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German Pages 238 Year 2020
Kristin Steenbock Zeitgeistjournalismus
Lettre
Kristin Steenbock (Dr. phil.), geb. 1986, forschte und lehrte als Stipendiatin am Fachbereich Sprache, Literatur und Medien der Universität Hamburg.
Kristin Steenbock
Zeitgeistjournalismus Zur Vorgeschichte deutschsprachiger Popliteratur: Das Magazin »Tempo«
Eingereicht als Dissertation an der Universität Hamburg (2018), gefördert von der Rosa-Luxemburg-Stiftung.
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Inhalt
1. 1.1. 1.2. 1.3. 1.4. 1.5.
Einleitung..................................................................... 7 Zum Forschungsstand .............................................................................. 11 Begrifflicher Rahmen .............................................................................. 18 Theoretische Bezugspunkte .....................................................................20 Textauswahl.......................................................................................... 27 Aufbau.................................................................................................29
2. Magazingeschichte: Kontexte der Popliteratur ............................... 33 2.1. Zeitgeist und Kulturkritik ........................................................................ 35 2.2. Journalistische Bezüge ........................................................................... 41 2.2.1. Journalismus und Literatur ........................................................... 43 2.2.2. New Journalism ...........................................................................46 2.2.3. Pop(musik)journalismus .................................................................52 2.2.4. Boulevardjournalismus ..................................................................54 2.3. Einige deutschsprachige Zeitschriftentitel der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ............................................................................ 55 2.4. Beat und Underground: Popliteratur unter heroischem Vorzeichen.................. 66 3. Das Zeitgeistmagazin Tempo................................................. 83 3.1. Inszenierung postheroischer Generationalität ............................................. 93 3.1.1. Der Yuppie als Generationsvertreter ................................................ 101 3.1.2. Überschreibung von Gegenkultur ....................................................104 3.1.3. Generation X.............................................................................. 108 3.1.4. Habitualisierte Ironie.................................................................... 118 3.2. Genderrepräsentationen zwischen Antifeminismus und Liberalisierung ...........124 3.2.1. Unkompliziert weiblich: das Girlie ................................................... 127 3.2.2. Lizensierte Mimikry: die phallische Frau .......................................... 130 3.3. Narration und Nation ............................................................................ 138
3.3.1. Von der Konsumnostalgie zur Nach-Nachkriegsliteratur ..................... 143 3.3.2. Christian Kracht liest Ausdeutschen von Andreas Neumeister ...............149 3.4. (Re-)Produktion von Konsumzeichen .........................................................162 3.4.1. Das Klischee und die Konsumaffirmation.......................................... 176 3.4.2. Stereotype Kreativität: der Werber ................................................. 180 3.4.3. Die (Un-)Lesbarkeit von Mode ........................................................ 184 3.4.4. Christian Kracht liest Uwe Timm .....................................................192 4.
Zeitgeistjournalismus als Katalysator und Knotenpunkt .................... 201
Anhang ............................................................................215 Literaturverzeichnis...................................................................................... 215 Verzeichnis der Tempo-Zeitschriftenartikel ........................................................231 Internetquellen ........................................................................................... 233 Abbildung .................................................................................................. 234 Dank ............................................................................. 235
1. Einleitung
Für die Geschichte und somit das Verständnis des Phänomens ›Popliteratur‹ bieten sich prima facie zwei Ansatzpunkte an: Entweder man beginnt mit ›Literatur‹ oder mit ›Pop‹. Da es sich bei dem Konzept Popliteratur um ein germanistisches und eines der Buchbranche handelt, wird der Ansatz ›Literatur‹ und damit die Frage nach Ästhetik und Poetik von Popliteratur dem etwas diffus wirkenden, transdisziplinären Ansatz ›Pop‹ häufig vorgezogen. Die Geschichte der Popliteratur mit Pop zu beginnen, heißt die Vorstellungen von ›Literatur‹ einmal für kurze Zeit zu vernachlässigen. Was aber liegt näher, als die Wurzeln dieses Pop-Phänomens in einer Illustrierten zu finden? Jenem Medium, das geradezu als Grundlage im wörtlichen Sinne für einen großen Teil dessen diente, was mit dem Etikett ›Pop‹ ab Mitte des 20. Jahrhunderts in den Rang ›echter Kunst‹ gelangte – wenn auch zerschnitten, kommentiert, nahezu bis zur Unkenntlichkeit reproduziert. Die vorliegende Studie rekonstruiert einen Teil der Geschichte deutschsprachiger Popliteratur ab 1995 von solch einem populären Magazinformat aus. Gelesen werden Versatzstücke von populären Texten aus dem Zeitgeistmagazin Tempo, um dasjenige zu konturieren, was hier als Zeitgeist in den Jahren zwischen 1986 und 1996 inszeniert wird. Die Ausgangsthese ist, dass jener Zeitgeist und die Art seiner journalistischen Präsentation auf mehreren Ebenen maßgeblich für das historische Phänomen Popliteratur waren. Obwohl der Magazinjournalismus eine tragende Rolle bei der Herausbildung der deutschsprachigen Popliteratur einnimmt, fand er als Forschungsgegenstand lange Zeit nur im Sinne eines Musikjournalismus Beachtung, der einen speziellen Begriff von »Pop als Rebellion«1 heranzieht und etwa in den 1
Marcus S. Kleiner: Die Methodendebatte als ›blinder Fleck‹ der Populär- und Popkulturforschungen. In: Marcus S. Kleiner/Michael Rappe (Hg.): Methoden der Populärkulturforschung. Interdisziplinäre Perspektiven auf Film, Fernsehen, Musik, Internet und Computerspiele. Münster 2012, 11-42.
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Zeitgeistjournalismus
Zeitschriften Sounds, Spex, Musikexpress oder Rolling Stone auftaucht.2 Dabei kommt nicht allein der sogenannte popfeministische Journalismus in später erscheinenden Magazinen wie Missy Magazine, Bust oder Bitch zu kurz, sondern lange wurde auch jener Popbegriff absolut gesetzt, der maßgeblich von dem Autor und Pop-Protagonisten Diedrich Diederichsen im deutschsprachigen Raum geprägt ist. Damit wurde ein populärer, werbemarktnaher Journalismus ausgeblendet, der ohne ›subversiven‹ Anspruch Popkultur thematisiert, Ausdrucksweisen des Pop nutzt und sich vom Nachrichtenjournalismus auf verschiedene Weise unterscheidet. Darauf, dass innerhalb des sogenannten ›Popdiskurses‹ lange Zeit das Populäre nur auf dem Umweg jenes ›rebellischen‹ Anspruches Beachtung fand und dies den Verdacht nahe legt, dass hier eine verinnerlichte Geschlechterordnung in einer Art Gender Bias wirkt, die das Ernste und Heldenhafte aufgrund von Assoziationen mit dem ›Männlichen‹ gegenüber dem Passiven, Leichten und Flüchtigen aufgrund von Assoziationen mit dem ›Weiblichen‹ bevorzugt, hat Thomas Hecken hingewiesen.3 Er betont die historische ›Weiblichkeit‹ von Pop, die er aus Eigenschaften ableitet, die sowohl der Popkultur als auch dem ›Weiblichen‹ zugeschrieben werden: »[Es] lässt sich grundsätzlich feststellen, dass Pop historisch gesehen weiblich ist. Nach der mittlerweile häufiger angegriffenen, aber immer noch herrschenden Logik der Geschlechterstereotype liegen Konsum, Passivität, leichte Unterhaltung, oberflächlicher Schein, verführerischer Reiz, die oft genannte Merkmale von Pop abgeben, auf der Seite des ›Weiblichen‹.«4
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Vgl. Ralf Hinz: Cultural studies und Pop. Zur Kritik der Urteilskraft wissenschaftlicher und journalistischer Rede über populäre Kultur. Opladen, Wiesbaden 1998; Jochen Bonz, Michael Büscher, Johannes Springer (Hg.): Popjournalismus. Mainz 2005; Christoph Rauen: Pop und Ironie. Popdiskurs und Popliteratur um 1980 und 2000. Berlin, New York 2010. Vgl. Thomas Hecken: »Pop-Literatur« oder »populäre Literaturen und Medien«? Eine Frage von Wissenschaft und Gender. In: Katja Kauer (Hg.): Pop und Männlichkeit. Zwei kulturelle Phänomene in prekärer Wechselwirkung? Berlin 2009, 19-35; Ders.: Populäre Kultur. Mit einem Anhang »Girl und Popkultur«. Bochum 2006, 142. Zur diskursiven Parallelisierung von populären Texten mit Weiblichkeit, Kindlichkeit und den unteren Gesellschaftsschichten vgl. auch John Fiske: Understanding Popular Culture. London, New York 1990, 122. T. Hecken: »Pop-Literatur« oder »populäre Literaturen und Medien«?, 19. Auf die diskursiv verankerten Parallelen zwischen populären Texten und Weiblichkeit weist auch John Fiske hin. Vgl. J. Fiske: Understanding Popular Culture, 122.
1. Einleitung
Hecken macht deutlich, dass die Umdeutung des ursprünglich weiblich konnotierten Populären mithilfe eines ›rebellischen Popbegriffs‹ innerhalb des deutschsprachigen Popdiskurses deshalb als eine »Vermännlichung«5 aufzufassen ist. Obwohl dies vor dem Hintergrund der vorherrschenden Geschlechterordnung auch mit Blick auf die publizistischen und akademischen Institutionen, in der die Kanonisierungsprozesse von Pop ab den 1970er Jahren stattgefunden haben, wenig überraschen mag, hinterlässt diese Feststellung weiterhin eine Forschungslücke. Der Ausschluss populärer Magazine aus einer literaturwissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Pop ist damit auch auf Urteile zurückzuführen, die sich von zwei weiteren Annahmen ableiten lassen. Zum einen von der Annahme, dass es sich etwa beim Zeitgeistjournalismus, wie er in Tempo oder Wiener zu finden ist, um eine Pluralisierung eines historisch enger gefassten Popkonzepts handelt. Das Urteil lautet hier, dass sich die Medien dieser Pluralisierung durch Unterkomplexität gegenüber den eher theoretisch orientierten Diskursen, aus denen jenes eng gefasste Popkonzept stammt, auszeichnet. Dies ist eine Frage von popkulturellem Wissen und Diskursmacht, die zwischen 1986 und 1996 – dem Erscheinungszeitraum der für die vorliegenden Studie analysierten Zeitschrift Tempo – sich langsam beginnt neu zu stellen. Und zum anderen aus einer ähnlich gelagerten kulturkritischen Annahme, die dem Medium Zeitschrift aufgrund seiner Marktnähe, Kurzlebigkeit, journalistischer Überspitzung, Schematismus, Affektkultur usw. ästhetisch weniger Wert als dem Medium Buch beimisst. Mit Blick auf den journalistischen Reisebericht »Wie der Boodhkh in die Welt kam, und warum« des Autors Christian Kracht hat hingegen zuletzt Volker Mergenthaler dargelegt, dass mit der Übertragung des ursprünglich in der Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung erschienenen Berichts in die Buchform, nämlich in den Sammelband New Wave, nicht nur ein umfangreicher Referenzrahmen, den der ursprüngliche Erscheinungsort bot, verdunkelt wurde. Die Übertragung beschneide den Text zudem derart, dass sie die Leser*innen um entscheidende Bedeutungsdimensionen und »ästhetischen Mehrwert« bringen, sodass Mergenthalers rezeptionsästhetische Einschätzung dieser Limitierung auf das Paradox hinweist,
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Ebd.
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Zeitgeistjournalismus
dass die Suche nach ›Literatur‹ in der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung erfolgreicher ausfallen muss als die im Sammelband New Wave.6 Ziel der vorliegenden Arbeit ist, mit dem Tempo-Magazin eine breite Materialbasis zu erschließen, die aufgrund des genannten Gender Bias, aber auch aufgrund implizit vorgenommener Bewertungen der Bereiche Kulturindustrie, Populärkultur und Buchkultur bislang ausgeblendet wurde. Damit soll ein Teil dazu beigetragen werden, jene Forschungslücke mit Blick auf das Phänomen Popliteratur zu schließen. Der westdeutsche Zeitgeistjournalismus um 1990 wird in Form dieses Magazins in Hinsicht auf zwei übergeordnete Fragen analysiert, die ein diskursanalytisches Interesse bergen. 1) Zum einen wird die historische Relevanz von Zeitschriften innerhalb von Popgeschichte markiert und der Frage nachgegangen, welche Kontinuitäten und Diskontinuitäten sie in der Popliteraturgeschichte mit sich bringt. Diese Frage wird entlang einer diachronen Darstellung des Magazinjournalismus als Kontext der Popliteratur und Popliteraturforschung diskutiert. 2) Die zweite übergeordnete Frage stellt vor dem Hintergrund der mittlerweile breit erforschten deutschsprachigen Popliteratur das Tempo-Magazin als Impulsgeber jener literarischen Erscheinung um das Jahr 2000 zur Debatte und ordnet es in ein Diskursgefüge ein, dessen gesellschaftspolitische Auswirkungen in der Popliteratur verarbeitet werden. Diese synchrone Untersuchung des Zeitgeistjournalismus im Magazin Tempo hat somit zwei Dimensionen. Zum einen interessiert sie sich für die gesellschaftspolitischen Implikationen der Repräsentationsformen dieses Journalismus und zum anderen für die interdependenten Verbindungen zur Popliteratur. Die Verzahnung beider Fragen geschieht auf den Ebenen der Thematisierung von Generation, Gender, Nation und Konsumzeichen. Indem dargelegt wird, wie im Magazin Tempo auf diese Bereiche zugegriffen wird, und wie sie in die Leser*innenansprache eingelassen sind, kann sie diese Repräsentationspraxis auch als eine Art marktgeleitete Identitätspolitik ausweisen. Diese bietet die soziale und kulturelle Energie für ein Spannungsverhältnis, das in vielfacher Hinsicht die Popliteratur und das Sprechen über sie geprägt hat. Ein weiter gefasstes Ziel ist somit, einen Kontext und damit eine Verständnishilfe des Diskursphänomens Popliteratur bereitzustellen.
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Vgl. Volker Mergenthaler: Streptomycin und die Fiktion der Authentizität. In: Stefan Bronner, Björn Weyand (Hg.): Christian Krachts Weltliteratur. Eine Topographie. Berlin 2018, 111-130.
1. Einleitung
Die Frage nach dem Gender Bias führt schließlich zu der weitergehenden Frage, wie sich entsprechende Diskurse und Narrative der Pop- und Populärkultur durch eine ›hegemoniale Männlichkeit‹ auszeichnen und mit Blick auf die Popliteraturgeschichtsschreibung einzuschätzen sind. Daraus ergibt sich für diese Arbeit die doppelte Aufgabe, die darin besteht, diesen Zusammenhang sichtbar zu machen und zugleich seine Legitimation infrage zu stellen. In den folgenden methodologischen Überlegungen wird zunächst der Forschungsstand dargelegt, um die anschließenden Ausführungen und Analysen in einem germanistischen Forschungskontext zu verorten. Dieser weist allerdings im Sinne der Popkultur über die Disziplingrenzen der Germanistik hinaus. Vor diesem Hintergrund kann die Problemlage deutlicher konturiert werden. In einem zweiten Schritt wird ein Rahmen aufgespannt, der die wichtigsten Begriffe und Definitionen liefert, die für die folgende Analyse essenziell sind. Diese Präzisierung des Begriffsinventars wird anschließend um eine Erläuterung der theoretischen Bezugspunkte und um eine Begründung der dieser Studie zugrunde liegenden Textauswahl ergänzt.
1.1.
Zum Forschungsstand
Einen umfassenden Überblick über die Forschung zum Thema Pop- und Populärkultur zu leisten, liegt jenseits der Ziele dieser Arbeit. Der Forschungszweig hat seit den 1960er Jahren international und interdisziplinär eine enorme Anzahl an Forschungsergebnissen hervorgebracht. Die Forschungsliteratur zum Thema Popliteratur, die in der Eigenart ihrer Betitelung und Rezeption ein Phänomen des deutschsprachigen Raums ist, wurde seit 2002 insbesondere geprägt durch Moritz Baßlers Studie Der deutsche Pop-Roman7 und Eckhardt Schuhmachers Studie Gerade eben jetzt 8 . Obwohl beide Forschungsbeiträge bereits älteren Datums sind, sollen sie hier herangezogen werden, da sie mit ihren Überlegungen maßgeblich auf das immer noch vorherrschende Verständnis von Popliteratur als Archivliteratur (Baßler) bzw. als Gegenwartsliteratur (Schumacher) eingewirkt haben.
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Vgl. Moritz Baßler: Der deutsche Pop-Roman. Die neuen Archivisten. München 2 2005. Für die vorliegende Studie konnte nicht mehr berücksichtigt werden: Ders.: Western Promises: Pop-Musik und Markennamen. Bielefeld 2019. Vgl. Eckhard Schumacher: Gerade eben jetzt. Schreibweisen der Gegenwart. Frankfurt a.M. 2003.
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Zeitgeistjournalismus
Als Vertreter des New Historicism macht Moritz Baßler gegenüber einem literaturimmanenten Forschungsansatz grundsätzlich auch den Kontext von Literatur stark. Baßler hat Anteil daran, dass das Konzept Popliteratur früh mit der Auffassung einhergeht, Pop trage zum Realismus-Anspruch dieser Poptexte bei und sei notwendige Bedingung einer realistischen Gegenwartsliteratur. Er markiert vor allem die Sprache und den Wortschatz der Konsumund Markenwelt, die er gegen die »Kernigkeit der ersten Worte«9 einer Gegenwartsprosa etwa von Herta Müller abhebt. Seine Studie Der deutsche PopRoman ist 2002 ein unzweideutiges Plädoyer für eine Oberflächenästhetik: »Tüten statt Türen« heißt, dass die Gegenwart durch Konsumartikel und PopOberflächen (»Tüten«) besser als durch Symbol- und literarische Hochsprache (»Türen«) beschreibbar ist. Die Aufschrift einer Einkaufstüte Aldi oder Armani kann als Hinweis auf ihren Inhalt natürlich in die Irre führen. Der neue deutsche Pop-Roman bereitet Baßler vor allem dann Vergnügen – und Vergnügen ist hier ein wesentliches Moment populärer Texte – wenn etwa sich in ihm eine Aldi-Tüte auffinden lässt, in der sich dann eine Armani-Tüte befindet, die wiederum eine andere Tüte enthält usw., ohne dass sich ein ›eigentlicher‹ Inhalt, sprich eine ›eigentliche‹ Bedeutung dieser Zeichen auffinden ließe (Baßler thematisiert einen Roman von Wolf Haas, in dem etwas Ähnliches beschrieben wird). – Das Paradigma der Marke beweist somit die Literaturfähigkeit von Pop: Mit der zeichentheoretischen Volte wird nicht auf ein ›wirkliches‹ Problem verwiesen, sondern die Poetik der Oberfläche würdigt die Schönheit des Scheins. An Baßlers Interesse, welches er bisweilen für die populäre Seite der Popliteratur und ihren Kontext zeigt, knüpft die vorliegende Arbeit an. Eine Differenz besteht mit Thomas Hecken gegenüber einer seiner damaligen Kernthesen, der Poproman nehme gegenüber der Populärkultur und ihrer Markennamen in erster Linie eine bedeutsame Archivierungsfunktion ein. Der Annahme, die eine solche Archivierungsfunktion begründen kann, nämlich dass der Roman als Kunstgattung einen privilegierten kulturellen Stellenwert gegenüber populärer Praxis außerhalb des Kunstbetriebs besäße, wird in dieser Studie die volle Aufmerksamkeit für das Zeitschriften-Archiv der Populärkultur gegenübergestellt.10 Nichtsdestoweniger bleibt die Unterscheidung
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M. Baßler: Pop-Roman, 173. Zu dieser Kritik vgl. T. Hecken: »Pop-Literatur« oder »populäre Literaturen und Medien«?
1. Einleitung
zwischen Text und Kontext bestehen, wo nicht immer manifest, da diskursbedingt latent. Der zweite maßgebliche Beitrag zum Thema Pop und Literatur um 2000 stammt von Eckhard Schumacher, der mit seinen Analysen dessen, was als ›Suhrkamp-Pop‹ bekannt werden soll, die Popliteratur als »Gegenwartsliteratur« konturiert. Ein Jahr nach der Publikation von Baßlers Studie erscheint Gerade eben jetzt, in der Schumacher jene Literatur untersucht, die einen impliziten oder expliziten, aber programmatischen Bezug zum Konzept Pop aufweisen. Seine These ist, dass es sich bei Texten von Thomas Meinecke, Rolf Dieter Brinkmann, Rainald Goetz und Hubert Fichte – also weitaus unpopulärere Autoren als etwa Wolf Haas – um Texte handelt, »die mit der vermeintlichen Klarheit der Vergangenheit besser umgehen können, als mit den Verständnisschwierigkeiten, die durch das produziert werden, was sich immer wieder neu als Gegenwart präsentiert«11 . Schreibweisen der Gegenwart könnten Versuchsanordnungen schafften, die es erlaubten, die Probleme der Gegenwart in Probleme der Gegenwärtigkeit wenn nicht aufzulösen, so doch um- oder auszustellen. Diese ›Methode Pop‹ sorgt nicht nur für den künstlerischen Anspruch dieser Werke, der sie für Interpretationen öffnet, indem sie etwa Techniken der Popmusik oder der Beatliteratur auf experimentelle Art adaptiert. Zugleich sorgt sie auch dafür, dass diese Texte viel unpopulärer sind. Diese programmatische Popliteratur mit ihrer Nähe zum ›rebellischen Popbegriff‹ spielt deshalb in der vorliegenden Untersuchung nur eine randständige Rolle. Im Gegensatz zu Schumacher geht es nun gerade darum, die (impliziten) Effekte populärer Kultur jenseits von starker Autor*innenschaft zu untersuchen und mit der Analyse eines Magazinformats, einen Kontext der Popliteratur zu beschreiben, der auf »Probleme der Gegenwart« im Sinne von Zeitgeist und nicht im Sinne der unmittelbaren Präsenz des Präsens abhebt. Im Gegensatz zur mittlerweile gut erforschten Popliteratur in Form von Werk- und Erzähltextanalysen bleibt die Untersuchung desjenigen, was man an die Popliteratur und ihre Debatten angelehnt als Popjournalismus bezeichnen kann, bislang eher spärlich. Den Zeitgeistjournalismus und das Zeitgeistmagazin Tempo untersuchen in verhältnismäßig ausführlicher Weise im Rahmen zweier Aufsätze Bernhard Pörksen und Thomas Hecken.12 11 12
E. Schumacher: Gerade eben jetzt, 9. Pörksen arbeitet zudem mit einer unveröffentlichten Magisterarbeit von Andreas Hentschel. Vgl. Andreas Hentschel: Tempo (1986-1996) – Eine Dekade aus der Perspek-
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Zeitgeistjournalismus
Bernhard Pörksen, der den Tempo-Journalismus aus medienwissenschaftlicher Perspektive als deutschsprachige Form des New Journalism erforscht, geht davon aus, dass sich mit der Beschreibung der Geschichte, Programmatik und Präsentationstechniken der Zeitschrift Tempo in konkreter Gestalt die Merkmale des »Berichterstattungsmusters New Journalism« offenbaren. Als Präsentationstechniken nennt er: 1. Das Ausstellen der eigenen Coolness und des Feindbilds Moralismus; 2. Den Alltagsbezug; 3. Die Trendforschung, die ein »Missverhältnis von Beleg und Schlussfolgerung«13 charakterisiert; 4. Die Gleichung »Ästhetik ist Ethik«14 , etwa wenn von Kleidung und Einrichtungsgegenständen einer Person auf ihren Charakter geschlossen werde; 5. Häufige Tabubrüche und Provokationen; 6. Die »Verfremdung des Gängigen«, etwa in dem ungewohnten Nebeneinander von Mode- und Sozialfotografie; 7. Ein »Panoptikum der Darstellungsformen«, wie zum Beispiel der »ListenJournalismus, der […] in Tempo mit einer elliptisch-verknappten, durchaus reizvollen Werbesprache korrespondiert«15 ; 8. Ein spektakulärer Enthüllungsjournalismus; 9. Ein »Spannungsverhältnis zwischen der Anteil nehmenden Subjektivität und der Relevanz der Inhalte. Denkbar sind folgende Extremwerte: Die subjektive Darstellungsweise behandelt ein außerordentlich relevantes Thema – oder aber: Sie kippt ab in einen rein für den einzelnen Autor wichtigen Inhalt«16 . Die Relevanz dieser eigentlich rein für den Autor interessanten Berichte leitet Pörksen dann erstens von der nachträglichen Buchform, in der einzelne und gesammelte Texte publiziert wurden, ab und zweitens von einer »archetypischen Aktualität«, die »Grundfragen menschlicher Existenz, womöglich jedoch aus einer rein ichbezogenen Perspektive«17 thematisiert; 10. Die Missachtung von Fakten und die Tendenz zur Fiktion, die er am Beispiel von Tom Kummer illustriert; 11. Der Anspruch Journalismus als Lebensform zu praktizieren und als »eine Ekstase kreativen Arbeitens in einer Gemeinschaft von prinzipiell Gleichgesinnten«18 aufzufassen. Dieser New
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tive eines populären Zeitgeistmagazins. [Unveröffentlichte Magisterarbeit aus dem Jahr 2000] Bernhard Pörksen: Die Tempojahre. Merkmale des deutschsprachigen New Journalism am Beispiel der Zeitschrift Tempo. In: Joan Kristin Bleicher, Bernhard Pörksen (Hg.): Grenzgänger. Formen des New Journalism. Wiesbaden 2004, 307-336, 315. Ebd., 316. Ebd., 321. Ebd., 325. Ebd., 326. Ebd., 330.
1. Einleitung
Journalism ist nach Pörksen als praktizierte Medienkritik zu verstehen, die mit den »Relevanzhierarchien des klassischen Nachrichtengeschäfts«19 spielt. Christian Kracht stelle dabei den idealtypischen Vertreter eines subjektiven Journalismus dar.20 Was Pörksen nicht in den Blick rückt, ist zum einen die Rolle der Popkultur. Dies scheint seinem disziplinären, spezifisch medienhistorischen Interesse geschuldet zu sein. Das Zusammenspiel aus Pop, Journalismus und Literatur wird also nur am Rande zum Thema und allgemeinere Charakteristika von Magazinen, die hier ins Gewicht fallen können, werden (zu Recht) vorausgesetzt. Und zum anderen scheint der Quellenbezug – Pörksen beruft sich in erster Linie auf Gespräche mit einem der Chefredakteure von Tempo, Markus Peichl, – zu einer latenten Stilisierung dieser vermeintlichen Medienkritik und des Innovationspotenzials der Journalist*innen zu führen. Dagegen ist es auch eine Aufgabe dieser Studie, Aussagen der Herausgeber und Redakteur*innen in einem diskursiven Kontext zu verorten und herauszufinden, welche Effekte sie haben. Den Zusammenhang zwischen Zeitgeistjournalismus und Literatur dagegen stellt Thomas Hecken aus literaturwissenschaftlicher Perspektive her.21 Auch er unternimmt den Versuch, »präzisere Merkmale«22 des Zeitgeistjournalismus zu benennen, als er sie exemplarisch durch einen kurzen Spiegel-Artikel beschrieben findet. Dafür zählt Hecken sieben Merkmale auf: 1. Fotografien von Models befinden sich auf dem Cover; 2. Der Bild-TextZusammenhang nimmt eine wichtige Rolle ein; 3. Das Layout macht auf sich aufmerksam; 4. Es finden sich Berichte über Stars, Konsumobjekte und Freizeitereignisse; 5. Politische und sozioökonomische Bereiche werden ausgespart; 6. Politische und sozioökonomische Veränderungen werden anhand von Veränderungen der Lebensstile und Konsumgewohnheiten »sichtbar (gemacht)«23 ; 7. Entgegen der Behauptung des von ihm zitierten SpiegelArtikels, für den sich das Zeitgeistmagazin durch die ›Kunst‹ auszeichne, »das Lebensgefühl einer bestimmten Zeit und einer bestimmten Generation
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Ebd., 308. Vgl. ebd. Vgl. Thomas Hecken: Zeitgeistjournalismus und Literatur. In: Daniela Gretz (Hg.): Medialer Realismus. Freiburg, Berlin, Wien 2011, 247-270. Ebd., 247. Ebd., 248.
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Zeitgeistjournalismus
einzufangen«24 , werden nur bestimmte Ausschnitte der Gesamtgesellschaft und jüngeren Generation dargestellt. Eine Traditionslinie der Zeitgeistmagazine führt bei ihm vom Jugendmagazin Twen der 1960er Jahre über Elaste, Tempo und Wiener bis zu Neon. Im Rahmen seiner Auseinandersetzung mit dem Autor und Journalisten Tom Wolfe geht auch Hecken auf die Einflüsse des New Journalism auf den Zeitgeistjournalismus, insbesondere auf Tempo ein. Im Gegensatz zu Pörksen betont er jedoch vielmehr die Wechselwirkungen zwischen Wolfes Realismus-Anspruch sowie seiner Rolle als ›Zeitdiagnostiker des Pop‹ auf der einen Seite und auf der anderen die (veränderte) Rolle des (Zeitgeist-)Journalisten, die darin besteht, größere Thesen soziologischen Zuschnitts auch aus Romanen abzuleiten, welche sich einer Zeitdiagnose eigentlich verwehren. Als deutsches Beispiel für einen ›Zeitdiagnostiker des Pop‹ wählt er Diedrich Diederichsen, der Anfang der 1980er Jahre in der Musikzeitschrift Sounds nicht nur Wolfe zu imitieren sucht, sondern auch den Roman Wir Kinder vom Bahnhof Zoo von Christiane F. aufgrund seiner realistischen Wiedergabe der Jugend in den 1970er Jahren als das »einzige vernünftige Stück Prosa« bewertet. Wie Pörksen zieht dann auch Hecken Christian Kracht als weiteres Beispiel für seine Ausführungen heran. Anhand eines Interviews, das Kracht anlässlich der deutschsprachigen Übersetzung des Romans American Psycho mit dem Autor Bret Easton Ellis für die Zeitschrift Tempo führt, zeigt Hecken, dass im Kontext des Magazinjournalismus seit den 1950er Jahren dem Journalisten als Rezensenten die Aufgabe zukommt, aus der Erzählweise des rezensierten Romans, die sich im Falle von Ellis der bereits von Pörksen aufgezeigten Gleichung »Ästhetik gleich Ethik« bedient, eine zeitdiagnostische These abzuleiten. Dabei sei allerdings eine Verdunkelung zu beobachten, die es verhindere, genau zu erkennen, welche Aussagen dem Autor Ellis oder dem Journalisten Kracht zuzuordnen sind. Ein ähnliches Schema identifiziert er in der Lektüre von Krachts später publiziertem Roman Faserland durch einen Spiegel-Autor, der den namenlosen Icherzähler in Faserland mit dem Autor Christian Kracht gleichsetzt. Damit bleibe es letztlich den Lesenden – oder eben de*r Rezensent*in überlassen – aus literarischen Erzählwerken anhand von bestimmten Handlungen und Objekten aus dem Bereich der Lifestyle- und Konsumsphäre innerhalb der Erzähltexte quasisoziologische Thesen abzuleiten; und dies zum einen, obwohl die Leseerwartung bei diesen Texten durch paratextuelle 24
Markus Brauck: Ich bin wie du. In: Spiegel (22) 2008, 106-108. Zit. nach T. Hecken: Zeitgeistjournalismus und Literatur, 247.
1. Einleitung
Hinweise auf Fiktion eingestellt ist und zum anderen sich der zeitgenössische realistische Roman – Hecken spricht von »Zeitgeistromanen«25 – eher durch die Abwesenheit solcher Thesen auszeichne: »Im Gegensatz zu den Zeitgeistjournalisten, die gerne ihre Erkenntnisse auch in Reportagen als Thesen formulieren, gilt es im Bereich der sich selbst als ›gehoben‹ verstehenden Literatur schon längere Zeit als ein Fehler, Erzählungen mit einer Moral, einer politischen Botschaft oder eben einer Zeitgeistthese zu versehen.«26 Heckens Interesse an der Konstellation aus Literatur und Zeitgeistjournalismus gilt in erster Linie dem Realismus und den daran anknüpfenden zeitdiagnostischen Ansprüchen neuerer Prosa, ohne dabei auf das Phänomen Popliteratur im weiter unten definierten Sinn abzuheben. Zwar spielt Pop eine Rolle in Heckens Aufsatz, doch geht es ihm nicht um populäre Popliteratur und auch nicht um spezifisch popkulturelle Ausdrucks- und Darstellungsweisen im Zeitgeistjournalismus. Außerhalb seines Interesses im Rahmen dieses Aufsatzes liegt zudem der fiktionale Charakter journalistisch vermittelter Narrative entlang von Identitätskategorien wie sie in der vorliegenden Studie zur Sprache kommen – Generation, Geschlecht, Nation usw. –, mit denen Zeitgeist inszeniert und hergestellt wird. Nichtsdestoweniger knüpfen die folgenden Ausführungen dieser Studie an eine Reihe von Überlegungen Heckens an und werden an entsprechender Stelle hervorgehoben.
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»Jeder nach den Traditionen des Realismus verfaßte Roman, der sich, personal erzählt, streng an die Details des Lebens einer oder mehrerer Personen hält, kann deshalb heutzutage im weiteren Sinn als ›Zeitgeistroman‹ eingeschätzt werden, sofern seine Figuren und deren Vorlieben und Handlungen von journalistischer Seite (oder in Interviews durch den Autor) als repräsentativ für den Lebensstil und die psychische Verfassung einer Generation oder als typisch für einen Zeitabschnitt eingestuft werden. Im engeren Sinn als ›Zeitgeistroman‹ könnten nach gängiger Sprachregelung all die Werke eingeordnet werden, die ihre implizite oder ihnen aufgedrängte These vor allem mit Hilfe der Beschreibungen von ›angesagten‹ Konsumgegenständen aufscheinen lassen.« T. Hecken: Zeitgeistjournalismus und Literatur, 267. Ebd.
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Zeitgeistjournalismus
1.2.
Begrifflicher Rahmen
Der Begriff ›Pop‹ lebt von der Spannung, die zwischen seiner Unterbestimmtheit einerseits und dem emphatischen Anspruch, der lange Zeit mit ihm verknüpft wurde und zum Teil noch verknüpft wird27 , andererseits entsteht. Besonders der sogenannte Popdiskurs hat dazu beigetragen, dass immer wieder auch politische Momente mit der Liebe zur Oberfläche, zur Rolle, zur Künstlichkeit und Kurzlebigkeit, zum Bargeld und Konsum, zum Glanz und Glamour verknüpft werden. Dieser Popdiskurs wird im Folgenden mit den Herausgebern der Publikation Popliteratur verstanden als ein »Schreibverfahren über und mediale Inszenierungen von Pop und Popkultur, aus akademischen und popkulturell bzw. popspezifisch geprägten Milieus sowie deren Grenzen, Interferenzen und Überschneidungen«28 . Unschärfe verleiht dem Begriff ›Pop‹ oder ›Popkultur‹ die Nähe zum Begriff ›Populär-‹ oder ›Popularkultur‹. Die Unterscheidung von Populärkultur und Popkultur ist deshalb eine wichtige und aufschlussreiche, wenn es zum Beispiel darum geht, den kulturhistorischen Stellenwert von Pop anzuerkennen: »Spätestens seit der Pop Art und der englischen Mod-Bewegung Anfang der sechziger Jahre liegt es […] nahe, Pop entschieden von der Populärkultur und ihren Merkmalen wie Einfachheit, Ursprünglichkeit, Ungekünsteltheit, Gemeinsinn, Verwurzelung im Regionalen, Nationalen oder im Alltagsleben der kleinen Leute zu trennen.«29 So kann es passieren, dass bei einer Gleichsetzung beider Begriffe etwa (metareferenzielle) Inszenierungen von Popkultur ausgeschlossen werden. Dass bei solchen Inszenierungen häufig von Avant-Pop gesprochen wird und mit dem Zusatz ›avant‹ auf die Singularität, auf die innovativ-prägende Rolle bestimmter künstlerisch-intellektueller Pop-Phänomene hingewiesen wird, zeigt aber, dass Popularität einen integralen Bestandteil von Popkultur darstellt. Die Trennung beider Begriffe bringt für die folgenden Analysen einen Erkenntniswert mit sich, weil dadurch die Wechselwirkungen zwischen Populärkultur und Pop-Phänomenen deutlich werden, die sich im Sinne der Pop Art zwischen Kunstkontexten und Werbeästhetik einstellen. Die Zeitgeistmagazine um 1990, um die es im Folgenden gehen wird, vereinigen Populärkultur und Pop nämlich auf eigentümliche Weise. Indem
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Dies trifft im besonderen Maße auf den aktuellen ›Popfeminismus‹ zu. Thomas Hecken, Marcus S. Kleiner, André Menke: Popliteratur. Eine Einführung. Stuttgart 2015, 37. Ebd., 97.
1. Einleitung
sie sowohl die kulturindustrielle ›Pluralisierung‹ als auch den (emphatischen) Spezialdiskurs Pop auf selbstreflexive und unterhaltende Art bedienen, integrieren sie eine Popästhetik in die expandierende Werbewelt. Mehrfach gebrochen schreibt sich der Dialog beider Sphären so in die Vorgeschichte der Popliteratur ein und prägt ihr mediales Erscheinungsbild. Für die folgenden Ausführungen lässt sich festhalten, dass der hier infrage stehende ›Zeitgeist‹ auf genau dieser Grenze zu verorten ist, nämlich auf der Grenze zwischen einer selbstreflexiven Popkultur einerseits, die mit Metaebenen und absichtlich hergestellten Ambiguitäten operiert und dabei nicht eindeutige Zeichen nutzt; und einer Populärkultur andererseits, die sich eindeutig über ›schicksalhafte Gemeinschaft‹ verständigt und dafür sorgt, dass ihre Narrative, Darstellungen und Codes sich dauerhaft etablieren. Diese schicksalhafte Gemeinschaft definiert sich über ihren regionalen Bezug als Nation, als Ethnie, über Zeitgenossenschaft als Generation usw. Für eine weitere Differenzierung soll auf den Unterschied zwischen Pop als Forschungsperspektive bzw. den Popdiskurs und einem historischen Begriff von Pop zumindest hingewiesen werden. Letzterer ist stark von der Ästhetik der Pop Art, der von der amerikanischen Kultur inspirierten Popkultur seit den 1950er Jahren und zum Teil von utopischen Implikationen geprägt. Der historische Popbegriff wird in dieser Arbeit immer dann als emphatisch beschrieben, wenn ein besonderes Engagement der Popvertreter*innen darin liegt, Pop für subversive Zwecke aufzuladen und zu nutzen. Pop als Forschungsperspektive nimmt ein Konglomerat an Gegenständen in den Blick und schreibt sich damit in den Popdiskurs ein, allerdings bestenfalls ohne das wertende und funktionale Moment, das ein Teil der Mittelschichtsjugend seit den späten 1950er Jahren mit Pop verbunden hat. Die Gegenstände, die mit dem Konzept Pop in den Forschungsblick rücken, sind deshalb andere als nur die Vorlieben der Popvertreter*innen und schließen die Beobachtung des Popdiskurses auf einer zweiten Ebene so weit wie möglich ein. In den Blick rücken damit explizit auch jene Gegenstände, die dem populären Sektor zuzuordnen sind, allerdings kein ästhetisches Konzept, sondern ein ökonomisches Interesse mit Pop verbinden. Zuletzt gilt es, den Begriff Popliteratur für die folgenden Ausführungen hinreichend zu definieren. Mit Popliteratur sind im Folgenden diejenigen populären Texte gemeint, die zumeist als Prosatexte in Buchform mit diesem Label besonders ab Mitte der 1990er Jahre beworben, mit dem Label ›Pop‹ in den Feuilletons besprochen, bislang als Popliteratur in der Forschung interpretiert und in den Schulen als Texte der Popliteratur behandelt wurden.
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Zeitgeistjournalismus
Bei dieser Aufzählung fällt bereits auf, dass allen genannten Institutionen eine lange Tradition eingeschrieben ist, Buchkultur einem Alltagsdiskurs gegenüber zu bevorzugen. Der Zuschnitt der folgenden Analyse stellt mit der Thematisierung von Vorgeschichte und Kontext auch eine Arbeit am Begriff Popliteratur dar und erfordert, diese diskursorientierte Auffassung von Popliteratur mit weiteren Quellen bzw. medialen Formaten anzureichern. Wenig sinnvoll scheint dabei eine weitreichende Öffnung des Begriffs Popliteratur etwa hin zu netzbasierten Kleinformen, wie sie in hoher Frequenz durch soziale Medien entstehen. Eine erneute Einfassung eines kontextbasieren Begriffs von Popliteratur muss deshalb über einen anderen Faktor geschehen. Aufgrund der bisherigen Ergebnisse der Forschung zur Popliteratur liegt es nahe, diesen Faktor bei den Akteur*innen festzulegen, die mit dem Etikett Popliteratur in Erscheinung traten und zum Teil noch vereinzelt treten. Damit bleiben die Institutionen Buchmarkt, Feuilleton, Wissenschaft und Schule diskursprägend; man kommt aber auch hier zu dem Ergebnis, dass nicht in erster Linie der ›literarische‹ Zuschnitt von Popliteratur entscheidend ist, sondern ihre mediale Inszenierung und Diskursivierung.
1.3.
Theoretische Bezugspunkte
Pop- und Populärkulturforschung ist mit Kaspar Maase als eine »transdisziplinäre Querschnittsaufgabe«30 aufzufassen. Als solche erfordert sie einen theoretischen Zuschnitt, der sich stark an dem jeweiligen Untersuchungsgegenstand orientiert. Hier greift die klassische Metapher des Werkzeugs, das aus größeren Werkzeugkisten unterschiedlicher Theorien stammt. Dabei haben sich in der Populärkulturforschung theoretische Bezugspunkte langfristig als geeigneter als andere erwiesen. Dazu zählen unzweifelhaft die Kritische Theorie und die unterschiedlichen Ansätze der Cultural Studies mit ihrer poststrukturalistischen Prägung, wenngleich beide lange Zeit als gegensätzlich und kaum vereinbar galten. Die folgenden Ausführungen legen ein theoretisches Werkzeug an den Gegenstand Zeitgeistjournalismus an, das eine Schnittmenge aus den Ansätzen der Cultural Studies und denen der Kritischen Theorie darstellt. Wo nötig werden diese ergänzt um einzelne Konzepte aus Geschichtswissenschaft, Soziologie, Gender Studies und Postcolonial Studies. 30
Kaspar Maase: Populärkulturforschung. Eine Einführung. Bielefeld 2019, 17.
1. Einleitung
Eine Grundannahme der Cultural Studies ist, dass Kultur immer Alltagskultur ist. Das ursprüngliche Anliegen der Cultural Studies bestand darin, »mittels einer Synthese literaturkritischer und soziologischer Ansätze […] populäre Kultur zu analysieren«31 bzw. »kulturelle Prozesse in ihrer kontextuellen Einbindung in Machtverhältnisse zu erforschen«32 . Und auch die Geschichte des Konzepts ›Popliteratur‹ bzw. ›Pop‹ zeugt von einem grundsätzlichen Interesse, einen konventionellen Kunst- und Kulturbegriff einmal mit machtkritischen Ansätzen einmal mit Alltagsbezügen zu irritieren. Aus literatur- und kulturhistorischer Perspektive scheint es vor allem aufgrund des Bedeutungsgewinns populärkultureller Medienpraxis im Zuge ihrer internetbasierten Expansion und Sichtbarkeit notwendig, populärkulturelle Produkte stärker zu erforschen. Die populären Texte des Zeitgeistjournalismus werden in dieser Arbeit deshalb trotz der noch darzulegenden Verbindung zur Popliteratur als Gebrauchstexte aufgefasst. Sie fordern unzweifelhaft das pragmatische, alltägliche und einmalige Rezipieren und ein schnelles ›Vergessen‹ ihrer Lektüre. Die Frage lautet also nicht, ob eine poetische Funktion in diesen Texten aufzufinden sei, die ihre Bezeichnung als ›Literatur‹ formal begründen könnte. Ein Ausgangspunkt ist vielmehr die Annahme, dass die populärkulturelle und popkulturelle Bedeutungsproduktion, die sich in diesen Texten zeigt, einen erweiterten Literaturbegriff erfordert, wenn die Rede von Popliteratur ist. Der Zeitgeistjournalismus zeigt sich insofern als geeignet, das Verständnis von Popliteratur als historisches Phänomen zu erweitern, als er schon früher die wichtigsten Attribute, Ideologien und Haltungen propagiert33 und nicht nur die Produktions- und Rezeptionsverfahren der entsprechenden popliterarischen Texte, sondern auch diskursprägendes Personal für die Popliteratur liefert. Das Format Publikumszeitschrift öffnet die Grenzen öffentlicher und privater Räume in einem richtungsweisenden Maße. Dies auch deshalb, weil es sich durch Periodizität, Wiederholungen, Redundanzen bzw. Serialität auszeichnet, die es ermöglichen, dass ein ständiger Austausch von Alltagspraxis und
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Rainer Winter: Ethnographie, Interpretation und Kritik: Aspekte der Methodologie der Cultural Studies. In: Udo Göttlich, Lothar Mikos, Rainer Winter (Hg.): Die Werkzeugkiste der Cultural Studies. Bielefeld 2001, 45. Ebd., 46. Vgl. Thomas Hecken: Die verspätete Wende in der Kultur der 1990er Jahre. In: Olaf Grabienski, Till Huber, Jan-Noel Thon (Hg.): Poetik der Oberfläche. Die deutschsprachige Popliteratur der 1990er Jahre. Berlin, Boston 2011, 13-26, 13.
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Alltagsverstand festgehalten wird. Insbesondere spielt dabei das Wesen des Zeitgeistmagazins als materieller Konsumgegenstand eine Rolle.34 Eine der Besonderheiten der Populärkultur besteht darin, dass sie sich mit ihrem Alltagsbezug immer auch in die körperliche Sphäre ihrer Nutzer*innen und Anhänger*innen einschreibt. Ausgehend von der historischen Situation Deutschlands um 1990 lässt sich für die soziale Dimension von Pop- und Populärkultur festhalten, dass Semantiken häufig an öffentlichen Orten und Plätzen – wie Festivals, Konzerten, Diskotheken, Jugendzentren etc. – erprobt werden.35 In noch nicht digitalisierten Medienformaten wie den Musiksendern MTV, VIVA oder VIVA zwei, den Jugend- und Lifestylezeitschriften wie Bravo, Pop/Rocky, Musikexpress/Sounds etc. prägen aber auch internationale und nationale Stars Semantiken und initiieren individuelle und kollektive Subjektivierungsprozesse, die ganz bestimmten Mustern entsprechen. Indem diese Formate in Wechselwirkung mit Bedürfnissen nach persönlicher Identität, Unterhaltung, Integration und sozialer Interaktion stehen, strukturieren sie Verhaltensweisen und leiten sie an. Sie stehen dabei auch in gegenseitiger Abhängigkeit von jenen körperbetonten Performances der Popkultur, die lange Zeit unter einer ›männlichen‹ Deutungshoheit stehen. Die Schnittmenge aus Cultural Studies und Kritischer Theorie ergibt sich aus der Tatsache, dass sich die ökonomische Dimension maßgeblich in der Darstellungsweise bestimmter Themen niederschlägt. Ohne ein starkes Konzept von Kulturindustrie in Anschlag zu bringen, teilt diese Studie die ideologiekritische Aufmerksamkeit für die Produktionsseite und rückt die Annahme einer antihegemonialen Aktivität beim Lesen, wie sie in vielen Richtungen der Cultural Studies erforscht wird, etwas aus den (empirischen) Fokus. Zu betonen ist allerdings, dass sich die zeitgeistjournalistischen Texte trotz
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Dies betont 1990 der Medien- und Kulturwissenschaftler John Fiske: »[I]n popular culture, texts as objects are merely commodities, and as such they are often minimally crafted (to keep production costs down), incomplete, and insufficient unless and until they are incorporated into the everyday lives of the people. They are resources to be used disrespectfully, not objects to be admired and venerated.« J. Fiske: Understanding Popular Culture, 123. Ebenso ist Drogenkonsum als Bestandteil einer gemeinschaftsstiftenden (heroischen) Performanz des Pop anzusehen. Vgl. Lu Seegers: Pop und Generationalität. Anmerkungen zu einer vernachlässigten Beziehung. In: Alexa Geisthövel, Bodo Mrozek (Hg.): Popgeschichte: Konzepte und Methoden. Bd. 1 Bielefeld 2014, 79-99, 90. Wobei nicht alle Drogen gleichermaßen in Gruppen konsumiert werden. Alkohol, Cannabis oder LSD spielen etwa eine größere Rolle als Heroin oder Methamphetamin.
1. Einleitung
ihrer scheinbar einfachen Lesbarkeit als offen für unterschiedliche Lesarten zeigen und dass der Rezeptionsprozess nicht in einer unmittelbaren Linie mit der Bedeutungsproduktion befindet.36 Insofern bieten die folgenden Lektüren kürzerer Texte aus der Zeitschrift Tempo immer nur jeweils eine –zudem standortbezogene – Lesart unter vielen an. Indem aber anhand unterschiedlicher Texte unterschiedliche Funktionen hervorgehoben werden, dienen diese Lektüren dem Aufzeigen eines Spektrums an Bedeutungen, die sich historisch manifestiert haben. Ein wichtiger Ansatz zur Sichtbarmachung von Machtverhältnissen ist das schon von Stuart Hall ausgeführte Verständnis von Repräsentation. Mit dem doppelten Sinn von Stellvertretung und Darstellung bringen Repräsentationen Sichtbarkeiten und Wirklichkeiten hervor und müssen mit ihrer identifikatorische Wirkung als soziale Praxis aufgefasst werden.37 In einer diskursiven Dimension wird das Moment der Herstellung von Wirklichkeit in dieser Arbeit mit Blick auf die Identitätskategorie Generation (Kapitel 3.1) zudem mit dem Konzept der textlichen Performativität beschrieben. Der Begriff ›Performativität‹ hebt hier auf die Selbstbezüglichkeit und wirklichkeitskonstituierende Kraft des Gegenstandes ab. Strukturell macht diese Performativität auf die Vermittlungsebene zwischen Text und Leser*innen aufmerksam; auf funktionaler Ebene erzielt sie bestimmte Wirkungen und initiiert in erster Linie durch die Rezeption der Texte eine soziale Dynamik.38 Auch die Frage nach kollektiven und individuellen Identitäten, die im Folgenden eine wichtige Rolle spielt, ist eine, die das Forschen über Populärkultur seit der Gründung des Birminghamer Centre for Contemporary Cultural Studies im Jahr 1964 begleitet. Obwohl seit den Gründungsarbeiten, die zunächst subkulturelle Stilforschung programmatisch in ihren Forschungsbereich verankern, der Fokus von Identitätskonstitution auf die Handlungsfähigkeit (›Agency‹) von unterrepräsentierten und diskriminierten Gesellschaftsgruppen verschoben wurde, bleibt die Frage nach der Wechselbeziehung von Identität und Subjektivierung nicht nur historisch bedeutsam. Performativität spielt hierbei als eine sprachliche Eigenschaft eine Rolle, aber auch als körperliche Handlung. Im Folgenden wird dieser 36
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Vgl. etwa zur Grundlage dieses Gedankens Stuart Hall: Encoding/decoding. In: Ders., Dorothy Hobson, Andrew Lowe, Paul Willis (Hg.): Culture, Media, Language. Working Papers in Cultural Studies, 1972-79. London 1980, 128-138. Vgl. Stuart Hall: The work of Representation. In: Ders. (Hg.): Representation: Cultural Representations and Signifying Practices. Sage 1997, 15-61, 28. Vgl. Erika Fischer-Lichte: Performativität. Eine Einführung. Bielefeld 2012, 29, 139.
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Annahme die performative Gender-Theorie von Judith Butler zugrunde gelegt. Butler zufolge gehen bereits erste Einschreibungen und Anrufungen im Leben mit ganz bestimmten, nicht zu kontrollierenden Beeinflussungen durch Vorstellungen und Phantasien anderer einher: »[D]as ist das psychosoziale Auferlegen und langsame Einimpfen von Normen. Sie erreichen uns, wenn wir noch gar nicht mit ihnen rechnen können, sie begleiten uns, sie regen unsere eigene Art der Empfänglichkeit an und strukturieren sie. Solche Normen werden uns nicht einfach aufgedrückt, sie markieren und prägen uns nicht, so als wären wir nur passive Empfänger einer Kulturmaschine. Sie ›produzieren‹ uns auch, allerdings weder in dem Sinn, dass sie uns ins Dasein treten lassen, noch dass sie strikt festlegen, wer wir sind. Vielmehr formen sie die gelebten Arten der Verkörperung, die wir uns im Laufe der Zeit aneignen, und es kann durchaus sein, dass ebendiese Verkörperungsarten die Normen in Frage stellen oder sogar mit ihnen brechen.«39 Für ›Identitätspolitik‹ etwa im Sinne von ›Empowerment‹, dem Akt des Brechens mit jenen Normen, sind auch öffentliche (Sprach-)Handlungen, die sich auf Identität als ihre Grundlage beziehen, nach wie vor bedeutsam. Für die vorliegende Studie spielt insbesondere bei der Analyse der Darstellungen bestimmter Verkörperungen von Frauen im Kapitel 3.2 die Cultural StudiesVertreterin Angela McRobbie und ihr Ansatz der »doppelten Verwicklung« eine Rolle.40 Damit wird nicht nur aufgezeigt, auf welcher Basis der anschließende ›Popfeminismus‹ gründet und wogegen er opponiert, sondern ebenfalls folgt die Analyse hier mit McRobbie einer immanenten Kritik, die darauf abzielt, das Vermeintliche der dargestellten Realität, wie die der Geschlechtergerechtigkeit durch Liberalisierung von Geschlechternormen, zu markieren. Die dritte Identitätskategorie, die im Folgenden neben Generation und Gender von Bedeutung ist, ist die der Nation (Kapitel 3.3). Zur theoretischen Grundlage dieses Kapitels dient die einflussreiche Studie Imagined Communities von Benedict Anderson.41 Anderson zeigt, dass historisch eine Reihe von 39 40 41
Judith Butler: Anmerkungen zu einer performativen Theorie der Versammlung [2015]. Berlin 2018, 43f. Vgl. Angela McRobbie: Top Girls. Feminismus und der Aufstieg des neoliberalen Geschlechterregimes. Wiesbaden 2016. Vgl. Benedict Anderson: Die Erfindung der Nation. Zur Karriere eines folgenreichen Konzepts. Frankfurt a.M. 1988.
1. Einleitung
kulturellen Bedingungen und Kräften gegeben waren, um das Nation-Sein als ein so attraktives Konzept zu etablieren. Der Bezug auf Andersons konstruktivistischen Ansatz gründet in dieser Arbeit in der Aufmerksamkeit und dem Interesse für die fiktive Energie, anhand derer gezeigt werden kann, wie ein um 1990 neu verhandelter Nationalbezug herausgefordert wird. Dieser Nationalbezug ist gegeben zum einen durch die mediale Übersetzung des Mauerfalls und in einer erstarkenden rechten Szene, aber auch in einer diskursiven Normalisierung der NS-Geschichte. Fiktivität als wichtiger Faktor für die Konsolidierung von Nationalismen spielt in der Vorgeschichte deutschsprachiger Popliteratur eine Rolle in Form von realistischen Narrativen und in Form von ausgestellter journalistischer Fiktion, die das Potenzial dazu zeigt, die Nationalnarrative der Zeit zu problematisieren. Eine weitere Prämisse dieser Arbeit gründet in der diskurstheoretischen Annahme, dass das, was etwa unter Zeitgeist verstanden und in den Zeitgeistmagazinen thematisiert oder abgebildet wird, auch über bestimmte diskursive Kräfte reguliert wird und damit einem speziellen historischen Wandel unterliegt.42 Zeitschriften werden deshalb im Folgenden auch als »Knotenpunkte der diskursiven Herstellung von Bedeutungen innerhalb der Popkultur«43 verstanden. Einer dieser Faktoren besteht darin, dass Mediendiskurse und im Speziellen die Popdiskurse dieser Zeit aus ›männlicher‹ Perspektive angeleitet werden. Ein entscheidender Zugang dieser Arbeit besteht deshalb darin, dass sie nicht nur die Repräsentation stereotyper Frauenfiguren hinterfragt und damit eine zwar gängige, aber weiterhin notwendige Repräsentationskritik übt, sondern vor allem die Attribuierungen von Geschlecht ins Verhältnis zu den Attribuierungen von Pop und populären Texten setzt und diese Spannung in ihre historische Perspektive einfließen lässt. Wenn im Folgenden heldenhafte Narrative oder postheroische Identitäten eine Rolle spielen, dann trägt dieses Heldentum eine genauso stereotyp ›männliche‹ Signatur, wie der Konsumismus stereotyp ›weiblich‹ konnotiert wird. Dabei geht es nicht darum, Aussagen über das Wesen von Geschlechtern zu tätigen. Vielmehr geht es darum, den impliziten Bewertungsschemata stereotyper Geschlechtermerkmale sowie Machtansprüchen nachzugehen. Ein Konzept, das
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Vgl. Michel Foucault: Die Ordnung des Diskurses. München 1974; Ders.: Archäologie des Wissens. Frankfurt a.M. 1973. André Doehring: Art. Musikzeitschriften. In: Thomas Hecken, Marcus S. Kleiner: Handbuch Popkultur. Stuttgart 2017 [im Folgenden mit der Sigle HbP bezeichnet] 193-197, 193.
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hier zum Tragen kommt, ist das der von Raewyn Connell geprägten ›hegemonialen Männlichkeit‹. Damit ist eine Struktur sozialer Praxis gedacht, die sich als eine bestimmte Art von Männlichkeit zeigt. Diese ist ein ›kulturelles Ideal‹, das aber hegemonial im Sinne Antonio Gramsci ist, weil »es zwischen dem kulturellen Ideal und der institutionellen Macht eine Entsprechung gibt«44 . Was bedeutet das für die Interpretation des publizistischen Diskurses mit Blick auf die Popliteratur? Die um die Jahrtausendwende im Medien- und Literaturbetrieb geführte Auseinandersetzung und die Rede von der sogenannten Schlappschwanzliteratur45 haben gezeigt, dass Popliteratur nicht nur aus literaturwissenschaftlicher Sicht ein »Verlegenheitsausdruck«46 war. So erhitzt sich ein Taz-Journalist über die Deklarierung popliterarischer Texte als Romane: »Der Popliterat haut ihn so raus und hin, den Roman; obschon er keiner ist, selten eine Novelle, meist ein autobiografisch gefärbtes Konvolut unsortierter Einfälle und kulturbetrieblicher Impressionen. Solche Defizite und altmodischen Scherereien scheren den Popliteraten einen feuchten Kehricht, denn der Verlag des Popliteraten weiß, dass Romane ›gehen‹, nennt man sie bloß Romane.«47 Als Provokation bringt Popliteratur um das Jahr 2000 sowohl eine konservative als auch eine linke Kulturemphase im publizistischen Sektor hervor. Ihren Ausgang nimmt die Empörung zum einen in der Beobachtung, dass Literatur im Sinne von schöner Literatur und Buchkultur den popkulturellen Printerzeugnissen entgegenstehe, weil sie zu minderwertig nicht nur für Dichtung, sondern selbst für erzählende Prosa sei.48 Zum anderen stört man sich an der Oberflächlichkeit und dem Verzicht auf eine politische Deutung von Pop. Eine weitere Aufgabe der vorliegenden Arbeit besteht deshalb darin, die publizistisch geäußerten (Wert-)Urteile über die Zeitgeistpresse um 1990 einzubeziehen und im Kontext von Popliteratur als Form von Politik zu beleuchten. Dies aus dem schon angedeuteten Grund, da den öffentlich geäußerten 44 45 46
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Robert W.* Connell: Der gemachte Mann. Konstruktion und Krise von Männlichkeit. Opladen 1999, 98. Vgl. Maxim Biller: Feige das Land, schlapp die Literatur. In: Die Zeit, 13.04.2000. Vgl. E. Schumacher: Gerade Eben Jetzt, 41. Stefan Höppner und Jörg Kreienbrock betonen, dass die Beobachtung auch auf das Jahr 2015 noch zutreffen. Vgl. Stefan Höppner, Jörg Kreienbrock: Einleitung. In: Dies. (Hg.): Die amerikanischen Götter, 1-12, 1. Jürgen Roth: Der Popliterat. In: Taz, 19.10.2000, 28. Vgl. Thomas Hecken, Niels Werber: Art. Literatur. In: HbP, 178-188, 178.
1. Einleitung
(Abwehr-)Reaktionen und der Kritik an Popkultur für den infrage stehenden Zusammenhang besondere Aussagekraft beigemessen werden muss, um die Wirkungen von Popkultur zu erfassen. Schließlich wird es um die kulturhistorische Ausdeutung der Befunde gehen, die notwendig eine standortbezogene Perspektive einnimmt. Als Bezugsrahmen dieser Arbeit spielt das mittlerweile historisch gewordene Narrativ des Popkritikers Diedrich Diederichsen eine Rolle, mit dem er 1999 von linker und ›gegenöffentlicher‹ Position aus eine politisch aufgeladene und die angenommenen Prinzipien der Mehrheitsgesellschaft unterwandernde Phase der Popkultur (Pop I) von einer sich den vorherrschenden Marktmechanismen einfügenden Phase von Popkultur (Pop II) unterscheidet. Dieser Rahmen wird nicht herangezogen, um das Narrativ zu reanimieren oder gegen eine Reihe von kritischen Argumenten zu verteidigen. Aber auch nicht, um ihm in gleicher Form eine alternative Erzählung entgegenzustellen.49 Vielmehr werden in dieser historisch immer noch wirksamen Perspektive die Bedingungen der Dichotomie subversiv/affirmativ thematisiert. Unterschieden wird deshalb in der vorliegenden Arbeit, wie Diederichsen es in Über Pop-Musik selbst vorschlägt, zwischen einer heroischen Phase und einer postheroischen Phase von Popkultur.50 Damit kann erstens die prägende Achtung stereotyp ›männlicher‹ Attribute hervorgehoben werden und zweitens ihrer Linearität, also der Vorstellung einer prompten Ablösung antagonistischer Jugendkulturen, zugunsten einer ›doppelten Bewegung‹ widersprochen werden.
1.4.
Textauswahl
Bezüglicher der hier zugrunde liegenden Textauswahl ist zu unterscheiden zwischen denjenigen Texten und Bildern, die der Zeitschrift Tempo entnommen sind, und jenen Texten, die in Buchform publiziert stellvertretend für die Popliteratur und ihre Debatten gelesen werden und den Analysegegenstand
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Wie es zuletzt Jörg Scheller getan hat. Vgl. Jörg Scheller: Prop. Pop I-V und die PopTheorie als paradoxer Barbar. In: Pop. Kultur und Kritik 10 (2017), 110-131. Der Übergang von einer heroischen zu einer postheroischen Periode der Popkultur zeichnet sich bei Diederichsen zwar auch durch den Wegfall der Gegenkulturen aus. Neu ist jedoch, neben der historischen Distanz, die explizite Relativierung dieser Zeitrechnung, die von Diederichsen formal durch den biografischen Zuschnitt seiner Abhandlung vorgenommen wird. Vgl. Diedrich Diederichsen: Über Pop-Musik. Köln 2014.
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flankieren.51 Als solche werden Christian Krachts Faserland52 , Florian Illies‘ Generation Golf und Joachim Bessings Tristesse Royale herangezogen. Diese Auswahl liegt erstens in der formalen Heterogenität begründet. Mit Faserland findet ein klassischer Roman Eingang in die Analyse. Generation Golf 53 hingegen wurde als Sachbuch verkauft und hat die Form eines größeren Essays, während Tristesse Royale, das semifiktive Gesprächsprotokoll einer Gruppe männlicher Popliteraten, ein eher experimentellen Charakter besitzt, der die performative Seite der Popliteratur aufgreift und ausstellt. Ein weiteres, wenn auch nicht hinreichendes Kriterium zur Aufnahme dieser Texte liegt in ihrer Popularität begründet, die sie repräsentativ werden lässt. Die Verkaufszahlen von Generation Golf lassen vermuten, dass viele der Käufer*innen dieses Buchs, den Text gelesen haben, und die Präsenz dieses Titels in der öffentlichpublizistischen Debatte bedarf keiner weiteren Belege. Auch Faserland erfreute sich eines großen Lesepublikums und bildet den Grundstein für die weitere literarische Karriere Krachts. Hinzukommen aber noch zwei weitere Punkte, die hier zur Relevanz dieses Textes beitragen. Zum einen ist es Florian Illies, der in Generation Golf den Roman Faserland zu einer Generationslektüre erhebt und dabei eine Identifikation mit dem Protagonisten nahelegt.54 Zum anderen ist es diese ›Fehllektüre‹, die Moritz Baßler dazu veranlasste, in seiner viel rezipierten Studie Der deutsche Pop-Roman Christian Kracht und seinen Debutroman Faserland als Gründungsphänomen der Popliteratur zu bezeichnen.55 Das »popkulturelle Quintett« findet mit Tristesse Royale ebenfalls unter dem nun selbstbeschreibenden Stichwort ›Pop‹ in den deutschsprachigen Feuilletons eine hohe Aufmerksamkeit. Nicht nur spielt Christian Kracht auch hier wieder eine Rolle, hinzukommen nun der Star-Autor Benjamin von StuckradBarre, Joachim Bessing, Eckart Nickel und Alexander von Schönburg. Es sind 51 52
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Flankieren insofern als größere Lektüren in sich geschlossener Erzähltexte keine Rolle spielen werden. Dieser Text ist zudem gut erforscht. Einen älteren Überblick über die Forschungsliteratur bietet Matthias N. Lorenz (Hg.): Christian Kracht: Werkverzeichnis und kommentierte Bibliografie der Forschung. Bielefeld 2014. Hinzu kommen als größere Publikationen Ders. (Hg): Christian Kracht revisited: Irritation und Rezeption. Berlin 2018; Christoph Kleinschmidt: Christian Kracht. (= Text und Kritik, Heft 216). München 2017; S. Bronner (Hg.): Weltliteratur. Auch Generation Golf wurde Gegenstand einer umfassenden Studie. Vgl. Tom Karasek: Generation Golf: Diagnose als Symptom. Produktionsprinzipien und Plausibilität in der Populärliteratur. Bielefeld 2008. Vgl. Florian Illies: Generation Golf. Eine Inspektion. Frankfurt a.M. 10 2003, 154f. Vgl. M. Baßler: Pop-Roman, 110ff.
1. Einleitung
eben diese Texte, die im Gegensatz zu Tomboy von Thomas Meinecke oder Rave von Rainald Goetz in dieser Arbeit als populäre Popliteratur bezeichnet und relevant werden, weil sie nicht die ›Methode Pop‹ um ihrer selbst willen erforschen. Vielmehr ist ihre Vielschichtigkeit extern zu begründen, indem ihr Kontext in den Blick rückt. Die Auswahl der jeweiligen Tempo-Texte – und dies gilt auch für die mancherorts beschriebenen Bilder und grafischen Darstellungen – erfolgt zum einen nach ihrer Mustergültigkeit, insofern sie so oder ähnlich das publizistische Format Zeitgeistjournalismus auf formaler oder thematischer Ebene prägen.56 Zum anderen werden Texte der Herausgeber – meist in Form des Editorials – mit der Prämisse herangezogen, dass diese eine besondere Kommentarmacht und eine besondere Aussagekraft für die Konzeption des Formats besitzen. Ein drittes Kriterium der Textauswahl liegt in der Autorfunktion begründet. Autorennamen, die mit dem Label ›Pop‹ assoziiert, rezipiert, diskutiert und/oder verkauft wurden, erhalten eine höhere Aufmerksamkeit. Diese sind in erster Linie Christian Kracht, Peter Glaser, Maxim Biller, aber auch Marc Fischer, Sibylle Berg oder Julie Burchill. Singulär sind Texte zu verstehen, die hier einer größeren hermeneutischen Lektüre unterzogen werden, an die der Argumentationszusammenhang anschließt. Inwiefern sich vermuten lässt, dass sich in ihnen eine größere Tendenz manifestiert, wird an gegebener Stelle verdeutlicht.
1.5.
Aufbau
Nachdem im ersten Kapitel die wissenschaftlichen Grundlagen dieser Studie dargelegt wurden, wird im zweiten Kapitel Magazingeschichte als Kontext von Popliteratur vorgeschlagen. Es gliedert sich in vier Unterkapitel, die diesen Kontext wiederum aus unterschiedlichen Perspektiven in den Blick rücken. Eine erste Perspektive ist der Begriff ›Zeitgeist‹ und seine historische Semantik insbesondere im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts. Hier findet sich dargelegt, wie Zeitgeist immer schon ein Spannungsverhältnis zu den Ansprüchen der Kulturkritik besaß. Damit werden zum einen eine diskursive Ebene des Zeitgeistjournalismus und zum anderen seine kulturellen Implikationen thematisch. Daraufhin werden vier unterschiedliche journalisti56
Eine empiriegeleitete Ermittlung der am häufigsten aufgegriffenen Themengebiete findet sich bei A. Hentschel: Tempo.
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sche Bezüge eröffnet, die für den Zeitgeistjournalismus eine Rolle spielen. Zu diesen gehören erstens das etwas weiter gefasste Konzept des literarischen Journalismus, mit dem das historische Wechselspiel zwischen Literatur und Journalismus in den Blick gelangt. Als zweiter Bezug wird der New Journalism aufgegriffen, der häufig als Blaupause für den deutschsprachigen Zeitgeistjournalismus gilt. Der dritte Bezugspunkt ist der Popmusikjournalismus, der als Knotenpunkt der Bedeutungsproduktion innerhalb des Popdiskurses gelten muss und von dem wichtige Impulse auch für den Zusammenhang von Zeitgeistjournalismus und Popliteratur ausgehen. Der vierte journalistische Bezug schließlich ist der Boulevardjournalismus, der bislang die Forschungen der Cultural Studies im Rahmen des Konzepts populärer Texte beschäftigt hat und an dessen Repräsentationspraxis im Zeitgeistjournalismus zum Teil angeschlossen wird. Das dritte Unterkapitel zur Magazingeschichte als Perspektive für die Kontextualisierung von Popliteratur widmet sich einzelnen Zeitschriftentiteln, die zusammengenommen auch die Vielschichtigkeit des Konzepts Pop widerspiegeln. Hier geht es darum, die Stränge aus Kulturkritik und Feuilletonismus, 68er-Protestkultur und Underground sowie Jugendfreizeitindustrie und Regionalbezug der Stadtzeitschriften zusammenzuführen. Dieser kurze Durchgang durch die Magazingeschichte erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern hat seine Funktion in der Darstellung der Pluralität. Das letzte Unterkapitel des zweiten Kapitels wendet sich der Vorgeschichte der Popliteratur um 2000 aus einer kritischen Perspektive auf seine Diskursivierung und insbesondere auf die Verbindung von Beatliteratur und Popliteratur als erstes Traditionsverhältnis zu. Infrage steht hier, ob der für die frühe Popliteratur um 1968 geltende Protestanspruch aus dem Feld der Pop Art bzw. der Populärkultur stammt sowie die These, dass dieses Moment einem standpunktbezogenen Heroismus von ›1968‹ geschuldet ist, der gemeinhin mit Männlichkeit assoziiert wird. Das dritte Kapitel widmet sich dann einer eingehenderen synchronen Analyse des Zeitgeistjournalismus und des Zeitgeistdiskurses, der Zeitschrift Tempo und einzelnen Texten aus dieser Zeitschrift. Da der Fall der Berliner Mauer und die Auflösung der bipolaren Weltordnung u.a. dazu führen, dass die Altersgruppenzugehörigkeit wieder eine größere Relevanz erhält57 , steht im Kapitel 3.1 zunächst der Anspruch des Zeitgeistjournalimus infrage, Generationalität zu repräsentieren. Da hier das Spezifische der Inszenierung 57
Vgl. Beate Fietze: Historische Generationen. Über einen sozialen Mechanismus kulturellen Wandels und kollektiver Kreativität. Bielefeld 2009, 14.
1. Einleitung
von Generationalität in der auffälligen Unterbestimmtheit liegt, untergliedert sich die Analyse in zwei Ansätze. Der erste Ansatz fragt entlang von inszenierten Abgrenzungen zur ›heroischen‹ 1968er Generation und zu einer spezifisch medialen Figur der eigenen Alterskohorte, dem Yuppie, wie Generationalität als Differenzkategorie im Zeitgeistmagazin zur individuellen und kollektiven Vorstellung von Identität überhaupt dient. Der zweite Ansatz widmet sich einer Untersuchung einschlägiger Narrative (Generation X, Generation Golf) unter dem Vorzeichen einer ›postheroischen‹ Unterbestimmtheit, die gemeinhin als Zeichen für Pluralisierung interpretiert wird. Auf formaler Ebene widmet sich die Analyse der spezifischen Ironie dieser Mediensprache. Die Ambivalenz eines postheroischen Generationsverständnisses wird in Kapitel 3.2 anhand der Darbietung von Gender weitergezeichnet und zugespitzt. Die ›doppelte Verwicklung‹ dieser Darstellungen kennzeichnet um 1990 die Gleichzeitigkeit einer feministisch initiierten Liberalisierung von Genderidentitäten auf struktureller Ebene und einem antifeministischen Backlash, der diesen Feminismus zu unterbinden versucht. Dieser doppelte und paradoxe Bezug auf den Feminismus wird auf der Mikroebene an einzelnen Bild- und Textbeiträgen zu den Zeitgeist-Typen ›phallische Frau‹ und ›Girlie‹ verdeutlicht. Kapitel 3.3 beschreibt anschließend den erstarkenden Nationalismus dieser Zeit vor dem Hintergrund der Fiktionalität von Nation. Im Zeitgeistjournalismus spielt der Nationalbezug selbst zur Zeit der Wiedervereinigung Deutschlands unter dem Vorzeichen von Konsum eine Rolle. Auf der Zeicheneben sind Konsumprodukte schlicht auf Narrationen angewiesen, die im Zeitgeistjournalismus auf Textebene national aufgeladen werden. Das Kapitel markiert besonders den Modus der Nostalgie und spiegelt die Mikroebene auf die Makroebene: Im Normalitätsdiskurs dieser Zeit kommt dem journalistischen System die Rolle zu, der NS-Vergangenheit andere Narrative an die Seite zu stellen, die implizit an die Wiedervereinigung aber auch an das sogenannte ›Wirtschaftswunder‹ anknüpfen. Das Bild von der Zeitgeistpresse als Motor »blinder Nationalisierung«58 gilt es hier allerdings zu differenzieren. Christian Kracht wird in diesem und im darauffolgenden Kapitel als ein Autor gelesen, der jene nationalistischen Vorstufen mit protoliterarischen Mitteln journalistisch antizipiert und markiert. Zum anderen
58
Vgl. Uwe Schmitt: Keine Zeit für Geist. Neue Magazine beschwören ein neues Deutschland. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 09.05.1986.
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Zeitgeistjournalismus
überführt er mit einem journalistisch-literarischen Zugriff den Zeitgeistdiskurs auf verschiedene Weise – jedoch noch nicht mit dem Etikett Popliteratur – in die deutschsprachige Buchkultur. Das letzte Unterkapitel 3.4 setzt sich mit einem maßgeblichen Transformationsfaktor gesellschaftlicher Verhältnisse am Ende des 20. Jahrhunderts auseinander: der Verbindung von Konsumwaren und Lifestyle. Der Bedeutungsgewinn dieser Verbindung ist in der Rezeption der Popliteratur ein entscheidender Faktor von Kulturkritik. Deshalb werden einer eingehenden Analyse der Produktion und Reproduktion von Konsumzeichen in den Zeitgeistmedien wichtige Aspekte des Diskurses um Konsum einleitend vorangestellt. Auch um 1990 zeichnet sich die vorherrschende Konsumkritik noch dadurch aus, dass sie nicht in erster Linie auf Ebene von Produktionsprozessen argumentiert, sondern sich stattdessen auf ein implizites Kulturverständnis beruft, das Konsumpraktiken u.a. aufgrund ihrer vermeintlichen Passivität, Kindlichkeit und ihren Verbindungen mit den unteren Gesellschaftsschichten herabwertet. Sie werden der Sphäre ›nicht männlicher‹ Verhaltensweisen zugeordnet, genauso wie die Betonung von Oberfläche, Irrationalität usw. In Zeitgeistmagazinen findet sich eine große Faszination für diese Konsumpraktiken, für Konsumwaren und besonders für die Art ihrer Bewerbung. Diese Faszination wird nicht nur, aber auch medien- bzw. selbstreferenziell inszeniert. Das Kapitel unterscheidet hier die ›abweichende Wiederholung‹ in der Darstellung von Konsumpraxis in Form des Klischees und die ›einübende Wiederholung‹ in Form der (Re-)Produktion von stereotypen Vorstellungen. Die Effekte dieser Inszenierungen im Bereich des Konsummarktes werden in diesem Kapitel thematisch. Es werden aber auch die Voraussetzungen dafür aufgezeigt, dass das ›Lesen‹, Zeigen und Beurteilen von modischen Konsumwaren in der Popliteratur so prominent literarisiert wird. Anhand einer Rezension von Christian Kracht zu dem Roman Kopfjäger von Uwe Timm wird hier schließlich die Vorarbeit Krachts für seine erfolgreiche Etablierung als Autor in den Blick genommen. Dass diese über das Zeichensystem der Konsumkultur geschieht, ist jetzt nicht mehr verwunderlich. Die ambivalente Ironie und das Changieren zwischen Fiktion und Faktendarstellung, das in der Literaturkritik einen Konventionsbruch darstellt, lässt es aber schwer zu, diesen Konsumzeichenbezug als schlichte Bekennung zum popkulturellen Reiz bzw. als ›Konsumaffirmation‹ zu lesen.
2. Magazingeschichte: Kontexte der Popliteratur
Die Verarbeitung und das Protokollieren aktueller Geschehnisse gelten als herausragende Elemente popliterarischer Texte und zugleich als Aufgaben des Journalismus.1 Gemeinsamkeiten beider Textsorten stellen deshalb die betonte Zeitgenossenschaft und die Nähe zur populären (Sach-)Buchkultur dar.2 Im Gegensatz zu den meisten Formen des Printjournalismus im 20. Jahrhundert fehlt dem Zeitgeistjournalismus der Anspruch auf Faktentreue und darauf, eine gesellschaftspolitische Kontrollfunktion zu erfüllen. Der Informationsgehalt rückt hier zugunsten der Betonung von Subjektivität, Mode, Konsumkultur und Populärkultur in den Hintergrund. Im Gegensatz zum Roman oder Sachbuch tritt der ausgeprägte Gegenwartsbezug besonders hervor und wird durch Periodizität bzw. Einmalrezeption bestärkt. Eckhard Schumacher, der das Verhältnis von Gegenwart und programmatischer Popliteratur früh in seiner Studie Gerade Eben Jetzt analysiert hat, wies bereits auf das schlechte Image jener Gegenwartsbezüge in Literaturwissenschaft und selbst in den Kulturressorts der Zeitungen hin. Die Vorbehalte gegenüber den Verfahren der Gegenwartsfixierung und der damit einhergehenden Willkürlichkeit würden nicht selten verhindern, dass derartiges Schreiben unter dem Begriff Literatur überhaupt firmieren könne und Flüchtigkeit, Kurzlebigkeit oder die Beschränkung auf Oberflächen seien eingespielten Konventionen zufolge im gleichen Maße literaturfern wie das »Prinzip der permanent aktualisierten Aktualität«.3 Misstraut wird dabei nicht nur der Abwesenheit von ›hochliterarischen‹ Werten wie Dauer und Distanz, sondern auch dem programmatischen Einbezug von Affekten und ökonomischen Interessen. 1 2
3
Vgl. E. Schumacher: Gerade Eben Jetzt. Die Käuferanalyse weist den Tempo-Käufer als besonders buchaffin aus und hebt hier vor allem Ratgeberliteratur hervor. Vgl. Jahreszeiten-Verlag (Hg.): Tempo-Exklusiv. Ergebnisse zur Käuferschaft. Hamburg 1986. UA Ganske-Verlagsgruppe. Vgl. E. Schumacher: Gerade Eben Jetzt, 38f.
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Zeitgeistjournalismus
Wenngleich ein Fortbestehen der mit diesen Wertungen einhergehenden Distinktionen und Ausschlüsse auf institutioneller Seite zu beobachten ist, wird die Markierung vor allem im Kulturjournalismus – nicht zuletzt durch die sogenannte ›kulturelle Allesfresserei‹4 ab den 1980er Jahren – immer fragwürdiger. Eine auflösende Entwicklung, die mit einer tiefgreifenden Umwertung popkultureller Charakteristika einhergeht, lässt sich anhand der popliterarischen Diskurse seit den späten 1950er Jahren nachvollziehen, die gemeinhin in ein ›Emanzipationsnarrativ‹ eingebettet werden.5 Die mittelbaren und unmittelbaren Vorbilder der deutschen Zeitgeist- und Lifestylemagazine um 1990 werden im Folgenden vor diesem Diskurshorizont und mit der Absicht einer teilweisen Infragestellung und Differenzierung dieses Narrativs betrachtet. An die Ausführungen zum Begriff Zeitgeist und seiner Stellung in den 1980er und 1990er Jahren (Kapitel 2.1) schließen die Darstellung der journalistischen Traditionsbezüge im Kapitel 2.2 an. Für kritische Überlegungen zum Emanzipationsnarrativ werden anschließend zwei historische Linien der Popliteraturgeschichte zwischen 1956 und 1986 vorgestellt. Die erste Linie folgt einem erweiterten Popliteraturbegriff und nimmt eine kleine Auswahl illustrierter Zeitschriften in den Blick, die im deutschsprachigen Raum als Referenzmodelle für den Zeitgeistjournalismus um 1990 gelten können, aber zum Teil auch die Deutungsmacht des Popmusikjournalismus um 1980 herausbilden (Kapitel 2.3). Die zweite Linie folgt der gängigen Erzählung einer Literaturgeschichte, die seit 2000 dazu herangezogen wird, eine Tradition der Popliteratur zu begründen und rückt dabei die problematischen Implikationen dieses Narrativs in den Vordergrund. Die Geschichte von der ersten oder frühen Popliteratur ab den 1960er Jahren (Pop I) wird dadurch relevant, dass sie heldenhafte Protagonisten aufweist und damit im Gegensatz zur zweiten oder späten Popliteratur um 2000 (Pop II) ein klar definiertes, aber weniger ambivalentes Subjekt besitzt (Kapitel 2.4). Nicht als Revision dieses Narrativs, sondern mit einem Perspektivwechsel wird diese Popliteraturgeschichte im Folgenden vorgestellt. Es folgen auch
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Vgl. Richard A. Peterson, Roger M. Kern: Changing Highbrow Taste. From Snob to Omnivore. In: American Sociological Review 61 (1996), 900-907. Vgl. Klaus Nathaus: Die Musik der weißen Männer. Zur Kritik des popgeschichtlichen Emanzipationsnarrativs. In: Mittelweg 36 4-5 (2016), 81-97.
2. Magazingeschichte: Kontexte der Popliteratur
deshalb auf die heroischen Jahre nicht die »weniger heroischen Jahre«6 der Popkultur, sondern der Bedeutungsgewinn postheroischer Selbstverhältnisse, die sich in erster Linie über ihre habitualisierte Ironie definieren und einem speziellen noch zu erläuternden Spannungsverhältnis unterliegen.7
2.1.
Zeitgeist und Kulturkritik
Einer der Begründer und der erste Chefredakteur des Zeitgeistmagazins Tempo, Markus Peichl, erinnert rund zehn Jahre nach Einstellung der Zeitschrift an die prägende Nutzung des Ausdrucks Zeitgeist in den 1980er Jahren und hält fest, dass dieser zunächst keine Zuschreibung vollzogen, sondern vielmehr einen medialen Möglichkeitsraum eröffnet habe.8 Als »Worthülse« habe man ihn für das Magazin gewählt, weil er in seiner Unterbestimmtheit hervorragend mit einer neuen Ästhetik, einer neuen Sprache, neuen Ideen und Inhalten gefüllt werden konnte.9 Ab 1980 und in den folgenden 20 Jahren ist der Ausdruck ›Zeitgeistmagazin‹ mündlich dann häufig im Gebrauch, auch wenn er sich schriftlich nicht durchzusetzen vermag.10 Meist retrospektiv und beinahe ausschließlich mit Bezug auf jene Zeitschriften taucht er Anfang des 21. Jahrhunderts nur noch selten auf. Im Jahr 2013 empört sich die Chefredakteurin des Wirtschaftsmagazins Brand eins im Editorial einer Ausgabe mit dem Titel »Den Zeitgeist verstehen« etwa über die Aussage eines Journalisten, der die Zeitschrift einmal als ›Zeitgeistmagazin‹ bezeichnet habe, »[n]icht nur, weil wir andere Themen hatten als Tempo oder Wiener, die für das Genre standen und längst entschlafen sind: Wir fühlten uns auch keineswegs als temporäre Erscheinung.«11 Damit deutet sie an, dass Zeitgeistmagazine offenbar eine bekannte Themenspezifik besitzen, die immer noch
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Ein Ausdruck, den Diederichsen benutzt, um auch eine Transformation anzuzeigen, nämlich die Fortführung »eines Gegenkulturalismus ohne Gegenkultur«. Vgl. D. Diederichsen: Über Pop-Musik, 390-436. Vgl. Kapitel 3.1 in dieser Arbeit. Vgl. Harald Staun: Sex, Partys und Zeitungspapier. In: Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, 30.12.2007, 33. Ebd.Peichl galt damit auch als »Erfinder des Zeitgeists«. Vgl. Anonymus: »Kann man Zeitgeist lernen?« Markus Peichl über Werbung und Journalismus. In: Horizont, Nr. 38 24.09.1993, 36. Vgl. Thomas Hecken: Zeitgeistjournalismus und Literatur, 247 u. 257. Gabriele Fischer: Editorial. In: Brand eins (12) 2013, 6.
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mit einer Abwertung temporärer Moden, des Ephemeren und Oberflächlichen einher geht. Ihre Wendung gegen diesen Zeitgeistbezug und ihr Wille, sich abzuheben vom »breiten Strom der Mode«, erweist sich dabei als unvermeidlich zeitgeistig: Ein doppelter Bezug, der dem Zeitgeist immer schon eingeschrieben scheint.12 So formuliert Ralf Konersmann die ›Paradoxie des Zeitgeistes‹ in der rhetorischen Frage: »Was wäre dem Zeitgeist gemäßer als die Parole: ›Gegen den Zeitgeist‹?«13 Mit dem positiven Bezug auf den Terminus Zeitgeist bedient sich der ehemalige Chefredakteur von Tempo deshalb nicht allein einer »Worthülse«, sondern beerbt vielmehr einen Begriff mit philosophiehistorischer Tradition. Zwar wird es in der feuilletonistischen Auseinandersetzung mit dem Zeitgeist um 1990 darum gehen, die ›Geistlosigkeit‹ des Zeitgeistes hervorzuheben. Eine auffällige Verbindung ist aber auch in der Verknüpfung von selbstbezüglicher Rhetorik in den Inszenierungen von Zeitgeist oder dem Sprechen über ihn und seinen identitätspolitischen Ansprüchen zu finden. Diese Ansprüche zeichnen den Begriff seit seiner Erfindung als etwas aus, das »im Raum der geschichtlichen Zeit« derjenigen Topologie ähnelt, die »im geographischen Raum als Heimat erlebt und bejaht wird.«14 Die Metapher ›Heimat‹ ist für diesen Zusammenhang passend, da auch der Heimatbegriff um 1990 eine starke Reaktivierung im Kontext der diskursiven Normalisierung deutscher Geschichte erfährt.15 Systematisch teilt Konersmann den philosophiehistorischen Begriff ›Zeitgeist‹ in zwei Lesarten ein: Der universalistische Zeitgeistbegriff der modernen Geschichtsphilosophie, den er bei Hegel verortet, stehe neben dem kulturphilosophischen Begriff des Zeitgeistes, wie ihn Johann Gottfried Herder gebraucht habe, und bei dem der Ausdruck erstmals nachzuweisen ist: »Der kulturphilosophische Zeitgeist-Begriff möchte die Unüberschaubarkeit der Geschichte kompensieren und faßt die Versuche jeweiliger Gegenwarten zusammen, ihren Sinn aus sich selbst zu schöpfen und ihm in einer flüchtigen, aber prägnanten Idiomatik Gestalt zu geben. Dieses Konzept verdient weiterhin Beachtung.«16 Nicht als Gegenspieler wie in der ›Querelle des Anciens et des Modernes‹ versuche Herder die Gegenwart gegen die Geschichte in Anschlag zu bringen, sondern vielmehr zu betonen,
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Vgl. Ralf Konersmann: Kulturelle Tatsachen. Frankfurt a.M. 2006, 73. Ebd. Ebd., 74. Vgl. Kapitel 3.3. in dieser Arbeit. Ebd.
2. Magazingeschichte: Kontexte der Popliteratur
dass sich die Eigenart einer Zeit gegenüber älteren Epochen vielfach absetze. Die Frage nach dem Zeitgeist unterliege besonders in dieser Perspektive einer konstitutiven Spannung seines Geltungsanspruchs, die Konersmann als »Zeitgeist-Paradox« herausarbeitet und der sich bereits die französischen Enzyklopädisten im 18. Jahrhundert gegenübergestellt sehen.17 Nicht nur die Diskursmacht zu haben, Zeitgeist zu bestimmen und zu interpretieren, sondern sich selbst als zeitgeistig zu stilisieren, bedeutet daran angelehnt, den Anspruch kultureller Relevanz in Form von überzeitlicher Geltung zugunsten von temporärer Aktualität abzuschwächen, aber zugleich der in dieser Aktualität behaupteten Relevanz publizistisch Geltung zu verschaffen. Der Ausdruck ›Zeitgeist‹ als eine geschichtsordnende Formel avanciert noch zu Herders Lebzeiten zu einem Schlagwort, das häufig gleichbedeutend mit Nationalgeist oder Volksgeist verwendet wird.18 Im Sinne nationaler Interessen kann man also den historischen Begriffsgebrauch auch als Schauplatz der Aushandlung von politischen Machtansprüchen verstehen, wie ihn Christoph Müller beschreibt: »Man braucht nur ein politisches Journal aus diesen Jahren aufzuschlagen, ständig findet man diesen Begriff. […] ›Zeitgeist‹ ist das politische Schlagwort, mit dem man die Gegenwart zu deuten und politische Ziele zu rechtfertigen versucht.«19 Dass Müller als Beleg für seine Beobachtung Journale anführt, ist kein Zufall. So hat auch Benedict Anderson in seiner wichtigen Studie über vorgestellte Gemeinschaften als kulturelle Bedingung für die Erfindung der Nation die technische und ökonomische Möglichkeit zur breiten Durchsetzung von profaner Schriftlichkeit im Medium der Zeitung betont. Anderson hebt die spezifische Vorstellung von gleichzeitiger Performance in der im Kontext der Entstehung nationaler Vorstellungen bedeutsamen kalendarischen Zeit hervor, die eine Zeitungslektüre
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»Être plus longtemps utile et nouveau« ist die Forderung an das philosophische Wissen für den Herausgeber der Encyclopédie, Denis Diderot, und für längere Zeit zeitgemäß zu sein, ist die dem Zeitgeist eigene Differenz von publizistischer Aktualität einerseits und philosophischer Universalität andererseits, die sich auf seine Subjektivierungseffekte übertragen lässt. Vgl. ebd.; Denis Diderot: Encyclopédie III (Lettres D–L). In: Ders: Œuvres complètes. Hg. von John Lough und Jacques Proust. Paris 1976, Bd. 7, 188. Vgl. Gisela Harras: Art. Zeitgeist. In: Gerhard Strauss, Ulrika Hass, Gisela Harras: Brisante Wörter von Agitation bis Zeitgeist: ein Lexikon zum öffentlichen Sprachgebrauch. Berlin, New York 1989, 728-732, 729. Christoph Müller: »Zeitgeist«. Ein Exkurs in die Zeit des Regiments Gensdarmes. In: Merkur, 1986 Heft 453, 982-989, 982. [Hervorhebung im Original]
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Zeitgeistjournalismus
mit sich bringt und zu einer vorgestellten Nationalgemeinschaft innerhalb der journalistisch beschriebenen Umgebung führt. »The significance of this mass ceremony […] is paradoxical. It is performed in silent privacy, in the lair of the skull. Yet each communicant is well aware that the ceremony he performs is being replicated simultaneously by thousand (or millions) of others of whose existence he is confident, yet of whose identity he has not the slightest notion. Furthermore, this ceremony is incessantly repeated at daily or half-daily intervals throughout the calendar. What more vivid figure for the secular, historically clocked, imagined community can be envisioned?«20 Die Verwendung des Ausdrucks ›Zeitgeist‹ geht zudem immer schon im Sinne der Kulturkritik einher mit der meist abwertenden Markierung eines schnellen Wechsels von Werten und Gesellschaftsverhältnissen innerhalb dieses kalendarischen Zeitverständnisses. Christoph Müller hebt deshalb die mit dem Zeitgeist aufgerufenen Veränderungserfahrungen hervor, die das Bewusstsein von Geschichte prägen: »Die Erfahrung eines beschleunigten Wandels in der eigenen Zeit« und das Erleben von antizyklischer Geschichte »am eigenen Leibe ist […] [die] lebensweltliche Voraussetzung« für die damalige Sensibilisierung des Forschens und Denkens über die Geschichte.21 Zeitgeist stellt damit zunächst die je eigene Stellung innerhalb eines geschichtlichen Prozesses zur Disposition. Schon bald stiftet er aber auch eine kulturelle Kollektividentität. Diese versucht sich als eine vorgestellte Gemeinschaft auch gegenüber der gefühlten Dynamisierung von Lebensverhältnissen und der damit einhergehenden Befürchtung eines Verlusts von Übersicht zu behaupten. In Bezug auf zukünftige Entwicklungen kann diese Dynamik richtungsweisend sein. Das Paradox des Zeitgeistbegriffs besteht nicht nur in der gleichzeitigen Behauptung von Aktualität und Dauerhaftigkeit in seiner Bestimmung und Inszenierung, sondern besitzt auf politischer Ebene eine zusätzliche Dimension. Diese Bestimmungen versuchen, sowohl Bedürfnisse nach Reformation als auch nach Integration zu befriedigen und beides zu erreichen: Identitätsstiftung und Synchronisation von Wandel. Ab 1980 erlebt Zeitgeist unter diesem Vorzeichen, nämlich zu einer Zeit, in der soziokulturelle Bedingungen von der Kulturkritik wiederum verstärkt
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Benedict Anderson: Imagined Communities. London, New York 2006, 35f. C. Müller: »Zeitgeist«, 982f.
2. Magazingeschichte: Kontexte der Popliteratur
als ›unübersichtlich‹ wahrgenommen werden22 , eine erneute Konjunktur.23 Zeitgeist dient als Titel einer internationalen Kunstausstellung24 und findet als Lehnwort Eingang ins Amerikanische und ins Französische. Besonders vor dem Hintergrund von Dynamisierungen ist in seiner journalistischen Verwendung die hypostasierende Idiomatik auffällig, die Redeweisen wie »vom Zeitgeist erfasst sein«, »dem Zeitgeist erlegen sein« oder »dem Zeitgeist Tribut zollen« bevorzugt.25 1986 verkündet auch Die Zeit die zweite Restauration des kulturkritischen Begriffs: »Zeitgeist – ein Begriff macht Karriere« und bemerkt zugleich, dass »Karl Kraus, der Wiener, der nun wirklich Zeitgeist enthüllt und gegeißelt hat« sich dabei im Grabe drehe: »Wenn es keine Utopien mehr gibt, belehrt uns der Wiener, dann halt den ›Zeitgeist‹, an den wir uns klammern können. Da wird Mode, Sex, Politik, Reklame, Glück, Unglück, Panne, Tragödie, Alltag und Geschichte, alles durcheinandergewirbelt. Alles wird beliebig, alles eins. Der ›Zeitgeist‹ ist reine Oberflächenbeschreibung. Wir sollen glauben, so sei es wirklich, und das sei schon alles.«26 Zeitgeist steht, es deutet sich auch mit dieser Polemik an, nunmehr für einen positiven Bezug auf Transformationsprozesse der bundesrepublikanischen Gesellschaft und darin offenbar für ganz bestimmte Einstellungen und Praktiken der Alltags- und Populärkultur, die einer fundierten Zeitgeistkritik sowohl im Namen eines nationalen Kulturverständnisses als auch im Namen einer Kritik an Kulturindustrie u.a. durch hedonistische und pathologisch narzisstische Vorlieben entgegen stehen. Schauplatz und Geburtsstätte dieser Art von Zeitgeist sei das US-amerikanisch geprägte ›Massenmedium‹. Es nehme keine bzw. keine gewollte Funktion für die Gesellschaft und das politische System ein, sondern steht generell im Verdacht, deshalb manipulativ und irrational zu sein, weil es sich ausschließlich dem Markt und den (künstlichen) Bedürfnissen des Individuums widme. Insbesondere Lifestylezeitschriften und Fernsehsendungen
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Vgl. etwa Jürgen Habermas: Die Neue Unübersichtlichkeit. Frankfurt a.M. 1985. Zu dieser Tendenz vgl. Abb.1 im Anhang dieser Arbeit. Unter dem Titel Zeitgeist – Internationale Kunstausstellung Berlin wurden 1982 im MartinGropius-Bau u.a. Werke der sogenannten Neuen Wilden ausgestellt. Vgl. G. Harras: Art. »Zeitgeist«. Gunter Hofmann: Was die Spatzen nicht von den Dächern pfeifen. Zeitgeist: hinter dem Wort, das Karriere macht, verbirgt sich mehr als Biederlichkeit und Normalität, sondern eine seit Jahren heraufdämmernde zweite Restauration. In: Die Zeit, 21.11.1986.
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bringen die Befürchtung hervor, dass eine populäre Umwertung von Zeitgeistkritik seine Tradition unterminieren könnte: »Der Zeitgeist hat gestylte Narzißgestalt angenommen«, bedauert ein Journalist in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung angesichts der Neugründung des Zeitgeistmagazins Tempo.27 Es nimmt deshalb auch nicht wunder, wie Thomas Hecken betont, dass in den 1970er Jahren, in denen Pop verhältnismäßig wenig Anerkennung genießt, sogar die Szene- und Stadtzeitschriften, obgleich sie in repräsentativer und organisierter Manier für einen ausgreifenden Lifestyle- und Zeitgeisttrend stehen, nämlich den der Alternativbewegung, gerade nicht mit einem ähnlichen Titel bedacht wurden: »Die begriffliche Abstinenz rührt daher, daß die Protagonisten der Nach-1968er-Zeit für sich selbst erfolgreich in Anspruch nehmen konnten, für angeblich Profunderes einzustehen als Mode, Trends und Äußerlichkeiten.«28 Die Vorstellung von Zeitgeistzugehörigkeit, die sich in einem selbstverliebten und auf Äußerlichkeit reduzierten Lebensstil konstituiert, wird von den Zeitgeistmagazinen selbstbewusst hervorgebracht, wie später noch aufgezeigt wird. Aber auch hier beginnt die anfängliche Euphorie, mit der man die Zeitgeistvokabel neu besetzen möchte, erwartungsgemäß problematisch zu werden.29 Noch mit der Distanzierung von ihr möchte man sich auf der ›Höhe der Zeit‹ zeigen, indem das Wort selbst als gestrig entlarvt wird: »›Zeitgeist‹, das war einmal. Ein Synonym für das Lebensgefühl Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre. Wer das jetzt erst mitkriegt, ist selber schuld.«30 Und in einem Editorial mit der Unterüberschrift »warum Tempo das Wort Zeitgeist nicht benutzt« identifiziert der ›Zukunftsforscher‹ Matthias Horx das Wort ›Zeitgeist‹ schließlich wieder als »eine Denunziationsvokabel im ideologischen Grabenkrieg. Alles, was nicht ins eigene Weltbild paßt, bekommt
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U. Schmitt: Keine Zeit. T. Hecken: Zeitgeistjournalismus und Literatur, 275. Während die Distanzierung vom Zeitgeistbegriff vermehrt in der späteren Phase von Tempo vorgenommen wird, beruft sich besonders Markus Peichl, der das Zeitgeistkonzept vom Österreichischen Wiener beerbt, positiv auf die anfängliche Unterbestimmtheit des Ausdrucks durch die er das heterogene Magazinkonzept legitimiert sieht. Die »Leerformel ›Zeitgeist‹ oder ›Zeitschrift für Zeitgeist‹«, habe »absolut ihre Berechtigung und ihren Sinn – und damit auch wieder ihre Inhaltlichkeit. Es ist eigentlich eine Leerformel, die aber als Leerformel Inhaltlichkeit vermittelt.« Markus Peichl zit.n. A. Hentschel: Tempo, Anhang M2, 1-20, 18. Markus Peichl: Editorial. In: Tempo, Februar 1988, 3.
2. Magazingeschichte: Kontexte der Popliteratur
dieses Etikett aufgeklebt. […] Alles, was einem irgendwie unheimlich, neu, unverständlich vorkommt, wird hierzulande als Zeitgeist abgekanzelt«31 . Die Frage nach der Rolle von Zeitgeist um 1990 erweist sich damit auch als eine nach dem speziellen Genre der populären Zeitdiagnostik. Im Gegensatz zur Kulturkritik nimmt der Zeitgeistjournalismus ostentativ keine Distanz zu den Trends ein. Zwar schreibt der oder die Zeitgeistjournalist*in häufig aus einer beobachtenden und stark urteilenden Perspektive. Die gesamte Konzeption dieses publizistischen Formats legt es aber darauf an, keinen Unterschied zwischen der Welt des Journalisten und der Welt der Rezipient*innen entstehen zu lassen und aus dieser Nähe die Glaubwürdigkeit der Inhalte zu generieren. Diese Korrelation entwickelt die spezifische Dynamik populärer Kultur, wenn sie die Leser*innen selbst an den (re-)präsentierten Trends teilhaben lässt und sie in eine Dynamik des Decodierens, Konsumierens und Codierens verwickelt. Dies kann selbst über den Prozess des Lesens geschehen, indem das Lesen an öffentlichen Plätzen die Zeitschrift zum Modestück werden lässt. Die beobachtende Perspektive muss jetzt kein Journalist mehr einnehmen.
2.2.
Journalistische Bezüge
Für eine nähere Analyse des Zeitgeistjournalismus steht, wie das vorangegangene Kapitel gezeigt hat, sein Anspruch infrage, viele einzelne Beobachtungen von Dingen und Handlungen so zu inszenieren, dass sich in ihnen eine quasisoziologische Aussage von einiger gesellschaftlicher Tragweite zu manifestieren scheint.32 Dabei hat man es mit verschiedener Zeichensysteme zu tun, die sich auf visueller (Fotos, Layout, Grafiken, Typografie) und textlicher Ebene analysieren lassen. Isoliert man einmal den im engen Sinne textlichen Teil des Magazins, so zeigt sich bereits ein eher unterbestimmtes Korpus. Viele der hier verfassten Beiträge haben ein problematisches Verhältnis zur traditionellen Autor*innenschaft33 , verorten sich auf der Grenze zur Literatur, 31 32 33
Matthias Horx: Editorial. In: Tempo, Juni 1991, 3. Vgl. Thomas Hecken: Zeitgeistjournalismus und Literatur, 259. Populäre Texte zeichnen sich durch Intertextualität im weiten und im engen Sinne aus. Problematisch wird Autor*innenschaft zum Beispiel bei der Definition des Werks. So sehen sich etwa die Autor*innen der Publikation Christian Kracht: Werkverzeichnis und kommentierte Bibliografie der Forschung mit der Aussage Krachts konfrontiert, dass man bei einer ganzen Reihe von unter seinem Namen publizierten Texten, nicht von Au-
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zeichnen sich durch oral geprägte Sprache und vor allem in größer angelegten Reportagen durch markierte und nicht markierte Fiktionalität aus. Der Hinweis auf die auffällig narrative Form auch im Verbund mit einer Pose der Grenzverletzung oder Medienkritik soll hier jedoch nicht den Eindruck einer völlig neuen Auffassung von Journalismus entstehen lassen. Das vielfältige Repertoire an Formen journalistischer Texte bewegt sich schon immer in einem Grenzgebiet. Und auch das Konzept des Zeitgeistmediums lässt sich in einem weiten Sinne bereits auf populäre Zeitschriften des 18. und 19. Jahrhunderts anwenden. Hier publizierte Texte finden sich aber weitestgehend im Sinne eines Autor*innenwerks als Literatur kanonisiert. Eine Trennung zwischen Literatur und Journalismus kann aber auch außertextliche Gründe haben. Neben rechtlichen fallen vor allem medienökonomische Faktoren ins Gewicht. So wird etwa mit Blick auf die berufliche Bezeichnung seit dem 19. Jahrhundert unterschieden zwischen Journalist*in und Schriftsteller*in, obwohl beide Berufe häufig von ein und derselben Person ausgeübt werden. Im Folgenden werden anhand einer kurzen Entwicklungsgeschichte dessen, was Tobias Eberwein als »literarischen Journalismus« bezeichnet, des New Journalism, der Besonderheiten des deutschsprachigen Popmusikjournalismus sowie des Boulevardjournalismus drei Bezüge des Zeitgeistjournalismus vorgestellt. Mit dem etwas weiter gefassten Konzept des literarischen Journalismus (als deutschsprachige Variante zum Literary Journalism bzw. Narrative Journalism) und in einer generalisierenden und auf Sozialstrukturen abhebenden Bestimmung werden historische Momente der Wechselwirkung von Journalismus und Literatur nachgezeichnet, die auch das Verhältnis des Tempo-Journalismus zur Popliteratur um 2000 in diachroner Perspektive berühren. Mit dem Konzept des New Journalism, von dem sowohl durch die Forschungsliteratur als auch durch die Tempo-Redaktion ein Traditionsverhältnis zum Zeitgeistjournalismus behauptet wird, kann aufgezeigt werden: Das Image des devianten Journalisten, das aus der Kanonisierung des New Journalism erwachsen ist, wird in Tempo aufgegriffen und mit bestimmten Effekten, die auch durch das transatlantische Übertragungsverhältnis zustande kommen, genutzt.
tor*innenschaft sprechen könne, da die redaktionellen Eingriffe und Vorgaben eine solche Bezeichnung schlechterdings verhindern würden. Vgl. M. N. Lorenz (Hg.): Christian Kracht.
2. Magazingeschichte: Kontexte der Popliteratur
2.2.1.
Journalismus und Literatur
Auch abseits der Diskussionen um sogenannte Fake News und postfaktische Berichterstattung ziehen Hybride zwischen Journalismus und Literatur zuletzt als germanistischer Forschungsgegenstand Interesse auf sich.34 Ein Konzept zur Beschreibung der Interferenzen von Journalismus und Literatur in den deutschsprachigen Ländern ist das des literarischen Journalismus.35 Die Hybridisierung, die es bezeichnet, steht in deutschsprachigen Ländern im Gegensatz zu angloamerikanischen lange Zeit unter dem Verdacht journalistischen Fehlverhaltens.36 Als prominente deutschsprachige Vertreter auf diesem Gebiet gelten etwa Heinrich Heine, Ludwig Börne, Egon Erwin Kisch, Kurt Tucholsky, Erich Kästner und Siegfried Kracauer. Tobias Eberwein, der den Begriff des literarischen Journalismus systemtheoretisch herausarbeitet, definiert diesen »als strukturelle Kopplung der beiden operativ geschlossenen Sozialsysteme Literatur und Journalismus […], die eine produktive Verbindung zwischen diesen Systemen herstellt, ohne ihre Autonomie dabei zu gefährden«37 . Entlang der Pressegeschichte beschreibt er vier historische Phasen dieser Verbindung. Danach vollziehe sich in der Phase ihrer Genese, die vom 16. bis in die Mitte des 19. Jahrhunderts reicht und mit der Gründung der ersten Zeitung 160538 beginnt, die Ausdifferenzierung der Sozialsysteme des Journalismus und der Literatur bis zur Revolution von 1848/49. In dieser 34
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Vgl. etwa Hildegard Kernmayer, Simone Jung (Hg.): Feuilleton. Schreiben an der Schnittstelle zwischen Journalismus und Literatur. Bielefeld 2017; Magdalena Bachmann, Gunhild Berg, Michael Pilz: Zwischen Literatur und Journalistik. Generische Formen in Periodika des 18. bis 21. Jahrhunderts. Heidelberg 2016. Sowie die »Forschergruppe Journalliteratur. Formatbedingungen, visuelles Design, Rezeptionskulturen« und ihre bisherigen Teilprojekte »Poetik der Miszelle«, »Zeit/Schrift«, »Optische Auftritte«, »Text/BildKonkurrenzen«, »Fragmentkonstellationen« und »Rahmungsexperimente«. Vgl. Tobias Eberwein: Literarischer Journalismus. Köln 2013. Vgl. Ebd., 9. Dieser Verdacht entsteht vor allem aus der Angst vor Fake, Fälschung und Objektivitätsverlust. Die Kritik am Feuilleton etwa fällt aber in der deutschnationalen Kritik an der Moderne auch zusammen mit Antisemitismus und einem »antigallischen Affekt«. Vgl. Hildegard Kernmayer, Simone Jung: Feuilleton. Interdisziplinäre Annäherungen an ein journalistisch-literarisches Phänomen, 9-30, 16. In: Dies. (Hg.): Feuilleton, 9-30, 17. T. Eberwein: Literarischer Journalismus, 188. Die von Johann Carolus gegründete und in Straßburg herausgegebene Wochenzeitung Relation aller Fuernemmen und gedenckwuerdigen Historien gilt in der Pressegeschichte als Initialschrift der Kaufmannsbriefe, da sie über die gedruckte Vervielfältigung hinaus über Fernhändler abonnierbar war.
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Phase lasse sich die Entstehung von Literatur und Journalismus aus den gleichen Wurzeln medienvermittelter Kommunikation und die permanente Vermengung sowie die progressive Ablösung voneinander erkennen.39 Im Zuge der Französischen Revolution und mit entsprechenden ökonomischen sowie (druck- und vertriebs-)technischen Voraussetzungen etabliert sich Ende des 18. Jahrhunderts ein eigenständiges Publikationswesen von Zeitungen und Zeitschriften, das nun durch seine Reichweite bedeutsam wird und dazu beiträgt, unterschiedliche Lebensbereiche zu verbinden. Mitte des 19. Jahrhundert mit dem Einsetzen des redaktionellen Journalismus beginnt nach Eberwein die »Phase der Verselbstständigung und Differenzierung«.40 In der Folgezeit von 1848/49 revolutionieren sich die Existenzbedingungen der Pressemedien und der gesellschaftlichen Kommunikation: Während der Fortschritt technischer Möglichkeiten (Rotationsmaschine, Setzmaschine, Telegrafie, Telefon) zur Expansion des Zeitungs- und Zeitschriftenmarktes führt und die Periodika zur Massenware von kapitalistischer Produktionsweise werden lässt, zieht sich ein Großteil der Schriftsteller aus dem Pressewesen zurück und beschränkt sich auf das Medium der »herkömmlichen Literatur«.41 Gleichzeitig profiliert sich die journalistische Arbeit zu einem eigenen Hauptberuf.42 Viele Journalist*innen üben diesen im Sinne einer Informationsvermittlung aus, die durch die Telegrafenbüros als frühe Form der Nachrichtenagenturen nach ihrer Objektivität beurteilt wird. Zugleich entstehen mit dem Feuilletonismus und der literarischen Reportage nach und nach Gegenmodelle mit dem Ziel der »Reintegration literarischer Elemente in den Journalismus«.43 Im Zuge dessen entwickelt sich
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Vgl. T. Eberwein: Literarischer Journalismus, 88. Dieter Roß hingegen vertritt die Auffassung, dass Journalismus und Publizistik eindeutig ihre Wurzeln in der Literatur besäßen, von der sie sich absichtlich abgewandt hätten: »In diesem Sinn ist der Journalismus in der Frühzeit des Medienzeitalters eine Fortschreibung der Literatur mit anderen Mitteln und neuen Zwecken – und mit einem neuen Selbstverständnis, in dessen Mittelpunkt nun die Mit-Wirkung an den kontroversen Diskursen der selbst erlebten und erlittenen Zeit tritt.« Dieter Roß: Fakten und/oder Fiktionen. Zur Geschichte der Beziehung zwischen Journalismus und Literatur in Deutschland. In: J. K. Bleicher, B. Pörksen (Hg.): Grenzgänger, 74-99, 82. Vgl. T. Eberwein: Literarischer Journalismus, 88. Vgl. D. Roß: Fakten und/oder Fiktionen, 83f. Vgl. Jörg Requate: Journalismus als Beruf. Entstehung und Entwicklung des Journalistenberufs im 19. Jahrhundert. Deutschland im internationalen Vergleich. Göttingen 1995, 139. Vgl. T. Eberwein: Literarischer Journalismus, 88.
2. Magazingeschichte: Kontexte der Popliteratur
auch die journalistische Reportage, die mit empirisch-kritischer Methode soziale Missstände aufzudecken sucht.44 Mit diesem Höhepunkt zwischen den beiden Weltkriegen finden dann jedoch im Faschismus die deutschsprachige journalistische Sozialkritik und der literarische Journalismus ihr vorläufiges Ende.45 Erst nach dem Zweiten Weltkrieg bis ca. 1975 beginnt nach Eberwein die dritte Phase der »Neuformierung«.46 Die westlichen Alliierten bestärken mit dem Wiederaufbau des journalistischen Systems den »positivistischen Nachrichtenjournalismus«47 und damit die striktere Trennung von Meinung und Information. In der DDR ist man, obgleich sich eine Bemühung um literarische Formen im Journalismus abzeichne, mit dem Aufbau von Grundlagen des durch den Faschismus erschütterten Pressewesens im Sinne der Re-Education beschäftigt.48 In dieser Irritationsphase liegt nicht zuletzt die scheinbare Neuartigkeit eines literarischen Journalismus in Gestalt des Zeitgeistjournalismus begründet. Erst um 1975 kommt es zu einer Phase der Differenzierung und Entgrenzung, die nun bereits mit digitalem Wandel korreliert. Folgt man Eberweins Phasenmodell des literarischen Journalismus, so bildet der Zeitgeistjournalismus im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts jenen historischen Punkt der Entgrenzung, der besonders im Kontext von Popkultur ein Zielpublikum fasst und zum Teil generiert, dessen Merkmale bis weit ins 21. Jahrhundert für einen daran anschließenden Journalismus bestimmend sind. Eberwein leitet aus seinen Untersuchungen die Einschätzung ab, dass der literarische Journalismus eine nachhaltig beständige Form im publizistischen Sektor darstelle. Die Traditionsgeschichte des literarischen Journalismus kann darüber hinaus verdeutlichen, dass es bei der »Koppelung« beider »Systeme« nicht allein um die Vermischung von Fakt und Fiktion oder sogar – wie bei den Fällen Tom Kummer und Claas Relotius –49 um Fake geht. Der li44 45
46 47 48 49
Vgl. D. Roß: Fakten und/oder Fiktionen, 88. Zur Verstrickung der zeitungswissenschaftlichen Feuilletonforschung in die nationalsozialistische Ideologie vgl. Bettina Braun: »Der neue Feuilletonist in Deutschland marschiert auf der Straße mit«. Die Konzeption einer ›deutschen‹ Textgattung in der zeitungswissenschaftlichen Forschung Wilmont Haackes. In: H. Kernmayer, S. Jung (Hg.): Feuilleton, 79-104. Vgl. Tobias Eberwein: Literarischer Journalismus. Köln 2013, 88. Ebd., 112. Vgl. ebd. In beiden Fällen geht es um die journalistische Fälschung von Fakten zugunsten der journalistischen Darstellung. Beide Fälle lösten Skandale in der Medienöffentlichkeit aus, mit denen deutlich werden sollte, dass es sich dabei um einzelne Vertreter han-
45
46
Zeitgeistjournalismus
terarische Journalismus weist als Konzept über solche Fälle hinaus und macht auch plausibel, dass mit entsprechenden Schreibverfahren die Autor*infunktion sich verlagert und mit entsprechenden Werten und Erwartungen belegt wird.
2.2.2.
New Journalism
In der noch mageren Forschungsliteratur zum zeitgeistjournalistischen Erbe der Popliteratur und zum Magazin Tempo ist man sich einig darin, dass es sich hier um eine Adaption des US-amerikanischen New Journalism handelt.50 Für ein Verständnis des deutschsprachigen Zeitgeistjournalismus im Kontext des New Journalism sprechen einige Gemeinsamkeiten, aber auch Missverständnisse dieser transatlantischen Adaption. Ungeachtet eines alternativen Journalismus, der durch Autoren wie Mark Twain, Stephen Crane, Jack London oder Ernest Hemingway populär wird, wird für die Etablierung jenes New Journalism im Sinne eines als ungewöhnlich subjektiv und literarisch rezipierten Magazinjournalismus Tom Wolfe herangezogen. Wolfe hat die Bezeichnung New Journalism nicht erfunden51 ,
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51
delte, die auf unerwünschte Weise das Vertrauen in die Medienöffentlichkeit erschütterten. Eine weitere Traditionslinie eines »New New Journalism« zum New Journalism profiliert Boynton. Vgl. Robert S. Boynton: The New New Journalism. Conversations with America’s Best Nonfiction Writers on Their Craft. New York 2005. Neben der deutschsprachigen Entsprechung »Neuer Journalismus« gibt es eine ganze Reihe weiterer Bezeichnungen wie Gonzojournalismus (Wobei »Gonzo« ein Slangausdruck ist und soviel wie »hirnverbrannt«, »durchgedreht« oder »anarchistisch« bedeutet. Der Begriff Gonzojournalismus findet sich auch mit Bezug auf deutschsprachige Texte, etwa bei Ralf Hohlfeld. Vgl. Ralf Hohlfeld: Der schnelle Marsch durch die Institutionen. Formen des New Journalism in etablierten Medien – Zur Diffusion eines innovativen Journalismuskonzeptes. In: J. K. Bleicher, B. Pörksen (Hg.): Grenzgänger, 337-360.), Autorenjournalismus, urbaner Journalismus oder Borderline-Journalismus. Allen Ausdrücken ist gemeinsam, dass sie das Abheben vom klassischen etablierten Objektivitätsanspruch des Nachrichtenjournalismus betonen und eine Reihe literarischer Techniken assoziieren, die mit dem Eindruck der journalistischen Neuartigkeit oder Grenzüberschreitung verbunden sind. Der Ausdruck New Journalism kam bereits früher auf, insbesondere aber das Neuartige des New Journalism in den 1960er Jahren wird nach Wolfes Kanonisierungsversuchen in den 1970er Jahren häufig infrage gestellt. Wolfe selbst erinnert sich: »I have no idea who coined the term ›the New Journalism‹ or even when it was coined. Seymour Krim tells me that he first heard it used in 1965 when he was editor of Nugget and Pete
2. Magazingeschichte: Kontexte der Popliteratur
sorgt aber durch programmatische Äußerungen und vor allem durch seine Herausgeberschaft der Anthologie New Journalism (1973) für eine bestimmte Rezeption der entsprechenden Autoren. Wolfe und die New Journalists52 widmen sich seit Mitte der 1960er Jahre durch eine Art Feldforschung auffallend narrativ den bis dahin eher als abseitig geltenden Themen und Personen. Prominent wird 1965 der serielle Vorabdruck von Truman Capotes In Cold Blood in der Zeitschrift The New Yorker – wenn auch zunächst unter der von Capote favorisierten Genrebezeichnung Nonfiction Novel –, in der er die 1959 verübten Morde an einer wohlhabenden Farmerfamilie in Westkansas rekonstruiert und dabei auf skandalös-empathische Weise die beiden Mörder mit ihrer Vorgeschichte und in ihrer Gefängnissituation bis zu ihrer Hinrichtung im Jahr 1965 beschreibt. Das Vordringen in bestimmte zum Teil hermetisch geschlossene Milieus und Lebensbereiche wird zu einem herausstechenden Merkmal der New Journalists. Dabei gelte stets das Programm: »Erzählung statt Wiedergabe, Intuition statt Analyse, Menschen statt Dinge, Stil statt Statistik.«53 Publikationsorte sind vor allem die Magazine The Atlantic Monthly, Harper’s, Esquire, The New Yorker und Rolling Stone. Wolfe selbst zählt im ersten Teil seiner Anthologie rückblickend vier vielzitierte Techniken auf, welche die Vertreter des New Journalism ganz intuitiv vom literarischen Realismus übernommen hätten und die für seine Bestimmung kanonisch geworden sind: (1) Zum einen ist dies die scene-by-scene construction: »telling the story by moving from scene to scene and resorting as little as possible to sheer historical narrative.«54 (2) Der zweite wichtige Griff sei die Wiedergabe der direkten Rede durch (quasi-)realistische Dialoge, denn »realistic dialogue involves the reader more completely than any other single device.«55 (3) Das dritte Merkmal des New Journalism nach Wolfe ist die
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Hamill called him and said he wanted to write an article called ›the New Journalism‹ about people like Jimmy Breslin and Gay Talese. It was late 1966 when you first started hearing people talk about ›the New Journalism‹ in conversation, as best I can remember.« Tom Wolfe: The new journalism. In: Ders., E.W. Johnson (Hg.): The new journalism. London 1973, 15-68, 37. Einige Vertreter*innen im Umfeld des New Journalism sind Jimmy Breslin, Gay Tales, Joan Didion, Thomas B. Morgan, Brock Brower, Terry Southern, James Baldwin, Robert Christgau, Doon Arbus, Gail Sheehy, Tom Gallagher, Robert Benton, David Newman sowie Truman Capote und Norman Mailer. Hannes Haas, Gian-Luca Wallisch: Literarischer Journalismus oder journalistische Literatur? In: Publizistik, Jg. 36, Heft 3, 298-314, 298. Tom Wolfe: The new journalism, 46. Ebd.
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Zeitgeistjournalismus
personale Erzählweise: »the technique of presenting every scene to the reader through the eyes of a particular character, giving the reader the feeling of being inside the character’s mind and experiencing the emotional reality of the scene as he experiences it.«56 Häufig wird dazu auch ein Perspektivenwechsel vorgenommen und die Szene somit aus mehreren ineinander verschränkten Blickwinkeln dargestellt. (4) Die vierte Technik schließlich ist das detailreiche Abbilden der die Menschen umgebenden Gegenstände, ihrer Gesten, Styles, Posen und Gepflogenheiten, um an diesen Details den Symbolwert für den jeweiligen sozialen Status der Protagonist*innen abzulesen – eine Technik die in den Zeitgeistdiskursen der 1980er und 1990er Jahre als sogenannte Stillektüre weiterlebt. Zur journalistischen Popularisierung des New Journalism tragen aber noch weitere Elemente bei: die narrative Ästhetik, besonders die Erzeugung von Spannung und Attraktion, die Emotionalisierung und Dramatisierung.57 Hinzu kommen Onomatopoetika und Neologismen, die teilweise an Beat- und Undergroundliteratur anschließen. Zudem gelten literaturhistorische Realismuskonzepte als maßgebende Einflussfaktoren des Zeitgeistjournalismus insofern dieser an den New Journalism anschließt bzw. als deutschsprachige Variante eines New Journalism aufgefasst wird.58 Auch Wolfe betont besonders Stilmittel wie Detailgenauigkeit, Wiedergabe direkter Rede, Verzicht auf auktoriale Erzählinstanzen und Orientierung an der gesprochenen Sprache, aber auch das Interesse an Settings und Topoi der Gegenwart sowie die thematische Auseinandersetzung mit alltäglichen Geschehnissen und Personal, die Elemente des literarischen Realismus darstellen und die das ästhetische Ziel einer möglichst genauen Abbildung von Wirklichkeit verfolgen.59 Das Zeitgeistmagazin übernimmt einige dieser Elemente, ändert aber die Agenda des New Journalism. Bereits in der ersten Ausgabe von Tempo verweist
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Ebd. Vgl. Rudi Renger: Populärer Journalismus. Nachrichten zwischen Fakten und Fiktion. Innsbruck, Wien, München 2000, 425ff. Etwa Joan Kristin Bleicher: »Sex, Drugs & Bücher schreiben«. New Journalism im Spannungsfeld von medialem und literarischem Schreiben. In: Dies., B. Pörksen (Hg.): Grenzgänger, 126-159; Niels Werber: Factual Fiction. Zur Differenzierungsgeschichte von Literatur und Journalismus aus systemtheoretischer Perspektive. In: Ebd., 160-189. Differenziert setzt sich auch Hecken mit der Funktion des Realismus auseinander. Vgl. Thomas Hecken: Zeitgeistjournalismus und Literatur. Vgl. ebd.
2. Magazingeschichte: Kontexte der Popliteratur
etwa Helge Timmerberg, der häufig mit einer deutschsprachigen Version des New Journalism verbunden wird, auf seine journalistischen Vorbilder: »Als ich mich vom Stilkorsett der bürgerlichen Medien befreite, war ›new journalism‹ unser großes Vorbild, der amerikanische ›Gonzo Reporter‹ Hunter S. Thompson unser Held. Er zeichnete sich durch absoluten Subjektivismus aus, stilistisch pflegte er den Slang seiner Dealer, eine Mischung also aus Bukowsky [sic!], Henry Miller und Hemingway.«60 Um seine stille Verwandtschaft zum New Journalism zu bezeugen, fährt er in Thompsons Duktus fort und beklagt die Unmöglichkeit Gonzo in die Jetztzeit zu übertragen: »Das war ‘ne verflucht heiße Scheiße, Leute, da wurden die Dinge beim Namen genannt, da wurde gefickt, gedröhnt und Scheiße gekotzt, aber diese Zeiten scheinen endgültig vorbei zu sein, für jene zumindest, die sich dem Zeitgeist verpflichtet fühlen.«61 Nicht nur Helge Timmerberg legt eine deutschsprachige Nachkommenschaft der New Journalists im Zeitgeistmagazin nahe. Auch originäre Vertreter werden für Tempo gewonnen. Der von ihm genannte Charles Bukowski schreibt ein Jahr später einen langen Beitrag über Pferderennen und 1988 bekommt Hunter S. Thompson eine eigene Kolumne mit dem Titel »Showdown in Washington«, in der er über Monate vom US-Wahlkampf 1988 berichtet.62 Die Abwandlung des New Journalism ist aber nicht nur durch die Zeitachse zu begründen, sondern ebenfalls durch die transatlantische Adaption. In der deutschsprachigen Rezeption ist der Gonzojournalist eine Grenzfigur, die nicht in erster Linie ob ihres investigativen Journalismus geschätzt wird, sondern in dessen Person man einen der Alltagswelt entrückten Protagonisten sieht. Wiederum Timmerberg stellt in diesem Sinne Hunter S. Thompson vor, indem er auf dessen Glaubwürdigkeit verweist, die er damit begründet, dass dieser nicht als neutraler Beobachter, sondern als Involvierter schreibe: »Ein ›Gonzo‹-Journalist ist jemand, der es zu mühsam findet, in einer durch und durch verrückten Welt so zu tun, als sei der Reporter der einzig Normale weit und breit. So zu tun, als habe er noch nie im Suff in die Hose gepißt, 60 61 62
Helge Timmerberg: Die Blauen kommen. Man trägt wieder Adel. In: Tempo, Februar 1986, 39-44, 43. Ebd. Dass Thompson damit die zukunftsweisende Bedeutsamkeit der Verbindung von Pop und Politik wahrnimmt und zum Teil antizipiert, wäre ein noch zu begründender Aspekt seines Gonzo-Konzepts.
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Zeitgeistjournalismus
wenn er über Alkoholismus schreibt, als habe er noch nie ‘ne Nutte gefickt, wenn Prostitution sein Thema ist, als habe er noch nie seiner kleinen Schwester die Schokolade weggenommen, wenn er über Gewalt gegen Frauen berichtet.«63 Timmerberg unterschlägt jedoch, dass Thompson nicht zufällig jene Themen auswählt bzw. jedes Thema dazu nutzt, den stereotypen ›US-amerikanischen Lebensstil‹ zu parodieren. Und auch die Durchsetzung der New Journalists um Wolfe gründet darin, dass ihre Darstellungsweisen einer Realität angemessen beurteilt werden, die ihrer Darstellung voraus zu gehen scheint. Unter vielen Autor*innen lobt etwa Marc Weingarten die literarischen Techniken des New Journalism als Alternative zu herkömmlichen Versuchen des Journalismus: »Wolfe and many of his contemporaries recognized, some earlier than most, one salient fact of life in the sixties: the traditional tools of reporting would be inadequate to chronicle the tremendous cultural and social changes of the era. War, assassination, rock, drugs, hippies, Yippies, Nixon: how could a traditional just-the-fact reporter dare to provide a neat and symmetrical order to such chaos?«64 In einem mimetischen Sinne schreibt auch Thompson 1988 über den Präsidentschaftskandidaten George Bush: »Zwei Jahre lang habe ich auf Bush eingedroschen. Ich habe ihn als Superkriminellen und scheißefressenden Hund beschimpft, und ich denke nicht daran, jetzt aufzuhören. Bush ist ein Krimineller und ein Yuppie-Gangster, und ich habe alles getan, was in meiner Macht steht, um ihm den Weg ins Gefängnis statt ins Weiße Haus zu ebnen. Ich habe ihn als rückgratlosen Schwächling bezeichnet, als ekelhaften, häßlichen Lügner, als schlimmsten Yuppie, der je yuppte, und als kriminellsten Politiker der USA.«65 Die Verknüpfung des Präsidentschaftskandidaten mit der Figur des Yuppies, dessen polemisches Potenzial nicht selten auf die Zeitgeistpresse selbst angewandt wird,66 dient Thompson hier als Instrument für sein Anliegen, die Wahl 63 64 65 66
Helge Timmerberg: Hart, härter, Hunter. In: Tempo, April 1988, 38-42, 38. Marc Weingarten: The Gang That Wouldn’t Write Straight: Wolfe, Thompson, Didion, Capote, and the New Journalism Revolution. New York 2005, 6. Hunter S. Thompson: Feuer unterm Arsch. In: Tempo, Juni 1988, 56-58, 57. Vgl. Kapitel 4. in dieser Arbeit.
2. Magazingeschichte: Kontexte der Popliteratur
Bushs zum amerikanischen Präsidenten zu verhindern. Gerade die Zeitgeistmagazine gelten in Westdeutschland jedoch als Yuppie-Magazine, die jenen Werteverlust repräsentieren, für den der Zeitgeist selbst zum Synonym wird und den auch Thompson kritisiert. Wie bei seinem Angriff auf den Präsidentschaftskandidaten deutlich wird, erlangen seine Worte erst durch seine gänzliche Verstrickung Glaubwürdigkeit: Nur indem Thompson selbst als Krimineller auftritt, kann er den Versuch unternehmen, Bush »ins Gefängnis zu bringen«. Während sein Gonzostil und die Verstrickung der literarischen Figur seiner Selbst also einer Hippie- und Gegenkultur das Wort reden und die Inszenierung von Korruption, Perfidität, Armut und Drogenkonsum weithin als gesellschaftskritische Methode aufgefasst wird, die amerikanischen Verhältnisse des späten 20. Jahrhunderts zum Sprechen zu bringen,67 wird der von den Zeitgeistzeitschriften adaptierte Subjektivismus später selbst Gegenstand der öffentlichen Kritik im deutschsprachigen Raum am ›amerikanisierten‹ Lebensstil. Bevor Uwe Kopf als Textchef den Autor*innen von Tempo deshalb anrät, die Ich-Perspektive soweit wie möglich zu vermeiden, verteidigt Bernd Schwer die konsequente Subjektivität: »Wir, wir, wir – immer nur wir. Wenn es eine Kritik gibt, die uns einleuchtet, dann diese: Wir beschäftigen uns doch nur mit uns selbst. Wir sind narzißtisch. Wir sind eine Ausgeburt der selbstsüchtigen 80er in Zeitschriftform. Genau: Wir sind narzißtisch, selbstsüchtig, auf dem Egotrip – wir sind konsequent subjektiv. Wer hier schreibt, muß ›ich‹ sagen. Wir sind kein Zentralorgan für irgendwen oder irgendwas, am wenigsten für ein Phantom namens Objektivität. Manche Leute nennen das eine Masche. Wir nicht. Subjektivität ist keine selbstverliebte Spielerei. Subjektivität ist das einzige Mittel, um die Wahrheit zu erfahren. Und die Wahrheit heißt: Es gibt viele Wahrheiten, so viele, wie es Menschen und denkende Köpfe gibt.«68 In diesem Zitat scheint eine Doppelbödigkeit durch, die für die USamerikanische Adaption der Popliteratur und für den Zeitgeistjournalismus sowie seine Rezeption symptomatisch ist. Die in den deutschsprachigen Medien verbreitete Diagnose eines pathologisch selbstverliebten Zeitgeistes wird von Schwer auf das Zeitgeistmagazin als dessen Repräsentant
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Prominent wird etwa der narrative Versuch Thompsons, das Kentucky Derby als »dekadent und degeneriert« zu entlarven. Vgl. Hunter S. Thompson: The Kentucky Derby is Decadent and Depraved. In: Scanlan’s Monthly, vol. 1, no. 4, June 1970, 1-12. Bernd Schwer: Editorial. In: Tempo, April 1990, 3.
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Zeitgeistjournalismus
selbst bezogen und ostentativ bestätigt. Diesen eingestandenen »Egotrip« begründet er anschließend mit jenem ›subjektiven Journalismus‹, den der Zeitgeistjournalismus vom New Journalism übernommen hat und der eine »erkenntnistheoretisch naive[…] Objektivitätskritik«69 übt. Die Funktion des Sichtbarmachens eines ›irrsinnigen‹ Lebensstils und der mimetische Anspruch der New Journalists werden jedoch zugunsten einer Inszenierung von ›irrsinnigem Lebensstil‹ ausgetauscht.70
2.2.3.
Pop(musik)journalismus
Ein dritter Kontext des Zeitgeistjournalismus stellt hier schließlich der im Gegensatz zum New Journalism in der Forschungsliteratur weitaus unbestimmtere Popjournalismus dar. Christoph Jacke versteht unter Popjournalismus eine Ausdrucksweise, die seit den 1960er Jahren in Deutschland primär dazu genutzt würde, Revisionen überkommener Ansichten mit der eigenen Zeitgenossenschaft zu verbinden.71 Dieses Verständnis hebt zwar in erster Linie auf den Musikjournalismus à la Diedrich Diederichsen in Sounds und Spex ab, lässt sich aber mit einigen Abstrichen auch auf den Zeitgeistjournalismus übertragen. Der von Jacke beschriebene Popjournalismus hat mit seinen essayistischen, kulturkritischen Ambitionen und der Adaption theoretischer Ansätze aus Cultural Studies und Poststrukturalismus den Popdiskurs stark geprägt.72 Im Umfeld dieses spezielleren Popdiskurses wird in den 1990er Jahren festgestellt, dass der Popjournalismus zusehends an Bedeutung verliere.73 Diese 69 70
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72 73
B. Pörksen: Die Tempojahre, 327. Dieser Zusammenhang prägt auch Teile der amerikanischen Pop Art, die sich dadurch auszeichnen, dass sie zwar Künstlichkeit als Wert betonen, diese aber auch dadurch erreichen, dass sie die vorgefundene Realität der »künstlichen« Alltagswelt ausstellt und bejaht. So unterstreicht etwa Andy Warhol angesichts der ersten Diskotheken, die sich in ihrer Ausgestaltung und Namensgebung an den vorgefundenen ehemaligen Zweck des Gebäudes orientieren (das gymnasium in einer ehemaligen Turnhalle, die church in einer ehemaligen Kirche): »Playing up what things really were was very Pop, very sixties.« Andy Warhol, Pat Hackett: POPism: The Warhol Sixties. Orlando 1980, 31. Vgl. Christoph Jacke: Zwischen Faszination und Exploitation. Pop(musik)journalismus als Forschungsdesiderat. In: Jochen Bonz, Michael Büscher, Johannes Springer (Hg.): Popjournalismus. Mainz 2005, 49-65. Vgl. R. Hinz: Cultural studies und Pop. Angesichts dieser Einschätzung ist es erstaunlich, dass sich die Zeitschrift Spex bis Ende des Jahres 2018 auf dem Zeitschriftenmarkt halten konnte. Mit den einigerma-
2. Magazingeschichte: Kontexte der Popliteratur
Beobachtung geht mit der Annahme einher, dass ein subversiver Begriff von Pop durch einen pluralisierten Popbegriff abgelöst würde. In der partiellen Adaption dieser journalistisch-subversiven Schreibweisen des Popjournalismus wird jedoch im Zeitgeistmagazin, das als Teil dieser Pluralisierung angesehen wird, bis Mitte der 1990er Jahre ein ähnlicher Pop-Bezug weitergeführt, wenn aus diesem Grund auch ambivalenter, wie noch gezeigt wird. Mit Blick auf den Popjournalismus lässt sich in Abgrenzung zum Zeitgeistjournalismus festhalten, dass er in erster Linie ein Musikjournalismus mit zeitdiagnostischem Zuschnitt ist. Grundsätzlich lässt sich für große Teile dieses Schreibens aber auch eine Sonderrolle der Perspektive und der heroischen Pose feststellen, die nicht zuletzt gegen Standards von Seriosität entstehen. Diese Form möchte das Populäre gegenüber dem Elitären vorziehen und arbeitet zum Teil mit typischen Mechanismen, wie sie aus der Popmusik bekannt sind: Der Popmusiker ist nach Diedrich Diederichsen derjenige, der von sich selbst spricht, sich selbst meint und dennoch alle Formen verwendet, die das Abendland für Fiktionen aller Art reserviert hat: »So wie beim Mythos unentscheidbar sein muss, ob die Geschichte historisch oder fiktiv ist, ist in der Pop-Musik konstitutiv unentscheidbar, ob der Protagonist eine wirkliche oder eine erfundene Figur ist. Schwindende Glaubwürdigkeit der Geschichte und der Protagonisten wird durch den steigenden Wahrheitsgehalt der Aussage kompensiert. Zwischen diesen beiden Polen schwingt die Form des klassischen Pop-Songs, der von einem Pop-Sänger im oben beschriebenen Sinn vorgetragen wird: Ironie oder auch das Abrutschen in erkennbare Klischees ist in dem Maße erlaubt, wie auch dieses im Zusammenhang mit der eingeführte Identität des Sängers eine sinnvolle Aussage ergibt.«74 Die Übertragung von Prinzipien der Popmusik auf den Popjournalismus gelangt aber an ihre Grenzen, wo es um den Stellenwert der Form geht. Ist das Verhältnis von Subjektivität, von Ich-Bezug und dem »steigenden Wahrheitsgehalt der Aussage« in der Popmusik an die Songform und die Bühne derart gebunden, dass es als Ausdruck von heroischer Adoleszenz eine überzeitliche
74
ßen gleichzeitig stattfindenden Einstellungen weiterer Musikzeitschriften wie Groove, De:Bug (vier Jahre zuvor) und Intro lässt sich behaupten, dass dieser Journalismus endgültig ins Internet verlagert wurde und hier neben einer enorm ausdifferenzierten Reihe von Formaten der Musikbranche keine besondere Stellung einnimmt. D. Diederichsen: Über Pop-Musik, 141f.
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Zeitgeistjournalismus
Gültigkeit innerhalb der Popgeschichte behauptet, nimmt Popjournalismus expliziteren Bezug auf die aktuellen gesellschaftspolitischen Kontexte, die ihn hervorbringen und ist vor allem auf funktionaler Ebene performativ.
2.2.4.
Boulevardjournalismus
Schließlich stellt die sogenannte Regenbogen- und Boulevardpresse einen Einflussfaktor des hier infrage stehenden Formats Zeitgeistjournalismus dar, insofern »exzessive Zeichen«75 und besonders drastische Kommunikationsformen in den Zeitgeistmagazinen wiederzufinden sind. In Bezug auf diese Zeichen wird aber ein bemerkenswerter Unterschied besonders deutlich. So stellt John Fiske 1989 zur Funktion der Yellow Press die These auf, nach der ein überdrehter und »außer Kontrolle geratener« Zeichengebrauch den Effekt erzielt, hegemoniale Ideologie zumindest indirekt zu durchkreuzen, indem er die Logik des Alltagverstandes derart überstrapaziert, dass seine Beschränktheit notwendig entlarvt wird. Über das Titelblatt der Weekly World News (»The World’s only reliable Newspaper«) vom 15. März 1988 schreibt er: »Every headline on the page is a sensational example of the inability of ›the normal‹ (and therefore of the ideology that produced it) to explain or cope with specific instances of everyday life. The world it offers the reader is a world of bizarre, the abnormal. It investigates the boundaries of common sense in order to expose its limits. And common sense is, of course, the dominant ideology at work.«76 Während bei Fiske die optimistisch formulierte Annahme einer Subversion von Ideologie durch das Offensichtliche, das Exzessive und Klischeehafte der Tabloid Press ein Leser*innenmodell voraussetzt, das sich von der Kontrolle des hegemonialen Diskurses ausgeschlossen zeigt, deren Leben jenseits des Common Sense und von der dominanten Normalität als ›abnormal‹ bewertet wird, so muss man allein aufgrund der privilegierten Position der Zielgruppe der Zeitgeistmagazine77 innerhalb des Common Sense zu einer anderen und beinahe entgegengesetzten Einschätzung kommen. Zwar befindet sich die Zeitgeistklientel nicht im Zentrum der Kontrolle eines hegemonialen
75 76 77
Vgl. J. Fiske: Understanding Popular Culture. Ebd., 116. Herangezogen wird hier die Zielgruppe von Tempo.
2. Magazingeschichte: Kontexte der Popliteratur
Diskursgefüges. Als ›einheimische‹, gut ausgebildete und kaufkräftige Mittelschicht sind sie aber Aspirant*innen für Entscheidungsposten innerhalb der sich im rasanten Aufstieg befindenden Medienbranche und haben sowohl auf Produzent*innenseite als auch auf Rezipient*innenseite ganz andere Interessen und Handlungsoptionen als die Zielgruppe der amerikanischen Tabloid bzw. Yellow Press. Mit der Inszenierung des selbstgewählten Übertritts der Normalitätsgrenzen geht in den Texten der Zeitgeistmagazine eine andere Funktion bezüglich eines Angriffs auf den Common Sense einher. Ein Kommunikationsmodell der Tabloid Press ist bei Fiske entsprechend anders aufgebaut: Auf der einen Seite verschwinden die Produzent*innen hinter der Darstellung des Exzessiven, um ihre Wirkung entfalten zu können. Auf der anderen Seite steht ihre Zielgruppe strukturell dem »Powerbloc« entgegen und stellt sich aus dieser subalternen Position als widerständige Leser*innenschaft heraus. Im Gegensatz dazu nähern sich Produzent*innen und Zielgruppe der Zeitgeistmagazine einander stark an. Identifikation, Zeitgeistanspruch und das Generieren von Diskursmacht gelingen deshalb, weil die Grenzen und Zugangsbedingungen des Mediums zwar verhältnismäßig offen und durchlässig gehalten werden, wenngleich sie sich an eine klar definierte Zielgruppe wendet. Das zu beobachtende »exzessive Zeichen« bekommt hier nur noch die Funktion, den Möglichkeitsraum zu inszenieren, den die eigene Zeitgeistgenossenschaft eröffnet. Die öffentliche Meinung wird damit zwar ebenso als beschränkt entlarvt, jedoch mit dem Ziel einer Erweiterung ihrer Perspektive im Sinne der eigenen Profilierung. Anders ausgedrückt: Es geht nicht, wie Fiske es für die Yellow Press erläuterte, um die Verschiebung des Zweifels an der eigenen Lebensführung zum Zweifel an der herrschenden Norm, sondern um die Inszenierung der Unzulänglichkeit des Common Sense gegenüber der eigenen ›kreativ‹ inszenierten Lebensführung.
2.3.
Einige deutschsprachige Zeitschriftentitel der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts
In Deutschland lassen sich seit Mitte der 1950er Jahre aber spätestens Anfang der 1960er Jahre Ausprägungen von Popkultur feststellen, die stark an eine
55
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Zeitgeistjournalismus
kulturelle Hybridisierung gebunden sind.78 Die Transformation von einer Industriegesellschaft zu einer Konsum-, Wohlstands- und Mediengesellschaft nach dem Zweiten Weltkrieg fällt zusammen mit der Entstehung einer Populärkultur, die entgegen der Vorstellung von mehrheitlich konservativen Einstellungen der Adenauerzeit (absolute Mehrheit der CDU/CSU bei den Bundestagswahlen 1957) ein optimistisches Gefühl der Modernisierung nahe legt, wie Kaspar Maase unterstreicht.79 Er macht auf die häufig vorgenommene Verkürzung in der Darstellung der Nachkriegsperiode aufmerksam und führt als Beleg illustrierte Zeitschriften dieser Zeit an: »Dabei braucht man nur eine beliebige Illustrierte aufzuschlagen, um nachzuvollziehen, daß jene Jahre auch als Periode aufregender Modernisierung und mit dem Gefühl der neuen Heiterkeit, der Verjüngung erlebt wurden. Wieso soll man in den Jugendlichen der späten Fünfziger, die empfanden ›Jung sein macht Spaß!‹, nur Abziehbilder des kommerziellen Modells ›Teenager‹ sehen und nicht auch eine helle Farbe auf der Palette der Lebensgefühle?«80 Die Verkürzung der Arbeitszeit von der 6-Tage-Woche auf die 5-Tage-Woche im Jahr 1957, die Verlängerung der Ausbildungszeit und die damit verbundene Freiheit einer postadoleszenten Phase sowie der expandierende Konsummarkt bedingen einen sozialstrukturellen Wandel, der in einem bedeutenden Teil der Gesellschaft die Wohlstands- und Glückserfahrungen befördert. Nachträglich wird dieser Wandel auch im Erfolgsnarrativ des ›Wirtschaftswunders‹ als nationale Selbstwirksamkeit verbucht. Nicht nur die Rezeption von Popmusik, sondern auch von deutschsprachigen Illustrierten und Jugendzeitschriften wie Bravo oder später die Zeitschrift Twen (1959) sind Ausdruck einer veränderten Kultur, die sich im Sinne von Pop bereits durch Aspekte wie Warenform, Schnelligkeit, Performativität, Identifikation aber auch
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Häufig findet sich auch die These von einer kulturellen Homogenisierung im Sinne einer sog. ›Amerikanisierung‹. Eine Analyse und Einwände zu dieser Denkfigur finden sich bei Kaspar Maase: BRAVO Amerika. Hamburg 1992. Ebd., 68. Ebd. Den Befund, dass die Bilderwelt der unmittelbaren Nachkriegszeit in Deutschland ebenfalls von Aufbruchsstimmung und Heiterkeit geprägt war, bestätigen auch Magdalena Saryusz-Wolska und Anna Labentz in ihrer Analyse von Illustrierten, Filmen, Fotografien und Plakaten zwischen 1945 und 1948. Vgl. Magdalena SaryuszWolska, Anna Labentz: Bilder der Normalisierung. Gesundheit, Ernährung und Haushalt in der visuellen Kultur Deutschlands 1945-1948. Bielefeld 2017.
2. Magazingeschichte: Kontexte der Popliteratur
durch die Abwehr dieser Aspekte auszeichnet. Hinzu kommt, dass man in den 1950er Jahren beginnt, sich an Künstlichkeiten, etwa durch neue und häufig synthetische Materialien wie Kunstleder oder Plastik, zu gewöhnen und sich langsam vom unbedingten Vorrang des Natürlichen löst.81 Langsam beginnt nun auch eine theoretische Auseinandersetzung mit populärkulturellen Prinzipien. Zunächst im Sinne einer Populärkultur und später im Sinne von Popmusik bereiten diese Aspekte die Entfaltung und Bedeutsamkeit von Pop im Laufe der 1960er Jahre vor. Textlich begleitet wird diese Entwicklung durch Kino, Fernseh- und Radiosendungen, Ausstellungskataloge, Comics und Booklets. Zusammen mit der Durchsetzung der Medien Schallplatte und Fernsehen gewinnen nun vor allem Magazine stark an Relevanz. Diese haben auch Auswirkungen auf die Herausbildung von popaffiner Jugendkultur. Wenn auch spezielle Jugendzeitschriften wie Bravo noch eher ein Randphänomen bilden, so lesen doch etwa zwei Drittel der Jugendlichen im Jahr 1962 generell Illustrierte (häufig mit Fernsehprogramm und deshalb viel deutlicher von einem praktischem Nutzen begleitet).82 Die folgende Anführung von illustrierten Zeitschriften folgt in erster Linie einem chronologischen Prinzip und bezieht darüber hinaus die Vorbildfunktionen unterschiedlicher Magazine in bildästhetischer (Fotografie, Typografie, Layout), thematischer und stilistischer Hinsicht für die Zeitgeistmagazine und insbesondere für das Zeitgeistmagazin Tempo um 1990 ein. Die Zeitschriftenlandschaft seit Ende des zweiten Weltkrieges ist geprägt von Nachrichtenmagazinen und Programmzeitschriften wie Stern (seit 1948), Quick (1948-1992), Hörzu (seit 1946), Illustrierten (Münchner Illustrierte, Stuttgarter Illustrierte, Frankfurter Illustrierte, Neue Illustrierte, Funk Illustrierte, Revue u.a.), Herren- bzw. Frauenmagazinen (Constanze, Die Frau, Er, Handarbeit, Ihre Freundin u.a.) und bringt in den späten 1950er und frühen 1960er Jahren zudem eine Reihe kleinerer, meist regional begrenzter oder sehr kurzlebiger Zeitschriften hervor. Ein sich nachhaltig etablierendes Format geben Kulturmagazine wie Magnum ab. Mit großformatigen und hochwertigen Fotografien dient das zunächst nur in Österreich, ab 1957 dann auch in Deutschland erscheinende
81 82
Vgl. Thomas Hecken: Das Versagen der Intellektuellen. Eine Verteidigung des Konsums gegen seine deutschen Verächter. Bielefeld 2010, 113. Vgl. Detlef Siegfried: Time is on my side. Konsum und Politik in der westdeutschen Jugendkultur der 60er Jahre. Göttingen 2006, 84.
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Zeitgeistjournalismus
Magazin zum Teil als ästhetisches Vorbild für spätere Zeitgeistzeitschriften. Aber auch der Untertitel »Zeitschrift für das moderne Leben« suggeriert bereits Zeitgenossenschaft und Fortschrittlichkeit. Gesellschaftspolitische Fragen werden u.a. von Jürgen Habermas, H. C. Artmann, Heinrich Böll, Truman Capote, Hans M. Enzensberger, Hubert Fichte, Max Frisch oder Günter Grass beschrieben. Auch aufgrund ihrer hochwertigen Herstellung ist die Zeitschrift jedoch ein vergleichsweise teures Medium, das nicht die breite Masse anspricht, sondern sich eher an eine Elite richtet, damit aber entscheidende Merkmale der Zeitgeistzeitschriften ausprägt: Magnum bedient einerseits ein populäres Image in der Inszenierung von Zeitgeist auf visueller Ebene und spricht andererseits eine exklusive Zielgruppe an, indem das Magazin »auf eine kleine Käufergruppe aus dem Bereich der oberen Mittelschicht und des ambitionierten Kleinbürgertums [zielt], die sich mit ihrem modernistischen Geschmack bewusst von der Masse abheben möchte«83 . Vergleichbar auf Innovation setzend, aber ebenfalls nicht ›massentauglich‹ ist die 1957 erstmals erscheinende von Wilfried Berghahn und Enno Patalas gegründeten Filmzeitschrift Filmkritik. Theoretisch stark an der Frankfurter Schule ausgerichtet, schreiben hier zunächst Studierende über internationale Filme, deren Missachtung in der deutschsprachigen Kritik sie verändern wollen. Ähnlich wie die Vertreter des literarischen Undergrounds um 1968 wird die nationale Beschränkung des Diskurses zugunsten einer Öffnung insbesondere gegenüber dem französischen Film kritisiert.84 Das Konzept von Filmkritik ist der seit 1951 monatlich in Frankreich erscheinende Filmzeitschrift Cahiers du cinéma nachempfunden und orientiert sich an ihren kulturellen Impulsen. Auch gestalterische Elemente aus Layout und Bildästhetik werden adaptiert. Auffällig ist etwa das großzügige und klar definierte Bildformat in Verbindung mit der Typografie des Titels. Durch die Übersetzung einzelner Originalbeiträge der cahiers verspricht man sich einen Import des Diskurses um Autorenfilm, Nouvelle Vague und Filmtheorie. Im Kontext der New Left publizieren hierzu unter anderem Wim Wenders, Uwe Nettelbeck oder Harun Farocki. Als politisch ausgerichtetes Periodikum, das sich mit avantgardistischem Anspruch der (populären) Kulturproduktion jenseits der deutschen Grenzen auseinandersetzt (und damit in einem starken Gegensatz zum Zeitgeistjournalismus steht), lässt sich das Magazin neben Sounds 83 84
T. Hecken: Das Versagen, 34. Vgl. etwa Markus Nechleba: 50 Jahre Filmkritik. In: Filmmuseum München, Programmheft 13, 2007, 24-29, 24.
2. Magazingeschichte: Kontexte der Popliteratur
und Underground als prägendes Organ der späterhin ›popsozialisierten‹ Studentenschaft ansehen. Die Musikzeitschrift Sounds erscheint mit einer ersten noch hektografierten Ausgabe im Winter 1966/1967 mit dem Untertitel »Zeitschrift für Neuen Jazz« unter der Leitung von Rainer Blome. Sie wendet sich anfangs ausschließlich an Jazz-Fans und berichtet über Free Jazz und Modern Jazz. Die sukzessive Einbeziehung von Rockmusik führt im Herbst 1967 zur Umbenennung der Zeitschrift in »Magazin zur Popmusik«. Die erneute Umbenennung im Jahr 1968 in »Deutschlands erstes Underground-Magazin« zeigt, dass man sich an Zeitschriften wie Melody Maker und New Musical Express in Großbritannien bzw. Crawdaddy in den USA orientiert, die »sich von dem bis dahin im Popjournalismus üblichen Klatsch über Stars« distanzieren und »nach dem Vorbild der Jazzkritik musikbezogene Bewertungskriterien sowie einen Rock-Kanon« entwickeln.85 Im selben Jahr kommt neben Bravo, die den redaktionellen Themenschwerpunkt durchgehend auf Popstars, Unterhaltung und Adoleszenzberatung legt, das ebenfalls über Popmusik berichtende Magazin Musikexpress auf den Markt. Ungeachtet des nach der Einstellung weitergeführten Titels Sounds in Musikexpress/Sounds zeichnet sich das Magazin im Unterschied zu Musikexpress und Bravo durch einen ambitionierteren Journalismus aus, der sich stark gegen Gewinnorientierung stellt und den Begriff »Pop-Theorie« als Spezialdiskurs prägt. Für Ralf Hinz nimmt sie deshalb eine Ausnahmestellung in der Presselandschaft der 1970er Jahre ein, weil sie sich auf besondere Weise einen Zugang zu populärer Musik verschaffe.86 Den hier entstehenden Musikjournalismus beschreibt Hinz als »Folge und Ausdruck des plötzlich wachsenden Interesses der sozioökonomisch und kulturell privilegierten Jugend an einer Rock- und Popmusik, die sich vom herrschenden Geschmack der proletarischen und (klein-)bürgerlichen Schichten und Klassen durch das Reklamieren von Authentizität (Bezug auf die Jazz-Tradition in Abgrenzung von Unterhaltungsmusik) und eines sub- und gegenkulturellen Flairs deutlich abzuheben bemühte«87 . 85
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Vgl. K. Nathaus: Die Musik der weißen Männer, 93. Vgl. Ulf Lindberg, Gestur Guðmundsson, Morten Michelsen, Hans Weisethaunet: Rock-Criticism from the Beginning. Amusers, Bruisers, Cool-Headed Cruisers. New York 2005. Vgl. R. Hinz: Cultural studies und Pop, 168. Ralf Hinz: Denk- und Schreibweisen im avancierten Musikjournalismus. In: H. L. Arnold, J. Schäfer (Hg.): Pop-Literatur, 297-310, 298f. Neben Sounds spezialisiert sich auch
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Als jugendliches Pendant der bildungsbürgerlichen Kultiviertheit interpretiert hingegen Nadja Geer den Versuch der vorwiegend männlichen Leserschaft sich nun mittels »Sophistication« von der Mehrheitskultur abzusetzen.88 Sounds ist auch aufgrund von personaler Übereinstimmung ein Vorläufer der später als deutschsprachige Popmusikzeitschrift par excellence geltenden Zeitschrift Spex.89 Als »kulturpolitische Institution«90 bezeichnet Diederichsen 1983 die Stellung der Popmusik-Kritik in Sounds und mit heroischer Geste weist er darauf hin, dass er die Inspiration für seine dort veröffentlichten Texte aus dem »Ekel vor der bürgerlichen Presse«91 bezöge. Sein journalistisches Idealbild zeichnet er in diesem Sinne als »angstfrei, charakterstark, großmäulig und nicht so leicht auszurechnen«92 . Wenngleich Diederichsen in diesem Zuge einen zentralen Referenzpunkt für die Rede von einer ›Pop-
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die im selben Jahr erstmals erscheinende Musikzeitschrift Song auf anspruchsvolle Popmusikkritik. Obgleich das zunächst thematisch auf Folk und Chanson ausgerichtete Magazin nur rund fünf Jahre Bestand hat, verbindet es doch ab 1968 Popmusikkritik mit linker Politik und schafft dabei Anschluss an eine internationale und sich selbst als postmaterialistisch verstehende Alternativkultur: »Keine andere Zeitschrift in der Bundesrepublik behandelte subkulturelle Themen in derart konzentrierter Form«, vermerkt Detlef Siegfried. D. Siegfried: Time, 553. Vgl. Nadja Geer: Sophistication. Zwischen Denkstil und Pose. Göttingen 2012. Die hier vorzufindende Popmusik-Kritik und die daraus an Profil gewinnende Darstellungsform des Pop(musik)journalismus stehen darüber hinaus mit ihren angloamerikanischen Vorbildern und manchmal im Sinne eines Epigonentums in Nachbarschaft zum New Journalism. Vgl. Steve Jones, Kevin Featherly: Re-Viewing Rock Writing: Narratives of Popular Music Criticism. In: Steve Jones (Hg.): Pop Music and the Press. Philadelphia 2002, 19-40, 38. Besonders Andreas Banaski alias Kid P. und Diedrich Diederichsen, der von 1979 bis zum Ende 1982 für die Sounds schreibt, wechseln anschließend zur Spex. Diedrich Diederichsen: Sounds. Plaudereien über das Ende des Musikjournalismus. In: Daniel Hitzig, Markus Kenner, Aneth Spiess (Hg.): Tonmodern. Texte, Fotos und Comics aus der aktuellen Rockszene. Zürich 1983, 12-18, 12. Ebd., 17. Hierin offenbart sich zudem der doppelte Abgrenzungsversuch der popkulturellen »Sophistication«, der Darstellungsform von Popwissen: »Während die Kultiviertheit sich nur gegen die ›Barbaren‹ abgrenzen musste, muss die sophistication sich gegen den Kulturbegriff des Bürgertums und gegen die Vulgarität der Popkultur behaupten. Als neue hippe Intelligenz betreibt sie ein Vabanquespiel.« N. Geer: Sophistication, 17. Diedrich Diederichsen: Spätsaison: Journaille. Defunkt. Talking Heads. In: Sounds, (9) 1982, 44-45, 44.
2. Magazingeschichte: Kontexte der Popliteratur
Theorie‹ darstellt, so kann er doch nicht als Begründer einer solchen bezeichnet werden.93 Ebenfalls aus studentischen Kreisen entsteht die linke Zeitschrift Konkret. Aufgrund ihrer antikapitalistischen Haltung, die sich auch in der frühen Finanzierung durch die DDR widerspiegelt, lässt sie sich aber nur in ihrer späteren Form als Vorbild der Zeitgeistzeitschriften verstehen. Besonders in der frühen Phase von Konkret bis in die Mitte der 1960er Jahre hinein spielt populäre Kultur kaum eine Rolle. Hingegen findet das Thema Literatur regelmäßig seinen Platz. So fällt neben der Gegenwartsliteratur vor allem die Literatur des frühen 20. Jahrhunderts ins Gewicht. Autoren wie Erich Fried, Heinrich Böll, Arno Schmidt, Hans Henny Jahnn oder Volker Braun werden regelmäßig abgedruckt und zu den Autor*innen der Konkret gehören u.a. Hans Magnus Enzensberger sowie der zeitweise als Leiter des Feuilletons agierende Peter Rühmkorf. Wenngleich auch Rolf Dieter Brinkmann mit lyrischen Texten abgedruckt wird, scheint Konkret für eine Zeitgeistzeitschrift zunächst zu sehr auf marxistischem und konsumkritischem Kurs, sodass Themen wie Mode oder Unterhaltung zumeist keinen Platz finden, wie Thomas Hecken feststellt.94 Erst Mitte der 1960er Jahre vollzieht sich hier eine Öffnung, die dann eine Reihe populärkulturelle Themen, aber vor allem übertrieben sexualisierte Darstellungen hervorbringt, was unter anderem zum Ausstieg Ulrike Meinhofs aus der Konkret-Redaktion führt. Man findet jetzt Berichte über Hippies, Gammler, Beat und Mode und ab 1968 scheint »aus dem handvertriebenen Blatt für Individualisten eine moderne Illustrierte geworden« zu sein, »die
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Vgl. Marcus S. Kleiner: Art. Pop-Theorie. In: HbP, 252-256, 254. Kleiner weist darauf hin, dass es in Deutschland keine eigensinnige Theorie der Popkultur, sondern nur theoriegeleitete Auseinandersetzungen mit unterschiedlichen Themen der Popkultur gibt. Er nennt mit Blick auf Diederichsen zumindest vier konstitutive frühere Ansätze. Diese stammen von Jochen Zimmer, Dieter Baake, Rolf Schwendler und Helmut Salzinger. Vgl. Jochen Zimmer: Popmusik. Zur Theorie und Sozialgeschichte. Gießen, Lollar 1973; Dieter Baake: Beat – die sprachlose Opposition. Weinheim, München 1986; Rolf Schwendler: Theorie der Subkultur. Köln 1971; Helmut Salzinger: Rock Power oder Wie musikalisch ist die Revolution? Frankfurt a.M. 1972. Vgl. T. Hecken: Zeitgeistjournalismus und Literatur. Dies gilt ebenfalls für das Ende August 1962 erstmals erscheinende Satiremagazin Pardon, das zwar auch Texte von Autor*innen wie Hans Magnus Enzensberger, Robert Gernhardt, Erich Kästner oder Günther Wallraff abdruckt, dem prokonsumistischen Impetus eines Zeitgeistmagazins hingegen weitestgehend widerspricht.
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radikale Gesellschaftskritik mit einem ausgeprägten Sinn für die Transformation des Alltagslebens verknüpfte«95 . Als wichtiges Medium für die »Nachwuchsintelligenz«96 gilt darüber hinaus das seit 1965 von Enzensberger herausgegebene Kursbuch. Zwar publiziert beispielsweise auch Popautor Rainald Goetz hier seine ersten literarisch-journalistischen Versuche97 , im Gegensatz zum Freizeitwert populärer Illustrierten geht es im Kursbuch jedoch in erster Linie um die Fokussierung auf ausgewählte, freilich aktuelle Themen der Literatur und Politik. Gegenüber Bildern und Magazin-Layout wird ein einfaches Buchformat vorgezogen. Die 1956 beim Kindler Verlag erstmals und noch mit dem Untertitel Die Zeitschrift für Film und Fernsehen erscheinende Jugendzeitschrift Bravo, die lange Zeit eine Art Monopolstellung auf diesem Sektor beanspruchen kann, erhält nunmehr im Bauer Verlag erscheinend durch Neugründungen wie Yps, Treff und Musikexpress, ernsthaft aber ab Mitte der 1970er Jahre durch die Titel Mädchen und Rocky Konkurrenz. Welche Bedenken von staatlicher und gesellschaftlicher Seite gegenüber diesen Medien gehegt werden, lässt sich anhand der Indizierungen ablesen: 1972 und 1977 wird Bravo aufgrund der »Aufklärungsreihe von Dr. Korff« und die »Sprechstunde von Dr. Sommer« von der Bundesprüfstelle in die Liste der jugendgefährdenden Schriften eingetragen. Die häufigsten Themen der Leser*innenbriefe betreffen sexuelle Unsicherheiten und Probleme mit dem Äußeren. Zugleich macht Kosmetik im ersten Halbjahr 1980 24 Prozent, Mode und Kleidung 17 Prozent der Gesamtwerbung in Bravo aus.98 Mit einer um wenige Jahre älteren Zielgruppe taugt als Vorbild der infrage stehenden Zeitgeistmagazine ein weiteres Format: das im April 1959 als Sondernummer 1 erstmals erscheinende Jugendmagazin Twen, dessen Zielgruppe von seinen Gründern als »aufgeklärte Individualisten« beschrieben wird, und das mit einem Anzeigen-Text-Verhältnis von eins zu eins richtungsweisend wird. Der redaktionelle Teil dreht sich hauptsächlich um »Fotos, Mode, Jazz
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Axel Schildt, Detlef Siegfried: Deutsche Kulturgeschichte. Die Bundesrepublik – 1945 bis zur Gegenwart. Bonn 2009, 307f. Ebd., 308. Vgl. Rainald Maria Goetz: Der macht seinen Weg. Privilegien. Anpassung. Widerstand. In: Karl Markus Michel, Harald Wieser (Hg.): Kursbuch 54. Jugend. Berlin 1978, 31-43. Vgl. Arthur Fischer, Werner Fuchs, Jürgen Zinnecker: Jugendliche und Erwachsene ›85: Generationen im Vergleich. Bd. 2, Freizeit und Jugendkultur. Opladen 1985, 221f.
2. Magazingeschichte: Kontexte der Popliteratur
und Sex«99 . Obgleich Hecken festhält, dass die Begriffe ›Zeitgeistmagazin‹, ›Zeitgeistzeitschrift‹ oder ›Zeitgeistjournalismus‹ in den 1960er Jahren nicht gebräuchlich gewesen seien, wird die Zeitschrift Twen häufig als eine der ersten deutschen Vertreterinnen dieses Segments – gewissermaßen avant la lettre – beurteilt.100 Zu den Merkmalen eines Zeitgeistmagazins mit Blick auf die 1960er Jahre dieser Zeitschrift zählt er neben der eigenwilligen Covergestaltung, die zumeist Models fotografisch abbildet, den Bild-Text-Zusammenhang, das innovative und großzügige Layout101 , die thematische Ausrichtung an der Unterhaltungsbranche und Konsumgüterindustrie unter weitgehender Aussparung politischer Ereignisse102 und die Unterstützung der Legitimation zur Modernisierung und Liberalisierung. Aufgrund der Abwendung von einem bei Teilen der Leser*innenschaft oder zumindest der Zielgruppe von Twen anzutreffenden »Hang sowohl zur Beat- und Rockmusik als auch zu linkem oder libertär kulturrevolutionärem Gedankengut«103 lässt sich Twen, Hecken zufolge, nur bedingt als journalistischer oder literarischer Beitrag zu einer den Popsektor im vorherrschenden Sinne gestaltenden Literatur zählen. Er bemerkt, dass bereits aufgrund der »betulichen Sprache und Darstellungsweise«, die ihm »oft wie eine Schülerzeitungsversion eines Nachrichtenmagazinduktus«104 erscheint, die Mitarbeit von bekannten Popautoren wie Rolf Dieter Brinkmann, Hubert Fichte oder Peter Handke ausscheide.105 Dennoch sind Literatur und Buchkultur
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Hubert Kogel: Revue der Zwanzigjährigen? In: Patrick Rössler (Hg.): Moderne Illustrierte. Illustrierte Moderne. Zeitschriftenkonzepte im 20. Jahrhundert. Stuttgart 1998, 89-99, 92. Detlef Siegfried nennt Twen eine »Zeitschrift für den gehobenen Zeitgeist« und Michael Koetzle bezeichnet die Zeitschrift als »Lackmuspapier des Zeitgeistes« und als das »wohl erste Zeitgeistmagazin« überhaupt. D. Siegfried: Time, 265. Michael Koetzle: Die Zeitschrift Twen. Revision einer Legende. In: Michael Koetzle (Hg.): Twen: Revision einer Legende. München, Berlin 1995, 12-73, 15. 1960 lassen sich etwa 20 Zeitschriften auffinden, die mehr oder weniger die Grafik und Typografie von Twen übernommen haben. Vgl. D. Siegfried: Time, 314. Die anfangs noch eher politischen Themen zugewandte Zeitschrift reduziert diesen Teil nach 1964 stark und klammert ihn ab 1967 aus. T. Hecken: Zeitgeistjournalismus und Literatur, 248. Ebd. Vgl. ebd. Wenngleich zum Beispiel der US-amerikanische Beat-Schriftsteller Gregory Corso, Ginsberg-Übersetzer Anselm Hollo mit vereinzelten Beiträgen oder ein Briefwechsel zwischen William S. Burroughs und Allen Ginsberg, aber auch Wolf Wondratschek 1971 mit einem Essay über Frank Zappa vertreten sind. Vgl: Twen, 5 Jg. Nr. 11, 1963, 54ff.
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wichtige Themen: Zwar stellt das Magazin nicht in erster Linie eine Literaturzeitschrift dar106 , man findet doch aber regelmäßig Kurzgeschichten, Romanexzerpte, Liedtexte, Erzählungen oder Gedichte, die dann in einen weiteren Popkontext gerückt werden.107 Gottfried Benn, Bertolt Brecht, Hermann Hesse, Thomas Mann, Martin Walser oder Arno Schmidt sind ebenso Teil des redaktionellen Interesses, wie die Gruppe 47 und ihre Konflikte. Mit Blick auf den literarischen Anspruch des Magazins bemerkt Anke Ehlers, dass »Twen bei all dem einen oft humoristischen, insgesamt betont saloppen Ton pflegte« und dies dem Grundsatz entspricht, »den die Redaktion statt eines Programms im zweiten Sonderheft formulierte: Twen sollte vor allem ›Spaß machen, denen, die es bauen, und denen, die es lesen‹«.108 Dass Tempo der Zeitschrift Twen nahestehen und nicht nur Elemente aus Layout, Bildgestaltung und Themenauswahl übernimmt, wird auch in einem Nachruf auf den Journalisten Hartmut Schulze deutlich, in dem die Redaktion den ehemaligen Chefredakteur von Twen würdigt: »Schulze, der als Ressortleiter bei Konkret und zuletzt als Redakteur beim Spiegel tätig war, hat bereits 1980 als Chefredakteur der Zeitschrift Twen journalistische Formen entwickelt, denen sich Tempo verpflichtet fühlt und bei denen sämtliche Szene- und Jugendkultur-Zeitschriften Deutschlands noch heute kräftig Anleihe nehmen.«109 Die ökonomischen Hoffnungen der Zeitschrift stützen sich im Wesentlichen auf zwei wirtschaftlich erstarkende Faktoren: Jugendlichkeit und Konsum. Der Name der Zeitschrift, der einer Hosenmarke entlehnt wird, bestimmt schon die Zielgruppe als zwanzig- bis dreißigjährig und vereint beide Faktoren im Lifestyle-Symbol der Jeans. Einer Käufer*innenanalyse zufolge ist zeitweilig die Hälfte der Twen-Leser*innen sogar unter zwanzig Jahre alt.110
106 Auf der Frankfurter Buchmesse trat der Verlag dennoch mit dem Werbespruch »Kennen Sie eine Literaturzeitschrift, die sich auch verkaufen läßt? Hier ist sie: twen« auf. Vgl.: Anke Ehlers: Nichts für Analphabeten. Twen als Literaturzeitschrift. In: M. Koetzle (Hg.): Twen, 163. 107 Vgl. T. Hecken: Zeitgeistjournalismus und Literatur, 248. 108 M. Koetzle (Hg.): Twen, 164. 109 Anonymus: Zusatz zum Editorial. In: Tempo, September 1986, 3. Die Stellung Schulzes, der sowohl leitende Funktionen bei Konkret, beim Spiegel als auch bei Twen innehat, ist kein Einzelfall. Vielmehr lässt sich dies als Normalfall des journalistischen Diskurses und der engen Strukturen des Produktionsprozesses lesen. 110 H. Kogel: Revue, 92.
2. Magazingeschichte: Kontexte der Popliteratur
Gerade die darin zum Vorschein kommende Unbestimmtheit in der Zielgruppendefinition begründet den späteren Erfolg des Konzepts, wie Detlef Siegfried aufzeigt. Das Offene erweist sich bei der jugendlichen Suche nach Abenteuer und Identität in den 1960er Jahren viel angemessener als eine konkrete pädagogische Ansprache: »Schon in den ersten Heften wurde deutlich, dass man offenbar keine feste Vorstellung von dem hatte, was ein Twen sei, sondern überhaupt erst nach einem Profil der Zielgruppe suchte, ohne zu einem klaren Ergebnis zu kommen. Diese redaktionelle Suchbewegung wurde dem fluktuierenden Zustand der Zielgruppe sehr viel besser gerecht als jene fixen Vorstellungen – ›skeptisch‹, ›unpolitisch‹, ›rebellisch‹, ›unbefangen‹ –, von denen Verbände, Soziologen und der Staat oftmals ausgingen.«111 Das Allensbacher Institut für Demoskopie betitelt die untersuchte TwenLeser*innenschaft als einen kulturhistorisch neuen Typus: leistungsstark, aber gleichwohl genussorientiert.112 Auch Michael Koetzle interpretiert den daraus resultierenden Erfolg rückblickend als Ausdruck eines im Entstehen begriffenen Wertewandels, den die Zeitschrift schließlich konzeptionell verankert: »Ganz sicher war Twen Ausdruck eines frühen Hedonismus. Konsum oder besser: die Freiheit zu konsumieren, zählte fraglos zu den unausgesprochenen Werten einer sich allmählich vage abzeichnenden TwenPhilosophie.«113 Die Jugendfreizeitindustrie der 1960er Jahre prägt damit eine kulturhistorische Umbruchsphase von Lebensweisen, die zu jener biografischen der Zielgruppe Parallelen aufweist. Das Magazin Twen kann als Ausdruck und Verstärker dieser popkulturellen Liberalisierungstendenz zugleich verstanden werden. Das Magazin widmet sich nicht nur redaktionell der Konsumkultur im Sinne einer neuen Weise, der persönlichen Freiheit Ausdruck zu verleihen, sondern das gesamte anzeigenbasierte Finanzierungskonzept geht von kommerziellen Mechanismen aus,114 die sich kultureller Identitätsvorstellungen des Zeitgeistes bedienen.
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D. Siegfried: Time, 287. Vgl. ebd., 9. M. Koetzle: Die Zeitschrift twen, 28. Vgl. D. Siegfried: Time, 285f.
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2.4.
Beat und Underground: Popliteratur unter heroischem Vorzeichen
Mit Blick auf die deutschsprachige Medienlandschaft und Popkultur der langen 1960er Jahre, die Siegfried als »Sattelzeit einer politischen und kulturellen Pluralisierung«115 konturiert, lässt sich die Beat- und Undergroundliteratur116 , die oft als erstes Schreibverfahren einer genuinen Popliteratur verstanden wird,117 einerseits als ihre Kritikerin, andererseits als avantgardistische Verwerterin ihrer populärkulturellen Vorgaben verstehen. Der urbane Alltag findet multimedial, insbesondere mit der durch William S. Burroughs bekannt gewordenen Cut-up-Methode und häufig kritisch Eingang in die heterogenen Texte der Autoren. Konstitutives Charakteristikum ist vor allem die behauptete Trennung zwischen der Sphäre des Establishments und der des Undergrounds. Am Beispiel des Gedichts Howl von Allen Ginsberg macht Diederichsen diesen Zusammenhang in der Tradition des poète maudit deutlich. Der erste Vers des bekannten Beat-Gedichts erklärt die Wahnsinnigen und Verzweifelten ausdrücklich zu ›den Besten‹: »I saw the best minds of my generation destroyed by madness, starving hysterical naked.«118 Die ›besten Köpfe der Generation‹ sind nach Diederichsen nicht nur trotzdem ökonomisch und kulturell nicht lebensfähig, sondern auch aufgrund dessen: »Die existenzialistische Beatnik-Variante der Unmöglichkeit des richtigen Lebens im Falschen. Dieser Zusammenhang wird entscheidend für die Möglichkeit, auf der traditionellen heroischen Geste einer radikalen poetischen Verzweiflung eine Jugendbewegung aufbauen zu können.«119
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Ebd., 10. Der Begriff der Beat-Literatur geht auf die Beatmusik und auf amerikanische literarische Vorbilder der 1950er Jahre wie Jack Kerouac, Allen Ginsberg, Norman Mailer, Gregory Corso u.a. zurück. Auf mögliche Gemeinsamkeiten und Differenzen von Beatund Undergroundliteratur soll hier jedoch im Einzelnen nicht eingegangen werden. Vgl. A. Menke, M.S. Kleiner, T. Hecken: Popliteratur, 46. Wenngleich Niels Werber und Thomas Hecken festhalten, dass Brinkmann meist von »Rock« spricht: »›Pop‹ ist 1968/69 schon nicht mehr das Wort der Wahl für Verfechter der Gegenkultur, es bleibt deshalb den Feuilleton-Rezensenten Brinkmanns überlassen, von ›Popliteratur‹ zu sprechen.« T. Hecken, N. Werber: Art. Literatur, 178. Der Begriff »Popliteratur« wird 1964 von H. C. Artmann geprägt. Vgl. Hans Carl Artmann: Das Suchen nach dem gestrigen Tag oder Schnee auf einem heißen Brotwecken. Freiburg 1964, 41. Allen Ginsberg: Howl: And other poems. San Francisco 1956, 9. D. Diederichsen: Über Pop-Musik, 380.
2. Magazingeschichte: Kontexte der Popliteratur
Der Literaturbetrieb setzt sich über entsprechende Autoren mit dem Underground auseinander und bildet Mitte der 1960er Jahre vermarktungstechnische Mittel aus, die sich aktiv vom bisherigen Literaturbetrieb abgrenzen und entsprechenden meist männlichen Autoren den Zugang zur literarischen Öffentlichkeit ermöglichen möchten.120 Besonders im Pressewesen gilt es, sich deutlich gegen das Mitte der 1950er Jahre herausgebildete Monopol Springer abzusetzen und die interne Kommunikationsstruktur sowie die Repräsen-
120 Die Konstitution eines Untergrund-Vertriebsnetzes vollzieht sich dabei auf verschiedenen Ebenen, wie Thomas Ernst zeigt: »Zunächst durch die Hand- und Minipressen, die das Monopol der großen Verlage auf die Publikation von Schriften unterminieren; durch unabhängige Kleinverlage, die sich neu gründen oder von größeren Häusern abspalten und eine andere Literatur in neuen Designs veröffentlichen […][, sowie durch] die Minipressen und Untergrundverlage […][, die] sich auf Gegenmessen zur Frankfurter Buchmesse [präsentieren].« Thomas Ernst: Literatur und Subversion. Politisches Schreiben in der Gegenwart. Bielefeld 2013, 405. Kathrin Ackermann und Stefan Greif zeigen zudem auf, »dass es gerade Szene-Verlage und Underground-Zeitschriften wie Gasolin 23 sind, die bis weit in die siebziger Jahre hinein den poptheoretischen und literaturtheoretischen Diskurs in Gang halten.« Kathrin Ackermann, Stefan Greif: Pop im Literaturbetrieb. Von den sechziger Jahren bis heute. In: H. L. Arnold, J. Schäfer (Hg.): Pop-Literatur, 55-68, 60f. Die zwischen 1972 und 1986 in neun Ausgaben erscheinende Undergroundliteraturzeitschrift lehnt sich mit ihrem Titel an den Gedichtband Gregory Corsos und an die u.a. von William S. Burroughs enigmatisch aufgeladene Zahl 23 an. Sie wird zunächst von Jürgen Ploog, Jörg Fauser und Carl Weissner herausgegeben und greift die transatlantische Beat-Literatur der späten 1960er wieder auf. Zu den Autor*innen gehören u.a. Klaus Bädekerl, Mary Beach, Charles Bukowski, William S. Burroughs, Neal Cassady, Raymond Chandler, Franz Dobler, Jörg Fauser, Allen Ginsberg, Hadayatullah Hübsch, Matthyas Jenny, Hans Kern, Jack Kerouac, Karl Kollmann, Lorenz Lorenz, Ango Laina, Jack Micheline, Axel Monte, Harold Norse, Claude Pélieu, Jürgen Ploog, Charles Plymell, Sam Shepard, Andy Warhol, Wolfgang Welt, Carl Weissner und Wolf Wondratschek. Gerade aufgrund ihres verhältnismäßig langen Erscheinungszeitraums und ihrer Fortführung der Underground-Tradition bis Mitte der 1980er Jahre stellt Gasolin 23 eine bemerkenswerte Literaturzeitschrift dar, die beispielsweise eine historische Verbindungslinie zwischen Rolf Dieter Brinkmann und der Band Die Ärzte schafft. So zitiert das Cover der letzten Ausgabe (#9, 1986) mit einem Bild des Künstlers Johannes Beck das später indizierte Lied von Die Ärzte Claudia hat nen Schäferhund. Vgl. Gregory Corso: Gasoline and The Vestal Lady on Brattle. San Francisco 1958.
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tation einer protesthaften Subkultur zu verstärken.121 Die Grenze zwischen literarischem Underground und etablierter Verlagskultur wird aber immer undeutlicher, auch weil Autoren wie Rolf Dieter Brinkmann oder Jörg Fauser bezeichnenderweise zwischen Szene- und Großverlagen changieren. Neben der Berliner Oberbaum Presse, in der unter anderem auch die Alternativzeitschrift Oberbaumblatt erscheint, gilt in der Buchverlagsbranche vor allem der 1969 von Jörg Schröder gegründete März Verlag mit dem Konzept des »erweiterten Verlegertums«122 als ausdrückliches Gegenmodell zur etablierten Verlagskultur. Bevor Schröder sich jedoch vom Joseph Melzer Verlag trennt und den März Verlag gründet, erscheint ein Jahr zuvor die nach Ed Sanders‘ Szenezeitschrift benannte Anthologie Fuck You! als erweiterte Fassung der Underground poems, ausgewählt und aus dem Amerikanischen übertragen von RalfRainer Rygulla, der zeitweilig selbst als Lektor im März Verlag tätig ist. Im Nachwort beschreibt Rygulla die Motivation zur Überführung vorgefundenen (Presse-)Materials in das Medium Literatur: »Die Voraussetzung für das ungebrochene Hereinnehmen von Material ist eine subtile Reflexion über die gesellschaftlichen Zustände. Die Scheiße, die als normal und gängig angeboten wird, wird genauso zurückgeworfen. Denn lässt man sich auf intellektuelle Verfeinerung und Analyse ein, erreicht man wieder nur akademische Kulturkritik, die der offiziell genormten Intellektualität als Bestätigung dient.«123 Anders als Vertreter*innen der Pop Art geht es ihm nicht um die Hochwertung populärkultureller Gegenstände, sondern um die Grenzverletzung intellektueller Normen durch das ostentative Hereinnehmen von als minderwertig geltenden (Sprach-)Material. Charis Goer weist darauf hin, dass der positive 121
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So etwa durch das im November 1969 gegründete »nonkonformistische literarische Informationszentrum«, das die Angebotsliste Ulcus Molle versendet, von der man Zeitschriften wie Aktion, Proletenpresse, Edelgammler, Hotcha, Reutlinger Drucke aber auch Akzente bestellen kann. Vgl. Kurt Weichler: Gegendruck. Lust und Frust der alternativen Presse. Reinbek bei Hamburg 1983, 16. Vgl. Diedrich Diederichsen: Jörg Schröder. Der Verleger als Schamane und Schuhputzer. In: Spex, Dezember 1986, 48-55, 48. Charis Goer weist zudem auf die wichtige Rolle des Limes Verlags in der Übertragung amerikanischer Beat-Autoren hin. In dem 1945 gegründeten Wiesbadener Verlag erscheinen in den frühen 1960er Jahren u.a. Übersetzungen von Allen Ginsberg, Gregory Corso und William S. Burroughs. Vgl. Charis Goer: Die neuen Barbaren. Frühe Rezeption der Beat Generation in Westdeutschland. In: S. Höppner, J. Kreienbrock (Hg.): Die amerikanischen Götter, 47-64, 53. Ralf-Rainer Rygulla: Fuck You! Underground Poems. Darmstadt 1968, 133f.
2. Magazingeschichte: Kontexte der Popliteratur
Bezug auf die ›neuen Barbaren‹ der Beat Generation dabei nicht selten als »ein Gegenentwurf zum und eine Bedrohung für das nach dem ›Zivilisationsbruch‹ des Dritten Reichs wiederzugewinnende deutsche Selbstverständnis als tiefsinnige Dichter und kritische Denker gesehen wird«124 . Das Urteil über die Minderwertigkeit der populären Kultur bleibt also von dem Willen einer Umwertung unberührt. Viel wichtiger ist die radikal formulierte Kritik an Normierung. Um die Geltung des unkonventionellen Aufrührers für sich zu beanspruchen, skizziert Rygulla im Anschluss an William S. Burroughs Themenfelder wie Drogen, Gewalt, Psychopathologie und Pornografie und etabliert diese in eine literarische Debatte, in der er dann für einen erweiterten Literaturbegriff plädiert. Die Anthologie Fuck You! ruft zwar im Jahr ihrer Erscheinung kein größeres öffentliches Interesse hervor. Sie stellt in der Popliteraturgeschichte jedoch den Auftakt für die prominente, nun nicht wie geplant im Melzer Verlag, sondern im neu gegründeten März Verlag erscheinende Anthologie Acid und die Einführung transatlantischer Beat- und Undergroundlyrik dar, die bereits ansatzweise durch vereinzelte Bemühungen etwa von Walter Höllerer, Karl O. Paetel oder Hans Magnus Enzensberger stattgefunden hatte.125 Dem von Ed Sanders geforderten und von Rygulla im Nachwort von Fuck You! zitierten »totalen Angriff auf die Kultur« soll mit dieser Publikation auch in Deutschland Vorschub geleistet werden. In einem Brief von Brinkmann
124 C. Goer: Die neuen Barbaren, 63. 125 Vgl. etwa Walter Höllerer: Thesen zum langen Gedicht. In: Akzente, Nr. 2 1965, 128-131; Hans Magnus Enzensberger: Einzelheiten. Frankfurt a.M. 1962, 290-315; Karl O. Paetel (Hg.): Beat. Eine Anthologie. Reinbek 1962. Andreas Kramer weist zudem darauf hin, dass die transatlantische Übertragung von Beat-Literatur bereits in den späten fünfziger Jahren mit der Anthologie Junge amerikanische Literatur von Walter Hasenclever ihren Anfang nahm. Vgl. Andreas Kramer: Von Beat bis »Acid«. Zur Rezeption amerikanischer und britischer Literatur in den sechziger Jahren. In: H. L. Arnold, J. Schäfer (Hg.): Pop-Literatur, 27 ff; Walter Hasenclever (Hg.): Junge amerikanische Literatur. Frankfurt a.M. 1959. 1959 erscheinen in Deutschland außerdem Allen Ginsbergs Das Geheul und andere Gedichte und Jack Kerouacs Unterwegs. Vgl. Allen Ginsberg: Das Geheul und andere Gedichte. Wiesbaden 1959; Jack Kerouac: Unterwegs. Hamburg 1959. Noch früher sehen Stefan Höppner und Jörg Kreienbrock die Aufnahme und Fortschreibung amerikanischer Vorbilder im Zeichen von Beat in der Vermittlung von amerikanischen Autoren wie Robert Creeley und Charles Olson, die als Wegbereiter der Beat Generation gelten, durch Rainer Maria Gerhardt. Vgl. S. Höppner, J. Kreienbrock: Einleitung, 6; Rainer Maria Gerhardt: Umkreisungen. Das Gesamtwerk. Hg. von Uwe Pörksen, Franz Josef Knape, Yong-Mi Quester. Göttingen 2007.
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und Rygulla an Jörg Schröder zur bevorstehenden Publikation von Acid liest man: »Durchgehendes Motiv vieler hier vorgelegter Arbeiten ist eine Tabuverletzung, durch die eine gegenwärtige Erstarrung aufgebrochen wird.«126 Die multimedial angelegte und äußerst heterogene Anthologie versammelt in dadaistischer Tradition neben teils manifestartigen Essays, Comics, Gedichten, Interviews, Collagen, Fotos und verschiedensten Textformen auch Illustrationen aus Magazinen: »Entsprechend suchten Brinkmann, Rygulla und ich [Jörg Schröder, KS] auch die Illustrationen für Acid aus, beispielsweise aus der Vogue, aus Comics, aus amerikanischen Underground-Mags.«127 Acid polarisiert das literarische Publikum wie die Literaturkritik und die von Brinkmann mitinitiierte Übersetzung der amerikanischen Undergroundund Beatliteratur in Deutschland wird engagiert fortgesetzt.128 Ein Jahr nach Acid gibt er im sehr viel publikumsnäheren Kiepenheuer und Witsch Verlag, den Lyrikband Silverscreen sowie die Übersetzung von Frank O’Haras Lunch Poems heraus. Die Produktionsverhältnisse zeitgenössischer Literatur stehen bald öffentlich zur Diskussion. Die Frankfurter Buchmesse 1968 geht als ›Polizeimesse‹ in die Literaturgeschichte ein129 ; im legendär gewordenen Kursbuch vom 15. November 1968 wird u.a. von Hans Magnus Enzensberger die gesellschaftliche Funktion von Literatur infrage gestellt; Bestrebungen zur gewerkschaftlichen Organisation von Autor*innen werden sichtbar und die Berliner SDS-Gruppe Kultur und Revolution initiiert Ende 1968 in der Zeit eine Diskus-
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Rolf Dieter Brinkmann, Ralf-Rainer Rygulla: Informationstext zu Brinkmann, Rygulla: Acid. In: Protest! Literatur um 1968. Marbach 1986, 233. Auch Thomas Hecken gibt zu bedenken, dass die Verweise auf gegenwärtige und historische Beispiele der Popkultur nur dann vorbehaltlos hochgehalten werden, wenn es darum gehe, der Hochkultur eine Absage zu erteilen. Von ihrer durchgehenden Bejahung könne dagegen (noch) keine Rede sein. Vgl. T. Hecken: Pop, 254; Ders.: Das Versagen, 132. Johannes Ullmaier: Von Acid nach Adlon. Eine Reise durch die deutschsprachige Popliteratur. Mainz 2001, 64. Bei den von Schröder, Brinkmann und Rygulla ausgewählten Publikationen handelt es sich um Avantgarde, Bulletin from Nothing, East Village Other, Evergreen Review, Image, Kulchur Magazine, Life, Lines, MGM Film-Kalender, Mother, New Worlds, New York Free Press, Open City und Other Scenes. Hervorzuheben ist hier etwa die im Melzer Verlag erscheinende Anthologie Carl Weissner (Hg.): Cut up. Der sezierte Bildschirm der Worte. Darmstadt 1969; Mit Blick auf die britische Literatur die im März Verlag erscheinende Publikation Eckart John (Hg.): Mondstrip. Neue englische Prosa. Frankfurt a.M. 1971. Vgl. Stephan Füssel: Die Politisierung des Buchmarkts: 1968 als Branchenereignis. Hans Altenhein zum 80. Geburtstag gewidmet. Wiesbaden 2007, 191ff.
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sion unter dem Motto Kunst als Ware, in der die Rolle der Literatur in der kapitalistischen Gesellschaft ausgelotet wird. Für die Kanonisierung der Popkultur und im Anschluss daran der Popliteratur als Ausdruck heroischer Devianz steht lange Zeit Diederichsen Pate. Ein jüngeres Beispiel für diese heroische Deutung liefert etwa André Menke, der in jener ersten Phase von deutschsprachiger Popliteratur ein Beispiel für eine »kleine Literatur« sieht, wie sie Gilles Deleuze und Félix Guattari mit Blick auf Franz Kafka rekonstruieren.130 Die Sprache einer kleinen Literatur stellt dabei die einer Minderheit dar, die sich einer großen Sprache bedient. Wie bei Kafka das Deutsch der Prager Juden, bildet nach Menke in der ersten Popliteratur die »deterritorialisierte« Sprache des Undergrounds, die sich durch eine Verwendung von Vielsprachigkeit der eigenen Sprache (insbesondere des Englischen) und das Auffinden von »Orte[n] der Nichtkultur, der sprachlichen Unterentwicklung«131 auszeichnet. Den »minoritären Gebrauch« einer »großen Sprache«, der eine kleine Literatur auszeichnet, finde man etwa in der Beatund Undergroundliteratur in der Weise wieder, in der über Sexualität, Kunst und Kultur legitim gesprochen werde. Die gegenkulturellen Lebens- und Ausdruckswelten seien dabei der »nicht repräsentative[…] Sprachgebrauch einer Minderheit«, der dazu genutzt werde, wie Deleuze und Guattari in der Rekonstruktion von Kafkas Tagebucheinträgen zur kleinen Literatur hervorheben, »die Machtzentren zu entdecken, etwa das offizielle Literatursystem einer Zeit und dessen Kanon, die entscheiden, was sagbar ist und was nicht«132 . Unterdrücktes in der Sprache werde derart dem Unterdrückenden entgegengestellt.133 Die ›Krise der Literatur‹ markiert im Jahr 1968 das Aufkommen eines ersten Postmodernediskurses, der auch den kulturellen Stellenwert von Literatur und ihre gesellschaftliche Funktion nachhaltig prägt.134 Mit einiger Verzögerung wird in Deutschland über die neue amerikanische Literaturkritik debattiert, die eng mit dem amerikanischen Literaturprofessor Leslie Aaron Fiedler und seiner Provokationsenergie verknüpft wird. Auf Anfrage des damaligen Feuilletonredakteurs der Wochenzeitschrift Christ und Welt, Wolfgang Ignée, arbeitet Fiedler seinen weitgehend improvisierten Vortrag, den er am 29. Juni 130 Vgl. Gilles Deleuze, Félix Guattari: Kafka. Für eine kleine Literatur. Frankfurt a.M. 1976; A. Menke, M. S. Kleiner, T. Hecken: Popliteratur, 46f. 131 G. Deleuze, F. Guattari: Kafka, 38f. 132 A. Menke, M. S. Kleiner, T. Hecken: Popliteratur, 46. 133 Vgl. G. Deleuze, F. Guattari: Kafka, 38. 134 Vgl. T. Ernst: Literatur und Subversion, 28f.
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1968 auf einem Symposion mit dem Titel »Für und wider die zeitgenössische Literatur in Amerika und Europa« in Freiburg hält, zu einem Aufsatz um. Der von Ignée übersetzte und mit einer Einleitung versehene Artikel erscheint am 13. September (Teil 1) unter dem Titel »Das Zeitalter der neuen Literatur. Die Wiedergeburt der Kritik« und am 20. September 1968 (Teil 2) unter dem Titel »Das Zeitalter der neuen Literatur. Indianer, Science-Fiction und Pornographie« in der deutschsprachigen Wochenzeitschrift Christ und Welt, sowie in einer populäreren Variante unter dem Titel »Cross the Border – Close the Gap« im amerikanischen Playboy. Fiedler führt damit den seit 1958 geführten USamerikanischen Postmodernediskurs in den deutschsprachigen Literaturbetrieb ein und prägt hier im Kontext seiner Kritik an der Institution der Literaturkritik erstmals den Begriff der Popliteratur. Die Literatur der Moderne, die durch Proust, Joyce und Mann, Eliot und Valérie geprägt sei, erklärt Fiedler an dieser Stelle für tot; und die neue postmoderne Literatur bedürfe nunmehr einer angemessenen Kritik, die den Kanon moderner Kulturansprüche durchkreuze: »The newest criticism must be aesthetic, poetic in form as well as in substance; but it must also be comical, irrelevant and vulgar.«135 Die Funktion der von Fiedler profilierten neuen Literatur und ihrer Kritik ist dabei die Überbrückung der Distanz zwischen moderner Elite- und populärer amerikanischer Massenkultur. Sie entfernt sich ostentativ von den gängigen Kunstund Avantgardevorstellungen, Innerlichkeit, Analyse und elitärem Anspruch und wählt stattdessen gezielt Genres als Vorbilder, die den zeitgenössischen Massenmedien entstammen: Western, Science-Fiction, Pornografie. Fiedler führt Autoren wie Ken Kesey, Leonard Cohen, Norman Mailer und William S. Burroughs an, um mit ihnen für eine Überwindung des Grabens zwischen vermeintlich wertvoller und vermeintlich wertloser Kultur, zwischen Künstler*in und Publikum, zwischen Professionalismus und Laientum, den Generationen und Klassen zu plädieren. Traum, Vision, Ekstasis seien dabei in einer Variation der romantischen Ideale wieder die wahren Ziele der Literatur geworden, womit er einer Entpolitisierung der in die Krise geratenen engagierten Literatur das Wort redet. Bezeichnenderweise tritt einer der frühen Preisträger*innen des Preises der Gruppe 47, der damals 41-jährige Martin Walser, in der folgenden Debatte als schärfster Kritiker Fiedlers auf. Walser und andere Autoren fühlt sich offenbar von Fiedlers Provokation angegriffen, wobei sich ihre Entgegnungen stets im Rahmen einer kritisch-distanzierten Betrachtung der Konsum- und 135
Leslie Fiedler: Cross the Border, Close the Gap. In: Playboy, Dezember 1969, 151-257, 230.
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Massengesellschaft bewegen. Walser teilt zwar Fiedlers Forderung nach einer neuen Literaturkritik, wirft ihm aber Antirationalismus und Mystizismus vor. Helmut Heißenbüttel befürchtet die Zerstörung des individuellen Kunstwerks durch das Massenhafte und im Folgenden nehmen Reinhard Baumgart, Wolfgang Hädecke, Hans Egon Holthusen, Robert Neumann und Peter O. Chotjewitz mit entsprechendem Tenor Stellung. Rolf Dieter Brinkmann liefert mit »Angriff aufs Monopol. Ich hasse alte Dichter«136 den letzten Beitrag der in Christ und Welt geführten Debatte und setzt sich darin uneingeschränkt für die Thesen Fiedlers ein. Er wirft Autoren wie Walser und Heißenbüttel Kurzsichtigkeit und Blindheit gegenüber den US-amerikanischen Entwicklungen vor. Abermals spricht er sich aus für die literarische Einbeziehung von Technik und Fortschritt und wird nicht müde zu betonen, dass es einer neuen Wahrnehmung und Sensibilität bedürfe, die er prototypisch in der US-amerikanischen Massenkultur wiedererkenne und die er diesmal explizit unter dem Stichwort Pop reflektiert: »[D]er Angriff auf das abendländische Kulturmonopol … was gar nicht verwunderlich ist, bedenkt man, daß seit Anfang der sechziger Jahre New York sich zum beherrschenden Kulturzentrum gewandelt hat, […] eine Metropole, in der sich die verschiedensten Tendenzen und Impulse, die unterschiedlichsten Kunstbereiche überlagern, vermischen und so etwas wie einen allgemeinen Stil ausprägen, für den die Bezeichnung ›POP‹ nur vorläufig gilt […] Wichtig an der Gesamtbewegung ist: daß zum erstenmal ein EpochenStil sich andeutet und zunehmend ausprägt außerhalb des abendländischeuropäischen Territoriums.«137 Der bei Brinkmann nur unter dem Verweis auf Vorläufigkeit als Pop bezeichnete ›Epochen-Stil‹ trägt die Signatur der Postmoderne, mit der die deutschsprachige Popliteratur kanonisiert wird. Hervorzuheben ist dabei nicht nur seine Bestrebung, etablierte Bewertungsmuster der Kulturkritik und ihr dichotomisches Verständnis von ›natürlicher‹ Alltagswelt (Werbung, Medien, Technik) und Kunst (Kultur) zu irritieren, sondern auch Brinkmanns häufig übergangene Infragestellung des »europäischen Kulturimperialismus«.
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Brinkmann zitiert mit diesem Aufsatz Gregory Corsos Gedicht »›I am 25‹: Ich hasse alte Dichter«. Vgl. G. Corso: Gasoline, 26. Rolf Dieter Brinkmann: Angriff aufs Monopol. Ich hasse alte Dichter [in: Christ und Welt, Jahrgang 21, Nr. 46 15.11.1968, 15]. In: Uwe Wittstock (Hg.): Roman oder Leben. Postmoderne in der deutschen Literatur. Leipzig 1994, 65-77, 71f.
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Abhängig von der vermehrten Rezeption der Pop Art stellt sich schließlich auch der nachhaltige Gebrauch des Begriffs ›Pop‹ in Deutschland ein.138 Große Aufmerksamkeit bekommt die 1968 stattfindende 4. documenta in Kassel, auf der zahlreiche amerikanische und britische Pop Art-Künstler*innen ausgestellt werden und zu deren Ausstellungskatalog Max Imdahl unter dem Titel »Probleme der Pop Art« die Einleitung schreibt. Schon bald spricht man nicht mehr nur von Pop Art, Popmusik und Popliteratur, sondern auch Popkultur wird »als Begriff für eine technisch geprägte, der protestantischen Arbeitsethik abgeneigte, an stimulierende Reize, ›fun‹ und ›involvement‹ ausgerichtete Kultur«139 in Westdeutschland gebräuchlich. Brinkmann, Rygulla und Fauser sind, wenn auch ihre prominentesten, selbstverständlich nicht die einzigen Vertreter einer nachträglich mit dem Etikett ›Pop‹ versehenen deutschsprachigen Literatur der späten 1960er Jahre. 1969 und im Zuge der zunehmenden Popularität des Konzepts erscheint etwa mit Vagelis Tsarkidis’ Super Garde im Droste Verlag eine multimedial angelegte Anthologie mit explizitem Bezug zur Popkultur.140 Vertreten sind hier Autoren wie Wolf Wondratschek, Peter O. Chotjewitz, der zeitweise bei Sounds arbeitende Musikjournalist Helmut Salzinger oder Ulf Miehe. Auch der März Verlag publiziert mit der Anthologie März Texte 1. Trivialmythen im selben Jahr eine Reihe von Texten teils derselben und teils weiterer Autoren u.a. mit Beiträgen von Urs Widmer, Ror Wolf, Rolf Dieter Brinkmann, Uwe Brandner, Peter O. Chotjewitz, Wolf Wondraschek und Dieter Wellershoff. Ausnahmsweise tauchen hier aber auch mit Friederike Mayröcker und Elfriede Jelinek Autorinnen auf. Auf wissenschaftlicher Ebene lässt sich zu Beginn der 1970er Jahre eine erste verhaltene Auseinandersetzung mit Popliteratur in der Germanistik erkennen. Bekannter Pionier auf diesem Gebiet ist zweifelsohne Jost Hermand mit seiner 1971 erscheinenden Monografie Pop international.141 Hermand steht
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Bis 1967 wurden entsprechende Musikphänomene der Jugendkultur beinahe ausschließlich als »Beatmusik« bezeichnet. Vgl. Norbert J. Schneider: Popmusik. Eine Bestimmung anhand bundesdeutscher Presseberichte von 1960 bis 1968. München, Salzburg 1978, 53. 139 Thomas Hecken: Der deutsche Begriff »populäre Kultur«. In: Archiv für Begriffsgeschichte. Bd. 49, Hamburg 2007, 195-204, 202. 140 Vgl. Vagelis Tsakiridis (Hg.): Super Garde. Prosa der Beat- und Pop-Generation. Düsseldorf 1969. Wobei Pop immer noch gleichzeitig mit Beat genannt werden muss. 141 Vgl. Jost Hermand: Pop international. Eine kritische Analyse. Frankfurt a.M. 1971. Weitere Auseinandersetzungen finden sich auch bei Klaus Peter Dencker: Sprache als orna-
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den zeitgenössischen Entwicklungen aber skeptisch gegenüber und sieht sich mit polemischer Geste einen Fünffrontenkrieg führen: »Einmal gegen die Esoteriker und Feingeister, die weiterhin ihren elitären Klüngel treiben und geistig noch immer in der Ideologie des unpolitischen Formalismus befangen sind. Zum anderen gegen die linken Aktivisten, die bei dem Wort ›Kultur‹ sofort zum Messer greifen, weil sie darin von vornherein etwas ›Bourgeoises‹ wittern. Drittens gegen jene revoluzzerhaften Stürmer und Dränger, die nur noch das Zauberwort ›Agitprop‹ anerkennen und von der E-Kunst nichts mehr wissen wollen. Viertens gegen die rechten PopManager und Hip-Kapitalisten, die auch auf ästhetischem Gebiet nur ihr Geschäft mit den Teens und Twens machen wollen. Und schließlich fünftens gegen jene Pop-Fanatiker, die selbst in den Songs der Beatles den Ausdruck einer wahren Jugendrevolte erblicken, aus der sich einmal eine strahlende Gegenwelt des Friedens, der Liebe und einer ins Kosmische erweiterte ›Sensibilität‹ entwickeln wird.«142 Der polarisierenden und teilweise polemischen Rhetorik in der Auseinandersetzung rund um das Thema Pop, die Hermand hier aufzeigt und kritisiert, kann auch er sich nicht entziehen. Zwar plädiert Hermand für eine differenzierte Betrachtung, die weder übermäßiges Engagement noch wirtschaftliche Interessen verfolgt, die weder elitär noch populär oder utopisch ist. Symptomatisch für den lange Zeit erhobenen Vorwurf der Befangenheit von Popforschung liest sich aber die Kriegsmetapher Hermands, die den Wissenschaftler als agonalen Helden markiert.143
mentaler Protest. Drei Kapitel zum Vorverständnis der Pop-Literatur unter besonderer Berücksichtigung von Rolf Dieter Brinkmanns Gedichten. In: Hermann Glaser (Hg.): Jugend-Stil, Stil der Jugend. Thesen und Aspekte. München 1971, 79-101; Harald Hartung: Pop als ›postmoderne‹ Literatur. Die deutsche Szene: Brinkmann und andere. In: Neue Rundschau, Nr. 82 1971, 732-742. 142 J. Hermand: Pop, 303. 143 Die bis in 21. Jahrhundert hinein reichende Skepsis gegenüber einer ernsthaften wissenschaftlichen Behandlung popkultureller Phänomene rührt nach Meinung von Christoph Jacke von vier Ursachen her. (1) Erstens von der andauernden Neuheit bzw. Fremdheit des Untersuchungsfeldes für traditionelle Disziplinen. (2) Zweitens von der Konfusion und Unübersichtlichkeit wissenschaftlicher Beobachtungen der populären Kultur. (3) Drittens von der Verbindung aus Wissenschaft und Fantum, aus der heraus ein Fan zum Wissenschaftler bzw. zur Wissenschaftlerin und wiederum zum Fan wird. (4) Schließlich viertens von der Gefahr, als neutrale*r Beobachter*in und als künstli-
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Im Gegensatz zur Beatliteraturrezeption der späten 1960er Jahre und der Popliteraturrezeption ab 1995 wird der Popliteratur in den 1970er und frühen 1980er Jahren weit weniger Aufmerksamkeit geschenkt. Der Eindruck, dass Popliteratur in dieser Zeit keine Rolle spiele und zwischen Rolf Dieter Brinkmanns »Pionierarbeiten« der späten 1960er und dem »Neubeginn« in den 1990ern eine »gewaltige Lücke« klaffe144 , hängt vor allem mit dem Schlagwort ›Pop‹ zusammen. Pop stellt offenbar kein besonders interessantes Konzept mehr dar, vielmehr beginnt sich allmählich eine Umwertung in der Rede von ›Pop‹ abzuzeichnen. Pop nimmt zwar ab 1980 in bestimmten Milieus einerseits und »im Gegensatz zu den Authentizitätsgesten von Rock, Punk u.a. – eine Konnotation gepflegter Artifizialität an«145 , andererseits sinkt das Konzept zugleich, wie etwa bei Hermand, herab »zu einem pejorativen Begriff für die Kommerzialisierung der Gegenkulturen.«146 Hinzu kommt, dass im Laufe der 1970er Jahre sowohl Rolf Dieter Brinkmann als auch Peter Handke oder Wolf Wondratschek eine Art ›Innerlichkeit‹ betonen und teilweise eine explizite Distanzierung von der Pop- und Populärkultur erkennen lassen.147 Und auch Hubert Fichte wird seltener als Popautor gelesen, obwohl seine Schreibweise diese Verknüpfung zulassen würde. Die Favorisierung von Rock in der Alternativkultur in den frühen 1970er Jahren lässt die Kontextualisierung durch einen mit Künstlichkeit verbundenen Popbegriff offenbar nicht (mehr) zu. Selbst im journalistischen Schreiben über Popkultur werden Bücher kaum beachtet, da sie für die Redaktionen keinen Anlass zur Betrachtung im Kontext von Pop geben.148 Stattdessen nimmt in den späten 1970er Jahren
che*r Nicht-Teilnehmer*in die Prinzipien von Jugendkultur nicht hinreichend erklären zu können. Vgl. C. Jacke: Zwischen Faszination und Exploitation, 51. 144 Vgl. Dirk Frank: »Talking about my generation«: Generationskonstrukte in der zeitgenössischen Pop-Literatur. In: Der Deutschunterricht 5 (2000), 69-85, 71. 145 Moritz Baßler: Das Zeitalter der neuen Literatur. Popkultur als literarisches Paradigma. In: Corina Caduff, Ulrike Vedder (Hg.):Chiffre 2000 – Neue Paradigmen der Gegenwartsliteratur. München 2005, 185-199, 191. 146 Jörgen Schäfer: Pop und Literatur in Deutschland seit 1968. In: H. L. Arnold, J. Schäfer (Hg.): Pop-Literatur, 20. 147 Dagegen relativiert Marcus S. Kleiner mit Blick auf Rolf Dieter Brinkmann die häufig angeführte These von der Abwendung vom Pop in den 1970er Jahren und betont den weiterhin bestehenden Popmusikbezug: »[D]enn seine radikale Kritik an Populärer Kultur in Form von Fernsehen, Werbung, Illustrierten, Kitsch etc. spart einen wesentlichen Bereich aus, nämlich die Popmusik.« A. Menke, M. S. Kleiner, T. Hecken: Popliteratur, 59. 148 Vgl. T. Hecken: Die verspätete Wende, 14.
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der in Kapitel 2. dieser Arbeit umrissene Popjournalismus als Musikjournalismus Fahrt auf. Den expliziten Anspruch, damit eine künstlerische Funktion zu erfüllen, haben die entsprechenden Autor*innen jedoch nicht. Die heroische Angriffslust der Ende der 1970er Jahre einsetzenden Punkund New Wave-Bewegung zeigt sich zwar auch im Feld der Literatur, etwa in der von Peter Glaser herausgegebenen Anthologie Rawums (1984), und auch in seinem ein Jahr zuvor mit Niklas Stiller herausgegebenen Roman Der große Hirnriß. Textlich flankiert wird sie jedoch zuallererst durch die nun deutschsprachig werdenden Songtexte der Popmusik und durch diverse Fanzines der Szene. Zu der ›punksozialisierten‹ Literatur zählen jene Texte, die Enno Stahl unter dem Begriff ›Trash‹ gruppiert.149 Damit bezeichnet er ein Genre, das sich inhaltlich der Gegenwärtigkeit, Zeitgenossenschaft und dem Alltag verschrieben hätte, wobei er ihre Konsequenz bei der Anwendung einer kolloquialen Alltagssprache und in der Missachtung konventionalisierter Kodizes beim Transfer zum schriftlich fixierten Text sieht.150 Ohne sich auf Pop zu berufen, ginge es der Trashästhetik aber ebenso um eine Hinwendung zur US-amerikanisch geprägten Konsumkultur. Sie zeigt eine ausgeprägte Faszination für die Überflussproduktion für eine »Abkehr von (kultur-)essenzialistischen, auf Homogenie-Idealen gründenden, von strengen vertikalen Hierarchien gekennzeichneten Gesellschaftsmodellen«151 . Der Ausdruck Trash ist im Kontext von Punk offenbar sehr viel geeigneter als Pop, da er nicht nur die Minderwertigkeit des Materials zelebriert, sondern das Urteil der Minderwertigkeit unterstreicht und den positiven Bezug darauf als heroische Abweichung inszeniert. Im Gegensatz zu Pop werden nicht die bunten und glatten Oberflächen wertgeschätzt, sondern das bereits zu Abfall gewordene Konsumprodukt, das durch Nadeln, Risse, Nieten und Nähte agonal aufgeladen wird. Auch der Verleger und Journalist Martin Büsser betont: »Punk und New Wave neigen nicht zu großen Erzählungen, sondern arbeiten kurzatmig, in Form von sloganhaften Schnellschüssen.«152 Die Anthologie Rawums versammelt neben Texten des Herausgebers Beiträge vieler Autor*innen aus dem 149 Vgl. Enno Stahl: Trash, Social Beat und Slam Poetry. In: H. L. Arnold, J. Schäfer (Hg.): Pop-Literatur, 258-278; Enno Stahl: Vorwort. In: Ders. (Hg.): German Trash. Berlin 1996, 4. 150 Vgl. E. Stahl: Trash, 270. 151 Jörg Scheller: Art. Camp und Trash. In: HbP, 216-222, 216. 152 Martin Büsser: »Ich steh auf Zerfall«. Die Punk- und New-Wave-Rezeption in der deutschen Literatur. In: H. L. Arnold, J. Schäfer (Hg.): Pop-Literatur, 149-157, 152.
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New Wave-Umfeld, die später zum (linken) Popjournalismus und zur Popliteratur beitragen: Clara Drechsler, Rainald Goetz, Joachim Lottmann, Diedrich Diederichsen u.a. Im Vorwort schreibt Peter Glaser über die Literatur der 1970er Jahre: »Besonders aus den Arealen der Jüngeren wird in den letzten Jahren das Gerücht immer vernehmlicher, Langeweile, Lahmarschigkeit und Literatur stünden für so zirka dasselbe. Diese 3 L haben sich im Laufe der 70er Jahre zu den unlustigen Schenkeln eines kulturellen Bermudadreiecks gefügt, worin Begeisterung verlorenging. Angst, Trauer und unheimliche Nachdenklichkeit jeder Art sind in dieser Zeit zu den Kristallisationspunkten von Geschriebenem geworden. Das Neo-Gefühl ›Betroffenheit‹ wird epidemisch. […] Die literarischen Nachklänge der Beat-Poesien haben inzwischen längere Bärte als ihre alternativen Pfleger […]. Das beste Buch des Jahres ‘81 ist eine Schallplatte: ›Monarchie und Alltag‹ von Fehlfarben.«153 Mit seinem Beitrag »Subito«, der im Sammelband Rawums erscheint, unterhält Rainald Goetz ein Jahr zuvor den Literaturbetrieb beim IngeborgBachmann-Wettbewerb mit einer an Punk geschulten Performance. Während seiner Lesung in Klagenfurt schneidet sich Goetz vor der Jury, dem Publikum und den live übertragenden Fernsehkameras mit einer Rasierklinge in die Stirn. Der Effekt dieser Lesung, mit der Goetz zur ›Ikone Klagenfurt‹ wird, geht auf die metaleptische Überschreitung der Grenze zwischen Autor und Figur und literarischem Feld, aber nicht wenig auch auf das Medium des eigenen Bluts, die Inszenierung des Schriftstellerkörpers zurück. Die Performance bringt eine zweigeteilte Kritik hervor: Auf der einen Seite adelt man Goetz als »Enfant terrible der jungen Gegenwartsliteratur: zornig, aggressiv, sprachmächtig und hochintelligent«154 und auf der anderen Seite lehnt man ihn als »effekthascherische[n] Inszenator der eigenen Texte«155 ab. Die Insze-
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Peter Glaser: Zur Lage der Detonation. Ein Explosé. In: Ders. (Hg.): Rawums. Texte zum Thema. Köln 1984, 9-21, 9ff. Stefan Sprang: Abfeiern Aufreißen Ausrasten. In: Stuttgarter Zeitung, 18.09.1998. Aus dem Rainald Goetz-Pressespiegel des Suhrkamp Verlags. Beate Mazenauer: Bam Bam Bam im blitzenden Stroboskop-Gewitter. In: Luzern heute, 16. April 1998. Aus dem Rainald Goetz-Pressespiegel des Suhrkamp Verlags. Auch Thomas Wegemann spricht von einem »schlagzeilensüchtigen Show-Effekt« der Lesung. Vgl. Thomas Wegemann: Stigma und Skandal oder ›The making of‹ Rainald Goetz. In: Markus Joch et al. (Hg.): Mediale Erregungen? Autonomie und Aufmerksamkeit im Literaturund Kulturbetrieb der Gegenwart. Tübingen 2009, 205-219, 206.
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nierung ist jedoch bezeichnend für den Bezug auf Pop in dieser Zeit. »Subito« wird von Goetz mit übertriebenem Einbezug von Autorschaft und Körperlichkeit als ein Bekenntnis zum Pop-Prinzip, zu seiner Künstlichkeit, Immanenz und Oberflächlichkeit inszeniert. Zugleich findet diese Szene offenbar nur mit dem Gestus von Punk Resonanz. Der auf diese Art ausgreifende Text führt jegliche Authentizitätsforderung ad absurdum, wird aber nur in seinem Heroismus relevant, mit dem auch Punk dieses Interesse verfolgt: »Ich brauche keinen Frieden, weil ich habe den Krieg in mir. Am wenigsten brauche ich die Natur. Ich wohne doch in der Stadt, die wo eh viel schöner ist. Schaut euch lieber das Fernsehen an. Wir brauchen noch mehr Reize, noch viel mehr Werbung Tempo Autos Modehedonismen Pop und nochmal Pop.«156 Neben etlichen zum größten Teil in D.I.Y.-Manier produzierten Fanzines lässt sich für den subkulturellen Zeitschriftenmarkt dieser Zeit das u.a. von Thomas Meinecke 1978 in München gegründete Magazin Mode & Verzweiflung anführen. Meinecke selbst sah sich in der Grundlegung des Magazins, das in der Zeit seines Bestehens bis 1986 acht Ausgaben hervorbringt, erheblich von Punk beeinflusst.157 Die Zeitschrift wurde in Westberlin und München mit jeweils tausend Exemplaren gedruckt und dort in Szeneläden verkauft. Dabei ist Mode & Verzweiflung zwar keine wesensgemäße Punkzeitschrift, es gehe den Herausgebern aber »als flanierender Haufen hedonistischer Partisanen« darum, »die herrschende Innerlichkeit der sozialdemokratisch verdorbenen Siebziger in die Flucht zu schlagen, um daraufhin diejenigen falschen Achtziger, welche sich irrtümlich im Schulterschluss mit uns wähnten, nicht minder erbarmungslos zu diskreditieren.«158 Meinecke bezeichnet seine Zeitschrift, aus der später die Band F. S. K. (Freiwillige Selbstkontrolle) hervorgeht, stattdessen als bohemistisch und als dem linken Popsektor zugehörig zeigt sie sich u.a. in der ironisch-überaffirmativen Haltung zur technisierten und ›modernen Welt«. 1981 findet sich eine Art Manifest in der 6. Ausgabe von Mode & Verzweiflung, das von dieser intendiert ambivalenten Bejahung Zeugnis ablegt: »Wenngleich sich die Moderne Welt, wie wir ja alle wissen, hoffnungslos in 156 157
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Rainald Goetz: Subito [1983]. In: Ders.: Hirn. Frankfurt a.M. 1986, 9-21, 21. In der später beim Suhrkamp Verlag erscheinenden Textsammlung aus Aufsätzen dieser Zeitschrift schreibt Meinecke im Vorwort: »1972 brachte die Londoner Art School Band Roxy Music ihr epochales erstes Album heraus. Mein Freund Bernd Kühl überreichte es mir auf einem Hamburger Schulhof, und Roxy Music veränderte beziehungsweise erweiterte mein Denken radikal. Fünf Jahre später waren wir beide in Roxy Munich gelandet.« Thomas Meinecke: Mode & Verzweiflung. Frankfurt a.M. 1998, 7. Ebd., 8.
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ihrer eigenen Dummheit verfangen hat und sich also selbst verneint, so sagen wir noch in ihrer ganzen Verfangenheit Ja zur Modernen Welt.«159 Das emphatische »Ja zur modernen Welt« als Form einer ironischen Distanznahme ist ein Merkmal der linken Popvertreter*innen in den frühen 1980er Jahren, denn »dieses ›Ja‹ erscheint nicht nur als ›Nein‹ zum sozialkritisch konventionalisierten ›Nein‹, sondern auch als ein anti-essentialistisches Verwirrspiel, das in der gezielten Produktion von Ambivalenzen die Grenzen festgefügter, selbstbewußter Identitäten ebenso attackiert wie die von Gattungs- und Geschlechtszuschreibungen«160 . Dass ein Text von Thomas Meinecke aus Mode & Verzweiflung leicht verändert auch im Zeitgeistmagazin Wiener publiziert wird, ist aber auch als Beleg dafür zu lesen, dass ›Mainstream‹ und ›Minderheit‹ bzw. Subkultur und Zeitgeist bereits Anfang der 1980er Jahre nicht zwingend unvereinbar sind, obwohl dies häufig den Anschein hat. Dafür spricht auch die sich selbst als »Zentralorgan deutscher Insider« bezeichnende, mit 16 Ausgaben zwischen 1981 und 1986 erscheinende Lifestylezeitschrift Elaste. Von Thomas Elsner, Christian Wegner und Michael Reinboth gegründet, wird hier zunächst aus Hannover, später aus München u.a. über Mode, Musik, Architektur, Design und Kunst berichtet. Die Nähe zum Zeitgeistjournalismus ergibt sich aus dem ironischen Ton der Zeitschrift, der Aufmerksamkeit für Trends und Popakteuren wie dem später auch in Tempo publizierenden Autor Lorenz Schröter, Jean Paul Gaultier, Blixa Bargeld, Andy Warhol sowie der Ausrichtung an ein westdeutsches, weißes, männliches, mittelschichtszugehöriges, zwischen 20 und 40 Jahre altes Leserpublikum. Zu den in Elaste publizierenden Journalisten gehören auch in anderen popjournalistischen Medien tätige Autoren wie Andreas Banaski, Andreas Dorau, Diedrich Diederichsen, Maxim Biller, Lorenz Schröter alias Lorenz Lorenz oder Thomas Meinecke. Auch die visuelle Aufmachung und die starke Gewichtung von Bildästhetik und Layout begründet eine Verwandtschaft mit dem Zeitgeistjournalismus. Mit der Auszeichnung des European Design Award for Print Magazine im Jahr 1984 sowie mit der späteren Aufnahme der Zeitschrift in die Neue Sammlung der Pinakothek der Moderne in München erlangt Elaste trotz der verhältnismäßig geringen Auflage von 16.000 Exemplaren eine überregionale Aufmerksamkeit.
159 Ebd., 33. 160 Eckhard Schumacher: »Re-make/Re-model« – Zitat und Performativität im PopDiskurs. In: Andrea Gutenberg, Ralph J. Poole (Hg.): Zitier-Fähigkeit. Findungen und Erfindungen des Anderen. Berlin 2001, 271-291, 280.
2. Magazingeschichte: Kontexte der Popliteratur
Johannes Ullmaier bezeichnet die von Rolf Dieter Brinkmann herausgegebene Anthologie Acid in seiner einschlägigen Geschichte der Popliteratur Von Acid nach Adlon als »sehr viel verkauften Klassiker und Maßstab popliterarischer Buchkultur in Deutschland.«161 Früh machen bereits Kathrin Ackermann und Stefan Greif darauf aufmerksam, dass der Begriff Popliteratur in diesem Zusammenhang jedoch irreführend sei, da man seinerzeit vielmehr von Beatliteratur gesprochen habe. Der Unterschied, den sie beschreiben, ist allerdings aufschlussreich für die heroischen Jahren der Popliteratur: »Pop bezeichnet in den sechziger Jahren zunächst einmal alles Neue, Unkonventionelle und Szeneverdächtige. Beat kennzeichnet demgegenüber die Literatur amerikanischer Autoren, die mit einer teils hermetischen, teils offen aggressiven Ästhetik gegen die Wohlstandskultur der fünfziger Jahre opponieren.«162 Die Zusammenführung der beiden Bereiche von Pop und Beat bzw. Underground führt dazu, dass der Übergang von Pop I zu Pop II – von »Acid« nach »Adlon« – umso gravierender und erklärungsbedürftiger erscheint. Das Plädoyer für ein Hereinnehmen alltäglicher Sinneserfahrungen in die Literatur, ohne dabei den Alltagsgegenstand (das massenmedial geprägte Konsumobjekt oder seine Werbung) oder die Dekontextualisierung als Metapher oder Zeichen für etwas anderes zu nutzen, hat in der heroischen Phase der Popliteratur vor allem das Ziel, eine als bürgerlich verstandene Ästhetik zu provozieren. Unabdingbar in dieser Konstellation ist die agonistische Position, von der aus diese Transformation gefordert bzw. anhand derer das Leiden an den bestehenden Verhältnissen deutlich gemacht wird. Ablesen lässt sich dies exemplarisch an dem berühmten Diktum Brinkmanns: »Wenn dieses Buch ein Maschinengewehr wäre, würde ich Sie jetzt über den Haufen schießen.«163 In dem hier dargelegten Zusammenhang zwischen illustrierten Publikumszeitschriften und den Diskursen um Pop- und Populärkultur erscheint
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J. Ullmaier: Von Acid nach Adlon, 65. Die Publikation lehnt sich zudem in Titel und Covergestaltung durch die quadratischen Ausstanzungen im Einband an die Anthologie von 1968 an. K. Ackermann, S. Greif: Pop im Literaturbetrieb, 56. Diesen Satz soll Rolf Dieter Brinkmann den Kritikern Harald Hartung und Marcel Reich-Ranicki 1968 an den Kopf geworfen haben. Wobei der Wortlaut des Satzes in unterschiedlichen Varianten überliefert ist. Vgl. Ulrich Johannes Beil: »Niemand kann das übersetzen« Rolf Dieter Brinkmann, John Ashbery und die Beat Generation. In: Georg Gerber, Robert Leucht, Karl Wagner (Hg.): Transatlantische Verwerfungen – Transatlantische Verdichtungen. Kulturtransfer in Literatur und Wissenschaft 1945-1989. Göttingen 2012, 191-215, 191.
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der Bruch zwischen Pop I und Pop II bezüglich einer infrage stehenden Popliteratur dagegen weniger antagonistisch. Besonders Detlef Siegfried hat anhand umfangreicher Materialstudien aufgezeigt, dass die »langen 1960er Jahre« stark geprägt waren von einer Faszination für bunte Oberflächlichkeit und Künstlichkeit, die keine Rücksicht auf theoretische oder politische Kompatibilität genommen hat. In diesem Kapitel wurden zudem die diskursiven Strategien deutlich, mit denen Popbezüge zwischen 1968 und 1986 hergestellt und kommuniziert wurden. Das erstarkende Interesse an einer öffentlichen Sichtbarkeit und die wirtschaftliche Anerkennung der Pop- und Populärkultur ging nicht immer einher mit einem klaren Bekenntnis zu den mit Pop assoziierten Attributen wie Weiblichkeit, Kindlichkeit bzw. Jugendlichkeit und den unteren Schichten. Vielmehr erscheint das Schlagwort Popliteratur in einem literaturhistorischen Licht, das diese Verwicklungen nur implizit erscheinen lässt und mancherorts sogar ›gegenteilige‹ Zusammenhänge suggeriert; Pop erscheint dann ›männlich‹-agonal, ›tief‹, elitär oder sogar erwachsen.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
Eines der bekanntesten deutschsprachigen Zeitgeistmagazine um 1990 ist die Zeitschrift Tempo des Hamburger Jahreszeiten Verlags. Der Titel markiert einen positiven Bezug auf Geschwindigkeit bzw. die zeitdiagnostisch lange Zeit kritisierte Beschleunigung von Lebensverhältnissen. Das Emblem zeigt eine eckige, nach rechts laufende Figur, die meist in leuchthellrot an verschiedenen Stellen auf dem Cover, innerhalb der Zeitschrift oder auf Werbe- und Fanmaterialien platziert ist. Die Bedeutung, die mit dem Wort ›Tempo‹ aufgerufen wird, weist das Magazin als aktuell, leistungsstark und, im Sinne von Zeitmaß, bestimmend und richtungsweisend aus. Die Konnotation der Kurzlebigkeit dient als Ausweis von Trendnähe und Intensität. Aufgrund der Vielzahl von Autor*innen, die zunächst für die monatlich erscheinende Zeitschrift schreiben und später literarische Erfolge verbuchen – das prominenteste Beispiel ist Christian Kracht, der zwischen 1989 und 1995 als Volontär sowie als Berater der Chefredaktion arbeitet und seinen Bestseller Faserland auf einem Redaktionscomputer schreibt1 –, wurde Tempo in Anlehnung an die populäre Castingshow des Südwestfunks als »Talentschuppen für Journalisten, Photographen, Graphiker«2 bezeichnet. In diesem Sinne ist Tempo mit Blick auf die Karrierewege der Mitarbeiter*innen nicht nur eine diskursive Schnittstelle, die als Sprungbrett im weitesten Sinne dient, sondern ebenso sehr eine Institution, deren maßgeblicher Unterhaltungswert darin besteht, eine scheinbar willkürlich gebildete Gruppe von Aspirant*innen bei ihren Versuchen zu beobachten, ihr Talent unter Beweis zu stellen.
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Vgl. Christian Kracht: Die legendärste Party aller Zeiten. Christian Kracht über seinen Roman Faserland, über Grünofant-Eis, Busfahrer und die SPD. In: Berliner Zeitung, 19.07.1995. Adolf Theobald: Das Zeitgeistmagazin Tempo wurde eingestellt. In: Die Zeit, 19.04.1996. Online: www.zeit.de/1996/17/tempo.txt.19960419.xml (letzter Zugriff 11.10.2019)
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Öffentliches Feedback erhält die Redaktion auf der Ebene des Leser*innenbriefs und auf der Ebene der publizistischen Kritik am Zeitgeistmagazin bzw. am Zeitgeist, der zeitweise synonym für die repräsentierten Inhalte der Zeitschriften gebraucht wird. Damit zeigt sich zum Teil die für den Popdiskurs typische Verschränkung von Zeitgeistkritik und Kritik an den Zeitgeistvertreter*innen: Die Popularität der Zeitgeistmedien gründet auch in der Bewertung einer kulturkritischen ›Jury‹, deren Urteil die ›Talente‹ permanent thematisiert. Ein bekanntes Beispiel für eine Figur der Kritik, die sowohl ›Jury‹ als auch ›Talent‹ inszeniert, ist der Autor Maxim Biller. Zu den Mitarbeitenden der Jubiläumsausgabe im Jahr 2006 zählen neben den aus Tempo-Zeiten bekannten Autor*innen wie Christian Kracht, Peter Glaser, Marc Fischer, Eckhart Nickel, Rainald Goetz, Moritz von Uslar, Sybille Berg, Ulf Poschardt, Uwe Kopf nun auch weitere Autoren der Popliteratur um 2000 wie Benjamin von Stuckrad-Barre und Feridun Zaimoglu, aber auch Wolfgang Tillmans, Wolfgang Joop, Frank Schirrmacher, Jonathan Meese oder Kai Diekmann. Die »Lust an der Durchmischung und am Kontrast« ist nach eigener Aussage »Markenzeichen« der Zeitschrift3 sowie das Infantile und Oberflächliche für Kritiker Stein des Anstoßes ist: »Schließlich herrscht postmoderne Lustigkeit auf den Schaumwellen des Systems: ›Man trägt wieder Adel‹, hat ›Lust auf Prinzen‹, sabbert Sekt – und kommt sich dabei nicht blöd vor, sondern stilvoll«, liest man noch im selben Jahr der ersten Tempo-Ausgabe im Merkur, der »Deutschen Zeitschrift für europäisches Denken«4 . Die Stuttgarter Zeitung 3 4
Vgl. Jahreszeiten-Verlag: TEMPOra mutatur. Pressemitteilung vom 31. Januar 1991, 1. Unternehmensarchiv der Ganske-Verlagsgruppe (im Folgenden UA abgekürzt). Christoph Müller: »Zeitgeist« Ein Exkurs in die Zeit des Regiments Gensdarmes. In: Merkur, 1986 Heft 453, 982-989, 988. Seit Januar 2017 heißt es im Untertitel von Merkur: »Gegründet 1947 als Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken«. Anlässlich einer Kooperation zum Thema »Hochkultur« des Merkur-Blogs und der Internetausgabe der Zeitschrift »Pop. Kultur und Kritik« wird sowohl auf www.merkurzeitschrift.de als auch auf www.popzeitschrift.de die Umbenennung des Untertitels kommentiert: »An dieser letzten vorsichtigen Angabe wird auch schnell die Eigentümlichkeit des Themas deutlich. ›Hohe Kultur‹ zählt zu den Begriffen, die sich kaum jemand selbst mehr zuschreiben möchte, er wird von den meisten als peinlich und anmaßend eingestuft. Wird er noch gebraucht, dann in Anführungsstrichen, die große Distanz signalisieren.« Redaktion Merkur: Kooperation Pop und Merkur. 2. Februar 2017. Online: https://www.merkur-zeitschrift.de/2017/02/02/kooperationpop-und merkur/#more-5480 (letzter Zugriff 11.10.2019); Hohe Kultur (1), MerkurBlog und Pop-Zeitschrift, 2.2.2017. Online: www.pop-zeitschrift.de/2017/02/02/hohekultur-1merkur-blog-und-pop-zeitschrift2-2-2017/(letzter Zugriff 11.10.2018).
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
sieht ebenfalls in den Themen von Tempo »nichts als ein[en] Schluckauf der Beliebigkeit«5 . Wertende Kritik erfahren die Zeitgeistzeitschriften aufgrund ihrer inhaltlichen Nähe zum Anzeigenmarkt, ihres »pflichtgemäßen Hedonismus«, ihres Kults um die persönliche Genussfähigkeit und des Mangels an Intelligenz.6 Damit steht das Zeitgeistmagazin auch in seiner feuilletonistischen Rezeption in einem Spannungsfeld der Popkultur, das aus der Rezeptionsgeschichte der Popliteratur bekannt ist. Als Schlagwort ist ›Zeitgeist‹ ähnlich wie ›Pop‹ mit starken Konnotationen belegt, die einen hohen diskursiven Streitwert besitzen und dabei unterschiedliche Präferenzen verdichten kann.7 So beanstandet ein Journalist der Frankfurter Allgemeinen Zeitung die Kombination aus sauberer Oberfläche und blinder Nationalisierung durch Zeitgeisttitel wie Wiener und Tempo: »›Deutschlands Zeitschrift für Zeitgeist‹ setzt sich in ihrer ersten Nummer im Mai mit blankgewienertem Image in Szene und enthüllt: deutsche Affäre, deutsche Designeradressen, deutsche Terrorpläne, deutsches Selbstbewußtsein und vor allem deutsche Frauen.«8 Wenige Monate nach dem Erscheinen schreibt Diedrich Diederichsen, dass die »vollkommen grenzenlose Widerwärtigkeit« von Tempo weitgehend durchschaut und akzeptiert sei. Sein österreichisches Pendant Wiener sei »eine eiskalte miese Schweinemaschinerie […], die nur in der Lage ist, besser wichtig und unwichtig zu unterscheiden als Tempo. Abgewichste Profis eben, die Porno-Fotos drucken und dazu schreiben: die Träume der Bürger. So perfide und weit konnte bei Tempo niemand denken: Scheiße und Spekulation und menschenverachtende Scheiße zu rechtfertigen, indem man einen aufklärerischen Satz darüberlügt. Da sind die liebenswerten Tempo-Trottel, die alles falsch machen, nur noch aus dem einen Grund hassenswert, daß sie sich eben immer noch viel zu sehr in Dinge einmischen, die sie nichts angehen (Pop, Politik und dergl.)«9 . Dass die Zeitgeisttitel für sich beanspruchen, Pop zu sein, ärgert Diederichsen als Verfechter eines emphatischen und rebellischen Popbegriffs besonders. Für ihn ist die Zeitgeistpresse Ausdruck der Entgrenzung des Begriffs 5 6 7 8 9
Hanns-Josef Ortheil: Die rundum Positiven. Jugend von heute in Manhattan, bei uns und überhaupt. In: Stuttgarter Zeitung, 18.03.1986. Vgl. Peter Kern: Zeitgeist im Schweinsgalopp. In: BZ andere Zeitung, 3 (1986). Aus dem Tempo-Pressespiegel im UA Ganske-Verlagsgruppe. Vgl. Thomas Hecken: Art. Pop. In: HbP, 44-53, 48. U. Schmitt: Keine Zeit. Diedrich Diederichsen: Zeitschriften. In: Spex, (7) 1986, 49.
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›Popkultur‹, die dazu führt, dass Pop »zum begrifflichen Passepartout einer unübersichtlichen Gesellschaft werden«10 könne. Er nimmt in dieser Entwicklung den Verlust von oppositionellen und subversiven Strukturen wahr und sieht stattdessen neonationalistische Tendenzen an Bedeutung gewinnen.11 Seine Kritik wird von den aus dem Spex-Umfeld stammenden Autor*innen der Publikation Mainstream der Minderheiten mit Blick auf die Transformation der Disziplinargesellschaft zur Kontrollgesellschaft12 geteilt: »Während Pop früher zumindest die Idee einer ›anderen‹ Seite, wie falsch das schon immer gewesen sein mag, aufrecht erhielt, findet das neue gesellschaftliche Kontrollethos in den Fluchtlinien selbst statt. Die längst eingestellte Zeitschrift Tempo rief Anfang der Neunziger die sogenannte ›Popmoderne‹ aus. Sie hat recht behalten und letztlich genau so, wie es ihr lieb war.«13 Die Kritik am Mainstream stellt aber nicht nur einen Topos linker Popvertreter*innen dar, sondern weist auch auffällige Gemeinsamkeiten mit der allgemeinen Kritik am Zeitgeist auf. 1993 setzt sich Botho Strauß für eine Abkehr vom Mainstream im herrschenden Kulturbegriff an prominenter Stelle ein. Er empört sich über die Verendung kultureller Überlieferungen vor den Schranken einer maßlosen Überschätzung von Zeitgenossenschaft im Namen der
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Diedrich Diederichsen: Ist was Pop? In: Ders.: Der lange Weg nach Mitte. Der Sound und die Stadt. Köln 1999, 272-286, 274. Auch Peter Kern bezeichnet etwa die in Tempo gestellte Frage »Soll man Gaddafi erschießen?« in der Rubrik »Rundruf« als »faschistische Provokation«. Vgl.: Peter Kern: Zeitgeist im Schweinsgalopp. In: BZ andere Zeitung, 3 (1986). Aus dem TempoPressespiegel im UA Ganske-Verlagsgruppe. Der 1990 von Gilles Deleuze geprägte Begriff der Kontrollgesellschaft schließt an die Überlegungen Michel Foucaults zur Disziplinargesellschaft des 18. und 19. Jahrhunderts an und konstatiert eine Wende in den gesellschaftlichen Machtstrukturen der Moderne. Der Begriff spielt insbesondere im Popdiskurs der 1990er Jahre eine wichtige Rolle. Vgl.: Gilles Deleuze: Postskriptum über die Kontrollgesellschaften [Postscriptum sur les sociétés de contrôle in : L’autre journal, (1) Mai 1990]. In: Ders.: Unterhandlungen: 1972-1990. Frankfurt a.M. 1993, 254-262. Innerhalb der Media Studies bzw. Cultural Studies wurde die Interpretation von Ideologie als Kontrollmechanismus jedoch zunehmend problematisch. Tom Holert, Mark Terkessidis: Einführung in den Mainstream der Minderheiten. In: Dies. (Hg.): Mainstream der Minderheiten. Pop in der Kontrollgesellschaft. Berlin 1996, 519, 15.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
Medien, »dem elektronischen Schaugewerbe, das seinem Publikum die Welt in dem äußersten Illusionismus, der überhaupt möglich ist« vorführe: »Wenn man nur aufhörte, von ›Kultur‹ zu sprechen, und endlich kategorisch unterschiede, was die Massen bei Laune hält, von dem, was den Versprengten (die nicht einmal eine Gemeinschaft bilden) gehört, und das beides voneinander durch den einfachen Begriff der Kloake, des TV-Kanals für immer getrennt ist… Wenn man zumindest beachtete, daß hier nicht das gemeinsame Schicksal einer Kultur mehr vorliegt – man hätte sich einer unzählige Zeitungsseiten füllenden ›kulturkritischen‹ Sorge endlich entledigt.«14 Die Forderung nach einer kategorischen Differenz zwischen der ›Masse‹ und den ›Versprengten‹ unterscheidet sich wenig von Diederichsens Abgrenzung einer echten Popkultur von einem medialen Massendiskurs.15 Und auch Markus Peichl, Gründer und Chefredakteur von Tempo, erkennt mit Erscheinen von Diederichsens Sexbeat 16 zwar an, dass die Entwicklung eines popkulturellen Mainstreams sich des symbolischen Kapitals subkultureller Bewegungen bediene. Diederichsens Klage über einen totalitaristischen Pluralismus der Öffentlichkeit und dessen Engführung mit einer Verfallsgeschichte des Pop teilt Peichl dagegen nicht. Er diskreditiert Diederichsen, der »im Führerbunker der Subkultur« sitze, indem er auf dessen Kulturkritik mit polemischer Verständnislosigkeit antwortet: »Jedes Produkt der Subkultur ist für die Konsumgesellschaft nützlich, jede Art von Subversion wird zum Systemerhalter. Und weil die Vermarktung immer besser funktioniert, kommt es zu einer Inflation von ›Hipness‹, Mode und Trends. Die ›Elite‹ wird ausgebeutet und geschwächt, die Subkultur gerät ins Schleudern, niemand weiß mehr, wie’s ›weiter‹ gehen kann, und im Grunde gibt’s kein Entrinnen. Nur warum sich der Diederichsen darüber so aufregt, verstehe ich nicht.«17 Sein Interesse für Diederichsens Generationenportrait gilt auch dem formalen Konzept, das besonders aufgrund der ausgestellten Subjektivität im Zeitgeistjournalismus weiterlebt. »Dieser Gestus, eigene Biografie und Alltagskultur symptomatisch zu lesen«, so urteilt Stefan Mesch über Sexbeat, »(im
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Botho Strauß: Anschwellender Bocksgesang. In: Der Spiegel, 08.02.1993, 202-207, 207. Vgl. dazu auch C. Rauen: Pop und Ironie. Vgl. Diedrich Diederichsen: Sexbeat [1985]. Köln 2002. Markus Peichl: Im Führerbunker der Subkultur. In: Der Spiegel, 06.01.1986, 157-159, 158.
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schlechteren Fall: vulgärsoziologisch), ist heute dominante Strategie des Neon-Journalismus – und Standard im Sprechen über Pop.«18 Auch das Feuilleton der Zeit bringt die seit den späten 1950er Jahren behaupteten oppositionellen Werte von Jugendkultur als Argument gegen Tempo in Anschlag: »Kein Erkenntnisinteresse, kein Nachdenken, nichts, was über den schönen Schein hinausginge.« Tempo sei eine »durch und durch reaktionäre Veranstaltung. Alles, was einmal großartig Jugendkultur hieß, wird hier schon beim ersten Auftauchen in Hitlisten abgefeiert und enteignet«19 . Den Anspruch des Magazins, Sprachrohr einer Jugendkultur zu sein, erkennt der Zeit-Journalist zwar an, diese hätte aber eine bestimmte Haltung einzunehmen, die mit Eigenschaften von Pop wie Hedonismus, Konsumismus und sexuellem Reiz selbst von linksliberaler Seite nur schwer vereinbar sind. Vor dem Hintergrund dieser Spannung liest sich das erklärte Gründungsmotiv von Tempo, eine »Antwort auf den etablierten Kulturbegriff« zu geben und das Magazin als »Antithese zum Establishment«20 zu konzipieren, als geradezu symptomatisch. Damit geht nicht allein die Lösung des Popdiskurses vom linksalternativen Deutungsmonopol einher, sondern gleichermaßen ein Bekenntnis zu einem globalisierten Lebensstil, der sich von etablierten Kulturverständnissen – auf konservativer und linker Seite – abgrenzen möchte.
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Stefan Mesch: Diedrich Diederichsen. Sexbeat. 1972 bis heute. In: Stephan Porombka, Erhard Schütz (Hg.): Klassiker des Kulturjournalismus. Berlin 2008, 186-189, 189. Die im Juni 2003 erstmals in Deutschland erscheinende Zeitschrift Neon lässt sich u.a. aufgrund der Themensetzung dem Zeitgeistjournalismus zuordnen. Das von Verlagsseite kommunizierte Profil der Zeitschrift hebt insbesondere die Generationalität, Konsum, Urbanität und Kosmopolitismus hervor: »Die neue Neon redet mit und mischt sich ein, sie nennt die Dinge beim Namen. Expliziter als je zuvor stellt Neon die großen Fragen der jungen Generation: Ob Globalisierung, Liebeskummer, Berufswahl, Pegida, Wohnen, Reisen – Neon nimmt sich der Fragen der Leser ausführlich an und gibt Antworten. Das junge Unisex-Magazin trifft den Nerv einer aufgeschlossenen, kosmopolitischen und markenaffinen Generation. Die Zielgruppe von Neon und Neon.de sind junge, urbanen [sic!] Menschen, die ihr ganzes Leben noch vor sich haben. Heute sind sie wichtige Multiplikatoren, morgen Entscheider! Die inspirierende Mode in Neon: ›Warum sind die Hosen kurz, die Haare lang und die Sneaker weiß?‹ In Neon findest [sic!] man darauf eine Antwort, die man so schnell nicht mehr vergisst. Neon mag Mode & Konsum, ohne dabei den Kopf abzugeben«. www.gujmedia.de/print/portfolio/neon/profil/(letzter Zugriff 24.02.2018) Willi Winkler: Abgefeiert. In: Die Zeit, 10.02.1989, 53. Markus Peichl: Die Dame vom Spiegel oder warum ich Tempo machte. In: Merian Extra: Der Verlag. 1991, 56-63, 59.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
Das inhaltliche sowie visuelle Konzept von Tempo orientiert sich an Vorbildern wie den britischen Magazinen The Face (1980-2004), Blitz (1980-1991), i-D (seit 1980), der amerikanischen Tradition von Esquire (seit 1933) und zum Teil an der französischen Zeitschrift Actuel (1967-1994).21 Für die Käufer*innenanalyse von Tempo wird dieses Konzept wie folgt beworben: »Inhaltlich steht Tempo auf den 4 Themensäulen: Popkultur | Virtuelle Welten | Harte Welt | Weiche Welt«.22 Das Magazin kostet im Zeitschriftenhandel durchgehend fünf DM, umfasst im Durchschnitt ca. 150 teils vielfarbige, teils monochrome Seiten mit einem durchschnittlichen Text-Bild-Verhältnis von eins zu eins und einem Anzeigenanteil von ca. 15 Prozent. Anzeigen sind nicht allein als Finanzierungsmittel ein wichtiger Bestandteil der Zeitschrift. Layout, spezifische Grafik, Typografie, beworbene Ware, Images, Bildästhetik etc. sind wichtige Bedeutungsträger und fügen sich teilweise nahtlos in redaktionelle Repräsentationsformen ein. Anzeigenkund*innen sind vor allem Firmen, die Genussmittel wie Zigaretten und Alkoholika oder Lifestyleprodukte wie Uhren, Parfum, Autos sowie Produkte aus dem Unterhaltungssektor, also vor allem Bücher, CDs, LPs, MCs, Computer und Kinofilme bewerben.23 Die verkaufte Auflage liegt 1990 bei durchschnittlich 165.173 Exemplaren.24 Unmittelbarer Vorläufer von Tempo ist neben den regional begrenzten Stadtzeitschriften wie Prinz, tip, zitty oder Falter die ab 1979 erscheinende österreichische Zeitschrift Wiener. Ihr konzeptionelles Vorbild ist nach eigener Aussage wiederum Andy Warhols Interview, womit eine explizite Poptradition hergestellt wird. Später nimmt Wiener jedoch Abschied von dem damit aufgerufenen Zuschnitt, nimmt sehr viel mehr die regionale Wiener Szene in den Blick und stellt zuletzt ein General Interest-Magazin für ganz Österreich dar. Der Untertitel »Zeitschrift für Zeitgeist« zeichnet Wiener als erstes Magazin aus, das mit dem Etikett ›Zeitgeist‹ vermarktet wird. Im Zuge der Lancierung der Zeitschrift in Westdeutschland kommt es
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Diese internationale Ausrichtung und Verbreitung des Formats tragen dazu bei, dass die folgenden konkreten Ausführungen mit einigen Abstrichen auch Aussagekraft besitzen, die allein über die Reichweite der analysierten Zeitschrift hinaus geht. Jahreszeiten-Verlag (Hg.): Tempo-Exklusiv. Ergebnisse zur Käuferschaft. Hamburg 1986. UA Ganske-Verlagsgruppe. Anzeigenkunden sind u.a. Marlboro, Campari, Calvin Klein, IWC, Citroën AX, Hoffmann und Campe, Fischer, Rowohlt. Vgl. Merian Extra: Der Verlag. 1991, 22.
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dann 1985 zur Gründung der Zeitschrift Tempo durch den Verleger Thomas Ganske und den Wiener-Redakteur Markus Peichl.25 Nach den ersten drei Ausgaben bereitet der Hamburger Jahreszeiten Verlag die Ergebnisse einer eingehenden Käufer*innenanalyse für potenzielle Anzeigenkund*innen auf.26 Demnach ist der überwiegend männliche und ledige Tempo-Käufer zwischen 20 und 39 Jahre alt, pflegt einen noch nicht festgelegten und »offenen Lebensstil«, verfügt über einen höheren Schulabschluss sowie ein überdurchschnittliches Einkommen, ist reisefreudig und größtenteils in urbanen Räumen beheimatet.27 Politisch ist der Tempokäufer nicht engagiert, sondern legt seine Akzente auf die private Zufriedenheit, beruflichen Erfolg, Freizeit, Fitness, soziales Umfeld und Konsum.28 Die Tempo-Redaktion soll diesem Profil offenbar weitgehend entsprechen, sowohl in Hinsicht auf Alter und Geschlecht als auch in Hinsicht auf ihre inszenierten Vorlieben. Der Zeitgeistjournalist selbst will sein Schreiben als eine »merkwürdige Mischung aus kritischem Hedonismus, bewußter Ablehnung einerseits und ganz bewußtem Einsteigen andererseits« sowie als aktive Legitimation des Zeitgeistes verstanden wissen.29 So beschreibt etwa Bettina Röhl, Tochter des RAFMitglieds Ulrike Meinhof und Konkret-Gründers Klaus Rainer Röhl, ihre Ankunft als Tempo-Journalistin in der Redaktion: »Im Januar 1986 – das erste Tempo-Heft mit einigen Blaublütern auf dem Titel war gerade erschienen – stellte ich mich bei Tempo vor und nahm wenige Tage später erstmals an einer Montags-Konferenz teil. Die fand zu meiner Freude nicht in der Redaktion, sondern im schicken Café Schöne Aussichten statt. Ich war in die Gründerzeitvilla im vornehmen Harvestehuderweg gefahren, von Konsulaten umgegeben, zu den Redaktionsräumen, die ich für meinen neuen Arbeitsplatz hielt und wo eine lachende Sekretärin mich zum Dienstantritt ins Café schickte. Für Tempo war dort allmontäglich ein separierter Teil reserviert. Die Crew saß um einen großen Frühstückstisch herum, feixend und lachend. In der Mitte der sich ironisierend und mit angespitzter
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Auch derTempo-Artdirektor Lo Breier hat zuvor für Wiener gearbeitet. Vgl. Jahreszeiten-Verlag (Hg.): Tempo-Exklusiv. Ergebnisse zur Käuferschaft. Hamburg 1986. UA Ganske-Verlagsgruppe. Für die Käuferanalyse wurden 613 Käufer der Ausgaben 2-4/86 interviewt. Ebd. Ebd. Vgl. Anonymus: Typischer Leser bin ich. Kurzinterview mit Markus Peichl. In: Horizont, 25.11.1985. Aus dem Tempo-Pressespiegel im UA Ganske-Verlagsgruppe.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
Intellektualisiererei die Bälle zuwerfenden Redakteure saß in seinem unvermeidlichen Edel-Strickpullover verhalten grinsend der junge Chefredakteur Markus Peichl.«30 Die Geschichte von Tempo lässt sich hinsichtlich der Konzeption der Zeitschrift in drei Phasen gliedern.31 Sie ist abhängig von der Besetzung der Chefredaktion, wenngleich im Laufe der Erscheinungsgeschichte eine inhaltliche und gestalterische Neuausrichtung nur in wenigen Wechseln eklatant bemerkbar ist. Danach befindet sich die Zeitschrift in ihrer Gründungsphase und darüber hinaus unter der Leitung von Markus Peichl (Dezember 1985 – Dezember 1989), Lucas Koch (Januar 1990 – Oktober 1990), Jürgen Fischer (November 1990 – März 1992) sowie Jan Kromschröder und Bernd Schwer (April 1992) in einer Phase, die sich durch einen größeren Innovations- und Gestaltungswillen von der späteren Zeit absetzt. Das Layout ist hier vergleichsweise experimentell, die Headlines und die inhaltliche Ausrichtung von einer starken und exaltierteren Sensationsrhetorik geprägt. Der Bedeutungsgewinn von (west-)deutscher Popkultur um 1990 ist dann im Übergang zur zweiten Phase ab 1992 bemerkbar. Tempo vollzieht eine Öffnung zum Boulevard und damit eine Wende hin zu breitenwirksameren Phänomenen und Unterhaltung, die eine Abschwächung der Neigung zu ›exzessiven Zeichen‹ zur Folge hat. Häufiger werden (internationale) Stars portraitiert und auf den Titelseiten findet sich sehr viel weniger Text. Die Dominanz des Visuellen im Übergang von analoger zu digitaler Medienkultur, die Auslobung visueller Leadmagazine bzw. der massive Bedeutungsgewinn von popkulturellen Bildern und Images im Zuge der Einführung von MTV Europe sind deutlich zu spüren. Konzeptionell gewinnen Konkurrenzzeitschriften wie Max, Allegra oder Vanity Fair an Relevanz. Unter der Leitung des ehemaligen Stern-Chefredakteurs Michael Jürgs (Mai 1992 – April 1994), der diesen Relaunch initiiert, lässt sich zudem die Bemühung ausmachen, das Alter der Tempo-Leser*innen zu erhöhen. Die grafische Gestaltung wird strukturgeleiteter und übersichtlicher und der Einfluss der Zeitschrift Stern lässt sich auch
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Bettina Röhl: Unernst? Eitel? Zeitgeistig? Überheblich? Oberflächlich? Tempo wurde geliebt, gehasst und verkannt wie kein anderes deutsches Magazin. Eine persönliche Geschichte. In: Dummy (3) 2004, 107-112, 108. Auch Tempo-Mitarbeiter Cord Schnibben erinnert sich an einen »Elitegeist«, der in der »Revolutionsvilla« herrschte. Ebd., 114-115, 114. Vgl. A. Hentschel: Tempo.
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mit Blick auf die langen Reportagen nicht übersehen.32 Die Autor*innen werden zum Teil ausgetauscht und journalistische Schwerpunkte verschoben, um einen allzu inflationär gebrauchten Subjektivismus und Sensationsjournalismus zu vermeiden.33 Wahrgenommen wird die neue Ausrichtung als seriöser, aber langweiliger.34 Die Verkaufszahlen verzeichnen einen starken Abwärtstrend. Den Seriositätsbemühungen wirkt dann zuletzt Walter Mayer (Mai 1994 – April 1996), gleichzeitiger Chefredakteur von Prinz, noch einmal entgegen, indem er zum Beispiel verstärkt auf identifikatorische Faktoren wert legt. Er kann jedoch nicht verhindern, dass die Verkaufszahlen konstant rückläufig bleiben und die Investitionsbereitschaft des Anzeigenmarkts weiterhin abnimmt. Der angestrebte Spagat zwischen der Rückkehr zum Innovationsimage und der planmäßigen Einpassung in den ausdifferenzierteren Medienmarkt führt schließlich nach rund zehn Jahren zur Einstellung von Tempo im Jahr 1996.35 Aus Verlagssicht werden für den Rückgang von Leser*innen und Anzeigenkundschaft offiziell »Veränderung des Zeitschriftenmarktes« und »zunehmende Konkurrenz auf dem Werbemarkt durch private TVSender« verantwortlich gemacht.36 Im vorangegangenen Kapitel wurde die Zeitschrift Tempo innerhalb eines diskursiven Rahmens betrachtet. Im nun folgenden Kapitel wird die Kommu32 33
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Vgl. B. Pörksen: Die Tempojahre, 312. Dies geht auch aus einem internen Brief des Textchefs Uwe Kopf an die Autor*innen hervor: »1. Einen Text in der Ich-Form akzeptiere ich nur in Ausnahmefällen. Wenn Otmar seine Erlebnisse in einer Koranschule in der Ich-Form schildert, dann ist das zwingend. Wer meint, sich als Autor in Porträts oder Rezensionen ›einbringen‹ zu müssen, der nimmt sich zu wichtig. […] 4. Bitte, bitte keine Superlative mehr! ›Die häßlichste Band‹, ›die grandioseste Platte‹, ›die besten Menschen‹ – ich kann es nicht ertragen.« Jens Meyer-Wellmann: Vermächtnis eines Journalisten wird zum viralen Hit, 13.01.2017. Online: http://m.abendblatt.de/kultur-live/tv-und-medien/ article 209269317/Vermaechtnis-eines-Journalisten-wird-zum-viralen-Hit.html letzter Zugriff 11.10.2019 Matthias Ehlert: Verdammt harte Zeiten. In: Junge Welt, 25.07.1994. In Leserbriefen wird einerseits die breitenwirksamere Orientierung als Gewinn an Relevanz verbucht, andererseits werden Konzeptionslosigkeit und Anbiederung kritisiert. Mayer erinnert sich rückblickend daran, dass Rainald Goetz ihn einmal beschimpft habe, weil er Tempo cool und populär zu machen versuchte. Walter Mayer: Hat’s Spaß gemacht? Bettina Röhl fragt ihre Tempo Kollegen von damals. In: Dummy (3) 2004, 114-115, 114. Vgl. Saskia Döhner: Nach dem Rausch der Kater. Ein Nachruf: Das Trendmagazin Tempo wird eingestellt. In: Hannoversche Allgemeine Zeitung, 26.04.1996.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
nikation einer postheroischen Generationsidentität in den Zeitgeistmedien aufgezeigt. Dies geschieht mit Blick auf das vorherrschende Narrativ von Popgeschichte, das eine Transformation von einer ehemals subversiven Praxis zu einer Kulturform mit Warencharakter um 1990 beschreibt. Das postheroische Verständnis kollektiver und individueller Selbstverhältnisse, wie es sich etwa in der sogenannten ›Generation X‹ offenbart, zeichnet sich dadurch aus, dass es sich nicht (mehr) als radikal und avantgardistisch, sondern als unbestimmt und an Konsum interessiert beschreibt. Bestehen bleibt jedoch weiterhin die hegemoniale Perspektive, aus der diese Identitäten konstruiert werden.
3.1.
Inszenierung postheroischer Generationalität
Die enorme Konjunktur von journalistisch inszenierten Generationsentwürfen lässt sich als eine kulturhistorische Besonderheit der 1990er Jahre auffassen.37 Neben der von Claus Leggewie beschriebenen ›Generation 1989‹ und der von Heinz Bude nach dem Regierungsumzug nach Berlin benannten ›Generation Berlin‹ kursieren Generationsbestimmungen, die sich besonders auf popkulturellen und digitalen Wandel beziehen, wie etwa ›Generation MTV‹ oder ›Generation @‹. Thomas Ernst vertritt in der frühen Popliteraturgeschichtsschreibung die These, dass die Suche nach einer »unverdorbenen« Generation dem Boom der Popliteratur um 2000 den Weg bereitet hätte.38 Und auch Frank Degler und Ute Paulokat heben in ihrer Kompaktdarstellung Neue Deutsche Popliteratur zuallererst den Umstand hervor, »dass es ein Generationskonflikt war, der im Bereich der Neuen Deutschen Popliteratur mit literarischen Mitteln ausgefochten wurde«39 . Während dieses Konfliktpotenzial vor allem im Rückbezug auf die heroischen Jahre der Popliteratur und mit einem infrage stehenden Literaturbegriff Ende der 1990er Jahre verständlich wird, drängt sich die von Ernst beobachtete Suche nach Generationszugehörigkeit auch in Tempo auf. Da die Bemühungen zur Konsolidierung eines eindeutigen Generationenprofils im Zeitgeistmagazin jedoch bezeichnenderweise nicht zur Durchsetzung eines
37
38 39
Vgl. Thomas Anz: Generationenkonstrukte: Zu ihrer Konjunktur nach 1989. In: Andrea Geier, Jan Süselbeck: Konkurrenzen, Konflikte, Kontinuitäten. Generationenfragen in der Literatur seit 1990. Göttingen 2009, 16-29, 22. Vgl. Thomas Ernst: Popliteratur. Hamburg 2001, 71. Frank Degler, Ute Paulokat: Neue Deutsche Popliteratur. Paderborn 2008, 7.
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Zeitgeistjournalismus
Etiketts hinreichen, lässt sich die Fixierung auf Generationalität als Identitätsangebot dahingehend interpretieren, dass sie von dem Widerspruch durchdrungen ist, einerseits eine bestimmte Gruppe als gesellschaftliche Akteure wahrnehmbar zu machen und andererseits zugunsten individueller Gestaltungskraft eine Zugehörigkeit und damit einhergehende Festlegungen zu meiden. Erst vier Jahre nach Einstellung von Tempo geht Florian Illies‘ ›Generation Golf‹ in den kollektiven Sprachgebrauch der Bundesrepublik ein – gewissermaßen als Lösung dieses Widerspruchs. Illies liefert damit die auf Westdeutschland bezogene und noch einmal unkritischere Entsprechung des 1991 von Douglas Coupland entworfenen Narrativs einer Generation X, das nicht nur aufs Engste mit einer Prekarisierung der Erwerbsverhältnisse verbunden ist, sondern in der westdeutschen Rezeption die Preisgabe der eigenen Opferbereitschaft und des Willens zur Positionierung auf ›politischer‹ Ebene nahelegt. Auch das Zeitgeistkonzept dient dazu, kulturelle Ausdrucksweisen eines Teils der westdeutschen Jugend als generationsspezifisch zu inszenieren. Die Exklusivität von Popverbunden, wie sie zuvor besonders von der Popmusikpresse (Sounds, Spex etc.) hergestellt wurde, wird mit diesem generationellen Anspruch preisgegeben. Es soll sich bei dem Zielpublikum dieser Ansprache also nicht um eine szenezugehörige Gruppe handeln. Die Bedeutung dieser Öffnung für die späteren Popliteraten zeigt die Figur Joachim Bessing in Tristesse Royale, wenn sie Tempo als eine Art Ursprungsmythos der Adlongruppe stilisiert und zugleich den Anteil des Magazins am scheinbaren kulturellen Verfall des ausgehenden Jahrtausends beschreibt: »Schuld daran ist meiner Meinung nach für unsere Generation die Zeitschrift Tempo in den achtziger Jahren, die mit ihrem Werbespruch ›Anything Goes‹ und der gleichlautenden Haltung und ihren Inhalten und Bildern dieses ganze Schlamassel erst angerichtet hat.«40 Das Generationenkonzept ist für die Repräsentation von Vorlieben und Abneigungen als ein spezielles Mittel der Zeitgeistbestimmung insbesondere für das Marketing von besonderer Bedeutung, da es eine Kollektividentität konstruiert, die sich auch durch Konsumentscheidungen vervielfacht. Damit übernimmt es eine doppelte Funktion, die bereits für die soziologische Zeitdiagnose von Karl Mannheim 1928 betont wurde: 40
Joachim Bessing: Tristesse Royale. Das popkulturelle Quintett mit Joachim Bessing, Christian Kracht, Eckhart Nickel, Alexander v. Schönburg und Benjamin v. Stuckrad-Barre. Berlin 1999, 162.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
»Das Problem der Generationen ist ein ernst zu nehmendes und wichtiges Problem. Bei der Erkenntnis des Aufbaues der sozialen und geistigen Bewegungen ist es einer der unerläßlichen Führer. Seine praktische Bedeutung wird unmittelbar ersichtlich, sobald es sich um das genauere Verständnis der beschleunigten Umwälzungserscheinungen der unmittelbaren Gegenwart handelt.«41 Generationenzugehörigkeit dient sowohl als Anhaltspunkt sozialer Standortbestimmungen als auch zur identitätswirksamen Selbstbeschreibung. Die Metapher Heimat, die Ralf Konersmann auch aufgrund dieser Identitätswirksamkeit mit dem Zeitgeist koppelt,42 wird nach ihrer sukzessiven Loslösung von völkisch-nationalen Vorstellungen u.a. auch als Ausdruck für das Generationengefühl gebraucht, das Zugehörigkeit und Vergemeinschaftung in der Zeit nahelegt. So versteht Ulrike Jureit ›Generation‹ als eine »zeitliche Ordnungskategorie« und markiert mit dem Begriff der ›Zeitheimat‹ den Konnex zwischen Generation, Zeitlichkeit und Beheimatung.43 Die Verwandtschaft zwischen Generation und Zeitgeist ergibt sich aus der Gemeinsamkeit von kollektiver und chronologisch-linear begrenzter Rahmung, die in erster Linie Erfahrungsgemeinschaften zusammenführen möchte. Dabei wird die kollektive Rahmung sowohl anhand nationaler und regionaler, aber auch milieuspezifischer Grenzen festgemacht. So betont Mannheim, dass sowohl der Zeitgeist als auch die Generation immer nur Ausschnitte repräsentieren. Aus einer Generationslage, die bei ihm die Gesamtheit einer Alterskohorte bezeichnet, entspringt dann die eine oder andere Generationseinheit, wenn eine relativ diskursmächtige Gruppe dieser Gesamtheit den Eindruck gemeinsamer Ziele und Vorstellungen hervorbringen kann. Mannheim spricht bei so einem Erfolg von einer Entelechie, einer treibenden Kraft des Generationszusammenhangs, der sich des Zeitgeistes einer Epoche bediene. Zeitgeist eröffnet auch bei Mannheim nur eine ganz bestimmte, nämlich die mit einem hegemonialen Deutungsmuster ausgestattete Perspektive: »Spricht man von ›Zeitgeist‹, so muß man genau so klar wie bei den übrigen Faktoren sehen, daß der jeweilige ›Zeitgeist‹ nicht der Geist der gan-
41 42 43
Karl Mannheim: Das Problem der Generationen. In: Kölner Vierteljahrshefte für Soziologie 7 (1928), 157-185, 309-330, 168. Vgl. Kapitel 2.1 in dieser Arbeit. Vgl. Ulrike Jureit: Generationenforschung. Göttingen 2006, 7.
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Zeitgeistjournalismus
zen Epoche ist; sondern was man als solchen zumeist ansieht und anspricht, seinen Sitz meistens in einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zu besonderer Bedeutung gelangenden sozialen (einfachen oder zusammengesetzten) Schicht hat, die dann ihre geistige Prägung auch den übrigen Strömungen aufdrückt, ohne diese aber zu vernichten oder zu absorbieren.«44 Die wechselseitige Bezugnahme von Zeitgeist und Generation, die bei ihm gewissermaßen als Gegenbegriffe konzipiert sind, entwickeln in den 1980er Jahren eine eigene Energie. In ihrer Zuspitzung bringen Zeitgeist und Generation ein besonderes Potenzial zur Stiftung prozessualer Identitäten im Milieu der weißen akademischen Mittelschicht hervor. So zeichnet sich im Sinne der oben genannten Präferenz hegemonialer Perspektiven die Zeitgeistbestimmung im Zeitgeistmagazin auch dadurch aus, dass man sich als Indikator im Regelfall bloß bestimmte aufstrebende Gruppen vornimmt, »die schon eine recht hohe Sichtbarkeit im Bereich der neuen, metropolitanen Kultur und Mode erzielen und deren Favoriten bereits mitunter über den Status des Geheimtipps hinausgelangt sind«45 , die aber zugleich in ihrer Auswahl und durch den repräsentativen Anspruch dieser Bestimmung über die Diversifizierung der Lebensstile am Ende des 20. Jahrhunderts hinweg täuschen.46 Auf die männliche Deutungshoheit in der Generationenstiftung und ihrer Historisierung verweist u.a. Lu Seegers. Diese kommt auch in Zeitgeistmedien darin zum Vorschein, dass Mädchen und Frauen lediglich als Anhängsel der männlichen Träger neuer Trends betrachtet werden.47 Wie über Generationen berichtet wird, wird dabei nicht nur durch die mittelständische und ›männliche Perspektive‹ bestimmt, sondern auch die Rede von ›normaler‹ Nationalidentität, die Abgrenzungen von einer als überkommen dargestellten ‘68er-Generation, deren Ziele und Errungenschaften aber zugleich anerkannt werden, die Behauptung eines sukzessiv stärker werdenden Individualisierungsdrucks, aber nicht weniger die durch Zielgruppendefinition festgesetzte späte Jugendlichkeit einer postadoleszenten Leser*innenschaft und damit einhergehenden Probehandlungen, Destabilisierungen und Infragestellungen von Werten. In den Zeitgeistmedien lassen sich mit generatio-
44 45 46 47
K. Mannheim: Generationen, 322. Thomas Hecken: Art. Lebensstil und Zeitgeist. In: HbP, 265-274, 271. Vgl. auch T. Hecken: Zeitgeistjournalismus und Literatur, 263. Vgl. ebd. Vgl. Lu Seegers: Einleitung. In: Dies. (Hg.): Hot Stuff. Gender, Popkultur und Generationalität in West- und Osteuropa nach 1945. Göttingen 2015, 7-35, 10.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
nellen Vorstellungen also Regulierungen ausmachen, die mit Zuschreibungen und Ausschlüssen postheroische Identitäten herstellen und dies sowohl in einem ironisch distanzierten als auch in einem nicht markierten narrativen Modus der Selbstverständlichkeit. Die soziologische Fundierung eines Generationenkonzepts findet in der klassischen Generationenforschung mit der Annahme eines gemeinsamen kulturellen Kontextes statt. Die Partizipation an den Geschehnissen und die Wahrnehmung derselben müsse aus der gleichen »Lebens- und Bewusstseinsschichtung« heraus stattfinden können.48 Mannheim hat, wie schon gezeigt, auf dieser Basis das Konzept der Generationseinheit geprägt, das im Rahmen des Generationszusammenhangs durch das je verschiedene Wahrnehmen der gemeinsamen Erlebnisse hervortritt. Diesen kulturellen Bezugsrahmen bilden in der Generationenbestimmung durch Tempo zweifelsohne die Zeichen, Themen und Motive von Pop- und Populärkultur. Die Generationenfrage bekommt damit eine Dynamik, die mit der klassischen Konzeption Mannheims noch nicht eingeholt wurde und die auch in der Gleichzeitigkeit von Benennung und Hervorbringung der Generationsverbindungen innerhalb der zirkulären Zeichenproduktion von Popkulturen besteht.49 Die Interaktionsmuster solcher Inszenierungen beschreibt beispielsweise Walter Meyer im Editorial der Tempo-Ausgabe von Dezember 1994: »Zu den beeindruckendsten Ereignissen des Monats zählt die starke Achselbehaarung von Juliette Lewis als Mallory in ›Natural Born Killers‹. Ob die Büschel für einen Trend stehen? Ob sie uns etwas über die Verfassung der Generation X erzählen? Ob sie Marketingkonzepte beeinflussen? Auch jede einzelne Tempo-Ausgabe wird von den Trendforschern detailliert ausgewertet. […] Die Lifestyle-Stasi meldet alle Veränderungen blitzschnell an die Marketingabteilungen der Zigaretten-/Turnschuh-/Jeans-Firmen. Die ganz Schlauen buchen dann Anzeigen in Tempo. Die Redakteure von Tempo […] wiederum überlegten sich, ob diese Anzeigen gut oder böse sind.«50
48 49
50
Vgl. K. Mannheim: Generationen, 180. Björn Bohnenkamp, der neben Tempo verschiedene deutschsprachige Schriftmedien auf ihre Inszenierungen von Generationen hin befragt, spricht deshalb im performativen Sinn von »Doing Generation«. Björn Bohnenkamp: Doing Generation. Zur Inszenierung von generationeller Gemeinschaft in deutschsprachigen Schriftmedien. Bielefeld 2011. Walter Meyer: Wir Tempo. Es ist Dezember. Was für Pullover tragen Tempo-Leser? In: Tempo, Dezember 1994, 5.
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Zeitgeistjournalismus
Deutlich wird hier der Zusammenhang von Produktion, Distribution, Konsumption und Reproduktion. Die Rezeption der Zeitgeistbestimmung führt zum einen zu der Annahme, dass die Diagnosen der Zeitschriften stellvertretend für etwas Umfassenderes sein könnten. Zum anderen führt sie zur Adaption und Abwandlung der repräsentierten Stile und Haltungen und so zu einer Inkorporation der Diagnosen. Damit werden die Zeitgeistbestimmungen gleichzeitig aktualisiert und fixiert. Trendforschung und Marketingabteilungen ziehen aus der Gestaltung der Zeitschriften Schlüsse auf das Konsumverhalten ihrer (noch nicht algorithmisch erfassten) Zielgruppen und ergreifen entsprechende verkaufsfördernde Maßnahmen, wodurch die Zeitgeistbestimmungen zusätzlich gestützt werden. In der Redaktion von Tempo ist man sich deshalb sehr bewusst, dass die Rede von Generation – im Beispiel von Walter Meyer also von der Generation X – immer einen performativen Charakter besitzt. Ein Merkmal dieser Performativität ist neben ihrer Marktorientierung in Tempo die ausgeprägte Selbstbezogenheit, die im Zeitgeistjournalismus eine gesonderte Rolle spielt. Wie Maxim Biller rückblickend feststellt, sei dieser Modus nicht nur als ein kritischer Kommentar gegenüber »journalistischer Wahrheit« zu verstehen, sondern er diene zugleich dazu, die Position des journalistischen Selbst zu sichern oder durchaus in heldenhafter Manier zu erhöhen: »Jeder Artikel in Tempo war dazu da, das Ich seines Autors oder zumindest des Chefredakteurs ein bisschen größer zu machen.«51 Die primäre Bedeutung, die das Moment der Subjektivität in der Konzeption von Generationen besitzt, verdeutlicht Jürgen Reulecke: »Das ›Generationelle‹ […] wird […] mit der Subjektivität von Personen oder Personengruppen als Spezifikum ihrer ›Identität‹ oder mentalen Beschaffenheit in Verbindung gebracht. ›Generationalität‹ zielt demnach nicht auf eine (rückblickende oder aktuelle) mehr oder weniger idealtypische Konstruktion von quasi ›objektiv‹ faßbaren Generationenstrukturen ganzer Ko-
51
Maxim Biller: Hat’s Spaß gemacht? Bettina Röhl fragt ihre Tempo-Kollegen von damals. In: Dummy (3) 2004, 114-115, 114. Die heroische Konnotation des journalistischen Schreibens hebt auch Peter Dahlgren hervor: »[T]here is an aura of the self-evident with regard to journalism. Even in popular fiction we find a rather consistent, if mythic portrayal: the heroic image of the journalist defending the truth against the many dragons of darkness in the modern world.« Peter Dahlgren: Introduction. In: Ders., Colin Sparks (Hg.): Journalism and Popular Culture. London, Newbury Park, New Delhi 1992, 1-23, 1.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
horten, sondern auf eine Annäherung an die subjektive Selbst- oder Fremdverortung von Menschen in ihrer Zeit und deren damit verbundenen Sinnstiftungen – dies mit Blick auf die von ihnen erlebte Geschichte und die Kontexte, die sie umgeben, die sie wahrnehmen und in denen sie ihre Erfahrungen machen.«52 Das Wissen davon, dass die Rede von einer Generation, die nicht nur als historisches Narrativ dient, sondern in erster Linie den Zeitgeist inkorporieren will, höchst subjektiv sein muss und sich immer gewahr darüber ist, ein bloß persönlicher Eindruck zu bleiben, wird von den Autor*innen besonders betont. Im Dezember 1988 schreibt Julie Burchill im Rückblick auf das »Spaßjahrzehnt« der 1980er Jahre: »Mir ist schon lange das Gerede von ›Generationen‹ und ›Jahrzehnten‹ suspekt. Dahinter verbirgt sich nicht mehr als ein aufgeblasener Schreiber, fünf Freunde und drei Dutzend Martini-Cocktails, die von kurzlebigen Zeiterscheinungen geschüttelt und gerührt werden. Persönliche Vorlieben werden zum Symbol, die Sauferei eines einzigen Mannes zum Trend einer ganzen Nation. F. Scott Fitzgeralds Jazz-Zeitalter war genausowenig das Amerika der 20er Jahre, wie Jerry Rubins Neues Zeitalter das Amerika der 60er Jahre war. Was folgt, ist also eine rein subjektive Bilanz der 80er Jahre und nimmt nichts anderes für sich in Anspruch, als die absolute Wahrheit zu sein.«53 Die 1980er-Seiten jener Ausgabe sind zusammengesetzt aus kurzen Beiträgen über gesellschaftlich und (pop-)kulturell überformten Themen wie Aids, Acid House, Tschernobyl, New Age etc. sowie aus einer 1980er-Chronik und verschiedenen 1980er-Charts. Mit der Zusammenstellung dieser Aspekte des vergangenen Jahrzehnts wird zum einen eine selbsthistorisierende Komponente eingeführt, die mit Affekten, Erinnerungen und kollektiven Erfahrungen verbunden ist und die Popkultur dabei stark in den Vordergrund rückt. Die Themen besitzen zum anderen, wie bereits aufgezeigt, eine Integrationsfunktion, die zumindest einen Gemeinschaftszusammenhang der Rezipienten nahelegt und dies ungeachtet der mit ihnen einhergehenden Verunsicherungen. Die Anrede über das Personalpronomen ›wir‹, aber auch über Inde52
53
Jürgen Reulecke: Einführung: Lebensgeschichten des 20. Jahrhunderts – im »Generationencontainer«? In: Ders. (Hg.): Generationalität und Lebensgeschichte im 20. Jahrhundert. München 2003, VII-XV, VIII. Julie Burchill: War da was? In: Tempo, Dezember 1988, 7-8, 7.
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finitpronomen wie ›man‹54 richten sich dabei an eine nicht näher bestimmte Gruppe und suggerieren Einverständnis mit den dargestellten Einschätzungen und Bewertungen.55 Das folgende Kapitel untersucht vor diesem Hintergrund die zeitgeistjournalistisch inszenierte Generationalität um 1990 und arbeitet einerseits ihre postheroischen Elemente und andererseits ihr Potenzial, als Differenzkategorie zu dienen, heraus. In einem zweiten Schritt wird dann die Dynamik einer Identifizierung mit dem Nichtidentischen anhand postheroischer Generationskonzepte wie der Generation X oder der Generation Golf dargestellt. Am Beispiel der Entgrenzung des Prinzips ›Jugend‹ kann die popkulturelle Dimension dieser Dynamik beschrieben werden. Der ironische Zeichengebrauch, der sich im Zeitgeistjournalismus stark ausprägt, wird dazu als Mittel der Wahl vorgestellt, mit dem diesen Spannungen nicht nur zeitweilig und mit dem Gestus der Avantgarde begegnet, sondern das als wesentlicher Modus von Popkultur internalisiert wird. Inwieweit eine postheroische Generationalität sich nicht nur in der Aktualität, sondern ebenfalls in der retrospektiven Nacherzählung ihrer Alltagserfahrungen entwickelt, lässt sich im Kontext der Popliteratur schließlich anhand des Bestsellers Generation Golf bzw. der von Joachim Bessing initiierten Protokollierung der Hotelgespräche des »popkulturellen Quintetts« in Tristesse Royale aufzeigen. Von diesem Generationenkonzept ausgehend wird die erfolgreiche Bewältigung der Schwierigkeit deutlich, mit der sich eine effektvolle Gestaltung von scheinba-
54
55
Zum Beispiel der auf die 1980er-Jahre zurückblickende Satz: »Man trug nicht mehr Gesinnung, man trug Gaultier«. Anonymus: Modenmanie. In: Tempo. Dezember 1988, 25. Dieses »man« ließe sich hier auch als Interpellation begreifen, die ein popkulturelles Subjekt anruft, das sich wie bei der Generationsbestimmung als in diesem Narrativ eingebunden anerkennt. Dass dieser Gemeinschaftszusammenhang dann am Ende eine lose Konsumgemeinschaft darstellt, ist ein Kritikpunkt aus linker Perspektive, nach der sich eine solche Integrationsfunktion zu systemerhaltender Verklärung zuspitze. Ein Journalist der Zeitschrift Konkret sieht in »solchen redaktionell gewollten syntagmatisch verkümmerten Parallelschaltungen« sich den »Kapitalismus unvermeidlich zum Erlebnis-Center« wandeln: »Wie in der Warenwerbung laufend neue Generationen von Autos, Staubsaugern oder Computern propagiert werden, so hat in den Generations- und Dekadenmythen das Geschichtsbewußtsein zu seiner Warenästhetik gefunden. Die Sucht nach Bilanzierung, die Konstruktion von ›Epochen‹ & ›Generationen‹ in immer kürzeren Rhythmen, entspringt dem Wunsch, sich mit etwas Größerem zu identifizieren.« Patrick Grad: Generation XY, übernehmen Sie. In: Konkret, Oktober 1995, 56.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
rer »Mittelmäßigkeit« etwa im Gegensatz zum Leid am »grandiosen Schicksal transzendentaler Obdachlosigkeit«56 konfrontiert sieht.
3.1.1.
Der Yuppie als Generationsvertreter
Nicht nur Generationalität stellt ein Abgrenzungs- und Anerkennungsmittel in den Zeitgeistmedien dar. Als wiederkehrende Praxis von Pop- und Jugendkulturen vor 1980 kann etwa das Abwenden von der ›Masse‹, dem ›Mainstream‹ oder dem ›Establishment‹ gelten, das in Tempo besonders in der (vermeintlichen) Abhebung vom etablierten Medienbetrieb fortbesteht. Breit gefächert fällt zudem die Reihe von Zeitgeist-Typen aus, zu denen Journalist*innen sich kommentierend und beurteilend ins Verhältnis setzen und damit herbeiführen, dass auch Leser*innen urteilen, sich vergleichen, imitieren, abheben oder eine Zugehörigkeit bekennen. Eine solche Typen-Bestimmung von ›Hippie‹, ›Grufti‹, ›Schicki‹ oder ›Skater‹ orientiert sich vorwiegend an dem situativen und vestimentären Kontext. Dies hat den Effekt, dass die Journalist*in und bzw. die Lesenden sich von allzu überzogenen Selbstentwürfen abgrenzen können, aber auch dass über andere Ausschlüsse hinweggetäuscht wird oder bestimmte Zeitgeist-Typen und Moden mit liberaler Geste als Zugewinn von Ausdrucksmöglichkeiten gutgeheißen werden. Letzteres trägt wiederum dazu bei, dass eine (Generations-)Zugehörigkeit umso intensiver erfahren wird. Exemplarisch deutlich werden soll dies an jener Figur, deren Bezeichnung einerseits als Reizwort in der Debatte um Popliteratur erscheint und die einen prominenten Typus des Figurenarsenals jener Literatur darstellt, und andererseits bereits in Tempo eine besondere Relevanz erhält, da sie im Mediendiskurs der 1980er Jahre vielfach mit dem Potenzial ausgestattet wird, die ›Narzißgestalt des Zeitgeistes‹ zu inkorporieren: der Yuppie. Nicht zuletzt, weil er selbst vielfach in Medienfirmen verortet wird, zieht der (meist männliche) Yuppie die Aufmerksamkeit des Mediendiskurses auf sich. Er wird inszeniert als Akteur internationalen Jetsets und Vertreter ausgreifenden Konsums. Im Gegensatz zum Playboy der 1960er und 1970er Jahre wird der Yuppie als Repräsentant eines breiteren gesellschaftlichen Trends der 1980er Jahre inszeniert, der mit Statussymbolen und Kokainkonsum assoziiert ist. Dabei dient der Titel, ähnlich wie im Falle des neuen Hipsters 56
Günter Blamberger: Die Mühen der Ebenen. Dichtung in postheroischen Zeiten. Rede zur Verleihung des Kleist-Preises an Wilhelm Genazino am 25. November 2007 in Berlin. In: Ders. et al. (Hg.): Kleist-Jahrbuch. Stuttgart 2008/2009, 5-9, 7.
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Anfang des 21. Jahrhunderts, fast ausschließlich als Fremdzuschreibung und – wie in Bret Easton Ellis‘ Roman American Psycho – wird der Yuppie in erster Linie dazu herangezogen, um spätkapitalistische Verfallserscheinungen zu diagnostizieren. Dass Ellis‘ Protagonist Patrick Bateman als Leser von Zeitgeistmagazinen beschrieben wird, unterstreicht den kritisierten Zusammenhang von Yuppie und Zeitgeist. Schließlich wird auch American Psycho in einer Tempo-Ausgabe von Christian Kracht rezensiert. »Tempo, ein Magazin für die Yuppies« titelt auch die Welt im März 1986 und erblickt in der Zeitschrift den »Untergang des Abendlandes«.57 »Cash, Kaviar und Champagner ist die Formel des Zeitgeists«, schreibt eine Journalistin in der Stuttgarter Zeitung, »dessen wahrer Star ist der ›Yuppie‹; der junge, rücksichtslose Einzelkämpfer, der über überdurchschnittliche Bildung und ein ebensolches Einkommen verfügt, der, Lieblingsthema von Tempo und Wiener, an der Börse spekuliert und seine Freizeit mit schnellen Autos und schicken Klamotten verschönt«58 . Das Zeitgeistmagazin begegnet diesen Vorwürfen einerseits durch ironische Übernahme der Kritik und andererseits durch Historisierung. So kann man bereits im Dezember 1988 lesen: »Er [der Yuppie, KS] hatte einen fetten, zufriedenen Gesichtsausdruck. Er wirkte schrecklich heiter und gleichzeitig schrecklich gehetzt. Bestimmt kokste er, aber nicht zum Vergnügen, sondern um durchzuhalten: Der Yuppie mußte arbeiten, Tag und Nacht. Wie sollte er sonst seine gestreiften Hemden, Alden-Schuhe, Club-Med-Ferien und das Golf-GLI-Cabrio finanzieren? 1984 war der Yuppie aus dem Nichts aufgetaucht. Er tummelte sich in Banken und Jurafakultäten, in Kneipen und Computer-Lehrgängen. Keiner mochte ihn: Weder die Alt-68er, noch die Journalisten, noch seine Altersgenossen.«59 Der ›Zukunftsforscher‹ Matthias Horx behauptet daneben, dass es den Yuppie zwar in Amerika, jedoch in Deutschland niemals gegeben hätte. Horx zufolge stammt das Gerücht vom Yuppie insbesondere aus dem linken Milieu und der Hass, der dem Yuppie entgegengebracht wird, gründet sich in einer Mischung aus schlechtem Gewissen, diesem Bild selbst zu ähneln, Angst vor
57 58 59
Vgl. Caspar von Schrenck-Notzing: Zeitschriftenkritik: Tempo, ein Magazin für die »Yuppies«. Vom Jahrmarkt der Einsamkeiten. In: Die Welt, 20.03.1986. Annette Meyhöfer: Jargon der Flapsigkeit. In: Stuttgarter Zeitung, 14.05.1986. Anonymus: Yuppie. In: Tempo, Dezember 1988, 27.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
dem Verlust stiller Privilegien und Bequemlichkeit, nicht genauer hinzusehen.60 Damit wandelt er die Polemik gegen den (US-amerikanischen) Yuppie in eine liberale Position: Aus der von linker und kulturkonservativer Seite geäußerten Kritik wird eine Kritik an der Engstirnigkeit und Scheinheiligkeit dieser Seite. Dennoch wird in den Zeitgeistmagazinen mit den typischen Eigenschaften, die dem Yuppie zugeschrieben werden, aktiv um Anzeigenkund*innen geworben und auch im vorgestellten Yuppie-Penthouse, wie man in der deutschsprachigen Ausgabe des 1984 erschienenen The Yuppie Handbook lesen kann, liegt neben Capital und Vogue immerhin auch Tempo auf dem Coffee Table.61 Neben dem Yuppie erhält ein weiterer Repräsentant einer homogen vorgestellten Gesellschaftsgruppe eine besondere Wichtigkeit. Mit dem wiederum männlich codierten Vertreter der 1968er Generation geht eine besondere Präsenz im Generationendiskurs einher. Die 1968er Generation unterscheidet sich darin als letzte ›heroische Generation‹ von den nun anzutreffenden postheroischen Generationen dadurch, dass sie sich erfolgreich und heldenhaft in der Öffentlichkeit inszeniert hat.62 Postheroische Generationen beziehen sich hingegen nicht mehr vorwiegend auf ihre Rolle innerhalb politischer Ereignisse, sondern vielmehr auf einen gemeinsamen Erfahrungszusammenhang, der vor allem durch Konsummuster markiert wird. Der vormals im Zeichen von Dissidenz beschworene »Heroismus der Abweichung«63 wird damit abgelöst von eher ›weichen‹ Generationenkonstituenten. Hier steht der selbstdiagnostizierte neue Materialismus dem Interesse an Körpern und Posen gegenüber, der den Topos des Helden nur noch teilweise aufgreift. Vielmehr werden die Vorstellungen von Agonalität ersetzt zugunsten von sexuellem Reiz und
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Vgl. Matthias Horx: Das Wörterbuch der 90er Jahre. Ein Gesellschaftspanorama. Hamburg 1991, 273ff. Vgl. Marissa Piesman, Marilee Hartley: Das Yuppie Handbuch. Blicke in die Lebens- und Konsumgewohnheiten der Young Urban Professionals. Berlin 4 1988, 25. Vgl. Kaspar Maase: Farbige Bescheidenheit. Anmerkungen zum postheroischen Generationsverständnis. In: Ulrike Jureit, Michael Wildt (Hg.): Generationen. Zur Relevanz eines wissenschaftlichen Grundbegriffs. Hamburg 2005, 220-242. Dass mit solch einer politisch-historischen Generationenkonzeption faktisch nur Männer erfasst werden, weist Christina Benninghaus nach. Christina Benninghaus: Das Geschlecht der Generation. Zum Zusammenhang von Generationalität und Männlichkeit um 1930. In: U. Jureit, M. Wildt (Hg.): Generationen, 220-242, 222. Vgl. D. Diederichsen: Über Pop-Musik, XVIII.
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Zeitgeistjournalismus
Selbstdarstellungen innerhalb einer zunehmend ambivalenten Geschlechtermatrix.64 ›Post‹ bedeutet deshalb auch, dass das ›Heroische‹ früherer Generationen nicht allein abgelehnt wird, sondern dass seine Energien zum Teil verschoben werden und auch auf anderer Ebene wiederauftauchen.
3.1.2.
Überschreibung von Gegenkultur
Bereits die Punk- und New Wave-Bewegungen Anfang der 1980er Jahre zeichnen sich durch das dezidierte Abheben gegenüber einer Alternativkultur der ‘68er-Generation aus. Die in diesem Zusammenhang entstandene Figur einer »Negation von Negation« – die Ablehnung einer ablehnenden Haltung – als coole65 Haltung, taucht zwar auch im Zeitgeistdiskurs auf. Sie hebt hier jedoch weniger auf ein subversives Potenzial ab, das ihr noch Punk und New Wave abgewinnen wollten, sondern scheint vielmehr die unterbestimmte Stellung der Zeitgeistklientel zu markieren, die von Matthias Horx als »Mischmasch aus schlechtem Gewissen, leichter Resignation und Verachtung für die überkommene Freak-Moral«66 beschrieben wird. So wird in Tempo nicht immer und ausschließlich gegen die ›‘68er‹ geschrieben, sondern es lässt sich auch Sympathie ausmachen: »Mein Verhältnis zur 68er-Generation ist das Verhältnis meiner Großmutter zu bestickten Plüschkissen«, schreibt beispielsweise der 1962 geborene Journalist Andrian Kreye zum Thema »Wir und ‘68«. »Wann immer ich einen der Übriggebliebenen treffe, vermittelt er mir mit seiner Aura der ›guten alten Zeit‹ eine Heimeligkeit, die mir als Kind der
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66
Vgl. Kapitel 3.2 in dieser Arbeit. Coolness wird hier nach Diedrich Diederichsen als Wert relevant, der eine ästhetische mit einer ethischen Bestimmung verbinde. Der subkulturelle Gebrauch des Wortes »cool« ist zwar schon älter und fand erst im Jazz und später auch in der Beatbewegung vielfach Eingang. Mitte der 1980er Jahre sei die Haltung der 1968er Alterativbewegung aber insofern nicht als cool zu bezeichnen, als die Konnotation des Prekären, Gefährlichen und Verbotenen nicht mehr richtig passen würden. Cool sein, heiße zwar in der Gangstersprache vor allem »außer Gefahr sein« – »Stay cool!« wäre am Ehesten mit »Bleib sauber!« zu übersetzen – impliziere aber immer auch, dass die Haltung oder der Vorgang (das Drogengeschäft o.Ä.) üblicherweise das Gegenteil sei. Als cool werde jemand bezeichnet, wenn er seine »natürlichen Feinde«, Polizei, Lehrer, Gefängnisaufseher, Sklaventreiber, unter Kontrolle habe. Vgl. D. Diederichsen: Über Pop-Musik, 200f. Matthias Horx: Die wilden Achtziger. Eine Zeitgeist-Reise durch die Bundesrepublik. München, Wien 1987, 66.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
80er Jahre fremd ist. Eine Heimeligkeit, die ich nicht länger als zwei Stunden ertrage, die ich aber hie und da mit voyeuristischem Vergnügen genieße.«67 Denn es gibt Vertreter*innen der ‘68er-Generation, die als »verlogene Revolutionsgewinnler« weitaus schlechter wegkommen. Mit zynischer Geste bemerkt Kreye schließlich, dass er selbst ganz froh sei, ein »oberflächliches, bourgeoises Arschloch« sein zu dürfen, womit er die Polemik gegen den Yuppie auf sich wendet.68 Lucas Koch beklagt mit dem bereits Mitte der 1980er Jahre häufig bemühten Argument, dass die »Konvention des Unkonventionellen« zu einer neuen »Spießigkeit« geführt hätte, die Erstarrung des kritischen Potenzials der Protestgeneration von 1968.69 Und auch Markus Peichl zieht den Kampfbegriff der ›Spießigkeit‹ heran, den die ‘68er-Bewegung gegen ihrer Elterngeneration in Feld geführt haben: »Die nostalgischen Klugscheißer […] können mir gestohlen bleiben. Sie überschütten das ganze Land mit ihrer Jammerkultur. Sie halten das Feuilleton besetzt wie ein verstopftes Klo, delektieren sich am Innerlichkeitsgeseire des deutschen Autorenkinos und weinen bei Hermannvan-Veen-Konzerten Tränen der Rührung. Das Schicksal jeder Bewegung hat sie ereilt: Sie sind zur Konvention erstarrt, zum neuen Spießertum.«70 Als ›Nach-68er-Generation‹ spricht Horx die Leser*innen von Tempo an und nutzt ebenfalls den Begriff der Spießigkeit, um sich von den Theoriediskussionen der ‘68er zu distanzieren: »Aber wir, die wir diese Zeitschrift machen, sind die Nach-68er-Generation. Wir haben die Irrungen und Wirrungen jener Theorieapostel mitbekommen, die sich bis zur Selbstzerfleischung ins Politische verbissen haben. Wir haben gesehen, wie die Totalisierung des ÖkologieGedankens in Spießbürgerlichkeit abgleiten kann.«71 Diese Aussage lässt sich durchaus verallgemeinern und bildet einen über den Zeitgeistjournalismus hinausweisenden popliterarischen Topos. Dabei wird sich nicht allein vom Vorrang der Theorie und des politischen Engagements innerhalb der ‘68erGeneration distanziert, sondern von Idealen – egal welcher Art. Der »eigenen Generation« unterstellt Markus Peichl demgegenüber eine Ideologielosigkeit, die dem Verrat von Utopien auch vor dem Hintergrund der Enttäuschungen 67 68 69 70 71
Andrian Kreye: Wir und ‘68. In: Tempo, April 1988, 50. Vgl. ebd., 50. Vgl. Lucas Koch: Wir und ‘68. In: Tempo, April 1988, 54. Markus Peichl: Wir und ‘68. In: Tempo, April 1988, 50. Matthias Horx: Das Kreuz mit dem Kreuzchen. In: Tempo, Oktober 1986, 3.
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in jedem Fall vorzuziehen sei und die ihre Position ins Positive wendet: »Keine Frage: Unsere Generation hat keine Visionen, keine Utopie, keine Ideologie. Sie hat gar nichts. Aber nichts zu haben, ist immer noch besser, als alles zu verspielen.«72 Die vermeintliche Ideologielosigkeit einer postheroischen Generation zeigt sich auch in der Überschreibung der theoriegeleiteten Figur einer ›Gegengegenkultur‹, wie sie im Pop(musik)journalismus der frühen 1980er Jahre entwickelt wurde. Während es den Vertreter*innen der ›Gegengegenkultur‹ nicht darum ging, die Ideale der Alternativbewegung schlichtweg zu verwerfen oder allein aus der Differenz eine politische Legitimation zu beziehen, sondern darum, die linke Kritik durch formale Abwandlung auf eine zweite Ebene zu heben, bemüht sich der Herausgeber von Tempo intensiv um den Gestus dieser Gegengeneration, indem er die äußere Haltungen der ‘68er-Generation polemisch ablehnt und ins Gegenteil wendet. So versucht Markus Peichl rückblickend in einem fingierten Interview mit einer Spiegel-Redakteurin dieses Motiv als ›Zeitgeist-Generation‹ zu etikettieren: »Solidarität, Engagement, Authentizität, Innerlichkeit, Idealismus, Moral – alles diente nur noch zur Absicherung der eigenen Position und wurde deshalb hohler und hohler. Unsere Generation, die Zeitgeist-Generation, konnte mit diesen Begriffen nichts mehr anfangen, weil die 68er sie zerstört hatten. Wir haben ihre ursprüngliche Bedeutung nie abgelehnt, aber ihre Pervertierung mußten wir bekämpfen. Die einzig taugliche Methode waren rigorose Sprachlosigkeit, bewußter Anti-Intellektualismus und exzessiver Formalismus, also die Hinwendung zu Konsum, Mode, Luxus, Körperbewußtsein, Design. Wenn Inhalte sterben, muß die Form sie wiederbeleben. Wenn die Innerlichkeit dahinsiecht, muß Äußerlichkeit sie schützen. Deshalb waren die Erscheinungen des Zeitgeistes – Hedonismus, Ästhetizismus und Individualismus – durchaus rebellisch, durchaus moralisch und durchaus ideologisch.«73 Bernhard Pörksen identifiziert dies als »eine implizit wirksame Haltung«.74 Die Distanzierung gegenüber den postmaterialistischen Einstellungen der 1968er-Generation führt aber selbst als implizite Fortführung deutlicher noch verstanden als Überschreibung von einer engagierten (Gegen-)Gegenkultur
72 73 74
M. Peichl: Wir und ‘68, 50. M. Peichl: Die Dame vom Spiegel, 60. Vgl. B. Pörksen: Die Tempojahre, 313.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
durch den Zeitgeistdiskurs zu bestimmten gesellschaftspolitischen Effekten. Mit Blick auf die 1980er Jahre stellt Thomas Hecken fest, dass der »Erfolg ihres antialternativen Projekts […] so groß aus[fällt], daß mit der Austreibung alternativer Formlosigkeit und Spiritualität auch die kapitalismuskritischen Ansätze insgesamt stark unter Druck geraten.«75 Das Versprechen der Identität durch Differenz, das den Rebellen zum Typus einer Konsumkultur werden lasse, sehen auch die Autoren des Sammelbandes »Mainstream der Minderheiten«, Tom Holert und Mark Terkessidis, als einen Mechanismus der »Mainstream-Medienmaschine«, durch den echte Oppositionen von monokulturellen und normalisierenden Formen der Warenproduktion verhindert würden. So wundert es nicht, dass die Ablehnung der Alternativkultur in Tempo insbesondere in der zweiten Phase ab 1991 nicht weiterhin explizit stattfindet, sondern der Konsumismus auch ohne rebellische Stilisierung zu einer vorherrschenden Haltung werden kann. Der Vorwurf der Theorieverhaftung und die Suspendierung von Theorie lassen es schließlich zu, dass zwischen ›echt‹ und ›strategisch‹, zwischen ›Ideologie‹ und ›Ideologiekritik‹ keine Unterscheidung mehr auszumachen ist. Diese Abwendung von einem Diskurs, der nicht mehr der Diskurs der eigenen Generation gewesen sei, beschreibt Matthias Horx 1987 in seinem populären Sachbuch Die wilden Achtziger als eine politische Melancholie, bei der ›das Politische‹ gar nicht mehr infrage steht: »Zunächst waren wir ›grundsätzlich irgendwie‹ für die SPD. Später verblaßten die politischen Fragen. Politik kam mir furchtbar hohl und nichtssagend vor, sie hatte etwas mit nervigen Moralisten zu tun, die einem ständig vorschrieben, für was man sich zu interessieren hatte. Ich hatte das Gefühl, daß das alles nicht mehr unser Diskurs war. Andererseits waren wir aber nicht unpolitisch oder gar rechts. Wir hatten eine Art ›politische Melancholie‹, eine Trauer, daß alles vorbei und verbraucht war, und wir es irgendwie verpaßt hatten. Kann ja sein: Vielleicht wären wir gerne Freaks geworden, aber es war zu spät.«76 Sowohl an der identifikatorischen Abhebung vom Yuppie als auch vom Heroismus der Gegenkultur lässt sich ablesen, dass die Zeitgeistkritik in Form von Generationalität unbestimmt und widersprüchlich bleibt. Tempo, Wiener, Allegra, Max und andere Zeitgeistmedien bringen eine (journalistische) Sprache 75 76
Thomas Hecken: Zeitgeistjournalismus und Literatur, 257. M. Horx: Die wilden Achtziger, 65.
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hervor, die aufgrund ihres bunten und ironischen Gestus Ambivalenzen provoziert. Damit wird ein Feld abgesteckt, das der Zeitgeistjournalismus selbst nicht ästhetisches fruchtbar machen kann, auf dem die Popliteratur aber später agieren wird. So bemerkt Christian Kracht bereits im Jahr 1994 in einer Tempo-Ausgabe, dass der grelle und hyperironische Zeitgeist der 1990er Jahre selbst verhindere, adäquat auf ihn zu antworten: »›Schrill‹ sein, hyperironisch sein, überdreht sein, das waren die Hilfsmittel der achtziger Jahre, um eine immer schneller werdende Kultur zu begreifen. Heute aber ist die Kultur selbst hyperironisch und überdreht. Und dem kann niemand mehr einen draufsetzen.«77
3.1.3.
Generation X
Wie Ulrike Jureit festhält, dienen Generationen dazu, »historischen Wandel in einer lebensgeschichtlich überschaubaren Zeitspanne kollektiv wahrzunehmen und ihn mit der generativen Erneuerung von Gesellschaften in Zusammenhang zu bringen«78 . Damit stellt Generation nicht nur eine gegenwartsdiagnostische Kategorie dar, sondern sie besitzt auch ein gewisses antizipierendes Deutungspotenzial. Zwar impliziert dieses meist keine konkreten Handlungsanleitungen, dennoch hat das Generationenkonzept einen unverkennbaren Orientierungscharakter, der bestimmte Effekte hat: »Zwar liegt der Schwerpunkt der vermuteten Gemeinsamkeit darin, dass Altersgenossen sich und die Welt ähnlich wahrnehmen und interpretieren, darüber hinaus haben generationelle Selbstbeschreibungen aber auch die Tendenz, zumindest zu gemeinsamen Handlungen aufzufordern oder ein als übereinstimmend empfundenes Verhalten auf die Generationszugehörigkeit der Akteure zurückzuführen.«79 Der Soziologe Karl Mannheim bezieht sich aufgrund dieses generativen Potenzials mit seiner Beschreibung einer Generationenlage mit einigem Grund auf den Begriff der Klassenlage von Karl Marx. Als soziologische Merkmalsgruppe ist das Kollektivbewusstsein hier wie dort letztlich entscheidend für die politische Handlungsfähigkeit. So kann auch ein Generationszusammenhang allererst über das Bewusstsein aus der Generationslage hervorgehen.
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Christian Kracht: Rezension zu »Kika« von Petro Almodóvar. In: Tempo, April 1994, 108. U. Jureit: Generationenforschung, 8. Ebd., 12.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
Im Unterschied zu heroischen Generationen, dienen aber postheroischen Generationen gerade ihr strukturelles Entziehen und Verweigern von Positionen als Handlungspotenzial. Ein Beispiel für die Interpretation von Gesellschaftsverhältnissen durch postheroische Generationalität in Tempo stellt das Bild der linken Studierendenproteste Ende des Jahres 1986 in Frankreich dar. Markus Peichl bespricht diese in der Januarausgabe 1987: »Gerade die Eigenschaften, die man an unserer Generation dauernd belächelt, haben die Studenten so stark gemacht: Weil diese Jugend undogmatisch denkt, hat sie keine Ziele – glauben die Politiker. Blanker Unsinn. Gerade wer keine Rücksicht auf Dogmen nimmt, kann im Einzelfall viel präziser argumentieren und viel genauer auf die Durchsetzbarkeit seiner Forderungen achten.«80 Peichl evoziert mit seiner Feststellung das Gefühl der Selbstbestimmtheit seiner Generation, die sie durch eine freie, flexible und undogmatische Lebensführung erlangt hat. Generativ ist dies insofern, als dieses Bild jene Begründungsfigur aufruft, die das Selbstverständnis folgender Generationskonzepte (Generation Y und Generation Z) maßgeblich formt. Der Liberalismus drückt sich dabei jedoch nicht mehr kollektiv, sondern vielmehr betont individuell aus. Die konkret prospektive Frage »Wie wird die Welt morgen mit dieser Art von Generation aussehen?« wird im zweiten Teil der Doppelnummer von Tempo über die 1990er Jahre formuliert. Der 28-jährige Maxim Biller erhebt an dieser Stelle die Forderung nach einem neuen »futuristischen Expressionismus« in der Kunst, der zwar einer Reihe popverwandter Prinzipien entspricht, zugleich aber die Selbstinszenierung als der Pop Art vorausgehenden Avantgarde – in Anlehnung an den Futurismus und den sogenannten abstrakten Expressionismus – weiterführt. Diese Avantgarde solle sich bejahend zu Technik und Fortschritt verhalten und die von ihm diagnostizierte Stummheit der zeitgenössischen Intellektuellen angesichts von Computern und Medien hinter sich lassen: »Denn wenn Menschen und Maschinen Brüder werden, finden die Künste ihre Sprache wieder.«81 Die neuen Expressionist*innen sollen
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Markus Peichl: Editorial. Alle reden vom Wetter … In: Tempo, Januar 1987, 3. Maxim Biller: Willkommen in der zweiten Moderne. In: Tempo, Dezember 1988, 66. Nicht zufällig ist die Forderung nach einer neuen Sensibilität gegenüber technologi-
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ausschweifend und ihre Leben gekoppelt an Hingabe und Exzess sein, im Gegensatz zu ihrem Widerpart, der auf der Veranda seines Bauernhauses sitze und Angst vor dem dritten Weltkrieg und der Apokalypse habe: »Die surreale Apokalypse allerdings nur, für die echte ist er nicht gerüstet. Der Tanz auf dem Vulkan ist ihm fremd.«82 Mit dem Verweis auf das existenziell Rauschhafte wird hier der Topos des wilden Lebens aufgerufen, der eine zentrale Stellung innerhalb von heroisch konnotierten Jugendkulturen einnimmt. Biller lobt als Vorreiter des neuen »futuristischen Expressionismus« u.a. den Science-Fiction-Autor William Gibson, Monty Python-Mitglied Terry Gilliam, Popautor Peter Glaser und Beatvertreter William S. Burroughs. Bemerkenswert ist neben der angestrebten generativen Funktion dieses Plädoyers, dass Biller ungeachtet seines impliziten Bekenntnisses zum PopPrinzip den Begriff der Popkultur in einem betont abwertenden Sinn verwendet und sie als Gegenbewegung zu seiner erdachten Avantgarde für die Trivialisierung aller Lebensaspekte verantwortlich macht: »Am schlimmsten ist jedoch die Popkultur: Mit geheuchelter Aktualität vulgarisiert sie alle Lebensbereiche und verhindert jeden Fortschritt.«83 Diese Aussage zeigt nicht nur die sukzessive Entgrenzung des Popbegriffs innerhalb des Popdiskurses, sondern es wird hier auch offenbar, dass Biller mit seiner strittigen Stellung gegenüber legitimierter Kultur und Subkultur für ein Spannungsfeld steht, das auch für das Zeitgeistmagazin bestimmend ist. Die nicht selten von Biller, aber u.a. auch von Hubert Winkels oder Denis Scheck verfassten Literaturkritiken prägen das Bild eines Journalismus, der trotz popkultureller Involviertheit zugleich auch einen Gestus pflegt, der im Sinne legitimer Kultur Abneigungen gegen das Konzept Pop formuliert.84 Symptomatisch für diese Positionierung innerhalb und außerhalb eines emphatischen Popkonzepts lesen sich die Sätze Billers über die Popkultur, mit der er ihr Heuchelei und Vulgarisierung vorwirft.
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schem Fortschritt auch ein zentrales Moment der Poetik Rolf Dieter Brinkmanns gewesen. Vgl. R. D. Brinkmann: Angriff, 65-77. M. Biller: Willkommen, 66. Ebd. Vgl. etwa »Neben all den pop-orientierten, temporeichen Texten der pubertätsverliebten Großstadt-Youngster« nehme sich Sten Nadolnys Roman Die Entdeckung der Langsamkeit, »die bedächtig und zugleich spannend erzählte Geschichte des Seefahrers und Entdeckers John Franklin«, im positiven Sinne wie ein Dinosaurier aus, heißt es etwa in einer Rezension von Hubert Winkels. Hubert Winkels: Die Gabe des Erzählens. In: Tempo, Januar 1990, 100-101, 100.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
Nicht ohne Grund bleibt Billers Bestrebung, das generative Potenzial behaupteter Zeitgenossenschaft mithilfe eines Avantgardekonzepts zu nutzen, folgenlos. Indem auch Generationszusammenhänge beginnen, sich über ›weiche‹ Pop-Prinzipien zu definieren, scheinen sie dazu zu tendieren, die kollektive Wahrnehmung der sozialen Wirklichkeit derart verschwimmen zu lassen, dass das Konzept von Avantgarde wenig Beachtung findet. Deshalb formuliert auch Coupland mit der Feststellung einer gleichzeitigen Überund Unterbestimmtheit der Generation X durch historischen Wandel die Wahrnehmung von Zeitgeist auf pointierte Weise. Sein Lexikon für die Generation X führt beides auf: »Historical Underdosing: To live in a period of time when nothing seems to happen. Major symptoms include addiction to newspapers, magazines, and TV news broadcasts. […] Historical Overdosing: To live in a period of time when too much seems to happen. Major symptoms include addiction to newspapers, magazines, and TV news broadcasts.«85 Anlässlich der deutschsprachigen Erstveröffentlichung von Generation X 1993 interviewt Denis Scheck den Autor Coupland. Richtig »in Fahrt« gerate sein Interviewpartner bei dem Thema »highbrow und lowbrow«. Der Autor beschreibt sich selbst als hochgradig von der Popkultur sozialisiert, wertet allerdings genauso selbstverständlich die durch Kino und Fernsehen hervorgerufenen Emotionen geringer als die durch Literatur geschaffene Transzendenz: »Als Zweitkläßler in der Schule habe ich die Suppendosen von Andy Warhol aus dem Lexikon abgezeichnet. Warhol ist bei den meisten Leuten meiner Generation in die Schaltkreise des Gehirns integriert, der wird sozusagen kostenlos mitgeliefert wie Software, wenn man einen Computer kauft. […] Soll ich mich deshalb weinend in die Ecke stellen und den Untergang des Abendlandes betrauern? […] Die Leute lesen, weil sie wissen, daß man nur aus Büchern eine Ahnung von der Offenheit und dem Zauber der Welt erfährt, nur beim Lesen jenen Moment spürt, in dem sich der Geist eine Sekunde lang vom Körper trennt. Kino und Fernsehen vermitteln Emotion, aber Transzendenz schafft nur die Literatur. Darum geht es mir, deshalb schreibe ich.«86
85 86
Douglas Coupland: Generation X. Tales for an Accelerated Culture. New York 1991, 7f. Denis Scheck: Mit 30 gestorben, mit 70 begraben? In: Tempo, Juli 1993, 84-86, 86.
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Als wichtig und wertvoll wird dabei nicht Couplands Präferenz für die Popkultur erachtet, das zeigt der anschließende Kommentar von Denis Scheck, der seine Haltung gegenüber Literatur als »hochfliegend« beschreibt, sondern seine durch den Erfolg des Buches generierte und beglaubigte Repräsentationsfunktion: »Trotz dieses hochfliegenden Anspruchs avancierte Coupland ausgerechnet zum Lieblingsautor der Werbeleute, die ihre Marketingstrategien auf die Generation X ausrichten wollen. Eine Whiskybrennerei bot ihm zehntausend Dollar für einen einstündigen Vortrag vor Managern, die wissen wollten, ›was in den Köpfen junger Leute vorgeht‹«.87 Die austauschbare Variable X in Generation X wird auch deshalb nach Westdeutschland importiert, weil sie Nachdruck nicht nur auf die Unbestimmtheit und die Suchbewegungen einer Alterskohorte legt, sondern weil sie den Generationszusammenhang als solchen betont. Eine postheroische Generationsidentität ist deshalb besonders als mediales Integrationskonzept geeignet, weil es die unterschiedlichen Interessen der Leser*innen und Anzeigenkund*innen verbinden kann. Auf den 1990er Seiten der Doppelnummer findet man die »größten Hoffnungen« für das kommende Jahrzehnt, die »schlimmsten Befürchtungen«, die »realistischsten Utopien« etc. in Form von Essays, Listen und Umfragen, die in ihrer Quasirepräsentanz den Anspruch erheben, aus der Sicht einer Generation die Chancen und Risiken der eigenen Zukunft zu prognostizieren. Beinahe zehn Jahre später erweitert sich dieser Anspruch und der Titel der April-Ausgabe 1995 lautet: »Wie schlimm wird die nächste Generation?« Im Editorial legt Chefredakteur Walter Meyer einen »mörderischen Krieg« zwischen der »Tempo-Generation (natürlich ein untauglicher Begriff)« und den Teenagern nahe, der sich aufseiten der Älteren durch massive »Eifersucht« und den Kampf um »Macht, Geld und Eros« offenbare.88 Sein Bild vom Generationenkonflikt scheint im Jahr 1995 jedoch nicht mehr den Tatsachen zu entsprechen. Wie Dirk Frank festhält, stehen sich schon seit den 1970er Jahren »Gesamtkultur und Subkultur, Eltern- und Protestgeneration längst nicht mehr so monolithisch gegenüber«89 wie in den 1950er und 1960er Jahren. Die
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Ebd. Vgl. Walter Meyer: Wir Tempo. Haltung gegen Pose. In: Tempo, April 1995, 5. D. Frank: »Talking about my generation«, 71.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
Abgrenzung von der 1968er-Generation in den 1980er Jahren ist gewissermaßen der letzte (dabei defensive) Konflikt zwischen den Generationen, der aber nicht annähernd zur Etablierung einer vergleichbar geschlossenen Generationsidentität führt. Dies auch deshalb nicht, weil man sich im Anschluss an die 1968er-Bewegung, wie gezeigt wurde, nicht gänzlich von deren Zielen löst. Auch die Vorstellung einer 1989er-Generation setzt sich nicht in dem Maße durch, obgleich sie vordergründig für eine politische Wende steht.90 Zwar wird das Ausbleiben eines regelrechten ›Generationenkriegs‹ häufig als Folge eines Verlusts von offener Protestkultur interpretiert. Gelesen werden kann es aber auch als Ausdruck eines veränderten Bewusstseins von jugendlicher Zeitgenossenschaft, das im Folgenden als Faktor eines postheroischen Generationsverständnisses ausgeführt wird. In der gesamtgesellschaftlichen Wahrnehmung dient das Leitprinzip Jugend schon lange als Motor populärkultureller Neuerungen, hat es deshalb jedoch schwer, zur generationellen Distinktion herangezogen zu werden, weil Jugendlichkeit danach nicht ausschließlich am Alter einer Person festzustellen ist.91 Generationen stehen sich auch da weniger antagonistisch gegenüber, wo sie vielmehr als verschiedene Milieus wahrgenommen werden, die aber allesamt vom Prinzip ›Jugend‹ durchdrungen sind.92 Die »Eifersucht« 90
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Vgl. etwa Claus Leggewie: Die 89er. Portrait einer Generation. Hamburg 1995; Ulrich Greiner: Die 89er. In: Die Zeit, 16.09.1994; Martin Gloger: Generation 1989? Zur Kritik einer populären Zeitdiagnose. Bielefeld 2012. In einer Anzeige der Werbeagentur Muvi wird in Tempo beispielsweise mit folgendem Text geworben: »Avantgarde ist der Schnee von morgen. Alle reden von den neuen Alten. Wir auch. Denn die neuen Jungen sind die Alten von morgen. So schnell geht das. Und wer dann nicht dabei ist, der sieht alt aus, egal, ob neu oder nicht. Deshalb: MUVI, der definitive Werbeträger mit maximaler Zielgruppenakzeptanz bei den 14bis 29-jährigen. MUVI ›Point of Sale‹ für den jungen Fach- und Einzelhandel. Also, wer Tempo macht, darf MUVI nicht lassen. Oder können Sie die neuen Jungen nicht leiden?« In: Anonymus: Werbeanzeige Muvi. In: Tempo, Juni 1989, 163. Die Anzeige spielt auch auf die 1966 von der Deutschen Bundesbahn gestartete Werbekampagne an, die insbesondere vom Sozialistischen Deutschen Studentenbund und den Aktivist*innnen der Student*innenbewegung ab 1986 aufgegriffen wurde (»Alle reden vom Wetter. Wir nicht.«). Die Herausforderung dieser Anzeige liegt in der gleichzeitigen Spezifikation der Zielgruppe (14 bis 29 Jahre) für potenzielle Anzeigen der Werbeagentur und der Ansprache der älteren Zielgruppe dieser konkreten Anzeige, die sich dafür der im Kapitel 2.1 dieser Arbeit beschriebenen Zeitgeistparadoxie bedient. Vgl. Klaus-Michael Bogdal: Generationskonflikte in der Literatur. In: Der Deutschunterricht 5 (2000), 3-12. Eine Ausnahme bildet die zum Teil als Generationenkonflikt wahrgenommenen Kontraste der sogenannten zweiten und dritten Welle des Feminismus.
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der »Tempo-Generation« auf die Teenager gründet also in deren Alter, das sie zwar potenziell mit ideal-jugendlicher Körperlichkeit ausstattet und sie mit dem Vorrang von Körperlichkeit in der Popkultur als natürlichere oder rechtmäßigere Vertreter*innen eines ausschweifenden Lebenswandels ausweist, nicht aber in ihrer habituellen Jugendlichkeit, die in einem diskursiven Zusammenhang einen nicht zu unterschätzenden Wert besitzt. Der ›Krieg zwischen den Generationen‹, der hier deshalb bezeichnenderweise nicht von der jüngeren, sondern von der älteren Generation ausgeht, bleibt ein inszenierter Konflikt, der als Versuch zur Festsetzung einer generationellen Gemeinschaft am Konzept des Zeitgeistmagazins Anteil haben soll. Denn Meyer bietet mit dem von ihm selbst als untauglich befundenen Begriff der ›Tempo-Generation‹ ein Generationenbild an, das sich zwar einer bedrohlichen Nahelegung der eigenen Überkommenheit gegenübersieht, aber für die habituelle Jugendlichkeit an dieser Front um »Macht, Geld und Eros« zu streiten bereit wäre. Überlegenheit gegenüber der nächsten Generation stellt sich danach in Arbeitsverträgen, Effizienz, Weltbürgertum und praktischem Wissen dar. Die ›Tempo-Generation‹ sieht sich nach Meyer in der Lage, einerseits als erwachsen gewordene Alterskohorte die Teenager zu belächeln und ihnen gegenüber Überlegenheit zu zeigen, andererseits als jugend- und popaffine Partei nicht nur nach wie vor im Generationendiskurs involviert zu sein, sondern innerhalb des vom ausgeweiteten Jugendprinzip geforderten Aufschubs auch als Medienakteur in der Interpretation der eigenen und der kommenden Generation den Ton anzugeben. Als Identitätsangebot ist dieses Konzept deshalb attraktiv, weil es einerseits am Prinzip Jugend Anteil hat, andererseits den Distinktionswert heraushebt, der sich sowohl im fingierten Konfliktpotenzial als auch in der sozioökonomischen Überlegenheit manifestiert. Diese Konstellation aus jugendlichem Alter auf der einen Seite und jugendlichem Habitus auf der anderen hat schließlich Einfluss auf die Publikationen der Popliteratur. Aus Verlagsperspektive gewinnen Manuskripte von sehr jungen Autoren wie Benjamin Lebert an Wert, aber auch vergleichsweise ältere Autor*innen werden als Popautor*innen relevant, wenn sie einen Jugendhabitus literarisch übersetzen. Zwei Monate zuvor war von Walter Meyer bereits der Versuch unternommen worden, ein gemeinsames Etikett für seine Generation zu lancieren. Dabei geht es ihm nicht um eine Abgrenzung, sondern um die Betonung eines gemeinsamen Problemhorizonts. Nicht von einer Tempo-Generation oder einer 1989er-Generation ist hier mehr die Rede, sondern von der Generation 2000:
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
»Welche Unterhosen soll ich tragen? Welches Mobiltelefon soll ich kaufen? An welchen Gott soll ich glauben? Alle Fragen der Generation 2000 (Hey, Tempo-Leser, das seid Ihr; die phantastischen Macher von heute und souveränen Entscheider von morgen) versuchen wir jeden Monat zu beantworten. Tempo hilft, die besseren Filme zu gucken, die besseren Anziehsachen zu finden, den besseren Körper zu kriegen, den besseren Sex zu haben, den besseren Philosophen zuzuhören etc.«93 Der idealtypische Vertreter der Generation 2000 wird im Sinne der ökonomischen Selbstverwirklichung als ein »Macher« und »Entscheider« vorgestellt und bekommt in der direkten Leseransprache identitätskonstituierende Zugkraft. Die mit dieser Ansprache gleichzeitig erhobene Forderung des Offenhaltens von Lebensläufen wird dagegen implizit lesbar. Indem die syntagmatische Frage nach dem »Besseren« ein Paradigma aufruft, das sowohl Gott als auch Unterhose zulässt, wird die Bedeutsamkeit jeglicher Entscheidung auf demonstrativ banale Weise verkürzt. Die Frage danach, was »ich« kaufen »soll«, um den »besseren« Sex zu »haben« legt den Leser*innen nicht nur nahe, dass vor dem Hintergrund postmoderner Kontingenzerfahrung jeglicher Lebensaspekt potenziell infrage steht bzw. stehen sollte und letztlich vom eigenen Konsumverhalten abhängig ist, sondern gleichfalls, dass diese Entscheidung nach bestimmten Regeln des Zeitgeistes zu tätigen ist, damit sich das Glücksversprechen erfüllt. Die Drohkulisse dieser Generationenbestimmung ist die Vorstellung, vom Zeitgeist abgehängt zu werden bzw. dessen Regeln nicht (mehr) zu kennen. Eine Kulisse mit existenziell weitreichenderer Bedrohung baut Matthias Horx adaptierte Selbstbeschreibung als ›verlorene Generation‹ auf, indem er die erstmals im Kontext des Ersten Weltkrieges durch Gertrude Stein entworfene Generationenbezeichnung heranzieht.94 Für seine Bestimmung be93 94
Walter Meyer: Wir Tempo. Es ist März. Spleens, Seilschaften, Strategien. In: Tempo, März 1995, 5. Vgl. Matthias Horx: Wir und Aids. Die verlorene Generation. Oder: Alles über ein Thema, über das es nichts mehr zu sagen gibt. In: Tempo, März 1987, 28-31, 29. Die Bezeichnung ›lost generation‹ bemüht ebenso Christian Kracht: »Ekki trägt einen Fusselbart, Jeans, ein Shamen-T-Shirt und Bergstiefel. Eigentlich ist er ganz klug. ›Schau mal da aufs Meer‹, sagt er. ›Da draußen ist nichts. Und in unserer Generation ist auch nichts. Wir sind die echte Lost Generation.‹« Christian Kracht: High Society. Sie hören Santana, lesen Hesse und fahren nach Indien, um nackt, frei und high zu sein. Eine neue Generation entdeckt Goa, das Paradies ihrer Väter. In: Tempo, Februar 1993, 50-58, 53. Auch die von Kracht in seiner nach dem Debutroman von Bret Easton Ellis bzw. einem
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dient er sich des metaphorischen Sprechens über die 1987 medial omnipräsente Krankheit Aids.95 Aids und seine Metaphern deuten HIV als eine Bedrohung ›von außen‹, die einerseits durch ›riskante‹ Handlungen, andererseits durch ›Risikogruppen‹ herausgefordert wird. ›Risiko‹ bedeutet dabei einerseits selbst gefährdet zu sein, andererseits aber auch andere zu gefährden. Der Begriff wird kurz zuvor mit dem Konzept der ›Risikogesellschaft‹ des Soziologen Ulrich Beck in den öffentlichen Diskurs als zeitdiagnostischer Term besonders populär und erhält im Zuge der Reaktorexplosion im Kernkraftwerk Tschernobyl seine Relevanz.96 Risiko wird insofern als maßgeblich für die Beschreibung einer Gesellschaft erachtet, als es das Gefühl einer unverhältnismäßig weit greifenden Bedrohung artikuliert, die potenziell jede*n treffen könnte. Die Auflösung von stabilisierenden Faktoren wie Ehe, Kleinfamilie, Arbeit und Rente wird darin als Sicherheitsverlust wahrgenommen, der den Lebenswandel in einer ›zweiten Moderne‹ massiv verändern würde. Ähnlich wie Beck bei seiner Gesellschaftsanalyse zu dem Ergebnis eines im Grunde demokratisierenden Effekts der Risikoverteilung im Gegensatz zur hierarchischen Verteilung ökonomischen Kapitals gelangt, weiß auch Horx den ›Sicherheitsverlust‹ ins Positive zu wenden. Das Lob der Freiheit wird wiederum an das Prinzip der Jugend gebunden. Der von Horx entworfenen Version einer Lost Generation zufolge, ist eine ganze Kohorte (aber nicht eine ganze Gesellschaft) aufgrund ihrer »freizügigen Sexualmoral« herausragend gefährdet, mit HIV in Berührung zu kommen. Diese siedelt er im urbanen Kreativmilieu an und ruft damit auch die idealtypische Adressierung des Zeitgeistmagazins auf: »Dieses ›wir‹ zeichnet sich vor allem durch zwei Eigenschaften aus: Kreativität und Jugend – wobei Jugend keine numerische Gren-
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Song von Elvis Costello benannten Reportage »Less than zero« portraitierten obdachlosen Jugendlichen werden als »verlorene Kinder« bezeichnet, als die »andere Seite« des sogenannten Yuppie Lifestyle. Vgl. Christian Kracht: Less than zero: Die Heimatlosen von London. England, Sommer 1992, die andere Seite Europas – Zehntausende von Jugendlichen ohne Job, ohne Wohnung, ohne Zukunft. In: Tempo, Juli 1992, 74-84, 77. Susan Sontag, die sich zehn Jahre zuvor mit Illness as Metaphor gegen eine solche metaphorische Sprache im Umgang mit Krankheit eingesetzt hat, veröffentlicht als Vorankündigung der deutschsprachigen Ausgabe von »Aids und seine Metaphern« einen Essay in Tempo. Vgl. Susan Sontag: Pest im Kopf. Was Aids wirklich bedeutet. In: Tempo, Februar 1989, 94-97; Susan Sontag: Illness as metaphor. New York 1977. Vgl. Ulrich Beck: Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt a.M. 1986.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
ze hat. Jugend heißt: Unsicherheit. Sich-nicht-festlegen-wollen. Neugier, Erfahrungshunger.«97 Das Prinzip Jugend manifestiert sich auch hier nicht zwangsläufig in der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Altersschicht, sondern stellt vielmehr eine positive Haltung der Offenheit dar, die jemand einnehmen kann oder nicht. Das für einen Großteil an popkulturellen Selbstbildern konstitutive Motto ›live fast, die young‹ und der Topos des gelebten Lebens gewinnen in den 1980er Jahren auch jenseits eines emphatischen Popbegriffs zudem an Popularität. Von Patrick Hernandez‘ »Born to be alive« (1979) über Jutta Dithfurts »Lebe wild und gefährlich« (1991) bis zum deutschen Schlager und zu Gitte Haennings »Ich will alles« (1982) wird die intensive und destruktivinnovative Lebenshaltung geradezu zu einem populärkulturellem Dispositiv, in das sich auch Horx’ Diagnose einer verlorenen Generation einschreibt.98 Wie gezeigt wurde, weicht damit das traditionelle Generationenkonzept insofern auf, als es nicht mehr nur eine bestimmte Altersgruppe einschließt. Für das Prinzip Jugend in der Generationsbestimmung gilt, dass es in starker Wechselwirkung mit dem Zeitgeistkonzept steht und gerade in seiner Ausweitung die ›weichen‹ Faktoren postheroischer Generationszusammenhänge mit der Offenheit und Flexibilität, aber auch mit Risiko und Kontingenz ausstattet.
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M. Horx: Wir und Aids, 28. Indem eine potenzielle Infizierung mit HIV zu einem nahezu heroischen Fatum einer ganzen Generation stilisiert wird, trägt es freilich zu einer Normalisierung und nicht zu einer Bezichtigung von Erkrankung bei. Die Ambivalenz von Faszination und Unvorstellbarkeit auf der einen und indirekte Parteinahme auf der anderen Seite zeichnet den Großteil der Reportagen und Berichte im Zusammenhang mit Aids und HIV aus. Am skandalträchtigsten in diesem Zusammenhang ist die Reportage »42 Jahre nach Auschwitz. So fanden wir acht Bauplätze für ein Aids-Lager«, in der eine Redakteurin und ein Fotograf als Mitarbeiter*innen einer Investmentfirma auftreten und bundesrepublikanischen Bürgermeistern erfolgreich vorschlagen, eine »geschlossene Anstalt für HIV-Infizierte« mit Arbeitslager, Wachposten und elektrischem Zaun zu errichten, wobei sie ihnen den Bauplan des Konzentrationslagers Sachsenhausen präsentieren. Vgl. Susanne Schneider: 42 Jahre nach Auschwitz. So fanden wir acht Bauplätze für ein Aids-Lager. In: Tempo, August 1987, 40-45. Diesen Hinweis verdanke ich Alexa Geisthövel und ihrem Vortrag »Damals haben wir gelebt. Popmemorien in der Zeitgeschichte des Selbst«, den sie am 14.01.2016 am ZZF der Uni Hamburg gehalten hat.
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Zeitgeistjournalismus
3.1.4.
Habitualisierte Ironie
Bei der Abgrenzung von einzelnen Darstellungen innerhalb der Generationengrenzen, etwa von den ›Freaks‹, den ›Poppern‹, den ›Yuppies‹, scheint es in den Zeitgeistmedien auch darum zu gehen, »ganz normal zu werden«.99 Das ›Subkulturloch‹, in dem sich Mattias Horx stellvertretend für seine Generation zu befinden glaubt,100 werde dabei durch eine ausgeprägte Ironie kompensiert. Für deren Anerkennung hatte sich bereits Leslie Fiedler eingesetzt.101 Über die Zeitgeistmedien gelangt sie schließlich zu einer prominenten Stellung für die Popliteratur ab 1995. Wie Christoph Rauen darlegt, ist diese Ironie Ende der 1970er Jahre und Anfang der 1980er Jahre bereits beim positiven Bezug auf Künstlichkeit und Oberflächen des Popmusikjournalismus anzutreffen. Im Anschluss an Punk und New Wave setzen vor allem männliche Popmusikjournalisten in Abgrenzung von einer »homogenisierten Gegenkultur« auf eine »Sprache des Pop«, die allerdings die Distanz von Ironie zur Künstlichkeit und Oberfläche bewahrt. Besonders in der visuellen Rhetorik von Beiträgen wie Umfragen, Listen und Tabellen findet man im Zeitgeistjournalismus ab 1986 einen daran anschließenden Modus wieder, der nun jedoch auch die implizite Distanz etwa zu ökonomisierenden und zur Selbstoptimierung anhaltenden Effekte des liberalisierten Konsum- und Arbeitsmarktes infrage stellt. So ist beispielsweise zum ausgeprägten Körperkult der 1980er Jahre in Tempo zu lesen: »In den 60er Jahren hatten wir keine Körper. Wir ernährten uns von LSD und Leberkäse. In den 80er Jahren bestanden wir nur noch aus Körper. Fitneß, Workout, Aerobic – ein feierlicher Dreiklang wie Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit. In den Folterkammern der Bodybuilding-Studios büßten wir Mitte der 80er Jahre unsere Jugendsünden. Heute hat der Körperkult jedes Prestige verloren. Man stemmt zwar immer noch Gewichte, aber heimlich und verschämt. An Bedeutung hat der gegenteilige Trend gewonnen: das Fressen.«102
99 Vgl. M. Horx: Die wilden Achtziger, 66. 100 Vgl. ebd. 101 Für die Generation X hält Douglas Coupland fest, dass sie sich dadurch auszeichne, dass sie diesen Modus vollkommen internalisiert hätte und er ihr zu einer Art Reflex geworden sei: »Knee-Jerk Irony: The tendency to make flippant ironic comments as a reflexive mater of course in everyday conversation«. D. Coupland: Generation X, 150. 102 Anonymus: Körperkult. In: Tempo, Dezember 1988, 43.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
Dieser Modus ist insofern bemerkenswert, als journalistische Ironie jenseits von Satire und Kolumne in auflagestärkeren Medien noch selten anzutreffen ist. »Alle Themen aus dem Blickwinkel dieser Altersschicht, dieser Generation«103 vorzutragen, ist ein Anspruch, der im Zeitgeistjournalismus gehäuft auftritt. Damit nimmt er bereits rückblickend ein Hauptmotiv der Popliteratur vorweg, die an die habitualisierte Ironie dieses Mediendiskurses anschließt. Früh wird allerdings deutlich, dass sich die Figuren der Popliteratur an der Ambivalenz, die mit der Preisgabe des strategischen Moments von Ironie einhergeht, abarbeiten müssen und nicht selten daran scheitern. Bereits Christian Krachts Faserland wurde aufgrund der künstlichen Naivität und der vergeblichen Sinnsuchbewegung des autodiegetischen Erzählers ein großes zeitdiagnostisches Potenzial zugeschrieben. Aber spätestens mit Tristesse Royale und der – wenn auch unter Vorbehalt zu sehenden – Ambition des »popkulturellen Quintetts«, »das Bild der Gesellschaft« und ein »Sittenbild unserer Generation« zu zeichnen, wird dieser generationelle Anspruch maßgebend. Populär wird er schließlich mit dem 2000 veröffentlichten Bestseller Generation Golf des Journalisten Florian Illies. Illies beschreibt die zwischen 1965 und 1975 in Westdeutschland geborene Generation, mithin eine Altersgruppe, die sich mit der Zielgruppe der Zeitgeistmagazine zum Teil überschneidet und mit einer geringen Verschiebung auch als Generation X firmiert. Generation Golf schafft es – im Gegensatz zu den zeitgeistjournalistischen Bemühungen – mithilfe der Legitimation seiner gewählten Buchform, auch in Deutschland einen Generationenbegriff zu prägen. Tom Karasek hat dargelegt, dass der Erfolg von Generation Golf auf einen aufmerksamkeitsökonomisch günstigen Punkt und eine ebenso günstige Position des Autors im literarischen und journalistischen Feld zurückzuführen ist.104 Hier überschneiden sich also beide Bereiche auf eindrückliche Weise. Es findet eine Übertragung des zeitgeistjournalistischen Schreibens in den Literaturbetrieb statt und mit dem Stichwort Pop versehen geht es wiederum in den journalistischen Diskurs ein. Der spezifische Effekt, den die Lektüre von Generation Golf bei den Leser*innen hervorrufen soll, wird maßgeblich von der Historisierung jugendlicher Freizeit und Konsummuster bestimmt und lässt sich als nostalgischer
103 Markus Peichl zit.n. A. Hentschel: Tempo, Anhang M2, 1-20, 15. 104 Vgl. T. Karasek: Generation Golf.
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Zeitgeistjournalismus
Erinnerungsmodus bezeichnen. Gerade durch den zeitlichen Abstand verlieren die erinnerten Inhalte dabei an Brisanz und wirken dadurch kompatibel. Generationsidentität wird hier als popkulturelle Geschichtsbetrachtung in Form einer »Verständigungsliteratur«105 glaubhaft. Im Gegensatz zur 1968er Generation, die sich noch maßgeblich als politisches Subjekt inszeniert, definiert sich die Generation Golf ausschließlich über den Umgang mit Popkultur im weiteren Sinne und nimmt zudem dezidiert keinen Rückbezug auf die deutsche NS-Vergangenheit. Mit einer Distanz von zehn bis zwanzig Jahren lässt sich auf diese einfacher zugreifen als Konsummaterialismus und Hedonismus zum Zeitgeist der Gegenwart zu erheben. Die feuilletonistische Rezeption von Tristesse Royale, dessen Autoren unter Rückbezug auf Tempo die »popmodernen« Leere gleichwohl weitaus pointierter und ironischer inszenieren, führt die Wirkung einer solchen Zeitgeistdiagnose vor Augen. Die Frage »Gibt es denn gar keine bleibenden Werte mehr?«, die die Figur Benjamin v. Stuckrad-Barre aufwirft, wird vom Sprecher Joachim Bessing mit einem Schlusswort der Gespräche im Hotel Adlon in Form eines Werbeslogans beantwortet: »Doch, eine Uhr von IWC.« Feridun Zaimoglus Antwort auf diese Zeitgeistinszenierung fällt entsprechend wütend aus: »In der Executive Lounge des Hotels Adlon, Berlin, parliert und paraphrasiert der im Laufe der Stunden und Tage zur Popblaskapelle zusammenwachsende Debattierzirkel aus fünf Berufsyoungstern, um ›ein Sittenbild unserer Generation zu modellieren‹. Das 30-stündige Geschwätz, zwischen zwei Klappen eingefasst und mit Tristesse Royale betitelt, verstumpft alle Ereignisse zu einer Frage der Goutierbarkeit. […] Der galoppierende Narzissmus besagter Popposer ist vom Schwachsinn kaum zu unterscheiden, die versammelten Vehemenzen der serious guy-Runde in einer OberschichtKapitallokalität belegen doch nur ein weiteres Mal jene parfümierte Schwindsucht, die wir fürderhin als das einer Kirmeskohorte zugehörige Luxusmal betrachten wollen.«106 Zaimoglus Rezeption von Tristesse Royale macht exemplarisch deutlich, dass die Ausstellung von Dekadenz und Konsumdenken als Zeitdiagnose – sofern sie ernst genommen wird – sogar noch mehr Sprengkraft besitzt, als
105 Vgl. E. Schumacher: Gerade eben jetzt, 10. 106 Feridun Zaimoglu: Knabenwindelprosa. Überall wird von deutscher Popliteratur geschwärmt. Aber sie ist nur reaktionäres Kunsthandwerk. Eine Abrechnung. In: Die Zeit, 18.11.1999.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
die retrospektive Identifikation mit Mittelschichtskonsum, wie sie Florian Illies anbietet.107 Auch die kritischen Stimmen gegen die Zeitgeistmagazine erwachsen aus denselben Wurzeln, wie diese Empörungen über die Popliteratur um 2000.108 Zustimmung erhalten sowohl das Zeitgeistmagazin als auch die Popliteratur aus zwei Gründen. Zum einen erkennt man, hier aufgrund von Subjektivität, dort aufgrund von Fiktionalitätssignalen und Inszenierungsstrategien, die Ironie und Distanzierung beider Projekte. Zum anderen wird die ambivalente Identifikationsfunktion beider Projekte gewürdigt. Das Magazin Tempo sei, so urteilt eine Journalistin etwa im Feuilleton der Zeit, »die papierne Version des Jugendgefühls der 1980er Jahre«109 und auch Tristesse Royale ist nach seiner ausführlichen Ablehnung im deutschsprachigen Feuilleton geradezu zu einem Hoch- und Wendepunkt der Popliteraturgeschichte avanciert. Dort gelangt das »popkulturelle Quintett« zu dem entsprechenden Urteil, dass die Zeitgeistmagazine wie ein Popstar nur überleben konnten, indem sie rechtzeitig eingestellt wurden: »Benjamin v. Stuckrad-Barre: War es für die Zeitschrift Tempo besser zu sterben, anstatt den schlimmen Weg zu gehen, wie zum Beispiel die Stadtzeitschrift Prinz ihn geht? Alexander v. Schönburg: Ganz sicher. […] Jeder muß so geschickt sein, rechtzeitig zu sterben. Ein Superstar wie Diana Spencer kann nur in einem Autounfall mit dreißig Jahren sterben, alles andere wäre absurd. […] Genauso verhält es sich mit der Zeitschrift Tempo. Es war für die Zeitschrift das einzig Richtige und Konsequente zu sterben. Das Gegenteil vom Sterben ist das Re-Modeling.«110 Es lässt sich deshalb festhalten, dass der Zeitgeistjournalismus in Tempo und die Popliteratur um 2000 auch darin übereinstimmen, dass sie die problema107 Das politische Desinteresse, das an Generation Golf kritisiert wird, ergibt sich auch im Zuge eines Normalisierungsdiskurs der Nachwendejahre. Anett Krause weist dies anhand des Popliteraturdiskurses in den 1990er Jahren nach. Der Normalisierungsdiskurs inszeniere »das vereinte Deutschland als nun wieder ›normale‹ Nation, die den Makel des verlorenen Krieges durch die überwundene Teilung des Landes erfolgreich ablegen konnte.« Anett Krause: Die Geburt der Popliteratur aus dem Geiste ihrer Debatte. Elemente einer Epochenkonstruktion im Normalisierungsdiskurs nach 1989. St. Ingbert 2015, 253. 108 Und dies nicht zuletzt, weil die feuilletonistische Lesart der Popliteratur auffallend oft den Kurzschluss zwischen Autor und Figur verursacht. 109 Katharina Kühn: Das Über-Ich. In: Die Zeit, 09.04.2016. Online: www.zeit.de/2016/20/markus-peichl-medien-journalismus/(letzter Zugriff 11.10.2019) 110 J. Bessing: Tristesse Royale, 152f.
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Zeitgeistjournalismus
tisch gewordene Identifikation eines Teils der bundesdeutschen Jugend mit einem Generationenkonzept katalysiert, das sich durch einen Mangel an verbindenden Faktoren auszeichnet. Als Kristallisationspunkt popkultureller Zusammenhänge ist das Zeitgeistmagazin retrospektiv in den Rang eines Prätextes der Popliteratur gelangt, der integrierend wirkt, und zwar aufgrund von Alltagsnähe und Vielstimmigkeit, die auch einzelne Identifikationen – etwa über Konsumismus – ironisiert und zurücknimmt. Das Beispiel des Bestsellers Generation Golf hat gezeigt, dass die frühzeitige Historisierung solch einer postheroischen Generation zusätzlich einen Mechanismus der Integration liefern kann. Die Überschneidung journalistischer und literarischer Publikationspraxis trägt dazu bei, dass sich der zeitgeistjournalistische Diskurs mit seiner Sprache, seinen Themen, Grundannahmen und Motiven im Literaturbetrieb manifestiert. Das vorangegangene Kapitel hat zudem gezeigt, dass Generationalität als maßgeblicher Modus des Adressat*innenbezugs, der immer auch die Interessen der Anzeigenkund*innen berücksichtigt, den Zeitgeistjournalismus und die breite Wirksamkeit seiner Identitätsangebote begründet. Damit wird auch ein wichtiges Merkmal (der Rezeption) von Popliteratur um 2000 vorweggenommen. Wenngleich das Konzept der Generation als Zielgruppendefinition für Anzeigenkund*innen eher unerheblich ist, so sind es doch die aus ihm erwachsenen Ausdrucksversuche auf konsumistischer Ebene, die umso relevanter erscheinen. So betont der Tempo-Herausgeber Markus Peichl rückblickend die Notwendigkeit, mit der aus einem Generationenblickwinkel geschrieben werden musste: »Eine Tempo-Geschichte mußte etwas über die Generation sagen. Tempo war ein Generationen-Blatt und hat so funktioniert. Wir haben gefragt: Wer sind wir? In welcher Zeit leben wir? Was war vor uns? Was wollen wir? Was können wir überhaupt noch wollen? In einer Zeit, wo vorher alles gewollt wurde und nichts erreicht. Das war ja das, was die 68er ausgemacht hat. Und wie gehen wir damit um? Wie gehen wir mit diesem Journalismus um, der daraus erwachsen ist? Im Prinzip ging es immer um unsere Musik, unsere Filme, unsere Bilder, unsere Mode, unsere Themen. Es war immer ›unsere‹ Generation.«111 Einzelne Generationenbezeichnungen liefern den Rahmen für die soziologische Aussagekraft der Zeitgeistdiagnosen, wobei sich keine dieser Bezeich111
Markus Peichl zit.n. A. Hentschel: Tempo, Anhang M2, 1-20, 15.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
nungen wie die Generationenansprache selbst etabliert. In der relativen Offenheit einer Abgrenzung von der Vorgängergeneration, der Gegenkultur der 1968er, oder von dem Stereotyp der eigenen Zielgruppe, dem Yuppie, findet der Zeitgeistjournalismus besonderes Potenzial für eine kollektive Ansprache seiner Leser*innen und vereint damit die beiden Effekte der Zeitgeistdiagnose, wie sie in dieser Arbeit formuliert wurden: Identitätsstiftung und Synchronisation von Wandel. Kritisiert wird der Zeitgeistjournalismus von linker Seite unter anderem in seinem so verstandenen Anliegen der »kosmopolitische[n] Modernisierung einer der Verantwortung entgegenstrebenden deutschen Mittelschichtsszene, die er vom ›Rest‹ abheben« wolle.112 Dabei lieferten sowohl die konsumistische und nationalistische Form als auch die repräsentierten Inhalte, mit denen Generationalität konstruiert werde, »Stoff für Identifikationssüchtige«.113 Ein Journalist der Zeitschrift Konkret beanstandet zudem eine Politik, die das Ziel verfolge, Identität zu ontologisieren und hegemoniale Strukturen zu festigen, indem sie etwa gleichaltrige ›Fremde‹ ausschließe.114 Diese Kritik betont die impliziten Vorannahmen, die über Zugehörigkeiten entscheiden, obwohl vordergründig die Abwesenheit solcher Faktoren behauptet wird. Das generative Potenzial postheroischer Generationalität entwickelt sich, anders als das heroischer Generationalität, nicht durch ostentativ rebellisches Verhalten und offenen Protest, sondern in der Entgrenzung von Jugendkultur, die vielmehr mit einer Ablehnung von tieferen Bindungen einhergeht. Die Unvollständigkeit und Brüchigkeit identifikatorischer Prozesse zeigen sich in der Verlagerung auf ›weiche‹, für Widersprüchlichkeiten offene Faktoren wie Jugendlichkeit, Konsum, Medien und Zeitgeist. Diese Verlagerung verhindert aber auf längere Sicht nicht, dass mit der Formel Generation X bzw. Generation Golf ein Generationsverständnis initiiert wird, das über die Generation Y und Generation Z bislang in Medienzusammenhängen eine hohe Wirkmacht in der Betonung von Flexibilität, Normalität und Liberalität behält. Insbesondere Mode, aber auch Sprache und Habitus stellen darin ein Mittel zur Positionierung dar und schreiben sich über diese Zusammenhänge ins kulturelle Gedächtnis ein. 112 113 114
Vgl. P. Grad: Generation XY, 56. Vgl. ebd. »Zur jeweiligen ›Generation‹ zählen daher nie die gleichaltrigen ›Fremden‹, weshalb zum Beispiel die ›Immigrantengenerationen‹ über eine andere Zählweise definiert werden: hier die (deutsche) ›89er Generation‹ und dort die ›3. Immigrantengeneration’«. Ebd.
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Zeitgeistjournalismus
Im Folgenden wird die Frage nach der zeitgeistjournalistischen Konstruktion von Identitätsvorstellungen und ihrer historischen Wirksamkeit anhand der Repräsentation bzw. Fiktionalisierung von Geschlecht und Nation gestellt. Diese Konzepte stehen beide im Gegensatz zu den Identitätskategorien wie Generation oder Konsumstil in einem umstritteneren politischen Rahmen, dessen Debatten insbesondere mit Blick auf den Feminismus der Zeit nachgezeichnet werden.
3.2.
Genderrepräsentationen zwischen Antifeminismus und Liberalisierung
Die Frage nach einer Orientierung in der Ordnung von Geschlecht, Geschlechtsidentität und Begehren wird in vielen Texten der Popliteratur aufgeworfen. Besonders Thomas Meineckes Romane werden von einem Spezialpublikum als ›Diskursromane‹ gelesen, wobei sich dieser Diskurs entlang von poststrukturalistischer und Gender-Theorie bewegt. Aber auch für die Romane und Erzähltexte von Autorinnen wie Kerstin Grether, Sybille Berg und Alexa Hennig von Lange spielt die Geschlechterordnung sowie eine implizite oder explizite Unzufriedenheit mit ihr eine entscheidende Rolle. Ebenso ist der namenlose Antiheld in Faserland nicht nur durch seine »Verkörperung von (post-)sexueller Verlassenheit und Vereinsamung«115 , sondern durch latente und manifeste Homophobie und -sexualität geprägt. Dass auch hier der Zeitgeistjournalismus einen einflussreichen Kontext darstellt, wird im Folgenden aufgezeigt. So finden sich in Tempo zahlreiche heteronormative Darstellungen, die auch in der Tradition von Magazinen der 1970er Jahre und ihrer Repräsentation weiblich-sexueller Verfügbarkeit stehen und in der Popliteratur verlängert werden. Solchen Darstellungen ist in Zeitgeistmedien ab Mitte der 1980er Jahre zwar ein Bruch mit normativen Paradigmen auch aufgrund feministischer Politik inhärent. Die Eigentümlichkeit der u.a. von Angela McRobbie beschriebenen Medienpraxis dieser Zeit besteht jedoch darin, dass sie die Abwicklung des Feminismus dieser Zeit mit einer Liberalisierung der Normen verkompliziert. Dieser Zusammenhang, der im Vergleich zur Repräsentation nationalistischer Vorstellungen, wie sie später 115
Isabelle Stauffer, Björn Weyand: Antihelden, Nomaden, Cameos und verkörperte Simulakren. Zum Figureninventar in Christian Krachts Romanen. In: Christoph Kleinschmidt (Hg.): Christian Kracht. (= Text und Kritik, Heft 216). München 2017, 54-66, 60.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
ausgeführt werden, eine anders gelagerte Ambivalenz aufweist, wird im Folgenden näher erläutert. Nicht erst seit Mitte der 1980er Jahre erfährt sexualisierte und rassifizierte ›Weiblichkeit‹ in westdeutschen Pressemedien eine (visuelle) Dominanz, die immer wieder etwa durch die PorNo!-Kampagne der Zeitschrift Emma kritisiert wird. Im Zuge der medialen Enttabuisierung sexueller Themen in den 1970er Jahren lässt sich schon anhand der Covergestaltung lange Zeit nicht zwischen Nachrichten- und sogenannten Männermagazinen unterscheiden. Diese Entwicklung geht einher mit der Durchsetzung von Popkultur und ihrer konstitutiven Betonung von Oberflächlichkeit, Unernst, Passivität, Reiz, Mode und Körperlichkeit, leichte Unterhaltung etc., die zum großen Teil der Sphäre weiblicher aber auch kindlicher Stereotype entstammen.116 Entscheidend ist zudem, dass es nicht nur eine strukturelle Dominanz von ›Männlichkeit‹ gibt, die sich daran bemerkbar macht, dass Chefredaktionen und Artdirektionen homogen besetzt werden, sondern auch die Diskurse des Pop in dieser Zeit aus einer solchen Perspektive angeleitet werden. Wie im Namen von Zeitgeist ›Weiblichkeit‹ medial repräsentiert und häufig als Gegenteil von ›Männlichkeit‹ konstruiert wird, lässt sich vor dem Hintergrund einer publizistischen Distanzierung von der zweiten Welle der Frauenbewegung in den 1970er und 1980er Jahren interpretieren. Da diese mit ihrem Kampagnenengagement der Popkultur eher kritisch gegenübersteht, stellt sie für die Inszenierung von unkomplizierter Weiblichkeit eine geeignete Kontrastfolie dar, mit der die Unzeitgemäßheit feministischer Haltungen betont werden soll. Was man in dieser Zeit vorfindet, ist u.a. von Susan Faludi als Backlash beschrieben und kritisiert worden.117 Faludi weist damit auch auf die falsche Sicherheit hin, mit der in den späten 1980er Jahren öffentlich behauptet wird, dass die Ziele des Feminismus so gut wie durchgesetzt seien und seine Legitimation damit zukünftig infrage stehe. Sie kritisiert den impliziten Antifeminismus insbesondere in der medialen Repräsentation der Frau als Opfer ihrer Emanzipation. In der Pop- und Populärkultur würden Frauen als von ihrer eigens erkämpften Freiheit versklavt dargestellt. So bezahlen sie diese etwa im Hollywoodfilm regelmäßig mit Krankheit, Einsamkeit, Armut und Kinderlosigkeit:
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Vgl. J. Fiske: Understanding Popular Culture, 122; T. Hecken: »Pop-Literatur« oder »populäre Literaturen und Medien«?, 19. T. Hecken: Populäre Kultur, 142. Susan Faludi: Die Männer schlagen zurück. Wie die Siege des Feminismus sich in Niederlagen verwandeln und was Frauen dagegen tun können. Reinbek bei Hamburg 1993, 171.
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Zeitgeistjournalismus
»Der Gegenschlag hat das Hollywood-Frauenbild der 80er Jahre entscheidend geprägt. In typischen Filmhandlungen wurden Frauen gegen Frauen aufgehetzt; die Wut der Frauen angesichts ihrer sozialen Situation wurde entpolitisiert und als individuelle Depression dargestellt; und das Leben der Frauen wurde zu einem Märchen mit Moral, in dem die ›gute‹ Mutter siegt und die emanzipierte Frau bestraft wird. Außerdem wurde die Gegenschlagthese von Hollywood neu formuliert und bekräftigt: Die amerikanischen Frauen waren unglücklich, weil sie zu viel Freiheit hatten; durch ihre Befreiung mußten sie auf Ehe und Mutterschaft verzichten.«118 Auf der anderen Seite findet man liberalisierende Effekte der globalen Frauenbewegung wieder. In den Cultural Studies wird deshalb insbesondere von Angela McRobbie die Annahme vertreten, dass sich die Lage des globalen Nordens am Ende des 20. Jahrhunderts nicht allein auf einen Backlash reduzieren lasse. Vielmehr gebe es ein Nebeneinander von neokonservativen Einstellungen bezüglich Gender, Körperpolitik, Familie etc. und einem Prozess der Liberalisierung von Sexualitäten und Identitäten.119 In Deutschland lässt auch deshalb eine wirkmächtige dritte Welle des Feminismus länger auf sich warten. Während in den USA die Riot Grrrls einen Kontrapunkt zum Phänomen der sogenannten Girl Power international erfolgreicher Popstars bilden, wird in Deutschland die antifeministische Vorstellung einer größtenteils emanzipierten und unkomplizierten Weiblichkeit hegemonial, die nicht mehr an feministischen Fragen interessiert ist. In einem Tempo-Selbsttest mit dem Titel »Müssen Sie Ihr Leben ändern?« findet man beispielsweise unter der Rubrik ›Liebe‹ einen Fragekatalog nur für Frauen. Um mit möglichst hoher Punktzahl das beste Ergebnis für diesen Test zu erreichen, müssen Fragen wie »Ich fühle mich von Pornographie abgestoßen« oder »Ich fühle mich in erotischer Unterwäsche einfach lächerlich« mit falsch und »Es ist schön, wenn ein Mann das Gefühl hat, daß er ein Mann ist«, »Es wäre schön, würden die Softies schneller aussterben« oder »Letztlich hegt jede Frau den Wunsch nach Kindern. Er wird nur häufig unterdrückt« mit richtig beantwortet werden. Die Auflösung lautet bei maximaler Punktzahl: »Sie sind ein postfeministischer Vamp. Fast zum Fürchten. Ändern Sie sich auf keinen Fall! (oder nur, wenn Sie furcht-
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Ebd. Vgl. Angela McRobbie: Postfeminism and Poplar Culture. Bridget Jones and the New Gender Regime. In: Yvonne Tasker, Diane Negra (Hg.): Interrogating Post-Feminism. Gender and the Politics of Popular Culture. London 2007, 27-39.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
bar unglücklich sind)! Solche wie Sie gibt es viel zu wenige.«120 Dagegen der negative Anreiz: »Sie haben womöglich immer noch Emma abonniert. Kommen Sie sich nicht manchmal verdammt alt vor, wenn Sie auf der Straße junge Mädchen sehen? Sie haben noch nicht erkannt, was führende Protagonistinnen der einstigen Bewegung längst wissen: Der Feminismus ist ein Durchlauferhitzer. Wer ihn wirklich verstanden hat, braucht ihn nicht mehr. Ändern Sie sich!«121 Paradigmatisch für das Bild des jungen Mädchens, das den Neid der stereotypen Feministin auf sich ziehen soll, ist das Girlie, das im Folgenden näher beschrieben wird.
3.2.1.
Unkompliziert weiblich: das Girlie
Die von Johanna Adorján, Rebecca Casati, Eckhart Nickel und Christian Kracht produzierte Titelstory »Die 97 nettesten Mädchen Deutschlands«122 verstärkt die besondere Aufmerksamkeit für postadoleszente Mädchen in kulturellen und sozialen Kontexten Mitte der 1990er Jahre. Während die Riot Grrrl-Bewegung sich darum bemüht, die Zuschreibung von Mädchenhaftigkeit anzueignen und umzudeuten und sich für die mediale Sichtbarkeit von Frauen in popkulturellen Zusammenhängen einzusetzen,123 wird dem ›Mädchenhaften‹ in der deutschen Zeitgeistversion mit Titeln wie »Warum Mädchen schlauer sind« ausschließlich ironisch begegnet. Von der durch Riot Grrrl initiierten Umdeutung des Konzepts Girl wird wenig Notiz genommen.124 Die US-amerikanischen Wurzeln des Girlies werden insofern
120 Anonymus: Der große Tempo-Selbsterkenntnis-Test. Müssen Sie Ihr Leben ändern? In: Tempo, Mai 1987, 30-41, 33. 121 Ebd. 122 Titelzeile Tempo. November 1994. 123 Das erstmals 1991 in der zweiten Ausgabe des Zines Bikini Kill abgedruckte Riot-GrrrlManifest nennt gleich zu Anfang den Anstoß der medialen Ignoranz gegenüber Frauen und Mädchen, wenngleich Riot Grrrls später einen Presse-Boykott zur Verhinderung einer Vereinnahmung initiieren: »Weil wir mädchen uns nach platten, büchern und fanzines sehnen, die UNS ansprechen, in denen WIR uns mit eingeschlossen und verstanden fühlen.« Anonymus: Riot Grrrl ist … In: Anette Baldauf, Katharina Weingartner (Hg.): Lips, Tits, Hits, Power? Popkultur und Feminismus. Wien, Bozen 1998, 26-27, 26. 124 Ursula Ott: Und warum, verdammt noch mal, sind sie jetzt schlauer? In: Tempo, Juni 1995, 42-43.
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ausgeblendet, als das »Ur-Girlie« explizit in der deutschen Popgeschichte verortet wird.125 Der Beitrag »die 97 nettesten Mädchen« stellt aber vor allem im Gegensatz zu jenem Girlie-Konzept nicht in erster Linie alternative Figuren zu weiblichen Stereotypen dar, sondern befragt diese auf ihre Verfügbarkeit und Nationalität und legt damit wiederum eine Nostalgie an den Tag, die sich offensichtlich eine vorfeministische Zeit herbeisehnt: »Die 97 nettesten Mädchen Deutschlands. Und wie man sie (vielleicht) kriegt« lautet der Gesamttitel im November 1994. Die Mädchen werden mit einem Foto portraitiert, ihr Alter und beruflicher Status angegeben und zum Teil kommentiert mit »zur Zeit ohne Freund« oder »zur Zeit mit Freund«. Die Verniedlichung des transgressiven Anspruchs von Girl bedient sich auch hier wieder einer kontrollierten Konstruktion von weiblichem Phallizismus durch fett gedruckte Zitate wie »Mein Freund wäscht meine Wonderbras und putzt nackt die Wohnung, während ich im Bett frühstücke.«126 Wie Melanie Plösser feststellt, ist bei dem Girlie der deutschsprachigen Presselandschaft nicht unbedingt die Figur neu – bereits in der Zeitschrift Twen hat sie eine wichtige Rolle gespielt –, sondern vielmehr die (vermeintlich) explizite Sichtbarmachung der Strukturen und Spielregeln von Mädchenkultur.127 Angela McRobbie untersucht diese neue Sichtbarkeit mit dem Begriff der Luminosität, mit dem sie das ambivalente in Erscheinung treten von Frauen und das gleichzeitige in den Hintergrund treten von Feminismen erfasst. Tempo trägt zum einen zu solch einer entpolitisierten Sichtbarmachung bei. Zum anderen prägen die Zeitgeistmedien auch die »leiblichen Einschreibungen«128 des ›Mädchenhaften‹. Die Produktion der vier Popjournalist*innen bekommt den ironischen Charakter einer Feldstudie, die den
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»Nena. Das Ur-Girlie. Sympathisch, klug, verspielt, mädchenhaft, weich und doch hart im Nehmen« Anonymus: Besonders schlaue Mädchen von einst und jetzt. In: Tempo, Juni 1995, 44-45, 45. Johanna Adorján, Rebecca Casati, Eckhart Nickel und Christian Kracht: Die 97 nettesten Mädchen Deutschlands. In: Tempo, November 1994, 50-64, 61. Melanie Plösser: Das Girlie-Phänomen, eine neue Jugendkultur? In: Dagmal Beizger, Sabine Eder, Renate Luca, Renate Röllecke (Hg.): Im Wyberspace – Mädchen und Frauen in der Medienlandschaft. Dokumentation, Wissenschaft, Essay, Praxismodelle. Bielefeld 1998, 195-199, 196. Vgl. Judith Butler: Gender trouble. Feminism and the subversion of identity. Routledge 1990, 128f.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
Körper des ›Forschungsobjekts‹ entsprechend beschreibt und benennt, aber im gleichen Zuge die Regeln des Mädchenseins definiert: »Mädchen haben lange Haare und manchmal auch ganz kurze. Aus vielerlei Gründen tragen Mädchen enge T-Shirts mit Aufdruck. Die Ellenbogenhaut der meisten Mädchen ist oft etwas rauher als die Haut drumherum. In der Regel rasieren sich Mädchen die Achseln. Meist mit einem Einwegrasierer. Mädchen sind mit ihrem Busen eher unzufrieden.«129 Johanna Adorján legt in ihrem dazugehörigen, weniger ironischen Erlebnisbericht einige Identitätsangebote nahe, wenngleich auch dieser Text in erster Linie von einer komplizenhaften Weiblichkeit über Frauen für eine hegemoniale Männlichkeit geschrieben scheint. Adorján beschreibt drei Mädchentypen, die sie auf ihre Freundschaft prüft und von denen sich lediglich einer bewähren kann. Dabei steht ihr Verhältnis zu anderen Mädchen im starken Kontrast zur ›Girl Love‹.130 Während die erste an Anorexie leidende Kandidatin als allzu perfekt und konkurrenzsüchtig abgeschrieben wird, bleibt bei der zweiten trotz guter Schminktipps eine richtige Freundschaft auf der Strecke, da sie zu viel Zeit mit ihrem Freund verbringt. Die dritte Kandidatin gilt im Sinne der Popkultur aufgrund ihres ausgeglichenen Interesses sowohl an der Unterhaltungs- als auch an der ernsten Kultur, ihrer Mischung aus Fehlbarkeit und Eitelkeit und ihres ausreichenden Zeitbudgets als »nett«. Dagegen kontrastiert Adorján die Mädchen jenseits aller Freundschaftsmöglichkeiten: »Es gibt natürlich auch Mädchen, die da zu erzählen anfangen, wo wir aufhören. Im Englischen nennt man diese Mädchen slut. Wie man sie hier nennt, weiß ich gar nicht so genau. Schlampe vielleicht oder Drecksau. Meine Mutter würde wahrscheinlich Luder sagen. […] Sluts sind weder tolle Frauen noch echte Mädchen. Sie sind eigentlich überhaupt nichts. Eva würde nie über ge-
129 J. Adorján et al.: Mädchen, 52. 130 »Girl Love war innerhalb der Riot-Grrrl-Szene ein wichtiges Codewort für ein umfassendes Lebensgefühl.« Mimi Thi Nguyen: Race & Riot. Über ein problematisches Verhältnis. In: Katja Peglow, Jonas Engelmann (Hg.): Riot Grrrl revisited. Geschichte und Gegenwart einer feministischen Bewegung. Mainz 2011, 74-78, 78. »Innerhalb des (Zine-)Netzwerks steht Girl Love […] für den freundschaftlich-vertrauensvollen Verbindungsaspekt und die solidarische ›girl-positive‹ Haltung, die auch erotische Anziehung und lesbische Lebens- und Liebensweisen mit einschließt.« Katja Kailer, Anja Bierbaum: Girlism. Feminismus zwischen Subversion und Ausverkauf. Berlin 2002, 138.
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piercete [sic!] Geschlechtsteile sprechen. Ich glaube, sie weiß gar nicht, daß es so was gibt.«131 Das Girliekonzept in Tempo verkehrt damit auch die Forderungen der Riot Grrrls, die sich explizit gegen die internalisierte Misogynie in der Rivalisierung von Mädchen ausgesprochen haben. Stattdessen führt die Kopplung von Coolness und Weiblichkeit zu einer speziellen Komplizenschaft im Zeichen von Konfliktvermeidung, die darauf abzielt, Kritik zurückzuhalten, wie McRobbie feststellt: »Trotz seiner Freiheit ist das neue weibliche Subjekt also dazu aufgerufen, zu schweigen und Kritik zurückzuhalten, wenn es als moderne und kultivierte junge Frau gelten möchte. Das Zurückhalten von Kritik ist sogar die Bedingung für ihre Freiheit.«132 Es überrascht deshalb nicht, dass das absichtliche Herstellen von Ambivalenzen in der Repräsentation von ›Weiblichkeit‹ trotz des offensichtlichen Bezuges zur Popkultur wenig Kritikpotenzial aufweist. Scheinbare Dissonanzen profitieren hier in erster Linie von der Attraktivität des Skandalösen und schreiben sich in einen Medienbetrieb ein, der junge Frauen nur unter der Bedingung in Erscheinung treten lässt, dass Feminismus von der Bildfläche verschwindet.133
3.2.2.
Lizensierte Mimikry: die phallische Frau
Historisch vor der Figur des Girlies lässt sich ein anderes Frauenbild ausmachen, das als exemplarisch für die Vermischung von Backlash und Liberalisierung um 1990 angesehen und in Anlehnung an Angela McRobbie als ›phallische Frau‹ bezeichnet werden kann. Mitte der 1980er Jahre sieht sich die Frauenrechtsbewegung in Westdeutschland einerseits dem Verlust von medialer Aufmerksamkeit und einer stärkeren Differenzierung gegenüber, erlangt andererseits jedoch eine breitere Institutionalisierung. Das Thema Gleichstellung verliert damit an diskursiver Brisanz, gleichzeitig erfahren Teile der feministischen Forderungen aus der zweiten Welle u.a. durch Mainstreaming aber auch eine Normalisierung. Tempo stößt bei Feministinnen gleich in mehreren Hinsichten auf Ablehnung. Das »Jungherrenmagazin«134 wird als sexistisch und 131 132 133 134
J. Adorján et al.: Mädchen, 64. A. McRobbie: Top Girls, 25. Ebd., 77. Alice Schwarzer: Der Kommentar. In: Emma, (12) 1987, 18-19, 18.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
»effekthascherisch« kritisiert und Autorinnen von Emma fällt es »schwer zu entscheiden, was an der Zeitschrift das Schwachsinnigste ist. Sind es die Fotos oder sind es die Inhalte der Artikel? Ich fürchte, es ist der Stil der Artikel. Schlaffer Neo-Chauvie versucht sich in flotten Sprüchen.«135 Bereits die Zeitschrift Wiener hatte den Ärger von Alice Schwarzer auf sich gezogen und Tempo stellt sich ihr nicht minder sexistisch dar: »Dieselbe Zielgruppe, die gleichen Macher und denselben eiskalten Sexismus hat das Konkurrenzblättchen Tempo, das in großer Hast und Rivalität mit dem Wiener auf den Aufsteiger-Markt kam.«136 Der gesamte Zeitgeistsektor ist der Frauenbewegung vor allem deshalb zuwider, weil es ihr nicht wenig um die mediale Darstellung von sexualisierter Weiblichkeit137 und der damit implizierten Entwürdigung der Frau geht. Entwürdigung erfährt eine Frau danach, indem sie auf überzogene Art und Weise mit den Zeitgeistattributen ausgestattet wird. Das ephemere und oberflächliche Moment des Zeitgeistjournalismus, das im deutschen Feuilleton für kritische Kommentare sorgt, gilt auch hier als minderwertig. Im Gegensatz zu reformistischen Bewegungen setzt sich die Redaktion von Emma in den 1980er Jahren aber vor allem für den Kampf gegen Pornografie ein. So wird 1987 im Zuge der Anti-Pornografie-Kampagne neben Andrea Dworkin, Frauenministerin Rita Süssmuth (CDU), Renate Schmidt (SPD), Verena Krieger (Grüne) und Helmuth Karasek (Spiegel) auch Markus Peichl als Vertreter der »Zeitgeist-Pornographen«138 zu einer Podiumsdiskussion eingeladen, bei der über einen von Emma verfassten Gesetzentwurf gegen Pornografie diskutiert wird. Peichl positioniert sich hier zwar gegen den Entwurf, dies jedoch nicht nur mit einer antifeministischen, sondern vielmehr mit liberaler Geste: »Ich bin im Prinzip gegen den vorliegenden Gesetzentwurf aus drei Gründen: Der erste Grund ist ein ganz einfacher: Ich bin generell gegen Verbote jeglicher Art. […] Der zweite Grund ist: Es stimmt zwar, daß der Konsum von 135 136 137
138
Anonymus: Zeit-«Geist«? In: Emma, (3) 1986, 9. Alice Schwarzer: So antworten die neuen Männer den neuen Frauen. In: Emma, (9) 1986, 4-5, 4. Immerhin finden sich noch auf rund 60 Prozent der Titelbilder von Tempo zwischen 1986 und 1996 Frauen, wobei etwa 67 Prozent dieser Darstellungen stark sexualisiert werden, d.h. die Frauen in eindeutig sexuellen Kontexten, nackt oder nahezu nackt bzw. mit auffällig markierten ›(sekundären) Geschlechtsmerkmalen‹ abgebildet werden. Anonymus: Schick aufgemacht. In: Der Spiegel, 07.12.1987, 45-48, 45.
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Zeitgeistjournalismus
Pornos die sexuellen Aggressionen von Männern steigert, aber das ist nicht die Schuld der Pornos (Gelächter) [sic!] Das kommt aus einer ganz anderen Sache heraus: Das Aggressionsmuster und -verhalten, das hier freigesetzt wird, das ist ja schon lange vorher aufgebaut worden durch Umwelt, Erziehung, bestimmte Erlebnisse. Und das ist etwas, wo man in meinen Augen den völlig Falschen schlägt, wenn man die Schuld den Pornos zuschiebt. Und der dritte Grund ist: Alles, was Frau Dworkin geschildert hat und was Frauen mit Pornos zugefügt wird, wird in homosexuellen Pornos auch Männern zugefügt. Und die machen immerhin zehn Prozent des Pornomarktes aus. Deshalb kann man nicht davon sprechen, daß hier nur Frauen in ihrer Würde verletzt werden. Aus diesem Grund halte ich es für maßlos arrogant, daß der Gesetzentwurf nur für Frauen und nicht auch für Männer gelten soll.«139 Als Tendenz für die redaktionelle Linie der ersten Phase von Tempo, lässt sich Peichls Argumentation weder als offensichtlich antifeministisch noch als feministisch, sondern viel eher als »postfeministisch« im Sinne McRobbies lesen. Dieser Postfeminismus um 1990 setze den Feminismus für seine Zwecke ein, »um ein ganzes Repertoire an neuen Inhalten zu propagieren, die allesamt suggerieren, letzterer habe seine Aufgabe erfüllt und werde nicht mehr benötigt, denn Gleichberechtigung sei längst erreicht«.140 Diese Tendenz zeigt sich auch in der Gestaltung einer Reihe von Titelstorys, in der etwa eine Journalistin 1986 über ihren Besuch bei der deutschen Bundeswehr berichtet und ihren Artikel verfasst, als sei sie die erste Soldatin der Nation.141 Eine andere schreibt über ihr Selbstexperiment, in dem sie sich als Domina übt142 und die Titelstory »Statt Scheidung Mord«, in der es um tödliche Gewaltverbrechen innerhalb der Ehe geht, trägt entgegen jeder statistischen Wahrscheinlichkeit eine Frau mit einer Pistole auf dem Cover. Was hier versucht wird, ist – mit einer in Szene gesetzten Abweichung von weiblichen Stereotypen wie Passivität und Mütterlichkeit, nämlich der ›männlich-heroischen‹ Attribuierung von Frauen –, das vermeintlich Grenzüberschreitende als journalistische Attraktion zu inszenieren. Diese ›Maskierung‹ übt dabei keine Kritik, sondern vielmehr wird Weiblichkeit hier mit stereotypen Männlichkeitssymbolen zugunsten ihrer vom Standpunkt hegemonialer Männlichkeit als aufreizend wahrgenommenen Effekte ausstaffiert. 139 140 141 142
Anonymus: Das Schweigen ist gebrochen. In: Emma, (1) 1988, 32-37, 34. A. McRobbie: Top Girls, 16. Vgl. Susanne Schneider: Zur Waffe, Schätzchen! In: Tempo, Juni 1986, 54-59. Vgl. Monika Fischer: Ich war Domina. In: Tempo, August 1988, 48-54.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
Die ›postfeministische Maskerade‹ besteht nach McRobbie darin, dass der öffentliche Diskurs derart auf feministische Debatten, etwa um den ›lesbischen Phallus‹ bei Judith Butler, reagiert: »Die Strategie besteht darin, junge Frauen präventiv mit der Fähigkeit auszustatten, sich den Phallus anzueignen und so eine lizensierte Mimikry ihrer männlichen Pendants zu performen.«143 Obwohl die Übertragung ›männlich‹ konnotierter Attribute auf Frauen im Gegensatz zur umgekehrten Übertragung eine gesellschaftliche Nobilitierung bedeutet,144 lässt sich damit das scheinbare Eindringen stereotyper Frauenbilder in die männlich konnotierte Sphäre keinesfalls als Aneignung interpretieren. Stattdessen wird, wie McRobbie behauptet, das Gegenteil bewirkt, weil der Bruch mit diesem Stereotyp der Sphäre des Möglichen entrückt werde und eine solche »lizensierte Mimikry« eine Neuerung der Geschlechterordnung viel stärker verhindere als begünstige.145 Offenbar wird auch an der Covergestaltung, dass die Signifikationsmacht weiblicher Identitäten zu einem großen Teil durch eine heteronormative und männliche Perspektive ausgeübt wird.146 Der Blick, mit dem Weiblichkeit gelesen wird, geht von der Frau als männliches Begehrensobjekt aus, das aber ein vorfeministisches Stereotyp mit einem zum Teil männlichen Habitus stört. Die Szene des ›Ehegefechts‹ auf dem Cover der Mai-Ausgabe 1986 zeigt deshalb nicht nur ein Frauenprofil mit angeschlagener Pistole, sondern zugleich einen Mann im Hintergrund, der nicht etwa als potenzielles Opfer einer Gewalttat erscheint, sondern diese Szene beobachtet. Auch die Betrachtung des Titelbildes ist nicht die eines bewaffneten Ehekonflikts, sondern die einer Beobachtung zweiter Ordnung: die Beobachtung des männlichen Blicks. Der weibliche Phallizismus zeigt sich bei der vermeintlichen Soldatin in einer grellen Rotausleuchtung und im Tragen eines militärsymbolisch umgedeuteten BHs. Die Frau behält also ihre zugeschriebenen sexuellen Weib-
143 A. McRobbie: Top Girls, 112. 144 Dies ist auch die Lesart, die in den späten 1980er Jahren von vielen Feministinnen vertreten wird. Dafür sprechen nicht nur die Autorinnen in Tempo, sondern auch die Übernahme der »phallischen Frau« in die Bilderwelt feministischer Diskurse. 145 Vgl. ebd. 146 Angesichts der Titelzeilen »Leben Schwule besser?« (August 1994), »Ficken Dumme besser?« (Juli 1986), »Warum Mädchen schlauer sind« (Juni 1995), »Dicke sind schärfer« (Oktober 1986) lässt sich klar ablesen, an welcher Normalität man sich ausrichtet. Überdeutlich markiert wird Heterosexualität, Männlichkeit, Schlankheit und ein genereller Zweifel an der eigenen Zulänglichkeit.
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Zeitgeistjournalismus
lichkeitsmerkmale, überpointiert diese geradezu und wird gleichzeitig mit ›phallischen‹ Attributen ausgestattet, die ihr aber nur geliehen werden. Dies auch insofern, als die weibliche Perspektive nur vordergründig von Interesse ist. So geht es trotz der Form des subjektiven Erlebnisberichts der 26-jährigen Autorin Monika Fischer nicht etwa um das »Seelenleben« einer Domina, sondern um die detailreiche Darstellung sadomasochistischer Praktiken aus der Warte der ›Männlichkeit‹. Als Titelthema sind ›Frauenträume‹ deshalb geeignet, weil in der strengen weiblichen Bewertung des ›männlichen Körpers‹ ein Zeitgeistausdruck gesehen wird: »Vor zehn Jahren wäre unmöglich gewesen, womit das Duftwasser Care momentan einen Riesenerfolg hat. Aus zwölf nackten Männern (nackt bis kurz vor dem Allerheiligsten, natürlich) durften Frauen ihren Care-Mann auswählen – und sie taten es mit Begeisterung.«147 So lassen sich ebenso Männlichkeitsdarstellungen auffinden, die dem Schema der dargelegten Überschreitung folgen. Zwar sieht man auf den Titelbildern die hegemonialen und allzu bekannten Ideale männlich konnotierter Machtmerkmale wie definierte Muskeln, ernster Blick etc. Doch provozieren diese Bilder vor dem Hintergrund der Debatten um die ›Krise des Mannes‹ geradezu einen repräsentativen Bruch. Dass eine Grenzüberschreitung als Durchbrechung der männlichen Hegemonie gelesen werden kann, wird aber u.a. dadurch verhindert, dass die ›Verweiblichung‹ des Mannes auch als eine sexuelle Forderung der Frau inszeniert wird. In der Titelstory der zweiten Ausgabe im April 1986 verraten prominente Frauen in ein bis zwei Sätzen ihre Vorstellungen von einem »Traumtypen«, der dann in einer Interpretation der Fotografin Sheila Rock monochrom und ganzseitig in Szene gesetzt wird. Als begehrenswert werden hier das Spiel mit Androgynität, Stars wie David Bowie, schlanke Männer mit Röcken und langen Haaren ausgezeichnet. Dies aber nur unter der Bedingung, dass sie eigentlich selbstsicher, stark und erfolgreich sein sollten. Der Traummann Elfride Jelineks ist danach schlaksig mit langen Haaren, trägt Jeans und T-Shirt und ist weder ›Softie‹ noch ›Macho‹. Eine Münchener Schauspielerin begehrt »Transvestiten, Bisexuelle, sanfte Typen in einem Rock oder Cocktailkleid.« Weiblich konnotierte Attribute und sexuelle Ambiguität wird jedoch nur unter der Bedingung als begehrenswert ausgewiesen, dass darin wiederum aus heterosexueller Perspektive ›männliche Stärke‹ hervortritt: »Männer, die nach außen weich sind, sind in ihrem Inneren meist
147
Matthias Frings: Mannsbilder. In: Tempo, April 1986, 47.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
sehr stark.« Dabei ist, was einer anhat, »völlig wurscht, solange er ein Mann bleibt.«148 Der heteronormative Zeitgeistjournalismus birgt deshalb widersprüchliches Potenzial, weil der positive Bezug auf ›weibliche‹ Popattribute ähnlich wie beim positiven Bezug auf Konsum konstitutiv mit dem Witz verbunden bleibt. In einem exemplarischen Artikel über die Schauspielerin Bridget Fonda werden mit einiger Übertreibung etwa Eigenschaften wie hübsch, frech, klug in Verbindung mit Konsum- und Luxusgegenständen hervorgehoben. Über Fonda schreibt Claudius Seidl: »Die neue Fonda ist besser als die alte Fonda – so wie der neue Honda besser ist als der alte Honda und das neue Dash besser als das alte Dash. […] [Sie ist] das neueste Modell, der Prototyp des modernen Mädchens – so perfekt, daß man sie eigentlich in Serie herstellen sollte. Sie hat die schmalen Lippen ihres Vaters und die lustigen Augen ihres Großvaters. Ihre Beine sind nicht besonders lang und nicht besonders schlank – aber klassisch geformt wie der Jaguar E-Type und die Coca-Cola-Flasche. Und dann die Nase! Mit dieser Nase spießt sie unsere Blicke auf, mit dieser Nase bohrt sich ihr Bild ganz tief in unsere Träume.«149 Die Parallelisierung von Konsumgegenständen und Frauenfiguren führt im Gegensatz zur Stillektüre150 , in der vom Konsumgegenstand auf Eigenschaften ihrer Besitzer*innen geschlossen wird, in der Logik des Re-Modeling wiederum zur Entgrenzung von Jugendlichkeit, indem die Figuren nicht altern, sondern immer wieder ›neu‹ und ›besser‹ werden. In derselben Rubrik findet man das Portrait Jörg Haiders, bebildert mit drei Fotos teilweise in starker Untersicht, die ihn einmal mit freiem Oberkörper und hinter dem Kopf verschränkten Armen, einmal mit gespannter Zwille im Rambo-Look und einmal mit Anzug, Ehering und in nachdenklicher Pose zeigen. Im anschließenden Interview mit Alexander Mronz, wird deutlich gemacht, dass hier phallische (Männer-)Phantasien reproduziert werden: »Er kam, sah und küßte. Alexander Mronz kriegt zwar auf dem Tennisplatz kein Bein in den Sand, aber im Bett schlägt er alle. Tempo traf den Mann, der Steffi Graf knackte.«151 Die Darstellungstechniken bleiben völlig transparent und immer dem Witz verpflich-
148 149 150 151
Ebd. Claudius Seidl: Fondamental. In: Tempo, Juni 1989, 35. Vgl. Kapitel 3.4 in dieser Arbeit. Jochen Siemens: Der Ideelle Gesamtalex. In: Tempo, Juni 1989, 41.
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Zeitgeistjournalismus
tet, der mit Differenzen, Übertreibungen und Klischees arbeitet, aber keine Unverständlichkeit riskiert: Die Klimax stellt sich offensichtlich als buchstäblich cäsarische Rhetorik aus und die entsprechenden Klischees ›Playmate‹, ›Teutone‹ und ›Staatsmann‹ sind unmissverständlich unter die drei HaiderPosen gedruckt. Darauf, dass das Wortspiel als eines der gesprochenen Sprache entnommenes eine ausgeprägte Dimension des Vergnügens besitzt, hat John Fiske bereits in Understanding Popular Culture hingewiesen. Fiske betont in Anlehnung an Roland Barthes152 die »Produzierbarkeit« des populärkulturellen Textes, die sich dadurch auszeichne, dass sie die Eigenschaft des »lesbaren« Textes zugänglich zu sein mit der des »schreibbaren« Textes offen zu sein vereint. Das Vergnügen des Wortspiels liegt im populärkulturellen Texet jedoch nicht allein darin, das ›schlechte‹ Wortspiel zu lösen: »[T]here is a pleasure in spotting and solving the pun that matures into the greater pleasure of making one’s own pertinent meaning from the collision of discourses within it.«153 Durch die Kollision der Diskurse spricht das Wortspiel mit einer ausgesprochenen Respektlosigkeit gegenüber dem stark abweichenden und soziale Unterschiede markierenden Gebrauch von Sprache: Als linguistische Miniaturisierung wiederhole das Wortspiel das »Klassenspiel« und invertiere es mit der Pointe, die vulgäre Bedeutung gegenüber der offiziellen als ›wahrer‹ anzusehen. Es unterbricht den ›disziplinierten‹ Gebrauch der schriftlichen und offiziellen Sprache und läd nach Fiske zur Produktion von Bedeutungen ein. Nimmt man den kurzen Beitrag über Bridget Fonda, die Bilder des Haider-Portraits und die Unterüberschrift zum Beitrag über Steffi Grafs Lebenspartner als Beispiele ergibt sich hier jedoch ein etwas anders gelagerter Befund: Trifft die »collision of discourses« u.U. noch auf das Wortspiel »Er kam, sah und küßte« oder auf die ›Playmate‹-Pose Jörg Haiders zu, bedient sich das Wortspiel Fonda/Honda genauso wie die übrigen Vergleiche 152 153
Vgl. Roland Barthes: S/Z. Frankfurt a.M. 1976. J. Fiske: Understanding Popular Culture. London, 107. Fiske zufolge hat darüber hinaus die Durchsichtigkeit und »vulgäre« Exzessivität immer die Tendenz zur Überschreitung. »Excessiveness and obviousness are central features of the producerly text. They provide fertile raw resources out of which popular culture can be made. Excessiveness is meaning out of control, meaning that exceeds the norms of ideological control or the requirements of any specific text. Excess is overflowing semiosis, the excessive sign performs the work of the dominant ideology, but then exceeds and overspills it, leaving excess meaning that escapes ideological control and is free to be used to resist or evade it.« J. Fiske: Understanding Popular Culture, 114.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
Fondas mit Automodellen, Waschmittel oder einer Cola-Flasche ausnahmslos aus dem Register der Populärkultur. Das Wortspiel zu entziffern bedeutet hier nicht, Vergnügen an der Kollision von Wortspiel und »Klassenspiel« zu haben, sondern viel eher wird hier im Sinne einer freudianischen Zote eine Tendenziösität produziert, die wie eine Zurschaustellung einer ›sexuellen Aggression‹ wirkt.154 Das Wortspiel wiederholt also viel eher ein ›Geschlechterspiel‹, nämlich insofern, als hier der feministische Diskurs mit dem Bezug auf Popkultur provoziert wird, aber zugleich in seiner möglichen Produzierbarkeit auf eine Reproduktion von männlichen Hegemonieansprüchen beschränkt bleibt. Als »Verkomplizierung« der schlichten Backlash-These wurde einerseits die im Zuge feministischer Diskurse eingeläutete Liberalisierung von Geschlechterbildern aufgezeigt. Diese spielt auffällig mit Stereotypen, wodurch eine generelle Tendenz zur Aufwertung stereotyp weiblicher Eigenschaften und Verhaltensweisen im Zeitgeistjournalismus zu beobachten ist. Auf der anderen Seite bleiben nicht nur auf institutioneller Ebene Hegemonieansprüche ›männlicher‹, heteronormativer Perspektiven bestehen, die feministische Forderungen auf unterschiedliche Weise adaptieren, aber zum Beispiel in der Inszenierung weiblicher Phallizismen oder durch das Abwenden der USamerikanischen Bezüge in der Darstellung des Girlies häufig in ihr Gegenteil verkehren. McRobbie betont in diesem Zusammenhang, dass die Verkomplizierung des antifeministischen Gegenschlags zudem in einem Konglomerat der popkulturellen ›Motoren‹ zu sehen ist. So weist die auffällige Nostalgie um 1990, die im folgenden Kapitel aufgezeigt wird, nicht nur eine Tendenz zur Normalisierung des Nationalen auf, sondern interagiert auch mit dem hier beschriebenen Antifeminismus, indem etwa »die Dominanz weiblichen Weißseins als unsichtbare Strategie zur Zurückdrängung antirassistischer Politiken fungiert.«155 Diese auffällig nostalgische »Re-Privilegierung des Weiß-
154
155
»Die Zote ist […] ursprünglich an das Weib gerichtet und einem Verführungsversuch gleichzusetzen. Wenn sich dann ein Mann in Männergesellschaft mit dem Erzählen oder Anhören von Zoten vergnügt, so ist die ursprüngliche Situation, die infolge sozialer Hemmnisse nicht verwirklicht werden kann, dabei mit vorgestellt. Wer über die gehörte Zote lacht, lacht wie ein Zuschauer bei einer sexuellen Aggression.« Sigmund Freud: Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten. In: Ders.: Studienausgabe, Bd. IV: Psychologische Schriften. Frankfurt a.M. 2000, 9-219, 93. Ebd., 59.
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138
Zeitgeistjournalismus
seins«156 muss in diesem Kontext als ein weiteres Schlüsselelement der beschriebenen Gleichzeitigkeit von Backlash und Liberalisierung im Namen der Popkultur gelten.
3.3.
Narration und Nation
Obwohl sich die Transformationsgesellschaft um 1990 durch expansive Bewegungen wie Globalisierung und Digitalisierung auszeichnet, zeigt sich auch im Zuge der außenpolitischen und diskursiven Normalisierung deutscher Geschichte157 die andauernde Legitimierung und Bedeutsamkeit nationaler und zum Teil nationalistischer Vorstellungen.158 Auch der transnationalistische Charakter der Popkultur scheint nur an der Oberfläche dem ausgeprägten Nationalbezug der Popkultur um 1990 zu widersprechen. Tatsächlich ist der popkulturelle Text daran beteiligt, die Bedeutsamkeit des Nationalen zu legitimieren. Den Hintergrund der folgenden Ausführungen bildet die Studie zur Erfindung der Nation von Benedict Anderson, der nicht nur den imaginären Charakter und das geringe Alter dessen deutlich macht, was als Nation verstanden wird, sondern auch die Abhängigkeit dieser Vorstellung vom (kapitalistischen) Pressewesen betont. Nation ist nach Anderson insofern keine ›normale‹ Vorstellung, als sie ein kulturelles Produkt von besonderer Art ist: Nation ist weniger etwas, das sich als Ideologie wie ›Liberalismus‹ oder ›Faschismus‹ zeigt, sondern eher anthropologisch wie ›Verwandtschaft‹ oder ›Religion‹ aufgefasst wird. In einer Reihe mit Bezugspunkten wie Gender oder Generation bildet sie einen Bezugspunkt dessen, was in dieser Arbeit bereits als (prozessuale) Identität thematisiert wurde. Anderson schlägt folgende Definition von Nation vor: »Sie ist eine vorgestellte politische Gemeinschaft – vorgestellt als begrenzt und souverän.«159 Die vorgestellte Begrenztheit spielt im Zeitgeistmagazin insbesondere im Rahmen der Wiedervereinigung und entlang ›alter‹ und ›neuer‹ Grenzen sowie mit Bezug auf Figuren wie dem ›Ossi‹, dem ›Wessi‹ und dem
156 157 158 159
Ebd. Vgl. etwa Marcus Hawel: Die normalisierte Nation. Vergangenheitsbewältigung und Außenpolitik in Deutschland. Hannover 2007. Ein gefährlich rassistischer Nationalismus schlägt sich in den erstarkenden rechten Jugendszenen vor allem der neuen Bundesländer nieder. B. Anderson: Die Erfindung, 15.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
›Ausländer‹ eine Rolle. Im Folgenden wird aber anhand der semifiktiven Beschreibung von Erfahrungen an der Nationalgrenze deutlich, dass hier auch der Rahmen dafür geboten wird, die Fiktivität von Nation implizit zu betonen und damit Identität, also die Vorstellungen vom Eigenen und vom Fremden, infrage zu stellen. Dieses Potenzial macht die Zeitgeistmedien auch auf Ebene der Textverfahren zu einem Prätext von Popliteratur. Zunächst ergibt sich aber die identifikatorische Attraktivität des Zeitgeistes selbst nicht selten aus nationalen Vorstellungen. In Tempo werden diese auf konsumistischer Ebene illustriert, indem Waren und Konsumstile als Ausdruck von Innovation, Erfolg und Tatkraft in einem betont nationalen, aber von der NS-Vergangenheit scheinbar bereinigten Rahmen gestellt werden. Dazu zählt etwa das in der Tradition der Pop Art stehende Symbol des Volkswagens und seine Interpretation als Zeichen für Mobilität, Dauer, Wohlstand und mittelständischer Normalität. Nicht zuletzt zeigt die Vorstellung einer Generation Golf die Popularität solch einer Verbindung von Konsumstil und nationalem Selbstbild. Wolfgang Ullrich weist darauf hin, dass es lange vor der Generation Golf ein ausgeprägtes generationelles Interesse am VW-Käfer gab, das sich unter dem Banner der sogenannten Flower Power jedoch ausgerechnet auf das Auto richtete, das zuvor von Adolf Hitler als ›KdF-Wagen‹ in Auftrag gegeben wurde.160 Auch die Reaktivierung des Heimatbegriffs im politischen Lager der Partei Die Grünen, dem die Tempo-Redaktion besonders nahe steht, erscheint in diesem Zusammenhang als Wunsch nach nationaler Selbstanerkennung und Verdrängung der NS-Vergangenheit. Beispiele für
160 »Vor allem um auf dem US-Markt Fuß fassen zu können, musste von der Vergangenheit des VW-Käfers als des von den Nationalsozialisten geplanten ›KdF-Wagens‹ abgelenkt werden. Dies gelang mit Hilfe der Agentur DDB (Doyle Dane Bernbach), die das Image des ›Beetle‹ ab 1960 mit beinahe wöchentlich neu erscheinenden Anzeigen veränderte. Statt das Auto prunkvoll zu inszenieren, wurde es oft nur klein, in Schwarz-Weiß, vor weißem Hintergrund abgebildet und mit Slogans wie ›Think Small‹ vorgeführt. Das stellte einen klaren Kontrast zur sonst üblichen Autowerbung dar, die man damit zugleich als übertrieben, fetischisierend und plump materialistisch dekuvrierte. Mit viel Witz wurde zum Vorzug erklärt, was bis dahin als Nachteil empfunden worden war: dass das Design des ›Beetle‹ jahrelang nicht entscheidend verändert worden war oder dass er keinen großen Kofferraum bot. Nie zuvor war Ironie so wichtig für eine Kampagne wie hier. Für den Schriftsteller Alex Shakar symbolisieren die VolkswagenAnzeigen darum den Übergang von der Propaganda zur Werbung.« Wolfgang Ullrich: Art. Werbung und Warenästhetik. In: HbP, 207-215, 207f.
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Zeitgeistjournalismus
nationale Identifizierung finden sich in Tempo zuhauf, wenngleich sie nicht durchgehend positiven Bezug nehmen.161 Für die Herausstellung des Nationalen im Rahmen des Pressewesens ist das Prinzip der Serialität von konstitutiver Bedeutung gewesen. In kulturkritischer Perspektive wurde es lange Zeit unter Bezugnahme auf Standardisierung und Wiederholung besonders im populärkulturellen Kontext abgewertet und infolgedessen wenig beachtet. Serialität dient danach als Motor von Kulturindustrie und als Marker für Unterkomplexität und Massenkonsum. Der technischen Reproduzierbarkeit von Kunstwerken, die eine notwendige Bedingung nicht nur für die Durchsetzung populärer Kultur selbst, sondern auch für den Bedeutungsgewinn des Seriellen darstellt, widmete sich zwar Walter Benjamin bereits 1936 im französischen Exil. Die Rezeption des entsprechenden Aufsatzes setzt im Rahmen der Medienwissenschaften jedoch erst mit einiger Verzögerung ein. Benjamin warnt einerseits in Anbetracht des Faschismus vor der Tendenz zur Ästhetisierung von Politik. Andererseits bedeutet ihm aber der Verfall der Aura und des Kultwertes eines Kunstwerks durch seine Reproduzierbarkeit in erster Linie eine nachhaltige Veränderung der Wahrnehmung und Rezeption von Kunst, die nicht unweigerlich in die Erwartung mündet, dass diese durch Technik veränderte Sinneswahrnehmung vom Krieg befriedigt würde. Mit Blick auf die sukzessive Ausdehnung der Presselandschaft im 19. Jahrhundert, die Benjamin im historischen Zusammenhang dieses technischen Wandels anführt, stellt er fest, dass »der Lesende […] jederzeit bereit [ist], ein Schreibender zu werden«: »Es begann damit, daß die Tagespresse ihnen [größere Teile der Leserschaft, KS] ihren ›Briefkasten‹ eröffnete, und es liegt heute so, daß es kaum einen
161
Vgl. etwa die folgenden Titelzeilen, insbesondere in der ersten Phase unter der Chefredaktion von Markus Peichl: »Unsere Ausländer. Warum wir sie lieben. Warum wir sie brauchen.« (September 1986), »Heisse Bilder. Deutschland, deine Pornos« (November 1987), »Die Olympia-Götter. Deutschlands Athleten«, »50 harte Facts über das geheime Liebesleben der Deutschen« (März 1989), »Die deutsche Frage. Wie Prominente die Grenze ziehen würden« (September 1989), »Die deutsche Bardot. Claudia Schiffer – ein Schmollmund erobert die Welt«, »Deutschland im Heiratsfieber« (September 1990), »Und sie lieben sich doch. Der Osten und der Westen. Gesamtdeutsche Paare verraten, wie die erotische Wiedervereinigung klappt« (November 1990), »Hass aus Halle. Den Ossis reicht’s« (April 1991), »60 Popstars, Dichter etc. schreiben über Deutschland« (September 1994), »Karriere in New York. Deutsche Twens, die es geschafft haben« (April 1994).
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
im Arbeitsprozeß stehenden Europäer gibt, der nicht grundsätzlich irgendwo Gelegenheit zur Publikation einer Arbeitserfahrung, einer Beschwerde, einer Reportage oder dergleichen finden könnte. Damit ist die Unterscheidung zwischen Autor und Publikum im Begriff, ihren grundsätzlichen Charakter zu verlieren.«162 Das partizipatorische Moment dieser »Öffnung des Briefkastens« ist selbstredend nicht zu verwechseln mit einer weitreichenden Demokratisierung einer öffentlichen Meinung. Wohl deutet sie aber eine solche Tendenz an, wenn auch mit einer nicht zu überhörenden Skepsis angesichts faschistischer Propaganda. Vor diesem Hintergrund spricht sich Ruth Mayer im Rahmen des Forschungsprojektes »Ästhetik und Praxis populärer Serialität« für eine Rehabilitierung der Form und des Formalen unter politischem Vorzeichen aus. Populäre Serialität übernehme die Funktion eines bedeutungsgenerierenden »Motors«163 , der »(spät)kapitalistische Ideologien der modernen Industrieund Mediengesellschaften« herstelle und disseminiere.164 Mayer zufolge ist es kein Zufall, dass die »Elektrisierung« der »Maschine populärer Serialität« historisch zusammenfällt mit dem Zeitpunkt, zu dem die globalen Nationalisierungs- und Ethnisierungsbewegungen weltweit »in Serie« gingen.165 Das Ausgreifende der Erzählform ›Serie‹ verbindet sie deshalb mit dem expansiven Grundgestus des Imperialen.166 Damit spielt sie auf die enge Verzahnung von populärer Serialität bzw. Periodizität des publizistischen Sektors und moderner Nation an, die Benedict Andersons prominente Studie 162
Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit. In: Ders.: Gesammelte Schriften. Bd. I.2. Hg. von Rolf Tiedemann und Hermann Schweppenhäuser. Frankfurt a.M. 1974, 471-508, 493. 163 Mayer bezieht sich mit der Motormetaphorik auf den amerikanischen Autor Michael Chabon, der populäre Erzählungen als »storytelling engines« bezeichnet. Vgl. Michael Chabon: Maps and Legends. Reading and writing along the borderlands. San Francisco 2008, 47. 164 Ruth Mayer: Die Logik der Serie. Fu Manchu, Fantômas und die serielle Produktion ideologischen Wissens. In: Pop. Kultur und Kritik 1 (2012), 136-154, 144. 165 Ebd., 138. 166 »[E]s geht in beiden Fällen um Projekte der (kommerziellen) Aneignung und Verbreitung, um Versuche der Kontrolle, die von der Dynamik der Kontaktzone durchdrungen sind und deren Ablösung von einem ursprünglichem Autor oder Medium auf die ambivalente Dynamik von Erzählungen verweist, die sich nie völlig kontrollieren und ideologisch festschreiben lassen, sondern ständig Revisionen und Neuschreibungen provozieren.« Ebd., 144.
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Zeitgeistjournalismus
zur Erfindung der Nation nahelegt. Anderson hebt die tägliche Zeitungslektüre als kulturelle Voraussetzung für die Vorstellung von nationaler Zugehörigkeit hervor und betont dabei die kollektiv vollzogene Lektüretätigkeit, die eine Gleichzeitigkeit von Selbst- und Nationalbezug auszeichnet.167 Damit erhält das Serielle auch einen iterativen Charakter, dem im Folgenden noch weiter nachgegangen wird. Die Zeitgeistbezüge und die populären Zeitdiagnosen lassen also auch im Zusammenhang mit der Selbstvergewisserung lesen, einer nationalen Gemeinschaft anzugehören. Die nationale Rahmung der Leser*innenansprache wird allerdings im Gegensatz zur generationellen impliziter vorgenommen. Wichtiger als das konkrete ›Wir‹ scheint hier die ständige Wiederholung einer Repräsentationspraxis, die sich in nationalen und ethnischen Grenzen und Grenzen der Sprache bewegt. So dienen bestimmte sich regelmäßig wiederholende Formate, die das Zeitschriftenformat strukturieren (Kolumne, Editorial, Rubriken, Listen etc.) als Mittel zur Kohärenzstiftung nationaler Vorstellungen, etwa indem bestimmte Orte und Grenzen im geografischen Sinn thematisiert und visualisiert werden. Dass die Serie im Sinne der mehrfachen Wiederholung auch auf das Gegenteil von Einübung abzielen kann, indem sie zu einer »produktiven Entmachtung von Signifikanten«168 herangezogen wird, bei der sie Kohärenzen aufbricht oder infrage stellt, deutet Christian Kracht als Zeitgeistjournalist an. Wie diese Entmachtung eines unliebsamen Zeichenträgers funktionieren kann, erklärt er in einer Rezension des Comics Dirty Talk, in der er die »gnadenlose Redundanz« der Formensprache des Comics lobt: »Eigentlich ist dies ein furchtbar mieser Comic. Er ist lieblos gezeichnet, die Figuren wirken wie hingeschmiert, und die Story ist so banal wie kitschig. Die Stärke dieses Comics ist seine gnadenlose Redundanz. Wenn man 50mal Fick sagt, bedeutet Fick am Ende nur noch das Wort selbst. So werden die verschiedensten Stellungen auf 80 Seiten so lange wederholt, bis der Sex an sich jeden Sinn verliert.«169 Krachts Texte werden im folgenden Kapitel als Möglichkeit gelesen, antizipierte negative Effekte der Serialität, wie die Reduzierung medialer Forma-
167 Vgl. B. Anderson: Die Erfindung, 40f. 168 Christian Kracht: Rezension zu »Talk Dirty« von Matthias Schultheiss. In: Tempo, September 1991, 123. 169 Ebd.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
te auf eine ausschließlich regulierende Sprache, die etwa einem Populismus anheimfällt, mithilfe von protoliterarischen Techniken herauszufordern. Das Kapitel wird diesen Punkt anhand der Lektüre einer Rezension zu Andreas Neumeisters Ausdeutschen und eines Portraits des FPÖ-Kanzlerkandidaten Jörg Haider diskutieren. Dabei wird gezeigt, dass in der Literarisierung des Zeitgeistjournalismus zwar die Möglichkeit »einer produktiven Verbindung« von Literatur und Journalismus, wie sie Eberwein für den literarischen Journalismus bestimmt hat, angelegt ist. Zugleich werden aber auch die Diskurseffekte eines solchen Austausches aufgezeigt. Die Betonung der Autorschaft und damit die Relativierung eines redaktionellen Repräsentationsanspruchs der Zeitschriften können nicht immer verhindern, dass eine solche Verbindung auch zur diskursiven Normalisierung deutscher Geschichte beiträgt.
3.3.1.
Von der Konsumnostalgie zur Nach-Nachkriegsliteratur
Historisierung gehört zu den konstitutiven ›Motoren‹ der Popkultur, mit der sie über bestimmte Narrative Selbst- und Weltbezüge schafft.170 Besonders wirksam scheinen dabei immer wieder Formen der Nostalgie zu sein. So kommt es, dass auch eine gängige Variante der Popgeschichte unterscheidet zwischen einer Anfangsphase der Populärkultur um 1900, zu der sie vor allem Jazz zählt, und ihrer spätkapitalistischen Form, wobei erstere noch originell und letztere nur noch nostalgisch und wiederholend sei, mithin keine eigenen Stile mehr hervorbringe. In den 1990er Jahren haben die Metaphern vom DJ, Remix, Mash-up und Sampling zudem eine ganze Weile die Diskussionen um Autor*innenschaft und Textstrukturen der Popliteratur bestimmt und dabei auch die Wiederholung von bekannten Formen und Artefakten thematisiert. Nur einige der bekanntesten Stationen dieser Diskussionen sind Ulf Poschardts Studie DJ Culture171 von 1997, die siebente Ausgabe von Testcard mit dem Titel »Pop und Literatur«172 1999, Benjamin von Stuckrad-Barres Textsammlung Remix 173 mit journalistischen Texten aus der Zeit zwischen 1996 und 1999 und schließlich ihre Fortführung im 21. Jahrhundert in der Debatte um abgeschriebene Textpassagen in Helene Hegemanns Axolotl Roadkill.174 Während
170 171 172 173 174
Vgl. Marcus S. Kleiner: Art. Populär und Pop. In: HbP, 246-251, 248. Vgl. Ulf Poschardt: DJ Culture. Diskjockeys und Popkultur. Reinbek bei Hamburg 1997. Vgl. Martin Büsser et al. (Hg.): Testcard (7). Pop und Literatur. Mainz 1999. Vgl. Benjamin von Stuckrad-Barre: Remix. Texte 1996-1999. Köln 2002. Vgl. Helene Hegemann: Axolotl Roadkill. Berlin 2010.
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diese Diskussionen aus literaturwissenschaftlicher Perspektive in erster Linie mit Bezug auf literaturtheoretische Intertextualität geführt wurden und damit auch ein zumindest implizites Interesse an der Frage nach Identität mit sich brachten, zielt die popkulturhistorisch konstatierte Nostalgie spätkapitalistischer Populärkultur vielmehr auf Musealisierung, Kulte des Revivals, Retro- und Vintagemoden, wie sie etwa in der sogenannten Ostalgie zu erkennen sind. Besonders Simon Reynolds ist hier zu nennen, der bisweilen eine kulturkritische Verfallsgeschichte des Pop erzählt. Eine Leerstelle bleibt dabei die Untersuchung der Effekte jener Nostalgie auf prozessuale Identität, die von solch einer kulturkritischen Entwicklungslogik absieht. Im Folgenden wird diese Leerstelle und besonders eine politische Nostalgie in den Blick genommen, die sich in der Verbindung mit Konsumzeichen einer speziellen Vorstellung von der wiedervereinigten BRD hingibt. Damit soll anstatt nach einer innovativen Schreibweise vielmehr nach den Effekten der Inszenierung ›nationaler Innovation‹ gefragt werden, um die vermeintliche Gegensätzlichkeit von Popkultur und Nationalismus zu diskutieren. Das Wort Nostalgie, das zunächst einen krankhaften Zustand von Heimweh eines Individuums im topografischen Sinn bezeichnete, beschreibt seit seiner Entpathologisierung Anfang der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts175 in erster Linie eine kollektive Emotion, die ihr Unbehagen an der Gegenwart mit einer bestimmten Art der Erinnerung begründet und behebt. Dieses Unbehagen wird zur selben Zeit häufig mit Vorbehalten gegen die Medienkultur und dem scheinbaren Verlust von Übersicht geäußert. Douglas Coupland attestiert 1991 gerade seiner Generation X eine »ultra short term nostalgia. Homesickness for the extremely recent past: ›God, things seemed so much better in the world last week‹.«176 Die Nostalgie der Mediengesellschaft und ihrer jugendkulturellen Vertreter*innen, so lässt sich Couplands Beschreibung umformulieren, sei keine nach einer bestimmten Vergangenheit, sondern eine an der Gegenwart festhaltende Melancholie, die sich der Ausdrucksmittel des Zeitgeistes bedient. Auch Couplands Bestseller stimmt hier mit seiner Zeitgeistdiagnose einer ›accelerated culture‹, die er im Untertitel führt, implizit ein. Nostalgie bezieht in der Popkultur also noch eine zusätzliche Dimension ein, indem sie sich des herausragenden Gegenwartsbezugs von Pop bedient. Simon Reynolds interessiert sich deshalb als Kulturkritiker in seiner Studie 175 176
Wolfgang Pfeifer et al.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. München 20005 , 931f. D. Coupland: Generation X, 96.
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Retromania insbesondere für die popkulturelle Sehnsucht nach einer Vergangenheit, die nicht unmittelbar mit der eigenen Biografie verknüpft ist, »für die wundervollen Tage des ›Leben im Jetzt‹ […], die man tatsächlich nicht erlebt hat«.177 Der Versuch, Zeitgeist durch bereits aus der Vergangenheit bekannte Stile herzustellen, ist nach Reynolds auch dahingehend zu verstehen, dass er eine Poptradition von lost future-Narrationen mit sich führt, die eine Suspendierung der Zeit nahelegen. Die Fiktionen von Post-Punk, New Wave, Goth und ihre Vorstellung von den nicht eingelösten Versprechen des Pop beginnen sich auffällig an jenem Punkt zu einer Welle zu formieren, wie Reynolds bemerkt, an dem ein historisches Verständnis von Zeit infrage steht. Dazu zählen vor allem dystopische Narrationen, die für Popzusammenhänge der 1980er Jahre sowohl in West- als auch in Ostdeutschland bedeutsam werden, wie Marlene Schrinder hervorhebt: »Punk was not dead (yet), but East German punk (no) future views increasingly contained a sense of pessimist fatalism, while goths escaped any kind of future scenario by playing already being dead. In any case, change was happening within the cultural underground which corresponded with a broader societal change and a spreading Endzeitstimmung […] during the final phase of the Cold War. This ›global‹ existential fear, caused by political, societal and environmental crises, like nuclear threat, AIDS and environmental pollution (for example the ›Waldsterben‹: dying forests) inspired both avantgarde artists and participants in protest movements on both sides of the Iron Curtain.«178 Genau wie Schrinder interessieren auch Mark Fischer die protesthaften und avantgardistischen Strömungen der Popgeschichte. Fischer stellt mit dem von Jacques Derrida geprägten Konzept der Hantologie den motivischen und vor allem formalen Rückbezug der Popkultur fest, der aus seiner Perspektive die als oberflächlich und den Stillstand verdeckend aufgefasste Modebeschleunigung von Pop unterlaufe.179 Im Gegensatz dazu ist es dem Zeitgeistjournalis177 178
179
Simon Reynolds: Retromania. Warum Pop nicht von seiner Vergangenheit lassen kann. Mainz 20132 , 33. [Hervorhebung im Original] Marlene Schrinder: Research Project: ENDZEITOPIA. Forever Celebrating The End. Post Punk, Goth and Avant Garde in East Germany (1982-1992). http://pophistory. hypotheses.org/2409#more-2409 (letzter Zugriff 11.10.2019) Mark Fischer knüpft an die von Derrida geübte Kritik gegenüber Francis Fukuyamas Proklamation vom »Ende der Geschichte« nach dem Zerfall der Sowjetunion 1991 an und findet in der Popkultur des 21. Jahrhunderts eine wiederkehrende Auseinander-
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mus daran gelegen, das Gefühl von gegenwärtiger Zukunft durch denselben optimistischen Duktus seiner politischen Nostalgie zu erzeugen. Die Rubrik »Tempodrom« bedient sich dafür regelmäßig einer ausgeprägten ScienceFiction-Ästhetik und informiert gerne, anders als im dystopischen Cyberpunk, über erfolgsversprechende Effekte von Innovationen wie »Mind Machines«.180 Zwar wird eine Erinnerungskultur in der öffentlichen Wahrnehmung vom Zeitgeistjournalismus nicht erwartet. Im Moment des Eintritts zeitgeistjournalistischer Strömung in die Buchkultur wird der Abstand zur Nachkriegsliteratur jedoch vielfach problematisiert. Dies weil etwa in das deutschsprachige Pendant zur Generation X, dem Narrativ einer Generation Golf die konsumnostalgischen Darstellungen dieses Formats unmittelbaren Eingang finden. So enthält im sogenannten Wendejahr 1989 die Juliausgabe von Tempo eine achtseitige Produktschau über eine Reihe von Konsumartikeln, die man in 40 Jahren Westdeutschland erwerben konnte: »Zur Sache, Deutschland! 40 Produkte, die 40 Jahre Bundesrepublik auf den Punkt bringen.«181 Die Objekte besitzen insofern einen Anspruch auf nationale Repräsentation, als sie stellvertretend für vier Jahrzehnte westdeutsche Mittelschicht und ihre Konsumwünsche dargestellt werden und damit zugleich – im Unterschied zu der ausgearbeiteten naiv-verklärenden Heraufbeschwörung einer besseren Vergangenheit durch den jungen Antihelden in Faserland – eine normalisierte Nationalidentität nahelegen. Attraktiv erweisen sich hierbei die einfache Lesbarkeit des Materials. Im Gegensatz zu literarischen Erinnerungsformen profitiert dieser Bezug zum einen von seiner Visualisierung, die zusätzliche Überschaubarkeit suggeriert. Zum anderen wird der narrative Charakter dieser Repräsentationen von der profanen, alltagsnahen und wenig Haltbarkeit versprechenden Materialität der Zeitschrift und der Konsumwaren überdeckt. Der Eingang dieser Darstellung von teilweise bereits vom Markt verschwundenen Konsumartikeln in die retrospektive Betrachtung einer Jugend setzung mit der »verlorenen Zukunft« wieder, die in der Figur des Gespensts und seiner zeitlichen Disjunktion ihre Grundlage und Parallele zu Derridas Auseinandersetzung mit Marx‘ Gespenstern findet. Vgl. Mark Fischer: Ghosts of My Life: Writings on Depression, Hauntology and Lost Futures. Winchester 2014. Vgl. Jacques Derrida: Marx‘ Gespenster – Der verschuldete Staat, die Trauerarbeit und die neue Internationale [Spectres de Marx: l’état de la dette, le travail du deuil et la nouvelle Internationale 1993]. Frankfurt a.M. 1995. 180 Vgl. B. Pörksen: Die Tempojahre, 315. 181 Peter Glaser: Zur Sache, Deutschland! 40 Produkte, die 40 Jahre Bundesrepublik auf den Punkt bringen. In: Tempo, Juli 1989, 58-65.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
der Generation Golf lässt sich auch anhand des genannten Artikels aufzeigen. Man liest dort, dass Pelikan-Tintenpatronen einst als »Allzweckwaffe gegen Tintenkleckse im Schönschreibheft und gegen Langeweile im Unterricht [dienten]: Durch Öffnen leerer Pelikan-Patronen ließen sich Patronenkugeln für subversive Zwecke sammeln.«182 Die Konsumnostalgie des Bestsellers Generation Golf rund zehn Jahre später ist davon kaum zu unterscheiden: »So unbeliebt Geha-Füller waren, so beliebt waren die Patronen, weil man die besser aufbeißen konnte als die zu elastischen von Pelikan. Auch waren die Kügelchen von Geha immer weniger blau und man hatte darum hinterher weniger verschmierte Lippen und nicht diesen unangenehmen metallischen Geschmack von Tinte im Mund.«183 Indem bestimmte Konsumerfahrungen wiedererkannt werden, soll eine Verbindung zwischen der eigenen Biografie und der aktuellen Gegenwart hergestellt werden, die zugleich national aufgeladen wird. So ist die retrospektive Darstellung des ›Glaubenskrieges‹ zwischen Pelikan und Geha meist an eine Nachkriegsgeschichte Deutschlands und eine des Kalten Krieges geknüpft.184 Zu unterscheiden ist dabei die Praxis des Konsumierens, die stark in situative Emotionen eingebunden ist, einerseits von der momentanen Lesbarkeit individuellen Konsums in der sogenannten Stillektüre185 und andererseits von der Erinnerung an bestimmte Konsumerfahrungen, deren Übereinstimmung erst im Zuge der Erzählung selbstverständlich wird. Das angeführte Beispiel der Tintenpatrone zeigt, dass hier zwei Aspekte der Konsumerfahrung auf das kollektive und individuelle Selbstbild einwirken. Die freilich äußerst harmlose Devianz des Schülers, die darin besteht, die Tintenpatrone ihrem Zweck zu entfremden und sich damit demonstrativ der schulischen Disziplinierung
182 Ebd., 58. 183 F. Illies: Generation Golf, 32. 184 Vgl. etwa Steffen Fründt: Pelikan oder Geha – Glaubenskrieg im Klassenzimmer. 24.07.2011. https://www.welt.de/wirtschaft/article13505083/Pelikan-oder-GehaGlaubenskrieg-im-Klassenzimmer.html (zuletzt eingesehen am 24.02.2018); Stefan Schmitt: Geha vs. Pelikan. Wettrüsten der blauen Wunder. 12.11.2008 (www.spiegel.de/einestages/geha-vs-pelikan-a-949668.html (letzter Zugriff 11.10.2019); Alexander Grau: Füllfederhalter. Wie Neandertaler mit dem Faustkeil. 6.6.2013. www.faz.net/aktuell/gesellschaft/familie/fuellfederhalterwie-neandertaler-mitdem-faustkeil-12204837.html (letzter Zugriff 24.02.2018) 185 Vgl. Kapitel 3.4 in dieser Arbeit.
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zu entziehen, wird rückwirkend als Individualstil der Konsumption vorgegebener Gegenstände verbucht. Auf der anderen Seite schafft die Warenform und hier ihre zusätzlich hervorgehobene Limitierung (bundesweit gibt es nur zwei Optionen – Geha oder Pelikan) die Voraussetzung dafür, dass es gleichzeitig eine Vorstellung von schicksalhafter Gemeinschaft ist, die das Eigene von dem Anderen unterscheidet.186 So profan diese Gegenstände auch erscheinen mögen, so zielt die identitätsstiftende Funktion des Artikel »Zur Sache, Deutschland!« doch auf kollektiver Ebene erstens darauf ab, die »nachkriegsgebeutelte Bundesrepublik«187 als bedeutenden Impulsgeber im Kontext von Wohlstand, technischem Fortschritt, Globalisierung und Popkultur darzustellen und in das Narrativ des sogenannten ›Wirtschaftswunders‹ einzubetten. So wird die Kamera Minox A. als ein »Wunder der Technik und Meisterwerk deutscher Designkunst«188 gelobt. Die Bluna-Limonade, »Deutschlands Antwort auf Coca-Cola, […] konnte kurzzeitig den Siegeszug der Ami-Brause bremsen«189 , »Puma-Träger sind unter anderem: die Beastie Boys aus New York«190 und das Campino-Bonbon sei »Deutschlands Beitrag zur Pop Art. Die 60er Jahre in Zucker gegossen. Fantastisch bunt und lutschfreundlich rund. Turn on, drop in, lutsch out.«191 Zweitens stellt die Konsummarke hier einen wichtigen Impulsgeber der Normalisierung auch im Zuge der Systemwende vor allem aufseiten der neuen Bundesländer dar. So betont etwa Ivaylo Ditchev die Bedeutung der Vorstellung von Normalität, die sich in der Forderung nach westlichem Konsum 1989 ausdrückt: »Zu leben wie normale Menschen bedeutete zu konsumieren wie westliche Menschen […]. Dies war die zentrale Devise der 89er-Revolution.
186 Das Konsumobjekt lässt sich etwa in der überspitzten Darstellung des NeckermannKatalogs, der eine »wertvolle Orientierungshilfe in Zeiten galoppierender Trends« darstelle, als eine gefühlt frei gewählte Station in der persönlichen Biografie als Ursache und Lösung von Orientierungslosigkeit verstehen. Vgl. P. Glaser: Zur Sache, 65. 187 Ebd. 188 Ebd., 59. 189 Ebd., 58. 190 Ebd., 60. 191 Ebd., 64. Glaser spielt hier auf das Album Timothy Learys Turn on, tune in, drop out von 1967 an und betont damit die postheroische Attitüde, indem er das »Aussteigen aus der Gesellschaft« parodistisch durch das Aussaugen eines Bonbons ersetzt.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
Die Rückkehr zur Normalität bedeutete auch, dieses Ideal in die Wirklichkeit umzusetzen.«192 Zeitabschnitte der jüngsten Vergangenheit, ihre Bilder und Deutungen in Listen und Charts zu rubrizieren ist ein wiederkehrendes Mittel der Zeitgeistmagazine, das nicht nur einen beschleunigten Wandel suggeriert, sondern auch an nostalgischen Ausdrucksweisen anschließt. Unter dem Titel »Stars and Hypes ›86: Striptease eines Jahres« werden etwa mit den durch das Zeitgeistkonzept zusammengehaltenen Kategorien Film, Mode, Geld und Luxus, Kunst, Musik, Theater, Katastrophen, Drogen, Sex, Essen, Literatur und Fernsehen Pop-Phänomene eines Jahres zusammengeführt. Das ist nicht zuletzt im bereits dargelegten Sinn nostalgisch, weil die vorgestellten Trendprodukte wiederum innerhalb eines ganz bestimmtes Nationalbildes präsentiert werden, das von Attributen wie Innovativität oder Durchsetzungsstärke profitiert. Im Februar 1986 wird derart von Helmut Ziegler – »Tempo über Tempo« – die Geschichte des Tempo-Taschentuchs rekonstruiert. Auf drei Seiten kann man hier von der historisch ersten Nennung des Papiertaschentuchs bei Donald Duck bis zur wirtschaftlichen Stellung der Vereinigten Papierwerke in den frühen 1980er Jahren über Imagebildung und -wandel und die Produktionsbedingungen von Tempo-Taschentüchern lesen – unter Aussparung der Tatsache, dass die zuvor im Besitz jüdischer Aktionären befindlichen Vereinigten Papierwerke 1934 im Rahmen der sogenannten Arisierung durch das NSDAP-Mitglied und Gründer des Quelle-Versandhauses Gustav Schickedanz übernommen wurden.193
3.3.2.
Christian Kracht liest Ausdeutschen von Andreas Neumeister
Nostalgie als Modus nationaler Identitätsstiftung hat in Tempo Anteil an der Sicherung entsprechender National- und Normalitätsvorstellungen im Kontext von Populärkultur. Diese nationalen Vorstellungen sind geprägt durch eine Normalisierung deutscher Geschichte und werden u.a. hervorgerufen durch die Inszenierung Westdeutschlands als bedeutsamer Akteur globaler Entwicklungen. Diesen Inszenierungen stellt Christian Kracht eine auffällige
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Ivaylo Ditchev: Der Skandal des Konsums. Ein altes Lied in postkommunistischer Tonart. In: Heinz Drügh, Christian Metz, Björn Weyand (Hg.): Warenästhetik. Neue Perspektiven auf Konsum, Kultur und Kunst. Berlin 2011, 196-204, 202. Vgl. Dieter Ziegler: Die Dresdner Bank und die deutschen Juden. Die Dresdner Bank im Dritten Reich. Hg. von Klaus-Dietmar Henke. Bd. 2. München 2006.
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Literarisierung nationaler Vorstellungen an die Seite. Wie als Vorankündigung seines eigenen Romans rezensiert er im Juni 1994 in einem für Faserland typischen Erzählstil den dritten Roman Ausdeutschen von Andreas Neumeister und nutzt damit die Möglichkeit zur Anlage fiktionaler Elemente im Journalismus, die teilweise auf eine Durchbrechung der im vorangegangenen Kapitel dargelegten Dynamiken von nostalgischer Normalisierung abhebt. Der Titel des rezensierten Romans spielt auf den Gebrauch des Wortes ›ausdeutschen‹ mit der Bedeutung »etwas deutlich und mit Nachdruck erklären«194 durch den Großvater des Icherzählers an. Dabei kreist der Erzähler in einer scheinbar assoziativen Verkettung von Gedanken auf den Bahnen von NSVergangenheit und (schulischer) Disziplinierung: »Ausdeutschen, ausdeuten. Deutsch reden für deutlich reden. Das Wort des Jahres 1990 ist das Wort Deutschland. Ausdeutschen, eindeutschen. Der Begriff Gesamtdeutsch konnte sich nicht durchsetzen. Eindeutschen und ausdeutschen wie einparken und ausparken. Versuchen, sich rundum zu regenerieren. Sich für zwei Wochen ins Konzentrationslager zurückziehen. Einparken. Vier Liter arisches Blut schwitzen. Möglichst viel arisches Blut schwitzen. Und dann wieder konzentriert an die Arbeit, Tage und Nächte rund um die Uhr. Konzentrationsstärkende Mittel stehen bereit.«195 Immer wieder finden sich bei Neumeister schulische Fragen, Aufgabenstellungen und handlungsinitiierende Operatoren zur deutschen Nation eingeschoben: »(In welcher deutschen Landschaft wird von Haus aus Hochdeutsch gesprochen? Beschreibe die Oberfläche dieser Region!)«196 Der Erzähler des Romans Ausdeutschen versucht, ähnlich wie der namenlose Ich-Erzähler aus Faserland, das vereinigte Deutschland zu ergründen und thematisiert auf eigenwillige, zum Teil zynische Weise nationale Vorstellungen: »Der geschichtliche Umbruch kam den großen deutschen Kartenverlagen zu plötzlich. Allein die deutsche Wiedervereinigung kostete den Westermann Verlag 500000 Westmark. Die Hälfte der Karten im Diercke-Atlas muß den neuen politischen Gegebenheiten angepaßt werden (neben den Deutschlandkarten auch all jene, in denen die Bundesrepublik zum Größenvergleich diente). Im Westermannverlag werden die Karten neu gezeichnet. Es gibt eine Finanzfrage. Die großen deutschen Kartenverlage behaupten, behauptet 194 Andreas Neumeister: Ausdeutschen. Frankfurt a.M. 1994, 74. 195 Ebd., 63. 196 Ebd., 57.
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Hansjörg, sie könnten sich einen Wiederanschluß Österreichs nicht leisten. Die großen deutschen Kartenverlage sind gegen einen Wiederanschluß Österreichs.«197 Der Rezensent Kracht nimmt die nationale Grenzerkundung des Romans zum Anlass, in seiner Romanbesprechung zusammen mit dem Autor Neumeister ins polnische Świnoujście zu fahren. Dabei bedient er sich einer ausgeprägten schwärmerisch-nostalgischen Sprache, die unklar lässt, ob er sich mit der Bezeichnung »ganz früher« auf eine nationalistische Idealisierung der Staatsgrenze von 1937 einlässt: »Świnoujście, das hieß früher Swinemünde. Früher, da soll es hier noch Kraniche gegeben haben, und es wurde nicht so viel Raps angebaut, und ganz früher sollen Birkenwälder auch noch gerauscht haben, wenn man hindurchging.« Ziel ihrer Reise ist es »ein bißchen Bier [zu] trinken, in Polen. Dann, leicht angesäuselt, durch die Alleen [zu] schlendern, zur Strandpromenade hinunter, und, wenn es sich ergibt, dort ein bißchen [zu] plaudern.« Der Taxifahrer, der beide Autoren auf deutscher Seite zur neuen Grenze bringt, möchte die Vorstellung von den neuen Bundesländern als Konglomerat neofaschistischer und realsozialistischer Überzeugungen entlarven. Er wähle sowieso die DVU, »schon wegen den Ostgebieten, weil, die seien ja eigentlich deutsch. Dabei fährt er sich mit der Hand durch seinen Leninbart.« Jenseits der Grenze scheint dem Rezensenten alles angenehm fremd, ehrlich und unberührt vom westlich-kapitalistischen System und von der Idee, Świnoujście sei »eigentlich deutsch«, wenngleich seine überzogene Melancholie anzeigt, dass auch dies seinen Vorurteilen allzu sehr entspricht. Die tschechische Automarke des Taxis Skoda, – wichtigstes Importauto der DDR und im Zuge der Privatisierung von der tschechischen Regierung 1991 an die Volkswagen AG verkauft –, die schlichte Ehrlichkeit, mit der die Bezahlung der Taxifahrt vonstatten geht, aber vor allem das gegenseitige Nichtverstehen der jeweils anderen Sprache werden vom Rezensenten regelrecht als Glückserfahrung geschildert: »Das Taxi auf der polnischen Seite ist zum Glück noch ein Skoda. Und der Taxifahrer versteht zum Glück noch kein Wort Deutsch, und wenn er Świnoujście sagt, dann ist das so ein Sing-Sang, so wie ein Rauschen, und als wir aussteigen, da nimmt er die zehn Mark, aber drei Mark oder fünf oder zwanzig, das hätte er auch genommen. Das ist fein so, das hat seine Richtigkeit. Da wird nicht lange herumdiskutiert über Fahrpreise, sondern der Fahrgast, 197
Ebd., 85.
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wenn er ein aufrechter Mensch ist, der schätzt die Entfernung ab und bezahlt dann ehrlich, was die Fahrt eben gekostet hat.«198 Die Vorstellung dieser vom sozialistischen Geist durchzogenen Welt »jenseits der Grenze«, in der zumindest solange alles in Ordnung bleibt, wie man die Landessprache nicht versteht, wird dann vom Rezensenten jedoch derart übertrieben, dass sie sich selbst als Illusion entlarven muss: »Gleich hinter der Grenze werden die Frauen schöner, das merkt man sofort. Die Wälder werden dunkler, das Gras wird satter, und die Männer haben plötzlich alle Lech-Walesa-Schnauzbärte. Und es gibt auf einmal Mücken. Große, fette Biester sind das, mit schwarz-gelb gestreiften Körpern. Sie setzen sich auf einen, und wenn sie wieder wegfliegen, dann gibt es einen Huppel, so groß wie eine Erbse. Drüben, in Deutschland, da gab es gar keine Mücken. Nicht eine.«199 Die Beobachtung, dass die »Frauen schöner werden« steht in einem impliziten Zusammenhang mit dem Stereotyp der ›polnischen Frau‹, das auf die Gleichzeitigkeit von ›Weiblichkeit‹ und Bodenständigkeit, aber auch auf osteuropäische Sexarbeiterinnen der Grenzregion abzielt: »Ab und zu huscht eine 16jährige polnische Schönheit an uns vorbei. Sie schaut so leicht schläfrig.«200 Formal überschreitet diese Rezension ihre standardisierten Grenzen nichtfiktionaler Beurteilung von abgeschlossenen literarischen Werken insofern, als sie nicht subjektiv wertend, sondern in der Schilderung der Ereignisse mehrdeutig ist. Damit kommentiert sie nicht nur den Roman Neumeisters, der sich an Deutschland abarbeitet, sondern verlängert diesen mit anderer Autorschaft. Die Anerkennung der Vorzüge des Romans geschieht also nicht aus der Warte des Kritikers, sondern ihnen wird mit literarischen Mitteln Anerkennung gezollt, indem die Rezension selbst fiktionalisiert wird. Der hohe Wiedererkennungswert journalistischer Texte Krachts ist nicht zuletzt auf jene Mehrdeutigkeit durch ausgestellte Unzuverlässigkeit zurückzuführen. Der Tonfall, mit dem sich der Erzähler scheinbar als wissend präsentiert, sich aber gleichzeitig als unwissend zu erkennen gibt, ist eine Technik, mit der er sich nicht allein vom üblichen Rezensionsstandard abhebt, sondern der auch seinen Debutroman Faserland auszeichnet. Sie lässt 198 C. Kracht: Geschichten, 105. 199 Ebd. 200 Ebd.
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sich hier als ein persiflierendes Verhältnis zur populären Nostalgie aber auch zur eigenen Rolle als Zeitgeistjournalist und Literaturkritiker verstehen. Auf die Frage »Halten Sie sich selbst für einen guten Journalisten?« antwortet Kracht in einem Interview aus dem Jahr 2000, dass ein Journalist gemeinhin von der »zutiefst arroganten Annahme« ausgehe, die Leser*innenschaft sei »dumm«, weshalb es ihm stets verwehrt bleibe, interessant zu schreiben. Folglich halte Kracht sich für einen der schlechtesten Journalisten von allen: »Es muss […] immer an den Leser gedacht werden, weil der Leser – so der Tenor – ja erst einmal dumm ist. Wirklich wahr. Es heißt: ›Wir dürfen den Leser nicht überfordern.‹ Und: ›Wir müssen den Leser an die Hand nehmen.‹ Stellen Sie sich das vor: So werden Zeitungen und Zeitschriften gemacht. Mit dem Satz: ›Der Leser ist dumm.‹ Eigentlich unglaublich, dass bei dieser arroganten Haltung der Redaktionen ihrem Publikum gegenüber überhaupt noch Presseerzeugnisse gekauft werden.«201 Es überrascht nicht, dass Kracht im selben Zuge die einzig mögliche literarische Form der Gegenwart in der Übertreibung und im Pathos sieht. Liest man die Rezension von Ausdeutschen vor diesem Hintergrund, kann sich die Bewertung von Neumeisters Roman auch als ein impliziter Kommentar zu Krachts eigenem Romanprojekt zeigen, das sich mit einer ähnlichen Thematik befasst: »Ausdeutschen heißt das Buch. Innen drin geht es um einen, der durch Deutschland fährt und sich Gedanken macht darüber. Das kann langweilig sein. Das kann aber auch sehr ergiebig sein, wenn das jemand tut, der was davon versteht, vom Gedankenmachen, meine ich.«202 Anstatt davon auszugehen, die Leser*innen seien ›dumm‹, inszeniert der Rezensent sich in seinen unbeholfenen Formulierungen selbst als ›dumm‹, indem er etwa das »superkluge Buch« und das »Gedankenmachen« des Autors lobt, der davon etwas verstehe, mit dem Effekt, dass die Arroganz derart umgangen wird, dass sie nicht der Leser*innenschaft zugespielt wird (man geht davon aus, dass der Rezensent ›dumm‹ sei), sondern dass es schwierig wird, irgendjemandem überhaupt ernsthaft ›Dummheit‹ zu attestieren, da die ste-
201 Christoph Amend, Stephan Lebert: Christian Kracht im Gespräch: Der schlechteste Journalist von allen. In: Der Tagesspiegel, 30.6.2000. 202 C. Kracht: Geschichten, 105f.
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reotype Sprache zu einem leicht erkennbaren Stilmittel geworden ist. Zudem verweigert der Rezensent auffallend, den Roman selbst zu besprechen: »Es ist ein netter Abend, wirklich wahnsinnig nett. Neumeister redet über die Band Killdozer und über die Münchner Band Merricks. Und deswegen haben wir beide überhaupt keine Lust, über Bücher oder so was zu reden. Darüber, daß Neumeisters Buch ausgezeichnet ist, und darüber, daß es funktioniert und eben kein ›Romanversuch‹ ist, wie die FAZ schreibt, oder daß die Klagenfurter Jury, wo er Ausdeutschen vorgelesen hat, das Buch doof fand. Ich sage Neumeister nicht, daß die ja keine Ahnung haben. Ist doch einfach so. Das braucht man nicht extra zu sagen.«203 Kracht stellt hier nicht einen ›guten schlechten Geschmack‹ aus, sondern reaktiviert und betont ein zwar ironisch formuliertes je ne sais quoi, das aber in Anbetracht seiner schriftstellerischen Karriere trotz aller Gebrochenheit als ästhetische Wertung zu verstehen ist: »Manchmal kommt bei Leuten, die sich Gedanken machen über das Herumfahren, über das Kartografieren im Kopf, und das dann aufschreiben, nicht allzuviel dabei heraus. Manchmal schreibt so einer wie Sten Nadolny so grundgute Bücher wie Netzkarte und was drinnen steht, das rührt zwar, und es ist Literatur, aber es fehlt eben irgendwas. Ich weiß auch nicht, was das ist. In Ausdeutschen fehlt es jedenfalls nicht. Da sind so Sachen drinnen, manchmal auch nur zwei einzelne Wörter auf einer Seite, die liest man, und dann zieht es einem die Muskeln zusammen hinter den Ohren, und dann gibt es ein Kribbeln zwischen den Schulterblättern. So, wie wenn Insekten da zugange wären, da hinten.«204 Das Lob des »gewissen Etwas« gelungener Literatur bringt durch die Betonung der eigenen Ahnungslosigkeit eine auffällige Parallele zu jenem ersehnten Unverständnis zum Ausdruck, das in der Rezension jenseits der deutschsprachigen Grenze anzutreffen ist. Denn »[d]rüben in Deutschland, da kann man alles lesen. Da kann man alles verstehen, weil man ja eben Deutsch spricht.« Die Unwissenheit hingegen lässt das Ideal unangetastet: »Auf den Schildern der Cafés gibt es Sachen, die wir nicht entziffern können. Es riecht lecker nach Waffeln, aber wir wissen halt nicht, wo es die gibt oder
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wie die überhaupt heißen auf Polnisch, weil wir ja nicht ein einziges Wort lesen können und erst recht nichts verstehen von dieser schönen Raschelsprache.«205 Mit dieser Beobachtung schreibt Kracht beinahe mimetisch an den rezensierten Roman heran und scheint ihn als Vorlage für seine eigene schriftstellerische Aktivität zu nutzen. An entsprechender Stelle in Andreas Neumeisters Ausdeutschen findet man eine ganz ähnliche Situation der Befremdung: »Mir kam es komisch vor, nach einer Stunde Fußweg zum See, im Laden von Balaton Udvari vor den Regalen zu stehen und zu raten, welches Lebensmittel sich hinter welcher Packung verbirgt. Auf den Tüten keine Abbildungen, kein in Ansätzen vertrautes Wort wie in anderen europäischen Sprachen. Ein kleines Loch reinbohren und schauen, was rausrieselt. Was willst du machen? Riechprobe. Grieß, Reis, Waschpulver?«206 Betont wird von Kracht aber vor allem, der Balanceakt, der notwendig ist, um zu verhindern, dass die Vorstellung der ›anderen Seite‹ von der Realität widerlegt wird. Diese Betonung wird erreicht durch die Unzuverlässigkeit des Erzählers, – bei Neumeister durch etliche Einschübe wie »vom Hörensagen weiß man«207 , »das kann gut sein«208 oder »das glaube ich eher als nicht«209 markiert – aber auch durch das Vorhaben, »leicht angesäuselt« zur Strandpromenade zu schlendern, sowie durch das rechtzeitige Ablenken und Abbrechen der Erkundungen, sobald sie vom Ideal abzuweichen drohen: »Diese Dinge bereden wir aber nicht, dort in Świnoujście, an der deutsch-polnischen Grenze. Weil es nämlich langsam dunkel wird und die Mücken immer aufdringlicher werden und weil wir irgendwann vor einem Birkenwäldchen stehen und weil wir uns plötzlich beide einbilden, dass die Birken rauschen.«210 Im Gegensatz zur Repräsentation von politischer (Konsum-)Nostalgie läuft die Frage nach Nationalität und Identität hier also nicht auf eine Normalisierung deutscher Geschichte hinaus, sondern sie zielt mit dem Fokus auf nationale Grenzen, mit impliziten und expliziten Verweisen auf
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die NS-Vergangenheit und mit einer Verfremdung der Dynamik von Idealisierung auch auf eine Durchbrechung der Vorstellungen vom Eigenen und vom Fremden, vom ›Osten‹ und vom ›Westen‹ und auf eine Störung des souveränen Repräsentationsanspruchs. Der absichtliche Verzicht auf die genrespezifischen Kernfunktionen zugunsten einer Verdichtung der journalistischen Form unterscheidet sich insofern von einer romantischen oder ästhetizistischen Tradition, als sie eine direkte Antwort auf die Mechanismen jener Normalisierung durch Popkultur zu sein scheint. Dies legt auch eine Rezension Krachts der Filmkomödie House Party nahe, in der er den Verzicht auf explizit ›politisierende‹ Elemente lobt, bei der ebenfalls »ein Plot kaum eine Rolle spielt«211 : »House Party ist ein kleiner Meilenstein. Der erste Film, der Schwarzsein nicht politisiert, sondern als Selbstverständlichkeit behandelt. Kein Spike Lee hebt den Zeigefinger und warnt vorm Rassenkrieg – hier geht es einfach nur um Spaß und um Scheiße bauen. Um die erste Liebe, um Prügeleien in der Schulkantine und um die beste Frisur der Party.«212 Das Problem der Stilisierung von Politik, die Spannung zwischen dem, was Politik als Aushandlung des die Gemeinschaft Betreffenden bedeutet, und dem, was Vertreter*innen bestimmter Parteien oder Gruppen als Politik inszenieren, ist auch in Krachts Berichterstattung über die Wahlkampfveranstaltung des FPÖ-Vorsitzenden Jörg Haider im Dezember 1995 von Bedeutung. Den Auftritt Haiders, die Stimmung des anwesenden Publikums und seine affektive Erregung beschreibt der Journalist mit einigem Respekt für seine erfolgreiche Inszenierung als Charismatiker: »Langsam geht das Deckenlicht im Saal an, so als ob die Sonne aufgeht, und wieder gibt es diese Gänsehaut, dieses Prickeln und Erschauern im Publikum, das, was die Sozialdemokraten verabscheuen, weil es ›manipuliert‹ sei, oder ›emotionell‹, es aber nie als das empfinden, was es ist: Beeindruckend. Überlegen. Clever. Groß. Kalt.«213 Zugleich laufe die Rede Haiders aber auf eine politische Verfälschung von Fakten hinaus: »Alle sind gegen ihn, die ›Österreichbeschimpfer und
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»Style is everything in ›House Party.‹ There’s no story to speak of.« Vgl. Vincent Canby: Gross Encounters in Comical ›House Party‹. In: The New York Times, 09.03.1990. Online: www.nytimes.com/movie/review?res=9C0CE0DF1439F93AA35750C0A966958260 Christian E. Kracht: House Party. In: Tempo, Januar 1990, 93. Christian Kracht: Sexy Führer. In: Tempo, Dezember 1995, 46-52, 49.
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-beschmutzer‹, die ›lendenlahmen Linken, die sogenannten Künstler: Jelinek, Peymann, Turrini.‹ Wer nicht dafür ist, ist dagegen. Er verbiegt. Er lügt nicht, aber er verbiegt die Wahrheit.«214 Angesichts von Haiders »Brandrede«, die eben jene Vorstellungen von Fürsprechern und Gegnern seiner Politik hervorbringen möchte, erscheint Krachts eigene Poetik als ästhetizistisch: »Was soll man dazu sagen? Welchem halbwegs gebildeten Menschen fällt dazu etwas ein? Natürlich ist dieser Haider untragbar, ein Spießer, ein Hutzelmann, ein Wortverdreher im Helmut-Lang-Anzug. Wir aber können nur in Ästhetizismen flüchten, in die Ablehnung jeglicher Politik, ob sie nun inszeniert ist wie bei Jörg Haider oder gar nicht wie bei Scharping. Uns fällt zu den Inhalten nichts mehr ein!«215 Der politischen Radikalität und dem unverfrorenen Bezug auf faschistische Tatsachen in Haiders Auftritt kann eine postheroische Verfremdung und Ästhetik offenbar nichts entgegensetzen und Kracht stimmt mit dieser Ohnmachtsbekundung dem allgemeinen Vorwurf einer ›Entpolitisierung‹ seiner Generation zu. Dabei gilt seine Kritik nicht grundsätzlich der umfangreichen Inszenierung von Politik. Im Gegenteil erscheint dem Journalisten die sozialdemokratische Rhetorik, die zwar vorgäbe, auf ›Volksnähe‹ abzuzielen, dabei aber von vielen nicht verstanden würde, als mindestens genauso gefährlich, weil sie viele nicht erreiche: »Das Vermitteln der Kurzallegorie über das Schicksal des armen Traktorfahrers in der Steiermark, der durch seine Steuern den Größenwahn des Burgtheaterdirektors Claus Peymann subventioniert, das ist Jörg Haiders Stärke. Man mag das Populismus nennen oder plakativ Bauernfängerei, aber genau das kann niemand sonst, und in Deutschland schon gar nicht: Bauern fangen. Die Sprache der Politik ist eine andere geworden. Jeder, der einmal Rudolf Scharping zu irgendeinem Thema gehört hat, weiß, daß die Gefahr für die Demokratie das Fehlen einer einfachen Sprache ist. Was fehlt, kann man kaum aussprechen: Volksnähe. Und Jörg Haider besitzt sie, diese Volksnähe.«216 Diese Auseinandersetzung ist durchaus aufschlussreich für das Verständnis des im selben Jahr publizierten Romans Faserland. An einigen Stellen wird
214 Ebd., 50. 215 Ebd., 52. 216 Ebd., 50f.
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dort deutlich, dass der Protagonist und Erzähler fundamental enttäuscht ist von den Sozialdemokraten und diese Enttäuschung in eine nahezu groteske Abneigung der SPD gegenüber äußert, etwa indem er eine Figur als »SPDNazi«217 beschimpft. Die angespannte politische Stimmung, die Kracht in seinem Artikel »Sexy Führer« beschreibt, schlägt sich nieder in einem nicht minder spannungsreichen Verhältnis zwischen der Zeitgeist-Liebe zur Oberflächlichkeit, politischer Enttäuschung und der Provokation faschistischer Rhetorik. So erscheint auch der Tempo-Chefredakteur Uwe Kopf aus der Warte des Erzählers im Roman Faserland in einem äußerst homophoben Licht, das die Überzeugungen des Erzählers auf ausgestellte Weise verdächtig macht: »Wir stehen also im Ksar und plaudern, trinken Bier und so, und plötzlich sehe ich in der Ecke diesen einen Menschen sitzen und auf jemanden einschreien. Es ist Uwe Kopf, dieser Kolumnist, oder was auch immer er ist. Er hat Vollglatze, und das paßt ja auch ganz gut zu ihm, weil er ein ziemlich harter Nazi ist. Ich habe gehört, daß er im fränkischen Wald so eine homosexuelle Wehrsportgruppe hat, die den ganzen Tag mit Platzpatronen herumschießt und mit Kübelwagen herumfährt, und dann abends auf einer Waldhütte werden die jungen Neuzugänge von den Alten ordentlich eingewiesen in die Feinheiten des Nationalsozialismus.«218 Die Unzuverlässigkeit geht hier über sein vermeintliches Faktenwissen hinaus und lässt auch seinen offenen Groll verdächtig werden. Damit schafft die Fiktion Faserland das, was die äußeren Bedingungen dem Zeitgeistjournalismus unmöglich machen: die Entbindung des Autors von dessen Text. Doch auch wenn die Äußerungen des Faserland-Erzählers mit äußerster Vorsicht zu genießen sind, fällt in einer weiteren Szene die Verknüpfung von Tempo-Personal mit Nationalbezügen auf. Auf einer Bahnfahrt trifft der Protagonist unverhofft auf den Zeitgeistjournalisten Matthias Horx. Der sogenannte Trendforscher macht sich gegenüber dem Erzähler vor allem aufgrund seiner ›Profession‹ lächerlich, die ihn offenbar reflexhaft auf Superlative und Ausdrücke wie ›abfeaturen‹ mit Zettel und Stift reagieren lässt. Zwar gibt seine Erscheinung den Leser*innen auch durch die Brille des Erzählers Grund, an der von Horx betriebenen Trendforschung zu zweifeln. Trotz allen Misstrauens wirkt er aber latent auf den namenlosen Protagonisten ein. Implizit
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Christian Kracht: Faserland. Köln 1995, 55. Ebd., 118.
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wird hier sein unbemerkter Einfluss thematisiert, die bei dem Protagonisten zur Verbreitung einer politischen Nostalgie führt: »In diesem Moment geht die Tür des Bistros auf, und einer kommt herein, der genauso aussieht wie Matthias Horx. Ich sehe ihn mir von der Seite an und in diesem Moment sehe ich, daß es tatsächlich Matthias Horx ist. Dieser Horx ist so ein Trendforscher aus Hamburg, muß man dazu wissen, der sich immer und überall Notizen macht, und wenn ihm jemand wichtig oder irgendwie trendverdächtig genug ist, dann schreibt Horx auf, was dieser Mensch gesagt hat oder was er für Anziehsachen anhat oder so. Der Horx ist immer in so schwarze wallende Mäntel gehüllt und hat ganz schütteres langes weißes Haar, und er sieht tatsächlich haargenau so aus wie der irre Wanderprediger in dem Film Poltergeist 2. Zum Glück erkennt er mich nicht, obwohl ich ihn schon mehrmals auf einer Party belästigt habe, und zwar haben Nigel und ich uns damals ausgedacht, daß wir ein Musical für Matthias Horx schreiben werden, das wir Horxiana! genannt haben, und das wäre dann so eine Mischung aus Starlight Express und Phantom der Oper, nur daß Matthias Horx eben das Phantom wäre und andauernd auf so Rollschuhen rumfahren müßte und nie zur Ruhe käme, weil ihm keine Trends mehr einfielen.«219 Während der Protagonist und sein Freund Nigel der Lächerlichkeit des Trendforschers auf einer Party noch mit Ironie begegnen, bleibt Angesichts der Vorstellung mit Horx eine längere Zeit im Zug zu verbringen nur die Flucht aus dem ICE als Lösung: »Ich frage ihn, wohin er denn fährt, und da sagt er allen Ernstes, er fahre zu einem Trendkongreß nach Karlsruhe. […] Ob ich auch nach Karlsruhe fahren würde? Vor mir auf dem Tisch liegt so ein Faltblatt der Bundesbahn, und ich schaue schnell drauf, und die nächste Station ist Heidelberg, und da ich mir nichts Schlimmeres auf der ganzen Welt vorstellen kann, als mit Matthias Horx bis Karlsruhe über den dortigen Trendkongreß zu plaudern, sage ich schnell, ich würde nur bis Heidelberg fahren. Ah, sagt er da. Heidelberg. Old Heidelberg. Und dann grinst er ganz schnell sein weites Horx-Grinsen. Old Heidelberg. Das geht mir durch den Kopf, und nachdem ich Matthias Horx Auf Wiedersehen gesagt habe, murmele ich es ein paar mal so halb laut vor mich hin. Old Heidelberg, Old Heidelberg. Hier steige ich aus.«220
219 Ebd., 88f. 220 Ebd., 89f.
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Der Ausdruck ›Old Heidelberg‹ wirkt lange Zeit auf den Ich-Erzähler und seine weitere Reise im Roman. Weil dieser seine Entscheidungen (scheinbar) auf übertrieben willkürliche Art fällt, bucht er sogleich ein Zimmer im Hotel Alt Heidelberg, während der Entscheidungsgrund sich im »schönen Heidelberg« aufzuhalten, nur kurze Zeit später falsch erinnert wird. Die vom Zeitgeistjournalisten Horx durch seinen Ausdruck ›Old Heidelberg‹ aufgerufene (national-)romantische Vorstellung bildet sich bei der Ankunft am Heidelberger Bahnhof ab: »Die Amerikaner wollten Heidelberg nach dem zweiten Weltkrieg zu ihrem Hauptquartier machen, deswegen ist es nie zerbombt worden, und deswegen stehen die ganzen alten Gebäude noch, so, als ob nichts gewesen wär, außer natürlich dem miesen Pizza Hut und irgendwelchen Sportartikelläden, und eine riesige Fußgängerzone gibt es natürlich auch. Der Bahnhof aber, der ist noch ein richtiger Bahnhof, so aus den fünfziger Jahren, und wenn man herauskommt, dann leuchtet einen so eine gigantische Weltkarte aus Neon an, auf der steht irgendetwas von Heidelberger Druckmaschinen, führend in der Welt.«221 Der irreale Vergleich »als ob nichts gewesen wär« und die Vorstellungen von Weltmarktführung – bezeichnenderweise im Printsektor – heben die neokonservativen Züge des Protagonisten und Erzählers hervor. Der Trendforscher Horx, der am Anfang der Szene steht, wird jedoch als Initiator dieser Vorstellung aufgrund seiner Lächerlichkeit nicht als dieser wahrgenommen. Das Trendbewusstsein und die Zukunftsorientierung, die den Erzähler abschrecken, stehen insofern nur scheinbar im Gegensatz zu jenen neokonservativen Ansichten Deutschlands. Die Missverständlichkeit des unzuverlässigen Erzählens in Krachts Texten führt nicht nur dazu, dass dem Romanautor vorgeworfen wurde, er habe mit Faserland einen ›Hitlerroman‹ geschrieben, sondern auch zu der Aussage, der Zeitgeistjournalist sei Vertreter einer »Mixtur aus Baba-Distinguiertheit und infantilem Deutschlandgewalle«.222 Tatsächlich haben die vorangehenden Zitate deutlich gemacht, dass der Zeitgeistjournalismus als Kontext von Faserland eine andere Lesart nahelegen: Die Spannungen der Medienrealität, wie sie sich um 1995 im Printsektor zeigen, bieten im Zeitgeistmagazin einen Rahmen der Intervention, der aber durch 221 Ebd., 90. 222 Thomas Gsella, Jürgen Roth: Tempo platt. In: Konkret, Mai 1996. Aus dem Tempo-Pressespiegel im UA Ganske-Verlagsgruppe.
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die popkulturelle Sprache, in der diese formuliert wird, eine ›echte‹ Artikulation verhindert. Mit der Einführung des unzuverlässigen Erzählers wird diese verhinderte Artikulation als solche hervorgehoben. Autor*innenschaft wird also in dem Maße etabliert, in dem die Offenheit der Texte Raum für die Leser*innen schafft, produktiv mit Bedeutung umzugehen. Dies passiert nun nicht erst im Medium Buch, sondern bereits im Vorwege: durch die Einführung des unzuverlässigen Erzählers in den Journalismus. Der Zeitgeistjournalismus übernimmt, wie im vorangegangenen Kapitel gezeigt wurde, durchaus eine katalytische Funktion im ausgreifenden Diskurs um nationale Normalität. In Bezug auf die Wiedervereinigung ist die scheinbare Überlegenheit des Westens im Sprechen über die neuen Bundesländer die Regel. Auch aufgrund des visuellen Faktors bringen im Zeitgeistmagazin bestimmte Konsumgüter über ihren hohen Wiedererkennungswert Vorstellungen von nationaler Gemeinschaft hervor. Wie in einem Museum, das von der Ecstasy-Pille bis zur Calvin Klein-Unterhose die Popzeichen der Jahrzehnte ausstellt, werden Erinnerungen und Produktassoziationen dabei diskursiv. Die Archivfunktion, die Moritz Baßler um 2000 dem »deutschen Poproman« zugesprochen hatte, lässt sich deshalb unbedingt erweitern. Nicht nur die realitätsgetreue Beschreibung der Markenkultur findet sich in diesem ›Zeitgeist-Archiv‹, die Praxis dieser Markenzirkulation wird hier in mehreren Dimensionen sichtbarer. Die Produktassoziationen fügen sich aber auch in nationale Narrative der Normalisierung ein, die später insbesondere im Konzept Generation Golf starke Resonanz erfahren. Dennoch lässt das redaktionelle Programm Raum für eine explizite und implizite Kritik am erstarkenden Nationalismus der Zeit. Genau aus dieser Spannung erwächst der Roman Faserland: Das Magazin Tempo bietet nicht zuletzt aufgrund des großen Rezensionsteils die Möglichkeit, aus der journalistischen Rolle in einen literarischen Diskurs einzutreten, der den Journalisten zu einem Autor werden lässt. Die Literarisierung des journalistischen Textes geschieht zum einen über eine Mimesis: Der zu besprechende Erzähltext wird formal im journalistischen Text weitergeführt. Zum anderen wird er literarisiert über die Etablierung unzuverlässigen Erzählens, die den Leser*innen eine Fiktion nahelegt, wo sie einen faktentreuen Text erwarten. Die explizite Kritik am erstarkenden Rechtspopulismus in Österreich mündet angesichts der oben geschilderten Spannung in einer Ohnmachtsbekundung Krachts: Der Zwiespalt habitualisierter Ironie, der (vage) Positionen zugleich negiert und relativiert, offenbart sich in einer Handlungsunfähigkeit gegenüber rechtspopulistischer Rhetorik. Hier spricht Kracht stellvertretend
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für eine größere Gruppe, die er zwar nicht als Generation anspricht, die allerdings über den redaktionellen Verbund hinauszugreifen scheint. Diese kollektivierte Ohnmachtsbekundung bei gleichzeitig markierter Notwendigkeit von Kritik bildet einen wichtigen Kontext zum Verständnis dessen, was später als Popliteratur bekannt wird; nicht nur mit Blick auf die NSVergangenheit und die Nachkriegsliteratur, sondern auch mit Blick auf Gendernormen und – wie im folgenden Kapitel ausgeführt wird – mit Blick auf den expandierenden Konsummarkt, auf den sich die Popliteratur um 2000 in besonderem Maße bezieht.
3.4.
(Re-)Produktion von Konsumzeichen
Angela McRobbies im Kapitel 3.2 angeführte, an manchen Stellen harsche Konsumkritik, innerhalb derer sie ihre Argumentation für eine Verkomplizierung des feministischen Backlash um 1990 entfaltet, bedarf angesichts der Tragweite des Faktors Konsum an dieser Stelle einer weiteren Differenzierung. Im folgenden Kapitel wird der Zusammenhang von Konsumzeichen und zeitgeistjournalistischen Schreibweisen ausgeführt. Die Bedeutsamkeit des ökonomischen Interesses an und die sich daraus ergebende Funktionalität von Zeitgeistrepräsentation stehen in Abhängigkeit zu ihrer popkulturellen Aktivität, die sich später in der Popliteratur manifestiert. Es wird deutlich werden, dass im Zuge des Bedeutungsgewinns von Konsumpraxis auch neue Ausdrucksweisen zunächst auf journalistischer Ebene und in der Folge auf literarischer Ebene entstehen. Dies geschieht zum einen, indem eine gewisse Balance zwischen der Präsentation echter und ironischer Konsumbejahung hergestellt wird. Diese wird im folgenden Kapitel anhand einer heuristischen Unterscheidung zwischen Klischee und Stereotyp aufgezeigt. Zum anderen überträgt der Zeitgeistjournalismus die Aufmerksamkeit für bestimmte – meist weiblich konnotierte – Konsum- und Lifestylewaren häufig mit hohem Irritationspotenzial in den Literaturdiskurs. Mit der zeitgeistjournalistischen und -diagnostischen Darstellung bestimmter Figuren und Zeitgeist-Typen, die das subjektkonstituierende Moment von Konsum ernst nimmt, Konsumzeichen in einen fiktionalen Rahmen stellt und zugleich den Kunst- und Kulturbegriff demystifiziert, öffnet sich ein Raum für die Etablierung von popliterarischen Schreibweisen und Autor*innenschaft. Für die Kontextualisierung der Popliteratur ist also das spannungsreiche Verhältnis von Konsum, Narration und Fiktion sowie die Etablierung von Subjekt und
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Autor*innenpositionen von besonderem Interesse. Bevor im Folgenden auf die (Re-)Produktion von Konsumzeichen in Tempo näher eingegangen wird, bietet eine teils synchrone, teils diachrone Verortung des Konsumdiskurses die Voraussetzungen für ein besseres Verständnis dafür, warum Konsumwaren für das Wechselverhältnis von Zeitgeistjournalismus und Popliteratur so bedeutsam sind. Als Bestandteil der Pop- und Populärkultur ist der Zeitgeistjournalismus konstitutiv in (aufmerksamkeits-)ökonomische Strukturen eingebunden. Das Medium ist als Konsumprodukt auf zwei Märkten aktiv: Inhalte werden für einen Leser*innenmarkt produziert und erzeugen zugleich Raum, der dem Werbemarkt als erhöhte Verbreitungswahrscheinlichkeit von Werbebotschaften angeboten wird.223 Hinzu kommt, dass sich seit den 1980er Jahren in der gesamten Verlagsbranche wirtschaftlicher Druck und (latente) Konzentrationsprozesse auch infolge von Medienkonkurrenz verschärfen. Die konzeptionelle Integration von Anzeigen als Finanzierungsmittel steht damit in wechselseitiger Abhängigkeit mit den Leser*inneneinstellungen zu Konsumwaren, die hier beworben und thematisiert werden. Auf der einen Seite profitiert der Konsummarkt von der Anzeigenverbreitung für Lifestyle-Produkte, aber auch von der generellen Popularität des Sektors Lifestyle, der im Zeitgeistmagazin thematisch wird. Auf der anderen Seite bedient sich der redaktionelle Teil der breiten Palette an Konsumwaren und nutzt diese als Gegenstände zur inhaltlichen Auseinandersetzung und zur Inszenierung von Konsumpraxis, bei denen bestimmte Produkte auf bestimmte Art genutzt und miteinander kombiniert werden. Infolge der sich auch am Erfolg dieser Medienpraxis abzeichnenden soziokulturellen Entwicklungen werden Konsumwaren schon längst nicht mehr als dem Leben rein äußerlich bleibend wahrgenommen und bewertet. So betont beispielsweise der Sozialphilosoph Axel Honneth mit Nachdruck die Notwendigkeit des Ernstnehmens konsumistischer Dynamiken innerhalb von Sozialverhältnissen auf breiter Ebene. Die sogenannten ›Identity Goods‹ sollten etwa nicht nur in polemischer Absicht so benannt werden, sondern es sei davon auszugehen, dass ihr Konsum tatsächlich der »Aufrechterhaltung persönlicher Identität« zugutekomme.224 Es sei kaum mehr vorstellbar,
223 Vgl. A. Doehring: Musikzeitschriften, 193. 224 Vgl. Axel Honneth: Kolonien der Ökonomie. Gespräch zwischen Axel Honneth, Rainer Forst und Rahel Jaeggi. In: polar (2) 2007, 152. Online: www.polar-zeitschrift.de/polar_02.php?id=93#93 (zuletzt eingesehen am 24.02.2018).
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»dass Individuen zu einer sozialen Identität gelangen, ohne diese in einem Ensemble persönlich konsumierter Güter auszudrücken.«225 Das Verhältnis von Subjekt, Ware und Konsum lässt sich dabei nicht als ein rein symbolisches auffassen, in dem eine bereits bestehende Identität durch eine Ware oder eine Art des Konsums lediglich zu ihrem Ausdruck gelänge, sondern ist derart interdependent, dass Konsum Identitäten gleichermaßen auch generiert.226 So fährt Honneth fort: »Die Subjekte, die sich durch bestimmte Konsumartikel in ihrer eigenen Wohnung einrichten und durch spezifische Formen des Reisens oder spezifische Formen des Autofahrens zu artikulieren versuchen, gewinnen auf diesem Weg ein Stück ihrer sozialen Identität.«227 Konsum zeigt sich in dieser Wechselwirkung als in ein ganzes Ensemble von Emotionen und Energien eingebunden, indem er diese zugleich freisetzt und sie als ökonomische Antriebskraft nutzt.228 Zwar prägt das Konzept ›Konsumgesellschaft‹ im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts auch den deutschsprachigen Popdiskurs und dominiert ihn sogar zeitweilig,229 die Diskussion über Konsum als Aneignung, wie sie von den Cultural Studies prominent geführt wurde, steht aber häufig im Schatten des heroischen Narrativs von 1968 und der Betonung einer Befreiung von der Vorgängergeneration als revolutionärer Akt, die eine ganz bestimmte Interpretation von Konsum als Warenfetischismus mit sich bringen.230 225 Ebd. 226 Beziehungsweise bestimmt Konsum als Nachfrage die Art des Angebots, und die Form der Ware legt eine bestimmte Praxis des Konsums nahe. 227 Ebd. [Hervorhebung im Original] 228 Die von Gilles Deleuze und Félix Guattari nahegelegte Interpretation von Konsument*innen als Wunschmaschinen, die durch ihre Begehrensstrukturen organisch in den Kapitalismus eingepasst sind, hat der Hinwendung zu nicht zweckgerichtetem, emotional durchdrungenem Konsumverhalten in der Konsumforschung Vorschub geleistet. Vgl. Gilles Deleuze, Félix Guattari: L’anti-OEdipe. Capitalisme et schizophrénie. Paris 1972. 229 Mitte der 1990er Jahre sehen etwa Popvertreter*innen in der konsumistischen Jugend eine ›Avantgarde ihrer eigenen Abschaffung‹ und (re-)aktivieren trotz prokonsumistischer Überlegungen, die aus den Cultural Studies übernommen werden, eine starke Konsumskepsis. Die wechselseitige Beeinflussung von jugendlichem Konsumismus und Jugendlichkeit als gesellschaftlichem Prinzip führe demnach zu einem Zustand, in dem Jugend zum Kontrollmechanismus und die gesellschaftliche Sehnsucht nach Flexibilität und jugendlichem Lebensstil ein allgegenwärtiger Imperativ werde. Vgl. T. Holert, M. Terkessidis: Einführung, 15f. 230 Diese Konsumkritik geht dabei gerade nicht von der im Zuge der 1960er und 1970er Jahre durch Louis Althusser verbreiteten Kritik an Karl Marx‘ Theorie vom Warenfeti-
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Dagegen hebt u.a. Philipp Felsch den popkulturellen Konsumismus als das eigentlich Revolutionäre von 1968 hervor: »[D]ie Studentenrevolte [war, KS] vielleicht in vielerlei Hinsicht ein Reenactment von ideologischen Frontstellungen aus der Zwischenkriegszeit. Als wirklich revolutionäres Ereignis muss dagegen der Durchbruch einer auf die Figur des Jugendlichen ausgerichteten Konsumkultur angesehen werden.«231 Dennoch betonen auch Felschs Einschätzungen die Logik der bereits 1968 hervorgebrachten Konsumkritik, die hinter dem schönen Schein das Abgründige ausmacht. Tatsächlich sind um 1968 die Einstellungen zu Konsum speziell in linksalternativen Kreisen widersprüchlich, wie Thomas Hecken zeigt. Als Vertreter*innen der 1968er Generation plädieren viele für eine Enttabuisierung von Konsum, zugleich lehnen sie diesen aber – häufig unter Bezugnahme auf Herbert Marcuse und die Frankfurter Schule oder das oben erwähnte Verständnis vom Warenfetischismus – entschieden ab. Hecken bietet für diesen fraglichen Zusammenhang von antiautoritärer Haltung und konsumistischen Einstellungen zwei Erklärungsansätze an. Danach geht erstens mit der Absage an die bildungsbürgerliche Kunstauffassung eine Hinwendung zu massenhaft reproduzierten Gegenständen der Unterhaltungskultur einher, die teilweise auf eine »Ästhetik des Schocks und der Zerstreuung« hinausläuft, die auch für die »flüchtigen Reize und isolierten Effekte der Popkultur« empfänglich ist.232 Zweitens trügen die Haltungen und Lebensstile der Rebell*innen, die sich über Kleidung und Körperpräsentation sowie über die Einstellung zur Sexualität äußere, doppelt zur Ausweitung des Konsums bei: Einerseits würden Kaufhemmungen durch die Absage an Selbstdisziplin abgebaut und andererseits schaffe das Bedürfnis nach Andersartigkeit und Differenz Raum für ein erhöhtes Warenangebot.233 Klaus Nathaus betont darüber
schismus aus, wonach Marx‘ Theorie auf einem naiven, ideologischen und epistemologisch unbegründeten Gegensatz von Personen und Sachen basiert, der das subversive Potenzial des Entwurfs unterschlägt. Vgl. Slavoj Žižek: Liebe Dein Symptom wie Dich selbst! Jacques Lacans Psychoanalyse und die Medien. Berlin 1991, 51. Aufseiten der akademischen Konsumkritik beginnt man sich Anfang der 1970er Jahre ganz selbstverständlich auf Wolfgang Fritz Haug und sein schnell zum Standardwerk avanciertes Buch Kritik der Warenästhetik zu berufen. Vgl. Wolfgang Ullrich: Art. Werbung und Warenästhetik. In: HbP, 207-215, 209; Wolfgang Fritz Haug: Kritik der Warenästhetik. Frankfurt a.M. 1971. 231 Philipp Felsch, Frank Witzel: BRD Noir [2016]. Bonn 2017, 113. 232 T. Hecken: Das Versagen, 144. 233 Vgl. ebd., 143ff.
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hinaus die doppelte Rolle der weiter gefassten Konsumgesellschaft im historischen Konzept des Wertewandels: »Zum einen stellte sie das symbolische Repertoire für Kulturexperimente bereit; zum anderen förderte sie die Akzeptanz alternativer Haltungen bei einer Mehrheit, welche die radikalen ›Auswüchse‹ der Jugend zwar skeptisch betrachtete, ihre Offenheit gegenüber Konsumangeboten jedoch zum Vorbild nahm.«234 Eine synchrone Perspektive auf Konsum eröffnet Wolfgang Ullrich mit dem Konzept des Fiktionswerts von Waren. Diese hebt sich sowohl von der noch ins 21. Jahrhundert hinein reichenden Konsumskepsis als auch von der Betonung ›resistenter‹ Konsum- und Aneignungspraxis, wie sie von Vertreter*innen der Cultural Studies vorgenommen wird, ab. Ähnlich wie der Inszenierungswert von Waren innerhalb eines Ästhetische[n] Kapitalismus, wie ihn später Gernot Böhme wiederum in kritischer Absicht konzipiert,235 stellt nach Ullrich der Fiktionswert einen maßgeblichen Faktor auf der Ebene des Gebrauchswerts von Gütern dar, der diesen aber mit dem Eintritt in eine Wohlstandsgesellschaft zu übersteigen beginnt und zum Teil an seine Stelle tritt. Eine Reihe von Waren mit einem annähernd gleichen Gebrauchswert könne ganz unterschiedliche Bedürfnisse der Konsument*innen befriedigen, weil die einzelnen Konsumobjekte an unterschiedliche Narrationen und Deutungen gebunden seien. Die Erfahrungen mit Produkten, die gleiche Gebrauchswerte, aber unterschiedliche Fiktionswerte besitzen, erläutert Ullrich am Beispiel des Pfefferns von Gerichten: »Eine elektrische Pfeffermühle macht das Würzen zu einem technoiden Präzisionsakt, während eine manuell zu bedienende es in eine Handreichung verwandelt; ist sie zudem aus Holz, wird diese zum Handwerk. Und ist sie sechzig, gar achtzig Zentimeter groß, dann gerät das Pfeffern sogar zur zelebrierten Arbeit, mit der eine Speise vor den Augen des Essenden vollendet und damit eigens gewürdigt wird. Mit einem Pfefferstreuer hingegen schüttet man das Gewürz lediglich über dem Essen aus, so als ginge es darum, einen Mangel ungeduldig – und etwas unwillig – zu kompensieren.«236
234 K. Nathaus: Die Musik der weißen Männer, 83f. 235 Vgl. Gernot Böhme: Ästhetischer Kapitalismus. Berlin 2016. Prominent wird der Gedanke von der Marke als Produkt bereits durch Naomi Kleins Studie No Logo. Vgl. Naomi Klein: No Logo: Taking Aim at the Brand Bullies. Toronto 2000. 236 Wolfgang Ullrich: Philosophen haben die Welt immer nur verschieden interpretiert – verändern Produktdesigner sie auch? In: H. Drügh, C. Metz, B. Weyand (Hg.): Warenästhetik, 111-128, 112.
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Mit seinen Überlegungen zum Fiktionswert möchte Ullrich gerade nicht im Sinne eines leeren Gebrauchswertversprechens die Täuschung und Irreführung der Konsument*innen aufdecken, die ihnen gewissermaßen die eigentliche Abwesenheit von Gebrauchswerten verschleierten. Ebenso möchte er nicht die Konsumgegenstände als Objekte des Begehrens zugunsten von Objekten der Bedürfnisstillung herabwürdigen. Stattdessen parallelisiert er den Fiktionswert mit dem kulturellen Wert poetischer Fiktionalität. Dieser Gedanke fasst bereits eine literarische Energie von Konsumpraxis bzw. der (De)Codierung von Konsumwaren, die im Folgenden noch als Wechselwirkung des journalistischen und literarischen Feldes dargelegt wird. Interessant erscheint Ullrich nicht in erster Linie der Versuch, den Konsumismus als Kulturtechnik aufzuwerten – das ist offenbar nur ein Nebeneffekt. Interessant erscheint Ullrich die Bemerkung, dass die Rede vom Fetischcharakter der Waren, von ihren Täuschungen, Verblendungen oder Manipulationen eine kulturhistorische Ähnlichkeit mit der Gleichsetzung von Lüge und Fiktion in der Abwendung von Dichtungen aufweist. Ullrich zufolge möchte Platon deshalb die Dichter und Künstler vom idealen Staat ausschließen, weil sie gleiche Phänomene immer wieder anders in Szene setzen »und insofern einem Pluralismus huldigten«237 . Ullrichs Verteidigung dieses Pluralismus gegen die von ihm ausgemachte Wiederholung des Lügenarguments in der Konsumkritik endet schließlich in der Vermutung, dass, »wenn die Potenziale der Fiktionswelten, die Inszenierung von Gefühlen und Ideen durch Produkte, ja die Chancen auf Veränderung des Menschen durch Konsum« erst einmal voll ausgereizt würden, eine »warenästhetische Erziehung des Menschen« gelingen könne.238 Nicht zuletzt das anthropologische Pathos dieses Beispiels verdeutlicht, dass der kulturwissenschaftliche Bezug auf Konsum stets eine starke Emphase erfordert, die auch mit der langen Tabuisierung zu begründen ist.239 Diese Tabuisierung insbesondere im literarischen Diskurs verschleierte lange die schon um 1900 auszumachende Begeisterung für die Warenwelt, die vor allem dem Potenzial von Marken gilt, als Zeichenträger zu fungieren. Wie Björn Weyand anhand ausgewählter Prosatexte des 20. Jahrhunderts aufzeigt, hat es in der mehr als hundertjährigen Geschichte modernen Markenwesens in
237 Ebd., 115. 238 Ebd., 128. Vgl. Wolfgang Ullrich: Alles nur Konsum. Kritik der warenästhetischen Erziehung. Berlin 2013. 239 Vgl. z. B auch T. Hecken: Das Versagen, 101.
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Deutschland vielfältige Auseinandersetzungen mit ihr gegeben, wobei er neben der Popliteratur der 1990er Jahre vor allem Literaturen der Weimarer Republik hervorhebt.240 Davon zu trennen ist jedoch eine breite gesellschaftliche Akzeptanz von Konsumkultur. Noch in den großen deutschsprachigen Illustrierten der 1950er Jahre wie Quick und Stern, die zwar den redaktionellen Rahmen bereitstellen, um Anzeigenkund*innen zu gewinnen, findet die Darstellung positiver Bezüge auf die Konsumkultur wenig Platz, wie Hecken festhält.241 Für die Herausforderung von Käuflichkeit und Konsum sei durch die Darstellung von Glamour, Starkult und romanhafter Sehnsucht zwar gesorgt, »eine offene Begründung und Bejahung der Konsumkultur muss aber ausbleiben, zu stark wirkt noch die antimaterialistische Moral und der Nimbus der Hochkultur, um sich gegen sie auszusprechen und für einen Konsummaterialismus einzutreten«.242 Auf künstlerischer Ebene kommt es vor allem durch die Pop Art zu Bemühungen, diese Struktur infrage zu stellen, indem die Warenwelt überästhetisiert wird. Die von den Vertreter*innen der Pop Art vorgenommene Übertragung von Konsumgütern ins Feld der Kunst ist zwar zumeist als Verfremdung aufgefasst worden. Dass dies jedoch eine nachträgliche Interpretation darstellt, die zumindest für die Pläne der Independent Group den Sachverhalt verkehrt, wird häufig übersehen: »Zwar verwendet auch Hamilton 1957 den zu der Zeit noch vollkommen ungebräuchlichen Begriff Pop Art. Er ordnet der Pop Art u.a. folgende Merkmale zu: ›Popular‹, ›Low cost‹, ›Mass produced/Young (aimed at youth)/Witty/Sexy/Gimmicky/Glamorous/Big business‹. Die Pointe an Hamiltons Begriffsbestimmung ist jedoch, dass er damit nicht seine eigenen Bilder beschreibt, sondern die Gegenstände, die er darin aufgreift. Pop Art, das sind für ihn z.B. die amerikanischen Autos und Illustrierten. Was die Anderen mass culture oder später popular culture nennen, bezeichnet die
240 Vgl. Björn Weyand: Poetik der Marke. Berlin, Boston 2013, 7. Die Arbeit ist auch als eine Art Differenzierung der von Moritz Baßler in seiner prominenten Studie Der deutsche Pop-Roman zur Definition von Popliteratur herangezogenen und etwas polemisch formulierten Differenz von Literatur ohne Markennamen und Literatur mit Markennamen zu verstehen. Vgl. M. Baßler: Pop-Roman, 155. 241 T. Hecken: Das Versagen, 101. 242 Ebd.
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Independent Group als Pop Art, wobei nicht nur Hamilton zugleich deutlich macht, dass er diese Pop Art in hohem Maße schätzt.«243 Adaptionen der Pop Art im deutschsprachigen Raum, wie etwa die des Kapitalistischen Realismus (in Anspielung auf den Sozialistischen Realismus) ab 1963, stellen deshalb eine sehr viel konsumkritischere Variante als ihre britischen und US-amerikanischen Vorbilder dar. Sie leisten der Auffassung von Pop Art als ideologiekritische Unternehmung der Entauratisierung Vorschub. Daran kann auch die D.I.Y.-Kultur anschließen, bei der es häufig um Aneignung, Umdeutung und Ausstellung von Konsumwaren geht.244 Im Unterschied zur gering geschätzten Passivität des Konsums stellt die Betonung eines kreativen Konsumwarengebrauchs, der als widerständiges Moment gelesen wird, deshalb ein wichtiges Interpretament einer heroischen Pop- und Populärkultur dar.245 Im Sinne des Common Sense lässt sich Konsumkritik nur schwer einem politischen Lager zuordnen: »[I]n der Ablehnung einer materialistischen, konsumistischen Einstellung kommen Rechte wie Linke, Anhänger der freien Marktwirtschaft wie Sozialisten, Avantgardisten wie Bildungsbürger, Verfechter einer Elite wie Vertreter der Mittelschicht überein.«246 Prokonsumistische Argumente finden sich vor allem in feuilletonistischen
243 T. Hecken: »Pop-Literatur« oder »populäre Literaturen und Medien«?, 22f. Die Liste steht in einem privaten Brief Hamiltons, der 1963 publik wurde und fortan fälschlicherweise als Beschreibung der neuen Kunstrichtung Pop Art zitiert wird. Vgl. T. Hecken: Pop, 11. Auch Lawrence Alloway verstand als Kunstkritiker und Kurator in den 1950er Jahren unter Pop Art noch die populären Artefakte der Alltagskultur selbst. Vgl. Joseph Imorde: Art. Pop Art. In: HbP, 222-226, 222. 244 Konsumieren, also Verzehren, wurde deshalb auch als Popkennzeichen gelesen, das von Beginn an den Gegensatz dazu bildet, sich verzehren zu lassen. Vgl. T. Hecken: Pop-Konzepte der Gegenwart, 98. 245 Vgl. etwa Michel de Certeau: L’Invention du quotidien. 1. Arts de faire. Paris 1980. Die rezeptionsoptimistische Auffassung findet sich insbesondere in den Cultural Studies ab den 1980er Jahren wieder und geht auch zurück auf Dick Hebdiges einflussreiche Studie Subculture. The Meaning of Style, in der er das politische Potenzial von Popstilen in der Jugend der britischen Arbeiterklasse hervorhebt. Vgl. Dick Hebdige: Subculture. The Meaning of Style. London 1979. Siehe auch Birgt Richard, Alexander Ruhl (Hg.): Konsumguerilla. Widerstand gegen Massenkultur? Frankfurt 2008; Dirk Hohnsträter (Hg.): Konsum und Kreativität. Bielefeld 2015; Heinz Drügh: Ästhetik des Supermarkts. Konstanz 2015. 246 T. Hecken: Das Versagen, 10.
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Diskursen selten, wenngleich Konsum eine maßgebliche gesellschaftspolitische Bedeutung zukommt. Mit Blick auf die Rezeption der popliterarischen Thematisierung von Mode- und Markenwelten trifft man noch im Jahr 2000 auf den Vorwurf, der konsumistische Impetus der Popliteratur sei zutiefst ›kleinbürgerlich‹: »Das anstrengende und nervige Suchen nach dem individuellen Stil, diese für intelligente Menschen eigentlich unwürdige Dauerbefassung mit Dingen, die doch vor allem praktischen Zwecken dienen sollten, wie Kleidern, Schuhen, Zigaretten, Reisezielen, Hotels, Kreditkarten und all dem anderen zeitraubenden Kram, der die Seiten von Tristesse Royale und Generation Golf füllt, schließlich die mit dem Kommen und Gehen der Moden verbundene infinitesimal gebrochene Ironie – was geht noch, nicht mehr oder schon wieder? – samt dem reaktiven Streben nach Ernsthaftigkeit: All das ist zutiefst kleinbürgerlich.«247 Die Ansicht, dass Konsum nicht eine Ausschlussfunktion, sondern vielmehr einen demokratisierenden Zug besäße, geht auch auf die starke Tradition früher Popvertreter*innen zurück.248 Ihr wohl bekanntester Verfechter, der einstige Werbegrafiker Andy Warhol, beschreibt das Gefühl beim Trinken einer Coca-Cola: »What’s great about this country is that America started the tradition where the richest consumers buy essentially the same things as the poorest. You can be watching TV and see Coca-Cola, and you know that the President drinks Coke, Liz Taylor drinks Coke, and just think, you can drink Coke, too. A Coke is a Coke and no amount of money can get you a better Coke than the one the bum on the corner is drinking. All the Cokes are the same and all the Cokes are good. Liz Taylor knows it, the President knows it, the bum knows it, and you know it.«249 Eine Variante dieser Auffassung lässt sich später auch bei Diederichsen finden, der sich positiv auf Warhols Konsumaffirmation bezieht und zeitwei-
247 Gustav Seibt: Aussortieren, was falsch ist. Wo wenig Klasse ist, da ist viel Generation: Eine Jugend erfindet sich. In: Die Zeit, 02.03.2000, 38. 248 Im Zeitgeistmagazin findet man dieses Argument etwa bei Peter Glaser. Vgl. Peter Glaser: Ab in den Olymp. In: Tempo, Juni 1992, 156. 249 Andy Warhol: The Philosophy of Andy Warhol. From A to B & Back Again. New York 1975, 100f.
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lig eine »utopische Synthese von Sozialismus und westlicher Konsumgesellschaft« befürwortet.250 Dabei sind die Pop Art-Kommentare gegenüber der Warenwelt weder durchweg positiv noch kritisch, sondern den von ihr hervorgehobenen Widersprüchen des kapitalistischen Konsums gemäß als ambivalent zu bezeichnen, weil sie »im bunten, von Markenwaren gezierten Antlitz westlich kapitalistischer Systeme sowohl die Attraktivität, die Fülle an schönen, wohlgestalteten Oberflächen wie auch den Schrecken, der darin verborgen liegt«, wahrnimmt.251 Konsumistische Positionen, das wird besonders in der deutschen Adaption US-amerikanischer Pop Art deutlich, betonen regelmäßig ein Unbehagen, das sich von den Argumenten der Konsumkritik nur teilweise löst und bis weit in die 1970er Jahre hinein noch von einer Art ›schlechtem Gewissen‹ in der Ausstellung konsumistischer Haltungen zeugt. Dagegen findet in Tempo zwar keine fundamentale Infragestellung von Konsum mehr statt, doch auch hier kommen einige Argumente klassischer Konsumkritik implizit zum Tragen. Die generelle Klage über ubiquitäre Werbeästhetik, die Ablehnung konsumistischer Vertreter*innen in Stereotypen wie die dem Yuppie, dem Mod oder ›Luxuszombie‹ finden sich ebenso wieder wie moralische Bedenken gegenüber Provokationen von unterschiedlichen Benetton-Anzeigen oder pädophilen Tendenzen einer Calvin Klein-Kampagne, in der Teenager in Unterwäsche posieren. Von Schrecken gegenüber den Mechanismen des Konsummarktes und der damit verbundenen sozialen sowie ökologischen Auswirkungen kann bei den (Re-)Präsentationen konsumistischer Praxis im Zeitgeistjournalismus hingegen nicht mehr oder noch nicht die Rede sein.252 Konsumkritik im Sinne von Besprechung und Bewertung zielt besonders in der späteren Phase von Tempo, die nicht mehr unter der Verantwortung von Markus Peichl steht und sich einer umfangreichen Werbewelt vor allem des privatrechtlichen Rundfunks gegenüber sieht, vielmehr darauf ab, unter Gesichtspunkten wie Bequemlichkeit, Unterhaltungswert, Effektivität oder Innovation zu einem Urteil über 250 C. Rauen: Pop und Ironie, 36. 251 Heiz Drügh: Konsumknechte oder Pop Artisten? Zur Warenästhetik der jüngeren deutschen Literatur. In: A. Geier, J. Süselbeck (Hg.): Konkurrenzen, Konflikte, Kontinuitäten, 158-176, 172. 252 Das Interesse an den Produktionsbedingungen von Waren, die Frage nach ihren Rohstoffen, der Entsorgung etc. gewinnt erst mit der Jahrtausendwende entscheidend und weitreichend an Bedeutung. Vgl. Wolfgang Ullrich: Art. Werbung und Warenästhetik. In: HbP, 207-215, 210f.
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Warenoptionen zu gelangen, Konsumwaren bekannt zu machen oder/und zu kommentieren sowie ein Besonderes Augenmerk auf die Ästhetik ihrer Bewerbung zu legen. Die visuell aufbereitete Darstellung in Listen, Tabellen und Charts unterstützt dabei die schnelle Vergleichbarkeit von Konsumartikeln. Diese Darstellung setzt sich jedoch dahingehend von Anzeigen ab, als sie nicht nur eine (wenn auch gering gehaltene) Distanz zum Produkt vermittelt, sondern zugleich zeitgeistdiagnostisch die Entwicklungen der expandierenden Medienbranche auf einer Metaebene thematisiert. Im Zuge der umfangreichen Auseinandersetzung mit Marketing gibt es beispielsweise zwischen Juli 1994 und September 1995 ein Format, das sich im Stil einer Rezension einzelnen Werbekampagnen widmet und ein »Werbesystem« beinhaltet, das »gute« von »bösen« Werbungen unterscheidet. Unter der Rubrik »Stil« findet man Mitte der 1990er Jahre über mehrere Ausgaben hinweg groß angelegte Produkttests, in denen ausführlich Vor- und Nachteile verschiedener Ausführungen und Modelle von Jeans, Mineralwasser, Handys oder Joghurts geprüft werden. Über den »Käfer ›feiner Joghurt mit Haselnuß‹«, 99 Pfennig, kommt Marc Fischer zu dem Ergebnis: »Der 150-Gramm-Joghurt im geriffelten Glas. Der Lieblingsjoghurt der Münchner P1-Schickeria, bevorzugt mit Kokslöffel, weil die Öffnung so klein ist. Die Nußmischung schmeckt ein bißchen nach Rückenmark.«253 Die Bewertungskriterien führen die Kontingenz und Sprunghaftigkeit im Urteilen über und im Fällen von Konsumentscheidungen vor und verbinden diese mit einem starken Unterhaltungsfaktor.254 Mag der Reiz dieser Konsumrezensionen in erster Linie auch darin liegen, dass sie Verantwortungslosigkeit und Konsumismus im Gegensatz zur ernsten und moralisch auftretenden Konsumkritik in den Vordergrund rücken, so lässt sich doch auch angesichts abnehmenden Provokationspotenzials ein Fortbestehen dieser und ähnlicher Praktiken in den folgenden Jahrzehnten beobachten. In sozialen Netzwerken, Blogs oder im Haul-Video erfährt etwa 253 Marc Fischer: Joghurtabenteuer im Schlabberland. In: Tempo, April 1995, 82-85, 85. 254 Der naheliegende Verdacht, dass die Thematisierung von Werbung als Strategie zur Gewinnung von Anzeigenkundschaft eingesetzt wird, wird von der Redaktion selbstverständlich dementiert. Vgl. Anonymus: Tempo umgarnt »Die Glücklichen« – Magazine entdecken Agenturen. In: W + V, (17) 1995. Aus dem Tempo-Pressespiegel im UA Ganske-Verlagsgruppe. Die gegenseitige Abhängigkeit zwischen Redaktion und Anzeigenkundschaft wird dagegen als Zugewinn in der Medienbranche verstanden: »Das Werbe- und Redaktionstandem ist abgefahren. Die Verquickung zwischen Werbung und Redaktion hat bereits zu viele wirtschaftliche Vorteile für beide Seiten gebracht.« In: Anonymus: »Kann man Zeitgeist lernen?«, 36.
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die direkte Konsument*innenansprache vom Marketing zumindest teilweise eine Durchbrechung, indem scheinbar neutrale Instanzen, die freilich wiederum in eine Feedbackschleife eingebunden sind, das Kauferlebnis und die Ware in einen externen narrativen Modus bringen.255 Betont wird auch hier nicht allein Geschmack, Trendbewusstsein, Budget, Kleidergröße oder Hautfarbe, sondern insbesondere die Kontingenz des Kaufs, die den Raum für die persönliche Inszenierung eröffnet. Der ausgreifend positive Bezug auf die Konsumwelt, das gesteigerte Interesse an der Geschichte einzelner Produkte und die ostentative Freude am Spiel mit Konsumzeichen stellen Mitte der 1980er Jahre relative Neuartigkeiten in der deutschsprachigen Presselandschaft dar. Das Zeitgeistmagazin katalysiert deshalb eine Entwicklung, die eine nachhaltige Enttabuisierung der Konsumwelt nach sich zieht und die sich auch auf die Produktentwicklung auswirkt. Der Werbespot, »diese Kunst des Dreißig-Sekunden-Kunstwerks«, der lange Zeit die »verachtetste Form menschlicher Äußerung« gewesen sei, schreibt ein Zeitgeistjournalist 1986, ist »inzwischen zur allseits verehrten Sparte des Kulturbetriebs aufgestiegen. Jack Lang, ehemaliger sozialistischer Kulturminister: ›Werbung ist die Kunst der 80er Jahre.‹«256 Neben dem identifikatorischen Potenzial, das dem subjektbildenden Faktor von Konsum abgewonnen wird, ist der damit verbundene Unterhaltungswert im Alltagsbezug dieser Medienpraxis nicht zu unterschätzen, mit der Etablierung des privatrechtlichen Rundfunks verliert dieses prokonsumistische Schreiben aber in den folgenden Jahren sukzessiv an Innovationskraft.257 So betont Peter Glaser die kulturelle Dimension von Werbung jenseits ihrer ökonomischen Funktio-
255 »Anders als in der traditionellen Popkultur, die von ›Stardom‹ lebt, ist BloggerProminenz nie vom Nimbus des Vertrauensbruchs zu befreien, weil der Diskurs von der intrinsischen Motivation einer Vielzahl egalitärer Nutzer lebt. Allerdings scheint die hohe Vielfalt und Frequenz der Blogs keine im engeren Sinne kritische Öffentlichkeit zu generieren, weshalb sogenannte ›Haul‹-Videos, bei denen Blogger ihre Einkäufe in Drogerie- oder Kleidungsmärkten einem interessierten Publikum vorstellen, auch dann noch hunderttausendfach aufgerufen werden, wenn eigentlich klar sein sollte, dass die entsprechende Firma den ›Haul‹ (›Beute‹) sponsert.« Ole Petras: Art. Blogs. In: HbP, 231-234, 233. 256 Cordt Schnibben: Kann denn Werbung Sünde sein? In: Tempo, August 1986, 53. 257 Zumal in den 1990er Jahren die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit Konsumgeschichte im deutschsprachigen Raum einsetzt. Vgl.: Oliver Kühschelm, Franz X. Eder, Hannes Siegrist (Hg.): Konsum und Nation. Zur Geschichte nationalisierender Inszenierungen in der Produktkommunikation. Bielefeld 2012, 9.
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nen und schätzt ihre Würdigung als dezidiert popkulturelle Errungenschaft ein: »In den 80ern wurde Werbung zu einem Stück Alltagskultur. Pop. Eine neue Kampagne wurde wahrgenommen wie ein neues Buch oder eine neue Platte, freundlich angenommen von jahrelang aufgeklärten Konsumenten, die in den immer raffinierteren Spielen mit den Bedeutungen und Botschaften erfahren waren. Und sie holten sich ihren Spaß nicht erst aus den Produkten, sondern gleich aus der Werbung.«258 Zwar fällt Werbung und besonders die Werbesprache im deutschsprachigen Raum spätestens seit Ende des 19. Jahrhunderts auch in der literarischen Welt mehr und mehr ins Gewicht.259 Die Werbeanzeige von Peek und Cloppenburg, auf der die Popautoren Christian Kracht und Benjamin von Stuckrad-Barre 1999 selbst als Models zu sehen sind, hebt dieses Engagement aber auf eine neue Ebene und wurde als Provokation im Sinne einer »Verstörung von Kommerzverweigerern« gelesen.260 Dass die Werbeaktion ganz im Sinne der Zeitgeistmagazine ab 1985 steht, lässt sich auch in ihrer Adaption durch die Herausgeber*innen der Tempo-Jubiläums-Ausgabe von 2006 sehen. Die Ununterscheidbarkeit von Werbeanzeige und Redaktionsbeitrag in der fotografischen Inszenierung aller Heftmitarbeiter*innen in Kleidung der Kette Hennes und Mauritz fordert als frühe Form des Advertorials auch 2006 noch die Rezeptionsgewohnheiten heraus. Als Katalysator einer fortschreitenden gesellschaftlichen Transformation, die auch eine sukzessive Loslösung von einem Kulturbegriff, der sich an auratischer Kunst orientiert, zugunsten spielerischer Prinzipien mit sich bringt, 258 Peter Glaser: Das Ja-Buch. Das neue Jahrbuch des Art Directors Club ist erschienen. Sehr schön und ein bißchen dumm. In: Tempo, September 1994, 100. 259 Die Reihe der Schriftsteller*innen, die zumindest zeitweise einen Nebenverdienst in der Werbebranche erzielen, reicht von Frank Wedekind bis Bertolt Brecht. Wedekind verfasst von 1886 bis 1887 Werbetexte für Maggi. Vgl. Hartmut Vinçon (Hg.): Frank Wedekinds Maggi-Zeit. Reklamen, Reiseberichte, Briefe. Darmstadt 1992. Brecht wirbt in den 1920er Jahren u.a. für die Steyr A. G. Seine Werbeaktivität ist wiederum in den 1980er Jahren durch Elias Canetti publik geworden. Canettis Reaktion auf die Aussage Brechts, die Reklamen störten ihn nicht und sie hätten ihr Gutes, er habe sogar ein »Gedicht« über Steyr-Autos geschrieben und dafür ein Auto bekommen, erinnert Canetti gleichwohl selbst mit den Worten: »Das war für mich, als käme es aus dem Munde eines Teufels.« Vgl. Elias Canetti: Die Fackel im Ohr. Lebensgeschichte 1921-1931. München 1980, 306f. 260 Anonymus: Dichter mit Luftballons. In: Der Spiegel, 30.08.1999, 168.
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stellt die selbstironische Darstellung der eigenen Generation als eine freizeitund konsumhedonistische die Kritik am Konsum infrage.261 Bereits die erste umstrittene Ausgabe von Tempo im Februar 1986 übernimmt vom österreichischen Zeitgeistmagazin Wiener die Titelstory über einen neuen dekadenten Adel, der für einen gesellschaftlichen Zeitgeisttrend steht. Im September desselben Jahres wird die erste Folge der sechsteiligen Fernsehserie Kir Royal262 von Helmut Dietl und Patrick Süßkind ausgestrahlt, in der nicht nur die sogenannte Münchner Schickeria, sondern vor allem der Boulevardjournalismus jener Illustrierten persifliert wird. Die Medienbranche und der Luxuskonsum werden hier als untrennbare Bestandteile eines neuen Konsumismus aufgefasst.263 Während bei Kir Royal die Persiflage aber aufgrund des Formats als solche rezipiert wird, scheint der Zeitgeistjournalismus geradezu für jenen hedonistisch-narzisstischen Lebensstil verantwortlich zu zeichnen, der später in seiner strukturellen Veradelungstendenz oder Gentrifikation problematisiert wird. Hingegen ist zu beobachten, dass in später mit den Zeitgeistmagazinen konkurrierenden Zeitschriften wie Max, Cosmopolitan, Brigitte oder Allegra Konsum als sehr viel ernster zu nehmendes Projekt der Selbstschöpfung behandelt wird. Besitzt er im Zeitgeistjournalismus zunächst also einen beabsichtigten kuratorischen Aspekt, der sich weniger über den Verbrauch als über die gebrochene Ausstellung von Konsumhedonismus und dem Reiz des darin enthaltenen Tabubruchs in einem weiteren Popkontext definiert, so lässt sich später das Abnehmen dieses Reizes feststellen. Auf der einen Seite erscheint der zeitgeistjournalistische Text deshalb rückblickend nicht nur als populärkultureller, sondern als popkultureller Kontext, der sich in einer zwar schwachen, aber impliziten Tradition zu den Avantgarden des 20. Jahrhunderts und insbesondere zur Pop Art befindet. Auf der anderen Seite zeigt das
So wird das erstarkende Interesse an der anthropologischen Vorstellung vom Homo ludens in den 1970er Jahren, das sich in hohen Verkaufszahlen und Neuauflagen der 1938 erschienenen Abhandlung Johan Huizingas abzeichnet, historisch etwa als Vorbote eines Gesellschaftsbildes gelesen, das anhand von Begriffen wie Spaßgesellschaft diskutiert wird. Vgl. Axel Schild, Detlef Siegfried: Deutsche Kulturgeschichte. Die Bundesrepublik – 1945 bis zur Gegenwart. Bonn 2009, 334. 262 Die nach dem damals beliebten Aperitif benannte Serie tritt wiederum zur Jahrtausendwende an prominenter Stelle als Zitat im Titel Tristesse Royale auf. 263 Das Thema der »Schickeria« taucht in der Populärkultur schon Anfang der 1980er Jahre etwa in der ebenfalls unter der Leitung von Dietl produzierten Fernsehserie Monaco Franze – Der ewige Stenz (1981-1983) oder in dem Song Schickeria (1982) der Spider Murphy Gang auf. 261
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abnehmende Provokationspotenzial, dass der Tabubruch schnell keiner mehr ist und dass dieses Repräsentationspraxis zur Normalisierung von Konsumpraxis beiträgt.
3.4.1.
Das Klischee und die Konsumaffirmation
Konsumprodukte erfüllen im Zeitgeistmagazin also gleich mehrere Funktionen. In einem ersten Schritt lässt sich ihre Distinktionsfunktion festhalten, die Typen und Einstellungen innerhalb von Zeitgenossenschaft unterscheidet und deren Prinzip aus der Sphäre ›legitimer Kultur‹ übernommen wird. Auf der Schnittstelle von populärer Kultur als Alltagskultur und Popkultur, die an den Rändern ›legitimer‹ Kunstdiskurse entsteht, fällt in diesem Zusammenhang das Klischee mit unterschiedlichen Effekten ins Gewicht. Es soll hier verstanden werden als ein bewusst genutztes, abgegriffenes bzw. als ein solches erkennbares Bild, dessen Abgegriffenheit zugleich auf einer Metaebene kommentiert wird: Gerade aufgrund der Häufung dieses Bildes, dieses Zusammenhangs, dieser Darstellung scheint das Klischee interessant, cool, begehrenswert usw. Das vom französischen cliché entlehnte Wort Klischee bzw. Cliché, bezeichnet seit der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts lautmalerisch einen drucktechnischen Abklatsch bzw. Druckstock.264 Diese Wortbedeutung entfaltet sich in dem hier zur Anwendung gelangenden Verständnis einer populären Ausdrucksweise, die Wiederholungseffekte – nicht nur im Printsektor – zur Schau stellt. Neben den Reizen die solch eine Präsentation schafft, erzielt das Klischee oftmals eine weitere Wirkung. Die Wiederholung, die es ausstellt und die an ihm gemocht wird, dient dann dazu, auf die mehr und mehr an Bedeutung gewinnende Medienrealität zu reagieren. Dieses reflexive Programm antwortet auf latente Kulturkritik – wie etwa der Konsumkritik oder Kritiken, die die Mediensphäre als illusionistisch und gefährlich einstufen – und bejaht diese Medienrealität samt ihrer Oberflächenund Konsumästhetik sowie ihr fiktives Potenzial. Damit trägt es wiederum zur Aufwertung von Konsum und Lifestyle im oben bereits erläuterten Sinne bei. Zur Illustration dieser Effekte ein Beispiel: 1986 und 1987 werden in den Tempo-Dezemberausgaben Weihnachtswünsche verschiedener Leser*innen inszeniert: »[I]ch wünsche mir einen Designer-Stuhl, denn Designer find ich cool«265 ; »ich wünsche mir ein Chanel-Kostüm, weil ein unanständiges 264 Wolfgang Pfeifer et al.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. München 20005 , 671. 265 Robert Doerk: Liebes Christkind! In: Tempo, Dezember 1986, 58-61, 61.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
Mädchen ein anständiges Outfit braucht«266 ; »ich wünsche mir eine Mütze aus Persianer-Imitat, weil Dekadenz der Revolution nicht schadet«267 ; »ich wünsche mir Kopfhörer von Sennheiser, weil Christian sagt, daß Sennheiser Anzeigen in Tempo schaltet, wenn ich das tu.«268 Auch der zuletzt auf das Anzeigengeschäft des Verlags abzielende Metakommentar ist kein Einzelfall, sondern er findet sich in ähnlicher Form regelmäßig in Zeitgeistmedien der Zeit wieder. An der Auswahl und (visuellen) Präsentation der Gegenstände lässt sich ablesen, dass die Thematisierung von Konsumwaren zu einer Umwertung bestimmter Attribute beiträgt, indem besonders Marken und Moden beachtet werden, die nach traditioneller Konsumkritik als allzu sexistisch (unanständiges Mädchen), statusbewusst und künstlich (Persianer-Imitat), glatt und oberflächlich (Designer-Stuhl) gelten.269 Das Klischee wird teilweise ganz explizit als Form präsentiert, die im Sinne der popkulturellen Überaffirmation mit der Geste des ›Ja‹ auch auf etwas anderes als auf den bejahten Gegenstand verweist, nämlich auf die Kontingenz. So rezensieren 1987 beispielsweise zwei Zeitgeistjournalisten in Tempo Herbert Genzmers Roman Manhattan Bridge und loben den Effekt der dort zum Einsatz kommenden amerikanischen Klischees: »Nicht Bruch, nicht Zweifel am amerikanischen Traum sind Thema des Buches, sondern seine überdrehte Bestätigung. Die Klischees sind allemal echter als die Wirklichkeit. Klischees, die in ihrem Überfluß gegenteilige Visionen provozieren.«270 Der amerikanische Traum soll nach Ansicht der Rezensenten im Roman nicht als Illusion entlarvt werden, sondern die Klischees, in denen er sich offenbart, sollen hier Anhaltspunkt für die Brüchigkeit der Wirklichkeitswahrnehmung sein. Das klischeehafte Schreiben im Zeitgeistmagazin lehnt sich in diesem Sinne auch an die Tradition des Camp-Prinzips an, das sich einer stilisierten Liebe zu kulturkritisch abgewerteten Gegenständen, zum Trick, zur Übertreibung verschrieben hatte.271 Damit kommt es zwar der Praxis queerer Aneignung von Geschlechterstereotypen nahe. Doch die Problematik ist hier anders gelagert: Heruntergekommene Konsum-Codes werden durch ihre überspannte Präsentation in Tempo »in Anführungszeichen gesetzt« und 266 267 268 269 270 271
Ebd., 58. Ebd., 59. Ebd., 60. Vgl. T. Hecken: Die verspätete Wende, 22. Jochen Siemens, Martin Hielscher: Die primitive Gesellschaft. In: Tempo, Juli 1987, 92. Susan Sontag: Notes on »Camp«. In: Partisan Review (31) 1964, 515-530, 515.
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dadurch betont individualisiert: »Der Hella-Halogenscheinwerfer. Seit 1971. Deutschlands strahlende Augen. Verwandeln jede 70er-Jahre-Schrottkiste in ein funkelndes Mördergerät. Zum Beispiel den Opel Manta. Ohne HellaZusatzscheinwerfer: Einfach prolo. Mit Hella-Zusatzscheinwerfer: Doppelt prolo, also camp. Auf deutsch: Total drüber und deshalb gut.«272 Und auch der »Consumer’s Guide« verzeichnet in diesem Sinne alles, »was Sie in diesem Land kaufen können: Ein Gummibärchen. Einen Abgeordneten. Einen Rolls-Royce. Eine echte Cartier. Eine falsche Cartier. Die Zukunft.«273 Zwar übt selbst Diedrich Diederichsen, der Anfang der 1980er Jahre ein Apologet dieser Trashästhetik ist, später Ironiekritik an der »Automatisierung des Bad Taste«, weil die »rituell-kollektive Ironie-Orgie« seiner Meinung nach als Ventil für Frustrationen dient und der »doppelte Proll« sich damit nicht mehr als Nonkonformist zu erkennen gibt, sondern sich durch die symbolisch eingenommene subalterne Position kurzzeitig von seinen Abstiegsängsten befreit.274 Die betonte Indifferenz gegenüber einer »echten Cartier« und einer »falschen Cartier« zeigt aber, dass soziale Ungleichheit hinter dem Interesse daran zurücktritt, Konsum als eine Zeitgeistpraxis zu zeigen, die man mit Bewusstsein für die Kontingenz ausstellen möchte. Auf der Metaebene liest sich dies in Anbetracht sozial-demonstrativen Geltungskonsums nicht als Antwort auf ein bestimmtes Kultur- oder Genderverständnis, sondern als Antwort auf die daraus erwachsene, internalisierte Konsumkritik. In der ideologiekritischen Interpretation der Cultural Studies sind Vorstellungen, die Klischees in populären Texten mit sich führen, durch den Common Sense derart internalisiert, dass sie häufig zu gewählten Selbstbeschreibungen werden. Der Medienwissenschaftler und Vertreter der Cultural Studies, John Fiske, erläutert diesen Zusammenhang anhand der »Alltagsartikulation hegemonialer Ideologie«. Wie in der Wendung ›in etwas Zeit investieren‹ die Metaphorik im Alltag unbemerkt bleibe bzw. ›vergessen‹ werde, weil die Vorstellung von Zeit perfekt mit der protestantischen Ethik übereinstimme, verkörpere und konstruiere das Klischee die »Ideologie des Common Sense«. Das (Re-)Produzieren von Ideologie ist jedoch nach Fiske nur
272 P. Glaser: Zur Sache, 61. 273 Andreas Juhnke: Was kostet Deutschland? In: Tempo, Februar 1988, 90-95, 90. 274 D. Diederichsen: Der lange Weg, 279. Vgl. auch C. Rauen: Pop und Ironie, 77. Diederichsen äußert diese Kritik allerdings zehn Jahre später und hat vor allem die sog. »GuildoHorn-Bewegung« vor Augen.
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eine Seite des Schreibens in Klischees. Er betont, dass es auf der anderen Seite dazu genutzt werden kann, die Kluft zwischen der Alltagserfahrung und der »Ideologie des Common Sense« erfahrbar zu machen. Gerade die zweifelnde Diskrepanz zwischen der Andersartigkeit des Klischees und dem eigenen Alltagsleben bekommt im klischeehaften Schreiben eine entmystifizierende Wirkung: »Far from being a hegemonic agent with an effectiveness close to that of brainwashing, the cliché often exposes the ›otherness‹ of the dominant ideology and often makes strange the extent of the compromises that have to be made to accommodate it with everyday life.«275 Diese rezeptionsoptimistische Einschätzung geht von einer ›produzierenden‹ Lesart aus, die zu einem gewissen Grad sogar ermächtigend für die Betrachter*innen und Leser*innen populärer Bilder und Texte wirken kann, wenn es darum geht, eine Haltung zu dem auszubilden, was Fiske als »Ideologie des Powerblocs« bezeichnet. Die auf der Titelseite der Weekly World News vom 15. März 1988 lesbare Schlagzeile »Top model marries leper«276 , die Nachricht, dass ein Top Model einen Leprakranken heiratet, ist deshalb laut Fiske vergnüglich und zum Teil empowernd, weil sie es ermöglicht, die Leser*innen mit Beziehungserfahrungen, die nicht in die hegemoniale Vorstellung von romantischer Liebe passen, dazu zu befähigen, diese Vorstellungen von der Normalität infrage zu stellen und nicht ihre eigenen Erfahrungen als ›abnormal‹ bzw. als defizitär zu bewerten.277 Das Klischee in der deutschsprachigen Zeitgeistpresse unterscheidet sich dahingehend von den Beispielen Fiskes, als hier keine ermächtigende Handlung der Leser*innen gegenüber restriktiven Mechanismen einer patriarchalen und kapitalistischen Gesellschaft nahe liegt. Dennoch gehen mit dem Klischee ähnliche Effekte einher. Der von Fiske erläuterte Zusammenhang zeigt sich am Beispiel von Tempo-Texten dahingehend, als die Leser*innen und Produzent*innen sich von dem restriktiven (durchaus auch von der protestantischen Ethik geprägten) Common Sense einer hegemonialen Konsumkritik ›emanzipieren‹ und dies zum Teil im Sinne einer patriarchalen, aber immer im Sinne einer kapitalistischen Gesellschaft. Im Folgenden wird das Klischee als Infragestellung von Konsumkritik von dem Stereotyp – hier der stereotypen Darstellung vorbildhaft-kreativer Lebensentwürfe – unterschieden. Wenngleich das Klischee und das Stereotyp eine starke Wechselwirkung aufzeigen, kann ihre Unterscheidung die von Fiske betonten beiden Seiten
275 J. Fiske: Understandig Popular Culture, 120. 276 Ebd., 115. 277 Vgl. ebd., 116.
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der wiederholenden Nutzung abgegriffener Zeichen und Attribuierungen verdeutlichen.
3.4.2.
Stereotype Kreativität: der Werber
Im Gegensatz zur dargelegten Form des Klischees, die unter Umständen auch die betonte Individualität und die Metakommentare dazu nutzt, Autor*innenschaft zu generieren, setzt die hier unterschiedene Form des Stereotyps gerade die Autor*innenlosigkeit als Bewegmoment ein. Das Wort ›Stereotyp‹ stammt, wie das Wort ›Klischee‹, aus der Sprache des Buchdrucks, legt aber mit dem verwandten Adjektiv ›stereotyp‹, das um 1800 so viel wie »mit feststehendem Schriftsatz, gegossener Schriftplatte gedruckt« bedeutet und mit der über das Französische auf das Griechische zurückgehenden Vorsilbe ›stereós‹ für »steif, hart, fest« Nachdruck auf das Unbewegliche, das starre und festgesetzte Element einer Form.278 Das Stereotyp (re-)produziert eher hegemoniale Bedeutungen bzw. Common Sense und neigt dazu, seinen normierenden Effekt unkommentiert zu lassen. Die entscheidende Funktion übernimmt dabei die Form des Textes, des Bildes, der Darstellung usw. auf der Seite der Produktion, aber nicht die oder der Lesende, wie es beim Klischee der Fall ist. Auch Stereotype profitieren vom zirkulären Charakter der Popkultur und von der Vorstellung, dass ihre Bilder mit Alltagserfahrungen übereinstimmen. Damit tendieren stereotype Darstellungen dazu, den Lesenden die Kontrolle zu entziehen bzw. selbst kontrollierend zu wirken. Solche Stereotype stellen im Zeitgeistgeschehen seit Mitte der 1980er Jahre auch Beschäftigte der Medienbranche selbst dar, und zwar insofern, als sie mit einfachen, einseitigen Attributen wiederholend beschrieben werden bzw. sich selbst mit ihnen inszenieren. Der Werber wird im Folgenden als Stereotyp erstens dazu herangezogen, die normierenden Effekte von Repräsentationen zu unterstreichen und der Dynamik des Klischees entgegenzustellen. Zweitens dient er der Illustration des Bedeutungsgewinns von Selbstinszenierungen innerhalb eines Mediengeschehens, das besonders auf ›Kreativität‹ abhebt und damit auch Raum für den Diskurs schafft, der Popliteratur in erster Linie als Inszenierung von Autor*innen und Texten begreift.
278 Vgl. Wolfgang Pfeifer et al.: Etymologisches Wörterbuch des Deutschen. München 20005 , 1357.
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Die unter Mitarbeit von Sibylle Berg entstandene Titelstory »Die Glücklichen. Beruf Werber – Menschen, die den ganzen Tag Ideen haben. Wie man so einer wird« (Mai 1995) – umfasst für diese Darstellungspraxis entsprechende Techniken auf Text- und Bildebene. Das Marketing wird zu einem Bestandteil von verheißungsvollem Lebensstil: »Er verspricht Designeranzüge und Kokain, nächtelanges Arbeiten und weite Reisen auf Firmenkosten. Werber zu werden bedeutet Abenteuer und Karriere gleichzeitig.«279 Neben drastischer Bildsprache, die sich der bereits 1995 als stereotyp zu bezeichnenden Konnotationsketten (Erfolg, Sex, Coolness, Intensität etc.) bedient, finden sich statistische Rhetorik und die Präsentation von Insider-Wissen: eine Reihe Fotos von Statussymbolen, ein Selbsttest der kreativen Fähigkeit, anekdotische Reihungen von typischen Verhaltensweisen von Werbeleuten, ein »Wörterbuch der Werbesprache«, eine Liste der wichtigsten Werbeagenturen und ihrer Chefs, Mitarbeiter*innenzahlen, Umsätze und Kund*innen, eine grafische Aufbereitung hierarchischer Strukturen innerhalb der Werbebranche, Aufstiegschancen, Verdienstaussichten. Der Titel »Die Glücklichen« illustriert das zirkuläre Prinzip des (re-)präsentativen Schreibens im Zeitgeistjournalismus, das seine Anziehungskraft mit der Vorstellung erhöht, die Rolle des Konsumenten oder der Konsumentin zugunsten einer ›kreativen‹ Rolle – in Anlehnung an die Figur des Popstars oder der* Künstler*in – innerhalb der Medienwelt einzutauschen.280 Auch in Folge dieser Attraktivität ist eine Tendenz zur Ausweitung von medienorientierten Berufsbildern zu beobachten; nicht nur im traditionell-künstlerischen Sektor, sondern verstärkt in Arbeitsbereichen des Grafik- bzw. Kommunikations- und Industriedesigns. Zu einer vergleichbar heroischen Figur wie die des Künstlers oder der Künstlerin wird der Werber zwar nicht, weil der ökonomische Anteil dieser Rolle der ›Freiheit‹ der Künstler*innenfigur widerspricht. Dennoch lässt sich eine Nähe zu dieser Figur beobachten, die in der Betonung von ›Kreativität‹ begründet liegt. Das Absehen von bohemistischer Armut oder Attributen des gesellschaftlich Abgesonderten oder Dissidenten im Sinne des Underground lässt es zu, dass 279 Sibylle Berg, Adriano Sack: Die Glücklichen. In: Tempo, Mai 1995, 52-61, 54. 280 Exemplarisch ist hier die dargestellte Leser*innenreaktion auf Titelbilder von Girlies zu lesen: »Mit ein paar Freundinnen habe ich Heike Makatschs Pose auf dem Cover nachgeahmt, und wir hatten einen Riesenspaß. Und ich dachte: Hey Jennifer, das kannst du ja auch! Nun wende ich mich an Euch Experten: Ich bin eine ganz normale Sechzehnjährige – würdet Ihr auch mich mal in Tempo bringen?« Vgl. Anonymus: Tempost. In: Tempo, Juli 1995, 6.
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Kreativität mit dem Ziel der Optimierung verbunden ist.281 Das Thema des Re-make/Re-model282 ist auch deshalb ein fester Bestandteil des Popdiskurses: In den Augen der Figuren des »popkulturellen Quintetts« kommt dem Zeitgeistmagazin Tempo genau jene historische Position zu, für die diese Option der Angleichung als letzter Magazintitel dieses Segments noch nicht infrage kam, die aber unzweifelhaft und maßgeblich an der Produktion dieses publizistische Konzepts mitgewirkt hätte.283 Außerordentliche ›Kreativität‹ konstituiert insofern einen Zeitgeist-Typus mit, als sie den zunächst dem Kunstkontext vorbehaltenen Gestaltungs- und Ästhetisierungswillen auf die ökonomische und mediale Sphäre überträgt. Als wichtig erachtet wird die Fähigkeit, wenn nicht permanent Neues hervorzubringen, so doch zumindest einen Anschein von Innovation aufmerksamkeitsökonomisch zu inszenieren. Andreas Reckwitz zufolge geht es damit nicht um eine rein technische Produktion von Neuartigem, sondern vielmehr um die sinnliche und ›affektive Erregung‹ durch dieses Neue in Permanenz. Die »Affektkultur« des »Kreativitätsdispositivs« hält nach Reckwitz für die individuelle Herausbildung des kreativen Subjekts vor allem eine positive Motivation bereit: »Erfolgreiche Kreativsubjekte ziehen positive Aufmerksamkeit auf sich, sie finden soziale Anerkennung in der Aufmerksamkeit, die sich auf ihre expressive Individualität richtet.«284 Als Bestandteil des Zeitgeistes ist damit auch Kreativität in eine Gleichzeitigkeit von Wunsch und Erwartung eingelassen: 281
In diesem Zusammenhang ist etwa die mittlerweile gängige Vorstellungen von (digital-ästhetischer) Sauberkeit zu sehen. Vgl. etwa Annekathrin Kohout: Clean-Pop als ›SafeSpace‹ der Mode. In: Pop. Kultur und Kritik 11 (2017), 10-14. 282 Die Bezeichnung entstammt dem gleichnamigen Song der Band Roxy Music aus dem Jahr 1972. Die Bedeutung des Modells »Re-make/Re-model« als künstlerisches Verfahren im Pop hat Eckhard Schumacher untersucht. Vgl. Eckhard Schumacher: »Remake/Re-model« – Zitat und Performativität im Pop-Diskurs. In: Andrea Gutenberg, Ralph J. Poole (Hg.): Zitier-Fähigkeit. Findungen und Erfindungen des Anderen. Berlin 2001, 271-291. 283 »Ich finde es vor allem ein sehr interessantes Medienbild, das hier gerade entworfen wird. Wenn man von einer Zeitschrift, die ja per se nur dazu da ist, die Dinge und die Gesellschaft zu porträtieren, sagt, es war besser für sie zu sterben, wäre sie vergleichbar mit einem Rockstar, der ja per se nichts mit dem Leben zu tun haben darf, und diesem Rockstar seien nun auf einmal die Lieder ausgegangen, oder sie fielen ihm nicht mehr ein, und deshalb war es wohl besser, daß dieser Rockstar an seinem Erbrochenen erstickt ist. Der Mythos lebt dann zum Glück weiter. Das ist doch absurd.« J. Bessing: Tristesse Royale, 153. 284 Andreas Reckwitz: Die Erfindung der Kreativität. In: Kulturpolitische Mitteilungen (2) 2013, 23-34, 27.
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Einerseits ist kreatives Handeln »keine glückliche Gelegenheit oder zufällige Episode, sondern bildet das Telos eines sozialen Anforderungskataloges.«285 Andererseits kulminieren die Wünsche nach sozialem, kulturellem und ökonomischem Erfolg in der medialen Heroisierung kreativer Rollenfiguren, die den Zeitgeistmedien jenseits des klischeehaften Schreibens, wie es im vorangegangenen Kapitel ausgeführt wurde, dargeboten werden. Als Prototyp des so verstandenen ›Kreativsubjekts‹ lässt sich der Popstar einordnen.286 Im Sinne des von Reckwitz behaupteten »Kreativitätsdispositivs« dienen aber spätestens in den 1990er Jahren viel eher Medienproduzente*innen selbst als Schablone für eine vorbildhaft intensive Lebensführung. Lifestyle287 steht hier in erster Linie für die ›kreative‹ Selbstverwirklichung im Kontext von Konsum und Arbeit. Dabei fallen Deskription und Präskription zusammen, wie Ulrich Bröckling anhand von vier Kreativitätsdimensionen deutlich macht: »Kreativität ist demnach erstens etwas, das jeder besitzt – ein anthropologisches Vermögen; zweitens etwas, das man haben soll – eine verbindliche Norm; drittens etwas, von dem man nie genug haben kann – ein unabschließbares Telos; und viertens etwas, das man durch methodische Anleitung und Übung steigern kann – eine erlernbare Kompetenz.«288 Die stereotype Darstellung der Medienbranche und ihrer Akteur*innen – stereotyp paradoxerweise, weil festgesetzt attribuiert als außerordentlich kreativ und intensiv – sind deshalb auch in Wechselwirkung mit einer zunehmenden Transformation von Arbeitsverhältnissen und damit einer Veränderung der Rolle von Journalist*innen zu sehen. Die künstlerische Rolle des Popstars, der vormals den Popjournalismus prägte, nimmt in dem Maße ab, in dem die kreative Rolle der Journalist*innen an Bedeutung gewinnt. Im Kapitel 3.4. dieser Arbeit wird daher der Fall beschrieben, dass der* Journalist*in die* Künstler*in in erster Line als Anlass dazu dient, auf selbststilisie-
285 Ebd., 29. 286 Etwa Marc Fischer: Beruf: deutscher Popstar. Wie wird man einer? Wie bleibt man einer? Was ist das für ein Leben? In: Tempo, Oktober 1995, 56-66. 287 Im Folgenden wird zwischen Lifestyle und Lebensstil unterschieden, um damit anzuzeigen, dass die englischsprachige Version von einer paradoxen Authentizität des Künstlichen profitiert, da sie den Anstrich US-amerikanischer und britischer Popkultur trägt. Im Zeitgeistkontext drückt der Wortgebrauch von ›Lifestyle‹ also eine Distanz zu kulturkritischen und soziologischen Konzepten und einen positiven Bezug auf Vorstellungen vom »American way of life« aus. 288 Ulrich Bröckling: Das unternehmerische Selbst. Soziologie einer Subjektivierungsform. Frankfurt a.M. 2007, 154.
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rende und ›kreative‹ Weise zu schreiben.289 Die Leuchtkraft des Popstars und die Leuchtkraft der Kunst wird gewissermaßen auf den Journalismus übertragen.
3.4.3.
Die (Un-)Lesbarkeit von Mode
Die Bedeutsamkeit von Konsumwaren wird in den Zeitgeistmagazinen der 1980er und 1990er Jahre durch ihre vielfältigen Darstellungen und Codierungen und Kombinationsmöglichkeiten katalysiert. Dies ist für die Popliteratur eine prägende Tatsache. Konsum erhält hier narrativen und teilweise fiktiven Charakter: Liste und Reihe, Beurteilung und Generalisierung, Inszenierung, Zitat und Protokoll – das Formenrepertoire der Zeitschriften antizipiert rückblickend viele Techniken der Popliteratur. Nachdem bereits die unterschiedlichen Effekte von Klischee und Stereotyp dargelegt wurden, werden im Folgenden die Schwierigkeiten der Kommunikation über Konsum-Codes thematisch. Dabei spielen das Konzept der ›Pose‹ als Inszenierung eines ZeitgeistTypus innerhalb der Konsum- und Mediensphäre sowie die Missverständlichkeit von Konsumzeichen eine Rolle. Auf dieser Grundlage kann im darauffolgenden Kapitel Christian Krachts Rezension zu Uwe Timms Roman Kopfjäger einerseits als Literarisierung dieser Missverständlichkeit und des Bedeutungsgewinns von Modestatements, andererseits als Literarisierung der Beurteilungspraxis, durch die sie ihre Existenz erhalten, gelesen werden. Kurz vor der endgültigen Einstellung von Tempo zeigt Chefredakteur Walter Meyer in einem Editorial noch einmal die thematische Linie des Magazins auf: »Tempo ist pro Travolta, pro Heike (trotz ›Männerpension‹), pro Iggy Pop, pro Baby D, pro Harvey Keitel; eh klar. Tempo ist pro Bier, Wein, Gin Tonic. Tempo ist pro spontanes Verreisen, pro Tischfußball und natürlich pro Sex. Tempo ist pro Turnschuh, pro aufregende Fotos, pro bittere Wahrheit und pro guten Kitsch. Pro kurze Haare, pro lange Haare. Pro lässig rauchen. Pro Paul Auster. Pro Illusionen haben. Pro gebrauchte Mercedes fahren. Pro Harald Schmidt. Pro Calvin-Klein-Kampagnen. Pro Actionfilme. Pro französische Arbeiterklasse. Pro Britpop. Pro Wien. Pro Arabella, na, zumindest ein bißchen pro Arabella, weil sie irgendwie Pop ist. Pro lange arbeiten, lange ausgehen, lange lieben und lange schlafen. Pro Harald Juhnke und auf eine seltsame
289 Vgl. dazu auch T. Hecken: Art. Lebensstil und Zeitgeist.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
Art auch pro Sahra Wagenknecht, weil sie so ein schönes, geheimnisvolles Gesicht hat. Pro FC St. Pauli. Pro Bunte. Pro Quentin Tarantino.«290 Die übertriebene Betonung des Ja-Sagens in dieser Reihung stellt die auch in den Debatten über die Popliteratur vielfach kritisierte Zeitgeistaffirmation selbstbewusst aus. Diese Inszenierung behält zwar immer ihre Künstlichkeit bei und betont sie auf unterschiedliche Weise. Sie wird aber zu einer ›Pose‹ insofern, als sie doch ›echt‹ sein und man sie ›leben‹ können muss, wie Diedrich Diederichsen hervorhebt: »›Leben‹ mit Akkusativ […] ist die Regel im Umgang mit der Pose. Sie reicht nicht bis zur Dezision und Existenz, sondern meint, dass die adaptierte, die ausprobierte Pose vom Alltagsleben nicht widerlegt wird.«291 Die Aneinanderreihung von Lifestyle-Aspekten, die für eine bestimmte Pose infrage kommen, ruft dabei stets eine ganz bestimmte und möglichst alltagsnahe Atmosphäre auf, wie am Beispiel von Walter Meyer zu erkennen ist: Der ledige Mann trägt Turnschuhe, trinkt in fremden Ländern Gin Tonic, zieht lässig an seiner Zigarette, hört Iggy Pop und unterhält sich dabei mit einem hübschen Mädchen über Paul Auster, die neuste Calvin KleinKampagne und Harald Schmidt. Obwohl der Reiz dieser aufgerufenen Szene offenkundig in der freizeitlichen Verbindung von Genuss, Freiheit, Flexibilität, Fitness, Coolness etc. entsteht, müssen die für die Funktionsweise von Posen konstitutive und immer wieder aufs Neue provozierte Identifizierungslust, das Interesse an einzelnen Verkörperungen von Posen sowie zumindest partielle Unwissenheit im Vordergrund bleiben, damit sich die Frage stellt: »Was ist das für ein Typ?«292 Ende der 1950er Jahre hat Roland Barthes die Logik und die Mechanismen der Modewelt in den Fokus seiner semiologischen Analysen gerückt und bei seiner Frage nach ihrer Sinnrelation zwischen »Dingen und Wörtern« auch die nach narrativ erzeugten Atmosphären in den Vordergrund gestellt.293 Bezüglich der Mode und ihrer Darstellung in Zeitschriften wie der französischen Frauenzeitschrift Elle bemerkt er, dass häufig durch bloße Reihung ein Ensemble von Objekten und Situationen entsteht, »die weniger von einer Logik der Verwendung oder der Zeichen zusammengehalten werden als vielmehr von Zwängen einer ganz anderen Art, nämlich denen der Erzählung:
290 291 292 293
Walter Meyer: Pro und Contra. In: Tempo, März 1996, 5. Vgl. D. Diederichsen: Über Pop-Musik, 138f. Vgl. ebd. Vgl. Roland Barthes: Système de la mode. Paris 1967.
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Die Rhetorik läßt aus den semantischen Einheiten der realen, diskontinuierlichen Kombinatorik ein lebendes Tableau entstehen.«294 Barthes zufolge entschärft die narrative Verfasstheit der Mode damit die scheinbare Willkürlichkeit, indem sie einzelnen Elemente zu einer Vorstellung von Erlebtem zusammenführt. Dieser Anschein ›glättet‹ die vestimentäre Kombinatorik etwa mit der Aussage: »Dieser Blazer ist für ein junges Mädchen, das England liebt, vielleicht für Proust schwärmt und seine Ferien am Meer verbringt«295 . Im Gegensatz zur Kohärenzstiftung durch den Roman in der französischen Mode Mitte des 20. Jahrhunderts, die Barthes anführt, rücken in der Popkultur der 1990er Jahre zwar die visuellen Paradigmen des Hollywoodfilms und besonders das Musik-Video, das sich als Fernsehformat gerade dadurch auszeichnet, dass es narrativen Elemente in den Hintergrund stellt, für die infrage stehenden Lifestyle-Posen in den Vordergrund.296 Dennoch kommt dem narrativen Umgang mit Konsum- und Modezeichen im Zeitgeistjournalismus eine wichtige Funktion zu. Diese wird vor dem Hintergrund der Diskussion um die ›Unlesbarkeit‹ von Modezeichen in der Popkultur deutlich, die im Folgenden dargelegt wird. Daran anschließend kann das literarische Potenzial der Lektüre von Konsumstilen verdeutlicht werden. Die Kohäsion möglicher Lifestyle-Elemente zu einer gelungenen Pose wurde in der Popkulturforschung in Anschluss an Bourdieus geschmackssoziologische Analysen als ein Generieren von ›popkulturellem‹ oder ›subkulturellem Kapital‹, d. i. eine spezifische Form kulturellen Kapitals gelesen.297 Die
294 Roland Barthes: Rhetorik des Signifikats: Die Welt der Mode. In: Silvia Bovenschen (Hg.): Die Listen der Mode. Frankfurt a.M. 1986, 291-308, 291f. 295 Ebd. 296 Der Musik-Clip wurde seinerseits lange Zeit inspiriert von Kino, Kunst und WerbeClips, wirkt aber mit Einführung von MTV Europe umgekehrt verstärkend zurück. Vgl. Henry Keazor, Thorsten Wübbena: Art. Musikvideo. In: HbP, 173-177, 173f. Mit dem Fernsehsender MTV führt dies zu einem neuen Verständnis von Pop-Musik. Als »zweite Kulturindustrie« bezeichnet Diedrich Diederichsen den Verbund aus Pop-Musik und Fernsehen, der den Verbund von Radio und Kino, der die von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno beschriebene Kulturindustrie ausmacht, zwar nicht ersetzt, aber an die Seite gedrängt hat. Vgl. D. Diederichsen: Über Pop-Musik, XXI. 297 Sarah Tornton: Club Cultures. Music, Media, and Subcultural Capital. Wesleyan 1995; Jochen Roose, Mike S. Schäfer, Thomas Schmidt-Lux: Fans in theoretischer Perspektive. In: Dies (Hg.): Fans. Soziologische Perspektiven. Wiesbaden 2010, 27-45; John Fiske: The cultural economy of Fandom. In: Lisa A. Lewis (Hg.): The Adoring Audience. Fanculture and Popular Media. London, New York 1992, 30-49. In der deutschsprachigen Popforschung hat Ralf Hinz den Versuch unternommen, ein Äquivalent zur Beschreibung von kul-
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Eigenheit der damit einhergehenden Modecodierung liegt demnach im Wert, der dieser Zeichennutzung in internen Szeneverbunden beigemessen wird. Bei der Verwendung popkulturell codierter Ausdrucksweisen gehe es weniger darum, sich von der ›legitimen‹ Kultur abzugrenzen oder durch künstlerisch ambitionierte Zugangsweisen sich dieser anzunähern, als Vorlieben in Peergroups zu ›lesen‹ und ›lesbar‹ zu machen. Diese ›Lesbarkeit‹ der Zeichen wird jedoch um 1990 insbesondere im linken Popdiskurs problematisch. 1992 löst Diedrich Diederichsen mit seinem Spex-Artikel »The kids are not alright« eine Debatte im Popdiskurs aus, in der die Zeichenverwendung innerhalb popkultureller Ausdrucksweisen deshalb infrage steht, weil sie im Kontext von rechten Gewalttaten ›unlesbar‹ werden. In den medial vermittelten Bildern der Jugendlichen, die im August 1992 den Anschlag auf die Asylbewerber*innen des Sonnenblumenhauses in Rostock-Lichtenhagen begehen, glaubt Diederichsen einen repräsentativen Querschnitt der bekannten Typen zu erkennen: »langhaarige Dinosaur-Jr.-Typen, Homies mit allen Arten von Kappen, bunte Techno-Typen – kurz all die, für die wir normalerweise glauben, dieses Heft zu machen und von deren kultureller Praxis in diesem Heft die Rede ist.«298 Die Beobachtung, dass einige der Täter*innen bei ihrem Anschlag Malcolm-X-Caps trugen, führt Diederichsen zu der Forderung, von dem gesamten Konzept der Jugendkultur »mit allen angegliederten
turellen Distinktionen im Feld der Popkultur zu konzipieren. Er unterscheidet ein institutionalisiertes popkulturelles Kapital, das etwa durch die Mitarbeit in angesagten Zeitschriften oder das Spielen in angesehenen Bands erlangt wird, von einem inkorporierten popkulturellen Kapital, welches das empirische Wissen über Musikstile, die Lektüre von Zeitschriften und Büchern, die Selbstdarstellung als popkulturell inspirierte Person etc. umfasst, und einem objektivierten popkulturellen Kapital, das durch Tonträger, Zeitschriften, Fanzines, Kleidung, Accessoires, Clubs etc. bestimmt werden kann. Vgl.: Ralf Hinz: Pop-Diskurse. Zum Stellenwert von Cultural Studies, Pop-Theorie und Jugendforschung. Bochum 2009, 14f. Ebenfalls in Anlehnung an Pierre Bourdieu und Joseph Litvak beschreibt Nadja Geer die ästhetische Taktik der »sophistication«, die nach Hinz’ Modell auf der Ebene des inkorporierten popkulturellen Kapitals anzusiedeln ist. Vgl. N. Geer: Sophistication. Eine Erweiterung der Distinktionstheorie um diskursanalytische Gesichtspunkte mit Bezug auf Popkultur möchte zudem Rainer Diaz-Bone liefern Vgl. Rainer Diaz-Bone: Kulturwelt, Diskurs und Lebensstil. Eine diskurstheoretische Erweiterung der Bourdieuschen Distinktionstheorie. Wiesbaden 2002. Fraglich bleibt bei diesen Ansätzen, ob sie mit ihren Untersuchungen der Eigenlogik illegitimer Kultur das gesamtgesellschaftliche Ausmaß der von Bourdieu untersuchten »feinen Unterschiede« insbesondere für das Generieren ökonomischen Kapitals ermessen können. 298 Diedrich Diederichsen: The kids are not alright. In: Spex, (11) 1992, 28-34, 30.
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Unter-Ideen wie Pop, Underground, Dissidenz durch symbolische Dissidenz, Tribalismus, Revolte, Abgrenzung etc.« Abschied zu nehmen. »Sie scheinen nicht mehr in der Lage, die fundamentale Differenz, die allen Projekten zugrunde liegt, die wir je in jugendkultureller Praxis gesehen haben, festzustellen: den Unterschied zwischen Nazis und ihren Gegnern.«299 Zwar nimmt bereits in den 1970er Jahren die Hybridisierung und Vervielfachung popkulturell codierter Moden zu. In den 1980er Jahren und 1990er Jahren scheint aus Perspektive des linken Popmusikjournalismus mit New Wave und New Romantic aber ein Höhepunkt der sogenannten Style Wars erreicht. Die von Markus Peichl behauptete Notwendigkeit exklusiver Zeichensetzung wird hier nur mehr als »Phantomempfindung« gedeutet.300 So erinnert sich Diederichsen an ein langsames Entschwinden von festen Bedeutungen des Stils, wie sie noch Dick Hebdige den Zeichen von Subkulturen entnommen hat. An ihre Stelle trete der Wunsch nach Bedeutung, der aber immer öfter unerfüllt bleibe.301 Aber nicht nur im Popmusikjournalismus steht eine ›Lesbarkeit‹ von Moden infrage. So vermutet beispielsweise Stefanie Flamm im Kursbuch Mitte der 1990er Jahre, dass die modischen Ausdrucksweisen einzig einer Wechselwirkung von Individualisierungsbestrebung und Uniformierung geschuldet sei: »Die einen scheren sich eine Glatze und jagen Metall durch Oberlippen, Nasenflügel und Augenbrauen, um zu zeigen, wer sie sind. Die anderen versuchen es mit Gouvernantenkleidern und Hüten aus der Jahrhundertwende, silbernen BHs zu Trainingshosen, feuerroten Rattenschwänzen, grasgrünen Plateauschuhen oder Lederjacken aus dem Altkleiderbestand des Roten Kreuzes. Tausend kleine Ich-bin-Ichs, die dem Zwang zur Individualisierung erliegen und sich gleichzeitig uniformieren. Denn jedes Outfit setzt Zeichen, 299 Ebd. 300 »Wir brauchten Chiffren, mit denen wir unsere eigene Welt schufen, verschlüsselten und schützen. Tempo war, wenn man so will, eine Code-Maschine. Das Heft hat Codes erfunden und sie in unserer Generation verbreitet.« Markus Peichl im Interview mit Bettina Röhl: Schweigen oder Schreien. In: Dummy (3) 2004, 112-113. 301 »Abgrenzungen hatten immer weniger mit einem Lebensentwurf zu tun, der tatsächlich einen Unterschied machte. Aber ich würde mich auch dagegen verwahren, das als geradlinigen Prozess des Obsoletwerdens zu beschreiben, sondern es entsteht so was wie Phantomschmerzen oder Phantomempfindungen: Man will immer noch Dinge zeigen, auch wenn die nicht mehr direkt mit irgendwas verbunden sind.« Diedrich Diederichsen im Interview mit Christian Werthschulte: Es gibt keinen Ursprung. In: Taz, 13.03.2014.
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suggeriert irgendeine Form von Gruppenzugehörigkeit. Daraus entstehen die Klischees, an denen man sich orientiert und die doch nie stimmen. Letztlich ist alles nur eine Geschmacksfrage.«302 An die Stelle der subkulturellen ›Lesbarkeit‹ von Lebens- bzw. Popstilen tritt im Sinne der generationellen Differenz zur Gegenkultur nicht selten ein Narrativ von bemerkenswert heroischem Ton. Dem Verschwinden utopischer Implikationen und seinen Ausdeutungen als Mangel innerhalb des linken Popdiskurses wird deshalb im Zeitgeistmagazin auch mit einer Art Adaption des linken Zeichengebrauchs begegnet. In einem Beitrag zum »Rückblick auf die 1980er Jahre« erinnert sich Maxim Biller an die jüngste Vergangenheit: »Eine 501 zu tragen, war ziemlich subversiv. Modische Verzweiflung gegen Parka-Antiimperialismus und Fiorucci-Poppertum. […] Ein stiller Mythos meldete sich Anfang der achtziger Jahre mit den 501 zurück. Sie wurden zu einer kulturellen Säule der Dekade. Man mußte den Leuten nur auf den Hintern schauen und wußte sofort, wer dazugehörte und wer nicht: die Hose weit, in der Arschritze ein Knick, rotes Levi’s-Label. Genosse!«303 In Abgrenzung zur konsumfeindlichen und antiamerikanischen Alternativkultur (»Parka-Antiimperialismus«) auf der einen Seite und zum in den 1980er Jahren aufkommenden Typus des allzu glatten ›Poppers‹304 auf der anderen Seite aktualisiert Maxim Biller mit der Levi’s einen »stillen Mythos« der Rebellion. Dabei ist gerade die Jeans seit ihrem Gebrauch durch die Jugendkultur der Halbstarken in den 1950er Jahren eines der wichtigsten polysemischen Zeichen der Popkultur und deutet vor diesem Hintergrund regelmäßig auf das Oszillieren von Bedeutung hin. Ein von Christian Kracht erstellter Lifestyle-Test, der die Frage stellt »Sind Sie modern?« präsentiert diese vermeintliche »Code-Maschine« mit ebenso widersprüchlichen Bewertungsmustern.305 Noch 1999 wird in Tristesse Royale die Levi’s-Jeans darin als »bleibender Wert« und als Ausweis für die Zeitgeistzugehörigkeit verhandelt: 302 Stefanie Flamm: Lifestyle ist alles, was uns bleibt. In: Karl Markus Michel, Tilman Spengler (Hg.): Kursbuch 121. Der Generationenbruch. Berlin 1995, 20-25, 21. 303 Maxim Biller: Knick im Arsch. In: Tempo, März 1986, 100. 304 »Die Popper benahmen sich anständig, nahmen keine Drogen, trugen KaschmirPullover und College-Loafer, wollten später Juristen oder Manager werden, um viel Geld zu verdienen.« Ulf Poschardt: Die Rebellion der Kaschmir-Kinder. Vor 25 Jahren wurde in Hamburg der Popper erfunden. Obwohl höflich und elegant im Auftritt, wurde daraus die verhasste Jugendkultur. Eine Ehrenrettung. In: Die Welt, 04.07.2004. 305 Anonymus: Sind Sie modern? In: Tempo, November 1987, 58-63.
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»Christian Kracht: Ende der achtziger Jahre schrieb ich für die Zeitschrift Tempo einen mehrseitigen Test mit der Fragestellung ›Sind Sie modern?‹. Dort habe ich genau dieselbe Frage nach bleibenden Werten gestellt, und sie mußte definitiv mit ja beantwortet werden. Und zwar gab es damals genau drei richtige Antworten für diese bleibenden Werte: die Levis-501, das weiße T-Shirt von Hanes und die M-I-Bomberjacke.«306 Ungeachtet der dargelegten Spannung in der Deutung einer Transformation von Popkultur, die sich vor allem in der Diagnose eines Verlusts von engagierter Jugendkultur auch in die Tradition des Bedauerns über den Verlust von ›Unübersichtlichkeit‹ einschreibt, lässt sich doch für die historische Bedeutsamkeit von Konsummustern in der Popkultur festhalten, dass ›Modeentscheidungen‹ zu treffen aufgrund der Annahme der ›Lesbarkeit‹ der Konsumzeichen und -stile zu einer Aufgabe wird, der auch ohne Distinktionsabsicht von Seiten ihrer Kommentator*innen mehr und mehr Gewicht beigemessen wird und dies nicht allein auf der vestimentären Ebene von Kleidungsstilen, sondern auf der Ebene von Konsumstilen überhaupt.307 Narrativ wird die Verbindung von Mode und Konsummustern schließlich wieder in Form von Zeitgeist-Typen. Besonders produktiv wird die journalistische Darstellung solcher Typen in der seriellen Form von Kolumnen und der für diese journalistische Kleinform typischen Betonung der Autor*innenperspektive, die das konstitutive Geschmacksurteil über einen Modetypus besonders betont. Die gleichzeitige Abgeschlossenheit einer einzelnen Kolum-
306 J. Bessing: Tristesse Royale, 148. Die hier gemeinte Frage findet sich allerdings nicht im Test wieder. 307 Das ist für Konsumentscheidungen natürlich keine absolute Neuerung der 1980er Jahre. Bereits in den 1950er Jahren, in denen viele Läden nach und nach auf Selbstbedienung umstellen, sind Käufer*innen in ihren Kaufentscheidungen zunehmend auf sich gestellt, da sie nicht mehr auf die Empfehlungen der Händler*innen zurückgreifen können. Wolfgang Ullrich: Art. Werbung und Warenästhetik. In: HbP, 207-215, 210. Unter dem Stichwort »Überflussgesellschaft« begegnet man deshalb auch regelmäßig den Redundanzen der Konsumkultur, die dazu führen, dass die Entscheidung, welchen Film man anschaut, nicht mehr davon abhängt, welcher Film gerade im nächstgelegenen Kino gezeigt wird: »Man muss«, so hält Kaspar Maase als konstitutives Merkmal von Popkultur fest, »aus einer Vielzahl von Möglichkeiten wählen und – das ist der zentrale Punkt – die Kriterien der Auswahl reflektieren.« Kaspar Maase: Einleitung: Zur ästhetischen Erfahrung der Gegenwart. In: Ders. (Hg.): Die Schönheiten des Populären. Ästhetische Erfahrungen der Gegenwart. Frankfurt a.M. 2008, 9-26, 12f. [Hervorhebungen im Orgiginal]
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ne und frequentierte Wiederholung bestimmter Motive und Techniken in der Konzeption des Formats fördern darüber hinaus besonders die Entstehung und Fortschreibung von Zeitgeistmoden und Stereotypen. Ein Beispiel für das zeitdiagnostische Schreiben über Zeitgeist-Typen aus der Kolumne »Glasers Heile Welt« von Peter Glaser, die mit wenigen Variationen über den gesamten Zeitraum von zehn Jahren hinweg erscheint, ist etwa ›der Metropolengänger‹. Ausgewiesen wird er als »der neuste Menschentyp der Großstädte: Er geht und geht und geht und…«. Die Referenz auf den Werbespot des VW Käfer von 1968 der Agentur Springer und Jacoby, in der das zuverlässige ›Laufen‹ des Automotors mit der fortlaufenden Wiederholung des Wortes ›laufen‹ (»und läuft und läuft und läuft«) versichert wird, zeigt bereits die Tendenz zur Fortschreibung und Vermischung unterschiedlicher Images und nationaler Narrative (Wirtschaftswunder, Urbanität etc.) in dieser Überschrift an. Die unauflösliche Ironie ist integraler Bestandteil der Typenklischees, die sowohl den Diagnostiker als auch den Symptomträger des Zeitgeistes prägt. Sie ermöglicht es etwa dem zeitgemäßen Flaneur, der hier beschrieben wird, die Metropole mit Freundlichkeit zu durchziehen: »Statt Melancholie trägt er eine glasdünne Ironie wie eine spiegelnde Sonnenbrille auf der Seele, um jene unerbittliche Freundlichkeit aufzubringen, die den Menschen und der Stadt zu jeder Zeit zusteht. Er geht und sieht, was läuft.«308 Diese Beschreibung der Pose des »Sehen was läuft« zielt zwar einerseits durch die Aufmerksamkeit auf ›feine‹ Unterschiede im Sinne eines differenzierten Detailreichtums ab. Andererseits ist ›fein‹ im Sinne einer dandyhaften Vornehmheit eine Zuschreibung, die man sich aneignet und symbolträchtig mit jener Ironie funktionalisiert. So kann auch die ›Nichtlesbarkeit‹ von Zeitgeist-Typen wieder zu einem Zeitgeistnarrativ gelangen: Das Nicht-Identische von Mimikry wird zum Markenzeichen des ›Identitäts-Chamäleons‹: »Ein anderer Typ ist das Identitäts-Chamäleon. Oft trägt er das anrüchige Erscheinungsbild eines Tagediebs, aber das täuscht. Er ist der Wartende an der Bushaltestelle. Er ist der Mann in der Schlange vor dem Flugkartenschalter, der, bevor er an die Reihe kommt, weggeht. Er ist derjenige, der vor den Auslagen eines Wäschegeschäftes in Wirklichkeit philosophische Traktate erdenkt.«309
308 Ebd. 309 Peter Glaser: Der Metropolengänger. In: Tempo, September 1987, 125. [Hervorhebung im Original]
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Die Rolle der sogenannte Stillektüre für die Literaturgeschichte versucht der sich auch im Zeitgeistmagazin mit der Figur des Dandys auseinandersetzende Christian Kracht im Juni 1994 hervorzuheben, indem er der Rezension zu Andreas Neumeisters Roman Ausdeutschen eine Tabelle »Dichtermoden, Modedichter. Wie Romanhelden sich zurechtmachen« an die Seite stellt. Von Goethes Die Leiden des jungen Werther über Willkommen in Wellville von T.C. Boyle, Shampoo Planet von Douglas Coupland und American Psycho von Bret Easton Ellis zu Donna Tartts Die geheime Geschichte listet Kracht die jeweiligen Outfits der Protagonist*innen auf: »Die ruppige Lady trägt am liebsten Kaschmir«, heißt es über die Protagonistin aus Peter Høegs Fräulein Smillas Gespür für Schnee; »Hagen, König der Penner, trägt am liebsten weite, bequeme Hosen« über Helmut Kraussers Fette Welt.310 Im folgenden Kapitel wird eine Rezension Krachts zu einem Roman von Uwe Timm gelesen, die jene im vorangegangenen Kapitel herausgearbeitete Polysemie von Konsumwaren- und Modezeichen dazu nutzt, ihr Zeichensystem ostentativ in den Rang des Literarischen zu heben. Sprechen die folgenden Ausführungen auch für ein parodistisches Verständnis der Rezension, so lässt sich hier doch an der Anlage des Textes, der auffallend die Sprache des Romans Faserland präfiguriert, erkennen, dass sein Bewegmoment über eine Parodie des feuilletonistischen Diskurses und des Bedeutungsgewinns der Konsumwelt hinausgeht.
3.4.4.
Christian Kracht liest Uwe Timm
Als Zeitgeistjournalist erprobt Christian Kracht regelmäßig das Abweichen von journalistischen Standards und markiert damit auch die Entgrenzung der Zeitgeistmedien und ihrer Alltagsdiskurse. Dies trifft besonders anschaulich auf die Form der Rezension zu. Ist bei den vielen unter seinem Namen publizierten und zum Teil stark vom Stil längerer Texte abweichenden Kurzrezensionen ein redaktioneller Eingriff zu vermuten, zeichnen sich Krachts länger angelegte Literaturrezensionen durch einen ausgesprochenen Hang zur Fiktion und zur literarischen Ausschmückung scheinbar für den Literaturdiskurs unerheblichen Nebensächlichkeiten aus, die in erster Linie seine Autorschaft betonen. In der im Folgenden analysierten Rezension Krachts ist darüber hinaus der Effekt zu beobachten, dass die betonte Aufmerksamkeit
310 Christian Kracht: Geschichten aus dem Dickdarm Deutschlands. In: Tempo, Juli 1994, 104-106, 106; Christian Kracht: Die letzten Dandys. In: Tempo, Mai 1992, 155-158.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
für die äußerliche Erscheinung, den Modestil des Urhebers dessen, was eigentlich als Rezensionsgegenstand zu erwarten ist – der Roman Kopfjäger –, zur Entmystifizierung seines ›Werks‹ und in zweiter Instanz von Literatur überhaupt beiträgt. Im Dezember 1991 rezensiert Kracht Uwe Timms Roman Kopfjäger unter dem Titel »Wie die Schuhe, so der Dichter«. Er beginnt seinen Text mit der Feststellung, dass das deutschsprachige Feuilleton Timms Roman zwar mit positiven Urteilen bedacht, jedoch insgesamt recht lethargisch aufgenommen hätte: »In den wichtigen Zeitungen, Uwe Timm, hat Ihr neues Buch positive Rezensionen bekommen – in der Zeit, in der Süddeutschen Zeitung, in der Weltwoche, in der FAZ. Die Kritiken waren gut, aber nicht überschwänglich. Eher lethargisch. Als ob der Tenor, mit dem Sie zu behandeln sind, von vornherein festgelegt wäre. Als ob alles, was Sie abliefern, Qualität hat. Wie ein MercedesBenz. Zuverlässig. Bodenständig. Deutsch.«311 Der Vergleich des literarischen Werks mit einem Automobil deutet bereits den folgenden Tenor der Rezension an, der performativ als Abweichung vom Tenor des deutschsprachigen Feuilletons inszeniert wird. Indem Kracht auf das Markenimage des Mercedes-Benz und die Werte Zuverlässigkeit, Bodenständigkeit, Qualität rekurriert, ruft er ganz bestimmte Narrative zur deutschnationalen Selbstbeschreibung auf, die dann als Werte des Feuilletons ausgestellt werden. Bei dem Versuch, jenen Zusammenhang näher zu ergründen, entwickelt der Rezensent eine außergewöhnliche Stimme, die zugleich die Rolle des Rezensenten als Beurteilenden überbetont und die Grundlage der Beurteilung auffällig von feuilletonistischen Standards abweichen lässt: »Vielleicht, Herr Timm, sehen die Kritiker das so, weil an Ihnen und an Ihren Büchern früher immer etwas Oberlehrerhaftes klebte. Sie sehen ein wenig aus wie Hermann Hesse, der gute Deutsche, der Humanist, oder wie ein Dichter auf einem Gemälde von Carl Spitzweg. Sie haben Bücher wie Morenga geschrieben oder Deutsche Kolonien – Werke, in denen Sie das deutsche Gewissen anmahnen. Sie scheinen ein guter Sozialdemokrat zu sein. Dennoch tragen Sie über Ihrer Frontheimkehrerbrille die Haare mit dem Messer geschnitten, und Sie sind mit dieser Frisur der Zeit weit voraus. Wie geht das zusammen?«312
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Christian Kracht: Wie die Schuhe, so der Dichter. In: Tempo, Dezember 1991, 128. Ebd.
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Die direkte Ansprache des Romanautors sorgt für eine wirkungsvolle Irritation, die das Verhältnis zwischen dem Autor der Rezension, ihrem Leser oder ihrer Leserin und dem Autor des Romans in ein Ungleichgewicht bringt. Die Anrede »Herr Timm« evoziert dabei den gleichen Paternalismus eines ›Oberlehrers‹, den der Rezensent an den früheren Büchern des Autors beanstandet. Mit dessen stereotyper Beschreibung schafft Kracht eine Kontrastfolie mit deren Hilfe seine folgende ›Stillektüre‹ als überaus zeitgemäß erscheint: Im Gegensatz zu Timms ›tiefen‹ als deutschnational apostrophierten Motiven, geht es nun darum, anhand von (literarischen) Klischees die »Oberfläche auszuloten«.313 Gegenüber dem Anschein des stereotypen Humanisten, der hier biedermeierliche Züge bekommt und seiner »Frontheimkehrerbrille« bringt Kracht dafür Timms Messerhaarschnitt in Anschlag, mit dem er sich als »der Zeit weit voraus« erweise. Seinen aus dieser beobachteten Widersprüchlichkeit erwachsenen Zweifel an Timms Übereistimmung mit dem Stereotypen des Humanisten und Sozialdemokraten begründet der Rezensent mit einer persönlichen Anekdote, die aber im weiteren Text als das einzig fundierte Wissen inszeniert wird: »Einmal habe ich Sie gesehen, das war am Frankfurter Hauptbahnhof. Sie standen da, betrachteten das Treiben und aßen Nußschokolade, die Sie sich riegelweise in den Mund schoben. Damals fielen mir Ihre Schuhe auf. Sie waren nußbraun, an der Seite etwas abgewetzt. Solide Schnürschuhe, wahrscheinlich englisch und wahrscheinlich 20 Jahre alt. Damals dachte ich: Wer solche Schuhe trägt, der darf von sich behaupten, einiges verstanden zu haben. Danach habe ich Ihr neues Buch, Kopfjäger – Bericht aus dem Inneren des Landes, gelesen und beim Lesen im Kopf immer hin- und hergeschaltet zwischen Ihren Schuhen und Ihrem Buch, zwischen dem, was ich über Sie wußte, und dem, was ich von Ihnen las. Als ich zu Ende gelesen hatte, war mir klar: Sie haben sich und Ihre Sprache in der Gewalt. Wie kaum ein anderer Autor in Deutschland haben Sie die Macht über das Wort. Ihnen ist bewußt, welche Assoziationen Wörter und Sätze hervorrufen können. Ähnlich einem Musiker, der Töne und Motive verwebt, um beim Hörer bestimmte Empfindungen hervorzurufen, wissen Sie genau, welche Instrumente wann eingesetzt werden müssen, um einen Reiz auszulösen.«314 313
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»Genau, das sind Klischees, das ist die Oberfläche. Und die auszuloten, darum geht es.« Anne Philippi, Rainer Schmidt: Wir tragen Größe 46. Ein Interview mit Christian Kracht und Benjamin von Stuckrad-Barre. In: Die Zeit, 9.9.1999. C. Kracht: Wie die Schuhe, 128.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
Der Vergleich, der während der Lektüre von Kopfjäger zwischen diesem persönlich gesicherten Wissen, das der Rezensent Kracht aus der Stillektüre des Autors gewonnen hat, und dem literarischen Wissen, das der Autor Timm in seinem Roman überformt, immer wieder hergestellt wird, betont hier jedoch gerade nicht die vorgegebene Widersprüchlichkeit, sondern hebt stattdessen ausdrücklich die Parallele beider Zeichensysteme hervor. Aufgrund dieser Parallelisierung kann der Rezensent zu dem Gesamturteil kommen, dass Timm seine Sprache gänzlich in der »Gewalt« hat. Damit überschreitet er abermals und ostentativ das formale Muster der Rezension. Der Inhalt des rezensierten Romans und seine Beurteilung bleiben ein nur marginaler Aspekt der Bewertung. Stattdessen wird das äußere Erscheinungsbild des Autors mit seinen feinen Details in den Vordergrund gerückt und – das ist hier entscheidend – bewertet. Dabei wird die Grundlage dieser Bewertung nur angedeutet, indem vage bleibt, was genau der Schriftsteller »verstanden« haben soll, wenn er nussbraune Schnürstiefel trägt. Hier schafft der Rezensent bereits Raum für die auf seine Romane folgenden Vorwürfe, er kokettiere mit neokonservativen Meinungen. Die Stillektüre führt letztlich zu demselben Lob, das der Rezensent zuvor bei den übrigen Kritiker*innen ausgemacht und zu durchbrechen angekündigt hat: Gelobt werden nun nicht mehr nur Zuverlässigkeit und Haltbarkeit, sondern Sprachgewalt, Macht und Kontrolle. Der Unterschied besteht jetzt in dem Referenzprodukt, das das konservative zu einem neokonservativen Lob werden lässt. Indem statt des Mercedes-Benz der vermutlich 20 Jahre alte Stiefel englischen Ursprungs mit der Qualität des Romans in Verbindung gebracht wird, wird zwar der deutschnationale Bezug aufgebrochen, aber die Verbindung konservativer Werte gleichfalls hervorgehoben, indem ein ähnliches Produktimage gerühmt wird, wie das der Barbour-Jacke, dem später in Krachts Roman Faserland eine prominente Rolle zukommt.315 Der Detailreichtum von Konsumzeichen und die genaue Beobachtung des Rezensenten schaffen hier den Eindruck einer komplexen Codierung: Fast subtiler erweist sich das Zeichen Lederstiefel gegenüber dem Zeichen Mercedes-Benz, indem es keinen Markennamen trägt und zudem Alter und Herkunft nur andeutet. Beide Images weichen zudem stark von pop-
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Vgl. der Werbetext auf der deutschsprachigen Seite der Firma: »Auch als globale Marke bleibt Barbour seinen Wurzeln als Familienunternehmen treu und vereint die einzigartigen Charakteristika der britischen Countryside mit Charme, Witz und Glamour in einer funktionalen und stilvollen Bekleidungslinie.« Online: https://www.barbour. com/barbour-history (letzter Zugriff 24.02.2018)
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kulturellen Attributen ab, die anhand von Materialien wie Plastik vor allem Kurzlebigkeit und Künstlichkeit betonen. Dass allerdings auch der Lederstiefel einem Paradigma von Popzeichen zugeordnet werden kann, deutet der Rezensent in seinem Urteil über den Autor Timm an, indem er vor allem den kontrolliert ausgelösten »Reiz« durch bestimmte Assoziationen hervorhebt. Das Urteil fällt deshalb auch positiv aus, wobei sich in dieser Konstellation freilich nicht der Romanautor, sondern der urteilende Rezensent selbst als der eigentliche Stil-Experte erweist: »Manchmal schaffen Sie es, mit einem einzigen präzise platzierten Wort beim Leser Erinnerungen auferstehen zu lassen. Die Kindheit ist dann wieder da oder der Duft oder der Ausblick, den man als Neunjähriger einmal hatte. Und wenn es jemals möglich war, von den Schuhen eines Schriftstellers auf dessen schöpferische Qualität zu schließen, dann bei Ihnen. Sie haben Stil. Sie sind kein Thorsten Becker, der New-Wave-Deppenbrille, ein schwarzes Literatenhemd und dazu Stulpenstiefel trägt. Sie tragen auch keine Latzhosen wie Bodo Kirchhoff.«316 Die »präzise platzierten Wörter« des Romans dienen lediglich als Beleg dafür, was der Kritiker anhand seiner Konsumstillektüre von Timms Stiefeln längst gelesen hatte, nämlich, dass er im Gegensatz zu Bodo Kirchhoff oder Thorsten Becker ›Stil hat‹. Als der Rezensent dann schließlich doch noch auf den Inhalt des Romans zu sprechen kommt, betont er implizit seinen an dieser Stelle unprofessionellen, empathischen Leseakt, indem er seine Unkenntnis darüber beteuert, wie der Autor die scheinbare Einfachheit des Romans »gemacht« habe: »Die Kritiker irren. Kopfjäger […] ist kein Mercedes-Benz, sondern das beste deutsche Buch seit langem. Sie bringen es fertig, eine Kolportage aus Anekdoten, wissenschaftlichen Abhandlungen, Beobachtungen und genauer journalistischer Beschreibungen zu einem spannenden Roman zu verdichten. Das schafft außer Ihnen gerade noch Bruce Chatwin. In Kopfjäger erzählen Sie von Peter Walter, einem charmanten Schwindler und Betrüger, einem modernen Felix Krull, der selbst so gut Geschichten erzählen kann, daß ihm alle auf den Leim gehen. Walter hat nichts gelernt, kann nichts, ist faul, will aber unbedingt das erreichen, was ihm durch seine Armut versagt blieb: Jaguar, Villa und Muße. Sie erzählen von Walters Kindheit, Herr Timm,
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3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
von seinem Erfolg und seinem Fall. Das scheint sehr einfach, und doch habe ich nicht ganz verstanden, wie Sie das gemacht haben. Macht nichts, ich bin nicht der Klügste, aber klug genug, um zu wissen, daß Sie die deutsche Literatur mit Ihrem Roman umgegraben haben. Treten Sie die Kritiker aus ihrer Lethargie, Herr Timm. Ziehen Sie sich aber vorher Ihre nußbraunen Schuhe an.«317 Der Hinweis auf Felix Krull läuft hier nicht auf eine Parallelisierung Uwe Timms mit Thomas Mann hinaus, sondern viel eher lässt der Rezensent durch das Wort ›selbst‹ den Eindruck entstehen, als würde er darauf abheben, nicht Peter Walters, sondern Timms Fähigkeit herauszustellen, so gut Geschichten erzählen zu können, »daß ihm alle auf den Leim gehen«. Die Wirkung der zuletzt mit der Betonung der eigenen Unzulänglichkeit als Kritiker vorgetäuschten Unwissenheit übersteigert das Verfehlen der Rezensionsfunktion und -form derart, dass es sich eher um eine Rezensionsparodie denn um eine Literaturrezension handelt. Dass diese Schreibweise sich trotz der parodistischen Elemente in die Literaturkritik einschreibt, zeigt indes der Verlag Kiepenheuer und Witsch, wenn er mit Zitaten aus Krachts Rezension für eine spätere Neuauflage des Romans von Uwe Timm wirbt. Das Verlagszitat führt aber auch die vermarktungstechnische Verbindung vor Augen, die in den späten 1990er Jahren die Rezeption der deutschen Popliteratur prägen und zu einer zusätzlichen Auflösung der in der Literaturkritik erwünschten und trotz allem herangezogenen Oppositionslogik wahr/falsch bzw. echt/unecht beiträgt.318 Das vorangegangene Kapitel hat verdeutlicht, dass noch bevor es zum Erfolg der Popliteratur in den deutschsprachigen Ländern kommt, das Schreiben über diese Konsuminszenierungen im Medienzusammenhang der Zeitgeistpresse erprobt wird. Die Kolumne bietet etwa Anlass zur Modestillektüre ebenso wie die kleinen Formen des Magazinteils der Zeitschriften, der sich aus Rezensionen unterschiedlicher Kulturprodukte zusammensetzt. Es ist Christian Kracht, der die Stillektüre am effektivsten dazu nutzt, sich selbst im Literaturdiskurs zu etablieren. Er zeigt, dass Konsumwarencodes nicht 317 318
Ebd. Der prominenteste Fall in diesem Zusammenhang ist sicherlich die skandalträchtige Lesart von Krachts viertem Roman »Imperium« durch Georg Diez, in der er vom Erzähler auf den Autor schließt und diesem schließlich »antimodernes, demokratiefeindliches, totalitäres Denken« vorwirft. Georg Diez: Die Methode Kracht. In: Der Spiegel, 13.2.2012, 100-103.
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wirklich lesbar, aber in ihrer Unlesbarkeit literarisches Potenzial zu finden ist. Konsumzeichen und Lifestyle, stehen nicht nur untereinander in wechselseitiger Abhängigkeit, sondern haben maßgeblichen Einfluss auf die Form des Zeitgeistjournalismus ab Mitte der 1980er Jahre. Als Liberalisierung muss dabei unzweifelhaft der Bruch mit hegemonialen konsumkritischen Einstellungen bewertet werden. Entscheidend ist hier zum einen die Durchkreuzung gesellschaftlicher Annahmen, die einen grundsätzliche Zweifel an Konsumpraxis hegen, vor allem aber der Abstand, mit dem das Zeitgeistmagazin die Nachdrücklichkeit nicht nur orthodoxer Konsumkritik in populärem Ausmaß hinter sich lässt – auch angesichts der feuilletonistischen Empörung über die Popliteratur noch beinahe zwanzig Jahre später – und verbreitet. Mit den Terroranschlägen vom 11. September 2001 und spätestens mit der Wirtschaftskrise 2008 ändert sich zwar die konsumistische Lebensweise großer Teile der westlichen Bevölkerung nicht, wohl aber die dazugehörige Selbstbeschreibung in öffentlichen Diskursen als materialistische Spaßgesellschaft. Auf der anderen Seite der historischen Linie liegt der Hauptunterschied dieses Jahrzehnts zu herrschenden Einstellungen der 1970er Jahre, in denen tatsächlich auch nicht weniger konsumiert wird, dies aber weltanschaulich nicht legitimiert ist, in der demonstrativen Bejahung von Unterhaltung, Materialismus und Konsum.319 Tempo repräsentiert Produkte, Werbung und Shopping als Ausdruck des Zeitgeistes und schreibt diesen zum Teil eine Rolle zu, die vormals künstlerischen Werken vorbehalten war, indem nämlich ein gewisser Aufwand betrieben wird, sie zu interpretieren, zu bewerten und medial als aussagekräftig darzustellen. Insbesondere Peter Glaser und Christian Kracht stehen mit ihrem Schreiben zu Marketing und Modestilen für eine eigenwillige Beobachtung und Interpretation von Konsumkultur und ihren Mechanismen, die sie als Material und Grundlage für aufwändig inszenierte Bewertungen heranziehen. Wenngleich eine Folge dieser umgreifenden Thematisierung und Beurteilung von Konsum die Einübung von konsumistischen Prinzipien ist, wird durch die Art der Darstellung zumindest zeitweilig auch die Dichotomie von unkritischem Konsum und kritischer Kultur implizit infrage gestellt.320 Der mediale Bruch erlangt aber auch kurzfristig Wirksamkeit in einer Steigerung der (Kaufan-)Reize und nachhaltig, indem eine stetige Umwertung 319 Vgl. T. Hecken: Die verspätete Wende, 18. 320 Zu dieser Dichotomie etwa Jürgen Habermas: Notizen zum Mißverhältnis von Kultur und Konsum. In: Merkur (3) 1956, 212-228.
3. Das Zeitgeistmagazin Tempo
von Konsum vorangetrieben wird, die für die folgenden Jahre maßgeblichen Einfluss auf hegemoniale Einstellungen und Selbstbilder, aber auch auf die Bewertung von kulturellen Bezügen hat, etwa im Bereich der sog. ›Kreativbranche‹. Das klischeehafte Schreiben ist dabei ein wichtiger Modus des positiven Bezugs auf Konsum in einem Genre, das sich seit den Anfängen des Popjournalismus darauf spezialisiert hat, statt der Kunstwerke im weitesten Sinne die Popvertreter*innen in den Blick zu nehmen. Das Klischee wirkt einerseits aktiv der Konsumkritik entgegen, indem es sie als solche und gleichzeitig als rückständig ausstellt. Andererseits trägt das Zeitgeistmagazin durch die Enttabuisierung von Konsum dazu bei, das Ausgreifen ökonomischer Logik auf Selbstverhältnisse zu verschleiern, indem bestimmte Formen des Warenkonsums gleichzeitig zur Bedingung von erfolgreichen Posen werden. Die Repräsentation von Role Models der Werbebranche zeigt zudem beispielhaft, dass die Faszination für den Konsummarkt auch als Motor für das ökonomische Gelingen des eigenen unternehmerischen Projekts angesehen wird und dass sich diese Repräsentationen zirkulär verstärken. Die Einschätzung, dass die Möglichkeit spezielle Konsumstile zu ›lesen‹, seit den 1970er Jahren sukzessive nachgelassen hätte, hängt aber nicht nur mit den ökonomischen Interessen des Konsummarktes zusammen, sondern auch mit der einhergehenden Veränderung popkultureller Formensprache, die sich von verbindlicheren Narrativen verabschiedet und stattdessen die Kontingenz von Konsumentscheidungen hochhält. Für die Popkultur insgesamt gilt in diesem Zusammenhang, dass sie ohnehin eine Tendenz hat, erkennbar fiktive Narrationen zu öffnen und mit dem Visuellen und Affektiven derart zu verbinden, dass ein Plot nur noch eine nebengeordnete Rolle spielt. Zeitgeistjournalistisch relevant werden Modestil- und Konsumwarenzeichen also nicht nur durch visuelle Repräsentationen, sondern auch dann, wenn sie auf die Grenze von Fakten und Fiktionen gebracht werden. Die am Beispiel von Christian Krachts Rezension vorgestellte Übertragung der popkulturellen Bedeutsamkeit von Konsumstilen in die Literaturkritik und damit ins Feld der Literatur übersteigt den medialen Bruch mit vorherrschenden Einstellungen der Konsumkritik, indem Grundannahmen der publizistisch geäußerten Anforderungen an Kunst und Kultur provoziert werden. Damit wird nicht nur Krachts eigene Laufbahn als Autor vorbereitet. Zudem werden in der Verknüpfung seines Namens mit Autoren wie Andre-
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as Neumeister, aber auch Bret Easton Ellis oder Alan Moore Tendenzen der späteren Rezeption von Popliteratur vorgegeben.321
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Vgl. Christian Kracht: V wie Vendetta. Mai 1991, 132. Ders.: Geschichten.; Ders.: Psycho Bret Easton Ellis. In: Tempo, November 1991, 164-168. Mattias Lorenz listet in seiner Bibliografie zu Christian Kracht diesen Artikel mit dem Hinweis auf »irreführende Kennzeichnung der Autorschaft in Tempo«. Vgl. M. N. Lorenz (Hg.): Christian Kracht, 43ff. Weil dieser Text und einige andere im Rahmen eines Volontariats entstanden sind, sei mitunter von der Chefredaktion ein Artikel einem der Volontäre namentlich zugeordnet worden, obwohl der Text ein Gemeinschaftsprodukt vieler gewesen sei und er selbst, Christian Kracht, eventuell nur ein paar Recherchen beigesteuert habe. Dieser Sachverhalt bestätigt sich auch in Anbetracht der Abweichung vom typischen Schreibstil Krachts.
4. Zeitgeistjournalismus als Katalysator und Knotenpunkt
Der Zeitgeistjournalismus prägt in den 1980er und 1990er Jahren rückblickend eine ganze Reihe derjenigen literarischen Texte, die in den deutschsprachigen Ländern seit Mitte der 1990er Jahre mit dem Label ›Pop‹ populär werden. Diese Texte, von denen nur drei der bekanntesten am Horizont dieser Studie auftauchen, folgen auch deshalb keinem literarischen Programm. Sie haben sich in der Forschung unter Berücksichtigung verschiedener Aspekte zu einer genreähnlichen Form herauskristallisiert. Ihre Geschichte wird meist von der transatlantischen Übertragung der Beatliteratur im Deutschland der späten 1960er Jahre her rekonstruiert. Bei der Lektüre eines beliebigen jener Erzähltexte, die um 2000 als Popliteratur verkauft und gelesen werden, hält dieser Bezug nur mit dem Hinweis auf einen Bruch mit einer solchen Tradition stand. Kaum sind Romane wie Relax von Alexa Hennig von Lange, Kerstin Grethers Zuckerbabys oder Sibylle Bergs Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot vor demselben Hintergrund wie Texte aus Acid, Fuck You! oder Schnitte um Ralf-Rainer Rygulla und Rolf Dieter Brinkmann zu verstehen. Dieser Traditionsbruch hat in seiner prägnantesten Form als These Ende der 1990er Jahre formuliert von Diedrich Diederichsen Eingang in die Vorstellungen dessen gefunden, was auch heute noch meist unter Popliteratur verstanden wird. Diederichsen konstatierte ein historisches Umschlagen um das Jahr 1990, bei dem ein ehemals subversiver Popbegriff von einem pluralistischen Popbegriff abgelöst wurde. Dieser pluralistische Popbegriff dient häufig als Blaupause für das Verständnis einer als medien-, konsum- oder systemaffirmativ apostrophierter Literatur von Autor*innen, die als Generationenvertreter*innen für einen neuen Popbezug in der Literaturwelt um das Jahr 2000 einstanden. Ein ›subversiver Pop‹ – als dessen Vertreter etwa Brinkmann und Diederichsen in Erscheinung treten – ist also der oft aufgerufene Rahmen für jene späteren Poptexte, der ihr Herausfallen aus diesem Rahmen
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Zeitgeistjournalismus
problematisch erscheinen ließ. Genau jener historische Punkt, an dem sich die von Diederichsen beobachtete Ablösung vollzogen hat, gelangt mit dem Zeitgeistjournalismus und exemplarisch mit dem Zeitgeistmagazin Tempo, das zwischen 1986 und 1996 erscheint, in den Blick. Er zeigt sich rückblickend nicht nur als eine Verschiebung von Diskursmacht zugunsten eines konkurrenzorientierten Medienzusammenhangs mit entsprechend anders gelagerter Agenda, Überschreibungen und Umdeutungen. Auch gibt genau dieser Medienzusammenhang jener Zeit Aufschluss darüber, was die Ambivalenzen des fiktiven und autofiktiven Personals sowie die formale Anlage dieser neuen Popliteratur begründet hat. Die Zeitgeistzeitschrift Tempo, als eine Vertreterin dieses Medienzusammenhangs, bringt eine eigene Geschichte der auch personalen Verwicklung von journalistischem und literarischem Feld mit. Auf politischer Ebene zeichnet sich das Format durch eine Kommunikationsweise aus, deren Widersprüche sich u.a. aus der narrativen Konstruiertheit scheinbar feststehender Konzepte wie Generation, Gender und Nation ergeben. Die generalisierenden Schreibweisen, die den Zeitgeistjournalismus um 1990 ausmachen, befördern eine hohe Frequenz von populären Zeitdiagnosen, die selbst als Symptom jener journalistischen Form und jenes journalistischen Feldes der Zeitgeistpresse lesbar ist.1 Eher implizit wird hier entlang von nationalen Grenzen und beinahe chauvinistischen Darstellungsweisen ein neuer Konservatismus katalysiert, der aus dem Blickwinkel der linken Popkritik um Diedrich Diederichsen, die zuvor in Zeitschriften wie Spex und Sounds ein emphatisches und systemkritisches Verständnis von Pop entwickelt hatte, eine Wende im Popdiskurs nahelegt. Konservatismus steht aber nicht im Programm des Zeitgeistmagazins; eine gewisse Sympathie mit der um 1990 noch randständigen Partei Die Grünen wird in Tempo nicht verborgen und angesichts der dargestellten Zeitgeist-Typen, ökonomischer Interessen und der im Mediensektor noch neuartig erscheinenden Verschränkung von redaktionellem Inhalt und Werbebranche zeigt der Zeitgeistjournalismus auch eine Abhängigkeit von der globalen Entwicklung des Neoliberalismus.2 Im Programm des Zeitgeistmagazins steht zunächst überhaupt keine politische Agenda, was ebenfalls im linken Popdiskurs als Symptom dafür gelesen wird, dass die in den 1980er
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Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt Tom Karasek mit anderem Korpus. Vgl. T. Karasek: Generation Golf. Vgl. T. Hecken: Die verspätete Wende.
4. Zeitgeistjournalismus als Katalysator und Knotenpunkt
Jahren entwickelten utopischen Implikationen von Pop hier einem unpolitischen Mainstream anheimgefallen seien, die strategische Wirkung bestimmter Ausdrucksweisen – etwa der queeren Aneignung des Populären – damit verloren gegangen sei und Pop seine über Konsum, Hedonismus und Oberfläche hinausgehende Bedeutung eingebüßt habe. Die zeitgeistdiagnostische Suche nach und journalistische Inszenierung von immer neuen Erklärungszusammenhängen für den Status quo einer bestimmten Gesellschaftsschicht, einer Generation oder Nation birgt aber eine Energie, die mehr als nur die Wiederholung unpolitischer Produktästhetik oder Ideologie hervorbringt. Die popkulturellen Ausdrucksweisen sowie der fiktionale Charakter, die durch Selbstbezüglichkeit und Metaebenen in den Texten der Zeitgeistmagazine entstehen, bereiten den Boden dafür, dass die Problemkonstellationen der ›Gegenwart’’3 , die auch durch diese Form katalysiert werden, einen literarischen Überschuss hervorbringen. Die daran anschließende Popliteratur nutzt diesen Überschuss für ihre Formenvielfalt und gerät damit in die Kritik. Das germanistische Konzept Popliteratur steht und stand auch deshalb in Verruf, weil die damit bezeichneten Texte scheinbar nichts Essenzielles miteinander verbunden hatte. Und doch einigt sie rückblickend mehr als die Generationszugehörigkeit ihrer Autor*innen. Bei der Analyse des Zeitgeistjournalismus wurde deutlich, dass die Art und Weise, wie etwa im Magazin Tempo Generationalität inszeniert und damit produziert wird, Auswirkungen darauf hat, dass die literarischen Texte der Autor*innen, die aus diesem journalistischen Feld als Popautor*innen hervorgehen, sich eher dem Verschwinden oder dem Abmelden von Verbindlichkeiten verschreiben, als für die Intervention, die Störung, das Auflehnen gegen eine kulturelle oder gesellschaftspolitische Überkommenheit einzustehen. Es sind aber auch die Rezeptionsweisen – und darin sind die so konträren Magazintitel wie Tempo und Spex vereint –, die in der Perspektive einer Magazingeschichte als Kontext von Popliteratur die Formenvielfalt dieser Texte und Textprojekte erkennbar machen. Das überdrehte Layout, der niedrige Preis, das dünne Papier und die kleinen Sinneinheiten, die untereinander korrelieren, mal Kontraste schaffen und mal Kohärenz, aber auch die Frequenz der Erscheinungsweise der Zeitschriften gewöhnen ein kulturell interessiertes Publikum im noch weitgehend analogen Zeitalter daran, in der Rezeption von
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Im Sinne derjenigen Probleme, auf die die »Schreibweisen der Gegenwart« in Form von Popliteratur eine Antwort suchen. Vgl. E. Schumacher: Gerade eben jetzt.
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Texten zu springen, zu blättern, zu selektieren und auch Figuren zu begegnen, die selbst mit einer solchen Wahrnehmung entweder konfrontiert sind oder sie heraufbeschwören. Vor allem die wertende, urteilende und einbeziehende Darstellungsweise von Zeitgeist-Typen ist ein wichtiges Moment des Zeitgeistjournalismus, das Elemente der Popliteratur, aber auch digitale Entwicklungen der Social Media vorwegnimmt. Nicht zuletzt gewinnt bei all dem die Lust am Präsentieren und Inszenieren an Bedeutung und zugleich die Bereitschaft, sich mit diesen Inszenierungen – wenn auch nicht existenziell – zu identifizieren. Für das Zusammenspiel von Zeitgeistjournalismus und Popliteratur lassen sich mindestens vier Wechselverhältnisse zusammenfassen. Die vermeintliche Eins-zu-eins-Übertragung von Texten ist wohl das offensichtlichste. Indem Textteile aus Büchern in Zeitschriften vorabgedruckt oder Texte aus Zeitschriften zusammengefasst als Buch erscheinen, passiert allerdings mehr mit den Texten als ein bloßer Medienwechsel. Man muss gar nicht die Neukontextualisierung von (vorgefundenem) Material als Technik der Pop Art bemühen, um festzustellen, dass es sich bei solchen Übertragungen nicht allein um andere Kontexte handelt: Die vielstimmige, bunt bebilderte, mit Werbeanzeigen und harten Brüchen arbeitenden Magazine eröffnen ganz eigene Sinnrelationen und lassen Texte etwas anderes bedeuten, als sie es zwischen zwei Buchdeckeln vermögen.4 Aber auch die Rezeptionsweise ist eine andere und wirkt sich entsprechend anders auf die jeweilige Bedeutung aus. Die zweite Beziehung, die Literatur und Journalismus hier eingehen, zeigt dies sehr anschaulich. Texte, die als Bücher erscheinen, sind nämlich potenzieller Gegenstand der Kritik oder der Werbung. Der große Rezensionsteil des Zeitgeistmagazins stellt einen Knotenpunkt der Bedeutungsproduktion von Pop- und Populärkultur dar, der damit Einfluss auf die Rezeption der jeweils besprochenen oder beworbenen Produkte nimmt. Auch diese Beziehung ist eine wechselseitige und lässt sich umkehren. In einigen fiktiven oder semifiktiven Texten der Popliteratur tauchen Journalisten von Zeitgeistmagazinen oder die Zeitschriften selbst in Text und Bild5 auf und werden dort literarisiert. Eine dritte Beziehung wird durch die Übernahme, Entwicklung und Weiterführung von Schreibweisen hergestellt. Der Bezug zum New Journalism, den Journalist*innen der Zeitschrift Tempo regelmäßig 4 5
Vgl. V. Mergenthaler: Streptomycin. Abbildungen der Zeitschrift Tempo finden sich zum Beispiel wieder in Rainald Goetz: Elfter September 2010. Berlin 2010, 142.
4. Zeitgeistjournalismus als Katalysator und Knotenpunkt
herstellen, verweist auch auf den literarischen Realismus. Andersherum ist nicht nur die Diktion von Christian Kracht für seine späteren literarischen Texte bereits vor seinem Debut in journalistischen Texten erkennbar, hier werden ebenfalls Stillelemente wie das unzuverlässige Erzählen ausführlich erprobt und entwickelt. Zuletzt erscheint aus diskursanalytischer Perspektive das Wechselspiel von Journalismus, Pop und Literatur als ein subtileres, aber umso intensiveres. Wesentliche Merkmale des Zeitgeistjournalismus lassen sich als Katalysatoren von Vorstellungen ansehen, die als gesellschaftliche Determinanten in ihrer vorgenommenen journalistischen Hypostasierung real werden. Dass etwa Faserland primär als Gesellschaftsroman gelesen wird, der eine latente Homosexualität und manifeste Homophobie literarisiert, hat etwas mit einer diesem Roman vorausgehenden Medienpraxis zu tun, die durch eine gleichzeitige Liberalisierung von Gendernormen und Antifeminismus gekennzeichnet ist. Dieser Zusammenhang ist alles andere als willkürlich, wenn man bedenkt, dass der Zeitgeistjournalismus sich dadurch auszeichnet, dass er einen Zeitgeist diagnostiziert und zugleich inszeniert, der sich entlang von kollektiver Identität bewegt und sich damit in entscheidender Hinsicht vom faktenbasierten Nachrichtenjournalismus abhebt. Die Personalunion von Zeitgeistjournalist*in und Popautor*in, wie Kracht sie verkörpert, ist zwar eine besonders intensive Verbindung, aber ganz und gar keine Bedingung für diese Verwicklung. Der Überschuss an Bedeutung, der bei der massenmedialen Anwendung von Popzeichen entsteht, lässt aber über das Aufkeimen der neuen Popliteratur hinaus noch ein weitergehendes Phänomen erwachsen. Der aktuell so bedeutsame Popfeminismus, der in der deutschsprachigen Medienlandschaft seinen Knotenpunkt ab 2008 im Missy Magazine etabliert, ist eine Antwort sowohl auf die antifeministische Repräsentationspraxis des Lifestyle- und Zeitgeistsektors um 1990 bis weit ins zweite Jahrzehnt des 21. Jahrhunderts hinein als auch auf die ihr vorausgehende männlich-heroische Deutungsmacht der linken Popmusikzeitschriften. Mit der Aneignung einer popkulturell geprägten Ausdrucksweise durch eine diverse und queere Genderpolitik wird hier zweierlei geschaffen: ein positiver Bezug auf die diskursiv erzeugte Konnotation von Populärkultur und Pop mit Weiblichkeit und Infantilität – was die Lifestyle und Zeitgeistmagazine ausmacht – und zugleich ein systemkritischer und utopisch aufgeladener Bezug auf Pop, der in der Tradition linker Popmusikzeitschriften und Zines steht. Der Hinweis auf die eklatanten Überschneidungen von Zeitgeistzeitschriften und Popliteratur um 2000 blieb bislang nur eine Randnotiz. Indem
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erstmals das Zeitgeistmagazin Tempo als Prä- und Kontext der Popliteratur um 2000 umfassend analysiert wurde, konnte ein wichtiger Grenzbereich der Medien- und Literaturforschung fruchtbar gemacht werden. Dieser hat nicht nur das Potenzial bewiesen, die Perspektive auf populäre und popkulturelle Texte jenseits der gängigen Dichotomien von Subversion und Affirmation bzw. Literatur und Journalismus zu öffnen. Zugleich kommt darin zum Vorschein, wie die Buchkultur und das Verlagswesen am Ende des 20. Jahrhunderts ihre bisherigen Grenzen beginnen zu verlassen und damit eine langfristige Veränderung initiieren. Ein wichtiges Ergebnis dieser Studie liegt in der Sichtbarmachung diskursiver Faktoren der Debatten um Zeitgeist, Popkultur und Popliteratur. Die Frage nach der Geschichte von deutschsprachiger Popliteratur wurde deshalb auch als eine Frage nach den Standpunkten, Wertungen und Zuschreibungen beim Sprechen über Popkultur behandelt. Bei den hier als besonders wirkmächtig ausgewiesenen, meist nicht markierten Bewertungen ging es um Vorbehalte gegenüber der sogenannten Massenkultur sowie gegenüber Verhaltens- und Erscheinungsweisen, die nicht überwiegend einer hegemonialen Männlichkeit entsprechen. Für dieses Anliegen wurde der Gegenstand dieser Studie mit einem Konzept von Popkultur konfrontiert, das die eminent politische Dimension öffentlicher (Sprach-)Handlungen und (Re-)Präsentationen betont. Im ersten großen Teil der Studie konnte der Zeitgeistjournalismus über den Begriff, über historische Genrebezüge und über die Rezeption sowie Kommentierung in anderen Presseformaten seinerseits kontextualisiert werden. In Hinblick auf das Forschungsfeld der Popliteratur wurden die gängigen Narrative zur Popliteraturgeschichte mit ihren problematischen Implikationen verdeutlicht. Um Magazingeschichte als integralen Bestandteil einer Popliteraturgeschichte anzubieten, wurde auf weitere Presseformate seit den späten 1960er Jahren hingewiesen, die im Zusammenhang mit dem publizistischen Konzept Zeitgeistmagazin stehen. In dieser – bei weitem nicht vollständigen – Traditionsgeschichte der Popliteratur ging es darum, die populäre Mediensphäre als einen Ort für die Entwicklung von Popliteratur zu untersuchen und dabei das Feld der Buchkultur und des ›Undergrounds‹ ganz bewusst zu vernachlässigen. Aus diesem Grund spielen hier sowohl Jugendzeitschriften, Nachrichtenmagazine und Stadtzeitschriften als auch Kulturformate eine Rolle. Im zweiten und Hauptteil der Studie wurde das konkrete Beispiel eines Zeitgeistmagazins um 1990 – das Zeitgeistmagazin Tempo (1986-1996) – zum einen in Hinblick auf seine (normierenden) Iden-
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titätsangebote befragt und zum anderen innerhalb von identitätsstiftenden Faktoren wie Generation, Geschlecht, Nationalität und Konsumpraxis ein besonderes Augenmerk auf den fiktionalen und narrativen Rahmen gelegt. Ein drittes Moment fand mit den einhergehenden Wertungen und Effekten besondere Beachtung. Bislang hatten die Provokationen von 1968 sowie Punk und New Wave, zu denen etwa Rainald Goetz‘ aufsehenerregender Stirnschnitt beim Ingeborg-Bachmann-Literaturwettbewerb in Klagenfurt zählt, das Bild der literarischen Popbezüge auch in den 1980er Jahre weitgehend geprägt. Damit wurde der nachdrücklich von Diedrich Diederichsen hervorgehobene Antagonismus von einem rebellischen Popbegriff seit den 1960er Jahren und einem allzu pluralistischen und affirmativen Popbegriff seit den 1990er Jahren bestärkt.6 In der Regel hebt dieses Narrativ darauf ab, die männlich konnotierte Devianz ihrer Protagonisten – und im Kontext von Literatur insbesondere die des um 1968 aktiven Autors Rolf Dieter Brinkmann sowie die von ihm in den deutschsprachigen Literaturbetrieb populär gemachten Beat poets – als avantgardistisch zu konnotieren. Dem gegenüber wurde die sogenannte ›neue deutsche Popliteratur‹ um 2000 als populär und marktförmig konnotiert. Das Attribut ›populär‹ weist dabei eine diskursive Überschneidung mit stereotypen Attributen von Weiblichkeit, Kindlichkeit und Bildungsferne auf. Die vorliegende Studie hat an diesem Punkt zwei grundsätzliche Einwände diskutiert und die Popliteraturgeschichte anhand des westdeutschen Zeitgeistjournalismus daraufhin untersucht. Zum einen wurde die Annahme infrage gestellt, ein gesellschaftskritisches und rebellisches Moment sei integraler Bestandteil von Popkultur, das zudem um 1990 verloren gegangen sei. Zum anderen wurde die Verbindung zwischen dem Ausgangspunkt ›rebellischer‹ Begriff von Popkultur seit den 1960er Jahren (Pop I) und der Diagnose ›pluralistischer‹ Begriff von Popkultur seit 1990 (Pop II) im Narrativ dieser Transformation an einem entscheidenden diskursiven Punkt kritisiert: Beide Stationen kanonisierter Popliteraturgeschichte weisen eine auffällige Diskursmacht ›hegemonialer Männlichkeit‹ auf, die auf mehreren Ebenen zur Geltung gelangt. Weiterhin wurde aufgezeigt, dass sich mit dem deutschsprachigen Zeitgeistjournalismus ab Mitte der 1980er Jahre und teilweise auch mit früheren Formaten einflussreiche populärkulturelle bzw. popkulturelle Texte auffinden
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Vgl. D. Diederichsen: Ist was Pop?
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lassen, die eine neue Perspektive auf das Phänomen Popliteratur und teilweise auch auf kulturelle und kulturpolitische Entwicklungen im 21. Jahrhundert eröffnen. So konnte gezeigt werden, dass die Zeitgeistpresse Anteil daran hat, das Selbstverständnis einer Generation zu inszenieren, die sich dadurch auszeichnet, dass sie sich nicht nur nicht festlegen lassen möchte, sondern postheroisch genannt werden muss, weil sie den expliziten Heroismus ihrer Vorgängergeneration verschiebt. Diese Verschiebung wird sichtbar, etwa indem an deutschnationale Narrative angeschlossen wird oder im ausgeprägten Interesse am Individualismus ›stereotyper Kreativität‹, aber vor allem an der ostentativen Ablehnung der Inszenierung wertebasierter Gemeinschaft. Damit bündelt der Zeitgeistjournalismus auf generationeller Ebene bestimmte Alltagserfahrungen und vervielfältigt sie auf eine Weise, wie sie auch heute noch in großen Teilen des Journalismus gängig ist. Insbesondere die Berliner Seiten der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (unter der Leitung von Florian Illies), die Beilagen der Zeit, das Zeit Magazin bzw. Zeit Leben und neuerdings Zeit Mann, sowie die Beilage der Süddeutschen Zeitung, das Magazin Jetzt, schließen nach Einstellung von Tempo an Schreibweisen und Repräsentationspraxis an. Aber auch spätere Magazine wie die Frankfurter Allgemeine Quarterly (unter der Leitung des Tempo-Autors Claudius Seidl), der Stern-Titel Neon sowie das Online-Portal der Zeit-Verlagsgruppe ze.tt sprechen ihre Leser*innen in erster Linie als Generation an.7 Die Fortführung dieser Ansprache und Generationen-Performanz im Feld der Literatur veranlasst wiederum Florian Illies mit seinem als Popliteratur rezipierten Bestseller Generation Golf. Auf die Seltsamkeit der in Generation Golf zur Identifikation mit dem Protagonisten aus Faserland animierenden Lesart von Krachts Roman hat bereits Moritz Baßler in seiner Studie Der deutsche Poproman. Die neuen Archivisten hingewiesen.8 Nur aus diesem Grund, nämlich der identifikatorischen Fehllektüren Faserlands u.a. durch Florian Illies, rechnet er den Text als eine Art Initialroman der Popliteratur zu. Rückt man bei einer Neulektüre Faserlands die manifeste Homophobie sowie latente Homosexualität des Protagonisten in den Vordergrund und damit jenes Moment, das Baßler veranlasste, in Faserland eben keinen typischen Poproman zu sehen, sondern einen konventionellen
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Das Magazin ze.tt führt neben »Liebe & Sex«, »Reisen«, »Essen«, »Videos«, »Kunst und Kultur« sowie »Auf Glückssuche« die Rubriken »Feminismus«, »Queer«, »Politik«, »Arbeit« und »Klimawandel«. Vgl. https://ze.tt/(letzter Zugriff 24.02.2019) Vgl. M. Baßler: Pop-Roman, 110,ff.
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Problemroman zum Thema »verpasstes Coming-out«9 , dann wird auch die bedeutende Rolle des Zeitgeistjournalismus dieser Zeit deutlich. Die Identifikation mit einer Figur, die derjenigen des zeitweiligen Tempo-Chefredakteurs Uwe Kopf unterstellt, ein »ziemlich harter Nazi« zu sein und im fränkischen Wald »so eine homosexuelle Wehrsportgruppe« zu haben10 , zeigt die Verwicklung internalisierter Homophobie mit der Abwicklung einer durch die Literarisierung herbeizitierten Kritik an dieser. Es scheint deshalb nicht verwunderlich, dass die Repräsentation von Gender in jenen Zeitschriften, denen Illies das Wort redet, aus historischer Perspektive eine allzu antifeministische Signatur trägt. Hervorgehoben wurde bei der Untersuchung dieser Repräsentationspraxis aber besonders die von Angela McRobbie erstmals in Hinsicht auf Frauenzeitschriften wie Vogue, Grazia oder Elle ausführlich analysierte populärkulturelle Verbindung von einer antifeministischen Abwehr und der auffälligen Sichtbarmachung von Weiblichkeit im Zusammenhang mit einem politischen Liberalismus bzw. Neoliberalismus.11 Dieser Liberalismus spielt nicht allein mit Blick auf Gender eine entscheidende Rolle. Die Zeitgeistpresse synchronisiert die liberale Betonung und weitet sie auf die ökonomische Sphäre journalistisch aus, indem sie Konsum zum integralen Bestandteil von Zeitgeist und Zeitgeistbewertung macht. Neoliberal ist diese Medienpraxis insofern, als sowohl mit Blick auf die Generationen- und Geschlechterbilder als auch auf die Konsumpraxis und Nationalismen ein starker Individualismus, ein herausragendes Interesse an nicht nur ökonomischem Erfolg gepaart mit einer Logik der Optimierung und Verwertung dominieren, die von der sukzessiv erstarkenden und entscheidenden politischen Forderung individueller Selbstverantwortung begleitet werden.12 Zwar fördert das Medium Zeitschrift die Rezeption von popjournalistischen Texten als aus einem Szeneverbund hervorgebrachtes Genre. Das Bild der ›Tempo-Macher‹ suggeriert aber auch eine kulturelle Sonderstellung zwischen Medienmachtgefüge und Pseudoavantgarde, die nunmehr auf Leistungsbereitschaft, Mobilität, Kreativität und Flexibilität setzt. Nicht zuletzt die ratgeberischen Elemente des Zeitgeistmagazins und die auf Vergleichbarkeit und Selbstzweifel abzielenden interaktiven Elemente, wie der
9 10 11 12
Vgl. ebd., 113. C. Kracht: Faserland, 118. Vgl. A. McRobbie: Top Girls. Vgl. dazu auch: T. Hecken: Die verspätete Wende.
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»Große Tempo-Selbsterkenntnis-Test: Müssen Sie Ihr Leben ändern?«13 , lassen sich auch als Wurzeln eines sich langsam etablierenden Regierungsprogramms neoliberaler Gesellschaftsstruktur lesen. Die Repräsentationspraxis von Konsumwaren in den Zeitgeistmagazinen hat aber mehrere Effekte. So wird eine soziokulturelle Loslösung von Konsumkritik beschleunigt, indem etwa mit ausgestellten Klischees jene Kritik auf einer Metaebene kommentiert und als unzeitgemäß ausgestellt wird. Es werden aber auch mit Stereotypen, wie dem des Werbers, Attribuierungen aus der Sphäre der Kunst in die der Medien übernommen. Dies aktiviert erstens die Leser*innen und führt beispielsweise zu mimetischen Inszenierungen und idealistische Vorstellungen von Medienarbeit; zweitens nähern sich hier mit Blick auf die Popliteratur die Buchbranche, der Literaturdiskurs und die Zeitgeistmedien einander an. Die Sprache und Darstellungsweisen, mit denen Konsum zeitgeistjournalistisch thematisiert, kommentiert, interpretiert und inszeniert wird, hält für die daran anschließenden literarischen Diskussionen und Erzähltexte der Popliteratur einen Überschuss an fiktivem und literarischem Potenzial bereit. Die Ausweitung von Lifestyle-Codes und Pluralisierung von Konsumstilen führt innerhalb des Diskurses dieser Zeit dazu, dass diese im Gegensatz zu einer Vorstellung vorangegangener Einfachheit und Eindeutigkeit, nicht (mehr) einfach lesbar sind – das Interpretieren und Kommentieren von Konsumwaren und Modestilen wird zur Sache des Zeitgeistjournalismus, der dabei vor allem die Bewertungen des Konsums abseits von Werbung inszeniert. Die Bewertung eines Modestils als zeitgeistig spricht sich häufig analog zur postheroischen Generationalität besonders für Flexibilität, Anpassungsfähigkeit, Ausdauer und Konkurrenzfähigkeit aus: jene Eigenschaften, die im Kontext der Kritik am Neoliberalismus auch prominent im nunmehr an Diskursmacht verlierenden subkulturellen Popdiskurs 13
»Lassen Sie sich nicht länger zum Affen machen. Füllen Sie diesen Test aus. Er ist kein gewöhnlicher Psycho-Test. Er ist der Versuch, mit Hilfe von 80 Fragen jene Bereiche in Ihrem Leben aufzuspüren, in denen Sie sich ändern sollten, wenn Sie den anbrechenden 90er Jahren nur halbwegs gewachsen sein wollen. Das diffuse Gefühl, alles müsse irgendwie anders werden, hat wohl jeder mal. Unser Test soll dieses Gefühl produktiv machen, indem er Prioritäten setzt. Wer alles auf einmal ändern will, wird scheitern. Der Tempo-Selbsterkenntnis-Test wird Ihnen über jenen Problembereich Klarheit verschaffen, in dem eine Änderung ansetzten müßte – als unabdingbare Voraussetzung, auch in anderen Problemfeldern weiterzukommen. Lösen Sie Ihren Psycho-Knoten! Dieser Test sagt Ihnen, wo Sie ziehen müssen.« Anonymus: Tempo-SelbsterkenntnisTest, 31.
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verhandelt werden. Das Stilisieren der eigenen Autor*innenschaft im Zeitgeistjournalismus kann auch als ungewollter Beitrag auf diese gesellschaftlich erstarkenden Anforderung gelesen werden. Im Medienzusammenhang tut sich männlich codierte Autorschaft als eine hervor, die zugleich Kreativität und Individualismus als auch Konformität ausstrahlt, indem sie diesen neoliberalen Anforderungen durch die Inszenierung von Kreativität genügt. Dieser Beitrag erscheint nicht nur unterhaltend für die Zielgruppe der Zeitgeistmedien, sondern hat auch Auswirkungen auf das Selbstverständnis von Figuren der Popliteratur: auf die ›Tristesse‹ des popkulturellen Quintetts rund um Joachim Bessing, auf die Bulimie eines Benjamin von Stuckrad-Barre, die Todessehnsucht jener Gestalten, die auf der Suche nach dem Glück auf der Strecke bleiben, wie sie Sibylle Berg in Ein paar Leute suchen das Glück und lachen sich tot beschreibt. Zeitgeistjournalistische Texte sind aber auch ein wichtiger Kontext der Popliteratur um 2000 insofern, als sie die Offenheit von Ausdrucksweisen der Popkultur nutzen, stereotype Repräsentationsdynamiken zu durchbrechen und, wie Till Huber zuletzt feststellt, »ins Literarische tendieren«.14 Huber stellt fest, dass »Krachts Debütroman als Fortschreibung der Tempo-Reportagen gelesen werden kann.«15 In der vorliegenden Arbeit wurde die Anschlussfähigkeit der Tempo-Texte mit Blick auf die Popliteratur nicht allein anhand der genannten Themenbereiche und ihrer identitätspolitischen Ambivalenzen aufgezeigt, sondern auch anhand ihrer Performativität. Die Wiederholung bestimmter hegemonialer Diskurstechniken kommentiert an manchen Stellen sichtbar bestimmte Bild-Text-Zusammenhänge als Teil eines hegemonialen Diskursgefüges mit antihegemonialem Effekt. Weitaus häufiger stimmen Sprache und Repräsentationspraxis aber mit diesem hegemonialen Diskurs überein und festigen iterativ entsprechende Machtstrukturen. Unabdingbar für den Zeitgeistjournalismus in Hinsicht auf seine Wegbereitung für die spätere Popliteratur haben sich dabei erwiesen: das betont subjektive, partizipierende und urteilende Schreiben und die Inszenierung des schreibenden Journalisten, eine geradezu automatisierte Ironie, das Wechselspiel zwischen dem Klischee, das vorherrschende Normen auf 14
15
Huber zeigt dies anhand eines Spiegel-Artikels, in dem Kracht als Tempo-Autor ausgewiesen wird. Vgl. Till Huber: Andere Texte. Christian Krachts Nebenwerk zwischen Pop-Journalismus und Docu-Fiction. In: C. Kleinschmidt (Hg.): Christian Kracht, 86-93, 86; Vgl. Christian Kracht: 60 Stunden...VIVA. Wie das Fernsehen für die Fernsehgeneration ist. Ein Selbstversuch. In: Spiegel special, November 1994, 8-16. Ebd., 88.
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einer Metaebene infrage stellt und dem diese Normen festigenden Stereotyp, Nostalgie und fiktionalisierte Nostalgie, die Thematisierung, Codierung und Decodierung von Konsumkultur und Lifestyle. Die beiden ineinander verschränkten Ebenen, auf denen das TempoMagazin als Kontext von Popliteratur im Hauptteil dieser Studie untersucht wurde, waren eine an Pop-Diskursen und eine an darüber hinausgreifende Repräsentationen interessierte. Auf Ebene des Diskurses zeigte sich der Zeitgeistjournalismus als ein Knotenpunkt der Bedeutungserzeugung von Popkultur. Auf Ebene der immanenten Repräsentationskritik ist er als Katalysator einer neoliberalen, neokonservativen und medienexpansiven Gesellschaftsstruktur in Erscheinung getreten, der in dieser Art die Erzählwelten und Institutionen der Popliteratur prägte. Die Perspektive Magazingeschichte verweist in der Literaturwissenschaft immer noch auf viele unbearbeitete Felder. Die Entgrenzung von literarischen Texten und Gebrauchstexten bzw. die Vereinigung von Merkmalen, die medien- und literaturwissenschaftlich meist unterschiedlichen Textsorten zugeordnet werden, steht darin einerseits für die Hybridisierungstendenzen von Pop- und Populärkulturen und ihren Fokus auf Materialität, Körper und Oberflächen.Andererseits stellt sich die Entgrenzung und Einbettung dieser Texte und Schreibweisen in einen literaturwissenschaftlichen Kontext als ein Zusammenhang von kulturwissenschaftlichen und -politischen Institutionen dar. Für diese sind nicht nur Regeln des Wissenschaftsdiskurses, sondern auch die des Literatur- und Medienbetriebs entscheidend. Zwar sind Journale, insbesondere diejenigen im 18. Jahrhundert, bereits gut erforscht, doch ist zu fragen, ob mit der gänzlichen Ausgliederung entsprechender Formate des 20. und 21. Jahrhunderts in den Verantwortungsbereich der sich seit den 1980er Jahren etablierenden Medienwissenschaften nicht auch eine wichtige Interaktion zwischen Literatur und Journalismus aus dem literaturwissenschaftlich informierten Blickfeld gerät. Noch immer finden sich aber auch in der Literaturkritik Genres missachtet, die einem Gender Bias unterliegen und durch teilweise subtile Mechanismen des Diskurses ausgeschlossen werden. Inwiefern die Genres populärer Texte Fragen der Ästhetik und Kritik aufwerfen, konnte in dieser Arbeit nur punktuell angedeutet werden. Insofern Popliteratur mit der Forschungsperspektive Pop/Populärkultur analysiert wird, bedeutet dies immer auch eine Arbeit am Begriff Pop und Popliteratur. Hierzu hat diese Studie ihren Beitrag geleistet. Indem sie Pop als eine alltags- und marktinteressierte, an den Rändern der Kunst operieren-
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de und mit Aspekten subkultureller Codierung arbeitende Ballung von Modestilen und Kulturprodukten behandelt, trägt sie auch dazu bei, das beinahe bipolare Popverständnis, das im Begriff ›Popliteratur‹ eingelagert ist, zu erweitern. Für den Popliteraturbegriff heißt dies ebenfalls eine Öffnung hin zu einem mehrschichtigen Phänomen, das nicht allein, aber eben auch in den Bestsellerlisten anzutreffen ist. Popliteratur mit der Forschungsperspektive Pop/Populärkultur zu beschreiben und zu erforschen, ist selbstverständlich nicht der einzig mögliche Weg. Die Risiken einer solchen Unternehmung liegen in der systematisch begründeten Erzeugung blinder Flecken, die durch die Abwesenheit einer Beobachtung zweiter Ordnung entsteht. Mit der Erarbeitung eines mehrdimensionalen Begriffs von Popliteratur bieten sich deshalb auch neue Perspektiven an: Neben ästhetischen Fragestellungen und denen nach ›Subversion‹ sind dies in erster Linie Perspektiven des Marktes. Mit der Rekonstruktion der vorliegenden Vorgeschichte von Popliteratur wird eine Popliteraturforschung aus der Perspektive des Literaturmarktes und aus der des Publikationswesens vorgezeichnet. Greift man nach wie vor auf Popliteratur als genreähnliche Form der Literatur zu, so bieten sich mit dem erschlossenen Material der vorliegenden Studie ebenfalls neue Anknüpfungspunkte für die Germanistik. Mit Blick auf eine weiter gefasste Werkanalyse des Autors Christian Kracht bleiben weiterhin neben den nicht besprochenen Literatur-, Film- und Comicrezensionen zum einen die nicht autorisierten Artikel, aber vor allem die Reise-Reportagen, wie der in Zusammenarbeit mit Eckhart Nickel entstandene Beitrag »Die 55 lässigsten Reiseziele«16 oder der Artikel »Ferien für immer«17 bzw. die Übertragung dieser Beiträge in die spätere Publikation Ferien für immer 18 von Eckhard Nickel und Christian Kracht unterbelichtet. Die vorgestellten Ergebnisse legen etwa die Frage nahe, welche Rolle das Reisen und die Figur des Reisenden hier in der Vorstellung von Zeitgenossenschaft und kultureller Identität im Zuge der Globalisierung aber auch des neoliberalen Gesellschaftsumbaus besitzen.19 Schließlich profitiert auch der Zugriff ›Identitätspolitik‹ im Grenzbereich zwischen Pop und Populärkultur von einer Beachtung der Vorgeschichten 16 17 18 19
Christian Krach, Eckhart Nickel: Die 55 lässigsten Reiseziele. Sauber abhängen, rund um den Globus. In: Tempo, Juni 1994, 20-28. Stefanie Hellge, Christian Kracht: Ferien für immer. In: Tempo, Juli 1995, 38-47. Christian Kracht, Eckhart Nickel: Ferien für immer. Köln 1998. In dieser Arbeit nicht mehr berücksichtigt werden konnte: Matthias N. Lorenz, Christine Riniker (Hg.): Christian Kracht revisited. Irritation und Rezeption. Berlin 2018.
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deutschsprachiger Popliteratur. Die von den Cultural Studies aufgeworfene Frage nach Handlungsmacht und Empowerment strukturell benachteiligter Gruppen, die sich der populären und Popkultur bedienen, wurde an dieser Stelle nicht zentral gestellt, sondern tauchte stattdessen immer wieder nur beiläufig auf. Sie stellt aber einen wichtigen Anknüpfungspunkt der vorgestellten Ergebnisse dieser Studie dar. Für ihre weitergehende Erforschung sollten über journalistische Formate hinaus auch netzbasierte Kommunikation und Kommunikationsstrategien in den Blick gelangen. Die in dieser Studie nachgezeichneten Problemlagen von Identität, Konsum- und Medienmarkt, Fiktionalität und Narrativität können dafür zentrale Vorarbeiten liefern. Zu fragen ist, inwiefern sich aus solchen Formaten Strategien und auch neue literarische Formen bilden und welche Rollen Netzwerken und Algorithmen bei ihrer Herausbildung zukommen. Die Vorgeschichte der deutschsprachigen Popliteratur wirft mit stärkerer Beachtung ihrer populären Medien somit auch Licht auf das historisch ›andere Ende‹ des Jahrtausend-Phänomens und schafft die Grundlage dafür, etwa an die Popliteratur anschließende Texte und das diskursive Versickern der Bezeichnung ›Popliteratur‹ stärker zu konturieren.
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Verzeichnis der Tempo-Zeitschriftenartikel Adorján, Johanna et al.: Die 97 nettesten Mädchen Deutschlands. In: Tempo, November 1994, 50-64. Anonymus: Besonders schlaue Mädchen von einst und jetzt. In: Tempo, Juni 1995, 44-45. Anonymus: Der große Tempo-Selbsterkenntnis-Test. Müssen Sie Ihr Leben ändern? In: Tempo, Mai 1987, 30-41. Anonymus: Körperkult. In: Tempo, Dezember 1988, 43. Anonymus: Modenmanie. In: Tempo, Dezember 1988, 25. Anonymus: Sind Sie modern? In: Tempo, November 1987, 58-63. Anonymus: Tempost. In: Tempo, Juli 1995, 6. Anonymus: Werbeanzeige Muvi. In: Tempo, Juni 1989, 163. Anonymus: Yuppie. In: Tempo, Dezember 1988, 27. Anonymus: Zusatz zum Editorial. In: Tempo, September 1986, 3. Berg, Sibylle, Adriano Sack: Die Glücklichen. In: Tempo, Mai 1995, 52-61. Biller, Maxim: Knick im Arsch. In: Tempo, März 1986, 100. – : Willkommen in der zweiten Moderne. In: Tempo, Dezember 1988, 66. Burchill, Julie: War da was? In: Tempo, Dezember 1988, 7-8. Doerk, Robert: Liebes Christkind! In: Tempo, Dezember 1986, 58-61. Fischer, Marc: Beruf: deutscher Popstar. In: Tempo, Oktober 1995, 56-66. – : Joghurtabenteuer im Schlabberland. In: Tempo, April 1995, 82-85. Fischer, Monika: Ich war Domina. In: Tempo, August 1988, 48-54. Frings, Matthias: Mannsbilder. In: Tempo, April 1986. Glaser, Peter: Ab in den Olymp. In: Tempo, Juni 1992. – : Das Ja-Buch. Das neue Jahrbuch des Art Directors Club ist erschienen. Sehr schön und ein bißchen dumm. In: Tempo, September 1994, 100. – : Der Metropolengänger. In: Tempo, September 1987, 125. – : Zur Sache, Deutschland! In: Tempo, Juli 1989, 58-65. Hellge, Stefanie, Christian Kracht: Ferien für immer. In: Tempo, Juli 1995, 3847. Horx, Matthias: Das Kreuz mit dem Kreuzchen. In: Tempo, Oktober 1986, 3. – : Die verlorene Generation. In: Tempo, März 1987, 28-31. – : Editorial. In: Tempo, Juni 1991, 3. Koch, Lucas: Wir und ›68. In: Tempo, April 1988, 54. Kracht, Christian: Die letzten Dandys. In: Tempo, Mai 1992, 155-158. – : Geschichten aus dem Dickdarm Deutschlands. In: Tempo, Juli 1994, 104-106. – : High Society. In: Tempo, Februar 1993, 50-58.
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– : Less than zero: Die Heimatlosen von London. England, Sommer 1992, die andere Seite Europas – Zehntausende von Jugendlichen ohne Job, ohne Wohnung, ohne Zukunft. In: Tempo, Juli 1992, 74-84. – : Psycho Bret Easton Ellis. In: Tempo, November 1991, 164-168. – : Rezension zu »Kika« von Petro Almodóvar. In: Tempo, April 1994, 108. – : Rezension zu »Talk Dirty« von Matthias Schultheiss. In: Tempo, September 1991, 123. – : Sexy Führer. In: Tempo, Dezember 1995, 46-52. – : Wie die Schuhe, so der Dichter. In: Tempo, Dezember 1991, 128. – E.: House Party. In: Tempo, Januar 1990, 93. – , Eckhart Nickel: Die 55 lässigsten Reiseziele. Sauber abhängen, rund um den Globus. In: Tempo, Juni 1994, 20-28. Kreye, Andrian: Wir und ‘68. In: Tempo, April 1988, 50. Meyer, Walter: Pro und Contra. In: Tempo, März 1996. – : Wir Tempo. Es ist Dezember. Was für Pullover tragen Tempo-Leser? In: Tempo, Dezember 1994, 5. – : Wir Tempo. Es ist März. Spleens, Seilschaften, Strategien. In: Tempo, März 1995, 5. – : Wir Tempo. Haltung gegen Pose. In: Tempo, April 1995, 5. Ott, Ursula: Und warum, verdammt noch mal, sind sie jetzt schlauer? In: Tempo, Juni 1995, 42-43. Peichl, Markus: Editorial. Alle reden vom Wetter … In: Tempo, Januar 1987, 3. – : Editorial. In: Tempo, Februar 1988, 3. – : Wir und ‘68. In: Tempo, April 1988, 50. Scheck, Denis: Mit 30 gestorben, mit 70 begraben? In: Tempo, Juli 1993, 84-86. Schneider, Susanne: 42 Jahre nach Auschwitz. So fanden wir acht Bauplätze für ein Aids-Lager. In: Tempo, August 1987, 40-45. – : Zur Waffe, Schätzchen! In: Tempo, Juni 1986, 54-59. Schwer, Bernd: Editorial. In: Tempo, April 1990, 3. Seidl, Claudius: Fondamental. In: Tempo, Juni 1989, 35. Siemens, Jochen: Der Ideelle Gesamtalex. In: Tempo, Juni 1989, 41. – , Martin Hielscher: Die primitive Gesellschaft. In: Tempo, Juli 1987, 92. Sontag, Susan: Pest im Kopf. Was Aids wirklich bedeutet. In: Tempo, Februar 1989, 94-97. Thompson, Hunter S.: Feuer unterm Arsch. In: Tempo, Juni 1988, 56-58. Timmerberg, Helge: Die Blauen kommen. Man trägt wieder Adel. In: Tempo, Februar 1986, 39-44. – : Hart, härter, Hunter. In: Tempo, April 1988, 38-42.
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Winkels, Hubert: Die Gabe des Erzählens. In: Tempo, Januar 1990, 100-101.
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Abbildung Screenshot der Internetseite von Google Books Ngram Viewer. Die Grafik beschreibt die Gebrauchsfrequenz des Wortes ›Zeitgeist‹ im deutschsprachigen Korpus von Google Books im Juli 2012. Die y-Achse zeigt das Veröffentlichungsjahr der ausgewerteten Bücher, die x-Achse die Häufigkeit zur Anzahl aller Monogramme auf Wortebene der für dieses Jahr ausgewerteten Bücher.
Konjunktur des Wortgebrauchs von ›Zeitgeist‹ im deutschsprachigen Korpus von Google Books
Quelle: https://books.google.com/ngrams/graph?content=Zeitgeist&year_start=1800& year_end=2000&corpus=20&smoothing=7&share=&direct_url=t1 %3B %2CZeitgeist %3B %2Cc0-Abbildungsverzeichnis (letzter Zugriff 11.10.2019).
Dank
Ganz besonderer Dank gilt meinem Doktorvater PD Dr. Bernd Hamacher† , der den Abschluss des Projekts nicht mehr miterleben durfte. Er hat mich dazu ermutigt, diesen Weg zu gehen, und wurde nicht müde, mich zu bestärken. Mit einer nicht selbstverständlichen Selbstverständlichkeit haben meine Gutachter*innen die Betreuung des Projekts kurzfristig übernommen und dazu beigetragen, dass ich es abschließen konnte. Dafür bin ich Prof. Dr. Martin Jörg Schäfer und Prof. Dr. Cornelia Zumbusch zu allerhöchstem Dank verpflichtet. Danken möchte ich auch der Rosa-Luxemburg-Stiftung, die mich mit einem Stipendium gefördert hat, sowie den Mitarbeiter*innen des Studienwerks, die immer ein offenes Ohr für meine Belange hatten. Für Anregungen, Anmerkungen, Auskünfte, Fragen, Interesse, Lob, Kritik und Unterstützung danke ich allen Beteiligten. Besonders danke ich den Teilnehmer*innen des Kolloquiums »Poetik und Ästhetik« an der Universität Hamburg und den Teilnehmer*innen des RLS-Doktorand*innenseminars sowie Sarah, Laura, Timm, Steffi, Julia, Jara, Mirko, Astrid, Anna und Sol. Für die unendliche Geduld und den sicheren Halt danke ich Philip. Das Wesentliche verdanke ich meinen Eltern Jutta Steenbock und Rolf Steenbock† , denen ich diese Arbeit widmen möchte.
Literaturwissenschaft Sascha Pöhlmann
Stadt und Straße Anfangsorte in der amerikanischen Literatur 2018, 266 S., kart. 29,99 € (DE), 978-3-8376-4402-9 E-Book: 26,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4402-3
Achim Geisenhanslüke
Wolfsmänner Zur Geschichte einer schwierigen Figur 2018, 120 S., kart. 16,99 € (DE), 978-3-8376-4271-1 E-Book: 14,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4271-5 EPUB: 14,99 € (DE), ISBN 978-3-7328-4271-1
Thorsten Carstensen (Hg.)
Die tägliche Schrift Peter Handke als Leser 2019, 386 S., kart., Dispersionsbindung 39,99 € (DE), 978-3-8376-4055-7 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4055-1
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Literaturwissenschaft Wolfgang Johann, Iulia-Karin Patrut, Reto Rössler (Hg.)
Transformationen Europas im 20. und 21. Jahrhundert Zur Ästhetik und Wissensgeschichte der interkulturellen Moderne 2019, 398 S., kart., 12 SW-Abbildungen 39,99 € (DE), 978-3-8376-4698-6 E-Book: 39,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4698-0
Jürgen Brokoff, Robert Walter-Jochum (Hg.)
Hass/Literatur Literatur- und kulturwissenschaftliche Beiträge zu einer Theorie- und Diskursgeschichte 2019, 426 S., kart., 2 SW-Abbildungen 44,99 € (DE), 978-3-8376-4645-0 E-Book: 44,99 € (DE), ISBN 978-3-8394-4645-4
Wilhelm Amann, Till Dembeck, Dieter Heimböckel, Georg Mein, Gesine Lenore Schiewer, Heinz Sieburg (Hg.)
Zeitschrift für interkulturelle Germanistik 10. Jahrgang, 2019, Heft 1 2019, 190 S., kart., 5 SW-Abbildungen 12,80 € (DE), 978-3-8376-4459-3 E-Book: 12,80 € (DE), ISBN 978-3-8394-4459-7
Leseproben, weitere Informationen und Bestellmöglichkeiten finden Sie unter www.transcript-verlag.de