kleinste Problem sein. Die eigentlich bedeutsamen Grundgeschäfte (wie z.B. Kredite an Firmen in B-Land) sind in Euro oder in Dollar abgeschlossen – sie müssen auch nach dem Euro-Austritt in diesen Währungen erfüllt werden. Es kann durchaus sein, dass diese Vertragserfüllung in Fremdwährungen einem Land mit frisch eingeführter nationaler Währung schwerer fällt, die Refinanzierung also teurer wird oder vorübergehend sogar ganz unmöglich wird, wodurch das Ausfallrisiko steigen dürfte. Das gilt in ähnlicher Weise für die Grundgeschäfte, bei denen ein Kreditnehmer in B-Land nach einer Neubewertung der nationalen Währung gegenüber dem Euro unter Umständen real höhere Refinanzierungskosten hat. Auch hier sind Kreditausfälle wahrscheinlicher und Verlusterwartungen höher. Alle ausstehenden Verträge zwischen der Notenbank und dem Eurosystem sind in Euro ausgewiesen – sie werden bei Austritt zwischen den betroffenen Zentralbanken und der EZB zu regeln sein. Da ein solcher Fall bisher nicht beobachtet worden ist, könnte man vermuten, dass die EZB fest auf der Einlösung des Tilgungsversprechens bestehen wird – schon um den Anreiz für „Leavers“ nicht zu erhöhen. Von daher ist zu erwarten, dass die Gläubigerposition der EZB

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im Rahmen des TARGET-Systems stärker ist, als sie es im Rahmen eines alternativen Zahlungsverkehrssystems, etwa eines privaten Interbankenmarktes wäre. Abschließend bleibt noch der Titel dieses Beitrags zu erklären: Über Scheinriesen. Als solche wird in Michael Endes Klassiker „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“ eine besondere Figur bezeichnet, die aus der Ferne riesengroß erscheint, bei Annäherung aber immer weiter schrumpft. Die Analogie zu der Bedeutung der Target-Salden ist offensichtlich. Die hier vorgetragenen Argumente legen nahe, dass die Problematik der TARGET-Salden in einigen neueren Beiträgen zum Thema durchaus überzeichnet wird und dass eine nähere Betrachtung der ihr zugrundeliegenden Grundgeschäfte und saldenmechanischen Beziehungen eine ganz andere, viel bescheidenere und durchaus nützliche, weil Wirtschaftspolitik leitende, Rolle der Salden erkennen lässt. Vor allem aber sind relativ einfache Reformen des Eurosystems denkbar, die auf verblüffend einfachem Wege eine regelmäßige Tilgung oder vollständige Eliminierung von TARGET-Salden erlauben. Was liegt also näher, als einen dieser Wege zu einer Stärkung des Eurosystems zu begehen?29

V.  Zusammenfassung in 6 Thesen (1) TARGET-Positionen bilden die Zahlungswirkungen privater, binnenwirtschaftlicher, grenzüberschreitender Aktivitäten innerhalb der Währungsunion ab. TARGET-Salden messen demnach die Ausgeglichenheit interregionaler Zahlungsströme innerhalb gegebener Perioden, sie sind Periodenregionalsalden. (2) Periodenregionalsalden sind nur zufällig ausgeglichen; auch unausgeglichene Salden können ökonomisch nachhaltig sein. Eine bilanzielle Erfassung von Periodenregionalsalden (als TARGET-Salden) führt zu aktivischen oder passivischen Abgrenzungsposten, die Ansprüche gegen das Eurosystem als Ganzes, aber nicht gegen einzelne Dritte begründen. (3) Eine Tilgung von TARGET-Salden zwischen Zentralbanken würde eine staatliche ex-post-Nivellierung interregional unausgeglichener Zahlungsströme bedeuten. Je nach dem, was die Ursache der Unausgeglichenheit ist, wird einem von Privaten verursachter Netto-Zahlungsstrom zwischen Regionen spiegelbildlich ein Transfer staatlicher Mittel entgegengesetzt – ein mit der marktwirtschaftlichen Ordnung nur schwer zu vereinbarender, dirigistischer Eingriff in den Wettbewerb. 29  Eine Entspannung der Diskussion um interregionale Zahlungsverkehrssalden könnte man vielleicht auch dadurch erreichen, dass die einzelnen Zentralbankregionen nicht unbedingt mit nationalen Landesgrenzen in Eins fallen müssen. M. Burda hat hierfür einen schönen Vorschlag mit 5 Regionen unterbreitet, die die Eurozone abdecken und mehrere Länder bzw. Teile von Ländern enthalten.

Über Scheinriesen: Was TARGET-Salden tatsächlich bedeuten

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(4) Soll aufgrund politischen Willens eine dauerhafte Änderung von TARGET-Salden (z.B. in Richtung null) erreicht werden, so muss bei den Grundgeschäften als den „Treibern“ interregionaler Zahlungsströme angesetzt werden, die ihrerseits TARGET-Positionen hervorbringen. Typische grenzüberschreitende Grundgeschäfte sind: Warenlieferungen mit oder ohne Kredit, Privatinvestitionen und Kapitalflucht, Firmeninvestitionen, Wertpapierkäufe/-verkäufe durch Zentralbanken (QE) – und vieles mehr. (5) Eine Reform der operativen Struktur des Eurosystems würde eine Tilgung des TARGET-Saldos erlauben: Hierfür bedarf es regelmäßiger Umbuchungen der National-Zentralbankquoten an einem Gemeinsamen Offenmarktkonto der EZB, ähnlich wie es im US-amerikanischen Fedwire-System schon heute geschieht. Eine weitergehende Reform würde nationale Zentralbanken als Intermediäre im Eurosystem vollständig ausblenden, indem alle geldpolitischen Maßnahmen und der Zahlungsverkehr unmittelbar über die EZB laufen; TARGET-Salden würden dadurch vollständig verschwinden. (6) Sofern der Exit eines Landes aus der Währungsunion als Gefahrenquelle gesehen wird, wie dies in der aktuellen Diskussion in den deutschen Medien der Fall ist, so würden die unter (5) genannten Maßnahmen eventuelle Vermögensrisiken von TARGET-Salden vollständig vermeiden. Man sollte aber beachten, dass es zahlreiche weitere Kosten und Erträge gibt, die mit einem Exit verbunden wären und deren Gesamtabschätzung seriös heute nicht möglich ist. Verlässliche und belastbare Rahmenbedingungen einer Banken- und Kapitalmarktunion sind dann die besten Garanten für eine Nachhaltigkeit des Gesamtsystems – und damit ein wirksamer Schutz gegen den opportunistischen Exit eines Landes.

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II. Zentralbanken und Geldpolitik II. Zentralbanken und Geldpolitik

Otmar Issing: Unabhängigkeit der Notenbank – Garantie für stabiles Geld?

Unabhängigkeit der Notenbank – Garantie für stabiles Geld? Otmar Issing Otmar Issing Unabhängigkeit der Notenbank – Garantie für stabiles Geld?

I.  Die Ausgangslage Helmut Siekmann sieht den Hauptgrund für die Schaffung von Notenbanken, die unabhängig sind, darin, „den Staat daran zu hindern, das Geldwesen für politische Zwecke in einer Art und Weise einzusetzen, welche die Stabilität des Geldwerts gefährden“.1 Es hat sehr lange gebraucht, bis sich diese Auffassung allgemein durchgesetzt hat. Erst um das Jahr 1990 haben die meisten Staaten ihren Notenbanken den Status der Unabhängigkeit eingeräumt. Was waren die Gründe für diese Entwicklung? Verkörpert ein entsprechender Notenbankstatus eine Art endgültigen Höhepunkt und damit das „Ende der Geschichte“? Oder stehen wir vor einem Wendepunkt und wächst der Widerstand gegen die Unabhängigkeit der Notenbanken? Und wenn ja, was sind die Gründe dafür? Diesen Fragen ist der folgende Beitrag gewidmet.

II.  Deutsche Erfahrungen Publikationen zur Unabhängigkeit der Notenbank füllen inzwischen Bibliotheken. Über diesem Befund könnte man leicht vergessen, dass dieses Thema erst spät größere Bedeutung fand. Solange das Geld aus edlem Metall bestand oder über eine feste Relation etwa an das Gold gebunden war, stellte sich die Frage nach der Unabhängigkeit der Notenbank nicht. Die „goldene Fessel“ verhinderte den Missbrauch der Notenpresse, die Geldpolitik war durch den verfügbaren Goldvorrat beschränkt. Schon jetzt sei jedoch darauf verwiesen, dass im „Notfall“, d. h. vor allem in Zeiten des Krieges, die Goldbindung der Währung fast regelmäßig ausgesetzt wurde. In einer Notlage herrschen besondere Bedingungen, politische und wirtschaftliche Zwänge.

1 

Siekmann, in: Siekmann, Art. 130 AEUV S. 413.

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Otmar Issing

Das lehrt eindrucksvoll das Beispiel der Reichsbank. Diese war bis 1922 Teil des Staatsapparats. Die Alliierten setzten im Jahre 1922 ein neues Reichsbankgesetz als Gegenleistung für die vorübergehende Aussetzung der Reparationszahlungen durch.2 An der monetären Finanzierung der Staatsausgaben und der Beschleunigung der Inflation änderte sich dadurch nichts. Der damalige Reichsbankpräsident Rudolf Havenstein legte in einem Brief vom 4. März 1922 an den Gouverneur der Bank of England Montagu Norman dar, dass unter den in Deutschland herrschenden Bedingungen das neue Reichbankgesetz zwar die Stellung der Notenbank stütze, aber kaum eine Möglichkeit bestünde, die Inflation aufzuhalten.3 (Auf die aus heutiger Sicht geradezu abstrusen geldtheoretischen Vorstellungen der Reichsbankleitung sei hier nur hingewiesen.) Als Argument gegen die Unabhängigkeit taugt diese Episode jedoch nicht. Das neue Reichsbankgesetz vom 15. Juni 1939 unterstellte dann die Reichsbank direkt dem „Führer“4. Damit war auch formal der Weg frei zur unbeschränkten Finanzierung des Krieges. Deutschland blieb auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges lange Zeit ein Sonderfall. Es waren die Alliierten, genauer gesagt die Amerikaner, die darauf bestanden, der neu gegründeten Bank deutscher Länder den Status der Unabhängigkeit zu verleihen. Wie sich bald herausstellte, hätten die Leiter der Notenbank ihren auf Erhaltung der Geldwertstabilität ausgerichteten Kurs ohne diese „Abschirmung“ gegenüber politischen Einflüssen wohl kaum durchhalten können. Der Hinweis auf die massive Kritik des damaligen Bundeskanzlers an der Geldpolitik in seiner berühmten Gürzenich-Rede mag hier genügen. Aus diesem Vorfall geht hervor, dass die Unabhängigkeit der Notenbank auch im Nachkriegsdeutschland keineswegs unumstritten war. Die Wissenschaft beschäftigte sich nur wenig mit diesem Thema. Es ist im Übrigen bezeichnend – und wenig bekannt –, dass auf der Tagung des Vereins für Socialpolitik im Jahre 1958 die Forderung nach einer unabhängigen Notenbank unter den jüngeren Wissenschaftlern heftige Proteste auslöste.5 Warum wurde dann der Status der Unabhängigkeit in das Bundesbankgesetz übernommen? Dafür gibt es zwei Erklärungen. Im politischen Prozess war es in 2 Siehe

James, S. 50 ff. in the whole for the next coming time I only see limited possibilities for the Reichsbank to interfere, and chiefly for limiting the inflation today the autonomy of the Reichsbank is but a very small expedient. … the conditions forced upon us are stronger than human beings, and the financial position of Germany, if remaining such, as it is, is hopeless and the inflation must continue, as long as the impossibility of compensating the balance of payments and of balancing the budget caused by the impossible reparation payments exists.“ 4  James, S. 72. 5  Bombach, S. 41. 3  „But

Unabhängigkeit der Notenbank – Garantie für stabiles Geld?

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erster Linie Ludwig Erhard, der sich gegenüber Konrad Adenauer durchsetzte. Entscheidend war aber das große Ansehen, das sich die Notenbank in einer Bevölkerung erworben hatte, die noch stark von den Erfahrungen zweier Inflationen geprägt war. Die Bundesbank galt in der Folge als Garant stabilen Geldes. Die D-Mark war – neben dem Schweizer Franken – die stabilste Währung in der Welt. Dieser Erfolg und die starke Verankerung im Bewusstsein der Deutschen spielte dann eine entscheidende Rolle, als es zu den Verhandlungen über das Statut der künftigen Europäischen Zentralbank kam.

III.  Internationale Entwicklungen Wie schon erwähnt spielte das Thema Unabhängigkeit in der internationalen Diskussion lange keine Rolle, und zwar auch noch in der Zeit, als im Nachkriegsdeutschland entsprechende institutionelle Entscheidungen getroffen wurden. In den USA waren noch Mitte der 1960er Jahre nur wenige Ökonomen geneigt, eine unabhängige Notenbank zu fordern.6 Das änderte sich erst nach den Erfahrungen der 1970er Jahre, die in den USA als Zeit der „großen Inflation“ bezeichnet wird. Neben zahlreichen Studien zu den makroökonomischen Gründen für diese Entwicklung stellte man schließlich auch die Frage, ob, und wenn ja inwieweit möglicherweise institutionelle Ursachen eine Rolle gespielt haben könnten. Es ist allerdings bezeichnend, dass die erste Studie, die auf einen (negativen) Zusammenhang zwischen dem Grad der Inflation und der Unabhängigkeit der Notenbank hinwies,7 kaum Resonanz fand und nicht veröffentlicht wurde. In den 1980er Jahren folgten zahlreiche Studien, die durchweg diese negative Korrelation bestätigten.8 Dieses Ergebnis hat sich im Weiteren als robust erwiesen. Zunehmend berücksichtigen die empirischen Arbeiten auch die verschiedenen Aspekte und Grade der Unabhängigkeit.9 Der eindeutige Befund und das Beispiel der Deutschen Bundesbank waren die Grundlagen dafür, dass bei den Verhandlungen über den Maastricht-Vertrag am Ende Übereinstimmung darüber erzielt wurde, der künftigen Europäischen Zentralbank den Status der Unabhängigkeit einzuräumen. Es gibt wohl kein anderes Notenbankgesetz, das so ausführlich und eindrücklich politischen Versuchungen Einhalt gebietet (Art. 130 AEUV):

6 

Johnson, S. 268. Bade/Parkin. 8  Für einen Überblick Grilli/Masciandaro/Tabellini, S.  341 – 392. 9  Für einen Überblick zu den rechtlichen Einzelausprägungen der Unabhängigkeit siehe Siekmann, S. 418 ff. 7 

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„Bei der Wahrnehmung der ihnen durch die Verträge und Satzungen des ESZB und der EZB übertragenen Befugnisse, Aufgaben und Pflichten darf weder die Europäische Zentralbank noch eine nationale Zentralbank noch ein Mitglied ihrer Beschlussorgane Weisungen von Organen, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union, Regierungen der Mitgliedsstaaten oder anderen Stellen einholen oder entgegennehmen. Die Organe, Einrichtungen oder sonstigen Stellen der Union sowie die Regierungen der Mitgliedstaaten verpflichten sich, diesen Grundsatz zu beachten und nicht zu versuchen, die Mitglieder der Beschlussorgane der Europäischen Zentralbank oder der nationalen Zentralbank bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu beeinflussen.“

Diese Übereinkunft ist umso erstaunlicher, als zu diesem Zeitpunkt faktisch keine andere europäische nationale Notenbank über einen vergleichbaren Status verfügte. Sich auf eine gemeinsame gesetzliche Regelung zu einigen, war ein großer Erfolg. Schon zum Zeitpunkt der Verhandlungen war allerdings zu erkennen, dass dieser Beschluss nicht unter allen Vertragspartnern mit voller Überzeugung geschah. Extreme Distanz zum Institut der Unabhängigkeit zeigen die Ausführungen des französischen Staatspräsidenten François Mitterrand in einer Fernsehdebatte vom 3. September 1992 im Vorfeld des französischen Referendums über den Maastricht-Vertrag: „La Banque Centrale, la future Banque Centrale … elle ne décide pas. …Les techniciens de la Banque centrale sont chargés d’appliquer dans la domaine monétaire les décisions du Conseil Européen, prises par les douze Chefs d’Etat et de Gouvernement, c´est-à-dire par les politiques qui représentent leurs peuples … Or, j’entends dire partout … que cette Banque Centrale Européenne sera maîtresse des décisions! Ce n’est pas vrais! La politique monétaire appartient au Conseil Européen et l’application de la politique monétaire appartient à la Banque Centrale, dans le cadre des decisions du Conseil Européen.“

Einen eklatanteren Widerspruch zur kurz vorher eingegangenen Verpflichtung kann man sich kaum vorstellen. Muss man sich wundern, wenn Vorbehalte gegen die der EZB eingeräumte Unabhängigkeit später in kritischen Zeiten in offene Ablehnung ausschlagen? Weltweit hatte sich zu dieser Zeit die Überzeugung durchgesetzt, die Unabhängigkeit der Notenbank als notwendige Voraussetzung für eine Politik stabilen Geldes gesetzlich zu verankern.10 Dies drückt sich in einem eindrucksvollen Anstieg der Zahl unabhängiger Notenbanken aus.11

10  Zu

einer umfassenden Diskussion der Frage, ob und inwieweit in einer Demokratie Macht an unabhängige Institutionen („unelected power“), insbesondere Notenbanken übertragen werden soll, welche Grenzen dabei zu ziehen sind etc. siehe Tucker. 11 Siehe Masciandaro/Romelli.

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Bezeichnenderweise ist die Bank of England, zweitälteste Notenbank der Welt, ein „late comer“ in dieser Runde. Die Begründung, mit der Schatzkanzler Gordon Brown die Bank of England in die (weitgehende) Unabhängigkeit entließ, spricht die Argumente an, die Helmut Siekmann in seinem Kommentar hervorhob: „The previous arrangements for monetary policy were too short-termist, encouraging short but unsustainable booms and higher inflation, followed inevitably by recession. This is why we promised in our election manifesto to … reform the Bank of England to ensure that decision-making on monetary policy is more effective, open, accountable and free from short-term political manipulation.“

IV.  Gefährdungen der Unabhhängigkeit Nach diesem Siegeszug des Instituts der Unabhängigkeit der Notenbank hat sich der Wind gedreht. Kritische Stimmen nehmen zu, nicht nur von Seiten der Politik. Wie lässt sich dieser Wandel erklären? 1.  Demokratietheoretische Einwände Seit jeher stößt die Forderung nach Unabhängigkeit der Notenbank auf den Einwand, man könne eine so wichtige Aufgabe wie die Geld- und Währungspolitik nicht dem demokratischen Prozess entziehen. Diese Position kommt auch in dem bereits erwähnten Einwand von Präsident Mitterrand zum Ausdruck. In der Debatte um die Unabhängigkeit der Bundesbank blieben solche Vorbehalte in der Minderheit.12 „Alle Staatsgewalt geht vom Volk aus – nur nicht die der deutschen Bundesbank.“13 Es ist hier nicht der Ort, noch liegt es in der Kompetenz des Verfassers, die rechtliche Frage im Detail zu behandeln. Für Deutschland kann man die herrschende Meinung wohl so zusammenfassen: Die Unabhängigkeit der Bundesbank ist nicht aus dem Grundgesetz abzuleiten, dieses steht dem aber auch nicht entgegen.14 „Die aufgefundene beschränkte Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank von der Regierung ist verfassungsgemäß, aber nicht verfassungsgeboten… Die Selbstentmachtung der politischen Führung zugunsten der Währungsfachleute ist limitiert, verfassungsrechtlich legitimiert und durch den einfachen Gesetzgeber jederzeit widerruflich.“15

12 Dazu

Issing (1993). Hoffmann, S. 53. 14  Stern, S. 449 ff. 15  Schmidt, S. 655 (679). 13 

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Die bewusste Selbstentmachtung der Politik kann generell als das kennzeichnende Charakteristikum für die Entscheidung gelten, der Notenbank eines Landes den Status der Unabhängigkeit zu verleihen. Die bereits zitierte Erklärung von Schatzkanzler Gordon Brown bietet dafür ein eindrucksvolles Beispiel. Die Verankerung der Unabhängigkeit im Gesetz ist das eine, die Akzeptanz und Unterstützung durch die Öffentlichkeit ist das andere. Auf die besondere Stellung der Bundesbank im Bewusstsein der Bevölkerung wurde bereits verwiesen. Hier liegt auch der Hauptgrund dafür, dass es nie zu ernsthaften politischen Attacken auf die Unabhängigkeit kam, obgleich diese formal nur auf einem einfachen Gesetz beruhte und theoretisch mit einer Stimme Mehrheit jederzeit hätte geändert werden können. Im Gegensatz dazu gehören politische Angriffe auf die Notenbank in den USA schon fast zum Alltag. So sind z. B. für die Jahre 1979 – 1990 nicht weniger als 200 Kongressvorlagen zu verzeichnen, die 307 Vorschläge enthielten, zu insgesamt 56 Problembereichen, die die Struktur des Federal Reservesystems zur Durchführung der Geldpolitik verändern wollten.16 Vorgänge aus der jüngeren Vergangenheit belegen die Fortdauer dieser „Tradition“. Eine umfassende Studie für die Zeit von 1947 – 2014 schließt mit der Warnung: „…Congress retains the power to remake the nation’s monetary regime. Central bank­ ers have to remain alert to the possibility – however remote – of existential threats to the institution.We doubt the path forward will be easy for even the best intentioned and expert of central bankers“.17

2.  Überforderungen der Notenbank Es kann nicht überraschen, dass der Status der Notenbank, insbesondere ihre Unabhängigkeit, immer dann in den Mittelpunkt der Diskussion rückt, wenn mehr oder weniger große Teile der Politik und der Öffentlichkeit mit der Geldpolitik – aus welchen Gründen auch immer – unzufrieden sind. Dazu haben im Laufe der Zeit eine Reihe von Gründen beigetragen: Seit den 1990er Jahren wuchs zunächst das Ansehen der Notenbanken in bisher unbekannte Höhen. So war die sog. Great Moderation, d. h. eine weltweite wirtschaftliche Entwicklung, die durch niedrige Inflation, beachtliches Wachstum und niedrige Arbeitslosigkeit gekennzeichnet war, nach der überwiegenden Einschätzung der Geldpolitik zu verdanken. Nach dem Ausbruch der Finanzkrise im Jahre 2008 trugen die Notenbanken dazu bei, dass die Weltwirtschaft nicht in eine große Depression wie Anfang der 1930er Jahre stürzte und es bei einer, wenn auch tiefen, Rezession blieb. „Saviour of the world“ steht für diesen Erfolg. Es konnte 16  17 

Akhtar/Hove, S. 372. Binder/Spindel.

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nicht ausbleiben, dass daraus Erwartungen erwuchsen, die Notenbanken könnten den Wirtschaftsablauf kontrollieren. Diese Erwartungen überfordern jedoch die Geldpolitik – Enttäuschungen können kaum ausbleiben.18 Die Notenbanken waren aber nicht nur mit überhöhten Erwartungen konfrontiert – und überfordert. Zunehmend wurden sie mit neuen Aufgaben und Kompetenzen überladen.19 Bankenaufsicht, makroprudenzielle Aufsicht und Verantwortung für die Finanzstabilität sind für sich gewaltige Aufgaben und führen in der Verbindung zwangsläufig zu Konflikten mit der genuinen Aufgabe der Geldpolitik. Die Folgen dieser Überforderung drohen die Reputation der Notenbanken zu untergraben. Die Notenbanken haben aber auch selbst zu dieser kritischen Entwicklung beigetragen. Dies gilt insbesondere für Maßnahmen, die die Grenzen zur Finanzpolitik mehr oder weniger überschreiten. Der Fall der EZB ragt dabei heraus. Als sie im Mai 2010 Anleihen einzelner Staaten kaufte, um einen starken Zinsanstieg zu vermeiden, geriet sie unweigerlich in Konflikt mit dem Verbot der monetären Staatsfinanzierung. Die berühmte Ankündigung Präsident Draghis „whatever it takes“ war als Kommitment der EZB zu verstehen, im Ernstfall den Zusammenhalt der Währungsunion sicherzustellen. Diese Aufgabe fällt aber eindeutig in den Bereich der Politik, also dorthin, wo am Ende die Verantwortung gegenüber dem Wähler angesiedelt ist. Der Zusatz „within our mandate“ kann daran nichts ändern, schließlich ist die EZB nicht ermächtigt, die Grenzen ihres Mandats selbst festzulegen bzw. zu erweitern.20

V.  Unabhängigkeit der Notenbanken – nur eine Episode? Es kann nicht überraschen, dass der eingangs beschriebene Konsens über das Institut der Unabhängigkeit inzwischen verlorenzugehen droht. Nicht wenige Experten sehen bereits das Ende der Unabhängigkeit.21 Als wesentliche Ursache für diese Entwicklung muss das Überschreiten des Mandats gelten. Die Unabhängigkeit der Notenbank ist begründet in der Überzeugung, dass auf Dauer nur eine unabhängige Notenbank einen Kurs der Geldpolitik verfolgen kann, der frei von politischen Einflüssen auf das Ziel gerichtet ist, Preisstabilität zu gewährleisten. Unabhängigkeit „ist kein Selbstzweck, sondern funktional begrenzt. Unabhängigkeit wird nur insoweit gewährt, wie sie zur Erfüllung der geld- und währungspolitischen Aufgaben, namentlich zur Er-

18 

Siehe Bank for International Settlements. Issing (2017). 20  Zur Problematik der Entscheidung des EuGH siehe Siekmann/Vig/Wieland. 21  Siehe z. B. Goodhart. 19 

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reichung des Ziels Preisstabilität erforderlich ist.“22 Nur in dieser Beschränkung lässt sich die Unabhängigkeit rechtfertigen. Nur in der Bewahrung dieser Prinzipien hat die Unabhängigkeit der Notenbank eine Zukunft. Wie nicht zuletzt das Beispiel der deutschen Notenbank nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges zeigt, bedarf es am Ende der Unterstützung des Status der Unabhängigkeit durch die Bevölkerung. Diese kommt jedoch nicht von alleine, sondern muss immer wieder neu erworben werden. „For CBI [Central Bank Independence] to be sustainable, society must support it … that requires debate, and so scrutiny; it depends on performance, but also on reasons. Whether we think of them as wise and virtuous or as purely self-interested, sensible central bankers will want to invest in reasoned debate and criticism of their policies“.23

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22  23 

Siekmann, S. 425. Tucker, S. 422.

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Issing, Otmar, Unabhängigkeit der Notenbank und Geldwertstabilität, Akademie der Wissenschaften und der Literatur, Abhandlungen der geistes- und sozialwissenschaftlichen Klasse, Jahrgang 1993, Nr. 1, 1993. James, Harold, Die Reichsbank 1876 bis 1945, in: Deutsche Bundesbank (Hrsg.), Fünfzig Jahre Deutsche Mark: Notenbank und Währung in Deutschland seit 1948, 1998. Johnson, Harry G., Hauptprobleme der Geld- und Finanzpolitik in den USA, in: Harry G. Johnson, Beiträge zur Geldtheorie und Geldpolitik, Berlin 1969. Masciandaro, Donato/Romelli, Davide, Ups and downs of central bank independence from the Great Inflation to the Great Recession: theory, institutions and empirics, Financial History Review, 22 (3), 2015. Schmidt, Reiner, Grundlagen und Grenzen der Unabhängigkeit der Deutschen Bundesbank, in: Ernst von Caemmerer/Joseph H. Kaiser/Gerhard Kegel/Wolfram Müller-Freienfels/Hans J. Wolff (Hrsg.), Xenion, Festschrift für Pan. J. Zepos, Band II, 1973, S. 655 ff. Siekmann, Helmut, in: Siekmann, Helmut (Hrsg.), Kommentar zur Europäischen Währungsunion, 2013, Art. 130 AEUV. Siekmann, Helmut/Vig, Vikrant/Wieland, Volker (Hrsg.), The ECB’s Outright Monetary Transaction in the Courts, IMFS Interdisciplinary Studies in Monetary and Financial Stability, 1/ 2015. Stern, Klaus, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Band II, 1980. Tucker, Paul, Unelected Power, 2018.

Moritz Bälz und Markus Heckel: Die Unabhängigkeit der Bank of Japan in Zeiten der Abenomics

Die Unabhängigkeit der Bank of Japan in Zeiten der Abenomics Moritz Bälz und Markus Heckel Moritz Bälz und Markus Heckel Die Unabhängigkeit der Bank of Japan in Zeiten der Abenomics

I.  Einleitung Japans Geldpolitik hat in den letzten Jahren international viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Die Bank of Japan war in einer Zeit, in der auch andere Zentralbanken „unkonventionelle“ Formen der Geldpolitik einführten, wiederholt die erste oder eine der ersten, die zu immer radikaleren Maßnahmen griff. Zu nennen sind hier der massive Ankauf von Staatsanleihen, die Nullzinspolitik, die Negativzinspolitik und die Steuerung langfristiger Zinsen (yield curve control). Japan taucht aber auch dort in den Schlagzeilen auf, wo von einem zunehmenden politischen Druck auf die Zentralbanken und einer Gefahr für deren Autonomie und die Unabhängigkeit der Geldpolitik die Rede ist. Der Präsident der Deutschen Bundesbank, Jens Weidmann, sprach 2013 gar von „alarming violations … in … Japan, where the new government is interfering massively in the business of the central bank with pressure for a more aggressive monetary policy and threatening an end to central bank autonomy“ (Reuters 21. 01. 2013). Dass die Bank of Japan heute im Grundsatz als unabhängige Zentralbank organisiert ist, ist Ergebnis einer umfassenden Reform Ende der 1990er Jahre. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Bank of Japan seit ihrer Gründung im Jahre 1882 der Kontrolle des japanischen Finanzministeriums unterstanden. Diese wurde vor dem Hintergrund der der Bank of Japan zugedachten Rolle bei der Kriegsfinanzierung nochmals verschärft durch das sog. alte Bank of Japan Gesetz von 1942, welches auch die Nachkriegsreformen überlebte. Zwar wurde während der Besatzungszeit die Struktur der Bank of Japan verändert, indem ein Policy Board (seisaku i’inkai) als formell oberstes Entscheidungsgremium für die Geldpolitik eingerichtet wurde. De facto gaben jedoch weiterhin primär die sog. round table meetings (marutaku) des Executive Board der Bank in Abstimmung mit dem Finanzministerium die Richtung vor. Das Policy Board wurde daher auch als sleeping board (nemureru i‘inkai) tituliert. Aber auch über das Policy Board konnte das Finanzministerium Einfluss nehmen, da ein Repräsentant des Finanzministeriums dort einen festen, wenn auch stimmrechtslosen Sitz hatte (Cargill et al. 1997: 22 – 23; Kamikawa 2014: 18 – 20; Yamawaki 2002: 60 – 76).

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Erst mit Inkrafttreten des heutigen Bank of Japan-Gesetzes (im Folgenden auch BoJ Gesetz)1 im Jahre 1998 folgte man dem internationalen Trend, der Zentralbank jedenfalls auf dem Gebiet der Geldpolitik im Grundsatz Autonomie zuzugestehen. Das Executive Board wurde abgeschafft und das Policy Board als auch de facto oberstes Geldpolitikgremium etabliert (one-board system). Nimmt man die sog. central bank independence indices als Maßstab, die den Grad der Unabhängigkeit verschiedener Zentralbanken quantifizierbar und vergleichbar machen sollen, hat die Reform von 1998 die Unabhängigkeit der Bank of Japan signifikant gestärkt (Bälz/Heckel 2015: 34 ff.). Im Gegenzug wurden zugleich die Anforderungen an die Transparenz der Bank of Japan verschärft. Auch in Japan lautete die offizielle Begründung der Reform des Jahres 1998, dass eine unabhängige Zentralbank besser in der Lage sei, die Geldwertstabilität langfristig zu sichern, als eine Regierung, die auf kurzfristige Wiederwahl ausgerichtet sein muss und im Hinblick auf die Staatsverschuldung einer gewissen Inflation nicht notwendig abgeneigt ist (IMES 2012: 17). Ein wesentliches Motiv für die Reform war also, dass man sich der international vordringenden Sicht anschließen wollte, die die Vorzüge der Zentralbankunabhängigkeit für das Ziel der Preisstabilität betonte (Alesina/Summers 1993; Berger et al. 2001; Cukierman et al. 1992). Dass Japan 1998 diesem internationalen Trend folgte, ist aus ökonomischer Sicht durchaus bemerkenswert. Denn die Bank of Japan hatte die Jahrzehnte vor der Reform im Jahre 1998 die Preisstabilität insgesamt erfolgreich gewährleistet. Schon lange bevor die über weite Strecken sehr niedrige Inflation mit deflationären Tendenzen ab Mitte der 1990er Jahre für die japanische Wirtschaft zu einem zentralen Problem wurde, stand die Inflationsbekämpfung nicht im Mittelpunkt (Cargill 1995; Walsh 1997). Dies legt die Deutung nahe, dass es den Regierungsparteien bei der Reform gar nicht primär um die Verbesserung der Zentralbankpolitik, sondern darum ging, sich den Wählern und Marktteilnehmern als entschlossene Reformer zu präsentieren (Dwyer 2004: 259). Ein neues Kapitel im Verhältnis zwischen der Bank of Japan und der japanischen Regierung wurde aufgeschlagen, nachdem die Liberaldemokratische Partei (Jiyū minshu-tō, LDP), Japans „ewige“ Regierungspartei, Ende 2012 die erst zweite Periode als Oppositionspartei beenden konnte, indem sie bei den Unterhauswahlen einen klaren Sieg errang und mit ihrem Parteivorsitzenden Shinzō Abe wieder den Premierminister stellen konnte. Es begann Abes bis heute andauernde zweite Amtszeit, nachdem dieser schon 2006/2007 für kurze Zeit das Amt des Premierministers bekleidet hatte. Sie könnte ihn im Verlaufe des Jahres 2019 sogar zum am längsten regierenden japanischen Premierminister aller Zeiten machen. Sein nach ihm „Abenomics“ genanntes Reformprogramm, das die Binnennachfrage ankurbeln und Japan nach über zwei Jahrzehnten fast durchgehender 1 

Nihon ginkō-hō, Gesetz Nr. 89/1997.

Die Unabhängigkeit der Bank of Japan in Zeiten der Abenomics

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wirtschaftlicher Stagnation endlich wieder zu einem nennenswerten Wirtschaftswachstum verhelfen soll, besteht aus drei „Pfeilen“: (1) einer expansiven Geldpolitik, (2) starken fiskalpolitischen Impulsen und (3) strukturellen Reformen (u.a. betreffend den Arbeitsmarkt, den Energiesektor und die Landwirtschaft). Den ersten der drei Pfeile, die expansive Geldpolitik, kann auch eine für japanische Verhältnisse ungewöhnlich „starke“ Regierung nicht ohne Unterstützung seitens der Bank of Japan verwirklichen. Es verwundert daher nicht, dass Abe die wiedergewonnene Machtfülle seiner Partei – diese verfügt zusammen mit ihrem Koalitionspartner, der buddhistischen Kōmeitō, inzwischen sogar über eine Zweidrittelmehrheit in beiden Kammern des Parlaments – von Anfang an dafür zu nutzen suchte, die Bank of Japan für seinen wirtschaftspolitischen Kurs zu gewinnen. Der frühere Gouverneur der Bank of Japan, Masaaki Shirakawa, der während seiner Amtszeit seit 2008 versucht hatte, dem zunehmenden Druck der Politik zu widerstehen, kam nicht umhin, sich in einer gemeinsamen Erklärung der Regierung und der Bank of Japan vom 22. Januar 2013 zu dem Ziel zu bekennen, durch eine expansive Geldpolitik die Deflation zu überwinden und so schnell wie möglich eine Inflation von zwei Prozent zu erreichen (Cabinet Office, Ministry of Finance & Bank of Japan 2013). Auf Shirakawa folgte im März 2013 mit Haruhiko Kuroda ein entschiedener Befürworter einer expansiven Geldpolitik auf dem Posten des Zentralbankchefs, der allgemein als Wunschkandidat Abes galt. Von Kritikern dieses Kurses wurden diese Entwicklungen häufig als Beleg dafür gewertet, dass die Unabhängigkeit der Bank of Japan weiterhin unzureichend abgesichert sei beziehungsweise durch Abes Politik unterlaufen werde (Cargill/O’Driscoll 2018). Vor diesem Hintergrund unterzieht der vorliegende Beitrag die rechtliche Absicherung der Unabhängigkeit der Bank of Japan einer erneuten Betrachtung (II.). In einem zweiten Schritt soll die Besetzung des Policy Board in jüngerer Zeit untersucht werden, die sich als wesentlicher Faktor für die Positionierung der Bank of Japan gegenüber den Begehrlichkeiten der japanischen Politik erwiesen hat (III.). Der Beitrag stellt den Befund abschließend in einen größeren Zusammenhang (IV.).

II.  Zentralbankunabhängigkeit in Japan Das BoJ Gesetz sieht in Art. 3 vor, dass die Autonomie der Bank of Japan auf dem Gebiet der Geldpolitik (wörtlich: regarding currency and monetary control2) zu achten ist. Ferner heißt es in Art. 5 Abs. 2 BoJ Gesetz, bei der Anwendung des Gesetzes sei die Autonomie des Geschäftsbetriebs der Bank of Japan hinreichend 2  Sofern das BoJ Gesetz in diesem Beitrag in englischer Sprache zitiert wird, folgt die Wiedergabe der Übersetzung, welche das japanischen Justizministeriums im Internet zur Verfügung stellt: http://www.japaneselawtranslation.go.jp/?re=02.

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Moritz Bälz und Markus Heckel

zu berücksichtigen. Es wird darauf hingewiesen, dass viele der Formulierungen des Gesetzes ausgesprochen vage sind und die Unabhängigkeit nicht, jedenfalls nicht ausdrücklich, auch für das zweite Hauptziel der Bank of Japan, die Sicherung der Stabilität des Finanzsystems, statuiert wird (Mikitani/­Kuwayama 1998: 5 f. und 8). Verfassungsrechtlich ist die Unabhängigkeit der Bank of Japan ohnehin weiterhin nicht gewährleistet. Das verwundert einerseits kaum, da die Verfahrenshürden für eine Revision der Verfassung3 in Japan extrem hoch sind und der Text der Verfassung daher seit ihrem Inkrafttreten im Jahre 1947 unverändert geblieben ist. Die lediglich einfachgesetzliche Gewährleistung der Autonomie der Zentralbank hat andererseits aber dazu geführt, dass seitens der Politik wiederholt mit einer gesetzlichen Beschneidung ebendieser Autonomie gedroht und auf diese Weise Druck auf die Entscheidungsträger in der Bank of Japan ausgeübt werden konnte (Kamikawa 2014: 269). Immerhin erscheint der Streit, ob Art. 65 der Verfassung, welcher die ausführende Gewalt dem Kabinett zuordnet, eine Unabhängigkeit der Bank of Japan überhaupt zulässt, inzwischen beigelegt (IMES 2000: 38 f.; Katagiri 2013: 145). Die Unabhängigkeit einer Zentralbank ist keine Frage von Schwarz und Weiß. Denn eine Zentralbank steht nie gänzlich außerhalb der Staatsorganisation. Vielmehr geht es um graduelle Unterschiede. Um die Unabhängigkeit der Bank of Japan insoweit einzuschätzen, sollen im Folgenden vier Dimensionen betrachtet werden: (1.) die institutionelle, (2.) die funktionelle, (3.) die finanzielle und (4.) die persönliche Unabhängigkeit. Zwar ist diese international verbreitete Unterscheidung Einwänden ausgesetzt (Siekmann 2005: 10 ff., der dafür plädiert, sich auf die Kategorien der sachlichen und persönlichen Unabhängigkeit zu beschränken). Hier soll aber gleichwohl auf sie zurückgegriffen werden, da sie sich auch in Bezug auf Japan eingebürgert hat. 1.  Institutionelle Unabhängigkeit Unter institutioneller Unabhängigkeit wird üblicherweise die Unabhängigkeit der Zentralbank innerhalb des Staatsgefüges verstanden. Ein zentrales Element ist, inwieweit die Zentralbank als Institution, aber auch ihre Organwalter als Personen Weisungen anderer Staatsorgane unterworfen sind. Insoweit hat die Reform von 1998 für die Bank of Japan grundlegende Neuerungen gebracht. Bis dato bestehende, weitreichende Kontrollrechte des Finanzministeriums wurden mit dem neuen BoJ Gesetz abgeschafft und das Finanzministerium auf eine bloße Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkt (Art. 56, 57 BoJ Gesetz). Wie bereits erwähnt, erkennt allerdings auch das neue BoJ Gesetz die Autonomie ( jishu-sei) der Bank ausdrücklich nur im Hinblick auf die Geldpolitik an (Art. 3 BoJ Gesetz) – nicht im Hinblick auf den Devisenverkehr und die Finanzstabilität. 3 

Nihon-koku kenpō vom 3. November 1946.

Die Unabhängigkeit der Bank of Japan in Zeiten der Abenomics

143

Selbst in der Geldpolitik unterliegt die Unabhängigkeit der Bank of Japan wesentlichen Einschränkungen: Um die Geldpolitik der Bank mit der Wirtschaftspolitik der Regierung zu harmonisieren, verpflichtet Art. 4 BoJ Gesetz die Bank dazu zu berücksichtigen, dass Geld- und Währungspolitik Bestandteile der Wirtschaftspolitik sind. Die Bank of Japan ist verpflichtet, einen engen Kontakt und ausreichenden Austausch mit der Regierung zu pflegen (Art. 4 BoJ Gesetz; hierzu Katagiri 2013: 148). Art. 19 BoJ Gesetz gewährt dem Finanzminister und dem Minister für Wirtschafts- und Finanzpolitik sowie ihren Vertretern ferner das Recht, an Sitzungen des Policy Board zu Fragen der Geldpolitik (den sog. monetary policy meetings, kin‘yū seisaku kettei kaigō) teilzunehmen, dort ihre Meinung zu äußern und Vorschläge zu unterbreiten oder zu beantragen, dass geldpolitische Entscheidungen vertagt werden. Sie sind freilich nicht stimmberechtigt. In der Praxis ist diese stimmrechtslose Teilnahme von Regierungsvertretern die Regel. Im Jahre 2000 demonstrierte das Policy Board in einem viel beachteten Fall seine Unabhängigkeit, indem es sich über das Verlangen der Regierung, eine Entscheidung über die Beendigung der Nullzinspolitik zu verschieben, hinwegsetzte. Wie schon angesprochen, veröffentlichen Regierung und Bank of Japan bisweilen gemeinsame Erklärungen. Was die großen Linien betrifft, findet die gesetzlich nur vage umrissene Abstimmung schließlich im sog. Council on Economic and Fiscal Policy (Keizai zaisei shimon kaigi) statt, einem Beratungsgremium auf Ministerebene, das dem Kabinettsbüro angegliedert ist und dem neben dem Premierminister als Vorsitzendem und verschiedenen Ministern auch der Gouverneur der Bank of Japan sowie Experten aus dem privaten Sektor angehören. Die Bank of Japan ist nach Art. 6 BoJ Gesetz juristische Person. Ihre Kapitalstruktur sieht gem. Art. 8 BoJ Gesetz private Anteilseigner bis zu einer Grenze von 45 Prozent vor. Diese privaten Anteilseigner besitzen jedoch kein Stimmrecht und keinen Einfluss auf die Geschäftsführung der Bank of Japan (näher IMES 2000: 9 f.). 2.  Funktionelle Unabhängigkeit Als funktionell unabhängig wird eine Zentralbank angesehen, die autonom darüber entscheiden kann, mit welchen Handlungsinstrumenten sie ihre Ziele zu erreichen sucht, was voraussetzt, dass diese Ziele eindeutig bestimmt sind (Bini Smaghi 2008: 447). Nach Art. 2 BoJ Gesetz zielt die Geldpolitik der Bank of Japan auf Preisstabilität, um „dadurch“ (wo tsūchite) zur gesunden Entwicklung der Volkswirtschaft beizutragen. Ob sich hieraus ein Vorrang der Preisstabilität ergibt, wird kontrovers beurteilt (Nachweise bei Bälz/Heckel 2015: 31). Grundsätzlich ist die Bank of Japan autonom in der Wahl ihrer Mittel. So hat sich die Bank of Japan seit 2012 ein Inflationsziel gesetzt, während Vorschläge,

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Moritz Bälz und Markus Heckel

der japanischen Regierung die Befugnis zu verleihen, ein solches zu bestimmen, bislang nicht umgesetzt wurden. Art. 5 des Gesetzes über die öffentlichen Finanzen4 verbietet es, die Bank of Japan Staatsanleihen zeichnen zu lassen oder diese sonst zur Kreditaufnahme zu nutzen. Dies entspricht internationalen Standards. Zugleich spiegelt dies Japans eigene historische Erfahrungen mit Hyperinflation infolge der Kriegsfinanzierung während des Pazifischen Krieges wider (Sugimoto 2012: 27). Unter besonderen Umständen sind Ausnahmen von diesem Verbot allerdings in dem Umfang erlaubt, den das Parlament genehmigt (Art. 5 2. Halbs. Gesetz über die öffentlichen Finanzen; näher Oguri 2017: 69 ff.). 3.  Finanzielle Unabhängigkeit Eine Zentralbank kann ihre Aufgaben nur autonom wahrnehmen, soweit ihre finanziellen und personellen Ressourcen nicht direkt oder indirekt beschnitten werden können. In den Debatten, welche dem Erlass des neuen BoJ Gesetzes vorausgingen, hatte sich die Kontrolle des Finanzministeriums über das Budget der Bank of Japan als besonders neuralgischer Punkt erwiesen. Art. 51 BoJ Gesetz normiert nunmehr einen Kompromiss. Danach sind in das Budget der Bank of Japan, das vom Finanzministerium genehmigt werden muss, nur solche laufenden Kosten (keihi) aufzunehmen, die die Geldpolitik nicht „behindern“. Hierzu zählen nach Art. 14 der einschlägigen Ausführungsverordnung5 beispielsweise die Kosten für die Herstellung von Banknoten, aber auch die Personalkosten. Verweigert das Finanzministerium die Genehmigung, ist diese Entscheidung zu veröffentlichen und die Bank of Japan kann ihrerseits Stellung nehmen und ihre Stellungnahme öffentlich machen. Insofern stärkt zumindest die Transparenz der Entscheidungen die Position der Bank of Japan (Mikitani/Kuwayama 1998: 6 f.). 4.  Persönliche Unabhängigkeit der Mitglieder des Policy Board Persönliche Unabhängigkeit meint das Verbot von Ingerenzen mit dem Status eines Amtsinhabers (Siekmann 2005: 10). Die persönliche Unabhängigkeit der Entscheidungsträger innerhalb der Bank of Japan, insbesondere der Mitglieder des Policy Board, umfasst vor allem die Regeln über ihre Ernennung, über die Dauer ihrer Amtszeit und über ihre Entlassung. Die neun Mitglieder des Policy Board, neben dem Gouverneur und seinen beiden Stellvertretern sechs einfache Mitglieder, werden vom Kabinett nach Zustimmung beider Kammern des Parlaments ernannt (Art. 23 BoJ Gesetz). Beim japanischen Oberhaus, der schwächeren der beiden Kammern, handelt es sich nicht um eine Vertretung der Präfekturen, sondern um eine zweite Kammer, deren Mitglieder alle drei Jahre zur Hälfte vom 4  5 

Zaisei-hō, Gesetz Nr. 34/1947. Nihon ginkō-hō shikō-rei, Kabinettsverordnung Nr. 385/1997.

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145

Volk direkt gewählt werden. Es gab Phasen mit feindlichen Mehrheiten zwischen den beiden Kammern (sog. nejire kokkai), aber ganz überwiegend stellt die LDP bisher die Mehrheit in beiden Kammern und zudem den Premierminister, weshalb sie auf diese Weise auch die Mitglieder des Policy Board bestimmen kann. Die Amtsdauer der Mitglieder des Policy Board beträgt fünf Jahre (Art. 24 Abs. 1 BoJ Gesetz), was im internationalen Vergleich kurz ist. So beträgt die Amtszeit der Direktoren der Europäischen Zentralbank acht Jahre (Art. 283 Abs. 2 UAbs. 3 AEUV), die der Mitglieder des Board of Governors der Federal Reserve sogar 14 Jahre (Sec. 10 Federal Reserve Act). Kombiniert mit der Möglichkeit der Wiederwahl gem. Art. 24 Abs. 2 BoJ Gesetz legt die kurze Amtszeit nach der japanischen Regelung nahe, dass Mitglieder des Policy Board versucht sein könnten, politischer Einflussnahme der Regierung nicht zu widerstehen, um ihre Chancen für eine zweite Amtszeit zu wahren. In der Praxis ist die Wiederwahl bisher allerdings die Ausnahme, so dass dieser Unterschied zu den Regeln der Europäischen Zentralbank und der Federal Reserve nicht überbetont werden sollte. Prominente Ausnahme ist der derzeitige Gouverneur Kuroda, der im April 2018 eine zweite Amtszeit angetreten hat (siehe hierzu sogleich unter III.). Anders als noch unter dem alten BoJ Gesetz können die Mitglieder des Policy Board während ihrer Amtszeit grundsätzlich nicht gegen ihren Willen abberufen werden (Art. 25 BoJ Gesetz). Ausnahmsweise ist eine Abberufung möglich, wenn einer der eng gefassten Abberufungsgründe (u.a. persönliche Insolvenz, Strafe nach dem BoJ Gesetz, Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, gesundheitliche Gründe) vorliegt. Auch im Hinblick auf die Vergütung ist die Unabhängigkeit eher stark ausgestaltet, insofern als die Richtlinien diesbezüglich vom Policy Board selbst festgelegt werden (Art. 15 Abs. 2 no. 10 BoJ Gesetz). Neben den Drohungen der Politik, die Unabhängigkeit der Bank of Japan durch eine Gesetzesänderung zu beschneiden, ist es vor allem die Möglichkeit einer Regierung, die in beiden Kammern des Parlaments über entsprechende Mehrheiten verfügt, die Zusammensetzung des Policy Board zu beeinflussen, die ihr eine Einflussnahme auf die Geldpolitik eröffnet. Im zweiten Abschnitt dieses Beitrags soll daher die Zusammensetzung des Policy Board näher untersucht werden.

III.  Die Zusammensetzung des Policy Board Dieser Teil behandelt das Policy Board der Bank of Japan und befasst sich mit der Frage, inwieweit japanische Regierungen im Allgemeinen und die zweite Regierung Abe im Besonderen die Autonomie der Bank of Japan durch ihre Ernennungspolitik einschränken. Bis 1998 war man der Praxis gefolgt, wonach der Gouverneur der Zentralbank abwechselnd aus der Bank of Japan (BoJ) und vom Finanzministerium (MoF)

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Moritz Bälz und Markus Heckel

kam und der Vizegouverneur von der jeweils anderen Institution (Tabelle 1). Mit der Änderung des BoJ Gesetzes 1998 wurde dieses System beendet und die ersten drei Gouverneure nach der Gesetzesänderung hatten sämtlich einen Bank of Japan Hintergrund.6 Unter dem zweiten Kabinett Abe wurde auch mit dieser Praxis gebrochen, indem im Jahre 2013 mit Haruhiko Kuroda, zuvor im Finanzministerium und von 2005 bis 2013 Präsident der Asia Development Bank (ADB), ein „externer“ Kandidat zum Gouverneur der Bank of Japan berufen wurde. Tabelle 1: Die Gouverneure und Vizegouverneure der Bank of Japan seit 1969 Jahr

Gouverneur

1969 – 1974

Tadashi Sasaki

1974 – 1979 Teiichirō Morinaga

Zugehörigkeit

Vizegouverneur

Zugehörigkeit

BoJ

Tsūichi Kōno

MoF

MoF

Haruo Maekawa

BoJ

1979 – 1984

Haruo Maekawa

BoJ

Satoshi Sumita

MoF

1984 – 1989

Satoshi Sumita

MoF

Yasushi Mieno

BoJ

1989 – 1994

Yasushi Mieno

BoJ

Hiroshi Yoshimoto

MoF

1994 – 1998

Yasuo Matsushita

MoF

Toshihiko Fukui

BoJ

1998 – 2003

Masaru Hayami

BoJ

Sakuya Fujiwara Yutaka Yamaguchi

Journalist (Jiji) BoJ

2003 – 2008

Toshihiko Fukui

BoJ

Toshirō Mutō Kazumasa Iwata

MoF Tōkyō Universität

2008 – 2013

Masaaki Shirakawa

BoJ

Kiyohiko Nishimura Hirohide Yamaguchi

Tōkyō Universität BoJ

2013 – 2018

Haruhiko Kuroda

MoF ADB

Kikuo Iwata Hiroshi Nakasō

Gakushūin Universität BoJ

2018 –

Haruhiko Kuroda

MoF ADB

Masazumi Wakatabe Masayoshi Amamiya

Waseda Universität BoJ

Quelle: Eigene Erstellung auf Basis der Website der Bank of Japan

1.  Die ersten drei Zentralbankgouverneure nach der Reform: Hayami, Fukui und Shirakawa Seit Inkrafttreten des neuen BoJ Gesetzes werden zwei Vizegouverneure in das neunköpfige Policy Board berufen (Art. 16 Abs. 2 BoJ Gesetz). Mit Masaru Hayami wurde 1998 ein Gouverneur berufen, der zwar aus den Reihen der Bank of Japan kam (internationale Abteilung). Er wurde aber allgemein nicht als „Bank 6  Es nicht klar, ob diese Praxis der abwechselnden Gouverneure gezielt beendet wurde. Gouverneur Matsushita musste 1998 nach einem Skandal in der Bank of Japan zusammen mit Vizegouverneur Fukui zurücktreten, d.h. letzterer kam in diesem Fall nicht mehr als Nachfolger Matsushitas in Frage.

Die Unabhängigkeit der Bank of Japan in Zeiten der Abenomics

147

of Japan Insider“ angesehen und kann als Kompromisskandidat betrachtet werden (Heckel 2014: 205 – 208). Politiker (hauptsächlich aus der regierenden LDP) übten von Anfang an massiven Druck auf Hayami und die Bank of Japan aus. Während seiner Zeit an der Spitze der Bank of Japan musste Hayami ungewöhnlich häufg und bisweilen sogar zeitgleich mit den Sitzungen des Policy Board vor den beiden Kammern des japanischen Parlaments Rede und Antwort stehen (Hayami 2003; Heckel 2014: 263 – 266). Viele Politiker waren mit seiner Geldpolitik unzufrieden und nutzten das in Art. 54 Abs. 3 BoJ Gesetz verankerte Recht des Parlaments, Mitglieder des Policy Board zu offiziellen Anhörungen zu laden, als Druckmittel. Hayami sah die Wahrung der neu gewonnenen Zentralbankunabhängigkeit als sein wichtigstes Ziel an und stand Forderungen von Politikern nach einer lockereren Geldpolitik grundsätzlich ablehnend gegenüber. Hayamis Nachfolger wurde 2003 Toshihiko Fukui, der schon Vizegouverneur von 1994 bis 1998 gewesen war (Tabelle 1). Fukui, der von vielen schon für das Jahr 1998 als aussichtsreichster Kandidat für den Posten des Gouverneurs gehandelt worden war, musste im März 1998 jedoch nach einem Skandal zusammen mit Gouverneur Matsushita zurücktreten. Im Jahre 2003 dagegen hatte Fukui u.a. mit dem ehemaligen Ministerpräsidenten Kiichi Miyazawa und dem ehemaligen Kabinettsekretär Yasuo Fukuda einflussreiche Fürsprecher, die Premierminister Jun‘ichirō Koizumi von seiner Eignung überzeugen konnten. Für die Regierung Koizumi war es wichtig, dass die Bank of Japan die quantitative Lockerungspolitik (ryōteki kanwa seisaku), die zwar schon 2001 von Hayami begonnen, aber zunächst nur sehr zögerlich umgesetzt worden war, ausweitete, um die japanische Wirtschaft zu stärken. In der Tat betrieb die Bank of Japan unter Fukui anfänglich eine weitaus expansivere Geldpolitik. Die Ernennung des dritten Bank of Japan Gouverneurs seit der Einführung des neuen BoJ Gesetzes, Masaaki Shirakawa, war mit heftigen politischen Machtkämpfen verbunden. Die oppositionelle Demokratische Partei Japans (DPJ), die zu diesem Zeitpunkt die Mehrheit im japanischen Oberhaus innehatte, verweigerte allen Kandidaten, die in der Vergangenheit im japanischen Finanzministerium gearbeitet hatten, die erforderliche Zustimmung (Art. 23 Abs. 1 BoJ Gesetz, siehe bereits oben II.). Nachdem zwei prominente Kandidaten, Sowohl Mutō als auch Tanami, von der DPJ abgelehnt worden waren, einigte man sich schließlich auf Shirakawa als Gouverneur. Man gewinnt den Eindruck, dass viele japanische Politiker die Bank of Japan seiner Zeit nicht als unabhängige Institution respektierten, sondern Besetzungsfragen gezielt für politische Machtspiele zu nutzen suchten.7 Das Gezerre um die Top-Positionen in der Zentralbank führte sogar zu 7  Im Besonderen muss hier auf Seiten der DPJ Ichirō Ozawa genannt werden, der konsequent alle Kandidaten mit MoF-Vergangenheit strikt ablehnte, unabhängig davon, ob diese für die Position des Zentralbankchefs als geeignet angesehen wurden oder nicht. Auf der anderen Seite ist es ebenso problematisch, dass die LDP und Premierminister Fukuda

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einer etwa dreiwöchigen Vakanz des Gouverneurspostens und einer sechsmonatigen Vakanz eines der beiden Vizegouverneurspostens, was die nationale und internationale Glaubwürdigkeit der Bank of Japan durchaus hätte langfristig beschädigen können. Auf der anderen Seite konnte mit Shirakawa ein kompetenter und geeigneter Kompromisskandidat gefunden werden, der in Wirtschaftskreisen eine hohe Reputation genoss. 2.  Die Bank of Japan unter Gouverneur Haruhiko Kuroda Seitdem die LDP die Kontrolle über beide Kammern des Parlaments errungen hatte und Abe im Jahre 2012 erneut zum Ministerpräsidenten berufen worden war, erhöhte dieser den Druck auf die Bank of Japan und drohte die Zentralbankunabhängigkeit zu beschneiden, sollte diese nicht mit der Regierung kooperieren. Abe verlangte von der Bank of Japan zur Unterstützung seines Abenomics-Programms eine noch expansivere Geldpolitik (Ueda 2013). Gouverneur Shirakawa schien Abes Linie nur sehr zögerlich zu folgen. Mit Haruhiko Kuroda nominierte Abe einen Kandidaten für den Posten des Gouverneurs, der seinen Vorstellungen von einer expansiveren Geldpolitik gegenüber deutlich offener war. Kuroda wurde im März 2013 Shirakawas Nachfolger. Kuroda hatte keine Vergangenheit in der Zentralbank. Er hatte seine Karriere im Finanzministerium begonnen, agierte im Jahre 2003 als besonderer Berater des Kabinetts und war, wie bereits erwähnt, ab 2005 Präsident der Asia Development Bank gewesen. Zu Vizegouverneuren wurden Hiroshi Nakasō (ein Karrierebürokrat aus den Reihen der Bank of Japan) und Kikuo Iwata (Professor der Gakushūin Universität, Tōkyō) ernannt. Vielfach kritisch gesehen wurde, dass mit Iwata eine Person in das Policy Board berufen wurde, die als Kritiker des bisherigen Kurses der Bank of Japan bekannt war, deren Geldpolitik er als zu restriktiv ansah, um die langanhaltende niedrige Inflation mit Deflationsphasen und die wirtschaftliche Stagnation in Japan zu überwinden. Noch unter Shirakawa hatte die Bank of Japan in der bereits erwähnten gemeinsamen Erklärung vom Januar 2013 die Zusammenarbeit mit der Regierung bekräftigt im Hinblick auf das Ziel, die Deflation zu überwinden und eine Inflation von zwei Prozent zu erreichen (Cabinet Office, Ministry of Finance & Bank of Japan 2013). Diese gemeinsame Erklärung kann als Zeichen dafür gewertet werden, dass es Abe gelungen ist, die Bank of Japan zu einer Unterstützung seines Wirtschaftskurses zu drängen. Mit der neuen Führung verfolge die Bank of Japan seit 2013 das ambitionierte Inflationsziel, das nunmehr innerhalb von nur zwei Jahren erreicht werden sollte, und implementierte zu diesem Zweck ein in diesem Ausmaß bislang weltweit einzigartiges Programm zur quantitativen und beharrlich Kandidaten vorschlugen, bei denen im Vorfeld schon vieles darauf hindeutete, dass sie von der Opposition abgelehnt werden würden.

Die Unabhängigkeit der Bank of Japan in Zeiten der Abenomics

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qualitativen Lockerung (ryōteki shitsuteki kin‘yū kanwa). Trotz allergrößter Anstrengungen mit Hilfe weiterer expansiver Geldpolitikmaßnahmen (inklusive einer negativen Zinspolitik) wurde das proklamierte Inflationsziel jedoch weder innerhalb der angepeilten zwei Jahre, noch seitdem bis 2018 erreicht. 3.  Die Wiederernennung Kurodas 2018 Obwohl das ausgegebene Inflationsziel deutlich verfehlt wurde, stimmten beide, von der LDP dominierten Kammern des japanischen Parlaments im Jahre 2018 dafür, Kuroda gemäß Art. 24 Abs. 2 BoJ Gesetz eine weitere Amtszeit von fünf Jahren zu gewähren. Wie Tabelle 1 illustriert war eine Wiederernennung eines Gouverneurs bis zu diesem Zeitpunkt an und für sich unüblich. Kuroda war der erste Gouverneur, der eine zweite Amtszeit antreten konnte seit Masamichi Yamagiwa (Gouverneur von 1956 bis 1964). Dabei war es lange nicht klar, ob Kuroda für eine zweite Amtszeit überhaupt zur Verfügung stehen würde. Zu Vizegouverneuren wurden Masayoshi Amamiya und Masazumi Wakatabe berufen. Amamiya ist ein typischer Zentralbankbeamter, der seine gesamte Karriere in der Bank of Japan verbracht hat und daher häufig auch als „Mr BoJ“ betitelt wird. Er war Direktor der Bank of Japan von 2010 bis 2018 und gilt als einer der Designer der unkonventionellen Geldpolitik. Er wird im Allgemeinen als sehr loyal gegenüber Kuroda eingeschätzt. Der zweite Vizegouverneur, Wakatabe, ist ein Wirtschaftswissenschaftler der Waseda Universität. Er ist ein weiterer Befürworter einer aggressiven Geldpolitik, der die Bank of Japan in der Vergangenheit wiederholt scharf kritisiert hatte (Wakatabe 2016a, 2016b). Seine Ernennung sowie seine Aussagen vor dem Parlament im März 2018 könnten darauf hinweisen, dass die unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen weitergeführt, möglicherweise sogar ausgeweitet werden sollen (Kihara/Kajimoto 2018).8 Kurodas Wiederernennung lässt sich also als ein Signal deuten, dass die japanische Regierung auf Kontinuität setzt, um das Inflationsziel von zwei Prozent doch noch zu erreichen. Wäre Kuroda nicht wiederernannt worden, hätte dies als ein „Versagen“ der bisherigen Strategie der Bank of Japan interpretiert werden können. Die Kommunikationsstrategie der Bank of Japan unter Kuroda kann als vergleichsweise „offensiv“ bezeichnet werden. So wurde kontinuierlich beteuert, dass das Inflationsziel von zwei Prozent erreicht werde, obwohl die Wirtschaftsdaten dagegen sprachen und viele Finanzexperten den Optimismus der Bank nicht teilten. Kurodas Strategie wurde von einigen Autoren gar als monetary shamanism bezeichnet (Keida/Takeda 2017). 8  Andere argumentieren, dass die Ernennung von Amamiya und Wakatabe, Kuroda die Möglichkeit geben soll, einen Politikwechsel in beide Richtungen durchzuführen, d.h. sowohl noch expansivere geldpolitische Maßnahmen zu ergreifen als auch den Ausstieg aus der expansiven Geldpolitik einzuleiten (Moss 2018).

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Durch Abes Personalpolitik stellen die sog. Reflationisten (rifure- ha) inzwischen die Mehrheit im Policy Board. Zu ihnen zählt auch Vizegouverneur Wakatabe. Mit dem Begriff Reflation bezeichnet man eine aggressive Geld- und Fiskalpolitik, die darauf zielt, die Wirtschaft wieder auf einen Wachstumspfad zu bringen. Auch weitere Mitglieder des Policy Board wie z.B. Harada gehören dieser Gruppe an. Insgesamt sind nun alle aktuellen Policy Board Mitglieder von der Abe-Regierung berufen (Tabelle 2). Die Kritiker reflationärer geldpolitischer Maßnahmen sind turnusgemäß ausgeschieden und durch Personen ersetzt worden, die den Wirtschaftskurs der Regierung mitzutragen bereit sind. So waren mit Takehiro Satō und Takahide Kiuchi zwei konstante Kritiker der expansiven Geldpolitik von 2008 bis 2013 Mitglieder des Policy Board. Mit deren Ausscheiden 2013 tendiert das Policy Board mehr und mehr zur Konformität. Als generelle Kritik an der aktuellen Zusammensetzung des Policy Board lässt sich ferner anmerken, dass unter den Mitgliedern nur wenige Wissenschaftler und Geldpolitikexperten sind. Infolge der Ernennungspolitik der letzten Jahre werden abweichende Meinungen in der Bank immer seltener geäußert. Die langanhaltende expansive Geldpolitik der Bank of Japan lässt Befürchtungen über deren Nachhaltigkeit und steigende Risiken aufkommen. Besonders die Risiken, die aufgrund der aufgeblähten Bilanz durch den Ankauf von japanischen Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt seitens der Bank of Japan entstanden sind, können zu großen Problemen in der Zukunft führen. Für die Regierung Abe hat die expansive Geldpolitik den Vorteil, dass der Aufkauf von Staatsanleihen dem überschuldeten Staat hilft, die Schuldenlast erträglicher zu gestalten. Die Bank of Japan hält bereits über 40% der japanischen Staatsanleihen. Es ist nicht so, dass sich die Bank of Japan der damit verbundenen Risiken nicht bewusst wäre, sie scheint nur der Wahrnehmung verhaftet, dass die expansive Geldpolitik das geringere Übel ist. Mit einer großen Homogenität im Policy Board besteht die Gefahr, dass Risiken als zu gering bewertet werden und es somit zu geldpolitischen Fehlern kommen könnte. Tabelle 2: Die Zusammensetzung des Policy Board der Bank of Japan (2018) Name Haruhiko Kuroda (Gouverneur) Masayoshi Amamiya (Vizegouverneur) Masazumi Wakatabe (Vizegouverneur) Yutaka Harada Yukitoshi Funo

Zugehörigkeit

Ernennung

MoF, ADB

2013 und 2018

BoJ

2018

Waseda Universität

2018

Economic Planning Agency; MoF

2015

Toyota

2015

Die Unabhängigkeit der Bank of Japan in Zeiten der Abenomics

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Makoto Sakurai

Research Center for International Finance

2016

Takako Masai

Shinsei Bank

2016

Hitoshi Suzuki

Tokyo Mitsubishi Bank Mitsubishi UFJ Research and Consulting Co., Ltd.

2017

Gōshi Kataoka

2017

Quelle: Eigene Erstellung auf Basis der Website der Bank of Japan

4.  Ernennungspolitik und Zentralbankunabhängigkeit Wie ist die beschriebene Entwicklung, welche die Zusammensetzung des Pol­ icy Board genommen hat, unter dem Gesichtspunkt der Zentralbankunabhängigkeit zu bewerten? Es ist kaum zu bestreiten, dass es der Regierung Abe nicht zuletzt durch ihre Ernennungspolitik gelungen ist, die Bank of Japan zu einer Unterstützung ihres kontroversen Wirtschaftsprogramms zu bewegen. In diesem Sinne agiert die Bank of Japan gegenwärtig weniger unabhängig. Gleichwohl ist es rechtlich nicht zu beanstanden, wenn eine Regierung ihre Machtposition im Parlament nutzt, um Mitglieder des Policy Board zu ernennen, die ihre geldpolitischen Überzeugungen teilen, wie es im Übrigen auch für andere Zentralbanken üblich ist. In einer Situation wie der gegenwärtigen in Japan, in der die Regierung über längere Zeit über solide Mehrheiten in beiden Kammern des Parlaments verfügt, kann dies zu einem Grad der Homogenität innerhalb des Policy Board führen, der die Gefahr extremer Entscheidungen steigen lässt. Aber mag dies auch politisch möglicherweise unklug sein, rechtlich ist es nicht unzulässig. Schließlich sichert die Ernennung durch das Kabinett mit Zustimmung des Parlaments zugleich ein Mindestmaß an demokratischer Legitimation. Allenfalls könnte man für Japan, dessen Nachkriegszeit durch die fast ununterbrochene Herrschaft einer Partei gekennzeichnet ist, de lege ferenda erwägen, ob Regelungen vorzugswürdig wären, die es der Regierungspartei erschweren würden, das Policy Board nach seinen Präferenzen zu besetzen. Denkbar wären etwa qualifizierte Mehrheitserfordernisse im Parlament, auch wenn die Regierung Abe gegenwärtig zusammen mit ihrem Koalitionspartner Kōmeitō sogar über Zweidrittelmehrheiten in beiden Kammern verfügt, oder längere Amtsperioden der Mitglieder des Policy Board, die eine Besetzung nach Wunsch erst verzögert, dann aber mit längerer Wirkung auch über einen möglichen erneuten Mehrheitswechsel hinaus, erlauben würden.

IV.  Unabhängige Zentralbanken – Ein überholtes Konzept? Stellt man die vorstehende Analyse in einen größeren Zusammenhang, kann man die Frage stellen, ob das Konzept der Zentralbankunabhängigkeit überhaupt noch zeitgemäß ist. Wie in Europa (Issing 2018: 336 ff.) und den USA (Summers 2017) wird auch in Japan diskutiert, inwieweit nicht die heutige Situation vergli-

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chen mit den vorangegangenen Jahrzehnten eine grundlegend andere ist, in der die Frage nach dem Für und Wider der Unabhängigkeit der Zentralbanken in neuem Licht erscheint (Oguri 2017). Die wirtschaftswissenschaftliche Literatur hat aufgezeigt, dass unabhängige Zentralbanken ein bevorzugtes institutionelles Arrangement darstellen, um Inflation auf einem niedrigen und stabilen Level zu halten (Alesina/Summers 1993; Berger et al. 2001; Cukierman et al. 1992). Aber die Probleme in diesen Zeiten sind ganz andere, besonders in Japan mit einer langanhaltenden (zu) geringen Inflation und seinen wiederholten Phasen der Deflation. Immerhin lässt sich dem entgegenhalten, dass der Vorteil einer unabhängigen Zentralbank, eher eine langfristigere Perspektive einnehmen zu können, auch dann besteht, wenn sich diese nicht Inflations-, sondern Deflationstendenzen gegenübersieht (Oguri 2017: 68). Ferner wird in Bezug auf Japan angeführt, dass in besonderen Zeiten, wie in Finanzkrisen, andere institutionelle Arrangements als unabhängige Zentralbanken notwendig sind (Orphanides 2018). Zumindest sollten Zentralbanken, so ließe sich sagen, mit Regierungen unter diesen Umständen enger zusammenarbeiten. Wenn Ausnahmesituationen in Krisenzeiten die Regierungen zu Notfallprogrammen und Zentralbanken zu unkonventionellen Geldpolitiken nötigen, können koordinierte Maßnahmen von Geld- und Fiskalpolitik mit einem klar definierten Inflationsziel durchaus erfolgsversprechend sein, um eine Wirtschaftskrise schneller zu überwinden. Es ist in Japan ein häufig erhobener Vorwurf, dass die Bank of Japan, nachdem die Reform des Jahres 1998 ihre Autonomie gestärkt hatte, in den Folgejahren eine zu starre, einseitig auf Preisstabilität fokussierte Geldpolitik betrieben und eine wirtschaftliche Wiederbelebung damit behindert habe (Nakahara 2006; Yamamoto 2010). Ein drittes Argument bezieht sich auf die demokratische Legitimität angesichts der enorm gewachsenen Aufgaben der Zentralbanken (vgl. Tucker 2018). Können im Fall der Bank of Japan die Entscheidungen, die längst nicht mehr die Preisstabilität sichern sollen, sondern mit immer extremeren Instrumenten einen gesamtwirtschaftlichen Kollaps zu vermeiden suchen, in die Hände nicht direkt gewählter Entscheidungsträger gelegt werden? Jedenfalls wird man, wie Issing es bezüglich der EZB formuliert hat (Issing 2018: 337), auch für die Bank of Japan sagen können, dass sie einem institutional overburdening ausgesetzt ist angesichts der ihr durch die Politik der Abenomics zugedachten Rolle. Während insbesondere der dritte „Pfeil“ der Abenomics, die Umsetzung struktureller Reformen, in vielen Bereichen nur langsam vorankommt, schürt die Forcierung des ersten Pfeils, der expansiven Geldpolitik in Abstimmung mit der Bank of Japan, dieser gegenüber enorme Erwartungen. Sollten diese in den kommenden Jahren enttäuscht werden, könnte dies für das öffentliche Vertrauen in die Bank und damit auch die Zukunft ihrer Unabhängigkeit noch sehr gefährlich werden.

Die Unabhängigkeit der Bank of Japan in Zeiten der Abenomics

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Carl-Ludwig Holtfrerich: Macht oder ökonomisches Gesetz? Überlegungen zur Geldpolitik der EZB

Macht oder ökonomisches Gesetz? Überlegungen zur Geldpolitik der EZB Carl-Ludwig Holtfrerich* Carl-Ludwig Holtfrerich Macht oder ökonomisches Gesetz?

Ich habe Eugen von Böhm-Bawerks Klassiker von 19141 als Titel meines Aufsatzes ausgewählt. Das Fazit von Böhm-Bawerks Abhandlung, wie er am Beispiel des Lohnniveaus aufzeigt, kann wie folgt zusammengefasst werden: „Der Bereich für die Macht und ihre Ausübung [ist] zwar kurzfristig recht beträchtlich […], aber langfristig [schrumpft sie] doch sehr zu Gunsten von dem […], was den ökonomischen Gesetzen bzw. der ökonomischen Sachlogik untersteht.“2 Meine Fragestellung ist: Bestimmt die Macht der EZB oder bestimmen die Kräfte des Marktes das Zinsniveau, welches seit den 1990er Jahren sinkt und heutzutage besonders niedrig ist? Die meisten Menschen auf der Welt sind der Annahme, dass allein die Zentralbanken die Zinsen kontrollieren. Ich werde im Folgenden diese Ansicht widerlegen sowie Argumente und empirische Belege dafür präsentieren, dass Marktkräfte eine weitaus wichtigere Rolle spielen.

*  John-F.-Kennedy-Institut der Freien Universität Berlin. Dies ist eine leicht überarbeitete und von Daniel Dieckelmann aus dem Englischen übersetzte Version meines Beitrags zur Diskussion des Themas „The Future of the Eurozone“ auf der Jahreskonferenz des Institute for New Economic Thinking (INET) in Edinburgh vom 21.-23. Oktober 2017 mit dem Tagungsthema „Reawakening: From the Origins of Economic Ideas to the Challenges of Our Time“. Online: https://www.ineteconomics.org/uploads/papers/Holtfrerich-Edin burgh-2017-Revised-2017 – 10 – 27.pdf (Abgerufen am 29. Juni 2018). Mit kleinen Änderungen wurde der Artikel veröffentlicht in: Intereconomics. Review of European E ­ conomic Policy, 2018, S. 164 – 169 (53). 1  Eugen von Böhm-Bawerk, Macht oder ökonomisches Gesetz?, in: Zeitschrift für Volkswirtschaft, Sozialpolitik und Verwaltung, 1914, S. 205 – 271 (23). Für eine frühe, detaillierte Besprechung von Böhm-Bawerks Artikel siehe James Bonar, Macht oder Ökonomisches Gesetz? by Eugen v. Böhm-Bawerk, in: The Economic Journal, 1920, S. 214 – 219 (30). Gleichzeitig gilt Böhm-Bawerk auch als einer der Väter der modernen Kapital- und Kapitalmarkttheorien. Die Funktionsweise der letzteren wird im späteren Teil dieses Artikels noch eine Rolle spielen. 2  Ernst Heuss, Macht oder ökonomisches Gesetz, in Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft, 1972, S. 185 – 195 (128), Zitat S. 185. Heuss widmet seinen Artikel der Frage, was Macht in Böhm-Bawerks Sprachgebrauch in ökonomischen, politischen und sozialen Kontexten bedeutet.

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Die Geldpolitik der EZB nicht nur niedriger, sondern sogar negativer Zinssätze und ihre Offenmarktpolitik der quantitativen Lockerung (quantitative easing, kurz QE) sind stark kritisiert worden, insbesondere von deutscher Seite. Große Teile der deutschen Öffentlichkeit, Journalisten, Mainstream-Ökonomen aus Wissenschaft, Denkfabriken und dem Finanzsektor, sogar die Vertreter der Deutschen Bundesbank in der EZB haben Mario Draghi für seine Politik scharf attackiert. Sie argumentieren, dass diese Politik die privaten Ersparnisse ­aushöhlt, zu Blasen an den Aktien- und Immobilienmärkten führt, Investitionen fehlleitet, Liquiditäts- oder sogar Solvenzprobleme im Finanzsektor hervorruft und zu weniger Fiskaldisziplin in gerade denjenigen Ländern der Eurozone führt, die bereits jetzt schon gegen die Maastrichtkriterien verstoßen. Gunther Schnabl, Leiter des Instituts für Wirtschaftspolitik an der Universität Leipzig, behauptet sogar, dass Draghis Geldpolitik die wirtschaftliche Grundordnung der Bundesrepublik, wie sie einst von Walter Eucken mit ihren acht Grundprinzipien entworfen wurde, untergrabe.3 Bekanntlich steht die Deutsche Bundesbank in Opposition zu Draghis Geldpolitik. Ihr Präsident Jens Weidmann und sein Vorgänger bis 2011, Axel Weber, wurden im EZB-Rat des Öfteren überstimmt, genauso wie das deutsche EZB-Vorstandsmitglied Jürgen Stark. Weber und kurz darauf auch Stark hatten dies zum Anlass genommen, 2011 von ihren Posten zurückzutreten.4 Selbst führende Regierungsmitglieder, wie der ehemalige Finanzminister Wolfgang Schäuble, haben Draghis Geldpolitik als gefährlich bezeichnet und spätestens seit Frühling 2016 eine strengere Politik verlangt.5 Das ist nicht ohne Ironie, weil es die deutsche Regierung war, die erfolgreich auf der Unabhängigkeit der EZB von Regierungseinflüssen bestanden hatte. 3 http://www.focus.de/finanzen/experten/folgen-der-geldpolitik-die-ezb-unterhoehltdie-grundpfeiler-unserer-wirtschaftsordnung_id_7382123.html (Abgerufen am 7. September 2017). An der Universität Leipzig gründete und leitet Schnabl die Forschungsplattform „Nullzinspolitik und Wirtschaftliche Ordnung“). 4 http://www.spiegel.de/international/europe/ecb-chief-economist-quits-juergenstark-s-resignation-is-setback-for-merkel-a-785668.html (Abgerufen am 4. September 2017). 5 http://www.faz.net/aktuell/wirtschaft/wolfgang-schaeuble-kirtisiert-mario-draghisezb-geldpolitik-14171118.html (Abgerufen am 7. September 2017). Auf der Konferenz „Banken im Umbruch“ in Frankfurt am Main vom 6. September 2017, haben nicht nur Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble, sondern auch führende Persönlichkeiten des deutschen Bankwesens von John Cryan (Deutsche Bank) und Martin Zielke (Commerzbank) bis hin zu den Präsidenten der Sparkassenvereinigung, Georg Fahrenschon, und der Vereinigung der Volks- und Raiffeisenbanken, Uwe Fröhlich, ein Ende der quantitativen Lockerung verlangt. Siehe Rolf Obertreis, Scharfe Kritik an der Geldpolitik. Finanzminister Schäuble und Deutsche-Bank-Chef Cryan fordern Kursänderung der EZB, in: Der Tagesspiegel, 7. September 2017, S. 18. Bankgeschäfte leiden, wenn Zinssätze niedrig sind und florieren, wenn sie hoch sind.

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Millionen Deutsche leben in Angst vor den Konsequenzen der Politik Draghis, namentlich den Nullzinsen auf Ersparnisse und den meist negativen Realrenditen auf Geldanlagen. Draghi hat im Gegenzug von der „perversen Angst“ der Deutschen vor seiner Politik gesprochen.6 Die in den Medien oft geschürte Angst vor Inflation, zuweilen sogar vor Hyperinflation, als Konsequenz der Flutung der Geld- und Kapitalmärkte mit Zentralbankgeld hat sich allerdings in keiner Weise als begründet erwiesen, wie die Preisentwicklung der Jahre seit der Finanzkrise 2008 gezeigt hat. Die Entwicklung der Lebenshaltungskosten ist weit unter dem Preisstabilitätsziel der EZB von unter, aber nahe 2 Prozent geblieben.7 Das Gleiche gilt mehr oder weniger für Japan und die USA. Dort war die Ausweitung der Bilanzsummen der Zentralbanken sogar noch stärker als diejenige der EZB. Über die Kehrseite der Medaille – günstige Kreditbedingungen zu Investitionszwecken oder zur Immobilienfinanzierung – wird von denjenigen in Deutschland, die davon Gebrauch machen oder davon profitieren, praktisch kaum geredet, geschweige denn geklagt. Der Rückgang des Zinsniveaus hat zu einer Umverteilung von Einkommen von Gläubigern zu Schuldnern geführt. Hyperinflation hat denselben Effekt, nur dass dieser deutlich schneller und stärker eintritt. Der gemeinsame Nenner beider Prozesse sind unvorhergesehene Entwicklungen: Im gegenwärtigen Fall betrifft dies zukünftige nominale Zinssätze während im Fall von Hyperinflation zukünftige reale Zinssätze betroffen sind.8 Meiner Ansicht nach, und durch regelmäßige Eurobarometer-Umfragen der Europäischen Kommission bestätigt, sind die Deutschen weitaus risikoscheuer und weniger schuldenfreudig als Bürger vieler anderer EU-Staaten mit einer langen Tradition im weltweiten Handelsverkehr, namentlich Italien, Spanien, Portugal, Frankreich, die Niederlande und England.9 Ich spreche hier bewusst von England und nicht von Großbritannien, weil Schottland als Land der sprichwörtlichen Pfennigfuchser und eisernen Sparer besonders risiko- und schuldenscheu ist. Schottland blickt wie Deutschland auf eine Geschichte von relativer Armut zurück, im Fall von Deutschland sogar bis weit in das letzte Drittel des 19. Jahrhunderts hinein. 6 http://www.telegraph.co.uk/finance/economics/10542289/Draghi-complains-of-

perverse-angst-among-Germans.html (Abgerufen am 4. September 2017). 7  Allerdings sind die Preise auf den Vermögensmärkten als Folge der niedrigen Zinssätze stark gestiegen. Siehe die Aktienkurs- und Immobilienpreisentwicklungen seit 2008! 8 Siehe Carl-Ludwig Holtfrerich, Die deutsche Inflation 1914 – 1923. Ursachen und Folgen in internationaler Perspektive, Berlin/New York 1980, S. 70 – 72 und 115 – 117. 9 Siehe Carl-Ludwig Holtfrerich et al., Staatsschulden in der Demokratie: Ursachen, Wirkungen, Grenzen, Berlin: Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften, 2016, S. 12 and 85, Endnote 6. Siehe ebenfalls Richard C. Koo, The Escape from Balance Sheet Recession and the QE Trap. A Hazardous Road for the World Economy, Singapore 2015, S. 207.

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Als Folge der Tatsache, dass deutsche Privathaushalte und – als Spiegel der öffentlichen Meinung – auch der Regierungssektor Deutschlands relativ schuldenavers sind, hat das Land seit 2002, und schneller zunehmend ab 2004, mit seinen sehr hohen Spar- und niedrigen Investitionsquoten große Leistungsbilanz­ überschüsse entwickelt. Diese erreichten einen Rekordwert von 8,5 % des BIP im Jahre 2015, um dann nur leicht auf 8,1 % im Jahre 2017 zurückzufallen. Ich bin der Ansicht, dass diese Überschüsse ein starkes Hindernis im ökonomischen Erholungsprozess der Defizitstaaten der Eurozone darstellen. Sie sind eine Bremse für eine annähernd gleichmäßige wirtschaftliche Entwicklung in der Eurozone. Deutschlands hohe Leistungsbilanzüberschüsse stellen einen Anreiz für Defizitstaaten dar, die Währungsunion mit dem wettbewerbsfähigsten Mitglied der Eurozone, Deutschland, zu verlassen und zu einer nationalen Währung zurückzukehren, um mit dann eigener Geld- und Währungspolitik ein verlorenes wirtschaftspolitisches Instrument zurückzugewinnen. In Deutschland, aber auch in anderen Ländern der Eurozone sowie in Großbritannien und den USA, ist die Meinung stark verbreitet, das Zinsniveau hinge einzig und allein von den Entscheidungen der Zentralbanken ab; ganz so als ob die EZB oder jede andere Zentralbank absolute Macht über die Konditionen auf Geld- und Kapitalmärkten ausüben könne. Die EZB oder Draghi persönlich werden zuweilen als die Diktatoren der Eurozone dargestellt, z.B. in einer Klageschrift vor dem Bundesverfassungsgericht.10 Es ist eine Lehrbuchweisheit, dass die Geldpolitik der Zentralbanken direkten Einfluss auf die Verhältnisse auf den Geldmärkten hat. Aber auch andere Akteure verfügen über Einfluss: die Regierung, inländische Unternehmen aus dem Finanz- sowie Nichtfinanzsektor mit ihren jeweiligen finanziellen Dispositionen, und geldpolitische, wirtschaftspolitische und privatwirtschaftliche Entscheidungsträger im Ausland. Je nach Gestaltung der Haushaltspolitik kann z.B. eine Regierung in Defizitsituation kurzfristiges Geld auf dem Geldmarkt nachfragen, oder im Falle eines Überschusses Mittel dem Geldangebot hinzufügen. Wenn es einer Regierung erlaubt ist, Kredit bei der Zentralbank aufzunehmen und die so erhaltenen Mittel bei Privatbanken einzuzahlen, dann kann sie dadurch das Angebot auf dem Geldmarkt erhöhen und so das Zinsniveau senken. Das Verhalten von privaten Nicht-Banken hat ebenfalls einen Effekt auf die Konditionen auf dem Geldmarkt, z.B. durch Änderung des Verhältnisses der Benutzung von Bar- und Buchgeld im Zahlungsverkehr oder durch Änderung der Laufzeitstruktur der Bankeinlagen, die das Buchgeld ausmachen. Geschäftsbanken haben Einfluss auf den Geldmarkt hauptsächlich durch das Ausmaß ihrer Kreditexpansion oder -kontraktion und durch ihre Entscheidungen über den Umfang ihrer Liqui10  https://www.welt.de/finanzen/article155356244/Verfassungsklage-gegen-densouveraenen-Diktator-EZB.html (Abgerufen am 7. September 2017).

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ditätsreserven.11 Nicht zuletzt haben wirtschaftspolitische, privatwirtschaftliche und geldpolitische Entscheidungsträger im Ausland und die durch sie ausgelösten kurzfristigen Kapitalzu- oder -abflüsse einen starken Effekt auf den inländischen Geldmarkt, insbesondere in einem System fester Wechselkurse. Während der Bretton-Woods-Ära wurden restriktive Maßnahmen der Bundesbank, d.h. Bemühungen das Zinsniveau auf dem Geldmarkt zu erhöhen, bisweilen durch massive kurzfristige Kapitalzuflüsse unwirksam gemacht. Wann immer dies passierte, wurde die Geldpolitik der Bundesbank, welche auf die Stabilisierung des heimischen Konjunkturzyklus abzielte, praktisch wirkungslos. Denn die Bundesbank war vorranging verpflichtet, den festen Wechselkurs der Deutschen Mark zu erhalten.12 An ihrer Stelle musste die Haushaltspolitik die Aufgabe der Stabilisierung der inländischen Wirtschaft übernehmen, so wie es im Mundell-Fleming Modell erstmals 1962 dargelegt wurde. Einst war es ebenfalls Lehrbuchwissen, dass Zentralbanken keinen direkten Einfluss auf die Konditionen auf dem Kapitalmarkt haben. Doch Arbitrage zwischen kurzfristigen Mitteln auf dem Geldmarkt und langfristigen Mitteln auf dem Kapitalmarkt würde letztendlich den Zinssatz des Kapitalmarkts demjenigen des Geldmarkts annähern. Das Angebot auf dem Kapitalmarkt ist grundsätzlich nicht das Resultat von Geldschöpfung durch die Zentralbank, es sei denn diese praktiziert Quantitative Easing (QE). Vielmehr resultiert das Angebot aus dem Volumen der weltweiten Ersparnisse. Zusätzlich zu den inländischen Ersparnissen, bestimmen Kapitalimporte und -exporte das Angebot auf dem inländischen Kapitalmarkt. Die Nachfrage nach Mitteln des Kapitalmarkts geht von einer Vielzahl verschiedener volkswirtschaftlicher Akteure und Institutionen aus. Es ist richtig, dass Zentralbanken zuweilen durch ihre Offenmarktgeschäfte Mittel von den Kapitalmärkten absorbieren. Bis vor kurzem stellte der QE-Beitrag der EZB zum Angebot auf dem Kapitalmarkt des Euroraums allerdings einen ungewöhnlich großen Anteil von dessen Gesamtvolumen dar: 60 Milliarden Euro pro Monat bis Ende 2017.13 Andere Institutionen und Sektoren der Volkswirtschaft als die Zentralbank sind üblicherweise weitaus aktiver auf der Angebots- und Nachfrageseite des Kapitalmarkts. Dazu gehören der Finanzsektor, der nicht-finanzielle Unternehmenssektor und private Haushalte, die ihre Ersparnisse anbieten sowie Hypothe11  Für diesen Absatz habe ich zurückgegriffen auf: Otmar Issing, Einführung in die Geldtheorie. 11. Aufl., München 1998, S. 72 – 84. 12 Mehr hierzu: Carl-Ludwig Holtfrerich, Geldpolitik bei festen Wechselkursen (1948 – 1970), in: Deutsche Bundesbank (Hrsg.), Fünfzig Jahre Deutsche Mark. Notenbank und Währung in Deutschland seit 1948, München 1999, S. 347 – 438, bes. S. 400 – 427. 13  Zum 1. Januar 2018 hat die EZB den Umfang ihres monatlichen Ankaufs von Anleihen auf 30 Milliarden Euro reduziert.

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ken- und Konsumentenkredite nachfragen. Der Regierungssektor liefert Ersparnisse in Überschusssituationen und fragt Kredite im Falle eines Defizits nach. Wie auf allen anderen Märkten wird auch auf den Kapitalmärkten der Preis des Kapitals – der Zinssatz – durch den Schnittpunkt der Angebots- und Nachfragekurven bestimmt. Für einige Kapitalnachfrager wird je nach ihrer Bonität eine Risikoprämie auf den Gleichgewichtszinssatz aufgeschlagen. Für die öffentlichen Hände in Ländern mit stabilen politischen und wirtschaftlichen Verhältnissen liegt diese Prämie üblicherweise bei null. Denn sie können aufgrund ihrer Macht, Steuern und Gebühren zu erheben, eine Insolvenz praktisch immer verhindern. Die Risikoprämie ist niedrig für solide Unternehmen und bonitätsstarke Immobilienkreditnehmer. Sie ist höher für Konsumentenkreditnehmer. Besonders hoch ist sie in finanziell und ökonomisch schwachen Ländern in fiskalischer Notlage oder während großer Finanzkrisen. Zinssätze an den Kapitalmärkten sind momentan extrem niedrig, reale Zinssätze sogar negativ. Ihr Abwärtstrend begann allerdings nicht erst mit der globalen Finanzkrise von 2007/08,14 sondern war bereits seit den 1990er Jahren im Gange. Was also ist auf der Angebotsseite der Kapitalmärkte seither geschehen? Das Volumen der weltweiten Ersparnisse ist weitaus schneller gestiegen als das globale BIP. Dies ist hauptsächlich ein Resultat besonders hoher Wachstumsraten in den Schwellenländern, wie den BRICS-Staaten, in denen im Vergleich zu Industrienationen die Sozialversicherungssysteme noch unterentwickelt sind. Wohlhabende Bürger der Mittelschicht machen dort mittlerweile einen großen und stetig wachsenden Teil der Gesellschaft aus. Sie haben die nötigen Mittel, um zu sparen und können daher für ihre Sozialversicherung selbst aufkommen. In China beispielsweise wird die Quote der nationalen Ersparnisse zum BIP auf 40 % geschätzt, weitaus höher als in industrialisierten Ländern.15 Diese Entwicklungen auf der Angebotsseite des Kapitalmarkts wurden von Ben Bernanke als saving glut (Sparschwemme) bezeichnet.16 Bernanke hatte 14  Für Statistiken von 3 der OECD-Länder Schweiz, Deutschland und USA seit 1990 siehe: https://www.snb.ch/de/mmr/speeches/id/ref_20161024_tjn/source/ref_20161024_ tjn.de.pdf (Abgerufen am 17. Januar 2019). Die Daten beziehen sich auf Staatsanleihen mit einer Laufzeit von 10 Jahren. 15 Für eine Grafik dieser Entwicklung seit 1980 siehe: https://www.quandl.com/ data/ODA/CHN_NGSD_NGDP-China-Gross-National-Savings-of-GDP (Abgerufen am 15. Januar 2018). 16  Ben S. Bernanke, The global saving glut and the US current account deficit. Remarks by Mr. Ben S. Bernanke, Member of the Board of Governors of the US Federal Reserve System, at the Sandridge Lecture, Virginia Association of Economics, Richmond, Virginia, 10. März 2005. http://www.bis.org/review/r050318d.pdf (Abgerufen am 13. September 2017, eigene Übersetzung aus dem Englischen). Für eine Neubewertung angesichts der Entwicklungen nach der Finanzkrise siehe: Ben S. Bernanke, Why are interest rates so low, part 3: The Global Savings Glut, Brookings Institution, Washington DC, Wednesday, 1.

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beobachtet, dass nach dem Ausbruch der Finanzkrisen in Ostasien 1997, Mexiko 1994, Russland 1998, Brasilien 1999 und Argentinien 2002 Schwellenländer nicht mehr mittels Kapitalimporten auf die weltweiten Ersparnisse zugriffen. Stattdessen bauten sie riesige „Kriegskassen“ an Fremdwährungsreserven als Puffer gegen potentielle Kapitalabflüsse in Krisenzeiten auf. Das Anhäufen dieser Reserven ergab sich zusätzlich durch Interventionen am Devisenmarkt mit dem Ziel, einen unterbewerteten Wechselkurs zu erhalten und so exportorientiertes Wachstum zu generieren. Öl-exportierende Nationen häuften auf Grund des starken Ölpreisanstiegs ebenfalls mehr und mehr Reserven an. Mit anderen Worten: Schwellenländer und Ölexportstaaten unterhielten große Leistungsbilanzüberschüsse anstelle der früheren -defizite. Dies ist ein Zeichen dafür, dass sie große Teile ihrer nationalen Ersparnisse in den Rest der Welt exportierten. Diese Kapitalexporte wurden hauptsächlich von den Vereinigten Staaten von Amerika aufgesogen. Bernanke behauptet, dies habe Mitte der 2000er Jahre, als die FED die kurzfristigen Zinssätze anhob, zu anhaltend niedrigen längerfristigen Zinssätzen geführt. Darüber hinaus hätten auch starke Kapitalzuflüsse den Wert des Dollars nach oben getrieben und dabei geholfen, das sehr große Leistungsbilanzdefizit der USA von nahezu 6 % des BIP im Jahr 2006 aufzubauen.17 Im Jahr 1996 hatte das Defizit hingegen nur eineinhalb Prozent des BIP betragen. Ein weiterer Faktor, der zur Sparschwemme beiträgt, ist die andauernde bal­ ance sheet recession (Bilanzrezession) – eine Theorie, die erstmals Richard Koo nutzte, um die träge wirtschaftliche Entwicklung der japanischen Wirtschaft nach 1990 zu erklären. Er diagnostizierte sie auch für Deutschland nach dem Platzen der Dot-Com-Blase im Jahr 2000 und im Anschluss an die globale Finanzkrise auch für den Euroraum und die USA. Eine Bilanzrezession tritt nach dem Platzen von Blasen auf. Unternehmen und Konsumenten bevorzugen es dann zu sparen und ihre Schulden zurückzuzahlen, anstatt Ausgaben zu tätigen und zu investieren, obgleich das Zinsniveau sehr niedrig ist.18 Dies erhöht das Angebot und verringert die Nachfrage auf den weltweiten Kapitalmärkten und führt daher zu fallenden Zinssätzen. April 2015. https://www.brookings.edu/blog/ben-bernanke/2015/04/01/why-are-interestrates-so-low-part-3-the-global-savings-glut/ (Abgerufen am 17. September 2017). 17  Ebenda. Ende 2006 prägten Niall Ferguson und Moritz Schularick den Begriff „Chimerica“ für die symbiotische Beziehung zwischen China und den USA, die sich aus den großen, in den USA angelegten Ersparnissen der Chinesen und den überhöhten Ausgaben der Amerikaner ergeben hatte. http://www.jfki.fu-berlin.de/faculty/economics/persons/ schularick/chimerica.pdf (Abgerufen am 17. September 2017). N. Ferguson/M. Schularick, ,Chimerica‘ and the Global Asset Market Boom, in: International Finance, 2007, S.  215 – 239 (10). 18  R. C. Koo, Escape from Balance Sheet Recession, a.a.O. Koo präsentiert in seinem Buch eine Vielzahl von Daten, die seine Theorie untermauern.

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Carl Christian von Weizsäcker erklärt die Sparschwemme, welche die sehr niedrigen nominalen und negativen realen Zinssätze hervorruft, aus einer anderen Perspektive.19 Ausgehend von Böhm-Bawerks Kapitaltheorie und der Zinstheorie von Knut Wicksell legt er den Schwerpunkt seiner Analyse auf die Wirkung der demografischen Entwicklung in den OECD-Ländern und des wirtschaftlich rasant wachsenden Chinas auf Angebot und Nachfrage von Kapital. Karl Marx und Eugen von Böhm-Bawerk erwarteten, dass es eine ständig anwachsende Relation von Kapitaleinsatz zu Bruttoinlandsprodukt (BIP) gäbe, d.h. einen säkularen Trend steigender Kapitalkoeffizienten, mit der Folge stets positiver, sowohl nominaler Zinssätze als auch natürlicher Realzinssätze. Tatsächlich aber gab es keinen Anstieg des Kapitalkoeffizienten. Dieser blieb praktisch konstant während der bis heute spektakulären wirtschaftlichen Entwicklung, die z.B. in Deutschland im letzten Drittels des 19. Jahrhunderts einsetzte. Dies bedeutet, dass die Nachfrage nach Kapital durch den produzierenden Sektor der Volkswirtschaft im Gleichschritt mit dem allgemeinen Produktionsniveau wuchs, d.h. annähernd mit derselben Rate wie das BIP. Demgegenüber wuchs das Kapitalangebot durch Ersparnisbildung, also dem Anhäufen von Finanzvermögen, deutlich schneller, insbesondere seit der Integration der vormals oder zum Teil immer noch kommunistischen Länder (besonders China) in die Weltwirtschaft. Die Hauptgründe dafür sind die schnell steigenden Realeinkommen und der damit verbundene Anstieg des Lebensstandards. Letzterer beinhaltet stark verbesserte medizinische Versorgung und eine weit höhere Lebenserwartung bei gleichzeitig konstantem Renteneintrittsalter. In Deutschland betrug gegen Ende des 19. Jahrhunderts die durchschnittliche Zeitspanne zwischen dem Renteneintrittsalter von 65 Jahren und dem Tod weniger als zwei Jahre. 1970 betrug sie zehn Jahre und 2010 bereits 17 Jahre. In welcher Form auch immer – sei es durch das Sozialversicherungssystem, durch implizite öffentliche Verschuldung oder durch das Anhäufen von privaten Ersparnissen – müssen reiche Gesellschaften Vermögen in dem Ausmaß akkumulieren, in dem die Altersdifferenz zwischen Renteneintritt und Tod wächst. Denn dies stellt die einzige Möglichkeit dar, das Konsumniveau aus der Zeit der Erwerbstätigkeit auch während des Ruhestands aufrecht zu erhalten. Der Anstieg des Kapitalangebots, der die Nachfrage nach Kapital im Produktionssektor bei weitem übersteigt, lässt den natürlichen realen Gleichgewichtszinssatz im Sinne von Knut Wicksell negativ werden. Dies ist inkompatibel mit Preisstabilität. Um Preisstabilität zu gewährleisten, ist die Existenz von öffentlichen Schulden zwingend notwendig. Die öffentliche Verschuldung einzuschränken, verstieße gegen das Ziel der Preisstabilität, so Weizsäcker. Ich würde an dieser 19  Carl Christian von Weizsäcker, Public Debt and Price Stability, in: German Economic Review, 2014, S. 42 – 61 (15).

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Stelle sogar weiter gehen und behaupten, dass Staatsschulden die Lücke zwischen dem rapide wachsenden Kapitalangebot einerseits und dem vergleichsweise niedrigen Wachstum der Kapitalnachfrage des Produktionssektors für Investitionen und der privaten Haushalte für Immobilien- und Konsumfinanzierung ausfüllen müssen. Ein weiterer Punkt, der in letzter Zeit oft hervorgehoben wurde, ist der zunehmende Anteil der „global players“ aus dem High-Tech-Bereich des Dienstleistungssektors. Joachim Fels hat die Folgen der Konzentration von ökonomischer Macht in den Händen der sogenannten FAANGs (die fünf bekanntesten und stärksten Technologieaktienunternehmen am Markt, namentlich Facebook, Apple, Amazon, Netflix und Google) für die Angebots- und Nachfragesituation im Kapitalmarkt untersucht. Lassen Sie mich hier aus Fels Zusammenfassung zitieren: Superstarunternehmen machen höhere Gewinne, sparen mehr als sie investieren und zahlen einen geringeren Anteil ihrer Wertschöpfung an ihre Arbeitnehmer aus. Die zunehmende Bedeutung dieser Superstarunternehmen hilft dabei, aktuelle Phänomene der Makroökonomik, wie die globale Sparschwemme, die steigende Ungleichheit von Einkommen und Vermögen und die geringen Lohnerhöhungen trotz abnehmender Arbeitslosenquoten (d.h. flache Phillipskurve) zu erklären. All diese Erscheinungen haben zum gegenwärtigen ökonomischen Umfeld von niedrigen natürlichen (r-star) und tatsächlichen Zinssätzen beigetragen, welche ihrerseits wiederum die hohen Bewertungen der Superstars an den Aktienbörsen stützen. Was könnte den Aufstieg der Superstarunternehmen und damit auch den Sinkflug des natürlichen Zinssatzes umkehren? (1) Protektionistische Politik, welche die Deglobalisierung voranbringt; (2) Kartellgesetze, welche die Quasimonopolgewinne der Superstars einschränken; und (3) ein Anstieg der Verhandlungsmacht der breiten Arbeiterschaft, der zu deutlich höherem Lohnwachstum führt. Keiner dieser drei Vorschläge erscheint auf absehbare Zeit besonders realistisch zu sein. Also werden die Superstarfirmen und die superniedrigen Zinsen wohl bestehen bleiben.20

Larry Summers zählt einige weitere Ursachen der Sparschwemme auf: Strengere Eigenkapitalanforderungen und Kreditbesicherungsauflagen infolge der Finanzkrise haben zu einer erhöhten Nachfrage nach sicheren Anlagen geführt; […]; die zunehmende Ungleichheit hat die durchschnittliche Sparneigung erhöht; […] die Realzinssätze nach Steuern bewegen sich mehr als eins-zu-eins im Verhältnis zu den 20  Joachim Fels, How Superstar Firms Depress R-Star, in einer E-Mail von Joachim Fels vom 30. Juli 2017 an PIMCO-Kunden und an eine große Gruppe deutschsprachiger Makroökonomen, die Carl Christian von Weizsäcker einige Jahre zuvor für die Diskussion makroökonomischer Probleme interessiert hatte. https://global.pimco.com/en-gbl/ insights/economic-and-market-commentary/macro-perspectives/interest-rates-how-superstar-firms-depress-r-star (Abgerufen am 11. März 2018). Eigene Übersetzung aus dem Englischen.

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Realzinssätzen vor Steuern, was bei rückläufiger Inflation die Attraktivität eines gegebenen Realzinssatzes vor Steuern erhöht; und […] die als Folge der Finanzkrise gestiegenen Kosten der Finanzintermediation, treiben einen größeren Keil zwischen die Erträge der Sparer und die Kosten der Schuldner.21

Werfen wir nun einen genaueren Blick auf die Nachfrageseite des globalen Kapitalmarkts. Oben ist schon erwähnt worden, dass die fünf FAANGs dort Nettoanbieter von Kapital sind. Diese und andere kleine wie große Unternehmen des Dienstleistungssektors benötigen weniger Kapital pro Produktionseinheit als diejenigen des Industriesektors. Immer mehr Investitionen des Dienstleistungssektors werden selbst- statt fremdfinanziert. Larry Summers hat darauf hingewiesen, dass das Bevölkerungswachstum in den Industrieländern sich weiterhin verlangsamen wird und dass der „relative Preis von Kapitalgütern zurückgegangen ist und dass dies die Menge an Ersparnissen verringert, die in Anspruch genommen wird, um eine bestimmte reale Investition zu tätigen.“22 Auch der Regierungssektor hat seine Nachfrage nach Mitteln des Kapitalmarkts verringert. Besonders ausgeprägt ist diese Entwicklung in Deutschland gewesen, wo eine Kreditfinanzierung von öffentlichen Nettoinvestitionen schon seit 15 Jahren nicht mehr stattfindet.23 Die 2009 ins Grundgesetz eingetragene Schuldenbremse verbietet sogar, bis auf 0,35 % des BIP beim Bund, die Finanzierung aller staatlichen Investitionen einschließlich der öffentlichen Reinvestitionen zum Erhalt des staatlichen Vermögensbestands. Auch dadurch, dass die Bundesregierung anderen Ländern des Euroraums vergleichbare Budgetrestriktionen aufgedrängt hat, hat sie zu einem Rückgang der Nachfrage anderer Eurostaaten auf dem Kapitalmarkt beigetragen. Der enorm angewachsene deutsche Leistungsbilanzüberschuss seit 2002 und seit kurzem auch der Leistungsbilanz­ überschuss der Eurozone insgesamt zeigen an, dass der Mangel an inländischer Kapitalnachfrage zunächst vor allem durch Kapitalnachfrage anderer Euroländer und in letzter Zeit zunehmend auch aus dem Euro-Ausland kompensiert wurde. Nun wollen wir die Größe der Mittel beziffern, die die EZB seit dem Start ihres QE-Programms im März 2015 bis Ende 2017 den Euro-Kapitalmärkten zur Verfügung gestellt hat. Dieses Programm bestand aus monatlichen Ankäufen von Anleihen der Eurostaaten und Staatsunternehmen im Umfang von 60 Milliarden Euro. Von April 2016 bis März 2017 betrug das Ankaufvolumen sogar 90 Milliarden Euro. Während der Laufzeit von 34 Monaten bis Ende 2017 hat die EZB ungefähr 2,28 Billionen Euro an Anleihen ihrem vorherigen Portfolio von 21  Larry H. Summers, Demand Side Secular Stagnation, in: American Economic Review: Papers and Proceedings, 2015, S. 60 – 65 und insb. S. 62 (105). Eigene Übersetzung aus dem Englischen. 22  Ibid. Eigene Übersetzung aus dem Englischen. 23  Seit 2003 sind laut Statistischem Bundesamt in Wiesbaden die öffentlichen Nettoinvestitionen in Deutschland negativ.

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lediglich 260 Milliarden Euro hinzugefügt. Die EZB hat so ihre Bilanz verlängert und zeitgleich neues Zentralbankgeld in gleichem Umfang geschaffen. Dies hat sicherlich geholfen, die Börsenkurse der Euro-Anleihen hoch, und somit die Zinssätze niedrig zu halten. Dazu hat nicht nur die bloße Menge an zusätzlicher Nachfrage beigetragen, sondern auch der Signaleffekt an die Märkte, den eine solche Zentralbankoperation immer nach sich zieht. Um die Auswirkungen des QE-Programms auf Anleihekurse und Zinssätze zu bewerten, ist es hilfreich, sich den Gesamtbestand der am Euro-Kapitalmarkt handelbaren Anleihen anzuschauen. Nach den Statistiken des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) betrug das Volumen aller handelbaren Anleihen Ende Dezember 2017 13,3 Billionen Euro, und zwar ohne kurzfristige Schuldverschreibungen, aber inklusive Anleihen im Bestand der EZB. Davon entfielen 7,3 Billionen Euro auf Staatsanleihen.24 Die 67,5 Milliarden Euro, die die EZB im monatlichen Durchschnitt angekauft hatte, sind nur ein winziger Anteil am Gesamtvolumen der in Euro denominierten, handelbaren Anleihen. In Relation zur ersten Kennziffer betragen sie 0,51 % und in Bezug auf die zweite 0,92 %. Die monatlichen Anleiheankäufe der EZB von durchschnittlich 67,5 Milliarden Euro sind eine Stromgröße. Anstatt sie zu den beiden Bestandsgrößen von oben in Beziehung zu setzen, ist es aufschlussreicher, sie ins Verhältnis zu anderen Stromgrößen zu setzen. Hier bietet sich das Gesamtvolumen der Neuemissionen von in Euro denominierten Anleihen mit langer Laufzeit an. Der Gesamtumfang aller Neuemissionen von Beginn des QE-Programms im März 2015 bis Ende Dezember 2017 beläuft sich auf 6,35 Billionen Euro. Davon macht das Volumen der öffentlich emittierten Anleihen 2,88 Billionen Euro aus.25 In der gleichen Zeitspanne beliefen sich die QE-Ankäufe von 34 mal 67,5 Milliarden Euro auf insgesamt 2,30 Billionen Euro. Das bedeutet, dass die EZB etwas mehr als ein Drittel aller neu emittierten langlaufenden und in Euro denominierten Anleihen in ihre Bücher nahm. In Relation zu allen öffentlich emittierten Anleihen betrug das QE-Ankaufsvolumen der EZB 80 Prozent. Die Kapitalmarktzinsen lägen höher ohne die Mittel, die das QE-Programm zum Angebot am Kapitalmarkt hinzugefügt hat. Das haben empirische Studien gezeigt.26 Die EZB, wie auch die FED und die japanische Zentralbank haben mit 24  Deutsche Bundesbank, Umlauf und Transaktionen von auf Euro lautenden Schuldverschreibungen nach Sitzland, Emittentengruppe und ursprünglicher Laufzeit, Stand vom 15. Februar 2018. http://www.bundesbank.de/Navigation/EN/Statistics/ESCB_statistics/Securities_issues/eszb_table_view_node.html?statisticId=debt_securities&dateSelect=2017 – 12 – 01 (abgerufen am 19. Februar 2018). 25  Berechnet aus monatlichen Zahlen in ibid, Zeilen 3. 2. 1, 3. 2. 5 und 3. 2. 6. 26  Es gibt zahlreiche emirische Studien zu den Zinseffekten von QE-Programmen, z.B. Ansgar Belke, Daniel Gros und Thomas Osowski, The Effectiveness of the Fed’s Quantitative Easing Policy: New Evidence Based on Interest Rate Differentials. In: Journal

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einer Geldpolitik der quantitativen Lockerung einer drohenden Deflation entgegengewirkt, um deren desaströse Folgen für Wachstum und Beschäftigung zu vermeiden, welche wir bereits aus der Wirtschaftsgeschichte und besonders aus den 1930er Jahren kennen. Trotz ihrer Null- oder sogar Negativzinspolitik und ihres vergleichsweise großen QE-Programms, hat die EZB ihr Preisstabilitätsziel – einer Inflationsrate von unter, aber nahe 2 Prozent – verfehlt. Die Ursache dafür ist die gegenüber früher viel geringere Knappheit an Geldund Kapitalangebot. Die Ersparnisse und damit das Kapitalangebot wuchsen weltweit stark, was in der Terminologie von Bernanke zur Sparschwemme führte. Dies trieb die Grenzproduktivität des Kapitals, welche wiederum den natürlichen Zins bestimmt, stark nach unten. Knut Wicksell prägte den Begriff des natürlichen Zinses, um ihn vom Geldzins zu unterscheiden, welcher vom Bankensektor und seinem Kreditgeber letzter Instanz (lender of last resort), der Zentralbank, gesetzt wird.27 Wicksell kam damals bereits zu dem Ergebnis, dass „der Geldzins sich schließlich immer dem Stande des natürlichen Kapitalzinses anschließen wird.“28 Mit anderen Worten: die Macht einer Zentralbank, den Geldzins zu bestimmen, fällt in den Bereich nur kleiner vorübergehender Margen um den natürlichen Zinssatz.29 Dessen Änderungen und damit auch diejenigen des Geldof International Money and Finance 73 (2017), S. 335 – 349. Zusammenfassung: Ansgar Belke, QE der Fed weniger effektiv, als Studien zeigen, in: Börsen-Zeitung Nr. 231 vom 1. Dezember 2017, S. 7. Online: https://www.makro.wiwi.uni-due.de/fileadmin/fileupload/ VWL-MAKRO/011217s07.pdf (abgerufen am 19. Januar 2019). 27  Knut Wicksell, Geldzins und Güterpreis. Eine Studie über die den Tauschwert des Geldes bestimmenden Ursachen, Jena 1898. Gunnar Myrdal hat bekanntermaßen Wicksells Theorie zu einer Geldtheorie der Konjunkturzyklen erweitert. Für eine Zusammenfassung siehe: https://fixingtheeconomists.wordpress.com/2013/08/12/gunnar-myrdals-monetary-equilibrium-theory-a-summarized-version/ (Abgerufen am 27. Oktober 2017). In jüngster Zeit ist auch die These vertreten worden, dass der natürliche Zinssatz auch von der Geldpolitik und dem Finanzzyklus beeinflusst wird. Vgl. z. B. Claudio Borio et al, What anchors for the natural rate of interest?, Federal Reserve Bank of Boston, 62nd Annual Conference, 7 – 8 September 2018. 28  Knut Wicksell, Geldzins, Aus einem Nachdruck: FinanzBuch, 2006, S. 146. Diese Schlussfolgerung stimmt mit jener Böhm-Bawerks über die Lohnentwicklungen am Arbeitsmarkt überein. 29  Mein Beitrag beschäftigt sich nicht mit der Bestimmung des natürlichen Zinssatzes, sondern thematisiert nur die Margen um den natürlichen Zinssatz, welche die geldpolitischen Spielräume der Zentralbanken eingrenzen. Dennoch weise ich auf Empfehlung eines Herausgebers dieser Festschrift auf die Literatur hin, die sich damit beschäftigt aufzuzeigen, wie schwierig es ist, durch Modellschätzungen den natürlichen Zins zu bestimmen. Vgl. z.B.: R. Beyer, V. Wieland, 2017, Instability, Imprecision und Inconsistent Use of Equilibrium Real Interest Rate Estimates, in: CEPR Discussion Paper no. 11927, Center for Economic Policy Research, London. Deutsche Bundesbank, Zur Entwicklung des natürlichen Zinses, in: Monatsbericht, Oktober 2017, S. 29 – 44. Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2015/16, S.  49 – 152.

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zinssatzes hängen vor allem von Entwicklungen des Angebots und der Nachfrage auf den Kapitalmärkten einer globalisierten Welt ab. Zusammenfassend lässt sich Folgendes sagen. Regierungen, besonders in Deutschland und in denjenigen Ländern des Euroraums, die auf Druck der Bundesregierung den Abbau der Staatsschulden betreiben, haben ihre Nachfrage nach Mitteln des Kapitalmarkts reduziert. Aus den oben genannten Gründen war die Nachfrage von Unternehmen am Kapitalmarkt bereits zuvor gesunken. Demgegenüber ist das Kapitalangebot durch die Zunahme der weltweiten Ersparnisse stark angestiegen. Hätten die Eurostaaten mehr Kredit am Kapitalmarkt nachgefragt, um Investitionen in Infrastruktur, Forschung und Entwicklung, Bildung und andere zukunftsträchtige Projekte zu finanzieren, wäre das Kapitalmarktzinsniveau, d.h. Wicksells natürlicher Zins, höher. Dies wiederum ginge mit vermehrter wirtschaftlicher Aktivität, höherem Wirtschaftswachstum und mehr Beschäftigung einher. Das QE-Programm zielte darauf ab, gerade diese Art von Aktivitäten zu stimulieren, indem es zur Senkung langfristiger Zinssätze beitrug. Es hätte sich als überflüssig herausstellen können, hätten die Regierungen nicht ihre Kreditnachfrage verringert, sondern erweitert, um öffentliche Investitionsprogramme aufzulegen. Kreditfinanzierte Investitionsprogramme wären eine echte Alternativen zur Geldpolitik der quantitativen Lockerung der EZB gewesen. Restriktive Regeln für den Staatshaushalt, wie das Drei-Prozent-Defizit-Kriterium und die 60-Prozent-Gesamtverschuldungsregel des Vertrags von Maastricht, oder die seit 2009 im deutschen Grundgesetz verankerte Schuldenbremse und vergleichbare Budgetregeln in anderen Eurostaaten haben bisher einem solchen angemessenen Investitionsprogramm im Wege gestanden. Jene Regeln sind das Ergebnis eines Tunnelblicks auf steigende Staatsschuldenquoten. Es fehlt eine Unterscheidung von staatlicher Kreditaufnahme für Investitionen einerseits und für Konsum andererseits. Auch lassen jene Regeln nicht erkennen, dass ihre Väter die Sparschwemme an den Kapitalmärkten zur Kenntnis genommen und ihr Rechnung getragen haben. Im Gegensatz zu dem Mantra, das Befürworter eines ausgeglichenen Haushaltes stets wiederholen, ist die Kreditfinanzierung von öffentlichen Nettoinvestitionen30 das Gegenteil einer Belastung zukünftiger GeneJ. B. Taylor, V. Wieland, 2016, Finding the Equilibrium Real Interest Rate in a Fog of Policy Deviations. Business Economics 51 (3): 147 – 154. V. Wieland, R-Star: The Natural Rate and Its Role in Monetary Policy, in: M. D. Bordo et al (eds.), The Structural Foundations of Monetary Policy, Hoover Institution Press, March 2018. 30 Das hatte der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung in seinem Sondergutachten im Vorfeld der Beratungen der Kommission zur Föderalismusreform II, aus der die „Schuldenbremse“ hervorging, als Begrenzungsregel für für die Reform des Art. 115 GG empfohlen. Siehe: Staatsschulden wirksam begrenzen. Expertise im Auftrag des Bundesministers für Wirtschaft und Technologie, Wiesbaden: Statistisches Bundesamt, 2007, S. 74 – 82.

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rationen, jedenfalls so lange wie reale Zinssätze für Staatsanleihen niedriger sind als die gesamtwirtschaftlichen Wachstumsraten. Dies ist in Deutschland und in den meisten OECD-Ländern bereits seit einigen Jahren der Fall. Hier wurden und werden weiterhin Gelegenheiten verpasst, den Wohlstand zukünftiger Generationen zu mehren. Ein Nachtrag: Zu meiner großen Überraschung, hat die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) in ihrem Quartalsbericht vom 3. Dezember 2017 festgestellt, dass die restriktiven geldpolitischen Maßnahmen der FED, d.h. das Anheben des Leitzinssatzes und der 2017 begonnene Verkauf zuvor erworbener QE-Anleihen, verpufft sein. Kapitalmarktzinsen für Unternehmensanleihen seien nach Durchführung der restriktiven Maßnahmen der FED gefallen. Die BIZ bezeichnet dies als Straffungsparadox der Geldpolitik.31 Ich interpretiere dies als Bestätigung meines Arguments, dass die Rolle von Marktkräften bedeutender ist als die Macht der Zentralbanken, wenn es darum geht, die Bedingungen an den Kapitalmärkten zu bestimmen.32

31  https://www.bis.org/publ/qtrpdf/r_qt1712a_de.pdf (Abgerufen am 1. Juli 2018). Siehe auch: Bank der Zentralbanken sieht Zinserhöhung verpuffen, in: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 4. Dezember, 2017, S. 17. 32  Claudio Borio, Chefökonom der BIZ, ließ mich in einer E-Mail vom 9. Dezember 2017 wissen, dass mein Artikel dabei helfe, das Straffungsparadox zu erklären. Der folgende Artikel kommt – teils mit anderen Argumenten – zu ähnlichen Ergebnissen wie ich: B. De Backer/J. Wauters, The cyclical and structural determinants of the low interest rate environment, in: Economic Review, September 2017, National Bank of Belgium, S.  69 – 86. Online: https://ideas.repec.org/a/nbb/ecrart/y2017mseptemberiiip69 – 86.html (abgerufen am 1. Juli 2018).

Volker Wieland: R-Star – The Natural Rate and its Role in Monetary Policy

R-Star – The Natural Rate and its Role in Monetary Policy1 Volker Wieland Volker Wieland R-Star – The Natural Rate and its Role in Monetary Policy

I.  What is R-Star and Why Does it Matter? The natural or equilibrium real interest rate has taken center stage in the policy debate on the appropriate stance for monetary policy in the United States and elsewhere. In Taylor-style rules for monetary policy, this rate is often denoted by R-Star. This chapter draws on results from three recent research papers. The titles of these contributions speak directly to the available empirical evidence and the problems encountered in modeling and estimating R-Star, namely: “Finding the equilibrium rate in a fog of policy deviations” by Taylor and Wieland (2016); “Instability, imprecision, and inconsistent use of equilibrium real interest rate estimates”, by Beyer and Wieland (2017) and “Little decline in model-based estimates of the long-run equilibrium interest rate“ by Wolters and Wieland (2017). The equilibrium real interest rate can be defined by using a simple aggregate demand relationship as shown in Figure 1. 46 Wieland

F I G U R E 2. 1 . 1 .

Aggregate demand, potential GDP, and r-star

Figure 1: Aggregate Demand, Potential GDP and R-Star

1  Reprinted from The solid lines in Figure 2.1.1 display the aggregate The Structural Foundations of Monetary Policy,demand edited by Michael D. Bordo, John H. Cochrane, and Amit Seru, with permission of the publisher, Hoover curve in real interest rate and GDP space. The equilibrium rate Institute Press.r*Copyright © 2018 the Boardof of aggregate Trustees of the Leland Stanford Junior corresponds to thebyrealization demand—that is, University. the equilibrium of investment demand and aggregate savings—

when GDP corresponds to the level of equilibrium output (potential GDP). Mathematically, this relationship can be expressed as follows: y = y* – β(r – r*) + αx

(1)

172

Volker Wieland

The red line in Figure 1 displays the aggregate demand curve in real interest rate and GDP space. The equilibrium rate r* corresponds to the realization of aggregate demand that is the equilibrium of investment demand and aggregate savings when GDP corresponds to the level of equilibrium output (potential GDP). Mathematically, this relationship can be expressed as follows:

y=y^*-β(r-r^*)+αx (1)

The parameter β determines the sensitivity of aggregate demand to the real interest rate. The parameter α reflects the influence of other factors, which are denoted by x. This expression is easily re-arranged to determine the level of the real interest rate r as a function of r* and the other variables and parameters as in Figure 1.

r=r^*-β^(-1) (y-y^*)+αβ^(-1) x

(2)

If the aggregate-demand curve or savings-investment relationship shifts downwards, the equilibrium rate r* also declines. Of course, this downward shift of the aggregate demand curve could be temporary, for example due to some economic shock. In this case, it would return fairly soon to the original level and along with it the equilibrium rate. Or, the shift could persist for a longer period, may be due to fiscal policy or other persistent factors. Finally, it could be due to an essentially permanent change in the structure of the economy. Whether and how monetary policy would need to be adjusted depends on the nature of this shift and the degree of persistence. Three different concepts of the equilibrium real interest rate that have received substantial attention in the literature are associated with different time horizons. The first equilibrium rate concept is a purely short-run equilibrium. It is often referred to as the natural rate and well-formulated in New Keynesian dynamic stochastic general equilibrium models, where it corresponds to the value of the real interest rate that would be realized if prices are flexible (Neiss and Nelson 2003, Woodford 2003). This short-run equilibrium is influenced by temporary shocks other than monetary policy shocks. Estimates of this natural rate often exhibit greater variability than actual real interest rates that are influenced by the presence of price rigidities. Some recent contributions have suggested that the central bank set the policy rates in a way that drives the actual real interest rate to the value of this short-run natural rate (Barsky et al 2014, Curdia et al 2015). Clearly, such a policy is highly model- and shock-dependent. It is not robust to model uncertainty but rather sensitive to the respective model specification. Laubach and Williams (2003) introduced another equilibrium rate concept that has received much attention. This concept is of a medium-run nature. Its derivation is based on a mixture of atheoretical time series methods and a sim-

R-Star – The Natural Rate and its Role in Monetary Policy

173

ple Keynesian-style model consisting of an aggregate demand relationship and a Phillips curve relationship. The equilibrium rate is modeled as the function of potential growth and some preference parameters, similar to a fully-specified general equilibrium models, yet without imposing the cross-equation restrictions of such models. Equilibrium rate, potential GDP growth and preference parameters are unobserved variables. How much they can move depends on technical parameters of the unobserved components time-series specification. More recently, Laubach and Williams (2016) and Holston et al (2017) have provided updated estimates indicating a sharp decline towards values around 0 percent for the United States and lower values in the euro area. These estimates have had a substantial impact on policy making. Yet they are characterized by a very large degree of imprecision, instability and potential estimation bias (GCEE 2015, Taylor and Wieland 2016, Beyer and Wieland 2017). A third concept is the long-run equilibrium rate or steady-state interest rate. The new Keynesian DSGE models that can be used to derive a short-run natural rate also include a long-run equilibrium rate or steady-state rate to which the short-run rate converges over time. This long-run equilibrium rate is a function of steady-state growth (percapita) and household rates of time preference and elasticity of substitution. Since the effects of price rigidities are temporary the long-run equilibrium rate in New Keynesian DSGE models is equivalent to the equilibrium rate in a model of real economic growth (see, for example, Christiano et al 2005, Smets and Wouters 2007). This chapter focuses on estimates for medium-run and long-run equilibrium real rates that are often used as an element of monetary policy rules in order to prescribe a particular policy stance.

II.  R-Star, Taylor Rule and the Policy Impact of the Laubach-Williams Estimates Estimates of the medium-run equilibrium rate concept by Laubach and Williams (2003) have had an important influence on recent policy practice. The article originally referred to the Taylor rule for monetary policy to emphasize the role of the natural or equilibrium rate in measuring the policy stance “with policy expansionary (contractionary) if the short-term real interest rate lies below (above) the natural rate“. The Taylor (1993) rule prescribes an expansionary (contractionary) stance for the federal funds rate ( f ) when inflation is below (above) a target rate (p*) of 2 percent or output is below (above) its natural or equilibrium level (y*). The response coefficients are 1.5 and 0.5 respectively.

f=r^*+p^*+1.5(p-p^* )+0.5(y-y^* )=2+p+0.5(p-2)+0.5(y-y^* ) (3)

174 50

Wieland Volker Wieland

F I G U R E 2. 1.2. R-starR-Star estimates of Laubach and Williams 2003 Figure 2: Estimates of Laubach and Williams

(2003)

Taylor set the equilibrium ratevarying r* equalnatural to 2 percent, which was “close that “estimates of a timerate of interest . . . areto the assumed steady growth rate of 2.2 percent”. He estimated this GDP trend growth very imprecise and are subject to considerable real-time misrate over 1984:1 to 1992:3. The average real rate was also close to 2 percent over measurement. These results suggest that this source of uncertainty the 1984 to 1992 period. Interestingly, the average real federal funds rate from needs to bestands takenataccount of inThus, analyzing monetary policies that for 1966:1 to 2016:4 1.91 percent. 2 percent is a candidate estimate feature responses to the natural rate of interest.” long-run equilibrium.

Estimates of a mediumrun (2003) r-star have usingprovided the LaubachWilliams By contrast, Laubach and Williams estimates that exhibit substantial time variation. As shown in Figure 2, values of the one-sided R-star methodology started to receive more attention after the Fed had estimate of their baseline model moved from a peak of 5 percent in the late 1960s kept the federal funds rate near zero for a few years following the to a bit below 2 percent by the late 1970s. After reaching another interim high of global financial crisis. For example, referring to updated estimates about 3 percent around 1990, the one-sided estimate dropped to values near one available from the website of the Federal Reserve Board San2000. percent by 1995. Subsequently, it recovered to close to 3 percent by theofyear In terms of methodological contribution, Laubach Williams (2003) emphaFrancisco, Summers (2014) wrote that “theirand methodology demonsizedstrates that they estimated the natural rate of interest jointly with the natural a very substantial and continuing decline in the [equilib-level of output and natural rate of output growth. To a significant extent, changes in the rium] real rate of interest.” R-Star estimate were associated with changes in trend output growth. With regard Asimplications, shown in Figure 2.1.3, the that one-“estimates sided estimate dropped from to policy they concluded of a time-varying natural 2 percent tovery 0 percent in 2009 stayed there till 2014. Also, rate about of interest, …, are imprecise and and are subject to considerable real-time mis-measurement. that this of uncertainty the estimates These for theresults 1980ssuggest and 1990s hadsource changed relative to needs the to be taken account of in analyzing monetary policies that feature responses findings presented in Laubach and Williams (2003). For example,to the natural rate of interest.” the trough of 1 percent in 1995 has disappeared. Similar results

Estimates of a medium-run R-Star with the Laubach-Williams methodology were published in Laubach and Williams (2016) and Holston, started to receive much more attention once the Fed had kept the federal funds rate Laubach, near zero and for aWilliams few years(2017). following the global financial crisis. For examKrugman (2015) commented in hisfrom influential NewReserve York Times ple, referring to updated estimates available the Federal Bank of San Francisco website Summers (2014) “Theiras(Laubach blog, “The low natural rate is aswrote solidthat a result anythingand in Williams real 2003) methodology demonstrates a very substantial and continuing decline in the (equilibrium) real rate of interest”.

The and Natural R-Star – The Natural Rate its Rate Role in Monetary Policy

F I G U R E 2 .1 .3 .

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R-star estimates of Laubach and Williams 2016

Figure 3: R-Star Estimates of Laubach and Williams (2016)

As shown Figure 3 the one-sided dropped from about 2 percent timeincan be,” referring to the estimate Laubach-had Williams estimates. In the to 0 percent in 2009 and had stayed there till 2014. Also, the estimates same year as well as more recently, FOMC chair Janet Yellen made for the 1980s anduse 1990s hadLaubachchangedWilliams relative to the findings Laubach of the r-star estimatespresented together in with the and Williams Taylor (2003).rule For (Yellen example, the 2017). troughSubstituting of 1 percentthe in 1995 has disappeared. 2015, 0 percent natuSimilar results were published in Laubach and Williams (2016) and Holston, Laural rate estimate in the rule, she stated, “Under assumptions that bach and Williams (2017). I consider more realistic under present circumstances, the Taylor Krugman commented his influential Times “The low Rule(2015) calls for the federalinfunds rate to be New close York to zero. ” Yet blog neither natural rate is as solid a result as anything in real time can be,” referring to the Lawrence Summers nor Paul Krugman nor Janet Yellen took note Laubach-Williams estimates. In the same year as well as more recently, FOMC of Laubach and Williams’s original request: to account for uncerChair Janet Yellen made use of the Laubach-Williams R-Star estimates together tainty about the timevarying (mediumrun) r-the star0estimate. with the Taylor rule (Yellen 2015, 2017). Substituting percent natural rate estimate in the rule, she stated, “Under assumptions that I consider more realistic under present circumstances, the Taylor Rule AND calls for the federal funds rate to INSTABILITY, IMPRECISION, INCONSISTENT be close to zero.” Yet, neither Lawrence Summers, nor Paul Krugman or Janet USE OF (MEDIUM-RUN) R-STAR ESTIMATES Yellen took note of Laubach and Williams (2003) original request: to account for uncertainty about the time-varying (medium-run) R-Star the estimate. Recently, Beyer and Wieland (2017) replicated Laubach and Williams analysis, subjected it to sensitivity analysis, including

III.  Instability, Imprecision and Inconsistent Use of (Medium-run) R-Star Estimates Recently, Beyer and Wieland (2017) replicated the Laubach and Williams analysis, subjected it to sensitivity analysis, including the specification detailed by Garnier and Wilhelmsen (2009) and applied the methodology to the euro area

176

52

Volker Wieland Wieland

F I G U R E Figure 4: 2 .1 .4 . Uncertainty about Laubach and Williams estimates. Source: Uncertainty About Laubach and Williams Estimates Beyer and Wieland 2017. Source: Beyer and Wieland (2017)

specification and Wilhelmsen (2009), and tothe Germany. They detailed documentbya Garnier large degree of uncertainty, much and like Lauapplied the methodology to the euro area and to Germany. They conbach and Williams (2003). Figure 4 indicates the 66 percent and 95 percent document degree oforuncertainty, muchestimates. like Laubach fidence intervals aforlarge the smoothed two-sided R-Star Mostand recently, the 95 percent intervals the range between about + 5,5 percent Williamsconfidence (2003). Figure 2.1.4spans indicates 66 percent and 95 percent and – confi 4,5 percent. So from this perspective, theor observed variation the Laudence intervals for the smoothed two-sided r-starinestibach-Williams medium-run R-Star estimates is not statistically significant. mates. Most recently, the 95 percent confidence interval spans

Furthermore, Beyer and Wieland (2017) show that these estimates the range between about +5.5 percent and −4.5 percent. So fromremain sensitive to seemingly innocuous changes in technical assumptions concerning this perspective, the observed variation in the Laubach-Williams the underlying a-theoretical time series model. If one plugs in different technical mediumrunget r-star not statistically signifiof cant. assumptions, you veryestimates differentisestimates. The degree imprecision and Furthermore, Beyeris not anda Wieland show that estimates not instability of these estimates new finding per se butthese has unfortunately been appreciated in the above-mentioned policy contributions. remain sensitive to seemingly innocuous changes in technical

assumptions thetheunderlying atheoretical A second concernconcerning regards how estimates of R-Star havetimebeenseries used. Laubach and Williams (2003) emphasize the joint estimation of the natural interest model. If one plugs in different technical assumptions, one gets rate with the natural rate of output. Thus, it would be consistent to use very different estimates. The degree of imprecision and instability them together in a Taylor rule. By contrast, Yellen (2015, 2017) uses the Laubach-Wilof these estimates is not a new finding per se but has unfortunately liams medium-run R-Star estimate of 0 percent together with an estimate of longnot beenoutput appreciated the abovementioned policy contributions. run potential derivedinfrom a long-run non-accelerating inflation rate of A second concern regards how the estimates of rstar have beenfor the unemployment estimate. As a result, she obtains a Taylorrule prescription used. Laubach and Williams emphasize the joint estimation the gap federal funds rate near 0 percent. But if one uses instead the consistentofoutput estimate obtained withrate thewith Laubach-Williams instead, the federal natural interest the natural ratemethodology of output. Thus, it would funds rate prescriptions from the Taylor rule shift up substantially as shown by Beyer and Wieland (2017) (see Figure 5).

Natural R-Star – The NaturalThe Rate and itsRate Role in Monetary Policy

53177

%

2000

01

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FIGURE 2.1.5.

2017.

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2016

Inconsistent of r-star Use estimates. Source: Beyer and Wieland Figure 5: use Inconsistent of R-Star Estimates Source: Beyer and Wieland (2017)

The Taylor rule calculations in Figure 5 make use of personal consumption be consistent to use them together in a Taylor rule. By contrast, expenditures inflation. The line labeled “Standard Taylor rule” employs a (longYellen the LaubachWilliams mediumrun r-star estimate of run) R-Staruses estimate of 2 percent together with the (long-run) output gap proposed percent together with gap an estimate ofbased long-on runthepotential outputrate by0Yellen (2017). Her output estimate is unemployment using Okun’s law with an estimate of the long-run NAIRU. This measurement derived from a long-run non-accelerating inflation rate of unemof output gap declines following the start of the global financial crisis, reaching ployment (NAIRU) estimate. As a result, she obtains a Taylor rule a trough of -8 percent in 2010. The gap has closed in 2016. The line labeled “Yelprescription for theuses federal fundsof rate near 0 percent. if onewith len-Taylor rule” instead estimates the medium-run R-StarBut obtained theuses Laubach-Williams method together with the long-run output gap from Yellen instead the consistent output gap estimate obtained with the (2017). Finally, the darkest line uses the jointly estimated R-Star and natural Laubach-Williams methodology, the federal funds rate prescrip-output level obtained with the Laubach-Williams method. The latter is quite differtions from the Taylor rule shift up substantially, as shown by Beyer ent from the Yellen (2017) estimate. Because of low estimated trend growth, the and gap Wieland output closes (see muchFigure earlier 2.1.5). and registers near +2 percent in 2016 and 2017. As a consequence, there is much less disagreement between standard Taylor The Taylor rule calculations in Figure 2.1.5 the make use of per-rule and the consistent Yellen-Taylor rule in 2016 and 2017 with levels for the federal sonal consumption expenditures inflation. The line labeled “Stanfunds rate near 2 percent.

dard Taylor rule” employs a (long-run) r-star estimate of 2 percent A third concern is omitted variable bias – a point made by Taylor and Wieland together with the (longrun) gapR-Star proposed by Yellen (2016) and Cukierman (2016). Foroutput example, estimates based(2017). on simple Her output gapofestimate is based oncurve the unemployment rate using models consisting an aggregate demand and a Phillips curve omit factors Okun’s law with an estimate of the long-run NAIRU. This measure-

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Volker Wieland

such as regulatory, fiscal and monetary policy. If the output gap in equation (1) is lower than predicted, the estimation method adjusts the estimate of r* downward. Similarly, if inflation is higher than predicted by a simple Phillips curve that relates inflation to the output gap, then the estimate of y* is adjusted downwards. Yet, there may be other reasons for low GDP, such as regulation reducing investment demand or tax policy reducing consumption. In equation (1) these factors are denoted by the variable x, but they are not included in the type of models estimated by Laubach and Williams and many others. Also, they omit a financial sector and a central bank reaction function, which creates another relationship that makes nominal and real interest rates endogenous (see equation 3). If the federal funds rate is not equal to the prediction from the reaction function, one can adjust the r*. However, the source of low interest rates may instead be a persistent deviation of the central bank from past policy practice as suggested by the evidence in Shin (2016) and Hofmann and Bogdanova (2012), among others.

IV.  Estimates of Long-run R-Star have not Declined That Much Given that frequentlyused estimates of a time-varying medium-run R-Star suffer from great imprecision, instability and omitted variable bias, it would be helpful for monetary policy to consider more structural modeling and focus on the longer-run. Thus, Wieland and Wolters (2017) employ two recent estimated models for the U.S. economy in the vein of the influential modeling approach of Christiano, Eichenbaum and Evans (2005): the model of Smets and Wouters (2007), which provides a complete estimation with Bayesian methods on U.S. data, and the model of Del Negro and Schorfheide (2015), which includes frictions and accelerator effects in the financial sector and provides postfinancial crisis estimates. In these two models, the long-run equilibrium real interest rate – that is, the steady-state interest rate (r*) – is a function of trend GDP growth in steady-state (ϒ), consumer time preference (β) and intertemporal elasticity of substitution (σc):

r^*=(γ^(σ_c ))/β (4)

Wieland and Wolters (2017) proceed to estimate these steady-state quantities using the two structural models. Here parenthesis to show it’s a numerator and β is a denominator, r* and ϒ are functions of other structural parameters. Estimates are influenced by empirical averages as well as priors for other structural parameters. Furthermore, these models show why average real interest rates might deviate from the long-run equilibrium rate. Of course, the assumption of a constant steady-state may be unrealistic. There may well be changes in long-term trends and structural breaks. Thus, Wieland and Wolters (2017) estimate the models for different time periods (1966:1 – 2016:4,

R-Star – The Natural Rate and its Role in Monetary Policy

179

1966:1 – 1979:1, 1966:1 – 2004:4, 1984:1 – 2016:4). Furthermore, they address the issue of structural breaks through rolling estimation. In this case, the model is based on historical data vintages, essentially every quarter, keeping the window of estimation fixed at 20 years. The original Smets-Wouters (2007) estimate of r* for the sample period 1966:1 – 2004:1 is 3 percent. This is a bit above the sample mean federal funds rate for that period of 2.65 percent. For that period Trend GDP growth per capita is 1.72 percent. For a shorter sample up to 1979:1 the estimate of the equilibrium rate is a bit smaller at 2.4 percent. Extending the sample to 2016:1 gives 2.2 percent. Just using data starting 1984:1 results in an estimate of 2.18 percent. All these estimates are positive and significantly different from 0. Typical 95 percent confidence intervals are +/- 1 percent or at most +/- 1.5 percent wide. They are substantially smaller than the confidence intervals for the medium-run time-varying R-Star estimates. The Del Negro-Schorfheide model typically gives slightly smaller estimates. For example, r* is 1.75 percent for the 1966:1 – 2016:1 sample. Yet 95 percent confidence intervals are a bit narrower for this model. The estimation of the Del-Negro-Schorfheide model incorporates additional data on corporate risk premiums. Given these findings a natural conclusion would be to stick to the more precisely estimated long-run concept of the equilibrium real rate as a reference point for monetary policy. Policy rules such as the Taylor rule then prescribe higher or lower rates in response to developments in observable data such as inflation, GDP and GDP growth rather than some unobserved concept such as a time-varying medium run natural real interest rate. The real-time rolling-window estimates of Wieland and Wolters (2017) shown in Figure 6 indicate that the long-run R-star estimates change a bit over time once the sample period is limited to 20 years (solid black line). To generate these estimates, the respective model is re-estimated every quarter based on the newly available data vintage while restricting the sample period to 20 years. These estimates have declined below the 3 percent estimate from 2007 but remain above 2 percent in 2016. The decline in the estimate of long-run R-star is mostly explained by a decline in the estimated trend GDP growth rate. The shaded area indicates the 95 percent confidence interval. It implies that the estimates are positive and substantially different from the Laubach-Williams estimates of near 0 percent (dotted line). Figure 6 also shows the average real federal funds rate over the respective 20-year periods (dashed line). Since 2009, this average rate has declined substantially. In 2016, it takes on a value of about 0.45 percent. The structural model can be used to analyze sources of the difference between the average real interest rate and the estimated long-run equilibrium real interest rate. Thus, it can answer questions concerning what factors are driving these low real interest rates.

180

The Natural Rate Volker Wieland

57

Estimates of Long-Run R-Star Model F I Figure 6: G U R E 2. 1.Rolling-Window 6. Rolling-window estimates of longrun r-with starSmets-Wouters with Smets-Wouters

Wieland and Wolters (2017) model. Source: Wieland andSource: Wolters 2017.

The difference between 20-year average of the real by funds rate of 0.45 perestimate of longrun r-the star is mostly explained a decline in the cent and the equilibrium real interest rate in the Smets-Wouters model (in 2016) estimated GDPto growth shaded area the can be largelytrend attributed unusuallyrate. easy The monetary policy and indicates unusually high risk premiums. Specifically, 0.83 percent – that is, about one-half of the total dif95 percent confidence interval. It implies that the estimates are posference between the 20-year average real rate and the long-run equilibrium rate itive and substantially different from the Laubach-Williams esti– is attributed to monetary policy shocks. Another 0.48 percent, a bit more than a mates of ofthe near 0 percent (dottedtoline). quarter difference, is attributed risk-premium shocks. The risk premium shocks lower2.1.6 the real rateshows of nominally safe assets as Treasury Figure also the average realsuch federal fundsbills raterelative over to corporate debt, a point recently also made by Del Negro et al (2017).

the respective twenty-year periods (dashed line). Since 2009, this average rate has declined substantially. In 2016, it takes on a value V.  Conclusions of about 0.45 percent. The structural model can be used to analyze Yellen (2015, 2017) and Draghi (2016) have referred to the decline in estimates sources of the difference between the average real interest rate and of time-varying (medium run) equilibrium real interest rates obtained with simple the estimated run equilibrium real interest2003, rate.2016) Thus, IS-Phillips curve longtime series models (Laubach-Williams as it ancan important for keeping policy rates near zero interest rate levels. Yet, these answerargument questions concerning what factors are driving these low estimates are highly imprecise and unstable. They do not indicate an empirically real interest rates. significant decline and may suffer from omitted variable bias. Thus, they are not diff between the twentyyearequilibrium average rate of the real thatThe helpful forerence monetary policy practice. Also, these estimates are obtained withpercent estimatesand of potential GDP that have been below actual funds ratejointly of 0.45 the equilibrium real interest rate U.S. GDP for a number of years. in the Smets-Wouters model (in 2016) can largely be attributed to By contrast, estimates of a long-run equilibrium rate obtained with more fully unusually easy monetary policy and unusually highthat risk premiums. specified structural macroeconomic models have not decline much. They are Specifically, 0.83 percent—that is, about one-half of the total difference between the twenty-year average real rate and the long-run

R-Star – The Natural Rate and its Role in Monetary Policy

181

positive and statistically quite different from zero. The models attribute lower average real funds rates to unusually easy monetary policy and unusually high risk premiums. With regard to the use of equilibrium real rate estimates in monetary policy, I would draw the following conclusions. Estimates of time-varying (medium-run) R-star should be treated with great caution. It would seem better to stick to the more precisely estimated long-run concept of the equilibrium real rate as a reference point for monetary policy. Policy rules such as the Taylor rule then prescribe higher or lower rates in response to developments in observable data such as inflation, GDP and GDP growth rather than some unobserved concept such as a time-varying medium-run natural real interest rate. Interestingly, however, if one uses the jointly estimated (medium-run) Y-Star (potential GDP) together with the (medium-run) R-Star, one obtains federal funds rate prescriptions that are much closer to a rule that uses estimates of long-run equilibrium values for both. Additionally, it would be useful to consider a Taylor-style rule in first differences, which therefore do not include an R-Star, as a second reference point.

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Volker Wieland

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Niklas Benner, Jörg Schmidt und Peter Tillmann: Politische Unsicherheit und die Zinsdifferenzen in der Eurozone: Die Rolle der Geldpolitik

Politische Unsicherheit und die Zinsdifferenzen in der Eurozone Die Rolle der Geldpolitik Niklas Benner, Jörg Schmidt und Peter Tillmann Niklas Benner, Jörg Schmidt und Peter Tillmann Politische Unsicherheit und die Zinsdifferenzen in der Eurozone: Die Rolle der Geldpolitik

I.  Einleitung Die zurückliegenden 20 Jahre seit der Einführung des Euro im Januar 1999 sind durch eine stete Diskussion der Konsequenzen einer einheitlichen Geldpolitik für die Fiskalpolitik der Mitgliedstaaten gekennzeichnet. Das Spannungsverhältnis zwischen der Disziplinierung der nationalen Fiskalpolitik durch die Finanzmärkte in Form von Risikoaufschlägen einerseits und der Vergemeinschaftung von Haftungsrisiken andererseits nimmt in dieser Diskussion einen zentralen Platz ein. Wenn der Schuldenstand eines Mitgliedstaates steigt und somit das Risiko eines Zahlungsausfalls zunimmt, sollten sich Investoren für diese Unwägbarkeit durch gestiegene Risikoprämien entschädigen lassen. Die höheren Finanzierungskosten für den Fiskus können somit grundsätzlich den Druck auf die Wirtschaftspolitik erhöhen und zu einer Konsolidierung der Staatsfinanzen beitragen. Der Grundkonflikt zwischen einer gemeinsamen Geldpolitik und einer Fiskalpolitik, die in die Kompetenzen der Mitgliedstaaten fällt, ist seit dem Ausbruch der weltweiten Finanzkrise im Jahr 2008 und der europäischen Staatsschuldenkrise im Jahr 2010 offen zutage getreten. In den ersten Jahren der Währungsunion bis 2008 haben die Finanzmärkte ihre disziplinierende Wirkung ganz offensichtlich nicht erfüllt. Das Ergebnis war eine Konvergenz der Zinssätze auf langlaufende Staatsanleihen der Mitgliedstaaten bzw. eine Kompression der Zinsaufschläge gegenüber sicheren Anlageformen wie bspw. den deutschen langlaufenden Bundesanleihen. Die fehlende Einpreisung fiskalischer Risiken vor 2008 legt die Vermutung nahe, dass die ‚no bail out‘-Klausel des AEU-Vertrags seitens der Finanzmärkte als nicht glaubwürdig bewertet wurde. Siekmann (2012, S. 30) ist grundsätzlich skeptisch, was die Fähigkeit der Finanzmärkte angeht, die zugrundeliegenden Risiken in der Preisbildung korrekt abzubilden: „Wenn man allerdings an der grundsätzlichen Fähigkeit der Kapitalmärkte zweifelt, Risiken von Staatsschulden einigermaßen realistisch einzuschätzen, oder von der grundsätzlichen Irrationalität der Finanzmärkte aus-

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Niklas Benner, Jörg Schmidt und Peter Tillmann

geht, für die einiges spricht, kann tatsächlich der Sinn von Art. 125 Abs. 1 AEUV bezweifelt werden.“ Die Literatur interpretiert die fehlende Disziplinierung der Fiskalpolitik durch die Finanzmärkte vor 2008 als wesentliche Determinante des Aufbaus fiskalischer Risiken und des Ausbruchs der Staatsschuldenkrise im Jahr 2010.1 Diese Phase wurde im Jahr 2008 und insbesondere im Jahr 2010 durch eine Phase der vermeintlichen Überreaktion der Finanzmärkte abgelöst. Die Zinsaufschläge explodierten förmlich und spiegelten das Risiko eines drohenden Zahlungsausfalls souveräner Schuldner in der Währungsunion bzw. das Auseinanderbrechen der Währungsunion wider. Erst Draghis „Whatever it takes“-Aussage im Sommer 2012 bzw. das massive Eintreten der Europäischen Zentralbank (EZB) in Form des OMT-Programms konnte die Spekulation auf ein Auseinanderbrechen der Währungsunion erfolgreich eindämmen.2 Seitdem haben sich die Zinsaufschläge deutlich reduziert. Zudem führt die EZB seit 2014 eine Reihe unkonventioneller geldpolitischer Maßnahmen im Rahmen ihrer Quantitativen Lockerung durch, mit dem Ziel, die Inflationsrate wieder in die Nähe des 2%-Ziels der EZB zu bringen und Inflationserwartungen auf einem Niveau zu stabilisieren, welches mit dem mittelfristigen Inflationsziel der EZB kongruent ist. Diese stark expansive Geldpolitik hat nicht nur zu sinkenden Langfristzinsen geführt, siehe Andrade et al. (2016), sondern auch die disziplinierende Funktion der Finanzmärkte beeinflusst. Die zentrale These dieses Beitrags ist, dass die Finanzmärkte seit der Einführung der Quantitativen Lockerung die fiskalischen Risiken erneut ungenügend bei der Preisbildung berücksichtigen. Die massive Liquiditätsbereitstellung seitens der EZB hat Investoren vermehrt zu Investitionen in riskantere Anlageformen gedrängt, sodass die Risikoprämien gegenüber sicheren Anlageformen erneut zurückgegangen sind. Wir zeigen in diesem Beitrag, dass ein Anstieg der wirtschaftspolitischen Unsicherheit nach 2014 zu einem sehr geringen Anstieg der Zinsaufschläge führt, dessen Dimension stark der Reaktion vor 2008 entspricht.3 Sofern die fehlende Einpreisung von Risiken vor dem Jahr 2008 als ein Erklärungsfaktor für den Ausbruch der Staatsschuldenkrise in Frage kommt, ist das Regime nach 2014, also eine schwache Einpreisung wirtschaftspolitischer Unsicherheit, ebenfalls ein Faktor, der den Aufbau zukünftiger Risiken beschleunigen könnte. 1 

Für eine Analyse siehe bspw. Sachverständigenrat (2010). Rahmen des OMT-Programms (Outright Monetary Transactions) kann die EZB grundsätzlich in unbegrenztem Umfang Staatsanleihen aufkaufen. Siehe hierzu auch Siekmann/Wieland (2013). 3  Für die Entkoppelung von politischer Unsicherheit und Finanzmarktkonditionen siehe auch Kostka/van Roye (2017). 2  Im

Politische Unsicherheit und die Zinsdifferenzen in der Eurozone

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Dieser Beitrag ist wie folgt gegliedert: In Kapitel zwei diskutieren wir die Entwicklung der Zinsdifferentiale in der Währungsunion sowie die Messung und Entwicklung der wirtschaftspolitischen Unsicherheit seit 1999. Das dritte Kapitel enthält eine empirische Untersuchung des Zusammenhangs zwischen Zinsspreads und wirtschaftspolitischer Unsicherheit für unterschiedliche Phasen seit 1999. In Kapitel vier ziehen wir ein abschließendes Fazit.

II.  Zinsdifferenzen und ökonomische Unsicherheit Die (Re-)Finanzierungskonditionen von Staatsschulden unterschieden sich bis zur Einführung des Euro auch innerhalb der EU zum Teil deutlich. Die Unterschiede in diesen Kosten der Verschuldung spiegeln, der Effizienzmarkthypothese und rationalen Erwartungen folgend, die verschiedenen Risikoprofile der jeweiligen Staatsanleihen wider, bspw. in Form hoher Budgetdefizite, hoher Schuldenstände und politischer Unsicherheit. Hohe Risiken gehen mit hohen Risikoaufschlägen einher. Daher fungieren die Risikoprämien der Finanzmärkte als disziplinierendes Element im Kontext der nationalen fiskalpolitischen Entscheidungshoheit. Nominelle Unterschiede in der Höhe der Zinsen auf Staatsanleihen vor Beginn der Währungsunion lassen sich aber auch durch die geldpolitischen Rahmenbedingungen erklären, insbesondere durch bestehende Inflationsdifferenzen und eine fehlende Glaubwürdigkeit bzw. Unabhängigkeit der zum Teil sehr unterschiedlichen Notenbanken. Diese Unterschiede in den geldpolitischen Rahmenbedingungen verschwanden mit der Einführung des Euro und der einheitlichen Geldpolitik durch die EZB. Fiskalpolitische Unterschiede zwischen den Mitgliedsländern sowie Unterschiede im Grad der wirtschaftspolitischen Unsicherheit bestanden jedoch weiterhin. Gemäß der ‚no bail-out‘-Klausel der Europäischen Verträge haften allein die jeweiligen Mitgliedstaaten für ihre eigenen fiskalpolitischen Risiken.4 Ausfallrisiken wurden nicht durch supranationale oder zwischenstaatliche Mechanismen von der Nationalstaatsebene wegtransferiert. In der Folge müssten sich diese Risiken auch weiterhin in Risikoprämien wiederfinden. Die Frage, inwiefern dies tatsächlich für den europäischen Anleihemarkt gilt, wurde von einer ganzen Reihe von Papieren aufgegriffen. Gerlach et al. (2010) zeigen, dass die Zinsdifferentiale seit der Einführung des Euro auf Risikoindikatoren reagieren. Allerdings ist diese Reaktion nicht linear: Es ist nicht allein das Ausmaß des Risikos, was die Spreads bestimmt, sondern dessen Interaktion mit der Größe und der Struktur des heimischen Bankensystems. Ein Anstieg des Risikos führt zu einem Anstieg des Zinsaufschlags, der umso größer ist, je schwächer kapitalisiert das Bankensystem ist. Die Finanz4 

Art. 125 Abs. (1) AEUV.

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märkte antizipieren also, dass ein instabiles Bankensystem zu fiskalischen Belastungen in der Zukunft führen kann. Bernoth und Erdogan (2012) analysieren die zeitvariablen Bestimmungsfaktoren der Zinsen von Staatsanleihen von Mitgliedstaaten des Euroraums für den Zeitraum 1999 bis 2010. Dabei arbeiten sie heraus, dass die bei der Einführung des Euro existierenden Unterschiede in diesen Zinsen vor allem durch die Höhe der Staatsverschuldung, die Höhe des Haushaltsdefizits sowie die generelle Risikoaversion der Investoren determiniert werden. In den darauffolgenden Jahren jedoch nimmt die Bedeutung dieser länderspezifischen, fiskalischen Kennzahlen stark ab, die Zinsen der Mitgliedsländer nähern sich an. Dabei nimmt auch die Wahrnehmung der Sonderstellung Deutschlands als sicherer Hafen gegenüber den anderen Mitgliedstaaten ab. Mit dem Aufkommen der Finanz- und Wirtschaftskrise rücken wirtschaftspolitische Kennzahlen, insbesondere Haushaltszahlen und fiskalische Risiken, wieder deutlich stärker in den Vordergrund und äußern sich in steigenden Zinsdifferenzen. Costantini et al. (2014) untersuchen, inwiefern eine stabile Langfristbeziehung zwischen fiskalischen Kennzahlen der jeweiligen Länder und dem Spread zu deutschen Staatsanleihen vorliegt. Sie finden, dass mit dem Aufkommen der Europäischen Staatsschuldenkrise ein Bruch in der langfristigen Beziehung zwischen fiskalischen Größen und den Kosten der Staatsverschuldung auftritt, mit welchem ein dauerhaft höherer Spread einhergeht. Ehrmann und Fratzscher (2017) betrachten primär den Integrationsgrad der europäischen Staatsanleihenmärkte. Dabei beobachten sie, dass diese bis zum Ausbruch der Finanzkrise stark integriert waren und nur im geringen Maße Unterschiede im Risikoprofil der einzelnen Anlagen aufweisen. Mit Ausbruch der Finanzkrise und insbesondere der europäischen Staatsschuldenkrise hingegen findet eine starke Fragmentierung der verschiedenen Anleihemärkte statt, welche vor allem durch die Flucht in als sicher wahrgenommene Anleihen, bspw. deutsche Bundesanleihen, gekennzeichnet ist. Nach Draghis „What ever it takes“-Aussage sowie der Ankündigung des OMT-Programms durch die EZB im Sommer 2012 nimmt jedoch der Integrationsgrad wieder deutlich zu. Insbesondere Italien und Spanien werden von den Autoren als Profiteure dieser geldpolitischen Sondermaßnahmen genannt. In diesem Beitrag machen wir die disziplinierende Wirkung der Finanzmärkte an der Reaktion der Refinanzierungskonditionen des Fiskus auf eine Veränderung der wirtschaftspolitischen Unsicherheit fest. Ein Anstieg der Unsicherheit über die zukünftige Wirtschaftspolitik sollte zu einem Anstieg von Risikoprämien und somit zu einer Ausweitung der Zinsdifferentiale zu sicheren Anleihen wie etwa deutschen Bundesanleihen führen. Pástor und Veronesi (2013) und Kelly, Pástor und Veronesi (2016) zeigen in einem allgemeinen Gleichgewichtsmodell, dass ein Anstieg der wirtschaftspolitischen Unsicherheit zu höheren Risikoprä-

Politische Unsicherheit und die Zinsdifferenzen in der Eurozone

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mien führt und dass dieser Effekt bei schwächeren Fundamentaldaten an Bedeutung gewinnt. Daher werden wir den Zusammenhang zwischen politischer Unsicherheit und Risikoprämien empirisch untersuchen und hierbei insbesondere prüfen, inwieweit die expansive Geldpolitik der EZB seit 2014 zu einer Änderung der Preisbildung auf den europäischen Finanzmärkten geführt hat. Anzumerken ist dabei, dass bei den Preisbildungsmechanismen neben den hier im Zentrum stehenden politökonomischen Risiken weitere Risiken relevant sind: Makroökonomische Risiken, welche das (zukünftige) Steueraufkommen eines Staates beeinflussen, müssen sich ebenso im Spread widerspiegeln wie Liquiditätsprämien. Zusätzlich kommt es, insbesondere während der europäischen Staatsschuldenkrise, aufgrund der Verschränkungen der nationalen Bankensysteme als wichtige Halter der jeweiligen Staatsschulden und den verschiedenen Rettungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten zu negativen Rückkopplungseffekten zwischen fiskalischen Risiken der Nationalstaaten und der Fragilität der nationalen Banken (Farhi und Tirole, 2018). Eine Übersicht zu den Effekten geänderter makroökonomischer Rahmenbedingungen auf die Zinsdifferentiale verschiedener europäischer Staaten bietet bspw. Dewachter et al. (2015). Ejsing et al. (2015) quantifizieren den Effekt von Liquiditätsprämien auf deutsche und französische Anleihemärkte vor und während der Finanz- und Staatsschuldenkrise. Dabei schätzen die Autoren auch die Größe des safe-haven-Effekts während der Staatsschuldenkrise, welcher vor allem für deutsche und französische Schuldtitel bedeutsam ist. Delatte et al. (2017) fokussieren sich in ihrer Arbeit zu Bestimmungsgrößen von Spreads unter anderem auf den Nexus zwischen systemischem Stress im Bankensystem und der Staatsverschuldung ausgewählter Staaten in der Peripherie der Eurozone. Im Folgenden werden diese weiteren Risikotypen jedoch nicht weiter betrachtet, es folgt eine Fokussierung auf den zeitvariablen Charakter der Einpreisung wirtschaftspolitischer Unsicherheit, welcher unter anderem in Schmidt (2019) herausgearbeitet wird. Für die folgende empirische Untersuchung sind zwei Variablen elementar: Der Zinsaufschlag relativ zu deutschen Staatsanleihen und ein Maß für die wirtschaftspolitische Unsicherheit. In dieser Studie verwenden wir den durchschnittlichen, gewichteten Zinssatz auf zehnjährige Staatsanleihen der Mitgliedsländer der Währungsunion außer Deutschland und ziehen davon den Zins auf deutsche Anleihen gleicher Laufzeit ab. Der deutsche Zins reflektiert somit die Verzinsung einer als risikolos eingestuften Anlage.5 Die Gewichtung der Zinssätze der Mitgliedsländer erfolgt anhand ihres Anteils an der ausstehenden Gesamtverschul5 Als sichere Anlageform in der Währungsunion genießen deutsche Staatsanleihen einen Status als sicherer Hafen, sodass das Zinsdifferential während der Finanzkrise die wahre Risikoprämie möglicherweise überzeichnet.

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dung der Eurozone. Für die Untersuchung der länderspezifischen Risikoprämien verwenden wir zudem das Zinsdifferential von Italien sowie Spanien zu Deutschland. Als Maß für die wirtschaftspolitische Unsicherheit verwenden wir den Economic Policy Uncertainty Index von Baker et al. (2016).6 Dieser Index wird anhand einer Auswertung einschlägiger Zeitungsartikel konstruiert. Für jeden einschlägigen, d.h. wirtschaftsnahen Artikel in renommierten Tageszeitungen, wird die Anzahl der Wörter berechnet, die politische Unsicherheit ausdrücken. Aus einer Vielzahl an Zeitungen wird anschließend ein Gesamtindex für jedes Land konstruiert. Die Autoren konstruieren diesen Index u.a. für Deutschland, Frankreich, Italien und Spanien. Aus den länderspezifischen Indices konstruieren wir einen gewichteten Unsicherheitsindikator für die Währungsunion, den wir neben den länderspezifischen Indizes für Italien und Spanien in dieser Untersuchung verwenden werden. Die Gewichtung erfolgt durch die Anteile der vier Volkswirtschaften am Bruttoinlandsprodukt der Eurozone.7 Neben diesem gewichteten Index für die gesamte Eurozone verwenden wir auch die Einzelindizes für Italien und Spanien. Abbildung (1) zeigt den gewichteten bzw. länderspezifischen Unsicherheitsindex (auf der linken Achse abgetragen) und das gewichtete bzw. länderspezifische Zinsdifferential (auf der rechten Achse abgetragen). Die Zinsdifferentiale beginnen im Jahr 1996, also vor dem Beginn der gemeinsamen Geldpolitik im Januar 1999, während die Daten zu den Unsicherheitsindikatoren erst ab 2001 zur Verfügung stehen. Die Zinsdifferentiale zeigen den bekannten Verlauf: Der Beginn der Währungsunion ging einher mit einer massiven Kompression der europäischen Zinsdifferentiale. In der Folge betrug der durchschnittliche Zinsaufschlag gegenüber deutschen Staatsanleihen in der Zeit bis Ende 2007 nur wenige Basispunkte. Die Konvergenz der Zinsaufschläge angesichts weiterhin bestehender politischer und fiskalischer Unterschiede und Risiken legt die Vermutung nahe, dass die Preisbildung auf den Finanzmärkten diese Risiken nicht adäquat berücksichtigt hat. Mit dem Ausbruch der weltweiten Finanzkrise und insbesondere der europäischen Staatsschuldenkrise kam es zu einer explosionsartigen Ausweitung der Zinsdifferentiale. Die Investoren bewerteten die zugrundeliegenden Risiken neu und passten daraufhin ihre geforderten Risikoprämien massiv an. Die Zinsaufschläge gehen erst seit Herbst 2012 zurück, nachdem die EZB das OMT-Programm aufgelegt hat, mit dem die Spekulation auf ein Auseinanderbrechen der Währungsunion eingedämmt werden sollte.

6 

Die Daten sind verfügbar auf www.policyuncertainty.com. Gewichte dieser vier Volkswirtschaften wurden so angepasst, dass sie sich zu 100 addieren. 7  Die

Politische Unsicherheit und die Zinsdifferenzen in der Eurozone Politikunsicherheit und durchschnittlicher Zinsaufschlag

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5 4

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Politikunsicherheit und italienischer Zinsaufschlag

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6 5

300

4 3

200

2 1

100 2002

2004

2006

2008

2010

2012

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2016

2018

Politikunsicherheit und spanischer Zinsaufschlag

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0 6 5

Prozentpunkte

Indexpunkte

0

Prozentpunkte

Indexpunkte

2008

300

4 3

200

2 1

100 2002

2004

2006

2008

2010

2012

2014

2016

2018

0

Abbildung 1: Wirtschaftspolitische Unsicherheit und Zinsaufschläge in der Währungsunion Bemerkungen: Die obere Graphik stellt die gewichtete Politikunsicherheit (linke Achse) sowie den durchschnittlichen Spread der Eurozone (rechte Achse) dar. In der mittleren und unteren Graphik ist die länderspezifische Politikunsicherheit für Italien bzw. Spanien (jeweils linke Achse) sowie der jeweilige Spread des Landes zu Deutschland (jeweils rechte Achse) dargestellt.

Abbildung (1) verdeutlicht außerdem den starken Anstieg der wirtschaftspolitischen Unsicherheit im Zuge der globalen Finanzkrise und der europäischen Staatsschuldenkrise. Im Gegensatz zu der ersten Phase der Entkopplung von Zinsdifferenzen und länderspezifischen Risiken geht dieser Anstieg der wirtschaftspolitischen Unsicherheit mit einem Anstieg der Zinsdifferentiale einher: Die Finanzmärkte scheinen zur Einpreisung länderspezifischer Aspekte zurückzukehren, und Ausfallrisiken, Spreads und wirtschaftspolitische Unsicherheit entwickeln sich im erwarteten Gleichklang. Von besonderem Interesse ist die Entwicklung beider Zeitreihen seit Sommer 2014. Der Zeitraum seit Juni 2014 spiegelt die Phase der extrem expansiven unkonventionellen Geldpolitik der EZB wider. Im Juni 2014 gab die EZB die Durchführung einer Reihe von targeted longer-term refinancing operations (TLRTOs) bekannt, die in besonderem Maße auf die Stimulierung der Kreditvergabe durch das Bankensystem angelegt waren. Es folgte im September 2014 das Programm zum Aufkauf von asset-backed securities und das dritte Programm zum Aufkauf von covered bonds. Im Januar 2015 schließlich beschloss der Rat der Europäischen Zentralbank das Asset Purchase Programme (APP) mit einem monatlichen Aufkaufvolumen von 60 Mrd. Euro, das das Public Sector Purchase Programme, also den Ankauf von Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt, umfasst. Der Sommer 2014 kann als wichtige Zäsur in der europäischen Geldpolitik interpretiert

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werden.8 Die Politik der EZB seit Juni 2014 entspricht am ehesten der Politik der Quantitativen Lockerung der U.S. Federal Reserve, die bereits im Herbst 2008 eingeleitet wurde. Die Literatur zeigt, dass die Ankündigung von Wertpapieraufkaufprogrammen durch die EZB seit Sommer 2014 signifikante Auswirkungen auf realwirtschaftliche Größen, auf die Inflationsentwicklung, auf die Langfristzinsen sowie auf die Risikoneigung der Investoren in der Eurozone hat. Gambacorta et al. (2014) untersuchen die Effekte unkonventioneller Geldpolitik in acht entwickelten Ökonomien und zeigen im Rahmen einer Panelstudie, dass mit unkonventioneller Geldpolitik in diesen Ländern generell positive Effekte auf Realwirtschaft und Preisdynamik verbunden sind. Altavilla et al. (2014) finden, dass mit der Ankündigung des OMT-Programms primär eine Reduktion der Zinsaufschläge für Spanien und Italien einhergeht, welche in der Folge zu substanziell positiven Effekten auf Preise und Output in diesen Ländern führt, während für Deutschland und Frankreich nur geringe Effekte gefunden werden. Die im Vorfeld kurz referierte Literatur aufgreifend, untersuchen wir in dieser Studie, inwieweit die expansive Politik der EZB dazu geführt hat, dass die Zinsaufschläge von der Entwicklung der wirtschaftspolitischen Unsicherheit entkoppelt wurden. Im folgenden Kapitel werden wir diese Hypothese empirisch überprüfen.

III.  Empirische Evidenz In diesem Abschnitt untersuchen wir die Auswirkungen einer unerwarteten Erhöhung der politischen Unsicherheit auf die Refinanzierungsbedingungen ausgewählter Mitgliedsländer der Währungsunion. Zu diesem Zweck wird ein zeitreihenökonometrisches Modell verwendet, das der Tatsache Rechnung trägt, dass die politische Unsicherheit, die Refinanzierungsbedingungen, denen sich die Fiskalpolitik gegenübersieht, und die anderen makroökonomischen Kerngrößen der Währungsunion endogen sind, sich also wechselseitig beeinflussen. Ein identifiziertes vektorautoregressives (VAR) Modell ist in der Lage, diese Interaktionen abzubilden und die Reaktionen der endogenen Variablen auf strukturelle Schocks zu schätzen. 1.  Modell Das VAR-Modell umfasst die folgenden Variablen in monatlicher Frequenz: Der Index der Industrieproduktion der Eurozone (in Logarithmen und mit 100 multipliziert) reflektiert die reale ökonomische Aktivität und ist eine häufig verwendete Alternative zum Bruttoinlandsprodukt, das lediglich quartalsweise zur 8 Siehe Hartmann/Smets (2018) für eine ausführliche Erläuterung der Politik der EZB seit 1999 und insbesondere seit 2010.

Politische Unsicherheit und die Zinsdifferenzen in der Eurozone

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Verfügung steht. Der Harmonisierte Index der Verbraucherpreise (in Logarithmen und mit 100 multipliziert) für die Eurozone ist der Preisindex, auf dessen Grundlage die EZB ihr Inflationsziel von unter, aber nahe bei 2% in der mittleren Frist formuliert hat. Die dritte Variable, EONIA, ist der Geldmarktzins, den die EZB bis zum Erreichen der Nullzinsgrenze mit ihren Leitzinssätzen gesteuert hat. Nach Erreichen der Nullzinsgrenze ersetzen wir den beobachtbaren EONIA-Zins mit dem Schattenzins, den Wu und Xia (2016) für die Eurozone schätzen. Der Schattenzins ist derjenige Geldmarktzins, den wir beobachten würden, wenn die Nullzinsgrenze nicht bindend wäre. Wu und Xia ermitteln diesen Zins aus einem Zinsstrukturmodell für längerfristige Zinsen. Da die Langfristzinsen nicht durch die Nullzinsgrenze beschränkt wurden und gleichzeitig die unkonventionellen Maßnahmen der EZB reflektieren, sollte der Schattenzins ebenfalls das Ausmaß der unkonventionellen Maßnahmen widerspiegeln. Die vierte Variable ist das bereits oben verwendete Maß für Politikunsicherheit, das ebenfalls in logarithmierter Form (mit 100 multipliziert) in die Schätzung Eingang findet. Die fünfte und letzte Variable ist das Zinsdifferential zu Deutschland, das ebenfalls bereits oben beschrieben wurde. Wir verwenden die drei alternativen Zinsdifferentiale, die in Abbildung (1) dargestellt werden, also das gewichtete Zinsdifferential gegenüber Deutschland, das Zinsdifferential von Italien und den spanischen Spread. In allen drei geschätzten Modellen bleiben die anderen Variablen unverändert, also die vier Variablen, die sich auf den Durchschnitt der Eurozone beziehen. Zur Identifikation eines unerwarteten Anstiegs der wirtschaftspolitischen Unsicherheit müssen wir dem bisher rein statistischen Modell eine ökonomisch motivierte Restriktion auferlegen. Ohne eine solche Restriktion könnte das Modell nur die Reaktion auf die Residuen der Schätzung zeigen, die eine Linearkombination der zugrundeliegenden, orthogonalen ökonomischen Schocks darstellen. Wir sind hingegen an einer kausalen Aussage interessiert. In unserem Fall restringieren wir die zeitliche Abfolge der Reaktionen auf einen Unsicherheitsschock. Wir erlauben, dass ein Anstieg der Unsicherheit innerhalb eines gegebenen Monats auf das Zinsdifferential wirkt, aber nicht auf die Industrieproduktion, das Preisniveau und den Kurzfristzins. Diese drei zuletzt genannten Variablen können erst im Folgemonat auf den Anstieg der Unsicherheit reagieren, was angesichts der Trägheit der makroökonomischen Variablen plausibel ist. Dies impliziert auch, dass die EZB erst nach frühestens einem Monat auf einen Anstieg der politischen Unsicherheit reagiert. Die Restriktion der zeitlichen Abfolge der Reaktionen schließt aus, dass der Anstieg der Unsicherheit bloß eine Folge sich verschlechternder ökonomischer Rahmenbedingungen oder eine Konsequenz der Geldpolitik der EZB ist. Es handelt sich hierbei um eine verhältnismäßig schwache Restriktion des Modells. Wir schätzen das Modell für drei alternative Zeiträume: Der erste Zeitraum, beginnend im Jahr 2001, endet im Dezember 2007. Diese Zeitspanne spiegelt die

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Periode vor dem Ausbruch der weltweiten Finanzkrise wider und ist insbesondere durch eine Kompression der Zinsdifferentiale gekennzeichnet. Der zweite Zeitraum umfasst die weltweite Finanzkrise sowie die europäische Staatsschuldenkrise und erstreckt sich von Januar 2008 bis Mai 2014. Der dritte Zeitraum beginnt im Juni 2014 und endet im Oktober 2018. Der Zeitraum seit Juni 2014 spiegelt die Phase der extrem expansiven unkonventionellen Geldpolitik der EZB wider, die bereits oben diskutiert wurde. Da die drei Zeiträume recht kurz sind und wir möglichst wenig Beobachtungen verlieren wollen, schließen wir lediglich eine Verzögerung der endogenen Variablen in das dynamische Modell ein. In Anbetracht der kurzen Schätzzeiträume bietet sich eine Bayesianische Schätzung an, welche die in den Daten enthaltenen Informationen mit Annahmen über die Verteilung der zu schätzenden Modellparameter kombiniert. Vor dem Hintergrund der eingangs formulierten Hypothese erwarten wir, dass aufgrund der geldpolitischen Lockerung die Zinsdifferentiale nur noch in geringerem Maße auf die politische Unsicherheit reagieren. Ein Anstieg der wirtschaftspolitischen Unsicherheit in dieser dritten Phase sollte zu einer geringeren Reaktion des Zinsdifferentials führen als zuvor. 2.  Ergebnisse Die Ergebnisse der Schätzung stellen wir in Form von Impulsantworten dar. Bei dieser Analyse wird untersucht, wie sich ein struktureller Schock durch das rekursiv aufgebaute Gleichungssystem fortpflanzt. Hierbei werden wir uns auf die Reaktionen der Zinsdifferenz auf Schocks auf die wirtschaftspolitische Unsicherheit konzentrieren. Die Abbildungen (2) bis (4) zeigen jeweils die Reaktion des Zinsdifferentials zu Deutschland auf einen einmaligen, unerwarteten Anstieg der wirtschaftspolitischen Unsicherheit in Periode eins in Höhe von einem Prozentpunkt, sodass die Größenordnung des Schocks über alle Modellspezifika­ tionen hinweg vergleichbar ist. Die Reaktionen in den drei Zeiträumen sind durch unterschiedliche Farben kenntlich gemacht. Abbildung (2) zeigt die Auswirkungen eines wirtschaftspolitischen Unsicherheitsschocks auf das durchschnittliche Zinsdifferential der anderen Mitgliedstaaten zu Deutschland. Dabei bilden die durchgezogenen Linien die mittlere Reaktion des Modells ab, während die gestrichelten Linien die Schätzunsicherheit abbilden.9 In der ersten Schätzperiode, 2001 bis 2007, hat ein Anstieg der Unsicherheit keinen nennenswerten Einfluss auf die Risikoprämien an den Anleihemärkten. Die Impulsantwort ist nicht von Null unterscheidbar. Dies spiegelt die Phase der starken Kompression der Zinsdifferentiale vor der Finanzkrise wider. Während des Zeitraums, welcher von der globalen Finanzkrise und der europä9 

Das Unsicherheitsband beinhaltet 68 % der simulierten Impulsantworten.

Politische Unsicherheit und die Zinsdifferenzen in der Eurozone

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Abbildung 2: Reaktion des Zinsdifferentials zwischen dem durchschnittlichen Zinssatz in der Eurozone und dem deutschen Zins auf einen Anstieg der wirtschaftspolitischen Unsicherheit in der Eurozone Bemerkungen: Impulsantwort auf einen überraschenden Anstieg der wirtschaftspolitischen Unsicherheit i. H. v. einem Prozentpunkt in der Eurozone auf der Basis des geschätzten VAR-Modells für drei unterschiedliche Zeiträume. Die gestrichelten Linien stellen ein Konfidenzband dar, das 68 % der Impulsantworten enthält.

ischen Staatsschuldenkrise geprägt ist, 2008 bis Mai 2014, führt ein unerwarteter Anstieg der wirtschaftspolitischen Unsicherheit in gleicher Höhe hingegen zu deutlich stärkeren und persistenteren Reaktionen. Hier reagieren die Spreads erwartungsgemäß: Ein Anstieg der durchschnittlichen wirtschaftspolitischen Unsicherheit in der Eurozone erhöht die durchschnittliche Risikoprämie der Mitgliedsländer gegenüber Deutschland.10 Der Unterschied zum ersten Schätzzeitraum ist auffällig: Die Finanzmarktreaktion ist um ein Vielfaches stärker als vor der Finanzkrise. Der dritte Zeitraum, 2014 bis Oktober 2018, entspricht der Phase der unkonventionellen Geldpolitik der EZB. Unsere Hypothese lautet, dass die expansive Geldpolitik die Bewertung der politischen Unsicherheit durch die Marktteilneh10  Die Größenordnung der Reaktion ist gering, was die Normierung des Schocks auf einen Prozentpunkt widerspiegelt. Im Schätzzeitraum schwankt die Politikunsicherheit stark, sodass ein Anstieg um 50 Prozentpunkte nicht ungewöhnlich ist. Da das Modell linear ist, kann in diesem Fall die Reaktion des Zinsdifferentials mit dem Faktor 50 multipliziert werden.

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Abbildung 3: Reaktion des Zinsdifferentials zwischen Italien und Deutschland auf einen Anstieg der wirtschaftspolitischen Unsicherheit in der Eurozone Bemerkungen: Impulsantwort auf einen überraschenden Anstieg der wirtschaftspolitischen Unsicherheit i. H. v. einem Prozentpunkt in der Eurozone auf der Basis des geschätzten VAR-Modells für drei unterschiedliche Zeiträume. Die gestrichelten Linien stellen ein Konfidenzband dar, das 68 % der Impulsantworten enthält.

mer reduziert hat. Die Ergebnisse in Abbildung (2) unterstützen dies: Die Reaktion des durchschnittlichen Zinsdifferentials ist stark gedämpft gegenüber der Reaktion in 2008 – 2014. Das Zinsdifferential steigt zwar an, aber dieser Anstieg ist wesentlich geringer und kurzlebiger als im zweiten Schätzzeitraum. Die Reaktion auf einen Anstieg der Unsicherheit entspricht eher der Reaktion im Zeitraum 2001 bis 2007 als dem Zeitraum der Finanz- und Staatsschuldenkrise. Dieses Ergebnis unterstreicht die Vermutung, dass die Marktteilnehmer ihre Bewertung politischer Risiken seit 2014 geändert haben. Die wirtschaftspolitische Unsicherheit hat erneut ihren während der Staatsschuldenkrise zurückgewonnenen Einfluss auf die Spreads verloren und wird, ähnlich wie in der Vorkrisenperiode, nur unzureichend berücksichtigt. Dies ruft die Konvergenz der Zinsen vor 2007 in Erinnerung: Sofern die unzureichende Einpreisung dieser Unsicherheit vor der Finanzkrise ein Risiko für die Finanzmarktstabilität war, ist sie es in jüngster Zeit erneut. Die Ergebnisse zeigen die Gefahr, dass die disziplinierende Wirkung der Finanzmärkte in Zeiten hoher wirtschaftspolitischer Unsicherheit deutlich schwächer ist, wenn gleichzeitig die Geldpolitik der EZB in Form von Wertpapierkäufen in großem Umfang für eine Entlastung der Fiskalpolitik sorgt.

Politische Unsicherheit und die Zinsdifferenzen in der Eurozone

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Abbildung 4: Reaktion des Zinsdifferentials zwischen Spanien und Deutschland auf einen Anstieg der wirtschaftspolitischen Unsicherheit in der Eurozone Bemerkungen: Impulsantwort auf einem überraschenden Anstieg der wirtschaftspolitischen Unsicherheit i. H. v. einem Prozentpunkt in der Eurozone auf der Basis des geschätzten VAR-Modells für drei unterschiedliche Zeiträume. Die gestrichelten Linien stellen ein Konfidenzband dar, das 68 % der Impulsantworten enthält.

Die Abbildungen (3) und (4) zeigen die Reaktionen der Zinsdifferentiale von Italien bzw. Spanien gegenüber Deutschland auf einen Anstieg der wirtschaftspolitischen Unsicherheit. Hierbei fällt auf, dass sich die grundsätzlichen Muster sowohl untereinander als auch im Vergleich zum eben diskutierten Durchschnitt der Zinsdifferentiale der Mitgliedsländer stark ähneln. In beiden Ländern haben Unsicherheitsschocks vor der Finanzkrise, keine signifikanten Auswirkungen auf den Spread zu Deutschland. Während der Finanz- und Staatsschuldenkrise zeigen sich deutliche Reaktionen der Spreads beider Länder, wobei die Reaktion in Italien etwas höher ausfällt als in Spanien. Im letzten Zeitraum zeigen sich geringe Unterschiede zwischen den beiden Ländern. Sowohl die Höhe als auch die Persistenz der Reaktion auf einen wirtschaftspolitischen Unsicherheitsschock ist in Spanien im Vergleich zu Italien ausgeprägter. Das grundsätzliche Muster ist in beiden Ländern gleich: Die Refinanzierungsbedingungen beider Länder sind nach 2014, dem Beginn der unkonventionellen Geldpolitik, von der politischen Unsicherheit entkoppelt. Der schwache Zusammenhang beider Größen entspricht dem Regime vor 2008. Es lässt sich also festhalten, dass sowohl die durchschnittliche Zinsdifferenz der Eurozone als auch die Zinsdifferenz von spanischen sowie italieni-

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schen Staatsanleihen zu ihrem deutschen Pendant ähnlich auf Änderungen in wirtschaftspolitischer Unsicherheit reagieren. Dabei fällt auf, dass der während der Finanz- und Staatsschuldenkrise zurückgekehrte Einfluss von wirtschaftspolitischer Unsicherheit bei der Anleihepreisbildung in dem von sehr expansiver und unkonventioneller Geldpolitik geprägten Zeitraum erneut an Bedeutung verliert: Die Spreads sanken durch die Maßnahmen, während die wirtschaftspolitische Unsicherheit weiterhin erhöht ist. Dies ist konsistent mit den Ergebnissen von Afonso et al. (2018). Die Autoren arbeiten heraus, dass mit der Ankündigung des OMT-Programms im Jahr 2012 ein Zustandswechsel in den Preisbildungsmechanismen auf den Finanzmärkten eingetreten ist, sodass die Relevanz von Fundamentaldaten zur Erklärung der Spreads deutlich sinkt. Dabei stellen die Autoren auch heraus, dass die beobachtete Reduzierung der Spreads zum Teil auch auf ein reduziertes Risiko im Finanzsektor zurückzuführen ist, welcher ebenfalls von den unkonventionellen Maßnahmen profitiert. Sie schließen mit dem Befund, dass die EZB durch ihre unkonventionellen Maßnahmen die verhängnisvolle Dynamik der europäischen Staatsschuldenkrise erheblich eindämmte. Auch Szczerbowicz (2015) beschäftigt sich mit der Frage, inwiefern die verschiedenen unkonventionellen Maßnahmen der EZB die Spreads von Staats- und Unternehmensanleihen beeinflusst haben. Sie kommt dabei zu dem Schluss, dass die unkonventionellen Maßnahmen der EZB im erheblichen Maße die im Zuge der Finanz- und Staatsschuldenkrise gestiegenen Spreads reduziert haben. Insbesondere konnten davon der europäische Bankensektor sowie die öffentlichen Schuldner profitierten. Diese Arbeiten zeigen, dass die EZB mit ihren Maßnahmen zum Rückgang der Zinsaufschläge beigetragen hat, möglicherweise durch eine Verminderung des wahrgenommenen Risikos eines Auseinanderbrechens der Eurozone bzw. eines unkontrollierten Austritts eines Mitgliedstaates. Die EZB hat somit das Ausmaß des Risikos gesenkt. Die Analysen lassen aber außer Acht, dass die Geldpolitik auch einen Einfluss auf die Prämien für ein gegebenes Risiko hat, also den Preis für jede Einheit Risiko. Die empirische Evidenz in diesem Kapitel hat gezeigt, dass nach 2014 ein gegebener Anstieg der politischen Unsicherheit mit einem geringeren Spread verbunden ist.

IV.  Fazit Die Kompression der Zinsdifferentiale nach der Einführung des Euro wird vielfach als Ausdruck einer fehlenden Disziplinierung der Fiskalpolitik durch die Finanzmärkte interpretiert. Eine fehlende Einpreisung fiskalischer Risiken hat somit den Aufbau einer hohen Staatsverschuldung nicht sanktioniert und auch zum Ausbruch der Staatsschuldenkrise im Jahr 2010 beigetragen.

Politische Unsicherheit und die Zinsdifferenzen in der Eurozone

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In diesem Beitrag haben wir gezeigt, dass die Phase seit Sommer 2014 an den Zeitraum vor 2008 erinnert. Angesichts der stark expansiven Geldpolitik der EZB fand eine Entkopplung der Refinanzierungskonditionen der Fiskalpolitik der Mitgliedsländer von der zugrundeliegenden wirtschaftspolitischen Unsicherheit statt. Wir haben gezeigt, dass ein Anstieg der politischen Unsicherheit nach 2014 lediglich mit einer geringen Reaktion der Zinsaufschläge verbunden ist, ähnlich wie im Zeitraum vor 2008. Die Bestimmung der Zinsdifferentiale unterliegt somit einer starken Regimeabhängigkeit: Eine Phase der Entkopplung der Spreads von den politischen Risiken wurde im Jahr 2008 durch eine Phase abgelöst, in der risikoaverse Investoren sehr stark auf etwaige Risiken reagiert haben, bevor im Jahr 2014 erneut eine Entkopplung der Spreads einsetzte, nachdem die EZB im großen Umfang ihre Quantitative Lockerung vorantrieb. Die Ergebnisse werfen ein Schlaglicht auf die Risiken, die mit einer über lange Zeit sehr expansiven Geldpolitik einhergehen. Es bleibt abzuwarten, ob das Auslaufen der Wertpapierankäufe Ende 2018 mit einer stärkeren Berücksichtigung fiskalischer und wirtschaftspolitischer Risiken auf den Finanzmärkten verbunden ist. Hierbei ist zu bedenken, dass Ende 2018 zwar die Ankäufe von Wertpapieren eingestellt wurden, aber die Bilanzsumme der EZB auf absehbare Zeit nicht schrumpfen wird, da die Tilgung der ausstehenden Anleihen vorerst durch die EZB reinvestiert wird. Der für das Jahr 2019 erwartete lift-off, also der erstmalige Anstieg der Leitzinsen seit 2011, wird erneut eine Zäsur in der europäischen Geldpolitik bedeuten, der möglicherweise mit einem erneuten Regimewechsel in der Preisbildung auf den Finanzmärkten einhergeht. Mit ihrer expansiven Geldpolitik hat die EZB den nationalen Regierungen eine unmittelbare fiskalische Entlastung verschafft. Gleichzeitig hat sie Zeit gekauft, um die notwendigen strukturellen Reformen in den Mitgliedstaaten und auf Ebene der europäischen Institutionen anzugehen. Unsere Ergebnisse zeigen, dass der Druck auf die Mitgliedstaaten aus einem Anstieg der wirtschaftspolitischen Unsicherheit nach 2014 nachgelassen hat. Inwieweit die fiskalische Entlastung bzw. die erkaufte Zeit tatsächlich für strukturelle Reformen genutzt wurde, wird die Zukunft zeigen.11

11  Die Ergebnisse von Hachula et al. (2018) stimmen skeptisch. Die Autoren zeigen, dass ein expansiver geldpolitischer Schock in den Mitgliedstaaten zu einem Anstieg der Primärausgaben führt.

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Niklas Benner, Jörg Schmidt und Peter Tillmann

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Franz Seitz: Bargeld, Geldpolitik und das Finanzsystem

Bargeld, Geldpolitik und das Finanzsystem Franz Seitz Franz Seitz Bargeld, Geldpolitik und das Finanzsystem

I.  Einleitung, Problemstellung, Überblick Seit einigen Jahren setzt sich auch die Wissenschaft intensiv mit dem Thema „Bargeld“ auseinander. Hintergrund sind die – eher theoretische – Diskussion um die Bargeldabschaffung (vgl. Rogoff, 2016, und stellvertretend für weitere Autoren Agarwal/Kimball, 2015; Buiter, 2009),1 die Einführung von Bargeldobergrenzen bei Bezahlvorgängen in einigen EU-Ländern (Sands et al., 2017; EU Kommission, 2018) oder Versuche, generell die Bargeldverwendung zu erschweren, sowie das Vordringen moderner bargeldloser Zahlungsmethoden (Stichworte: kontaktloses Bezahlen, Instant Payments, Bezahlen per App auf dem Smartphone etc.; siehe z. B. Fung et al., 2012) und von Krypto Tokens wie Bitcoin (z. B. Fung et al., 2018; Thornton, 2014). Auf der anderen Seite und konträr zu diesen Entwicklungen nimmt die Bargeldhaltung seit der Finanz- und Wirtschaftskrise 2008/09 weltweit auf breiter Front und in fast jedem Land zu (Jobst/Stix, 2017). Auch zum Bargeldthema, einem eher „exotischen“ Forschungsfeld bzw. wissenschaftlichen Randgebiet, allerdings mit enormem öffentlichen Interesse, hat sich Herr Siekmann frühzeitig und auch federführend aus juristischer Sicht zu Wort gemeldet (Siekmann, 2016; 2017; 2018). Unter einem juristischen Blickwinkel steht zunächst die Frage im Vordergrund, ob Restriktionen der Bargeldverwendung überhaupt gesetzlich zulässig sind. Und dahinter steht die mehr generelle Analyse der Funktion eines gesetzlichen Zahlungsmittels (siehe auch Siekmann, 2018). Euro-Banknoten und Euro-Umlaufmünzen sind in Deutschland gesetzliches Zahlungsmittel. Dies ergibt sich aus Art. 128 Abs. 1 des Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV), Art. 16 des ESZB-Statuts, Art. 10 und Art. 11 der Verordnung Nr. 974/98 über die Einführung des Euro sowie § 14 Abs. 1 des Bundesbankgesetzes. Euro-Banknoten sind dabei unbeschränktes gesetzliches Zahlungsmittel, Euro-Münzen dagegen nur beschränkte gesetzliche Zahlungsmittel, da niemand verpflichtet ist, mehr als 50 Münzen oder Münzen im Wert von über 200 Euro 1  Weniger radikal ist der Vorschlag, Noten mit hoher Denomination abzuschaffen (vgl. Rogoff, 1998; Sands, 2016).

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anzunehmen. International ist der Begriff „gesetzliches Zahlungsmittel“ nicht eindeutig definiert und bleibt somit im Unklaren (siehe auch Tarkka 2016, 5).2 Tarkka (2016) unterscheidet drei ökonomische Begründungen für den Status eines gesetzlichen Zahlungsmittels: Erstens Standardisierung, um die Funktion des Gelds als Recheneinheit eindeutig zu definieren und ein allgemein akzeptiertes Zahlungsmittel zu schaffen („the Good“). Zweitens Staatsfinanzierung, da damit der Staat die Möglichkeit besitzt, seine Zahlungen bzw. Schulden final zu begleichen („the Bad“). Und drittens Finanzstabilität, da dadurch Zentralbankgeld den höchsten Liquiditätsgrad besitzt und die Funktion des Lender of Last Resort erst ermöglicht wird („the Ugly“). In Deutschland kann niemand die Annahme von Euro-Banknoten und -Münzen zur Erfüllung einer Verbindlichkeit ablehnen, ohne rechtliche Nachteile zu erleiden. Der Annahmezwang unterliegt allerdings der Einschränkung durch das Prinzip der Vertragsfreiheit. Dieses ermöglicht es, bei Abschluss eines Vertrages dessen Inhalt frei zu bestimmen. So ist es den Vertragspartnern möglich, eine bestimmte Art der Erfüllung zu vereinbaren oder auch auszuschließen. Das heißt, vertragliche Regelungen können vorsehen, wie eine vertraglich begründete Verbindlichkeit zu erfüllen ist. Beispielsweise kann vereinbart sein, dass eine solche Verbindlichkeit unbar zu begleichen ist. Ebenso können solche Regelungen festlegen, dass eine Forderung nur mit bestimmten Banknotenstückelungen erfüllt werden kann (z. B. an Tankstellen). Das muss allerdings für die Konsumenten vor Vertragsabschluss deutlich erkennbar sein. Auch gesetzliche Regelungen, z. B. des Steuerrechts, können solche Einschränkungen enthalten (siehe die Vorschriften zur Absetzbarkeit von Handwerkerrechnungen oder zur Barzahlung von Steuern). Letztendlich lässt sich die These, die Leute müssten bar bezahlen, weil es ihnen von Staats wegen vorgeschrieben ist, d. h. weil Bargeld gesetzliches Zahlungsmittel ist (Shy/Tarkka, 2002), nicht halten. In der überwiegenden Mehrzahl der Fälle kann jeder frei das Zahlungsmittel wählen, das ihm am besten passt (siehe auch Krueger, 2016, Abschnitt 5. 2. 2). Durch Bargeld besitzen somit auch Privatpersonen die Möglichkeit, mit sicherem Zentralbankgeld und einem gesetzlichen Zahlungsmittel zu bezahlen.3 Folglich erscheint es nicht unplausibel, dass bei einer Abschaffung von Bargeld der Ruf nach einem digitalen oder elektronischen, von der Zentralbank emittierten Substitut, laut wird (siehe auch Krüger/Seitz, 2017, Kap. 4.3). Gemäß Omlor (2015) ergibt sich aus dem deutschen Privatrecht und dem AEUV zwar ein 2  Nach dem National Forum on the Payment System (2015, 6 f.) gilt auf EU-Ebene: „Case law on this point is scarce, and ultimately it falls to the European Court of Justice to interpret the provision that cash is ,legal tender‘.“ 3 Die Abschaffung von Bargeld als gesetzliches Zahlungsmittel wird diskutiert in Segendorf/Wilbe (2014).

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Recht auf die Ausgabe von Euro-Bargeld, jedoch keine Pflicht. Letztere ließe sich höchstens aus der Euroeinführungsverordnung ableiten. Diese Verordnung kann allerdings vom Gesetzgeber geändert werden, um die Pflicht zur Bargeldausgabe abzuschaffen. Ein universelles und generelles „Grundrecht auf Bargeld“ existiert nicht (Omlor, 2015, 2301). Aber andererseits ist der Schutz der Privatsphäre ein hohes Gut und könnte einer Abschaffung des Bargelds entgegenstehen. Nach Papier (2016) stößt in Deutschland ein gesetzliches Verbot oder eine gesetzliche Obergrenze für Bargeldzahlungen an rechtliche Grenzen durch die grundgesetzlich geschützten Rechte der Eigentumsfreiheit, der Vertragsfreiheit und der informationellen Selbstbestimmung sowie dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.4 Da auf EU-Ebene von einem vergleichbaren Schutzniveau ausgegangen werden muss und insbesondere im Bereich personenbezogener Daten hohe Anforderungen gestellt werden, dürften seines Erachtens die im Rahmen des nationalen Verfassungsrechts angeführten Bedenken übertragbar sein. Siekmann (2016, 19) geht sogar noch darüber hinaus, indem er schlussfolgert, dass „a legal obligation to issue banknotes as legal tender or to authorize their issuance has to be acknowledged.“ Das Bundesverfassungsgericht (1983) stellte dazu fest: „Mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung wäre eine Gesellschaftsordnung (…) nicht vereinbar, in der Bürger nicht mehr wissen können, wer was wann und bei welcher Gelegenheit über sie weiß.“ Nach Sorge (2015) würde der Staat durch die Abschaffung von Bargeld überhaupt erst dafür sorgen, dass Daten anfallen und die Datenerhebung durch Private möglich wird. Es fehlt dann schlicht die Alternative zu elektronischen Bezahlverfahren. Eine Abschaffung von Bargeld wäre folglich nur dann mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung vereinbar, wenn erstens die anfallenden Daten nur so lange gespeichert werden, wie es für die Zahlungsabwicklung technisch nötig ist, und wenn zweitens anonyme elektronische Bezahlverfahren in der Praxis zur Verfügung stehen. Beide Voraussetzungen sind offensichtlich, zumindest bisher, nicht gegeben. Im Folgenden sollen nicht juristische Überlegungen im Mittelpunkt stehen. Vielmehr werden die Rolle des Bargelds für die Geldpolitik im Speziellen und das Finanzsystem im Allgemeinen unter ökonomischen Gesichtspunkten analysiert. Dafür ist es sinnvoll, zunächst explizit die Charakteristika von Bargeld zu thematisieren.

4  S. hierzu auch Hirdina (2016), der die Rechte der Eigentumsfreiheit und der Vertragsfreiheit durch eine Bargeldabschaffung nicht gefährdet sieht, wohl aber das Recht auf informationelle Selbstbestimmung.

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II.  Bargeldeigenschaften Bargeld verfügt über Eigenschaften, die es schwer machen, ein perfektes elektronisches Substitut zu entwickeln. • Bargeld ist anonym nutzbar, • Bargeld kann ohne jede weitere Beteiligung von Dienstleistern verwendet werden, • Zahlender und Zahlungsempfänger müssen nicht online sein, • Bargeld kann für kleine und große Beträge genutzt werden, • die Zahlung ist einfach, bequem und schnell, • die Nutzer erhalten keine Zahlungsnachweise, • die Zahlung ist definitiv und final, • Bargeld ist relativ fälschungssicher. Ein elektronisches Zahlungsmittel, das alle diese Charakteristika besitzt, gibt es zurzeit nicht. Es ist auch schwer vorstellbar, dass ein solches Zahlungsmittel je existieren wird. In Bezug auf die Motive der Geldhaltung lässt sich dabei universell in entwickelten Ländern konstatieren, dass die Rolle des Bargelds als Transaktionsmedium für „offizielle“ inländische Güter- und Dienstleistungskäufe abgenommen hat. Folglich müssen andere Motive der Bargeldhaltung an Relevanz gewonnen haben. Darunter fallen einerseits vor allem eine gestiegene Nachfrage aus dem Ausland (siehe z. B. Uhl/Bartzsch, 2017; Judson, 2017). Zum anderen dürfte die Wertaufbewahrung in Form von Bargeld (Hortung) zugenommen haben (Tenhofen et al., 2017). Eine zunehmende Unsicherheit und die Angst vor Finanz- und Wirtschaftskrisen und damit Vorsichtsmotive dürften in diesem Kontext ebenfalls eine Rolle spielen. Diese Nachfragedeterminanten implizieren auch ausgeprägte Persistenzen in der Bargeldentwicklung.

III.  Bargeld und Geldpolitik Traditionell wurde der Zusammenhang zwischen Bargeld und der Geldpolitik unter dem Blickwinkel der Seigniorageeinnahmen, der operativen Umsetzung der Geldpolitik, der Kontrollierbarkeit der Geldmengen- und Preisentwicklung sowie der Indikatorqualität von engen Geldmengenaggregaten diskutiert. Das ist inzwischen in den Hintergrund geraten und soll auch hier nicht im Mittelpunkt stehen (siehe zu einem Überblick Krüger/Seitz, 2017, Kap. 4.1, 4.4, 4.5). Hier erfolgt eine Konzentration auf den Aspekt, dass sich durch die Existenz von Bargeld zwingend eine effektive Untergrenze für den risikolosen nominalen Marktzins ergibt.5

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Wie sich in den letzten Jahren gezeigt hat, liegt diese Untergrenze wegen Lager-, Versicherungs- und Risikokosten („carry costs“) nicht unbedingt bei Null. Sie wird sich jedoch nur geringfügig im negativen Bereich bewegen, wenn dieser Bereich auch national und je nach Bankentyp unterschiedlich sein dürfte, z. B. abhängig von der Einleger- bzw. Anlegerstruktur. Eine stark ausgeprägte wirtschaftliche Schwächephase kann nun unter Umständen aber deutlich negativere nominale Zinsen erfordern. So gehen Buiter/Rahbari (2015) sowie Rogoff (2016) davon aus, dass Zentralbanken gelegentlich die Zinsen auf ein Niveau von -5 % bis -10 % setzen müssten. Dies wird durch die Existenz von Bargeld unmöglich gemacht, da immer die Alternative bestünde, auf dieses zinslose Medium auszuweichen. Durch eine Abschaffung des Bargelds würde demnach, so die Argumentation, der Handlungsspielraum der Geldpolitik erweitert. Dies gelingt auch schon durch die Abschaffung großer Stückelungen wie dem 500-Euro-Schein, da mit den kleineren Denominationen höhere Lager- und Transportkosten verbunden sind. 5

Der expansive geldpolitische Kurs entlang der Nullzinslinie soll also effektiver werden und eine noch größere Durchschlagskraft durch Negativzinsen erhalten, indem durch staatliche Intervention das Medium abgeschafft wird, mit dem man sich gegen diese Politik „zur Wehr setzen“ kann. Mersch (2016) hat diejenigen, die diese Auffassung vertreten, als „Alchemisten“ bezeichnet. Dahinter scheint die Idee zu stehen, jede makroökonomische Krise lasse sich bewältigen, wenn man nur den Zins genügend senken könnte. Die Wirkungen einer Abschaffung des Bargelds wären zunächst recht begrenzt, wenn sie nur einen Währungsraum beträfe, weil es dann zu erheblichen Substitutionsprozessen hin zu anderen Währungen kommen würde. Zudem werden die Bürger selbstverständlich versuchen, auf alternative Transaktions- und Wertaufbewahrungsmittel auszuweichen, die keinem Negativzins unterliegen. So ist es jederzeit möglich, auf Gutscheine überzugehen, Schecks zu verwenden und zunächst nicht einzulösen, Steuervorauszahlungen zu leisten oder Kredite vorzeitig zurückzahlen (McAndrews, 2015). Des Weiteren ist es nicht unplausibel, dass die Nachfrage nach Gold und anderen Edelmetallen deutlich ansteigt. Auch Immobilien würden vermutlich sehr gefragt sein. Auf diesen Märkten könnte es dann zu ausgeprägten Preisblasen mit der Konsequenz finanzieller Instabilitäten und Ungleichgewichte kommen. Um die Beschränkung zu umgehen, werden sich auch Verhaltensänderungen einstellen und Arbitrageaktivitäten einsetzen. Sie löst zudem Anreize zu „Finanzinnovationen“ aus, die zumindest eine Nullverzinsung garantieren. Diese werden umso größer sein, je länger die Negativzins­ phase anhält und je stärker sie ausfällt. Bech/Malkhozov (2016) argumentieren 5  Außer Bargeld existiert in der Form von Schwundgeld oder es gibt Gebühren für die Bargeldnutzung (z. B. Agarwal/Kimball, 2015).

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dementsprechend, dass bei länger anhaltender Negativzinsphase die effektive Untergrenze ansteigen wird, da sich die Wirtschaftssubjekte an die neue Situation gewöhnen und sich bargeldkostensparende Innovationen durchsetzen werden. Dies wird noch dadurch unterstützt, dass viele der Kosten der Bargeldhaltung fixer Natur sind. Schließlich wird die Höhe der Zinsuntergrenze entscheidend davon abhängen, ob und wie es den Banken gelingt, auch Einlagezinsen in den negativen Bereich zu drücken (Alsterlind et al., 2015). Das geldpolitische Argument beinhaltet letztlich, dem Bürger die Wahlfreiheit in Bezug auf die Geldformen zu nehmen, sodass dann Buchgeld mit (prinzipiell unbeschränkten) Negativzinsen belegt werden kann, die Ersparnis sinkt, der Konsum zunimmt und die Investitionen angeregt werden. Hiervon erhoffen sich die Befürworter eine nachhaltige Stimulierung der Konjunktur. Allerdings kann auch nach der Problemadäquanz und den (gerade längerfristig auftretenden) Nebenwirkungen dieser Maßnahme gefragt werden (Borio/Zabai, 2018; Brunnermeier/Koby, 2018; Nucera et al., 2017; Jobst/Lin, 2016). Sind die wahren Ursachen nicht konjunktureller Natur, sondern strukturell bedingt, reagiert man mit den falschen Maßnahmen und die Problemlösung verzögert sich. Darüber hinaus gibt es alternative Transmissionskanäle, die an der Zinsuntergrenze wirken können. Zu denken wäre hier an den Signal-, den Wechselkurs, den Vertrauens- und den Portfoliokanal (Ulbrich, 2016). So wurde selbst die größte Rezession der Nachkriegsgeschichte 2009 ohne die Einführung von Negativzinsen überwunden. ­Rognlie (2016) zeigt im Rahmen eines theoretischen Makromodells, dass eine optimale Geldpolitik die verzerrenden Effekte von Negativzinsen gegen die eventuell einsetzenden positiven konjunkturellen Effekte abzuwägen hat. Die Zinselastizität der Bargeldnachfrage spielt in diesem Zusammenhang eine entscheidende Rolle. Die Abschaffung von Bargeld stellt nur unter extremen Annahmen eine sinnvolle Option dar. Auch unter einem mehr generellen Blickwinkel lässt sich Kritik an einer Negativzinspolitik üben. So zeigen Rösl/Tödter (2015), dass es wohlfahrtsökonomisch bei einer gesamtwirtschaftlichen Betrachtung im Sinne von Zusatzlasten besonders schädlich ist, die Geldhalter und Sparer durch Negativzinsen steuerähnlich zu belasten. In dem Modell von Schreft/Smith (2000) wird zudem offensichtlich, wie bei einer Nullzinspolitik (ohne staatlichen Eingriff wie z.B. dem Verbot von Bargeldzahlungen) zwangsläufig die Nachfrage nach Bargeld hoch bleibt (bzw. extrem ansteigt), obwohl eigentlich aus Transaktionsgründen immer weniger Bedarf dafür besteht. In diesem Sinne ist die Nullzinspolitik (empirisch) inkonsistent mit einem säkularen Rückgang der Transaktionskasse. Wenn schließlich realistischerweise davon ausgegangen wird, dass die Nullbzw. Negativzinspolitik nur ein temporäres Phänomen für Ausnahmesituationen und mit ambivalenten Wirkungen darstellt, sollte darauf gerade nicht mit einer absoluten und prinzipiell unumkehrbaren Maßnahme, der dauerhaften Bargeld-

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abschaffung, reagiert werden. Deshalb analysieren Rösl et al. (2017, Kap. 3) verschiedene Alternativen, wie trotz Beibehaltung von Bargeld Negativzinsen eingeführt werden könnten. Sie bejahen die prinzipielle Möglichkeit, finden allerdings im Ergebnis bedeutende gesamtwirtschaftliche Wohlfahrtsverluste jeder dieser Maßnahmen. Diese werden für das Jahr 2015 quantifiziert. Bereits bei einem negativen Nominalzins von -3 % ergeben sich gesamtwirtschaftliche Effizienzverluste (netto) zwischen 5 und 62 (1,3 und 18) Mrd. € für das Euro-Währungsgebiet (Deutschland). Das entspricht bis zu 0,6 % des BIP pro Jahr im Falle Eurolands. Letztlich handelt es sich also bei der Bargeldabschaffung bzw. der Schaffung der Möglichkeit unbegrenzter Negativzinsen für die Gesellschaft um ein äußerst kostspieliges sozioökonomisches Experiment.

IV.  Bargeld, das Finanzsystem und Finanzstabilität Ein unterschätzter Aspekt ist die Rolle des Bargelds in Krisenphasen. Üblicherweise steigt im Zuge von Finanz- und Wirtschaftskrisen die Nachfrage nach Bargeld an (siehe die Situation nach der Lehman-Insolvenz oder die Situation in Griechenland im Jahr 2015). Ein solcher „Run“ auf die Banken wird meist als Gefahr für das Finanzsystem angesehen. Umgekehrt gilt jedoch auch, dass es für die Bankkunden sehr beruhigend sein kann, wenn sie feststellen, dass sie tatsächlich an „ihr Geld“ kommen. In einem System mit rein elektronischer Währung wäre es in einer Vertrauenskrise für die Nicht-Banken insgesamt praktisch unmöglich, Gelder aus dem Banksystem abzuziehen. Einzelne Wirtschaftssubjekte könnten ihren Bestand an Bankguthaben zwar dadurch vermindern, dass sie anderen Wirtschaftssubjekten Vermögenswerte abkaufen. Dadurch würde aber bei den Verkäufern der Bestand an Bankguthaben steigen und diese stünden dann vor dem Problem, mit den gestiegenen Bankguthaben Aktiva zu erwerben (sog. „hot-potato“-Effekt). Dadurch könnte es zu starken Ausschlägen bei Finanzmarktpreisen kommen, ein Umstand, der sich krisenverschärfend auswirken dürfte. Auch bei Zahlungsverkehrsproblemen (aufgrund von technischen Störungen, Streiks etc.) kann das Vorhandensein von Bargeld noch ein gewisses Maß an Zahlungen ermöglichen. In einem rein elektronischen System stünde man unter Umständen sogar ohne Zahlungsmittel dar. Bargeld fungiert in derartigen Krisenphasen sozusagen als Transaktions- und Tausch- sowie Wertaufbewahrungsmittel „of last resort“. Bei einer international nachgefragten Währung wie dem Euro bezieht sich das sowohl auf die Inlands- als auch auf die Auslandsnachfrage. Dabei ist auch der Status als gesetzliches Zahlungsmittel und die ausschließliche Ausgabe durch die Zentralbank hilfreich, da dadurch allgemeine Akzeptanz und Vertrauen gefördert werden. Und gerade die Existenz großer Stückelungen wirkt hier in vielen Fällen stabilisierend, wie z. B. die Situation in Deutschland im Gefolge der Lehman-Insolvenz zeigte (Deutsche Bundesbank, 2016, 34 f.).

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Sollte Bargeld wirklich abgeschafft werden, dann würde es mit großer Wahrscheinlichkeit zu erheblichen Veränderungen des bestehenden 2-stufigen Bankensystems kommen. Denn Bargeld ist das einzige Instrument, das in diesem System den Banken erlaubt, ihre Verbindlichkeiten gegenüber den Nichtbanken in Zentralbankgeld einzutauschen. Der Umtausch in Bargeld stellt die einzige direkte Möglichkeit für die Gesamtheit der Nichtbanken dar, Einlagen aus dem Bankensystem abzuziehen. Die besondere Rolle des Bargelds besteht darin, dass es ein allgemein akzeptiertes Mittel zur Tilgung von Verbindlichkeiten der Banken gegenüber Nichtbanken ist. Ohne Bargeld hätten die privaten Nichtbanken keinen Zugang zu Zentralbankgeld mehr. Sie wären sozusagen im System der Geschäftsbanken „gefangen“. Wenn die privaten Nichtbanken etwa das Vertrauen in die Geschäftsbanken verlieren sollten, dann wäre der Umtausch von Einlagen in Bargeld nicht mehr möglich. Eine Reduzierung von Bankeinlagen könnte nur noch auf dem Wege einer Reduzierung der Verschuldung gegenüber den Banken oder eines Umtauschs von Bankeinlagen in andere Aktiva geschehen. Ersteres reduziert zwar die Bankeinlagen, stellt jedoch für unverschuldete Nichtbanken keine Alternative dar. Zweiteres setzt voraus, dass Banken auch Aktiva verkaufen wollen und dass sie über verkäufliche Aktiva verfügen. Da liquide Aktiva als Besicherung bei der Refinanzierung notwendig sind und ein Großteil der Aktiva aus Krediten besteht, dürfte diese Option den Nichtbanken nur sehr begrenzt helfen. Im Euro-Währungsgebiet bestünde bei einem Vertrauensverlust gegenüber den Banken eines einzelnen Mitgliedslandes zudem die Möglichkeit, Einlagen in andere Euro-Länder zu transferieren. Diese Option wurde beispielsweise in großem Umfang von griechischen Einlegern während der Eurokrise gewählt. Sie setzt jedoch zum einen voraus, dass die Banken im Ausland noch Vertrauen bei den Anlegern genießen. Zum anderen muss denjenigen Banken, die Einlagen verlieren, der Zugang zu alternativen Finanzierungsmöglichkeiten offen stehen. Denn eine Bank, die massiv Einlagen verliert, wird häufig auch am Geldmarkt keine Mittel mehr aufnehmen können. So waren die griechischen Banken beispielsweise auf ELA-Kredite der Bank von Griechenland angewiesen und diese wiederum auf Target-Kredite innerhalb des Eurosystems. Beides zusammen (ELA- und Target-Kredite) ermöglichte es den griechischen Einlegern, Einlagen in das Euro-Ausland zu transferieren. Sollte es die Abschaffung des Bargelds unmöglich machen, Einlagen bei Geschäftsbanken in Zentralbankgeld umzutauschen, dann würde der Druck auf Zentralbanken steigen, entweder Bankeinlagen zu 100 % mit Zentralbankgeld zu decken oder Einlagen auf Zentralbankkonten für jedermann anzubieten oder die Emission von digitalem Zentralbankgeld in Betracht zu ziehen. Die erste Möglichkeit entspricht einer Vollgeldlösung. Das Bankensystem würde aufgeteilt in „Depositen- oder Zahlungsverkehrsbanken“ und „Investment- oder Kreditbanken“. Vollgeldsysteme sind immer wieder vorgeschlagen

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worden (Bossone, 2001). Über ein derartiges System wurde 2018 im Rahmen eines Volksbegehrens in der Schweiz abgestimmt (www.vollgeld-initiative.ch/).6 Beim Übergang zu einem solchen System würde der Reservebedarf der Banken sprunghaft ansteigen. Daher müsste die Zentralbank entweder den Banken zusätzliche Kredite einräumen oder ihnen einen Teil der Aktiva (möglicherweise einschl. Kundenkredite) abkaufen. In beiden Fällen würde sich die Bilanz der Zentralbank erheblich ausweiten. Die zweite Möglichkeit würde es den Nichtbanken explizit erlauben, Einlagen bei der Zentralbank zu halten. Damit treten sie in direkte Konkurrenz zu den Girokonten der Geschäftsbanken. Denkbar wäre also eine Koexistenz von Girokonten, die bei Zentralbanken unterhalten, und Girokonten, die bei Geschäftsbanken unterhalten werden. Angesichts der Sicherheit von Zentralbankeinlagen spricht jedoch einiges dafür, dass es zu einer erheblichen Verlagerung von Einlagen auf Zentralbankkonten kommt (Kooths, 2016a). Schließlich ist auch vorstellbar, dass Zentralbanken statt physischem Bargeld digitales „Bargeld“ herausgeben (Nuño, 2018; Committee on Payments and Market Infrastructures, 2018). In diesem Fall könnte prinzipiell das 2-stufige Banksystem mehr oder weniger unverändert fortbestehen. Statt Bargeld würden die Nichtbanken dann digitales Zentralbankgeld halten. Daneben würde aber der Zahlungsverkehr weiterhin im Wesentlichen über Girokonten der Geschäftsbanken laufen. Die Geschäftsbanken würden sich verpflichten, Sichteinlagen „auf Verlangen“ in digitales Zentralbankgeld umzutauschen. Allerdings dürfte es auch bei dieser Variante zu sehr viel weitreichenderen Veränderungen kommen. Denn digitales Zentralbankgeld ist ein viel engeres Substitut für Sichteinlagen der Banken als Bargeld. Auch wenn dessen genauen Eigenschaften noch nicht bekannt sind, ist doch davon auszugehen, dass sich mit digitalem Zentralbankgeld, sollte es eingeführt werden, auch Distanzzahlungen ausführen lassen. Der Zahlungsverkehr, der heute über Bankeinlagen abgewickelt wird, würde also zum Teil über digitales Zentralbankgeld abgewickelt werden. Auch in diesem System würden also in erheblichem Umfang Sichteinlagen der Geschäftsbanken durch Zentralbankgeld ersetzt werden. Zudem besteht die Gefahr, dass die Nachfrage nach Bankeinlagen instabiler wird (Skingsley, 2016, 9). Gegenwärtig gibt es mit keinem der drei Systeme Erfahrungen, die dabei helfen könnten, ihre Funktionsfähigkeit zu beurteilen. Auch ist die Bargeldnachfrage weiterhin weltweit hoch. Trotzdem kann man versuchen, die Folgen einer drastischen Abnahme des Bargeldgebrauchs – bis hin zu einer völligen Abschaffung – in dieser Beziehung abzuschätzen. Wie die obigen Ausführungen zu den drei Alternativen offenbarten, würde die Bedeutung der Zentralbanken, der Herausgeber von Bargeld, nicht unbedingt kleiner werden, sondern unter Umständen so6 

Die Initiative wurde abgelehnt.

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gar größer. Dies gilt unabhängig davon, welche konkrete Alternative in Betracht gezogen wird. Es steht zu vermuten, dass sich die Zentralbankbilanzen in allen Fällen erheblich verlängern würden (Kooths, 2016a, b). Je nachdem, wie das neue System ausgestaltet ist (Konditionen, inklusive Zinssätze, Bequemlichkeit der Nutzung, Umfang der Nutzungsmöglichkeiten), könnte es zu einer erheblichen Substitution von Bankeinlagen kommen. Denkbar wäre sogar, dass die Kreditschöpfungsfähigkeit des Geschäftsbankensystems erheblich eingeschränkt würde (Broadbent, 2016; Skingsley, 2016; Tolle, 2016). Unterstellt man, dass im Euroraum die täglich fälligen Einlagen als Substitutionspotenzial zur Verfügung stehen, dann würde das bei den jetzigen Größenordnungen (Ende 2018) bedeuten, dass ca. 7 Billionen Euro von den Geschäftsbanken zu den Zentralbanken fließen können. In diesem Umfang müssten die Banken Aktiva verkaufen und das Eurosystem Aktiva ankaufen. Alternativ könnte das Eurosystem Kredite an die Banken vergeben. Die Größenordnung dieser Transaktionen würde in etwa der Hälfte der Aktiva der Geschäftsbanken entsprechen. Eine Abschaffung des Bargelds könnte also letztlich dazu führen, dass sich die Bilanz des Eurosystems erheblich verlängern würde. Die Frage, wie dann die Aktivseite der Bilanz gestaltet werden soll, würde dann von erheblicher gesamtwirtschaftlicher Bedeutung sein. Die Folgen für den Geschäftsbankensektor wären ebenfalls gravierend. Die Geschäftsbankenbilanz würde entsprechend erheblich schrumpfen und die Möglichkeit, Kredit zu schaffen, würde eingeschränkt – im Extremfall würde sie völlig entfallen. Dies könnte gravierende Folgen für die Realwirtschaft haben. Selbst wenn die Bilanzen der Geschäftsbanken weniger leiden würden, gibt es noch einen weiteren Grund, der dafür spricht, dass eine Abschaffung des Bargelds für das Bankensystem weitreichende Folgen haben könnte. Die Banken sehen Bargeld vielfach als Belastung, da die Ausgabe und Hereinnahme von Bargeld mit erheblichen Kosten verbunden sind und nur wenig direkt zurechenbare Erlöse erbringen. Dabei wird jedoch häufig übersehen, dass die Rolle der Banken im Bargeldkreislauf eines der wesentlichen Merkmale ist, die die Banken in den Augen ihrer Kunden von sonstigen Finanzdienstleistern unterscheiden. Was würde ohne Bargeld aus dem schönen Geschäftsmodell werden, unverzinsliche Verbindlichkeiten („Sichteinlagen“) herauszugeben? Auf der Finanzierungsseite des Bankgeschäfts würde der Wettbewerb zunehmen. Filialbanken, Direktbanken und andere Intermediäre würden Anlageprodukte anbieten, die sich aus der Sicht des Kunden nur noch wenig unterscheiden.

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V.  Zusammenfassung, Schlussfolgerung Herr Siekmann hat sich in seiner wissenschaftlichen Laufbahn immer gerne aktuellen und brisanten Themen zugewandt. Darunter fällt auch das Bargeldthema, wie es in den letzten Jahren, vor allem im Gefolge der Thesen zur Bargeldabschaffung, diskutiert wurde. Und er hat auch schon frühzeitig auf die sozialund finanzmarktpolitische Brisanz des Themas für eine breitere Öffentlichkeit hingewiesen. So stellte er in einem Interview mit der Wirtschaftswoche (Fehr, 2016) fest: „Andererseits macht Bargeld die Bürger unabhängiger vom Bankensystem. Die Scheine sind ein Weg, Kontoguthaben wieder aus dem Finanzsektor abzuziehen. Und Personen, die kein Konto bekommen, ermöglicht erst Bargeld die Teilnahme am wirtschaftlichen Leben. Anders als Banken diskriminieren gesetzliche Zahlungsmittel nicht. Das trifft zum Beispiel auf Geringverdiener zu oder auf Besucher, Einwanderer oder politisch missliebige Personen. Ihnen wurde und wird immer wieder die Einrichtung eines Kontos verweigert oder bestehende Konten gekündigt.“ Somit steht auch das Thema des vorliegenden Beitrags dem Gedankengut von Herrn Siekmann nahe. Wir haben gezeigt, dass durch die Existenz von Bargeld eine effektive Untergrenze für den Nominalzins existiert. Dadurch werden die Zentralbanken im Einsatz ihres geldpolitischen Instrumentariums diszipliniert, was allerdings von vielen Kritikern gerade als Nachteil gesehen wird. Es sollte jedoch nicht übersehen werden, dass auf Dauer mit deutlich negativen Nominalzinsen erhebliche negative Auswirkungen auf die Finanzstabilität und die gesamtwirtschaftliche Wohlfahrt verbunden sind. Vor diesem Hintergrund sollten auch die Rückwirkungen einer deutlichen Zurückdrängung des Bargelds auf das Bankensystem und die Zentralbanken nicht unterschätzt werden. Unter Umständen können sich hier Effekte einstellen, die gerade nicht beabsichtigt sind und nicht erwartet werden. Deshalb sollte man nicht leichtfertig eine altbewährte Institution wie Bargeld abschaffen, die sich über Jahrhunderte bewährt hat, nur weil es theoretische Modelle gibt, in denen die Welt ohne Bargeld besser funktioniert. Bevor man einen solchen Schritt macht, sollte erst geprüft werden, ob es nicht andere und bessere Lösungen gibt. Aufgrund seiner Alleinstellungsmerkmale gibt es vielfältige positive Aspekte von Bargeld. In einer freiheitlichen marktwirtschaftlichen Ordnung, wirkt es eigentlich wie ein Fremdkörper, den Bürgern vorzuschreiben, mit welchem Zahlungsmittel sie bezahlen sollen. Der beste Schutz vor staatlichem und privatem Missbrauch von Marktmacht ist Wettbewerb. Dies gilt auch für Währungen und Zahlungsmittel.

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III. Stabiles Finanzsystem und Bankenregulierung III. Stabiles Finanzsystem und Bankenregulierung

Andreas R. Dombret und Roman Goldbach: „Zu weit gegangen oder zu kurz gesprungen? Ein Überblick über die Reformen der Bankenregulierung seit der letzten Finanzkrise“

Zu weit gegangen oder zu kurz gesprungen? Ein Überblick über die Reformen der Bankenregulierung seit der letzten Finanzkrise Andreas R. Dombret und Roman Goldbach Andreas R. Dombret und Roman Goldbach „Zu weit gegangen oder zu kurz gesprungen? Ein Überblick über die Reformen der Bankenregulierung seit der letzten Finanzkrise“

I.  Einführung Mehr als zehn Jahre nach der Finanzkrise scheinen die Reformen der Banken- und Finanzregulierung abgearbeitet. Spätestens seit der Einigung auf die Finalisierung von Basel III im Dezember 2017 sind die allermeisten der 2009 von den G20 avisierten Reformen entwickelt und weitgehend umgesetzt. In Zeiten von Brexit, Handelskonflikten und Cyber-Risiken erhält das Thema in der breiten öffentlichen Diskussion nur noch geringe bis gar keine Resonanz mehr. Mehr als zehn Jahre nach dem Zusammenbruch von Lehman Brothers ist die Krise damit endgültig „Geschichte“ – und die breite Öffentlichkeit scheint das Interesse an diesem Thema zu verlieren. Ein Beitrag zur Bewertung der Reformen scheint da auf den ersten Blick bestenfalls resümierenden Charakter haben zu können. Doch die Bewertung der Reformen hat auch einen aktuellen, politischen Mehrwert. Denn Befürworter und Gegner der Reformen schließen aus ihren Einschätzungen auf die beste künftige Regulierungspolitik. Manche wollen die Reformen unbedingt beibehalten, andere verschärfen und wieder andere wollen die Reformen zurückdrehen. Die Deutungshoheit über die Interpretation der Reformen kann sich dabei in zweifacher Hinsicht auf die Zukunft der Regulierung auswirken. Einerseits sind die Reformen in einigen, zentralen Bereichen noch nicht geltendes Recht und werden in der EU noch umgesetzt; andererseits muss der zweite Teil der Basel III-Reformen aus 2017 noch in EU-Recht übertragen werden, ein Prozess, der in der Vergangenheit immer wieder zu substantiellen Abweichungen vom internationalen Standard geführt hat.1 Die in den Fachzirkeln durchaus lebhaft und teilweise grundlegend geführte Debatte über die Bewertung der Reformen hat also eine nicht unerhebliche Bedeutung für die Zukunft der Regulierung. Im vorliegenden Beitrag ordnen wir 1  Nicolas Véron, EU Financial Services Policy since 2007. Crisis, Responses, and Prospects, in: Global Policy 9 (2018), S1, S. 54 – 64.

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diese Debatte ein: Wir erläutern die wichtigsten Reformvorhaben und zeigen auf, welche Lager zu welchen Schlüssen kommen und wo die größten Schwierigkeiten liegen. Damit wollen wir einen Literaturüberblick über Policy-Bewertungen der Reformen seit der Finanzkrise beitragen, der als Basis für Diskussionen über die weitere Regulierungspolitik dienen kann. Im folgenden Kapitel stellen wir die drei wichtigsten Lager in den Reform-Debatten gegenüber und führen deren Kernargumente aus. In den Kapiteln drei bis neun analysieren wir die sieben wichtigsten Bereiche der Post-Krisen-Reformen: Grundlegende Prinzipien, Menge und Qualität von Eigenkapital-Mindestanforderungen, Schätzung der risikogewichteten Aktiva, markoprudenzielle Reformen, Liquiditätsvorgaben, Leverage Ratio sowie Sanierungs- und Abwicklungsregime. Die Reformbereiche werden grundlegend beschrieben und die zentralen Diskussionspunkte aus Sicht der drei Lager beleuchtet. Im abschließenden Kapitel nehmen wir eine Gesamt-Bewertung über alle Reformbereiche hinweg vor und ziehen ein Fazit.

II.  Drei Sichtweisen auf die Reformen Bei der Unterteilung der Reform-Einschätzungen lassen sich drei Lager heraus kristallisieren. 1.  Lager: Die Reformen haben genau das richtige Maß getroffen Dieses Lager bewertet die Reformen als gelungenen Kompromiss, der einerseits die Regulierung deutlich verschärft habe, ohne andererseits zu weitgehende Beschränkungen umgesetzt zu haben. Diese Balance habe die Risiken von künftigen Finanzkrisen gesenkt, ohne die Finanzintermediation und realwirtschaftliche Aktivität merklich eingeschränkt zu haben. Die zentralen Argumente sind, dass das alte System der optimalen, also knappen, Kapitalallokation auf Grundlage von statistischen Risikokalkulationen gut war – jedoch einige Lücken und Fehler hatte, sowie einige in der Krise zutage getretenen Risiken nicht abdeckte. Die Reformagenda müsse daher eine lange Liste mit detaillierten Verbesserungen und eine etwas kürzere Liste mit der Einführung neuer Instrumente sein. Die wichtigsten Vertreter dieses Lagers sind typischerweise die Regulierungsund Aufsichtsbehörden sowie Fachpolitiker.2 Insofern stellt diese Einschätzung 2  S. z.B. Andreas R. Dombret, Zu viel, zu wenig oder genau richtig? Die Reform der Bankenregulierung nach der Finanzkrise. Rede im 21. Kolloquium des Instituts für Bankund Finanzgeschichte „Wege zu einem stabilen Finanzsystem“, 23. 11. 2017, Frankfurt a. M. und Deutsche Bundesbank, Basel III Leitfaden zu den neuen Eigenkapitalregeln für Banken, 2019.

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auch den politischen Mehrheits-Konsens dar, dem sich die meisten Regierungspolitiker anschließen. Evidenz für die Argumente dieses Lagers kommen von den Auswirkungsstudien des Baseler Ausschusses für Bankenaufsicht (BCBS) und des Finanzstabilitätsrates (FSB). Eine groß angelegte makroökonomische Auswirkungsstudie des BCBS hat gezeigt, dass die Reformen des ersten Teils der Basel III-Reformen aus dem Jahre 2010 zu insgesamt positiven Effekten für die Weltwirtschaft geführt haben.3 Die Untersuchung des zweiten Basel III-Reformpakets aus dem Jahre 2017 kommt zu einem ähnlich positiven Ergebnis: Basel III würde einen positiven BIP-Effekt im Bereich von 0,5% bis 2,0% pro Jahr haben.4 Auch einige IWF-Ökonomen kommen zu der Einschätzung, dass die Reformen das Finanzsystem insgesamt stabiler gemacht hätten, bei nur limitierter Evidenz unbeabsichtigter Konsequenzen.5 Die wichtigste Forderung dieses Lagers ist, dass einerseits die erreichten Reformen nicht aufgeweicht oder gar zurückgedreht werden sollten; gleichzeitig aber auch nicht deutlich weiter verschärft werden sollten (dies schließt aber Nachbesserungen im Detail nicht aus). 2.  Lager: Die Reformen sind zu weit gegangen Demgegenüber steht das zweite Lager, das die Reformen als zu umfassend und weitgehend bewertet. Hierdurch belasteten sie nicht nur die Finanzwirtschaft, sondern auch die Kreditvergabe an die Realwirtschaft und damit die volkswirtschaftliche Gesamtentwicklung. Die wichtigsten Vertreter sind die Institute selbst sowie deren Verbände.6 Die wichtigsten Forderungen umfassen typischer Weise Ausnahmen oder niedrigere Anforderungen bei Kapitalanforderungen sowie mehr Freiräume bei der Einhaltung regulatorischer Vorgaben. Vielen kleineren Instituten geht es aber zunehmend auch um die Absenkung der operativen Lasten, die sich aus den kom3  Paolo Angelini/Laurent Clerc/Vasco Cúrdia/Leonardo Gambacorta/Andrea Gerali/ Alberto Locarno/Roberto Motto/Werner Roeger/Skander van den Heuvel/Jan Vlček, Basel III. Long-term Impact on Economic Performance and Fluctuations, in: The Manchester School 83 (2015), H. 2, S. 217 – 251. 4  Ingo Fender/Ulf Lewrick, Adding it all up: The macroeconomic impact of Basel III and outstanding reform issues. BIS Working Papers No 591, 2016. 5  Tobias Adrian/John Kiff/Hyun Song Shin, Liquidity, Leverage, and Regulation 10 ­Years After the Global Financial Crisis, in: Annual Review of Financial Economics 10 (2018), H. 1, S. 1 – 24. 6 Die Deutsche Kreditwirtschaft, Zwischenbilanz zu den bisher erfolgten Regulierungsmaßnahmen im Finanzmarkt. Stellungnahme im Finanzausschuss des Deutschen Bundestages, 11. Dezember 2015, Ausschussdrucksache 18(7)-254 18. Wahlperiode, 2015.

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plexen Regelwerken für kleinere Institute ohne große Compliance-Abteilungen ergeben7. 3.  Lager: Die Reformen sind zu kurz gesprungen bzw. in die falsche Richtung gegangen Das dritte Lager sieht die Reformen als unzureichend oder gar fehlgeleitet. In der unzureichenden Variante halten Vertreter die neuen Anforderungen für zu niedrig, um die Risikobereitschaft von Banken und die Finanzstabilitätsrisiken ausreichend einzuschränken. Prominenter Vertreter in Deutschland ist der Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung.8 In der fehlgeleiteten Variante haben die Reformen lediglich die in der Krise am offensichtlichsten zu Tage getretenen Lücken im alten, diskreditierten System gestopft. Das alte System der Risikoregulierung aus der Vorkrisenzeit wurde nach dieser Lesart lediglich durch zahlreiche Detailbeschränkungen geflickt und Banken aus ihrer desaströsen in eine temporär stabile Situation geführt – während die Wahrscheinlichkeit einer baldigen erneuten, vergleichbar heftigen Krise durch die Reformen höchstens geringfügig gesenkt würde. Auch die Kosten einer solchen erneuten Krise würden wieder sehr hoch ausfallen. Die wichtigsten Vertreter sind prominente Wissenschaftler,9 Fachpolitiker10 und Vertreter von Gruppen, die das öffentliche Interesse vertreten, wie etwa FinanceWatch. Die wichtigsten Forderungen dieses Lagers sind eine deutliche Erhöhung der quantitativen Mindestvorgaben, eine striktere Anwendung der regulatorischen Vorgaben ohne politisch motivierte Einflussnahme und ohne Rücksichtnahme auf die einflussreiche Interessenvertretung des Bankensektors sowie einfachere Regeln (mit höheren Anforderungen). In den folgenden Kapiteln analysieren wir die verschiedenen Reformbereiche der Bankenregulierung aus Sicht dieser drei Lager.

7 

Andreas Hackethal/Roman Inderst, Auswirkungen der Regulatorik auf kleinere und mittlere Banken am Beispiel der deutschen Genossenschaftsbanken, 2015. 8 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2016/17. Zeit für Reformen, 2016, S. 242 – 86. 9  S. z.B. Anat Admati/Martin Hellwig, The Bankers’ New Clothes. What’s Wrong with Banking and What to Do about It, Princeton, 2013; Charles W. Calomiris, An Incentive-robust programme for financial regulation, in: The Manchester School 79 (2011), S. 39 – 72; Charles W. Calomiris/Stephen H. Haber, Fragile by Design. The Political Origins of Bank­ ing Crises and Scarce Credit, Princeton, 2014. 10  Sven Giegold/Udo Philipp/Gerhard Schick, Finanzwende. Den nächsten Crash verhindern, Berlin, 2016.

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4.  Prinzipien der Reformen Wir gehen dabei von den globalen Standards des BCBS und des FSB aus, die 2009 von den G20 in Auftrag gegeben worden waren. Unser Schwerpunkt liegt aber auf der EU, welche die globalen Reformen als Blaupause für die meisten Regeln im Bankenregulierungsbereich verwendete.11 Da sich einige der internationalen Reformen in der EU noch im Implementierungsprozess befinden, stellen wir zur inhaltlichen Bewertung auf die BCBS/FSB-Standards ab. Dort, wo es EU-Besonderheiten oder Abweichungen gibt, greifen wir diese auf. Wir geben für jeden der Reformbereiche einen kurzen Überblick über die wesentlichen Merkmale. In der Bewertung schauen wir besonders auf (in der EU) umstrittene Aspekte. Im Lichte der systemischen Krise kamen nahezu alle Regulierungen im Bankenbereich auf den Prüfstand – doch während auch über einen Systemwechsel diskutiert wurde, blieben die Reformen schließlich innerhalb des etablierten Risiko-Regulierungsansatzes, den der BCBS beibehalten und nicht durch andere Prinzipien ersetzen wollte. Das alte System wird weiterhin als gut bewertet und sollte beibehalten und systematisch verbessert werden: also die Regulierung durch Vorgabe eines Mindestanteils an Eigenkapitalfinanzierung, wobei die Menge an Eigenkapital im Verhältnis zu den individuellen Risiken einer Bank (risiko-gewichtete Aktiva, RWA) optimal/knapp bemessen und so ein möglichst effizienter Einsatz des Eigenkapitals erreicht werden soll. Aber die Regulierungsbehörden hielten es für nicht mehr angemessen, sich ausschließlich auf diesen quantitativen Wert zu verlassen und führten zahlreiche Ergänzungen ein (sog. multi-polarer Ansatz12): Liquiditätsvorgaben, Verschuldungsobergrenze, makroprudenzielle Regulierung, Sanierung und Abwicklung. In der EU bleibt der RWA-Ansatz das zentrale Element – die Leverage Ratio beispielsweise ist so ausgestaltet worden, dass sie in der Mehrheit der Fälle nicht die bindende Vorgabe ist. Die auf Basis von Schätzungen der Ausfallwahrscheinlichkeiten festgelegte Höhe der Eigenkapital-Anforderungen (RWA-Ansatz) bleibt damit das Herzstück der Bankenregulierung. Das erste Lager hält dies für angemessen, da hiermit am besten der effiziente Einsatz von Kapital gewährleistet werden könne. Auch das zweite Lager stützt diese Sichtweise, hält allerdings die ergänzenden Vorgaben für überzogen. Das dritte Lager hingegen hält diesen Ansatz für unzureichend, weil er an einem nicht funktionsfähigen und ineffizienten Regulierungsansatz festhalte. Die 11 

Véron (Fn. 1), 58. Andrew G. Haldane, Multi-Polar Regulation, in: International Journal of Central Banking Vol. 11 No. 3 (2015), S. 385 – 400. 12 

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Reformen würden lediglich die Symptome der Krise mit mehr Details und Komplexität behandeln – die Ursachen hingegen, also die Anreize für Fehlverhalten in Banken und Fehlentscheidungen in Aufsichtsbehörden und der Politik, blieben unangetastet; denn Politiker hätten kein Interesse, ihren Handlungsspielraum zur Bevorzugung ihrer Finanzinstitute aufzugeben – eine andere, und einfachere Regulierung wäre zu bevorzugen.13 Im Gegensatz hierzu stellen die institutionellen Reformen in der EU einen Paradigmenwechsel dar: Die 2012 beschlossene und 2014 eingeführte Bankenunion genauso wie der Übergang hin zu direkt in allen Staaten gültigen EU-Verordnungen („Single Rulebook“) löst das größte Problem, das der Finanzkrise in der EU/ Eurozone den Weg bereitet hatte: So wurde in den zwei Dekaden vor der Finanzkrise die Ausweitung des einheitlichen Marktes ohne nationale Schranken von der EU Kommission und transnationalen Unternehmen vorangetrieben – nicht nur, aber besonders im Finanzmarktbereich. Doch gleichzeitig verteidigten die Mitgliedstaaten ihre Vorrechte bei Gesetzgebung, Regulierung und Beaufsichtigung der Banken. Dieses Missverhältnis von supranationalem Markt und nationaler Kontrolle bot Finanzinstituten Spielraum, grenzüberschreitend Risiken ohne angemessene Kontrolle aufzubauen, was von den nationalstaatlichen Vertretern übersehen oder akzeptiert wurde14. Die Bankenunion vereinheitlichte die Aufsicht in der EU durch Einführung des einheitlichen Aufsichtsmechanismus (SSM) unter dem Dach der EZB, führte ein einheitliches Regelbuch auf Basis direkt bindender EU-Verordnungen (im Gegensatz zu vorher noch in nationales Recht umzusetzenden EU-Richtlinien) ein; ein neu geschaffenes Sanierungs- und Abwicklungssystem wurde einheitlich geschaffen; und die Einlagensicherung wurde zunächst durch eine Richtlinie harmonisiert.15 Die Bankenunion, und insbesondere der SSM, gelten als Meilensteine der Regulierungsreform. Der SSM und das Single Rulebook haben viele der Lücken im nationalen Aufsichtssystem geschlossen.16 Kritik wird im Wesentlichen daran geübt, dass der SSM noch nicht weit genug mit dem Risikoabbau in den von ihm beaufsichtigten Instituten vorangeschritten sei und dass das Single Rulebook

13  Calomiris (Fn. 9); Calomiris/Haber (Fn. 9); Roman Goldbach, Global Governance and Regulatory Failure. The Political Economy of Banking, Basingstoke, 2015. 14  Tamim Bayoumi, Unfinished Business. The Unexplored Causes of the Financial Crisis and the Lessons Yet to be Learned, New Haven, 2017; Lubos Pastor/Pietro Veronesi, Political Uncertainty and Risk Premia, 2011; Véron (Fn. 1). 15  Während das Single Rulebook und die Harmonisierung der Einlagenrichtlinien in allen EU-Staaten gilt, umfassen der SSM und der SRM ausschließlich die Staaten der Eurozone (wobei anderen Staaten eine opt-in-Möglichkeit offen steht). 16  Véron (Fn. 1).

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nach wie vor zu viele Ausnahmen zulasse bzw. viele Aspekte globaler Standards im Sinne der EU-Banken ausgelegt würden.17 Die Risikoreduktion in allen nationalen Banksystemen wird dabei als Voraussetzung für die Einführung einer supranationalen Einlagensicherung genannt – bislang wurden lediglich die nationalen Einlagensicherungs-Systeme durch eine Richtlinie harmonisiert.18 Die Einlagensicherung wiederum gilt als wichtiges verbleibendes Puzzlestück, um glaubhaft zu machen, dass die Eurozone nicht durch eine in einem bzw. mehreren Staaten entstehende Finanzkrise auseinander brechen wird. Während also die Eurozone mit der Bankenunion einen Paradigmenwechsel gewagt hat, wurden die Inhalte der Bankenregulierung im etablierten Rahmen, dort aber sehr weitgehend, reformiert. Diese Inhalte sind Gegenstand der folgenden Kapitel. 5.  Verschärfung der Mindestanforderungen an das regulatorische Eigenkapital Eine der wohl eklatantesten Schwachstellen der Banken weltweit, die die Krise schonungslos offenlegte, war die Unterkapitalisierung der Kreditinstitute sowie die Flüchtigkeit hybrider und kontingenter Kapitalformen. Der Baseler Ausschuss legte deshalb einen Schwerpunkt seiner Arbeiten auf die Erhöhung der regulatorischen Mindest-Eigenkapital-Anforderungen und die Verschärfung der Kriterien, die dieses künftig zu erfüllen hat. Die zentrale regulatorische Vorgabe bleibt ein regulatorisch definierter Mindestanteil an Eigenkapital, der im Verhältnis zu den risikogewichteten Aktiva des Instituts zu erfüllen ist. Der Wert von 8% – wie er 1988 vom BCBS erstmals im Basel I-Akkord festgelegt worden war – wurde beibehalten. Geändert wurden allerdings die Bestandteile. So müssen künftig 4,5% der Aktiva mit der neuen, strikter definierten Art des harten Kernkapitals (CET 1) refinanziert werden. Weitere 1,5% können entweder aus CET 1 oder aus zusätzlichem Kernkapital gebildet werden – entscheidendes Kriterium ist hier, dass dieses Kapital zur Verlusttragung auch in den Fällen beiträgt, in denen die Bank fortbesteht; die verbleibenden 2% können durch Ergänzungskapital erfüllt werden – also Fremdkapital, das erst im Abwicklungs-/Insolvenzfall in Eigenkapital umgewandelt wird und dann in die Verlusttragung einbezogen wird.

17 

Véron (Fn. 1). Andreas R. Dombret, Baustelle europäische Bankenunion – gemeinsame Aufsicht, gemeinsame Abwicklung, gemeinsame Einlagensicherung? Vortrag beim Bundesbank-Symposium „Bankenaufsicht im Dialog“, 1. 6. 2016, Frankfurt a. M., 2016. 18 

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Die formale Mindestanforderung bleibt somit bei 8%, während die entscheidende Änderung eine qualitative der strikteren Definitionen des regulatorischen Eigenkapitals ist. Ergänzt wird die Anforderung aber durch einen zusätzlichen Kapitalerhaltungspuffer von 2,5%, der ebenfalls aus hartem Kernkapital gebildet werden muss. Im Gegensatz zu den 8% Mindestanforderungen können diese Puffer-Mittel in Stress-Phasen temporär abgebaut werden. Das temporäre Abschmelzen geht nicht mit direkten aufsichtlichen Maßnahmen einher; allerdings dürfen Institute nur noch eingeschränkt Gewinnausschüttungen und Bonuszahlungen vornehmen. Diese Pufferanforderung ist eine der wesentlichen makroprudenziellen Instrumente, deren weitere Elemente wir im folgenden Abschnitt darstellen.19 In Summe belaufen sich dadurch die Anforderungen an das harte Kernkapital auf 7%, an das gesamte Kernkapital auf 8,5% sowie für die gesamten regulatorischen Eigenmittel auf 10,5%. Das erste Lager sieht in dieser strengeren Definition von Eigenkapital und moderaten Erhöhung durch den Kapitalerhaltungspuffer den besten Mittelweg, um gleichzeitig die Resilienz eines Instituts (und damit die Finanzsystemstabilität) zu stärken – was auch positive Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum- und die Kreditvergabe habe. Eine Erhöhung über das aktuelle Niveau hinaus, so befürchten die Vertreter, könnte die Kreditvergabe und das Wirtschaftswachstum schwächen.20 Das dritte Lager kommt hingegen zu dem Schluss, dass die Höhe der Eigenkapitalanforderungen nach wie vor (deutlich) zu niedrig ist. Einige dieser Kritiker fordern vor allem eine Abkehr von der risikogewichteten Regulierung hin zur einfacheren Leverage Ratio. Diese Argumente werden wir im Zusammenhang mit der Leverage Ratio und den risikogewichteten Aktiva ausführen. Hier konzentrieren wir uns auf die Kritik, die die Kapitalanforderungen des RWA-Ansatzes für zu niedrig hält.21 Thakor unternimmt eine umfassende Literaturauswertung der Auswirkungen von höherem Kapital auf das Verhalten von Banken. Er findet, dass höher kapitalisierte Institute mehr Kredite vergeben und mehr Liquidität schaffen, ein geringeres systemisches Risiko schaffen, eine Finanzkrise mit größerer Wahrscheinlichkeit überleben, geringere Risiken eingehen, ihre 19  Für Details zu diesen sowie anderen Elementen der Basel III-Standards s. Deutsche Bundesbank, Basel III – Leitfaden zu den neuen Eigenkapital- und Liquiditätsregeln für Banken, 2011; Deutsche Bundesbank (Fn. 2). 20  Basel Committee on Banking Supervision, Literature review on integration of regulatory capital and liquidity instruments. BIS Working Papers No 30 (2016), Basel. 21  Anjan V. Thakor, Bank Capital and Financial Stability. An Economic Trade-Off or a Faustian Bargain?, in: Annual Review of Financial Economics 6 (2014), H. 1, S. 185 – 223; Anjan V. Thakor, Post-crisis regulatory reform in banking. Address insolvency risk, not illiquidity!, in: Journal of Financial Stability 37 (2018), S. 107 – 111.

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Aktiva gewissenhafter überwachen, die Kreditvergabe während Krisen weniger einschränken, den Zugang zu kurzfristiger Finanzierung/Liquidität während Krisen erhalten oder erhöhen können und schließlich mehr Wert für ihre Aktionäre schaffen. Darüber hinaus gibt es wenige Erkenntnisse über die makroökonomischen Auswirkungen von höher kapitalisierten Banken. Doch die bereits erwähnten Analysen der Auswirkungen von Basel III legen nahe,22 dass mehr Kapital im System gesamtwirtschaftlich sehr positive Auswirkungen hat (wobei die positive Kosten-/Nutzen-Abwägung ab gewissen Höhen ins Negative umschlagen würde). Klein und Turk-Ariss finden sogar, dass jeder Prozentpunkt mehr an Kapital ein um 1,25 Prozent (nicht Prozentpunkte) höheres Wirtschaftswachstum bringt23 – allerdings stellen Beck und Koautoren fest,24 dass makroökonomische Effekte der Kapitalregulierung weniger erforscht sind und hier weitere Studien die Ergebnisse der bisherigen bestätigen müssen. Von diesen Erkenntnissen ausgehend, schließt Thakor,25 dass die Höhe der durch Basel III reformierten Eigenkapitalanforderungen zu niedrig kalibriert seien, und fordert eine Erhöhung. 6.  Einführung makroprudenzieller Instrumente Die Krise zeigte, dass ein isolierter Blick auf einzelne Institute dazu führt, dass systemische Risiken, die aus dem Zusammenspiel der Institute und der Gesamtentwicklung des Finanz- und Bankenmarktes entspringen, übersehen bzw. unterschätzt werden. Aus diesem Grund wurden die Instrumente der makroprudenziellen Regulierung (also der Regulierung systemischer Risiken), die bislang nur eine untergeordnete Rolle gespielt hatten, deutlich gestärkt und ausgebaut. Hierzu gehören im Wesentlichen drei Elemente: antizyklische Kapitalpuffer, Systemrisiko-Räte und Stress-Tests, wobei wir uns hier auf das zentrale Element der Kapitalpuffer konzentrieren. Um der zyklischen Volatilität in der Kreditvergabe und den so entstehenden Finanzblasen entgegenzuwirken, hat der Baseler Ausschuss vereinbart, in Zeiten übermäßig hohen Kreditwachstums einen antizyklischen Kapitalpuffer auf22 

Fender/Lewrick (Fn. 4); Adrian/Kiff/Shin (Fn. 5); Angelini et al. (Fn. 3). Paul-Olivier Klein/Rima Turk-Ariss, Is the Cost of a Safer Banking System Lower Economic Activity? Working Paper, Available at SSRN: https://ssrn.com/abstract=3243342 (2018). 24  Thorsten Beck/Elena Carletti/Itay Goldstein, Financial Regulation in Europe. Foundations and Challenges, in: Richard W. Blundell/Estelle Cantillon/Barbara Chizzolini (Hrsg.), Economics without borders. Economic research for European policy challenges, 2017, S.  470 – 510. 25  Thakor (Fn. 21), 2014; Thakor (Fn. 21), 2018. 23 

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zubauen. Diese zusätzliche Eigenkapitalanforderung soll in „Boomphasen“ die Kreditvergabe bremsen und so Spekulationsblasen vorbeugen. Gleichzeitig soll das zusätzliche Eigenkapital in der folgenden Abschwungphase bereitstehen, um einer Kreditklemme entgegenzuwirken. Die Höhe des anzuwendenden Puffers kann in einer Bandbreite von 0% bis 2,5% der RWA von der national zuständigen Aufsichtsbehörde festgelegt werden, wobei die für diese Entscheidungen maßgeblichen Indikatoren von den Aufsichtsbehörden im jeweiligen nationalen Kontext bestimmt werden. Der für den Pufferaufbau zu berücksichtigende Betrag wird einheitlich für alle Kreditforderungen an den Nichtbankensektor im jeweiligen Land berechnet. Ebenso wie der Kapital­ erhaltungspuffer kann der antizyklische Puffer in Stressphasen zur Absorption von Verlusten genutzt werden. Darüber hinaus wurden Kapitalzuschläge für global systemrelevante Banken (global systemically important banks, G-SIB) und für national systemrelevante Banken (domestic systemically important banks, D-SIB) eingeführt. Der G-SIB-Puffer steigt mit dem Maß an Systemrelevanz eines Instituts und reicht von 1% bis 3,5%, kann aber auch noch steigen, sollte ein Institut weiter an Systemrelevanz zulegen. Zusätzlich gibt es in der EU Möglichkeiten, die Eigenkapitalmindestanforderungen für die Refinanzierung von Immobilienkrediten bei Feststellung einer Immobilienblase zu erhöhen.26 Und schließlich gibt es noch Einschränkungen der privaten Kreditaufnahme – z. B. Vorgaben darüber, wie lange ein Schuldner maximal brauchen darf, um einen Kredit zu tilgen oder wie hoch der Kredit im Verhältnis zur erworbenen Immobilie oder zum Einkommen sein darf.27 Diese Maßnahmen werden weithin als sinnvolle Neuerung gelobt.28 Die große Herausforderung ist jedoch, diese Instrumente auch im Angesicht einer lautstarken Opposition anzuwenden, um eine Finanzkrise bereits im Ansatz zu bekämpfen, denn dazu müssen politische Entscheidungsträger bereit sein, unpopuläre Entscheidungen zu treffen. In diesem Kontext sind auch die zwei wichtigsten Kritikpunkte an der makroprudenziellen Regulierung zu sehen. Zum einen gibt es mit diesem jungen Feld, das stark auf empirisch basierte Entscheidungen setzt (wie etwa die Entwicklung 26  Artikel 124, 164 und 458 der CRR stellen hierfür die Grundlage, s. Andreas R. Dombret/Roman Goldbach, Rising House Prices and Ultra-low Interest Rates. A Recipe for a New Banking Crisis?, in: Economic Affairs 37 (2017), H. 2, S. 254 – 270. 27  Deutschland hat die ersteren beiden Instrumente gesetzlich angelegt, s. Dombret/ Goldbach (Fn. 26). 28  Dirk Schoenmaker (Hrsg.), Macroprudentialism. A VoxEU.org eBook., 2014.; Thakor (Fn. 21), 2018.

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der privaten Verschuldung in einer Volkswirtschaft), große Herausforderungen bei der Operationalisierung makroprudenzieller Entscheidungen. Hier besteht noch ein hoher Datenerfassungs-, Lern- und Erfahrungsbedarf, bevor Entscheidungen routinierter getroffen werden können. Doch der politische Gegenwind des zweiten Lagers ist bei der Datensammlung groß, und so sieht das dritte Lager den politischen Willen, das makroprudenzielle Regime auch mit Biss zu versehen und durchzusetzen, als eher gering an.29 Hinzu kommt die verbreitete Kritik am institutionellen Gefüge der für makroprudenzielle Entscheidungen zuständigen Akteure. Denn die Systemräte sind allesamt nicht in der Lage, schwerwiegende makroprudenzielle Entscheidungen zu treffen, ohne dabei die Zustimmung der Politik zu erhalten.30 In der EU kommt erschwerend die getrennte Zuständigkeit für die Anwendung unterschiedlicher makroprudenzieller Instrumente hinzu: Während der SSM die Instrumente unter CRR/CRD IV anwendet, sind die Instrumente zur Einschränkung der privaten Kreditaufnahme national anzuwenden – hieraus ergeben sich Probleme der Interdependenz bei gleichzeitigem Wettbewerb. Es steht zu befürchten, dass nationale Behörden keine Puffer einsetzen werden, wenn dadurch Kredite im nationalen Markt teurer werden, während sich andere Staaten zurückhalten.31 7.  Überarbeitung der Schätzung risikogewichteter Aktiva (RWA) Oben erläuterten wir, dass die grundlegende Baseler Philosophie der risikobasierten Mindest-Eigenkapital-Anforderung beibehalten wurde. Die zentrale regulatorische Vorgabe bleibt also eine Relation mit der Menge an Eigenkapital im Zähler und den risikogewichteten Aktiva einer Bank im Nenner. Während der Zähler 2010 wie beschrieben reformiert worden war, benötigte der BCBS für den Nenner bis Ende 2017. Dass es sieben Jahre für diese Finalisierung des Basel III-Abkommens brauchte, lag insbesondere daran, dass nahezu alle Risikoschätzungsarten vollständig erneuert oder zumindest deutlich überarbeitet werden mussten; denn die Finanzkrise hatte gezeigt, dass die bestehenden Schätzungen zahlreiche Schwachstellen hatten. Grundlegende statistische Verteilungsannahmen waren viel zu optimistisch; dort, wo von der Aufsicht Zahlen vorgegeben waren, waren diese oft nicht adäquat; vielfach erfüllten die Portfolios der Banken gar nicht die statistischen Mindestbedingungen, um überhaupt zu einer zuverlässigen Schätzung kommen zu können; außerdem nutzten Banken bewusst Lücken im Regelwerk systematisch aus. 29  Andrew Metrick/June Rhee, Regulatory Reform, in: Annual Review of Financial Economics 10 (2018), H. 1, S. 153 – 172. 30  S. z. B. Beiträge in Schoenmaker (Hrsg.), (Fn. 28). 31  Beck/Carletti/Goldstein (Fn. 24), 489.

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Diese RWA-Reformen umfassen zwei Stränge: Zum ersten die Einschränkung von Freiheitsgraden bei der Anwendung Bank-interner Verfahren (IRB-Verfahren) zur Schätzung der risikogewichteten Aktiva. In der Krise hatte sich gezeigt, dass diese alle der oben genannten Schwächen aufweisen und so bei vielen Instituten einerseits ungerechtfertigt niedrige regulatorische Eigenkapitalanforderungen ermöglichten und andererseits zyklisches Herdenverhalten der Institute beförderte.32 Der BCBS will künftig interne Modelle durch diverse Punkte einschränken: • Abschaffung des internen Ansatzes für das operationelle Risiko, da dieser methodische Schwächen offenbart hatte, die man nicht überwinden konnte. • Überarbeitung der internen Modelle für das Marktrisiko. • Abschaffung des internen Ansatzes für Kreditrisiken bei Portfolios mit nur spärlich verfügbaren Ausfalldaten. • Im Kreditrisikobereich Einführung von Mindestgrößen (Input floors) bei der Schätzung einiger Risikoparameter, die von den Banken selbst berechnet werden. • Einführung eines Output-Floors von 72,5%. Dieser bedeutet: Selbst wenn ein Institut ein die Kapitalanforderungen tendenziell senkendes (und aufwändiges) internes Verfahren anwendet, müssen seine RWA mindestens 72,5% der RWA betragen, die sich ergeben würden, wenn das Institut auf sein gesamtes Portfolio ausschließlich Standardansätze angewendet hätte. Allerdings wurden im Gegenzug wesentliche Änderungen vorgenommen, die eine systemweite Erhöhung der Kapitalanforderungen verhindern. Der zweite Strang der RWA-Reformen ist die Überarbeitung aller fortbestehenden Standard-Ansätze, denn auch hier hatte die Krise an diversen Stellen gezeigt, dass die Ansätze Risiken nicht ausreichend oder falsch abgebildet hatten. Um dies zu beheben, sollte die Risikosensitivität aller Ansätze verbessert werden. Im Kreditrisikobereich wurde der bisherige Ansatz beibehalten, aber im Detail überarbeitet; für das operationelle und das Marktrisiko gab es ganz neue Ansätze; der Ansatz im Zinsänderungsrisikobereich wurde deutlich komplexer ausgestaltet; und die Verbriefungen wurden auch vollständig überarbeitet. Schließlich wurden neue Risikokategorien in der regulatorischen Eigenmittelberechnung, nämlich das Kontrahentenausfall- und das Wertberichtigungsrisiko eingeführt. Beide Risiken waren in der Krise insbesondere rund um den Wertverfall von Derivaten schlagend geworden. Für beide Risikoarten wurden neue Verfahren eingeführt, aber auch hier wurde auf Kapitalneutralität Wert gelegt. 32  Andreas R. Dombret, To count or not to count – The future of internal models in banking regulation. Rede beim EBA Policy Research Workshop „The future role of quantitative models in financial regulation“, 28. 11. 2017, London, 2017.

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Bei allen RWA-Reformen ausgeklammert blieb das Portfolio der Staatsanleihen – hier war aufgrund der politischen Widerstände aus zahlreichen Staaten kein globaler Mindeststandard möglich und auch in der EU scheint keine Lösung in Sicht. Insbesondere dieser letzte Punkt wird von allen Vertretern, außer den Banken und ihren Verbänden, scharf kritisiert, denn hierdurch werden Staatsanleihen auch weiterhin weitgehend von RWA-Anforderungen freigestellt – was erhebliche Fehlanreize nach sich zieht und den Staats-Banken-Nexus weiter verfestigt. Darüber hinaus schwächt es den Risikoregulierungsansatz, der auf eine genaue Schätzung von Risiken und davon ausgehend optimal (knapp) allokiertes Kapital setzt. Wenn eines der größten Portfolios mit einem Risiko von Null einfließt, stellt dies einen erheblichen Schwachpunkt dar. Deshalb hat der Sachverständigenrat einen Vorschlag zur Entprivilegierung vorgelegt, der sowohl risikogemäße Großkreditgrenzen als auch eine risikoadäquate Eigenkapitalunterlegung vorsieht.33 Doch das dritte Lager hat noch grundsätzlichere Kritikpunkte an der weiterhin zentralen Bedeutung der RWA-Ansätze34: Generell halten diverse Autoren den RWA-Ansatz für zu optimistisch. So zeigen Demirgüc-Kunt und Koautoren35, dass der Aktienkurs während der Krise nicht mit dem risikogewichteten Indikator korrelierte, sondern mit den nicht-gewichteten Zahlen. Die Komplexität würde auch künftig noch einen großen Spielraum zulassen, und Lücken in einem solch komplexen Ansatz seien quasi vorprogrammiert. Dabei sei der damit verbundene Aufwand für die Aufsicht hoch, was dazu führe, dass die Aufsicht in den meisten Fällen nur Checklisten abhake („box ticking“), statt eine tatsächliche Prüfung von Risiken und Risikoprofilen durchführen zu können.36 Kritik wird insbesondere an den internen Modellen geäußert, denn die empirische Evidenz diverser Studien spräche gegen die Zuverlässigkeit dieser Verfahren. So zeigen Mariathasan und Merrouche anhand eines samples mit 115 Banken aus 21 OECD-Staaten, dass das berichtete Risikoprofil von Banken nach der Genehmigung eines IRB-Verfahrens durch die Aufsichtsbehörden sinkt, dass dieser Effekt unter schwächer kapitalisierten Banken stärker ausgeprägt ist und für eine 33 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung, Jahresgutachten 2015/16. Zukunftsfähigkeit in den Mittelpunkt., 2015., S. 27 – 31. 34  Siehe auch Admati/Hellwig (Fn. 9). 35  Asli Demirgüc-Kunt/Enrica Detragiache/Ouarda Merrouche, Bank Capital. Lessons from the Financial Crisis, in: Journal of Money, Credit and Banking 45 (2013), H. 6, S.  1147 – 1164. 36  Andrew G. Haldane/Vasileios Madouros, The dog and the frisbee. Rede auf dem Economic Policy Symposium „The changing policy landscape“ in Jackson Hole, Wyoming, 31 August 2012.

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strategische, nicht risiko-adäquate Senkung von Risikogewichten spräche.37 Behn und Koautoren finden empirische Belege dafür, dass Institute, die IRB-Verfahren anwenden, ihre regulatorischen Mindestanforderungen senken konnten, obwohl ihre realisierten Ausfallquoten sich verschlechterten, sie also höhere Risiken (bei höheren Profiten) eingingen.38 Diesen teils sehr grundlegenden und weitgehenden Kritiken begegnet das zweite Lager mit gewisser Fassungslosigkeit. Nach deren Einschätzung sind die neuen Regeln deutlich zu restriktiv, was potentielle Gefahren für Eigenkapitalkosten und Kreditvergabe berge. Dazwischen liegt die Einschätzung des ersten Lagers, dem die Kapitalneutralität der Basel III-Finalisierung besonders wichtig ist. Mit Kapitalneutralität gemeint ist die Forderung, dass die systemweite Kapitalanforderung nicht über das Niveau steigen dürfe, das mit den Basel III-Reformen aus dem Jahr 2010 erreicht wurde. Insofern halten sie die Überarbeitung der RWA-Ansätze für einen gesamtwirtschaftlich betrachtet gelungenen Kompromiss.39 Die bisher dargestellten Reformen zeigen, dass risiko-basierte Eigenmittelanforderungen nach wie vor eine, wenn nicht die, maßgebliche Rolle spielen. Die Finanzkrise hat jedoch gezeigt, dass dieser Ansatz allein nicht ausreicht, um die überzogene Risikonahme von Banken zu beschränken. Wie bereits erwähnt, wurden deshalb ergänzende Instrumente eingeführt. Dieser multi-polare Ansatz umfasst nicht nur die bereits erwähnten makroprudenziellen Kapitalpuffer, sondern vor allem Verschuldungs- und Liquiditätsvorgaben. Diesen wenden wir uns nun zu. 8.  Einführung einer Leverage Ratio In der Finanzkrise zeigte sich, dass Banken ein viel zu hohes Maß an Verschuldung eingegangen waren, das sich als nicht tragfähig erwies – obwohl die betreffenden Institute die risikobasierten Eigenkapitalanforderungen teils deutlich übererfüllten. Deshalb entschied man sich dafür, einen Verschuldungs-Backstop einzuführen, die Verschuldungsquote oder Leverage Ratio (LR). Diese setzt die ungewichteten Aktiva der Bank ins Verhältnis zum aufgenommenen Eigenkapital. Ziel ist einerseits, die volkswirtschaftliche Gesamtverschuldung zu begrenzen, und andererseits einen backstop für die risiko-gewichteten Anforderungen einzuführen, damit diese nicht zu tief fallen können. 37  Mike Mariathasan/Ouarda Merrouche, The manipulation of basel risk-weights, in: Journal of Financial Intermediation 23 (2014), H. 3, S. 300 – 321. 38  Markus Behn/Rainer Haselmann/Vikrant Vig, The limits of model-based regulation. ECB Working Paper No 1928, 2016. 39 Z.B. Dombret (Fn. 2).

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Nach einer mehrjährigen Beobachtungsphase hat der BCBS beschlossen, die LR zu einer verbindlichen Mindestanforderung zu machen, und den internationalen Mindestwert auf 3% zu setzen. Für G-SIBs gelten höhere Quoten, die mit der Systemgröße ansteigen (Hälfte des bankindividuellen, risikobasierten G-SIB-Kapitalpuffers von 1 – 3,5%; siehe Kapital 6). Allerdings handelt es sich hierbei nicht um eine reine LR, die das Eigenkapital ins Verhältnis zu allen Aktiva einer Bank setzt, denn im Nenner werden einige Ausnahmen bzw. Gewichtungen vorgenommen. Während Banken unisono die LR ablehnen, weil sie den RWA-Ansatz für den effizienteren halten, hält der BCBS die LR für gut kalibriert. Doch das dritte Lager hat zwei wesentliche Kritikpunkte: Zum einen, dass die LR Ausnahmen zulässt, die dazu führen, dass nicht die gesamten, ungewichteten Aktiva berücksichtigt werden; zum zweiten, dass sie mit 3% deutlich zu niedrig angesetzt sei. So ist der Sachverständigenrat für eine LR von mindestens 5%.40 Die wohl bekannteste Kritik von Admati und Hellwig41 und ihren zahlreichen Unterstützern42 fordert mindestens 15%, wobei der Wert ihrer Ansicht nach noch höher sein müsste, solange nicht wirklich alle Aktiva einer Bank ungewichtet berücksichtigt würden und solange Rechnungslegungsvorschriften zur künstlichen Erhöhung einer von Banken gemeldeten LR führe. Barth und Miller43 zeigen in ihren Analysen, dass selbst bei 15% die LR noch einen deutlich höheren Nutzen als Kosten für die Wirtschaft habe. 9.  Einführung quantitativer Liquiditätsmindestanforderungen Ein weiteres Element zur Ergänzung der Eigenkapitalanforderungen sind die zwei neuen quantitativen Liquiditätsanforderungen. Zum einen die kurzfristige Liquiditätsdeckungskennziffer (Liquidity Coverage Ratio, LCR) als Mindest-Liquiditätspuffer: Nach ihr müssen Institute jederzeit über einen Mindestanteil hochliquider Aktiva verfügen, mit dem sie ihren in einem Zeitraum von 30 Tagen auftretenden kumulierten Nettozahlungsverpflichtungen nachkommen könnten. Der Liquiditätspuffer stellt insbesondere sicher, dass den Instituten im Falle eines akuten Liquiditätsschocks ausreichend Zeit zur Verfügung steht, um kurzfristige Anpassungsmaßnahmen zu ergreifen. 40 Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (Fn. 8). 41  Admati/Hellwig (Fn. 9). 42  S. Healthy Banking System Is the Goal, Not Profitable Banks, Financial Times, November 9, 2010, u.a. unterstützt von John H. Cochrane, Eugene F. Fama, Charles Goodhart, Stewart C. Myers, William F. Sharpe, Stephen A. Ross, and Chester Spatt. 43  James R. Barth/Stephen Matteo Miller, Benefits and costs of a higher bank „leverage ratio“, in: Journal of Financial Stability 38 (2018), S. 37 – 52.

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Dies wäre 2008/9 allerdings unzureichend gewesen, denn viele Institute hatten ihre Bilanzen wenig nachhaltig strukturiert – wegen exzessiver Fristeninkongruenzen zwischen Aktivgeschäft einerseits und Refinanzierung andererseits wären sie auch nach 30 Tagen vielfach nicht in der Lage gewesen, sich im schwierigen Marktumfeld zu refinanzieren. Hier soll die zweite Liquiditätsanforderung, die längerfristige Refinanzierungskennziffer greifen (Net Stable Funding Ratio, NSFR). Die NSFR trägt dem Risiko Rechnung, dass sich auf mittlere Frist über den Liquiditätspuffer hinaus Nettozahlungsabflüsse kumulieren, weil eine Bank keine nachhaltige Refinanzierungsstrategie für schwierige Marktsituationen hat. Sie soll damit vor allem eine übermäßige Nutzung einer bis zur Krise exzessiv angewendeten „wholesale banking“ Strategie begrenzen, nämlich, dass kurzfristige bzw. hochfrequent revolvierende und stressanfällige Kapitalinstrumente für die Finanzierung längerfristiger Aktivgeschäfte verwendet werden. Die Bewertung der Liquiditätsanforderungen ist mit besonderer Unsicherheit versehen, da es bislang nur sehr wenige empirische Überprüfungsmöglichkeiten gab. Doch neben den Aufsichtsbehörden sehen auch Beck et al.44 erhebliche Vorteile in den neuen Vorgaben, insbesondere die Verhinderung von Panikverkäufen in Krisenzeiten. Metrick und Rhee bewerten, dass die wenigen empirischen Studien dafür sprächen, dass die Instrumente wirksam seien und dabei keine wesentlichen, unbeabsichtigten Auswirkungen entstünden – allerdings stehe dies unter dem Vorbehalt, dass die Regeln erst seit kurzem empirisch analysiert werden können und vielfach noch gar nicht zur Anwendung kommen.45 Ähnlich sehen dies ein Arbeitspapier des BCBS46 sowie der IWF-Ökonom Nicolò.47 Allerdings sehen die BCBS-Autoren durchaus relevante mögliche Auswirkungen auf die Kreditvergabe und die Interaktion mit den Kapitalanforderungen, die es zu beobachten gelte. Das zweite Lager hingegen erfährt ungewöhnliche Unterstützung von Thakor,48 der die Liquiditätsregulierung für eine unnötige, sogar schädliche Ergänzung der Regulierung hält. Auf Basis seiner umfassenden Literaturanalyse kommt er zu dem Schluss, dass die LCR und NSFR auf einem Missverständnis der Finanzkrise 2007 – 9 fußten: Diese würde vielfach als Liquiditätskrise eingestuft, weshalb man folgerichtig Mindestvorgaben für diesen Bereich eingeführt habe. Die empi44 

Beck/Carletti/Goldstein (Fn. 24), 490 f. Metrick/Rhee (Fn. 29), 158. 46  Basel Committee on Banking Supervision (Fn. 20). 47  Gianni de Nicolò, Liquidity Regulation. Rationales, Benefits and Costs, in: National Institute Economic Review 235 (2016), H. 1, R18-R26. 48  Thakor (Fn. 21), 2014; Thakor (Fn. 21), 2018. 45 

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rische Evidenz spräche aber sehr deutlich dafür, dass die Krise eine Insolvenzkrise war, die sich auf die Liquiditätsverfügbarkeit ausgewirkt hätte. Entscheidend dabei sei, dass nicht die Marktliquidität für alle Banken und Marktteilnehmer gesunken sei – sondern, dass mehrere Studien zeigen würden, dass gut kapitalisierte Banken keine Probleme gehabt hätten, kurzfristige Liquidität am Markt zu erhalten, während schlecht kapitalisierte Institute große Schwierigkeiten gehabt hätten.49 Da Liquiditätsvorgaben aber die Liquiditätstransformation von Banken einschränkten, wären diese regulatorischen Vorgaben unnötig und schädlich. Die Abschaffung dürfe aber nur geschehen, wenn die wesentlich Kosten-Nutzen-effizienteren Kapitalanforderungen deutlich erhöht würden. 10.  Einführung eines Sanierungs- und Abwicklungsregimes Einer der nachhaltigsten Eindrücke der Finanzkrise war, dass sich Politiker gezwungen fühlten, Banken aus ihren selbstverschuldeten Problemlagen mit Steuergeldern retten zu müssen (Bail-out), um einen Systemkollaps zu verhindern. Eines der wichtigsten Ziele des FSB war es daher, einen Regimewechsel hin zum Bail-in zu erreichen, in welchem die Hauptlast von den Eigentümern und Gläubigern einer Bank getragen werden. Besonderes Augenmerk wurde dabei auf systemrelevante und globale Banken gelegt (die sich in der Krise als „too big to fail“ erwiesen). Um diese Ziele zu erreichen, wurde ein Sanierungs- und Abwicklungsregime geschaffen, dessen Institutionen und Instrumente in künftigen Krisen die Nicht-Rettung glaubhaft und realisierbar machen sollen. Die globale Blaupause hierfür lieferten die FSB Schlüssel-Eigenschaften effektiver Abwicklungsregime aus dem Jahre 2011 sowie der Standard für verlustabsorbierendes Kapital (TLAC). Das neue Bail-in-Regime umfasst insbesondere drei zentrale Elemente: Eine Haftungskaskade, Bail-in-Kapital und Abwicklungspläne. In der EU wurden die FSB Standards durch die Bankensanierungs- und Abwicklungsrichtlinie (Banking Recovery and Resolution Directive, BRRD) und die Etablierung eines Eurozonen-weiten gemeinsamen Abwicklungsmechanismus (SRM) umgesetzt. Im Rahmen der BRRD wurden Regeln einer Haftungskaskade geschaffen, die sicherstellen sollen, dass zunächst die Inhaber und Gläubiger einer Bank zur Verlusttragung herangezogen werden und die Nutzung von öffentlichen Mitteln minimiert werden.50 So soll gesetzlich festgehalten werden, in welcher Reihenfolge Eigentümer und Schuldner an der Sanierung oder Abwicklung eines Instituts beteiligt werden. 49  Für

die EU s. Christophe Pérignon/David Thesmar/Guillaume Vuillemey, Wholesale Funding Dry-Ups, in: The Journal of Finance 73 (2018), H. 2, S. 575 – 617. 50  Deutsche Bundesbank, Die neuen europäischen Regeln zur Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten. Monatsbericht Juni 2014, S. 31 – 57.

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Es bedarf allerdings des zweiten zentralen Elements, des verlustabsorbierenden (Bail-in-)Kapitals, um die Haftungskaskade auch realisierbar zu machen. Diese Mittel sollen sicherstellen, dass ein Mindestmaß an Verlustabsorptionsoder Rekapitalisierungsfähigkeit von Banken besteht, um sie geordnet abwickeln/ sanieren zu können, d. h. ohne Gefährdung der Finanzstabilität und ohne Rückgriff auf öffentliche Finanzmittel. Auf globaler Ebene wurde durch den FSB für die global systemrelevanten Institute eine Mindestanforderung definiert (total loss absorbing capacity, TLAC); dies wurde auf europäischer Ebene durch die BRRD als „minimum requirements for own funds and eligible liabilities“, MREL umgesetzt. Die BRRD setzt aber Anforderungen für alle Institute (die einen Abwicklungsplan haben und nicht in ein Insolvenzverfahren gehen würden), wobei global systemrelevante und andere systemrelevante höhere Anforderungen erfüllen müssen. Das dritte zentrale Element sind Abwicklungspläne, die jede Bank zu erstellen hat und die von der jeweils zuständigen Abwicklungsbehörde geprüft werden müssen. Ein Plan soll gewährleisten, dass Banken abwicklungsfähig sind und Abwicklungshindernisse beseitigt werden und dass dabei kritische Funktionen einer Bank im Abwicklungsfalle aufrechterhalten werden können, um die Gefahren für die Finanzstabilität zu reduzieren. Die Eigenheit der EU mit ihrem mehrere nationale Systeme umfassenden Markt machte es notwendig, dass Sanierungs- und Abwicklungsmaßnahmen künftig über diese Grenzen hinweg möglich sind. Hierzu wurde die zweite Säule der Bankenunion eingerichtet, der Einheitliche Abwicklungsmechanismus (SRM) mit dem Einheitlichen Abwicklungsausschuss und einem dazugehörigen Fonds (SRB/F). Diese Säule der Bankenunion dient der Anwendung der Regeln der BRRD, „indem sie einen gemeinsamen institutionellen Rahmen zur Entscheidungsfindung über die Anwendung der BRRD-harmonisierten Instrumente errichtet“.51 Wie auch die gemeinsame Bankenaufsicht gilt der SRM und dessen dazugehörige SRM-Verordnung nur in den Euro-Staaten (und den Nicht-Euro-Staaten, die sich künftig für eine Mitgliedschaft entscheiden). Der SRB entscheidet über die Abwicklung von der EZB direkt beaufsichtigter Institute; die von den NCAs beaufsichtigten Institute werden von den nationalen Abwicklungsbehörden abgewickelt. Nach dem Bail-in aller relevanten Mittel (s. o.) kann der SRM auf den SRF zugreifen. Das Hauptproblem bei der Bewertung besteht darin, dass es bislang wenige Testfälle gab – und gar keine, in denen ein systemrelevantes Institut in Schieflage geraten war. Doch die Einführung eines europäischen Regimes wird von den allermeisten begrüßt, da es Fehlanreize korrigiere und auf künftige Krisen von

51 

Deutsche Bundesbank (Fn. 50).

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einzelnen Instituten besser vorbereite.52 Insbesondere bei den Abwicklungsplänen zeigten bisherige Fälle, dass die geschaffenen Regelungen eine gute Basis darstellten. Einer der schwerwiegendsten Kritikpunkte ist, dass große, systemrelevante Institute nach wie vor als „too big to fail“ angesehen werden. Dies liegt insbesondere daran, dass eine Abwicklung über jurisdiktionelle Grenzen hinweg auch weiterhin kaum realisierbar scheint.53 Die Kritiker halten die Reformen für ein zweischneidiges Schwert: Während das neue Regime gut für das Handling strauchelnder Institute in Fällen moderater Krisen sei, sei es für den Umgang mit schweren, systemischen Krisen unzureichend – da gleichzeitig die Reformen die Interventionsmöglichkeiten von Regierungen durch Bail-outs einschränken, seien die Krisenlösungsoptionen für solche schweren Fälle nun eingeschränkter. Eine detaillierte Darstellung der zahlreichen Verbesserungsvorschläge aus dem dritten Lager bietet das Expertenpanel um Philippon und Salord.54 Die Autoren sehen im Regime der EU einen erheblichen Fortschritt gegenüber dem Status vor der Krise – allerdings sei dies ein niedriger Maßstab, und aus ihrer Sicht bleibt einiges zwingend zu verbessern, damit das prinzipiell gut angelegte System auch in der Realität funktionieren könne. Die Autoren machen für das EU-Regime 16 Vorschläge zur Verbesserung, deren grundlegende Ansatzpunkte wir hier zusammenfassen: • Frühzeitige, rechtzeitige Abwicklung: In der Vergangenheit und auch in einigen Fällen seit der Finanzkrise seien Entscheidungen über die in Frage stehende Insolvenz eines Instituts häufig aufgeschoben worden, was dann später zu erheblich höheren Kosten geführt habe. Dies müsse durch frühe und proaktive Intervention des SSM gelöst werden – hierfür sei aus Sicht der Autoren eine weniger stark politische Besetzung des SSM-Aufsichtsrates notwendig. • Weniger Diskretion bei der Anwendung der Bail-in-Regeln: Die Möglichkeiten einer aus öffentlichen Mitteln finanzierten Rekapitalisierung („precautionary recapitalisation“) sowie einer Ausnahme bestimmter Schuldner-Gruppen sollte durch klarere Vorgaben eingeschränkt werden.

52  Andreas R. Dombret, Failing or likely to fail? – Die europäische Bankenunion auf dem Prüfstand. Rede an der Hochschule der Deutschen Bundesbank, 21. 08. 2017, Hachenburg. 53  Malcolm D. Knight, The G20’s Reform of Bank Regulation and the Changing Structure of the Global Financial System, in: Global Policy 9 (2018), H. 6, S. 21 – 33; Metrick/ Rhee (Fn. 29). 54  Thomas Philippon/Aude Salord, Bail-ins and Bank Resolution in Europe. A Progress Report. Geneva Reports on the World Economy Special Report 4, 2017.

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• Bail-in-Kapital sollte nicht mehr direkt an Retail-Kunden verkauft werden dürfen, um die politischen Auswirkungen einer Abwicklung zu mindern. • Harmonisierung der Haftungskaskade zwischen allen Mitgliedstaaten: Da es signifikante nationale Unterschiede in der Umsetzung der BRRD gibt, führen diese in Abwicklungs- als auch in Insolvenzverfahren zu Unsicherheiten darüber, welche Schuldner nun Teil der Verlustmasse wären und welche nicht. • Aufsichtsbehörden sollten die Möglichkeit erhalten, die Nichterfüllung von Verbesserungsauflagen an Abwicklungsplänen durch MREL-Aufschläge zu sanktionieren. Eine zentrale Schwäche des SRM und der BRRD ist aus Sicht dieser und anderer Autoren die zu große Dezentralität und Divergenz in der Regelanwendung, was zu Lücken und Interpretationsspielräumen führt – die das Ziel eines glaubwürdigen, zuverlässigen Regimes unterminieren (können).55 11.  Fazit Sind die Reformen der Bankenregulierung seit der letzten Finanzkrise zu weit gegangen oder zu kurz gesprungen? Unsere Auswertung zeigt, dass die Meinungen hierüber weit auseinander gehen. Fassen wir daher zunächst die Unterschiede in den Bewertungen der drei Lager zusammen. Wenig überraschend sind Banken und ihre Verbände der Ansicht, dass die Regulierung zu sehr verschärft wurde. Mit zunehmendem Verblassen der Erinnerung an die Krise werden die Vertreter bei ihren Forderungen nach einer Rücknahme und/oder Entschärfung von Reformen selbstbewusster. Seit einiger Zeit nutzen sie die Evaluierungs-Initiativen der EU und der G20, um Korrekturen der Reformen in ihrem Sinne zu erreichen. Unabhängige Unterstützung erhalten sie dabei typischerweise eher selten – durch die Verbände selbst geförderte Studien haben wir hier bewusst außen vor gelassen. Allerdings gibt es im Detail durchaus auch unabhängige empirische oder theoretische Erkenntnisse, die gegen die eine oder andere regulatorische Vorgabe oder ihre spezifische Ausgestaltung sprechen. Diese sind jedoch eher die Ausnahme. Eine wesentliche Abweichung hiervon ist die prinzipielle Kritik an der zunehmenden Komplexität in der Regulierung. Diese Kritiker schlagen vor, die detaillierten, komplexen Regeln durch einfache, dafür aber auch stringente Regeln zu ersetzen (wie etwa eine 15% Leverage Ratio). Interessanterweise gibt es in diesem Systemwechsel-Ansatz Überschneidungen sehr diverser Lager – doch schon die Höhe der einfachen, neuen Kennziffern würde vermutlich einen Keil in diese vermeintliche Koalition treiben. 55 

S. auch Beck/Carletti/Goldstein (Fn. 24), 492.

Zu weit gegangen oder zu kurz gesprungen?

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Im Gegensatz dazu sind Politik und Regulatoren typischerweise diejenigen, welche die Reformen als ausgewogen ansehen – genau das war und ist schließlich ihre Intention. Für diese Einschätzung erhalten sie auch teilweise Unterstützung von unabhängiger Stelle aus manchen Think Tanks und Teilen der Wissenschaft; diese Vertreter erkennen an, dass viele der existierenden Lücken zumindest kleiner, teilweise sogar geschlossen wurden. Doch die Mehrheit der Experten und Wissenschaftler sieht die Reformen als zu kurz gesprungen an, wobei es zwei Färbungen dieser Einschätzung gibt. Die Vertreter der äußerst kritischen Haltung sehen in den Maßnahmen lediglich eine vorübergehende Stabilisierung eines nach wie vor grundlegend fragilen Systems im Interesse der international aktiven Großbanken. Die moderatere Färbung wünscht sich Erhöhungen der prinzipiell begrüßten Mindestanforderungen und sieht vor allem darin Probleme, dass die erreichten Reformen durch die starke Lobby aufgeweicht werden würden. Doch jenseits der Differenzen finden wir lediglich zwei Lager-übergreifende Gemeinsamkeiten. Zum einen erkennt nahezu jeder an, dass viel getan wurde und dass die Banken heute sicherer sind, als sie es vor der Krise waren (auch wenn dieses Relativ für viele kein Gütesiegel darstellt). Zum zweiten gibt es in allen drei Lagern zahlreiche Vertreter, die die hohe Komplexität der neuen Regulierung monieren. Allerdings weichen die Schlussfolgerungen der drei Lager dann wieder voneinander ab.56 Sie halten es in diesem Zusammenhang für eine Stärke des Systems, wenn es einfache und komplexe Vorgaben gibt. Aus ihrer Sicht geht es um die richtige Balance von komplexen und einfachen Instrumenten. Da ein Systemwechsel hin zu einem einfachen System momentan unwahrscheinlich ist, wird es in den kommenden Jahren voraussichtlich darum gehen, wie diese Balance aussehen sollte. Darüber hinaus sehen wir einen Minimal-Konsens des ersten und des dritten Lagers. Ihr kleinster gemeinsamer Nenner ist, dass die erreichten Reformen nicht aufgeweicht oder ausgehöhlt werden dürfen. Hierzu bedarf es eines Dreiklanges: • Alle bereits umgesetzten Standards sollten ausnahmslos und strikt angewendet werden, • keine neuen Lücken oder Aufweichungen eingeführt werden. • Die noch nicht umgesetzten Reformen sollten strikt umgesetzt werden – das betrifft im Bankenbereich vor allem die Umsetzung der Basel III-Finalisierung. Wie Véron feststellt,57 wich gerade die EU in der Umsetzung internati-

56  Beck/Carletti/Goldstein (Fn. 24), in: Blundell/ Cantillon/ Chizzolini (Hrsg.), Economics without borders. Economic research for European policy challenges, 2017. 57  Véron (Fn. 1), 62.

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Andreas R. Dombret und Roman Goldbach

onaler Standards seit der Finanzkrise zunehmend im Interesse ihrer Banken von den internationalen Vorgaben ab. So offensichtlich und machbar dieser Dreiklang klingen mag, so sehr glaubt die Mehrheit der unabhängigen Beobachter nicht daran, dass dies erreicht werden wird – denn sie sehen das politische Anreizsystem, das zur Deregulierung vor der Finanzkrise führte, als im Wesentlichen unverändert an. Das heißt, das Interesse von politischen Akteuren ist zwar groß, öffentlich für stringent beaufsichtigte Banken zu werben – doch Anreize bestehen, bei wichtigen (vermeintlichen) Detailfragen der Regulierung, den Interessen der Finanz­ industrie nachzugeben, da diese einer der wichtigsten Wahlkampf- und Parteienfinanziers bleiben und für die Förderung politischer Lieblingsprojekte gebraucht werden.58 Dies könnte für die Zuverlässigkeit des reformierten Systems vor allem deshalb problematisch werden, weil jede neue Lücke die Zuverlässigkeit des genau kalibrieten Risikoregulierungsansatzes schädigt, dessen Zuverlässigkeit davon abhängt, dass alle Risiken und alle auch noch so kleinen Teilschätzungen genau und nicht zu niedrig sind. Darüber hinaus wirkt es sich auch indirekt auf nachsichtige aufsichtliche (und/oder abwicklungstechnische) Entscheidungen aus59 und wird künftig die unbequemen makroprudenziellen Entscheidungen erschweren, die das Kreditwachstum eindämmen sollen.

58 

Calomiris (Fn. 9); Calomiris/Haber (Fn. 9). James R. Barth/Gerard Caprio/David S. Levine, Guardians of Finance. Making Regulators Work for us, Cambridge, 2012. 59 

Ignazio Angeloni and Roberto Ugena: Banks and the State: crisis management and state aid control in the banking union

Banks and the State: Crisis Management and State Aid Control in the Banking Union Ignazio Angeloni and Roberto Ugena Ignazio Angeloni and Roberto Ugena Banks and the State: crisis management and state aid control in the banking union

The 10th anniversary of the financial crisis, at about the time this page is written, offers another opportunity to reflect on that experience and on the policies that followed. The crisis elicited on both sides of the Atlantic the largest programme of public support to the financial sector since the 1930s. The regulatory overhaul that followed was equally unprecedented in scope and length: it lasted 10 years. The crisis reminded us that bank intermediation and credit markets are critical in determining economic outcomes, more than many economists had assumed.1 Most observers now agree that the support provided by the state, largely to banks, was decisive in preventing the sharp but comparatively brief slump of 2009 – 2010 from turning into something similar to the Great Depression.2 Here the agreement ends, however. What were the causes, the specific vulnerabilities that permitted the financial crisis to happen? What were the channels that transmitted it to the real sector? More importantly, is the reform package recently completed under the aegis of the G20 a sufficient answer to those weaknesses? Have we made the system safer, fairer and more transparent, as intended? Many questions regarding the design of bank regulatory frameworks revolve around the issue of the proper relationship between banks and the state in a modern market economy. Nowadays most banks in advanced economies are private companies, competing for profits in free markets on behalf of their owners. Yet, banks perform a variety of functions involving public interests: by transferring resources from savers to investors, by supporting the payment system and by facilitating the allocation and diversification of savings, they permit our economies, indeed our societies, to function. Prosperous banks and prosperous economies go hand in hand; safe banks transmit security to the economy, facilitating investment and growth. This “collective good” element justifies the regulatory 1  Ben Bernanke, The real effects of the financial crisis, Brookings Papers on Economic Activity, Fall 2018. 2  Nellie Liang/Meg McConnell/Phillip Swagel, Responding to the global financial crisis; what we did and why we did it, September 2018; downloadable from the website of the Brookings Institution (www.brookings.edu).

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protection that banks receive everywhere, in different forms and to different extents; it also implies a need for an effective framework to manage banking crisis. A central problem in building an effective safety net lies, as economists have long understood, in the fact that the effects of public support are ambivalent: while it protects banks from devastating crises, it also induces them to take on more risks, a mechanism known as “moral hazard”. Building an effective safety net requires benefits and potential drawbacks to be balanced over time and across a variety of circumstances. Europe, where the crisis was more long-lasting and the solutions more tentative and controversial, is also the place where views regarding the benefits and downsides of public support to banks are more divided and entrenched. The crisis sparked, as elsewhere, public outcries against bankers and bailouts; yet, the few recent cases of bail-in, where shareholders and creditors were asked to contribute to bank resolutions, triggered no less vehement protests. Europe’s multi-country framework adds a further dimension of complexity: the resistance to providing support to banks is compounded by concerns that this may result in undesired and uncontrolled resource transfers across countries. Our purpose in this contribution is to offer some reflections on the crisis management framework of the banking union. This framework acquired a stable configuration in 2016, with the entry into force of the EU Bank Recovery and Resolution Directive (BRRD). The BRRD has now been fully transposed in the legislation of all member states. Moreover, the Directive and the Regulation that governs the functioning of the Single Resolution Mechanism (SRM) have already lent themselves to some practical applications in specific cases of banking crises; there is thus already some experience on which to base a first assessment of the functioning of the framework. In these cases, the Single Supervisory Mechanism (SSM) with the ECB at its centre closely cooperated with the newly established European resolution authority, each within its own remit. The SSM perspective therefore offers a good vantage point for an assessment. In the next section we provide a brief overview of banking theory concepts relevant for the subsequent discussion. In section 2 we summarise in non-technical language the EU’s new legal framework governing bank failure and resolution. In section 3 we describe the few crisis cases handled so far under the new framework, concentrated in the period 2016 – 2018. Finally, in section 4 we put forth some personal views on how the current legislation could be improved.

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I.  Uniqueness and Fragility of Banks A key notion regarding banks stemming from economic analysis is that banks are both unique and fragile.3 They are unique among economic sectors in that they provide services essential for the proper functioning of all sectors of the economy. Banking is therefore inherently systemic and the output it produces (financial services and the related instruments) has, to some extent, the connotation of a public good. On where the unicity lies, views among economists diverge and have evolved over time. Certain functions that were once provided only by banks, such as retail payment services and the diversification of client portfolios, are now no longer unique to banks; they are being offered not only by other financial intermediaries but also, in some cases, by non-financial entities. The role of banks remains distinct, however, in that in their balance sheets they create liquidity out of illiquid – in fact, often non-marketable – assets. In doing so they provide the economy with the essential link between investment, which they finance, and the liquid instruments that are needed for the economy to function. Just to give an order of magnitude, in the euro area, institutions classified as banks account for some 85% of all liquid instruments usable directly or indirectly to perform payments.4 Banks are also unique because of the nature and the degree of the interrelation among them. For this reason, the banking sector is often referred to as a “system”. Interconnections within the banking system are both direct, because banks are linked to one another via bilateral exposures, and indirect, because a bank can be negatively affected by the loss of confidence in another bank. The existence of interconnection implies that market competition principles do not apply to banks in the same way as they do in other economic areas. If a firm fails in another economic sector – say, in the automobile industry – that failure benefits competing firms, because they increase their market shares. In banking, the negative effect of a competitor’s failure due to direct exposures to the failing bank or to other forms of externalities may outweigh the beneficial effect of the gain in market share. In extreme cases a chain of failures may occur, with potential knock-on effects for the system as a whole. Banks are also inherently fragile. Fragility stems from the fact that within their balance sheet they match illiquid assets with liquid liabilities.5 In their most 3  For comprehensive overview see Xavier Vives, Competition and Stability in Banking, Princeton University Press, 2016. 4  Ratio between bank deposits and M2 in the euro area at end-2017. Banks are involved in the final execution of the payment even when the technology is provided by another party; for example, a credit card company, a non-financial firm or an online platform such as PayPal. These transfers have a counterpart in a bank deposit movement. 5  Franklin Allen/Douglas Gale, Competition and financial stability, Journal of Money Credit and Banking, 2004; and Elena Carletti/Philipp Hartmann, Competition and stability; what’s special about banking?, ECB Working Paper Series 146, May 2002.

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typical form, liabilities take the form of deposits, which can be withdrawn from the bank on demand or at short notice. Deposit withdrawals are served by the bank fully as depositors come to the bank. However, at short notice withdrawals can be met only to a minimal extent, corresponding to the liquidity available to the bank; other assets cannot be liquidated quickly. The contractual commitment can therefore be met only if that demand is not exercised simultaneously by too many depositors. In a confidence crisis, every depositor has an incentive to withdraw first, and the bank may be subject to a run. No bank, even the most solid one, can resist a run on its deposits unless it receives outside support. The classic remedy to the inherent fragility of banks is the lender of last resort function of the central bank, codified by Walter Bagehot in the 19th century with reference to the Bank of England.6 The time-honoured “Bagehot doctrine” requires the central bank to lend freely (i.e. without limit) to illiquid but solvent banks, at a penalty rate and against good collateral. The underlying idea is that, in crisis situations, solvent banks may not receive enough liquidity from the market, and are therefore bound to fail; their failure, which wouldn’t happen in normal conditions, may trigger a chain reaction leading to failures of other banks with systemic consequences. The lender of last resort function avoids this and permits the market to return to normality. Central bank credit should be granted without limitation in order to shore up market confidence, on condition that the bank is solvent (otherwise the bank must be allowed to fail), at a rate above market level to discourage usage for arbitrage purposes, and against an adequate collateral guarantee to protect the central bank’s balance sheet. The underlying notion is that in crisis situations the money market may be trapped in what modern economists call a “bad equilibrium”, i.e. a competitive outcome in which solvent banks are brought to failure. Central bank intervention can bring the market back to a “good equilibrium” in which such failures are avoided. Since Bagehot’s time, his doctrine has provided a benchmark for central bank intervention in crisis situations. Virtually all central banks have adopted it in one form or another. The ECB, for its part, provides that “emergency liquidity assistance” (ELA) be supplied by the national central banks in the Eurosystem on their own books, to solvent banks, charging a penalty rate. ELA amounts are set at the discretion of NCBs, according to need, upon notification to the ECB; ECB authorisation is needed when volumes of liquidity granted are such that they may interfere with monetary policy operations7.

6 

Walter Bagehot, Lombard Street, 1873. “Agreement on emergency liquidity assistance” on the ECB website, May 2017 (https://www.ecb.europa.eu/pub/pdf/other/Agreement_on_emergency _liquidity _assistance_20170517.en.pdf; as consulted online on November 19, 2018). 7  See

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While valid as a benchmark, the Bagehot criteria need to be reinterpreted and adapted to concrete situations.8 There are several reasons why interpretation is needed, especially when the crisis is not limited to one institution, but extends to many of them and to the financial market as a whole. First, the determination of bank solvency ceases to be clear-cut. Asset values are abnormally depressed in crisis situations, deviating substantially from the levels expected to prevail over the longer run. Banks that are solvent when markets are normal can easily be deemed insolvent in an accounting sense during a crisis, because the asset values used in the assessment are exceedingly low. This presents a dilemma for the central bank when deciding whether to grant last-resort loans. Moreover, if last-resort loans are granted, collateral values tend to be depressed, limiting the support that can be given; in extreme cases, if financial markets become dysfunctional (that is, illiquid), the very notion of “good collateral” becomes blurred. On the other hand, if a bank possesses “good” collateral (meaning that it can be sold in well-functioning markets, albeit at a lower value), then that bank in principle would not need last-resort lending in the first place. All this suggests that there are no clear-cut or automatic ways of assessing the solvency condition. Sufficient flexibility should exist in the regulatory framework, permitting case-by-case judgement. Second, providing liquidity against collateral is not sufficient or even appropriate in more extreme or protracted crisis situations. Other forms of support, including capital injections, are typically used, notably during the recent crisis. Capital injections may be needed, for example, to support bank resolution.9 Bank resolutions are deep restructuring operations, involving the winding-down of the original entity and possibly the establishment of a new one with part of the balance sheet of the legacy institution. Resolution allows banks to continue to perform critical functions in the public interest. Resources in resolution are needed to cover both the losses incurred by the pre-existing entity and the recapitalisation needs of the new entity. Fresh capital can come from three sources: the bank itself, through bail-in of its shareholders and creditors; the rest of the banking system, through ad hoc injections or prepaid contributions to a resolution fund; and the taxpayer.10 Taxpayer support usually comes in the form of a backstop, to ensure that no funding gap can arise. In most of today’s resolution frameworks, 8  For example, the view of the U.S. Federal Reserve Board is presented in Brian Madigan, Bagehot’s Dictum in Practice, paper presented at the 2009 Federal Reserve Bank of Kansas City’s Annual Economic Symposium, Jackson Hole, Wyoming. 9  See the IMF Staff Discussion Paper by Giovanni Dell’Ariccia et al, Trade-offs in bank resolution, February 2018. 10  Though theoretically possible, fresh money is unlikely to come from third parties; certainly not for covering previous losses, but also, in all likelihood, for the capital needs of the resulting entity.

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including the European one, taxpayer money comes in only when other parties have contributed their share. Taxpayer contributions are also usually regarded as temporary, being refunded by the banks over time11. It should be noted, however, that permanent taxpayer involvement, while perhaps controversial for distributional reasons, does not violate economic principles. If the safety net, of which resolution is part, brings collective benefits, there is no reason of principle why taxpayers should not contribute a share. Even outside of resolution, major capital injections have typically been made in dealing with major crises involving risks for the whole banking and financial systems. This happened in the United States in the months following the demise of Lehmann, in several European countries during the recent crisis years, and in Japan during the “lost decade” of the 1990s, to name just three cases. Following the post-crisis reforms enacted under the aegis of the G20 through the Financial Stability Board (FSB), resolution frameworks tend to limit the recourse to public money as much as possible, even down to zero over time12. We suspect, however, that no matter how effective and thoroughly enforced these reforms may be, taxpayers will always stand as ultimate guarantors of financial stability, in extreme cases when other resources or remedies have been exhausted. Again, this should not necessarily be seen as conflicting with basic economic principles. To recap, some conclusions can be drawn regarding the design of effective bank crisis frameworks: 1. The Bagehot criteria should continue to provide the benchmark for central bank liquidity provision to illiquid banks. Solvency assessments should consider the uncertainties involved and be sufficiently flexible to take into account the specific characteristics of each crisis. 2. Moral hazard should be prevented first and foremost by sufficiently stringent prudential regulation and supervision13. We will not return to this precondition because it is beyond our focus. 3. Requirements should also be set for resolution purposes. FSB provisions regarding TLAC (“Total Loss Absorbing Capacity”) and European ones regarding MREL (“Minimum Requirement for Own Funds and Eligible Liabilities”) in fact foresee requirements sufficient to cover both past losses and the future recapitalisation needs of a going-concern bank that emerges from resolution. 11  At least for the part that is contributed to cover recapitalisation needs of the resulting entity. 12  Financial Stability Board, Key Attributes of Effective Resolution Regimes for Financial Institutions, October 2011. 13  A potential role of monetary policy in containing moral hazard by banks has also been suggested, e.g. by Raghuram Rajan, The two faces of liquidity, NBER Reporter 2018:3. Such role, however, remains controversial.

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4. When dealing with bank crises, the first line of defence should be provided by the creditors of the bank, according to a creditor sequence that depends on the intensity of the risks undertaken by creditors and their involvement in governing the bank. 5. Additional resources can come from the rest of the banking sector. This is because all banks benefit from a well-designed and effective safety net. This argument applies especially to deposit insurance and resolution funds. 6. For similar reasons, part of the support should be provided by taxpayer resources. The public sector intervenes most appropriately in the form of a backstop, for two reasons: because it can mobilise larger amounts of resources and because, among all stakeholders, taxpayers are least involved in the decisions and events that lead to banking crises. 7. The resolution framework should be complemented by effective normal insolvency procedures, to be used when the resolution conditions are not met. 8. Finally, taking into consideration the uncertainty inherent in all crises welldesigned regulations must always include safety valves, or elements of flexibility, that permit policymakers (central banks, resolution and liquidation authorities) to “deviate from the script” in reaction to extraordinary circumstances.

II.  The Union’s New Legal Framework The BRRD, fully in force since 2016, provides a common set of rules for the recovery and restructuring of failing banks in the Union, with the aim of ensuring that institutions are well prepared to endure financial stress. The new framework draws on nationally rooted approaches and combines them into a harmonised European framework aligned with the best international practice. The BRRD provides three distinct blocks of rules: the first ensures that banks are adequately prepared to survive potential crisis (‘preparation measures’); a second block provides the possibility to anticipate action (‘early intervention measures’); and the last block provides rules to actively manage and resolve failing banks (‘resolution measures’). 1. Preparation measures aim to ensure that institutions are adequately prepared to withstand a significant deterioration of their financial position and that resolution authorities possess adequate knowledge and are thus prepared to address any potential crisis situation in respect of that institution. Institutions are required to prepare, maintain and regularly update recovery plans, which set out the measures to be taken to restore their financial position14. Institutions remain responsible for recovery planning: they draw up and main14 

Recital 21 and Art. 5(1) of the BRRD.

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tain these plans on their own, and remain responsible for their implementation. However, prudential supervisors keep a close eye to ensure that the plans contain adequate arrangements and can be implemented quickly and effectively. On the other side, Union law also provides that resolution authorities in consultation with the prudential supervisors draw up resolution plans for each institution. Resolution plans provide resolution authorities with all the necessary information to identify the proper resolution actions that they must take when the conditions for resolution are met15. To ensure the plan’s effectiveness, it is also crucial to assess and ensure the institution’s resolvability. For this purpose, resolution authorities may require institutions to divest specific assets; restrict or prevent the development of new or existing business lines or the sale of certain products; or even change the legal or operational structures, amongst other measures. 2. The second block of rules relates to the so-called ‘early intervention measures’16, which are preventive actions which may be taken by the prudential supervisor in addition to the normal powers available to them17. Their objective is to prevent a detected weakness from materialising into a threat to the institution’s financial and economic soundness, hence avoiding situations where public authorities have no other choice than resolution. Examples include the possibility of temporarily working with the management body and senior management by requiring them to take a number of actions, replacing management altogether or appointing a temporary administrator. To tackle more delicate situations but with the same preventive aim, extraordinary public financial support may be provided to an ailing but still solvent bank as a precautionary measure to avoid its failure18. This aid can take the form of liquidity support (by providing a state guarantee to back liquidity facilities provided by the central bank or liabilities newly issued by the ailing bank) or even a capital injection (limited to injections necessary to address capital shortfalls established in the national, Union or SSM-wide stress tests, asset quality reviews or equivalent exercises conducted by the ECB, EBA or national authorities, but not to offset losses already incurred). State aid in this context can only be granted to prepare for the financial needs of a bank that would materialise if economic conditions were to worsen and does not trigger resolution of the bank. 15 

Recitals 25 – 26 and Art. 10 of the BRRD. Art. 27 of the BRRD et seq. 17  Admittedly, the current catalogue of measures available under the EIM framework overlaps to some extent with other ongoing supervisory powers, which might raise questions as to the framework to be followed, also to ensure the proportionality of prudential supervisors’ actions. 18  Art. 32(4)(d) of the BRRD. 16 

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3. The third block of rules concerns resolution action. Once an institution deteriorates to the point where it cannot be restored, the Union legal framework mandates that the institution be declared “failing or likely to fail” (FOLTF). At that point resolution measures are taken, provided that there is no other alternative measure19 that may prevent the failure of the institution within a reasonable timeframe, and that resolution action is necessary in the public interest. If these conditions are met, the resolution authority must implement one or more of the resolution tools available to them. A key power provided by the Union legal framework is that of writing down or converting capital instruments20. Such power can be exercised under the same circumstances as other resolution actions and enables resolution authorities to write down or convert principle amounts of CET1 (“Common Equity Tier 1”), AT1 (“Additional Tier 1”) and T2 (“Tier 2”) instruments to equity so that they may be used to recapitalise an ailing institution. The legal framework requires that resolution authorities exercise such power before any resolution action is taken 21. The write down procedure follows an order similar to the priority of claims under normal insolvency proceedings: first, CET1 items are reduced in proportion to the losses, followed by the write down (or conversion into CET1) of AT1 and, finally, of T2 instruments. The idea is to quickly restore the capital position of a bank whose business model on a stand-alone basis is deemed sustainable without further restructuring of its balance sheet. The framework provides for a number of resolution tools. The sale of business tool allows resolution authorities to transfer to a purchaser (which is not a bridge institution) shares, or other instruments of ownership, issued by the institution under resolution as well as its assets, rights or liabilities. This tool is subject to procedural safeguards including, for example, a requirement to conduct the sale in an as-transparent-as-possible manner or not to favour, or discriminate between, any purchasers. The overall objective of this tool is to maximise the sale price of the instruments, assets, rights or liabilities involved. The bridge institution tool empowers resolution authorities to transfer to a bridge bank shares or other instruments of ownership issued by the institution under resolution as well as its assets, rights or liabilities. A bridge bank is defined as a legal person which is wholly or partially owned by one or more public authorities, and which was created for the sole purpose of holding the instruments of 19  This means that the following actions can no longer restore the institution’s financial position: (a) alternative private sector measures, including measures by an IPS (“Institutional Protection Scheme”); (b) alternative supervisory actions, including EIMs (“Early Intervention Measures”); or, (c) write down or conversion of relevant capital instruments. 20  Art. 59 of the BRRD. 21  Art. 59(3)(a) of the BRRD.

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ownership issued by institutions under resolution (or their rights and liabilities). The objective here is to ensure that (i) essential financial services continue to be provided to clients of the failing institution, and (ii) essential financial activities continue to be performed. The asset separation tool enables resolution authorities to transfer assets, rights or liabilities of an institution under resolution, or of a bridge institution, to one or more asset management vehicles22. The legal framework defines an asset management vehicle as a legal person that is wholly or partially owned by one or more public authorities created for the sole purpose of receiving and holding the assets, rights and liabilities of an institution under resolution (or a bridge bank). Following such a transfer, the asset management vehicle manages the assets transferred to it with a view to maximising their value in the event of a sale or orderly wind down 23. Finally, in order to fund resolution actions, the bail-in tool enables resolution authorities to sequentially impose the losses and costs arising from the failure of the institution upon shareholders, subordinated creditors and senior creditors. This makes it possible for the bank to absorb losses, to recapitalise the bank (if still viable) or to reduce the liabilities being transferred to a bridge bank24. To protect creditors’ fundamental rights, bail-in is subject to the ‘no creditor worse off’ and ‘pari passu’ principles; in other words, creditors whose claims are reduced as a result of resolution should not suffer a greater loss than they would have in the case of ordinary insolvency25, a principle guaranteed by valuing the institution before applying the tool26, and creditors within the same class should be treated in the same way. This tool can be used either with the objective of restoring the capital of the failing institution, enabling it to continue operating as a going concern, or when systemically important services are transferred to a bridge institution to contribute to its capitalisation.

III.  Recent Experiences After the enactment of the new rigorous paradigm introduced by the BRRD, a handful of banking crises have been dealt with under the new framework; a quick review of these experiences can help highlight its strengths and weaknesses. The

22 

Art. 42, and recital 66, of the BRRD. Art. 42(3) of the BRRD. 24  EUROPEAN COMMISSION, Impact assessment accompanying the BRRD proposal, SWD (2012) 166 final, 6 June 2012, page 129. 25  See BRRD impact assessment page 63, point (iii), and Art. 34(g) of the BRRD. 26  See Recitals 51 – 52 of the BRRD. 23 

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diverse nature of these experiences evidences the need for a pragmatic and flexible application of the rules. 1.  Full Application of BRRD Resolution Rules: The Case of Banco Popular Español Banco Popular Español (BPE) was the first bank under the direct supervision of the ECB to be declared FOLTF and resolved by the SRB. BPE was the sixth largest credit institution in Spain, and had several subsidiaries in the euro area. The bank had long-standing problems with non-performing assets, which it was in the process of remedying. Its financial situation changed significantly over the first half of 2017 as a result of various events. The persisting uncertainty regarding the asset quality and, consequently, the capital position of the bank, followed by several downgrades of the bank’s credit rating, connected to the inability of the management to regain market confidence, led to a loss of market trust and reputation which in the end caused a massive withdrawal of deposits. BPE explored a merger with a stronger competitor and launched a private sale process in April, but negotiations were unsuccessful. The speed at which liquidity was being lost from the bank and the inability of the bank to generate further liquidity led the ECB to determine, on Tuesday 6 June 2017, that the bank was FOLTF, as it was likely in the near future to be unable to pay its debts or other liabilities as they fell due27. The SRB successfully concluded overnight a marketing process in application of the sale of business resolution tool as contemplated in the resolution scheme endorsed by the Euro­pean Commission. The resolution scheme also ordered the cancellation of existing CET1 and AT1 instruments and the conversion of existing T2 instruments into e­ quity to cover losses, and prescribed the sale of BPE to Banco Santander for EUR 1. BPE could therefore continue operating as part of the Santander banking group. BPE was the first resolution case in the remit of the SRB. It was also the first and only case so far in which the SRB considered that a resolution action would be in the public interest. This first test of the BRRD crisis framework was successful in terms of executing the resolution scheme. The supervisory approach together with the actions taken by the SRB and the national resolution authority proved sufficiently decisive to preserve financial stability, protect the deposits and remaining senior liabilities and avoid the disruption of the critical functions of the bank. The authorities involved in the process were capable of delivering within a very strict timeframe; while usually banks are resolved over a resolution weekend, BPE was resolved overnight during the week, with no disturbance to its functions. There was no state aid or bail-in of senior creditors. 27 

Art. 32(4)(c) of the BRRD.

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Two further points should be noted in connection with this case. Firstly, for prudential authorities this case reveals that though significant liquidity outflows may persist for months, the liquidity coverage ratio (LCR) only requires that banks are able to hold assets for 30 days of severe outflows. Clearly, LCR is no panacea when trust in a given bank is lost and additional liquidity monitoring tools must be put in place by supervisors in stress situations. Secondly, from the perspective of the resolution authorities, this case also shows the need for them to have recourse to enough liquidity to ensure that resolution actions can be implemented without disrupting the critical functions of the bank. The business sale tool may provide for seamless transition of the resolved bank back to business on the day after the resolution. Nevertheless, it depends heavily on the existence of a buyer, who must be ready to cover liquidity, as the bail-in tool does not bring about liquid funds but only serves to strengthen the capital position of the bank. 2.  Monte dei Paschi di Siena: A Case for Preventive Action by the State In 2016 Monte dei Paschi di Siena (MPS) was the fourth largest Italian bank. Between February and July 2016 MPS, as other banks, was subject to the EUwide stress test undertaken by the EBA. MPS passed the test under the baseline scenario but had a major shortfall of capital in the adverse scenario. In order to deal with its asset quality issues and the shortfall of capital revealed by the stress test, MPS embarked on a plan consisting mainly of the sale of its bad loan portfolio and an increase in its own funds to be achieved through different capital generation measures. Due also to adverse market confidence at the time, the plan soon appeared to be failing. Benefitting from the possibility offered by the BRRD, as mentioned above, of a so-called precautionary recapitalisation, MPS requested (and eventually obtained in 2017, for an overall amount of € 5.4 billion) public support to preventively strengthen its capital. In this context and as foreseen by the BRRD framework, the ECB as prudential supervisor concluded that the bank was solvent as it complied, based on recent balance sheet data, with the applicable Pillar 1 minimum capital requirements. The European Commission, on its part, confirmed that the measure was needed in order to remedy a serious disturbance in the Italian economy and to preserve financial stability. To avoid the public support being used to offset losses already incurred, it was confined to the amount of the shortfall revealed in the adverse scenario of the stress test. Finally, to make it compatible with the internal market, the Commission 28 requested under its powers from the 28  C(2017) 4690 final, State Aid SA.47677 (2017/N) – Italy New aid and amended restructuring plan of Banca Monte dei Paschi di Siena, http://ec.europa.eu/competition/elo-

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state aid control perspective29 that burden sharing measures were also implemented. 3.  The Venetian Banks: Back to National Regimes and Public Support for Liquidation The failure of Banca Popolare di Vicenza S.p.A. and Veneto Banca S.p.A. was the result of structural deficiencies due to weak governance and lenient or distorted lending policies, and consequently poor asset quality, which led to continued efforts to raise capital over time, pushing the banks, in the absence of investor appetite, to finance the purchase of own shares by their clients. This illegal practice, which came to light following ECB on-site analyses, led to further solvency damages and reputational damage. In spite of a recapitalisation led by Atlante, an Italian private rescue fund, the financial position of both banks deteriorated further in 2017, ultimately resulting in a combined need for capital that the banks were not in a position to cover internally or to tap from the markets. Once it became clear that the banks were non-viable (another condition under which FOLTF must be declared by the supervisor), the ECB issued its FOLTF decision. Unlike in the case of BPE, the SRB concluded that there was no public interest in the resolution of these two banks, thus activating the application of the Italian regime to liquidate banks. Subsequently, the two banks were put under compulsory administrative liquidation. In this context, liquidation aid was made available by the government to support the sale of parts of the activities of these banks to Banca Intesa Sanpaolo30. The European Commission found these measures to be in line with EU state aid rules, in particular given the losses borne by shareholders (mainly Atlante) and subordinated debtholders. The solution adopted in the cases of these banks calls into question a building pillar if the BRRD as a crisis management framework: the goal of avoiding bailouts. The use of public funds outside the BRRD is still possible, as this experience exemplifies. The authorities involved faced some challenges in explaining the different notions of “public interest” which made it possible to consider, on the one hand, that resolution was not required as the same objectives could be achieved under the national liquidation regime, and, on the other hand, that there jade/isef/case_details.cfm?proc_code=3_SA_47677 (as consulted online on November 19, 2018). 29  Art. 107(3)(b) of the Treaty of Functioning of the European Union. 30  Intesa San Paolo acquired a big portion of the performing assets of the Venetian banks and assumed some of their liabilities, most notably deposits and senior debt. Intesa paid a symbolic sum of € 1 for the acquisition and benefitted from a € 4.8 billion cash injection by the Italian state.

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was enough public interest for the state to intervene with public funds in support of the liquidation process. The concept of liquidation aid itself, although possible under the state aid framework, poses additional hurdles as it makes it difficult to demonstrate that creditors would be worse off in a hypothetical liquidation scenario. 4.  ABLV: The Misalignment Between the BRRD and the (Still National) Insolvency Regimes The case of ABLV illustrates how fast the situation of a seemingly healthy credit institution can deteriorate as a consequence of events which occur outside the realm of prudential supervision stricto sensu. ABLV was a small Latvian significant institution31 under the prudential supervision of the ECB. On the basis of its financial situation (capital ratios and liquidity parameters), it appeared to be in good standing. Its business model was, however, exposed to money laundering risks and possible circumventions of financial sanctions. Anti-money laundering supervision, as well as counter-terrorist financing supervision, are not competences of the ECB, but remain national.32 On 13 February 2018, the Financial Crimes Enforcement Network (FinCEN), an agency of the United States Treasury, released a “notice of proposed rulemaking” (NPRM) in which it named, using strong language, ABLV as an “Institution of Primary Money Laundering Concern”. This measure did not, legally, impose sanctions on ABLV under US law but rather initiated public consultations as to whether such sanctions should be imposed. Nonetheless, depositor and market confidence dwindled very rapidly as a consequence of the NPRM. Depositors began to withdraw their funds in large amounts, correspondent banks terminated or suspended their cooperation with ABLV, and custodian banks and central counterparties restricted access to securities that ABLV held with them. This created a sudden liquidity shortage for ABLV, first in US dollars and shortly thereafter also in euro. In response to these developments, a moratorium was imposed in order to bring the outflows to a halt and provide ABLV with time and “breathing space” to find a solution to its liquidity problems which would allow the resumption of normal operations once the situation stabilised. Under this moratorium, ABLV embarked on a strategy aiming to address this liquidity shortage, but ultimately without success. On 23 February 2018, after five days of the moratorium being in place, it became clear that ABLV would be unable to pay its liabilities as they fell due. The ECB therefore declared ABLV to be FOLTF, and shortly thereafter the SRB determined that there was no public 31  32 

Balance sheet total EUR 3.7bn end of 2017. See recital 28 of the SSM Regulation.

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interest in the resolution of ABLV. Similar decisions were made with respect to ABLV LU, the Luxembourg subsidiary of ABLV. These decisions put both the parent and its subsidiary in an odd situation. Owing to the lack of public interest, resolution proceedings could not commence, and nor could normal national insolvency proceedings. As there were insufficient grounds for insolvency or for withdrawing ABLV’s banking licence under Latvian law, which differs from the definition of FOLTF grounds in the resolution regime, the parent remained in a “limbo” situation, which came to an end only as a result of ABLV’s decision to self-liquidate. As for the subsidiary, on 9 March 2018, the Luxembourg District Court rejected a request to place ABLV LU in liquidation but confirmed the suspension of payments in force since 19 February 2018. In its judgement, the Court appointed two administrators to control the management of the bank’s assets. The example of ABLV demonstrates the consequence of the resolution and insolvency regimes not being aligned with each other: the risk of undesirable states of suspense for banks which are unviable under one regime but not yet under the other. It also illustrates the need for stronger European harmonisation and cooperation in this regard, which the ECB, within its prudential supervisory role, cannot provide. 5.  The Treatment of “Legacy Cases”: Another Example of How to Escape BRRD Rules Lastly, it is worth recalling the specific treatment given to banks which underwent some kind of restructuring before the enactment of the BRRD and which faced difficulties at a later stage. In such cases, the European Commission has taken the view that BRRD rules should not govern the treatment of subsequent episodes of crisis, but that the previous national regime should apply. The latest of these cases, Cyprus Cooperative Bank Ltd (CCB), should suffice to illustrate the point. CCB was the second largest bank in Cyprus and from November 2014 was subject to the ECB’s direct supervision. Following a first recapitalisation of the bank with state aid already in February 2014 (before the BRRD was in force) and a major restructuring which was part of the assistance programme for Cyprus, the state became the major shareholder of the bank (99 %). The bank was further recapitalised with additional public funds in December 2015 on the basis of certain conditions agreed with the European Commission. The persisting negative financial position of the bank, related notably to a high level of non-performing assets, at the end of 2017 led to severe deposit outflows. CCB announced on 19 March 2018 its intention to sell part or all of its business to strategic investors. The sale process was facilitated by additional public support

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in the form of a public sector deposit of € 2.5 billion, matched, on the same day, by a roughly equivalent purchase of Cypriot government bonds through a private placement. This form of support, not contemplated by the BRRD, was approved by the European Commission because it was considered part of the restructuring process initiated in 2014. In this respect, the treatment of CCB was designed and carried out under the national framework in place in February 2014, prior to the entry into force of the BRRD.

IV.  Conclusions A key conclusion from our discussion is that the bank crisis management framework should, first and foremost, ensure a proper balance between rigour (safeguarding sound economic principles and incentives) and flexibility (ability to respond to changing circumstances and specific cases). By this yardstick, the new European framework, while bringing in many important new elements, can still be improved. The existing framework strives to respect market and competition principles, notably by ensuring that public support is provided only to solvent banks and only when collective interest is involved. Undue advantage for individual banks is to be avoided. The solvency assessment by the supervisor plays a crucial role here. The assessment should be forward-looking; a static judgement would be inconsistent with economic logic and also contradict the legislation, because the notion of FOLTF is inherently future-based. Forward-looking solvency ought to be assessed in normal economic conditions, looking beyond temporary situations in which market distress may negatively impact the viability of credit institutions. This requires judgement on the part of the supervisor and flexibility in the methodology applied. All this appears possible if the existing rules are applied properly. Conversely, there are elements of the existing rules which should be interpreted flexibly or removed altogether. The requirement that state support be provided to a going concern bank only “in order to remedy a serious disturbance in the economy of a Member State and preserve financial stability” (Art. 32.4.d) should be interpreted as encompassing cases where financial instability has not yet materialised, but may occur in the absence of such support. Moreover, the strict limitations to the way in which liquidity support can be provided – Art. 32.4.d(i) and 32.4.d(ii) of the BRRD – imply unnecessary restrictions in our view. A second set of issues arise due to the disconnection between the state aid framework clarified by the Commission in 2013 and the BRRD. Effective resolution requires a coherent liquidation regime to provide a fall-back when resolution is not applied. The existing framework allows liquidation aid to be provided nationally, outside the BRRD principles, and encompasses liquidation regimes

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which follow national rules and are not harmonised across countries, but are only subject to the scrutiny of the Commission under the state aid rules. The public support provided through this channel does not ensure a level playing field and creates an incentive to elude the European resolution regime. It also creates uncertainty about the losses that creditors would incur under liquidation, hence making it more difficult to apply the resolution framework (which requires that no creditor be worse off than in a standard insolvency) in a consistent way. The SSM Regulation presupposes that significant banks, i.e. banks that have area-wide importance due to their size, their systemic interconnection or their importance for a national economy, are supervised at European level. This does not seem consistent with them being liquidated, on a regular basis, nationally with public support. A third issue regards funding. European resolution funding is provided by the Single Resolution Fund, administered by the SRM. The Fund, however, is insufficient in size, especially until it has been fully filled. Negotiations to provide a European backstop via the European Stability Mechanism are promising but had not been concluded at the time of writing. Lack of funding, compounded by complexity in the use of funding, limits the credibility of the framework. Deposit insurance is another important element in this context. A deposit guarantee is normally the last element involved in providing support to resolution funding, because insured depositors are highest in the creditor hierarchy. Nonetheless, all international comparisons and experience suggest that protection of retail depositors is a key feature of any well-designed banking framework. One of the reasons why banking integration has not progressed enough in the five initial years of the SSM is that the lack of uniform and shared deposit protection induces ring-fencing of capital and liquidity by countries hosting subsidiaries. This prevents efficient cross-border banking and hinders the functioning of the banking union.

Chiara Zilioli: Proportionality as the organising principle of European banking regulation

Proportionality as the Organising Principle of European Banking Regulation Chiara Zilioli* Chiara Zilioli Proportionality as the organising principle of European banking regulation

I.  Introduction The impact of the principle of proportionality in shaping Union banking regulation may not be immediately apparent. This article aims to demonstrate that proportionality plays a crucial role in banking regulatory drafting and regulatory implementation, raising new questions concerning the dynamics of the banking union. After briefly exploring the main elements of the proportionality principle that may have specific relevance in banking regulation, the article will analyse the reasons why the European Court of Justice (ECJ), when assessing the application of the proportionality principle in different contexts, may appear to use different parameters (II.). It will then proceed to address the question of how to apply proportionality, in the banking union, to the three different regulatory levels (Union legislative drafting, national implementing legislation and technical implementing regulation by the euro area supervisor) and to the level at which individual administrative measures are adopted (III.). Finally, a brief overview of the role of the principle of proportionality in recent case-law on banking supervision will be provided (IV.). This article will conclude that the proportionality principle is far from being monolithic and that it is a particularly important principle in the context of banking regulation and implementation, given the application of its different dimensions (Article 5(4) TEU, Article 52 of the Charter of Fundamental Rights of the European Union and the jurisprudential interpretations of the general principle, which also binds the Member States)1 to the multiplicity of levels of governance and actors, a number of which have overlapping competences. It will also argue that the proportionality principle has the potential to introduce new developments, in particular in terms of limiting national discretion in order to serve the primary interest of realising the single market. *  Chiara Zilioli is Director General Legal Services of the European Central Bank and Professor of Law at the J. W. Goethe Universität Frankfurt. The views expressed here are those of the author and do not necessarily reflect those of ECB or the Eurosystem. 1 See Trstenjak, Verica/Beysen, Erwin, Das Prinzip der Verhältnismäßigkeit in der Unionsrechtsordnung, EuR 2012, pp. 265, 266.

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II.  The Proportionality Principle: Main Elements and Different Tests The principle of proportionality occupies a central position in contemporary public law.2 It is deeply rooted in the notion of a pluralistic legal order, as it allows for the reconciliation of the various foundational principles of the constitutional order of a State. Because of its peculiar status as a conflict rule among different principles, proportionality could even be categorised as a ‘super-principle’. It is the key to maintaining a legal order that maximises the protection of each of its objectives, while granting higher ranking to some of them, and it is relevant for every expression of sovereign power. This is why proportionality should be duly taken into account in the adoption of legislation: as it is nearly impossible to enact a general norm without touching upon one or more constitutional principles, the legislator is more often than not called upon to strike a balance between the different interests at stake. The need for proportionality is of course more obvious in cases where legislation has a strong impact on the lives of citizens: limitations on fundamental rights must be more strongly justified than limitations on rights of lesser importance. While the legislator is empowered by the citizens to adjudicate between conflicting rights and interests, possibly setting limitations on their exercise or on their pursuit, this discretion is limited precisely by the obligation to ensure respect for fundamental principles and for the objectives of the legal order by carrying out a balancing exercise to ensure that the limitations imposed are not disproportionate and to guarantee that no constitutional principle is entirely disregarded. In the event of conflict between different objectives and principles of Union law, proportionality offers an invaluable method of review.3 Proportionality comes equally into play in relation to the exercise of administrative activity. The degree of discretion that the administrative authority has been granted for adopting executive decisions needs to be exercised so as to balance as much as possible different, and sometimes conflicting, rights and needs. In exercising its discretion, the administrative authority, which is not unlikely to be the regulator, is required to balance the different principles and objectives of the legal order and to find the best solution for the common good4 where there is conflict between them.5 2 See Barak, Aharon, Proportionality: Constitutional Rights and Their Limitations, Cambridge University Press (2012), pp. 178 et sequ., for an account of the diffusion of the principle of proportionality from the German legal system to other European as well as non-European ones. 3 See Kaiser, Karen, The objective of price stability and the principle of an open market economy: what trumps?, ESCB Legal Conference (2018), pp. 26 – 35, available on the ECB’s website at https://www.ecb.europa.eu/pub/pubbydate/2018/html/index.en.html (last accessed on 7 January 2019).

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Finally, the proportionality compliance check is carried out by the courts, at different levels, when an individual decision or a legal act is challenged as unduly, i.e. disproportionately, affecting a fundamental right, a principle or an objective. The proportionality control is potentially relevant for any court; however, the relevance of constitutional courts in its development cannot be overlooked. Indeed, the balancing of competing fundamental principles is a very apt definition of the very task of a constitutional court. The underlying legal tradition and the context of the scrutiny may greatly influence the structure and strictness of the proportionality control, as the judicial authorities abide by a greater or lower degree of self-restraint.6 In any event, whatever the degree of self-restraint shown, when discretion is granted to the administrative authority or the legislator, the judiciary is usually wary of substituting its own assessment and the threshold applied for a proportionality check is closely linked to that applied in respect of the existence of a manifest error.7 45

It may be concluded that compliance with proportionality is an important prerequisite for the making of legitimate decisions not only at legislative level but 4  In this sense the common good is the medium term one, which implies the balancing of the immediate common good and the individual right that could be violated. 5  There is a discussion in the doctrine (with different positions in the English and German doctrines) on whether Union institutions are bound by the proportionality principle asserted in Article 5(4) TEU only when they exercise legislative competences or also when they adopt technical decisions. See Trstenjak, Verica/Beysen, Erwin (note 2), p. 267 and its notes 9 and 10. In my view it is difficult to argue that a general principle, which talks of the use of Union competences (Article 5(1) TEU, second sentence) should be limited to legislative activities and not apply to the exercise of administrative powers. 6  With regard to the Italian Constitutional Court, Cartabia argues that the proportionality test is mostly carried out implicitly and in connection with the control over reasonableness, in order to show proper deference to political decision making. The German system, on the other hand, is based on a more structured approach, made up of four components: proper purpose, rational connection, necessary means and proportionality stricto sensu. See Cartabia, Marta, I principi di ragionevolezza e proporzionalità nella giurisprudenza della Corte Costituzionale. Italiana, in: Atti della conferenza trilaterale della Corte Costituzionale italiana, portoghese e spagnola (2013), available at http://www.cortecostitu zionale.it/documenti/convegni_seminari/RI_Cartabia_Roma2013.pdf (last accessed on 4 January 2019); and Grzeszick, Bernd, Article 20 VII, in: Maunz, T./Dürig, G./Herzog, R. (eds.), Grundgesetz-Kommentar, 48th supplement (2006), paras. 110 – 120; Stern, Klaus, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, vol. III/2 (1994), para. 84; Clérico, Laura, Die Struktur der Verhältnismäßigkeit, (2001); Grabitz, Eberhard, Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Archiv des öffentlichen Rechts, Vol. 98, No 4 (1973), pp. 568 – 616; BVerfGE 80 137 (159 – 161); ­BVerfGE 65 1 (54). 7 Judgment of the ECJ of 11 December 2018 Weiss and Others C-493/17, ECLI:EU:C:2018:1000 para. 24. The situation is different in the context of violation of fundamental rights. See Jarass, Hans D., Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Kommentar, (2016), Art. 52, paras. 46 and 47.

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also at administrative level, and in the adoption both of general regulatory acts and of individual decisions with identified addressees, and it is of paramount importance that such compliance may be scrutinised via judicial review. How does the proportionality principle operate in the legal system of the Union? It is immediately apparent that a further level of complexity must be taken into account, i.e. the plurality of interlinked jurisdictions and of power-holders. This is why the ECJ may be called upon to assess proportionality in different scenarios: first, in a horizontal situation, a proportionality check may be applied to Union measures, of both regulatory and individual nature, adopted by Union institutions; and second, in a vertical situation, the proportionality of State measures falling within the scope of Union law may be assessed. From a historical perspective, it is worth pointing out that the proportionality principle was enunciated by the ECJ long before its explicit inclusion in positive law. It made its first appearance in a horizontal situation.8 However, it was the vertical dimension that proved to be more fertile ground for its development, particularly as regards the construction of the internal market.9 The principle was then included in Article 5 of the Treaty of Maastricht, which first enshrined subsidiarity and proportionality in the legal order of what was then the European Community, albeit focusing on the proportionality of the actions of the Community. In this respect, it is useful to recall that, in the Union legal order, proportionality is a principle regulating the action of institutions within the scope of their conferred powers, and not the conferral under the Treaty of those powers.10 Therefore, it impacts, on the one hand, upon the content of the action in relation to the legal basis and, on the other hand, upon the means chosen, which must not go beyond what is necessary to achieve the objectives of the Treaty. This is what the German doctrine calls competency-related proportionality, which constitutes an obligation for the Union institutions.11 Thereafter, with the entry into force of the Lisbon Treaty, individual rights-related proportionality found its place in primary law in the form of Article 52 of the Charter.12 Because of the high level of protection granted to fundamental 8 Judgment

of the ECJ of 17 December 1970 Internationale Handelsgesellschaft C-11/70, ECLI:EU:C:1970:114 para. 12. 9 See, inter alia, judgment of the ECJ of 20 May 1976 De Peijper C-104/75, ECLI:EU:C:1976:67 para. 17 et sequ.; judgment of the ECJ of 10 July 1984 Campus Oil C-72/83, ECLI:EU:C:1984:256 para. 37; judgment of the ECJ of 4 February 1988 Commission v United Kingdom C-261/85, ECLI:EU:C:1988:57 para. 12. 10  On this issue, see the opinion of Advocate General Hogan of 5 December 2018 in Landeskreditbank Baden-Württemberg C–450/17 P, ECLI:EU:C:2018:982 para. 57: ‘The principle of proportionality cannot… be invoked to devolve a Union competence on the Member States or vice versa’. 11 See Bast, Jürgen, Grabitz/Hilf/Nettesheim/Bast, EUV Art. 5 Rn. 66 – 68.

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rights, the intensity of the control of the Court over this type of proportionality is particularly high. 12

It is, however, necessary to add to these two legislative dimensions a third: that of jurisprudential origin. In this dimension, proportionality is a general principle, which also binds the Member States, including in their exercise of implementing powers, prohibiting them from going against the objectives of the Union or of the Union legislation they are implementing. The ECJ has stated that proportionality imposes limits on the restrictions a Member State can impose on the basis of national security or public safety.13 It has also stated that ‘in accordance with the principle of proportionality, which is one of the general principles of EU law, the measures taken to transpose Directive 2003/109 must be suitable for achieving the objectives of that provision and must not go beyond what is necessary to attain them. Therefore, while it is open to Member States to make the issue of residence permits under Directive 2003/109 subject to the levying of charges, nevertheless, in accordance with the principle of proportionality, the level at which those charges are set must not have either the object or the effect of creating an obstacle to the obtaining of the long-term resident status conferred by that directive, and also of other rights which stem from the granting of that status, since both the objective and the spirit of that directive would otherwise be undermined’.14 The ECJ has also taken the stance that national measures must comply with the general principles of law, such as proportionality, which requires that the measures are appropriate for attaining the objective pursued and do not go beyond what is necessary to achieve it and that if the competent national authority decides to attach restrictions or requirements to the approval of a proposed acquisition, those restrictions cannot be based on a criterion that is not among those set out in the relevant directive, nor can they go beyond what is necessary in order for the acquisition to satisfy those criteria.15 Furthermore, Advocate General Hogan has stated that ‘the legislator has established a legislative scheme that needs to be respected and which envisages the conditions under which the banks are qualified as significant, and that the principle of proportionality cannot be deployed in a manner which would effectively undermine the effet utile of the legislative scheme.’16 12 See

Jarass (note 7). the judgment of 28 October 1975 Rutili v Ministre de l’intérieur C-36/75, ECLI:EU:C:1975:137. 14 See the judgment of 2 September 2015 CGIL and INCA C-309/14, ECLI:EU:C: 2015:523, para 23 and 24, which also quote the Judgment of the ECJ of 26 April 2012 Commission v Netherlands, C 508/10, ECLI:EU:C:2012:243 para. 75 and 69. 15  See the judgment of 25 June 2015 CO Sociedad de Gestión y Participación and Others C-18/14, ECLI:EU:C:2015:419. 16  See Advocate General Hogan’s Opinion of 5 December 2018 in Landeskreditbank Baden-Württemberg (note 10). 13 See

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Because of this case-law, the doctrine recognises that proportionality also imposes obligations on Member States,17 and not only on the Union institutions, which go beyond the protection of fundamental rights. The application of the principle of proportionality across the ECJ’s case-law has not always been completely uniform. As a matter of fact, many scholars have already highlighted that the intensity of the review18 varies significantly between different strands of the case-law.19 It has been argued that a stricter, more structured, proportionality test is usually applied when the ECJ examines national measures falling within the scope of Union law, whereas a lighter one is usually applied to Union measures. This shows that the proportionality check is not monolithic, but applies differently to different levels of legislation, regulation and decisions. In vertical situations, the ECJ favours a three-pronged approach: it assesses whether the measure is (i) suitable,20 (ii) necessary to achieve the objective,21 and (iii) the least restrictive means available to achieve the objective.22 Even at first glance the last limb of the proportionality test appears a very strict parameter.23 17 See Villani, Ugo, Istituzioni di diritto dell’Unione europea, 2016, pp. 86 and 265, who considers that the violation of the principle of proportionality by Member States (within the scope of application of Union law) represents an infringement that the ECJ is entitled to review. 18  See part IV below. 19  Tridimas, Takis, The General Principles of EU Law, 2nd edition, Oxford University Press (2007), Chapters 3 and 5; von Danwitz, Thomas, ‘Thoughts on Proportionality and Coherence in the Jurisprudence of the Court of Justice’, in Cardonnel, Pascal, Rosas, Allan and Wahl, Nils (eds.), Constitutionalising the EU Judicial System: Essays in Honour of Pernilla Lindh, Hart Publishing (2012); Sauter, Wolf, Proportionality in EU Law: A Balancing Act?, in: Cambridge Yearbook of European Legal Studies, Vol. 15 (2013), p. 445; Craig, Paul, EU Administrative Law, third edition, Oxford University Press (2018), Chapters 19 and 20. 20 See, inter alia, judgment of the ECJ of 7 April 1981 United Foods C-132/80, ECLI:EU:C:1981:87 para. 28; judgment of the ECJ of 26 June 1997 Vereinigte Familiapress Zeitungsverlags- und vertriebs GmbH v Bauer Verlag C-368/95, ECLI:EU:C:1997:325 paras. 16 – 18; judgment of the ECJ of 10 April 2008 Commission v Portugal C-265/06, ECLI:EU:C:2008:210 paras.  39 – 41. 21  See, inter alia, judgment of the ECJ of 20 September 1986 Commission v Denmark C-302/86, ECLI:EU:C:1988:421 para. 13; judgment of the ECJ of 7 July 2005 Commission v Austria C-147/03, ECLI:EU:C:2005:427 paras. 63 – 66; judgment of the ECJ of 10 February 2009 Commission v Italy C-110/05, ECLI:EU:C:2009:66 paras. 65 – 66. 22 See, inter alia, judgment of the ECJ of 29 November 2001 De Coster C-17/00, ECLI:EU:C:2001:651 paras. 37 – 38; judgment of the ECJ of 12 June 2003 Schmidberger C-112/00, ECLI:EU:C:2003:333 para. 93; judgment of the ECJ of 15 November 2005 Commission v Austria C-320/03, ECLI:EU:C:2005:684 paras. 89 – 91. 23  For the sake of completeness, it should be mentioned that some authors (e.g. Barnard, Catherine, The Substantive Law of the EU: The Four Freedoms, Oxford University Press (2010), p. 171 et sequ.) prefer to consider the least restrictive means test as an element of the

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However, the ECJ has shown some degree of flexibility in its assessment, e.g. by acknowledging that Member States may set different targets for the protection of public interests, which means that the mere fact that a Member State has chosen a system of protection different from that adopted by another Member State cannot affect the proportionality assessment.24 The respect for Union legal acts shown by the ECJ is not without relevance in a vertical situation: whenever the discretion of Member States is already limited by the existence of Union secondary law, e.g. because of the existence of minimum harmonisation directives, then proportionality ceases to be a parameter for the assessment of State measures. On the other hand, when it scrutinises legal acts adopted by Union institutions,25 the ECJ has sometimes relinquished the least restrictive means limb of the test previously described,26 focusing instead on the standard of non-manifest inappropriateness.27 However, even when assessing that a legal act does not go beyond what is necessary to achieve an objective, the reasoning on proportionality can go very deep, so that it indirectly confirms the impossibility of devising any less restrictive means.28 Furthermore, more weight has been placed on respect for procedural guarantees.29 limb relating to necessity, and not an autonomous limb of proportionality. It is true that the language employed by the Court may, at times, have encouraged such an approach. For the purpose of the present analysis, however, the least restrictive means test will be considered as an autonomous limb of the proportionality test in order to better showcase the substantial differences this entails in terms of the burden of proof to be borne by the defendant. 24 Judgment of the ECJ of 21 October 1999 Zenatti C-67/98, ECLI:EU:C:1999:514 para. 34. A similar stance was taken, with regard to fundamental rights, in the judgment of the ECJ of 14 October 2004 Omega C-36/02, ECLI:EU:C:2004:614 para. 39. 25  These general observations do not intend to deny the variety that can be observed in the case-law concerning the proportionality review of Union acts nor to suggest that the judicial control is in any way lacking, but merely to outline the most noteworthy trends, cf. Craig (note 22), Chapter 19, outlines three categories of proportionality review, depending on whether the control concerns policy choices, individual rights or penalties and fines. 26 A limited number of cases where the proportionality review of Union measures included the least restrictive means test do nonetheless exist, as highlighted by Craig (note 19), pp. 654 – 655. 27  See, inter alia, judgment of the ECJ of 10 December 2002 British American Tobacco (Investments) Ltd and Imperial Tobacco C-491/01, ECLI:EU:C:2002:741 para. 123; judgment of the ECJ of 12 July 2005 Alliance for Natural Health and Others Joined Cases C-154/04 and C-155/04, ECLI:EU:C:2005:449 para. 52; judgment of the ECJ of 16 June 2015 Gauweiler and Others C-62/14, ECLI:EU:C:2015:400 paras. 81 and 91. 28  See, for instance, the judgment of the ECJ in Weiss and Others (note 7). This recently published ruling on the legitimacy and proportionality of the secondary markets public sector asset purchase programme (PSPP) confirms and expands the Gauweiler reasoning on proportionality. In fact, the Court confirmed that not only the decision itself (para. 81)

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Why does the test of proportionality apply differently to different measures? Three main reasons can be outlined. 29

First, the scope for policy decisions is much broader in the adoption of the hierarchically higher legal acts (legislative acts or technical regulations that establish a policy, like monetary policy): when these decisions imply, in the wording of the ECJ, ‘complex assessments and evaluations’30 of an economic, social, or technical nature, the ECJ respects the discretion of the legislator and does not substitute its assessment for that carried out by the legislator. For lower-ranking sources of law, the scope for discretion is limited by the legal framework already set by the legislator and therefore the ECJ has a more exhaustive parameter against which the concrete measure can be assessed. The Union legal system is a two-tier legal framework in which Union law has primacy and its implementation is carried out under national law. This may partially explain why the control exercised by the ECJ in respect of national measures appears to have been more intense as compared to its approach to Union measures. In the same way, a more stringent approach is taken by the General Court towards the supervisory rules and supervisory decisions of the European Central Bank (ECB): the reason could be precisely the same, that in its supervisory activities the ECB is the administrative authority implementing and checking the application of banking regulation and is bound by such regulation, and therefore its role in this capacity differs from the role it has in its policy-setting function in regulating monetary policy.31 but also the procedures for implementing it did not go manifestly beyond what is necessary. As to the latter, the Court’s reasoning focuses on a set of criteria applicable to the measure, i.e. selectivity (para. 82), conditionality upon stringent eligibility criteria (para. 83), the temporary nature of the programme (paras. 84 – 86) and limited and well-defined purchase volume (paras. 87 – 92). Moreover, the Court entered into the detail of how ‘the ESCB weighed up the various interests involved so as effectively to prevent disadvantages which are manifestly disproportionate to the PSPP’s objective from arising on implementation of the programme’ (para. 93) by adopting various measures designed to limit the risk of losses (paras. 94 – 95) and, in particular, by defining loss allocation rules not allowing for the sharing of any possible losses across Member States (paras. 96 – 98) but, instead, considering the chance to have any potential losses ‘be offset against the ECB’s general reserve fund and, if necessary, following a decision by the Governing Council, against the monetary income of the relevant financial year in proportion and up to the amounts allocated to the national central banks’ (para. 99). 29  See the judgment of the ECJ of 3 September 2008 Kadi v Council and Commission Joined Cases C-402/05 P and C-415/05 P, ECLI:EU:C:2008:461 paras. 368 – 370. 30  Judgment of the ECJ of 8 June 2010 Vodafone and Others C-58/08, ECLI:EU:C:2010:321 para. 68. With more specific regard to the discretion of the ECB, analogous considerations were in play in the ECJ’s judgment in Gauweiler and Others (note 30), para. 68; and in Weiss and Others (note 7), para. 73. 31  See below, text related to note 102.

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Second, it must be considered that, while Union legal acts can indeed be endowed with direct effect, Union law has more often proceeded by way of directives, which require implementation by national law in order to reach individuals. It is therefore more likely that the legal position of individuals, including the four freedoms and fundamental rights, will be adversely affected by national measures than by Union measures; and it is in respect of national measures that the ECJ assesses interference with the fundamental rights of citizens. The same also happens with the supervisory rules and supervisory decisions of the ECB: this could be the reason why both the General Court and the ECJ appear to exercise a more intense review of ECB supervisory acts as compared to ECB acts concerning other areas within its competences. Third, the case-law demonstrates that the ECJ considers certain principles to be of higher constitutional value than others: in the balancing of the different principles, the former deserve a higher level of protection.32 In the ECJ’s view, the four freedoms and fundamental rights are worthy of particular protection in the balancing of different principles and are considered principles of constitutional standing. The ECJ has therefore stressed the duty of cooperation incumbent upon Member States, the high rank of the objective of completing the single market and the duty of implementing measures to foster the objectives of Union legislation.33 Nonetheless, it is worth repeating that the ECJ considers neither the four freedoms nor most fundamental rights34 as ‘absolute’, and their exercise can be restricted in order to pursue objectives of more general interest, as many ECJ decisions indicate.

III.  The Proportionality Principle in Banking Law The brief overview of the development of the principle of proportionality presented in the previous section focused on the internal market case-law, which is very relevant, since Union banking law was conceived and implemented as an instrument of market integration, ensuring the freedom of establishment and the freedom to provide services; therefore a large number of the mechanisms and 32  On the importance of fundamental rights in balancing conflicting principles, especially in times of crisis, see Zilioli, Chiara, La Corte, giudice costituzionale delle competenze attribuite alle istituzioni dell’Unione: il caso della Banca Centrale Europea, in: Lenaerts, Koen (ed.), Liber amicorum Antonio Tizzano. De la Cour CECA à la Cour de l’Union: le long parcours de la justice européenne, Giappichelli (2018), pp. 1051 – 1066. 33  See the judgment in CO Sociedad de Gestión y Participación and Others (note 15), and text, below, related to notes 75 – 80, and the Opinion of Advocate General Hogan of 5 December 2018 in Landeskreditbank Baden-Württemberg (note 10), and text related to notes  94 – 95. 34 The exception being Article 3 of the European Convention on Human Rights (ECHR), which is an absolute right.

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dynamics developed in the context of internal market case-law are also relevant in this field. Focusing more closely on the role of the proportionality principle in banking regulation, it becomes immediately clear that this area is a prime example of the need to balance some very well-known objectives and interests. On the one hand, the exercise of regulatory power is necessary with a view to consolidating a single market capable of fostering financial stability and balanced economic growth. On the other hand, regulation should not unduly impinge upon certain fundamental rights, such as the freedom to conduct a business, including e.g. the interest to keep sensitive information confidential and the right to dispose of one’s property as one sees fit. At the same time, the freedom to conduct a business should not be protected so extensively as to jeopardise the principle of an open market economy, consumer protection and the stability of the financial system.35 It should be noted that the principle of proportionality is acknowledged by the Basel Committee on Banking Supervision as being among the core principles for effective banking supervision,36 by the European Commission in its guidelines for ensuring better regulation37 and it is contained in recital 55 of the SSM Regulation. The European Banking Authority’s Banking Stakeholder Group has highlighted that proportionality is particularly important in banking regulation due to the need to exercise restraint over the costs imposed on banks, and changes in banks’ business models, to avoid the impression that regulators are taking over banks’ management,38 to limit arbitrage risk and to prevent any harm to competition.39 35  See Article 1(1) of Council Regulation (EU) No 1024/2013 of 15 October 2013 conferring specific tasks on the European Central Bank concerning policies relating to the prudential supervision of credit institutions (OJ L 287 29. 10. 2013 p. 63) (hereinafter the ‘SSM Regulation’). 36  See Basel Committee on Banking Supervision, Core Principles for Effective Banking Supervision, Bank for International Settlements, revised version (2012), available at https://www.bis.org/publ/bcbs230.pdf (last accessed on 4 January 2019): ‘Principle 8 – Supervisory approach: An effective system of banking supervision requires the supervisor to develop and maintain a forward-looking assessment of the risk profile of individual banks and banking groups, proportionate to their systemic importance; identify, assess and address risks emanating from banks and the banking system as a whole; have a framework in place for early intervention; and have plans in place, in partnership with other relevant authorities, to take action to resolve banks in an orderly manner if they become non-viable.’ 37  For further insight, see https://ec.europa.eu/commission/priorities/democratic-change/better-regulation_en, (last accessed on 4 January 2019). 38  Of course, this early intervention measure can and should be adopted in extreme situations. 39 EBA Banking Stakeholder Group, Proportionality in Bank Regulation, (2015), pp. 11 – 15, available at https://www.eba.europa.eu/documents/10180/807776/European+Banking+Authority+Banking+Stakeholder+Group-+Position+paper+on+proportionality. pdf (last accessed on 4 January 2019).

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In this complex equation, procedural rights fulfil an equally important role, as they are prerequisites that ensure that the relevant interests are actually taken into account in the decision-making process.40 1.  Proportionality in Legislative Drafting at Union and National Level As noted above, the exercise of legislative powers is subject to the principle of proportionality. The legislator is compelled to strike a balance between a number of interests and needs while pursuing high level policy objectives. However, different legislative competences and the form of legal acts play an important role in the way in which proportionality is taken into account and incorporated into legislation at Union and at national level. a)  Union Level How has proportionality been exercised in the drafting of Union banking law? The complex process leading to a decision regarding the form of legal act that best suits the objectives pursued by the Union legislator is well described, in practice, in the legislative history of Directive 2013/3641 (hereinafter the ‘CRD’) and Regulation (EU) No 575/201342 (hereinafter the ‘CRR’). The explanatory memoranda accompanying the Commission’s proposals for the CRD43 and the CRR,44 respectively, evaluated the policy options available, both with regard to the degree of harmonisation sought in the proposals (ranging from minimum harmonisation to maximum harmonisation with room for na40 See Jarass (note 7), para. 43; and the judgment in Gauweiler and Others (note 27), para. 69: ‘Nevertheless, where an EU institution enjoys broad discretion, a review of compliance with certain procedural guarantees is of fundamental importance.’ 41  Directive 2013/36/EU of the European Parliament and of the Council of 26 June 2013 on access to the activity of credit institutions and the prudential supervision of credit institutions and investment firms, amending Directive 2002/87/EC and repealing Directives 2006/48/EC and 2006/49/EC (OJ L 176 27. 6. 2013 p. 338). 42  Regulation (EU) No 575/2013 of the European Parliament and of the Council of 26 June 2013 on prudential requirements for credit institutions and investment firms and amending Regulation (EU) No 648/2012 (OJ L 176 27. 6. 2013 p. 1). 43  European Commission Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council on the access to the activity of credit institutions and the prudential supervision of credit institutions and investment firms and amending Directive 2002/87/EC of the European Parliament and of the Council on the supplementary supervision of credit institutions, insurance undertakings and investment firms in a financial conglomerate 20. 07. 2011 COM/2011/0453 final. 44  European Commission Proposal for a Regulation of the European Parliament and the Council on prudential requirements for credit institutions and investment 20. 07. 2011 COM/2011/0452 final.

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tional specificities) and with regard to the form of the proposed legislation (the options considered being, on the one hand, enacting a package of directives and, on the other hand, the so-called split option, i.e. the adoption of a regulation on prudential requirements paired with a directive concerning authorisation and arrangements for ongoing supervision). As regards the degree of harmonisation pursued, the explanatory memorandum accompanying the proposal for the CRR pointed towards maximum harmonisation as the preferred policy option ‘necessary to achieve a truly single rule book’.45 At the same time, the possibility of addressing in diverse ways certain concerns at national level was not completely barred, as the explanatory memorandum itself listed some options by which competent authorities could better accommodate national specificities. This was considered the best means of serving the objective of enhancing supervisory cooperation and convergence, legal clarity and a level playing field while preserving the possibility, at national level, to address financial stability and cater for the specificities of local markets. Maximum harmonisation combined with various discretions can indeed be considered a more proportionate option in terms of balancing market regulation against the freedom to conduct business because it entails a balanced trade-off between anticipated effectiveness in contributing towards the relevant policy objective of establishing the single market and the net administrative costs implications for the European banking industry.46 This is why, as we all know, as regards the form of the proposed legislation the split option was assessed as preferable. In this respect it is important to note that, while the previous formulation of the Protocol on the Application of the Principles of Subsidiarity and Proportionality indicated that the legislator was to prefer directives to regulations, and framework directives to ordinary directives,47 this very strict criterion has been deleted from the Protocol currently in force.48 The deletion confirms the understanding that the form of the act is not a conclusive indicator of respect for the principles of 45 

Ibid., p. 11. After some years of the banking union, during which the ECB has dealt with single supervision through 19 national legal systems, the question arises as to whether more harmonisation and limitation of national interests would be necessary to achieve the objective of completing the internal market and of maintaining the stability of the financial markets, in view of the cost, for credit institutions and for the Union institutions, involved in applying different national laws and in regulatory arbitrage. As mentioned below, the balancing of interests changes with time and what was proportionate at the time of the adoption of the banking legislation may perhaps no longer be seen today as representing the best balance of conflicting interests. 47  Treaty of Amsterdam, Protocol (No 30) on the application of the principles of subsidiarity and proportionality, Article 6. 48  Treaty on the Functioning of the European Union, Protocol (No 2) on the application of the principles of subsidiarity and proportionality. 46 

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subsidiarity and proportionality, thus aligning the letter of the Treaties with the ECJ’s case-law, which has long held that the content of the act, not its nomen iuris, determines its nature.49 Indeed, compliance with the proportionality principle goes beyond formal aspects to include also, on the one hand, the dichotomy between substantive, directly applicable rules and rules which require implementation and, on the other hand and in a broader sense, the content of the rules. The power and the duty for the legislator to balance different principles include the choice of the form of the legal act50 and, in Union legislation, the decision on the scope of discretion to be left to the Member States. In this broader sense, a regulation is subject to the principle of proportionality in the same manner as any other legal instrument. In the case of the CRR, a regulation was the preferred form of legal instrument because its use would ensure that those prudential requirements that were worded as obligations for credit institutions in earlier directives would be directly applicable to them, thus preventing the creation of divergent national requirements. In this respect, the split option was deemed more effective than a simple amendment of the existing directives in achieving the objectives targeted by the regulatory package, i.e. preventing regulatory arbitrage, enhancing legal clarity, reducing the compliance burden and thereby strengthening the internal market.51 The use of a regulation would also enable the Union to implement future changes more quickly as transposition by national legislators would not be required. Looking now at the relevance given in the motivation of the legislative text to the proportionality principle, it is very interesting that the recitals of both the CRD and the CRR clarify that the principle of proportionality should be respected by all institutional actors involved, and at every level of implementation. It emerges from recital 46 of the CRR and recitals 66 and 92 of the CRD that the criteria for applying proportionality are based on the diversity in size and scale of operations and the range of activities of credit institutions, and that not only the legislator but also the implementing authorities at Union and national level are bound by that principle. It is also important to stress that the very reasoning contained in the explanatory memoranda to the CRR and CRD is a tool for proper compliance with proportionality. While it is for the legislator to carry out an assessment and choose the form and content of the act in view of the objective to be achieved, the reasoning summarised above ensures the visibility of every interest 49 See judgment of the ECJ of 31 March 1971 Commission v Council C-22/70, ECLI:EU:C:1971:32 paras.  38 – 43. 50  Unless specifically provided for in the legal basis, such as in Article 53 TFEU. 51  On the other hand, it was not possible to cast the content of the CRD in the form of a regulation, as at least the provisions on the access to the banking market (single licence, fit and proper requirements, etc.) necessitate the form of a directive, pursuant to the explicit wording of Article 53 TFEU.

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considered, which is per se an element liable to be scrutinised in any assessment of proportionality carried out by Union courts, as the ECJ’s case-law indicates.52 The concept of proportionality, competency-related proportionality and individual rights-related proportionality, as well as the general proportionality principle, which often operates as a limit on the exercise of the power of the Member States to make exceptions to the freedoms provided for in the Treaties,53 is thus clearly recognised in the CRR and CRD, and the possibility for differentiation is reflected in many rules through different tools. The framework is structured in a modular way and provides for specific exemptions and preferential treatment for various purposes (e.g. own funds, liquidity, covered bonds) based on spelled-out criteria, in particular reflecting the relative complexity and riskiness of credit institutions and the activity they undertake. Some provisions address a given category of credit institutions, identified on the basis of the specific features of their business model (e.g. the exemption on calculating market risks requirements for banks with small trading books provided for in Article 94 of the CRR) or applicable legal framework (e.g. the eligibility criteria for Common Equity Tier 1 instruments for mutual and cooperative banks, in the light of the specific features of the capital instruments issued by these institutions, stemming from national legislative constraints, provided for in Article 29 of the CRR; the special rules for decentralised banking structures, including banks permanently affiliated to a central body or connected via institutional protection schemes in place provided for in several provisions of the CRR, such as Article 10 and Articles 84(6) and 113(7). In other cases, the nature of the budget item considered is specified at the outset in a provision that lays down an exception (e.g. the reduction, roughly by 25%, of capital requirements for exposure up to 1.5 million for small and medium enterprises provided for in Article 501 of the CRR). The degree of discretion afforded by the legislator to the competent authority is sometimes exceptionally high, as is undoubtedly the case for the derogation to the application of prudential and liquidity requirements on an individual basis established in Articles 7 and 8 of the CRR, respectively. Conversely, there are cases in which the legislator has established strict and mandatory grounds for an 52  See judgment of the ECJ of 9 November 2010, Schecke Joined Cases C-92/09 and C-93/09, ECLI:EU:C:2010:662 para. 80 et sequ. The growing importance of process-oriented review was subsequently highlighted by Lenaerts, Koen, The European Court of Justice and Process-oriented Review, College of Europe Research Papers in Law, No. 1 (2012), available at https://www.coleurope.eu/system/files_force/research-paper/researchpaper_1_2012_lenaerts_final.pdf?download=1 (last accessed on 4 January 2019). 53  See judgment in Rutili v Ministre de l’intérieur (see note 13) in which the Court applied the test of proportionality to assess the legitimacy of state measures aimed at restricting the free movement of workers for reasons of public order.

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exceptional provision to apply, as can be seen in Article 56 of the CRD with regard to the exchange of information between competent authorities, in derogation to professional secrecy and confidentiality obligations laid down in Article 53 of the CRD. Besides the CRR and CRD, other Union regulations and directives in the banking field confirm the structural importance of the proportionality principle. The SSM Regulation is based on a distinction between significant and less significant institutions (see Article 6), with only the former being subject to centralised direct supervision in view of the higher risk they pose for the stability of the euro area. This reflects the aim of preventing the imposition of a disproportionate administrative or financial burden on supervised entities, and is related to the fact that Article 127(6) TFEU only allows the conferral of specific supervisory tasks. Another paradigmatic example of proportionality is provided by the calculation of banks’ ex ante contributions to the Single Resolution Fund,54 whereby the annual target level of contribution is distributed among banks according to their size and risk profile, and several adjustments apply: small institutions con­ tribute through a lump sum or basic contribution (where the lump sum proves to be higher), large institutions are subject to a default, risk-adjusted methodology, and middle-sized institutions benefit in the initial period from specific transitional provisions combining lump sum and risk adjustment. It is interesting to note that, according to the figures provided by the Single Resolution Board, the default risk adjusted contribution calculation method was applied for 20% of institutions, representing 96% of total ex ante contributions for 2016. Finally, no expression of proportionate decision-making can discount the importance of time. When the legislator needs to make a policy choice that involves weighing two or more different constitutional principles, finding the appropriate balance is not only a delicate exercise but also a moving target. A balance of interests that was deemed satisfactory at a given point in time will not remain so indefinitely: this is particularly evident when looking at the value of assets in a bank at different moments, especially in a crisis period. In the area of banking law, this movement is exemplified by the fact that in the proposal for reviewing the CRD presented by the Commission, the needs of smaller and less complex institutions were considered.55 The new proposals address some of the concerns that emerged in the 2015 call for evidence launched 54  Regulation (EU) No 806/2014 of the European Parliament and of the Council of 15 July 2014 establishing uniform rules and a uniform procedure for the resolution of credit institutions and certain investment firms in the framework of a Single Resolution Mechanism and a Single Resolution Fund and amending Regulation (EU) No 1093/2010 (OJ L 225 30. 7. 2014 p. 1) Article 70. 55  Proposal for a Directive of the European Parliament and of the Council amending Directive 2013/36/EU as regards exempted entities, financial holding companies, mixed

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by the Commission in respect of the Union regulatory framework for financial services, where a large number of respondents called for an even more proportionate application of the rules, arguing that these do not sufficiently differentiate between large systemic institutions and small, local institutions.56 Respondents raised, inter alia, the issue of proportionality in the current framework in respect of prudential, disclosure and reporting requirements, and regarding the rules on remuneration.57 b)  National Level In cases where the legislator opts for decision-making in the form of a directive, national authorities have freedom to decide the means of implementation but are obliged to achieve the objectives set by Union legislation. With specific regard financial holding companies, remuneration, supervisory measures and powers and capital conservation measures 23. 11. 2016 COM(2016) 854 final. 56  For an overview of the principle of proportionality with reference to an institution’s size and proposals for improvements to the existing legislation, see Angeloni, Ignazio, Another look at proportionality in banking supervision, statement at the Thirteenth Asia-Pacific High Level Meeting on Banking Supervision (2018), available at https:// www.bankingsupervision.europa.eu/press/speeches/date/2018/html/ssm.sp180228. en.html (last accessed on 4 January 2019); Boss, Michael/Lederer, Gerald/Mujic, Naida/Schwaiger, Markus, Proportionality in banking regulation, in: Monetary Policy and The Economy, Q2 (2018), pp. 51 – 70; EBA Banking Stakeholder Group (note 42); Castro Carvalho, Ana Paula/Hohl, Stefan/Raskopf, Roland/Ruhnau, Sabrina, Proportionality in banking regulation: a cross-country comparison, BIS, in: FSI Insights No. 1 (2017), available at https://www.bis.org/fsi/publ/insights1.htm (last accessed on 4 January 2019); Joosen, Bart/Lamandini, Marco/Lehmann, Matthias/Lievers, Kitty/Tirado, Ignacio, Stability, Flexibility and Proportionality: Towards a Two-Tiered European Banking Law? European Banking Institute Working Paper Series no. 20 (2018), available at https:// papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3128304 (last accessed on 4 January 2019); Lautenschläger, Sabine, Is small beautiful? Supervision, regulation and the size of banks, Statement at an International Monetary Fund seminar (2017), available at https://www. bankingsupervision.europa.eu/press/speeches/date/2017/html/ssm.sp171014.en.html (last accessed on 4 January 2019). 57  For further insight on the application of the principle of proportionality to the remuneration provisions, see also Opinion of the European Banking Authority on the application of the principle of proportionality to the remuneration provisions in Directive 2013/36/EU, EBA/Op/2015/25 21 December 2015, available at: https://eba.europa. eu/documents/10180/983359/EBA-Op-2015 – 25+Opinion+on+the+Application+of+Proportionality.pdf (last accessed on 4 January 2019); Review of the application of the principle of proportionality to the remuneration provisions in Directive 2013/36/EU: the EBA’s response to the European Commission’s letter, EBA-Op-2016 – 20 21 November 2016, available at https://www.eba.europa.eu/documents/10180/1667706/EBA+Opinion+ on+the+application+of+the+principle+of+proportionality+to+the+remuneration+ provisions+in+Dir+2013+36+EU+%28EBA-2016-Op-20%29.pdf (last accessed on 4 January 2019).

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to banking law, the problem of setting limits on the actions of national legislators in implementing Union law was tackled in ECB Opinion CON/2015/31.58 That opinion argued that national legislators need to attune their action with that of the Union legislator, in order to attain the objectives of Union legislation. Hence, while national legislators cannot themselves directly pursue the objectives of Union legislation (as no national legislator has the power to build a single market), they should not exercise their prerogatives in a way that is detrimental to achieving those objectives, i.e., in the field of banking law, the establishment of a level playing field. For the national legislator, applying proportionality does not involve choosing the least onerous solution for credit institutions established in its territory, but rather choosing the least onerous means that allows for the pursuit of the objectives laid down in Union legislation. National legislation that leads to fragmentation of the prudential rules applicable to credit institutions within the banking union has a negative impact on the ECB’s exercise of its responsibilities within the single supervisory mechanism (SSM), with respect both to direct supervision and the SSM’s effectiveness and consistency. The ECB underlines that Member States should acknowledge that the advent of the SSM means that the ECB’s new responsibilities have to be adequately considered in the context of the adoption of any future banking or prudential legislation, with a view to facilitating the harmonisation of supervisory practices in the banking union. Indeed, fragmentation results in a considerable additional burden not only on the SSM, which has to enforce 19 different prudential regimes for credit institutions, but also on bank groups themselves, which have to implement these different regimes in respect of each group entity. To summarise, banking legislation adopted by the Member States after the establishment of the SSM should facilitate the exercise by the ECB of its responsibilities within the SSM, including its capacity to enhance the consistency of the supervision of credit institutions across the SSM. In order to comply with the proportionality requirement, in combination with the principle of loyal cooperation, Member States should refrain, when adopting national implementing legislation, from setting obstacles both to uniform supervisory practice and to the exercise of supervisory discretion by the ECB within the SSM. c)  Proportionality in Union and National Legislative Drafting: Conclusions Proportionality obliges the Union legislator to strike a balance between all the principles, objectives and interests involved when crafting the Union banking 58  ECB Opinion on bank resolution, 2 September 2015 CON/2015/31 available at https:// www.ecb.europa.eu/ecb/legal/pdf/en_con_2015_31_f_sign.pdf (last accessed on 4 January 2019).

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regulations. Some principles and objectives have greater weight than others, as they have constitutional value: more specifically we are speaking of the objective of achieving a single market and of the protection of fundamental rights. Among the tools that can achieve the set objective, the least onerous must be chosen. The Treaties do not require that the balancing act always results in the least onerous solution for credit institutions: what counts is the effective achievement of the overall objective. In particular, the ECJ will take a negative view of national implementing legislation that seeks to favour national credit institutions by lightening their burden. It must be kept in mind that the choice of legal instrument is far from being the only determinant of the onus on credit institutions: it may well be that, when a directive leaves greater discretion to Member States, the final outcome of the balancing exercise is less favourable to economic actors.59 As regards the degree of detail of the proposed legislation, the choice between a rule-based or a principle-based approach is a policy choice, not a legal requirement. Proportionality does not influence this policy choice, but only demands that the legislation is appropriate to achieve its objectives. In this respect, two interests need to be balanced: that of simplicity and efficiency on the one hand against that of legal certainty, security and equal treatment on the other. The balancing exercise carried out at Union level is, accordingly, more stable overall and offers economic actors greater legal certainty, as judicial scrutiny appears to be generally stricter in relation to national legislation that operates within the limits of the policy set by Union law, unless fundamental rights come into play.60 Finally, one may wonder whether the proportionality check could transcend the boundaries of individual legislative acts to take into account the whole legal framework regulating a given field. Applying a proportionality test entails the balancing of costs and benefits of regulation from both an economic and a legal perspective. Each regulation, when considered separately, may be justified in terms of a cost-benefit analysis. However, what is true of each individual regulation is not necessarily true of the regulatory regime in its entirety: the total net cost may be more than the sum of its parts.61 Such a finding would be particularly significant as evidence shows that the burden of overregulation is ultimately borne by customers and taxpayers.62 59  Sometimes national law can be more onerous even for individual national institutions (e.g. by reducing the liberalisation introduced by the regulation or by failing to cater for the different interests of small and big institutions, etc.) 60  See judgment of the ECJ of 8 April 2014 Digital Rights Ireland and Seitlinger and Others Joined Cases C-293/12 and C-594/12, ECLI:EU:C:2014:238. 61  EBA Banking Stakeholder Group (note 39), pp. 22 – 23. 62  Ibid., pp.  42 – 48.

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In other words, is the legislator guilty of violating the principle of proportionality by the very fact of overregulating, in the event that legal acts, which, considered individually, are appropriate and adequate in relation to their chosen legal basis, result in overregulation in their combined effect? Would this be justiciable? I would argue that, while the legislator should indeed be vigilant in this respect, the scrutiny of the ECJ should remain limited to clear cases of abuse, as the ability to set policy through legislation is beyond its powers of judicial control. 2.  Proportionality in Drafting Administrative Acts of General Application Another expression of proportionality at legislative level is to be found in the possibility, granted by the legislator to the competent authority, to adopt administrative acts of general application. In particular, the focus here is not on the further detailing of Union banking regulation, which pertains to the Union legislator and its technical agencies, but rather on the scope for supervisory discretion granted by the legislator to the competent authorities. This technique was employed quite liberally in the field of banking law, allowing the competent authorities at State level to exercise several options and discretions, thereby adapting to the diverse realities of the Union and also allowing for the stronger harmonisation needed within the banking union, through ECB regulations, than in the rest of the Union. It could be said that the very provision of options and discretions to the competent authorities by the legislator is an exercise in the application of proportionality: this approach is consistent with the need to harmonise the system, as part of the objective of achieving the internal market, but also with the need to respect national specificities within the respective banking sectors, including the specificities of the euro area. As already mentioned, when the ECJ analyses the way in which the national legislator implements Union law, it looks at proportionality within the more detailed parameter, which is the Union legislation, being wary of interfering with the balancing of different interests already carried out by the Union legislator when setting up the space for implementation granted to the national legislator. In a similar way, the General Court will look at the way in which the competent authorities make use of the discretion granted to them by the options and discretions included in the CRR and the CRD: it is the regulatory package itself that stipulates that proportionality shall be the guiding principle of every actor involved in its implementation, contextually laying down the criteria for applying it. The use of options and discretions, therefore, will be scrutinised by the General Court through the lens of proportionality in order to determine whether the nature, scale and complexity of the risks of credit institutions’ business model and activities have been duly taken into account by the competent decision-maker.

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Impact assessment is a crucial tool for achieving a proportionate result. While a public consultation and an impact assessment is required, under the third subparagraph of Article 4(3) of the SSM Regulation, when the ECB plans to adopt a regulation, there is no such requirement in respect of the adoption of other types of legal act. Nevertheless, in some cases the ECB has held a public consultation, for example with regard to the exercise of options and discretions for less significant institutions (LSIs).63 Particular attention has been paid in that case to the principle of proportionality: a careful analysis of the prudential issues underlying each option and discretion and the relevance for LSIs’ supervision was conducted before the policy guidance was drawn up. As a result, it was decided not to give guidance to the national competent authorities (NCAs) on how to exercise the options and discretions, but to allow them to maintain their flexibility, as harmonisation was not deemed necessary to ensure the robustness of supervision or to attain a level playing field. Indeed, not making use of options and discretions is a first way of complying with the proportionality principle when deciding whether and how to draft regulatory acts. This method was also followed with regard to the option granted to supervisors under the CRR64 to require banks to use the international reporting standard (IFRS) for the purpose of supervisory reporting. Following a thorough analysis, the Supervisory Board decided not to exercise that option as it would place an additional burden on those banks that currently report in accordance with national standards.65 63  See the explanatory memorandum to the Public consultation on a draft Guideline and a draft Recommendation on the exercise of options and discretions available in Union law for less significant institutions (LSIs) (November 2016), available at https://www.bankingsupervision.europa.eu/legalframework/publiccons/pdf/ond_lsi/ond_lsi_em.en.pdf, and the related Feedback Statement (2017), available at https://www.bankingsupervision. europa.eu/legalframework/publiccons/pdf/ond_lsi/ond_lsi_feedback_statement.en.pdf (last accessed on 4 January 2019). 64  Regulation (EU) 575/2013 (note 42), Article 24(2). 65  See the ECB Guide for Significant Institutions, point 8: Valuation of assets and off-balance-sheet items – use of IFRS for prudential purposes: The ECB has determined not to exercise in a general manner the option set out in Article 24(2) of the CRR, which allows competent authorities to require credit institutions to effect, for prudential purposes, the valuation of assets and off-balance-sheet items and the determination of own funds in accordance with the International Accounting Standards, also in cases where the national applicable accounting framework requires the use of n-GAAP (see also Article 24(1) of the CRR). Banks can therefore continue reporting to the supervisor according to their national accounting standards. However, the ECB will assess applications to use International Accounting Standards for prudential reporting (also in cases of applicability of n-GAAP under the national accounting framework) pursuant to Article 24(2) of the CRR.). Available at https://www.bankingsupervision.europa.eu/legalframework/publiccons/html/reporting_ options.en.html (last accessed on 4 January 2019).

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A second way of achieving proportionality is to exempt a category of banks from the application of an option; an example of this technique can be found with regard to banks under the restructuring power of the Commission, which are exempted from deducting significant investments in financial sector entities and deferred tax assets from Common Equity Tier 1 within the time limit set for other institutions.66 A third way is to differentiate requirements across different categories. Such a technique was used, e.g., in Regulation (EU) 2015/534 (ECB/2015/13).67 This legal act is based on identifying three different categories of LSIs: less significant supervised groups applying international accounting standards, less significant supervised groups subject to national accounting framework and other less significant supervised entities. The applicable reporting obligations are modulated by reference to this categorisation as regards both format and frequency, in order not to impose a disproportionate burden on the different entities. This differentiation is also an example of compliance with the principle of proportionality. It can be concluded that administrative acts of general application adopted by the supervisor need to comply with the principle of proportionality, in its various dimensions. The utmost attention needs to be devoted to ensuring respect for this requirement, both during the preparatory phase and the drafting itself, and the competent authorities must be prepared to employ different techniques to adapt the regulatory framework to the specificities of the various categories of supervised entities and provide comprehensive motivation for their choices. 3.  Proportionality in Individual Decisions After examining the application of proportionality in legislative drafting and in administrative acts of general application, we come to the lowest tier of decision-making, which is also the most granular in style and closest to market actors: individual supervisory decisions. In this arena, the tension between the fundamental freedom to conduct business and the fundamental right to property,68 on the one hand, and the public interest objectives pursued by supervisors (e.g. financial stability, stability of the individual credit institution and ensuring level playing field), on the other hand, comes most to the fore. 66  Regulation (EU) 2016/445 of the European Central Bank of 14 March 2016 on the exercise of options and discretions available in Union law (ECB/2016/4) (OJ L 78 24. 3. 2016 p. 60) Article 19(4) to (7). 67  Regulation (EU) 2015/534 of the European Central Bank of 17 March 2015 on reporting of supervisory financial information (ECB/2015/13) (OJ L 86 31. 3. 2015 p. 13). 68  There are also other fundamental rights that could be compressed. See Almhofer, Martina, Die Haftung der Europäischen Zentralbank für rechtswidrige Bankenaufsicht, 2018, pp. 28 and 229 – 243.

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Proportionality is also expressed in the many different facets of administrative activity. First, as regards the direct supervision of significant institutions (SIs), the proportionality principle entails the balancing of an adequate minimum level of supervisory activity for all supervised credit institutions, irrespective of their risk profile, with a stronger focus on institutions with a higher risk profile, on the largest and more complex systemic groups and on the more relevant subsidiaries within an SI banking group. Accordingly, the relevant methodology tailors the intensity and frequency of supervisory activities and the measures deriving from them to the SI’s potential impact on the financial system and its intrinsic riskiness. A specific case in which proportionality needs to be applied is in the area of business models and the supervisory review and evaluation process (SREP): compliance with supervisory standards on the part of supervised institutions has an operational cost and, although influencing business models is certainly not the objective of supervision, some credit institutions may find themselves in a situation where it is necessary to make adjustments to their business model in order to comply with supervisory requirements.69 Second, the ECB also oversees the supervision conducted by NCAs of about 3500 LSIs, which are of great diversity in terms of their size, complexity, business models and other characteristics, also including the specificities of the markets in which they operate. The ECB applies proportionality both in its oversight activities and in the guidance that it develops for NCAs to use in their day-to-day supervisory activities, in the form of supervisory standards. The main tool used by the ECB to ensure that it performs its oversight over NCAs’ supervision in a proportionate manner is the assignment of priority ranks to LSIs (high, medium or low priority).70 This categorisation (subject to an annual review in cooperation with NCAs) takes into account both the impact of the LSI on the relevant domestic financial system and the intrinsic riskiness of the LSI. Supervisory standards and policies for LSI supervision ensure that the priority rank of LSIs is taken into account, that high supervisory standards are consistently applied by all the NCAs and that there is a continuum between the supervision of SI and LSI. In general terms, more stringent or detailed requirements are to be applied with regard to the supervision of high-priority LSIs, compared with, for instance, low-priority LSIs. 69  On proportionality in the area of business models and SREP methodology, see Gualandri, Elisabetta/Venturelli, Valeria: Business model of banks and SSM, in: Law and Economics Yearly Review, Vol. 6 Part 2 (2017), pp. 265 – 282, Chapter 5. 70 See ECB Annual Report on Supervisory Activities 2017, section 1.6, at: https:// www.bankingsupervision.europa.eu/press/publications/annual-report/html/ssm.ar2017. en.html#toc9 (last accessed on 4 January 2019); see also the banking supervision explainer on high priority less significant institutions at: https://www.bankingsupervision.europa. eu/about/ssmexplained/html/hplsi.en.html (last accessed on 4 January 2019).

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Third, the notification and reporting framework is also designed to comply with proportionality. Regulation (EU) No 468/2014 (ECB/2014/17)71 (hereinafter the ‘SSM Framework Regulation’) provides for certain ex ante notification and ex post reporting requirements by NCAs to the ECB, to ensure that the ECB can adequately exercise its oversight over the functioning of the SSM. In line with the application of proportionality, the requirement imposed on NCAs to submit ex ante notifications is limited to material supervisory procedures and material draft supervisory decisions concerning high-priority LSIs only. The principle of proportionality is also an important criterion for the ECB when assessing incoming ex ante notifications and determining the intensity of the review to be performed. The ECB assesses the impact of the planned measures from a supervisory and risk perspective and also considers whether the measures themselves are proportionate. As regards regular ex post reporting requirements, the ECB requires NCAs to submit institution-specific information, as well as information relating to their supervision of LSIs, only to the extent that is deemed material and proportionate. Hence, the depth and frequency of ex post reporting is adapted to the priority ranking of the LSI. The question of whether the administration is allowed, and required, to consider imposing conditions or restrictions while granting an authorisation or approval to the private operator, rather than adopting an altogether unfavourable act (rejection), is very important when dealing with the proportionality of individual decisions. This issue was tackled by the ECJ in a judgment rendered on the subject of direct insurance, CO Sociedad de Gestión y Participación and Others,72 which is very relevant here given the substantial similarity between the framework used for assessing qualifying holdings in the insurance sector and that used in the banking sector, in the light of the maximum harmonisation applied by the legislator in each of these subject-matter areas.73 71  Regulation (EU) No 468/2014 of the European Central Bank of 16 April 2014 establishing the framework for cooperation within the Single Supervisory Mechanism between the European Central Bank and national competent authorities and with national designated authorities, (ECB/2014/17) (OJ L 141 14. 5. 2014 p. 1). 72  Judgment of the ECJ of 25 June 2015 CO Sociedad de Gestión y Participación and Others (see note 15). For an analysis of the case, see Lo Schiavo, Gianni: Conditions and Obligations in ECB Supervisory Decisions as Ancillary Provisions under SSM Law, in: European Company and Financial Law Review, 14, No. 1 (2017), pp. 94 – 120, available at https://www.degruyter.com/downloadpdf/j/ecfr.2017.14.issue-1/ecfr-2017 – 0004/ecfr2017 – 0004.pdf (last accessed on 4 January 2019). 73  The possibility of granting an authorisation subject to conditions and requirements is also relevant in other types of decisions, for example in fit and proper decisions, where in some cases the authorisation could be granted, subject to undergoing training in banking matters, if the candidate possesses all the other requirements but is not yet experienced in banking.

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In the case under consideration, the ECJ was required to consider whether a competent authority approving the acquisition of a qualifying holding in an insurance undertaking is permitted to make such approval subject to restrictions or requirements under national law. Based on the concept of less restrictive means the ECJ provided a positive answer: a conditional approval of the acquisition would constitute a more proportionate approach, vis-à-vis the proposed acquirer, than outright opposition to it.74 The ECJ considered both the objective pursued by the relevant directive (i.e. the completion of the internal market in direct insurance from the point of view both of freedom of establishment and of freedom to provide services) and the objective pursued by the specific prudential assessment envisaged by the qualifying holding procedure for proposed acquisitions (i.e. ensuring the sound and prudent management of the insurance undertaking in which an acquisition is proposed). It also noted that the possibility granted to a competent national authority, in a situation in which it could validly oppose proposed acquisitions, to approve them by subjecting the proposed acquirers to restrictions or requirements, is likely to encourage the exercise of the freedom of establishment and the freedom to provide services in the relevant sector. Furthermore, the ECJ pointed out that the imposition by the authority of restrictions or requirements in respect of approval of the proposed acquisition may help to reduce the risk of a reduction in the solvency of the target undertaking, thus facilitating the simultaneous pursuit of a prudential objective.75 A reference to proportionality was then made by the ECJ when addressing the issue of what type of restrictions and requirements can be attached by the competent authority to its approval. The ECJ noted that, where a national authority adopts measures that fall within the scope of Union law, those measures must comply with the general principles of law, such as proportionality, which requires that the measures are appropriate for attaining the objective pursued and do not go beyond what is necessary to achieve it,76 and concluded that if the competent national authority decides to attach restrictions or requirements to the approval of a proposed acquisition, those restrictions cannot be based on a criterion that is not among those set out in the relevant directive, nor can they go beyond what is necessary in order for the acquisition to satisfy those criteria.77 This case provides valuable insight into the application of proportionality in supervisory decisions: while the relevant national authority is supposed to impose the least possible burden upon economic operators, it should also keep in sight the wider objectives underlying the rules it implements. 74 Judgment in CO Sociedad de Gestión y Participación and Others (note 15), paras.  29 – 31. 75  Ibid., para. 33. 76  Ibid., para. 44. 77  Ibid., para. 46.

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A further layer of complexity is, however, involved in supervisory decisions. Pursuant to Article 4(3) of the SSM Regulation, the ECB adopts its decisions not only on the basis of Union law, but also on the basis of national implementing law. Would a measure adopted on the basis of national implementing law be considered proportionate only if it is the least restrictive means available? Or would this be the case simply if it is not a manifestly disproportionate interference in the activities of the supervised entity? Those scholars who consider that the ECJ has applied a stricter standard for national law and national decisions than for rules adopted and decisions taken by Union institutions probably consider this to be an important open question. I personally share the view of those who do not see this differentiation: even when scrutinising the activities of Union institutions the ECJ has not neglected to check compliance with the third prong of the proportionality test, even if it has sometimes not mentioned this explicitly, and has done so all the more where the issue in question has not been one of policy definition, where a complex economic assessment might be needed, but one entailing the exercise of limited discretion granted by the legislator within the framework of the regulation. For this reason, compliance with proportionality when the ECB applies national law is subjected to judicial control in the same way as occurs when the ECB applies Union law – and this will include the least restrictive means check. Another situation in which proportionality issues are likely to arise in the adoption of individual supervisory decisions is in the context of the duplication of certain measures under the ‘supervisory’ and ‘early intervention’ headings:78 the measures available to the competent authority and the conditions triggering their adoption under Directive 2014/59/EU79 (hereinafter the ‘BRRD’) overlap to some extent with the set of ongoing supervisory measures available under the CRD, so that some early intervention measures are available also as supervisory measures. In view of this overlap, the intrusiveness of these measures, which are in substance the same, also depends on whether they are labelled as regular supervisory measures or early intervention measures. It could therefore appear very difficult for a competent 78  Early intervention measures are provided for in the framework of Directive 2014/59/ EU of the European Parliament and of the Council of 15 May 2014 establishing a framework for the recovery and resolution of credit institutions and investment firms and amending Council Directive 82/891/EEC, and Directives 2001/24/EC, 2002/47/EC, 2004/25/EC, 2005/56/EC, 2007/36/EC, 2011/35/EU, 2012/30/EU and 2013/36/EU, and Regulations (EU) No 1093/2010 and (EU) No 648/2012, of the European Parliament and of the Council, OJ L 173 12. 6. 2014 pp. 190 – 348, Articles 27 to 29. 79  Directive 2014/59/EU of the European Parliament and of the Council of 15 May 2014 establishing a framework for the recovery and resolution of credit institutions and investment firms and amending Council Directive 82/891/EEC, and Directives 2001/24/ EC, 2002/47/EC, 2004/25/EC, 2005/56/EC, 2007/36/EC, 2011/35/EU, 2012/30/EU and 2013/36/EU, and Regulations (EU) No 1093/2010 and (EU) No 648/2012, of the European Parliament and of the Council (OJ L 173 12. 6. 2014 p. 190).

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authority to justify adopting an early intervention measure where the same result could be attained through an ordinary supervisory measure. Such an approach would hardly pass a proportionality test based on the least restrictive means test. Of course, when the seriousness of the situation requires, more serious measures, such as, for example, removing the managers, might be required and proportionate: the first such decision was adopted on 2 January 2019.80 Finally, even though the scope of this article does not extend to analyse banking resolution, let me briefly mention that, given the need to reconcile creditor rights with the public interest in preserving financial stability, the application of proportionality in the area of bank resolution is a complex exercise81 and the public interest test set out in Article 32(5) of the BRRD and Article 18(5) of Regulation (EU) No 806/201482 should be interpreted as a key instrument for restricting the application of the resolution toolbox to cases where public interest concerns justify the inevitable infringement of individual creditors’ rights.

IV.  Proportionality in the Exercise of Judicial Control in Respect of Banking Regulations and Decisions While there is copious case-law dealing with the proportionality principle, the interpretation of the scope and function of which can also be applied to banking regulation, very few cases have focused specifically on the role of proportionality as an organising principle of Union banking regulation. As to Union banking legislation, the only set of proceedings brought so far was discontinued by the applicant.83 However, it is worth highlighting that the proportionality of the requirements imposed by Union law was at the heart of the application,84 thus confirming the relevance of the present theme. 80  See the ECB press release and a comment: https://ftalphaville.ft.com/2019/01/02/1546 448074000/The-curious-case-of-Banca-Carige/; https://www.bankingsupervision.europa. eu/press/pr/date/2019/html/ssm.pr190102.en.html (last accessed on 7 January 2019). 81  This has been highlighted by Binder, Jens-Hinrich, Proportionality at the Resolution Stage: Calibration of Resolution Measures and the Public Interest Test, in: SSRN (2017), available at https://ssrn.com/abstract=2990379 (last accessed on 7 January 2019). 82  Regulation (EU) No 806/2014 of the European Parliament and of the Council of 15 July 2014 establishing uniform rules and a uniform procedure for the resolution of credit institutions and certain investment firms in the framework of a Single Resolution Mechanism and a Single Resolution Fund and amending Regulation (EU) No 1093/2010 (OJ L 225 30. 7. 2014 p. 1). 83  Order of the ECJ of 9 December 2014 United Kingdom v Parliament and Council C-507/13, ECLI:EU:C:2014:2481. 84  The applicant criticised both the bonus cap and some of the disclosure obligations, deeming them disproportionate.

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In the field of individual supervisory decisions, the issue of proportionality has been tackled in some recent case-law. The first case brought against the ECB as supervisor was Landeskreditbank Baden-Württemberg v ECB (hereinafter the ‘L-bank case’).85 The applicant brought proceedings against a decision classing it as a significant institution, thus causing it to fall under the direct supervision of the ECB. The bank argued that the decision was vitiated by an error of law, since it had not been considered as being in ‘particular circumstances’ within the meaning of Article 6(4) of the SSM Regulation and Articles 70 and 71 of the SSM Framework Regulation, thus neglecting the fact that it is a publicly owned institution. The bank considered that the classification of a supervised entity as significant must be interpreted in the light of the principles of proportionality and subsidiarity enshrined in Article 5 TEU,86 leaving the broadest possible latitude to the exercise of national competences. The General Court did not agree, and held that the supervision of less significant institutions by NCAs is not the exercise of an autonomous competence, but rather a decentralised implementation of an exclusive competence of the ECB.87 The ECB, said the Court, is not required to ascertain on a case-by-case basis whether its objectives may be just as well attained through direct supervision by the national authorities: that repartition of respective responsibilities was already provided for by the legislator in the Basic Regulation.88 Thus, ‘the ECB did not commit the error of law alleged in finding… that the application of Article 70(1) … could rule out classification of the applicant as a significant entity only if it 85  Judgment of the General Court of 16 May 2017 Landeskreditbank Baden-Württemberg T-122/15, ECLI:EU:T:2017:337. For in-depth analysis of the judgment, see Adalid, Sébastien, Le MSU, nouveau sous-système de droit de l’Union européenne, in: Revue des affaires europeennes, No. 2 (2017), pp. 363 – 370; Annunziata, Filippo, European Banking Supervision in the Age of the ECB. Landeskreditbank Baden-Württemberg ‒ Förderbank v. ECB, in: Bocconi Legal Studies Research Paper, No. 3139567 (2018), para. 4.1, available at https://papers.ssrn.com/sol3/papers.cfm?abstract_id=3139567 (last accessed on 7 January 2019); Morlando, Francesco, La valutazione della significatività degli enti creditizi nel meccanismo di vigilanza unico, in: Giur. It., No 5/2018 (2018), pp. 1065 – 1074; Samin, Thierry/Torck, Stéphane, Rejet par le Tribunal de l’UE du recours formé par une banque allemande contre la décision de la BCE l‘ayant qualifiée d‘entité importante, in: Revue de Droit bancaire et financier, n° 5 (2017), comm. 198; Simon, Denys, BCE Union économique et monétaire, in: Europe, no. 7 (2017), comm. 281; Witte, Andreas, Die Architektur des einheitlichen Bankenaufsichtsmechanismus und die Bedeutung administrativer Widerspruchsverfahren im europäischen Prozessrecht, in: EuR (2017), pp. 648 – 657. 86  Judgment in the L-bank case (note 85), paras. 34 – 36. 87  Ibid., para. 79. 88  Ibid., paras. 74 and 75. On the point at issue, see Macchia, Marco, Meccanismo di vigilanza unico: il riparto di competenze tra BCE ed autorità nazionali, in: Giornale Dir. Amm., No. 6/2017 (2017) p. 779.

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was demonstrated that direct prudential supervision by the German authorities would be better able to ensure attainment of the objectives of the Basic Regulation than supervision by the ECB’,89 and L-Bank had not demonstrated this. The applicant has appealed against the judgment in the L-bank case,90 arguing that the General Court erred in failing to interpret the standards in the light of superior law through the competence approach required in the context of the principle of proportionality. In his opinion of 5 December 2018, Advocate General Hogan stated that the division of competences between the Member States and the Union is governed by the principle of conferral (Article 5(1) and (2) TEU) and that the principle of proportionality cannot alter this.91 He added that the legislator has established a legislative scheme that needs to be respected and which envisages the conditions under which the banks are qualified as significant, and that the principle of proportionality cannot be deployed in a manner which would effectively undermine the effet utile of the legislative scheme.92 On 8 May 2019 the ECJ has pronounced its judgment in this case, following the Advocate General’s approach and thereby restating its case-law on the scope and function of the proportionality principle as a tool for using Union competen­ces within the legislative framework, in the establishment of which proportionality has also been taken into account. In other recent judgments, the General Court has highlighted that the ECB enjoys broad discretion when imposing additional capital requirements in a SREP decision93 and when authorising (or not authorising) credit institutions to exclude exposures from the calculation of the leverage ratio, provided that the conditions for granting such exclusion are satisfied94. It is interesting to note that in carrying out judicial review in these cases the General Court has refrained from applying 89 

Judgment in the L-bank case (note 85), para. 81. Landeskreditbank Baden-Württemberg C-450/17 P. 91  Opinion of Advocate General Hogan of 5 December 2018 in Landeskreditbank Baden-Württemberg (note 10), para. 57. 92  Ibid., paras. 61 and 62. 93  See judgment of the General Court of 13 December 2017 Crédit mutuel Arkéa v ECB T-712/15. The Court held that, in so far as, first, the ECB was entitled to take into consideration the possibility of the applicant’s departure from the Crédit Mutuel group, and, second, the parties agreed that such a departure could entail a downgrade in the rating of the applicant’s level of Common Equity Tier 1 capital, the imposition of additional capital to cover such an eventuality was neither the result of a manifest error of assessment nor manifestly disproportionate (paras. 198 – 205). 94  See the so-called Livret A judgments of the General Court of 13 July 2018: Banque Postale v ECB T-733/16, ECLI:EU:T:2018:477; BPCE v ECB T-745/16, ECLI:EU:T:2018:476; Confédération nationale du Crédit mutuel v ECB T-751/16, ECLI:EU:T:2018:475; Société générale v ECB T-757/16, ECLI:EU:T:2018:473; Crédit agricole v ECB T-758/16, ECLI:EU:T:2018:472; BNP Paribas v ECB T-768/16, ECLI:EU:T:2018:471. 90 

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the usual in-depth, three-pronged proportionality test. Instead, it has focused on the legitimate use of discretionary powers, manifest error of assessment (sometimes qualified as error of law)95 and manifest disproportionality, even in cases where the applicant explicitly alleges violation of the principle of proportionality.96 Since this is a new field of competence for the ECB, more cases will be brought before the General Court and the ECJ, and it is probable that the courts will further develop its analysis of the principle of proportionality, for instance in the field of licencing.97 One interesting question that arises in respect of the judicial review of the application of the proportionality principle is that of the extent to which this check has developed from the procedural control, that it was originally into an instrument by which the courts can take a closer look at the legislator’s choices and, to an even greater extent, those of the administrative authority that adopts individual decisions. Since the exercise of proportionality implies a balancing exercise between conflicting objectives and principles that involves the use of discretion, one could conclude that the boundary between the judicial review of proportionality and of the use of discretionary powers by authorities tends to become blurred, especially in the area of Union banking regulation and implementation, in which so many aspects, and so many actors, have to be considered. The question is whether the proportionality check could become an instrument by which to deepen, in the area of banking regulation and supervision, the intensity of judicial review, eventually limiting administrative discretion. As is well known, a distinction exists between full jurisdiction on the merits, or unlimited jurisdiction, and jurisdiction limited to control of legality, even though they can be envisaged as the two poles of a spectrum. For instance, in respect of ECB decisions imposing sanctions, full jurisdiction applies, as established in Regulation (EC) No 2532/98.98 The most interesting question today relates to the intensity of judicial review in the supervisory field. As I have written in the past,99 the intensity of the re95 

See judgment in Banque Postale v ECB (note 94), paras. 95 and 97. instance, on the L-bank case see Annunziata (note 85). See also judgments in Crédit agricole v ECB para. 23 and BNP Paribas v ECB para. 23 (note 94). 97  See for instance the fifth plea in law in the action brought before the General Court on 3 May 2018 in ABLV Bank v ECB T-281/18 and Bernis and Others v ECB T-283/18. 98  Council Regulation (EC) No 2532/98 of 23 November 1998 concerning the powers of the European Central Bank to impose sanctions (OJ L 318 27. 11. 1998 p. 4) as amended (OJ L 27, 3.2.2015, p. 1). 99  Zilioli, Chiara, Justiciability of central banks’ decisions and the imperative to respect fundamental rights, in: ECB Legal Conference 2017, pp. 91 – 103, available at https:// www.ecb.europa.eu/pub/pdf/other/ecblegalconferenceproceedings201712.en.pdf (last accessed on 7 January 2019). 96  For

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view depends on three aspects: (1) the constitutional or administrative capacity in which a court is evaluating a certain issue, (2) the scope for discretion granted by the legislator to the supervisor in view of the complexity and technical nature of the assessment involved, and (3) the question of whether the protection of fundamental rights, or the achievement of the internal market, is at stake. In banking supervision, judicial review is expected to be more intensive when the ECB simply implements the law while, in cases where the law grants it a wide supervisory discretion and the court recognises that the decision implies a complex technical assessment, the court may want to exercise some self-restraint. On the other hand, in the Livret A judgments the General Court appears to have overcome its customary self-restraint: it reassessed the elements that formed part of the ECB’s decision, concluded that they were erroneous and, without deferring to the ECB’s technical expertise, proceeded to scrutinise the ECB’s exercise of discretion and reduce its margin of action when exercising its discretionary tasks.100 This judgment has not been appealed, and the question is whether this more intense standard of review will be confirmed in the future by the ECJ. In view of the case of Commission v Alrosa,101 in which the ECJ set aside the judgment of the Court of First Instance102 because it had infringed the Commission’s discretion, there are reasons to wonder. Indeed, there are some similarities between these two cases: in Commission v Alrosa the ECJ stated that, since the General Court could not find that the Commission’s conclusion was obviously unfounded (rather than speaking generally of manifest error of assessment) and since it had ‘put forward its own assessment of complex economic circumstances and thus substituted its own assessment for that of the Commission’, the General Court had encroached ‘on the discretion enjoyed by the Commission instead of reviewing the lawfulness of its assessment’.103 On this issue, it has recently been argued104 that it is possible to draw a distinction between, on the one hand, the discretion conferred upon the ECB by the Treaty or the legislator and, on the other hand, discretion that merely results from judicial self-restraint in view of the complexity of the assessments carried out by the Union institutions and bodies. On the basis of this distinction, when a margin of discretion is granted, for example, to the ECB expressly under the SSM Regulation, the CRD or the CRR, the General Court is constitutionally bound by the 100 

See judgment in Crédit agricole v ECB (note 94), para. 66. of the ECJ of 29 June 2010 Commission v Alrosa C-441/07 P, ECLI:EU:C:2010:377 in particular paras. 37, 42, 60, 63, 67, 115 and 120. 102  This was, at the time, the name of what is today the General Court. 103  Ibid., para. 67. 104  Prek, Miro: The Legal Accountability of the ECB: The Limits of Procedural Review, speech for panel discussion at: Contesting the incontestable: the ‘Post-crisis’ accountability of the European Central Bank, Hertie School, Berlin (2018). 101 Judgment

Proportionality as the Organising Principle of European Banking Regulation

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principle of institutional balance to carry out a limited review105; however, such a constitutional limitation would not exist when the sole justification for a limited review lies in the complexity of the assessments at stake. In this case, the General Court should exercise a more in-depth review if it considers that it has sufficient technical knowledge to do so. In my opinion, distinguishing between these two allegedly different types of discretion is quite artificial, since what matters is that the law leaves a space for discretion to the administration and does not prescribe a necessary course of action: in this situation the respect by the judiciary of the administrative space of discretion comes from the separation of powers. Moreover, this reasoning can be very dangerous, since it relies upon each court’s self-assessment as to its own technical knowledge: the very reason why highly complex technical decisions are assigned by the legislator to technical bodies is to ensure the technical quality of those decisions.

V.  Conclusions The role of the principle of proportionality in the field of banking law is not significantly different from the role it has played in other sectors of internal market regulation. At the same time, I would conclude that its importance is likely to be much higher, given its higher influence on the field of banking supervision than on other areas of the internal market. Proportionality is a precious tool for managing complexity, and banking law provides numerous examples of complexity in view of plurality of the actors and levels of governance and legislation involved as well as the plurality of fundamental principles and fundamental rights touched upon, whether more or less intensively. In this sense it can be stated that, besides being a general principle of Union law, proportionality is an organising principle of Union banking law. The very function of proportionality is to reconcile the need for uniform rules and for the further integration of the single market with the adaptation of the rules, with proper justification, to realities that are still very different within the internal market, in order to achieve fair and efficient application of the law. 105  However, even the more extensive development of this theory (Prek, Miro & L ­ efèvre, Silvère: “Administrative Discretion”, “Power of Appraisal” and “Margin of Appraisal” in Judicial Review Proceedings Before the General Court, CMLR 56, 339, 2019) cannot explain why in the LivretA cases the General Court reassessed the elements that formed part of the ECB’s decision, concluded that they were erroneous and annulled the decisions. Indeed, Article 429(14) CRR is classified in this article (page 350) as one example of “power of appraisal”, of discretion granted explicitly by the legislator, which the Court has to respect by exercising a limited review.

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This is why the harmonisation of banking law, if it undeniably curtails the discretion of Member States in certain respects, also leaves a considerable number of tools for the accommodation of national specificities, thus embedding proportionality in decision-making procedures at national level. Consequently, the exercise of discretion by the supervisor, in relation both to technical regulations of general application and individual decisions, requires thorough justification and carefully drafted criteria in order to demonstrate the application of proportionality as well as the equal treatment of all parties. For this reason, judicial control will be exercised more intrusively in terms of ensuring respect for the principle of proportionality when individual decisions significantly limit the rights and freedoms of private actors. Whether by drawing up different categories of credit institutions and adapting requirements and procedures accordingly, by granting individual exceptions, by making use, or not making use, of options and discretions, banking supervisors should certainly look to proportionality as their guiding principle.

Matthias Goldmann: Die Bedeutung intraexekutiver Kontrollen für die Gewaltenteilung in der Bankenunion

Die Bedeutung intraexekutiver Kontrollen für die Gewaltenteilungin der Bankenunion Matthias Goldmann Die Bedeutung intraexekutiver Kontrollen für die Gewaltenteilung in der Bankenunion

I.  Einleitung Mit der Einrichtung des Einheitlichen Aufsichtsmechanismus (Single Supervisory Mechanism – SSM) hat die Europäische Zentralbank (EZB) eine beträchtliche Fülle an Befugnissen erlangt, die mit erheblichen Beurteilungs- und Ermessensspielräumen (im Folgenden allgemein als Entscheidungsspielräume bezeichnet) einhergeht. So obliegt der EZB gemäß der SSM-Verordnung1 grundsätzlich die Aufsicht über jede Bank in der Eurozone. Nur weniger bedeutende Institute verbleiben unter der Aufsicht nationaler Aufsichtsbehörden (National Competent Authorities – NCAs); die EZB verfügt bei der Klassifikation der Institute allerdings über einen weiten Beurteilungsspielraum.2 Auch schätzt die EZB innerhalb des unionsrechtlichen Rahmens für die Abwicklung von Banken die Ausfallwahrscheinlichkeit eines gegebenenfalls sodann abzuwickelnden Instituts ein.3 Diese Befugnisse scheinen manchen Akteuren ein Dorn im Auge zu sein. Insbesondere Mitglieder nationaler Parlamente klagen über schwindenden Einfluss, obgleich Art. 21 der SSM-Verordnung ihnen gewisse Konsultationsrechte 1  Art. 4 der Verordnung des Rats (EU) Nr. 1024/2013 vom 15. Oktober 2013 zur Übertragung besonderer Aufgaben im Zusammenhang mit der Aufsicht über Kreditinstitute auf die Europäische Zentralbank, ABl. L 278/63 vom 29. Oktober 2013 (im Folgenden SSM-Verordnung). 2 Vgl. Landeskreditbank Baden-Württemberg – Förderbank gg. European Central Bank, T-122/15, Urteil des Gerichts der Europäischen Union (Vierte erweiterte Kammer) vom 16. Mai 2017, ECLI:EU:T:2017:337 (Verfahren ist noch in zweiter Instanz anhängig). 3  Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen usw., ABl. L 173/190 vom 12. Juni 2014 (im Folgenden BRRD); Verordnung (EU) Nr. 806/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2014 zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Abwicklungsfonds usw., ABl. L 225/1 vom 30. Juli 2014 (im Folgenden SRM-Verordnung).

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garantiert.4 Diese Bedenken mündeten zuletzt in dem Vorschlag, den SSM der Europäischen Bankenbehörde (European Banking Authority – EBA) zuzuordnen,5 erforderlichenfalls durch eine Änderung der Verträge.6 Dieses Kapitel illustriert eingangs anhand einiger Beispiele Ausmaß und Bri­ sanz der Entscheidungsspielräume der EZB im Rahmen des SSM. Diese Spielräume erfordern seitens der EZB ein angemessenes Maß an Rechenschaft, mithin die Einbettung in ein System der Gewaltenteilung, welches die Maßnahmen der auch im Rahmen des SSM nach Art. 19 der SSM-Verordnung unabhängig agierenden EZB gewissen rechtlichen oder politischen Kontrollen unterwirft. Diese Rechenschaftspflichten müssen insgesamt ein den aufsichtsrechtlichen Befugnissen der EZB angemessenes Legitimationsniveau erzeugen (II.). Gemessen an diesem Maßstab erweist sich das System der Gewaltenteilung, in den der SSM eingebettet ist, insgesamt als hinreichend. Die gerichtliche Überprüfung der im Rahmen des SSM ergehenden Entscheidungen kann zwar bei klassischen, von Konditionalprogrammen geprägten Verwaltungsentscheidungen eine angemessene Kontrolle gewährleisten. Für die vielfach an Zielvorgaben orientierten Entscheidungen einer unabhängigen Behörde mit großen Ermessens- und Beurteilungsspielräumen reicht sie jedoch nicht über eine Willkür- und Plausibilitätskontrolle hinaus (II.1.). Dem gegenüber kann die parlamentarische Kontrolle das politische Ermessen der EZB besser kontrollieren und auch die fiskalischen Folgen im Blick behalten. Allerdings zeigt die bisherige Erfahrung mit dem Bankendialog die Grenzen der parlamentarischen Kontrolle auf; auch fehlt es dem Europäischen Parlament an gesetzgeberischen Einwirkungsmöglichkeiten sowie an einem Verantwortungszusammenhang zwischen Kontrollrechten und Budgetrecht (II.2). Das lenkt den Blick auf intraexekutive Rechenschaftspflichten, eine in der gegenwärtigen Diskussion oft übersehene Dimension vertikaler Gewaltenteilung. Wegen der Unabhängigkeit des SSM kann die Kommission zwar der EZB keine Weisungen erteilen. Stattdessen prüfen die Kommission und der Europäische Rechnungshof in struktureller Hinsicht, ob die EZB ihre politischen Entscheidungsspielräume effizient nutzt, um die vorgegebenen Ziele des SSM zu 4  Vgl. Deutscher Bundestag, Antrag „Europäisches System der Finanzaufsicht effizient weiterentwickeln“, BT-Drs. 18/7539 vom 16. Februar 2016; s. auch die Rede von MdB Alexander Radwan vom 18. Februar 2016, Plenarprotokolle, 18. Wahlperiode, 155. Sitzung, S. 15265 f., http://dipbt.bundestag.de/dip21/btp/18/18155.pdf#P.15265. 5  Christian Ramthun, CSU-Vorstoß zur Trennung von EZB-Geldpolitik und Bankenaufsicht, Wirtschaftswoche, 11. Januar 2018, https://www.wiwo.de/politik/deutschland/ europaeische-zentralbank-csu-vorstoss-zur-trennung-von-ezb-geldpolitik-und-banken aufsicht/20834002.html. 6  Überblick über die Kompetenzfragen bei Niamh Moloney, European Banking Union: Assessing Its Risks and Resilience, Common Market Law Review 51 (2014), S. 1609 – 1670, 1653 ff.; Christoph Ohler, Bankenaufsicht und Geldpolitik in der Währungsunion, 2015, S. 145 f.

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erreichen. Zusammen mit den Kontrollmöglichkeiten des Parlaments und dem Rechtsschutz führt dies zu einem insgesamt ausreichenden Legitimationsniveau (II.3). Abschließend erörtert das Kapitel einige Optionen zur Stärkung der Gewaltenteilung im Rahmen des SSM. Sie reichen von einer Verlagerung des SSM weg von der EZB hin zur EBA bis zur Einräumung eines Weisungsrechts an die Kommission. Letztlich erscheint es am besten, die intraexekutiven Rechenschaftspflichten zu optimieren und z. B. die Untersuchungsberichte von Kommission und Rechnungshof häufiger durchzuführen und zeitlich auf den Bankendialog abzustimmen (IV.).

II.  Zur Bedeutung der Gewaltenteilung im Rahmen des SSM 1.  Entscheidungsspielräume des SSM Jeder Akt der öffentlichen Gewalt bedarf der Legitimation, auch die der EZB durch die SSM-Verordnung übertragenen Befugnisse.7 Soweit die im Rahmen des SSM getroffenen Entscheidungen einen eher klassisch-administrativen Charakter haben und von präzisen, auf den konkreten Fall anzuwendenden Konditionalprogrammen geleitet werden, ist die Frage der Legitimation der Befugnisse des SSM eher unspektakulär. Ein Beispiel wären sog. „fit and proper“-Entscheidungen über die Eignung von Mitgliedern der Leitungsgremien.8 Eine gründliche gerichtliche Überprüfung solcher Entscheidungen dürfte deren Legitimation sicherstellen. Es gibt jedoch eine weitere Kategorie von Aufsichtsentscheidungen der EZB, die von weitaus größerer politischer Bedeutung sind und grundlegende Fragen betreffen, die für die Stabilität des gesamten Finanzsektors von Bedeutung sein könnten. Die folgenden Szenarien veranschaulichen einige dieser Entscheidungen, ihre Auswirkungen und Konfliktpotenziale. Ein erstes Szenario betrifft das Verhältnis von Geldpolitik und Bankenaufsicht.9 Eine vollständige Trennung der Geldpolitik und Aufsichtsbefugnisse ist rechtlich kaum möglich, da das rechtliche Rahmenwerk aus AEUV und der SSM-Verordnung der EZB genügend Spielräume bietet, bei ihren aufsichtsrechtlichen Entscheidungen monetäre Belange sowie bei geldpolitischen Entscheidungen 7  Zum Begriff der öffentlichen Gewalt in überstaatlichen Zusammenhängen Armin von Bogdandy/Philipp Dann/Matthias Goldmann, Völkerrecht als öffentliches Recht: Konturen eines rechtlichen Rahmens für Global Governance, Der Staat 49 (2010), S. 23 – 50. 8  Vgl. Art. 4(1)(e) SSM-Verordnung. 9 Dazu Matthias Goldmann, United in Diversity? The Relationship between Monetary Policy and Prudential Supervision in the Banking Union, European Constitutional Law Review 14 (2018), S. 283 – 310.

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Belange der Finanzstabilität zu berücksichtigen.10 Der Grund dafür ist, dass die einschlägigen Regeln Ziele definieren statt Konditionalprogramme bestehend aus Tatbestand und Rechtsfolge – eine von Kompetenzabgrenzungsfragen gut bekannte Problematik.11 Auch ist es der institutionellen Stellung der EZB zuträglich, dass sich die Politiken ihrer verschiedenen Abteilungen nicht gegenseitig aufheben. Dieser Balanceakt erfordert jedoch einen großen Beurteilungs- und Ermessensspielraum (im Folgenden allgemein als Entscheidungsspielraum bezeichnet). Ein zweites Szenario betrifft das Verhältnis zwischen Aufsicht und dem Abwicklungsmechanismus. Gemäß der SRM-Verordnung entscheidet das Single Resolution Board über die Abwicklung eines Finanzinstituts auf der Grundlage einer Stellungnahme der EZB zur Ausfallwahrscheinlichkeit.12 Obwohl das Single Resolution Board die Stellungnahme der EZB überstimmen kann, beeinflusst die Position der EZB das Endergebnis entscheidend.13 Bei dieser Entscheidung könnte die EZB in einen Interessenkonflikt geraten. Auf der einen Seite erscheint die zügige Abwicklung absehbar scheiternder Institute kostengünstig, um eine weitere Verschlechterung ihrer Lage zu verhindern. Andererseits könnte die aufsichtsrechtliche Sorge um die Stabilität anderer Institute, die von der Abwicklung indirekt betroffen sein könnten, für ein Hinauszögern der Abwicklung sprechen, bis entsprechende Vorsichtsmaßnahmen getroffen oder die anderen Institute stabilisiert sind. Der Wortlaut von Art. 18 der SRM-Verordnung bietet der EZB genügend Spielraum in die eine oder andere Richtung. So muss sie gemäß Art. 18 Abs. 1 Buchst. c) SRM-Verordnung zu der Feststellung kommen, dass eine Abwicklungsmaßnahme im öffentlichen Interesse liegt. Für den Begriff des öffentlichen Interesses verweist Art. 18 Abs. 5 der SRM-Verordnung auf die weit gefassten Zielbestimmungen gemäß Art. 14 Abs. 2 SRM-Verordnung, zu denen unter anderem der Schutz der Finanzstabilität zählt.14 Das dritte Szenario betrifft den Einfluss der EZB auf die Normsetzung. In der Bankenunion liegt zwar grundsätzlich die Kompetenz zum Erlass von Verordnungen bei der Kommission, von Leitlinien und Empfehlungen bei der Europäischen Bankaufsichtsbehörde (EBA). Die EZB ist nur ein nicht stimmberechtigtes Mitglied des EBA-Rats.15 Die EZB hat jedoch aufgrund ihrer Position als Träge10 Ebd. 11  Jürgen Bast, Don’t Act Beyond Your Powers: The Perils and Pitfalls of the German Constitutional Court’s Ultra Vires Review, German LJ 15 (2014), S. 167, 175. 12  Art. 18 (1) UAbs. 1 Buchst. a SRM-Verordnung. 13  Art. 18 (1) UAbs. 2 SRM-Verordnung. Dies gilt auch für Entscheidungen über Alternativen zur Abwicklung gem. Art. 18 (1) UAbs. 1 Buchst. b SRM-Verordnung, sowie bei Frühinterventionsmaßnahmen gem. Art. 13 Abs. 2 SRM-Verordnung. 14  Art. 14 Abs. 2 Buchst. b SRM-Verordnung. 15 Art. 40 Abs. 1 Buchst. B der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. November 2010 zur Errichtung einer Europäischen

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rin des SSM deutlich an Einfluss gewonnen. So obliegt der EZB und den NCAs die Umsetzung der Instrumente der EBA. Zu diesem Zweck haben die EZB und die NCAs gemeinsame Richtlinien entwickelt, die sich in sog. „Guides“ widerspiegeln, wie beispielsweise dem Guide to Fit and Proper Assessments.16 Natürlich sind solche Guides allen anwendbaren Regeln einschließlich einschlägiger EBA-Richtlinien untergeordnet und müssen diesen entsprechen. Doch ganz abgesehen davon, dass die EZB den genannten Guide vor der Verabschiedung der entsprechenden EBA-Leitlinien veröffentlicht hat,17 reduziert der EZB-Guide effektiv den nach dem Sekundärrecht den NCAs zustehenden Handlungsspielraum.18 Die Befugnisse zur Normsetzung der EZB gemäß Art. 4 (3) der SSM-Verordnung für ihre eigene Aufsichtsarbeit und gemäß Art. 6 (5) (a) der SSM-Verordnung für die Aufsichtstätigkeiten der NCAs stellt die EZB in einen Wettbewerb mit der EBA.19 Darüber hinaus ist die Entwicklung einer gemeinsamen „Aufsichtskultur“20 durch die EBA ohne entscheidende Unterstützung durch die EZB kaum vorstellbar. Tatsächlich ist es wahrscheinlich, dass diese Kultur durch die Praxis der EZB und durch Leitlinien und Empfehlungen gemäß Art. 4 (3) SSM-Verordnung umrissen wird. Man könnte sich daher fragen, wer der Herr und wer der Diener in dieser Beziehung ist. Das vierte und letzte Szenario betrifft das bekannte Zusammenspiel von Finanzstabilität und Fiskalpolitik. Nach Art. 13 Abs. 7 ESM-Vertrag ist die EZB mit der Erstellung von Schuldennachhaltigkeitsanalysen, der Aushandlung von MoUs und im Rahmen der „Troika“ mit der Kontrolle der Einhaltung der Vorschriften beauftragt. In Staaten, in denen eine Krise im Bankensektor in eine Staatsschuldenkrise umzuschlagen droht, könnte die EZB wiederum in schwierige Interessenskonflikte geraten. Einerseits legt die EZB als Aufsichtsbehörde die für die fiskalische Situation der Mitgliedstaaten relevanten Bedingungen fest. Aufsichtsbehörde (Europäische Bankenaufsichtsbehörde) usw., ABl. L 331/12 vom 15. Dezember 2010 (im Folgenden EBA-Verordnung). 16  ECB, Guide to fit and proper assessments, Mai 2018, https://www.bankingsupervision.europa.eu/ecb/pub/pdf/ssm.fap_guide_201705_rev_201805.en.pdf. 17  Commission Staff Working Document Accompanying the document Report from the Commission to the European Parliament and the Council on the Single Supervisory Mechanism established pursuant to Regulation (EU) 1024/2013, 11. Oktober 2017, COM(2017) 591 final, S. 39. 18 Instruktiv Fabio Recine, The Single Supervisory Mechanism in Action: Institutional Adjustment and the Reinforcement of the ECB Position, European Public Law (2018), S.  101 – 124, 122. 19  Diese Spannungen werden in dem Kommissionsbericht sichtbar: Report from the Commission to the European Parliament and the Council on the Single Supervisory Mech­anism established pursuant to Regulation (EU)No 1024/2013, SWD(2017) 336 final, 11 October 2017, S. 15. 20  Art. 8 Abs. 1 Buchst. b EBA-Verordnung.

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Auf der anderen Seite spielt sie eine wichtige Rolle bei der Bewältigung der fiskalischen Krise.21 Insgesamt zeigt dieser kurze Überblick die gewichtigen politischen Implikationen der Aufsichtsbefugnisse der EZB. Sie sind regelmäßig darauf zurückzuführen, dass die geltende Gesetzgebung die EZB häufig dazu anhält, sich an vorgegebenen Zielen zu orientieren bzw. sogar widerstreitende Ziele gegeneinander abzuwägen, statt Konditionalprogramme anzuwenden.22 Diese Entscheidungen gehen daher weit über technische Fragen hinaus. Sie setzen vielmehr politisches Urteilsvermögen voraus und können zudem gravierende finanzielle Folgen auslösen. 2. Legitimation durch Gewaltenteilung Die demokratische Legitimation der EZB steht im Gegensatz zum Ausmaß und zur Signifikanz ihrer Befugnisse zunächst auf vergleichsweise dünnem Eis. Grundsätzlich verleiht ihre Expertise ihren Entscheidungen Gewicht, nicht ihre Repräsentativität. Die bildet damit eine Ausnahme von den üblichen Standards demokratischer Legitimität in freiheitlich-demokratischen Verfassungsordnungen.23 Tatsächlich erwähnen die in den Art. 9 bis 12 EUV enthaltenen demokratischen Grundsätze der EU nicht einmal diesen technokratischen Legitimationsmodus. Letzterer hat zudem durch die von weiten Kreisen der Öffentlichkeit als politisiert empfundenen geldpolitischen Kriseninterventionsmaßnahmen der EZB stark an Glaubwürdigkeit verloren. Eine Neujustierung der Legitimität der EZB scheint daher angezeigt.24 Eine Möglichkeit, die Legitimation der EZB zu stärken, ohne zu einer politisch abhängigen und vollständig politisierten EZB überzugehen, bietet die Auferlegung von Rechenschaftspflichten (accountability). Darunter fallen Mechanismen, welche die Ausübung öffentlicher Gewalt anhand vordefinierter Standards bewerten und ggf. Konsequenzen einläuten, wenn die Praxis hinter den Erwartungen zurückbleibt.25 Im Gegensatz zu der durch Repräsentation oder 21  Aus vergleichbaren Gründen forderte Generalanwalt Cruz Villalón den Rückzug der EZB aus der Troika in Ländern, in denen sie ihr Outright Market Transactions-Programm ausführe, vgl. Peter Gauweiler and Others v Deutscher Bundestag, C-62/14, Stellungnahme des Generalanwalts Cruz Villalón, 14. Januar 2015, ECLI:EU:C:2015:7, Rn. 150. 22  René Smits, Accountability of the European Central Bank, Ars Aequi (2019), S. 27, 29. 23  Z. B. BVerfGE 89, 155 (207 ff.). 24  Fabian Amtenbrink, The European Central Bank’s intricate independence versus accountability conundrum in the post-crisis governance framework, Maastricht Journal of European and Comparative Law 26 (2019), i. E. 25  Ruth W. Grant/Robert O. Keohane, Accountability and Abuses of Power in World Politics, American Political Science Review 99 (2005), S. 29 – 43, 30; Fabian Amtenbrink/ Menelaos Markakis, Towards a Meaningful Prudential Supervision Dialogue in the Euro

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Partizipation vermittelten Legitimität26 funktionieren Rechenschaftspflichten im Allgemeinen ex post.27 Rechenschaftspflichten im engeren Sinne erfordern eine mit rechtlich definierten Kontrollbefugnissen ausgestattete Kontrollinstanz; Rechenschaftspflichten im weiteren Sinne umfassen auch nicht formalisierte Mechanismen wie die öffentliche Meinung oder die Marktdisziplin.28 Die Legitimation einer unabhängigen, mit weiten politischen Entscheidungsspielräumen ausgestatteten Institution durch verstärkte Rechenschaftspflicht ist vom geldpolitischen Arm der EZB her bekannt, der in diesem Kapitel ansonsten außer Betracht bleibt. In Anerkennung der politischen Bedeutung der Geldpolitik, aber zugleich im Bewusstsein der Notwendigkeit, die Rechenschaftspflichten der EZB nicht zur Gefahr für ihre Unabhängigkeit gemäß Art. 130 AEUV werden zu lassen, unterliegt die Geldpolitik der EZB nicht nur der gerichtlichen Kontrolle, wie inzwischen hinlänglich bekannt ist. Die EZB muss darüber auch politische Rechenschaft ablegen. Gemäß Art. 284 Abs. 3 AEUV steht die EZB in einem sog. geldpolitischen Dialog mit dem Europäischen Parlament, über den das Parlament die EZB öffentlich zur Verantwortung für die Ergebnisse ihrer Geldpolitik ziehen kann.29 Um die Ablegung dieser Art von Rechenschaft zu fördern, hat die EZB die Transparenz ihrer Entscheidungen seit der Finanzkrise deutlich erhöht, wenngleich über deren Zulänglichkeit Meinungsverschiedenheiten bestehen.30 Meines Erachtens besteht angesichts der Entscheidungsspielräume der EZB im Rahmen des SSM Bedarf für vergleichbare Rechenschaftspflichten. Da die Entscheidungsträger des SSM nicht direkt gewählt sind, dürfte RechenschaftsArea? A Study of the Interaction between the European Parliament and the European Central Bank in the Single Supervisory Mechanism, European Law Review 44 (2019), S. 3, 7. Einem Verständnis von Rechenschaftspflichten als Mittel zur Verbesserung der Effizienz aufsichtsrechtlicher Befugnisse folgt Phedon Nicolaides, Accountability of the ECB’s supervisory activities (SSM): evolving and responsive, CERiM Online Paper Series Paper 10/2018, 4. 26 Vgl. Maurizia De Bellis, Procedural Rule-making of European Supervisory Agencies (ESAs). An effective tool for legitimacy?, TARN Working Paper 12/2017 (2017) . 27  Grant/Keohane (Fn. 25), S. 29. 28  Ebd. S. 36. 29 Vgl. Paul Magnette, Towards ,accountable independence‘? Parliamentary controls of the European Central Bank and the rise of a new democratic model, European Law Journal 6 (2000), S. 326 – 340. 30  Deirdre Curtin, ,Accountable Independence‘ of the European Central Bank: Seeing the Logics of Transparency, European Law Journal 23 (2017), S. 28 – 44. Zur Bedeutung von Transparenz für die Rechenschaftspflicht von Zentralbanken vgl. Paul Tucker, Unelected power: The quest for legitimacy in central banking and the regulatory state, 2018, S. 349 ff.; zur notwendigen Abwägung zwischen Transparenz und Effektivität der Aufsichtstätigkeit Mark Dawson/Ana Bobić/Adina Maricut-Akbik, Reconciling Independence and accountability at the European Central Bank: The false promise of Proceduralism, European Law Journal 25 (2019), S. 75 – 93, 82.

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pflichten im weiteren Sinn, die die allgemeine Öffentlichkeit miteinbeziehen, eine geringere Bedeutung zukommen als den rechtlich geregelten Rechenschaftspflichten des SSM im Rahmen des Unionsverfassungsrechts. Demnach hängt die Legitimation unabhängiger, auf Fachkompetenz basierender Unionsorgane davon ab, dass sie in ein System der Gewaltenteilung eingebettet sind, welches wirksame und angemessene Kontrollen ermöglicht. 3. Gewaltenteilung und Legitimationsniveau Vor der Analyse des Systems der Gewaltenteilung im Rahmen des SSM erscheinen einige Überlegungen zu dem an die Gewaltenteilung anzulegenden Maßstab angebracht. Das Prinzip der Gewaltenteilung hat vielfache Transformationen erfahren, seitdem es von Montesquieu als verfassungsrechtlicher Grundpfeiler etabliert wurde.31 In gegenwärtigen Debatten lassen sich zwei verschiedene Dimensionen dieses Prinzips unterscheiden. Auf der einen Seite organisiert das Prinzip der Gewaltenteilung spezifische Kompetenzen zur Ausübung öffentlicher Gewalt nach institutionellen, funktionalen und persönlichen Gesichtspunkten auf unterschiedliche Akteure.32 Dies entspricht seiner ursprünglichen Funktion der Einhegung der monarchischen Exekutive.33 Andererseits bezieht sich das Prinzip auf sog. Checks and Balances, also auf Mechanismen, die bestimmten Akteuren Kontroll- und Aufsichtsrechte gegenüber anderen verleihen.34 Die letztgenannte Dimension des Prinzips der Gewaltenteilung deckt sich mit dem, was hier mit der Pflicht zur Ablegung von Rechenschaft („accountability“) über die Ausübung öffentlicher Gewalt im engeren Sinne verstanden wird. Die angemessene Einrichtung eines Systems der Gewaltenteilung muss sich an der Funktion der Gewaltenteilung orientieren. Gewaltenteilung dient nach allgemeiner Ansicht der Sicherung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.35 Damit ist das System der Gewaltenteilung im Sinne funktionaler Adäquanz jeweils an den spezifischen Auswirkungen der in Frage stehenden Institution und der von ihr ausgeübten öffentlichen Gewalt auf das Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip auszurichten.36 31 

Charles de Montesquieu, De l’esprit des loix, 1758. Maurice John Crawley Vile, Constitutionalism and the Separation of Powers, 2. Aufl. 2012, S. 17 – 19. 33  Vgl. BVerfGE 34, 52 (59). 34  Vile (Fn. 32), S. 19; Jürgen Habermas, Faktizität und Geltung, 1992, S. 231. 35  Christoph Möllers, Die drei Gewalten. Legitimation der Gewaltengliederung in Verfassungsstaat, Europäischer Integration und Internationalisierung, 2008, S. 68 f.; Habermas (Fn. 34), S. 229 ff. 36  Zum Kriterium der funktionalen Adäquanz Ralf Poscher, Die Funktionenordnung des Grundgesetzes, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas 32 

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Dabei darf man sich das System der Gewaltenteilung nicht als statisch vorstellen. Mit der fortschreitenden Entwicklung des modernen Staates änderten sich gemäß der Maßgabe der funktionalen Adäquanz auch die Mechanismen und Intensität der „Checks and Balances“.37 Während beispielsweise die Gewaltenteilung nach deutschem Verfassungsrecht ursprünglich keine Verwaltungsentscheidungen zuließ, die nicht der Ministerverantwortlichkeit unterlagen,38 hat der nicht nur in Europa spürbare, sondern weltweite Trend zu unabhängigen Behörden diese Position aufgeweicht,39 gleichzeitig aber zu einer Politisierung der Exekutive geführt. In vergleichbarer Weise hat sich das europäische Verfassungsrecht nach anfänglichen Schwierigkeiten mit der Einrichtung unabhängiger Agenturen arrangiert.40 Dennoch ist die Bestimmung des jeweils funktional adäquaten Systems der Gewaltenteilung nur näherungsweise möglich. Das hängt damit zusammen, dass sich die verschiedenen Gewalten nicht trennscharf unterscheiden lassen.41 Einleuchtend ist in dieser Hinsicht die Analyse von Habermas. Auf der Grundlage seiner Theorie des kommunikativen Handelns unterscheidet er die verschiedenen Gewalten anhand der zu ihrer Rechtfertigung angebotenen Gründe.42 Diese Gründe oszillieren zwischen zwei diskursiven Grundtypen, nämlich Rechtssetzungs- und Rechtsanwendungsdiskursen. Erstere sind nicht auf ein bestehendes Gesetz bezogen und umfassen pragmatische, ethische und moralische Argumente, während Letztere den Einschränkungen eines am Gesetz orientierten rechtlichen Diskurses unterliegen.43 Dazwischen bestehen vielfältige Mischformen, in Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Band 1, 2. Aufl. 2012, § 8 Rn. 28 f.; Bernd Grzeszick, Die Teilung der staatlichen Gewalt, 2013, S. 47 ff. 37  Habermas (Fn. 34), S. 233 f. 38 Vgl. Carl Peter Fichtmüller, Zulässigkeit ministerialfreien Raums in der Bundesverwaltung, Archiv des öffentlichen Rechts 91 (1966), S. 297 – 355. 39  Frank Vibert, The rise of the unelected: democracy and the new separation of powers, 2007, S. 18. 40 Ebd. S. 138 (zur besseren Vereinbarkeit unabhängiger Agenturen mit einer auf Checks und Balances beruhenden Verfassung wie derjenigen der Vereinigten Staaten und im Gegensatz zu parlamentarischen Regierungsformen); Antoine Vauchez, The Appeal of Independence: Exploring Europe’s Way of Political Legitimacy, TARN Working Paper 7/2016 (2016) (kritisch zur allgegenwärtigen Betonung der Parlamentarisierung als Lösung zur Behebung von Legitimationsdefiziten der EU und stattdessen die Rolle unabhängiger Akteure für die Demokratisierung der EU hervorhebend). Zur Legitimation der EZB als Ausnahme vom Demokratieprinzip BVerfG, 2 BvR 2728/13, Urteil vom 21. Juni 2016 (Gauweiler), Rn. 131, ECLI:DE:BVerfG:2016:rs20160621.2bvr272813. 41  Michael Sachs, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 20 Rn. 83, 85. 42  Habermas (Fn. 34), S. 213, 235. 43  Zu den verschiedenen Diskurstypen vgl. ebd., S. 139 ff., 187 ff.

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denen sich rechtliche Argumente in schwer zu entflechtender Weise mit pragmatischen, ethischen und moralischen Argumenten verbinden. Es ist daher unabdingbar, die für einen bestimmten Typ öffentlicher Gewalt notwendigen „Checks and Balances“ stets jeweils an den besonderen diskursiven Anforderungen an die zu seiner Rechtfertigung angebotenen Gründe auszurichten.44 Illustrativ hierfür ist ein Vergleich der aufsichtsrechtlichen Befugnisse der EZB mit ihrem geldpolitischen Mandat. Als entscheidender Unterschied zwischen diesen beiden Kompetenzen wird oft herausgestellt, dass die Geldpolitik nur ein Ziel verfolge, nämlich die Preisstabilität, während die Finanzaufsicht eine ganze Reihe von Zielen im Auge behalten müsse.45 Die Abwägung verschiedener Ziele erfordert einen anderen Rechtfertigungsdiskurs als die Verfolgung eines einzigen Ziels. Bei Ersterem sind komplexe rechtliche, wirtschaftliche und politische Fragen zu beantworten. Es sei nur hinzugefügt, dass der Unterschied zwischen Geldpolitik und Finanzaufsicht wahrscheinlich kleiner ist als oftmals angenommen. Während die Preisstabilität gemäß Art. 127 Abs. 1 AEUV unbestreitbar das primäre Ziel der Geldpolitik der EZB darstellt, hat die EZB als sekundäres Ziel die Wirtschaftspolitik der Union zu unterstützen. Was auch immer das genaue Verhältnis zwischen dem primären und dem sekundären Ziel sein mag, es zeigt, dass der Rechtfertigungsdiskurs für die Geldpolitik letztlich kaum weniger komplex sein dürfte als derjenige für die Finanzaufsicht. Ein entscheidender Unterschied zwischen Geldpolitik und Finanzaufsicht besteht jedoch hinsichtlich der Reichweite und der Adressaten der jeweiligen Maßnahmen. Die Geldpolitik betrifft alle. Die EZB legt einen gemeinsamen Leitzins für die Eurozone fest. Die Entscheidungen der Finanzaufsicht betreffen dagegen typischerweise einzelne Institute oder Personen oder im Falle von Leitlinien und Empfehlungen eine bestimmte Branche bzw. einen Teil davon. Nur indirekt steuert die EZB dadurch die Finanzstabilität des gesamten ihrer Aufsicht unterliegenden Gebiets. Dies gilt auch für die zuvor beschriebenen Aufsichtsbefugnisse, die mit erheblichen politischen Entscheidungsspielräumen einhergehen. Diese unterschiedliche Reichweite spiegelt sich in den jeweiligen Rechtfertigungsdiskursen wider. Insbesondere erfordern aufsichtsrechtliche Entscheidungen eine Abwä44  Zu diesem typologischen Zugriff im Zusammenhang internationaler Organisationen Matthias Goldmann, Internationale öffentliche Gewalt. Handlungsformen internationaler Institutionen im Zeitalter der Globalisierung, 2015, S. 409. 45  Chiara Zilioli, The Independence of the European Central Bank and Its New Bank­ ing Supervisory Competences, in: Dominique Ritleng (Hrsg.), Independence and legitimacy in the institutional system of the European Union, 2016, S. 125, 161 f.; Fabian Amtenbrink/Rosa María Lastra, Securing Democratic Accountability of Financial Regulatory Agencies – A Theoretical Framework, in: Richard V. De Mulder (Hrsg.), Mitigating Risk in the Context of Safety and Security – How Relevant is a Rational Approach?, 2008, S. 115 – 132, 115, 125.

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gung im konkreten Einzelfall. Dem müssen das System der Gewaltenteilung und die ihm dienenden Kontrollbefugnisse Rechnung tragen. Da sich die verschiedenen Gewalten nur näherungsweise abgrenzen lassen, legt das Prinzip der Gewaltenteilung eine ganzheitliche Sichtweise nahe, die multiple Rechenschaftsbeziehungen zu unterschiedlichen Akteuren in den Blick nimmt, einschließlich derjenigen innerhalb der Exekutive.46 Eine solche Vorgehensweise suggeriert bereits der Begriff des Systems der Gewaltenteilung. Wenngleich die SSM-Verordnung die Rechenschaftspflicht der EZB ausdrücklich nur auf ihr Verhältnis zum Rat und zum Europäischen Parlament bezieht,47 wird der folgende Teil daher die verschiedenen im Rahmen des SSM operierenden Kontrollmechanismen umfassend in den Blick nehmen.

III.  Zur Gewaltenteilung im Rahmen des SSM 1.  Rechtsschutz Die Entscheidungen des SSM unterliegen der gerichtlichen Überprüfung durch den EuGH.48 Dies ergibt sich aus Art. 263 AEUV, worauf in Erwägungsgrund 60 der SSM-Verordnung ausdrücklich verwiesen wird. Darüber hinaus haben von SSM-Entscheidungen betroffene Personen die Möglichkeit einer internen Überprüfung der Entscheidung durch den Administrativen Überprüfungsausschuss gemäß Art. 24 SSM-Verordnung.49 Der Umfang der Überprüfung durch Letzteren beschränkt sich auf die Beurteilung der verfahrensrechtlichen und materiellen Übereinstimmung einer Entscheidung mit der SSM-Verordnung. Der Ausschuss kann eine Stellungnahme abgeben, die angefochtene Entscheidung jedoch nicht direkt ändern. Trotz der scheinbar weitreichenden Dimensionen des Rechtsschutzes kann man aus mehreren Gründen bezweifeln, ob dies allein zu einem zufriedenstellenden Maß an Rechenschaftspflicht führt. Erstens ist der Umfang der Handlungen, die der gerichtlichen Überprüfung unterliegen, begrenzt, wie die im vorherigen Teil dargelegten Szenarien sinnvoll veranschaulichen. So ist beispielsweise die Beurteilung der Ausfallwahrscheinlichkeit eines Instituts durch die EZB eine vorbereitende Entscheidung und unterliegt daher nicht der gerichtlichen Über46 

Dawson/Bobić/Maricut-Akbik (Fn. 30), S. 85; Amtenbrink/Lastra (Fn. 45), S. 123. Vgl. Art. 20(1) SSM-Verordnung. 48 Im Überblick in Luca De Lucia, A Microphysics of European Administrative Law: Administrative Remedies in the EU after Lisbon, European Public Law 20 (2014), S.  277 – 307; Stefaan Loosveld, Appeals against decisions of the European supervisory authorities, J Int Bank Law Regul 28 (2013), S. 9 – 13. 49  Vgl. Decision of the European Central Bank of 14 April 2014 concerning the estab­ lishment of an Administrative Board of Review and its Operating Rules (ECB/2014/16). 47 

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prüfung.50 Darüber hinaus sind die von der EZB im Rahmen der SSM-Verordnung veröffentlichten Leitlinien nicht verbindlich. Nach Art. 263 Abs. 1 AEUV ist eine Nichtigkeitsklage gegen eine Handlung mit „Rechtswirkung“ zu richten. In dem Fall um den Standort sog. Central Counterparties hat das Gericht diesen Begriff ausführlich behandelt. Während bloße Empfehlungen keine „Rechtswirkung“ hätten, hielt es das Gericht für die Annahme von Rechtswirkungen für ausreichend, dass die zuständigen nationalen Behörden sich im konkreten Fall für verpflichtet halten könnten, eine unverbindliche Handlung umzusetzen.51 Dies mag aber auf den im Rahmen des SSM erlassenen Leitfaden über „fit and proper“-Entscheidungen nicht zutreffen, da er ausdrücklich als nicht verbindlich bezeichnet ist.52 Außerdem müssen die NCAs bei der Umsetzung hier das relevante nationale Recht berücksichtigen und können sich an den Leitfaden nur soweit halten, wie er dazu nicht im Widerspruch steht. Es erscheint daher schwierig, solchen Leitlinien Rechtswirkungen zuzuschreiben, die sie einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich machen würden. Auf jeden Fall wären nur privilegierte Antragsteller nach Art. 263 Abs. 2 AEUV in der Lage, eine entsprechende Klage einzureichen. Eine weitere Einschränkung der gerichtlichen Kontrolle ergibt sich aus der von Gerichten bzw. dem Administrativen Überprüfungsausschuss zu beachtenden Kontrolldichte. Unter erneuter Bezugnahme auf die eingangs geschilderten Szenarien erscheint die Frage berechtigt, inwieweit der EuGH oder der Administrative Überprüfungsausschuss in der Lage wäre, etwa in einem Streit über die Auswirkungen der Geld- und Finanzpolitik auf die Finanzstabilität das Ermessen der EZB zu überprüfen. Rechtsschutz ist auf einen rechtlichen Standard angewiesen, den Gerichte mit den akzeptierten juristischen Methoden auslegen und anwenden können. Der normative Rahmen für viele Aufsichtsentscheidungen besteht, wie bemerkt, aus offen formulierten Zielbestimmungen. Ob und wie sie erfüllt werden, hängt in hohem Maße von wirtschaftlichen Prognosen, dem Ausgleich komplexer, ungewisser Risiken und anderen politischen Überlegungen ab, nicht von der Auslegung einer Rechtsvorschrift. Ein Beispiel dafür ist die Definition von Finanzstabilität. In Art. 10 Abs. 5 der SRM-Verordnung ist Finanzstabilität definiert als „eine Situation […], in der das Finanzsystem tatsächlich oder potenziell der Gefahr einer Störung ausgesetzt ist, welche zu einer Finanzkrise führen kann, die das ordnungsgemäße Funktionieren, die Effizienz und die Integrität des Binnenmarktes oder der Wirtschaft oder des Finanzsystems

50 Cf. Oliver Dörr, in: Eberhard Grabitz/Meinhard Hilf (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union: EUV/AEUV, 3. Band, 2012, Art. 263 AEUV, Rn. 39 – 40. 51  Vereinigtes Königreich gg. EZB, T-496/11, Urteil vom 4. März 2015, ECLI:EU:T: 2015:133, Rn.  31 – 48. 52 S.o. (Fn. 16), S. 3.

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eines oder mehrerer Mitgliedstaaten gefährden könnte.“53 Die dieser Definition inhärenten prognostischen Herausforderungen sind offensichtlich. Nicht einmal über die erforderliche Methodik dürfte in jeder Hinsicht Einigkeit bestehen. Solche Entscheidungen weichen deutlich von der klassischen, Weber’schen Idealform der von rationaler Legalität geprägten Verwaltungstätigkeit ab. Vielmehr ähnelt sie dem Entscheidungsmodus der Gubernative, welcher durch zahlreiche, sich überschneidende Ermessensspielräume gekennzeichnet ist.54 Wegen dieser Spielräume erweist sich die Erwartung, dass regelbasierte, unabhängige Institutionen die wirtschaftliche Steuerung entpolitisieren und zu optimalen Ergebnissen führen würden, als unrealistisch.55 Dies hat Konsequenzen für den Rechtsschutz. Auch wenn die wirtschaftlichen und politischen Entscheidungsspielräume der EZB die Möglichkeit bzw. Notwendigkeit einer gerichtlichen Überprüfung ihrer Entscheidung keinesfalls ausschließt, so muss Letztere doch diese Entscheidungsspielräume berücksichtigen. Damit verhält es sich ähnlich wie mit dem Rechtsschutz gegen Verwaltungsentscheidungen, die auf komplexen Risikobewertungen beruhen.56 Die gerichtliche Überprüfung kann in diesem Fall im System der Gewaltenteilung nur eine Plausibilitätskontrolle sowie einen Schutz vor offensichtlicher Willkür bieten, nicht aber die zentrale Rolle, die einige ihr möglicherweise zuweisen wollen, darunter das Bundesverfassungsgericht.57 Wie in der Geldpolitik ist der Respekt für die Entscheidungsspielräume des SSM unerlässlich, wenn der EuGH das fachlich fundierte Urteil des SSM nicht durch sein eigenes Urteil ersetzen will, das auf keiner vergleichbaren Expertise beruht.58 Es sei darauf hingewiesen, dass diese Einschränkung der gerichtlichen Kontrolle bereits aus dem Prinzip der Gewaltenteilung resultiert und nicht mit der 53  Interessanterweise verweist Art. 14 Abs. 2 der SRM-Verordnung, der Finanzstabilität als Ziel der Abwicklung ausgibt, nicht auf Art. 10 Abs. 5 SRM-Verordnung. 54  Meinard Schröder, Die Bereiche der Regierung und Verwaltung, in: Josef Isensee/ Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts 5. Band, 2007, § 106 Rn. 9. Zu den Handlungsformen der Gubernative vgl. Armin von Bogdandy, Gubernative Rechtsetzung, 2000. 55 Klassisch Milton Friedman, Capitalism and freedom, 1962, S. 51 – 54; Jan Tinbergen, Centralization and decentralization in economic policy, 1954; Finn E. Kydland/Edward C. Prescott, Rules Rather than Discretion: The Inconsistency of Optimal Plans, The Journal of Political Economy 85 (1977), S. 473 – 492. 56 Für Deutschland vgl. BVerwGE 106, 115, Rn. 80; für das Vereinigte Königreich Thomas Poole, United Kingdom: The royal prerogative, International Journal of Constitutional Law 8 (2010), S.  146 – 155. 57  BVerfG, 2 BvR 2728/13, Urteil vom 14. Januar 2014 (Gauweiler), BVerfGE 134, 366 Rn. 60. 58  Im Kontext des Gauweiler-Falls Matthias Goldmann, Adjudicating Economics: Central Bank Independence and the Appropriate Standard of Judicial Review, German LJ 15 (2014), S. 265.

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Unabhängigkeit der EZB zusammenhängt.59 Ein auf Plausibilitäts- und Willkürkontrolle begrenzter Rechtsschutz ist die Kehrseite der funktionalen Gewaltenteilung in Bezug auf fachlich anspruchsvolle, von hoher Unsicherheit geprägte Entscheidungen. In Anerkennung dieser Eigenart der Finanzaufsicht heißt es in Erwägungsgrund 64 der SSM-Verordnung ausdrücklich, dass die Überprüfung durch den Administrativen Überprüfungsausschuss „sich auf die verfahrensmäßige und materielle Übereinstimmung solcher Beschlüsse mit dieser Verordnung erstrecken [soll], wobei gleichzeitig der der EZB überlassene Ermessensspielraum, über die Zweckmäßigkeit dieser Beschlüsse zu entscheiden, zu achten ist.“ Daraus ist zu entnehmen, dass der begrenzte Prüfungsmaßstab keineswegs nur politisch hochsensible Entscheidungen betrifft wie in den oben geschilderten Szenarien, sondern auch mutatis mutandis für stärker von Konditionalprogrammen geprägte, routinemäßige Verwaltungsentscheidungen gilt. Die Entscheidung des Gerichts der Europäischen Union in der Rechtssache Landeskreditbank steht beispielhaft dafür.60 Der Fall drehte sich um die Einordnung der klagenden Institution als systemrelevant. Diese Einordnung beruht auf vielen Bewertungskriterien, die sich einer strengen rechtlichen Prüfung entziehen, so etwa die „besonderen Umstände“, die eine Ausnahme nach Art. 6 Abs. 4 SSM-Verordnung rechtfertigen können. Unter diesen Umständen bietet es sich für die gerichtliche Kontrolle an, den Schwerpunkt auf die Überprüfung des Zustandekommens der Entscheidung zu legen.61 Eine solche prozedurale Herangehensweise mag zwar im Einzelfall Abhilfe für die Kläger schaffen; sie erlaubt aber keine materielle Überprüfung, ob der SSM im Einzelnen wie auch insgesamt seinen Zielvorgaben gerecht wird und seine Maßnahmen im Hinblick auf die Sicherung der Finanzstabilität gerechtfertigt sind. Insofern unterliegt auch die Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Entscheidungen des SSM den erwähnten Beschränkungen und reicht nicht über eine Kontrolle der verfahrensmäßigen Richtigkeit, Plausibilität und Willkürfreiheit hinaus.62 Der wesentliche Effekt einer solchen gerichtlichen Überprüfung liegt vermutlich in ihrer präventiven Wirkung; der SSM muss eine Entscheidung ggf. plausibel begründen können.63 59  Es ist daher missverständlich, in der Unabhängigkeit den Grund für die Entscheidungsspielräume zu sehen, so aber Nicolò Fraccaroli/Alessandro Giovannini/JeanFrançois Jamet, The evolution of the ECB’s accountability practices during the crisis, ECB Economic Bulletin (2018), S. 47, 49. 60  Landeskreditbank Baden-Württemberg gg. ECB, T-122/15, Urteil vom 16. Mai 2017, ECLI:EU:T:2017:337. 61  Dawson/Bobić/Maricut-Akbik (Fn. 30), S. 76. 62  Ebd. S. 91. 63  Zur präventiven Wirkung des Rechtsschutzes in der WWU vgl. Ana Bobic, Constitutional Pluralism Is Not Dead: An Analysis of Interactions between Constitutional Courts

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Zusammenfassend zeigt sich, dass der Rechtsschutz gegen SSM-Entscheidungen keine intensive Überprüfung der Einschätzungsspielräume der EZB gestattet. Die Gründe dafür liegen in der Gewaltenteilung. Richter sollten nur rechtlich determinierte Entscheidungen treffen, statt die Rolle einer ökonomischen Superrevisionsinstanz zu spielen (und damit vorhersehbar zu scheitern). Um die entsprechende Lücke in den Rechenschaftspflichten der EZB zu schließen, stehen stärker politische Formen der Rechenschaftspflicht zur Verfügung, darunter die parlamentarische Kontrolle und die vielfältigen Formen der Kontrolle innerhalb der Exekutive. 2.  Parlamentarische Kontrollrechte Gemäß Art. 20 der SSM-Verordnung muss der SSM dem Europäischen Parlament (EP) und dem Rat Bericht erstatten. Das EP ist auch an der Ernennung des Aufsichtsgremiums beteiligt und wirkt bei der Abberufung seines Vorsitzenden oder stellvertretenden Vorsitzenden mit.64 Die interinstitutionelle Vereinbarung zwischen der EZB und dem EP legt die Berichtspflichten im Einzelnen fest, definiert Kommunikationskanäle, statuiert Voraussetzungen für öffentliche und vertrauliche Anhörungen, spezifiziert Geheimhaltungspflichten usw.65 Zwischen der EZB und dem Ecofin-Rat sind die entsprechenden Pflichten in einem Memorandum of Understanding festgehalten.66 Die nationalen Parlamente haben Informations- und Kontrollrechte, die sich aus Art. 21 SSM-Verordnung ergeben, einschließlich des Rechts, den Vorsitzenden des Aufsichtsgremiums zum Meinungsaustausch einzuladen. Viele begrüßen den „Bankendialog“, der sich seit der Gründung des SSM auf der Grundlage dieser Bestimmungen entwickelt hat.67 Die EZB scheint in ihm

of Member States and the European Court of Justice, German LJ 18 (2017), S. 1395; Matthias Goldmann, Constitutional Pluralism as Mutually Assured Discretion: The Court of Justice, the German Federal Constitutional Court, and the ECB, Maastricht Journal of European and Comparative Law 23 (2016), S. 119 – 135. 64  Art. 26 Abs. 4 SSM-Verordnung. 65 Interinstitutionelle Vereinbarung zwischen dem Europäischen Parlament und der Europäischen Zentralbank über die praktischen Modalitäten für die Ausübung der demokratischen Rechenschaftspflicht und die Kontrolle über die Wahrnehmung der der EZB im Rahmen des einheitlichen Aufsichtsmechanismus übertragenen Aufgaben (2013/694/EU), ABl. L 320 vom 30. November 2013, S. 1. 66  Memorandum of Understanding between the Council of the European Union and the European Central Bank on the cooperation on procedures related to the Single Supervisory Mechanism (SSM), Dezember 2013, https://www.ecb.europa.eu/ecb/legal/pdf/ mou_between_eucouncil_ecb.pdf. 67  Z. B. Nicolaides (Fn. 25).

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ihre wesentliche Rechenschaftspflicht zu sehen.68 Er wird sogar als Modell für einen erneuerten geldpolitischen Dialog gehandelt.69 Doch trotz ihrer Popularität unterliegt auch diese Form der Rechenschaftspflicht gewissen Einschränkungen. Einige davon sind empirischer Art, andere haben einen eher theoretischen Charakter. Empirisch gesehen hat der Bankendialog in quantitativer Hinsicht zu einer höheren Zahl von Interaktionen zwischen dem SSM und dem EP sowie qualitativ gesehen zu einem stärker fokussierten Austausch geführt.70 Die EZB hat ihre Transparenz erhöht, indem sie vielfältige Dokumente und Begründungen publiziert, entsprechende Pressekonferenzen durchführt, Protokolle veröffentlicht und interne Dokumente besser zugänglich macht.71 Gemäß einer empirischen Untersuchung der Anhörungen des Vorsitzenden des Aufsichtsgremiums durch das EP variiert die Qualität der gestellten Fragen allerdings erheblich. Statt der Aufsichts­praxis scheinen sie häufig Themen außerhalb des Zuständigkeitsbereichs des SSM zu betreffen, wie etwa die Geldpolitik oder die Entwicklung des Bankensektors im Allgemeinen oder in bestimmten Ländern.72 Auch aus theoretischer Sicht sollte man das Potenzial des EP zur Kontrolle des SSM nicht überschätzen. Dies würde zunächst einen Konsens über den tatsächlichen Standard erfordern, an dem der SSM zu messen ist. Das wären wahrscheinlich die Ziele des SSM.73 Dazu gehört der unbestimmte Begriff der Finanzstabilität. Es dürfte der heterogenen Gruppe der Mitglieder des EP schwer fallen, im Bankendialog stets von einem einheitlichen Verständnis dieses Begriffs auszugehen. Zweitens muss die Prüfungskompetenz mit einer Reaktionsmöglichkeit einhergehen, d.h. mit der Befugnis, Konsequenzen gegen den Überprüften durchzusetzen.74 Aus diesem Grund ist die parlamentarische Kontrolle für diejenigen Aufgaben am wirksamsten, bei denen das EP aufgrund seiner legislativen und budgetären Kompetenzen oder seiner Kreationsfunktion Konsequenzen auferle68 Vgl.

Fraccaroli/Giovannini/Jamet (Fn. 59). So die Quintessenz von Diane Fromage/Renato Ibrido, The ,Banking Dialogue‘ as a model to improve parliamentary involvement in the Monetary Dialogue?, Journal of European Integration 40 (2018), S. 295 – 308. 70  Fraccaroli/Giovannini/Jamet (Fn. 59), S. 70; Smits (Fn. 22), S. 31 f. 71  Curtin (Fn. 30); Smits (Fn. 22), S. 31. 72  Amtenbrink/Markakis (Fn. 25), S. 18, 21, 50. Nach Fabian Amtenbrink/Kees Van Duin, The European Central Bank before the European Parliament: theory and practice after 10 years of monetary dialogue, European Law Review 34 (2009), S. 561 – 583, diene die geldpolitische Unabhängigkeit im Kontext des geldpolitischen Dialogs als Vorwand für ausweichende Antworten. 73  Amtenbrink/Markakis (Fn. 25), S. 11. 74  S.o. Text bei Fn. 25. 69 

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gen kann. Allerdings hat das EP im Hinblick auf die nach Art. 127 Abs. 6 AEUV verabschiedete SSM-Verordnung weder das Initiativrecht noch gesetzgeberische Kompetenzen, die über ein Anhörungsrecht hinausgingen. Ferner kontrolliert das EP nicht diejenigen öffentlichen Budgets, die im Falle einer Bankenkrise und damit verbundener Bail-outs in Mitleidenschaft gezogen würden. Eine solche Unterstützung werden auf absehbare Zeit die mitgliedstaatlichen Haushalte schultern müssen, welche ggf. die Hilfe des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) in Anspruch nehmen müssen. Die einzige maßgebliche Entscheidungskompetenz des EP über den SSM besteht in seiner Rolle bei der Bestellung und ggf. der Abberufung von Mitgliedern des Aufsichtsgremiums gemäß Art. 26 der SSM-Verordnung. Eine Kontrolle über die Kreationsfunktion erlaubt jedoch keine Feinsteuerung. Im Gegensatz zum EP haben die mitgliedstaatlichen Parlamente weit mehr Grund zur Sorge um ihr Budget. In dieser Hinsicht weist der Bankendialog jedoch strukturelle Schwierigkeiten auf. Im Falle eines Konflikts um die Abwicklung oder Sanierung einer Institution können die mitgliedstaatlichen Parlamente diametral entgegengesetzte Positionen einnehmen. Gerade in den Mitgliedstaaten, in denen eine notleidende Institution ansässig ist, wird sich u.U. leichter eine Mehrheit für eine Sanierung finden, ggf. mit staatlicher Unterstützung bzw. im Fall einer Krise auch mittels indirekter Finanzierung durch den ESM. Die Mehrheit der Parlamentsmitglieder in den übrigen Mitgliedstaaten könnte dagegen eher auf eine Abwicklung setzen, um ihre Haushaltsinteressen zu schützen. Ähnliche Meinungsverschiedenheiten zwischen mitgliedstaatlichen Parlamenten sind im Hinblick auf das Gleichgewicht zwischen Geldpolitik und Finanzstabilität zu erwarten. Nur das EP könnte in solchen Situationen eine neutrale Position einnehmen. Doch ihm fehlt es gerade an der Budgetverantwortung. Somit besteht eine Inkohärenz zwischen Kontrollrechten und budgetärer Verantwortung des EP einerseits und der mitgliedstaatlichen Parlamente andererseits. Während interparlamentarische Anhörungen die Informationslücke zwischen dem EP und den mitgliedstaatlichen Parlamenten schließen könnten,75 dürften sie kaum in der Lage sein, die Interessenkonflikte zu überbrücken, die im Hinblick auf SSM-Entscheidungen zu erwarten sind, welche gänzlich unterschiedliche Auswirkungen auf die Mitgliedstaaten haben. Eine weitere Einschränkung der parlamentarischen Rechenschaftspflicht ergibt sich daraus, dass Einzelentscheidungen, die spezifische Kreditinstitute betreffen, wie z. B. „fit and proper“-Entscheidungen oder die Beurteilung der Eigenmittel eines Instituts seitens der EZB, in der Regel vertraulich sind. Zwar werden im EP viele Fragen zu einzelnen Instituten gestellt, die Vorsitzende des Aufsichtsgremiums beruft sich aber in dieser Hinsicht regelmäßig auf ihre Ver75 Vgl.

Amtenbrink/Markakis (Fn. 25), S. 19.

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schwiegenheitspflicht. Neben der Vertraulichkeit sind die Parlamente aber auch aus Gründen der Gewaltenteilung nicht der richtige Ort für die Überprüfung einzelner Entscheidungen, da ihr Eingreifen in diesen Angelegenheiten die Arbeitsteilung zwischen Parlament und Exekutive beeinträchtigen würde. 3.  Intraexekutive Rechenschaftspflichten Die beobachteten Legitimationslücken rücken den Fokus auf Rechenschaftsmechanismen innerhalb der Exekutive. In vielen Ländern verfügen die höheren Ebenen der Exekutive über die Möglichkeit der Fach- und Rechtsaufsicht. Verwaltungsbehörden in den USA (soweit sie nicht unabhängig sind wie die SEC oder die FED) stehen unter der Kontrolle des Präsidenten. Sofern Agenturen unabhängig sind und keiner Fachaufsicht unterliegen, kann der Präsident über die Ernennung ihres Leiters auf sie einwirken. In Deutschland unterliegt mit Ausnahme von Selbstverwaltungsangelegenheiten und den Entscheidungen spezieller Fachund Kollegialgremien jede Verwaltungsentscheidung der Ministerverantwortlichkeit.76 Die Minister können zu ihrer Wahrnehmung allgemeine oder auf den Einzelfall bezogene Weisungen erteilen. Während diese Weisungsbefugnis in Einzelfällen selten genutzt wird, kann dies in Fällen mit hoher politischer Bedeutung geschehen. Jüngstes Beispiel ist die Entscheidung des Bundeswirtschaftsministers, im Fall Kaiser-Tengelmann eine Fusion entgegen der Stellungnahme des Bundeskartellamtes zu genehmigen.77 In der Theorie können solche ministeriellen Weisungen zwar als Einfallstor für Sonderinteressen dienen; man muss sie jedoch im Zusammenhang der Gewaltenteilung verstehen. Da der Minister in einer parlamentarischen Demokratie direkt dem Parlament gegenüber verantwortlich ist, verlagert die ministerielle Intervention die politische Verantwortlichkeit von peripheren intraexekutiven Kontrollbeziehungen auf das Gravitationszentrum der politischen Auseinandersetzung, nämlich die Kontrolle der Regierung durch das Parlament. Letztendlich erhöht eine ministerielle Weisung damit indirekt die Kontrollbefugnis des Parlaments gegenüber exekutiven Entscheidungen. Denn es steht zu vermuten, dass das Parlament größeren Einfluss auf den Minister ausüben kann als auf andere Entscheidungsträger innerhalb der Verwaltung, die in erster Linie ihren Vorgesetzten gegenüber verantwortlich sind. Ähnliche Grundsätze gelten für das europäische Recht. Art. 17 EUV auferlegt der Kommission die Verantwortung für die Umsetzung von Rechtsakten 76  Roman Herzog, in: Theodor Maunz/Günter Dürig (Begr.), Grundgesetz, Art. 65 (2008) Rn. 61; zu den Ausnahmen neben der Selbstverwaltung Bernd Grzezick, in: Theodor Maunz/Günter Dürig (Begr.), Grundgesetz, Art. 20 II (2010) Rn. 196 ff. 77  Bundeswirtschaftsministerium, Verfügung vom 9. März 2016, abrufbar unter https://www.bmwi.de/Redaktion/DE/Downloads/M-O/oeffentliche-entscheidung-edeka-kaisers-tengelmann.pdf?__blob=publicationFile&v=2.

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der Union. Eine Folgerung dieses Prinzips ist die Meroni-Doktrin, wonach Befugnisse, deren Wahrnehmung einen Ermessensspielraum voraussetzt, nicht an weisungsunabhängige Stellen übertragen werden dürfen.78 Die Doktrin wurde im ESMA-Urteil teilweise angepasst.79 Der EuGH entschied, dass die ESMA gewisse Ermessensentscheidungen unabhängig von der Kommission treffen kann. Der Gerichtshof betonte jedoch, dass diese Befugnisse in verschiedener Hinsicht rechtlichen Beschränkungen unterlägen. Insbesondere könne die ESMA Leerverkäufe nur in genau definierten Notfallsituationen verbieten, welche die Kommission durch Sekundärrecht spezifizieren könne.80 Das Gericht kam daher zu dem Schluss, dass die ESMA nicht mit einem vertragswidrig weiten Ermessen ausgestattet sei.81 Wie zu Beginn dieses Beitrags gezeigt wurde, kann dies nicht über den SSM gesagt werden. Der einzige Grund, warum die Meroni-Doktrin für den SSM nicht gilt, ist, dass der SSM wegen der Wahl von Art. 127 Abs. 6 AEUV als Rechtsgrundlage Teil der EZB wurde; ein Schritt, der bekanntlich auf breite Kritik stieß.82 Während das Argument, dass die Befugnisse des SSM über die nach Art. 127 Abs. 6 AEUV zulässige Delegation „besonderer Aufgaben“ hinausgingen, schwer aufrechtzuerhalten sein dürfte, solange die inländischen Aufsichtsbehörden wichtige Aufsichtskompetenzen über Versicherungsunternehmen, Wertpapiere oder Wertpapierfirmen behalten, hat die Kritik insofern einen berechtigten Punkt, als diese Rechtsgrundlage die Anforderungen der Meroni-Doktrin umgeht. Daher erscheint es angebracht, zu untersuchen, ob der SSM ausreichenden intraexekutiven Rechenschaftspflichten unterliegt. Für die Wahrnehmung solcher Rechenschaftspflichten sind die Kommission und der Europäische Rechnungshof zuständig. Was die Kommission betrifft, so steht die Unabhängigkeit des SSM gemäß Art. 19 der SSM-Verordnung einem Weisungsrecht entgegen. Aus dem gleichen Grund sind auch potenzielle Legitimationsketten zwischen dem Aufsichtsgremium und den nationalen Regierungen abgeschnitten, da Vertreter der NCAs im Aufsichtsrat verpflichtet sind, unabhängig und im Interesse der Union zu handeln. Die Kommission ist jedoch befugt, die Entscheidungen des SSM auf struktureller Ebene zu überprüfen. Art. 32 SSM-Verordnung beauftragt die Kommission, den SSM alle drei Jahre zu überprüfen, einschließlich seiner Auswirkungen auf den 78 

Meroni gg. Hohe Behörde, 9/56, Slg. 1957 – 1958, 133, 152. Vereinigtes Königreich gg. Europäisches Parlament und Rat (ESMA), C-270/12, Urteil vom 22. Januar 2014, ECLI:EU:C:2014:18. 80  Ebd., Rn. 51. 81  Ebd., Rn. 54. 82  Für viele Jörn Axel Kämmerer, Bahn frei der Bankenunion? Die neuen Aufsichtsbefugnisse der EZB im Lichte der EU-Kompetenzordnung, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (2013), S. 830 – 836, 832 ff. 79 

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Binnenmarkt. Der erste Bericht, der 2017 gemäß dieser Bestimmung veröffentlicht wurde, zeigt das Potenzial dieses Kontrollmechanismus auf.83 Er behandelt die Governance-Struktur des SSM, seine Handlungsinstrumente und Verfahren und prüft seine Tätigkeit auf ihre Wirtschaftlichkeit. Zwar kann der Bericht aus dem Jahr 2017 verständlicherweise eine endgültige Einschätzung der Auswirkungen des SSM auf die Finanzstabilität und die Integration des Binnenmarkts noch nicht leisten. Dennoch demonstriert er eindrucksvoll die Sinnhaftigkeit eines solchen Kontrollmechanismus für eine an Zielvorgaben orientierte Verwaltung wie den SSM. Man kann die Einhaltung der Zielvorgaben nicht durch Kontrolle einzelner Entscheidungen überprüfen, sondern nur durch einen Blick auf das gesamte Gebiet im gegebenen wirtschaftlichen Kontext. Die Kontrolle von Aufsichtsbefugnissen erfordert daher einen ganzheitlichen Ansatz. In diesem Sinne prüft der Bericht der Kommission u. a. die Zusammenarbeit des SSM mit anderen Beteiligten, die interne Organisation einschließlich der Delegation von Entscheidungskompetenzen sowie die Ausfüllung seiner Entscheidungsspielräume. Im Hinblick auf Letztere kritisiert der Bericht z. B. die Kategorisierung bestimmter Mittel (die möglicherweise mehr Transparenz verlangen) oder Ausnahmen von Eigenmittelanforderungen (die eine Weiterentwicklung erfordern).84 Der Europäische Rechnungshof (ERH) prüft gemäß Art. 287 AEUV und Art. 27.2 der EZB-Satzung grundsätzlich die Effizienz der Verwaltung der EZB. Nach Art. 20 (7) SSM-Verordnung gilt diese Prüfpflicht auch für den SSM. Aus dem Wortlaut dieser Bestimmungen ist unklar, inwieweit der Rechnungshof die Praxis des SSM überprüfen darf, insbesondere inwieweit das Mandat des ERH eine Überprüfung der Entscheidungsspielräume der EZB im Rahmen des SSM ermöglicht.85 Diese Mehrdeutigkeit führte zu einem Konflikt zwischen dem Rechnungshof und der EZB, als der Rechnungshof für seinen thematischen Bericht für 2018 Informationen zur operativen Effizienz des Krisenmanagements der EZB für Banken sammelte. Die EZB lehnte es ab, bestimmte Informationen an den ERH weiterzugeben, da sie glaubte, die entsprechende Prüfung sei nicht vom Mandat des ERH gedeckt.86 Obwohl die Kommission die EZB aufgefordert hat, eine interinstitutionelle Vereinbarung mit dem Rechnungshof über die Infor83 

Bericht (Fn. 19). Ebd., S. 9, 12. 85  Vgl. Bundesrechnungshof, Bericht an den Haushaltausschuss des Bundestages nach § 88 Abs. 2 BHO über die Verkürzung von Prüfungsrechten des Bundesrechnungshofes in den Bereichen Bankenaufsicht und bei Finanzinstituten, III 5 205103, 20. Januar 2016. 86 ECA, The operational efficiency of the ECB’s crisis management (2018); ECA, Communication to the European Parliament concerning the European Parliament’s request to be kept informed regarding the problem of access to information in relation to the European Central Bank, as laid down in paragraph 29 of the 2016 discharge procedure (2017/2188(DEC)), adopted by Chamber IV at its meeting of 13 December 2018. 84 

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mationsweitergabe abzuschließen,87 scheinen in dieser Hinsicht keine Fortschritte erzielt worden zu sein. Im Wesentlichen kritisiert der ERH die Ausübung der Ermessensspielräume im Rahmen des SSM. So hat sie beispielsweise geltend gemacht, dass die EZB keine spezifischen Indikatoren für die Identifikation von Krisen festgelegt hat.88 An diesem Punkt werden die unterschiedlichen aufsichtspolitischen Ansätze von ERH und EZB deutlich: Der Rechnungshof scheint einen regelbasierten Ansatz zu bevorzugen, während die EZB sich lieber vorbehält, situativ zu entscheiden.89 Grundsätzlich ist durchaus umstritten, welcher dieser Ansätze größeren Erfolg im Hinblick auf die Finanzstabilität und die Schonung öffentlicher Budgets verspricht.90 Daher muss die Wahl des aufsichtspolitischen Ansatzes dem Ermessen der EZB obliegen. Der ERH sollte deshalb besser von der EZB eine Rechtfertigung dieses aufsichtspolitischen Ansatzes einfordern, anstatt sie implizit an der Maßgabe eines regelbasierten Ansatzes zu prüfen, ohne seine diesbezüglichen Annahmen deutlich zu machen. Zumindest hätte der ERH seine Kritik nicht als rein technisch darstellen dürfen, sondern offener mit der politischen Dimension der unterschiedlichen Ansätze umgehen sollen. Dies würde der Kommission, dem EP oder anderen Beteiligten eine bessere Grundlage für die Entscheidung geben, ob und wie sie auf diesen Punkt der Kritik am SSM reagieren möchten. Wie dem auch sei, im Großen und Ganzen scheinen diese beiden Berichte den SSM besser zur Rechenschaft zu ziehen als die Anhörungen vor dem EP allein. Die Berichte sind systematisch, fokussiert, gründlich und basieren auf einem intensiven Studium der SSM-Praxis. Obwohl die Berichte keine Einzelentscheidungen überprüfen, sind sie gut geeignet, strukturelle Probleme zu identifizieren. Damit handelt es sich um genau die Art von Kontrolle, welcher eine auf vage Zielvorgaben verpflichtete unabhängige Behörde bedarf. Zugleich handelt es sich hierbei genau um die Art von Kontrolle, welche die Rechtsprechung wegen ihrer Beschränkung auf den Einzelfall nicht leisten kann und die in einer parlamentarischen Anhörung wegen der heterogenen Interessen der Abgeordneten sowie ihrer mangelnden Kapazität, sich anhand zahlloser Dokumente durch die Praxis des SSM durchzuarbeiten, in der Regel nicht stattfindet. Auch bleibt der Bericht der Kommission nicht ohne direkte Folgen, da die Kommission befugt ist, Auslegungen der anwendbaren Rechtsvorschriften zu empfehlen oder die Initiative zu 87 

Bericht (Fn. 19). ECA, The operational efficiency of the ECB’s crisis management (2018), Rn. 75 ff. 89  Zu dieser altbekannten Debatte vgl. Kydland/Prescott (Fn. 55). 90  Vgl. etwa Fernando Restoy, Early intervention regimes: the balance between rules vs discretion, Rede, gehalten auf dem FSI-IADI Meeting on early supervisory interven­ tion, resolution and deposit insurance in Basel am 12. September 2017, https://www.bis. org/speeches/sp170912.pdf. 88 

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Gesetzesänderungen zu ergreifen.91 Zudem kann das EP die Berichte von Kommission und Rechnungshof aufgreifen. Das Zusammenspiel zwischen Exekutive und Legislative in der EU verleiht der intraexekutiven Rechenschaftspflicht in diesem Fall besondere Stärke. Insgesamt ergibt sich aus dem Zusammenspiel intraexekutiver Kontrollmechanismen mit parlamentarischer Rechenschaftspflicht eine effektive Kontrolle der Zielvorgaben, während Einzelpersonen, die von Entscheidungen des SSM betroffen sind, weiterhin der Rechtsweg gegen willkürliche oder unplausible Entscheidungen offen steht. Die Kombination dieser Kontrollmechanismen führt in der Gesamtschau zu einem ausreichenden Legitimationsniveau des SSM.

IV.  Optionen zur Stärkung der Gewaltenteilung im Rahmen des SSM Wenngleich der SSM dem bisher Gesagten zufolge in ein legitimitätssicherndes System der Gewaltenteilung eingebettet ist, stellt sich die Frage nach institutionellen Alternativen, die mit einer Verbesserung der Kontrollmöglichkeiten einhergingen. Das betrifft insbesondere die intraexekutiven Rechenschaftspflichten, denen nach der hier vertretenen These besondere Bedeutung beizumessen ist. Wenig sinnvoll wäre es nach dieser Maßgabe, den SSM der EBA zuzuschlagen. Dies würde zwar die mitunter hegemoniale Position der EZB gegenüber der EBA demontieren, aber gleichzeitig einen neuen Hegemon schaffen, der die formale Befugnis zur Normsetzung mit Aufsichtsbefugnissen kombinieren und damit eine wichtige Dimension des Systems der intraexekutiven Gewaltenteilung eliminieren würde. Die parlamentarische Kontrolle würde hingegen weiterhin mit den bereits beschriebenen Problemen kämpfen müssen. Abgesehen davon, dass ein solcher Schritt vermutlich eine Vertragsänderung erfordern würde, erscheint er zur Stärkung der Rechenschaftspflicht des SSM nicht geeignet. Eine weitere Möglichkeit könnte darin bestehen, den SSM institutionell in die Kommission einzugliedern. Dies würde dem in Art. 17 EUV vorgesehenen Modell der europäischen Verwaltung entsprechen und die durch Art. 127 Abs. 6 AEUV als Rechtsgrundlage des SSM verursachten Verzerrungen im System der europäischen Verwaltungsorganisation beseitigen. Dies würde jedoch erhebliche Veränderungen in der organisatorischen Struktur des SSM erfordern, da es schwierig sein dürfte, Vertreter der NCAs im Rahmen der Kommission in die Entscheidungsfindung einzubeziehen. Aus der Sicht des Subsidiaritätsprinzips erscheint die bestehende institutionelle Struktur daher vorteilhaft. Die gemischt föderal-unionale Zusammensetzung des Aufsichtsgremiums steht für eine intraföderale Dimension intraexekutiver Gewaltenteilung. Da die Finanzmärkte in 91 

Bericht (Fn. 19), S. 3.

Die Bedeutung intraexekutiver Kontrollen für die Gewaltenteilung

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der gesamten EU nach wie vor nicht völlig integriert sind, sollte dies durchaus als Gewinn gesehen werden. Die bestehende Struktur institutionalisiert einen angemessenen Ausgleich zwischen Unions- und mitgliedstaatlichen Interessen. Als dritte institutionelle Alternative könnte man der Kommission die Rechtsoder Fachaufsicht über den SSM einräumen. Die Rechtsaufsicht würde gegenüber dem gegenwärtigen Rechtsschutz keine entscheidenden Verbesserungen bringen. Die Fachaufsicht dagegen würde eine Vielzahl von verfassungsrechtlichen Problemen mit sich bringen, da gemäß Art. 282 Abs. 2 AEUV der Gouverneursrat der EZB die Beschlüsse der EZB, einschließlich derjenigen des SSM, tragen muss. Die Einführung einer Fachaufsicht der Kommission über den SSM ginge damit nicht ohne Änderung der Verträge. Darüber hinaus würde diese Option den SSM effektiv seiner Unabhängigkeit berauben. Ob dieser Schritt aus ökonomischer Sicht sinnvoll wäre oder nicht,92 vertragsrechtlich ist er nicht undenkbar. Es wird zwar argumentiert, dass der Grad der Unabhängigkeit des SSM gemäß Art. 19 der SSM-Verordnung dem der EZB gemäß Art. 130 AEUV gleichwertig ist,93 jedoch folgt aus Art. 130 AEUV nicht die Notwendigkeit, einen der EZB angegliederten SSM unabhängig auszugestalten, solange die EZB in ihrer Geldpolitik unabhängig bleibt. Zum Zeitpunkt seiner Einführung war die Einrichtung einer unabhängigen Zentralbank eine Neuerung im europäischen Verfassungsrecht und Ausnahme von der allgemeinen Regel der repräsentativen Demokratie, die jetzt in Art. 10 EUV festgelegt ist.94 Das rechtfertigt eine enge Auslegung von Art. 130 AEUV. Unabhängige Aufsichtsbehörden sind ein jüngeres und nach wie vor viel selteneres Phänomen;95 es lässt sich daher nicht sagen, der Vertrag fordere ihre Unabhängigkeit oder habe sie sogar vorausgesetzt. Dennoch stellt sich die Frage, wie dienlich eine Fachaufsicht der Legitimation des SSM wäre. Da der SSM Teil der EZB bleiben würde, würde der Kommission das erforderliche Fachwissen fehlen, um in Einzelfällen glaubwürdig einzugreifen. Zur Behebung struktureller Mängel bietet der vorliegende Rechtsrahmen der Kommission bereits durch ihre Kontrollbefugnis, ihr Initiativrecht und ihre Rolle bei der Sekundärrechtsetzung ausreichend Einwirkungsmöglichkeiten. Insgesamt erweist sich die bestehende institutionelle Struktur des SSM aus Sicht der Gewaltenteilung damit als gar nicht so schlecht. Das System der in ihr verankerten Gewaltenteilung sichert ein ausreichendes Legitimationsniveau. Mögen die ungewöhnlichen Umstände seiner Entstehung den SSM auch als institutionelle Anomalie aussehen lassen, so ist er doch in ein Netzwerk von „Checks 92 

Zilioli (Fn. 45), S. 158 ff. Ebd., S. 161 ff. 94  Helmut Siekmann, in: Helmut Siekmann (Hrsg.), Kommentar zur EU-Währungsunion, 2013, Art. 130 AEUV, Rn. 16. 95 Vgl. Marc Quintyn/Michael W. Taylor, Regulatory and Superviory Independence and Financial Stability, IMF Working Paper WP/02/46 (2002), S. 3. 93 

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and Balances“ eingebettet, welche über die viel diskutierte Frage der parlamentarischen Rechenschaftspflicht deutlich hinausgehen. In dieser Hinsicht erweisen sich die intraexekutiven Rechenschaftspflichten als besonders wirkmächtig. Sollten Versuche unternommen werden, die Rechenschaftspflichten des SSM zu stärken, sollte hier angesetzt werden. So könnte man beispielsweise die dreijährlichen Berichte der Kommission um einen ständigen Überprüfungsprozess ergänzen oder die von der Kommission bzw. dem Rechnungshof durchgeführten Prüfungen dem Turnus des Bankendialogs anpassen. Nach dem derzeitigen Stand des SSM sind solche Veränderungen aber als Möglichkeiten anzusehen, nicht als verfassungsmäßige Notwendigkeiten.

Tobias Tröger: Verbesserungen des Bail-in-Instruments. Beobachtungen aus der Europäischen Perspektive

Verbesserungen des Bail-in-Instruments Beobachtungen aus der europäischen Perspektive Tobias Tröger Tobias Tröger Verbesserungen des Bail-in-Instruments. Beobachtungen aus der Europäischen Perspektive

I.  Einleitung Auch im publizistischen Spätwerk des Jubilars hat die Finanzkrise tiefe Spuren hinterlassen, was sich u. a. in einer Vielzahl von gedankenvollen Beiträgen zu Markt- und Staatsfunktionen im Finanzsektor und einer angemessenen Aufsichtsarchitektur für diesen niederschlägt.1 Die Gestaltung eines effizienten Abwicklungsregimes für fallierende Banken kann ohne eine Verschmelzung dieser beiden, Helmut Siekmann am Herzen liegenden und von ihm entlang ordoliberaler Grundüberzeugungen gekonnt geordneten Themenkreise nicht gelingen.2 Auch dieser Beitrag bedient sich für eine konstruktive Kritik eines zentralen Regelungsinstruments des Sonderrechts der Bankenabwicklung bankwirtschaftlicher und ökonomischer Einsichten zur Beurteilung des institutionellen Rahmens, weshalb ich auf das wohlwollende Interesse des zu Ehrenden hoffe, mit dem ich viele fruchtbare Diskurse zum Thema führen durfte. Als Folge der globalen Finanzkrise 2007/2008 versprachen Regierungen weltweit, einem too big to fail (TBTF) im Finanzsektor ein Ende zu setzen und dem durch antizipierte Rettungsmaßnahmen bedingten moral hazard entschieden entgegen zu treten.3 Eine tragende Säule der mit diesem Ziel entwickelten Re1  Vgl. die einschlägigen Beiträge von Helmut Siekmann, in: Theodor Baums (Hrsg.), Eine stabile Geld-, Währungs- und Finanzordnung, Berlin 2013, S. 131 ff., 449 ff., 541 ff.; zudem Helmut Siekmann, Die Neuordnung der Finanzmarktaufsicht, Die Verwaltung 43 (2010), 95; ders., Die Finanzmarktaufsicht in der Krise, in: Arno Scherzberg/Ilyas Dogan/ Osman Çan (Hrsg.), Staatliche Finanzmarktregulierung und Eigentumsschutz, Münster u. a. 2010, S. 9 ff.; ders., Neuorganisation der Finanzaufsicht, in: Stefan Kadelbach (Hrsg.), Nach der Finanzkrise, Rechtliche Rahmenbedingungen einer neuen Ordnung, Baden-Baden 2012, S. 131. 2  Fallstudie zur problematischen Liquidation der WestLB bei Helmut Siekmann, Stabilisierung der WestLB AG durch Garantien des Landes NRW, in: Baums (Fn. 1), S. 741 ff. 3  Die erste Absichtserklärung wurde auf dem G20-Gipfel in Pittsburgh 2009 abgegeben, s. G20 Leaders Statement, The Pittburgh Summit (2009), S. 9, abrufbar unter: https:// www.oecd.org/g20/summits/pittsburgh/G20-Pittsburgh-Leaders-Declaration.pdf, zuletzt

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gelungsstrategie bestand darin, das Bankenabwicklungsrecht zu verbessern und auf diese Weise selbst den Ausfall der größten Finanzinstitute zu ermöglichen.4 Falls eine scheiternde Bank tatsächlich ohne Auswirkungen auf die Finanzstabilität abgewickelt bzw. restrukturiert werden könnte, wären Bankenrettungen mit Steuergeldern (bail out) nicht mehr als Ausprägung einer soliden Finanz- und Wirtschaftspolitik zu legitimieren. Vielmehr müsste der private (Finanz-)Sektor selbst die durch notleidende Institute verursachten Kosten tragen. Dies entlastete nicht nur ex post die Staatshaushalte, sondern begründete auch ex ante Marktdisziplin, weil Investoren den Preis für Bankkapital ausschließlich mit Blick auf dessen Ausfallwahrscheinlichkeit bestimmten, wie er sich aus dem gewählten Bewertungsverfahren für Vermögensgegenstände ergibt. Preisverzerrende implizite Staatsgarantien spielten hierbei keine Rolle mehr. Einen Grundpfeiler der Reformagenda5 bildet die Einführung des Bail-in-Instruments,6 das die Verluste eines ausfallenden Instituts zwingend den Inhabern abgerufen: 14. 12. 2018. Zur wegweisenden konzeptionellen Grundlegung in jüngerer Zeit Financial Stability Board (FSB), Reducing the moral hazard posed by systemically important financial institutions, 2010, S. 3 – 6, abrufbar unter: http://www.fsb.org/wpcontent/uploads/r_101111a.pdf, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018; High-level Expert Group on reforming the structure of the EU banking sector, Final Report, 2012, S. 81 – 83, 92 – 93, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/internal_market/bank/docs/high-level_expert_group/ report_en.pdf, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018; Tucker, Resolution and the Future of Finance, abrufbar unter: http://www.bis.org/review/r130606a.pdf, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018; s. auch Thomas F. Huertas, Safe to Fail, Basingstoke 2014, S. 4 – 20, der die negativen Auswirkungen von TBTF auf das Wirtschaftswachstum unterstreicht; mit ausführlicher Würdigung der wissenschaftlichen Diskussion Philip Strahan, Too Big to Fail: Causes, Consequences, and Policy Responses, Annual Review of Financial Economics, Bd. 5 (2013), S. 43 – 61; weiterführende Darstellung der Unzulänglichkeiten des institutionellen Rahmens zum Umgang mit Bankeninsolvenzen vor der Finanzkrise und den daraus insbesondere in Europa gezogenen Lektionen Jens-Hinrich Binder, Resolution: Concepts, Requirements and Tools, in: ders./Dalvinder Singh (Hrsg.), Bank Resolution: The European Regime, Oxford 2016, Rn. 2.05 ff. 4  Zur Diskussion der wesentlichen Merkmale eines adäquaten politischen Rahmens, um dem TBTF-Problem entgegenzuwirken, s. Inci Ötker-Robe u. a., The Too-Importantto-Fail Conundrum: Impossible to Ignore and Difficult to Resolve, International Monetary Fund (IMF) Staff Discussion Note SDN/11/02, S. 10 – 21, abrufbar unter: https://www.imf. org/external/pubs/ft/sdn/2011/sdn1112.pdf, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018. 5 S. Ötker-Robe u. a. (Fn. 4), S. 20 – 21. Das europäische Regime teilt seine DNA mit den FSB, Key Attributes of Effective Resolution Regimes for Financial Institutions, 2011, Abschnitte 3.5 und 3.6, abrufbar unter: http://www.fsb.org/wp-content/uploads/ r_111104cc.pdf, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018, welche in der aktuellen Version unverändert geblieben sind (Key Attributes of Effective Resolution Regimes for Financial Institutions, 2014, Abschnitte 3.5 und 3.6, http://www.fsb.org/wp-content/uploads/r_141015.pdf, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018). 6  Konzeptionell ist es nicht neu, den Privatsektor an der Lastentragung zu beteiligen, s. exemplarisch Barry Eichengreen/Christof Ruehl, The Bail-In Problem: Systematic G ­ oals,

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seiner Kapitalinstrumente zuweist, d. h. eine zuvor bestimmte Hierarchie der Verlustabsorption (Wasserfall) tatsächlich durchsetzt,7 und den Investoren damit zugleich die primäre Last einer Bankenrekapitalisierung zuweist. Nur wenn der rechtliche Rahmen ein glaubwürdiges Instrument zur Durchsetzung der zwingenden Beteiligung des Privatsektors an den Kosten einer Bankenabwicklung (private sector involvement, PSI) bereitstellt, ohne hierdurch nennenswerte Risiken für die Finanzstabilität zu begründen, werden die Märkte hoheitliche Rettungsmaßnahmen aus ihrem Kalkül streichen. Die Übersetzung des normativ wohlbegründeten Regelungsziels in einen handhabbaren Rechtsakt birgt jedoch originäre Herausforderungen. Marktdisziplin kann nur hergestellt werden, wenn Investoren das Risiko, dass ihre Kapitalinstrumente herabgeschrieben oder gewandelt werden, hinreichend sicher bestimmen können. Naturgemäß ergibt sich ein erhebliches Maß an Unsicherheit Ad Hoc Means, Econ Systems, Bd. 25 (2001), S. 3. Die Entwicklung seiner konkreten bankspezifischen Stoßrichtung wird häufig einem Beitrag in der Wirtschaftspresse zugeschrieben, s. Paul Calello/Wilson Ervin, From Bail-Out to Bail-In, The Economist – 28. 1. 2010, abrufbar unter: http://www.economist.com/node/15392186, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018. 7  Vgl. exemplarisch Art. 44 Richtlinie 2014/59/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Mai 2014 zur Festlegung eines Rahmens für die Sanierung und Abwicklung von Kreditinstituten und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Richtlinie 82/891/EWG des Rates, der Richtlinien 2001/24/EG, 2002/47/EG, 2004/25/EG, 2005/56/ EG, 2007/36/EG, 2011/35/EU, 2012/30/EU und 2013/36/EU sowie der Verordnungen (EU) Nr. 1093/2010 und (EU) Nr. 648/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates (im Folgenden: „BRRD“), ABl. Nr. L  73, vom 12. Juni 2014, S. 190 ff. bzw. Art. 27 Verordnung (EU) Nr. 806/2014 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. Juli 2014 zur Festlegung einheitlicher Vorschriften und eines einheitlichen Verfahrens für die Abwicklung von Kreditinstituten und bestimmten Wertpapierfirmen im Rahmen eines einheitlichen Abwicklungsmechanismus und eines einheitlichen Abwicklungsfonds sowie zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 1093/2010 (im Folgenden: „SRM-VO“), ABl. Nr. L 225, vom 30. Juli 2014, S. 1 ff. Im US-amerikanischen Recht ist die Tragung der finanziellen Lasten ausfallender systemisch relevanter Finanzinstitute (systemically important financial institutions, SIFIs) durch Investoren lediglich mittelbar verankert: § 210(a)(1)(M) des Dodd-Frank Wall Street Reform and Consumer Protection Act (im folgenden: “DFA”), 12 U.S.C. § 5390(a)(1)(M) erteilt der Federal Deposit Insurance Corporation (FDIC) die Befugnis, alle Rechte an und Ansprüche gegenüber einem ausfallenden Institut zu annullieren (“terminate all rights and claims”). Findet sich kein Käufer für das Institut, werden die Vermögenswerte des Instituts auf eine Brückenbank übertragen, während die Mehrzahl aller Verbindlichkeiten beim alten Rechtsträger verbleibt. Zugleich wachsen den Gläubigern des alten Rechtsträgers Residualansprüche gegen die Brückenbank zu. Zur Entwicklung dieses Konzepts durch die FDIC vgl. The Resolution of Systemically Important Financial Institutions: The Single Point of Entry Strategy, (2013) 78 Fed Reg 76614; Analyse bei Jeffrey N. Gordon/Wolf-Georg Ringe, Bank Resolution in the European Banking Union: A Transatlantic Perspective on What it Would Take, Colum. L. Rev., Bd. 115 (2015), S. 1297, S. 1325 – 1330.

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bereits aus der Natur des gewählten Regelungsmechanismus, dem notwendig ein starkes prognostisches Element innewohnt, das noch verstärkt wird, wenn die Beteiligung an den (künftigen) Erträgen des restrukturierten Instituts nach einer Umwandlung von Fremd- in Eigenkapital zu berücksichtigen ist. Gleichwohl sollten diese unvermeidbaren Schwierigkeiten, die sich aus der Notwendigkeit ergeben, das zukünftige Schicksal einer Bankengruppe (Niedergang und Wiederauferstehung) vorherzusagen, nicht durch einen hochkomplexen, mit vielfältigen Ermessensspielräumen ausgestalteten Regulierungsrahmen für PSI verschärft werden. Es sollte keiner methodisch ungesicherten Mutmaßungen bedürfen, den Zeitpunkt und die Rechtsfolgen einer Abwicklung zu bestimmen. Andernfalls wäre es für die Anleger über Gebühr schwierig, die mit einem möglichen Bail-in verbundenen Verluste zu ermitteln. Die Marktpreise der betreffenden Kapitalinstrumente wären nur ein wenig aussagekräftiges Indiz für reale Ausfallrisiken, sodass sich auf ihrer Grundlage keine wünschenswerte Marktdisziplin einstellen würde. Leider ist das Bail-in-Instrument in der BRRD und der SRM-VO Teil eines hochkomplizierten und sehr detaillierten rechtlichen Rahmenwerks, das einer Vielzahl von Behörden weitreichende Ermessensspielräume bei der Durchsetzung von PSI einräumt und eine intensive Zusammenarbeit dieser Verwaltungsträger samt des entsprechenden Informationsaustauschs voraussetzt. Das in der BRRD und der SRM-VO als ad hoc-Maßnahme ausgeformte, öffentlich-rechtliche Bail-in-Instrument erschwert die konkrete Prognose der Rechtsfolgen einer Abwicklung und unterläuft damit die effektive Umsetzung des wichtigsten Regelungsanliegens, das mit der Überarbeitung des Bankenabwicklungsrechts im Gefolge der Finanz- und europäischen Staatsschuldenkrise verfolgt wurde.8 In Ergänzung der fundamentalen Erkenntnis, dass PSI vom weiteren Abwicklungsprozess abgekoppelt werden muss9 – was auch durch Lösungen des Privatsektors wie z. B. frühzeitig wandelnde CoCo-Bonds10 erreicht werden kann – legt 8  Für eine weitergehende Analyse s. Tobias H. Tröger, Too Complex to Work: A Crit­ ical Assessment of the Bail-in Tool under the European Bank Recovery and Resolution Regime JFR Bd. 4 (2018), S. 35, 47 – 69 (Darstellung der vielen Entscheidungen welche die Abwicklungsbehörden unter dem EU Regime treffen müssen und ihres Einflusses auf die Risikogewichtung und Preisfindung von Investoren); s. auch Tobias H. Tröger, Why MREL Won’t Help Much, JBR Bd. 20 (2019) (erscheint in Kürze) = SAFE Work­ ing Paper No. 180, abrufbar unter: https://ssrn.com/abstract=3023185, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018, der zeigt, dass selbst die zwingende Vorgabe einer dicken Schicht von dem Bail-in unterliegenden Verbindlichkeiten die Defizite des EU-Regimes nicht vollständig beseitigen kann. 9 S. Tröger (Fn. 8), S. 69 – 73. 10  Darstellung der Regelungsziele, die bedingten Pflichtwandelanleihen zugrunde liegen und die denen entsprechen, die das gesetzliche Bail-in-Instrument tragen, bei Darrell Duffie, A Contractual Approach to Restructuring Financial Institutions, in: Kenneth E.

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dieser Beitrag den Fokus auf zwei weitere Regelungskomponenten, die zu den bestehenden Regimes hinzugefügt werden müssen, um es tragfähig zu machen. Dabei geht es zum einen um eine weitreichende Überwachung der Käuferseite von dem Bail-in unterliegenden Wertpapieren, zum anderen um die Einführung eines Bail-in-Maximums. Beide Aspekte sind zentral dafür, PSI glaubwürdig zu gestalten und die gewünschte Marktdisziplin zu erreichen. Zur Begründung arbeitet der Beitrag zunächst die Gründe für eine zwingende PSI und deren Zusammenspiel mit Erwägungen der politischen Ökonomie und der Finanzstabilität heraus (II.). Auf dieser Grundlage werden die Kernelemente eines effektiven Bail-in-Instruments in Erinnerung gerufen, das darauf abzielt, die Marktdisziplin zu fördern und deshalb das Verlangen von Politikern und Aufsehern nach Bail-outs zügeln muss (III.). Der Beitrag skizziert weiterhin im Rahmen kurzer Fallstudien die Abwicklungsepisoden aus dem Sommer 2017. Diese Fälle können als anekdotische Hinweise darauf gelesen werden, dass sich das europäische Abwicklungsregime als wenig effektiv dabei erweisen wird, Marktdisziplin durch risikoadjustierte Bepreisung von Bankkapital zu schaffen (IV.). Schließlich zeigt dieser Beitrag, wie sowohl die unzulängliche Überwachung von Investoren, die dem Bail-in unterliegende Kapitalinstrumente halten, als auch die potentiell unbegrenzte PSI eine Neigung unter Politikern und Aufsehern schafft, das europäische Abwicklungsregime mit seinen relativ rigiden und weitreichenden Bail-in-Vorgaben11 zu meiden. Die Untersuchung zeigt auch auf, wie diesen unerwünschten Wirkungszusammenhängen durch Anpassung des rechtlichen Rahmens entgegengesteuert werden kann (V.). Sie schließt mit einem Fazit (VI.). Scott/George P. Shultz/John B. Taylor (Hrsg.), Ending Government Bailouts as We Know Them, Stanford 2010, S. 109, 109 – 110; Ceyla Pazarbasioglu u. a., Contigent Capital: Economic Rationale and Design Features, 2011, IMF Staff Discussion Note SDN/11/01, S. 7 – 8, abrufbar unter: https://www.imf.org/external/pubs/ft/sdn/2011/sdn1101.pdf, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018; zur ursprünglichen Vision Mark J. Flannery, No Pain, No Gain? Effecting Market Discipline via ‘Reverse Convertible Debentures’, in: Hal S. Scott (Hrsg.), Capital Adequacy Beyond Basel: Banking: Securities, and Insurance, Oxford 2005, S. 171, 173, 175 – 182; für einen Beitrag speziell zur Unzugänglichkeit von CoCos in der Abwicklung s. Enrico Perotti/Mark J. Flannery, ,CoCo bonds as a way of preventing risk‘, 2011, VOXEU policy contribution, abrufbar unter: http://voxeu.org/article/cocobonds-way-preventing-risk, zuletzt abgerufen: 5. 9. 2018. 11  In der Abwicklung verlangen Art. 56 Abs. 1, Art. 37 Abs. 10 lit. a) BRRD, dass mindestens 8 % der gesamten Verbindlichkeiten herabgeschrieben wurden, bevor staatliche Unterstützung in Form von Kapitalzuwendungen oder aber der Verstaatlichung der Banken nach Art. 57, 58 BRRD gewährt werden kann. Ähnlich auch Art. 45 Abs. 5 BRRD, der einen Bail-in in ebendieser Höhe verlangt, bevor ein Abwicklungsfinanzierungsmechanismus herangezogen werden kann. S. dazu Tobias H. Tröger, Regulatory Influence on Market Conditions in the Banking Union: the Cases of Macro-Prudential Instruments and the Bail-in Tool, EBOR Bd. 16 (2015), S. 575, 590.

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II.  Das Regelungsziel einer zwingenden PSI In diesem Abschnitt wird zunächst kurz das Regelungsziel in Erinnerung gerufen, das der obligatorischen PSI in der Bankenabwicklung zugrunde liegt, bevor das Verhältnis zwischen der Rekapitalisierung einer ausfallenden Bank und der Wiederherstellung von Marktdisziplin skizziert wird (II.1.). Ein besonderes Augenmerk liegt auf den inhärenten Grenzen, die sich daraus ergeben, dass eine Bankenabwicklung nicht zugleich die Finanzstabilität in Frage stellen darf (II.2.). 1.  Die Wiederbelebung der Marktdisziplin für Bankenfinanzierung a)  Rationale Gründe für Bail-Outs und gestörte Debt-Governance Der Ausfall einer SIFI kann12 Auswirkungen auf das nationale oder globale Finanzsystem zeitigen. Das Scheitern eines Instituts kann sich zugleich unmittelbar auf andere Finanzinstitute auswirken, weil (i) es Gegenpartei anderer Marktteilnehmer ist, (ii) es zu Notverkäufen von Vermögensgegenständen gezwungen ist, dadurch einen Verfall von Marktpreisen bei ebendiesen Vermögensgegenständen auslöst, die als Sicherheit genutzt werden, sodass anderen Instituten höhere Sicherheitsleistungen abverlangt werden („Margin-Calls“), oder (iii) sein Scheitern eine Panik auslöst, von der auch andere Institute betroffen sind.13 Diese Konsequenzen können sich wiederum auf die Realwirtschaft auswirken.14

12  Selbst das Scheitern großer Banken muss nicht zwingend systemrelevante Folgen auslösen, vgl. Joseph Sommer, Why Bail-In? And How!, FRBNY, Eco Pol Rev Bd. 20 (2014), S. 207, 214, der betont, dass isoliert ausfallende „Megabanken“ oft reibungslos abgewickelt werden können. 13 Mit Beispielen für alle Konstellationen aus der globalen Finanzkrise 2007/2008 Markus K. Brunnermeier, Deciphering the Liquidity and Credit Crunch 2007 – 08, JEP Bd. 23 (2009), S. 77 – 100; Darrell Duffie, How Big Banks Fail and What to Do About it, Princeton 2010, S. 23 – 36; Viral V. Acharya/Hyun Song Shin/Tanju Yorulmazer, Crisis Resolution and Bank Liquidity, Rev Fin Stud Bd. 24 (2011), S. 2166 – 2205; Gary B. Gorton/Andrew Metrick, Securitized Banking and the Run on Repo, JFE Bd. 104 (2012), S.  425 – 451. 14  Detaillierte Beschreibung der makroökonomischen Verbindungen zwischen dem Finanzsystem und der Realwirtschaft, die die Anreize der politischen Entscheidungsträger zur Rettung von SIFIs auslöst, s. Jonathan R. Macey/James P. Holdcroft Jr., Failure Is an Option: An Ersatz-Antitrust Approach to Financial Regulation, Yale L.J. Bd. 120 (2011), S.  1368, 1375 – 83; Tobias H. Tröger, Organizational Choices of Banks and the Effective Supervision of Transnational Financial Institutions, Tex. Int’l L.J. Bd. 48 (2013), S. 178, 187 – 190. S. auch Mathias Dewatripont, European Banking: Bail-out, Bail-in and State Aid Control, Int J of Indus Org Bd. 34 (2014), S. 37, 39 – 40, der zeigt, dass die sozialen Kosten eines rigiden Verbots von Bankenrettungen auch die durch eine dauerhafte Instabilität verursachten Verluste der Gesamtprodukutivität umfassen können.

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Wird das reibungslose Funktionieren des Finanzsektors zum Beispiel dadurch beeinträchtigt, dass die Kreditvergabe auf dem Interbankenmarkt aufgrund Misstrauens in die Überlebensfähigkeit des kreditnehmenden Instituts abnimmt, beginnen Banken liquide Mittel zu horten, sodass weniger Liquidität zur Finanzierung produktiver Aktivitäten in die Realwirtschaft fließt. Der Mangel an Krediten vermindert die Gesamtproduktion und hat unmittelbar Wohlfahrtsverluste zur Folge, die letztlich sogar die politische Stabilität und die Demokratie gefährden können. In einem solchen Szenario sind staatliche Interventionen in Gestalt einer Bankenrettung völlig rationale Reaktionen auf die unmittelbare Gefährdungslage. Gefahren erwachsen hieraus aber zum einen für Banken mit hohen Beständen an Staatsanleihen, die als Folge bail-out-bedingt nicht tragfähiger Staatsfinanzen Verluste erleiden und deshalb in (weitere) Schwierigkeiten geraten (bank-sovereign feedback loop).15 Darüber hinaus erlaubt es die einer Bankenrettung zugrundeliegende Logik den Marktteilnehmern aber auch, das Verhalten betroffener Regierungen zu antizipieren und als implizite Staatsgarantie bei der Preisbildung für Bankkapital zu berücksichtigen. Diese stillschweigende Garantie sichert einen Mindestwert der betroffenen Vermögensposten einer Bank, weil die Ausfallwahrscheinlichkeit im Verhältnis zu Berechnungen auf der Grundlage endogener, im Risikoprofil der Bank verorteter Faktoren vermindert ist. Banken, die als TBTF gelten und deshalb implizite Garantien genießen, profitieren von niedrigeren Risikoprämien und können sich von rational agierenden Investoren zu niedrigeren Preisen Kapital beschaffen.16 15 Vgl. Jianping Zhou u. a., From Bail-out to Bail-in: Mandatory Debt Restructuring of Systemic Financial Institutions, 2012, International Monetary Fund (IMF) Staff Dis­ cussion Note SDN/12/03, S. 4, abrufbar unter: https://www.imf.org/~/media/Websites/ IMF/imported-full-text-pdf/external/pubs/ft/sdn/2012/_sdn1203.ashx, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018; Emilios Avgouleas/Charles Goodhart, A Critical Evaluation of Bail-Ins as Bank Recapitalisation Mechanisms, Centre for Economic Policy Research (CEPR) Discussion Paper 10065 (2014), S. 1, abrufbar unter: http://ssrn.com/abstract=2478647, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018. 16  Diesen Effekt empirisch nachweisend Donald P. Morgan/Kevin J. Stiroh, Too Big to Fail After All These Years, FRBNY Staff Report No. 220 (2005), abrufbar unter: https:// www.newyorkfed.org/medialibrary/media/research/staff_reports/sr220.pdf, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018 (niedrigere Anleihespreads und bessere Ratings für TBTF-Banken in den neunziger Jahren verglichen mit anderen Finanzinstituten); Kenichi Ueda/Beatrice Weder di Mauro, Quantifying the Value of the Subsidy for Systemically Important Financial Institutions, IMF Working Paper No. 12/128 (2012), abrufbar unter: http://www.imf. org/~/media/Websites/IMF/imported-full-text-pdf/external/pubs/ft/wp/2012/_wp12128. ashx, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018 (Schätzung des Werts der strukturellen Beihilfe auf 60 bis 80 Basispunkte im Zeitraum von 2007 bis 2009); Zoe Tsesmelidakis/Robert C. Merton, The Value of Implicit Guarantees, 2012, Working Paper, abrufbar unter: http://ssrn. com/abstract=2231317, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018 (Schätzung des Finanzierungsvorteils von 74 U.S.-Finanzinstituten, die von den impliziten Garantien profitieren, auf bis

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Verzerrte Marktpreise wirken sich mithin auf der Passivseite der Bankenbilanzen aus, da Banken Kapital zu Konditionen beschaffen können, die ihre Risikonahme auf der Aktivseite nicht angemessen reflektieren, sodass Aktionäre und Manager Anreize haben, die Hebelwirkung der Fremdkapitalfinanzierung zu verstärken.17 Mit anderen Worten erlaubt (erst) diese Form der antizipierten staatlichen Stützung den Anteilseignern und Geschäftsleitern von Banken, überschießende Risiken zu refinanzieren und führt so zu ineffizienten Investitionsentscheidung auf der Aktivseite der Bankenbilanzen (moral hazard).18 Im Kern versagt die Debt-Governance von Banken deshalb, weil die Preisbildung für die Fremdkapitalinstrumente der Institute nicht von ihrer Risikotragfähigkeit bestimmt wird (keine Marktdisziplin).19 zu $ 365 Mrd.); Frederic A. Schweikhard/Zoe Tsesmelidakis, The Impact of Government Interventions on CDS and Equity Markets, 2012, American Finance Association 2012 Chicago Meetings Working Paper, abrufbar unter: http://ssrn.com/abstract=1573377, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018 (Aufzeigen einer systematischen Abweichung modellierter Risikoprämien für Bankschulden von den tatsächlichen Marktprämien, die großen U.S.-Banken auf den CDS-Märkten bis zur Finanzkrise abverlangt wurden); João A. C. Santos, Evidence from the Bond Market on Banks’ „Too-Big-To-Fail“ Subsidy, FRBNY Econ. Pol’y Rev. Bd. 20(2) (2014), S. 29 (Investoren akzeptierten zwischen 1985 und 2009 deutlich niedrigere Spreads auf Anleihen der größten U.S.-Banken als auf Anleihen kleiner Banken). Schätzung der möglichen Auswirkungen glaubwürdiger PSI durch Bail-in auf Grundlage der Standard-Methodologien für Ratings, s. Frank Packer/Nikola A. Tarashev, Rating Methodologies for Banks, BIS Q Rev (2011), S. 39, 50. 17  Zur grundsätzlichen Anreizstruktur, die auf der Fähigkeit zur Risikoverlagerung auf Altgläubiger beruht, s. exemplarisch Anat R. Admati u. a., Fallacies, Irrelevant Facts, and Myths in the Discussion of Capital Regulation: Why Bank Equity is Not Socially Expensive, 2013, Max Planck Institute for Research on Collective Goods 2013/23; Rock Center for Corporate Governance at Stanford University Working Paper No. 161, Stanford University Graduate School of Business Research Paper No. 13 – 7, S. 3, abrufbar unter: https:// ssrn.com/abstract=2349739, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018. Zur Motivation von Managern Lucian A. Bebchuk/Holger Spamann, Regulating Bankers’ Pay, Geo.L.J. Bd. 98 (2010), S.  247, 255 – 257. 18  Empirische Belege bei Blaise Gadanecz/Kostas Tsatsaronis/Yener Altunbaş, Spoilt and Lazy: The Impact of State Support on Bank Behavior in the International Loan Market, Int’l J Central Bank Bd. 8 (2012), S. 121; Luis Brandao-Marques/Ricardo Correa/ Horacio Sapriza, International Evidence on Government Support and Risk Taking in the Banking Sector, IMF Working Paper No. 13/94 (2013), abrufbar unter: http://www.imf. org/external/pubs/cat/longres.aspx?sk=40501, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018; Gara Afonso/João A. C. Santos/James Traina, Do „Too-Big-To-Fail“ Banks Take on More Risk?, FRBNY Econ Pol Rev Bd. 20(2) (2014), S. 41. Zu der wettbewerbsverzerrenden Wirkung der Staatsgarantien, die es begünstigten Großbanken ermöglicht, kleinere Wettbewerber durch aggressive Senkung der Margen aus dem Markt zu drängen, s. Reint Gropp/Hendrik Hakenes/Isabel Schnabel, Competition, Risk-Shifting, and Public Bail-Out Policies, RFS Bd. 24 (2011), S. 2084. 19  Der Effekt wurde zunächst in Bezug auf explizite staatliche Garantien (Einlagensicherung) modelliert, Robert C. Merton, An Analytical Derivation of the Cost of Deposit

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b)  Eingriff des Gesetzgebers zur Erzwingung von Risikosensibilität von dem Bail-in unterliegenden Kapital Das beobachtete Marktversagen rechtfertigt einen Eingriff des Gesetzgebers. Das Bail-in-Instrument packt die Wurzel des Übels direkt an: Es zielt darauf ab, PSI im Falle des Scheiterns einer Bank glaubwürdig zu gewährleisten, d. h. die Risikotragung derjenigen Investoren zu erzwingen, die das Bankkapital bereitstellen.20 Funktioniert das Bail-in-Instrument, nimmt es die impliziten Staatsgarantien zurück. Es stellt dann sicher, dass die Refinanzierungskosten der Banken institutsspezifisch durch die jeweils eingegangenen Risikopositionen bestimmt sind und verhindert eine durch moral hazard ausgelöste übermäßige Risikobereitschaft, Überinvestitionen etc.21 Unabdingbare Funktionsvoraussetzung eines solchen Regimes ist, dass das Bail-in-Instrument die Verlustzuweisung an Investoren in einer Art und Weise bewerkstelligt, die während der gesamten Abwicklung und in der Zeit danach das Vertrauen der Bankkunden in die kontinuierliche Erbringung zentraler Finanzdienstleistungen nicht erschüttert (Liquiditätsgewähr, Risikoabsicherung). Mit anderen Worten, PSI darf die (kurz- und mittelfristige) Lebensfähigkeit der wesentlichen Funktionen einer abzuwickelnden Bank nicht beeinträchtigen. Nur unter dieser Voraussetzung kann sie die destabilisierenden Auswirkungen eines

Insurance and Loan Guarantees, JBF Bd. 1 (1977), S. 3 – 11; Robert C. Merton/Zvi Bodie, Deposit Insurance Reform: A Functional Approach, Carnegie-Rochester Conference on Public Policy Bd. 38 (1993), S. 1 – 34, kann aber generalisiert werden, vgl. exemplarisch Tobias Adrian/Adam B. Ashcraft, Shadow Banking Regulation, Federal Reserve of New York Staff Reports No. 559 (2012), S. 8 – 10, abrufbar unter: http://www.newyorkfed.org/ research/staff_reports/sr559.pdf, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018. 20 S. John C. Coffee Jr., Bail-Ins Versus Bail-Outs: Using Contingent Capital to Mitigate Systemic Risk, Columbia Law and Economics Working Paper No. 380 (2010), S. 35, abrufbar unter: http://ssrn.com/abstract=1675015, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018; Zhou u. a. (Fn. 15), S. 5, 20; Thomas F. Huertas, The Case for Bail-ins, in: Andreas Dombret/ Patrick S. Kenadjian (Hrsg.), The Bank Recovery and Resolution Directive – Europe’s Solution for „Too Big To Fail“?, Frankfurt a. M. 2013, S. 167, 168; Avgouleas/Goodhart (Fn. 15), S. 2; Karl-Philipp Wojcik, Bail-in in the Banking Union, CMLR Bd. 53 (2016), S. 91, 107; vgl. auch Zhou u. a. (Fn. 15), S. 7, die den Bail-in als Versicherung konzeptionalisieren, die von nachrangigen Schuldnern bereitgestellt wird; ähnlich Gordon/Ringe (Fn. 7), S. 1355 – 1356. Die Beschreibung von PSI als „Strafe für das Scheitern“, die den Anlegern in Bankkapital auferlegt wird – so etwa Avgouleas/Goodhart (Fn. 15), S. 2 – ist irreführend, da der Bail-in vornehmlich auf eine effiziente Risikoallokation abzielt und keine normative Bewertung dahingehend enthält, wem das Scheitern der Bank anzulasten ist. 21 Vgl. Tobias H. Tröger, Regulatory Influence on Market Conditions in the Banking Union: the Cases of Macro-Prudential Instruments and the Bail-in Tool, EBOR Bd. 16 (2015), S. 575, 588 Abbildung 3.

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Bankenausfalls vermeiden.22 Schließlich weist auch das reguläre Insolvenzrecht den Gläubigern des gescheiterten Rechtsträgers die aufgelaufenen Verluste zu, allerdings ohne dabei die Besonderheiten von Banken zu berücksichtigen.23 Ein bankenspezifisches System für PSI würde demgegenüber der Vernichtung der Werte vorbeugen, die bestimmte Verbindlichkeiten dem jeweiligen Anspruchsinhaber über die Stellung als Gläubiger zukünftiger Zahlungsströme hinaus vermitteln.24 2.  Die (implizite) Ausnahme für systemische Krisen Vor allem in einer systemischen Krise bereitet die Abwicklung fallierender Banken ohne die Bereitstellung öffentlicher Mittel Schwierigkeiten. Ein Blick 22  Das Bail-in-Instrument erleichtert die rasche Rekapitalisierung von großen Banken und Finanzkonglomeraten, sofern es durch seinen Einsatz gar nicht erst zu Liquiditätsengpässen, Notverkäufen und – in letzter Instanz – der ungeordneten Liquidation von Finanzkontrakten („runs“) kommt, s. Zhou u. a. (Fn. 15), S. 5, 7; Sommer (Fn. 12), S. 217 – 223; Wojcik (Fn. 20), S. 92, 107; vgl. auch Binder, Komplexitätsbewältigung durch Verwaltungsverfahren?, ZHR 179 (2015), S. 83, 104 ff.; Binder (Fn. 3), Rn. 2.57, der hervorhebt, dass das Bail-in-Instrument die Anreize eines regulären Insolvenzverfahrens bewahrt, aber zugleich negativen Auswirkungen vorbeugt. 23  Zur finanzwirtschaftlichen Theorie, nach der komplexe und zeitintensive Verfahren im Rahmen des regulären Insolvenzrechts zu Vertrauensverlusten führen und Märkte destabilisieren können, Andrei Shleifer/Robert W. Vishny, Fire Sales in Finance and Macroeconomics, JEP Bd. 25 (2011), S. 29 – 48; zur Untauglichkeit insbesondere des U.S.-amerikanischen Rahmens für Unternehmensinsolvenzen (Chapter 11) Sommer (Fn. 12), S. 225 – 228; gegenteilige Position vor der Krise bei David A. Skeel, The Law and Finance of Bank and Insurance Insolvency Regulation, Tex. L. Rev. Bd. 76 (1998), S. 723; positiv zur Leistungsfähigkeit von Chapter 11-Verfahren für Banken nach der Krise Kenneth Ayotte/David A. Skeel, Bankruptcy or Bailouts?, J. Corp. L. Bd. 35 (2009), S. 469; Stephen J. Lubben, Systemic Risk and Chapter 11, Temp. L. Rev. 2009, S. 433; Douglas G. Baird/Edward R. Morrison, Dodd-Frank for Bankruptcy Lawyers, Am. Bankr. Inst. L. Rev. Bd. 19 (2011), S. 287; rechtspolitisch zu umfassenden, bankspezifischen Ergänzungen des US-amerikanischen Insolvenzrechts Thomas H. Jackson, Bankruptcy Code Chapter 14, in: Kenneth E. Scott/ John B. Taylor (Hrsg.), Bankruptcy Not Bailout, Stanford 2012, S. 25 – 70. 24  Zentrale Kundenbeziehungen erscheinen auf der Passivseite der Bilanz der ausfallenden Bank. Ihre uneingeschränkte Behandlung mit den Instrumenten des regulären Insolvenzrechts würde wirtschaftliche Werte zerstören, die den Nennwert der Forderung übersteigen. Beispielsweise zerstört ein Moratorium die liquiditätssteigernde Funktion von Einlagen und die Verlustbeteiligung von Inhabern risikominimierender Derivate torpediert deren Risikoabsicherungen (hedges), vgl. Sommer (Fn. 12), S. 209 – 213, der konkrete Merkmale von „Finanzverbindlichkeiten“ ( financial liabilities) aufzeigt, die dazu führen, dass der soziale Wert dieser Verbindlichkeiten ihren nominalen Wert übersteigt und die übertragbarkeitsausschließende, unternehmensspezifische Elemente aufweisen können. Das die gesamtgesellschaftlichen Kosten minimierende, soziale Optimum kann sich folglich nur einstellen, wenn solche Verbindlichkeiten in der Insolvenz eine besondere (bevorzugte) Behandlung erfahren; ebenso, mit abweichender Terminologie Avgouleas/ Goodhart (Fn. 15), S. 12.

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in die Geschichte lehrt in diesem Zusammenhang, dass eine kategorische Weigerung, das Finanzsystem aufzufangen, eine Verschlimmerung der realwirtschaftlichen Folgen von Krisen nach sich ziehen kann.25 Folglich gelten alle Regelungen, die PSI erzwingen, nur unter der einschränkenden Voraussetzung – die entweder ausdrücklich gesetzlich angeordnet oder als implizite Ausnahme in den Rechtsrahmen „hineingelesen“ wird – dass auch ohne staatliche Intervention keine systemische Krise droht. Die zentrale Frage lautet daher, wie die unvermeidliche Ausnahme für den Umgang mit systemischen Störungen mit dem Regelungsziel, Marktdisziplin herzustellen, in Einklang gebracht werden kann. Mit anderen Worten: Wie können die Aufsichts- und Abwicklungsbehörden ein Sicherheitsventil bereithalten, ohne hierdurch zugleich die Glaubwürdigkeit des gesamten Systems preiszugeben?26 Die Antwort ist gewiss nicht einfach, muss aber in jedem Fall berücksichtigen, dass selbst eine gut konzipierte PSI systemweite, negative Konsequenzen auslösen kann.27

III.  Minimierte Anreize für Bail-outs als Voraussetzung eines effektiven Bail-in-Regimes Das Ziel des Bail-in-Instruments, alle Anleger, die Bankenkapital zur Verfügung stellen, zu einer angemessenen Bepreisung des Risikos eines Ausfalls anzuhalten, bestimmt die Voraussetzungen, unter denen ein Eingriff des Gesetzgebers effiziente Ergebnisse erzielen kann. Zentral ist, dass zumindest erfahrene 25  Die vorherrschende Einschätzung ist durch die geldpolitischen Fehler der Federal Reserve im Vorfeld sowie während der Weltwirtschaftskrise geprägt, als die Zentralbank eine Geldverknappung (auch) dadurch gestattete, dass sie Banken durchgehend scheitern ließ, s. z. B. Lester Vernon Chandler, American Monetary Policy 1928 to 1941, New York 1971; Barry Eichengreen, The origins and nature of the Great Slump revisited, Econ. Hist. Rev. Bd. 45 (1992), S. 213 – 239; Christina D. Romer, The Nation in Depression, JEP Bd. 7 (1993), S. 19 – 39; Ben S. Bernanke, The Macroeconomics of the Great Depression: A Comparative Approach, in: ders. (Hrsg.), Essays on the Great Depression, Princeton 2000, S.  5 – 38. 26  Zum Zielkonflikt zwischen Anreizwirkungen ex ante- und ex post-Stabilisierungszielen auch Christos Hadjiemmanuil, in: Europäische Zentralbank (Hrsg.), ECB Legal Conference 2015 (ECB 2015), Frankfurt a. M. 2015, S. 225, 245 – 248; Daniel Gros, The SRM and the dream to resolve banks without public money, Center for Economic Policy Studies (CEPS) Commentary, 2013, abrufbar unter: https://ceps.eu/system/files/DG%20 SRM%20and%20the%20dream%20to%20resolve%20banks%20without%20public%20 money.pdf, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018. Optimistischere Sichtweise, wonach ein Bailin auch in einer systemischen Krise konstruktiv sei, bei Zhou u. a. (Fn. 15), S. 22. 27  Exemplarisch für die Vorstellung, dass PSI (Bail-in) ein pro-zyklischer Krisenbeschleuniger ist, weil Herabschreibungen/Wandlungen die Anleger abschrecken, wodurch es angeschlagenen Banken weiter erschwert wird, sich eigenständig zu rekapitalisieren, Avgouleas/Goodhart (Fn. 15), S. 16.

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Anleger in der Lage sein müssen, ihr gezeichnetes Risiko angemessen zu bewerten, was eine hinreichend sichere Bestimmung der Ausfallwahrscheinlichkeit (probability of default, PD) und der Verlustquote (loss given default, LGD) ex ante erfordert.28 Der letzte Punkt hängt unter anderem davon ab, dass die Anreize der Entscheidungsträger in Politik und Abwicklungsbehörden minimiert sind, fallierende Banken mit Staatsgeldern zu retten. Sollten solche staatlich finanzierten Bankenrettungen als realistische Alternative zu PSI weiter im Raum stehen, bleibt es auch bei den unerwünschten Preisverzerrungen auf dem Markt für Bankenkapital und den damit verbundenen Ineffizienzen (s. oben II.1.a)). Aus diesem Grund muss ein adäquat gestaltetes Regime für PSI besonderes Augenmerk darauf legen, dass die Anwendung des Bail-in-Instruments Finanzmärkte nicht destabilisiert, was der Fall sein kann, wenn andere, kritische Funktionen wahrnehmende Marktteilnehmer negativ betroffen werden (III.1.) oder wenn ein panikgetriebener Ansturm auf die Banken (bank run) ausgelöst wird (III.2.). Ein gesamtgesellschaftlich wünschenswertes Regime muss schließlich sicherstellen, dass politökonomische Erwägungen den Wunsch nach staatlicher Bankenrettung unabhängig von Finanzstabilitätserwägungen nicht befeuern (III.3.). 1.  Drohende Ansteckung infolge eines Bail-ins Gefahren für die Finanzstabilität können entstehen, wenn die Inhaber von Kapitalinstrumenten, die vom Bail-in betroffen sind, selbst kritische Funktionen auf den Finanzmärkten wahrnehmen. Wenn solche unverzichtbaren Marktteilnehmer die erlittenen Verluste nicht abfedern können, ohne selbst an den Rand der oder gar in die Insolvenz gedrängt zu werden, ist der Bail-in ihrer entsprechenden Investments keine tragfähige Option, sodass erneut der Anreiz zum Bail-out des ausfallenden Instituts überwiegt. Um solche Folgewirkungen zu vermeiden, müssen Instrumente, die dem Bail-in zugänglich sind, außerhalb des Bankensektors von Investoren mit der entsprechenden Verlustabsorptionsfähigkeit und entsprechendem Risikomanagement gehalten werden (z. B. Versicherungsgesellschaften, Pensionsfonds, vermögende Privatkunden oder Hedgefonds).29 28  Für weitere ausführliche Darstellungen eines optimalen regulatorischen Designs des Bail-in-Regimes s. Tröger (Fn. 8), S.45 – 46; Jan Pieter Krahnen/Laura Morretti, BailIn Clauses, in: Esther Faia/Andreas Hackethal/Michalis Haliassos/Katja Langenbucher (Hrsg.), Financial Regulation, Cambridge 2015, S. 136 – 142; John Armour, Making Bank Resolution Credible, European Corporate Governance Institute (ECGI) Law Working Paper 244/2014 (2014), S. 20 – 21, abrufbar unter: http://ssrn.com/abstract=2393998, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018; Huertas (Fn. 20), S. 173. Der Liikanen-Report beinhaltet eine konzise Zusammenfassung der Kernelemente, S. High-level Expert Group on reforming the structure of the EU banking sector, Final Report (2012), S. 103 – 104, abrufbar unter: http://ec.europa.eu/finance/bank/docs/high-level_expert_group/report_en.pdf, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018.

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2.  Bail-in als Auslöser eines Ansturms auf die Banken Die Regelungsziele von PSI werden zudem untergraben, wenn die Anwendung des Bail-in-Instruments einen Ansturm auf die Banken auslöst. Verhielten sich Investoren stets völlig rational, würde der Bail-in als solcher keine systemische Krise auslösen, da seine Wirkungsweise die Verlusttragung gerade beschränkt.30 Dies gilt besonders dann, wenn die Anwendung des Bail-in-Instruments auf ein einziges Institut beschränkt ist, egal wie groß dieses sein mag. Aber auch wenn mehrere Banken ausfallen, z. B. weil die Enthüllung von Informationen über eine Bank sektorweite Herabschreibungen bestimmter Vermögenswerte verursacht, bleibt die Rekapitalisierung durch PSI ein glaubwürdiger Bestandteil der Abwicklungsstrategie. Die einzige Voraussetzung, um ausreichend Vertrauen in die wiedergewonnene Überlebensfähigkeit der abgewickelten Institute zu begründen, ist, dass der Finanzsektor ausreichend Kapital geschaffen hat, das für eine Herabsetzung, Herabschreibung oder Umwandlung oder einen Bail-in31 herangezogen werden kann und dass Zentralbankliquidität (Notfallkredite) in ausreichender Menge verfügbar ist.32 29

29 S. Zhou u. a. (Fn. 15), S. 22; Krahnen/Morretti (Fn. 28), S. 140; Tröger (Fn. 21), S.  589; Martin R. Götz/Tobias H. Tröger, Should the Marketing of Subordinated Debt Be Restricted/Different in One Way or the Other? What to do in the Case of Misselling?‘ In-Depth Analysis for the economics and Monetary Affairs Committee of the European Parliament (2016), S. 6, abrufbar unter: http://www.europarl.europa.eu/RegData/etudes/ IDAN/2016/497723/IPOL_IDA(2016)497723_EN.pdf, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018; s. auch unten V.1. 30 S. Sommer (Fn. 12) 214, 222. 31 Das europäische Abwicklungsrecht bewirkt die PSI durch die Herabsetzung des harten Kernkapitals (Common Equity Tier 1, CET1), Art. 60 Abs. 1 Buchst. a) BRRD, die Herabschreibung oder Umwandlung von zusätzlichem Kernkapital (Additional Tier 1, AT1) und Ergänzungskapital (Tier 2, T2) (vgl. zur Definition für „relevante Kapital­ instrumente“ Art. 2 Abs. 1 Nr. 74 BRRD, Art. 59 Abs. 2 BRRD) und durch den Bail-in (sonstiger) Verbindlichkeiten, Art. 43 Abs. 1, 63 Abs. 1 BRRD. Dieser Beitrag verwendet den Begriff des Kapitals „untechnisch“, um sämtliche Finanzinstrumente zu bezeichnen, die von PSI betroffen sind. 32 Zur entscheidenden Bedeutung der Liquiditätshilfe von Zentralbanken Thomas Philippon/Aude Salord, Bail-in and Bank Resolution in Europe, International Center for Monetary and Banking Studies, Genf 2017, S. 48; zu Beschränkungen, die sich aus einem Mangel an zentralbankfähigen Sicherheiten ergeben können, Avgouleas/Goodhart (Fn. 15), S. 17. Als Konsequenz drängt die Europäische Zentralbank (EZB) auf spezielle Liquiditätsfazilitäten für die Abwicklung (Eurosystem Resolution Liquidity), welche dann nicht den Beschränkungen regulärer Notfallkredite unterliegen, Alexander Weber/ Alessandro Speciale, ECB Weighs Emergency Cash Injections to Smooth Bank Rescues, Bloomberg (New York, 9 April 2018), abrufbar unter: https://www.bloomberg.com/news/ articles/2018 – 04 – 09/ecb-considers-proposal-for-new-cash-line-to-aid-bank-rescues, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018.

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Lockert man die Annahme unbeschränkter Rationalität, kann es selbst dann zu einem run auf Bankpassiva kommen, wenn Anleger eigentlich keinen triftigen Grund zu der Annahme haben, dass sich ein Institut in Schwierigkeiten befindet.33 Die Begrenzung der negativen Auswirkungen einer erzwungenen Verlustbeteiligung der Gläubiger des ausfallenden Instituts erfordert daher zugleich, dass (irrationale) Erwartungen gedämpft werden, PSI werde sich im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang bei anderen Instituten wiederholen.34 Nur dies kann Inhaber kurzfristig rückzahlbarer Kapitaltitel dazu bewegen, die Krise auszusitzen. Die erste Verteidigungslinie gegen eine mögliche Anlegerpanik liegt ersichtlich darin, eine hinreichend dicke Schicht langfristiger (nicht unmittelbar rückzahlbarer), qualitativ hochwertiger und einfach herabzuschreibender oder umzuwandelnder Kapitalinstrumente vorzuschreiben, die andere Gläubiger davon überzeugt, dass PSI ihre Forderungen nicht erreichen wird.35 Geht man von beschränkter Rationalität der Investoren aus und herrscht Unsicherheit über das Ausmaß der Krise, ist die Existenz eines zweiten Bollwerks von noch größerer Bedeutung. Nur sofern ein glaubwürdiger staatlicher Rückhaltemechanimsus (backstop) für Situationen vorgehalten wird, in denen sich das vorbestimmte Bail-in-Polster als zu dünn erweist, werden (andere) Investoren davon absehen, ihre Mittel abzuziehen. Auch wenn dies auf den ersten Blick kontraintuitiv erscheint, erfordert eine funktionierende PSI daher einen starken finanziellen Rückhaltemechanismus, der alle kurzfristig rückzahlbaren Positionen auf der Passivseite der Bankenbilanz absichert, da andernfalls der drohende Bail-in die Krise verschärft. Diese Beobachtung steht dem Regelungsziel, Marktdisziplin 33  Vgl. das wegweisende Modell von Douglas W. Diamond/Philip H. Dybvig‚ Bank Runs, Deposit Insurance, and Liquidity, JPE Bd. 91 (1983), 401. Für eine Erweiterung, die aufzeigt, dass moderne bank runs nicht nur bei Einlagenkreditinstituten, sondern auch bei ebenso fristen- und liquiditätstransformierenden Handels- und Investmentbanken stattfinden, s. Gary B. Gorton, The Panic of 2007, in: Federal Reserve Bank of Kansas City (Hrsg.), Maintaining Stability in a Changing Financial System, Kansas City 2009, S. 131, 199 – 231; Gorton, Information, Liquidity, and the (Ongoing) Panic of 2007, AER Papers & Proceedings Bd. 99 (2009), S. 567 – 72. 34 S. Avgouleas/Goodhart (Fn. 15), S. 11 mit Hinweis auf die berichtete Erfahrung in Timothy F. Geithner, Stress Test: Reflections on Financial Crises, New York 2014, S. 306. 35 Grundsätzlich könnte ein ausreichend aufgepolstertes Kapitalkissen vorrangige Gläubiger aller Klassen von einem Ansturm auf die Kasse abhalten und so anderenfalls drohende Ansteckungen verhindern, s. Stefano Micossi/Ginevra Bruzzone/Miriam Cassella, Bail-in Provisions in State Aid and Resolution Procedures: Are they consistent with systemic stability, Centre for European Policy Studies (CEPS) Policy Brief No. 318 (2014), S. 9, abrufbar unter: https://www.ceps.eu/system/files/PB%20318%20SM%20 et%20al%20Bail-in%20Provisions%20in%20State%20Aid%20and%20Resolution%20 Procedures%20 final_0.pdf, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018; Avgouleas/Goodhart (Fn. 15), S.  17 – 18.

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herzustellen, indes nicht entgegen, da eine hinreichend dicke Schicht einfach herabzuschreibenden, qualitativ hochwertigen Bankkapitals ein ausreichendes Maß an Debt Governance auslöst, gerade weil die potenziell systemischen Auswirkungen einer PSI abgemildert sind und die Drohung der tatsächlichen Durchführung eines Bail-in daher glaubwürdig geworden ist. 3.  Überlegungen zur politischen Ökonomie der PSI Jenseits von SIFIs (dazu schon oben III.1.) müssen auch andere Investoren in Bankkapital über ausreichende Fähigkeiten zur Verlustabsorption verfügen, um die Einbußen aushalten zu können, die ihnen entstehen, wenn ihre Verbindlichkeiten herabgeschrieben oder in Eigenkapital umgewandelt werden. Da die Umwandlungen während einer erheblichen Bedrängnis des Instituts erfolgt, werden die neuen Eigenkapitaltitel unvermeidbar weniger wert sein als der Nominalwert der gewandelten Forderung. Wenn z. B. Privathaushalte einen großen Teil ihres Vermögens in der PSI unterliegendes Kapital von Banken investieren, könnten im Zuge eines Bail-in erlittene Verluste zu negativen sozialen und/oder psychologischen Folgen führen. Diese negativen Konsequenzen könnten wiederum Politiker dazu verleiten, ihre Wähler zu verschonen und das Institut stattdessen auf Staatskosten zu retten. Dort, wo Märkte ein solches Verhalten antizipieren, wird die Glaubwürdigkeit einer zwingenden PSI nachhaltig geschwächt, egal welche Versprechungen Politiker zur Zeit der Gesetzesausfertigung machen. Vergleichbare Zeitkonsistenzprobleme dürften auch auftreten, wenn Hedgefonds36 nach einem Bail-in zu Eigentümern wichtiger Teile des Bankensystems würden. Somit muss ein adäquat gestaltetes Regime für PSI die Halter von dem Bail-in unterliegenden Finanzinstrumenten engmaschig überwachen.37

IV.  Die Europäischen Erfahrungen im Sommer 2017 Der Umgang mit Bankenpleiten in der EU bestätigt die aufgezeigten Defizite bei der PSI unter Geltung der BRRD und der SRM-VO. Eine eingehendere Betrachtung der wesentlichen Fakten der jüngeren Fälle zeigt, dass die befassten Entscheidungsträger innerhalb und jenseits der Abwicklungsbehörden dazu neigen, die Ausnahmen von zwingender PSI im Rahmen des Abwicklungsregimes 36  Die bei politischen Entscheidungsträgern verbreiteten Ressentiments mögen wenig oder gar keine Stütze in der Empirie finden, s. Jan Bena et al., Are Foreign Investors Locusts? The Long-Term Effects of Foreign Institutional Ownership, ECGI Finance Working Paper No. 468/2016, abrufbar unter: https://ssrn.com/abstract=2640045, zuletzt abgerufen: 12. 12. 2018, sind aber Teil des relevanten Motivbündels. 37  Philippon/Salord (Fn. 32), S. 43; für die verschiedenen Gründe, warum Entschädigungen ungeeignet sind, um die sozialen Kosten von Misselling zu internalisieren, s. Götz/ Tröger (Fn. 29), S. 13 – 15.

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sehr weit auszulegen, um sich genug Spielraum dafür zu verschaffen, bestimmte Investoren zu verschonen und notleidende Banken mit staatlichen Geldern zu stabilisieren, statt zu diesem Zweck einen umfassenden Bail-in durchzuführen. Die betrachteten Fälle weisen nicht nur im Sachverhalt jeweils spezifische Besonderheiten auf, sondern weichen auch im Hinblick auf die gefundenen rechtlichen Lösungen erheblich voneinander ab (unten IV. 1. – IV. 3.). Sie lassen sich daher nicht zu einem klaren, die Markterwartungen formenden, europäischen Standard für PSI synthetisieren (unten IV. 4.). 1.  Banco Popular In der Abwicklung der spanischen Banco Popular wurden sämtliche Instrumente des harten und des zusätzlichen Kernkapitals (umgewandelt und) vollständig herabgeschrieben, bevor eine Umwandlung des Ergänzungskapitals in Eigenkapital erfolgte; die so entstandenen neuen Aktien wurden an Santander zum symbolischen Preis von einem Euro veräußert.38 Der Einheitliche Abwicklungsausschuss (Single Resolution Board, SRB) nutzte demnach nur das Instrument der Herabschreibung und Umwandlung39 und griff das (nachrangige) Fremdkapital nicht an, das im Haftungswasserfall bei einem Bail-in unter den Eigenmitteln steht. Der Ausschuss konnte die gescheiterte Bankengruppe auch deshalb mit nur begrenzter PSI abwickeln, weil mit dem Käufer Santander ein glaubwürdiger privatwirtschaftlicher Rückhaltemechanismus zur Verfügung stand. Daraus folgt aber auch, dass Investoren wenig aus diesem speziellen Fall lernen können, wenn in zukünftigen Fällen das Marktvertrauen allein durch einen Bail-in wiederhergestellt werden soll, wie es dem in Art. 46 Abs. 2 BRRD (Art. 27 Abs. 13 UAbs. 2 SRM-VO) festgeschriebenen Ziel der PSI entspricht. 2.  Veneto Banca und Banca Populare di Vicenza Obwohl die zwei venezianischen Banken ausfielen, wurden sie nicht unter der BRRD (SRM-VO) abgewickelt, weil der SRB in beiden Fällen das öffentliche Interesse an der Anwendung des Sonderregimes verneinte40 und die Institute der Li38  SRB, Decision of the SRB concerning the adoption of a resolution scheme for Banco Popular Español, SA, SRB/EES/2017/08, S. 17 – 19. 39  Art. 59 Abs. 2 BRRD (dazu schon oben) erlaubt CET1 und AT1 Instrumente unmittelbar herabzuschreiben oder umzuwandeln, sobald die Bank den Punkt erreicht, an dem sie nicht mehr überlebensfähig ist (point of non-viability, PONV), vgl. auch zur Abgrenzung zum Bail-in-Instrument Anna Gardella, Bail-in and the Financing of Resolution within the SRM Framework, in: Danny Busch/Guido Ferrarini (Hrsg.), European Banking Union, Oxford 2015, Rn. 11.49. 40  Art. 32 Abs. 1 Buchst. c), Abs. 5 BRRD (Art. 18 Abs. 1 lit. c), Abs. 5 SRM-VO) verlangen die Feststellung, dass die Abwicklungsziele im bankenspezifischen Abwick-

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quidation in regulären Insolvenzverfahren nach nationalem Recht zuwies.41 Eine PSI erfolgte daher nach Maßgabe des italienischen Insolvenzrechts und wurde abgefedert durch staatliche Stützungsmaßnahmen, die der Erlaubnis der Beihilfenabteilung der Europäischen Kommission bedurften, und gewährt wurden, um eine Teilveräußerung an Intesa zu ermöglichen.42 3.  Monte dei Paschi di Siena Die lange wackelnde Bank wurde durch eine aus dem italienischen Staatshaushalt finanzierte vorsorgliche Rekapitalisierung gerettet, womit das Auslösen der Abwicklung mit der einschneidenden, achtprozentigen PSI unter der BRRD (SRM-VO) vermieden werden konnte, vgl. Art. 32 Abs. 4 UAbs. 1 Buchst. d) (Art. 18 Abs. 4 UAbs. 1 lit. d) SRM-VO). Die Inhaber (nachrangiger) Fremdkapitaltitel blieben folglich durch die Rettungsbemühungen unberührt.43 4.  Bewertung Für diese Untersuchung liegt die Haupterkenntnis aus den vier Fällen darin, dass das europäische Abwicklungsregime viele verschiedene Wege eröffnet, um scheiternde Banken zu stabilisieren, bei denen der Umfang der PSI stark variiert. Die BRRD (SRM-VO) mag als Mittel für das Erzielen effizienter Ergebnisse ex post taugen, sie begründet aber nicht das notwendige Maß an Vorhersagbarkeit, um eine risikoangemessene Preisbildung für Bankkapital ex ante zu veranlassen, weil sowohl Ausfallwahrscheinlichkeit (PD) als auch Verlustquote (LGD) maßgeblich von schwer antizipierbaren Behördenentscheidungen abhängen. Es ist insoweit auch von Bedeutung, dass die Entscheidungsträger in Abwicklungsbehörden auf politischen Druck reagieren und ihnen weitreichende Gestaltungsoptionen zur Verfügung stehen, um die PSI unter der BRRD (SRM-VO) zu vermeiden. Speziell die Erfahrungen in Italien zeigen, dass Aufsichts- und Ablungsregime besser verwirklicht werden als im regulären Insolvenzrecht, dazu eingehend Tröger (Fn. 8), S. 52 f. 41  SRB, Decision of the SRB concerning the assessment of the conditions for resolution in respect of Veneto Banca SpA, SRB/EES/2017/11, S. 11 – 21 und SRB, Decision of the SRB concerning the assessment of the conditions for resolution in respect of Banca Popolare di Vicenza SpA, SRB/EES/2017/12, S. 11 – 21. 42  Europäische Kommission, State aid: Commission approves aid for market exit of Banca Popolare di Vicenza and Veneto Banca under Italian insolvency law, involving sale of some parts to Intesa Sanpaolo, abrufbar unter: http://europa.eu/rapid/press-release_IP17 – 1791_en.pdf, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018. Die Entscheidung mit Gründen ist bisher unveröffentlicht. 43  Europäische Kommission, State Aid SA.47677 (2017/N) – Italy New aid and amend­ ed restructuring plan of Banca Monte dei Paschi di Siena, COM C (2017) 4690 final, S.  17 – 23.

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wicklungsbehörden sowie Politiker, die einem Bail-out zuneigen, die Ausnahmen von der zwingenden PSI ausnutzen können, um Verluste von Investoren fernzuhalten und fallierende Banken nach wie vor mit Staatsgeldern zu stabilisieren; EU Beihilferegeln bieten in dieser Hinsicht leider nur ein schwaches Korrektiv.44

V.  Bail-in 2.0 Eine mögliche Reaktion auf die Defizite des momentanen Regelungsrahmens könnte in der Ergänzung der BRRD und der SRM-VO liegen, um die Schlupflöcher zu schließen, die das Umgehen der PSI ermöglichen. Eine solche Strategie würde jedoch bestenfalls nur die bereits geschlagene Schlacht gewinnen, ohne die Armee für den nächsten Kampf vorzubereiten.45 Demgegenüber scheint es vorzugswürdig, das Regelungsumfeld derart zu verändern, dass Anreize zur Umgehung von PSI von Anfang an minimiert werden. Um dieses Ziel zu erreichen, ist eine auf den ersten Blick radikale Abkehr von Kernprämissen des gegenwärtig geltenden Abwicklungsregimes notwendig. Es entspricht einem unausgesprochenen Grundkonsens, dass die PSI grundsätzlich unbeschränkt sein und die gesamte Passivseite der Bankbilanz erfassen sollte.46 Ein derart unbegrenzter Bail-in lässt jedoch die Gefahr einer systemi44  In der internationalen Wirtschaftspresse überwiegt klar die Sicht, dass in den italienischen Fällen reguläre Insolvenzverfahren bevorzugt wurden, um vollumfängliche Beteiligungen des Privatsektors zu vermeiden und großzügige Staatshilfen zu ermöglichen, s. Simon Nixon, Deal on Italian Banks Raises Questions About Eurozone Rules, Wall Street Journal (New York, 25. 6. 2017), abrufbar unter: https://www.wsj.com/articles/ deal-on-italian-banks-raises-questions-about-eurozone-rules-1498407926, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018; Paul J. Davies, Why Italy’s Bank Rescue Looks a Backward Step for Europe, Wall Street Journal (New York, 25 June 2017) abrufbar unter: https://www. wsj.com/articles/why-italys-bank-rescue-looks-a-backward-step-for-europe-1498479633, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018; Editorial, Italy shows EU banking union still has far to go, Financial Times (London, 26. 6. 2017) abrufbar unter: https://www.ft.com/content/ f01db25e-5a70 – 11e7 – 9bc8 – 8055f264aa8b, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018; Lucrezia Reichlin, The European banking union falls short in Italy, Financial Times (London, 26. 6. 2017) abrufbar unter: https://www.ft.com/content/3b8bc570 – 5a7e-11e7-b553-e2df 1b0c3220, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018. 45 Vgl. Luca Enriques, Regulators’ Response to the Current Crisis and the Upcoming Reregulation of Financial Markets: One Reluctant Regulator’s View, U. Pa. J. Int’l L. 1147, Bd. 30 (2009), S. 1153, der argumentiert, dass krisengetriebene Rechtssetzung anfällig dafür ist, zukünftige Probleme außenvor zu lassen; ähnlichen Steven L. Schwarcz, The Functional Regulation of Finance, Working Paper (2014) S. 3 f., abrufbar unter: http://ssrn. com/abstract=2437544, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018. 46  S. Art. 44 Abs. 1 BRRD: „Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass das Bail-in-Instrument auf alle Verbindlichkeiten eines Instituts oder Unternehmens im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe b, c oder d angewandt werden kann …“; eingehende Darstellung, insbesondere auch der Ausnahmen nach Art. 44 Abs. 2 und Abs. 3, bei Tröger (Fn. 8), S. 57 – 60.

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schen Krise außer Acht, die sich infolge (zu) weitreichender PSI in einem inhärent instabilen Bankensystem entwickeln kann (s. bereits oben III.1. und III.2.). Außerdem bleibt ein solcher unterschiedsloser Ansatz agnostisch gegenüber den Charakteristika der Käuferseite von dem Bail-in unterliegenden Finanzinstrumenten, obwohl gerade diese die politischen und behördlichen Bestrebungen auslösen können, effiziente PSI aus polit-ökonomischen Gründen zu vermeiden (oben III.3.).47 Um diese blinden Flecken effektiv zu bekämpfen, schlägt dieser Beitrag nicht nur eine engmaschige Überwachung der Inhaber von dem Bail-in unterliegenden Verbindlichkeiten vor (unten V.1.), sondern befürwortet zudem eine differenziertere Betrachtung der potenziell PSI generierenden Instrumente, in der das Ziel der Vermeidung von moral hazard im Bankensystem mit dem der Verhinderung von manchen Finanzinstrumenten inhärenten Gefahr eines Ansturms auf die Bank zum Ausgleich gebracht wird.48 1.  Mindestvoraussetzungen für Investoren in dem Bail-in unterliegenden Verbindlichkeiten Grundsätzlich sollte die PSI systemische Risiken nicht verstärken. Deshalb ist eine breite Verteilung des verlusttragenden Kapitals auf alle Marktteilnehmer grundsätzlich wünschenswert. Die beschriebenen Gefahren (oben III.1. und III.3.) erfordern aber wichtige Einschränkungen. Idealerweise weisen Investoren in dem Bail-in unterliegenden Verbindlichkeiten folgende Merkmale auf: • Sturmfestigkeit: Der Investor sollte, wenn er Verluste tatsächlich zu tragen hat, nicht seinerseits einem Ansturm seiner Gläubiger ausgesetzt sein, also nicht selbst kurzfrisitig refinanziert sein. Das wiederum bedeutet, dass ein tauglicher Investor nicht selbst Anbieter von Liquidität sein kann und in seinem Kerngeschäft sogar negative Fristentransformation betreiben, also kurzfristigere Investitionen mit langfristigeren Verbindlichkeiten refinanzieren sollte. Die Eigenschaft der Sturmfestigkeit besitzen Lebensversicherungen in idealer Form, ebenso Pensionsfonds und andere langfristig orientierte Kapitalsammelstellen (spezialisierte Hedgefonds, Staatsfonds). Nicht geeignet als Investoren dagegen sind insbesondere Banken. Aber auch Kleinanleger sind wegen ihrer fixen Konsumbedürfnisse typischerweise nicht sturmfest. • Rückstellungsaufbau: Der prototypische Investor in dem Bail-in unterliegenden Kapital sollte aus den Couponzahlungen der Vorjahre eine ausreichende Reserve aufgebaut haben, die es ihm erlaubt, ohne Beeinträchtigung seiner 47 Grundlegend William A. Niskanen, Bureaucracy and Representative Government, Chicago 1971, S. 36 ff., der aufzeigt, wie Entscheidungsträger in der öffentlichen Verwaltung von persönlichen Motiven wie Macht und Prestige beeinflusst sind. 48  Hierzu auch bereits Jan Pieter Krahnen/Martin R. Götz/Tobias H. Tröger, Fünf Jahre nach dem Liikanen-Bericht: Was haben wir gelernt?, PWP Bd. 18 (2017), S. 205, 218 ff.

332

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eigenen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit für die Verluste des Instituts einzustehen. Die Reserven fingen Verluste ab, ohne dass die Überlebensfähigkeit des Investors beeinträchtigt würde. • Haftungsinzidenz: Der Investor soll der tatsächliche Träger des Ausfallrisikos der abzuwickelnden Bank sein. Ein etwaiger Risikotransfer (beispielsweise über eine Kreditversicherung oder einen Kreditausfall-Swap) ist bei der Bewertung der beiden zuvor genannten Anforderungen zu berücksichtigen; er ist – sofern das Ausfallrisiko letztlich bei nicht sturmfesten, nicht durch aufgebaute Rückstellungen abgesicherten Rechtsträgern verortet ist – nicht zulässig. Sturmfestigkeit und Rückstellungsaufbau sind die beiden Eigenschaften, die eine wachsame Bankenaufsicht kontinuierlich sicherstellen sollte. Dann müssen die in der PSI unterliegende Finanzinstrumente investierenden Marktteilnehmer rational davon ausgehen, dass sie in Zukunft möglicherweise für aufgelaufene Verluste einstehen müssen – was dann wiederum die Marktpreise und die gegenseitigen Verhaltenserwartungen im Rahmen der Debt-Governance beeinflusst. Bisher allerdings sind diese Eigenschaften nicht als Anforderungen an die Inhaber von dem Bail-in unterworfenen Kapital anerkannt, die von Aufsichts- oder Abwicklungsbehörden durchzusetzen wären.49 Die Umsetzung des vom Financial Stability Board (FSB) verabschiedeten Standards für die von den Instituten zu prästierende Total Loss Absorbing Capacity (TLAC)50 wird insoweit einen Schritt in die richtige Richtung bringen, als vorgesehen ist, dass für von global systemrelevanten Banken (globally systemically important banks, G-SIBs) gehaltene TLAC-Instrumente anderer Banken das von den Eigenmittelanforderungen bekannte (vgl. insbesondere Art. 43, 46, 56 Buchst. d) CRR51), durch die prudentielle Aufsicht überwachte Anrechnungssystem gilt (vgl. Art. 72h, 72i CRR n.F.). Danach wären von den Titeln, die eine G-SIB emittiert, um die TLAC-Standards zu erfüllen, die von ihr gehaltenen TLAC-Instrumente anderer Institute abzuziehen.52 Das zerstört weitgehend die Fehlanreize, entsprechende Positionen auf der 49 Eingehende Analyse der de lege lata unzureichenden Vorkehrungen bei Tröger (Fn. 8), S.  68; Götz/Tröger (Fn. 29), S. 7. 50  FSB, Total Loss-Absorbing Capacity (TLAC) Principles and Term Sheet, (2015), Abschnitt 15 [nachfolgend TLAC Principles and Term Sheet], abrufbar unter: http://www. fsb.org/wp-content/uploads/TLAC-Principles-and-Term-Sheet-for-publication-final.pdf, zuletzt abgerufen: 14. 12.  2018 und Basel Committee on Banking Supervision (BCBS), ,Standard TLAC holdings‘ (2016) [nachfolgend TLAC holdings standard], abrufbar unter: http://www.bis.org/bcbs/publ/d387.pdf, zuletzt abgerufen: 5. 9. 2018. 51  Verordnung (EU) Nr. 575/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Aufsichtsanforderungen an Kreditinstitute und Wertpapierfirmen und zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 646/2012, ABl. L 176 vom 27. 6. 2013, S. 1. 52  Zu den Einzelheiten siehe Tröger (Fn. 8), S. 20 – 21; Simon Gleeson/Randall Guynn, Bank Resolution and Crisis Management: Law and Practice, Oxford 2016, Rn. 4.17, 4.56.

Verbesserungen des Bail-in-Instruments

333

Aktivseite der Bilanz aufzubauen. Da der TLAC-Standard jedoch nur für G-SIBs Geltung beansprucht und deshalb nur für Europas größte global relevante Banken umgesetzt wird,53 garantiert er keine systemweite Adjustierung der Anreize von Finanzinstituten; mit Blick auf Investoren jenseits des regulierten Bankensektors (z. B. Privatanleger) ist er ohnehin unergiebig. Deshalb sollte der Katalog der zentralen Aufgaben von Aufsichts- und Abwicklungsbehörden weitergehend auch die Überwachung der zwei soeben beschriebenen Voraussetzungen beinhalten: Sturmfestigkeit und Rückstellungsaufbau. 2.  Maximum für PSI zur Sicherung eines effektiven Bail-ins Die Vorstellung, dass der Bail-in grundsätzlich sämtliche Verbindlichkeiten einer Bank erfassen sollte, entspricht dem politischen Leitmotiv, dass der Staat nie wieder die Banken mit Staatsgeld retten soll. Unabhängig davon, dass auch Effizienzgründe für eine Minimierung der staatlichen Beteiligung sprechen (s. oben II.1.a)), verkennt das kompromisslose Verlangen, Finanzinstitute den Unternehmen der Realwirtschaft, deren Verluste von den Gläubiger in der Insolvenz vollständig getragen werden, unbedingt gleichzustellen, den fundamentalen Unterschied zwischen diesen Unternehmen und Banken: Dieser liegt in dem nur im Finanzsektor existierenden Risiko eines Ansturms auf die Bank mit negativen gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen. Banken sind risikoanfällig, weil ihre quintessentielle volkswirtschaftliche Funktion in der Fristen- und Liquiditätstransformation zwischen Aktiva und Passiva liegt.54 Zum Beispiel stellen die Verbindlichkeiten international operierender Großbanken zum Großteil die Liquiditätsreserven großer Unternehmen der Realwirtschaft und die liquiden Vermögenswerte institutioneller Investoren dar. Die genannten Institute nutzen zudem auch andere kurzfristige Modelle zur Refinanzierung ihrer Vermögenswerte. Deshalb sehen sie sich permanent der Gefahr eines plötzlichen Abflusses überlebenswichtiger Gelder ausgesetzt. In der volksund bankbetriebswirtschaftlichen Theorie wird von manchen die Möglichkeit eines Ansturms durch Investoren auf die Bank, also ihre inhärente Instabilität, als eine willkommene Quelle von Selbstdisziplin betrachtet.55 Von diesem Standpunkt aus gesehen kann ein hoher Anteil an Kurzzeitverbindlichkeiten sogar stabilitätsorientierte Einleger anziehen und somit die Leistungsfähigkeit des Intermediationsprozesses verbessern. Diese positive, anreizorientierte Interpretation beachtet jedoch die Möglichkeit von Ansteckungseffekten und die Bedeutung des 53 

S. Art. 72h, 72i CRR n.F. nur Thomas Hartmann-Wendels/Andreas Pfingsten/Martin Weber, Bankbetriebslehre, 6. Aufl., Berlin u. a. 2015, S. 4 ff. 55  Douglas W. Diamond/Raghuram G. Rajan, A theory of bank capital, JF Bd. 55 (2000), S. 2431. 54 Hier

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systemischen Risikos nicht hinreichend,56 die durch die Gefahr verstärkt werden, dass der Ansturm auf die Verbindlichkeiten der Bank einer Tatsachengrundlage entbehren kann (panikgetriebene Anstürme).57 Die Existenz funktionstüchtiger Einlagensicherungssysteme schaltet das Risiko eines Ansturms auf gedeckte Einlagen praktisch aus. Es bleibt im Prinzip aber für alle anderen unbesicherten Positionen bestehen. In einem Abwicklungsregime mit unbeschränkter PSI sind Verbindlichkeiten, die im Rang über TLAC/MREL-Instrumenten58 (aber niedriger als gedeckte Einlagen) stehen, vom Standpunkt eines Investors nur dadurch „gesichert“, dass sie schnell, vor einem drohenden Bail-in abgezogen werden können. Diese Art der Selbstverteidigung kann jedoch Rekapitalisierungsbemühungen in der Abwicklung untergraben und somit die Stabilität des Systems als Ganzes gefährden – und zwar insoweit nicht nur im Falle einer panikgetriebenen Krise – wenn die Investoren nicht voraussehen können, bis wohin die PSI reicht. Deshalb kann jeder zwingende Bail-in wünschenswerte Marktdisziplin nur bis zu einem bestimmten Punkt wiederherstellen, jenseits dessen unerwünschtes angstgetriebenes Verhalten in der Krise dominiert. Vor diesem Hintergrund ist es ist wichtig zu beachten, bis zu welchem Gleichgewichtspunkt der disziplinierende positive Effekt des Ansturmrisikos die negativen Effekte ausgleicht, die von einem gesteigerten systemischen Risiko und ineffizienten (panikgetriebenen) Bankenausfällen etc. ausgehen. (Darstellung des fundamentalen Zielkonflikts in Abbildung 1). Mit Blick auf die beschriebenen negativen Auswirkungen eines Bail-ins erscheint es vorteilhaft, nur solchen Investoren eine Verlustbeteiligung anzudrohen, die nicht kurzfristig abziehbare Positionen von Bankverbindlichkeiten halten. Deshalb sollte gleichzeitig mit den Mindestanforderungen für dem Bail-in unterliegende Eigenmittel und Verbindlichkeiten, die von einer Bank gehalten werden müssen (TLAC/MREL), eine institutsspezifische Obergrenze für PSI eingeführt werden. Naturgemäß kann eine solche Rettungsgarantie für alle Verbindlichkeiten jenseits der Obergrenze potentiell all die negativen Konsequenzen 56  Franklin Allen/Elena Carletti/Itay Goldstein/Agnese Leonello, Government guarantees and financial stability, ECB Working Paper No. 2032 (2017), abrufbar unter: https:// www.ecb.europa.eu/pub/pdf/scpwps/ecbwp2032.en.pdf, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018; Tito Cordella/Giovanni Dell’Ariccia/Robert Marquez, Government guarantees, transparency, and bank risk-taking, World Bank Policy Research Working Paper No. 7971 (2016), abrufbar unter: https://www.imf.org/external/np/res/seminars/2016/arc/pdf/Cordella_Dellariccia_Marquez_Session4.pdf, zuletzt abgerufen: 14. 12. 2018. 57  S. bereits oben unter III.2. 58  Die Mindestanforderungen an Eigenmittel und berücksichtigungsfähige Verbindlichkeiten (Minimum Requirements for Own Funds and Eligible Liabilities, MREL) sind das Europäische Pendant zu den TLAC-Vorgaben des FSB und bezeichnen somit Eigenkapitalinstrumente und Verbindlichkeiten, die dafür vorgesehen sind, Verluste im Falle eines Institutsausfalls zu absorbieren, eingehend hierzu Tröger (Fn. 8), S. 6 – 20.

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Auswirkungen der Regelung

60 50 40 30 20 10 0 1

1,5

2

2,5

3

3,5

4

4,5

5

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6,5

7

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8

Bail-in unterliegende Finanzinstrumente Ansturmrisiko

Marktdisziplin

Abbildung 1: Zielkonflikt zwischen Marktdisziplin und Ansturmrisiko

hervorrufen, die mit der Gewährung von (impliziten) Staatsgarantien zusammenhängen (s. oben II.1.a)), doch erscheint diese Gefahr bei näherer Betrachtung weniger gravierend. Der Gesetzgeber sollte darauf abzielen, den richtigen Ausgleich zwischen den beiden konfligierenden Zielsetzungen zu erreichen. Bisher enthält die BRRD nur eine sehr ermessensgeleitete und unspezifische Möglichkeit, Verbindlichkeiten vom Bail-in auszunehmen, insbesondere wenn „der Ausschluss zwingend erforderlich und angemessen ist, um die Kontinuität der kritischen Funktionen und Kerngeschäftsbereiche sicherzustellen, sodass die Fähigkeit des in Abwicklung befindlichen Instituts, die wichtigsten Geschäfte, Dienstleistungen und Transaktionen fortzusetzen, aufrechterhalten wird“.59 Diese Ausnahme könnte durchaus auch so interpretiert werden, dass sie eine optimale Auflösung des Zielkonflikts im Einzelfall gestattet, jedoch wäre eine Regel, die bereits ex ante Klarheit schafft, vorzugswürdig, um Markterwartungen zu formen und eine Preisfindung ohne vermeidbare Unsicherheiten zu ermöglichen. Wenn die Verbindlichkeiten, die dem Bail-in unterliegen, von hinreichender Quantität und Qualität sind und leistungsfähige Rückhaltemechanismen zur Verfügung stehen, sofern (drohende) Verluste die Summe der Verbindlichkeiten überschreiten, die maximal für den Bail-in bestimmt sind,60 sollte die PSI selbst in einer systemischen Krise ein auf 59 

BRRD, Art. 44 Abs. 3 Buchst. b. muss betont werden, dass das hier vorgeschlagene Konzept sich zumindest in Teilen auf Bail-outs verlässt, um das Stabilisierungsziel in der Abwicklung zu erreichen, wenn das großzügig aufgepolsterte Kissen in der PSI aufgebraucht wurde. 60  Es

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das ausfallende Institut beschränktes Ereignis bleiben. Ein zwingender Bail-in bis zum prädesignierten Maximum sollte folglich die Instabilität nicht erhöhen; andererseits sollte die – auf eine ausreichend dicke Schicht von Verbindlichkeiten – beschränkte PSI für hinreichende Marktdisziplin sorgen und moral hazard vermeiden.61 Um eine solche Regelung zu entwerfen, erscheint es für Zwecke der Analyse hilfreich, die Passivseite der Bankbilanz in drei Teile zu untereilen, die sich im Hinblick auf ihre Eigenschaften im Fall der Verlustabsorption unterscheiden: (1) ein sicher verlusttragendes (TLAC/MREL Instrumente), (2) ein nicht-verlustragendes (gedeckte Einlagen) und ein zwischen diesen beiden liegendes drittes (3), potenziell verlusttragendes Segment. So eingeteilt, umfasste die mezzanine Schicht eine höchst heterogene Reihe von Verbindlichkeiten, für die das in Abbildung 1 dargestellte Risiko-Rendite-Profil einer potenziellen Verlustbeteiligung irgendwo zwischen dem der TLAC/MREL-Instrumente und den gedeckten Einlagen liegt. Die Hauptaufgabe künftiger Regelungsanstrengungen sollte darin liegen, ex ante festzulegen, wie diese Verbindlichkeiten in der Abwicklung behandelt werden. Es ist zu betonen, dass institutsspezifisch die Verlusttragung der mezzaninen Instrumente auch auf null gesetzt werden kann – je nach dem inhärenten Kosten-Nutzen-Profil der speziellen Positionen in der Bilanz der jeweiligen Bank. Der Mehrwert des hier unterbreiteten Vorschlags liegt darin, die zentrale Herausforderung luzider fassbar zu machen und die Notwendigkeit von anfänglicher Transparenz zu betonen. Der Ansatz liefert keine mechanisch anwendbare Formel von der Stange, um alle Probleme zu lösen. Es ist Aufgabe zukünftiger Forschung, durch die eingehende und kontextualisierte Analyse der Nutzen-Risikoprofile einzelner Finanzinstrumente Leitlinien für die fallspezifischen Entscheidungen der Abwicklungs- und Aufsichtsbehörden zu entwickeln. Auf den ersten Blick erscheint ein solcher Ansatz komplizierter als ein gradliniger Bail-in, der potenziell alle Verbindlichkeiten im Rang nach gedeckten Einlagen erfasst. Bei genauerem Hinsehen antizipiert der Ansatz jedoch lediglich die Entscheidungen, die von den Abwicklungsbehörden und andere Stellen sonst ad-hoc während des Abwicklungswochenendes getroffen werden müsste. Tatsächlich minimiert ein solcher, im Vorfeld aufgeladener Ansatz nicht nur den negative Einfluss von drohenden Bankenanstürmen, sondern verbessert auch die Vorhersehbarkeit und fördert somit die von PSI ausgehende Marktdisziplin.

61 Dies kann teilweise dadurch erreicht werden, dass die konfligierenden Abwicklungsziele, ex post effiziente Ergebnisse zu erzielen, ohne die Anreize ex ante zu verzerren, entflochten werden, vgl. hierzu auch Fn. 26.

Verbesserungen des Bail-in-Instruments

337

VI.  Fazit PSI durch das Bail-in-Instrument ist auf die Wiederherstellung privater Verantwortlichkeit im Gleichlauf mit privatem Eigentum und damit erwirtschafteten Gewinnen gerichtet. Im Umfeld der heutigen global integrierten, transnational verflochtenen Finanzmärkte, erfordert die rechtspolitische Forderung nach der Wiederherstellung von Marktdisziplin jedoch einen künstlich erzeugten Regelungsrahmen, der über die durch Gesetzgeber und regelanwendende Behörden auferlegte Verlustverteilung hinausgeht. Marktdisziplin im Bankensektor kann nur dann keimen und gedeihen, wenn ein verantwortungsbewusster Gärtner das Mikroklima in einem bankaufsichtsrechtlichen Gewächshaus überwacht, in dem die PSI wachsen kann. Die erste aus der hier vorgestellten Analyse ziehende Schlussfolgerung liegt darin, dass die Aufgaben der Abwicklungsbehörden und/oder der Bankenaufseher erweitert werden müssen: Sie sollten sich auch auf die Inhaber von dem Bailin unterliegenden Finanzinstrumenten und deren Verhalten konzentrieren (oben V.1.). Die zweite Schlussfolgerung folgt ebenfalls aus der Idee, dass es eines ganzheitlicheren Ansatzes bedarf, wenn private Verantwortlichkeit im Bankensektor wieder eingeführt werden soll. Um eine effiziente Auflösung des Zielkonflikts zwischen verbesserter Marktdisziplin und gesteigerten Ansturmrisiken zu erreichen, müssen Gesetzgeber und Aufseher Anstrengungen unternehmen, das Mezzanie-Segment von Bankverbindlichkeiten zu definieren, und seine Behandlung in der Abwicklung von vornherein festlegen (oben V.2.).

Michael Haliassos: Household Financial Behavior and National Borders

Household Financial Behavior and National Borders Michael Haliassos* Michael Haliassos Household Financial Behavior and National Borders

I.  Introduction Financial instability and crises cannot be traced solely to fiscal imprudence and bad practices of financial institutions, but also to problematic household financial behavior. Middle-class households were at the center of the US financial crisis, having exhausted their borrowing limits for home-equity loans and lines of credit. Spanish and Irish household mortgage borrowing is blamed for the fiscal crisis in those two countries. The rapidly growing stock market participation in the late 1990s made households across a wide range of the wealth distribution sensitive to the burst of the dotcom bubble. Even when households are not responsible for originating a crisis, they may contribute to financial instability through their asset and debt composition. Understanding the sources of international differences in household net wealth composition is thus an integral component of a comprehensive approach to ensuring financial stability and convergence in the Eurozone and in the European Union. The growing availability of internationally comparable data on the level and composition of household net wealth across countries points to wide disparities within the European Union, much larger than within the United States. Such differences imply differential effects of a common monetary policy on the household sector of Eurozone countries, different risks of financial instability, but also different potential of fiscal authorities to collect taxes and reduce the ratio of government debt to GDP. Part of these asymmetries are due to differences in the composition of household characteristics, such as demographics, educational attainment, and occupational structure. Another may be due to differences in policies and institutions, that could be addressed through institutional and policy harmonization. Yet an*  I thank my coauthors in the papers on which this article draws: Yannis Bilias, Dimitris Christelis, Nicola Fuchs-Schündeln, Dimitris Georgarakos, Andreas Hackethal, Gikas Hardouvelis, Thomas Jansson, Tullio Jappelli, Yigitcan Karabulut, Alex Michaelides, Margarita Tsoutsoura, Dimitris Vayanos, and the Household Finances and Consumption Network.

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Michael Haliassos

other part may be due to differences in cultural predispositions in financial behavior across European households. We know that such differences are slow-moving, and some fear that they may be immutable to policy and institutional harmonization within the EU. Culture and institutions even interact between them,1 and this could hinder convergence in household financial behavior as the European harmonization experiment unfolds. To what extent are observed differences in the level and composition of household net wealth across European countries attributable to lack of harmonization in policies and institutions rather than to differences in population composition? Do cultural differences also play a role? Is there any basis for expecting policy and institutional harmonization to lead to convergence of household financial behavior, and ultimately of economic well-being, across European countries, or will this be blocked by immutable cultural differences? Can we expect wider access to common financial products through the Capital Markets Union (CMU) to lead to more similar household financial behavior or to be confronted with portfolio inertia, financial illiteracy, and mistrust? This paper draws on recent literature in the rapidly growing field of household finance to address these difficult but relevant questions for future convergence, financial stability, and fiscal capacity in the Eurozone and the European Union. Key ammunition is provided by newly developed household-level databases, and by recent literature on immigrant and refugee datasets, as well as on the German reunification. First, we discuss international differences in household asset and debt behavior across European countries and within the US. Then, we report on decompositions of these differences into those arising from population characteristics and from differences in the economic environment: institutions, policies, and culture. To isolate culture, we study immigrants from different cultures facing the policies and institutions of a particular European country (Sweden). Controlling for household characteristics, we look for remaining differences in financial behavior, plausibly attributable to culture, and we study whether they diminish with length of exposure of migrants to a common policy and institutional environment. Beyond such harmonization, the European Union aims, through CMU, at making financial products available to households regardless of location. What happens when we open up access to financial products that were not available to certain households before, but with which the financial sector is quite experienced? Can we learn anything in this context from German reunification? What are remaining challenges for ensuring that households benefit fully from CMU?

1 See

Alesina/Giuliano (2015).

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II.  International Differences in Financial Behavior Research in household finance, which studies all aspects of financial behavior of private households, has been aided dramatically by the recent development of internationally comparable household-level datasets. Notable among them are the Survey on Household Finances and Consumption (HFCS), coordinated by the ECB, which maps to the US Survey of Consumer Finances (SCF); and the survey on Health, Ageing, and Retirement (SHARE) together with ELSA for England, which focus on households aged 50+ and map to the US Health and Retirement Study (HRS). The first large-scale comparison of household financial behavior was completed in 2011 (Christelis/Georgarakos/Haliassos, 2013) and compared participation and holdings, conditional on participation, across twelve countries and England. The study used SHARE, ELSA, and HRS and compared amounts in 2004 dollars, adjusted for differences in purchasing power.2 The paper shows that differences in financial behavior of older households (50+) across the Atlantic are striking. Taking a population-weighted average of participation rates in the European countries considered, only 26% of households participated in stocks, directly or indirectly, against a 50% participation rate for older US households. The figures were closer for ownership of the primary residence: slightly more than two thirds in the European sample owned, compared to 77% in the US. However, they were quite apart with reference to participation in mortgages: just under 15% in Europe, but 38% in the US. What is even more striking, though, is the wide variation in participation figures across European countries. The share of older households that participated in the stock market in 2004 ranged from about 10% in Austria to 71% in Sweden. The corresponding range for homeownership was from 51% in Germany to 87% in Spain. As for mortgage participation in older age, this ranged from 5.5% in Greece and Italy to 45% in Switzerland. It is interesting that countries with the highest homeownership rates, mostly in the South, tended to exhibit among the lowest mortgage participation rates in older age; and vice versa for Switzerland and Germany. By comparison, the variation in participation rates among US regions is much smaller: from 42.6% in the South to 54.7% in the Northeast. If we focus on holders of each financial instrument, we construct the distribution of holdings conditional on participation (in 2004 USD, purchasing power adjusted). We see that median stockholding by older US holders is around 50,000, about five times the European median considered. Among these European coun2  The countries covered by the 2004 wave of SHARE are: Austria, Belgium, Denmark, France, Germany, Greece, Italy, Netherlands, Spain, Sweden, Switzerland. Further work on international comparisons of household financial behavior is reported in Badarinza et al. (2016).

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tries, conditional median holdings are largest in Switzerland (just under 26,000) and smallest in Greece (4,300). By comparison, the observed variation in median stock holdings in US regions (Midwest, Northeast, South, and West) is from 43,900 in the South to 53,300 in the West. Despite the somewhat lower average ownership rate of the main residence in the European countries considered relative to the US, conditional amounts invested are larger in Europe. The range of median home values is again larger for the European countries, compared to the US regions.3 The pre-crisis outstanding mortgages among older US households were substantially above the corresponding amounts in the European countries considered. They were double at the median (70,000 compared to 36,700 in Europe). Within Europe, the largest amounts are observed in the northern countries exhibiting highest participation, while the southern countries are at the lower end of the range. The range for median outstanding mortgage amounts among older households in 2004 was from about 11,000 in Austria and 19,000 in Greece to 105,000 in Switzerland; and from 58,000 in the South US to 100,000 in the West. The corresponding participation rates and conditional median amounts (in Euro) for the entire population of Eurozone countries following the two crises are depicted in the most recent wave of the Household Finances and Consumption Survey (2014 – 2015)4, and they also exhibit considerable variation (HFCS, 2017). Ownership rates for the main residence range from 83.1% in Spain to 44.3% in Germany, while conditional median values are 150,300 versus 162,000, respectively. The largest conditional house values (expressed in Euro) in the Eurozone are observed in Luxembourg (555,600) and the smallest in Hungary (26,100). Participation rates in stocks are 8.8% on average in the Eurozone, but they range from 0.8% in Greece and Latvia to 21.4% in Finland. Conditional median stockholding is 7,000 in the Eurozone, ranging from 100 in Cyprus to 15,300 in Luxembourg. As for mortgage debt on the primary residence, 19.7% of Eurozone households have mortgages outstanding, and this ranges from 8.2% in Slovenia and 9.6% in Italy to 40.6% in the Netherlands. The conditional median mortgage amount outstanding is 75,500 in the Eurozone, but the country amounts range from 190,000 in Luxembourg to 21,000 in Latvia and Slovakia. Thus, both the pre- and the post-financial-crisis structure of household portfolios exhibited considerable variation within Europe, in participation rates and in conditional holdings. We next take up the issue of allowing for differences in the 3  Sweden and Greece were at the lowest end of the home value range for the median in 2004 (just over 90,000), while Switzerland was at the top (317,000), followed by England and Germany. The corresponding range for US regions was 100,000 in the South to 250,000 in the West. 4  The figures for Spain refer to the 2011 – 2012 period.

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composition of household characteristics, so as to uncover the part linked to the economic environment in different European countries.

III.  Sources of International Differences 1.  The Decomposition Method The first step in performing the decomposition is to estimate the average relationship between household characteristics and the economic outcome of interest (here participation probability or conditional amount held) in the country that is chosen as the basis for comparison. We can think of the set of estimated coefficients as representing the economic environment within which the economic outcomes of households with given characteristics are shaped in the “base country”. These are, in turn, determined by the policies, institutions, and culture of the base country, say the US. Having obtained the set of estimated coefficients from the base, we can now combine them with characteristics drawn from each of the European older populations in turn. The predicted outcome resulting from this (counterfactual) combination of US coefficients and European characteristics is the average probability of participation in, say, stocks that households from, say, Germany would exhibit if their characteristics were related to participation probabilities in the same way as those of US households. This same logic can be applied to parti­ cipation probabilities in each instrument (stocks, primary residence, mortgage), as well as to conditional holdings in each of those instruments, provided that the estimation model is suitably chosen for the outcome at hand. We can think of actual outcomes in each country as resulting from combining the relevant population characteristics with the set of coefficients applicable to that same country. Thus, when we take an actual US outcome and subtract from it the counterfactual outcome that residents of a European country would on average exhibit if their own characteristics were combined with the US economic environment (coefficients), we obtain the part of the overall difference that arises from differences in population characteristics between the US and the European country. This is because US coefficients apply both to the US outcome and to the counterfactual we computed. We call this part the “covariate effects”. The remaining part of the difference in outcomes between the US and the European country is obtained by taking the counterfactual outcome described above and subtracting from it the European outcome. Both of these quantities use household characteristics drawn from the same European country, but different coefficients. This second part represents the effect of being faced with two different economic environments, the US versus the European country.

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2.  Differences in Economic Environment Versus Population Characteristics Christelis et al. (2013) find that the observed differences in participation rates and in conditional holdings between the US and each European country considered mostly reflect differences in the economic environment faced by households rather than in population characteristics. This goes beyond a mere shift variable or “country dummy”: coefficient effects capture differences in the relationship between each relevant household characteristic and the economic outcome observed, be it participation or conditional holdings. This difference in relationships suggests that location of a particular household in one country or another matters significantly for the outcome observed. Further, the larger coefficient effects that Christelis et al. (2013) obtain within Europe (using Germany as the base country), compared to those within the US (using the Midwest as the base region), suggest that these relationships differ by location much more within Europe than within the US. Although the decomposition analysis is telling, it does have its limitations. Ideally, one would obtain coefficient estimates based on experiments involving random shocks to each underlying household characteristic. However, such analysis is impractical on such a large scale of countries and relationships. One possibility is to eliminate differences in policies and institutions facing households of different countries but retain cultural diversity, in order to assess the contribution of culture in the creation of the different outcomes. It is to such an exercise that we now turn. 3.  Decomposing the Economic Environment: Policies and Institutions Versus Culture A valid question for European institutional and policy harmonization and convergence in outcomes is whether these can be achieved in the face of considerable cultural diversity. It is possible to identify cultural groups within Europe using existing methods of measuring cultural proximity. One is the method of Spolaore and Wacziarg, who focus on genetic distance across countries, taking also into account ethnic composition (Spolaore/Wacziarg, 2016). The idea behind this measure is that proximity in the distributions of non-dominant genetic characteristics (“alleles”) captures past historical interaction across ethnic groups, which can also shape common slow-moving aspects of attitudes, beliefs, and preferen­ ces that constitute culture. An independent method for defining cultural groups is based on survey-assessed “cultural dimensions”, originally based on interviews of IBM employees in 40 countries with the objective of assessing attitudes towards issues such as power distance, individualism, masculinity, and uncertainty aversion (Hofstede, 1980).

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Haliassos, Jansson, Karabulut (2017b) applied both of these methods to define cultural groups within Europe. Remarkably, the resulting classification is quite robust to the chosen measure of proximity, and to other parameters in the comparison method. One lesson is that geography is not a decisive factor for cultural classification: while the Balkans and northern countries define two cultural groups, other country groupings are not defined by shared borders or similar latitude. Another lesson is that the common reference to a unique “southern culture” seems to have no basis, while there seems to be a well-defined “northern culture”. After defining cultural groups, Haliassos et al. (2017b) apply the above decomposition method to estimate cultural differences in financial behavior. Findings show that, controlling for household characteristics, members of different cultural groups exhibit different participation behavior than northern immigrants, with respect to stockholding, consumer debt, and homeownership, and that differences are persistent over the eight-year span (1999 – 2007) of the Swedish wealth tax survey.

IV.  Prospects for Harmonizing Financial Behavior 1.  Exposure to Common Policies and Institutions Haliassos et al. (2017b) also provide estimates of the evolution of cultural differences in financial behavior as a function of the length of time spent in Sweden. Assimilation is analyzed by splitting immigrants from each cultural group into three sub-groups, based on the length of time since arrival in Sweden, computing coefficient effects for each of those relative to native Swedes, and then connecting the three dots for each cultural group. While the particular pattern of evolution of coefficient effects with the length of stay in Sweden differs across cultural groups and across the three instruments, their estimated size is much smaller for groups that have spent more than 25 years in Sweden than for those with up to 10 years in the host country. This convergence in financial behavior, controlling for characteristics, is observed even for distant cultural groups. It takes time but it does occur for the overall sample, even when immigrants and Swedes who left Sweden during the eight observation years are included in the analysis. Stronger convergence is observed when the peoples involved show commitment to operating under the common set of policies and institutions for an extended period of time. With some extrapolation, results from this and other immigrant studies5 can be viewed as encouraging for the prospects of harmonization of European policies and institutions. Citizens who face harmonized policies and institutions and also “own” these can be expected to adopt progressively more similar financial 5 See Osili/Paulson (2008) for a different econometric approach to stockholding among US immigrants.

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behavior with people of similar characteristics in other participating European countries. Such an extrapolation is suggestive, but subject to some limitations. Immigrants to Sweden come in direct contact with native Swedes, whose history and culture produced the Swedish policies and institutions. Europeans living in different countries would have to find their own ways of adapting to harmonized policies and institutions exogenously implemented in their country. Nevertheless, Haliassos et al. (2017b) find that assimilation is helped by, but does not require, informal close interaction with the natives familiar with the setup, as in the case of marriage to a Swede. This suggests that close informal contact with the originators of the institutions is not necessary for convergence of financial behavior. A second potential limitation is that (the majority of) immigrants choose to move to the host country. It is possible that this choice makes them more likely to want to assimilate than residents of European countries who do not move but still have to adapt to the new harmonized policies and institutions. This plausible argument does not invalidate the analysis, but points to the need for residents of European countries to “own” the harmonization program and to be willing to adapt to the new policies and institutions. Taken together, the last two points suggest that proper information and communication of the policies to the European people are important for convergence of financial behavior. Ownership of harmonized policies and institutions is not only a function of culture, but also of the harmonization program design and implementation. The recent experience in the European fiscal crisis suggests that both the planned measures and the sequence with which they are introduced are relevant.6 Optimal sequencing, design, and communication of measures to harmonize policy and institutional environments are beyond the scope of this paper, but worthy of being included on the agenda for promoting further convergence in the European Union. 2.  Opening up Access to Financial Instruments: The Capital Markets Union A complementary approach to harmonizing household financial behavior across European countries is to provide access to a common set of financial instruments regardless of location, as envisaged under CMU. This can also promote harmonization of national policies and institutions, in response to the competitive forces it unleashes.7 6 

For an analysis of financial developments in Greece under the crisis and a set of possible adjustment measures, see Haliassos/Hardouvelis/Tsoutsoura/Vayanos (2017a). 7  A broad analysis of plans, opportunities, and challenges for the Capital Markets Union can be found in Allen/Faia/Haliassos/Langenbucher (eds.) (forthcoming, 2019).

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a)  Opportunities and Challenges of CMU Haliassos and Michaelides (2018) analyze opportunities and challenges that CMU would pose for households, firms, and governments interested in promoting pan-European access to household financial products, such as mutual funds, insurance policies, mortgage and other loan opportunities outside the banking sector, and pension products. The analysis is based on household finance research regarding nationally available products, extended to account for international availability. According to it, households face a number of obstacles in making use of newly accessible financial products on the European market. The most basic one is gaining awareness of internationally available products, when existing studies point to very limited awareness of products offered within country borders (Guiso/Jappelli, 2005). Another challenge is to overcome biases in financial behavior, likely to be exacerbated when faced with financial products available abroad. There is a tendency of households to make investment choices subject to a familiarity or “local” bias,8 which gives preference to local financial instruments and creates an obstacle for foreign-based producers of financial products. It is also well known that lack of trust discourages stock market parti­ cipation, and that people tend on average to trust their compatriots more than they trust any foreigner.9 A host of further problems surround the provision of financial advice even for nationally available products.10 To what extent can we expect financial advisors to gain expertise with financial products available across the European Union, when their knowledge is being challenged even for those nationally available?11 How would the known conflicts of interest faced by financial advisors in the simultaneous provision of financial advice and financial products12 be avoided when advice or product crosses national borders? How likely are people to follow the advice of financial advisors located in other European countries if they are not particularly willing to follow, or obtain, advice from local financial advisors?13 8 

See, for example, Huberman (2001). Guiso/Sapienza/Zingales (2008, 2009). In the international Trust Matrix presented in the latter, the only exception is Italians, who trust Swedes more than they trust fellow Italians. 10  For an early survey of the literature on financial advice, see Inderst/Ottaviani (2012). See also Bergstresser/Chalmers/Tufano (2009), Hackethal/Haliassos/Jappelli (2012), Egan/Matvos/Seru (2016), Foerster/Linnainmaa/Melzer/Previtero (forthcoming). 11  See, for example, Barber/Lehavy/McNichols/Trueman (2001). 12 See Inderst/Ottaviani (2009) for a discussion of the double conflict of interest faced by financial advisors towards their customers and their employers. 13 See Bhattacharya/Hackethal/Kaesler/Loos/Meyer (2012). 9 See

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Last but not least, research over the past fifteen years has established the presence of widespread lack of financial literacy, even on basic concepts, such as interest compounding, real versus nominal interest rates, and risk diversification.14 This compounds the problems of behavioral biases, trust, and product awareness, and creates a high bar for financial producers, advisors, and sellers. Technology is a likely and powerful response to many of these problems: product aggregators, online investment platforms, robo-advice, focused on scanning internationally available products so that human advisors can focus their interaction with clients on product selection, are some of the likely future developments. Nevertheless, an important concern about CMU is whether it will be able to reach broad segments of the population, as opposed to enabling merely the rich and knowledgeable to become wealthier. Behavioral biases, financial illiteracy, and lack of financial advice have been shown to afflict primarily the less privileged segments of society. Whether technology manages to democratize finance and to allow broad access to international financial products to reach all segments of society remains an open question and a worthwhile objective. Overcoming the challenges for a successful CMU is a tall order. CMU is not a substitute for policy and institutional harmonization, but a complement that ultimately requires such harmonization in order to function but also encourages it through forces of product and tax competition, as well as regulatory arbitrage. b)  Adjustment to New Financial Instruments Suppose now that it becomes possible, via technology or otherwise, for a large segment of the European population to gain access to financial products that were available in other countries but not previously accessible to them. Is there any indication of how households might respond upon obtaining such access? Is there any reason to expect households to make use of such products consistent with their own household characteristics, or are they more likely to shy away from them? How are they going to react to financial products that they are already using? Are they likely to drop them and switch to the newly accessible products or to exhibit inertia in portfolio behavior, which is by now well documented in the household finance literature?15 Are there any events in recent history that could provide useful guidance to answering such questions or are we left to pure speculation? A natural first thought might be to study episodes of financial innovation. While this type of episode captures the aspect of CMU granting access to previ14 

For a survey, see Lusardi/Mitchell (2014). See also van Rooij/Lusardi/Alessie (2011), Lusardi/Michaud/Mitchell (2017). 15 See, for example, Calvet/Campbell/Sodini (2009), Bilias/Georgarakos/Haliassos (2010), Abel/Eberly/Panageas (2013), Andersen/Campbell/Nielsen/Ramadorai (2017).

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ously unavailable products, it fails to capture the other important aspect, namely that the financial sector is quite familiar with the products it opens up to a broader clientele across countries. Financial innovation presents both potential buyers and sellers, such as agents and brokers, with a novel and largely unfamiliar product. Thus, some of the reactions to financial innovation may be due to imperfect pro­ duct knowledge on the supplier side. However, there is a relatively recent historical episode, in which access to pre-existing products was opened up to a large segment of the population by a financial sector that was both familiar with the products and well-incentivized to develop a longer-run relationship with the new customers: the German reunification. Fuchs-Schündeln and Haliassos (2019) study the effects of “sudden access” to capitalist products, such as securities and consumer loans, offered by the West German financial sector that was well familiar with them. It is important to focus on East-West differences in participation controlling for differences in household characteristics. Following the decomposition methods described above, a remarkable pattern emerges. East Germans are seen to “jump” on the two newly accessible products: their participation in securities matches that of West Germans, controlling for differences in characteristics, while their corresponding participation in consumer loans actually exceeds West German participation. Moreover, East German participation in both instruments, controlling for characteristics, follows the fluctuations observed in participation behavior of their West German counterparts for a number of years following reunification. This latter behavior seems inconsistent with East Germans regretting their early participation in the newly accessible products, as this would have plausibly triggered exit from these products soon after entry, or at least differential trends in the aftermath, compared to West Germans. Interestingly, this episode does not necessarily violate existing literature on portfolio inertia, as the latter is based on behavior of households with respect to continuously accessible products. East German behavior with respect to two such products, savings accounts and life insurance, has actually exhibited only gradual adjustment, controlling for household characteristics. East Germans gradually reduced their participation in these previously available products towards participation levels of West Germans, controlling for characteristics, and ended up even below those levels. What does the experience of German reunification suggest for the experiment of CMU? First, it suggests that having no previous access to a financial instrument does not necessarily imply inertia in participation or regret after trying it out. Second, quick adjustment was observed in the presence of a financial sector that was both well familiar with the previously inaccessible products and well-incentivized to cultivate a long term relationship with the new customers. This

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suggests that, similar outcomes may be possible in the CMU case, if regulators make sure that the suppliers of financial products internationally are both knowledgeable regarding the products and committed to developing a good reputation with customers over a longer run. Third, following reunification, East and West German customers were faced with the same institutions and policies and were both committed to a long term presence and interaction in this common economic environment. This brings us back to the issues of harmonization and ownership, discussed above. The motivation behind CMU emphasizes access to financial products for both firms and households, with a view to financing investment opportunities and promoting risk sharing and other aspects of economic welfare. The data on which the study of the German reunification is based do not allow clear statements about economic welfare of East and West Germans. We can only study participation patterns and infer that East Germans made satisfactory use of securities and of consumer loans from the observation that they did not exit the market or adopt different trends in the aftermath relative to their West German counterparts. While this limitation prevents strong conclusions about regulation, it does suggest the need to study carefully the issue of how to create a balance between (i) regulating access of consumers to financial products with which they have had no prior experience and (ii) regulating how the financial sector handles potential customers. Placing a lot of weight on banning or otherwise restricting access to consumers who had no access before, as in some of the existing EU directives (such as MIFID), may actually deprive households from reaping important benefits from CMU. On the producer side, the much heavier informational requirements imposed by CMU on customers, producers, and regulators do create the possibility of loopholes in the provision of unsuitable financial products to customers previously lacking access.16 c)  Concluding Remarks This paper is based on recent research utilizing internationally comparable household-level data on financial behavior, large-scale administrative datasets with considerable detail on immigrants and native households in Sweden, as well as the German Socioeconomic Panel spanning financial behavior of households that were living in West or in East Germany at the time of the German reunification. These diverse datasets are brought to bear on measuring and decomposing international differences in household financial behavior between those based on differences in population characteristics, differences in policies and institutions, 16  A range of difficulties in designing a comprehensive framework for investor and borrower protection are discussed, from different perspectives, in Campbell/Jackson/ Madrian/Tufano (2011) and in Haliassos (2015).

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as well as differences in cultural predispositions. The German reunification is used as an unusual “field experiment”, whereby access to previously unfamiliar (“capitalist”) products, such as securities and consumer loans, was provided to East German households by a (West German) financial sector fully knowledgeable and very well-incentivized to build longer term relationships with its new customers. This is unusual, because the normal avenue for making new products available to customers follows financial innovation, and both customers and the financial sector lack experience with the new financial products. There are vast international differences in homeownership rates, stock market and mortgage debt participation rates, as well as net wealth levels across European countries. These can be traced to policy-related, institutional and cultural differences across countries. Cultural differences in financial behavior have been found in immigrant studies to diminish with exposure to common institutions, regardless of how distant the culture of origin is. This analysis suggests that greater institutional harmonization across EU countries is likely to lead to convergence in household financial behavior, although the process of such convergence is likely to take time and presupposes “ownership” of the harmonized institutions by the different peoples in Europe. Another avenue to convergence of financial behavior, and ultimately of economic well-being, is to open up access to financial products regardless of the country of residence, as envisaged in the Capital Markets Union. There is a number of challenges for households, firms, and regulators, to overcome, but also some indications that households will make quick and good use of the newly available financial instruments if they gain access to financial products through a knowledgeable and well-incentivized financial sector. The analysis is not without limitations. Immigrants interact both with natives and with immigrants of other cultures in the process of assimilating to the financial behavior in the host country. Such intense interaction is unlikely to be observed during a harmonization experiment that runs across countries, but it can be promoted by the European authorities through information campaigns and timely updates. East Germans did not interact only with the knowledgeable West German financial sector, but also with knowledgeable West German peers, who probably contributed to their behavioral adjustment by sharing information and setting examples. Households around Europe will not necessarily coexist with such knowledgeable peers. However, an aspect of what CMU is planned to do is to spread use of mutual funds, retirement accounts, and life insurance policies to broader segments of the population in each country. A part of these populations may be well aware of and participating in these instruments and they can play a supportive role to their novice peers. Ideally, researchers would learn from rexogenous harmonization of a particular type of policies across a random set of European countries, by comparing the change in financial behavior of a sample of their residents, matched to samples of

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residents in countries that were not subjected to the harmonization experiment. The requirements for proper use of such a “difference in difference” approach make it questionable whether results will be available soon on a large enough number of policies and countries. Convergence of financial opportunities, household financial behavior, and economic well-being across the European Union, as well as avoidance of financial instability and crises, are urgent tasks for maintaining cohesion and safeguarding the future of Europe. Hopefully, both the lessons and the preconditions or limitations in existing research can be used to pave a clear path towards successful harmonization of economic environments faced by households, and ultimately towards convergence of financial opportunities and well-being across Europe.

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Reinhard H. Schmidt: Zur Veränderung des deutschen Finanzsystems

Zur Veränderung des deutschen Finanzsystems Reinhard H. Schmidt Reinhard H. Schmidt Zur Veränderung des deutschen Finanzsystems

I.  Einleitung 1.  Fragen und Thesen Im Zuge der Finanzkrise von 2007/2008 und der sich anschließenden Staatsschuldenkrise ist erneut der in der Forschung immer wieder herausgestellte Befund (Levine 1999) bestätigt worden, dass es für ein Land sehr wichtig ist, über ein gutes Finanzsystem zu verfügen. Es ist allerdings nicht eindeutig, was man unter einem guten Finanzsystem zu verstehen hat und ob sich ein gegebenes Finanzsystem verbessert oder verschlechtert. Generelle Antworten auf diese Fragen zu geben, würde den Rahmen dieses Beitrags sprengen. Die Vorstellungen dazu sind allzu divers, auch wenn sich in der Literatur einige gemeinsame Punkte als konsensfähig herausgestellt haben. Im nächsten Abschnitt möchte ich deshalb vor allem meine eigene Sicht dazu skizzieren und diese dann in den Abschnitten 3 und 4 auf den speziellen Fall des deutschen Finanzsystems und seiner Veränderung im Laufe der letzten 20 Jahre anwenden. Meine Thesen zu den beiden aufgeworfenen Fragen lauten: (1) Ein aus gesamtgesellschaftlicher und gesamtwirtschaftlicher Sicht gutes Finanzsystem ist eines, das gesamtwirtschaftlich positive Wirkungen entfaltet, und dies setzt meiner Ansicht nach voraus, dass seine Kernelemente gut zueinander passen und sich in positiver Weise gegenseitig verstärken. (2) Das deutsche Finanzsystem hat sich, an diesem im Abschnitt 2 näher zu erläuternden Maßstab gemessen, in den letzten zwei Jahrzehnten eher in einem negativen Sinne verändert. 2.  Eine terminologische Klärung Wenn hier von einem Finanzsystem die Rede ist, dann ist damit mehr als der Finanzsektor gemeint. Der engere Begriff „Finanzsektor“ bezeichnet die Gesamtheit der Finanzinstitutionen (einschließlich der Finanzmärkte), deren volkswirtschaftliche Funktion darin besteht, anderen Teilen der Wirtschaft Finanzdienstleistungen zur Verfügung zu stellen, also Kredite und Beteiligungen,

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Sparmöglichkeiten, Zahlungsverkehrsleistungen oder auch Versicherungen etc. Zum Finanzsektor gehören damit auch die internen Strukturen der Finanzinstitutionen und die von und in ihnen praktizierten Verhaltensweisen. Am Markt für Finanzdienstleistungen stellt der Finanzsektor lediglich die Angebotsseite dar. Die Nachfrageseite wird dagegen von den nicht-finanziellen Sektoren einer Wirtschaft, also vor allem den Haushalten und den nicht-finanziellen Unternehmen gebildet. Der weiter gefasste Begriff „Finanzsystem“ erfasst die finanziellen Aktivitäten und Strukturen der nicht-finanziellen Sektoren zusammen mit dem Finanzsektor, also Angebot und Nachfrage, sowie deren mehr oder weniger gelungene Abstimmung. Teile des Finanzsystems sind damit auch die finanziellen Strukturen und Vorgänge wie die interne Finanzierung der Unternehmen, das Realsparen der Haushalte und die diversen Formen des Umgangs mit Risiken, in die der Finanzsektor nicht einbezogen ist. Darüber hinaus schließt der Begriff des Finanzsystems auch die Kontrolle der Verwendung von Kapital ein, das von anderen Wirtschaftseinheiten bezogen wird. Der wichtigste und interessanteste Teil dieser Kontrolle ist die Corporate Governance der Unternehmen (Schmidt/Tyrell 2004).

II.  Was kennzeichnet ein gutes Finanzsystem? 1.  Verbreitete Ansichten Die meisten Antworten auf die Frage, was ein gutes Finanzsystem ausmacht, beziehen sich nur auf den Finanzsektor im zuvor definierten Sinne und nicht auf das gesamte Finanzsystem. Als Konsens kann gelten, dass ein guter Finanzsektor stabil, effizient und innovativ ist. Ein stabiler Finanzsektor ist resistent gegenüber externen Schocks und bringt auch selbst keine internen Schocks wie etwa Zusammenbrüche von Banken oder Börsenkursabstürze hervor, und selbst wenn es zu derartigen Ereignissen kommt, ist in einem stabilen Finanzsektor die Gefahr von Ansteckungen gering. Ein Finanzsektor gilt als effizient, wenn er seine gesamtwirtschaftlichen Funktionen der Kapitallenkung und der qualitativen Kapitaltransformation1 mit geringen Kosten und in hohem Ausmaß erfüllt. Indikatoren der Effizienz sind niedrige Zinsmargen bei kostendeckenden Erträgen der Finanzintermediäre, geringe Transaktionskosten an Börsen und niedrige Gebühren von Investmentfonds. In einem innovativen Finanzsektor werden neue Finanzinstrumente und Finanztechniken schnell übernommen. 1  Die sogenannte qualitative Transformation umfasst die Fristen-, Losgrößen- und Risikotransformation durch Banken und andere Finanzintermediäre und Kapitalmärkte, die in aller Regel mit der Kapitallenkung einhergeht.

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Mitunter gilt alleine schon ein großer Finanzsektor, gemessen etwa durch die Zahl der in ihm beschäftigten Personen und deren Einkommen oder durch einen hohen Wert der Kennzahlen Bankaktiva und Börsenkapitalisierung im Verhältnis zum Bruttosozialprodukt, als gut. Doch ob dies sinnvolle Maße für die Güte eines Finanzsektors – und erst recht eines Finanzsystems – sind, kann man bezweifeln, denn Größe bedeutet nicht immer auch ein hohes Maß an erbrachter Leistung. Ähnliches gilt für hohe Gewinnmargen der Finanzinstitute, weil diese ja auch bedeuten, dass ihre Kunden überzogene Preise für die genutzten Leistungen zu bezahlen haben, und für Finanzinnovationen, auch wenn diese allein an den Interessen der Akteure im Finanzsektor ausgerichtet sind. Wichtiger erscheinen Qualitätsindikatoren, die sich auf Leistungen beziehen, die der Finanzsektor für Wirtschaft und Gesellschaft erbringt. Stabilität bedeutet dabei vor allem eine stetige, nicht von Krisen beeinträchtigte Kreditversorgung für Unternehmen aller Größen und Arten sowie stabile, nicht volatile Wertpapiermärkte. Effizienz bedeutet ein qualitativ hochwertiges Leistungsangebot zu möglichst geringen Preisen für die (End-)Kunden und eine flächendeckende Versorgung mit Finanzdienstleistungen. Innovativ im positiven Sinne ist ein Finanzsektor, wenn sich seine Leistungen an neuen finanztechnischen Möglichkeiten orientieren und auf den wirklichen Bedarf der Kunden ausgerichtet sind. Manche Beobachter und Akteure scheinen davon auszugehen, dass ein gutes Finanzsystem eines ist, das möglichst ausgeprägte Marktelemente enthält, also weitgehend kapitalmarktbasiert und damit dem amerikanischen oder dem britischen Finanzsystem ähnlich ist, während ein bankbasiertes Finanzsystem als rückständig angesehen wird.2 2.  Komplementarität und Konsistenz als Bewertungsmaßstab Ich möchte in diesem Beitrag über gängige Antworten auf die Frage, wann man einen Finanzsektor als gut bezeichnen sollte, in doppelter Hinsicht hinausgehen: Ich richte den Blick auf das Finanzsystem im zuvor erläuterten weiteren Sinne und ich frage nach Ursachen oder Gründen dafür, dass ein Finanzsektor und ein Finanzsystem gut sind. Unter einem guten Finanzsystem verstehe ich eines, dessen Hauptelemente wechselseitig aufeinander abgestimmt sind oder gut zueinander passen und sich damit in ihren positiven Aspekten gegenseitig verstärken und in ihren negativen Eigenschaften abschwächen. Diese Hauptelemente sind neben dem Finanzsektor, also den Finanzintermediären und den Finanzmärkten, die Art und Weise der Unternehmensfinanzierung und der privaten Vermögensbildung und -haltung sowie 2  Zur Bewertung von Finanzsystemen vgl. u.a. Allen/Gale (2001) und Schmidt/Tyrell (2004).

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die Corporate Governance. Gut in diesem Sinne können ebenso ein eher bankbasiertes wie ein eher kapitalmarktbasiertes Finanzsystem sein. Mit dem vagen Ausdruck „gut zueinander passen“ sind die theoretischen Konzepte von Komplementarität und Konsistenz gemeint. Sie werden im Folgenden erläutert. Dass sich die Ausprägungen der einzelnen Elemente eines Systems in ihren Wirkungen gegenseitig beeinflussen und sich in ihren Wirkungen nicht einfach addieren, wird in der Literatur zur Produktionstheorie mit dem Begriff der „Komplementarität“ erfasst. Komplementarität liegt vor, wenn die partiellen Grenzerträge des Einsatzes von Produktionsfaktoren positiv sind. Der Begriff der Komplementarität kann aber auch auf andere Systeme angewendet werden. Grundlegend für diese Verallgemeinerung sind Arbeiten von Paul Milgrom und John Roberts, die damit den Unterschied zwischen den Produktionssystemen „lean production“ und „mass production“ der damals weltweit führenden Automobilhersteller Toyota und General Motors konzeptionell erfassbar gemacht haben.3 Auch in der politischen Ökonomie ist Komplementarität ein zentraler Begriff. Er dient dazu, „Varieties of Capitalism“ (VoC) zu kennzeichnen. Bekanntlich unterscheidet die VoC-Literatur zwischen einer Coordinated Market Economy (CME) und einer Liberal Market Economy (LME) mit Deutschland und Japan einerseits und Großbritannien und den USA andererseits als den Musterbeispielen. Komplementarität wird dort als Erklärungsgrund dafür angeführt, warum Länder wirtschaftlich erfolgreicher sind als andere. Des Weiteren dient der Begriff der Komplementarität dazu, Entwicklungspfade von Volkswirtschaften verstehbar zu machen, denn Komplementarität führt zu Pfadabhängigkeiten. Diese erschweren partielle Reformen, von denen man meinen könnte, dass sie zu einer graduellen Modernisierung und Verbesserung führen müssten. Solche Reformen würden zumindest temporär Inkonsistenzen schaffen, was zur Folge haben kann, dass sich die betroffenen Ökonomien sogar verschlechtern und die Reformen deshalb scheitern. Die Hauptquellen der VoC-Literatur (etwa Hall/Soskice 2001) betrachten die Merkmale Wettbewerbspolitik, Rolle des Staates, kollektive Lohnverhandlungen, berufsbezogenes Ausbildungssystem und soziale Sicherung als die wichtigsten komplementären Elemente einer Ökonomie. Wie auch bei Milgrom und Roberts spielt das Finanzsystem in der VoC-Literatur allerdings lediglich eine Nebenrolle. Dabei eignet es sich, wie Hackethal, Schmidt und Tyrell in einer Reihe von Arbeiten4 zeigen konnten, sehr gut dazu, die Fruchtbarkeit der Konzeption der Komplementarität zu demonstrieren. 3  Milgrom und Roberts haben dieses Konzept in einer Reihe von Veröffentlichungen entwickelt. Eine einfache Darstellung findet man in ihrem Lehrbuch von 1992. Zu Weiterentwicklung vgl. Brynjolfsson/Milgrom (2013). 4  Vgl. vor allem Hackethal/Tyrell (1999), Hackethal (2000), Hackethal/Schmidt (2000), Schmidt/Grohs (2000), Schmidt (2004), Schmidt/Tyrell (2004), Hackethal/Schmidt/Tyrell

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Theoretische Arbeiten über die Funktionsweise von Finanzsystemen (Allen/Gale 2001 und Hackethal/Tyrell 1999) zeigen, dass es in Finanzsystemen ausgeprägte Komplementaritäten gibt. Weiterführende Überlegungen erfordern allerdings die Erweiterung um das Konzept der Konsistenz, denn für sich genommen beschreibt Komplementarität nur, dass das Potenzial zu einem positiven Zusammenwirken der Elemente eines Systems existiert, aber nicht dass dieses Potenzial auch genutzt wird. Konsistenz bedeutet, dass diese Elemente Ausprägungen annehmen, bei denen dieses Potenzial genutzt wird. Ähnlich wie in der VoC-Literatur gezeigt wird, eignen sich die Konzepte Komplementarität und Konsistenz dazu, (1) reale Finanzsysteme zu kennzeichnen und zu unterscheiden, (2) sie zu bewerten und (3) ihre Entwicklung zu verstehen und zu gestalten. So lässt sich zeigen, (1) dass es fundamentale Unterschiede zwischen dem (angelsächsischen) Typ eines kapitalmarktorientierten Finanzsystems und dem (kontinentaleuropäischen und japanischen) Typ eines bankorientierten Finanzsystems gibt und worin genau sie bestehen; (2) dass und warum es nicht möglich ist, eine generelle Aussage darüber zu treffen, ob ein Finanzsystem des deutsch-japanischen Typs oder eines des angelsächsischen Typs generell besser ist als das andere. Beide können konsistent und insofern gut sein. Hingegen ist es sehr wohl möglich, Finanzsysteme danach zu beurteilen, ob sie die Vorteile, die die (nachweisbare) Eigenschaft der Komplementarität bietet, auch ausnutzen; (3) dass und warum Komplementarität zu Pfadabhängigkeiten führt und warum partielle Reformen eines Finanzsystems wenig aussichtsreich sind, zumal wenn die Ausgangsposition ein konsistentes System ist. Im Gegenteil legt das Konzept der Komplementarität die wirtschaftspolitisch relevante Implikation nahe, dass der Versuch, vermeintlich gute Elemente des einen Systemtyps in ein vorher konsistentes Finanzsystem des anderen Typs einzufügen, negative Folgen haben kann. Dieses Leitbild eines guten Finanzsystems wird im Folgenden verwendet, um die Entwicklung des deutschen Finanzsystems während der vergangenen 20 Jahre zu kennzeichnen und einzuschätzen.

III.  Das frühere deutsche Finanzsystem 1.  Allgemeine Kennzeichnung Als Hauptelemente eines Finanzsystems betrachte ich hier den Finanzsektor und als dessen Kern das Bankensystem und den organisierten Kapitalmarkt, die (2005) und Hackethal/Schmidt/Tyrell (2006). Auf einzelne Verweise auf diese Quellen wird im Folgenden weitgehend verzichtet.

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Finanzierungsmuster der Unternehmen, namentlich die der Großunternehmen, und deren Unternehmensverfassung oder Corporate Governance.5 Die isolierte Kennzeichnung dieser Elemente genügt jedoch nicht, um ein Bild davon zu zeichnen, wie die Bausteine des Systems zusammenpassen. Dazu ist auch zu fragen, ob und inwiefern diese komplementär sind und ob das System als Ganzes konsistent ist. 2.  Der Finanzsektor Bis etwa zur Jahrhundertwende war das deutsche Finanzsystem eindeutig bankorientiert. Die Banken bildeten das wichtigste Element des Finanzsektors und die aggregierte Bilanzsumme übertraf die Börsenkapitalisierung deutlich. Banken dominierten auch die anderen Teile des Finanzsektors: So kontrollierten sie weitgehend das Geschehen an der Börse und waren mit vielen Nichtbank-Finanzintermediären kapitalmäßig und geschäftspolitisch eng verknüpft. Die damals wichtigsten Kapitalanlagegesellschaften, die die großen deutschen Investmentfonds verwalteten, gehörten den Banken bzw. Bankengruppen. Alle Banken vergaben in hohem Maße Kredite an Unternehmen und die Haushalte legten ihre Ersparnisse weitgehend bei Banken und Sparkassen an. Das Bankensystem entsprach dem in Deutschland seit etwa 100 Jahren existierenden Drei-Säulen-System, bestehend aus den Privatbanken (einschließlich der sogenannten Großbanken), der Sparkassengruppe (einschließlich der Landesbanken) und der Gruppe der genossenschaftlichen Finanzinstitute. Damit war der größere Teil des Bankgeschäfts in den Händen von Banken, die gemäß ihrer Rechtsform bzw. ihrer Statuten nicht primär auf die Erzielung eines hohen „Shareholder Value“ ausgerichtet waren. Auch bei den großen privaten Banken in der Rechtsform der Aktiengesellschaft war damals die Shareholder-Value-Orientierung noch keineswegs die geschäftspolitisch bestimmende Maxime (Kotz/ Schmidt 2016). In den Bankbilanzen dominierten auf der Aktivseite Kredite an Nicht-Banken und auf der Passivseite Kundeneinlagen. Damit waren die Banken vor allem Finanzintermediäre.6 Ihr Engagement auf dem Gebiet des Investment Bankings war noch wenig ausgebildet.

5  Ergänzende Elemente sind die Vermögensbildung und Vermögenshaltung der Haushalte, die öffentlichen Finanzen, die Geldpolitik der Zentralbank, die Grundstruktur der Finanzregulierung und das Rentensystem. 6  Dass Banken keineswegs immer in erster Linie Finanzintermediäre sind, haben Allen und Santomero (2001) für den Fall der amerikanischen Banken – und im Vergleich mit deutschen Banken – gezeigt.

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3.  Die Unternehmensfinanzierung Entsprechend der Dominanz der Banken im Finanzsektor war die Unternehmensfinanzierung bei Unternehmen aller Größenklassen vor allem durch Bankkredite geprägt. Die Verschuldungsgrade der Unternehmen gegenüber den Banken war im Vergleich zu späteren Zeiten und zu vielen anderen Ländern hoch, außerdem hielten die Großbanken hohe Bestände an Aktien großer börsennotierter Unternehmen und waren häufig in deren Aufsichtsräten oder Beiräten vertreten. Das alte System der oft – und meist mit kritischem Unterton – sogenannten „Deutschland-AG“ mit seinen intensiven Kapital- und Personalverflechtungen war noch intakt (Höpner 2006). Es gab auch enge Beziehungen, sogenannte Hausbankbeziehungen, zwischen großen deutschen Banken und großen deutschen Unternehmen; und wie sich empirisch belegen ließ, verhielten sich die Banken gegenüber den Unternehmen, deren Hausbanken sie waren, gerade in schwierigen Situationen partnerschaftlicher als andere Banken derselben Unternehmen (Elsas/Krahnen 1998). 4.  Die Corporate Governance der Großunternehmen Die Corporate Governance deutscher Unternehmen, zumal der großen unter ihnen, entsprach natürlich den einschlägigen rechtlichen Vorgaben. Zu diesen gehören die gesellschaftsrechtliche Struktur der (großen) Unternehmen in der Rechtsform einer AG mit der strikten Trennung von Vorstand und Aufsichtsrat sowie die Mitbestimmung auf Unternehmens- und Betriebsebene. Bemerkenswert ist, dass das Aktiengesetz nach gängiger Auffassung von Juristen festschreibt, dass die Unternehmensführung nicht nur im Interesse der Aktionäre zu erfolgen hat (Rieckers/Spindler 2004). Dass auch die Interessen anderer „Stakeholder“ relevant waren, wurde damals in den meisten Unternehmen auch so gesehen. Die Machtverteilung bildet den Kern der Corporate Governance. Im Falle der AG ist sie durch das Aktiengesetz vorgegeben: Der Vorstand führt die Geschäfte und der Aufsichtsrat überwacht, ernennt, entlässt und steuert den Vorstand. Damit ist er durchaus einflussreich und seine Zusammensetzung ist für das Verständnis der Corporate Governance zentral. Vor ca. 20 Jahren waren die Aufsichtsräte der Großunternehmen durch das Zusammenwirken von drei wichtigen Gruppen von Akteuren geprägt. Eine Gruppe bildeten die Aktionäre, freilich nur die in Deutschland weit verbreiteten Großaktionäre bzw. ihre Repräsentanten. Die zweite Gruppe waren Vertreter von Großbanken und Versicherungen, die dritte die Arbeitnehmervertreter. Kleinaktionäre und auch institutionelle Investoren spielten kaum eine Rolle, hätten sie ja mit ihrem dominierenden Interesse an kurzfristigen Gewinnen sogar das Zusammenspiel der drei Gruppen wesentlicher Akteure gestört. Diese drei Gruppen hatten ein gemeinsames Interesse an der langfristigen und stabilen positiven Entwicklung „ihrer“ Unternehmen, was

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nicht mit Gewinnmaximierung identisch ist. Großaktionäre haben meist ein strategisches und damit langfristiges Interesse an der Erhaltung ihrer Beteiligungen; Banken als wichtige Kreditgeber sind eher an Stabilität und Wachstum als an Gewinnen um jeden Preis interessiert, weil hohe Gewinne oft mit Risiken verbunden sind und diese die Rückzahlung ihrer Kredite gefährden könnten. Arbeitnehmervertreter interessieren vor allem die Sicherung von Arbeitsplätzen und interne Aufstiegsmöglichkeiten. Das gemeinsame Interesse derer, die in den Aufsichtsräten wirklich etwas zu sagen hatten, und damit auch die den Vorständen vorgegebene Maxime war deshalb nicht die Maximierung des „Shareholder Value“, sondern die Absicherung eines stabilen Unternehmenswachstums. Dies schaffte trotz der offensichtlichen Interessengegensätze zwischen den drei Gruppen die Grundlage für eine Kooperation. Konflikte existierten natürlich, aber für deren Austragung gab es informelle, aber weithin anerkannte Grenzen. Dass sich im Rahmen der „Deutschland-AG“ die gleichen Gruppen von Akteuren immer wieder in verschiedenen Aufsichtsräten begegneten, dürfte dem kooperativen Verhalten bei der Steuerung der Großunternehmen und der Kontrolle ihres Managements zuträglich gewesen sein. Die Großbanken und ihre Vertreter spielten dabei eine zentrale Rolle. Ihre „objektiven“ Interessen als Kreditgeber waren denen der Arbeitnehmer recht ähnlich, während sie vermutlich sozial und ideologisch eher den Großaktionären nahegestanden haben dürften. Diese Zwischenstellung prädestinierte sie geradezu für die Rolle als zentraler Akteur. Die Corporate Governance der deutschen Großunternehmen bildete somit auch in sich selbst ein konsistentes System komplementärer Elemente (Schmidt 2004). 5.  Komplementarität und Konsistenz des früheren deutschen Finanzsystems Dass die deutschen Banken – damals schon anders als die Banken in angelsächsischen Ländern – die wichtigsten Akteure innerhalb des Finanzsektors waren, erlaubte ihnen, ihre Rolle und Funktion abzusichern und dabei die potenzielle Konkurrenz durch den Kapitalmarkt in Grenzen zu halten. Dass sie die Kreditvergabe an Unternehmen als ihre wichtigste geschäftliche Aktivität ansahen und auch in starkem Maße langfristige Kredite an große Unternehmen vergaben, passt zu ihrer früheren zentralen Rolle in der Governance der großen Aktiengesellschaften. Aufsichtsratsmandate, oft auch mit dem Aufsichtsratsvorsitz verbunden, waren als Informationsquelle zur Absicherung der Unternehmenskredite nötig und die Unterstützung durch Unternehmensbeteiligungen und Depotstimmrechte machte es den Banken leicht, ihre Interessen und Vorstellungen durchzusetzen. Offensichtlich förderte dies ihre Bereitschaft, die Unternehmen auch in schwierigen Situationen zu finanzieren.

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Dass die Unternehmensfinanzierung in Deutschland in starkem Maße – auch wieder anders als in angelsächsischen Finanzsystemen – in Deutschland vor allem über langfristige Bankkredite erfolgte, spiegelte die starke Rolle der Banken innerhalb des Finanzsektors und in der Unternehmenskontrolle der nicht-finanziellen Großunternehmen wider. Zumindest auf ihre Hausbanken konnten sich die Unternehmen weitgehend verlassen, was es ihnen erlaubte, auch dann längerfristige Strategien zu verfolgen, wenn diese mit weitreichenden Veränderungen verbunden waren. Der Kapitalmarkt spielte damals als Quelle der Unternehmensfinanzierung und auch als ein Instrument der Unternehmenskontrolle keine Rolle, die der in angelsächsischen Ländern vergleichbar gewesen wäre. Druck des Kapitalmarktes in die Richtung der stärkeren Beachtung des Ziels der Marktwertmaximierung gab es faktisch nicht. Dies erlaubte es wiederum den Managern der Unternehmen, langfristige und auf stabiles Wachstum ausgerichtete Strategien zu verfolgen, die im Interesse der oben genannten drei Gruppen von in der Governance wichtigen Akteuren lagen. Kurzum, das deutsche Finanzsystem von vor etwa 20 Jahren war in der Tat ein in sich stimmiges – konsistentes – System sich gegenseitig ergänzender – komplementärer – Elemente. Insofern war es ein gutes Finanzsystem. Ein Aspekt, der das damalige Finanzsystem gut erscheinen ließ, betraf die Formen der Interaktion und belegt das, was in der Literatur zu den „Varieties of Capitalism“ mit dem treffenden Begriff der „Coordinated Market Economy“ ausgedrückt wird: Konflikte wurden eher eingeschränkt und viele Beziehungen waren auf längerfristige Partnerschaft gegründet. Dies galt gleichermaßen für die Beziehungen zwischen den einzelnen Banken und verschiedenen Bankengruppen wie auch für die Beziehungen zwischen den Hausbanken einerseits und den Unternehmen andererseits sowie nicht zuletzt für die Corporate Governance der nicht-finanziellen Unternehmen. Dieses System hatte allerdings auch negative Seiten. Wettbewerb und Innovation wurden eher behindert und die engen kooperativen Beziehungen der wichtigsten Akteure waren mit Intransparenz und Klüngelwirtschaft verbunden. Das darf man keinesfalls übersehen.7 Dennoch war es für die deutsche Wirtschaft insgesamt eher positiv. Dies galt zumindest für die Zeit des Wiederaufbaus nach dem zweiten Weltkrieg. Gegen Ende des 20. Jahrhunderts ist diese Bewertung nicht mehr so eindeutig.

7  Und es wurde auch nicht übersehen. Vor allem die Monopolkommission hat in ihren Gutachten darauf immer wieder hingewiesen und Veränderungen angemahnt.

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IV.  Die Veränderungen im deutschen Finanzsystem Die Konsistenz des damaligen deutschen Finanzsystems verlieh diesem auch eine gewisse Stabilität und zugleich eine gewisse Resistenz gegenüber Versuchen, es durch partielle Reformen zu verändern. Diese Schwäche wurde auch schon vor 20 Jahren erkennbar. Man denke nur an die vielzitierte Kennzeichnung von Deutschland als dem „kranken Mann Europas“. Mit der fortschreitenden europäischen Integration, der sich verstärkenden Globalisierung und der damit verbundenen Öffnung der Finanzmärkte kam es bald zu einer Destabilisierung des überkommenen Systems. Ich beschränke mich hier wieder darauf, diese Veränderungen für die drei Hauptelemente des deutschen Finanzsystems zu kennzeichnen. 1.  Veränderungen im Finanzsektor Die Strukturen und Verhaltensweisen im Finanzsektor haben sich schnell massiv verändert. Die eher kooperativen Beziehungen zwischen den Banken und den Bankengruppen, den „Säulen“ des Drei-Säulen-Systems, wurden mehr und mehr durch stärkeren Wettbewerb und harte Konflikte ersetzt. Das lag vor allem daran, dass die Zinsmargen deutlich zurückgingen und die früher als nahezu garantiert geltende Profitabilität der Banken plötzlich nicht mehr gesichert war. Dass gerade die Großbanken ein Ertragsproblem bekamen, war eine Spätfolge der „Wende“: Große amerikanische Banken mit Erfahrung im Investment Banking waren in den deutschen Markt eingedrungen, um von dem Nach-Wende-Geschäft der Privatisierung in Ostdeutschland zu profitieren. Als sich diese Erwartung nicht erfüllte, begannen sie den deutschen Großbanken ihre Stellung als Hausbanken der Großunternehmen streitig zu machen. Eine Folge des dadurch entstandenen Drucks war, dass sich die großen privaten Banken mit politischen Mitteln gegen die Staatsgarantien für die Sparkassengruppe wandten. Sie verlangten die Abschaffung dieser Privilegien und setzten sich schließlich mit ihrer Forderung durch, was letztlich die Situation der lokalen Sparkassen fast überhaupt nicht, die der Landesbanken aber massiv veränderte. Die Großbanken versuchten – mit mehr oder weniger Erfolg (Janssen 2009) –, sich in Investmentbanken zu verwandeln. Im Zuge dessen lösten sie ihre beträchtlichen Kapitalbeteiligungen an Großunternehmen auf und zogen sich auch aus deren Aufsichtsräten zurück. Zugleich schränkten sie ihre Kreditvergabe an die Unternehmen ein und distanzierten sich mehr und mehr von ihrer früheren Rolle als Hausbanken. Sie richteten sich außerdem immer stärker an der Idee der Shareholder-Value-Maximierung aus. Es wurde von den privaten Banken auch immer wieder gefordert, die öffentlichen Banken zu privatisieren, wie es zur gleichen Zeit in mehreren anderen europäischen Ländern geschah. Doch dazu kam es nicht. Trotz all dieser Verän-

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derungen erhielt sich die Drei-Säulen-Struktur des deutschen Bankensystems, und weil sich die Großbanken auch aus Profitabilitätsgründen immer stärker von ihrem früheren Kerngeschäft der Kreditvergabe zurückzogen und ihr Filialsystem ausdünnten, konnten die Stakeholder-Value-orientierten Sparkassen und Genossenschaftsbanken im Geschäft mit den Privatkunden und im Kreditgeschäft mit Unternehmen Marktanteile dazugewinnen. Eine wesentliche Veränderung im Finanzsektor betraf das Börsenwesen. Die Deutsche Börse AG entstand als ein privatwirtschaftlicher Börsenbetreiber, dessen Aktivitätsvolumen massiv zunahm. Kurz nach dem Jahre 2000 kam es zu einem Boom an Börseneinführungen, einem rasanten Kursanstieg und einem Anstieg der Anzahl deutscher Haushalte, die Aktien hielten. Doch dieser Aufschwung des Kapitalmarktes war nur von kurzer Dauer. Insofern wäre es unangemessen, davon zu sprechen, dass die Banken ihre frühere Rolle als wichtigstes Element des Finanzsektors verloren hätten. 2.  Veränderungen in der Unternehmensfinanzierung Auch bei der Unternehmensfinanzierung kam es zu Veränderungen; doch dies eher in geringerem Maße. Nur die wirklich großen deutschen Unternehmen begannen, sich verstärkt über den Kapitalmarkt zu finanzieren. Die entstehende Lücke in der gesamten Kreditversorgung der Unternehmen füllten die Sparkassen und Genossenschaftsbanken weitgehend aus und so wurden sie zunehmend für große mittelständische Unternehmen zu deren Hausbanken. Es wäre insofern auch nicht vertretbar zu behaupten, dass die Banken als Gruppe aufgehört hätten, die wichtigste Quelle der externen Unternehmensfinanzierung zu sein. 3.  Veränderungen bei der Corporate Governance Wiederum stärker schienen die um die Jahrhundertwende einsetzenden Veränderungen auf dem Gebiet der Corporate Governance zu sein. Die Großunternehmen in der Rechtsform einer Aktiengesellschaft orientierten sich mehr und mehr an den Interessen der Aktionäre und wandten sich von ihrer früheren Stake­ holder-Value-Orientierung ab. Initiiert wurde diese Veränderung von der Deutschen Bank. Sie verkaufte die meisten ihrer Unternehmensbeteiligungen, um so die Bindungen an einzelne Unternehmungen zu lockern, und zog sich aus fast allen Aufsichtsräten zurück. Dies reflektierte ihre Umorientierung hin zu einer Investmentbank. Die Bundesregierung setzte eine Regierungskommission zur Modernisierung der Corporate Governance ein, die viele wichtige Veränderungen in Gang brachte. So wurden die Schaffung eines Corporate Governance Kodex und einer für dessen Fortentwicklung zuständige Corporate Governance-Kommission angeregt und umgesetzt und zahlreiche Mechanismen der Unternehmenskontrolle gestärkt.

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4.  Ursachen der Veränderungen Hier sind natürlich in erster Linie die immer wieder und völlig zu Recht genannten Ursachen zu nennen: die europäische Integration, die zunehmende Globalisierung und die Entwicklung auf dem Gebiet der Informations- und Kommunikationstechnik. Die innereuropäische Finanzpolitik verfolgte in den Jahren nach der Jahrtausendwende das Ziel, einen einheitlichen europäischen Finanzmarkt zu schaffen und ließ sich dabei von dem Leitbild eines kapitalmarktorientierten Finanzsystems angelsächsischer Prägung leiten. Das bedeutete eine generelle Aufwertung des Kapitalmarkts und zugleich eine ausgeprägte Skepsis gegenüber den traditionellen Strukturmerkmalen des deutschen Finanzsystems. Verbünde wie sie bei den Sparkassen und den Genossenschaften seit langem eine wichtige Rolle spielen, Hausbankbeziehungen zwischen Banken und Unternehmen, die früheren engen kapitalmäßigen und personellen Verflechtungen und die Mitbestimmung sowie generell die eher partnerschaftlichen als wettbewerblichen Verhaltensweisen im Finanzsystem waren mit diesem Leitbild nicht gut vereinbar. Dies schlug sich nicht nur in zahlreichen EU-weiten Regulierungen nieder, sondern es prägte auch immer mehr die Denk- und Verhaltensweisen im deutschen Finanzsystem. Die zunehmende Finanzglobalisierung wirkte in die gleiche Richtung. Sie schuf nicht nur Druck auf die Akteure im Finanzsektor, sondern auch auf die großen nicht-finanziellen Unternehmen, sich auf die Erwartungen ausländischer Kapitalgeber und Geschäftspartner einzustellen, und sie prägte auch den Diskurs über finanzwirtschaftliche Praktiken und Politiken. Beide Faktoren – europäische Finanzmarktregulierung und Finanzglobalisierung – wirkten zusammen und verstärkten sich gegenseitig.8 Der auch in Deutschland in den ersten Jahren des neuen Jahrhunderts vorherrschende intellektuelle und politische Zeitgeist stand dem tradierten deutschen Finanzsystem eher ablehnend gegenüber. Doch der Hinweis auf die angesprochenen und aus der Sicht des deutschen Finanzsystems eher externen Einflussfaktoren genügt nicht, um die festgestellten Veränderungen zu erklären. Es gab auch sehr einflussreiche interne Veränderungsimpulse. Hier spielte die Umorientierung der Deutschen Bank die zentrale Rolle, denn die Marktführerin unter den deutschen Großbanken hatte sich dazu entschieden, von ihren traditionellen Rollen in der Unternehmensfinanzierung und als Hausbank sowie auch in der Corporate Governance Abschied zu nehmen. Ihre Spitzenmanager wollten die Bank zu einer der weltweit führenden internationalen Investmentbanken umformen und dafür war es in der Tat nicht förderlich, 8  Auf den dritten Faktor, die Veränderungen auf dem Gebiet der Informations- und Kommunikationstechnik, gehe ich hier aus Raumgründen nicht ein.

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zu einzelnen nicht-finanziellen Unternehmen privilegierte Beziehungen zu unterhalten. Dies hätte den Absatz von Investmentprodukten bei den anderen Unternehmen behindert. Auch die frühere strategische Ausrichtung auf das Kreditgeschäft und auf den nationalen deutschen Markt erschien den in der Deutschen Bank führenden Persönlichkeiten für eine internationale Investmentbank nicht länger passend. Beides wurde deshalb in den Jahren unter Breuer und Ackermann drastisch zurückgefahren. Wie Janssen (2009) treffend beschreibt, folgten die anderen Großbanken weitgehend dem Vorbild der Deutschen Bank.

V.  Einschätzung der Veränderungen des deutschen Finanzsystems 1.  Strukturwandel oder Modernisierung? Es ist nicht leicht, die seit 20 Jahren erfolgten Veränderungen in ihrer Gesamtheit einzuschätzen. Man könnte sie als einen Systemwechsel hin zu einem kapitalmarktorientierten Finanzsystem angelsächsischen Typs oder auch nur als eine angesichts veränderter Rahmenbedingungen gebotene Modernisierung des bankbasierten Systems deuten. Für die These eines sich abzeichnenden Wechsels zu einem kapitalmarktbasierten System angelsächsischen Typs und damit eines Strukturwandels sprechen vor allem die zunehmende Börsenaktivität und der Rückzug der großen Banken aus der Unternehmensfinanzierung und der Corporate Governance der großen Industrieunternehmen. Gegen diese Einschätzung spricht jedoch vieles, so hat sich nach wie vor die Drei-Säulen-Struktur des deutschen Bankensystems erhalten. Auch die Rolle aller Banken bei der externen Finanzierung aller deutschen Unternehmen hat sich weitaus weniger abgeschwächt als die der Großbanken in der Finanzierung der großen Unternehmen (Behr/Schmidt 2016). Wenn man die Veränderungen bei der Corporate Governance im Detail betrachtet, deutet auch hier trotz des Rückzugs der Großbanken wenig auf einen Übergang zum angelsächsischen Modell mit seiner ausgeprägten Kapitalmarkt­ orientierung hin. Der Rückzug der Bankenvertreter aus den Aufsichtsräten ist durch eine verstärkte Präsenz ehemaliger Vorstände, also einer anderen Insider-Gruppe ausgeglichen worden. Die maßgeblichen neuen rechtlichen Regelungen stellen vor allem eine Stärkung des tradierten deutschen Systems dar. Zudem hat sich die rechtliche Struktur der Unternehmensverfassung unverändert erhalten. Nach wie vor schreibt das Aktiengesetz die strikte Trennung von Aufsichtsrat und Vorstand vor – statt des in angelsächsischen Ländern üblichen „Unitary Board“-Systems – und verpflichtet den Vorstand, sich in seinen Entscheidungen an den Interessen mehrerer Stakeholder-Gruppen und nicht ausschließlich an denen der Aktionäre zu orientieren. Schließlich ist auch die Mitbestimmung nach wie vor geltendes Recht und geübte Praxis. Umgekehrt betrachtet hat in Deutsch-

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land der Kapitalmarkt bisher kaum an Bedeutung für die Unternehmenskontrolle gewonnen. Auch nach der Übernahme von Mannesmann durch Vodafone ist kein „Market for Corporate Control“ entstanden, der in Großbritannien und den USA das Kernelement der Corporate Governance darstellt. Vor die Wahl gestellt, ob man die Veränderungen der letzten 20 Jahre eher als strukturellen Umschwung oder als Modernisierung der bisherigen Struktur des bankorientierten Systems deuten soll, würde ich eher der zweiten Alternative zuneigen.9 Das mag man – je nach politischer Orientierung – bedauern oder begrüßen. Ich enthalte mich hier einer Bewertung, einfach weil sie mir jenseits politischer Bekenntnisse nicht möglich erscheint. Freilich gibt es noch eine weitere Interpretationsmöglichkeit. Man kann die Veränderungen des deutschen Finanzsystems als die Herausbildung eines Hybridsystem betrachten, das Merkmale bankbasierter und kapitalmarktbasierter Systeme in sich vereinigt, wie es Hardie und Howarth und ihre Koautoren in einem viel beachteten Band (2013) zu zeigen versuchen. Diese Autoren kommen allerdings zu dem sehr skeptischen Schluss, dass das, was sie „Market-Based Banking“ nennen, keineswegs eine glückliche Mischung darstellt. 2.  Verlust der Konsistenz Wie ich oben erläutert habe, folge ich der Beurteilung von Finanzsystemen danach, ob sie eher bankorientiert oder eher kapitalmarktorientiert sind, nicht. Deshalb erscheint mir auch die recht kritische Bewertung der Hybridsysteme nach Hardie und Howarth nicht ganz überzeugend. Mein Bewertungsmaßstab ist ein anderer: die Konsistenz eines Finanzsystems. Wie ist im Lichte dieses Maßstabs die Entwicklung des deutschen Finanzsystems in den letzten 20 Jahren einzuschätzen? Vor nicht allzu langer Zeit war das deutsche Finanzsystem konsistent. Die Struktur des Finanzsektors mit der klaren Dominanz der Banken, die Finanzierungsmuster der Unternehmen mit der überragend wichtigen Rolle von Bankkrediten und die Corporate Governance mit ihrer Stakeholder-Orientierung passten gut zu einander. Fixiert man jeweils zwei der drei Hauptelemente des Finanzsystems, dann stellt das jeweils dritte die sachgerechte, ökonomisch sinnvolle Ergänzung dar (Schmidt/Tyrell 2004). Doch inzwischen haben sich Veränderungen vollzogen, die die Konsistenz faktisch beseitigt haben. Das betrifft alle drei diskutierten Hauptelemente des deutschen Finanzsystems. Der Finanzsektor hat sich verändert, auch wenn sich die Drei-Säulen-Struktur des Bankensystems erhalten hat. Innerhalb des Finanzsektors und speziell 9 

Ausführliche Begründungen finden sich in den oben in Anm. 3 genannten Quellen.

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innerhalb des Bankensystems ist die Rolle der Großbanken heute jedoch eine ganz andere und weitaus weniger dominante als noch vor 20 Jahren. Die Dresdner Bank ist verschwunden, die Commerzbank hat sich mehr und mehr zu einer „privaten Sparkasse“ entwickelt und UniCredit-HVB und Postbank haben nie eine ähnliche Rolle zu spielen versucht wie das frühere Dreigestirn der deutschen Großbanken. Die verbliebenen Großbanken sind nicht mehr die wichtigsten Kreditgeber der deutschen Großunternehmen. Sie haben sich auch immer mehr aus ihrer früher zentralen Rolle in der Corporate Governance der großen Aktiengesellschaften zurückgezogen und sie sind längst nicht mehr die Herren über den fast gesamten Rest des Finanzsektors. Mit der Börse sind sie nicht mehr als Miteigentümer, sondern nur noch als Kunden verbunden. Das passt natürlich als strategische Ausrichtung zusammen. Warum sollten sie, d. h. die frühere Gruppe der drei deutschen Großbanken und speziell die Deutsche Bank, sich weiterhin so wie früher in der Unternehmenskontrolle der großen Aktiengesellschaften engagieren, wenn es die hohen Kreditengagements bei den großen Unternehmen kaum mehr gibt, für deren Absicherung die in Aufsichtsräten zu gewinnenden Informationen und der auf Beteiligungen, Aufsichtsratsmandate und Depotstimmrechte gegründete Einfluss einst unverzichtbar waren? Und umgekehrt: Was könnte die großen Banken bzw. gerade die Deutsche Bank dazu veranlassen, den großen Unternehmen in hohem Umfang Kredite zu gewähren, wenn ihnen der früher privilegierte Zugang zu Informationen und der frühere Einfluss auf die Geschäftspolitik abhandengekommen ist? Warum sollten sie sich weiter darum bemühen, weite Teile des übrigen Finanzsektors zu dominieren, nachdem sie die dadurch abzusichernde Position verloren bzw. sogar bewusst aufgegeben haben? Und warum sollten die Unternehmen, wenn sie nicht mehr mit den Großbanken als ihren wichtigsten Kreditgebern rechnen bzw. sie nicht mehr als ihre sie bei Bedarf schützenden Hausbanken betrachten konnten, sich vor allem über deren Kredite finanzieren? Und weshalb sollten die anderen Akteure den Großbanken in der Corporate Governance noch eine zentrale – und wie früher oft vermittelnde – Rolle zubilligen, wo sie doch wissen, dass diese gar kein Interesse mehr daran haben, diese Rolle im gemeinsamen Interesse gut auszufüllen? Zumindest im Hinblick auf die Großbanken und als ihre Partner die Großunternehmen hat sich das frühere konsistente System aufgelöst. Wie gesagt: Für die einzige wirklich verbliebene Großbank war ihr Rückzug auf dem angestrebten Weg zur Weltspitze der Investmentbanken konsequent und ihre strategische Umorientierung konsistent. Ob die Umsetzung dieser Strategie gelungen ist und überhaupt hätte gelingen können und ob sie insofern für die Deutsche Bank auch gut war, soll hier nicht diskutiert werden. Doch für das deutsche Finanzsystem als Ganzes bedeutet die Auflösung des früheren Systems der Großbanken mit

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ihren engen Beziehungen zu den großen Unternehmen und den anderen Teilen des Finanzsektors nur eines: den Verlust von Konsistenz. Fehlende Konsistenz bedeutet, dass ein Finanzsystem das Potenzial für Wohlfahrt, das aus der Komplementarität seiner Elemente erwächst, nicht ausnutzt. Damit drängt sich das Urteil auf, dass das deutsche Finanzsystem mit seinem Verlust von Konsistenz schlechter geworden ist. Eine Folge von Inkonsistenz ist, dass ein Finanzsystem – wie jedes andere System komplementärer Elemente – krisenanfällig ist. Die Finanzkrise von 2007/2008 hat gezeigt, wie anfällig das deutsche Finanzsystem war, und damit einen indirekten Beleg für die hier entfaltete These geliefert, dass das deutsche Finanzsystem durch die Veränderungen der Jahre zuvor inkonsistent geworden war.10 Man kann die Dinge aber auch anders sehen und meinen, dass das Ende eines früher konsistenten, damit aber auch gegenüber Reformen resistenten Systems als Voraussetzung für die Entstehung von etwas Neuem und Besserem nötig ist, sobald sich die sogenannten Rahmenbedingungen verändern. Dafür könnte es auch nötig und sogar sinnvoll sein, für eine gewisse Zeit Inkonsistenzen in Kauf zu nehmen, wohl wissend, dass dies den Preis temporärer Wohlfahrtsverluste und Instabilität kostet. Mir scheint diese optimistische Sichtweise nicht plausibel, weil ich keine Vorstellung davon habe, wie unter den veränderten Rahmenbedingungen ein neues und besseres Finanzsystem aussehen könnte. Vor einigen Jahren hätte man noch denken können, ein kapitalmarktorientiertes Finanzsystem wäre ohnehin besser und deshalb wäre es sinnvoll, auf dem Weg dahin temporäre Inkonsistenzen in Kauf zu nehmen. Diese früher immerhin plausible Bewertung überzeugt zwar ohnehin nicht, weil es dafür weder eine theoretische noch eine empirische Basis gibt. Doch jetzt nach der großen Finanzkrise ist auch die Plausibilität verschwunden, denn der Ausgangspunkt der Krise war eines der Musterbeispiele eines solchen Finanzsystems und dessen Kernelemente waren ursächlich für die Krise. Damit bleibe ich bei meinem Urteil: Die Veränderungen der letzten Jahre im deutschen Finanzsystem haben zum Verlust eines früher guten Finanzsystems geführt.

10 

Mehr dazu findet man in Kotz/Schmidt (2016).

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Bernd Rudolph: Funktionen und Risiken von Banken und Nicht-Banken-Finanzintermediäre

Funktionen und Risiken von Banken und Nicht-Banken-Finanzintermediäre Bernd Rudolph Bernd Rudolph Funktionen und Risiken von Banken und Nicht-Banken-Finanzintermediäre

I.  Banken und Regulierung nach der Finanzkrise Die internationale Finanzkrise hat zu einem beispiellosen Anwachsen der Bankregulierung und der Aufsicht über das internationale Bankgeschäft und den gesamten Bankensektor gesorgt. Die neuen Vorschriften, Regeln und Restriktionen werden als notwendig erachtet, um sowohl die einzelnen Banken als auch das Finanzsystem insgesamt stabiler zu machen und Finanzkrisen wie die 2007/2008 ausgebrochene möglichst auszuschließen bzw., falls es trotz allem zu einer Finanzkrise kommen sollte, in ihren Auswirkungen für die Realwirtschaft und die Inanspruchnahme öffentlicher Mittel zu begrenzen. Die Verschärfung und organisatorische Straffung der Bankenaufsicht sowie die Etablierung neuer aufsichtlicher Instanzen auf europäischer Ebene haben bewirkt, dass die Banken heute über eine deutlich höhere Kapital- und Liquiditätsausstattung verfügen als vor der Finanzkrise. Darüber hinaus unterliegen sie durch ein enges Netz qualitativer Governance-Vorgaben vielfältigen Verhaltenspflichten. Regulierungen und Aufsicht haben aber auch zu negativen Nebeneffekten geführt, die immer spürbarer werden. Neben der viel beklagten Umschichtung von Aktiva zulasten der Unternehmensfinanzierung und zugunsten der regulatorisch begünstigten Staatsanleihen1 haben regulatorisch bedingte Kostensteigerungen und Ertragsrückgänge die Fähigkeit der Banken zur internen Eigenkapitalbildung geschwächt und auch dadurch bewirkt, dass die Rolle der Banken bei der Unternehmensfinanzierung abgenommen hat. Stattdessen haben Finanzierungen an Bedeutung gewonnen, die über die etablierten Kapitalmärkte arrangiert oder anderweitig „marktbasiert“ realisiert werden. Die EU unterstützt diese Entwicklung noch mit ihren Initiativen zur Stärkung einer Kapitalmarktunion. An Bedeutung gewonnen haben auch Aktivitäten, die den sog. Schattenbanken zugerechnet werden, also Finanzinstituten, die Kredite außerhalb des regulierten Bankensektors vermitteln oder vergeben, daher auch nicht der für Banken üblichen Regulatorik und Aufsicht unterliegen, aber auch nicht durch Kreditlini1 Vgl.

Fitch Ratings (2013) sowie Barut/Rouillé/Sanchez (2015).

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en der Zentralbanken oder Einlagensicherungseinrichtungen abgesichert sind.2 Im Oktober 2018 hat das Financial Stability Board FSB, das seit 2009 Vorschläge zur Verbesserung der Widerstandfähigkeit des Finanzsystems, zur Lösung der „too-big-to-fail“-Problematik, zur Stabilisierung der Derivatemärkte und eben auch zur Verbesserung der Widerstandfähigkeit der Finanzintermediation außerhalb des Bankensystems macht, in seinen Analysen und Empfehlungen den Begriff „shadow banking“ durch den Begriff „non-bank-financial intermedia­tion“ (NBFI) ersetzt.3 Dieser Begriff wird auch im folgenden Text gleichbedeutend neben dem Begriff Schattenbank benutzt.

II.  Beobachtung und Analyse des Schattenbanksektors Der Schattenbanksektor NBFI hatte 2007 mit Ausbruch der Finanzkrise große Aufmerksamkeit erlangt, als in den USA minderwertige Hypothekenkredite (subprime) gebündelt und über spezielle Zweckgesellschaften (SPVs) als Mort­ gage Backed Securities (MBS) den Kapitalanlegern, darunter vielen Banken, verkauft worden waren. Seitdem stehen Schattenbanken im Fokus statistischer Datensammlungen, empirischer Analysen und regulatorischer Ansätze, ohne dass bei den Aufsehern und der Politik letztlich Einigkeit über ihre Spezifität und die angemessene Regulierung besteht, und ohne dass die Aktivitäten im NBFI-Bereich für die Aufsicht weltweit ausreichend transparent sind. Sabine Lautenschläger, Mitglied im Direktorium der Europäischen Zentralbank EZB und seit 2014 stellvertretende Vorsitzende der EZB-Bankenaufsicht, weist darauf hin, dass der Schattenbanksektor in den letzten Jahren stark gewachsen ist: „In the EU alone, it accounts for 40% of assets in the financial system. However, we do not have a clear picture of the shadow banking sector. In the EU, almost half of all assets in the shadow banking sector are held by institutions for which we lack a detailed statistical breakdown.“4 2 

Vgl. Deutsche Bundesbank (2014), S. 15, sowie BaFin (2017a). Financial Stability Board FSB wurde 2009 aus Anlass der internationalen Finanzmarktkrise als Nachfolger des Financial Stability Forum durch die Gruppe der 20 bedeutendsten Industrie- und Schwellenländer (G20) gegründet. FSB-Mitglieder sind Notenbanken, Aufsichtsbehörden und Finanzministerien der G20-Länder sowie der Sonderverwaltungsregion Hongkong, der Niederlande, der Schweiz, Singapurs und Spaniens. Darüber hinaus sind die wichtigsten internationalen Standardsetzer sowie internationale Organisationen und Institutionen mit Verantwortung für die Finanzsystemaufsicht und -stabilität Mitglieder im FSB. Deutschland wird im FSB durch die Deutsche Bundesbank, die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin und das Bundesministerium der Finanzen BMF vertreten. In deutschen Texten wird das FSB auch als Finanzstabilitätsrat bezeichnet. 4  Lautenschläger (2018). Vgl. auch Draghi (2018) sowie die Grafik für den „non-bank financial sector“ im Euroraum in ECB (2018), S. 91. 3  Das

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Während der Pimco Ökonom Paul McCulley, von dem der Begriff Schattenbank in die Diskussion eingeführt wurde, noch von einer „Buchstabensuppe aus stark gehebelten Nichtbanken-Conduits – Vehikeln und Strukturen“ gesprochen hatte5, wurden danach verschieden Begriffe und Abgrenzungen des Schattenbanksektors vorgeschlagen.6 Das European Systemic Risk Board ESRB geht in seinem ersten „EU Shadow Banking Monitor“ vom Juli 2016 von einem Begriff der Schattenbanken aus, wie er ebenfalls vom Financial Stability Board FSB verwendet wird: „The definition and size of shadow banking are the subject of ongoing discussion within markets, the regulatory community and academia. The FSB has been carrying out extensive work on the topic and has developed a widely used definition of shadow banking, namely ,credit intermediation that involves entities and activities fully or partially outside the regular banking system,‘ In a narrower definition, it focuses more specifically on entities that raise: • systemic risk concerns, in particular through maturity and liquidity transformation, imperfect credit risk transfer and/or leverage; • regulatory arbitrage concerns“.7 In Abhängigkeit von der gewählten Definition und vom jeweiligen Stand der Regulierung gibt es unterschiedliche Einschätzungen der Risiken aus dem Schattenbankbereich. So hat der Sachverständigenrat in seinem Jahresgutachten 2017/18 im Rahmen eines Kapitels über Finanzmärkte einen speziellen Abschnitt überschrieben mit: „Schattenbanken im Aufwind“ und sieht im Ergebnis insbesondere bei Investmentfonds systemische Gefahren, sobald einmal mögliche, breit 5  „Shadow banking system – the whole alphabet soup of levered up non-bank investment conduits, vehicles, and structures“ McCulley (2007). Im Übrigen gibt McCulley auch einen Hinweis auf die für die Regulierung wichtigen Charakteristika von Schattenbanken: „Unlike regulated real banks, who fund themselves with insured deposits, backstopped by access to the Fed’s discount window, unregulated shadow banks fund themselves with un-insured commercial paper, which may or may not be backstopped by liquidity lines from real banks. Thus, the shadow banking system is particularly vulnerable to runs – commercial paper investors refusing to re-up when their paper matures, leaving the shadow banks with a liquidity crisis – a need to tap their back-up lines of credit with real banks and/or to liquidate assets at fire sale prices.“ McCulley (2007), S. 2. 6  Vgl. das Konzept der Identifikation von Schattenbanken anhand von fünf ökonomischen Funktionen in FSB (2017) oder neuerdings die Differenzierung in Schattenbanken und marktbasierte Finanzintermediation in Adrian/Jones (2018) sowie Novick/Rosenberg/ Cound/Rosenblum (2018). 7  European Systemic Risk Board ESRB (2016), S. 6. Der Europäischer Ausschuss für Systemrisiken (ESRB) ist seit dem 1. Januar Teil des Europäischen Finanzaufsichtssystems, dessen Aufgabe die Sicherstellung der Aufsicht über das Finanzsystem der Union ist. Verordnung (EU) Nr. 1092/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates I 1 (2). Der ESRB hat insbesondere die Aufgabe der Früherkennung, Prävention und Bekämpfung systemischer Risiken innerhalb der EU. Zur Entstehung, zu den Befugnissen und zur Einordnung des ESRB in das europäische System der Finanzaufsicht vgl. Siekmann (2009, 2011).

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angelegte Kursrückgänge zu Verlusten und schnellen Mittelabflüssen der Fonds führen und daraus systemische Risiken erwachsen können.8 Dagegen spricht etwa zeitgleich der Generalsekretär des Financial Stability Board im Financial Stability Review der Banque de France davon, dass die „toxischen“ Risiken der Schattenbanken signifikant zurückgegangen sind. Dabei versteht er unter den toxischen Aktivitäten jene, die zur internationalen Finanzkrise geführt bzw. beigetragen haben. Zu diesen Aktivitäten und Instrumenten zählen Mortgage Backed Securities MBS, Asset-Backed Commercial Paper Programme ABCP, Strukturierte Investment Vehicles SIVs sowie Collateralised Debt Obligations CDOs.9 Die genannten wie andere ähnlich lautende Definitionen und Einschätzungen werfen die Frage auf, warum Schattenbanken außerhalb des Bankenbereichs überhaupt existieren, wo doch Kredittransformationsleistungen traditionell von Banken oder den hier nicht weiter zu behandelnden Schuldschein- und Anleihemärkten, also dem Fremdkapital-Segment des Kapitalmarktes, erbracht werden. Die Frage nach der Existenzberechtigung impliziert die Frage nach dem richtigen regulatorischen Umgang mit diesen Institutionen, aber auch mit jenen Instituten, die über einen regulären Bankenstatus verfügen, mit den Schattenbanken aber in Geschäftsbeziehung stehen oder anderweitig verbunden sind. Zur Beantwortung beider Fragen benötigt man eine möglichst klare Vorstellung, welche Unternehmen oder Aktivitäten als Schattenbanken identifiziert werden sollen und welche nicht. Im Folgenden soll nach einem kurzen Überblick über die Transformationsleistungen der Banken gezeigt werden, warum auch finanzielle Institutionen außerhalb des Bankensektors, also die Schattenbanken oder „non-bank-financial-intermediaries“ NBFI die ursprünglich von Banken ausgeübten Funktionen effizient erfüllen können. Im Anschluss daran wird jeweils diskutiert, warum diese Aktivitäten im Schattenbanksektor zu Risiken führen, die mit denen im Bankenbereich durchaus vergleichbar sind und daher eine Gefahr für die Systemstabilität darstellen können. Schließlich wird dargestellt, wie die Finanzaufsicht das Problem der Erfassung und regulatorischen Behandlung der NBFIs zu lösen versucht.

III.  Intermediationsfunktionen des Finanzsystems 1.  Bedeutung der Intermediationsleistungen Finanzintermediäre übernehmen im Finanzbereich vielfältige Aufgaben, die für die Realwirtschaft und das Wachstum der Unternehmen von besonderer Bedeutung sind. Insbesondere mit ihren Kredit-Transformationsleistungen überbrü8 

Vgl. Sachverständigenrat (2017). Domanski (2018), S. 158. Vgl. auch die Zusammenfassung des FSB-Reports (2017) in dem Internet-Beitrag: Schattenbanksektor – Bericht: Risiken für globale Finanzstabilität signifikant zurückgegangen, BaFin (2017a). 9 Vgl.

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cken sie die unterschiedlichen Interessen und Bedürfnisse der Kapitalanbieter und Kapitalnachfrager und sorgen für einen Ausgleich von Angebot und Nachfrage nach Zahlungs- und Kreditmitteln. Zu diesem Ausgleich gehört auch, dass sie durch ihre verschiedenen Aktivitäten und aktuellen Erfahrungen Informationsnachteile einzelner Kapitalanbieter und Kapitalnachfrager abbauen können. Die Erfüllung der Transformationsfunktionen ist für die Realwirtschaft unverzichtbar und umso wertvoller, je effizienter und kostengünstiger sie erfüllt werden.10 Die Transformationsleistungen können aber nicht nur von Banken erbracht werden, sondern auch von NBCIs: „Non-bank financial intermediation provides a valuable alternative to bank financing and helps to support real economic activity. For many firms and households, it is also a welcome source of diversification of credit supply, and provides healthy competition for banks“.11 Die Erfüllung der Transformationsfunktionen ist für die Banken als Intermediäre mit erheblichen Risiken verbunden, die auch zu Risiken für das Finanzsystem als Ganzes, zu Systemrisiken führen können. Was Systemrisiken sind, wird von der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht BaFin sehr kompakt zu einem Aufsatz des BaFin-Präsidenten Felix Hufeld hinzugefügt: „Wenn Finanzunternehmen so groß, so komplex, so stark mit anderen Marktteilnehmern verwoben, in ihren Funktionen unersetzbar oder in hohem Maße international tätig sind, so birgt dies Systemrisiken: Geraten diese Unternehmen in Schieflage, kann das die Stabilität der globalen Finanzmärkte gefährden. Um dies zu verhindern, wurden und werden für diese Unternehmen – gesondert für Banken, Versicherer und sogenannte Nicht-Banken und -Versicherer – international besondere Regeln aufgestellt.“12 Um einen Überblick über die verschiedenen Aktivitäten und Risiken der Finanzintermediäre zu gewinnen, ist es angezeigt, die verschiedenen Kreditintermediationsleistungen näher zu charakterisieren, da mit der speziellen Organisation der Leistungen verschiede Risiken einhergehen können. „Systemic risk may emanate directly from credit intermediation activities of particular shadow banking entities. These activities may involve maturity and liquidity transformation, imperfect credit risk transfer and leverage. Issues may arise indirectly 10  Hingewiesen werden kann neben der erläuterten Transformationsleistungen auf die Losgrößentransformation, die insbesondere dann eine Rolle spielt, wenn vergleichsweise kleine Sparbeträge in einer Bank oder einem anderen Finanzintermediär (z. B. einer Versicherungsgesellschaft als Kapitalsammelstelle) zusammengefasst und zur Refinanzierung großer Kreditengagements verwendet werden. Auch der Ausgleich regionaler Unterschiede und der Ausgleich der Stückelungen (Losgrößentransformation) zählen zu den Transformationsleistungen. 11  FSB (2018), S. 1. 12 https://www.bafin.de/SharedDocs/Veroeffentlichungen/DE/Fachartikel/2016/fa_ bj_1611_systemrisiken_p.html.

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through the interconnectedness of the shadow banking sector with the regular banking system.“13 2.  Fristentransformation Fristentransformation gilt als besonders wichtige Leistung der Intermediäre, wenn die Kapitalanleger kurzfristige Gelder bei den Banken einzahlen, die diese für längerfristige Kredite oder andere Anlagen verwenden. Während viele Kapitalanleger möglichst in naher Zukunft wieder über ihre Mittel verfügen können wollen, benötigen die Nachfrager der Zahlungsmittel, die Unternehmen oder auch Privatleute und die öffentliche Hand solche Gelder als Kredite in der Regel für einen längeren Zeitraum. Stimmen die vereinbarten Fristen der aufgenommenen und angelegten Gelder nicht überein, dann ergibt sich bei einem Aktivüberhang für den Intermediär ein Refinanzierungsrisiko bzw. Geldanschlussrisiko (Liquiditätsrisiko) und bei einem Passivüberhang ein Wiederanlagerisiko der längerfristig zur Verfügung stehenden Mittel. Mit der Realisierung der Zinsänderungsrisiken sind Verlustrisiken verbunden, die mit dem Abschmelzen des vorhandenen Eigenkapitalpuffers zu einer Solvenzkrise des Instituts und zu Verlusten für die Kapitalgeber führen können. Da die Zinspositionen vieler Intermediäre und insbesondere der Banken weitgehend gleichgerichtet sind, kann daraus eine für das Finanzsystem insgesamt gefährliche Schieflage entstehen. Im Bankenbereich fordert die Aufsicht daher vorausschauende Rechnungen (Stresstests) und eine Eigenkapitalausstattung, die auch markante Zinsänderungen auffangen kann. Wenn NBFI wie z. B. Zweckgesellschaften (SpVs) zur Verbriefung gebündelte Kreditpositionen übertragen, dann lagern sie zugleich mögliche Zins­ änderungsrisiken auf die Käufer der von ihnen emittierten Asset Backed Securities ABS aus, sofern nicht die Kredite mit einem variablen Zinssatz herausgelegt werden oder die Anleger den Kauf von ABS mit eigenen Mitteln finanzieren.14 Fristentransformation wird auch von Versicherungen und Fonds betrieben, wobei davon ausgegangen werden kann, dass die mit der Fristentransformation verbundenen Risiken von den Haltern bewusst zur Ertragserzielung übernommen werden und im Falle ihres Eintretens von den Instituten übernommen werden, soweit sie nicht an die Kunden weitergereicht werden können.

13  Financial Stability Board FSB (2018). Die Merkmale, mit deren Hilfe das FSB den Umfang der Intermediationsleistungen anhand von Bilanzdaten misst, werden vorgestellt in FSB (2018), S. 57. 14  Zu den besonderen Eigenschaften aktueller Asset Backed Security-Programme vgl. Hayward (2018).

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3.  Liquiditätstransformation Liquiditätstransformation ist eine häufig mit der Fristentransformation einhergehende Funktion, wenn Kapitalgeber ihre Geldbeträge ohne feste Endfälligkeit oder kurzfristig mit regelmäßiger Erneuerung der Position zur Verfügung stellen, über ihre Gelder aber dann umgehend verfügen können wollen, wenn sie im Haushalt, im Unternehmen oder anderswo benötigt werden. Da während der Kreditlaufzeit die Anlagen der Intermediäre prinzipiell notwendigerweise illiquide sind, lassen sich plötzliche Abhebungs- oder Auflösungswünsche der Geldgeber nicht oder nur mit hohen Verlusten realisieren. Die Liquiditätstransformation ist daher mit Liquiditätsrisiken in der Form von Geldanschlussrisiken und Liquidationsrisken verbunden. Liquiditätsrisiken können auch dann schlagend werden, wenn Einleger oder Anleger die Sicherheit ihrer Gelder – aus welchen Gründen auch immer – anzweifeln und möglichst rasch ihre Einlagen abziehen oder ihre sonst üblichen Prolongationen aussetzen wollen. Auch bei Geldmarktfonds, Fonds mit stark risikobehafteten Anleihen im Bestand oder Immobilienfonds kann für den Intermediär eine Run-Gefahr bestehen, weil er möglicherweise zur Deckung aktueller Auszahlungswünsche zu Notverkäufen gezwungen ist. Run-Situationen und ihre Folgen können vom einzelnen Intermediär in der Regel individuell gar nicht oder nicht ausreichend abgesichert werden. Hier helfen nur entsprechende Letztsicherungen (Backstops), die bei den Banken durch die Einlagensicherung, durch Liquiditätslinien der Notenbank oder Garantien staatlicher oder überstaatlicher Instanzen gegeben sein können. Intermediären außerhalb des Bankensystems stehen solche Backstops im Allgemeinen nicht zur Verfügung, so dass hier eine reale Run-Gefahr bestehen kann. Zusammengefasst ist es die traditionelle Funktion der Finanzintermediäre, aus „kurz“ „lang“ und aus „jederzeit abrufbar“ ein „vertraglich fixiert“ zu machen. Das sind Leistungen, die nicht ohne die Übernahme erheblicher Risiken erbracht werden können. Damit sind Finanzintermediäre, die eine Fristen- und/ oder Liquiditätstransformation betreiben, notwendigerweise krisenanfällig, was neben einem internen Risikomanagement wegen der Ansteckungsgefahren und gesamtwirtschaftlich negativen Auswirkungen auch eine intensive Regulierung und Beaufsichtigung rechtfertigt, damit der Einsatz eines möglichen Backstops durch die öffentliche Hand oder eine kollektive Schutzeinrichtung mit hoher Wahrscheinlichkeit vermieden werden kann.15

15  Fristentransformations- und Liquiditätsrisiken brauchen sich im Übrigen nicht notwendigerweise zu kumulieren. So lässt sich beobachten, dass Fonds, die in wenig liquide Anleihen investieren, typischerweise einen kürzeren Anlagehorizont realisieren, während besonders liquide investierende Fonds längerfristige Anlagen bevorzugen Vgl. European Securities and Markets Authority (2015). S. 37.

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4.  Risikotransformation Risikotransformation gilt als ureigene Aufgabe der Banken- und Finanzmärkte, weil die Bankeinleger bzw. Kapitalanleger kein oder nur ein sehr geringes Ausfallrisiko ihrer Gelder übernehmen wollen, Mittel zur Finanzierung der Realwirtschaft aber zwangsläufig risikobehaftet investiert werden müssen. Die vorgesehenen Zins- und Tilgungszahlungen aus Kreditengagements unterliegen einem Rückzahlungsrisiko, das die Einleger und andere Geldgeber nicht tragen wollen, da sie einerseits nicht über ausreichende Informationen und Erfahrungen zur Risikoeinschätzung verfügen und sie zweitens auf der Suche nach „safe assets“ oder Anlagen mit einem für sie verschwindend geringen Risiko sind. Sie überlassen daher die Gelder einem Finanzintermediär im Vertrauen darauf, dass dieser es so investiert, dass sie selbst den eingezahlten Betrag, gleichgültig ob üppig oder nur sehr gering verzinst, mit großer Sicherheit zurückbekommen. Sie vertrauen dabei insbesondere auf eine risikoarme Geschäftspolitik des Intermediärs, aber auch auf die staatliche Aufsicht und mögliche Einleger- bzw. Anlegerschutzeinrichtungen. Zur Realisierung der Risikotransformationsfunktion steht den Finanzintermediären eine breite Palette von Instrumenten zur Verfügung. Angefangen von der intensiven Prüfung der Kreditwürdigkeit der Kreditnehmer über seine Begleitung im Zeitablauf, dem Monitoring, betreiben die meisten Intermediäre eine diversifizierende Portfoliopolitik. Sie streuen ihre Mittel über einen großen Kreis von Kreditnehmern, vermeiden Großkredite durch syndizierte Engagements, begrenzen Kreditrisiken durch die Hereinnahme von Kreditsicherheiten oder auch durch den Abschluss einer Kreditversicherung bzw. durch Kreditderivate (Credit Default Swaps). Schließlich halten sie selbst Eigenkapital als Risikopuffer vor, so dass eintretende Risiken die Gläubiger zunächst nicht berühren, sondern aus den Reserven aufgefangen werden. Bei den Banken wird eine angemessene Eigenkapitalausstattung von der Bankenaufsicht zur Solvenzsicherung der Banken, insbesondere aber zum Schutz vor Systemrisiken und zum Schutz von Einlagensicherungseinrichtungen ständig eingefordert und überprüft. Die mit einer Risikotransformation befassten NBFI verfügen im Allgemeinen nicht über einen öffentlichen oder kollektiven Schutzmechanismus. Eine mit der Risikotransformation eng zusammenhängende bzw. die Risikotransformation unterstützende Funktion stellt die Kreditintermediation dar, bei der Kreditforderungen bzw. nur die damit verbundenen Kreditrisiken durch Verbriefungs- und Derivatetransaktionen auf verschiedene Kapitalmarktsegmente ausgelagert werden. Zum Verbriefungsgeschäft gehört dabei das Poolen geeigneter Kreditforderungen in einer Zweckgesellschaft und das Tranchieren der Pools zur Emission von Schuldverschreibungen mit unterschiedlicher Bedienungsrangfolge und daher unterschiedlichem Risiko (und unterschiedlichem

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Zinssatz).16 Diese Schuldverschreibungen können zur Diversifikation der Portfolios der Kapitalanleger genutzt werden. Zu den Derivatetransaktionen zählen die verschiedenen Möglichkeiten des Kreditrisikotransfers über Kreditderivate (Credit Default Swaps). Die Refinanzierung erfolgt auch in diesem Fall nicht über die Passivseite des Finanzintermediäres, sondern am Kapitalmarkt, was mit einer besonderen Ausprägung der Liquiditätstransformation und den entsprechenden Risiken verbunden ist. Mit Kredittransformationen sind Ertragsrisiken für die Käufer der verbrieften Kreditpositionen verbunden, gegebenenfalls aber auch Verlust- und Liquiditätsrisiken der Sponsoren, sofern diese explizit eine Garantie (Liquiditätslinie) übernommen haben oder implizit einer Garantie ausgesetzt sind, die bei ihnen zu einem Stützungsrisiko (step-in risk) führen kann.17

IV.  Risikoverstärkende Faktoren der Intermediationsleistungen Eine Zusammenarbeit oder Arbeitsteilung zwischen verschiedener Intermediären kann der Erzielung von Skaleneffekten dienen (z. B. Konzentration von Privatkrediten in einer Tochtergesellschaft), kann aber auch einen Beitrag zur Vervollständigung und Vervollkommnung des Finanzsystems leisten, wenn die Konzentration bestimmter Geschäfte in einem rechtlich selbständigen Institut die Komplexität und Undurchsichtigkeit der Geschäfte vermindert. Auch eine Zusammenarbeit der Banken mit sog. Finfechs kann ähnliche Effekte erzeugen wie die mit NBFI, so dass auch diese Anbieter im Fokus der Aufsicht stehen.18 Ein arbeitsteiliges Finanzsystem kann aber auch Aktivitäten und Anreizen ausgesetzt sein, die für das Finanzsystem mit zusätzlichen Risiken verbunden sind.19 16  Eine Ausnahme von der Emission der Schuldverschreibungen am Kapitalmarkt bilden die Kredittransformationen im Bereich der Sparkassen-Finanzgruppe und der Genossenschaftsbanken. In beiden Fällen werden die von den teilnehmenden Instituten in den Pool eingebrachten Risiken an die einbringenden Institute zurückgereicht, wodurch für die Teilnehmer eine weitergehende Diversifikation erreicht wird, ohne dass Risiken aus dem System ausgegliedert werden. 17  Zur Funktion von Liquiditätslinien bei ABCP-Transaktionen vgl. Rudolph (2012), S. 855, und zum Stützungsrisiko BaFin (2017b). 18  Vgl. S&P Global Market Intelligence (2017) sowie Rudolph/Zech (2016). 19  Martinez-Miera/Repullo (2018) zeigen modellhaft die Veränderungen in einem Finanzsystem mit verstärkten regulatorischen Eigenkapitalanforderungen an Banken (risikounabhängig und risikosensitiv), so dass sich die Kreditnehmer in Abhängigkeit von ihrer Risikoklasse neu auf die Banken, die Schattenbanken und die Anleihemärkte verteilen und daraus auch bei verschärften Anforderungen an die Banken zusätzliche Risiken für das gesamte Bankensystem entstehen können. Pozsar et al. (2010) haben sehr früh schon darauf hingewiesen, dass verschärfte Eigenkapital- und Liquiditätsanforderungen an Banken und Versicherungen die Attraktivität des Schattenbanksystems stärken könnten. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass die Regulatorik die im Bankensystem geltende „same risk, same rule“-Regel für das gesamte Finanzsystem übernehmen sollte.

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Während Fristen- und Liquiditätstransformationen typischerweise mit allen Aktivitäten der Finanzintermediäre verbunden sein können, können eine hohe Komplexität (complexity) und Undurchsichtigkeit (opaqueness) der Verflechtungen zwischen den Intermediären und ihren Transaktionen zu einer gefährlichen Kumulation von Risiken führen. Als Beispiel war bereits auf die in der Subprime-Krise ans Tageslicht getretene Transformation illiquider Subprime Kredite in vermeintlich attraktive, da mit bestem Rating ausgestattete Mortgage Backed Securities MBS verwiesen worden. Etliche der emittierten Finanztitel – wie die Asset Backed Commercial Paper ABCP – warteten sogar mit einer formellen Liquiditätszusage ihrer Sponsoren auf oder waren durch eine implizite Backstop-Verpflichtung geschützt. Die vielfältigen Verflechtungen sowie die unbekannten Auswirkungen in Anspruch genommener Liquiditätszusagen auf die Solvenz der Sponsoren führten in der Krise zum Vertrauensverlust der Anleger und sogar der Intermediäre untereinander sowie der Notwendigkeit des staatlichen Eingreifens zur Abwendung des Zusammenbruchs der Banken- und Finanzmärkte. Intermediationsketten realisieren Spezialisierungsvorteile einzelner Intermediationsstufen, können aber ebenfalls zu einer gefährlichen Kumulation von Risiken beitragen, wenn sie allein schon durch ihre Länge undurchsichtig (opaque) geworden sind.20 So hat sich in der Finanzkrise gezeigt, dass insbesondere der Aufbau langer Intermediationsketten im Bereich der Wholesale-Refinanzierung oder im Verbriefungsgeschäft (Origination, Kreditverkauf, Verbriefung, Ankauf von verbrieften Forderungen, Neuverbriefung etc.) zur Undurchsichtigkeit der gesamten Risikolage beigetragen hat: „Almost every step from creation of the mortgage to sale of the security took place outside the direct view of regulators.“21 Darüber hinaus waren u. a. strukturierte Produkte emittiert worden, die sich selbst wieder auf strukturierte Produkte als unterliegende Assets bezogen, die ihrerseits wieder keine ursprünglichen Kredite, sondern bereits abgeleitete Produkte beinhalteten (z. B. CDOs square, CDOn etc.).22 Ähnliche Muster konnte man auch bei der Weitervermittlung von Sicherheiten beobachten, die ebenso zu einem ausgeprägten Risikoverbund der beteiligten Institute geführt hatten. Daraus waren Systemrisiken entstanden.23 20  In solche Intermediationsketten können Banken, Schattenbanken, Versicherungen und andere, nicht regulierte Finanzintermediäre eingebunden sein. Die Untersuchung der Intermediationsketten in Europa zeigt, dass das Exposure vieler EU Banken gegenüber nicht europäischen Einheiten besteht, insbesondere gegenüber Schattenbanken in den USA. Vgl. Abad et al. (2018). 21  Kodres (2013), S. 1. 22 Vgl. Rudolph (2008). 23  Neben den finanziellen Intermediationsketten bergen auch komplexe „Sicherheitenketten“ systemische Risiken in sich, wenn Sicherheiten aus Wertpapierleih- und Repo-Geschäften wiederverwendet werden. Vgl. ESRB (2012), S. 39.

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Für Nicht-Banken Finanzintermediäre in einer Intermediationskette ist es typisch, dass sie gerade über keinen formellen Zugang zu möglichen Stützungsmaßnahmen der Notenbanken oder anderer Institutionen wie Refinanzierungskontingenten, Liquiditätslinien oder Einlagensicherungsreinrichtungen verfügen. Die NBFIs können aber bei enger Verflechtung mit den Banken von solchen Stützungsmaßnahmen durchaus profitieren, sofern ihre Sponsoren und Garantiegeber im Schutz eines solchen Backstops arbeiten und beispielsweise Verbriefungsvehikel als NBFIs, wie in der Finanzkrise geschehen, mit einer Liquiditätslinie ausstatten und damit das Liquiditätsrisiko der Anleger (Inhaber der Commercial Paper) übernehmen. Stützungsrisiken für die Banken ergeben sich aber nicht nur bei vertraglich eingeräumten Garantien. „Die Finanzkrise hat gezeigt, dass Kreditinstitute in manchen Fällen einen Anreiz haben, Unternehmen finanziell oder anderweitig zu unterstützen, mit denen sie verbunden sind, welche aber nicht Teil des aufsichtsrechtlichen Konsolidierungskreises sind – und zwar über Verpflichtungen hinaus, die sich aus Verträgen oder aus Eigentumsverhältnissen ergeben.“24 Während sich marktbasierte Finanzierungen der Banken häufig auf längerfristige und nicht leicht kündbare oder abziehbare Mittel stützen (Einlagen, Termingelder, Schuldverschreibungen), ist für Schattenbanken die Einwerbung kurzfristiger Refinanzierungsmittel typisch (Repos, Wholesale-Mittel). Dabei kann es sein, dass die Schattenbanken ihrerseits die eingeworbenen Mittel den Banken zur Verfügung stellen, so dass auch in diesem Fall die Undurchsichtigkeit der Risikosituation steigt. Schattenbanken unterliegen wegen ihrer typischerweise kurzfristigen Refinanzierungsbasis einem Run-Risiko, das auf den Bankenapparat durchschlagen kann. Das ESRB analysiert daher die Inanspruchnahme von Wholesale-Mitteln und stellt beispielsweise fest, „dass die Finanzierung durch Finanzinstitute außerhalb des Bankensektors im dritten Quartal 2017 zunahm. Es bleibt abzuwarten, ob sich hierdurch der längerfristige Trend einer rückläufigen Wholesale-Finanzierung umkehren wird.“25 „Die Stärkung des EU-Rechtsrahmens für Geldmarktfonds erhöhte das Vertrauen, dass die Wahrscheinlichkeit von Stressphasen bei Geldmarktfonds nunmehr geringer ist und somit auch das Ansteckungsrisiko für den Bankensektor eingedämmt wurde.“26 24  BaFin (2017b), S. 12. Die Aufsicht versucht seit einiger Zeit dieses Risiko u. a. mit Hilfe einer neu eingeführten Risikokategorie, dem Unterstützungs- bzw. Stützungsrisiko (step-in risk) zu begegnen. Der Basler Ausschuss hat dazu 2017 Leitlinien veröffentlich, in denen er Anforderungen an die Selbsteinschätzung der Banken hinsichtlich ihrer Stützungsrisiken und die aufsichtsrechtlichen Befugnisse zur Regulierung des Stützungsrisikos thematisiert. Vgl. BCBS (2017). 25  ESRB (2017), S. 28. 26  ESRB (2017), S. 28. Zum Risiko des Austrocknens von Geldmärkten und der trotz der Regulierungen auch weiterhin bestehenden Möglichkeit „eines Zusammenspiels von Wertpapierverkäufen, Kursverlusten und Überschuldungsvermutungen“ vgl. Hellwig (2018), S.  540 – 541.

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Als ein in besonderer Weise risikoverstärkender Faktor gilt im Übrigen wie im Bankenbereich ein hoher Verschuldungsgrad (Leverage) der am Finanzmarkt wirkenden Akteure. Den Banken sind dabei im Rahmen der bankaufsichtlichen Eigenkapitalanforderungen in mehrfacher Hinsicht Grenzen gesetzt (bezogen auf die risikogewichteten Aktiva wie auf die Bilanzsumme). Bestimmte Fonds wie Immobilienfonds und Hedge-Fonds zeichnen sich aber teilweise durch sehr hohe Verschuldungsgrade aus, so dass Überlegungen angestellt werden, auch für solche Institutionen Mindestverlustpuffer vorzuschreiben, die möglicherweise auftretende Verluste auffangen können, so dass sie nicht an die Gläubiger weitergegeben werden. Während die typischen Intermediationsleistungen bereits mit Systemrisiken verbunden sein können, sorgen verschiedene zusätzliche Faktoren dafür, dass durch die Einschaltung von Schattenbanken das Risikopotenzial für den Finanzmarkt insgesamt steigen kann. Im Rahmen der laufenden Beobachtung des Schattenbanksystems ist es also angezeigt, das komplexe Zusammenspiel der risikoverstärkenden Faktoren einzufangen. So schreibt beispielsweise das ESRB in seinem Jahresbericht 2015: „Das Schattenbankensystem in der EU ist stark vernetzt; somit können sich von den Schattenbankensektoren ausgehende Schocks und Ansteckungseffekte auf das übrige Finanzsystem ausbreiten. Die direkten und indirekten Beziehungen der Schattenbanken zu Banken und Versicherungsgesellschaften sowie zu privaten Haushalten und dem Unternehmenssektor waren im Berichtszeitraum nach wie vor signifikant. Zu nennen sind hier vor allem die immer noch erheblichen Engagements der Investmentfonds und der sonstigen Finanzinstitute im Euro-Währungsgebiet gegenüber anderen Sektoren im Euroraum. Was die unterschiedlichen Institutionen betrifft, so waren die finanziellen Mantelkapitalgesellschaften/Verbriefungszweckgesellschaften, die Wertpapierhändler und die Hedgefonds in der Berichtsperiode am stärksten in Schattenbankenaktivitäten eingebunden, und zwar über die Fristen- und Liquiditätstransformation sowie über den Einsatz von Fremdkapital.“27 Die Komplexität und Undurchsichtigkeit der Risiken nimmt zu, wenn die Intermediationsverflechtungen über unterschiedliche Rechtsformen der Intermediäre erfolgen oder durch Geschäftsverbindungen zu ausländischen Schattenbanken gekennzeichnet sind, so dass für die vertraglich verbundenen Intermediäre unterschiedliche Rechtsordnungen gelten. Typisch ist beispielsweise, dass die Nicht-Banken-Vertragspartner der Banken in Europa sehr häufig in den USA ihren Rechtssitz haben. Das ESRB stellt in seinem Jahresbericht 2017 dazu fest: „Ein weites Risiko, das im Shadow Banking Monitor identifiziert wurde, sind die Verflechtungen und Ansteckungsrisiken sowohl sektorenübergreifend als auch innerhalb des Schattenbanksystems. Europäische Banken sind stark mit 27 

ESRB (2015), S. 14.

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dem Schattenbanksystem verwoben. Anfälligkeiten könnten sich beispielsweise aus plötzlichen und umfangreichen Rücknahmen der Anleger in Geldmarkt- und anderen Investmentfonds ergeben Dies könnte zu einem Abverkauf von Bankschuldverschreibungen und zu einem Anstieg der Kosten für kurz- und längerfristige Fremdfinanzierungsmittel des Bankensektors führen.“28

V.  Zur Regulierung des Schattenbanksektors Als Ansatzpunkte für eine Regulierung der Schattenbanken bieten sich drei Anknüpfungspunkte an, eine direkte Regulierung der Institutionen, die indirekte durch Regulierung der verbundenen Banken sowie verschiedene Kombinationen aus direkter und indirekter Regulierung.29 Da sich die NBFI „sehr stark in ihrem Geschäftsmodell, den Risiken, die sie eingehen, und den rechtlichen Anforderungen, denen sie unterliegen“,30 unterscheiden, spricht vieles dafür, einen umfassenden Ansatz aus direkten und indirekten Regulierungen zu bevorzugen. Da darüber hinaus seit der Finanzkrise die makroprudenzielle Regulierung und Aufsicht eingeführt bzw. deutlich gestärkt worden ist, müssen sich deren Aufgaben auch auf die Beobachtung, Erfassung, Regulierung und Beaufsichtigung der NBFI beziehen. Direkte Regulierungen betreffen den Erlass speziell für bestimmte Typen von Schattenbanken und deren Tätigkeiten bestimmter Rechtsvorschriften. So ist es beispielsweise das Ziel der Geldmarktfondsverordnung, die Ansteckungsgefahr für Geldmarktfonds zu minimieren. In den USA war es in der Finanzkrise zu Runs auf Money Market Funds MMFs gekommen, also zu massiven und abrupten Rücknahmeforderungen von Anlegern. Die neue Verordnung verbietet nun die finanzielle Unterstützung von Geldmarktfonds und gibt stattdessen den Fonds Anforderungen an die Liquiditätshaltung, die Risikomischung, die Kreditqualität der Vermögenswerte und umfangreiche Berichts- und Stresspflichten vor.31 Dass diese Form der Regulierung ausreichend ist, wird allerdings bezweifelt.32 28 

ESRB (2017), S. 27. Zur Regulierung von Schattenbanken aus theoretischer Perspektive sowie als Reaktion auf das Grünbuch der EU-Kommission Richter (2012), Schwarcz (2014) sowie Tröger (2014). 30  BaFin (2013), S. 30. 31  Vgl. BaFin (2017c). Die Geldmarktfondsverordnung ist ab dem 21. Juli 2018 auf neu aufgelegte Geldmarktfonds (Money Market Fonds MMFs) und ab 21. 1. 2019 auf bereits bestehende MMFs unmittelbar anwendbar. Die Verordnung stellt insbesondere an die sog. Constant Net Asset Value MMFs strenge Anforderungen hinsichtlich der Liquiditätsreserven und der Qualität der Vermögenswert. CNAVs hatten sich in der Krise in den USA als besonders Run anfällig gezeigt, weil sie eine Rücknahme zum Nominalwert garantiert hatten. Andere Fonds als Geldmarktfonds werden heute überwiegend nicht mehr dem NBFI-Sektor zugerechnet. 32  Vgl. https://sven-giegold.de/schattenbanken-duerfen-jubeln/. 29 

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In Deutschland unterliegt die direkte Aufsicht über die verschiedenen Fondstypen der BaFin, die nicht nur die Aufsicht über die Investmentfonds (OGAWs), sondern auch über die Alternativen Investmentfonds AIFs ausübt, und zwar unabhängig davon, ob einzelne Ausprägungen der Fondstypen eher zu den Schattenbanken gerechnet werden oder zu den marktbasierten Finanzierungen. Die Zulassung und Beaufsichtigung neuartiger Fondstypen wie der Kreditfonds liegt bei der BaFin. Direkte Regulierungen bergen, wie der US-Markt zeigt, die Gefahr einer Zersplitterung des Regulierungssystems und der Aufsicht in sich. Die Konzentration der Aufsicht über die Banken und Schattenbanken einschließlich der FinTechs bei der BaFin in Deutschland kann dagegen die Zielsetzung eines „level playing field“ ebenso verfolgen wie die Durchsetzung spezifischer Regeln für einzelne Aktivitäten und Institutionen. Indirekte Regulierungen zielen auf alle Transaktionen, die die bereits regulierten Banken mit den gar nicht, nur wenig oder andersartig regulierten Schattenbanken verbindet bzw. auf die Forderungen und Verbindlichkeiten, die Banken gegenüber Schattenbanken aufbauen und aus denen für sie selbst Risiken entstehen können. Für die Anleger bei Schattenbanken ist kein besonderer Schutz vorgesehen, aus der Perspektive der Finanzstabilität gilt es, Risikoübertragungen auf das Bankensystem zu vermindern oder zu verhindern. Ob dies mit einheitlichen Vorschriften für Obergrenzen für Risikopositionen gegenüber Schattenbanken ganz zu erreichen ist, erscheint fraglich. Issing et al. (2012) empfehlen allerdings den Weg über die indirekte Regulierung von Schattenbanken mit der zusätzlichen Begründung, dass direkte Regulierungen neu entstehende Formen von Schattenbanken, die z. B. als Reaktion auf bankaufsichtliche Regulierung errichtet werden, auf direktem Wege möglicherweise nicht erfasst werden. Insoweit kann eine indirekte Regulierung der NBFI die Wirkung der Bankregulierung zweckmäßig erweitern. Mit Rundschreiben 8/2016 (BA) hat die BaFin Obergrenzen für Risikopositionen gegenüber Schattenbankunternehmen eingeführt und diese sehr allgemein als Unternehmen definiert, „die eine oder mehrere Kreditvermittlungstätigkeiten ausüben und bei denen es sich nicht um ausgenommene Unternehmen handelt.33 Ausgenommene Unternehmen sind z. B. CRR-Kreditinstitute, CRR-Wertpapierfirmen etc., so dass die Banken selbst zur Identifikation von Schattenbankbeziehungen verpflichtet sind und die Aufsichtsbehörde bestimmte Unternehmen ausklammert, die bereits beaufsichtigt werden oder aus ihrer Sicht anderweitig unproblematisch erscheinen.34 33 

BaFin (2016) I 13. Vgl. EBA (2016) sowie BaFin (2016). Das Rundschreiben der BaFin folgt den „Leitlinien über Obergrenzen für Risikopositionen gegenüber Schattenbankunternehmen“ der EBA, die festlegen, was nach Ansicht der EBA angemessene Aufsichtspraktiken innerhalb des Europäischen Finanzaufsichtssystems sind. 34 

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Der dritte Ansatz zur Regulierung und Beaufsichtigung des Schattenbanksektors stellt eine Kombinationslösung dar. Einerseits sollen jene Institutionen, die wie Banken und Investmentfonds einer europaweiten Regulierung unterliegen, auch weiterhin mikroprudenziell von ihrem zuständigen Amt beaufsichtigt werden. Andererseits können mögliche zusätzlich Risiken für den Bankenapparat indirekt begrenzt oder durch entsprechende Kapitalunterlegungsvorschriften oder Liquiditätsvorschriften abgesichert werden. Verschiedene Regulierungsbündel sind als Reaktion auf die Finanzkrise bereits eingeführt worden. Beispielsweise hat der Baseler Ausschuss im Juli 2009 eine (überarbeitete Version) der Verbriefungsregeln veröffentlicht und dabei Verschärfungen in verschiedenen Stoßrichtungen vorgenommen. Dabei wurden auch die aufsichtsrechtlich geforderten Kapitalunterlegungen für Wiederverbriefungen erhöht, die Anforderungen an die Kapitalunterlegung von Liquiditätszusagen verschärft und die Anforderungen an die institutseigene Risikobeurteilung präzisiert, da sich in der Finanzkrise gezeigt hatte, dass sich die Institute zu sehr auf die Bonitätsbeurteilung der Ratingagenturen verlassen hatten. Darüber hinaus wurden für alle Aktivitäten der Banken im Verbriefungsgeschäft die Offenlegungsanforderungen verschärft mit dem Ziel, dass die Marktteilnehmer die Qualität der Finanztitel besser beurteilen können. Um die Interessen der Originatoren und Investoren in Einklang zu bringen und Moral Hazard Probleme zu vermeiden, wurde eine Rückbehaltspflicht für die Originatoren eingeführt.35 Die Europäische Kommission hatte bereits im September 2015 einen neuen Rechtsrahmen für Verbriefungen vorgeschlagen, die einfach, transparent und standardisiert sind und einer angemessenen Aufsicht unterliegen. Die Ende 2017 veröffentliche EU-Verordnung zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für Verbriefungen und zur Schaffung eines einheitlichen und standardisierten Rahmens für einfache, transparente und standardisierte Verbriefungen (Simple, Transparent and Standardised Securitisation, STS) ist seit Beginn des Jahres 2019 in Kraft.36 Heute finden für Verbriefungen also einerseits direkte komplexe Regelungen Anwendung, darüber hinaus aber indirekte, die im Wesentlichen in den Kapitalvorschriften für Banken zu finden sind.37 35  Zu den alternativen Erbringungsformen des Rückbehalts vgl. Rudolph et al. (2012), S. 198, und zur Kritik der geltenden Rückbehaltsregeln und der Möglichkeit, transparent über den Rückbehalt zu informieren, vgl. Krahnen/Wilde (2017). 36  Vgl. zu den Einzelheiten Thun (2018). 37  Art. 4 der CRR (Definitionen), Art. 109 (Behandlung verbriefter Risikopositionen gemäß dem Standard- und dem IRB-Ansatz), Kapitel 5 der CRR (Verbriefung) mit den Artikeln 242 – 270 (frühere Solvabilitätsverordnung) sowie Teil 5 (Forderungen aus übertragenen Kreditrisiken) der CRR mit den Artikeln 404 – 410, wo Fragen des Risikoeinbehalts und der Due Diligence Anforderungen beim Investor (der Bank) in Verbriefungspositionen geregelt werden. Jenseits von Banken gibt es weitere Regulierungen zu beachten.

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Die Aufgabe einer makroprudenziellen Überwachung des Schattenbanksektors liegt in Europa beim European Systemic Risk Board ESRB. Dessen Tätigkeit ist von besonderer Bedeutung, weil nur auf dieser Ebene die Interdependenzen der verschiedenen Akteure des Finanzsystems im Zusammenspiel unter dem Gesichtspunkt der Systemstabilität bewertet werden können. Würde man beispielsweise im Rahmen einer direkten Regulierung isoliert ein neues Regelwerk für Schattenbanken an das Regelwerk der Bankenaufsicht anlehnen oder von dort übernehmen, so bestünde aus Makrosicht die Gefahr einer Verschärfung der Prozyklik durch eine Synchronisation von Anpassungszwängen. Sehen sich Banken bei einem Finanzmarktschock aufgrund bindend werdender Mindesteigenkapitalvorschriften oder der Verletzung der Leverage Ratio gezwungen, sich von bestimmten Aktiva zu trennen und sähen sich Schattenbanken ebenso wie andere Kapitalmarktteilnehmer zugleich zu einem Abbau ihrer Assets und Risiken gezwungen, dann würde dies den Preisverfall der betroffenen Assets weiter beschleunigen.

VI.  Ausblick Wenn man die verschiedenen Kriterien zur Trennung der Schattenbankaktivitäten von denen der Banken und der marktbasierten Finanzierungen heranzieht, so findet man ebenso wie bei der Unterscheidung der Schattenbanken in der weiteren und engeren Abgrenzung sowie dem funktionellen Ansatz des FSB keine klaren und eindeutigen Schnittlinien. Vielmehr ist man darauf angewiesen, die Institute und Aktivitäten individuell im Hinblick auf ihr Geschäftsmodell, ihre Handlungsrestriktionen und ihren möglichen Beitrag zu systemischen Risiken zu analysieren. Die Analyse und Bewertung der verschiedenen Charakteristika sollte dabei den direkten und möglichen indirekten Beitrag zur Entstehung eines Systemrisikos über die Vernetzung mit anderen Schattenbanken und den Bankenapparat im Blick haben. Die Einordnung bzw. Zuordnung kann sich dabei in Abhängigkeit vom Vernetzungsgrad oder den individuell geltenden aufsichtlichen Vorschriften im Lauf der Zeit verschieben oder sogar deutlich verändern. Die Geschäftsmodelle der NBFIs passen sich kontinuierlich an neue Marktentwicklungen an, um über eine Regulierungsarbitrage oder die Realisierung von Skaleneffekten oder Spezialisierungsvorteile Marktanteile zu gewinnen. Umgekehrt wird man auch Institute und Aktivitäten regulatorisch entlasten können und in die weniger risikobehafteten, aber weiterhin zu beobachtenden Aktivitäten einordnen, wenn Erkenntnisse darüber vorliegen, dass die Geschäftsmodelle der Einheiten bzw. Unternehmen deutliche Risikoreduktionen gezeigt haben.38 Diese sind im Wesentlichen meldetechnischer Natur. Vgl. https://www.true-sale-international.de/abs-regulierung/verbriefung-und-regulierung/.

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Bei den Bemühungen um eine wirksame und effiziente Regulierung des Finanzsektors muss insbesondere auch darauf geachtet werden, dass die Makrowirkungen der Regulierung beachtet werden, um eine direkte oder indirekte Synchronisation regulierungsbedingter Anpassungsreaktionen möglichst zu vermeiden. Das setzt beispielsweise voraus, dass mögliche „Weiße Ritter“ an den Märkten nicht in derselben Marktsituation zur gleichen Zeit unter denselben formalen Zwang zu Notliquidationen gesetzt werden wie die Banken und Schattenbanken. Die Diversität der Finanzinstitutionen, der Transaktionen, aber auch der aufsichtlichen Regelwerke stellen aus der Makroperspektive betrachtet eine wichtige Komponente der Resilienz dar, die als Nebenbedingung bei der Konzeption der Finanzmarktregulierung berücksichtigt werden muss. Dies schließt hohe Anforderungen an die Transparenz und die Geschäftstätigkeit der beobachteten NBFIs keineswegs aus. So entstehen in einigen Ländern wie China neue Formen und Instrumente von Schattenbankaktivitäten, die nur oberflächlich beobachtet werden können, aber möglicherweise Systemrisiken in sich bergen und daher als besonders kritisch einzustufen sind.39 Die Bemühungen um eine konsequente Regulierung und Beaufsichtigung des NBFI-Sektors sind also weiter auf hohem Niveau zu halten. „Improvements in oversight and regulation of shadow banking should continue.“40 38

Die Erkenntnisse aus der Überwachung von Schattenbanken sollten auch Anlass geben, die Aktivitäten der EU-Kommission Richtung Kapitalmarktunion insoweit skeptisch zu überdenken, als sie faktisch dazu beitragen, Kreditaktivitäten der Banken durch Instrumente des NBFI-Sektors zu substituieren. Dabei sind die Aktivitäten der Banken auch in der Folge der Finanzmarktkrise wegen weitreichender schärferer Regulierung zurückgefahren worden bzw. nicht in dem Umfang gewachsen, wie dies ohne die restriktiven bankaufsichtlichen Bestimmungen möglich gewesen wäre. Es werden Befürchtungen geäußert, dass durch das Zurückdrängen der Banken aus diesen Aktivitäten neue Risiken entstehen können.41 Dagegen sind natürlich alle Impulse zu fördern, die die Möglichkeiten stärken, dass alle Unternehmen in Europa einen leichteren und besseren Zugang zu den Eigenkapitalmärkten bekommen. Die EU-Kommission wie andere Institutionen und die Politik fokussieren leider faktisch häufiger auf Aktivitäten und Finanzierungen im Fremdkapitalbereich als auf die Eigenkapitalmärkte. Dabei stellen 38  Als Beispiel sei auf den Beitrag von Aldasoro/Ehlers (2018) hingewiesen mit dem Titel: „Der Markt für Credit-Default-Swaps: Was ein Jahrzehnt doch für einen Unterschied macht.“ 39 Vgl. Ehlers/Kong/Zhu (2018). 40  IMF (2018), S. 73. 41 Vgl. Bavoso (2017, 2018), Franke/Krahnen (2017), Gabrisch (2016) sowie Gischer/ Ilchmann (2017).

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hohe Verschuldungsgrade im Banken- wie im Schattenbankenbereich, aber auch bei den Unternehmen, Privathaushalten und Staaten immer noch das größte systemische Risiko dar.

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IV. Öffentlicher Haushalt und Finanzkontrolle IV. Öffentlicher Haushalt und Finanzkontrolle

Michael Sachs: Probleme mit dem Vorherigkeitsgebot

Probleme mit dem Vorherigkeitsgebot Michael Sachs Michael Sachs Probleme mit dem Vorherigkeitsgebot

Nach der Einschätzung des Bundesverfassungsgerichts hat „das Vorherigkeitsgebot einen klaren und bestimmten verfahrensrechtlichen Inhalt. Es bestimmt den Zeitpunkt, bis zu dem ein Haushaltsgesetz zu verkünden und in Kraft zu setzen ist, nämlich vor Ablauf des vorangegangenen Rechnungsjahres. Damit sind auch die Voraussetzungen einer Verletzung eindeutig bestimmt. Auf Verschulden oder pflichtwidriges Verhalten der beteiligten Verfassungsorgane kommt es insoweit nicht an.“1 Diese apodiktische Aussage ist in mehrfacher Hinsicht nicht haltbar. Zum einen ist nicht nachvollziehbar, wie es ohne pflichtwidriges Verhalten zur Verletzung des Gebots kommen können soll (I.). Zum andern ergeben sich Schwierigkeiten der Feststellung einer Pflichtverletzung daraus, dass „[a]lle am Gesetzgebungsverfahren mitwirkenden Verfassungsorgane […] verpflichtet [sein sollen], an der Erfüllung des Vorherigkeitsgebots mitzuwirken […], also auch die Regierung, der die ausschließliche haushaltsgesetzliche Initiativkompetenz zukommt.“2 (III.). Nicht vom Bundesverfassungsgericht angesprochen werden in diesem Kontext die Folgen, die sich ergeben, wenn die Feststellung des Haushaltsplans durch das Haushaltsgesetz erst nach Beginn des (ersten) Rechnungsjahres erfolgt (II.). Damit sind zugleich verfassungsprozessuale Fragen aufgeworfen (IV.). Die Aktualität der Thematik verdeutlicht der Umstand, dass das Haushaltsgesetz für das Rechnungsjahr 2018 erst am 12. 07. 2018 ausgefertigt wurde.3

1  BVerfGE 119, 96 (122 f.), bezogen auf das Vorherigkeitsgebot in „seiner unmittelbaren Anwendung“. Dem bezüglich der Irrelevanz von Verschulden und Pflichtverletzungen folgend etwa Ekkehart Reimer, in: Volker Epping/Christian Hillgruber, BeckOK Grundgesetz, 37. Edition (Stand: 15. 5. 2018), Art. 110 (Stand: 15. 2. 2018) Rn. 14. Nur grundsätzlich („in aller Regel“ und mit einem Vorbehalt für „besonders gelagerte[n] Ausnahmefälle[n]“) zustimmend VerfGH NRW, NVwZ 2013, 503 Rn. 76; daran anschließend VerfGH NRW, NVwZ-RR 2013, 665 (666); allenfalls dann für eine Ausnahme (wohl von der Verletzung des Vorherigkeitsgebots) Helmut Siekmann, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 8. Aufl. 2018, Art. 110 Rn. 56. 2  BVerfGE 119, 96 (120) unter Hinweis auf BVerfGE 45, 1 (33); 66, 26 (38). 3  BGBl. I, S. 1126, ausgegeben am 17. 7. 2018.

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I.  Keine Verletzung des Vorherigkeitsgebots ohne pflichtwidriges Verhalten Eine Verletzung der Verfassung ohne Pflichtverletzung der handelnden Staatsorgane ist denkbar, wenn es sich nicht um die Verletzung eines Gebots durch ein Verhalten der Staatsorgane handelt, sondern um die inhaltliche Unvereinbarkeit der von ihnen erzeugten Staatsakte, insbesondere von Gesetzen, mit der Verfassung. Selbst in diesen Fällen stellt allerdings der Erlass des Gesetzes regelmäßig auch die Verletzung einer Pflicht dar, nämlich der der Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung, Art. 20 Abs. 3 1. Alt. GG, entsprechenden Pflicht, keine inhaltlich der Verfassung widersprechenden Gesetze zu erlassen. An einer Pflichtverletzung fehlt es demgegenüber, wenn durch die Entwicklung tatsächlicher Verhältnisse nachträglich ein Widerspruch zwischen einem ursprünglich inhaltlich im Einklang mit der Verfassung erlassenen Gesetz und der Verfassung entsteht.4 Ähnlich liegt es bei von vornherein dem Grundgesetz inhaltlich widersprechendem vorkonstitutionellem Recht, das nach Art. 123 Abs. 1 GG nicht fortgilt, oder wenn ein ursprünglich verfassungsgemäßes Gesetz mit einer später in die Verfassung aufgenommenen Bestimmung inhaltlich in Widerspruch steht;5 in diesen Fällen dürfte allerdings bereits die lex posterior-Regel eingreifen,6 die mit dem Vorrang der Verfassung (als lex superior) zusammen4 S.

im Zusammenhang zeitlicher Grenzen der Rechts- und Gesetzeskraft bei ursprünglicher Feststellung der Verfassungsmäßigkeit der geprüften Norm etwa Michael Sachs, Die Bindung des Bundesverfassungsgerichts an seine Entscheidungen, 1977, S. 337 f.; Steffen Detterbeck, Streitgegenstand und Entscheidungswirkungen im Öffentlichen Recht, 1995, S. 453. 5  Dies könnte sogar in Fällen eines sog. Verfassungswandels gelten, wenn es sich um mehr als die Rückprojizierung veränderter Rechtsauffassungen handelt, s. dazu nur Sachs, in: ders. (Fn. 1), Einf. Rn. 27. 6  Vgl. im Zusammenhang mit der konkreten Normenkontrolle dafür BVerfGE 2, 124 (129 f.); Michael Sachs, Verfassungsprozessrecht, 4. Aufl. 2016, Rn. 219; Ralf Müller-Terpitz, in: Theodor Maunz (Begr.), Bundesverfassungsgerichtsgesetz (Stand: 53. Ergänzungslieferung Februar 2018), § 80 (April 2015) Rn. 96: Sanaz Moradi Karkaj, in: Tristan Barczak (Hrsg.), BVerfGG Mitarbeiterkommentar zum Bundesverfassungsgerichtsgesetz, 2018, § 80 Rn. 25 f., 42; für früherem Landesrecht widersprechendes Bundesrecht auch BVerfGE 65, 359 (373) m.w.N. Die genannte Regel wird allerdings teilweise für unanwendbar gehalten, wenn Rechtsnormen unterschiedlichen Rangs betroffen sind, so etwa Eckart Klein, in: Ernst Benda/Eckart Klein/Oliver Klein, Verfassungsprozessrecht, 3. Aufl. 2012, Rn. 787; Hans-Georg Dederer, in: Theodor Maunz/Günter Dürig (Begr.), Grundgesetz (Stand: 82. Lief. Januar 2018), Art. 100 (Dezember 2013), Rn. 59 m.w.N.; auch Klaus Schlaich/Stefan Korioth, Das Bundesverfassungsgericht, 11. Aufl. 2018, Rn. 141 m.w.N., der dabei allerdings zutreffend einen Widerspruch zur „lex superior-Regel“ nur annimmt, „wenn die frühere zugleich die höhere Norm ist.“ Anderes sieht auch für diesen Fall ausdrücklich Art. 72 Abs. 3 S. 3 GG vor, soweit er bei der Abweichungsgesetzgebung den Fall betrifft, dass spätere Landesgesetze dem Bundesrecht vorgehen.

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trifft bzw. ihm zuvorkommend einen Normwiderspruch verhindert und die darin liegende Verfassungsverletzung von vornherein vermeidet. Um eine allein durch inhaltliche Unvereinbarkeit von Rechtsnormen mit der Verfassung bewirkte materielle Verfassungswidrigkeit geht es aber beim Vorherigkeitsgebot nicht; vielmehr betrifft dieses Gebot mit seinem „verfahrensrechtlichen Inhalt“7 nur das Verhalten der beteiligten Verfassungsorgane beim Erlass des Haushaltsgesetzes, macht keine Vorgaben für dessen Inhalt.8 Nur wenn das vom Gebot erfasste Verhalten die verfassungsrechtliche Pflicht, es zu befolgen, verletzt, stellt dieses Verhalten als solches eine Verfassungsverletzung dar – oder anders: Wie jedes einer verfassungsrechtlichen Pflicht widersprechende Verhalten von Verfassungsorganen die Verfassung verletzt, gibt es – abgesehen von den erwähnten Fällen der nachträglich eintretenden inhaltlichen Unvereinbarkeit von Rechtsnormen mit der Verfassung – keine Verfassungsverletzung ohne pflichtwidriges Verhalten jedenfalls eines der beteiligten Verfassungsorgane. Das Bundesverfassungsgericht kommt zu seiner gegenteiligen Aussage wohl dadurch, dass es den in der Tat verfahrensrechtlichen Inhalt des Vorherigkeitsgebots trotz Verwendung dieses Begriffs gar nicht als Gebot, als (hier: verfahrensbezogene) Verhaltensanweisung, wiedergibt, sondern davon abgelöst annimmt, das Vorherigkeitsgebot bestimme einen Zeitpunkt, und dabei dessen Bezugspunkt, nämlich das (implizit gebotene) vorherige Verkünden und Inkraftsetzen des Haushaltsgesetzes trotz expliziter Erwähnung9 der Sache nach ausblendet. Wie später (unten III.) gezeigt wird, kann es allerdings in der Tat dazu kommen, dass das Haushaltsgesetz nicht vor dem (ersten) Rechnungsjahr, für das es gelten soll, erlassen wird, ohne dass dem ein pflichtwidriges Verhalten der beteiligten Organe zugrunde liegt – nur ist dann auch das vermeintlich so eindeutige Vorherigkeitsgebot nicht verletzt, wenn man es nicht von seinem Gebotscharakter10 abgelöst verstehen will. 7 

So ja ausdrücklich und ganz zutreffend BVerfGE 119, 96 (122). Zu den unterschiedlichen Gegenständen des Rechtswidrigkeitsurteils allgemein Michael Sachs, Zur formellen Rechtswidrigkeit von Verwaltungsakten, VerwArch Bd. 97 (2006), 573 (578 ff.); ders., § 31 Verfahrensfehler im Verwaltungsverfahren, in: Wolfgang Hoffmann-Riem/Eberhard Schmidt-Aßmann/Andreas Voßkuhle (Hrsg.), Grundlagen des Verwaltungsrechts, Bd. II, 2. Aufl. 2012, Rn. 6 f., 40 ff.; ders., in: Paul Stelkens/Heinz Joachim Bonk/Klaus Leonhardt (Begr.)/Michael Sachs/Heribert Schmitz (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Aufl. 2018, § 44 Rn. 14 f., § 45 Rn. 5 ff. 9  S. das Zitat oben zu Fn. 1. 10  Dass der auch noch passivisch verwendete Indikativ („Der Haushaltsplan wird […] durch das Haushaltsgesetz festgestellt.“) als verpflichtender Normbefehl („muss festgestellt werden“) zu verstehen ist, dürfte nicht zu bezweifeln sein, auch wenn die Verpflichtungsadressaten (zu diesen schon oben zu Fn. 2 und unten III.) nicht explizit benannt sind. Vgl. für den verpflichtenden Charakter des Indikativs etwa in Art. 3 Abs. 1 GG („Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich“) Michael Sachs, in: Klaus Stern, Das Staatsrecht 8 

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Helmut Siekmann legt sich in seiner Kommentierung des Art. 110 GG in dieser Frage nicht wirklich fest. Wenn er allgemein bei Verstößen des Haushaltsgesetzes gegen verfassungsrechtlich fundierte Haushaltsgrundsätze dessen Verfassungswidrigkeit annimmt,11 ist das nur selbstverständlich, weil er ja den Verstoß gegen die Verfassung voraussetzt. Speziell zum Vorherigkeitsgebot spricht er bezüglich der Nichterfüllung der diesbezüglichen Pflichten bis 1980 von „beharrlichen Verfassungsverstöße[n]“ und nennt auch erhebliche Rückschläge und starke Verspätungen in späteren Jahren ohne Weiteres „Verfassungsverstöße“, ohne für die betroffenen Jahre jenseits der Fristversäumnis als solcher irgendwelche (gar schuldhaften) Pflichtverletzungen zu benennen.12 Andererseits schließt er Ausnahmen (wohl von der Verletzung des Vorherigkeitsgebots) bei objektiver Unmöglichkeit rechtzeitiger Verabschiedung oder einem Haushaltskonflikt mit dem Bundesrat nicht völlig aus.13

II.  Zu den Folgen pflichtwidriger Nichteinhaltung des Vorherigkeitsgebots Eine ganz andere, vom Bundesverfassungsgericht im Ansatz richtig erkannte Frage ist es, ob das verfassungs(pflicht)verletzende Verhalten der beteiligten Verfassungsorgane zur Folge hat, dass auch das von ihnen verfahrensfehlerhaft (hier: gebotswidrig zu spät) zu Stande gebrachte Gesetz deswegen (formell) verfassungswidrig ist. Das Bundesverfassungsgericht, das sonst bei formellen Mängeln vielfach allein die Nichtigkeitsfolge von nicht einheitlich bestimmten, besonderen Voraussetzungen (grober Charakter, Evidenz, Wesentlichkeit der Mängel) abhängig macht,14 fragt hier mit Blick auf die Möglichkeit auch eines Normenkontrollverfahrens (statt nur eines Organstreits) explizit, ob „die Verletzung des Vorherigkeitsgrundsatzes nicht nur die Wirksamkeit des Haushaltsgesetzes unberührt lässt, sondern auch dessen Verfassungsmäßigkeit,“15 lässt die Frage aber ebenso der Bundesrepublik Deutschland, Bd. IV/2, 2011, S. 1469 m.w.N.; für den Fall des passivischen Gebrauchs („Beihilfen werden … gewährt“) regelmäßig für eine zwingend verpflichtende Bedeutung OVG NRW, NWVBl. 2009, 231 f., nur im besonderen Kontext ausnahmsweise für Ermessen. 11  Siekmann (Fn 1), Art. 110 Rn. 47a, zur Abweichung beim Vorherigkeitsgebot, ebda, Rn. 59, noch unten Fn. 19. 12  Siekmann (Fn. 1), Art. 110 Rn. 57. Die in der dortigen Zusammenstellung nicht erwähnten Haushaltsgesetze für die Jahre 2015 bis 2017 sind jeweils gerade pünktlich ergangen, nämlich am 23. 12. 2014, BGBl. I, S. 2442; 21. 12. 2015, BGBl. I, S. 2378; 20. 12. 2016, BGBl. I, S. 3016. 13  Siekmann (Fn. 1), Art. 110 Rn. 56 bzw. 84, bei Letzterem als „entschuldigt“. 14  Nachweise dazu bei Sachs, in: ders. (Fn. 1), Art. 20 Rn. 95. 15  BVerfGE 119, 96 (121). Auch beim erst im (ersten) Rechnungsjahr verabschiedeten Haushaltsgesetz nur auf die fehlende Unwirksamkeit/Nichtigkeit bzw. bestehende Gültig-

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offen wie die, ob die Verletzung etwaiger Anforderungen der Organtreue in Bezug auf den rechtzeitigen Erlass eines Nachtragshaushaltsgesetzes „überhaupt zu dessen – folgenloser – Verfassungswidrigkeit führt, die im Normenkontrollverfahren feststellbar wäre.“16 Das Grundgesetz selbst beantwortet diese Frage nicht eindeutig. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2 GG spricht allerdings aus, dass auch die förmliche Vereinbarkeit von Gesetzen mit der Verfassung im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle überprüft werden kann, und Art. 100 Abs. 1 S. 1 GG legt es zumindest nahe, dass die allgemein angesprochene, also ggf. auch formelle Verfassungswidrigkeit eines Gesetzes dessen Gültigkeit in Frage stellen kann. Die §§ 78, 79, 31 Abs. 2 BVerfGG fügen dem nur hinzu, dass die (allgemein angesprochene, also auch förmliche, vgl. ausdrücklich auch § 76 Abs. 1 Nr. 1 BVerfGG) Unvereinbarkeit einer Rechtsnorm mit dem Grundgesetz regelmäßig dazu führt, dass die Norm für nichtig erklärt wird, dass es aber möglich sein soll, eine Norm nur für unvereinbar mit der Verfassung zu erklären.17 Ob und unter welchen Voraussetzungen Verfahrensfehler beim Erlass von Rechtsnormen diese nicht einmal (förmlich oder formell) verfassungswidrig machen, ist eine selten so behandelte Frage.18 Für den Fall des unter Verstoß gegen das Vorherigkeitsgebot erlassenen Haushaltsgesetzes ist jedenfalls nicht nur die Nichtigkeit,19 sondern auch die bloße Unkeit/Wirksamkeit abstellend etwa Hanno Kube, in: Maunz/Dürig (Begr.) (Fn. 6), Art. 110 (Dezember 2013), Rn. 130, 189 (anders bei Art. 111, s. Fn. 26); Michael Kloepfer, Finanzverfassungsrecht mit Haushaltsverfassungsrecht, 2014, § 10 Rn. 20; Henning Tappe/Rainer Wernsmann, Öffentliches Finanzrecht, 2015, Rn. 573; Werner Heun, in: Horst Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. III, 3. Aufl. 2018, Art. 110 Rn. 28; für Nichtigkeit allerdings Reimer (Fn. 1), Art. 110 Rn. 17. 16 BVerfGE 119, 96 (122); die angesprochene Folgenlosigkeit lässt allerdings unberührt, dass der Verstoß gegen Art. 110 Abs. 2 S. 1 GG „zum Nothaushaltsrecht des Art. 111“ führt, vgl. Siekmann (Fn. 1), Art. 110 Rn. 59. Denn dies ist eben nicht die Folge der etwaigen Verfassungswidrigkeit des Haushaltsgesetzes, sondern des an die Nichteinhaltung der Frist anknüpfenden Art. 111 Abs. 1 S. 1 GG. 17  Zu dieser Judikatur und ihren Varianten nur Sachs (Fn. 14), Art. 20 Rn. 98, 98a. 18  Vgl. etwa nur gegen eine „Unwirksamkeitsfolge“ bei Verstößen gegen die Fristvorgaben von Art. 76 Abs. 2 und Abs. 3 GG Thomas Mann, in: Sachs (Fn. 1), Art. 76 Rn. 39 m.w.N.; die Geltung so beschlossener Gesetze nicht in Frage gestellt sieht Jens Kersten, in: Maunz/Dürig (Fn. 6), Art. 76 (Januar 2011) Rn. 117; damit soll aber wohl auch keine bloße Unvereinbarkeit dieser Gesetze mit ihren Folgen (dazu im folgenden Text) angenommen werden. Zur Unterscheidung formeller Rechtmäßigkeits- und Wirksamkeitsvoraussetzungen (für untergesetzliche Rechtsnormen) Michael Sachs, in: Peter Friedrich Bultmann u.a. (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, Festschrift für Ulrich Battis zum 70. Geburtstag, 2014, S. 161 (166 ff., 175 f.). 19  Nur diese ausschließend Siekmann (Fn. 1), Art. 110 Rn. 59; mit der grundsätzlichen, nur durch entgegenstehendes Verfassungsrecht zu rechtfertigenden Abweichung von der Verfassungswidrigkeit und Nichtigkeit gegen verfassungsrechtlich fundierte Haushalts-

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vereinbarkeit mit dem Grundgesetz,20 also die Verfassungswidrigkeit,21 nicht die passende Konsequenz. Denn deren regelmäßige Folge ist die der Unanwendbarkeit der Rechtsnorm, auch ist ihre (ggf. rückwirkende) Ersetzung durch eine nunmehr verfassungsgemäße Neuregelung erforderlich.22 Beides passt auf den Fall des verspätet erlassenen Haushaltsgesetzes nicht, das vielmehr sogleich rückwirkend zum Jahresanfang wirksam ist23 und dauerhaft bestehen bleiben kann. Treten aber die Wirkungen auch von bloßer Unvereinbarkeit nicht ein, spricht nichts dafür, in solchen Fällen gleichwohl von der Unvereinbarkeit des Gesetzes mit dem Grundgesetz oder seiner Verfassungswidrigkeit zu sprechen,24 mag es auch unter Verstoß gegen Verfahrensanforderungen der Verfassung zu Stande gekommen sein. Dies entspricht dem Zweck des Vorherigkeitsgebots, dass das Haushaltsgesetz – ganz unabhängig von seinem Inhalt – frühzeitig verabschiedet und dann Grundlage des Regierungshandeln wird; dem würde es zuwiderlaufen, die erlassene Norm in ihrer, wenn auch verspätet erreichten, vollen Gültigkeit in Frage zu stellen.25 Damit übereinstimmend hat auch der Verfassungsgerichtshof NRW festgestellt: „Die Verletzung des Vorherigkeitsgebots führt allerdings weder zur Nichtigkeit noch zur Verfassungswidrigkeit des Haushaltsgesetzes.“26 Der Verfasgrundsätze verstoßender Haushaltsgesetze, ebda, Rn. 47a, ist dies nur in Einklang zu bringen, wenn bei mindestens zu entschuldigender Nichteinhaltung der Vorherigkeit auch die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes ausgeschlossen wird, was auf eine dem Art. 111 GG als kollidierendem Verfassungsrecht entnommene entgegenstehende Rechtsfolgenanordnung gestützt sein könnte. 20  Inzwischen in § 31 Abs. 2 S. 2 u. 3, § 79 Abs. 1, § 93c Abs. 1 S. 3 BVerfGG auch gesetzlich als Entscheidungsinhalt angesprochen. 21 Auch gegen Verfassungswidrigkeit ausdrücklich Markus Heintzen, in: Ingo von Münch/Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 110 Rn. 7; Christian Hillgruber/Klaus-Dieter Drüen, in: Hermann von Mangoldt (Begr.), Grundgesetz, Bd. 3, 7. Aufl. 2018, Art. 110 Rn. 88; für trotz Verspätung „rechtmäßig“ erklären das Haushaltsgesetz Kube (Fn. 15), Art. 111 Rn. 80 (anders bei Art. 110, s. Fn. 15); Hans D. Jarass, in: ders./Bodo Pieroth, Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland, 14. Aufl. 2016, Art. 110 Rn. 12. 22  Dazu nur Sachs (Fn. 14), Art. 20 Rn. 98 m.w.N. 23  Dazu BVerfGE 119, 96 (121) unter Berufung nur auf Helmut Siekmann (Fn. 1, zur damals aktuellen 4. Aufl. 2007), Art. 110 Rn. 59, Art. 111 Rn. 11. 24  Zweifelnd an „– folgenloser – Verfassungswidrigkeit“, somit wohl eher für Verfassungsmäßigkeit auch BVerfGE 119, 96 (121, 122). 25  Entsprechendes hätte etwa zu gelten, wenn der Bundestag ein Gesetz erst nach unangemessen langer Dauer des Verfahrens berät und beschließt, vgl. Art. 76 Abs. 3 S. 6 GG, vgl. schon o. Fn. 18. Vgl. auch für verwaltungsverfahrensrechtliche Fristbestimmungen, die nur dem Interesse des Vorhabenträgers an Beschleunigung dienen, als „sanktionslose Normen“ und die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsakts als Fehlerfolge als „sinnwidrig“ BVerwGE 133, 239 Rn. 26. 26  NVwZ-RR 2013, 665 f., auch Leitsatz 1.

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sungsgerichtshof unterscheidet zutreffend „zwischen den verfassungsrechtlichen Folgen einer Verletzung der organschaftlichen Handlungspflichten in der Entstehung des Haushaltsgesetzes und den Rechtsfolgen für das unter etwaiger Verletzung solcher Handlungspflichten zu Stande gekommene Haushaltsgesetz“.27 Hinsichtlich dieser Folgen sieht er nicht allein die „Wirksamkeit des Haushaltsgesetzes“ unberührt, sondern legt sich anders als das Bundesverfassungsgericht auch darauf fest, dass „der in der Verzögerung liegende Verfassungsverstoß nicht zur Verfassungswidrigkeit des Haushaltsgesetzes“ führt.28 Die Begründung dafür ist jenseits der Unterscheidung der Bezugspunkte des Verdikts der Verfassungswidrigkeit, nämlich des Verhaltens der an der Gesetzgebung beteiligten Organe einerseits, der des so von ihnen erlassenen Gesetzes andererseits, insoweit nicht voll befriedigend, weil sie keine Kriterien dafür nennt, wann Verletzungen der Bestimmungen über das Gesetzgebungsverfahren die Verfassungsmäßigkeit auch des Gesetzes in Frage stellen und wann nicht. Nachdem der Verfassungsgerichtshof das Vorherigkeitsgebot wie schon früher29 (dort ausdrücklich nicht als „Sollvorschrift“,30 sondern) als „zwingende Verpflichtung“ qualifiziert hatte,31 hätte es sich angeboten, auf die 1977 einmal aufgestellten Kriterien des Bundesverfassungsgerichts zurückzugreifen, die die (allerdings) Ungültigkeit eines Gesetzes daran knüpften, dass das „bei der Verabschiedung eines Gesetzes eingeschlagene Verfahren einen Verstoß gegen zwingendes Verfassungsrecht auf[weist]“ und dass „der Gesetzesbeschluß auf diesem Verstoß [beruht]“.32 Allerdings geht es hinsichtlich der zwingenden Norm weniger um die Gegenüberstellung mit der (ja immerhin im Regelfall zwingend zu beachtenden) Sollvorschrift;33 vielmehr ist für die Frage der Verfahrensfehlerfolgen (auch in anderen Rechtsbereichen)34 die „bloße Ordnungs27  Für „nicht vollends überzeugend“ hält diese Argumentation ohne Angabe von Gründen Christoph Gröpl, in: Wolfgang Kahl/Christian Waldhoff/Christian Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz (Stand Juni 2018), Art. 110 (September 2015) Rn. 262. 28  VerfGH NRW, NVwZ-RR 2013, 665 (666). 29  VerfGH NRW, NVwZ 2013, 503 (Leitsatz 1, Rn. 67 und öfter). 30  Gegen eine Sollvorschrift auch Siekmann (Fn. 1), Art. 110 Rn. 59 in Fn. 222. 31  VerfGH NRW, NVwZ-RR 2013, 665 (666). 32  BVerfGE 44, 308 (313); für die Maßgeblichkeit dieser Kriterien auch Mann (Fn. 18), Art. 76 Rn. 39; Kersten, in: Maunz/Dürig (Fn. 6), Art. 76 Rn. 117; Bodo Pieroth, in: Jarass/ Pieroth (Fn. 21), Art. 76 Rn. 1a. 33  Vgl. zu verwaltungsrechtlichen Bestimmungen statt aller Sachs, in: Paul Stelkens u.a. (Begr.) (Fn. 8), § 40 Rn. 26 ff. 34 Vgl. zum Verwaltungsverfahren etwa Sachs, in: Hoffmann-Riem u. a. (Hrsg.) (Fn. 8) § 31 Rn. 65 m.w.N.; Christian Bumke, ebda, § 35 Verwaltungsakte, Rn. 159, 190, 194 m.w.N. Zum Prozessrecht etwa BVerfGE 133, 168 Rn. 96, 126; BVerwG, Beschl. v. 21.01. 1997 – 8 B 2/97 –, juris, Rn. 4; BVerwG, Beschl. v. 03. 02. 2005 – 1 B 100/04 –, juris, Rn. 2; Detlef Czybulka/Ulrich Hösch, in: Helge Sodan/Jan Ziekow, Verwaltungsgerichts-

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vorschrift“35 der maßgebliche Begriff,36 der zum zwingenden Charakter einer Norm nicht notwendig in Gegensatz steht.37 Unabhängig davon wäre dann zu fragen, ob der Gesetzesbeschluss auf dem Verstoß beruht, also ohne den Verstoß einen anderen Inhalt hätte haben können.38 Letzteres würde sich für den Inhalt eines mit Verzögerung erlassenen Haushaltsgesetzes angesichts der im Gesetzgebungsverfahren zu jedem Zeitpunkt, früher oder später, möglichen Änderungen39, die auch von sich während der Verzögerung verändernden Umständen abhängig sind, zumindest in aller Regel40 nicht ausschließen lassen.41 Wenn aber das verspätet erlassene Haushaltsgesetz, so wie es erlassen wurde, somit inhaltlich auf dem (deshalb wesentlichen)42 Fehler (der Verspätung) beruht, wäre das Gesetz nach den zugrunde gelegten Kriterien des Bundesverfassungsgerichts als verfassungswidrig und ungültig einzustufen. Der mögliche Einfluss eines Verfahrensfehlers auf den Gesetzesinhalt ist aber nur dann ein sinnvolles Kriterium für die Verfassungswidrigkeit des Gesetzes, wenn die Verfahrensanforderung ordnung, 5. Aufl. 2018, § 132 Rn. 68; abweichend für das verfassungsgerichtliche Verfahren BVerfGE 4, 144 (152 f.), für die Ausschlussfristvorschrift des § 64 Abs. 3 BVerfGG, die als formale Ordnungsvorschrift nicht analogiefähig sei. 35  So für den Vorherigkeitsgrundsatz bei Ablehnung von Verfassungswidrigkeit Heintzen (Fn. 21), Art. 110 Rn. 7; mangels bewirkter Nichtigkeit Kube (Fn. 15), Art. 110 Rn. 130. 36  Zu bloßen Ordnungsvorschriften im Gesetzgebungsverfahren etwa VerfG MV, LKV 2006, 26; VerfGH Sachsen, Urt. v. 27. 10. 2016 – Vf. 134-I-15 –, juris, Rn. 47; zu Art. 76 Abs. 2 GG Frauke Brosius-Gersdorf, in: Dreier (Fn. 15), Bd. II, 3. Aufl. 2015, Art. 76 Rn. 101 f. 37 Wenn Heintzen (Fn. 21), Art. 110 Rn. 7, das Vorherigkeitsgebot zugleich als zwingendes Recht und als „Ordnungsgrundsatz“ versteht, was Siekmann (Fn. 1), Art. 110 Rn. 59 in Fn. 222, als „unklar“ qualifiziert, dürfte dies damit zu erklären sein, dass er den Verstoß gegen die durchaus zwingende Verfahrensvorschrift nicht zur Verfassungswidrigkeit des festgestellten Haushalts, also des Haushaltsgesetzes, führen lässt (s. oben zu Fn. 21). Vgl. für trotz Sanktionslosigkeit rechtlich bindende Normen etwa Martin Morlok, Die Folgen von Verfahrensfehlern am Beispiel von kommunalen Satzungen, 1988, S. 142 f. 38 Zum Beruhen von Verwaltungsentscheidungen auf Verfahrensfehlern vgl. Sachs (Fn. 33), § 45 Rn. 123 ff. m.w.N., auch § 46 Rn. 76 ff. 39  Dazu nur Siekmann (Fn. 1), Art. 110 Rn. 75, 78 ff. 40  Selbst wenn der Haushaltsplan im verspäteten Haushaltsgesetz ohne jede Änderung gegenüber der ursprünglichen Gesetzesvorlage festgestellt wird, lässt dies nicht allgemein den sicheren Schluss zu, dass dies auch bei rechtzeitiger Verabschiedung so gekommen wäre. 41 So generell für Gesetzgebungsverfahren Bettina Meermagen/Hendryk Schultzky, Das Verfahren der Gesetzgebung vor dem Bundesverfassungsgericht, VerwArch 101. Bd. (2010), 539 (564). 42  Ob nur die mögliche Kausalität eines Verfahrensfehlers dessen „Wesentlichkeit“ begründet oder ob der Begriff auf alle für die Verfassungs- bzw. Rechtmäßigkeit des Aktes relevanten, also auch absolute, Verfahrensfehler bezogen wird, wird für die Verfahrensfehler im Verwaltungsrecht unterschiedlich gehandhabt, Sachs (Fn. 33), § 45 Rn. 116 ff.

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der Richtigkeit der Entscheidung dienen sollte;43 davon kann beim allein der Beschleunigung verpflichteten Vorherigkeitsgebot keine Rede sein.44 Der Verfassungsgerichtshof rekurriert demgegenüber – rhetorisch die Bedeutung des Vorherigkeitsgebots herunterspielend – auf die „nur“ verletzte Terminvorgabe, lässt diese aber eine wohl doch materielle „Beeinträchtigung der Budgethoheit des Parlaments in zeitlicher Hinsicht“ zur Folge haben, die wiederum durch das verspätet erlassene Haushaltsgesetz behoben sein soll, und zwar nicht nur für die Zeit nach dem Erlass des Gesetzes, sondern auch „[f]ür den bereits verstrichenen Zeitraum des Haushaltsjahres“, für den „wenigstens eine rückwirkende parlamentarische Billigung des Haushalts“ erfolge, die „als solche“ nicht aufgrund ihrer Nachträglichkeit zu beanstanden sei. Dann schließt sich der Kreis mit der Feststellung, dass nur ein Verstoß gegen Handlungspflichten der beteiligten Organe vorliege.45 Tatsächlich kann für die Bundesebene darauf abgestellt werden, dass Art. 111 Abs. 1 GG ausdrücklich davon ausgeht, dass es auch bei Nichteinhaltung der Vorherigkeitsanforderung zum wenn auch verspäteten „Inkrafttreten“ des Haushaltsgesetzes kommt, das somit zumindest nicht wegen der Verspätung unwirksam sein kann.46 Auch eine (bloße, aber doch korrekturbedürftige und anwendungshindernde) Verfassungswidrigkeit des verspäteten Haushaltsgesetzes wird man, wie bereits dargelegt, ablehnen müssen, weil deren Konsequenzen mit der von Art. 111 Abs. 1 GG angestrebten Maßgeblichkeit des verspäteten Gesetzes für das betroffene Haushaltsjahr, sowohl zukunftswirksam wie rückwirkend, nicht in Einklang zu bringen sind.

III.  Verspäteter Erlass des Haushaltsgesetzes ohne Verletzung des Vorherigkeitsgebots Nach dem oben (zu I.) Gesagten verletzt ein erst nach Beginn des (ersten) Rechnungsjahres ergangenes Haushaltsgesetz nur dann das Vorherigkeitsgebot, wenn die Verzögerung auf der Verletzung einer diesbezüglichen verfassungsrechtlichen Pflicht eines der beteiligten Organe beruht. Ansonsten hält das Gesetz(gebungsverfahren) zwar das Vorherigkeitsgebot nicht ein, doch stellt dies keine „Verletzung“ desselben dar.

43  Vgl. für Verfahrensfehler im Verwaltungsrecht Sachs (Fn. 33), § 45 Rn. 123 m.w.N.; zur Satzunggebung Morlok (Fn. 37), S. 186 ff. 44  S. auch oben zu und in Fn. 25. 45  VerfGH NRW, NVwZ-RR 2013, 665 (666). 46  BVerfGE 119, 96 (121), spricht insoweit mit Recht von einer „Sonderstellung“ des Vorherigkeitsgrundsatzes.

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1.  Verpflichtungsgehalte des Vorherigkeitsgebots Von einem „klaren und bestimmten verfahrensrechtlichen Inhalt“, wie ihn das Bundesverfassungsgericht dem Vorherigkeitsgebot insgesamt zuschreibt,47 kann bei den Pflichten zur Mitwirkung an der Erfüllung des Vorherigkeitsgebots, die alle am Gesetzgebungsverfahren mitwirkenden Organe treffen sollen,48 nicht die Rede sein. Trotz des klar auf das Vorjahresende festgelegten spätesten Abschlusstermins für das Gesetzgebungsverfahren insgesamt ergeben sich für die von den beteiligten Einzelorganen zu erbringenden Beiträge daraus keine ebenso klaren Fristen. Der vom Bundesverfassungsgericht (bezogen auf die „Vereinbarkeit eines Nachtragshaushaltsgesetzes mit der Verfassung“) gegenüber der „zeitlich bestimmten formalen Verfahrensanforderung“ des Vorherigkeitsgebots perhorreszierte Maßstab „in Gestalt eines Gebots rechtzeitiger Einbringung, Beschlussfassung und Verkündung“ als „inhaltlich unbestimmte Generalklausel mit materiellen Anforderungen an die Sorgfalt der Beteiligten bei Einleitung und Durchführung eines Gesetzgebungsverfahrens“49 erlangt auch im Rahmen des nicht eingehaltenen Vorherigkeitsgebots seine Bedeutung, wenn es darum geht festzustellen, welches der beteiligten Organe seinen Beitrag nicht in der zur Ziel­ erreichung insgesamt gebotenen Weise geleistet hat. Das Bundesverfassungsgericht spricht das für die Bundesregierung, „der die ausschließliche haushaltsgesetzliche Initiativkompetenz zukommt“, auch mit fast denselben Worten aus, wenn sie ihr „die Pflicht zur rechtzeitigen Einbringung“ auferlegt;50 ein fester Zeitpunkt für diese Rechtzeitigkeit ergibt sich aus dem Grundgesetz nicht, vielmehr kann sich die Rechtzeitigkeit nur daran orientieren, ob nach dem Einbringen des Gesetzes für die anderen beteiligten Verfassungsorganen noch die Möglichkeit besteht, dafür zu sorgen, dass die Verkündung vor dem Jahresende erfolgt. Entsprechendes hat auch für die anderen beteiligten Verfassungsorgane zu gelten. Allein für die Ausfertigung und Verkündung des zustande gekommenen und gegengezeichneten Haushaltsgesetzes durch den Bundespräsidenten ist der Jahresendtermin unmittelbar maßgeblich; verbleibt ihm aber für die ihm obliegende Prüfung, ob das Gesetz nach den Vorschriften des Grundgesetzes zustande gekommen ist,51 zu wenig Zeit, wird man bei Überschreitung des Zeitpunkts um die für die Prüfung unabdingbar nötige Zeit nicht von einer Pflichtverletzung sprechen können. Damit löst sich der aufgrund des 47 

BVerfGE 119, 96 (122 f.). BVerfGE 119, 96 (120). 49  BVerfGE 119, 96 (123), wo dann aber doch offengelassen wurde, „ob ein solcher Maßstab für Nachtragshaushalte anzuerkennen ist“. 50  BVerfGE 119, 96 (120). 51  Zu Prüfungsrecht und -pflicht des Bundespräsidenten nur Michael Nierhaus/Thomas Mann, in: Sachs (Fn. 1), Art. 82 Rn. 6 ff. 48 

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Jahresendtermins vermeintlich klare und bestimmte verfahrensrechtliche Inhalt des Vorherigkeitsgebots bezogen auf die einzelnen zur Mitwirkung an seiner Erfüllung verpflichteten Verfassungsorgane in materielle Anforderungen an ihre Sorgfalt auf, die als „Bemühenspflicht“ gekennzeichnet werden mögen.52 Ganz entsprechend hat der Verfassungsgerichtshof NRW dem Bundesverfassungsgericht grundsätzlich folgend angenommen, für den Landtag sei es nicht mehr möglich gewesen, einen ihm am 8. 12. 2018 zugeleiteten Entwurf des Haushaltsgesetzes noch vor dem Jahresende abschließend zu beraten; er hat dabei ersichtlich den für eine auch substantiell ordnungsgemäße parlamentarische Beratung selbst bei äußerster Beschleunigung erforderlichen Zeitaufwand zugrunde gelegt.53 Allgemein hat es der Verfassungsgerichtshof NRW im erkennbaren Bestreben, nicht in Widerspruch zu den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu geraten, immerhin in Erwägung gezogen, dass die Nichteinhaltung des Vorherigkeitsgebots in Fällen keine Verfassungsverletzung sein könnte, „in denen die rechtzeitige Verabschiedung infolge eines unabwendbaren oder jedenfalls von der Verfassung in Kauf genommenen Ereignisses objektiv unmöglich gewesen ist, […].“ Er hat dies in Betracht gezogen, wenn „ein beteiligtes Verfassungsorgan vorübergehend seine Handlungsfähigkeit verloren hat“, hat offen gelassen, ob ein Etatkonflikt, also die Ablehnung des von der Regierung vorgelegten Haushalts durch das Parlament, ein solcher Fall wäre, und (in etwas kryptischer Wendung) jedenfalls „[i]nhaltliche Schwierigkeiten der Regierung bei der Haushaltsaufstellung und das […] Bemühen, einen verfassungsmäßigen, ausgewogenen und mehrheitsfähigen Haushalt vorzulegen,“ für nicht ausreichend erklärt. Die resümierende Aussage, die Landesregierung habe „nicht deutlich gemacht, dass sie im Bewusstsein des verbindlichen Charakters des Vorherigkeitsgebots alle Möglichkeiten einer frühzeitigen Einleitung und beschleunigten Durchführung des Haushaltsaufstellungsverfahren genutzt hätte“,54 wird deutlich, dass das Gericht eine Verletzung des Vorherigkeitsgebots durch die Landesregierung auf deren Verantwortungsbereich bezogen dann zumindest möglicherweise ausschließen wollte, wenn die Landesregierung die sie treffenden Verpflichtungen erfüllt hätte. Auch der Übergang von der objektiven Unmöglichkeit zu den darzulegenden „zwingenden Gründen“ für die Nichteinhaltung der Frist macht deutlich, dass es dem Verfassungsgerichtshof um die von den beteiligten Organen in Bezug auf die

52  So für die „Budgetpflicht“ Markus Heintzen, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Bd. V, 2007, § 120 Rn. 60. 53  VerfGH NRW, NVwZ 2013, 503 Rn. 81; mit Beschlussfassung durch die gesetzgebenden Körperschaften „innerhalb angemessener Frist“ begnügen sich Hillgruber/Drüen (Fn. 21), Art. 110 Rn. 89; entsprechend bezogen auf die Rechtzeitigkeit der Regierungsinitiative Siekmann (Fn. 1), Art. 110 Rn. 76; Heun (Fn. 15), Art. 110 Rn. 34. 54  VerfGH NRW, NVwZ 2013, 503 Rn. 76 – 78, 88.

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rechtzeitige Verabschiedung des Haushaltsgesetzes bei strengsten Maßstäben zu erwartenden Bemühungen geht. Somit ist von Verpflichtungen der beteiligten Verfassungsorgane auszugehen, am Haushaltsgesetzgebungsverfahren für ihren jeweiligen Verantwortungsbereich so mitzuwirken, dass das Vorherigkeitsgebot insgesamt eingehalten werden kann; dabei sind die sonstigen verfassungsrechtlichen Verfahrensanforderungen an den jeweiligen Beitrag, sei es an die Beratungen in Bundestag oder auch Bundesrat, sei es an die Prüfung des Bundespräsidenten, zu wahren. So weit dieses möglich ist, ist jedes Organ auch gehalten, Verzögerungen aufgrund des Verhaltens zuvor beteiligter Organe durch besondere Anstrengungen zu kompensieren. 2.  Pflichtverletzungen bei Erlass des Haushaltsgesetzes 2018? Trotz zügigen Ablaufs des Gesetzgebungsverfahrens ist die Feststellung des Haushaltsplans für 2018 nicht vor Beginn des Rechnungsjahres erfolgt, wurde vielmehr erst mit der Ausgabe des Bundesgesetzblatts am 17. 7. 2018 vollendet, nachdem schon die Gesetzesvorlage der Bundesregierung erst während des laufenden Rechnungsjahres, namentlich am 4. 5. 2018, dem Bundesrat zugeleitet und beim Bundestag eingebracht worden war.55 Die gegenwärtige Bundesregierung war auch erst mit der Wahl der Bundeskanzlerin und ihrer Ernennung sowie der Ernennung der von ihr vorgeschlagenen Bundesminister durch den Bundespräsidenten am 14. 3. 201856 im Amt. Eine Pflichtverletzung in Bezug auf das bereits zu diesem Zeitpunkt längst nicht eingehaltene Vorherigkeitsgebot ist der neu gebildeten Bundesregierung jedenfalls nicht unmittelbar anzulasten, weil es ihr wegen des bereits eingetretenen Fristablaufs definitiv „objektiv unmöglich“ war,57 ihren Entwurf rechtzeitig für die Einhaltung des Gebots vorzulegen. Für die Mitwirkung von Bundesrat und Bundespräsident im Gesetzgebungsverfahren, die einen von der Bundesregierung eingebrachten Gesetzentwurf bzw. ein zu Stande gekommenes Gesetz voraussetzen, gilt Entsprechendes. Auch der neu gewählte Bundestag konnte nicht ohne die vorherige Vorlage des Haushaltsgesetzes durch die Bundesregierung tätig werden. Allenfalls könnte man annehmen, dass der neu gewählte Bundestag mittelbar eine dem Vorherigkeitsprinzip zuzuordnende Pflicht dadurch verletzt hat, dass er es nach der Bundestagswahl am 24. 9. 2017 versäumt hat, die Kanzlerneuwahl so rechtzeitig durchzuführen, dass auf Anstoß der dann früher gebildeten Bundes55 

BR-Dr. 125/18 bzw. BT-Dr. 19/1700. BT-Plenarprotokoll 19/19. 57 Für diese Begründung für einen ausnahmsweise nicht anzunehmenden Verfassungsverstoß bei Nichteinhaltung der Vorherigkeit unter Berufung auf den „allgemeinen Rechtsgrundsatz, wonach niemand verpflichtet ist, Unmögliches zu leisten“, VerfGH NRW, NVwZ 2013, 503 Rn. 76. 56 

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regierung das Haushaltsgesetz 2018 noch im Jahre 2017 hätte verabschiedet werden können. Entsprechende politische Rahmenbedingungen, namentlich eine von vornherein bestehende klare Kanzlermehrheit für einen bestimmten Kandidaten vorausgesetzt, hätte dies nach der konstitutierenden Sitzung am 24. 10. 201758 wohl noch gelingen können. Allerdings hatte es der Bundestag nicht in der Hand, die Kanzlerwahl vorzunehmen, solange der Bundespräsident nicht seinen nach Art. 63 Abs. 1 GG erforderlichen Vorschlag gemacht hatte. Daher könnte an eine mittelbare Pflichtverletzung des Bundespräsidenten im Hinblick auf das Vorherigkeitsgebot zu denken sein, weil er nicht alsbald einen Vorschlag zur Kanzlerwahl gemacht hat; dieser hätte auch im Falle seines absehbaren Scheiterns und des nachfolgenden ergebnislosen Verstreichens der zweiten Wahlphase nach Art. 63 Abs. 3 GG jedenfalls gut vierzehn Tage später zumindest zur Wahl eines Minderheitskanzlers mit anschließender Regierungsbildung geführt, womit die Einhaltung des Vorherigkeitsgebots noch nicht ausgeschlossen gewesen wäre, wenn ihn der Bundespräsident denn ernannt hätte. Doch kann ihm die durch Art. 63 Abs. 4 S. 3 GG eröffnete Option, stattdessen den Bundestag aufzulösen, nicht im Interesse der Einhaltung des Vorherigkeitsgebots abgesprochen werden, ebenso wenig wie der Bundespräsident verpflichtet werden kann, einen verfrühten, unabgestimmten Vorschlag zur Kanzlerwahl während laufender, als nicht aussichtslos eingestufter Koalitionsverhandlungen zu machen,59 (nur) damit das Vorherigkeitsgebot eingehalten werden kann. Die verpflichtende Kraft des Vorherigkeitsgebots für „[a]lle am Gesetzgebungsverfahren mitwirkenden Verfassungsorgane“60 kann nur auf diese ihre Verfahrensmitwirkung als solche bezogen werden.61 Die Nichteinhaltung des Vorherigkeitsgebots könnte noch auf eine Pflichtverletzung der vor der Wahl bestehenden, zur Mitwirkung am Haushaltsgesetzgebungsverfahren berufenen Verfassungsorgane des Bundes zurückzuführen sein. Der bei der Wahl abgelöste Bundestag konnte allerdings das Haushaltsgesetz für 2018 schon deswegen nicht beschließen, weil die damalige Bundesregierung keinen entsprechenden Gesetzentwurf eingebracht hatte. Außerdem ist fraglich, ob 58 

BT-Plenarprotokoll 19/1. für eine Pflicht zum Vorschlag binnen angemessener, aber am Stand der Verhandlungen über die Regierungsbildung orientierter Zeit Martin Oldiges/Ralf Brinktrine, in: Sachs (Fn. 1), Art. 63 Rn. 1; Georg Hermes, in: Dreier (Fn. 36), Art. 63 Rn. 18 m.w.N. 60  BVerfGE 119, 96 (120). 61  Der Präsident des vorherigen Bundestages, der möglicherweise den Bundestag im Rahmen des Art. 39 Abs. 2 GG früher zur konstituierenden Sitzung hätte einberufen und damit die Möglichkeiten zur Einhaltung des Vorherigkeitsgebots fördern können, bleibt außer Betracht, weil er am Gesetzgebungsverfahren zumal des neuen Bundestages gar nicht beteiligt ist und weil seine Kompetenz zur ersten Einberufung nicht mit Blick auf die Einhaltung des Vorherigkeitsgebots ausgeübt werden muss. 59  Vgl.

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der bis zum 24. 10. 2017 amtierende 18. Bundestag überhaupt berechtigt gewesen wäre, ein Haushaltsgesetz für das erst nach dem Ablauf seiner Wahlperiode beginnende nächste Haushaltsjahr zu erlassen. Dies wird teilweise dezidiert abgelehnt, „da damit das Budgetrecht des BT weitgehend entwertet würde.“62 In der Tat scheint dies bedenklich. Zwar beziehen sich Haushaltsgesetze für ein Wahljahr mit den Festlegungen des Haushaltsplans auch auf den Zeitraum nach Ablösung des Bundestages, der den Haushalt beschlossen hat;63 auch ist, soweit ersichtlich, von keiner Seite in Frage gestellt worden, dass ein Haushaltsgesetz bei vorzeitiger Auflösung des Bundestags zunächst auch nach dem Zusammentritt des neugewählten Bundestags weitergilt.64 Doch betrifft dies Konsequenzen aus der Jährlichkeit des Haushaltsgesetzes, die trotz der Gestaltungsmöglichkeiten des Art. 110 Abs. 2 GG ersichtlich vom Grundgesetz gebilligt sind. Auch machen zahlreiche gesetzliche Regelungen bindende Vorgaben für zukünftige Haushalte, nicht nur in den Fällen der Verursachung zukünftiger Ausgaben nach Art. 115 Abs. 1 GG,65 sondern auch bei unbefristet geltenden Leistungsgesetzen;66 hinzu kommen Grundsätze, die gem. Art. 109 Abs. 4 GG für eine mehrjährige Finanzplanung aufgestellt sind.67 Gegenüber solchen partiellen Festlegungen hat der Erlass des Haushaltsgesetzes für ein zukünftiges Haushaltsjahr insgesamt eine andere Qualität, weil trotz aller Vorgaben der Haushaltsplan ein „Regierungsprogramm in Gesetzesform“ darstellt, durch das „eine Regierung und die sie tragende parlamentarische Mehrheit ihr wirtschafts- und sozialpolitisches Profil“ gewinnt.68 Ein Parlament, das eine solche Vorfestlegung eines späteren Parlaments vornähme, würde die zeitliche Begrenzung seiner nur für seine durch 62 Namentlich Siekmann (Fn. 1), Art. 110 Rn. 61, mit der noch weitergehend formulierten Konsequenz: „Keinesfalls darf aber die Dauer einer Wahlperiode überschritten werden“. Nach Gröpl (Fn. 27), Art. 110 Rn. 261, würde es „dem parlamentarischen Budgetrecht widersprechen, wenn die alte Mehrheit im Bundestag der neuen Regierung [… so] ihren Stempel aufdrücken könnte.“ Gegen die Aufnahme „über die zeitliche Geltungsdauer des Haushaltsplans hinaus fortwirkende[r] Regelungen“ Heun (Fn. 15), Art. 110 Rn. 120. 63 Nach Kube (Fn. 15), Art. 110 Rn. 135, darf der Haushaltsplan (nur) nicht über das Ende des Rechnungsjahres hinausreichen, in dem die Legislaturperiode endet; so auch Reimer (Fn. 1), Art. 110 Rn. 62; für Zulässigkeit der Überschreitung der Dauer einer Wahlperiode beim Doppelhaushalt Heintzen (Fn. 21), Art. 110 Rn. 9. 64  Heintzen (Fn. 21), Art. 110 Rn. 9, lässt die Geltungsdauer über die Wahlperiode hinaus (bei Doppelhaushalt) „erst recht“ in diesem Fall zu. 65  Vgl. mit Blick auf die entstehenden Belastungen zukünftiger Haushalte durch Rückzahlungspflichten Siekmann (Fn. 1), Art. 115 Rn. 14. 66  S. nur Siekmann (Fn. 1), Art. 115 Rn. 18. 67  Zur Bedeutung trotz fehlender Bindung des Haushaltsgesetzgebers nur Siekmann (Fn. 1), Art. 109 Rn. 94. 68  BVerfGE 79, 311 (329); dem folgend etwa Gröpl (Fn. 27), Art. 110 Rn. 22; ähnlich auch Kube (Fn. 15), Art. 110 Rn. 21 f.

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Art. 39 Abs. 1 GG begrenzte Wahlperiode69 erlangten demokratischen Legitimation missachten, wäre daher kaum mit dem Demokratieprinzip, das grundsätzlich nur eine Übertragung von Macht auf Zeit zulässt,70 in Einklang zu bringen.71 Die Möglichkeit des neuen Parlaments, das Haushaltsgesetz ggf. auch rückwirkend umfassend zu ändern, schließt diese Bedenken nicht aus, da dies nur aufgrund eines Regierungsentwurfs möglich wäre, während die Bundesregierung, ggf. geschäftsführend oder als Minderheitsregierung, auf der Grundlage des vom abgelösten Bundestag vorab beschlossenen Haushaltsgesetzes die darin abgebildete Politik verfolgen könnte, ohne den Begrenzungen des Art. 111 GG zu unterliegen. Die Annahme, dass ein auf ein Jahr der nächsten Wahlperiode bezogenes Haushaltsgesetz nur zwecks Einhaltung des Vorherigkeitsgebots geboten oder doch zulässig sein sollte, würde verkennen, dass dieses Gebot ja darauf abzielt, dass die haushaltsrechtlichen Grundlagen der Politik durch das für das Haushaltsjahr jeweils legitimierte Parlament im Voraus festgelegt werden. Durfte aber der vor dem Jahresende durch planmäßige Wahlen abgelöste Bundestag das Haushaltsgesetz für das Folgejahr nicht beschließen, war auch die Bundesregierung nicht verpflichtet (oder berechtigt), eine Gesetzesvorlage in den bisherigen Bundestag einzubringen. Ihre „Pflicht zur rechtzeitigen Einbringung“72 eines Haushaltsgesetzentwurfs beschränkt sich darauf, den Haushaltsplan zur Feststellung mittels Haushaltsgesetz durch den neu zu wählenden Bundestag vorsorglich so weitgehend zu fördern, das sich der Bundestag nach der Wahl mit dem von der neuen Regierung einzubringenden Entwurf eines Haushaltsgesetzes alsbald befassen kann.73 Angesichts des erheblichen Zeitaufwands

69  Von der Verlängerung der Wahlperiode im Verteidigungsfall nach Art. 115h Abs. 1 S. 1 GG, die durch die besonderen Gegebenheiten der Situation ohne Verletzung des Art. 79 Abs. 3 GG eingeführt werden konnte, kann hier abgesehen werden. 70  Vgl. zur Demokratie als „Herrschaft auf Zeit“ etwa BVerfGE 141, 1 Rn. 53; Dreier in: ders. (Fn. 15), Bd. I, 3. Aufl., 2013, Art. 20 Rn. 73 m.w.N. S. auch Siegfried Magiera, in: Sachs (Fn. 1), Art. 39 Rn. 3 f.; Sachs (Fn. 14), Art. 20 Rn. 34, Art. 79 Rn. 69. 71  Diese Begründung scheint mir überzeugender als die Berufung auf das Budgetrecht des Parlaments, das sich auf das Verhältnis zur Regierung bezieht, während es hier um das Verhältnis des bisherigen Parlaments (mit seiner Regierungsmehrheit) zum zukünftigen Parlament (mit seiner ggf. veränderten Regierungsmehrheit) bezieht. In diese Richtung zuletzt auf die Fälle seines Themas bezogen auch Thorsten Ingo Schmidt, Doppelhaushalte am Ende der Legislaturperiode, DVBl. 2018, 1530 ff., insbes. S. 1533. 72  BVerfGE 119, 96 (120 f.). 73  Ausdrücklich für die Pflicht der Bundesregierung, „auch in Wahljahren den Entwurf des Haushaltsplans so weit fertigzustellen, dass er nach Wahlen im Herbst unverzüglich in den Bundestag eingebracht und dem Bundesrat zugeleitet werden kann“, Gröpl (Fn. 27), Art. 110 Rn. 261, der aber die Verabschiedung eines solchen Entwurfs vor dem Jahresende offenbar nur für geboten hält, wenn es nicht zu „anderen politischen Verhältnissen“ kommt, sondern die bisherige Regierungsmehrheit bestätigt wird.

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für die Aufstellung eines Haushaltsplans74 hat dies ungeachtet der Möglichkeit zu geschehen, dass es zu einem politischen Richtungswechsel kommt, nach dem die neue Regierung den von der alten vorbereiteten Plan nicht unverändert einbringt; denn auch dann wird der vorbereitete Plan in weiten Teilen eine Grundlage dafür bieten, dass der umgestaltete Plan möglichst rasch fertiggestellt werden kann. Schließlich könnte die vorherige Bundesregierung in der Zeit seit dem 24. 10. 2017, als ihre Mitglieder nur noch geschäftsführend im Amt waren, ihre Pflichten im Hinblick auf das Vorherigkeitsgebot verletzt haben. Der geschäftsführenden Bundesregierung standen zwar grundsätzlich alle Befugnisse und Kompetenzen einer amtierenden Bundesregierung zu,75 sie war auch den gleichen Pflichten unterworfen.76 Doch war sie im Hinblick auf den Haushaltsplan des kommenden Haushaltsjahres mangels Wahl durch den neuen Bundestag nicht legitimiert, einen Haushaltsgesetzentwurf zur Entscheidung zu stellen,77 der im Übrigen mangels einer Einigung über die Bildung der neuen Bundesregierung im Bundestag auch kaum verabschiedet worden wäre. Damit kann auch der geschäftsführenden Bundesregierung keine einschlägige Pflichtverletzung angelastet werden. Beim Erlass des Haushaltsgesetzes 2018 ist danach zwar das Vorherigkeitsgebot nicht eingehalten worden; eine Verletzung des Gebots, d. h. der mit Blick auf seine Einhaltung bestehenden Pflichten, war damit aber nicht verbunden. 3.  Nichteinhaltung des Vorherigkeitsgebots wegen Nichtübereinstimmung der Beteiligten Pflichtverletzungen am Gesetzgebungsverfahren beteiligter Organe und damit eine Verletzung des Vorherigkeitsgebots sind nicht allein aus dem Grunde anzunehmen, dass notwendige Beiträge zum Verfahren nicht (rechtzeitig) zu Stande kommen, weil es aus inhaltlichen Gründen nicht gelingt, die notwendigen Schritte im Verfahren zu machen. Die Mitwirkung der beteiligten Verfassungsorgane Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat gibt ihnen wie ihren jeweiligen Mitgliedern78 bzw. Untergliederungen79 das Recht zu eigenständiger politischer 74  Kube (Fn. 15), Art. 110 Rn. 162, spricht davon, dass „das Verfahren etwa 12 Monate vor Beginn des betreffenden Haushaltsjahres“ eingeleitet wird. 75  S. etwa Oldiges/Brinktrine (Fn. 59), Art. 69 Rn. 38 f.; Hermes (Fn. 59), Art. 69 Rn. 23; Pieroth (Fn. 32), Art. 69 Rn. 3. 76 S. für die Rechenschaftspflicht gegenüb er dem Bundestag Oldiges/Brinktrine (Fn. 59), Art. 69 Rn. 40; entsprechend bezogen auf die korrespondierenden Kotrollrechte des Parlaments Roman Herzog, in: Maunz/Dürig (Fn. 6), Art. 69 (Oktober 2008) Rn. 62. 77  Nicht eindeutig zum Initiativrecht auch der bloß geschäftsführenden Bundesregierung Kube (Fn. 15), Art. 110 Rn. 159 in Fn. 9; Gröpl (Fn. 27), Art. 110 Rn. 277, allerdings nicht explizit (auch) für den Fall der bereits durchgeführten Neuwahl des Bundestags. 78  Für die Abgeordneten des Bundestags BVerfGE 45, 1 (38); 70, 324 (356); Siekmann (Fn. 1), Art. 110 Rn. 78; Heun (Fn. 15), Art. 110 Rn. 36.

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Entscheidung; sie sind zwar verpflichtet, sich um einen Kompromiss zu bemühen,80 müssen aber den Vorstellungen anderer Organe nicht entgegen der eigenen Überzeugung folgen.81 79

So ist es trotz der verzögernden Wirkung nicht notwendig eine Pflichtverletzung, wenn der Bundestag den Haushaltsgesetzentwurf der Bundesregierung82 ablehnt,83 ebenso wenig eine der Bundesregierung, wenn sie ihren Gesetzentwurf angesichts vom Bundestag geplanter, ihren Vorstellungen widersprechender Änderungen84 zurückzieht,85 oder des Bundesrats, wenn er die Einberufung des Vermittlungsausschusses verlangt oder – ggf. mit 2/3-Mehrheit – einen Einspruch beschließt86 oder im Sonderfall einer zulässigen Bepackung des Haushaltsgesetzes mit zustimmungspflichtigen Zusätzen87 die Zustimmung verweigert, auch wenn dadurch die Verabschiedung des Haushalts vor dem Vorjahresende unmöglich wird.

IV.  Verfassungsgerichtlicher Rechtsschutz bei Verletzung des Vorherigkeitsgebots Fehlt es an einem pflichtwidrigen Verhalten der an der Gesetzgebung beteiligten Organe und damit an einer Verletzung des Vorherigkeitsgebots, gibt der Umstand, dass es nicht eingehalten worden ist, keinen Anlass für die Feststellung eines Verfassungsverstoßes durch ein Verfassungsgericht. Wird das Vorherig79  Beim Bundesrat den nach Art. 51 Abs. 3 S. 2 GG zur einheitlichen Stimmabgabe verpflichteten Mitgliedern aus einem Land. 80  S. etwa Kyrill-Alexander Schwarz, in: von Mangoldt (Fn. 21), Art. 111 Rn. 16. 81 Vgl. Heintzen (Fn. 52), § 120 Rn. 60, der „politischen Dissens“ nicht ausgeschlossen sieht. 82 Für deren Verpflichtung, dann erneut einen Gesetzentwurf einzubringen, etwa ­Gröpl (Fn. 27), Art. 110 Rn. 277; Heun (Fn. 15), Art. 110 Rn. 34 m.w.N.; Pünder, in: Karl Heinrich Friauf/Wolfgang Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz (Stand: September 2017), Art. 110 (2008) Rn. 73; zweifelnd Hillgruber/Drüen (Fn. 21), Art. 110 Rn. 99. 83  Für diese Möglichkeit Kube (Fn. 15), Art. 110 Rn. 174; Hillgruber/Drüen (Fn. 21), Art. 110 Rn. 107; Heun (Fn. 15), Art. 110 Rn. 36. 84  Für deren Zulässigkeit Siekmann (Fn. 1), Art. 110 Rn. 75; Kube (Fn. 15), Art. 110 Rn. 174; Hillgruber/Drüen (Fn. 21), Art. 110 Rn. 106. 85  Für die Zulässigkeit dieses Vorgehens Kube (Fn. 15), Art. 110 Rn. 161 m.w.N.; für diese Möglichkeit bei Gesetzgebungsverfahren im Allgemeinen Mann (Fn. 18), Art. 76 Rn. 37 m.N. 86  Von einem „Spannungsverhältnis zur Budgetpflicht“ spricht in letzterem Fall Heintzen (Fn. 52), § 120 Rn. 66. 87  Kube (Fn. 15), Art. 110 Rn. 175; Gröpl (Fn. 27), Art. 110 Rn. 284; Hillgruber/Drüen (Fn. 21), Art. 110 Rn. 109; Heun (Fn. 15), Art. 110 Rn. 38.

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keitsgebot aufgrund einer solchen Pflichtverletzung nicht eingehalten, kommen Verfahren der abstrakten Normenkontrolle und des Organstreits in Betracht. 1.  Abstrakte Normenkontrolle Das Bundesverfassungsgericht hat es im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle zum Haushaltsgesetz 2004 in zwei Fassungen vom Februar und vom Dezember 2004 für „durchaus fraglich“ erklärt, ob dann, wenn „die Verletzung des Vorherigkeitsgrundsatzes nicht nur die Wirksamkeit des Haushaltsgesetzes unberührt lässt, sondern auch dessen Verfassungsmäßigkeit […] eine solche Pflichtverletzung erfolgreich nur im Organstreitverfahren, nicht aber im Verfahren der Normenkontrolle geltend gemacht werden kann,“ die Frage aber mangels einer Pflichtverletzung bei Erlass des deshalb für als mit dem Grundgesetz vereinbar eingestuften Nachtragshaushaltsgesetzes vom Dezember 2004 im Ergebnis offen gelassen.88 Bemerkenswerter Weise nahm es an, das nach dem Gesetzesbeschluss des Bundestags vom 28. 11. 2003 infolge eines vom Bundesrat ausgelösten Vermittlungsverfahrens mit anschließend zurückgewiesenem Einspruch des Bundesrats erst am 18. 2. 2004 ausgefertigte Haushaltsgesetz für 200489 habe auch in dieser „a.F.“ „den haushaltsverfassungsrechtlichen Anforderungen“ entsprochen, ohne dabei das insoweit doch offenkundig nicht eingehaltene Vorherigkeitsgebot anzusprechen, das hier mit seinem „klaren und bestimmten Inhalt“ unmittelbar anwendbar war. Zu rechtfertigen ist dies im Ergebnis90 nicht über die vom Bundesverfassungsgericht verwendete Figur einer „– folgenlosen – Verfassungswidrigkeit“, die es ja für „im Normenkontrollverfahren feststellbar“ hielt.91 Vielmehr ist die Annahme der Übereinstimmung des im Februar 2004 verabschiedeten Haushaltsgesetzes für 2004 mit „den haushaltsverfassungsrechtlichen Anforderungen“ nur haltbar, wenn der Umstand, dass die eindeutige Anforderung des Vorherigkeitsgebots an das Verfahren nicht eingehalten war, überhaupt nicht zur Verfassungswidrigkeit des Gesetzes führte. Die Zulässigkeit des Normenkontrollantrags hat das Bundesverfassungsgericht auf die „eindeutig auf Normverwerfung“ gerichteten Anträge gestützt.92 Ob dies 88 

BVerfGE 119, 96 (123). Zu den Abläufen s. nur die Schilderung in BVerfGE 119, 96 (100). 90  Angesichts des Hilfsantrags festzustellen, „dass § 1 des Haushaltsgesetzes 2003 in seiner ursprünglichen Fassung vom 18. Februar 2004 gegen Art. 110 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 GG verstoßen hat“ (so BVerfGE 119, 96 [98]), welch letzterer insbesondere das Vorherigkeitsgebot ausspricht, hätte es allerdings schon einer Aussage dazu in der Begründung bedurft. 91  BVerfGE 119, 96 (122). 92  BVerfGE 119, 96 (117). 89 

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auch noch für Anträge gelten könnte, die entgegen der zuvor vom Bundesverfassungsgericht geklärten Unerheblichkeit von Verletzungen des Vorherigkeitsgebots aus diesem Grunde in einem Normenkontrollverfahren die Nichtig- oder Unvereinbarerklärung eines Haushaltsgesetzes zum Ziel hätten, scheint fraglich. Einem solchen Antrag könnte, jedenfalls mangels neuer Argumente, § 31 Abs. 1 BVerfGG entgegenstehen,93 dessen Bindungswirkung ja nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts auch die tragenden Gründe seiner Entscheidungen umfasst;94 auch eine etwa vorzunehmende Beschränkung der Bindung auf einen „bloßen Wiederholungs- oder Parallelfall“95 wäre bei einem erneut dem Vorherigkeitsgebot nicht genügenden Gesetzgebungsverfahren eingehalten. Im Übrigen wäre auch ein objektives Klarstellungsinteresse96 zu verneinen, weil das Bundesverfassungsgericht auch bei Annahme der Nichteinhaltung des Vorherigkeitsgebots nur feststellen könnte, dass das Gesetz nicht verfassungswidrig ist. Allerdings hat auch der Verfassungsgerichtshof NRW ohne Weiteres die Zulässigkeit eines Normenkontrollverfahrens angenommen, mit dem u.a. eine Verletzung des Vorherigkeitsgebots gerügt wurde. Er hat dann recht ausführlich eine solche Verletzung geprüft und angenommen, dann aber festgestellt, dass diese „weder zur Nichtigkeit noch zur Verfassungswidrigkeit des Haushaltsgesetzes“ führe. Während er die fehlende Auswirkung auf die Wirksamkeit des Haushaltsgesetzes als „bereits geklärt“ bezeichnet, stellte er letzteres „[darüber] hinaus“ fest.97 Nach erst damit erfolgter Klärung auch dieses Punktes dürfte nunmehr auch auf Landesebene ein entsprechendes Normenkontrollverfahren kaum mehr zulässig sein können. 2.  Organstreit Die Zulässigkeit eines Organstreits ist jedenfalls für den Fall, dass die Regierung ihren Haushaltsgesetzentwurf nicht rechtzeitig einbringt, im Hinblick auf einen Antrag gegen die Regierung, den das Parlament oder ein Prozessstandschafter, der die Verletzung des Budgetrechts des Parlaments rügen kann, stellt, auch verfassungsgerichtlich geklärt.98 93 Zum möglichen Ausschluss eines Verfahrens durch die Bindungswirkung etwa BVerfGE 104, 151 (196 ff.). 94  BVerfGE 1, 14 (37); 112, 268 (277); offenlassend zuletzt BVerfGE 115, 97 (109). 95  Dafür zuletzt BVerwG, NZFam 2018, 648 Rn. 28. 96 Zu den anders gelagerten bisherigen Anwendungsfällen dieser ungeschriebenen Zulässigkeitsvoraussetzung vgl. etwa Johann Rozek, in: Maunz (Fn. 6), § 76 (September 2017) Rn. 58 ff. 97  VerfGH NRW, NVwZ-RR 2013, 665 (666). 98  Eine Entscheidung in einem solchen Fall hat VerfGH NRW, NVwZ 2013, 503 (insoweit dort nicht abgedruckt; s. bei juris Rn. 40 ff.) getroffen. Nach BVerfGE 119, 96 (122,

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Auf der Bundesebene ergibt sich allerdings bereits hier die Komplikation, dass die Feststellung des Haushaltsplans durch Haushaltsgesetz zu erfolgen hat, an dessen Zustandekommen nicht nur der Bundestag als „Parlament“ durch seinen Gesetzesbeschluss, Art. 77 Abs. 1 S. 1 GG, sondern auch der Bundesrat im Rahmen von Art. 77 Abs. 2 bis Abs. 4 GG, Art. 110 Abs. 3 GG mitwirkt.99 Trotz der zwischenzeitlich festzustellenden Fokussierung der verfassungsgerichtlichen Aussagen zum Budgetrecht auf den Bundestag100 wird man auch den Bundesrat als Träger des Budgetrechts einzustufen haben, zumal seine fortdauernde Budgetmitverantwortung dadurch deutlich wird, dass neben dem Bundestag ja auch ihm nach Art. 114 Abs. 1 und Abs. 2 S. 3 GG vom Bundesminister der Finanzen Rechnung zu legen und vom Bundesrechnungshof zu berichten ist.101 Auch der Bundesrat hat gegenüber der Bundesregierung das Recht, dass ihm die Haushaltsgesetzesvorlage nach Art. 110 Abs. 3 S. 1 GG rechtzeitig zugeleitet wird, wobei die in der Bestimmung genannten Fristen für seine Stellungnahme allein den ersten Durchgang betreffen. Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht „alle am Gesetzgebungsverfahren mitwirkenden Verfassungsorgane [als] verpflichtet [angesehen], an der Erfüllung des Vorherigkeitsgebots mitzuwirken.“102 Da neben der der Regierung vorbehaltenen Einbringung der Gesetzesvorlage auch die Verkündung des zu Stande gekommenen Gesetzes in die vor Beginn des (ersten) Rechnungsjahres vorzunehmende Feststellung des Haushaltsplans durch das Haushaltsgesetz einbezogen ist,103 gehören – wie oben III. 2. bereits vorausgesetzt – zum Kreis der durch das Vorherigkeitsgebot zur rechtzeitigen Erfüllung ihrer einschlägigen Aufgaben verpflichteten Verfassungsorgane neben der Bundesregierung, die das Gesetz 124 f.), ist an der „Möglichkeit entsprechender Pflichten, deren Verletzung im Organstreit geltend gemacht werden könnte, insbesondere auch unter dem Aspekt der Organtreue, kaum zu zweifeln.“ In der Sache hat es sich auf die Verletzung von „Sorgfaltspflichten bei der Wahrnehmung verfassungsrechtlicher Kompetenzen – hier der Kompetenz der Bundesregierung zur Einbringung des Haushaltsgesetzes – im Interesse der angemessenen Wahrung von Rechten und Interessen eines anderen Verfassungsorgans – hier zur Wahrung der Budgethoheit des Parlaments“ bezogen. 99  Die Ungenauigkeit der Redeweise vom Budgetrecht des Parlaments rügt mit Recht Siekmann (Fn. 1), Art. 110 Rn. 13a ff., überträgt damit meine in dem ganz anderen Zusammenhang des wehrverfassungsrechtlichen sog. Parlamentsvorbehalts gemachte Beobachtung (s. Michael Sachs, Die Bundeswehr als „Parlamentsheer“ – und der Bundesrat?, in: Peter Baumeister u.a. [Hrsg.], Staat, Verwaltung und Rechtsschutz, Festschrift für Wolf-Rüdiger Schenke zum 70. Geburtstag, 2011, S. 287 ff.) auf das Haushaltsverfassungsrecht. 100  S. bei Siekmann (Fn. 1), Art. 110 Rn. 13c, mit Verweis auf BVerfGE 129, 124 (177) und 130, 318 (342, 345 ff.). 101  Explizit erwähnt von BVerfGE 129, 124 (177 f.); 130, 318 (343). 102  BVerfGE 119, 96 (120). 103  BVerfGE 119, 96 (122 f.).

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auch noch gegenzeichnet, Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG, der Bundestag, der das Gesetz beschließt, Art. 77 Abs. 1 GG, der Bundesrat, der an der Gesetzgebung mitwirkt, Art. 77 Abs. 2 bis Abs. 4 GG, Art. 110 Abs. 3 GG, und der zur Ausfertigung und Verkündung berufene Bundespräsident, Art. 82 Abs. 1 S. 1 GG. Zu klären bleibt damit die Frage, welche dieser Organe gegen welche anderen dieser Organe organstreitfähige subjektive Rechte104 im Sinne des § 64 Abs. 1 BVerfGG auf rechtzeitige Erfüllung der angesprochenen Verpflichtungen haben. Da Bundestag und Bundesrat als Haushaltsgesetzgeber gemeinsam Träger des (eben nicht nur „parlamentarischen“) Budgetrechts sind, haben jedenfalls sie deshalb ein solches Recht gegen die Bundesregierung auch bezüglich der Gegenzeichnung und gegen den Bundespräsidenten wegen der Ausfertigung und Verkündung des Gesetzes. Der Bundestag hat als Mitträger des Budgetrechts auch ein Recht auf rechtzeitige Mitwirkung des Bundesrates, dieser aus demselben Grunde umgekehrt ein Recht auf rechtzeitige Beschlussfassung des Bundestags. Ein Recht auf rechtzeitige Wahrnehmung ihrer Aufgaben gegen die drei anderen beteiligten Verfassungsorgane hat aber auch die Bundesregierung; weil sie erst mit dem Inkrafttreten des Haushaltsgesetzes berechtigt ist, Ausgaben jenseits der durch Art. 111 GG bestimmten Möglichkeiten zu tätigen, und so weitergehende, wenn auch nicht notwendig allein ihren Vorstellungen entsprechende Handlungsmöglichkeiten erhält, stellt die rechtzeitige Verabschiedung des Haushaltsgesetzes gerade für sie eine von der Verfassung gewollte Begünstigung dar.105 Subjektive Rechte einzelner Abgeordneter des Bundestages oder von ihnen gebildeter Fraktionen auf rechtzeitige Erfüllung der Pflichten zur Wahrung des Vorherigkeitsgebots durch andere Verfassungsorgane scheiden demgegenüber aus. Allerdings kann zumal dadurch, dass die Regierung den Entwurf des Haushaltsgesetzes spät einbringt, die Gefahr entstehen, dass durch zur Kompensation entsprechend beschleunigte Abwicklung der Beratungen des Bundestags einzelne Abgeordnete oder (Minderheits-)Fraktionen in ihren Rechten auf umfassende Information und Gelegenheit zur Einflussnahme auf das Verfahren106 verkürzt 104  Die dort ebenfalls als Verfahrensgegenstand genannte Verletzung von Pflichten, die allgemein zugleich Berechtigungen darstellen, s. Sachs (Fn. 6), Rn. 323; Bethge (Fn. 96), § 64 Rn. 53, spielt im Zusammenhang des Vorherigkeitsgebots keine Rolle, weil insoweit die Usurpation von Kompetenzen durch andere Organe nicht in Betracht kommt. 105 Vgl. zur Anwendung der Schutznormlehre auf den Organstreit Sachs (Fn. 6), Rn. 321; auch Bethge (Fn. 105), § 64 Rn. 60 m.w.N. („eine Art Schutznormlehre“); zu den Anforderungen nach der Schutznormlehre im Allgemeinen ders., in: Paul Stelkens/ Heinz Joachim Bonk/Klaus Leonhardt (Begr.)/Michael Sachs/Heribert Schmitz (Hrsg.), Verwaltungsverfahrensgesetz, 9. Aufl. 2018, § 40 Rn. 132 f. m.w.N.; die Intendiertheit auf Durchsetzbarkeit (zu diesem oft vernachlässigten Element der Schutznormlehre Sachs, ebda, § 40 Rn. 133 m.w.N.) ist bei gezielt bestimmte Organe begünstigenden Regelungen des Grundgesetzes wegen der Möglichkeit des Organstreits allgemein anzunehmen. 106  Schon oben zu und in Fn. 78.

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werden; doch wäre dies das Ergebnis der Gestaltung der Beratungen durch den Bundestag selbst, der auch zur Wahrung des Vorherigkeitsgebots nicht die Rechte der Abgeordneten und Fraktionen verfassungswidrig verkürzen darf,107 und ggf. ihm gegenüber zu rügen. Dagegen wäre die Möglichkeit, dass eine Fraktion in Prozessstandschaft nach § 64 Abs. 1 BVerfGG eine Verletzung der Pflichten des Bundestags zu einer rechtzeitigen Beschlussfassung über das Haushaltsgesetz als Verletzung des Budgetrechts des Bundestages selbst rügt, wohl gegeben.108

107  BVerfGE 66, 26 (38) bewertet zwar bei einer Abwägung über den Erlass einer einstweiligen Anordnung zum „Hinausschieben der Haushaltsplanfeststellung“ die im Vorherigkeitsgebot gesehene Grundsatzentscheidung der Verfassung als gewichtiger als eine Verkürzung von Abgeordnetenrechten, stützt dies aber maßgeblich darauf, dass letztere nur „einen verhältnismäßig engen Ausschnitt des Haushaltsvollzuges“ betraf. 108  Dafür BVerfGE 123, 267 (338 f.); 134, 366 Rn. 54; auch VerfGH NRW, Beschl. v. 10. 08. 2010 – 5/10, S. 4 (http://www.vgh.nrw.de/entscheidungen/2010/100810_5 – 10.pdf).

Christian Waldhoff: Gefährdungen der parlamentarischen Haushaltsautonomie

Gefährdungen der parlamentarischen Haushaltsautonomie Christian Waldhoff Christian Waldhoff Gefährdungen der parlamentarischen Haushaltsautonomie

Helmut Siekmann ist vor allem als Finanzrechtler hervorgetreten. Seine maßstabsetzende, umfassende und stets aktuelle Kommentierung der gesamten Finanzverfassung des Grundgesetzes1 ist dabei die Frucht vielfältiger Detailstudien und jahrelangen Forschens. Das parlamentarische Haushaltsrecht – das traditionsreiche Budgetrecht – bündelt zahlreiche finanzverfassungsrechtliche Fragen und stellt sowohl in historischer wie auch in aktueller Perspektive zugleich ein Kernelement jeder parlamentarischen Demokratie dar. Gefährdungen dieser zentralen Institution kritisch anzusprechen, ist daher in einer Festschrift für einen Finanzrechtler nicht nur naheliegend, sondern geboten.

I.  Überblick über die Gefährdungen In der parlamentarischen Demokratie ist das Haushaltsrecht des Parlaments durch mehrere Entwicklungen gefährdet, die in ihrer Summe im Extremfall zu einer ‚Entparlamentarisierung des Budgets‘ führen könnten.2 Schon der Funktionswandel des Budgetrechts in einem parlamentarischen Regierungssystem bei politischer Interessenidentität zwischen Regierung und Parlamentsmehrheit und damit das Fortfallen eines die Situation im Konstitutionalismus beherrschenden Dualismus zwischen Parlament und monarchischer Exekutive hat insgesamt eine Bedeutungsminderung der parlamentarischen Mitwirkung in diesem Bereich bewirkt.3 Hinzu kommt, dass das „freie“ Haushaltsvolumen und damit wirkliche 1  Helmut Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz. Kommentar, 8. Aufl. 2018, Kommentierung der Art. 104a – 115 einschließlich Vorbemerkungen, das sind 340 Druckseiten! Hinzu kommen noch die Kommentierungen der Art. 88, 91a-91e, 120, 120a, 125c sowie 143c, d, f und g. 2  Zu den Gefahren von Entparlamentarisierung allgemein Thomas Puhl, Entparlamentarisierung und Auslagerung staatlicher Entscheidungsverantwortung, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3, 3. Aufl. 2005, § 48 Rn. 33 ff. 3  Zur historischen Entwicklung etwa Reinhard Mußgnug, Der Haushaltsplan als Gesetz, 1976; Horst Dreier, Der Kampf um das Budgetrecht als Kampf um die staatliche Steuerungsherrschaft, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Effizienz als Herausforderung an das Verwaltungsrecht, 1998, S. 59 ff.

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politische Gestaltungschancen eher gering zu veranschlagen sind angesichts des beachtlichen Anteils am Gesamthaushalt, der durch dauerhafte Personalstellen, Kreditaufnahmen, Verpflichtungsermächtigungen und sonstige Dauerverpflichtungen in Form von Selbstbindungen des Parlaments festgelegt ist.4 Hier interessieren jedoch neuere Gefährdungen: Die immer noch nicht effektive Eingrenzung zahlreicher Nebenhaushalte relativiert die Gesamtkoordinierung des Finanz- und damit des Politikgeschehens;5 Haushaltsreformen, die eine effizientere Haushaltswirtschaft durch eine grundlegende Änderung der Budgetaufstellung und der staatlichen Rechnungslegung im Rahmen einer Stärkung von sog. Globalhaushalten bzw. der sog. Budgetierung und Dezentralisierung der Haushalte (zusammengefasst im sog. Neuen Steuerungsmodell) und damit notwendig verbunden eine Haushaltsflexibilisierung zu erreichen suchen, lockern die Direktivkraft parlamentarischer Steuerung.6 Privatisierung und die Veräußerung von Staatsvermögen werden traditionell als Agenden der Exekutive behandelt und entziehen in finanzwirtschaftlich relevanten Bereichen dem Parlament Entscheidungsmacht.7 Steuervergünstigungen anstelle von ausgezahlten Subventionen werden nicht im Staatshaushalt als Subventionen abgebildet, laufen an der politischen Gesamtkoordination von Geben und Nehmen vorbei.8 Gesetzliche Preisintervention zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben schleust Milliarden Euro an den staatlichen Haushalten vorbei, um umweltpolitische Ziele zu fördern.9 In der europäischen Verschuldungskrise ist angesichts der in Rede stehenden Finanzvolumina die Funktionsfähigkeit des nationalen Budgets als solches gefährdet, sollten sich eingegangene Risiken realisieren, da jeglicher Ausgabenspielraum auf Jahrzehnte hin fehlen würde.10 Hier sollen zwei Entwick4 

Klaus Vogel, Der Finanz- und Steuerstaat, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 3. Aufl. 2004, § 30 Rn. 32; Puhl (Fn. 2) § 48 Rn. 34. 5  Thomas Puhl, Budgetflucht und Haushaltsverfassung, 1996; Michael Kilian, Nebenhaushalte des Bundes, 1993. 6  Christoph Gröpl, Haushaltsrecht und Reform, 2001; ders., BK, Art. 110 Rn. 185 ff.; für die kommunale Ebene Hermann Pünder, Haushaltsrecht im Umbruch, 2003; Sabine Dahm, Das Neue Steuerungsmodell auf Bundes- und Länderebene sowie die Neuordnung der öffentlichen Finanzkontrolle in der Bundesrepublik Deutschland, 2004, v.a. S. 128 ff. 7  Dieter Birk/Reiner Wernsmann, Beteiligungsrechte des Parlaments bei der Veräußerung von Staatsvermögen, insbesondere Unternehmensbeteiligungen, DVBl. 2005, 1 ff. 8  Paul Kirchhof, Die Steuern, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 5, 3. Aufl. 2007, § 118 Rn. 46 ff. 9  Hanno Kube/Ulrich Palm/Christian Seiler, Finanzierungsverantwortung für Gemeinwohlbelange, NJW 2003, 927 ff.; Christian von Stockhausen, Gesetzliche Preisintervention zur Finanzierung öffentlicher Aufgaben, 2007; Christian Waldhoff/Matthias Roßbach, Das EEG zwischen Verfassungsrecht und Politik, Wirtschaft und Verwaltung 2014, S. 1 ff.

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lungen näher beleuchtet werden, die angesichts ihrer Mehrdimensionalität eher in anderen Zusammenhängen als der Gefährdung des parlamentarischen Budgetrechts diskutiert werden: Die Bindung des Aufkommens von Steuern oder Abgaben an konkrete Verwendungszwecke gefährdet mit dem Außerkraftsetzen des haushaltsrechtlichen Nonaffektationsprinzips letztlich das parlamentarische Budgetrecht, da die politische Gesamtentscheidung über Einnahmen und Ausgaben mit ihrer spezifischen Koordinierungsfunktion wenn nicht verunmöglicht, so doch erschwert wird (unter II.). Die langsame aber stetige Aufwertung direktdemokratischer Elemente im demokratischen System, vor allem auf Landesebene, ist nur dann mit dem parlamentarischen Budgetrecht kompatibel, sofern sog. Finanzausschlussklauseln effektiv bleiben (unter III.). Abschließend wird ein Resumee versucht (unter IV.). 10

II.  Zweckabgaben und haushaltsrechtliche Nonaffektation 1.  Das Phänomen und seine Attraktivität Im Zusammenhang mit der Rechtsfolgenseite des Steuertatbestands können neben dem abstrakten Zweck der allgemeinen Staatsfinanzierung spezielle Finanzierungszwecke unterschieden werden. Zwecksteuer oder Zweckabgabe meint vor diesem Hintergrund die Zweckbindung des Abgabenaufkommens, die Reservierung konkreter Einnahmen für bestimmte Ausgabenzwecke.11 Sie ist von Lenkungszwecken und -steuern zunächst grundsätzlich unabhängig. Diese Abschichtung wird komplizierter, wenn sich spezielle Finanzierungs- und Lenkungszwecke in einer Steuer überlagern.12 Dann vermag die Aufkommensbindung ihrerseits wieder einen neuen Lenkungseffekt hervorzurufen. Die Zweckbindung von Steuern und Abgaben ist attraktiv. Einmal aus politischen Gründen, zum anderen werden grundsätzliche ökonomische Gesichts10  Vgl. nur Dirk Diehm, Die haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages, in: Becker/Lange (Hrsg.), Linien der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – erörtert von den wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern, Bd. 3, 2014, S. 525 ff.; Christian Waldhoff, Überforderung nationaler Parlamente durch die Globalisierung? Grenzen am Beispiel der Budgetverantwortung, in: Franzius/Mayer/ Neyer (Hrsg.), Modelle des Parlamentarismus im 21. Jahrhundert, 2015, S. 109 ff.; Christoph Peterek, Haushaltspolitische Gesamtverantwortung des Deutschen Bundestages – ESMFinG, in: von Arnauld/Hufeld (Hrsg.), Systematischer Kommentar zu den Lissabon-Begleitgesetzen, 2. Aufl. 2018, § 18. 11  Vgl. bereits PrOVGE 64, 247 (252); ausführlich auch Lars Hummel, Verfassungsrechtsfragen der Verwendung staatlicher Einnahmen, 2008, v.a. S. 283 ff. 12  Günther Schmölders, Art. „Zwecksteuer. 1.Finanzwissenschaft“, in: Georg Strickrodt/Wilhelm Hartz (Hrsg.), Handwörterbuch des Steuerrechts, Bd. 2, 2. Aufl. 1981, S. 1680; Karl Bräuer, Finanzsteuern, Zwecksteuern und Zweckzuwendungen von Steuererträgen, 1928, S. 7.

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punkte dafür ins Feld geführt. Die Gegenleistungsfreiheit der Steuer führt zu einer Abstraktheit von Leistung und Gegenleistung. Die „Anonymität der Mittel“13 hat seit je negative Folgen für die Steuermoral.14 Die Zweckbindung von Abgaben vermag den Steuerwiderstand zu senken, sofern der Verwendungszweck von dem Abgabenschuldner akzeptiert wird: Der stets zu bedenkende Konnex zwischen Geben und Nehmen wird in der konkreten Abgabe oder Steuer deutlicher.15 Dies fördert zugleich die politische Begründ- und damit Durchsetzbarkeit neuer oder höherer Abgaben, sofern der steuerzahlende Wähler oder das zustimmungspflichtige Parlament die Notwendigkeit des zu finanzierenden Zwecks nicht bestreiten können.16 Demgegenüber scheinen die allgemeinen Steuern im großen Topf des Staatshaushalts zu „versickern“. Davon wiederum sind institutionenökonomische, d.h. aus einem normativen Ansatz der Finanzwissenschaften entspringende, Modellvorstellungen abzugrenzen.17 Diese Vorschläge, die von dem schwedischen Finanzwissenschaftler Knut Wicksell am Ende des 19. Jahrhunderts18 bis zu dem amerikanischen Wirtschaftsnobelpreisträger James Buchanan reichen,19 nehmen das Funktionieren des politischen Prozesses und das „Design“ der politischen Institutionen nicht mehr als vorgegeben hin. Mittels einer Partikularisierung des Budgets gekoppelt mit Zweckbindungen sollen simultane Entscheidungen über öffentliche Ausgaben und die dazu notwendigen Einnahmen erreicht und damit dem „fiskalischen Leviathan“ Zügel angelegt werden. Mit solchen Aufkommensbindungen werden Gedanken des alten Äquivalenzprinzips verwirklicht und die dem Marktprinzip zugrundeliegende Tauschlogik in den öffentlichen Bereich

13  Dora Schmidt, Nichtfiskalische Zwecke der Besteuerung, 1926, S. 21; Deutung dieser Anonymität als Voraussetzung staatlicher Macht bei Walter Leisner, Der Gleichheitsstaat, 1980, S. 171 ff.; ders., Der Steuerstaat – Wege der Gleichheit zur Macht, StuW 1986, 305 (306). 14  Ute Sacksofsky, Rechtliche Ansatzpunkte zur Hebung der Steuermoral, in: Bizer/ Falk/Lange (Hrsg.), Am Staat vorbei, 2004, S. 159 (164). 15  Paul Kirchhof, Die Steuerung des Verwaltungshandelns durch Haushaltsrecht und Haushaltskontrolle, NVwZ 1983, 505 (507). 16  Fritz Neumark, Der Reichshaushaltsplan, 1929, S. 168. 17 Vgl. dazu etwa Bernd Hansjürgens, Äquivalenzprinzip und Staatsfinanzierung, 2001; ders., Äquivalenzprinzip und Finanzpolitik, Zeitschrift für Wirtschaftspolitik 46 (1997), 275 ff.; Walter Wittmann, Steuerung und Versorgung mit Staatsleistungen über das Äquivalenzprinzip, in: FS für Heinz Haller, 1979, S. 287 ff.; ders., Zweckbindung öffentlicher Einnahmen, in: Pohmer (Hrsg.), Beiträge zum Äquivalenzprinzip und zur Zweckbindung öffentlicher Einnahmen, 1981, S. 9 ff. 18 Vgl. Charles Beat Blankart, Knut Wicksells finanztheoretische Untersuchungen 1896 – 1996, FinArch. 52 (1995), 437 (439 ff.). 19 Grundlegend James M. Buchanan, The Economics of Earmarked Taxes, Journal of Political Economy 71 (1963), 457 ff.; Geoffrey Brennan/James M. Buchanan, Besteuerung und Staatsgewalt, 1988, S. 170 (191 f.).

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überführt.20 Solche äquivalenztheoretischen Ansätze werden aus betont liberaler, teilweise libertärer wie ökologischer Richtung postuliert. Beide Denkrichtungen unterscheiden sich im Ziel bei Einsatz desselben Mittels: Geht die ökologische Abgabenmodernisierung von einem interventionistischen Modell aus, ist der neuere finanzwissenschaftliche Ansatz von einem staatsskeptisch-liberalen Ansatz geprägt. 2.  Formen der Zweckbindung Die Zweckbindung kann – wie Beispiele aus der schweizerischen Bundesverfassung dokumentieren 21 – auf der Stufe der Verfassung selbst vorgenommen werden. Die allgemeine Aufteilung des Steuerertrags zwischen den Gebietskörperschaften sowie zweckgebundene sekundäre, d. h. umverteilende Finanzzuweisungen fallen jedoch nicht in die Kategorie der Zwecksteuer. Sind die Aufkommensbindungen in Präambeln von Gesetzen angeordnet, können sie nahtlos in allgemeine Zweckbestimmungen im Sinne einer (politischen) Rechtfertigung durch Benennung des allgemeinen Gesetzeszwecks übergehen. Andererseits kann eine rechtlich wirksam angeordnete Verwendungsbindung stets eine weitere Spezialisierung durch den Haushaltsplan erfordern und erfahren. Neben solchen positivrechtlich verankerten Verwendungsbindungen treten politische Verknüpfungen unterschiedlicher Intensität. Sie können in Abgrenzung zur rechtsverbindlichen Verwendungsbindung als Verwendungsabsicht bezeichnet werden. Auf einer niedrigen Stufe erscheinen Ausgabenanlässe als Begründung einer Steuer etwa in den Gesetzesmaterialien oder -beratungen. Bestes Beispiel ist hier der im Zuge der Wiedervereinigung eingeführte Solidaritätszuschlag zur Einkommenund Körperschaftsteuer.22 Im Gesetzeswortlaut ist hier allenfalls in dem Wortbestandteil „Solidarität“ ein lockerer Verwendungszweckanlass angedeutet23. Mit wem Solidarität geübt werden soll ergibt sich erst aus dem politischen Kontext. Dieser Steuerzuschlag fließt vollständig in den allgemeinen Staatshaushalt. Eine rechtliche Bindung seines Aufkommens existiert nicht. Einen weiteren Anwendungsfall stellt die mehrstufige sog. Ökologische Steuerreform dar.24 Auch hier 20  Christian Waldhoff, Grundzüge des Finanzrechts des Grundgesetzes, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 5, 3. Aufl. 2007, § 116 Rn. 5. 21  So etwa Art. 130 Abs. 2 und Art. 131 Abs. 3 BV vom 18. April 1999. 22  Gesetz zur Einführung eines befristeten Solidaritätszuschlags und zur Änderung von Verbrauchsteuer- und anderen Gesetzen (Solidaritätsgesetz) vom 24. Juni 1991 (BGBl I 1318) mit späteren Änderungen. 23  BT-Drs. 12/220, 6; siehe auch Joachim Wieland, Solidarität gegen Vertrauen, StVj 1992, 97 ff. 24 Vgl. BT-Drs. 14/40, Matthias Herdegen/Wolfgang Schön, Ökologische Steuerreform, 2000, S. 41 ff. zur Verwendungsbindung.

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besteht grundsätzlich keine rechtliche Bindung des Aufkommens aus der erhöhten Mineralölsteuer und der neueingeführten Verbrauchsteuer auf elektrischen Strom.25 Das Konzept, mit Umweltlenkungsabgaben den „Faktor Arbeit“ durch eine Absenkung von Sozialversicherungsbeiträgen zu entlasten, bildet jedoch die politische Philosophie dieses Projekts, das durch steuer- und sozialrechtliche Parallelgesetzgebung verwirklicht wurde. Nur rechtliche Verwendungsbindungen sind an höherrangigen Rechtsmaßstäben zu beurteilen. Politische Verknüpfungen bleiben der Bewertung im politischen Prozess vorbehalten.26 Unerheblich ist, wie die Verwendungsbindung gesetzestechnisch ausgestaltet ist,27 ob das gesamte Aufkommen oder ein Prozentsatz gebunden wird und ob die zu erfüllende Aufgabe an das Aufkommen gekoppelt oder eine etwaige Finanzierungslücke durch allgemeine Haushaltsmittel auszufüllen ist.28 3.  Verfassungsrechtliche Zulässigkeit Rechtsprechung29 und Lehre30 sehen rechtliche Verwendungsbindungen überwiegend als grundsätzlich erlaubt an. In der Entscheidung zum „Wasserpfennig“ hat das Bundesverfassungsgericht die Frage offen gelassen.31 Das wesentliche Regulativ für die Rechtmäßigkeit von Zwecksteuern ist das haushaltsrechtliche Prinzip der Gesamtdeckung (§ 8 S. 1 BHO; auch Nonaffektations-, Universalitäts- oder Zentralisationsprinzip genannt). Das Prinzip der Gesamtdeckung ist entgegen der h. M. aus grundrechtlichen, haushalts- und finanzverfassungsrechtlichen Erwägungen in seinem Kern verfassungskräftig.32 Es kann daher nur unter Beachtung besonderer Rechtfertigungsgründe eingeschränkt werden. Sämtliche 25 

Anselm Thorsten Jobs, Steuern auf Energie als Element einer ökologischen Steuerreform, 1999, S. 247. 26  Vgl. auch BVerfGE 93, 319 (347); Peter Selmer, Zur Zweckbindung von Umweltsteuern im Rahmen eines Umweltgesetzbuches, in: Bohne (Hrsg.), Perspektiven für ein Umweltgesetzbuch, 2002, S. 297 (300 f.). 27 Dazu näher Hans Fecher, Probleme der Zweckbindung öffentlicher Einnahmen, 1963, S. 37 ff. 28  Gernot Schiller, Sonderabgaben mit eigener wirtschaftslenkenden Antriebs- und Sanktionsfunktion in der Wirtschafts- und Finanzverfassung des Grundgesetzes, 2000, S. 68 f. 29  BVerfGE 7, 244 (254 f.); 9, 291 (300); 36, 66 (70); 49, 343 (353 f.); 65, 325 (344); BayVerfGHE 6, 75 (79); RFHE 33, 18 (24 f., 27); BFHE 57, 473. 30  Puhl (Fn. 2), Rn. 34; Peter Selmer, Steuerinterventionismus und Verfassungsrecht, 1972, S. 193, 196; Dieter Wilke, Gebührenrecht und Grundgesetz, 1973, S. 50; Hans D. Jarass, Nichtsteuerliche Abgaben und lenkende Steuern unter dem Grundgesetz, 1999, S. 8; Horst Schaefer, Der verfassungsrechtliche Steuerbegriff, 1997, S. 188 ff. 31  BVerfGE 93, 319 (348). 32 Eingehend Christian Waldhoff, Die Zwecksteuer, StuW 1992, 285 (298 ff.).

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Haushaltsgrundsätze beruhen auf Erkenntnissen der Finanzwissenschaften.33 Als ökonomische Gesetz- oder Zweckmäßigkeit haben sie allein noch keine Rechtsverbindlichkeit. Andererseits zeigen die vielfältigen Überschneidungen und Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Grundsätzen, dass ihr juristischer Gehalt nicht allein auf eine mehr oder minder explizite Erwähnung in Verfassung und Gesetz reduziert werden kann.34 Ihre Funktion und ihr Rechtswert ergibt sich vielmehr aus dem verfassungsrechtlich vorausgesetzten parlamentarischen Haushaltsgeschehen. Der Kern des parlamentarischen Haushaltsrechts ist die Mitverantwortung und Kontrolle des Handelns der Verwaltung qua finanzwirtschaftlicher Steuerung, es handelt sich um eine „überragende […] rechtlich umfassende, alleinige Entscheidungs- und Feststellungskompetenz des Gesetzgebers“,35 als einem von mehreren Bestandteilen des demokratischen Verfassungsprinzips. Der Haushaltsgrundsatz der Gesamtdeckung hängt eng mit anderen Haushaltsprinzipien wie dem Grundsatz der Budgeteinheit, der Vollständigkeit, dem Bruttoprinzip und dem Prinzip der Kasseneinheit zusammen. Nur in ihrem Zusammengreifen sichern sie die geforderte parlamentarische Gesamtentscheidung über Haushalt und Staatshandeln. Insofern erweist sich das Gesamtdeckungsprinzip als „notwendige Voraussetzung der politischen Willensbildung“36. Als Ergebnis eines „politischen Parallelogramms der Kräfte“ stellen die parlamentarischen Dezisionen im Haushaltsbereich keine logisch vorgezeichneten Operationen, sondern Akte politischer Wertung im Sinne einer Gesamtentscheidung dar.37 Sie sind mehr als die Summe ihrer in der Rechtsordnung anderweitig vorgezeichneten Teile. Die haushaltsrechtliche Gesamtentscheidung erhält gewissermaßen eine zusätzliche Erkenntnisdimension durch die politisch verantwortete globale Koordination der verschiedenen Bereiche. Es ist etwas politisch wie rechtlich Verschiedenes, die Abwägung zwischen Abgabenbelastung und Ausgabenvolumen im Rahmen konkreter Einzelentscheidungen oder auf einem höheren Abstraktionsniveau vorzunehmen.38 Diese notwendige Gesamtkoordination der Ausgaben und Einnahmen kann ihrer Idee nach wiederum nur periodisch erfolgen. Durch Aufkommensbindungen wird diese parlamentarische Gesamtentscheidung ein33 Zur

historischen Entwicklung Sonja Strube, Die Geschichte des Haushaltsrechts vom Mittelalter bis zur Gegenwart, 2002. 34  In anderem Zusammenhang strukturell ähnlich Werner Heun, Staatshaushalt und Staatsleitung, 1989, S. 162, 164, 167. 35  BVerfGE 45, 1 (32). 36  Fecher (Fn. 27), S. 22; einschränkend allerdings ebd., S. 47. 37  Herbert Mandelartz, Das Zusammenwirken von Parlament und Regierung beim Haushaltsvollzug, 1980, S. 67, 72; vgl. zur Begrenzung durch langfristige Engagements und andere Sachzwänge BVerfGE 45, 1 (32). 38  Heun (Fn. 34), S. 273; Ekkehard Moeser, Die Beteiligung des Bundestages an der staatlichen Haushaltsgewalt, 1978, S. 41 ff.

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geschränkt und behindert. Der Haushaltsplan zeichnet nur mehr anderweitig getroffene Entscheidungen nach. Finanzielle Sonderkreisläufe relativieren trotz Etatisierung dieser Einnahmen den Gedanken des Gesamthaushalts, ganz abgesehen von formalen Beeinträchtigungen wie Klarheit und Übersichtlichkeit des Budgets. Daher ist weniger entscheidend, auf welcher Normstufe die zur Absicherung dieses Funktionsmodus erforderlichen Grundsätze und Prinzipien positiviert sind, als vielmehr, welche Ausgestaltungen dieses parlamentarische Zentralrecht beeinträchtigen. Dieses Auslegungsergebnis wird auch durch die neuere Legislationsgeschichte des Prinzips gestützt:39 In der Reichsverfassung von 1871 noch auf Verfassungsebene (Art. 70, 71 RV) niedergelegt, „rutschte“ der Grundsatz in die wiederum mit verfassungsändernder Mehrheit beschlossene Reichshaushaltsordnung von 1922, um schließlich einfachgesetzlich in § 8 BHO zu enden. Die unbestrittenermaßen in Art. 110 Abs. 1 GG verankerten Haushaltsgrundsätze der Einheit und Vollständigkeit umfassen in dem dargelegten Umfang auch die Prinzipien der Bruttoveranschlagung und der Gesamtdeckung. Für das Bruttoprinzip ist dieser Sachverhalt strittig, für das Gesamtdeckungsprinzip wurde er bisher kaum erörtert. Das Spannungsverhältnis zwischen der Idee nach dauerhaft festgelegten fachgesetzlichen Verwendungsbindungen und dem Periodizitätsprinzip des flexibleren Haushaltsplans behindert die skizzierten Aufgaben des Parlaments ebenfalls.40 Rechtsdogmatisch stellt sich die Frage, ob und wie die Verwendungszweckentscheidungen im Steuergesetz oder in einem Finanzierungsgesetz auf der Haushaltsebene wieder modifiziert und beseitigt werden können. Steuer- und Abgabengesetze und das den Haushaltsplan feststellende Haushaltsgesetz sind normhierarchisch gleichrangig, so dass das zeitlich nachfolgende Haushaltsgesetz via Haushaltsplan die vorangegangene Verwendungsbindung abzuändern in der Lage wäre. Labands Budgettheorie, die einen generellen Vorrang der materiellen Gesetze vor dem bloß formellen, als kaschierten Verwaltungsakt gedeuteten Haushaltsplan behauptete, ist mit der Integration des Haushaltsrechts in den demokratischen Verfassungsstaat obsolet.41 Eine verfahrensrechtliche Stufung und damit Bindung wie zwischen Haushaltsgrundsätzegesetz und Haushaltsordnung/ Haushaltsgesetz kommt dann zum Tragen, wenn das die Verwendungsbindung anordnende Gesetz zustimmungspflichtig ist. Dann vermag das konkrete Haushaltsgesetz des Bundes als Einspruchsgesetz das vorangegangene, die Aufkommensbindung aufrichtende Gesetz nicht abzuändern. Einschränkungen der Abänderbarkeit ergeben sich auch aus dem haushaltsrechtlichen Bepackungsverbot (Art. 110 Abs. 4 GG). Auf Grund seiner zeitlichen Dimension, der Jährlichkeit, kann es nur für diesen Haushaltszeitraum die Verwendungsbindung außer Kraft 39 Näher

Waldhoff (Fn. 32), S. 300. Waldhoff (Fn. 32), S. 300 f. 41  Dietrich Jesch, Gesetz und Verwaltung, 2. Aufl. 1968, S. 20 ff., 92 ff.; Heun (Fn. 34), S. 165 ff. 40 Näher

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setzen. Damit ergibt sich gegenüber dem Haushaltsgesetz eine zumindest partielle Änderungsfestigkeit gesetzlich angeordneter Aufkommensbindungen. Der Haushaltsgesetzgeber ist nicht nur politisch, sondern in gewissem Umfang auch rechtlich gebunden. Das bedeutet zugleich, dass dauerhafte Zweckbindungen von Einnahmen nur durch außerbudgetäre Rechtsetzung möglich sind. Der Gedanke, der Gesetzgeber übe mit einer gesetzlichen Aufkommensbindung „schon vorab ein für alle Mal“ sein Budgetrecht aus, trifft damit allenfalls einen theoretischen Sonderfall. Die These von der Rechtsnatur des Nonaffektationsprinzips als Verfassungsgrundsatz erfährt eine weitere Stütze aus der bundesstaatlichen Finanzverfassung, konkret durch den verfassungsrechtlichen Steuerbegriff.42 Anknüpfungspunkt ist die Gegenleistungsfreiheit der Steuer. Zwecksteuern erreichen zwar regelmäßig nicht den maßstäblichen Gegenleistungsbezug wie Gebühren oder Beiträge; sie relativieren jedoch die Gegenleistungsfreiheit, mögen sie sie auch nicht in jedem Einzelfall aufheben. Der Verfassungsrang dieses Teilelements der Steuer und damit der Ungebundenheit des Steueraufkommens wird dadurch verdeutlicht, dass die Steuerertragsverteilung nach den Absätzen 3 und 4 des Art. 106 und nach Art. 107 GG nach Gesichtspunkten des Finanzbedarfs und der Finanzkraft, d. h. global zur Deckung von Ausgaben erfolgt: Die Aufteilung der Gemeinschaftssteuern geht von ungebundenen Finanzmassen aus. Die Regelung zur Verteilung des Umsatzsteueraufkommens in Art. 106 Abs. 3 GG spricht von der „Deckung der notwendigen Ausgaben“, d. h. von Ausgaben in ihrer Gesamtheit. Entsprechend ordnet Abs. 4 dieser Norm eine Neuverteilung des Umsatzsteueraufkommens an, sofern „sich das Verhältnis zwischen den Einnahmen und Ausgaben des Bundes und der Länder wesentlich anders entwickelt“. Stets werden „die Ausgaben“ hier als Block den Einnahmen gegenübergestellt um Deckungslücken festzustellen. Der Mechanismus dieser Verteilungsregelung wird gestört, wenn bedeutsame Teile der Einnahmen vorab gesetzlich an Verwendungszwecke, d. h. Ausgaben gekoppelt sind. Erst recht gälte dies, sofern im Bundesstaat ebenenübergreifende Bindungen festgesetzt wären. Das Prinzip der Gesamtdeckung in seinem Zusammenwirken mit den Grundsätzen der Einheit, der Vollständigkeit und der Bruttoveranschlagung garantieren die Gleichheit der Lastenverteilung der steuerzahlenden Bürger auf einer institutionellen Ebene. Haushaltsrechtlich bildet sich so das rechtlich verfasste Staatsvolk in seiner zu Sonderinteressen distanzierten Allgemeinheit und damit als Garant von Gleichheit und Freiheit ab.43 Dem allgemeinen Wahlrecht entspricht so in gewisser Weise die Globalität des Haushalts. Die wichtigste verfassungsrechtliche 42 

Wolfgang Löwer, Wen oder was steuert die Öko-Steuer? 2000, S. 34 f. zur staatsbürgerlich-demokratischen Gleichheit Peter Badura, Die parlamentarische Demokratie, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 2, 3. Aufl. 2004, § 25, Rn. 31, 39. 43  Allgemein

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Anforderung an jeglichen Steuerzugriff, die Besteuerung nach der individuellen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit als sachbereichsspezifische Konkretisierung des allgemeinen Gleichheitssatzes,44 kann letztlich nur bei einer Abstraktion von konkreten Leistungsbeziehungen durchgeführt werden. Die Diskussionen um die Möglichkeiten der sozialen Staffelung von Gebührensätzen45 haben diese Zusammenhänge in gebührenrechtlichem Zusammenhang aus einer anderen Perspektive verdeutlicht. Der hier erneut postulierte Verfassungsrang der haushaltsrechtlichen Nonaffektation kann nur auf der Stufe eines Grundsatzes, eines Verfassungsprinzips mit entsprechend eingeschränkter normativer Wirkkraft begründet werden.46 Die Gesamtdeckung unterliegt von vornherein der gesetzlichen Ausgestaltung, wie dies auch in den einfachgesetzlichen Konkretisierungen der Haushaltsordnungen zum Ausdruck kommt. Entscheidend wird damit, welche Anforderungen an die Rechtfertigung der Durchbrechung des Prinzips zu stellen sind, um sein ‚Leerlaufen‘ zu verhindern. Folge ist, dass der einfachgesetzliche Dispens durch die normhierarchische Hochzonung zum verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalt erstarkt. Die Rechtfertigung muss sich auf zwei, miteinander zusammenhängenden Ebenen vollziehen: Aus einer institutionellen Position heraus ist zu gewährleisten, dass der ganz überwiegende Teil der staatlichen Einnahmen ungebunden bleibt. Nur so kann der entfaltete, verfassungsrechtlich vorausgesetzte parlamentarische Haushaltsprozess im Kern erhalten bleiben.47 Quantifizierungsversuche, wie sie mit einer Begrenzung auf 5 bis 10 % des Gesamteinnahmevolumens in der Literatur vorgeschlagen werden, bleiben stets angreifbar.48 Neben diese volumenbezogene Sicht ist auf der zweiten, konkreten Ebene der einzelnen Abgabe ein tragfähiger Rechtfertigungsgrund für die Zweckbindung darzulegen. Ein sachlicher Grund der dem Gewicht der verfassungsrechtlichen Verortung des gegenlaufenden Prinzips entspricht, muss die „zweckgerechte Besonderung“, d. h. die Zuordenbarkeit eines Steueraufkommens zu einer konkreten Sachaufgabe nachweisen.49 Es geht um die verfassungsrechtlich geforderte Symmetrie zwischen Abgabepflicht und Finanzierungsverantwortung und damit um die Abgrenzung des allgemeinen Pflichtenstatus des Steuerbürgers von dem besonderen 44 

Waldhoff, Grundzüge (Fn. 20), Rn. 100 ff. BVerfGE 97, 332. 46  Zu weitgehend daher Frank Rainer Balmes, Verfassungsmäßigkeit und rechtliche Systematisierung von Umweltsteuern, 1997, S. 127 f. 47 Entsprechendes ist wohl gemeint, wenn gesagt wird, dass es grundsätzlich ein Zweckbindungsgebot nicht geben dürfe, vgl. Klaus Meßerschmidt, Umweltabgaben als Rechtsproblem, 1986, S. 181. 48  Allgemein und grundsätzlich zum Problem der Quantifizierung im (Verfassungs-) Recht Hanka von Aswege, Quantifizierung von Verfassungsrecht, 2016. 49 Ähnlich Selmer, Zweckbindung (Fn. 26), S. 311 ff. 45 

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Pflichtenstatus der Gruppenverantwortlichkeit. Diese Ebene der Rechtfertigung erfüllt eine ähnliche Funktion, wie sie die im Rahmen der haushaltsflüchtigen Sonderabgaben von der Verfassungsrechtsprechung geforderten Kriterien der hinreichenden Sachnähe der Abgabenpflichtigen zum Abgabenzweck und eine – wenn auch lockere – gruppennützigen Verwendung einnehmen: Die erforderliche Beziehung fügt die Verwendungsbindung mit der gemeinwohlorientierten und d.h. gleichheitsrechtlichen Rechtfertigung der Steuer zusammen. Weitgehend fremdnützige Zwecksteuern ohne jeglichen Konnex zwischen Abgabe- und Finanzierungszweck wären danach ebenso unzulässig wie entsprechende Sonderabgaben, ohne dass der Maßstab völlig identisch sein müsste. Die Finanzwissenschaften sprechen bei Komplementarität zwischen der „Bemessungsgrundlage“ der Abgabe und der damit zu finanzierenden Ausgabe von Zielfkonformität, bei deren Fehlen von „sinnentleerten“ oder „nichtzielkonformen Zweckbindungen“. Die Anforderungen an diese Ebene der Rechtfertigung von außerbudgetären Aufkommensbindungen dürfte – auch angesichts des politischen Gestaltungsspielraums des Gesetzgebers – niedriger sein als bei den Sonderabgaben. Die Gefahren der Haushaltsflüchtigkeit sind hier nicht gegeben. Gefordert ist somit eine lockere Äquivalenzbeziehung, die über bloße Plausibilitätserwägungen hinaus einen finanzwirtschaftlichen Zusammenhang aufzeigt. Ein Großteil der staatlichen Handlungen und Leistungen eignet sich für eine solche Verknüpfung von vornherein nicht, da sie in ‚allgemeinen Diensten‘ bestehen. Insbesondere bei der Koppelung von Elementen von Lenkungs- und Zwecksteuern wie in der Ökosteuerreform sind sachliche Zusammenhänge oft schwer zu begründen: Die Allgemeinheit aller energieverbrauchenden Bürger ist nicht deckungsgleich mit den sozialversicherungspflichtigen Arbeitnehmern; daraus ergeben sich nicht zu rechtfertigende Asymmetrien zwischen Be- und Entlastung. Demgegenüber dürfte die Äquivalenzbeziehung zur Straßennutzung bei der Mineralölsteuer den entwickelten Kriterien weitgehend standhalten. 4.  Von der Staatstheorie zum parlamentarischen Budgetrecht Entscheidend ist jedoch der staatstheoretische Hintergrund der ganzen Diskussion, der zum parlamentarischen Budgetrecht zurückführt. In der seit der Frühen Neuzeit einsetzenden Entwicklung zum modernen Steuerstaat war die Steuerfinanzierung lange Zeit subsidiär. Die Ausschreibung von Abgaben und Steuern bezog ihre Legitimation wie die Chance ihrer politischen Durchsetzung aus einer zumeist auch in der Bezeichnung der Abgabe deutlich werdenden Zweckbeziehung. Diese ausreichende und überzeugende Begründung in Form einer fiskalischen Äquivalenzbeziehung musste von den Betroffenen als verpflichtend anerkannt werden, sollte der Abgabenwiderstand angesichts völlig unzureichender administrativer Durchdringung des Gemeinwesens keinen Erfolg haben. Es bildeten sich typisierte Rechtfertigungsgründe für die Steuer­

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erhebung heraus, die sich zu Steuerbewilligungspflichten verdichten konnten: Staatsschulden, die Verheiratung der Fürstentochter (‚Prinzessinnensteuer‘), Kriegsgefahr oder ‚dringende Not‘. Die den Nothilfecharakter der Steuern zum Ausdruck bringende Zweckbestimmung der Mittel diente der Überzeugungsarbeit gegenüber den Abgabepflichtigen. Sie war auch erforderlich, um die ständische Steuerbewilligung zu erlangen. Für die Stände war die Zweckbindung das wirkungsvolle Instrument die Verwendung der Gelder zu kontrollieren um dadurch Einfluss auf die Politik zu gewinnen. Außerdem sollte sie Schutz vor übermäßiger Abgabenbelastung der Untertanen gewährleisten. Die Ausgabenbewilligung resultierte rechtlich allein aus der Zweckbindung. Das vormoderne „Budget“ stellte ein systematisierendes und nicht rechtsverbindliches Verwaltungsinternum dar. Letztlich führte die Zweckbindung zu einer – eine einheitliche Finanzwirtschaft verhindernden – Fondswirtschaft, in der eine bestimmte Einnahme einer bestimmten Ausgabe zugeordnet war. Mit Beginn des 19. Jahrhunderts, dem Aufkommen konstitutioneller Verfassungen, der Auffassung des Staates als einheitlich gedachter juristischer Person und dem ständigen Vordringen dauerhaft bewilligter Steuern als Haupteinnahmequellen der staatlichen Finanzwirtschaft wurde die altlandständische Zweckbindung der Steuern dysfunktional. Das System der Zweckbindungen taugte nicht mehr zum Schutz vor übermäßiger Abgabenbelastung und der Kontrolle staatlichen Handelns. Die Rationalisierung staatlicher Finanzwirtschaft kam darin zum Ausdruck, dass nunmehr die Deckungslücke in dem einheitlich verstandenen Etat den Rechtfertigungsgrund für die dem Vorbehalt des Gesetzes unterfallende Steuererhebung bildete. Das Budget insgesamt machte den Steuerbedarf evident. Damit war der Grund für die Nonaffektation von Einnahmen und Ausgaben gelegt. Die Abwägung zwischen der Abgabenbelastung und dem Ausgabenvolumen fand nicht mehr bei konkreten Einzelentscheidungen, sondern auf dem höheren Abstraktionsniveau der Haushaltserstellung statt. Dieser Prozess kann sowohl als Ausdruck einer zunehmenden Rationalisierung staatlicher Finanzwirtschaft wie auch der sich ausbildenden inneren Souveränität und administrativen Durchdringung des Gemeinwesens gesehen werden. Der politische Ehrgeiz der Volksvertretungen richtete sich nunmehr auf Mitspracherechte bei der Ausgabentätigung, der schließlich im preußischen und in anderen Verfassungskonflikten als Sollbruchstellen des konstitutionellen Systems kulminierte. Nicht nur eine rationale Finanzwirtschaft, sondern die moderne Staatsgewalt in ihrer Handlungsfähigkeit selbst wären im Extremfall durch ein flächendeckendes Vordringen anachronistischer synallagmatischer Vorstellungen der Finanzwie überhaupt der Rechtsbeziehungen zwischen Staat und Bürger relativiert. Die Verwendungsfreiheit der Einnahmen ist eine wesentliche Basis für die Macht und damit auch für den demokratisch legitimierten Gestaltungsauftrag des Verfassungsstaats. In vielen Bereichen verwaltender Tätigkeit wäre zudem die rechts-

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staatliche Distanz gefährdet.50 Die hintergründig-dogmatische Konstruktion der hier verteidigten Zusammenhänge im modernen Staat ist die Trennung und das Zusammengreifen von Verwaltungsrecht als ‚Sachrecht‘ und Haushaltsrecht: Das Staatshandeln unterliegt einer doppelten, je eigenen Sachgesetzlichkeiten folgenden rechtlichen Bindung und damit auch Kontrolle und erfährt insofern eine doppelte Legitimation. Das Verwaltungsrecht konstituiert, formt und leitet das Verwaltungshandeln sowohl dem Bürger gegenüber, wie auch im Binnenbereich des Staates. Daneben tritt ergänzend und überlagernd die haushaltsrechtliche Ebene, die für kurze Perioden das finanzwirtschaftlich Mögliche im Rahmen einer politischen Gesamtentscheidung festlegt. Beide Ebenen ergänzen sich zu einem Gesamtregime, das erst die gewünschte demokratische Feinsteuerung ermöglicht: Die im Prinzip dauerhaft angelegten verwaltungsrechtlichen Handlungsformen und Programme und die auf die aktuelle konjunkturelle und finanzwirtschaftliche Lage abgestimmte periodische Mittelzuweisung finden jeweils ihre Rechtsgrundlage im Parlamentsgesetz, unterscheiden sich jedoch in ihrer Funktion. Die einfachgesetzlich angeordnete Verwendungsbindung stört dieses als Ergebnis eines Entwicklungsprozesses herausgestellte und inzwischen in den demokratischen Verfassungsstaat integrierte doppelte Regime. Mit den Rationalitäten der dauerhaft angelegten Sachgesetzgebung wird in das notwendig periodische Haushaltsregime übergriffen, die aus der politischen Gesamtentscheidung resultierende zusätzliche Legitimation durch den Haushalt wird bei den Zwecksteuern relativiert.

III.  Finanzausschlussklauseln in Verfahren direkter Demokratie als Instrument der Koordinierung mit der parlamentarischen Demokratie und dem parlamentarischen Budgetrecht 1.  Historische Entwicklung und Regelungsbestand Haushaltsverfassungsrechtliche Bedeutung haben auch die Finanzausschlussklauseln (Finanztabus) in den Volksgesetzgebungsverfahren. Direktdemokratische Verfahren finden sich – von den Ausnahmen der Art. 29 und 118 GG abgesehen – auf landesverfassungsrechtlicher Ebene. Dort gehört es zur deutschen Regelungstradition, dass Finanzfragen in unterschiedlichem Ausmaß von den Verfahren der Volksgesetzgebung ausgeschlossen sind. Das ist ein bemerkenswerter Unterschied zur Regelungstradition in der Schweiz und teilweise auch zu den USA. Angesprochen ist damit das spannungsreiche Verhältnis zwischen direkter Demokratie und Finanzfragen, die „auffällige Unsicherheit gegenüber der Frage, wieweit Finanzangelegenheiten sich für die Methoden der unmittel50 Zu dem Zusammenhang zwischen Funktion und Finanzierung der Verwaltung Christian Waldhoff, Bürokratiefinanzierung, in: FS für Ulrich Battis, 2014, S. 479 ff.

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baren Demokratie eignen“.51 Die erste Vorschrift dieser Art stellt § 23 Abs. 3 des Gesetzes, die badische Verfassung betreffend, vom 21. März 1919 dar: „Ausgeschlossen von der Volksabstimmung sind: […] das Finanzgesetz; die Gesetze über Steuern und Abgaben soweit bei diesen nicht das Staatsministerium die Vornahme der Volksabstimmung beschließt.“ Auf diese Norm wurde dann auch bei den Beratungen des späteren Art. 73 Abs. 4 WRV, der wiederum Vorbildwirkungen für alle weiteren Verfassungen bis in die Zeit nach 1945 hinein entfaltete, Bezug genommen. Art. 73 Abs. 4 WRV lautet: „Über den Haushaltsplan, über Abgabengesetze und Besoldungsordnungen kann nur der Reichspräsident einen Volksentscheid veranlassen.“52 Finanzausschlussklauseln finden sich heute in allen Landesverfassungen: in Baden-Württemberg: Art. 60 Abs. 6, in Bayern: Art. 73, in Berlin: Art. 62 Abs. 2, in Brandenburg: Art. 76 Abs. 2; in Bremen: Art. 70 Abs. 2; in Hamburg: Art. 50 Abs. 1 S. 2, in Hessen: Art. 48 Abs. 1 S. 3, in Mecklenburg-Vorpommern: Art. 59 Abs. 3 i.V.m. Art. 60 Abs. 2, in Niedersachsen: Art. 48 Abs. 1 S. 3, in Nordrhein-Westfalen: Art. 68 Abs. 1 S. 4, in Rheinland-Pfalz: Art. 109 Abs. 3 S. 2, im Saarland: Art. 99 Abs. 1 S. 3, in Sachsen: Art. 73 Abs. 1; in Sachsen-Anhalt: Art. 81 Abs. 1 S. 3, in Schleswig-Holstein: Art. 41 Abs. 2 und in Thüringen: Art. 82 Abs. 2 der jeweiligen Landesverfassung. 2.  Funktion der Finanzausschlussklauseln Die Tatsache, dass es sich bei den Finanzausschlussklauseln um ein spezifisch deutsches Instrument handelt sowie ihre Genese, werfen den Verdacht auf, es handele sich um ein obrigkeitsstaatliches Relikt. Jörg Detlef Kühne formuliert plastisch, diese Bestimmungen seien „verfassungspolitisch-anthropologisch nichts anderes als der bemerkenswerte Fall eines Mißtrauens gegenüber dem Volk durch die von ihm eingesetzten Organe“.53 Teilweise wird gar eine übertriebene Sparsamkeit gegenüber Minderheiten als tieferer Grund der Finanzausschlussklauseln vermutet.54 Zuzugeben ist freilich, dass das in den Materialien 51  Carl Schmitt, Demokratie und Finanz, hier zitiert nach: Positionen und Begriffe, 3. Aufl. 1994, S. 97. Dieser Vortrag ist später auch in die Veröffentlichung: Volksentscheid und Volksbegehren, 1927, S. 51 ff., eingeflossen. Zur Rückführung derartiger Auffassungen auf Rousseau vgl. Christian Waldhoff, Finanzwirtschaftliche Entscheidungen in der Demokratie, in: Martin Bertschi u.a. (Hrsg.), Demokratie und Freiheit, 1999, S. 181 (183). 52  Christian Waldhoff, Verfassungsrechtliche Vorgaben für die Steuergesetzgebung im Vergleich Deutschland-Schweiz, 1997, S. 150 ff.; Otmar Jung, Das Finanztabu bei der Volksgesetzgebung, Der Staat 38 (1999), 41 ff.; Torsten Rosenke, Die Finanzbeschränkungen bei der Volksgesetzgebung in Deutschland, 2005, S. 33 ff. 53  Volksgesetzgebung in Deutschland, ZG 1991, 116 (118). 54 So Jürgen Krafczyk, Der parlamentarische Finanzvorbehalt in der Volksgesetzgebung, 2005, S. 62.

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nachweisbare Argument, Finanzfragen seien zu komplex für die Bevölkerung, in dieser Allgemeinheit noch nicht verfängt: In hoch entwickelten Gesellschaften existieren kaum noch ‚unkomplexe‘ Entscheidungslagen. Dennoch liegt dieser Ansicht ein richtiger Gedanke zugrunde, der sich als Spezifikum des Haushaltsverfassungsrechts erweist: Ein einfaches plebiszitäres ‚Ja‘ oder ‚Nein‘ sprengte das fein austarierte Haushaltsverfahren55 zwischen alleiniger Budgetinitiative der Exekutive und alleiniger Budgethoheit des Parlaments.56 Geht es lediglich um punktuelle ‚Korrekturmöglichkeiten‘ durch das Volk bei im übrigen repräsentativ-demokratisch getroffenen Entscheidungen – Peter Lerche formuliert anschaulich, dass durch Volksabstimmungen getroffene Entscheidungen „in das organisatorische und zeitliche Funktionieren der Staatsorgane sozusagen hineingeschnitten werden“57 – handelt es sich bei den Finanzausschlussklauseln um eine zwingende Korrektur der Korrektur. Punktuelle direktdemokratische finanzwirtschaftliche Entscheidungen stellen in einem Repräsentativsystem ein Störungspotential, eine „Strukturwidrigkeit“58 dar. Diese kann im Einzelfall die Funktionsfähigkeit der demokratischen Ordnung stärker beeinträchtigen, als punktuelle direktdemokratische (sonstige) Sachentscheidungen.59 Mehr noch als jede andere Entscheidung ist eine solche über Finanzfragen auf die „Läuterung der Interessen durch Repräsentation“,60 auf die erkenntnistheoretische Notwendigkeit der parlamentarischen Repräsentation61 angewiesen.62 Zudem wird der Charakter der politischen Gesamtentscheidung des Haushalts geschwächt. Auch wenn das Parlament in der parlamentarischen Demokratie kaum mehr die Schutzfunktionen erfüllt, die Staatsausgaben zu zügeln und damit die Steuerbelastung und Staats-

55 

Vgl. BremStGH, NVwZ 1998, 388 (389); ferner BVerfGE 102, 176 (187); ThürVerfGH, LKV 2002, 83; SächsVerfGH, NVwZ 2003, 472 (475). 56  Josef Isensee, Plebiszit unter Finanzvorbehalt, in: FS für Reinhard Mußgnug, 2005, S. 101 (107 f.); Sebastian Müller-Franken, Plebiszitäre Demokratie und Haushaltsgewalt, Der Staat 44 (2005), 19 (25 ff., 34 ff.). 57 Grundfragen repräsentativer und plebiszitärer Demokratie, in: Peter M. Huber/ Wilhelm Mößle/Martin Stock (Hrsg.), Zur Lage der parlamentarischen Demokratie, 1995, S. 179 (184); allgemein Michael Brenner, Das Prinzip Parlamentarismus, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland, Bd. 3, 3. Aufl. 2005, § 44 Rn. 62 ff. 58  Ernst Fraenkel, Die repräsentative und die plebiszitäre Komponente im demokratischen Verfassungsstaat, in: ders., Deutschland und die westlichen Demokratien, 1991, S. 153 (176). 59 A.A. Rosenke (Fn. 52), S. 214 ff. 60  Isensee (Fn. 56), S. 108 ff. 61  Oliver Lepsius, Die erkenntnistheoretische Notwendigkeit des Parlamentarismus, in: Martin Bertschi u.a. (Hrsg.), Demokratie und Freiheit, 1999, S. 123 ff. 62  Vgl. ThürVerfGH, LKV 2002, 83 (93).

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verschuldung im Rahmen zu halten,63 was letztlich zu dem Instrumentarium des Art. 113 GG geführt hat,64 erfüllt der Ausschluss des Plebiszits in Finanzfragen eine fundamentale Aufgabe der Gewaltenteilung: Er gewährleistet die Budget­ hoheit und damit in letzter Konsequenz die aus der Volkssouveränität folgende Staatsleitung durch das Parlament.65 Diese Deutung erklärt auch zwanglos die abweichende Rechtslage in der Schweiz sowie teilweise auf einzelstaatlicher Ebene in den USA:66 Sofern praktisch alle repräsentativ-demokratisch getroffenen Entscheidungen in der Referendumsdemokratie unter plebiszitärem Vorbehalt stehen, entfällt die Interpretation der Finanzausschlussklauseln unter dem Leitgesichtspunkt der Erhaltung des parlamentarischen Budgetrechts.67 3.  Interpretations- und Anwendungsprobleme Nach dem Wortlaut der meisten Finanzausschlussklauseln beziehen sich diese auf den „Staatshaushalt“ (nebst einigen terminologischen Varianten), nur die Verfassungen von Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz wählen die allgemeinere Formulierung der „Finanzfragen“. Art. 62 Abs. 2 der Verfassung von Berlin bezieht den Ausschluss seit einer Reform ausdrücklich auf das „Landeshaushaltsgesetz“. Bereits unter der Geltung des Art. 73 Abs. 4 WRV war umstritten, ob der dort verwendete Begriff des „Haushaltsplans“ in einem formellen oder materiellen Sinn zu verstehen sei.68 Während Heinrich Triepel für eine Interpretation im strikten Wortsinn eintrat69 setzten andere Stimmen dem einen materiellen Haushaltsbegriff entgegen, der maßgeblich auf die Finanzwirksamkeit des in Rede stehenden Gesetzes abstellte.70 Diese beiden Begriffsverständnisse prägen 63  Christoph Degenhart, Direkte Demokratie in den Ländern – Impulse für das Grundgesetz?, Der Staat 31 1992, 77 (94). 64  Auf Art. 113 GG stellt – als Argument zur Rechtfertigung der Finanzausschlussklauseln – auch ab: Julia Platter, Neue Entwicklungen in der Rechtsprechung zum Haushaltsvorbehalt bei der Volksgesetzgebung, ZParl 2004, 496 (505). 65  Isensee (Fn. 56), S. 106, 108; Müller-Franken (Fn. 56), S. 35 ff.; 38 ff. 66  Zur Rechtslage dort Waldhoff (Fn. 52), S. 162 ff. und S. 378 ff.; vgl. ferner Sandra Landwehr, Die finanzwirksame Volksgesetzgebung im Volksgesetzgebungsverfahren der Länder, 2004, S. 83 ff. 67  Landwehr (Fn. 66), S. 86 f. 68 Ausführlich Isensee (Fn. 56), S. 106 f.; ders., Volksgesetzgebung – Vitalisierung oder Störung der parlamentarischen Demokratie? DVBl. 2001, 1161 ff.; Krafczyk (Fn. 54), S. 25 ff., vgl. zur Weimarer Diskussion Chistopher Schwieger, Volksgesetzgebung in Deutschland, 2005, S. 133 ff. 69  Der Weg der Gesetzgebung nach der neuen Reichsverfassung, AöR 39 (1920), 456 (507). 70  Gerhard Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, 14. Aufl. 1933, Art. 73 Anm. 10; Georg Kaisenberg, Die Volksgesetzgebung nach Reichsrecht, ZÖR 1927, 169 (188); Carl Schmitt, Volksentscheid und Volksbegehren, 1927, S. 22 f.

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die Rechtsprechung bis zum heutigen Tage: Während sich der sächsische Verfassungsgerichtshof der formellen Sicht angeschlossen hat,71 folgen die anderen Landesverfassungsgerichte überwiegend dem materiellen Verständnis.72 Ein materielles Begriffsverständnis unterstellt, stimmen die Formulierungen der Finanzausschlussklauseln in den meisten Ländern mit derjenigen der „Finanzfragen“ in den restlichen Landesverfassungen inhaltlich überein.73 Als Folgeproblem stellt sich jedoch sogleich die Frage, wann ein Gesetz „finanzwirksam“ ist. Größtenteils kann hierbei auf die zu Art. 113 GG entwickelte Dogmatik zurückgegriffen werden.74 In jedem Fall ist eine substanzielle Auswirkung auf das Volumen des Haushalts erforderlich. Der Verfassungsgerichtshof von Berlin ist einen Sonderweg gegangen. Zunächst hatte das Gericht unter Geltung des Art. 62 Abs. 5 Verfassung von Berlin a.F., der Volksbegehren „zum Landeshaushalt“ ausschloss, in Anlehnung an die soeben skizzierte materielle Lösung ein Volksbegehren dann für unzulässig gehalten, wenn es zukünftig zu einer wesentlichen Störung des landeshaushaltlichen Gleichgewichts führe, die den Haushaltsgesetzgeber zu einer Neuordnung des Gesamtgefüges des Haushalts zwinge.75 Der Verfassungsgerichtshof versuchte erkennbar, einen Ausgleich zu finden zwischen der Komplexität des Budgetrechts, dessen genuin demokratische Funktion als Instrument einer durch Wahl legitimierten Sachpolitik zu beachten sei einerseits, und den direktdemokratischen Elementen der Berliner Verfassung andererseits. Wann eine „erhebliche“ Beeinträchtigung des Haushaltsgefüges vorlag, sollte in einer wertenden Einzelfallbetrachtung durch ein Kriterienbündel festgestellt werden. Durch die Verfassungsänderung aus dem Jahre 200676 fasste der verfassungsändernde Gesetzgeber den Wortlaut des nunmehrigen Art. 62 Abs. 2 Verfassung von Berlin dahin neu, dass nunmehr Volksbegehren zum „Haushaltsgesetz“ unzulässig sind. Der Verfassungsgerichtshof hat daraufhin entschieden, dass nur solche Volksbegehren unzulässig sind, die das formelle Haushaltsgesetz des laufenden Haushaltsjahres betreffen und den Haushaltsplan des laufenden Haushaltsjahres unmittelbar zum Gegenstand haben.77 Danach ist allein zeitlich zu differenzie71  NVwZ 2003, S. 472 (473, 475); vgl. zuvor Frank Rüdiger Jach, Der Ausschluß finanzwirksamer Gesetze von der Volksgesetzgebung, DVP 1997, 179 (182 f.); Otmar Jung, Unverdient höchster Segen, NVwZ 2002, 41 ff. 72 BVerfGE 102, 176 (188); HmbVerfG, DVBl. 2006, 631 (633) ThürVerfGH, LKV 2002, 83 (93); VerfG Bbg, DVBl. 2001, 1777; vgl. zur Entwicklung der Rechtsprechung: Platter (Fn. 64), S. 502 ff.; Jessica Kertels/Stefan Brink, Quod licet jovi – Volksgesetzgebung und Budgetrecht, NVwZ 2003, 435 ff. 73  Vgl. NWVerfGH, NVwZ 1982, 188. 74  Isensee (Fn. 56), S. 119, ausführlich S. 120 ff. 75  LVerfGE 16, 41. 76  8. Gesetz zur Änderung der Verfassung v. 25. Mai 2006, GVBl. 446. 77  LVerfGE 20, 45.

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ren: Auswirkungen auf das bestehende Haushaltsgesetz sind verfassungsrechtlich ausgeschlossen; finanzwirksame Gesetze, die Auswirkungen auf zukünftige Haushalte haben, sind dagegen zulässiger Gegenstand eines Volksbegehrens. Die zuvor formulierte Erheblichkeitsschwelle wurde dabei ausdrücklich aufgegeben. Die Entscheidung ist sachlich nicht überzeugend. Sie statuiert eine rein zeitliche Unterscheidung, die in der Sache vor dem Hintergrund der oben beschriebenen Problemlage wenig einleuchtet. Gerade in Zeiten knapper Haushaltslagen und angesichts der Schuldenbremse sind langfristige und berechenbare Haushaltsplanungen wesentlicher Bestandteil des parlamentarischen Budgetrechts. Soweit sich die Entscheidung auf die Verfassungsänderung von 2006 beruft, ist die Entstehungsgeschichte nicht eindeutig.78 Die Absicht der Verfassungsänderung ist unklar, wenn nicht perplex. Einerseits sollte die Änderung des Wortlauts in „zum Haushaltsgesetz“ sich an den formellen Begriff des Haushaltsgesetzes in Art. 85 Abs. 1 Verfassung von Berlin anschließen, andererseits sollte damit ausdrücklich keine Änderung der Rechtslage bewirkt werden, die Auslegung des Verfassungsgerichtshofes aus der ersten Entscheidung zum Finanzvorbehalt also nicht obsolet werden. Vor diesem Hintergrund ist die historische Argumentation des Verfassungsgerichtshofs nicht überzeugend und es empfiehlt sich mit der Mehrheit der übrigen Landesverfassungsgerichte einem materiellen Verständnis des Finanzvorbehalts den Vorzug zu geben.

IV.  Schluss Keine der aufgezeigten oder analysierten Entwicklungen allein bringt das parlamentarische Budgetrecht zum Einsturz oder verhindert seine Funktion. Die Entwicklungen spielen sich zudem auf unterschiedlichen staatlichen Ebenen ab: Während etwa Steuersubventionen angesichts der weitestgehenden Konzentration der Steuergesetzgebungsbefugnisse beim Bund eher ein Phänomen der zentralen Ebene darstellen, finden sich Verfahren der direkten Demokratie ausschließlich in den Ländern. Während Zweckabgaben in ihrem Volumen ein Randphänomen sind, stellen sich Privatisierungsprobleme auf allen staatlichen Ebenen. Reformen des Haushaltsrechts als solchem schreiten eher „von unten nach oben“, von der kommunalen zur staatlichen Ebene voran. Sensibilität ist m.E. jedoch deshalb angezeigt, weil politische Gesamtkoordination in unserem Gemeinwesen seltener und schwieriger wird. Das hängt zum einen mit der europarechtlichen Überlagerung zusammen, die zahlreiche politische Entscheidungen aus dem (nationalen) Gesamtkontext herauslöst. Es ist zum anderen ein Phänomen der Durchschlagskraft politischer Einzelinteressen, die von Interessengruppen absolut gesetzt wer78  Vgl. dazu Petra Michaelis-Merzbach, in: Driehaus (Hrsg.), Verfassung von Berlin, 3. Aufl. 2009, Art. 62 Rn. 7.

Gefährdungen der parlamentarischen Haushaltsautonomie

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den. Wenn der Schein nicht trügt, wird die Ausgleichs- und Vermittlungsfunktion von Politik schwieriger. Drohten die hier thematisierten Zusammenhänge entweder angesichts ihrer Selbstverständlichkeit oder wegen ihrer schweren Vermittelbarkeit aus Blickfeld wie Bewusstsein zu geraten, hat das Bundesverfassungsgericht in aller wünschenswerten Deutlichkeit die zentrale Funktion der parlamentarischen Haushaltsautonomie für die Demokratie in den letzten Jahren mustergültig formuliert. Im Kontext der europäischen Verschuldungskrise wurde die Figur der Budgetverantwortung als Konkretisierung der parlamentarischen Integrationsverantwortung geschaffen und dabei die zentrale Funktion des parlamentarischen Budgetrechts betont: „Der Deutsche Bundestag muss dem Volk gegenüber verantwortlich über die Summe der Belastungen der Bürger entscheiden. […] Die Hoheit über den Haushalt ist der Ort konzeptioneller politischer Entscheidungen über den Zusammenhang von wirtschaftlichen Belastungen und staatlich gewährten Vergünstigungen […] Entscheidend ist aber, dass die Gesamtverantwortung mit ausreichenden politischen Freiräumen für Einnahmen und Ausgaben noch im Deutschen Bundestag getroffen werden kann.“79 Dem ist nichts hinzuzufügen.

79 BVerfGE 123, 267 (361 f.); später ähnlich BVerfGE 129, 124 (179 f.); 132, 195 (243 f.); 135, 317 (401).

Andressa Guimarães Torquato Fernandes: The Constitutional Principle of Fiscal Sustainability: Considerations Regarding its Definition and Application in Judicial Decisions Involving Budgetary Issues

The Constitutional Principle of Fiscal Sustainability Considerations Regarding its Definition and Application in Judicial Decisions Involving Budgetary Issues Andressa Guimarães Torquato Fernandes Andressa Guimarães Torquato Fernandes The Constitutional Principle of Fiscal Sustainability: Considerations Regarding its Definition and Application in Judicial Decisions Involving Budgetary Issues

I.  Introduction Lawyers who endeavor to manifest in defense of fiscal sustainability in practical cases within the Judiciary lack legal arguments and in-depth studies on the subject, which would provide legal theory support to their work. Those who practice Law, especially in the Roman-Germanic system, know that economic or political arguments are not enough to carry out the defense of a right since there is no shortage of economic studies that warn of the importance of fiscal sustainability for the development of a State. The role of legal theorists is essential for those who act within the Court, in the sense of building solid arguments as the basis of their work; for example, parameters of legal language use, which, in the end, constitutes the tool of jurists’ work. In view of this gap and the lack of effectiveness of fiscal rules it provides, this study aims at contributing to the development of fiscal sustainability’s legal principle, seeking to answer two questions: (i) is there a constitutional principle of fiscal sustainability in the Brazilian legal system? (ii) if so, what is its content? In order to fulfill this duty, we will initially delimit the concept of principles within the scope of the Theory of Law, with which we will guide our study and, after that we will discuss the concept of the fiscal sustainability principle and whether or not this principle constitutes a principle of constitutional order in the Brazilian legal system. However, there is a warning already given in the introduction about the study to be developed. Public Finance Law, not only in Brazil, but around the world, has been studied without a precise methodological separation that distances it from other sciences, such as the science of finance, for example; a methodological separation that has occurred in other branches of law such as Tax Law and Administrative Law, which is of significant importance in order to adapt it to the

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language used in courts, thus providing the legal principle with normative force, not only in an informative manner. We are not arguing against the study of fiscal sustainability under the economic or political bias, or even against the development of interdisciplinary studies. Quite the opposite! In fact, interdisciplinary analysis will only be profitable if each of the sciences involved contain in-depth studies about the object to be anal­ yzed. An analysis that is intended to be interdisciplinary, analyzing the principle of fiscal sustainability under the economic and legal bias, but only with deep economic texts and superficial legal texts, will in fact result in an economic research, not an interdisciplinary research. In the field of Public Finance Law, Helmut Siekmann has been a beacon illuminating legal knowledge, developing analyzes with scientific rigor. However, specifically in this field of Law, there are still few like him, and it is a duty of the Professors who work in this area to contribute to its deepening, as did Helmut Siekmann, throughout his entire career.

II.  Theory of Legal Principles Can we affirm that fiscal sustainability constitutes a legal principle, present in the Brazilian Federal Constitution? If so, what is its content? In order to answer these questions, it is essential to consolidate the concepts of (i) legal norms and (ii) legal principles with which one will work to later, specifically address the content of the constitutional fiscal sustainability principle. Aware of the profound discussion based on the legal theorists about the definition of the concept of legal principles,1 as well as of the definition of legal norms, and since it is not the purpose of this study to address this debate in depth, we adopt as premise in this study the definitions of legal principles and legal norms proposed by Humberto Ávila in his work, Theory of Legal Principles, also published in German as Theorie der Rechtsprinzipien.2 According to Humberto Ávila, supported by the lessons of Italian Professor Riccardo Guastini, “legal norms are neither legal provisions nor the set of them, but the meanings built from the systematic interpretation of legal provisions. Thus, we can affirm that legal provisions are the object of interpretation; and 1  For a more detailed analysis on the subject, the following studies are suggested: Josef Esser, Grundsatz und Norm in der richterlichen Fortbildung des Privatrechts, 4a tir. 1990; Karl Larenz, Richtiges Recht – Grundzüge einer Rechtsethik, 1979, e Methodenlehre der Rechtswissenschaft, 6a ed. 1991; Claus-Wilhelm Canaris, Systemdenken und Systembegriff in der Jurisprudenz, 1983; Ronald Dworkin, Taking Rights Seriously, 6a tir., 1991; Robert Alexy, On the structure of legal principles, in: Ratio Juris 13, 2000. 2  The work was also published in Italian (Teoria dei Principi) and in Portuguese (Teoria dos Princípios).

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the legal norms are their result” (2018, p. 50). With this, he explains that legal norms, which impose prohibitions, obligations or permits to its recipients, are not to be confused with the text of the law itself, since it consists of the product of the jurist’s interpretation. Ávila continues his analysis and also explains that there is no correspondence between the norm and the legal provision in the sense that where there is only one legal provision, for example, there will necessarily be only one norm. Quite the opposite. He affirms that there are legal provisions from which more than one norm can be built while “in other cases there is more than one legal provision, but from it, only one norm is built. Through the examination of the legal provisions guaranteeing legality, non-retroactivity and anteriority of tax law, we reach the principle of legal stability. Thus, there can be more than one legal provision and only one norm can be built” (2018, p. 51). Finally, he adds, “and what does this mean? It means that there is no two-way correspondence between legal provision and norm, in other words, where there is one, there will obligatorily not be the need for the other” (2018, p. 51). Certainly, the interpretation developed by jurists for the drafting of legal norms is not absolutely free, but it is linked to the community use of language, what establishes certain conditions of use of the language itself, as explained by the Full Professor of Tax Law of the University of São Paulo, Humberto Ávila. Based on the teachings of Aulis Aarnio, in the Denkweisen der Rechtswissenschaft, Ávila proceeds in his analysis and teaches that “terms such as life, death, mother, before, and after, present intersubjective meanings that do not need, at every new situation, to be substantiated. They function as given conditions of communication. […] expressions such as provisional or broad, albeit they have indeterminate meanings, have nuclei of meanings that at least allow to indicate in which situations they certainly do not apply” (2018, p. 53). Given the concept of legal norms adopted by Humberto Ávila, to which we have subscribed, we see that, in his understanding, legal norms are a genus that includes three species: the principles, the rules and the postulates. Regarding the distinction between principles and rules proposed by Humberto Ávila, Claus-Wilhelm Canaris, in the Preface of the German edition of Humberto Ávila’s Theory of Legal Principles, wrote the following comments: “the Author does not recognize the specificity of the principles in the fact that they may and must be balanced and have a dimension of weight, but he proves that this is fundamentally valid for the rules” (2018, p. 10). Then, Canaris proceeds in his evaluation of Ávila’s work, adding that, “he seeks the distinction between rules and principles in another direction, finding it first in the fact that rules directly have the description of a behavior or the attribution of a competence (Kompetenz) as an object, aiming only indirectly to obtain a goal, while principles aim, inversely, directly to achieve a goal, and influence only indirectly in behavioral modes or in the attributions of the competences (Kompetenz) necessary for such” (2018, p. 10). Moreover, along-

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side rules and principles, there would be, for Humberto Ávila, a third species of norms, called postulates. Again, using Canaris’s explanation of Ávila’s work, we have that postulates would have the “distinct function of prescribing and guiding certain modes of thought and argumentation, thus structuring the mode of application of the rules and principles” (2018, p. 10), being therefore called norms of second degree or application norms. As to the principles, a concept of greater importance for this study, Humberto Ávila defines them as being “immediately finalistic norms, primarily prospective and with an intention of complementarity and partiality, whose application requires an evaluation of the correlation between the state of affairs to be promoted and the effects arising from the conduct that was deemed necessary for its promotion” (2018, p. 102). In other words, the author explains that the principles are “finalistic norms, which require the delimitation of an ideal state of affairs to be pursued through the behaviors necessary for its achievement” (2018, p. 102). Such principles have normative force and must be implemented and their effects must be radiated throughout the legal system. But how do we identify a principle? How do we analyze a principle in the Federal Constitution? In his work, Humberto Ávila provides us with a very didactic step-by-step process for the achievement of this task. First and foremost, he suggests that the goals intended by the principle be specified as best as possible, since the less specific is the goal, the less controllable its achievement will be. To do so, he proposes that an investigation of a principle be initiated from the reading of the “Federal Constitution, with specific attention to the legal provisions related to the principle under analysis; list the legal provisions relative to the fundamental principles; attempt to reduce the vagueness of the goals by analyzing constitutional norms that may, directly or indirectly, restrict the scope of the principle” (2018, p. 117). The second step of the investigation consists of investigating the precedents, especially of Superior Courts, to find paradigmatic cases; investigating the entirety of the chosen appellate decisions; verifying, in each case, the behaviors deemed as necessary to achieve the principle under analysis. Thirdly, jurists must analyze the existence of a common problem that approximates the different cases and verify the values responsible for the solution of the problem. Fourth, they must delimit the legal interest that make up the ideal state of affairs and the behaviors considered necessary for their achievement. Thus, it is necessary to analyze the existence of criteria that allow the definition, also for other cases, of the behaviors necessary for the achievement of a principle; exhibit the criteria that can be used and the grounds for their adoption.

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Fifth and last, “the achievement of the reverse course: after discovering the state of affairs and the behaviors necessary for its promotion, it becomes necessary to verify the existence of other cases that should have been decided based on the principle under analysis”. In this sense, finally, he proposes that the court precedents research be done again by searching other keywords; and critically analyze the decisions found, reconstructing them according to the principle under examination, so as to demonstrate its lack of use (2018).

III.  The (Constitutional?) Principle of Fiscal Sustainability 1.  The Fiscal Sustainability in the Community Use of Language and its Approach in Political Economy Texts In order to analyze the principle of fiscal sustainability in the Brazilian Constitution, we will follow the method suggested by Humberto Ávila, discussed in the previous topic. However, before starting the first step of investigating the principle suggested by the aforementioned author, the analysis of constitutional provisions that inform it, we will start with the verification of the community use of the expression fiscal sustainability, in addition to analyzing its definition within the scope of political economy, which serves as basis for the drafting of legal texts. In the Aurélio dictionary, the term sustainability is defined as “a concept that, relative to economic, social, cultural and environmental aspects, seeks to meet the needs of the present without affecting future generations” (2010). The word sustainable, in turn, is defined as “That can be sustained (maintain); in which there is or may there be sustenance” (2010). The term fiscal, on the other hand, also appears in the dictionary as an adjective defined as “relating to fiscal administration: fiscal law”. The expression fiscal is also presented as a synonym of public funds, a term defined as “public treasury; the reunion of money and assets belonging to the State; the set of a country’s financial resources” (2010). If we also search for the meaning of finances, we will find the following definition: “Public funds; the combination of the revenue and expenditure of a government” (2010). We notice that when we analyze the common use of the language, exposed in the lexicon, the term sustainability refers to what is able to maintain itself without affecting future generations, in other words, it refers to what, being currently available, will also be available for future generations. On the other hand, the term fiscal refers us to the idea of financial resources and assets belonging to a State, as well as the revenues and expenses of a government. Thus, the term sustainability as modified by the adjective fiscal leads us to the idea of revenues and expenses that are able to be maintained over time, financial stability, the management of available financial resources for a population in the present that does not affect its availability for future generations.

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Departing from the analysis of the common use of the language, we began to analyze its definition within the scope of the political economy. Beforehand, we warn that there are many concepts for the term fiscal sustainability found in this field of knowledge. Hamilton and Flavin, in a paper published in 1985, present the idea of a sustainable budget as one in which the government’s budget is balanced in terms of the present value, being that a condition for the government to be capable of issuing debt with interest (1985, p. 19). In other words, according to the studies of Hamilton and Flavin, there is a fiscal sustainability situation when future budget surpluses produced by the government are able to cover the costs resulting from indebtedness, i.e., the payment of interest. According to Croce and Juan-Ramón, in a study for the International Monetary Fund (IMF), the concept of fiscal sustainability “refers to the future implications of current fiscal policies and, more precisely, to the question of whether the government can continue to pursue its set of budgetary policies without endangering its solvency” (2003, p. 3). On the other hand, Chalk and Hemming, also in a study for the IMF, point to the fact that given the difficulty of proposing a theoretical concept for fiscal sustainability, several analyses have focused on developing practical indicators, as for example, the level of indebtedness in relation to the Gross Domestic Pro­ duct of the country, to assess the level of fiscal sustainability of a State (2000, p. 24). Other factors commonly used to evaluate fiscal sustainability are: the current interest rate, the growth of interest payments and the public deficit. A quite complete definition for the term “fiscal sustainability”, is provided for in the document published by the European Commission, as follows: “the sustainability of public finances also referred to as fiscal sustainability, is the ability of a government to sustain its current spending, tax and other policies in the long run without threatening the government’s solvency or without defaulting on some of the government’s liabilities or promised expenditures” (p. 1, 2017). The document argues that, “sustainability of public finances is not a circumstantial concern, it affects essentially intergenerational fairness and it sets forth principles that are useful at all times and to all governments, irrespective of their current leverage. Keeping the government debt in check and maintaining the ability to issue debt when needed is essential for the smooth functioning of the economy. Member States need to be able to adjust to unforeseen circumstances beyond the control of the government, such as large swings in the business cycle or economic crises” (2017, p. 1). In Balassone and Franco’s study, we can observe that the concept of fiscal sustainability found nowadays, is the result of a historical process and has undergone several changes to its content throughout the centuries. The authors explain that,

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“for a long time the issue of sustainability has been addressed only in terms of the effects of public debt on the economy. According to Hume, public debt was likely to lead to injurious tax increases in the short term and possibly to default in the long term. Smith also considered that debt financing would lead to default. The consensus view was that debt financing was to be used only under exceptional circumstances, such as wars” (2000, p. 23). This view of public debt, mentioned by Hume and Smith, and quoted by Balassone and Franco, lasted until the 1930s, when public debt was not only no longer seen as a problem, but even as an important factor for economic development, when carried out on sustainable bases. Still according to Balassone and Franco, “The legitimacy of debt-finance for public investment (“golden rule”) was increasingly recognized. During the 1930s, the introduction of the dual budget was proposed and hotly debated. Sweden, for example, introduced the dual budget in 1937. The separation of current and capital operations was considered attractive since it spreads the costs of durables over the years during which they will be used and emphasizes the effects of each budgetary operation on the net worth of the public sector. In the same vein, art. 115 of the German Constitution allows yearly deficits up to the level of gross investment in the federal budget” (2000, p. 25). 2. Preliminary Considerations Regarding the Principle of Fiscal Sustainability in the Law The Law is produced from the verification of conduct or purposes deemed relevant to the well-being of society, transforming such conduct and purposes into legal provisions and, through the direct involvement of the interpreter, into legal norms. The recognition of fiscal sustainability as an indispensable condition for the good development of society, so as to ensure the sustainability of an adequate standard of living in terms of the provision of public goods and services in the future, has led several countries to institute laws to guarantee a standard of fiscal sustainability. This has been accomplished, either by making explicit legal provision for fiscal sustainability, or by establishing provisions that indirectly ensure the achievement of this state of affairs. In Portugal, for example, Law No. 151 of September 11, 2015, which established the Budgetary Framework Law for the purpose of adapting Portuguese legislation to the Treaty on Stability, Coordination and Governance in Economic and Monetary Union by the Member States of the European Union, which became known in Portugal, as taught by Marcus Abraham (2017), as the European Fiscal Pact, which expressly established in its article 11 the principle of fiscal sustainability, under the following terms:

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Article 11. Sustainability of public finances 1 – The subsectors that form the public administration sector, as well as the services and entities of which they are part, are subject to the principle of sustainability. 2 – Sustainability is understood as the capacity to finance all commitments, assumed or to be assumed, with respect to the rule of structural budget balance and public debt, as established in this law.

Also in Portuguese Law No. 151/2015, there are other extremely important provisions that are essential for the fulfillment of the objective expressed in article 11; just to mention a few, we have Article 10, which expressly establishes compliance with the principle of budget stability, defined as a “situation of budget balance or surplus”. There is also Article 13, in which the principle of intergenerational equity is established, in the following terms: “the financial activity of the public sector is subordinated to the principle of equity in the distribution of benefits and costs between generations, so as not to excessively burden future generations, safeguarding their legitimate expectations through a balanced distribution of costs across the various budgets within a multiannual framework”. However, despite the existence of express provisions in the legislation of some countries regarding fiscal sustainability, thus allocating more precise aspects to it, one must question for example, taking the case of Portugal: could it be that even before the express provision of such principle in Law No. 151/2015, wouldn’t it be possible to extract such a command from the Portuguese legal system, notably from its Constitution? Could it be, in fact, that this is an innovation or did it merely express what was already presupposed in the Portuguese legal system? Could it be that before its introduction into the infra-constitutional legislation, there was no obligation in the sense of pursuing fiscal sustainability in that country? The recognition that it is a norm already contained in the legal system certainly seems like the most suitable answer, as it will be discussed, taking as an analysis case the Brazilian constitutional framework. 3. The Constitutional Principle of Fiscal Sustainability Initially, one should understand that the principle of fiscal sustainability is a logical result of the normative force of the Constitution, defended by Konrad Hesse and widely accepted by current legal theory. This is because, considering that the Federal Constitution imposes to the State the fulfillment of a set of attributions (Kompetenz), whose fulfillment necessarily depends on the existence of financial resources to do so, one can only speak of the effectiveness of the constitutional text if the State has the financial capacity to comply with the attributions conferred upon it. It would be meaningless to assign purposes without provid-

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ing the means necessary to achieve such goals, in other words, impose on States tasks such as guaranteeing national security, providing for the well-being of the population through healthcare, education, social security, among others, without guaranteeing the means to raise sufficient financial resources to meet such obligations, in other words, without having the financial capacity to fulfill their constitutional obligations. This is why Constitutions confer powers to States, for example, to tax or to carry out credit operations when necessary. Therefore, whereas the broad recognition of the Federal Constitution’s normative force and, consequently, the State’s obligation to fulfill the attributions granted to it by the Constitution; whereas constitutional duties must be fulfilled over time in a progressive and sustainable manner; whereas the State’s financial capacity is an essential condition for it to fulfill the duties assigned to it by the Federal Constitution; we have to conclude, in response to the first question proposed in the introduction of this study, that the principle of fiscal sustainability constitutes a legal norm present in the constitutional framework, not only of Brazil, but of any State in which the obligation of conferring effectiveness to the constitutional text is verified. Also bearing in mind that, according to the theory we adopted regarding the concept of legal principle defended by Humberto Ávila, principles are finalistic rules aimed at achieving a state of affairs, and the fact that, in current constitutionalism, the goal of legal system is the achievement of fundamental rights, the following definition is proposed for the principle of fiscal sustainability, in response to the second question proposed in the introduction of this study: the principle of fiscal sustainability aims at an ideal state of affairs by which the State preserves the capacity to finance the fulfillment of the competences (Kompetenz) that were assigned to it by the Federal Constitution, ensuring, in a progressive and sustainable manner, the achievement of fundamental rights. Aiming however to deepen the study of the content of the principle of fiscal sustainability, including the behaviors necessary to achieve it, one should investigate it according to the methodology proposed by Humberto Ávila for the analysis of the legal principles, from the following investigation sequence: (a) analysis of the constitutional provisions that inform the principle; (b) investigation of the related court precedents; (c) verification of common problems; (d) analysis of the legal assets that make up the state of affairs; and (e) the achievement of the reverse course. a) Analysis of the Constitutional Provisions That Inform the Principle Next, the constitutional provisions that relate to the principle of fiscal sustainability will be analyzed, which play an important role regarding the implementation of the principle. In order to fulfill this goal, the proposed definition of the principle of fiscal sustainability we formulated has been broken down into two

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parts aiming to facilitate identification of the constitutional provisions that confers support in each of its passages. aa) An Ideal State of Affairs By Which the State Preserves the Capacity to Finance the Fulfillment of the Competences (Kompetenz) That Were Assigned to it By the Federal Constitution When one states that the principle of fiscal sustainability is aimed at preserving the State’s financial capacity to fulfill its constitutional powers, in fact, this concept – of financial capacity – is divided into two aspects: the first one refers to (i) maintaining the State’s capacity to raise public revenue; and the second refers to (ii) the preservation of the capacity to pay present or future obligations assumed by the State. Both aspects are intrinsically linked and may be the cause and/or consequence of each other. We note that the practice of acts that result in losses of fund raising, such as the granting of tax exemptions without proper analysis regarding its positive results for the State in a middle or long term, as determined by Brazilian law, may compromise not only the maintenance of the State’s capacity to obtain public revenue to fulfill its constitutional obligations, but may also compromise the public entity’s capacity to pay the public expenses incurred for the fulfillment of its constitutional obligations, given the scarcity of public resources caused by the measure. On the other hand, the assumption of excessive obligations, exceeding the amount of public revenue available to pay them, not only hinders the State’s capacity to pay, which in the absence of sufficient resources, will remain in default, but may compromise the public entity’s own fund raising capacity, as will be described in more detail below. The fact is that, the capacity of raising funds and the capacity of payment are mutually implied, and are both sides of the same coin: the State’s financial capacity. After this preliminary consideration regarding the concept of the State’s financial capacity, we will now analyze its consequences for the fulfillment of constitutional obligations. It is a fallacy to assume that public spending can rise indefinitely, to imagine that there is no public spending cap, notably for those classified as current expenditures.3 There certainly is a cap, and here is a fact: the amount of current revenue4 raised. Creating a current expenditure structure that systematically causes primary deficits year after year, generates an increase in the need for expendi3  In general, current expenditures refer to expenses intended to cover the maintenance of services previously created, including those for the maintenance and adaptation of real estate (Art. 12 § 1º of Law n. 4.320/64). 4  Current revenue refers to tax revenue, contributions, leases and other income received on a regular basis which, in general, are intended to cover current expenditures (Art. 11 § 1º da Lei 4.320/64).

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tures with interest, impairing the availability of future financial resources, which instead of being spent to fulfill the country’s constitutional obligations, such as public security, education, health, among others, shall be spent for the payment of financial expenses, as interest. Given the political difficulty of cutting expenses, as well as the fact that essential public needs remain and need to be funded in some way (which the legal theory calls the existential minimum), the State generally opts either to tax more or to raise its level of indebtedness, rather than making adjustments to its spending. However, the indefinite permanence of this situation impairs both the State’s power to collect taxes as well as the possibility of being able to make new credit operations, because the increase of taxation to very high levels affects the economy’s performance, causing as a consequence, a loss of tax due to the weak economic performance of the private sector.5 On the other hand, the increase in public debt to very high levels, considering the proportion of debt relative to the GDP, makes it increasingly difficult and costly to undertake new credit operations with the market, thus compromising its capacity to raise public revenue through public debt. From this perspective, the following actions violate the principle of fiscal sustainability, for example: actions that result in the State’s reduced capacity to obtain tax resources, by instituting levels of taxation that harm the country’s economic performance; actions that create tax exemptions without proper studies regarding its positive results for the State in the middle or long term; the establishment of an overly complex tax collection system, which makes the payment of tax (tax compliance) too costly for the taxpayer and that results in stimulating tax evasion.6 Credit operations at levels higher than allowed by the law also violate the principle of fiscal sustainability, considering that the excessive increase in public debt impairs both the State’s capacity of payment, because the financial expenses with payment of interest reduces the amount of resources available to bear its constitutional obligations, as well as impacts its own capacity to raise public resources through public debt, as mentioned above. Thus, the compatibility, especially of current expenditures with the current revenue, in other words, the budget balance, as well as compliance with the levels of indebtedness authorized by the country’s legislation, are essential so as not to 5  This conclusion is represented by the Laffer Curve, understood as a theoretical representation about the elasticity of tax revenue. 6  In a study conducted by the World Bank with PwC, called Paying Taxes 2018, it was found that Brazil is the most expensive country in the world just to pay taxes (to comply with tax laws). In Brazil, a company spends 1,958 hours in a year to pay its taxes. The second worst placed in this ranking was Bolivia, with 1,025 hours, and, third, is Lybia, with 889 hours.

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impair the State’s future financial capacity, which result in the degradation of a state of fiscal sustainability. There are several norms in the Brazilian Federal Constitution that protect the maintenance of the Brazilian State’s financial capacity, both in terms of its capa­ city to raise public revenue, as well as in terms of preserving its capacity of payment. As to the maintenance of its capacity to raise public revenue, we have the constitutional rules that limit the State’s power to tax, as well as those that impose limits to the public deficit. With regard to the protection of the capacity to pay public expenses, for example we have the rules that deal with the budget balance. As to the norms that deal with limits to the power to tax, we can say that satisfactory performance of tax collection depends on a satisfactory performance of the economic activity; if there is a crisis in the private sector, tax collection invariably drops, so there is a relationship of interdependence between the private sector and tax collection. Taxation cannot be exercised in a way that compromises the performance of the economy, because depending on the level at which such policy is carried out, if confiscatory, it may imply in a decrease of tax collection itself. Thus, the provision of norms in the Federal Constitution that limit the State’s power to tax, thereby preventing arbitrariness, not only results in a protection of individual private property but, at the same time, protects the sustainability of the tax collection system, in other words, the limitation to the power to tax ends up protecting the State’s power to tax itself. In this sense, they are rules that impose a limit to the power to tax in Brazil, corroborating to the achievement of a state of fiscal sustainability, among others: Article 145, paragraph 1 “Whenever possible, taxes will be personal and will be scaled according to the taxpayer’s economic capacity”; Article 150, “Notwithstanding other guarantees ensured to taxpayers, the Federal Government, the States, the Federal District and Municipalities are prohibited: I – to demand or increase taxes without a law that establishes it; […] IV – to use taxes for seizure purposes”. The maintenance of the capacity to collect taxes is also protected, and consequently a state of fiscal sustainability, not only by limiting the power to tax, but also by limiting the power to institute tax exemption. Therefore, the Federal Constitution established in its paragraph 6 of Article 165 that, “the budgetary law bill will be accompanied by a regionalized statement regarding the effect on revenues and expenses arising from exemptions, amnesties, remissions, subsidies and benefits of a financial, tax and credit nature”, as well as determining, with the purpose of avoiding a fiscal war between the states of the federation, that any tax exemption could only be conferred by means of an agreement signed with the deliberation of all states, in the case of the Tax on Circulation of Goods and Services (Article 155, XII, g). As to the protection of the capacity public indebtedness, the Constitution provides in Article 48, XIV, Congress’ power to legislate on “currency, its limits

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of emission, and the amount of the federal bond debt”. Immediately below, article 52 established that it is the responsibility of the Federal Senate, exclusively: “[…] VII – provide for overall limits and conditions for external and internal credit operations of the Federal Government, the States, the Federal District and Municipalities, their autonomous entities and other entities controlled by the Federal Government; VIII – establish limits and conditions for the granting of a Federal Government guarantee in external and internal credit operations; IX – establish overall limits and conditions for the amount of the bond debt of the States, the Federal District and the Municipalities […]”. As to the rules that impose budget balance and, consequently, safeguard the public entity’s capacity of payment, there is Article 167, III, of the Federal Constitution, which states the golden rule of public finances, when establishing the prohibition of “carrying out credit operations that exceed the amount of capital expenses, except for those authorized by means of additional or special credits with a precise purpose, approved by Congress by an absolute majority”. In other words, it establishes a balance in the capital budget, between capital revenues7 and e expenditures8, preventing credit operations from being carried out to finance current expenditures. Also in the sense of preserving the budget balance, Article 167, item II, prohibits “expenses or the assumption of direct obligations that exceed budget or additional credits” and item VII prohibits, “the granting or use of unlimited credits”. Finally, we should warn that we are not stating that the sheer practice of actions to reduce the amount of the tax burden by the State violates its fiscal sustainability. The State may, in a planned manner, decide to decrease the amount of tax charged, for example, by reducing taxes when the amount resulting from its collection is sufficient to cover its expenses. What violates the State’s fiscal sustainability is its loss of capacity to collect revenue, which compromises its capacity to meet the expenses considered essential for the fulfillment of its constitutional functions. If constitutional attributions are reduced without a setback in the fulfillment of the fundamental rights guaranteed by the Federal Constitution, and consequently, the tax burden borne by the population is reduced, there is no loss of the state of affairs aimed by fiscal sustainability.

7  Capital

revenues are basically revenues from loans and disposals of assets (Art. 11 § 2º of Law n. 4.320/64). 8  Capital expenditures refer basically to investments, as expenses with the acquisition of physical asset (Art. 12 § 4º of Law n. 4.320/64).

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bb) Ensuring, in a Progressive and Sustainable Manner, the Achievement of Fundamental Rights The 1988 Federal Constitution, predominantly in articles 21 to 24, established an extensive list of administrative and legislative competences to be exercised by each of the federative entities in Brazil (the Federal Government, States and Municipalities). It is by means of the exercise of such powers that the essential functions of the Brazilian State are fulfilled, such as ensuring fundamental rights, listed in Article 5 (that deal with individual liberties and guarantees, such as the right to life, freedom, equality, security and property), as well as in articles 6 to 11 (which deal with social rights, such as education, health, food, work, housing, among others). Invariably, the fulfillment of all these attributions, whether referring to socalled first-generation or second-generation fundamental rights, as pointed out by Cass R. Sunstein and Stephen Holmes in “The Cost of Rights: why liberty depends on taxes”9, demand the expenditure of public resources. For this reason, the implementation of such rights in their fullest extent, currently finds a factual limit: the unavailability of sufficient financial resources. Faced with this factual impossibility, it is necessary to plan the expenditure of public resources, choosing priorities, so that it is progressively possible and in a sustained manner, to fulfill the rights provided for in the Federal Constitution. The attempt to effect rights by trampling the State’s financial capacity, and consequently, its fiscal sustainability, although it may generate social benefits in the short term, in general, ends up representing a mere waste of resources in the medium or long term, and frequently, in setbacks rather than in a progressive achievement of rights. The State’s commitment shouldn’t only be to implement fundamental rights, but to be able to maintain them in the long term; what in the short term may re­ present a reduction in the speed of realization of public policies, may represent, in the long run, the sustained and permanent implementation of a right, rather than a reversal. As the saying goes, “more haste, less speed”. We are not stating that the preservation of fiscal sustainability is an excuse for not fulfilling the constitutional attributions, quite the opposite. The Consti9  “The Declaration of Independence states that ‘to secure these rights, Governments are established among men’. To the obvious truth that rights depend on government must be added a logical corollary, one rich with implications: rights cost money. Rights cannot be protected or enforced without public funding and support. This is just as true of old rights as of new rights, of the rights of Americans before as well as after Franklin Delano Roosevelt’s New Deal. Both the right to welfare and the right to private property have public costs. The right to freedom of contract has public costs no less than the right to health care, the right to freedom of speech no less than the right to decent housing. All rights make claims upon the public treasury” (2000, p. 15).

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tution imposes obligations on the public entity that must necessarily be fulfilled in an efficient and planned manner, so that the maximum public benefit can be obtained with the minimum resources. What is being argued is that such a requirement must necessarily be fulfilled through a responsible management of resources without waste, so as not to compromise the State’s paying capacity, since the inefficient use of public resources invariably means that fundamental rights haven’t been achieved to their maximum extent possible. Actually, the preservation of the State’s financial capacity, aimed by the principle of fiscal sustainability, is an essential condition for the achievement of fundamental rights. If there are no financial resources, there are no material conditions for the achievement of rights. In this sense, acting in such a way that compromises the State’s financial capacity corresponds to violating, at once, all fundamental rights that the State must provide, since currently, there are no rights that can be guaranteed without the financial resources to do so. Even the so-called first generation rights, as mentioned above, depend on public resources for their implementation. The duty to comply, in a sustained manner, with constitutional obligations, as well as the fundamental rights derived from them, can be extracted from a set of constitutional provisions that impose the observance of planning and efficiency in the management of the State’s financial activity, among which is article 37 of the Federal Constitution, when it imposes on the Federal, State, Federal District and Municipal governments the compliance to the principle of efficiency, as well as article 70, when it determines that any public or private entity that manages public resources is subject to the oversight of internal and external control entities, which will analyze the legality, legitimacy and cost effectiveness of its acts. We should also mention articles 165, 166 and 167, which provide a series of provisions that deal with the need for financial planning in Public Administration, such as sections I, II and III of article 165, which respectively impose the drafting of a multi-year plan, budget directives law and the annual budget law. b) Investigation of Court Precedents Now we proceed to analyze manifestations of the principle of fiscal sustainability in decisions entered by Superior Courts in Brazil, notably the Federal Supreme Court (STF) and the Superior Court of Justice (STJ). The search period used covers the last ten years, and decisions prior to this period where included whenever they were referred to in the appellate decisions sought. Keywords used for the search were: fiscal responsibility, fiscal sustainability, public budget and net current revenue. Given the impossibility of mentioning all decisions, since that would require the length of a book, not of an article, we decided to select the most current ones, those that approached the theme in a more in-depth way.

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Among the appellate decisions analyzed, the only one in which there is an explicit reference to the expression fiscal sustainability was that rendered in the trial of Direct Action for the Declaration of Unconstitutionality (ADI) no. 5468-DF, filed by the National Labor Court Judges Association (ANAMATRA), judged on 06. 30. 2016, the Judge-Rapporteur of which was Justice Luiz Fux. The issue dealt with cuts made by the National Congress (Brazilian parliament) in the budget proposed by the Labor Courts for the financial year of 2016. ANAMATRA argued that such cuts would impair the development of its judicial activity and that the actions of the Parliament would represent a violation of the financial autonomy of the Judiciary, as well as of the principle of separation of powers. As a result of this trial, the constitutionality of the Annual Budget Law and the legitimacy of the Parliament’s action was upheld. The acknowledgment of the economic crisis Brazil is going through is reflected in the votes cast by the Justices. Justice Gilmar Mendes mentioned a “state of financial exception”, citing Greece and Portugal as examples that, when going through a similar situation, even reduced the salaries of judges. He also considers that public actions are restricted by the “limit of the financially possible”. Justice Luiz Fux stated that “from the angle of the principiology of the subprinciples of proportionality (necessity, adequacy and proportionality in the strict sense), parliamentary abuse does not occur when the reduction of public budget allocated to budget agencies and programs is necessary as a result of an economic and fiscal crisis. […] In other words, as a general rule, there is no vested right to a budget. This assertion may seem categorical, but it must be even more emphasized in terms of budget lines intended to maintain the administrative apparatus of the State. That occurs because the very stabilization of a fixed budget, besides being detached from the country’s macroeconomic scenario, ends up encouraging a regime of lower productivity.” Further ahead, quoting authors Ricardo Lobo Torres and Diogo de Figueiredo Moreira Neto, he added that “the budget system introduced by the 1988 Constitution provides for the harmonious coexistence of the Multi-year plan, the Budget Directives Law and the Annual Budget Law”, so that “the guiding thread that teleologically unites these normative acts (Multiyear plan, Budget Directives Law and Annual Budget Law), which inspired the 1988 constitutional convention, notably in the light of the German example, […] consists of the search for planning and programming the financial activity of the State, in order to materialize the principles of economicity and efficiency in obtaining revenues and in the realization of public expenses, indispensable for the satisfaction of the social interests by a Public Administration guided by the modern paradigm of results.” Also worthy of note is an excerpt of Justice Edson Fachin’s vote, in which he expressly mentions the term fiscal sustainability: “it is not possible to extract from the legal framework an element that supports the claim of the Plaintiff to

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prevent a suppressive adjustment in the programming of public capital expenditures, in an unfavorable economic situation, marked by a fall in revenue collection and excessive levels of public indebtedness. Because the very teleology of the Multi-year plan consists of the search for budgetary balance and financial sustainability of the Fiscal State, in light of the principles of planning, control and transparency in the field of public finances. In his vote, Justice Fachin quotes an interesting passage from The Cost of Rights, by Cass Sustein and Stephen Holmes: “decisions about which rights – and in what form – should be protected and how much social wealth should be invested should be subject to constant criticism and public debate in processes of democratic deliberation.” It can be seen from Justice Fachin’s vote that, although he did not expressly name fiscal sustainability and fiscal balance as principles, he referred to both as a state of affairs to be implemented through what he called the principles of planning, control and transparency. Still about ADI no. 5468-DF under analysis, Justice Luís Roberto Barroso’s position was very elucidative: “Therefore, and this is the first idea that appears in the vote of the Judge-Rapporteur, the fact that the Judiciary has the prerogative to formulate its own budget does not mean it has the right to receive everything it asked for. In life, we ask for as much as we want and receive as much as we can.” After these considerations, we proceed to the analysis of the suits for writs of mandamus (MS) No. 31671/Rio Grande do Norte (RN), No. 34483/Rio de Janeiro (RJ) and a Provisional Remedy for Suspension of Security (MC-SS) No. 5136/Rio Grande do Sul (RS). The suits refer to three distinct states of the Brazilian federation (Rio Grande do Norte, Rio de Janeiro and Rio Grande do Sul), however, they have similar subject-matters and received similar judgment from the Federal Supreme Court, which is why they will be analyzed together. They deal with the possibility or not of the Executive Branch of a state, due to the decrease of collection of revenue previously planned in the Annual Budget Law, to make cuts in the transfer of this revenue to the Judiciary, in proportion to the decrease of collection verified during the execution of the budget. It should be noted that, in these cases, unlike the previous one, cuts would be carried out directly by the Executive Branch during the period of execution of the Annual Budgetary Law, and not by the Parliament, on the occasion of the drafting of the Annual Budgetary Law. The three appeals to allow for the cuts made by the Executive Branch were granted by the Federal Supreme Court, under the argument well summarized in Justice Teori Zavascki’s vote, in MS no. 34483/RJ: “The discussion, in its essence, is to know which the basis of calculation for the one-twelfth10 actually is; the budgeted, projected amount; or the amount actually received […].”

10 

Transfer of funds divided into 12 installments in a year.

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First, we must guarantee the separation of Powers. It means that one Power cannot interfere in the administration of another. Therefore, obviously, it is not for the Executive Branch to tell the Judiciary or the Legislative or the Prosecution Office where each of them will cut expenses. On the other hand, we must also guarantee a position of equality between Powers. It does not make sense, in my view, that before a situation of large budgetary deficit, that is, in which collection, performance and realization of budgetary receipts are much lower than what was projected, that a particular Power – the Judiciary, or the Legislative, or the Prosecution Service – has its one twelfth calculated with basis on an unreal amount, the projected amount, while the other Power has not only to calculate its one twelfth differently and worsened, because, if one Power is privileged, the other will necessarily suffer the consequences of that. The solution found by the honorable Judge-Rapporteur, that, in my view, addresses that, was to stipulate that the basis of calculation should be the real amount, not the fictitious one, because this fictitious amount cannot be stipulated for all. The real amount, the budgetary receipts actually realized, is stipulated as the basis of calculation for all Powers. Each with its proportional percentage share”. Justice Teori Zavascki’s speech carries an important lesson in the sense that the Powers of the Republic must work with the real budget, that is, with the amount of resources actually collected. Secondly, he argues that any cut resulting from insufficient cash should be made in an equitable way, so that all Powers of the Republic equally bear the burden of unsuccessful collection of revenue. To act differently, that is, so that the powers could base their budgets on fictitious estimates rather than on a real budget, adjusting their spending to what was actually received by the public treasury, would undoubtedly jeopardize the budgetary balance between revenues and expenditures. Lastly, it is also worth mentioning the Provisional Remedy for Suspension of Security (MC-SS) no. 5191/Amapá (AP), judged on 07/25/2017, whose Judge-Rapporteur was Justice Carmem Lúcia. The case was about whether or not the State of Amapá could carry out the payment of the salaries of its public servants in installments, since, although there is no law determining the payment of salary in a single monthly installment, this form of payment, used over the years, would have generated a legitimate expectation of this right from its public servants, so that the form of payment in installments would, in theory, compromise the provision of support to the public servants of the State of Amapá. In her vote, the Justice stated that: “The Judiciary cannot, by any means, ignore the state contingency that led to the delay in paying the civil servants’ salaries, in the face of the proven depletion of the state budget.” As taught by Eros Grau, in his opinion on the subject: “Budgetary exhaustion … is the situation that manifests itself when there are insufficient resources for the Administration to comply with specific judicial

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decisions or decision. In this case, there is no cash available to comply with them. Here, the prevalence of the principle of subjection of the Administration to the decisions of the Judiciary, in relation to the principle of legality of public expense, does not apply. Even if the rules that confer concretion to the latter were set aside, still the Administration will not be able to comply with the judicial decisions.” The Justice further states that: “for the purposes of serious damage to the public economy, it is not enough to have arguments based on the momentary difficulty of payment claimed by the Petitioner in the suit for which the preliminary injunction was granted, but there should be circumstances that prevent the immediate due discharge because, with such an implement, the situation would become worse and more burdensome in such a way that the adoption of a suspensive measure of the effectiveness of the preliminary injunction granted would be imperative” (emphasis added). That is, in her opinion, the Justice was careful when explaining that frustrating the legitimate expectation of public servants to receive their salaries in one single monthly installment could not be due to a sheer momentary impossibility of payment, but only when it was found that compliance with this duty would be worse and more burdensome for the population of Amapá, due to the impossibility of complying with essential public policies, given the serious shortage of resources that would have been proven during the process. In short, from the Justices’ speeches, one can conclude that fiscal sustainability, planning of the State’s financial activity, efficiency in the management of public resources, parliamentary control, fiscal transparency, and budgetary balance were recognized by the Brazilian Supreme Court as purposes required by the Federal Constitution of Brazil, that is, they were recognized as principles of the Brazilian legal order so, the behavior of public agents, within the scope of any of the powers (as in the cases analyzed), must adjust to conform to such principles, otherwise it will not be possible to implement them. c) Common Problems Thirdly, Humberto Ávila teaches that when seeking to define a legal principle, a jurist must analyze the existence of a common problem that approximates different cases and verify the values responsible for solving the problem. In the decisions set out above, it was found that the problem common to all cases presented refers to a situation of insufficient resources to fully satisfy a set of social demands allegedly included in the Federal Constitution. Such situation has put legal principles equally protected by the constitutional order in opposite sides. On one side fiscal sustainability, budget balance and planning and, on the other, the principle of financial autonomy and separation of powers or even social values of labor, such as the receipt of salary.

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Balancing the principles in opposite sides, the Federal Supreme Court ended up privileging, in concrete cases, those principles that express values towards fiscal sustainability. This concern with the financial sustainability of the public entity and the consequence of its non-preservation is clear in Justice Carmén Lúcia’s statement, quoted above, when she states that the implementation of the right claimed in the case “would cause a worse and more burdensome situation” for the population. It is understood, therefore, that the actions taken by the Executive Branch (or by the Legislative Branch in the first case) to preserve the State’s payment capa­ city in times of crisis did not affect the essential core of the principle of separation of powers or the right to receive a salary, while they have proved to be important measures for preventing the financial degradation of the public sector, enabling it to cope with as many expenses as possible, ensuring essential benefits such as health, education and security. d) Analysis of the Legal Interests That Make Up the State of Affairs At this stage, the search is to verify behaviors necessary for the implementation of the state of affairs aimed by the principle of fiscal sustainability. Most of these behaviors, provided for in the Brazilian Federal Constitution itself, have already been analyzed in item (b). They represent true pillars for the accomplishment of a state of affairs in which the capacity to finance public attributions is preserved, such as: Public Administration efficiency, budgetary balance, which establishes limits on the public deficit, the rules that limit the power to tax – such as the principle of contributive capacity, the principle of non-forfeiture and the principle of prospective application of taxes – and the rules that obligates the Public Administration to act in a planned manner, imposing, for example, the creation of the Annual Budget Law, of the Multi-year plan. Besides these, there are other behaviors necessary to achieve the state of affairs aimed by the principle of fiscal sustainability, and these principles of constitutional legal order are already known. They are: the principles of publicity, fiscal transparency, morality and control. Several of the aforesaid behaviors were even mentioned in the Federal Supreme Court decisions analyzed above: budgetary balance, the principle of efficiency, the principle of planning, control and transparency of public accounts. e) Achievement of the Reverse Course Finally, Humberto Ávila suggests that once “the state of affairs and the behaviors necessary for its promotion are discovered, it is necessary to verify the existence of other cases that should have been decided on the basis of the principle under analysis.” In this sense, he finally, proposes: to remake the research for

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precedents by searching for other keywords; and to critically analyze the decisions found, reconstructing them according to the principle under examination, in order to show their lack of use (2018). After carrying out the procedure proposed by the author, it was found that a large number of decisions involving budgetary matters rendered by the Federal Supreme Court up to mid-2013 did not directly take into consideration the principle of fiscal sustainability in their rationale, or indirectly, by the mention of behaviors necessary for its implementation. It was verified that this picture only began to change after the economic crisis that started in Brazil as of 2013, when the Federal Supreme Court, urged to take a position, began to consider in its decisions the extreme necessity of behaviors that preserved the fiscal sustainability of the State, such as those mentioned in item (b). However, the fact is that, up to the establishment of this crisis scenario, there was an omission of the Judiciary in addressing the principles of fiscal sustainability and planning and budgetary balance in the rationale of its decisions involving budgetary matters. Those principles were not even balanced against other constitutional principles that, in a practical case, could represent a worsening on the State’s financial capacity. In item (b), the most recent precedent of the Federal Supreme Court was analyzed, according to which, in view of the frustration in the collection of public revenue, such frustration of revenue must be borne by the three Powers of the Republic. Therefore, if there is a 10% decrease in public revenue collection, this decrease will proportionally reach the three branches of the Republic (Executive, Legislative and Judiciary Branches), and not only the Executive Branch, under the consequence of public policies implemented by this Power incur excessive burdens by bearing alone the mismatch between the planned (fictitious) budget and the real (actually collected) budget. However, the precedents of the Federal Supreme Court, prior to October 2013, adopted a diametrically opposite viewpoint. See, for example, an excerpt from the first decision rendered in the case of MC in MS no. 31671/Rio Grande do Norte (RN), by Rapporteur Justice Ricardo Lewandowski, on 8. 23. 2013: As I pointed out in the judgment rendered on November 20, 2012, the precedents recorded in this Court have stated many times that “the Executive Power (…) is not, assuredly, the manager of the budgetary resources allocated to the Courts, whatever the governmental sphere – federal or state – in which it is located”, and that the guarantee of administrative and financial independence of the Judiciary, materialized by the duodecimal transfer imposed by art. 168 of the Federal Constitution, “is not subject to financial programming and to the collection flow”, and it also constitutes “a priority distribution order (not only equitable) of satisfaction of budget appropriations, assigned to the Judiciary” (MS 21.450/MT, Rapporteur Judge – (emphasis added).

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The Justice resumes his judgment adding that: That was exactly why Justice Marco Aurélio, when entering his vote on the full trial of AO 311/AL, for which he was the Rapporteur, stated that “cash difficulties cannot justify the placement of the constitutional provision on a secondary level.” Here is the syllabus of this precedent: “Budget – Judiciary – One-Twelfths. It is the Executive Branch duty to transfer the one twelfth regarding the budget of the Judiciary until the 20th day. Reasons linked to both the balance of state finances or collection do not justify the postponement of the strict observance of the constitutional order – article 168 of the 1988 Federal Charter. Precedents: writs of mandamus nos. 21450 and 21291, rendered before the full court by Justices Octavio Gallotti and Celso de Mello, with appellate decision published in Court Registers dated June 5, 1992 and October 20, 1995 respectively.”

It should be noted that according to the position presented in such decisions, which prevailed in the Federal Supreme Court until October 2013, regardless of the deficit that occurred in the collection of public resources during the execution of the Public Budget, the Executive Branch was obligated to fully transfer the full amount planned in the Annual Budget Law to the Judicial and the Legislative Branches, regardless of the fact that public revenue was actually collected or not. Such a position constituted an excessive burden for the Executive Branch and severely compromised the principle of budget planning and balance, which, as seen before, represent behavior necessary to implement the principle of fiscal sustainability. A possible impairment of the state of affairs aimed at by the principle of fiscal sustainability, of budget balance or planning was not even discussed in the reasoning of decisions. The fact that the Federal Supreme Court has begun to take into consideration, in its judgments, principles that represent behaviors necessary for the implementation of the principle of fiscal sustainability, such as the principle of planning or budget balance, certainly represents a step towards reaching a state of affairs in which the capacity of the Brazilian State to raise revenue to meet its objectives is preserved. However, it is important to emphasize that, recognizing the imperiousness of the state of affairs aimed by the principle of fiscal sustainability only in moments of crisis, when the population is already suffering from the effects of disregarding the principle, with a decrease in quality of life resulting from the lack of resources to carry out the functions of the State as laid down in the Federal Constitution, is not enough. The principle of fiscal sustainability must be addressed in judicial decisions, including, and with the same force, in times when availability of public revenue is not a serious problem, under the consequence of social regression in the future, due to the lack of financial resources to meet the fundamental rights guaranteed by the Federal Constitution.

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IV. Conclusions The objective of the present study was to throw light on the principle of fiscal sustainability, contained in the Brazilian constitutional order, in order to clarify its definition, thus helping legal professionals who, in their work, are faced with the absence of studies aimed at defining the constitutional principles governing the law of public finance. The subject certainly deserves further study, with a detailed analysis of the wide range of precedents on the subject, as well as of the diversity of practical cases in which the principle may be applied. This article’s goal, however, was only to take the first step in this long journey.

References Abraham, Marcus, O Pacto Fiscal Europeu e a experiência portuguesa, 2017. Available in: https://www.jota.info/opiniao-e-analise/colunas/coluna-fiscal/o-pacto-fiscal-europeu-e-a-experiencia-portuguesa-04102017. Access in: November 26, 2018. Ávila, Humberto, Teoria dos Princípios: da definição à aplicação dos princípios jurídicos. 18a ed. São Paulo 2018. Balassone, Fabrizio/Franco, Daniele, Assessing Fiscal Sustainability: a review of methods with a view to EMU, 2000. Chalk, Nigel/Hemming, Richard, Assessing Fiscal Sustainability in Theory and Practice, in: IMF Working Paper, April 2000. Croce, Enzo/Juan-Ramón, V. Hugo, Assessing Fiscal Sustainability: A Cross- country Comparison, in: IMF Working Paper, July 2003. European Commission, European Semester Thematic Factsheet Sustainability of Public Finances, 2017. Available in: https://ec.europa.eu/info/sites/info/files/european-semester_thematic-factsheet_public-finance-sustainability_en.pdf. Access in: November 26, 2018. Hamilton, James D./Flavin, Marjorie A., On the limitations of government borrowing: a framework for empirical testing, in: The American Economic Review, 76 (4) (1985), p. 808– 819. Holanda, Aurélio Buarque de, Mini Dicionário Aurélio da Língua Portuguesa. 8a ed. São Paulo 2010. Holmes, Stephen/Sunstein, Cass R., The Cost of Rights: why liberty depends on taxes. New York 2000. PwC/World Bank, Paying Taxes 2018 (2018). 1.958 horas, segundo lugar Bolivia, com 1.025 horas, e terceiro lugar Lybia, com 889 horas. Available in: http://www.doingbusiness.org/content/dam/doingBusiness/media/Special-Reports/2018-Paying-Taxes.pdf.

Walter Wallmann: Finanzkontrolle des Bundesrechnungshofes bei Landesbehörden – Die Grundgesetzänderung aus Sicht eines Landesrechnungshofes

Finanzkontrolle des Bundesrechnungshofes bei Landesbehörden Die Grundgesetzänderung aus Sicht eines Landesrechnungshofes Walter Wallmann Walter Wallmann Finanzkontrolle des Bundesrechnungshofes bei Landesbehörden – Die Grundgesetzänderung aus Sicht eines Landesrechnungshofes

I.  Einleitung „Finanzkontrolle ist wichtig, doch steht ihre ausufernde Behandlung im juristischen, aber auch sonstigen Schrifttum außer Verhältnis zu ihrer Bedeutung im Vergleich zu anderen Teilen der Finanzverfassung.“1

Eine solche Einordnung des Jubilars – ausgerechnet in seiner Kommentierung des „Rechnungshofartikels“ im Grundgesetz – muss jeden Finanzkontrolleur aufhorchen lassen. Trotz der unverhältnismäßigen Fülle von Literatur über die Finanzkontrolle wird mit diesem Beitrag die Zahl der Veröffentlichungen noch weiter erhöht. Gegenstand dieses kritischen Zwischenrufs ist eben jener Art. 114 GG, der zuletzt im Jahr 2017 eine Änderung erfahren hat. Mit der Aufnahme eines neuen Satz 2 in dessen zweiten Absatz wurde die vieldiskutierte Frage, inwieweit der Bundesrechnungshof bei Landesbehörden und Kommunen seine Kontrolltätigkeit ausüben darf, im Grundgesetz beantwortet. Diese Frage, über die sich zuvor insbesondere Vertreter von Bundes- und Landesrechnungshöfen jahrzehntelang ereifert haben, interessiert auf den ersten Blick nur einen kleinen Personenkreis von Praktikern. Es soll herausgearbeitet werden, dass es bei der Grundgesetzänderung um mehr ging, als um das bloße Abstecken von „Revieren“ der Bundes- und Landesrechnungshöfe. Sie war ein Eingriff in die Haushaltsautonomie der Länder, ein wesentliches Merkmal des deutschen Föderalismus. Es soll aber auch um das „Wie“ der Grundgesetzänderung gehen. Dieser Beitrag ist vor allem als Dank eines Praktikers für die beeindruckende akademische Lebensleistung von Helmut Siekmann gedacht. Bei der Befassung mit einem solchen Thema aus der Finanzverfassung führt kein Weg an ihm vor1  Helmut Siekmann, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 8. Aufl. 2018, Art. 114, Rn. 4.

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bei. Vielleicht gelingt es darüber hinaus mit diesem kritischen Zwischenruf, noch einmal das Interesse der Fachwelt auf ein Detail einer Reform zu lenken, die Siekmann als „überstürzt“ bezeichnet hat. Nicht nur hier ist ihm zuzustimmen.

II.  Föderalismus und föderale Finanzkontrolle 1.  Ein Blick zurück: Ein gemeinsames Ziel und doch Gerangel um Kompetenzen Nach dem in Art. 109 Abs. 1 GG verankerten Grundsatz der Haushaltsautonomie sind Bund und Länder für ihre Haushalte jeweils selbst verantwortlich. Zu Überschneidungen kommt es insbesondere bei Gemeinschaftsaufgaben, Auftragsverwaltung oder Finanzhilfen. Aus dem Blickwinkel der Finanzkontrolle bedeutet dies, dass Bundes- und Landesrechnungshöfe grundsätzlich ihre Zuständigkeiten für die Haushalte ihrer Gebietskörperschaften haben. Insbesondere gibt es kein Über-/Unterordnungsverhältnis von Bundes- und Landesrechnungshof. Für die beschriebenen Schnittstellen besteht die Forderung, dass es keine prüfungsfreien Räume geben darf. Inwieweit der Bundesrechnungshof Erhebungen bei Länderbehörden oder Kommunen durchführen darf, war in der Vergangenheit Gegenstand einer langen intensiven Diskussion im Schrifttum und wurde auch höchstrichterlich entschieden.2 Die herrschende Meinung leitete die Erhebungsrechte des Bundesrechnungshofes akzessorisch zu der Verwaltungskompetenz des Bundes ab.3 Eine vor allem von Beschäftigten des Bundesrechnungshofes entwickelte Lehre forderte demgegenüber, die Prüfungs- und Erhebungskompetenz des Bundesrechnungshofes aus der Finanzierungskompetenz des Bundes abzuleiten.4 Dazu wurde auf die systematische Stellung des Art. 114 GG im X. Abschnitt „Das Finanzwesen“ verwiesen. Die Finanzverantwortung des Bundes ende nicht mit der Weitergabe der Bundeshilfe an die Länder. Deren staatliche Organe seien Treuhänder der Haushaltsmittel und zur Rechenschaft gegenüber dem Bundesrechnungshof verpflichtet. Nur wenn die Finanzkontrolle des Bundesrechnungshofes 2  BVerfGE 39, 96 zum Städtebauförderungsgesetz; BVerwGE 116, 92 zu Erhebungen bei Landesfinanzbehörden. 3 Vgl. etwa Hans Blasius, Prüfungs- und Erhebungskompetenzen des Bundesrechnungshofs im Länderbereich, DÖV 1992, S. 18 ff.; Kyrill-A. Schwarz, in: v. Mangoldt/ Klein/Starck (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 6. Aufl., München 2010, Art. 114, Rn. 57. 4  Eine Darstellung zum Meinungsstand findet sich bei Manfred Eibelshäuser, Die Zusammenarbeit des Bundesrechnungshofs und der Landesrechnungshöfe, in: Dieter Engels (Hrsg.), 300 Jahre externe Finanzkontrolle in Deutschland – gestern, heute und morgen. Festschrift zur 300. Wiederkehr der Errichtung der Preußischen General-Rechenkammer, Berlin 2014, S. 437 (468 f.).

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funktional zur Finanzierungskompetenz des Bundes verstanden werde, würden prüfungsfreie Räume vermieden.5 Nach den verschiedenen Fallgruppen ergab sich das folgende Bild: • Finanzhilfen des Bundes an die Länder waren laut Bundesverfassungsgericht kein Instrument, um wirtschafts-, währungs-, raumordnungs- oder strukturpolitische Ziele des Bundes in den Ländern zu steuern. Nach der rechtlich verbindlichen Zuweisung sei dem Bund jede weitere Einflussnahme auf die Verwaltung durch die Länder versagt. Sowohl die parlamentarische Kontrolle des Bundestages als auch das Prüfrecht des Bundesrechnungshofes reichten nur bis zur Hingabe der Finanzhilfen an die Länder.6 • Bei der landeseigenen Verwaltung von Bundesgesetzen übt die Bundesregierung nach Art. 84 Abs. 3 GG die Rechtsaufsicht aus. Dazu kann sie u. a. Beauftragte zu den obersten Landesbehörden entsenden. Die Prüfrechte des Bundesrechnungshofes erstrecken sich darauf, ob der Bund mit seinen Aufsichtsmaßnahmen die Rechtmäßigkeit des Vollzugs in den Ländern gewährleistet. Nach herrschender Meinung waren Erhebungen des Bundesrechnungshofes verwaltungskompetenzakzessorisch nur bei obersten Landesbehörden zulässig.7 • Im Bereich der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG erstreckt sich die Bundesaufsicht auf Gesetzmäßigkeit und Zweckmäßigkeit der Ausführung von Weisungen. Alle Landesbehörden unterstehen den Weisungen der zuständigen obersten Bundesbehörden. Bei der Prüfung steht die Frage im Vordergrund, wie die zuständigen obersten Bundesbehörden und die Bundesregierung die ihnen zur Verfügung stehenden Aufsichts- und Weisungsinstrumente nutzten. Aus diesem Grund kann der Bundesrechnungshof nicht nur bei obers-

5  Ernst Heuer, Grenzen von Prüfungs- und Erhebungsrechten – Die Anwendung des § 91 BHO im Länderbereich und in der Sozialversicherung, Erhebungsrechte bei Rüstungsfirmen, in: Heinz Günter Zavelberg (Hrsg.), Die Kontrolle der Staatsfinanzen – Geschichte und Gegenwart 1714 – 1989, Festschrift zur 275. Wiederkehr der Errichtung der Preußischen General-Rechen-Kammer, Berlin 1989, S. 181 (187); Rolf-Dietrich Kammer, Finanzkontrolle und Finanzierungskompetenz des Bundes, DVBl. 1990, S. 555 (557 ff.); ders., in: Dieter Engels/Manfred Eibelshäuser (Hrsg.), Kommentar zum Haushaltsrecht, Stand: Juni 1999, § 91 BHO, Rn. 5 ff.; Matthias Mähring, Externe Finanzkontrolle im europäischen Mehrebenensystem, DÖV 2006, S. 195. 6  S. BVerfGE 39, 96 (127). 7  Blasius (Fn. 3), DÖV 1992, S. 18 (21); Kyrill-A. Schwarz, Finanzkontrolle im föderalen Mehrebenensystem, DVBl. 2011, S. 135 (138); Hans Bernhard Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 12. Aufl. 2011, Art. 114, Rn. 12b; kritisch Dieter Engels, in: Wolfgang Kahl/Christian Waldhoff/ Christian Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Stand: August 2010, Art. 114, Rn. 217.

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ten Landesbehörden, sondern auch im nachgeordneten Bereich Erhebungen durchführen.8 • Die Gemeinschaftsaufgaben nach Art. 91a GG sind Aufgaben der Länder, bei deren Erfüllung der Bund zur Verbesserung der Lebensverhältnisse mitwirkt. Der Bund übernimmt dabei die Koordinierung in Form der Rahmengesetzgebung und trägt mindestens die Hälfte der Ausgaben. Der Bundesrechnungshof prüft, ob die Bundesmittel für die vorgesehenen Aufgaben eingesetzt werden. Sowohl im Verfahren der Rahmengesetzgebung als auch im Vollzug der Gemeinschaftsaufgaben kommunizieren die obersten Bundesbehörden in der Regel mit den obersten Landesbehörden. Aus diesem Grund war im Schrifttum die Ansicht verbreitet, dass Erhebungen (analog zur landeseigenen Verwaltung von Bundesgesetzen) nur bei obersten Landesbehörden zulässig seien.9 2.  Ein weiterer Rechtsstreit vor dem BVerfG Zu einer neuerlichen Zuspitzung dieses Kompetenzkonfliktes zwischen Bundesrechnungshof und den Bundesländern kam es anlässlich des sogenannten Konjunkturpakets II. In Reaktion auf die Finanzmarktkrise gewährte der Bund mit dem Zukunftsinvestitionsgesetz10 Ländern und Kommunen Finanzhilfen in Höhe von 10 Mrd. Euro. Der ursprüngliche Gesetzentwurf wurde aufgrund der Beratungen im Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages um Kontrollrechte des Bundes ergänzt. Zuvor hatte der Bundesrechnungshof mit Schreiben vom 6. Februar 2009 gegenüber dem Vorsitzenden des Haushaltsausschusses geäußert, er betrachte „eine mögliche Überprüfung durch die Rechnungshöfe der Länder als nicht ausreichend.“11 Der so entstandene § 6a ZuInvG ermächtigte die Bundesexekutive, bei Ländern und Kommunen Nachweise zu verlangen, Unterlagen einzusehen sowie örtliche Erhebungen durchführen. Der Bundesrechnungshof sollte gemeinsam mit dem jeweiligen Landesrechnungshof die zweckentsprechende Verwendung der 8 

S. BVerfGE 116, 92. Schwarz (Fn. 7), DVBl. 2011, S. 135 (138); Brockmeyer, in: Schmidt-Bleibtreu/ Hofmann/Henneke (Fn. 7), Art. 114, Rn. 12a; kritisch Engels, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Fn. 7), Art. 114 GG, Rn. 218; offener auch Matthias Mähring, Die externe Finanzkontrolle des Bundes im Kontext föderativer Staatsverfassung und Staatspraxis in: Engels (Hrsg.) (Fn. 4), S. 389 (432). 10  Gesetz zur Umsetzung von Zukunftsinvestitionen der Kommunen und Länder (Zukunftsinvestitionsgesetz – ZuInvG), BGBl. 2009 Teil 1 Nr. 11. 11  Eine Schilderung des Verfahrensgangs sowie eine auszugsweise Wiedergabe des Schreibens findet sich bei Stefan Korioth, Der Bundesrechnungshof, die Länder und die Gemeinden – ein verfassungsrechtliches Lehrstück zum deutschen Bundesstaat, Szenen 1 bis 3, in: Martin Junkernheinrich/Stefan Korioth/Thomas Lenk/Henrik Scheller/Matthias Woisin (Hrsg.), Jahrbuch für öffentliche Finanzen 2010, S. 283 (290). 9 

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Finanzhilfen prüfen. Er wurde dazu ermächtigt, Erhebungen bei Ländern und Kommunen durchzuführen. Durch derartige Bundeskontrollen sollten etwaige Zweckverfehlungen des Konjunkturpaketes verhindert werden. Weiteres Motiv war, den Anforderungen des Art. 104b Abs. 2 S. 2 GG zu entsprechen, wonach die Verwendung der Finanzhilfen in regelmäßigen Zeitabständen zu überprüfen ist.12 Der Bundesrat stimmte dem Gesetz zwar zu. Er war allerdings der Ansicht, dass das in § 6a ZuInvG formulierte Recht des Bundesrechnungshofes die Zuständigkeitsgrenzen des Bundes überschreite. Die Finanzhilfen würden von den Landesbehörden in eigener Verantwortung verwaltet. Diese unterlägen der parlamentarischen Kontrolle und der Kontrolle des jeweiligen Rechnungshofes des Landes. Die Kontrolle des Deutschen Bundestages und des Bundesrechnungshofes reiche nur bis zur Hingabe der Finanzmittel an die Länder.13 Das Gesetz wurde am 2. März 2009 verabschiedet und trat am 6. März 2009 in Kraft. In der Folge klagten sechs Länder14 gegen diese Kontrollbefugnisse des Bundes vor dem Bundesverfassungsgericht. Sie trugen dabei insbesondere die folgenden Argumente vor:15 • Ein Erhebungsrecht des Bundes verletze die in Art. 109 Abs. 1 GG garantierte Haushaltsautonomie der Länder. Jede Art von Kommunalaufsicht des Bundes sei ausgeschlossen. Anderenfalls seien die Gemeinden drei Prüfungsinstanzen ausgesetzt, nämlich den kommunalen Prüfungseinrichtungen, der Aufsicht des Landes und der Aufsicht des Bundes. • Die Prüfungskompetenz des Bundesrechnungshofes könne nicht an einer Finanzierungskompetenz festgemacht werden. Es gäbe keinen Generaltitel „Finanzwesen“ als gleichsam vierte Staatsgewalt, der dazu berechtige, sich über die vertikale und horizontale Verteilung der Finanzkompetenzen hinwegzusetzen. • Adressat von Maßnahmen des Bundes könne nur die Landesregierung – nicht aber nachgeordnete Landesbehörden – sein. Die in der Verwaltungsvereinbarung enthaltenen Berichts- und Auskunftspflichten setzten den Bund in die Lage, seine aus der Mitfinanzierung sich ergebenden Rechte wahrzunehmen. • Eine Zuständigkeit des Bundes lasse sich nicht aus der Vorgabe in Art. 104b Abs. 2 S. 2 GG herleiten, die Mittelverwendung in regelmäßigen Zeitabständen zu überprüfen. 12 

Vgl. BT-Drs. 16/11825, S. 7. BR-Drs. 120/09(B), S. 2. 14  Baden Württemberg, Bayern, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Saarland und Sachsen. 15  Vgl. BVerfGE 127, 165 (172 ff.). 13 

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• Ein von der Prüfung zu unterscheidendes Recht des Bundesrechnungshofes zu Erhebungen gäbe es nicht. Eine Erhebung zur Feststellung der zweckentsprechenden Verwendung der Investitionshilfen verlasse zwangsläufig den Bereich der objektiven Sachverhaltsfeststellung und führe zu Wertungen. • Dem berechtigten Interesse des Bundes an der zweckentsprechenden Verwendung der Finanzhilfen werde durch die Prüfungen der Landesrechnungshöfe Rechnung getragen. Angesichts der Mitfinanzierung der Investitionen durch die Länder bestehe ein Interesse der Landesrechnungshöfe an der Prüfung. Das Bundesverfassungsgericht folgte der Argumentation der Länder in wesentlichen Punkten. Ein umfassendes Recht zu Erhebungen bei Ländern und Kommunen, wie es § 6a ZuInvG vorsieht, erfordere eine verfassungsrechtliche Ermächtigung, weil es die grundsätzliche Zuständigkeit der Länder berühre.16 Es erklärte die Maßnahmen, die über die allgemeinen Einflussrechte des Bundes bei landeseigener Verwaltung von Bundesgesetzen nach Art. 84 Abs. 3 und 4 GG hinausgehen, für verfassungswidrig. Zugleich stellte es klar, dass sich aus Art. 104a Abs. 5 S. 1 2. Halbsatz GG eine Verwaltungskompetenz des Bundes ergibt, die auf die Vorbereitung der Durchsetzung von Haftungsansprüchen gerichtet ist. Diese Kompetenz gestattet dem Bund örtliche Erhebungen bei nachgeordneten Landesdienststellen und Kommunen zur Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen eines Haftungsanspruchs bei konkreten Verdachtsmomenten.17 Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu § 6a ZuInvG stellte einen weiteren Meilenstein in dem Kompetenzstreit dar. 3.  Folgen des Urteils Das Urteil beendete den Kompetenzstreit nicht. Ein nächster Meilenstein war im Maßnahmenpaket zur Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems ab 2020 beinahe versteckt enthalten.18 Auf dieses einigten sich die Regierungschefinnen und Regierungschefs von Bund und Ländern am 14. Oktober 2016 in Berlin. Hintergrund dafür war, dass zum 31. Dezember 2019 die gesetzlichen Regelungen zum bundesstaatlichen Finanzausgleich und zum Solidarpakt II für die neuen Länder auslaufen. Daher begannen bereits im Jahr 2013 Bund und Länder über Anschlussregeln zu verhandeln.

16 

BVerfGE 127, 165 (208 f.). BVerfGE 127, 165 (204 ff.). 18  Beschluss der Regierungschefinnen und Regierungschefs von Bund und Ländern am 14. Oktober 2016 in Berlin, Teil B „Maßnahmen für die Verbesserung der Aufgabenerledigung im Bundesstaat“, Ziffer 4. 17 

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Das Maßnahmenpaket justiert die finanziellen Beziehungen zwischen Bund und Ländern sowie zwischen den Ländern neu. Der zweistufige horizontale Länderfinanzausgleich wird im Wesentlichen durch ein einstufiges Umsatzsteuermodell abgelöst. Zur Entlastung der Geberländer kann der Bund leistungsschwachen Ländern Ergänzungszuweisungen und Gemeindesteuerkraftzuweisungen gewähren.19 Im Gegenzug erhält der Bund in einigen Bereichen mehr Einflussmöglichkeiten und Kontrollrechte. Ein – in Relation zu den sonstigen Maßnahmen – recht kleiner Baustein dieses Paketes ist die Schaffung einer grundgesetzlichen Ermächtigung für Erhebungen des Bundesrechnungshofes in der Landesverwaltung: „Kontrollrechte bei Mitfinanzierung von Länderaufgaben: Die Verankerung von Erhebungsrechten des Bundesrechnungshofes erfolgt im Benehmen mit dem jeweiligen Landesrechnungshof in der Landesverwaltung bei den grundgesetzlichen Mischfinanzierungstatbeständen (Gemeinschaftsaufgaben Art. 91a und 91b GG; Finanzhilfen nach Art. 104b GG; Entflechtungsmittel; ebenso Regelung in vorstehender Ziffer 3).“20

Die Einigung auf das Maßnahmenpaket war der Ausgangspunkt für die Änderung von Grundgesetz und Bundeshaushaltsordnung.

III.  Eine Grundgesetzänderung zur Klärung eines langen Streites? 1.  Verfahrensgang Ein Gesetzentwurf der Bundesregierung für die Verfassungsänderung wurde zunächst dem Bundesrat vorgelegt.21 Er enthielt die im Maßnahmenpaket vereinbarten Verfassungsänderungen zur Neuregelung der bundesstaatlichen Finanzbeziehungen ab dem Jahr 2020.22 Der Entwurf sah für Erhebungen des Bundesrechnungshofes im nachgeordneten Bereich der Länder und bei Kommunen eine ausdrückliche Ermächtigung vor.23 Dazu sollte Art. 114 Abs. 2 GG um folgenden Satz 2 ergänzt werden: „Zur Prüfung der zweckentsprechenden Verwendung der den Ländern vom Bund im Bereich von Mischfinanzierungstatbeständen zugewiesenen Finanzierungsmittel und der Erreichung der mit der Zuweisung verbundenen gesamtstaatlichen Zielsetzung 19  Beschluss der Regierungschefinnen und Regierungschefs von Bund und Ländern am 14. Oktober 2016 in Berlin, Teil A „Bund-Länder-Finanzbeziehungen“. 20  Beschluss der Regierungschefinnen und Regierungschefs von Bund und Ländern am 14. Oktober 2016 in Berlin, Teil B „Maßnahmen für die Verbesserung der Aufgabenerledigung im Bundesstaat“. 21  BR-Drs. 769/16. 22  Beschluss der Regierungschefinnen und Regierungschefs von Bund und Ländern am 14. Oktober 2016 in Berlin. 23  BR-Drs. 769/16, S. 12.

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kann der Bundesrechnungshof im Benehmen mit den jeweils zuständigen Landesrechnungshöfen Erhebungen bei den mit der Mittelbewirtschaftung beauftragten Dienststellen der Landesverwaltung durchführen.“24

Nach der Gesetzesbegründung würden finanziell bedeutsame Themen regelmäßig von nachgeordneten Landesbehörden wahrgenommen und grundsätzlich nur von den Landesrechnungshöfen geprüft. Es sei nicht auszuschließen, dass diese Fehler und Versäumnisse bei der Durchführung der Programme, die zulasten des Bundes gehen, nicht beanstanden. Zudem könnte eine Erfolgskon­trolle der mit der Zuweisung intendierten gesamtstaatlichen Zielsetzung auf der Grundlage von Erhebungen, die allein von den Landesrechnungshöfen vorgenommen würden, nicht befriedigend vorgenommen werden. Die dazu notwendigen Erhebungen sollten vom Bundesrechnungshof im Benehmen mit den jeweils zuständigen Landesrechnungshöfen vorgenommen werden, um eine Doppelung von Erhebungen vor Ort zu vermeiden. Das Benehmen solle entsprechend der „bewährten Praxis bei der gemeinsamen Prüfung gemäß § 93 Absatz 1 BHO“ herbeigeführt werden.25 Der Bundesrat ging in seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf nicht auf Art. 114 GG ein, so dass er insoweit unverändert dem Bundestag vorgelegt wurde.26 Eine Anhörung des Haushaltsausschusses am 20. März 2017 befasste sich mit den Kontrollrechten des Bundesrechnungshofes sowie den Änderungen des Haushaltsgrundsätzegesetzes und der Bundeshaushaltsordnung.27 Als Sachverständige zu dieser Anhörung waren neben Verfassungsrechtlern Vertreter der kommunalen Spitzenverbände und ein Vertreter des Bundesrechnungshofes geladen. Parteiübergreifend herrschte Einigkeit, dass ein Erhebungsrecht des Bundesrechnungshofes bei Kommunen geschaffen werden sollte. Dazu wurde über einzelne Tatbestandsmerkmale diskutiert, so z. B. inwieweit Kommunen „Dienststellen der Landesverwaltung“ sind und was unter „Mischfinanzierungstatbestände“ falle. Kube sprach sich für eine abstrakte, aus sich heraus verständliche Formulierung aus, was auch vom Vertreter des Bundesrechnungshofes aufgegriffen wurde. Ohne eine Verengung auf Mischfinanzierungen könne der Bundesrechnungshof – vergleichbar dem Europäischen Rechnungshof – auf allen (Verwaltungs-)Ebenen die Bewirtschaftung der Haushaltsmittel des Bundes prüfen. Wieland bezweifelte das Erfordernis einer solch umfassenden Regelung.

24 

BR-Drs. 769/16, S. 9. BR-Drs. 769/16, S. 12 u. 15. 26  BT-Drs. 18/11131. 27  99. Sitzung des Haushaltsausschusses am 20. März 2017, Stenografisches Protokoll 18/99. 25 

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Für die Erhebungen im Länderbereich sah der Entwurf ein Benehmen zwischen Bundesrechnungshof und jeweils zuständigem Landesrechnungshof vor. Mit einer solchen Regelung könnten Bundesrechnungshof und Landesrechnungshöfe „leben“, führte der Vertreter des Bundesrechnungshofes aus. Sie sei eine gute Grundlage, um Doppelprüfungen und Doppelerhebungen zu vermeiden. Er gehe davon aus, dass sich Bundesrechnungshof und Landesrechnungshöfe in der Präsidentenkonferenz über die Ausgestaltung der neuen Form des Miteinanders verständigen würden. Nach dem Vorbild des Konjunkturpaketes könne bei einem umfassenden Informationsaustausch operativ weitgehend entkoppelt gearbeitet werden. Dies sei wichtig, weil die Landesrechnungshöfe aufgrund ihrer begrenzten Ressourcen – im Gegensatz zum Bundesrechnungshof – Prüfungsansätze nicht immer sofort verfolgen könnten. Nach Abschluss der Beratungen empfahl der Haushaltsausschuss dem Ple­ num, Art. 104b Abs. 2 GG um ein Aufsichtsrecht des Bundes zu ergänzen und Art. 114 Abs. 2 S. 2 GG wie folgt zu fassen: „Zum Zweck der Prüfung nach Satz 1 kann der Bundesrechnungshof auch bei Stellen außerhalb der Bundesverwaltung Erhebungen vornehmen; dies gilt auch in Fällen, in denen der Bund den Ländern zweckgebundene Finanzierungsmittel zur Erfüllung von Länderaufgaben zuweist.“28

Das im Regierungsentwurf enthaltene Tatbestandsmerkmal der Mischfinanzierungen entfiel, um eine umfassende verfassungsrechtliche Absicherung für alle Erhebungen des Bundesrechnungshofes zu schaffen. Auch die möglichen Erhebungsadressaten wurden im Vergleich zum Regierungsentwurf deutlich erweitert. Die Formulierung „Stellen außerhalb der Bundesverwaltung“ soll Erhebungen nicht nur bei Ländern und Kommunen, sondern auch bei natürlichen und juristischen Personen des Privatrechts ermöglichen. Das im Regierungsentwurf vorgesehene Benehmen zwischen Bundesrechnungshof und dem jeweils zuständigen Landesrechnungshof entfiel im Verfassungstext. Es wurde lediglich einfachgesetzlich in § 91 Abs. 1 S. 1 Nr. 5 BHO ins Haushaltsrecht aufgenommen. Der Bericht des Haushaltsausschusses weist darauf hin, dass die Ausweitung der Kontrollrechte des Bundesrechnungshofes ein zentraler Punkt für die Koalitionsfraktionen war.29 Der Bundestag folgte der Beschlussempfehlung des Haushaltsausschusses und nahm die vorgeschlagene Formulierung des Art. 144 Abs. 2 S. 2 GG an. Der Bundesrat stimmte am 2. Juni 2017 zu.

28  29 

BT-Drs. 18/12588, S. 9. BT-Drs. 18/12588, S. 17.

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2.  Inhalt der Neuregelung In seiner Kommentierung zu Art. 114 Abs. 2 S. 2 1. Halbsatz GG stellt Siekmann klar, „die Neuregelung erlaubt nun aber nicht allgemein jede Prüfungstätigkeit außerhalb der Bundesverwaltung. Die Erweiterung ist vielmehr auf Erhebungen beschränkt. Diese sind zwar Teil der Prüfungstätigkeit der Rechnungshöfe, haben aber eine eigenständige Bedeutung. Sie sind begrifflich enger gefasst und haben im Wesentlichen die Informationsbeschaffung vor Ort zum Gegenstand.“30

Dabei verweist er auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, in dem dieses „Erheben“ als Ermitteln „einzelner Tatsachen“ durch die Anforderung von Berichten, die Beiziehung von Akten und das Einsehen von Unterlagen definiert hat.31 Hinsichtlich des zweiten Halbsatzes weist er auf den Zusammenhang zum Urteil des BVerfG hin. Insoweit habe die Neureglung konstitutive Bedeutung. Sie ergänze die Neufassung von Art. 104b Abs. 2 GG, die der Bundesregierung Kontrollbefugnisse im Bereich dieser Finanzhilfen konstitutiv einräume. Weiter führt er aus: „Sie ist aber wohl redundant, da dieser Fall auch von Hs. 1 erfasst wird. Eine Bekräftigung erschien aber im Hinblick auf die klaren Worte des BVerfG angezeigt.“32 Andere Autoren leiten aus der weitreichenden Einführung der Erhebungsbefugnisse des Bundesrechnungshofes ab, die bisherige – durch das BVerfG bestätigte – Regel, dass aus der Finanzierungskompetenz keine Prüfungskompetenz folge, sei abgeschafft. Dies bewirke eine erhebliche Einschränkung der Verwaltungshoheit der Länder.33 Die Erhebungsrechte des Bundesrechnungshofes seien nun qua Verfassung finanzakzessorisch verankert. Der Figur einer verwaltungsakzessorischen Begründung von Erhebungsrechten des Bundesrechnungshofes bei Stellen außerhalb der Bundesverwaltung bedürfe es insoweit nicht mehr. Sie habe ausgedient. Dies bedeute im Umkehrschluss aber nicht, dass die Aufsichtsund Ingerenzrechte der Bundesexekutive keine Rolle mehr spielten.34

30  Siekmann, in: Sachs (Fn. 1), Art. 114, Rn. 54; ihm zustimmend Hans D. Jarass, in: ders./Bodo Pieroth (Hrsg.), Grundgesetz, 15. Aufl. 2018, Art. 114, Rn. 7. 31  BVerfGE 127, 165 Rn. 122 unter Bezugnahme auf BVerwGE 116, 92 Rn. 18. 32  Siekmann, in: Sachs (Fn. 1), Art. 114, Rn. 57. 33  Iris Kemmler, in: Bruno Schmidt-Bleibtreu/Franz Klein (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 14. Aufl. 2018, Art. 114, Rn. 38. 34  Matthias Mähring/Dirk Schulte, Die Erhebungsrechte des Bundesrechnungshofes im Lichte des neuen Art. 114 II GG – Von der Verwaltungs- zur Finanzakzessorietät bei Erhebungen der externen Finanzkontrolle des Bundes im fremden Verwaltungsraum, NVwZ 2018, S. 279.

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Die Auslegung von Siekmann überzeugt. Gut nachvollziehbar ist insbesondere sein Hinweis, dass die Erweiterung auf die Erhebungsrechte beschränkt sei. Auf die Figur einer „finanzakzessorischen“ Begründung von Erhebungsrechten geht er – wohl mit gutem Grund – jedoch nicht ein. Wertvoll ist ebenso der Hinweis von Siekmann auf den Widerspruch der neuen Grundgesetzregelung zu dem neu geschaffenen § 93 Abs. 1a BHO. Dieser enthält die Vorgabe an den Bundesrechnungshof, seine Prüfungen „im Benehmen mit den jeweils zuständigen Landesrechnungshöfen“ durchzuführen. Es handelt sich um einen Passus, der auch schon im Regierungsentwurf zur Grundgesetzänderung enthalten war, aber im weiteren Gesetzgebungsverfahren daraus entfallen ist. Siekmann bezweifelt, dass durch die BHO, also durch einfaches Gesetz, das durch die Neuregelung im Grundgesetz erweiterte Erhebungsrecht des BRH wieder eingeschränkt werden könne.35 Diese Bedenken sind ebenfalls gut nachvollziehbar. Die Änderung der Bundeshaushaltsordnung ist demnach missglückt. Der Bundesrechnungshof könnte unter Berufung auf das Grundgesetz auf das Benehmen verzichten, bevor er im Länderbereich Erhebungen durchführt.

IV.  Die kritische Sicht eines Landesrechnungshofes 1.  Die praktischen Folgen der Neuregelung Durch die Änderung kann der Bundesrechnungshof freier im Länderbereich agieren. Die nur in § 93 Abs. 1a BHO enthaltene Formulierung „im Benehmen mit den jeweils zuständigen Landesrechnungshöfen“ bedeutet, dass dem betroffenen Landesrechnungshof Gelegenheit zu einer Stellungnahme zu geben ist. Dabei setzt eine Entscheidung des Bundesrechnungshofes nicht unbedingt das Einverständnis des Landesrechnungshofes voraus. Vielmehr kann von dessen Äußerung aus sachlichen Gründen abgewichen werden. Der Begriff steht im Gegensatz zum Einvernehmen. Im Ergebnis hat bei einem solchen Verfahren der Bundesrechnungshof ein Letztentscheidungsrecht. Er kann anhören und unabhängig vom Votum des Landesrechnungshofes sich dafür entscheiden, eine Erhebung im Länderbereich vornehmen. Das frühere Risiko, dass eine Prüfung im Länderbereich juristischen Widerstand hervorruft, ist gebannt. Die zusätzlichen Erhebungsrechte des Bundesrechnungshofes lösen aber das Problem der sich überschneidenden Prüfungskompetenzen von Bundes- und Landesrechnungshof nicht auf. Es wächst sogar das Risiko von doppelten Erhebungen. Keiner Seite ist es untersagt, im Länderbereich zu erheben, wenn die andere Seite bereits vor Ort war. Dabei besteht in einigen Bereichen bereits eine erhebliche Prüfungsdichte. Dies gilt insbesondere bei Gemeinden, die Prüfungen 35 

Siekmann, in: Sachs (Fn. 1), Art. 114, Rn. 61.

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ihres Landesrechnungshofes, ihrer örtlichen sowie der überörtlichen Kommunalprüfung und gegebenenfalls sogar EU-Kontrollen ausgesetzt sind. Erfahrungsgemäß binden örtliche Erhebungen eines Rechnungshofes die Mitarbeiter der geprüften Stelle. Doppelte Erhebungen können in der Verwaltung „Abwehrreflexe“ auslösen. Darüber hinaus besteht bei Doppelprüfungen das Risiko, dass unterschiedliche oder sogar sich widersprechende Feststellungen getroffen werden. Wenn sich Prüfungsfeststellungen widersprechen, wirken sie beliebig. Die deutsche Finanzkontrolle sollte mit einer Stimme sprechen! Die Grundgesetzänderung bringt also keine Vereinfachung und keinen „Bürokratieabbau“, sie kann möglicherweise sogar zum Gegenteil führen. 2.  Die Art der Durchführung der Reform Siekmann kritisiert das Gesetzgebungsverfahren zur Grundgesetzänderung als „überstürzt“.36 Auch dem ist zuzustimmen. Eine Verfassung sollte besonders behutsam verändert werden. In Hessen ist deshalb dafür eine Volksabstimmung nötig. Für das Grundgesetz wird durch die erforderliche Zweidrittel-Mehrheit in Art. 79 Abs. 2 GG zum Ausdruck gebracht, dass eine Änderung nur ausnahmsweise erfolgen sollte. Die Realität sieht leider anders aus.37 Die Grundgesetzänderung 2017 wurde durch die Mehrheitsverhältnisse der „GroKo“ begünstigt.38 Sie reihte sich in eine Vielzahl von noch zu erledigenden Gesetzesvorhaben ein, die regelmäßig gegen Ende einer Koalition noch abzuarbeiten sind. Die Grundgesetz­ änderung wurde damit zum Tagesgeschäft. Wesentliche Charakteristika, die eigentlich von einer Verfassungsänderung erwartet werden dürften, wie Weitblick und gesteigerte Sorgfalt, gehen unter Zeitdruck verloren. Diese Hektik ist insbesondere beim Auseinanderfallen von Art. 114 Abs. 2 S. 2 GG und § 93 Abs. 1a BHO erkennbar. Die Änderung des Art. 114 Abs. 2 S. 2 GG steht in direktem Zusammenhang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Zukunftsinvestitionsgesetz. Dieses kann man auch als Niederlage des Bundesrechnungshofes interpretieren, denn er selbst hatte auf die erweiterten Erhebungsrechte hingewirkt. Schon damals konnte er seine Nähe zum Haushaltsausschuss des Bundestags dazu nutzen, Einfluss auf das Gesetzgebungsverfahren auszuüben. Dieser Einfluss ist auch im Verfahren zur Grundgesetzänderung erkennbar. Während im Haushaltsausschuss die Argumente des Bundesrechnungshofes gehört wurden, kam kein Vertreter 36 

Siekmann, in: Sachs (Fn. 1), Art. 114, Rn. 61. Michael Kloepfer führt in der mündlichen Anhörung im Haushaltsausschuss aus, dass es schon 60 Grundgesetzänderungen gegeben habe. Vgl. Stenografisches Protokoll 18/99 (Fn. 27), S. 24. 38  CDU/CSU und SPD hatten bei der Großen Koalition 2013 – 2017 zusammen 504 von 631, also rund 80 % der Sitze im Bundestag. 37 

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der Landesrechnungshöfe zu Wort. Der Präsident des Hessischen Rechnungshofes war zwar nach Berlin gereist, um deren Sichtweise darzulegen. Statt aber als Anzuhörender befragt zu werden, blieb ihm nur die Rolle eines Zuhörenden. 3.  Durch die Brille des Föderalismus gesehen Die Änderung von Art. 114 Abs. 2 GG im Jahr 2017 war nur ein kleiner Ausschnitt in einem Gesamtpaket. Sieht man die Erweiterung der Erhebungsrechte des Bundesrechnungshofes als Kompensation für das stärkere finanzielle Engagement des Bundes bei den Ländern, so erscheint ein Mehr an Kontrolle durch den Bund grundsätzlich nachvollziehbar. Dies wurde auch von den Verfassungsrechtlern, die sich an der öffentlichen Anhörung des Haushaltsausschusses des Bundestags beteiligten, einhellig so gesehen.39 Im Rahmen der Anhörung wurden aber auch kritische Töne geäußert. So sah Rossi „weitreichende Eingriffe in die Haushalts- und Verwaltungsautonomie der Länder“ und warnte vor einer „erheblichen Erosion des bundesstaatlichen Aufbaus der Bundesrepublik Deutschland.“40 Kube forderte eine „Schonung des Verwaltungsraums der Länder und Sparsamkeit der Informationsbeschaffung.“ Die Verstetigung und Intensivierung der Mittelzuflüsse werfe die Frage nach ihrer Gebotenheit und ihren Konsequenzen auf.41 Am deutlichsten wurde Kloepfer, der in der mündlichen Anhörung ausführte: „Beim einzufügenden Satz in Artikel 114 geht es nicht um eine Bagatelle, nicht um eine verwaltungstechnische Abrundung. Vielmehr handelt es sich dabei um einen gewaltigen Eingriff und eine Neuverteilung der Verbandszuständigkeiten zwischen Bund und Ländern. (…) Dem Bund wird nämlich die Möglichkeit gegeben, in die Landeszuständigkeiten einzudringen. (…) Der Bund muss respektieren, dass die Länder – im Prinzip jedenfalls – eine geschlossene Einheit darstellen. Jedes Einsickern, also sozusagen das Ausnehmen der Länder von innen – das findet aufgrund viele anderer Verfassungsänderungen jetzt schon statt –, verändert die grundsätzliche Regie des Grundgesetzes über das föderale System.“42

Dieser Kritik ist zuzustimmen. Die Haushaltsautonomie der Länder ist ein zentrales Wesensmerkmal des deutschen Föderalismus. Und dieser ist eine Grundsatzentscheidung und ein Erbe. Mit diesem Erbe sollten Bund und Länder behutsam umgehen. Stets argumentierten die Länder beim bisherigen Kompetenzstreit mit ihrer Haushaltsautonomie. Ihre Einwände im Rechtsstreit gegen § 6a ZuInvG 39  Vgl. Stenografisches Protokoll 18/99 (Fn. 27), Zusammenstellung der schriftlichen Stellungnahmen zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, BT-Drs. 18/11135 von Hanno Kube, S. 73, Matthias Rossi, S. 81, und Joachim Wieland, S. 83. 40  Matthias Rossi, Stenografisches Protokoll 18/99 (Fn. 27), S. 81. 41  Hanno Kube, Stenografisches Protokoll 18/99 (Fn. 27), S. 73. 42  Stenografisches Protokoll 18/99 (Fn. 27), S. 19 f.

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hätten sie bei der Bund-Länder-Einigung im Jahr 2016 und bei der Grundgesetzänderung 2017 genauso wieder vorgetragen können. Das Bundesverfassungsgericht war ihnen ja im Wesentlichen gefolgt. Diesen Widerspruch führte Kloepfer dem Haushaltsausschuss eindringlich vor Augen: „Das ist eine schwerwiegende Verfassungsänderung. (…) Wenn der Bundesrat nichts sagt, muss er wissen, was er tut.“43 Dass im Bundesrat von den Ländern dazu zwar vereinzelt kritische Anmerkungen gemacht wurden,44 aber letztlich kein deutlicher Widerstand kam, lag vor allem daran, dass die Änderung des Art. 114 GG nur als winziger Baustein in einem großen, mühevoll ausgehandelten Paket empfunden wurde. Der Erfolg, einen parteien- und länderübergreifenden Kompromiss gefunden und Handlungsfähigkeit bewiesen zu haben, dominierte in diesem Moment. Letztlich war die Einschränkung der Haushaltsautonomie zu abstrakt und wog zu gering, als dass sie an dieser Stelle als zu verteidigendes Recht verstanden worden wäre. Ein „Ausnehmen der Länder von innen“ findet natürlich nicht nur durch die Erweiterung von Kontrollmöglichkeiten des Bundes statt. Schon durch die Ausweitung der Finanzhilfen geraten Bund und Länder stärker in ein Geber-/Nehmer-Verhältnis. Zwar sind die Finanzhilfen auf den ersten Blick ein Segen für die Länder, da diese dadurch mehr Ausgabespielräume und vermeintlich mehr Gestaltungskraft erhalten. Bei genauerem Hinsehen wird aber die Gestaltungskraft der Länder ausgehöhlt. Dies hat der Ministerpräsident von Baden-Württemberg Winfried Kretschmann in der Bundesratsdebatte vom 2. Juni 2017 dargelegt: „Die Autonomie in der Bildungspolitik ist wesentlicher Bestandteil der Staatlichkeit der Länder. Aber mit der jetzt vorgesehenen Regelung soll der Bundesfinanzminister noch bei jedem einzelnen Projekt mitreden, bei jeder einzelnen Schule, die gefördert werden soll. Der Bund begnügt sich nicht damit, die Voraussetzungen zu definieren, die die Länder bei der Mittelverteilung anwenden sollen, sondern er will über das Erfordernis des Einvernehmens über jeden Einzelfall mitreden und das im Grundgesetz festschreiben – ein verfassungsrechtlich verbrieftes Misstrauen gegenüber den Ländern.“ 45

Jede Entscheidung des Bundes, für bestimmte Zwecke Finanzhilfen bereit zu stellen, wirkt automatisch auf das Verhalten der Länder bei der Haushaltsplanung und beim Haushaltsvollzug. Bei der Planung besteht ein Anreiz, durch die Be43 

Stenografisches Protokoll 18/99 (Fn. 27), S. 20 f. z. B. Malu Dreyer in der 958. Sitzung des Bundesrates am 2. Juni 2017, Stenografischer Bericht, S. 266 f.: „Man kann sich des Eindrucks nicht ganz erwehren, dass das Ziel dieser Änderungen allein darin bestand, dem Bund in den föderalen Strukturen pauschal einen weitergehenden Einfluss zu Lasten der Länder zuzuweisen. Das hat zur Folge, dass das zwischen Bund und Ländern erzielte Ergebnis der Verhandlungen eine sachlich eben gerade nicht zu begründende Unwucht zu Gunsten des Bundes erhält.“ 45  Winfried Kretschmann in der 958. Sitzung des Bundesrates am 2. Juni 2017, Stenografischer Bericht, S. 269. 44  So

Finanzkontrolle des Bundesrechnungshofes bei Landesbehörden

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reitstellung von Kofinanzierungsmitteln die Finanzhilfen möglichst vollständig „abgreifen“ zu können. Für den Haushaltsvollzug belegen Prüfungserfahrungen der Rechnungshöfe, dass eine Neigung der mittelverausgabenden Landesverwaltung besteht, Förderungen im Zweifel stets zu gewähren und bei festgestellten Verstößen gegen Förderauflagen den Empfänger nicht zu sanktionieren.46 Dies kritisiert auch der Bundesrechnungshof bei der Anhörung zur Grundgesetzänderung, indem er von „vielfältigen dysfunktionalen Effekten“ spricht und feststellt, es werde „finanzverfassungssystematisch gesündigt“.47 Schon seit langem hat er darauf hingewiesen, dass sich aufgrund starker Verflechtungen der Aufgaben- und Finanzverantwortung zwischen Bund und Ländern und ihren im Ergebnis nicht klar zurechenbaren Verantwortlichkeiten unwirtschaftliches staatliches Handeln ergäbe.48 Leider ist es nicht gelungen, daraus die notwendigen Konsequenzen zu ziehen. Zwar sollte mit der Föderalismusreform I (2006) eine Entflechtung der Zuständigkeiten von Bund und Ländern erreicht werden. Finanzhilfen sollten daher nur in Bereichen, in denen der Bund die Gesetzgebungsbefugnisse hat, gewährt werden dürfen. Zudem sollten sie befristet und degressiv ausgestaltet sein. Festzustellen ist aber, dass die neuere Tendenz der Finanzhilfen in die entgegengesetzte Richtung geht. Die Finanzautonomie, verstanden als gleichrangiges Nebeneinander von Bund und Ländern, wird durch zunehmenden Einfluss des Bundes zurückgedrängt. So bleibt festzustellen, dass die Länder diese Grundgesetzänderung 2017 „geschluckt“ haben. Demgegenüber regt sich aktuell gegen eine weitere Grundgesetzänderung Widerstand. Sie wird unter dem Schlagwort „Digitalpakt“ öffentlich diskutiert. Fünf Ministerpräsidenten kritisieren, dass die Verpflichtung zu einer hälftigen Kofinanzierung von zukünftigen Bundesfinanzhilfen die Länderhaushalte faktisch dem bundespolitischen Willen unterwerfe.49 Der Bundesrat beschloss, den Vermittlungsausschuss anzurufen, um den Entwurf nochmal grundlegend zu überarbeiten.50 Dieses Aufbäumen verdeutlicht, dass die Länder

46  Vgl. z. B. Hessischer Rechnungshof, Bemerkungen 2017, Vergabeverstöße bei der Städtebauförderung – ohne spürbare Konsequenzen, S. 77 ff. 47  Bundesrechnungshof, Stenografisches Protokoll 18/99 (Fn. 27), S. 32. 48  Vgl. Der Präsident des Bundesrechnungshofes als Beauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung (Hrsg.), Finanzbeziehungen zwischen Bund und Ländern: Mischfinanzierungen nach Art. 91a, 91b und 104a Abs. 4 Grundgesetz, Stuttgart 2002 und Bundesrechnungshof, Bemerkungen 2005, Föderale Aufgaben und Finanzverteilung neu gestalten, S. 101 ff., Tz. 3. 49  Volker Bouffier/Winfried Kretschmann/Michael Kretschmer/Armin Laschet/Markus Söder, Digitalpakt ja, aber nicht vom Bund diktiert, FAZ, 2. Dezember 2018. 50  BR-Drs. 622/18(B).

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im Jahr 2017 ihre Bedenken zugunsten des Gesamtkompromisses zurückgestellt hatten. Bleibt noch anzumerken, dass eine Änderung in dieser Form nicht alternativlos war. Eine bessere Finanzausstattung der Länder könnte auch über eine andere Verteilung des Steueraufkommens erfolgen.51 Dies war jedoch in den jahrelangen Verhandlungen zum Maßnahmenpaket nicht gelungen.52 Fragen zur Steuerung und Kontrolle durch den Bund im Länderbereich würden sich dann nicht stellen. Einen anderen Lösungsansatz hat der Deutsche Städtetag vorgeschlagen. Der Bund könne die Wirksamkeit von Programmen auch dann analysieren, wenn er im Vorfeld sein konkretes Informationsbedürfnis in die Verwaltungsvereinbarungen oder in einfachgesetzliche Regelungen definieren würde.53

V.  Ausblick Die Änderung von Art. 114 Abs. 2 GG stellt die deutschen Rechnungshöfe vor eine neue Herausforderung. Wie oben dargestellt, könnte der Bundesrechnungshof nun Erhebungen im Länderbereich durchführen, ohne dabei auf Prüfungsabsichten der Landesrechnungshöfe Rücksicht nehmen zu müssen. Bei einem nicht abgestimmten Vorgehen besteht aber ein Risiko von Doppelprüfungen insbesondere deshalb, da sich beide Ebenen für Projekte mit großem Finanzvolumen interessieren dürften. Gerade Rechnungshöfe sollten im Interesse ihrer eigenen Glaubwürdigkeit besonders darauf achten, dass auch ihr Handeln am Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit gemessen wird. Unabgestimmte Doppelprüfungen können die Autorität und Akzeptanz der Finanzkontrolle insgesamt schmälern. Zu bedenken ist außerdem, dass der Bundesrechnungshof nicht nur örtlich weitere Wege zur geprüften Stelle hat, sondern regelmäßig auch mit der dortigen Verwaltung in ihrer landesspezifischen Ausprägung nicht so vertraut ist. Er dürfte im Länder- und Kommunalbereich vielfach erstmals Neuland betreten. Dabei kann es keine Lösung sein, dass sich die Landesrechnungshöfe vorsorglich aus dem Schnittstellenbereich vollständig zurückziehen. Da sie weiterhin für die Prüfung zuständig bleiben, müssen sie ihre Prüfungsaufgabe auch in Schnitt51  So z. B. schon Blasius (Fn. 3), DÖV 1992, S. 18, oder aktuell Winfried Kretschmann, „Wir brauchen Steuermittel statt Almosen“, Der Neue Kämmerer, 21. September 2018. 52  So z. B. Wolfgang Schäuble in der 958. Sitzung des Bundesrates am 2. Juni 2017, Stenografischer Bericht, S. 262: „Aber bei all diesen Versuchen ist es uns nicht gelungen – auch das will ich zu Beginn dieser Beratungen sagen –, Kriterien für eine stärker aufgabenorientierte Verteilung der zur Diskussion stehenden Finanzmittel zwischen Bund und Ländern zu finden. Auch mit Überlegungen, stärkere Transparenz oder anreizbezogene Lösungen in das Bund-Länder-Finanzausgleichssystem zu bringen, haben wir dies nicht zustande gebracht.“. 53  Deutscher Städtetag, Stenografisches Protokoll 18/99 (Fn. 27), S. 87.

Finanzkontrolle des Bundesrechnungshofes bei Landesbehörden

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stellenbereichen erfüllen. Die Lückenlosigkeit der deutschen Finanzkontrolle bleibt eine gemeinsame Aufgabe von Bundes- und Landesrechnungshöfen. Sie können sie auch nach der Änderung nur in enger Abstimmung und auf Augenhöhe lösen. Dazu gehört, dass auf identifizierte Schwachstellen hingewiesen wird und gemeinsam nach Lösungswegen gesucht wird. Klarzustellen ist in diesem Zusammenhang, dass der pauschale Hinweis des Bundesrechnungshofes auf eingeschränkte Ressourcen der Landesrechnungshöfe unzutreffend ist. Tatsächlich verfügen die Landesrechnungshöfe mit insgesamt fast 3.000 Mitarbeitern über deutlich mehr Personal als der Bundesrechnungshof mit rund 1.200 Beschäftigten. Die Konferenz der Präsidentinnen und Präsidenten der Rechnungshöfe des Bundes und der Länder und ihre Arbeitskreise bleiben das Medium, um die Lückenlosigkeit der Finanzkontrolle im Föderalismus sicher zu stellen. Die Konferenz hatte schon für die alte Rechtslage für die Bereiche Gemeinschaftsaufgaben54, Zuwendungen55 und Steuererhebungen56 Absprachen zu den Rahmenbedingungen der Prüfung getroffen. Zudem gibt es bilaterale Vereinbarungen zwischen dem Bundesrechnungshof und den Landesrechnungshöfen im Bereich der sozialen Leistungsgesetze.57 Ebenso vereinbarten die Rechnungshöfe zum Zukunftsinvestitionsgesetz ein Verfahren zur zeitnahen Prüfung der Maßnahmen sowie zum Informationsaustausch. Auch unter neuen Rahmenbedingungen kann die Prüfung an den Schnittstellen nur miteinander und nicht gegeneinander gelingen. Sinnvolle Möglichkeiten dazu sind auszuloten. Die richterliche Unabhängigkeit darf dem nicht im Wege stehen. Sie verschafft jedem Rechnungshof die Freiheit, den gesetzlichen Prüfungsauftrag frei von politischer Einflussnahme ausüben zu können. Sie darf aber nicht eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen den Rechnungshöfen boykottieren. Eine solche könnte zum Beispiel so aussehen, dass der Bundesrechnungshof seine Prüfungsabsichten rechtzeitig bekannt gibt und definiert, welche Informationen er für welches Prüfungsziel benötigt. Den einzelnen Landesrechnungshöfen steht es dann frei, entsprechende Prüfungen durchzuführen und die gewünschten Informationen an den Bundesrechnungshof weiter zu geben. Signalisiert ein Landesrechnungshof aber, nicht selbst prüfen zu wollen, kann der Bundesrechnungshof die Erhebungen durchführen und seine Ergebnisse dem betroffenen Landesrechnungshof zur Verfügung stellen. 54  Reichenhaller Erklärung vom 18./19. Oktober 1976, abgedruckt in: Engels/Eibelshäuser (Hrsg.) (Fn. 5), VIII/1.1. 55  Kölner Vereinbarung vom 28. bis 30. April 1988, abgedruckt in: Engels/Eibelshäuser (Fn. 5), VIII/1.2. 56  Trierer Empfehlungen vom 6. bis 8. Mai 1996, abgedruckt in: Engels/Eibelshäuser (Fn. 5), VIII/1.3. 57 Vgl. Engels, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Fn. 9), Art. 114, Rn. 335.

Ute Scholle/Ruth Susallek/Thomas Schindler: Grundsatzentscheidung des Landesverfassungsgerichts NRW hinsichtlich der Prüfrechte des Landesrechnungshofs NRW

Grundsatzentscheidung des Landesverfassungsgerichts NRW hinsichtlich der Prüfrechte des Landesrechnungshofs NRW Ute Scholle, Ruth Susallek und Thomas Schindler Ute Scholle, Ruth Susallek und Thomas Schindler Grundsatzentscheidung des Landesverfassungsgerichts NRW hinsichtlich der Prüfrechte des Landesrechnungshofs NRW

I.  Einleitung Grundsatzentscheidung des VerfGH NRW hinsichtlich der Prüfrechte

Trotz einer ausufernden Literatur1 haben viele rechtliche Fragen zur Finanzkontrolle durch Rechnungshöfe bis heute weder eine allgemein akzeptierte Antwort gefunden noch zu einem einheitlichen Meinungsbild geführt. Nicht endgültig geklärt sind insbesondere Fragen zur Position der Rechnungshöfe im Verhältnis zu Parlament und Exekutive. Auch ergeben sich vielfach Meinungsverschiedenheiten über Aufgaben und rechtliche Befugnisse der Rechnungshöfe und nicht zuletzt über die prozessualen Möglichkeiten, mit denen Rechnungshöfe ihre Rechte ggf. geltend machen können.2 Oftmals sind die geführten Diskussionen von eher theoretischem Interesse. Unlängst haben jedoch mehrere dieser Fragen für den Landesrechnungshof Nordrhein-Westfalens bei seiner Prüfungstätigkeit erhebliche praktische Bedeutung erlangt und – unter maßgeblicher Beteiligung von Helmut Siekmann – zu einer Grundsatzentscheidung des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen geführt. Im Vordergrund standen dabei die Fragen nach der Beteiligtenfähigkeit des Landesrechnungshofs im verfassungsrechtlichen Organstreitverfahren und nach Inhalt und Reichweite des dem Rechnungshof verfassungsrechtlich zugewiesenen Prüfungsauftrags.

II.  Problemstellung 1.  NRW.BANK Seit dem Jahr 2004 unterhält das Land Nordrhein-Westfalen die NRW.BANK als seine Förderbank. Gemäß § 1 des Gesetzes über die NRW.BANK (NRW.

1 S. hierzu die kritischen Anmerkungen von Helmut Siekmann, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 8. Aufl. 2018, Art. 114 Rn. 4. 2  Vgl. im Einzelnen Siekmann (Fn. 1), Rn. 24 ff. m.w.N.

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BANK G)3 ist die NRW.BANK ein Kreditinstitut in der Rechtsform einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts. Als ihren einzigen Zweck weist ihr § 3 Abs. 1 S. 1 NRW.BANK G den staatlichen Auftrag zu, das Land NRW und seine kommunalen Körperschaften bei der Erfüllung ihrer Aufgaben, insbesondere in den Bereichen der Struktur-, Wirtschafts-, Sozial- und Wohnraumpolitik, zu unterstützen und dabei Fördermaßnahmen im Einklang mit den Beihilfevorschriften der Europäischen Gemeinschaften durchzuführen und zu verwalten. 2.  Neustrukturierung der WestLB Anlass für die Errichtung der NRW.BANK war eine Auseinandersetzung mit der EU-Kommission über die beihilferechtliche Zulässigkeit des durch Anstaltslast und Gewährträgerhaftung gekennzeichneten Haftungssystems öffentlich-rechtlicher Banken. Nachdem die EU-Kommission klargestellt hat, dass sie bei im Wettbewerb stehenden öffentlich-rechtlichen Banken Anstaltslast und Gewährträgerhaftung als eine unzulässige Beihilfe ansieht,4 haben sich am 17. Juli 2001 eine deutsche Delegation und der für Wettbewerb zuständige EU-Kommissar Monti über den weiteren Umgang mit Anstaltslast und Gewährträgerhaftung verständigt (sog. Verständigung I).5 Die Gewährträgerhaftung sollte danach vollständig abgeschafft und die Anstaltslast nach Grundsätzen ersetzt werden, die sich an der finanziellen Beziehung zwischen einem privaten Anteilseigner und einer Aktiengesellschaft oder GmbH orientieren.6 In NRW machte dies insbesondere eine Neustrukturierung der mit Anstaltslast und Gewährträgerhaftung ausgestatteten Westdeutschen Landesbank Girozentrale (WestLB) erforderlich. Die bisher als rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts organisierte WestLB wurde in eine Aktiengesellschaft umgewandelt. Ihr verblieb das in Konkurrenz zu anderen Kreditinstituten betriebene Wettbewerbsgeschäft. Zugleich wurde die Landesbank Nordrhein-Westfalen (Landesbank NRW) als Kreditinstitut in der Rechtsform einer rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts neu errichtet. Auf sie wurden die dem öffentlichen Auftragsgeschäft zuzuordnenden Geschäftsbereiche überführt, insbesondere die Wohnungsbauförderungsanstalt (WfA). Hierdurch sollte zugleich das durch die 3 Gesetz über die NRW.BANK (NRW.BANK G) vom 16. März 2004 (GV. NRW. S. 126), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 4. Dezember 2012 (GV.NRW. S. 636). 4  Schreiben der EU-Kommission v. 8. 5. 2001, SG (2001) D/288482. 5  Schreiben der EU-Kommission v. 27. 3. 2002 – C(2002) 1286 betreffend Staatliche Beihilfe Nr. E 10/2000 – Deutschland, Anstaltslast und Gewährträgerhaftung. 6  Schreiben der EU-Kommission v. 27. 3. 2002 – C(2002) 1286 betreffend Staatliche Beihilfe Nr. E 10/2000 – Deutschland, Anstaltslast und Gewährträgerhaftung, S. 6 ff.

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1991 erfolgte Einbringung der Wohnungsbauförderungsanstalt in die WestLB entstandene EU-wettbewerbsrechtliche Problem für die Zukunft gelöst werden.7 Im März 2002 wurde eine weitere Vereinbarung getroffen (sog. Verständigung II). Danach dürfen rechtlich selbständige Förderinstitute, die nur solche Aufgaben wahrnehmen, die in der „Verständigung II“ ausdrücklich erlaubt worden sind, durch ihre Träger weiterhin mit Anstaltslast und Gewährträgerhaftung ausgestattet werden. Die Tätigkeiten der Förderinstitute müssen gesetzlich klar festgelegt sein.8 Sie dürfen zudem nicht im Wettbewerb erfolgen. Kommerzielle Tätigkeiten müssen aufgegeben oder auf rechtlich selbständige Unternehmen ohne Anstaltslast und Gewährträgerhaftung ausgegliedert werden. Nachdem die Landesbank NRW zu der Überzeugung gelangt war, dass sie ihre Förderaufgaben zukunftssicher nur als eine mit Anstaltslast und Gewährträgerhaftung sowie einer expliziten Refinanzierungsgarantie ausgestattete Förderbank wahrnehmen könne, hat der nordrhein-westfälische Landtag im März 2004 ihre Umstrukturierung zur Förderbank beschlossen. Um die Bank eindeutig von den Landesbanken wettbewerblicher Prägung abzugrenzen, wurde sie zudem mit Wirkung vom 31. März 2004 in NRW.BANK umbenannt.9 3.  Gesetzlich eingeschränkte Prüfungsrechte des Landesrechnungshofs NRW Nach nordrhein-westfälischem Haushaltsrecht unterliegen landesunmittelbare juristische Personen des öffentlichen Rechts bezüglich ihrer Haushalts- und Wirtschaftsführung grundsätzlich der Prüfung durch den Landesrechnungshof.10 Dies gilt auch für Unternehmen in einer solchen Rechtsform. Allerdings kann durch Gesetz etwas anderes bestimmt werden.11 Hintergrund ist die durch § 48 Abs. 2 S. 2 Haushaltsgrundsätzegesetz (HGrG)12 eröffnete Möglichkeit, öffentlich-rechtliche Unternehmen, bei denen eine anderweitige, ausreichende Prüfung gewährleistet erscheint, von der Prüfung durch den Rechnungshof freizu7  Begründung zum Entwurf der Landesregierung für das Gesetz zur Neuregelung der Rechtsverhältnisse der öffentlich-rechtlichen Kreditinstitute in Nordrhein-Westfalen, LTDrs. 13/2124, unter A I. 8  Schreiben der EU-Kommission v. 27. 3. 2002 – C(2002) 1286 betreffend Staatliche Beihilfe Nr. E 10/2000 – Deutschland, Anstaltslast und Gewährträgerhaftung, S. 4. 9  GV.NRW. 2004, S. 208. 10  § 111 Abs. 1 S. 1 Hs. 1 der Landeshaushaltsordnung (LHO) vom 26. April 1999 (GV. NRW. S. 158), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 18. Dezember 2018 (GV. NRW. S. 803). 11  § 111 Abs. 1 S. 1 Hs. 2 LHO. 12  Gesetz über die Grundsätze des Haushaltsrechts des Bundes und der Länder (Haushaltsgrundsätzegesetz – HGrG) vom 19. August 1969 (BGBl. I S. 1273), zuletzt geändert durch Artikel 10 des Gesetzes vom 14. August 2017 (BGBl. I S. 3122).

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stellen.13 Von dieser Möglichkeit hatte das Land NRW sowohl bei der WestLB vor ihrer Umwandlung in eine Aktiengesellschaft als auch bei der Landesbank NRW Gebrauch gemacht.14 Nach den Vorstellungen der Landesregierung sollte die Freistellung der Landesbank NRW von der Prüfung durch den Rechnungshof auch nach der Umstrukturierung zur Förderbank unverändert fortbestehen. Angesichts des Aufgabenbereichs der NRW.BANK sah sich der Landesrechnungshof NRW hierdurch allerdings in seinen verfassungsmäßigen Rechten verletzt.15 Nachdem sich mehrere Sachverständige in ihren Stellungnahmen zum Gesetzentwurf der Landesregierung für ein Prüfungsrecht des Landesrechnungshofs ausgesprochen hatten,16 stellten die Fraktionen der Regierungsparteien SPD und Bündnis 90/Die Grünen im Haushalts- und Finanzausschuss einen Änderungsantrag zu dem Gesetzentwurf, der darauf gerichtet war, dem Gesetz einen zusätzlichen § 13 „Prüfung durch den Landesrechnungshof“ anzufügen. Dieser sollte insbesondere folgende Regelungen enthalten: (1) Der Landesrechnungshof prüft die Führung der Geschäfte der Landesbank Nordrhein-Westfalen im Zusammenhang mit der bestimmungsgemäßen Verwendung aller Fördermittel (Landesmittel und Eigenmittel der Landesbank). (2) Der Landesrechnungshof prüft die Beteiligungen der Landesbank NordrheinWestfalen mit Ausnahme der im Wettbewerb stehenden Gesellschaften.17 Der Landtag Nordrhein-Westfalen hat sich dem Änderungsantrag mehrheitlich angeschlossen und das um § 13 ergänzte Gesetz im März 2004 beschlossenen. 4.  Verweigerung von Auskünften und Unterlagen durch die Landesregierung Laut seinem Organisationsplan ist das Finanzministerium für die „Verwaltung der Beteiligung an der NRW.BANK“ zuständig. Der Finanzminister ist durch § 8 Abs. 1 lit. a NRW.BANK G gesetzlich zum Mitglied des Verwaltungsrates der NRW.BANK bestimmt. Er nimmt zugleich die Rechte und Pflichten des Landes als Gewährträger der NRW.BANK wahr und ist hierzu gemäß § 6 Abs. 1 NRW. BANK G Mitglied der Gewährträgerversammlung. 13 Schriftl. Bericht des Haushaltsausschusses des Deutschen Bundestages, zu Drs. V/4738, V/4379, S. 7; Gesetzentwurf der Landesregierung NRW, LT-Drs. 7/617, Begr. zu § 111 LHO. 14 Hierzu wurden beide Institute namentlich in die Liste der Ausnahmen in § 112 Abs. 2 S. 2 LHO aufgenommen. 15  LT-Vorl. 13/2527, S. 10. 16  U. a. Helmut Siekmann, s. LT-Zuschrift 13/3744, S. 15. 17  Änderungsantrag v. 26. Februar 2004, LT-Vorlage 13/2704.

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Im Jahr 2008 hat der Landesrechnungshof dem Finanzministerium NRW die Prüfung seiner Aufgabenwahrnehmung gegenüber der NRW.BANK angekündigt. Mit der Prüfung sollte festgestellt werden, ob und inwieweit das Finanzministerium seine Einwirkungs- und Kontrollmöglichkeiten gegenüber der NRW. BANK ausübt, wie es die aus den Aktivitäten der NRW.BANK für das Land resultierenden Risiken überwacht und wie es den Erfolg der NRW.BANK evaluiert. Der Landesrechnungshof hat das Finanzministerium mehrfach um Vorlage von Unterlagen und Erteilung von Auskünften gebeten, insbesondere nachdem der Bank durch die Auflösung und Vollintegration der Wohnungsbauförderungsanstalt und der damit bankaufsichtsrechtlich einhergehenden Erhöhung des Haftkapitals um mehrere Milliarden Euro eine erhebliche Ausweitung ihres Geschäfts ermöglicht wurde. Der LRH sah wegen der weitreichenden Einstandspflichten des Landes für die NRW.BANK hierin eine deutliche Vergrößerung des finanziellen Risikos für den Landeshaushalt, zumal die NRW.BANK ihre Geschäftstätigkeit seit Jahren mit hohen jährlichen Zuwachsraten ausbaute und dabei auch auf neuartige Finanzinstrumente und Kreditderivate in einem mehrstelligen Milliardenvolumen erstreckte. Er hat u. a. um Auskunft gebeten, welche Informationen das Finanzministerium zu den Finanzinstrumenten erhalten hat, wie es die finanziellen Risiken hieraus einschätzt und ob das Finanzministerium die Engagements für vereinbar mit den Aufgaben der NRW.BANK als Förderbank des Landes hält. Der LRH bat zudem um Vorlage der Protokolle über die Sitzungen der Organe und Ausschüsse der NRW.BANK. Auch hatte die Presse darüber berichtet, dass die NRW.BANK mehrstellige Millionenbeträge u. a. in portugiesische und griechische Anleihen investiert habe.18 Auch hierzu bat der LRH um Auskunft. Das Finanzministerium lehnte die Bitten des Landesrechnungshofs jeweils mit der Begründung ab, ein Prüfungsrecht des Landesrechnungshofs ihm gegenüber bestehe insoweit nicht. Die erbetenen Unterlagen und Auskünfte beträfen die allgemeine Haushalts- und Wirtschaftsführung der NRW.BANK. § 112 Abs. 2 S. 2 LHO schließe die Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung der NRW. BANK durch den Landesrechnungshof aus. § 13 NRW.BANK G gewähre dem Landesrechnungshof lediglich ein auf die bestimmungsgemäße Verwendung der Fördermittel beschränktes Prüfungsrecht. Die Beschränkung des Prüfungsrechts des Landesrechnungshofs dürfe nicht dadurch umgangen werden, dass die Prüfung nicht unmittelbar bei der NRW.BANK, sondern mittelbar beim Finanzministerium durchgeführt werde. Der LRH hat des Weiteren das Innenministerium als staatliche Aufsichtsbehörde über die NRW.BANK19 zu verschiedenen Engagements um Auskunft ge18  19 

Vgl. hierzu im Einzelnen Anlage zur LT-Vorlage 15/129, S. 11 ff. § 11 Abs. 1 NRW.BANK G.

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beten, ob diese mit dem gesetzlichen Auftrag als Förderbank des Landes zu vereinbaren sind. Das Innenministerium weigerte sich mit der gleichen Begründung wie das Finanzministerium, dem Auskunftsersuchen nachzukommen. Der Ausschuss für Haushaltskontrolle des nordrhein-westfälischen Landtags hat sich in einem Mehrheitsbeschluss der Auffassung des Finanz- und des Innenministeriums angeschlossen. Die NRW.BANK unterliege der Kontrolle durch die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht und durch die Bundesbank. Diese seien auf das hochkomplexe Bankgeschäft fachlich wie personell spezialisiert und verfügten auch über die notwendigen Sanktionsmechanismen. Daneben bestehe die Staatsaufsicht durch das Innenministerium. Der Ausschuss hat den Schluss gezogen, dass auch ohne eine Prüfungsbefugnis des Landesrechnungshofs insoweit ein prüfungsfreier Raum nicht gegeben sei.20 Nachdem auch die nach der Landtagswahl im Mai 2010 gebildete neue Landesregierung keinen anderen Rechtsstandpunkt eingenommen hat, sah sich der Landesrechnungshof veranlasst, seine Rechte in einem Organstreitverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen geltend zu machen. 5.  Organstreitverfahren vor dem Verfassungsgerichtshof NRW In dem Organstreitverfahren beantragte Prof. Helmut Siekmann als Verfahrensbevollmächtigter des Landesrechnungshofs festzustellen, dass das Finanzministerium und das Innenministerium gegen Art. 86 Abs. 2 S. 1 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen 21 (LV NRW) verstoßen haben, indem die an sie gerichteten Vorlage- und Auskunftsersuchen nicht oder nicht hinreichend erfüllt wurden.22 Die Antragsgegner hielten die Anträge für unzulässig, insbesondere weil dem Landesrechnungshof die für das Organstreitverfahren erforderliche Beteiligtenfähigkeit fehle.23 Der Landesrechnungshof sei kein Verfassungsorgan, sondern lediglich Hilfsorgan eines Verfassungsorgans.24 Er könne auch nicht als anderer Beteiligter im Sinne von Art. 75 Nr. 2 LV NRW anerkannt werden, weil er nicht dazu berufen sei, an der Bildung des Staatswillens mitzuwirken.25 Zudem seien die Anträge auch unbegründet. 20 Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Haushaltskontrolle vom 20. 01. 2010, LT-Drs. 14/10563, S. 28 f. 21  Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen vom 28. Juni 1950 (GV. NRW. S. 127), zuletzt geändert durch Gesetz vom 25. Oktober 2016 (GV.NRW. S. 860). 22  Anlage zur LT-Vorlage 15/129, S. 2. 23  LT-Vorlage 15/373, S. 10 ff. 24  Gemeint war: als Hilfsorgan des Parlaments, s. LT-Vorlage 15/373, S. 62. 25  LT-Vorlage 15/373, S. 11.

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Entgegen der Auffassung des Landesrechnungshofs sei die Wahrnehmung der Eigentümerbefugnisse gegenüber der NRW.BANK durch das Finanzministerium nicht Teil der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Landes. Die vom Land in die Gremien der NRW.BANK entsandten Vertreter nähmen die Rechte und Pflichten dort in eigener Verantwortung wahr. Soweit im Finanzministerium die Aufgabe der Beteiligungsverwaltung wahrgenommen werde, handele es sich nicht um Tätigkeiten der Haushalts- und Wirtschaftsführung, die der Prüfung durch den Antragsteller unterliegen könnten. Ihnen fehle dazu der hinreichend enge Bezug zum Landeshaushalt oder zum Landesvermögen. Die finanzwirksamen Handlungen würden ausschließlich in den Gremien der NRW.BANK vorgenommen.26 Der Gesetzgeber habe sich in Kenntnis der mit Anstaltslast und Gewährträgerhaftung verbundenen Risiken dazu entschlossen, die NRW.BANK lediglich hinsichtlich ihres Fördergeschäfts der Kontrolle durch den Antragsteller zu unterwerfen. Im Übrigen habe er für die Überwachung der Geschäftstätigkeit der NRW.BANK andere Kontroll- und Überwachungsinstrumente für besser geeignet gehalten. Dies sei zu akzeptieren.27 In gleicher Weise sei die Staatsaufsicht über die NRW.BANK nicht Teil der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Landes und unterliege deshalb nicht der Prüfung durch den Antragssteller. Die Regelung in § 112 Abs. 2 S. 2 LHO i. V. m. § 13 Abs. 1 NRW.BANK G verstoße nicht gegen die Landesverfassung. Die Finanzkontrolle nach Art. 86 Abs. 2 LV NRW umfasse die gesamte unmittelbare Landesverwaltung unter Einschluss der Sondervermögen, nicht aber die landesunmittelbaren juristischen Personen des öffentlichen Rechts, da es sich bei diesen um verselbständigte Verwaltungseinheiten mit eigener Rechtspersönlichkeit und eigener Haushalts- und Wirtschaftsführung handele. Auch aus dem Demokratieprinzip ergebe sich nichts anderes. Wenngleich das Parlament die Verantwortung für das gesamtstaatliche Finanzgebaren trage, folge daraus nicht zwangsläufig, dass jedes öffentliche Unternehmen von Verfassungs wegen der Kontrolle durch den Rechnungshof zu unterwerfen wäre. Es sei Sache des Parlaments darüber zu entscheiden, auf welche Weise und durch welche Instanz die Informationen bereitgestellt werden sollen, die es für seine Überwachungsfunktion benötige. In seiner Erwiderung ist Helmut Siekmann insbesondere der Argumentation entgegengetreten, der Tätigkeit des Finanzministeriums fehle der hinreichend enge Bezug zum Landeshaushalt und zum Landesvermögen, um ein Teil der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Landes sein zu können.28 Er hat ferner 26 

LT-Vorlage 15/373, S. 41. LT-Vorlage 15/373, S. 42. 28  LT-Vorlage 15/648, S. 6. 27 

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betont, dass die Rechnungshöfe keine Hilfsorgane sind, für die das Parlament entscheiden könne, ob es die Kontrolle der juristischen Personen durch sie oder eine andere Einrichtung durchführen lasse.29 Prof. Helmut Siekmann hat zudem auf das verfassungsrechtlich fundierte Verbot ministerialfreier Räume verwiesen. Dieses erfordere, dass der verantwortliche Minister seinen Willen auch gegenüber verselbständigten Verwaltungseinheiten durchsetzen kann und über ein Letztentscheidungsrecht verfüge, damit er die sachliche Verantwortung gegenüber Staatsvolk und Parlament zu übernehmen in die Lage versetzt sei.30 6.  Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs Der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen hat entschieden, dass die Anträge des Landesrechnungshofs zulässig und begründet sind. Die Antragsgegner sind mit keinem ihrer Argumente durchgedrungen. Die Beteiligtenfähigkeit des Landesrechnungshofs hat das Gericht mit der Begründung bejaht, der Landesrechnungshof sei eine nur dem Gesetz unterworfene oberste Landesbehörde, der unmittelbar durch Art. 86 Abs. 2 S. 1 und Art. 87 LV NRW Prüfungsrechte eingeräumt würden. Dies reiche aus, um die Beteiligtenfähigkeit des Landesrechnungshofs im Organstreitverfahren zumindest als anderer Beteiligter im Sinne von Art. 75 Nr. 2 LV NRW anzuerkennen.31 Inhalt und Reichweite des verfassungsrechtlichen Prüfungsauftrags aus Art. 86 Abs. 2 S. 1 LV NRW hat das Gericht unter Bezugnahme auf die Motive des Bundes für die Neuregelung des Art. 114 Abs. 2 S. 1 GG im Zuge der Haushaltsreform 1969 bestimmt, die sich der nordrhein-westfälische Landesverfassungsgeber für seine eigene Verfassungsnovelle zu eigen gemacht habe.32 Danach bestehe verfassungsrechtlich ein „Generalauftrag“ für eine effektive und lückenlose Finanzkontrolle. Prüfungsfreie Räume sollten nach dem Willen des Gesetzgebers nicht mehr statthaft sein.33 Art. 86 Abs. 2 S. 1 LV NRW ermächtige den Landesrechnungshof außer zur Rechnungsprüfung zu einer lückenlosen rechnungsunabhängigen Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Landes. Die verfassungsunmittelbare Prüfungsbefugnis aus Art. 86 Abs. 2 S. 1 LV NRW erstrecke sich dabei auf das gesamte staatliche Finanzvolumen. Sie stehe nicht zur Disposition des einfachen Gesetzgebers und könne insbesondere nicht durch gesetzliche Regelungen bereichsspezifisch eingeschränkt werden. 29 

LT-Vorlage 15/648, S. 7. LT-Vorlage 15/648, S. 8 f. 31  VerfGH NRW, Urt. v. 13. 12. 2011 – VerfGH 11/10, juris, Rn. 86. 32  VerfGH NRW, Urt. v. 13. 12. 2011 – VerfGH 11/10, juris, Rn. 109. 33  VerfGH NRW, Urt. v. 13. 12. 2011 – VerfGH 11/10, juris, Rn. 127, 139. 30 

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Die rechnungsunabhängige Prüfung des Landesrechnungshofs sei für eine demokratisch verantwortete Haushalts- und Wirtschaftsführung unabdingbar.34 Deshalb habe die Finanzkontrolle durch den Rechnungshof zumindest dieselbe Reichweite wie das parlamentarische Budgetrecht. Dieses beziehe sich auf das vollständige staatliche Finanzvolumen und unterstelle es der letztgültigen Entscheidung des Parlaments.35 Das Parlament dürfe seine Budgetverantwortung nicht auf andere Akteure übertragen und sich auch durch Gesetz keinen finanzwirksamen Maßnahmen ausliefern, die zu nicht überschaubaren haushaltsbedeutsamen Belastungen ohne vorherige konstitutive Zustimmung führen können (Verbot der Entäußerung der Budgetverantwortung).36 Jede staatliche Finanzverantwortung müsse mit einer begleitenden Finanzkontrolle durch den Rechnungshof einhergehen.37 Der verfassungsrechtliche Generalauftrag des Rechnungshofs erfasse umfassend die Haushalts- und Wirtschaftsführung des Landes selbst, darüber hinaus aber auch Vorgänge, die sich als „Flucht aus dem Budget“ erweisen. Darum handele es sich beispielsweise, wenn Stellen außerhalb der unmittelbaren Landesverwaltung Finanzverantwortung für das Land wahrnehmen, indem sie Vermögensgegenstände des Landes verwalten oder das Land Gewährleistungen für sie übernommen hat. Die Prüfung dieser Stellen diene dabei der Klärung, ob und inwieweit die externe Wahrnehmung von Finanzverantwortung finanzielle Auswirkungen oder Finanzrisiken für das Land zur Folge hat.38 Darüber hinaus gehörten zu den Prüfungsadressaten auch Vertreter des Staates in Organen von Beteiligungsunternehmen sowie die Aufsichtsbehörden.39 Auch sie nähmen staatliche Finanzverantwortung wahr und hätten im Rahmen des jeweiligen Aufgabengebiets gesamtstaatliche Interessen wirksam zur Geltung zu bringen. Wenn sich aus dem Handeln oder Nichthandeln der staatlichen Vertreter finanzielle Auswirkungen auf den Landeshaushalt ergeben können, sei die ihnen auferlegte Verantwortung zugleich Finanzverantwortung für Belange des Landes. Der Landesrechnungshof sei zur Prüfung finanzieller Belange des Landes auch bei öffentlichen Unternehmen berechtigt, für die gemäß § 48 Abs. 2 S. 2 HGrG durch Gesetz zugelassen worden ist, dass die entsprechende Anwendung der Vorschriften über die Rechnungshofkontrolle entfällt.

34 

VerfGH NRW, Urt. v. 13. 12. 2011 – VerfGH 11/10, juris, Rn. 132. VerfGH NRW, Urt. v. 13. 12. 2011 – VerfGH 11/10, juris, Rn. 134. 36  VerfGH NRW, Urt. v. 13. 12. 2011 – VerfGH 11/10, juris, Rn. 136. 37  VerfGH NRW, Urt. v. 13. 12. 2011 – VerfGH 11/10, juris, Rn. 144. 38  VerfGH NRW, Urt. v. 13. 12. 2011 – VerfGH 11/10, juris, Rn. 139. 39  VerfGH NRW, Urt. v. 13. 12. 2011 – VerfGH 11/10, juris, Rn. 140. 35 

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7.  Verfassungsgerichtsurteil von grundsätzlicher Bedeutung Das Urteil des Verfassungsgerichtshofs für das Land Nordrhein-Westfalen hat weit über den entschiedenen Fall hinausreichende, grundsätzliche Bedeutung. Mit der Anerkennung der Beteiligtenfähigkeit des Rechnungshofs hat sich das Gericht in der seit langem streitigen Frage eindeutig auf Seiten der vorherrschenden Meinung positioniert40 und die Rechtsposition des Rechnungshofs gegenüber der Exekutive, in letzter Konsequenz aber auch gegenüber dem Parlament, nachhaltig gestärkt. Dies ist im Hinblick auf die Wahrnehmung des in der Verfassung zugewiesenen Prüfauftrages des Rechnungshofs ausdrücklich zu begrüßen. Der Rechnungshof ist keine allein aufgrund von Praktikabilitätsüberlegungen vom Parlament geschaffene und beliebig nach seinen Vorstellungen ausgestaltbare Institution41, sondern eine in ihrer Substanz und ihren typischen Tätigkeitsbereichen verfassungsrechtlich garantierte Einrichtung.42 Von daher ist er – wenngleich er dem Parlament bei der Wahrnehmung des Budgetrechts Hilfe leistet – auch nicht lediglich ein Hilfsorgan des Parlaments.43 Die verfassungsbasierte institutionelle Garantie und die Bedeutung einer effektiven Finanzkontrolle für eine demokratisch verantwortete Haushalts- und Wirtschaftsführung machen es erforderlich, dass der Rechnungshof die ihm durch die Verfassung zugewiesenen Rechte im Konfliktfall wirksam verteidigen kann.44 Hierfür muss ihm der Zugang zum Organstreitverfahren eröffnet sein. Durch die Verfassung verbürgt ist nicht nur die Kontrolltätigkeit der Rechnungshöfe als solche, sondern auch das für eine effiziente Kontrolltätigkeit er40  Zum Meinungsstand s. Siekmann (Fn. 1), Rn. 25, Fn. 62; Werner Heun/Alexander Thiele, in: Horst Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. III, 3. Aufl. 2018, Art. 114 Rn. 20. 41  In diese Richtung gingen offenkundig die Vorstellungen der Antragsgegner, vgl. LT-Vorlage 15/373, S. 19, 42 und passim. 42  Vgl. hierzu ausführlich Klaus Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. II, 1980, § 34 II; s. auch ders., Bundesrechnungshof und Finanzkontrolle aus verfassungsrechtlicher Sicht, DÖV 1990, 261 (262 f.); Siekmann (Fn. 1), Rn. 26 f.; Hanno Kube, in: Theodor Maunz/Günter Dürig (Begr.), Grundgesetz (Stand: 83. Lieferung April 2018), Art. 114 Rn. 46; explizit bezogen auf den Landesrechnungshof Nordrhein-Westfalens auch Alfred Dickersbach, in: Gregor Geller/Kurt Kleinrahm (Hrsg.), Die Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, 3. Aufl. 1994, Art. 86 Anm. 4; Kyrill-Alexander Schwarz, in: Hermann von Mangoldt (Begr.), Grundgesetz, Bd. 3, 7. Aufl. 2018, Rn. 71 und 73; Iris Kemmler, in: Bruno Schmidt-Bleibtreu (Begr.)/Hans Hofmann/Hans-Günter Henneke (Hrsg.), Grundgesetz, 14. Aufl. 2018, Art. 114 Rn. 13. 43  Stern (Fn. 42), DÖV 1990, 261 (264); Siekmann (Fn. 1), Rn. 24. 44  Der Verfassungsgerichtshof spricht in seinem Urteil davon, dass die verfassungsrechtlich eingeräumten Kompetenzen des Landesrechnungshofs „wehrfähig“ sein müssen, s. VerfGH NRW, Urt. v. 13. 12. 2011 – VerfGH 11/10, juris, Rn. 88.

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forderliche Informations- und Auskunftsrecht.45 Eine Verletzung dieses Rechts muss der Rechnungshof deshalb in gleicher Weise in einem Organstreitverfahren geltend machen können. Angesichts der gegensätzlichen Auffassungen der Verfahrensbeteiligten darüber, ob die Wahrnehmung der Eigentümerbefugnisse gegenüber der NRW.BANK durch das Finanzministerium und die Staatsaufsicht über die NRW.BANK zur Haushalts- und Wirtschaftsführung des Landes zu rechnen sind, konnte sich das Gericht bei seiner Entscheidung nicht mit der allgemein üblichen Formel begnügen, wonach unter Haushaltsführung der Haushaltsvollzug, unter Wirtschaftsführung die gesamte finanzwirtschaftliche Betätigung des Staates außerhalb des Haushalts oder bei noch nicht festgestelltem Haushaltsplan zu verstehen ist,46 sondern musste den Begriff der Wirtschaftsführung des Landes weiter entfalten und konkretisieren. Das Gericht hat hierzu mehrere grundlegende Aussagen getroffen. Das betrifft zunächst die Frage, ob es staatliche Finanzen geben kann, die grundsätzlich von der Prüfungsbefugnis des Rechnungshofs ausgeschlossen sind und insoweit nicht zur Wirtschaftsführung gemäß Art. 86 Abs. 2 S. 1, 2. Alt. LV NRW gehören. Dies verneint das Gericht zu Recht unter Hinweis auf den durch die Haushaltsreform eingeführten verfassungsrechtlichen Generalauftrag für eine effektive und lückenlose Finanzkontrolle. Die mit der Verwaltung des staatlichen Finanzvolumens betrauten Stellen halten die staatlichen Mittel immer nur treuhänderisch für die Allgemeinheit und haben die aufgabenbezogene und wirtschaftliche Verwendung der Mittel zu verantworten.47 Ohne begleitende Finanzkontrolle bliebe diese Verantwortung vielfach bedeutungslos. Deshalb ist die Argumentation des Gerichts insoweit überzeugend. Ein zentrales Ziel der Haushaltsreform war es, die Finanzkontrolle durch die Rechnungshöfe zu stärken und „anderweitige ‚Nebenkontrollen‘ durchweg entbehrlich“ zu machen.48 Dahinter stand die Erkenntnis der Bedeutung der Rechnungshofstätigkeit für die parlamentarische Haushaltskontrolle49 und eine demokratisch verantwortete Haushalts- und Wirtschaftsführung, wie sie zutreffend auch der Verfassungsgerichtshof NRW ausdrücklich hervorgehoben hat.50 Von 45 Bei der Gewährung dieses Rechts handelt es sich um eine verfassungsrechtliche Hilfsgarantie, vgl. Siekmann (Fn. 1), Rn. 42; Stern (Fn. 42), DÖV 1990, 261 (264). 46  Kemmler (Fn. 42), Rn. 22; Andreas Nebel, in: Erwin Adolf Piduch (Begr.), Bundeshaushaltsrecht, 2. Aufl. (Stand: 20. Lieferung Februar 2018), Art. 114 Rn. 21; Kube (Fn. 42), Rn. 69, 70. 47 Ähnlich Schwarz (Fn. 42), Rn. 51; vgl. auch Markus Heintzen, in: Ingo von Münch/ Philip Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 2, 6. Aufl. 2012, Art. 114 Rn. 1. 48  BT-Drs. V/3040, Tz. 80. 49  Vgl. BT-Drs. V/3040, Tz. 5. 50  S. Urt. v. 13. 12. 2011 – VerfGH 11/10, juris, Rn. 132.

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diesem Ziel her gesehen ist das Gebot der Lückenlosigkeit der Finanzkontrolle zwingende Notwendigkeit.51 Es überzeugt zudem, wenn der Verfassungsgerichtshof aus der dem Rechnungshof vom Gesetzgeber zugedachten Rolle den Schluss zieht, dass die Finanzkontrolle durch den Rechnungshof zumindest dieselbe Reichweite wie das parlamentarische Budgetrecht hat. Zur Haushalts- und Wirtschaftsführung gemäß Art. 86 Abs. 2 S. 1 LV NRW gehört folglich jedenfalls jede finanzwirtschaftliche Betätigung, die parlamentarisch zu verantworten ist. Auch hier ist dem Gericht zu folgen. Als eigenständige juristische Person des öffentlichen Rechts verfügt die NRW. BANK über eine vom Landeshaushalt getrennte Haushalts- und Wirtschaftsführung. Im Rahmen der Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Landes ist sie grundsätzlich nicht Prüfungsadressat.52 Dem Gericht stellte sich daher die Frage, inwieweit gleichwohl durch die Geschäftstätigkeit der NRW.BANK das parlamentarische Budgetrecht berührt ist. Helmut Siekmann hat vor Jahren bereits überzeugend die Ansicht vertreten, dass in Fällen, die sich als sogenannte Flucht aus dem Budget darstellen, bei denen also die Erfüllung staatlicher Aufgaben außerhalb des Budgets erfolgt, das für die Aufgabenerfüllung an sich zuständig wäre,53 der Budgetbegriff nicht statisch, allein auf die im Haushalt oder in der Finanzplanung spezifizierten Ansätze bezogen, verstanden werden kann. Das Budgetrecht des Parlaments könne hier nicht an der Grenze zur verselbständigten juristischen Person enden. Gleiches gelte, wenn aus der Tätigkeit der rechtlich selbständigen Einheit Haftungsrisiken für das Land entstehen können. Das Parlament müsse Kenntnis von solchen Entscheidungen erlangen, die die Gestaltungsspielräume für künftige Haushaltsperioden nennenswert beeinträchtigen können und ihnen seine Zustimmung erteilen. Anderenfalls würde die Haushaltsautonomie des Parlaments, mangels verwirklichbarer Alternativen, rasch zu einer bloßen Worthülse verkommen.54 51  Im schriftlichen Bericht des Haushaltsausschusses über den Entwurf des Haushaltsgrundsätzegesetzes zu § 40 HGrG wird dementsprechend ausdrücklich klargestellt, dass nach der Neufassung des Art. 114 GG prüfungsfreie Räume nicht mehr statthaft sind, s. zu Drs. V/4378, 4379, S. 7. 52  Matthias Mähring, in: Ernst Heuer (Begr.)/Kay Scheller (Hrsg.), Kommentar zum Haushaltsrecht (Stand: 67. Lieferung August 2018), § 88 BHO, Rn. 4; Christoph Gröpl, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts, Band V, 3. Aufl. 2007, § 121 Rn. 42. 53 Vgl. Christian Smekal, Die Flucht aus dem Budget, 1977, S. 13. 54  Helmut Siekmann, Der Anspruch auf Herstellung von Transparenz im Hinblick auf die Kosten und Folgekosten der Steinkohlesubventionierung und den Börsengang der RAG AG, IMFS, Universität Frankfurt a. M., Working Paper Series No. 8 (2007).

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Das Gericht hat bei seinen Ausführungen zum Budgetrecht des Parlaments ähnliche Überlegungen angestellt.55 Es hat zudem mit dem Kriterium der Wahrnehmung von Finanzverantwortung für das Land ein geeignetes Merkmal herangezogen, um das Budgetrecht des Parlaments wirksam abzusichern. Damit schließt sich die Argumentationskette des Gerichts: Immer dann, wenn Finanzverantwortung für das Land wahrgenommen wird, ist dies im Sinne des Art. 86 Abs. 2 S. 1 LV NRW der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Landes zuzuordnen. Finanzverantwortung für das Land nehmen sowohl die NRW. BANK als auch die Mitglieder der Landesregierung in den Gremien der NRW. BANK und ebenso das Innenministerium als staatliche Aufsicht über die NRW. BANK wahr. Deshalb besteht ein Prüfungsrecht des Landesrechnungshofs aus Art. 86 Abs. 2 S. 1 LV NRW sowohl in Bezug auf die Geschäftstätigkeit der NRW.BANK56 als auch in Bezug auf die Tätigkeit der in den Gremien der NRW. BANK vertretenen Mitglieder der Landesregierung und das Innenministerium.57 Dieses Prüfungsrecht kann nicht durch den einfachen Gesetzgeber eingeschränkt werden.

III.  Fazit Infolge des durch Prof. Helmut Siekmann für den Landesrechnungshof NRW erstrittenen Urteils steht fest, dass der Rechnungshof seine verfassungsmäßigen Rechte im Organstreitverfahren verfolgen kann. Auch die Frage nach der Reichweite der Haushalts- und Wirtschaftsführung des Landes und damit des verfassungsmäßigen Prüfungsauftrages darf nach der Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs als grundsätzlich geklärt angesehen werden. Mit dem Merkmal der Wahrnehmung von Finanzverantwortung für das Land hat das Gericht ein Abgrenzungskriterium in den Fokus gerückt, das künftig weitere Streitigkeiten über eine Prüfungsbefugnis des Rechnungshofs in der Praxis kaum noch erwarten lässt.58 55  Urt. v. 13. 12. 2011 – VerfGH 11/10, juris, Rn. 136, 147. Nahezu zeitgleich hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 7. 9. 2011, – 2 BvR 987, 1485, 1099/10 – das Budgetrecht des Parlaments mit einer in Teilen vergleichbaren Argumentation gestärkt. Zum selben Ergebnis führt es zudem letztlich auch, wenn man mit Helmut Schulze-Fielitz, Kontrolle der Verwaltung durch Rechnungshöfe, VVDStRL 55 (1996), 231 (254), die Kontrollierbarkeit als Kompensation der Verselbständigung von Verwaltungsträgern sieht. 56  S. auch Patrick Tuschl, Das Urteil des Verfassungsgerichtshofs zur Rechnungshofkontrolle der NRW.BANK, NWVBl. 2012, 165 (167). 57  Urt. v. 13. 12. 2011 – VerfGH 11/10, juris, Rn. 147. 58 Deutlich zu skeptisch erscheint insoweit die Einschätzung von Tuschl (Fn. 56), S. 169, „eine klare Aussage oder Richtungsweisung zu ähnlichen Konstellationen“ habe das Gericht nicht gemacht.

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Mit dem Klageverfahren wurde juristisches Neuland betreten. Durch seine intensive Vorbereitung der Klage und die überaus fachkundige Begleitung des Organstreitverfahrens hat Helmut Siekmann entscheidend zum Erfolg der Klage des Landesrechnungshofs beigetragen und sich um die externe Finanzkontrolle in besonderer Weise verdient gemacht. Hierfür gebühren ihm der Dank und die Anerkennung der Rechnungshöfe. Die Autoren haben Helmut Siekmann zudem persönlich für das stets konstruktive Arbeitsklima bei den regelmäßigen Besprechungen zu danken. Mit dem Ergebnis dieser Klage wurde Rechtsgeschichte geschrieben, die Finanzkontrolle des Landesrechnungshofs für das Parlament gestärkt.

Christoph Brüning: Rechtskontrolle der Wasserentgelte nach Öffentlichem Preisrecht

Rechtskontrolle der Wasserentgelte nach Öffentlichem Preisrecht Christoph Brüning Christoph Brüning Rechtskontrolle der Wasserentgelte nach Öffentlichem Preisrecht

Ausschreibung bzw. Vergabe dienen der Ermittlung des „wirtschaftlichsten Angebots“ im Sinne des „besten Preis-Leistungs-Verhältnisses“ (vgl. § 127 Abs. 1 GWB). Die Idee dahinter ist, dass ein Wettbewerb der Bieter eine zuverlässige Quantifizierung des Wertes der zu beschaffenden Leistung erbringt. Gelingt die Wettbewerbseröffnung nicht oder scheidet sie aus, weil es aufgrund eines natürlichen Monopols – wie bei der leitungsgebundenen Wasserversorgung – nur einen Anbieter gibt, bieten allein die Kosten der Leistungserbringung einen Maßstab, um eine Leistung wertmäßig zu erfassen und das hierfür verlangte Entgelt zu beurteilen. Doch die Frage, welche Kosten in welcher Höhe berücksichtigungsfähig sind, hängt von der Art der Entgeltkontrolle und dem jeweils einschlägigen Rechtsregime ab. Wasserentgelte bieten dafür ein gutes Beispiel und zeigen eindringlich einen Harmonisierungsbedarf auf.

I.  Ausgangspunkt: Kostenkontrolle Spiegelbildlich zur Dichotomie der Rechtsordnung kennzeichnet die Diskussion um angemessene Entgelte für die Lieferung von Trinkwasser die Zweiteilung in privatrechtliche Wasserpreise und öffentlich-rechtliche Benutzungsgebühren. Dabei gelten – jedenfalls aus der Sicht altgedienter Kartellrechtler – Preismissbrauchskontrolle und Anreizregulierung als innovativ, während die Gebührenkontrolle als ineffektiv und rückständig angesehen werden. Einem Übergriff des Wettbewerbs- in das Kommunalabgabenrecht, der einem unsystematischen Kurzschluss beider Rechtsregime gleichkäme,1 hat der Gesetzgeber eine Absage erteilt. Seit der 8. GWB-Novelle bestätigt § 130 Abs. 1 S. 2 GWB a. F., jetzt § 185 Abs. 1 S. 2 GWB, ausdrücklich, dass „die §§ 19, 20 u. 31b Abs. 5 (…) keine Anwendung auf öffentlich-rechtliche Gebühren und Beiträge [finden]“. Bei allen kategorialen Auseinandersetzungen wird allzu leicht übersehen, dass so oder so die berücksichtigungsfähigen Kosten der Leistungserbringung 1 Dazu Christoph Brüning, „Flucht in das öffentliche Recht?!“ – Zum kartellrechtlichen Zugriff auf öffentlich-rechtliche Abgaben in der kommunalen Ver- und Entsorgungswirtschaft, ZfW 51 (2012), 1 ff.

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bei einem Monopolbetrieb den neuralgischen Punkt der Kontrolle bilden. Deshalb liegt nahe, von hier aus beide Rechtskreise in den Blick zu nehmen. Dabei zeigt sich eine gemeinsame Schnittmenge der Regelungsansätze, die vom weithin unbekannten Öffentlichen Preisrecht abgebildet wird. Die materiellen Regeln der Verordnung Preisrecht Nr. 30/53 und der Anlage der Leitsätze für die Preis­ ermittlung auf Grund von Selbstkosten (LSP) bieten ein normatives, erprobtes und entwicklungsfähiges Basisregime an. Die Alternative, bereichsbezogen und -begrenzt Methoden der Kostenkalkulation zu entwickeln, ist aufwändig und anfällig für Widersprüche.

II.  Bezugsgrößen der Preismissbrauchskontrolle Die allgemeine Missbrauchsaufsicht nach § 19 GWB verlangt eine marktbeherrschende Stellung eines Unternehmens. Als Maßstab für einen Missbrauch benennt § 19 Abs. 2 Nr. 2 GWB den Als-ob-Wettbewerbspreis, d. h. einen hypothetischen Preis, der sich bei wirksamem Wettbewerb auf dem beherrschten Markt mit hoher Wahrscheinlichkeit ergäbe. Zur Feststellung eines wettbewerbsanalogen Preises verweist die Vorschrift insbesondere auf Verhaltensweisen von Unternehmen auf vergleichbaren Märkten mit wirksamem Wettbewerb. Prägend für die besondere Missbrauchsaufsicht der §§ 31 ff. GWB ist zunächst ebenfalls das Vergleichsmarktkonzept.2 Nach § 31 Abs. 4 Nr. 2 GWB liegt ein Missbrauch insbesondere vor, wenn „ein Wasserversorgungsunternehmen von seinen Abnehmern ungünstigere Preise oder Geschäftsbedingungen fordert als gleichartige Wasserversorgungsunternehmen, es sei denn, das Wasserversorgungsunternehmen weist nach, dass der Unterschied auf abweichenden Umständen beruht, die ihm nicht zurechenbar sind“. Kristallisationspunkt und Achillesferse dieser kartellrechtlichen Preismissbrauchskontrolle ist die Feststellung tauglicher Vergleichsmärkte, um von deren Referenzialität auf das Preisniveau des zu beurteilenden Marktes schließen zu können.3 Wegen der damit verbundenen Schwierigkeiten ist alternativ zum Vergleichsmarktprinzip auch eine allgemeine Marktmissbrauchskontrolle auf der Grundlage einer Kostenbetrachtung im Sinne einer Überprüfung einzelner Preisbildungsfaktoren anerkannt.4 Der BGH hat hierzu festgestellt, dass die Vergleichsmarktmethode zur Ermittlung eines Marktmissbrauchs gegenüber der Kostenkontrolle rechtlich nicht vorrangig sei. Letztere könne insbesondere im

2  Dazu ausführlich Tilman Kuhn, Preishöhenmissbrauch (excessive pricing) im deutschen und europäischen Kartellrecht, WuW 2006, 578 (580 ff.). 3  Kuhn (Fn. 2), WuW 2006, 578 (587). 4  BGH, Beschl. v. 15. 5. 2012 – KVR 51/11, Rn. 13 ff. – Calw I.

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Bereich der Trinkwasserversorgung angezeigt sein, wenn dort keine vergleichbaren Märkte mit wirksamem Wettbewerb existierten.5 Für die besondere Missbrauchsaufsicht ist mit der 8. GWB-Novelle in § 31 Abs. 4 Nr. 3 GWB ausdrücklich das Konzept der Kostenkontrolle als Methode zur Überprüfung der Höhe der Wasserpreise eingeführt worden. Zuvor hatte der BGH eine diesbezügliche Praxis bereits gebilligt. Dieser nun positivierte Tatbestand statuiert das Regelbeispiel eines Missbrauchs, wenn „ein Wasserversorgungsunternehmen Entgelte fordert, die die Kosten in unangemessener Weise überschreiten; anzuerkennen sind die Kosten, die bei einer rationellen Betriebsführung anfallen“. Hiermit wird nun unmittelbar auf die betriebliche Kostenkalkulation zugegriffen.6

III.  Maßstäbe für Kosten in der Wasserwirtschaft Jede kostenbezogene Methode hat die prinzipielle Schwäche, der Gefahr des „Kostenmachens“ nicht wirksam zu begegnen. Bei einer Entgeltberechnung auf der Basis der Kostendeckung droht eine Aufblähung der veranschlagten Kosten, weil eine Ineffizienz des Auftragnehmers nicht durch bessere Wettbewerber mit niedrigeren Preisen deutlich und mittelbar bei der nächsten Auftragsvergabe sanktioniert wird und weil der Auftragnehmer mit überhöhten Kostenpositionen versteckte Gewinne generieren kann.7 Ein Ausweg wird oft in einer Kombination verschiedener Ansätze gesucht.8 1.  Kostenbegriffe Obwohl der Gesetzeswortlaut in § 31 Abs. 4 Nr. 2 u. 3 GWB Kosten entweder (mittelbar) als Rechtfertigungsgrund oder (unmittelbar) als Kontrollgegenstand ausweist, ist der Begriff einheitlich zu verstehen. Wie der Kostenbegriff anzuwenden und auszulegen ist, lässt das Gesetz aber offen. Dies ist umso misslicher, weil zu Recht auf die „bei den monopolartigen Strukturen in hohem Maße bestehende Gefahr einseitiger Machtausübung zugunsten des Anbieters oder zuguns-

5 

BGH, Beschl. v. 15. 5. 2012 – KVR 51/11, Rn. 15 – Calw I.

6 s. Lawrence Rajczak, Wasserpreise auf dem Prüfstand des Zivilrechts, 2014, S. 227 ff. 7  Mathias Dierkes/Rolf Hamann, Öffentliches Preisrecht in der Wasserwirtschaft, 2009, S. 219. 8 Vgl. Mario Martini, Zwischen Vertragsfreiheit und gesetzlicher Bindung – Entgeltkontrolle im Energiewirtschaftsrecht und die Suche nach dem „pretium iustum“ im Recht, DVBl. 2008, 21 (25, 27); so wohl auch BGH, Beschl. v. 14. 7. 2015 – KVR 77/13, Rn. 25 – Calw II.

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ten des Nachfragers“ hingewiesen und nach Regelungen gesucht wird, „die in jeder Beziehung ,neutral‘ ausgestaltet sind“.9 Die Kommunalabgabengesetze enthalten teils detaillierte Vorgaben zu den gebührenfähigen Kosten und verweisen im Übrigen für die Kostenermittlung auf „betriebswirtschaftliche Grundsätze“ (vgl. § 6 Abs. 1 S. 1 KAG NW, § 6 Abs. 2 S. 2 KAG SH). Der Gesetzgeber wollte in Abkehr von den Grundsätzen des (kameralen) Haushaltsrechts insoweit eine Orientierung an den Grundsätzen der Privatwirtschaft erreichen. Nach Entstehungsgeschichte, Systematik sowie Sinn und Zweck der Bestimmungen zu den Benutzungsgebühren ist hier von den verschiedenen in der Betriebswirtschaftslehre vertretenen Kostenbegriffen der sog. wertmäßige Kostenbegriff gemeint.10 Danach kommt es auf den Wertverzehr an Gütern und Dienstleistungen an, welcher durch die Leistungserbringung in einer Periode bedingt ist.11 2.  Kostenkontrolle Um dem „Produzieren von Kosten“ und damit einer „überflüssigen“ und „übermäßigen“ Belastung der Abgabenschuldner vorzubeugen,12 sind weitere, begrenzende Kriterien vonnöten. Aus dem wertmäßigen Kostenbegriff ergeben sich bereits in sachlicher und zeitlicher Hinsicht Grenzen in Gestalt der Betriebsbedingtheit und Periodengerechtigkeit. Im Benutzungsgebührenrecht sind dann sowohl die Frage nach den in der Kalkulation ansatzfähigen Kosten als auch das Problem der Verhinderung unangemessener Kostenansätze seit jeher von Rechtsprechung und Literatur aufgearbeitet worden, weil der Gebührenschuldner nur mit Kosten belastet werden darf, die zur Aufgabenerfüllung erforderlich sind.13 Diese Erforderlichkeit folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip, das abgabenrechtlich gewendet Äquivalenzprinzip genannt wird. Es gilt sowohl für die angesetzten Kostenarten als auch für den Umfang der als gebührenfähig anzuse9  Andreas Hoffjan/Timo Hövelborn/Christian Strickmann, Das Preisrecht bei öffentlichen Aufträgen – Status quo und empirische Befunde vor dem Hintergrund aktueller Reformbemühungen, ZögU 2013, 3 (12); Hellmuth Ebisch/Joachim Gottschalk/Andreas Hoffjan/Hans-Peter Müller/Bettina Waldmann, Preise und Preisprüfungen bei öffentlichen Aufträgen, 8. Aufl. 2010, Einf. Rn. 8. S. auch die Situationsbeschreibung im öffentlichen Auftragswesen bei Dierkes/Hamann (Fn. 7), S. 191. 10 Vgl. Günter Wöhe, Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, 23. Aufl. 2008, S. 922 f.; zu Kosten im Gebührenrecht s. Michael Quaas, Kommunales Abgabenrecht, 1997, Rn. 65; Dieter Wilke, Gebührenrecht und Grundgesetz, 1973, S. 275 ff. 11 Ausführlich Christoph Brüning, in: Hans-Joachim Driehaus (Hrsg.), Kommunalabgabenrecht (Stand: 59. Ergänzungslieferung, Sept. 2018), § 6 Rn. 45 ff.; grundlegend Erik Gawel, Die kommunalen Gebühren, 1995, S. 240 ff. 12  Exemplarisch OVG Schleswig, KStZ 1999, 135 (137). 13  Vgl. OVG Schleswig, KStZ 2001, 53.

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henden Kosten. Überflüssige wie auch übermäßige Kosten dürfen danach in der Kalkulation nicht berücksichtigt werden. Für die kartellrechtliche Preismissbrauchskontrolle wird in § 31 Abs. 4 Nr. 3 GWB das Merkmal der „rationellen Betriebsführung“ als Gegenbegriff zur „unangemessenen Kostenüberschreitung“ normiert. Damit liegt eine Ausfüllung mit dem benutzungsgebührenrechtlichen Grundprinzip der Erforderlichkeit von Kostenansätzen auf der Hand. Bei näherer Betrachtung zeigt sich indes, dass insbesondere der gebührenrechtliche Grundsatz der Erforderlichkeit der Kosten seinerseits offen ist für – und auch angewiesen ist auf 14 – „gebührenrechtsfremde“ Maßstäbe. Mangels gesetzgeberischer Vorgaben in den Kommunalabgabengesetzen müssen sich die Verwaltungsgerichte rechtsfortbildend Subkriterien erarbeiten, die folgerichtig differieren und unterschiedlich belastbar sind.15 Wenn und soweit es gelänge, dem öffentlichen Wirtschaftsrecht kohärentere und detailliertere Maßstäbe zu entnehmen, schlösse sich der Kreis überzeugender.16

IV.  Untauglichkeit des regulierungsrechtlichen Ansatzes Demgegenüber überzeugt es nicht, die Maßstäbe aus der Energienetzregulierung heranzuziehen, wie es die Kartellbehörde in Baden-Württemberg getan hat. Dieser Ansatz mag sich zwar praktisch aus dem Umstand erklären, dass sie zugleich auch Regulierungsbehörde ist und ihr daher die Anreizregulierung bekannt und bewährt erscheint. Auch ist der BGH dem nicht entgegengetreten, hat den Grundsätzen der Strom- und GasNEV aber keine Exklusivität zu-, sondern ausdrücklich „auch andere Kalkulationsweisen“ erkannt.17 Der Gesetzgeber hat schon vor Jahren die Energie- von der Wasserwelt getrennt und hieran seither nichts geändert: Die Wasserwirtschaft war von dem Anwendungsbereich der §§ 103 ff. GWB a. F. ausgenommen und findet in §§ 31 ff. GWB bis heute Spezialvorschriften für eine repressive Marktverhaltens- und Preismissbrauchskontrolle. Die mit der zum 30. 06. 2013 in Kraft getretene Än14  Erik Gawel, Kostenkontrolle wasserwirtschaftlicher Entgelte zwischen Wettbewerbsrecht und Kommunalabgabenrecht – eine Leistungsfähigkeitsanalyse, IR 2012, 293 (295): „Ökonomisch kann von Kostenpreisen ohnehin keine Effizienz erwartet werden, da Anreize fehlen, zu Minimalkosten zu produzieren (eine Effizienzdividende müsst dann an die Nachfrager abgegeben werden) und Abweichungen davon von außen kaum beobachtbar sind (Informationsasymmetrie).“ Auch Erik Gawel, Entgeltkontrolle in der Wasser­ wirtschaft zwischen Wettbewerbsrecht und Kommunalabgabenrecht – eine komparative Leistungsfähigkeitsanalyse, ZfW 52 (2013), 13 ff. 15  Exemplarisch OVG Schleswig, Urt. v. 10. 9. 2015 – 4 LB 45/14 – juris, Rn. 87 ff. 16  Dazu ausführlich Christoph Brüning, Zur Auslegung des Begriffs „rationelle Betriebsführung“ in Anlehnung an das Kommunalabgabenrecht – dargestellt für den Bereich der Wasserversorgung, ZfW 55 (2016), 1 ff. 17  BGH, Beschl. v. 14. 7. 2015 – KVR 77/13, Rn. 25 – Calw II.

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derung des GWB erfolgte Inkorporierung der §§ 103, 103a, 105 GWB 1990/1998 hat der Forderung zur Regulierung der Wasserwirtschaft mithin eine Absage erteilt.18 Umgekehrt findet die Energiewirtschaft in § 21 EnWG eine spezielle Regelung für „Bedingungen und Entgelte für den Netzzugang“. Nähere Vorgaben machen §§ 4 ff. StromNEV und §§ 4 ff. GasNEV.19 Warum sollte also die bewusst verselbständigte Energieregulierung, die dann ein äußerst reges Eigenleben mit der Bundesnetzagentur entwickelt hat, jetzt die richtigen Maßstäbe für die inhaltliche Auffüllung des Kostenbegriffs der §§ 31 ff. GWB liefern? Dogmatisch spricht dagegen, dass die Regelungsgegenstände von Strom und Gas einerseits und Wasser andererseits unvergleichlich sind:20 Im regulierten Netzentgelt verböte sich grundsätzlich die Einbeziehung der Wassererzeugungskosten in die Selbstkostenkalkulation eines integrierten Wasserversorgungsunternehmens. Das ist aber geboten, wenn man die Trennung der Energieerzeugung vom Netzbetrieb in der Energiewirtschaft den Verhältnissen in der deutschen Wasserwirtschaft gegenüberstellt. Ein schlichter Rückgriff auf die in den Netz­ entgeltverordnungen niedergelegten betriebswirtschaftlichen Regeln greift zu kurz, weil es in der Wasserversorgung von Endkunden – anders als in den Bereichen von Strom und Gas – keine Trennung von Netz und Vertrieb und damit auch keinen Wettbewerb um Abnehmer gibt; Kalkulation und Regulierung von energiewirtschaftlichen Netznutzungsentgelten dienen damit anderen Zwecken als Kalkulation und Aufsicht von „all inclusive“-Endkundenentgelten in der Wasserversorgung.21 Da in der Wasserversorgung keine entflochtenen Netzbetreiber agieren, können die Erzeugungskosten auch nicht losgelöst von den Netzkosten beurteilt werden. Näherliegend wäre daher gegebenenfalls ein Blick auf die Fernwärmeversorgung gewesen.

18  Vgl. zu diesem Ansinnen Monopolkommission, XVIII. Hauptgutachten, Mehr Wettbewerb, wenig Ausnahmen (2008/2009), 2010, BT-Drs. 17/2600, S. 51 f.; zu Recht zweifelnd OLG Frankfurt, Beschl. v. 3. 3. 2011 – 11 W 2/11 (Kart). 19  Zu den Grenzen der Kostenprüfung nach §§ 4 ff. NEV in der Anreizregulierung Ulrich Scholz/Thilo Richter, Die Kostenprüfung in der Anreizregulierung, RdE 2011, 295 ff. 20  Das deutet nunmehr auch BGH, Beschl. v. 14. 7. 2015 – KVR 77/13, Rn. 25 – Calw II, an. 21 Insoweit verfängt die – wiederholte – Forderung der Monopolkommission, XX. Hauptgutachten, 2014, Tz. 1250 ff., nicht, die eine noch weitergehende Unterstellung der Wasserwirtschaft unter die Anreizregulierung durch die Bundesnetzagentur fordert, nicht zuletzt „vor dem Hintergrund der nunmehr substanziell geschwächten Preismissbrauchs­ aufsicht“ (Tz. 1250).

Rechtskontrolle der Wasserentgelte nach Öffentlichem Preisrecht

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V.  Das Modell des Öffentlichen Preisrechts Statt speziell ausgeformte, aber eben für einen anderen Sektor entwickelte Methoden der Kostenermittlung und -veranschlagung mühsam anzupassen, ist zielführender, die Kostenkontrolle/-rechtfertigung von Wasserpreisen aus der (gemeinsamen) „Basisregel“ für alle Kostenfragen, nämlich dem Öffentlichen Preisrecht, zu entwickeln. Da das Modell der kartellbehördlichen Preismissbrauchsaufsicht – ähnlich der gebührenrechtlichen Kostenkontrolle – im Wesentlichen repressiv angelegt ist, liegt eine Berücksichtigung der Wertung des Öffentlichen Preisrechts auf der Hand. 1.  Relevanz im Gebührenrecht Das Öffentliche Preisrecht bildet im Benutzungsgebührenrecht eine Art „Reserverecht“, um die gebührenrechtliche Erforderlichkeit von Fremdleistungskosten beurteilen zu können. Dies gilt insbesondere für den Fall, dass die Rechtfertigung des Fremdentgelts durch ein ordnungsgemäßes Vergabeverfahren ausscheidet und der Nachweis der Erforderlichkeit der Kosten daher auf andere Weise erbracht werden muss (vgl. § 6 Abs. 2 S. 3 Nr. 2 KAG SH22 sowie Artikel II des Gesetzes zur Regelung abgabenrechtlicher Vorschriften vom 24. November 199823). Die Vorschriften der Verordnung PR Nr. 30/53 gelten zwar nicht unmittelbar für die Gebührenkalkulation,24 sondern sind nur auf die Preisgestaltung in Verträgen anzuwenden, die öffentliche Auftraggeber mit Dritten schließen, wenn keine Marktpreise oder aufgrund einer Ausschreibung ermittelte Wettbewerbs­ preise bestehen. Entgelte für die Inanspruchnahme von Fremdleistungen, die den nach den Leitsätzen für die Preisermittlung (LSP) ermittelten Preisen entsprechen, sind jedoch – ebenso wie die in einem ordnungsgemäßen Vergabeverfahren ermittelten Fremdleistungsentgelte – in der Gebührenkalkulation regelmäßig zu 22  „Zu den erforderlichen Kosten gehören auch (…) 2. Entgelte für die zur Erfüllung der öffentlichen Aufgabe in Anspruch genommenen Leistungen Dritter, soweit die Beauftragung Dritter unter Beachtung der Vorschriften des Vergaberechts erfolgt ist“. 23  GVOBl. SH 1998, 345 (346): „Haben Gemeinden, Kreise, Ämter oder Zweckverbände vor Inkrafttreten dieses Gesetzes Dritten die Erfüllung öffentlicher Aufgaben ohne Einhaltung vergaberechtlicher Vorschriften übertragen, gelten die Entgelte für die Inanspruchnahme dieser Dritten als erforderliche Kosten im Sinne des § 6 Abs. 2 des Kommunalabgabengesetzes des Landes Schleswig-Holstein, soweit bei der Bemessung der Entgelte die Bestimmungen des Preisrechts beachtet werden.“ 24  BVerwG, Urt. v. 1. 10. 1997 – 8 B 209/97, bestätigt OVG Münster, Urt. v. 19. 6. 1997 – 9 A 652/95; OVG Münster, Urt. v. 1. 7. 1997 – 9 A 3556/96 und Urt. v. 15. 12. 1994 – 9 A 2251/93, NVwZ 1995, 1238 (1240 f.); OVG Lüneburg, Urt. v. 22. 1. 1999 – 9 L 1803/97 – KStZ 1999, 190, Urt. v. 24. 6. 1998 – 9 L 2504/96; Urt. v. 17. 7. 2012 – 9 LB 187/09 – DVBl. 2012, 1255 ff.; VGH Mannheim, Urt. v. 31. 5. 2010 – 2 S 2423/08.

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akzeptieren.25 Umgekehrt ist die Kalkulation auf der Basis der LSP bei Beauftragung Dritter durch die Gemeinde kommunalabgabenrechtlich zwingend geboten, wenn kein Markt- bzw. Wettbewerbspreis zustande gekommen ist; Fremdentgelte sind dann nicht gebührenfähig, soweit sie die nach den LSP zu ermittelnden Höchstpreise überschreiten.26 2.  Systematik § 1 VO PR Nr. 30/53 stellt die drei wesentlichen Grundprinzipien des Öffentlichen Preisrechts auf: Absatz 1 normiert den Vorrang der Marktpreise für Leistungen, die mittels öffentlicher Aufträge beschafft werden. Für öffentliche Aufträge im Anwendungsbereich der Verordnung bestimmt Absatz 2 den Vorrang von Festpreisen und legt grundsätzlich den Vertragsschluss als maßgeblichen Vereinbarungszeitpunkt fest. In Absatz 3 werden die nach der Verordnung ermittelten Selbstkostenpreise als Höchstpreise für alle Anwendungsfälle einer öffentlichen Auftragsvergabe festgelegt. Im Verbund mit den weiteren Vorschriften ergibt sich danach die Rangfolge der Preistypen als sog. Preistreppe, die von besonders gebildeten Preisen im Sinne von § 3 VO PR Nr. 30/53 und Marktpreisen nach § 4 VO PR Nr. 30/53 über Selbstkostenfest- und Selbstkostenricht- zu Selbstkostenerstattungspreisen führt.27 Der Nachrang aller Selbstkostenpreise gegenüber jeder Art von Sonder- und Marktpreisen ist in § 5 Abs. 1 VO PR Nr. 30/53 angeordnet; die Zulässigkeitsfolge innerhalb der Selbstkostenpreise folgt aus §§ 6 u. 7 VO PR Nr. 30/53. Die LSP statuieren als Anlage zur Verordnung PR Nr. 30/53 ein in sich geschlossenes, detailliertes und vollständiges System der kostenbezogenen Entgeltbildung. Ein rechtstatsächlicher Vorteil ist, dass die in der betrieblichen Praxis angewandten Regeln der Kostenrechnung im Wesentlichen den LSP entsprechen.28 Dabei ist zu beachten, dass im Öffentlichen Preisrecht ein Selbstkostenpreisbegriff verwendet wird, der von dem sonst in der Betriebswirtschaftslehre üblichen dadurch abweicht, dass der Gewinn Bestandteil des Selbstkostenpreises ist. So schreiben die LSP Nr. 10 folgende Kalkulationsgliederung als Mindeststandard vor:

25 

OVG Münster, NVwZ-RR 2000, 708 f., Beschl. v. 5. 8. 2010 – 9 A 449/09. OVG Münster, NVwZ-RR 2000, 708 f. 27  Meinrad Dreher, in: Ulrich Immenga/Ernst-Joachim Mestmäcker (Hrsg.), Wettbewerbsrecht, Band 2: Deutsches Kartellrecht, 4. Aufl. 2007, Vor §§ 97 ff. GWB Rn. 180; s. die detaillierte Übersicht bei Ebisch/Gottschalk/Hoffjan/Müller/Waldmann (Fn. 9), § 1 Rn. 78. 28  Rainer Müller, Preisgestaltung bei öffentlichen Aufträgen, 3. Aufl. 1993, S. 90. 26 

Rechtskontrolle der Wasserentgelte nach Öffentlichem Preisrecht

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Fertigungsstoffkosten + Fertigungskosten + Entwicklungs- und Entwurfskosten + Verwaltungskosten + Vertriebskosten = Selbstkosten + kalkulatorischer Gewinn = Selbstkostenpreis Die LSP reglementieren insbesondere den Ansatz von Stoffen, Personalkosten, Kosten der Instandhaltung und Instandsetzung, Abgaben, Lizenzen und Patenten, Mieten u. Ä. sowie kalkulatorischen Kosten (Abschreibungen, Zinsen, Einzelwagnissen, Gewinnzuschlägen). Ein Vorzug liegt im normativen Charakter der Bestimmungen über Kostenansätze, Bewertungen und Kalkulationen. Und schließlich ist das Öffentliche Preisrecht prinzipiell neutral ausgestaltet, da es auf monopolartige Strukturen auf Anbieter- oder Nachfrageseite ausgerichtet ist, die jeweils die Gefahr jeweils einseitiger Machtausübung bergen.29 3.  Doppelte Kostenkontrolle § 5 Abs. 1 VO PR Nr. 30/53 stellt für die einzelnen Kostenpositionen die Voraussetzung der Angemessenheit auf. Angemessen sind nur Kosten, die nach Art, Mengen- und Wertansatz unter Berücksichtigung der anwendbaren technischen und wirtschaftlichen Arbeitsverfahren, der Standortbedingungen und des Beschäftigungsgrades objektiv für die Leistungserstellung als erforderlich anzusehen sind.30 Aus dem Merkmal der Sachzielbezogenheit des wertmäßigen Kostenbegriffes folgt, dass Kosten in der Preiskalkulation nur angesetzt werden können, wenn sie durch die Leistungserstellung verursacht werden. Die Kosten einer Leistung lassen sich indes nicht allein aufgrund einer Kausalitätsprüfung ermitteln. Es ist eine unternehmerische Entscheidung, welcher Kostenaufwand betrieben wird, um eine Leistung zu erbringen. Deshalb darf der Auftraggeber nur mit Kosten belastet werden, die zur Aufgabenerfüllung erforderlich sind. Das gilt sowohl für die angesetzten Kostenarten als auch für den Umfang der einzel-

29 Für

eine gleichberechtigte Wahrung preisrechtlicher Grundsätze von Auftraggebern und Bietern bzw. Auftragnehmern Dreher, in: Immenga/Mestmäcker (Fn. 27), Vor §§ 97 ff. GWB Rn. 180; Ebisch/Gottschalk/Hoffjan/Müller/Waldmann (Fn. 9), Einf. Rn. 8. 30  Dierkes/Hamann (Fn. 7), S. 237.

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nen Kostenpositionen. Überflüssige wie auch übermäßige Kosten dürfen danach in der Kalkulation nicht berücksichtigt werden.31 Nr. 4 Abs. 2 LSP begrenzt die Berücksichtigungsfähigkeit der Kosten zudem auf diejenigen, „die bei wirtschaftlicher Betriebsführung zur Erstellung der Leistung entstehen“. Soweit Marktpreise in Rede stehen, stellt sich das Problem des Ansatzes überflüssiger bzw. übermäßiger Kosten nicht, da ein Anpassungs- und Kostensenkungsdruck aus dem Wettbewerb erwächst. Problematisch ist demgegenüber die Ist-Kosten-Rechnung, für die hier ein Korrektiv im Sinne des Minimumprinzips eingeführt wird.32 Der Maßstab der wirtschaftlichen Betriebsführung wird dabei durch ein idealtypisches Unternehmen unter den Verhältnissen des zu beurteilenden Unternehmens gefüllt. Insoweit sind Kostenerhöhungen, die durch unwirtschaftliche Verhältnisse des konkreten Auftragnehmers begründet sind, auszuschließen. Bezugsobjekt ist insoweit das gesamte Produktionsverfahren; es geht um die unternehmensbezogene Wirtschaftlichkeit. Die Unwirtschaftlichkeit eines Teilverfahrens kann daher durch gegenläufige Effekte bei anderen Produktionsteilen bzw. Kostenarten kompensiert werden, wenn unter Berücksichtigung gegenläufiger Entwicklungen einzelner Kostenarten bei steigenden Leistungsanforderungen das bestmögliche Produktionsergebnis erreicht wird.33 Der preisrechtlich vorgegebene Weg zur wirtschaftlichen Betriebsführung zielt dabei auf die vereinbarte Gesamtleistung, wie schon der Wortlaut von Nr. 4 Abs. 2 LSP belegt. Normsystematisch steht die Angemessenheit der Kosten in einem gewissen Spannungsverhältnis zur wirtschaftlichen Betriebsführung. Als unmittelbar in der Preisverordnung angelegtes Kriterium kann ersteres aber wohl kaum durch die Anlage abgeschwächt werden. Das Öffentliche Preisrecht geht daher von einer doppelten Prüfung aus, indem es die verrechnungsfähigen Kosten zunächst auf ihre Angemessenheit und das gesamte Produktionsverfahren sodann auf eine wirtschaftliche Betriebsführung begrenzt. Diese Prüffolge34 darf weder kurzgeschlossen noch umgekehrt werden. Denn sie bildet gerade in dieser Form ein ausdifferenziertes Instrumentarium der Kostenkontrolle, ohne auf Bausteine aus anderen Regelkreisen zurückgreifen zu müssen.

31  Vgl. zum Benutzungsgebührenrecht OVG Münster, Urt. v. 3. 9. 1980 – 2 A 2258/79, Beschl. v. 30. 7. 1992 – 9 A 1386/92; OVG Lüneburg, KStZ 1991, 159, zur Berücksichtigung einer überdimensionierten zentralen Entwässerungsanlage. 32  Ebisch/Gottschalk/Hoffjan/Müller/Waldmann (Fn. 9), Nr. 4 LSP Rn. 12, 14. 33  Dierkes/Hamann (Fn. 7), S. 235. 34  Hans Michaelis/Carl Artur Rhösa (Begr.)/Horst Greiffenhagen (Fortf.), Preisbildung bei öffentlichen Aufträgen (Stand: 103. Aktualisierung, Juni 2015), Leitsätze Nr. 4 Ziffer 2.1; Ebisch/Gottschalk/Hoffjan/Müller/Waldmann (Fn. 9), Nr. 4 LSP Rn. 18.

Rechtskontrolle der Wasserentgelte nach Öffentlichem Preisrecht

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VI.  Allgemeiner Ausblick Die weitere Rechtsentwicklung muss in Richtung der Ausbildung eines Allgemeinen Teils selbstkostenbasierter Entgeltbildung gehen. Insofern kann das materielle Preisrecht der Verordnung Nr. 30/53 und der LSP im Sinne einer Angebotsgesetzgebung fortentwickelt werden. Das Beschaffungswesen der öffentlichen Hand bildet ebenso einen Besonderen Teil des Preisrechts wie die Anreizregulierung oder das Beihilfenrecht, wenn und soweit eine selbstkostenbasierte Preisbildung erfolgt.35 Wenn das primäre Ziel der Preisverordnung nebst LSP jedenfalls heute36 also nicht mehr die Aufrechterhaltung des allgemeinen Preisstandes ist, es gleichwohl aber einen Regelungsbedarf für selbstkostenbasierte Preisbildung gibt, liegt nahe, das diesbezügliche Preisbildungsrecht als selbständigen Teil des GWB zu fassen. Nicht verschwiegen werden soll allerdings, dass eine Kostenkontrolle von außen, sei es durch Aufsichtsbehörden oder durch Gerichte, immer an Grenzen verfügbarer und verfügbar gemachter Informationen über die einschlägigen Kosten stößt. Eine Normierung des Maßstabs im Gesetz schaffte allerdings einerseits Klarheit hinsichtlich der relevanten Daten und könnte andererseits ergänzt werden um Instrumente der Informationsbeschaffung. Das Öffentliche Preisrecht hält in seinem Anwendungsbereich ein besonderes ordnungsrechtliches Instrumentarium bereit,37 wie es allgemein in der Wettbewerbsaufsicht, insbesondere der kartellbehördlichen Preismissbrauchs- und der regulierungsbehördlichen Entgeltkontrolle, besteht. Die externe Preisprüfung bildet ein staatliches Kontrollregime, für das in § 9 VO PR Nr. 30/53 Nachweis-, Aufbewahrungs-, Auskunfts-, Einsichts- und Besichtigungsrechte der Preisprüfungsbehörden gegenüber dem Auftragnehmer bereichsspezifisch normiert sind.

VII.  Fazit für die Wasserentgelte Der Zugriff auf das Öffentliche Preisrecht als maßstabbildende Größe hat für die Wasserwirtschaft den Vorteil, dass die Schnittmenge zwischen öffentlichund privatrechtlichen Versorgungsverhältnissen und Entgeltbeziehungen größer 35  Das sieht auch Horst Greiffenhagen, Die Erweiterungsfähigkeit des geltenden öffentlichen Preisrechts, VergabeR 2013, 415 (416); ebenso zum Zusammenhang von Haushalts-, Gebühren-, Preis- und Beihilferecht Alexander Reuter/Julian Polster, Refinanzierung öffentlich-privater Partnerschaften im Lichte von Haushalts-, Gebühren-, Preis- und Beihilferecht, IR 2005, 266 ff. 36  Dazu ausführlich die Studie im Auftrag des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie von Oliver Dörr/Andreas Hoffjan, Die Bedeutung der Verordnung PR Nr. 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen, 2015, S. 13 ff. 37  Ebisch/Gottschalk/Hoffjan/Müller/Waldmann (Fn. 9), § 9 Rn. 1, sprechen pointiert von „Preispolizei“.

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wird und innerhalb der Branche vereinheitlicht werden kann. Dagegen vertiefte der Import der Gedanken der Energieregulierung die Zweiteilung in privatrechtlich verfasste Unternehmen, die den Energienetzbetrieben angeglichen werden, und den öffentlich-rechtlich organisierten Einrichtungen, die in der KAG-Welt arbeiten, weiter. So verwundert das Bestehen unterschiedlicher Entgeltregime nicht, wohl aber der Befund divergierender Entgelte, wenn sie sich ohne sub­ stanzielle Leistungsunterschiede allein infolge eines anderen Maßstabs zulässigerweise ergeben. Und ein letztes: Anders als bei der Energie bildet der Qualitätsgedanke das A&O der Diskussion um Wasserpreise und Wasserkonzessionen. Die Erbringung von Leistungen der Daseinsvorsorge wie der öffentlichen Wasserversorgung soll nicht nur wirtschaftlich, sondern vor allem nachhaltig, zuverlässig und hygienisch sein. Solche materiellen Kriterien lassen sich aber am besten kostenorientiert in die Praxis der Preisbildung umsetzen. Denn die Schwierigkeit von Benchmarking in der Wasserwirtschaft38 liegt darin, dass Kennziffern unter Umständen andere Rahmenbedingungen, unterschiedliche Produktionsverhältnisse und abweichende Produktdefinitionen – hingewiesen sei nur auf divergierende Gewässerschutzstandards oder divergierende topographische oder hydrologische Verhältnisse – zugrunde liegen.39

38  s. zur Definition DVGW-Arbeitsblatt W 1100; OLG Nürnberg, Urt. v. 15. 6. 2012 – 1 U 605/11 – (sub. 4c), im Rahmen einer kostenorientierten Billigkeitskontrolle nach § 315 BGB. Grundsätzlich positiv gegenüber dem in der Wasserwirtschaft entwickelten und eingesetzten Benchmarking Monopolkommission, XX. Hauptgutachten, 2014, Tz. 1247 ff. 39  Ebisch/Gottschalk/Hoffjan/Müller/Waldmann (Fn. 9), Nr. 4 LSP Rn. 13; auch Gawel (Fn. 14), IR 2012, 293 (296). Erste Ansätze bietet nach Angaben des Auftraggebers bereits ein DVGW-Forschungsvorhaben zum Thema Strukturwandel.

V. Staatseinnahmen, Finanzausgleich und kommunale Infrastruktur V. Staatseinnahmen, Finanzausgleich und kommunale Infrastruktur

Klaus-Dieter Drüen: Verteilung der Steuerverwaltungskompetenzen im deutschen Bundesstaat

Verteilung der Steuerverwaltungskompetenzen im deutschen Bundesstaat Klaus-Dieter Drüen Verteilung der Steuerverwaltungskompetenzen im deutschen Bundesstaat

Helmut Siekmann, dessen früheren Lehrstuhl an der Ruhr-Universität Bochum ich nach seinem Wechsel nach Frankfurt am Main vertreten durfte, ist ausgewiesener Experte des Finanzverfassungsrechts. Seine eingehende und kritische Darstellung der Finanzhoheiten und des Finanzverteilungsrechts aus einer Hand ist im Sachs-Kommentar inzwischen in achter Auflage erschienen1. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Steuerverwaltung liegen im Schnittfeld unserer Forschungsinteressen, so dass ich gerne in dieser Festschrift zu Ehren des Jubilars anknüpfend an eigene frühere Beiträge2 einige gesicherte und offene Fragestellungen der Verteilung der Steuerverwaltungskompetenzen im Bundesstaat aufgreifen möchte.

I.  Einleitung: Die Steuerverwaltungshoheit als föderaler Zankapfel Die finanzverfassungsrechtliche Ausgestaltung der Steuerverwaltungskompetenzen ist für die Machtverteilung zwischen Bund und den Ländern von erheblicher Bedeutung3 und seit jeher eine der umstrittenen Fragen der bundesstaatlichen Finanzverfassung4. Die Steuerverwaltungshoheit als Machtfaktor im 1 

Siekmann, in: Sachs, GG, 8. Aufl. 2018, Art. 104a – 115. Drüen, Konzernbetriebsprüfung im föderalen Steuerstaat, StuW 2007, 112; Drüen, Die föderale Steuerverwaltung aus der Sicht des Grundgesetzes, FR 2008, 295; zuletzt Drüen, Verfassungsvorgaben für die Organisation der Finanzverwaltung, in: FS Martin Morlok, 2019, 587. 3  Wendt, Finanzhoheit und Finanzausgleich, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland (HStR), Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 139 Rn. 135; dem folgend auch Seer, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum GG, Art. 108 Rn. 1 (April 2011); Kloepfer, Finanzverfassungsrecht (mit Haushaltsverfassungsrecht), 2014, § 6 Rn. 6. 4  Waldhoff, Grundzüge des Finanzrechts des Grundgesetzes, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 116 Rn. 71 m.w.N. 2 

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Bundesstaat erklärt, warum die Kontroverse mit Eifer und Heftigkeit ausgetragen wurde5 und wird. 1.  Die umkämpfte Steuerverwaltungshoheit bei den Beratungen des Grundgesetzes Schlüssel zum Verständnis des Grundgesetzes ist – auch im Bereich der Finanzverfassung – die Reaktion auf frühere Verfassungswirklichkeit und der Wille des Verfassungsgebers zur Fortentwicklung früherer Verfassungen6. Das Grundgesetz ist auf eine Ausbalancierung der Machtverhältnisse zwischen Bund und Ländern angelegt7. Im Deutschen Reich 1871 war die Steuerverwaltung alleinige Sache der Länder8. Unter dem Eindruck der ungeheuren Finanznot des Reiches, vor allem infolge der Besatzungskosten und Reparationslasten nach dem ersten Weltkrieg gelang es dem Reichsfinanzminister Matthias Erzberger gegen den Widerstand der Länder im Jahre 1919 eine reichseigene Finanzverwaltung durchzusetzen9. Das föderal orientierte Verwaltungskonzept der Reichsverfassung von 1871 wurde durch das Gesetz über die Reichsfinanzverwaltung vom 10. September 191910 einfachgesetzlich „in sein Gegenteil einer ausschließlichen Zentralfinanzverwaltung verkehrt“11. Die heutige vom Föderalismus geprägte Steuerverwaltung hat ihren Ausgangspunkt in den deutlichen Vorgaben der alliierten Militärgouverneure aus den Jahren 194812 und 194913. Diese erklärten sich entschieden gegen eine zu 5  Demgegenüber ist nach Heintzen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 6. Aufl. 2012, Vorb. Art. 104a-115 Rn. 15, die Kontroverse über die Steuerverwaltungshoheit mit einer „heute schwer verständlichen Heftigkeit geführt worden“. 6 Zur Regelung der Steuerverwaltung in früheren deutschen Verfassungen zuletzt Drüen, in: FS Martin Morlok, 2019, 587 (593 f. m.w.N.). 7  Kloepfer, Finanzverfassungsrecht, 2014, § 6 Rn. 6. 8  Schmitt, Steuerverwaltung, in: Kube/Mellinghoff/Morgenthaler/Palm/Puhl/Seiler (Hrsg.), Leitgedanken des Rechts, Bd. II, 2013, § 161 Rn. 2. 9  Kruse, Lehrbuch des Steuerrechts, Bd. I, 1991, S. 9 f. m.w.N.; dem folgend Schmitt, Steuerverwaltung, in: Kube/Mellinghoff/Morgenthaler/Palm/Puhl/Seiler (Hrsg.), Leitgedanken des Rechts, Bd. II, § 161 Rn. 2; ebenso Stolleis, Geschichte des Öffentlichen Rechts in Deutschland: Dritter Band: Staats- und Verwaltungsrechtswissenschaft in Republik und Diktatur 1914 – 1945, 1919, S. 221; Kempny, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 108 Rn. 8 (2/2018); vertiefend Leidel, Die Begründung der Reichsfinanzverwaltung, Diss. Bonn 1964, insbesondere S. 74 ff., 106 ff. 10  RGBl. 1919, 1591. 11  F. Kirchhof, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, 7. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 2. 12  Erklärung der Militärgouverneure über die Verteilung der Machtbefugnisse auf dem finanziellen Gebiet vom 19. Oktober 1948, Deutsche Fassung, abgedruckt in: Der parla-

Verteilung der Steuerverwaltungskompetenzen im deutschen Bundesstaat

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große Zentralisierung durch Bundesbehörden14, weil sie in der Verteilung der finanziellen Machtbefugnisse zwischen dem Bund und den Ländern eines der Kernprobleme des Föderalismus erblickten15. Der massive Widerspruch der Besatzungsbehörden erzwang eine zwischen Bund und Ländern aufgeteilte Finanzverwaltung16. Der Finanzausschuss kam nach kontroversen Beratungen im Herrenchiemseer Konvent und im Parlamentarischen Rat über die Finanzverwaltung17 zu dem Schluss, dass eine einheitliche Finanzverwaltung gegenüber den Besatzungsmächten nicht durchsetzbar sei18. Nach „zähen Verhandlungen“ einigte man sich auf Art. 108 GG in seiner Ur-Fassung aus dem Jahre 194919. Trotz dieser verfassungsrechtlichen Weichenstellung spiegelt die einfachgesetzliche Ausformung im Gesetz über die Finanzverwaltung (FVG)20 den Wunsch der Mehrheit des Parlamentarischen Rats „nach einer effektiven, zentral gesteuerten Verwaltung der bundeseinheitlichen Steuergesetze“ wider21. Die „kompromisshaft doppelte Finanzverwaltung“22 gilt seither als „grundlegender Systemfehler“23. An der Vorgabe der Alliierten zu einer „gespaltenen“ Finanzverwaltung wurde auch nach der Erlangung der vollen Souveränität24 trotz zahlreicher Ände13

mentarische Rat 1948 bis 1949, Akten und Protokolle, Bd. 8, Die Beziehung des Parlamentarischen Rates zu den Militärregierungen, 1995, S. 18. 13 Memorandum der Militärgouverneure zum Grundgesetzentwurf vom 2.  3. 1949, Deutsche Fassung, abgedruckt in: Der parlamentarische Rat 1948 bis 1949, Bd. 8, Die Beziehung des Parlamentarischen Rates zu den Militärregierungen, 1995, S. 131 (133). 14  Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V, 2000, S. 1290. 15  Erklärung der Militärgouverneure (Fn. 12), S. 18 f. 16  Wendt, Finanzhoheit und Finanzausgleich, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 139 Rn. 136. 17 Vertiefend Seer, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum GG, Art. 108 Rn. 17 ff. (April 2011); Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V, 2000, S. 1262 ff., 1313 ff. 18 Näher Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V, 2000, S. 1313 ff., 1315. 19  Kempny, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 108 Rn. 12 f. (2/2018) m.w.N. 20  Zur Gesetzgebungskompetenz des Bundes zum Erlass des FVG nach Art. 108 Abs. 1 S. 2 bzw. Abs. 2 S. 2 GG näher BVerfG v. 27. 6. 2002 – 2 BvF 4/98, BVerfGE 106, 1 (18). 21  So mit Blick auf die frühere Ausgestaltung der Oberfinanzdirektionen näher BVerfG v. 27. 6. 2002 – 2 BvF 4/98, BVerfGE 106, 1 (20) unter Hinweis auf Vogel/Waldhoff, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum GG, Vorbem. z. Art. 104a-115 Rn. 192 ff. (Nov. 1997). 22  Hidien, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum GG, Art. 106 Rn. 615 (Juni 2002). 23  Dazu, nur referierend Schmitt, in: Leitgedanken des Rechts, Bd. II, 2013, § 161 Rn. 3. 24  Art. 7 des Vertrages über die abschließende Regelung in Bezug auf Deutschland v. 12. 9. 1990, BGBl. II 1990, 1318.

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rungen der Finanzverfassung – zuletzt im Jahre 2017 (dazu unter III. 2.) – festgehalten. Darum ist die Klage über die „alliierte, föderalistische Hypothek“25 und das Relikt der Besatzungsmächte26 längst überholt. Denn die gespaltene Steuerverwaltung ist über die letzten Jahrzehnte zu einer originären deutschen Strukturentscheidung über die Machtverteilung im Bundesstaat geworden27. Beibehaltung oder Reform sind heutzutage eine rein deutsche Föderalismusfrage28. Statt einer grundlegenden Verfassungsreform wurden bislang nur punktuelle Änderungen von Art. 108 GG sowie des FVG verabschiedet, um trotz der – von den Alliierten erzwungenen, aber mittlerweile verinnerlichten – Strukturentscheidung für die föderale Steuerverwaltung die Gleichheit beim Steuervollzug im Bundesstaat zu gewährleisten. 2.  Die wiederkehrende Forderung nach einer Bundessteuerverwaltung Während die Gesetzgebungskompetenzen im Steuerrecht im Wesentlichen bei Bund liegen, erfolgt die Ausführung der Steuergesetze schwerpunktmäßig durch die Länder29. Die Kritik an der Komplexität und Uneinheitlichkeit der Verwaltungs- und Vollzugsorganisation durch 16 Länder mündet nicht selten in dem Ruf nach einer einheitlichen Bundessteuerverwaltung30 – sowohl in der Politik als auch der Fachliteratur31. Auch der Jubilar hat insoweit Sympathien bekundet32. 25  Hidien, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum GG, Art. 106 Rn. 615 (Juni 2002). 26 Vgl. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. III, 2. Aufl. 2012, S. 1411: „Finanzmacht … aus den Händen der Besatzungsmächte”; noch deutlicher Hettlage, FinArch. N.F. 14 (1953/54), 405 (464): Art. 108 GG „ein von Besatzungskobolden untergeschobenes hässliches Kind des deutschen Föderalismus“. 27 So bereits näher Drüen, FR 2008, 295 (297 f.); zustimmend Kemmler, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, 14. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 3. 28 Übereinstimmend Schmitt, in: Leitgedanken des Rechts, Bd. II, 2013, § 161 Rn. 3. 29  Kloepfer, Finanzverfassungsrecht, 2014, § 6 Rn. 7. 30 Berichtend F. Kirchhof, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, 7. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 6 m.w.N.; zur Diskussion Waldhoff, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 116 Rn. 71; Heintzen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 6. Aufl. 2012, Art. 108 Rn. 52 m.w.N.; Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. 2018, § 21 Rn. 74, sowie zuletzt Oppermann, 100 Jahre Finanzämter – ein historischer Überblick, DStZ 2018, 686 (706 ff.). 31 Positiv Hey, Finanzautonomie und Finanzverflechtungen in gestuften Rechtsordnungen, VVDStRL 66 (2007), 277 (314 f.); Pezzer, Gleichmäßiger Gesetzesvollzug in der Steuerrechtsordnung, StuW 2007, 101 (108); deutlich zurückhaltender Kempny/Reimer, Neuordnung der Finanzbeziehungen – Aufgabengerechte Finanzverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen, Gutachten D zum 70. Deutschen Juristentag, 2014, D 68 f., die letztlich dafür plädieren, dass die Länder ihre grundsätzliche Wahrnehmungskompetenz beim Vollzug auch der Gemeinschaftsteuern im Staat-Bürger-Verhältnis behalten sollten. 32  Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 50.

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Unterstützt wird diese Forderung nicht zuletzt vom Bundesrechnungshof, der die Schaffung einer Bundessteuerverwaltung durch Verlagerung der Verwaltungskompetenz insbesondere für die Gemeinschaftsteuern von den Ländern auf den Bund angemahnt hat33. Der Vorschlag einer Bundessteuerverwaltung war Gegenstand der Diskussionen im Rahmen der Föderalismusreform I im Jahre 2006 und auch der Föderalismusreform II im Jahre 200934, hat jedoch gegen die Länderinteressen keine doppelte Zwei-Drittel-Mehrheit in Bundestag und Bundesrat (Art. 79 Abs. 2 GG) gefunden35. Diese wäre indes erforderlich36, weil ohne Verfassungsänderung weder die Verwaltung einer Gemeinschaftsteuer auf den Bund übertragen werden darf noch die Einführung einer Bundessteuerverwaltung zulässig wäre37. Angesichts der hohen Hürden einer grundstützenden Reform der finanzverfassungsrechtlichen Vorgaben der Steuerverwaltungskompetenzen ist es bislang nur mehrfach zu punktuellen Änderungen und Ergänzungen in Art. 108 GG und im FVG gekommen. Für Helmut Siekmann sind die über die Jahre erfolgten Änderungen in Details von Art. 108 GG „meist nur Stückwerk geblieben“38.

II.  „Die Grundanordnung“ für die Steuerverwaltung in Art. 108 Abs. 1 bis 3 GG 1.  Aufteilung in Bundes- und Landessteuerverwaltung (Art. 108 Abs. 1 und 2 GG) Die Verteilung der Kompetenzen zur Steuerverwaltung regelt Art. 108 GG als die verfassungsrechtliche Kompetenz- und Organisationsnorm für die Finanz33 Der Präsident des Bundesrechnungshofes als Bundesbeauftragter für die Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung (BWV), Probleme beim Vollzug der Steuergesetze, 2006, S. 118, 182 ff. m.w.N. 34 Näher Oppermann, DStZ 2018, 686 (706 f.). 35  Kemmler, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, 14. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 3; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 50. 36  Aber auch ausreichend, weil sich weder mit Art. 79 Abs. 3 GG noch mit dem offenen Verfassungsprinzip der Bundesstaatlichkeit ein verfassungsrechtlicher Bestandsschutz für eine eigene Steuerverwaltung der Länder begründen lässt (Seer, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum GG, Art. 108 Rn. 50 [April 2011]). 37  Maunz, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 108 Rn. 10 (April 1983); Schlette, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, 6. Aufl. 2010, Art. 108 Rn. 89; ebenso Kienemund, in: Hömig/Wolff (Hrsg.), GG, 12. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 9; Schmitt, in: Leitgedanken des Rechts, Bd. II, 2013, § 161 Rn. 12. 38  Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 50.

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verwaltung des Bundes und der Länder39. Art. 108 GG steht für eine „besondere Ausprägung des föderalen Prinzips“ der föderalen, vertikalen Gewaltenteilung zwischen Bund und Ländern40. Die Vorschrift im Abschnitt X „Das Finanzwesen“ trifft eine abschließende Spezialregelung für die Finanzverwaltung als lex specialis41 gegenüber den allgemeinen Vorschriften der Art. 83 ff. GG42 und Art. 30 GG43. Die Absätze 1 bis 5 sowie Abs. 7 des Art. 108 GG regeln die verfassungsrechtliche Verteilung der Steuerverwaltungshoheit auf Bund und Länder und ergänzen damit den VIII. Abschnitt des Grundgesetzes „Die Ausführung der Bundesgesetze und die Bundesverwaltung“. Systematisch knüpft die Finanzverwaltungskompetenz (Art. 108 GG) an die Gesetzgebungs- und Ertragskompetenz (Art. 105 – 107 GG) an und entwickelt auf deren Grundlage eine Verteilung der Verwaltungsbefugnisse. Dies darf allerdings nicht zu dem Schluss verleiten, es handele sich bei der Finanzverwaltungshoheit um einen bloßen nachrangigen Annex der beiden anderen Finanzhoheiten44. Diese erfüllt mit der zentralen Aufgabe der Gewähr der Besteuerungsgleichheit im föderalen Steuerstaat (dazu noch unten III. 3. a)) eine eigenständige Funktion im Rahmen der bundesstaatlichen Finanzverfassung45. Art. 108 GG räumt der Finanzverwaltung eine Sonderstellung im System der Verwaltungskompetenzen ein46. Art. 108 Abs. 1 bis 3 GG enthalten mit den Worten des Jubilars „die Grundanordnung“47 für die Finanzverwaltung im Bundesstaat48. Neben der bereits in den Art. 83 ff. GG getroffenen, allgemeinen Unterscheidung zwischen Bundesverwaltung, Landeseigenverwaltung und Bundesauftragsverwaltung (Art. 108 Abs. 1 bis 3 GG), beinhaltet Art. 108 GG zudem „Elemente einer besonderen ,Mischverwaltung‘, nämlich bei der Bestellung von Leitern der Mittelbehörden des Bundes ,im Benehmen‘ mit den Landesre39  Birk, in: Alternativ-Kommentar zum GG, 2. Aufl. 1984, Art. 108 Rn. 2; Weyhausen, Steuerverwaltung und bundesstaatliche Verfassungsordnung, 1982, S. 96 f. 40 Zuletzt F. Kirchhof, Die Teilung der Gewalten im Finanzrecht, JZ 2018, 1068 (1072). 41 BVerfG v. 27. 6. 2002 – 2 BvF 4/98, BVerfGE 106, 1 (20); Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 9. 42  Kloepfer, Finanzverfassungsrecht, 2014, § 6 Rn. 2. 43  Kemmler, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, 14. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 4. 44  Seer, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum GG, Art. 108 Rn. 1 (April 2011). 45  Heintzen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 6. Aufl. 2012, Art. 108 Rn. 8. 46 Explizit noch Schlette, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, 6. Aufl. 2010, Art. 108 Rn. 4. 47  Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 8. 48 Ähnlich spricht Kempny, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 108 Rn. 77 (2/2018), von „verfassungsrechtlichen Regelanordnungen des Art. 108 Abs. 1 bis 3 GG“.

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gierungen“ nach Art. 108 Abs. 1 S. 3 GG „und bei der Bestellung von Leitern der Mittelbehörden eines Landes ,im Einvernehmen‘ mit der Bundesregierung“ nach Art. 108 Abs. 2 S. 3 GG, schließlich aber auch nach Art. 108 Abs. 4 GG „durch die ausdrückliche Regelungsermächtigung zu einem ,Zusammenwirken‘ von Bundes- und Landesbehörden sowie zu einer von den Absätzen 1 und 2 abweichenden Übertragung von Aufgaben im Verhältnis zwischen Bundes- und Landesfinanzbehörden“49. Diese Regelung ist Grundlage und Erklärungsmuster für die Besonderheiten der „kooperativ-föderalen Steuerverwaltung“ in Deutschland50. Art. 108 GG beschränkt sich nicht auf eine reine Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern für den Bereich der Finanzverwaltung51, sondern trifft zugleich verfassungsunmittelbare Vorgaben für ihre Organisation, indem er den Bundesgesetzgeber dazu ermächtigt, Organisations- und Verfahrensregelungen für die Finanzverwaltung zu erlassen (dazu sogleich unter II. 2.). 2.  Steuerverwaltung der Länder im Bundesauftrag (Art. 108 Abs. 3 GG) mit offenen Fragen Art. 108 Abs. 3 GG modifiziert insbesondere für die Verwaltung der Gemeinschaftsteuern (Art. 106 Abs. 3 GG) die allgemeinen Regelungen der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 GG52. Durch verschiedene Teilregelungen schränkt Art. 108 GG die Organisationsfreiheit der Länder für den Bereich der Bundesauftragsverwaltung namentlich bei den aufkommensstarken und steuersystemprägenden Steuern (Einkommen- bzw. Körperschaftsteuer sowie Umsatzsteuer)53 weitreichend ein. So verlangt die Vorschrift für die Steuerverwaltung eine besondere, eigenständige Behördenorganisation54. Art. 108 Abs. 1 S. 2, Abs. 5 S. 1 GG enthalten spezielle Vorschriften zur Organisationsgewalt des Bundes55, die sowohl die Organisationskompetenz der Länder als auch die Organisationsfreiheit der Exekutive beschneiden56. Der Bundesgesetzgeber ist befugt, wesentliche Organisationsregelungen für die Finanzverwaltungen der Länder zu erlassen und 49 

BVerfG v. 27. 6. 2002 – 2 BvF 4/98, BVerfGE 106, 1 (20). Begriff und Ausprägungen Seer, Kooperativ-föderale Steuerverwaltung in Deutschland, in: FS Ruppe, 2007, 533. 51  Heun/Thiele, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. III, 3. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 6. 52  Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 6. 53  Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 9. 54  Kloepfer, Finanzverfassungsrecht, 2014, § 6 Rn. 10. 55  Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 8. 56  BVerfG v. 27. 6. 2002 – 2 BvF 4/98, BVerfGE 106, 1 (22). 50 Zum

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damit ermächtigt, in die Organisationsgewalt der Länder einzugreifen57. Die in Art. 108 Abs. 2 S. 2 GG geregelten Rechte stehen dem Bund auch bei der Bundesauftragsverwaltung zu58. Mit der Schaffung des FVG ist der Gesetzgeber seiner verfassungsrechtlichen Pflicht zur Regelung der Verwaltungsorganisation der Finanzbehörden nachgekommen59. Allerdings beantwortet das FVG nicht alle Fragen der föderalen Verteilung der Steuerverwaltungshoheit. Zwischen Bund und Ländern ist seit jeher umstritten, ob neben den unstreitig zulässigen Einzelweisungen und Verwaltungsvorschriften beim Steuervollzug auch allgemeine Weisungen als eine „Zwischenform“ zulässig sind60. Die streitvermeidende Bund-Länder-Vereinbarung aus dem Jahre 197061 wird z.T. als Verstoß gegen Art. 108 Abs. 7 GG angesehen, weil sie das verfassungsrechtlich vorgesehene Verfahren unterläuft62. Die Regelung des § 21a FVG, durch die ein allgemeines Weisungsrecht des Bundes einfachgesetzlich im Föderalismusreform-Begleitgesetz eingeführt wurde63, hat die Streitfrage nicht zu lösen vermocht64. Ob das eingeführte allgemeine Weisungsrecht des Bundes65 als „eine pragmatische Lösung“, die frühere Bund-Länder-Vereinbarung ersetzt66, sie „umsetzt“67 und BMF-Schreiben nun57 

Kloepfer, Finanzverfassungsrecht, 2014, § 6 Rn. 7. Maunz, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 108 Rn. 41 (April 1983). 59  Kloepfer, Finanzverfassungsrecht, 2014, § 6 Rn. 15. 60  Brodersen, Weisungen des Bundes in der Steuerauftragsverwaltung, in: FS Selmer, 2004, S. 600 (602 ff.); Löwer, Verfassungsrechtsfragen der Steuerauftragsverwaltung, BMF-Schriftenreihe Heft 70, 2001, S. 90 ff., S. 130 ff.; Nose, Die Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF-Schreiben) – Eine verfassungsrechtliche Untersuchung, 2006, S.  32 – 35; Seer/Drüen, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 108 GG Rn. 18 ff. 61  Zu dieser Vereinbarung und ihrer Rechtsnatur Nose, Die Schreiben des Bundesministers der Finanzen (BMF-Schreiben), 2006, S. 59 – 71 mit Abdruck auf S. 36 f.; Schmitt, DStJG 31 (2008), 99 (111 ff.) mit Abdruck, rechtlicher Qualifikation und Darstellung des praktischen Verfahrensablaufs. 62 So Kloepfer, Finanzverfassungsrecht, 2014, § 6 Rn. 31. 63  FödRefBeglG v. 5. 9. 2006, BGBl. I 2006, 2098. 64 Zum Streitstand zuletzt Heun/Thiele, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. III, 3. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 19; Kemmler, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, 14. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 17, 19 m.w.N. 65  Dazu der Streit zwischen Seer/Drüen, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 108 GG Rn. 21 ff. und Schmitt, DStJG 31 (2008), 99 (121 f.); ders,. in: Leitgedanken des Rechts, Bd. II, 2013, § 161 Rn. 13. 66 So Heintzen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 6. Aufl. 2012, Art. 108 Rn. 35; ähnlich Kempny/Reimer, Gutachten D zum 70. Deutschen Juristentag, 2014, D 66: Die Bund-Länder-Vereinbarung vom 15. 1. 1970 sei „im Lichte … des § 21a FVG brüchig geworden“. 67  In diesem Sinne Kemmler, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, 14. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 19. 58 

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mehr in § 21a FVG kodifiziert sind68 oder aber der Kompromiss im Auslegungsstreit aus dem Jahre 1970 – modifiziert69 – fortgilt,70 bleibt umstritten. Überdies wurde § 21a FVG bereits in seiner Erstfassung wegen der Missachtung von Art. 108 Abs. 2 und 7 GG als verfassungswidrig erachtet71. Dabei hat der Gesetzgeber im Zuge der Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems nochmals die Ländermacht beschränkt72: Nach § 21a Abs. 1 S. 2 FVG n.F. gilt die Zustimmung als erteilt, wenn nicht mindestens elf Länder widersprechen, während zuvor bereits der Widerspruch einer Mehrheit der Länder ausreichte73. Die Finanznöte mancher Länder mögen eine Erklärung zur Zustimmung des Bundesrates zu diesem Abkauf der Einflussrechte durch Anhebung der Widerspruchsschwelle sein. Trotz aller gelebten föderalen Kooperationsformen hat der verfassungsändernde Gesetzgeber bislang am verfassungsrechtlich in Art. 108 Abs. 7 GG normierten Verfahren allgemeiner Verwaltungsvorschriften im Steuerrecht festgehalten. Weiterhin gelten mit dem Erlass durch die Bundesregierung als Kollegialorgan und der Zustimmung des Bundesrates hohe Hürden. Dieses Verfahren bedingt eine zeitintensive74 und kompromissbereite Abstimmung zwischen Bundesregierung und Bundesrat. Aus diesen Gründen wird verwaltungsseitig der Erlass von Verwaltungsvorschriften als schwerfällig und nicht hinreichend flexibel empfunden. Wenngleich das Bedürfnis nach praktikablen Weisungen für den Steuervollzug mit abstrakt-genereller Wirkung nicht von der Hand zu weisen ist, lässt es sich nur innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens umsetzen. Ein Ausweichen auf ein einfacheres Verfahren, wie es mit dem föderal abgestimmten „Anwendungserlass“, etwa im Bereich der Umsatzsteuer seit einigen Jahren als Ersatz für die früheren Umsatzsteuer-Richtlinien nach Art. 108 Abs. 7 GG praktiziert wird,

68 So Gröpl/Windthorst/v. Coelln, Studienkommentar Grundgesetz, 3. Aufl. 2017, Art. 108 Rn. 13. 69 Dafür Schmitt, DStJG 31 (2008), 99 (119). 70  Davon dezidiert ausgehend Seer, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum GG, Art. 108 Rn. 125 (April 2011); ebenso implizit Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 6. 71 Näher Seer, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum GG, Art. 108 Rn. 123 f. (April 2011); ebenso zuletzt Kempny, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 108 Rn. 73 (2/2018) m.w.N. 72 Art. 8 Nr. 3 des Gesetzes zur Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems ab dem Jahr 2020 und zur Änderung haushaltsrechtlicher Vorschriften v. 14. 8. 2017, BGBl. I 2017, 3122 (3129). 73  Zur Auslegung und verfassungsrechtlichen Vereinbarkeit des § 21a Abs. 1 S. 2 FVG näher Dütz, Gibt es eine alternative Mehrheit?, ZRP 2017, 247. 74  Das belegt der zeitintensive Abstimmungsprozess beim Erlass der Einkommen- und Körperschaftsteuer-Richtlinien.

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weckt zu Recht verfassungsrechtliche Zweifel75. Diese Grundfragen rund um das Weisungsrecht beim Steuervollzug hat auch die Föderalismusreformstufe III im Jahre 2017 (dazu noch unten III. 2.) nicht gelöst. Die Forderung von Roman Seer, de lege ferenda den verfassungsrechtlichen Streit um das Weisungsrecht des Bundes durch eine Änderung des Art. 108 GG klar zu entscheiden76, wurde bislang nicht erhört77. Auch nach 70 Jahren Grundgesetz bleiben mithin bei der Steuerverwaltung der Länder im Bundesauftrag noch Fragen offen.

III.  Zum Zusammenwirken der Finanzbehörden zur Verbesserung und Erleichterung des Vollzuges der Steuergesetze (Art. 108 Abs. 4 und 4a GG) 1.  Verfassungsangebot einer partiellen Umverteilung der Steuerverwaltung (Art. 108 Abs. 4 GG) Die in Art. 108 Abs. 1 bis 3 GG niedergelegte Ordnung der Steuerverwaltungskompetenzen, mit dem Schwerpunkt der Steuerverwaltung durch die Länder, wird sodann in Abs. 4 S. 1 in die Hand des einfachen Bundesgesetzgebers gelegt78. Dabei ist diese Kompetenzöffnung an Voraussetzungen geknüpft und eine Verschiebung von Kompetenzen ist nur in Grenzen zulässig (dazu sogleich unter III. 3. c)). Art. 108 Abs. 4 S. 1 GG enthält eine spezielle verfassungsrechtliche Ermächtigung an den Bundesgesetzgeber, „ein Zusammenwirken von Bundes- und Landesfinanzbehörden“ bei der Verwaltung von Steuern zu regeln und eröffnet damit Modifikationen der Steuerverwaltungskompetenzen79 in den drei Formen der Mischverwaltung sowie der Übertragung von Bundes- auf Landesbehörden und umgekehrt80. Erfordert und erlaubt das Grundgesetz vielfältige Formen der Kooperation von Bund und Länder und zwischen den Ländern im Bundesstaat81, so enthält Art. 108 Abs. 4 GG eine besondere Kooperationsermächtigung mit be75  Luhs, Die Umgehung des Bundesrates bei der Entstehung des neuen Umsatzsteuer-Anwendungserlasses, SteuK 2011, 144. 76  Seer, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum GG, Art. 108 Rn. 123 (April 2011). 77  Drüen, in: FS Martin Morlok, 2019, 587 (603 f.). 78  Schenke, in: Sodan (Hrsg.), GG, 4. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 11. 79  Kloepfer, Finanzverfassungsrecht, 2014, § 6 Rn. 33 ff. 80  Heun/Thiele, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. III, 3. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 23; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 10. 81 Zum Kooperationsbedarf und zu Kooperationsformen allgemein Rudolf, Kooperation im Bundesstaat, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 141 Rn. 1 ff., 31 ff.

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sonderen Kooperationsvoraussetzungen. Insbesondere lässt Art. 108 Abs. 4 S. 1 GG im Bereich der Steuerverwaltung ausnahmsweise Formen der Mischverwaltung zu82 und erlaubt dabei auch eine „horizontale Mischverwaltung“ durch die Verwaltung durch Finanzbehörden eines anderen Landes83. Beim Zusammenwirken von Bundes- und Landesfinanzbehörden sind vielfältige Gestaltungen zulässig84. Innerhalb der verfassungsrechtlichen Grenzen (s. noch unten III. 3.) ist der Gesetzgeber bei der Wahl der Kooperationsformen frei85. Art. 108 Abs. 4 S. 1 GG ist einerseits ein ungewöhnlicher Mechanismus zur Flexibilisierung von Kompetenzgrenzen86 und andererseits ein mit Leben gefüllter Beleg der Bundesrepublik als kooperativer Bundesstaat87. Letzteres gilt trotz des Einwands, dass bei Mehrheitsentscheidungen unterlegene Länder die Regelung „nicht als Element eines kooperativen Föderalismus, sondern als Element der Dominanz des Bundes innerhalb der Steuerverwaltung“88 empfinden mögen. Eingeführt wurde die Kooperations- und Delegationsklausel des Art. 108 Abs. 4 GG durch die Finanzverfassungsreform der ersten großen Koalition im Jahre 1969. Ziel war es, Ordnung in einen parakonstitutionell gewachsenen kooperativen Föderalismus zu bringen89. Zu diesem Zwecke hat der verfassungsändernde Gesetzgeber bewusst einen „Beweglichkeitsfaktor“ in die Steuerverwaltungshoheit eingebaut90. Der Verfassungsgesetzgeber wollte verhindern, dass „eine rationelle und neuzeitliche Verwaltung an der verfassungsrechtlichen Trennung der Aufgabenbereiche durch Ländergrenzen scheitert“91. Die Neufassung 82  Kloepfer, Finanzverfassungsrecht, 2014, § 6 Rn. 15; Maunz, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 108 Rn. 48 (April 1983); Schenke, in: Sodan (Hrsg.), GG, 4. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 1. 83  Gröpl, in: Gröpl/Windthorst/v. Coelln, Studienkommentar Grundgesetz, 3. Aufl. 2017, Art. 108 Rn. 9. 84  Maunz, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 108 Rn. 48 (April 1983). 85  Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 11. 86 So Kemmler, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, 14. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 21. 87  Zu diesem zuletzt Sommermann, in: v. Mangold/Klein/Starck (Hrsg.), GG, 7. Aufl. 2018, Art. 20 Abs. 1 Rn. 44 m.w.N. Neben vertikaler und horizontaler Verwaltungskooperation bietet der Steuervollzug vielfältige Anschauungsbeispiele für die Kooperation zwischen der Finanzverwaltung und den Steuerpflichtigen im Besteuerungsverfahren (dazu Drüen, FR 2011, 101; Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. 2018, § 21 Rn. 138 ff. m.w.N.). 88 So Kemmler, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, 14. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 22 in Abgrenzung zu Rn. 21. 89 So Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland, Bd. V, 2000, S. 1457. 90 Treffend Fischer-Menshausen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 3. Aufl. 1996, Art. 108 Rn. 4; zustimmend Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl. 2018, § 21 Rn. 78 m.w.N. 91  BT-Drucks. V/2861, 38, Rn. 174.

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von Art. 108 Abs. 4 GG im Jahr 1969 sollte mehr, nicht weniger Flexibilität als vorher verfassungsrechtlich ermöglichen oder jedenfalls absichern92. Das verfassungsrechtlich anvisierte Ideal ist danach das Bundesgebiet als einheitlicher Verwaltungsraum für bundeseinheitliche Steuergesetze93. Art. 108 Abs. 4 GG eröffnet dazu eine kompetenzrechtliche Flexibilität im Bund-Länder-Verhältnis, die ganz im Dienste der „Verbesserung oder Erleichterung des Vollzugs der Steuergesetze“ steht. Darauf gestützt sehen die §§ 18 – 21a FVG einfachgesetzlich zahlreiche Formen des Zusammenwirkens von Bund und Ländern und unter den Ländern vor94. In der Sache hat Art. 108 Abs. 4 GG durchaus in Art. 84 Nr. 1 WRV einen Vorläufer. Danach traf das Reich durch Gesetz die Vorschriften über „die Einrichtung der Abgabenverwaltung der Länder, soweit es die einheitliche und gleichmäßige Durchführung der Reichsabgabengesetze erfordert“. Das Ziel der einheitlichen und gleichmäßigen Durchführung der reichs- bzw. bundeseinheitlichen Gesetze ist damit Ausdruck von Verfassungskontinuität und spiegelt die Besonderheiten des Steuervollzugs wider. Art. 108 Abs. 4 (und nunmehr) Abs. 4a GG gibt dem Bundesgesetzgeber „Gelegenheit, die Zuständigkeitsverteilung der Abs. 1 bis 3 umzugestalten“95. Bei Art. 108 Abs. 4 und 4a GG handelt es sich indes nach h.M.96 nur um ein Angebot an den Bundesgesetzgeber, nicht aber um eine verfassungsrechtliche Pflicht97, Kompetenzneuzuordnungen zur Verbesserung und Erleichterung des Steuervollzugs zu ergreifen. Es stehe im Ermessen des Gesetzgebers, ob er von den eingeräumten Möglichkeiten Gebrauch mache98. Mit Blick auf die unterschiedlichen Regelungselemente des Art. 108 GG mit ihren die bundesstaatliche Finanzverwaltung prägenden Trennungs- wie auch Verbindungstendenzen, spricht das BVerfG vom einer „weitgehenden Kooperationsermächtigung“99. Eine verfassungsrechtliche Verpflichtung, diese besonderen Formen der Kooperation zu schaffen oder – generell – beizubehalten, sei jedoch nicht erkennbar100. Aller92 

BVerfG v. 27. 6. 2002 – 2 BvF 4/98, BVerfGE 106, 1 (26). bereits Drüen, FR 2008, 295 (299); ebenso Krumm, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 17 FVG Rn. 3 (Jan. 2016). 94  Kloepfer, Finanzverfassungsrecht, 2014, § 6 Rn. 34. 95  So bereits Birk, in: Alternativ-Kommentar zum GG, 2. Aufl. 1984, Art. 108 Rn. 26. 96  Zu Zweifeln daran bereits Drüen, StuW 2007, 112 (120 f.). 97  Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 10; zuletzt Kempny, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 108 Rn. 78 (2/2018). 98 Zuletzt Kempny, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 108 Rn. 78 (2/2018) m.w.N. 99  BVerfG v. 27. 6. 2002 – 2 BvF 4/98, BVerfGE 106, 1 (21). 100  BVerfG v. 27. 6. 2002 – 2 BvF 4/98, BVerfGE 106, 1 (21 f.); dem folgend Burghart, in: Leibholz/Rinck, GG, Art. 108 GG Rn. 3 (Okt. 2017). 93  So

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dings ist zu bezweifeln, ob die Hinnahme erkannter und mittels Art. 108 Abs. 4 GG abstellbarer Mängel beim Steuervollzug dauerhaft tolerabel ist. Insoweit lässt sich Art. 108 Abs. 4 GG entgegen der h.M zumindest als verfassungsrechtlicher Impuls zur Verbesserung des gleichmäßigen Vollzuges der Steuergesetze begreifen101. Unbestritten eröffnet die Verfassung mit Art. 108 Abs. 4 GG jedenfalls Möglichkeiten zur Optimierung der gespaltenen Steuerverwaltung. 2.  Änderungen der Steuerverwaltungshoheit nach Art. 108 Abs. 4 und Abs. 4a GG im Jahre 2017 Die Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehung im Jahre 2017 hat in den verfassungsrechtlichen Kompetenz- und Organisationsvorgaben des Art. 108 GG für die Finanzverwaltung wiederum nur partielle Änderungen gebracht102. Die mit Wirkung vom 20. Juli 2017 eingeführten Art. 108 Abs. 4 S. 3 und Abs. 4a GG103 sehen neue Möglichkeiten der Abkehr von der Regelverwaltung nach Art. 108 Abs. 1 bis 3 GG vor und eröffnen dem Bund weitere Koordinierungsmöglichkeiten des Steuervollzugs. Die jüngsten Änderungen führen nochmals zu einer Kompetenzstärkung des Bundes bei der Steuerverwaltung104. Die Unitarisierungstendenz setzt sich fort. Nach Art. 108 Abs. 4 S. 3 GG n.F. kann „das Bundesgesetz nach Satz 1 … für ein Zusammenwirken von Bund und Ländern bestimmen, dass bei Zustimmung einer im Gesetz genannten Mehrheit Regelungen für den Vollzug von Steuergesetzen für alle Länder verbindlich werden.“ Die Ergänzung eröffnet Mehrheitsentscheidungen durch Bundesgesetz mit verbindlicher Kraft105 „für alle Länder“, aber ohne eine Bindung des Bundes106. Der Verfassungsgesetzgeber implantiert mit dem Institut des Einvernehmens107 als einem verwaltungsrechtlichen Institut ein systemwidriges Erfordernis in die förmliche Gesetzgebung108. Das wirft Folgefragen nach dem Verfahrensablauf auf. Dabei soll der Gesetzgeber Regelungen zur Berechnung der Mehrheit, etwa die genaue Zahl sowie die Wertung von Enthaltungen selbst bestimmen können109. 101 

Drüen, StuW 2007, 112 (120 f.). Kritisch dazu Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 50. 103  Neuregelung durch das Gesetz zur Änderung des GG (Artikel 90, 91c, 104b, 104c, 107, 108, 114, 125c, 143d, 143e, 143f, 143g) v. 13. 7. 2017, BGBl. I 2017, 2347 (2348). 104  Kemmler, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, 14. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 3. 105  Kienemund, in: Hömig/Wolff (Hrsg.), GG, 12. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 11. 106  Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 10. 107  BT-Drs. 18/11131, 19. 108 Ausführlich dazu Heun/Thiele, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. III, 3. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 21. 109  Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 10. 102 

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In der neuen Koordinierungsermächtigung wird ein „erheblicher Einbruch in die föderale Eigenständigkeit der Länder“, aber auch die „nicht unberechtigte Tendenz, den Vollzug bundesgesetzlicher Vorschriften einheitlich vom Bund aus zu steuern“, gesehen110. Hinter der Neuregelung stand in erster Linie das Ziel der Entwicklung von Informationstechnologien in der Finanzverwaltung und deren einheitlicher, länderübergreifender Einsatz111. Der Anwendungsbereich der Neuregelung wurde im Gesetzgebungsverfahren allerdings nicht darauf beschränkt und gilt daher für alle Bereiche der Zusammenarbeit bei der Steuerverwaltung. Der Bundesgesetzgeber hat von dieser neuen Kooperationsermächtigung, deren Auslegung bei genauerem Hinsehen einige Unsicherheiten aufweist112, bereits im Gesetz über die Koordinierung der Entwicklung und des Einsatzes neuer Software der Steuerverwaltung (KONSENS-Gesetz)113 zur koordinierten Software-Entwicklung Gebrauch gemacht114. Einen besonders tiefen Eingriff in die Organisationshoheit der Länder bei der Landeseigenverwaltung nach Art. 108 Abs. 2 GG sieht die neu eingeführte Vorschrift des Art. 108 Abs. 4a GG vor115. Danach können „durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, … bei der Verwaltung von Steuern, die unter Absatz 2 fallen, ein Zusammenwirken von Landesfinanzbehörden und eine länderübergreifende Übertragung von Zuständigkeiten auf Landesfinanzbehörden eines oder mehrerer Länder im Einvernehmen mit den betroffenen Ländern vorgesehen werden, wenn und soweit dadurch der Vollzug der Steuergesetze erheblich verbessert oder erleichtert wird.“ Dabei ist die letztgenannte Voraussetzung wort- und inhaltsgleich mit dem Vorbild des Art. 108 Abs. 4 S. 1 GG116 (dazu noch unter III. 3. a)). Art. 108 Abs. 4a GG schafft damit eine „neuartige Verwaltungsform im Grundgesetz“ mit Ausübung von Hoheitsgewalt durch ein Land „für und in einem anderen Land“117. Neben dem „Zusammenwirken von Landesfinanzbehörden“ – 110 So F. Kirchhof, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, 7. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 67. 111  BT-Drs. 18/11131, 18 f.; Kube, in: BeckOK, Art. 108 Rn. 4 (36. Ed. 2018). 112 Dazu Heun/Thiele, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. III, 3. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 26. 113  Art. 8a des Gesetzes zur Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems ab dem Jahr 2020 und zur Änderung haushaltsrechtlicher Vorschriften v. 14. 8. 2017, BGBl. I 2017, 3122 (3129). 114  Schenke, in: Sodan (Hrsg.), GG, 4. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 13; näher Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 56. 115  Eingeführt durch das Gesetz zur Änderung des GG (Artikel 90, 91c, 104b, 104c, 107, 108, 114, 125c, 143d, 143e, 143f, 143g) v. 13. 7. 2017, BGBl. I 2017, 2347 (2348). 116 Ebenso Kempny, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 108 Rn. 113 (2/2018). 117  F. Kirchhof, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, 7. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 72.

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also der Verwaltungskooperation, ermöglicht Art. 108 Abs. 4a GG auch „eine länderübergreifende Übertragung der Verwaltungshoheit auf Landesfinanzbehörden eines oder mehrerer Länder im Einvernehmen mit den betreffenden Ländern“. Letzteres gibt dem Bundesgesetzgeber die Option, den Vollzug des Gesetzes „bestimmten Ländern zuzuordnen und andere davon auszuschließen“118. Der Verwaltungshoheit der Länder wird dabei insoweit Rechnung getragen, weil ein Einvernehmen erforderlich ist119. Neben dieser Ermächtigung, Verwaltungskooperation und Kompetenzübertragungen durch Bundesgesetz zu regeln, steht die ergänzende120 Möglichkeit der Länder (soweit ihnen die Verwaltungskompetenz zusteht) Kompetenzänderungen durch Vereinbarung (Staatsvertrag) vorzunehmen121. Da sich konsensualen Zuständigkeitsvereinbarungen zwischen den Ländern in der Vergangenheit jedoch als zu schwerfällig erwiesen haben122, sah sich der Verfassungsgesetzgeber angesichts des Bedürfnisses der Länder zur stärkeren Verwaltungszusammenarbeit jenseits vertraglicher Vereinbarungen zur Einführung von Art. 108 Abs. 4a GG veranlasst123. Mehrheitsentscheidungen mit verbindlicher Kraft für alle Länder sind auf Grundlage des Art. 108 Abs. 4a GG, in Ermangelung einer Regelung parallel zu Abs. 4 S. 3, allerdings nicht zulässig124. In diesem Punkt muss ich dem Jubilar125 widersprechen126. Auch bei diesen Kooperationsformen und Kompetenzübertragungen ist aufgrund des Zustimmungserfordernisses der betroffenen Länder nur eine konsensuale Veränderung der Kompetenzordnung zulässig. Die Kosten des Zusammenwirkens können nach Art. 108 Abs. 4a S. 2 GG als lex specialis zur allgemeinen Regelung der Finanzierungszuständigkeit des Art. 104a GG durch Bundesgesetz geregelt werden127. Dabei ist fraglich128, ob sich die Zustimmungsbedürftigkeit des Art. 108 Abs. 4a S. 1 GG auch auf die Kostentragungsregelung erstreckt oder diese – mangels expliziter Anordnung in Satz 2 – ein bloßes Einspruchsgesetz darstellt129. 118 

F. Kirchhof, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, 7. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 72. Kienemund, in: Hömig/Wolff (Hrsg.), GG, 12. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 12. 120  Heun/Thiele, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. III, 3. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 11. 121  Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 55; Heun/Thiele, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. III, 3. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 11. 122  Kienemund, in: Hömig/Wolff (Hrsg.), GG, 12. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 12. 123  BT-Drs. 18/11131, 13. 124  Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 11. 125  Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 55. 126  Drüen, in: FS Martin Morlok, 2019, 587 (598). 127  Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 11. 128  Zu dieser Frage näher Heun/Thiele, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. III, 3. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 22. 129  Für letzteres Kempny, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 108 Rn. 123 (2/2018). 119 So

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Die im Zuge der letzten Änderung der Finanzverfassung eingeführten Ermächtigungen führen zu einer weiteren Verlagerung der Machtbefugnisse zugunsten des Bundes im Bereich der Finanzverwaltung. Die neuen Kompetenzverschiebungen zu Lasten der Länder sollen sicherlich dem gleichmäßigen Vollzug, insbesondere im Bereich der Gemeinschaftsteuern (Art. 106 Abs. 3 GG) dienen. Mit Blick auf die in den Art. 108 Abs. 1 und Abs. 3 GG angelegte Regel-Kompetenzverteilung und auch im Hinblick auf die starke föderale Prägung der Verwaltung außerhalb der Finanzverwaltung130 erscheint aber im Folgenden eine Auslegung der Voraussetzungen des Art. 108 Abs. 4 und 4a GG geboten, die drohenden Ausuferungen widersteht (dazu unter III. 3. c)). 3.  Voraussetzungen und Grenzen einer Umverteilung der Steuerverwaltungshoheit Die Möglichkeiten zur Veränderung der Steuerverwaltungshoheit, die Art. 108 Abs. 4 und 4a GG eröffnen, sind keineswegs unbeschränkt und in keinem Fall ein Freibrief für den Bundesgesetzgeber. Vielmehr ist die Abweichung von der Grundanordnung des Art. 108 Abs. 3 GG konditioniert und limitiert. Den Voraussetzungen und Grenzen der Kompetenzverschiebungsermächtigung ist im Folgenden nachzugehen. a)  Erhebliche Verbesserung oder Erleichterung des Vollzuges der Steuergesetze Art 108 Abs. 4 S. 1 GG ermöglicht eine Kompetenzverschiebung, „wenn und soweit dadurch der Vollzug der Steuergesetze erheblich verbessert oder erleichtert wird“. Die Möglichkeit, den Vollzug der Steuergesetze erheblich zu verbessern oder zu erleichtern, ist dabei nicht nur das Ziel der Verfassungsbestimmung131, sondern zugleich deren Voraussetzung132. Tatbestandlich setzen die in Art. 108 Abs. 4 S. 1 GG eröffneten Möglichkeiten einer „Umorganisation“ der Steuerverwaltung und der Schaffung einfachrechtlicher Regelungen der Verwaltungskooperation voraus, dass der Vollzug der Steuergesetze erheblich verbessert oder erleichtert wird. Dieser Maßstab einschließlich der Anforderung der Erheblichkeit133 bedarf einer wertenden Konkretisierung. Die Wertungen sind hierbei den 130 

Kritisch auch Heintzen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 6. Aufl. 2012, Art. 108 Rn. 52. Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. III, 2. Aufl. 2012, S. 1414. 132  Oder „Bedingung“, so Heun/Thiele, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. III, 3. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 24. 133  Dazu jüngst vertiefend Kempny, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 108 Rn. 88 ff. (2/2018). 131 So

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Vorgaben der Finanzverfassung, aber auch dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG zu entnehmen. Die Steuerverwaltungskompetenz nach Art. 108 GG dient, trotz der vertikalen Aufgliederung, der Aufgabe der Gewähr der Besteuerungsgleichheit im föderalen Steuerstaat134. Die Pflicht zum einheitlichen Vollzug von Bundesgesetzen hat eine doppelte Gewährleistungsfunktion135. Neben der grundrechtlichen Verbürgung der Rechtsanwendungsgleichheit im individualrechtlichen Verhältnis von Staat und Bürger136, setzt das Finanzausgleichssystem im staatsrechtlichen Verhältnis von Bund und Ländern, bzw. der Länder untereinander, eine gleichmäßige Besteuerung voraus137. Durch die Voraussetzungen der Verbesserung und Erleichterung des Steuervollzugs will Art. 108 Abs. 4 GG auch sicherstellen, dass die Rechtsund Wirtschaftseinheit im Bundesstaat erhalten bleibt138. Die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Steuerverwaltungshoheit in Art. 108 GG beschneiden die Länderfreiheiten aus Art. 30, 70 GG empfindlich, um über die Verbandsgrenzen hinaus eine Mindesthomogenität des Steuervollzugs zu gewährleisten. Das Ziel der gleichmäßigen interregionalen Verteilung der Steuerlast im Bundesgebiet über die Ländergrenzen hinaus rechtfertigt gerade die besondere verfassungsrechtliche Ausgestaltung der Steuerverwaltungshoheit139. Darum zieht sich das Ziel des einheitlichen und gleichmäßigen Vollzugs der Steuergesetze im ganzen Bundesgebiet durch alle Regelungsbereiche des Art. 108 GG hindurch140. Wesentliches Ziel des

134 Zutreffend Schlette, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, 6. Aufl. 2010, Art. 108 Rn. 2. 135  Seer, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum GG, Art. 108 Rn. 51 (­April 2011). 136  Seer, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum GG, Art. 108 Rn. 51 (­ April 2011). 137  Da sich das Steuerverteilungs- und Finanzausgleichssystem im Wesentlichen auf die von den Ländern vereinnahmten bundesrechtlich und -einheitlich geregelten Steuern stützt, bedarf es vergleichbarer Steueraufkommen und damit zugleich einheitlicher Vollzugsverfahren, die bei allen beteiligten Körperschaften in ihrer jeweiligen Eigenschaft als Ertrags-, Ausgleichsberechtigte oder -verpflichtete angenommen werden (überzeugend Wendt, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 139 Rn. 139; ebenso (früher) Schlette, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, 6. Aufl. 2010, Art. 108 Rn. 2 und Kemmler, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, 14. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 2). 138  Kloepfer, Finanzverfassungsrecht, 2014, § 6 Rn. 7. 139 Übereinstimmend Heun/Thiele, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. III, 3. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 9. 140  Seer/Drüen, in: Kluth (Hrsg.) Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 108 GG Rn. 30 und Seer, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum GG, Art. 108 Rn. 132 (April 2011) im Anschluss an Schlette, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, 6. Aufl. 2010, Art. 108 Rn. 4.

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Art. 108 GG ist es seit jeher141 und bis heute, die gleichmäßige Anwendung der Steuergesetze im ganzen Bundesgebiet zu sichern142. Dieses Ziel vermag Schwächen des allgemeinen Gleichheitssatzes im föderalen Steuerstaat abzumildern. Der Gleichheitssatz ist unzweifelhaft die „Leitnorm“ auch und gerade der Steuerverwaltung143. Allerdings wirkt die Bundesstaatlichkeit gleichheitslimitierend144. Da Art. 3 Abs. 1 GG keine länderübergreifende Wirkung entfaltet und nur für den jeweils handelnden Verwaltungsträger grundrechtsverpflichtend gilt, kann die gespaltene Finanzverwaltung aber erhebliche Divergenzen beim Steuervollzug im Bundesstaat bewirken145. Im föderalen Verfassungsstaat führt die vertikale Gewaltenteilung zu einer Aufspaltung des Gleichheitsgebotes auf das Gebiet der 16 Länder. Föderalismusbedingte Vollzugsdefizite von Bundessteuergesetzen sind keineswegs zu vernachlässigen146. Bereits Albert Hensel sah die Gefahr, dass bei einem Auseinanderfallen der Kompetenzen für Gesetzgebung und Steuerertrag die Verwaltungsbefugnisse nicht mit der gleichen Sorgfalt ausgeübt werden könnten147. Durch das Auseinanderfallen von Rechtssetzungs- und Vollzugshoheit stellen sich auf der Vollzugsebene gleichheitsrechtliche Probleme148. Die im Wesentlichen beim Bund liegende Steuergesetzgebung allein kann eine nachhaltige Ausschöpfung der Steuerquellen, wie diese gesetzlich intendiert ist, noch nicht verbürgen. Dies hängt erfahrungsgemäß in erheblichem Maße von der Verwaltungspraxis ab149. Dabei gefährdet auch das Auseinanderfallen von Ertrags- und Verwaltungskompetenz die Einheitlichkeit des Steuervollzugs150. Trotz dieser Gefährdungen müssen beim Steuerrecht und seinem Vollzug die besonderen verfassungsrechtlichen Vorgaben gewahrt werden. Für den gegenleistungsfreien Eingriff durch Besteuerung ist die Gleichheit der Gesetzesanwendung eine konstitutionelle Vorgabe. Das BVerfG hat in der Entscheidung zum Zinsurteil und später zur Besteuerung privater Veräußerungsgewinne die strukturelle Vollzugssicherung des Steuergesetzes angemahnt151. Da141  Dittmann, Gleichheitssatz und Gesetzesvollzug im Bundesstaat – Föderative Ungleichheiten beim Vollzug von Steuergesetzen, in: FS Dürig, 1990, S. 221 (237). 142 Explizit Wendt, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 139 Rn. 136; ebenso Krumm, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 17 FVG Rn. 3 (Jan. 2016). 143  Dittmann, in: FS Dürig, 1990, S. 221 (227 f.). 144  Seer, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum GG, Art. 108 Rn. 49 m.w.N. (April 2011). 145  Dittmann, in: FS Dürig, 1990, S. 221 (228 ff.). 146  Seer, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 85 AO Rz. 21 m.w.N. (Jan. 2017). 147  Hensel, Steuerrecht, 3. Aufl. 1933, S. 26. 148  Waldhoff, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 116 Rn. 71 m.w.N. 149  Wendt, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 139 Rn. 139. 150 Ebenso Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 9. 151  Grundlegend BVerfG v. 27. 6. 1991 – 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 239 (268 ff.); darauf aufbauend BVerfG v. 9. 3. 2004 – 2 BvL 17/02, BVerfGE 110, 94 (112 f.).

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mit ist zugleich eine länderübergreifende Gewährleistungsfunktion des Gleichheitssatzes im Steuerrecht für den Vollzug von Bundesgesetzen angedeutet152. Dieser wird zwar nicht aufgrund einer steuerrechtlichen Sonderdogmatik auf das Staatsganze erstreckt, aber als länderübergreifende Organisationsvorgabe für Bund und Länder beim Steuervollzug aufgeladen. Die organisationsrechtlichen Freiheiten begrenzt Art. 108 GG nachhaltig zur Gewähr eines gleichmäßigen und einheitlichen Steuervollzuges. Ausdruck der gleichheitsrechtlichen Dimension ist, dass die Verschiebungen der Verwaltungshoheit in Art. 108 Abs. 4 und 4a GG voraussetzen, dass der Vollzug verbessert oder erleichtert wird. Gerade die Voraussetzung einer Verbesserung des Steuervollzugs zielt auf eine Verwirklichung einer länderübergreifend gleichmäßigen Durchführung und Sicherung der Besteuerung. Die Gleichheit ist für die Steuer essentiell und der gleichmäßige Vollzug der Steuergesetze ist ein hohes Verfassungsgut. Denn Defizite beim Vollzug der Steuergesetze delegitimieren die Steuer als Gemeinlast153. b)  Speziell: Synergieeffekte und Kosteneinsparungen beim Vollzug der Steuergesetze Nach herrschender Ansicht soll für die Voraussetzung der erheblichen Verbesserung oder Erleichterung des Vollzugs der Steuergesetze bereits das Ziel der Kosteneinsparung in der Verwaltung genügen154. Auch nach Helmut Siekmann kann eine Kosteneinsparung reichen155, allerdings ist diese Sichtweise nicht unbestritten156. Dabei geht es nicht um eine Nachrangigkeit fiskalischer Anliegen, zumal sich Kostenüberlegungen verfassungsrechtlich mit dem Wirtschaftlichkeitsgebot157 und dem Prinzip des schonenden Umgangs mit steuerfinanzierten Ressourcen verfassungsrechtlich fundieren lassen158. Auch wenn Art. 108 Abs. 4 S. 1 GG auf Effizienzaspekten aufbaut, sagt allein eine Kostenersparnis noch nichts über die 152  Zur gleichmäßigen Durchsetzung der Besteuerung als „unentbehrliche rechtsstaatliche Garantiefunktion“ der Finanzverwaltung bereits Heun/Thiele, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. III, 3. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 9. 153  Isensee, Budgetrecht des Parlaments zwischen Schein und Sein, JZ 2005, 971 (978). 154  Kloepfer, Finanzverfassungsrecht, 2014, § 6 Rn. 35; Kube, in: BeckOK, Art. 108 Rn. 4 (36. Ed. 2018); Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 12; J.P. Schneider, in: Alternativ-Kommentar zum GG, Art. 108 Rn. 12; Schenke, in: Sodan (Hrsg.), GG, 4. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 11; ebenso Birk, in: Alternativ-Kommentar zum GG, 2. Aufl. 1984, Art. 108 Rn. 26 für eine Kostenersparnis „größeren Ausmaßes“. 155  Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 11. 156  Durchbrechungen nur aus Gründen der Kostenersparnis ablehnend Heintzen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 6. Aufl. 2012, Art. 108 Rn. 36. 157 Näher Gröpl, Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit staatlichen Handelns, in: Isensee/ Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 121 Rn. 16 ff. 158 Auch zum Folgenden Seer/Drüen, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 108 GG Rn. 31.

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Verwirklichung einer gleichmäßigeren Besteuerung aus159. Die Voraussetzungen der erheblichen Verbesserung oder Erleichterung des Vollzugs der Steuergesetze wird nach der Gegenansicht nur dann erfüllt, wenn mit der Maßnahme ein Bezug zur Sicherung des gleichmäßigen Steuervollzugs als oberstem Ziel des Art. 108 GG erreicht wird160. Zur Kostenersparnis hinzutreten muss darum eine messbare Effizienzsteigerung im Sinne eines gleich- und gesetzmäßigeren Steuervollzugs161. Zu diesem Streit sind einige grundlegende Erwägungen anzubringen: Die finanzverfassungsrechtliche „Normalverteilung“ der Steuerverwaltung im föderalen Steuerstaat mit dem Hauptgewicht bei den Ländern entfaltet natürlich zugleich Kostenwirkungen. Eine Umverteilung der Steuerverwaltungshoheit zugunsten des Bundes bedingt zunächst dessen Kostenverantwortung nach Art. 104a Abs. 1 GG und eine Zentralisierung der Kompetenzen beim Bund bedeutet dabei zugleich eine Kostenvermeidung auf Ebene der Länder. Eine Kosteneffizienz steht allein hierdurch allerdings noch nicht fest. Denn diese hängt von der Organisation und Ausgestaltung innerhalb des Bundes ab. Bei einer alleinigen Steuerverwaltungshoheit des Bundes entstehen jedenfalls keine Verwaltungskosten auf der Ebene von 16 Ländern. Umgekehrt bedingt eine Zuweisung der Steuerverwaltungshoheit an die Länder zugleich deren Kostenverantwortung nach Art. 104a Abs. 1 GG. Im Falle der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 108 Abs. 3 GG, die in der Praxis der Steuerverwaltung den Regelfall bildet162, fallen den Ländern Kosten im Rahmen ihrer Finanzverantwortung nach Art. 104a Abs. 5 GG zur Last163. Es entstehen zudem Kosten auf Bundesebene für die Überwachung des Landesvollzugs und Ausübung von Weisungsrechten durch Bundesbehörden (Art. 104a Abs. 5 GG). Diese föderale Kostenverteilung ist unmittelbare Folge der Grundanordnung in Art. 108 Abs. 1 bis 3 GG. Darum können allein Kostenverlagerungen zwischen Bund und Ländern keine Umorganisation der Steuerverwaltung rechtfertigen. Hingegen können gesamtstaatliche Kosteneinsparungen durch Synergieeffekte durchaus die Kosten-Nutzen-Relation verbessern und damit der Erleichterung des Steuervollzugs dienen164. Durch Konzentration der 159  Seer, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum GG, Art. 108 Rn. 132 (April 2011). Kempny, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 108 Rn. 95 f. (2/2018), sieht in der Senkung der Verwaltungskosten bei gleichbleibender Verwaltungsqualität keine Verbesserung, aber eine Erleichterung des Vollzugs der Steuergesetze. 160  Kemmler, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, 14. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 22. 161  Seer/Drüen, in: Kluth (Hrsg.), Föderalismusreformgesetz, 2007, Art. 108 GG Rn. 31; Seer, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum GG, Art. 108 Rn. 132 (April 2011). 162  Heintzen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 6. Aufl. 2012, Art. 108 Rn. 31. 163  Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, 7. Aufl. 2018, Art. 104a Rn. 76. 164  In diesem Sinne jüngst Kempny, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 108 Rn. 96 f. (2/2018), der grundlegend zwischen der erheblichen Verbesserung und der Erleichterung des Vollzugs der Steuergesetze differenziert.

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Aufgaben und eine Spezialisierung des Personals lassen sich ggfs. nicht nur gesamtstaatlich Kosten einsparen, sondern darüber hinaus auch bessere Arbeitsergebnisse erzielen. Ausgemacht ist dies indes nicht. Ob bloße Erwartungen einer Kostenersparnis des Gesetzgebers ausreichen, ist eine Frage, ob ihm insoweit eine Einschätzungsprärogative zusteht (dazu noch unten III. 3. d)). Das Kostenargument ist jedenfalls relativ: Aufgrund der konditionalen Eingrenzung „wenn und soweit“ können nicht jedwede Kostensparmaßnahmen ausreichen. Weiter darf bei diesen Überlegungen die Verbindungslinie zwischen Gesetzgebung und Steuervollzug nicht vernachlässigt werden: Steuergesetze sind das Produkt des Steuergesetzgebers und ihm nicht vorgegeben. Das Steuerrecht lebt aus dem „Diktum des Steuergesetzgebers“165. Das Grundgesetz enthält keine verbindlichen Vorgaben für die Steueranknüpfung als solche166. Vielmehr betont das BVerfG in ständiger Rechtsprechung die Gestaltungsfreiheit des Steuergesetzgebers167 und verweist dabei insbesondere auf die Möglichkeiten legislativer Typisierung und Pauschalierung168. Darum ist die Frage nach der Vollzugsfähigkeit von Gesetzen Teil der originären Steuergesetzgebung und der Vollzug von Steuergesetzen ist nicht erst eine Frage der Verwaltungshoheit, sondern bereits Aufgabe der Gesetzgebung als erster Staatsgewalt. Steuervollzug ist kein nachrangiger Annex des materiellen Rechts169. Die verwaltungsseitigen Kosten des Steuervollzugs sind für den Gesetzgeber kein externer Faktor, sondern Teil der Normsetzung. Wenn dem aber so ist, bedarf es eines besonderen Grundes, warum trotz dieser materiellen Freiheit des Gesetzgebers zur Ausgestaltung von Steuergesetzen eine von der im Grundgesetz vorgesehenen Normalverteilung der Steuervollzugsaufgabe eine Abweichung normiert werden darf. Statt einer formelhaften Berufung auf die Verbesserung oder Erleichterung des Vollzuges der Steuergesetze muss daher m.E. zuerst eine Verbesserung der Vollzugsfähigkeit durch Anpassung der zu vollziehenden Steuergesetze erwogen werden. Immerhin sind die Steuerverwaltungsbehörden „Mitgestalter der Steuerrechtslage“170 und nehmen über die Ministerialbürokratie des Bundes und der Länder maßgeblichen Einfluss auf die Steuergesetzgebung171. Soweit durch alternative Steuer165 

BVerfG v. 5. 11. 2014 – 1 BvF 3/11, BVerfGE 137, 350 (364). Das gilt ungeachtet des den Gesetzgeber „anleitenden“ Leistungsfähigkeitsprinzips (F. Kirchhof, JZ 2018, 1068 [1069]; zur Begründung näher Drüen, Prinzipien und konzeptionelle Leitlinien einer Einkommensteuerreform, DStJG 37 [2014], S. 9 [47 f.]). 167  Umfangreiche Nachweise bei Drüen, in: Tipke/Kruse, AO/FGO, § 3 AO Rn. 45a (April 2016). 168  Dazu ermunternd BVerfG v. 10. 4. 1997 – 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1 (6 f.). 169  Drüen, Inanspruchnahme Dritter für den Steuervollzug, DStJG 31 (2008), 167. 170 So Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. III, 2. Aufl. 2012, S. 1403 ff. 171 Zur Rolle des BMF in der Steuergesetzgebung Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. III, 2. Aufl. 2012, S. 1379 ff. 166 

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gesetzgebung der Vollzug der Steuergesetze erheblich verbessert oder erleichtert werden kann, bedarf es darum insgesamt keines Rückgriffes auf die Kooperationsermächtigungen des Art. 108 Abs. 4 bzw. 4a GG. c)  Grenzen der partiellen Umgestaltung der Steuerverwaltungshoheit Die Kompetenzverteilung des Art. 108 Abs. 1 bis 3 GG steht keineswegs zur freien „Disposition“ des einfachen Bundesgesetzgebers172. Wegen der faktischen Dominanz des Bundes im Steuerrecht173 müssen einer ausufernden Anwendung der Kompetenzverschiebungsermächtigung der Art. 108 Abs. 4 bzw. 4a GG verfassungsrechtliche Grenzen entgegengesetzt werden. Die nach Art. 108 Abs. 4 S. 1 bzw. 4a S. 1 GG erforderliche Zustimmung des Bundesrates ist dabei kein hinreichender Ausgleich und keine hinreichende Absicherung der Länder gegenüber dem einfachen Organisationsgesetzgeber. Art. 108 GG trägt mit der organisatorischen und personellen Verschränkung der Bundes- und Landesverwaltung in der Mittelinstanz nach Art. 108 Abs. 1 S. 3 und Abs. 2 S. 3 GG den Erfordernissen der Einheitlichkeit und Zweckmäßigkeit gerade der Steuererhebung bereits in vielfältiger Weise Rechnung174. Einer weiteren Vereinheitlichung durch Verschiebung der Kompetenzen zwischen Bund und Ländern sind, auch angesichts des damit verbundenen Eingriffs in die Steuerverwaltungskompetenz der Länder, Grenzen gesetzt. Die grundsätzliche Kompetenzverteilung darf nicht auf Grundlage des Art. 108 Abs. 4 GG in ihr Gegenteil verkehrt werden175. Wegen des Ausnahmecharakters176 darf es sich immer nur um partielle Änderungen handeln177. Die Durchbrechungen müssen auf Teilbereiche beschränkt bleiben178. Eine komplette Neuordnung der Finanzverwaltungshoheit auf Grundlage des Art. 108 Abs. 4 GG ist nicht zulässig, dieser ermöglicht vielmehr nur punktuelle Durchbrechungen der Kompetenzordnung179 mit ihrer ver172 Nach Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 10, ist die klare „Grundanordnung“ nach Art. 108 Abs. 1 – 3 GG „nicht unumstößlich, sondern steht in erheblichem Maße zur Disposition des Bundes“. 173  Dazu zuletzt F. Kirchhof, JZ 2018, 1068 (1069, 1072) mit dem Hinweis auf eine „entschlossene (…), fast okkupative (…) Anwendung von Kompetenzen durch die Fiskalverwaltung des Bundes“. 174  Wendt, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 139 Rn. 140. 175  Kienemund, in: Hömig/Wolff (Hrsg.), GG, 12. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 9. 176  Auch Ausnahmevorschriften sind nicht stets eng, sondern zweckgerecht auszulegen (dazu bereits Drüen, StuW 2007, 112 [119 f.]). 177  So schon Maunz, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 108 Rn. 47 (April 1983). 178  Heun/Thiele, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. III, 3. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 24. 179  Kloepfer, Finanzverfassungsrecht, 2014, § 6 Rn. 33, 35; Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 12; J.-P. Schneider, in: Alternativ-Kommentar zum GG,

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fassungsrechtlichen Verteilung der Verwaltungskompetenzen180. Liegt nach der nur zum Teil dispositiven Grundordnung der Verwaltungshoheit nach Art. 108 Abs. 1 bis 3 GG das Schwergewicht der Steuerverwaltung bei den Ländern181, so kann eine grundstürzende Umgewichtung nicht auf Art. 108 Abs. 4 oder 4a GG gestützt werden. Die Möglichkeiten an Kompetenzverschiebungen, die das Grundgesetz in Art. 108 Abs. 4 oder 4a GG eröffnet, können gleichwohl weit reichen und sind in ihrer rechtspraktischen Bedeutung nicht zu unterschätzen. d)  Keine Einschätzungsprärogative des Bundesgesetzgebers Eröffnet die Formel der Verbesserung oder Erleichterung des Vollzuges der Steuergesetze als Ermächtigungsgrundlage eine weitreichende legislative Abkehr von der Regelkompetenzverteilung in Art. 108 Abs. 1 bis 3 GG, so stellt sich die Frage nach einer Einschätzungsprärogative des einfachen Gesetzgebers über die Kooperationsvoraussetzungen182. Das BVerfG billigt dem Gesetzgeber insoweit einen „Prognosespielraum“183 zu, weil es sich bei den Voraussetzungen der Verbesserung oder Erleichterung des Steuervollzugs „um unbestimmte Gesetzesbegriffe (handelt), die … Entscheidungen mit prognostischen Elementen fordern“184. Bei den Voraussetzungen der „Verbesserung oder Erleichterung des Vollzugs der Steuergesetze“ handelt es sich um unbestimmte Rechtsbegriffe185, die zweifellos nur schwer justitiabel sind186. Über den Grad der Kontrolldichte sagen aber

Art. 108 Rn. 12; Schenke, in: Sodan (Hrsg.), GG, 4. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 11; Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 11; kritisch wegen schwieriger Subsumtionsfähigkeit Kempny, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 108 Rn. 76 (2/2018). 180  BVerfG v. 27. 6. 2002 – 2 BvF 4/98, BVerfGE 106, 1 (26). 181  Wendt, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 139 Rn. 139; ebenso Kloepfer, Finanzverfassungsrecht, 2014, § 6 Rn. 7; Kemmler, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, 14. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 1; ähnlich Birk/Desens/ Tappe, Steuerrecht, 21. Aufl. 2018, Rn. 143. 182  Umfangreiche Nachweise zum Streitstand zuletzt bei Kempny, in: Friauf/Höfling (Hrsg.), Berliner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 108 Rn. 93 (2/2018). 183  BVerfG v. 27. 6. 2002 – 2 BvF 4/98, BVerfGE 106, 1 (17), darauf gestützt für einen legislativen „Gestaltungsspielraum“ Pieroth, in: Jarass/Pieroth, GG, 15. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 12. 184  BVerfG v. 27. 6. 2002 – 2 BvF 4/98, BVerfGE 106, 1 (16). 185  Kienemund, in: Hömig/Wolff (Hrsg.), GG, 12. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 9; Kemmler, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, 14. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 22; Maunz, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 108 Rn. 50 (April 1983); Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 11. 186  Heintzen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 6. Aufl. 2012, Art. 108 Rn. 36.

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die Begrifflichkeiten eines „Beurteilungsspielraumes“187 oder eines „Einschätzungsspielraumes“188 des Gesetzgebers nichts aus. Der vom BVerfG anzulegenden Prüfungsmaßstab divergiert je nach Zusammenhang von einer Evidenz- über eine Vertretbarkeitskontrolle bis hin zu einer intensivierten inhaltlichen Kontrolle189. Insoweit ist ein pauschaler Verweis auf einen „Beurteilungsspielraum“ des Gesetzgebers bei der Ausfüllung der Kompetenzverschiebungsermächtigung des Art. 108 Abs. 4 GG weder hilfreich noch erforderlich190. Für gerichtsfeste „Auslegungsspielräume“191 bedarf es im funktional gewaltengegliederten Verfassungsstaat besonderer Gründe. Der Annahme einer nur eingeschränkten Prüfungsdichte ist auch der Jubilar zu Recht entgegengetreten192. Das BVerfG hat sich im Beschluss zur Übertragung von Bundesaufgaben auf eine Oberfinanzdirektion eines anderen Landes auf eine Evidenzkontrolle zurückgezogen, weil es sich um eine Organisationsentscheidung auf dem Gebiet der Bundesexekutive handelte, durch die Grundrechte einzelner Bürger nicht unmittelbar betroffen wurden193. Daraus lässt sich indes nicht verallgemeinern, dass die verfassungsgerichtliche Prüfungsdichte stets abzusenken ist. Bei der Maßstabsbildung hat auch nach dem BVerfG der „grundrechtliche Zusammenhang“ und der Bezug zu den Grundrechten der Bürger Relevanz für die Bestimmung der Kontrolldichte194. Demnach hat im Rahmen des Art. 108 Abs. 4 und Abs. 4a GG die Erwägung einzufließen195, dass die finanzverfassungsrechtliche Kompetenzordnung neben föderalen zugleich individualschützende Funktionen entfaltet196. Die finanzverfassungsrechtlichen Normen erzeugen dabei eine normative Bindung und unterliegen der vollen Überprüfung des BVerfG197. Die früher ins Feld 187 Dafür Maunz, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 108 Rn. 50 (April 1983); J.P. Schneider, in: Alternativ-Kommentar zum GG, Art. 108 Rn. 12. 188  Heun/Thiele, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. III, 3. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 24. 189  BVerfG v. 27. 6. 2002 – 2 BvF 4/98, BVerfGE 106, 1 (16). 190 Gegen die Einräumung eines „weiten Beurteilungsspielraums“ bereits Seer, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum GG, Art. 108 Rn. 132 (April 2011), unter Hinweis auf das Ziel des einheitlichen und gleichmäßigen Steuervollzugs im gesamten Bundesgebiet. 191  In diesem Sinne Kienemund, in: Hömig/Wolff (Hrsg.), GG, 12. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 9. 192  Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 11. 193  BVerfG v. 27. 6. 2002 – 2 BvF 4/98, BVerfGE 106, 1 (17). 194  BVerfG v. 27. 6. 2002 – 2 BvF 4/98, BVerfGE 106, 1 (17). 195  Eine abweichende Sicht deutet Heintzen, in: v. Münch/Kunig (Hrsg.), GG, 6. Aufl. 2012, Art. 108 Rn. 36, an. 196 Dazu stellvertretend Waldhoff, Finanzautonomie und Finanzverflechtung in gestuften Rechtsordnungen, VVDStRL 66 (2007), 216, 235 m.w.N. 197 Allgemein Waldhoff, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 116 Rn. 175 ff.; Wernsmann/Tappe, Öffentliches Finanzrecht, 2015, Rn. 740 ff.

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geführten Argumente für eine nur eingeschränkte Justiziabilität finanzverfassungsrechtlicher Bestimmungen überzeugen hingegen nicht198 und auch der Charakter der Verfassung als Rahmenordnung für die Organisation des Staates und seiner Finanzordnung199 ändert daran nichts. Gerade bei Kompetenzverteilungsnormen besteht wegen der doppelten Schutzfunktion weder Anlass noch Grund für eine Rücknahme der verfassungsgerichtlichen Prüfungsdichte. Maßstab der entwicklungsoffenen Ermächtigungen des Art. 108 Abs. 4 und 4a GG ist das institutionell- und individualschützende Ziel der Verbesserung der Gesetz- und Gleichmäßigkeit der Besteuerung im Bundesgebiet200. Aus diesen Gründen sind auch die Voraussetzungen des Art. 108 Abs. 4 und 4a GG201 – wie die Finanzverfassung insgesamt – voll justitiabel202 und eröffnen keinen weitreichenden Beurteilungsspielraum des Gesetzgebers203. Folglich reicht eine bloße Behauptung einer Verbesserung oder Erleichterung des Vollzugs der Steuergesetze nicht aus, um von der konstitutionellen Kompetenzverteilung abzurücken. e)  Fazit Für das Fazit zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben und der einfachgesetzlichen Ausfüllung der Steuerverwaltungshoheit im deutschen Bundesstaat bleibt als finanzverfassungsrechtlicher Ausgangspunkt auch nach 70 Jahren Grundgesetz weiterhin die hinsichtlich der Steuerverwaltung „gesplittete Finanzgewalt“204. Die Grundanordnung der gespaltenen Steuerverwaltung nach Art. 108 Abs. 1 bis 3 GG wird durch die Möglichkeiten zur Änderung und Ergänzung seit 50 Jahren nach Art. 108 Abs. 4 GG modifiziert. Bereits die Verfassung selbst eröffnet in Art. 108 Abs. 4 GG und (seit 2017) Art. 108 Abs. 4a GG die Möglichkeit, die Verzahnung von Bund und Ländern beim Steuervollzug zugunsten des Bundes zu modifizieren 205. 198 Näher Waldhoff, in: Isensee/Kirchhof (Hrsg.), HStR, Bd. V, 3. Aufl. 2007, § 116 Rn. 180. 199  Wieland, Das Steuerrecht als Innovationsressource des Verfassungsrechts?, in: JöR n.F., Bd. 64 (2016), 505 (513). 200  Seer, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum GG, Art. 108 Rn. 132 (April 2011). 201  Für die vollständig gerichtliche Überprüfbarkeit auch Kemmler, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), GG, 14. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 22; Heun, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. III, 2. Aufl. 2008, Art. 108 Rn. 19. A.A. nunmehr explizit Heun/Thiele, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. 3, 3. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 24. 202  Kloepfer, Finanzverfassungsrecht, 2014, § 6 Rn. 35. 203  Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 11. 204 Begriff bei Schlette, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), GG, 6. Aufl. 2010, Art. 108 Rn. 1. 205  F. Kirchhof, JZ 2018, 1068 (1072).

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Die Verteilung der Steuerverwaltungskompetenzen war und ist ein zeitgebundener föderaler Kompromiss206. Auch nach 70 Jahren Grundgesetz bleibt es bei dem Kompromisscharakter. Darum fällt das Ergebnis der verfassungsrechtlichen Würdigung notwendig ambivalent aus: Der Verfassungsgesetzgeber selbst hat mit Art. 108 Abs. 4 und 4a GG Möglichkeiten zur „Optimierung“ der föderalen Steuerverwaltung eingebaut. Dadurch sollen „Unzuträglichkeiten“, die aus der grundsätzlichen Trennung von Bundes- und Landesfinanzbehörden erwachsen, „abgemildert“ werden 207. Die verglichen mit Art. 83 ff. GG bemerkenswerte Atypik der Kompetenzregelung des Art. 108 GG mit erweiterten Ingerenzrechten des Bundes und erweiterten Kooperationsformen dienen insoweit der teilweisen Kompensation 208. Diese verfassungsrechtliche Entscheidung ist hinzunehmen. Insbesondere zwingen die Erfordernisse der Gleichmäßigkeit und Einheitlichkeit der Besteuerung nicht zu einer zentralisierten, durchgängigen Bundesfinanzverwaltung209. Die beim Steuervollzug zur Gewähr der Gleichheit und Einheitlichkeit erforderliche intensive Kooperation zwischen Bund und Ländern sowie unter den Ländern untereinander eröffnen insbesondere die Kooperationsermächtigungen des Art. 108 Abs. 4 und 4a GG. Sie gewährleisten eine kompetenzrechtliche Flexibilität im Bund-Länder-Verhältnis, um so ein zweckmäßiges und anpassungsfähiges Steuerverwaltungssystem zu garantieren210. Diese Beweglichkeit ermöglicht, auch im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung auf neue Herausforderungen bei der Steuerverwaltung im Bundesstaat reagieren zu können. Allerdings erlauben Art. 108 Abs. 4 und 4a GG dem Bund eine zwar weitreichende, aber keinesfalls eine grundlegende Verschiebung der Verwaltungskompetenzen im Bereich der Steuerverwaltung. Sie tragen keine grundstürzende Umwertung der Regelverteilung der Steuerverwaltung nach Art. 108 Abs. 1 bis 3 GG. Einer ausufernden Anwendung der Kompetenzverschiebungsermächtigung der Art. 108 Abs. 4 und 4a GG sind darum – vom BVerfG vollinhaltlich kontrollierbare – verfassungsrechtliche Grenzen gesetzt. Insgesamt sollten – mit dem Jubilar – Schwächen und Defizite der gegenwärtigen Steuerverwaltung nicht geleugnet werden 211. Trotz anzuerkennender Anstrengungen der letzten Jahre bleibt die Verbesserung des Steuervollzugs im föderalen Steuerstaat darum eine Zukunftsaufgabe212. 206 

Drüen, in: FS Martin Morlok, 2019, 587 (603 f.). Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 10. 208  Dittmann, in: FS Dürig, 1990, S. 221 (229, 237). 209  Heun/Thiele, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. III, 3. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 10. 210  So zu Art. 108 Abs. 4 GG Seer, in: Kahl/Waldhoff/Walter (Hrsg.), Bonner Kommentar zum GG, Art. 108 Rn. 132 m.w.N. (April 2011). 211 Ebenso Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 108 Rn. 49. 212  So bereits Drüen, FR 2008, 295 (301). 207 

Roman Seer: Gesetzgebungskompetenz zur Grundsteuer

Gesetzgebungskompetenz zur Grundsteuer Roman Seer Roman Seer Gesetzgebungskompetenz zur Grundsteuer

I.  Gesetzgebungsdominanz des Bundes Mit der Überschrift „Dominanz des Bundes“ beschreibt Helmut Siekmann in seiner Kommentierung die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes nach Art. 105 Abs. 2 GG, die er als eine Art Generalklausel bezeichnet.1 Als Beleg für diese Aussage führt er dann eine ganze Phalanx von Bundesgesetzen auf, die nicht nur Bundessteuern, sondern auch Steuern betreffen, deren Ertrag nach Art. 106 Abs. 2 – 7 GG ganz oder teilweise den Ländern zustehen. Darunter findet sich auch das Grundsteuergesetz.2 Dass in einem föderalen Bundesstaat die lokale Grundsteuer bundeseinheitlich konzipiert ist, erscheint alles andere als selbstverständlich, zumal Art. 106 Abs. 6 S. 1, S. 2 GG ausdrücklich vorschreiben, dass das Aufkommen der Grundsteuer den Gemeinden mit einem kommunalen Hebesatzrecht zusteht. Nach Art. 70 Abs. 1 GG haben die Länder das Recht der Gesetzgebung, soweit das GG nicht dem Bund Gesetzgebungsbefugnisse verleiht. Zum Schutz der einem föderalen Staatsaufbau entsprechenden Gesetzgebungskompetenz der Länder beinhaltet die im Jahre 1994 vorgenommene Verschärfung der Demarkationslinie des Art. 72 Abs. 2 GG zur Begrenzung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes eine wichtige Zäsur. Mit der Umgestaltung der zuvor gegoltenen sog. Bedürfnisklausel zu einer Erforderlichkeitsklausel3 wurde die Ausübung der konkurrierenden Gesetzgebung durch den Bund mit Wirkung vom 15. 11. 1994 einer verfassungsrechtlichen Kontrolle unterworfen, die über eine bloße Vertretbarkeitskontrolle hinausgeht. Zwar hat die Föderalismusreform 2006 den Erforderlichkeitsvorbehalt des Art. 72 Abs. 2 GG gegenständlich eingeschränkt.4 Systematisch ist die konkurrierende Gesetzgebung des Bundes 1 

Siekmann, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 8. Aufl., München 2018, Art. 105 Rz. 5 ff. Grundsteuergesetz v. 1. 12. 1936, RGBl. I 1936, 986, nach dem 2. Weltkrieg als Bundesrecht fortgeführt (s. Grundsteuerreformgesetz v. 7. 8. 1973, BGBl. I 1973, 965; zuletzt geändert durch Art. 38 des Gesetzes v. 19. 12. 2008, BGBl. I 2008, 2794). 3  Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 27. 10. 1994, BGBl. I 1994, 3146. 4  Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes v. 28. 8. 2006, BGBl. I 2006, 2034. 2 

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(Art. 74 GG) im Ausgangspunkt zu einer unkonditionierten Vorranggesetzgebung für den Bund („Kernkompetenzen“) umgestaltet worden, von dem die in Art. 72 Abs. 2 GG enumerativ aufgezählten konditionierten Bereiche („Erforderlichkeitskompetenzen“) abzugrenzen sind.5 Dieser Unterscheidung folgt auch die Finanzverfassung für die Gesetzgebungskompetenz für Steuern. Nach Art. 105 Abs. 2 Alt. 1 GG besitzt der Bund die unkonditionierte Gesetzgebungskompetenz6 (Kernkompetenz) für solche Steuern, deren Ertrag ihm ganz oder teilweise zusteht (d.h. für Bundes- und Gemeinschaftsteuern). Handelt es sich dagegen um Steuern, deren Ertrag ausschließlich den Länder und Gemeinden zusteht (Landes- und Gemeindesteuern), besitzt der Bund gem. Art. 105 Abs. 2 Alt. 2 GG (i.V.m. Art. 72 Abs. 2 GG) allenfalls eine Erforderlichkeitskompetenz.7 Für die Regelung der kommunalen Grundsteuer bedeutet das, dass der Bund eine Gesetzgebungskompetenz nur besitzt, wenn und soweit a) die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet (Alt. 1) oder b) die Wahrung der Rechts- oder Wirtschaftseinheit (Alt. 2) im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung erforderlich macht. Im folgenden soll nun untersucht werden, ob die vom Jubilar beschriebene „Dominanz“ des Bundes für den Regelungsgegenstand der Grundsteuer rechtlich besteht und nicht zumindest einzuschränken ist. Diese Frage ist nicht von bloß akademischem Interesse. Das BVerfG hat in seinem Urteil v. 10. 4. 2018 die Vorschriften zur Einheitsbewertung für die Bemessung der Grundsteuer wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG für verfassungswidrig erklärt und eine gesetzliche Neuregelung bis zum 31. 12. 2019 verlangt.8 Es besteht daher ein vitales staatsrechtliches und -politisches Interesse daran zu klären, wer für die vom BVerfG angemahnte Neuregelung in welchem Umfang überhaupt zuständig ist.

5  Begrifflichkeit in BVerfG v. 24. 11. 2010 – 1 BvF 2/05, BVerfGE 128, 1 (34); s.a. Degenhart, in: Sachs (Fn. 1), Art. 72 GG Rz. 2. 6  Die Unterscheidung zwischen „unkonditionierter“ und „konditionierter“ Gesetzgebung macht Uhle, in: Kluth (Hrsg.), FödRefG, Art. 72 GG, Baden-Baden 2007, Rz. 7. 7  Für die sog. örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern begründet Art. 105 Abs. 2a S. 1 GG sogar eine ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder, s. BVerfG v. 4. 6. 1975 – 2 BvR 824/74, BVerfGE 40, 56 (60); Siekmann, in: Sachs (Fn. 1), Art. 105 GG Rz. 35. 8  BVerfG v. 10. 4. 2018 – 1 BvL 11/14 u.a., BVerfGE 148, 147 (149: 1. und 2. Tenor).

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II.  Gescheitertes Konzept der sog. Einheitsbewertung des Vermögens Nun hat das BVerfG allerdings nicht das Grundsteuergesetz, sondern Vorschriften des Bewertungsgesetzes zur sog. Einheitsbewertung des Grundvermögens für mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt. Die sog. Einheitsbewertung beruht auf dem Reichsbewertungsgesetz von 16. 10. 1934.9 Mit diesem Gesetz wurde eine die Realsteuern (Grund- und Gewerbesteuer) mitumfassende einheitliche Bewertung geschaffen, die zu periodisch wiederkehrenden Hauptfeststellungszeitpunkten (§ 21 BewG) durchzuführen sein sollte. Die Idee bestand darin, für alle an Vermögenswerte anknüpfenden Steuern (z.B. Vermögen-, Erbschaft- u. Schenkung-, Gewerbekapital-, Grundsteuer) auf verwaltungsökonomische Weise einen einheitlichen Wert (Einheitswert) festzustellen10. Diese Verklammerungsfunktion hat das BewG auch nach dem 2. Weltkrieg beibehalten. Wäre Inhalt der vom BVerfG geforderten Neuregelung die Erneuerung der Einheitsbewertung, ließe sich die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art. 72 Abs. 2 Alt. 2 GG als eine Regelung bejahen, die zur Wahrung der Rechts- und Wirtschaftseinheit im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich ist.11 Wenn für die einzelnen Steuern (Bundes- oder Landessteuern) dieselben Bewertungsmaßstäbe gelten würden, wäre es im gesamtstaatlichen Interesse erforderlich, sie auch bundeseinheitlich (vor der Klammer als sog. Mantelgesetz12) zu regeln. Allerdings existiert die Einheitsbewertung schon heute nicht mehr. Ihr Hauptmangel bestand darin, dass es nicht gelang, die einzelnen Vermögensgegenstände, insb. den Grundbesitz, auch nur einigermaßen zeitgerecht turnusmäßig flächendeckend zu bewerten. Dies führte zwangsläufig zu im Laufe der Zeit sich kontinuierlich steigernden Verwerfungen. So blieb dem BVerfG gar nichts anderes übrig, als das zwischenzeitlich eingetretene evidente Missverhältnis bei der Bewertung von Geld- und Grundvermögen in den beiden sog. Einheitswertbeschlüssen vom 22. 6. 1995 zur Vermögensteuer und zur Erbschaft- und Schenkungsteuer als verfassungswidrig zu kennzeichnen13. Damit war die Idee der Einheitsbewertung praktisch gescheitert. Die Vorschriften der §§ 68 ff. BewG über die Bewertung des Grundvermögens gelten heute nur noch für die Grundsteuer. Das Vermö9  Reichsbewertungsgesetz v. 16. 10. 1934, RGBl. I 1934, 1035. Es ist nach dem 2. Weltkrieg beibehalten worden (BewG v. 13. 8. 1965, BGBl. I 1965, 851, neugefasst durch Bekanntmachung v. 1. 2. 1991, BGBl. I 1991, 230; zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes v. 4. 11. 2016, BGBl. I 2016, 2464). 10  Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, 23. Aufl., Köln 2018, § 1 Rz. 56. 11 Siehe Mayer, DB 2018, 2200 (2203 f.). 12  Zur Mantelgesetzfunktion des BewG s. Seer, in: Tipke/Lang (Fn. 10), § 1 Rz. 59. 13  BVerfG v. 22. 6. 1995 – 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121 (VSt); BVerfG v. 22. 6. 1995 – 2 BvR 552/91, BVerfGE 93, 165 (ErbSt).

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gensteuergesetz ist nicht mehr erneuert worden und zum 31. 12. 1996 nach dem Einheitswertbeschluss des BVerfG außer Vollzug getreten. Für die zum 1. 1. 1997 neu gefasste und zwischenzeitlich mehrfach geänderte Erbschaft- und Schenkungsteuer gilt seitdem ein eigener Bewertungsmaßstab, der sog. Bedarfswert (s. §§ 157, 176 ff. BewG). Im Bereich der Grunderwerbsteuer regelt das BewG mittlerweile eine eigene Ersatzbemessungsgrundlage (§§ 138, 145 ff. BewG). Der sog. Einheitswert des Grundvermögens ist damit heute gar kein „Einheitswert“ mehr, sondern bestimmt allein den verbliebenen Regelungsbereich der Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer. Die Einbettung in das BewG ist damit nur eine äußere Hülse; materiell gehören die Regelungen zum Grundsteuergesetz. Daher kann für die allein auf die Grundsteuer bezogene Regelungsmaterie der Bewertung des Grundbesitzes nicht auf das (nicht mehr existierende) Einheitswertkonzept rekurriert werden. Vielmehr muss sich die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus der Regelungsmaterie der Grundsteuer selbst begründen lassen.

III.  Aussagen des BVerfG v. 10. 4. 2018 1.  Verletzung des Gebots der realitätsgerechten Wertrelation (Art. 3 Abs. 1 GG) Zwar hatten BFH14 und BVerfG15 die nicht nur zwischen den unterschiedlichen Vermögensarten, sondern auch innerhalb der Vermögensart „Grundvermögen“ auffallenden Wertverzerrungen zunächst toleriert. Der BFH deutete aber in zwei „Appellentscheidungen“ die Verfassungswidrigkeit der Bewertungsregeln an16 und legte sie dem BVerfG schließlich mit Beschluss v. 22. 10. 2014 vor17. Zwar erkannte der BFH die dem Gesetzgeber zustehende Typisierungsbefugnis bei steuerlichen Massenvorgängen. Diese rechtfertigt es nach Überzeugung des Gerichts aber nicht, die Wertanpassung über Jahrzehnte auszusetzen und so strukturell grobe Wertverzerrungen zwischen vergleichbaren wirtschaftlichen Einheiten in Kauf zu nehmen. Dem ist das BVerfG in seinem Urteil vom 10. 4. 201818 gefolgt. In materieller Hinsicht betont das BVerfG zunächst den weiten Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, der auch die Möglichkeit unterschiedlicher Bewertungsmaßstäbe 14 

BFH v. 2. 2. 2005 – II R 36/03, BStBl. II 2005, 428. v. 18. 2. 2009 – 1 BvR 1334/07, BVerfGK 15, 89 – Nichtannahmebeschluss der 1. Kammer des 1 Senats. 16  BFH v. 30. 6. 2010 – II R 60/08, BStBl. II 2010, 897 (900 f.); BFH v. 30. 6. 2010 – II R 12/09, BStBl. II 2011, 48 (49). 17  BFH v. 22. 10. 2014 – II R 16/13, BStBl. II 2014, 957. 18  BVerfG v. 10. 4. 2018 (Fn. 8). 15  BVerfG

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eröffne. Das Bewertungssystem muss aber in der Gesamtschau (jedenfalls prinzipiell) eine in der Relation der Grundstücke eines Gemeindegebiets zueinander realitäts- und damit gleichheitsgerechte Bemessung des steuerlichen Belastungsgrunds sicherstellen19. In Übereinstimmung mit dem Vorlagebeschluss des BFH sieht das BVerfG das Ziel der Bewertung nach §§ 68 ff. BewG darin, dem Verkehrswert der Grundstücke „zumindest nahe zu kommen“20. Demgemäß hält das BVerfG den gemeinen Wert i.S. des § 9 Abs. 1 BewG für die Bezugsgröße, an der sich die Ergebnisse der Einheitsbewertung messen lassen müssen. Um in diesem System eine realitätsgerechte Wertrelation wenigstens annäherungsweise über die Zeit zu gewährleisten, ist die in § 21 Abs. 1 BewG an sich vorgesehene periodisch wiederkehrende Hauptfeststellung ein zentraler systembedingter Baustein, der durch die Instrumente der Fortschreibung (§ 22 BewG) und Nachfeststellung (§ 23 BewG) im Hinblick auf zwischenzeitliche Veränderungen flankiert wird. Wird die Hauptfeststellung (aus Gründen der Verwaltungsökonomie) für längere Zeit ausgesetzt, entstehen mit wachsender Tendenz systembedingt Wertverzerrungen sowohl bei den bebauten als auch bei den unbebauten Grundstücken21. Dabei stellt das BVerfG klar, dass die Gleichheitswidrigkeit nicht schon durch das Auseinanderentwickeln von Verkehrs und Einheitswerten verursacht wird. Würden sich die Verkehrswerte der Grundvermögen in gleicher Weise von den Einheitswerten entfernen, wäre daran für die Grundsteuer noch kein Anstoß zu nehmen. Dies ist aber, wie das BVerfG – ebenso wie zuvor der BFH – sowohl für das Ertrags- als auch für das Sachwertverfahren überzeugend herausarbeitet, gerade nicht der Fall.22 Das BVerfG bringt das Gleichheitsdefizit bei der Bewertung des Grundvermögens mit den folgenden Worten auf den Punkt: 23 „Mit diesem Verzicht24 bricht der Gesetzgeber vielmehr ein zentrales Element aus dem System der Einheitsbewertung heraus, das unverzichtbar zur Gewinnung in ihrer Relation realitätsnaher Bewertungen ist.“

Das Unterlassen einer Hauptfeststellung bewirkt eine objektive Dysfunktionalität25, wodurch der Gesetzgeber die für eine verfassungsgemäße Typisierung 19 

Siehe BVerfG v. 10. 4. 2018 (Fn. 8), Rz. 96 – 98. BVerfG v. 10. 4. 2018 (Fn. 8), Rz. 104, mit Hinweis auf die Reg.Begr. zum BewÄndG 1965, BT-Drs. IV/1488, 31. 21  BVerfG v. 10. 4. 2018 (Fn. 8), Rz. 104 – 108. 22  Zu den Mängeln im Einzelnen s. BVerfG v. 10. 4. 2018 (Fn. 8), Rz. 110 – 126; zusammenfassend Seer, DB 2018, 1488 (1489). 23  BVerfG v. 10. 4. 2018 (Fn. 8), Rz. 132. 24  Scil.: Gemeint ist der Verzicht auf turnusmäßige Bewertungen (Hauptfeststellungen). 25  So BVerfG v. 10. 4. 2018 (Fn. 8), Rz. 134. 20 

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erforderliche realitätsgerechte Ausrichtung an einem typischen Fall strukturell verfehlt. Daher war die Einheitsbewertung des Grundvermögens auch mit Verwaltungsvereinfachungsargumenten nicht mehr zu retten. 2.  Gesetzgebungskompetenz des Bundes (Art. 105 Abs. 2 GG) Das BVerfG hat zwar die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Regelungen der sog. Einheitsbewertung im BewG bejaht.26 Vor dem Hintergrund, dass das Regelungskonzept des BewG vorkonstitutioneller Art ist und die Vorschriften jedenfalls vor Geltung der mit Wirkung vom 16. 11. 1994 verschärften Neufassung des Art. 72 Abs. 2 GG bereits eingeführt waren, lässt es das BVerfG i.S. einer Wahlfeststellung dahinstehen, ob die Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art. 72 Abs. 2 GG oder aus der Übergangsvorschrift des Art. 125a Abs. 2 Satz 1 GG zu folgern ist.27 Es bejaht zwar, dass für die Einführung der Einheitsbewertung auf der Basis der ursprünglichen Bedürfnisklausel des Art. 72 Abs. 2 GG a.F. eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz bestanden hatte, enthält sich aber einer näheren Prüfung des Art. 72 Abs. 2 GG n.F., weil es meint, dass nach Art. 125a Abs. 2 S. 1 GG die Zuständigkeiten zur Änderung der Vorschriften des BewG beim Bund verblieben seien, solange der Bund diese Vorschriften nicht in ihren wesentlichen Elementen ändere und keine grundlegende Neukonzeption vornehme.28 3.  Unvereinbarkeitserklärung mit Fristsetzung und weiterer Übergangsfrist Damit macht es sich das BVerfG allerdings recht leicht. Da es mit Rücksicht auf die erheblichen grundsteuerlichen Auswirkungen auf vergangene Zeiträume davon absieht, die grundsteuerliche Bemessungsgrundlage ex tunc für mit Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar zu erklären, fordert es – den Vorbildern zur Vermögen-, Erbschaft- und Schenkungsteuer folgend – nur ex nunc die Beseitigung des verfassungswidrigen Zustandes bis zum 31. 12. 2019. Zur Begründung dieses den Individualrechtsschutz verkürzenden Rechtsfolgenausspruchs29 bemüht das BVerfG erwartungsgemäß das kommunale Interesse an einer verlässlichen Finanz- und Haushaltsplanung, die empfindlich gestört wäre, wenn plötzlich die

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BVerfG v. 10. 4. 2018 (Fn. 8), Rz. 82 – 91. BVerfG v. 10. 4. 2018 (Fn. 8), Rz. 87 ff. 28  BVerfG v. 10. 4. 2018 (Fn. 8), Rz. 89, unter Hinweis auf BVerfG v. 9. 6. 2004 – 1 BvR 636/02, BVerfGE 111, 10 (28 ff.) - Ladenschluss; BVerfG v. 26. 1. 2005 – 2 BvF 1/03, BVerf­GE 112, 226 (250) – Verbot von Studiengebühren. 29  Zur Judikatur krit. Seer, in: Tipke/Lang (Fn. 10), § 22 Rz. 287 – 289 m.w.N. 27 

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drittgrößte kommunale Steuerquelle rückwirkend wegfiele30. Außerdem sieht das BVerfG das verwaltungspraktische Problem, die noch offenen Fälle ggf. erst nach einer Neuregelung mit erheblicher zeitlicher Rückwirkung abwickeln zu müssen31. Dagegen sei das übergangsweise Fortbestehen der tradierten Grundsteuer, die das BVerfG ihrer Art nach für verfassungsrechtlich legitimiert hält, für die Betroffenen zumutbar. Dabei bedarf es der Klärung, wer überhaupt „der Gesetzgeber“ (2. Tenor des BVerfG-Urteils) ist, der bis zum 31. 12. 2019 die geforderte Neuregelung zu treffen hat. Insoweit hinterlassen die Entscheidungsgründe des BVerfG-Urteils vom 10. 4. 2018 eine Lücke. Offenbar geht das BVerfG davon aus, dass vor allem der Bund der Adressat des Rechtsfolgenausspruchs ist32, weil er seine Anpassungsund Änderungskompetenz behält.33 Allerdings unterscheidet sich diese Kompetenz fundamental je nachdem, ob sie sich auf Art. 72 Abs. 2 GG oder nur eingeschränkt auf die „Bundesgesetzgebungskompetenz kraft zeitlichen Annexes“ des Art. 125a Abs. 2 GG34 stützen kann. Sollten die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 GG in der nach dem 15. 11. 1994 geltenden Fassung nicht erfüllt sein, ist dem Bund nämlich auch nach h.M. eine grundlegende Neukonzeption der Regelungsmaterie verwehrt35. Gestützt auf den Kompetenzartikel des Art. 125a Abs. 2 GG ist er also nicht zur Umsetzung eines Bewertungs- bzw. Regelungskonzepts für die Grundsteuer berechtigt, wenn sich dieses vom bisherigen Konzept grundlegend unterscheidet.

IV.  Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Grundsteuer 1.  Art. 105 Abs. 2 Alt. 2 i.V. mit Art. 72 Abs. 2 GG Etwas anderes würde aber dann gelten, wenn der Bund auch unter der verschärften Fassung des Art. 72 Abs. 2 GG gesetzgebungsbefugt wäre. Mit dem Erforderlichkeitskriterium (siehe oben I.) wird ein Teilelement des Verhältnismäßigkeitsprinzips auf die staatliche Kompetenzordnung übertragen36. Es ist grund30 

BVerfG v. 10. 4. 2018 (Fn. 8), Rz. 173. BVerfG v. 10. 4. 2018 (Fn. 8), Rz. 171. 32  Henneke, DVBl. 2018, 794 (797) weist in seiner Urteilsanmerkung allerdings richtig darauf hin, dass das BVerfG diese Frage letztlich unbeantwortet hat und von „Bund und Länder je nach Zuständigkeit“ spricht, so BVerfG v. 10. 4. 2018 (Fn. 8), Rz. 178. 33  So die Rspr., s. Fn. 28; außerdem BVerfG v. 27. 7. 2004 – 2 BvF 2/02, BVerfGE 111, 226 (268 ff.) – Abschaffung Habilitation zugunsten Juniorprofessur; krit. zur Modifikationskompetenz des Bundes Lindner, NJW 2005, 399 (401 f.); Sachs/Jasper, NVwZ 2015, 465 (468 ff.). 34  Begriff nach Lindner, NVwZ 2007, 180 (182); Sachs/Jasper, NVwZ 2015, 465 (467). 35  Siehe oben Fn. 28; sogar gänzlich ablehnend Sachs/Jasper, NvWZ 2015, 465 (467 ff.). 36  Degenhart, in: Sachs (Fn. 1), Art. 72 Rz. 11. 31 

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sätzlich voll justiziabel; allerdings ist dem Gesetzgeber eine Einschätzungsprärogative einzuräumen.37 Für die Erbschaft- und Schenkungsteuer hat das BVerfG eine bundesgesetzliche Regelung zur Wahrung der Rechtseinheit für erforderlich gehalten. Vor dem Hintergrund, dass die Erbschaft- und Schenkungsteuer grundsätzlich den Weltvermögenserwerb erfasst und bei nach Bundesländern unterschiedlichen Steuersystemen innerstaatlich die Probleme eines Doppelbesteuerungsrechts zu lösen wären, gebietet die Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundesgesetzliche Regelung.38 Dieses Problem stellt sich bei der Grundsteuer als örtlich radizierte Gemeindesteuer dagegen nicht. Es lässt sich nicht begründen, warum die Herstellung gleichwertiger Lebensverhältnisse im Bundesgebiet (Art. 72 Abs. 2 Alt. 1 GG) eine bundeseinheitliche Ausgestaltung der Grundsteuer erfordert. Zur Herstellung der Einheitlichkeit der Lebensverhältnisse im Bundesgebiet kann eine bundesgesetzliche Grundsteuer angesichts ihrer im gesamtstaatlichen Sinne geringen Finanzierungswirkung substanziell nichts beitragen.39 Art. 106 Abs. 6 S. 2 GG garantiert den Gemeinden zudem ein Hebesatzrecht, aufgrund dessen sie einen gewissen kommunalen Steuerwettbewerb führen.40 Das GG hat damit eine zwischen den Kommunen ggf. sogar signifikant unterschiedliche Grundsteuerbelastung bewusst in Kauf genommen. Eine auf Länderebene (unterschiedlich) geregelte Grundsteuer bedroht aus gesamtstaatlicher Sicht zudem weder die Funktionsfähigkeit der Rechtsgemeinschaft noch die Funktionsfähigkeit des Wirtschaftsraums (Art. 72 Abs. 2 Alt. 2 GG).41 Es ist nicht erkennbar, warum angesichts ihres örtlich begrenzten Wirkungskreises Landes-Grundsteuern den länderübergreifenden Rechtsverkehr 37  BVerfG v. 17. 12. 2014 – 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136 Rz. 111 zur Erbschaft- und Schenkungsteuer. 38 So jedenfalls für die Verschonungssubvention der §§ 13a, b ErbStG: BVerfG v. 17. 12. 2014 – 1 BvL 21/12, BVerfGE 138, 136 Rz. 112 ff.; insgesamt für die ErbSt: Hey, VVDStRL Bd. 66 (2007), 277 (298 ff.); Seer/Drüen, in: Kluth (Fn. 6), Art. 105 GG Rz. 8; a.A. Wernsmann/Spernath, FR 2007, 829 (833); Haag, Die Aufteilung steuerlicher Befugnisse im Bundesstaat, Diss., 2011, 404 ff.; differenzierend: Kempny/Reimer, Gutachten 70. DJT, 2014, D 75 ff., wonach den Ländern eine Kompetenz zur Festlegung der Steuersätze und persönlichen Freibeträge verbleiben müsse. 39  Hantzsch, DStZ 2012, 758 (761); Becker, BB 2013, 861 (862). 40  Die Grundsteuer-Hebesätze B schwanken im Bundesgebiet (und auch in den einzelnen Bundesländern) zwischen ca. 300% und ca. 900% der (bundeseinheitlich ermittelten) Steuermessbeträge, s. Statistisches Bundesamt (Destatis), Finanzen und Steuern, Änderungen der Realsteuerhebesätze 1. Halbj. 2018, 5 ff. (ausführliche Statistik aller Hebesätze in allen Bundesländern). 41  Anders aber der Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestages, Die Gesetzgebungskompetenz des Bundes für die Grundsteuer, WD 3 – 091/07, 2007, 4 ff., ohne vertiefende Argumente zu liefern.

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nennenswert beeinträchtigen könnten.42 Bereits heute bewirken die Kommunen durch ihr Hebesatzrecht sogar innerhalb eines Landes ein deutlich unterschiedliches Besteuerungsniveau. § 1 Abs. 1 GrStG lässt es zu, dass Gemeinden vollständig auf die Erhebung einer Grundsteuer in ihrem Gemeindegebiet verzichten. Dies hat bisher aber weder zu Steueroasen noch durch Wegzüge zu einem „Grundsteuer-Tourismus“ geführt. Darin unterscheidet sich die Grundsteuer substanziell von der anderen (großen) Realsteuer, der Gewerbesteuer, für die das BVerfG überzeugend die Voraussetzungen des Art. 72 Abs. 2 Alt. 2 GG bejaht hat.43 Die fiskalische Bedeutung der Gewerbesteuer beträgt mit einem Aufkommen von derzeit ca. 52 Milliarden € (ca. 7% des staatlichen Gesamtsteueraufkommens) das Vierfache der Grundsteuer und mehr als das Doppelte der Körperschaftsteuer.44 Nach Art. 106 Abs. 6 Satz 4 können Bund und Länder an ihrem Aufkommen – anders als bei der Grundsteuer – beteiligt werden.45 Sie besitzt aber nicht nur eine erhebliche makroökonomische Bedeutung im gesamtstaatlichen Finanzgefüge von Bund und Ländern. Sie beeinflusst als die mittlerweile wesentliche Unternehmensteuer mikroökonomische Standortentscheidungen der Unternehmen, so dass sich der Bundesgesetzgeber sogar genötigt sah, in § 16 Abs. 4 S. 2 GewStG einen Mindesthebesatz von 200% vorzuschreiben, um einen zu Missbräuchen anreizenden Standortwettbewerb der Kommunen einzudämmen.46 Vergleichbare Wohnsitz- und Standortverlagerungsanreize gehen von der eher statischen, im wahrsten Sinne des Wortes „immobilen“ Grundsteuer nicht aus. Für eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes spricht auch nicht die in Art. 106 Abs. 6 S. 2 GG verankerte Hebesatz-Garantie der Gemeinden. Mit der Art. 28 Abs. 2 S. 3 GG entsprechenden Garantie eines Hebesatzrechts zugunsten der Kommunen mag der Verfassungsgeber (negativ) impliziert haben, dass den Kommunen nur eine Gestaltungsmacht für den Steuertarif, nicht 42 Überzeugend Hantzsch, DStZ 2012, 758 (761 f.); insoweit zustimmend Becker, BB 2013, 861 (863 f.). 43  Eingehend BVerfG v. 27. 1. 2010 – 2 BvR 2185/04, 2189/04, BVerfGE 125, 141 – Mindesthebesatz. 44  BMF – Referat I A 6 v. 28. 8. 2018: Steuereinnahmen nach Steuergruppen/Ist-Ergebnisse für den Zeitraum 2014 – 2017. 45  Dies geschieht gem. § 6 GFRG durch eine GewSt-Umlage, die Bund und Ländern zugute kommt. Die Berechnungsformel lautet nach § 6 Abs. 2 GFRG: (Istaufkommen GewSt : Hebesatz der Gemeinde) x Vervielfältiger. Die GewSt-Umlage betrug im Jahre 2016 insgesamt ca. 7,4 Milliarden € (= 14,8% des GewSt-Gesamtaufkommens), s. BMF, Entwicklung der Gewerbesteuerumlage seit der Gemeindefinanzreform 1969, Berlin 2018, mit statistischen Zahlen für den Zeitraum 1969 – 2016. 46  Das BVerfG (Fn. 43), Rz. 58 ff., hat diese Regelung sowohl unter dem Gesichtspunkt der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie und deren Ausprägung eines Hebesatzrechts (Art. 28 Abs. 2 S. 3, Art. 106 Abs. 6 S. 2 GG) als auch unter dem der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Art. 72 Abs. 2 GG n.F. gebilligt.

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aber für die gesamte Steuerart zusteht, sie also keine eigenen Grundsteuergesetze erlassen dürfen. Entgegen Seiler47 lässt diese Vorschrift im Umkehrschluss keineswegs eine Bundeskompetenz vermuten. Ein solcher Umkehrschluss ist zumindest für die Grundsteuer nicht schlüssig.48 Selbst wenn man Seiler folgen wollte, sagt Art. 106 Abs. 6 S. 2 GG nichts darüber aus, wer die Bemessungsgrundlage der Grundsteuer zu regeln hat, der Bund oder die Länder. Hantzsch weist vielmehr zutreffend auf die sachliche Nähe der örtlichen Grundsteuer zu den örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern hin.49 Dagegen sprechen auch nicht die mit dem Verlust der Bundesgesetzgebungskompetenz verbundenen Auswirkungen auf den Länderfinanzausgleich50, in den die Grundsteuer mit der jeweiligen Realsteuerkraft unter Ausblendung der tatsächlich angewendeten Hebesätze einbezogen wird. Es ist zwar richtig, dass für die Bemessung der kommunalen Steuerkraft i.S.d. Art. 107 Abs. 2 GG ebenso wie für die Umlagen und den Länderfinanzausgleich nach Art. 106 Abs. 6 S. 6, Abs. 7 GG derzeit einfachgesetzlich auf die (bundeseinheitlichen) Grundsteuermessbeträge, multipliziert mit einem fiktiven oder landesdurchschnittlich ermittelten Hebesatz abgestellt wird.51 Diese einfachgesetzlich im FAG bzw. in den GFG der Länder getroffenen Regelungen können aber nicht die verfassungsrechtliche Gesetzgebungskompetenz determinieren. Mit diesem Argument würde ansonsten die von Art. 105 Abs. 2 i.V.m. Art. 72 Abs. 2 GG vorausgesetzte Gesetzgebungskompetenz der Länder außerhalb der in Art. 105 Abs. 2a GG in ausschließlicher Landesgesetzgebungskompetenz liegenden örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern praktisch leerlaufen. Dies widerspräche der föderalen Konzeption des Art. 105 Abs. 2 GG.52 Vielmehr wäre der Länderfinanzausgleich umgekehrt ggf. den Regelungen der Länder entsprechend anzupassen.53 Unter Beachtung des vom BVerfG betonten Grundsatzes des geringstmöglichen Eingriffs in die Gesetzgebungskompetenz der Länder54 ist eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz

47  Seiler, in: Maunz/Dürig (Begr.), GG, Art. 105 Rz. 159 (Mai 2015), will aus dem Hebesatzrecht der Länder bzw. der Kommunen n. Art. 105 Abs. 2a S. 2, 106 Abs. 6 S. 2 GG im Umkehrschluss die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Regelung der Bemessungsgrundlage der Grunderwerb- und der Grundsteuer folgern. 48  Anders mag dies für die Grunderwerbsteuer als nichtkommunale Landessteuer zu beurteilen sein. 49  Hantzsch, DStZ 2012, 758 (762). 50  So aber Becker, BB 2013, 861 (864 f.); wohl auch Henneke, DVBl. 2018, 794 (795 f.); unentschieden Lammers, DStZ 2018, 866 (870 f.). 51  Henneke, DVBl. 2018, 794 (795). 52  So bereits Seer, DB 2018, 1488 (1491). 53  Siehe auch Mayer, DB 2018, 2200 (2204 f.). 54  Siehe BVerfG v. 24. 10. 2002 – 2 BvF 1/01, BVerfGE 106, 62 (149).

Gesetzgebungskompetenz zur Grundsteuer

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des Bundes außerhalb des Art. 125a GG für die Grundsteuer (einschließlich der Bewertungsregeln) damit zu verneinen. Letztlich ließe sich eine konkurrierende Gesetzgebung des Bundes nach Art. 105 Abs. 2 Alt. 2 i.V.m. Art. 72 Abs. 2 Alt. 2 GG für die Regelungen des BewG über die Bewertung des Grundvermögens nur dann überzeugend begründen, wenn der Bundesgesetzgeber sich zur Reaktivierung der Einheitsbewertung entschlösse. Wären die zu ändernden Regelungen zur Bewertung des Grundvermögens nicht nur für die Grundsteuer, sondern auch für alle an das Vermögen bzw. einen Vermögenserwerb anknüpfenden Steuerarten (also insbesondere auch für die Erbschaft- und Schenkungsteuer) maßgebend, wäre zur Wahrung der Rechtseinheit im gesamtstaatlichen Interesse eine bundeseinheitliche Regelung erforderlich.55 Hierfür spricht außerdem Art. 108 Abs. 5 S. 2 GG, wonach der Bund für das Besteuerungsverfahren auch insoweit die (fakultativ auszuübende) Gesetzgebungskompetenz besitzt, als die Steuern von den Ländern verwaltet werden.56 Auf diese Norm kann sich der Bund indessen nicht stützen, weil es bei der Neuregelung im BewG nicht um bloße Verfahrensentscheidungen, sondern um die Ausgestaltung der materiellen Bemessungsgrundlage für die Grundsteuer geht.57 Eine darüber hinausgehende Revitalisierung der Einheitsbewertung für mehrere Steuerarten plant der Bund nach dem Scheitern des Einheitswertkonzepts (siehe oben II.) ersichtlich ebenfalls nicht.58 2.  Art. 125a Abs. 2 GG Auf der Grundlage der Rspr. und h.M. besitzt der Bund hinsichtlich der Bewertungvorschriften des Grundvermögens zu Grundsteuerzwecken damit allenfalls eine Anpassungs- und Änderungskompetenz auf der Grundlage des fortgeltenden Bundesrechts gem. Art. 125a Abs. 2 GG (siehe oben unter III. 2.). Da die Gesetzgebungskompetenz des Bundes zur Neuregelung nicht mehr besteht, darf er das fortbestehende Bundesrecht lediglich in engen Grenzen modifizieren. Das Problem dieser Doktrin liegt in der von ihr ausgelösten kompetenziellen Rechtsunsicherheit, die am Beispiel der Grundsteuer deutlich wird. Wann handelt es sich bei der Reform der grundsteuerlichen Bemessungsgrundlage um eine dem Bund entzogene „grundlegende Neukonzeption“? Wann ist die Neuregelung der grundsteuerlichen Bemessungsgrundlage noch eine bloße Modifikation der fortgeltende Regelung, die der Bund vornehmen können muss, um einer „Versteinerung“ 55 

So auch Mayer, DB 2018, 2200 (2205). Seer, in: Bonner Kommentar zum GG, Art. 108 Rz. 151 (April 2011). 57 Ebenso Mayer, DB 2018, 2200 (2205). 58  Die Reformpläne des Bundes sind ausschließlich grundsteuerbezogen, s. BMF-Briefing v. 28. 11. 2018 (BMF Politischer Planung – L A 2): „Grundsteuer – rechtssicher und gerecht“; s. a. die sog. Eckpunkte des BMF und der Länder v. 1. 2. 2019. 56 Dazu

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des Rechts zu begegnen?59 Wer sich auf diese Abgrenzung einlässt, gerät in nicht unerhebliche Schwierigkeiten.60 Das Bundesfinanzministerium (BMF) hat jüngst seine Vorstellungen von einer Reform der „Einheitsbewertung“ in Eckpunkten vorgestellt.61 Dabei unterscheidet es zwischen einem wertunabhängigen und einem wertabhängigen Modell. Das wertunabhängige Modell beinhaltet eine grundlegende Neukonzeption der grundsteuerlichen Bemessungsgrundlage. Es entspricht dem sog. Äquivalenzmodell62, dessen Vorzüge vor allem in einer wesentlichen Verwaltungsvereinfachung liegen. Für dieses Modell besitzt der Bund jedoch keine Modifikationskompetenz. Um es gleichwohl bundeseinheitlich zu implementieren, benötigt er vielmehr einer verfassungsändernden 2/3-Mehrheit zur Ausweitung der konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz des Bundes in Art. 105 GG.63 Vor diesem Hintergrund bietet das BMF ein von ihm als vorzugswürdig angesehenes wertabhängiges Reformmodell an, das sich recht eng an die bisherigen Regeln des BewG hält. Der Vorschlag des BMF sieht die folgenden Bestandteile vor:64 Das Bewertungsverfahren soll sich an dem bisherigen Verfahren und dem Verkehrswert-Maßstab orientieren. Für unbebaute Grundstücke sollen dazu die von den kommunalen Gutachterausschüssen geführten Kaufpreissammlungen in Gestalt der jeweiligen Bodenrichtwerte (x qm) herangezogen werden. Bei bebauten Grundstücken soll die Bewertung im Ertragswertverfahren unter Heranziehung der tatsächlich vereinbarten Nettokaltmieten unter Berücksichtigung der Restnutzungsdauer der Gebäude und des abgezinsten Bodenwerts erfolgen. Bei selbstgenutzten Wohngebäuden, wo es an tatsächlich erzielten Mieten fehlt, tritt an deren Stelle eine fiktive Miete, die auf Daten des Statistischen Bundesamts basieren und nach dem regionalen Mietniveau gestaffelt werden soll. Bei nichtvermieteten besonderen Geschäftsgrundstücken soll an die Stelle des Ertragswertverfahrens eine Art vereinfachtes Sachwertverfahren treten, bei dem zu dem Wert des Grund und Bodens die Herstellungskosten (nach Abzug der Alterswertminderungen) hinzukommen. Diese Grundstückswerte sollen alle sieben Jahre aktualisiert werden, so dass das System – wie bisher – auf eine turnusmäßige Neubewertung aller Grundstücke hin ausgelegt ist. Da bei dieser Neubewertung ganz erheblich gestiegene Grundstückswerte zu erwarten sind, soll parallel die Grundsteuermesszahl 59  Mit Recht krit. gegenüber einer Modifikationskompetenz des Bundes bei fortgeltendem Bundesrecht Sachs/Jasper, NVwZ 2015, 465 (467 ff.). 60  Zu den einzelnen Reformvorschlägen s. Seer, DB 2018, 1488 (1491 ff.). 61  Siehe Fn. 58. 62  Sog. Süd-Modell einer Arbeitsgruppe der Länder Baden-Württemberg, Bayern und Hessen, Eckpunkte für eine vereinfachte Grundsteuer nach dem Äquivalenzprinzip, 2010. 63  Seer, DB 2018, 1488 (1492); wohl auch G. Kirchhof, DStR 2018, 2661 (2667), aber ohne klare Stellungnahme zum sog. Äquivalenzmodell. 64  Siehe Fn. 58.

Gesetzgebungskompetenz zur Grundsteuer

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(s. § 15 GrStG) drastisch abgesenkt werden, um so zu mit dem heutigen Gesamtniveau vergleichbaren (bundeseinheitlich geregelten) Grundsteuer-Messbeträgen zu gelangen. An diese von den Finanzämtern der Länder festzusetzenden Messbeträge knüpfen die Kommunen – wie bisher – mit ihren durch kommunale Satzungen beschlossenen Hebesätzen zur Festsetzung der Grundsteuer schließlich an. Verfahrensrechtlich bleibt es damit bei der Dreistufigkeit: Grundstückswertfeststellung durch die Lage-Finanzämter der Länder (s. § 18 Abs. 1 Nr. 1 AO) – Festsetzung des Grundsteuermessbetrags durch die Lage-Finanzämter der Länder – Festsetzung der Grundsteuer durch die Gemeinden.65 Angesichts der negativen Erfahrungen mit der lediglich zum 1. 1. 1935 und zum 1. 1. 1964 (in der Bundesrepublik Deutschland) durchgeführten flächendeckenden Bewertung aller Grundstücke darf bezweifelt werden, ob die Finanzverwaltung wirklich in der Lage sein wird, den gesamten Grundstücks- und Gebäudebestand Deutschlands turnusmäßig zu bewerten. Es besteht daher die Gefahr, dass das vom BVerfG aufgestellte Gebot der realitätsgerechten Wertrelation der Grundstücke nach einer gewissen Zeit erneut verletzt sein wird.66 Diese Bedenken spielen aber für die Frage der Gesetzgebungskompetenz keine Rolle. Entnimmt man mit der h.M. aus Art. 125a Abs. 2 GG eine Modifikationskompetenz des Bundes, ist das sich bemerkenswert eng an die bisherigen Regelungen haltende Reformkonzept des Bundes davon gedeckt.

V.  Gesetzgebungsvakuum bei Scheitern einer fristgerechten Reform Schließlich stellt sich aber die Frage nach der kompetenziellen Rechtslage, falls es dem Bund nicht gelingt, das Reformgesetz bis zum 31. 12. 2019 zu erlassen. Sowohl die Änderungen des BewG als auch die des GrStG bedürfen gem. Art. 105 Abs. 3 GG bzw. (bei Regelungen des Verwaltungsverfahrens) gem. Art. 108 Abs. 5 S. 2 GG der Zustimmung des Bundesrats. Die Länder hatten sich mehrheitlich in der abgelaufenen 18. Legislaturperiode auf ein Modell geeinigt, das von dem jüngst durch das BMF verlautbarten Vorschlag abweicht.67 Ob das Verkehrswerte mit Kostenwerte kombinierende Modell noch der Modifikationskompetenz des Bundes entspricht, ist unsicher. Jedenfalls hatte die Bundesratsini­ tiative das Kompetenzproblem gesehen und die ausdrückliche Übertragung der 65 

Zum derzeitigen Verfahren s. Seer, in: Tipke/Lang (Fn. 10), § 16 Rz. 23 – 32. Zur Skepsis gegenüber dem umfassenden Festhalten an typisierten Verkehrswerten s. Seer, DB 2018, 1488 (1491); abl. aus verfassungsrechtlichen Erwägungen G. Kirchhof, BStR 2018, 2661 (2664 ff.). 67  Siehe BR-Drs. 515/16 v. 4. 11. 2016 (bei Gegenstimmen von Bayern und Hamburg), eingebracht in den Bundestag (BT-Drucks. 18/10753 v. 21. 12. 2016), wo der Entwurf aber nicht mehr abschließend behandelt werden konnte und dem sog. Diskontinuitätsprinzip zum Opfer fiel. 66 

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konkurrierenden Gesetzgebungskompetenz für die Grundsteuer auf den Bund vorgeschlagen. Ein vollständig wertunabhängiges Modell (sog. Südmodell) vertritt nach wie vor Bayern. Im Verlauf des in diesem Jahr anstehenden Gesetzgebungsverfahrens ist daher eine kontroverse Debatte über eine gemeinsame Linie der Bundesländer zu erwarten. Zumindest derzeit erscheint es nicht als gesichert, dass der Vorschlag des Bundes eine Mehrheit im Bundesrat findet. Daher ist es nicht nur ein theoretisches Gedankenspiel, danach zu fragen, welche Konsequenzen ein Verstreichen der vom BVerfG für den 31. 12. 2019 gesetzten Reformfrist hätte. Ein ähnliches Problem trat zum 30. 6. 2016 im Zusammenhang mit der Tenorierung im Erbschaftsteuer-Urteil v. 17. 12. 201468 auf. Dort hatte das BVerfG die Adressaten im Unklaren gelassen, ob mit Ablauf der vom Gericht gesetzten Frist (30. 6. 2016) das beanstandete Gesetz außer Vollzug treten würde.69 Dieses Problem stellt sich im Urteil des BVerfG vom 10. 4. 201870 nicht. Aus der Tenorierung unter 2. (in Zusammenschau mit Rz. 176, 179 der Urteilsgründe) wird eindeutig ersichtlich, dass die vom BVerfG beanstandeten Vorschriften des BewG über den 31. 12. 2019 hinaus nicht anzuwenden sind, wenn dem Gesetzgeber bis dahin keine Neuregelung gelingen sollte. Dies bedeutet, dass nicht nur die Bewertungsvorschriften zur Grundsteuer im BewG, sondern auch das GrStG selbst – ebenso wie die Vermögensteuer zum 1. 1. 199771 – am 1. 1. 2020 außer Vollzug treten würde und die Gemeinden ab dem Erhebungszeitraum 2020 keine Grundsteuer mehr festsetzen dürften. Daran ändert sich auch nichts durch den Umstand, dass Satz 2 des 2. Tenors des BVerfG-Urteils vom 10. 4. 2018 noch einen Übergangszeitraum von weiteren 5 Jahren (längstens bis zum 31. 12. 2024) vorsieht.72 Dieser zusätzliche Übergangszeitraum greift nur ab dem Zeitpunkt der Verkündung der Neuregelung ein, setzt eine solche also voraus. Fehlt es daran, dürfen die bisherigen Regeln über die Einheitsbewertung nicht einfach weiterhin angewendet werden. Aus Sicht der Kommunen (und Länder) misslich ist, dass die einzelnen Länder nun nicht einfach ein eigenes Landes-Grundsteuergesetz mit eigenen Bewer68 

Siehe oben Fn. 37. Seer, GmbHR 2016, 673. 70  Siehe oben Fn. 8. 71  Siehe die Tenorierung des BVerfG (Fn. 13), BVerfGE 93, 121 f., zu den Einheitswerten im Zusammenhang mit der VSt. 72  Diese von ihm selbst „nach Dauer und Struktur“ als „ungewöhnlich“ bezeichnete Fortgeltungsanordnung hält das BVerfG (Fn. 8), a.a.O., Rz. 178, aufgrund der „besonderen Sachgesetzlichkeiten“ der Grundsteuer für geboten. Denn die verwaltungstechnische Umsetzung einer gesetzlich neugefassten (umfassenden) Grundstücksbewertung wird vor­ aussichtlich einen entsprechenden Zeitraum beanspruchen. Der Übergangszeitraum soll sowohl den Finanzbehörden als auch den Kommunen die verwaltungstechnische Anpassung an die neue Rechtslage erleichtern. 69 Dazu

Gesetzgebungskompetenz zur Grundsteuer

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tungsregeln erlassen können. Vielmehr bedarf es nach dem Verständnis der h.M. dazu gem. Art. 125a Abs. 2 S. 2 GG eines ausdrücklichen Freigabegesetzes des Bundes.73 Solange der Bund dieses nicht erlässt, ist kein Land zum Erlass eines eigenen Gesetzes befugt. Das noch in Kraft befindliche, aber kraft des Richterspruchs außer Vollzug gesetzte Bundesgesetz besäße weiterhin eine Sperrwirkung. Um aus einem derartigen föderal-staatsrechtlichen Dilemma herauszukommen, hat der Gesetzgeber im Zuge der Föderalismusreform 2006 in Art. 93 Abs. 2 GG den sog. Kompetenzfreigabestreit eingeführt.74 Danach hat das BVerfG auf Antrag des Bundesrats, einer Landesregierung oder der Volksvertretung eines Landes u.a. darüber zu entscheiden, ob Bundesrecht im Falle des Art. 125a Abs. 2 S. 1 GG nicht mehr erlassen werden könnte. Die Kommunen könnten daher versuchen, ihre jeweilige Landesregierung zu einem solchen Verfahren zu bewegen. Das Verfahren erweist sich allerdings als sperrig, da gem. Art. 93 Abs. 2 S. 3 GG zunächst im Gesetzgebungsverfahren des Bundes der Versuch unternommen werden muss, den Bund zu einem Freigabegesetz i.S.d. Art. 125a Abs. 2 S. 2 GG zu bewegen. Dazu ist es aber ausreichend, wenn eine entsprechende Gesetzesvorlage im Bundesrat abgelehnt wird. Schließt sich der Bundesrat einem entsprechenden Antrag eines Landes (s. § 26 Abs. 1 GO BR) an und bringt einen Freigabegesetzentwurf nach Art. 76 Abs. 1, 3 GG in den Bundestag ein, muss nach Art. 93 Abs. 2 S. 3 GG der Bundestag diese Gesetzvorlage abgelehnt oder über sie nicht innerhalb eines Jahres beraten und beschlossen haben, bevor ein Antrag nach Art. 93 Abs. 2 GG zulässigerweise an das BVerfG gestellt werden darf. Es würde also eine gewisse Zeit dauern, bis eine länderfreundliche Entscheidung des BVerfG zur Freigabe der Gesetzgebungskompetenz für den Regelungsbereich der Grundsteuer zugunsten der Länder einträte. Bis dahin müssten die Kommunen den Ausfall der Grundsteuer verkraften. Es benötigt keine ausgeprägte Phantasie, sich den kommunalpolitischen Druck auf Bundes- und Landespolitiker bei einem solchen Szenario auszumalen. Daher ist zu erwarten, dass sich Bund und Länder – wahrscheinlich kurz vor dem Weihnachtsfest 2019 – auf einen mehrheitsfähigen Kompromiss zur Grundsteuerreform einigen werden, der dann als Bundesgesetz verabschiedet wird. Je nach dessen Ausgestaltung könnte die Frage nach der Gesetzgebungskompetenz des Bundes aber über den Weg ab­strakter oder konkreter Normenkontrollvorlagen (s. Art. 93 Abs. 1 Nr. 2, 2a, Art. 100 Abs. 1 GG) oder Verfassungsbeschwerden (Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG) als Streitgegenstand das BVerfG erreichen. Spätestens dann wäre vom BVerfG Farbe zu bekennen. 73 So

Degenhart, Sachs (Fn. 1), Art. 125a GG Rz. 10; Stettner, in: Dreier (Hrsg.), GG, Bd. III, 3. Aufl., 2018, Art. 125a Rz. 5; Uhle, in: Maunz/Dürig (Fn. 47), Art. 125a GG Rz. 44 (März 2006). 74  Dazu näher Walter, in: Maunz/Dürig (Fn. 47), Art. 93 GG Rz. 444 ff. (August 2018).

Kunka Petkova und Alfons Weichenrieder: Grunderwerbsteuer: Eine Steuer für das 21. Jahrhundert?

Grunderwerbsteuer: Eine Steuer für das 21. Jahrhundert? Kunka Petkova und Alfons Weichenrieder Kunka Petkova und Alfons Weichenrieder Grunderwerbsteuer: Eine Steuer für das 21. Jahrhundert?

I.  Einleitung Während bis 2006 eine bundeseinheitliche Regelung galt, haben die Bundesländer seitdem das Recht, den Satz bei der Grunderwerbsteuer selbst zu bestimmen. Sie ist damit die einzige Ländersteuer, bei der die Länder die Möglichkeit haben, den Steuersatz zu wählen. Von diesem Recht wurde in den meisten Bundesländern ausgiebig Gebrauch gemacht. Nur zwei Bundesländer, Bayern und Sachsen, haben den alten bundeseinheitlichen Steuersatz von 3,5 % beibehalten. Alle anderen Länder haben ihren Satz, der in der Spitze jetzt bei 6,5 % liegt, teils mehrfach erhöht. Mit den Steuersatzerhöhungen, aber auch durch allgemein steigende Immobilienpreise, hat sich das Aufkommen der Steuer stark erhöht. Betrug sie im Jahr 2006 noch rund 6,1 Mrd. Euro oder rund 1,2 Prozent der kassenmäßigen Steuereinnahmen in Deutschland, so waren es in 2017 bereits ca. 13,1 Mrd., rund 1,7 % der Gesamteinnahmen. Mit dieser Entwicklung sind verschiedene negative Begleiterscheinungen der Steuer weiter in den Vordergrund gerückt. Ausweichreaktionen und Preiseffekte auf dem Immobilienmarkt führten in den letzten Jahren dazu, dass für jedes Prozent, das der Steuersatz erhöht wurde, nur etwa rund 0,6 Prozent an zusätzlichen Steuereinahmen resultierten (Petkova/Weichenrieder, 2017a; Buettner, 2017), während ohne Marktreaktionen eine Einnahmenerhöhung um ein Prozent zu erwarten gewesen wäre. Verhaltens- und Preisreaktionen haben danach zu erheblichen Sickerverlusten bei den Steuereinnahmen geführt und zeigen auf potentielle hohe Effizienzkosten der Steuer (Buettner, 2017). Die Explosion der Steuersätze in einigen Bundesländern hat der Grunderwerbsteuer eine seltene Prominenz in der wirtschaftspolitischen, aber auch in der wirtschaftswissenschaftlichen Diskussion beschert. Ebenfalls im Rest der Welt waren in den letzten Jahren Steuern auf den Immobilienerwerb ein ungewohnt prominentes Forschungsfeld. Der vorliegende Beitrag bietet eine breite Diskussion der Nebeneffekte und Probleme, die die Steuer mit sich bringt. Insbesondere beleuchtet er Parallelen zwischen der Grundsteuer und der Grunderwerbsteuer und macht Vorschläge, wie die Grunderwerbsteuer fortentwickelt werden könnte, um die Leistungsfähigkeit des Immobilienmarktes zu verbessern.

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Kunka Petkova und Alfons Weichenrieder

Tabelle 1: Ein Vergleich der Grunderwerbsteuern in G7-Ländern Land

Steuer

Steuersätze

Australiena

Stamp duty on conveyances

Spitzensteuersätze zw. 4,5 % und Je nach Bundesland 7,0 je nach Bundesstaat

Deutschland

Grunderwerbsteuer

3,5 bis 6,5 %

Frankreichb

Droits de mutation

Bis zu 5,09 % bzw. 6,4 % je nach Nein Immobilie und Departement

Großbritannienc Stamp Duty Land Tax

Progressiv, 2 % bis 12 %

Freibeträge

Nein

UKP 125,000

Japand

Fudousan shutokuzei (Real Estate Acquisition Tax – REAT); Höchstsatz REAT 4 % zusätzliche Registrierungs- und Stempelsteuern existieren

Kanadae

Land Transfer Tax

Sätze von 0,3 % bis 2,5 %, je nach Provinz, meist progressiv

USAf

Unterschiedliche Bezeichnungen

Sätze von 0,01 % in Colorado bis In einigen wenigen 4 % in Pittsburgh Fällen

Nein Bei den meisten Provinzen keine Freibeträge

Quellen: a

http://taxreview.treasury.gov.au/content/paper.aspx?doc=html/publications/papers/report/section_2 – 03.htm (besucht, 19. Dez. 2018); https://www.ashurst.com/en/news-and-insights/legal-updates/stamp-duty-rates-andthresholds-in-australia/(besucht, 19. Dez. 2018); https://stampduty.calculatorsaustralia.com.au/ (besucht, 19. Dez. 2018).

b https://www.dlapiperrealworld.com/law/index.html?t=taxes&s=tax-on-acquisitions&c=FR (besucht, 19. Dez. 2018). c

Scanlon/Whitehead/Blanc (2017).

d http://www.i-interface.com/en/services/real_estate/tips/taxes.html. e

https://www.ratehub.ca/land-transfer-tax; https://www.dlapiperrealworld.com; https://www.fin.gov.on.ca/en/ bulletins/ltt/2_2005.html (besucht, 19. Dez. 2018).

f

http://www.ncsl.org/research/fiscal-policy/real-estate-transfer-taxes.aspx (besucht, 19. Dez. 2018).

II.  Grunderwerbsteuer in anderen Ländern Grunderwerbsteuern sind in vielen Ländern der Welt üblich. Inwiefern sich die deutsche Ausprägung von denen in anderen Ländern unterscheidet, illustriert Tabelle 1, die einen Überblick wichtiger Regelungen in den G7-Ländern gibt. In allen G7-Ländern werden Grunderwerbsteuern erhoben, wenn Wohn- oder Geschäftsimmobilien erworben werden. Dabei bewegt sich Deutschland unter den aufgeführten Beispielen trotz der teilweise starken Steuersatzerhöhungen der letzten Jahre immer noch in einer ähnlichen Größenordnung wie andere Staaten.

Grunderwerbsteuer: Eine Steuer für das 21. Jahrhundert?

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Tabelle 1 (Übertrag) Art der Immobilien

Vergünstigung für Erstkäufer

Steuerempfänger

Steuersatzrecht

Wohn- und Geschäftsimmobilien

Ja, in einigen Bundesländern

Bundesland

Bundesland

Wohn- und Geschäftsimmobilien

Nein

Bundesland

Bundesland

Wohn- und Geschäftsimmobilien

Nein

Departement, Gemeinde, National

Departements können Satz zwischen 1,0 % und 3,6 % festsetzen.

Wohn- und Geschäftsimmobilien

Nein, aber 3 % Zuschlag für National Investoren und Zweitwohnung

National

Wohn- und Geschäftsimmobilien

Nein

Präfektur

Präfektur kann Steuersatz unter Höchstsatz von 4 % wählen.

Wohn- und Geschäftsimmobilien

Ja, in einigen Provinzen

Provinz, Gemeindesteuer in Toronto

Provinz, Gemeinde

Wohn- und Geschäftsimmobilien

Ja, in einigen Regionen

Bundesstaaten Coun- Bundesstaaten Counties Geties Gemeinden meinden

Lediglich Kanada und die USA haben in der Regel deutlich niedrigere Sätze. In den USA beträgt der Durchschnittssatz gar nur 0,33 % (Kaas et al., 2017). Anders als Deutschland kennen Großbritannien und einige australische Bundesstaaten Freibeträge. In einigen Ländern werden Vergünstigungen gewährt für Käufer, die zum ersten Mal eine Immobilie erwerben. Üblicherweise werden die Steuern auf Provinz- oder Bundesstaatenebene festgelegt. Mitunter sind auch Gemeinden beteiligt, wie in den USA. Im Falle Großbritanniens erhebt nur die nationale Ebene.

III.  Verhaltenseffekte Ein Problem so gut wie fast aller denkbaren Steuern ist, dass sie privates Verhalten verzerren und zu volkswirtschaftlich ineffizienten Vermeidungsreaktionen führen.1 Auch bei der Grunderwerbsteuer ist dies der Fall. Die Grunderwerbsteuer treibt einen Keil zwischen die Zahlungsbereitschaft des potentiellen Käufers und den Reservationspreis des potentiellen Verkäufers und unterbindet damit eigentlich vorteilhafte Transaktionen. 1  Zu den Ausnahmen gehören Steuern, die absichtlich verzerren, um Fehler aufgrund unvollständiger Märkte zu korrigieren. Umweltsteuern sind ein Beispiel, bei denen die Vermeidungsreaktionen gewollt sind.

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Kunka Petkova und Alfons Weichenrieder

Konkret heißt dies, dass mit den Transaktionsteuern auch die räumliche Flexibilität der Arbeitsmärkte abnehmen kann (Hilber/Lyytikäinen, 2013), weil mit der räumlichen Verlagerung des Arbeitsplatzes für Hausbesitzer zusätzliche Transaktionskosten einhergehen. Eine weitere, empirisch wahrscheinlich wichtigere Problematik entsteht, weil Familien, deren Raumbedarf gesunken ist, tendenziell gehindert werden, ihre Häuser an Familien mit gestiegenem Platzbedarf zu verkaufen.2 Die Steuer führt zu einer „Lock-in-Situation“, die in der Tendenz zu einer suboptimalen Nutzung des Wohnraums führt und die Situation auf angespannten Wohnungsmärkten verschärft. Die Grunderwerbsteuer kann zudem zu Klienteleffekten der Besteuerung führen (O’Sullivan/Sexton/Sheffrin, 1995). Haushalte, die häufige Wohnortwechsel antizipieren, haben einen Anreiz, der Steuer durch Mietverhältnisse zu entgehen, während immobile Haushalte eher kaufen dürften. Die Umgehung der Grunderwerbsteuer über die Alternative der Mietwohnungen hat potentielle Folgekosten, weil der Erhalt der Wohnungen von den Anstrengungen des Bewohners abhängt, diese aber bei Mietern oft nicht einfach beobachtbar bzw. justitiabel sind. Es resultieren gegenüber der selbstgenutzten Immobilie tendenziell erhöhte Aufwendungen, um einem moralischen Risiko entgegenzuwirken (Kaas et al., 2017). Ein solches moralisches Risiko besteht darin, dass der Mieter hinter dem Rücken des Vermieters weniger schonend mit dem Mietobjekt umgeht als vereinbart.

IV.  Die Grunderwerbsteuer als Finanztransaktionsteuer Während eine Finanztransaktionsteuer auf Aktienverkäufe und Wertpapiere in Europa vielfach gefordert wird, aber in Deutschland noch nicht existiert, gibt es mit der Grunderwerbsteuer bereits eine solche Transaktionsteuer, wenngleich konzentriert auf den Handel mit Immobilienbesitz. Ein Blick in die Literatur der Finanztransaktionsteuern zeigt, dass eine solche Steuer nicht nur die Häufigkeit von Transaktionen reduzieren kann, sondern auch einen deutlichen Einfluss auf die Immobilienpreise haben dürfte. Ein Grund liegt darin, dass die Transaktionsteuer die Fungibilität eines Vermögensgegenstandes reduziert und damit auch deren Wert (vgl. Amihud/Mendelson, 1986). Ein zweiter Grund besteht darin, dass die Einführung einer Transaktionsteuer nicht nur bei der nächsten Transaktion anfällt, sondern auch bei zukünftigen Ei2  Nach den Umfrageergebnissen von Sánchez und Andrews (2011, S. 15) gehören familienbedingte Gründe und spezifische Hauswünsche zu den wichtigsten Gründen für den Besitzwechsel in entwickelten Volkswirtschaften.

Grunderwerbsteuer: Eine Steuer für das 21. Jahrhundert?

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gentumsübergängen. Daher können sich die in der Zukunft aus Verkäufen ergebenden Steuern bereits bei der Einführung bzw. der Erhöhung der Grunderwerbsteuer in den Immobilienpreisen kapitalisieren (Petkova/Weichenrieder, 2017a). Nun ist bei Immobilien die Umschlaghäufigkeit in Vergleich zu Wertpapieren meist niedriger und insofern sind diese zukünftigen Steuern weniger augenfällig. Gleichzeitig beträgt aber der Steuersatz, anders als bei Wertpapieren, nicht nur einige Basispunkte, sondern sogar einige Prozentpunkte. Um die Größenordnung möglicher Steuerkapitalisierungseffekte abzuschätzen, kann man sich eines einfachen Ansatzes von Matheson (2011, 2012) bedienen. Hier ist der Einfachheit halber die Häufigkeit des Besitzwechsels von der Steuer unabhängig modelliert. Trotzdem hat die Einführung der Steuer Preiseffekte auf dem Immobilienmarkt. Unterstellt ist, dass eine Immobilie in jedem Zeitpunkt t einen Cash Flow CFt, beispielsweise über Nettomieteinnahmen, generiert. Dieser Cash Flow wachse mit der Rate g und der Diskontierungszins r sei größer als diese Wachstumsrate. Jedes Mal, wenn die Immobilie den Besitzer wechselt, muss eine Steuer zum Satz T gezahlt werden. Bezeichnet N die als konstant unterstellte Haltefrist eines jeden Besitzers vor der Weiterveräußerung, so ergibt sich der Preis inklusive Steuer im Zeitpunkt 0 (heute) als 𝑁𝑁

𝑉𝑉(0) = � 𝐶𝐶𝐶𝐶𝑡𝑡 ∙ 𝑒𝑒 −(𝑟𝑟−𝑔𝑔)𝑡𝑡 𝑑𝑑𝑑𝑑 + (1 − 𝑇𝑇)𝑒𝑒 −𝑟𝑟𝑟𝑟 𝑉𝑉(𝑁𝑁) . (1) 0

In diesem einfachen Rahmen lässt sich zeigen (Matheson, 2011, p. 39 – 41), dass die prozentuelle Veränderung des Verkaufspreises (inkl. Steuer), D, sich als eine Funktion des Steuersatzes T ergibt:



𝑇𝑇𝑒𝑒 −(𝑟𝑟−𝑔𝑔)𝑁𝑁

D(𝑇𝑇) = 1−(1−𝑇𝑇)𝑒𝑒 −(𝑟𝑟−𝑔𝑔)𝑁𝑁 .

(2)

Tabelle 2 illustriert dieses Ergebnis für die Konstellation r – g = 1 % und unterschiedliche Haltefristen N. Einleuchtender Weise ist der Steuereffekt auf den Preis umso höher, je kürzer N und je öfter die Immobilien den Besitzer wechseln. Eine weitere Beobachtung, die Tabelle 2 erlaubt, ist, dass die Preisreduktion, die durch Gleichung (2) impliziert wird, selbst bei konstantem N resultiert. Die Steuer senkt den Preis sogar dann, wenn gar keine verringerte Umschlagshäufigkeit induziert wird, die Liquidität also gar nicht beeinträchtigt wird.

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Tabelle 2: Der Zusammenhang zwischen Haltedauer und prozentualer Preisreduktion der Immobilie bei zwei alternativen Steuersätzen Haltedauer (Jahre)

5

10

30

100

36.9%

22.2%

7.9%

1.7%

53.9%

36.3%

14.6%

3.4%

Steuersatz 3% D (3%) Steuersatz 6% D (6%) Quelle: Petkova/Weichenrieder

Anmerkung: Werte basieren auf Gleichung (2) und 𝑟𝑟 − 𝑔𝑔 = 1 %

V.  Empirische Preis- und Mengeneffekte Der vorstehende Abschnitt hat verdeutlicht, dass Kapitalisierungseffekte dazu führen können, dass der Preis der Immobilie durch die Einführung oder Erhöhung einer Grunderwerbsteuer deutlich fallen kann. Mehrere internationale Studien dokumentieren in der Tat ausgeprägte Kapitalisierungseffekte auf den Immobilienmärkten. Die Ergebnisse legen sogar nahe, dass der Immobilienpreis vor Steuern um mehr als 1000 Euro sinken kann, wenn die Steuer um 1000 Euro steigt. Die Studie von Davidoff und Leigh (2013) für den australischen Immobilienmarkt kommt zu einem solchen Ergebnis. Kopczuk und Munroe (2015) konstatieren ähnlich gravierende Preiseffekte für Häuser und Apartments in New York und New Jersey, die ab einem Verkaufspreis von einer Million Dollar einer sogenannten Mansion Tax unterliegen. Die Analyse von Ihlanfeldt und Shaugnessy (2004) errechnet mit Daten aus Florida, dass der Verkaufspreis im Verhältnis eins-zu-eins mit der Steuer sinkt. Für deutsche Geschosswohnungen suggeriert die Auswertung von Preisindizes auf Bundesländerebene ähnliche Effekte (Petkova/Weichenrieder, 2017a). Auch eine Studie von Seipelt und Pestel (2017) findet Belege, dass die Hauptlast der Steuer bei den Verkäufern liegt, wenngleich die Identifikation eines mehr als hundertprozentigen Preiseffektes vom konkret verwendeten ökonometrischen Modell abhängt. Auch im Hinblick auf die Umschlagshäufigkeit der Immobilien finden sich inzwischen zahlreiche wohldokumentierte Steuereffekte aus der deutschen und der internationalen Erfahrung. Fritzsche und Vandrei (2016) untersuchen die Transaktionen bei Einfamilienhäusern in sechs der sechzehn deutschen Bundesländern. Die Schätzungen implizieren, dass eine Steuererhöhung um einen Prozentpunkt die Transaktionen um etwa sechs Prozent reduziert. Angesichts des Durchschnittsteuersatzes in deren Sample von 4.17 % übersetzt sich diese Semielastizität in eine Elastizität von -0,25. Einen ganz ähnlichen Wert der Elas-

Grunderwerbsteuer: Eine Steuer für das 21. Jahrhundert?

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tizität von -0,23 errechnen Petkova und Weichenrieder (2017a) auf der Basis eines Transaktionsindexes für Einfamilienhäuser, der über die Zeit auf Bundesländer­ ebene variiert. Eine mehr als dreimal so hohe Elastizität wird in dieser Studie für die Transaktionen bei unbebauten Grundstücken ermittelt, was nahelegt, dass die Grunderwerbsteuer insbesondere für die Neubautätigkeit schädlich sein könnte. Umgekehrt werden für Wohnungen in Mehrfamilienhäusern keine signifikanten Mengenreaktionen gefunden. Die deutschen Schätzungen für die Elastizität bei Einfamilienhäusern korrespondieren mit den entsprechenden Werten, die in internationalen Studien gefunden wurden. Dachis, Duranton und Turner (2008) konstatieren, dass in Toronto die Einführung eines Steuersatzes von 1.1 % die Hauskäufe um 16 % fallen ließ. Davidoff und Leigh (2013) erhalten für Australien eine Elastizität von -0,3. Ähnliche Größenordnungen ergeben sich aus Studien, die nicht auf die Variation der Steuer über die Zeit schauen, sondern auf die Effekte, wie sie von Sprungstellen im Steuertarif ausgehen.3

VI.  Grundfreibeträge und Freibeträge für Familien Angesichts der gestiegenen Sätze der Grunderwerbsteuer sind in den letzten Jahren vermehrt Stimmen laut geworden, die sich um die Finanzierbarkeit des selbstgenutzten Wohnraums sorgen und deshalb entweder für kinderbasierte Familienfreibeträge oder für generelle Freibeträge bei der Grunderwerbsteuer votieren.4 Den politischen Vorschlägen fehlt dabei eine Diskussion der ökonomischen Traglast (Inzidenz) der Steuer. Die Inzidenzwirkung ist indes wichtig. Der Erwerb wird insbesondere dann erschwert, wenn die Steuer die Immobilienpreise inklusive der Steuer erhöht. Da die Inzidenz nach den Ergebnissen der meisten empirischen Studien aber mehrheitlich (und nach manchen Studien sogar zu mehr als 100 Prozent) bei den Anbietern von Immobilien liegt, scheint die Sorge übertrieben. Den Vermögensverlust aus der Steuer trägt danach nicht so sehr der Käufer, sondern überwiegend der Verkäufer. Die aus den empirischen Ergebnissen gespeiste Botschaft, dass bei einer Reduktion der Steuer den aktuellen Immobilienbesitzern eine Wertsteigerung zufallen dürfte, die in etwa der prozentualen

3 Vgl. Hilber/Lyytikäinen (2013), Best/Kleven (2013), Kopczuk/Munroe (2015), Besley et al. (2014). Nur kleine Effekte der Steuer für die Häufigkeit von Hauskäufen finden Slemrod et al. (2017) auf der Basis von Daten für Washington D.C. 4  Der Koalitionsvertrag aus dem Jahr 2018 von CDU, CSU und SPD verspricht die Prüfung eines Freibetrags bei der Grunderwerbsteuer beim erstmaligen Erwerb von Wohngrundstücken für Familien. Freibeträge sah die FDP in ihrem Antrag (Drucksache 19/1696) im Bundestag vom April 2018 vor.

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Absenkung des Steuersatzes entspricht, impliziert umgekehrt die aktuellen Immobilienbesitzer als die Hauptnutznießer einer solchen Reduktion. Allerdings kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Vermögenssteuer zu Liquiditätseffekten führt. Anders als der Kaufpreis werden die Erwerbsnebenkosten von den Banken üblicherweise nicht beliehen. Die Begleichung der Nebenkosten verringert das einsetzbare Eigenkapital des Käufers bzw. der Käuferin und kann somit den von der Bank geforderten Zins erhöhen. Diese Effekte scheinen jedoch nicht hinter den jüngsten politischen Forderungen zu stehen. Sieht man von den Liquiditätseffekten ab, so wäre die Wirkung von gruppenspezifischen Freibeträgen weniger in einem Ausgleich für die zweifelhafte preistreibende Wirkung der Steuer zu sehen. Der Haupteffekt wäre eine Begünstigung der Käufer, die von dem Freibetrag profitieren gegenüber Investorengruppen, die dies nicht tun. Für die Umverteilung haben höhere Freibeträge in der Einkommensteuer, das Kindergeld oder auch eine Einkommensteuer mit Familiensplitting den Vorteil, dass sie eine umverteilende Wirkung entfalten, ohne gezielt darauf abzustellen, wer mietet und wer kauft. Steuerbefreiungen, die an den Verwendungszweck der Immobilie anknüpfen, drohen darüber hinaus die Steuer zu verkomplizieren. Die Verschonungsregeln bei der Vererbung von Betriebsvermögen als steuerpolitische Ausnahme sind ein Paradebeispiel für eine solche Verkomplizierung und beschäftigen häufig die Gerichte. So ist beispielsweise daran zu denken, dass auch kinderreiche Investoren Häuser u. U. nur pro forma als selbstgenutztes Wohneigentum erwerben, dann aber nach kurzer Zeit vermieten und als Investitionsobjekte nutzen. Das Steuerrecht wird einmal mehr verkompliziert, wenn spezielle Regeln dies einschränken sollen, Erhebungs- und Befolgungskosten steigen. Vor diesem Hintergrund ist interessant, dass die Reform der Grunderwerbsteuer durch das Grunderwerbsteuergesetz (GrEStG) 1983 eine Vereinheitlichung im Wildwuchs der Steuerbefreiungen zum Ziel hatte und diese weitgehend gelang. Vor dieser Reform galt ein Steuersatz von 7 %. Diesem waren jedoch laut Gesetzesbegründung etwa 80 % Prozent der Bemessungsgrundlage im Hinblick auf die Besteuerung durch Befreiungen entzogen (Loose, Meßbacher-Hönsch und Viskorf, 2018, TZ 51). Im internationalen Vergleich scheinen familienpolitische Komponenten bei der Grundsteuer kaum eine Rolle zu spielen. Die Berücksichtigung der persönlichen Lebensumstände ist im Rahmen einer Verkehrsteuer schwer zu leisten und sollte wohl besser im Rahmen der Einkommensteuer stattfinden. Allerdings gibt es für Freibeträge und progressive Steuersätze, die mit dem Wert der Immobilie steigen, zahlreiche internationale Vorbilder (vgl. Tabelle 1). Ein allgemeiner Freibetrag bei der Grunderwerbsteuer würde, zumindest solange die Bundesländer nicht mit Steuersatzerhöhungen reagieren, tendenziell zu erhöhten Transaktionsniveaus führen (vgl. Petkova/Weichenrieder, 2017a; Fritzsche/Vandrei, 2016). Ähnliches ließe sich für einen reduzierten Satz annehmen.

Grunderwerbsteuer: Eine Steuer für das 21. Jahrhundert?

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Im Hinblick auf eine Quote der Haushalte, die in der eigenen Immobilie leben (Eigentumsquote), könnte eine Steuersatzsenkung trotz möglicherweise kompensierender Preiserhöhungen in Maßen erfolgreich sein. In einem Land wie Deutschland, in dem der Ausgangswert der Eigentumsquote relativ niedrig ist, kann eine hohe Umschlagshäufigkeit helfen, um die Eigentumsquote zu bewegen. Zumindest zementiert umgekehrt eine niedrige Rate des Besitzerwechsels die aktuellen Verhältnisse.5 Ein manchmal auch in der deutschen Diskussion genanntes Instrument zur Förderung der Eigentumsquote ist es, Ersterwerbern einer Immobilie einen Erlass bzw. einen Teilerlass der Grunderwerbsteuer zu gewähren. Dies ist in einigen Ländern bereits praktizierte Politik, wenngleich eine systematische ökonomische Analyse dieses Instruments bislang nicht vorliegt.

VII.  Die Grunderwerbsteuer und ihre Parallele zur Grundsteuer Die Grunderwerbsteuer als eine Verkehrsteuer hat sich historisch aus den Stempel- und Urkundensteuern entwickelt. Für diese sprach wiederum, dass im Ständestaat der Landesherr sich erhoffen dufte keine Zustimmung der Stände einholen zu müssen, da darauf verwiesen werden konnte, dass es sich nur um eine Gebühr handele (Loose, Meßbacher-Hönsch/Viskorf, 2018, Rn. 1 – 29). Auch heute stehen bei Verkehrsteuern eher Aufkommensaspekte im Vordergrund als die Rechtfertigung über das Leistungsfähigkeitsprinzip oder das Äquivalenzprinzip der Besteuerung (Rappen, 2012), auch wenn es in der Literatur nicht an Versuchen fehlt, solche Rechtfertigungen zu konstruieren. Vorteile hat die Grunderwerbsteuer, weil sie für eine Steuer, die aperiodisch am Vermögen ansetzt, zumindest bei privaten Immobilientransaktionen, geringe Erhebungs- und Befolgungskosten aufweist. Etwas aufwändiger ist die Bewertung allenfalls dort, wo im Rahmen von Unternehmensverkäufen auch Eigentum an Immobilien übertragen wird. In solchen Fällen fehlt eine marktliche Einzelbewertung der Immobilien, weil diese im Verbund mit anderen Wirtschaftsgütern veräußert werden und bilanzielle Wertansätze erhebliche stille Reserven beinhalten können. Abseits von Unternehmensverkäufen steht mit dem notariell beurkundeten Kaufpreis eine marktnahe Bewertung zur Verfügung. Hohe Bewertungskosten, wie sie bei der Vermögensteuer und der Erbschaftsteuer resultieren, werden vermieden. Der Vorteil wird auch ersichtlich, wenn man sich die Diskussion um die Reform der deutschen Grundsteuer vor Augen führt, bei der die hohen Kosten ei5  Vgl. auch Kaas et al. (2017) zu den möglichen positiven Effekten von reduzierten Transaktionskosten auf die Eigentumsquoten in einem dynamischen Gleichgewichtsmodell.

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ner laufenden marktnahen Bewertung stark im Vordergrund stehen. Bach (2018) schließt hier auf Bewertungskosten von 1000 Euro und mehr pro Eigenheim, wolle man hier expertenbasierte Einzelbewertungen vornehmen. Die Grunderwerbsteuer ist nicht die einzige Steuer, die auf Immobilien erhoben wird. Daneben existiert in Deutschland die Grundsteuer. Diese erfreut sich in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur einer höheren Akzeptanz als die Grunderwerbsteuer. So wird einer Steuer, die neben den Bodenwerten auch den Gebäudewert besteuert, zugutegehalten, dass sie effizienzfördernd den Zuzug regeln kann und gleichzeitig das öffentliche Angebot finanziert.6 Während die Grundsteuer auf den Besitz von Immobilien abstellt und die Grunderwerbsteuer auf den Erwerb, lässt sich doch eine gewisse Verwandtschaft feststellen.7 Um dies zu verdeutlichen, bietet sich ein Blick nach Kalifornien an. Dort bemisst sich die Grundsteuer (Property tax) seit der Proposition 13 aus dem Jahre 1978 auf ein Prozent des Wertes der Immobilie. Im Wesentlichen wird dieser Wert festgestellt, indem man den Kaufpreis unterstellt und diesen mit einer jährlichen Wachstumsrate von 2 % fortschreibt. Damit ergibt sich bei einem Kaufpreis von K, einem Zinssatz von i > g, einem Steuersatz von T (z. B. 1 %) bei einer unendlichen Haltedauer der Immobilie ein Barwert der Steuerzahlungen von T ·K / (g – i). Sieht sich eine Immobilienbesitzerin dem Zinssatz von i gegenüber, wäre sie im Zeitpunkt des Kaufs (s = 0) also indifferent zwischen der Grunderwerbsteuer in Höhe von T ·K / (g – i) oder einer kontinuierlichen Steuer von T auf den mit der Rate g fortgeschriebenen Kaufpreis. Die kalifornische Grundsteuer lässt sich also unter leicht idealisierten Bedingungen wie eine zeitlich gestreckte Grunderwerbsteuer interpretieren. Ein wichtiger Unterschied besteht jedoch zur Grunderwerbsteuer, wenn man berücksichtigt, dass unsere Besitzerin in einem zukünftigen Zeitpunkt s verkaufen möchte. Hat sich der Hauspreis gerade mit der Rate g weiterentwickelt, so dass der neue Kaufpreis K dem Wert KEgs entspricht, würde sich die jährliche Rate der Steuer durch den Verkauf gerade nicht ändern. Nur insoweit, wie die tatsächliche Wertentwicklung über der Rate g lag, würde der Verkauf die Steuer erhöhen und einen möglichen Lock-in-Effekt bewirken; der Verkauf würde steuerlich bestraft. War über längere Zeit die Wachstumsrate der Wertentwicklung geringer als g, so würde der Verkauf steuerlich sogar begünstigt, weil durch ihn der Ausgangswert von K verringert würde. Neutralität ergibt sich also gerade dann, wenn g stets an den regionalen Wert der Immobilienpreissteigerungen angepasst würde. Ein solcher Umbau der Grunderwerbsteuer ähnelt einem Stundungsmodell, das mehrere Vor- und Nachteile aufweist. 6 Vgl. 7 Vgl.

Richter (2016) und die dort angegebene Literatur. O’Sullivan/Sexton/Sheffrin (1995).

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Als Vorteil kann verbucht werden, dass sich der Lock-in-Effekt deutlich verringert, im Idealfall wird er ausgemerzt. Die Streckung der Steuerzahlung über die Zeit würde auch bewirken, dass die Steuereinnahmen nicht mehr so stark von der aktuellen Dynamik der Transaktionen abhängen. Für den Steuerzahler würde der Umbau bewirken, dass zum Zeitpunkt des Kaufs weniger angespartes Eigenkapital für die Transaktionskosten abgehen würde und daher die Banken zu höheren Zinskonzessionen bereit sein könnten.8 Auf der Nachteilsseite lässt sich verbuchen, dass die Steuer nicht mehr ganz so einfach zu erheben ist wie die derzeitige Grunderwerbsteuer. Auch die Ermittlung der Fortschreibungsrate g wirft administrative und politische Probleme auf. Bislang fällt die Grunderwerbsteuer einmalig an. Nach einer Reform wäre für den Steuerzahler stärker als im jetzigen System erklärungsbedürftig, warum es zwei Steuern gibt, die am Grundstücksbesitz ansetzen. Der Umbau der Grunderwerbsteuer der Länder macht daher wohl besonders dann Sinn, wenn die Grundsteuer der Gemeinden in eine reine Flächensteuer umgebaut würde – so wie derzeit von einigen, insbesondere den südlichen Bundesländern präferiert – und damit eine ganz andere Bemessungsgrundlage bekäme (vgl. Fuest et al., 2018). Würde die zeitlich gestreckte Grunderwerbsteuer gar den Kommunen an die Hand gegeben, so könnte diese Steuer schädlichen lokalen Effekten der Verdichtung Grenzen setzen. Dies ist eine Aufgabe, die eine reine Flächensteuer nicht leisten kann, da diese keine Lenkungseffekte mit sich bringt. Wichtig für die Akzeptanz wäre auch, dass – anders als die Grundsteuer – die umgebaute Grunderwerbsteuer nicht automatisch auf die Mieten überwälzt werden kann, auch wenn Marktkräfte dies langfristig bewerkstelligen könnten. Nicht verschwiegen werden soll, dass es für die Steuerzahler gewöhnungsbedürftig sein könnte, dass ein Teil der Immobilienbesitzer die Grunderwerbsteuer bereits in der Vergangenheit gezahlt haben und daher keinen laufenden Zahlungen unterliegen, während ein anderer Teil, der nach der Reform gekauft hat, mit laufenden Steuerzahlungen konfrontiert wäre. Ein letzter Punkt, der zu diskutieren wäre, ist die Bestimmung des Steuersatzes. Im Falle des obigen kalifornischen Beispiels ist er durch Volksabstimmung in Proposition 13 festgesetzt und praktisch nicht änderbar. Darauf ließe sich die deutsche Politik schwerlich festlegen. Bei der jetzigen Grunderwerbsteuer ist der Steuersatz durch den Zeitpunkt des Verkaufs bestimmt. Die Streckung der Grunderwerbsteuer birgt die Frage in sich, inwieweit zukünftige Steuersatzänderungen nur auf zukünftige Verkäufe wirken sollen oder ob in der Vergangen8  Allerding bindet die zeitlich gestreckte Grunderwerbsteuer in der Zukunft – zumindest bis zum Wiederverkauf – Teile des Einkommens, das dann nicht mehr zur Bedienung des Kredits zur Verfügung steht. Dies kann die Verbesserung der Kreditbedingungen relativieren.

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heit getätigte Verkäufe von Steuersatzänderungen betroffen sein sollen. Um den Lock-in-Effekt zu vermeiden, müsste bei einer Steuersatzerhöhung die Erhöhung auch für Altfälle gelten.

VIII.  Die Rolle der Share Deals Während für private Käufer eine Umgehung der Steuer äußerst schwierig ist, da die Eigentumsübertragung im Grundbuch ohne die Bezahlung der Grunderwerbsteuer nicht möglich ist, existiert anekdotische Evidenz, dass Immobilienunternehmen in den vergangenen Jahren durch sogenannte Share Deals Steuern in signifikantem Umfange umgehen konnten.9 Allerdings ist diese Steuervermeidung für die Transaktionspartner nicht kostenlos zu haben. Der vermiedenen Steuer stehen Anwaltskosten und kostspielige Prüfungen der Vertragsstrukturen des Share Deals gegenüber. Im Rahmen der Übernahme einer GmbH ist zu prüfen, inwiefern jenseits des Besitzes der Immobilie auch noch andere Pflichten und Risiken übernommen werden. Aus diesen Gründen wird von Praktikern berichtet, dass sich Share Deals erst ab einem Transaktionsvolumen von 15 Mio. Euro rechnen.10 Bei einem unterstellten Steuersatz von 5 % bedeutet die erfolgreiche steuervermeidende Abwicklung eines Share Deals bei diesem Transaktionsvolumen eine Steuervermeidung von 0,75 Mio. Euro. Falls solche Konstruktionen wirklich erst ab diesem Umfang beginnen, rentabel zu werden, so impliziert dies, dass die Kosten der juristischen Absicherung eines Share Deals in der Größenordnung von 0,75 Mio. Euro liegen. Während also solche Konstruktionen für Eigenheimbesitzer unattraktiv sind, können sie dort, wo größere Wohnungsbestände oder Gewerbeimmobilien übertragen werden sollen, hohe Steuerersparnisse, aber auch eben enorme Effizienzkosten der Besteuerung bewirken. Zur Verringerung dieser Effizienzkosten sind mehrere Reformen denkbar. Eine Möglichkeit ist, Transaktionen von Gewerbeimmobilien auch dann von der Grunderwerbsteuer zu befreien, wenn sie nicht über Share Deals abgewickelt werden. Dies würde die mit den Share Deals einhergehenden Transaktionskosten vermeiden. So kann man die Grunderwerbsteuer begrenzen auf Wohnimmobilien, wie bei der sogenannten Mansion Tax in New Jersey und New York. Eine entgegengesetzte Strategie ist es, die Anforderungen zu verschärfen, unter denen ein Share Deal die Umgehung der Steuer ermöglicht. Auch dies kann die aus Share Deals resultierenden Ressourcenkosten vermeiden. Derzeit überlegt die Politik, den Mindestbehalt von derzeit 5 % der Anteile zu erhöhen (EY, 9 Die Erörterungen in diesem Abschnitt profitieren von Petkova/Weichenrieder (2017b). 10  Vgl. Zeit (2015).

Grunderwerbsteuer: Eine Steuer für das 21. Jahrhundert?

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Tabelle 3: Die Steuerpflicht von Share Deals in ausgewählten Ländern Land

Grunderwerbsteuer bei Sharedeals?

Belgien

Grundsätzlich keine Besteuerung von Share Deals.a

Dänemark

Die Besteuerung von Share Deals kann umgangen werden – wenn die Übertragung ein Teil der Umstrukturierung des Unternehmens (z.B. bei Fusion/Spaltung); – bei Übertragung der Immobilie an eine Zweckgesellschaft, die später als Unternehmensfortführung verkauft wird.

Frankreich

Grunderwerbsteuer in Höhe von 5 % des Aktienverkaufswertes wird ausgelöst, wenn der Immobilienwert der übernommenen Gesellschaft mehr als 50 % des Firmenwertes ausmacht.

Irland

Share Deals sind grundsätzlich steuerpflichtig. Vermeidung der Steuer durch neue Vorschriften weitgehend eingeschränkt.

Niederlande

Steuerpflichtig, wenn der internationale Immobilienwert der übernommenen Gesellschaft mehr als 50 % des Firmenwertes ausmacht, die Gesellschaft überwiegend im Immobilienhandel bzw. der Immobilienentwicklung tätig ist (70 % oder mehr) und 30 % der entsprechenden Assets in den Niederlanden sind.

Norwegen

Grundsätzlich keine Besteuerung von Share Deals.b

Österreich

Ja, aber nur wenn zumindest 95 % der Anteile der Gesellschaft mit Immobilienbesitz an eine Hand veräußert werden.c Umgehung möglich durch Zwischenschaltung von Gesellschaften.

Portugal

Keine Besteuerung von Share Deals, falls Übernahmeziel eine Kapitaloder Aktiengesellschaft ist.

Rumänien

Keine Besteuerung von Share Deals.

Slowakei

Keine Besteuerung von Share Deals.

Spanien

Grundsätzlich keine Besteuerung von Share Deals. Besteuerung greift jedoch, wenn spanische Immobilien mehr als 50 % der Assets der übernommenen Gesellschaft ausmachen und diese Immobilien nicht geschäftlichen Zwecken dienen.

Schweden

Keine Besteuerung von Share Deals.

Ungarn

Steuerpflicht bei Erwerb von mindestens 75 % der Anteile einer Gesellschaft, deren ungarisches Immobilienvermögen mehr als 75 % der Bilanz umfasst.

Quelle: Petkova/Weichenrieder (2017b)

Anmerkungen: Rechtsstände 2017. a In Ausnahmefällen können bestimmte Share Deals unter Steuerumgehungsklauseln fallen und Steuern auslösen. b Spezifische Steuervorschriften bei der Besteuerung von Gesellschaften mit beschränkter Haftung (Limited Liability Companies). c Seit 1. 1. 2016.

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2017) und die Zeit zu erhöhen, bevor der Mindestbehalt mit dem Rest der Anteile wieder in einer Hand vereint werden darf. Es gibt aber auch noch andere Alternativen, wie Tabelle 3 anhand ausgewählter nationaler Regeln zeigt. Mehrere Länder stellen Share Deals völlig von der Grunderwerbsteuer frei. Dazu zählen Schweden und Norwegen. Es steht zu vermuten, dass eine Übernahme einer solchen Lösung in Deutschland die Share Deals stark erhöhen würde, wenn nicht gleichzeitig auch die Asset Deals durch Immobiliengesellschaften steuerfrei gestellt würden. Es steht zu befürchten, dass die Effizienzkosten der Besteuerung sogar steigen und nicht sinken. Zumindest würde die höhere Attraktivität der entsprechenden Konstruktionen und steigende Fallzahlen dafür sprechen. Die juristischen Kosten würden öfter anfallen. Als gegenläufiger Effekt wirkt möglicherweise, dass die Steuervermeidung etwas einfacher und daher pro Fall weniger kostspielig würde. In einigen Fällen, wie in Spanien und den Niederlanden, hängt die Steuerpflicht davon ab, ob Wohn- oder Geschäftsimmobilien im Rahmen eines Share Deals veräußert werden. Geschäftsimmobilien bleiben unbesteuert, was Umstrukturierungen erleichtern kann. In einigen Fällen knüpft die Steuerpflicht daran an, wie groß der Anteil des Immobilienvermögens am Gesamtvermögen der übernommenen Gesellschaft ist. Frankreich ist ein Beispiel. Ungarn stellt sowohl auf den Anteil des Immobilienvermögens ab und stellt auch auf die Höhe des verkauften Anteils ab. Die Steuer davon abhängig zu machen, wie groß bei einem Share Deal der Anteil des in der Kapitalgesellschaft übertragenen Immobilienvermögens ist, hätte Vorteile. Kann der Anteil so gewählt werden, dass nur Share Deals von Immobiliengesellschaften der Steuer unterliegen, könnte eine deutliche Anhebung der Behaltsquote stattfinden, ohne dass das Gros der normalen Unternehmen behelligt wird. Änderungen der betrieblichen Eigentümerstrukturen würden vermutlich vereinfacht.

IX.  Zusammenfassung Die Grunderwerbsteuer senkt als Transaktionsteuer empirisch belegbar die Zahl der Immobilientransaktionen (Lock-in-Effekt) und steht damit im Verdacht, das Wohnraumproblem zu verschärfen und die räumliche Mobilität der Arbeitskräfte zu behindern. Die verringerten Immobilientransaktionen können auch dazu führen, dass die niedrige deutsche Wohneigentumsquote zementiert wird. In der Literatur wird oftmals angeführt, dass die Steuer weder aus der Sicht des Äquivalenzprinzips noch aus der Sicht des Leistungsfähigkeitsprinzips zu rechtfertigen ist und daher in einem modernen Steuersystem eigentlich nichts verloren hätte. Der vorliegende Beitrag hat darauf hingewiesen, dass die Grunderwerbsteuer Parallelen zur Grundsteuer aufweist bzw. sich zumindest aus ökonomischer Sicht

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in eine Grundsteuer umbauen ließe. Dies könnte, wie ausgeführt wurde, insbesondere dann interessant sein, wenn die derzeitige deutsche Grundsteuer in eine reine Flächensteuer umgebaut wird, die den Wert der Bebauung unbesteuert lässt. Um die Kosten der Bevölkerungsverdichtung mit einem Steuerpreis versehen zu können, müsste die Steuer allerdings, wie dies auch bei der Grundsteuer der Fall ist, den Kommunen an die Hand gegeben werden und nicht den Ländern. Auch wenn diese Änderung der Steuerhoheit nicht erfolgt, hätte ein Umbau der Grunderwerbsteuer, bei der der Kaufpreis dynamisiert wird und dann einer jährlichen Steuer unterworfen wird, einige Vorteile. Diese resultieren daraus, dass der Lock-in-Effekt abgemildert würde. Könnte die Dynamisierung treffsicher an die regionale Entwicklung Immobilienpreisentwicklung angepasst werden, entfällt der Lock-in-Effekt für Immobilien, die bereits einmal der dynamisierten Grunderwerbsteuer unterworfen waren, sogar ganz. Dies hat nicht nur positive Effekte auf das Funktionieren des Wohnungsmarktes und des Arbeitsmarktes. Selbst das Problem der Share Deals wird damit nach und nach verringert je mehr Immobilien über Verkäufe in die reformierte, jährlich zu entrichtende Steuer hinüberwechseln. Allerdings könnten Share Deals immer noch von Immobilienkäufern dazu verwendet werden, ein solches Überwechseln zu verhindern.

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Florian Becker: Die verfassungsrechtlichen Vorgaben für den kommunalen Finanzausgleich

Die verfassungsrechtlichen Vorgaben für den kommunalen Finanzausgleich Florian Becker Florian Becker Die verfassungsrechtlichen Vorgaben für den kommunalen Finanzausgleich

Im Mittelpunkt des wissenschaftlichen Wirkens von Helmut Siekmann steht seit langem die Finanzverfassung des Mehrebenensystems. Man denkt dabei zunächst natürlich an die erhellende und wegweisende Kommentierung der Art. 104a ff. GG in dem maßgeblichen Grundgesetz-Kommentar von Sachs. Aber auch die Finanzbeziehungen „oberhalb“ des Verhältnisses von Bund und Ländern – in der Europäischen Union bzw. zwischen ihr und den Mitgliedstaaten – sowie „unterhalb“ – die finanziellen Verhältnisse der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften betreffend – hat der Jubilar stets im Blick gehabt. Da es sich bei den Gemeinden und Gemeindeverbänden um das schwächste Glied in der Kette der Finanzbeziehungen handelt, erscheint es lohnenswert, diese festliche Gelegenheit zu nutzen, um sich der verfassungsrechtlichen Gewährleistung zugunsten der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften zu vergewissern, die offenbar bislang die Diskrepanz zwischen der erheblichen tatsächlichen Bedeutung der kommunalen Selbstverwaltung für den Bürger einerseits und der finanziellen Schwäche dieser Körperschaften nicht vollständig überwinden konnte.

I.  Die bundesverfassungsrechtlichen Vorgaben 1.  Die bundesstaatlichen Gewährleistungsebenen Die Verfassungen der Bundesländer enthalten ebenso wie das Grundgesetz (Art. 28 Abs. 2 GG) eine Verbürgung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie. Art. 28 Abs. 2 GG begründet als unmittelbar geltende Durchgriffsnorm eine umfassende Bindung von Verfassungs- und Gesetzgebung der Länder. Die bundesverfassungsrechtlich begründete Garantie eines Mindeststandards kommunaler Selbstverwaltung dürfen Landesgesetzgeber, aber auch die Verfassungen der Länder, nicht missachten, so dass Einschränkungen der grundgesetzlichen Selbstverwaltungsgarantie in den jeweiligen Landesverfassungen entweder bundesverfassungskonform auszulegen oder aber wegen Verstoßes gegen (höherrangiges) Bundesverfassungsrecht nichtig sind.1 1  Johannes Hellermann, in: Volker Epping/Christian Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG 38. Ed. 2018, Art. 28 Rn. 27; sinngemäß Günter Püttner, Kommunale Selbstverwaltung, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), HdbStR, Bd. VI, 3. Aufl. 2008, § 144 Rn. 30.

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2.  Die bundesrechtlichen Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung nach Art. 28 Abs. 2 GG und Art. 106 GG Nach Art. 28 Abs. 2 S. 3 GG umfasst die Gewährleistung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie auch die Grundlagen finanzieller Eigenverantwortung der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften als deren tatsächliches Fundament. Das Grundgesetz präzisiert diese Facette der Selbstverwaltungsgarantie zunächst dahingehend, dass den Gemeinden eine mit Hebesatzrecht gestaltete wirtschaftskraftbezogene eigene Steuerquelle überlassen bleiben muss. Daher normiert Art. 106 Abs. 6 GG eine unmittelbare verfassungsrechtliche Zuweisung des Aufkommens von Grund- und Gewerbesteuer sowie des Aufkommens der örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern an die Gemeinden. Allerdings erschöpft sich die staatliche Verantwortung für die Finanzausstattung der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften nicht in der verfassungsunmittelbaren Zuweisung eines Steueraufkommens, dessen konkrete Höhe in begrenztem Maße von den Gemeinden gestaltet werden kann. Vielmehr sieht Art. 106 GG weiterhin eine eigene Steuerertragshoheit der Gemeinden vor, indem diesen ein Anteil an dem Aufkommen der Einkommen- (Art. 106 Abs. 5 GG) sowie an der Umsatzsteuer (Art. 106 Abs. 5a GG) zugebilligt wird. Zudem hat den Gemeinden und Gemeindeverbänden nach Art. 106 Abs. 7 S. 1 GG von dem Länderanteil am Gesamtaufkommen der Gemeinschaftssteuern nach Abzug des Eigenanteils der Kommunen gem. Art. 106 Abs. 5 und Art. 5a GG noch ein von der Landesgesetzgebung zu bestimmender Anteilssatz zuzufließen (obligatorischer Gemeindefinanzausgleich). Im Übrigen bestimmt nach Art. 106 Abs. 7 S. 2 GG die Landesgesetzgebung, ob und inwieweit das Aufkommen aus Landessteuern den Gemeinden (Gemeindeverbänden) zufließt ( fakultativer Gemeindefinanzausgleich). Zwar gibt das Grundgesetz durch dieses finanzverfassungsrechtliche Normengeflecht vor, aus welchen Steuerquellen sich die Finanzierung der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften jedenfalls speist. Über die Relation zwischen finanzieller Ausstattung und zu erfüllenden Aufgaben wird hier allerdings noch keine Aussage getroffen. 3.  Der kommunale Finanzausgleich Der allgemeine kommunale Finanzausgleich ist die wichtigste – wenn auch nicht die einzige – Quelle der Finanzausstattung kommunaler Selbstverwaltungskörperschaften. Seine Funktion besteht darin, die originären kommunalen Finanzquellen zu ergänzen und die Finanzausstattung der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften insgesamt so aufzustocken, dass ihnen die finanzielle Möglichkeit zu eigenverantwortlicher, sachgerechter und freiwilliger Verwaltungstätigkeit gegeben ist und sie trotz geringer eigener Steuereinnahmen ihre Aufgaben erfüllen können (fiskalische Funktion). Zugleich sollen unterschied-

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liche Belastungen der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften auf horizontaler Ebene ausgeglichen werden (redistributive Funktion). Bei allen Selbstverwaltungskörperschaften soll sich im Ergebnis ein möglichst angeglichenes Verhältnis zwischen Ausgabenbedarf und Einnahmemöglichkeiten ergeben.2 Dabei kann es allerdings nicht darum gehen, einen vollständigen Ausgleich der Folgen autonomer finanzrelevanter Entscheidungen kommunaler Selbstverwaltungskörperschaften herzustellen. Noch weniger darf die Reihenfolge finanzieller Potenz ganz ausgeglichen oder gar umgekehrt werden (Nivellierungsverbot).3 Nach überwiegender Auffassung wird der kommunale Finanzausgleich von zwei Grundsätzen geprägt: Zum einen bedarf es der angemessenen Beteiligung der Kommunen an der finanziellen Prosperität des Landes, zum anderen gilt die – in Reichweite und Rechtsfolgen kontrovers diskutierte – Pflicht zur Gewährleistung einer finanziellen Mindestausstattung der Kommunen. 4.  Finanzielle Mindestausstattung der Kommunen Zu dem bundes- wie landesverfassungsrechtlich gewährleisteten Recht der kommunalen Selbstverwaltung gehört nach allgemeiner Ansicht in Literatur4 und Rechtsprechung5 auch ein über die beschriebene unmittelbare Zuordnung des Aufkommens einzelner Steuerarten hinausgehender Grundsatz der finanziellen Mindestausstattung der Kommunen. Über Reichweite und konkreten Inhalt dieses Grundsatzes lässt sich indes kein gleichsam eindeutiges Bild zeichnen. Zu klären sind insbesondere die etwaige Anspruchsqualität, also die Frage der Rechtsnatur, sowie die landesverfassungsrechtliche Einschränkbarkeit der das Land treffenden Leistungspflichten.

2  Zu den verschiedenen Aspekten: Hans-Günter Henneke, in: ders./Hermann Pünder/ Christian Waldhoff (Hrsg.), Recht der Kommunalfinanzen, 2006, § 25 Rn. 4 ff. 3  StGH Niedersachsen, Urt. v. 04. 06. 2010 – StGH 1/08 – NdsVBl. 2010, 236 (239); ausführlich Peter M. Huber/Stefan Storr, Der kommunale Finanzausgleich als Verfassungsproblem, 1999, S. 105 ff. 4 Vgl. Hellermann (Fn. 1), Rn. 54 f.; Klaus Lange, Die finanzielle Mindestausstattung und die angemessene Finanzausstattung der Kommunen, DVBl. 2015, 457 (457 ff.); Michael Nierhaus, in: Michael Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2017, Art. 28 Rn. 89 ff.; Kyrill-Alexander Schwarz, in: Hermann von Mangoldt/Friedrich Klein/Christian Starck (Hrsg.), GG, 7. Aufl. 2018, Art. 28 Abs. 2 Rn. 244; für Schleswig-Holstein (allerdings zu der alten Formulierung) Andy Groth, in: Johannes Caspar/Wolfgang Ewer/Martin Nolte/Hans J. Waack (Hrsg.), Verfassung des Landes Schleswig-Holstein, 2006, Art. 46 Rn. 33. 5  Vgl. VerfGH Thüringen, Urt. v. 21. 06. 2005 – 28/03 – NVwZ-RR 2005, 665 (667 f.), Urt. v. 02. 11. 2011 – 13/10 – KommJur 2012, 14 (17 f.); StGH Niedersachsen, Urt. v. 25. 11. 1997 – 14/95 – NVwZ-RR 1998, 529 (530); VerfGH Bayern, Entscheidung v. 18. 04. 1996 – Vf. 13-VII-93 – NVwZ-RR 1997, 301 (302).

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a)  Rechtsnatur Zu erwägen ist, ob aus Art. 28 Abs. 2 GG (bzw. den korrespondierenden Garantien in den Landesverfassungen) ein individuell justiziabler Mindestausstattungsanspruch jeder einzelnen Kommune folgt.6 Die grundlegende Charakterisierung der Norm als institutionelle Garantie7 legt zumindest prima facie nahe, dass es sich auch bei der Garantie finanzieller Mindestausstattung um eine institutionelle Garantie, bezogen auf die Gesamtheit der Kommunen, handelt. Zu der potenziell folgenschweren Frage, ob aus der Garantie der kommunalen Selbstverwaltung in Art. 28 Abs. 2 GG auch ein individuell justiziabler Mindestausstattungsanspruch einer Kommune gegen das jeweilige Land folgt, hat das Bundesverfassungsgericht sich bisher stets einer Antwort enthalten (können). Sei es, weil Antragsgegenstand ein Bundesgesetz war,8 es an einer substantiierten Darstellung der (potenziell unangemessenen) kommunalen Finanzausstattung fehlte9 oder das Gericht die Antwort wie unlängst schlicht offenließ10 – eine Festlegung zur Rechtsnatur lässt sich der bundesverfassungsgerichtlichen Judikatur nicht entnehmen. Daher ist der Blick auf die Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte zu richten. Angesichts der von Art. 28 Abs. 2 GG als Durchgriffsnorm angeordneten umfassenden Bindung der Verfassungs- und Gesetzgebung der Länder sind die in den Landesverfassungen enthaltenen Garantien kommunaler Selbstverwaltung oft nahezu gleichlautend. Inhaltlich dürfen die Landesgesetze die bundesverfassungsrechtliche Garantie eines Mindeststandards kommunaler Selbstverwaltung ohnehin nicht unterschreiten.11 Insoweit ist es also möglich, die Auslegungen der Landesverfassungen als Ausgangspunkt für die Bewertung der Rechtsnatur der Garantie des Art. 28 Abs. 2 GG zu nehmen.12 Wird hier tatsächlich nur eine institutionelle Garantie mit beschränkt individueller Wirkung gewährleistet?13 Der Verfassungsgerichtshof NRW geht davon aus, dass eine Verletzung der Finanzausstattungspflicht des Landes gegenüber einer einzelnen Gemeinde grundsätzlich nicht in Betracht kommt. Wird also den Kommunen insgesamt ein ausreichendes Finanzausgleichsvolumen zur Verfü6 Vgl.

Horst Dreier, in: ders., GG, 3. Aufl. 2015, Art. 28 Rn. 151. Hellermann (Fn. 1), Rn. 33. 8  BVerfGE 26, 172 (181). 9  BVerfGE 71, 25 (36 f.); 83, 363 (383); BVerfG, NVwZ 1995, 370 (371). 10  BVerfG, Urt. v. 19. 09. 2018 – 2 BvF 1/15 – juris, Rn. 188. 11  S. bereits I. 1.; vgl. Klaus Ritgen, Das Recht der kommunalen Selbstverwaltung in den Verfassungsräumen von Bund und Ländern, NVwZ 2018, 114 (117). 12 Vgl. Veith Mehde, in: Theodor Maunz/Günter Dürig (Begr.), GG, 84. Ergänzungslieferung 2018, Art. 28 Abs. 2 Rn. 82: „Grundstrukturen einer einheitlichen Dogmatik“. 13  Formulierung nach: VerfG Brandenburg, Urt. v. 16. 09. 1999 – VfGBbg 28/98 – juris, Rn. 113. 7 

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gung gestellt und wird dieses in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise auf die kommunalen Gebietskörperschaften verteilt, kann eine einzelne Kommune keine Ansprüche gegen das Land geltend machen. Die Verteilungsmaßstäbe sind danach nicht an der einzelnen Gemeinde, sondern generalisierend und pauschalierend an der Gesamtheit der Kommunen auszurichten.14 Die „institutionelle Garantie“ wäre dann dahingehend zu interpretieren, dass jede bestehende Kommune Teilhaberin eines kollektiven Anspruchs ist. Insoweit könnte eine einzelne Kommune geltend machen, dass – ob des generalisierenden Bezugs der institutionellen Garantie – nicht für sie selbst, aber für die Kommunen insgesamt oder eine andere Gruppe von Kommunen eine unangemessene Finanzausstattung vorliegt.15 Demgegenüber lässt sich ein Teil der landesverfassungsgerichtlichen Judikatur dahingehend verstehen, dass die einzelne Kommune den Bezugspunkt der Garantie finanzieller Mindestausstattung bilden soll und somit auch jeder Kommune ein (justiziabler) Anspruch auf finanzielle Mindestausstattung zukommt. So verpflichtete das Verfassungsgericht des Landes Brandenburg den Landesgesetzgeber, Vorkehrungen für den Fall zu treffen, dass auch nur eine einzelne Gemeinde unverschuldet und trotz sparsamster Wirtschaftsführung in eine finanzielle Lage gerät, in der ihr keinerlei Mittel auch nur für ein Mindestmaß an freiwilliger kommunaler Selbstverwaltung verbleiben. Es dürfe demnach nicht dazu kommen, „dass auch nur in einer einzigen Gemeinde aus finanziellen Gründen, sparsamste Wirtschaftsführung und Ausschöpfung aller Einnahmemöglichkeiten vorausgesetzt, nicht einmal ein Mindestmaß an freiwilliger Selbstverwaltung mehr möglich ist und damit in dieser Gemeinde keinerlei freiwillige Selbstverwaltung mehr stattfinden kann. Ein solcher Zustand wäre mit der Selbstverwaltungsgarantie der Landesverfassung nicht vereinbar. In diesem Sinne gehört eine Finanzausstattung, die der einzelnen Gemeinde ein Mindestmaß an freiwilliger Selbstverwaltung erlaubt, zum Kernbereich der kommunalen Selbstverwaltung. Ist eine Gemeinde als Selbstverwaltungskörperschaft auf Dauer finanziell nicht überlebensfähig, kann dies äußerstenfalls ein Grund sein, sie aufzulösen. Aber solange es sie gibt, muss sie zu einem Mindestmaß an freiwilliger Selbstverwaltung in der Lage sein.“16 14  VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 06. 05. 2014 – 14/11 – DVBl. 2014, 918 (918 ff.); ähnlich VerfGH Bayern, Entscheidung v. 06. 02. 2007 – Vf. 14-VII-04 – BayVBl. 2007, 364 (366 f.). 15 LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 11.  05. 2006 – LVerfG 1/05 – juris, Rn. 110. 16  VerfG Brandenburg, Urt. v. 16. 09. 1999 – VfGBbg 28/98 – juris, Rn. 112 ff.; missverständlich ist ob der stark subjektivierten Ausgestaltung die Formulierung der „institutionellen Rechtssubjektsgarantie mit beschränkt individueller Wirkung“. In diese Richtung auch StGH Hessen, Urt. v. 21. 05. 2013 – P.St. 2361 – NVwZ 2013, 1151 (1152); StGH Niedersachsen, Urt. v. 7. 03. 2008 – 2/05 – juris, Rn. 62.

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So ist auch das Bundesverwaltungsgericht zu verstehen: Dieses sieht die Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung der Gemeinden nicht gewahrt, wenn einer einzelnen Gemeinde keine aufgabenadäquate Finanzausstattung mehr verbleibt. Die Gewährleistung dieser Finanzausstattung werde durch den neuen Art. 28 Abs. 2 S. 3 GG nicht nur deklaratorisch bestätigt, sondern auch materiell-rechtlich verstärkt.17 Die Interpretation einer institutionalisierten Mindestausstattungsgarantie, für deren Begründung auf die finanzielle Leistungsfähigkeit der Länder sowie unbestimmte praktische Probleme bei Berücksichtigung jeder einzelnen Kommune verwiesen wird,18 ist mit der Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG nicht vereinbar: Eine einzelne Kommune darf, solange sie existiert, nicht schutzlos gegen die Aushöhlung ihres Selbstverwaltungsrechts gestellt werden.19 Art. 28 Abs. 2 GG schützt als institutionelle Garantie zwar nicht den Bestand der einzelnen Gemeinde, aber den Bestand von Gemeinden insgesamt. Könnten die Länder (bewusst oder unbewusst) die finanzielle Not einzelner Gemeinden so lange ignorieren, bis – mangels Handlungsfähigkeit – nur noch eine Auflösung oder Zusammenlegung von Kommunen als Möglichkeit verbleibt, und könnte sich die einzelne Kommune hiergegen nicht gerichtlich wehren, droht die Selbstverwaltungsgarantie insgesamt „durch die kalte Küche“ ausgehöhlt zu werden. Eigenverantwortliche Aufgabenwahrnehmung setzt eine entsprechende finanzielle Leistungsfähigkeit voraus. Es muss daher jede einzelne Kommune finanziell in die Lage versetzt werden, die ihr zugeordneten öffentlichen Aufgaben wahrzunehmen. Die Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 GG (wie die korrespondierenden Vorschriften der Länder) enthält somit einen subjektiven individuellen Leistungsanspruch jeder einzelnen Kommune auf eine angemessene, aufgabenadäquate finanzielle Ausstattung.20 Schließlich würde die Notwendigkeit des Nachweises, dass die Finanzausstattung aller Kommunen nicht ausreichend sei, eine streitende Kommune vor erhebliche Hindernisse stellen.21

17 

BVerwGE 106, 280 (287); Mehde (Fn. 12), Rn. 84. Uwe Volkmann, Der Anspruch der Kommunen auf finanzielle Mindestausstattung, DÖV 2001, 501 (504). 19  Olaf Schmitt, Der kommunale Finanzausgleich aus verfassungsrechtlicher Sicht, DÖV 2013, 452 (456 f.). 20  Lange (Fn. 4), DVBl. 2015, 458; Schmitt (Fn. 19), DÖV 2013, 456; Schwarz (Fn. 4), Rn. 244 ff.; im Ergebnis auch Hellermann (Fn. 1), Rn. 54; wohl auch Andreas Engels, Die Verfassungsgarantie kommunaler Selbstverwaltung, 2014, S. 298. 21  Schmitt (Fn. 19), DÖV 2013, 457. 18 

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b)  Kernbereichsschutz Dieser dargelegte Anspruch der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften auf finanzielle Mindestausstattung gehört zum geschützten Kernbereich der Selbstverwaltung. Der Verfassungsgerichtshof Rheinland-Pfalz bringt dies auf folgende Formel: „Angemessen ist die Finanzausstattung der Kommunen grundsätzlich nur dann, wenn die kommunalen Finanzmittel ausreichen, um den Gemeinden und Gemeindeverbänden die Erfüllung aller zugewiesenen und im Rahmen der kommunalen Selbstverwaltung auch die Wahrnehmung selbstgewählter Aufgaben zu ermöglichen. Die Finanzausstattungsgarantie ist in der Regel jedenfalls dann verletzt, wenn den Kommunen die zur Wahrnehmung eines Minimums freier Aufgaben zwingend erforderliche Mindestfinanzausstattung vorenthalten und so einer sinnvollen Betätigung der Selbstverwaltung die Grundlage entzogen wird.“22 Ebenso wie mit Blick auf die Selbstverwaltungsgarantie im Allgemeinen existiert auch bei deren auf die Finanzausstattung bezogener Komponente ein unantastbarer Kernbereich, in den gesetzgeberische Eingriffe nicht zu rechtfertigen sind, die daher ohne Weiteres gegen die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung verstoßen. Sie garantiert den Kommunen in ebendiesem Kernbereich die finanziellen Mittel, die ihnen die Erfüllung aller ihrer Pflichtaufgaben ermöglicht und ein Mindestmaß an der Wahrnehmung freiwilliger Aufgaben sichert. Daraus ergibt sich der verfassungsrechtliche, subjektive Anspruch jeder einzelnen kommunalen Selbstverwaltungskörperschaft auf finanzielle Mindestausstattung. Damit wiederum geht auch eine absolute Untergrenze der kommunalen Finanzausstattung einher: Sie muss es den Gemeinden und Gemeindeverbänden mindestens ermöglichen, nach Erfüllung ihrer Pflichtaufgaben überhaupt noch freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben wahrzunehmen, da ansonsten von einer kommunalen Selbstverwaltung im eigentlichen Sinne nicht mehr die Rede sein kann. Das Selbstverwaltungsrecht ist insbesondere nicht schon gewahrt, wenn die Kommunen gerade so weit mit Finanzmitteln ausgestattet sind, dass sie nur ihre pflichtigen Selbstverwaltungsaufgaben und die staatlichen Auftragsangelegenheiten wahrnehmen können. Vielmehr zielt kommunale Selbstverwaltung auf eine Aktivierung der Beteiligten für ihre eigenen Angelegenheiten ab, mithin auf echte gemeindliche Initiative, die sowohl das „Ob“ als auch das „Wie“ der Aufgabenerfüllung umfasst.23 Dieses Recht ist jedenfalls dann nicht mehr gewahrt und der unantastbare Kernbereich des kommunalen Selbstverwaltungsrechts daher verletzt, wenn den Kommunen die Wahrnehmung freiwilliger Selbstverwal22  VerfGH

Rheinland-Pfalz, Urt. v. 14. 02. 2012 – VGH N 3/11 – NVwZ 2012, 1034 (1035). 23 BVerwGE 106, 280 (287); VerfGH Rheinland-Pfalz (Fn. 22), NVwZ 2012, 1034 (1034); StGH Hessen (Fn. 16), NVwZ 2013, 1151 (1152).

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tungsaufgaben infolge einer unzureichenden Finanzausstattung unmöglich ist, mithin der Teil der Finanzmittel, die für die Wahrnehmung freiwilliger Selbstverwaltungsaufgaben aufgewendet werden kann („freie Spitze“) einen gewissen, im Einzelnen hinsichtlich seiner Höhe umstrittenen Anteil an der gesamten Finanzausstattung nicht überschreitet. Dieser unantastbare Kernbereich markiert die Untergrenze der Gestaltungskompetenz des Finanzausgleichsgesetzgebers als abwägungsfester Posten und schützt dadurch das kommunale Existenzminimum.24 Über die Mindestausstattung hinaus gebietet die Gewährleistung der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie in ihrem Randbereich, die Kommunen in angemessenem Umfang an den Einnahmen des Landes zu beteiligen. In diesem Bereich richtet sich der Umfang des Anspruchs insoweit nach den Einnahmen des Landes und ist damit von dessen Leistungskraft abhängig.25 c)  Zulässigkeit eines Leistungsfähigkeitsvorbehalts in der Landesverfassung In den Landesverfassungen wird der Finanzausgleich zwischen Land und Kommunen teilweise ausdrücklich unter den Vorbehalt der finanziellen Leistungsfähigkeit des Landes gestellt.26 Dies wirft nach hier vertretener Ansicht die Frage auf, wie sich eine derartige Einschränkung des kommunalen Finanzausgleichs auf den aus dem Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie abgeleiteten Anspruch der Kommunen auf finanzielle Mindestausstattung auswirkt. Dabei ist davon auszugehen, dass Ausgangspunkt der folgenden Überlegungen stets die bundesverfassungsrechtliche Verpflichtung zur Erfüllung des Anspruchs der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften auf Mindestausstattung sein muss. Die Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte ist bei Beantwortung dieser Frage gespalten. Der Verfassungsgerichtshof für das Land Nordrhein-Westfalen erstreckt den Leistungsfähigkeitsvorbehalt für seinen Verfassungsraum nicht nur auf den Anspruch auf angemessene Beteiligung an den Finanzmitteln des Landes, der im Randbereich der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie zu verorten ist, sondern auch auf den Anspruch auf Gewährleistung einer finanziellen Mindestausstattung.27 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch die 24 

Ritgen (Fn. 11), NVwZ 2018, 114 (117); Schwarz (Fn. 4), Rn. 247 f. VerfGH Thüringen (Fn. 5), KommJur 2012, 14 (18); ähnlich StGH Hessen (Fn. 16), NVwZ 2013, 1151 (1152); Schwarz (Fn. 4), Rn. 249. 26  Vgl. Art. 79 S. 2 NRW Verf, Art. 83 Abs. 2 S. 3 BayVerf, Art. 58 Verf ND, Art. 57 Abs. 1 LVerf SH. 27  VerfGH Nordrhein-Westfalen (Fn. 14), DVBl. 2014, 918, Urt. v. 10. 05. 2016 – VerfGH 19/13 – juris, Rn. 71 ff; ebenfalls für den dortigen Verfassungsraum bejahend: StGH Niedersachsen, Urt. v. 7. 03. 2008 – StGH 2/05 – juris, Rn. 61 f.; VerfGH Rheinland-Pfalz, 25 

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Feststellung des Gerichts, dass „eine Mindestfinanzausstattung der Kommunen im Sinne einer ‚absoluten‘ Untergrenze, die selbst bei einer extremen finanziellen Notlage des Landes nicht unterschritten werden dürfte“, verfassungsrechtlich nicht verankert sei.28 Die Zulässigkeit eines Vorbehalts ergebe sich zum einen aus dem Wortlaut der Verfassungsnorm: Art. 79 S. 2 LVerf NRW enthalte keine entsprechende Beschränkung des Vorbehalts auf den Randbereich der Selbstverwaltungsgarantie.29 Zum anderen stelle die Anerkennung einer finanziellen Mindestausstattung unabhängig von der finanziellen Situation des Landes eine einseitige Begünstigung kommunaler Belange dar. Die Gemeinden und Gemeindeverbände würden mit dem Land vielmehr einen Finanzverbund bilden; da sie staatsorganisatorisch den Ländern zugehörig seien, müssten sie „deren finanzielle Abhängigkeit von den gesamtwirtschaftlichen Gegebenheiten“ teilen.30 Der Thüringer Verfassungsgerichtshof hingegen zählt eine finanzielle Mindestausstattung – unabhängig von der Finanzlage des Landes – der Kommunen zum abwägungsfesten Kernbereich der in Art. 93 Abs. 1 S. 1 ThürVerf gewährleisteten kommunalen Selbstverwaltung. Diese bestimme sich allein nach der Kostenbelastung und Finanzkraft der Kommunen. Nur eine darüberhinausgehende Ausstattung dürfe sich nach der Finanzkraft des Landes richten.31 Das Schleswig-Holsteinische Landesverfassungsgericht konnte die Zulässigkeit eines Leistungsfähigkeitsvorbehalts offenlassen.32 Art. 57 LVerf SH bestimmt zwar, dass „das Land im Rahmen seiner finanziellen Leistungsfähigkeit den Gemeinden und Gemeindeverbänden im Wege des Finanzausgleichs Mittel zur Verfügung [stellt], durch die eine angemessene Finanzausstattung der Kommunen gewährleistet wird“. Art. 54 Abs. 1 LVerf SH, in dem die kommunale Selbstverwaltungsgarantie verankert ist, und Art. 57 Abs. 1 LVerf SH, der ausschließlich den kommunalen Finanzausgleich betrifft, würden aber selbstständige Gewährleistungsinhalte enthalten. Während letzterer nur Bestimmungen über die gerechte Beteiligung an den finanziellen Erträgen des Landes treffe, sei der Anspruch auf finanzielle Mindestausstattung aus Art. 54 Abs. 1 LVerf SH abzuleiten, da es sich dabei um ein Kernelement der kommunalen Selbstverwaltung

Urt. vom 14. 02. 2012 – VGH N 3/11 – juris, Rn. 24; LVerfG Mecklenburg-Vorpommern, Urt. v. 23. 02. 2012 – LVerfG 37/10 – juris, Rn. 96. 28  VerfGH Nordrhein-Westfalen (Fn. 14), DVBl. 2014, 918. 29  VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 10. 05. 2016 – VerfGH 19/13 – juris, Rn. 77. 30  VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 10.05 2016 – VerfGH 19/13 – juris, Rn. 80; ähnlich StGH Niedersachsen, Urt. v. 7. 03. 2008 – StGH 2/05 – juris, Rn. 61 f. 31  VerfGH Thüringen, Urt. v. 2. 11. 2011 – VerfGH 13/10 – juris, Rn. 82; ebenso VerfG Brandenburg, Urt. v. 22. 11. 2007 – VfBbG 75/05 – juris, Rn. 116; VerfGH Bayern, Entsch. v. 27. 02. 1997 – Vf. 17-VII-97 – NVwZ-RR 1998, 601 (602). 32  LVerfG Schleswig-Holstein, Urt. v. 27. 01. 2017 – LVerfG 4/15 – juris, Rn. 262.

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handele.33 Ob auch dieser letztgenannte Anspruch unter Leistungsfähigkeitsvorbehalt steht, entschied das Gericht nicht.34 Unabhängig von der Rechtsprechung der Landesverfassungsgerichte wäre von der Unzulässigkeit eines landesverfassungsrechtlichen Leistungsfähigkeitsvorbehalts jedenfalls dann auszugehen, wenn ein derartiger Vorbehalt mit den bundesverfassungsrechtlichen Grundsätzen des kommunalen Anspruchs auf finanzielle Mindestausstattung unvereinbar wäre. Wie eingangs hervorgehoben, dürfen die Landesverfassungs- und Landesgesetzgeber die bundesverfassungsrechtliche Garantie eines Mindeststandards kommunaler Selbstverwaltung nicht unterschreiten. Art. 28 Abs. 2 GG gewährleistet den Kommunen als unmittelbar geltendes Recht („Durchgriffsnorm“) eine finanzielle Mindestausstattung. Diese Garantie fällt in den Kernbereich der geschützten kommunalen Selbstverwaltung und ist daher einer Abwägung nicht zugänglich.35 Der Leistungsfähigkeitsvorbehalt darf daher erst in dem Randbereich der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie Wirkung entfalten. In diesem Bereich kann der Landes- bzw. Landesverfassungsgesetzgeber den Grundsatz der Verteilungssymmetrie anwenden, um die Einbindung der kommunalen Finanzausstattung in die finanzielle Gesamtsituation aller öffentlichen Haushalte des Landes zum Ausdruck zu bringen. Ein anderes als dieses, auf den Randbereich bezogenes Verständnis des Leistungsfähigkeitsvorbehalts ist vor dem Hintergrund der bundesverfassungsrechtlichen Garantie der kommunalen Selbstverwaltung, der kein derartiger Vorbehalt im Hinblick auf die Mindestausstattung der Selbstverwaltungskörperschaften zu entnehmen ist, nicht möglich. Schon aus dieser Erwägung ergäbe sich bereits das Verbot, die finanzielle Mindestausstattung der Leistungsfähigkeit der Länder unterzuordnen.36 Insoweit wäre dem Ausgestaltungsspielraum der Länder also eine 33 

LVerfG Schleswig-Holstein, Urt. v. 27. 01. 2017 – LVerfG 4/15 – juris, Rn. 86, 125 ff. Von einer generellen Unzulässigkeit eines Leistungsfähigkeitsvorbehalts in Schleswig-Holstein ausgehend: Sönke E. Schulz, Kommunaler Finanzausgleich in Schleswig-Holstein, NordÖR 2017, 157 (158). 35 Vgl. Alfred Katz/Klaus Ritgen, Bedeutung und Gewicht der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie, DVBl. 2008, 1525 (1535), denen zufolge die kommunale Selbstverwaltungsgarantie in ihrem Kernbereich nicht „weggewogen“ werden kann; a. A. Volkmann (Fn. 18), DÖV 2001, 503; Engels (Fn. 20), S. 301 ff., der die Leistungsfähigkeit der Länder als mit dem Anspruch konfligierendes Rechtsprinzip auffasst. Aber auch diese Abwägung finde ihre Grenze dort, wo die Finanzausstattung nicht mehr die Übertragung staatlicher Aufgabe auffange. Eine Mindestausstattung für freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben ist nach seiner Konzeption nicht abwägungsfest. 36 So Henneke (Fn. 2), § 24 Rn. 285; Friedhelm Hufen, Aufgabenentzug durch Aufgabenüberlastung, DÖV 1998, 276 (282, 285); Lange (Fn. 4), DVBl. 2015, 460; Friedrich Schoch, Die finanzverfassungsrechtlichen Grundlagen der kommunalen Selbstverwaltung, in: Dirk Ehlers/Walter Krebs (Hrsg.), Grundfragen des Verwaltungsrechts und des Kommunalrechts, 2000, S. 93 (122 ff.); Schwarz (Fn. 4), Rn. 248. 34 

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Grenze gezogen.37 Den Ländern stehen überdies – anders als den kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften – Möglichkeiten zu Gebote, die finanziellen Lasten durch eine Verringerung von Aufgaben oder Herabsetzung von Standards zu mildern;38 hierzu zählt z. B. die Senkung von durch das Land verursachten Kosten für die Erfüllung der Aufgaben des übertragenen und des eigenen Wirkungskreises durch eine Verminderung der Zahl der Pflichtaufgaben oder eine Senkung der bei der Aufgabenerfüllung einzuhaltenden Standards. Soweit die kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften durch bundesgesetzliche Aufgabenzuweisungen und Standards39 belastet werden sollten, hat das Land einen entsprechenden Einfluss im Bundesrat geltend zu machen. Auch das Bundesverwaltungsgericht überträgt die Ergebnisse der landesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung zu der verfassungsrechtlichen Verbürgung einer finanziellen Mindestausstattung der Gemeinden auf das Bundesverfassungsrecht. Es verengt somit die Zulässigkeit eines Leistungsfähigkeitsvorbehalts insoweit, als „das Land selbst unter Ausschöpfung aller eigenen Steuerquellen und unter möglich­ ster Verminderung ausgabenträchtiger öffentlicher Aufgaben des Landes und der Kommunen zur Erfüllung dieser verfassungsrechtlichen Mindestpflicht außerstande“ sein muss und nicht nur eine eigene Haushaltsnotlage geltend macht, sondern einen Haushaltsnotstand des gesamten Landes.40 Offen bleibt, ob der Anspruch auch dann nicht relativiert werden darf, wenn das Land alle eigenen Steuerquellen ausgeschöpft und öffentliche Aufgaben des Landes und der Kommunen weitestgehend vermindert hat.41 Eine solche Situation dürfte dann aber bereits außerhalb des verfassungsrechtlich geregelten Normalfalls und der inzwischen üblich gewordenen Situation der „knappen Kassen“ liegen.

II.  Maßstäbe für den Landesgesetzgeber Zentrales Instrument zur Erfüllung der dargelegten Ansprüche ist der durch die Gesetzgeber der Länder zu regelnde kommunale Finanzausgleich.

37  Lange (Fn. 4), DVBl. 2015, 460; a. A. VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 10. 05. 2016 – VerfGH 19/13 – juris, Rn. 81. 38  Henneke (Fn. 2), § 24 Rn. 293; Lange (Fn. 4), DVBl. 2015, 460. 39  Nunmehr durch das Durchgriffsverbot der Art. 84 Abs. 1 S. 7 GG und Art. 85 Abs. 1 S. 3 GG ausgeschlossen. 40  BVerwGE 145, 378 (385). 41 Für eine Relativierung im Falle eines staatlichen Haushaltsnotstandes: Ihno Gebhardt, Das kommunale Selbstverwaltungsrecht, 2007, S. 202.

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1.  Materieller Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers und dessen Grenzen Der Gesetzgeber verfügt bei der Regelung der horizontalen wie der vertikalen Aspekte des Finanzausgleichs über einen erheblichen Einschätzungs- und Gestaltungsspielraum,42 der auf das Ineinandergreifen der bundes- und landesgesetzlichen Finanzausgleichsvorschriften, auf die Einbindung des kommunalen Finanzausgleichs in die gesamte Haushaltswirtschaft und -planung des Landes und die Etathoheit des parlamentarischen Gesetzgebers zurückzuführen ist. Dieser Gestaltungsspielraum wird allerdings unter mehreren Gesichtspunkten begrenzt:43 a)  Aufgabenangemessene Auskömmlichkeit Zunächst ist zu ergründen, ob die Finanzausstattung, die sowohl den Kommunen insgesamt als auch jeder einzelnen kommunalen Selbstverwaltungskörperschaft zur Verfügung steht, offensichtlich nicht ausreicht (vertikale Komponente des Finanzausgleichs).44 Maßstab ist hierbei die in den Landesverfassungen vorzufindende Forderung, dass den kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften eine „angemessene“ Finanzausstattung zur Verfügung zu stellen ist. Zwar ergibt sich aus den jeweiligen Vorschriften ausdrücklich nichts über den Referenzpunkt dieser Angemessenheit. Dass die Angemessenheit des Finanzausgleichs nur anhand einer Ermittlung der von den kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften wahrgenommenen Aufgaben bestimmt werden kann, darf aber als in Rechtsprechung und Schrifttum akzeptiert angesehen werden.45 Richtschnur ist die vom Kernbereich der Selbstverwaltungsgarantie umfasste Mindestausstattung für die Erfüllung aller ihrer Pflichtaufgaben und ein Mindestmaß an finanziellen Mitteln, die die Wahrnehmung freiwilliger Aufgaben sichern. b)  Interkommunale Gleichbehandlung Aus dem Blickwinkel objektiv-rechtsstaatlicher Anforderungen an Gleichbehandlung und Rationalität ist das System des kommunalen Finanzausgleichs des Weiteren danach zu befragen, ob es willkürliche Festsetzungen oder vom Gleichheitssatz nicht gerechtfertigte Differenzierungen zwischen kommunalen 42 

BVerfGE 22, 353 (369); Schmitt (Fn. 19), DÖV 2013, 454. das etablierte Prüfungsprogramm nach der ständigen Rspr. der Landesverfassungsgerichte, Huber/Storr (Fn. 3), S. 104 ff.; s. etwa VerfGH Bayern (Fn. 31), NVwZ-RR 1998, 601 (602). 44  StGH Niedersachsen, Urt. v. 25. 11. 1997 – 14/95 – DVBl. 1998, 185 (186 f.). 45  StGH Niedersachsen, Urt. v. 4. 06. 2010 – StGH 1/08 – juris, Rn. 80; StGH Hessen (Fn. 16), NVwZ 2013, 1151 (1153) unter Hinweis auf Friedrich Schoch, Verfassungsrechtlicher Schutz der kommunalen Finanzautonomie, 1997, S. 187 m.w.N. 43  Vgl.

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Körperschaften oder Aufgaben enthält.46 Es widerspricht der bundes- wie den landesverfassungsrechtlichen Gewährleistungen der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie i.V.m. dem rechtsstaatlich determinierten Gleichheitssatz, wenn bei der Ausgestaltung des kommunalen Finanzausgleichs bestimmte Gemeinden oder Gemeindeverbände – oder Aufgaben – sachwidrig benachteiligt oder bevorzugt werden. Das interkommunale Gleichbehandlungsgebot verbietet daher willkürliche, sachlich nicht vertretbare Differenzierungen ebenso wie eine willkürliche Gleichbehandlung unterschiedlicher Sachverhalte und verpflichtet den Finanzausgleichsgesetzgeber, bei der Verteilung der Finanzausgleichsmittel die finanziellen Belange aller kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften zu einem angemessenen und gerechten Ausgleich zu bringen.47 Trotz Anerkennung des Gestaltungsspielraums des Landesgesetzgebers ist das Gebot der interkommunalen Gleichbehandlung dann als verletzt anzusehen, wenn für die getroffene Regelung, die eine Ungleichbehandlung zwischen den für den kommunalen Finanzausgleich gebildeten kommunalen Gruppen oder Aufgaben zur Folge hat, jeder sachliche Grund fehlt.48 Die zur Verfügung stehenden Mittel sind nach einheitlichen und sachlich vertretbaren Maßstäben auf die einzelnen Aufgabenträger aufzuteilen; der Umfang einer Zuweisung an eine der Gruppen darf nicht zu sachlich ungerechtfertigten Nachteilen bei anderen Gruppen führen.49 Das interkommunale Gleichbehandlungsgebot ist dabei sowohl im Rahmen der Garantie der finanziellen Mindestausstattung als auch bei der Partizipation an den Einnahmen des Landes und damit im Randbereich kommunaler Finanzausstattung zu beachten.50 c)  Systemgerechtigkeit und Folgerichtigkeit Aus der verfassungsrechtlichen Garantie der kommunalen Selbstverwaltung i.V.m. dem rechtsstaatlich-objektiven Gleichheitssatz ergeben sich für den Gesetzgeber auch Bindungen nach dem Grundsatz der Systemgerechtigkeit.51 Entscheidet sich der Gesetzgeber bei der Regelung einer Materie für ein bestimmtes Ordnungsprinzip, darf er die gewählte Grundentscheidung nicht beliebig 46 Vgl.

Schmitt (Fn. 19), DÖV 2013, 458. LVerfG Schleswig-Holstein, Urt. v. 27. 01. 2017 – LVerfG 4/15 – juris, Rn. 119; StGH Niedersachsen, Urt. v. 15. 04. 2010 – StGH 1/08 – juris, Rn. 83 ff. 48  LVerfG Schleswig-Holstein, Urt. v. 27. 01. 2017 – LVerfG 4/15 – juris, Rn. 119. 49  VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 06. 07. 1993 – 9/92 – NVwZ 1994, 68 (69 f.); Hans-Günter Henneke, in: Ferdinand Kirchhof/Hubert Meyer (Hrsg.), Kommunaler Finanzausgleich im Flächenbundesland, 1996, S. 71 ff. (80 f.). 50  Eckhard David, Anmerkung zu LVerfG LSA, Urt. v. 09. 10. 2010 – LVG 23/10 –, DVBl. 2012, 1498 (1498 f.). 51  LVerfG Schleswig-Holstein, Urt. v. 27. 01. 2017 – LVerfG 4/15 – juris, Rn. 120. 47 

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durchbrechen, sondern hat die folgerichtige Beachtung und Durchsetzung der anfänglichen Grundentscheidung sicherzustellen.52 Daher darf die Regelung des kommunalen Finanzausgleichs nicht zu nicht hinnehmbaren, systemwidrigen Benachteiligungen bestimmter Selbstverwaltungskörperschaften führen oder ohne plausible, rechtfertigende Gründe von dem selbst gesetzten Regelungssystem abweichen. 2.  Kompensation des gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums durch prozedurale Pflichten a)  Grundgedanke Zur Kompensation des dem Gesetzgeber bei der Normierung des kommunalen Finanzausgleichs zustehenden materiellen Gestaltungsspielraums wurde der bei Einschränkung und Ausgestaltung von Freiheitsrechten etablierte Schutz durch Verfahren auch für die Ausgestaltung des kommunalen Finanzausgleichs fruchtbar gemacht.53 Die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung setzt daher prozedurale Absicherungen in dem der Entscheidung des Gesetzgebers über den Finanzausgleich zugrunde liegenden Verfahren voraus, deren Fehlen zur Unvereinbarkeit des Finanzausgleichsgesetzes mit dieser Verfassungsgarantie führt.54 Aus Struktur und Inhalt der kommunalen Finanzgarantien ergeben sich die konkreten prozeduralen Pflichten des Gesetzgebers.55 Die Anforderungen an das prozedurale Element der Ausgestaltung bemessen sich dabei nach dem Zweck, den gesetzgeberischen Entscheidungsprozess rational nachvollziehbar zu machen.56 Indem mit der Entscheidungsfindung des Gesetzgebers wesentliche Determinanten seines Entscheidungsergebnisses indirekt überprüft werden, ohne dass deshalb nur ein einziges richtiges Ergebnis in der Sache denkbar wäre, findet somit eine auf das Gesetzgebungsverfahren orientierte Kontrolle statt, die materielle Gesichtspunkte mittelbar einbezieht.57 Die Erfüllung dieser prozeduralen Anforderungen kann vollumfänglich durch die Landesverfassungsgerichte überprüft werden. Nicht zuletzt aus diesem Grunde muss der Gesetzgeber auch 52 

Schmitt (Fn. 19), DÖV 2013, 458; Michael Inhester, Kommunaler Finanzausgleich im Rahmen der Staatsverfassung, 1998, S. 163 f. 53  VerfGH Bayern, Entscheidung v. 28. 11. 2007 – Vf. 15-VII/05 – juris, Rn. 174, 213 ff.; s. a. Henneke (Fn. 2), § 24 Rn. 296 ff.; Matthias Wohltmann, Bemessung und Ausstattung des kommunalen Finanzausgleichs, ZG 2011, 377 ff. 54  A. A. LVerfG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 13. 06. 2006 – LVG 7/05 – NVwZ 2007, 78 und Urt. v. 13. 07. 1999 – LVG 20/97 – NVwZ-RR 2000, 1 (7 f.), das formelle Mängel nur dann für beachtlich hält, wenn die Verfassung selbst Verfahrensschritte festlegt. 55  Schmitt (Fn. 19), DÖV 2013, 459. 56  Henneke (Fn. 2), § 24 Rn. 301. 57  VerfGH Thüringen (Fn. 5), NVwZ-RR 2005, 665 (671).

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die wesentlichen Ergebnisse seiner Ermittlungen in die Gesetzesmaterialien aufnehmen und dort nachvollziehbar darlegen, um auch – gerade angesichts seines Gestaltungsspielraums – den Rechtsschutz durch ein Landesverfassungsgericht zu ermöglichen.58 b)  Ermittlung des Finanzbedarfs der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften An erster Stelle der prozeduralen Aufgaben steht die Pflicht des Gesetzgebers zur umfassenden Tatsachenermittlung. Nach dem Inhalt der Garantie, welche das Land zu einer insgesamt angemessenen Finanzausstattung seiner kommunalen Gebietskörperschaften verpflichtet, und den daraus folgenden Vorgaben für das Gesetzgebungsverfahren muss der Gesetzgeber bei der Gestaltung des kommunalen Finanzausgleichs regelmäßig die Aufgabenbelastung und die Finanzkraft der Kommunen und – im Randbereich der Selbstverwaltungsgarantie – die finanzielle Leistungskraft des Landes in nachvollziehbarer Weise berücksichtigen und die sich daraus ergebenden unterschiedlichen Belange ggf. gegeneinander abwägen. Mit Blick auf die beiden Weichenstellungen bei der Gestaltung des Finanzausgleichs – die vertikale Verteilung der Finanzen zwischen Land und kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften und die interne Verteilung der zur Verfügung stehenden Finanzausgleichsmasse auf die verschiedenen Körperschaften oder Aufgaben – vermag der Gesetzgeber seinem Auftrag, einen aufgabengerechten Finanzausgleich vorzulegen, nur dann Genüge zu tun, wenn er – in einem ersten Schritt – die Höhe der zur kommunalen Aufgabenerfüllung erforderlichen Finanzmittel ermittelt. Dies dient der Sicherung eines gerechten, transparenten und rationalen Systems der Finanzverteilung, welches nicht bloß politischem Belieben unterliegt.59 Dies alles erfordert es, finanzwissenschaftlichen Sachverstand zur Tatsachenermittlung heranzuziehen.60 Die Expertise finanzwissenschaftlicher Sachverständiger befreit den Gesetzgeber indes nicht von jeder Sorgfaltspflicht; Einschätzungen, die im Ansatz oder in der Methode offensichtlich fehlerhaft oder eindeutig widerlegbar sind, sind gerichtlich überprüfbar.61

58  VerfGH Rheinland-Pfalz (Fn. 22), NVwZ 2012, 1034 (1036 f.); StGH Hessen (Fn. 16), NVwZ 2013, 1151 (1153). 59  StGH Hessen (Fn. 16), NVwZ 2013, 1151 (1153); StGH Niedersachsen (Fn. 3), NdsVbl. 2010, 236 (239 f.); VerfGH Thüringen (Fn. 5), NVwZ-RR 2005, 665 (676). 60  VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 06. 05. 2014 – VerfGH 9/12 – BeckRS 2014, 09162, Rn. 38. 61 Vgl. VerfGH Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 06. 05. 2014 – VerfGH 9/12 – BeckRS 2014, 09162, Rn. 47.

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c)  Ermittlung der horizontalen Lastenverteilung Diese Verpflichtung zur Einstellung aller die angemessene Finanzausstattung der Gemeinden und Gemeindeverbände bestimmenden Parameter in die gesetzgeberische Entscheidung bezieht sich nicht nur auf die Feststellung der notwendigen Finanzausstattung der kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften insgesamt, sondern auch auf die horizontale Dimension des kommunalen Finanz­ ausgleichs, im Rahmen derer die vorhandene Finanzausgleichsmasse erst auf verschiedene Teilschlüsselmassen und dann innerhalb der Teilschlüsselmassen auf die einzelnen Aufgabenträger verteilt wird. Hierzu hat der Gesetzgeber – in einem zweiten Schritt – die relative Aufgabenbelastung und den damit einhergehenden Finanzbedarf der einzelnen Selbstverwaltungskörperschaften zu ermitteln, um auf dieser Grundlage die aufgabenangemessene horizontale Verteilung der insgesamt für die kommunale Ebene zur Verfügung stehenden Mittel gesetzlich zu determinieren. d)  Differenzierte Ermittlung der Bedarfe für Pflichtund für freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben Angesichts der o.a. Struktur der verfassungsrechtlichen Finanzgarantie, die zwischen dem Kern- und dem Randbereich differenziert, ist es bei der Ermittlung des Finanzbedarfs sowohl in horizontaler wie auch in vertikaler Hinsicht von Bedeutung, zwischen dem verobjektivierten Bedarf für die Erfüllung von Pflichtaufgaben einerseits und von freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben andererseits zu differenzieren, weil für beide Bereiche unterschiedliche Deckungsanforderungen existieren. Sollen den Gemeinden und Gemeindeverbänden grundsätzlich Mittel zur Verfügung stehen, die sie in die Lage versetzen, über ihre Pflichtaufgaben hinaus auch freiwillige Selbstverwaltungsaufgaben zu übernehmen, muss zunächst eine zwar notwendig pauschalierte, jedoch realitätsnahe Ermittlung der Kosten sowohl der Pflichtaufgaben im eigenen Wirkungskreis als auch der Aufgaben des übertragenen Wirkungskreises erfolgen. Erst dann kann abgesehen werden, welche Summe erforderlich ist, um die Kommunen insgesamt in den Stand zu versetzen, ihre pflichtigen Aufgaben zu erfüllen und sich darüber hinaus noch freiwilligen Aufgaben zu widmen.62 Der Gesetzgeber muss daher den Finanzbedarf der Kommunen jedenfalls im Hinblick auf die pflichtigen Aufgaben realitätsgerecht ermitteln. Damit gehen eine Erfassung aller konkret wahrgenommenen Aufgaben und die Ermittlung der sich aus diesen Aufgaben ergebenden Kosten einher. Ein Verweis darauf, dass sich die pflichtigen Aufgaben bereits aus den jeweiligen Vorschriften ergeben, genügt daher allein nicht. 62 

VerfGH Bayern, Entscheidung v. 28. 11. 2007 – Vf. 15-VII/05 – juris, Rn. 217.

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Die freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben der kommunalen Gebietskörperschaften sind wegen des Prinzips der kommunalen Allzuständigkeit für Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft nur einer typisierenden Betrachtung zugänglich. Allerdings wird diese Betrachtung dadurch erleichtert, dass auch in diesem Bereich vor allem prinzipiell gleichförmige Aufgaben der Daseinsvorsorge wahrgenommen werden.63 Für die freiwilligen Selbstverwaltungsaufgaben ist ein angemessener zusätzlicher Betrag vorzusehen, der z. B. mit einem Prozentsatz der Ausgaben für die Pflichtaufgaben bemessen werden kann.64 e)  Fehlende oder fehlerhafte Tatsachenermittlung Fällt die Tatsachenermittlung bei einem der beiden Schritte aus oder ist sie fehlerbehaftet, greift dieser Fehler auf die materiellen Entscheidungen des Gesetzes durch. Ohne ordnungsgemäße, finanzwissenschaftlich fundierte Ermittlung der entsprechenden Tatsachen kann der Gesetzgeber keine verfassungsgemäße Entscheidung treffen. Dies gilt sogar für den Fall, dass er – dann gleichsam unvorsätzlich – zu materiell vertretbaren Entscheidungen gekommen ist. Ein aus einem „fehlerhaften Verfahren resultierende[r] Abwägungsausfall führt zur Verfassungswidrigkeit der betreffenden gesetzlichen Regelungen, ohne dass es darauf ankäme, ob das dem Finanzausgleich insgesamt zur Verfügung gestellte Finanzvolumen im Ergebnis ‚zufällig‘ eine ausreichende Grundlage für eine adäquate Mittelausstattung der Gesamtheit der Kommunen […] bildet oder gar deren Finanzbedarf übersteigt.“65 Für die verfassungsgerichtliche Überprüfung sind allein die im Gesetzgebungsverfahren aufgezeigten Gründe maßgeblich. Der Gesetzgeber kann seinen Darlegungspflichten nicht durch ein Nachschieben von Tatsachen, Erwägungen oder Gründen im verfassungsgerichtlichen Verfahren genügen.66

III.  Fazit Die kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften haben nur einen geringen Einfluss auf ihren Aufgabenbestand, der in weiten Teilen dem übertragenen Wirkungskreis entstammt. Für die Spezifika der Selbstverwaltung bleibt daneben oft nur wenig Spielraum. Auf der Einnahmenseite gibt es zwar einige Gestaltungsoptionen, aber über die großen staatlichen Einnahmequellen greifen Bund und Länder zu. Daher ist es von besonderer Bedeutung, den kommunalen Selbstverwaltungskörperschaften verfassungskräftige, subjektive Ansprüche zuzubilligen, 63 

VerfGH Thüringen (Fn. 5), NVwZ-RR 2005, 665 (672). StGH Hessen (Fn. 16), NVwZ 2013, 1151 (1153). 65  VerfGH Thüringen (Fn. 5), NVwZ-RR 2005, 665 (671 f., 676). 66  Vgl. StGH Hessen (Fn. 16), NVwZ 2013, 1151 (1153). 64 

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mit denen sie in den Stand versetzt werden, sich die für die Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Finanzmittel zu verschaffen. Die tatsächliche kommunale Finanzausstattung steht und fällt dabei mit der allen weiteren Entscheidungen vorangehenden und auch durchsetzbaren Verpflichtung des Landes zur aufgabenangemessenen Ausstattung jeder einzelnen Kommune.

Rudolf Wendt: Investitionshilfen des Bundes im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur

Investitionshilfen des Bundes im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur Rudolf Wendt Rudolf Wendt Investitionshilfen des Bundes im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur

I.  Gegenwärtige Regelung des Art. 104c GG 1.  Entstehung des Art. 104c GG Investitionshilfen des Bundes in der kommunalen Bildungsinfrastruktur

Nach Art. 104c GG kann der Bund den Ländern Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen der finanzschwachen Gemeinden (Gemeindeverbände) im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur gewähren. Die Vorschrift ist im Zuge der grundlegenden Reform der Bund-Länder-Finanzbeziehungen mit der Grundgesetzänderung vom 13. Juli 2017 in das Grundgesetz aufgenommen worden.1 Sie wurde als erforderlich angesehen, da den Ländern die ausschließliche Zuständigkeit im Bereich der schulischen Bildung zukommt. Finanzhilfen des Bundes an die Länder im Bereich des Schulwesens sind daher grundsätzlich verfassungsrechtlich bedenklich. Sie erfüllen regelmäßig nicht die Anforderungen der eng zu interpretierenden Ausnahmeregelungen, vor allem von Art. 104b Abs. 1 GG.2 Deswegen sollte die Erweiterung des Kommunalinvestitionsförderungsgesetzes auf eine tragfähige verfassungsrechtliche Grundlage gestellt werden. Die Schaffung der neuen Vorschrift war also in der Sache durch einfachgesetzliche Gesetzgebungsabsichten motiviert.3 Mit der bereits im Jahre 2006 im Rahmen der Föderalismusreform I geschaffenen Regelung des Art. 104b GG konnte das mit der Vorschrift des Art. 104c GG verfolgte Regelungsziel nicht erreicht werden, da die Regelung für die Gewährung von Finanzhilfen des Bundes für Investitionen der Länder und der Kommunen grundsätzlich voraussetzt, dass eine Gesetzgebungsbefugnis des Bundes vorliegt 1 

Vgl. BT-Drs. 18/11131, S. 17. Helmut Siekmann, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2018, Art. 104b Rn. 15, 22, 32, Art. 104c Rn. 1. 3  Siekmann (Fn. 2), in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 104c Rn. 1; zugleich mit der Grundgesetzänderung hat der Gesetzgeber denn auch die einfachrechtliche Umsetzung von Art. 104c GG durch eine Änderung des Kommunalinvestitionsförderungsgesetzes auf den Weg gebracht, vgl. BT-Drs. 18/11135, S. 27 ff., 66, 87 ff. Diese trat am 18. 8. 2017 in Kraft (BGBl. I 3122). 2 

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und zudem bundespolitisch wirtschaftsfördernde Intentionen verfolgt werden. Finanzhilfen für Investitionen im Bildungssektor waren daher auf der Grundlage des Art. 104b GG angesichts der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder ohne Bezug zu einer anderweitigen Gesetzgebungskompetenz des Bundes, wie z. B. im Bereich der energetischen Sanierung, nicht möglich.4 Vor dem Hintergrund einer auch in der Öffentlichkeit lautstark geführten Diskussion über einen als erheblich erachteten Sanierungs- und Modernisierungsbedarf im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur sah der Eckpunktebeschluss der Regierungschefs von Bund und Ländern vom 14. Oktober 2016 vor, die Mitfinanzierungskompetenzen des Bundes in diesem Bereich hinsichtlich finanzschwacher Kommunen zu erweitern. Demgemäß wurde in Art. 104c GG ein „Sondertatbestand in das Grundgesetz aufgenommen, um es dem Bund zu ermöglichen, die auch aus gesamtstaatlicher Sicht dringend notwendige Sanierung und Modernisierung der schulischen Gebäudeinfrastruktur in finanzschwachen Kommunen gezielt mit Bundesmitteln zu unterstützen“.5 2.  Allgemeine Bedeutung und systematische Stellung Neben der mit Art. 104b GG bereits bestehenden Durchbrechung des in Art. 104a Abs. 1 GG als Grundregel verankerten Konnexitätsprinzips, nach dem der Bund und die Länder jeweils gesondert die aus der Wahrnehmung ihrer Verwaltungsaufgaben folgenden Zweckausgaben tragen, stellt Art. 104c GG eine weitere Durchbrechung des Konnexitätsprinzips dar. Satz 1 erweitert gegenüber Art. 106b Abs. 1 GG den Kreis der Zwecke, zu denen der Bund den Ländern Finanzhilfen gewähren darf, die bis dahin nach Art. 104a Abs. 1 GG verboten waren.6 Die Vorschrift tritt damit neben die bereits bestehende Bundesinvestitionshilfekompetenz nach Art. 104b GG. Sie beinhaltet eine inhaltliche Erweiterung der Mitfinanzierungskompetenz des Bundes für den Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur. Bislang konnte der Bund insoweit – abgesehen von der eng umgrenzten „unechten Gemeinschaftsaufgabe“ nach Art. 91b Abs. 2 GG allenfalls Art. 104b GG heranzuziehen versuchen. Für frühere, auf das Ziel der Förderung des wirtschaftlichen Wachstums nach Art. 104b Abs. 1 S. 1 Nr. 3 GG gestützte Programme des Bundes im Bildungsbereich war aber zumindest nicht unumstritten, ob solche Bundesinvestitionshilfen geleistet werden durften.7 Das im Jahre 2015 erlassene 4  Hans-Günter Henneke, in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, 14. Aufl. 2018, Art. 104c Rn. 1. 5  BT-Drs. 18/11131, S. 12. 6  Siekmann (Fn. 2), in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 104c Rn. 3. 7  Johannes Hellermann, in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. 3, 7. Aufl. 2018, Art. 104c Rn. 4.

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Kommunalinvestitionsförderungsgesetz8 war auf das Ziel des Ausgleichs unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet nach Art. 104b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GG gestützt worden. Es hatte bereits Bundeshilfen für Investitionen finanzschwacher Kommunen u. a. auch mit Schwerpunkt Bildungsinfrastruktur vorgesehen, dabei aber mit Rücksicht auf die Bundesgesetzgebungszuständigkeiten nur spezifische Aspekte einbezogen (Beschränkung auf die energetische Sanierung)9 und zentrale Bereiche insbesondere schulischer Infrastruktur außen vor gelassen. Der neue Sondertatbestand des Art. 104c GG stellt nunmehr in der Sache die grundsätzliche Zulässigkeit der Förderung der kommunalen Bildungsinfrastruktur klar. Er gilt insofern als eine Lockerung des sog. Kooperationsverbots im Bildungsbereich.10 Dies begründet eine prinzipiell bedeutsame Erweiterung insofern, als Art. 104c GG damit Bundesinvestitionshilfen in einem Sachbereich zulässt, für den es keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes gibt. Eine Bindung der Bundesinvestitionshilfekompetenz an die Gesetzgebungsbefugnis, die zunächst auch bei Art. 104a Abs. 4 a.F. als der Vorgängerbestimmung von Art. 104b GG nicht vorgesehen war, sieht der im Zuge der Föderalismusreform I eingefügte Art. 104b Abs. 1 S. 1 GG vor; der im Zuge der Föderalismusreform II ergänzte Art. 104b Abs. 1 S. 2 GG dispensiert hiervon nur für den Fall von Naturkatastrophen und bestimmten außergewöhnlichen Natursituationen. Insbesondere in dieser Hinsicht handelt es sich bei Art. 104c GG um einen Ausnahmetatbestand zu Art. 104b GG.11 Dass der Bund durch Art. 104c GG nunmehr wieder in einem Bereich ausschließlicher Landesgesetzgebung eine – nicht nur ausnahmsweise für akute Notsituationen geltende – Investitionshilfekompetenz erhalten hat, läuft der Intention der Föderalismusreform I zuwider, die im Interesse der Entflechtung der Verantwortlichkeiten von Bund und Ländern die Bundesinvestitionshilfekompetenz gerade in dieser Hinsicht hatte einschränken wollen,12 und ist teilweise deutlich als verfassungspolitisch verfehlte Beschränkung der Länderautonomie kritisiert worden.13 Mit der Vorschrift des Art. 104c GG geht es nicht nur darum, mit den Finanzhilfen in originäre und ausschließliche Gesetzgebungs- und Vollzugskompetenzen der Länder und ihrer Kommunen einzudringen, sondern es wird auch die abschließende Zieltrias der konjunkturpolitischen, regionalpolitischen und struk8 

Vom 24. 6. 2015, BGBl. I 2015, S. 974, 975. Vgl. BR-Drs. 120/15, S. 23. 10  Vgl. BT-Drs. 18/12588, S. 16. 11  Hellermann (Fn. 7), in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 104c Rn. 5. 12  Hellermann (Fn. 7), in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 104c Rn. 5. 13 Vgl. Hans-Günter Henneke, DVBl. 2017, 214 (222). 9 

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turpolitischen Förderung gemäß Art. 106b Abs. 1 S. 1 GG aufgegeben.14 Demgegenüber wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die Bejahung der Notwendigkeit einer Sanierung und Modernisierung der kommunalen Bildungsinfrastruktur aus gesamtstaatlicher Sicht allein noch nicht die Schaffung einer Befugnis gerade des Bundes zu begründen vermag, weil selbstverständlich auch die Bundesländer zur Wahrnehmung „gesamtstaatlich“ bedeutsamer Aufgaben in der Lage sind, die ihnen denn auch im Rahmen der geltenden Kompetenzordnung zugewiesen sind.15 Voraussetzung ist allerdings, dass sie mit ausreichenden Finanzmitteln ausgestattet werden, was freilich nicht durch selektive und die Verantwortungsbereiche vermischende Finanzhilfen des Bundes, sondern durch einen angemessenen allgemeinen Finanzausgleich nach Art. 106 f. GG sicherzustellen ist.16 Die Bejahung der Notwendigkeit einer Sanierung und Modernisierung der kommunalen Bildungsinfrastruktur rechtfertigt ebenso wenig in Art. 104c GG den ersatzlosen Verzicht auf die in Art. 106b Abs. 1 S. 1 GG normierten wirtschafts(-kraft)bezogenen Erfordernisse, die dort als Ausdruck sinnvollerweise der Bundesebene zugewiesenen allokativen, konjunkturstabilisierenden und strukturpolitischen Steuerungsfunktionen das Einwirken des Bundes gerade legitimieren.17 An die Stelle der drei wirtschafts(-kraft)bezogenen Kriterien tritt also allein das Kriterium „der finanzschwachen Gemeinden (Gemeindeverbände)“. Die Gewährung von Bundeshilfen an die Länder ist mithin auf Investitionen finanzschwacher Kommunen beschränkt. Das hat bereits ein Vorbild im Kommunalinvestitionsförderungsgesetz 2015, das ebenfalls nur finanzschwache Kommunen begünstigt hat. Dieses war freilich auf den Förderzweck des Art. 104b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 GG, d. h. den Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet, gestützt, woraus sich ein sachlicher Bezug auf die Förderung gerade finanzschwacher Kommunen ergeben mochte. Die Beschränkung auf finanzschwache Kommunen in Art. 104c S. 1 GG ist hingegen nur damit begründet worden, dass die Aufgabe der Sanierung und Sicherung der Bildungsinfrastruktur vor allem für diese eine besondere Herausforderung darstelle.18 Das lässt sich freilich für wohl jede ausgabenintensive kommunale Aufgabe sagen. So kommt es hier zu einer problematischen Verkoppelung zweier Anliegen. Einerseits geht es der Bestimmung um die Investitionsförderung in dem als gesamtstaatlich be14  Henneke (Fn. 4), in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Art. 104c Rn. 4. 15  Alexander Thiele, in: Horst Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. III, 3. Aufl. 2018, Art. 104c Rn. 7; Henneke (Fn. 4), in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Art. 104c Rn. 5; Kyrill-A. Schwarz, DÖV 2018, 125 (131). 16  Thiele (Fn. 15), in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Art. 104c Rn. 7. 17  Henneke (Fn. 4), in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Art. 104c Rn. 5. 18  BT-Drs. 18/11131, S. 17.

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deutsam erachteten Sachbereich der Bildungsinfrastruktur, andererseits wird der unterschiedlichen Finanzkraft der Kommunen im Bundesgebiet Rechnung getragen, indem nur finanzschwache Kommunen in den Genuss der Investitionsförderung gelangen sollen. Der verfassungsändernde Gesetzgeber verbindet in Satz 1 sein spezifisches Sachförderanliegen mit einer Rücksichtnahme auf die allgemeine Finanzsituation der Kommunen.19 Damit wird das schon allgemein nicht unproblematische Verhältnis der Bundesinvestitionshilfekompetenz zu den Verfassungsbestimmungen, die die allgemeine Finanzausstattung der Länder und Kommunen sichern sollen, besonders prekär. Es ist zu befürchten, dass der Investitionshilfeanspruch nach Satz 1 den generellen Anspruch auf aufgabengerechte Finanzausstattung geradezu konterkariert, indem er die Verantwortlichkeit dafür verunklart.20 Diese Verantwortlichkeit liegt beim Bund, soweit er insbesondere nach Art. 106 Abs. 5 und 5a GG Einfluss auf die Höhe des Gemeindeanteils am Steueraufkommen hat, und sodann beim jeweiligen Land, das insbesondere in dem in Art. 106 Abs. 7 GG grundgesetzlich vorgesehenen kommunalen Finanzausgleich abschließend für einen Abbau der Steuerkraft- und Bedarfsunterschiede zwischen den Kommunen und für eine Anhebung der kommunalen Finanzkraft zur Herstellung einer insgesamt angemessenen Finanzausstattung zu sorgen hat.21 Verfassungssystematisch betrachtet darf dem kommunalen Finanzausgleich diese Aufgabe durch die Bundeshilfen nach Satz 1 nicht abgenommen werden.22 3.  Kriterien für die Auswahl der Projekte und Kontrolle der Mittelverwendung Die Entscheidung über die Ausgestaltung der konkreten Investitionsprogramme und damit auch darüber, welche Projekte der finanzschwachen Gemeinden und Gemeindeverbände im einzelnen gefördert werden sollen, kommt zunächst einmal den Ländern zu. Im Bundesgesetz oder der Verwaltungsvereinbarung nach Art. 104c S. 2 GG i.V.m. Art. 104b Abs. 2 S. 1 GG sind aber die wesentlichen Kriterien für die Bestimmung der in Frage kommenden finanzschwachen Gemeinden und Gemeindeverbände bundeseinheitlich festzulegen. Damit können sie nicht autonom und individuell von den Ländern bestimmt werden.23 Darüber 19 

Hellermann (Fn. 7), in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 104c Rn. 6. Hellermann (Fn. 7), in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 104c Rn. 6. 21 Vgl. Henneke (Fn. 13), DVBl. 2017, 214 (220); Hellermann (Fn. 7), in: v. Mangoldt/ Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 104c Rn. 6. 22  Hellermann (Fn. 7), in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 104c Rn. 6. 23  Thiele (Fn. 15), in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Art. 104c Rn. 11; zu den Schwierigkeiten der Definition des Verfassungsbegriffs der „finanzschwachen Gemeinden (Gemeindeverbände)“ vgl. Hans-Günter Henneke, Der Landkreis 2018, 7 (10); 20 

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hinaus kann der Bund nach Art. 104c S. 2 GG i.V.m. Art. 104b Abs. 2 S. 2 GG auch wesentlichen Einfluss auf die Ausgestaltung der jeweiligen Länderprogramme zur Verwendung der Finanzhilfen nehmen. Auch wenn die Festlegung der Kriterien für die Ausgestaltung der Länderprogramme das Einvernehmen der betroffenen Länder voraussetzt (Art. 104c S. 2 GG i.V.m. Art. 104b Abs. 2 S. 3 GG), liegt darin ein durchaus erheblicher Eingriff in die bestehende Finanzautonomie auf Länderseite.24 Zur Gewährleistung der zweckentsprechenden Mittelverwendung kann die Bundesregierung Bericht und Vorlage der Akten verlangen und Erhebungen bei allen Behörden durchführen (Art. 104c S. 2 GG i.V.m. Art. 104b Abs. 2 S. 4). Die von Art. 104c S. 2 GG in Bezug genommenen, für die Länder und Kommunen einschneidenden Regelungen in Art. 104b Abs. 2 S. 2 bis S. 4 GG wurden zeitgleich mit der Einfügung des Art. 104c durch das Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 13. Juli 2017 in das Grundgesetz aufgenommen. In dem Beschluss des Haushaltsausschusses des Bundestages, der die heutigen Regelungen des Art. 104b Abs. 2 S. 2 bis S. 4 GG empfahl und damit die ohnehin vorgesehene Verfassungsergänzung in Art. 104b Abs. 2 GG deutlich verschärfte, heißt es zu den neu aufgenommenen Regelungen des Art. 104b Abs. 2 S. 2 bis S. 4 GG, dass mit der Ergänzung dem Bund ein verbessertes Steuerungsrecht eingeräumt werden solle, um einen effizienteren Einsatz der Bundesmittel zur Erreichung der mit der Finanzhilfe angestrebten Förderziele zu gewährleisten. Außerdem würden mit der Ergänzung in Satz 4 die Befugnisse des Bundes zur Gewährleistung der zweckentsprechenden Verwendung der Bundesmittel im Vergleich zu den Aufsichtsbefugnissen des Art. 84 Abs. 3 GG und Abs. 4 GG gestärkt, da die Bundesregierung künftig notwendige Erhebungen bei nachgeordneten Behörden der Länder durchführen könne.25 Wenn dem Bund gemäß Art. 104c S. 2 GG in entsprechender Anwendung des Art. 104b Abs. 2 S. 2 und S. 3 GG Bestimmungen über die Ausgestaltung der jeweiligen Investitionsprogramme der Länder an Hand festgelegter Kriterien erlaubt werden, ist dies mehr als problematisch. Denn die gesetzgeberische Begründung für die Einfügung des Absatzes 2 S. 2 und S. 3 in Art. 104b GG, nämlich die Einräumung eines verbesserten Steuerungsrechts bei der Gewährung von Finanzhilfen für den Bund durch die Ermöglichung von Bestimmungen über die Ausgestaltung der jeweiligen Länderprogramme an Hand festgelegter Kriterien, kann – soweit sie überhaupt tragfähig ist – zunächst nur für die Gewährung von Finanzhilfen nach Art. 104b GG, d. h. in Bereichen, in denen dem Bund Hellermann (Fn. 7), in: v. Mangoldt/Klein/Starck (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 104c Rn. 14; Kyrill-A. Schwarz (Fn. 15), DÖV 2018, 125 (131 ff.). 24  Werner Heun/Alexander Thiele, in: Horst Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Bd. III, 3. Aufl. 2018, Art. 104b Rn. 10. 25  BT-Drs. 18/12588, S. 6 und 32.

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eine eigene Gesetzgebungsbefugnis verliehen ist, Gültigkeit beanspruchen. Im Unterschied zu den Fallgestaltungen nach Art. 104b GG wird mit der Förderung der kommunalen Bildungsinfrastruktur aber ein der ausschließlichen Gesetzgebungskompetenz der Länder zugewiesener Regelungsbereich einer Ausgestaltung durch den Bund unterworfen. Das dem Bund auch hier eingeräumte weitgehende Steuerungsrecht müsste gesondert gerechtfertigt werden. Darüber hinaus macht die Gesetzesbegründung auf die verwaltungskompetenzakzessorische Erhebungsbefugnis des Bundesrechnungshofs nach Art. 114 Abs. 2 GG aufmerksam. Es wird insoweit auf die ebenfalls im Zuge der Schaffung des Art. 104c GG neu eingefügte Ermächtigung nach Art. 114 Abs. 2 S. 2 GG hingewiesen, nach der der Bundesrechnungshof auch in den Fällen, in denen der Bund den Ländern zweckgebundene Finanzierungsmittel zur Erfüllung von Länderaufgaben zuweist, Erhebungen bei Stellen außerhalb der Bundesverwaltung vornehmen kann. Der Bundesrechnungshof, so wird hervorgehoben, solle hierdurch verbesserte Möglichkeiten erhalten, um die notwendigen originären Informationen für die Prüfung der zweckentsprechenden Verwendung der vom Bund bereitgestellten Finanzierungsmittel vor Ort zu gewinnen sowie die mit der Zuweisung der Bundesmittel intendierten gesamtstaatlichen Zielsetzungen zu erreichen.26 4.  Ergebnis Im Ergebnis haben die Ergänzung des Grundgesetzes um Art. 104c GG sowie die Änderungen des Art. 104b und Art. 114 Abs. 2 GG gegenüber der vorherigen Rechtssituation dazu geführt,27 • dass der Bund entgegen Art. 104b GG im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur Finanzhilfen auch ohne Gesetzgebungskompetenz und • ohne Verfolgung konjunktur-, regional- oder strukturpolitischer Zielsetzungen gewähren darf und • ihm dabei umfassende Länderprogrammausgestaltungsbefugnisse sowie • Berichts- und Erhebungsbefugnisse vor Ort durch • die Bundesregierung und • den Bundesrechnungshof zustehen. Damit war ein erster eindeutiger Einbruch des Bundes in den Bildungssektor erfolgt. Es wurde in ein bewährtes System strukturzerstörend eingegriffen, wodurch mehr Folgeprobleme aufgeworfen werden als aktuelle Problemstellungen der „finanzschwachen Gemeinden (Gemeindeverbände)“ nachhaltig und inter26  27 

BT-Drs. 18/12588, S. 34. Hans-Günter Henneke, DVBl. 2018, 817 (820 f.).

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kommunal gerecht gelöst werden. Eine sachgerechte Lösung zur strukturellen und quantitativen Stärkung der Kommunalfinanzen muss stattdessen zuvörderst auf der Einnahmeseite, so etwa beim Umfang und den aufgabengerechten horizontalen Verteilungskriterien der kommunalen Umsatzsteuerbeteiligung, ansetzen.28 Begrenzend wirkt sich bis heute allein die vorgegebene Beschränkung der Gewährung von Investitionshilfen auf „finanzschwache Kommunen“ aus.

II.  Erweiterung des Art. 104c GG? Damit rückt der Entwurf der Bundesregierung zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 104c, 104d, 125c, 143e) vom 18. Juli 2018 ins Blickfeld. Dieser Entwurf soll in Umsetzung des jüngsten Koalitionsvertrages genau diese Begrenzung in Art. 104c GG durch Ersetzung des Wortes „finanzschwachen“ durch die Wörter „Länder und“ beseitigen.29 Der bisherige Art. 104c GG wird nicht mehr als verschämte Ausnahme- bzw. Sonderregelung dargestellt, vielmehr wird die Grundgesetzänderung vom 13. Juli 2017 als notwendiger, allerdings zu klein geratener Zwischenschritt umgedeutet.30 Unmittelbar vor der Beschlussfassung des Bundestages über den Entwurf empfahl der Haushaltsausschuss des Bundestages dann noch eine Ausdehnung der Finanzhilfekompetenz des Bundes nach Art. 104c GG auf bestimmte Maßnahmen nichtinvestiver Art.31 Satz 1 der Vorschrift soll danach künftig lauten: „Der Bund kann den Ländern zur Sicherstellung der Qualität und der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens Finanzhilfen für gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen sowie mit diesen verbundene besondere unmittelbare Kosten der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) im Bereich der kommunalen Bildungsinfrastruktur gewähren.“ 1.  Künftige flächendeckende Unterstützung der Kommunen bei Investitionen in die Bildungsinfrastruktur Mit der Änderung in Art. 104c S. 1 GG soll daher die Beschränkung der Finanzhilfekompetenz des Bundes zur Förderung von gesamtstaatlich bedeutsamen Investitionen in die kommunale Bildungsinfrastruktur auf finanzschwache Kommunen aufgehoben werden. In der Begründung des ursprünglichen Entwurfs heißt es: 28  Henneke (Fn. 4), in: Schmidt-Bleibtreu/Hofmann/Henneke (Hrsg.), Kommentar zum Grundgesetz, Art. 104c Rn. 24. 29  BT-Drs. 19/3440, S. 7, 10, 14. 30  Henneke (Fn. 27), DVBl. 2018, 817 (821). 31  BT-Drs. 19/6144, S. 5, 16.

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„Bereits … mit Artikel 104c des Grundgesetzes (GG) (wurde) ein wichtiger Schritt hin zu einer noch stärkeren Unterstützung des Bundes aus gesamtstaatlicher Verantwortung bei der Verbesserung der kommunalen Bildungsinfrastruktur umgesetzt. Der Sondertatbestand des Artikels 104c GG ermöglicht es dem Bund, die aus gesamtstaatlicher Sicht dringend notwendige Sanierung und Modernisierung der schulischen Gebäudeinfrastruktur in finanzschwachen Kommunen gezielt mit Bundesmitteln zu unterstützen. Diese Regelung greift jedoch dort zu kurz, wo Länder und Kommunen bundesweit und unabhängig von einer kommunalen Finanzschwäche mit ihren Investitionen in die kommunale Bildungsinfrastruktur vor besonderen Herausforderungen stehen, die auch von finanz- und strukturstarken Kommunen nicht in der gebotenen Zeit alleine zu bewältigen sind. Das betrifft insbesondere den notwendigen flächendeckenden Ausbau der Ganztagsschul- und Betreuungsangebote sowie die Bewältigung der Herausforderungen, die die schnell fortschreitende Digitalisierung in allen Lebensbereichen für das Bildungswesen mit sich bringt. Moderne, für die Zukunft ausgerichtete kommunale Einrichtungen der allgemeinen und der beruflichen Bildung sind eine wichtige Grundlage für die Umsetzung guter pädagogischer Konzepte.“32

Diese Analyse führt zu dem Schluss: „Ziel des Gesetzentwurfs ist die Erweiterung der Möglichkeiten des Bundes, die Länder und Kommunen bei ihren Investitionen in die kommunale Bildungsinfrastruktur, insbesondere zur Gewährleistung eines flächendeckenden Ganztagsschul- und Betreuungsangebotes und zur Bewältigung der Anforderungen der Digitalisierung an die Ausstattung und Vernetzung der allgemeinbildenden und berufsbildenden Schulen, zu unterstützen. Das entspricht dem gesamtstaatlichen Interesse, eine zukunftsgerechte kommunale Bildungsinfrastruktur zu schaffen. Die in diesem Zusammenhang notwendige Investitionsoffensive im Bereich der Bildungsinfrastruktur erfordert erhebliche finanzielle Anstrengungen der für diese Aufgabe verfassungsrechtlich zuständigen Länder, die von diesen nicht allein und in kurzer Frist zu bewältigen sein werden. Die bisher auf Investitionen in finanzschwachen Kommunen beschränkte Finanzhilfekompetenz in Artikel 104c des Grundgesetzes (GG) genügt den steigenden Investitionsanforderungen im Bildungssektor nicht in allen Bereichen. Im Zentrum der Regelung steht damit nicht mehr die Bedürftigkeit der Kommune, sondern die Bewältigung zentraler struktureller Herausforderungen für den Bildungsstandort Deutschland. Die durch Artikel 104c GG mögliche Mitfinanzierung von Investitionen der Länder und Kommunen durch den Bund lässt die Aufgaben- und Finanzierungsverantwortung der Länder für das Bildungswesen als wesentlichen Bestandteil der Kultushoheit unberührt.“33

32  33 

BT-Drs. 19/3440, S. 1 f. BT-Drs. 19/3440, S. 8.

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2.  Eingriff in die Aufgaben- und Finanzierungsverantwortung der Länder und Kommunen Henneke bezeichnet es zu Recht als geradezu atemberaubend, wie der Bund auf diese Weise innerhalb von nur drei Jahren mit denselben Schlagwörtern von der maroden Bildungsinfrastruktur ausgehend vom Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet über die Förderung von Investitionen nur finanzschwacher Kommunen nunmehr eine allgemeine Kompetenz zur Finanzierung der Bildungsinfrastruktur der Länder und Kommunen, verbunden mit der Befugnis des Bundes zur Ausgestaltung der jeweiligen Länderprogramme, anstrebt.34 Dies wäre in der Tat mehr an Kompetenzen des Bundes, als dieser jemals vor der Föderalismusreform I hatte, obwohl er im Bildungsbereich – von wenigen Ausnahmen insbesondere im Bereich der beruflichen Bildung abgesehen – weder über Gesetzgebungs- noch über Ausführungszuständigkeiten verfügt.35 Die bereits in der Begründung des ursprünglichen Gesetzentwurfs aufgestellte Behauptung, dass „die durch Artikel 104c GG mögliche Mitfinanzierung von Investitionen der Länder und Kommunen durch den Bund … die Aufgaben- und Finanzierungsverantwortung der Länder für das Bildungswesen als wesentlichen Bestandteil der Kultushoheit unberührt“ lasse,36 ist eine bewusste Irreführung, erst recht, wenn man die in der Gesetzesbegründung als Ziel formulierte „Umsetzung guter pädagogischer Konzepte“37 mit in den Blick nimmt und die in der Gesetzesbegründung vorgenommenen weiten Definitionen der bereits seit 2017 in Art. 104c GG enthaltenen Verfassungsbegriffe „kommunale Bildungsinfrastruktur“ und „gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen“ betrachtet.38 Sie lauten: „Der Begriff der kommunalen Bildungsinfrastruktur umfasst die bildungsbezogenen Einrichtungen der kommunalen Ebene. Das sind allgemein- und berufsbildende Schulen sowie Kinderbetreuungseinrichtungen, die einen öffentlichen Bildungsauftrag auf kommunaler Ebene wahrnehmen, einschließlich derer in freier Trägerschaft, soweit sie die öffentlichen Einrichtungen der kommunalen Bildungsinfrastruktur ersetzen (insbesondere Ersatzschulen). Bei den Investitionen muss es sich um Sachinvestitionen handeln. Das umfasst insbesondere den Neubau und die Sanierung bzw. Modernisierung von Gebäuden (einschließlich notwendiger Einrichtung und Ausstattung) sowie die Errichtung einer bildungsbezogenen digitalen Infrastruktur, wie z. B. die Ausstattung mit schnellen Internetverbindungen und IT-technischen Systemen (Hard- und zugehörige Betriebs34  Henneke (Fn. 27), DVBl. 2018, 817 (821); kritisch auch Christian Seiler, ZG 2018, 329 (331 f.). 35  Henneke (Fn. 27), DVBl. 2018, 817 (821). 36  BT-Drs. 19/3440, S. 8. 37  BT-Drs. 19/3440, S. 2. 38  Henneke (Fn. 27), DVBl. 2018, 817 (821).

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software) als Teil von pädagogischen Bildungsumgebungen oder gemeinsame digitale Lehr-Lern-Infrastrukturen der Länder (zum Beispiel Bildungs-Clouds) für Schulen. … Gesamtstaatlich bedeutsam sind Investitionen, die in ihrer Gesamtheit von erheblichem Gewicht für die Gewährleistung einer zukunftstauglichen Bildungsinfrastruktur im gesamten Bundesgebiet sind. Es geht um Investitionen, die in allen Ländern auf vergleichbare Weise infrastrukturelle Handlungsbedarfe auslösen und von den Ländern und Schulträgern nicht allein finanziert werden können, sondern einen bundesweiten, abgestimmten Innovationsschub erfordern. Durch gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen soll ein struktureller und überregionaler Mehrwert für den gesamten Bildungsstandort Deutschland geschaffen werden.“39

Angesichts der inhaltlichen Weite der hiermit umrissenen Begriffe kommunale Bildungsinfrastruktur und Investitionen kann von einem Unberührtbleiben der Aufgaben- und Finanzierungsverantwortung der Länder für das Bildungswesen von der geplanten Erweiterung des Art. 104c GG keine Rede sein. Der Bund könnte nicht mehr nur in Bezug auf die finanzschwachen Kommunen, sondern flächendeckend den Ländern per Verwaltungsvereinbarung vorschreiben, wie das von ihm zur Verfügung gestellte Geld einzusetzen wäre.40 Von Anfang an beabsichtigt ist neben einer Ausstattung mit digitaler Ausrüstung u. a. eine flächendeckende Versorgung mit Ganztagsschulen. Erweitert wird die Investitionshilfekompetenz des Bundes durch den Änderungsantrag des Haushaltsausschusses des Bundestags, durch den die Finanzhilfekompetenz des Bundes nach Art. 104c GG zur Förderung gesamtstaatlich bedeutsamer Investitionen in die kommunale Bildungsinfrastruktur mit der Zielsetzung der Sicherstellung der Qualität und der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens verbunden und um die Möglichkeit zur Mitfinanzierung solcher gewichtigen, besonderen Kosten erweitert werden soll, die mit der Nutzbarmachung der Investition in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen. Förderfähig sollen insoweit – zeitlich auf die Begleitphase der Investition bezogen – sein „Kosten besonderer Maßnahmen nichtinvestiver Art, die zur Verwirklichung des Investitionszwecks erforderlich sind und der Sicherstellung der Qualität und der Leistungsfähigkeit des Bildungswesens dienen (u. a. Aufbau einer Systemadministration, Schulung des pädagogischen Personals bei Investitionen beispielsweise in die digitale Bildungsinfrastruktur, Finanzierung spezieller personeller Ausstattung, die unmittelbar zur Verwirklichung des Investitionszwecks erforderlich ist, die Entwicklung gemeinsamer Bildungsstandards im geförderten Investitionsbereich)“.41 Insgesamt käme es trotz gegenteiliger Beteuerungen zu einem erheblichen Eingriff in die Bildungshoheit der Länder. Dazu kommt, dass „für die regelmäßig mit der Planung und Umsetzung eines Investitionsprogramms einhergehenden Verwaltungskosten sowie für allgemeine 39 

BT-Drs. 19/3440, S. 10. Jasper von Altenbockum/Rüdiger Soldt, FAZ Nr. 213 vom 13. 9. 2018, S. 9. 41  BT-Drs. 19/6144, S. 16. 40 

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Folgekosten … weiterhin die allgemeinen finanzverfassungsrechtlichen Regelungen (Artikel 104a Absatz 1 und Absatz 5 Satz 1 GG)“ gelten sollen.42 Auch das Erfordernis der gesamtstaatlichen Bedeutung der Investitionen bringt kaum eine Begrenzung. Wenn aber überhaupt, dann eine solche zu Lasten der Länder: Die Begründung des Gesetzentwurfs beinhaltet eine Definition des Begriffs „gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen“. Demnach sind Investitionen gesamtstaatlich bedeutsam, wenn sie in ihrer Gesamtheit von erheblichem Gewicht für die Gewährleistung einer zukunftstauglichen Bildungsinfrastruktur im gesamten Bundesgebiet sind.43 Die Förderfähigkeit wird in der Begründung weiterhin auf Investitionen beschränkt, die in allen Ländern auf vergleichbare Weise infrastrukturelle Handlungsbedarfe auslösen und von den Ländern und Schulträgern nicht allein finanziert werden können und deshalb eine bundesweite, abgestimmte finanzielle Hilfe erfordern. Zusätzlich soll auch gewährleistet werden, dass durch die förderfähigen Investitionen ein struktureller und überregionaler Mehrwert für den gesamten Bildungsstandort Deutschland geschaffen wird.44 Diese in der Begründung des Gesetzentwurfs vorgeschlagene Definition würde es nach Auffassung der Länder dem Bund ermöglichen, die Verwendungsbereiche für die Finanzhilfen konkret zu definieren und zu steuern. Die aus Sicht der Länder elementare Berücksichtigung länderspezifischer oder regionaler Besonderheiten bei der Steuerung der für den Ausbau der Bildungsinfrastruktur erforderlichen Investitionen wäre dagegen nach deren Ansicht nicht gewährleistet.45 3.  Fehlende Erforderlichkeit des weitgehenden Steuerungsrechts des Bundes Auch bei der Neufassung des Art. 104c GG bleibt dem Bund in entsprechender Anwendung des Art. 104b Abs. 2 S. 2 und S. 3 GG das Treffen von Bestimmungen über die Ausgestaltung der jeweiligen Investitionsprogramme der Länder an Hand festgelegter Kriterien erlaubt. Außerdem kann der Bund weiterhin, um die zweckentsprechende Verwendung der Mittel zu gewährleisten, bei allen Landesund Kommunalbehörden Erhebungen durchführen und verlangen, dass Bericht erstattet wird und Akten vorgelegt werden (Art. 104c S. 2 i.V.m. Art. 104b Abs. 2 S. 4 GG). Die Verwendung der befristet zu gewährenden Mittel ist in regelmäßigen Zeitabständen zu überprüfen (Art. 104c S. 2 i.V.m. Art. 104b Abs. 2 S. 5 GG). Da künftig die flächendeckende Unterstützung von Ländern und Kommunen bei 42  BT-Drs. 19/6144, S. 16; vgl. auch von Altenbockum/Soldt (Fn. 40), FAZ Nr. 213 vom 13. 9. 2018, S.  9. 43 BT-Drs. 19/3440, S. 10; zur fehlenden Praxistauglichkeit des Begriffs Siekmann (Fn. 2), in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 104c Rn. 16. 44  BT-Drs. 19/3440, S. 10. 45  Vgl. Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 19/3440, S. 14.

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Investitionen in die Bildungsinfrastruktur durch den Bund erlaubt sein soll und nicht mehr allein die Unterstützung finanzschwacher Kommunen, stellt sich die Frage nach der Erforderlichkeit und Angemessenheit dieses weitgehenden Steuerungsrechts des Bundes nunmehr mit besonderer Schärfe. 4.  Durchbrechung des verfassungsrechtlichen Regel-AusnahmeVerhältnisses von aufgabenangemessener vertikaler Steuerverteilung zur ausnahmsweise gegebenen Befugnis zu Investitionshilfen des Bundes Es trifft zu, wenn resümierend festgestellt wird, das alle Versuche, für Investitionsnotwendigkeiten der Länder und Kommunen im Bereich der Bildungsinfrastruktur eine Mitfinanzierungskompetenz des Bundes zu begründen, verfassungsrechtlich und -politisch ins Leere gehen müssen.46 Anders als bei Investitionshilfen zum Ausgleich unterschiedlicher Wirtschaftskraft im Bundesgebiet oder ggf. auch noch für Investitionen finanzschwacher Kommunen kann für die Investitionsbedürfnisse aller Länder und Kommunen nur gelten, dass der de constitutione lata gebotene Finanzierungsweg eine länderfreundliche Revision des Verhältnisses der Beteiligung von Bund und Ländern an der Umsatzsteuer gemäß Art. 106 Abs. 3 S. 4, Abs. 4 S. 1 GG ist47 – wie er etwa im KiTa-Gesetz auch eingeschlagen wurde. Unter der geltenden Finanzverfassung der Grundgesetzes ist der Bund dagegen nicht legitimiert, Ländern und Kommunen für die Erfüllung ihrer Aufgaben notwendige Steueranteile vorzuenthalten, um sodann eine eigene Mitfinanzierungkompetenz für diese Aufgaben mit der Begründung in Anspruch zu nehmen, dass die gebotenen Handlungsbedarfe von Ländern und Kommunen finanziell allein nicht zu bewältigen seien.48 Der verfassungsändernde Gesetzgeber kann demgegenüber natürlich grundsätzlich die Finanzverfassung ändern, bis zur Grenze des Art. 79 Abs. 3 GG. Insofern ist bedeutsam, dass die geplante Erweiterung des Art. 104c GG die Kommunal- und die Bildungspolitik anspricht, die zu den „Herzstücken“ eigener Aufgaben der Länder gehören.49 Dennoch: Was Siekmann bereits im Hinblick auf die im Zuge der Finanzreform 2017 vorgenommene Einfügung des heutigen Art. 104c GG festgestellt hat, nämlich, dass selbst unter Berücksichtigung der zeitgleich erfolgten Modifikationen von Art. 104b Abs. 2 und Art. 114 GG sowie der Einfügung von Art. 91e Abs. 2 GG die Staatlichkeit 46 

Henneke (Fn. 27), DVBl. 2018, 817 (821). Henneke (Fn. 27), DVBl. 2018, 817 (821 f.); vgl. allgemein Rudolf Wendt, Umsatzsteuerverteilung zwischen Bund und Ländern. Anwendung des Deckungsquotenverfahrens und die Frage getrennter Regelkreise beim Familienleistungsausgleich, 2002. 48  Henneke (Fn. 27), DVBl. 2018, 817 (822). 49 So Siekmann (Fn. 2), in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 104c Rn. 4, bereits zur heutigen Fassung des Art. 104c GG. 47 

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der Länder noch nicht so weit entkernt worden sein dürfte, dass ein Verstoß gegen Art. 79 Abs. 3 GG vorläge,50 dürfte auch für die Erweiterung des Art. 104c GG gelten: Die Staatlichkeit der Länder dürfte auch durch diese Erweiterung noch nicht derart in ihrem Kern getroffen sein, dass Art. 79 Abs. 3 GG ihr entgegenstünde.51 Käme es zu der vorgesehenen Änderung des Art. 104c GG, würde allerdings das verfassungsrechtliche Regel-Ausnahme-Verhältnis von aufgabenangemessener vertikaler Steuerverteilung zur ausnahmsweise gegebenen Befugnis zu Investitionshilfen des Bundes für die Aufgabeneerfüllung der Länder und Kommunen aus den Angeln gehoben.52 Es gibt daher keinen Grund, die weitere Abweichung von dieser wohlbegründeten Grundregel als Fortsetzung des Ausstiegs aus dem sog. „Kooperationsverbot“ zu feiern, womit in Wahrheit nur die klare Verteilung und Abgrenzung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern in der Bildungspolitik gemeint sind53 – wobei klare Zuständigkeiten ja gerade den Blick für Prioritäten und für die Finanzierbarkeit der Aufgaben schärfen sollen.54 Sehr deutlich hat der Bundesrechnungshof betont, dass die angestrebte Änderung des Art. 104c GG dem Grundsatz der Subsidiarität und Eigenverantwortlichkeit widerspricht, die Konturen der föderativen Grundstruktur weiter auflöst und die Länderverantwortung aushöhlt. Gerade die Zielgerichtetheit und Zweckbindung der Förderung brandmarkt er als Eingriff in die Aufgabenwahrnehmung der Länder. Der Bund ist jedoch nicht Aufsichtsorgan über die Länder bei deren ureigenen Aufgaben.55 5.  Widerstand der Länder Der Bundestag hat inzwischen das Gesetz zur Änderung von Art. 104c GG in der von seinem Haushaltsausschuss vorgeschlagenen Fassung am 29. November 2018 verabschiedet.56 Der Widerstand der Länder formierte sich sehr spät und mündete am 14. Dezember 2018 in eine – sehr seltene – einmütige Ablehnung des Gesetzes durch den Bundesrat und die Anrufung des Vermittlungsausschusses mit dem Ziel einer „grundlegenden Überarbeitung“ des Gesetzentwurfs.57 50 

Siekmann (Fn. 2), in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 104c Rn. 4. Vgl. auch Schwarz (Fn. 15), DÖV 2018, 125 (133). 52  Henneke (Fn. 27), DVBl. 2018, 817 (822). 53  von Altenbockum/Soldt (Fn. 40), FAZ Nr. 213 vom 13. 9. 2018, S. 9. 54 Vgl. Jasper von Altenbockum, FAZ Nr. 275 vom 26. 11. 2018, S. 1. 55  Bericht des Bundesrechnungshofes an den Haushaltsausschuss des Deutschen Bundestages nach § 88 Abs. 2 BHO zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 104c, 104d, 125c, 143e), BT-Drs. 19/3440 vom 28. 9. 2018, S. 5, 11, 13, 19, 21. 56  BT, Plenarprotokoll 19/68, S. 7715. 57  Pressemitteilung des Bundesrates vom 14. 12. 2018, BT-Drs. 19/6612. 51 

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Grund für diese Entscheidung war nicht nur die wachsende Einsicht in die massive Entwertung der nur scheinbar fortbestehenden umfassenden Sachbefugnis der Länder und Kommunen dadurch, dass der Bund mit fünfmal einer Milliarde Euro für die Jahre 2019 bis 2023 winkt und sich hiermit auf Dauer die Befugnis der Steuerung des Bildungswesens über Geld erkauft.58 Die Ablehnung wurde vielmehr maßgeblich, wenn nicht entscheidend59 auch dadurch befördert, dass in Umsetzung des gleichsam in letzter Minute eingebrachten Änderungsantrags des Haushaltsausschusses mit der Einfügung eines neuen Halbsatzes 1 in Satz 5 des Art. 104b Abs. 2 GG – der über Art. 104c S. 2 GG auch für die Investitionen im Bereich der Bildungsinfrastruktur anwendbar ist – hinsichtlich der Finanzhilfen für besonders bedeutsame Investitionen der Länder allgemein sichergestellt werden soll, dass die Länder mindestens die Hälfte der öffentlichen Investitionen in dem von der Finanzhilfe erfassten Investitionsbereich selbst tragen.60 Damit wird bereits vor Inkrafttreten des neuen Art. 104c GG der Eingriff in die Aufgabenwahrnehmung der Länder verschärft. Die finanzstarken Länder wenden gegen die weitgehende Kofinanzierungsverpflichtung ein, sie nehme ihnen das ureigene Recht, über ihren Haushalt zu verfügen; die finanzschwächeren Länder erklären, sie könnten ihren Anteil nie und nimmer bezahlen, würden gleichsam um Bundesmittel betrogen und fielen noch weiter zurück.61 Es bleibt abzuwarten, ob die Widerstandsfront der Länder hält.

III.  Weitere Schritte: Einfügung eines Art. 104d GG, Änderung des Art. 125c GG Ist der Rubikon einmal überschritten, gibt es kein Halten mehr. So sind im Zusammenhang mit der beabsichtigten Modifizierung des Art. 104c GG die Einfügung eines neuen Art. 104d und die Änderung des Art. 125c GG geplant. Art. 104d GG soll es dem Bund ermöglichen, die Länder künftig wieder durch zweckgebundene Finanzhilfen in die Lage zu versetzen, dem Mangel an bezahlbarem Wohnraum entgegenwirken zu können. Durch die Änderung des Art. 125c GG soll eine Erhöhung der Mittel für das Gemeindeverkehrsaktivierungsgesetz 58 

Hans-Günter Henneke, FAZ Nr. 278 vom 29. 11. 2018, S. 6. Heike Schmoll, FAZ Nr. 291 vom 14. 12. 2018, S. 5; Jasper von Altenbockum, FAZ Nr. 292 vom 15. 12. 2018, S. 10. 60  BT-Drs. 19/6144, S. 5, 16; durch eine dem Änderungsantrag hinzugefügte Übergangsregelung soll sichergestellt werden, dass solche Finanzhilfen, die auf einer bis zum 31. Dezember 2019 in Kraft getretenen Regelung beruhen und keine mindestens hälftige Mitfinanzierung der Länder in dem von der Finanzhilfe erfassten Investitionsbereich vorsehen, beibehalten werden können (Art. 125c Abs. 3 GG). 61 Vgl. Frank Pergande, Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung Nr. 51 vom 23. 12. 2018, S.  10. 59 Vgl.

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vor 2015 und ihre dynamisierte Fortsetzung für Neu- und Ausbaumaßnahmen ermöglicht werden. Werden auch diese Verfassungsänderungen entsprechend dem Votum des Bundestages verwirklicht, käme es bei den Investitionshilfen im Bereich des sozialen Wohnungsbaus und bei der Gewährung von Mitteln für das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz ebenfalls zu einer Ausweitung der Bundeskompetenzen, nämlich verschärften Einwirkungsmöglichkeiten des Bundes gemäß Art. 104b Abs. 2 GG. Beide Regelungen widersprechen zudem den Grundprinzipien des Art. 104b Abs. 1 und Abs. 2 S. 5 2. Halbsatz und Satz 6 GG.62 Für den sozialen Wohnungsbau besteht seit der Föderalismusreform I im Jahre 2006, die die vorherige Gesetzgebungskompetenz des Bundes in Art. 74 Abs. 1 Nr. 18 GG aufhob, ebenfalls eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz der Länder. Bis Ende des Jahres 2019 gewährt der Bund investiv gebundene, in der jüngeren Vergangenheit mehrfach erhöhte Entflechtungsmittel. Der seit dem Jahre 2007 vom Bund auf der Grundlage von Art. 143c GG und § 3 des Entflechtungsgesetzes63 gezahlte diesbezügliche Betrag in Höhe von zunächst 518,2 Mio. € jährlich beläuft sich im Jahre 2019 auf 1,0182 €. Er ist bereits im Jahre 2017 für die Zeit ab dem Jahr 2020 in einen dauerhaften Umsatzsteuerfestbetrag für die Länder umgewandelt worden. Für die vorgesehene Verfassungsergänzung um Art. 104d GG besteht daher kein Regelungsbedürfnis; sie ist verfassungsstrukturell sogar schädlich, weil darin als weitere Ausnahme vom Grundsatz des Art. 104b GG vorgesehen ist, dass das dortige Degressions- und Befristungsverbot für den sozialen Wohnungsbau nicht gelten soll.64 In der Begründung des Gesetzentwurfs wird ausdrücklich erklärt, dass „auf die Vorgabe einer Befristung und degressiven Ausgestaltung der Finanzhilfen … in Abweichung zu den Finanzhilfen nach Artikel 104b GG … verzichtet (wird). Damit ist es dem Bund möglich, nach Maßgabe des Haushaltsgesetzes mit Finanzhilfen zu einer langfristigen Verstetigung des sozialen Wohnungsbaus in Deutschland beizutragen.“65 Allerdings sollen auch hier die Länder mindestens die Hälfte der öffentlichen Investitionen in dem von der Finanzhilfe erfassten Investitionsbereich selbst tragen (Art. 104d S. 2 i.V.m. Art. 104b Abs. 2 S. 5 1. Halbsatz GG). Im Gesetzentwurf wird die Gewährung von Finanzhilfen gemäß Art. 104d GG ebenfalls auf gesamtstaatlich bedeutsame Investitionen der Länder und Gemeinden (Gemeindeverbände) beschränkt. Aus diesem Grund gilt die oben beschriebene Problematik, die aus der im Gesetzentwurf vorgenommenen Definition des 62 

Henneke (Fn. 27), DVBl. 2018, 817 (817). zur Entflechtung von Gemeinschaftsaufgaben und Finanzhilfen (Entflechtungsgesetz – EntflechtG) vom 5. 9. 2006 (BGBl. I S. 2098, 2102), zuletzt geändert durch Gesetz vom 1. 12. 2016 (BGBl. I S. 2755). 64  Henneke (Fn. 27), DVBl. 2018, 817 (822). 65  BT-Drs. 19/3440, S. 11. 63  Gesetz

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Begriffs der gesamtstaatlich bedeutsamen Investitionen erwächst, entsprechend auch für die Gewährung von Finanzhilfen zur Förderung des sozialen Wohnungsbaus. Die Definition würde es auch hier dem Bund ermöglichen, die Verwendungsbereiche für die Finanzhilfen konkret zu definieren und zu steuern. Die aus Sicht der Länder elementare Berücksichtigung länderspezifischer oder regionaler Besonderheiten bei der Steuerung der für die soziale Wohnraumförderung erforderlichen Investitionen wäre dagegen nicht gewährleistet.66 Darüber hinaus wird in Art. 104d S. 2 GG auch für den Bereich des sozialen Wohnungsbaus neben der mindestens fünfzigprozentigen Kostenbeteiligung der Länder gemäß Art. 104b Abs. 2 Satz 5 erster Halbsatz GG und der Kontrollbefugnis gemäß Art. 104b Abs. 2 S. 4 GG die entsprechende Anwendung des Absatzes 2 Sätze 2 und 3 des Art. 104b GG angeordnet und damit dem Bund wiederum das Treffen von Bestimmungen über die Ausgestaltung der jeweiligen Investitionsprogramme der Länder an Hand festgelegter Kriterien erlaubt. Da auch hier der Bereich einer ausschließlichen Gesetzgebungsbefugnis der Länder betroffen ist, stellt sich auch hier wieder die Frage nach der Erforderlichkeit und Angemessenheit dieses weitgehenden Steuerungsrechts des Bundes im Bereich einer ausschließlichen Gesetzgebungsbefugnis der Länder.67 Für den Bereich des sozialen Wohnungsbaus soll mithin künftig gelten: Jenseits aller sonstigen Verfassungsbestimmungen wird der Bund nach Art. 104d GG ermächtigt, • auf einem Feld, auf dem er weder Gesetzgebungs- noch Ausführungskompetenzen hat, • ohne dass damit konjunktur-, regional- oder strukturpolitische Ziele verfolgt werden müssen, • dauerhaft an eine fünfzigprozentige Kostenbeteiligung der Länder gebundene Finanzhilfen für Investitionen zu gewähren, • deren programmliche Ausgestaltung er regeln darf und • deren zweckgebundene Verwendung er behördlicherseits und durch den Bundesrechnungshof vor Ort kontrollieren darf. Dies wäre in mehrfacher Hinsicht ein weiterer krasser Bruch mit überkommenen Prinzipien der Finanzverfassung.68 Die nach der hinsichtlich der Gewährung von Mitteln für das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz erst zuletzt im Jahre 2017 erfolgten Neuregelung des Art. 125c Abs. 2 GG vom Bundestag beschlossene erneute Änderung der Vorschrift wird damit begründet, dass mit dem Wegfall der so genannten „Versteine66 

Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 19/3440, S. 14. Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 19/3440, S. 15. 68  Henneke (Fn. 27), DVBl. 2018, 817 (822); kritisch auch Seiter, ZG 2018, 329 (332 f.). 67 

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rungsklausel“ in Art. 125c Abs. 2 S. 3 GG entsprechend einer Verständigung im Rahmen der Koalitionsverhandlungen eine sofortige Erhöhung der Mittel für das Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetz bis zum Jahr 2021 auf jährlich eine Milliarde Euro und ihre dynamisierte Fortsetzung für Neu- und Ausbaumaßnahmen bei Erstreckung der Kontrollrechte des Art. 104b Abs. 2 S. 4 GG auf diese Finanzhilfen ermöglicht werden soll.69 Angesichts der darin liegenden Ausweitung des Spielraumes der Bundesregierung zur Gewährung von Finanzhilfen hatte der Bundesrat vergeblich gefordert, zukünftige Änderungen des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes von der Zustimmung des Bundesrates abhängig zu machen.70 Die Erstreckung der Kontrollrechte des Art. 104b Abs. 2 S. 4 GG auf die Finanzhilfen hatte er ohne Erfolg mit dem Argument abzuwehren versucht, hierdurch werde die Ausführung des Gemeindeverkehrsfinanzierungsgesetzes durch die Länder faktisch in Bundesauftragsverwaltung überführt, obwohl die ansonsten erforderlichen Voraussetzungen für die Bundesauftragsverwaltung nicht vorlägen.71 Auch von kommunaler Seite, also ausgerechnet bei den vermeintlichen Nutznießern der beabsichtigten Grundgesetzänderungen, wird im Hinblick auf die drei Reformvorschläge zu Recht von einer „Zentralisierung per Salamitaktik“ gesprochen.72

IV.  Resümee Dass mit der im Rahmen des Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes vom 13. Juli 2017 erfolgten Einfügung des Art. 104c in das Grundgesetz der Bund in einem Bereich ausschließlicher Landesgesetzgebung eine – nicht nur ausnahmsweise für akute Notsituationen geltende – Investitionshilfekompetenz erhalten hat, läuft der Intention der Föderalismusreform I zuwider, die im Interesse der Entflechtung der Verantwortlichkeiten von Bund und Ländern die Bundesinvestitionshilfekompetenz gerade in dieser Hinsicht hatte einschränken wollen, und wird zu Recht als verfassungspolitisch verfehlte Beschränkung der Länderautonomie kritisiert. Die skizzierten drei weiteren nunmehr beabsichtigten Grundgesetzänderungen würden zu einem weiteren Zentralisierungsschub und zu weiteren Brüchen mit Grundprinzipien der bundesstaatlichen Finanzverfassung führen. An diesen im Koalitionsvertrag vereinbarten Grundgesetzänderungen

69 

BT-Drs. 19/3440, S. 11, 16. Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 19/3440, S. 17 f. 71  Stellungnahme des Bundesrates, BT-Drs. 19/3440, S. 18; kritisch auch Seiter, ZG 2018, 329 (333). 72  von Altenbockum/Soldt (Fn. 40), FAZ Nr. 213 vom 13. 9. 2018, S. 9. 70 

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hat sich daher von Anfang an ein grundsätzlicher Streit über die Gestalt des Föderalismus des Grundgesetzes entzündet. Wenn dem Bund in Fortsetzung der jüngeren Entwicklung erlaubt würde, nahezu beliebig Finanzmittel auf die Kommunen zu übertragen und zugleich weitgehende Ausgestaltungs-, Kontroll- und Überprüfungsmöglichkeiten in Anspruch zu nehmen, würde sich politisch die Frage stellen, warum er künftig überhaupt noch darüber nachdenken sollte, Steueranteile, die selbstverwaltungsfördernd sein könnten, auf die Kommunen zu übertragen, wenn doch dieser flächendeckende Weg des Einbruchs in kommunale und Länderkompetenzen möglich wäre und Kon­t rollrechte über die Mittelverwendung flächendeckend gegeben wären.73 Die Antwort hierauf kann nur die sein, die Helmut Siekmann im Blick auf Art. 104c GG gibt:74 „Wenn tatsächlich die Bildungsinfrastruktur aus Mangel an Finanzmitteln in allen Bundesländern Defizite aufwiese, wäre der systematisch richtige Weg, die für die Bundeshilfen nach Art. 104c GG bereit gestellten Mittel zur Verbesserung der allgemeinen Finanzausstattung der Bundesländer zu … (verwenden). Wenn sich dann aber die Leitung eines Gliedstaates entscheiden sollte, die Mittel für andere Zwecke als die Bildungsinfrastruktur zu verwenden, wird das idealiter den Präferenzen ihrer Wähler entsprechen und wäre prinzipiell zu akzeptieren. Es ist eines der Wesensmerkmale des Föderalismus, dass die dezentralen Einheiten auch Entscheidungen treffen können und dürfen, die sich aus Sicht der Zentrale als gravierende Fehler darstellen. Da es aber keine objektiven Wahrheiten gibt, ist zumindest theoretisch anerkannt, dass die Entscheidungsfindung durch mehrere dezentrale Einheiten trotz nicht zu leugnender Friktionen und Reibungsverluste erhebliche Vorteil aufweist. Das ist einer der Gründe für die Existenz dezentral organisierter Staatswesen, wie der Bundesstaaten.“

73 Zutreffend 74 

Hans-Günter Henneke, Der Landkreis 2018, 290 (298). Siekmann (Fn. 2), in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Art. 104c Rn. 18.

Joël Monéger: Contribution de la Cour de justice de l’Union européenne à un urbanisme commercial raisonné: le retour du commerce au centre des villes

Contribution de la Cour de justice de l’Union européenneà un urbanisme commercial raisonné: le retour du commerce au centre des villes Joël Monéger Joël Monéger Contribution de la Cour de justice de l’Union européenne à un urbanisme commercial raisonné: le retour du commerce au centre des villes

„Ich bin allein, und frag: Warum? Die Tage gehen mir nicht aus dem Sinn Und ich frag mich: Warum?“

Phil Spector-Nicolas, 1960 par Camillo 1.  Quelle étrange approche d’un sujet aussi sérieux que celui de l’apport de la Cour de justice de l’Union européenne à la mise en œuvre d’une législation aussi technique que celle de l’urbanisme commercial que d’évoquer cette chanson des années soixante!1 La voix grave de Camillo évoque l’époque des études juridiques du récipiendaire. Elle souligne aussi l’adaptation du droit dans nos sociétés. Dans nombre de pays de l’Union européenne, dans les années soixante, les consommateurs, ont aimé les grands magasins construits à la périphérie des villes. Insouciants, hier; préoccupés aujourd’hui, ils pleurent. En effet, trop souvent, ces zones commerciales ont défiguré les entrées des villes les plus belles. Die Tage gehen mir nicht aus dem Sinn (Les jours défilent à contresens). Les citoyens demandent à leurs élus de redonner vie aux «centres-villes». Il faut que ceux-ci édictent les mesures permettant de limiter les inconvénients esthétiques et écologiques des «zones commerciales» et redonnent vie aux rues des centres-villes. C’est un appel au joueur de flûte de Hamelin,2 non pour chasser les rats; mais, plus sereinement, réguler les installations commerciales, dans et hors la ville. 2.  Le phénomène n’a pas la même ampleur dans tous les États de l’Union européenne. L’histoire politique a, dans une importante partie de l’Union Européenne, retardé l’éclosion des Malls, des Commercial Centers, des grands hangars de 1  Le récipiendaire, maître de la régulation monétaire et grand constitutionnaliste, me pardonnera de ne pas lui écrire des belles lignes sur le droit monétaire. Mieux valait lui dédier quelques lignes dotées de sens que de lui révéler un degré d’incompétence qu’il a bien voulu ignorer jusqu’alors. 2  Une inscription de 1602 trouvée à Hamelin rappelle l’événement: «Anno 1284 am dage Johannis et Pauli – war der 26, junii – Dorch einen piper mit allerei farve bekledet – Gewesen CXXX kinder verledet binnen Hamelen geboren – To calvarie bi den koppen verloren».

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vente. Aux Pays-Bas, en Belgique, en Espagne, en France et, dans une moindre mesure en Allemagne, le mal est ancien. Les lois et règlements visant à limiter le développement des tentacules qui étouffent, de l’extérieur, le commerce des centres-villes et y tuent la vie sociale, sont récentes. Longtemps, au moins en France, la régulation a été peu contraignante. L’état des centres-villes dans les villes moyennes est tellement inquiétant que le gouvernement et le parlement tentent depuis peu de remédier au mal. Le droit de l’urbanisme est l’un des outils d’une nouvelle régulation des implantations commerciales: Die Tage gehen mir nicht aus dem Sinn sussure à nouveau Camillo. La mise en place d’un droit, national ou régional, de l’urbanisme commercial conduisant à limiter la liberté d’implantation des magasins, dans ou hors les villes, dans des économies qui reposent sur la liberté économique, ne pouvait être aisée. Elle ne l’est toujours pas. Les normes juridiques, nationales, régionales ou locales, visant la régulation des implantations commerciales se sont heurtées aux principes fondamentaux du droit national et, du droit de l’Union européenne. En particulier, vont être évoqués contre ce nouveau droit de l’urbanisme commercial les libertés inscrites dans les Traités européens: liberté d’établissement, libre prestation de service. Les nouvelles régulations ont, très généralement, été approuvées par les juridictions constitutionnelles; ou n’ont subi que quelques amendements. En effet, les Cours constitutionnelles laissent aux gouvernements et aux Parlements nationaux une assez grande marge de manœuvre. L’appréciation de leur conformité aux dispositions du Traité européen et aux directives n’a été évoquée devant les juges nationaux que très récemment. 3.  Certains États, aux premiers rangs desquels, l’Espagne, du moins pour la Région de Catalogne, et plus récemment la France, ont rejoint les Pays-Bas, et développent une sensibilité à la qualité urbanistique et à la sauvegarde des centresvilles et des commerces qui y sont implantés. Au nom de l’intérêt général sont enfin encadrées les implantations commerciales. La France a été, à cet égard, très frileuse jusqu’en 2018. Les dispositions restrictives qui prévoyaient un contrôle préalable ou une planification géographique des installations n’ont guère été efficaces. Les dispositions d’urbanisme n’impliquaient aucune appréciation économique de la nature des commerces. 4. Depuis quelques années, comme dans les arrêts du 26 avril 2018 (aff. C-233/16) relatif au système catalan, et du 30 janvier 2018, ces derniers rendus en grand chambre (aff. C-360 – 15 et C-31/16), les autorités ont tenté de réguler les implantations commerciales au moyen de normes fiscales ou urbanistiques, afin de distinguer les établissements commerciaux selon leur taille et le tissu commercial existant, accompagnées de dérogations selon la nature des activités économiques des entreprises concernées. Les règlementations évaluées par la Cour de Justice prévoient que certains commerces, telle la vente d’automobiles ou celle de matériaux de construction bénéficiaient, soit de dérogation – cas catalan –, soit

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au contraire d’une interdiction d’implantation en centre-ville comme aux PaysBas. Ces nouvelles normes, nationales ou régionales, n’ont pas manqué d’être contestées par les promoteurs des «zones commerciales», au nom de la liberté économique et de la libre installation dans les différents États membres de l’UE. Les demandeurs ont tenté de faire juger que les normes en cause rendaient plus difficile l’installation des entreprises venant d’autres États de l’Union. 5.  Le droit de l’Union pouvait-il venir au secours des entreprises dont le développement se trouvait contrôlé ? On sait que les juges nationaux doivent saisir pour avis la Cour de Justice de l’Union, lorsqu’ils y sont invités. La Cour de Justice, dans un arrêt de la 5e chambre de la CJUE du 4 octobre 2018 a jugé qu’ils ne pouvaient omettre de le faire.3 La France a été condamnée, sur le fondement de l’article 267, alinéa 3 du TFUE, pour manquement, faute pour le Conseil d’État d’avoir interrogé une seconde fois la Cour de Justice, alors que la complexité des procédés fiscaux à mettre en œuvre à la suite d’une première question préjudicielle aurait dû l’y conduire. 6.  Les réponses ont varié en fonction des fondements juridiques choisis: liberté d’établissement ou libre prestation de services, et enfin, droit de l’urbanisme et de l’environnement. En détournant la formule d’un romancier anglais, David Lodge, la question qui se posait dans ce domaine était de savoir «jusqu’où peuton aller trop loin?»4 sans porter atteinte aux libertés fondamentales inscrites aux Traités. Les réponses fournies par la CJUE étaient très attendues dans la mesure où, traditionnellement, les États membres estiment que ce qui touche à l’immobilier ne peut être régi que par le droit national. 7.  La Cour de Justice, dans ces arrêts de grande importance, fournit aux juges nationaux, un vade-mecum qui leur permet de mesurer la pertinence des normes nationales qui régissent la création de zones et de centres commerciaux à l’aune des dispositions établies par les traités, les règlements et directives. Elle ouvre aux États membres un champ d’action nouveau en la matière en validant l’idée que des motifs impérieux d’intérêt général peuvent fonder des restrictions à la libre implantation des entreprises. 8.  Déjà, le 24 mars 2011, dans une autre espèce,5 la Commission avait contesté, avec succès, devant la Cour de Justice, sur le fondement de la liberté d’établissement, un texte émanant du Parlement catalan qui interdisait l’installation de nouveaux grands magasins ou centres commerciaux dans la région. Il ne faisait guère 3  CJUE, 4 octobre 2018 – Aff. C-416/17 – Commission/France sur les conclusions conforme de l’Avocat général M. Wathelet. V. D. Simon, Une première historique: La France condamnée en manquement pour défaut de renvoi préjudiciel par le Conseil d’État: Rev. Europe, nov. 2018, repère 10. 4  David Lodge, The British Museum is falling down, London 1965. 5  V. CJUE, 24 mars 2011 – Aff. C-400/08 – Commission UE/Espagne.

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de doute qu’une législation nationale empêchant des entreprises d’un autre Etat de s’installer à égalité avec les entreprises nationales sur le territoire du pays concerné, ne pouvait être considérée licite. Dans les affaires que l’on souhaite évoquer, la Cour a été interrogée par les Cours nationales néerlandaises et le tribunal suprême espagnol sur de nouvelles voies de régulation des implantations commerciales. 9.  Les premières affaires ont été portées devant la CJUE par le Hoge Raad der Nederlanden et le Raad van State, en 2015 et 2016. Sur les conclusions de l’Avocat général, M. Maciej Szpunar, du 18 mai 2017, deux arrêts de la grande chambre de la CJUE, ont été rendus, le 30 janvier 2018 (aff. jointes C-360/15 et C-31/16) sur le sens de la notion de «Services», telle qu’elle ressort de la directive n° 2006/123/ CE du 12 décembre 2006, du même nom,6 et son effet sur une réglementation des implantations commerciales, dans et hors la ville, selon leur nature. Le second renvoi préjudiciel émane du Tribunal Supremo de Madrid, dans une affaire (C-233/167), dans laquelle «l’Asociación Nacional de Grandes Empresas de distribución (ANGED)» agissait contre la Generalitat de Catalunya pour avoir créé un impôt spécifique (IGEC) auquel seuls les établissements commerciaux dépassant une certaine surface d’exploitation étaient assujettis. Sur les conclusions de l’Avocat général, Mme Juliane Kokott, présentées le 9 novembre 2017, la Cour a rendu ses arrêts, le 26 avril 2018. 10.  Les arrêts en cause sont forts importants pour les gouvernements des États membres, qu’ils soient ou non interventionnistes. En effet, les décisions sont rendues au vu des articles 49, 54 et 55 du TFUE relatifs aux restrictions admissibles à la liberté d’établissement, c’est-à-dire, selon l’Avocat général dans l’affaire catalane,8 «toutes les mesures qui interdisent, gênent ou rendent moins attrayant l’exercice de cette liberté» et à la libre prestation de services au sens de la directive 2006/123/CE. 11.  La Cour analyse, d’une part, la réglementation catalane utilisant l’outil fiscal; d’autre part, un règlement d’urbanisme commercial d’une ville des Pays-Bas; l’une et l’autre ayant pour objet de freiner l’installation de très grandes surfaces de vente hors la ville. Cette approche concerne aussi la France, qui, bien qu’en apparence attachée à l’interventionnisme étatique, a laissé proliférer les zones commerciales hors la ville et ne semble avoir inversé sa position que depuis très peu de temps pour contribuer «à la revitalisation des centres-villes».9 6 V. Jean-Marc Talau, Un outil de planification urbaine décisif pour la revitalisation commerciale du centre-ville: la directive services n’interdit pas d’interdire des commerces de détail en périphérie, JCP A 2018, 2192. 7  Plusieurs affaires ont été jointes: C-234/16, C-235/16, C236/16 et C-237/16. V. Laurence Idot, Rev. Europe 2018, n° 234. 8  Conclusions du 9 nov. 2017 dans l’affaire – C-233/16, § 27. 9 Une loi n° 2018  – 1021 du 23 novembre 2018 portant évolution du logement, de l’aménagement et du numérique (JO 24 nov. 2018 après le contrôle du Conseil constituti-

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12.  Les solutions qui découlent des arrêts ici analysés, dépassent les frontières des pays qui ont contribué à forger cette nouvelle jurisprudence européenne. En effet, la mode consistant à copier les pratiques commerciales américaines est remise en question par nombre de citoyens européens, au nom, non seulement de l’esthétique, mais aussi et surtout, de l’aménagement de villes plus écologiques et plus économes en transports.10 Si l’on a pu trouver le bonheur dans la société de consommation, celui-ci commence à se ternir face aux nouvelles données de la vie collective.11 Ceux qui ont un peu d’ancienneté mesurent combien les villes, surtout moyennes en taille, ont perdu, en charme et en vitalité. Nombre d’entre elles perdent leur tissu commercial du fait de l’aspiration des clients vers les «hangars» de la périphérie ou vers les achats en ligne.12 La ville reste, non seulement en sémantique, mais in concreto le lieu de vie. Si la ville n’est plus irriguée et structurée par les commerces de proximité, elle devient une ville-fantôme. Admettrait-on ce phénomène, comme cela a été et est toujours le cas aux Etats-Unis d’Amérique, au nom de la liberté économique, force serait alors de considérer que se pose, en Europe, la question de la maîtrise de l’espace, ne serait-ce qu’en termes d’investissements collectifs: voies de circulation, écoles, ou hôpitaux. 13.  Depuis ces arrêts de la Cour de justice, la France envisage, semble-t-il, une réforme profonde du droit de l’urbanisme commercial. Au-delà de la loi précitée du 23 novembre 2018,13 une proposition de loi, votée en juin 2018 au Sénat, entend onnel le15 nov. 2018) entend contribuer à un meilleur aménagement des villes. Par ailleurs, la Cour de cassation a, le 15 novembre 2018, saisi la CJUE pour s’assurer la conformité du droit pénal locatif pour infraction aux normes de classification des logements meublés affectés à l’habitation non permanente du type «airbnb» au regard de la directive «Services» 2006/123/CE du 12 déc. 2006. 10  A noter qu’aux Etats-Unis d’Amérique, la mutation est assez violente puisqu’en 2017, selon le site Enderby, 325 fermetures de grandes surfaces de vente représentant 35 millions de m2 ont eu lieu. Cela va représenter 5000 magasins. 11  Une étude menée en octobre 2018, en France, montre que les adeptes du commerce de proximité représentent 33% de la population (avec une surreprésentation des personnes de plus de 55 ans) et qu’ils sont culturellement et économiquement favorisés et plus sensibles que d’autres aux enjeux environnementaux alors que 20% (avec une surreprésentation des 18/24 ans) sont aux antipodes des autres et sont des exclusifs des centres commerciaux, voire des grands espaces commerciaux autour des grandes villes ou dans une forte concentration au cœur des villes. Toutefois, ils n’y trouvent pas le plaisir qu’on pu éprouver leurs parents, il y a vingt ou trente ans. 12  Une étude statistique menée en 2013, par l’observatoire Société et consommation (l’ObSoCo) s. dir. Ph. Moatti, permet de savoir que 2 Français sur 3 considèrent que les hypermarchés ont leur part de responsabilité dans la crise économique et sociale que connaît la France, alors même qu’ils continuent à fréquenter celui proche de chez eux (V.: www. lobsoco.com). 13 Citée supra, note 9.

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établir une nouvelle réglementation pour revitaliser les centres-villes.14 Il faudra que l’Assemblée nationale se décide à mettre à son ordre du jour la discussion du projet sénatoriale.15 À l’évidence, les arrêts ici observés viennent renforcer la pertinence d’une telle démarche. 14.  Au regard des aspects sociétaux et environnementaux que posent l’extension, dans une économie libérale, des zones commerciales, les décisions de la CJUE conduisent à constater que si les choix environnementaux et sociétaux liés à l’urbanisme commercial sont de la compétence des États membres, ces derniers peuvent à cet effet, dans les limites posées par le droit de l’Union, faire usage, d’une part, de la fiscalité (I.); d’autre part, de la régulation urbaine de l’implantation des commerces, comme outils régissant le développement de zones commerciales hors la ville (II.).

I.  L’adéquation de l’outil fiscal comme élément d’une régulation de l’implantation des commerces dans et hors la ville 15.  Dans l’affaire qui a opposé l’Association nationale des grandes entreprises de distribution (ANGED) à la «Generalitat de Catalunya», en Espagne, un impôt, l’IGEC «Impuesto sobre Grandes Establecimientos Comerciales» a été créé par le Parlement de la région autonome, par la loi n°16/2000 du 29 décembre 2000. Le fondement de l’impôt est la surface de vente. Dès lors qu’elle est égale ou supérieure à 2500 m2, à l’exception de certains commerces, tels, notamment, les jardineries, les établissements de vente de véhicules, de matériaux de construction, de machines et des fournitures industrielles, l’entreprise, personne physique ou personne morale, y est assujettie au prorata de la surface commerciale. Le législateur catalan, afin d’écarter les critiques susceptibles d’être faites à l’encontre de sa loi, avait précisé, dans la loi budgétaire du 30 décembre 2002, que le produit du nouvel impôt ne pouvait en aucun cas être destiné à des aides spécifiques aux entreprises de vente au détail installées dans la même zone ou dans la province. Il a indiqué que le produit de l’IGEC avait été affecté pour 40% au financement des infrastructures, et pour 10% aux plans d’action environnementaux et que le solde de 30% a servi au financement de plans de dynamisation commerciale dans les zones concernées sans discrimination.16 14  En France, en juillet 2016, un rapport sur la revitalisation commerciale des centres-villes établi par l’Inspection générale des finances et le Conseil général de l’environnement et du développement durable, a recommandé une décision européenne reconnaissant le caractère nécessaire de la protection des centres-villes. 15  Le mouvement dit des «gilets jaunes» qui a perturbé la circulation des véhicules et conduit à des scènes d’émeutes à deux reprises à Paris en novembre et début décembre 2018, s’inscrit, dans une certaine mesure, dans une demande du nécessaire maintien d’un tissu économique approprié à la vie des citoyens hors des métropoles. 16  Indications tirées des conclusions de Mme l’Avocat général, n° 11.

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16.  L’ANGED, ayant perdu ses recours devant les juridictions régionales, avait porté le litige, en 2013, devant la Commission européenne et devant le «Tribunal Supremo», la Cour suprême espagnole. De son côté, la Commission a considéré qu’aucune disposition du texte critiqué ne visait ou conduisait à favoriser une entreprise en particulier ou un secteur d’activité spécifique tel le «petit commerce urbain» puisqu’au contraire, seul «un objectif d’intérêt général» était visé. Dans une seconde plainte, l’ANGED avait tenté de convaincre, en vain, la Commission européenne, que dès lors que l’impôt en cause n’était perçu qu’à partir d’une surface commerciale de 2500 m2, il y avait un avantage économique accordé aux petites entreprises de vente au détail installées dans la même zone.17 L’argument, pour le moins spécieux, ne pouvait prospérer dès lors que les grandes entreprises bénéficiaient du même abattement fiscal. 17. Le tribunal supremo, saisi par l’ANGED, décida de demander, à titre préjudiciel, à la Cour de l’éclairer sur l’interprétation des articles 49, 54 et 107 TFUE. 18.  Les questions furent présentées ainsi qu’il suit: • Faut-il considérer comme discriminatoire un impôt qui ne s’applique pas lorsque les surfaces de vente utilisées sont inférieures au seuil de déclanchement, ni lorsqu’il s’agit d’un établissement commercial collectif alors même que le seuil de déclanchement est franchi, ni lorsqu’il écarte les jardineries et autres commerces visés dans la dérogation légale ? • Faut-il voir dans le procédé, une aide d’État au sens de l’article 107 du TFUE ? • Faut-il considérer que l’IGEC concerne plus les entreprises étrangères ? Les réponses étaient plus ou moins faciles à donner. 19.  D’abord, il est clairement apparu, à Mme l’Avocat général Kokott et à la Cour, que les articles 49 et 54 du Traité sur le fonctionnement de l’UE n’étaient pas applicables faute de restriction discriminatoire à l’égard d’entreprises étrangères ou nationales. En effet, le seuil de l’imposition critiqué comme discriminatoire est, en réalité, une exonération qui bénéficie à toutes les entreprises indépendamment de leur nationalité ou de leur taille. Toutefois, la Cour n’a pas suivi sur un point l’Avocat général en considérant, en bonne logique, que l’exonération des établissements collectifs, qu’elle avait estimé possible, permettait de leur conférer un avantage concurrentiel infondé. En effet, la conjonction d’entreprises de petites tailles dans un ensemble autonome doit conduire à considérer qu’elles ne forment plus qu’un seul établissement commercial. Le contournement de la loi au profit des grandes galeries commerciales ne pouvait selon la CJUE être accepté. 20.  Ensuite, la Cour va estimer, à la suite des conclusions de l’Avocat général, que, même s’il y avait une éventuelle discrimination entre les différentes entreprises, elle trouvait sa justification dans des «raisons impérieuses d’intérêt gé17 

Ibid, n° 12 à 15.

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néral». L’IGEC a, en effet, pour objectif l’aménagement du territoire et la protection de l’environnement. Or, il ne fait pas de doute que les grands établissements concourent à l’augmentation de l’imperméabilisation des sols, à l’augmentation de la circulation automobile et à la croissance des dimensions des infrastructures. Il est dès lors légitime qu’elles soient appelées à contribuer à la compensation des «effets externes négatifs» qui résultent de leur exploitation.18 21.  Enfin, la sélectivité en droit fiscal, qui soulève souvent de sérieuses difficultés, a été considérée comme légitime et conforme au droit de l’Union, dès lors que les conditions d’obtention des avantages prévus par les normes fiscales et urbanistiques catalanes, ne sont pas discriminatoires entre les opérateurs. Or, de facto, ils se trouvaient dans une situation juridique, sinon identique, du moins comparable. 22.  En définitive, la CJUE a entendu laisser aux États membres la possibilité de réguler par un usage raisonné de l’impôt, la création, l’implantation ou le développement des grands établissements commerciaux. Les objectifs d’aménagement de l’espace sur un territoire donné sont pertinents et doivent être respectés dès lors que les dispositions adoptées à cet effet, ne sont pas anormalement discriminatoires au profit de certaines des entreprises concernées. L’outil fiscal est ainsi considéré comme un outil légitime dès lors qu’il sert une politique écologique cohérente ou exprime une volonté équilibrée et raisonnée de revitalisation des zones commerciales traditionnelles. La Commission, longtemps très frileuse en la matière, a indiqué, dans une communication relative à la notion d’aide d’État», ce que la Cour de justice relève, qu’en la matière, les États membres étaient libres de décider de «répartir comme ils l’entendent la charge fiscale entre les différents facteurs de production».19 L’évolution de la Cour, au demeurant bienvenue à une époque de contestation d’un excès d’immixtion dans les politiques nationales ou régionales, a été très fermement confirmée dans une seconde salve d’arrêts dans lesquels, seules des dispositions propres à l’urbanisme local étaient en débat.

II.  L’adéquation de l’outil urbanistique pour mener une politique d’implantation des commerces dans et hors la ville 23.  Deux affaires transmises, le 5 juin 2015 et le 13 janvier 2016, l’une par le Hoge Raad der Nederlanden, la Cour suprême des Pays-Bas, l’autre par le Raad van State, le Conseil d’État néerlandais, ont été jointes lors de l’examen des renvois préjudiciels. En effet, les deux hautes juridictions s’interrogeaient sur l’applicabilité de la directive 2006/123 relative aux «services» dans le marché intérieur.

18 V. 19 

Juliane Kokott, concl. préc., n° 43 et s. V. point 156, JOUE 2016, C 262, p. 1.

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24.  La directive « Services » 2006/123/CE du 12 décembre 2006 dispose que les documents d’urbanisme dans les États membres peuvent comprendre l’interdiction pour les commerces de détail d’objets non volumineux de s’implanter dans des zones géographiques situées en dehors du centre-ville, pour autant que les conditions de non-discrimination, de nécessité et de proportionnalité soient satisfaites, sous le contrôle du juge national auquel le document a été déféré. À nouveau, les «raisons impérieuses d’intérêt général» à laquelle se réfère la directive sont apparues susceptibles de fonder une distinction entre les entreprises. Selon les termes de M. L’Avocat général Maciej Szpunar, repris par la Cour de Justice, «la protection de l’environnement et de l’environnement urbain y compris l’aménagement du territoire»20 sont des motifs pertinents. La formule adoptée est riche de potentialités et traduit un choix des juges européens de laisser aux États membres une marge de manœuvre suffisante pour conduire une politique environnementale appropriée, notamment pour satisfaire aux exigences des engagements pris dans le Traité de Paris de 2016 sur le climat. 25.  L’arrêt concernant la commune hollandaise d’Appingedam est le plus intéressant s’agissant de la place faite aux options environnementalistes et urbanistiques. 26.  En l’occurrence, le règlement local d’urbanisme de cette commune est à l’origine de la question posée par la Cour suprême des Pays-Bas. Dans ce pays, la réforme du droit de l’aménagement, entre 2006 et 2008, a, dans la ligne de la politique traditionnelle menée par les gouvernements successifs, réservé les zones périphériques aux commerces d’objets volumineux, tout en interdisant la grande distribution en dehors des zones existantes, afin de préserver le « caractère » des centres-villes aux Pays-Bas. À la différence de ce que l’on peut constater, au moins en France, les Néerlandais ne sont pas enclins à laisser les opérateurs économiques défigurer les entrées de leurs villes. Pour qui a constaté de visu l’état des entrées des villes en France, le modèle néerlandais du recours à la planification urbaine de l’implantation commerciale paraît d’une grande pertinence. C’est une ligne d’action qui a aussi été prise par le Conseil d’État belge.21 C’est la voie que semble privilégier le Parlement et le gouvernement français. L’idée majeure du législateur français consiste à suivre les critères aujourd’hui admis par la CJUE. 20 

Arrêts C-360/15 et C-31/16 de la Cour (Grand Chambre), 30 janvier 2018, spéc. § 13. CE, sect. cont. adm., 28 juin 2016, n° 235.268. Le Conseil d’État belge valide l’interdiction des «commerces alimentaires et d’équipement de la personne, qui sont des fonctions typiques du cœur de ville», dans une zone périphérique affectée aux «constructions pour activité économique mixte» du plan local d’aménagement d’une commune en Wallonie, afin de «donner toutes les chances au tissu commercial du centre de Waremme de se maintenir, notamment en évitant de créer en périphérie une offre attractive dans les secteurs typiques du «shopping urbain». 21  V.

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27.  La CJUE, dans les deux arrêts relatifs au droit de l’urbanisme néerlandais, précise l’applicabilité de la directive «Services» 2006/123/CE du 12 décembre 2006 à la planification urbaine. La Cour lève les doutes qui subsistaient sur la directive en usant de la méthode d’interprétation téléologique. 28.  D’abord, elle réaffirme que l’activité de commerce de détail de produits est un «service» (Pt 97) alors qu’il avait pu être soutenu que, par nature, la vente de biens n’est qu’un acte de transmission de marchandises. Que la solution soit ou non contestable sur le plan sémantique, elle est parfaitement fondée. En effet, le processus concret s’analyse comme le service de transmission d’un bien acquis ou fabriqué en vue de sa revente. Au-delà de l’objet lui-même, le processus de vente s’analyse en un service. De toute manière, l’activité commerciale est visée à l’article 57, d, du TFUE fixant le contenu de la notion de «service». Le considérant 33 de la directive «services» précise son application à «une grande variété d’activités en constante évolution parmi lesquelles on retrouve […] les services fournis à la fois aux entreprises et aux consommateurs […], la distribution …». Le considérant 47 vise le commerce, pour justifier l’exigence, «d’une autorisation propre à chaque établissement, par exemple pour chaque implantation de grandes surfaces commerciales». La Cour se devait de tenir compte en totalité de l’article 57 du Traité sur le fonctionnement de l’UE mentionnant les activités commerciales. La Cour en déduit que les règles d’un document d’urbanisme «concernent non pas les biens en tant que tels, mais les conditions d’implantation géographique d’activités portant sur la vente des dits biens ou de certains d’entre eux. Partant, la réglementation discutée fixe les conditions d’exercice de ces activités». La Cour ajoute, avec raison, que l’imbrication entre la vente de biens et les services offerts aux consommateurs pour les inciter à acheter, est devenue extrêmement complexe et qu’il est très difficile de les distinguer. C’est d’ailleurs l’un des arguments avancés récemment par le Conseil national des centres commerciaux français.22 Il est aussi bien établi que nombre de produits ne font l’objet d’un acte d’acquisition que lié à une ou des prestations de services immédiats ou potentiels. 29. Ensuite, la Cour énonce,23 contrairement à ce que soutenaient certains États, notamment l’Allemagne, et bien que le recours soit né d’une action d’une entreprise néerlandaise, que les dispositions relatives à la liberté d’établissement dans la directive «Services» s’appliquent aux situations dans lesquelles tous les éléments pertinents se situent à l’intérieur d’un seul et même État membre.24 22  Ce groupement représente les intérêts d’un grand nombre de sociétés propriétaires des locaux. 23  Pt 110. 24  C’est aussi un point qui a été soulevé par la Cour de cassation française dans l’arrêt du 15 novembre 2018 par lequel elle interroge la CJUE sur la légalité européenne du droit pénal de l’urbanisme locatif (arrêt préc.).

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30. La Cour achève son examen en vérifiant que des autorisations ou des «exigences» interdites ou suspectes n’ont pas été inscrites dans le document régulateur. Elle relève que le régime de l’autorisation implique que soit faite une démarche auprès d’une autorité compétente en vue d’obtenir un acte formel ou une décision implicite relative à l’accès à une activité de service ou à son exercice. Or, en l’espèce, la Cour considère que l’interdiction d’implanter un établissement commercial dans une zone périphérique déterminée par le document d’urbanisme contesté ne suppose pas qu’une «autorisation» soit demandée ou obtenue. Elle estime que, «si ce plan ouvre aux prestataires la possibilité de développer certaines activités de commerce de détail dans des zones géographiques déterminées, une telle possibilité procède non d’un acte formel obtenu à l’issue d’une démarche que ces prestataires auraient été tenus d’effectuer à cette fin, mais de l’approbation par le conseil municipal d’Appingedam de règles d’application générale qui figurent dans ledit plan».25 La situation pourrait conduire à une solution inverse en France s’agissant des autorisations d’exploitation commerciale en France, même si le Conseil d’État a validé le régime des autorisations d’exploitation commerciale au regard de la directive «Services».26 31.  L’article 4 (pt7) de la directive en débat vise les «exigences», et retient que cela concerne «toute obligation, interdiction, condition ou limite prévue dans les dispositions législatives, réglementaires ou administratives des États membres». Or, le considérant 9 de la directive qui exclue les «réglementations relatives à l’aménagement des zones urbaines et rurales …» ne comporte pas de disposition expresse dans le corps de la directive. Ce constat conduit M. l’Avocat général Maciej Szpunar à relever que l’exclusion du droit de l’urbanisme et de l’aménagement peut procéder du simple fait de s’interroger sur la valeur juridique d’une exclusion par un simple considérant. Or, observe le haut magistrat, les prescriptions inscrites dans un document d’urbanisme ne constituent pas des exigences au sens de la directive «Services».27 La Cour conclut que des interdictions géographiques et sectorielles, fussent-elles parties intégrantes d’un document d’urbanisme, «n’en ont pas moins pour objet spécifique de déterminer les zones géographiques où certaines activités de commerce de détail peuvent s’implanter». 32. Une dernière question se posait. Le processus de discrimination suivi peut-il être considéré comme le résultat de tests économiques. 33.  En l’espèce, les «limites quantitatives ou territoriales, sous forme, notamment de limites fixées en fonction de la population ou d’une distance géogra25  Pt

115. CE, 11 février 2015, n° 370089: Soc. Reims République développement. 27  Avec la réserve que relèveraient de la directive, les prescriptions d’urbanisme qui viseraient spécifiquement les commerces et autres services et/ou élèveraient le coût de leur implantation. 26 

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phique minimum entre prestataires» ne semblent pas interdites prima facie, dès lors qu’elles ne sont pas la source d’une discrimination, ou ne dépassent pas ce qui est nécessaire et proportionné. L’article 14 de la directive ne peut recevoir application faute d’élément de nature à établir que l’interdiction des commerces de détail en périphérie serait liée à «l’application d’un test économique consistant à subordonner l’octroi de l’autorisation à la preuve de l’existence d’un besoin économique ou d’une demande du marché, à évaluer les effets économiques potentiels ou actuels de l’activité ou à évaluer l’adéquation de l’activité avec les objectifs de programmation économique fixés par l’autorité compétente».28 L’article 14 prévoit aussi que cette interdiction peut relever de raisons impérieuses d’intérêt général. 34.  L’Avocat général n’y voit pas la prédominance d’un test de demande économique. Les considérations de la Cour et de l’Avocat général sont sur ce point remarquables. En effet, l’élaboration de la planification urbaine aux Pays-Bas est marquée par un bilan d’évaluation du tissu commercial très poussé29 et ce bilan est la «clé de voûte» du plan local d’urbanisme. Mené par un organisme indépendant, le bilan économique en cause consiste en une étude de marché très précise dans laquelle les besoins existants et les localisations des magasins sont analysés. Nul doute qu’il y a là un critère économique! Mais, l’évaluation est globale et non propre à telle ou telle entreprise. 35.  Si l’on retient qu’aux Pays-Bas, la préservation du tissu commercial existant et, en premier lieu, du centre-ville, est réaffirmée systématiquement, la reconnaissance par la CJUE de cette considération comme une raison impérieuse d’intérêt général est plus que bienvenue. M. l’avocat général Sharpston, dans ses conclusions30 sous le premier recours préjudiciel, admet également qu’il puisse y avoir des restrictions justifiées au regard d’objectifs tels que la prévention du déclin urbain, la réduction des besoins en infrastructures routières, les émissions de CO2 par la localisation préférentielle des centres commerciaux en centre-ville plutôt que dans les zones périphériques, la limitation de l’implantation des grands établissements aux centres de population où la demande est la plus forte en limitant la taille des établissements dans les zones moins peuplées. Il est d’ailleurs à noter que le considérant 40 de la directive «Services» visait clairement «la protection de l’environnement urbain» et il était difficile de l’ignorer. 36.  En définitive, c’est moins la teneur de la prescription d’urbanisme, que la motivation des documents d’urbanisme et la définition des «destinations» qui paraissent essentielles dans l’approche de la Cour. C’est ce qu’elle précise dans la seconde affaire concernant le «College van Burgermeester en Wethouders van de 28 

Pt 127. DPO: distributie planologisch onderzoek. 30  Concl. N° 91 et 92. 29 

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gemeente Amersfoort contre X Bristol BV» (C-31/16), en reconnaissant l’intérêt général de la préservation de l’attractivité du centre-ville afin d’éviter les locaux vacants. Elle fait ainsi de la protection de l’environnement urbain une raison impérieuse d’intérêt général de nature à justifier une restriction territoriale.31 Dans le même sens, M. l’Avocat général Szpunar vise «la protection de l’environnement urbain, la préservation de la vitalité des centres-villes, de leur caractère et de leur culture, et la maîtrise des flux de circulation entre la centralité et la périphérie».32 37.  Au regard de la condition de nécessité, la Cour précise que la réservation des zones périphériques aux seuls commerces d’objet volumineux, par le texte catalan,33 ou par le plan local d’urbanisme déféré au juge des Pays-Bas, visait à préserver la viabilité du centre-ville et y éviter la vacance de locaux commerciaux dans l’intérêt d’un bon aménagement du territoire.34 38.  La validation des restrictions géographiques et sectorielles intervient à point nommé, après que l’étude comparative livrée à la Commission de Bruxelles a révélé un recours à de telles mesures dans de nombreux États membres. À bien des égards, les solutions retenues aux Pays-Bas, depuis des lustres, et plus récemment par la province espagnole de Catalogne, commencent à pénétrer l’esprit d’autres législateurs au rang desquels le gouvernement et le Parlement français. 39.  La position adoptée par la CJUE permet de penser que l’impact d’un commerce doit être appréciée non seulement en fonction de sa surface, mais aussi à raison de l’intérêt de sa localisation pour la préservation des villes. Il s’agit de privilégier, notamment, la consommation la plus faible, ou la plus pertinente en termes de ressources à long terme de l’espace dans les entrées de ville et de promouvoir la réoccupation des locaux vacants. Ces analyses de la CJUE seront précieuses pour promouvoir une offre commerciale diversifiée de proximité, réduire les déplacements et la consommation de l’espace et pour contribuer à la préservation de l’environnement. 40.  Ce retour à la sagesse sera, sans aucun doute, ressenti par certains comme une atteinte à la traditionnelle liberté économique. Mais, le modèle des villes désertées, pourries par les friches industrielles et bientôt commerciales, manque sérieusement d’intérêt et de pertinence eu égard à l’évolution du monde.

31 

Pt 135. 147. 33 Cf. supra 1ère partie. 34  Pt 134. 32  Pt

VI. Varia VI. Varia

Franz Waldenberger: Einige Überlegungen zu den Möglichkeiten und Grenzen staatlicher Regulierung in einer durch Arbeitsteilung geprägten Wissensgesellschaft

Einige Überlegungen zu den Möglichkeiten und Grenzen staatlicher Regulierungin einer durch Arbeitsteilung geprägten Wissensgesellschaft Zu den Möglichkeiten und Grenzen staatlicher Regulierung

Franz Waldenberger Franz Waldenberger Einige Überlegungen zu den Möglichkeiten und Grenzen staatlicher Regulierung in einer durch Arbeitsteilung geprägten Wissensgesellschaft

I.  Unvollständiges und interessengebundenes Wissen Es ist mir eine große Ehre und Freude, einen Beitrag für die Festschrift meines Freundes und Kollegen Helmut Siekmann zu schreiben. Ich nutze die Gelegenheit, um einige Gedanken zu Papier zu bringen, die sich mit der Frage auseinandersetzen, inwiefern in einer durch Expertenwissen gesteuerten Gesellschaft eine am Gemeinwohl orientierte Regulierung möglich ist. Die Frage ist in einer auf Arbeitsteilung und durch beschleunigten technologischen Wandel geprägten Wirtschaft von grundlegender Bedeutung. Sie äußert sich in den Bemühungen der Europäischen Union um „better regulation“ ebenso, wie in den Diskussionen um die Stabilisierung des Finanzsystems und die Regulierung des Bankensektors in Folge der Weltfinanz- und Eurokrise, aber auch im Umgang mit der Kernenergie oder genetisch manipulierten Organismen. Im Zuge der digitalen Transformation sowie der Fortschritte im Bereich der Hirnforschung und Genetik erfährt die Frage der Gestaltbarkeit komplexer Veränderungsprozesse zusätzliche Brisanz und Aktualität. In einer Demokratie erwarten wir von Regulierung, dass sie in ihrer Zielsetzung am Gemeinwohl orientiert ist, diese Zielsetzung auf den jeweiligen Einzelfall bezogen rational operationalisiert und bei der Regelsetzung sowie der Auswahl der Instrumente ressourceneffizient vorgeht. Aber wie können wir sichergehen, dass die mit Regulierung betrauten Gesetzgeber und Ministerialbeamten diese Erwartungen auch erfüllen werden? Es sind hier grundlegende Zweifel angebracht, weil die Erfüllung erhebliche Anforderungen an das dazu erforderliche Wissen stellt. Dies fängt bereits mit der sozial-philosophischen Frage nach einer praktikablen Definition von Gemeinwohl an. Heute neigt man dazu, Gemeinwohl mit Nachhaltigkeit und Interessenausgleich zu assoziieren, aber auch diese Begriffe sind bei weitem nicht wohldefiniert. Wir haben es hier mit konzeptionellen Wissenslücken zu tun. Sie übertragen sich auf die Aufgabe der Operationalisierung, die ebenfalls im Wesentlichen konzeptioneller Natur ist. Ressourceneffizienz von Regelungsinhalten und Instrumenten setzt dagegen ein

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analytisches Verständnis der zu regulierenden Sachverhalte bzw. Systeme voraus. Hier ist das erforderliche Wissen ebenfalls nur bruchstückhaft, was in der Regel dazu führt, dass Regulierungsinstanzen mit konkurrierenden, oft widersprüchlichen Expertenmeinungen konfrontiert sind. Zur Unvollständigkeit von Wissen tritt seine Interessengebundenheit hinzu: „Ich glaube, was mir nützt“. Sie äußert sich in den Meinungen einzelner Experten ebenso wie in den Stellungnahmen von Unternehmen und Industrieverbänden oder in internationalen Verhandlungspositionen von Regierungen. Die Interessengebundenheit ist im Grunde die Kehrseite des mangelnden Wissens über komplexe Sachverhalte, denn letztlich müssen fehlende Kenntnisse mit Ansichten, Interpretationen und Wertungen angereichert werden, um zu praktischen Entscheidungen zu gelangen. Dabei sind dann persönliche Überzeugungen, Neigungen und Interessen kaum noch von objektiv fundierter Sachinformation zu differenzieren. Unvollständigkeit und Interessengebundenheit von Wissen stellen nicht nur grundlegende Herausforderungen für eine am Gemeinwohl orientierte Regulierung dar. Sie scheinen auch jeden Versuch, sich damit wissenschaftlich auseinanderzusetzen, von vorneherein zum Scheitern zu verurteilen. Denn Wissenschaftler sind Teil des Systems und damit bei ihrer Analyse gleichermaßen mit diesen Problemen konfrontiert. Der Umstand kann weder außer Kraft gesetzt, noch ignoriert werden. Ihm kann aber Rechnung getragen werden, indem der Anspruch der Analyse bescheidener formuliert wird. Es kann nicht darum gehen, Unvollständigkeit und Interessengebundenheit von Wissen aufzuheben, sondern vielmehr gilt es, sie als Grundprobleme in einer Theorie der Regulierung konzeptionell zu verankern.

II.  Komplexität und Ignoranz 1.  Komplexe soziale Systeme als Ergebnis „spontaner Ordnung“ Komplexität ist ein viel verwendeter Begriff, der je nach Untersuchungsgegenstand oder Disziplin sehr unterschiedlich definiert werden kann.1 Wir bezeichnen im allgemeinen Sprachgebrauch einen Sachverhalt oder ein System als komplex, wenn wir die relevanten Wirkungszusammenhänge nur begrenzt begreifen und steuern können. Im Grunde handelt es sich dabei um ein relatives Attribut. Denn je mehr wir über die Funktionsweise von Systemen wissen, umso mehr mindert sich ihre Komplexität. Ingenieure sind heute in der Lage, aus der Sicht des Laien und im Vergleich zum früheren Stand der Technik „hoch komplexe“ Artefakte zu schaffen. Ein Fahrzeug, das aus Tausenden von Einzelteilen besteht, die alle 1  John H. Holland, Complexity. A Very Short Introduction, Oxford: Oxford University Press, 2014.

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aufeinander abgestimmt sein müssen, ist aber strenggenommen nicht komplex. Die es definierenden Wirkungszusammenhänge sind vollständig verstanden und zum Zweck des Fahrens voll und ganz beherrschbar. Das gilt im Grunde für alle in Massenfertigung erzeugten und genutzten Produkte. Der menschliche Körper hat im Zuge des medizinischen Fortschritts mehr und mehr von seiner Komplexität eingebüßt. Aber noch werden wir krank und alt, ohne dass wir das wollen. Noch ist der Mensch wesentlich komplexer als jeder Roboter. Anders verhält es sich mit sozialen Phänomenen wie Gesellschaft oder Wirtschaft. Hier liegt der Verdacht nahe, dass sie im Laufe der Zeit an Komplexität gewonnen haben. Die durch technischen Fortschritt und Globalisierung erzeugte Entwicklungsdynamik wartet nicht, bis wir die Theorien gefunden haben, mit der wir sich dynamisch verändernde soziale und wirtschaftliche Verhältnisse deuten und steuern können. Unsere sozialwissenschaftlichen Theorien laufen notgedrungen hinterher. Es ist lohnenswert zu fragen, warum das so ist. Technische Artefakte können sich nur in dem Maße, wie es der Erkenntnisfortschritt in den zugrundeliegenden Natur- und Ingenieurwissenschaften erlaubt, entwickeln. Die Evolution des menschlichen Organismus schreitet langsam genug voran, so dass die Medizin aufholen kann, ihn besser zu verstehen. Genau umgekehrt verhält es sich bei sozialen Systemen. Diese entwickeln sich schneller als die sich ihrer Erforschung widmenden Wissenschaften. Ihre Komplexität nimmt daher zu. Die eigentlichen Treiber sind dabei technologischer Fortschritt und wirtschaftliches Gewinnstreben. Der durch technologisches Wissen und ökonomische Eigeninteressen erzeugten Dynamik liegt eine gewisse Logik zugrunde. Allen Produktionsprozessen ist gemeinsam, dass sie Materie unter Anwendung von Wissen und mit Hilfe von Energie transformieren.2 Die Gesamtmenge an Materie bleibt naturgemäß konstant. Es ändert sich nur ihre Form bzw. Zusammensetzung. Der Umfang der im Gesamtsystem nutzbaren Energie wird durch Produktion dagegen verringert. Die einzige vermehrbare Ressource ist letztlich Wissen. Sie besitzt außerdem die wesentliche Eigenschaft, dass sie nicht aufgebraucht wird. Im Gegenteil: Wissen kann beliebig oft genutzt werden. Es wird dadurch nicht weniger, sondern kann durch Lerneffekte in der Anwendung sogar verbessert und weiter gesteigert werden. Die Akkumulation von Wissen wird so zum idealen Wachstumsmotor.3 Natürlich sind die Fähigkeiten jedes einzelnen Menschen, sich Wissen anzueignen und anzuwenden, sehr begrenzt. Aber sie definieren schon lange nicht 2 

Kenneth E. Boulding, Ecodynamics. A New Theory of Societal Evolution, Beverly Hills: Sage Publications, 1978 (Paperback Ausgabe 1981). 3  Romer, Endogenous Technological Change, in: Journal of Political Economy, 1990, 71 – 102.

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mehr die Grenzen des gesellschaftlich nutzbaren Wissens. Das in modernen Gesellschaften in Produktionsprozessen zur Anwendung kommende Wissen hat die kognitiven Kapazitäten jedes einzelnen bei weitem überstiegen. Arbeitsteilige Produktion, Automatisierung und zukünftig wohl auch künstliche Intelligenz erlauben es, dass wir gesellschaftlich einen Wissensstock nutzen, von dem jeder einzelne von uns nur noch einen verschwindend kleinen Bruchteil selbst besitzt. Das zentrale Prinzip zur Überwindung individueller Grenzen in der Aneignung und Nutzung von Wissen ist die Arbeitsteilung bzw. die damit implizierte Spezialisierung.4 Dieses Prinzip erklärt letztlich, warum technologischer Fortschritt und Globalisierung auf das Engste miteinander verbunden sind. Die Akkumulation des gesellschaftlichen Wissensstocks setzt die Ausweitung arbeitsteiliger Produktionssysteme voraus. Angebotsseitig können dadurch mehr „Köpfe“ in die Entwicklung und Anwendung von Wissen eingebunden werden. Nachfrageseitig erhöht die Expansion der Absatzmärkte die Rentabilität von Investitionen in mehr Wissen. Die grundlegenden Unterschiede im Grad und den Entwicklungstendenzen von Komplexität zwischen technischen, biologischen und gesellschaftlichen Systemen lassen sich auch anhand der drei von Friedrich Hayek unterschiedenen natürlichen, künstlichen und spontanen Ordnungen plausibel machen.5 Systeme wie der menschliche Organismus, die einer natürlichen Ordnung entspringen, verändern sich durch Evolution relativ langsam, weshalb wir prinzipiell Zeit haben, sie immer besser zu verstehen. Systeme künstlicher Ordnung sind Produkte menschlichen Wissens und werfen lediglich in ihren Auswirkungen (Nebenwirkungen) auf die beiden anderen Ordnungssysteme Erkenntnisfragen auf. Systeme spontaner Ordnung sind wie diejenigen künstlicher Ordnung das Ergebnis menschlichen Handelns, folgen dabei aber keinem Generalplan, sondern resultieren aus der unkoordinierten Interaktion einer unüberschaubaren Summe von Einzelakteuren. Sie sind von Natur aus komplex. Die Entfaltung spontaner Ordnung wurde durch die Etablierung liberaler Gesellschaftssysteme wesentlich beschleunigt. Liberalismus fördert dezentrale Entscheidungsstrukturen, was der Struktur arbeitsteiligen Wissens entgegenkommt. Jeder kann nach seinem besten Wissen und Gewissen handeln, muss keiner zentralen Instanz darüber Rechenschaft geben, dafür allerdings auch die Konsequenzen tragen. Außerdem steht die durch Eigeninitiative vorangetriebene Komplexität nicht im Widerspruch zur liberalen Weltanschauung, die ja gerade darauf verzichtet, das Gesamtsystem einer zentralen Steuerung zu unterwerfen. Feuda4 

Franz Waldenberger, Organisation und Evolution arbeitsteiliger Systeme. Erkenntnisse aus der japanischen Wirtschaftsentwicklung. München: iudicium, 1999. 5  Friedrich A. Hayek, Law, Legislation and Liberty. Volume I: Rules and Order, Chicago: Chicago University Press, 1973.

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listische und zentralplanerischer Systeme, die darauf bauen, soziales Verhalten zentral zu kontrollieren, werden durch Komplexität dagegen in Frage gestellt und werden diese entsprechend zu beschränken versuchen. 2.  Reduktion der Komplexitätswahrnehmung durch Modularität In der sich globalisierenden Wissensgesellschaft wird jeder Einzelne von uns relativ betrachtet immer „dümmer“. Die Entwicklung entbehrt nicht einer gewissen Dialektik. Sie wird in einem liberalen System vorangetrieben durch die Entscheidungssouveränität von Unternehmen und Kunden, führt in letzter Konsequenz aber dazu, dass gesellschaftliche Interdependenzen auf ein unüberschaubares Maß zunehmen. Im Kontext zunehmender Komplexität degeneriert Entscheidungssouveränität zur systemerhaltenden Illusion. Unsere zunehmende Ignoranz ist uns in der Regel nicht bewusst, weil wir damit im Alltag nicht konfrontiert werden. Dies hängt mit der Struktur arbeitsteiliger Systeme zusammen, die dafür sorgt, dass jeder von uns alltäglich in mehr oder weniger überschaubaren Teilen des Gesamtsystems agiert. Die Struktur schirmt uns von der Gesamtkomplexität ab und macht unsere Ignoranz erträglich. Wie Herbert Simon zeigte, weisen komplexe Systeme eine hierarchisch-modulare Struktur auf, d.h. sie lassen sich in hierarchisch angeordnete Subsysteme zerlegen.6 Subsysteme sind dadurch gekennzeichnet, dass die Interaktion zwischen den in ihnen zusammengefassten Elementen deutlich höher ist als die Interaktion mit anderen Subsystemen. Durch die hierarchische Anordnung kann der Umfang der Interaktion zusätzlich reduziert werden. Modularität reduziert die Abhängigkeit des Gesamtsystems von den Spezifika einzelner Subsysteme. Diese sind bis zu einem gewissen Grad abtrennbar und austauschbar, was zwei entscheidende Vorteile mit sich bringt. Zum einen verursachen Fehler oder Funktionsmängel in Subsystemen keinen Zusammenbruch des Gesamtsystems. Zum anderen können Subsysteme verbessert werden, ohne dass Anpassungen im gesamten System erforderlich werden. Die beiden Vorteile tragen entscheidend zur Stabilität, Innovations- und Evolutionsfähigkeit komplexer Systeme bei. Natur und Ingenieure nutzen die Vorteile der Modularität beim Design von Organismen bzw. Maschinen. Hierarchisch-modulare Strukturen prägen aber auch die Organisation gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens.7 Bekanntschaftsverhältnisse, Unternehmen, öffentliche Verwaltung und der Aufbau des Rechtssystems, der Wissenschaften und die Struktur des Wissens selbst: Sie sind 6 

Herbert A. Simon, The Architecture of Complexity, in: Proceedings of the American Philosophical Society, 1962, 467 – 482. 7  Carliss Y. Baldwin und Kim B. Clark, Design Rules – The Power of Modularity, Cambridge (Mass.): MIT Press, 2004.

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Ausdruck hierarchisch-modularer Strukturen und nutzen diese gleichermaßen zur internen Organisation. Hinzukommen zwei weitere wichtige Institutionen zur Reduktion der Komplexitätswahrnehmung: Märkte und Geld. Schon Adam Smith wies darauf hin, dass die Ausdehnung von Märkten aufs Engste mit der Entwicklung der Arbeitsteilung verbunden ist. Mit dem Bild der „unsichtbaren Hand“ unterstrich er darüber hinaus den Beitrag wettbewerblich organisierter Märkte bei der Koordination arbeitsteiligen Wissens.8 Akteure am Markt müssen im Idealfall lediglich die Spezifikation von Produkt- und Serviceleistungen sowie die dazu gehörigen Preisinformationen kennen, um Kauf- bzw. Verkaufsentscheidungen zu treffen. Kein Marktteilnehmer und auch keine zentrale Instanz müssen über das den Marktbeziehungen zugrundeliegende arbeitsteilige Wissen in seiner Gesamtheit verfügen. Wettbewerblich organisierte Märkte integrieren arbeitsteiliges Wissen unter Wahrung seiner dezentralen Verteilung. Einen ähnlichen Beitrag leistet Geld als anerkanntes Zahlungsmittel. Mit seiner Eigenschaft als „Numéraire“ transformiert es eine unüberschaubare Vielfalt an relativen Tauschrelationen in absolute Preise. Noch wichtiger ist, dass Geld die in einem arbeitsteiligen System hoch komplexen Leistungsbeziehungen in bilaterale Zahlungsvorgänge zerlegt und die Komplexität so für die Betroffenen unsichtbar macht. Geld ersetzt ein zentrales Buchungssystem, in dem dokumentiert wird, wer wann wie viele Ansprüche durch den Verkauf von Produkten bzw. Leistungen gegenüber dem System erworben hat und wann und in welchem Umfang er diese Ansprüche durch Käufe eingelöst hat.9 Wer leistet, erwirbt Geld als allgemeine Forderung gegenüber dem Wirtschaftssystem. Indem er oder sie das Geld ausgeben, lösen sie diese Forderung ein.

III.  Regulierung in und von komplexen Systemen 1.  Unzulänglichkeiten bisheriger Ansätze Eine grundsätzliche, die Entwicklung der Wirtschaftswissenschaften bis heute prägende Fragestellung lautet: In wieweit kann sich ein auf Privateigentum und Vertragsfreiheit basierendes Wirtschaftssystem zum Wohl der Allgemeinheit selbst regulieren? Eine Selbstregulierung durch wettbewerblich organisierte Märkte im Sinne von Adam Smiths unsichtbarer Hand hätte den unschlagbaren Vorteil, dass die durch spontane Ordnung entstandene Komplexität und die im8  Adam Smith, An Inquiry into the Nature and Causes of the Wealth of Nations, London: 1776 (Neuauflage Indianapolis: Liberty Press, 1981). 9  Joseph A. Schumpeter, Das Wesen des Geldes – aus dem Nachlass herausgegeben und mit einer Einführung versehen von Fritz Karl Mann, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 1970.

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plizierte Unmöglichkeit einer expliziten Systemsteuerung für das Gemeinwohl kein Problem darstellen. Die weitere Akkumulation von Wissen und die damit einhergehende Vertiefung der Arbeitsteilung brächten nur Gewinne, aber keine Gefahren. Die Wohlfahrtsökonomik zeigt, dass die Bedingungen für eine sich im Interesse des Gemeinwohls selbstregulierende private Wettbewerbswirtschaft sehr restriktiv und in der Realität kaum erfüllt sind.10 So sind insbesondere die produktionstechnischen Bedingungen mit den Eigenschaften der Ressource Wissen nicht vereinbar, was bedeutet, dass die das System eigentlich treibende Kraft zu den Modellannahmen in Widerspruch steht. Neben dem großen Wurf einer umfassenden Gleichgewichtstheorie entwickelten die Wirtschaftswissenschaften zahlreiche partielle Ansätze zu einer Regulierungstheorie. Im Kern geht es dabei um zwei entgegengesetzte Denkrichtungen.11 Das Versagen der Selbstregulierung aufgrund fehlender Märkte bzw. unvollständigen Wettbewerbs in bestehenden Märkten führt zu fehlenden bzw. falschen Preissignalen. Dies bewirkt, dass individuelle Akteure bei ihren Entscheidungen die damit für die Allgemeinheit verbundenen Erträge und Kosten nicht vollständig internalisieren. Die Fehlsteuerung privaten Handelns resultiert in externen Effekten. Gesellschaftlich wünschenswertes Verhalten wird nicht hinreichend belohnt. Schädliches Verhalten wird nicht stark genug sanktioniert. Aufgabe der Regulierung ist es, die Fehlsteuerung zu korrigieren. Idealerweise geschieht dies durch preisähnliche Steuerungselemente, die schlechtes Verhalten besteuern und gutes subventionieren. Aber hier setzt dann die entgegengesetzte Denkrichtung an, die in Frage stellt, dass Regulierungsinstanzen über das Wissen verfügen, das erforderlich ist, um Marktversagen zu korrigieren. Warum sollte es der Staat besser wissen? Staatliche Akteure sind letztlich Teil des Systems. Sie unterliegen ebenfalls kognitiven Beschränkungen und agieren nicht interessenneutral. Wer daher von Marktversagen spricht, muss auch Staatsversagen mit bedenken. Das Grundproblem der Komplexität, mit dem sowohl private als auch staatliche Akteure konfrontiert sind, wird in der Literatur nicht direkt thematisiert. Formaltheoretische Modelle unterstellen, dass alle Akteure die relevanten Wirkungszusammenhänge kennen. Das Regulierungsproblem wird demnach nicht vor dem Hintergrund arbeitsteiligen Wissens modelliert, sondern lediglich als Problem asymmetrisch verteilter Information. Das dabei verwendete Grundmodell ist der sogenannte Prinzipal-Agenten Ansatz. Die zu regulierenden Akteure 10 

Joseph E. Stiglitz, The Invisible Hand and Modern Welfare Economics, NBER Working Paper No. 3641, 1991. 11  Andrei Shleifer, Understanding Regulation, in: European Financial Management, 2005, 439 – 451.

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(Agenten) verfügen über private Informationen, die sie zu ihrem Vorteil, aber nicht im Interesse des Gemeinwohls nutzen werden. Die Frage ist, ob die Regulierungsinstanz (der Prinzipal) das Fehlverhalten trotz unzureichender Information korrigieren kann. Die Lösung besteht in sogenannten anreizkompatiblen Ins­trumenten. Sie zielen darauf ab, den Mechanismus der „unsichtbaren Hand“ im Rahmen staatlicher Lenkung nutzbar zu machen.12 Auch Interessenkonflikte lassen sich im Prinzipal-Agenten Ansatz modellieren, wobei nicht einmal Informationsasymmetrien unterstellt werden müssen. Man muss nur die naheliegende Annahme einführen, dass Politiker und Regulierer eigene, dem Gemeinwohl nicht notwendigerweise förderliche Interessen verfolgen. Diese können auf mehr Einfluss, mehr Geld oder einfach nur ein stressfreies Arbeitsumfeld gerichtet sein. Daraus eröffnen sich für die Agenten Möglichkeiten, mit dem Prinzipal zu Lasten der Allgemeinheit gemeinsame Sache zu machen. Dies muss nicht, wie im Fall der Bestechung, die Grenzen des Legalen überschreiten. Parteienfinanzierung, Lobbying, kostenlose Beratung oder das Angebot lukrativer Positionen in der Wirtschaft bieten den Agenten hinreichend legale Möglichkeiten zur „Vereinnahmung“ der Prinzipalseite. In der Literatur werden entsprechende Strategien als „rent seeking“ und das damit erreichte Ergebnis als „captive regulation“ bezeichnet.13 Auch diese Ansätze greifen letztlich zu kurz, weil sie erstens nicht erklären können, wie es sein kann, dass die Öffentlichkeit „captive regulation“ akzeptiert. Hierzu müssen ad-hoc, Modell externe Informationsannahmen getroffen, die erklären, dass demokratische Governance versagt. Zweitens schließen die Modelle aus, dass die Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Regulierungsinstanzen auch von Vorteil sein kann. In einer durch arbeitsteiliges Wissen geprägten Wirtschaft sind Prinzipale auf das Expertenwissen der Agenten angewiesen. Lobbying, Beratung und Wechsel von der Legislative oder Exekutive in die Wirtschaft können den Wissenstransfer wesentlich erleichtern, was grundsätzlich wünschenswert ist. Bei entsprechender Komplexität der Gesamtzusammenhänge lässt sich aber für Außenstehende und nicht selten für die Prinzipalseite selbst nicht mehr unterscheiden, wie weit „gute“ Wissensvermittlung reicht und wo „schlechte“ Interessenvereinnahmung beginnt.

12  Jean-Jacques Laffont und Jean Tirole, A Theory of Incentives in Procurement and Regulation, Cambridge (Mass.): MIT Press, 1993. 13  Jean-Jacques Laffont and Jean Tirole, The Politics of Government DecisionMaking: A Theory of Regulatory Capture, in: The Quarterly Journal of Economics, 1991, 1089 – 1127.

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2.  Regulierung als Teil und Veränderungsfaktor arbeitsteiliger Systeme Regulierung schränkt Unternehmen bei ihren Bemühungen, Gewinne zu erzielen ein. Sie erzeugt damit Kosten. Dem steht der Nutzen der Regulierung in der Vermeidung von Schäden für Menschen und Umwelt gegenüber. Das Kernproblem besteht somit letztlich darin, bei der Festlegung von Regeln die daraus resultierenden Kosten mit dem damit erzielbaren Nutzen abzuwägen. Am Beispiel der Produktregulierung kann dies leicht veranschaulicht werden. Unternehmen werden bei der Entwicklung ihrer Produkte von sich aus nur insofern Gefahren für Mensch und Umwelt berücksichtigen, wie dies Kunden bei ihren Kaufentscheidungen tun. Kunden sind oft nur unzureichend in der Lage, sich über entsprechende Gefahren zu informieren. Regulierung kann in solchen Fällen die Kosten der individuellen Informationsbeschaffung auf Seiten der Kunden vermeiden. Sie muss hierzu nicht spezifisch ausgestaltet sein. Eine allgemeine Produkthaftung wäre gegebenenfalls ausreichend. Wenn die damit erzielten Anreize zur Prävention im Rahmen der Produktentwicklung unzureichend sind, kann eine explizite Regulierung erforderlich sein, die entsprechende Sicherheitsund Umweltstandards definiert. Bei deren Festlegung sind weiterführende Kosten-Nutzen-Überlegungen anzustellen. Regulierer müssen zunächst wissen, welche Gefahren von den Produkten für Mensch und Umwelt ausgehen. Die Gefahren sind einer Risikobewertung zu unterziehen: Wie wahrscheinlich sind sie? Wie hoch ist der Schaden im Gefahrenfall? Danach ist festzustellen, wie sich entsprechende Gefahren vermeiden lassen und welche Kosten dabei anfallen. Zur Beantwortung dieser Fragen wird man Experten anhören, die dazu Stellung nehmen, wie teuer eine Gefahrenvermeidung nach dem Stand der Technik kommt, und wieviel mehr an Nutzen für Mensch und Umwelt bestimmte Sicherheits- und Umweltstandards bringen. Expertenmeinungen können dabei durchaus divergieren, was nicht zuletzt auch interessenbedingt ist. So werden Unternehmen, die über einen technologischen Vorsprung verfügen, für strengere Standards plädieren, da sich damit Konkurrenzprodukte rechtlich aus dem Markt drängen lassen. Regulierung nutzt bei der Erstellung der Kosten-Nutzen-Analyse die Vorteile, die Märkte und Geld zur Reduktion der Komplexitätswahrnehmung bieten. So kann die Bewertung hoch komplexer Anpassungsprozesse auf eine Zahl oder ein Zahlenintervall reduziert werden. Meist gelingt dies bei den Kosten besser als beim Nutzen, weil Kosten im System leichter lokalisiert werden können, und weil zu ihrer Erfassung häufiger Preissignale genutzt werden können. Hierzu wird im nächsten Abschnitt noch mehr zu sagen sein. Regulierer profitieren bei der Einholung der Expertisen von arbeitsteiligem Wissen, ohne dass sie die dezentrale Struktur von Wissen damit außer Kraft set-

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zen. Das ist das Wunder der Kommunikation.14 Wir können uns von Experten beraten und überzeugen lassen, ohne dass wir uns deren Spezialwissen aneignen müssen, wie bei Speisen und Musik, die wir genießen können, auch wenn wir selbst nicht in der Lage sind zu kochen oder zu musizieren. Die Expertise ist ein Produkt des Expertenwissens. Um sie zu würdigen, müssen wir nicht das zugrundeliegende Wissen besitzen. Neben der Sprache und rudimentären Grundkenntnissen des Sachverhalts braucht es allerdings Vertrauen in die Glaubwürdigkeit der präsentierten Meinungen. Regulierung setzt die arbeitsteilige Struktur von Wissen zwar nicht außer Kraft, sie verändert sie aber. Für die Erstellung von Expertisen bei der Festlegung von Vorschriften und für die Test-, Zulassungs- und Zertifizierungsverfahren bei der Anwendung von Standards braucht es entsprechende Wissensinfrastrukturen an Beratungs-, Forschungs- und Testlabors, die es ohne Regulierung in dem Umfang und in Form unabhängiger oder öffentlicher Einrichtungen wohl nicht gäbe. Schließlich können entsprechend anspruchsvolle Standards Impulse für Forschungs- und Entwicklungsanstrengungen geben. Ein Beispiel, bei dem der Einfluss von Regulierung auf Wissensstrukturen besonders deutlich wird, stellt die 2006 von der EU erlassene Regulierung zur Registrierung, Evaluierung und Autorisierung von Chemikalien, REACH, dar.15 Sie fordert von Unternehmen den Nachweis, dass die in Produkten und Produktionsverfahren entlang der gesamten Wertschöpfungskette verwendeten Chemikalien keine Gefahr für Mensch und Umwelt bedeuten. Die Regulierung konfrontiert Unternehmen nicht nur mit der Komplexität globaler Produktionssysteme, die sie erstmals hinsichtlich der Verwendung von Chemikalien durchleuchten müssen. Sie liefert der Forschung im Bereich der Toxikologie zugleich einen erheblichen Antrieb. Gleichzeitig erfordert sie den Aufbau riesiger, bislang nur bruchstückhaft vorhandener Datenbanken über die Verwendung und Wirkung von Chemikalien. 3.  Die Bedeutung eines offenen Meinungswettbewerbs Das zu Erstellung einer Kosten-Nutzen-Analyse notwendige Wissen ist nie vollständig. Die zugrundeliegenden Wirkungszusammenhänge verlaufen sich in der Komplexität des Gesamtsystems, das jeder Einzelne von uns nur sehr begrenzt überschauen kann. Die Vernetzung von Expertenwissen und die Entwicklung von Meta-Wissen, wie es die Sozial- und Wirtschaftswissenschaften 14  Friedrich A. Hayek, The Use of Knowledge in Society. In: American Economic Review, 1945, 519 – 530. 15  E. Spencer Williams, Julie Panko und Dennis J. Paustenbach, The European Union’s REACH regulation: a review of its history and requirements, in: Critical Reviews in Toxicology, 2009, 553 – 575.

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bereitstellen, kann hier zwar Abhilfe schaffen. Sie werden das Mosaik aber nie lückenlos zusammenfügen. Wir können in den meisten Fällen jedoch hoffen, dass uns die hierarchisch-modulare Struktur dahingehend zu Hilfe kommt, dass Fehler auf Teilsysteme begrenzt bleiben. Unsere Ignoranz des Gesamtsystems wäre dann wiederum nicht gravierend. Aufgrund der Unvollständigkeit unseres Wissens sind die im Kontext der Produktregulierung vorzunehmenden Kosten-Nutzen-Abwägungen letztlich immer politische Entscheidungen. Sie sind unstrittig, wenn die Differenzen in den Expertenmeinungen gering ausfallen. Anders verhält es sich, wenn die Ansichten weit divergieren. Das Problem ist dabei, dass divergierende Meinungen in der Regel nicht nur mit unterschiedlichen Weltanschauungen, sondern auch mit divergierenden Interessen korrespondieren. Im Hinblick auf die Gemeinwohlorientierung bedeutet dies, dass sich der Gegenstand der Regulierung mit den Zielen vermischt. Der Wettbewerb der Meinungen und der Wettbewerb der Interessen sind aufs engste miteinander verwoben. Indem der Gesetzgeber einer Expertenmeinung folgt, bedient er zugleich die damit verbundenen Interessen. Ein Beispiel, bei dem die Risikoeinschätzungen international erheblich divergieren, ist die Regulierung genetisch manipulierter Organismen.16 Von Gegnern einer Regulierung wird hier schon der Begriff in Frage gestellt, weil sie argumentieren, dass traditionelle Züchtungsmethoden schon immer genetische Veränderungen in Nahrungsmitteln bewirkt haben. Befürworter einer Regulierung sehen dagegen mit der gentechnischen Veränderung von Organismen einen grundlegend neuen Risikotatbestand. Die Argumente vermischen sich hier natürlich mit Produzenteninteressen. Unternehmen, die einen Vorsprung in der Technologie besitzen, werden ihre Harmlosigkeit betonen. Solche, die sich im Wettbewerb durch GMO bedroht fühlen, werden die Risiken betonen. Dass die EU, anders als die USA stärker die Risiken als die Chancen betont, dürfte aber nicht allein an der schwachen Position europäischer Anbieter von GMO liegen. Es reflektiert möglicherweise auch unterschiedliche gesellschaftliche Einstellungen. Angesichts der potenziell weitreichenden, aber unsicheren Auswirkungen von GMO auf Mensch und Umwelt können die strengen EU Regeln auch als Verlust-Minimierungs-Strategie interpretiert werden. Im Fall der Atomenergie lassen sich die Risiken genauer fassen. Sie betreffen die Sicherheit des Betriebs von Kernkraftwerken, die Wahrscheinlichkeit und möglichen Folgen von Unfällen sowie das Problem der dauerhaften Entsorgung radioaktiver Brennstäbe. Als Vorteil von Atomenergie kann demgegenüber die im Kontext der Klimapolitik wichtige CO2-Freiheit angeführt werden, die in den 16  Tetsuya Ishii und Motoko Araki, A future scenario of the global regulatory landscape regarding genome-edited crops, in: GM Crops & Food, Biotechnology in Agriculture and the Food Chain, 2017, 44 – 56.

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letzten Jahren durchaus an Gewicht gewonnen hat. Allerdings haben Unfälle und Katastrophen, wie zuletzt in Fukushima, zu einer deutlichen Höherbewertung der Risiken geführt. Hinzukommt, dass erneuerbare Energien aus Sonne und Wind inzwischen vielerorts preislich mit Atomstrom konkurrieren können. Dennoch divergieren die Bewertungen der Energieform erheblich innerhalb, aber auch zwischen Ländern. Im Falle Japans, das trotz der Katastrophe von Fukushima im März und trotz erheblicher Potenziale beim Ausbau erneuerbarer Energien weiterhin auf Atomkraft setzt, wird deutlich wie wichtig ein offener Meinungswettbewerb für eine ausgewogene politische Risikoabschätzung ist. Ein offener Meinungswettbewerb setzt voraus, dass von Industrieinteressen unabhängiges Expertenwissen einen gleichberechtigten Zugang zu Medien und politischen Entscheidungsträgern erhält. In Japan beherrschten die neun, Kernkraftwerke betreibenden regionalen Strommonopolisten über die von ihnen durch Werbefinanzierung finanziell abhängigen Medien lange Zeit die öffentliche Meinung, indem sie das Image des sauberen, sicheren und billigen Atomstroms propagierten, demgegenüber erneuerbare Energien keine energiepolitische Alternative boten. Mit der Mission, dieses Informationsmonopol aufzubrechen, gründete Masayoshi Son, einer der aktuell wohlhabendsten und einflussreichsten Unternehmer Japans, noch in 2011 die Japan Renewable Energy Foundation (https://www.renewable-ei.org). Sie bedient inzwischen die interessierte Bevölkerung, Medien und Politik mit international ausgewiesenen energiepolitischen Stellungnahmen. Die Frage, ob politische Risikoabwägungen richtig oder falsch sind, können wir anhand des Inhalts der Entscheidungen nicht beantworten, da wir alle gleichermaßen mit der Unvollständigkeit und Interessengebundenheit von Expertenwissen konfrontiert sind. Wie am Beispiel der japanischen Energiepolitik gezeigt, lassen sich aber Vermutungen dahingehend aufstellen, ob die Umstände, unter denen politische Entscheidungen getroffen wurden, der Unvollständigkeit und Interessengebundenheit hinreichend Rechnung getragen haben. Kriterien hierfür wären – ein offener Meinungswettbewerb, indem auch industrieunabhängige Meinungen vertreten sind und gleichberechtigt Berücksichtigung finden, – eine öffentliche Begründung von Entscheidungen unter Nennung der entscheidungsrelevanten Kriterien, – Spezifikation eines Zeitrahmens und eines Verfahrens, innerhalb dessen die Entscheidungen evaluiert und gegebenenfalls revidiert werden. Ein nach diesen Kriterien denkbar schlecht dar stehender Politikbereich ist die Regulierung des Geld- und Finanzwesens. Hier wird im Grunde keines der Kriterien erfüllt. Die Regulierung wird von den Interessen der zu regulierenden Industrie dominiert. Dem Status-Quo entgegenstehende Meinungen, die zum

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Teil von durchaus renommierten Wissenschaftlern vertreten wurden, werden von der Finanzindustrie regelmäßig als nicht praktikabel oder gar gefährlich abgekanzelt.17 Die öffentliche Begründung gesamtwirtschaftlich schwerwiegender Entscheidungen etwa im Bereich der Geldpolitik wird als reine Pflichtaufgabe behandelt, die nicht darauf abzielt, Entscheidungen im wissenschaftlichen Diskurs zu verorten und damit nachvollziehbar zu machen. Fehler, die zu Systemkrisen führen, werden mit dem Auftreten statistisch nicht erfassbarer und damit unkontrollierbarer Extremereignisse entschuldigt.18 Die Weltfinanzkrise 2007/2008 dürfte der Weltwirtschaft weitaus mehr wirtschaftlichen Schaden zugefügt haben als jede andere Einzelkatastrophe seit 1945. Dennoch ging man schnell zur Tagesordnung über. Ein Grund ist sicherlich die Komplexität der Gesamtzusammenhänge. Anders als bei Produkt- oder üblichen Industrieregulierungen ist hier das Gesamtsystem betroffen, das eben niemand überschaut. Aber unsere Ignoranz darf keine Entschuldigung sein, um Möglichkeiten einer besseren Governance im Sinne der oben angeführten Kriterien unbeachtet zu lassen. Ein erster, wichtiger Schritt bestünde in einer gleichwertigen Berücksichtigung wissenschaftlich fundierter Expertenmeinungen von unabhängigen Forschungseinrichtungen. Eine Entwicklung wie im Fall der Energiepolitik, wo sich die Umwelt- und Anti-Atombewegung unabhängig von der Energiewirtschaft Expertenwissen erarbeiten konnte, das politisch dann auch Gehör fand, kann man im Fall der Regulierung des Finanz- und Geldwesens wohl kaum erwarten. Hier müssten andere Mittel und Wege überlegt werden.

IV.  Ausblick – digitale Transformation und Life-Science Revolution Die Herausforderungen unvollständigen und interessengebundenen Wissens stellen sich auch in Bezug auf die gerade stattfindende digitale Transformation und die durch Gehirnforschung und Gentechnik vorangetriebene Life-Science Revolution.19 An die technologischen Revolutionen knüpfen sich enorme Erwar17  Beispiele sind Gegenvorschläge zur Ausgestaltung des Bankensystems zur Verbesserung der Stabilität, die in der Vergangenheit von Irving Fisher (Irving Fisher, 100% Money and the Public Debt, Economic Forum, 1936: 406 – 420) und Milton Friedman (Milton Friedman, A program for monetary stability. New York: Fordham University Press, 1960) oder heute von Anat Admati und Martin Hellwig (Anat Admati und Martin Hellwig, The Bankers’ New ClothesWhat’s Wrong with Banking and What to Do about It – Updated Edition, Princeton: Princeton University Press, 2013) in die Diskussion eingebracht wurden. 18  Astrid Illgner, Juhani Platt und Brandon Taylor, Black Swans, Crisis Economics, and Globalization: A Critical Appraisal, in: New Voices in Public Policy, 2010/2011, 1 – 30. 19  Siehe beispielsweise Yuval N. Harari, Homo Deus. A Brief History of Tomorrow. London: Vintage, 2016, oder Max Tegmark, Life 3.0. Being Human in the Age of Artificial Intelligence, New York: Alfred A. Knopf, 2017.

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tungen, was die Lösung medizinischer, ökologischer und wirtschaftlicher Probleme betrifft. Die nach wie vor großen Unsicherheiten über das Tempo und die tatsächlichen Auswirkungen schüren zugleich aber auch fundamentale Ängste. Sie werfen in vielen Bereichen regulatorische und dabei auch grundlegende ethische Fragen auf. Eine Bewertung der Risiken ist angesichts des Spektrums der Möglichkeiten und Meinungen kaum möglich. Die Politik sieht sich einerseits in der Rolle des Förderers, andererseits in der des bremsenden Regelsetzers. Da sie nicht über überlegenes Wissen verfügt, ist sie auf Expertisen aus Wirtschaft und Wissenschaft angewiesen, die wie gesagt weit divergieren. Hinzukommt wie im Fall der Klimapolitik, dass nationale Alleingänge wenig Erfolg haben, wenn nationale Regeln in anderen Ländern nicht gelten und damit umgangen werden können. Die internationale Koordination macht die Aufgabe keineswegs leichter. Aus den in diesem Beitrag entwickelten Überlegungen lassen sich dennoch einige, wenn auch nur sehr allgemeine Handlungsanweisungen ableiten. Regulierung sollte systematisch die Möglichkeiten prüfen und nutzen, Wissensstrukturen zu ihren Zwecken zu verändern, beispielsweise durch die Förderung von Beratungs-, Forschungs- und Testinfrastrukturen, durch Transparenz- und Dokumentationsverpflichtungen, durch Anreize zu mehr oder neuen Forschungsanstrengungen oder durch eine zielgerichtete Förderung interdisziplinärer Forschung unter Einbeziehung der Geistes- und Gesellschaftswissenschaften, die Meta-Wissen über komplexe Systeme beisteuern kann. Außerdem sollte die Politik darauf achten, dass die drei im letzten Abschnitt genannten Kriterien für einen kritischen Umgang mit unvollständigem und interessengebundenem Wissen erfüllt werden. Ein wichtiger Aspekt ist hierbei die Förderung unabhängiger Forschung und deren gleichberechtigte Berücksichtigung in politischen Entscheidungsprozessen. Dies scheint leichter als im Fall der Regulierung des Finanz- und Geldwesens zu sein, wie bereits vorhandene internationale Initiativen zeigen, so etwa das The Future of Life Institute in den USA (https://futureoflife.org), die Stiftung Neue Verantwortung in Deutschland (https://www.stiftung-nv.de), oder die interdisciplinäre japanische Forschergruppe zu Acceptable Intelligence with Responsibility (AIR) (http://sig-air.org). Big Data und künstliche Intelligenz werden die Vorteile der hierarchisch-modularen Struktur komplexer Systeme nicht aufheben, sondern ebenfalls nutzen. Die Blockchain-Technologie ist hierfür ein gutes Beispiel.20 Berechtigte Hoffnung besteht, dass von Big Data und künstlicher Intelligenz auch die Sozialwissenschaften bei der Weiterentwicklung von Meta-Wissen über die Funktions20  Don Tapscott and Alex Tapscott, Blockchain Revolution. How the Technology Behind Bitcoin Is Changing Money, Business, and the World, New York: Penguin Random House, 2016.

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weise und Steuerbarkeit komplexer Systeme profitieren werden. Letztlich sollten wir uns darüber, dass künstliche Intelligenz die menschliche Intelligenz alsbald abhängen wird, eigentlich keine allzu großen Sorgen machen. Schließlich hat uns die in unserem globalen Wirtschaftssystem dezentral verteilte Intelligenz schon lange überholt.

Henry Ordower: Exploring the Impact of Taxation on Immigration

Exploring the Impact of Taxation on Immigration Henry Ordower Henry Ordower Exploring the Impact of Taxation on Immigration

Rules governing admission of immigrants to stable, developed countries vary widely among countries, yet wealthy and highly educated immigrants receive favorable admission decisions from immigration authorities more frequently than do conflict and economic refugees. Wealthy individuals tend to receive quick and favorable admission decisions even if they differ ethnically, racially and religiously from the majority populace.1 As preferred immigration destination countries limit the number of immigrants they will admit – the U.S. certainly does –, admissions are likely to follow a hierarchy based on expectations that certain immigrants will contribute significantly to the economy and welfare of the destination country in a manner that distinguishes him or her from other applicants for admission.2 Admission standards and practices also may favor some applicants over others on the basis of race, religion, and country of origin.3 Immigration has changed the face of many economically developed countries and introduced a diversity of cultures into formerly homogeneous monocultures.4 1  Leila Adim, Between Benefit and Abuse: Immigrant Investment Programs, Saint Louis U. L. Rev. Vol. 62 (2017), p. 121; Allison Christians, Buying In: Residence and Citizenship by Investment, Saint Louis U. L. Rev. Vol. 62 (2017), p. 51. 2  The U.S. historically has maintained a family based immigration system as its principal method for legal, permanent immigration under 8 U.S.C. § 1151 et seq. The statute also includes other categories of immigrants with lower priority including exceptional individuals, those with critical skills and education and certain unskilled workers but not seasonal workers. Categories other than family immigration are “merit-based.” USCIS, Green Card Eligibility Category 1 available at https://www.uscis.gov/greencard/eligibility-categories. There is also a category for diversity immigration but within the category candidates are scored on the merit criteria. 3  In the U.S., categories of immigrants have become less predictable during the Trump administration, as President Trump overtly has sought to sub-classify immigrants by racial, religious and ethnic limitations within the various classes. Early in his presidential tenure, President Trump sought to impose a ban on immigration from predominantly Muslim countries. U.S. Department of Homeland Security, Executive Orders on Protecting the Homeland, available at https://www.dhs.gov/executive-orders-protecting-homeland (last visited December 3, 2018). 4  Sweden, for example. Hans-Ingvar Roth/Fredrik Hertzberg, Tolerance and Cultural Diversity in Sweden 10, European Union Institute, Robert Schuman Centre for Advanced Studies, ACCEPT PLURALISM 7th Framework Programme Project (2010) (available at

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Conflict zones and weak economies drive immigration from those areas to wealthier and more stable areas. At the same time, high taxes and regulation fuel emigration from wealthy stable economies to lower tax, less regulated jurisdictions. Labor flight to lower tax jurisdictions historically has not been prevalent because rendition of services has been location dependent. However, the rapid growth of technology has made many industries independent of the location of their service providers.5 Cross-border competition for some labor has grown. While top scientists and medical professionals have been in demand since at least the early years of the 20th century, demand for technology expertise has accompanied growing international reliance on technology. The emergence of English as a common, international language has removed linguistic barriers to international commerce and individuals with technical training and expertise are able both to work remotely and relocate. Competition in many realms has become international and less developed countries which have devoted their limited resources to educating and training their citizens to develop that expertise and skill are concerned about losing those they have educated to other countries that might offer higher salaries and better living circumstances.6 This paper explores the role that taxation plays in the movement of people and capital. Part I addresses the relationship between taxes and retention of capital, including tax incentives for capital investment, shifting tax burdens from capital to labor, and rules preventing the escape of capital from its current taxing jurisdiction. Part II considers how taxes supplement immigration policy to attract capital currently outside the jurisdiction. Part III contemplates whether taxes play any significant role in attracting7 or retaining skilled labor.8 Part IV looks https://www.academia.edu/664630/Tolerance_and_Cultural_Diversity_in_Sweden). And further in Sweden on the failure to integrate and cultural misunderstanding: Paulina de los Reyes , ed., Om välfärdens gränser och det villkorade medborgarskapet: Rapport av Utredningen om makt, integration och strukturell diskriminering, 2006 Statens Offentliga Utredningar (Public Investigations of the State) 37 (Title translation: Concerning the limits of welfare and conditional citizenship: Report on the investigation of power, integration, and structural discrimination) (author’s translation). 5  Call centers for product support or marketing are obvious examples and many technological services often lend themselves to remote contact between clients and providers. 6 E.g. Yariv Brauner, Brain Drain Taxation as Development Policy, Saint Louis U L J Vol. 55 (2010), p. 221; Matthew Lister, A Tax-Credit Approach to Addressing Brain Drain, Saint Louis U L J Vol. 62 (2017), p. 63. Cuba, for example, trains many, high quality medical professionals and contracts to supply medical professionals to other Latin American countries while paying low wages and retaining payments in excess of the salaries. Shasta Darlington, Cuba Is Pulling Doctors From Brazil After ‘Derogatory’ Comments by Bolsonaro, The New York Times (Nov. 14, 2018) available at https://www.nytimes. com/2018/11/14/world/americas/brazil-cuba-doctors-jair-bolsonaro.html. 7  Pierre-Régis Dukmedjian/Nadejda Girleanu, Luxembourg Offers Tax Incentives to Attract Highly Skilled Employees, Tax Notes (Dec. 6, 2018), available at https://www.

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at taxes and tax trends and identifies how they disadvantage or benefit fungible, frequently immigrant labor.9 Part V concludes that capital tax rate competition seems unlikely to prevent capital flight as it inquires whether anti-immigration and anti-immigrant public sentiment has contributed to the shift of tax burdens from capital to labor. 8

I.  Retaining Rich People and Their Capital As global competition for capital increased in the latter decades of the 20th century, the steeply progressive income taxes with high maximum rates of tax characteristic of developed countries during the middle years of the 20th century yielded to systems with moderate or flat progression and moderate maximum rates of tax.10 Taxes also have tended to increase on less mobile income from labor and to decrease on more mobile income from property.11 Periodic wealth taxes and gift and estate taxes on the transmission of wealth similarly have declined or disappeared.12 Such changes in rates and tax structures may discourage wealthy individuals from emigrating and settling in lower taxed countries or transferring their income producing personal property to low taxed jurisdictions.13

taxnotes.com/worldwide-tax-daily/employment-taxes/luxembourg-offers-tax-incentivesattract-highly-skilled-employees/2018/12/06/28l6b. 8  Supra note 6 for literature examples. 9  Defined and discussed infra in part IV. 10  OECD Tax Database available at http://www.oecd.org/tax/tax-policy/tax-database. htm#pit. 11 Id. 12  In 1976 estates in excess of $ 600,000 were subject to estate tax but in 2018 estates become taxable only in excess of $10,000. Section 2010 of the Internal Revenue Code of 1986, as amended (the “Code”), 26 U.S.C. § 2010 (exemption from tax). In the following sections of the Code will be referred to as I.R.C. § followed by a number. The maximum estate tax rate in the U.S. for example declined from 77 percent of taxable estates in excess of $ 10 million in 1976 to 40 percent of taxable estates in excess of $ 11 million. I.R.C. § 2001. Sweden repealed its inheritance tax in early 2005, retroactively to December 17, 2004 (source available at http://www.arvsskatt.nu/index.php?page_id=22&lang_id=1) and its wealth tax in December 2007 retroactively to January 1, 2007. Ekonomifakta, Förmögenhetsskatt (available at http://www.ekonomifakta.se/sv/Fakta/Skatter/Skatt-pafastigheter-och-formogenhet/Formogenhetsskatt/). Sweden is unusual among OECD members in not having an inheritance or estate tax. Sveriges Riksdag, Motion 2013/14:Sk403 Arvsskatt och förmögenhetsskatt (October 3, 2013) (available http://www.riksdagen.se/sv/ Dokument-Lagar/Forslag/Motioner/mot-201314Sk403-Arvsskatt-oc_H102Sk403/). 13  For some taxpayers decreased rates of tax are not sufficient. The U.S. experience suggests that taxpayers seek to avoid even very low taxes. Henry Ordower, The Culture of Tax Avoidance, Saint Louis U L J Vol. 55 (2010), p. 47.

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Decline in maximum rates of tax and occasionally complete disappearance of taxes on transmission of wealth have limited impact on funding of governmental services and public benefits. While steeply progressive taxes are associated historically with public benefits and welfare states, even confiscatory taxes on the wealthiest residents are unlikely to yield sufficient revenue to maintain extensive governmental functions and services. The general populace must provide the revenue to fund the demands of modern governments.14 The policy supporting steeply progressive and high income tax rates and taxes on transmission of wealth at death served primarily to level disparities between wealthier and poorer residents and limit the growth and maintenance of a privileged and dominant class in the society.15 Perceptions of worthiness of tax objects also changed during the last decades of the 20th century. Increasing capital mobility challenged the commonly-held view that income from labor should not be disfavored in taxation relative to income from capital16 and arguments prevailed holding that capital is more productive than labor so should be taxed at a lower rate than labor is taxed. As exceptional as the U.S. is in taxing its citizens, residents, and domestic corporations17 on their income from all sources worldwide,18 it is not uniquely burdened with the problem of wealthy taxpayers shifting capital and sometimes themselves to jurisdictions imposing a smaller tax burden on them. Worldwide taxation makes the shift of income somewhat more difficult than it might be in a territorial tax country. Despite worldwide taxation, the U.S. generally cedes primary taxing jurisdiction for income produced outside the U.S. to the country where the income is produced through a credit for foreign taxes.19 If the foreign taxes are lower than the U.S. tax, the U.S. captures a tax amount equal to the difference between the higher U.S. tax and the foreign tax credited.20 To avoid U.S. tax, U.S. investors have two choices – one lawful, one not. The lawful choice is to relinquish U.S. citizenship or, for non-citizen residents, the right to reside in the U.S. The unlawful choice has been to secrete investments in foreign jurisdictions with strong bank secrecy laws so that income and wealth remain hidden outside U.S. taxing jurisdiction free from U.S. tax. 14  Sven-Olof Lodin, Swedish Tax Reforms 1971 – 77 – Why So Many?, Acta Universitatis Stockholmiensis Studia Juridica Stockholmiensia Vol. 21 (1977), p. 177, 183. 15  Walter J. Blum/Harry Kalven, Jr., The Uneasy Case for Progressive Taxation, The U.Chi. L. Rev. Vol. 19 (1952), p. 417, 487. 16  Andrew W. Mellon, Taxation: The People’s Business 56 – 8 (New York 1924). 17  Corporate residence for U.S. tax purposes follows place of incorporation rather than seat of management. I.R.C. § 7701(a)(4). 18  I.R.C. § 61 (defining gross income as all income from whatever source derived). Treas. reg. § 1.1 – 1 (worldwide taxation). 19  I.R.C. § 901 (foreign tax credit). 20  I.R.C. § 904 (limitation to U.S. tax on the income).

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Investors also may operate businesses through or invest in domestic or foreign corporations and defer individual tax on the income until the individual shareholder receives distributions or sells the corporate shares. A peculiarity of the U.S. tax system permanently eliminates the individual tax on gain but not dividends if the shareholder dies before selling the corporate shares. A decedent’s property receives a new, fair market value tax basis at the owner’s death.21 A foreign corporation also permits the deferral of the U.S. corporate level income tax. Even if its shareholders are U.S. persons, a foreign corporation is not subject to U.S. taxing jurisdiction except on that portion of its income from U.S. sources or effectively connected with its conduct of a U.S. trade or business.22 Most distributions of foreign source income of the foreign corporation to its U.S. owners become taxable in the U.S.23 The U.S. has deployed an array of complex anti-avoidance rules to prevent taxpayers from exploiting corporate limitations on U.S. taxation of foreign source income. Some income of controlled foreign corporations (CFC)24 is taxable to the corporation’s U.S. shareholders25 if the use of the foreign corporation to earn the foreign source income serves no logical business purpose. Thus, passive investment income as well as sales and service income unrelated to the CFC’s country of incorporation 26 trigger the inclusion to the shareholders as if the CFC were a tax transparent entity similar to a partnership.27 U.S. persons who invest in for21 

I.R.C. § 1014. I.R.C. § 881 (fixed and determinable periodic income); I.R.C. § 882 (effectively connected income). 23  Recent change in the U.S. tax rules by the unnamed tax act commonly referred to as the Tax Cuts and Jobs Act of 2017, Pub. L. 115 – 97 (Dec. 22, 2017) (“TCJA”), permitting some distributions from foreign corporations to their domestic corporate U.S. owners to remain permanently free from the U.S. income tax do not apply to distributions to individuals. I.R.C. § 245A (providing a 100 percent dividends received deduction for distributions to domestic corporations which are U.S. shareholders. A U.S. shareholder is defined as shareholder who owns, directly or by attribution, 10 percent of the voting or value interests in the corporation. I.R.C. § 951(b)). Further changes made by the TCJA have layered new complexity to limit deferral of income from intangible property (I.R.C. § 951A (global intangible income) and I.R.C. § 250 (foreign derived intangible income) and related party transactions (I.R.C. § 59A (base erosion alternative tax). 24  I.R.C. § 957 (defining CFC as a corporation in which U.S. shareholders, defined supra note 23, own more than half the voting power and share value). 25  Under I.R.C. § 951(b), U.S. shareholder is a term of art and refers to a shareholder who owns ten percent of the voting rights or value of the CFC. 26  Foreign base company income is subpart F income under I.R.C. § 952 included to the shareholders under I.R.C. § 951(a). I.R.C. § 954(a) (foreign base company income). 27  I.R.C. § 951(a). Inclusion of CFC income is not fully transparent. Subpart F income that would have been capital gain to the corporation does not retain its character as capital gain to the U.S. shareholders. 22 

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eign investment companies may defer inclusion of the foreign investment company’s income but when they sell their interests in the foreign company or receive distributions, the gain does not enjoy preferential rates on capital gains and the gains and dividends become subject to an interest charge.28 A decedent’s estate does not get a new basis in foreign investment company shares so the estate’s beneficiaries remain subject to the interest charge on the increase in value of the investment in the foreign investment company.29 U.S. corporations converting to foreign corporations to avoid U.S. taxation on their foreign source income are subject to the anti-inversion provisions30 subjecting them to continuing taxation of their income in the U.S. The unlawful option of concealing income and income producing assets in a low tax, bank secrecy jurisdiction came under intense attack with the enactment of the Foreign Accounts Tax Compliance Act (FATCA) in 2010.31 That legislation imposed substantial penalties on U.S. taxpayers who failed to disclose their foreign accounts and pay tax on their income from those accounts. That act also sanctioned foreign financial institutions accepting accounts from U.S. taxpayers not reported to U.S. taxing authorities by preventing them from participating in U.S. programs, including reduced withholding on investments in the U.S., a feature important to the institution’s underlying non-U.S. investors. Despite the U.S.’s exceptionalism in imposing worldwide taxation, U.S. persons historically valued their status as citizens and permanent residents of the U.S. The U.S. no longer may rely on its citizens and residents wishing to continue to be citizens and residents. Stable governments and developed banking and communication systems in low tax jurisdictions make U.S. citizenship or the right to reside permanently less compelling than they once were. Expatriation for wealthy individuals has become an alternative to continued citizenship or residence when it diminishes the individual’s tax burden substantially.32 High net worth individuals’ sources of income have globalized. U.S. source income remains taxable in the U.S. even after expatriation but foreign source income is not. Some income 28  I.R.C. § 1291 (income from a passive foreign investment company defined in I.R.C. § 1297). A taxpayer may avoid the unfavorable effect of these rules by electing to include the income of the foreign company in U.S. income annually. I.R.C. § 1295 (qualified electing fund); I.R.C. § 1293 (inclusion of prorata share of qualified electing fund income). 29  I.R.C. § 1291(e). 30  I.R.C. § 7874 (taxing all or part of a foreign entity’s income in the U.S. either as if it were a U.S. entity or under a continuation tax follow expatriation of the entity). 31  124 Stat. 71, Pub. L. 97 – 117 (2010). 32  The IRS publishes a list of expatriating individuals quarterly. The numbers of expatriates moderated somewhat in 2018. IRS, Quarterly Publication of Individuals, Who Have Chosen To Expatriate, as Required by Section 6039G, 83 FR 58321 (11/19/18). Henry Ordower, The Expatriation Tax, Deferrals, Mark to Market, the Macomber Conundrum and Doubtful Constitutionality, Pitt Tax Rev Vol. 15 (2017), p. 1, 6.

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follows the residence of its owner and becomes foreign source following expatriation. Unrealized gain on corporate stock, bonds, collectibles, gemstones, and artwork would have been U.S. source if realized and recognized before a U.S. person’s expatriation. If recognition is deferred until after expatriation, its source shifts to the new residence of the owner33 and it becomes free from U.S. tax. In countries with territorial taxation and the U.S. with its worldwide taxation, legislatures have designed tax rules to discourage change of residence or expatriation and retain tax revenue by subjecting some or all of the taxpayer’s income to tax following change of residence or expatriation. Legislation takes the form of either a continuation tax or an exit tax. The U.S. has used both. A continuation tax imposes an obligation on the taxpayer to pay tax on some or all of the taxpayer’s income following the change of the taxpayer’s residence or citizenship.34 Most continuation taxes have durational limits, commonly five or ten years. The U.S. tax had a ten year durational limit.35 An exit tax imposes a single incident of taxation on the taxpayer’s deferred income or unrealized gain at the moment of expatriation.36 Payment of all or part of the tax may be deferred if the taxpayer assures payment of the tax through a bond or a third party payer of the income to the taxpayer through withholding.37 Tax administration also has the power to certify seriously tax delinquent individuals to the Department of State for revocation

33 

I.R.C. § 865 (personal property sourced at residence). Ordower, supra note 32, at 7. Sweden has a continuation tax under which it taxes some expatriates on income from personal property for ten years following change of residence. 3 ch. 19 § Inkomstskattlag (Svensk fӧrfattningssamling [SFS] 1999:1229) (Swed.) (taxing Swedish citizens and permanent residents who leave Sweden on income from capital). Similarly, Germany has a ten-year continuation tax based on tax avoidance intent as described in Daniel Gutmann, La lutte contre “l’exil fiscal”: du droit comparé à la politique fiscale, Le Cercle des fiscalistes (May 24, 2012), http://www.lecercledesfiscalistes. com/publication/la-lutte-contre-lexil-fiscal-du-droit-compare-a-la-politique-fiscale/234. 35  I.R.C. § 877(d)(2). 36  Alice G. Abreu, Taxing Exits, U.C. Davis L. Rev. Vol. 29 (1996), p. 1087 (analyzing various proposals to counteract the tax loss from expatriation with the income tax and the transfer tax systems). 37  I.R.C. § 877A (expatriation tax). The French expatriation tax was determined to violate the E.U. treaty when applied to a French national moving within the E.U. but possibly not when relocating to Switzerland. Code général des impôts (Tax Code) art. 167a (Fr.) (as in effect in 1999). The European Court of Justice in Case C-9/02, Hughes de Lasteyrie du Saillant v. Ministère de l‘Économie, des Finances et de l‘Industrie, 2004 E.C.R. I-2452, ECLI:EU:C:2004:138, but in Christian Picart v Ministre des Finances et des Comptes publics, C-355/16, ECLI:EU:C:2018:184, the ECJ determined that the 1999 E.U.-Switzerland agreement on free movement of persons doesn‘t preclude France from imposing exit tax on the unrealized gains of a taxpayer who moved to Switzerland but was not engaged in a trade or business there. 34 

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or denial of issuance of the individual’s passport38 and for certain non-resident aliens, tax clearance is a condition for exiting the U.S.39

II.  Investors and Investor Immigrants Tax on investment income from U.S. sources by non-citizen, non-resident taxpayers is collected through a withholding tax of thirty percent of the gross payment.40 Double tax treaties often reduce that rate of tax on interest, dividends, and other investment income. To encourage foreign investors to invest in U.S. government and corporate debt, the U.S. reduced the rate of the withholding tax to zero while retaining the rule that a foreign investor otherwise does not file a U.S. tax return or pay a tax on that U.S. source income.41 State and local governmental units have offered a variety of direct and tax subsidies to induce the enterprises planning to build a facility in the U.S. to choose a specific locale. The practice of tax subsidy competition has generated a robust bidding process among states and localities in the U.S. often with questionable returns to the locality in exchange for considerable loss of tax revenue. The subsidies often do not require a permanent commitment from the enterprise and occasionally leave the locality with an ongoing facilities’ burden after the enterprise ceases its operations there.42 Some low tax jurisdictions have competed actively for investor capital by offering bank secrecy and low or no income tax on the earnings of non-residents. The OECD targeted these jurisdictions as engaging in harmful tax practices in a 1998 initiative43 leading to increased transparency and information sharing by the targeted jurisdictions. A second initiative on base erosion and profit shifting

38  I.R.C. § 7345 (certification under section 32101 of the FAST Act, Pub. L. 114 – 94 (2015) enacted as a revenue offset). 39 I.R.C. § 6851(d), IRS, Departing Alien Clearance (Sailing Permit), available at https://www.irs.gov/individuals/international-taxpayers/departing-alien-clearance-sailing-permit. 40  I.R.C. § 871 (tax on fixed, determinable, annual or periodic income). 41  I.R.C. § 871(h) added by section 127 of Pub. L. 98 – 369 (Deficit Reduction Act of 1984), (1984). 42  Henry Ordower, Les Impôts Relatifs aux Investissements Étrangers aux États-Unis d‘Amérique (observations générales), Revue Internationale de Droit Economique Vol. 10 No. 2 (1996), p. 185. 43  Gabriel Makhlouf, Current Status of OECD’s Harmful Tax Practices Initiative A statement by the Chairman of the OECD’s Committee on Fiscal Affairs (2002) available at http://www.oecd.org/general/searchresults/?q=unfair%20tax%20competition&cx=012 432601748511391518:xzeadub0b0a&cof=FORID:11&ie=UTF-8.

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(BEPS) has continued the effort to achieve greater transparency with uniformity in tax rules to prevent arbitrage especially through use of hybrid structures.44 Such international efforts to limit tax competition may have motivated investors to become immigrants seeking the most favorable living and investment bases rather than simply moving capital. An emerging international competition issue has focused on “golden” visas and money laundering and similar concerns surrounding their issuance.45 Rather than offering tax or direct subsidies for investment, countries with golden visa regimes expedite the immigration process for investors who bring substantial investment capital to the receiving country. Investor immigrants invest designated minimal amounts in the receiving country in exchange for the privilege to enter and reside there.46 Some Caribbean island states even exchange immediate citizenship for a fee rather than an investment commitment.47 The amounts and industries in which the investments must be made are not uniform among countries. Economically developed countries like the U.S. require a larger investment commitment than do countries looking to capture international capital to assist the country’s lagging economic development.48 Several countries also provide investor immigrants with temporarily favored tax treatment.49 Others are low tax jurisdictions that welcome investors from high tax jurisdictions who may wish to avoid or evade taxes in their home countries by changing their residence or even citizenship to avoid home country taxes.50 Investor immigrants are desired and desirable. They do not take jobs from long term residents or citizens and their investments may create jobs. Competition among countries for investor immigrants is robust. Investor immigrants to the U.S. are subject to general U.S. taxing jurisdiction under the U.S. worldwide taxation system when they become U.S. residents. Immigration is only practical from a taxing perspective for investors subject to taxes equal to or higher than U.S. taxes in the country from which they are emigrating, since all their income becomes subject to U.S. tax with a credit for foreign taxes. 44 OECD, Base Erosion and Profit Shifting (updated frequently) available at http:// www.oecd.org/tax/beps/. 45 For example, Ceylan Yeginsu, What Are Britain’s ‘Golden Visas,’ and Why Are They Being Suspended?, The New York Times (Dec. 6, 2018) available at https://www. nytimes.com/2018/12/06/world/europe/uk-golden-visa-suspended.html (expressing concernings about Russian oligarchs’ use of the British program for money laundering). 46  Adim, Between Benefit and Abuse, supra note 1; Christians, Buying In, supra note 1. 47  Adim, supra note 1, at 122. 48  Christians, supra note 1, at 57. 49  Id. at 51 (discussing Italy’s new program, and comparison with Portugal, Malta, Ireland). 50  See discussion of FATCA legislation in the U.S., supra note 31, and the harmful tax competition and BEPS initiatives of the OECD, supra notes 43 and 44.

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Where their emigration jurisdiction has lower taxes than the U.S., investor visas are desirable only from non-tax perspectives – opportunities, lifestyle, safety, etc. As investors they enjoy the tax advantages currently favoring capital over labor in the U.S., including the absence of any social security tax on income from capital,51 preferential rates for net capital gain and dividends,52 deferral of inclusion in income of appreciation in the value of their property,53 rapid tax recovery of many capital expenditures,54 and a deduction of twenty percent of the income from the conduct of a trade or business in the U.S.55

III.  Educated and Skilled Labor 1.  Skilled Immigrants Countries also tend to welcome individuals with specific skills in a variety of fields as immigrants or temporary workers. The U.S. has many immigration priority programs for educated and skilled workers.56 Jobs for individuals with skills or training often pay better than jobs in the immigrant’s country of origin. Like investor immigrants, skilled immigrants are subject to the general taxing jurisdiction of the U.S. on their worldwide income. Unlike investor immigrants, skilled immigrants receive payment for services and do not enjoy the advantages of the current U.S. preference for income from capital. Since their visa status is job dependent, they cannot convert their status into independent contractors who might capture the new twenty percent deduction for income from the conduct of a trade or business.57 They must pay social security taxes but, for those with high demand skills, wages are likely to exceed the social security earnings cap so they will not pay social security tax on all wages.58 Employers may be able to offer various deferred compensation arrangements and, for some occupations 51  I.R.C. § 3101 (6.2 percent tax on wages); I.R.C. § 1401 (tax on self-employment income). 52  I.R.C. § 1(h) (maximum rate on net capital gains and dividends). 53  I.R.C. § 1001 (gain from sale or other disposition of property). 54  I.R.C. § 168(k) (bonus depreciation). 55  I.R.C. § 199A (qualified business income deduction). Added by TCJA, the deduction violates principles of horizontal equity by favoring individuals who are business owners over employed individuals. 56  For example, USCIS, H-1B Specialty Occupations (available at https://www.uscis. gov/working-united-states/temporary-workers/h-1b-specialty-occupations-dod-coopera tive-research-and-development-project-workers-and-fashion-model) . 57  I.R.C. § 199A (qualified business income), supra note 55. 58  I.R.C. § 3101. In 2018, wages in excess of $ 128,400 are free from the social security tax. Those who never become permanent residents are unlikely to draw any benefits under the social security system.

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provide non-taxable benefits including housing and meals.59 High wages may give the workers the opportunity to accumulate disposable income for investment enabling the workers to become investors. 2.  Skilled Emigrants Economically developing countries educate promising young citizens at government expense to develop an indigenous pool of skilled and educated workers. Those individuals are among the most desired candidates for immigration to economically developed countries where their skills also are needed. Salaries higher than what they would receive in their home country and better opportunities for family members are seductive despite any privileges their education might afford them at home. Emigration thwarts home country plans for those individuals to fulfill important societal roles and move the country’s development. Preventing them from emigrating as controlled economies like Cuba and the former Soviet Union did raises human rights concerns. But these privileged individuals have consumed considerable amounts from limited national wealth to become who they are. Repayment in some manner may be appropriate.60 Other countries impose a special fee or tax requiring an emigrant to repay all or part of the cost or value of the education or training as an exit tax or a continuation tax following emigration.61

IV.  Fungible Labor and Other Authorized and Unauthorized Immigrants Many jobs require limited skills and training. The workers are substantially fungible. While unskilled jobs require some training – even specialized training in many instances –, the necessary skills are relatively easy to learn and the shift from one unskilled job to another carries a low retraining cost. Unlike skilled and educated workers, fungible workers receive limited amounts of nontaxable fringe benefits. Most are subject to wage taxes on all their income because they do not earn more than the social security tax ceiling. They spend the bulk of their 59  I.R.C. § 119 (exclusion from gross income of meals and lodging provided for the convenience of the employer). 60  In the U.S., the military offers programs to pay for education for individuals if they are willing to commit to serve for several years following degree completion. For example, U.S. Army, Earn Your Degree Through ROTC, available at https://www.goarmy.com/benefits/education-benefits/earn-your-degree-through-rotc.html. 61  There is considerable academic literature on this topic: Tito Boeri/Herbert Brucker/ Frederic Doquier/Hillel Rapoport, eds., Brain Drain and Brain Gain The Global Competition to Attract High-Skilled Migrants, Oxford 2012; Gillian Block/ Michael Blake, Debating Brain Drain May Governments Restrict Emigration?, Oxford 2015; and literature cited supra note 6.

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income on necessaries so they have little ability to accumulate wealth. In countries with value added taxes, substantially all the workers’ income are subject to value added as well as the wage taxes. Fungible workers make up the bulk of the taxpaying public, bear the burden of paying for government,62 and are affected most profoundly as tax burdens shift from capital to labor. Included in the pool of fungible labor are immigrants other than those who are investors or have special skills. Developed economies tend to limit the number of immigrants each year – admitting far fewer than the number of individuals wanting admission. The U.S. admits under a system of priorities generally favoring family members of those already in the U.S.,63 and some under a diversity lottery-based system.64 Once immigrants reside in the U.S., their incomes are subject to the income tax, wages to social security and Medicare taxes, and they pay state consumption taxes – sales and use – when they use the income to buy the items necessary for living. Economically developed countries also tend to have economic refugees from less developed economies whose residence in the country is without official authorization. In the U.S. low wage earners qualify for a negative income tax65 on their earned income.66 The credit is substantial67 but as the taxpayer’s income increases, the credit rapidly phases-out.68 The credit does not help unemployed individuals and the phase-out effectively imposes an additional 21 percent tax on increases in wages in the phase-out range. Taxpayers lose the credit if they have income from capital exceeding a low threshold, thus discouraging any accumulation of wealth by low income individuals.69 Fear of IRS examination may discourage taxpayers from claiming the credit since such taxpayers are examined more frequently than taxpayers with much greater incomes.70 Taxpayers who have do not have social 62 

Supra, note 14 and accompanying text. USCIS, Green Card Eligibility Categories available at https://www.uscis.gov/greencard/eligibility-categories, supra note 2 and accompanying text. 64  USCIS, Green Card Through the Diversity Immigrant Visa Program, available at https://www.uscis.gov/greencard/diversity-visa. 65  I.R.C. § 32 (inflation adjusted, refundable credit designed originally to balance the social security tax). 66  I.R.C. § 32(c)(2) (wages plus self-employment income). 67  I.R.C. § 32(b) (as much as 45 percent of the taxpayer’s earned income not exceeding $ 14,570 in 2019, if the taxpayer has 3 or more qualifying children). 68  Id. The phase-out is 21.06 percent of each dollar over $ 24,820 for married taxpayers filing jointly. See Rev. Proc. 2018 – 57, available at https://www.irs.gov/pub/irs-drop/ rp-18 – 57.pdf, for a full set of credit and phase-out tables. 69  I.R.C. § 32(i)(2) (threshold amount in 2019 is $ 3600, see id. Rev. Proc. 2018 – 57). 70  Paul Kiel/Jesse Eisinger/Propublica, The Golden Age of Rich People Not Paying Their Taxes, The Atlantic (DEC 11, 2018) available at https://www.theatlantic.com/ politics/archive/2018/12/rich-people-are-getting-away-not-paying-their-taxes/577798/. 63 

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security numbers are ineligible for the credit even if they have alternate taxpayer identification71 and otherwise meet the qualifications for the credit. Thus, unauthorized workers may pay social security and income taxes but may not claim the earned income credit. In many societies, there are tasks that citizens and permanent residents are reluctant to perform. The tasks are not difficult to learn and often do not require knowledge of the country’s language. In some countries without a domestic subclass of workers,72 limited and temporary immigration may provide workers to fill those occupations. In the U.S., for example, migrant farm workers mostly from Mexico and Central America handle much harvest work and in the Gulf States, temporary, non-citizen workers make up the majority of the work force without gaining rights of residence or citizenship.73 Unauthorized immigration provides an additional supply of fungible workers. Unauthorized immigrants are subject to deportation at any moment and have little hope of gaining authorized status. Unless they secure false papers or alternative taxpayer identification,74 unauthorized immigrants may not accept work in the formal economy of their country of residence. They participate primarily in the informal economy in which they receive payment for their services or goods they sell in cash or in barter goods and services. Generally they have to accept payments for their services at rates substantially below the formal economy market rate.75 Such service value discounts are necessary to entice service recipients to use unauthorized workers’ services rather than those offered in the formal market. Unauthorized workers frequently find employment in occupations in which supplies 71  The U.S. issues individual taxpayer identification numbers (ITIN) on request to individuals not authorized to work in the U.S. but who have income to report in the U.S. IRS, Instructions for Form W-7 (https://www.irs.gov/pub/irs-pdf/iw7.pdf). 72  India, for example, has a domestic sub-class in the Dalit group even though the Indian constitution provides equality of status and opportunity. Constitution of India, Preamble and Art. 14, available at https://www.india.gov.in/sites/upload_files/npi/files/ coi_part_full.pdf. See generally, Dalit Solidarity, available at https://www.dalitsolidarity. org/dalits-and-untoucchability.html. 73  For example, in Qatar more than 80 percent of the work force is non-Qatari. Ben Hubbard, That Punishing Blockade? ‘We’ve Moved On,’ Qatar Says, The New York Times (Dec. 19, 2018) available at https://www.nytimes.com/2018/12/19/world/middleeast/ qatar-blockade-goods.html. 74  Supra note 71, U.S. taxpayer identification, for example. 75  The informal (or underground economy) operates primarily in cash outside the banking system and government regulation. Workers are paid at below market rates and have little or no job protection. See, generally, International Labour Organization, More than 60 per cent of the world’s employed population are in the informal economy (Apr 8, 2018), available at https://www.ilo.org/global/about-the-ilo/newsroom/news/WCMS_627189/langen/ index.htm.

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of authorized workers are inadequate or in which authorized workers do not wish to participate. Many unauthorized workers are in household occupations where their employer is in need of the services but is unwilling or unable to pay formal market rates. The payments generally would yield no tax deduction for the employer so payments in cash outside the formal economy are not of any consequence.76 Many unauthorized workers without tax identification do not report their income for income tax purposes. Failure to report income poses risks of both civil and criminal penalties since their obligation to report and pay taxes is independent of immigration status. If they were authorized workers, the incomes of many would lie below the threshold at which an income tax otherwise might be payable77 but, in most instances, a wage-based social security tax would be payable. In the U.S. such low income workers if authorized to work in the U.S. might qualify for the earned income credit.78 Thus, they are disadvantaged relative to authorized workers both in wage levels and access to a low wage tax benefit. While many unauthorized immigrants may not pay an income tax, they do pay consumption taxes79 and excise taxes as they consume and indirectly pay property taxes in their housing rent.

V.  Conclusion: Tax Shift from Capital to Labor: Does Immigration Matter? Taxation plays a role in immigration and emigration and seems to drive some decisions to migrate from high to low tax jurisdictions. Capital mobility and labor immobility argue in favor of decreasing taxes on capital to prevent capital flight even if the decrease means shifting tax burdens to labor. Decreased taxes on capital, however, do not guarantee that capital will not flee. Another jurisdiction may offer still lower taxes and generate conditions for tax decrease competition, depriving the taxing jurisdiction of needed revenue. A race to the bottom on capital taxes enhances disparities between wealthy and poor residents and is unlikely to 76  Homecare workers for children, infirm and aged individuals, for examples, generally non-deductible in any event as a personal expense under I.R.C. § 262 or offering a tax credit less valuable than the lower wages in the informal economy even in those instances in which a credit is available. I.R.C. § 21. 77  The income tax system of each developed economy does not tax incomes that fall below a minimum amount. That amount differs from country to country. In the U.S., the standard deduction under I.R.C. § 63 currently is $ 12,000 so that incomes less than that amount are not taxable. In Germany, a subsistence minimum must remain free from the income tax under the Constitutional Court’s decision BVerfGE 82, 60 (85) (May 29, 1990, 1st Senat). 78  Supra note 65 and accompanying text. I.R.C. § 32. 79  The US has no national consumption tax but most of the states of the U.S. have retail sales taxes.

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benefit developed economies. Growth of a privileged class undercuts longstanding commitments in advanced democracies to equality and equal opportunity. Other methods to stop capital flight are appealing. FATCA80 in the U.S. to prevent concealment of wealth offshore, continuation and expatriation taxes, robust transfer pricing limitations that allocate and tax income where it is produced all prevent the shift of income to low tax jurisdictions and deprive movement of capital and people of anticipated tax benefits. Formulary apportionment of worldwide income properly allocating income among jurisdictions might even eliminate the benefit of artificial income shifting without having to compromise longstanding policies concerning distribution of tax burdens.81 Ability to pay as a fundamental principle of taxation and resulting redistribution of wealth through strong welfare systems that provide for the needs of all remain as compelling today as they were when many economically developed countries chose to impose steeply progressive taxes. Yet the focus on competing for capital resources seems to have supplanted principles of fairness and ability to pay and resulted in increasingly flat or regressive taxation. Tax rate competition for capital seems a doubtful strategy heading toward a zero tax on capital income and raises the question of whether something else motivates countries to shift tax burdens from capital to labor. During the period in which tax rates at the top have declined, estate taxes decreased or disappeared and regressive wage and value added taxes became more central to revenue production, there also has been growing pressure on economically developed countries to accept immigrants from economically weak and developing countries. In many instances the newer immigrants look different and may follow different religions and cultural customs from those of the populace of the destination country. Perhaps those differences cause the citizenry of the destination country to be less welcoming to that immigrant population, less committed to redistribution of wealth when the distributees differ from the distributors, less willing to share their wealth with an unfamiliar immigrant population and more willing to accept less progressive taxation making the immigrant population pay for its own welfare consumption even if the loss of progressivity affects many citizens and long term residents adversely as well. At times immigrants may be perceived to consume a disproportional share of public assistance as they integrate, fail to integrate, or are prevented from integrating into their new country.82 In welfare states where the fundamental decision 80 

Supra note 31 and accompanying text. Henry Ordower, Utopian Visions toward a Grand Unified Global Income Tax, Fla. Tax Rev. Vol. 14 (2013), p. 361. 82  Moritz Marbach/Jens Hainmueller/Dominik Hangartner, The Long-Term Impact of Employment Bans on the Economic Integration of Refugees (August 1, 2018). Stan81 

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to use high taxes to fund broad public assistance was made many years earlier for a homogeneous society, resentment of immigrants who differ but draw those benefits may be unsurprising.83 As demand for entry and assistance from diverse cultural groups grows, resentment and concomitantly anti-immigrant political presence has become increasingly vociferous even when not politically successful.84 Perhaps the shift of taxes from capital to labor is also about cultural diversification – a question bearing examination.

ford-Zurich Immigration Policy Lab Working Paper No. 17 – 03; Stanford University Graduate School of Business Research Paper No. 17 – 72; Forthcoming in Science Advances. Available at SSRN: https://ssrn.com/abstract=3078172 or http://dx.doi.org/10.2139/ ssrn.3078172 concludes concerning the temporary ban on refugee employment in Germany: “[a] marginal social cost analysis for the study sample suggests that this employment ban cost German taxpayers about 40 million Euros per year, on average, in terms of welfare expenditures and forgone tax revenues from unemployed refugees.” 83  During development of the Swedish welfare state, the population was almost wholly white and Christian. Roth/Hertzberg, supra note 4, at 11 (well over half the foreign born in Sweden were Scandinavians and the rest almost exclusively while European). 84  BBC News, Europe and nationalism: A country-by-country guide (September 10, 2018), available at https://www.bbc.com/news/world-europe-36130006 (showing penetrations of the anti-immigrant parties in recent European elections).

Thomas Mann: Corporate Social Responsibility öffentlicher Unternehmen

Corporate Social Responsibility öffentlicher Unternehmen Thomas Mann Thomas Mann Corporate Social Responsibility öffentlicher Unternehmen

I.  Einleitung Helmut Siekmann hat für meinen beruflichen Werdegang – wahrscheinlich ohne sich dessen bewusst zu sein – eine wichtige Rolle gespielt. Denn sein Aufsatz, mit dem er bereits 1993 nachgewiesen hat, dass in der Rechtsform der öffentlich-rechtlichen Anstalt organisierte öffentliche Unternehmen vor allem im Kredit- und Versicherungsbereich zunehmend an Konturenschärfe verlieren und eine Tendenz zu kapitalgesellschaftsrechtlichen Strukturen aufweisen,1 hat den wesentlichen Anstoß für die Konzeption meiner Habilitationsschrift über die Erweiterung des Rechtsformenspektrums für öffentliche Unternehmen auf Basis der Anstaltsverfassung2 gegeben. Ähnlich weitsichtig hat Helmut Siekmann sich dann 1996 als einer der ersten Kollegen aus dem Öffentlichen Recht mit dem Thema der Corporate Governance in öffentlichen Unternehmen beschäftigt.3 Seit etwa 2003 hat das Thema der Corporate Governance zunehmend an Fahrt aufgenommen. Einige der von Helmut Siekmann diskutierten Grundsätze „guter Unternehmens- bzw. Beteiligungsführung“ wurden in den letzten Jahren vielfach in sog. Public Corporate Governance Kodizes (PCGK) zusammengefasst. Diese enthalten wesentliche Bestimmungen geltenden Rechts zur Leitung und Überwachung von Unternehmen, an denen die öffentliche Hand beteiligt ist, sowie international und national anerkannte Standards guter und verantwortungsvoller Unternehmensführung.4 Dabei setzen die PCGK kein „neues“ Recht. Vielmehr sollen sie lediglich das geltende Recht widerspiegeln und durch sog. Anregungen und Empfehlungen ergänzen.5

1  Helmut Siekmann, Die verwaltungsrechtliche Anstalt – eine Kapitalgesellschaft des öffentlichen Rechts? NWVBl. 1993, 361 – 370. 2  Thomas Mann, Die öffentlich-rechtliche Gesellschaft, 2002. 3  Helmut Siekmann, Corporate Governance und öffentlich-rechtliche Unternehmen, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, Bd. 15 (1996), 282 – 313. 4  Vgl. Ziffer 1.1. PCGK des Bundes (Stand: 30. Juni 2009). 5  S. hierzu noch näher unten II.2.

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Insbesondere die neueren Entwicklungen im Aktien-, Bilanz- und Kapitalmarktrecht, wie z. B. die 2017 eingeführte Berichtspflicht über Corporate Social Responsibility (CSR) für kapitalmarktorientierte (große) Unternehmen, geben jedoch Anlass, die als „state of the art“ geltenden Grundsätze der Public Corporate Governance auf den Prüfstand zu stellen. Die CSR-Berichtspflicht entfacht damit erneut die Diskussion darüber, wie öffentliche Unternehmen6 am besten zu führen und kontrollieren sind, d. h. wie die wirksamste und wirtschaftlichste sowie gleichzeitig rechtssicherste Form der Aufgabenerfüllung gewährleistet werden kann, und wie die öffentliche Hand als sachkundige und aktive Eigentümerin und Gewährleisterin von öffentlichen Aufgaben am besten agieren kann und sollte.7

II.  Public Corporate Governance War die Konzeption der Corporate Governance bei ihrer erstmaligen juristischen Thematisierung durch Helmut Siekmann im Jahr 1996 noch neu und ungebräuchlich, so hat sich das Thema der „guten Unternehmensführung“ etwa seit der Jahrtausendwende auch bei öffentlichen Unternehmen im Zusammenhang mit der Diskussion um deren Steuerung, Leitung und Überwachung unter dem Begriff Public Corporate Governance etabliert. 1.  Zum Begriff Corporate Governance umfasst sämtliche Grundsätze ordnungsgemäßer Unternehmensführung und Überwachung, an die sich Gesellschaftsorgane halten sollten.8 Public Corporate Governance lässt sich hingegen definieren als „rechtlicher Ordnungsrahmen und dessen Gestaltung für die Steuerung, Überwachung und Leitung von und in rechtlich und/oder wirtschaftlich selbständigen Organisationen der öffentlichen Hand sowie die tatsächlich praktizierte Organisationsführung/-aufsicht in/von den selbständigen Organisationen, in der Kernverwaltung und den politischen Organen der öffentlichen Hand“.9 Bei der Public Corporate 6  Der Begriff „Öffentliche Unternehmen“ bezieht sich im Folgenden auf Unternehmen, an denen der Staat bzw. die öffentliche Hand als Gesellschafterin beteiligt ist, unabhängig von der öffentlichen oder privatrechtlichen Rechtsform. 7 Vgl. OECD, OECD-Leitsätze zu Corporate Governance in staatseigenen Unternehmen, Ausgabe 2015, OECD Publishing, Paris, 2. Grundsatz, S. 20. 8  Uwe Hüffer (Begr.)/Jens Koch (Bearb.), Aktiengesetz, 13. Aufl. 2018, § 76 Rn. 37; To­ bias Ackermann, in: Cornelia Inderst/Britta Bannenberg/ Sina Poppe (Hrsg.), Compliance, 3. Aufl. 2016, Kap. 7, B. I, Rn. 6. 9  Ulf Papenfuß/Christina Schaefer, Beteiligungsmanagement und Public Corporate Governance: Grundsachverhalte und Reformperspektiven, ZögU 2017, 131 (137).

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Governance geht es also um die Regeln, nach denen eine gute Führung öffentlicher Unternehmen gelingen kann, sowie um die Anwendung dieser Regeln.10 Eine der grundsätzlichen Herausforderungen der Public Corporate Govern­ ance lässt sich im Lichte der Prinzipal-Agenten-Theorie und den hiermit beschriebenen Dezentralisierungs- und Delegationsproblemen verdeutlichen:11 Der Prinzipal (das „Volk“) delegiert Ziele und Ressourcen an einen Agenten (die Politik), der diese wiederum an einen weiteren Agenten delegiert (ein öffentliches Unternehmen). Der zweite Agent allerdings – so die Theorie – verhält sich opportunistisch. Er richtet sein Handeln also nicht primär an den Zielen des Prinzipals aus, sondern (auch) an seinen eigenen Zielen. Darüber hinaus hat der Agent i. d. R. überlegenes Wissen gegenüber dem Prinzipal, da er mehr und speziellere Informationen als der Prinzipal darüber hat, wie sich dessen Ziele realisieren lassen, oder aber auch, wie er seine eigenen Ziele zu Lasten des Prinzipals realisieren kann. Diese Informationsasymmetrie zwischen Prinzipal und Agenten und dem durch sie geförderten opportunistischen Verhalten des Agenten erschwert dem Prinzipal die Gewährleistung eines „zieladäquaten“ Handelns des Agenten.12 Darüber hinaus fehlt es im Hinblick auf die Leitung öffentlicher Unternehmen jedenfalls im ersten Glied (Volk-Politik) an effektiven Kontrollmechanismen des Prinzipals („Volk“) und seinem Agenten (Politik).13 Der durch Wahlen ausgedrückte Wille des Volkes ist zwar grundsätzlich geeignet, Anreize für Politiker zu setzen; auf die Führung öffentlicher Unternehmen haben sie indes kaum bis keinen Einfluss. Die Signalisierung der Präferenz des Prinzipals „Volk“ durch Wahlentscheidung fällt also praktisch weg („choice“). Es verbleibt damit als Instrument der Einflussnahme nur, die Präferenzen durch Meinungsäußerung dar10 

Stephan Leixnering/Ulf Papenfuß, Public Corporate Governance, zfo 2016, 224 (225). 11  Ausführlich zur Prinzipal-Agenten-Theorie z. B. Marcus Oehlrich, Organisation, Organisationsgestaltung, Principal-Agent-Theorie und Wandel von Organisationen, 2016, S. 115 ff. 12  Dietrich Budäus, in: Freiherr vom Stein-Gesellschaft e. V. (Hrsg.), Public Corporate Governance – Zur Steuerungsfähigkeit öffentlicher Unternehmen, 2015, S. 23; Papenfuß/ Schaefer (Fn. 9), ZögU 2017, 131 (141); aus rechtlicher Sicht etwa Wolfgang Graf Vitzthum, Gemeinderechtliche Grenzen der Privatisierung kommunaler Wirtschaftsunternehmen, AöR 104 (1979), 580 (631); Dirk Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 273; Thomas Raiser, Konzernverflechtungen unter Einschluß öffentlicher Unternehmen, ZGR 1996, 458 (478); Mann (Fn. 2), S. 118 ff., 187 ff. 13  Da sich auch die Politik dem Vorwurf aussetzen lassen muss, als „Agent“ opportunistisch zu handeln, sieht Helmut Siekmann Behörden auch als unfähig an, eine effektive Kontrolle öffentlicher Unternehmen durchzuführen, vgl. ders., in: Rolf Stober/Hanspeter Vogel (Hrsg.), Wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, 2000, S. 134 f. Zu öffentlich-rechtlichen und gesellschaftsrechtlichen Möglichkeiten der Kontrolle öffentlicher Unternehmen ausführlich Mann (Fn. 2), S. 128 ff., 230 ff.

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zutun („voice“). Dies setzt jedoch notwendigerweise voraus, dass der Prinzipal die für ihn wesentlichen Informationen erhält, zu denen er dann seine Meinung kundtun kann. Voraussetzung ist also, dass der Informationsasymmetrie entgegengewirkt wird, damit das „Volk“ als Prinzipal durch Meinungsäußerung überhaupt Einfluss nehmen kann.14 Eine weitere zentrale Anforderung an Public Corporate Governance ist es, öffentliche Unternehmen auf ihren öffentlichen Zweck auszurichten.15 Aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt sich in Verbindung mit dem Prinzip des Steuer- und Abgabenstaates eine Anforderung an die Tätigkeit öffentlicher Unternehmen, die diesen Unternehmen gleichzeitig überhaupt erst eine Daseinsberechtigung verschafft: Ebenso wie jede andere staatliche Tätigkeit muss auch die wirtschaftliche Betätigung dem Gemeinwohl dienen – sie muss also durch einen öffentlichen Zweck gerechtfertigt sein. Insofern ist ein Nutzen für das Allgemeinwohl erforderlich. Eine wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand zu rein fiskalischen Zwecken ist hingegen unzulässig, da dies der Teleologie des Steuerstaates widerspricht. Die Erzielung von Einnahmen als Nebenzweck ist hingegen unschädlich, was sich bereits aus Art. 110 Abs. 1 S. 2 GG ergibt, wonach bei Bundesbehörden und Sondervermögen nur deren Überschüsse in den Haushaltsplan des Bundes eingestellt werden müssen. Öffentliche und gemischtwirtschaftliche Unternehmen müssen also die unmittelbare Erledigung einer Sachaufgabe intendieren. Dem Gemeinwohl zu dienen, gibt öffentlichen Unternehmen somit überhaupt erst eine Daseinsberechtigung.16

14  Vgl. insbesondere zu CSR Ulf Papenfuß/Birgit Grüb/Benjamin Friedländer, Nachhaltigkeitsberichterstattung öffentlicher Unternehmen - Entwicklung eines Qualitätsmodells und empirische Befunde für Stadtwerke im internationalen Vergleich, ZögU 2015, Beiheft 45, 170 (172); zu Berichtspflichten von Vertretern öffentlicher Gesellschafter und den Informationsasymmetrien infolge gesellschaftsrechtlicher Verschwiegenheitspflichten s. Mann (Fn. 2), S. 240 ff. 15 Vgl. Thomas von Danwitz, Vom Verwaltungsprivatrecht zum Verwaltungsgesellschaftsrecht – Zu Begründung und Reichweite öffentlich-rechtlicher Ingerenzen in der mittelbaren Kommunalverwaltung, AöR 120 (1995), 595 (614); Mann (Fn. 2), S. 80 ff., 88 ff., 117 ff., 183 ff.; Uwe H. Schneider, Gute Corporate Governance für Staatsunternehmen, AG 2005, 493 (493); Brigitte Strobel, Weisungsfreiheit oder Weisungsgebundenheit kommunaler Vertreter in Eigen- und Beteiligungsgesellschaften?, DVBl. 2005, 77 (78). 16  Zum Ganzen s. nur Dirk Ehlers, Rechtsprobleme der Kommunalwirtschaft, DVBl. 1998, 497 (498 f.); Mann (Fn. 2), S. 80 f.; Stefan Meßmer, in: Beatrice Fabry/Ursula Augsten (Hrsg.), Unternehmen der öffentlichen Hand, 2. Aufl. (2011), Teil 2, Rn. 17; Christoph Brüning, in: Martin Schulte/Joachim Kloos (Hrsg.), Handbuch öffentliches Wirtschaftsrecht, 2016, § 5 Rn. 7 f.

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2.  Die Public Corporate Governance Kodizes Mit dem Ziel, das Zusammenspiel der für öffentliche Unternehmen relevanten Akteure (Leitungs- und Aufsichtsgremien, Beteiligungsverwaltung etc.) zu steuern und die sich hieraus ergebenden Anforderungen und Verantwortlichkeiten zu kommunizieren, hat der Bund – dem Vorbild des Deutschen Corporate Governance Kodex17 folgend – im Jahr 2009 einen Public Corporate Governance Kodex statuiert.18 In entsprechender Weise haben mittlerweile auch Bundesländer sowie zahlreiche Kommunen bzw. Kreise entsprechende Kodizes veröffentlicht.19 Ihnen kommen im Wesentlichen eine Erklärungs- und eine Ergänzungsfunktion zu. Die Erklärungsfunktion beinhaltet, dass der Kodex die Grundregeln der Public Cor­ porate Governance zusammenfasst und verständlich machen soll, indem er die wichtigen gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen übersichtlich darstellt. Darüber hinaus soll er im Rahmen seiner Ergänzungsfunktion Fragen der Governance und Unklarheiten oder Lücken, die sich aus dem gesetzlichen Regelwerk ergeben, mit Empfehlungen, die über das Gesetz hinausgehen, adressieren und hierzu Hinweise geben.20 Dabei sind die Public Corporate Governance Kodizes keine Rechtsnormen.21 Vielmehr richten sie sich an die Unternehmen, sind jedoch aus sich selbst heraus nicht verbindlich.22 Anders als der (ebenfalls rechtlich unverbindliche) Deutsche Corporate Governance Kodex (DCGK), der jedoch über die in § 161 AktG statuierte gesetzliche Erklärungspflicht im Rahmen des „comply-or-explain-Prinzips“

17 

Abrufbar unter https://www.dcgk.de/de/kodex.html (Abruf am 20. 12. 2018). PCGK des Bundes ist „Herzstück“ (Teil A) der vom Bundesministerium der Finanzen erlassenen „Grundsätze guter Unternehmens- und Beteiligungsführung im Bereich des Bundes“, die darüber hinaus die „Hinweise für gute Beteiligungsführung“ (Teil B) und die „Berufungsrichtlinien“ (Teil C) umfassen, abrufbar unter: https://www. bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Bundesvermoegen/ Privatisierungs_und_Beteiligungspolitik/Beteiligungspolitik/grundsaetze-guter-unternehmensfuehrung.html (Abruf am 20. 12. 2018). 19 Übersicht und Download der Public Corporate Governance Kodizes der Länder und Kommunen abrufbar unter: https://publicgovernance.de/html/de/2317.htm (Abruf am 20. 12. 2018). 20  Papenfuß/Schaefer (Fn. 9), ZögU 2017, 131 (144); vgl. auch Jan Schürnbrand, Public Corporate Governance Kodex für öffentliche Unternehmen, ZIP 2010, 1105 (1107). 21  Gunnar Schwarting, Public Corporate Governance – Bessere Steuerung kommunaler Unternehmen?, ZögU 2013, 191 (205); Simone Hartmann/Christian Zwirner (Hrsg.), Praxiskommentar Public Corporate Governance Kodex des Bundes, 2015, I. 2. Rn. 3. 22  Vgl. z. B. Ziff. 1.3 PCGK des Bundes. 18  Der

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eine gesetzliche Verankerung erfahren hat,23 fehlt es an einer vergleichbaren, d. h. gesetzlich verankerten Erklärungspflicht für die Anwendung der Public Corporate Governance Kodizes. Vielmehr fordert z. B. der Public Corporate Governance Kodex des Bundes selbst, dass seine Beachtung durch eine Verankerung im Regelwerk des öffentlichen Unternehmens sichergestellt werden soll – und zwar durch die jeweils beteiligungsführende Stelle.24 Letztere ist an den Public Corporate Governance Kodex gebunden und hat demnach dafür Sorge zu tragen, dass sich die Unternehmen zu der Beachtung des Public Corporate Governance Kodex bekennen.25 Die Unternehmen sollen verpflichtet werden, jährlich in einem Corporate Governance Bericht zur Umsetzung des Public Corporate Governance Kodex Stellung zu beziehen und Abweichungen von diesem erklären.26 Dem Beispiel des DCGK folgend soll also auch hier das „comply-or-explain-Prinzip“ für eine Offenlegung des Konformitätslevels sorgen.27

III.  CSR als Teil der Public Corporate Governance Eine Facette der Corporate Governance, die in jüngster Vergangenheit besondere Beachtung gefunden hat, ist die Corporate Social Responsibility (CSR). Sie kann mit der neueren europäischen Definition als „die Verantwortung von Unternehmen für ihre Auswirkungen auf die Gesellschaft“ verstanden werden.28 Im Wesentlichen werden hierunter die Auswirkungen auf die Umwelt-, die Arbeitnehmer- und die Sozialbelange gefasst, sowie die Achtung von Menschenrechten und die Bekämpfung von Korruption und Bestechung. Zusammenfassend kann man sagen, es geht um verantwortungsvolle, gute Unternehmensführung zum Wohle der Gemeinschaft und damit (auch) um Corporate Governance.29 Nichts-

23  Vgl. nur Wulf Goette, in: Münchener Kommentar zum Aktiengesetz, Bd. 3, 4. Aufl. 2018, § 161 Rn. 22 ff. m.w.N. 24  Ziff. 1.4, Ziff. 6.1 PCGK des Bundes. 25  Hartmann/ Zwirner (Fn. 21), III. 4. Rn. 21; bzgl. der entgegenstehenden § 23 Abs. 5 S. 1 AktG, § 76 Abs. 1 AktG bei der AG vgl. Hartmann/Zwirner (Fn. 21), I. 2. Rn. 7 ff. sowie Johannes Traut, Die Corporate Governance von Kapitalgesellschaften der öffentlichen Hand, 2011, S. 28 und 82 f.; Schürnbrand (Fn. 20), ZIP 2010, 1105 (1110). 26  Ziff. 6.1 PCGK des Bundes. 27  Krit. bzgl. Wirksamkeit der PCG-Kodizes im Allgemeinen Budäus (Fn. 12), S. 50 f. 28  Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen, Eine neue EU-Strategie (2011 – 14) für die soziale Verantwortung von Unternehmen (CSR), KOM (2011) 681 endg., S. 7. 29 Diff. Karin Kundt/Christina Schaefer, Nachhaltigkeit als Gegenstand der Corporate Governance, ZögU Beiheft 2015, 2 (9); zur Entwicklung des Begriffs CSR und zur Abgrenzung vom Begriff „Nachhaltigkeit“ s. auch Britta Ammermüller/Dorothea Greiling/

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destotrotz lassen sich (bisher) keine Regelungen hierzu in den Kodizes finden – weder im DCGK noch im PCGK des Bundes.30 Allerdings gibt es seit dem Jahr 2017 eine erweiterte gesetzliche Pflicht zur CSR-Berichterstattung (wenn auch nicht zur Vornahme bestimmter CSR-Maßnahmen), die jedoch nur einen ausgewählten Kreis von Unternehmen trifft. Hintergrund ist die Umsetzung der europäischen CSR-Richtlinie ins Handelsgesetzbuch (HGB): Mit ihrer neuen Strategie für die soziale Verantwortung von Unternehmen von 2011 hat sich die EU vorgenommen, den Übergang zu einer nachhaltigen globalen Wirtschaft, die langfristige Rentabilität mit sozialer Gerechtigkeit und Umweltschutz verbindet, zu ermöglichen. Im Rahmen dieser Strategie hat sie u. a. im Jahr 2014 die sog. CSR-Richtlinie erlassen.31 Auf dem „Weg zu einem nachhaltigen und integrativen Wiederaufschwung“32 sollen Unternehmen, die aufgrund ihrer Größe bzw. ihres hohen Umsatzes von öffentlichem Interesse sind, dazu verpflichtet werden, auch nichtfinanzielle Informationen zu veröffentlichen. Die Angabe dieser nichtfinanziellen Informationen soll dabei helfen, das Geschäftsergebnis von Unternehmen und deren Auswirkungen auf die Gesellschaft zu messen, zu überwachen und zu handhaben. Der deutsche Gesetzgeber hat die unionsrechtlichen Vorgaben in den §§ 289b–289e, 315b–315d HGB nahezu wortgleich umgesetzt.33 Mit diesem sog. „CSR-Richtlinien-Umsetzungsgesetz“34 wurde also eine neue Pflicht zur nichtfinanziellen Erklärung geschaffen. Deren Adressaten sind kapitalmarktorientierte Kapitalgesellschaften, Genossenschaften, haftungsbeschränkte Personenhandelsgesellschaften sowie Kreditinstitute und Versicherungsunternehmen, die die Merkmale des § 267 Abs. 3 HGB erfüllen und im Jahresdurchschnitt mehr als 500 Arbeitnehmer beJürgen Löwe/Christina Schäfer/Ludwig Theuvsen, Nachhaltigkeit und Nachhaltigkeitsmanagement in öffentlichen Unternehmen, ZögU 2012, 386 (387 f.). 30  Krit. hierzu Gesellschaftsrechtliche Vereinigung – Wissenschaftliche Vereinigung für Unternehmens- und Gesellschaftsrecht (VGR) e.V. („VGR“), Stellungnahme zu den Vorschlägen der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex zu Kodex-Anpassungen und -Änderungen für 2017 v. 12. 12. 2016; diff. Kundt/Schaefer (Fn. 29), ZögU Beiheft 2015, 2 (13). 31  Richtlinie 2014/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2014 zur Änderung der Richtlinie 2013/34/EU im Hinblick auf die Angabe nichtfinanzieller und die Diversität betreffender Informationen durch bestimmte große Unternehmen und Gruppen, ABl. EU Nr. L 390 v. 15. 11. 2014, 1. 32  Erwägungsgrund 3 der Richtlinie 2014/95/EU (s. Fn. 31) in Anlehnung an die Entschließung 2012/2097 (INI) des Europäischen Parlaments zur sozialen Verantwortung der Unternehmen vom 6. 2. 2013, ABl. EU Nr. C 24 v. 22. 01. 2016, S. 33. 33  Krit. hierzu Holger Fleischer, Corporate Social Responsibility, AG 2017, 509 (525); Marion Pester, Aktuelle Entwicklungen der Corporate Social Responsibility und ihre Relevanz für Banken, ZögU 2018, 149 (154). 34  Gesetz zur Stärkung der nichtfinanziellen Berichterstattung der Unternehmen in ihren Lage- und Konzernlageberichten vom 11. 4. 2017 (BGBl. I S. 802).

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schäftigen. Verpflichtet sind damit ausschließlich kapitalmarktorientierte Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern und einer Bilanzsumme von über 20 Mio. Euro oder einem Umsatz von über 40 Mio. Euro.35 Zwar ergibt sich auch als Folge der Umsetzung der CSR-Richtlinie keine konkrete Pflicht zur Vornahme konkreter CSR-Maßnahmen, also z. B. besonders nachhaltig oder umweltschonend zu wirtschaften. Doch muss über das Vorliegen entsprechender Konzepte und deren Auswirkungen öffentlich berichtet werden. Selbst diese Pflicht trifft jedoch nur einen relativ kleinen Kreis an Unternehmen – Schätzungen zufolge sind dies in Deutschland insgesamt etwa 550 Unternehmen.36 Für die übrigen Unternehmen ist nicht nur die CSR-Umsetzung, sondern auch die Berichterstattung hierüber weiterhin freiwillig. Zu letzteren gehören überraschenderweise auch ein Großteil der öffentlichen Unternehmen, so auch z. B. die Deutsche Bahn AG oder die großen Versorgungs- bzw. Verkehrsunternehmen der Gemeinden und Gemeindeverbände.37 Ein nicht zu unterschätzender Kreis an Unternehmen im Eigentum der öffentlichen Hand ist also von der Berichtspflicht nicht betroffen. Sie müssen – nach dem CSR-Richtlinien-Umsetzungsgesetz – weder ein Nachhaltigkeitskonzept verfolgen noch hierüber Rechenschaft ablegen, wenn sie dies nicht tun. Es stellt sich aber die Frage, ob sich eine Pflicht zu einem nachhaltigen und verantwortungsvollen Wirtschaften bzw. einer Berichterstattung hierüber für öffentliche Unternehmen nicht ohnehin bereits aus den für sie geltenden öffentlich-rechtlichen Grundsätzen ergibt.

IV.  Verantwortlichkeit der öffentlichen Hand für CSR in öffentlichen Unternehmen? Die Wirtschaftstätigkeit der öffentlichen Hand unterliegt besonderen Restriktionen. Insbesondere sind es drei Anforderungen, die sich letztlich dem Demokratieprinzip, dem Rechtsstaatsprinzip, dem Ordnungssystem der wirtschaftsrelevanten Grundrechte und – speziell mit Blick auf kommunale Unternehmen – aus der Gewährleistung kommunaler Selbstverwaltung ergeben: Das Organisationsrecht öffentlicher Unternehmen muss, um diesen verfassungsrechtlichen Maßgaben Rechnung tragen zu können, gewährleisten, dass (1) diese Unternehmen der Erfüllung öffentlicher Aufgaben dienen, (2) die öffentliche Hand 35 Vgl. Hanno Merkt, in: Adolf Baumbach (Begr.)/Klaus J. Hopt (Bearb.), HGB, 38. Aufl. 2018, § 289b, Rn. 2; Michael Lerchenmüller, in: Martin Häublein/Roland Hoffmann-Theinert (Hrsg.), BeckOK-HGB, Stand 15. 10. 2018, § 289b Rn. 1 ff. 36  Vgl. Regierungsbegründung zum Entwurf des CSR-Richtlinien-Umsetzungsgesetzes, BT-Drucks. 18/9982, S. 41. 37 Vgl. Peter Hommelhoff, in: Institut für den öffentlichen Sektor e.V. (Hrsg.), Public Governance Herbst 2018, S. 19.

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über ausreichende Ingerenzrechte verfügt, um die Tätigkeit ihrer Unternehmen steuern zu können, und (3) alle wesentlichen Unternehmensentscheidungen von demokratisch legitimierten Entscheidungsträgern getroffen werden.38 Diesen öffentlich-rechtlichen Bindungen darf sich die öffentliche Hand bei ihrer Wirtschaftstätigkeit auch nicht durch eine „Flucht ins Privatrecht“ entziehen. Sie ist und bleibt – gleich in welchem „Rechtskleid“ sie ihre Unternehmen gewandet – an die grundlegenden Prinzipen des öffentlichen Rechts und damit auch an die obigen Maßgaben gebunden.39 Die öffentlichen Unternehmen sind eine besondere Erscheinungsform der öffentlichen Verwaltung, durch die der Staat seine Aufgaben erfüllt. Im Außenverhältnis der Gesellschaft zum Rechtsverkehr unterliegen sie daher auch denselben Regeln, die für das sonstige Handeln der öffentlichen Hand gelten – schließlich darf die Wahl der Rechtsform nicht zu Lasten der Bürger gehen. Die öffentlichen Unternehmen in privatrechtlicher Form sind damit im Außenverhältnis unmittelbar an die grundlegenden Prinzipen des öffentlichen Rechts gebunden. In Bezug auf das Innenverhältnis, also die interne Organisation der Gesellschaft, wird eine Überlagerung des Gesellschaftsrechts durch das öffentliche Recht hingegen zu Recht überwiegend abgelehnt, da bereits die methodische Notwendigkeit eines solchen „Verwaltungsgesellschaftsrechts“ zweifelhaft ist und seine dogmatische Konstruktion die Gefahr eines Zirkelschlusses in sich trägt.40 Auch die Frage nach der Grundrechtbindung ist mittlerweile – auch für gemischtwirtschaftliche Unternehmen – geklärt. So hat das BVerfG (z. B. in der Fraport-Entscheidung von 2011,41 der Entscheidung zum kommunalen Freibad 201642 oder zuletzt in seiner Entscheidung zum parlamentarischen Informationsanspruch in Sachen der Deutschen Bahn AG43) seine Linie bestätigt, dass Unternehmen, die im Alleinbesitz des Staates stehen oder mehrheitlich von ihm beherrscht werden, der Grundrechtsbindung aller Staatsgewalt gemäß Art. 1 Abs. 3

38 Ausführlich Mann (Fn. 2), S. 55 – 96; s. auch Stefan Storr, Der Staat als Unternehmer: öffentliche Unternehmen in der Freiheits- und Gleichheitsdogmatik des nationalen Rechts und des Gemeinschaftsrechts, 2001, S. 60 ff.; Traut (Fn. 25), S. 11 ff. 39  Hartmut Maurer/Christian Waldhoff, Allgemeines Verwaltungsrecht, 19. Aufl. 2017, § 3 Rn. 26 f.; Brüning, in: Schulte/Kloos (Hrsg.) (Fn. 16), § 5 Rn. 95. 40  Ausführliche Widerlegung bei Thomas Mann, Kritik am Konzept des Verwaltungsgesellschaftsrechts, Die Verwaltung 35 (2002), S. 463 ff.; s. auch Walter Georg Leisner, Weisungsrechte der öffentlichen Hand gegenüber ihren Vertretern in gemischtwirtschaftlichen Unternehmen, GewArch 2009, 337 (338 ff.); Traut (Fn. 25), S. 39 ff. 41  BVerfGE 128, 226 (244 ff.) = NJW 2011, 1201. 42  BVerfG, Beschl. v. 19. 7. 2016 – 2 BvR 470/08, KommJur 2016, 415. 43  BVerfG, Urt. v. 7. 11. 2017 – 2 BvE 2/11, NVwZ 2018, 51, Rn. 241.

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GG unterworfen sind, und zwar unabhängig von ihrer privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Rechtsform.44 Es ist also eine Frage der Public Corporate Governance, ob und wenn ja, wie die öffentliche Hand aufgrund ihrer Ingerenzverpflichtung auf ihre Unternehmen einwirken kann bzw. muss, um eine Einhaltung der für diese geltenden öffentlich-rechtlichen Bindungen sicherzustellen. Damit zusammenhängend stellt sich alsdann die Frage, welche öffentlich-rechtlichen Bindungen im Bereich der Corporate Social Responsibility überhaupt für öffentliche Unternehmen bestehen. Ist eine Berichtspflicht über CSR-Themen im Bereich öffentliche Unternehmen aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur öffentlichen Verwaltung gar überflüssig? Oder ist es vielleicht vielmehr genau andersherum: Müsste die Berichterstattungspflicht insbesondere mit Blick auf die Prinzipal-Agenten-Theorie und die daraus folgende Informationsasymmetrie nicht erst recht auch für öffentliche Unternehmen gelten? 1.  Öffentliche Unternehmen als Unternehmen von öffentlichem Interesse? Öffentlichen Unternehmen ist die Gemeinwohlbindung immanent, sie ist ihre Daseinsberechtigung, da sich die öffentliche Hand ihrer nur dann bedienen darf, wenn sie damit einen öffentlichen (Gemeinwohl-)Zweck verfolgt. Das Wesen eines öffentlichen Unternehmens ist es mithin, dem öffentlichen Interesse zu dienen.45 Gleichwohl fallen sie nicht unter die „Unternehmen von öffentlichem Interesse“ nach der oben skizzierten Gesetzgebung zur CSR-Berichterstattungspflicht. Es fragt sich also, weshalb der Gesetzgeber (gerade) die öffentlichen Unternehmen aus der Verpflichtung nimmt, indem er sie von der Berichtspflicht ausnimmt. Wenn doch bereits der Kapitalmarktbezug großer Unternehmen dazu führt, dass diese als Unternehmen von öffentlichem Interesse qualifiziert werden, dann müssten doch folglich erst recht (große) öffentliche Unternehmen, deren Legitimationsgrundlage und Haupt-Zweck es ist, dem Allgemeinwohl zu dienen, als Unternehmen von öffentlichem Interesse einzuordnen sein.46 Darüber hinaus ist nicht außer Acht zu lassen, dass selbst die öffentlichen Unternehmen den öffentlich-rechtlichen Grundsätzen unterworfen sind, deren 44  BVerfGE 45, 63 = NJW 1977, 1960 (1962); BVerfG, NJW 1980, 1093; BVerwGE 113, 208 = NVwZ 1998, 1083 (1084); VGH Kassel, NVwZ 2003, 874; Martin Schulte/Joachim Kloos/David Apel, in: Schulte/Kloos (Hrsg.) (Fn. 16), § 1 Rn. 7. 45  Allgemeine Ansicht, s. grundlegend Günter Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, 2. Aufl. 1985, S. 129; ansonsten nur Wolfgang Löwer, Der Staat als Wirtschaftssubjekt und Auftraggeber, VVDStRL 60 (2001), S. 416 (420); Michael Ronellenfitsch, in: Josef Isensee/Paul Kirchhof (Hrsg.), Handbuch des Staatsrechts Bd. IV, 2006, § 98 Rn. 40. 46 Ebenso Hommelhoff (Fn. 37).

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Einhaltung die öffentliche Hand aufgrund ihrer Ingerenzverpflichtung sicherzustellen hat.47 Es lohnt sich daher, einen Blick auf die bereits existierenden öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen öffentlicher Unternehmen im Bereich CSR zu werfen. Hierbei sollen exemplarisch zwei Themenschwerpunkte beleuchtet werden, die auch in dem von der Bundesregierung herausgegebenen Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK)48 als Kriterien adressiert werden: Umweltbelange (Kriterien 11 – 13) und Menschenrechte (Kriterium 17). Der Deutsche Nachhaltigkeitskodex (DNK) beschreibt nach eigenen Angaben die Mindestanforderungen, die unter Nachhaltigkeitsaspekten von den Unternehmen zu berichten sind. Er wird von der Geschäftsstelle des Rates für Nachhaltige Entwicklung (RNE) im Auftrag der Bundesregierung betreut. Der RNE verfolgt mit dem DNK das Ziel, „den Nachhaltigkeitsgedanken in Gesellschaft und Wirtschaft voranzubringen und die Nachhaltigkeitsleistungen von Unternehmen transparent und vergleichbar zu machen“.49 Seine Anwendung ist freiwillig und erfolgt nach dem „comply-or-explain-Prinzip“. Hat der DNK auch keine verpflichtende Wirkung auf die öffentlichen Unternehmen, so ist er dennoch ein „Produkt“ der Bundesregierung.50 Die in ihm enthaltenen Aussagen dürften also durchaus als Interpretationshilfe herangezogen werden können, wenn es um die Konkretisierung der allgemeinen öffentlich-rechtlichen Grundsätze geht, so z. B. der in Art. 20a GG enthaltenen Staatszielbestimmung Umweltschutz. Ebenso können die umweltbezogenen Aussagen des CSR-Richtlinien-Umsetzungsgesetzes bei der Interpretation des Art. 20a GG behilflich sein. 2.  Umweltbelange Soweit Art. 20a GG bestimmt: „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen und die Tiere im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung durch die Gesetzgebung und nach Maßgabe von Gesetz und Recht durch die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung.“ 47 Grundlegend Günter Püttner, Die Einwirkungspflicht – Zur Problematik öffentlicher Einrichtungen in Privatrechtsform, DVBl. 1975, 353 ff.; ausführl. Mann (Fn. 2), S. 55 ff. 48  Rat für Nachhaltige Entwicklung c/o Deutsche Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) GmbH, Der Deutsche Nachhaltigkeitskodex, Maßstab für nachhaltiges Wirtschaften, 4. aktualisierte Fassung 2017. 49  Rat für Nachhaltige Entwicklung Geschäftsstelle c/o GIZ, Nachhaltiges Wirtschaften mit dem Nachhaltigkeitskodex, https://www.deutscher-nachhaltigkeitskodex.de (Abruf am 20. 12. 2018). 50  Weitere Nachhaltigkeitsrichtlinien im Vergleich dargestellt bei Sandra Stötzer, Neue Vielfalt der Nachhaltigkeitsrichtlinien – Konzepte für eine nachhaltigkeitsorientierte Rechenschaftslegung von privaten und öffentlichen Unternehmen, ZögU 2015, Beiheft 45, 89 (92 ff.).

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enthält die Bestimmung mit dem Umweltschutz und dem Tierschutz zwei Staatszielbestimmungen, die für alle Organe des Staates verbindlich sind. Derartige Staatszielbestimmungen schreiben den drei staatlichen Gewalten die Erfüllung oder Beachtung bestimmter Aufgaben vor und binden diese an die Zielvorgabe, während die Mittel und Wege zur Erreichung des Ziels hiervon grundsätzlich nicht umfasst sind.51 Darüber hinaus lässt sich Art. 20a GG ein Handlungsauftrag entnehmen. Dieser richtet sich zwar in erster Linie an den Gesetzgeber, doch sind auch die Exekutive und die Judikative dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen verpflichtet.52 Allgemein umfasst die Schutzpflicht gegenüber den natürlichen Lebensgrundlagen sowohl die Unterlassung der Schädigung durch staatliches Handeln als auch die Abwehr ihrer Schädigung durch Dritte.53 Die Exekutive hat bei ihrer Schutzpflicht bzgl. der Umwelt – wie bei jeglicher anderen Tätigkeit auch – den Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung zu beachten, ist also auf eine Konkretisierung durch den Gesetzgeber angewiesen. Wenn und soweit ihr der Gesetzgeber jedoch eigene Entscheidungskompetenzen belässt, gewinnt Art. 20a GG für die Verwaltung eigenständige Bedeutung, also insbesondere bei der Auslegung von Generalklauseln und unbestimmten Rechtsbegriffen, im Rahmen von Ermessensentscheidungen sowie bei der Ausführung von planerischen Gestaltungsspielräumen.54 Wie konkretisiert sich also diese Staatszielbestimmung unter Inbezugnahme des DNK und des CSR-Richtlinien-Umsetzungsgesetzes? Während § 289c Abs. 2 Nr. 1 HGB den Mindestinhalt des nichtfinanziellen Berichts mit den Wendungen „[…] beispielsweise […] Treibhausgasemissionen, den Wasserverbrauch, die Luftverschmutzung, die Nutzung von erneuerbaren und nicht erneuerbaren Energien oder den Schutz der biologischen Vielfalt […]“ auflistet, erfasst der DNK unter dem Stichwort „Umweltbelange“ die Unterpunkte Inanspruchnahme natürlicher Ressourcen (11), Ressourcenmanagement (12) sowie klimarelevante Emissionen (13). Weiterhin konkretisiert er, dass in dem Bericht insoweit z. B. offengelegt werden soll, – in welchem Umfang natürliche Ressourcen55 für die Geschäftstätigkeit in Anspruch genommen werden; 51  Dietrich Murswiek, in: Michael Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 20a Rn. 17; Rupert Scholz, in: Theodor Maunz/Günter Dürig (Begr.), GG, Stand 8/2018, Art. 20a Rn. 53 f.; Wilfried Erbguth/Sabine Schlacke, Umweltrecht, 3. Aufl. 2010, § 4 Rn. 5 m.w.N. 52  Stefan Huster/Johannes Rux, in: Volker Epping/Christian Hillgruber (Hrsg.), BeckOK GG, Stand: 15. 08. 2018 Art. 20a, Rn. 27; Murswiek, in: Sachs (Fn. 51), Art. 20a Rn. 12 f. 53  Murswiek in: Sachs (Fn. 51), Art. 20a Rn. 33. 54  Scholz, in: Maunz/Dürig (Fn. 51), Art. 20a Rn. 57. 55  Z. B. Materialien, Input und Output von Wasser, Boden, Abfall, Energie, Fläche, Biodiversität, sowie Emissionen für den Lebenszyklus von Produkten und Dienstleistungen.

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– welche qualitativen und quantitativen Ziele sich das Unternehmen für seine Ressourceneffizienz56 gesetzt hat und welche Maßnahmen und Strategien es hierzu verfolgt, wie diese erfüllt wurden bzw. in Zukunft erfüllt werden sollen und wo es Risiken sieht; – welche Treibhausgas-Emissionen verursacht werden und welche selbst gesetzten Ziele zur Reduktion der Emissionen (inkl. bisheriger Ergebnisse) bestehen. Sind dies also die Kriterien, nach denen beurteilt werden können soll, ob eine nachhaltige, umweltschonende Wirtschaftstätigkeit vorliegt, und sollen die von dem CSR-Richtlinien-Umsetzungsgesetz erfassten Unternehmen hierüber Rechenschaft ablegen, so fragt sich doch, ob nicht öffentliche Unternehmen bereits aufgrund ihrer öffentlich-rechtlichen Bindung an Art. 20a GG denselben oder zumindest ähnlichen Standards unterliegen müssten. Bezüglich des Zugangs zu Informationen über die Umweltauswirkungen u. a. auch des öffentlichen Wirtschaftens wurde das Umweltinformationsgesetz des Bundes57 sowie entsprechende Ländergesetze erlassen.58 Diese statuieren eine Pflicht, die Öffentlichkeit über Umweltbelange zu informieren. Adressaten der Pflicht sind unter bestimmten Voraussetzungen auch öffentliche Unternehmen, vgl. § 2 Abs. 1 UIG. Diese müssen neben einer antragsabhängigen Auskunftspflicht auch antragsunabhängig aktiv Umweltinformationen veröffentlichen (vgl. § 10 UIG). Solche Informationen sind gem. § 2 Abs. 3 UIG z. B. Daten über den Zustand von Umweltbestandteilen wie Luft und Atmosphäre, Wasser, Boden, Landschaft und natürliche Lebensräume sowie die Wechselwirkungen zwischen diesen Bestandteilen und Daten über Faktoren wie Stoffe, Energie, Lärm, Strahlung, Abfälle oder Emissionen. Die Umweltberichterstattung konzentriert sich also auf die natürlichen Lebensgrundlagen, indem über die Auswirkungen der unternehmerischen Aktivitäten, einschließlich derer, die unternommen werden, um die Umwelt zu schützen, berichtet wird.59 Bei diesen nach Maßgabe des UIG zur Verfügung zu stellenden Informationen und denen, die nach dem CSR-Richtlinien-Umsetzungsgesetz zu veröffentlichen sind, gibt es also gewisse Überschneidungen. Insbesondere zielen beide darauf ab, der Öffentlichkeit Informationen zu Umweltauswirkungen, die sich aus der 56  Das betrifft insbesondere den Einsatz erneuerbarer Energien, die Steigerung der Rohstoffproduktivität und die Verringerung der Inanspruchnahme von Ökosystemdienstleistungen. 57  Umweltinformationsgesetz (UIG) i. d. F. d. Bek. v. 27. 10. 2014 (BGBl. I S. 1463), zul. gänd. d. Gesetz v. 20. 07. 2017 (BGBl. I S. 2808). 58 Ausführl. zur Entstehungsgeschichte Olaf Reidt/Gernot Schiller, in: Robert von Landmann/Gustav Rohmer (Begr.), Umweltrecht, UIG, Stand 7/2018, Vorbem. Rn. 65 ff.; zu den Länderregelungen dies., a.a.O., Rn. 71 f. 59 Vgl. Dorothea Greiling/Birgit Grüb/Angelo Huber, Entwicklungslinien und Ansatzpunkte der Nachhaltigkeitsberichterstattung, ZögU 2015, Beiheft 45, 125 (137 – 142).

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unternehmerischen Tätigkeit ergeben, zugänglich zu machen. Eine darüber hinausgehende Verpflichtung zu ressourcen- und umweltschonendem Wirtschaften ergibt sich damit aber weder aus dem DNK noch aus dem UIG. Zieht man diese Regelungen jedoch als Interpretationshilfe heran, kann eine generelle Verpflichtung öffentlicher Unternehmen zu umweltbewusstem Handeln bereits aus Art. 20a GG hergeleitet werden. Darüber hinaus hat der öffentliche Träger des Unternehmens im Rahmen seiner Ingerenzverpflichtung auf ein umweltschonendes Verhalten seines Unternehmens hinzuwirken. Insbesondere dürfte im Falle einer notwendigen Abwägung zwischen gewinnorientiertem oder umweltschonendem Verhalten einer Entscheidung zugunsten des Gewinnziels kein Vorrang zufallen. Denn neben der Bindung an Art. 20a GG kommt insoweit noch der allgemeine gemeinwohlbezogene Zweck der öffentlichen Unternehmen zum Tragen. Die Gewinnerzielung ist demgegenüber, wie geschildert, kein tauglicher Primärzweck eines öffentlichen Unternehmens. Ob die öffentliche Hand eine solche Einwirkung jedoch gewährleisten kann, ist allerdings insbesondere bei öffentlichen Unternehmen in der Rechtsform der Aktiengesellschaft fraglich. Umso wichtiger erscheint es, im Hinblick auf die Prinzipal-Agenten-Theorie und der bestehenden Informationsasymmetrie, die Öffentlichkeit (also das „Volk“ als Prinzipal) über die Umweltauswirkungen aktiv zu informieren.60 Mit dem UIG ist eine solche Berichtspflicht bereits weitestgehend statuiert. Sie besteht allerdings losgelöst von den anderen CSR-Kriterien und wird in der Praxis auch noch nicht durchgehend umgesetzt, wie eine Studie aus dem Jahr 2015 belegt. Hiernach hatten lediglich 15 von 168 befragten öffentlichen Unternehmen eine Umweltberichterstattung etabliert.61 3.  Grundrechtsbindung und Menschenrechte Die Grundrechtsbindung der Unternehmen, jedenfalls derer, die einer Beherrschung durch die öffentliche Hand unterliegen, ist mittlerweile anerkannt.62 Verpflichtet sich der Staat in völkerrechtlichen Verträgen, Menschenrechte zu achten, so gilt diese Verpflichtung für ihn in all seinen Emanationen. In der Rangordnung eines einfachen Gesetzes ist z. B. die Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) Teil der Rechts-

60 Ähnlich Birgit Grüb/Dorothea Greiling, Motive der Nachhaltigkeitsberichterstattung in öffentlichen und erwerbswirtschaftlichen Unternehmen, ZögU 2015, Beiheft 45, 109 (110). 61 Ausführlich Dorothea Greiling/Ludwig Theuvsen/Henrike Müller, Nachhaltigkeitsberichterstattung öffentlicher Unternehmen aus empirischer Sicht, ZögU 2015, Beiheft 45, 154 (162). 62  S.o. unter IV.

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ordnung der Bundesrepublik geworden.63 Damit ist auch die Exekutive an ihren Inhalt gebunden, Art. 1 Abs. 3 GG. Sind die öffentlichen Unternehmen als mediatisierte Exekutive an die öffentlich-rechtlichen Grundsätze gebunden, müssten auch die in den völkerrechtlichen Verträgen getroffenen Verpflichtungen zur Achtung der Menschenrechte für sie unmittelbar gelten. Bedenkt man, dass z. B. der Grundrechtsschutz nach der EMRK nicht auf den Schutz vor Eingriffen des Staats in die Freiheitssphäre des Einzelnen beschränkt ist, sondern neben der abwehrrechtlichen Dimension auch positive Handlungspflichten, sog. „positive obligations“ beinhaltet,64 müssten die öffentlichen Unternehmen dann nicht auch Maßnahmen treffen, um Menschenrechtsverletzungen, z. B. in der Lieferkette, vorzubeugen? Nach dem Kriterium 17 des DNK soll für den Bereich Menschenrechte offengelegt werden, „welche Maßnahmen, Strategien und Zielsetzungen für das Unternehmen und seine Lieferkette ergriffen werden, um zu erreichen, dass Menschenrechte weltweit geachtet und Zwangs- und Kinderarbeit sowie jegliche Form der Ausbeutung verhindert werden“. Der DNK geht damit inzident davon aus, dass eine Achtung der Menschenrechte beinhaltet, dass vom Unternehmen selbst aktive Maßnahmen, wie etwa die genannten Kontrollen der Lieferkette, ergriffen werden. Hierbei nimmt der DNK Bezug auf den Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechte (NAP).65 Letzteren hat die Bundesregierung am 22. 12. 2016 zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (UNGP) für Deutschland verabschiedet. Der NAP formuliert als „freiwillige Übereinkunft“ Ziele für die Umsetzung der UNGP in Unternehmen.66 Unternehmen können die DNK-Entsprechenserklärung nutzen, um Prozesse zu ihrem menschenrechtlichen Engagement im Sinne des NAP darzustellen, also ebenfalls nach dem „comply or explain-Prinzip“ agieren. Der NAP proklamiert: „Die Bundesregierung berücksichtigt den Schutz der Menschenrechte im Wirtschaftskontext besonders dann, wenn […] Unternehmen sich in staatlichem Eigentum befinden“.67 Der NAP enthält zudem einen eigenen 63  Die EMRK ist ein völkerrechtlicher Vertrag, der von der Bundesrepublik Deutschland am 4. 11. 1950 in Rom unterzeichnet wurde und am 3. 9. 1953 in Kraft trat (BGBl. II 1954, S. 14). Durch Gesetz v. 7. 8. 1952 (BGBl. II S. 685) wurde die EMRK in Deutschland ratifiziert. 64 Vgl. Christoph Grabenwarter/Katharina Pabel, EMRK, 6. Aufl. 2016, § 19 Rn. 1; Heike Krieger, Positive Verpflichtungen unter der EMRK: Unentbehrliches Element einer gemeineuropäischen Grundrechtsdogmatik, leeres Versprechen oder Grenze der Justiziabilität?, ZaöRV 74 (2014), 187 (189 f.). 65 https://www.auswaertiges-amt.de/blob/297434/8d6ab29982767d5a31d2e854644615 65/nap-wirtschaft-menschenrechte-data.pdf (Abruf am 20. 12. 2018). 66  Ziff. 3.5 DNK. 67  Ziff. IV. 1. NAP.

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Abschnitt zu Unternehmen im öffentlichen Eigentum.68 Stehe ein Wirtschaftsunternehmen unter staatlicher Kontrolle, oder können seine Handlungen anderweitig dem Staat zugeordnet werden, unterliege dieses nach den Leitprinzipien der Vereinten Nationen einer besonderen Verantwortung zur Achtung der Menschenrechte.69 Doch dazu, was diese „besondere Verantwortung“ der öffentlichen Unternehmen konkret bedeutet, schweigt der NAP. Es wird lediglich darauf verwiesen, dass „mehr“ Unternehmen mit Mehrheitsbeteiligung des Bundes den DNK anwenden „sollen“.70 Diese werden im Beteiligungsbericht des Bundes sogar gesondert ausgewiesen. Nach dem Beteiligungsbericht des Bundes zum 31. Dezember 2016 sind der Bund und seine Sondervermögen im Jahr 2016 an 106 Unternehmen unmittelbar und mit mehr als 25 % an 469 Unternehmen mit einem Nennkapital von über 50.000 € mittelbar beteiligt (insgesamt also an 575 Unternehmen).71 An 58 privatrechtlich organisierten Gesellschaften ist der Bund unmittelbar beteiligt, davon sind 43 unmittelbare Mehrheitsbeteiligungen.72 Lediglich 11 dieser Unternehmen haben für das Jahr 2016 eine Entsprechenserklärung zum DNK abgegeben.73 Von den insgesamt 575 Unternehmen, an denen der Bund (unmittelbar oder mittelbar) beteiligt ist, geben 564 Unternehmen also keine Erklärung zum DNK ab. Damit besteht jedenfalls reichlich Raum für mehr Engagement in dieser Hinsicht, wenngleich eine (gar gesetzliche) Verpflichtung zur Anwendung des DNK bislang außer Sicht bleibt. Eine grundsätzlich denkbare formale Einwirkung der öffentlichen Gesellschafter auf ihre Unternehmen zur Abgabe derartiger Entsprechenserklärungen bleibt freilich auf die zu Gebote stehenden gesellschaftsrechtlichen Optionen reduziert. Insbesondere bei der Aktiengesellschaft, bei der der Vorstand nicht an Weisungen der Aktionärsversammlung gebunden ist, dürfte sich eine entsprechende Einwirkung daher als problematisch erweisen.74 Eine neuere Idee geht daher dahin, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bundes, die für die Beteiligungsführung zuständig sind, in Schulungen über die menschenrechtliche Verantwortung der Unternehmen des Bundes mit unmittel-

68 

Ziff. IV.1.4 NAP.

69 Ebd. 70 

Ziff. 1.4 NAP. Bundesministerium der Finanzen, Die Beteiligungen des Bundes, Beteiligungsbericht 2017, S. 10. 72  Bundesministerium der Finanzen, Die Beteiligungen des Bundes, Beteiligungsbericht 2017, S. 12. 73  Bundesministerium der Finanzen, Die Beteiligungen des Bundes, Beteiligungsbericht 2017, S. 26. 74 Ausführlich Mann (Fn. 2), S. 189 – 227. 71 

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barer Mehrheitsbeteiligung zu unterrichten.75 Dies soll zunächst im PCGK Bund verankert werden, sodann sollen die Länder dem Beispiel des Bundes folgen. Einfluss darauf, ob sie dies tun werden, hat der Bund freilich nicht. Darüber hinaus gehende konkrete, verpflichtende Maßnahmen für öffentliche Unternehmen, die ihrer besonderen Verantwortung im Bereich des Menschenrechtsschutzes Rechnung tragen, sind indes nicht beabsichtigt. Diesbezüglich wendet die Bundesregierung ein, gerade weil eine Grundrechtsbindung der öffentlichen Unternehmen bestehe, gebe es insoweit auch keinen bzw. nur geringen Handlungsbedarf.76 Darüber hinaus sei der allgemeine Schutzstand der Menschenrechte im einfachen Recht in Deutschland „sehr gut ausgeprägt“.77 Aus Sicht der Bundesregierung scheint es also keinen Anlass zu geben, die öffentlichen Unternehmen zu einer CSR-Berichterstattung zu verpflichten. Zwangsläufig drängt sich hier jedoch die Frage auf, ob die als Argument bemühte Grundrechtsbindung der öffentlichen Unternehmen nicht im Gegenteil erst recht dafür spricht, dass die Öffentlichkeit über die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen, insbesondere auch der Einhaltung und Achtung von Grund- und Menschenrechtsstandards durch „ihre“ Unternehmen informiert werden sollten.78 Auch hier dürfte, insbesondere mit Blick auf die Informations­ asymmetrie und die Prinzipal-Agenten-Theorie, eine Information des „Volkes“ 75  Deutsches Institut für Menschenrechte, »Zögerliche Umsetzung« Der politische Wille reichte nicht weiter: Deutschland setzt die UN-Leitprinzipien um – mit kleinen Schritten zur Verabschiedung des deutschen Nationalen Aktionsplans für Wirtschaft und Menschenrechte, Stellungnahme v. 21. 12. 2016, abrufbar unter: https://www.institutfuer-menschenrechte.de/f ileadmin/user_upload/Publikationen/Stellungnahmen/ Stellungnahme_Verabschiedung_NAP_Wirtschaft_und_Menschenrechte.pdf (Abruf am 20. 12. 2018). 76  Ziff. 1.4 NAP „Der allgemeine Schutzstandard der Menschenrechte ist im Bereich von Unternehmensbeteiligungen der öffentlichen Hand bereits sehr gut ausgeprägt, da von der öffentlichen Hand beherrschte gemischtwirtschaftliche Unternehmen in Privatrechtsform ebenso wie im Alleineigentum des Staates stehende öffentliche Unternehmen, die in den Formen des Privatrechts organisiert sind, einer unmittelbaren Grundrechtsbindung unterliegen. Die Beteiligung an Unternehmen des privaten oder öffentlichen Rechts erfolgt auf den verschiedenen föderalen staatlichen Ebenen Bund, Länder und Kommunen in autonomer Verantwortung. Neben der Grundrechtsbindung unterliegen die staatlichen Ebenen bei ihrer wirtschaftlichen Betätigung einfachgesetzlichen Bindungen, z. B. durch die Bundeshaushaltsordnung, oder kommunalrechtlichen Vorschriften.“ 77  Ziff. IV.1.1 NAP. 78 Kritisch diesbezüglich auch Deutsches Institut für Menschenrechte, Pressemitteilung zum Kabinettsbeschluss zum NAP Wirtschaft und Menschenrechte: Zögerliche Umsetzung bei der Integration von Menschenrechten in die Wirtschaft v. 21. 12. 2016, abrufbar unter: https://www.institut-fuer-menschenrechte.de/aktuell/news/meldung/article/ pressemitteilung-zum-kabinettsbeschluss-zum-nap-wirtschaft-und-menschenrechtezoegerliche-umsetzung/ (Abruf am: 02. 11. 2018).

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als Prinzipal, über die Auswirkungen „seiner“ öffentlichen Unternehmertätigkeit auf Menschen- sowie Grundrechte zu begrüßen sein.

V.  Fazit Als eines der „großen Gegenwarts- und Zukunftsthemen (auch) des Aktien-, Bilanz- und Kapitalmarktrechts“79 ist die Corporate Social Responsibility (CSR) auch und gerade für öffentliche Unternehmen relevant. Ihre Eigenschaft als „Diener des Gemeinwohls“ und ihre Verpflichtung zur Verfolgung eines öffentlichen Zwecks unterscheiden sie bereits strukturell von den privaten Unternehmen, da ihr Zweck nicht primär die Gewinnmaximierung sein darf, sondern die Förderung des Gemeinwohls.80 Darüber hinaus muss ihre Organisationsverfassung sicherstellen, dass der dem Gemeinwohl verpflichtete öffentliche Unternehmensträger ausreichend Einfluss auf sie nehmen kann, um seiner aus dem Demokratie- und Rechtsstaatsprinzip folgenden Ingerenzverpflichtung nachkommen zu können. Ob und wie dies mit Blick auf die Corporate Social Responsibility der Unternehmen gelingen kann, ist fraglich. Zwar unterliegen die öffentlichen Unternehmen bereits aufgrund ihrer Grundrechtsbindung speziellen öffentlich-rechtlichen Verpflichtungen. Zudem geben verschiedene Bestimmungen des Grundgesetzes, wie z. B. Art. 20a GG, die generelle „Marschrichtung“ in Bezug auf eine CSR der öffentlichen Unternehmen vor. Der Gesetzgeber hat mit dem CSR-Richtlinien-Umsetzungsgesetz sowie die Bundesregierung mittels ihrer Verlautbarungen in NAP und DNK jedoch deutlich gemacht, dass im Grundsatz zwar eine besondere Verantwortung der öffentlichen Unternehmen im Bereich Nachhaltigkeit, insbesondere in Ansehung der Menschenrechte anerkannt wird. Eine konkrete Definition und Umsetzung dieser Verantwortung hat die Politik jedoch nicht für erforderlich erachtet. Die rechtsdogmatische Fundierung und Konkretisierung dieser Verantwortung bietet mithin noch ein reichhaltiges Betätigungsfeld für die Rechtswissenschaft. Insoweit stellt sich etwa die Frage, wie die Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Bindungen öffentlicher Unternehmen im Bereich CSR sichergestellt werden kann. Angesprochen ist insoweit die sog. Compliance der öffentlichen Unternehmen. Die altbekannte Problematik des Einwirkungs- und Kontrolldefizits der öffentlichen Hand, insbesondere auf die Compliance ihrer Unternehmen in der Rechtsform der Aktiengesellschaft, rückt damit (wieder) auf die Tagesordnung. Wieder einmal geht also um die Public Corporate Governance. Insbesondere der Problematik der Informationsasymmetrie könnte durch eine umfassende Berichterstattungspflicht zu den CSR-Kriterien zumindest teilweise abgeholfen 79  80 

So betitelt durch Fleischer (Fn. 33), AG 2017, 509 (509). Vgl. statt vieler nur Ehlers (Fn. 16), DVBl. 1998, 497 (500).

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werden.81 Vorbild könnten insoweit die bereits im Bereich der Umweltauswirkungen bestehenden gesetzlichen Informationspflichten sein, die sich aber nicht auf alle Bereiche der CSR erstrecken.82 Eine umfassende einheitliche Berichtspflicht, wie sie das CSR-Richtlinien-Umsetzungsgesetz kürzlich für „Unternehmen von öffentlichem Interesse“ statuiert hat, gilt für den weit überwiegenden Teil der öffentlichen Unternehmen jedenfalls nicht. Eine wissenschaftliche Durchdringung solcher und anderer Fragen erfordert ein Zusammenwirken von Ökonomen und Juristen, damit die notwendigen Kenntnisse der Betriebswirtschaft, des Gesellschaftsrechts und des öffentlichen Rechts zusammengeführt werden können – es sei denn, sie sind bereits in einer Person optimal verbunden. Und damit sind meine Überlegungen wieder bei Helmut Siekmann angekommen.

81 Vgl.

Papenfuß/Grüb/Friedländer (Fn. 14), ZögU 2015, Beiheft 45, 170 (172) m.w.N. einer Studie von Greiling/Theuvsen/Müller (Fn. 61), ZögU 2015, Beiheft 45, 154 ff. haben lediglich 30 von 168 öffentlichen Unternehmen eine Nachhaltigkeitsberichterstattung etabliert. 82  Nach

Jörg Ennuschat: Gemeinwohlförderung durch Glücksspielabgaben

Gemeinwohlförderung durch Glücksspielabgaben Jörg Ennuschat Jörg Ennuschat Gemeinwohlförderung durch Glücksspielabgaben

I.  Einleitung Glücksspielrecht ist ein Nischenfach – das es aber immerhin bis in das Grundgesetz geschafft hat! Gem. Art. 106 Abs. 2 Nr. 5 GG steht das Aufkommen der Abgabe von Spielbanken den Ländern zu. Diese Grundgesetznorm wiederum wird von Helmut Siekmann kommentiert, sodass gehofft werden darf, dass der folgende Beitrag auf sein freundliches Interesse stoßen wird. Glücksspiel und Geld gehören schon begrifflich zusammen. Der Glücksspielmarkt hat einen enormen Umfang. Die Gesamtumsätze der Glücksspiele in Deutschland werden auf 35 Mrd. Euro pro Jahr geschätzt.1 Zum Vergleich: Im Jahre 2017 gaben die privaten Verbraucher nur ca. 23,58 Mrd. Euro für alkoholische Getränke aus.2 Die Spieleinsätze fließen zunächst in die Taschen der glücklichen Gewinner und in die Kassen der Glücksspielanbieter. Im deutschen Glücksspielrecht gibt es indessen eine lange Tradition, dass ein erheblicher Teil der Glücksspielerlöse für das Gemeinwohl verwendet werden soll. Hierdurch soll die soziale Problematik des gefahrenträchtigen Glücksspielmarktes in gewisser Weise gemildert werden. Im Folgenden soll zunächst zur ersten Orientierung eine knappe Einführung in das Glücksspielrecht geboten werden (unten II.). Es folgt ein Überblick über die verschiedenen Instrumente zur Abschöpfung der Glücksspielerlöse für das Gemeinwohl (unten III.). Vor dem abschließenden Fazit (unten V.) soll kurz bedacht werden, ob fiskalische Ziele das staatliche Lotteriemonopol zu rechtfertigen vermögen (unten IV.).

1 

Handelsblatt Research Institut, Der Glücksspielmarkt in Deutschland, März 2017, S. 10. 2 Angabe nach https://de.statista.com/statistik/daten/studie/296826/umfrage/konsum ausgaben-in-deutschland-fuer-alkoholische-getraenke/ (letzter Aufruf: 11. 2. 2019).

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II.  Überblick über das Glücksspielrecht in Deutschland In Deutschland gibt es insbesondere folgende Arten von Glücksspiel: Lotterien, Sportwetten und Pferdewetten, Spielbanken sowie das Automatenspiel in Gaststätten und Spielhallen. Viele Glücksspiele werden auch im Internet angeboten. 1.  Lotterien Lotterien unterliegen in Deutschland traditionell einem weit reichenden Staatsmonopol.3 Rechtsgrundlage ist der sog. Glücksspielstaatsvertrag der Länder (dort § 10 Abs. 2 und 6 GlüStV). Das Monopol betrifft jedoch nur die Veranstaltung von Lotterien, nicht die Vermittlung. Und selbst im Bereich der Veranstaltung ist das Monopol begrenzt, sodass Raum für die sog. Soziallotterien verbleibt. Diese werden von gemeinnützigen Organisationen veranstaltet (z.B. die Aktion Mensch-Lotterie).4 2.  Sportwetten Für Sportwetten galt ebenfalls ein Staatsmonopol. Viele private Sportwettunternehmen mit Sitz im Ausland ignorierten jedoch das Monopol und erschlossen sich den lukrativen Wettmarkt in Deutschland. Die Länder als Glücksspielgesetzgeber reagierten darauf mit einem Konzessionsmodell, zunächst im Wege einer Experimentierklausel (§ 10a i.V.m. §§ 4a ff. GlüStV). Es sollten zwanzig Konzessionen vergeben werden. Die Vergabe der Konzessionen scheiterte jedoch.5 Im Ergebnis gibt es nunmehr eine behördliche Duldung eines freien Marktes für Sportwetten. Es zeichnet sich ab, dass die nächste Änderung des Glücksspielstaatsvertrages die gescheiterte quantitative Regulierung der Sportwetten durch eine qualitative Regulierung ersetzen wird.6

3 Zum Lotteriemonopol Jörg Ennuschat, ZfWG, Sonderbeilage 3/2018, 9 ff.; ders., ZfWG 2008, 83 ff.; Hans D. Jarass, DVBl 2016, 1 ff.; Christian Koenig, ZfWG 2017, 335 ff.; Johannes Richardt, ZfWG 2017, 31 ff.; Robert Schippel/Maximilian Kienzerle, K&R 2018, 556 ff. 4  Näher zu den Soziallotterien Stephanie Bauch, Soziallotterien, 2016. 5  Zum Hintergrund siehe Juliane Hilf/Klaus Umbach, ZfWG 2018, 368 f. 6 Eine vergleichbar liberale Regelung gab es bereits im Landesrecht von Schleswig-Holstein: Dieses Land beteiligte sich einige Zeit nicht am gemeinsamen Glücksspielstaatsvertrag der Länder und erließ das Gesetz zur Neuordnung des Glücksspiels (GlSpG) vom 20. 11. 2011 (GVOBl. 2011, 208), das mit Ausnahme des Lotteriemonopols keine quantitativen Begrenzungen oder Totalverbote für die Veranstaltung von Glücksspielen kannte. Nach einem Regierungswechsel endete dieser Sonderweg durch weitgehende Aufhebung des GlSpG vom 20. 11. 2011 (durch Gesetz vom 1. 2. 2013, GVOBl. 2013, 64). Die Sportwettkonzessionen waren auf sechs Jahre befristet und liefen Ende 2018/Anfang 2019 aus.

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3.  Pferdewetten Die Pferdewetten bilden einen Sonderfall der Sportwetten.7 Deren Rechtsgrundlagen finden sich – im Unterschied zu Lotterien, Sportwetten und Spielbanken – nicht im Landesrecht, sondern im Bundesrecht, und zwar im Rennwett- und Lotteriegesetz (RennwLottG) von 1922.8 Das Recht der Pferdewetten war stets gewerberechtsähnlich ausgestaltet. 4.  Spielbanken Einige Länder kennen ein Staatsmonopol für Spielbanken, andere lassen auch private Anbieter zu.9 In allen Ländern ist die Zahl der Spielbankenstandorte eng begrenzt. So kennt etwa das größte Bundesland Nordrhein-Westfalen (knapp 18 Mio. Einwohner) insgesamt nur fünf Spielbanken. In einer Spielbank kann man Tischspiele (z.B. Roulette) oder Kartenspiele (etwa Poker oder Blackjack) spielen. Darüber hinaus gibt es dort Spielautomaten (sog. einarmige Banditen). 5.  Geldspielautomaten in Gaststätten und Spielhallen In Gaststätten und Spielhallen darf jedermann, wenn er eine Gewerbeerlaubnis (§ 33c Abs. 1 GewO) sowie eine Bestätigung für die Geeignetheit des Aufstellungsortes (§ 33c Abs. 3 GewO) erhalten hat, Geldspielautomaten aufstellen. Es gilt also die Gewerbefreiheit. Äußerlich gleichen die Geldspielautomaten den Glücksspielautomaten in Spielbanken. Anders als in einer Spielbank gibt es jedoch strenge Begrenzungen für Einsatz und Verlust: Pro Spiel dürfen nur 20 Cent Einsatz verlangt werden. Der maximale Verlust pro Stunde darf durchschnittlich nicht höher als 60 Euro sein.10 Die Rechtsgrundlagen für die Aufstellung und den Betrieb dieser Automaten finden sich vor allem in der Gewerbeordnung des Bundes (§§ 33c ff. GewO). Soweit es um Spielhallen geht, sind zusätzlich § 33i GewO sowie die landesrechtlichen Bestimmungen der §§ 24 ff. GlüStV im Blick zu behalten. 7 

Zum Recht der Pferdewetten siehe Florian Becker, in: ders./Juliane Hilf/Martin Nolte/ Dirk Uwer (Hrsg.), Glücksspielregulierung, 2017, RennwLottG, Einl. Rn. 1 – 6; Jörg Ennuschat, in: Johannes Dietlein/Manfred Hecker/Markus Ruttig u. a., Glücksspielrecht, 2. Aufl. 2013, RennwLottG, Vorb. Rn. 1 – 9; Matthias Steegmann, Rennwett- und Lotterie­ gesetz, 2012, Einl. Rn. 1 – 14; Jörg Ennuschat/Stephanie Klestil, GewArch 2012, 417 ff. 8  Bezogen auf Lotterien enthält das Rennwett- und Lotteriegesetz nur Regelungen für deren Besteuerung (unten III. 1.), nicht aber für deren Zulassung. 9  Siehe näher Handelsblatt Research Institut, Der Glücksspielmarkt in Deutschland, März 2017, S. 19. 10  Diese und weitere Anforderungen an die Bauart von Geldspielgeräten sind in § 13 SpielVO zu finden.

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6.  Online-Glücksspiele Die bisherigen Ausführungen betrafen das sog. terrestrische Spiel, wenn der Spieler also stationäre Spielstätten betritt. Bislang ist in Deutschland das Internetglücksspiel grundsätzlich verboten (§ 4 Abs. 4 GlüStV). Ausnahmen gelten unter bestimmten Voraussetzungen für Lotterien und Sportwetten (§ 4 Abs. 5 GlüStV) sowie für Pferdewetten (§ 27 Abs. 2 GlüStV), nicht aber für Online-Casinos, die z.B. Roulette, Poker oder virtuelle Automatenspiele offerieren.11 Das Online-Verbot wird weitgehend missachtet.12 Vor diesem Hintergrund wird gegenwärtig diskutiert, ob das Internetverbot weiter gelockert werden soll.

III.  Steuern und sonstige Staatseinnahmen im Glücksspielbereich Nach § 10 Abs. 5 GlüStV „ist sicherzustellen, dass ein erheblicher Teil der Einnahmen aus Glücksspielen zur Förderung öffentlicher oder gemeinnütziger, kirchlicher oder mildtätiger Zwecke verwendet wird.“ Diese Abschöpfung erfolgt durch Steuern und weitere Abgaben.13 1.  Lotterieveranstalter Staatliche Lotterieveranstalter müssen zunächst die Lotteriesteuer (unten a)) und darüber hinaus weitere Summen abführen (unten b)). a)  Lotteriesteuer, § 17 Abs. 1 RennwLottG Gem. § 17 Abs. 1 S. 1 RennwLottG unterliegen im Inland veranstaltete öffentliche Lotterien und Ausspielungen einer Steuer. Die Steuer beträgt 20 vom Hundert des planmäßigen Preises (Nennwert) sämtlicher Lose ausschließlich der Steuer. Der Steuersatz beträgt 20 % des Nettopreises der Lose (§ 17 Abs. 1 S. 3 RennwLottG) bzw. 16 2/3 % des Bruttopreises.14 Von der Umsatzsteuer, der Gewerbesteuer und der Körperschaftsteuer sind die staatlichen Lotterieunterneh11  Lediglich in Schleswig-Holstein wurden während der Geltung des liberalen GlSpG (oben Fn. 6) einige Erlaubnisse für Online-Casinos erteilt, welche auf sechs Jahre befristet waren und Ende 2018/Anfang 2019 ausliefen. 12  Dazu etwa Jörg Ennuschat, ZfWG 2018, 202 (203). Im Jahr 2017 hatten die Online-Casinospiele einen Marktanteil von 55 % des gesamten nicht-regulierten Marktes, siehe dazu Jahresreport 2017 der Glücksspielaufsichtsbehörden der Länder, S. 13. 13  Zum Folgenden bereits Jörg Ennuschat/Stephanie Klestil, Taiwan Law Journal 219 (März 2013), S. 17 ff. 14  Florian Becker, in: ders./Juliane Hilf/Martin Nolte/Dirk Uwer (Hrsg.), Glücksspielregulierung, 2017, RennwLottG, § 17 Rn. 10; Dieter Birk/Lennart Brüggemann, in: Johannes Dietlein/Manfred Hecker/Markus Ruttig u.a., Glücksspielrecht, 2. Aufl. 2013, RennwLottG, § 17 Rn. 18; Matthias Steegmann, RennwLottG, 2012, § 17 Rn. 3.

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mer hingegen befreit.15 Die Lotteriesteuer ist eine besondere Verkehrssteuer i.S.d. Art. 106 Abs. 2 Nr. 3 GG und fließt in den allgemeinen Landeshaushalt.16 Das Aufkommen der Lotteriesteuer betrug bundesweit im Jahre 2018 rund 1,84 Mrd. Euro.17 b)  Weitere Abgaben- und Abführpflichten staatlicher Lotterieveranstalter Staatliche Lotterieveranstalter sind in vielen Ländern weiteren (öffentlich-rechtlichen) Abgabenpflichten unterworfen und/oder müssen auf gesellschaftsvertraglicher Grundlage den Unternehmensgewinn an die öffentliche Hand abführen. Dabei lassen sich mit gewisser Vergröberung drei Modelle unterscheiden:18 (1) Die (öffentlich-rechtliche) Zweckabgabe (auch als Glücksspielabgabe bezeichnet) wird aus den Spieleinsätzen abgeführt.19 Für die Berechnung liegt ein prozentual festgelegter Abgabensatz vor.20 Die Höhe der Zweckabgabe wird teils im Ausführungsgesetz beziffert.21 Im Übrigen erfolgt die Festlegung häufig durch den jeweiligen Erlaubnisbescheid. (2) Abzuführende Reinerträge sind die Spieleinsätze abzüglich der an die Spieler ausgezahlten Gewinne, Steuern und Betriebskosten.22 (3) Einige Landeslotteriegesellschaften führen statt Zweckabgaben oder Reinerträgen ihren Jahresüberschuss ab. Im Unterschied zum Reinertrag werden beim Jahresüberschuss nicht nur die operativen, sondern die gesamten Kosten der Geschäftstätigkeit abgezogen.23 Manche Bundesländer haben auch Mischformen der vorgenannten Abgabenformen gewählt.24 15 

Siehe § 3 Nr. 1 GewStG, § 5 Abs. 1 Nr. 1 KStG, § 4 Nr. 9b UStG. Helmut Siekmann, in: Michael Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 106 Rn. 11; Florian Becker, in: ders./ Juliane Hilf/Martin Nolte/Dirk Uwer (Hrsg.), Glücksspielregulierung, 2017, RennwLottG, § 24 Rn. 1; Dieter Birk/Lennart Brüggemann, in: Johannes Dietlein/ Manfred Hecker/Markus Ruttig u.a., Glücksspielrecht, 2. Aufl. 2013, RennwLottG, § 24. 17  Bundesministerium der Finanzen, abrufbar unter: https://www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/Steuerschaetzungen_und_Steuereinnahmen/2019 – 01 – 31-steuereinnahmen-kalenderjahr-2018.pdf?__blob=publicationFile&v=2 (letzter Aufruf: 11. 2. 2019). 18 Angelehnt an Dietmar Barth, in: Tilman Becker (Hrsg.), Der Staatsvertrag zum Glücksspielwesen und dessen Umsetzung, 2009, S. 215 (217 ff.). 19  Z.B. § 6 DKLB-Gesetz Berlin, § 3 Abs. 5 GlüG Bbg, § 10 GlüStV AG NRW, § 8 GlüÄndStVAG SH. 20  Dietmar Barth, in: Tilman Becker (Hrsg.), Der Staatsvertrag zum Glücksspielwesen und dessen Umsetzung, 2009, S. 215 (217). 21  Vgl. § 13 NGlüSpG. 22  Etwa § 12 Abs. 1 Satz 2 LGlüG BW, siehe auch Handelsblatt Research Institut, Der Glücksspielmarkt in Deutschland, März 2017, S. 79. 23 So Dietmar Barth, in: Tilman Becker (Hrsg.), Der Staatsvertrag zum Glücksspielwesen und dessen Umsetzung, 2009, S. 215 (218). 24  Vgl. § 8 HessGlüG (Zweckabgabe und Jahresüberschuss). 16 

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Die Art der Abführung variiert ebenfalls von Bundesland zu Bundesland. Teils werden die Abgaben direkt an gesetzlich festgelegte (gemeinnützige) Destinatäre abgeführt.25 In anderen Ländern werden sie (zunächst) in den Landeshaushalt vereinnahmt.26 Aber auch bei einer Einspeisung in den Landeshaushalt werden oft bereits vorab Empfänger bestimmt, zumindest für einen Teil des Aufkommens. Destinatäre sind z.B. die Sport- und Wohlfahrtsverbände. Gefördert werden ferner Kultur, Denkmalschutz und Naturschutz. Angemerkt sei, dass dieser Befund durchaus konträr bewertet wird: Einerseits vermuten manche, dass viele Lottospieler nicht nur durch den Wunsch nach einem großen Gewinn motiviert werden, sondern auch durch die Gewissheit, dass in jedem Falle das Gemeinwohl profitiert. Andere bewerten den Befund hingegen kritisch und bezeichnen Lotto – zugespitzt – als Armensteuer27 oder als Mittel zur Umverteilung von unten nach oben 28: Lottospieler kämen vielfach aus niedrigeren Sozialschichten. Gefördert würden jedoch (auch) Projekte, welche typischerweise von Besserverdienenden genutzt werden, etwa Philharmonie-Orchester oder Konzerte mit klassischer Musik. Sollte die Kritik zutreffen, könnte man ihr durch eine andere Verteilung der Fördermittel begegnen. Das Gesamtaufkommen der weiteren Staatseinnahmen – jenseits der Lotteriesteuer – betrug im Jahr 2015 bundesweit 1,7 Mrd. Euro.29 2.  Sportwettanbieter Gegenwärtig agieren – mit Ausnahme des staatlichen Anbieters Oddset – alle Sportwettanbieter in Deutschland ohne die an sich erforderliche Glücksspielerlaubnis gem. § 4 Abs. 1 GlüStV, werden aber vielfach geduldet (oben II. 2.). a)  Sportwettsteuer und teils örtliche Wettbürosteuer Die Sportwettsteuer gem. § 17 Abs. 2 S. 1 RennwLottG fällt unabhängig davon an, ob die Sportwetterlaubnis gem. § 4 Abs. 1 GlüStV vorliegt oder nicht.30 Die 25 

Vgl. § 12 Abs. 1 Nr. 3 BremGlüG; § 7 Abs. 1 AG GlüStV Saar. Vgl. § 12 Abs. 1 GlüStVAG M-V. 27  Ilona Füchtenschnieder (Fachverband Glücksspielsucht), SZ vom 9. 12. 2008, abrufbar unter:  http://www.sueddeutsche.de/panorama/nach-lotto-rekordgewinn-deckel-auf-denjackpot-1.857960 – 2 (letzter Aufruf: 11. 2. 2019). 28  Jens Beckert/Mark Lutter, Wer spielt Lotto? Umverteilungswirkungen und sozialstrukturelle Inzidenz staatlicher Lotteriemärkte, KZFSS 60 (2008), S. 233; diff. Handelsblatt Research Institute, Der Glücksspielmarkt in Deutschland, März 2017, S. 60 f. 29  Handelsblatt Research Institut, Der Glücksspielmarkt in Deutschland, März 2017, S. 78. 30  Zur Vereinbarkeit mit Verfassungsrecht und Unionsrecht siehe bejahend FG Hessen, ZfWG 2018, 480 ff. 26 

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Steuerpflicht greift, wenn es sich entweder um eine Sportwette handelt, die im Inland veranstaltet wird (§ 17 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 RennwLottG), oder wenn es zwar einen Auslandsbezug gibt, der Spieler sich jedoch bei Wettabschluss im Inland aufhält und seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat (§ 17 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 RennwLottG).31 Die Steuerpflicht gilt auch für ausländische Veranstalter inländischer Wetten. Sofern der Sitz des Veranstalters außerhalb der Europäischen Union und des Europäischen Wirtschaftsraums liegt, muss er einen steuerlichen Beauftragten im Inland ernennen (§ 19 Abs. 3 RennwLottG). Die Steuer beträgt 5 % des Nennwertes der Wettscheine bzw. des Spieleinsatzes (§ 17 Abs. 2 S. 2 RennwLottG). Von der Umsatzsteuer sind Sportwetten nach § 4 Abs. 1 Nr. 9 lit. b UStG befreit. Die Einnahmen aus der Sportwettsteuer, die eine besondere Verkehrssteuer ist, fließen gem. Art. 106 Abs. 2 Nr. 3 GG in den allgemeinen Landeshaushalt. Das Gesamtaufkommen betrug im Jahr 2017 ca. 375 Mio. Euro.32 Wettbüros werden zudem in einigen Kommunen durch eine örtliche Wettbürosteuer besteuert.33 b)  Konzessionsabgabe Wie erwähnt, sehen § 10a i.V.m. §§ 4a ff. GlüStV die Erteilung von 20 Konzessionen für Sportwettveranstalter vor. Teil des gescheiterten Konzessionsmodells war eine Konzessionsabgabe i.H.v. 5 % des Spieleinsatzes (§ 4d Abs. 2 GlüStV), d.h. eine nichtsteuerliche Abgabe.34 Die Wettsteuer gem. § 17 Abs. 2 RennwLottG sollte auf die Konzessionsabgabe anzurechnen sein (§ 4d Abs. 7 GlüStV). Die Konzessionsabgabe sollte für alle Bundesländer durch Hessen vereinnahmt und sodann nach dem sog. Königsteiner Schlüssel auf die Länder verteilt werden (§ 4d Abs. 2 S. 2 GlüStV).

31 Näher Florian Becker, in: ders./Juliane Hilf/Martin Nolte/Dirk Uwer (Hrsg.), Glücksspielregulierung, RennwLottG, 2017, § 17 Rn. 17; Dieter Birk/Lennart Brüggemann, in: Johannes Dietlein/Manfred Hecker/Markus Ruttig u.a., Glücksspielrecht, RennwLottG, 2. Aufl. 2013, § 17 Rn. 27. 32 Angaben des Bundesfinanzministeriums vom 26. 1. 2018, abrufbar unter https:// www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/Steuerschaetzungen_und_Steuereinnahmen/2018 – 01 – 26-steuereinnahmen-kalenderjahr-2017. pdf?__blob=publicationFile&v=4 (letzter Aufruf: 18. 2. 2019). 33 Siehe zur Zulässigkeit einer kommunalen Wettbürosteuer z.B. BVerwG, NVwZ 2017, 1871 ff. und zu örtlichen Vergnügungssteuern auf Geldspielautomaten in Gaststätten und Spielhallen unten III. 5. 34  Wulf Hambach, in: Rudolf Streinz/Marc Liesching/Wulf Hambach (Hrsg.), Glücksspiel- und Gewinnspielrecht in den Medien, 2014, § 4d GlüStV Rn. 2.

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3.  Pferdewettanbieter Für Pferdewetten sind die §§ 10 ff. RennwLottG anwendbar. Totalisatoren und Buchmacher müssen eine Steuer i.H.v. 5 % der gewetteten Beträge bzw. des Wetteinsatzes entrichten (§§ 10 Abs. 1, 11 Abs. 1 RennwLottG). Diese Steuer ist eine spezielle Verkehrssteuer.35 Die Steuerschuld entsteht gem. § 12 RennwLottG ohne Rücksicht darauf, ob der Totalisator oder Buchmacher über die erforderliche Erlaubnis verfügen. Die Steuern werden dem Landeshaushalt zugeführt.36 Rennvereine, die einen Totalisator betreiben, erhalten eine Steuerrückvergütung im Umfang von bis zu 96 % des Gesamtaufkommens der Totalisator- und Buchmachersteuer, müssen diese Summe dann jedoch zu Zwecken der öffentlichen Leistungsprüfungen für Pferde verwenden (§ 16 Abs. 1 S. 2 RennwLottG).37 Das Aufkommen der Rennwett- und Totalisatorensteuer betrug im Jahr 2017 ca. 7,7 Mio. Euro.38 4.  Spielbanken Die Spielbanken in Deutschland werden hoch besteuert. Die Steuerhöhe legitimiert sich in gewisser Weise durch den Umstand, dass ein Spielbankbetreiber entweder durch ein landesweites Monopol oder durch die enge zahlenmäßige Begrenzung der Anzahl der Spielbanken eine privilegierte Marktposition hat. Dennoch ist die Abgabe von Spielbanken nicht als Gegenleistung für diese Privilegierung zu verstehen. Die in Art. 105 Abs. 2 Nr. 5 GG genannte Spielbankabgabe ist keine Vorzugslast, vielmehr eine Steuer.39 a)  Umsatzsteuer Früher waren die Spielkasinos von der Umsatzsteuer des Bundes befreit – anders als die gewerblichen Spielhallen. Der Europäische Gerichtshof sah hierin einen Verstoß gegen das Europarecht, welches verlangt, dass vergleichbare Wirt-

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Helmut Siekmann, in: Michael Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 106 Rn. 11. Helmut Siekmann, in: Michael Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 106 Rn. 11. 37  Zu Fragen des unionalen Beihilfenrechts siehe Dieter Birk/Lennart Brüggemann, in: Johannes Dietlein/Manfred Hecker/Markus Ruttig u.a., Glücksspielrecht, 2. Aufl. 2013, RennwLottG, § 16 Rn. 2 ff. 38 Angaben des Bundesfinanzministeriums vom 26. 1. 2018, abrufbar unter https:// www.bundesfinanzministerium.de/Content/DE/Standardartikel/Themen/Steuern/Steuerschaetzungen_und_Steuereinnahmen/2018 – 01 – 26-steuereinnahmen-kalenderjahr-2017. pdf?__blob=publicationFile&v=4 (letzter Aufruf: 18. 2. 2019). 39  Helmut Siekmann, in: Michael Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 106 Rn. 11, ebenso BFH, ZfWG 2019, 39 ff., auch zur Verfassungskonformität. 36 

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schaftsaktivitäten auch vergleichbar besteuert werden müssen.40 Der Bundesgesetzgeber hat auf die Rechtsprechung des EuGH reagiert und die ursprüngliche Steuerbefreiung für Umsätze aus Geldspielgeräten in zugelassenen öffentlichen Spielbanken aufgehoben. Von der Gewerbesteuer sind die Spielbanken – wie die staatlichen Lotterieunternehmen – nach § 3 Nr. 1 GewStG befreit. b)  Spielbankabgabe Daneben unterliegen die Spielbanken der von den Bundesländern erhobenen sog. Spielbankabgabe. Diese Abgabe, die als Landessteuer einzuordnen ist (Art. 106 Abs. 2 Nr. 5 GG), wird als Prozentsatz vom Bruttospielertrag (= Einsätze abzüglich der ausgezahlten Gewinne) erhoben und beträgt bis zu 90 %.41 Zur Vermeidung der Doppelbesteuerung durch Umsatzsteuer und Spielbankabgabe wird die Umsatzsteuer auf die Spielbankabgabe angerechnet.42 c)  Tronc-Abgabe Die Mitarbeiter in Spielkasinos dürfen von den Spielern keine individuellen Trinkgelder annehmen. Wenn ein Spieler gewinnt, ist es stattdessen üblich, ein Trinkgeld in einen speziellen Behälter (sog. Tronc) einzuwerfen. Aus diesen Trinkgeldern werden die Gehälter des spieltechnischen Personals bestritten. Wenn das Tronc-Aufkommen einen bestimmten Betrag übersteigt, wird der überschießende Teil als Tronc-Abgabe in den Landeshaushalt eingespeist. Die Tronc-Abgabe ist ebenfalls eine Landessteuer. d)  Verwendung der landesrechtlichen Steuern und Abgaben Spielbanken werden mithin in erheblichem Umfang besteuert. Die Einnahmen der Spielbank- und Tronc-Abgabe unterfallen gem. Art. 106 Abs. 2 Nr. 5 GG der Ertragshoheit der Länder. Eine Bund-Länder-Vereinbarung, wonach die Einnahmen aus der Spielbankabgabe ganz oder teilweise dem Bund zugeführt werden sollen, wäre verfassungswidrig.43 In einigen Ländern enthalten die Spielbankengesetze Vorgaben für die Verwendung dieser Mittel. Manchmal sind die Vorgaben sehr allgemein: Es wird z.B. nur vorgegeben, dass die Mittel gemeinnützig zu verwenden seien.44 Andere Landesgesetze sind präziser, so etwa in Baden-Württemberg; dort sind folgende Verwendungszwecke aufgezählt: Förderung staatlicher Heilbäder und des Frem40 

Siehe EuGH, DStR 2005, 371 (373 Rn. 30) – Linneweber. § 3 Abs. 1 HmbSpielbG. 42  Siehe z.B. § 3 Abs. 8 SpBG Bln. 43  Helmut Siekmann, in: Michael Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 106 Rn. 11. 44  Z.B. Art. 5 Abs. 1 S. 3 SpielbG Bay. 41 

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denverkehrs, Kulturförderung und Denkmalschutz, Finanzierung eines Infrastrukturfonds.45 Es gibt auch Länder, in denen die Spielbanksteuern ohne jede Zweckbindung in den allgemeinen Landeshaushalt eingespeist werden.46 Einige Landesgesetze bestimmen, dass die Städte, in denen die Spielbanken errichtet werden, auch von den Steuereinnahmen profitieren sollen. Dabei gibt es verschiedene Modelle: Mehrheitlich sehen die Länder vor, dass die Kommunen einen bestimmten Anteil an den Steuereinnahmen erhalten. Meist erhalten die Kommunen diese Mittel zur freien Verfügung.47 Manchmal ist die Verwendung zum Teil an bestimmte Zwecke gebunden (z.B. Förderung des Tourismus, Denkmalpflege). Teils wird nur allgemein vorgegeben, dass die Belange der betroffenen Städte bei der Verwendung der Mittel angemessen zu berücksichtigen sind.48 In manchen Bundesländern wurden öffentlich-rechtliche Stiftungen gegründet, denen ein Teil der Spielbankabgaben zufließt. In Nordrhein-Westfalen etwa wurde die Stiftung Wohlfahrtspflege NRW gegründet.49 Im Jahre 2016 flossen dieser Stiftung ca. 22,7 Mio. Euro aus der Spielbankabgabe und Wetteinnahmen zu.50 Die Stiftung unterstützt insbesondere Einrichtungen und Projekte für Menschen mit Behinderung, alte Menschen und benachteiligte Kinder. Finanziert wird z.B. der Bau von Heimen. 5.  Geldspielautomaten in Gaststätten und Spielhallen Spielhallen sind umsatzsteuerpflichtig und unterliegen zudem einer kommunalen Vergnügungssteuer. Verfassungsrechtlicher Ausgangspunkt für die kommunale Besteuerung ist Art. 105 Abs. 2a S. 1 GG: Danach haben die Länder die Befugnis zur Gesetzgebung über die örtlichen Verbrauch- und Aufwandsteuern, solange und soweit sie nicht bundesgesetzlich geregelten Steuern gleichartig sind. Von dieser Gesetzgebungskompetenz haben die Länder durchgängig Gebrauch gemacht. Die Länder verschaffen den Gemeinden dann im Rahmen der Grenzen von Art. 105 Abs. 2a GG und dem Kommunalabgabenrecht des Landes ein Steuererfindungsrecht, relevant insb. für örtliche Aufwandsteuern, welche an den Aufwand anknüpfen, der der persönlichen Lebensführung dient und über das hinausgeht, was zur gewöhnlichen Lebensführung erforderlich ist, und deshalb 45 

§ 36 LGlüG BW. Etwa in Berlin, vgl. § 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 SpBG Bln. 47  Z.B. in Nordrhein-Westfalen: 12 % der Bruttospielerträge, § 13 GlüSpVO NRW; in Brandenburg: 15 % der Bruttospielerträge, § 11 Abs. 10 S. 2 SpielbG Bbg; in Hessen: 29,375 % der Spielbankabgabe, § 1 SpielBAAVO. 48  Vgl. § 36 LGlüG BW. 49  Siehe dazu §§ 19a ff. SpielbG NRW. 50  Geschäftsbericht der Stiftung Wohlfahrtspflege NRW für das Jahr 2016, abrufbar unter https://www.sw-nrw.de/fileadmin/user_upload/Redakteure/pdf/geschaeftsberichte/ Geschaeftsbericht_2016.pdf (letzter Aufruf: 25. 2. 2019). 46 

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typischerweise wirtschaftliche Leistungsfähigkeit (Konsumfähigkeit) zum Ausdruck bringt, die abgeschöpft werden soll.51 Dabei muss es sich keineswegs um eine besonders aufwendige oder luxuriöse Einkommensverwendung handeln. Die Aufwandsteuer ist keine Luxussteuer.52 Wegen der typisierenden Betrachtung kommt es nicht auf die Leistungsfähigkeit im Einzelfall an. Der örtlichen Radizierung steht nicht entgegen, wenn es eine örtliche Steuer in (nahezu) allen Gemeinden gibt.53 Verbreiteter Anwendungsfall einer örtlichen Aufwandsteuer ist eine Vergnügungssteuer, welche die Spielgeräte in Spielhallen und Gaststätten erfasst. Dabei soll die in der Benutzung der Spielgeräte erkennbare wirtschaftliche Leistungsund Konsumfähigkeit abgeschöpft werden. Hinzu kommen Lenkungszwecke, d.h. ein Ausufern derartiger Angebote soll begrenzt werden.54 Bezugspunkt der abzuschöpfenden wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ist der Spieler bzw. Kunde. Aus Gründen der Praktikabilität kann die Gemeinde aber den Anbieter als Steuerpflichtigen heranziehen, der die Möglichkeit einer Überwälzung der Kosten auf den Spieler bzw. Kunden hat.55 Infolge des Lenkungszwecks stellt sich die Vergnügungssteuer auf Geldspielautomaten als mittelbarer Eingriff in die Berufsfreiheit gem. Art. 12 Abs. 1 GG dar. Gründe des Gemeinwohls (z.B. Bekämpfung der Spielsucht) können diesen Eingriff rechtfertigen. Etwas anderes gilt bei erdrosselnder Wirkung der Steuer. Erdrosselungswirkung ist nicht schon dann zu bejahen, wenn ein einzelner Betreiber infolge der durch die Steuerbelastung verringerten Gewinne aus dem Markt ausscheidet. Erforderlich ist vielmehr, dass die Steuerbelastung den durchschnittlichen Betrieb in aller Regel unwirtschaftlich macht.56 In diesem Fall liegt zugleich ein Formenmissbrauch vor: Eine Steuer soll auch Einnahmen erzielen und nicht die besteuerte Tätigkeit faktisch verbieten. Derartige Maßnahmen, die materiell wie ein Verbot wirken, können nicht auf die Steuergesetzgebungskompetenz des Art. 105 Abs. 2a GG gestützt werden. Das Aufkommen der kommunalen Vergnügungssteuern auf Geldspielautomaten beträgt betrug 2015 rd. 837 Mio. Euro.57 Diese Einnahmen stehen den jeweiligen Städten und Gemeinden zu. 51  BVerfGE 135, 126 (142 Rn. 47); krit. zu dieser Rechtsprechung Helmut Siekmann, in: Michael Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 105 Rn. 38 ff. 52  BFH, NVwZ 2010, 1047 (1048). 53  Helmut Siekmann, in: Michael Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 105 Rn. 43. 54  BFH, DStRE 2018, 1076 (1077): Lenkungszweck sei die Eindämmung der Spielsucht. 55  BVerwG, NVwZ-RR 2012, 368 – Spielautomaten. 56  Siehe etwa OVG NRW, Beschluss vom 18. 1. 2016 – 14 B 1479/15, juris Rn. 4, 6: keine erdrosselnde Wirkung der Vergnügungssteuer auf Spielgeräte in Gaststätten und Spielhallen. 57  Handelsblatt Research Institute, Der Glücksspielmarkt in Deutschland, März 2017, S. 77.

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6.  Online-Glücksspiele Die bereits genannten Steuertatbestände für Lotterien, Sportwetten und Pferdewetten (§§ 10 f., 17 RennwLottG) gelten gleichermaßen für terrestrische Glücksspielangebote wie für das Online-Glücksspiel. Online-Casinos sind hingegen schlechthin unzulässig (§ 4 Abs. 4 GlüStV),58 gleichwohl umsatzsteuerpflichtig.59 7.  Spieler Wer als Spieler Glück hat und gewinnt, muss einen Gewinn nicht versteuern. Wie sieht es aber aus, wenn ein Glücksspiel Geschicklichkeitsmomente in einem Ausmaß aufweist, dass manche Spieler doch ihren Lebensunterhalt damit bestreiten? Relevant ist dies insb. für professionelle Pokerspieler.60 Die Finanzgerichte stufen das Pokerspiel dann steuerrechtlich als Geschicklichkeitsspiel ein, sodass die Gewinne einkommenssteuerbar sind.61

IV.  Fiskalische Ziele als Rechtfertigungsgrund für das staatliche Lotteriemonopol? Betrachtet man die Höhe der Beträge, die aus den Einnahmen der Glücksspielanbieter zugunsten der Landeshaushalte und gemeinnütziger Destinatäre abgeschöpft werden, wird deutlich, dass aus dieser fiskalischen Sicht den staatlichen Lotterien die wichtigste Bedeutung zukommt. So erklärt sich, dass es ein starkes politisches Interesse am Fortbestand des Lotteriemonopols gibt. Ein Lotteriemonopol stellt sich allerdings als massiver Eingriff in Grundrechte und Grundfreiheiten dar. EuGH und BVerfG haben wiederholt klargestellt, dass derartige fiskalische Motive nur die angenehme Nebenfolge staatlicher Glücksspielrestriktionen sein dürfen, nicht jedoch deren eigentlicher Grund.62 Diese Rechtsprechung ist gefestigt und wird, soweit ersichtlich, von niemandem in Zweifel gezogen. Aber überzeugt diese Rechtsprechung wirklich? Dazu

58  Eine Ausnahme galt für einige Jahre für Online-Anbieter mit einer Erlaubnis gem. §§ 18 ff. GlSpG SH (oben Fn. 11). 59  Thomas Dünchheim, ZfWG, Sonderbeilage 2/2018, 4. 60  Zur Einordnung des Pokerspiels als Glücksspiel siehe BVerwG, NJW 2014, 2299 (2300 Rn. 15 ff.) mit zust. Anm. Jörg Ennuschat, ZfWG 2014, 177 ff.; OVG Nds., GewArch 2016, 425 (427 Rn. 20). 61  BFH, DStR 2015, 2651 (2652 ff.); FG Münster, ZfWG 2019, 93; FG Köln, DStRE 2013, 198 ff.; siehe dazu auch Robert Kazemi, ZfWG 2011, 310 ff. 62  Siehe z.B. EuGH, ZfWG 2018, 253 (258 Rn. 28) – Sporting Odds.

Gemeinwohlförderung durch Glücksspielabgaben

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folgende Überlegung:63 Attraktiv und am Markt dauerhaft erfolgreich können nur sehr große Lotterien sein, die enorm hohe Hauptgewinne ermöglichen. Selbst auf einem liberalisierten Lotteriemarkt wird es wohl nur wenige Anbieter geben. Dies bedeutet, dass bei einem Staatsmonopol im Ergebnis nur wenige Anbieter in ihren Grundrechten beschränkt werden. Es geht also um die Singularinteressen womöglich nur ein oder zwei privater Anbieter.64 Sind deren Interessen wirklich schützenswerter als das Gemeinwohlinteresse an den Zweckerträgen staatlicher Lotterien? Nun schützen die Grundrechte gerade den Einzelnen auch in seiner Freiheit gegenüber der Mehrheit. Dennoch ist die Frage, um wie viele Grundrechtsbetroffene es geht, nicht völlig belanglos, jedenfalls dann nicht, wenn es um wirtschaftliche Grundrechte geht und es keinen engeren Bezug zur freien Entfaltung der Persönlichkeit einzelner Menschen gibt. Unsere Wirtschaftsordnung verlässt sich wohl immer noch auf die unsichtbare Hand des Marktes, welche dafür sorgt, dass die Grundrechtsträger zwar legitimerweise ihre eigenen Ziele verfolgen, doch gerade dadurch mittelbar zur Verwirklichung des Gemeinwohls beitragen. Aber können wir bei Lotterien darauf vertrauen, dass der Markt das Gemeinwohl am besten fördert? Mancher Ökonom verneint dies: Glücksspiel sei kein Such-, sondern ein Erfahrungs- und ein Vertrauensgut. Bei solchen Gütern könne unter bestimmen Bedingungen ein staatliches Monopol besser geeignet sein, eine gesellschaftlich effiziente Qualität anzubieten, als ein privater Anbieter.65 Hinzu kommt Folgendes: Das Grundgesetz setzt in Art. 105 Abs. 1, 106 Abs. 1, 108 Abs. 1 GG voraus, dass es Finanzmonopole geben kann, welche man als eine besondere Form der Erhebung von Abgaben bezeichnen könnte.66 Unabhängig von der Frage, ob das Lotteriemonopol ein Finanzmonopol in diesem Sinne darstellt,67 weist das grundgesetzlich vorgesehene Institut der Finanzmonopole jedenfalls darauf hin, dass eine Beschränkung der Berufsfreiheit zugunsten der Erzielung staatlicher Einnahmen u.U. verfassungsrechtlich zulässig sein kann.

63 

Hierzu schon Jörg Ennuschat, ZfWG 2019, 2 (7 f.). Diese Sichtweise betrifft allerdings nur die Anbieterseite. Auf Nachfrageseite könnte es sehr viele Menschen geben, welche – unionsrechtlich betrachtet – ihre passive Dienstleistungsfreiheit in Anspruch nehmen möchten. 65  Tilman Becker, ZfWG 2017, 2 (4). 66  Dazu näher Helmut Siekmann, in: Michael Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 105 Rn. 16. 67  Verneinend etwa VG Stuttgart, Urteil vom 12. 7. 2007 – 1 K 1724/05, juris Rn. 27 (zum Sportwettmonopol). – Die Einstufung des Lotteriemonopols als Finanzmonopol würde dazu führen, dass der Bund gem. Art. 105 Abs. 1 GG eine ausschließliche Gesetzgebungskompetenz hätte; ihm stünde zudem die Ertragshoheit zu; Helmut Siekmann, in: Michael Sachs (Hrsg.), GG, 8. Aufl. 2018, Art. 105 Rn. 14. 64 

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Jörg Ennuschat

Das staatliche Lotteriemonopol beweist seit langem, dass es seine Gemeinwohlaufgabe erfüllt, zumindest im Großen und Ganzen. Warum sollte der Gesetzgeber dann nicht an dieser bewährten Form der Gemeinwohlförderung festhalten dürfen, wenn nur die Singularinteressen sehr weniger privater Lotterieveranstalter dagegenstehen?

V.  Fazit So sicher ist es aber nicht, dass die vorstehend angedeuteten Erwägungen sich wirklich zu einer tragfähigen Rechtfertigung des Lotteriemonopols zusammenführen lassen. Bemerkenswert ist immerhin, dass zahlreiche freiheitliche Staaten mit einer wettbewerblich strukturierten Wirtschaft dennoch ein Lotteriemonopol kennen. Eine vorläufige Durchsicht68 deutet daraufhin, dass eine knappe Mehrheit der EU-Staaten ein Staatsmonopol etabliert hat. In den übrigen Mitgliedstaaten gibt es meistens ein Privatmonopol, nur selten echten Wettbewerb bei großen Lotterien. Das Lotteriemonopol geht vielfach einher mit einem im Übrigen liberalisierten Glücksspielmarkt.69 Wenn es europa- und sogar weltweit – z.B. in den USA –70 ein Lotteriemonopol selbst in freiheitlichen Wirtschafts- und Gesellschaftsordnungen gibt, deutet dies darauf hin, dass Lotto durch eine Besonderheit gekennzeichnet ist, die es von anderen Wirtschafts- und auch von anderen Glücksspielsektoren unterscheidet. Es fällt allerdings wohl nicht so leicht, diese Besonderheit gerichtsfest herauszuarbeiten, wenn private Lotterieanbieter sich gegen die Monopolregelungen wehren sollten.71 Auf gefestigtem Terrain bewegt sich der Staat hingegen, wenn er Glücksspielsteuern erhebt.

68 Siehe Faktenbasierte Evaluierung des Glücksspielstaatsvertrages, 2017, S. 164 f., wo Polen, Frankreich, Spanien, Vereinigtes Königreich und Dänemark genannt werden; vgl. ferner Goldmedia, International vergleichende Analyse des Glücksspielwesens, Sept. 2014, S. 98 ff.: Staatsmonopole in Dänemark, Frankreich, Schweden, Norwegen, Schweiz, USA; zahlenmäßig eng begrenzte oder Monopolkonzession für Privatunternehmen: Italien, Malta, Österreich, Spanien, Vereinigtes Königreich. 69  Für die rechtliche Möglichkeit eines Nebeneinanders von Lottomonopol und geöffnetem Sportwettmarkt in Deutschland z.B. VG Gelsenkirchen, Urteil vom 17. 5. 2016 – 19 K 3334/14, juris Rn. 159 ff.; Ulrich Haltern, ZfWG 2011, 77 (82); Dieter Dörr/Steffen Janich, K&R 2010, 1 (24 ff.); Juliane Hilf/Barbara Ploeckl, EuZW 2010, 694 ff. 70  Johannes Güldner, ZfWG 2017, 115 (116). 71 Siehe dazu zuletzt VG München, ZfWG 2018, 109 mit Anm. Bernd Berberich, ZfWG 2018, 61; Jörg Ennuschat/Lisa Deckers, Beiträge zum Glücksspielwesen 1/2018, 12.

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Schriftenverzeichnis Schriftenverzeichnis Schriftenverzeichnis

I.  Selbständige Schriften 1. Die Bestimmung der akademischen Lehre durch hochschulfremde Einrichtungen, Königstein, 1978 (Neue Kölner Rechtswissenschaftliche Abhandlungen, herausgegeben von der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität zu Köln, Heft 82) 2. Institutionalisierte Einkommenspolitik, München, 1985 (Studien zum öffentlichen Recht und zur Verwaltungslehre, Band 31) 3. Corporate Governance und öffentlich-rechtliche Unternehmen, Arbeitspapier 7/95 des Instituts für Handels- und Wirtschaftsrecht der Universität Osnabrück, 1995 4. Staatsrecht I: Grundrechte, Thüngersheim Nürnberg, 1998 (zusammen mit Gunnar Duttge) 5. Staatsrecht I: Grundrechte, 2. Auflage, Thüngersheim Frankfurt/Main, 1999 (zusammen mit Gunnar Duttge) 6. Staatsrecht I: Grundrechte, 3. Auflage, Thüngersheim Frankfurt/Main, 2000 (zusammen mit Gunnar Duttge) 7.

Deutsches Krebsforschungszentrum (Hrsg.), Die Verfassungsmäßigkeit eines umfassenden Tabakwerbeverbots in Deutschland, Heidelberg, 2004

8. Abhandlungen zum öffentlichen Finanzrecht, zwei Bände, Berlin/Bochum/Dülmen/ London/Paris, 2005 (Staatswissenschaftliche Abhandlungen, Band 1 und 2) 9. Die Staatsfinanzierung nach dem Grundgesetz, Berlin/Bochum/Dülmen/London/ Paris, 2005 (Staatswissenschaftliche Abhandlungen Band 3) 10. Die Unabhängigkeit von EZB und Bundesbank nach geltendem Recht und dem Vertrag über eine Verfassung für Europa, Institute for Law and Finance, Frankfurt am Main, Working Paper Series No. 35 (01/2005) (Institute for Monetary and Financial Stability, Frankfurt am Main, Working Paper Series No. 2 [2006]) 11. Die Verwendung des Gewinns der Europäischen Zentralbank und der Bundesbank, Institute for Law and Finance, Frankfurt am Main, Working Paper Series No. 38 (02/2005) (Institute for Monetary and Financial Stability, Frankfurt am Main, Work­ ing Paper Series No. 3 [2006]) 12. Deutsches Krebsforschungszentrum (Hrsg.), Die Zuständigkeit des Bundes zum Erlass eines umfassenden Gesetzes für rauchfreie Einrichtungen, eine rauchfreie Gastronomie und rauchfreie Arbeitsplätze, Heidelberg, 2006 (Autor: Helmut Siekmann) 13. Der Anspruch auf Herstellung von Transparenz im Hinblick auf die Kosten und Folgekosten der Steinkohlesubventionierung und den Börsengang der RAG AG, Institute

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Schriftenverzeichnis for Monetary and Financial Stability, Frankfurt am Main, Working Paper Series No. 8 (2008)

14. Streitschrift für eine grundlegende Neuordnung des Sparkassen- und Landesbankensektors in Deutschland, House of Finance der Goethe-Universität Frankfurt, White Paper, Februar 2011 (zusammen mit Heinz Hilgert, Jan Pieter Krahnen und Günther Merl) (On a Fundamental Reorganisation of the Landesbanks and Savings Banks Sector in Germany, House of Finance der Goethe-Universität Frankfurt, White Paper, March 2011 [zusammen mit Heinz Hilgert, Jan Pieter Krahnen und Günther Merl]) 15. Eurobonds zur Bewältigung der europäischen Krise? Wegweisung zu einer modernen Entwicklungsunion, White Paper, Policy Platform, House of Finance, Goethe-Universität Frankfurt (zusammen mit Hans-Helmut Kotz, Jan Pieter Krahnen und Chris­ tian Leuz) (zugleich working paper no 21/2011 CIRAC mit teilweiser französischer Übersetzung: Crise européenne. Plutôt que des Eurobonds, concevoir und „Union de développement moderne“) 16. The European Central Bank’s Outright Monetary Transactions and the Federal Constitutional Court of Germany, IMFS Working Paper Series No. 71 (2013); teilweise veröffentlicht als „The question before the court“, Economist vom 18. Juni 2013 (zusammen mit Volker Wieland) 17. Eine stabile Geld-, Währungs- und Finanzordnung, Gesammelte Schriften, herausgegeben von Theodor Baums, Berlin 2013 18. Preis- und Finanzstabilität: der Primat der Politik, der rechtliche Rahmen und das „ökonomische Gesetz“, Institute for Monetary and Financial Stability, Frankfurt am Main, Working Paper Series No. 104 (2016) 19. Konstruktionsfehler bei der EU-Einlagensicherung, Institute for Monetary and Financial Stability, Frankfurt am Main, Working Paper Series No. 106 (2016) 20. Restricting the Use of Cash in the European Monetary Union, Institute for Monetary and Financial Stability, Frankfurt am Main, Working Paper Series No. 108 (2016) 21. Replacing or Supplementing the Euro in Member States whose Currency is the Euro, Institute for Monetary and Financial Stability, Frankfurt am Main, Working Paper Series No. 109 (2016) 22. Legal Tender in the Euro Area, Institute for Monetary and Financial Stability, Frankfurt am Main, Working Paper Series No. 122 (2018) 23. The asset purchase programmes of the European System of Central Banks in the courts, Institute for Monetary and Financial Stability, Frankfurt am Main, Working Paper Series No. 131 (2019) 24. The euro as supranational fiat-money, Institute for Monetary and Financial Stability, Frankfurt am Main, Working Paper Series No. 132 (2019)

II.  Herausgeberschaft 1. Klaus Stern, Der Staat des Grundgesetzes, herausgegeben von Helmut Siekmann, Köln Berlin Bonn München, 1992

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2. Verfassungsstaatlichkeit, Festschrift für Klaus Stern zum 65. Geburtstag, herausgegeben von Joachim Burmeister im Zusammenwirken mit Michael Nierhaus, Günter Püttner, Michael Sachs, Helmut Siekmann und Peter J. Tettinger, München, 1997 3. Der grundrechtsgeprägte Verfassungsstaat, Festschrift für Klaus Stern zum 80. Geburtstag, herausgegeben von Michael Sachs und Helmut Siekmann, Berlin, 2012 4. The ECB and Its Watchers 2012, Frankfurt, 2013 (IMFS Interdisciplinary Studies in Monetary and Financial Stability 1/2013) (zusammen mit Volker Wieland) 5. Kommentar zur Europäischen Währungsunion, Tübingen, 2013 6. Festschrift für Theodor Baums zum siebzigsten Geburtstag, zwei Bände, Tübingen, 2017

III.  Kommentierungen 1. Abschnitt X (Art. 104 a bis 115) des Grundgesetzes und Art. 120, 120 a GG, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, München, 1996 2. Abschnitt X des Grundgesetzes (Art. 104 a bis 115) und Art. 120, 120 a GG, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 2. Auflage, München, 1999 3. Abschnitt VIII a (Art. 91 a, 91 b) und Abschnitt X (Art. 104 a bis 115) des Grundgesetzes sowie von Art. 120 und 120 a GG, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 3. Auflage, München, 2003 4. Abschnitt VIII a (Art. 91 a, 91 b) und Abschnitt X (Art. 104 a bis 115) des Grundgesetzes sowie von Art. 88, 120, 120 a, 125 c und 143 c GG, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 4. Auflage, München, 2007 5. Abschnitt VIII a (Art. 91 a, 91 b) und Abschnitt X (Art. 104 a bis 115) des Grundgesetzes sowie von Art. 88, 120, 120 a, 125 c und 143 c GG, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 5. Auflage, München, 2009 6. Abschnitt VIII a (Art. 91 a bis 91 e) und Abschnitt X (Art. 104 a bis 115) des Grundgesetzes sowie von Art. 88, 120, 120 a, 125 c, 143 c und 143 d GG, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 6. Auflage, München, 2011 7. Einführung, Art. 3, 13 EUV, Art. 119, 130 AEUV, Protokolle (Nr. 16, 17, 18), Art. 7, 15, 36, 37 Satzung, in: Helmut Siekmann (Hrsg.), Kommentar zur Europäischen Währungsunion, Tübingen, 2013 8. Kommentierung von Abschnitt VIII a (Art. 91 a bis 91 e) und Abschnitt X (Art. 104 a bis 115) des Grundgesetzes sowie von Art. 88, 120, 120 a, 125 c, 143 c und 143 d GG, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 7. Auflage, München, 2014 9.

Kommentierung von Abschnitt VIII a (Art. 91 a bis 91 e) und Abschnitt X (Vorbemerkungen, Art. 104 a bis 115) des Grundgesetzes sowie von Art. 88, 120, 120 a, 125 c, 143 c, 143 d, 143 f und 143 g des Grundgesetzes, in: Michael Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 8. Auflage, München, 2018 (völlig neue Bestimmungen: Art. 104 c, 143 f, 143 g; geänderte Vorschriften: Art. 91 c, 104 b, Art. 107, 108, 109 a, 114, 125 c, 143 d)

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IV.  Aufsätze und Beiträge zu Sammelwerken 1. Zusammenwirken von Staat und Hochschule bei der Besetzung von Lehrstühlen, DÖV 1979, S. 82 – 89 2. Zum „Dialog zwischen Rechtsprechung und Rechtswissenschaft im Verfassungsrecht“, NWVBl. 1988, S. IV f. 3.

Die verwaltungsrechtliche Anstalt – eine Kapitalgesellschaft des öffentlichen Rechts?, NWVBl. 1993, S. 361 – 370

4. Anmerkung zum Urteil des BGH v. 8. 2. 1994 - VI ZR 286/93 („Heberger Bau“), ZIP 1994, S.  651 – 654 5. Rechtsprobleme umweltorientierter kommunaler Benutzungsgebühren, Zeitschrift für angewandte Umweltforschung – ZAU, 1994, S. 441 – 447 6. Corporate Governance und öffentlich-rechtliche Unternehmen, Jahrbuch für Neue Politische Ökonomie, 15. Band (1996), S. 282 – 313 (umgearbeitete Fassung von Nr. 3) 7. Kommentar zu OVG NW v. 9. 10. 1995 („RWE-Mehrstimmrechtsaktien“), EWiR 1996, S. 435 f. 8. Öffentlich-rechtliche Grenzen zivilrechtlicher Publizitätspflichten, in: Rudolf Wendt, Wolfram Höfling, Ulrich Karpen, Martin Oldiges (Hrsg.), Staat, Wirtschaft, Steuern, Festschrift für Karl Heinrich Friauf zum 65. Geburtstag, Heidelberg, 1996, S.  647 – 666 9.

Staat und Staatlichkeit am Ende des 20. Jahrhunderts, in: Joachim Burmeister im Zusammenwirken mit Michael Nierhaus, Günter Püttner, Michael Sachs, Helmut Siekmann und Peter J. Tettinger (Hrsg.), Verfassungsstaatlichkeit, Festschrift für Klaus Stern zum 65. Geburtstag, München, 1997, S. 341 – 363

10. Vereinbarkeit der Budgetierung mit dem parlamentarischen Budgetrecht, in: Präsident des Landtags Rheinland-Pfalz (Hrsg.), Budgetierung und Budgetrecht des Parlaments, 1997, S. 44 – 52 11. Kommentar zu BGH v. 10. 4. 1997 („Entschädigung wegen Bebauungsplanänderung“), EWiR 1997, S. 771 f. 12. Verfassungsrechtliche Grenzen der Entgeltpolitik in der Entsorgungswirtschaft, in: Helmut Brede (Hrsg.), Preise und Gebühren in der Entsorgungswirtschaft, BadenBaden, 1998, S. 47 – 77 13. Kommentar zu BVerfG v. 31. 3. 1998 („Einführung des EURO“), EWiR 1998, S. 743 f. 14. Kommentar zu BVerfG v. 7. 5. 1998 („Landesrechtliche Abfallabgaben“), EWiR 1998, S. 841 f. 15. Zur Verfassungsmäßigkeit einer Streichung von Art. 68 Abs. 1 Satz 4 der Verfassung für das Land Nordrhein-Westfalen, in: Peter Neumann, Stefan von Raumer (Hrsg.), Die verfassungsrechtliche Ausgestaltung der Volksgesetzgebung, Baden-Baden, 1999, S.  181 – 226 16. Wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand und ökonomische Analyse des Rechts, in: Rolf Stober, Hanspeter Vogel (Hrsg.), Wirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand, Köln Berlin Bonn München, 2000, S. 103 – 144

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17. Die Aufteilung der Finanzierungslasten des ÖPNV auf Benutzer, Nutznießer und Allgemeinheit, in: Günter Püttner (Hrsg.), ÖPNV in Bewegung – Konzepte, Probleme, Chancen, Baden-Baden, 2000, S. 105 – 128 18. Verfassungsgemäße Volksgesetzgebung, in: Peter Neumann (Hrsg.), Sachunmittelbare Demokratie im Freistaat Thüringen, Baden-Baden, 2002, S. 201 – 228 19. Haftung der Kommunen für ihre privatrechtlich organisierten Unternehmen, in: Günter Püttner (Hrsg.), Zur Reform des Gemeindewirtschaftsrechts, Baden-Baden, 2002, S.  159 – 180 20. Finanzzuweisungen des Bundes an die Länder auf unklarer Kompetenzgrundlage, DÖV 2002, S. 629 – 639 21. Stichworte „Anstaltslast“, „Gewährträger“, „Gewährträgerhaftung“, „Natürliche Person“, „Privatrecht“, „Rechtsgeschäft“, „Rechtspflegeverwaltung“, „Rechtsvorschrift“, „Steuerfindungsrecht“, „Verfügung“, „Verwirkung“, „Wirtschaftsverfassung“, „Zivilrecht“, in: Peter Eichhorn, Peter Friedrich, Werner Jann, Walter A. Oechsler, Günter Püttner und Heinrich Reinermann (Hrsg.), Verwaltungslexikon, 3. Auflage, Baden-Baden, 2003 22. Verfassungsmäßigkeit eines umfassenden Verbots der Werbung für Tabakprodukte, DÖV 2003, S. 657 – 664 23. Inhalte und Wirkungen von Kommunikation als Grenze für den Grundrechtsschutz, in: Stefan Machura, Stefan Ulbrich (Hrsg.), Recht-Gesellschaft-Kommunikation, Festschrift für Klaus F. Röhl, Baden-Baden, 2003, S. 144 – 160 24. Kommentar zu BGH v. 24. Juni 2003 („Datenschutz und Auskunfteien“), EWiR 2004, S. 159 f. 25. Die Erweiterung der Unternehmensmitbestimmung in privatrechtlich organisierten öffentlichen Unternehmen, Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen, 2004, S. 394 – 409 26. Kommentar zu BVerfG, 3. Kammer des Ersten Senats, v. 5. Dezember 2005 („Großer Befähigungsnachweis im Handwerk und Berufsfreiheit“), EWiR 2006, S. 339 f. 27. Die Zuständigkeit des Bundes zum Erlass umfassender Rauchverbote nach In-KraftTreten der ersten Stufe der Föderalismusreform, NJW 2006, S. 3382 – 3385 28. The burden of an ageing society as a public debt, in: Reiner König, Hermann Remsperger (eds.), Challenges to the financial system – ageing and low growth, Third conference of the Monetary Stability Foundation, Frankfurt am Main, 2007, p. 147 – 162 29. The Burden of an Ageing Society as a Public Debt – The Perspective of the German Constitutional Law and the Law of the European Union – European Public Law, Vol. 13 (2007), p. 489 – 518 30. Die Spielbankenabgabe und die Beteiligung der Gemeinden an ihrem Aufkommen – zugleich ein Beitrag zu den finanzverfassungsrechtlichen Ansprüchen der Gemeinden, in: Hermann Butzer, Markus Kaltenborn, Wolfgang Meyer (Hrsg.), Organisa­ tion und Verfahren im sozialen Rechtsstaat, Festschrift für Friedrich E. Schnapp zum 70. Geburtstag, Berlin, 2008, S. 319 – 345

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31. Keine Hilfe für Banken ohne einen neuen Ordnungsrahmen für die Finanzmärkte, 2009, veröffentlicht in: Helmut Siekmann, Eine stabile Geld-, Währungs- und Finanz­ ordnung, Berlin, 2013, S. 433 – 448 32. Die Schaffung von Einrichtungen der Finanzaufsicht auf EU-Ebene, 2009, veröffentlicht in: Helmut Siekmann, Eine stabile Geld-, Währungs- und Finanzordnung, Berlin, 2013, S. 449 – 474 33. Stabilisierung der WestLB AG durch Garantien des Landes NRW, 2009, veröffentlicht in: Helmut Siekmann, Eine stabile Geld-, Währungs- und Finanzordnung, Berlin, 2013, S. 741 – 756 34. Die Neuordnung der Finanzmarktaufsicht, Die Verwaltung, 43. Band (2010), S.  95 – 115 35. Prüfung der NRW.BANK durch den Landesrechnungshof, 2010, veröffentlicht in: Helmut Siekmann, Eine stabile Geld-, Währungs- und Finanzordnung, Berlin, 2013, S. 757 – 810 36. Die Finanzmarktaufsicht in der Krise, in: Arno Scherzberg, Ilyas Dogan, Osman Çan (Hrsg.), Staatliche Finanzmarktregulierung und Eigentumsschutz, Münster/Hamburg/Berlin/Wien/London, 2010, S. 9 – 66 37. Welche Aufsicht braucht das Kammerwesen? – Anforderungen an staatliche Aufsicht und interne Kontrolle von Kammern, in: Hans-Jörg Schmidt-Trenz, Rolf Stober (Hrsg.), Jahrbuch Recht und Ökonomik des Dritten Sektors 2009/2010 (RÖDS), S.  85 – 102 38. Errichtung einer Europäischen Ratingagentur, 2010, veröffentlicht in: Helmut Siekmann, Eine stabile Geld-, Währungs- und Finanzordnung, Berlin, 2013, S. 541 – 636 39. Modell für eine leistungsfähige Sparkassen-Finanzgruppe – eine Replik, Zeitschrift für das gesamte Kreditwesen, 2011, S. 536 – 540 (zusammen mit Heinz Hilgert, Jan Pieter Krahnen und Günther Merl) 40. Life in the Eurozone With or Without Sovereign Default? – The Current Situation –, in: Franklin Allen, Elena Carletti, Giancarlo Corsetti (eds.), Life in the Eurozone With or Without Sovereign Default?, Philadelphia, 2011, p. 13 – 39 (European University Institute, Florence, Italy and Wharton Financial Institutions Center, University of Pennsylvania, Philadelphia, USA) 41. Die Bankenabgabe in Deutschland, Der Betrieb, 2011, S. 29 f. 42. Staatsversagen und Marktversagen im Bereich der Finanzmärkte, 2011, veröffentlicht in: Helmut Siekmann, Eine stabile Geld-, Währungs- und Finanzordnung, Berlin, 2013, S. 638 – 653 43. PPP-Finanzierung und Haushaltsrecht, in: Gotthold A. Balensiefen, Carsten Merten (Hrsg.), Public Private Partnership, Frankfurt am Main, 2011, S. 43 – 55 44. Die rechtliche Regulierung öffentlicher Banken in Deutschland, in: Arno Scherzberg, Osman Çan, İlyas Doğan (Hrsg.), Das Recht der öffentlichen Unternehmen und der öffentlich-rechtlichen Banken, Münster, 2012, S. 65 – 123

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45. Neuorganisation der Finanzaufsicht, in: Stefan Kadelbach (Hrsg.), Nach der Finanzkrise, Rechtliche Rahmenbedingungen einer neuen Ordnung, Baden-Baden, 2012, S.  131 – 220 46. Die Legende von der verfassungsrechtlichen Sonderstellung des „anonymen“ Kapitaleigentums, in: Michael Sachs, Helmut Siekmann (Hrsg.), Der grundrechtsgeprägte Verfassungsstaat, Festschrift für Klaus Stern zum 80. Geburtstag, 2012, S. 1527 – 1541 47. Law and Economics of the Monetary Union, in: Thomas Eger, Hans Schäfer (eds.), Research Handbook on the Economics of the European Union Law, Cheltenham, UK – Northampton, MA, USA, 2012, p. 355 – 411 (Research Handbooks in Law and Economics, Series Editors: Richard A. Posner and Francesco Parisi) 48. The Introduction of the Euro, in: Susanna S. S. Leung, Centre for Financial Regulation and Economic Development (CFRED) (ed.), The Renminbi’s Changing Status and The Chinese and Hong Kong Financial Systems, Hong Kong, 2012, p. 127 – 175 49. Missachtung rechtlicher Vorgaben des AEUV durch die Mitgliedstaaten und die EZB in der Schuldenkrise, in: Thomas M. J. Möllers, Franz-Christoph Zeitler (Hrsg.), Europa als Rechtsgemeinschaft – Währungsunion und Schuldenkrise, Tübingen, 2013, S.  97 – 154 50. Der Sturz von der nicht existierenden Klippe in den fiskalischen Abgrund, in: Henning Curti, Tobias Effertz (Hrsg.), Die ökonomische Analyse des Rechts, Festschrift für Michael Adams, Frankfurt am Main, 2013, S. 63 – 82 51. From the OMT Announcement to the 2013 Hearings of the German Constitutional Court, in: Helmut Siekmann, Volker Wieland (Hrsg.), The ECB and Its Watchers 2012, Frankfurt, 2013, S. 47 – 53 (zusammen mit Volker Wieland) 52. Lekceważenie założeń prawnych TFUE przez państwa członkowskie oraz Europejski Bank Centralny [„Disregard for the Legal Foundations of TFEU on the Part of the Member States and the European Central Bank“], in: Saryusz-Wolski, Jacek (Ed.), Nowa Europa, 3 (16)/2013, S. 188 – 269 (polnische Fassung von Nr. 49) 53. Have markets misunderstood the German court’s decision on OMT?, Vox, 3 October 2014 (zusammen mit Volker Wieland) 54. The German Constitutional Court’s decision on OMT: Have markets misunderstood?, Centre for Economic Policy Research, Policy Insight No. 74 (October 2014) (zusammen mit Volker Wieland) 55. The Legal Framework for the European System of Central Banks, in: Frank Rövekamp, Moritz Bälz, Hanns Günther Hilpert (eds.), Central Banking and Financial Stability in East Asia, Cham et al., 2015, p. 43 – 86 56. The Legality of Outright Monetary Transactions (OMT) of the European System of Central Banks, in: Frank Rövekamp, Moritz Bälz, Hanns Günther Hilpert (eds.), Central Banking and Financial Stability in East Asia, 2015, p. 101 – 123 57. Die Offenlegung der Bezüge von Sparkassenvorständen im Internet, in: Peter Bilsdorfer, Michael Elicker, Heike Jochum, Steffen Lampert (Hrsg.), Freiheit, Gleichheit, Eigentum – Öffentliche Finanzen und Abgaben, Festschrift für Rudolf Wendt zum 70. Geburtstag, Berlin, 2015, S. 1293 – 1312

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58. Deposit Banking and the Use of Monetary Instruments, in: David Fox, Wolfgang Ernst (eds.), Money in the Western Legal Tradition, Oxford, 2016, p. 489 – 531 59. Ziele, Aufgaben und Befugnisse des ESZB, in: Arno Scherzberg, Osman Çan, İlyas Doğan (Hrsg.), Die Sicherung von Geld- und Finanzstabilität im Vergleich Deutschland-Türkei, Münster, 2016, S. 79 – 118 60. Exit, Exclusion, and Parallel Currencies in the Euro Area, in: Liber Amicorum en l’honneur du Professeur Joël Monéger, Paris, 2017, p. 773 – 796 61. Die Einstandspflicht der Bundesrepublik Deutschland für die Deutsche Bundesbank und die Europäische Zentralbank, in: Helmut Siekmann (Hrsg.), Festschrift für Theodor Baums zum siebzigsten Geburtstag, Tübingen, 2017, S. 1145 – 1179 62. Restricting the Use of Cash in the European Monetary Union: Legal Aspects, in: Frank Rövekamp, Moritz Bälz, Hanns Günther Hilpert (eds.), Cash in East Asia, Springer International, Cham et al., 2017, p. 153 – 178

V.  Buchbesprechungen 1. Günter Püttner, Staatsverschuldung als Rechtsproblem, Berlin New York, 1980, Finanzarchiv, n. F. Bd. 41 (1983), S. 167 – 170 2. Arnulf Rapsch, Wasserverbandsrecht, München, 1993, Zeitschrift für angewandte Umweltforschung – ZAU 1994, S. 290 f. 3. Jörn Ipsen (Hrsg.), Privatisierung öffentlicher Aufgaben, Köln/Berlin/Bonn/München, 1993, NWVBl. 1994, S. 478 f. 4. Michael Kilian, Nebenhaushalte des Bundes, Berlin, 1993, NWVBl. 1995, S. 119 f. 5. Klaus F. Röhl, Allgemeine Rechtslehre, Köln/Berlin/Bonn/München, 1994, Jura 1995, S. 502 6. Ingrid A. Mayer, Die kommunale Frauenbeauftragte in Baden-Württemberg, BadenBaden, 1994, DVBl. 1995, S. 387 f. 7.

Alois Kirchgässner, Franz-Ludwig Knemeyer, Norbert Schulz, Das Kommunalunternehmen, Stuttgart München Hannover Berlin Weimar Dresden, 1997, Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen – ZögU, 1997, S. 502 – 504

8. Thorsten Krause, Die Nahverkehrsabgabe, Frankfurt a. Main u. a., 1996, Zeitschrift für öffentliche und gemeinwirtschaftliche Unternehmen – ZögU, 2000, S. 377 – 379 9.

Wolfgang Löwer und Peter J. Tettinger, Kommentar zur Verfassung des Landes Nordrhein-Westfalen, Stuttgart/Berlin/Hannover/Berlin/Weimar/Dresden, 2002, JZ 2004, S.  451 – 453

10. EUV/AEUV. Streinz, Rudolf (Hrsg.), 3. Aufl. 2018. XXIX, 2873 S., C. H. Beck. European Union Treaties, Geiger, Rudolf/Khan, Daniel-Erasmus/Kotzur, Markus (Eds.). 2015. LXVIII, 1248 S., C. H. Beck und Hart Publishing. EUV/AEUV Geiger, Rudolf/ Khan, Daniel-Erasmus/Kotzur, Markus (Hrsg.). 2017. 6. Aufl. XXXIII, 1254 S., C. H. Beck, EuZW 2018, S. 1036 f.

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VI.  Miszellen 1.

Internationales Symposion „40 Jahre Grundgesetz“ in Köln, DVBl. 1989, S. 866 – 868

2. Sozialstaat und Gesellschaft an der Schwelle zum dritten Jahrtausend, in: Symposium zum 80. Geburtstag von Fritz Fabricius, Bochum, 2001 3. Deutsches Krebsforschungszentrum (Hrsg.), Bundesgesetz und Memorandum für rauchfreie öffentliche Einrichtungen, eine rauchfreie Gastronomie und rauchfreie Arbeitsplätze, Heidelberg, 2006 4. New Structures for Greater Stability, in: Frankfurt Main Finance (ed.), Work in Progress, Yearbook 2010, p. 28 – 31 (Neue Strukturen für mehr Stabilität, in: Frankfurt Main Finance [Hrsg.], In Arbeit, Jahrbuch 2010, S. 28 – 31), zusammen mit Jan Pieter Krahnen 5. Bailing out Member States of the EU is legally questionable, House of Finance Newsletter, 4th Quarter 2011, S. 6 f. 6. Support mechanisms pose fundamental legal questions, in: Jahrbuch Frankfurt Main Finance, 2012, S. 44 – 49 7. Constitutional Ruling on Court of Auditors’ Review of Banks, House of Finance Newsletter, 1st Quarter 2012, S. 10 f. (mit Patrick Tuschl) 8. Staatslenker und Banken im Wettbewerb: Über die Entstehung des Papiergelds, in: Forschung Frankfurt, Geld im Wandel, 2.2012, S. 10 – 13 9. Geprägte Freiheit. Kann der Staat eine Obergrenze für Bargeldzahlungen bestimmen?, Forschung & Lehre 4/16, S. 310

VII.  Falllösungen 1. Der praktische Fall, JuS 1980, S. 46 – 53 2. Aufsichtsarbeit aus dem öffentlichen Recht: „Geräuschvoller Grillplatz“, NWVBl. 1995, S. 78, 114 – 117 3. Die Aufsichtsarbeit im Öffentlichen Recht: „Himmelsstrahler“, NWVBl. 1996, S. 79, 116 – 120 4. Aufsichtsarbeit aus dem öffentlichen Recht: „Hundefänger“, NWVBl. 1996, S.  316 – 319 5. Aufsichtsarbeit aus dem öffentlichen Recht: „Teures Wasser“, NWVBl. 1997, S.  154 – 160 6. Examensklausur Öffentliches Recht: „Der abtrünnige Mitarbeiter des Verfassungsschutzes“, Jura 1999, S. 485 – 491 (unter Mitarbeit von Simone Kleinod) 7. Aufsichtsarbeit aus dem öffentlichen Recht: „Bilder einer Ausstellung“, NWVBl. 2001, S.  115 – 120

Verzeichnis der Autoren und Herausgeber

Verzeichnis der Autoren und Herausgeber Verzeichnis der Autoren und Herausgeber Verzeichnis der Autoren und Herausgeber

Angeloni, Ignazio, Ph. D., Ehemaliges Mitglied des Aufsichtsgremiums der Europäischen Zentralbank Bälz, Moritz, Prof. Dr. LL. M., Lehrstuhl für Japanisches Recht und seine kulturellen Grundlagen, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main Baums, Theodor, Prof. em. Dr. Dres. h. c., Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main Becker, Florian, Prof. Dr. LL. M., Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Institut für Öffentliches Wirtschaftsrecht, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Benner, Niklas, Studentische Hilfskraft am Lehrstuhl für Monetäre Ökonomik, Justus-Liebig-Universität Gießen Brüning, Christoph, Prof. Dr., Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Verwaltungswissenschaften, Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Degenhart, Christoph, Prof. em. Dr., Universität Leipzig Dombret, Andreas, Prof. Dr. Dr. h. c., Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank i. R. Drüen, Klaus-Dieter, Prof. Dr., Lehrstuhl für Deutsches, Europäisches und Internationales Steuerrecht und Öffentliches Recht, Ludwig-Maximilians-Universität München Ennuschat, Jörg, Prof. Dr., Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Verwaltungsrecht, Ruhr-Universität Bochum Goldbach, Roman, Dr., Deutsche Bundesbank Goldmann, Matthias, Jun. Prof. Dr. LL. M., Juniorprofessor für Internationales Öffentliches Recht und Finanzrecht, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main Haliassos, Michael, Prof., Ph. D., Professor and Chair of Macroeconomics and Finance, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main, Director of the CEPR Network on Household Finance Heckel, Markus, Dr., Deutsches Institut für Japanstudien (DIJ), Tokyo Holtfrerich, Carl-Ludwig, Prof. em. Dr., Freie Universität Berlin Issing, Otmar, Prof. Dr. Dr. h. c. mult., Präsident des Center for Financial Studies (CFS), Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main Kämmerer, Jörn Axel, Prof. Dr., Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Völker- und Europarecht, Bucerius Law School, Hochschule für Rechtswissenschaft Krahnen, Jan Pieter, Prof. Dr., Lehrstuhl für Kreditwirtschaft und Finanzierung und Direktor CFS und SAFE, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main

Verzeichnis der Autoren und Herausgeber

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Mann, Thomas, Prof. Dr., Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Verwaltungsrecht, Georg-August-Universität Göttingen Mersch, Yves, Mitglied des Direktoriums der Europäischen Zentralbank Möllers, Thomas M. J., Prof. Dr., Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Wirtschaftsrecht, Europarecht, Internationales Privatrecht und Rechtsvergleichung, Universität Augsburg Monéger, Joël, Prof. em. Dr. Dr. h. c., Université Paris-Dauphine Ohler, Christoph, Prof. Dr. LL. M., Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Europarecht, Völkerrecht und Internationales Wirtschaftsrecht, Friedrich-Schiller-Universität Jena Ordower, Henry, Prof., J. D., Professor of Law, Saint Louis University School of Law Petkova, Kunka, Wirtschaftsuniversität Wien Remsperger, Hermann, Prof. Dr., Mitglied des Vorstands der Deutschen Bundesbank i. R. Rudolph, Bernd, Prof. em. Dr., Ludwig-Maximilians-Universität München Sachs, Michael, Prof. Dr., Lehrstuhl für Staats- und Verwaltungsrecht, Universität zu Köln Schindler, Thomas, LL. M., Ministerialrat, Landesrechnungshof NRW Schmidt, Jörg, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Monetäre Ökonomik, Justus-Liebig-Universität Gießen Schmidt, Reinhard H., Prof. Dr. Dr. h. c., Seniorprofessor für Finanzen, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main Scholle, Ute, Präsidentin des Landesrechnungshofs NRW a. D. Seer, Roman, Prof. Dr., Lehrstuhl für Steuerrecht und Geschäftsführender Direktor des Instituts für Steuerrecht und Steuervollzug, Ruhr-Universität Bochum Seitz, Franz, Prof. Dr., Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre, Ostbayerische Technische Hochschule Amberg-Weiden Susallek, Ruth, Leitende Ministerialrätin a. D., Landesrechnungshof NRW Tillmann, Peter, Prof. Dr., Lehrstuhl für Monetäre Ökonomik, Justus-Liebig-Universität Gießen Torquato-Fernandes, Andressa G., Prof. Dr., Public Finance and Tax Law, Fluminense Federal University Tröger, Tobias, Prof. Dr. LL. M., Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Handels- und Wirtschaftsrecht, Rechtstheorie, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main Ugena, Roberto, Deputy Director General, Europäische Zentralbank Waldenberger, Franz, Prof. Dr., Direktor Deutsches Institut für Japanstudien (DIJ), Professur für Japanische Wirtschaft, Ludwig-Maximilians-Universität München (beurlaubt) Waldhoff, Christian, Prof. Dr., Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Finanzrecht, Humboldt-Universität zu Berlin Wallmann, Walter, Dr., Präsident des Hessischen Rechnungshofs Weichenrieder, Alfons, Prof. Dr., Lehrstuhl für Finanzwissenschaft, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main

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Verzeichnis der Autoren und Herausgeber

Wendt, Rudolf, Prof. em. Dr., Vizepräsident des Verfassungsgerichtshofs des Saarlandes, Universität des Saarlandes Wieland, Volker W., Prof., Ph. D., Stiftungsprofessur für Monetäre Ökonomie und Geschäftsführender Direktor des Institute for Monetary and Financial Stability (IMFS), Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main Zilioli, Chiara, Prof. Dr., Director General Legal Services, Europäische Zentralbank