Zeiss 1846-1905: Vom Atelier für Mechanik zum führenden Unternehmen des optischen Gerätebaus 9783412313746, 3412056960, 9783412056964


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Zeiss 1846-1905: Vom Atelier für Mechanik zum führenden Unternehmen des optischen Gerätebaus
 9783412313746, 3412056960, 9783412056964

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Edith Hellmuth / Wolfgang Mühlfriedel

Zeiss 1846-1905

Carl Zeiss Die Geschichte eines Unternehmens herausgegeben von Wolfgang Mühlfriedel und Rolf Walter Band 1 Zeiss 1846 - 1905

Edith Hellmuth Wolfgang Mühlfriedel

Zeiss 1846-1905 Vom Atelier für Mechanik zum führenden Unternehmen des optischen Gerätebaus

® 1996 BÜHLAU VERLAG WEIMAR KÖLN WIEN

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Carl Zeiss : Die Geschichte eines Unternehmens / hrsg. von Wolfgang Mühlfriedel und Rolf Walter. - Weimar ; Köln ; Wien : Böhlau. NE: Mühlfriedel, Wolfgang [Hrsg.] Bd. 1. Zeiss 1846 -1905 : Vom Atelier für Mechanik zum führenden Unternehmen des optischen Gerätebaus / Edith Hellmuth/Wolfgang Mühlfriedel. - 1996 ISBN 3-412-05696-0 NE: Hellmuth, Edith

Umschlagabbildung: Das Zeisswerk im Jahre 1902 Dieses Buch wurde auf chlorfrei gebleichtem, säurefreien Papier hergestellt. © 1996 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln, Weimar Alle Rechte vorbehalten. Satz: Gisela Fischer, Weimar Druck und buchbinderische Verarbeitung: Druckerei Plump, Rheinbreitbach Printed in Germany ISBN 3-412-05696-0

Inhalt Inhaltsverzeichnis

V

Vorwort

IX

Einführung

1

ERSTES KAPITEL

Die wechselvollen Aufbaujahre

13

Die Ausbildung des Mechanikers Carl Zeiß Die Ronzession zur Errichtung eines Ateliers für Mechanik Die ersten Arbeitsräume Die Anfange der Mikroskopfertigung In den Revolutionsmonaten des Jahres 1848 Die Gründung einer eigenen Familie Eine unbefriedigende Geschäftsbilanz Die ersten Erfolge Der Bau zusammengesetzter Mikroskope Die Konsolidierung der Zeiß'schen Werkstätte Der Umzug ins eigene Haus Die bedrohliche Konkurrenz

15 20 24 25 50 31 33 38 44 52 55 56

ZWEITES KAPITEL

Die wissenschaftliche Grundlegung der modernen Mikroskopfertigung Der Lebensweg des Jenaer Universitätslehrers Ernst Abbe Die Anfange der Zusammenarbeit zwischen Carl Zeiß und Ernst Abbe Die Begründung der Mikroskoptheorie durch Ernst Abbe Der Eintritt Ernst Abbes in die Zeiß'sche Werkstätte Der Umschwung im Mikroskopgeschäft Die Probleme mit dem optischen Glas Die gemeinsamen Arbeiten von Ernst Abbe und Otto Schott Die Glastechnische Versuchs-Anstalt in Jena Die Fortschritte auf glastechnischem Gebiet

59 61 65 68 85 87 90 96 101 109

DRITTES KAPITEL

Der Übergang zur industriellen Fertigung feinmechanisch-optischer Geräte

115

Die Rahmenbedingungen und inneren Voraussetzungen Die handelsrechtlichen Veränderungen

117 120

VI

Inhalt

Die Finanzierung der Investitionen Der Aufbau moderner Fertigungsstätten Die Mechanisierung der Teilefertigung Das Wachstum der Belegschaft Die Lohnverhältnisse Die Betriebs-Krankenkasse Der Aufschwung und die erste Krise Das Lebenswerk von Carl Zeiß

124 125 130 135 137 141 149 155

VIERTES KAPITEL

Die Entstehung der Carl Zeiss-Stiftung

161

Das gesellschaftliche und soziale Umfeld Die Begründung des Ministerialfonds für wissenschaftliche Zwecke Zur Genesis des Stiftungsgedankens Abbes neuer Entschluß Die Konstituierung der Carl Zeiss-Stiftung Die Stiftungsverfassung

163 172 174 181 186 190

FÜNFTES KAPITEL

Die Entwicklung des Stiftungsunternehmens Carl Zeiss

193

Die Unternehmensverfassung Die Veränderungen in der Optischen Werkstätte Die Erschließung der neuen Geschäftsfelder Die Fortschritte im Mikroskopbau Der Ausbau der Abteilung für Photoobjektive Die Einrichtung der Abteilung für Meßgeräte Der Aufbau der Astronomischen Abteilung Die Feldstecherfertigung Die Anfänge Die Nachfrage des Militärs Die Entwicklung der Zeiss-Militärfeldstecher Die Herstellung optischer Militärgeräte Die Patentpolitik der Geschäftsleitung Der Aufbau der ersten Konstruktionsbüros Die Erweiterung der Produktionskapazitäten

195 198 201 202 204 209 212 220 220 223 225 229 232 234 236

SECHSTES KAPITEL

Die Arbeits- und Sozialverfassung in der Optischen Werkstätte Die Arbeitsverfassung Die quantitativen und strukturellen Veränderungen in der Belegschaft

241 243 243

Inhalt

VII

Die Arbeitsverträge Die Interessenvertretungen der Belegschaft Der Arbeiter-Ausschuß Der Beamten-Auschuß und der Verein der wissenschaftlichen Mitarbeiter Die Einführung des Achtstundentages Der erste große Interessenkonflikt Das Entlohnungssystem Die Sozialverfassung Die Betriebs-Krankenkasse Die Abgangsentschädigung Das Pensionswesen Die kulturellen Aktivitäten der Stiftung Die Förderung der Wissenschaft Der Beitrag zur Volksbildung Der Vermögensstand der Carl Zeiss-Stiftung Die Lebensleistung von Ernst Abbe

247 250 250 258 261 268 276 284 284 286 287 295 295 299 303 305

Anhang

311

Tabellenverzeichnis

313

Tabellenanhang

315

Namens- und Sachregister

337

Abbildungsverzeichnis

345

Vorwort Der Name Zeiss steht seit dem vergangenen Jahrhundert in weiten Teilen der Welt für Qualität und Präzision in der Feinmechanik und Optik. Ein derart traditionsreiches Unternehmen, ohne das weder die Zweite Industrielle Revolution im Wilhelminischen Reich noch die Rationalisierungsbewegung in der Weimarer Zeit in der Form, wie sie stattfand, denkbar gewesen wäre, verdient eine angemessene Würdigung. Diese sollte sich nicht nur auf allerlei Festlichkeiten im 150. Jubiläumsjahr erstrecken, sondern auch einen bleibenden Bestand an Informationen, Erfahrungen und Forschungsergebnissen für die Zukunft aufarbeiten und sichern. Also reifte der Entschluß, diese gesammelten Erkenntnisse einer interessierten Leserschaft in einem Gesamtwerk zu präsentieren, das auf drei Bände angelegt ist. Der vorliegende erste Band umfaßt die Zeit von der Gründung der Mechanischen Werkstatt durch Carl Zeiß bis zum Tod von Ernst Abbe 1905. Daran wird sich ein weiterer Teil anschließen, der die 40 Jahre von 1905 bis 1945 umfassen soll. Gegenstand des dritten Bandes dessen Publikation ebenso wie die des zweiten im Jahre 1999 geplant ist - wird dann die Entwicklung des Zeiss'schen Unternehmens in Ost und West bis zur Wende zum 21. Jahrhundert sein. Das Werk verfolgt das Ziel, die Unternehmensgeschichte Zeiss umfassend, aber nicht detailversessen, darzustellen. Es ist eine moderne Unternehmensgeschichte angestrebt, die den neuesten Stand der Forschung und neues Archivmaterial präsentiert sowie Konzepte und Fragestellungen der Wirtschafts-, Sozial- und Geschichtswissenschaften aufnimmt. Nicht zuletzt kann sie Anhaltspunkte dafür liefern, wie wichtig die Corporate history im Rahmen der Corporate identity und Corporate culture eines Traditionsunternehmens wie des Zeiss'schen ist. Ich bin davon überzeugt, daß durch die Zusammenarbeit der langjährigen Zeiss-Archivarin Edith Hellmuth mit dem Jenaer Wirtschafts- und Unternehmenshistoriker Wolfgang Mühlfriedel mit dem vorliegenden ersten Teil der „Zeiss-Trilogie" ein vorzüglicher Auftakt gelungen ist Möge das Werk in Fachkreisen sowie in weiten Teilen der interessierten Öffentlichkeit eine gute Aufnahme finden. Jena, im April 1996 Rolf Walter

Einführung Am 21. November 1865 schrieb Heinrich Pape, Mechaniker der Optischen Werkstätte von Carl Zeiß,1 in sein Tagebuch: „Abends 6 Uhr das 1.000 Mikroskop gefeiert."2 Diese Tagebucheintragung führt zu einer Quelle der Traditionspflege im Zeiss-Unternehmen. Pape ist auch der Hinweis auf eine zweite Quelle zu danken, denn er hielt unter dem 17. und 18. November 1871 in seinem Tagebuch fest: „Um 9 Uhr aufgehört. 25jähriges Geschäftsjubiläum".3 Diese beiden von Zeiß begründeten Traditionen blieben über Generationen hinweg lebendig. Sie förderten die Verbundenheit der Belegschaft mit ihrem ungewöhnlichen Unternehmen und bestärkten die Zeissianer immer wieder in ihrem Stolz, Erzeugnisse zu entwickeln und zu bauen, technologische Verfahren hervorzubringen, die nimmt man die optischen Militärinstrumente einmal aus - die Zivilisation voran brachten. Ganz im Zeiß'schen Sinne gestaltete Ernst Abbe das Erinnern an das fünfzigjährige Bestehen der Optischen Werkstätte im Jahre 1896. Er übergab der Belegschaft das Statut der Carl Zeiss-Stiftung4 und gewährte den darin festgelegten bezahlten Urlaub schon 1896.

1

2

3 4

Carl Zeiß schrieb seinen Familiennamen mit „ß", aber den Firmennamen schon in den ersten Prospekten mit „ss". Roderich Zeiß, sein Sohn, behielt die väterliche Schreibweise bis zur Mitte der achtziger Jahre bei. Dann kam er mit Ernst Abbe überein, den Firmennamen fortan immer mit „ss" zu schreiben. In diesem Zusammenhang änderte Roderich Zeiß auch seinen Familiennamen. Die Verfasser wählen die alte Schreibweise des Familiennamens, wenn von den Personen Carl und Roderich Zeiß die Rede ist, und schreiben „Zeiss", wenn das Unternehmen behandelt wird. Um Irritationen zu vermeiden, wird dieses Verfahren beibehalten und die veränderte Schreibweise des Familiennamens von Roderich Zeiß ignoriert. Unternehmensarchiv der Carl Zeiss Jena GmbH (im folgenden UACZ). Bestand: BACZ Nr. 12322 (Handschriftliches Tagebuch des Arbeiters Heinrich Pape, geführt vom Mai 1865 bis September 1875, im folgenden PAPE: Tagebuch). Es ist anzumerken, daß Zeiß den Arbeitern bei gleichen Anlässen schon früher einen freien Nachmittag gewährte. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1 2 3 2 2 (PAPE: Tagebuch). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 16873 (Statut der Carl Zeiss-Stiftung vom 26. Juli 1896 mit gedrucktem Begleitwort von Dr. Ernst Abbe vom 26. August 1896 bei der Überreichung an die Geschäftsangehörigen anläßlich des 50-j ährigen Bestehens des Betriebes, im folgenden Statut der Carl Zeiss-Stiftung). Wir folgen der Abbe'schen Schreibweise und setzen den Bindestrich nur zwischen Zeiss und Stiftung.

2

Einführung

Zugleich gab er diesem Ereignis durch die Gedächtnisrede zur Feier der fünfzigsten Wiederkehr des Gründungstages der Optischen Werkstätte ein besonderes, über den Tag hinausreichendes Gepräge, denn er leitete mit seinen Ausführungen die Forschungen zur Zeiss-Geschichte ein. Am Beginn seiner Rede stellte er fest: „Meine Aufgabe hier sehe ich nur darin, zu erzählen von der inneren Geschichte unserer Anstalt, von den Gedanken und Bestrebungen, die in ihr lebendig und wirksam gewesen sind - also von dem, was aus dem sichtbaren Verlauf des Geschehens noch nicht ohne weiteres zu erkennen was vielleicht, um dessen Verständnis zu vermitteln, nur der beibringen kann, der auch das innere Geschehen durch alle bedeutsamen Phasen seines Verlaufs persönlich mit erlebt hat."3

Abbe unternahm den Versuch einer Periodisierung dieses inneren Geschehens. Ausführlich ging er auf die Aufbauperiode ein, die er wie folgt charakterisierte: „Die Geschichte unserer Werkstätte ist nun hinsichtlich des ersten 30jährigen Abschnitts grundlegender Tätigkeit und zum Teil noch über diese Zeit hinaus nichts anderes als die Geschichte der Bestrebungen, in welchen jener Gedanke einer neuen, anders geregelten Art des Ineinandergreifens von Wissenschaft und Technik an den Aufgaben der Mikroskop-Optik sich bestätigt und allmählich verwirklicht hat ... In diesem ganzen Zeitraum dreht sich alles um die Vorbereitung und die Verwirklichung des neuen Arbeitsplanes für die Konstruktion des Mikroskops - um die Einbürgerung und Befestigung der verfeinerten Technik der optischen Arbeit, die allmähliche Beschaffung neuer theoretischer und experimenteller Grundlagen und die erst erfolglosen, dann halb gelungenen und schließlich erfolgreichen Versuche praktischer Durchführung des Planes."6

Die Zeit von Mitte der siebziger bis zur Mitte der achtziger Jahre betrachtete Abbe als eine Durchgangsphase, in der sich entschieden habe, ob der Zeiß'sche Grundgedanke fortgeführt wird oder ob

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6

ERNST ABBE: Gedächtnisrede zur Feier des 50jährigen Bestehens der Optischen Werkstätte. In: Sozialpolitische Schriften, Gesammelte Abhandlungen von Ernst Abbe. Dritter Band. Vorträge, Reden und Schriften sozialpolitischen und verwandten Inhalts. Jena 1906 (im folgenden ABBE: Gedächtnisrede. In: Sozialpoliüsche Schriften), S. 61. ABBE: Gedächtnisrede. In: Sozialpolitische Schriften, S. 6 8 , 7 8 .

Einführung

3

das Schicksal der Optischen Werkstätte „ein bloßes Fortvegetieren" sein würde 7 . Aber der Entschlußkraft von Abbe und Roderich Zeiß war es zu danken, daß in diesem Jahrzehnt die zweite Entwicklungsperiode der Optischen Werkstätte einsetzte, deren Merkmale „die planmäßige Ausdehnung des Arbeitsfeldes der Werkstätte; die Regelung des Rechtsverhältnisses ihres Personals und die Umwandlung der äußeren Verfassung der Firma durch ihre Überleitung an einen unpersönlichen Inhaber" waren. 8 Abbe beschränkte sich in der Gedächtnisrede nicht nur auf die Vorgänge in der Jenaer Werkstätte, sondern stellte sie in einen allgemeinen wissenschaftshistorischen Zusammenhang. Er verglich die Jenaer Entwicklung immer wieder mit dem Schicksal des Feinmechanisch-optischen Instituts von Joseph von Fraunhofer in München und verwies auf die Gemeinsamkeiten des Vorgehens und auf die aus den Zeitumständen resultierenden Unterschiede. Als Abbe an der Rede arbeitete, war ihm auch der Gedanke gekommen, daß es an der Zeit sei, den Werdegang der Optischen Werkstätte einmal ausführlicher zu beschreiben, denn er ließ einfließen, daß sein Kollege Siegfried Czapski „demnächst in einer Darstellung der Geschichte unserer Werkstätte denen, die solches interessiert zugänglich machen" werde. 9 Wahrscheinlich hat ihn das Interesse seines engsten Mitarbeiters an geisteswissenschaftlichen Studien auf diesen Gedanken gebracht. Czapski hatte während seines ersten Jena-Aufenthalts die Vorlesung des Jenaer Historikers Dietrich Schäfer besucht, 10 der sich mit der thüringischen Geschichtsschreibung befaßte.11 Wenngleich die beruflichen Pflichten Czapski nicht die Zeit ließen, eine Geschichte der Optischen Werkstätte zu schreiben, so förderte er auf andere Weise die unternehmensgeschichtliche Forschung. 1889 begann er eine Arbeit über die Theorie der optischen Instrumente nach Abbe und veröffentlichte sie fünf Jahre spä7 8 9 10

11

Ders., S. 79. Ders., S. 82. Ders., S. 61. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 22434 (FRIEDRICH STIER: Siegfried Czapski. Unveröffentlichtes Manuskript). Czapski zu Schäfers Vorlesung: „Zum ersten Male kann ich sagen, daß ich begeistert zu Füßen eines Lehrers sitze." Geschichte der Universität Jena 1548/58-1958. Festgabe zum vierhundertjährigen Universitätsjubiläum. Hg. von MAX STEINMETZ (im folgenden STEINMETZ: Geschichte der Universität Jena). Band: 1. Jena 1958, S . 468469.

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Einführung

ter.12 Damit forderte er das allgemeine Verständnis für das wissenschaftliche Werk Abbes. 1906 gab Czapski die sozialpolitischen Schriften von Abbe heraus. Die Fachwelt war über die in Jena erzielten gerätetechnischen Fortschritte durch die Publikationen von Wissenschaftlern, Kataloge und Prospekte der Optischen Werkstätte sowie durch Veröffentlichungen Abbes unterrichtet. Zwischen 1899 und 1902 informierte die Geschäftsleitung über Vorgänge in der Werkstätte. Die Veröffentlichung des Statuts der Carl Zeiss-Stiftung lenkte das Interesse der Geisteswissenschaftler auf das Jenaer Unternehmen. Ein erstes Beispiel dafür ist der 1897 erschienene Aufsatz des Jenaer Juristen Julius Pierstorff.13 In den folgenden Jahren erschienen immer wieder Artikel über das Wesen und die Bedeutung der Abbe'schen Stiftung. Dabei wurde gelegentlich auf die Unternehmensgeschichte mit eingegangen. Informativ waren mehrfach aufgelegte Schriften über die sozialen Gegebenheiten im Jenaer Unternehmen aus der Feder von Friedrich Schomerus.14 Die erste geschlossene Übersicht über die Geschichte und das Leistungsvermögen der Optischen Werkstätte ist dem Professor für Theoretische Physik an der Jenaer Universität, Felix Auerbach, zu danken. 15 Er behandelte die wissenschaftlichen Leistungen Abbes, beschrieb das Entstehen der einzelnen Warengruppen und ging auf die Stiftung und deren Leistungen ein. Die Schrift erfuhr mehrere erweiterte und ergänzte Auflagen. In den zwanziger und dreißiger Jahren erschienen kleine Beiträge zur frühen Geschichte der Optischen Werkstätte, in denen vor allem Biographisches, Erinnerungen und Gerätegeschichtliches behandelt wurden.

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SIEGFRIED CZAPSKI: Theorie der optischen Instrumente nach Abbe. In: Handbuch der Physik. Hg. von A . WINKELMANN. Bd. 2 . Breslau 1 8 9 4 . VIII, 2 9 2 S ; Die Arbeit erschien 1 8 9 3 als Sonderdruck. SIEGFRIED CZAPSKI, OTTO EPPENSTEIN: Grundzüge der Theorie der optischen Instrumente nach Abbe. Zweite Auflage. Leipzig 1904. JULIUS PIERSTORFF: Die Carl Zeiss-Stiftung, ein Versuch zur Fortbildung des großindustriellen Arbeitsrechts. Leipzig 1867. FRIEDRICH SCHOMERUS: Das Arbeitsverhältnis in der Optischen Werkstätte von Carl Zeiss, Jena. Jena 1906; ders.: Die Gewinnbeteiligung und sonstige Arbeitsverhältnisse bei der Firma Carl Zeiß, Jena. o. J. FELIX AUERRACH: Das Zeisswerk und die Carl Zeiss-Stiftung, Jena 1 9 0 3 (im folgenden AUERRACH: Das Zeisswerk). Der Autor veröffentlichte vier überarbeitete und erweiterte Auflagen. Die letzte Ausgabe erfolgte 1925.

Einführung

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Max Fischer äußerte Ende 1926 gegenüber Moritz von Rohr den Gedanken, daß einmal eine zuverlässige Geschichte der Jenaer Werkstätte geschrieben werden müßte. 16 Der Physiker machte sich diesen Gedanken zu eigen und veröffentlichte Ende 1929 eine Arbeit über den Entwicklungsweg der Optischen Werkstätte bis 1905. Darin stellte er insbesondere die Beziehungen zwischen den wissenschaftlichen Vorgängen in Jena und der Geschichte der Optik her.17 Am 1. Mai 1937 traf August Rotthaus die erste Vorbereitung für die Einhundertjahrfeier im Jahre 1946. Er beauftragte Friedrich Schomerus damit, die Geschichte des Jenaer Unternehmens zu schreiben. 18 Schomerus legte 1940 die mit Erläuterungen versehene Dokumentation über das Entstehen der Carl Zeiss-Stiftung vor und schrieb in den Kriegsjahren die Gesamtdarstellung nieder. 19 Andere Jubiläumsvorbereitungsarbeiten kamen aufgrund des Kriegsverlaufs nicht zustande. Erst nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft konnte man sich in Jena wieder mit dem Jubiläum befassen. Die ersten Dispositionen für großangelegte Feierlichkeiten wurden im April 1946 getroffen. Die führenden Männer des Jenaer Unternehmens waren der Ansicht, daß die Jahrhundertfeier nach den Jahren der erzwungenen Isolation von der Welt besonders geeignet sei, wieder auf Jena aufmerksam zu machen. Dafür sprachen nicht nur die Namen derer, die zum Jubiläum eingeladen werden sollten, sondern auch die von August Köhler vorbereitete Festschrift, in der Wissenschaftler und Ingenieure ihre neuesten Erkenntnisse vortragen und aktuelle wissenschaftlich-technische Probleme des Industriezweiges erörtern wollten. Mitte Juli 1946 lag der Gestaltungsentwurf für die Festwoche vor. Am 19. August 1946 unterrichtete Geschäftsleiter Hugo Schrade den Chef der Sowjetischen Verwaltung der Werke Zeiss

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Ernst Abbe. Jena 1940, S. 1. Zur Geschichte der Zeissischen Werkstätte bis zum Tode Ernst Abbes (im folgenden ROHR: Geschichte der Zeissischen Werkstätte). Mit Beiträgen von MAX FISCHER und AUGUST RÖHLER. Jena 1 9 2 9 . Die zweite Auflage erschien 1939. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 15041 (Rotthaus-Biographie. Unveröffentlichtes Manuskript), S. 10. FRIEDRICH SCHOMERUS: Werden und Wesen der Carl Zeiss-Stiftung an Hand von Briefen und Dokumenten aus der Gründungszeit (1886-1896). Jena 1940 (im folgenden SCHOMERUS: Werden und Wesen). MORITZ VON ROHR:

MORITZ VON ROHR:

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Einführung

und Schott, General Dobrowolski, in einem Schreiben über das Vorhaben. Eine Antwort erhielt Schrade nicht. Vielmehr verweigerten die Militärbehörden die Drucklegung der Geschichte des Zeiss-Werkes von Schomerus. Dessen ungeachtet verfolgten die Zeissianer ihren Jubiläumsplan, der aufgrund der Umstände wesentlich bescheidener als urprünglich vorgesehen ausfiel, weiter. In der Nacht des 21. und am Morgen des 22. Oktober 1946 wurde den Festvorbereitungen jegliche Grundlage entzogen. In dieser Nacht hatten sowjetische Rommandos Wissenschaftler, Meister und Facharbeiter - unter ihnen Autoren der Köhler'schen Festschrift - abtransportiert, und am Morgen des 22. Oktober informierte General Dobrowolski die Geschäftsleitung über den in Moskau erlassenen Befehl zur Demontage des Zeiss-Werkes. Die Geschäftsleiter und die Vertreter des Betriebsrates versammelten sich am 17. November 1946 am Grabe von Carl Zeiß, um der einhundertjährigen Geschichte ihres Unternehmens zu gedenken. Schomerus traf sich am Abend des gleichen Tages in seiner Wohnung mit einigen Freunden zu einer kleinen Gedächtnisfeier. Schomerus trug den Anwesenden die für die Festveranstaltung im Volkshaus vorbereitete Rede vor, der er einen neuen Schluß gegeben hatte: „Wir dürfen - abgesehen von der allgemeinen politischen und staatlichen Unterbrechung in der Periode des Nationalsozialismus - bis zu dem niederschmetternden, uns wie eine Windsbraut Überfallenen Schlages des 22. Oktober d.J. als Ergebnis der 100 Jahre dauernden Werksfortsetzung feststellen: Ein Zeiss-Werk stark in seiner inneren Verfassung, groß in seiner äußeren Erscheinung, wohl ausgerüstet für bedeutsame Aufgaben.... Mit blutendem Herzen sind wir Zeugen, wie eine wunderbare Organisation, ein herrliches feintechnisches Werk zerschlagen wird... Wir nehmen für die deutsche Nation und damit für unser Zeisswerk das Recht und die Pflicht in Anspruch, die verbliebenen produktiven Kräfte zum Wohl des eigenen Volkes und der gesamten Menschheit für große kulturelle Aufgaben einzusetzen."20

In Oberkochen folgten die Zeissianer ebenfalls der von Zeiß begründeten Tradition und kamen am 15. November 1946 im großen Saal des Martha-Leitz-Hauses zu einer Feierstunde zusammen. Heinz Küppenbender würdigte die Leistungen der Gründer und die

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 2 2 4 . (FRIEDRICH SCHOMERUS: Vortrag zur Jahrfeier des Zeisswerkes. Unveröffentlichtes Manuskript), Bl. 15.

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von Abbe geschaffene Verbindung von Wissenschaft, Technik und sozialer Reform. Norbert Günther ging auf die sozialreformerischen Leistungen Abbes ein und äußerte die Sorge um das Abbe'sche Werk in Jena: „Wenn man ihm seine Jenaer Heimstätte raubt, werden wir ihm hier eine neue Heimstätte geben. Der Geist dieses Mannes wandelt in unseren Reihen und soll uns von Tag zu Tag gegenwärtiger werden, bis sein Erbe wieder wie einst in unserem Vaterlande - und sei es auch fern von der Stätte seines Wirkens - Heimatrecht gewonnen hat"21 1952 erschien in Stuttgart die von Schomerus für die Einhundertjahrfeier geschriebene Darstellung über die Geschichte des ZeissWerks.22 Sie wurde zu einem Standardwerk über das bis in die dreißiger Jahre hinein führende Unternehmen der feinmechanisch-optischen Industrie in der Welt Aus diesem positiven Urteil ist allerdings die Beschreibung der Jahre zwischen 1933 und 1945 auszunehmen, weil sie nicht die ganze Wahrheit über das Geschehene bringt. Zehn Jahre später legte ein Autorenkollektiv unter Leitung des Historikers Wolfgang Schumann ein umfassendes Werk über die Zeiss-Geschichte vor, in dem der zeitliche Bogen von 1846 bis 1960 gezogen wurde. Mit dieser Publikation hatte es eine besondere Bewandnis, denn sie bildete den Höhepunkt einer ideologischen Auseinandersetzung im VEB Carl Zeiss Jena. In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre hielten es politische Funktionäre außerhalb und innerhalb dieses Betriebes für unerläßlich, die Belegschaft von der Unrichtigkeit und politischen Gefährlichkeit der Zeiss-Legende und der daraus entspringenden Zeiss-Ideologie zu überzeugen. Dadurch sollten die positiven Erinnerungen an die Verhältnisse im Stiftungunternehmen, die als ein Hindernis für die völlige Integration der Belegschaft in das staatssozialistische System angesehen wurden, getilgt werden. Zugleich wollte man die Belegschaft vor Einflüssen der Carl Zeiss-Stiftung in Heidenheim und des Oberkochener Zeiss-Unternehmen immunisieren. Um das zu erreichen, wurde auf vielfaltige Weise die historische Entwicklung des ZeissUnternehmens vor 1945 neu bewertet. Dazu haben die Verfasser 21

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Zitiert in ARMIN HERMANN: Nur der Name war geblieben. Die abenteuerliche Geschichte der Firma Carl Zeiss (im folgenden Hermann: Carl Zeiss). Stuttgart 1989, S. 33. FRIEDRICH SCHOMERUS: Geschichte des Jenaer Zeisswerkes 1 8 4 6 - 1 9 4 6 (im folgenden Schomerus: Geschichte des Zeisswerkes). Stuttgart 1952.

Einführung

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des Buches „Carl Zeiss. Einst und jetzt" maßgeblich beigetragen. Sie haben ihre Konzeption im Vorwort in einem Satz zusammengefaßt: „Die Geschichte des Zeiss-Werkes vor 1945 ist Bestandteil des deutschen Imperialismus ...".23 Deshalb legten sie den Schwerpunkt der Darstellung auch auf die späteren Perioden und räumten den ersten fünfzig Jahren der Jenaer Unternehmensgeschichte nur einen verhältnismäßig bescheidenen Platz ein. Sie blieben aber auch bei der Behandlung dieses Zeitraums ihrem Konzept treu und teilten Abbes Lebensleistung, indem sie zwischen dem Wissenschaftler und dessen Bedeutung für die Feinmechanik-Optik und dem Unternehmer unterschieden. Das unternehmerische Wirken Abbes wurde einer prinzipiellen Kritik unterzogen und die Carl Zeiss-Stiftung als ein reformiertes Ausbeutungssystem bewertet. 1989 behandelte Armin Hermann in dem Buch „Nur der Name war geblieben", das die Entstehungsgeschichte der Firma Carl Zeiss Oberkochen zum Gegenstand hat, deren Jenaer Wurzeln.24 In dem von C. H. Schmitz verfaßten Handbuch der Geschichte der Optik werden die Jenaer Leistungen in die allgemeine internationale Entwicklung der Optik eingebettet.25 Im Laufe der Jahrzehnte nahm das biographische Element in der Zeiss-Traditionspflege zu. Es äußerte sich im Hervorheben besonderer Dienstjubiläen, in biographischen Skizzen über Persönlichkeiten, die sich um das Unternehmen besonders verdient gemacht hatten oder in Nachrufen. Auf einige biographische Arbeiten ist besonders zu verweisen. 1918 veröffentlichte Auerbach die erste umfassende Abbe-Biographie.26 Moritz von Rohr wartete 1940 mit einer Beschreibung des wissenschaftlichen Lebenswerkes von Abbe auf.27 1966 schilderte Paul G. Esche einem breiten Leserkreis

23

Carl Zeiss Jena. Einst und Jetzt. Von einem Autorenkollektiv unter Leitung von WOLFGANG SCHUMANN (im folgenden SCHUMANN: Carl Zeiss). Berlin

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HERMANN:

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C.

1 9 6 2 , S. 5 .

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Carl Zeiss. H. SCHMITZ: Handbuch zur Geschichte der Optik. Band 3. Teil A. Das XIX. Jahrhundert oder vom Pröbeln zum Rechnen (im folgenden SCHMITZ: Handbuch). Bonn 1983. FELIX AUERBACH: Ernst Abbe. Sein Leben, sein Wirken, seine Persönlichkeit nach den Quellen und aus eigener Erfahrung geschildert, Große Männer, Studien zur Biologie des Genies. Hg. von WILHELM OSTWALD. Fünfter Band. Leipzig 1918. MORITZ VON ROHR: Ernst Abbe. Jena 1 9 4 0 .

Einführung

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das Leben und Werk von Carl Zeiß.28 Im folgenden Jahr brachte die Zeitschrift für Unternehmensgeschichte in einem Beiheft die ZeißBiographie von Horst Alexander Willam heraus, die sich durch ihren Materialreichtum auszeichnet und vor allem den großen Vorzug hat, daß sie sich auf Dokumente im Besitz der Nachkommen gründet. 29 Joachim Wittig legte fast sieben Jahrzehnte nach der Auerbach'schen Abbe-Biographie eine neue Arbeit über den großen Physiker vor.30 Anläßlich des einhundertsten Todestages von Zeiß im Jahre 1988, des einhundertsten Gründungstages der Carl Zeiss-Stiftung 1989 und des einhundertfünfzigsten Geburtstages von Abbe 1990 fanden in Jena wissenschaftliche Veranstaltungen zum Leben und Wirken der beiden hervorragenden Männer statt. Rüdiger Stolz und Joachim Wittig sammelten die Beiträge und veröffentlichten sie 1993.31 Die Lektüre des Schrifttums über die ersten fünfzig Jahre der Zeiss-Geschichte macht deutlich, daß verschiedene unternehmensgeschichtliche Aspekte unbeachtet geblieben sind. Das betrifft die kommerzielle Situation des Unternehmens in den verschiedenen Phasen seiner Entwicklung, die technisch-technologischen Vorgänge, die strukturelle Beschaffenheit der Belegschaft und deren Lebenslage. In der Literatur wird der Realisierung aller Elemente der Stiftungsverfassung nicht die gebührende Aufmerksamkeit geschenkt Beim systematischen Studium der archivalischen Quellen aber zeigt sich, daß es möglich ist, die Geschichte der Optischen Werkstätte in ihrer Gesamtheit zu erfassen und zu beschreiben. Das einhundertfünfzigjährige Zeiss-Jubiläum im November 1996 ist der Anlaß für den vorliegenden Versuch, das Geschehen in der Optischen Werkstätte von ihrer Gründung bis zur ersten großen Blüte möglichst umfassend nachzuzeichnen. Die Verfasser haben

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Carl Zeiss. Leben und Werk (im folgenden ESCHE, Carl Zeiss) Schriften des Stadtmuseums Jena Nr. 4. Jena 1966. HORST ALEXANDER WILLAM: Carl Zeiss 1 8 1 6 - 1 8 8 8 (im folgenen WILLAM, Carl Zeiss). Tradition. Sechstes Beiheft der Zeitschrift für Firmengeschichte und Unternehmerbiographien. München 1967. JOACHIM WITTIG: Ernst Abbe (im folgenden WITTIG: Ernst Abbe). Biographien hervorragender Naturwissenschaftler, Techniker und Mediziner. Band 94. Leipzig 1989. Carl Zeiss und Ernst Abbe. Leben, Wirken und Bedeutung. Wissenschaftshistorische Abhandlung. Hg. von RÜDIGER STOLZ, JOACHIM W Ü T I G (im folgenden STOLZ, WITTIG, Carl Zeiss und Ernst Abbe). Jena 1993. PAUL G. ESCHE:

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Einführung

es nicht als ihre Aufgabe angesehen, die Herausbildung der wissenschaftlichen Grundlegung des optischen Gerätebaus im einzelnen nachzuzeichnen. Das ist schon durch andere Autoren geschehen. Sie wollen vielmehr die Phasen in den Innovationsprozessen aufzeigen, in denen Produkt- oder Verfahrensinnovationen produktionswirksam wurden und kommerziellen Nutzen brachten. Die Darstellung ist in sechs Kapitel gegliedert. Im ersten Kapitel - es umfaßt die Zeit von der Werkstättengründung bis zum Zusammentreffen von Zeiß und Abbe - stehen das Bemühen des Gründers um einen anerkannten Platz unter den Mikroskopbauern und die wirtschaftliche Konsolidierung der Werkstätte im Mittelpunkt. Die Quellengrundlage für dieses Kapitel bilden vor allem das Zeiß-Manual und die Mikroskop-Fabrikationsstatistik. Zeiß führte von 1848 bis 1863 ein Manual, in dem er täglich festhielt, was ihm seine handwerkliche Tätigkeit oder der Verkauf optischer Handelsware eintrugen, und was er davon für die Werkstätte, für seinen persönlichen Bedarf oder für die Familie verwendete. 32 Die Manualauswertung erlaubt nähere Auskunft über die wirtschaftliche Lage in den einzelnen Jahren, über die Beschäftigten, den allmählichen Ausbau der technischen Grundlagen der Werkstätte und über das Fertigungsprogramm. Dem Manual läßt sich auch die Finanzierungsgeschichte der Werkstätte entnehmen. Über den Verlauf des Mikroskopgeschäfts gibt die Fabrikationsstatistik Aufschluß, in der das Herstellungs- und Verkaufsdatum, der Name des montierenden Gehilfen und der Käufer eines jeden Mikroskops vermerkt sind.33 Das zweite Kapitel behandelt die wissenschaftliche Grundlegung des modernen Mikroskopbaus durch Abbe und das Zusammenwirken von Abbe, Zeiß und Otto Schott bei der Entwicklung und industriellen Herstellung optischer Spezialgläser. Die Autoren stützten sich dabei auf Orginalquellen aus dem Unternehmensarchiv

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Carl Zeiß Manual 1848-1856, im folgenden Zeiß-Manual 1); UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1736 (Carl Zeiß Manual 18571863, im folgenden Zeiß-Manual 2). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 7710 (Fertigungsstatistik Mikro 1); UACZ. Bestand: BACZ Nr. 7713 (Fertigungsstatistik Mikro 4). ERNST ABBE: Abhandlungen über die Theorie des Mikroskops. Gesammelte Abhandlungen von ERNST ABBE. Erster Band (im folgenden ABBE: Gesammelte Abhandlungen Erster Band.) Hg. von HERMANN AMBRONN. Jena 1904; ERNST ABBE: Wissenschaftliche Abhandlungen von Ernst Abbe: Zweiter Band (im folgenden ABBE: Gesammelte Abhandlungen. Zweiter Band. Hg. von ERNST WANDERSLEB. Jena 1906.

Einführung

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und auf die wissenschaftlichen Schriften Abbes.34 Im dritten Kapitel wird der Übergang von der handwerklichen zur industriellen Mikroskopfertigung behandelt und den damit einhergehenden Vorgängen - Modernisierung des Maschinenparks, Veränderung in der Arbeits- und Betriebsorganisation, struktureller Wandel in der Belegschaft - nachgegangen. Dem Kapitel liegen neben einer Vielzahl von Einzelquellen wiederum die Fabrikationsstatistik und die weitgehend unbeachtet gebliebene Materialsammlung des Buchhalters Max Petermann zugrunde. 35 In den drei folgenden Kapiteln werden sowohl die Entstehungsgeschichte der Carl Zeiss-Stiftung und die Grundsätze dieser in der Wirtschafts- und Kulturgeschichte einmaligen Institution als auch deren zielstrebige Realisierung durch Abbe und dessen engste Mitarbeiter behandelt Die Wirkungsgeschichte der Unternehmensverfassung bestand in der Pflege der wissenschaftlich-technischen Basis, in der systematischen Erweiterung des Fertigungsprogramms, in der weiteren Umgestaltung des Produktionsapparats sowie in den dadurch erzielten wirtschaftlichen Resultaten. Es werden durch das Statut bewirkte Veränderungen in der Arbeitsverfassung, die sich in den Arbeitsverträgen, den Interessenvertretungen der Belegschaftsgruppen, dem Arbeitszeitregime und Entlohnungssystem äußerten, dargestellt sowie die Konflikte zwischen Teilen der Belegschaft und der Geschäftsleitung herausgearbeitet Schließlich wird die Geschichte der Betriebs-Krankenkasse und des Pensionswesens, auf die schon im dritten Kapitel eingegangen wurde, fortgeführt und durch die hinzugekommene Institution der Abgangsentschädigung ergänzt Die Quellenlage für das vierte Kapitel ist besonders gut Aufschlußreich sind die Unterlagen des Stiftungskommissars, in denen die Korrespondenz zwischen Geschäftsleitung und Stiftungskommissar, Material über wichtige Vorgänge im Unternehmen und die jährlichen Geschäftsberichte des Stiftungskommissars an die Stiftungsverwaltung enthalten sind.36 Hinzu kommen die Protokolle der Interessenvertretungen der Belegschaft sowie Material über

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 6468 (Konzept eines Entwurfs des Prokuristen Petermann für die 100-Jahresfeier des Zeisswerks 1946: „Die wirtschaftliche Entwicklung der Feinmechanischen und Optischen Werkstätte Carl Zeiss, Jena, seit ihrer Gründung im Jahre 1846, in Zahlen während der Jahre 1875 bis 1944" - Unvollständig - . Unveröffentlichtes Manuskript, im folgenden Petermann-Ronzept). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23000-23019 (Akten des Stiftungskommissars).

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Einführung

das Pensionswesen und die Betriebs-Krankenkasse. In allen Kapiteln wird auf die Beziehungen zwischen den Vorgängen im Jenaer Zeiss-Unternehmen und der deutschen und allgemeinen Geschichte eingegangen. Die vorliegende Darstellung der frühen Geschichte der Zeiss-Unternehmungen ist ein Beitrag zur unternehmensgeschichtlichen und wirtschaftshistorischen Forschung. Die Entwicklung der Optischen Werkstätte in Jena steht nicht nur für die feinmechanischoptische Industrie, sondern sie ist vor allem ein Beispiel für das Zusammenwirken von Wissenschaft und Produktion, das zur gleichen Zeit im Wärmekraftmaschinenbau, in der elektrotechnischen und chemischen Industrie zu beoabachten ist. Diese jungen, innovationsträchtigen Zweige gaben seit den achtziger Jahren des neunzehnten Jahrhunderts dem Industrialisierungsprozeß einen neuen Impuls. Die Autoren haben Herrn Professor Rolf Walter und den Kollegen am Lehrstuhl für Wirtschafts- und Sozialgeschichte an der Jenaer Universität für das rege Interesse am Entstehen ihrer Arbeit und für die wertvollen Ratschläge zu danken. Sie danken Frau Dr. Helga Beez vom Optischen Museum in Jena dafür, daß sie wichtige Dokumente zugänglich machte. Ihr Dank gilt auch Frau Gudrun Töpel und Frau Anni Mühlfriedel für die umsichtige Durchsicht des Manuskripts. Herzlichen Dank ist Herrn Dr. Markus Twellenkamp vom Böhlau Verlag zu sagen, der das Vorhaben mit Rat und Tat begleitete. Zu besonderem Dank sind wir dem Vorstandssprecher der Fa. Carl Zeiss Oberkochen, Herrn Dr. Peter Grassmann, verpflichtet, der unser Vorhaben von Anfang an wohlwollend förderte. Jena, im April 1996 Wolfgang Mühlfriedel Edith Hellmuth

ERSTES KAPITEL

Die wechselvollen Aufbaujahre

Die Ausbildung des Mechanikers Carl Zeiß Carl Friedrich Zeiß wurde am 11. Februar 1816 in eine Weimarische Handwerkerfamilie hineingeboren.1 Der Vater, Johann Gottfried August Zeiß, er lebte von 1785 bis 1849, stand in der beruflichen Tradition seiner Familie, die seit mehreren Generationen das Drechslerhandwerk ausübte. Vater Zeiß war nicht nur ein erfahrener und kunstsinniger Drechslermeister, der den Erbgroßherzog Karl Friedrich von Sachsen-Weimar-Eisenach in sein Handwerk einführen durfte2, sondern auch ein Mann, der gemeinsam mit Fr. A. Reimann die 3. Auflage der „Höheren Drehkunst" herausgegeben hatte. In der Einleitung zur 4. Ausgabe dieses Werkes wurde der eigenständige Beitrag von Johann Gottfried August Zeiß herausgestellt: „Im Jahre 1839 hatte sich diese zweite Auflage der Drehkunst bereits wieder vergriffen, und die Bearbeitung der dritten Auflage kam in die Hände des Herrn Fr. A. Reimann und des Hofdrechslers Zeiß. Letzterer ist ein anerkannt geschickter Drechsler, der über seine Kunst viel nachgedacht und unter anderem eine äußerst sinnreiche Guillochirmaschine 3 gebaut hat Man darf mit allem Grunde annehmen, daß alles practisch Werthvolle, womit diese Auflage ausgestattet und bereichert ist, von diesem erfahrenen Mann herrühre."4

Der praktisch und theoretisch versierte Vater war dem Sohn Carl ein Vorbild für das Verknüpfen von handwerklicher Akkuratesse und theoretischem Sinn. Der Hofdrechsler Zeiß sorgte für eine gediegene schulische und berufliche Ausbildung seiner Söhne. Die beiden älteren Brüder von Carl schlugen die wissenschaftliche Laufbahn ein. Der 1809 geborene Friedrich August Eduard Zeiß wurde ein anerkannter Philologe, Ehrendoktor der Philosophischen Fakultät in Jena, der noch neben seiner beruflichen Tätigkeit 1

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 8 (Familie Zeiß, beglaubigte urkundliche Abschriften). In einem Brief an seinen Sohn Eduard vom 3. Juli 1847 wies Johann Gottfried August Zeiß daraufhin, daß er seit vierzig Jahren zum Großherzog gehe, um mit ihm in seinem Fach zu arbeiten. Optisches Museum Jena (im folgenden OMJ). Nr. 12077. Mit „guillochiren" wurde das Anbringen ineinander geschlungener Linien als Verzierung auf Metall, Elfenbein, Holz und andere Materialien bezeichnet Zitiert in WILLAM: Carl Zeiss, S. 13-14.

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Theologie studierte und sich zu philosophischen und theologischen Themen publizistisch äußerte. Der zwei Jahre später zur Welt gekommene Gustav Alexander erwarb sich einen Ruf auf dem Gebiet der römischen Geschichte, so veröffentlichte er 1843 eine „Römische Altertumskunde in 3 Bänden", und fand als Schulmann große Anerkennung. Gustav Alexanders wissenschaftliche und pädagogische Leistungen wurden mit dem Professorentitel gewürdigt. Die älteren Brüder beeinflußten durch ihr Bildungsstreben und ihre Lebenseinstellung den Heranwachsenden. Carl, der gleichfalls das Weimarische Gymnasium bezogen hatte, besuchte während der Gymnasialzeit auch verschiedene Veranstaltungen an der Großherzoglichen Gewerbeschule. Am 29. März 1832 verließ Carl die Schule mit der Primarreife, die es ihm erlaubte, ausgewählte Studienfächer an einer Universität zu belegen. Darauf wies Carl Zeiß in seinem Konzessionsgesuch vom 10. Mai 1846 hin. Er habe beim „Abgang vom Gymnasio die nöthige Ermächtigung durch ein Abiturientenexamen erworben"5, das ihm die Teilnahme an akademischen Lehrveranstaltungen gestatte. Für den frühzeitigen Abgang vom Gymnasium mag es mehrere Gründe gegeben haben. Zweifellos vertrat Vater Zeiß aus der Tradition heraus die Ansicht, daß ein Sohn ein Handwerk ausüben müsse. Dafür schien Carl, wie die gelegentliche Mitarbeit in der Werkstatt gezeigt hatte, die besten Voraussetzungen zu haben. Auch dessen physische Konstitution legte eine berufliche Tätigkeit nahe, die nicht zu stetem Sitzen zwang. Bei den Überlegungen, welches Handwerk Sohn Carl ausüben könnte, mochte die Bekanntschaft von Johann Gottfried August Zeiß mit dem Hofmechaniker Friedrich Körner aus Weimar, der in Jena eine Mechanikerwerkstatt betrieb, ebenso im Spiele gewesen sein wie das Wissen um die positiven Eigenheiten des Mechanikerberufs. Dieser Beruf war - wie die technische Entwicklung erwarten ließ - nicht nur zukunftsträchtig, sondern bot auch die Möglichkeit, theoretisches Wissen und praktische Fertigkeiten zu verbinden. Zu Ostern 1834 nahm Körner den achtzehnjährigen Zeiß als Lehrling in seine Werkstatt auf. Körner war ein Mann, der zu den Naturwissenschaftlern der Jenaer Universität engsten Kontakt hielt, und der nach seiner Promotion und dem Erwerb der Venia legendi

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 13893-13894 (Niederlassung des Carl Zeiß in Jena und die Geschäftseröffnung, im folgenden Niederlassung. Kopie).

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im Jahre 1818 als Privatdozent dem Lehrkörper angehörte. Er lehrte und publizierte über die Fertigung von übereinstimmenden Thermometern, Barometern und achromatischen Fernrohren, über die Glasbearbeitung sowie über das Herstellen physikalischer und chemischer Instrumente und Apparate.6 Körner fertigte in seiner Werkstatt u. a. Schwarze Spiegel, Luftfarbenmesser, Metallplanspiegel, Polarisationsmaschinen, achromatische Prismen, Manometer, Teleskope und unternahm Brewstersche Versuche. Körner widmete sich auch eingehend der Herstellung von optischem Glas. Er schmolz Kronglas, und nach langjährigen Bemühungen gelang es ihm auch, Flintglas zu erschmelzen. Aber die gemeinsam mit dem Universitätsprofessor für Chemie, Johann Wolfgang Doebereiner, unternommenen Versuche, bessere optische Gläser zu erzeugen, indem sie unter Anwendung der Stöchiometrie die chemische Zusammensetzung veränderten, schlugen letztlich fehl.7 Körner sorgte nicht nur für eine solide praktische Ausbildung seiner Lehrlinge, sondern er bot ihnen nach dem ersten Lehrjahr auch die Gelegenheit zu wissenschaftlichen Studien an der Universität Zeiß nutzte diese Möglicheren und belegte akademische Vorlesungen. Er hörte im Sommersemester 1835 Algebra und analytische Geometrie, im Wintersemester 1835/36 Experimentalphysik, im Sommersemester 1836 Trigonometrie, im Wintersemester 1836/37 Anthropologie, im Sommersemester 1837 Mineralogie und schließlich im Wintersemester 1837/38 Optik bei seinem Lehrherrn. 8 Körner brachte Zeiß alles bei, was einen guten Mechaniker auszeichnet In das Geheimnis der Glasherstellung weihte er seine Zöglinge freilich nicht ein, sie durften lediglich die Schmelzen vorbereiten. 1838 schloß Zeiß die Mechanikerlehre ab. Vom Prorektor und dem Senat der Großherzoglich Sächsischen Gesamtuniversität Jena erhielt er das „Abgangs Zeugniß für den Stud. Matheseos Herrn Zeiß". Im Empfehlungsschreiben, das ihm Körner zum Abschied mit auf den Weg gab, stand: „Dass Herr Carl Friedrich Zeiß aus Weimar eine Lehrzeit von 4 Jahren in meiner Werkstatt bestanden und während dieser Zeit den Vorlesungen der hiesigen Herrn Professoren über die mathematischen und physikali-

6 7 8

Carl Zeiß und die Universität Jena. In: STOLZ, WITTIG: Carl Zeiss und Ernst Abbe, S . 2 1 - 2 2 . Ders., S.22. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 13893-13894 (Niederlassung).

WITTIG:

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sehen Doctrinen mit Nutzen beigewohnt, auch sich seiner Lehrzeit über wie es sich für einen gebildeten Menschen geziehmt, und zu meiner Zufriedenheit sich aufgeführt habe, solches bescheinige ich demselben mit Vergnügen, wünsche ihm auf seinen vorhabenden Ausbildungsreisen viel Glück und Gelegenheit sich zu vervollkommnen und verfehle nicht, ihn meinen Herrn Collegen hiermit bestens zu empfehlen."9 Der junge Mechanikergeselle ging nun auf Wanderschaft. Er reiste zunächst ins hessische Darmstadt, wo er vermutlich 1840 bei Hektor Rössler Station machte. Dann wandte er sich nach Wien. Dort besuchte er auch die sonntäglichen Kollegs über „Populäre Mechanik" am Polytechnischen Institut und unterzog sich im Studienjahr 1842/43 einer Prüfung, die er mit dem Prädikat „die erste Klasse mit Vorzug erhalten" abschloß. Von Interesse war für Zeiß gewiß die mechanische Werkstatt, die dieses Wiener Institut seit 1819/20 unterhielt, und in der man astronomische und geodätische Instrumente anfertigte.10 Aber sein vornehmliches Interesse galt zu dieser Zeit wohl dem Maschinenbau 11 . Vom 24. April bis 24. August 1843 arbeitete Zeiß dann als Mechaniker in der Maschinenfabrik Rollé und Schwiqué. Im Juni 1844 verließ er Wien und ging nach Berlin, wo ihn der Mechaniker C. Lüttig vom 30. September 1844 bis zum 6. September 1845 als Mechanikergehilfe beschäftigte. Ins Abschiedszeugnis schrieb Lüttig über den Gesellen aus Weimar: „Seine vielseitige praktische und theoretische Bildung und seine Berufstreue, verbunden mit einem biederen liebenswürdigen Betragen, sichern ihm bei mir ein bleibendes gutes Andenken, womit ich den Wunsch verbinde, daß seine Tüchtigkeit in allen Verhältnissen die ihr gebührende Anerkennung finden möge."12 Im Herbst 1845 kehrte Zeiß in seine Vaterstadt zurück. Er hatte auf der Wanderschaft ebenso wie andere aufmerksame Zeitgenossen die Konturen einer grundlegenden Umwälzung in der gewerblichen Wirtschaft und im Verkehrswesen beobachten können. Der 1834 ins Leben getretene Deutsche Zollverein hatte einen größeren Binnenmarkt geschaffen. Die technischen Neuerungen aus England hielten im Textilgewerbe Einzug. In Preußen zählte man um 9 10 11

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 13893-13894 (Niederlassung). C. H. SCHMITZ: Handbuch zur Geschichte der Optik. Band 3. Teil A, S. 288. Von ihm wurde berichtet, daß er am liebsten Maschinenbauer geworden wäre und darum auch nach Wien gegangen sei. ERNST PILTZ: Zur Erinnerung an Carl Zeiß. Jenaer Volksblatt Nr. 213 vom 10. 9. 1916. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 13893-13894 (Niederlassung).

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die Jahrhundertmitte bereits 940.000 mechanisch betriebene Spindeln. In der Tucherzeugung kamen in den vierziger Jahren die ersten mechanischen Webstühle zur Anwendung. Die Konzentration von Spinnmaschinen und mechanischen Webstühlen in Fabriken bedingte die doppeltwirkende Dampfmaschine als leistungsfähigen und kostengünstigen Antrieb. Die neuartige Technik hielt auch in anderen Gewerbezweigen Einzug. Mitte der vierziger Jahre registrierte die Zollvereinsstatistik im Gewerbe - ohne Württemberg, Braunschweig und Frankfurt am Main - 8.606 Dampfmaschinen mit 26.192 PS. Die allmählich wachsende Nachfrage nach den modernen Arbeits- und Antriebsmaschinen aus den verschiedenen Gewerbezweigen ließ in den vierziger Jahren - wenn auch noch verhalten - den einheimischen Maschinenbau entstehen. Er wurde eine der Voraussetzungen für die Umgestaltung im Verkehrswesen, die sich auch in Deutschland abzeichnete. 15 Aus den technischen Veränderungen in der gewerblichen Wirtschaft und im Verkehrswesen erwuchsen der theoretischen und der technischen Mechanik weite Aufgabenfelder, die sich aber nur bestellen ließen, wenn sich beide Richtungen gegenseitig befruchteten und schließlich zur industriellen Mechanik verflochten. 14 Neue Anforderungen an die Mechanik resultierten auch aus den Fortschritten in den Naturwissenschaften und der medizinischen Wissenschaft. Die Biologen, Zoologen, Mediziner und Astronomen bedurften für ihre Arbeit immer besserere mechanisch-optische Hilfsmittel. In dieser Zeit des technischen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Aufbruchs entschloß sich Zeiß, in Weimar eine eigene Mechanikerwerkstatt zu eröffnen. Doch das Vorhaben scheiterte, weil in der Stadt schon zwei Mechaniker arbeiteten und die städtische Verwaltung für eine dritte Werkstatt keine Arbeitsmöglichkeit sah.15 Aber Zeiß ließ sich nicht entmutigen. Im September 1845 ging

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HERMANN RELLENBENZ: Deutsche Wirtschaftsgeschichte. Band 2 . Vom Ausgang des 18. Jahrhunderts bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges. München 1981, S. 74-79; ROLF WALTER: Wirtschaftsgeschichte. Vom Merkantilismus bis zur Gegenwart. Wirtschafts- und Sozialhistorische Studien. Hg. von STUART JENKS, MICHAEL NORTH und ROLF WALTER. Köln Weimar Wien 1995, S. 70-90. Geschichte der Technikwissenschaften. Hg. von GISELA BUCHHEIM, ROLF SONNEMANN. Leipzig 1990, S . 180-205. WILLAM: Carl Zeiss, S. 24.

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er nach Jena, wo sein Bruder Eduard als Gymnasiallehrer tätig war. Wahrscheinlich erhoffte er sich hier, in der Universitätsstadt, bessere Möglichkeiten für eine eigene Existenz. Dafür mußte er aber erst einige Voraussetzungen schaffen. Um das Aufenthaltsrecht in der Stadt zu erwerben, schrieb sich Zeiß in die Universität ein. Unter dem 50. Oktober 1845 erhielt er „die Erlaubnis der Universität zum Besuch der Vorlesungen über Mathematik sowie des physiologischen Instituts für dieses Semester".16 Im Wintersemester 1845/46 hörte Zeiß über algebraische Analysis, im Sommersemester 1846 über Allgemeine Chemie und Astronomie. In beiden Semestern arbeitete er als Praktikant im Physiologischen Institut, das von dem Botaniker Matthias Jacob Schleiden, dem Mineralogen Ernst Erhard Schmid und dem Mediziner Heinrich Häusler gemeinsam als Lehr- und Forschungseinrichtung geführt wurde. 17 Zeiß war in diesem Praktikum mit Männern zusammen gekommen, für die das experimentelle Arbeiten ein besonderes Gewicht hatte und die sich dabei des Mikroskops als Beobachtungsinstrument bedienten. Vor allem Schleiden hatte sich eingehend mit dem Mikroskopieren befaßt, darüber seit 1840 akademische Vorlesungen gehalten und seine Erfahrungen im Umgang mit Mikroskopen von unterschiedlichen Herstellern publizistisch verwertet. So erfuhr Zeiß sowohl aus der Literatur als auch aus den praktischen Unterweisungen am Mikroskop, was von einem in der Forschung benutzten Instrument erwartet wurde. Schleiden lenkte die Aufmerksamkeit des jungen Mechanikers auf das interessante Feld der Optik .

Die Konzession für das Atelier für Mechanik Nach der gründlichen beruflichen und wissenschaftlichen Ausbildung hielt Zeiß im Frühjahr 1846 die Zeit für gekommen, einen neuen Versuch zur Gründung einer eigenen Werkstätte zu unternehmen. Dazu benötigte er eine Großherzogliche Konzession. Unter dem 10. Mai 1846 richtete Zeiß ein Niederlassungsgesuch an die dafür 16

Ders., S.24. Carl Zeiß und die Universität In: Ernst Abbe, S. 23.

17 WITTIG:

STOLZ, WITTIG:

Carl Zeiss und

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zuständige „Hochpreißliche Landes-Direktion" in Weimar, das der Jenaer Stadtrat am 5. Juni 1846 wohlwollend unterstützt und nach Weimar weitergeleitet hatte. Darin schilderte Zeiß seinen bisherigen Entwicklungsweg und erläuterte ausführlich den von ihm verfolgten Plan. „Da nun bei einer Einrichtung für Productionen der höheren Mechanik zumal unter gegenwärtigen Zeitverhältnissen gleich von Anfang an auf alle Bedingungen eines umfassenden und in die Ferne sich ausdehnenden Betriebs möglichst Bedacht genommen werden muß, hierfür aber die unmittelbare Verbindung mit den Männern der Wissenschaft die sicherste Gelegenheit bietet: so erscheint mir in unserem Großherzogthume die Universität Jena für die von mir beabsichtigte Einrichtung als der günstigste Ort, und zwar um so mehr, als selbst sowohl Lehrer als Schüler der Universität mechanische Apparate in stets steigendem Maße fortwährend bedürfen, dieses Bedürfniß aber zur Zeit an hies. Orte keineswegs hinlänglich befriedigt werden kann, wie beifolgende Erklärungen einiger hiesiger Professoren bezeugen können." Zeiß schloß das Gesuch mit der Bitte: „Hochpreißliche Landes-Direktion wolle geruhen, zur Begründung eines Ateliers und resp. commerciellen Geschäfts für alle in das Fach der Mechanik einschlagenden Artikel, so wie für alle sonstigen zum physikalischen und ehem. Gebrauch bestimmten Geräthschaften im Großherzogthum Weimar und speciell für die Stadt Jena die nöthige Ronzession gnädigst zu gewähren."18 Aber weder die Nachweise über seinen Ausbildungsweg und die dem Gesuch beigelegten Konstruktionsarbeiten noch die befürwortenden Gutachten seiner akademischen Lehrer waren für die Großherzogliche Baubehörde Gründe, um dem Antragsteller die vorgeschriebene schriftliche Prüfung zu erlassen. Mitte August 1846 unterzog sich Zeiß dieser Prüfung. Er beantwortete die Fragen der Prüfungskommission, verweigerte aber mit dem Hinweis auf die bereits eingereichte Konstruktionsarbeit die Anfertigung einer weiteren, die man von ihm forderte. Das war in den Augen der Prüfungsbehörde, die von dem jungen Mechaniker „mehr Bescheidenheit" erwartet hatte, offensichtlich zu anmaßend, denn sie ließ sich mit der Bewertung des Prüfungsergebnisses Zeit. Erst auf die von

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 13893 (Niederlassung).

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Zeiß am 21. Oktober 1846 angeregte Nachfrage des Jenaer Stadtrates19 bei der Großherzoglichen Landes-Direktion und auf deren anmahnende Rückfrage bei der Oberbaubehörde am 27. Oktober 1846 bescheinigte letztere, daß Zeiß die „vorgenommene Prüfung hinsichtlich seiner Kenntnisse und Fertigkeiten in der Mechanik genügend bestanden hat". 20 Am 24. November 1846 ging die im Namen Sr. Königlichen Hoheit des Großherzogs zu Sachsen-Weimar-Eisenach am 19. November 1848 unterzeichnete Urkunde zu einer „Konzession zur Fertigung und zum Verkauf mechanischer und optischer Instrumente, sowie zur Errichtung eines Ateliers für Mechanik in Jena" beim Stadtrat in Jena ein.21 Zeiß, der offensichtlich von dem in Aussicht stehenden Niederlassungsrecht wußte, beantragte am 18. November 1846 unter Hinweis auf die zu erwartende Konzession die Verlängerung seiner Aufenthaltsgenehmigung in Jena um ein viertel Jahr und die Aufenthaltsgenehmigung für seine Schwester Pauline auf ein Jahr.22 Am 9. Dezember 1846 erhielt Zeiß dann das Ortsbürgerrecht. 23 Die Nachrichten über den Zeitpunkt, an dem Zeiß seine Werkstätte eröffnet hat, sind nicht ganz sicher. Aufgrund der in der Einführung schon zitierten Tagebucheintragung von Pape und eines Erinnerungsphotos vom 17. November 1871 mit dem Vermerk „Zur Erinnerung an das 25jährige Geschäftsjubiläum ihrem Prinzipal Herrn C. Zeiß gewidmet von sämtlichen Arbeitern" wurde allgemein der 17. November 1846 als der Gründungstag der Zeiß'schen Werkstätte angesehen. Danach wartete Zeiß die Unterzeichnung der Konzessionsurkunde nicht ab und eröffnete Werkstätte und Ladengeschäft in der Jenaer Neugasse 17 schon am 17. November 1846. Da aber der 19. November 1871, der Tag, an dem man vor 25 Jahren in Weimar die Konzessionsurkunde unterzeichnet hatte, auf einen Sonntag fiel, ist es auch denkbar, daß Zeiß seinen Arbeitern an den beiden vorangehenden Arbeitstagen Urlaub geben wollte.24

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OMJ. Nr. 12978 (Brief Zeiß an Stadtrat von Jena vom 2 1 . Oktober 1 8 4 6 ) . UACZ. Bestand: BACZ Nr. 11347 (Prüfungsarbeiten. Kopien). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1 3 8 9 3 (Niederlassung). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1 3 8 9 3 (Niederlassung), OMJ. Nr. 1 2 0 8 9 (Zuerkennung des Ortsbürgerrechts an Carl Zeiß vom 9. Dezember 1846. Kopie); UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1 3 8 9 3 . UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1 2 3 2 2 (PAPE: Tagebuch); SCHOMERUS: Geschichte des Zeisswerkes, S. 10.

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Der junge Geschäftsinhaber, der sich fachlich so sorgfaltig auf eine selbständige Existenz vorbereitet hatte, war es in finanzieller Hinsicht keineswegs. Er besaß wohl die Grundaustattung an Mechanikerwerkzeugen, aber das Material für die auszuführenden Aufträge mußte angeschafft und die Miete für die Wohn- und Arbeitsräume aufgebracht werden. Vom Vater erhielt er einen Zuschuß von 100 Talern, den sich dieser erst beim Sohn Eduard lieh. 25 Da die finanziellen Mittel, über die Zeiß Ende 1846 verfügte, nicht ausreichten, um die anfallenden Rosten zu decken, sah er sich schon bald gezwungen, bei Verwandten Geld zu leihen. Bis Ende 1847 schuldete er seinem Bruder Eduard 100 Taler und einem Onkel in Apolda eine weitere größere Summe. 26 Der Inhaber des neuen Ateliers für Mechanik reihte sich in den Kreis der Gewerbetreibenden Jenas ein, die in ihrer überwiegenden Mehrheit als kleine Handwerker und Gastwirte den 6.000 Einwohnern der Stadt und der Bevölkerung des Umlandes ihre Produkte und Dienstleistungen anboten. Darunter gab es neben seinem Lehrherrn noch zwei andere Mechaniker. Auch die studentische Jugend, die in die Stadt kam, sicherte den bescheidenen Umsatz der Bäcker, Fleischer, Schneider, Schuhmacher und der Gastwirte. In einigen Mühlen wurde das Getreide der Bauern aus den umliegenden Dörfern gemahlen. Nur wenige Handwerker, dazu gehörten die Druckereien, wirkten über den lokalen Markt hinaus. Überregionale Bedeutung hatten lediglich die Rammgarnspinnerei, die Seifenfabrik, die Riavierfabrik und zwei Ziegeleien. An diesen gewerblichen Verhältnissen änderte sich bis in die siebziger Jahre hinein nur wenig.27 Die Einwohnerschaft nahm kaum zu. Jena blieb eine kleine Stadt, deren Wirtschaft von lokalem Handwerk geprägt war und die fernab von modernen Verkehrsmitteln lag. Lediglich die Universität gab Jena einen besonderen Charakter. Auf diese lokalen Gegebenheiten richtete sich der Mechaniker Zeiß in der Stadt ein und baute sich allmählich einen Rundenkreis auf. Nach dem Tode Römers im Februar 1847 konnte er einen Teil der Aufträge übernehmen, die bislang dessen Werkstatt ausgeführt hatte.-28

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Carl Zeiss, S. 30. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1), Bl. 3,17. LANGE, PETER: Die wirtschaftliche Entwicklung in Jena STOLZ, WITTIG: Carl Zeiss und Ernst Abbe, S . 3 7 - 5 0 . WILLAM: Carl Zeiss, S. 30. WILLAM:

(1845-1888).

In:

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Die ersten Arbeitsräume Nachdem sich das Geschäft gut angelassen hatte, stellte Zeiß im Frühjahr 1847 einen Gesellen, vermutlich Diedrich, ein. 29 Für zwei Arbeitskräfte erwies sich der Arbeitsraum in der Neugasse als zu klein, und Zeiß zog zum 1. Juli 1847 in die Wagnergasse Nr. 34. Dort verfügte er über mehrere Arbeitsräume und konnte ein Ladengeschäft einrichten. Mit dem Eigentümer des Grundstücks, dem Zeugschmied Bachstein, vereinbarte er eine jährliche Miete von 42 Talern, die in zwei Raten zu zahlen war.30 Nun war es ihm auch möglich, einen Lehrling anzunehmen. Er entschied sich für den siebzehnjährigen August Löber, der Ende August 1847 seine Lehre begann. 31 Die neue Werkstätte erlaubte ihrem Inhaber, das Leistungsangebot zu erweitern und die dafür erforderliche Ausrüstung anzuschaffen. Im April 1848 arbeiteten der Geselle Diedrich und der lernbegierige Löber bei Zeiß.32 Ende 1847 oder Anfang 1848 bestellte Zeiß bei der Berliner Maschinenbauanstalt August Hamann eine Drehmaschine. 33 Wahrscheinlich hatte er das 1832 von dem Schlosser August Hamann gegründete Unternehmen, das einen guten Ruf als Werkzeugmaschinenproduzent besaß, während seines Aufenthalts in Berlin kennengelernt. Hamann rüstete die Berliner Maschinenbaufirmen aus. Da Hamann auf Bestellung arbeitete, erwartete er von seinen Runden Anzahlun-

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Zeiss, S. 2 8 . Die Vornamen der Gesellen sind zumeist nicht überliefert. UACZ. Bestand: BACZ. Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1), Bl. 19. Das Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach hatte sich der Dresdner Münzkonvention vom 30. Juli 1838 angeschlossen und münzte nach dem 14-Taler-Fuß. Danach galt folgendes Verhältnis: Vereinstaler = 30 Groschen = 360 Pfennige. Handbuch der deutschen Wirtschafts- und Sozialgeschichte. Hg. von HERMANN AUBIN, WOLFGANG ZORN. Band 2. Stuttgart 1976, S. 939; FRITZ VERDENHELVEN: Alte Maße, Münzen und Gewichte aus dem deutschen Sprachgebiet. Neustadt an der Aisch 1968. ERNST PILTZ: Zum 100jährigen Geburtstag von Carl Zeiß. In: Jenaer Volksblatt vom 10. 9. 1916. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1). Einem Brief ist zu entnehmen, daß Zeiß schon im Juni 1847 in Berlin vermutlich eine Maschine bestellt hatte, deren Lieferung er im Juli 1847 erwartete. OMJ. Nr. 12077 (Brief Johann Gottfried August Zeiß an Eduard Zeiß vom 3. Juli 1847). ESCHE:

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gen. 34 Auch Zeiß überwies zunächst eine Geldsumme, deren Höhe nicht überliefert ist. Aber am 28. März 1848 zahlte er die restliche Raufsumme von 59 Talern. 35 Die Drehbank stellte er im Mai 1848 auf, 36 und im Januar 1849 erwarb er bei der gleichen Firma für diese Maschine eine Spindeldocke.-37 Am 15. April 1848 kaufte er für zwei Taler und zehn Groschen einen weiteren Schraubstock und einen Satz englischer Feilen.38 Auf einer Reise nach Leipzig am 5. und 6. Mai 1849 kaufte er bei verschiedenen Firmen Werkzeuge und Materialien. 39 Im Laufe des ersten Geschäftsjahres übernahm Zeiß die Betreuung und Instandsetzung von feinmechanischen, optischen und physikalischen Instrumenten und Gerätschaften in den naturwissenschaftlichen Instituten der Universität. Bald baute er derartige Instrumente und Geräte nach den Angaben und Wünschen der Hochschullehrer. Neben der Fertigung von Instrumenten, den Reparaturen und den speziellen Aufträgen vertrieb Zeiß optische Handelsware sowie Thermometer, Barometer, Waagen und Gewichte für Chemiker. Die meisten Einnahmen aus dem Ladengeschäft erbrachte der Verkauf kompletter Brillen, einzelner Brillengläser und -gesteile und Lorgnons.

Die Anfange der Mikroskopfertigung Im Sommer 1847 folgte Zeiß dem Rat seines akademischen Lehrers Schleiden und befaßte sich mit dem Bau von einfachen Mikroskopen, die man wegen ihrer konstruktiven Beschaffenheit später als Lupen-Mikroskope bezeichnete. Er zeigte seinem Vater im Juni 1847 ein selbstgefertigtes Mikroskop und bemerkte, daß er weitere Instrumente erst dann fertigen werde, wenn die Drehbank aus Ber-

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LOTHAR BAAR: Die Berliner Industrie in der industriellen Revolution. Berlin 1966, S. 100. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1), Bl. 5. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1), Bl. 43. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1), Bl. 45. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1), Bl. 7. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1), Bl. 59.

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lin eingetroffen sei.40 Zeiß machte zunächst die gleichen Erfahrungen wie andere Mikroskopbauer vor ihm auch. Er sah, daß das Bild bei einer zehnfach vergrößernden Lupe noch gut war, wo die Augenpupille den wirksamen Lichtdurchmesser begrenzte. Bei einer 20fach vergrößernden Lupe wurde eine Blende erforderlich, deren Durchmesser kleiner als der der Pupille sein mußte. Nur so ließen sich Bilder von guter Qualität erzielen. Da sich aber bei der kleiner werdenden Fläche der Blendöffnung bei gleichbleibender Beleuchtung des Objekts die Bildhelligkeit verringerte, setzte auch Zeiß - statt einer Linse mit kleiner Brennweite - zwei oder drei Linsen von langer Brennweite dicht aneinander. Dadurch erreichte er eine Vergrößerung wie mit einer Linse mit kurzer Brennweite. Die größer dimensionierten Linsen mit größerer Brennweite erlaubten ein genaueres Schleifen der Linsen. Weil nun die Ablenkungen der vom Objektpunkt ausgehenden Strahlen nicht mehr nur an zwei, sondern an vier oder sechs Flächen erfolgte, ließ sich die Brechung der Strahlen auf eine größere Anzahl von Flächen verteilen, so daß eine größere Blende verwendet werden konnte. Dadurch gewann Zeiß ohne eine merkliche Einbuße der Bildschärfe hellere Bilder. Er prüfte das auf diese Weise entstandene optische System bei verschiedenen Abbiendungen an Probeobjekten, das waren vornehmlich solche, die feine Streifungen und dergleichen auswiesen. Schließlich fand er eine Linsenkombination, die ihm ein befriedigendes Bild von diesem Probeobjekt bot. 41 Die ersten Lupen-Mikroskope von Zeiß bestanden aus einem feststehenden großen Tisch, versehen mit Federklammern, einer gröberen und einer feineren Einstellung der Linse, dem ebenen Beleuchtungsspiegel mit einer Sammellinse, den erforderlichen Objekt- und Deckplatten sowie den vier getrennten Linsenkombinationen von 15-, 30-, 60- und 120facher Vergrößerung.42

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OMJ. Nr. 12077 (Brief Johann Gottfried August Zeiß an Eduard Zeiß vom 3. Juni 1847). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 722 (AUGUST KÖHLER: Die Verbesserungen des Mikroskops durch das Zeisswerk. Unveröffentlichtes Manuskript, im folgenden KÖHLER: Verbesserungen), S. 3-6. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1438 (HERMANN KOCH: Nachweis über die Einführung der Zeiss-Mikroskoptypen und der wichtigsten Nebenapparate von 1846-1900. Unveröffentlichtes Manuskript, im folgenden KOCH: Nachweis), S. 2.

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Abb. 1 Einfaches Mikroskop oder Lupen-Mikroskop aus der Zeiß'schen Werkstatt von 1847

Die von Zeiß selbst oder unter seiner Anleitung gefertigten Lupen-Mikroskope zeichneten sich von Anfang an durch eine sorgfaltige und gewissenhafte Bearbeitung der optischen Elemente, der Fassungen und der mechanischen Teile aus. Zeiß entschied sich zunächst für den Bau von Dublets mit Stativ, die eine 15 bis 150fache Vergrößerung boten. Seine Instrumente hatten ein Stativ mit einem Objekttisch, eine Beleuchtungseinrichtung für auf- und durchfallendes Licht sowie eine Grob- und Feineinstellung43. Das erste dieser Dublets verkaufte Zeiß im September 1847 an den Studenten Hermann Schacht. Vier weitere Instrumente erwarben Teilnehmer einer im gleichen Monat in Jena abgehaltenen Apothekerversammlung und ein sechstes kaufte Schleiden für seinen Bruder. Bis Ende des Jahres 1847 verkaufte Zeiß insgesamt 23 derartige Lupen-Mikroskope.44

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 30528 (Zeiss-Kataloge: Mikro. Prospekte, Preislisten, Gebrauchsanweisungen von 1849-1896, im folgenden Zeiss-Kataloge). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 7710 (Fabrikationsstatistik Mikro 1).

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Zeiß wählte 1852 - vermutlich auf Schleidens Anregung hin eine andere Konstruktionsart des Mikroskops. Schleiden hatte in seiner Arbeit „Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik (Methodologische Einleitung)", die in den vierziger Jahren in mehreren Auflagen erschien und in der er die Vorzüge und Nachteile angebotener Mikroskope erörterte, hinsichtlich der Bauweise eines Mikroskops festgestellt: „Die Haupterfordernisse sind folgende: grobe und feinere Bewegung, beide nur den Körper des Mikroskops treffend; der Tisch unbeweglich mit einer etwa V 2 Zoll im Durchmesser haltenden Öffnung, unter derselben eine drehbare Scheibe mit Löchern; eine plankonvexe Beleuchtungslinse von etwa 1,5 Zoll Brennweite und ein Planspiegel, der sich auch seitlich schief stellen läßt." 45

Die konstruktive Neuerung, die Zeiß vornahm, bestand darin, das Beobachtungsinstrument mit einem feststehenden Objekttisch und einer beweglichen Linsenhalterung zu versehen. Unterhalb des Objekttisches ordnete er die Beleuchtungseinrichtung, die aus einem drehbaren Planspiegel und einer Sammellinse bestand und aus dem Strahlengang herausgeschwenkt werden konnte, an.46 Die sorgfaltig ausgeführten Mikroskope, die denen anderer Instrumentenbauer nicht nachstanden, erlaubten es den Mikroskopikern, auf die Jenaer Werkstätte aufmerksam zu machen. Im September 1847 setzte Zeiß für die Allgemeine Zeitung, die in Augsburg erschien, folgenden Annoncentext auf: „Mikroskopie. Einem naturforschenden Publikum erlaubt sich Unterzeichneter ergebenst anzuzeigen, daß bei ihm von jetzt an kleine Mikroskope, sogenannte Dublets, stets vorräthig sind. Bei Construction derselben sind alle neueren Anforderungen der Herrn Physiologen berücksichtigt worden. Und zwar ist der Tisch unbeweglich; die Bewegung des Mikroskops wird erst durch Verschiebung, für feine Einstellung aber durch eine Schraube mit Feder bewerkstelligt, wodurch für schwache Vergrößerungen eine schnelle und bequeme, für stärkere

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MATTHIAS JACOB S C H L E I D E N . Wissenschaftsphilosophische Schriften mit kommentierenden Texten von Jakob Friedrich Fries, Cristian G. Nees von Esenbeck und Gerd Buchdahl. Hg. von U L R I C H CHARPA. Köln 1 9 8 9 ,

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Ernst Abbe, S .

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Vergrößerungen zugleich auch eine sehr feine von allem todtem Gang freie Einstellung erzielt ist; dem Beleuchtungsspiegel ist für starke Vergrößerungen noch eine Sammellinse beigegeben. Außer den nöthigen Objekt- und Deckgläsern liegen bei drei getrennte Linsen-Combinationen, durch welche eine 15, 30 u. 125fache Liniar-Vergrößerung bewirkt wird. Das ganze Instrument ist in ein Kästchen von poliertem Nußbaum eingelegt und so eingerichtet, daß auf demselben, nicht wie gewöhnlich durch Aufschrauben, sondern vermittelst eines zweckmäßigen Mechanismus schneller und sicherer auf /ge/stellt werden /kann/. Der Preis für d. Ganze ist elf Thaler. Gefallige Bestellungen erbittet man franco. Die Zahlung wird ohne andere Bestimmung durch Post-Vorschuß entnommen."47 Schleiden ließ hinzusetzen: „Die in Vorstehendem angebotenen Mikroskope des Hrn. Zeiß kann ich in jeder Beziehung als preiswürdig und für Catomologen und Botaniker als sehr zweckmäßig empfehlen. Die 15- und 30mahlige Vergrößerung erlaubt natürlich ein bequemes Präpariren unter der Linse. - Die 120fache Vergrößerung gibt bei einem Focalabstand von fast 2 Millimeter ein sehr scharfes und reines Bild, so daß sie allen morphologischen und den meisten anatomischen Untersuchungen genügt. Bei der vor kurzem in Jena abgehaltenen Versammlung des norddeutschen Apothekervereins wurde der ganze Vorrath dieser allgemein als zweckmäßig anerkannten Instrumente sogleich vergriffen. Ich füge nun noch hinzu, daß Hr. Zeiß stets so viele Instrumente vorräthig hat, daß jeder eingehende Auftrag mit umgehender Post erledigt werden kann, für den Besteller eine nicht überall zu findende Annehmlichkeit. M. I. Schleiden."48 Und Dr. von Heßling, der im November 1847 das Mikroskop Nr. 17 bei Zeiß erworben hatte, schrieb 1848 in seinen „Notizen aus dem Gebiet der Naturkunde": „Die Dublets, welche Herr Zeiß dahier verfertigt, sind von ausgezeichneter Güte in jeder Beziehung-, ein kurzer Gebrauch weist ihre Unentbehrlichkeit auch für den Histologen hinreichend nach."49

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OMJ. Nr. 12034 (Zeiß-Manuskript für Annonce vom September 1847). Die Annoncen erschienen in der Allgemeinen Zeitung Nr. 289 vom 16. 10. 1847 und Nr. 197 vom 24. 10. 1847. Zitiert in H E R B E R T R O C H : Ein frühes Lob der Zeisserzeugnisse. In: Zeiss Werkzeitung. Neue Folge. Jg. XVIII. Heft 2. April 1943, S. 29.

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In den Revolutionsmonaten des Jahres 1848 Aus der Fabrikationsstatistik ist zu ersehen, daß Zeiß im Laufe des Jahres 1848 insgesamt 39 Lupen-Mikroskope verkauft hat. Der Schwerpunkt des Mikroskopgeschäfts lag offensichtlich in den Monaten Januar bis März 1848, denn in diesen drei Monaten wurden 38,5 Prozent aller Instrumente abgesetzt.30 Der dann schwächer werdende Absatz hing zweifellos mit der Entwicklung der wirtschaftlichen und politischen Verhältnisse zusammen. Im Gefolge einer internationalen Handelskrise kam es seit Anfang 1848 in Deutschland zu Ronkursen von Handelshäusern, durch die auch gewerbliche Unternehmen in Mitleidenschaft gezogen wurden. So meldete die Kölnische Zeitung am 6. Januar 1848: „Karlsruhe, 2. Januar. Seit undenklichen Zeiten hat die Zahlungsunfähigkeit eines Handlungshauses keine solche Aufregung in unserem Staate veranlaßt als die Insolvenzerklärung des hiesigen Bankiers v. Haber und die daraus entstehenden Stockungen dreier bedeutender industrieller Etablissements."51 Die Auswirkungen der wirtschaftlichen Krise fielen in eine Zeit, in der die seit Anfang der vierziger Jahre wachsende Unzufriedenheit mit den herrschenden gesellschaftlichen Verhältnissen in den meisten deutschen Staaten in einen politischen Unwillen umschlug. Über die partikularistischen Grenzen hinweg entstand in Deutschland eine einheitliche politische Bewegung, in der zunächst nur ein kleiner Kreis auf eine revolutionäre Lösung des gesellschaftlichen Konflikts drängte. Aber der Umsturz in Frankreich im Februar 1848 ermunterte die Bürger auch in Deutschland zu Aktionen gegen die als untragbar empfundenen politischen Zustände. Ohne auf ernsthaften Widerstand zu stoßen, griff die revolutionäre Bewegung in allen deutschen Ländern um sich. In Jena waren es vornehmlich Studenten, die ihre Sympathie mit dem revolutionären Paris bekundeten. Sie hißten am Burgkeller die Trikolore, zogen mit blauweißroten Kokarden durch die Stadt und riefen „viva la Republique". Die Kunde von den revolutionären Vorgängen in Deutschland führte am 5. März 1848 in Jena die Bürger zu einer von einem Universitätsprofessor geleiteten Versammlung zu50

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Zusammengestellt nach UACZ. Bestand: BACZ. Nr. 7710. (Fabrikationsstatistik Mikro 1); UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1), Bl. 1-41. Zitiert in KARL OBERMANN: Die deutschen Arbeiter in der Revolution von 1848. Berlin 1953, S. 96.

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sammen, um zwei an die großherzogliche Regierung in Weimar gerichtete Petitionen zu beschließen. In einem Gesuch forderten die Jenaer Bürger die Vereinigung des Rammer- und Landschaftsvermögens und in dem zweiten traten sie für eine parlamentarische Vertretung des Volkes in einem Bundestag, für Freiheit und für Schwurgerichte ein.52 Es ist nicht überliefert, ob Zeiß diese Versammlung besuchte, aber aus seinen Aufzeichnungen und von Löber wissen wir, daß er der Jenaer Bürgergarde angehörte. Zeiß beschaffte sich im April eine Flinte53 und gab wenig später elf Groschen und sechs Pfennige für Munition aus, erwarb für einen Groschen und sechs Pfennige eine Bürgergardenbinde, beteiligte sich an der Sammlung für Trommeln und Hörner und nahm im Mai am Exerzieren und an den Schießübungen der Bürgergarde teil.54 In diesen frühen Revolutionsmonaten setzte er vor allem Waffen der Jenaer Bürger instand, die sich durch die politischen Gegebenheiten veranlaßt sahen, ihre Schußund Stichwaffe herrichten zu lassen. Löber erinnerte sich später: „Im Jahre 1848 (Revolution) war Herr Zeiß mit bei der hiesigen Bürgerwehr; im Geschäft, wo sonst wenig zu tun war, wurden aus den alten Feuerschlössern Perkussionen gemacht, es gab Hähne zu feilen und wohl auch zu härten."55 Die Waffenreparaturen brachten Zeiß insgesamt 15 Taler, sechs Groschen und zwölf Pfennige ein.56

Die Gründung einer eigenen Familie Im August 1848, inmitten der revolutionären Unruhen, reiste Carl Zeiß zweimal in das Pfarrhaus der Gemeinde Neuhofen bei Neustadt an der Orla zu Carl Gottfried Schatter.57 Die Schatters gehörten 52

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STEINMETZ: Geschichte der Universität Jena, S . 380-381. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1), Bl. 7. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1), Bl. 13. Zitiert in ESCHE: Carl Zeiss, S. 32. Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1), Bl. 1-41. Die Reisen fanden nach den Manualeintragungen am 3. und 4. August sowie am 20. und 21. August 1848 statt und kosteten Zeiß drei Taler und zwölf Groschen bzw. 21 Groschen und sechs Pfennige. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1), Bl. 25.

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zum Bekanntenkreis seines Bruders Friedrich August Eduard, dessen Frau Bertha aus diesem Ort stammte. Zeiß war von der einundzwanzigjährigen Tochter des Hauses, Bertha Schatter, angetan und warb mit Billigung ihres Vaters um sie. Am 16. September 1848 kaufte Zeiß für drei Taler und zehn Groschen vermutlich den Verlobungsring.58 Wenige Tage später, am 29. September, besuchte er gemeinsam mit den Eltern und Geschwistern das Neunhofer Pfarrhaus, um sich mit Bertha zu verloben. Schatter schrieb am 18. Oktober 1848 seinem Sohn Rudolph, „daß Deine Schwester mit dem Mechanikus Carl Zeiß in Jena versprochen ist... Die Hochzeit wartet auf bessere Zeiten, jedenfalls nicht vor Ostern".59 Tatsächlich gingen noch einige Monate ins Land, bis sich Bertha Schatter und Carl Zeiß am 29. Mai 1849 in Neunhofen vermählten. 60 Zeiß hielt auch die Ausgaben für die Hochzeit im Manual fest. Sie betrugen am 7. Mai einen Taler für das Gesangbuch der Braut sowie acht Groschen für ein kirchliches Zeugnis zur Erlangung des Trauscheines, am 8. Mai 18 Groschen für den Trauschein, acht Groschen für das kirchliche Zeugnis, einen Taler, 18 Groschen und zehn Pfennige für das Aufgebot und acht Groschen für das Integritätszeugnis, am 26. Mai 20 Groschen Douieur für den Stadtdiener für das Besorgen der Heiratszeugnisse, drei Taler und 20 Groschen für die Trauringe. Darüber hinaus gab Zeiß für seine Bekleidung zwei Taler für einen Hut, 20 Groschen für eine Seidenkrawatte und 15 Groschen für ein paar Handschuhe aus. Das Besohlen seiner Stiefel kostete ihm 20 Groschen. 61 Bertha Zeiß brachte aus selbstgesponnenem Leinen gefertigte Wäsche, Meißener Porzellan, ein silbernes Besteck und ein wenig Bargeld in die Ehe. 62 Das Ehepaar lebte in den bescheiden eingerichteten Räumen in der Wagnergasse 32, von der die Schwägerin Bertha zu berichten wußte, es sei eine „überaus einfache, ja fast ärmliche" Wohung.63 Da Zeiß die geringen Einnahmen nahezu vollständig für die Werkstätte aufwenden mußte, konnte er seiner Frau noch keine größeren Bequemlichkeiten bieten. Am 23. Februar 1850 gebar Bertha

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1), Bl. 29. Zitiert in WILLAM: Carl Zeiss, S. 70. UACZ: Bestand: BACZ Nr. 8 (Familie Zeiß, beglaubigte urkundliche Abschriften); UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1), Bl. 99. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1), Bl. 61-62. WILLAM: Carl Zeiss, S. 70. Ders., S. 72.

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Zeiß einen Sohn und starb im Rindbett. Zeiß ließ seinen Sohn auf den Namen Roderich taufen. Seine Schwester Hulda übernahm die Betreuung des Jungen. 64 Hulda weilte oft mit Roderich im Neunhofer Pfarrhaus. Dort lernte Zeiß wohl auch Ottilie Trinkler, die Tochter des Oberpfarrers Heinrich Friedrich Trinkler aus Triptis kennen. Der alte Schatter schrieb über die sich anbahnende neue Verbindung am 2. März 1853 an seinen Sohn Rudolph: „Aus der Familie habe ich zu melden, daß unser Zeiß uns gestern seine Braut in Trinkiers Ottilien gebracht hat. Die brave treue Seele wollte nicht anders als aus unserer Verwandtschaft heirathen. So machte sichs und ich denke gut. Sie wird dem Kleinen eine gute Mutter seyn."65 Zeiß vermählte sich am 17. Mai 1853 mit der vierunddreißigjährigen Ottilie Trinkler. Aus der 35 Jahre währenden Ehe gingen drei Rinder hervor, der Sohn Karl Otto und die Töchter Hedwig und Sidonie.66 Roderich fand sich in den frühen Ehejahren von seiner Stiefmutter umsorgt. Später kam es zwischen beiden zu Spannungen, die dazu führten, daß Roderich das Eisenacher Gymnasium bezog.

Die unbefriedigende Geschäftsbilanz Die wirtschaftlichen und politischen Unwägbarkeiten das Jahres 1848 lähmten auch die Arbeiten in der Zeiß-Werkstätte. Der Absatz von Mikroskopen, der sich in den ersten Monaten des Jahres gut angelassen hatte, war zum Erliegen gekommen. Das war wohl der Grund, weshalb sich Zeiß Anfang Oktober 1848 von seinem ersten Gesellen Diedrich trennte. Inzwischen hatte auch Löber gute Fortschritte in seiner Ausbildung zum Mechaniker gemacht.67 Wie sich die wirtschaftlichen Verhältnisse von Zeiß zwischen April und Dezember 1848 gestalteten, lassen die Daten im Manual erkennen. Zwischen April und Dezember 1848 nahm er durch den

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Ders., S. 72-73. Zitiert in WILLAM: Carl Zeiss, S. 73. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 8 (Familie Zeiß, beglaubigte urkundliche Abschriften). In UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1), Bl. 31 heißt es unter dem 7. Oktober 1848: „Herr Diedrich 2 Taler, 15 Groschen letzter Lohn."

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Verkauf von Mikroskopen insgesamt 274 Taler ein.68 Zeiß berechnete für ein Mikroskop im allgemeinen elf Taler. Nur bei Instrumenten mit einer besseren optischen Ausstattung setzte er den Preis etwas höher. Bei einer größeren Bestellung gewährte er einen kleinen Mengenrabatt.69 Von den zwischen April und Dezember 1848 abgesetzten 24 Mikroskopen gingen 16 in Länder außerhalb des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach.70 Zeiß fertigte neben Mikroskopen auch Lupen und Compressorien nach Oberhäuser, die er aber verbessert hatte. Letztere dienten dazu, Mikroskopobjekte durch allmähliche Quetschung so auszudehnen, daß sich deren innere Struktur aufhellen ließ und durchsichtiger wurde. Der Verkauf von Lupen und Compressorien brachte ihm in den Monaten April bis Dezember 1848 insgesamt 14 Taler und 22 Groschen ein.71 Sehhilfen verkaufte er in diesen neun Monaten für insgesamt 80 Taler, 20 Groschen und sechs Pfennige.72 Sie bezog er von der Optischen Industrieanstalt in Rathenow, wohin Zeiß am 31. Oktober 1848 45 Taler überwies. 73 Die Gesamtbareinnahmen aus Fertigung, Reparaturen und Ladengeschäft beliefen sich zwischen April und Dezember 1848 auf 364 Taler.74 Hinzu kamen die Außenstände von 83 Talern, sieben Groschen und zwölf Pfennigen.75 Zu den Einnahmen rechnete Zeiß auch 50 Taler für die Ausbildung des Lehrlings Heinrich Rexroth, die dessen Vater am 19. Oktober 1848 gezahlt hatte.76 Den Einnah-

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Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1), Bl. 1-41. Am 27. März 1848 stellte Zeiß für fünf Mikroskope insgesamt 54 Taler und 20 Groschen in Rechnung. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1), Bl. 4. Zusammengestellt nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 7710 (Fertigungsstatistik Mikro 1). Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1), Bl. 1-41. Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1), Bl. 1-41. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1), Bl. 33. Zeiß gab Einahmen und Ausgaben im Manual in Talern, Groschen und Pfennigen an. Wir haben, um den Text lesbar zu halten, nur die Taler angegeben. Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1), Bl. 1-41. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1), Bl. 30.

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men standen zunächst die Aufwendungen für die Werkstätte gegenüber, die sich in den genannten Monaten auf 279 Taler, drei Groschen und elf Pfennige beliefen. Davon entfielen 43,7 Prozent auf die Entlohnung von Diedrich und Löber, 36,9 Prozent auf Werkzeuge und Material, 15 Prozent auf die Miete und 2,5 Prozent auf Steuern und Versicherungen und 1,9 Prozent auf Porto, Zölle usw. Sodann kamen insgesamt 146 Taler an Ausgaben für den Haushalt, für Bekleidung und für den persönlichen Bedarf hinzu. Davon entfielen auf die Nahrungsmittel 54,8 Prozent, auf Kleidung 4,8 Prozent, auf Brennholz 8,3 Prozent und auf die Befriedigung persönlicher Bedürfnisse 32,1 Prozent.77 Der Vergleich der Bareinahmen von 364 Talern, zwei Groschen und einen Pfennig mit den Ausgaben von 425 Talern, neun Groschen und fünf Pfennigen zeigt, daß Zeiß zwischen April und Dezember 1848 kein befriedigendes wirtschaftliches Ergebnis erzielte. Selbst wenn die Außenstände von 83 Talern sieben Groschen und zwölf Pfennigen in Rechnung gesetzt werden, blieb nur der unbedeutende Überschuß von 22 Talern.78 Darum verwundert es nicht, daß Zeiß auch 1848 genötigt war, bei Verwandten Geld zu leihen. In den hier in Rede stehenden neun Monaten lieh er insgesamt 135 Taler. ™ In dieser schwierigen Wirtschaftslage warb er für sein Geschäft Am 18. November 1848 ließ er in die „Jenaische Zeitung" eine Anzeige einrücken, die auf die stets vorrätigen Artikel verwies: „Feine Brillengläser, Brillengestelle in großer Auswahl, Lorgnetten für ein Auge ganz aus Glas, Auswahl in doppelten und einfachen Lorgnettenfassungen, verschiedenste Arten von Loupen, Auswahl von Thermometern, kleine Thermometer zu Stickereien und andere in dieses Fach einschlagende Artikel " 80 1849 gab Zeiß das erste „Preisverzeichnis der mikroskopischen Geräthschaften, welche in der Werkstätte des Carl Zeiss in Jena ge77

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Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1), Bl. 1-41. Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1), Bl. 1-41. Zeiß lieh sich am 24. Juni 1848 20 Taler von seiner Mutter; am 14. September 1848 25 Taler von seiner Schwester Pauline; am 8. Oktober 1848 50 Taler von einem Onkel in Apolda; am 30. Dezember 1848 40 Taler von seinem Vater. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1 7 3 7 (Zeiß-Manual 1), Bl. 1 6 , 2 6 , 3 0 , 4 0 . Zitiert in AXEL STELZNER: Carl Zeiß in der Jenaer Tagespresse ( 1 8 4 7 - 1 8 8 8 ) . In: STOLZ, WITTIG: Carl Zeiss und Ernst Abbe, S. 100.

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fertigt wurden" heraus, in dem 20 verschiedene Instrumente aufgeführt waren. Eingangs wurden die Lupen-Mikroskope vorgestellt. „Nr. 1. Einfaches Mikroskop mit feststehendem großen Tisch nebst Federklammern, einer gröberen und einer feineren Einstellung der Linsen, einem ebenen Beleuchtungsspiegel nebst Sammellinse, den nötigen Object- und Deckplatten und vier getrennten Linsencombinationen (Dublets) von 15-, 30-, 60- und 120facher Vergrößerung. Die ersten drei dieser Dublets haben einen zum Präpariren bequemen Focalabstand. Das Ganze ist in ein verschliessbares Etuis eingelegt und eingerichtet beim Gebrauch darauf geschraubt zu werden. 13 Thlr. (Hervorhebungen im Orginal). Nr. 2. Dasselbe Instrument mit 15-, 30- und 120- oder mit 15-, 30- und 60facher Vergrößerung. 11 Thlr."81

Dazu wurden ein Glasplatten-Mikrometer und ein Präparierfuß sowie verschiedene Lupen angeboten. Sodann waren Gerätschaften aufgeführt, die für die Arbeit mit zusammengesetzten Mikroskopen benötigt werden, aber auch das Compressorium. Zeiß unternahm 1849 und 1850 große Anstrengungen, um seine Unternehmung zu konsolidieren. 1849 hatte er dabei einigen Erfolg, denn es gelang ihm 901 Tal er einzunehmen und die Ausgaben auf 704 Taler zu beschränken. 82 Die Haupteinnahmen erbrachte 1849 der Verkauf der selbstgefertigten 28 Mikroskope. Da aber ihr Absatz über die einzelnen Monate sehr diskontinuierlich verlief er schwankte zwischen drei und sechs Instrumenten pro Monat flössen auch die monatlichen Einnahmen unregelmäßig. 83 Da war es schon ein besonders glücklicher Umstand, wenn ein aufwendigeres Gerät bestellt wurde, für das ein höherer Preis realisiert werden konnte. So einen Fall vermerkte Zeiß unter dem 5. Juli 1849 im Manual: „von Herrn Schacht für das für ihn gefertigte Stativ mit Rasten u. einigem Zubehör 42 Thaler". 84 Die Analyse der Einnahmenstruktur im Jahre 1849 ergab, daß 71,4 Prozent der Einkünfte aus dem Mikroskopverkauf, 4,7 Prozent, aus dem Absatz selbstgefertigter Lupen und 11,5 Prozent aus ausgeführten Rundenaufträgen resultierten. Die Einnahmen aus dem

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 30528 (Zeiss-Kataloge). Errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1), Bl. 93141. Zusammengestellt nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1), Bl. 42-91. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1), Bl. 68.

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Verkauf von optischer Handelsware beliefen sich auf immerhin 12,4 Prozent.85 1850 verzeichnete Zeiß lediglich 3,3 Prozent mehr Einnahmen als im Vorjahr. Der Hauptgrund dafür lag in dem Rückgang des Mikroskopgeschäfts, denn es gelang ihm nur der Verkauf von 22 Instrumenten. Dieser unerheblichen Einnahmesteigerung stand eine Zunahme der Ausgaben um 19,9 Prozent gegenüber, so daß Zeiß lediglich ein Überschuß von 31 Talern verblieb. Von den Gesamtausgaben entfielen 34,8 Prozent auf Material, Löhne, Werkstattmiete und 25,5 Prozent auf beglichene Lieferantenrechnungen. Der Haushalt, also Nahrungsmittel und Heizung, machte 20,1 Prozent der Ausgaben aus. Auf die Bekleidung entfielen 1,4 Prozent Die restlichen Ausgaben ergaben sich aus Beiträgen, aus den Aufwendungen für Bücher und Zeitungen, Tabakwaren, Fahrgeld und aus den Zinszahlungen. Die Angaben über die von Zeiß 1850 beglichenen Lieferantenrechnungen geben einen Überblick über die Geschäftsverbindungen zu den verschiedenen Unternehmen, die optische und mechanische Handelswaren herstellten. Die Manualführung erlaubt es nicht, die Handelsspanne festzustellen, die sich für Zeiß aus dem Verkauf der optischen Handelsware ergab. Die größte Summe, 112 Taler, überwies er der Firma Gebrüder Roch in Stuttgart für die verkaufte optische Handelsware, 41 Taler gingen an die Optische Industrie-Anstalt in Rathenow für Sehhilfen. Für abgesetzte Thermometer zahlte Zeiß 27 Taler an F. F. Greiner im thüringischen Stützerbach. Die Firma C. Lüttig in Berlin erhielt für Reißzeuge 18 Taler. Die geringe Summe von vier Talern ging für optische Handelsware an das Leipziger Geschäft Brauner & Lampe. 86 Als Zeiß in dieser für ihn in geschäftlicher Hinsicht so unbefriedigenden Zeit erfuhr, daß 1850 der Greifs walder Optiker Norbert sein Geschäft aufgegeben hatte und in dieser Universitätsstadt nun ein Mechaniker fehlte, folgte er der Anregung einiger Professoren der dortigen Philosophischen Fakultät und bewarb sich an der Greifswalder Universität um die Stelle eines Kustos, die er neben

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Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeifl-Manual 1), Bl. 42-91. Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1), Bl. 92-141.

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der eigenen Werkstätte wahrnehmen wollte.87 Aber das Unternehmen zerschlug sich, weil sich die Greifswalder Professorenschaft lange Zeit nicht über den Bewerber einigen konnte und ihn schließlich als einen Ausländer ablehnte.

Die ersten Erfolge Die nachrevolutionäre Zeit war in Deutschland von widersprüchlichen gesellschaftspolitischen Tendenzen und Prozessen gekennzeichnet. In der ersten Hälfte der fünfziger Jahre prägte zunächst die politische Restauration das gesellschaftliche Leben in den deutschen Staaten. Der Dualismus zwischen Preußen und Österreich um die Vorherrschaft in Deutschland trat immer deutlicher hervor. Das erlaubte den deutschen Mittelstaaten einen größeren Einfluß auf das politische Geschehen in Deutschland. Sie nutzten ihn, um die deutsche Einigung voranzubringen. Das Bürgertum, dessen politisches Wirkungsfeld durch die restaurativen Bestrebungen der Herrschenden stark eingeschränkt war, lenkte seine Energien auf das Verfolgen seiner ökonomischen Interessen, aber auch auf den Erkenntnisgewinn in den Natur- und Technikwissenschaften und in der Medizin. Es beschleunigte damit den Modernisierungsprozeß und erreichte auf evolutionäre Weise wesentliche Ziele der Revolution von 1848/49. Das wiederum zwang die Monarchien, das Herrschaftssystem an die im Wandel begriffenen Gesellschaftsverhältnisse anzupassen. Die bürgerliche Regsamkeit trug seit der Mitte der fünfziger Jahre auf ökonomischem Gebiet in einem wachsenden Maße Früchte. In der gewerblichen Produktion vollzog sich seither ein bemerkenswerter Aufschwung, der von dem im technischen Umwälzungsprozeß befindlichen Textilgewerbe, von der Montanindustrie, vom Nahrungs- und Genußmittelgewerbe sowie vom metallverarbeitenden Gewerbe, in dem der Maschinenbau ein wachsendes Gewicht erhielt, getragen wurde. Mit dem industriellen Fortschritt ging ein struktureller Wandel in der Wirtschaft der deutschen Staaten ein-

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ESCHE: Carl Zeiß, S. 54-55.

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her. Der Anteil von Bergbau, Industrie und Handwerk an der Erzeugung des Nettoprodukts - zu Preisen von 1913 - stieg von 21,2 Prozent in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre auf 26,8 Prozent in der zweiten Hälfte der sechziger Jahre. Zugleich wuchs mit der Revolutionierung des Verkehrswesens auch dessen Anteil von 0,7 auf 1,6 Prozent Demgegenüber sank der Anteil der Landwirtschaft am Nettoprodukt von 45,2 auf 42,4 Prozent.88 Zur wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland hatte auch die staatliche Gewerbepolitik beigetragen, die zunächst in Preußen und seit der ersten Hälfte der sechziger Jahre auch in den anderen deutschen Ländern die Gewerbefreiheit brachte. Der Jenaer Mechaniker Carl Zeiß trug das Seine zu diesem Modernisierungsprozeß in Deutschland bei. Er konnte sich natürlich nicht mit Friedrich Krupp oder Albert Borsig vergleichen und auch nicht mit Emil Busch messen, der die Optische Industrie-Anstalt in Rathenow längst zu einer mit moderner Maschinerie ausgestatteten industriellen Unternehmung ausgebaut hatte.89 Aber es war, wie noch zu sehen ist, die Herangehensweise, die Zeiß zu einer besonderen Unternehmerpersönlichkeit werden ließ. Mit Fleiß, kommerzieller Umsicht und äußerst bescheidener Lebensführung gelang es ihm, die günstigen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen zu nutzen. In der ersten Hälfte der fünfziger Jahre stabilisierte er sein Geschäft und schuf damit auch die Voraussetzung für die weitere Technisierung seiner Werkstätte. Zeiß vervollkommnete in der ersten Hälfte der fünfziger Jahre das Mikroskopangebot. Davon unterrichtete er die Rundschaft 1852 in einem neuen Katalog, der mit seinen 39 Positionen weit umfangreicher war als der erste aus dem Jahre 1849. Zeiß bot darin zwei Mikroskop-Modelle an, bei denen besonders die Größe des Objekttisches, die grobe Einstellung durch Verschieben und die feine durch eine Schraube hervorgehoben wurden. Das fortgeschrittenere Modell war mit einem Objekttisch von 2 x 2 Pariser Zoll, einer

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Das Wachstum der deutschen Wirtschaft seit der Mitte des 19. Jahrhunderts (im folgenden HOFFMANN: Wachstum der deutschen Wirtschaft). Berlin Heidelberg New York, 1965, S. 33. KARL ALRRECHT: Die Geschichte der Emil Busch AG. Optische Industrie. Rathenow. Vom wirtschaftswissenschaftlichen Standpunkt Ein Beitrag zur Erkenntnis der Struktur des Wirtschaftslebens (im folgenden ALBRECHT: Geschichte der Busch AG). Optische Bücherei. Band 3. Erfurt 1925, S. 46-55. WALTHER G. HOFFMANN:

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Drehscheibe mit verschiedenen Blendungen und einem Belichtungsspiegel, mit dem sich drei unterschiedliche Bewegungen vornehmen ließen, versehen. Zugleich wies er neben den schon früher avisierten vier Dublets nun auch auf ein Triplet mit einer 200fachen Vergrößerung und einer Brennweite von 1,25 cm hin. Der Preis des Triplets war mit 5 Talern angegeben. Für ein Triplet von 300facher Vergrößerung und einer Brennweite von 0,83 cm warb Zeiß in einem 1856 veröffentlichten Preisverzeichnis.90 Zeiß war aber auch weiterhin darum bemüht, renommierte Wissenschaftler dafür zu gewinnen, daß sie ihren positiven Eindruck von den Jenaer Erzeugnissen öffentlich bekundeten. Am 5. April 1853 schrieb er einen Brief an Hermann Schacht in Berlin, in dem er ihn zunächst über seine neuen Mikroskope unterrichtete und dann auf den eigentlichen Zweck seines Briefes einging: „Ich ersuche Sie, mein lieber Doktor, dieserhalb meine 300 (fache Vergrößerung d. V.) ja, wie Sie selbst beabsichtigen, ja nur gelegentlich und öffentlich zu erwähnen."91 Den Runden gab Zeiß aber auch genaue Instruktionen über den zweckmäßigen Umgang mit seinen Instrumenten. So teilte er am 11. April 1853 in einem Brief, dessen Adressaten wir nicht kennen, der aber ein leistungsfähiges Mikroskop zum Preis von 27 Talern erworben hatte, mit, was zu tun sei, um das optische System zu säubern: „Ich pflege zu diesem Zwecke kleine Cylinderchen von Hollundermark zu machen und diese mit immer frisch geschnittenem Querschnitt auf die betr. Glasfläche herumzudrehen. Nachher bediene ich mich eines ganz reinen feinen Pinselchens, um durch die leiseste Berührung mit demselben die kleinen zurückgebliebenen Theilchen des Markes wegzubringen. Der Pinsel muß häufig in Schwefeläther gereinigt werden. Wenn Sie die Gläser gegen den Himmel gehalten mit der Lupe betrachten, so werden Sie so genau finden, ob sie rein oder unrein sind. Nach sorgfaltiger Reinigung und bei bester Einstellung des Beleuchtungsapparates und der Linsen selbst zeigt die 120fache Vergrößerung die Sie empfangen auf den gelbbraunen Schuppen der Hipparchia Janica in der ganzen Ausdehnung der ganzen Schuppen, wenn sonst das Tageslicht nicht so günstig."92

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 30528 (Zeiss-Kataloge). OMJ. Nr. 12071 (Brief Zeiß an Schacht vom 3. April 1853). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 10028 (Brief Zeiß an einen Kunden vom 11. April 1853).

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Nachdem Zeiß 1850 wenig Glück im Mikroskopgeschäft hatte, gelang es ihm, 1851 und 1852 jeweils 38 Instrumente zu verkaufen und 1853 mit 53 Mikroskopen das bisher beste Verkaufsergebnis zu erzielen. 1854 und 1855 setzte er lediglich 32 bzw. 44 Mikroskope ab.93 Der ungleichmäßige Verlauf des Mikroskopgeschäfts spiegelte sich in den Einnahmen der Optischen Werkstätte wider. In den Jahren 1851 bis 1853 stiegen die Einnahmen von 1.290 auf 1.844 Taler, sanken dann 1854 auf 1.365 und stiegen 1855 wieder.94 Zeiß hielt die Ausgaben in Grenzen, so daß ihm immer ein, wenn auch unterschiedlich großer, Überschuß verblieb. Die Tabelle 1 im Tabellenanhang gibt die Einnahmen und Ausgaben sowie die in diesen Jahren erzielten Überschüsse wieder. Wenngleich sich die wirtschaftliche Existenz des Mechanikers Zeiß vornehmlich auf den Absatz selbstgefertigter Erzeugnisse gründete, so spielten die Einnahmen aus den Reparaturen und aus dem Warenverkauf auch weiterhin eine bemerkenswerte Rolle. Der zufriedenstellende Geschäftsgang ermutigte Zeiß, die Ausrüstung seiner Werkstätte zu vervollkommnen. Mitte 1851 bestellte er bei der Fa. August Hamann in Berlin eine neue Mechanikerdrehbank. Er zahlte am 27. Juni 1851 40 Taler an und beglich im Oktober des gleichen Jahres die restliche Raufsumme von 50 Talern.95 Allerdings war, wie Zeiß in dem schon erwähnten Brief an Schacht am 3. April 1853 schrieb, „unsere ausgezeichnete Berliner Drehbank noch nicht für dergleichen sehr feine Arbeiten ausreichend". Er äußerte die Absicht, sich an Hamann zu wenden, um eine Maschine zu bekommen, mit der derartige Arbeiten ausgeführt werden konnten. 96 1 854 verfügte Zeiß über drei sehr gute Drehbänke aus der Hamannschen Maschinenfabrik in Berlin.97 Dort kaufte Zeiß auch eine Längenteilmaschine. Bis Anfang 1853 blieb das Werkstattpersonal weitgehend unverändert. Mit Löber arbeitete Rexrodt bis April 1853 als Geselle. Im Januar 1853 nahm Zeiß für kurze Zeit den Gesellen Keßler und im

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 7710 (Fabrikationsstatistik Mikro 1). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1); Nr. 1736 (Zeiß-Manual 2). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1), Bl. 165,178. OMJ. Nr. 12071 (Brief Zeiß an Schacht vom 3. April 1853.). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 11188 (Brief Zeiß an R. O. Beck vom 4. Februar 1855. Kopie).

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April 1853 den Gesellen Zippel auf. Beide waren offensichtlich reisende Mechaniker, die nur für zwei Monate in der Stadt blieben und weiterzogen. Im Juni 1853 trat für längere Zeit der Mechaniker Wagner in die Werkstätte ein, und seit Dezember 1855 beschäftigte Zeiß dann noch den Gesellen Kirchhoff.98 Ebenso wie sein Lehrherr Körner bildete Zeiß junge Mechaniker aus. Am 21. April 1851 nahm Zeiß Edmund Gerlach als Lehrling an, aber die Unterlagen lassen nicht erkennen, ob das Lehrverhältnis ordnungsgemäß beendet wurde. Besser sind wir über die Lehrzeit von Martin Weßelhoeft unterrichtet, der im Sommer 1852 die Lehre in der Zeiß-Werkstätte begann. Es ist der von Zeiß eigenhändig abgefaßte „Lehr-Contrakt zwischen dem Herrn Pastor Weßelhoeft in Ilmenau einerseits und dem Mechanikus Carl Zeiß in Jena andererseits" vom 30. März 1852 überliefert." Danach gab der Pastor seinen Sohn Martin vom 1. April 1852 bis zum 1. April 1856 bei Zeiß in die Lehre. Der Punkt 2 des Lehrvertrages legte fest: „Der Mechaniker Zeiß verpflichtet sich, dem Martin Weßelhoeft alle zur Mechanik gehörigen Fertigkeiten zu lehren und überhaupt, so viel in seinen Kräften steht, einen tüchtigen und geschickten Mechanikus aus Martin Weßelhoeft zu machen." Der Lehrherr hatte desweiteren für Kost und Logie des Lehrlings zu sorgen und seinem Schutzbefohlenen „an Sonntagen ein paar Stunden Unterricht in dem Linearzeichnen" zu erteilen. Vater Weßelhoeft stimmte seinerseits zu, „dem Mechaniker Zeiß ein hundert Thaler Lehrgeld und jährlich fünfzig Thal er für Kost und Logis zu zahlen, auch in der Lehrzeit ein Bett mit drei Überzügen zu stellen. Das Kostgeld wird in halbjährigen Raten zu 25 Thaler am Ende jedes betreffenden Halbjahres entrichtet. Das Lehrgeld wird in zwei Partien voraus bezahlt und zwar die erste Hälfte Anfang Juni 1852, die andere Hälfte Anfang 1853, da die Bemühungen des Lehrherren im ersten Jahre am größten und in den nachfolgenden ungleich geringer werden". Zeiß verlangte von dem Lehrling eine zweimonatige Probezeit, so daß der Lehrvertrag vom 1. Juni 1852 an galt. Nach dem Abschluß der Lehrzeit und einer kurzen Gehilfentätigkeit erhielt der Martin Weßelhoeft unter dem 20. August 1856 eine Beurteilung, in der Zeiß dem jungen Mann die Lehr- und Ge-

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1), Bl. 165-177. OMJ. Nr. 12075 (Lehrvertrag Zeiß mit Weßelhoeft vom 30. März 1852).

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hilfenzeit in seiner Werkstätte bestätigte, „sowie auch, daß derselbe alle zur Fertigung mathem. optisch, u. dergl. Instrumente erforderte Fertigkeit erworben, und die ihm in letzter Zeit übergebenen Arbeiten unter anderem vorzugsweise chemische Waagen und Mikroskope zu meiner Zufriedenheit ausgeführt hat. Seine mathemath. Renntniße u. Fertigkeiten im Zeichnen befähigen ihn auch zu schwierigen Aufgaben."100 Die im Lehrvertrag mit Weßelhoeft enthaltenen Prinzipien machte Zeiß auch auf einem undadierten Blatt bekannt, das er in den sechziger oder frühen siebziger Jahren drucken ließ. Darin nannte er eine vierjährige Lehrzeit, die Höhe des Lehrgeldes und die Bedingungen für die Unterbringung der Lehrlinge. Über die theoretische Ausbildung ließ Zeiß wissen, „jeder dieser jungen Leute /kann/ wöchentlich ein paar Stunden für Privatunterricht verwenden, im letzten Jahre auch Collegium über Physik hören. Das Hören akademischer Vorlesungen ist überhaupt nur im letzten Jahre gestattet. An Sonntagen haben sie Gelegenheit beim Lehrherren das mathematische Zeichnen zu lernen, und wird Letzterer sich angelegen sein lassen sie in diesem Fach bis zur nützlichen Selbstständigkeit zu bringen".101 In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre veränderte sich in der Zeiß-Werkstätte nur wenig. Lediglich am 16. September 1856 annoncierte Zeiß in der Jenaischen Zeitung: „Ein junger Mensch von 16 bis 18 Jahren, arm und brav, findet bei Unterzeichneten für immer Beschäftigung."102 In den Jahren 1854 bis 1856 befand sich die Optische Werkstätte in einer Phase der Stagnation. 1854 lagen die Einnahmen um 26 Prozent unter denen des Vorjahres, und erst 1857 wurden wieder Einnahmen in der gleichen Höhe wie 1853 erzielt. Zeiß gelang es nicht, die Ausgaben den geringeren Einnahmen anzupassen. Nachdem 1855 lediglich ein Überschuß von 48 Talern geblieben war, überstiegen nun 1856 und 1857 die Ausgaben die Einahmen erheblich. Obgleich sich zwischen 1858 und 1862 die Einnahmensituation

100 OMJ. Nr. 12076 (Zeugnis für Martin Wesselhöft - geänderte Schreibweise des Namens - von Zeiß vom 20. August 1856). 101 UACZ. Bestand: BACZ Nr. 782 (Bedingungen für die technische Ausbildung, das Lernen junger Leute in der Werkstätte von Carl Zeiß in Jena), Bl. 1. 102 Zitiert in S T E L Z N E R : Carl Zeiß in der Jenaer Tagespresse. In: STOLZ, W I T TIG: Carl Zeiß und Ernst Abbe, S. 103.

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wesentlich verbesserte und Überschüsse erzielt werden konnten, kam es 1862 wieder zu mehr Ausgaben als Einnahmen. Die Tabelle 1 im Tabellenanhang gibt den Geschäftsverlauf zwischen 1856 und 1862 wieder. Geht man nun der Frage nach, welche Ursachen es für diese geschäftliche Stagnation gab, dann stößt man auf die Auswirkung, die die veränderte Situation auf dem Mikroskopmarkt für die Optische Werkstätte hatte. Die Nachfrage richtete sich nun stärker auf die zusammengesetzten Mikroskope.

Der Bau zusammengesetzter Mikroskope Die Lupen-Mikroskope, auf die sich Zeiß spezialisiert hatte, entsprachen nicht mehr den wachsenden Ansprüchen derer, die aus beruflichen oder anderen Gründen mit dem Mikroskop arbeiteten. Auf die größeren Einsatzmöglichkeiten des zusammensgesetzten Mikroskops hatte Schleiden in der schon zitierten Schrift „Grundzüge der wissenschaftlichen Botanik" hingewiesen: „Noch wäre hier die Frage zu beantworten, ob zu wissenschaftlichen Untersuchungen das einfache Mikroskop oder das zusammengesetzte vorteilhafter sei. Ich muß unbedingt für das letztere entscheiden." Nach einer eingehenden Begründung stellte er dann verallgemeinernd fest, „allein wenn wir die Beobachtungen ausschließlich der letzten 20 Jahre vergleichen, müssen wir doch zugeben, daß alle die Wissenschaft fördernden Beobachtungen mit dem zusammengesetzten Mikroskop gemacht sind".103 Der Nachfragewandel im Mikroskopgeschäft fand in der Optischen Werkstätte zunächst in rückläufigen und dann in stagnierenden Verkaufszahlen seinen Niederschlag. 1855 wurden 44 und 1856 47 oder 48 Lupen-Mikroskope verkauft. 104 Daraus zog Zeiß offensichtlich die Lehre, daß es nun an der Zeit sei, ebenfalls mit dem Bau zusammengesetzter Mikroskope zu beginnen. Darauf deu-

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SCHLEIDEN: Wissenschaftsphilosophische Schriften, S. 130. Die Eintragungen in der Fabrikationsstatistik Mikro 1 sind für das Jahr 1856 nicht ganz eindeutig.

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tet ein Brief hin, den er am 4. Februar 1855 an K. O. Beck, einem Arbeitskameraden aus der Wiener Zeit, der in Rußland ein Mechanikergeschäft betrieb, schrieb: „Gleichwohl wirst Du Dich wundern, wenn ich Dir sage, daß ich bis heute noch nicht eine Flintglaslinse zu einem zusammengesetzten Mikroskop habe schleifen lassen. Ich kann nicht sagen, daß ich nicht bemüht wäre, weiter zu streben, habe auch viel in anderen Gattungen von Mikroskopen experimentiert, glaube aber, daß im gewöhnlichen Compositum es nicht viel weiter gebracht werden kann, und habe etwas Abscheu vor dem ewigen bei uns Optikern gebräuchlichen Probieren; denn diese Leute wie Oberhäuser probieren aus Hunderten von Linsen ein gutes Objektiv zusammen. Dennoch aber beabsichtige ich mit einer billigen Sorte zusammengesetzter Mikroskope mit nicht zu scharfen Objektiven nächstens einen Anfang zu machen."105

Es sollten aber noch zwei Jahre ins Land gehen, bis sich Zeiß ernsthaft der Konstruktion zusammengesetzter Mikroskope zuwandte. Sein zögerliches Herangehen lag wohl vornehmlich darin begründet, daß mit dem Bau derartiger Instrumente die aufwendige Prozedur des Probierens verbunden war. Die Überlegenheit des zusammengesetzten Mikroskops über das einfache resultierte aus dem anderen Aufbau des Instruments, das sich aus zwei optischen Systemen, dem Objektiv und dem Okular, sowie einem Rohr, dem Tubus, zusammensetzte. Der Tubus gewährleistete den Abstand der optischen Systeme zueinander und deren gegenseitige Justierung. Beim Aufbau der optischen Systeme wurden, um kurze Brennweiten zu erreichen, Linsen von unterschiedlichen Formen und aus verschiedenen Glasarten verwandt. Bei den zusammengesetzten Mikroskopen waren die Linsen nicht - wie das bei den Lupen-Mikroskopen der Fall war - dauernd verbunden, sondern zu mehreren achromatischen Doppellinsen von abnehmender Brennweite zusammengefügt. Diese Doppellinsen konnten einzeln oder mit anderen zusammen ein brauchbares Bild vom Objekt geben. Um die günstigste Wirkung zu erzielen, war es unerläßlich, ganze Reihen verschiedener Linsen und Linsenpaare auszuprobieren, bis ein sauberes Bild vom Objekt entstand. Als sich Zeiß mit dem Bau zusammengesetzter Mikroskope befaßte, praktizierte

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 11188 (Brief Zeiß an Beck vom 4. Februar 1855. Kopie).

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man die Methode, Linsenpaare, die einzeln kaum gute oder fehlerhafte Bilder boten, so miteinander zu verbinden, daß sich die Unzulänglichkeiten der Linsen gegenseitig aufhoben. Ein positiver Effekt trat dann ein, wenn die Fehler der einzelnen Glieder einen entgegengesetzten Charakter hatten, so daß sie sich in dem vom ganzen System erzeugten Bild gegenseitig aufhoben. Auf diese Weise ließ sich der freie Durchmesser der Linsen - im Verhältnis zur Brennweite - unendlich vergrößern, ohne daß die Bildgüte verloren ging. Obgleich damit eine größere Helligkeit gewonnen wurde, sollte sich aber bald erweisen, daß derartige Systeme von einem größeren Öffnungswinkel die Probeobjekte schärfer abbilden konnten. Es war Giovanni Battista Amici, der für starke Objektive mit dem größten erreichbaren Öffnungswinkel einen Aufbau wählte, der fortan Bestand haben sollte. Danach war der erste Teil des Objektivs, vom Objekt aus gesehen, eine dicke, stark gewölbte etwa halbkuglige einfache Linse, die dem Objekt ihre ebene Fläche zuwandte. Auf diese Linse folgten zwei oder mehrere Glieder, die aus einer achromatischen Linse aus Kronglas-Sammellinse und Flintglas-Zerstreuungslinse bestanden. Im Unterschied zu den einfachen Mikroskopen, die aufrechtstehende Bilder zeigten, lieferte das zusammengesetzte Mikroskop solche, die auf dem Kopf standen. 106 Anschaulich beschrieb Auerbach den Herstellungprozeß von optischen Systemen für zusammengesetzte Mikroskope: „Selbst die besten damals angefertigten Mikroskope waren, wenn man von den natürlich der Wissenschaft entlehnten Grundsätzen des Lichts absieht, Produkte hundertfaltigen Probierens. Man schliff die für das Okular und das Objektiv benötigten Linsen und sah zu, was für Bilder von kleinen Gegenständen sie im Auge entwarfen; von Jahrzehnt zu Jahrzehnt hatte man dabei mehr und mehr Anhaltspunkte gewonnen, wie man die Linsen gestalten müsse, um bestimmte Zwecke zu erreichen oder besser - negativ ausgedrückt - um bestimmte Fehler zu vermeiden, als da sind: Unschärfe des Bildes, verschiedene Vergrößerungen in der Mitte und am Rande, farbige Ränder, ungenügende Helligkeit usw. Änderte man nun, um einen dieser Fehler auszumerzen, die Linsenmaße ein wenig ab, so fand sich begreiflicherweise, daß zwar die ursprüngliche Absicht erreicht war, die andern Fehler aber vielleicht geradezu verschlimmert waren. Man änderte wieder und immer wieder; und

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UACZ Bestand: BACZ Nr. 722 (RÖHLER: Verbesserungen).

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da ein optisches Bild, wenn es tadellos sein soll, überaus zahlreiche gute Eigenschaften haben muß, so ergibt sich eine so immense Mannigfaltigkeit von zu erfüllenden Bedingungen, daß vielleicht Jahrhunderte nicht genügt haben würden, um auf diesem Wege schließlich einmal, und auch dann nur durch einen glücklichen Zufall, das ideale Mikroskop zu finden."107

Die Hauptursache für die Schwierigkeiten bei der Bestimmung einwandfreier optischer Systeme lag in der Beschaffenheit des optischen Glases. Die verfügbaren Krön- und Flintgläser schwankten hinsichtlich ihrer Brechzahlen und Wellenlängenabhängigkeiten (Dispersion). Das hatte wiederum Auswirkungen auf die Wahl der Linsenmaße, was man aber damals beim Aufbau von Objektivsystemen nicht hinreichend beachtete. 108 Die zögerliche Haltung von Zeiß gegenüber dem Bau zusammengesetzter Mikroskope resultierte aber nicht nur daraus, daß er um die zu erwartenden Schwierigkeiten wußte und denen er sich aufgrund seiner Ausbildung auf dem Gebiet der Optik nicht hinreichend gewachsen fühlte, sondern vor allem aus seiner ganz anderen Vorstellung vom Herstellen optischer Systeme. Er war der Ansicht, daß es möglich sein müsse, die Elemente dieser Systeme auf mathematischem Wege zu ermitteln und sie dann nach Berechnung anzufertigen. Diese Ansicht hatte er schon Anfang der fünfziger Jahre während der Zusammenarbeit mit seinem Freund, dem Mathematiker Friedrich Wilhelm Barfuß, gewonnen. Obgleich es Barfuß damals lediglich gelang, die Linsen für ein Triplet zu errechnen, war Zeiß von der Richtigkeit seiner Vorstellung überzeugt. Ernst Abbe berichtete darüber 1896 in seiner Rede auf der festlichen Versammlung zum 50jährigen Bestehen der Zeiß-Werkstätte: „Zeiß selbst aber ist, wie er später erzählte, hinsichtlich dieser Erfolge schon sehr früh recht skeptisch gewesen. Er merkte, daß er, als Autodidakt an dieses Arbeitsfeld herangekommen, also ohne Anteil an der Summe von traditioneller Erfahrung, die auf ihm gewonnen war, den anderen gegenüber, die schon (durch) Jahrzehnte hin jene eigenartige Kunst geübt hatten, sehr im Nachteil sei, und als Autodidakt auch frei von allzu großer Verehrung für das traditionell Gegebene fand er bald,

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AUERBACH: Das Zeisswerk. WITTIG: Ernst Abbe, S. 52.

4. Auflage 1914, S. 7.

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daß diese ganze Art des Arbeitens im letzten Grund für die Optik eigentlich höchst irrationell sei. Er sagte sich: da alle Wirkung, die eine Linsenkombination begleiten, auf Gesetzen beruhen, die durch die wissenschaftliche Optik genau festgestellt, in allen Einzelheiten mathematisch bestimmbar sind, und da auch alle maßgebenden Eigenschaften des wirksamen Stoffes, des Glases, auf das strengste meßbar sind - so muß es für den Aufbau von Linsensystemen jeder Art noch einen anderen Weg geben, um eine verlangte Wirkung mit Sicherheit des Erfolgs herbeizuführen. Es muß auf diesem Gebiet noch eine ganz andere Art des Zusammenwirkens von wissenschaftlicher Lehre und technischer Kunst möglich sein, als bisher bestanden hat;" 1 0 9 Mitte der fünfziger J a h r e sah sich Zeiß also - wollte er seine hart erkämpfte Stellung im Mikroskopgeschäft nicht gefährden - gezwungen, zusammengesetzte Mikroskope auf die h e r k ö m m l i c h e Weise zu fertigen. Zunächst baute er ein Instrument, das zwischen dem einfachen und d e m z u s a m m e n g e s e t z t e n Mikroskop lag. In d e m „Verzeichnis der Mikroskopischen Apparate von Carl Zeiss in J e n a " aus dem J a h r e 1 8 5 8 m a c h t e er seine Rundschaft an 24. Position mit einer Novität bekannt: „Kleiner Tubus, bestehend in einem Rohr mit einem Collectiv- und zwei Oculargläsern, mit einer Vorrichtung, um das Rohr mit den Doublets und Stativen Nr. 1 bis 5 zu verbinden und die Doublets als Objectiv benutzend, 2 stärkere Vergrößerungen nach dem Prinzip des zusammengesetzten Mikroskops zu erzielen. Die 120fache Vergrößerung des einfachen Mikroskops giebt auf diese Weise eine 300- und eine 600fache Vergrößerung. Das Ganze in ein Etuis von hartem Holz eingelegt, inclusive eines Hohlspiegels, welcher, um eine stärkere Beleuchtung zu erreichen, zum Aufstellen auf den Planspiegel des Stativs gefertigt werden muß. 6 Taler." 110 Willam bewertete diesen Schritt so: „War diese Anwendungsart n a c h m o d e r n e n Begriffen a u c h keine sehr rationelle, so ist sie doch für jene Umbruchszeit in der Optik bezeichnend, selbst unter Verzicht auf die anderen Vorzüge des rationell durchkonstruierten z u sammengesetzten' Mikroskops, wenigstens dessen stärkere Vergrößerung nutzbar zu m a c h e n . " 1 1 1

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Gedächtnisrede. In: Sozialpolitische Schriften, S. 64-65. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 30528 (Zeiss-Kataloge); ROHR: Zur Geschichte des Zeisswerkes, S. 12. W I L L A M : Carl Zeiss, S. 42. ABBE:

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Das erste und von ihm selbst gefertigte zusammengesetzte Mikroskop verkaufte Zeiß 1857 an Hermann Schacht in Berlin. Das zweite Instrument dieser Art, nun vom Gesellen Rexroth hergestellt, blieb in der Werkstätte und das dritte, vom Gesellen Wagner montierte Mikroskop diesen Typs erwarb C. von Seebach aus Weimar.112 Im Manual vermerkte Zeiß unter dem 23. Februar 1858 erstmals den Verkauf eines zusammengesetzten Mikroskops. Es wurde zu einem Preis von 55 Talern von der Großherzoglichen Entbindungsanstalt in Jena erworben. 113 Damit war Zeiß in den Kreis der 35 europäischen und vier nordamerikanischen Mikroskopbauer eingetreten, die zu Beginn der sechziger Jahre jährlich ca. 2.000 aplanatische Mikroskope auf den Markt brachten. 114 1858 wurden in der Zeiß-Werkstätte 16 und im folgenden Jahr sieben zusammengesetzte Mikroskope hergestellt, deren Absatz Zeiß freilich nicht zufriedenstellen konnte, denn nur 63 Prozent dieser Instrumente fanden sofort nach ihrer Fertigstellung einen Abnehmer. Die letzten Exemplare wurden erst 1864/65 verkauft. Seit 1856 wurden in der Optischen Werkstätte die hergestellten Mikroskope registriert. Die Fertigungszahlen sind in der Tabelle 2 im Tabellenanhang aufgeführt. Im August und im November 1861 unterrichtete Zeiß erstmals auf den Werbeblättern „Zusammengesetzte Mikroskope" seine Rundschaft ausführlich über seine neuen Erzeugnisse. Das Augustblatt gab an: „Stativ 0. Großes Hufeisenstativ nach Oberhäuser, drehbarer Tisch, darunter Schlitten um die Blendung seitlich zu wechseln, Spiegel hohl und plan, seitlich und hoch und niedrig zu stellen, Mikrometerbewegung an der Tubussäule, Höhe des Instrumentes 14 Zoll, mit Etuis 55 Thlr."115 Daneben machte er noch auf die Stative I bis IV, auf die Objektivsysteme A bis F sowie auf die unterschiedlichen Kombinationsmöglichkeiten aufmerksam. Die Leistungen von Zeiß auf dem mikroskopischen Gebiet wurden von Leopold Dippel in seinem 1867 erschienen Handbuch „Das Mikroskop und seine Anwendung" eingehend gewürdigt:

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 7710 (Fabrikationsstatistik Mikro 1), Bl. 68. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1736 (Zeiß-Manual 2). 114 W I T T I G : Ernst Abbe, S. 54. 115 UACZ. Bestand: BACZ Nr. 30528 (Zeiss-Kataloge). 113

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„Schon bei der Besprechung des einfachen Mikroskops hatte ich Veranlassung, Herrn Zeiß, welchem dieses Hilfsmittel der Forschung manche wichtige Verbesserung verdankt, rühmend zu erwähnen. In gleicher Weise strebt er auch schon seit längerer Zeit dahin, Stative sowie Objectivsysteme für das zusammengesetzte Mikroskop zu construieren, welche allen Anforderungen des wissenschaftlichen Mikroskopikers zu entsprechend im Stande seien. Da ich vor Jahren schon Gelegenheit hatte, in das ernste und rastlose Streben des Herrn Zeiß manchen Blick zu tun, so durfte ich aus dessen Werkstätte nur Vorzügliches erwarten. Diese Erwartung bestätigte sich denn auch, als derselbe so freundlich war, mir mehrere seiner Stative, seine sämtlichen gangbaren Objectivsysteme, sowie einige ihm eigentümliche Nebenapparate zur Prüfung zu übersenden." Zur Zeiß'schen Optik vermerkte Dippel: „Der optische Apparat ist bei sämtlichen Mikroskopen ganz vorzüglich und gehören namentlich die Objectivsysteme dem ersten Range an."116

Zweifellos hatte die Hinwendung zu den zusammengesetzen Mikroskopen dazu beigetragen, daß sich die wirtschaftliche Lage der Optischen Werkstätte zu Anfang der sechziger Jahre wieder etwas stabilisierte, aber zufriedenstellend war sie dennoch nicht. Vor allem der Verkauf der Lupen-Mikroskope verlief schleppend, denn von den zwischen 1857 und 1859 angefertigten 80 Instrumenten ließen sich 73 nur nach einer längeren Zeit verkaufen.117 Wie sich der Absatz der einfachen und der zusammengesetzten Mikroskope gestaltete, zeigen die Angaben in der Tabelle 2 im Tabellenanhang. Im Sommer 1857 beteiligte sich Zeiß an der Gewerbeausstellung im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach, die vom 12. bis 14. Juli 1857 in Weimar stattfand. Er hatte schon im Frühjahr 1857 im Jenaer Ortskomitee an der Vorbereitung dieser Leistungsschau mitgewirkt. In Weimar wurde er „für die von ihm ausgestellten vortrefflichen Mikroskope und Nebenapparate" mit einer silbernen Medaille ausgezeichnet. 118 Der Bau zusammengesetzter Mikroskope bedingte den Erwerb eines Walzwerkes. Zeiß bestellte es im Frühsommer 1857 bei der Fa. Friedrich Krupp in Essen und zahlte am 5. Juni 1857 die erste Rate von 50 Talern an. Wenige Wochen später, am 31. Juli 1857, be-

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Das Mikroskop und seine Anwendung. Braunschweig 1867, S. 184-187. Zusammengestellt nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 7710 (Fabrikationsstatistik Mikro 1). Zitiert in STELZNER: Carl Zeiß in der Jenaer Tagespresse. In: STOLZ, W I T TIG: Carl Zeiss und Ernst Abbe, S. 104. LEOPOLD DIPPEL:

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Abb. 2 Carl Zeiß im 47. Lebensjahr (1863) mit zusammengesetztem Mikroskop

glich er die zweite Rate von 58 Talern.119 Wann er das Walzwerk aufgestellt hat, ist nicht überliefert. In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre vermerkte Zeiß in einem zunehmenden Maße den Verkauf von Fernrohren. Den Werbepro-

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1736 (Zeiß-Manual 2).

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spekt „Achromatische Fernröhre in Messing gefaßt" versandte er schon Ende der vierziger oder Anfang der fünfziger Jahre an seine Rundschaft.120 Wir wissen nicht genau, ob er in dieser Zeit nur mit diesen Instrumenten handelte oder sie selbst anfertigte. Aber die regelmäßigen Bestellungen von Messingblech in den Jahren, in denen er noch keine zusammengesetzten Mikroskope herstellte, deuten darauf hin, daß er selbst derartige Beobachtungsinstrumente baute. Daß er darauf vorbereitet war, lassen auch die Antworten auf die einschlägigen Prüfungsfragen im Sommer 1846 vermuten.121 Der Preis für die verkauften Fernrohre schwankte zwischen zwei und elf Talern. Unter den verkauften Beobachtungsinstrumenten befanden sich auch orthoskopische Fernrohre, die ein verzeichnungsfreies Okular mit einem großen Bildfeld, dessen Feldblende vor dem optischen System lag, hatten. Ein solches Instrument verkaufte Zeiß am 3. August 1859 für 16 Taler und vermerkte dazu im Manual: „16 '" Vrgr". Die Breite des Fernrohrangebots zeigt die Manualeintragung vom 21. August 1859. An diesem Tag verkaufte Zeiß ein Fernrohr für drei Taler und 20 Groschen, ein Fernrohr für sechs Taler und 15 Groschen und ein Fernrohr für elf Taler.122 Wenn wir bislang unsicher waren, ob in der Optischen Werkstätte tatsächlich Fernrohre hergestellt wurden, so läßt sich für die Zeit zwischen 1868 und 1871 mit Gewißheit sagen, daß in der Optischen Werkstätte kleine und größere Fernrohre gebaut wurden, denn der Mechaniker Pape gab in seinem Tagebuch mehrfach an, kleine und große Instrumente montiert zu haben.123

Die Konsolidierung der Zeiß'schen Werkstätte Seit dem Frühsommer 1856 vergrößerte Zeiß das Werkstattpersonal. Im Juni arbeiteten für ihn Löber, Kirchhoff, Weßelhoeft und Stiebritz. Zwischen August und Dezember 1856 beschäftigte er den Gesellen Wagner. Der im November 1856 in die Werkstätte einge120 121

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 30582 (Die Zeiss-Kataloge). Paul Blume, langjähriger Haupttechnologe im VEB Carl Zeiss Jena, hat bei der Durchsicht der Zeiß-Manuale auf diese Möglichkeit hingewiesen. Zusammengestellt nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1736 (Zeiß-Manual 2). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 12322 (PAPE: Tagebuch).

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tretene Mechaniker Krause blieb bis Juni 1859. Zwischen Oktober 1857 und Februar 1858 arbeitete Frank und seit Februar 1859 Rudolph für Zeiß. Ab Juli 1859 behielt Zeiß dann Löber und Rudolph.124 Rudolph hatte sich auf die Fertigung von Frontlinsen der Mikroskopobjektive spezialisiert.125 Als Rudolph seinen Militärdienst ableistete, kam Zeiß in Schwierigkeiten, weil niemand diesen Spezialisten ersetzen konnte. Darum wandte sich Zeiß an den Prorektor der Universität. Der Senat intervenierte beim Großherzog, der den Gefreiten Rudolph aus dem 5. Thüringischen Infantrie-Regiment entließ.126 Zwischen 1857 und 1859 nahm Zeiß fünf Lehrlinge auf. Ihre Namen und Aufnahmedaten waren: Wilhelm Roch, 19. November 1857, August Sporok, 29. Dezember 1858, Paul Corentz, 22. Januar 1859, Max Eberhard, 14. August 1858 und Genstsch, 26. Dezember 1858.127 Nachdem Zeiß den Bau zusammengesetzter Mikroskope aufgenommen hatte, beteiligte er Löber seit Mai 1859 am Mikroskopgeschäft. Er zahlte ihm neben dem regulären Lohn eine Tantième, die fünf Prozent des Anteils ausmachte, den die Löber'schen Objektivsysteme zum Verkaufserlös eines Mikroskops beitrugen. Auch in der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre gründete Zeiß seine Existenz auf den Verkauf der verschiedenen Mikroskoptypen, den Rundenaufträgen und auf das florierende Ladengeschäft. Als ein Beleg dafür können die an die Fa. Emil Busch in Rathenow beglichenen Rechnungen genommen werden. Zwischen dem 8. Dezember 1856 und dem 5. November 1859 verkaufte Zeiß optische Erzeugnisse dieser Firma im Wert von 623 Talern. Demgegenüber beliefen sich die Rechnungen dieser Firma in der ersten Hälfte des Jahrzehnts lediglich auf 580 Taler.128 In der zweiten Hälfte der fünfziger Jahre ging Zeiß von seinem Prinzip, jeden verfügbaren Taler in die Werkstätte zu investieren, ab. Am 25. Juni 1856 - in einer für das Unternehmen durchaus noch kritischen Phase - kaufte sich Zeiß mit 100 Talern in die Sächsisch-Thüringische Rupfer-Bergbau und Hütten-Gesellschaft ein,

124

Zusammengestellt nach UACZ. Bestand: BACZ. Nr. 1736 (Zeiß-Manual 2). 125 Erinnerungen des Pensionärs Baumann. In: Zeiss Werkzeitung. Neue Folge. VI. Jg. 1930, Heft 3, S. 47. 126 WILLAM: Carl Zeiss, S. 58. 127 Zusammengestellt nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1736 (Zeiß-Manual 2). 128 Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1); Nr. 1736 (Zeiß-Manual 2).

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die ihren Sitz in Eisenach hatte. In den folgenden Jahren erhöhte Zeiß seinen Einsatz in diesem Unternehmen um weitere 175 Taler. Offensichtlich erhoffte er sich eine hohe Rendite, aber die Manualeintragungen zeigen, daß das ein Irrtum war, denn die Gesellschaft zahlte an Zeiß bis Juli 1863 lediglich folgende Dividenden: am 8. Februar 1858: vier Taler, 17 Groschen, sechs Pfennige; am 4. Februar 1859: acht Taler, 21 Groschen, drei Pfennige; am 16. März 1861: sechs Taler, sieben Groschen, sechs Pfennige.129 Im Frühjahr 1858 bot sich Zeiß die Gelegenheit, vom Färbermeister Schmidt das Hausgrundstück vor dem Johannisthore zu erwerben. Obgleich er es am 12. April 1858 kaufte, 130 verfügte er zu diesem Zeitpunkt nicht über die dazu erforderlichen finanziellen Mittel. Leider gibt das Manual keinen Aufschluß über den Raufpreis. Da aber im Laufe des Jahres 1858 größere Zahlungen an einen Hugo Böhme in Jena geleistet wurden, ist anzunehmen, daß Zeiß dafür im Herbst 1858 von Verwandten Geld geliehen bekam. Er erhielt von seinen Schwestern Pauline Schatter und Emilie Zeiß zunächst ein Darlehen von 500 Talern, wofür er seit dem 1. Oktober 1858 in regelmäßigen Abständen Zinsen zahlte. Schließlich konnte er am 21. Dezember 1862 die 500 Taler zurückzahlen. Um über weitere 1.000 Taler aus dem Vermögen der beiden Schwestern disponieren zu können, bot er ihnen eine Hypothek auf das im Vorjahr erworbene Haus an. Für die Eintragung der Hypothek entrichtete Zeiß am 27. Januar 1859 eine Gebühr von fünf Talern und 22 Groschen. Im Herbst 1858 gewährte ihm auch - wie die im Manual festgehaltenen Zinszahlungen belegen - der Bruder Gustav ein Darlehen, dessen Höhe nicht zu ermitteln ist. Bruder Gustav wurde am 50. November 1859 nochmals um finanzielle Untersützung in Höhe von 100 Talern und 20 Groschen ersucht. Darüber hinaus hatte Zeiß noch andere Gläubiger. Da sind die Erben des Vaters seiner zweiten Frau, des Oberpfarrers Trinkler, denen er am 22. Juni 1862 109 Taler zurückzahlt oder die Frau des Buttstedter Stadtmusikus Schied, der er seit Sommer 1861 regelmäßig Zinsen zahlt.131

129 130

131

Zusammengestellt nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1736 (Zeiß-Manual 2). Im Manual vermerkte Zeiß unter dem 11. März 1858: „Herr Färbermeister Schmidt hier. Draufgeld auf das heute von ihm gekaufte Haus. Th. 25". UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1736 (Zeiß-Manual 2). Vermutlich wurde Zeiß als neuer Eigentümer des Grundstücks im April 1858 ins Grundbuch eingetragen. Zusammengestellt nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1736 (Zeiß-Manual 2).

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Der Umzug in das eigene Haus In dem im April 1858 gekauften Hausgrundstück mit Hof und Garten richtete Zeiß im Erdgeschoß den Verkaufsraum ein und brachte in den zum Hofe hin gelegenen Räumen die Werkstätte unter. Die Wohnräume der Familie Zeiß lagen im ersten Obergeschoß. Die anderen Räumlichkeiten vermietete er.132 1860 wurde das sich an das Vorderhaus anschließende Hofgebäude in die Werkstätte einbezogen. Damit verfügte Zeiß über eine Nutzfläche von 200 m 2 . 133

Abb. 3 Optische Werkstatt von 1864, August Löber mit Gehilfen und Lehrlingen

Zu dieser Zeit hatte auch die ßewerbung von Zeiß um die Nachfolge des am 7. Juni 1860 verstorbenen Universitätsmechanikers Braunau Erfolg. Es bedurfte freilich einer längeren Zeit, bis sich die vorstehende Behörde dazu entschließen konnte, den Bewerber in dieses Amt zu berufen. Für Zeiß bestand neben dem achtbaren Titel der Vorteil in der Steuerbefreiung, die Universitätslehrer genossen.134

132

133 134

ESCHE: Carl Zeiss, S. 37. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 6468 (Petermann-Ronzept), Bl. 4; Nr. 16156. WILLAM: Carl Zeiss, S. 63-64.

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Mit der im Großherzogtum Sachsen-Weimar-Eisenach am 30. April 1862 erlassenen Gewerbeordnung, die die Gewerbefreiheit gewährte, veränderte sich die handelsrechtliche Situation der Optischen Werkstätte. Sie war nun aus der Ronzessionsbindung entlassen und wurde am 16. April 1863 als Handelsfirma in das Handelsregister des Justiz-Amtes Jena eingetragen. 135

Die bedrohliche Konkurrenz Im Jahre 1859 leitete der Mitarbeiter der Mechanischen Werkstatt von Georg Oberhäuser in Paris, Edmund Hartnack, einen innovativen Prozeß im Mikroskopbau ein. Der gelernte Mechaniker war 1847 nach Frankreich gegangen und arbeitete bei dem Hannoveraner Rühmkorff. 1854 trat er in das international anerkannte Unternehmen von Oberhäuser ein und befaßte sich mit dem Herstellen von Fernrohr- und Mikroskopobjektiven. Dabei stieß er auf die Arbeiten des Italieners Battista Giovanni Amici zur Immersionsoptik. Sie regten ihn 1859 zum Bau eines Mikroskops mit einem Immersionsobjektiv an. Oberhäuser stellte 1862 ein solches Mikroskop auf der Londoner Weltausstellung aus. Die Immersionsobjektive hatten gegenüber den herkömmlichen Trockenobjektiven verschiedene Vorzüge. Mit ihnen ließ sich die numerische Apertur und damit das Auflösungsvermögen erhöhen. Der Anteil des unerwünschten Reflexionslichts an der Frontfläche der Frontlinse war bei ihnen vermindert oder gänzlich beseitigt. Diese Pariser Neuerung fand zunächst bei den erfahrenen englischen Mikroskopbauern keine nennenswerte Resonanz. Ganz anders reagierten die Mikroskopiker. Sie erkannten die Vorteile der Immersionsobjektive sofort.136 Dippel urteilte 1867: „Die beiden seit 1859 von Hartnack konstruierten Systeme 9 und 10, ebenso das erst seit zwei Jahren gebaute System Nr. 11 (1200fache Vergröße-

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UACZ. Bestand: BACZ Nr.16730 (Handelsregisterauszug der Fa. Carl Zeiss 1863-1906). HANS WEIL: Edmund Hartnack. In: Sammlerinfo 2 . Hg. Helmut Baden, Hauptstraße 55. 5419 Wölferlingen, S. 2.

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rung) ..., übertreffen alle mir bekannten Systeme an Leistungsfähigkeit." Professor Nägeli schrieb im gleichen Jahr: „Die Hartnackschen Objektive Nr. 9 und 10 gehören unstreitig zu den besten, die man kennt. Sie werden auf dem Kontinent von keinem anderen übertroffen, in Deutschland von keinem erreicht." Und Heinrich Frey, der Direktor des Züricher Mikroskopisch-Anatomischen Instituts, vermerkte: „Unter den kontinentalen Optikern steht gegenwärtig meiner Ansicht nach Hartnack in Paris, der Nachfolger Oberhäusers, als der erste da."137 Das Pariser Unternehmen bot die neuen Mikroskope zu günstigen Konditionen an und verkaufte in der ersten Hälfte der sechziger Jahre 400 Immersionsobjektive. 138 Der technische Fortschritt im Mikroskopbau und der kommerzielle Nutzen, den Oberhäuser und später Hartnack daraus zogen, veranlaßte nun auch andere Mikroskophersteller, derartige Objektive zu konstruieren und anzubieten. Die Veränderungen auf dem Mikroskopmarkt wurden auch in Jena spürbar. Die Mikroskopfertigung, die 1865 und 1866 noch anstieg, ging in den folgenden Jahren stark zurück. Das betraf nicht nur die Lupen-Mikroskope, sondern auch die zusammengesetzten Mikroskope. 1867 lag die Gesamtfertigung um 41,2 Prozent unter dem Vorjahresstand, und nach einem leichten Anstieg von 18,1 Prozent im Jahre 1868 verringerte sie sich 1869 um 44,7 Prozent Die einzelnen Fertigungszahlen können der Tabelle 2 im Tabellenanhang entnommen werden. Noch deutlicher kam die kritische Situation der Optischen Werkstätte in den Verkaufszahlen zum Ausdruck. 1865 und 1866 wurde weit über die Hälfte der hergestellten Lupen- und zusammengesetzten Mikroskope schon im Fertigungsjahr oder im folgenden Jahr verkauft. So fanden 1866 73,7 Prozent der zusammengesetzten Mikroskope im Jahr ihrer Herstellung einen Abnehmer. Aber in den folgenden Jahren erstreckte sich der Verkauf der ohnehin geringeren Jahresproduktion über einen längeren Zeitraum, und die Anzahl der Mikroskope, deren Verbleib nicht nachzuweisen ist, nahm zu. Das traf besonders auf die im Jahre 1869 gebauten Instrumente zu.

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Zitiert in WEIL: Edmund Hartnack, S. 3 - 4 . Hartnack hatte 1 8 6 4 das Unternehmen von Oberhäuser gekauft und den polnischen Mathematiker Adam Prazymoski, der auf dem Gebiet der theoretischen Optik arbeitete, in das Geschäft genommen. WITTIG: Ernst Abbe, S. 55.

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1869 nahm Zeiß die Herstellung von Präpariermikroskopen auf. Ob er damit auf die ungünstige Geschäftslage reagieren wollte, ist nicht eindeutig. Die Präpariermikroskope hatten eine Einstellung mit Zahn und Trieb. Ihre Linsenkombination bestand aus einfachen, doppelten oder dreifachen achromatischen Objektivsystemen mit Okularlinse. Das Instrument bot mit großem Objektabstand eine 10- bis 150fache Vergrößerung.139 Um der neuen Entwicklung im Mikroskopbau zu folgen, versuchte Zeiß gleichfalls, ein Immersionssystem zu konstruieren. Das mißlang ihm, weil die Konstruktion derartiger Systeme eine aufwendigere mathematische Grundlegung verlangte als Trockensysteme. Obgleich sich nun Zeiß an der Grenze seiner Leistungsfähigkeit hinsichtlich der Objektiventwicklung sah, hatte er - und hier spielten sicher seine Erfahrungen mit Barfuß 140 aus den frühen fünfziger Jahren eine Rolle - die Gewißheit, daß es möglich sein müßte, alle Elemente der optischen Systeme im voraus zu berechnen und nach den errechneten Vorgaben zu fertigen. Die Erfolge der Konkurrenten und der eigene Mißerfolg bestärkten Zeiß in seiner Überzeugung, optische Systeme aufgrund mathematischer Berechnungen nach genauen Vorgaben konstruieren zu können, und er hoffte, auf einen Mann zu treffen, der dies vermochte.

139 140

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1438 (KOCH: Nachweis), S. 5. ROHR: Die Geschichte der Zeissischen Werkstätte, S. 4.

ZWEITES KAPITEL

Die wissenschaftliche Grundlegung der modernen Mikro skopfertigung in Jena

Der Lebensweg des Jenaer Universitätslehrers Ernst Abbe

Ernst Carl Abbe kam am 23. Januar 1840 als erstes Rind des Georg Adam Abbe und dessen Ehefrau Elisabeth Christiane, geborene Barchfeld, in Eisenach zur Welt.1 Der Vater, der vor seiner Verehelichung als Buchdrucker gearbeitet hatte, nahm nun eine Arbeit in der Rammgarnspinnerei von Eichel-Streiber in Eisenach an und erarbeitete sich die Stellung eines Vorarbeiters. Der junge Abbe lernte in seinem Elternhaus das Leben der einfachen Leute kennen, die nur unter größter Entbehrung ihr Leben fristen konnten. In der Volksschule zeigte Abbe ausgezeichnete Leistungen, so daß die Lehrer seinen Eltern nahelegten, ihren Sohn auf die Realschule I. Ordnung zu schicken. Diese Lehranstalt wurde 1850 in ein Realgymnasium mit betont mathematischer Ausrichtung umgewandelt Abbes Eltern konnten aber diesem Schulwechsel ihres Sohnes erst zustimmen, nachdem sich Eichel-Streiber bereit fand, die höhere Schulbildung des jungen Abbe finanziell zu fördern. Vater Abbe mußte freilich darin einwilligen, seinen Sohn nach dem Schulabschluß in die Rammgarnspinnerei zu geben. Seit Herbst 1854 erhielt Abbe eine landesherrliche Freistelle, die für das Elternhaus eine Erleichterung brachte, weil nun das Schulgeld von 15 Reichstalern entfiel. Unter der umsichtigen Führung seiner Lehrer vertiefte sich Abbe vornehmlich in naturwissenschaftliche Literatur. Er nahm seit dem Frühjahr 1856 an den Versammlungen des Naturwissenschaftlichen Vereins teil, den Schüler Eisenacher Gymnasien ins Leben gerufen hatten und hielt 1856 dort Vorträge über die Entstehung des Sonnensystems und über das Verhältnis von Licht und Bewegung. Er nahm auch Vereinsfunktionen wahr. Um das knappe Budget aufzubessern, erteilte Abbe Nachhilfeunterricht in Englisch und Französisch. Zwischen Sommer 1856 und Februar 1857 bereitete er sich, von seinen Lehrern unterstützt, auf einen vorzeitigen Abschluß des Realgymnasiums vor. Am 21. März 1857 absolvierte er die letzte Prüfung des Abiturexamens, das er insgesamt mit sehr guten und guten Resultaten abschloß. Am 3. April 1857, dem Tag

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Dem Abschnitt liegt die Abbe-Biographie von Joachim Wittig zugrunde. WITTIG: Ernst Abbe, S. 8-42.

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der Zeugnisübergabe, ging er in einem Vortrag der Frage nach „Warum studiert man die Natur?". Der erfolgreiche und vorzeitige Schulabschluß mag der Grund dafür gewesen sein, daß der Eisenacher Textilfabrikant, der bislang die Ausbildung von Abbe gefördert hatte, nicht mehr auf dessen Eintritt in sein Unternehmen bestand, sondern dem jungen Mann vielmehr weiterhin einen finanziellen Zuschuß für das Universitätsstudium gewährte. Am 21. April 1857 bezog der siebzehnjährige Abbe die Jenaer Universität, um Mathematik und Physik zu studieren. In den vier Semestern, die Abbe in Jena verbrachte, belegte er neben seinen Hauptfachern auch Botanik, Kristallographie und besuchte verschiedene geisteswissenschaftliche Lehrveranstaltungen. Ein besonderes Verhältnis entstand seit dem ersten Semester zu dem außerordentlichen Professor Hermann Schaeffer, der die Studierenden vornehmlich in die Mathematik und Physik einführte und Vorlesungen zu technischen Problemen hielt, und zum Ordinarius für Mathematik und Physik Karl Snell. Aufgrund seiner guten mathematischen Vorbildung konnte Abbe auf die mathematischen Einführungsveranstaltungenverzichten und statt dessen vertiefende Studien betreiben. In den beiden ersten Semestern griff er eine physikalische Preisaufgabe auf, deren Lösung ihm einen der ausgeschriebenen Preise einbrachte. Auf dieses Thema kam Abbe noch einmal zurück. Am 30. April 1859 schrieb sich Abbe in der Göttinger Universität ein, die auf dem mathematisch-physikalischen Gebiet einen guten Ruf hatte. Die einschlägigen Lehrkräfte waren zahlreicher als in Jena, und alle Hochschullehrer bestimmten die Forschungen auf ihren Spezialgebieten maßgeblich mit. Das prägte natürlich auch das geistige Klima in Göttingen und motivierte jene Studenten, denen an wissenschaftlicher Arbeit gelegen war. Abbe betrieb intensive mathematische und physikalische Studien. Besonders anregend war für ihn das Mathematisch- Physikalische Seminar, das Wilhelm Eduard Weber mitbegründet hatte und in dem der Lehrstoff vertieft, aktuelle Forschungsergebnisse vorgestellt, anspruchsvolle Aufgaben gestellt und physikalisch-praktische Übungen abgehalten wurden. Unter anderem las Weber über die Theorie der Meßinstrumente und demonstrierte den Umgang mit ihnen. Abbe selbst führte Übungen mit Studenten durch, die erst zum Seminar gestoßen waren. Mitte 1860 sah sich Abbe aus finanziellen Gründen - er wollte dem Vater nicht länger zur Last fallen genötigt, eine Entscheidung über seinen beruflichen Werdegang zu

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treffen. Er ließ den ursprünglichen Plan, eine Dissertation über ein Problem der Funktionstheorie abzufassen, fallen und griff auf das Thema seiner Preisarbeit von 1858 zurück. Am 23. März 1861 promovierte er sich mit einer Arbeit zum Thema „Erfahrungsmäßige Begründung des Prinzips der mechanischen Wärmetheorie pp." bei Weber und dem Mathematiker Bernhard Friedrich Riemann. Die beruflichen Aussichten sah Abbe nicht sehr hoffnungsfroh. Seine Intensionen zielten auf eine Universitätslaufbahn, die aber nicht aussichtsreich schienen. Die Alternative, in den Schuldienst zu gehen, mochte er nicht akzeptieren. In einem Brief aus dieser Zeit schrieb Abbe, „da ich zur Schulmeisterei eigentlich verdammt wenig Lust habe und dazu auch passe wie der Bock zum Gärtner, ... so wird mir denn nichts übrig bleiben, als irgendwo und irgendwie in einer Privatstellung (als Lehrer), vielleicht an einem Institute oder dergl. ein Unterkommen zu suchen, womit ich schon zufrieden sein will, wenn ich ...hinreichende Muße behalte, um meine wissenschaftliche Thätigkeit fortzusetzen. Sonst würde ich mich freilich sehr unglücklich fühlen". 2 Seit dem Frühjahr 1861 hatte Abbe eine Anstellung beim Physikalischen Verein in Frankfurt am Main in Aussicht Da aber diese Stelle erst im Herbst des gleichen Jahres frei wurde, setzte Abbe seine Studien in Göttingen fort und bestritt den Lebensunterhalt mit verschiedenen wissenschaftlichen Hilfsarbeiten. Eine davon war die eines Hilfsbeobachters in der Sternwarte. In diesem Zusammenhang befaßte er sich auch mit astronomischen Instrumenten. Das führte ihn wiederum zu dem Universitäts-Instrumenten- und Maschinen-Inspektor Moritz Meyerstein, der eine Werkstatt für astronomische und physikalische Instrumente betrieb. Abbe erprobte gemeinsam mit dem Instrumentenbauer dessen Spektrometer zur Brechzahlenbestimmung fester und flüssiger Stoffe, wobei es vornehmlich um die Meßmethoden und die Abschätzung der Fehlergrenzen ging. Abbe regte eine bessere Gerätebeschreibung an. Im Mai 1861 hielt Abbe vor dem Physikalischen Verein in Frankfurt den erwünschten Probevortrag „Über die physikalischen Grundlagen der menschlichen Erkenntnisse", der dann mit dazu führte, daß Abbe seine Dozententätigkeit im Oktober 1861 in Frankfurt

2

E R N S T A B B E : Briefe an seine Jugend- und Studienfreunde Carl Martin und Harald Schütz 1 8 5 8 - 1 8 6 5 . Hg. von VOLKER W A H L , JOACHIM WITTIG. Berlin 1986, S. 32-33.

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aufnehmen konnte. Im Wintersemester 1861/62 hielt er im Physikalischen Verein wissenschaftlich anspruchsvolle und didaktisch gut gestaltete Lehrveranstaltungen. Der Verein zog ihn auch als Gutachter für technische Projekte heran. Obgleich der Vereinsvorstand davon überzeugt war, daß die Generalversammlung der festen Anstellung Abbes zustimmen werde, entschied sich diese aber im März 1862 gegen den jungen Physiker. In dieser für Abbe höchst kritischen Situation half ihm ein Vereinsmitglied. Michael Reiß stiftete für Abbe 1.000 Gulden, die ihm erlaubten, nach Jena zu reisen und die Arbeiten an einer Habilitationsschrift aufzunehmen. Seine Jenaer Lehrer hatten den weiteren Studienweg ihres begabten Schülers wohlwollend verfolgt. Schon 1860 ließ Snell Abbe wissen, daß „in Jena gar Niemand sei, der speciellere Theile der Mathematik vortrage, während doch das Bedürfniß dessen vorliege u.s.f." 3 Als Abbe am 18. April 1863 wieder in die Saalestadt kam, nahmen ihn seine ehemaligen Lehrer Snell und Schaeffer herzlich in den Jenaer Physikerkreis auf. Abbe begann mit den Arbeiten an der Habilitationsschrift, und in den ersten Augusttagen des Jahres 1863 habilitierte er sich mit dem Thema „Über die Berücksichtigung der Fehlervertheilung bei Anwendung der Methode d. kleinst. Quadrate" für die Lehrgebiete Mathematik und Physik. Damit hatte er die Voraussetzung für eine Privatdozentur an der Jenaer Universität geschaffen. Mit seinen Lehrveranstaltungen trug er maßgeblich zur Erhöhung des theoretischen und experimentellen Ausbildungsniveaus bei. Im Frühjahr 1864 ergänzte Abbe seine Experimentalphysik-Vorlesung durch ein physikalisches Praktikum, das bei der Studentenschaft große Resonanz fand. In dieser Zeit angespannter wissenschaftlicher und pädagogischer Arbeit empfand Abbe zunehmend die finanzielle Unzulänglichkeit seiner akademischen Existenz, denn die Lehrtätigkeit eines Privatdozenten wurde schlecht vergütet. Darum faßte er 1865 den Plan, das Oberlehrerexamen noch abzulegen und sich eine Stelle im Schuldienst zu suchen. Der Universitätskurator Moritz Seebeck mochte auf den hoffnungsvollen Hochschullehrer nicht verzichten und sorgte dafür, daß Abbe einen staatlichen Zuschuß erhielt, der es ihm erlaubte, an der Universität zu bleiben. Im Zusammenhang mit den späteren Arbeiten für die Zeiß'sche Werkstätte verfaßte Abbe mehrere Studien, die er unter dem Titel

3

Zitiert in Wittig: Ernst Abbe, S. 36.

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Abb. 4 Ernst Abbe als Privatdozent um 1865

„Über die Grundsätze zur Beurtheilung der Lichtstärke optischer Instrumente, mit besonderer Berücksichtigung des Mikroskops und der Apparate zur Lichtconcentration" in einem Manuskript zusammenfaßte. Das Manuskript kam seinem Lehrer und Rollegen Snell zur Kenntnis, der es gegenüber dem Universitätskurator lobend erwähnte. 4 Mit dieser Arbeit schuf sich Abbe zugleich eine der Bedingungen, die für eine Berufung erforderlich waren. Am 5. Mai 1875 wurde Abbe zum außerordentlichen Professor an der Jenaer Universität berufen und drei Jahre später, im Juli 1878, erfolgte die Ernennung zum ordentlichen Honorarprofessor.

Die Anfange der Zusammenarbeit zwischen Carl Zeiß und Ernst Abbe Als Abbe für eine Vorlesung über die Theorie der wichtigsten physikalischen Meßinstrumente, die er im Wintersemester 1863/64 anbot, Demonstrationsgeräte benötigte, ließ er bei einem Jenaer 4

Über den Ausgang der Arbeitsgemeinschaft von Carl Zeiss und Ernst Abbe II. In: Forschungen zur Geschichte der Optik 2 (1938), S. 253- 256; WITTIG: Ernst Abbe, S. 61. MORITZ VON ROHR:

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Mechaniker - wahrscheinlich bei Zeiß - einen universell einsetzbaren Apparat zur Messung kleiner Ströme und des Magnetismus nach Methoden von Gauß und Weber anfertigen.5 Abbe, der sich in Göttingen mit den Arbeitsaufgaben einer leistungsfähigen mechanischen Werkstatt vertraut gemacht hatte, war für Zeiß ein interessanter und kompetenter Gesprächspartner, der aufgrund seiner hoffnungsvollen Universitätsposition wohl auch ein potentieller Auftraggeber werden konnte. Jedenfalls kam es zwischen dem gebildeten Praktiker und dem Universitätsphysiker Mitte der sechziger Jahre zu intensiven fachlichen Gesprächen. Zeiß mag dabei dem Hochschullehrer seine Ansichten von der Notwendigkeit eines fundierten mathematischen Vorgehens bei der Konstruktion von Mikroskopobjektiven vorgetragen und seine unbefriedigenden Versuche auf dem Gebiet der Immersionssysteme geschildert haben. Der Physiker wurde seinerseits von den prakischen Aspekten, die aus der Werkstätte an die Wissenschaft erwuchsen, angeregt. Das gemeinsame Interesse, das durchaus unterschiedlich motiviert war, brachte die beiden Männer zusammen. Sie kamen am 3. Juli 1866 überein, daß Abbe in der Zeiß'schen Werkstätte mitwirken solle.6 Über die zwischen Zeiß und Abbe vereinbarten Konditionen wissen wir nichts. Es ist auch unbekannt, wieviel Zeit Abbe in der Werkstätte verbrachte. Moritz von Rohr äußerte dazu: „Jedenfalls begann Abbe schon vor 1870 ... Arbeiten für Carl Zeiss auf Grund einer festen Abmachung, die ihm sogar zur Erhebung von bestimmten Vorschußzahlungen ermächtigte."7 Es ist natürlich auch denkbar, daß Abbe für manchen Ratschlag das eine oder andere Instrument für seine wissenschaftliche oder hochschulpädagogische Tätigkeit unentgeltlich in Anspruch nehmen konnte oder angefertigt bekam. Anfangs sah sich Abbe eingehend in der Werkstätte um und schenkte den Arbeiten der Optiker eine besondere Aufmerksamkeit. Zu dieser Zeit war die Mikroskopfertigung noch immer nach Handwerkerart eingerichtet. Zwei oder drei Arbeiter hatten den Auftrag, alle zur Herstellung eines Mikroskops erforderlichen Arbei5

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Ernst Abbe, S. 40. Abbe feierte 1891 seine 25jährige Zugehörigkeit zum Zeiss-Unternehmen. Dieses Datum wurde einmal von Zeitgenossen erwähnt und Abbe hat dem nicht widersprochen, so daß wir es als zutreffend ansehen können. ROHR: Zur Geschichte der Zeissischen Werkstätte, S. 21.

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ten auszuführen. Nachdem sich Abbe mit diesen technologischen Gegebenheiten vertraut gemacht hatte, unterbreitete er Zeiß verschiedene Vorschläge, wie sich die Tätigkeit der Werkstattarbeiter effektiver organisieren ließe. Abbe regte zunächst an, die Metallbearbeitung und die Arbeiten an den optischen Elementen zu separieren. Abbe und Zeiß stießen mit den vorgeschlagenen Neuerungen unter der Arbeiterschaft auf Ablehnung. Vor allem Löber mochte sich mit den technologischen Veränderungen längere Zeit nicht anfreunden. Aber der Widerstand konnte schließlich überwunden werden, und der Arbeitsablauf wurde nun so eingerichtet, daß zehn und mehr Beschäftigte Teilarbeiten für ein Instrument ausführten. Durch die neue Arbeitsorganisation verringerten sich die Fertigungszeiten für ein Mikroskop nennenswert. Die Spezialisierung der Tätigkeiten förderte die Präzision der ausgeführten Arbeiten. Abbe, der vor allem die Optiker zu einem sorgsameren Arbeiten anhielt, schuf zu ihrer Unterstützung Meß- und Prüfmittel, mit deren Hilfe sich die Rontrollen objektivieren ließen. So wurde in der Werkstätte 1867 nach Abbes Angaben ein Fokometer, der eine exakte Bestimmung der Brennweiten der Linsen und der optischen Systeme erlaubte, gebaut.8 Hinzu kam das Sphärometer, mit dem sich die Radien von Kugelflächen ermitteln ließen, ein Dickenmesser (Rontaktmikrometer), der Messungen bis zu 50 mm zuließ, sowie ein kleiner Romperator für Messungen bis zu 100 mm, mit dem vornehmlich Gitter, Skalen und andere Objekte ausgemessen werden konnten. Ende der sechziger Jahre regte Abbe den Bau eines verbesserten Spektrometers und eines Refraktometers an, mit denen Brechzahlen (und Teildispersion) von Glasproben in Prismenform bzw. von Flüssigkeiten mit Hilfe der Totalreflexion gemessen werden konnten. 9 1870 ergänzte Abbe das Arsenal der Meßund Prüfinstrumente noch durch den Apertometer, der zuerst in rechteckiger und dann in Halbkreisform gebaut wurde. Das Gerät diente zur Messung des Öffnungswinkels bzw. der numerischen Apertur von Objektiven.10 Die von Abbe entworfenen und in der Werkstätte hergestellten Meß- und Prüfmittel trugen nicht nur zur präziseren Arbeitsweise

8

9 10

Gesammelte Abhandlungen. Zweiter Band, S. 215-218. Ders., S. 82-85. ERNST ABBE: Abhandlungen über die Theorie des Mikroskops. In: Gesammelte Abhandlungen. Erster Band, S. 113-117.

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Abb. 5 Abbescher Beleuchtungsapparat von 1872

im Mikroskopbau bei, sondern lenkten die Werkstätte auch auf ein neues Tätigkeitsfeld. Wenngleich sich Zeiß nur schwer dazu entschließen konnte, die neuen Meß- und Prüfmittel auf den Markt zu bringen - seit 1875 bot die Optische Werkstätte lediglich Refraktometer zum Verkauf an - so bildete die Herstellung derartiger Instrumente den Grundstock für die Erweiterung des Fertigungsprogramms am Beginn der neunziger Jahre. Abbe befaßte sich in diesen Jahren auch mit der Verbesserung von Mikroskopeinrichtungen. So konstruierte er einen Spektralapparat zur Untersuchung der Beugungs- und Spektralphänomene, den Zeiß 1869 in einem besonderen Prospekt der Rundschaft anbot. Die zweite Konstruktion war ein Beleuchtungsapparat, den Zeiß im Jahre 1872 bekanntmachte. 11

Die Begründung der Mikroskoptheorie durch Ernst Abbe Ausgehend von der Aufgabe, für die Zeiß'sche Werkstätte ein Immersionssystem nach mathematischen Grundsätzen zu konstruieren, befaßte sich Abbe gegen Ende der sechziger Jahre eingehend mit den bekannten Grundlagen der Optik. Die Arbeitsergebnisse faßte er in dem schon erwähnten Manuskript „Über die Grundsätze

li

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zur Beurteilung der Lichtstärke optischer Instrumente, mit besonderer Berücksichtigung des Mikroskops und der Apparate zur Lichtconcentration" zusammen. 1871 veröffentlichte er nach einer Überarbeitung das Manuskript, „in welchem er die bisherige Theorie der optischen Instrumente durch theoretische Grundsätze der Photometrie ergänzte und einige Regeln für die praktische Anwendung auf die einzelnen Instrumente wie Lupe, Fernrohr und Mikroskop ableitete". 12 In den späten sechziger Jahren herrschte im Mikroskopbau ein bemerkenswerter Widerspruch. Einerseits war die Bedeutung des Mikroskops für die wissenschaftliche Forschung stetig gewachsen. Auf der anderen Seite waren seit längerem im Mikroskopbau keine grundlegenden Neuerungen mehr entstanden, die sich mit den Leistungen von G. Simon Plössl, Oberhäuser, Andrew Ross oder Hartnack vergleichen ließen. Die Fortschritte, die es seither in der Objektivkonstruktion, in der feineren Ausarbeitung oder technischen Vollendung der Instrumente gab, waren von geringerem Gewicht. Die Mikroskopbauer in Deutschland, England, Frankreich oder in den USA hatten ihre Erzeugnisse, ungeachtet vorhandener Unterschiede, immer mehr einander angeglichen. Das war möglich geworden, weil grundsätzlich neue Lösungen ausblieben, so daß sich die durchschnittlichen Mikroskophersteller auf das Niveau der leistungsstarken Werkstätten heraufarbeiten konnten. 13 Abbe folgte der herkömmlichen Herangehensweise der Mikroskopbauer und begann mit der Konstruktion von Systemen mit einem geringen Öffnungswinkel, die seinen Rechnungen nach viel vollkommener korrigiert waren als gleichartige, die man schon früher hergestellt hatte. Dessenungeachtet mußte Abbe nach vielen Versuchen feststellen, daß die erzielten Ergebnisse nicht befriedigten. „Trotz der so viel besseren ,Strahlenvereinigung' waren die von diesen Objektiven gelieferten Bilder feiner mikroskopischer Objekte stumpfer, zeigten weniger Details, hatten weniger Auflösungsvermögen als die der alten, schlecht korrigirten Systeme von großem Öffnungswinkel." 14 12

Ders.,S. 61.

13

ERNST ABBE: Die optischen Hilfsmittel der Mikroskopie. In: ABBE: Gesammelte Abhandlungen. Erster Band, S. 130-133. Mitteilung von Czapski zitiert in ROHR: Zur Geschichte der Zeissischen Werkstätte, S. 24.

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Abbe lenkte nun seine theoretischen Überlegungen zunächst auf den „Strahlengang, der im Mikroskop die Abbildung der Objecte vermittelt", und der bisher nach „dem bekannten typischen Schema ..., welchem zufolge das Objectiv ein umgekehrtes Bild des Objects erzeugt und das Ocular, als Lupe wirkend, dieses vergrössert in die Weite des deutlichen Sehens rückt", 15 betrachtet wurde. Abbe untersuchte den Strahlengang unter allgemeinen Gesichtspunkten. Ihn interessierten nicht nur die Objektbilder, sondern auch die Öffnungsbilder und der Zusammenhang zwischen beiden, denn die Fläche der Öffnung des Objektivs enthält im Besonderen die zur Beleuchtung dienende Lichtquelle, die ebenfalls Abbildungen hervorbringt. Er analysierte sodann die „wesentlichen optischen Funktionen, welche bei der Abbildung eines Objects unter beliebig grossem Bildwinkel und mit Strahlenkegeln von beliebig grossem Oeffnungswinkel den Abbildungsvorgang unterscheiden von der Abstraction, in der die Gaussche Theorie die Wirkungen eines Linsensystems betrachtet". Dabei kam er zu dem Ergebnis, daß das Objektiv die Wirkung einer Lupe hat, das Okular hingegen die Wirkung eines Fernrohrs mit kleiner Objektivöffnung, welchem das unendlich entfernte virtuelle Bild, welches durch das Objektiv entsteht, als Objekt dient. „Das hier dargelegte Ineinandergreifen von Objectiv- und Ocularfunction in Form von Lupenwirkung und Fernrohrwirkung muss als die allgemeingiltige Charakteristik für das heute geltende Constructionsprinzip des zusammengesetzten Mikroskops hingestellt werden."^ Abbe fand im praktischen Versuch, daß größere Öffnungswinkel viel mehr Strukturen des Objekts erkennen lassen, als kleine Öffnungswinkel, die allerdings eine schärfere Abbildung lieferten. Er prüfte die sphärischen und chromatischen Abbildungsfehler, die Aberrationen, unter dem Gesichtspunkt, wie die abnorme Größe des Öffnungswinkels beim Mikroskop sie mit sich bringt. „Es zeigt sich, dass die Abbildungsfehler in zwei selbständige Classen zerfallen; die eine umfasst die Fehler der Focalwirkung - Aberrationen im

15

16

ERNST ABBE: Beiträge zur Theorie des Mikroskops. In ABBE: Gesammelte Abhandlungen. Erster Band, S. 50-51. Ders., S.52-55.

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engeren Sinne -, die andere wird gebildet durch Fehler der Flächenausbreitung (Vergrösserung), welche beim Mikroskop bisher ausser Acht geblieben sind ... Die Abbildungsfehler der zweiten Classe bestimmen ausschliesslich die Beschaffenheit des Bildes ausserhalb der Axe; die Vollkommenheit der Strahlenvereinigung in der Mitte des Sehfeldes dagegen, und damit die maximale Leistungsfähigkeit des Mikroskops, ist allein von den wirklichen Aberrationen, der chromatischen und der sphärischen, abhängig. Die genauere Analyse dieser ergibt Folgendes: Erstens. Die chromatische Aberration, wie sie bei grossem Oeffnungswinkel zur Geltung kommt, beruht nicht allein in denjenigen Focusdifferenzen, welche - der Farbabweichung selbst und ihrem ungleichförmigen Gang in Crown- und Flintglas entsprechend - die abbildenden Strahlenkegel im Ganzen treffen, sondern ebenso sehr in einer unvermeidlichen Ungleichheit der Farbenvereinigung für verschiedene geneigte Strahlenbüschel innerhalb des Oeffungswinkels, die sich darin äussert, dass ein für gerade Beleuchtung vollkommen achromatisches Objectiv für schief fallendes Licht mehr oder weniger übercorrigirt sein muss. Während die ersterwähnten gewöhnlichen (primären und secundären) Farbabweichungen bei correcter Construction sich entweder ganz heben oder wenigstens fast unmerklich machen lassen, ist die zweite Fehlerquelle mit den heute der Technik zu Gebote stehenden Materialien durch keine Kunst zu beseitigen... Zweitens. Die sphärische Aberration zerfallt bei einer strengen Untersuchung ihrer Bedingungen in eine Reihe von selbständigen Gliedern, die in ihrem Anwachsen mit zunehmender Neigung der Strahlen gegen die Axe einen sehr ungleichen Gang befolgen. Eine wirkliche Aufhebung ist nur für die beiden ersten Glieder theoretisch möglich. Sobald der Oeffnungswinkel über den ganzen Betrag hinaus geht, kann die Ausgleichung der sphärischen Aberration nicht anders erfolgen als dadurch, dass die nicht aufhebbaren höheren Glieder durch absichtlich herbeigeführte Reste der niederen compensirt werden. Das Anwachsen des unvermeidlichen Deflcits, das diese Compensation wegen des ungleichen Ganges der einzelnen Theile nothwendig übrig lässt, bestimmt die Grenze, welche dem Oeffnungswinkel gesetzt werden muss, wenn jenes Deficit im mikroskopischen Bild ohne schädliche Wirkung bleiben soll."17

Aus den bisherigen Versuchsergebnissen und theoretischen Überlegungen zog Abbe den Schluß, „dass die mögliche Höhe der Leistung beim Mikroskop allein in der Construction der Objective wurzelt und dass keine denkbare Vervollkommnung der Oculare sie im geringsten beeinflussen kann."18 17 18

Ders., S. 56 - 58. Ders., S. 60.

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Bei der weiteren Untersuchung des Öffnungswinkels entdeckt er die Bedeutung der „schwarzen Räume", da bei großem Öffnungswinkel die abbildenden Strahlen nicht die gesamte Öffnung des Objektivs ausfüllen, ein kleinerer Öffnungswinkel jedoch schlechtere Bilder liefert. Die Ursache dafür fand er in den Beugungs- und Zerstreuungserscheinungen des Lichtes an Linien und Kanten des Objektes und der im Strahlengang liegenden Elemente. Danach untersucht Ernst Abbe die Objekte nach ihrer Erkennbarkeit. Seine Beobachtungen, daß von ein und demselben Objekt unter aus verschiedenen Winkeln einfallendem Licht verschiedene Bilder und von verschiedenen Objekten unter demselben Lichtstrahl gleiche Abbildungen erzeugt werden können, führte ihn zur Berücksichtigung der Wellennatur des Lichtes. Jeder Lichtstrahl, der durch ein Objekt hin durchtritt oder von ihm reflektiert wird, löst sich an den körperlichen Strukturen in je eine Strahlengruppe von großer Winkelausbreitung mit periodisch wachsender und abnehmender Intensität innerhalb dieser auf. Aus dem einfallenden und geradlinig fortgehenden Lichtstrahl werden nach entgegengesetzten Seiten hin eine Reihe isolierter Strahlen in regelmäßigen Winkelabständen abgesondert; „diese Winkelabstände sind aber für jede einzelne Farbe proportional ihrer Wellenlänge, nehmen also von Violett zu Roth stetig zu... Wird daher ein mikroskopisches Präparat von der betrachteten Beschaffenheit durch einen Lichtkegel getroffen, wie ihn z.B. ein Beleuchtungsspiegel des Mikroskops liefert, so tritt dieser nicht einfach nach seiner geradlinigen Fortsetzung in das Objectiv ein, sondern die Structur des Präparats schneidet aus dem directen Licht eine Anzahl abgelenkter Lichtkegel mit auseinandertretenden Farben aus, welche je nach der grösseren oder geringeren Feinheit der Structur grössere oder geringere Winkel in Richtung der ungebeugten Strahlen bilden."19 Durch Überlagerungen kommt es zu Interferenzerscheinungen, die je nach Zusammentreffen der Wellen, also auch in Abhängigkeit von der Wellenlänge des angewandten Lichtes, zur Verbesserung oder zur Verschlechterung der Abbildung des Objektes beitragen. „Je kleiner die linearen Maasse einer Structur werden, eine desto geringere Anzahl von Beugungsbüscheln kann auch bei grösstem Oeffnungswinkel effectiv werden; desto weniger kann die Intensitätsabstufung in

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Ders., S. 60.

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der Reihe dieser Büschel solche Verschiedenheiten, die innerhalb derselben Maassverhältnisse noch möglich sind, zum Ausdruck bringen; desto weniger bestimmt wird Dasjenige, was von der wirklichen Structur aus dem Bilde (oder auch aus dem sichtbaren Beugungsphänomen) rückwärts erschlossen werden kann. ... Durch kein Mikroskop können Theile getrennt (oder die Merkmale einer real vorhandenen Structur wahrgenommen) werden, wenn diesselben einander so nahe stehen, dass auch der erste durch Beugung erzeugte Lichtbüschel nicht mehr gleichzeitig mit dem ungebeugten Lichtkegel in das Objekt eintreten kann."*0

Seine Erkenntnisse faßte er später in einem Aufsatz 21 noch einmal zusammen. Darin definierte er die optische Leistung der zusammengesetzten Mikroskope mit drei Faktoren. „Der erste ist die Höhe der Vergrösserung, wie sie sich nach den dioptrischen Regeln aus der Brennweite des Objectivs und des Oculars und aus dem Abstand zwischen beiden bestimmt. Der zweite ist die geometrische Vollkommenheit der Abbildung oder die Genauigkeit der Strahlenvereinigung in den Strahlenkegeln, welche die einzelnen Bildpunkte erzeugen. Der dritte Factor endlich ist die Grösse des Oeffnungswinkels, nämlich die Divergenzwinkel der Strahlenkegel, welche von den einzelnen Objectpunkten aus in das Objectiv eintreten können, bemessen unter Berücksichtigung des Mediums, aus welchem diese Strahlenkegel zum Mikroskop gelangen. Die Bedeutung der beiden ersten Momente der optischen Wirkung ist leicht allgemeingiltig zu charakterisiren. Die Vergrösserung, die das Mikroskop gewährt, dient ausschliesslich der Ausbreitung des mikroskopischen Bildes auf einen gewissen Sehwinkel, welcher dem Auge eine deutliche Unterscheidung des im Bilde enthaltenen Details gestattet Der Inhalt des Bildes selbst ist durch ganz andere Ursachen bestimmt; die stärkste Vergrösserung fügt diesem Inhalte nichts hinzu, ebensowenig wie die geringere Vergrösserung ihm etwas hinwegnimmt... Die geometrische Vollkommenheit der Strahlenvereinigung ist die nothwendige - aber gleichfalls noch nicht zureichende - Bedingung dafür, dass im mikroskopischen Bild irgend ein Detail überhaupt zur Darstellung gelangt; und der Grad dieser Vollkommenheit... giebt die Grenze

20

Ders., S.

21

optischen Hülfsmittel der Mikroskopie. Bericht über die wissenschaftlichen Apparate auf der Londoner internationalen Ausstellung im Jahre 1 8 7 6 . In: ABBE: Gesammelte Abhandlungen. Erster Band, S. 1 1 9 - 1 6 4 .

84-87. ERNST ABBE: Die

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der Kleinheit, bis zu welcher das im Bild darstellbare Detail möglicherweise herabgehen kann, ... Die Vollkommenheit der Abbildung in dieser Beziehung erscheint ausschliesslich abhängig von der Construction der Objective, nämlich von dem Grade, in welchem die sphärische und chromatische Aberration der Strahlenkegel in den Objectiven gehoben ist, und von der Exactheit der technischen Ausführung ...".22 Den Einfluß des dritten Faktors formuliert er nach einer ausführlichen Beschreibung des physikalischen Prozesses der Bildentstehung im Mikroskop abschließend wie folgt. „Hiernach ist denn der Oeffnungswinkel des Mikroskops, dasjenige Element der Construction, durch welches der Abbildungsprozess in seinen Grundbedingungen beeinflusst wird. Seine Grösse bestimmt die absoluten Maasse, bis zu welchen herab körperliche Gebilde noch eine vollständige, d.h. der Beschaffenheit der Objecte conforme Abbildung zulassen; ... Die mathematische Theorie führt durch sichere Schlüsse zu einer exacten Formel, nach welcher diese Function auch quantitativ festgestellt wird ... dass die Capacität des Mikroskops, in Hinsicht auf die Abbildung bestimmter Dimensionen einerseits proportional ist dem Sinus des halben Oeffnungswinkels, andererseits aber dem Brechungsindex des Mediums, auf das sich der Winkel bezieht. Sie findet ihr genaues Maass demnach in dem Product dieser beiden Zahlen, dessen Werth für jedes Objectiv man füglich als seine sumerische Apertur' bezeichnen kann."23 Abbe schuf sich für seine experimentelle Arbeiten auch die erforderlichen Meß- und Prüfmittel. Die kleinen Abmessungen der Linsen verlangten sehr feine Meßinstrumente. Das galt insbesondere für die Prüfung der Linsenflächen. Löber verfügte für derartige Prüfungen über ein selbstgeschaffenes Probeglas. Zum Prüfen fertig zusammengesetzter Objektive benutzte Abbe verschiedene Einrichtungen. Zur Messung des Öffnungswinkels und der Apertur bediente er sich des Apertometers, der aus einer etwa halbkreisförmigen Glasscheibe bestand, auf deren Rand zwei Signale verschoben werden konnten. Er wurde nahe der Hinterlinse des Objektivs abgebildet und solange verschoben, bis sie eben im Begriff waren, aus der freien Öffnung zu verschwinden. Auf einer Teilung zeigten die Signale den halben Öffnungswinkel und auf einer anderen die Apertur.

22 23

Ders., S. 135-136. Ders., S. 141-142.

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Die Prüfung der Bildgüte geschah durch zwei Apparate. Der Abbe'sche Beleuchtungsapparat bestand aus einer dicht unterhalb des Objekts angeordneten Linsenfolge, die eine Art umgekehrtes Mikroskopobjektiv darstellte. Sie bildete die Lichtquelle nahe an dem Objekt ab. Ihre Brennweite wurde möglichst groß gehalten, damit das Bild bei dem Gebrauch schwacher Objektive noch hinreichend groß war. Die Apertur mußte den größten Wert haben, der bei einem zu prüfenden Objekt den ganzen Öffnungswinkel eines jeden Objektivs ausfüllt. Diese Einrichtung war mit einem Blendapparat, der anfangs mit auswechselbaren Blenden, später mit einer Irisblende versehen war, ausgestattet. Mit dem Beleuchtungsapparat konnte der Beobachter - ohne am Objektiv etwas zu verändern - die verschiedenen Bilder untersuchen, die in der Hauptachse von den einzelnen Teilen der freien Objektivöffnung erzeugt werden, und prüfen, ob sie sich genügend decken. Die Abbe'sche Testplatte bestand aus einem Objektträger, auf dessen Oberseite eine Reihe von Deckgläsern von abgestufter Dicke aufgekittet war. Die Unterseite der Deckgläser war mit einer dünnen undurchsichtigen Silberschicht versehen, in die man grobe Linien eingerissen hatte. Die scharfen Ränder bildeten das Probeobjekt. Wenn sich die von den verschiedenen Teilen der freien Öffnung erzeugten Einzelbilder deckten, dann durfte sich das Bild beim Wechsel zwischen geradem und schiefem Licht nicht merkbar ändern. 24 Die intensiven theoretischen und experimentellen Arbeiten, die Abbe seit dem Frühjahr 1869 durchführte, waren bis zur Mitte des Jahres 1870 soweit fortgeschritten, daß er mit Erfolg Mikroskopobjektive berechnen konnte. Nach seinen Vorschriften und Maßangaben fertigte man nun in der Zeiß'schen Werkstätte die neuen Objektive an. Darüber berichtete Abbe 1873: „Die betreffenden Constructionen sind dabei, auf Grund genauer Untersuchung der zu verwendenden Materialien, bis in die letzten Einzelheiten - jede Krümmung, jede Dicke, jede Linsenöffnung - durch Rechnung festgestellt, so dass alles Tatonnement ausgeschlossen bleibt Von jedem zu verarbeitenden Glasstück werden zuvor die optischen Constanten an einem Probeprisma mittels des Spectrometers gemessen, um Abweichnungen des Materials durch geeignete Veränderungen der Construction unschädlich zu machen. Die einzelnen Bestandteile werden möglichst genau nach den vorgeschriebenen Maassen ausgeführt und zusammen-

24

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 722 (KÖHLER: Verbesserungen).

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gesetzt, und nur bei den stärkeren Objektiven wird ein Element der Construction (eine Linsendistanz) bis zuletzt variabel gelassen, um mittels desselben die unvermeidlichen kleinen Abweichungen der Arbeit wieder ausgleichen zu können. - Es zeigt sich dabei, dass eine hinreichend gründliche Theorie in Verbindung mit einer rationellen Technik, die alle Hilfsmittel benutzt, welche die Physik der praktischen Optik bietet, auch bei der Construction der Mikroskope die empirischen Verfahrungsweisen mit Erfolg ersetzen kann."25

Die ersten 1870 nach den Abbe'schen Berechnungen gefertigten Objektive waren die Systeme a und aa, AA, BB, CC und DD mit großem Öffnungswinkel. Unter den von Abbe berechneten Objektiven befanden sich auch drei Immersionssysteme (Wasser) mit unterschiedlichen Brennweiten.26 Nachdem mehrere Mikroskopiker die neuartigen Objektive geprüft hatten, machte sie Zeiß 1872 in seinem 19. Preisverzeichnis der Öffentlichkeit bekannt. So eindrucksvoll die theoretischen Resultate das Jahres 1871 waren, so unbefriedigend blieben sie hinsichtlich der tatsächlichen Erfordernisse der praktischen Optik. „Auf Grund verschiedener praktischer Schwierigkeiten schien jeder Plan für die Korrektion der... Aberrationsreste unausführbar, solange nicht die Verbindung zwischen sphärischer und chromatischer Korrektion aufgehoben werden konnte."27 Abbe meinte, das sei zu erreichen, „wenn zwei Medien zur Verfügung stünden, deren Brechungen in gewissem Grade verschieden sind, während ihre Dispersion entweder etwa gleich sind oder umgekehrt variieren wie die Brechungen". Eine gesonderte Korrektion der sphärischen Aberration würde mindestens zwei Glasarten erfordern, die sich durch neue, von den üblichen Glasarten abweichende Eigenschaften auszeichnen. Da aber die gewünschten Glasarten nicht angeboten wurden, sah sich Abbe genötigt, einen anderen Weg einzuschlagen. Um herauszufinden, wie die optische Wirkung von Objektiven verbessert werden könnte, wurde Zeiß von Abbe dazu angeregt, einige Systeme mit Flüssigkeitslinsen

25

26 27

ERNST ABBE: Beiträge zur Theorie des Mikroskops. In: ABBE: Gesammelte Abhandlungen. Erster Band, S. 47. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1438 (ROCH: NACHWEIS), Bl. 7. ERNST ABBE: Über neue Methoden zur Verbesserung der sphärischen Korrektion, angewandt auf die Konstruktion von Objektiven grosser Apertur. In: ABBE: Gesammelte Abhandlungen. Erster Band, S. 2 0 0 .

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auszuführen, die nach dem Prinzip der gesonderten Korrektion gebaut waren. Da das Herstellungsverfahren solcher Systeme, auch wenn sie befriedigende Ergebnisse brachten, sehr aufwendig war, kamen Zeiß und Abbe überein, die Versuche als theoretisches Resultat zu nehmen. 28 Das Beispiel belegte, daß der weitere Fortschritt im Mikroskopbau in einem starken Maße von der Verfügbarkeit geeigneter optischer Gläser abhing. Die Jahre, in denen Abbe die Mikroskoptheorie in ihren Grundzügen ausarbeitete, waren sowohl für ihn als auch für Zeiß voller Risiko. Für Zeiß stand die Existenz der Werkstätte auf dem Spiel, wenn es nicht gelang, Immersionsobjektive zu bauen, die der scharfen Ronkurrenz standhielten. Wie die wirtschaftliche Situation von Zeiß am Ende der sechziger Jahre war, ließ Abbe später wissen: „Und mein alter Freund Zeiß hat mir vollkommen zugegeben, daß es ohne diesen Erfolg mit ihm zu Ende gewesen wäre; mit seiner gewohnten Ehrlichkeit hat er mir gesagt, daß er von anderen überholt worden sei, und wenn es nicht gelänge, einen neuen Anlauf zu nehmen, so würde der bisherige Erfolg wieder verloren gehen."29 Tatsächlich ging nach dem Erfolg im Jahre 1866, in dem Zeiß wie schon geschildert noch 210 Mikroskope verkaufte - in den folgenden Jahren der Absatz zurück. 1869 brachte er lediglich noch 100 Mikroskope unter. Damit war er auf das Niveau von 1864 abgesunken. 30 Um diesem negativen Trend zu begegnen, senkte Zeiß die Preise für die Instrumente um 25 Prozent. 31 Dazu war er für eine gewisse Zeit in der Lage, weil die arbeitsorganisatorischen Veränderungen und eingeführten Meß- und Prüfverfahren in den vergangenen Jahren die Herstellungskosten verringert hatten. Damit verschuf sich Zeiß eine gewisse Erleichterung, denn er konnte 1871 44 Instrumente mehr als im vorangegangenen Jahre verkaufen. Aber schon im folgenden Jahr verringerte sich die Anzahl der verkauften Mikroskope wieder. Obwohl Zeiß die Fertigungszahlen an die Marktlage angepaßt und 1871 lediglich 101 Mi28 29

30 31

Ders., S. 202-203. ERNST ABBE: Über die Grundlagen der Lohnregelung in der Optischen Werkstätte. In: Sozialpolitische Schriften, S. 139. AUERBACH: Zeisswerk. 2. Auflage 1904, S. 141. WILLAM: Carl Zeiss, S. 82.

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kroskope hergestellt hatte, gelang es ihm nicht, sie vollständig zu verkaufen. Es blieben 13 Prozent davon auf Lager. In den frühen siebziger Jahren gab Zeiß die Herstellung von Lupen-Mikroskopen auf. Dafür hatte er seit 1869 den Bau von Präparier-Mikroskopen aufgenommen, die in den Jahren 1870 und 1871 einen Anteil von 56 Prozent an der Gesamtfertigung hatten. Die Daten in der Tabelle 2 im Tabellenanhang lassen diese Veränderungen erkennen. Obgleich die Werkstätte insgesamt noch eine gesunde ökonomische Basis hatte, immerhin beschäftigte Zeiß in dieser Zeit nahezu zwanzig Arbeitskräfte, ließen die Rücklagen keine längerwährende Belastung zu. Aufgrund des geringen finanziellen Entscheidungsspielraums bildete jedes Mißlingen der Abbe'schen Arbeiten ein großes Geschäftsrisiko. Das zeigte sich, nachdem die ersten Versuche Abbes als fehlgeschlagen angesehen werden mußten. Die Situation, in der sich Zeiß zu dieser Zeit befand, geht aus folgender Passage eines Briefes hervor, den Siegfried Czapski 1904 schrieb: „Auf dieser Grundlage beruhte neben dem persönlichen Eindruck nach jahrelangem fachlichen Verkehr die Zuversicht von Carl Zeiss, Abbe werde die damals kaum geahnten wahren Gesetze der mikroskopischen Abbildung feststellen und nach deren Weisung besser und sicherer Mikroskopsysteme konstruieren, als bis dahin der Fall war. Daraufhin opferte Zeiss eine fuer seine Verhältnisse wohl nicht unbeträchtliche Summe Geldes fuer Versuche Abbes, die anscheinend recht weitab vom Ziele fuehrten. Das ist das große Verdienst Zeiß's gewesen." 32

Zeiß trug zum Entstehen der Mikroskoptheorie durch finanzielle Vorschüsse an Abbe33 und Bereitstellen von Arbeitskräften und Materialien bei. Der Mechaniker Pape hielt unter dem 16. November 1871 in seinem Tagebuch fest: „Von 4 Uhr an 2 Glasblättchen mit Theilung für Herrn Prof. Abbe gefaßt" und am 15. Januar 1872 vermerkte Pape „Nachmittags 5 Stunden Zwischenarbeit noch zu dem Apparat für H. Prof. Abbe".34 32 33

34

Zitiert in WILLAM: Carl Zeiss, S. 80. Die Vorschüsse wurden vermutlich nach dem Verkauf der neuartigen Objektive verrechnet. Nach Auerbach erhielt Abbe für jedes Objektiv zwischen fünf und 20 Prozent des Verkaufspreises. AUERBACH: Ernst Abbe, S. 139. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 12322 (PAPE: Tagebuch).

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Abb. 6 August Löber (hintere Reihe 3. v. 1.) mit den ältesten Mitarbeitern um 1870 Abbe w ü r d i g t e den Einsatz von Zeiß so: „Dank der Bereitwilligkeit, mit welcher Herr Zeiß mir hierbei entgegengekommen ist, indem er mir mehrere Jahre hindurch die ausgezeichneten Hilfsmittel und die tüchtigen Arbeitskräfte seiner Werkstätte zur Verfügung stellte, und Dank dem Eifer, welchem der kunstfertige Werkführer (August Löber d. V.) dieser Werkstatt und seine geschickten Gehilfen den einschlagenden Arbeiten sich unterzogen haben, ist dieser Versuch nach längeren Bemühungen zum Ziele gelangt."35 Abbe berichtete im D e z e m b e r 1897 in e i n e m Vortrag: „Ich erinnere mich noch sehr genau, wie vor 25 Jahren mein alter Freund Zeiß zu mir kam - ich wohnte damals in der Neugasse - und mir mitteilte, daß die Tantiémen, die mir auf Grund getroffener Vereinbarungen von den Mikroskopen zustehen sollten, die seit dem Jahre 1871 im wesentlichen nach meinen Angaben gemacht wurden, die Höhe von ganzen 800 Talern erreicht hätten ... und daß im nächsten Jahre meine Tantième noch um vieles höher sein würde" 3 6 .

35

36

ERNST ABBE: Beitrag zur Theorie des Mikroskops. In: ABBE: Gesammelte Abhandlungen. Erster Band, S. 46. ERNST ABBE: Über die Lohnregelungen in der Optischen Werkstätte. In: Sozialpolitische Schriften, S. 138.

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Auch Abbe trug bei diesem Unternehmen ein beträchtliches Risiko, denn er konzentrierte sich nun nahezu ausschließlich auf ein Spezialgebiet seines Faches. Ein Scheitern hätte seinem Ruf als Wissenschaftler schaden können. Aber Dank des guten Zusammenspiels zwischen Zeiß, der die materiellen Bedingungen für dieses Vorhaben schuf, und der Kenntnisse, des Spürsinns und der Hartnäckigkeit Abbes, glückte das Unternehmen. Das dabei erzielte Resultat übertraf bei weitem das ursprüngliche Anliegen. Während Zeiß den Physiker lediglich um Hilfe bei der Konstruktion von Immersionsobjektiven gebeten hatte, um den Konkurrenten gewachsen zu sein, schuf Abbe das wissenschaftliche Fundament für den Mikroskopbau und den optischen Gerätebau überhaupt. Rückblickend stellte Abbe dazu fest: „Die hier in ihren Hauptrichtungen bezeichneten theoretischen und experimentellen Studien waren zwar, ihrer Veranlassung nach zunächst auf den praktischen Zweck gerichtet, einen sicheren Leitfaden für die richtige Formulierung der Ansprüche bei der Berechnung von Linsensystemen zu gewinnen; sie haben sich aber von selbst zu einer vollständigen Theorie des Mikroskops abgerundet, welche so ziemlich in alle Capitel der mikrographischen Doctrin eingreift und dieser ausserdem einige neue Capitel hinzufügt." 37

1877 gab Zeiß den Katalog Nr. 22 heraus, in dem sehr ausführlich über die neuen Objektive aus der Jenaer Werkstätte informiert wurde. „Die nachstehend aufgeführten Objektive werden sämtlich nach den Rechnungen von Prof. Abbe in Jena und unter dessen beständiger Mitwirkung construirt... Die gänzliche Beseitigung des Probirens durch eine auf alles Detail ausgehende Construktion, verbunden mit exacten Arbeitsmethoden und mit einer geregelten Controlle aller einzelnen Arbeiten, sichert eine außerordentliche Gleichmäßigkeit meiner Objective in den stärksten wie in den schwächsten N u m m e r n und schliesst Exemplare von zweiter Qualität ganz aus. Ich habe deshalb keine anderen als völlig correcte Objective von durchaus gleichwertiger Leistung abzugeben. Alle meine Objective sind bis zur Randzone sehr gleichmäßig frei von sphärischen Aberrationen (richtige Deckglasdicke bei den stärksten Systemen vorausgesetzt) und in bezug auf die Farbenabweichung möglichst

37

E R N S T A B B E : Beiträge zur Theorie des Mikroskops. In: A B B E : Gesammelte Abhandlungen. Erster Band, S. 49-50.

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vollkommen corrigirt. Auf Hebung der Aberrationen ausser der Axe (sog. Planheit des Sehfeldes) ist dabei besonders Bedacht genommen. Wegen der Bedeutung, welche der freie Objectabstand für den bequemen und sicheren Gebrauch der stärkeren Linse gewinnt, ist bei der Berechnung des Systems diesem Element grosse Aufmerksamkeit zugewandt worden."

Sodann wurden die aufgeführten 15 Trocken- und die sechs Immersionssysteme erläutert und die Arbeitsmöglichkeiten, die sie bieten, dargestellt. Die Preise für die Trockensysteme lagen zwischen zwölf und 84 Mark und die für die Immersionssysteme zwischen 90 und 350 Mark 38 Nachdem die von Abbe berechneten Objektive gefertigt wurden, wuchs das Interesse der Fachwelt an den damit ausgestatteten Mikroskopen. Das spiegelte sich in den Fertigungs- und Absatzzahlen wider. Zwischen 1872 und 1874 stieg die Fertigung zusammengesetzter Mikroskope von 109 auf 304 und der Absatz von 56 auf 275 an. Allerdings blieben 1874 noch zehn Prozent der zusammengesetzten Mikroskope unverkauft. 39 Die Angaben dazu sind der Tabelle 2 im Tabellenanhang zu entnehmen. 1877 bis 1879 galt die Aufmerksamkeit Abbes besonders zwei Problemfeldern. Er folgte einer Anregung seines englischen Bekannten John Ware Stephenson und konstruierte ein homogenes Immersionssystem. Ende 1877 war eine erste Ausführung fertiggestellt Es hatte den großen Vorzug, daß als erste brechende Fläche die aplanatische Fläche der Frontlinse wirkt, die ohne Öffnungsfehler abbildet und dabei gleichzeitig die Sinusbedingung erfüllt. Abbe untersuchte die verschiedenen Flüssigkeiten und fand heraus, daß sich dafür am besten das Zedernholzöl eignete, weil es mit der Brechzahl des Kronglases der Frontlinse gut übereinstimmte und es in der Zerstreuung nur wenig übertraf. In der Preisliste vom September 1879 informierte Zeiß über die neuen Linsen: „Die neuen Objective für homogene Immersion (Oelimmersion), welche ich seit Frühjahr 1878 anfertige, sind für den Gebrauch einer Immersionsflüssigkeit vom Brechungsindex des Crownglases bestimmt Als solche können Zedernholz-Oel, Mischungen von Oliven- und Rizinusoel mit

38 39

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 30528 (Verzeichnis der Objektive und Okulare). Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 7710 (Fabrikationsstatistik Mirko 1).

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Abb. 7 und 8 Zusammengesetzte oder Tubusmikroskope, Typ Stativ I und Typ Stativ III von 1878/79

stärker brechenden ätherischen Oelen sowie auch einige wässerige Flüssigkeiten, namentlich die Lösung von destillirtem Clorzink angewandt werden. - Indem hierdurch die Brechung der Lichtsstrahlen vor dem Eintritt in die Frontlinse des Objectivs aufgehoben wird, kommt nicht nur der Einfluss der Deckglasdicke in Wegfall, sondern es wird auch zugleich eine vollkommenere Definition gewonnen und eine beträchtliche Vergrößerung der Apertur ohne Nachtheile möglich gemacht. Diese Objective bedürfen daher keiner Correktionsfassung und geben dennoch für dicke und für dünne Deckgläser gleich gute Wirkung; sie sind dabei den gewöhnlichen Immersionssystemen überlegen in der Schärfe und Helligkeit der Bilder sowie im Unterscheidungsvermögen. Die Objective dieser Art, welche die folgende Tabelle nach der in England gebräuchlichen Bezeichnung der Brennweiten aufführt, vertragen ungewöhnlich hohe Ocular-Vergrößerungen, so daß sie in der optischen Leistung erheblich stärkeren Linsen des gewöhnlichen Systems gleichstehen." 40

40

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 30528 (Verzeichnis der Objektive und Okulare).

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Neben den Arbeiten an diesen Immersionssystemen nahm Abbe den schon 1870 und 1871 unternommenen Versuch, die Farbenverschiedenheit der Rugelabweichung zu heben, wieder auf. Damals hatte er die einschlägigen Arbeiten, w i e er später feststellte, nicht konsequent genug verfolgt. Nun aber konnte er mit dem erneuten Versuch zufrieden sein. „Als Ergebnis des... praktischen Versuchs halte ich die folgenden drei Tatsachen für genügend gesichert: 1. Die chromatische Differenz der sphärischen Aberration kann selbst in Systemen großer Öffnung mittels der gewöhnlichen bis jetzt in optischen Konstruktionen verwandten Methode beseitigt werden. 2. Durch die Beseitigung dieses Mangels der sphärischen Aberration in Mikroskopobjektiven wird eine nützliche Erhöhung der optischen Leistung (Definition) auch dann erreicht, wenn der Fehler der sekundären Farben nicht beseitigt werden kann. 3. Das System der homogenen Immersion gestattet eine nützliche Erhöhung der Apertur bis fast an die äußerste Grenze, die durch die optischen Eigenschaften der bis jetzt für mikroskopische Präparate benutzten Materialien gesteckt ist." 4 1 Es waren aber nicht nur die wissenschaftlichen Aufsätze Abbes oder die informativen Kataloge aus der Zeiß'schen Werkstätte, die in Fachkreisen über die Fortschritte des Jenaer Mikroskopbaus unterrichteten. Auch Dippel machte es sich zur Aufgabe, darüber zu informieren. Als er die zweite Auflage seines Buches „Das Mikroskop und seine Anwendung" vorbereitete, machte er sich eingehend mit den Ergebnissen der Abbe'schen Arbeit bekannt Im Vorwort schrieb er darüber: „Als von Seiten meines Herrn Verleger die Aufforderung an mich ging, die Bearbeitung einer zweiten Auflage des Mikroskops in Angriff zu nehmen, musste es natürlich mein nächstes Bestreben sein - soweit dies auf elementar-mathematischer, allgemein verständlicher Grundlage ausführbar erschien - Abbe's bahnbrechende Theorie des Mikroskopes und der mikroskopischen Bilderzeugung, sowie dessen umfassende neue Methode zur Ermittlung und Prüfung der Hauptfactoren des optischen Vermögens, d. h. der Brennweiten der numerischen Apertur, des Correctionszustan-

41

ERNST ABBE: Über neue Methoden zur Verbesserung der sphärischen Korrektion, angewandt auf die Konstruktion von Objektiven grosser Apertur. In: ABBE: Gesammelte Abhandlungen. Erster Band, S. 212.

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des etc. der Systeme, sowohl dem Mikroskopiker von Beruf als den weiten Kreisen des Mikroskops und der Mikroskopie zugänglich zu machen. Dieses Bestreben konnte aber nur dadurch zum Ziele führen, dass mir von Seiten Herrn Prof. Abbe's, von dessen Untersuchungen und theoretischen Entwicklungen ganze Reihen noch nicht bekannt gegeben sind, eine so weit gehende und rückhaltlose Unterstützung zu Teil geworden, wie es in der Tat gewesen ist. Derselbe hat mir bei der Ausarbeitung der theoretischen Abschnitte von Anfang bis zu Ende unermüdlich zur Seite gestanden und weder Mühe noch Opfer gescheut, um mir die hierzu erforderlichen umfangreichen und eingehenden Mitteilungen über die bisher noch nicht veröffentlichten Ergebnisse seiner Untersuchungen zur Verfügung zu stellen, so dass Gehalt und Inhalt dieser Abschnitte vor allem seiner Mitarbeit zu danken sind."42

Durch die theoretischen Arbeiten Abbes war die Grundlage für einen rationellen Aufbau des Mikroskops geschaffen. Denn nun waren die Funktion des Öffnungswinkels, der Apertur, festgestellt und damit im Zusammenhang die Anhaltspunkte für die Höhe der im einzelnen Fall erforderlichen Gesamtauflösung gegeben. Der nächste Schritt bestand darin, die Verteilung der Vergrößerung auf das Objektiv und das Okular zu bestimmen. Abbe zerlegte dazu das zusammengesetzte Mikroskop in ein einfaches und ein aufgesetztes Fernrohr. Dabei war es deutlich, daß das vom Objektiv erzeugte Lupenbild ohne Verlust an Schärfe eine um so stärkere Fernrohrvergrößerung vertrug, je besser die von verschiedenen Teilen der freien Öffnung erzeugten Einzelbilder zusammenfielen, je kleiner der Sehwinkel, unter dem die Deckungsfehler erscheinen, im Vergleich mit der Sehschärfe des Beobachters ist. Gemeinsam hatten Abbe und Zeiß an empfindlichen Objekten unter verschiedenen Bedingungen die eigenen und fremden Objektive von unterschiedlicher Bauart untersucht. Dabei fanden sie, daß die zulässige, für normale Arbeiten noch vollkommen brauchbare Fernrohrvergrößerung für die schwächsten Objektive von kleiner Apertur etwa zehnfach war. Sie gingen dann mit steigenden Aperturen bei Trockensystemen auf eine vierfache Vergrößerung. Bei den Wasserimmersionen konnten sie, da diese eine 30 Prozent höhere Apertur besaßen, bei einer 4fachen Vergrößerung bleiben. Da die Grenzen des Auflösungsvermögens bekannt waren, ließen sich auch die Grenzen, die zwischen der nutzbaren oder förderlichen Vergröße-

42

DIPPEL:

Das Mikroskop und seine Anwendung, S. 2.

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rung lagen und die dem Mikroskop zugänglichen feinsten Einzelheiten deutlich zeigten, bestimmen und die Lupenvergrößerung berechnen. Diese Berechnung mußte ein Objektiv von bestimmter Apertur liefern, dessen Brennweite damit ebenfalls gegeben war. Neben den geschilderten Untersuchungen führte Abbe die Berechnung von Objektiven durch. Dabei zeigte sich, daß die vorhandenen theoretischen Grundlagen für die Berechnung von Systemen von einem großen Öffnungswinkel, der für starke Vergrößerungen erforderlich war, nicht genügten. Die Ergebnisse der Abbe'schen Untersuchungen über die Theorie des Mikroskops wurden veröffentlicht. Das geschah durch Abbe selbst, durch Czapski und durch Dippel.

Der Eintritt Ernst Abbes in die Zeiß'sche Werkstätte Abbe, der im Hause seines Lehrers Snell verkehrte, faßte zu dessen Tochter Elise, die nach dem Tode der Stiefmutter den Haushalt führte, Zuneigung und verlobte sich im Juni 1870 mit ihr. Im Spätsommer des folgenden Jahres fand dann die Vermählung statt. 1872 kam die Tochter Margarete zur Welt, und 1874 wurde die Tochter Paula geboren. 1874 erkrankte die ganze Familie Abbe an Typhus. Der Krankheitsverlauf beeinträchtigte die Arbeitsfähigkeit Abbes derart, daß er in ernsthafte finanzielle Schwierigkeiten geriet. Der Universitätskurator half ihm über die ärgste Not hinweg, aber die Situation zwang Abbe, eine grundlegende Veränderung ins Auge zu fassen. Darum gab er an einem Apriltag des Jahres 1875 in einem Brief an Zeiß zu verstehen, daß die seit nahezu einem Jahrzehnt bestehende Zusammenarbeit ein beständigeres kommerzielles Fundament erhalten müsse. Er schlug vor, ihn zu einem Drittel an den Erträgen der Optischen Abteilung der Werkstätte zu beteiligen. Dabei ließ er sich davon leiten, daß die Mikroskope nach den von ihm erarbeiteten Prinzipien gefertigt werden. 43

43

Brief Abbe an Zeiß vom April werkes, S. 40.

1875.

In: SCHOMERUS: Geschichte der Zeiss-

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Zeiß, der nur zu gut die Gründe für Abbes Brief kannte, hatte selbst alle Ursache, den Wissenschaftler an die Werkstätte und an Jena zu binden. Nach reiflicher Überlegung verfaßte Zeiß am 19. Mai 1875 ein ausführliches Antwortschreiben: „Da nach Ihrem eignen Vorschlag bei mittelmässig günstigem Geschäftsgang Ihnen vom Reinertrag der optischen Werkstätte ... circa 1/3 zukommen würde, so werden Sie es sicher als ein sehr günstiges propositum ansehen, wenn ich Ihnen ein Drittel vom Reingewinn des ganzen Geschäftes anbiete... Ich bin auf diesen Vorschlag geleitet worden einerseits durch den Wunsch, Ihr nicht nur in rebus mathematicis, sondern auch im Bau und der Construction von Apparaten ausgezeichnetes Talent für das Geschäft dauernd verbunden zu sehen. Andererseits bin ich zu diesem Vorschlag durch ruhige Überlegung gekommen, dass eine Eruierung des Reinertrages der optischen Werkstätte für sich allein nicht möglich ist."

In einem Punkt teilte Zeiß die Ansicht Abbes nicht. Der Wissenschaftler betrachtete die Früchte der mathematischen Arbeiten, die zur sicheren Berechnung der Mikroskopobjektive geführt hatten, als sein geistiges Eigentum. Dem hielt Zeiß entgegen, daß „die fraglichen Grössen ein Product unserer gemeinschaftlichen Arbeit sind". Zeiß sah sie einerseits in der wissenschaftlichen Befähigung und vierjährigen Arbeit Abbes als auch in dem, was er und die Optische Werkstätte zum Erfolg beigetragen hatten. Zeiß nannte „die vierjährige zur Dispositionstellung meiner optischen, zum Theil auch meiner mechanischen Werkstätte und einige weniger zu rechnende an Sie geleisteten Baarzahlungen, welche aber gering sind gegen die Beträge der Löhne meiner Arbeiter, die für unsere Versuche arbeiteten, von so mancher Anschaffung nicht zu reden". Zeiß ersuchte Abbe, seinen Vorschlag zu überdenken. „Es ist gerade nicht nöthig, dass die Welt erfahrt, dass Sie mein Associé; denn wie bisher werde ich meine ganze Thätigkeit vom Morgen bis zum Abend dem Geschäft widmen, während Sie doch immer noch Ihre akademische Thätigkeit mehr oder minder beibehalten werden."44 Abbe ging auf den Vorschlag von Zeiß ein. Beide Männer trafen eine entsprechende Vereinbarung, die allerdings erst am 22. Juli

44

OMJ. Nr. 12092 (Brief Zeiß an Abbe vom 19. Mai 1875).

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1876 juristisch fixiert werden konnte. Der Grund für diese Verzögerung lag offensichtlich in den finanziellen Verhältnissen Abbes. Ihm standen die Mittel nicht zur Verfügung, die für seine Teilhaberschaft erforderlich waren. Den Ausweg aus dieser Situation schuf Zeiß, der Abbe am 31. März 1876 die fallige erste Rate von 12.000 Mark aus seinem Privatvermögen vorschoß. Nun konnte der Vertrag „zwischen Herrn Hofmechanikus Carl Zeiß in Jena und Herrn Professor Ernst Abbe daselbst" unterzeichnet werden. Damit war Abbe an der Optischen Werkstätte derart beteiligt, daß seine Vermögenseinlage gegen den Anteil von zwei Fünftel des Gewinns aus dem gesamten Geschäft, nicht nur aus der optischen Werkstatt, an Zeiß überging. Für die Zeit nach dem 15. Mai 1885 war eine Halbierung des Reingewinns vereinbart. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte Abbe seine Vermögenseinlage von insgesamt 33.356 Mark aufzubringen. 45 Abbe wurde stiller Gesellschafter an der Optischen Werkstätte. Nachdem sich die beiden Männer im Mai 1875 entschlossen hatten, die Optische Werkstätte gemeinsam zu betreiben, führte Zeiß, den handelsrechtlichen Vorschriften folgend, eine Inventur durch. Danach wurde zum 15. Mai 1875 ein Vermögenswert der Optischen Werkstätte von insgesamt 117.250 Mark festgestellt. Er setzte sich zu 34,1 Prozent aus Grundstücken und Baulichkeiten, zu 18,7 Prozent aus Produktionsmitteln, zu 38,2 Prozent aus Warenbeständen und zu neun Prozent aus Außenständen zusammen. 46

Der Umschwung im Mikroskopgeschäft In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre veränderten sich die Produktionsbedingungen in der Optischen Werkstätte kaum. Die Arbeiten erfolgten noch immer in den Gebäuden am Johannisplatz Nr. 5, 6 und 1047 und die Arbeitsmittel waren unverändert. Die Mikroskope wurden in einem arbeitsteiligen Prozeß gefertigt. Ledig-

45

46 47

Ernst Abbe, S. 218-220. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 6468 (Petermann-Konzept), Bl. 9. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 6468 (Petermann-Konzept), Bl. 4, 9, 32.

AUERBACH:

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lieh die Beschäftigtenzahl wuchs zwischen Ende 1877 und 1879 von 40 auf 54 Personen an. 48 In der Optischen Abteilung hatte sich die Beschäftigtenzahl von 13 im Dezember 1875 auf 17 im Dezember 1879 vergrößert.49 In der zweiten Hälfte der siebziger Jahre stieg die Mikroskopfertigung stetig an. Im Geschäftsjahr 1876/77 wurden 398 und im Geschäftsjahr 1879/80 558 Instrumente gefertigt. Seit 1875 finden sich im Fertigungsprogramm auch wieder Lupen-Mikroskope. Der Absatz, der schon im Geschäftsjahr 1875/76 unbefriedigend war, blieb auch 1876/77 und 1877/78 noch schwierig, denn in diesen Geschäftsjahren konnte von den Lupen-Mikroskopen ein hoher Prozentsatz nicht verkauft werden. Die zusammengesetzten Mikroskope ließen sich nur über einen längeren Zeitraum auf dem Markt unterbringen. Das änderte sich 1878/79 und 1879/80.50 Die Ursachen dafür lagen sicher in den Auswirkungen der Gründerkrise. Viele öffentliche Institutionen und private Interessenten mußten auf die Anschaffung von Mikroskopen aus Jena verzichten. Der unbefriedigend verlaufende Geschäftsgang hatte zur Folge, daß in der Optischen Werkstätte immer ein erheblicher Teil der Umlaufmittel in mehr oder weniger großen Warenbeständen festgelegt blieb. Gegen Ende des Jahrzehnts hatte sich die Situation der Optischen Werkstätte im Gefolge des allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwungs verbessert, denn nun begann das Mikroskopgeschäft wieder zu florieren, und Zeiß kam zunehmend in Lieferschwierigkeiten, weil die Aufträge größer als die Fertigungskapazität waren. Damit hatte sich die Geschäftslage der Optischen Werkstätte grundlegend verändert. Die bisher gefertigten Mikroskope waren nahezu vollständig verkauft, und Zeiß sah sich außerstande, den eingehenden Bestellungen unverzüglich nachzukommen. Das macht ein Brief deutlich, den Abbe am 8. Januar 1879 an seinen Studienfreund Anton Dohrn, der in Neapel eine Zoologische Station leitete, schrieb: „Bei Zeiss geht es in letzter Zeit sehr gut. Wir sind mit einem Vierteljahr stets im Gedränge, um den Bestellungen entsprechen zu können. Nament48

49 50

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 8417 (Beiträge zur Betriebschronik. Sammelakte). UACZ. Bestand: VA Nr. 196. (Monatsabschlüsse der Optischen Abteilung). Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 7710 (Fabrikationsstatistik Mikro 1).

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lieh haben die neuen Objektive (Oel-Immersion) - von welchen Sie schändlicherweise noch immer kein Exemplar erhalten haben, weil die fertig werdenden abgehen wie die warmen Semmeln - das Prestige der Werkstatt in Deutschland und außerhalb stark gehoben. Im letzten halben Jahr haben wohl alle Berliner Institute, bei denen wir bisher noch gar keinen Fuss gefasst hatten, grosse Mikroskope hier bestellt. Und ich habe die beruhigende Zuversicht, dass wir noch nicht das letzte Pulver verschossen, vielmehr noch eine kleine Überraschung in petto haben, mit welcher hervorzutreten wir nun warten müssen, bis Vermehrung der Arbeitskräfte wieder etwas Luft geschafft hat" 5 1 Dohrn solle sich n u r rühren, wenn er etwas brauche. „Wer nicht tritt, kriegt nichts." Dabei gehörte der Freund zu den bevorzugten Runden der Optischen Werkstätte. Ernst Abbe überließ ihm neue Entwicklungen z u m Testen, und der Botaniker gab den J e n a e r n viele Ratschläge, w a s an den Instrumenten zu verbessern sei. Dohrn erhielt als ständiger Kunde, der Mikroskope in größeren Stückzahlen abnahm, Rabatt in Gestalt von Gratisgeräten. Zwischen Mai 1875 und August 1 8 8 0 setzte die Optische Werkstätte W a r e n im Wert von 6 2 2 . 6 0 5 Mark u m und realisierte einen Reingewinn von insgesamt 2 4 0 . 9 9 6 Mark. 5 2 Die Daten in der Tabelle 3 im Tabellenanhang veranschaulichen den Verlauf der U m satz- und Gewinnbewegung in diesen J a h r e n . Am E n d e des siebten Jahrzehnts reifte eine Entscheidung über den weiteren Entwicklungsweg der Optischen Werkstätte heran. Darüber reflektierte E r n s t Abbe anläßlich des 50. Jahrestages der Gründung des U n t e r n e h m e n s a m 12. Dezember 1896: „Es ist für den gedeihlichen Fortgang des Unternehmens von entscheidender Wichtigkeit, daß der Übergang in eine neue, leistungsfähigere Wirtschaftsform zur richtigen Zeit sich vollziehen konnte. Wenn damals das Tempo verfehlt worden wäre, wäre es wahrscheinlich für alle Zeit verfehlt gewesen. Denn in der Zwitterform zwischen Kleingewerbe und Großindustrie hätte, der inneren Widersprüche wegen, die Werkstätte nicht für lange Zeit sich halten können: ein bloßes Fortvegetieren wäre ihr Schicksal geworden und dabei wäre der Fortschritt, den der Grundgedanke von Zeiss in sich trug, auf halbem Wege stecken geblieben." 53

51

52 53

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 20387 (Brief Abbe an Dohrn vom 8. Januar 1879). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 6468 (Petermann-Konzept), Bl. 42. ABBE: Gedächtnisrede. In: Sozialpolitische Schriften, S. 79.

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Die für diesen Übergang zu einer leistungsfähigeren Wirtschaftsform erforderlichen finanziellen Grundlagen waren 1879 weitgehend gegeben. Zwischen Mai 1875 und August 1880 beliefen sich die Gewinnanteile von Carl Zeiß auf 95.945 Mark und von Ernst Abbe auf 63.962 Mark. Davon übertrugen beide Gesellschafter auf die Kapitalkonten insgesamt 77.286 Mark. Das waren 48,5 Prozent des seit 1875 realisierten Gesamtgewinns.34 Ende 1879 hatte die Optische Werkstätte - folgt man einem Brief von Snell vom Dezember 1879 - Außenstände in Höhe von ca. 700 Mark.53 In den siebziger Jahren, in denen die Optische Werkstätte diese beachtliche Entwicklung genommen hatte, vollzogen sich auch in der Stadt Jena bemerkenswerte Veränderungen. Rascher als im vorausgegangenen Jahrzehnt wuchs ihre Bevölkerung. Wenn in den sechziger Jahren die Bevölkerung um 16 Prozent zunahm, so betrug ihr Zuwachs im folgenden Jahrzehnt 28,7 Prozent. 1875 zählte die Stadt 9.020 Einwohner. Im Wirtschaftsleben Jenas traten zu dem Handwerk, das auf die Nachfrage der Bevölkerung der Stadt und des Umlandes ausgerichtet war, einige kleine industrielle Unternehmungen. Für die Lebensqualität der Bevölkerung und für die gewerbliche Entwicklung in der Stadt war es außerordentlich bedeutsam, daß Jena durch den Bau der Eisenbahnlinie WeimarJena-Gera 1874 und zwei Jahre später der Saalebahn mit dem modernen Verkehrsnetz in Deutschland unmittelbar verbunden wurde. 36

Die Probleme mit dem optischen Glas In den siebziger Jahren wurde immer deutlicher, daß weitere Fortschritte im wissenschaftlichen Instrumentenbau von der Qualität des verfügbaren optischen Glases abhingen. 1878 machte Ernst Abbe 54 53

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 6468 (Petermann-Konzept), Bl. 33-34. Aus den unveröffentlichten Briefen des Geheimen Rates Prof. Carl Snell. In: Zeiss-Werkszeitung. Neue Folge. Jahrgang XI (1936). Heft 6, S. 110. JOACHIM HEINRICH SCHULTZE: Jena. Werden und Wachsen und Entwicklungsmöglichkeiten der Universitäts- und Industriestadt. Jena 1955, S. 79, 118-120.

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Abb. 9 Ernst Abbe nach 1880

darauf aufmerksam, daß bessere Mikroskop-Objektive nur dann geschaffen werden können, wenn neue Glasarten zur Verfügung stehen. 57 Dazu führte er in seiner Abhandlung „Die optischen Hülfsmittel der Mikroskopie" aus: 57

Die Genesis der modernen Glastechnologie in Jena ist dokumentiert in: Die Entstehung des Glaswerkes von Schott & Gen. nach gleichzeitigen Schriftstücken aus amtlichem und persönlichem Besitz zwischen dem März 1882 und dem Januar 1885 (im folgenden Die Entstehung des Glaswerkes); E R N S T A B B E : Gesammelte Schriften. Vierter Band. Erste Hälfte. Jena 1928; Herbert Kühnert veröffentlichte die nachfolgenden drei Dokumentationen und versah sie mit ausführlichen Einführungen: Der Briefwechsel zwischen Otto Schott und Ernst Abbe über das optische Glas 1 8 7 9 - 1 8 8 1 . Bearbeitet von HERBERT KÜHNERT. Veröffentlichungen der Thüringischen Historischen Rommission. Im Auftrag der Kommission. Hg. von WILLIY FLACH. Band 2 . Jena 1 9 4 6 (im folgenden Briefwechsel Schott-Abbe); Briefe und Dokumente zur Geschichte des VEB Optik Jenaer Glaswerk Schott & Genossen. 1. Teil. Die wissenschaftliche Grundlegung. (Glastechnisches Laboratorium und Versuchshütte). 1 8 8 2 - 1 8 8 4 . Bearbeitet von HERBERT KÜHNERT. Veröffentlichungen der Thüringischen Historischen Kommission. Im Auftrage der Kommission herausgegeben von WILLY FLACH.

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„Die fernere Vervollkommnung des Mikroskops im Punkte der dioptrinischen Wirkung erscheint demnach hauptsächlich auf die Fortschritte der Glasschmelzkunst gestellt und im Besonderen davon abhängig, dass letztere optisch verwendbare Glasarten herstellt, bei denen der Gang der Farbenzerstreuung einer Aufhebung des sogenannten secundären Spectrums günstiger ist und bei welchen Dispersion und mittlerer Brechungsindex ein anderes Verhältnis zueinander, als bei den jetzigen Glasarten, zeigen."58

Die Gegebenheiten in der Glasindustrie - vornehmlich in den Firmen, die optisches Glas anboten - ließen aber für die Zukunft nicht erwarten, daß die feinmechanisch-optische Industrie die gewünschten Glasarten erhalten werde. Die seit den fünfziger Jahren zu beobachtenden Verbesserungen des optischen Glases, die in einer größeren Reinheit und Homogenität der Gläser und einer zunehmenden Farblosigkeit bestanden, lagen nicht in einem grundlegenden Wandel des Herstellungsverfahrens begründet. In den siebziger Jahren hatten die Glashersteller kein klares Bild von den feineren Abstufungen der optischen Merkmale der von ihnen produzierten Gläser. Sie waren darum auch nicht in der Lage, die Qualität und Gleichartigkeit ihrer Gläser zu kontrollieren. Deshalb bestand auch wenig Hoffnung, daß die Glasfabrikanten über das Herkömmliche hinausgehen und mit neuen Glasarten aufwarten, die den Bedürfnissen der Optik entsprechen. Nach dem Urteil von Otto Schott und Ernst Abbe war das von den einschlägigen Hütten in Paris und Birmingham angebotene Krön- und Flintglas lediglich verfeinertes und teilweise etwas modifiziertes Kristall- und Tafelglas.59 In einem am 27. Oktober 1883 abgefaßten Gutachten bewertete Emil Busch die Inhaber der Firmen Edmund Feil in Paris und Chance Brothers & Co in Birmingham, die in jener Zeit optisches Glas anboten, wie folgt:

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Band 2. Jena 1953 (im folgenden Briefe und Dokumente 1); Briefe und Dokumente zur Geschichte des VEB Jenaer Glaswerk Schott & Genossen. 2. Teil. Der Übergang zur industriellen Produktion. (Von der Versuchsglashütte zum 1. Produktionsverzeichnis). 1884-1886. Bearbeitet von Herbert Kühnert. Veröffentlichungen der Thüringischen Historischen Rommission. Im Auftrag der Rommission herausgegeben von Willy Flach. Band 6. Jena 1957 (im folgenden Briefe und Dokumente 2); Eine historische Darstellung dieses Zeitraumes bietet EBERHARD ZSCHIMMER: Die Glasindustrie in Jena, ein Werk von Schott und Abbe. Entstehung und Entwicklung in den ersten 25 Jahren. Jena 1909. ABBE: Gesammelte Abhandlungen Erster Band, S. 159-160. Die Entstehung des Glaswerkes, S. 4.

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„Leider sind nun die Inhaber der genannten beiden renommierten Fabriken Leute von geringem Verständnis wenigstens in bezug auf die Anforderungen, welche die immer weiter fortschreitende Wissenschaft erhebt. Um gewisse optische Probleme zu lösen, ist die Herstellung von Krön- und Flintglassorten von ganz bestimmten Eigenschaften erforderlich. Dazu sind indes diese Leute nicht befähigt... Die Langsamkeit, mit welcher sich die auf dem Gebiet der Glasfabrikation zu optischen Zwecken zeigenden sparsamen Fortschritte vollziehen, sind einzig und allein auf die Unfähigkeit der Fabrikanten für so subtile Erzeugnisse zurückzuführen."60

Busch verwies aber nicht nur auf die Unzulänglichkeiten in der ausländischen Glasindustrie, sondern machte auch darauf aufmerksam, was es bedeutete, wenn in Deutschland keine Hütte optisches Glas herstellen konnte. Die ausländischen Hersteller nutzten ihre Monopolstellung, indem sie ihren deutschen Runden Gläser von geringerer Qualität lieferten und dafür von ihnen noch hohe Preise forderten. Darüber hinaus mußten die deutschen Verbraucher des ausländischen Glases lange Lieferfristen hinnehmen. Busch machte auch auf die Abhängigkeit der deutschen Streitkräfte von den ausländischen Glaslieferungen für ihre optischen Beobachtungsgeräte aufmerksam. 61 Im Frühjahr 1879 zeichnete sich für Abbe eine Möglichkeit ab, zu dem erhofften optischen Glas zu kommen. Er erhielt am 27. Mai 1879 einen Brief von dem achtundzwanzigjährigen Otto Schott aus Witten, der ihm berichtete, daß er vor kurzem ein Glas hergestellt habe, „in welches eine beträchtliche Menge Lithium eingeführt wurde und dessen spezifisches Gewicht verhältnismäßig recht niedrig war". Der Briefschreiber vermutete, „daß bezeichnetes Glas nach irgend einer Richtung hervorragende optische Eigenschaften aufweisen wird" und bat Abbe, das mit gleicher Post übersandte Glas „zu prüfen oder von einem Ihrer Praktikanten auf Brechungsund Zerstreuungs-Verhältnisse ... untersuchen zu lassen".62 Schott, dessen Vater in Witten eine Tafelglashütte betrieb, studierte von 1869 bis 1873 an verschiedenen deutschen Universitäten Chemie und chemische Technologie. Seine akademische Ausbildung beschloß er mit einer Promotion. Sodann arbeitete er einige Jahre in einem Laboratorium der Fa. Harkort. Im Herbst 1877 ging

60 61 62

Die Entstehung des Glaswerkes, S. 79-80. Die Entstehung des Glaswerkes, S. 83-85. Briefwechsel Schott-Abbe, S. 3.

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Schott nach Spanien, um eine Jod- und Salpeterfabrik aufzubauen und zu leiten. 1880 übernahm er es, in der spanischen Provinz Santander zwei Glashütten zu modernisieren. In diesen Jahren des beruflichen Wirkens veröffentlichte Schott verschiedene chemotechnologische Arbeiten.63 Ende der siebziger/Anfang der achtziger Jahre war sich Schott über seinen weiteren beruflichen Entwicklungsweg unsicher, aber sein besonderes Interesse galt der Glasforschung. Nachdem Abbe aus London zurückgekehrt war, er hatte dort am 11. Juni vor der Royal Microscopical Society einen Vortrag gehalten, untersuchte er die Glasproben von Schott eingehend. 64 Die dabei erzielten Resultate teilte Abbe in einem am 3. August 1879 verfaßten Schreiben mit Obgleich sie nicht befriedigen konnten, ermunterte Abbe den Wittener zur Weiterarbeit: „Ich betrachte es als einen großen Erfolg, daß es Ihnen gelungen ist, Probeschmelzungen in kleinen Tiegeln in solcher Qualität zu erhalten, daß eine vollständige optische Untersuchung des Produkts möglich ist. Feil, der doch ein berühmter, erfahrener Glasschmelzer ist, hat mir noch keine derartige Schmelzprobe geliefert, die auch nur eine annähernde Bestimmung der mittleren Dispersion gestattet hätte, geschweige denn eine zuverlässige Feststellung der partiellen Dispersion, wie ich sie bei der einen Ihrer Proben erhalten habe und von der anderen auch noch zu erhalten hoffe. Für den Fortschritt in der Herstellung optischen Glases scheint mir aber die Möglichkeit, brauchbare (d.h. optisch bestimmbare) Probeschmelzungen machen zu können, die wichtigste Voraussetzung, weil auf diese Weise allein ein methodisches Experimentieren möglich wird."65

Schott sicherte in seinem Antwortbrief am 8. August 1879 zu, „einige Schmelzversuche anzustellen, um zu sehen, ob es nicht gelingt, der praktischen Optik brauchbare Gläser zu den verschiedenen Zwecken zu liefern". 66 In der zweiten Hälfte des Jahres 1879 befaßte sich Schott mit einer Arbeit über Schmelzverbindungen der anorganischen Chemie67 und

63

64 65 66 67

ERNST ABBE: Personale von Dr. O. Schott. In: ABBE: Gesammelte Abhandlungen. Vierter Band, S. 89-90. Briefwechsel Schott-Abbe. Anmerkung 4, S. 501. Briefwechsel Schott-Abbe, S. 6. Briefwechsel Schott-Abbe, S. 7. Briefwechsel Schott-Abbe, S. 9.

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verfolgte das Projekt, in seiner Heimatstadt oder in Wiesbaden eine Hütte für optisches Glas zu gründen. 68 In dem am 1. Oktober 1880 an Abbe gerichteten Brief schilderte Schott seine Lebensverhältnisse: „Bedenken Sie indessen, daß alle meine in der letzten Zeit erschienen Arbeiten darauf zurückzuführen sind, daß es mir innerhalb 2 Jahren nicht gelungen ist, in der reinen Wissenschaft oder Technik irgendeine anständige Beschäftigung zu finden und ich die genannte Zeit nur benutzt habe, um in irgend einer Weise etwas nützliches zu leisten, so werden Sie es natürlich finden, daß ich es nicht für besonders zweckmäßig halte, das Gebiet der optischen Glastechnik besonders zu kultivieren, da die Aussichten auf Erfolg dort geringer sind als in anderen Teilen der Chemie. Sollte es mir eines Tages gelingen, an einem wissenschaftlichen Institut irgendwelche Anstellung zu erlangen, so würde ich mit Freuden dem für das praktische Leben sowohl als für die Wissenschaft im höchsten Grade wichtigen Gegenstand mich zuwenden; jetzt aber ist mir die Sache zu aussichtslos und auch zu kostspielig."69 Abbe ging in seinem Antwortschreiben vom 20. Dezember 1880 ausführlich auf die Schwierigkeiten ein, die in Deutschland mit dem Aufbau eines Unternehmens, das auf die Herstellung von optischem Glas spezialisiert ist, verbunden sein werden. Sodann stellte er fest: „In welcher Richtung die Optik neue Glasarten wünschen muß, habe ich, wenn ich nicht irre, Ihnen schon früher bezeichnet: Crownglas, welches erheblich niedrigere mittlere Dispersion hat als das bis jetzt bekannte oder höheren Brechungsindex bei gleicher Dispersion. Flintglas (oder Crownglas), dessen Dispersion in ihrem relativen Gang vom Rot zu Blau mehr mit derjenigen des Crown (oder Flint) übereinstimmt (also geringere sekundäre Farbabweichung liefert), Flintglas von sehr hoher Dispersion, aber geringerer mittlerer Refraktion. Meiner Überzeugung nach führt der Weg zur Bereicherung der Optik in dieser Richtung nicht in die Glashütte, sondern zuerst in das chemische Laboratorium. Denn es wird sich darum handeln, in kleinem Maßstabe die optischen Eigenschaften methodisch zu studieren, die durch verschiedene Basen und Säuren in verglasbaren Verbindungen erlangt werden; wobei es dann freilich darauf ankäme, eine Methode ausfindig zu ma-

68

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Otto Schott In: Abbe, S. 265. Briefwechsel Schott-Abbe, S. 10.

JÜRGEN HENDRICH:

STOLZ, WITTIG:

Carl Zeiss und Ernst

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chen, um solche kleine Probeschmelzungen wenigstens soweit homogen zu machen, daß ein untersuchungsfahiges Prisma erhalten werden könnte."70

Die gemeinsamen Arbeiten von Ernst Abbe und Otto Schott Auf Einladung Abbes reiste Schott am 4. Januar 1881 nach Jena, und beide Männer nahmen noch am späten Abend des gleichen Tages das Gespräch über das Glasthema auf. Dabei entstand ein Programm der wissenschaftlichen Vorarbeiten für eine Reform der optischen Glasschmelzkunst. 71 Es zielte darauf ab, die chemischen Elemente und Verbindungen zu ermitteln, die geeignet waren, amorph erstarrende und vornehmlich farblose oder weitgehend farblose Schmelzflüsse zu erzeugen; die spezifischen optischen Charaktere, die den einzelnen Elementen oder bestimmten chemischen Verbindungen dieser Elemente in amorphen Schmelzflüssen zukommen, möglichst genau und ziffernmäßig bestimmt zu ermitteln; herauszufinden, inwiefern die optischen Merkmale eines beliebig zusammengesetzten Glasflusses durch die Merkmale seiner Bestandteile und deren Mengenverhältnis bestimmt wurden, wobei es aber vor allem um den Nachweis ging, inwieweit auf diesem Gebiet ähnliche qualitative Relationen wie für flüssige Verbindungen in der Lehre von den spezifischen Refraktionen und den Refraktionsäquivalenten vorlagen. 72 Schließlich unterbreitete Abbe seinem Gast „den Vorschlag, nach Jena zu kommen und dort die Untersuchungen über optisch brauchbare Glasflüsse auszuführen". 73 Schott, der sich noch nicht zu einer Übersiedlung entschließen konnte, sicherte Abbe aber zu, in Witten seinen Teil zu dem vereinbarten Programm zu leisten. Schott ging mit großer Inten-

70 71 72 75

Briefwechsel Schott-Abbe, S. 14. Die Entstehung des Glaswerkes, S. 7. Die Entstehung des Glaswerkes, S. 8. Zitiert in HENDRICH: Otto Schott, S. 2 6 5 .

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Abb. 10 Otto Schott um 1900

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sität, aber unter höchst unzulänglichen Arbeitsbedingungen ans Werk.74 Abbe, der ihn vom 22. bis 24. April 1881 in seinem Laboratorium besuchte, sorgte für finanzielle und materielle Erleichterung. Im Laufe des Jahres 1881 sandte Schott 130 Versuchsschmelzungen nach Jena, die in der Optischen Werkstätte zu Prismen geschliffen und dann mit dem Spektrometer untersucht wurden. Das optische Bestimmen der Proben erfolgte nach der Abbe'schen Methode mit dem Ziel, die Daten zur vollständigen Darstellung des Verlaufs der Lichtbrechung im ganzen Umfang des Spektrums zu gewinnen. Die spektrometrischen Untersuchungen nahm Abbe selbst oder dessen Assistent, Paul Riedel, vor. Bis Ende 1881 waren die ersten beiden Punkte des Arbeitsprogramms erfüllt. Schott hatte die Vorbedingungen für das ausgiebige Experimentieren auf diesem Gebiet geschaffen. Nun konnte eine wenigstens annähernd homogene Herstellung relativ kleiner Schmelzmassen erreicht werden. Man erfuhr, daß eine unerwartet große Anzahl von Stoffen mit geeigneten Mitteln in amorphe durchsichtige Schmelzflüsse eingeführt werden können. Schließlich ließ sich nachweisen, daß unter den vielen Elementen, die bislang nicht oder nur gelegentlich zur Herstellung optischen Glases genutzt wurden, mehrere vorkamen, die wesentlich andere optische Eigenschaften hatten als die bisher bekannten Glasarten. Diese Erkenntnisse erlaubten im Herbst 1881 eine Modifizierung des Januar-Programms. Nun trat die rein theoretische Seite des Programms hinter die praktische Verwertung der gewonnenen Erkenntnisse zurück, und die Herstellung praktisch verwendbarer Glasflüsse mit neuen Eigenschaften erhielt ein größeres Gewicht. Nach dieser Schwerpunktverlagerung zeigte sich, daß die bislang in Witten genutzte Einrichtung nicht ausreichte. Aber auch die örtliche Trennung der am Programm arbeitenden Männer behinderte den raschen Fortgang der Arbeiten. Darum kamen Abbe und Schott im November 1881 bei einem Treffen überein, in Jena ein „besonderes Laboratorium" einzurichten, in dem Schmelzungen in einem größerem Maßstab möglich wurden. Abbe ließ unterhalb des Bahnhofes der Linie Gera-Weimar einen Schuppen so umbauen, daß darin die nötigen Einrichtungen untergebracht werden konnten. In dem

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Die Zusammenarbeit zwischen Abbe und Schott im Laufe des Jahres 1881 ist im Briefwechsel Schott-Abbe dokumentiert.

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Mitte Januar 1882 verfügbaren Laboratorium wurden mehrere größere Glasschmelzöfen aufgestellt. Ein Motor betrieb die Gebläse. Nun wurden Schmelzungen von mehreren Kilogramm möglich. Im Herbst 1882 vergrößerte man die Schmelzanlagen.75 Abbe finanzierte das Laboratorium mit seinen privaten Mitteln. Im Februar 1882 wurde Schott mit einem Vorhaben bekannt, das seine Arbeit tangierte. Von F. H. Wiebe, einem befreundeten Physiker, der in der Kaiserlichen Normal-Eichungs-Kommission beschäftigt war, erfuhr er, daß in Berlin die Absicht bestand, ein staatliches Institut zur Pflege der Präzisionsmechanik zu gründen. Das veranlaßte Schott, seinem Freund von den eigenen glastechnischen Arbeiten zu berichten. Wiebe setzte davon wiederum den Direktor der Königlichen Sternwarte in Berlin und Leiter der Kaiserlichen Normal-Eichungs-Kommission Wilhelm Julius Foerster in Kenntnis. Foerster ließ daraufhin die von ihm unter dem 22. Dezember 1880 verfaßte Denkschrift über die Situation auf dem fraglichen Gebiet an Schott senden und anfragen, wie sich Schott eine staatliche Unterstützung seiner Arbeiten vorstelle.76 Schott hatte die Foerster'sche Denkschrift Ende Februar 1882 in den Händen. Die nun entstandene Situation veranlaßte Abbe und Schott, unter dem 30. März 1882 einen „Vorläufigen Bericht über eine wissenschaftliche Untersuchung zur Verbesserung des optischen Glases" abzufassen und an Foerster zu senden. 77 Darin gaben sie über den Stand der bisherigen Arbeiten und über ihre weiteren Absichten Auskunft. Die Frage Foersters nach einer staatlichen Förderung ihrer Arbeiten beantworteten sie dahingegehend, „daß eine solche Unterstützung angesichts der gegenwärtigen Verhältnisse auch auf die eigentliche industrielle Verwertung etwaiger theoretisch gewonnener Fortschritte sich erstrecken müsse". 78 Diese Antwort resultierte aus dem Wissen, daß in Jena die wissenschaftlich-technischen Vorarbeiten auf glastechnischem Gebiet schon in einem starken Maße geleistet worden waren. Abbe und Schott drückten ihre Hoffnung aus, „daß die berufenen fachmännischen Kreise für die etwa nötige staatliche Beihilfe zur gedeihlichen Entwickelung dieses Keimes auf deutschen Boden ebenso eintreten werden, wie

75 76 77 78

Die Entstehung des Glaswerkes, S. 7-21 Briefwechsel Schott-Abbe, S. 272. Die Enstehung des Glaswerkes, S. 1-6. Die Entstehung des Glaswerkes, S. 25.

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sie solches in der Ronsequenz ihrer Bestrebungen würden tun müssen, wenn ein ähnlicher Ausgangspunkt, wiewohl erst später, durch ein öffentliches Institut geschaffen worden wäre".79 Foerster leitete den Bericht aus Jena an den preußischen Minister der Geistlichen, Unterrichts- und Medizinangelegenheiten weiter. In seinem Begleitschreiben vom 20. Juli 1882 empfahl er „zunächst vielleicht die bloße Hergabe von Geldmitteln für bestimmte von den genannten Forschern (Abbe und Schott d. V.) zu präzisierende Aufgaben, sodann durch die Einleitung der Errichtung eines für umfangreichere und wissenschaftlich zuverlässigere Fabrikation besten optischen Glases bestimmten Instituts an einer geeigneten Stelle des preußischen Staates, welchem Institute die mittelbare oder unmittelbare wissenschaftliche und experimentelle Mitwirkung der Herren Abbe und Schott leicht zu sichern sein würde". 80 Im Laufe des Jahres 1882 kamen die Arbeiten im Jenaer Laboratorium gut voran, so daß Abbe am 9. November 1882 gegenüber dem Zoologen Nikolaus Kleinenberg, der in Messina tätig war, feststellen konnte: „Die Glas-Versuche haben ... sehr befriedigende Resultate ergeben. So schnell aber, wie Sie denken - und ich vielleicht auch vor einem Jahr gedacht habe, - ist die Sache nicht gegangen. Erst im Laufe dieses Winters will ich die ersten definitiven Rechnungen zur Einführung der neuen Glasarten in die Mikroskop-Optik anstellen; denn erst jetzt gewinnen wir das erforderliche Material in genügender Qualität und Quantität, um zur praktischen Anwendung desselben übergehen zu können, ohne eine große Verschwendung von rechnerischer und technischer Arbeit riskiren zu müssen."81

Abbe rechnete damit, daß noch ein Jahr ins Land gehen werde, bevor die neuen Gläser auf dem Markt angeboten werden können. „Denn die Einführung erfordert für mich und auch für die Werkstatt einen Arbeitsaufwand, vor welchem ich mich wirklich fürchte! Und bröckchenweise das Neue darzubieten, verbietet entschieden die Geschäftspolitik." Abbe ließ seinen Briefpartner noch wissen,

79 80 81

Die Entstehung des Glaswerkes, S. 26. Die Entstehung des Glaswerkes, S. 30. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 10151 (Brief Abbe an Rleinenberg vom 9. November 1882).

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daß sich die Vorteile des neuen Glases weniger beim MikroskopObjektiv zeigen; „für das Fernrohr ist ein viel größerer Fortschritt mit Bestimmtheit zu erwarten".

Die Glastechnische Versuchs-Anstalt in Jena In Jena war man nach der Post, die Schott aus Berlin erreichte, zur Auffassung gelangt, daß dort die Absicht bestand, in dem geplanten staatlichen Institut ebenfalls Arbeiten zum optischen Glas zu verfolgen, denn Wiebe schrieb am 27. November 1882 an Schott: „Herr Foerster hat mir Mitteilung gemacht, daß die Angelegenheit in Betreff eines Staats-Instituts für die Zwecke der Präzisionsmechanik soweit gefördert ist, daß am Donnerstag-Abend (dieser Woche) die erste Sitzung der zur Beratung dieser Sache eingesetzten Kommission stattfinden wird."82 Im Auftrag Foersters fragte Wiebe bei Schott an, ob er in diesem Institut die Leitung der optischen Abteilung übernehmen wolle, und teilte mit, daß ihn Foerster für die nächsten Tage zu Verhandlungen nach Berlin einlade. Abbe war über die Vorbereitung dieser Sitzung vom Ministerium unterrichtet worden und hatte sich mit Carl und Roderich Zeiß über die Berliner Absichten beraten. Die Geschäftspartner entschlossen sich daraulhin, alles zu unternehmen, damit die glastechnischen Arbeiten möglichst mit staatlicher Beihilfe in Jena weitergeführt werden können. Sie kamen überein, gemeinsam mit Schott eine Genossenschaft zu bilden, damit sich die im Laboratorium vorgenommenen Experimente auf eine industriemäßige Grundlage stellen ließen. Als nun Schott Abbe um Rat fragte, wie er sich zu dem Berliner Angebot stellen solle, wurde er über die Abmachung zwischen ihm und den beiden anderen Inhabern der Werkstätte unterrichtet. Am 29. November 1882 erfuhr dann Abbe in einer Beratung, zu der Foerster auf die Sternwarte eingeladen hatte, um die am kommenden Tag angesetzte Rommissionssitzung vorzubereiten, daß man inzwischen von der Bildung eines staatlichen Zentral-Instituts

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Briefe und Dokumente 1, S. 32-33.

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abgerückt war und vielmehr ein Organ und einen finanziellen Fonds schaffen wollte, „um private Unternehmungen, welche wesentliche Förderung allgemeinnütziger Arbeiten versprechen, öffentlich zu unterstützen". 83 Bei dieser Gelegenheit teilte Abbe den Versammelten das Jenaer Projekt eines genossenschaftlichen Zusammenschlusses mit. Er fand billigende Zustimmung, denn die Teilnehmer hielten es ohnehin für wünschenswert, daß die eigentliche Kapitalanlage privat erfolge und das Unternehmen in Jena verbleibe. Man kam überein, der für den folgenden Abend anberaumten Kultus-Ministerkonferenz eine ständige Kommission von Fachleuten vorzuschlagen, die über einen finanziellen Fonds disponieren könne. Ihr war die Aufgabe zugedacht, die „exakten Künste" zu unterstützen, und dabei mit dem Jenaer Vorhaben zu beginnen. Allerdings mußte sich Abbe in dieser Besprechung bereit erklären, „auch die thermometrischen Probleme der Glasfabrikation - soweit sie in das Gebiet der Glasproduktion fallen - mit zu verfolgen, eventuell die Einrichtungen des neuen Instituts für derartige Versuche zur Verfügung zu stellen".84 Wie Schott das Angebot, mit Abbe und den beiden Zeiß gemeinsam die neue Arbeitsaufgabe in Angriff zu nehmen, aufgenommen hatte, geht aus dem am 3. Dezember 1882 an seinen Freund G.Brügelmann gerichteten Brief hervor: „Man schlug mir vor, in Vereinigung mit Abbe und Zeiss hier am Orte eine Fabrik für die Herstellung gewöhnlicher optischer Gläser und unserer Spezialgläser zu bauen. Das Anlagekapital soll von uns zusammengelegt werden, gleichzeitig aber an die preußische Regierung das Ansinnen zur Unterstützung unseres Unternehmens gestellt und der Versuch gemacht werden, das Interesse für das Berliner Unternehmen auf uns zu übertragen. Wie es Dir wohl leicht erklärlich sein wird, habe ich mich nicht lange besonnen, auf welche Seite ich mich schlagen sollte, zumal Du ja meine Sympathien für die hiesigen Herren genügend kennst."85

Wenige Tage später, am 7. Dezember 1882, erwarb Schott oberhalb des Bahnhofes der Linie Gera-Weimar ein Grundstück. Die dafür erforderliche Kaufsumme von 6.948,75 Mark und die finanziellen

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Briefe und Dokumente 1, S. 34-35. Briefe und Dokumente 1, S. 35. Zitiert bei HENDRICH: Otto Schott. In: STOLZ, Abbe, S. 267-268.

WITTIG:

Carl Zeiß und Ernst

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Mittel für die spätere Arrondierung des Geländes wurden von Zeiß aufgebracht. 86 In den Frühjahrswochen des Jahres 1883 beschäftigte sich die Ministerial-Kommission mit der Bestimmung ihres Tätigkeitsfeldes. Der Naturforscher Hermann Helmholtz hatte die Leitung der Rommission übernommen und drängte auf eine umfassende Finanzierung der naturwissenschaftlichen Forschung. Am 23. Mai 1883 tagte die Rommission erneut. Abbe war nach Berlin gereist, um vor der Rommission erforderlichenfalls Bericht zu erstatten.87 Die Rommission legte am 16. Juni 1883 eine Denkschrift vor, in der sie dem preußischen Staatsministerium die Subventionierung einer bereits bestehenden privaten Einrichtung - gemeint war ganz offensichtlich die Jenaer Unternehmung - empfahl. Im August 1883 ging diese Denkschrift dem preußischen Rultusminister zu. Dieser ersuchte am 18. September 1883 den Finanzminister um die Zustimmung für ein Extraordinarium im Jahresetat 1884/85 von 25.000 Mark für die Förderung von Untersuchungen auf dem Gebiete der Optik.88 Der Antragsteller erhielt wahrscheinlich Mitte Oktober 1883 eine positive Antwort. Die lange Ungewißheit über die Berliner Entscheidung verunsicherte Schott und ließ ihn erneut mit dem Gedanken spielen, Jena zu verlassen. Wie seine Stimmung im Herbst 1883 war, geht aus einem Brief hervor, den Carl Bamberger wenige Tage nach seinem Besuch in Jena am 7. Oktober 1883 an Foerster schrieb: „Dr. Schott hat nicht allein sein kleines Vermögen, sondern auch 2 1/2 Jahre seiner technischen Tätigkeit ausschließlich den mit so handgreiflichen Erfolgen gekrönten Vorarbeiten zum Opfer gebracht, und er sprach mir unverhohlen aus, daß, falls nicht sehr bald entscheidende Schritte geschehen würden, die Pflicht der Selbsterhaltung als Privatmann ihn nötigen würde, wenn auch mit schwerem Herzen, seine Errungenschaften im Dienste von Feil in Paris oder Chance in Birmingham zu verwerten."89

In der zweiten Oktoberhälfte des Jahres 1883 besuchte der Geheime Oberregierungsrat im preußischen Rultusministerium, Wehrenpfennig, Jena, um sich im Auftrag seines Ministers über den Fort-

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 6468 (Petermann-Ronzept), Bl. 27. Briefe und Dokumente 1, S. 347-348. Briefe und Dokumente 1, S. 351. Die Entstehung des Glaswerkes, S. 34.

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gang der Glasversuche zu unterrichten. Der Berliner Emissär ließ Abbe und Schott wissen, daß von Gossler an der Überleitung der glastechnischen Versuche in eine vorindustrielle Fertigung sehr interessiert sei und sie im Rahmen seiner Möglichkeiten fördern werde. In einer Besprechung, die zwischen dem Ministerialbeamten, Abbe und Schott stattfand, wurde der Oberregierungsrat über die Details der Jenaer Abmachung unterrichtet. Vor seiner Rückreise nach Berlin wurde in einer langen Nachtsitzung, die bis 24 Uhr währte, die folgende Übereinkunft erzielt: „Wir - die beiden Herren Zeiss (nicht die Firma als solche), Schott und ich - treten auf Grund eines bestimmten Vertrages zusammen, um die jetzigen Versuche weiterzuführen und auf Grund derselben später einen industriellen Betrieb zu unternehmen. Wir bringen von uns aus das erforderliche Anlagekapital auf ( - vorläufig, inklus. Grundstück auf 70-80.000 Mk. veranschlagt - ), um die baulichen und maschinellen Einrichtungen herzustellen, welche erforderlich sind, um alsbald die Arbeiten zwar noch als Versuche, aber im Maßstab einer wirklichen Fabrikation, fortzusetzen. Dieser Versuchsanstalt... soll die Subvention für die Versuche zur Verfügung gestellt werden, sobald die baulichen und sonstigen Anlagen soweit fortgeschritten sind, daß die Arbeiten wirklich beginnen können."90

Ende 1883 zog Abbe eine Bilanz der finanziellen Mittel, die er seit Anfang 1881 für das Projekt aufgebracht hatte und kam auf eine Summe von 34.500 Mark. Davon entfielen 41,2 Prozent auf die angeschafften Einrichtungen und Gerätschaften, 42 Prozent auf sachliche Unkosten und verbrauchte Mittel und 16,8 Prozent auf die Personalkosten.91 Zu diesem Zeitpunkt hatte Schott das Problem der Konstituierung von Glasflüssen mit neuen, über die Eigenschaften des gangbaren Krön- und Flintglases hinausgreifenden optischen Charakteren durch die Einführung neuer Bestandteile gelöst. Durch umfangreiche Schmelzversuche ließ sich feststellen, in welchem Grade und durch welche Mittel innerhalb der Silikatreihe die optischen Eigenschaften des Glases verbessert oder erweitert werden konnten. Darüber hinaus war es gelungen, gebrauchsfähige Glasflüsse zu erzielen, die neben den angestrebten optischen Eigenschaften auch hinreichende Widerstandsfähigkeit gegen mechani-

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Briefe und Dokumente 1, S. 102. Errechnet nach ABBE: Gesammelte Abhandlungen. Vierter Band, S. 77.

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sehe und chemische Einflüsse aufwiesen. Neben den intensiven Arbeiten zur Hebung der Glasqualität liefen technologische Untersuchungen. Sie dienten vornehmlich der Aufhellung der Ursachen für die Inhomogenität und ihrer Beseitigung, der Bedingungen für die Herstellung vollkommen spannungsfreier Stücke, der Ursachen der Färbungen vieler Glasflüsse sowie deren Beseitigung. 1883 konnten aus qualitätsgerechten Gläsern Prismen und Mikroskopobjektive hergestellt werden. Bamberg kam bei seinem JenaBesuch im Herbst 1883 zu einem guten Urteil über das von Schott Erreichte. „Herr Dr. Schott hat eine kaum glaubliche Sicherheit in der Herstellung von Glassorten vorgeschriebener optischer Eigenschaften erlangt, und die Auswahl der für optische Zwecke vorteilhaft verwendbaren Glassorten ist eine erheblich größere geworden, als bisher die kühnsten Hoffnungen nur erwarten ließen. Dabei gelingen so tadellose Scheiben, wie sie von Chance oder Feil nur noch höchst ausnahmsweise erhalten werden können, in Größen von 12-15 cm Durchmesser schon aus Schmelzen von 3 Liter Inhalt. Ich habe so spannungsfreies Glas mitgebracht, wie ich es von Feil und Chance noch niemals gesehen habe ... Ich sah bei Zeiss das eben fertig gewordene erste Mikroskop-Objektiv aus den neuen Glasflüssen; dasselbe, von 1" Brennweite92 gibt mit einem, bei Mikroskopen bisher niemals üblichen, sehr scharfen Okular und 250facher Vergrößerung eine vielleicht eben erst ausgenutzte Definition bei großer Helligkeit und gänzlicher Hebung jeden Restes von Farbabweichung, untersucht an den Abbe'schen Testgittern bei einseitiger Beleuchtung. Es ist dies wohl ein großartiges Resultat, und ein Schluß auf die mögliche Vervollkommnung astronomischer Fernrohre ist leicht zu machen. Ein dreigliedriges Fernrohr-Objektiv des bisher niemals möglich gewesenen Öffnungsverhältnisses 1:10 wird man vollkommen befreit vom tertiären Spektrum und die sphärische Aberration korrigiert für 2 farbige Strahlen herstellen können.... Ich habe fertiges Glas für ein dreigliedriges Objektiv von zirka 12 cm Öffnung erhalten, und dasselbe soll sofort nach Erledigung der Diskussion der sehr verschiedenen Konstruktionstypen und der Ausführung der Rechnung in Arbeit genommen werden, so daß wohl noch Ende dieses Jahres ein Fernrohr zur Prüfung und zum Vergleich mit den bisherigen vollendet sein wird."93 Am 5. Januar 1884 gaben Abbe und Schott in ihrem zweiten „Bericht über die von Prof. E. Abbe und Dr. O. Schott in Jena unter-

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I" engl. = 25,4 mm. Die Entstehung des Glaswerkes, S. 33.

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nommenen Versuche zur Verbesserung des optischen Glases und deren praktischen Verwertung" über ihre Versuche an, daß sie die Verbesserung des optischen Glases bis dicht an die Schwelle der praktischen Verwirklichung auf industriellem Boden geführt haben und nun dazu übergehen, die industrielle Verwertung ihrer wissenschaftlich-technischen Ergebnisse vorzubereiten. 94 Obgleich sie sich der finanziellen Belastungen, die damit verbunden sein würden, bewußt waren, entschlossen sie sich im Bunde mit Zeiß Vater und Sohn, die Versuche auf industrieller Grundlage fortzuführen. Dazu wurde eine Glastechnische Versuchsstation errichtet, deren Aufgabe es war, „die Modalitäten zu schaffen für eine technisch leistungsfähige und zugleich ökonomisch haltbare Produktion auf der in unserer bisherigen Arbeit gewonnenen wissenschqftlichen Grundlage?.95 Am 1. Januar 1884 trat der zwischen Abbe, Schott, Carl und Roderich Zeiß vereinbarte „Vertrag betreffend die Gründung einer glastechnischen Versuchsanstalt" in Jena in Kraft. Für dieses Unternehmen legten die Beteiligten ein Kapital von 60.000 Mark zusammen, um auf dem von Schott seinerzeit erworbenen und seither erweiterten Gelände die erforderlichen Einrichtungen anzulegen. An der Versuchsanstalt waren Abbe, Schott und Zeiß Vater und Sohn zu je einem Drittel beteiligt. Solange die Arbeiten noch keinen industriellen Zuschnitt hatten, wurde ein besonderer Betriebsfonds gebildet. Der Kostenanschlag für die ersten baulichen und maschinellen Einrichtungen der Versuchsanstalt belief sich auf 69.800 Mark und der für die laufenden Unterhaltungskosten auf 37.950 Mark. 96 Im Dezember 1883 begannen die vorbereitenden Arbeiten an der neuen Anlage. Das von Abbe aus seinem Privatvermögen finanzierte glastechnische Laboratorium wurde während dieser Aufbauphase weiterbetrieben. Darin traf man die Vorbereitungen für die in Aussicht genommenen großen Schmelzungen und führte die Versuchsreihen für das Thermometerglas durch. Die Probleme, die in dieser Arbeitsphase von Schott bewältigt werden mußten, schilderte Zschimmer eindrucksvoll. 97 Bis zum Spätsommer 1884 waren die Baulichkeiten der neuen Anlage errichtet und die technische Einrichtung betriebsbereit.

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Die Entstehung des Glaswerkes, S. 46. Die Entstehung des Glaswerkes, S. 49. Die Entstehung des Glaswerkes, S. 71-77. ZSCHIMMER: Die Glasindustrie, S . 68.

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Das Herzstück war die Ofenanlage. Sie war vom Technischen Büro Friedrich Siemens in Dresden in Zusammenarbeit mit Schott konzipiert und unter Leitung von Siemens ausgeführt worden. Die Anlage bestand aus einem Siemens'schen Regenerativ-Schmelzofen mit doppeltem Gaserzeuger und vorerst fünf Nebenöfen zum Vorwärmen von Häfen, zum Brennen von Ton, zum Erweichen und Formen sowie zum Kühlen von Glas. Die Nebenöfen wurden ebenfalls von den Gaserzeugern versorgt. Eine 5-PS-Dampfmaschine betrieb die Hilfseinrichtung, und eine Mühle sorgte für die Zerkleinerung des Materials. Am 1. September 1884 wurde der Schmelzbetrieb aufgenommen. Die Ofenanlage arbeitete zur Zufriedenheit aller. Abbe und Schott kamen zu dem Urteil, „daß wir in diesem wichtigsten Betriebsmittel für unsere weiteren Arbeiten in der Tat das Beste zur Verfügung haben, was die heutige Technik darzubieten vermag". 9 8 Im Herbst 1884 wurde die Schmelzhalle erweitert und ein Nebengebäude errichtet. Mit den Fortschritten beim Aufbau der gesamten Anlage wurden die zu ihrem Betrieb notwendigen Fachkräfte eingestellt. Dr. Ziegenspeck und ein Laborgehilfe übernahmen die Arbeiten in dem neu eingerichteten Laboratorium. Hinzu kamen ein westfälischer Hafenmacher, ein im Hüttenbetrieb geschulter hessischer Ofenmaurer, ein Mechaniker für die Wartung der Dampfmaschine und der Hilfsmaschinen, ein Glasschmelzer aus Westfalen und drei Handlanger." Mit der Herstellung optischer Gläser begann Schott am 18. September 1884. Zunächst standen die gangbaren optischen Krön- und Flintgläser auf dem Programm. Dabei kam es in erster Linie darauf an, „zu lernen, wie die verschiedenen Sätze je nach dem wechselnden Gehalt an Alkali, Blei, Kalk usw. zu behandeln seien, wie der Gang der Schmelzung reguliert und die sonstigen Operationen ausgeführt werden müßten, um ein möglichst farbloses, lauteres und homogenes Glas zu erhalten, so war er (Schott d.V.) dabei doch auch immer schon in diesem Anfangsstadium seiner O-Schmelzungen darauf bedacht, diejenigen Abwandlungen in der chemischen Zusammensetzung, von denen er sich gegenüber handelsüblichen Sorten auf Grund der früher gemachten Versuche im Kleinen Vorteile versprechen durfte, zur Anwendung zu bringen". 100

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Die Entstehung des Glaswerkes, S. 109. Die Entstellung des Glaswerkes, S. 110. Briefe und Dokumente 2, S. XVIII-XVIX.

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Nachdem es Schott gelungen war, die gängigen optischen Glassorten in der gleichen Qualität herzustellen, die von der Ronkurrenz bekannt war, wandte er sich im März 1885 den optischen Spezialgläsern von neuartiger Zusammensetzung zu. 101 Obgleich sich alle einschlägigen deutschen Produzenten optischer Instrumente des Jenaer Glases bedienten, bezog die Optische Werkstätte nahezu die Hälfte des erzeugten Glases. Sie kaufte zwischen Herbst 1884 und Herbst 1885 von der Glastechnischen-Versuchs-Anstalt insgesamt 43,9 kg Glas verschiedener Sorten und Qualitäten im Wert von 1.671 M.102 Im Laufe des Jahres 1884 wurden für die Glastechnische Versuchs-Anstalt insgesamt 108.022 M aufgewandt. 103 Davon entfielen 50,3 Prozent auf die baulichen Anlagen, 19,7 Prozent auf die Ofenanlage in der Schmelzhalle, 14 Prozent auf die inneren Einrichtungen und die restlichen 16 Prozent auf die Experimemente und den Laborbetrieb.104 Bei der Ermittlung des voraussichtlichen Verbrauchsaufwandes für die Mitte 1884 ausgeführten Versuche rechnete man mit den staatlichen Subventionen für 1884/85 in Höhe von 25.000 M.105 Diese Summe war in den Staatshaushalts-Etat für 1884/85 mit der Begründung eingesetzt, daß sie dazu dienen soll, „die Untersuchungen stützen zu können, welche von zwei Gelehrten in den letzten Jahren zur Verbesserung des optischen Glases angestellt, welche nach dem Urteil wissenschaftlicher Sachverständiger bis zu einem Punkte gediehen sind, wo sich die Aussicht auf erhebliche, auch wirtschaftlich sehr in Betracht kommende Resultate eröffnen. Die Beihilfe würde dazu verwendet werden, die Fortsetzung und den Abschluß der Untersuchung durch teilweise Übernahme der Rosten tunlichst zu sichern". 106 Der preußische Rultusminister unterrichtete am 9. April 1884 in einem Brief - in dem er auf das Schreiben von Abbe und Schott vom 5. Januar 1884 und deren Bericht einging - die Jenaer Wissenschaftler davon, daß er eine einmalige Subvention für die Deckung

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Briefe und Dokumente 2, S. XVII. Briefe und Dokumente 2, S. 360. 103 Zusammengestellt nach Die Entstehung des Glaswerkes, S. 115-116. Diese Summe enthält sowohl die bis zum 1. September 1884 verausgabten Mittel als auch jene, die in absehbarer Zeit anfielen. 104 Errechnet nach Die Entstehung des Glaswerkes, S. 115-116. 105 Die Entstehung des Glaswerkes, S. 121. 106 Die Entstehung des Glaswerkes, S. 36. 102

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der Unterhaltungskosten der errichteten resp. in der Errichtung „begriffenen Glas-Versuchsanstalt zu Jena den Betrag von fünfundzwanzigtausend Mark mit der Maßgabe zur Verfügung stelle, daß derselbe von dem Zeitpunkt ab, wo die Glas-Versuchsanstalt hergestellt ist, und der Betrieb in derselben beginnen kann, von Ihnen in Raten, welche sich über das Etatsjahr 1884/85 verteilen, bezogen und für die Zwecke verwandt werden kann". 107 Am 15. Juni 1884 besuchte Abbe das Kultus-Ministerium in Berlin, wo er vermutlich vom Minister empfangen wurde. Er ersuchte um eine nochmalige finanzielle Unterstützung des Jenaer Vorhabens, denn es hatte sich inzwischen herausgestellt, daß die Rosten für die laufenden Glasversuche über den ursprünglich angenommenen lagen. Wenige Tage später, am 18. Juni 1884, wandte sich der Kultusminister schriftlich an den Königlichen Staats- und Finanzminister. Er trug den Jenaer Arbeitsstand vor und bat seinen Kabinettskollegen um die Zustimmung, „daß das hoffnungsreiche Unternehmen auch in dem zweiten noch erforderlichen Versuchsjahr durch eine Staatsbeihilfe unterstützt und daß zu diesem Ende, da die eigenen Mittel der beiden Forscher nahezu erschöpft sind, für das kommende Etatsjahr die etwas größere Summe von 35.000 M. in das Extraordinarium pro 1885/86 eingestellt werde".108 Am 27. Juli und am 17. September 1884 reichten Abbe und Schott Gesuche um zwei weitere Staatsbeihilfen beim preußischen Kultusminister ein, der ihnen am 8. April 1885 schließlich mitteilte, daß nunmehr im Staatshaushaltsetat 1885/86 die Summe von 35.000 Mark als einmalige Ausgabe zur Förderung von Untersuchungen auf dem Gebiete der Optik bewilligt seien.109

Die Fortschritte auf glastechnischem Gebiet Bis zum Herbst 1885 war es in Jena gelungen, der Herstellung der gangbaren Silikatgläser in allen Punkten eine sichere Grundlage zu geben. Sie zeichneten sich durch verschiedene wesentliche Berei-

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Die Entstehung des Glaswerkes, S. 95. Die Entstehung des Glaswerkes, S. 99. Die Entstehung des Glaswerkes, S. 135.

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cherungen in der Abstufung der Ronstanten und manchen erwünschten Verbesserungen der äußeren Beschaffenheit gegenüber den englischen und französischen Produkten aus. Seit Oktober 1885 wurde das Jenaer Krön- und Flintglas von einschlägigen deutschen Firmen genutzt. Allerdings befriedigte zu dieser Zeit die Herstellung neuer Spezialgläser (Phosphat- und Borgläser) in großem Maßstab noch nicht. Bei den Mikroskopobjektiven ließen sich mit den Borat- und Phosphorgläsern gute Ergebnisse erzielen. Aufgrund von Rechnungen, die Abbe ausgeführt hatte, wurde Ende Oktober oder Anfang November 1885 in der Zeiß'schen Werkstätte das erste Objektiv für homogene Immersion aus dem neuen Glas gefertigt. Abbe hob den theoretisch voraussehbaren Gewinn durch eine ungleich vollkommenere Lichtkonzentration als bei älterem Material hervor. Er hatte die Absicht, die neuen Beobachtungsinstrumente von Robert Roch und Rudolf Virchow erproben zu lassen.110 Am 9. Juli 1886 zeigte Abbe die Reihe der Apochromat-Objektive öffentlich an. 111 Seit dem Frühsommer 1885 verkaufte Schott in einem bescheidenen Umfang optisches und Thermometerglas. Damit war der Zeitpunkt gekommen, der in dem Vertrag zwischen Schott, Abbe und Zeiß sen. und jun. wie folgt bestimmt worden war: „Sobald jedoch die Versuche soweit gediehen sind, daß auf Grund derselben ein existenzfähiger Geschäftsbetrieb möglich erscheint (d. h. im besonderen: sobald eine erfolgreiche Ronkurrenz mit den auswärtigen Glasfabrikanten nicht nur in den neuen Spezialgläsern, sondern auch in den gangbaren, einem allgemeinen Bedarf dienenden Arten des Krön- und Flintglases als möglich befunden wird), konstituieren die Kontrahenten eine offene Handelsgesellschaft unter der Firma Schott & Co., um von da an die Fabrikation des Glases für optische und sonstige wissenschaftliche Zwecke in der gewöhnlichen Form industriellen Betriebes auf gemeinsame Rechnung und Gefahr fortzuführen."112

Am 23. Juli 1885 erfolgte die Eintragung der Offenen Handelsgesellschaft in das beim Großherzoglich-Sächsischen Amtsgericht in Jena geführte Handelsregister. Sie wurde unter der Firmenbezeichnung „Glastechnisches Laboratorium Schott & Genossen"

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Briefe und Dokumente 2, S. 179. Die Entstehung des Glaswerkes, S. 142. Die Entstehung des Glaswerkes, S. 67-68.

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registriert. Als Inhaber der Firma waren Carl Zeiß, Ernst Abbe, Otto Schott und Roderich Zeiß vermerkt. 113 Zwei Tage später, am 23. Juli 1885, ließ Schott das Normalglas für Thermometer in das Markenschutz-Register eintragen. Einen Monat vor der Gründung der Offenen Handelsgesellschaft hatte man die finanziellen Mittel, die die Beteiligten zwischen dem 1. Januar 1883 und dem 31. Oktober 1885 für die GlastechnischeVersuchs-Anstalt aufgewandt hatten, zusammengestellt. Sie beliefen sich auf insgesamt 142.331 Mark. Davon entfielen 39,5 Prozent auf die Gebäude und die Ofenanlage, 6 Prozent auf das Grundstück, 20,2 Prozent auf die Chemikalien und andere Materialien für die Schmelzerei sowie 6,8 Prozent auf Maschinen, Werkzeuge und Einrichtungen. Die Personalkosten machten 16 Prozent aus und der restliche Prozentsatz setzte sich aus den Aufwendungen für Brennstoffe, Gas und Wasser zusammen. 114 Diesen Ausgaben standen Einnahmen aus dem preußischen Staatshaushalt in Gestalt von Subventionen in Höhe von 45.417 Mark und aus dem Glasverkauf in Höhe von 3.590 Mark gegenüber. 115 Daraus ergibt sich, daß die Inhaber des Glastechnischen Laboratoriums seit dem 1. Januar 1884 insgesamt 93.365 Mark bereitstellen mußten, um das oben geschilderte Resultat zu erzielen. Hinzu müssen natürlich auch die 34.500 Mark gerechnet werden, die Abbe 1883 zur Finanzierung des ersten Laboratoriums aufgebracht hatte. Die 1884 und 1885 entstandenen Rosten wurden zu 61,5 Prozent von den Inhabern der Optischen Werkstätte, zu 10,5 Prozent von Schott und zu 28 Prozent vom preußischen Staat getragen.116 Die Beiträge, die Abbe sowie Zeiß Vater und Sohn von 1883 bis 1885 zur Finanzierung der Glas-Versuchs-Anstalt beisteuerten, beliefen sich im Oktober 1885 bei Carl Zeiß auf 20.399, bei Roderich Zeiß auf 40.798 und bei Abbe auf 40.798 Mark. Diese Beträge wurden auf ihr Privatkonto übernommen und von ihnen als Kapitaleinlage in die Offene Handelsgesellschaft eingebracht. 117 Schott steuerte 1884 insgesamt 12.678 Mark, davon 8.678 Mark in Wertpapieren, bei. Dieser verhältnismäßig niedrige Beitrag resultierte aus der außer-

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Briefe und Dokumente 2, S. XXXVII. Errechnet nach Briefe und Dokumente 2, S. 205-206. Briefe und Dokumente 2, S. 206. Briefe und Dokumente 2, S. 151. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 6468 (Petermann-Konzept), Bl. 29.

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ordentlich ungünstigen finanziellen Situation, in der sich Schott befand. 1 1 8 Aber auch Abbe belastete - w i e er Rleinenberg Ende 1883 in einem Brief gestand - der finanzielle Einsatz für die Glastechnische Versuchs-Anstalt: „Leider hat die Sache - so erwünscht es mir ja ist, daß wir nun endlich ein Ziel vor Augen haben - für mich persönlich die unliebsame Seite, daß ich mich dabei pekuniär in etwas drückender Weise engagieren muß, während ich gerade gehofft hatte, mit Überführung der Sache auf das praktische Gebiet meinerseits endlich wieder frei zu werden. Nach allen möglichen Erwägungen hat es sich nicht anders machen lassen, daß ich den dritten Teil des erforderlichen Anlage-Kapitals (welches auf 80.000 Mk. veranschlagt ist, wahrscheinlich aber größer werden wird) auf meine Person übernehmen muß. Wenn nun auch Zeiss das Meiste hergibt und ich nur einen kleinen Teil bar zu beschaffen brauche, so bleibt doch das unvermeidliche Risiko auf mir sitzen, und für die nächsten Jahre ist eine höchst unwillkommene finanzielle Beengung unvermeidlich." 119 Nach der Bildung der Offenen Handelsgesellschaft sollte noch ein Jahr vergehen, bevor das Glastechnische Laboratorium Schott & Gen. mit einem umfangreichen „Productions- und Preisverzeichnis" an die Öffentlichkeit trat. 1886 zeichnete Siegfried Czapski den Lesern der Zeitschrift für Instrumentenkunde von der Jenaer Glasschmelzerei folgendes Bild: „Die Gebäude sind in Form eines fast geschlossenen Rechtecks aufgeführt; sie liegen auf einem Hügel, wenige Minuten von der Stadt und einem Bahnhof. Der östliche Flügel ist ein einziger großer Saal. Er enthält die Schmelz,- Senk- und Kühlanlagen. Die Heizung erfolgt mittels Gas nach dem Regenerativsystem. Die bezüglichen Anlagen sind von Fr. Siemens in Dresden in vortrefflicher Weise geschaffen worden. Der nördliche Flügel enthält die Schleiferei, den Maschinenraum und das Laboratorium für Schmelzungen kleiner Quantitäten. In dem westlichen Flügel befindet sich Kontor, chemisches Laboratorium und die Modellierwerkstatt für die Schmelzhäfen. In dem kleinen südlichen Flügel endlich sind die Glasvorräte und die Rohmaterialien für die Schmelzungen untergebracht. Die Fabrik beschäftigt gegenwärtig 15 Leute, darunter zwei Meister, welche

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Briefe und Dokumente 2, S. 286, 303, 345. Briefe und Dokumente 1, S. 119-120.

Die Grundlegung einer modernen Mikroskopfertigung

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abwechselnd Tag und Nacht den Schmelzprozeß beaufsichtigen, und zwei Röhrenzieher. Bei günstigen Betriebsverhältnissen können jährlich 150 bis 170 große Häfen optischen Glases geschmolzen werden, daneben noch eine Anzahl kleiner Häfen von Spezialglas je nach Bedarf, ferner die Schmelzungen für Thermometerglas und die Schmelzungen, welche bloße Versuchszwecke haben, ausgeführt werden." 120 Die Entwicklung des Glaswerkes Schott & Genossen wird nicht weiter verfolgt. Jürgen Steiner und Uta Hoff stellten die historische Entwicklung dieses Jenaer Unternehmens von 1884 bis 1934 in einem Aufsatz dar. 121

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Briefe und Dokumente 2, S. 285. Vom Versuchslaboratorium bis zum Weltunternehmen. Das Jenaer Glaswerk. In: Zwischen Konvention und Avantgarde. Doppelstadt Jena-Weimar. Hg. von JÜRGEN JOHN, VOLKER W A H L . Weimar Köln Wien 1995, S. 209-252. J Ü R G E N S T E I N E R , UTA H O F F :

DRITTES KAPITEL • •

Der Ubergang zur industriellen Fertigung feinmechanisch-optischer Geräte

Die Rahmenbedingungen und inneren Voraussetzungen Am 14. Oktober 1879 schrieb Roderich Zeiß an seine Verwandten: „Unser Geschäft hat jetzt eine große Bedeutung in der ganzen civilisierten Welt und gerade in den letzten Monaten sind bei uns so große Bestellungen eingelaufen, dass wir ernstlich an eine Erweiterung desselben resp. Neubau der Arbeitslokale, welche jetzt über 50 Arbeiter beherbergen, denken müssen. Nur ungefähr ein Drittel oder höchstens die Hälfte unserer Bestellungen kommt aus dem deutschen Reiche. Der größte Teil kommt aus England, Russland, Amerika und Italien, ja wir haben sogar stehende Runden bei den Chinesen und Japanesen und auch in Australien."1

Tatsächlich war der Anteil der Mikroskoplieferung ins Ausland am Gesamtversand von 39 Prozent im Jahre 1878 auf nahezu 50 Prozent im folgenden Jahr angestiegen. 1879 lieferte die Optische Werkstätte über 50 Geräte nach Holland und zehn Mikroskope nach Tokio. Lieferungen gingen in diesem Jahr auch in die Schweiz, nach Dänemark, Polen und Südamerika.2 Aber auf die Dauer ließ sich die wachsende Nachfrage nach leistungsstarken Mikroskopen nicht mehr auf der handwerklichen Grundlage der Zeiß'schen Werkstätte befriedigen. Um die größer werdenden geschäftlichen Möglichkeiten auszuschöpfen, bedurfte es der besseren Arbeitsorganisation und einer grundlegend neuen technischen Ausstattung. Die kaufmännische Verwaltung mußte aus ihrem embryonalen Zustand herausgeführt werden, um den zunehmenden Geschäftsbeziehungen gewachsen zu sein. Der handwerkliche Zuschnitt der Werkstätte behinderte aber vor allem das vollständige Erschließen der zivilisatorischen Potenzen des wissenschaftlich begründeten Mikroskopbaus. Mit dem in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre herangereiften Widerspruch, der sich nur durch die konsequente Umwandlung der Optischen Werkstätte in ein industrielles Unternehmen lösen ließ, waren zugleich die dafür erforderlichen inneren Voraussetzungen entstanden. Desweite-

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 10093 (Brief Roderich Zeiß an die Familie Schatter vom 14. Oktober 1879. Abschrift), Bl. 5. Zusammengestellt nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 7710 (Fabrikationsstatistik Mikro 1).

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ren begünstigten seit Ende der siebziger Jahre auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen diesen Umgestaltungsprozeß. Im Wirtschaftsleben Deutschlands, aber auch anderer europäischer Staaten, klang 1879 die starke Depression, die der Gründerkrise von 1873 gefolgt war, aus. Es begann eine Phase der wirtschaftlichen Erholung, aus der sich Mitte der achtziger Jahre ein Aufschwung entwickelte, der bis in die neunziger Jahre hinein währte. Die konjunkturelle Bewegung der deutschen Wirtschaft zwischen 1880 und 1895 fand in der Produktionsentwicklung der Industrie und des Handwerks in Deutschland ihren besonderen Ausdruck. Neben den wirtschaftlichen Vorgängen in Deutschland und in anderen Ländern begünstigte die stürmische Entwicklung der Naturwissenschaften und der Medizin die grundlegenden Veränderungen in der Optischen Werkstätte. Das intensiver werdende Wechselspiel zwischen den Forderungen von Mikroskopikern nach leistungsfähigeren Beobachtungsinstrumenten einerseits und das Bemühen der Mikroskopbauer andererseits, diesen Forderungen durch weiterentwickelte und neuartige Geräte mit einem vielfaltigen Zubehör zu entsprechen, war in diesem Jahrzehnt auch eine starke Triebfeder für die Optische Werkstätte. Ihre Inhaber verfeinerten die Mikroskope, gestalteten sie bedienungsfreundlicher und entwickelten ein zweckmäßiges Zubehör, das die Instrumente vielseitiger nutzbar machte. Dieses Wechselspiel zwischen Mikroskopentwicklung und rasch fortschreitender Naturerkenntnis zeigte sich in den achtziger und frühen neunziger Jahren in der Zytologie, Histologie, Bakteriologie, in den Geowissenschaften und in der Metallographie. Der Würzburger Anatom und Zoologe, Albert von Rölliger, ein ausgezeichneter Mikroskopiker, beschrieb 1871 den histogenetischen Aufbau eines ganzen Knochens. 1880 publizierte der Würzburger neue Erkenntnisse über die Beschaffenheit der Lunge. Neun Jahre später veröffentlichte von Köllinger das Handbuch der Gewebelehre des Menschen. 1891 stellte er eine glatte Muskelfaser dar und wies den Zusammenhang zwischen einer markhaltigen Faser und einer Nervenzelle nach. 1874 untersuchten Rudolph Virchow und C. Gilgi sowie 1888 S. R. Cajal das Zentralnervensystem und kamen dabei zu richtungsweisenden Erkenntnissen. Auf dem Gebiet der Embryologie konnte Bytschli 1873 an Eiern von Nematoden die Verschmelzung mit dem Spermatozoon beobachten. Mitte der siebziger Jahre beschrieben O. Hertwig und H. Fol den Befruchtungsvorgang beim Seestern. Bytschli und E. Straßburger stellten die mitoitische Kernteilung dar, und von Beneden schilderte

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1873 die Längsspaltung der Chromosomen. Das tiefere Eindringen in die Ursachen von Infektionskrankheiten war nur durch die Fortschritte in der Mikroskopie möglich. Nach den grundlegenden mikrobiologischen Anfängen von Louis Pasteur begründete Robert Roch die wissenschaftliche Bakteriologie. 1882 entdeckte er den Tuberkelbazillus und im folgenden Jahr den Cholerabazillus. Vor ihm hatte A. Lavaran die Malariaplasmodien als Erreger der Malaria gefunden. 1880 erkannte der Mediziner A. Hansen den Lepraerreger, 1884 entdeckten F.Löffler den Diphteriebazillus und A. Nicolaier den Tetanuserreger. 1894 fand S. Kitasato den Pestbazillus und D. Bruce in den Typanosomen die Ursache der Schlafkrankheit. Die Geologen und die Mineralogen bedienten sich des Mikroskops, um näheren Aufschluß über die Gegenstände ihrer Wissenschaft zu gewinnen. 1873 veröffentlichte H. Rosenbusch die „Mikroskopische Physiographie der petrographisch wichtigen Mineralien, ein Hilfsbuch bei mikroskopischen Gesteinsstudien". Die Metallographen begannen in der hier betrachteten Zeit mit mikroskopischen Untersuchungen metallischer Werkstoffe. Bahnbrechend waren die Arbeiten, die A. Martens seit 1878 auf diesem Gebiet betrieben hatte. 3 Die Leistungen der Mikroskopie auf den unterschiedlichsten Gebieten trugen mit dazu bei, daß in der akademischen Ausbildung von Naturwissenschaftlern und Medizinern sowie im Unterricht der höheren Lehranstalten gute Mikroskope verstärkt eingesetzt wurden. Das wurde auch durch die öffentliche Hand in Deutschland unterstützt, die für die Forschung und das Schulwesen größere finanzielle Mittel zur Verfügung stellte. In den Jahren von 1880 bis 1884 belief sich die Fördersumme auf 292 Millionen Mark und in den Jahren 1890 bis 1894 auf409 Millionen Mark. 4 Diese finanzielle Förderung erlaubte es den akademischen Einrichtungen und höheren Schulen, auch feinmechanisch-optische Instrumente, vornehmlich Mikroskope, anzuschaffen. Die günstigen Rahmenbedingungen ermutigten Carl und Roderich Zeiß und Abbe, an der Wende zu den achtziger Jahren mit der grundlegenden Umgestaltung ihres Unternehmens zu beginnen. Dabei konnten sie sich auf das weitgehend unausgeschöpfte wis-

3

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Handbuch der Mikroskopie. 3. stark überarbeitete Auflage. Hg. von HERMANN BEYER, HORST RIESENBERG. Berlin 1988, S. 17-21. HOFFMANN: Das Wachstum der deutschen Wirtschaft, S. 29.

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Abb. 11 Roderich ZeiO

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senschaftliche Potential, die reichen Produktionserfahrungen der Arbeitskräfte und auf die seit Mitte der siebziger Jahre angesammelten finanziellen Mittel stützen.

Die handelsrechtlichen Veränderungen Eine wesentliche innere Voraussetzung für die Entscheidung, die grundlegende Umgestaltung der Optischen Werkstätte in Angriff zu nehmen, lag zweifellos in dem Umstand begründet, daß Zeiß seinen Sohn Roderich für die Mitarbeit im Unternehmen interessieren konnte. Das war nicht ohne weiteres zu erwarten. Roderich Zeiß hatte nach dem Besuch des Gymnasiums ein Medizinstudium aufgenommen, das er 1870 unterbrach, um als Vizefeldwebel am deutsch-französischen Krieg teilzunehmen. In der Schlacht bei Wörth wurde er am 6. August 1870 schwer verwundet Nach seiner Genesung setzte Roderich Zeiß das Medizinstudium in der Schweiz und in Jena fort. 1875 promovierte er sich in Jena zum Doktor der Medizin.5 Auf Anraten des Vaters6 ging Roderich Zeiß 1875/76 nach Rathenow und machte sich in der Firma Emil Busch mit dem kaufmännischen Fach vertraut. Nach Jena zurückgekehrt, wuchs er nach und nach in das neue Aufgabengebiet hinein und nahm seinem Vater mehr und mehr die kaufmännischen Arbeiten ab. Im Herbst 1879 entschloß sich Zeiß, seinen Sohn unmittelbar am Geschäft zu beteiligen.7 Um das zu ermöglichen, wandelte Zeiß die Optische Werkstätte am 1. Oktober 1879 in eine Offene Handelsgesellschaft um, machte Roderich Zeiß zum Offenen Gesellschafter und billigte ihm vorerst 8,5 Prozent des erzielten Gewinns zu.8 Abbe blieb stiller Teilhaber. Die neue Gesellschaft wurde am 11. Oktober in das Handelsregister beim Amtsgericht Jena einge-

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6 7

8

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1530 (FRITZ Z E I S S : AUS der Lebensbeschreibung von Roderich Zeiß. Unveröffentlichtes Manuskript), Bl. 1-2. OMJ. Nr. 12022 (Brief Zeiß an Abbe vom 19. Mai 1875). SCHOMERUS: Geschichte des Zeisswerkes, S . 68. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1532 (Gesellschaftsvertrag zwischen Professor Abbe einerseits und der Partei Dr. Carl Zeiß und Dr. Roderich Zeiß andererseits vom 21. Juli 1883. Abschrift).

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tragen.9 Der neunundzwanzigjährige Zeiß nahm die Umgestaltung des Unternehmens energisch in Angriff. Er richtete eine den Erfordernissen gemäße kaufmännische Verwaltung ein, sorgte für expansionsfähige Baugrundstücke und Fertigungsstätten, setzte sich für moderne Energiequellen ein, beschaffte einen leistungsfähigen Maschinenpark zur Metallbearbeitung und entwarf die Grundsätze einer rationellen Arbeitsteilung in der Optischen Werkstätte.10 In diesen Aufbaujahren herrschte eine vom alten Zeiß wohlwollend begleitete schöpferische Zusammenarbeit zwischen dem jungen Zeiß und Abbe. Allmählich reifte auch die Notwendigkeit heran, die geschäftlichen Beziehungen zwischen Carl und Roderich Zeiß auf der einen Seite und Abbe andererseits neu zu ordnen. Am 21. Juli 1883 unterzeichneten die drei Männer einen Gesellschaftsvertrag, dessen erster Paragraph feststellte: „Das unter der Firma Carl Zeiss, Optische Werkstätte; in Jena bestehende, früher von Carl Zeiß allein innegehabte, seit dem 15. Mai 1875 in Gemeinschaft mit Professor Abbe und seit dem 1. Oktober 1879 unter gleicher Betheiligung von Dr. Roderich Zeiß als offener Gesellschafter seines Vaters betriebene Geschäft wird von den drei Genannten auf gemeinsame Rechnung und Gefahr und unter gleichmässiger persönlicher Betheiligung aller drei an der Geschäftsführung unter der bisherigen Firma so lange fortgeführt, als gegenwärtiger Vertrag nicht in der vertragsmässig vorgeschriebenen Zeit aufgelöst worden ist, - jedenfalls aber bis zum 1. Oktober 1890."11

Die Partei Zeiß eröffnete Abbe die Möglichkeit, dem Unternehmen als Offener Gesellschafter beizutreten und sicherte ihm zu, keine Entscheidung über das Geschäftsvermögen ohne dessen Zustimmung zu treffen. Die Partner vereinbarten die gemeinsame Geschäftsführung und schufen einen kaufmännischen und einen technischen Verantwortungsbereich. Den kaufmännischen Bereich übernahm Roderich Zeiß. Abbe seinerseits verzichtete „ausdrücklich auf die Übernahme einer ordentlichen Professur oder eines anderen Universitätsamtes, welches ihn mehr als sein jetziges in Anspruch nehmen würde". 12

9

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 16730 (Handelsregisterauszug der Fa. Carl Zeiss 1863-1906. Abschrift). ABBE: Gedächtnisrede. In: Sozialpolitische Schriften, S. 78-79. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 6468 (Petermann-Konzept), Bl. 13-14. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1532 (Gesellschaftsvertrag zwischen Professor Abbe einerseits und der Partei Dr. Carl Zeiß und Dr. Roderich Zeiß andererseits vom 21. Juli 1883. Abschrift).

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Die Vertragspartner kamen überein, vom erzielten Jahresgewinn zuerst das Kapitalkonto zu bedienen. Desweiteren legten sie fest, daß beiden Vertragsparteien jeweils die Hälfte der Besitztitel zufallen und daß sie das erforderliche Geschäftskapital zu gleichen Teilen aufbringen werden. Die von den Gesellschaftern zum Unternehmen beigesteuerten Kapitalanteile wurden mit fünf Prozent verzinst. Vom Jahresgewinn fielen 55 Prozent an die Zeiß-Partei - solange Carl und Roderich Zeiß gemeinsam im Geschäft tätig waren - und 45 Prozent an Abbe. Beim Ableben von Carl Zeiß trat Roderich Zeiß allein in den Vertrag mit Abbe ein. Die anderen ZeißErben waren von der Geschäftsführung ausgeschlossen. Nachdem Carl Zeiß verstorben war, trafen Roderich Zeiß und Abbe am 9. Dezember 1889 eine neue geschäftliche Vereinbarung, deren erster Paragagraph bestimmte: „Dr. Roderich Zeiß scheidet mit dem heutigen Tage aus der Geschäftsführung der Firma aus, in dem er auf Grund des § 17 zugleich § 16, des Geschäftsvertrages vom 21. Juli 1883 für seine Person sich zur Ruhe setzt und, ohne Bestellung eines Bevollmächtigten seiner Partei, der Partei Abbe von nun an die gesamte Geschäftsführung und die ausschließliche Vertretung der Firma überläßt."13 Roderich Zeiß stimmte zu, daß er als Offener Gesellschafter nur die Rechte wahrnehmen kann, die nach dem Handelgesetzbuch einem von der Geschäftsführung ausgeschlossenen Gesellschafter zustehen. Dieses Verhältnis wurde festgeschrieben, solange Abbe oder dessen Erben in der Lage waren, das Unternehmen zu führen. Im dritten Vertragsparagraphen wurde noch verfügt: „Beim Ausscheiden des Prof. Abbe aus der Geschäftsführung soll dessen gegenwärtiger Adlatus, Dr. S. Czapski14,

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1532 (Vertrag zwischen Dr. Roderich Zeiß und Prof. Ernst Abbe vom 9. Dezember 1889. Abschrift). Siegfried Czapski, geboren am 28. Mai 1861 in Ostrowo (Posen), besuchte das Gymnasium in Breslau, studierte in Göttingen Physik, in Breslau Chemie und in Berlin bei Hermann Helmholtz und Robert Kirchoff Chemie und Mathematik. Während seiner Berliner Studienzeit ließ er sich am Physikalischen Institut in mechanischen Arbeiten unterweisen. Anfang 1884 promovierte Czapski bei Helmholtz und Kirchhoff „Über die thermische Veränderlichkeit der elektromotorischen Kraft galvanischer Elemente". 1884 eröffneten sich für Czapski verschiedene Möglichkeiten für eine akademische Laufbahn. So bot ihm Helmholtz eine Assistentenstelle an. Zu dieser Zeit suchte Abbe eine junge wissenschaftliche Hilfskraft und wurde von Leopold Löwenherz, der mit Abbe bekannt und bei der Normaleichkommission tätig war, auf Czapski aufmerksam gemacht Czapski nahm

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präsumtiv als sein qualificierter Bevollmächtigter der Partei Abbe anerkannt sein." Der Vertrag schloß aus, daß Roderich Zeiß eine Vertretung für seine bisherige Funktion im Unternehmen stellen konnte. „Dafür wird jedoch das Gehalt, einschließlich Functionszulage, welches Prof. Abbe vertragsmäßig an Dr. Czapski zu zahlen hat, vom lten October dieses Jahres ab auf Rosten der Firma gezahlt und Dr. Czapski gilt von diesem Termin an als Geschäftsbeamter der Firma."

Die Finanzierung der Investitionen Die für die Umgestaltung der Optischen Werkstätte erforderlichen Investitionen basierten weitgehend auf dem Eigenkapital der Inhaber. Die sich am Ende der siebziger Jahre häufenden Aufträge und die mit den neuen Mikroskoptypen erzielten hohen Preise verbesserten die finanzielle Situation der Optischen Werkstätte wesentlich. Die drei Geschäftspartner beließen einen großen Teil der erzielten Gewinne im Geschäft. Zeiß hatte 1876 66.713 Mark in die Personalgesellschaft eingebracht. 15 Die zwischen 1877 und 1890 erzielten Gewinne beliefen sich auf insgesamt 1.765.376 Mark, davon wurden 710.287 Mark auf das Kapitalkonto übertragen. Die auf das Kapitalkonto überschriebenen Gewinnanteile waren in den einzelnen Jahren unterschiedlich groß. Zwischen 1877 und 1879/80 beliefen sie sich durchschnittlich auf 45,8 Prozent, in den folgenden fünf Jahren auf 48,6 Prozent und zwischen 1885/86 und 1889/90 auf 35,5 Prozent. Die Tabelle 5 im Tabellenanhang gibt die zwi-

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Anfang 1885 das Angebot Abbes, für längere Zeit nach Jena zu kommen, an und begann im Frühjahr des gleichen Jahres als privater Assistent Abbes. Gleichzeitig arbeitete er als wissenschaftlicher Optiker für die Bamberger'sche Werkstätte in Berlin. Am 8. April 1886 schlössen Abbe und Czapski einen Arbeitsvertrag, der bis zum 1. April 1889 galt. 1889 bot ihm Abbe eine unkündbare Stellung an. Anfangs betrieb Czapski physikalische Beobachtungen und später führte er Rechenarbeiten aus. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 22434 (STIER: Siegfried Czapski. Unveröffentliches Manuskript); HANS BOEGEHOLD: Siegfried Czapski. Jenaer Rundschau. August 1957. 2. Jg., S. 124-125. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 6468 (Petermann-Konzept), Bl. 48.

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sehen 1877 bis 1890 auf das Kapitalkonto übertragenen Gewinne im einzelnen an. Zwischen 1877 und 1890 veränderten die drei Inhaber ihren Anteil am Rapitalkonto. Zeiß übertrug seinem Sohn Roderich mehrfach eigene Anteile. Abbe baute seinen Anteil systematisch aus, so daß 1890 Carl Zeiß bzw. dessen Erben einen Anteil von 20,7 Prozent, Roderich Zeiß 27,6 Prozent und Ernst Abbe 51,7 Prozent am Rapitalkonto der Optischen Werkstätte hatten. Obgleich die für den Geschäftsumbau erforderlichen Investitionsmittel weitgehend mit dem über Jahre hinweg akkumulierten Eigenkapital finanziert wurden, waren die Inhaber der Optischen Werkstätte dennoch auf Fremdkapital angewiesen. Die Geschäftsunterlagen geben für den betrachteten Zeitraum drei Fälle an, in denen Fremdmittel herangezogen werden mußten. Am 1. Januar 1880 nahm man eine mit vier Prozent verzinste Hypothek von 15.000 Mark auf, um einen Grundstückskauf zu finanzieren. Am 1. Januar und 31. März 1885 gewährte die Jenaer Sparkasse der Optischen Werkstätte hypothekarische Darlehn von jeweils 25.000 Mark, die zu vier V2 Prozent verzinst wurden. 16 Mit den Investitionen nahm das Betriebskapital zwischen 1876 und 1890 stetig zu. Eine Ausnahme bildete lediglich das Geschäftsjahr 1878/79, in dem das Betriebskapital um 6,2 Prozent geringer als im Vorjahr war. Ein besonders starkes Wachstum - es lag zwischen 23,3 und 33,8 Prozent - wies das Betriebskapital in den Geschäftsjahren 1876/77 bis 1881/82 auf. Bis 1888/89 nahm es zwischen 14,6 und 19,1 Prozent zu und erfuhr 1889/90 lediglich eine Steigerung um sechs Prozent. Die einzelnen Daten über die Entwicklung des Betriebskapitals der Optischen Werkstätte in den Geschäftsjahren 1876/77 bis 1889/90 sind der Tabelle 6 im Tabellenanhang zu entnehmen.

Der Aufbau moderner Fertigungsstätten 1879 erwarben die Inhaber der Optischen Werkstätte die ersten Grundstücke vor den Toren der Stadt, um über ein hinreichend großes und erweiterungsfähiges Baugelände für die geplanten

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 6468 (Petermann-Ronzept), Bl. 38.

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Fertigungsstätten zu verfügen. 1890 wurde dann das Werksgelände durch den Ankauf von vier, nördlich des Fabrikgrundstücks gelegenen größeren Parzellen, arrondiert.17 Am 3. Dezember 1879 ersuchte Carl Zeiß den Gemeindevorstand der Stadt Jena um die Bauerlaubnis. In dem dazu von Abbe entworfenen Gesuch hieß es: „Der gehorsamst Unterzeichnete erlaubt sich beifolgend den SituationsPlan des von ihm erworbenen, bisher dem Oeconom Friedel gehörigen, am Ausgang des Littergässchens gelegenen Grundstückes einzureichen und um vorläufige Genehmigung zur Ausführung der auf dem Plane verzeichneten und im Folgenden näher beschriebenen Baulichkeiten ergebenst zu ersuchen: Die von mir projectierten Bauten sind: 1. Ein Wohnhaus (A) von 16 Meter Front und 15 Meter Tiefe, die Front parallel dem Littergässchen und 4-5 Meter von der jetzigen Straßengrenze zurückliegend. 2. Ein an dieses Wohnhaus unmittelbar anstossendes Hintergebäude (B) von 7-8 Meter Breite und von 28-30 Meter Tiefe, in der Richtung senkrecht zum Littergässchen. 3. Ein kleineres freistehendes Nebengebäude (C) von circa 5 x 15 Meter Grundfläche, die lange Seite parallel dem vorerwähnten Hintergebäude. Auf der Südseite des Grundstücks soll ein 4 Meter breiter Raum als Einfahrt zu dem Hofraum frei bleiben - zugleich als Eingang zu den Werkstätten. Um eine geräumige Zufahrt zu erhalten, beabsichtige ich, meine Thorfahrt um 2 Meter hinter die jetzige Strassengrenze zurückzulegen, sodass mein Grundstück eine an keiner Stelle unter 5 Meter breite Zufahrt erhält" 18 Die Baugenehmigung ging schon nach wenigen Wochen ein. Am 3. März 1880 erfolgte die Grundsteinlegung für das Wohnhaus und am 30. April 1880 wurde mit 70 Bratwürsten und Lagerbier das Richtfest gefeiert. In den folgenden Monaten kam der Bau des Wohnhauses und des ersten einstöckigen Fabrikationsgebäudes mit einer Nutzfläche von 525 m 2 zügig voran. Am 29. März 1881 konnte eingezogen werden. Am gleichen Tage schrieb Roderich Zeiß an einen Freund: „Wir sind heute schon im Umzug begriffen; heute Nachmittag wird der Schwerpunkt des ganzen Geschäfts,

17 18

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 6468 (Petermann-Konzept). Anlage. Bestand: BACZ Nr. 16155 (Baugenehmigungsgesuch vom 3. Dezember 1897).

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der eiserne Rasseschrank (7 Zentner schwer, drin ist meistens nicht viel) ins neue Lokal verlegt. Wir betrachten uns also von heute abend ab als umgezogen."19 Im Werkstattgebäude I hatte man in den Kellerräumen die Magazine untergebracht. Die Mechanische Abteilung befand sich im Erdgeschoß, das in einen größeren Arbeitsraum und einen kleineren Raum für die feineren Arbeiten unterteilt war. Dort stand auch der 4 PS-Gasmotor, der über ein Transmissionssystem die Maschinerie antrieb. Der Motor war im Herbst 1880 für 3.224 Mark angeschafft worden. Die Mechanische Abteilung war mit einer Fräsmaschine und mit 22 - zumeist für den Fußbetrieb eingerichteten - Drehbänken ausgestattet. Nur fünf Drehmaschinen waren für einen kombinierten Maschinen- und Fußbetrieb ausgelegt. Hinzu kamen eine Presse und ein Walzwerk. Das Obergeschoß beherbergte das Teile- und Justierzimmer, die Dreherei mit zehn Bänken, die Maschinenschleiferei mit zwei Schleifmaschinen, eine davon mit Maschinenantrieb, und den großen Schleifsaal mit jeweils sieben großen und kleinen Schleifmaschinen und einer großen Zentrierbank sowie dem neuerworbenen großen Glasschneideapparat. Desweiteren lag im Obergeschoß noch das kleine Schleifzimmer mit einer großen und kleinen Zentrierbank sowie drei Fühlhebel mit Stativ. Im Bodenraum waren die Hebevorrichtung und eine handgetriebene Schleifmaschine untergebracht. Durch das Treppenhaus lief das Transmissionssystem für die Tischlerei. Das an die Stirnseite des Gebäudes I angebaute Vorderhaus nahm später das Gravierzimmer mit der Vernickelungsvorrichtung und das Arbeitszimmer von Abbe auf. Mit dem Umzug in das Werkstattgebäude I hatte sich in der Organisation der Optischen Werkstätte nur wenig verändert Die Gliederung in die Optische und die Mechanische Abteilung bestand fort.20 In der Optischen Abteilung arbeiteten im September 1880 16 Arbeiter unter der Leitung eines Werkmeisters. Die Anzahl der zu dieser Zeit beschäftigten Mechaniker ist nicht überliefert Im Juli 1883 wurden im neuerrichteten Werkstattmittelbau Ia die Arbeiten

19 UACZ. Bestand: BACZ Nr.10093 (Brief Roderich Zeiß an seinen Freund Conrad, geschrieben zwischen dem 23. März und 8. April 1881. Abschrift), Bl. 9. 20 UACZ. Bestand: BACZ Nr. 6468 (Petermann-Ronzept), Bl. 23.

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Abb. 12 Werkmeister Hugo Russ

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aufgenommen. Die hinzugewonnene Nutzfläche erlaubte die Erweiterung des Maschinenparks und die Vergrößerung der Belegschaft. Im September 1883 war die Optische Abteilung mit zehn großen und 29 kleinen Optikschleifmaschinen sowie acht Zentrierbänken ausgerüstet. Das Personal dieser Abteilung belief sich auf 24 Personen. Die Mechanische Abteilung verfügte inzwischen über 62 Mechanikerdrehbänke und vier Fräsmaschinen. 21 Im Mai 1883 hatte Abbe auf eigene Rechnung für 325 Mark eine Dynamomaschine angeschafft. 22 Um die Abhängigkeit von Zulieferfirmen zu verringern, ging man in der Optischen Werkstätte dazu über, möglichst viele der anfallenden Arbeiten im eigenen Hause zu konzentrieren. Deshalb entstanden zwischen 1881 und 1883 die erforderlichen Nebenbetriebe. 1881 erhielt die Graviererei im Dachgeschoß des ZeißWohnhauses größere Räumlichkeiten. 1883 kamen eine Schlosserei sowie die mit einer Lackiererei verbundene Vernickelwerkstatt hinzu. Von besonderer Bedeutung aber war, daß im gleichen Jahr eine eigene Gelbgießerei entstand. Sie war vorerst im Souterrain des Werkstattgebäudes Ia untergebracht und erhielt später eigene Räumlichkeiten. Ende September 1885 wurde das Werkstattgebäude II bezogen, das mit seinen zwei Stockwerken und einer Nutzfläche von 705 m 2 der größte Bau war. Während sich aufgrund der technologischen Gegebenheiten in der Optischen Abteilung nur quantitative Veränderungen vollzogen - ihre Belegschaft war bis Mai 1885 auf 49 Beschäftigte23 angewachsen - kam es in der Mechanischen Abteilung zu wesentlichen Veränderungen. 1885 löste man die Dreherei und Fräserei aus der Mechanischen Abteilung heraus und faßte sie zu einer eigenen Abteilung zusammen. Die Leitung der neuen Abteilung übernahm der 25-jährige Hugo Russ, der seit dem Sommer 1885 der Optischen Werkstätte angehörte. 24

21

22 23 24

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 6468 (Petermann-Ronzept), Bl. 23; UACZ, Bestand: VA Nr. 1608 (Monatsabschlüsse der Optischen Abteilung). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 6468 (Petermann-Ronzept), Bl. 23,. UACZ. Bestand: VA Nr. 1601 (Monatsabschlüsse der Optischen Abteilung). UACZ. Bestand: BACZ, Nr. 1574 (HUGO RUSS: Die Abteilung Dreherei, Fräserei und Bohrerei. Handschriftliches Manuskript Im folgenden Russ: Die Entwicklung der Abteilung).

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Die Mechanisierung in der Teilefertigung Der Maschinenpark der im Werkstattgebäude II untergebrachten neuen Abteilung bestand im Oktober 1885 aus fünf Drehmaschinen und sechs Fräsmaschinen. Zum Personal zählten fünf Dreher, sieben Fräser und der Abteilungsleiter. Russ sah es als eine seiner ersten Aufgaben an, die Anzahl der maschinell bearbeitbaren Mikroskopteile zu vergrößern. Bis 1885 fertigte man auf einer Revolverdrehbank lediglich Teile für die Linsenfasserei - Systemteile, Systemkapseln, Trichter und Okulare - und hatte damit begonnen Stativteile, darunter Tische, Füße, Rippen, Achten, Zwischenträger und Spiegelwinkel auf der Fräsmaschine zu bearbeiten. Um die maschinelle Bearbeitung zu erweitern, begann Russ damit, geeignete Spannvorrichtungen für die beiden wichtigsten Stativteile, die Zwischenträger und Prismen, zu entwerfen und die Maschinen den Arbeitsgängen anzupassen. Zugleich sorgte Russ dafür, daß bei den Prismen nicht wie bisher nur drei Prismenflächen, sondern alle Flächen bearbeitet wurden. Ebenso schlug er einen neuen Weg bei der Bearbeitung der Zwischenträger ein. Bislang hatte man lediglich die Innenprismen und die Gleitflächen für die Tuben und die Zahnstangen gefräst, nun wurden die Teile durchweg bearbeitet. Von großem Vorteil für die Durchsetzung der Maschinenarbeit war, daß am 16. Mai 1886 der Konstrukteur Max Berger eingestellt wurde. Er veränderte die Mikroskopteile so, daß sie maschinell bearbeitet werden konnten. Bei neuen Konstruktionen entwarf er die Instrumententeile von vornherein unter dem Gesichtspunkt ihrer maschinellen Bearbeitbarkeit. Ein Beispiel dafür war die Neukonstruktion des Abbe'schen Kondensors im Geschäftsjahr 1887/88. Berger hatte beim Konzipieren dieses modernen Beleuchtungsapparates, mit dem alle anspruchsvollen Mikroskope versehen wurden, darauf geachtet, daß sich die Einzelteile maschinell bearbeiten und vorteilhaft montieren ließen. Zwischen 1886 und 1889 schenkte Russ auch den Paßarbeiten, die bislang ausschließlich in der Mechanischen Abteilung erfolgten, seine besondere Aufmerksamkeit. Er setzte sich dafür ein, daß in der Dreherei künftig komplett gefaßte Tuben gefertigt wurden. Nach den entsprechenden Vorarbeiten und dem Einsatz von zwei, mit Zugspindeln versehenen, Zylinderdrehbänken gelang es in der Dreherei, komplette Tuben herzustellen. Dadurch sanken die Herstellungskosten die-

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Abb. 13 Dreherei vor 1900

ses Mikroskop-Bauelements. Nach den Russ'schen Berechnungen lagen nun die Rosten für den Tubus IV um 36,7, für den Tubus Va um 40,8 und für den Tubus VII a um 44,7 Prozent niedriger als bei dem alten Verfahren. Zugleich wurde eine Qualität erreicht, die früher nur sehr erfahrene Arbeiter erzielten. In diesem Zusammenhang änderte Russ auch das Verfahren der Markierung auf den Tuben. „Für das Einreißen der Millimeterteilung in die Tuben ließ ich eine kleine automatisch arbeitende Teilmaschine eigener Konstruktion in meiner Abteilung bauen, die es ermöglichte, die Teilung so tief einzureißen, daß die Tuben nach dem Teilen und Zahlenschlagen genau zylindrisch überdreht werden konnten, was früher falscherweise vorher geschah."25

Russ führte auch die Mechanisierung der Bohrarbeiten ein. Dazu veranlaßte ihn die umständliche Technologie bei der Fertigung von 25

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1574 (Russ: Die Entwicklung der Abteilung).

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Spiegelwinkeln. Bislang wurden diese Teile in der Russ'schen Abteilung gefräst, gingen dann in die Mechanische Abteilung, um dort die Bohrlöcher anzubringen. Danach kamen sie in die Fräserei zurück, damit die Endrundungen gefräst werden konnten. Um diese umständliche und kostenintensive Verfahrensweise zu beenden, schlug Russ vor, die Bohrungen künftig in seiner Abteilung auszuführen. Dazu wurde eine Bohrmaschine angeschafft, und Russ entwarf die erforderlichen Bohrlehren. Die auf diese Weise hergestellten Spiegelwinkel waren nicht nur preiswerter, sondern wesentlich genauer, als die nach dem bisherigen Verfahren gefertigten und ließen sich nun auch ohne weiteres austauschen. Mit der zunehmenden Maschinenarbeit und der einsetzenden Massenfertigung von Mikroskopteilen erlangten die Lehren eine größere Bedeutung. Darum schenkte Russ der sorgfaltigen Ausführung und der zweckmäßigen Materialbeschaffenheit der Lehren seine besondere Aufmerksamkeit. 1887 übernahm die Russ'sche Abteilung die Fertigung der Triebe und Zahnstangen für die Mikroskope. Diese Teile bezog man bisher von einer Firma in Glashütte. Sie entsprachen aber nicht den Jenaer Anforderungen und waren obendrein auch sehr teuer. Russ ließ nach eigenen Entwürfen in seiner Abteilung zwei kleine Spezialmaschinen bauen, auf denen diese Teile in der gewünschten Qualität und zu geringeren Kosten hergestellt werden konnten. 26 Die fortschreitende Mechanisierung der Mikroskopfertigung brachte den steten Ausbau der Russ'schen Abteilung mit sich. Im Oktober 1895 verfügte sie über 55 Werkzeugmaschinen, die zu 54,5 Prozent aus Drehbänken, zu 32,7 Prozent aus Fräsmaschinen und zu 12,8 Prozent aus diversen Maschinen bestanden. Die Abteilungsbelegschaft zählte nun 15 Dreher, 13 Fräser, einen Kontrolleur und drei Angestellte.27 Neben der zunehmenden Maschinenarbeit kamen nun auch Werkstoffe zum Einsatz, die in der Optischen Werkstätte bisher ungebräuchlich waren. Das betraf die Verwendung von Rotgußteilen an Stelle von Blech und Draht beim Herstellen von Schiebehülsen, Spiegelbogen usw., wodurch das aufwendige Löten entfiel und die Konstruktionen auch eine größere Stabilität gewannen. Im Geschäftsjahr 1888/89 -

26 27

UACZ. Bestand: BACZ, Nr. 1574 (Russ: Die Entwicklung der Abteilung). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 7713 (Fertigungsstatistik Mikro 4).

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Abb. 14 Die Mechanikerdrehbank mit Fußantrieb

Abb. 15 Die Mechanikerdrehbank umgerüstet auf Transmissionsantrieb

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wahrscheinlich im Frühjahr 1889 - erhielten die Mechaniker Ernst und Lange den ungewöhnlichen Auftrag, drei Mikroskope aus dem neuartigen Material Aluminium zu fertigen.28 Offensichtlich setzte sich diese Neuerung nicht durch. Die technisch-technologischen Fortschritte gestatteten es im Laufe der achtziger Jahre, die Anzahl der von versierten Arbeitern in einer Serie gefertigten Mikroskope von anfanglich 6 auf 10 und 12, verschiedentlich auch auf 15 Stück, zu erhöhen. Zu den Arbeitern, denen solche Serien anvertraut wurden, gehörten langjährige Gehilfen wie Blüthner und Billmeyer, aber auch Ernst, Lange, Perrot, Endler, Krüger, Gehricke. Seit Mitte der achtziger Jahre zeichneten zwei Mechaniker für die Endfertigung der Mikroskopserien. 29 Mit der zunehmenden Mikroskopproduktion wuchs die Gefahr, daß die traditionell hohe Fertigungsqualität nicht immer eingehalten wurde. So hatte 1889 der Mechaniker Butter mehr als zehn Mikroskope so mangelhaft ausgeführt, daß sie weder verkauft noch repariert werden konnten. Nach diesem Vorfall findet sich der Name dieses Mechanikers nicht mehr in der Fertigungsliste. In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre wurde der Aus- und Anbau der bestehenden Gebäude fortgeführt. Im Geschäftsjahr 1890/91 entstanden das Werkstattgebäude IV, die Tischlerei, das Kesselhaus mit Schornstein sowie ein Holzlagerschuppen. Ende 1890 ging eine Dampfmaschine mit einer Leistung von 40 PS in Betrieb.30 Das waren Bestandteile einer großangelegten Rekonstruktion der Fertigung, die durch den Einsatz von Elektroenergie bewirkt wurde. Seit Herbst 1891 wurden die Werkstatträume elektrisch beleuchtet. Damit fand die Arbeit unter der Petroleum- oder der Gaslampe ein Ende. Im Laufe des Jahres 1892 erhielt die Abteilung Russ die ersten für den elektrischen Antrieb eingerichteten Maschinen. 31 Die Entscheidung, die Optische Werkstätte auf die moderne Antriebskraft umzustellen, hatte weitreichende Folgen für den gesamten Produktionsapparat und für die betriebliche Organisation. Es mußte durch weiterreichende Umbauten den neuen Erfordernissen entsprochen werden. Das über Jahre hinweg ent-

28 29 30

31

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 7713 (Fertigungsstatistik Mikro 4). UACZ, Bestand: BACZ Nr. 7713 (Fertigungsstatistik Mikro 4). AUERBACH: Zeisswerk, 2. Aufl. 1904, S. 142. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1574 (Russ: Die Entwicklung der Abteilung).

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standene Transmissionssystem wurde entfernt. Die Verwendung der Elektroenergie zwang dazu, einen großen Teil der Maschinerie zu verkaufen oder zu verschrotten, weil er sich nicht an das neue Antriebssystem anpassen ließ. Die Schleiferei und die Poliererei wurden vollständig mit neuen Maschinen ausgerüstet. 32 Die Investitionen zwischen 1879/80 und 1894/95 ließen das Immobilienkonto der Optischen Werkstätte von 329.656 auf 1.096.492 Mark und das Konto für Maschinen, Werkzeuge und Mobilien auf insgesamt 106.612 Mark ansteigen. Nachdem das Maschinen-Konto bis 1892 auf 188.939 Mark angewachsen war, nahm es in den folgenden Jahren wieder ab, weil man kaum Maschinen anschaffte und die Abschreibungen zunahmen. Lediglich die neue elektrische Anlage schlug 1892 mit 17.728 Mark zu Buche.33

Das Wachstum der Belegschaft Mit der Erweiterung der Mikroskopfertigung, der zunehmenden Mechanisierung der Vorfertigung und dem Aufbau der Nebenbetriebe ging das Wachstum der Belegschaft einher. Zwischen 1880 und 1895 hatte die Anzahl der Arbeiter und Angestellten von 82 auf 615 zugenommen. 34 In den Geschäftsjahren 1880/82 wurden gegenüber dem jeweils vorangegangenen Geschäftsjahr 40,7 bzw. 46 Prozent der Arbeiter und Angestellten in die Optische Werkstätte aufgenommen. Dann folgten drei Jahre, in denen sich die Belegschaft um lediglich zwischen 18,4 und 28 Prozent vergrößerte. Gegen Ende der achtziger Jahre nahm die Belegschaft nur noch zwischen 5,6 und 12 Prozent zu. Wenn bislang das Entstehen neuer Arbeitsplätze die Belegschaftsentwicklung stimulierte, so wurde sie nun von der unsteten Konjunkturbewegung bestimmt Im Geschäftsjahr 1891/92 sah sich die Geschäftsleitung erstmals genötigt, Arbeitskräfte zu entlassen. Russ hielt dazu fest:

52

33 34

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1534 (Brief Abbe an Roderich Zeiß vom 2. Dezember 1994). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 6468 (Petermann-Ronzept), Bl. 50. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 8417 (Mitteilung an Czapski), Bl. 77.

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„In striktem Gegensatz zu dem vorig. Geschäftsjahr brachte dieses Jahr den Abteilungen einen höchst unerfreulichen Rückgang dadurch, daß die im vorigen Jahre so plötzlich gesteigerten Aufträge ganz erheblich zurückgingen. Es mußten deshalb Entlassungen von Personal vorgenommen werden."35

Russ verlor im Geschäftsjahr 1891/92 18 Prozent seiner Abteilungsbelegschaft und mußte im folgenden Jahr, weil sich die geschäftliche Situation nicht verbesserte, nochmals 22,2 Prozent der Arbeiter entlassen. Auch in anderen Abteilungen kam es zu Entlassungen. Allein im Geschäftsjahr 1891/92 ging die Belegschaftszahl um 6,6 und die Arbeiterschaft um 9,5 Prozent zurück. Aber in den folgenden Geschäftsjahren konnten, wenn auch vorerst verhalten, wieder Arbeitskräfte eingestellt werden. 36 Im Laufe der achtziger Jahre veränderte sich auch die Struktur der Zeiss-Belegschaft. Zu den Optikern und Mechanikern kamen in einem wachsenden Maße Maschinenarbeiter und Arbeiter der Nebenbetriebe, Graveure, Former, Gießer, Schlosser und Maschinenwärter hinzu. Mit der Expansion des Unternehmens und der zunehmenden Arbeitsteilung wuchs auch die Angestelltenschaft, deren Zusammensetzung außerordentlich heterogen war. Es gab die relativ große Anzahl der Lohnangestellten, die einflußreiche Gruppe der Werkmeister- und Werkführer, den kleinen Kreis der wissenschaftlichen Mitarbeiter und die Kaufleute. Mit den wissenschaftlichen Mitarbeitern wurde bis 1903 oder 1904 nach einer fünfjährigen Dienstzeit in der Regel ein Vertrag geschlossen, der ihnen eine Lebensstellung zusicherte.37 Die Angestelltenschaft in der Optischen Werkstätte, die 1881/82 lediglich neun Personen zählte, wuchs bis 1894/95 auf 78 Männer und Frauen an. Ihr Anteil an der Gesamtbelegschaft vergrößerte sich in der gleichen Zeit von neun auf zwölf Prozent.38 Die Liste der versicherungspflichtigen Belegschaftsmitglieder, die Ende 1890 entstand, erlaubt ein genaueres Bild der Tätigkeitsstruktur in der Optischen Werkstätte. Sie enthielt die Angaben über 370 Mitarbeiter. In die Rubrik „Optiker" waren 150 Arbeiter eingetragen. Die zahlenmäßig größte Gruppe der Optiker stellten die Schleifer mit 70,7 Prozent, gefolgt von den Drehern 35 36 37

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UACZ. Bestand: Nr. 1574 (RUSS: Die Entwicklung der Abteilung). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 8417 (Mitteilung an Czapski), Bl. 77. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 489 (Brief von Wissenschaftlern an die Geschäftsleitung vom 2. Oktober 1905). UACZ. Bestand: BACZ 8417 (Mitteilung an Czapski), Bl. 77.

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mit 21,3 Prozent und den Zentrierern mit acht Prozent. In der Rubrik „Mechaniker" dominierten mit 66 Prozent die Arbeiter, die diese Tätigkeitsbezeichnung trugen. In die zweite Position teilten sich mit jeweils zwölf Prozent die Justierer und die Mitarbeiter der Versuchsstation. Die Montierer hatten einen Anteil von zehn Prozent Als Spezialarbeiter wurden noch acht Teiler, drei Graveure und zehn Polierer aufgeführt. Die 49 Metallarbeiter - Dreher, Fräser, Schlosser und Gießer - machten 13,4 Prozent der Versicherungspflichtigen aus. In der Tischlerei und der Buchbinderei waren 26 Arbeiter beschäftigt. Schließlich waren noch neun jugendliche Arbeiter, sogenannte Arbeitsburschen, und sechs Hausleute aufgeführt. Die Führungskräfte in den Werkstätten, die Werkmeister und deren Gehilfen, die Konstrukteure und Rechner zählten 24 Personen. Sodann gab es noch acht auswärtige Optiker.39

Die Lohnverhältnisse Über die Lohn-und Gehaltsverhältnisse in den Jahren zwischen 1880 und 1895 sind wir nicht sehr gut unterrichtet. Seit den siebziger Jahren arbeiteten auf Anregung von Abbe der größte Teil der Optiker und eine kleinere Gruppe von Mechanikern im Akkordsystem. Die Aufzeichnungen über die monatlichen Verdienste der Arbeiter in der Optischen Abteilung ermöglichen aber, die Lohnverhältnisse der Optiker zwischen 1880 und 1884 nachzuzeichnen. Die Analyse zeigt zunächst eine starke Differenzierung der monatlichen und jährlichen Entlohnung zwischen den einzelnen Arbeitern. Als Beispiel soll das Jahr 1880 genommen werden, in dem die Optische Abteilung 16 Lohnarbeiter beschäftigte. Der Spitzenlohn betrug 2.235 Mark. Zwei Arbeiter verdienten zwischen 1.500 und 2.000 Mark, sechs Optiker erhielten einen Lohn, der zwischen 1.000 und 1.500 Mark lag, eine gleich große Gruppe erhielt zwischen 700 und 1.000 Mark. Der niedrigste Jahreslohn belief sich auf

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Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 16090 (Liste der versicherungsplichtigen Mitglieder der Zeiss-Betriebs-Krankenkasse).

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420 Mark. Die Berechnung der Lohnentwicklung von elf erfahrenen Arbeitern, die zwischen 1880 und 1884 in der Optik-Abteilung beschäftigt waren, zeigt, daß bei zehn von ihnen der Lohn im Jahre 1884 zwischen 9,6 und 108,6 Prozent höher war als am Beginn des Jahrzehnts. Nähere Angaben dazu finden sich in der Tabelle 7 im Tabellenanhang. Bemerkenswert ist die Lohnentwicklung bei Arbeitern, die Anfang der achtziger Jahre in die Abteilung kamen und sich erst die für die korrekte und zügige Arbeitsausführung unerläßlichen Fertigkeiten aneignen mußten. Zu ihnen gehörten die Optiker Graefe und Wagner, die Anfang 1882 ihre berufliche Laufbahn in der Optischen Abteilung begonnen hatten. Graefe konnte den Jahreslohn von 519 Mark auf 1.190 Mark im Jahre 1884 steigern. Wagner, der seine Tätigkeit im Februar 1882 begann und aus unbekannten Gründen einen Monat ohne Lohn blieb, erhielt 1882 488 Mark und 1884 1.229 Mark. Für das Jahr 1892 lassen sich Angaben über die Monatslöhne der Optiker, die verschiedene Tätigkeiten ausübten und unterschiedlich lange in der Optischen Werkstätte beschäftigt waren, machen. Die Optiker, die optische Systeme für Mikroskope fertigten, gehörten zu den Arbeitern mit einer längeren Betriebszugehörigkeit. Die Linsenfasser unter ihnen hatten einen Monatsverdienst zwischen 38 und 62 Mark und die Schleifer zwischen 37 und 57 Mark. Besser stellten sich die Optiker, die Photoobjektive herstellten.40 Die damit beschäftigten Linsenfasser kamen auf einen monatlichen Verdienst zwischen 71 und 106 Mark, die Schleifer zwischen 38 und 115 Mark. Die Zentrierer erhielten zwischen 37 und 70 Mark. Bemerkenswert waren die Unterschiede in der Entlohung, die aus der Zugehörigkeitsdauer der Arbeiter zum Unternehmen resultierten. In der Optischen Abteilung arbeiteten nur Arbeiter der Jahrgänge III - V, also solche, die seit längerem in der Werkstätte beschäftigt waren. Die Lohndifferenzierung wird am Beispiel der Schleifer in der Photoobjektivfertigung deutlich. Die Arbeiter des V. Jahrganges verdienten durchschnittlich 84 Mark im Monat, die des IV. Jahrganges 61 und die des III. Jahrganges 58 Mark. Bei den Mikroskop-Linsenfassern lagen die durchschnittlichen Monatsverdienste der drei Jahrgänge bei 61, 56, und 38 Mark.41

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Die Herausbildung der Warengruppe Photoobjektive ist im fünften Kapitel dargestellt. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 642 (Lohnübersichten und Statistiken).

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Um einen allgemeinen, wenn auch nur ungefähren Eindruck von den Lohn- und Gehaltsverhältnissen in der Optischen Werkstätte zwischen 1880 und 1895 zu gewinnen, bleibt nur die Möglichkeit, die Gesamtlohn- und Gehaltssumme zur Anzahl der Gesamtbeschäftigten bzw. der beiden Beschäftigtengruppen ins Verhältnis zu setzen. Danach betrug 1880 das durchschnittliche Jahreseinkommen der Beschäftigten in der Optischen Werkstätte 695 Mark und 1885 726 Mark. Für die erste Hälfte der neunziger Jahre lassen sich die durchschnittlichen Jahreseinkünfte der Arbeiter und Angestellten getrennt ausweisen. Die Jahreslöhne beliefen sich im Geschäftsjahr 1890/91 auf 794, im folgenden Geschäftsjahr auf 1.050 Mark und sanken 1893/94 auf 803 Mark. Im folgenden Geschäftsjahr stiegen sie wieder auf 842 Mark. Das durchschnittliche Gehalt betrug 1890/91 1.768 Mark und schwankte dann in Abhängigkeit von der Konjunktur zwischen 2.137 und 2.018 Mark.42 Die erheblichen Unterschiede, die es sowohl innerhalb der Beschäftigtengruppen als auch zwischen ihnen gab, ließen insbesondere bei Arbeitern der niedrigen Lohngruppen immer wieder Unzufriedenheit aufkommen, die zuweilen zu Forderungen nach höheren Löhnen führten. Das veranschaulicht ein Brief, den Roderich Zeiß am 6. September 1882 seinem Vater nach Italien schrieb. Zunächst hatte er zu berichten, daß erfahrene Arbeiter zu Ronkurrenzunternehmen wechselten und sich andere ebenfalls mit dieser Absicht trugen. Dann schilderte er folgenden Vorgang: „Vor ein Paar Tagen waren Pfaffe und Schäfer unten und baten im Namen der Schleiferei um Erhöhung der Akkorde, damit sie doch einigermaßen den Drehern gleichgestellt würden. Es wird nichts helfen, wir werden in den sauren Apfel beissen müssen. Ich habe sie aber zunächst auf nächsten Monat vertröstet, womit sie auch zufrieden waren."43

Im Entlohnungssystem der Optischen Werkstätte spielten neben dem fachlichen Rönnen das Lebensalter und die Dauer der Betriebszugehörigkeit der Arbeiter eine Rolle. Seit 1891 unterschied man die Lohnarbeiter nach vier Altersgruppen. Zur ersten Gruppe zählten die Arbeiter, die über vierundzwanzig Jahre alt waren. Die 42

43

Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 6468 (Petermann-Konzept), Bl. 48; UACZ. Bestand: BACZ Nr. 8417 (Mitteilung an Czapski), Bl. 77. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 10093 (Brief Roderich Zeiß an Carl Zeiß vom 6. September 1882. Abschrift), Bl. 18.

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zweite Gruppe setzte sich aus den Arbeitern im Alter von zweiundzwanzig bis vierundzwanzig Jahren zusammen. Zur dritten Gruppe gehörten die Arbeiter im Alter zwischen neunzehn und einundzwanzig Jahren und zur vierten die jugendlichen Arbeiter. Die Löhne der Arbeitergruppen waren unterschiedlich hoch. Sie differierten 1891 zwischen 1.302 und 387 Mark. Darüberhinaus kam es in der ersten Hälfte der neunziger Jahre zwischen den einzelnen Altersgruppen zu ungleich starken Lohnbewegungen. Bis 1891 stiegen die Löhne in allen Altersgruppen. Dann zwang die konjunkturelle Situation zu Lohnsenkungen, die aber in den Altersguppen nicht gleichstark ausfielen. Während die Löhne der beiden älteren Arbeitergruppen bis 1894 zurückgingen, stiegen die der jüngeren seit 1893 wieder an. Am stärksten wurde die Gruppe der Zweiundzwanzig bis Vierundzwanzigjährigen vom Lohnabbau betroffen, denn ihr Einkommen lag 1894 13,5 Prozent unter dem Niveau von 1891, demgegenüber verdienten die über 24jährigen im gleichen Zeitraum nur 3,5 Prozent weniger. Wie sich die Lohnbewegung in den einzelnen Altersgruppen vollzog, ist der Tabelle 8 im Tabellenanhang zu entnehmen. Um die Lohnverhältnisse in der Optischen Werkstätte bewerten zu können, ist ein Vergleich mit dem Jahreseinkommen der Arbeiter in Industrie und Handwerk Deutschlands angebracht. Er ergibt, daß für die beiden Stichjahre 1880 und 1885 das Jahreseinkommen der Zeiss-Belegschaft um 17 bzw. 14 Prozent über dem der Arbeiter in Industrie und Handwerk lag. Ein anderes Bild zeigt der Vergleich mit der Arbeiterschaft in der metallverarbeitenden Industrie. Danach war das durchschnittliche Jahreseinkommen im Jenaer Unternehmen 1880 sieben Prozent und 1885 13,4 Prozent geringer als das der Metallarbeiter im Reich. 1890 hatten sich die Verhältnisse verändert. Nun lag das durchschnittliche Jahreseinkommen der Arbeiter in der Optischen Werkstätte um 13,8 Prozent höher als bei den Arbeitern in Industrie und Handwerk und 10,4 Prozent über dem Einkommen der Metallarbeiterschaft. 1895 zeigte sich ein anderes Bild, denn jetzt war das durchschnittliche Jahreseinkommen der Arbeiter im ZeissWerk um 13,1 Prozent höher als das aller Arbeiter und Handwerksgesellen, aber um 5,6 Prozent geringer als das der Metallarbeiter.44

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Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 6468 (Petermann-Konzept); UACZ. Bestand: BACZ Nr. 8417; HOFFMANN: Das Wachstum der deutschen Wirtschaft, S. 468-469.

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In den achtziger Jahren betrug die tägliche Arbeitszeit in der Optischen Werkstätte zehn Stunden. Am 7. Oktober 1889 wurde die Arbeitszeit um eine halbe Stunde verkürzt. Das war möglicherweise eine Reaktion auf das schwächer werdende Mikroskopgeschäft, denn schon wenig später sah sich die Geschäftsleitung genötigt, die wöchentliche Arbeitszeit der Akkordarbeiter von 54 auf 49 Stunden zu verringern. 45 Mit dem raschen Wachstum der Belegschaft entstanden gelegentlich Probleme in der Arbeitsdisziplin. Es oblag in erster Linie den Werkführern und ihren Gehilfen, über die Einhaltung der Arbeitszeiten und der technisch-technologischen Vorschriften zu wachen. Natürlich achteten auch die Inhaber der Optischen Werkstätte auf Pünktlichkeit und Ordnung. So schilderte Roderich Zeiß am 6. Mai 1881 in dem Brief an seine Tante Maria Schatter: „Wir haben eben 9 Uhr und ich bin seit einer halben Stunde erst von meinem Morgenritte zurück, den ich gewöhnlich um V 2 7 Uhr anfange, nachdem die verschiedenen Geister im Geschäft durch mein präcises Erscheinen im Geschäft bei Anfang desselben (6 Uhr) teils in Respect, teils in Schrecken versetzt worden sind. Heute habe ich allerdings der Aufforderung Mendelsohns ,der Qual zu vergessen' infolge des herrlichen Wetters etwas länger nachgegeben, denn sonst sitze ich gewöhnlich um die 8te Stunde, in der unsere Frühstücksglocke ertönt, wieder an meinem Pulte gleichfalls zur Aufrechterhaltung der Pünktlichkeit, der Ordnung und Disciplin!" 46

Die Betriebs-Krankenkasse In der Mitte der achtziger Jahre entstand in der Optischen Werkstätte die Betriebs-Krankenkasse, die eine zehnjährige Vorgeschichte hatte. Am 1. Januar 1875 hatten die Optiker Böber, Eisenhardt, Müller, Pape, Pfaffe, Schäfer, Rudolph und Töpfer sowie die Mechaniker Gradsack, Evers, Kutzmann, Müller, Patz, Pilo, Schmidt

45 46

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1574 (Russ: Die Entwicklung der Abteilung). Zitiert in ESCHE: Carl Zeiss, S. 70.

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und Zieger eine Hilfskasse gegründet.47 Diese 16 Zeissianer waren dem Beispiel anderer Arbeiter in Deutschland gefolgt, die sich in jener Zeit aus eigener Initiative eine Krankheitsversicherung schufen. Mitte der siebziger Jahre gab es eine Vielzahl von Hilfskassen, die Arbeiter industrieller Unternehmungen, Gewerkschafter oder Einwohner einzelner Gemeinden gegründet hatten. Aufgrund ihrer Gründungsgeschichte waren diese Rassen zumeist leistungsarm und unterschiedlich organisiert. Um die in dem Hilfskassenwesen herrschende Uneinheitlichkeit in den Leistungen und Leistungsvoraussetzungen zu beseitigen und die Existenz der Hilfskassen zu sichern, wurden das „Gesetz über die eingeschriebenen Hilfskassen" vom 7. April 1876 und die Abänderung der Gewerbeordnung vom 8. April 1876 erlassen. 48 Nach dem Gesetz konnte Hilfskassen von einer hohen Verwaltungsbehörde der Status einer eingeschriebenen Hilfskasse zuerkannt werden. Die Voraussetzungen dafür waren, daß die Rasse die vorgeschriebene Organisationsform aufwies, einer Aufsicht unterlag sowie die Bestimmungen über die Mitgliedsbeiträge und zu gewährenden Leistungen einhielt. Die Novelle zur Gewerbeordnung begünstigte eingeschriebene Hilfskassen. Wir wissen nicht, ob die von ZeissArbeitern gegründete Hilfskasse von diesem Gesetz tangiert wurde. Die Unterlagen belegen aber, daß die Anzahl der Rassenmitglieder allmählich zunahm. Im Dezember 1879 zählte die Hilfskasse 30 Beitragszahler, das waren ca. 56 Prozent der Beschäftigten. 1884 gab es 92 Versicherte. Damit gehörten nun ca. 60 Prozent der Belegschaft der Hilfskasse an. Die wachsenden Einnahmen der Hilfskasse setzten sich aus Mitgliedsbeiträgen und Zuschüssen des Unternehmens zusammen. 1875 zahlten die Rassenmitglieder den monatlichen Beitrag von einer Mark, 1876 waren es noch 75 Pfennige, und zwischen Januar 1879 und Dezember 1884 betrug er nur noch 50 Pfennig. Die Beiträge belasteten die einzelnen Rassenmitglieder unterschiedlich. Der gutverdienende Optiker Rudolph zahlte im Dezember 1875 0,75 Prozent seines Monatseinkommens in die Rasse ein, der Optiker Töpfer II hingegen drei Prozent. 1875

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Zusammengestellt nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 12043 (Mitgliederund Beitragsbuch der Betriebskrankenkasse der Optischen Werkstätte); UACZ. Bestand: VA Nr. 1608 (Monatsabschlüsse der Optischen Abteilung). Gesetz über die eingeschriebenen Hilfskassen vom 7. April 1876. Reichsgesetzblatt 1876, S. 125; 134.

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hatte Abbe, vermutlich aus eigener Tasche, 55 Mark, das waren 28 Prozent der Gesamteinnahmen der Hilfskasse, beigesteuert. Offensichtlich beteiligten sich in den folgenden Jahren auch Carl und Roderich Zeiß an den Zuschüssen, denn seither vermerkte der Rassenführer in regelmäßigen Abständen die „Geschäftszulagen". Sie schwankten in den einzelnen Jahren und machten zwischen 18,4 und 25,1 Prozent der Rasseneinnahmen aus. Die Gesamteinnahmen der Hilfskasse betrugen 1875 199 Mark und beliefen sich 1884 auf 653 Mark. Über die Rassenausgaben und deren Struktur lassen sich für die betrachteten Jahre keine Angaben machen. 49 Das „Gesetz betr. die Rrankenversicherung der Arbeiter" vom 15. Juni 188350 veränderte die Bedingungen für die Rrankenkasse in der Optischen Werkstätte. Das Gesetz machte es den Arbeitern und Angestellten, deren Tagesverdienst 6,66 Mark nicht überstieg, zur Pflicht, sich einer Rrankenversicherung anzuschließen und erlaubte den freiwilligen Beitritt zur Rrankenversicherung, wenn der Jahresverdienst des Antragstellers nicht über 3.000 Mark betrug. Nach dem neuen Gesetz, das die bestehenden Rrankenkassen akzeptierte, konnten Unternehmer, die mehr als 50 Versicherungspflichtige beschäftigten, eine Betriebskrankenkasse einrichten. Das Gesetz schrieb eine Generalversammlung vor, die sich zu zwei Dritteln aus Arbeitern zusammenzusetzen hatte und die Wahl eines Vorstandes, der vom Unternehmer oder einem Beauftragten geführt werden mußte. Die Rrankenkassen hatten sich durch Beiträge zu finanzieren, die zu zwei Dritteln von den Versicherten und zu einem Drittel vom Unternehmer getragen werden mußten. Die Versichertenbeiträge sollten sich auf 1,5 bis 6,0 Prozent des Arbeitsverdienstes belaufen. Die Rrankenkassen arbeiteten nach dem Rostendeckungsprinzip. Die Rassenmitglieder eines versicherungspflichtigen Unternehmens hatten auf Leistungen Anspruch, deren Höhe beitragsunabhängig war. Rassenleistungen wurden im Rrankheitsfalle 13 Wochen lang gewährt, die Versicherten konnten freie ärztliche Behandlung und freie Arzneimittelversorgung beanspruchen. Das Rrankengeld wurde ab dem vierten Rrankheitstag in Höhe von mindestens 50 Prozent des zur Beitragsbemessung herangezogenen Arbeitsent49

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Errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 12043 (Mitglieder- und Beitragsbuch der Betriebs-Krankenkasse der Optischen Werkstätte); UACZ. Bestand: VA Nr. 1608 (Monatsabschlüsse der Optischen Abteilung). Gesetz betr. die Krankenversicherung der Arbeiter vom 15. Juni 1883. Reichsgesetzblatt 1883, S. 73.

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gelts gezahlt. Die Krankenkasse bestritt im Bedarfsfalle auch den Krankenhausaufenthalt und zahlte den verheirateten Versicherten eine Angehörigenunterstützung. Desweiteren gewährten die Krankenkassen ein Sterbegeld. Im Falle eines Reservefondsüberschusses stand den Kassen das Recht zu, in ihre Statuten zusätzliche Leistungen aufzunehmen. 51 Im Gefolge des Gesetzes von 1883 wurde die Hilfskasse der ZeissArbeiter am 1. Januar 1885 in die „Betriebs-Krankenkasse der Optischen Werkstaette von Carl Zeiss in Jena" umgebildet.52 Das Statut bestimmte: „Versicherungspflichtige Mitglieder der Kasse sind alle in den mechanischen und optischen Werkstätten der Firma und deren Hilfsbetrieben, sowie in der Glasschmelzerei-Anlage (dem derzeitigen glastechnischen Laboratorium zu Jena) gegen Gehalt oder Lohn dauernd beschäftigten Personen, und zwar vom Tage des Eintritts in die Beschäftigung an, bis zum Tage des Austritts aus dieser."53 Die Betriebs-Krankenkasse sicherte ihren Mitgliedern vom Krankheitsbeginn freie ärztliche Behandlung, Arznei und diejenigen Hilfsmittel, die zur Herstellung und Erhaltung der Erwerbsfahigkeit erforderlich waren, zu. Die Arzthonorare mußten sich in dem von den Krankenkassen vorgegebenem allgemeinem Rahmen bewegen. Krankengeld wurde vom dritten Krankheitstag an gezahlt und betrug drei Viertel des festen Lohnes oder Gehalts, soweit das wöchentliche Einkommen nicht 24 Mark überstieg. Die Mitgliedsbeiträge machten drei Prozent des festen Lohns oder Gehalts aus. Die Firma steuerte für die im Unternehmen beschäftigten Mitglieder mindestens ein Drittel der zu entrichtenden Beiträge bei. Die aus den volljährigen Mitgliedern bestehende Generalversammlung der Betriebs-Krankenkasse wählte einen sechsköpfigen Vorstand, der den Vorsitzenden bestimmte. 54 Die jährlich abgehal-

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Von der vorindustriellen Zeit bis zum Ende des Dritten Reiches. Handbuch der Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland. Band 1: München Wien 1993, S. 93-94,97-99; ERNST ENGELBERG: Bismarck. Das Reich in der Mitte Deutschlands. Berlin 1990, S. 392-395. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 30304 (Statut der Betriebs-Krankenkasse der Optischen Werkstätte von Carl Zeiss in Jena vom 7. Juli 1890), S. 3. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 12121 (Statut der Betriebs-Krankenkasse der Optischen Werkstätte von Carl Zeiss in Jena vom 1. Januar 1885), S. 3-4. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 12121 (Statut der Betriebs-Krankenkasse der Optischen Werkstätte von Carl Zeiss in Jena vom 1. Januar 1885) S. 3-4. Das Statut mußten immer wieder an die sich verändernde Rechtslage angeglichen werden, so auch am 7. Juni 1890.

JOHANNES FRERICH, MARTIN FREY:

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tenen Generalversammlungen trugen dazu bei, daß sich die Betriebs-Krankenkasse weiterentwickelte. Das zeigte die Versammlung vom 29. Februar 1892, auf der die Frage aufgeworfen wurde, ob es nicht möglich sei, die Rassenleistungen auf die Familienmitglieder auszuweiten. Man wählte einen Ausschuß, der die entsprechenden Formulierungen für das Statut erarbeiten sollte. Abbe beteiligte sich - wie der komplette Entwurf von seiner Hand belegt - intensiv an der Neufassung des Statuts.55 Diesem Entwurf stimmte am 2. April 1892 die Generalversammlung der BetriebsKrankenkasse zu. Die hauptsächlichsten Neuerungen gegenüber dem Statut von 1890 bestanden in der Ausdehnung auf die Familienangehörigen der Rassenmitglieder und auf die Anhebung der Beiträge für diejenigen Mitglieder, die ihre Familienmitglieder mit versicherten. Die Anzahl der mitversicherten Angehörigen betrug im April 1892 558 Frauen und Rinder. Der Rasse entstand dadurch ein Mehraufwand von 3.739 Mark, der aber durch Mehreinnahmen von 3.840 Mark, wozu das Unternehmen die Hälfte beisteuerte, gedeckt war. Die Jenaer Ärzte hatten sich bereit erklärt, die bisher üblichen Honorarsätze von 1,25 Mark für einen Hausbesuch beim Patienten und einer Mark für einen Besuch des Patienten beim Arzt auf eine Mark bzw. auf 80 Pfennige, also um 20 Prozent herabzusetzen. Abbe unterrichtete die Großherzogliche Bezirksdirektion von den statuarischen Veränderungen und übersandte den neuen Entwurf der Statuten.56 Die Behörde in Apolda lehnte am 22. Juni 1892 den Statutenentwurf ab. Sie monierte, daß er in wesentlichen Punkten den Vorschriften des Rrankenversicherungsgesetzes vom 15. Juni 1883 widerspreche. Das betraf insbesondere die Zahlung des Rrankengeldes vom zweiten Rrankheitstage an. 57 Die Geschäftsleitung unterrichtete am 4. Juli 1892 die Mitglieder der Betriebs-Rrankenkasse über den abschlägigen Bescheid aus Apolda und empfahl, mit der Statutenänderung zu warten, bis die zum 1. April 1893 angekündigte Novelle zum Rrankenkassengesetz verabschiedet sei. Zugleich ließ sie wissen:

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 547 (Betriebskrankenkasse Carl Zeiss 18921905). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 547 (Schreiben Abbes an die Großherzogliche Bezirksdirektion zu Apolda vom 22. April 1892). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 547 (Schreiben der Großherzoglichen Bezirksdirektion vom 22. Juni 1892 an die Fa. Carl Zeiss).

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„Andererseits ist es aber weder nöthig noch erwünscht, deshalb die seit dem 1. Juni eingeführte Mitversicherung der Familienangehörigen jetzt wieder einzustellen, um dann am 1. Januar Alles von vorn anzufangen. Vielmehr läßt sich diese letztere Einrichtung genau so wie sie am 1. Juli begonnen wurde, bis zum Schluß des Jahres fortführen, in dem sie bis dahin behandelt wird als eine neben der ofilciellen Betriebs-Krankenkasse bestehende, auf besondere Vereinbarung zwischen der Firma und den Geschäftsangehörigen beruhende Separat-Casse, welche der Vorstand der Betriebs-Krankenkasse gemäß den Bestimmungen des vereinbarten neuen Statuten-Entwurfs einstweilen nebenamtlich und unter völlig abgetrennter Rechnungsführung verwaltet, während die eigentliche Betriebs-Krankenkasse - also Alles, was die Krankenversicherung der Kassenmitglieder selbst betrifft - bis zur Genehmigung eines neuen Statuts genau nach den Bestimmungen des alten Statuts fortgeführt würde." 58 Diese Bestimmungen, die auch Gegenstand der Arbeitsverträge wurden, fanden die einstimmige Billigung des Kassenvorstands und der Vertrauensmänner. Unter d e m 21. Juli 1892 forderte die Großherzogliche Bezirksdirektion den Zeiss-Kassenvorstand auf, innerhalb von vier Wochen ein d e m Krankenversicherungsgesetz vom April 1892 59 angeglichenes Statut einzurichten. 6 0 Abbe sandte den Entwurf des Statuts a m 21. September 1892 n a c h Apolda. Die Großherzoglich Sächsische Bezirksdirektion billigte a m 29. Dezember 1892 dieses Statut, so daß es a m 1. J a n u a r 1893 in Kraft treten konnte. Es bestimmte w i e d e r u m , versicherungspflichtige Mitglieder seien „alle in den m e c h a n i s c h e n u n d optischen Werkstaetten der Firma u n d deren Hilfsbetrieben, sowie in der Glasschmelzereianlage (dem glastechnischen Laboratorium zu Jena) gegen Gehalt oder Lohn d a u e r n d beschäftigte Personen, u n d z w a r vom Tage des

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 547 (Mitteilung der Geschäftsleitung an die Mitglieder der Betriebskrankenkasse vom 4. Juli 1892). Im „Krankenversicherungsgesetz" vom 10. April 1892 waren die Bestimmungen der gesetzlichen Krankenversicherung neugefaßt und in einigen Punkten abgeändert worden. Krankenversicherungsgesetz vom 10. April 1892. Reichsgesetzblatt 1892, S. 379, 417; FRERICH, FREY: Von der vor industriellen Zeit, S. 103. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 547 (Schreiben der Großherzoglichen Bezirksdirektion an den Vorstand der Betriebskrankenkasse der Fa. Carl Zeiss vom 21. Juli 1892).

Der Übergang zur industriellen Fertigung

147

Eintritts in die Beschäftigung an bis zum Tage des Austritts aus dieser". 61 Dem Versicherungszwang unterlagen diejenigen Mitarbeiter nicht, deren Jahresgehalt 2.000 Mark überstieg oder die einer anderen Rasse angehörten. Die nichtversicherungspflichtigen Mitarbeiter der Werkstätte konnten sich der Betriebs-Krankenkasse als freiwillige Mitglieder anschließen, sofern sie weniger als 2.000 Mark verdienten. Die Leistungen der Zeiss-Betriebs-Krankenkasse bestanden nun 1. in freier ärztlicher Behandlung, in freier Wahl von Arznei und sonstigen Hilfsmitteln, die zur Herstellung und Erhaltung der Erwerbsfähigkeit erforderlich waren; 2. in Krankengeld bei Erwerbsunfähigkeit vom zweiten Krankheitstag an für jeden Wochentag in Höhe von Dreiviertel des festen Lohnes oder Gehalts. Diese Krankenunterstützung wurde bis zum Ablauf der 26. Woche nach dem Krankheitsbeginn gezahlt und konnte bei einer längerwährenden Krankheit vom Vorstand für weitere 13 Wochen genehmigt werden, wurde dann aber auf ein Mindestmaß beschränkt; 3. in freier ärztlicher Behandlung und in freien Heilmitteln für die im Gemeindebezirk Jena und Wenigenjena-Camsdorf ansässigen nächsten Familienangehörigen, sofern sie nicht einer anderen Krankenversicherung angehörten; 4. in einem Sterbegeld, das mindestens 40 Mark betrug. Beim Ableben der Ehefrau oder eines über 20 Wochen alten Kindes wurde ein Sterbegeld bis zu 40 bzw. bis zu 20 Mark gezahlt Das Statut garantierte die freie Arztwahl. Die Honorare der Ärzte waren nach den bei den Kassenärzten im Ort üblichen Satz zu bemessen. Höhere Honorare zahlte die Kasse nicht Die Beiträge der Kassenmitglieder beliefen sich auf 3,2 Prozent des vier Mark pro Tag nicht übersteigenden festen Lohns oder Gehalts und wurden von der Firma an die Kasse überwiesen. Die Firmen bezahlten aus eigenen Mitteln fünf Achtel des einzuhebenden Betrags für alle im Betrieb tätigen Arbeitskräfte und drei Achtel für die Familienangehörigen der Kassenmitglieder. Der danach auf alle Mitglieder entfallende Anteil wurde vom Lohn und Gehalt abgezogen. Er belief sich auf 1,2 bzw. auf 2 Prozent des versicherten Lohnsatzes.

61

UACZ: Bestand: BACZ Nr. 30304 (Statut der Betriebskrankenkasse der Optischen Werkstätte von Carl Zeiss in Jena vom 7. Juli 1890), S. 4.

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1881 - 1889

Der Reservefonds der Rasse wurde nur bis zu einer bestimmten Höhe gebildet. Wenn sie erreicht war, hatten die Mitglieder das Recht, die Beiträge von Jahr zu Jahr neu festzulegen. Die Rechnungs- und Rassenführung und die damit verbundenen Rosten übernahmen die Firmen. Die Organe der Rassenverwaltung waren die Generalversammlung und der Vorstand. Die Generalversammlung setzte sich aus den jährlich in den einzelnen Arbeitsstätten in geheimer Wahl bestimmten Vertretern der großjährigen Rassenmitglieder und aus den Geschäftsleitungsmitgliedern der Optischen Werkstätte und des Glaswerkes zusammen. Der siebenköpfige Vorstand, in dem die Mechanische Abteilung, die Optische Abteilung, die Metallberufe, die Hilfsbetriebe und das Glaswerk vertreten sein mußten, wurde in der Generalversammlung gewählt. Die Betriebs-Rrankenkasse unterstand der Aufsicht des Gemeindevorstandes der Stadt Jena und der Oberaufsicht der Großherzoglichen Bezirksdirektion in Apolda.62 Die Pflichtversicherung brachte es mit sich, daß die Anzahl der Betriebs-Rrankenkassen-Mitglieder dem Wachstum der Belegschaft folgte. 1894 gehörten 538 Arbeiter und Angestellte der Rrankenkasse an, das waren 83 Prozent der Gesamtbelegschaft. Dabei ist zu beachten, daß die Angestelltenschaft inzwischen 13,7 Prozent der Belegschaft ausmachte und ein größerer Rreis von Angestellten nicht verpflichtet war, der Rasse beizutreten. 63 Die rechtlichen Grundlagen der Betriebs-Rrankenkasse ermöglichten es der Arbeiterschaft, sich in den Rassenorganen erstmals eine eigene Interessenvertretung innerhalb des Unternehmens zu schaffen. Das regte Vertreter verschiedener politischer Strömungen in der Arbeiterschaft dazu an, die Mitglieder ihrer Oganisationen in den Vorstand oder in die Generalversammung zu wählen und dadurch auf das Geschehen in der Rrankenkasse Einfluß zu nehmen. In der Optischen Werkstätte waren es Sozialdemokraten und deren Anhänger, die die maßgebenden Führungspositionen in der Betriebs-Rrankenkasse besetzten.

62

63

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 30304 (Statut der Betriebskrankenkasse der Optischen Werkstätte von Carl Zeiss in Jena vom 7. Juli 1890), S. 4. Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 8417 Mitteilung an Czapski), Bl. 77; UACZ. Bestand: BACZ Nr. 12043 (Mitglieder- und Beitragsbuch der Betriebskrankenkasse der Optischen Werkstätte); UACZ. Bestand: BACZ Nr. 12007 ( Personalkennziffern).

Der Übergang zur industriellen Fertigung

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Der Aufschwung und die erste Krise Der gute Ruf der neuen Zeiss-Mikroskope, der wachsende Bedarf an leistungsstarken optischen Beobachtungsinstrumenten und das konjunkturelle Klima förderten die Nachfrage nach Mikroskopen aus Jena. Die Optische Werkstätte konnte unter den neuen Produktionsbedingungen im Laufe des Geschäftsjahres 1881/82 300 Mikroskope mehr als im vorangegangenen fertigen. Mit einer Jahresproduktion von 802 Instrumenten war aber offensichtlich die neu geschaffene Kapazität ausgeschöpft, denn 1882/83 wurden - obgleich die eingegangenen Aufträge weit größer waren - wiederum 800 Instrumente hergestellt Der Widerspruch zwischen der Nachfrage und den kapazitativen Möglichkeiten geht aus einem Brief von Carl Zeiß hervor, den er am 13. Mai 1883 an seine Kinder schrieb. Zeiß schilderte die Schwierigkeiten in Jena. Er klagte: „... wo das Geschäft so fruchtbar geht, daß jetzt 5-600 Systeme bestellt, die größere Hälfte unser aller Geschäfte jetzt nach England (vielleicht Amerika inbegriffen) gehen, außer Abbe kein Mensch englisch kann, und Abbe am Freitag erst jetzt sein letztes Practikum hatte, was bis zu 5 Uhr dauerte, und wo jetzt alles die Mikroskope schneller haben will, und... die beiden Ausstellungen in Amsterdam und Berlin uns so sehr in Anspruch genommen, obwohl wir in der Hygiene officiell nicht ausgestellt, sondern nur bei Koch (Robert Koch d. V.) im Laboratorium des Gesundheitsamts, welches dort mit aufgestellt, ein paar größere Kisten mit Mikroskopen und einen großen mikrophotographischen Apparat mit stehen lassen. - Und der Löber bringt monatlich durchschnittlich nur 150 Systeme fertig. Heute kommen die Vorwürfe von Manchester, morgen von Cambridge usw. Das geht über die Gemütlichkeit".64

Nach der Fertigstellung der Erweiterungsbauten im Jahre 1883 ließ sich die Mikroskopproduktion im Geschäftsjahr 1883/84 um 41,3 Prozent steigern. Daran war vor allem die erheblich erweiterte Optische Abteilung beteiligt. Das belegen die Angaben in der Tabelle 9 über die Zunahme der Objektivfertigung zwischen 1877 und 1884. Das zügige Wachstum der Objektivfertigung basierte auf den Fortschritten im Glaswerk Schott & Gen., das seit 1884 den Rohglasbedarf der Optischen Werkstätte in quantitativer und zunehmend auch in qualitativer Hinsicht deckte. 1884/85 bezog das Zeiss-Un-

64

OMJ. Nr. 12069 (Brief Carl Zeiß an seine Kinder vom 13. Mai 1883).

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1881 - 1889

ternehmen von Schott Gläser im Werte von 2.459 und 1889/90 von 15.534 Mark.65 Die Mikroskopfertigung wurde von 501 Instrumenten im Geschäftsjahr 1880/81 auf 1.923 im Geschäftsjahr 1889/90 gesteigert. Insgesamt entstanden in dieser Zeit 12.542 Mikroskope, die sich zu 89,9 Prozent aus zusammengesetzten Mikroskopen, zu 9,5 Prozent aus Präpariermikroskopen und zu 0,6 Prozent aus Lupen-Mikroskopen zusammensetzten. Lupen-Mikroskope wurden seit 1884/85 nicht mehr hergestellt.66 Der Absatz der Mikroskope gestaltete sich in den betrachteten Jahren im allgemeinen sehr zügig. Die Instrumente wurden zumeist im Fertigungs- oder dem folgenden Jahr verkauft. Ausnahmen gab es in den Geschäftsjahren 1884/85 und 1887/88, in denen erst nach dem dritten Jahr 24,8 bzw. 21,8 Prozent der zusammengesetzten Mikroskope auf dem Markt abgesetzt werden konnten. Die jährlichen Fertigungszahlen sind in der Tabelle 10 festgehalten. Im Mikroskopgeschäft spielte das Angebot von Nebenapparaten eine zunehmende Rolle. Eine besondere Bedeutung erlangte dabei die Mikrophotographie. Diesem Gebiet hatte sich in der Optischen Werkstätte vornehmlich Roderich Zeiß zugewandt. In einem Brief an seinen Freund, den Mediziner Rothhaupt, bekannte Roderich Zeiß am 15. September 1883: „neuerdings will es aber zur Betreibung irgend eines Steckenpferdes keine Zeit geben, wenn man nicht etwa die Mikrophotographie ein solches nennen soll; dieselbe betreibe ich freilich mit großem Eifer, aber nicht blos aus Liebhaberei, sondern auch aus geschäftlichem Interesse".67 Mitte der achtziger Jahre wies Roderich Zeiß auf diesem Spezialgebiet erste Resultate vor. Unter seiner Anleitung entstand ein mikrophotographischer Apparat, dessen Besonderheit darin bestand, daß die beiden Teile der mikrophotographischen Einrichtung, Mikroskop und Beleuchtungsapparat mit Beleuchtungsquelle einerseits und Kamera andererseits, vollständig voneinander getrennt waren. Diese Anordnung bot den Vorteil, daß sich die vorherige Betrachtung des Objekts durch das Mikroskop leichter und bequemer vornehmen ließ. Das einmal eingestellte Mikroskop blieb 65 66

67

UACZ. Bestand: BACZ 6468 (Petermann-Konzept), Bl. 30. Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 7710 (Fabrikationsstatistik Mikro 1). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 10093 (Brief Roderich Zeiß an Rothaupt vom 15. September 1883), Bl. 21-22.

Der Übergang zur industriellen Fertigung

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nun von Erschütterungen frei, die bei der früheren Konstruktion beim Einführen und Öffnen der Kassette unvermeidlich waren. Roderich Zeiß experimentierte mit den verschiedenartigen Lichtquellen und befaßte sich auch intensiv mit den Belichtungszeiten. Nachdem er auf der 60. Naturforscherversammlung in Wiesbaden eine Reihe von Mikrophotographien ausgestellt hatte, gingen in Jena Anfragen zu dem Gezeigten ein. Das veranlaßte Roderich Zeiß eine detaillierte Beschreibung anzufertigen, die er dann 1888 im „Special-Catalog über Apparate für Mikrophotographie" vorlegte. Darin stellte er die beiden von der Optischen Werkstätte angebotenen Apparate vor und schilderte deren Handhabung. Über die Konstruktion des oben geschilderten Apparates schrieb Roderich Zeiß: „Der große Apparat jedoch ist das Resultat einer mehrere Jahre hindurch fortgesetzten Reihe von Versuchen und wurde ohne Rücksicht auf die Kosten mit alldenjenigen Einrichtungen ausgestattet, welche den gewonnenen Erfahrungen nach geeignet sind, die äusserst mühsame und zeitraubende Arbeit der Herstellung von Photogrammen möglichst zu vereinfachen und der Ausführung derselben grössere Sicherheit zu verleihen."68

Das positiv verlaufende Mikroskopgeschäft spiegelte sich in den Umsatzzahlen wider. Zwischen 1880/81 und 1889/90 wurde durch den Verkauf von Mikroskopen und Nebenapparaten ein Umsatz von insgesamt 4.691.550 Mark erzielt Davon entfielen 51 Prozent auf die erste und 69 Prozent auf die zweite Hälfte des Jahrzehnts. Der größte Jahresumsatz lag 1888/89 bei 756.890 Mark. Die jährlichen Zuwachsraten beliefen sich im allgemeinen zwischen 16 und 19 Prozent, besondere Steigerungen wiesen mit über dreißig Prozent die Geschäftsjahre 1885/84 auf. Den geringsten Zuwachs verzeichnete das Geschäftsjahrl888/89 mit 1,5 Prozent 69 Im folgenden Jahr ging dann der Umsatz um 5,7 Prozent zurück. Die Tabelle 11 im Tabellenanhang gibt den jährlichen Umsatz wieder.70 Von den Zeiss-Mikroskopen konnte ein beachtlicher Teil im Ausland abgesetzt werden. Im Geschäftsjahr 1889/90 machte das Aus-

68

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1755 (RODERICH Apparate für Mikrophotographie), S. 1.

69

WOLFGANG MÜHLFRIEDEL, EDITH HELLMUTH:

70

ZEISS:

Special-Catalog über

Die Geschichte der Optischen Werkstätte Carl Zeiss in Jena von 1875 bis 1891. In: Zeitschrift für Unternehmensgeschichte. 38. Jg. Heft 1 1993, S, 17-18. Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 6468 (Petermann-Konzept), Bl. 48.

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1881 - 1889

landsgeschäft 61,9 Prozent des Gesamtumsatzes aus. In diesem Jahr lieferte die Optische Werkstätte in eine Vielzahl von Ländern in Europa und Übersee. Nach England gingen Mikroskope im Wert von 11,3 Prozent des Gesamtumsatzes, nach Rußland 10,1 Prozent, nach Österreich-Ungarn 8,3 Prozent, nach Belgien 7,2 Prozent und in die USA 5,1 Prozent.71 In der ersten Hälfte der neunziger Jahre bewegte sich der Exportanteil am Umsatz der Optischen Werkstätte zwischen 56,3 und 61,9 Prozent. Wenngleich diese Zahlen noch vornehmlich vom Mikroskopgeschäft getragen waren, so ist doch darauf zu verweisen, daß in dieser Zeit schon Photoobjektive exportiert wurden. Schließlich soll noch auf die wirtschaftliche Gesamtsituation der Optischen Werkstätte in den achtziger Jahren eingegangen werden. Der konzentrierte Ausdruck dafür ist die Rennziffer der Umsatzrentabilität, die das Verhältnis von Gewinn zu Umsatz angibt. Sie lag in den Jahren 1880/81 und 1883/84 zwischen 47,5 und 48,3 Prozent und verschlechterte sich dann. Das ungünstigste Resultat wurde 1889/90 mit 29,7 Prozent erzielt.72 Die Gründe dafür lagen in Preissenkungen, in Nachfrageveränderung und in dem wachsenden Aufwand für Löhne und Gehälter. Über die wirtschaftliche Gesamtsituation informiert auch die Kapitalrentabilität, die das Verhältnis vom Gewinn zum Betriebskapital angibt. Das Betriebskapital hatte man zwischen 1880/81 und 1889/90 in einem ungleichmäßigen Tempo von 139.000 Mark auf 780.000 Mark erhöht. 73 Nach dem Zuwachs von 33,8 bzw. 31,2 Prozent in den Jahren 1880/81 und 1881/82 nahm das Betriebskapital jährlich zwischen 14,6 und 19,7 Prozent zu. Im Geschäftsjahr 1889/90 lag das Wachstum bei sechs Prozent. 60,6 Prozent des gesamten Betriebskapitals war in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre hinzugekommen. Die Kapitalrentabilität lag zwischen 48 Prozent im Geschäftsjahr 1880/81 und 29,7 Prozent im Geschäftsjahr 1889/90. Die besten Werte von weit über 40 Prozent wurden in der ersten Hälfte der achtziger Jahre erzielt, dann setzte, wenn auch

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72

73

Errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ. Nr. 23004 (Akten des Stiftungskommissars. Bericht von Max Fischer an die Geschäftsleitung), Bl. 75-77. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 6468 (Zusammengestellt und errechnet nach Petermann-Konzept. Anhang); UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23003 (Akten des Stiftungskommissars), Bl. 214-215; Nr. 23004 (Akten des Stiftungskommissars), Bl. 152-154. Errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 6468 (Petermann-Ronzept), Bl. 48.

Der Übergang zur industriellen Fertigung

153

mit starken Schwankungen, eine rückläufige Tendenz ein. Eine Ausnahme zeigte sich 1887/88, in diesem Jahr wurde eine Kapitalrentabilität von 52,4 Prozent erzielt. An der Wende zu den neunziger Jahren verlor das Mikroskopgeschäft seinen bisherigen Schwung. Das belegen die Verkaufszahlen und der Umsatz. Die Anzahl der verkauften Mikroskope ging von 1.923 im Geschäftsjahr 1890/91 auf 1.278 Stück im Geschäftsjahr 1893/94 zurück 74 und der aus dem Mikroskopgeschäft erzielte Umsatz sank in der gleichen Zeit von 992.907 Mark auf 677.507 Mark.75 Die Geschäftsleitung untersuchte die Ursachen für den unbefriedigenden Verlauf des Mikroskopgeschäfts. Sie mußte feststellen, daß die positive Wirkung, die die Entdeckungen von Robert Roch mit Hilfe von Jenaer Instrumenten für den Absatz leistungsstarker Mikroskope hatte, verloren gegangen war. Roch, der mit dem Abbe'schen Beleuchtungsapparat, mit den mikrophotographischen Apparaten von Roderich Zeiß und vor allem mit dem homogenen Immersions-Mikroskop gute Erfahrungen gesammelt hatte, gab sie auch in Fachkreisen weiter und weckte so das allgemeine Interesse an den neuen Erzeugnissen aus der Optischen Werkstätte. Welche Bedeutung Roch dem Abbe'schen Mikroskop für seine Arbeiten beimaß, zeigt ein Schreiben, das er am 30. Juni 1904 der Firma Zeiss sandte: „Ich erinnere mich noch sehr gut der Zeit, als ich zum ersten Male ein Ölsystem in die Hand bekam und mich von dem gewaltigen Fortschritte überzeugen konnte, den die optische Werkstätte von Carl Zeiß unter Professor Abbe's genialem Beirat gemacht hatte, und recht oft habe ich später, wenn ich Ölsysteme benutzte, mit Bewunderung und Dankbarkeit der Zeiß'schen optischen Werkstätte gedacht für dies köstliche Geschenk, das sie allen welche mit dem Mikroskope zu arbeiten haben, gemacht hat Verdanke ich doch einen großen Teil der Erfolge, welche mir für die Wissenschaft zu erringen vergönnt war, Ihren ausgezeichneten Mikroskopen, die mir wieder bei meiner soeben beendeten Expedition nach Südafrika von größtem Nutzen gewesen sind."76

Eine andere Ursache für den schroffen Umsatzrückgang in den frühen neunziger Jahren bestand in dem veränderten Rundenin74 75

76

UACZ. Bestand: Nr. 7710 (Fertigungsstatistik Mikro 4); Nr. 6468 (Petermann-Konzept), Bl. 57. UACZ. Bestand: BACZ, Nr. 6468 (Petermann-Konzept), Bl. 57; Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 8417 (Mitteilung für Czapski), Bl. 77. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 508 (Brief Koch an Fa. Zeiss vom 30. Juni 1904).

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teresse, das wieder stärker auf preiswerte Mikroskope gerichtet war.77 Welche Wirkung das für den Gesamtumsatz hatte, zeigt ein Vergleich der durchschnittlichen Verkaufspreise. Nachdem im Geschäftsjahr 1890/91 der Durchschnittspreis für ein Mikroskop bei 654 Mark lag, ließen sich in den beiden folgenden Jahren im Durchschnitt nur noch 635 bzw. 560 Mark für ein Instrument erzielen.78 Die zeitweilige Sättigung des Mikroskopmarktes korrespondierte mit einem weltweiten konjunkturellen Abschwung, dessen negative Auswirkungen auf die feinmechanisch-optische Industrie Max Fischer 79 in seinem Bericht über die im August und September 1893 unternommene USA-Reise reflektierte. Fischer, der die Weltausstellung in Chicago besuchte, stellte fest: „Die Weltausstellung in Chicago, welche wir mit einer reichhaltigen Sammlung unserer Instrumente beschickt hatten, vermochte angesichts dieses wirtschaftlichen Nothstandes, der jede Rauflust abschnitt, den Ausstellern zu keinem geschäftlichen Erfolge zu verhelfen ... Von unseren Ausstellungsgegenständen wurde etwa der vierte Theil verkauft, und dies scheint innerhalb der Collectiv-Ausstellung der ,Deutschen Gesellschaft für Mechanik und Optik'... der bedeutendste Erfolg gewesen zu sein." 80

Abschließend soll noch auf die Umsatz- und Kapitalrentabililtät in der ersten Hälfte der neunziger Jahre eingegangen werden. Die Umsatzrentabilität schwankte zwischen 18,4 und 33,4 Prozent81 und die Kapitalrentabilität sank von 31,9 Prozent im Geschäftsjahr 1890/91 auf 15,5 Prozent im Geschäftsjahr 1893/94.82

77 78

79

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81

82

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23004 (Akten des Stiftungskommissars), Bl. 214. Errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23003 (Akten des Stiftungskommissars); BACZ. Nr. 6488. Max Fischer, geboren am 9. September 1857, war von Abbe zum 1. Februar 1890 in die Optische Werkstätte aufgenommen und mit kaufmännischen Aufgaben betraut worden. ROHR: Geschichte der Zeissischen Werkstätte, S. 122. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 168 (Bericht der Firma Carl Zeiss über den Verkehr mit der Kundschaft im Betriebsjahre 1. Oktober 1892/93), Bl. 11. Der jährliche Reingewinn betrug zwischen 1890/91 und 1894/95 zwischen 301.456 und 374.365 Mark. Der geringste Gewinn wurde 1893/94 mit 197.442 Mark erzielt. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 168 (Statistische Angaben über die Optische Werkstätte), Bl. 15. Das Betriebskapital der Optischen Werkstätte war zwischen 1890/91 und 1894/95 von 945.000 auf 1.456.000 Mark angewachsen. Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 168 (Statistische Angaben über die Optische Werkstätte), Bl. 15.

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Das Lebenswerk von Carl Zeiß In der ersten Hälfte der achtziger Jahre zog sich Carl Zeiß allmählich aus der Geschäftsführung zurück und überließ sie bald gänzlich dem langjährigen Partner Abbe und seinem Sohn Roderich. 1885 schilderte der junge Czapski die Situation an der Spitze der Optischen Werkstätte in einem Brief: „Der alte Zeiß ist überhaupt so gut wie gar nicht mehr tätig. Er hat soviel Verstand, einzusehen, daß es das Beste ist, wenn er überall Abbe seinen Willen ließe, wie dies seit 15 Jahren der Fall ist Außerdem war er ein guter, braver Mensch, mit Gefühl für Anstand. An seine Stelle ist sein Sohn, ein Dreißigjähriger, getreten. Das Geschäft steht weder auf den Augen des alten noch des jungen Zeiß, sondern allein auf denen Abbes. Der junge Zeiß ist ohne besondere Schwierigkeiten zu ersetzen, er ist im wesentlichen nur Kaufmann, mit einigem Verstand für die Technik."83

Dieses etwas schroffe Urteil des jungen Physikers, der Abbe über alle Maßen verehrte, wurde den realen Gegebenheiten nicht ganz gerecht Zu dieser Zeit mußte Carl Zeiß, dessen Gesundheitszustand nach den Jahrzehnten aufreibender Tätigkeit außerordentlich angegriffen war, mit seinen Kräften haushalten. Er suchte durch Gartenarbeit und wiederholte Erholungsreisen dem körperlichen Verfall zu begegnen. Trotz seiner angegriffenen Gesundheit hielt Zeiß noch immer Rontakt mit den Mitarbeitern, erkundigte sich nach dem Lauf der Geschäfte und gab Ratschläge. Aber 1885 erlitt er den ersten Schlaganfall, dem 1886 weitere folgten und ihn schließlich ganz ans Bett fesselten. Roderich Zeiß hatte sich - wie viele Äußerungen von ihm belegen - gänzlich auf seine neue Lebensaufgabe eingestellt In dem schon zitierten Brief vom Oktober 1879 an die Familie Schatter berichtete er: „Da gibt es denn jetze Gott sei Dank viel zu tun; mir liegt bei uns hauptsächlich die Correspondenz und der ganze kaufmännische Teil des Geschäftsbetriebes ob; da kommt mir nun gar oft mein Aufenthalt in der Schweiz zu gute, wo ich viel Gelegenheit hatte, französisch und englisch

83

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 22434 (Brief Czapskis an einen Freund vom Herbst 1 8 8 5 , zitiert in STIER: CZAPSKI).

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zu sprechen, denn in diesen Sprachen habe ich viel zu correspondieren ... Aus alledem seht Ihr, dass meine Zukunft nach menschlicher Voraussicht ganz gesichert und annehmbar erscheint und ich bin auch mit meinem Los ganz und gar zufrieden."84 Und einen befreundeten Mediziner ließ Roderich Zeiß am 15. September 1883 wissen: „Ich habe mich in das neue Leben gut eingewöhnt und fühle mich sehr wohl in meiner Tätigkeit, welche mich freilich von früh 6 bis abends spät in Anspruch nimmt und auch noch nach Geschäftsschluss Privatstudium in Physik und allen möglichen Sprachen verlangt."85

Wie sehr sich Roderich Zeiß für das Zeiss-Unternehmen verantwortlich fühlte, belegt dessen Auftreten während der Hygiene-Ausstellung, die im Sommer 1886 in Berlin veranstaltet wurde und auf der die Optische Werkstätte Mikroskope präsentierte. Roderich Zeiß war nach Berlin gereist, um die Jenaer Interessen vor Ort zu vertreten. Während eines Vortrages, den ein Physiologie-Professor zu den ausgestellten Instrumenten hielt, mußte Roderich Zeiß feststellen, daß dieser Mann sich wärmstens für die Mikroskope eines anderen Unternehmens einsetzte. Um dem Einhalt zu gebieten, wies Roderich Zeiß nun seinerseits mit Nachdruck auf die Vorzüge der Zeiss-Oelimmersions-Systeme hin. Damit hatte er Erfolg, denn seine Intervention veranlaßte nun den Referenten festzustellen, daß die Jenaer Instrumente entschieden die besten Bilder zeigen würden. Der Disput mit dem Referenten lenkte die Aufmerksamkeit der Besucher auf die Zeiss-Erzeugnisse. Am Rande der Ausstellung hatte Roderich Zeiß Gelegenheit zu einem Gespräch mit einem Oberstabsarzt, der eine größere Bestellung des Kriegsministeriums in Aussicht stellte.86 An seinem siebzigsten Geburtstag konnte Zeiß auf ein arbeitsund entbehrungsreiches Leben zurückblicken. Er hatte eine florierende feinmechanisch-optische Werkstätte begründet und sie gemeinsam mit Abbe zu einem weltbekannten Unternehmen entwickelt. Es war ihm durch seine große Beharrlichkeit gelungen, die unerläßlichen technischen und finanziellen Voraussetzungen zu schaffen, damit Abbe dem Mikroskopbau eine sichere wissenschaftliche Grundlage geben konnte. Er stand an Abbes Seite, als sich die Möglichkeit eröffnete, zusammen mit Otto Schott auf neue 84 85

86

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1 0 0 9 3 (Brief Roderich Zeiß an das Ehepaar Schatter vom 14. Oktober 1879. Abschrift), Bl. 6. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1 0 0 9 3 (Brief Roderich Zeiß an Rothaupt vom 15. September 1883. Abschrift), Bl. 6. WILLAM: Carl Zeiss, S. 1 3 1 .

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Abb. 17 Carl Zeiß im Alter

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Weise optische Spezialgläser zu erschmelzen und industriell herzustellen. Zeiß konnte mit Genugtuung feststellen, daß er sein Leben in den Dienst des wissenschaftlich-technischen Fortschritts gestellt hatte. Er war stets bemüht, gut gestaltete und funktionstüchtige Mikroskope zu bauen, er förderte ohne Rücksicht auf die eigene materielle Sicherheit die wissenschaftlichen Arbeiten von Abbe und Schott und bildete Generationen versierter Optiker und Mechaniker heran, die das Ihre dazu beigetragen haben, daß die Optische Werkstätte und mit ihr die deutsche feinmechanisch-optische Industrie eine führende Stellung in der Welt erringen konnten. Die Fachwelt würdigte das Lebenswerk von Carl Zeiß auf vielfaltige Weise. Am Anfang stand die Ernennung zum Universitätsmechaniker, dann folgte im Jahre 1880 die Ehrendoktorwürde der Philosophischen Fakultät, die Ernst Heckel, der Dekan dieser Fakultät, angeregt hatte. Die Urkunde würdigte Zeiß „als den äußerst gewissenhaften Erforscher der Gegenstände der Optik, als den genialen Verfertiger des stärksten Mikroskops, dessen unermüdlichem Eifer und überaus bewunderungswerter Geschicklichkeit auch jene in dieser Hinsicht vollendeten und vervollkommneten Glaslinsen verdankt werden, mit deren Hilfe die Welt der kleinsten Dinge, die bisher für unbekannt und unsichtbar gehalten wurden, den Blicken der Sterblichen nun nicht mehr entgeht, sondern den forschbegierigen Augen offen steht und auf's deutlichste wahrgenommen werden kann". Zeiß habe, so hieß es weiter, Verdienste um die gesamten Naturwissenschaften, aber „ganz besonders der Zoologie, Botanik, Protistenkunde 87 , Mikrogeologie und Medizin".88 Der Großherzog von Sachsen-Weimar-Eisenach verlieh dem Jenaer Mechaniker und Unternehmer 1886 das „Ritterkreuz 1. Abteilung vom Weißen Falken". Am 24. September 1886, wenige Tage nach dem siebzigsten Geburtstag von Zeiß, folgten die Zeissianer der von ihm begründeten Tradition und feierten mit ihren Frauen die Fertigstellung des 10.000 Mikroskops.89 Eine besondere Freude war es für Zeiß, daß ihm der Kongreß der russischen Ärzte 1887 für die „in letzter Zeit erreichten Vervoll-

87 88 89

Protisten sind niedrige Lebewesen zwischen Tier und Pfanze. ESCHE: Carl Zeiss, S. 73. WILLAM: Carl Zeiss, S. 8 2 , 1 2 4 - 1 2 5 .

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kommnungen in den Mikroskopen" Dank sagte. Der Medizinerkongreß war übereinstimmend der Ansicht, „daß Ihre neuen Apochromate in Verbindung mit den Compositions-Okularen das Vollkommenste sind, was zur Zeit auf diesem Gebiet existiert, und ist der Überzeugung, daß dadurch eine neue Epoche auf dem Gebiete der mikroskopischen Forschung inauguriert beziehungsweise eine neue fruchtverheißende Bahn angebrochen ist". 90 Kurz nach Mitternacht des 3. Dezember 1888 verschied Carl Zeiß. Die Arbeiter der Optischen Werkstätte säumten mit Fackeln seinen letzten Weg vom Trauerhaus in die Garnisonskirche. Am frühen Nachmittag des 5. Dezember 1888 fand die Beerdigung statt. Abbe würdigte in seiner Trauerrede das Zeiß'sche Gesamtschaffen: „Alles was heute vorliegt als hervorgegangen aus der Thätigkeit von Carl Zeiß, ist durchaus nichts Anderes als die Bewährung eines orginalen Gedankens, den der jetzt Verstorbene aus sich heraus erfasst und durch ein Vierteljahrhundert hin kämpfend durchgeführt hat Als Schüler unserer Hochschule noch in reiferen Jahren in die mathematisch-physikalische Wissenschaft eingetreten, hat Carl Zeiß selbständig die Idee gefaßt, aus dieser Wissenschaft neue Grundlagen zu gewinnen für den Fortschritt der technischen Kunst, die er zu seinem Beruf erwählte. Die Ausübung dieser Kunst war bis dahin, wenigstens soweit ihm hinsichtlich seines engeren Arbeitsfeldes bekannt sein konnte, ausschliesslich Sache rein individueller Erfahrung und Geschicklichkeit, in ihren besten Leistungen aber Bethätigung eines seltenen Talents zu intuitivem Schaffen geblieben. Carl Zeiß ist, Dem gegenüber, zu der Einsicht durchgedrungen, dass jene künstlichen Gebilde aus Glas und Metall, deren die Wissenschaften bedürfen zur Unterstützung des forschenden Auges ... in allen Einzelheiten fertig gemacht im Geiste, in der Art etwa, wie der Architekt ein Bauwerk schon vor seiner wirklichen Ausführung im Geiste vollendet hat - der arbeitenden Hand nur die körperliche Darstellung der zum Voraus bestimmten Formen und Maasse übrig lassend. Diesen Gedanken, die practische Construction des Mikroskops ganz und gar auf die wissenschaftliche Theorie zu gründen und alle Kunstfertigkeit unter deren strenge Leitung zu stellen - diesen Gedanken hat Carl Zeiß verfolgt über alle Hindernisse hinweg mit einer Beharrlichkeit und Ausdauer, wie nur ein festes Vertrauen in die Wahrheit einer Erkenntnis sie gewähren kann."91

90 91

UACZ. Bestand: B 7001 (Urkunde des Mediziner-Kongresses). OMJ. Nr. 12068 (ERNST ABBE: Nachruf auf Carl Zeiß, gehalten an seinem Sarge in der Garnisonskirche in Jena am 5. Dezember 1888. Manuskript).

VIERTES KAPITEL

Die Entstehung der Carl Zeiss-Stiftung

Das gesellschaftliche und soziale Umfeld

Nach dem Tode seines alten Partners suchte Abbe nach einer Möglichkeit, die Optische Werkstätte so abzusichern, daß ihre weitere Entwicklung nicht durch eigennützige Interessen ihrer Eigentümer gefährdet werden konnte. Er wollte ihr das Schicksal der Fraunhofer'schen Unternehmung ersparen. Zu dieser Zeit befand sich die deutsche Gesellschaft in einem grundlegenden Wandlungsprozeß, dessen Merkmale die Veränderungen im innenpolitischen System, die weitere Pluralisierung der Gesellschaft, die durchgängige Modernisierung der Industrie und die Ausprägung der marktwirtschaftlichen Ordnung, aber auch die Militarisierung und die wachsende außenpolitische Konfliktbereitschaft der Herrschenden waren. Wilhelm II., der 1888 den Deutschen Kaiserthron bestiegen hatte, verfolgte seither seine neoabsolutistischen Herrschaftsvorstellungen und etablierte ein persönliches Regiment, das Mitte der neunziger Jahre ausgebildet war. Die politischen Ambitionen des Kaisers waren auf die strikte Bewahrung des politisch-sozialen Systems gerichtet, und der Monarch trug sich immer wieder - bis in das neue Jahrhundert hinein - mit dem Gedanken an einen Staatsstreich, erwog eine Wahlrechtsänderung und die Auflösung des Reichstages. Der Kaiser verfolgte einen militanten Anti-Sozialismus, der den der konservativen Beamtenschaft und der bürgerlichen Reichstagsmehrheit weit übertraf. In einer Ansprache auf dem Festmahl des Brandenburgischen Provinziallandtages, das am 26. Februar 1897 abgehalten wurde, machte Wilhelm aus seiner Einstellung gegenüber der Sozialdemokratie keinen Hehl: „Für uns alle, mögen wir sein, wer und wo wir wollen, zu dieser Auf gäbe ruft uns das Andenken an Kaiser Wilhelm, den Großen,... Diese Aufgabe, die uns allen aufgebürdet wird, die wir ihm gegenüber verpflichtet sind zu übernehmen, ist der Kampf gegen Umsturz mit allen Mitteln, die uns zu Gebote stehen. Diejenige Partei, die es wagt, die staatlichen Grundlagen anzugreifen, die gegen die Religion sich erhebt und selbst nicht vor der Person des allerhöchsten Herrn haltmacht, muß überwunden werden ... Dann werden wir richtig wirken und im Kampf nicht nachlassen, um unser Land

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von dieser Krankheit zu befreien, die nicht nur unser Land durchseucht, sondern auch das Familienleben".1

Nach einer unwidersprochenen Meldung der Berliner Zeitung hatte der Kaiser nicht „überwunden", sondern, „ausgerottet werden, bis auf den letzten Stumpf gesagt und anstelle „von dieser Krankheit" „von dieser Pest" gesprochen.2 Der Kampf gegen die Sozialdemokratie ging mit dem Forcieren des Militärischen im Reich einher. Auf außenpolitischem Gebiet ließ sich der Kaiser vom Streben nach der deutschen Weltgeltung leiten. Sein Credo brachte Wilhelm II. in einer an den Prinzen Rupprecht von Bayern am 3. Juli 1900 gerichteten Ansprache zum Ausdruck: „Der Ozean ist unentbehrlich für Deutschlands Größe. Aber der Ozean beweist auch, daß auf ihm in der Ferne, jenseits von ihm, ohne Deutschland und ohne den Deutschen Kaiser keine Entscheidung mehr fallen darf. Ich bin nicht der Meinung, daß unser deutsches Volk vor dreißig Jahren unter der Führung seiner Fürsten gesiegt und geblutet hat, um sich bei großen auswärtigen Entscheidungen beiseite schieben zu lassen. Geschähe das, so wäre es ein für allemal mit der Weltmachtstellung des deutschen Volkes vorbei, und Ich bin nicht gewillt, es dazu kommen zu lassen. Hierfür die geeigneten und, wenn es sein muß, auch die schärfsten Mittel rücksichtslos anzuwenden, ist Meine Pflicht nur, Mein schönstes Vorrecht."3

Um dem kaiserlichen Deutschland die weltpolitischen Mittel zu verschaffen, setzte Wilhelm auf eine starke Flotte und forderte eine gegen Deutschland gerichtete Allianz heraus. Unter dieser Regentschaft und in ihrem Gefolge gewann die Reichsleitung in der deutschen Verfassungswirklichkeit ein größeres Eigengewicht. Zugleich schwand die Bedeutung des Bundesrates und der Einfluß der nichtpreußischen Bundesstaaten auf die Reichspolitik. Die kaiserlichen Intensionen umsetzend, gingen die Staatssekretäre, deren Wirken der neue Reichskanzler Bülow seit 1900 wieder koordinierte, auf die nichtsozialistischen Reichstagsfraktionen zu, um mit ihnen die als erforderlich betrachteten

1

Reden des Kaisers, Ansprachen, Predigten und Trinksprüche Wilhelms II. Hg. von ERNST JOHANN. Orginalsausgabe 1 9 6 6 . dtv dokumente. München,

2

Ders., Fußnote auf S. 70. Ders., S. 89.

S. 6 9 - 7 0 . 5

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Reichsgesetze - u. a. für den Flottenbau - durchzusetzen. Das brachte dem Reichstag unmerklich einen Machtgewinn und ließ zugleich den Einfluß der dort agierenden politischen Parteien wachsen. 4 Freilich nutzten die bürgerlichen Parteien diesen Umstand nicht, um die unumgängliche Gesellschaftsreform in Gang zu setzen. Mitte der neunziger Jahre hatte die deutsche Wirtschaft die Rezession endgültig überwunden und war in eine Aufschwungphase eingetreten, die bis 1913 währen sollte und in der nur kurze konjunkturelle Abschwächungen am Beginn des neuen Jahrhunderts auftraten. Der von der Industrie getragene wirtschaftliche Aufschwung wurde vornehmlich von den jungen Industriezweigen, der elektrotechnischen, der chemischen, der feinmechanisch-optischen und nachrichtentechnischen Industrie sowie von der Elektroenergiewirtschaft initiiert Das industrielle Wachstum basierte auf einer lebhaften Investitionstätigkeit. Im Gewerbe wurden zwischen 1895 und 1905 insgesamt 429,2 Millionen Mark zu Anschaffungspreisen investiert, wovon auf den Zeitraum von 1895 bis 1899 38,1 und auf den von 1900 bis 1905 61,9 Prozent entfielen.5 Im Ergebnis dieser Entwicklung wuchs nicht nur der Anteil des Bergbaus, der Industrie und des Handwerks am Nettoinlandsprodukt von 38,5 Prozent in den Jahren 1895/99 auf 39,8 Prozent in den Jahren 1900/1904, sondern es nahm auch der Anteil Deutschlands an der Weltindustrieproduktion von 14 Prozent im Jahre 1890 auf 16 Prozent im Jahre 1900 zu. Damit stand Deutschland hinter den USA an zweiter Stelle in der Weltindustrieproduktion. Der Anteil Englands war hingegen von 22 auf 14 und der Frankreichs von 8 auf 7 Prozent zurückgegangen. Zugleich wuchs in diesem Jahrzehnt die Verflechtung der deutschen mit der internationalen Wirtschaft, so daß der deutsche Anteil am Welthandel zwischen 1890 und 1900 von 11 auf 13 Prozent anstieg.6 Von 1895 bis 1905 erhöhte sich der deutsche Export (bei laufenden Preisen) um 72,8 Prozent, und es veränderte sich die Exportstruktur zugunsten der Fertigwaren von 54,2 auf 56,7 Prozent und der Halbwaren von 16,7 auf 18,3

4

5 6

THOMAS NIPPERDEY: Deutsche Geschichte 1 8 6 6 - 1 9 1 8 . Band 2 . Machtstaat vor der Demokratie. München 1992, S. 484. HOFFMANN: Das Wachstum der deutschen Wirtschaft, S. 242. JÜRGEN KUCZINSKI: Die Geschichte der Lage der Arbeiter unter dem Kapitalismus. Teil 3. Zusammenfassung. Eine Weltübersicht über die Geschichte der Lage der Arbeiter. Band 37. Berlin 1967, S. 19.

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Prozent. Demgegenüber sank der Anteil der Lebens- und Genußmittel von 13,7 auf 9,5 Prozent. Mit dem Wachstum der Industrie nahm das industrielle Personal zu. In dem Jahrfünft von 1895 bis 1899 zählten Bergbau, Industrie und Handwerk 6,9 Millionen und im folgenden Jahrfünft bereits 9,4 Millionen Arbeiter und Angestellte.7 Nach der Aufhebung des Sozialistengesetzes im Jahre 1890 hatte der Einfluß der Sozialdemokratie auf die Industriearbeiterschaft stark zugenommen. 1891 vereinigte diese Partei 19,7 Prozent der Stimmen auf sich und stellte 8,8 Prozent der Reichstagsabgeordneten. 1903 wählten 31,7 Prozent der Deutschen sozialdemokratisch und ermöglichten, daß 20,4 Prozent der Abgeordneten der Sozialdemokratie angehörten. 8 In den neunziger Jahren schlössen sich die Arbeiter zunehmend den Gewerkschaften an. Aufgrund der umsichtigen Politik ihrer Führer gewannen die Freien Gewerkschaften den stärksten Einfluß auf die Arbeiterschaft Diese Fortschritte der organisierten Arbeiterschaft erbosten den Kaiser und dessen Parteigänger. Sie bewiesen, daß die bisherigen Versuche, die Arbeiterschaft mit den Mitteln der Sozialpolitik in die herrschende Ordnung zu integrieren oder gar an das Raiserhaus zu binden, fehlgeschlagen waren. Der Wortführer derjenigen, die der bisherigen staatlichen Sozialpolitik eine Absage erteilen und gegen die organisierte Arbeiterschaft wieder scharf vorgehen wollten, war der Montanindustrielle und Reichstagsabgeordnete Carl Ferdinand Freiherr von Stumm-Halberg. Er versuchte, die Bestrebungen von Sozialpolitikern in der Reichsverwaltung, den Arbeitsschutz gesetzlich zu regeln, mit Repressionsmaßnahmen gegen die Arbeiterbewegung zu verbinden. Stumm wußte, daß dieser Vorstoß den kaiserlichen Intensionen entsprach. Das Ergebnis dieser Interessenübereinstimmung war die Umsturzvorlage, die der Reichskanzler Ende 1894 dem Reichstag vorlegte. Sie sollte zu einem verschärften Straf- und Pressegesetz gegen regierungs- und systemkritische bzw. feindliche Aktionen führen. Stumm, der in seiner Reichstagsrede für die Annahme dieses Gesetzes votierte, machte den Abgeordneten und der Öffentlichkeit klar, daß dieses Gesetz sowohl gegen Anarchisten und Sozialdemokraten als auch gegen die Sozialreformer in den akademischen Kreisen und gegen

7 8

Errechnet nach HOFFMANN: Das Wachstum der deutschen Wirtschaft, S. 35. Deutsche Geschichte 1866-1918. Band 2, S. 522.

NIPPERDEY:

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alle sozial-christlich Denkenden gerichtet sei. Im Bannkreis dieses Gesetzes würden, so meinte Stumm, alle stehen, die nicht einem engen konservativ-monarchischem Wertesystem verhaftet seien. Stumms Offenheit über den Zweck der Umsturzvorlage führte zu einer breiten Abwehrfront in der Gesellschaft gegen diese Gesetzesinitiative, die am 11. Mai 1895 die Mehrheit der Reichstagsabgeordneten veranlaßte, die Vorlage in zweiter Lesung abzulehnen. Diese parlamentarische Niederlage weckte bei dem darüber entrüsteten Kaiser erneut den Wunsch, den Reichstag aufzulösen, den militärischen Ausnahmezustand zu verhängen und sogar das Deutsche Reich aufzulösen und neu zu begründen. Wenngleich dafür natürlich alle politischen Voraussetzungen fehlten, so hatte der kaiserliche Unmut dennoch Folgen für die staatliche Sozialpolitik. Der Kaiser und seine Umgebung wollten die bisherige Sozialpolitik nicht beibehalten. Beamte, die für diese Politik standen, traten zurück oder mußten ihre Posten aufgeben. Der preußische Staatsminister Hans Hermann von Berlepsch, der seinerzeit auf Anregung rheinisch-westfälischer Industrieller nach Berlin gegangen war, um auf sozialpolitischem Gebiet zu wirken, trat im Juni 1896 zurück. Er konnte seine Absicht, auf gesetzlicher Grundlage Arbeitervertretungen in den Unternehmen zu schaffen und einen Maximalarbeitstag einzuführen, nicht verwirklichen. Wenig später schied der Staatssekretär im preußischen Handelsministerium Theodor Lohmann, der maßgeblich an den Sozialreformen Bismarcks mitgewirkt hatte, aus dem Amt Auch in politischen Organisationen verloren die sozialpolitisch engagierten Kräfte ihren Einfluß. Die Konservativen drängten ihren christlich-sozialen Flügel aus der Partei, und der Evangelische Oberkirchenrat wandte sich gegen den Pastorensozialismus. 9 Unter diesen Bedingungen verwundert es nicht, daß die staatliche Sozialpolitik für eine längere Zeit nicht fortgeführt wurde. Vielmehr sannen der Kaiser und rechtsgerichtete Politiker darauf, wie die Sozialdemokratie wirksam bekämpft werden konnte. Eine Gelegenheit sahen sie in den sozialen Auseinandersetzungen zwischen Unternehmern und den Belegschaften, die häufig in Streiks mündeten. Um diese Politik durchsetzen zu können, berief der Kaiser Arthur Graf von Posedowsky-Wehner zum Staatssekretär ins Reichsamt des Inneren und beauftragte ihn, das Gesetz zum

9

Ders., S. 713-715.

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Schutze der gewerblichen Arbeitsverhältnisse in den Reichstag einzubringen, mit dessen Hilfe sich das Streik- und Roalitionsrecht beseitigen ließ. Dieses Gesetz, von der Öffentlichkeit als Zuchthausvorlage bezeichnet, wurde am 20. Juni 1899 dem Reichstag vorgelegt und abgelehnt Was Wilhelm bewogen hatte, auf einem derartigen Gesetz zu bestehen, erläuterte er einen Monat später auf einer Nordlandreise: „Der deutsche Bürgerstand versagt vollkommen! Die Regierung muß handeln, sonst geht alles verloren. Wenn bei einem ernsten Konflikt nach außen die Möglichkeit gegeben ist, daß die Hälfte der Armee durch einen Generalstreik im Lande gefesselt ist, so sind wir verloren... Es ist daher an der Zeit einzuschreiten. Ich habe mich bereits informiert, wie weit meine militärischen Befugnisse gegenüber der Staatsverfassung reichen. Es hat der Kriegsminister mir gesagt, daß ich jederzeit den Belagerungszustand über das ganze Reich erklären kann (!!!). Ehe nicht die sozialdemokratischen Führer durch Soldaten aus dem Reichstag herausgeholt und füsiliert sind, ist keine Besserung zu erhoffen. Wir brauchen ein Gesetz, wonach es genügt, Sozialdemokrat zu sein, um nach den Karolinen verbannt zu werden."10

Nach seiner Niederlage im Reichstag ging Graf von PosedowskyWehner von diesem Ronfrontationskurs ab und knüpfte an die Sozialpolitik von Berlepsch und Lohmann an. Er versuchte, wie seine Vorgänger, durch ein sozialpolitisches Entgegenkommen die Arbeiterschaft von ihrer politischen Partei zu lösen und in die nationale Gesellschaft zu integrieren. Damit leitete er die dritte Phase der staatlichen Sozialpolitik des Raiserreiches ein. Zu ihrer Durchführung hatte der Graf aber weit günstigere Bedingungen als seine Vorgänger, denn er war Staatssekretär des Reichsamtes und Stellvertreter des Reichskanzlers, und er schuf sich in der Zentrumspartei eine parlamentarische Stütze. Posadowskys sozialpolitische Initiativen führten zu gesetzlichen Regelungen im Arbeitsschutz und in der Sozialversicherung. 1902 wurden obligatorische Gewerbegerichte eingeführt und die zeitliche Lücke zwischen dem Ende der Rrankenunterstützung und dem Beginn der Invalidenrente geschlossen. Posadowsky erkannte wohl, daß der sozialpolitische Weg zur Emanzipation der Arbeiterschaft führen mußte, aber die Furcht vor der Sozialdemo-

10

Zitiert in Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Chronik Teil 1. Von den Anfängen bis 1917. Berlin 1965, S. 192.

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kratie hielt ihn davon ab, die Gewerkschaften anzuerkennen und das Koalitionsrecht zu liberalisieren. Die Rompromissvorschläge, die er dazu unterbreitete, gingen den Konservativen zu weit und fanden, weil sie zu zögerlich waren, auch keine Unterstützung durch die Sozialdemokraten, die Zentrumspolitiker und die Freisinnigen. 11 Im Laufe der neunziger Jahre verdrängte der wilhelminische Geist auch die liberalen Tendenzen im Regierungssystem des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach. Das betraf das politische Verhalten der Regierenden im allgemeinen und in der Sozialpolitik.12 Diesen Sinneswandel mußte Abbe erfahren, als er den Entwurf des Statuts der Carl Zeiss-Stiftung in Weimar vorlegte und die Freiherren von Gross und von Boxberg gegen einige grundlegende sozialpolitische Bestimmungen Einwände erhoben.^ Aber ungeachtet der schwankenden Haltung der Herrschenden zur staatlichen Sozialpolitik, zeigten die in den achtziger Jahren durchgesetzten sozialpolitischen Maßnahmen ihre ersten Wirkungen. Es gab gegen einige Risiken des Arbeiterlebens eine staatliche Vorsorge. Sie sicherte die Betroffenen und deren Familien allerdings nicht hinreichend ab. Im Krankheitsfalle waren die Arbeiter nun zumeist in der Allgemeinen Ortskrankenkasse, in einer Betriebskrankenkasse oder in einer anderen freiwilligen Hilfskasse versichert Das Krankengeld, das im Ernstfall gezahlt wurde, war karg bemessen. Bei langwierigen Krankheiten waren die Betroffenen finanziell nicht abgesichert Gegen Arbeitsunfälle, die sich im Industrialisierungsprozeß, insbesondere mit dem wachsenden Einsatz ungelernter Arbeitskräfte, aber auch mit zunehmender Arbeitsintensität immer wieder ereigneten und zunahmen, waren die Arbeiter gleichfalls versichert Die Berufsgenossenschaften, denen diese Versicherungsaufgaben oblagen, wurden von den Unternehmen getragen und durch Umlagen finanziert. Mit der Unfallversicherung ging auch das Entstehen von Schutznormen einher. Die Haltung der Unternehmer zu dieser Versicherung war gespalten. Einerseits empfanden sie diese Versiche-

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12

13

KARL ERICH BORN: Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Deutschen Kaiserreiches (1867/71-1914). Stuttgart 1985, S. 138-149. REINHARD JONSCHER: Kleine thüringische Geschichte - Vom Thüringer Reich bis 1945 -. Jena 1993, S. 185. SCHOMERUS: Werden und Wesen, S . 266-272.

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rung als einen Eingriff in ihre unternehmerische Eigenständigkeit, andererseits trug diese Einrichtung dazu bei, daß man in den Unternehmen aus Rostengründen darauf hinwirkte, Arbeitsunfälle zu vermeiden. Für die betroffenen Arbeiter waren die Bedingungen höchst unbefriedigend, denn die Bearbeitung eines Vorgangs zur Anerkennung eines Arbeitsunfalls war zumeist langwierig. Die Berufsgenossenschaften waren bestrebt, möglichst wenige Unfälle anzuerkennen, und die Versicherung zahlte erst 13 Wochen nach dem Unfall, so daß die Krankenkassen und damit die Beitragszahler die Folgen des Unfalls teilweise zu tragen hatten. Die Anerkennung von Folgeschäden des Arbeitsunfalls blieb strittig. Die Unfallrenten waren auf zwei Drittel des früheren Lohnes begrenzt. Die Berufskrankheiten blieben unversichert. Für das Alter oder die Invalidität trat gleichfalls eine Versicherung ein. Die Altersversicherung galt für alle Arbeiter mit einem Jahreseinkommen bis 2.000 Mark und wurde von einem Lebensalter von 70 Jahren an gezahlt. Die ersten Renten, deren Höhe durch Beitragsdauer und Lohnhöhe bestimmt war, kamen 1891 zur Auszahlung. Sie beliefen sich anfangs auf durchschnittlich 123,55 Mark und stiegen bis 1912 auf 165,27 Mark.** Nahezu völlig ungeschützt waren die Arbeiter, die unverschuldet ihren Arbeitsplatz verloren. Die staatlichen Bestrebungen, auch hier eine Versicherungsform zu schaffen, scheiterten in den achtziger Jahren. Lediglich die Gewerkschaften versuchten, eine finanzielle Unterstützung für ihre von der Arbeitslosigkeit betroffenen Mitglieder zu organisieren. Die Dauer der Arbeitszeit blieb im Ermessen der Unternehmer. Ebenso verhielt es sich bei der Urlaubsregelung und der Bezahlung der Urlaubszeit. Die gesetzlichen Möglichkeiten für eine Mitbestimmung der Belegschaften in den Unternehmen fehlten völlig. Die Vorstellungen von Reichsbeamten, es ließen sich Arbeiter-Ausschüsse in den Industrieunternehmen durchsetzen, blieben - wie geschildert unrealisiert. Nur in wenigen Unternehmen zogen die Inhaber Arbeitervertreter hinzu, wenn es galt, die Fabrikordnung, die Arbeitszeitregelungen oder Lohnfragen zu besprechen. Verschiedentlich

14

THOMAS NIPPERDEY: Deutsche Geschichte 1866-1918: Band 1. Arbeitswelt und Bürgergeist. Dritte, durchgesehene Auflage. München 1993, S. 334355.

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gingen aus den Vorständen von Betriebskrankenkassen ArbeiterVertretungen hervor. B. W. Oechelhäuser, Inhaber der Deutschen Continental Gas Gesellschaft Dessau und führender nationalliberaler Reichstagsabgeordneter, hatte einen Arbeiter-Ausschuß zugelassen, um den sozialen Frieden zu erhalten und einem sozialdemokratischen Einfluß auf die Belegschaft vorzubeugen. Eine ungewöhnliche Ausnahme war der Berliner Jalousiefabrikant Heinrich Freese, der die Arbeiter und Angestellten auf allen Ebenen mitbestimmen ließ, 1891 den Achtstundentag einführte und eine Gewinnbeteiligung gewährte.15 Jena entwickelte sich zwischen 1895 und 1905 nur langsam und widerspruchsvoll. Die Einwohnerzahl wuchs von 15.390 auf 26.307 an und das Stadtgebiet wurde größer, aber die kommunale Modernisierung kam nur langsam voran. Dem städtischen Gemeinwesen stand mit Heinrich Singer ein politisch zutiefst konservativer Mann vor, der dem technischen Fortschritt nur sehr behutsam folgte. Das zeigte sich insbesondere bei der Elektrifizierung der Stadt Sie begann erst 1899 mit dem Bau eines Gleichstromkraftwerkes, das 1901 den Betrieb aufnahm. Die Vorsicht des Oberbürgermeisters wurde durch die Tatsache bestätigt, daß die Anzahl der Elektroenergiebezieher nur sehr allmählich zunahm. Zu den 193 Anschlüssen im Jahre 1901 gesellten sich in den folgenden fünf Jahren nur noch 581. Demgegenüber war die Anzahl der Haushalte, die Stadtgas bezogen, stark angewachsen, so daß die städtische Anstalt zwischen 1895 und 1905 die Gaserzeugung um 310 Prozent erhöhen konnte.16 Auf wirtschaftlichem Gebiet veränderte sich, nimmt man das Wachstum der feinmechanisch-optischen Industrieunternehmen aus, wenig. Der Kreis der industriellen Unternehmen vergrößerte sich nicht, das Handwerk und das Dienstleistungsgewerbe blieben auf die Bedürfnisse der städtischen Bevölkerung und der Universität beschränkt Die Universität gewann dank der finanziellen Unterstützung durch Abbe und durch die Carl Zeiss-Stiftung ein stärkeres naturwissenschaftliches Profil.

15

Ders.,S. 361.

16

ERNST PILTZ: Über die industriellen und gewerblichen Verhältnisse der Stadt Jena und ihrer nächsten Umgebung. Weimar 1897; HERBERT KOCH: Jena Entwicklung während der Amtszeit des Oberbürgermeistern Dr. Heinrich Singer 1889-1912. Sonderdruck aus dem amtlichen Adreßbuch von Jena. 34. Ausgabe 1927/28. Jena 1927.

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Die Begründung des Ministerialfonds für wissenschaftliche Zwecke Mitte der achtziger Jahre sah sich Ernst Abbe in der Lage, einen Teil des Gewinns, den er aus der industriellen Tätigkeit der beiden Unternehmungen, an denen er beteiligt war, zog, zur Förderung ausgewählter Wissenschaftsdisziplinen an der Jenaer Universität einzusetzen. Er wußte um die Jahrzehnte währenden finanziellen Schwierigkeiten der Universität, die ihre Einnahmen aus den Erträgen der beiden hochschuleigenen Güter und aus den Zuschüssen von den thüringischen Staaten Sachsen-Weimar-Eisenach, Sachsen-Altenburg, Sachsen-Coburg, Gotha und Sachsen-Meiningen bezog. Wobei die beiden letztgenannten Staaten ihren Verpflichtungen als Erhalterstaaten der Universität nicht nachkamen. Sie widersetzten sich der unerläßlich gewordenen Erhöhung der Zuschüsse. Erleichtert wurde die finanzielle Situation der Universität durch eine Stiftung des Altenburger Raufmanns Wilhelm Reichenbach im Jahre 1881, der der Universität 500.000 Mark vermachte. 17 Die Jenaer Hochschule blieb, das war schon seit längerem zu beobachten, aufgrund ihrer unzulänglichen Finanzausstattung in Lehre und Forschung hinter anderen deutschen Universitäten zurück. Das betraf insbesondere die naturwissenschaftlichen Disziplinen, die zu jener Zeit in Deutschland einen raschen Aufschwung nahmen. Die auf diesem Gebiet leistungsfähigen Universitäten verfügten über Mittel für ein gut ausgebildetes Personal, für angemessene Räumlichkeiten und für eine anspruchsvolle apparative Ausstattung. Abbe war nicht nur aus eigener jahrelanger Anschauung über die Finanzverhältnisse der Universität im Bilde, auch sein Duzfreund, der Kurator der Universität Heinrich Eggeling, wußte ihm immer wieder von den Nöten der Hochschule zu berichten. Abbe hatte zur Jenaer Universität, der er viel verdankte, ein enges Verhältnis. Er gehörte dem Lehrkörper an und hielt es für opportun, der Universität in ihrer schwierigen Lage mit finanziellen Mitteln beizustehen, denn er betrachtete diese Lehranstalt als eine der Quellen für den Aufstieg der feinmechanischen Industrie in Jena. Hinzukam ein gewisses Unbehagen gegenüber seinen Universitäts-

17

Steinmetz: Geschichte der Universität Jena, S. 465-464.

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kollegen, denen es nicht so wie ihm möglich war, ihre wirtschaftlichen Verhältnisse nennenswert aufzubessern. Eggeling schrieb darüber am 7. Januar 1891 an den Ministerialdirektor Adolf Guyet: „Es ist ihm (Abbe d. V.) schon lange drückend, daß er von den Universitäts-Genossen als Geldmacher angesehen wird". 18 Im Frühjahr 1886 machte Abbe seinen Freund Eggeling mit dem Entschluß vertraut, ausgewählte Fachgebiete der Universität durch finanzielle Zuwendungen zu fördern. 19 Darüber unterrichtete der Kurator umgehend den Staatsminister Gottfried Theodor Stichling, und am 12. und 14. April 1886 trafen sich der Staatsminister, Eggeling und Abbe, um diese Absicht zu besprechen. Abbe wurde gebeten, seine Vorstellungen schriftlich niederzulegen. Am 11. Mai 1886 informierte Abbe Eggeling darüber, daß er bereit sei, eine Erklärung mit den Einzelheiten seines Vorhabens abzugeben. Diese Erklärung unterzeichnete er am 13. Mai 1886.20 Vom 1. April 1886 stellte Abbe jährlich eine Summe von 6.000 Mark „für Zwecke der hiesigen Universität dem Großherzogl. Sächs. Staatsministerium oder auf dessen Anweisung dem Universitäts-Curatorium zu Jena regelmäßig zur Verfügung". Diese Mittel waren vorgesehen „für persönliche und sachliche Aufwendungen zur Förderung der Lehrtätigkeit und der wissenschaftlichen Forschung innerhalb des mathematisch-naturwissenschaftlichen Lehrgebietes (zu welchem auch Physiologie und andere in der Medizinischen Fakultät vertretene Disziplinen, die nicht speziell medizinischen Interessen dienen, zu rechnen sind)". 21 Für die finanzielle Unterstützung der Universität wählte Abbe die Bezeichnung „Ministerialfonds für wissenschaftliche Zwecke", dessen Verwaltung dem Großherzoglichen Staatsministerium mit besonderer Rechnungsführung oblag. Abbe behielt sich eine Erhöhung der Zuschüsse oder eine Erweiterung des Verwendungszweckes vor. Tatsächlich stockte er am 1. April 1888 die Zuweisung

18

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1704 (Brief Eggeling an Guyet vom 7. Januar 1891. Kopie). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 12241 (Brief Abbe an Eggeling vom 11. Mai 1886. Kopie). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 20638 (Entwürfe und Bemerkungen zur Urkunde des Ministerialfonds. 9. April 1886). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 12241 (Brief Abbe an Eggeling vom 11. Mai 1886); Nr. 20638 (Entwürfe und Bemerkungen zur Urkunde des Ministerialfonds. 9. April 1886).

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an den Fonds auf 10.000 und im Laufe des gleichen Jahres auf 20.000 Mark auf. Abbe gab nähere Verfügungen über die Fortführung des Ministerialfonds im Falle seines Ablebens. Er bestand auf die Geheimhaltung über die Abmachung zwischen ihm und seiner Frau einerseits und dem Staatsministerium auf der anderen Seite. „Ich muß aber auch den größten Wert darauf legen, daß, solange ich lebe und in Jena meinen Wohnsitz behalte, die Angelegenheit im Kreise der Universität durchaus nicht bekannt werde; und ich rechne demnach zuversichtlich auf die mir gewordene Zusage, daß bei der Verwaltung des betreffenden Fonds auf das Geheimbleiben seines Ursprungs immer sorgsam bedacht genommen werden soll."22 Für die letzte Bestimmung hatte Abbe zwei Gründe. Er mochte gegenüber seinen Hochschullehrerkollegen nicht als Wohltäter erscheinen, und er wollte wohl auch seine Geschäftspartner nicht darüber unterrichten. Am 13. Mai 1886 bestätigten Abbe und Frau Elise Abbe in Gegenwart von Guyet und Eggeling die Erklärung vom 11. Mai 1886.23 Mitte August 1886 erwarb Abbe mit privaten Mitteln in Jena ein Grundstück für 7.035 Mark, das, mit einem angrenzenden vereint, den Bau einer neuen Sternwarte erlaubte, den er gleichfalls finanzierte24. Mit der Einrichtung des Ministerialfonds hatte sich Abbe den Weg eröffnet, der schließlich zu der außergewöhnlichen juristischen Konstruktion führte, durch die die Existenz der Optischen Werkstätte und des Glaswerkes Schott & Gen. gesichert werden sollte.

Zur Genesis des Stiftungsgedankens Ende Oktober 1887 trug Abbe seinem Freund Eggeling den Plan vor, sein industrielles Vermögen der Universität Jena zur Nutzung zu überlassen. Wenige Tage später, am 1. November 1887, bekräftigte 22

23

24

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1703 (Rechnung über Ausgabe aus dem Ministerialfonds für das Jahre 1 8 8 6 ) , Bl. 6 3 - 8 5 ; (Niederschrift über die Einrichtung des Ministerialfonds vom 2 0 . Mai 1 8 8 6 ) , Bl. 2 1 . SCHOMERUS: Werden und Wesen, S. 1 3 . Ders., S. 1 7 - 2 1 .

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und ergänzte Abbe dieses Vorhaben in einem Schreiben an den Kurator, in dem er einleitend erklärte: „Zur Erfüllung der Pflichten hinsichtlich der Verfügung über meinen Besitz, welche meine persönliche Überzeugung mir auferlegt, wünsche ich durch irgendeinen, genügend Rechtssicherheit gewährenden Akt (Testament, Vertrag, Schenkung oder dergleichen) herbeizuführen: 1. daß nach meinem Tode mein jeweiliger Besitz, soweit er in Anteilen an den Geschäftskapitalien der Zeiß'schen Werkstatt und des Glastechnischen Laboratoriums (Schott & Gen.) besteht, an die Universität (oder zu deren Gunsten an den Weimarer Staat) übergeht, vorbehaltlich einer nach meinem Tode meiner Familie zu gewährenden einmaligen Abfindungssumme; und 2., daß nach meinem Tode die Universität in alle Rechte und Pflichten eintritt, welche nach den bestehenden Gesellschaftsverträgen meinen Rechtsnachfolgern zukommen - wozu namentlich gehört das zeitliche unbeschränkte Recht, an dem Reingewinn beider Unternehmen nach Maßgabe der Verträge teilzunehmen (mit 50 % bei der Firma Zeiss, mit 33 V3 % bei Schott). Die zuvor erwähnte Abfindung meiner natürlichen Erben möchte ich festgesetzt sehen: auf 3 / 4 der buchmäßigen Kapitalanteile, sofern etwa deren Gesamtbetrag weniger als 400.000 Mark beträgt; auf die feste Summe von 300.000 Mark, solange jener Kapitalbesitz zwischen 4 und 600.000 Mark liegt, wie es gegenwärtig der Fall ist (insofern derselbe annähernd die untere Grenze erreicht hat); und auf die Hälfte (entsprechend dem Pflichtteil), wenn er etwa später 600.000 Mark überschreiten sollte."25 Abbe stellte aber die Bedingung, daß der mögliche Rechtsnachfolger die Verpflichtungen übernehmen müßte, die er gegenüber bestimmten Personen und Zwecken eingegangen sei, „namentlich aber sinngemäße Fortsetzung solcher Maßregeln zur Fürsorge fiir die Arbeiter (Begründung eines Pensionsfonds und dergleichen), welche ich bei meinen Lebzeiten in Gemeinschaft mit meinen Genossen - oder auch allein - eingeleitet haben werde".26 Der Briefschreiber fügte abschließend „noch ausdrücklich hinzu, daß obiges Anerbieten seit vielen Jahren Gegenstand meiner reiflichen Erwägungen ... auch seit lange schon feststehender Entschluß ist". Später begründete Abbe das Provisorische des 1886 ins Werk gesetzten Ministerialfonds damit, daß sich damals verschiedene Faktoren noch als problematisch dargestellt hätten. 25 26

Brief Abbe an Eggeling vom 1. November 1887. In: und Wesen, S. 27. Brief Abbe an Eggeling vom 1. November 1887. In: und Wesen, S. 27-28.

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Eggeling unterrichtete umgehend den Staatsminister vom Inhalt des Abbe'schen Schreibens, den dieses Vorhaben zunächst in Verlegenheit brachte, wie der Brief Eggelings an Guyet vom 4. November 1887 vermuten läßt und in dem er offensichtlich den Meinungsbildungsprozeß in Weimar reflektierte: „Schwierig wird die Sache sein, sehr schwierig; aber die Sache ist von zu großem Belang, als daß man nicht sich gern jeder Mühe unterziehen sollte. Freilich wäre es leichter, wenn Abbe der Universität einfach eine halbe Million oder dergleichen schenkte; aber das ist nicht zu erreichen; es würde weder seiner hochherzigen Art entprechen noch dem Gewinn entfernt gleichkommen, welche die Universität seiner Überzeugung nach von seinem Anerbieten haben würde."27

Jedenfalls beauftragte der Staatsminister seinen Mitarbeiter Guyet, mit Abbe in Jena zu verhandeln. Da rechtliche Probleme aus dem ungewöhnlichen Anliegen von Abbe abzusehen waren, wurde der in handelsrechtlichen Fragen versierte Regierungsrat Carl Rothe in die Verhandlungen einbezogen. Bevor die vertraulich gehaltene Besprechungsrunde zusammen kam, machte der Staatsminister Stichling in einem Schreiben vom 5. November 1887 den Universitätskurator darauf aufmerksam, „daß sich vor allem die Gewinnung eines sicheren rechtlichen Bodens für den Aufbau der neuen Rechtsansprüche der Universität nötig macht, und mit Zustimmung des Schenkgebers wird morgen zur Ergründung der dargebotenen Möglichkeiten neben D. Guyet auch Regierungsrat Rothe in Jena erscheinen. Mir kommt es vor allem darauf an, zu erfahren, was nach den Absichten des Wohltäters schon jetzt zu Gunsten der Universität für alle Fälle sichergestellt werden kann, und was der Ungewißheit der Zukunft überlassen werden muß". 28 Am 6. November 1887 kamen die drei Männer im Hause von Eggeling zusammen, um das Abbe'sche Anliegen zu ventilieren. Dabei gewann Abbe den Eindruck, daß der Staatsminister seine Intension nicht erfaßt habe. Das wird aus dem Brief deutlich, den er am 5. Dezember 1887 an Eggeling adressierte und dem der Wortlaut einer am Vortage abgeschlossenen Denkschrift beilag. Nach einem entschuldigenden Satz über deren Länge ließ er den Freund wissen: 27 28

BACZ. Bestand: Nr. 1703 (Brief Eggeling an Guyet vom 4. November 1887. Kopie), Bl. 92-93. BACZ. Bestand: Nr. 1703 (Brief Stichling an Eggeling vom 5. November 1887. Kopie), Bl. 94-95.

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„Nachdem ich aber einmal zu der Ansicht gekommen, daß es nötig sei, dem Herrn Staatsminister eine eingehende schriftliche Darstellung der Sachlage, die eine genaue Prüfung und nötigenfalls Nachprüfung ermöglicht, zu unterbreiten, ... konnte ich während der Ausarbeitung den Umfang, den diese gewinnen würde, nicht übersehen."29 Eggeling übertrug die Abbe'sche Denkschrift vom 4. Dezember 1887 in eine lesbare Form und übersandte sie am 11. Dezember 1887 dem Staatsminister. Im Begleitschreiben nannte er das noch ungelöste Grundproblem: „Hoffentlich gelingt es, die rechtliche Form zur Verwirklichung seiner (Abbes d.V.) edlen Absicht zu finden."30 Abbe hatte die Denkschrift in zwei Teile gegliedert Im ersten Teil, dem Antrag, erbot sich Abbe, „alsbald durch testamentarische Verfügung - in einer gegen einseitige Abänderung möglichst gesicherter Form - als meinen Universalerben den weimarischen Staat einzusetzen". Er stellte dem Staat anheim, wer in den Genuß dieser Erbschaft kommen soll: „Der Großherzoglichen Staatsregierung wird im Testament das Recht beigelegt (sofern dieses juristisch angeht), die dem Staat zugedachte Erbschaft entweder den Weimarischen Staatsfikus - zu Gunsten der Universität Jena - übernehmen zu lassen oder auch auf die Universität selbst zu übertragen (falls bei letzterer die Verwirklichung meiner Zwecke einfacher oder leichter herbeizuführen sein sollte). Als feste Form würde aber hinzustellen sein, daß in jedem Falle die verfügbar werdenden Erträge aus den meinem Rechtsnachfolger zukommenden Gewinnanteilen bezügl. Kapitalzinsen ausschließlich der Universität Jena... zugeführt werden; die Wahrnehmung aller derjenigen Rechte und Obliegenheiten aber, welche sich aus der Teilnahme an der Verwaltung und Leitung der beiden Institute beziehen ausschließlich dem Großherzoglichen Staatsministerium zukomme; und ferner, daß die Universität oder der Staatsfiskus die durch mein Testament ihnen zufallenden Anrechte an diese Institute niemals durch Verpachtung oder dgl. verwerten dürfe, durch Verkauf, Abtretung oder Liquidation aber nur dann, wenn etwa der jährliche Reinertrag der Unternehmungen einschließlich Kapitalzinsen für längere Zeit auf weniger als 8% des in ihnen tätigen Kapitals heruntergegangen sein sollte."31 29 30 31

Brief Abbe an Eggeling vom 5. Dezember 1887. In: SCHOMERUS: Werden und Wesen, S. 33. BACZ. Bestand: BACZ Nr. 1703 (Brief Eggeling an Stichling vom 11. Dezember 1887. Kopie), Bl. 101-103. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23000 (Denkschrift Abbes vom 4. Dezember 1887. Akten des Stiftungskommissars).

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Daran anschließend kündigte Abbe größere Zuwendungen an den Ministerialfonds an und äußerte sich über das Schicksal dieser Einrichtung, nachdem sein umfassender Plan Realität werden sollte. Der zweite Teil zerfiel in sechs Abschnitte. Im ersten Abschnitt trug der Verfasser seine Beweggründe vor, deren Inhalt an anderer Stelle schon dargestellt wurde. Sodann erläuterte er die Stabilität und Ertragsfahigkeit des Glaswerkes und der Optischen Werkstätte. Damit wollte Abbe offensichtlich ministerielle Bedenken hinsichtlich der wirtschaftlichen Solidität der Unternehmungen zerstreuen. Im dritten Abschnitt ging Abbe auf die zukünftige Gestaltung der Gesellschaftsverhältnisse ein, in dem er die Geschäftspartner des künftigen Universalerben vorstellte. Sodann folgte die Darstellung der späteren Aufgaben des Staatsministeriums hinsichtlich der Verwaltung der beiden Unternehmen. Hier skizzierte er die Konturen der späteren Stiftungsverwaltung. Die Erörterung der rechtlichen Form der jetzt erstrebten Vereinbarung bildeten den Gegenstand des fünften Abschnittes. Schließlich wünschte Abbe die Geheimhaltung seines Vorhabens. Zur Sicherung seiner natürlichen Erben nannte Abbe eine Reihe von Bedingungen, die hier nicht näher zu betrachten sind. In Weimar mochte man sich trotz aller Begehrlichkeit nicht dazu entschließen, in die von Abbe angebotene Rechtsnachfolge einzutreten, da sowohl die unangenehme Aussicht, mit zwei privaten Eigentümern das Geschäft betreiben zu müssen, als auch die Unmöglichkeit einer Beteiligung der Universität an der Führung einer industriellen Unternehmung zu bedenken war. Schließlich fand Rothe in den Februartagen des Jahres 1888 den Ausweg. Er empfahl, eine Stiftung zu gründen, die vom Landesherrn zur juristischen Person erklärt wird. 32 Mit Zustimmung des Staatsministers unterbreitete Guyet Abbe diesen Vorschlag am 5. März 1888. Abbe griff ihn unverzüglich auf. Nach dem von Eggeling abgefaßten Protokoll über diese Zusammenkunft äußerte Abbe: „Ich bin ganz bereit, die in meiner Erklärung kundgegebenen Absichten in folgender Form zu verwirklichen: 1. Ich errichte eine Stiftung zum Zwecke der Förderung der Naturwissenschaften und der mathematischen Studien an der Universität Jena, wel-

32

Gerhard Lingelbach meint, daß die Jenaer Universitätslehrer Artur Rosenthal und Julius Pierstorff Abbe in der Stiftungsangelegenheit beraten haben. G E R H A R D LINGELBACH: Juristische Aspekte zur Gründung (der Carl Zeiss-Stiftung d. V.). In: STOLZ,WITTIG: Carl Zeiß und Ernst Abbe, S . 5 3 .

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eher die Rechte einer milden Stiftung und die juristische Persönlichkeit von Seiten der Großherzoglichen Staatsregierung zu verleihen sein würde." 2. Abbe erklärte sich bereit, die Mittel, die bisher dem Ministerialfonds zugeflossen sind, an die Stiftung zu zahlen. 3. „Weiter würde ich mittels letztwilliger Verfügung (wohl am besten eines Erbvertrags) diese Stiftung... als Universalerbin meines Vermögens einsetzen."33

Der Großherzog ließ sich in der Sitzung des Gesamtministeriums über die von Abbe nun vorgesehene „Stiftung zu Gunsten der Universität Jena" 34 vortragen und beauftragte das Staatsministerium, das Vorhaben fördernd zu begleiten. Abbe solle die erforderliche Urkunde ausarbeiten und zur Prüfung und Genehmigung vorlegen. Das Resultat dieser Sitzung teilte der Staatsminister Abbe unter dem 10. März 1888 mit In seinem Antwortschreiben fand Abbe anerkennende Worte für den Großherzog und erklärte sich bereit, die gewünschte Stiftungsurkunde aufzusetzen. Allerdings bat er mit dem Hinweis auf seinen Gesundheitszustand um einigen Aufschub. Am 11. November 1888 sandte Abbe die Stiftungsurkunde und den Erbvertrag an Eggeling mit der Bitte um Durchsicht Zwei Tage später verabredeten die beiden Männer für den Nachmittag einen Spaziergang von Jena über Burgau nach Göschwitz, um die Papiere zu besprechen. Zwischen November 1888 und April 1889 fanden Konferenzen über die Stiftungsurkunde und den Erbschaftsvertrag statt Am 5. April 1889 kam man zur sechsten und letzten Sitzung zusammen. 33 Am 15. Mai 1889 traf sich das Gesamtministerium in Weimar zu der entscheidenden Sitzung, auf der Seine Königliche Hoheit der Großherzog geruhte, „daß die CZSt (Carl Zeiss-Stiftung d.V.) sobald die Stiftungsurkunde entsprechend des oben gedachten Entwurfs errichtet und übergeben sein wird, landesherrlich bestätigt und die juristische Persönlichkeit verliehen werden soll".36

33 34 35 36

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 11069 (Protokoll über die Zusammenkunft von Guyet, Eggeling und Abbe am 5. März 1888. Kopie). Protokoll der Sitzung des Großherzoglichen Gesamtministeriums vom 7. März 1888. In: Schomerus: Werden und Wesen, S. 82. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1703 (Protokoll der sechsten Sitzung über die Stiftungsurkunde vom 5. April 1889. Kopie), Bl. 181. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1703 (Schreiben des Staatsministers Stichling an Abbe vom 15. Mai 1889. Kopie), Bl. 184-186.

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Abbe wurde über diese Entscheidung am 15. Mai 1889 vom „Großherzoglich Sächsischen Staatsministerium, Departement des Cultus, Stichling" unterrichtet. Am 19. Mai 1889 unterzeichnete Abbe die Stiftungsurkunde und seine Frau Elise unterschrieb eine Erklärung, in der sie sich mit dem Inhalt der Stiftungsurkunde und dem in der Anlage B beigefügten Erbschaftsvertrag einverstanden erklärte. 37 Zwei Tage später, am 21. Mai 1889, bestätigte der Großherzog die Stiftungsurkunde und den Erbeinsetzungsvertrag und verlieh der Stiftung die „Rechte der juristischen Persönlichkeit". 38 Damit war die Carl Zeiss-Stiftung ins Leben gerufen. In der Stiftungsurkunde nannte Abbe eingangs die Stiftungsz wecke: „A. Pflege der Zweige der wissenschaftlichen Industrie, welche durch die optische Werkstätte von Carl Zeiß und die Glasschmelzerei der Firma Schott und Gen. unter meiner Mitwirkung in Jena eingebürgert worden sind - durch Antheilnahme an der späteren Verwaltung dieser beiden Institute nach Maßgabe der bestehenden Verträge und der im Folgenden enthaltenen Anordnung; B. Förderung mathematisch-wissenschaftlicher Studien in Forschung und Lehre durch Zuwendung von Mitteln hierfür an die Universität Jena gemäß den nachfolgenden besonderen Bestimmungen."39

Die Stiftung sollte für alle Zeiten den Namen Carl Zeiss-Stiftung führen und ihren rechtlichen Sitz in Jena haben. Die Verwaltung der Stiftung und deren Vertretung nach außen oblag dem CultusDepartement des Großherzoglichen Staatsministeriums. Das Stiftungsvermögen setzte sich aus den Beträgen, die vom Ministerialfonds verwaltet wurden, sowie aus jenen, die Abbe zu seinen Lebzeiten einzahlen bzw. der Stiftung letztwillig zuwenden werde, zusammen. Eingehend beschrieb Abbe die von ihm für die Förderung der Universität ins Auge gefaßten finanziellen Mittel sowie deren Verwendung an der Universität. Sodann ging er auf die „Verwaltung der Stiftung nach dem Ableben des Stifters" ein. Auf die von ihm angeführten Gesichtspunkte soll im Zusammenhang mit 37

38 39

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1703 (Entwurf der Stiftungsurkunde vom 10. November 1889. Entwurf des Erbeinsatzungsvertrages vom 11. November 1889. Kopie), Bl. 128-157, 158-170. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 20641 (Stiftungsurkunde vom 19. Mai 1889). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 20641 (Stiftungsurkunde vom 19. Mai 1889).

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dem Stiftungsstatut von 1896 eingegangen werden, weil sie erst seit diesem Zeitpunkt wirksam wurden. Im Erbeinsetzungvertrag vom 28. Mai 1889 regelte Abbe, welche Vermögensanteile der Stiftung zufallen werden und welche der materiellen Absicherung der Familie vorbehalten bleiben sollen.40 Nachdem die Stiftung gegründet war, forcierte Abbe deren finanzielle Ausstattung. Neben den jährlich in den Ministerialfonds eingezahlten 20.000 Mark stattete er die Stiftung zwischen dem 18. März 1890 und dem 3. März 1891 mit insgesamt 70.000 Mark aus. 41

Abbes neuer Entschluß Im zweiten Halbjahr 1889 reifte in Abbe der Entschluß, schon zu Lebzeiten sein industrielles Vermögen der Carl Zeiss-Stiftung zu übertragen. Der Hauptgrund erwuchs aus den zunehmenden Unstimmigkeiten, die zwischen ihm und Roderich Zeiß entstanden waren. Nach dem Tod seines Vaters verlor Roderich Zeiß offensichtlich das Interesse an einem aktiven Mitwirken an der Geschäftsführung der beiden Unternehmen. Aus einem Brief, den Abbe am 29. März 1891 an Roderich Zeiß richtete, erfahren wir: „Schon im Laufe des Sommers (1890 d. V.) wurde mir vollkommen klar, daß Ihr Interesse an der Thätigkeit für die Firma sich abgewandt hatte dass Sie, wie man sagt, ,die Sache satt bekommen hatten', und nicht mehr in dem Animus waren, in der persönlichen Mitwirkung an der Geschäftsführung Ihren eigentlichen und dauernden Lebensberuf zu sehen. Ihre Entschliessungen und Handlungen während des ganzen Jahres standen ... unter anderen Gesichtspunkten, als Sie noch das Jahr zuvor vertreten hatten, und unter Motiven, die abseits lagen von der früheren Auffassung Ihrer Aufgabe. Das hätte ich gewußt, auch wenn Sie nicht im Sommer mir direkt gesagt hätten, ,Sie wünschten, sich bald zur Ruhe zu setzen', und ich war der Sache schon vollkommen sicher, noch bevor ich erfahren hatte,

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 20640 (Erbeinsetzungsvertrag vom 23./28. Mai 1889). SCHOMERUS: Werden und Wesen, S. 139.

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daß Sie sich eingerichtet hätten, Ihr Landgut in eigene Bewirtschaftung zu nehmen. Für mich war mit dieser Erkenntnis unser Gesellschaftsverhältniss gleich damals auf,Auflösungs-Etat' gestellt - und ich habe gar keinen Anlass, zu verhehlen, dass ich im September 89 bei mir erwogen habe ob es nicht das Beste sei, am Schluss des Geschäftsjahres auch den Vertrag schon zu kündigen."42 Nachdem Abbe die Absichten von Roderich Zeiß deutlich waren, entschloß er sich, das Gesellschaftsverhältnis mit dem Zeiß-Erben aufzulösen. 43 Im zweiten Halbjahr 1890 kam es zwischen beiden zu Spannungen, die die Weiterentwicklung des Unternehmens zu beeinträchtigen drohten. Aus seinem Brief vom 23. November 1890 an Roderich Zeiß ist zu erkennen, was Abbe beunruhigte: „Für den gedeihlichen Fortbestand des Unternehmens ist meiner Überzeugung nach ein derartiges Schwanken in allen Entschlüssen, großen und kleinen, wie es seit ziemlich einem Jahr bei uns die Regel geworden, geradezu verhängnisvoll. Abgesehen von der colossalen Gefahr für die Existenz des Ganzen im Falle jeder Krisis, wie ein Krieg oder ein Unglück sie bringen kann, wenn nicht eine zielbewusste, mutige und entschlossene Geschäftsleitung das Heft in der Hand hält, untergräbt solche Unschlüssigkeit mehr und mehr das Vertrauen des gesamten Geschäftspersonals zu uns. Wahrnehmungen dieser Art habe ich, leider schon vielfach gemacht (,der Wind ist wieder umgeschlagen' oder dergleichen Redensarten ist nicht nur einmal im Betriebe gehört worden) - und mein Eindruck ist jetzt, dass bei Fortdauer dieses Zustandes bald auch bei uns zu bemerken sein würde, dass Ratten ein sinkendes Schiff verlassen." Abbe hatte im Frühjahr 1889 die Hoffnung gehegt, daß Roderich Zeiß während eines Erholungsurlaubs zum Tode seines Vaters und zu der Erbschaftsauseinandersetzung in der Zeiß-Familie einen Abstand gefunden habe und sich wieder den Geschäften zuwenden werde. Die Erwartung Abbes erfüllte sich nicht Er mußte Roderich Zeiß vielmehr vorhalten, daß nach seiner Erholungsreise „die Unstetigkeit Ihrer Erwägungen und Entschliessungen und der Wech-

42 43

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1533 (Brief Abbe an Roderich Zeiß vom 29. März 1891. Abschrift). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1533 (Brief Abbe an Roderich Zeiß vom 29. März 1891. Abschrift).

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sei in Ihren Urteilen über Sachen und Personen und alles, was damit zusammenhängt, schlimmer geworden sind als je zuvor."44 Und an einer anderer Stelle des Briefes heißt es dann: „Ihr nachträgliches Umstoßen einer für unser Unternehmen jedenfalls bedeutsamen und wichtigen Entschliessung, welche nach wiederholten und eingehenden Erwägungen in allen Hauptpunkten zu unserer beider Befriedigung festgestellt schien, - und zwar das Umstossen aus einem Anlass oder Beweggrund, dessen Zusammenhang mit der Sache selbst weder ich noch sonst jemand zu verstehen vermag - hat nunmehr bei mir einen Entschluss zur Reife gebracht, den ich schon im vorigen Monat zu fassen und auszusprechen nahe daran war. Er geht dahin: Sie freundlichst zu bitten, mit mir in ruhige und freundschaftliche Erwägung einzutreten über die möglichen Wege, auf denen wir uns hinsichtlich der Geschäftsführung in der Firma Zeiss (und auch in der Firma Schott) dauernd trennen können, weil ich zu der endgültigen Überzeugung gekommen bin, dass eine weitere Fortsetzung der gemeinsamen Geschäftsführung weder der Sache heilsam noch mir persönlich überhaupt möglich ist" 45 Die Meinungsverschiedenheiten zwischen Abbe und Roderich Zeiß hatten verschiedene Ursachen. Roderich Zeiß zeigte nicht mehr das frühere Engangement in der Geschäftsführung und wollte - nach anfänglicher Befürwortung - die von Abbe als unerläßlich angesehene Geschäftserweiterung nicht mehr mit tragen. 46 Dazu mag ihn auch das in dieser Zeit stagnierende Mikroskopgeschäft mit veranlaßt haben. Und es darf auch nicht übersehen werden, daß der Umgang mit dem von seinen Ansichten sehr überzeugten Abbe nicht immer einfach war. Da nun Abbe den Eindruck gewonnen hatte, daß Roderich Zeiß nicht mehr gewillt sei, einen persönlichen Beitrag zur Weiterentwicklung des Unternehmens zu leisten, war er nicht bereit, seinen Geschäftspartner an den wirtschaftlichen Resultaten der Optischen Werkstätte und des Jenaer Glaswerkes partizipieren zu lassen. 47 Nachdem Abbe klargestellt hatte, daß entweder

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1533 (Brief Abbe an Roderich Zeiß vom 23. November 1889. Abschrift). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1533 (Brief Abbe an Roderich Zeiß vom 23. November 1889. Abschrift). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1704 (Bericht des Staatsministers von Groß an die Herzoglich Sächsischen Ministerien vom 1. Juli 1891 betreffend Errichtung der Carl Zeiss-Stiftung. Kopie), Bl. 314-329. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1533 (Brief Abbe an Roderich Zeiß vom 23. November 1889. Abschrift).

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Roderich Zeiß oder er das Unternehmen künftig führen könne, er aber nicht bereit sei, sich zurückzuziehen, unterbreitete er Roderich Zeiß verschiedene Vorschläge zur Klärung der Vermögensverhältnisse.48 Nach mehreren Verhandlungen zwischen Abbe und dem Rechtsvertreter von Roderich Zeiß kam es zu einer Vereinbarung, wonach Roderich Zeiß aus der Geschäftsführung der Firma ausschied, aber Offener Gesellschafter ohne Rechte in bezug auf die Geschäftsführung blieb.49 Unter dem Eindruck der Erfahrungen, die Abbe in den letzten beiden Monaten des Jahres 1890 machen mußte, kam er - wie aus einem Brief Eggelings an Guyet vom 7. Januar 1891 bekannt wurde - zur Einsicht, daß es im Interesse seiner Intentionen und zum Schutze des Unternehmens dringend geboten schien, „das Verhältnis mit Rod. Zeiß endgültig zu regeln und die Carl Zeiss-Stiftung schon jetzt voll einzusetzen, selbst aber noch die Geschäfte im Auftrag der Stiftung (unter Mitwirkung eines Rommissars, wofür er Rothe wünscht, wenn keine Bedenken entgegenstehen d. V.) zu führen bis zu seinem Tode bzw. bis die Stiftungsverwaltung in der Lage ist, die Sache allein zu leiten".50 Abbe ließ nun keine Zeit verstreichen. Er fertigte am 13. Januar 1891 eine Niederschrift an, in der er festhielt: „Ich veranlasse Dr. Roderich Zeiß, von seiner Stellung als offener Gesellschafter der Firma Carl Zeiss alsbald zurückzutreten, und zwar seinen Geschäftsanteil in den Besitz der Carl Zeiss-Stiftung zu geben, während ich gleichzeitig meinen Geschäftsanteil durch Abtretungsvertrag (unter Aufhebung des Erbvertrags) für die feste Summe von dreihunderttausend Mark an die Stiftung abtrete, unter Verzicht auf weitere Gewinnbeteiligung. Die Stiftung wird damit alleiniger Inhaber der Firma Carl Zeiss und übernimmt deren Verwaltung alsbald auf eigene Rechnung."51

Abbe ging in seiner Niederschrift auf die Modalitäten für das Ausscheiden von Roderich Zeiß und auf die Ronsequenzen ein, die daraus der Stiftungsverwaltung erwachsen werden.

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1533 (Brief Abbe an Roderich Zeiß vom 23. November 1889. Abschrift). SCHOMERUS: Werden und Wesen, S. 135. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1704 (Brief Eggeling an Guyet vom 7. Januar 1891. Kopie), Bl. 277-278. Niederschrift Abbes vom 13. Januar 1891. In: SCHOMERUS: Werden und Wesen, S. 141-142.

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In Weimar befaßte man sich eingehend mit diesem Problem. Rothe kam nach einer Diskussion über die finanziellen Aspekte des neuen Abbe'schen Angebots zu folgendem Ergebnis: „Würden sich die vorstehenden Vorausberechnungen auch nur annäherungsweise als zutreffend erweisen und würden insbesondere die beiden Unternehmen vor großen Katastrophen bewahrt bleiben, so würde die Stiftung mit großer Wahrscheinlichkeit im Laufe der nächsten 8-10 Jahre ein so großes Kapital angesammelt haben, daß sie die Optische Werkstätte und ihren Anteil an der Glasschmelzerei völlig schuldenfrei besitzen würde und der Universität neue und ganz beträchtliche Einnahmen zuführen könnte."52

Die Ausführungen von Rothe sind aus zwei Gründen bemerkenswert. Sie lassen einmal die Sorge der Großherzoglichen Staatsregierung erkennen, daß ihr mit der Übertragung der Verantwortung für die Stiftung eine finanzielle Belastung entstehen könnte. Es wurde in Weimar eine Berechnung über den zu erwartenden Reingewinn aus der Optischen Werkstätte angestellt, die Abbe korrigierte.53 Zum anderen herrschte in Weimar noch immer der Gedanke vor, daß die Stiftung ausschließlich auf die Förderung der Universität fixiert sei. Nachdem es gelungen war, Roderich Zeiß davon zu überzeugen, unter den Bedingungen, die für ihn und seine Familie vorteilhaft waren, seinen Vermögensanteil an der Fa. Carl Zeiss und am Jenaer Glaswerk der Carl Zeiss-Stiftung anzuvertrauen, konnte Abbe sein industrielles Vermögen auf die Stiftung übertragen. Die einschlägigen Verträge wurden am 17. Juni 1891 unterzeichnet. Danach übernahm die Carl Zeiss-Stiftung nach dem Stande der Eingangsbilanz vom 1. Oktober 1890 die Optische Werkstätte mit ihrem gesamten beweglichen und unbeweglichen Inventar, den vorhandenen Waren und Bar-Vorräten, sämtlichen Außenständen und allem, was sonst noch der Firma Carl Zeiss gehört, zum Zweck der Fortführung des Geschäfts auf eigene Rechnung in alleinige Verwaltung, erkannte die seit dem 1. Oktober 1890 bewirkten Geschäfte als auf ihre Rechnung gehend an und trat in

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Gutachten Rothes vom 1. Februar 1 8 9 1 . In: SCHOMERUS: Werden und Wesen, S. 152.

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1703 (Veranschlagung des dereinstigen Reingewinns der Carl Zeiss-Stiftung).

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alle bestehenden Rechts- und Schuldverhältnisse der Firma als alleinige Gläubigerin und Schuldnerin ein. Desweiteren übernahm die Zeiss-Stiftung die Geschäftsanteile von Abbe und Roderich Zeiss an der Firma Schott & Gen. nach dem Stande der Eingangsbilanz vom 1. Oktober 1890 zur aktiven und passiven Vertretung. Die Stiftung verpflichtete sich, ihre Beziehungen zu dem in der Firma verbleibenden Gesellschafter Schott vom 1. Oktober 1891 ab auf dem Fuße gleicher Beteiligung beider Teile vertragsmäßig zu regeln.54

Die Konstituierung der Carl Zeiss-Stiftung Am Vormittag des 30. Juni 1891 unterrichteten Abbe und Schott zunächst die oberen Geschäftsbeamten der beiden Firmen von den eingetretenen Veränderungen, erläuterten die Beweggründe für diese Entscheidung und die mit der Neuordnung angestrebten Ziele. Dann wurden die amtsgerichtlichen Formalitäten vorgenommen, wobei die bisherige Inhaberschaft der Fa. Carl Zeiss im Handelsregister gelöscht und unter der Nummer 6 vermerkt wurde: „Die Carl Zeiss-Stiftung in Jena ist alleiniger Inhaber der Firma". „Professor Ernst Abbe in Jena ist bevollmächtigter Vertreter der Carl Zeiss-Stiftung in Jena mit dem Recht der Firma-Zeichnung. Die dem unter 1 genannten Dr. Otto Schott in Jena erteilte Prokura ist durch die Carl Zeiss-Stiftung erneuert worden. Dr. S. Czapski ist Prokurist."55 In der Mittagspause nahm dann Abbe Gelegenheit, die Werkmeister, Vorarbeiter, die Vorstandsmitglieder der Betriebs-Krankenkasse und ältere Arbeiter von den eingetretenen Neuerungen zu unterrichten. 56 Abbe hatte seine Vorstellung vom weiteren Entwicklungsweg des Zeiss-Unternehmens in dem am 21. Juni 1891 abgefaßten Schrift-

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 20639 (Verträge zwischen Ernst Abbe bzw. Roderich Zeiß mit der Carl Zeiss-Stiftung vom 17. Juni 1891. Kopie). UACZ. Bestand BACZ Nr. 16730 (Handelsregister des Justiz-Amtes in Jena. Auszug), Bl. 1. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23000 (Ansprache Ernst Abbes. Akten des Stiftungskommissars).

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stück „Wünsche und Anträge für die im Artikel 9 meines Abtretungsvertrages in Aussicht genommenen Vereinbarungen" niedergelegt.57 Darin ging Abbe ausführlich auf die von der Stiftung zu verfolgende Strategie ein. Er äußerte die Ansicht, daß beide Unternehmen noch zu einer erheblichen Weiterentwicklung fähig seien. Für die Optische Werkstätte sah er folgende Aufgaben: 1. Die Produktionssteigerung in den bestehenden Arbeitsgebieten; 2. die Ausweitung des Fertigungsprogramms; 3. die Förderung des Betriebszweiges, der, obwohl für eine fabrikatorische Herstellung ungeeignet, eine „stete Schule der feineren Technik ist, Gelegenheit bietet, eine größere Anzahl von tüchtigen technischen und auch wissenschaftlichen Kräften im Dienst der Werkstatt zu halten und ein heilsames Gegengewicht darbietet gegen die Routine-Tendenz vorwiegend fabrikatorischer Arbeit".58 Ein breiteres Fertigungsprogramm - so versicherte Abbe - werde die wirtschaftliche Stabilität des Unternehmens erhöhen, vorausgesetzt, die Stiftung finde sich bereit, die aus den wirtschaftlichen Resultaten der Unternehmen gewonnenen erforderlichen Kapitalmittel für die Betriebs- und Grundstückserweiterung sowie für den Einsatz von qualifizierten Mitarbeitern bereitzustellen. Abbe hielt den Ausbau der Handelsverbindungen durch Errichtung neuer und den Ausbau bestehender Agenturen sowie in geeigneten Fällen auch die Eröffnung eigener Geschäftsstellen an einigen besonders wichtigen Handelsplätzen für unerläßlich. Näher ging er auf die Beziehungen zwischen Unternehmen und Arbeiterschaft ein und konstatierte, daß er bisher immer mit Erfolg der Richtschnur gefolgt sei, „dem einmal bestehenden und nicht wegzuleugnenden Interessengegensatz beider Theile ein wirksames Gegengewicht zu bieten in der planmäßigen Pflege der gemeinsamen Interessen, die Allen zum Bewußtsein kommen in einem Betrieb, dessen Unternehmer seine Aufgabe unter dem Gesichtspunkt sozialer Pflicht ansieht". 59 Abbe hielt es darum in den nächsten Jahren für gebo-

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23000 (Ernst Abbe: Wünsche und Anträge als Grundlage für den in Artikel 9 meines Abtretungsvertrages noch vorbehaltenen Vereinbarungen. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 68-79. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23000 (Ernst Abbe: Wünsche und Anträge. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 75. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23000 (Ernst Abbe: Wünsche und Anträge. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 76.

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ten, neben den kleineren sozialen Verbesserungen im Betrieb eine weitere Verkürzung der Arbeitszeit zu prüfen. Auf die Realisierung dieser Aufgaben wird noch eingegangen. Bei der Behandlung der Stiftungsorgane würdigte Abbe zunächst den kollegialen Umgang in der Geschäftsleitung, der sich - nachdem Roderich Zeiß aus der Geschäftsführung ausgeschieden sei zwischen ihm, Schott und Czapski herausgebildet habe und empfahl, diesen auch unter den Stiftungsbedingungen weiter zu pflegen. Dem Stiftungskommissar wies er eine beratende und beaufsichtigende Funktion in den geschäftlichen Angelegenheiten zu. Die Art und Weise des Zusammenwirkens von Stiftungskommissar und Geschäftsleitung müsse in der Praxis erprobt werden. Die kaufmännische Verwaltung habe sich stets innerhalb der Formen zu halten, „die in gut und vorsichtig verwaltenden kaufmännischen Betrieben eingebürgert sind; Bücherrevisionen und drgl. müßten durch kaufmännische Sachverständige bewirkt werden". 60 Abbe zeichnete in den „Wünschen und Anträgen" die Konturen für das zu entwerfende Statut der Carl Zeiss-Stiftung. Diese hier skizzierten Vorstellungen, die Abbe vor Abschluß seines Abtretungsvertrages Guyet vortrug, lassen den Wandel im Charakter der Stiftung erkennen. Das machte auch Abbe später deutlich, denn im Unterschied zu den Intentionen, die der Stiftungsurkunde vom Mai 1889 zugrunde lagen, war es zur „Verlegung des Schwerpunktes der Stiftung aus Nutznießungsmaßregeln zu Gunsten der Universität in die selbständige Leitung von Geschäftsaktionen und die hiermit gestellte größere Verantwortung für deren Grundsätze und deren Erfolg oder Mißerfolg" gekommen. Abbe hob hervor, daß die Transaktion des Jahres 1891 „nach Absicht und Effekt zum Gegenstand hatte, der Carl Zeiss-Stiftung eine wesentlich veränderte Grundlage und einen wesentlich veränderten Wirkungskreis zu schaffen".61 Obgleich Abbe 1891 die Absicht hatte, das Stiftungsstatut zügig auszuarbeiten, zeigte sich aber bald, daß aufgrund der raschen Unternehmensentwicklung und der noch bestehenden finanziellen Abhängigkeit der Stiftung von Roderich Zeiß und den anderen

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23000 (Ernst Abbe: Wünsche und Anträge. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 73. Brief Abbe an Großherzogliches Staatsministerium, Departement des Cultus vom 28. Mai 1896. In: SCHOMERUS: Werden und Wesen, S. 264.

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Zeiß-Erben nur ein Provisorium entstehen konnte. Darum legte Abbe erst im Frühjahr 1895 einen ersten Entwurf vor, den er im internen Kreis erörtern ließ. Dabei zeigten sich verschiedene Diskussionspunkte, deren Klärung einige Zeit beanspruchte. Im Mai 1896 stellte er dann den neuen Statutenentwurf fertig und übersandte ihn an das zuständige Ministerium in Weimar. Inzwischen hatte Abbe auch eine Lösung für die finanziellen Probleme gefunden. Zu dieser Zeit hatte die Carl Zeiss-Stiftung gegenüber Roderich Zeiß finanzielle Verpflichtungen in Höhe von 313.920 Mark. Um künftig jeglichen mittelbaren Einfluß auf die Stiftung auszuschließen, bot Abbe Roderich Zeiß die sofortige Auszahlung der oben genannten Summe an. Um aber die Mittel nicht sofort zu verlieren und zugleich Fremdkapital für die Stiftung zu interessieren, hatte Abbe im Frühsommer 1896 der Stiftungsverwaltung empfohlen, Obligationen im Werte von einer Million Mark aufzulegen und einem kleinen Kreis in Jena und Weimar anzubieten. Roderich Zeiß entschloß sich, die 313.000 Mark in 313 Stück Obligationen, die zu vier Prozent verzinst wurden und eine Laufzeit von zehn Jahren hatten, anzulegen.62 Nun konnte Abbe sein Vorhaben, das Statut der Carl Zeiss-Stiftung zum fünfzigsten Gründungstag der Optischen Werkstätte vorzulegen, verwirklichen. Allerdings hatte man in Weimar gegen den eingereichten Entwurf noch verschiedene Einwände, denen Abbe, wenn sie formaler Natur waren, folgte. Da sie aber verschiedentlich auch grundsätzliche Positionen betrafen, sah sich Abbe zum Widerstand genötigt. Schließlich hatte am 30. Juli 1896 der Großherzog auf einer Sitzung des Großherzoglichen Gesamtministeriums dem „Statut der Carl Zeiss-Stiftung in Jena Höchstseine Genehmigung zu erteilen geruht" 63 . Abbe eröffnete mit einer Erklärung den Betriebsangehörigen der beiden Stiftungsunternehmen das Statut der Carl Zeiss-Stiftung am 26. August 1896. In der Stiftungsurkunde hatte Abbe die Grundzüge der künftigen Verfassung der Carl Zeiss-Stiftung skizziert, die aber noch - von den ministeriellen Gesprächspartnern gefördert - auf einen tradi62 UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1534 (Brief Abbe an Roderich Zeiß vom 6. Juni 1896; Brief Staatsministerium an Roderich Zeiß vom 24. September 1896. Abschriften). 63 Protokoll der Sitzung des Großherzoglichen Gesamtministeriums vom 30. Juli 1896. In: SCHOMERUS: Werden und Wesen, S . 273.

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tionellen Charakter von Stiftungen fixiert waren. Beim Durchdenken der Prinzipien der für einen sicheren Fortbestand der feinmechanisch-optischen Industrie in Jena unerläßlichen Maßregeln entstand eine neuartige Stiftungsverfassung, deren einzelne Elemente logisch aufeinander abgestellt und miteinander verflochten waren. Diese Elemente bestanden in der Beziehungskonstruktion Staat-Stiftung-Stiftungsunternehmen, in der Unternehmensverfassung, in der Arbeits- sowie in der Sozialverfassung. Das Stiftungsstatut hatte gegenüber der Stiftungsurkunde noch eine wesentliche Besonderheit, die darin bestand, daß den Belegschaften eine Reihe von verbindlichen sozialen Rechten eingeräumt wurde. Die einzelnen Elemente der Stiftungsverfassung werden im folgenden im Zusammenhang mit der Realisierung des Stiftungsstatuts dargestellt.

Die Stiftungsverfassung Abbes Grundüberlegungen zum inhaltlichen Aufbau der Carl ZeissStiftung zielten darauf ab, „gegebene Geschäftsunternehmungen mit allen daran haftenden Rechten und Anwartschaften im Sinne eines Fideikommisses in unpersönlichem Besitz und zugunsten unpersönlicher Interessen unter dauernde Bindung zu stellen, und zwar einerseits hinsichtlich der fortgesetzten Leitung und Verwaltung jener Unternehmungen nach bestimmten Grundsätzen, andererseits hinsichtlich beschränkter Verfügung über die mit Besitz verknüpften Nutznießungen". 64 Die Carl Zeiss-Stiftung, Eigentümerin der Firma Carl Zeiss und Miteigentümerin der Firma Schott & Gen., hatte ihren rechtlichen Sitz in Jena und die Stiftungsunternehmen durften nicht außerhalb der nächsten Umgebung Jenas verlegt werden. Die Stiftungsverwaltung vertrat die Stiftung als juristische Person, verwaltete das Stiftungsvermögen und übte die oberste Leitung der Stiftungsangelegenheiten aus. Die Rechte und Obliegenheiten dieser Verwaltung nahm das für die Universität Jena zuständige

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ERNST ABBE: Motive und Erläuterungen zum Entwurf eines Statuts der Carl Zeiss-Stiftung. Mai 1896. In: Sozialpolitische Schriften, S. 331.

Die Entstehung der Carl Zeiss-Stiftung

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Departement des Großherzoglichen Sächsischen Staatsministeriums wahr und wurde bei den Stiftungsunternehmen durch einen von ihr ernannten Stiftungskommissar vertreten. Er hatte ein oberer Beamter des Großherzoglichen Sächsischen Staatsministeriums zu sein und erhielt für seine Tätigkeit aus Stiftungsmitteln ein Honorar. Der Kommissar beaufsichtigte die Geschäftsführung der Stiftungsunternehmen, überwachte die Ordnungsmäßigkeit der Verwaltung und kontrollierte die Einhaltung der Statuten. Er wirkte bei allen wichtigen Vorhaben der Geschäftsführung beschließend oder beratend mit und gab, wenn das eine oder andere zwischen den Geschäftsleitern strittig war, sein Votum ab. Der Stiftungskommissar wurde bei einer Reihe von geschäftlichen Projekten, insbesondere bei solchen, die die Solidität der Unternehmen tangierten, um Zustimmung ersucht. Das Statut schrieb die Arbeitsweise der von der Stiftungsverwaltung ernannten Geschäftsleitung, deren zahlenmäßige Größe und fachliche Zusammensetzung vor. Von besonderer Wichtigkeit war die Gleichberechtigung der Geschäftsleitungsmitglieder und ihr kollegiales Zusammenwirken. Die Geschäftsleitungen hatten alle zur Führung eines modernen Unternehmens unerläßlichen Befugnisse. Aus dem Kreis der Geschäftsführer bestimmte die Stiftungsverwaltung einen Bevollmächtigten der Carl Zeiss-Stiftung sowie einen Stellvertreter, deren Aufgabe es war, die Stiftungsinteressen in den beiden Unternehmen zu wahren. Die Geschäftsleiter waren zur Zeichnung der Firma legitimiert. Die anderen Mitglieder der Geschäftsleitung erhielten Einzelprokura. Das Auswahlkriterium für die Geschäftsleiter war deren fachliche Kompetenz hinsichtlich der wissenschaftlichen Interessen der Stiftungsunternehmen, denn sie waren verpflichtet, neben ihren Leitungsaufgaben auch weiterhin auf wissenschaftlichem, technischem oder kaufmännischem Gebiet zu arbeiten. Ihre Einkommen wurden auf ihre Bezüge aus Stiftungsunternehmen beschränkt, die weder vom Bruttogewinn, Reingewinn oder Betriebsüberschuß ihrer Unternehmen abhängen durften. Die Kontinuität der Geschäftsführung war dadurch gesichert, daß man die Mitglieder für einen vereinbarten Zeitraum, bis zum Pensionsalter oder auf Lebenszeit berief. Das Statut machte es Stiftungsverwaltung und -kommissar zur Pflicht, „die Angelegenheiten der Carl Zeiss-Stiftung in Allem nach den Vorschriften dieses Statuts und gemäss den aus ihm erkennbaren Absichten des Stifters zu leiten. Sie dürfen dabei auf Staatsin-

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1889 - 1896

teressen, welche den ausgesprochenen Zwecken der Stiftung fremd sind, nicht weitergehende Rücksichten nehmen, als auch für Privatpersonen gesetzlich geboten ist".65 Die beiden ersten Stiftungskommissare, Carl Rothe und sein Nachfolger Max Vollert, nahmen regen Anteil an den Vorgängen in den Stiftungsunternehmen und standen den Geschäftsleitern in besonders komplizierten Situationen unterstützend zur Seite. Auch die Geschäftsleitung der Optischen Werkstätte, auf die wir uns, obgleich das Statut auch für das Glaswerk Schott & Gen. galt, hier beschränken, hielt sich in all diesen Jahren an das Stiftungsstatut. Dabei erwuchsen - wie noch zu zeigen ist - mit der Expansion des Unternehmens und mit den sich ändernden Rahmenbedingungen immer wieder Schwierigkeiten. Bis zum Frühjahr 1903 bestimmte Abbe das Geschehen im ZeissUnternehmen. Seine Rollegen in der Geschäftsleitung mochten nichts Maßgebliches entscheiden, ohne vorher Abbe zu konsultieren, denn der hatte - wohl aus Sorge, sein Lebenswerk könnte einen Schaden nehmen - mit zunehmendem Alter auch einen etwas patriarchalischen Führungsstil ausgebildet. Im August 1905 zwang ihn sein Gesundheitszustand, sich aus der Geschäftsleitung zurückzuziehen. Czapski, dem Abbes Stellung in der Geschäftsleitung zugefallen war, hielt Abbe über das Geschehen im Unternehmen auf dem Laufenden, veränderte aber den Stil der Unternehmensführung. Nun trafen sich die Mitglieder der Geschäftsleitung regelmäßig zu Sitzungen, auf denen sie die geschäftlichen Angelegenheiten gemeinsam besprachen und die erforderlichen Entscheidungen trafen. 66

65 66

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 16873 (Statut der Carl Zeiss-Stiflung), Bl. 5. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23014-23018 (Akten des Stiftungskommissars).

FÜNFTES KAPITEL

Die Entwicklung des Stiftungsunternehmens Carl Zeiss

Die Unternehmensverfassimg In den konstituierenden Bestimmungen des Stiftungsstatuts waren drei Unternehmensziele definiert: „Pflege der Zweige feintechnischer Industrie, welche durch die Optische Werkstaette und das Glaswerk unter Mitwirkung des Stifters in Jena eingebürgert worden sind, durch Fortführung dieser Gewerbeanstalten unter unpersönlichem Besitztitel; im Besonderen: Dauernde Vorsorge für die wirtschaftliche Sicherung der genannten Unternehmungen sowie für Erhaltung und Weiterbildung der in ihnen gewonnenen industriellen Arbeitsorganisation - als der Nahrungsquelle eines zahlreichen Personenkreises und als eines nützlichen Gliedes im Dienst wissenschaftlicher und praktischer Interessen; Erfüllung grösserer socialer Pflichten, als persönliche Inhaber dauernd gewährleisten würden, gegenüber der Gesammtheit der in ihnen thätigen Mitarbeiter, behufs Verbesserung ihrer persönlichen und wirtschaftlichen Rechtslage."1

Die geschäftliche Tätigkeit der Stiftung sollte auf das feinmechanisch-optische Gebiet beschränkt bleiben, aber das Errichten von oder das Beteiligen an einschlägigen Unternehmen war zulässig. Eine Veräußerung, Verpachtung usw. der Stiftungsunternehmen blieb untersagt. Die außerhalb der Stiftungsunternehmen zu verfolgenden Zwecke bestanden in der Förderung allgemeiner Interessen der feinmechanischen Industrie inner- und außerhalb des Wirkungsbereichs der Stiftungsunternehmen sowie in der Betätigung in gemeinnützigen Einrichtungen zugunsten der arbeitenden Bevölkerung in Jena und Umgebung. Erst dann, an dritter und letzter Stelle stand nun - im Unterschied zur Stiftungsurkunde - die „Förderung naturwissenschaftlicher und mathematischer Studien in Forschung und Lehre". Die Optische Werkstätte wurde unter ihrer bisherigen Handelsfirma weitergeführt, verfügte über einen gesonderten Vermögenskomplex für ihr Betriebskapital und unterstand einer selbständigen Geschäftsleitung. Von besonderer Bedeutung war die folgende geschäftspolitische Vorschrift des Statuts:

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 16873 (Statut der Carl Zeiss-Stiftung), Bl. 3.

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„Gemäß den in § 1 der Stiftung zugewiesenen Aufgaben hat ihre geschäftliche Aktion unter dem wirtschaftlichen Gesichtspunkt als Ziel zu verfolgen nicht sowohl möglichste Mehrung der Reingewinne oder Betriebsüberschüsse ihrer Unternehmungen, als vielmehr die Steigerung des wirtschaftlichen Gesammtertrages, welchen diese Unternehmen dem ganzen in ihnen vereinigten Personenkreis, die Stiftung als Unternehmer einbegriffen, mit Aussicht auf längeren Fortbestand noch zu gewähren vermögen. Dabei ist jedoch stets darauf hinzuwirken, dass der Stiftung, als dem unpersönlichen Träger der Organisation, derjenige Antheil an dem Ertrag der gemeinsamen Thätigkeit noch verbleibe, welcher der organisirten Arbeit nicht von den Einzelnen, auch nicht in ihrer Gesammtheit, persönlich erarbeitet ist, sondern als Ausfluss der Organisation selbst, der durch sie erhaltenen Continuität aller Thätigkeit und der in ihr fortwirkenden Leistungen aller Vorgänger angesehen werden muss; welcher Anteil, indem er gerechterweise allen Einzelnen vorenthalten bleibt, den dauernden Interessen ihrer Gemeinschaft und Zwecken des allgemeinen Wohls zu dienen hat."2 Für den gesamten kaufmännischen Bereich schrieb das Statut die Ausrichtung an den allgemeinen betriebswirtschaftlichen Grundsätzen vor. Um den bilanzmäßigen Reingewinn ohne Rücksicht auf das Betriebskapital festzustellen, bestimmte das Statut: „Um für die Organe der Stiftung wesentliche Unterlagen für eine sachgemässe Anwendung der in § 40 ausgesprochenen Richtschnur immer evident zu halten, ist von Jahr zu Jahr der... festgestellte bilanzmässige Reingewinn eines jeden Stiftungsbetriebes ohne Rücksicht auf die Höhe des Betriebskapitals zu berechnen nach seinem Verhältnis zum gesammten Lohn- und Gehaltskonto des Betriebes in demselben Geschäftsjahr, also derjenige Prozentsatz vom gesammten Arbeitsertrag aller mitthätigen Personen nachzuweisen, der dem Betrieb als Unternehmergewinn geblieben ist."3 Daneben war zu ermitteln, welcher durchschnittliche Prozentsatz von dem Personalunkostenkonto für die Gewährleistung der sozialen Bestimmungen als jährlicher Mindestbetrag vom Reingewinn abgezogen und dem Reservefonds zuzuführen war. Die verbleibende Gewinnssumme bildete dann den Nettogewinn, der - nach Abbes Ansicht - seine Quelle in der Unternehmensorganisation hatte. Dieser Nettogewinn hatte in Jahren mit durchschnittlichen Wirtschaftsbedingungen mindestens ein Fünftel v o m Anteil der

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UACZ, Bestand: BACZ Nr. 16873 (Statut der Carl Zeiss-Stiftung), Bl. 20. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 16873 (Statut der Carl Zeiss-Stiftung), Bl. 20.

Die Entwicklung des Stiftungsunternehmens

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Belegschaft oder ein Zehntel der Jahresausgaben auszumachen. Wenn das der Fall war, dann war der vorgegebene Maßstab für die wirtschaftliche Gesamtleistung der Stiftungsunternehmen gewahrt. Die Stiftung sammelte aus den Überschüssen der Unternehmen und aus sonstigen Erträgnissen ihres jeweiligen Vermögens einen vom Geschäftsvermögen gesonderten Reservefonds an, dessen Höhe es erlaubte, ein Deckungskapital für die Stiftungsunternehmen zu bilden, das dazu diente, die übernommenen Pensionsverpflichtungen zu decken. Im Reservefonds wurden desweiteren die Rücklagen gesammelt. Sie dienten dazu: 1. eine Personallasten-Reserve zu schaffen, um die zu erwartenden Pensionsansprüche gegen die Stiftungsunternehmen zu garantieren. Diese Reserve war auf ein Drittel des jährlichen Lohnund Gehaltskontos nach dem Durchschnitt der vergangenen drei Jahre zu halten; 2. einen Erneuerungs- und Betriebserweiterungsfonds für die Geschäftsunternehmen zu sichern, dessen Höhe sich auf ein Drittel des jeweiligen Buchwertes aller der Abnutzung unterliegenden Betriebsmittel zu belaufen hatte; 3. eine allgemeine Rücklage zu bilden, um die Aktionsfähigkeit der Stiftung und ihrer Geschäftsfirmen zu gewährleisten und Betriebsausfalle oder Verluste decken zu können. Sie hatte einer durchschnittlichen Jahresausgabe der verflossenen drei Geschäftsjahre zu entsprechen. Im Reservefonds befanden sich desweiteren alle Vermögensobjekte, die nicht zum Geschäftsvermögen der Stiftungsunternehmen zählten. Im Statut gab es auch Vorschriften über die anzustrebende Höhe dieses Fonds und was zu tun sei, um diese Höhe zu erreichen und zu wahren. Das Statut untersagte jegliche Spekulation mit den Vermögensanlagen des Reservefonds. Ungeachtet der Bemühungen um den Erhalt und eine größere Wirksamkeit der Stiftung verlangte das Statut, daß ihre Unternehmen „neben dem Erwerb auch dem allgemeinen Fortschritt der in ihnen vertretenen technischen Künste, der Steigerung ihrer Leistungen und dadurch mittelbar den Interessen der wissenschaftlichen Forschung, sowie erhöhter Befriedigung der auf diese Künste angewiesenen Bedürfnisse der Technik und des bürgerlichen Lebens dienen sollen".4

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 16873 (Statut der Carl Zeiss-Stiftung), Bl. 21.

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Dazu wurde auf die Notwendigkeit von Arbeiten verwiesen, die nur einen geringen wirtschaftlichen Ertrag versprachen, aber technisch hochstehende Einzelarbeit förderten, und es wurden Arbeitsergebnisse der Stiftungsunternehmen, die Studienzwecken und der wissenschaftlichen Forschung dienen, von einer Patentierung ausgenommen.

Die Veränderungen in der Optischen Werkstätte Nach den Jahren einer verhaltenen und teilweise rückläufigen wirtschaftlichen Entwicklung trat Mitte der neunziger Jahre auch die Optische Werkstätte in die Phase eines längerwährenden Aufschwungs ein, die - am Beginn des neuen Jahrzehnts gedämpft bis zum Vorabend des Weltkrieges anhalten sollte. Dazu trugen verschiedene Faktoren bei. Das Jenaer Unternehmen partizipierte an der weltwirtschaftlichen Konjunktur. Die Bedürfnisse der innovativen Industriezweige sowie das wachsende und breiter werdende Streben nach Naturerkenntnis und deren Vermittlung stellten auch an die feinmechanisch-optische Industrie qualitative und quantitative Anforderungen. Die einschlägigen Unternehmen, unter ihnen nicht zuletzt das Jenaer, trugen mit Neuentwicklungen dazu bei, daß die biologischen, zoologischen, medizinischen und astronomischen Erkenntnisse erweitert werden konnten. Da die konjunkturelle Entwicklung auch erlaubte, die staatlichen Forschungs- und Bildungseinrichtungen mit größeren finanziellen Mitteln zu versehen, war es ihnen möglich, in einem größerem Umfang feinmechanisch-optische Geräte und Instrumente anzuschaffen. In Deutschland stellte der Staat in der ersten Hälfte der neunziger Jahre 409 Millionen Mark für Forschung und Bildung, in der zweiten Hälfte 525 Millionen Mark und dann zwischen 1900 und 1905 weitere 719 Millionen Mark bereit.5 Die zunehmend feiner werdenden Vorschriften zur Lebensmittelüberwachung, insbesondere zur Fleischhygiene, die mit dem 1900 erlassenen Reichsfleischbeschaugesetz in Deutschland durchgesetzt

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HOFFMANN:

Das Wachstum der deutschen Wirtschaft, S.

29.

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wurden, 6 bedingten in einem größeren Umfang mikroskopische Untersuchungen und die Verwendung von Analysenmeßgeräten. Die Optische Werkstätte hatte diesen Entwicklungen durch Anpassen vorhandener und durch Hervorbringen neuartiger Erzeugnisse Rechnung getragen. Sie erweiterte in dem betrachteten Jahrzehnt das Geschäft mit den Photoobjektiven sowie mit den optischen Meßmitteln und wandte sich dem Bau astronomischer Instrumente zu. Eine Triebkraft des wirtschaftlichen Aufschwungs war vor allem das stark erweiterte Feldstecher- und Militärgerätegeschäft, das freilich, wegen dessen besonderer Abhängigkeit vom politischen Geschehen, ein unstetes Element in das Zeiss-Unternehmen brachte. Die Beachtung dieser verschiedenen Faktoren durch eine umsichtige Unternehmensführung brachte in den Geschäftsjahren 1895/96 bis 1904/5 zufriedenstellende wirtschaftliche Resultate. Der Umsatz stieg in diesen Jahren von 1.774.937 auf 5.097.719 Mark an. Besonders stark war das Wachstum des Umsatzes mit 23 Prozent in den Geschäftsjahren 1899/1900 und 1904/05. Unbefriedigend blieb die Umsatzentwicklung zwischen 1900/01 und 1902/03. Im letztgenannten Geschäftsjahr lag der Umsatz um 1,5 Prozent unter dem Vorjahresstand. Die Gewinnbewegung folgte der des Umsatzes nicht in jedem Jahr. Insgesamt erhöhte sich zwischen 1895/96 und 1904/05 der Gewinn von 386.410 auf 999.341 Mark. Besonders ertragreich waren die Geschäftsjahre 1898/99 und 1904/05, in denen der Gewinn 55,3 bzw. 160,7 Prozent über dem jeweiligen Vorjahresresultat lag. Eine der Hauptursachen dafür lag wie noch zu schildern ist - in den Ausfallen im Feldstechergeschäft. In den Geschäftsjahren, in denen der Umsatz geringer ausgefallen war, lag auch der Gewinn erheblich niedriger. 1901/02 und 1902/03 war er um 19,8 bzw. um 43,5 Prozent unter dem Stand des jeweiligen Vorjahres geblieben. Dementsprechend fiel in diesen Jahren auch die Umsatzrentabilität mit Werten zwischen 14,8 und 8,5 Prozent geringer aus. Die Ursachen dafür lagen in den Rosten zur Wahrung des wissenschaftlich-technischen Fortschritts, in den Notwendigkeiten, durch Preisnachlässe der Konkurrenz zu begegnen und in den im Vergleich zu anderen Unternehmen relativ hohen sozialen Aufwendungen. Die Tabelle 12 im Tabellenanhang enthält die Jahresdaten über Umsatz und Gewinn.

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O. D. POTTHOFF: Illustrierte Geschichte des Deutschen Fleischer-Handwerks vom 12. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Berlin 1927, S. 364.

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Im Verlaufe der neunziger Jahre hatte die Geschäftsleitung im Inund Ausland ein dichtes Vertriebsnetz geschaffen, das zunächst ausschließlich von fremden Handelsfirmen getragen wurde, die man zum Verkauf von Zeiss-Erzeugnissen autorisiert hatte. Gegen Ende der neunziger Jahre empfahl Abbe - um das Unternehmen von den Zwischenhändlern unabhängig zu machen - eine firmeneigene Vertriebsorganisation aufzubauen. Die in- und ausländischen Filialen sollten mit einer Werkstätte verbunden werden, damit die notwendigen Gerätereparaturen vor Ort vorgenommen werden konnten.7 Mit einem großen finanziellen Aufwand wurden innerhalb weniger Jahre Zeiss-Filialen zunächst in Berlin und London, dann in Frankfurt am Main, Hamburg, Wien und Petersburg eröffnet.8 Bis die Niederlassungen feste Geschäftsverbindungen geknüpft hatten, gingen einige Jahre ins Land. Im Bericht über das Geschäftsjahr 1902/03 mußte noch festgehalten werden: „Die mit diesen Filialen gemachten Erfahrungen sind jedoch nicht sehr ermutigend."9 Die unbefriedigenden Ergebnisse der Auslandsfilialen lösten in Jena eine Diskussion über deren Zweckmäßigkeit aus. Während der Stiftungskommissar dafür plädierte, dem Beispiel der Fa. Goerz zu folgen und sich auf Händler in den jeweiligen Ländern zu konzentrieren, verteidigte Fischer den eingeschlagenen Weg und verfolgte den Plan, auch in den USA eine Filiale einzurichten. Fischers Rurs brachte Früchte, denn schon im folgenden Geschäftsjahr hatte sich die Rentabilität einiger Filialen verbessert, und man gab den Gedanken auf, die Anzahl der Filialen zu verringern. Czapski erkundete auf einer Amerikareise auch die Möglichkeiten für eine Niederlassung in den USA. Für das Geschäftsjahr 1904/05 wurde eine erfreuliche Entwicklung der Filialen festgestellt. Vornehmlich die Petersburger verzeichnete bis zum August 1905 aufgrund des Militärgeschäfts einen guten Umsatz. Ihren Umsatz steigerte auch die Wiener Niederlassung. Unbefriedigend blieben die Resultate der Londoner Filiale.10 Die Tabelle 13 im Tabellenanhang vermittelt ein Bild von den unter-

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UACZ: Bestand: BACZ Nr. 23014 (Bericht über das Geschäftsjahr 1902/03. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 120. UACZ. Bestand: BACZ Nr.23015 (Bericht über das Geschäftsjahr 1903/04. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 110. UACZ. Bestand: BACZ Nr.23014 (Bericht über das Geschäftsjahr 1902/03. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 124. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23019 (Bericht über das Geschäftsjahr 1904/5. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 24.

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schiedlichen Arbeitsergebnissen der Außenstellen im Geschäftsjahr 1903/04. Die Notwendigkeit, eine eigene Yerkaufsorganisation ins Leben zu rufen, resultierte in einem starken Maße auch aus der Erweiterung des Fertigungsprogramms, das seit der ersten Hälfte der neunziger Jahre in Angriff genommen worden war.

Die Erschließung der neuen Geschäftsfelder Ende der achtziger und in der ersten Hälfte der neunziger Jahre wurden in der Optischen Werkstätte - neben der Weiterentwicklung von Mikroskopen und deren Zubehör - die wissenschaftlichen und technischen Voraussetzungen für eine breitere Produktpalette geschaffen. Das begann mit der Entwicklung von Photoobjektiven und dem Verkauf der ersten Meßgeräte, setzte sich mit der Konstruktion von Feldstechern und optischen Militärgeräten fort und führte in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre zum Bau astronomischer Instrumente. Für den Aufbau dieser Geschäftsfelder gewann Abbe junge Naturwissenschaftler und Techniker, die später als »Abbe'sche Schule« bezeichnet wurde. Die kommerzielle Verwertung dieser neuen Entwicklungen setzte im wesentlichen erst in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre ein. Aus diesem Grunde wird die Entwicklungs- und Fertigungsgeschichte der neuen Warengruppen in diesem Kapitel zusammenfassend behandelt Dabei wird vom historischen Verlauf insofern abgewichen, als zunächst die Erzeugnisse behandelt werden, die im Abbe'schen Sinne der Beförderung wissenschaftlicher Einsichten oder auf andere Weise zivilisatorischen Zwecken dienen. Erst dann folgt die Geschichte der Produkte, die auch oder ausschließlich militärisch genutzt wurden. Der Auf- und Ausbau der neuen Geschäftsfelder hatte nicht nur einen wesentlichen Anteil an der geschilderten Umsatzsteigerung, mit ihm veränderte sich seit Mitte der neunziger Jahre das ökonomische Gewicht der einzelnen Warengruppen in der Optischen Werkstätte. Wenn im Geschäftsjahr 1895/96 die Mikroskope und deren Nebenapparate einen Anteil von 53,3 Prozent, die Photoobjektive von 25,7 Prozent, die Optischen Meßgeräte von 1,7 und die Feldstecher von 19,3 Prozent am Gesamtumsatz hatten, so kam es bis 1904/05 zu einer nennenswerten Verschiebung, denn nun belief

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Abb. 18 Wissenschaftliche Mitarbeiter und Optik-Rechner, 1891 vordere Reihe (sitzend) v. 1. n. r.: Dr. Rieder, Dr. Czapski, Dr. Schott, Dr. Rudolph, Dr.Pulfrich, hintere Reihe (stehend) v.l.n.r.: Lätsch, Hartmann, Witte, Schüttauf

sich der Anteil der Mikroskope nur noch auf 23 Prozent, der der Photoobjetive auf 13,3, der der Optischen Meßinstrumente auf 2,4 Prozent und der der Feldstecher auf 54,6 Prozent. Hinzu kamen die astronomischen Instrumente mit einem Anteil von 3,7 Prozent. Die restlichen drei Prozent entfielen auf optische Militärgeräte, Gießereierzeugnisse usw. Die Umsatzbewegung in den einzelnen Warengruppen ist in der Tabelle 14 im Tabellenanhang festgehalten.

Die Fortschritte im Mikroskopbau Mit den für drei Farben des sichtbaren Spektrums korrigierten apochromatischen Objektiven, die das Jenaer Unternehmen seit 1886 fertigte, war ein gewisser Abschluß in der Entwicklung der Mikroskopoptik erzielt worden. Beyer und Riesenberger stellten dazu fest:

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„Man hatte die mit den damals zur Verfügung stehenden Hilfsmitteln theoretisch mögliche Auflösungsgrenze im wesentlichen auch praktisch erreicht und klar erkannt, daß die Objektivapertur nicht wesentlich erhöht werden kann, aber eine bemerkenswerte Steigerung der Auflösung zu erwarten ist, wenn man zur Abbildung eine Strahlung, wesentlich kürzerer Wellenlängen verwendet, z.B. zunächst die ultraviolette Strahlung, später die Röntgen- und schließlich die Elektronenstrahlung."11

Die Verwendung von ultravioletten Strahlen für die mikroskopische Abbildung war von Abbe 1878 angeregt worden und von Rohr hatte 1902 Spezialobjektive aus geschmolzenem Quarz berechnet Auf diese Vorarbeiten gestützt, wandte sich August Röhler12 1903 der Entwicklung eines Ultraviolett Mikroskops zu. 1903/04 waren die Arbeiten soweit fortgeschritten, daß das Instrument in die Fertigung übergeleitet werden konnte.13 1904/05 wurden die ersten Köhler'schen UV Mikroskope verkauft. 14 Zur gleichen Zeit befaßten sich im Zeiss-Unternehmen Henry Siedentopf und Richard Zsigmondy mit der Spaltultramikroskopie, bei der ein intensiv beleuchteter Spalt senkrecht zur optischen Achse des Mikroskops in die Objektebene abgebildet wurde. Das ermöglichte, winzig kleine Teilchen sichtbar zu machen, deren Linearausdehnung weit unter der Auflösungsgrenze lag.15 Diese Arbeiten waren 1903/04 soweit gediehen, daß das Mikroskop in die Fertigung übernommen werden konnte.16 Offensichtlich erfüllten sich die kommerziellen Erwartungen, die in das neue Erzeugnis gesetzt worden waren, nicht, denn bis Anfang 1906 hatte man lediglich 26 Spaltultramikroskope zu einem Stückpreis von 2.000 Mark verkaufen können. 17 Dessen ungeachtet trugen die Fortschritte in der Mikroskopentwicklung, die sich in einem erweiterten Angebot, in der Vervollkommnung der traditionellen Instrumente und der mikroskopischen Nebenap-

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B E Y E R , R I E S E N B E R G : Handbuch der Mikroskopie, S. 20. Der 1866 geborene August Röhler, ein Schüler von Dippel, war am 1. Oktober 1900 in das Zeiss-Unternehmen eingetreten. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23014 (Bericht über das Geschäftsjahr 1903/04. Akten des Stiftungskommissars) Bl. 111. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23019 (Bericht über das Geschäftsjahr 1903/04. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 28. B E Y E R , R I E S E N B E R G E R : Handbuch der Mikroskopie, S. 20. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23014 (Bericht über das Geschäftsjahr 1903/04, Akten des Stiftungskommissars), Bl. 111. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23019 (Bericht über das Geschäftsjahr 1904/05. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 28.

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parate zeigten, maßgeblich dazu bei, daß der Umsatz - wenn auch diskontinuierlich - anstieg. Im Geschäftsjahr 1895/96 setzte die Mikroskop-Abteilung der Optischen Werkstätte Erzeugnisse im Wert von 966.342 Mark um. Das war gegenüber dem vorangegangenen Jahr eine Steigerung um 11,4 Prozent. Nachdem der Umsatz drei Jahre lang stagniert hatte, stieg er seit 1900/01 wieder an und erreichte 1901/02 mit 1.184.257 Mark das höchste Niveau. In dem folgenden Geschäftsjahr ging der Umsatz um 2,1 Prozent zurück. 1905/04 wurde im Mikroskopgeschäft mit 1.234.116 Mark das bisher beste Resultat erzielt. 1904/05 sank der Mikroskopumsatz wieder um 4,9 Prozent gegenüber dem Vorjahr.18 Die detaillierten Angaben sind in der Tabelle 14 im Tabellenanhang angeführt. In dem betrachteten Jahrzehnt wurden immer zwischen 60 und 64 Prozent des Mikroskopumsatzes - das Zubehör eingeschlossen - im Ausland realisiert. Lediglich im Geschäftsjahr 1903/04 kam es zu einem Rückgang. In diesem Jahr entfielen nur 26,1 Prozent des Umsatzes auf das Ausland. Hierin lag auch eine der Ursachen für das unbefriedigende Gesamtergebnis des Mikroskopgeschäfts in diesem Jahr. Im Geschäftsjahr 1904/05 konnte der Mikroskopumsatz in Deutschland um 67.000 Mark, nach England um 28.000 Mark, nach Österreich um 23.000 Mark und nach Rußland um 18.000 Mark gesteigert werden. 19

Der Ausbau der Abteilung für Photoobjektive Paul Rudolph, seit dem 1. Januar 1886 Assistent von Abbe, berechnete anfangs Apochromate für Mikroskope. Die neuen Schott-Gläser regten ihn auch dazu an, Abbe den Vorschlag zu unterbreiten, 18

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 168 (Statistische Unterlagen), Bl. 16-17; UACZ. Bestand: BACZ Nr. 786; UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23005 (Berichte über die Geschäftsjahre 1900/01 bis 1902/03. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 166,174,186, 223, 256; UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23014 (Bericht über das Geschäftsjahr 1903/04. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 243; Nr., Bl. 125 und 242. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23019 (Bericht über das Geschäftsjahr 1904/05. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 23. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23019 (Bericht über das Geschäftsjahr 1904/05. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 28.

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in der Optischen Werkstätte Photoobjektive herzustellen. Abbe, der eine solche Möglichkeit schon selbst erwogen hatte, griff Rudolphs Anregung auf. Dazu veranlaßte ihn zweifellos auch das unstete Mikroskopgeschäft gegen Ende der achtziger Jahre. Er beauftragte 1888 seinen Assistenten, Triplets zu berechnen. Sowohl Abbe als auch Rudolph legten besonderen Wert auf die chromatische Korrektion. Es entstand ein System, dessen Aufbau eine apochromatische Korrektion erlaubte, wie sie bei Mikroskopobjektiven üblich war. Die Korrektion der Bildfläche entsprach der von Aplanaten. Das Patent für das Triplet wurde am 2. April 1890 erteilt 20 Da nun aber bei einer guten Korrektion der Bildmitte der Schärfeabfall nach dem Rande deutlich hervortritt, entstand das Bedürfnis, das Bildfeld zu ebnen und dabei den Astigmatismus zu korrigieren. Das gelang Rudolph im Jahre 1890 durch die Berechnung des „Anastigmaten".21 Der Anastigmat, als Duplet aufgebaut, bestand aus dem Altachromat, einem System aus Krongläsern mit niedriger und Flintgläsern mit hoher Brechung sowie aus dem Neuchromat, der die neuen hochbrechenden Krongläser von Schott enthielt. Die Anastigmate ließen sich bei guter Korrektion bis zu relativen Öffnungen von 1:6 bringen. Allerdings gelang es nicht, brauchbare Bildnislinsen mit geebnetem Feld zu fertigen, so daß der Absatz dieser Objektive nicht den Erwartungen entsprach. Darum wurden die seit 1892 angebotenen Objektive der Reihe I mit einem Öffnungsverhältnis von 1:4,5 aus der Preisliste genommen. In dem Bestreben, die Lichtstärke zu erhöhen, entwickelte Rudolph 1896 das Planar 1:3,6, das aus zwei gegeneinander gestellten Gauß-Objektiven bestand. Das ausschlaggebende Element war die hyperchromatische Linse und die Brechkraftverteilung innerhalb des Systems. Als dessen besonderer Vorteil erwies sich die gute Korrektion der sphärischen Abweichung und des Astigmatismus. Darüber hinaus gelang es Rudolph, das sekundäre Spektrum wesentlich zu verringern. Das erlaubte es auch, diese Objektive als Apo-Planare für die Reproduktion einzusetzen. Das Planar, seit dem 15. November 1896 patentrechtlich geschützt 22 , bildete die Basis der modernsten lichtstarken Objektive, welchen ein größerer 20 21

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UACZ. Bestand: BACZ (Zeiss- (Patent) Register 0-1000). Der Anastigmat wurde am 2. April 1890 unter dem Namen Protar patentiert. UACZ. Bestand: BACZ (Zeiss- (Patent) Register 0-1000). UACZ. Bestand: BACZ (Zeiss- (Patent) Register 0-1000).

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geschäftlicher Erfolg beschieden war. Um die Jahrhundertwende wurden die Anastigmaten zu Protaren und Doppelprotaren ausgebildet. Die Doppelprotare setzten sich aus vierlinsig verkitteten Gliedern zusammen und ermöglichten bei Verwendung der Einzelglieder drei verschiedene Brennweiten. Der aufwendige Aufbau und die damit verbundenen Kosten regten Rudolph dazu an, das vierlinsige Unar zu entwerfen, das am 2. November 1899 patentiert wurde. 23 Seine relativ einfache Zusammensetzung erlaubte einen kulanten Preis. 1901/1902 entwickelte Rudolph dann das Tessar mit der relativen Öffnung von 1:6,3, das eine gleichmäßige Schärfe im gesamten Blickfeld bot. Starke Nachvergrößerungen bereiteten nun keine Schwierigkeiten mehr. Mit dem am 24. April 1902 patentierten Tessar gelang Rudolph eine außergewöhnliche Leistung.24 Die Optische Werkstätte hatte sich dem Geschäft mit Photoobjektiven zu einer Zeit zugewandt, wo - wie Fischer in einem Bericht über den Verkehr mit der Rundschaft im Geschäftsjahr 1892/93 festhielt - „die Amateur-Photographie einen lebhaften Aufschwung zu nehmen begann. In Gegensatz zu den Berufsphotographen, welche meist mit veralteten optischen Hilfsmitteln und in der gewohnten Routine weiterarbeiten, interessiert sich das Amateur-Publikum für die besten photographischen Ausrüstungen und zwingt dadurch auch die Berufsphotographen allmählich zum Fortschritt". 23 Das Jenaer Unternehmen mußte sich auf dem Gebiet der Photoobjektive einer starken und auch kreativen Ronkurrenz stellen, der man für einige Zeit durchaus nicht in jedem Fall gewachsen war. Darum verlief das Geschäft anfangs auch nicht so zufriedenstellend wie erwartet. Dessen ungeachtet konnte das Zeiss-Werk seine Photoobjektive im Ausland absetzen. Abbe, der Anfang der neunziger Jahre ein größeres Wachstum der Belegschaft vermeiden wollte, verfolgte eine Lizenzpolitik. Das Zeiss-Unternehmen überließ einheimischen und ausländischen Produzenten die Fertigungslizen-

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UACZ. Bestand: BACZ (Zeiss- (Patent) Register 0-1000). Jena - seit 70 Jahren Zentrum der Photoobjektiventwicklung. Zum 100. Geburtstag von Dr. Paul Rudolph. In: Jenaer Rundschau, (im folgenden Jenaer Rundschau) Mitteilungen aus der Arbeit des VEB Carl Zeiss JENA. 3. Jg. (1958). Heft 5, S. 140-141. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 168 (Bericht der Firma Carl Zeiss Jena über den Verkehr mit der Kundschaft im Betriebsjahre 1. Oktober 1892/93), Bl. 12. HARRY Z Ö L L N E R :

Die Entwicklung des Stiftungsunternehmens

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Abb.19 2 Objektive der neuen Generation: oben: Anastigmat 1 :4,5 unten: Tessar 1 : 3,5 in Normalfassung mit Iris

zen für die Photoobjektive. Im Geschäftsjahr 1891/92 stellten die Lizenznehmer Objektive im Wert von 128.966 Mark und im folgenden Geschäftsjahr bereits im Wert von 278.355 Mark her.26 1900/01 belief sich der Umsatz der befreundeten Unternehmen im In- und Ausland mit den lizensierten Objektiven auf 763.000 Mark. Sie verkauften in diesem Geschäftsjahr insgesamt 6.100 Objektive, und das Jenaer Unternehmen setzte im gleichen Geschäftsjahr 7.000 Stück ab.27 Um den Vertrieb photographischer Objektive zu heben, regte die Geschäftsleitung der Optischen Werkstätte die Gründung einer Kamerafabrik in Jena an. Diese Aufgabe übernahm Rudolph. Er verhandelte mit Curt Bentzin, der in Görlitz eine Fabrik für photo-

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 168 (Bericht der Firma Carl Zeiss Jena über den Verkehr mit der Kundschaft im Betriebsjahre 1. Oktober 1892/93), Bl. 12. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 789 (Bericht über das Geschäftsjahr 1900/01), BI. 39.

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graphische Apparate betrieb und kam mit ihm überein, daß die zu gründende Aktiengesellschaft Camerawerke Palmos diese Firma für 100.000 Mark erwirbt und das Görlitzer Unternehmen als Filiale weiterführt. Der Gesellschaftsvertrag wurde am 26. März 1900 unterzeichnet. Rudolph brachte 51,6 Prozent des Aktienkapitals auf und interessierte den Verwandten- und Bekanntenkreis für die Gesellschaft, der sich im Vertrauen darauf, daß die Optische Werkstätte hinter dieser Gesellschaft stand, finanziell beteiligte. Aber die erwarteten Erfolge sollten sich nicht einstellen, und dem Unternehmen drohte der Konkurs. Die Gründe lagen in der unbefriedigenden Ausführung der Erzeugnisse und den damit verbundenen Reklamationen sowie in der unzureichenden Konstruktion der Kameras.28 Um den Konkurs zu vermeiden, übernahm die Optische Werkstätte 1901 das Werk. Aber die geschilderten Grundmängel zwangen schließlich dazu, das ganze Unternehmen unter erheblichen Verlusten zu liquidieren. Die Optische Werkstätte erlitt dabei einen Verlust von schätzungsweise 300.000 Mark. Der für das Camerawerk bei Löbstedt errichtete Neubau wurde später verkauft.29 Ungeachtet dieser Fehlleistung gestaltete sich das Geschäft mit den Photoobjektiven außerordentlich positiv. 1890/91 setzte die Photoabteilung Objektve im Wert von 68.728 Mark um, 1895/96 belief sich ihr Umsatz auf 465.000 Mark, und 1904/05 wurde der Spitzenwert von 678.869 Mark erzielt. In dieser Zeit gab es immer wieder Perioden der Stagnation und Jahre in denen der Umsatz leicht zurück ging. Letzteres war 1899/1900, 1901/02 und 1903/04 der Fall.30 Die detallierten Angaben über die Umsatzentwicklung der Abteilung für photographische Objektive und optisch-photographische Hilfsapparate sind der Tabelle 14 im Tabellenanhang zu entnehmen.

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23012 (Bericht über das Geschäftsjahr 1901/02. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 40-41. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23015 (Bericht über das Geschäftsjahr 1903/04. Akten des Stiftungskommissars), Bl. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23003, Bl. 214-215; Nr. 23005, Bl. 166,174,186,223,256; 23014, Bl. 243; Nr. 23019, Bl. 23; Nr. 786; Nr. 23022, Bl. 195. Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 168 (Statistische Übersicht), Bl. 16-17; UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23003 (Berichte über die Geschäftsjahre 1890/91 bis 1894/95). Akten des Stiftungskommissars), Bl. 214-215; Nr. 23005 (Berichte über die Geschäftsjahre 1895/96 bis 1903/04. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 166, 174, 186, 223, 256; Nr. 23014, Bl. 243; Nr. 23019 (Bericht über das Geschäftsjahr 1904/05. Akten des Stiftungskommissars), Bl 23; Nr. 786.

Die Entwicklung des Stiftungsunternehmens

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Die Einrichtung der Abteilung für Meßgeräte Zeiß hatte die Bestrebungen von Abbe, die in der Optischen Werkstätte entwickelten und erprobten optischen Meßinstrumente auf den Markt zu bringen, stets abgewehrt. Er wollte vermeiden, daß diese wichtigen Instrumente den Ronkurrenzunternehmen zugänglich werden. Seit 1875 verkaufte man lediglich Refraktometer. Nach dem Tode seines Partners entschloß sich Abbe 1890, dieses neue Geschäftsfeld aufzubauen. Diese Aufgabe übertrug er dem zweiunddreißigj ährigen Carl Pulfrich31. Der instrumentale Grundstock für die neue Abteilung bestand in den bislang von Abbe entworfenen und intern genutzten beiden Instrumentengruppen. Zur ersten Gruppe gehörten die Instrumente zur Größenmessung, die Abbe'schen Dickenmesser, die Romparatoren, die Fokometer, die Sphärometer und Refraktometer für feste und flüssige Rörper, das auf die Messung von Wellenlängen basierende Dilatometer sowie der Pulfrich'sche Interferenzmeßapparat zur Messung winziger Längen- und Dickenveränderungen. Die zweite Gruppe umfaßte die Meßapparate, die für die Winkelmessungen unerläßlich waren. Dazu zählten die Spektrometer und die Refraktometer, mit deren Hilfe quantitative Untersuchungen der Brechung und der Farbenzerstreuung von festen Rörpern, darunter von Rristallen, Flüssigkeiten und Gasen, vorgenommen werden konnten. Dieses Arsenal teilte sich wiederum in Instrumente, die sehr speziellen wissenschaftlichen Zwecken - wie das Abbe'sche Rristall-Refraktometer -

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Carl Pulfrich, 1858 in Strassen, Kreis Solingen geboren, studierte in Bonn Physik, Mathematik, Chemie und Mineralogie. Nach dem Examen für den Höheren Schuldienst im Jahre 1881 promovierte er sich mit einer Arbeit zum Thema „Photometrische Untersuchungen über die Absorption des Lichts in isotropen und anisotropen Medien". Nach einem Jahr im Schuldienst kehrte er 1885 als Assistent an das Pysikalische Institut zurück. Im Zusammenhang mit theoretischen Arbeiten entwickelte Pulfrich einen Totalreflektometer und einen Refraktometer für Chemiker, die nach seinen Angaben in der Werkstatt von Wolz in Bonn ausgeführt wurden. In der 1888 verfaßten und 1890 in Leipzig veröffentlichten Habilitationsschrift berichtete er über die von ihm entworfenen Geräte und die bei ihrer Anwendung gewonnenen Erfahrungen. Abbe wurde durch diese Schrift auf Pulfrich aufmerksam und warb den jungen Akademiker Ende 1890 für das ZeissWerk. FRIEDRICH SCHNEIDER: Carl Pulfrich. Prof. Dr. Carl Pulfrich zu seinem 100. Geburtstag am 24. September 1958. In: Jenaer Rundschau. 3. Jg. (1958), S. 127.

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vorbehalten waren, und in solche, die in der medizinischen Praxis, in chemisch-technischen Laboratorien, in Einrichtungen der Lebensmittelüberwachung und in einem zunehmenden Maße in der Industrie zur schnellen und handlichen Rontrolle genutzt werden konnten. Hinzu kamen als dritte Gruppe die Spektroskope und Spektrographen für ultrarotes und ultraviolettes Licht.32 Pulfrich ging zunächst daran, die vorhandenen Instrumente für den allgemeinen technischen Gebrauch so zu bearbeiten, daß sie sich für den praktischen Einsatz eigneten. So richtete er 1893 Abbe'sche Refraktometer zur Qualitätsprüfung von Butter, Speisefett und Oel ein. 1895 wartete Pulfrich mit einer eigenen Konstruktion auf. Er hatte ein Refraktometer für Chemiker entwickelt, dessen qualitative Beschaffenheit so ausgezeichnet war, daß es bald ein unentbehrliches Gerät in einem jeden chemischen Laboratorium wurde. In den folgenden Jahren konstruierte Pulfrich im Zusammenwirken mit dem Lebensmittelchemiker R. Wollny das Butterrefraktometer und das Milchfettrefraktometer. Mit beiden Instrumenten ließen sich Verfälschungen von Lebensmitteln feststellen. Das Eintauchrefraktometer, von Pulfrich in den neunziger Jahren für ozeanographische Untersuchungen entwickelt und seit 1899 gefertigt, fand bald auch in chemischen und klinischen Laboratorien Anwendung. Mit diesem Instrument ließ sich auch der Alkohol- und Stammwürzegehalt im Bier oder der Fettgehalt in der Milch, in der Sahne, im Käse oder in Oelsaaten feststellen. Desweiteren konstruierte Pulfrich ein von Medizinern genutztes Photometer. Aber Pulfrich befaßte sich nicht nur mit konstruktiven Arbeiten, sondern trieb eingehende Forschungen über den Einfluß der Temperatur auf die Lichtbrechung des Glases und über die Wärmeausdehnung von Glasschmelzen. Die Ergebnisse dieser Messungen ermöglichten es, die Glasschmelzen mit den geringsten Ausdehnungen zu bestimmen. Dazu bediente er sich eines eigens dazu von ihm entworfenen Interferenzmeßapparates, der eine Fortentwicklung des Dilatometers darstellte.33 Die von Pulfrich aufgebaute Abteilung für Meßinstrumente lieferte Ende der neunziger Jahre Dickenmesser, Komparatoren, Fokometer, Sphärometer, Spektrometer, Refraktometer für feste und

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AUERBACH:

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SCHNEIDER:

S. 80.

Zeisswerk. Fünfte ungearbeitete Auflage 1925, S. 110-115. Carl Pulfrich, S . 1 2 7 ; SCHOMERUS: Geschichte des Zeisswerkes,

Die Entwicklung des Stiftungsunternehmens

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Abb.20 Butterrefraktometer, älteste Form

flüssige Körper, Dilatometer zur Messung und Apparate zur Prüfung von ebenen Flächen und planparallelen Glasplatten. Der Abteilung war die Ausbildungsstätte der Lehrlinge für das gesamte Unternehmen anvertraut, und Ende der neunziger Jahre verfügte sie auch über eine Versuchswerkstatt. Pulfrich bekam am 15. Oktober 1899 mit Fritz Löwe einen Assistenten, der seine Arbeiten fortsetzen sollte.34 Vorerst befaßte sich Löwe mit der Anpassung der vorgegebenen Meßinstrumente an die Erfordernisse der Praxis. Als sich zeigte, daß der Ritt der gekitteten Prismen im Eintauchrefraktometer angegriffen wurde, suchte Löwe nach einer anderen Lösung, die er auch 1901/02 in der Konstruktion ungefaßter Prismenformen fand. Die kreativen Fähigkeiten von Löwe erlaubten es Pulfrich, seinem Mitarbeiter die Verantwortung für einen Teil der Meßabteilung zu übertragen. Löwe übernahm die Leitung und die Weiterentwicklung der Längenmeßinstrumente, der Refraktometer und der Spektrometer.35

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Fritz Löwe, 1874 geboren, hatte in Leipzig und Berlin Physik studiert und sich 1898 mit einer Arbeit über Experimental-Untersuchungen über elektrische Dispersion einiger Säuren, Ester und von zehn Glassorten in Leipzig promoviert. HORST LUCAS: Fritz Löwe zum Gedächtnis. 1. September 1874 - 4. März 1955. In: Jenaer Jahrbuch 1955. Teil 2. Jena, 1955, S. 149151. Ders., S. 150.

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Pulfrich widmete sich nun mit größerer Intensität einem neuen und zukunftsträchtigen Arbeitsfeld, der stereoskopischen Beobachtung und Messung. Ein erstes Resultat dieser Arbeiten war der Stereokomparator, das photogrammetrische Auswertegerät zum Messen von Koordinaten und Parallaxen in Stereobildpaaren. Dieses 1901 fertiggestellte Bildmeßinstrument wurde 1904 durch eine Einrichtung ergänzt, die stereophotogrammetrische Küstenvermessungen von einem Schiff aus ermöglichten. Damit wurden die Methoden der Landaufnahme und -beschreibung in neue Bahnen gelenkt.36 1892/93 setzte die Abteilung für optische Meßinstrumente Erzeugnisse im Wert von 12.562 Mark um. In den folgenden fünf Geschäftsjahren schwankte der Umsatz zwischen 18.099 und 59.458 Mark, um dann in den ersten fünf Jahren des neuen Jahrhunderts auf 126.411 Mark anzusteigen. 37 Die Tabelle 14 im Tabellenanhang gibt die Umsatzentwicklung im einzelnen wieder.

Der Aufbau der Astronomischen Abteilung Obgleich Abbe 1891 erneut die Absicht äußerte, 38 in der Optischen Werkstätte den Bau von astronomischen Instrumenten aufzunehmen, sollten noch mehrere Jahre ins Land gehen, bis sie sich realisieren ließ. Dafür gab es personelle und kommerzielle Gründe. Abbe fand zunächst keine geeignete Persönlichkeit, der er den Aufbau der astronomischen Fertigung anvertrauen mochte, denn der Kreis der Fachleute war relativ klein und bereits bei Firmen beschäftigt, die seit längerem astronomische Geräte anboten. 1895

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SCHOMERUS: Geschichte des Zeisswerkes, S. 153. Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 168 (Statistische Übersicht), Bl. 16-17; UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23003 (Berichte über die Geschäftsjahre 1890/91 bis 1894/95). Akten des Stiftungskommissars), Bl. 214-215; Nr. 23005 (Berichte über die Geschäftsjahre 1895/96 bis 1903/04. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 166, 174, 186, 223, 256; Nr. 23014, Bl. 243; Nr. 23019 (Bericht über das Geschäftsjahr 1904/05. Akten des Stiftungskommissars), Bl 23; Nr. 786. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23000 (ABBE: Wünsche und Anträge. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 74.

Die Entwicklung des Stiftungsunternehmens

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wurde Abbe von dem Heidelberger Astronomen Max Wolf auf einen Mann aufmerksam gemacht, der eine solche Aufgabe übernehmen könnte. Es war der promovierte Chemiker Max Pauly, der eine Zuckerfabrik leitete und sich in der Freizeit der Astronomie widmete. Um seinem Interesse sachkundig nachgehen zu können, hatte sich Pauly ein Observatorium gebaut und die Objektive mit Hilfe talentierter Arbeiter selbst gefertigt. Abbe konnte Pauly im Herbst 1895 für eine Zusammenarbeit interessieren. Da Pauly vom Aufsichtsrat seines Unternehmens gebeten worden war, bis zum Frühjahr 1897 seine Aufgaben in dem bisherigen Wirkungskreis weiterzuführen, übersiedelte er erst im Sommer 1897 nach Jena. Das Jenaer Unternehmen wandte sich zu einer Zeit der Entwicklung und dem Bau astronomischer Instrumente zu, in der die astronomische Wissenschaft einen grundlegenden Wandel erfuhr und die Astro-Physik entstand, die sich zunehmend mit der chemischen und physikalischen Zusammensetzung der Himmelskörper, mit ihrer Temperatur und Genesis befaßte sowie die Natur der von den Sternen ausgehenden Strahlen, die Beschaffenheit der beleuchteten Gasnebel, die Räume zwischen den Sternen usw. untersuchte. Abbe hatte - wie mit Pauly besprochen - zum 1. April die Astronomische Abteilung eingerichtet Der Vertrag, den Abbe und Pauly am 15. Juli 1897 abschlössen, unterschied sich von denen mit anderen wissenschaftlichen Mitarbeitern. Die Fa. Carl Zeiss und Pauly betrieben ab 1. April 1897 die optisch-astronomische Werkstätte auf gemeinschaftliche Rechnung und Gefahr unter der Bezeichnung „Fa. Carl Zeiss, Abteilung Astronomie". Beide Inhaber dieser Abteilung machten es sich zur Aufgabe, sowohl einfache optische Elemente und Baugruppen für den astronomischen Bedarf herzustellen als auch vollständige Instrumente zu fertigen. Das Grundkapital der Abteilung belief sich auf 40.000 Mark, das zu gleichen Teilen von der Optischen Werkstätte und von Pauly aufgebracht wurde. Die Optische Werkstätte stellte dem Unternehmen die geeigneten Räumlichkeiten zur Verfügung. Die Betriebseinrichtungen gingen auf das Konto der Abteilung. Der Reingewinn wurde geteilt und die Arbeitskräfte kamen in den Genuß der Stiftungsrechte. Pauly bezog ein Jahresgehalt von 6.000 Mark. Die Geschäftswelt wurde am 13. August 1897 über diese Neugründung in Jena unterrichtet. 39

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 575 (Materialsammlung Astro-Abteilung).

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Das Gesellschaftsverhältnis bestand bis zum 16. April 1903, dann übernahm die Fa. Carl Zeiss die Abteilung. Pauly zog seinen Kapitalanteil aus dem Unternehmen und trat als Leiter der Astronomischen Abteilung mit einem Jahresgehalt von 4.000 Mark sowie einem prozentualen Anteil am Jahresumsatz der Abteilung in die Optische Werkstätte ein. Mit Pauly kamen zwei seiner Arbeiter nach Jena. Carl Tauchnitz übernahm die Werkmeisterfunktion in der Abteilung und August Schäfer arbeitete in der Montage. Abbe stellte Pauly den sechsundzwanzigj ährigen Albert König zur Seite, der sich in Jena 1894 auf physikalischem Gebiet promoviert hatte und noch im gleichen Jahr ins Zeiss-Werk kam. Königs Aufgabe bestand vornehmlich darin, Linsenkombinationen für größere Erd- und Himmelsfernrohre sowie für die Astrophotographie zu berechnen. 40 Wenngleich mit Pauly ein im Bau von astronomischen Instrumenten erfahrener Mann nun in Jena war, so blieb die Entscheidung Abbes, sich diesem Geschäftsfeld zuzuwenden, dennoch außerordentlich riskant. Es waren nicht nur beträchtliche finanzielle Mittel aufzubringen, um den wissenschaftlich-technischen Vorlauf und zweckmäßige Fertigungseinrichtungen zu schaffen, sondern es bestand auch die Unsicherheit, ob sich tatsächlich ein hinreichend großer Kundenkreis finden werde, dessen Aufträge die Aufwendungen rechtfertigten. Immerhin war zu bedenken, daß jedes der astronomischen Großgeräte einen individuellen Zuschnitt haben mußte und Kalkulationen nahezu unmöglich machte, denn eine Serienfertigung war ausgeschlossen. Von Vorteil für das Vorhaben war allerdings die unmittelbare Nähe des leistungsfähigen und experimentierfreudigen Jenaer Glaswerks. Die erste Aufbauphase der Astronomischen Abteilung erstreckte sich bis in das Geschäftsjahr 1897/98. Der Geschäftsbericht hielt dazu fest: „Die Astronomische Abteilung, die mit dem 1. April 1897 in Betrieb gesetzt worden ist, und 1897/98 mit dem Versand ihrer Produkte begonnen hat, weist zwar zur Zeit noch einen geringen Warenabsatz auf, auch hat sie im verflossenen Geschäftsjahre keinen Reingewinn erzielt; die Aussichten für die günstige Weiterentwicklung des Unternehmens sind jedoch sehr erfreulich."41

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Geschichte des Zeisswerkes, S. 1 2 9 - 1 3 0 . UACZ. Bestand: BACZ Nr. 2 3 0 0 5 (Bericht über das Geschäftsjahr Akten des Stiftungskommissars), Bl. 251. SCHOMERUS:

1897/98.

Die Entwicklung des Stiftungsunternehmens

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Es wurde die Hoffnung geäußert, daß die Abteilung bald Reingewinn erzielen werde. Pauly und seine Mitarbeiter gingen zunächst an die Lösung astro-optischer Aufgaben. Im Vordergrund stand dabei die Berechnung und Fertigung von Linsen für die Fernrohrobjektive und Okulare. Um 1903 standen Objektive mit der Bezeichnung „E" zur Verfügung, die zunächst einen Durchmesser von 60 mm aufwiesen und später bis auf 200 mm vergrößert wurden. Die besondere Qualität dieser Objektive gründete sich auf neue und reinere Glasschmelzen sowie aufbessere Herstellungsmethoden. Durch die besondere Wahl der Glassorten konnte bei zweilinsigen Objektiven das sekundäre Spektrum nahezu beseitigt werden. Es war Czapski, der zuerst diese Apochromate für astronomische Zwecke entwickelt hatte. König führte dann diese Arbeiten weiter. 1903 brachte die Astronomische Abteilung den ersten Apochromat „A" heraus. Im folgenden Jahr entwarf König das dreiteilige apochromatische Objektiv „B". Das zweite astro-optische Gebiet, mit dem sich Pauly und seine Mitarbeiter in diesen Jahren befaßten, waren die parabolischen Glasspiegel. Sie wurden durch genaueste Schleifmethoden hergestellt Das war, wie Auerbach schrieb, „eine Aufgabe, deren heikle Natur man ahnen wird, wenn man hört, daß es sich hierbei darum handelt, von der Spiegelfläche Oberflächenschichten fortzunehmen, deren Dicke sich von Ort zu Ort ändert, und daß hierbei eine Genauigkeit erforderlich ist, bei der es noch auf kleine Bruchteile eines tausendstel Millimeters ankommt". 42 1904 entstand der erste größere Spiegel für die Sternwarte in Heidelberg, und 1905 lieferte die Astronomische Abteilung den damals lichtstärksten Spiegel der Welt mit einem Durchmesser von 400 mm und einer Brennweite von einem Meter. Für die astro-photographisch-statistischen Untersuchungen von Sternspektren dienten die Objektiv-Prismen, die mit verschieden brechenden Winkeln hergestellt, kreisförmig gefaßt, vor das Objektiv montiert wurden. Das erste größere Objektivprisma mit einem Durchmesser von 640 mm und einem brechenden Winkel von elf Grad fertigte man in Jena für die Sternwarte in Kapstatt an. 1903 begann die dritte Aufbauphase der Astronomischen Abteilung, in der die Voraussetzungen für die Herstellung astronomi-

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 17120 (Jahresbericht 1945/46. Abteilung Astro), BI. 4-5.

1896 - 1905

Abb. 21 Astro-Linsenschleiferei um 1903

scher Großgeräte entstanden. Die bislang erzielten Fortschritte auf dem astro-optischen Gebiet erlaubten es, den Bau derartiger Instrumente in Angriff zu nehmen. Zugleich veranlaßte die kritische Wirtschaftssituation, in der sich das Unternehmen im Geschäftsjahr 1902/03 befand, die Geschäftsleitung, dieses Geschäftsfeld vollständig zu besetzen. Dazu wurde sie auch durch die Nachricht ermutigt, daß die Hamburger Fa. Repsold & Söhne, die einen guten Namen im astronomischen Gerätebau hatte, aus Altersgründen das Geschäft aufgeben werde. Um für den Großgerätebau die erforderlichen technischen Bedingungen zu schaffen, errichtete man südlich der Goethestraße ein Gebäude mit einem beweglichen Dach für deren Montage. Die astro-mechanischen Arbeiten beschränkten sich anfangs auf den Bau der Objektivfassungen in der von Werkmeister Franz Gresitza geführten Versuchswerkstatt. Im Geschäftsjahr 1898/99 nahm man die Konstruktion und den Bau von Fernrohren azimutaler und parallaktischer Aufstellungen auf. Während die erstgenannten Fernrohre astronomische und - bei Einsatz eines Prismenumkehrsatzes - auch terrestrische Beobachtungen gestatteten, dienten die zweiten ausschließlich astronomischen Beobachtun-

Die Entwicklung des Stiftungsunternehmens

Abb. 22

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Astro-Werkstatt um 1904

gen. Zu diesen beiden Fernrohrausführungen fügte man 1903 das Aussichtsfernrohr hinzu, das terrestrischen Zwecken diente und in monokularer und binokularer Ausführung angeboten wurde. Bei diesem Instrument richteten zusätzliche Prismensysteme das umgekehrte Bild des astronomischen Fernrohrs wieder auf. Die Astronomische Abteilung lieferte dieses Fernrohr mit unterschiedlicher Objektivöffnung und veränderbaren Vergrößerungen. Damit warb das Zeiss-Werk - wie auch mit den leistungsstarken Feldstechern für die neue Warengruppe.43 Während diese drei Fernrohrtypen in Serien gefertigt werden konnten, blieben die astronomischen Großgeräte Einzel- und Sonderanfertigungen.44 Die Konstruktion der Großgeräte bedingte eine große Stabilität. Alle Teile und Nebenapparate mußten bequem handhabbar, leicht zu bewegen und zweckmäßig verteilt sein. All diese Bedingungen erfüllte die Entlastungsmontierung, bei der das

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SCHOMERUS: Geschichte des Zeiss-Werkes, S. 133. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 17120 (Jahresbericht 1945/46 Abt. Astro), Bl. 5-7.

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1896 - 1905

die Genauigkeit liefernde Führungsachsensystem von dem die mechanischen Kräfte übernehmenden Entlastungs-Achsensystem getrennt war. Das letztere System war kunstvoll in das hohle Führungsachsensystem eingegliedert. Diese Kombination von großen Gewichten und Kräften mit höchster Präzision gelang dem Hochschulingenieur Franz Meyer in Jena. 45 Das Prinzip der Entlastungsmontierung wurde erstmals bei einem in der ZeissWerk-Sternwarte aufgestellten Instrument erprobt. Im Geschäftsjahr 1902/03 nahm Walter Villinger ein Versuchsobservatorium, das vornehmlich der astronomischen Photographie diente, auf dem Forst bei Jena in Betrieb.46 Villinger leistete aufgrund seines beruflichen Werdeganges als Astronom einen spezifischen Beitrag zur Entwicklung der astronomischen Instrumente. Nachdem schon 1899 das erste Verzeichnis der lieferbaren astronomischen Objektive herausgekommen war, unterrichtete 1902 die Zeiss-Geschäftsleitung die interessierten Kreise über die lieferbaren Fernrohre. Im Geschäftsjahr 1902/03 gingen die ersten größeren Aufträge für astronomische Spiegel, Fernrohre und andere Instrumente ein. Darunter befand sich das für die Heidelberger Sternwarte gefertigte Spiegelteleskop für astrophotographische Zwecke, das eine Öffnung von 750 mm und eine Brennweite von 2,7 m hatte und mit einem Leitfernrohr und einem Sucher versehen war. 1904 konnte dieses Instrument, das seinerzeit das Größte seiner Art in Deutschland war, an den Auftraggeber übergeben werden. Dazu gehörte ein Astrograph, bei dem man das neue Schottglas mit einer starken Durchlässigkeit für ultraviolette, photographisch besonders wirksame Strahlen, verwendet hatte. Während das Instrument für Heidelberg fertigestellt wurde, befand sich ein Spiegelteleskop von 400 mm Öffnung und 1 m Brennweite

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Franz Meyer, am 6. Juni 1868 geboren, bildete sich zum Hochschulingenieur aus und lernte bei der Berliner Fa. Hoppe, die 1896 das große Treptower Fernrohr gebaut hatte, die Probleme dieses Arbeitsgebietes kennen. C. BÜCHELE: Franz A. Meyer. In: Zeitschrift für Instrumentenkunde. 1933 53 Jg. Heft 11, S. 453-456. Villinger war dreißig Jahre alt, als er am 1. Oktober 1902 seine Tätigkeit im Zeiss-Werk aufnahm. Der gebürtige Schweizer hatte in Zürich Astronomie und Naturwissenschaften studiert und mit einer Arbeit über die Rotationsdauer der Venus promoviert. Bevor er nach Jena kam assistierte er dem Astronomen von Seeliger an der Münchener Sternwarte, wo er sich u. a. auch auf dem Gebiet der Astro-Photographie hervortat.

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für die Sternwarte in Innsbruck in der Fertigung. Es verfügte ebenfalls über ein Leitfernrohr und einen Sucher und war mit zwei U-V-Astrokameras ausgerüstet. Bei diesem Spiegelteleskop, das 1905 den Betrieb aufnahm, kam das Meyer'sche Entlastungssystem zur Anwendung.47 Die beachtenswerten wissenschaftlich-technischen Resultate auf dem Gebiet des astronomischen Gerätebaus fanden noch keinen kommerziellen Niederschlag. Die Astronomische Abteilung konnte noch nicht auf den erhofften Umsatz verweisen. Auch nachdem in den folgenden Jahren die Aufträge allmählich zunahmen, wurde kein Gewinn erzielt.48 Allerdings erwartete man, in den nächsten Jahren in die Gewinnzone vorzustoßen. Dazu gaben die bereits eingegangenen Aufträge für den Bau von Fernrohren für die Sternwarten im schweizerischen Neuchätel und in Hamburg Anlaß. Darüberhinaus war man betrebt, das Astro-Geschäft in Amerika aufzubauen. 49 Die Abteilung erhielt in den Geschäftsjahren 1903/05 auf eine andere Weise die Möglichkeit zur Umsatzsteigerung, denn ihr hatte man den Bau von optischen Signalgeräten 50 übertragen. Diese Geräte dienten hauptsächlich militärischen Zwecken. Im Geschäftsjahr 1904/05 hatte man einen größeren Auftrag für Südafrika ausgeführt. 51 1899/1900 verzeichnete die Astronomische Abteilung einen Umsatz von 15.000 Mark, der bis 1902/03 auf 68.586 Mark gesteigert werden konnte. Nach dem Übergang zur Signalgerätefertigung nahm der Umsatz dann sprunghaft zu und erreichte 1904/05 190.977 Mark.52 Die Tabelle 14 im Tabellenanhang gibt über die Umsatzentwicklung dieser Abteilung näheren Aufschluß.

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SCHOMERUS,: Geschichte des Zeisswerkes, S. 135. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23015 (Bericht über das Geschäftsjahr 1903/04. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 115. UACZ: Bestand: BACZ Nr. 23015 (Bericht über das Geschäftsjahr 1903/04. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 115.

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AUERBACH: Zeisswerk. 2. Auflage 1904, S. 101-102.

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23019 (Bericht über das Geschäftsjahr 1904/05. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 28. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 786 (Berichte über die Geschäftsjahre 1899/1900

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bis 1901/02); Nr. 126 (Bericht über das Geschäftsjahr 1902/03); Nr. 2 3 0 1 4

(Statistische Übersicht über das Geschäftsjahr 1903/04.), Bl. 243; Nr. 23019 (Bericht über das Geschäftsjahr 1904/05), Bl. 28; UACZ; Nr. 17120 (Jahresbericht 1945/46. Abtl. Astro. Anlage 1).

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1896 - 1905

Die Feldstecherfertigung Die Anfange In Anbetracht des unstet gewordenen Mikroskopgeschäftes faßte m a n im Frühjahr 1893 in Jena den Plan, die schon 1891 von Abbe geäußerte Absicht, „Handfernröhre bester Qualität (namentlich für Marine- und Militärgebrauch)" herzustellen, n u n zu realisieren. 5 3 Darüber schrieb Czapski d e m Stiftungskommissar am 16. Mai 1893: „Einige Überlegungen, welche Schott und ich über eine 20 Jahre alte ingeniöse Idee Abbe's betr. Herstellung von Handfernrohren angestellt haben, führten uns zu so überraschenden Ergebnissen, daß ich nur das allerbeste davon verspreche. Ich lasse soeben die praktischen Versuche ausführen. Wenn sie günstig ausfallen, so können wir uns gratulieren und getrost einen Neubau beginnen." 34 Wie sich dieser Entschluß dann in den Werkstätten auswirkte, machte Russ in seinem Bericht zum Geschäftsjahr 1892/93 deutlich: „Es war dies die Fabrikation der neuen Feldstecher und Relieffernrohre, welche berufen sein sollte, den im Mikroskopgeschäft brach liegenden Arbeitskräften wieder Beschäftigung zu geben, und welche diese Voraussetzung auch im weitgehendsten Maße erfüllt hat" 3 3 Die Arbeiten an einem Feldstecher wurden im Frühsommer des Jahres 1893 aufgenommen. Unter Federführung Abbes und unter Verwendung von besonders hellem und klarem Boro-Silikat-Kronglas aus dem Jenaer Glaswerk entstand ein Prismenfernrohr, das am 8. Juli 1893 als „Bild Umkehr-Prismen-Kombination" beim Kai-

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23000 (ABBE: Wünsche und Anträge. Akten des Stiftungskommissars) Bl. 74. Abbe hatte sich schon 1873 mit dem Gedanken getragen, ein Handfernrohr zu bauen. Da er zu dieser Zeit offensichtlich wenig Resonanz für seine Absicht fand und eine Vielzahl anderer Aufgaben zu lösen hatte, verfolgte er dieses Projekt nicht weiter. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23003 (Brief Czapski an Rothe vom 16. Mai 1893. Akten des Stiftungskommisars), Bl. 15. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1574 (Russ: Die Entwicklung der Abteilung).

Die Entwicklung des Stiftungsunternehmens

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serlichen Patentamt angemeldet wurde. Die Patentansprüche galten den Umkehr-Prismen, 4 9/0° - Prismen, dem erweiterten Objektivabstand und den mit Linsen kombinierten Prismen. Vermutlich gab es im Patentamt schon Einwände gegen das Jenaer Patentersuchen, denn am 6. September 1893 schrieb Abbe an den Berliner Anwalt, der die Interessen des Zeiss-Werkes beim Patentamt vertrat: „Wir glauben sicher zu sein, selbst wenn der Gedanke, die Bildaufrichtung beim Fernrohr durch bewußte Prismen-Kombination herbeizuführen, nachträglich als nicht neu sich herausstellen sollte, doch die anderen Anwendungen derselben Prismen-Kombination (nämlich zur Verkürzung der Rohrlänge der Fernröhren und zum Auseinanderrücken der Objektive behufs Erzielung stereoskopischer Wirkungen) völlig neu sein werden."56

Am 7. Oktober übersandte die Geschäftsleitung dem Patentamt zwei Modelle der Umkehr-Prismen. Aber einen Monat später, am 17. November 1893, teilte das Patentamt mit, daß die zum Patent angemeldeten Umkehr-Prismen und der erweiterte Objektivabstand nicht geschützt werden können, weil beides schon in der 1876 erschienenen elften Auflage des Lehrbuchs der Physik von Eisenlohr abgehandelt worden sei. Das Lehrbuch enthielt die Abbildung des von dem italienischen Ingenieur Ignatz Porro konstruierten Fernrohrs. Daraufhin arbeitete man in Jena gezielter an dem Prismenfernrohr und stellte den patentfähigen Neuheitsgrad des Instruments deutlicher heraus. Am 21. Dezember 1893 wurde ein neuer Antrag eingereicht, der sich nun auf den Schutz des stark erweiterten Objektivabstands beschränkte. 57 Schließlich wurde dem Zeiss-Werk am 18. April 1894 das Patent für das Doppelfernrohr mit vergrößertem Objektivabstand erteilt.58 „Bei den Zeiß-Feldstechern ... ist der Objektivabstand ungefähr doppelt so groß wie der Okularabstand, so daß sich auch ungefähr die doppelte Plastik ergibt; für manche Zwecke, wo flächenhafte Bilder vorzuziehen sind, wird aber auch die umgekehrte Anordnung getroffen, d.h. der Objektivabstand verkleinert."59 Die Feldstecher hatten entweder einen Mitteltrieb oder eine Einzeleinstellung der Okulare. Die auf drei-, acht-, zwölf-, 16-

56 57 58 59

Zitiert in SCHOMERUS: Geschichte des Zeisswerkes, S . 90. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 16300 (40 Jahre Zeiss-Feldstecher). UACZ. Bestand: BACZ (Zeiss- (Patent) Verzeichnis 0-1000). AUERBACH: Das Zeisswerk. 4. Auflage 1914, S . 7 5 .

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1896 - 1905

und 18fache Vergrößerung ausgelegten Beobachtungsinstrumente zeichneten ein modernes Design und eine sorgsame Ausführung aus. Das Angebot umfaßte Reise-, Sport-, Jagdfeldstecher, Theatergläser und bald auch Militärgläser. Während der Arbeiten an einem patentfähigen Instrument wurden die konstruktiven und technologischen Vorarbeiten für das neue Erzeugnis soweit vorangetrieben, daß im August 1893 die Zeichnungen in die Russ'sche Abteilung gegeben werden konnten. Der Feldstecherkörper wurde in einem Stück aus Leichtmetall gegossen. Um das Instrument vor Feuchtigkeit zu schützen, vermieden die Konstrukteure die Verwendung von Schrauben. Im September 1893 begannen die Dreharbeiten an den Säulen (Seitenrohre) für das Relieffernrohr, und im folgenden Monat wurden die Dreharbeiten an den Okulargehäusen und Prismenplatten aufgenommen. Noch im November erfolgte die Fertigung der Feldstechergelenke und -achsen. Anfang 1894 begann unter Leitung des Meisters Jakob Heckel in der Mikroskop-Werkstatt von Fritz Müller die Montage der ersten Feldstecher. Müller brachte die fertigen Instrumente zu Abbe ins Büro, der sie sofort begutachtete. Die Vorbereitungsarbeiten für eine fabrikmäßige Fertigung von Feldstechern zogen sich bis zum Frühjahr 1894 hin. Am 30. April 1894 konnte Czapski dem Stiftungskommissar mitteilen: „In der Fernrohrfabrikation scheinen alle Hindernisse soweit beseitigt zu sein, dass von dieser Woche an regelmäßig Serien von Instrumenten wirklich fertiggestellt werden. Es ist auch hohe Zeit."60 Am 13. Juni 1894 erwarb Czapski das erste Verkaufsexemplar.61 Ende 1894 hatte die Abteilung bereits ca 2.000 Monturen für die Feldstecher von vier-, sechs- und achtfacher Vergrößerung, sowie 500 Monturen für die Relieffernrohre von sechs bis zehnfacher Vergrößerung ausgeführt. Anfangs erfolgte die Montage der zehn bis 20 Feldstecher umfassenden Losgrößen unter Leitung des Meisters Ferdinand Hebestreit in der Mikroskop-Montierwerkstatt.62 Das technologische Fertigungsprinzip beschrieb Russ so: „Die Bearbeitung der einzelnen Teile in möglichst einfache Phasen zerlegen, um jede dieser Phasen möglichst correkt und wenn nötig auch mit wenig

60

61 62

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23004 (Brief Czapski an Rothe vom 30. April 1894. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 110. UACZ. Bestand: BACZ, Nr. 16300 (40 Jahre Zeiss-Feldstecher). SCHUMANN: Carl Zeiss, S. 93.

Die Entwicklung des Stiftungsunternehmens

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Abb. 23 Erster ZeissPrismenFeldstecher, 1894

geschulten Kräften ausführen zu können."63 Das erlaubte, vorerst auf Spezialmaschinen zu verzichten, weil sich die einfachen Arbeitsgänge mittels geeigneter Vorrichtungen auf vorhandenen Maschinen ausführen ließen. Dadurch konnte den anfangs noch häufigen und unvermeidlichen Änderungen der Maße und Formen durch das Umstellen von Vorrichtungen Rechnung getragen werden. Russ sah sich 1895/94 aus Mangel an erfahrenen Werkzeugmachern genötigt, die erforderlichen Lehren und Vorrichtungen selbst zu entwerfen. Der umfassendere Einsatz des bislang ungebräuchlichen Aluminiums erforderte neuartige Bearbeitungsmethoden, den Bau der dazu erforderlichen Vorrichtungen und den Einsatz geeigneter Werkzeuge. Mit dem Übergang zur Massenfertigung wurde eine sorgfältige Rontrolle der ausgeführten Präzisionsteile unerläßlich, darum regte Russ den Einsatz eines Rontrolleurs an. Diese Aufgabe übernahm am 26. August 1895 der ins Angestelltenverhältnis übernommene Mechaniker G. Ernst.

Die Nachfrage des Militärs Neben der Entwicklung von Jagd- und Operngläsern arbeitete man in der Optischen Werkstätte auch intensiv an Militär-Feldstechern. Dabei hatten Abbe und die anderen Geschäftsleiter wohl auch das Beispiel anderer deutscher Firmen vor Augen. Die Emil Busch AG hatte schon seit Anfang der sechziger Jahre „Doppelperspektiven" an die württembergische und seit 1864 an die preußische Armee geliefert. Auf die Erfahrungen des Militäreinsatzes in den

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1574 (Russ: Die Entwicklung der Abteilung).

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Feldzügen von 1866 und 1870/71 gegründet, vervollkommnete das Rathenower Unternehmen dann die Ferngläser, so daß sich das kaiserliche Heer entschloß, ein in Rathenow entwickeltes Dienstglas für Unteroffiziere einzuführen. Dieses Glas wurde auch von ausländischen Heeresverwaltungen angeschafft. Die Staatsaufträge erlaubten es der Firma Busch, nicht nur die Fertigung zu rationalisieren, sondern sie garantierten in kritischen Geschäftssituationen auch einen sicheren Umsatz. Das zeigte sich auch in den frühen neunziger Jahren, als die kaiserliche Armee das Militärmodell C/91 dieser Firma übernahm. Die daraus resultierenden Aufträge ermöglichten 1893 den weiteren Ausbau des Busch-Unternehmens.64 Auch die 1880 von Paul Goerz gegründete Spezialfabrik photographischer Amateur-Apparate in Berlin-Friedenau hatte 1891 der Königlichen Gewehrprüfungskommission Modelle der galileischen Fernrohre vorgestellt. Da diese Beobachtungsinstrumente den gestellten Anforderungen entsprachen, erhielt das junge Unternehmen die ersten Staatsaufträge.65 Die Vergabe von größeren Aufträgen an feinmechanisch-optische Unternehmen, die optische Militärinstrumente anboten, stand im Zusammenhang mit dem Rüstungsbestreben des deutschen Kaisers und seiner militärischen Umgebung. So wies Wilhelm II. am 18. August 1892 in einer Rede vor höheren Offizieren auf dem Tempelhofer Feld in Berlin auf eine neue Militärvorlage hin, die der Reichskanzler Leo Graf von Caprivi in den Reichstag einbringen werde. Der Reichstag lehnte diese Vorlage am 6. Mai 1893 ab und wurde daraufhin aufgelöst. Das machte jedermann deutlich, daß der Kaiser und die Reichsregierung an den Plänen zur Vergrößerung und Modernisierung der deutschen Streitkräfte festhielten. Tatsächlich wuchs im Laufe der neunziger Jahre die Truppenstärke von 511.557 auf 600.516 Mann an. Gleichzeitig setzte der forcierte Ausbau der Kriegsmarine ein. 66

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ALBRECHT: Geschichte Emil Busch AG, S. 54, 73. Festschrift. Herausgegeben von der Optischen Anstalt C. P. Goerz Akt.-Ges. Berlin-Friedenau anläßlich der Feier ihres 25jährigen Bestehens 18861911. o.O., S. 23-27. NIPPERDEY: D e u t s c h e G e s c h i c h t e . B d . 2 , S. 2 0 5 - 2 1 8 ; GEORG W . F. HALL-

GARTEN: Imperialismus vor 1914. Die soziologischen Grundlagen der Außenpolitik europäischer Großmächte vor dem ersten Weltkrieg. Erster Band. Zweite, durchgearbeitete und stark erweiterte Auflage. München 1 9 6 3 , S. 3 3 0 - 3 3 4 ; G. HOHORST, J. KOCKA, G. A. RITTER: S o z i a l g e s c h i c h t l i c h e s

Arbeitsbuch 2. Materialien zur Statistik des Raiserreiches 1870-1914. Zweite, durchgesehene Auflage. München 1978, S. 171.

Die Entwicklung des Stiftungsunternehmens

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Die Entwicklung der Zeiss-Militärfeldstecher Die Geschäftleitung der Optischen Werkstätte konnte die militärischen Dienststellen für die Jenaer Militärgläser interessieren. Die Zusammenarbeit mit der Artillerie-Prüfkommission führte dazu, daß die Fertigung des felddiensttauglichen Feldstechers DF4x 1893/94 begann. Am 30. September 1894 schrieb Abbe an Roderich Zeiß: „Zur Zeit sind wir beschäftigt mit der Ausarbeitung weiterer Modelle der Handfernrohre, speciell für Marinegebrauch, und von telestereoskopischen Standfernrohren (Stativfernrohren) mit sehr weit auseinandergerückten Objektiven."67 Die Ergebnisse waren u.a. das DF 958 x, das Ofßziers-Doppelfernrohr ODF 65 sowie das Marineglas mit fünf- bis ISfacher Vergrößerung. Am 27. Juni 1894 berichtete Abbe nach Weimar: „Vorigen Sonnabend waren 2 Referenten der Artillerie-Prüfungs-Kommission hier, um wegen der in Arbeit befindlichen modifizierten Modelle von Feldstechern nachzusehen und über einige andere Dinge Aufträge zu erteilen. Nach den Äusserungen dieser Herren dürfen wir bestimmt auf große Bestellungen Seitens des Kriegsministeriums rechnen;"68

Die Jenaer Bemühungen um leistungsfähige Militärgläser fand die allerhöchste Anerkennung des deutschen Kaisers, der im September 1894 den Freiherrn von Beaulieu befahl, „der Firma Zeiss allerhöchste Zufriedenheit und volle Bewunderung für die neuen Handfernrohre auszusprechen."69 Der Monarch hatte das Zeiss-Glas bei einem Manöver benutzt und daraufhin die Infanterie-Schule in SpandauRühleben mit der Erprobung der Zeiss-Gläser beauftragt Die Zeiss-Feldstecher übernahmen auf dem einschlägigen inund ausländischen Markt bald eine führende Position. Der Grund dafür lag in ihrer besonderen Qualität Sie waren mit optischen Gläsern ausgestattet, die man speziell für die Anforderungen dieser Instrumente entwickelt hatte. Die Konstruktionsdaten beruhten auf exakten geometrisch-optischen Vorausberechnungen. Die Einzelteile waren einer gewissenhaften Kontrolle unterzogen worden.

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1534 (Brief Abbe an Roderich Zeiß vom 30. September 1894. Abschrift). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23004 (Brief Abbe an Rothe vom 27. Juni 1894. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 110. SCHUMANN: Carl Zeiss, S. 93.

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1896 - 1905

Die sorgfaltige Justierung und Rontrolle der zusammengebauten Instrumente erfolgte mit einwandfreien Feinmeßgeräten. 70 Obgleich die Beziehungen der Geschäftsleitung zu den militärischen Dienststellen sehr eng waren und sich die Jenaer Feldstecher für eine militärische Verwendung bestens eigneten, blieben bis zum Ende der neunziger Jahre nennenswertere Aufträge aus. Das ergab sich offensichtlich mit aus der Entwicklung des deutschen Militärhaushaltes. Die Militärausgaben des Reiches waren über einige Jahre hinweg zurückgegangen. Bei den Sachmitteln hatten die Ausgaben 1896 einen Tiefstand erreicht. Das änderte sich erst seit 1897 wieder, denn in diesem Jahr lagen die Sachmittelausgaben um 11,4 Prozent höher als im Vorjahr. In den folgenden Jahren wuchsen sie dann um 3,9 bzw. 6,4 Prozent. Zwischen 1899 und 1900 hatten die militärischen Sachausgaben insgesamt um 25,3 Prozent zugenommen.71 Davon profitierte auch die Optische Werkstätte, bei der seit 1898/99 Militäraufträge, insbesondere für Feldstecher, eingingen.72 Die Feldstecherfertigung, die sich 1895/96 auf 2.775 Instrumente belief, konnte bis 1897/98 auf 5.426 Exemplare gesteigert werden. In den folgenden beiden Geschäftsjahren erhöhte sich der Ausstoß auf 7.532 bzw. auf 9.288 Feldstecher. Zwischen 1900/01 und 1902/03 stagnierte die Feldstecherfertigung. 1901/02 war sie sogar um 12,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr zurückgegangen. Aber zwischen 1902/03 und 1904/05 erhöhte sich die Fertigung wieder von 9.955 auf 17.698 Feldstecher.73 Diese Großaufträge beeinflußten die Betriebsorganisation in der Optischen Werkstätte, denn nun mußten die Arbeiten in der Teleskopischen Abteilung nach fest vorgegebenen Lieferterminen erfolgen, und es wurde eine Vorkalkulation erforderlich.74 Die Zeiss-Gläser fanden auch im Ausland ein wachsendes Interesse. Um die Fertigungskapazitäten zu begrenzen, empfahl Abbe, Ferngläser von einer französischen und einer amerikanischen Firma in Lizenz bauen zu lassen.75

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74 75

AUGUST SONNEFELD: Ernst Abbes Verdienste um die Zeiss-Doppelfernrohre mit Umkehrprismen. In: Jenaer Jahrbuch 1955. 2. Teil. Jena 1955, S. 172-184. Errechnet nach HOFFMANN: Das Wachstum der deutschen Wirtschaft, S. 722-723. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1574 (Russ: Entwicklung der Abteilung). Errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 17095 (Entwicklung des Feldstecher-Geschäfts. Anlage 1). UACZ. Bestand BACZ Nr. 1574 (Russ: Die Entwicklung der Abteilung). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23007 (Akten des Stiftungskommissars), Bl. 23.

Die Entwicklung des Stiftungsunternehmens

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Zu Beginn des neuen Jahrhunderts geriet das Feldstechergeschäft der Optischen Werkstätte in eine Krise. Zunächst stagnierte es 1899/1900, um dann im Geschäftsjahr 1901/02 zurückzugehen. Im Bericht über das Geschäftsjahr 1902/03 wurde festgestellt: „Für die Firma Carl Zeiss war das Geschäftsjahr 1. Oktober 1902/03 weniger günstig als die Vorjahre. Von diesem Rückgang ist namentlich die teleskopische Abteilung betroffen. Der Gewinn aus dem bisher nutzbringendsten Erzeugnis dieser, dem Feldstecher, ist in dem letzten Jahr empfindlich zurückgegangen. Der Grund dafür liegt einesteils darin, daß der Bedarf der Heeresverwaltungen, aber auch der des Privatpublikums zunächst gedeckt erscheint, wie namentlich die Lieferungen nach England nach Beendigung des Burenkrieges merklich nachgelassen haben." 76

Im Bericht mußte auch konstatiert werden, daß es der Konkurrenzfirma Goerz AG gelungen war, Aufträge zur Lieferung von Feldstechern für die Infanterie, die Kavallerie und die Feldartillerie zu erlangen. Durch Preisreduzierung von 15-30 Prozent versuchte die Jenaer Geschäftsleitung der Konkurrenz zu begegnen. Die Firma Goerz folgte dem Jenaer Beispiel und ließ gleichfalls in den Preisen nach. Im Herbst 1902 zwang das Nachlassen des Militärgeschäfts die Geschäftsleitung, in den einschlägigen Abteilungen Kurzarbeit anzuordnen und später, im Frühsommer des folgenden Jahres, 60 Optik-Arbeiter zu entlassen.77 Nach einer leichten Belebung des Feldstechergeschäfts im Sommer 1903 weckte insbesondere der russisch-j apanische Krieg die Hoffnung auf einen guten Absatz optischer Militärgeräte. In dem am 1. April 1904 abgeschlossenen Bericht über das Geschäftsjahr 1902/03 stand dazu: „Der Russisch-Japanische Krieg hat bis jetzt eine Erhöhung der Nachfrage nach Feldstechern noch nicht zur Folge gehabt Von Japan sind einige Probelieferungen bestellt worden. Im übrigen scheine Japan mit der Firma Goerz abgeschlossen zu haben. Russland will seine Lieferungen an den Mindestfordernden vergeben. Nach der außerordentlichen Menge optischen Glases, welche die Firma Goerz kürzlich von dem Jenaer Glaswerk bezogen hat, ist anzunehmen, daß sie auch einen großen Teil der Russischen Aufträge zu erhalten hofft" 78 76 77 78

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23014 (Bericht über das Geschäftsjahr 1902/03. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 117. Siehe dazu den Abschitt über den Konflikt im Sommer 1903 in diesem Kapitel. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23014 (Bericht über das Geschäftsjahr 1902/03. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 120.

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1896 - 1905

Schon nach wenigen Monaten gingen im Jenaer Unternehmen von beiden Kriegsgegnern größere Bestellungen ein. Der Januar 1905 vorgelegte Bericht für das Geschäftsjahr 1903/04 vermerkte: „Seit dem Oktober 1904 sind dagegen von Japan für rund 150.000 M und von Rußland rund 400.000 M Kriegsbestellungen teils schon gemacht, teils in sicherer Aussicht."79 Allerdings befürchtete man in Jena einen Absatzrückgang von zivilen Erzeugnissen in die kriegführenden Staaten. Im folgenden Geschäftsjahr stieg die Fertigung in der Teleskopischen Abteilung aufgrund der militärischen Auseinandersetzung in Fernost stark an. Die Optische Werkstätte lieferte an beide Konfliktparteien Feldstecher, Fernrohre und andere militärisch nutzbare Erzeugnisse im Wert von 1.055.000 Mark, davon gingen 68,5 Prozent nach Rußland und 31,5 Prozent nach Japan. Diese Lieferungen an das russische und an das japanische Militär beliefen sich 1904/05 auf 38,3 Prozent des Gesamtumsatzes der Teleskopischen Abteilung.80 Die Optische Werkstätte wurde mit der zunehmenden Herstellung von Militärgläsern und den optischen Militärgeräten, auf die noch einzugehen ist, von internationalen, mit militärischen Mitteln ausgetragenen Konflikten, immer stärker abhängig. Der Auslandsumsatz von Feldstechern, der 1894/95 erst 44,6 Prozent betrug, schnellte bis 1896/97 auf 72,2 Prozent und erreichte mit 77,8 Prozent im Geschäftsjahr 1900/02 den Höhepunkt. In den folgenden Jahren sank er wieder auf 67,7 Prozent. 81 Insgesamt stieg der Umsatz zwischen 1893/94 und 1904/05 von 24.453 auf 2.784.815 Mark. Daran hatte das Geschäft mit den Militärfeldstechern 1893/94 einen Anteil von 18,2 und 1903/04 von 43,2 Prozent. In den drei vorangegangen Jahren belief sich dieser Anteil sogar zwischen 51,3 und 51,6 Prozent. 82 Die Tabelle 14 im Tabellenanhang gibt den vollständigen Überblick über den Verlauf des Feldstechergeschäfts.

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23014 (Bericht über das Geschäftsjahr 1903/04. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 112-113. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23019 (Bericht über das Geschäftsjahr 1904/05. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 26. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 17095 (Entwicklung des Feldstecher-Geschäfts. Anlage 1). Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 168 (Statistische Übersicht), Bl. 16-17; Nr. 23005 (Berichte über die Geschäftsjahre 1893/94 bis 1904/05. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 166, 174, 186, 223,256; Nr. 23014, Bl. 243; Nr. 23019, Bl. 26; Nr. 786; Nr. 17095 (Entwicklung des Feldstecher-Geschäfts. Anlage 1); Nr. 14952 (Zusammenstellung des Umsatzes von 1895-1945).

Die Entwicklung des Stiftungsunternehmens

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Die Herstellung optischer Militärgeräte 1891 ersuchte Freiherr von Beaulieu Abbe, ein Zielfernrohr zu konstruieren, das sich auf ein Militärgewehr montieren ließ. Abbe nahm den Auftrag an und ließ mehrere Modelle mit unterschiedlichen Vergrößerungen fertigen. Anfang 1892 lag ein akzeptables Modell mit einer zweifachen Vergrößerung, einem Durchmesser von 18 mm und einer Länge von 120 mm vor. Für das Zielfernrohr meldete die Geschäftsleitung ein Patent an, das am 29. Januar 1892 erteilt wurde. 83 Die Feldversuche mit dem Zielfernrohr zogen sich hin und brachten wohl vorerst auch nicht die gewünschten Resultate, weil der für das Gehäuse eingesetzte Werkstoff Aluminium offensichtlich noch nicht den Anforderungen, die der Gebrauch von scharfer Munition stellte, entsprach. Darum erhielt die Optische Werkstätte wohl auch lange Zeit keine Aufträge für dieses Erzeugnis. Abbe, der darauf bedacht war, daß die Entwicklungskosten ersetzt wurden, drängte auf einen solchen Auftrag. Unter Vermittlung des Stiftungskommissars ersuchte er den Großherzog von SachsenWeimar-Eisenach um Unterstützung bei den militärischen Dienststellen.84 Das bei den Zielfernrohren angewandte Prinzip der Bildaufrichtung und die gesteigerte Plastik durch das Auseinanderrücken der Objektive lag auch den folgenden Konstruktionen von Zielfernrohren für Gewehre und für Geschütze zugrunde. In dem hier betrachteten Zeitraum entwickelte man in der Optischen Werkstätte 1894 das Rückblick-Zielfernrohr, den am 28. Dezember 1903 patentierten Bussolen-Richtkreis und das Doppelblick-Zielfernrohr, das seit dem 25. März 1904 patentrechtlichen Schutz genoß.85 Für Schiffgeschütze bot Jena das Scharten-Zielfernrohr und seit 1904 auch Periskope an. 86 Das Prinzip der gesteigerten Plastik durch das Auseinanderrücken der Okulare kam auch bei den Relief-Fernrohren mit einem fünf- bis zehnfachen Objektivabstand zur Anwen-

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UACZ. Bestand: BACZ (Zeiss-(Patent)Register 0-1000). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23002 (Brief Beaulin an Abbe vom 10. Juni 1892 und Bericht Rothe an Stiftungsverwaltung vom 13. Juni 1892. Akten des Stiftungskommissars), BI. 12-18. UACZ. Bestand: BACZ (Zeiss- (Patent) Register 0-1000). AUERBACH: Zeisswerk. 4. Auflage. 1914, S. 77-81,195.

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dung. Diese Scherenfernrohre eigneten sich insbesondere zur Beobachtung aus der Deckung.87 Seit 1893 wurde auch an stereoskopischen Entfernungsmessern mit fester Skala und wandernder Marke gearbeitet. Den Grundgedanken für dieses Instrument hatte Hektor de Grousillier nach Jena gebracht, der 1892 solch ein Gerät gebaut hatte. In Jena bildete man das Instrument lediglich weiter aus. Da es aber nicht gelang, das Instrument den militärischen Erfordernissen anzupassen, beauftragte Abbe 1896 Pulfrich, einen geeigneteren Entfernungsmesser zu konstruieren. Pulfrich fügte dem Entfernungsmesser die Zickzackskala hinzu, die dem Beobachter eine mühelose Entfernungsmessung ruhender oder sich bewegender Objekte durch ihre Zuordnung zu den einzelnen Punkten der räumlich gesehenen Skala erlaubte. Nach eingehenden Versuchsmessungen stellte Pulfrich 1899 das erste fertige Modell dieses Stereotelemeters in einem Vortrag auf der 1899 in München abgehaltenen Naturforscherversammlung vor.88 Aber schon bald ging die Optische Werkstätte zum Bau von Halbbilder-Entfernungsmessern über. In einem solchen Gerät entwarf das eine Objektiv das untere Halbbild und das zweite das obere. Die Halbbilder ließen sich seitlich so verschieben, daß sie an der Trennlinie genau übereinander standen. Seit 1899 fertigte die Optische Werkstätte auch Stangenfernrohre, und der Bericht über das Geschäftsjahr 1903/04 vermerkte, daß das Modell eines fahrbaren Mastfernrohrs fertiggestellt und von Beauftragten der Artillerie-Prüfungskommission bei einer Erprobung auf dem Forst bei Jena abgenommen worden sei.89 Das breiter werdende Sortiment an optischen Militärgeräten90 veranlaßte die Geschäftsleitung 1894 oder 1895, innerhalb der Teleskopischen Abteilung eine spezielle Militärabteilung zu bilden. Sie wurde seit 1902 von Albert König geleitet, dem der Oberleutnant zur See a. D. Braune zur Seite stand und der die speziellen militärischen Aufgaben wahrnahm. 91 Die verfügbaren statistischen Angaben erlauben es nicht, den Absatz der optischen Militärinstrumente

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Ders., S. 81.

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SCHNEIDER: Pulfrich, S. 127. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23015 (Bericht über das Geschäftsjahr 1903/04. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 111. Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ (Zeiss- (Patent) Verzeichnis 0-1000). AUERBACH: Das Zeisswerk. 2. Auflage. 1904, S. 65.

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Abb. 24 Besprechung der Geschäftsleitung mit der Artillerie-Prüfungskommission 1905. Die Personen v. l.n.r.: Hauptmann Bilau von der Artillerie-Prüfungskommission Berlin (APR), Berger, Forstmann, Heckel (stehend), Dr. Czapski, Braune, Major Servaes (von der APR), Dr. Rönig (stehend), Professor Straubel.

für die einzelnen Jahre zu bestimmen. Aber die Umsatzanalyse der Teleskopischen Abteilung läßt dennoch für einige Geschäftsjahre eine quantitative Aussage zu. Danach stieg der Umsatz optischer Militärgeräte von 4.885 Mark im Geschäftsjahr 1896/97 auf 10. 089 Mark im Geschäftsjahr 1903/04.92 Für die starke Ausbildung des Militärgeschäfts unter Abbes Leitung gab es mehrere Gründe. In dem schon zitierten Brief an Roderich Zeiß vom September 1894, in dem er über die Konstruktion von Feldstechern berichtet, vermerkte Abbe, daß er unter dem Gesichtpunkt der geschäftlichen Sicherung und Konsolidierung der Firma „die Eröffnung dieses neuen Betriebszweiges als einen wich92

Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 168 (Statistische Übersicht), Bl. 16-17; Nr. 23005 (Berichte über die Geschäftsjahre 1883/94 bis 1903/04. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 166, 174, 186, 223, 256; Nr. 23014, Bl. 243; Nr. 786; Nr. 17095 (Entwicklung des Feldstechergeschäfts. Anlage 1); Nr. 14952 (Zusammenstellung des Umsatzes von 1895-1945).

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1896 - 1905

tigen Fortschritt" betrachte, „zumal er noch einer beträchtlichen Ausdehnung fähig sein wird". 93 Abbe sah das Militärgeschäft wie jedes andere an. Das Jenaer Unternehmen durfte, wollte es sich auf die Dauer behaupten, das Militärgeschäft nicht vollkommen der Ronkurrenz überlassen, zumal sich mit den Gewinnen aus dem Militärgeschäft die wissenschaftlich-technischen Entwicklungen auf anderen Geschäftsfeldern finanzieren ließen. Von Max Fischer wissen wir, daß Abbe mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zur militärischen Sicherung Deutschlands beitragen wollte. „Er (Abbe d. V.) war sich bewußt, daß er mit besseren optischen Hilfsmitteln für militärische Ausrüstungen der Sicherheit seines Vaterlandes diente, und daß, wenn die besten Instrumente dieser Art zuerst in Deutschland fabriziert würden, dies einen wesentlichen Sicherheitsfaktor darstellte". 94 Vermutlich spielte auch eine Rolle, daß die Subventionen für die Entwicklung des optischen Glases auch unter dem Gesichtspunkt zur Verfügung gestellt worden waren, damit sich Deutschland von der strategischen Abhängigkeit von ausländischen, insbesondere französischen Glaslieferungen befreien kann. Die allgemeinpolitischen und die kommerziellen Erwägungen ließen offensichtlich darüberhinwegsehen, daß die Optische Werkstätte mit dem starken Ausbau des Militärgeschäfts von den politischen und militärischen Entwicklungen in der Welt - wie das Geschäftsjahr 1902/03 zeigte - unmittelbar abhängig wurde.

Die Patentpolitik der Geschäftsleitung Am Beginn seiner Zusammenarbeit mit Zeiss hatte Abbe wissen lassen, daß er nicht bereit sei, die von ihm erarbeiteten Resultate patentrechtlich schützen zu lassen. Diesen Grundsatz befolgte er auch in den folgenden Jahrzehnten nicht nur konsequent, sondern

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1534 (Brief Abbe an Roderich Zeiß vom 30. September 1894. Abschrift). Zitiert in SCHOMERUS: Geschichte des Zeisswerkes, S. 176.

Die Entwicklung des Stiftungsunternehmens

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nahm ihn auch in das Statut der Carl Zeiss-Stiftung auf. Der Paragraph 44 verfügte: „In Bezug auf solche aus dem Wirkungskreis der Stiftungsbetriebe hervorgehenden neuen Erzeugnisse, Verbesserungen und dergl., welche ihrer Bestimmung nach wesentlich Zwecken des Studiums und der wissenschaftlichen Forschung dienen, darf auch in Zukunft eine Beschränkung des Wettbewerbes Anderer durch Patentnahme oder ähnliche Massregeln nicht herbeigeführt werden."95

Abbe fand es unanständig, Erzeugnisse, die zur Gewinnung wissenschaftlicher Erkenntnisse ersonnen und hergestellt werden, in schutzrechtlicher Hinsicht ebenso zu behandeln wie Produkte, die dem Erwerb oder der Befriedigung alltäglicher Bedürfnisse dienten. Er war der Ansicht, daß der Räufer wissenschaftlicher Instrumente den Gegenwert für die in sie eingegangene technische und geistige Arbeit zu entrichten habe. Er wollte eine besondere Prämie für Urheberrechte vermeiden. Jeder, der in der Lage war, das jeweilige Instrument billiger herzustellen, sollte dazu die Gelegenheit haben. 96 Abbe und seine Rollegen in der Geschäftsleitung befolgten bis in das neue Jahrhundert hinein diesen Grundsatz. Die Optische Werkstätte ließ sich zwischen April 1890 und Dezember 1905 in Deutschland und im Ausland - vornehmlich in England, Frankreich und den USA - 73 Erzeugnisse und Verfahren patentieren. Patente wurden sowohl für grundlegende Leistungen als auch für Zusatzgeräte oder für technologische Erfindungen erteilt Die Analyse des Patentgeschehens in den Jahren von 1890 bis 1905 ergibt folgendes Bild. 16,5 Prozent der 73 Patente wurden in den ersten fünf Jahren erteilt und 20,5 Prozent entfielen auf das folgende Jahrfünft. 63 Prozent der Patente wurden der Optischen Werkstätte zwischen 1900 und 1905 zuerkannt. Von diesen 73 Patenten entfielen 36,1 Prozent auf Erzeugnisse der Abteilung für Photoobjektive und Zubehör, 40,3 Prozent auf die der Teleskopischen Abteilung. Die restlichen 23,6 Prozent entfielen auf diverse Entwicklungen, darunter befand sich eine Drehbank, eine Rugeldrehbank, eine Gewindelehre sowie Spiegelmetall.97 95 96

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 16873 (Statut der Carl Zeiss-Stiftung), Bl. 22. Motive und Erläuterungen zum Entwurf eines Statuts der Carl Zeiss- Stiftung. In: ABBE: Sozialpolitische Schriften, S. 343-344. Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ (Zeiss(Patent)Verzeichnis 0-1000). ERNST ABBE:

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1896 - 1905

Am 1. Oktober 1903 besaß die Optischen Werkstätte 95 Patente auf insgesamt 33 Gegenstände. Dazu kamen noch 56 Gebrauchsmuster und 47 eingetragene Warenzeichen.98 1904 gewährte das Kaiserliche Patentamt der Optischen Werkstätte das Recht, das allgemein bekannte Warenzeichen, „Carl Zeiss im Linsenrahmen", zu nutzen." Der von Abbe aufgestellte Grundsatz der unterschiedlichen patentrechtlichen Behandlung von Neuerungen aus der Optischen Werkstätte ließ sich nicht verwirklichen, weil es inzwischen in der feinmechanisch-optischen Industrie Unternehmen gab, die in der Lage waren, Zeiss-Erzeugnisse nachzubauen und keine Skrupel hatten, auch für nachempfundene Geräte und Instrumente, die rein wissenschaftlichen Zwecken dienten, Patente anzumelden. Diese Erfahrung mußte die Geschäftsleitung machen, nachdem sie das Ultramikroskop auf den Markt gebracht hatte. Deshalb kamen die Vorstände der beiden Stiftungsunternehmen 1904 zu dem Schluß, „künftig auf alle Erfindungen Patente zu nehmen, bei denen die Möglichkeit der gewerbsmäßigen Ausnutzung nicht ausgeschlossen ist". Hinsichtlich des Paragraphen 44 des Stiftungsstatutes begründeten die Vorstandsmitglieder ihren veränderten patentpolitischen Standpunkt damit, „daß nur auf diese Weise der Patentnahme Dritter gegenüber begegnet werden kann und daß Professor Abbe selbst von seinem ursprünglichen Standpunkt in dieser Frage abgekommen ist."100

Der Aufbau der ersten Konstruktionsbüros Die Verbreiterung des Fertigungsprogramms und die Zunahme der herzustellenden Stückzahlen zwangen zu neuen Formen der Fertigungsvorbereitung. Nachdem Max Berger dazu übergegangen war, die Mikroskopteile so zu konstruieren, daß sie der Maschinenarbeit zugänglich waren, wurde es unerläßlich, von den Teilen genaue 98

99 100

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23015 (Bericht über das Geschäftsjahr 1903/04. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 138. UACZ. Bestand: BACZ Nr. G 3250 (Urkunde über das Zeiss-Warenzeichen). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23015 (Bericht über das Geschäftsjahr 1903/04. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 138.

Die Entwicklung des Stiftungsunternehmens

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Unterlagen anzufertigen und in die Abteilungen zu geben. Zunächst fertigte Berger die technischen Zeichnungen selbst an und führte talentierte Lehrlinge an diese Arbeit heran. Dann bildete sich allmählich eine technische Zeichnerei heraus. 1895 nahm Georg Orth die Tätigkeit im Jenaer Unternehmen auf. Er hatte die Ingenieurschule in Chemnitz absolviert und danach in verschiedenen Maschinenbauanstalten gearbeitet Orth, der der erste Ingenieur im Zeiss-Unternehmen war, schilderte später seinen ersten Eindruck vom neuen Arbeitsplatz: „Bei meinem Eintritt war das Konstruktionsbüro noch äußerst primitiv. Es befand sich im ersten Stock eines Werkgebäudes an der Ernst-AbbeStraße in einem kleinen Nebenraum. Eckardt und Neumeyer 101 hatten ihre Reißbretter auf einer Werkbank vor den beiden Fenstern des Raumes liegen, meines lag hinter ihnen auf Brettern, die links und rechts je auf einem Holzbock ruhten. Wir mußten erst durch die Werkstätten gehen, wenn wir zu unserem Arbeitsplatz wollten. Ich war enttäuscht ob dieses Anblicks, hatte ich doch auf Grund meiner mehrjährigen praktischen Tätigkeit in Maschinenfabriken der Werkzeug-, Gas- und Benzin-Motoren-Branche Konstruktionsbüros kennengelernt, die ein ganz anderes Gesicht zeigten. Lange aber blieben wir nicht in diesem Raum, ungefähr ein halbes Jahr. Von der Parterre liegenden Kantine wurde ein Raum nach dem Fabrikhofe abgezweigt, der uns nun aufnahm und schon mehr Arbeitskräfte unterzubringen gestattete." 102

1896 arbeiteten in dem aus dem Zeichensaal heraus entstandenem Konstruktionsbüro sechs Konstrukteure und Zeichner. Das allmählich anwachsende Personal führte alle in den Abteilungen anfallenden Gerätekonstruktionen aus. Eine Spezialisierung auf bestimmte Erzeugnisgruppen gab es noch nicht. 1899 richtete Berger eine Abteilung für Maschinenbau ein, in der sich ein eigenes Kostruktionsbüro herausbildete, und Anfang 1900 schuf der Leiter der Abteilung Dreherei, Fräserei und Stanzerei ein Konstruktionsbüro für Werkzeuge und Vorrichtungen.103 Mit der Hinwendung zum Bau großer

101

102 103

Friedrich Eckardt - seit 1891 im Zeiss-Werk - hatte das technische Zeichnen in der Großherzoglichen Gewerbeschule in Jena erlernt und war einer der ersten Angestellten im Zeichenbüro. Neumeyer hatte im Zeiss-Werk gelernt, besuchte später mit Unterstützung des Werkes die Ingenieurschule in Köln und ging danach zur Fa. C. P. Goerz. Unsere Konstruktionsbüros 1893-1943. In: Zeiss Werkzeitung. Neue Folge. Jg. XIX (1944). Heft 3, S. 29. UACZ. Bestand: BACZ (BLUME: Entwicklung der Technik), S. 75.

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astronomischer Instrumente, die im Unterschied zu den traditionellen Zeiss-Erzeugnissen einen großen konstruktiven Aufwand erforderten, entstand ein spezielles Konstruktionsbüro in der Astronomischen Abteilung. Die Leitung dieses Büros übernahm Franz Meyer am 1. Juli 1903. Er schuf die Entlastungsmontierung der Teleskope, die einen spielend leichten Gang und eine leichte Handhabung dieser Instrumente gestattete.104 Die beiden Beispiele Orth und Meyer zeigen, daß ausgebildete Ingenieure erst relativ spät einen Platz in der Optischen Werkstätte fanden. Das ist um so verwunderlicher, wenn man bedenkt, daß sie sich zu einem großen Unternehmen ausgebildet hatte, in dem es aufgrund des schon breit gefächerten Fertigungsprogramms und des durchaus anspruchsvollen technisch-technologischen Niveaus eine Vielzahl ingenieurwissenschaftlicher und -praktischer Aufgaben gab. Aber offensichtlich hielt es die Geschäftsleitung für nicht erforderlich, Führungsstellen mit qualifizierten Technikern zu besetzen. Ob da die zeitgenössische Geringschätzung der akademisch ausgebildeten Naturwissenschaftler mit technischem Verständnis gegenüber dem Ingenieur eine Rolle spielte oder ob man einfach nur mit dem aus der Unternehmenspraxis hervorgegangenem Werkführer zufrieden war, ist nicht klar. Die Werkmeister hatten ja auch bewiesen, daß sie mit ihren produktionsorganisatorischen Erfahrungen und technisch-praktischen Kenntnissen in der Lage waren, die benötigten Maschinen zu entwerfen. Nach ihren Vorlagen wurden die Maschinen dann entweder in den eigenen Werkstätten hergestellt oder von renommierten Maschinenfabriken ausgeführt.

Die Erweiterung der Produktionskapazitäten In der zweiten Hälfte der neunziger Jahre wurden die Voraussetzungen für die Erweiterung der Produktionskapazitäten geschaffen. Die Finanzierung erfolgte im wesentlichen durch Fremdkapital. Die Carl Zeiss-Stiftung legte am 1. Januar 1899 und am 30. Novem-

104

Unsere Konstruktionsbüros, S. 29.

Die Entwicklung des Stiftungsunternehmens

Abb. 25 Wissenschaftler und Techniker obere Reihe v. 1. n. r.: Dr. Löwe, Dr. Villinger, mittlere Reihe v. 1. n. r.: Dr. König, Max Berger untere Reihe: Oberingenieur Meyer

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1896 - 1905

ber 1902 zwei weitere Anleihen von jeweils 1 Million Mark auf. Die Bedingungen waren die gleichen wie bei der ersten Anleihe. In der Ankündigung vom 30. November 1902 wird über den Verwendungszweck der erwarteten Mittel festgestellt: „Der Erlös der Anleihe soll dazu dienen, den Kapitalbedarf der beiden im Besitz bzw. im Mitbesitz der Stiftung befindlichen Industriebetriebe ... für Neuanlagen und Betriebserweiterungen ... zu einem angemessenen Theil durch fremdes Kapital zu decken, um die eigenen Mittel der Stiftung namentlich zur stärkeren Dotierung ihres Reservefonds verfüglich zu halten."105

Das Betriebsareal wurde von 5.000 im Jahre 1896 auf 12.000 m 2 erweitert. Zwischen 1895 und 1902 entstanden 26 Neu- und Erweiterungsbauten, so daß die Werkstattfläche auf insgesamt 15.000 m 2 anwuchs. Die Geschäftsleitung beauftragte dazu im Fabrikbau erfahrene Architekten und bezog Fachleute auf dem Gebiet der Hygiene in die Planungen ein. Auf diese Weise entstanden gut beleuchtete und belüftete Arbeitsräume. 106 Zwischen 1895 und 1900 wuchs das Grundstücks- und Grundstücksanlagenkonto von 88.259 auf 163.040 Mark. Das Konto für Gebäude belief sich 1895 auf 274.728 und 1900 auf 933.452 Mark. Hinzu kamen die wachsenden Aufwendungen für die Dampfheizungsanlage, für die Wasser- und Gasleitung sowie für die Elektro- und die Telefonanlage, die in der gleichen Zeit von 50.774 auf 166.228 Mark anstiegen. Ein weiterer Ausbau erfolgte dann 1899/1900. Das Maschinenkonto nahm in der Zeit zwischen 1895 und 1900 von 133.408 auf250.957 Mark zu. Dabei ist zu beachten, daß in den betrachteten Jahren auch erhebliche Abschreibungen auf die Anlagen vorgenommen wurden. Sie beliefen sich zwischen 1895 und 1900 auf 465.823 Mark.107 Die Ausrüstung der Abteilungen wurde zwischen 1895 und 1905 weiter modernisiert. Die Abteilungen erhielten neben den Standard- eine Vielzahl von Sondermaschinen, die nach ihren Angaben von Maschinenbauunternehmen angefertigt wurden. In der Abteilung Dreherei war die Anzahl der Maschinen von 55 auf 271 und die Anzahl der Beschäftigten von 32 105

106

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 186 (Obligationen-Anleihe der Carl Zeiss-Stiftung vom 30. November 1902). AUERBACH: Das Zeisswerk. Zweite Auflage. 1904, S. 77. Errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 6468 (Petermann-Konzept), Bl. 56.

Die Entwicklung des Stiftungsunternehmens

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auf 185 angestiegen. 108 Die Maschinen wurden von den in den Werkstätten aufgestellten elektrischen Gruppenmotoren angetrieben. Die Tendenz, die Optische Werkstätte von Zulieferungen aus fremden Firmen unabhängig zu machen, hielt in diesem Jahrzehnt an. Die konstruktive Durchdringung der Geräte führte zu einer Formgebung der Teile, die mit spanabhebenden Verfahren nicht mehr effizient genug bearbeitet werden konnten. Deshalb gewann nun die Umformtechnik eine größere Bedeutung. Bis zur Mitte der neunziger Jahre wurden die Gußteile weitgehend von anderen Firmen bezogen. Die Qualität des Gußes genügte den Anforderungen, die die Optische Werkstätte stellen mußte, nicht. Deshalb richtete man Mitte der neunziger Jahre eine eigene kleine Gießerei ein, in der Rupfer, Zinn, Zink und Aluminium vergossen werden konnte. Mit der Gießerei entstand ein Gießerei-Laboratorium, das sich vornehmlich mit der Entwicklung von geeigneten Legierungen befaßte und das bemerkenswerte Fortschritte auf dem Gebiet der Legierung von Aluminium mit anderen Metallen erzielte. Im Geschäftsjahr 1902/03 erfolgte eine durchgreifende Modernisierung der Gießerei, mit der eine Kapazitätserweiterung einherging. Die Anzahl der Beschäftigten in den optischen und mechanischen Abteilungen stieg zwischen 1897 und 1902 von 686 auf 938 Personen an. Die Verteilung der Beschäftigten auf diese Abteilungen blieb, wenige Schwankungen ausgenommen, in diesen Jahren relativ konstant. Der Anteil der in der Optik tätigen Beschäftigten lag zwischen 41,1 und 48,6 Prozent und der in der Mechanik zwischen 55,6 und 43,6 Prozent. In den Hilfsabteilungen waren 1903 173 Arbeiter und Angestellte beschäftigt.109

108

109

Zusammengestellt nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1574 (Russ: Die Entwicklung der Abteilung). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 642 (Lohnübersichten und Statistiken 18791900).

SECHSTES KAPITEL

Die Arbeits- und Sozialverfassung in der Optischen Werkstätte

Die Arbeitsverfassung Die quantitativen und strukturellen Veränderungen in der Belegschaft Das Statut der Carl Zeiss-Stiftung regelte im „Titel V. Rechtverhältniss der Angestellten und Arbeiter in den Stiftungsbetrieben" die Arbeitsverhältnisse in der Optischen Werkstätte.1 Abbe hatte in das Statut sowohl die seit längerem geltenden Regelungen aufgenommen als auch eine Reihe grundlegend neuer Bestimmungen eingeführt. Abbe wollte den Beschäftigten der Optischen Werkstätte ein besseres Arbeiter- und Angestelltenrecht gewähren als es ihnen die Reichsgewerbeordnung und die einschlägigen Passagen des Handelsgesetzbuches zusicherten. Dieses Recht sollte gegen die Carl Zeiss-Stiftung auch einklagbar sein. Abbe verfolgte mit der von ihm entworfenen Arbeitsverfassung mehrere Ziele, die miteinander korrespondierten. Er war bestrebt, eine leistungsfähige und arbeitswillige Stammbelegschaft zu schaffen, die in der Lage war, der feinmechanisch-optischen Industrie in Jena eine dauerhafte Existenz zu sichern. Es war seine Absicht, das Selbstbewußtsein der Beschäftigten zu fördern. Zugleich wollte er das Seine dazu beitragen, daß die Belegschaftsmitglieder und ihre Familien menschenwürdig leben konnten. Die Anlage der Arbeitsverfassung und der Sozialverfassung war auch darauf gerichtet, dem Einfluß radikaler Kräfte in der politisch organisierten Arbeiterschaft auf die Zeiss-Belegschaft entgegen zu wirken. Die Elemente der im Stiftungsstatut vorgezeichneten Arbeitsverfassung waren ein neugefaßter Arbeitsvertrag, eine Interessenvertretung der Arbeiterschaft, das Entlohnungssystem und der bezahlte Urlaub. Mit dem Ausbau der Produktionskapazitäten und der zunehmendenden Differenzierung des Fertigungsprogramms ging die Vergrößerung der Belegschaft in der Optischen Werkstätte einher. Zwischen 1895/96 und 1904/5 war die Beschäftigtenzahl von 647 auf 1.378 angewachsen. Die quantitative Entwicklung der Arbeiter- und Angestelltenschaft verlief in diesem Jahrzehnt sehr ungleichmäßig. Nachdem es in den Jahren 1895/97 zu einer zügigen Zunahme der Belegschaft um 24,4 bzw. 28,3 Prozent gekommen war, lag das Wachstum

1

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 16873 (Statut der Carl Zeiss-Stiftung), Bl. 28-44.

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bis 1901/02 zwischen 2,8 und 15,9 Prozent. Im Gefolge der schlechten Wirtschaftssituation der Optischen Werkstätte lag das Belegschaftswachtum 1902/03 lediglich bei einem Prozent. Im folgenden Geschäftsjahr ging die Belegschaftszahl dann um 4,3 Prozent zurück. Die Tabelle 15 im Tabellenanhang bietet den Überblick über die quantitative Entwicklung der Zeiss-Belegschaft in diesen Jahren. Untersucht man die Struktur der Zeiss-Belegschaft in den betrachteten Geschäftsjahren, dann ist zunächst zwischen den Lohnarbeitern, Lohnangestellten und den Gehaltsempfängern, unter denen die Beamten eine eigene Gruppe bildeten, zu unterscheiden. Das zahlenmäßige Verhältnis zwischen der Arbeiter- und Angestelltenschaft war in den einzelnen Jahren unterschiedlich. Wenngleich die Anzahl der Angestellten stetig zunahm, gab es Jahre, in denen ihr Anteil an der Gesamtbelegschaft abnahm. In der Regel wuchs die Angestelltenzahl im Gefolge von Arbeitereinstellungen. Während die Arbeiterschaft zwischen 1895/96 und 1904/05 von 555 auf 1.181 Personen zunahm, vergrößerte sich in der gleichen Zeit die Anzahl der Angestellten von 92 auf 197. Der Anteil der Angestellten an der Belegschaft schwankte zwischen 11,9 und 15,4 Prozent. Die Angestelltenschaft war hinsichtlich ihrer Stellung in der Hierarchie des Unternehmens außerordentlich differenziert. Sie umfaßte die wissenschaftlichen Mitarbeiter und Abteilungsleiter, die zumeist unkündbar waren, die technischen und kaufmännischen Angestellten sowie die Werkmeister und Lohnangestellten in der Verwaltung und in den Werkstätten. Unter den Lohnangestellten befanden sich seit 1896/97 sechs Frauen. Bis 1901/02 kamen noch zwei weitere hinzu. Seit 1902 wies die Statistik auch die Mitarbeiter in den Filialen aus, deren Anzahl sich Ende 1902 auf 24 und 1904 auf 40 belief.2 Eine Analyse der Tätigkeiten der 115 Angestellten, die 1898/99 in der Optischen Werkstätte beschäftigt waren, ergibt folgendes Bild: 19 Prozent waren als wissenschaftliche Mitarbeiter, Abteilungsvorsteher, Assistenten, Rechner und Gehilfen tätig, 31 Prozent arbeiteten als Kontoristen und 50 Prozent als Werkführer.3 Angaben über

2

3

F R I E D R I C H S C H O M E R U S : Das Arbeitsverhältnis in der Optischen Werksstätte von Carl Zeiss, S. 4. Es gab eine Differenz von einem Angestellten in den Unterlagen. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23007 (Einiges über die Entwicklung und gegenwärtigen Zustand der Optischen Werkstätte (Firma Carl Zeiss) Jena). Akten des Stiftungskommissars) führt 115 Angestellte auf und UACZ. Bestand: BACZ Nr. 21186 (Die Personalübersicht des Zeiss-Werkes Jena) gibt 116 Angestellte an.

Die Arbeits- und Sozialverfassung

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die Verteilung der 183 Gehaltsempfänger auf die einzelnen Abteilungen und Hilfsbetriebe der Optischen Werkstätte liegen aus den Sommermonaten des Jahres 1903 vor. Danach waren 11,9 Prozent im Geschäftsleitungsbereich tätig. 7 Prozent gehörten zum Korrespondenzbüro, 14,6 Prozent zur Buchhaltung, Statistik und zum Lohnbüro. 2,7 Prozent arbeiteten im Rechenbüro und 5,9 Prozent im Konstruktionsbüro. Von den Angestellten waren 34,7 Prozent in den Betriebsabteilungen beschäftigt, davon allein 19,5 Prozent in der Mechanischen und 11,4 Prozent in der Optischen Abteilung. Die restlichen Angestellten waren im Magazin, Versand usw. tätig.4 Für die Differenzierung innerhalb der Arbeiterschaft spielte zweierlei eine Rolle. Einmal hatte die fachliche Ausbildung und der Grad der Arbeitserfahrungen und -fertigkeiten einen besonderen Einfluß auf die Position des einzelnen Arbeiters im Arbeitsprozeß. Zum zweiten spielten die Vorschriften des Stiftungsstatuts eine große Rolle, denn sie berücksichtigten die Dauer der Zugehörigkeit zum Unternehmen und das Alter der Arbeiter bei der Gewährung sozialer Leistungen. Danach unterschied man in der Optischen Werkstätte fünf verschiedene Arbeitergruppen. Zur ersten Gruppe zählten die Arbeiter, die über 24 Jahre alt und länger als drei Jahre im Zeiss-Werk tätig waren. Die zweite Gruppe setzte sich aus den anderen Arbeitern über 24 Jahre zusammen. Die dritte Gruppe bildeten die Arbeiter im Alter von 21 bis 24 Jahren und die vierte rekrutierte sich aus den 18 bis 21jährigen Arbeitern. Die jugendlichen Arbeiter unter 18 Jahre stellten die fünfte Gruppe. Die Analyse der Alterstruktur zwischen 1895 und 1905 zeigt, daß sich die Absicht Abbes, eine Stammbelegschaft aufzubauen, realisiert hatte, denn der Anteil der Arbeiter über 24 Jahre und einer über dreijährigen Tätigkeit in der Optischen Werkstätte stieg in diesem Jahrzehnt von 38,4 auf 61,2 Prozent Ebenso nahm der Anteil der anderen Arbeiter mit über 24 Jahren von 7,1 auf 10,2 Prozent zu, 1902/03 betrug er sogar 12,6 Prozent Die Anzahl der Arbeiter im Alter zwischen 21 und 24 Jahren wuchs von 11,5 auf 14,4 Prozent Demgegenüber verringerte sich der Anteil der Arbeiter unter 18 Jahren von 28,6 auf 0,8 Prozent Rückgängig war auch der Anteil

4

Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: VA Nr. 1616 (Gehaltsbuch vom 1. Juni bis 31. August 1903).

246

1896 - 1905

der Arbeiter im Alter zwischen 18 und 21 Jahren. 5 Die Ursache für den starken Rückgang der jugendlichen und ungelernten Arbeiter in den Geschäftsjahren 1902/05 lag in der Personalpolitik der Geschäftsleitung begründet, die von der bisherigen Gepflogenheit, die Rinder von Beschäftigten als ungelernte Arbeiter in großer Anzahl in die Werkstätte aufzunehmen, abging. Mit dem quantitativen Wachstum der Belegschaft und mit der aus der fortschreitenden Technisierung resultierenden Differenzierung der Arbeitstätigkeiten bildete sich innerhalb der Belegschaft ein besonderer Kern heraus. Er setzte sich aus dem wissenschaftlichtechnischem Personal, aus den Spitzenkräften in der Optischen Abteilung und aus den erfahrenen Mechanikern zusammen, aus dem Kreis der Beschäftigten also, die unmittelbar mit der Entwicklung und Fertigung der optischen Geräte befaßt waren und die auch aufgrund ihrer beruflichen Spezialisierung in einem gewissen Grade an die Optische Werkstätte gebunden waren. Unter der Lohnarbeiterschaft gab es lediglich zwischen sechs und zehn weibliche Arbeitskräfte. Die Absicht der Unternehmensleitung, im Geschäftsjahr 1904/5 eine größere Anzahl weiblicher Arbeitskräfte in der Optischen Abteilung zu beschäftigen, wurde nicht verwirklicht. Der Arbeiter-Ausschuss verlangte, daß die Frauen und Mädchen die gleichen Löhne wie die männlichen Arbeiter erhalten müßten. Damit wollten die Arbeitervertreter offensichtlich einer Lohndrückerei vorbeugen. Die Zeiss-Belegschaft rekrutierte sich im wesentlichen aus Facharbeitern, die in Jena und Umgebung wohnten, aus jungen Facharbeitern, die in der Optischen Werkstätte zu Optikern oder Mechanikern herangebildet wurden und aus ungelernten Jugendlichen. Die jungen Leute waren vielfach Söhne oder Enkel von Arbeitern und Angestellten der Optischen Werkstätte. Seit den neunziger Jahren war es eine Gepflogenheit geworden, daß sich die Belegschaft zu einem großen Teil aus der Zeissianerschaft rekrutierte. Czapski sah darin aber eine Gefahr für das Unternehmen. Die Optische Werkstätte zog sich einen leistungsfähigen Facharbeiternachwuchs heran. Sie bildete in der hier betrachteten Zeit in vier Jahren Optiker oder Mechaniker aus. Die Lehrlinge durchlie-

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Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 21186 (Personalübersicht des Zeiss-Werkes Jena); Nr. 21187 (Ideale Durchschnittsverdienste nach Klassen).

Die Arbeits- und Sozialverfassung

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fen eine berufstheoretische und eine berufspraktische Ausbildung. Die schulische Ausbildung erfolgte in der 1893 eröffneten Großherzoglichen Gewerbeschule. In dieser Lehranstalt stellten die ZeissLehrlinge den größten Teil der Schüler. Der Unterricht wurde an den Wochentagsabenden und am Sonntagvormittag erteilt und umfaßte zwölf bis vierzehn Wochenstunden.6 Die praktische Ausbildung erfolgte in der Abteilung für Meßgeräte, die für die Berufsausbildung zuständig war, und in den einschlägigen Werkstätten. Wer als Lehrling angenommen werden wollte, mußte eine gute Schulbildung nachweisen und über finanzielle Mittel verfügen, um das Schul- und Lehrgeld, das 300 Mark betrug, aufzubringen. Unter bestimmten Umständen erließ man das Schul- und Lehrgeld. Die Lehrlinge erhielten erst im vierten Jahr eine wöchentliche Vergütung.7

Die Arbeitsverträge Nachdem das Statut der Carl Zeiss-Stiftung in Kraft gesetzt war, wurden die Arbeitsverträge für Lohnarbeiter neu gefaßt Das geschah in Abstimmung mit dem Arbeiter-Ausschuß am 15. Juli 1897. Nach der Einführung des Achtstundentages wurde der Vertrag zum 15. Februar 1900 ergänzt und zum 8. März 1901 an den § 134 a der neuen Gewerbeordnung angepaßt.8 Bedeutsam war für die Zeiss-Belegschaft, daß mit dem neuen Arbeitsvertrag zugleich der Titel V. des Stiftungsstatuts rechtsgültig wurde, indem dessen zehn Paragraphen ausdrücklich zum Bestandteil des Arbeitsvertrages erklärt und als Anlage beigefügt wurde. Für das gesellschaftliche Klima im Zeiss-Unternehmen war zweifellos der Paragraph 56 von großer Wichtigkeit, denn er bestimmte: „Bei Anstellung der Beamten der Stiftung und der Stif-

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PILTZ: Über die industriellen und gewerblichen Verhältnisse der Stadt Jena, S. 12. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 786 (Bestimmungen über Lehrlinge und jugendliche Arbeiter), Bl. 45-46. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23005 (Arbeitsvertrag der Fa. Carl Zeiss, Akten des Stiftungskommissars), Bl. 199-209.

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tungsbetriebe, der Geschäftsgehilfen und Arbeiter muss jederzeit ohne Ansehen der Abstammung, des Bekenntnisses und der Parteistellung verfahren werden."9 Dieser Grundsatz durchzog, wie eine andere Passage zeigt, das gesamte Statut. „In der freien Ausübung aller persönlichen und bürgerlichen Rechte ausserhalb des Dienstes darf, abgesehen von der Beaufsichtigung von Lehrlingen und unter 18 Jahre alten Personen, niemand unmittelbar oder mittelbar behindert werden. In der Vertretung ihrer Interessen, einzeln oder gemeinsam, innerhalb der Grenzen des gesetzlich Erlaubten und ohne Verletzung der im Anstellungs- oder Arbeitsvertrag übernommenen Pflichten, dürfen die Angehörigen der Betriebe in keiner Art beschränkt werden."10 Das Stiftungsstatut gewährte Mitarbeitern, die zu ehrenamtlicher Tätigkeit im Reichs-, Staats- oder Gemeindedienst berufen worden waren, den zur ordnungsgemäßen Ausführung dieser Tätigkeiten nötigen Urlaub. Damit stellte sich Abbe gegen die unter Industriellen übliche personalpolitische Praxis, die von Bewerbern die Zusicherung verlangten, daß sie nicht sozialdemokratisch oder gewerkschaftlich organisiert seien. Oftmals mußten Arbeiter einen Vertrag unterschreiben, der den Passus enthielt: „Ich erkläre hierdurch, daß ich keinem Fachverein angehöre (daß ich sofort meinen Austritt aus dem Fachverein anzeigen werde) und daß ich, solange ich im Geschäft (des betreffenden Unternehmers d.V.) tätig bin, keinem Fachverein oder keinem ähnlichen Verein beitreten werde. Als Kaution für die Erfüllung dieser Verpflichtung genehmige ich, daß mir.... Mark vom Lohn abgezogen werden. Sollte ich diese Verpflichtung nicht erfüllen, so kann ich sofort ohne Kündigung entlassen werden und verfällt meine Kaution als Konventionalstrafe."11 Das Stiftungsstatut sicherte den Zeiss-Mitarbeitern zu, daß ihre Beförderung und Entlohnung „nur von ihren Fähigkeiten und Leistungen, der Pflichtmässigkeit ihres dienstlichen Verhaltens und von Rücksichten auf andere wesentliche Interessen des Betriebs

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 16873 (Statut der Carl Zeiss-Süftung), Bl. 28. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 16875 (Statut der Carl Zeiss-Stiftung), Bl. 29. Zitiert in Fünfundsiebzig Jahre Industriegewerkschaft 1891 bis 1900. Vom Deutschen Metallarbeiter-Verband zur Industriegewerkschaft Metall. Frankfurt am Main 1966, S. 112.

Die Arbeits- und Sozialverfassung

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abhängig gemacht werden, vom ausserdienstlichen Verhalten aber nur in soweit, als dasselbe die Erfüllung ihrer Dienstpflichten oder ihr persönliches Ansehn in Rücksicht auf bürgerliche Ehre und gute Sitten berührt". 12 Der Arbeitsvertrag regelte die Arbeitszeit, das Entlohnungssystem und die Urlaubsansprüche, er enthielt ferner allgemeine Vorschriften und legte fest, daß das jeweilige Statut der Betriebs-Krankenkasse und das Pensionsstatut als rechtsverbindliche Bestandteile des Arbeitsvertrages gelten. 13 Für Lehrlinge und jugendliche Arbeiter galten besondere arbeitsrechtliche Bestimmungen. Mit den Werkführern, den kaufmännischen und technischen Angestellten traf die Geschäftsleitung entsprechend der vorgesehenen Arbeitsaufgaben gesonderte Vereinbarungen. Mit wissenschaftlichen Mitarbeitern und Abteilungsleitern wurden gleichfalls individuelle Verträge ausgehandelt. Als ein Beispiel kann die vertragliche Abmachung zwischen Abbe und Paul Rudolph vom 6. Juni 1889 genommen werden, die folgenden Inhalt hatte: „Dr. Rudolph stellt seine ganze Arbeitskraft der Werkstätte Carl Zeiss zur Verfügung und übernimmt im Besonderen die Leitung sämtlicher rechnerischen Arbeiten, die die Construction optischer Systeme bezwecken. Zu diesem Ende sichert ihm die Firma je nach Bedürfnis die Stellung von Hilfskräften, mindestens aber auf alle Fälle von einer Hilfskraft zu. Alle aus den im Interesse der Werkstätte übernommenen Arbeiten entspringenden, geschäftlich verwertbaren Resultate stellt Dr. Rudolph der Firma zur Verfügung. Er behält sich aber das Recht vor, die sich bei seiner Thätigkeit ergebenden Resultate theoretischer Natur unter seinem Namen veröffenüichen zu können."

Die Firma Zeiss „gewährt Dr. Rudolph eine von Seiten der Firma unkündbare Anstellung". Für die Zeit zwischen 1. Oktober 1889 und 1. Januar 1900 wurde ein Gehalt von 4.000 M, dann bis zum 1. Oktober 1900 von 5.000 M und danach ein jährliches Gehalt von 6.000 M vereinbart. Der Pension sollten ab dem 1. Oktober 1889 3.000 M und danach 5.000 M zugrunde liegen. „Außerdem gesteht die Firma Zeiss dem Dr. Rudolph 1/3 des Bruttogewinns zu, der durch Verkauf von Patentlizenzen des Photographischen Objektivs,

12 13

UACZ. Bestand: BACZ Nr 16873 (Statut der Carl Zeiss-Stiftung ), Bl. 28. UACZ. Bestand. BACZ Nr. 786 (Arbeitsvertrag der Optischen Werkstätte von Carl Zeiss in Jena).

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welches Dr. Rudolph zum Frühjahr 1889 erfunden hat (Anastigmat), sich ergeben wird." Der jährliche Urlaub betrug sechs Wochen. „Schließlich verpflichtet sich Dr. Rudolph seiner Seits bei einem Weggang aus dieser Stellung, den er nach einer 1/2 jährigen Kündigungsfrist bewirken kann, zu der Bedingung, daß er innerhalb der nach tatsächlicher Auflösung des Contracts liegenden Frist von 10 Jahren für keine andere optische Werkstätte irgendwie thätig sein wird, welche auf einem der Fabrikationsgebiete der Firma Zeiss mit dieser in Concurrenz steht."14

Die Interessenvertretungen der Belegschaft Der Arbeiter-Ausschuß Das Statut der Carl Zeiss-Stiftung sah im Paragraph 64 eine Arbeitervertretung mit bestimmten Befugnissen sowohl gegenüber der Arbeiterschaft als auch gegenüber der Geschäftsleitung vor.15 Abbe hatte bei der Niederschrift des Statuts verschiedene Vorbilder vor Augen, die in ihren Unternehmen eine derartige Institution eingerichtet hatten. Die Gelegenheit, eine Interessenvertretung der Arbeiterschaft in der Optischen Werkstätte ins Leben zu rufen, bot sich im Zusammenhang mit dem neuen Arbeitsvertrag. Am 5. Januar 1897 ließ die Geschäftsleitung der Arbeiterschaft durch Anschläge in den Arbeitsräumen mitteilen, zwischen ihr und der Arbeiterschaft seien einige Angelegenheiten von größerer Bedeutung zu verhandeln, dazu gehörten die Neu-Redaktion des Arbeitsvertrages im Anschluß an Titel V des Statuts der Carl Zeiss-Stiftung und die Abänderung des Pensions-Statuts. „Zu diesem Zweck macht sich die Wahl eines Ausschusses nöthig, weil eine gemeinsame Berathung Aller bei der Grösse unseres Personals als unthunlich erscheint.

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23003 (Vertrag der Optischen Werkstätte mit Dr. Rudolph vom 6. Juni 1889. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 75. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 16873 (Statut der Carl Zeiss-Stiftung), Bl. 31.

Die Arbeits- und Sozialverfassung

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Wir schlagen nun vor, diesen Ausschuss nicht, wie es früher in ähnlichen Fällen geschehen ist, nur für jene besonderen Angelegenheiten zu bestellen, sondern ihn gleich zu einer ständigen Einrichtung der Werkstätte zu machen, unter Vorbehalt der Neuwahl von Personen von Jahr zu Jahr. Die jetzt zu wählenden Vertrauensmänner würden also für das ganze laufende Jahr den Auftrag haben, in regelmäßigen Zusammenkünften mit der Geschäftsleitung ausser den oben erwähnten besonderen Angelegenheiten auch alle sonstigen den Betrieb betreffenden allgemeinen Angelegenheiten zu erörtern und so in persönlichem Verkehr mit der Geschäftsleitung diese über die Auffassungen und Wünsche der Arbeiterschaft fortgesetzt unterrichtet zu halten".

Die Geschäftsleitung wollte es der Praxis überlassen, ob diesem Ausschuß die im Paragraphen 64 des Stiftungsstatuts genannten Befugnisse einmal übertragen würden. Die Vertrauensleute sollten schon nach dem in diesem Paragraphen fixierten Modus gewählt werden. Offensichtlich machte die Geschäftsleitung die Zukunft des Arbeiter-Ausschusses auch von dessen personeller Zusammensetzung abhängig, denn sie empfahl der Arbeiterschaft, „ihre Wahl auf solche Personen zu lenken, die einerseits sich nicht scheuen, ihre Ansichten offen auszusprechen, andererseits aber auch gewillt sind, in allen Angelegenheiten immer gute Fühlung mit ihren Wählern zu erhalten". 16 Die Vertrauensleute sollten in den Abteilungen unter Vorsitz der beiden ältesten Arbeiter gewählt werden. An der Wahl konnten alle Wochenlöhner teilnehmen, die älter als 18 Jahre waren. Die zu Wählenden mußten über 21 Jahre alt sein und mindestens ein Jahr der Zeiss-Belegschaft angehören. Jeweils 20 Arbeiter wählten einen Vertrauensmann. Im Werk wurden 22 Wahlbezirke gebildet. Die 509 Wahlberechtigten bestimmten am Sonnabend, dem 9. Januar 1897, in geheimer und direkter Wahl ihre 32 Vertreter17, die den Optiker Heinrich Pape zu ihrem Vorsitzenden und den Mechaniker Ulrich Volker zu dessen Stellvertreter wählten. Im Januar 1898 übernahmen der Justierer Adolf Holtmann und der Meister Carl Radeck diese Ämter.18 Die Ausschuß-

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 508 (Protokolle über Sitzungen des ArbeiterAusschusses 1897-1917). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 508 (Wahlordnung für die erste Wahl zum Arbeiter-Ausschuß). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 516-517 (Handgeschriebene Protokollhefte des Arbeiter-Ausschusses vom Januar 1897 bis zum März 1899).

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mitglieder übten ihre Tätigkeit ehrenamtlich und außerhalb der Arbeitszeit aus. Der Ausschuß kam anfangs in Anwesenheit von Abbe oder Czapski aller 14 Tage und dann jeweils am Monatsende zusammen. Seit dem Frühjahr 1899 traf man sich in der Regel einmal im Quartal. Die Sitzungen folgten in der ersten Zeit keiner Tagesordnung. Die Geschäftsleitung nutzte diese Zusammenkünfte, um die Meinung der Arbeiterschaft zu wichtigen Entscheidungen zu hören. So legte sie im Juli 1897 dem Ausschuß den neugefaßten Arbeitsvertrag vor, und im September des gleichen Jahres stellte sie das veränderte Pensionsstatut zur Diskussion.19 Die Ausschußmitglieder ihrerseits nutzten vor allem die Gelegenheit, die Fragen, die innerhalb der Arbeiterschaft aufgetreten waren, Beschwerden über unzulängliche hygienische Einrichtungen und über die konkrete Handhabung des Entlohnungssytems an die Geschäftsleitung heranzutragen. Verschiedentlich trugen sie den Geschäftsleitern Wünsche vor. In der Aprilsitzung des Jahres 1898 baten sie darum, daß die Firma eine größere Anzahl von Fahrrädern erwerben solle, die dann die Arbeiter in Raten bezahlen würden. Die zunächst etwas ziellose Arbeitsweise des Ausschusses machte einen Teil der Mitglieder unzufrieden, das zeigte sich sowohl im Fernbleiben von den Sitzungen als auch in der im Januar 1899 gestellten Frage nach den realen Befugnissen des Ausschusses.20 Abbe bemängelte die unbefriedigende Mitarbeit von Ausschußmitgliedern und verwies auf die im StiftungsStatut festgelegten Rechte dieses Gremiums. Im April 1898 wollte das Ausschußmitglied Greulich von Czapski und Fischer wissen, wie die Geschäftsleitung zur Einführung des Achtstundentages in der Optischen Werkstätte stehe. Czapski und Fischer erörterten die Vor- und Nachteile eines solchen Vorhabens, das in der Maisitzung nochmals zur Sprache kam. 21 Abbe zweifelte, ob die Bedingungen für eine Arbeitszeitverkürzung schon herangereift seien. 1901 räumte er in einem Vortrag auf dem XII. Deutschen Mechanikertag unter Bezugnahme auf die Diskussionen, die es im Kreis der Mechaniker zur Einführung eines Zehnstundentags

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 517 (Protokoll der Sitzung des Arbeiter-Ausschusses vom Juli und September 1898). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 516 (Protokoll der Sitzung des Arbeiter-Ausschusses vom Januar 1899). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 516 (Protokoll der Sitzungen des Arbeiter-Ausschusses vom April und Mai 1898).

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geben hatte, ein: „Man glaubte damals, daß eine Verkürzung der Arbeitszeit ein Opfer für den Prinzipal bedeute und der Redner selbst theilte damals diese Ansicht."22 Seit März 1899 beauftragte die Geschäftsleitung einen Mitarbeiter mit der Abfassung der Sitzungsprotokolle,23 die seit dem 30. März 1899 der Arbeiterschaft durch Anschlag zugänglich gemacht wurden. Lediglich 1903 gab es eine Ausnahme, weil sich wie noch zu schildern ist - der Vorsitzende des Arbeiter-Ausschusses am 20. Juli 1903 geweigert hatte, das Protokoll zu unterschreiben. 24 Die Lektüre der Sitzungsprotokolle läßt erkennen, daß sich eine gewisse Ordnung und Beständigkeit in der Tätigkeit des Ausschusses herausbildete. Die Geschäftsleitung berief immer im Januar des jeweiligen Jahres die Konstituierende Sitzung des Arbeiter-Ausschusses ein. Abbe oder Czapski eröffneten die Sitzung und ersuchten das älteste neugewählte Ausschußmitglied, die geheime Wahl des Ausschußvorsitzenden, des Stellvertreters und der Kommissionen zu leiten. Die Ausschußvorsitzenden waren zwischen 1899 und 1905 Georg Otto, Carl Trottier und Hermann Leber. Leber amtierte von 1901 bis 1905 und genoß in der Belegschaft und bei Abbe großes Ansehen. Er war ein aktives Mitglied der Sozialdemokratie und gehörte, wie die Mehrheit der Jenaer Sozialdemokraten, dem gemäßigten Flügel dieser Partei an. Als Abbe August Bebel zu einem privaten Besuch eingeladen hatte, begleitete Leber den Parteiführer zum Unternehmer. Ungeachtet der oftmals scharfen Auseinandersetzungen, die Leber mit der Zeiss-Geschäftsleitung führte, würdigte er immer die sozialreformerischen Leistungen Abbes. Er mag auch mit darauf hingewirkt haben, daß auf der Bühne des Sozialdemokratischen Parteitages, der 1905 im Volkshaus zu Jena abgehalten wurde, das Bildnis Abbes neben den Büsten von Marx und Engels zu sehen war. Die Geschäftsleitung nutzte die November-Zusammenkünfte des Arbeiter-Ausschusses, um die Resultate des vergangenen Geschäftsjahres mitzuteilen. Bei dieser Gelegenheit informierte sie

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UACZ. Bestand: BACZ. (Protokoll des XII. Deutschen Mechanikertages in Dresden vom 16. bis 18. August 1901). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 516. (Protokoll der Sitzung des Arbeiter-Ausschusses vom März 1899). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 508 (Protokoll der Sitzung des Arbeiter-Ausschusses vom 20. Juli 1903).

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auch über die zu erwartende Höhe der Lohn- und Gehaltsnachzahlungen. In den verschiedenen Zusammenkünften, die zwischen den Geschäftsleitern und den Ausschußmitgliedern stattfanden, kamen von beiden Seiten die Probleme zur Sprache, die Anlaß zur Unzufriedenheit gaben. Der Geschäftsleitung ging es vornehmlich um Arbeitszeitregelungen, um Unzulänglichkeiten in der Arbeitsdisziplin usw. Die Arbeitervertreter brachten wiederum Unstimmigkeiten in Lohnfragen - insbesondere bei der Festlegung von Akkordsätzen - sowie die Kritik über spezielle personalpolitische Entscheidungen der Geschäftsleitung vor. Die erstarkende sozialistische Arbeiterbewegung und die mit ihr verbundenen Freien Gewerkschaften bemühten sich seit der Jahrhundertwende mit Nachdruck um Positionen im Arbeiter-Ausschuß, um mit dessen Hilfe das Geschehen in der Optischen Werkstätte mitbestimmen zu können. Im Laufe des Jahres 1901 hatten das Arbeitersekretariat und die Gewerkschaftsorganisation in Jena Versammlungen abgehalten, in denen die Rolle der Arbeiter-Ausschüsse in den industriellen Unternehmungen besprochen wurden. Dabei wurden die begrenzten Wirkungsmöglichkeiten dieser Ausschüsse beklagt. Abbe nahm diese Kampagne zum Anlaß, um seinen Standpunkt zur Stellung und den Aufgaben des Arbeiter-Ausschusses im Stiftungsunternehmen zu erläutern. Das geschah natürlich, um Illussionen über eine allgemeine Mitbestimmung der Arbeiterschaft bei unternehmensstrategischen Entscheidungen oder bei der Verwendung geschäftlicher Erträge vorzubeugen. In der Konstituierenden Sitzung des Arbeiter-Auschusses am 27. Januar 1902 hielt Abbe einen ausführlichen Vortrag über die Rechte des Arbeiter-Ausschusses. Es ist interessant, das Sitzungsprotokoll mit dem Vortrag zu vergleichen. Das Protokoll hatte lediglich die organisatorischen Schlußfolgerungen aus Abbes Vortrag festgehalten, die dem Ausschuß empfahlen, die Zahl der Ausschußmitglieder zu reduzieren, weil mit der gewachsenen Belegschaftszahl der Ausschuß inzwischen 60 Mitglieder umfaßte, den Ausschuß auch ohne Beisein der Geschäftsleitung zusammenzurufen und nur solche Angelegenheiten auf die Tagesordnung zu setzen, an denen die gesamte Arbeiterschaft interessiert war.25

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 508 (Protokoll der Sitzung des Arbeiter-Ausschusses vom 27. Januar 1902).

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Wesentlicher war, was von Abbes Ausführungen nicht im Protokoll stand. Abbe bestritt eingangs, daß der Zeiss-Ausschuß nur Dekoration sei und führte dann aus: „Richtig ist, daß der Arbeiter-Ausschuß geringe Befugnisse hat; er hat im wesentlichen nur die Befugnis, in allen Angelegenheiten ,gehört zu werden, eine beratende Mitwirkung in allen Angelegenheiten, die das Interesse der Arbeiterschaft berühren. Es ist sehr wenig, wenn man sagt .beratend', dabei ist aber zu unterscheiden, ob jemand seinen Rat zu geben das Recht hat, nur wenn er gefragt wird oder auch, wenn er nicht gefragt wird - unser Arbeiter-Ausschuß hat das Recht zu raten, auch wenn er nicht gefragt wird ... so können Sie die Sicherheit haben, daß damit ausgedrückt werden soll, daß die Geschäftsleitung nicht nur alles, was der Ausschuß vorbringt, anhören, sondern auch immer eine Antwort geben wird, die anständigerweise auch immer mit Gründen versehen sein muß."26 Sodann wies er darauf hin, daß die Befugnisse eines solchen Ausschusses im „Zukunftsstaat" - Abbe meinte damit das von der Sozialdemokratie ansgestrebte sozialistische Staatswesen - hier nicht diskutiert werden könne, sondern mit den gegebenen Verhältnissen zu rechnen sei. Abbe erörterte dann, welche Möglichkeiten es geben könnte, dem Arbeiter-Ausschuß größere Befugnisse einzuräumen. „Wenn im ,Zukunftstaat' etwa die Arbeiterausschüsse die großen Betriebe dirigieren sollten, so würde das auch nur dann möglich sein, wenn sie die Verantwortung haben. Wenn es sich aber heute darum handelt zu fragen, ob wir nicht dem Arbeiter-Ausschuß Rechte einräumen könnten, die bisher die Geschäftsleitung gehabt hat, so können wir vernünftigerweise nur die jetzigen Verhältnisse dabei zugrunde legen, indem wir uns fragen: kann die Geschäftsleitung unter den jetzigen Verhältnissen vernünftigerweise die Verantwortung auf den Ausschuß abwälzen?"27 Nach einer Bewertung der bisher vom Arbeiter-Ausschuß erzielten Ergebnisse - er nannte die Verhandlungen über den Bau von Arbeiterwohnungen, die zur Gründung der Jenaer Baugenossenschaft geführt hatten, die Besprechungen über die Verbesserung der Betriebseinrichtungen, wie die Kantine und die Badeanstalt, die An-

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27

Über die Aufgaben des Arbeiterausschusses. In: Sozialpolitische Schriften, S. 253. Ders., S. 254-255. ERNST ABBE:

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passung des Arbeitsvertrages an die Stiftungsbestimmungen, die Arbeitszeitregelungen - machte Abbe die im Protokoll festgehaltenen Vorschläge über die künftige Tätigkeit des Arbeiter-Ausschusses. Abschließend bemerkte Abbe: „Meine Kollegen und ich müssen uns an das halten, was gegeben ist, wir können unsere Einrichtungen nicht auf die Anforderungen des Zukunftsstaates zuschneiden. Aber innerhalb der gegebenen Grenzen bemühen wir uns redlich, die Interessen unserer Mitarbeiter zu fördern. Es mag Interessenstreitigkeiten geben, weil die Arbeiter in gewissen Punkten entgegengesetzter Meinung sind und manche Sonderinteressen haben, und ich bin gewiß der letzte, der meint, es sei alles Harmonie; aber innerhalb unseres Betriebes gibt es keinen Klassenkampf - der gehört in die politische Arena, in den Reichstag. Bei uns gibt es nur ein Zusammenarbeiten auf dem Boden der friedlichen Interessenausgleichung. Wer das verkennt und hier auch meint, er könne Arbeiterinteressen nur in der Positur des Kampfhahnes vertreten, der hat seinen Beruf verfehlt."28 Die Ausführungen Abbes hatten - wie sich schon wenige Tage später zeigen sollte - einen realen Hintergrund. Am 3. Februar 1902 war der Arbeiter-Ausschuß ohne Teilnahme der Geschäftsleiter zusammengekommen, um die weiteren Aufgaben zu besprechen. Die Mitglieder waren mit der von Abbe angeregten Verkleinerung des Ausschusses einverstanden und legten noch fest. „Da aber die Zahl der Vertreter trotzdem eine ziemlich hohe bleibt, wählt der Ausschuß aus seiner Mitte eine Commission von 5 Mitgliedern".29 Die Aufgaben dieser Kommission sah der Arbeiter-Ausschuß im Folgenden: „Diese Commission soll in der Hauptsache den Verkehr mit der Geschäftsleitung bewirken und in folgenden Angelegenheiten nicht nur eine beratende, sondern ein mitbeschließende Stimme haben. a. Alle Angelegenheiten, die auf das Arbeitsverhältnis Bezug haben (wie z.B. Akkordreduzierungen, Arbeitsteilung, Werkstattveränderungen, Verlagerungen u. dergl.) b. Arbeiter-Einstellungen, hier hatte der Ausschuß Differenzen hauptsächlich im Auge, die entstehen, wenn Leute aus verschiedensten Berufszweigen mit verhältnismäßig geringen Löhnen auf Wunsch eingestellt werden und dann wenn sie da sind, nicht davon leben können. c. Strittige Arbeiterentlassungen." 28 29

Ders., S.261. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 510 (Protokoll der Sitzung des Arbeiter-Ausschusses vom 3. Februar 1902).

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Desweitern führte der Ausschuß noch verschiedene andere Aufgaben der Rommission auf, die gleichfalls auf ein Mitspracherecht in geschäftlichen Angelegenheiten hinausliefen. Abbe ging in der Arbeiter-Ausschußsitzung vom 10. Februar 1902 auf diese Forderungen und Vorschläge ein. Er war mit der zahlenmäßigen Reduzierung des Ausschusses auf 30 Mitglieder ebenso wie mit der Bildung einer Rommission, die das Stiftungsstatut freilich nicht vorsah, einverstanden und riet dazu, die Rommission gegebenenfalls auf sieben Mitglieder zu erweitern. Den Vorstellungen über eine Mitbestimmung der Rommission folgte er nicht Die Rommission habe vielmehr die Aufgabe, „alle an den Ausschuß gebrachten Angelegenheiten genügend vorzubereiten für die Verhandlung mit der Geschäftsleitung". 30 Zum Mitbeschlußrecht der Rommission „erläuterte Prof. Abbe, daß die zu wählende Commission jedenfalls nur vorbereitend wirken könne, sie mit beschließender Stimme auszustatten, verstoße gegen die Bestimmungen des Stiftungsstatutes, denn eine solche Commission sei nicht direkt seitens der sämmtlichen über 18 Jahre alten Betriebsangehörigen gewählt und ferner sei die Wählbarkeit beschränkt, indem nur Mitglieder des Ausschuses gewählt werden könnten. Die in § 2 (gemeint war der Punkt 2 der Ausschußforderungen d.V.) erwähnten Befugnisse könnten daher in jedem Fall nur Befugnisse des Ausschusses selbst sein". Nach Abbes Ausführungen wählte der Arbeiter-Ausschuß die sieben Rommissionmitglieder, an deren Sitzungen auch der Vorsitzende des Ausschusses teilnehmen konnte. Ungeachtet der Abfuhr, die Abbe dem Arbeiter-Ausschuß erteilt hatte, wurde in den folgenden Wochen versucht, die Geschäftsordnung der Rommission so zu gestalten, daß ihr gegenüber der Geschäftsleitung größere Rechte zufallen könnten. Abbe reagierte am 15. März 1902 auf diese Versuche in der Sitzung der Siebenerkomission und stellte fest, daß das Bestreben der Rommission darauf abziele, eine unparteiische Instanz zwischen der Geschäftsleitung und der Arbeiterschaft zu schaffen. Er machte deutlich, daß in personellen und in Lohnfragen „allein die Geschäftsleitung ein unparteiisches Urteil" habe. 31 Das Sitzungsprotokoll hielt fest:

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 510 (Protokoll der Sitzung des Arbeiter-Ausschusses vom vom 10. Februar 1902). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 510 (Protokoll der Sitzung der Siebenerkommission vom 15. März 1902).

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„Prof. A. kommt zu dem Resümee, dass der diesmalige Versuch der Arbeiterschaft wesentlich weitere Rechte für sich in Anspruch zu nehmen, als mißlungen zu bezeichnen ist, denn 1. könnte die Geschäftsleitung in manchen Dingen nicht die Verantwortung, die ihr bisher oblag, aus der Hand geben und 2. sei es in anderen Fällen nicht möglich, eine sachkundige und unparteiische Instanz zu finden, die zwischen der Geschäftsleitung und der Arbeiterschaft vermittelt. Die Arbeiter des Betriebes unterschätzen noch immer viel zu sehr das Recht, welches Ihnen durch das Stiftungsstatut gewährt sei, nämlich das Recht, jeder Zeit gehört zu werden."

Im Sommer 1903 kam es zwischen der Arbeitervertretung und der Geschäftsführung zu einem scharfen Konflikt. Aufgrund der ungünstigen wirtschaftlichen Situation, in der sich die Optische Werkstätte seit dem Herbst 1902 befand, sah sich die Geschäftsleitung genötigt, verschiedene Maßregeln zur Unternehmenssicherung zu treffen. Dazu gehörten auch personalpolitische Entscheidungen, die in der Belegschaft auf Widerstand stießen. Am 6. Juli 1903 stellte der Arbeiter-Ausschuß die unterschiedlichsten Beschwerden von Arbeitern zusammen, die die Siebenerkommission am 17. Juli 1903 der Geschäftsleitung vortrug. Die Geschäftsleitung sagte eine Prüfung zu. Auf den Inhalt der Beschwerden und auf die Stellungnahme der Geschäftsleitung wird an anderer Stelle näher eingegangen.

Der Beamten-Ausschuß und der Verein der wissenschaftlichen Mitarbeiter Die wirksame Tätigkeit des Arbeiter-Ausschusses, die sich zuweilen auch gegen die Werkführer richtete, regte den Werkführer Häußler im Frühjahr 1903 zu dem Vorschlag an, eine Interessenvertretung der Werkführer ins Leben zu rufen. Auf einer von der Geschäftsleitung einberufenen Werkführerversammlung wurde eine solche Gründung zur Sprache gebracht. Einige der Anwesenden erklärten sich bereit, eine solche Vereinigung vorzubereiten. Am 24. April 1903 trafen sich alle Beamten der Optischen Werkstätte, um Zweck und Ziel einer eigenen Interessenvertretung zu erörtern. Man wollte eine dem Siebenerausschuß ähnliche Einrichtung schaffen und kam überein, aus fünf Beamten einen Ausschuß zu bilden. Vier Ausschußmitglieder sollten von den Büro-

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beamten, von den Beamten der Mechanischen und Optischen Abteilung sowie von den Beamten der Nebenbetriebe gewählt werden. Nach dieser Wahl trafen sich am 8. Mai 1903 alle Beamten zu einer Versammlung. Dort wurden die von den Abteilungen gewählten Vertreter vorgestellt. Alle Beamten wählten sodann Wirthgen als fünftes Ausschußmitglied.32 Am 13. Mai 1903 trafen sich die Ausschuß-Mitglieder, um aus ihrem Kreis den Obmann zu bestimmen. Diese Aufgabe wurde Wirthgen anvertraut. Am 30. Mai 1903 stellte sich der Beamten-Ausschuß der Geschäftsleitung vor, die ihre Sympathie für die Absichten des Ausschusses erklärte. Czapski machte einige grundsätzliche Bemerkungen zur Zusammenarbeit zwischen den Beamten und der Geschäftsleitung. Die Geschäftsleitung werde von der Praxis, unmittelbar mit den verantwortlichen Beamten, er nannte Fritz Müller, Töpfer, Berger, Russ, Klemm, die die wichtigsten und größten Betriebsgruppen führten, zusammenzuarbeiten, nicht abgehen. Er äußerte den Wunsch, der Ausschuß solle die vorzubringenden Angelegenheiten gut vorbereiten und ging dann auf Unzulänglichkeiten in der betrieblichen Organisation ein: „Unser Betrieb mit seinem schnellen Wachstum wäre etwas in der Organisation zurückgeblieben. Früher hatte Abbe alle wichtigen Funktionen in seiner Person vereinigt, jetzt wäre es auch der mehrköpfigen Geschäftsleitung kaum möglich, ihn bei der Verzweigtheit des Geschäfts überall zu ersetzen. Daher wäre eine Gliederung der Pflichten und Befugnisse nach unten hin erforderlich. Dies wäre eine Hauptaufgabe der Zukunft" 33

Czapski ersuchte die Beamten um Mitarbeit. „Hierauf beruhe unsere Hoffnung, die Firma wenigstens annähernd auf ihren früheren glänzenden Stand zu halten." Der Beamten-Auschusses befaßte sich zunächst mit internen Angelegenheiten. Seit Sommer des Jahren 1903 nahm er seine Aufgabe als Interessenvertretung wahr. Am 5. Juni 1903 legte der Ausschuß der Geschäftsleitung die Frage vor: „Ist es nicht möglich, das Pensionsalter von 65 Jahre auf 60 Jahre zurückzustellen?" Zur Begründung wurde angeführt, daß es nicht möglich sei, „45 Jahre 32

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UACZ. Bestand: BACZ Nr.489 (Protokoll über die Allgemeine Beamtenversammlung behufs Bekanntgabe der in den einzelnen Gruppen gewählten Vertreter und Vornahme der Wahl des fünften Vertreters vom 8. Mai 1903). UACZ. Bestand: BACZ Nr.498 (Notiz über die Vorstellung des BeamtenAusschusses vor der Geschäftsleitung am 30. Mai 1903).

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lang, ja sogar wie es bei der Optik meistens der Fall sein würde, 50 Jahre lang Präzisionsarbeit" zu leisten, ohne „in den letzten Jahren eine Null zu sein". Die Geschäftsleitung gab eine negative Antwort. Im September 1904 sah sich der Beamten-Ausschuß genötigt, bei der Geschäftsleitung zu intervenieren. Seit einiger Zeit hatten sich die Arbeitsbedingungen für die Werkführer wesentlich verändert. Mit der Fertigung sogenannter Saisonartikel, mit den Staatslieferungen sowie mit Aufträgen für Spezialinstrumente verkürzten sich die Lieferfristen. Dadurch wurde die in den Werkstätten bisher vorherrschende Stabilität beeinträchtigt. Es kam zu sprunghaften Verkürzungen oder Verlängerungen der Arbeitszeiten, die oftmals nur einen Teil der Beschäftigten oder nur einzelne Arbeiter betrafen. Das brachte eine weit über das Maß früherer Jahre hinausgehende Beanspruchung des Führungspersonals mit sich. Deshalb forderten die Werkführer von der Geschäftsleitung einen finanziellen Ausgleich.34 Im Zusammenhang mit den noch darzustellenden sozialen Folgen der kritischen Wirtschaftslage des Zeiss-Unternehmens im Jahre 1902/03 erfaßte die Beamtenschaft die Sorge um ihre Pensionen, und es kam zu einer scharfen Auseinandersetzung mit der Geschäftsleitung, in deren Gefolge offensichtlich eine gewisse Lähmung der Ausschußarbeit eintrat. Erst am 29. Mai 1905 wandte sich die Beamtenschaft wieder an die Geschäftsleitung, um, nachdem die Vorgeschichte des Beamten-Ausschusses geschildert worden war, die selbstgestellten Aufgaben zu beschreiben: „Aufgabe dieses Ausschusses solle es mit sein, die Beamten in allen sie berührenden Angelegenheiten, hauptsächlich allgemeinen Interessen, zu vertreten."35 Die Beamtenvertreter befleißigten sich gegenüber der Geschäftsleitung eines ganz anderen Tones als im Vorjahr: „Die Beamten richten an die verehrte Geschäftsleitung das höfliche Ersuchen, dem gewählten Ausschusse, damit dieser seine Zwecke auch wirklich entsprechen und dieselben erfülle, möglichst Zuziehung zu Teil werden zu lassen, so z.B. bei Vorkommnissen in den Werkstaetten, welche die Geschäftsleitung beschäftigen und bisher nur die einseitige Zuziehung

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UACZ Bestand: BACZ Nr. 489 (Schreiben des Beamten-Ausschusses an die Geschäftsleitung vom September 1904). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 489 (Schreiben der Beamtenschaft an die Geschäftsleitung vom 29. Mai 1905).

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des Arbeiterausschusses erfuhren, oder bei Differenzen zwischen Untergebenen und Vorgesetzten, welche eine rechtliche Beurteilung auch seitens der Beamten wünschenswert erscheinen lassen, oder bei Entschließungen über Werkstattvergrößerungen, Verlegungen resp. Bauten oder aber zur Ermöglichung von Fragestellungen über Punkte allgemein wichtigen Interesses."

Im November 1905 gründeten die 15 wissenschaftlichen Mitarbeiter der Optischen Werkstätte einen Verein. Sie wählten am 19. November 1903 Paul Rudolph zu ihrem Vorsitzenden und August Röhler und Dönitz in den Vorstand. In einem Schreiben vom 25. November 1903 unterrichtete Rudolph den Stiftungskommissar über das Anliegen des Vereins: „Der Verein hofft, nicht nur mit der persönlichen Annäherung der wissenschaftlichen Mitarbeiter untereinander förderlich zu sein, sondern auch in manchen Dingen der Geschäftsleitung eine bessere Stütze sein zu können als bisher die vereinzelte Mitarbeit. Außerdem ist es sein besonderer Wunsch, daß sich die Beziehungen seines Vorstandes zur Geschäftsleitung als die eines Vertretungskörpers der wissenschaftlichen Mitarbeiter gestalten." Rudolph übersandte mit diesem Schreiben auch die Vereinssatzung. 36

Die Vereinsgründung hing zweifellos mit der Diskussion zusammen, die zu dieser Zeit in der Optischen Werkstätte über die Gefahrdung der Pensionsansprüche begonnen hatte. Wie noch zu schildern ist, war der Vereinsvorstand einer der Wortführer im Konflikt mit der Geschäftsleitung.

Die Einführung des Achtstundentages Im Stiftungsstatut war für alle in einem gewöhnlichen Lohnverhältnis stehenden Mitarbeiter festgelegt, daß die Arbeitszeit nicht mehr als neun Stunden betragen darf und daß - ausgenommen bei Betriebsstörungen - keine Verpflichtung zu Überstunden und

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23013 (Brief Rudolph an den Stiftungskommissar vom 25. November 1903. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 76.

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Feiertagsarbeit besteht. Arbeiter über 18 Jahre hatten Anspruch auf einen zwölftägigen Urlaub im Jahr.37 Arbeiter und Geschäftsgehilfen über 21 Jahre, die über ein Jahr in der Optischen Werkstätte tätig waren, erhielten für sechs Urlaubstage einen festen Zeitlohn. In der Arbeiterschaft der Optischen Werkstätte bestand aber, wie schon geschildert, der Wunsch nach einer kürzeren Arbeitszeit. Eine Gelegenheit, die Geschäftsleitung daraufhin anzusprechen, bot die Frage Czapskis in der Konstituierenden Sitzung des Arbeiter-Ausschusses vom 22. Januar 1900, ob die Ausschußmitglieder anläßlich der Fertigstellung des 20 OOOsten Feldstechers eine Feier ins Auge gefaßt hätten. Czapski war bereit, Anregungen aus der Belegschaft entgegenzunehmen. Daraufhin schlug der Vertrauensmann Gönrich vor, „aus diesem Anlaß die Arbeitszeit um V2 Stunde zu verkürzen".38 Die Geschäftsleitung griff diesen Vorschlag aus dem Arbeiter-Ausschuß auf und traf eine grundlegende Entscheidung zur Arbeitszeitregelung. Am 12. Februar 1900 kam Czapski in der Ausschuß-Sitzung auf den Vorschlag von Gönrich zurück. Der Schriftführer hielt im Protokoll fest: „Herr Dr. Czapski führt aus, daß ihn der Antrag als Feierlichkeit aus Anlaß des 20 OOOsten Feldstechers (inzwischen sei der 25000ste fertiggestellt worden) die Arbeitszeit um 1/2 Stunde zu verkürzen, sehr symphatisch berührt habe. Die Geschäftsleitung sei nun gleich der Frage der Einführung des Achtstundentages näher getreten und sei an der Hand von Beispielen aus der Praxis und auf Grund der vorliegenden instruktiven Litteratur zu der Überzeugung gekommen, daß sich dieser recht wohl durchführen lasse, vorausgesetzt, daß der größte Theil der Arbeiterschaft der Frage das nöthige Verständniß entgegenbringe, was die Geschäftsleitung vorliegendenfalls annehme ... Die Geschäftsleitung der optischen Werkstätte schlägt der Arbeiterschaft vor, vom 1. April ab zum Achtstundentag und zwar unter Beibehaltung von zwei Ruhepausen überzugehen - unter folgenden Bedingungen: 1. Anerkennung der Verpflichtung zum Einhalten von 8 Stunden thatsächlicher Arbeit, d.h. strenger Pünktlichkeit im Bezug auf Anfang und Ende der Arbeit in jeder einzelnen Schicht; 2. Gänzlicher Wegfall des Essens und Trinkens während der Nachmittagsschicht und Beschränkung dessen am Vormittag auf die Zeit der

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 16873 (Statut der Carl Zeiss-Stiftung), Bl. 30. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 508 (Protokoll der Sitzung des Arbeiter-Ausschusses vom 27. Januar 190).

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Frühstückspause und der nächstfolgenden Viertelstunde - behufs Fernhaltung aller unnötiger Störungen der Arbeit; 3. Garantien gegen Mißbrauch der Freizeit zu Erwerbsarbeit unter Einführung einer Controlle über alle anderweitige Erwerbsarbeit durch eine Rommission des Arbeiter-Ausschusses. Im Übrigen schlage die Geschäftsleitung noch vor: Die Mittagspause auf zwei Stunden zu verlängern, damit Allen auch entfernter Wohnenden eine Zeit wirklicher Ruhe verbleibe."39

Czapski ersuchte die Ausschußmitglieder, diesen Vorschlag mit der Arbeiterschaft zu besprechen, damit auf einer Versammlung eine definitive Regelung erfolgen könne. In der daraufhin einsetzenden Debatte vertraten einige Ausschußmitglieder den Standpunkt, daß nach ihrer Ansicht eine Zustimmung dazu nur zu erreichen sei, wenn zugleich die englische Arbeitszeit eingeführt werde, die darin bestand, daß die Arbeiter lediglich eine Mittagspause von einer halben Stunde in Anspruch nahmen. Czapski machte dagegen geltend, daß die Geschäftsleitung der Ansicht sei, die englische Pausenregelung wirke sich nachteilig auf die Gesundheit der Arbeiter aus. Fischer verwies darauf, daß in England eine solche Regelung nur in den Großstädten anzutreffen sei, wo die Arbeiter keine Möglichkeiten hätten, in der Mittagspause heimzugehen. Er berichtete über die negativen Erfahrungen, die er in dieser Hinsicht während seines Englandaufenthalts gemacht habe. Czapski betonte, daß die Geschäftsleitung auf der langen Mittagspause bestehen müsse. Das Vorhaben der Geschäftsleitung stieß noch auf ein anderes Hindernis. In der Arbeiterschaft setzte eine lebhafte Diskussion über die Folgen der Arbeitszeitverkürzung für diejenigen ein, die im Akkordsystem arbeiteten. In der Objektivdreherei verfaßten Arbeiter ein Zirkular, in dem festgestellt wurde: „In den letzten Arbeiter-Ausschußsitzungen ist der Achtstundentag zur Verhandlung gekommen und ohne Debatte von der werthen Geschäftsleitung als Geschenk für die Arbeiterschaft (anläßlich des 25000. Feldstechers) bewilligt worden. Nun sind aber in einigen Abtheilungen Bedenken laut geworden, daß eine gute, genaue Arbeit nicht in kurzer Zeit geliefert werden kann, demnach auch nicht dasselbe geleistet wird und dadurch ein Minderverdienst eintritt. Wegen dieser Bedenken kommen wir zu dem Schluß, daß wir

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 508 (Protokoll der Sitzung des Arbeiter-Ausschusses vom 12. Februar 1900).

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ohne Accordaufschlag nicht für den Achtstundentag stimmen können, denn für uns wäre die Einführung deßselben eine Schädigung und kein Geschenk. Wir bitten die Herren Geschäftsangehörigen (Accordarbeiter), welche hierin mit uns übereinstimmen, um ihre Unterschrift" 40

Abbe ging in der Arbeiter-Ausschuß-Sitzung vom 5. März 1900, nachdem er die Notwendigkeit einer längeren Mittagspause begründet hatte, auf das Zirkular, das von 204 Arbeitern unterzeichnet worden war, ein und erklärte, „daß unter dieser Bedingung die Geschäftsleitung ihre Vorschläge natürlich nicht aufrecht erhalten könne, da ein nur 5 °/oiger Zuschlag für die Firma einen jährlichen Produktionsausfall von ca 100.000 M bedeute und daß demzufolge am Jahresabschluß gar kein oder doch nur ein ganz magerer Gewinnanteil zur Vertheilung kommen könne."41 Abbe verwies auf die englischen Erfahrungen, wo nach der Einführung des Achtstundentages keine Einkommensminderung eingetreten sei. Das Ausschußmitglied Rläber gab eine formelle Erklärung zu dem Zirkular ab. Während Leber für das Vorhaben der Geschäftsleitung warb, erklärte der Vertrauensmann Schöps, „daß nach ihm gewordenden Mittheilungen in einzelnen Abtheilungen die Leistungsfähigkeit ihre Grenzen bereits erreicht habe und daß in diesen Abtheilungen voraussichtlich ein Verdienstausfall zu erwarten sei. Diesen möge, sobald ein entsprechender Nachweis vorliege, von der Geschäftsleitung ein Zuschlag bewilligt werden, der aus den Ersparnissen an Licht, verminderter Abnutzung der Maschinen u.s.w. wohl gedeckt werden könne". Und das Ausschußmitglied Reinhardt gab „den Standpunkt seiner engeren Rollegen bekannt, die an der neunstündigen Arbeitszeit festhalten möchten aus Rücksicht auf den Verdienst."42 Persönlich sei er, Reinhardt, der Meinung, daß trotz mancher Schwierigkeiten in seiner Abteilung der Achtstundentag durchführbar sei. In dieser Sitzung dikutierte man auch über die Erwartung der Geschäftsleitung, daß die Beschäftigten während der größeren Freizeit keinem anderen Erwerb nachgehen dürfen. Abbe ging auf die vorgebrachten Bedenken der Ausschußmitglieder ein. Hinsicht-

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 321 (Cirkular). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 508 (Protokoll der Sitzung des Arbeiter-Ausschusses vom 5. März 1900). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 508 (Protokoll der Sitzung des Arbeiter-Ausschusses vom 5. März 1900).

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lieh der Frage nach der möglichen Erwerbsarbeit in der Freizeit sagte er „daß die persönliche Freiheit des Einzelnen nicht beeinflußt werden könne und dürfe, soweit nicht Handlungen in Frage kämen, die eine Beeinträchtigung der Arbeitsfähigkeit im Betrieb mit sich bringen müssen". Schließlich kam man überein, am kommenden Montag, dem 12. März 1900, eine Versammlung der erwachsenen Geschäftsangehörigen in den Lindenhof einzuberufen. Auf dieser, von Czapski eröffneten Versammlung, erläuterte Abbe die Ansicht der Geschäftsleitung zur Arbeitszeitverkürzung und versuchte, die Bedenken der Akkordarbeiter zu zerstreuen. Er nannte aber auch die notwendigen Voraussetzungen, die geschaffen werden müßten, damit bei der Einführung des Achtstundentages ein Arbeitsausfall vermieden werde. Dazu zählte er die „strenge Pünktlichkeit in Bezug auf das Einhalten dieser verkürzten Arbeitszeit ... Die Vermeidung aller Störungen während der Arbeitszeit" und die Pflicht eines jeden, „mit frischen Kräften an die Arbeit zu kommen, also in seiner freien Zeit nichts zu thun, was geeignet ist, diese herabzumindern". Abbe forderte sodann die Anwesenden auf, zweierlei zu bedenken: „1., können wir uns zutrauen, auch die, die meinen, dass sie jetzt schon fleissig und angespannt arbeiten davon überzeugen, dass, wenn die Arbeitsdauer auf 8 Stunden beschränkt wird, wir doch in diesen 8 Stunden dasselbe fertig bringen, wie in den normalen 9 Stunden; 2., wollen wir uns auch die kleinen Unannehmlichkeiten und Beschränkungen auferlegen. Dann muss man eben, um das zu können, die gegebenen 8 Stunden viel strenger ausnutzen, mit grösserer Pünktlichkeit, mit grösserer Continuität die Arbeitszeit ausnutzen als bisher. Die Frage ist also: Können Sie und wollen Sie auch1.'43

Im Laufe seines Vortrages stellte Abbe das zu beschließende Vorhaben noch in einen größeren Zusammenhang. „Es wird nicht ohne Bedeutung sein in Bezug auf die Bestrebungen der Arbeiterschaft auf Verkürzung der Arbeitszeit, wenn es heisst, der grösste Betrieb auf speciell feinmechanischen Gebiet hat in der Zeit gedrängter Arbeit, wo überall grosse Bestellungen vorlagen, wo alles darauf

43

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23 (Protokoll über die Verhandlungen über die Einführung des 8 stündigen Arbeitstages in den Werkstätten der Firma Carl Zeiss), Bl. 14.

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hinwies, ja alle Kräfte anzuspannen, die Keckheit gehabt, von 9 auf 8 Stunden zu gehen, und hat Erfolg gehabt. Wenn das gelingt, so wird das die Bewegung zu Gunsten der kürzeren Arbeitszeit, die Bewegung zur Hebung des Lebens-Niveaus der Arbeiter ganz erheblich kräftigen." In der von Czapski eröffneten Debatte beteiligte sich auch der Polierer Otto: „Ich habe heute Abend die Überzeugung gewonnen, daß die Gründe für die Einführung der 8 stündigen Arbeitszeit für mich genügen, während ich doch vorher auch ein Gegner war ... Also wir können, wenn wir die Ausführungen des Herrn Professors betrachten, absolut nichts aussetzen. ... Ich gebe zu, dass es z. B. im Geschäft einige Abtheilungen giebt, wo etwas mehr geleistet werden könnte, im Allgemeinen aber, und das ist hier auch zugegeben worden, wird die Arbeitskraft bei 9 stündiger Arbeitszeit zum grossen Teile schon so angespannt, dass grössere Anspannung nicht mehr möglich ist."

Abbe ging auf den Vorwurf von Otto ein, die Geschäftsleitung hätte früher solch eine Versammlung abhalten müssen, um der kritischen Diskussion vorzubeugen. „Man muss jedoch bedenken und darf nicht unterschätzen, was es uns gekostet hat, selbst zu einer klaren Stellung zu kommen. Wenn wir nicht wiederholt die Besprechungen im Arbeiter-Ausschuß gehabt hätten, so waren wir, meine Rollegen und ich, gar nicht so überzeugt; das ist die Vorbereitung gewesen, und ich sehe eben die Vorteile einer derartigen Einrichtung darin, dass sie Gelegenheit bietet, so eine Sache vorzubereiten."

Otto, der sich nochmals zu Wort meldete, ersuchte die Geschäftsleitung, dafür zu sorgen, „dass ein allzu grosses Antreiben und Beaufsichtigen von Seiten der Herren Werkmeister nicht stattfinden darf. Deshalb möchte ich doch gerade an die Geschäftsleitung die Bitte richten, dass in dieser Hinsicht die Anweisung ergeht, dass die Herren sich in den Grenzen des Erlaubten zu bewegen haben, damit nicht der Einzelne in seinem Inneren angegriffen wird und das Innere sich empört". Der Vorsitzende des Arbeiter-Ausschusses, Leber, griff das von Otto Vorgetragene auf und begründete Bedenken gegen den Achtstundentag mit der Sorge, „dass von Seiten der Herren AbtheilungsLeiter das Antreiben noch viel mehr geschehen würde, als bis dato, weil wir eben leider, ich sage leider, Abtheilungen haben, die doch heute schon bei der 9 stündigen Arbeitszeit dieses System benüt-

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zen". Leber war davon überzeugt, daß das Interesse der Arbeiter an einem guten Verdienst eine stärkere Triebfeder sein wird als das Antreiben durch Vorgesetzte. „Wenn wir das verdienen sollen, was wir bei den 9 Stunden verdient haben, so treibt das, sage ich, jeden Einzelnen so viel wie möglich an, so dass ein Antreibe-System gar nicht in Frage kommen kann."44 Zur prinzipiellen Seite der Arbeitszeitverkürzung äußerte Leber: „Ich bin der Ansicht, dass wir eine kürzere Arbeitszeit haben im Interesse unserer ganzen Weiterentwicklung, im Interesse unseres Bildungswesens überhaupt, im Interesse der Widmung der Familie u.s.w., und dass wir da die kurze Arbeitszeit so intensiv wie möglich ausnützen ... Es ist ferner noch gesagt worden,... schließlich kommt es noch soweit, dass das Thor beim Glockenschlag verschlossen wird, dass Controll-Uhren angeschafft werden u.s.w. Ich sage, auch das befürchte ich nicht, ich glaube wohl, dass die Geschäftsleitung nach wie vor auf dem Standpunkt stehen und nicht dasjenige machen wird, was unser Geschäft zu einer modernen Zwingburg macht, Befürchtungen die von einzelnen unserer Werkstatts-Genossen gehegt werden."

Abschließend appellierte Leber an die Anwesenden, sich in der bevorstehenden Abstimmung für die Einführung des Achtstundentages zu entscheiden. Czapski schloß die Versammlung mit der Feststellung: „Aber mit der Hetzpeitsche hinter Ihnen zu stehen, das wollen wir nicht Wenn es nöthig wäre, Controll-Uhren anzuschaffen und die Thore zuzumachen, dann würden wir sagen, wir haben hier eine Arbeiterschaft, die für den 8 Stundentag nicht reif ist, dann müssten wir ihn eben einfach wieder abschaffen; davor können Sie sicher sein, solche Massregeln werden wir nicht einführen."

Am folgenden Donnerstag, dem 15. März 1900, fand die schriftliche Urabstimmung über die Einführung des Achtstundentages in der Fa. Carl Zeiss statt. Abbe hatte den Text, über den abgestimmt werden sollte, selbst entworfen. Das Abstimmungsergebnis wurde am 16. März der Belegschaft durch Anschläge in den Werkstätten mitgeteilt: „Bei der gestern herbeigeführten Abstimmung wegen der

44

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23 (Protokoll über die Verhandlungen über die Einführung des 8 stündigen Arbeitstages in den Werkstätten der Firma Carl Zeiss).

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Einführung der achtstündigen Arbeitszeit sind im ganzen 746 Stimmzettel abgegeben worden, von denen 615 auf Ja, 105 auf Nein lauteten, 21 unbeschrieben und 5 ungültig waren."45 Die Geschäftsleitung legte den Beginn des Achtstundentags für den 29. März 1900 fest.

Der erste große Interessenkonflikt Bis in den Frühsommer 1903 kam es zwischen der Zeiss-Belegschaft und der Geschäftsleitung zu keiner scharfen und öffentlich geführten Kontroverse. Spannungen traten zwischen einzelnen Arbeitern oder kleinen Arbeitergruppen und den Werkstattvorgesetzten natürlich immer wieder einmal auf. Vielfach ist bei Auseinandersetzungen nicht auszumachen, ob der Werkmeister nur auf die Einhaltung der Arbeitsdisziplin und auf die ordnungsgemäße Ausführung der Arbeitsaufgaben hingewiesen und sich dabei nur im Ton vergriffen oder ob er ungerechtfertigte Vorwürfe gemacht hatte, die die gerügten Arbeiter gegen den Vorgesetzten aufbrachten. Solche Unstimmungkeiten in den Werksstätten wirkten sich in wirtschaftlich erfolgreichen Jahren nicht auf das gesamte Klima in der Optischen Werkstätte aus. Das sollte sich aber im Sommer 1903 ändern. Abbe hatte schon im Spätherbst des Jahres 1902 den Arbeiter-Auschuß auf die Veränderung in der wirtschaftlichen Situation und auf die damit für die Belegschaft zu erwartenden Konsequenzen hingewiesen. In der Ausschußsitzung vom 25. November 1902 bemerkte er, daß in diesem Jahr die Lohn- und Gehaltsnachzahlung von acht Prozent ausnahmsweise noch bewilligt werden konnte und fügte hinzu: „Was nun die Aussichten für die nächste Zukunft angehe, so sei allerdings bereits in der letzten Zeit nicht mehr die volle Leistung der Werkstätte in Anspruch genommen worden, auch hätten sich die Vorräte mehr als vielleicht wünschenswert gehäuft. Da nun die Möglichkeit vorhanden ist, daß die ungünstigen Verhältnisse im laufenden Geschäftsjahr anhalten, so

45

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 22 (Anschlag der Geschäftsleitung über das Ergebnis der Urabstimmung vom 15. März 1900).

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könnte die Firma genötigt werden, durch verkürzte Arbeitszeit der übermäßigen Anhäufung von Vorräten zu steuern."46

Abbe sicherte den Arbeitern für das laufende Geschäftsjahr die festen Mindestlöhne zu, stellte aber zugleich fest, daß Lohn- und Gehaltsnachzahlungen nicht zu erwarten seien. Er deutete die Möglichkeit von Entlassungen an und fügte hinzu, „daß die Firma brauchbare Leute wegen Arbeitsmangel entlassen werde, sei so gut wie ausgeschlossen".47 Anfang 1903 traf die Wirkung verschiedener Faktoren zusammen, die in der Optischen Abteilung vorerst zur Kurzarbeit und dann im Sommer 1903 zu Entlassungen führten. Die Aufträge, vornehmlich für die Feldstecher, waren stark zurückgegangen. Die zukunftsträchtigen optischen Geräte hatten einen geringeren Anteil an optischen Elementen. In der Optischen Abteilung hatten die jungen Arbeitskräfte, die zwischen 1898 bis 1901 in das Unternehmen eingetreten waren, ihre volle Leistungsfähigkeit erreicht, die nun nicht mehr genutzt werden konnte. Die von der Kurzarbeit betroffenen Arbeiter mußten eine Verdienstminderung von ca. 25 Prozent hinnehmen. Die Geschäftsleitung befand sich in einer schwierigen Situation. Das Stiftungsstatut verpflichtete sie, Kurzarbeitern oder Arbeitern, für die es aus betrieblichen Gründen keine Arbeit gab, den Mindestlohn zu zahlen. Die Schwere der Krise, in der sich das Unternehmen befand und deren Dauer nicht abzusehen war, ließ befürchten, daß daraus eine erhebliche finanzielle Belastung erwachsen werde. Bei dem großen Kreis der von Kurzarbeit betroffenen Arbeiter nährte die statuarische Regelung die unbegründete Hoffnung, daß die Verdienstausfalle nur vorübergehend sein werden. Die Geschäftsleitung kam zu dem Entschluß, daß die Entlassung einer größeren Anzahl jüngerer Arbeiter aus der Optischen Abteilung unvermeidlich sei. Die Analyse der vorliegenden und der zu erwartenden Aufträge und der dazu benötigten Arbeitskräfte in der Optischen Abteilung führte zu dem Ergebnis, daß etwa 70 Arbeiter für absehbare Zeit ohne Arbeitsaufgaben sein werden. Die Absicht, eine so große Anzahl von Arbeitern aus der Optischen Werkstätte zu entlassen, wurde von der Belegschaft und von 46

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 508 (Protokoll der Sitzung des Arbeiter-Ausschusses vom 25. November 1902). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 508 (Protokoll der Sitzung des ArbeiterAusschusses vom 25. November 1902).

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der Öffentlichkeit als etwas Unerhörtes empfunden, denn bisher war jedermann der Überzeugung, daß so etwas in dem Jenarer Stiftungsunternehmen nicht geschehen könne. Für die Geschäftsführung waren die Umstände, unter denen sie sich für die Entlassungen entscheiden mußte, außerordentlich ungünstig. Abbe war im April 1903 aus gesundheitlichen Gründen aus der Geschäftsleitung ausgeschieden. Czapski und seine Geschäftsleitungskollegen sahen zunächst davon ab, die Belegschaft und die Öffentlichkeit über das Ausscheiden Abbes zu informieren. In der Belegschaft wurde wohl bekannt, daß der Professor nicht mehr die Geschäfte führte und die nun für die Geschicke des Unternehmens verantwortlichen anderen Geschäftsführer, Czapski, Fischer, Straubel und Schott, besaßen nicht die Autorität in der Belegschaft und bei den Mitgliedern des Arbeiter-Ausschusses, die Abbe hatte. Die führenden Männer der Arbeitervertretung waren selbstbewußter geworden und wußten sich als Teil einer im Vormarsch begriffenen politischen Organisation in Deutschland, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die politischen und sozialen Verhältnisse im Lande zu verändern. Die von Leber angeführten Sozialdemokraten im Arbeiter-Ausschuß waren der Auffassung, daß es ihre Pflicht sei und ihnen auch das Recht zustehe, auf die Geschäftspolitik in der Optischen Werkstätte Einfluß zu nehmen. Dazu wurden die Ausschußmitglieder auch durch die Unzufriedenheit in Teilen der Belegschaft ermuntert und schlugen nun gegenüber der Unternehmensleitung einen fordernden Ton an. Ende Juni/Anfang Juli 1903 sammelten die Ausschußmitglieder Beschwerden von unterschiedlicher Art und stellten sie am 6. Juli 1903 in einer Sitzung, zu der die Geschäftsleiter nicht eingeladen waren, in einem Schriftstück zusammen, das der Geschäftsleitung übergeben wurde. Dabei ging es um die Entlassung von drei Arbeitern in der Buchbinderei, die Reduzierung des Akkordsatzes bei einem Dreher, die Arbeitsüberlastung in einer Abteilung, eine arbeitsorganisatorische Maßnahme, die Häufigkeit von Tuberkulosefallen in einer Abteilung und um die angekündigte Entlassung von 70 Optikern. Die Geschäftsleitung prüfte die Beschwerden sorgfaltig und nahm dazu am 17. Juli 1903 in der Sitzung der Siebenerkommission Stellung.48

48

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23013 (Protokoll der Sitzung der Geschäftsleitung mit der Siebenerkommission am 17. Juli 1903. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 4-7.

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Die Einstellung der Geschäftsleitung gegenüber kritischen Äußerungen aus der Belegschaft soll an den beiden entscheidenden Beschwerden veranschaulicht werden. Der Arbeiter-Ausschuß hatte auf zahlreiche Schwindsuchtfalle in der Abteilung Schäfer hingewiesen und die Arbeitsbedingungen dafür verantwortlich gemacht. Die Geschäftsleitung sicherte dem Siebenerausschuß eine unverzügliche Klärung dieses Sachverhaltes zu. Sie ersuchte den Inhaber des Lehrstuhles für Hygiene an der Jenaer Universität, August Gärtner, und den Vertrauensarzt der Betriebs-Krankenkasse, die Angelegenheit kompetent zu untersuchen. Gärtner beauftragte seinen Mitarbeiter Dr. Fürbringer, diesem Vorwurf nachzugehen. Fürbringer analysierte die Krankengeschichte der fünf Verstorbenen und fünf Erkrankten sowie deren Famlien, um in einem jeden Fall die Krankheitsursachen aufzudecken. Er prüfte die Lebensumstände der Betroffenen, ihre Wohnverhältnisse, Ernährung, ihre Arbeitsbedingungen. Fürbringer nahm statistische Vergleiche über die Häufigkeit dieser Krankheit in Deutschland und in der Optischen Werkstätte vor. Dabei stellte er fest, daß von der Zeiss-Belegschaft zwischen 1897 und 1903 fünfzehn Personen an Lungentuberkulose, zwei an Unterleibstuberkulose und fünfzehn an anderen Krankheiten verstorben waren. Nach diesen aufwendigen Untersuchungen kam er in seinem Gutachten zu dem Urteil: „Die Untersuchungen haben also ergeben, daß die Gesamtsterblichkeit sowohl für die Abteilung Schäfer, als namentlich für den gesamten Zeiß'schen Betrieb durchaus nicht ungünstig sich verhält, im Gegenteil hinter den allgemeinen Ziffern zurücksteht."49 Hinsichtlich der in Aussicht genommenen Entlassung von ca. 70 Optikern verwies Czapski auf die genannten Ursachen und legte dann die Vorgehensweise der Geschäftsleitung dar. „Bei der Entlassung soll in erster Linie die Frage der Tüchtigkeit in der Arbeit (d. h. Mangel an solcher Tüchtigkeit) massgebend sein, in zweiter Linie die Frage, ob dem Entlassenen voraussichtlich ein anderweitiges Fortkommen möglich sein werde. Erst in dritter Linie soll die Höhe der seitens der Firma zu gewährenden Abgangsentschädigung in Betracht gezogen werden."50 49

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 11016 (Gutachten von Dr. Fürbringer über die Tuberkolosesterbefälle im Betrieb Carl Zeiss vom 3. Oktober 1903), Bl. 10. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23013 (Protokoll der Sitzung der Geschäftsleitung mit der Siebenerkommission am 17. Juli 1903. Akten des Stiftungskommissars) Bl. 6-7.

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Am 20. Juli 1903 erläuterte die Geschäftsleitung dem gesamten Arbeiter-Ausschuß ihren Standpunkt zu den vorgebrachten Beschwerden. Die Ausschußmitglieder waren über das Vorgetragene außerordentlich ungehalten. Czapski schilderte seinen Eindruck von der Ausschußsitzung dem Stiftungkommissar am 1. August 1903 in einem Brief: „Aus ihr (aus der Ausschußsitzung d. V.) erst ersahen wir, eine wie weitgehende Verstimmung, um nicht zu sagen Erbitterung unter den Leuten herrscht und zwar, meiner festen Überzeugung nach zu Unrecht. Ich meine, dass diese Verstimmung, diese Erbitterung von sehr törichten und sehr gewissenlosen Leuten in die Masse hineingetragen worden ist, so dass solche Saat, wie tausendjährige Erfahrung zeigt, stets fruchtbaren Boden findet und üppig aufgeht... Die Erbitterung, zum mindesten in der Arbeiterschaft, oder sagen wir, eines erheblichen Teils dieser, ist gegen zwei Einrichtungen gerichtet, an denen, wie kein Verständiger zweifeln kann, gar nicht zu rütteln ist."51 Gemeint waren die Werkmeister im Zeiss-Unternehmen und die finanziellen Leistungen der Stiftung für wissenschaftliche und kulturelle Einrichtungen. Czapski reflektierte die Kritik an diesen Leistungen in seinem Brief so: „Immer wieder äussert sich die Unzufriedenheit der Arbeiterschaft (d. h. also eines Teils derselben), dass bei ihr an Löhnen ,gespart' werde (auf Deutsch, dass man diese Löhne nicht beliebige Höhe erreichen lässt, unbekümmert um Löhne die für die gleichartige Arbeit anderwärts gezahlt werden), während man doch sonst das Geld mit vollen Händen ausgebe, für andere nach Meinung jener Herren recht überflüssige, zum mindesten sehr untergeordnete Zwecke' als da sind: eine Lesehalle und Gewerbeschule, ein Physikalisches Institut, Professorengehälter, ganz zu schweigen von einem Universitätsbau."52 Dann fuhr der Briefschreiber fort: „Sie verstehen wohl ohne weiteres, sehr verehrter Herr Geheimrat, welche Meinung diesen Beschwerden zu Grund liegt, die Meinung, dass ge-

51 52

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23013 (Brief Czapski an Stiftungskommissar vom 1. August 1903. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 13-14. Die Carl Zeiss-Stiftung unterstützte die Großherzogliche Gewerbeschule in Jena, in der die Zeiss-Lehrlinge ausgebildet wurden, und den Bau des Universitätshauptgebäudes mit finanzellen Mitteln.

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rechter Weise die Einkünfte des Unternehmens unter die daran Mitarbeitenden verteilt, allenfalls Arbeiter Wohlfahrts Einrichtungen geschaffen und unterhalten würden. Über diese, nicht vereinzelt sondern schon recht oft hervorgetretene Meinung, die auch in der letzten Ausschuss Sitzung sich wieder ans Tageslicht wagte, discutiere ich natürlich nie, denn sie sind nicht discutabel."53

Die Mißstimmung, die sich in der Sitzung des Arbeiter-Ausschusses so massiv geäußert hatte und die Unzufriedenheit mit der Haltung der Geschäftsleiter, veranlaßte Leber, das ihm wie üblich zur Unterschrift vorgelegte Sitzungsprotokoll nicht zu unterzeichnen. 54 Die Geschäftsleiter besprachen am 25. Juli 1903 im Rahmen ihrer turnusmäßigen Zusammenkunft neben anderen Tagesordnungspunkten auch die eingetretene Situation. Sie stimmten der Entlassung der rund 70 Optiker aus den schon genannten Gründen zu und legten das weitere Vorgehen fest. „Es wird - vorbehaltlich nochmaliger Nachprüfung - eine Erklärung des Inhalts in Aussicht genommen, dass die G. L. (Geschäftsleitung d. V.) mit Rücksicht auf Inhalt und Ton der Leber'schen Niederschrift und auf den Verlauf der A-Ausschusssitzung vom 20. ds. Mts. es ablehne, mit dieser Vertretung weiter zu verhandeln, dass damit aber die Institution des A. Ausschusses als solche nicht berührt werden solle, pp."55 Schott teilte den anderen Geschäftsleitern mit, „daß er nach diesen Vorkommnissen bei C. Z. die von ihm für die nächsten Tage geplante Einrichtung eines Arbeiterausschusses für Sch. & Gen. vorerst noch unterlasse und eine abwartende Stellung einnehmen werde."56 Schott hielt sich an seine Ankündigung und teilte der Schott-Arbeiterschaft Anfang August 1903 mit, daß er die Konstituierung eines Arbeiterausschusses unterlasse. 57

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23013 (Brief Czapski an Stiftungskommissar vom 1. August 1903, Akten des Stiftungskommissars), Bl. 18-19. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23013 (Vermerk am Ende des Protokolls von der Sitzung des Arbeiterausschusses vom 20. Juli 1903. Akten des Stiftungskommissars); Nr. 508 ; Nr. 510. UACU. Bestand: BACZ Nr. 23013 (Protokoll der Geschäftsleitersitzung vom 25. Juli 1903. Akten des Stiftungskommissars,, Bl. 9. UACU. Bestand: BACZ Nr. 23013 (Protokoll der Geschäftsleitersitzung vom 25. Juli 1903. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 9. UACZ: Bestand: BACZ Nr. 23013 (Protokoll der Geschäftsleitersitzung vom 8. August 1903: Akten des Siftungskommissars), Bl. 40.

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Nach dieser Sitzung faßte der aufgebrachte Czapski die besprochene Erklärung ab und ließ sie am 29. Juli 1903 im Namen der Geschäftsleitung bekanntmachen. 58 In dieser Mitteilung wurde der Inhalt der Ausschußsitzung vom 20. Juli wiedergegeben und festgestellt, „daß in der Arbeiterschaft des Betriebes Anschauungen die Oberhand gewonnen haben, die die wahren Grundlagen der Verfassung der Firma verkennen oder doch unberücksichtigt lassen".59 Diese Mitteilung nahmen die Mitglieder des Arbeiter-Ausschusses am 30. Juli 1903 zum Anlaß, ihr Mandat niederzulegen. Davon setzte Leber die Geschäftsleitung am 31. Juli 1903 in Kenntnis. Die Geschäftsleiter besprachen am 4. August 1903 die entstandene Situation und nahmen zur Kenntnis, daß der Staatsminister sachlich mit dem Vorgehen der Geschäftsleiter einverstanden war, aber gegen die Fassung des Anschlages Bedenken geltend gemacht hatte. Die Geschäftsleitung fand Möglichkeiten, den Kreis der zu entlassenden Arbeiter zu verkleinern und beantragte bei der Stiftungsverwaltung die ausnahmsweise Aussetzung des Statutes dahingehend, daß auch Arbeiter, die erst ein halbes Jahr im Unternehmen tätig waren, in den Genuß der Abgangsentschädigung kommen konnten. Die Neuwahlen für den Arbeiter-Ausschuß wurden für Mitte August ausgeschrieben. 60 Dagegen gab es offensichtlich in der Zeiss-Arbeiterschaft Widerstand, denn die Wahlen fanden nicht wie vorgesehen statt. Schließlich kam es zu einer Aussprache zwischen der Geschäftsleitung und einer Delegation von Gewerkschaftern über die Ausschußwahlen. Dabei brachten die Abgesandten auch den Anschlag der Geschäftsleitung vom 29. Juli zur Sprache, der den Arbeiter-Ausschuß beleidigt habe. Die Geschäftsleitung bestritt eine beleidigende Absicht. Dann ging es darum, ob der Metallarbeiterverband die Ausschuß-Neuwahlen befürworten könne. Offensichtlich gelang es den Geschäftsleitern, die Gewerkschafter von ihrer Obstruktionshaltung abzubringen. Aus einem Brief von Czapski an den Stiftungskommissar wissen wir, daß die Gewerkschafter ihre Zustimmung zu den Wahlen mit der erklärten

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23013 (An die Arbeiterschaft der Firma Carl Zeiss. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 10-11. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 510 (An die Arbeiterschaft der Firma Carl Zeiss .Mitteilung vom 29. Juli 1903). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23013 (Protokoll der Geschäftsleitungssitzung vom 4. August 1903. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 29.

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Absicht verbanden, mit dem neuen Ausschuß weitere Rechte durchzusetzen.61 Anfang Oktober 1903 kamen schließlich die Wahlen zum Arbeiter-Ausschuß zustande und die konstituierende Sitzung fand am 5. Oktober 1903 statt. Leber wurde erneut zum Vorsitzenden gewählt Straubel hatte die Sitzung eröffnet und war zum Unmut der Neugewählten nicht auf die Ursache des Konflikts, die - nach Ansicht der Ausschußmitglieder - in der Erklärung vom 29. Juli gesehen wurde, eingegangen. Auf der ersten Sitzung des neugewählten Siebenerausschusses, die am 7. November 1903 abgehalten wurde, brachte Leber nochmals die Erklärung vom 29. Juli zur Sprache, und Czapski erklärte wiederum, daß die Geschäftsleitung keine beleidigende Absicht verfolgt habe, sich aber auch verschiedene kränkende Äußerungen gefallen lassen mußte. Das Sitzungsprotokoll vermerkte dann endlich: „Man beschließt deshalb einmütig, die verschiedenen Mißverständnisse zu vergessen und in gemeinsamer Arbeit zum gemeinsamen Wohle weiter zu wirken"62 Der Konflikt, der im Sommer 1903 offensichtlich geworden war, zeigt, daß das Abbe'sche Bestreben, die unterschiedlichen Interessen innerhalb der Optischen Werkstätte auszugleichen, nicht ohne weiteres mehr möglich war. Seit der Niederschrift des Stiftungstatuts hatten sich die äußeren Bedingungen für aufkommende Konflikte grundlegend verändert. In der Zeiss-Belegschaft hatte die sozialistische Arbeiterbewegung nun ihre aktiven Vertreter, die die institutionellen Möglichkeiten zur Beeinflussung der Belegschaft zu nutzen wußten. Die aus Abbes liberaler Grundhaltung resultierende Ansicht, ökonomische Interessenunterschiede ließen sich durch eine umsichtige Geschäftspolitik latent halten, wurde im Sommer 1903 erstmals widerlegt. Zugleich zeigte sich, daß der Versuch, politische Bewegungen aus der Optischen Werkstätte herauszuhalten, mißlungen war. Die politischen Widersprüche innerhalb des Unternehmens machte der konservativ denkende Foehr, der zu dieser Zeit die sozialpolitische Verwaltung im Jenaer Unternehmen leitete, deutlich. Er schilderte am 25. März 1904 in einem an den 61

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23013 (Brief Czapski an den Stiftungskommissar vom 19. September 1903. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 148-149. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23013 (Protokoll der Sitzung der Siebenerkommission vom 7. November 1903. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 106107.

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Stiftungskommissar gerichteten Memorandum aus seiner Sicht die Verhältnisse in der Optischen Werkstätte und auch die politische Situation in der Arbeiterschaft: „Man wollte ihnen im vollsten Masse politische Freiheit gewähren, Abbe wollte durch Schaffung eines idealen Arbeitsrechtes und einer idealen Arbeiterschaft die Sozialdemokratie bekämpfen und die optische Werkstätte Carl Zeiss ist heute eine Brutstätte der Sozialdemokratie geworden! Man lässt ein Dutzend zum grössten Teil fremd hergezogener Bannerträger der roten Farbe die Arbeiterschaft systematisch verhetzen, ja terrorisieren. Die älteren ruhigen Leute ziehen sich zurück, die jüngeren ehrgeizigen Schreier haben dadurch das Heft vollständig in die Hände bekommen. Wir haben einen sozialdemokratischen Arbeiterausschuß, die Krankenkasse wird in sozialdemokratischem Sinne verwaltet, stets ist die Frage nicht die, was ist zum Segen des Werkes? sondern was sagt unsere Organisation dazu?, in zweiter Linie, was nutzt es uns? ... kurz und gut die Herren Arbeiter betrachten sich als die wahren Herren des Unternehmens! Die Mitarbeiter, welche nicht zur roten Fahne schwören, es werden täglich weniger, werden schikaniert und gequält, bis sie entweder weggehen, oder sich still zurückziehen."63 Die Geschäftsleitung teilte diese Auffassung Foehrs nicht. Sie nahm vielmehr dessen Insubordination, die darin bestand, daß er ohne Wissen der Geschäftsleiter seinen subjektiven Eindruck von den Verhältnissen in der Optischen Werkstätte in einem umfangreichen Schriftstück dem Stiftungskommissar vortrug, zum Anlaß, sich von Foehr zu trennen. Foehr übernahm nach seinem Ausscheiden die Leitung einer technischen Polizeischule.

Das Entlohnungs system Abbe hatte in das Statut der Carl Zeiss-Stiftung das bisher im ZeissUnternehmen praktizierte Entlohnungssystem festgeschrieben und in wesentlichen Punkten ergänzt.64 Die im Dienstverhältnis erwor63

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23014 (FOEHR: Gedanken über das Carl Zeisswerk vom 25. März 1904. Vertraulich. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 164-165. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 16873 (Statut der Carl Zeiss-Stiftung), Bl. 32-33.

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benen wirtschaftlichen Anrechte bestimmten die Modalitäten der Entlohnung der Arbeiterschaft. Die vor dem Eintritt in die Optische Werkstätte vereinbarte feste Lohnsumme wurde auch bei zeitweiliger oder dauernder Verkürzung der täglichen Arbeitszeit weiter gezahlt, wenn der Beschäftigte länger als ein Jahr tätig war. Vorausgesetzt, es war zu keiner persönlich bedingten Veränderung der Arbeitstätigkeit gekommen. Überstunden oder Feiertagsarbeit, die nicht betriebsbedingt waren, wurden mit einem Zuschlag von mindestens 25 Prozent des festen Zeitlohnes abgegolten. Arbeitern, die Akkord- und Stückarbeit ausführten, wurde ein fester Zeitlohn als Mindestlohn gewährt. Das Lohnsystem sah einen festen Wochenlohn, den Akkord- oder Stücklohn und die jährliche Lohn- und Gehaltsnachzahlung vor. Der zwischen der Geschäftsleitung und dem einzelnen Lohnarbeiter vereinbarte Wochenlohn erhöhte sich mit der Dauer der Werkszugehörigkeit und der Leistung. Die meisten der qualifizierten Arbeiter arbeiteten im Akkord. Seit 1896 kam es verschiedentlich zu Korrekturen an den Akkordsätzen. Der Bericht über das Geschäftsjahr 1896/97 verwies auf eine statistische Erhebung, die ergeben habe, daß die Akkordsätze teilweise zu hoch veranschlagt seien. Daraufhin wurden die Werkmeister beauftragt, das Akkordsystem zu verändern, „deren Folge eine Reduktion der Akkordlöhne um durchschnittlich 10-15% war". 65 Da aber diese Aktion nicht gut vorbereitet worden war, traten bei ihrer Durchführung gravierende Mängel auf, die 14 Arbeiter aus der Optikfertigung im Spätherbst 1896 dazu veranlaßte, folgende Petition an die Geschäftsleitung zu richten: „An die verehrliche Geschäftsleitung der Fa. C. Zeiss, verehrter Herr Professor Abbe und Herr Dr. Czapski ... Bei Einführung der neunstündigen Arbeitszeit ist von der verehrlichen Geschäftsleitung der Wunsch geäußert worden, daß sämmtliche Accordsätze der mikroskop. Linsen aufgebessert werden sollten, was aber leider nur bei einigen Sorten mäßig geschehen ist. Es sind aber viele Sorten unberücksichtigt geblieben, trotzdem die Linsen in Bezug auf Reinheit, Passen und Spielraum bedeutend genauer als früher gearbeitet werden müssen. Die Preise der unberücksichtigt gebliebenen Linsen sind noch genau dieselben wie bei wöchentlich 66stündiger Arbeitszeit hingegen wir jetzt

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23005 (Bericht über das Geschäftsjahr 1896/97. Akten der Stiftungskommissars), Bl. 223.

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wöchentlich nur 54 Stunden arbeiten, welche bei einem 4 wöchentlichen Monat 48 Stunden ausmacht, also ziemlich einer Woche entspricht Da nun jeder von uns im Stande ist, auch die genauesten Linsensorten zu verfertigen, deren Preise der jetzigen Arbeitszeit entsprechend bezahlt werden. So möchten wir die verehrte Geschäftsleitung höflichst ersuchen, daß die Preise der geringeren Sorte den bessern angemessen erhöht werden, damit der Verdienst jedes Einzelnen gleichmäßiger fallen möchte, da doch bereits Alle Familie besitzen und ziemlich die gleiche Anzahl Jahre im Geschäfte tätig sind. Wir haben uns erlaubt selbst die Preise der geringeren Linsensorten aufzustellen, wie wir sie nach bestem Wissen für gut befunden haben, und möchten noch bitten bei etwaiger entgültiger Feststellung der Preise doch einige der Unterzeichneten heranziehen zu wollen, die hauptsächlich auf diese Sorten gearbeitet haben."66 Die Korrektur der Akkordsätze nahm eine längere Zeit in Anspruch, denn Russ vermerkte in seinem Bericht über das Geschäftsjahr 1897/98: „Für die Werkstätten war es insofern ein etwas bewegtes Jahr als im Frühjahr 1898 die schon seit längerer Zeit geplanten allgemeinen AccordpreisReduktionen auch in unseren Abteilungen in Kraft traten. Es erschien nicht zweckmäßig, diese Abstriche an allen Preisen gleichmäßig vorzunehmen, sondern bei dieser Gelegenheit einen Ausgleich zu schaffen zwischen zu hohen und zu niedrigen Accordsätzen. Die Unzahl von einzelnen Preisen (Akkordsätzen d.V.), die in unseren Abteilungen in Geltung sind, machten erklärlicher Weise eine langwierige Rechenarbeit nötig, und dies hatte zur Folge daß die Preisänderungen nur abteilungsweise durchgeführt werden konnten. In Drh. I (Dreherei d. V.) geschah dies im April, in der Fräserei im Juli und in der Bohrerei im November 98. In der Drh. II wurde von Reduktionen ganz abgesehen, da die Verdienste in dieser Abteilung nur ganz mäßige waren."67 Die negativen Auswirkungen der ungenügend vorbereiteten Akkordsatzkorrekturen zeigten sich im Geschäftsjahr 1898/99. Die Absenkung der Akkordsätze hatte insbesondere bei den Arbeitern, die über 24 Jahre alt und länger als drei Jahre im Unternehmen beschäftigt waren, den durchschnittlichen Jahresverdienst verringert. Da aber diese Arbeitergruppe die wichtigste in der Optischen

66 67

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 642 (Brief von 14 Optikern an die Geschäftsleitung). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1574 (Russ: Die Entwicklung der Abteilung).

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Werkstätte war, sah sich die Geschäftsleitung im November 1899 veranlaßt, ihr sechs Prozent Lohn nachzuzahlen. 68 Im Sommer 1903 erfolgte wiederum eine Überprüfung der Akkordsätze. Czapski erklärte dazu in der Sommersitzung des Arbeiter-Ausschusses, „daß die Verdienststatistik gezeigt hätte und durch Mitteilung Einzelner öfters bestätigt worden sei, daß manchmal bei minderwertigen einfachen Arbeiten unverhältnismäßig hohe Verdienste und bei komplizierten anstrengenden Arbeiten verhältnismäßig niedrige Verdienste erzielt würden. Deshalb seien die Werkmeister (durch Anschlag am 10. Juni d.V.) daraufhingewiesen worden, sämtliche Akkordpreise einer eingehenden Revision zu unterziehen nach dem Grundsatz, daß möglichst jeder entsprechend seiner Tüchtigkeit entlohnt werde".69 Die Ausschußmitglieder reagierten auf diese Anordnung mit Mißtrauen und einige Mitglieder meinten, daß „es den Anschein hätte, als solle ein allgemeiner Abzug stattfinden, denn tatsächlich hätten einige Werkführer gesagt, es müsse bei dieser Regelung auch ein guter Teil für die Firma herausspringen". Czapski erwiderte daraufhin nur, daß niemand sagen könne, wie das Resultat ausfallen werde. In der Optischen Werkstätte gehörte es zu den Obliegenheiten der Werkmeister, das Akkordsystem zu gestalten. Damit hatten sie offensichtlich große Probleme, weil die Vielfalt der Teile und Erzeugnisse, die oftmals nur in kleinen Stückzahlen angefertigt wurden, das Festlegen der Akkordsätze außerordentlich erschwerte. In der Anlaufphase eines neuen Erzeugnisses wurde die Normalleistung bestimmt und darauf aufbauend der Akkordzuschlag festgelegt Dabei kam es vor, daß die Meister die Leistungsfähigkeit der Arbeiter unterschätzten. Verschiedentlich veranschlagten Meister den Akkordsatz niedrig, weil sie sich nicht dem Umwillen von Arbeitern aussetzen wollten. In jedem dieser Fälle kam es nach kurzer Zeit zu technologisch unbegründeten Lohnsteigerungen. Die von der Geschäftsleitung angestrebte Korrektur der Akkordzuschläge stieß auf den Widerstand der davon betroffenen Arbeiter. Da die Werkmeister diese Korrekturen vorzunehmen hatten, spiel-

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 508 (Protokoll der Sitzung des Arbeiter-Ausschusses vom 20. November 1899). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 510 (Protokoll der Sitzung des Arbeiter-Ausschusses vom 2. Juli 1905).

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ten sich die Kontroversen zwischen den Meistern und den Arbeitern ab. Foehr, der in dieser Zeit mit Personalangelegenheiten befaßt war, reflektierte die Auseinandersetzung im zweiten Halbjahr 1903: „Als neuerdings eine Rontrolle über die Lohnfestsetzung ausgeübt wurde, führte das naturgemäß zu einer lebhaften Beunruhigung der Arbeiterschaft. Namentlich wurde das Prinzip angefochten, daß nicht der Arbeiter, sondern die geleistete Arbeit bezahlt werden solle. Ebenso werden systematisch ineinandergreifende Akkorde prinzipiell von der Arbeiterschaft abgelehnt, und zwar mit der Begründung, daß dadurch der Arbeiter überanstrengt würde. Es fehlen auch hier erfahrene Ingenieure, welche wissen, was man von einem tüchtigen Arbeiter verlangen kann."70 Im Herbst 1903 zeigte sich sehr deutlich, daß es in der Optischen Werkstätte erhebliche Mängel auf dem Gebiet der Arbeitsorganisation gab. Der veränderte Charakter des Jenaer Unternehmens erforderte, es künftig nach großindustriellen Grundsätzen zu führen. Das dritte Element im Entlohnungssystem der Optischen Werkstätte war die mögliche Lohn- und Gehaltsnachzahlung am Ende eines Geschäftsjahres. Im Paragraph 98 des Stiftungsstatuts heißt es dazu: „Wenn mit Rücksicht auf die gesammte Geschäftslage und den vom Reservefonds in dem Stiftungsbetrieb den Betriebsangehörigen neben den zum Voraus festgesetzten Lohn- und Gehaltsbezügen noch Bezüge eingeräumt werden, deren Höhe in irgend einer Form vom Jahresgewinn der Firma abhängig gemacht ist (Gewinnbetheiligung), so muß die Bemessung und Abgewährung solcher Bezüge nach folgenden Grundsätzen geschehen:"71 Auf diese Grundsätze ist hier nicht näher einzugehen. Wichtiger scheint es, dem Motiv, das zu diesem Element im Entlohnungssystem geführt hat, nachzugehn. An der etwas populistischen Bezeichnung „Gewinnbeteiligung" hatten sich schon Minister der Großherzoglichen Staatsregierung gestoßen. Das veranlaßte Abbe zu einer näheren Erklärung: „Was den § 98 anlangt, so hat dessen

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23014 (FOEHR: Gedanken über das Zeisswerk vom 25. März 1904. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 163. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 16873 (Statut der Carl Zeiss-Stiftung), Bl. 46-47.

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Aufnahme in das Statut eine grundsätzliche Bedeutung für mich nur insoweit, als ich damit für die Zukunft der Einführung einer Gewinnbetheiligung nach dem Vorbild der Aktiengesellschaften u. dergl. vorbeugen will - nämlich einer solchen, die abhängig gemacht wäre von der Capital-Dividende und eine Bevorzugung der Beamten einschlösse."72 Abbe wollte auch vermeiden, daß die Optische Werkstätte von der Welle der Lohnerhöhungen erfaßt wird, die zu dieser Zeit in der elektrotechnischen und in der feinmechanisch-optischen Industrie zu beobachten war und in kritischen Jahren wieder zu Lohnsenkungen führen mußte. Um nun der Gefahr der Abwanderung von guten Arbeitskräften vorzubeugen und sich in wirtschaftlich ungünstigen Jahren nicht vor die Notwendigkeit gestellt zu sehen, die Löhne herabzusetzen, wählte Abbe die Form der Nachzahlung von Löhnen und Gehältern. „Das ist der entscheidende Grund, der die Geschäftsleitung der Firma bestimmen muß, eine Einrichtung, wie § 98 vorsieht, schon in allernächster Zeit einzuführen - um darin einen Rückenhalt zu haben gegen die sonst nicht zu bewältigende Tendenz eines starken Indiehöhegehens der festen Bezüge."73 Die Ausführungen Abbes machen deutlich, daß es sich nicht eigentlich um eine Gewinnbeteiligung, sondern um eine Lohnund Gehaltsnachzahlung handelte, deren Höhe von dem jeweils erzielten wirtschaftlichen Resultat abhing. Darum sprach Abbe von der sogenannten Gewinnbeteiligung und wandte sich zuweilen auch gegen diese Bezeichnung. Bei der Berechnung der Nachzahlungen spielte auch die Lohnentwicklung auf dem Arbeitsmarkt eine Rolle. Seit dem Ende des Geschäftsjahres 1895/96 wurde der jährliche Zuschlag gewährt. Anfangs erhielten nur die Lohnarbeiter Nachzahlungen, später kamen auch die Gehaltsempfänger in diesen Genuß. Nach einer gewissen Zeit wurden Korrekturen bei der Berechnung der Nachzahlungen erforderlich. Abbe führte dazu am 18. Dezember 1900 in der Arbeiter-Ausschuß-Sitzung aus: „Eine früher aufgestellte bestimmte Norm habe sich nicht aufrechterhalten lassen, da bei diesem Modus thatsächlich in einem der ersten Jahre 72

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Brief Abbe an den Kultusminister vom 26. Juli 1896. In: SCHOMERUS: Werden und Wesen, S. 270. Brief Abbe an den Kultusminister vom 26. Juli 1896. In: SCHOMERUS: Werden und Wesen, S. 271.

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sich nur eine ganz geringfügige Gewinnbetheiligung, etwa 3%, ergeben habe. 5 % seien schließlich ausgezahlt worden. Man habe deshalb einen anderen Weg zur Festsetzung derselben wählen müssen. Es sei in den letzten Jahren über Berücksichtigung der allgemeinen Geschäftslage stets erwogen worden, in welcher Höhe die Gewinnbetheiligung billigerweise festgesetzt werden müsse. Dabei seien die mehr oder weniger günstigen Geschäftsergebnisse der einzelnen Jahre gegeneinander abzugleichen, so daß auch, wenn einmal thatsächlich ein ungünstiges Geschäftsjahr zu verzeichnen sein sollte, deshalb noch nicht unter allen Umständen die Gewinnbetheiligung erheblich niedriger werden müsse. Es sei also ein mehr constanter Zustand geschaffen worden, unter dem jeder im Wesentlichen sicher rechnen könne, am Schluß des neuen Geschäftsjahres eine annähernd gleiche Gewinnbetheiligung zu erhalten, sofern nicht vorher gegentheilige Erklärungen von der Geschäftsleitung im Laufe des Jahres ergangen seien."74 Auf der Sitzung des Arbeiter-Ausschusses am 25. November 1902 kam er erneut auf das Problem zurück: „Betreffs der sogenannten Gewinnbeteiligung sei zu bemerken, daß dieselbe bei uns überhaupt keine Geurörabeteiligung sei, sondern eine Lohn-Nachzahlung, die den Zweck habe, neben dem unveränderlichen Einkommen noch eine veränderliche Quote zu schaffen, die den Arbeitnehmer theilhaben lassen soll an den schwankenden Konjunkturen. Doch sei man bestrebt gewesen, diese Lohnzahlungen so wenig als irgend thunlich herabzusetzen und habe daher in diesem Jahr doch noch 8% bewilligt."75 Abbe wies die Ausschußmitglieder darauf hin, daß seit einiger Zeit der Geschäftsverlauf nicht befriedige. Mit dieser Feststellung wollte er die Ausschuß-Mitglieder davor warnen, die Nachzahlungen als eine Selbstverständlichkeit anzusehen. Die zwischen 1896/97 und 1904/05 gewährten Lohn- und Gehaltsnachzahlungen sind in der Tabelle 16 im Tabellenanhang festgehalten. Die Lohnentwicklung in der Optischen Werkstätte zeigt in den einzelnen Beschäftigtengruppen - unterschieden nach Jahreslöhnen ohne und mit Nachzahlungen - in den Geschäftsjahren

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 508 (Protokoll der Sitzung des Arbeiter-Ausschusses vom 18. Dezember 1900). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 508 (Protokoll der Sitzung des Arbeiter-Ausschusses vom 25. November 1902).

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1895/96 bis 1904/05 das in der Tabelle 17 im Tabellenanhang enthaltene Bild. Dieser Tabelle ist zu entnehmen, daß in jeder Arbeitergruppe die Löhne anstiegen. Ausnahmen gab es nur in wirtschaftlich ungünstigen Jahren. Der Jahreslohn mit Nachzahlungen erhöhte sich in der ersten Gruppe um 159 Mark, in der zweiten Gruppe um 161 Mark, in der dritten Gruppe um 138 Mark und in der vierten Gruppe um 325 Mark. Eine Differenzierung in der Entlohnung gab es auch - wie die Tabelle 18 zeigt - zwischen den Optikern und den Mechanikern. Die Daten in dieser Tabelle lassen zwei Tendenzen in der Entlohnung der beiden Beschäftigtengruppen erkennen. Die durchschnittlichen Wochenlöhne waren in den betrachteten Jahren bei allen Arbeitern angestiegen. Durch die überdurchschnittlichen Lohnerhöhungen bei den Optikern glichen sich die Löhne der beiden Beschäftigtengruppen an. 1897 lagen die Mechanikerlöhne, die Nachzahlungen eingeschlossen, um 34,3 Prozent über denen der Optiker. 1902 waren es nur noch sieben Prozent. Die Stellung der Zeiss-Arbeiterschaft im Lohngefüge von Industrie und Handwerk, vor allem aber in der metallverarbeitenden Industrie, ergibt sich aus einem Vergleich der Jahreseinkommen. Danach waren die Löhne aller Arbeitergruppen in der Optischen Werkstätte höher als die der Beschäftigten in der Industrie insgesamt und in der metallverarbeitenden Industrie. Das galt sowohl für die Löhne ohne als auch mit Nachzahlung. Die Tabelle 19 im Tabellenanhang weist die Differenz zwischen dem Durchschnittsjahreslohn der deutschen Metallarbeiter und den vier Arbeitergruppen der Optischen Werkstätte in ausgewählten Jahren aus. Wenden wir uns noch den Gehaltsbeziehern in der Optischen Werkstätte zu. Deren Einkünfte erhöhten sich in dem betrachteten Jahrzehnt ebenfalls. Nach den Angaben einer zeitgenössischen Aufstellung nahmen zwischen den Geschäftsjahren 1890/91 und 1902/03 die Gehälter rascher zu als die Arbeiterlöhne.76 Innerhalb der Gruppe der Gehaltsempfänger gab es hinsichtlich der jährlichen Einkommen erhebliche Unterschiede. Als Beispiel sollen die Gehaltssummen vom Sommer 1903 genommen werden. Danach betrugen die beiden Spitzengehälter 1.000 Mark, dazu kamen noch Funktionszulagen von 1.500 bzw. 1.000 Mark. Dann

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 642 (Lohnübersichten und Statistiken 18791900).

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folgten vier Wissenschaftler mit Bezügen zwischen 666 und 600 Mark. Das Gehalt von 666 Mark bekam der Leiter der Buchhaltung. Zur Gehaltsgruppe zwischen 556 und 500 Mark gehörten Wissenschaftler und der Leiter des Konstruktionsbüros. Die Gruppe mit einem Monatsverdienst von 450 bis 400 Mark setzte sich aus wissenschaftlichen Mitarbeitern, dem Syndikus und den Abteilungsleitern zusammen. Zur Gehaltsgruppe zwischen 375 und 300 Mark zählten Verwaltungsmitarbeiter, Werkmeister, der Betriebschemiker sowie der Hochschulingenieur. Die Rechner erhielten Gehälter zwischen 190 und 70 Mark. In welchem Maße die Gehälter der Angestellten anstiegen, soll an vier Beispielen gezeigt werden. Czapski erhielt 1891 ein Gehalt von 466 Mark, 1895 von 500 und 1903 von 1.000 Mark. Rudolph hatte 1886 ein Gehalt von 120 Mark, 1891 von 333 Mark, 1895 von 416 und 1903 von 666 Mark. Berger bezog 1886 138 Mark, 1895 300 und 1903 541 Mark. Das Gehalt von Russ betrug 1886 150 Mark, 1895 275 und 1903 425 Mark.77 Hinzu kamen noch die Funktionszuschläge.

Die Sozialverfassimg Die Betriebs-Krankenkasse Bei der Niederschrift des Stiftungsstatuts legte Abbe außerordentlichen Wert auf das ausgewogene Abfassen der sozialen Bestimmungen. Er integrierte die beiden bestehenden Institutionen, die Betriebs-Krankenkasse und den Pensionsfonds, und schuf mit der Abgangsentschädigung eine neue Institution. Das Stiftungsstatut nahm im Paragraphen 71 die bisher für die Betriebs-Krankenkasse geltenden Grundsätze auf und schrieb vor: „Die Krankenkasse der Stiftungsbetriebe darf auch in Zukunft nicht weniger bieten als volle Kassenleistung für ein halbes Jahr; drei Viertel des versicherungsfahigen Lohnes als Krankengeld; Mitversicherung der 77

Zusammengestellt nach UACZ. Bestand: VA Nr. 1616 (Gehälterbuch vom 1. Juni 1903 bis 31. August 1903), Bl. 14-20.

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nächsten Familienmitglieder; freie Wahl des Arztes unter den approbirten Aerzten des Wohnortes; Beitragsleistungen der Betriebsinhaber gleich dem Gesammtbetrag aller Versicherten im Jahr. Ausdehnung der Rassenleistung auf ein ganzes Jahr hat einzutreten, wenn die Generalversammlung der Krankenkasse solche beantragt" 78

Mit dem Anwachsen der Belegschaft nahm die Anzahl der Rassenmitglieder zu. Die Einnahmen der Betriebs-Krankenkasse stiegen von 14.240 Mark im Jahre 1896 auf 74.210 Mark im Jahre 1905 an. Diese Beitragsentwicklung wurde zu 50 Prozent von den Stiftungsunternehmen getragen. Nach der jahrelangen Ausgeglichenheit des Rassenhaushalts kam es zwischen 1902 und 1904 zu finanziellen Schwierigkeiten. Der Gemeindevorstand, dem die gesetzliche Aufsicht über die Betriebs-Rrankenkasse oblag, sah sich genötigt, auf die ungünstigen Rechnungsergebnisse hinzuweisen. Als die Hauptursachen für die eingetretene Situation gab er die Ausdehnung der Unterstützungdauer auf 52 Monate und die verhältnismäßig hohen Arzthonorare an. Dem mußte der Rassenvorstand auf der am 3. April 1903 abgehalten Generalversammlung beipflichten. In Vorbereitung auf diese Versammlung hatte der Vertrauensarzt der Betriebs-Rrankenkasse, Professor Matthes, die Jenaer Ärzte nach ihrer Meinung zu der ungünstigen finanziellen Entwicklung der Betriebs-Rrankenkasse befragt. Matthes mußte der Generalversamlung mitteilen, „daß von sämtlichen Ärzten erklärt worden sei, daß von den Mitgliedern und Angehörigen der Betriebskrankenkasse ärztliche Hülfe in einer Weise und in einem Umfange in Anspruch genommen würde, wie es bei privaten Personen in gleichen, ja selbst in wesentlich besseren materiellen Verhältnissen auch nicht annähernd geschähe".79 Die Ärzte hatten auch die Frage aufgeworfen, ob die Mitglieder nicht für ihre Angehörigen einen Teil der Arzthonorare aus eigener Tasche bezahlen könnten. Eine Übersicht über die Arzthonorare bestätigte die obige Aussage, wonach das durchschnittliche Honorar pro Mitglied von 8,40 Mark im Jahre 1898, auf 9,16 Mark im Jahre 1900 und schließlich auf 10,90 Mark im Jahre 1901 gestiegen war. 80 Auf der Generalver78 79

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 16873 (Statut der Carl Zeiss-Stiftung), Bl. 33-34. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 547 (Protokoll der Generalversammlung der Betriebs-Krankenkasse am 29. Februar 1903). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 6868 (Zusammengestellt und errechnet nach den Rechnungsabschlüssen der Betriebs-Krankenkasse für die Jahre 1896 bis 1905); Nr. 786.

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Sammlung wurde „die früher schon öfters ausgesprochene Vermutung geäußert, daß die finanzielle Kalamität durch das mangelnde Gemeinschaftsgefühl eines großen Teiles der Mitglieder ... im wesentlichen mit verursacht wird", das sich in „ganz unvernüftiger Inanspruchnahme der Rasse" zeige. Nachdem sich die finanzielle Situation der Betriebs-Krankenkasse auch 1903 wiederum verschlechtert hatte, drohte von Seiten des Gemeindevorstandes und der Bezirks Verwaltung die Intervention. Um dem zu entgehen, erörterte der Kassenvorstand in mehreren Sitzungen Einsparungsmöglichkeiten. Sie wurden in der Reduzierung des Krankengeldes, in der Verringerung der Arzthonorare, in der Verpflichtung der Mitglieder, den Arzt im Laufe eines Jahres nicht zu wechseln, in einem für ein Jahr fixierten Pauschalhonorar, in der Einsparung von Medikamenten, in Rabatten für Medikamente durch die Apotheken und in der teilweisen Kostenübernahme durch Angehörige gesehen. 81 Die Sparmaßnahmen des Kassenvorstandes führten zu einer finanziellen Gesundung der Betriebs-Krankenkasse. Im Bericht des Stiftungskommissars für das Geschäftsjahr 1905 konnte festgestellt werden: „Die Verhältnisse der einige Zeitlang bedrohten Betriebskrankenkasse haben sich sichtlich gebessert."82

Die Abgangsentschädigung Das StiftungsStatut räumte den Mitarbeitern, die nach ihrem achtzehnten Lebensjahr drei Jahre im Dienst der Optischen Werkstätte standen und mit ihr einen kündbaren Vertrag abgeschlossen hatten, das einklagbare Recht auf eine Abgangsentschädigung ein, wenn der Vertrag seitens der Werkstätte ohne Verschulden des Mitarbeiters aufgelöst wurde. Das Statut regelte im einzelnen, unter welchen Umständen die Abgangsentschädigung zu gewähren oder zu versagen war.83 Abbe verfolgte mit der Abgangsentschädigung die Absicht, Belegschaftsmitgliedern, die unverschuldet ihre Arbeitsstelle verloren hatten, eine finanzielle Hilfe zu gewähren, die 81

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 547 (Schreiben des Krankenkassenvorstandes vom 1. Februar 1904). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23019 (Bericht über das Geschäftsjahr 1904/05. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 53. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 16873 (Statut der Carl Zeiss-Stiftung), Bl. 36-37.

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es dem Betroffenen ermöglichte, sich nach einer neuen Beschäftigung umzusehen. Es war eine Art der Arbeitslosenunterstützung, die in der Geschichte des Unternehmens erstmals in den Geschäftsjahren 1902/04 gewährt werden mußte. Die schon an anderer Stelle beschriebenen wirtschaftlichen Schwierigkeiten, in die das ZeissUnternehmen im Geschäftsjahr 1902/03 geraten war, hatte die Geschäftsleitung gezwungen, einen größeren Kreis von Arbeitern zu entlassen. In diesem Zusammenhang wurden Abgangsentschädigungen von 28.675 Mark ausgezahlt. In den beiden folgenden Geschäftsjahren lagen die Entschädigungssummen bei 6.690 und 3.958 Mark.84

Das Pensionswesen Mit dem Statut der Carl Zeiss-Stiftung stellte Abbe das bisherige Pensionswesen in der Optischen Werkstätte und im Jenaer Glaswerk auf eine neue rechtliche Grundlage. Am 13. Dezember 1888, wenige Tage nach dem Tode von Carl Zeiß, hatten sich die Geschäftsleitungen der Optischen Werkstätte und des Glastechnischen Laboratoriums an ihre Belegschaftsmitglieder gewandt und sie davon unterrichtet, „daß sie von jetzt ab ihren Arbeits- und Anstellungsverträgen die in beiliegendem Pensions-Statut ausgesprochenen Zusicherungen einverleiben".85 Abbe, Schott und Roderich Zeiß verfolgten schon seit längerem den Plan für eine derartige Einrichtung. Die Anregung dazu kam von Abbe, der der Ansicht war, daß die Großindustrie gemeinschaftlichen Raubbau an der physischen Volkskraft zu Lasten der Gesamtheit treibe, wenn sie nicht für den Verbrauch der menschlichen Arbeitskraft in ihren Betrieben aufkomme. In Anwendung des betriebswirtschaftlichen Grundsatzes, daß die Betriebsmittel amortisiert werden müssen, äußerte Abbe den Gedanken, daß man auch für die Amortisation der menschlichen Arbeitskraft Sorge tragen müsse. Der marktgängige Arbeitslohn enthalte eine Amortisationsquote für den allmählichen Verbrauch der Arbeitskraft nicht Le-

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 12396 (Aufstellung über die Auszahlung von Pensionen). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 12427 (Mitteilung der Geschäftsleitungen vom 13. Dezember 1888 über die Bildung des Pensions-Fonds).

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diglich bei den Staatsbeamten oder bei dem UnfallversicherungsGesetz sei dieser Gesichtspunkt beachtet. Darum kamen Abbe und seine Geschäftspartner zu dem Entschluß, einen Teil der geschäftlichen Einkünfte einem Pensionsfonds zu überweisen. Sie zahlten jährlich sechs Prozent des Lohn- und Gehaltskontos beider Betriebe in diesen gemeinsamen Fonds ein, um hinreichende Mittel anzusammeln. 86 Um den mit dieser Mitteilung übernommenen Verpflichtungen nachkommen zu können, hatten beide Firmen einen gemeinsamen Pensionsfonds gegründet, dem sie das nach allgemein anerkannten Regeln berechnete Deckungskapital sowie noch besondere Rücklagen zuführten, damit die späteren Lasten vermindert werden konnten. Der Pensionsfonds wurde vom Geschäftsvermögen abgesondert und sollte, wenn die Pensionsverpflichtungen eine bestimmte Höhe erreicht hatten, unabhängig von den Firmen sicher gestellt werden. Die pensionsberechtigten Mitarbeiter blieben von Beitragszahlungen freigestellt, solange die Gesamtzahl der Pensionsempfänger nicht ein Viertel von der Gesamtzahl der jeweils aktiven und pensionsberechtigten Belegschaftsmitglieder überschritt. In diesem Fall, der in 20 bis 25 Jahren erwartet wurde, sollte mit den Pensionsberechtigten eine Beitragsleistung vereinbart werden. 87 Das gemeinsame Pensions-Statut der Optischen Werkstätte Carl Zeiss und des Glastechnischen Laboratoriums Schott & Gen. Jena trug das Datum vom 3. Dezember 1888 und war dem Gedenken an Carl Zeiss gewidmet. Der erste Paragraph bestimmte: „Jeder Geschäftsangehörige der Firma hat nach mindestens 5jähriger ununterbrochener Dienstzeit in ihrem Betriebe oder ihrem Verwaltungsdienst Anspruch auf Pension nach Maßgabe der Bestimmungen dieses Statuts, für sich selbst, wenn derselbe während seines Dienstverhältnisses von dauernder oder die Frist der Krankenkassenfürsorge überschreitender Arbeitsunfähigkeit betroffen wird, sowie unabhängig von dieser Voraussetzung, als Altersrente; und für seine Hinterbliebenen - Ehefrau und leibliche eheliche Rinder - falls derselbe während seines Dienstverhältnisses oder nach seiner Pensionierung verstirbt."88

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Motive und Erläuterungen. In: Sozialpolitische Schriften, S. 350-351. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 12427 (Mitteilung der Geschäftsleitungen vom 13. Dezember 1888 über die Bildung des Pensions-Fonds). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 9448 (Pensions-Statut vom 3. Dezember 1888) S. 3.

ABBE:

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Pensionsberechtigt waren auch ehemalige Mitarbeiter, die in Jena wohnten und noch immer für die Firmen arbeiteten. Die Pension der Invaliden belief sich vom Beginn des sechsten bis zum vollendeten 15. Dienstjahr auf 50 Prozent des jeweils pensionsfähigen Lohnes oder Gehalts. Mit jedem weiteren Dienstjahr stieg dieser Anteil um ein Prozent Ab dem vollendeten vierzigsten Dienstjahr wurden 75 Prozent des pensionsfähigen Einkommens gewährt. Die Witwe des Invaliden erhielt vier Zehntel der Invalidenrente des verstorbenen Ehegatten. Die Rinder hatten bis zum fünzehnten Lebensjahr einen Pensionsanspruch von zwei Zehntel der Invalidenrente des Vaters, vorausgesetzt Ehefrau und Rinder erhielten zusammen nicht mehr als acht Zehntel des Pensionsanspruchs des Verstorbenen. Bei Mitarbeiterinnen wurde ebenso verfahren. Der pensionsfähige Lohn und das Gehalt wurden wie folgt bemessen: Bei Arbeitern und Gehilfen, die weniger als zehn volle Dienstjahre nachweisen konnten, setzte man einen Maximalbetrag von 80 Mark pro Monat an. Dabei blieben Akkordlohn oder andere Zuwendungen unberücksichtigt. Diejenigen, die zwischen elf und 15 Jahren in den Unternehmen beschäftigt waren, erhielten eine Pension bis zu 100 Mark pro Monat. Bis zu 120 Mark konnten die Lohnbeschäftigten erwarten, die auch nach dem vollendeten 15. Dienstjahr noch in der Optischen Werkstätte oder im Glastechnischen Laboratorium tätig waren. Bei den Wochenlöhnen rechnete man 50 Wochen für zwölf Monate. Werkmeistern, Rontoristen und anderen Mitarbeitern mit einem festen Monatsgehalt wurden je nach dem Dienstalter zwischen 100 und 160 Mark als pensionsfähiges Einkommen angerechnet. Als Dienstzeit galten die nach dem vollendeten 19. Lebensjahr in den Firmen unter Anrechnung der Rrankheitstage und Militärzeit verbrachten Arbeitsjahre. Nach den gleichen Bedingungen wurde den Beschäftigten, die das 65. Lebensjahr erreicht hatten und dreißig Dienstjahre nachweisen konnten, eine Altersrente zuerkannt. Altersrente erhielten auch alle Beschäftigten ab ihrem siebzigsten Lebensjahr. Das Pensions-Statut schrieb vor, daß alle Bezüge, die der Pensionsempfänger aufgrund des Unfallversicherungs-Gesetzes seitens der Berufsgenossenschaft oder aus der zu erwartenden reichsgesetzlichen Alters- und Invalidenversorgung bezog, bei der Festlegung der Betriebspension angerechnet werden. Ferner rechnete man zum halben Betrag die Pensionen aus den öffentlichen Rassen an. Reine Pensionsansprüche hatte all jene, die nach dem Dezember 1888 in die Unternehmen eingetreten und über vierzig

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Jahre alt waren, hinterlassene Witwen, die zwanzig Jahre jünger als ihr E h e m a n n waren, sowie die Hinterbliebenen desjenigen, der nach dem vollendeten fünfundvierzigsten Lebensjahr oder als gebrechlicher oder sichtlich kranker Mann eine Ehe eingegangen war. Das Pensions-Statut schloß mit der Feststellung: „Der gesammte Inhalt dieses Pensions-Statuts gilt von jetzt ab als rechtsverbindlicher Bestandtheil aller zur Zeit bestehenden oder in Zukunft abzuschliessenden Arbeits- und Anstellungsverträge der Firma, soweit nicht im einzelnen Fall, oder allgemein, ein Anderes ausdrücklich erklärt wird." 89 Als Abbe der Großherzoglichen Ministerialbürokratie die einzelnen Paragraphen des Stiftungs-Statuts schriftlich erläuterte, widmete er auch dem Pensionsproblem eine ausführliche Passage: „Bezüglich der zuvor unter 5 und 6 erwähnten, durch die §§ 72-80 des Statuts näher geregelten wirtschaftlichen Rechte der Arbeiter und Angestellten ist zu bemerken, daß hierin der wichtigste und unter dem finanziellen Gesichtspunkte schwerste Schritt, die Gewährung fester Pensionsrechte, schon durch die früheren Inhaber der jetztigen Stiftungsbetriebe getan worden ist, und daß also auch in diesem Punkt der Hauptsache nach von der Stiftung nur verlangt wird, das fortzusetzen und dauernd zu gewährleisten, was vor ihrem Eintreten begonnen wurde." 90

Nachdem Abbe das Entstehen des Pensions-Statuts geschildert hatte, gab er zu bedenken, die Pensionseinrichtung würde „des Ansehens und des Wertes einer wirklichen Rechtsinstitution verlustig gehen, wenn der Glaube an ihren dauernden Bestand auch in Zukunft begründet bleiben müßte auf das Vertrauen zu lebenden und zu später kommenden, noch unbekannten Personen - wenn sie also nicht noch ergänzt würde durch solche Anordnungen, die objektive Garantien dafür schaffen, daß sie höchstens unter ganz bestimmten, allem willkürlichen Ermessen entzogenen Voraussetzungen wieder außer Wirksamkeit gesetzt werden kann". 9 1 Deshalb gab Abbe dem Pensionswesen im Stiftungsstatut einen eigenen mit „Pensionsrechte" überschriebenen Abschnitt. 92 Diesem lag das „Gemeinsame Pensions-Statut der Firmen Carl Zeiss und Schott &

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 9448 (Pensions-Statut vom 3. Dezember 1888), S. 8. 90 Abbe: Motive und Erläuterungen In: Sozialpolitische Schriften, S. 350-351. 91 Ders., S. 352. 92 UACZ. Bestand: BACZ Nr. 16873 (Statut der Carl Zeiss-Stiftung) Bl. 34-36.

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Gen. Jena" vom 1. September 1897 zugrunde, das gegenüber dem vorherigen einige Neuerungen enthielt. Nun galt das Pensionsanrecht ab vollendetem achtzehnten und nicht mehr dem neunzehnten Lebensjahr, und die den Pensionen zugrunde liegenden monatlichen Lohn- und Gehaltsbeträge waren höher: bei Lohnleuten um jeweils 20 Mark und bei den älteren Werksmeistern usw. um 30 bzw. 40 Mark pro Monat.93 Bevor das neue Pensions-Statut in Kraft gesetzt wurde, prüfte Abbe im Sommer 1897 in eigenen Berechnungen die Belastungen, die von den beiden Unternehmen zu tragen sein würden. 94 Gleichzeitig bat er den Berliner Versicherungsfachmann G. Bohlmann um ein einschlägiges Gutachten. In seinem Denkschreiben an Bohlmann für die gewährte Unterstützung erläuterte Abbe die finanzielle Deckung der Pensionsverpflichtungen: „Denn die Deckung aller aus dieser Einrichtung sich ergebenden gegenwärtigen und zukünftigen Verpflichtungen ist nicht angewiesen auf einen besonderen Fonds, hinsichtlich dessen eine fortgesetzte Bilanzierung zwischen Einnahmen und Ausgaben zu verlangen wäre; sondern diese Deckung ist - auch rechtlich - durch das gesammte Vermögen der Carl Zeiss-Stiftung gegeben. Dieses Vermögen ist jetzt - und hoffentlich auch immer in der Zukunft - ein großes Miltiplum des Capitalwertes aller laufenden Rentenverpflichtungen." 95

Die Belastung der Pensionskasse blieb anfangs relativ gering. In den Geschäftsjahren 1894/95 bis 1896/97 beliefen sich die Pensionszahlungen um die 3.600 Mark, dann stiegen die Forderungen an die Pensionskasse jährlich. 1904/05 betrugen die Pensionszahlungen 23.858 Mark.96 Die Entwicklung der Pensionszahlungen in den Jahren 1894/95 bis 1904/05 ist der Tabelle 20 im Tabellenanhang zu entnehmen. Als der Belegschaft der Optischen Werkstätte von der Geschäftsleitung Anfang Dezember 1903 mitgeteilt wurde, daß die im Ge-

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 12068 (Gemeinsames Pensions-Statut der Firmen Carl Zeiss und Schott & Gen. Jena vom 1. September 1897). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 627 (ERNST ABBE: Pensionsstatut. Begründung. Aufwand). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 627 (Brief Abbe an G. Bohlmann vom 16. Oktober 1897. Abschrift). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 12396 (Aufstellung über Auszahlungen von Pensionen).

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schäftsjahr 1902/03 erzielten wirtschaftlichen Resultate es nicht erlauben, eine Lohn- und Gehaltsnachzahlung zu gewähren, entstand in der Belegschaft die Sorge, es könnten nun auch die Pensionsanwartschaften gefährdet sein. Die Unruhe war zuerst unter den wissenschaftlichen Mitarbeitern und Betriebsbeamten aufgekommen. Sie trugen ihre Bedenken am 12. Dezember 1903 der Geschäftsleitung vor. Die dazu von Czapski gegebene Auskunft zerstreute ihre Besorgnis nicht. Darum richteten der Vorstand des Vereins der wissenschaftlichen Mitarbeiter und der Beamten-Ausschuß am 6. Januar 1904 ein Schreiben an die Geschäftsleitung, in dem es unter anderem hieß: „Wir wiederholen deshalb hier den Wunsch, daß sich Wege möchten finden lassen, um die Sicherheit der künftigen Altersversorgung, anstatt wie jetzt auf das künftige Gedeihen der Stiftung, auf ihr Gegenwärtiges zu gründen, auf dasjenige Gedeihen, zu dem allein die künftigen Pensionäre sicher bei zu tragen, imstande sind."97 Sie stellten den Antrag, die Geschäftsleitung solle die Stiftungsverwaltung dazu veranlassen, jährlich eine Übersicht über die Bewegung und den Stand des Stiftungsvermögens zu veröffentlichen. Da die Geschäftsleitung in ihrem Anwortschreiben vom 13. Januar 1904 nicht auf diese Anträge eingegangen war, wandten sich die Vertreter der wissenschaftlichen Mitarbeiter und der Beamten am 1. Februar 1904 erneut an die Geschäftsleitung. „In der Frage der Sicherung der Pensionsansprüche danken wir der Geschäftsleitung, dahin wirken zu wollen, daß das Deckungskapital der anfallig werdenden Pensionen unabhängig vom Geschäfts- und Stiftungsvermögen hinterlegt wird, etwa wie bei einer Staatsbehörde."98 Offensichtlich kam die Diskussion um die Pensionssicherheit nicht zur Ruhe, denn Ende März 1904 sammelte man unter den wissenschaftlichen Mitarbeitern, den Betriebsbeamten, Facharbeitern und Angestellten Unterschriften für ein an den Stifter gerichtetes Gesuch. In diesem von insgesamt 945 Personen namentlich gezeichneten Gesuch 99 stand: 97

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 638 (Brief des Vorstands der Wissenschaftlichen Mitarbeiter und des Beamtenausschusses an die Geschäftsleitung der Fa. Carl Zeiss vom 6. Januar 1904). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 638 (Brief des Vorstandes des Vereins der Wissenschaftlichen Mitarbeiter und des Beamtenausschusses an die Geschäftsleitung der Fa. Carl Zeiss vom 1. Februar). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 637 (Zwölf Unterschriftenschriftenlisten zum Gesuch der Geschäftsangehörigen der Fa. Carl Zeiss vom 30. März 1904 an Prof. Abbe auf Absonderung eines Pensionsfonds von Stiftungsvermögen).

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„Wir unterzeichneten Betriebsangehörigen der Firma Carl Zeiß haben aus den Erklärungen, die der Bevollmächtigte der Stiftung abgegeben hat ... die Gewißheit erhalten, daß unsere Pensionsansprüche nicht gesichert sind, denn sie können nicht mehr befriedigt werden, wenn die Geschäftslage längere Zeit ungünstig ist... Wir richten deshalb an Stifter und Stiftungsverwaltung die dringende Bitte, daß sie die Pensionen im Sinne der Bekanntmachung der Firmen Carl Zeiß und Schott & Gen. vom 13. Dezember 1888 sicher stellen, indem sie einen Pensionsfonds von angemessener Höhe vom Stiftungsvermögen absondern und unabhängig davon verwalten lassen, ähnlich wie es mit dem Universitätsfonds und dessen Rücklagefonds geschehen ist" 100

Auf der Grundlage dieser Unterschriften richteten der Vorstand des Vereins der wissenschaftlichen Mitarbeiter, der Beamten-Ausschuß und nun auch der Siebenerausschuß am 30. März 1904 ein Bittgesuch an den Stifter und an die Stiftungsverwaltung. Darin beschrieben sie zunächst den gegebenen Sachverhalt und entwarfen dann ein Szenario, das für die Pensionsberechtigten eintreten würde, wenn das Zeiss-Unternehmen in Ronkurs gehen müßte. Sie verglichen die Forderungen der Pensionsberechtigten mit denen der Obligationsinhaber und leiteten daraus die Forderung einer Vorzugsbehandlung ab. Sie begründeten dies mit der Tatsache, daß die Pensionen zurückgehaltene Löhne seien. „Nun sind Pensionen anerkanntermaßen aufgesparte Teile früherer Löhne und sollten deshalb vermöge der Pensionsverfassung ein entsprechendes Vorrecht genießen."101 Dann erörterten die Verfasser des Schreibens, weshalb in der Belegschaft und in der Öffentlichkeit die Meinung aufkommen konnte, daß die Pensionen abgesichert seien. Nachdem sie verschiedene Belegstellen dazu angeführt hatten, stellten sie fest: „Leider waren auch die Kundgebungen des Stifters, soweit sie gelegentlich die Pensionsangelegenheit streiften, wiederum wegen ihrer allgemeinen Ausdrucksweise, nicht geeignet, dem Fortleben des Glaubens an einen Pensionsfonds entgegenzuwirken." Abschließend wurde der Wunsch geäußert, einen Teil des Reservefonds, der sich nach der Berechnung der Verfasser für die Optische Werkstätte - bei einer jähr-

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 637 (Gesuch der Geschäftsangehörigen der Fa. Carl Zeiss vom 30. März 1904 an Prof. Abbe auf Absonderung eines Pensionsfonds von Stiftungsvermögen). UACZ. Bestand: BACZ Nr. 638 (Schreiben des Vorstandes des Vereins Wissenschaftlicher Mitarbeiter, des Beamtenausschusses und des Siebenerausschusses an Abbe und die Stiftungsverwaltung vom 30. März 1904).

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liehen Zurücklegung von neun Prozent des Lohn- und Gehaltskontos - auf anderthalb Millionen Mark belaufen müßte, für einen Pensionsfonds abzuzweigen. Darüber hinaus wurde eine Änderung des Stiftungsstatuts dahingehend vorgeschlagen, daß die Erfüllung größerer sozialer Pflichten für die Belegschaft den Vorrang erhalten müsse vor der Förderung allgemeiner Interessen der feintechnischen Industrie, der Unterstützung gemeinnütziger Einrichtungen der arbeitenden Bevölkerung in Jena und Umgebung und der Förderung naturwissenschaftlicher und mathematischer Studien in Forschung und Lehre. Schließlich wurde angeregt, auch denjenigen, die ihre Tätigkeit in den Stiftungsunternehmen freiwillig aufgeben, eine, wenn auch geringere, Pensionsanwartschaft zu gewähren. Am 13. April 1904 lud der Stifter die Geschäftsleiter, die Vertreter der wissenschaftlichen Mitarbeiter, der Beamten und die Mitglieder des Siebenerausschusses ein, um im Beisein des Stiftungskommissars auf Gesuch und Schreiben vom 30. März 1904 zu antworten.102 Da Abbe die stenographische Mitschrift seiner Ausführungen untersagt hatte, sind wir über den Verlauf dieser Zusammenkunft nur durch den nachträglich angefertigten Bericht des Stiftungskommissars und durch Mitteilungen von Teilnehmern unterrichtet. Nach dem Bericht des Stiftungskommissars wies Abbe das Ansinnen, neben dem Reservefonds einen Pensionsfonds einzurichten, entschieden ab. Er konnte sich dazu auch die folgende Bemerkung nicht verkneifen: „Die Gesuchsteller, die doch sonst meist den Kapitalismus als Wurzel alles Übels bezeichnen, fielen hier gänzlich aus der Rolle, in dem sie als der Weisheit höchsten Schluß die Zurücklegung eines zinstragenden Kapitals für sich selbst verlangten." Dann erläuterte Abbe erneut seine Vorstellung von Wirtschaft. „Nicht Zinsgüter, sondern die lebendige Organisation der Zeisswerke, die Summe der in ihnen vereinigten Kräfte, Fähigkeiten, Erfahrungen und Überlieferungen müssen der Träger der Stiftung und ihrer Verbindlichkeiten sein." Hinsichtlich der Pensionsproblematik hob er hervor: „Wohl solle die Stiftung für das Alter und die Invalidität Fürsorge treffen, aber zu einer bloßen Versorgungseinrichtung für das Personal solle sie nicht herabsinken." Abbe hatte der Hinweis auf die Versicherungssysteme in anderen Unternehmen sehr verdrossen, die er als „Almosen, nur ein Brosamen von des reichen Mannes Tisch" bezeichnete.

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 638 (Antwort von Abbe auf das Gesuch vom 30. August 1904), Bl. 30-34.

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„In ganz anderer Weise habe er in dem Statut der Carl Zeiss-Stiftung für die Arbeiter der Stiftungsbetriebe zu sorgen sich bestrebt Nicht bloße mehr oder minder hoch dotierte Wohlfahrtseinrichtungen habe er schaffen wollen; er habe den ersten praktischen Versuch einer Arbeitergesetzgebung gewagt und dabei den Arbeitern nicht nur die Teilnahme an irgendwelchen Kapitalabwürfen, sondern einklagbares Recht auf Pension, Hinterbliebenenversorgung, Arbeitslosenversicherung (in Form der Abgangsentschädigung), Urlaub, Freiheit der politischen Betätigung usw. einzuräumen unternommen. Nur so habe er, der aus Neigung und Selbstbestimmung aus der Laufbahn eines Gelehrten in die eines Fabrikunternehmers gedrängt worden sei, sein soziales Gewissen beruhigen können. Dabei habe er aber allerdings die ideelle Hebung des Arbeiterstandes höher veranschlagt als sein mehr oder weniger gesichertes materielles Wohlbefinden."

Die letzte Bemerkung nahm auf die schon an anderer Stelle behandelte Kritik an den finanziellen Zuwendungen an die Jenaer Universität Bezug. Abbe machte darauf aufmerksam, daß die Optische Werkstätte ohne Verbindung zur Universität „in längstens einem Menschenalter auf den Standpunkt eines gewöhnlichen mechanischen Fabrikbetriebs herabsinken" würde und bestritt der Arbeiterschaft das Recht, sich über diese Zuwendungen zu beschweren. „Er habe nicht zu dem Ende freiwillig auf den Eigenbesitz der Zeisswerke verzichtet, sich und seiner Familie mehr als 7 Millionen entzogen, um weniger für die Förderung der Wissenschaft tun zu können, als er als Privatmann getan haben würde." Abbe schloß seinen über eine Stunde währenden Vortrag mit den Worten: „Er könne sich des Gefühls der Bitterkeit darüber nicht erwehren, daß ein Teil Derjenigen, die ihm nahe gestanden hätten, so wenig in seine Gedanken und Absichten eingedrungen seien." Mit großer Entschiedenheit verteidigte Abbe in diesem letzten Vortrag seines Lebens das von ihm geschaffene Werk.

Die kulturellen Aktivitäten der Stiftung Die Förderung der Wissenschaft Ernst Abbe hatte im Titel VII. des Statuts der Carl Zeiss-Stiftung vorgeschrieben, die „Verwendung der Überschüsse, welche der Carl Zeiss-Stiftung aus Erträgnissen der Stiftungsbetriebe und des

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Reservefonds jeweils zur freien Verfügung verbleiben, ... sollen stets für die in § 1 sub B bezeichneten Zwecke der Stiftung Verwendung finden".103 Abbe hatte Schwerpunkte für die Verwendung der Überschüsse bestimmt. Sie bestanden in der Förderung wissenschaftlicher Studien und Versuche, die der Weiterentwicklung der feintechnischen Industrie dienen konnten, in der finanziellen Unterstützung einschlägiger literarischer Arbeiten und in der höheren Ausbildung begabter Mitarbeiter der Stiftungsunternehmen. Im Mittelpunkt der kulturellen Aktivitäten stand die Jenaer Universität. Die Stiftungsmittel flössen in den dafür eigens eingerichteten „Universitätsfonds der Carl Zeiss-Stiftung".104 Anfangs standen die im Universitätsfonds gesammelten Gelder ausschließlich den mathematischen und naturwissenschaftlichen Disziplinen zur Verfügung. Nachdem das „Ergänzungsstatut zum Statut der Carl Zeiss-Stiftung für den Universitätsfonds der Carl Zeiss-Stiftung" vom 24. Februar 1900 in Kraft getreten war, konnten Stiftungsmittel auch für Aufgaben, die im allgemeinen Interesse der Universität lagen, genutzt werden. 105 Zwischen 1890 und 1895/96 erhielt die Universität von der Stiftung 42.500 Mark.106 Seit Mitte der neunziger Jahre flössen die Stiftungsmittel reichlicher. Der Universitätsfonds erhielt regelmäßige Zuwendungen, die nach genau definierten Vorschriften gewährt wurden. Sie beliefen sich seit Ende der neunziger Jahre auf jährlich 80.000 Mark107 und dienten vornehmlich der Aufbesserung von Professorengehältern und der Besoldung von Assistenten. Darüberhinaus gewährte die Stiftung in einem jedem Jahr außerordentliche Zuwendungen, deren Höhe von dem erzielten Überschuß und den jeweiligen Vorhaben bestimmt wurde. Im Geschäftsjahr 1902/03 beliefen sich die außerordentlichen Zuwendungen auf 47.293 Mark. Davon wurde die größte Summe von 26.550 Mark für den Aufbau des Mineralogischen Instituts verwandt, 8.651 Mark gingen an die Sternwarte, 4.783 Mark erhielten das Physikalische Institut und 4.311 Mark das Institut für Mikroskopie. Für 1.443 Mark

103

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 30286 (Statut der Carl Zeiss-Stiftung) Bl. 48. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 30286 (Statut der Carl Zeiss-Stiftung), Bl. 50. 105 SCHOMERUS: Werden und Wesen, S . 276. 106 STEINMETZ: Geschichte der Universität Jena, S. 502. 107 UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23017 (Abschluß der Carl Zeiss-Stiftung für den Zeitraum vom 1. Oktober 1902 bis zum 30. September 1903), Bl. 70. 104

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wurden die innere Einrichtung des Hygiene-Instituts und für 1.050 die des Physikalisch-technischen Instituts erworben. 300 Mark erhielt das Mathematische Seminar.108 Ein Teil der zusätzlichen Mittel diente dem Rauf von Mikroskopen und Apparaturen sowie der Ausstattung der Universitätsbibliothek und ausgewählter Institutsbibliotheken. Die Stiftungsverwaltung, insbesondere aber Abbe, nahm mit den finanziellen Zuwendungen auf die inhaltliche Ausrichtung der Hochschule zielgerichteten Einfluß. Abbe verstand es, die Tendenzen in den Naturwissenschaften beachtend, auf die Universitätsentwicklung einzuwirken und dabei zugleich die wissenschaftlichen Interessen der Stiftungsunternehmen zu wahren. Er, aber auch Schott, förderten vor allem neue wissenschaftliche Entwicklungsrichtungen. Die besondere Aufmerksamkeit Abbes galt dem Lehrstuhl für Mathematik und Physik. Gottlob Frege, eine Kapazität auf dem Gebiet der Höheren Mathematik, erhielt aus dem Ministerialfonds und dann aus dem Universitätsfonds regelmäßige Zuwendungen. Otto Schott arbeitete gemeinsam mit Adolph Winkelmann, der sich besonders auf dem Gebiet der Wärmetheorie ausgezeichnet hatte, über die optischen Eigenschaften des Glases. Winkelmann war nicht nur ein exzellenter Forscher und Experimentator, sondern auch ein guter Hochschullehrer. Er erhielt von der Stiftung die erforderlichen finanziellen Mittel, um das neue Physikalische Institut zu errichten, das 1902 eingeweiht werden konnte. Abbe und Winkelmann schlugen Felix Auerbach, der auf verschiedenen Gebieten der Physik Bemerkenswertes geleistet hatte, für das Extraordinariat für theoretische Physik vor. Das entsprach wohl den personalpolitischen Intentionen der Fakultät nicht, denn sie lehnte den Vorschlag ab. Auerbach war Jude. Es bedurfte der Intervention des Kurators, um die Fakultät umzustimmen. Die Stiftung förderte seit der zweiten Hälfte der neunziger Jahre das von Gottfried Linck geleitete Mineralogische Institut. Linck beherrschte die Mineralogie und Geologie gleichermaßen und hatte besonders auf dem Gebiet der Kristallographie gearbeitet Die Stif-

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 25017 (Abschluß der Carl Zeiss-Stiftung für den Zeitraum vom 1. Oktober 1902 bis zum 30. September 1903), Bl. 70. Die Differenz zwischen den einzelnen Positionen und der angegebenen Gesamtsumme ist nicht zu klären.

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tung stellte in den Jahren 1903 bis 1905 173.926 Mark für den Institutsneubau bereit.109 1902 entstanden auf Abbes Anregung der Lehrstuhl für technische Physik und angewandte Mathematik und das Institut für technische Chemie. Auf den Lehrstuhl wurde Rudolf Rau, ein in der Praxis bewährter Elektroingenieur, berufen und das Institut für technische Chemie übernahm Eduard Vongerichten, der über Pflanzenalkaloide arbeitete und sich neben seiner Forschung als akademischer Lehrer verdient gemacht hatte. Mit beiden Einrichtungen, in denen eine enge Verbindung von Wissenschaft und Technik gepflegt werden konnte, nahm Jena im deutschen Universitätswesen einen besonderen Platz ein. Nennenswerte Mittel der Stiftung flössen auch dem Hygiene-Institut zu. 1886 war auf Empfehlung von Robert Roch August Gärtner nach Jena berufen worden, um dieses Fachgebiet aufzubauen. Gärtner, der an der Medizinischen Fakultät zunächst ein Extraordinariat innehatte, übernahm bald den Lehrstuhl für Hygiene. Er befaßte sich vornehmlich mit den Problemen des Wassers und legte eine monographische Arbeit über die Hygiene des Wassers und einen Leitfaden der Hygiene vor, der in zehn Auflagen erschien. Die Universität Jena gehörte in dieser Zeit zu den wenigen deutschen Universitäten, in denen dieses Fach vertreten war. Die Stiftung erwarb das Grundstück für einen Institutsbau, finanzierte den Bau und überließ das Grundstück schließlich der Universität.110 Durch die inhaltlich gelenkte Förderung der Universität trug die Stiftung maßgeblich dazu bei, daß die Jenaer Hochschule nach der Jahrhundertwende auf den naturwissenschaftlich-mathematischen Gebieten den Anschluß an die fortgeschrittenen Universitäten in Deutschland fand. Das wirkte sich auch auf den Ruf der Universität aus und zog interessierte Wissenschaftler und Studenten in die Saalestadt. Von besonderer Bedeutung für die Universität waren die Zuwendungen der Stiftung für den Bau eines Universitätshauses. Die Verpflichtung dazu übernahm die Stiftung am 26. Januar 1904 gegenüber den Unterhalterstaaten der Jenaer Universität. Die in Aussicht

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Die Carl Zeiss-Stiftung und ihre Beziehungen zur Universität Jena. Manuskript, S. 9. STEINMETZ: Geschichte der Universität Jena, S. 4 7 8 - 4 8 8 .

EVA MICHAEL:

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gestellte Summe betrug 340.000 Mark.111 Ihre Freigabe war mit der Auflage verbunden, daß die Bauarbeiten am 1. Januar 1905 begonnen sein müssen. Die von den Unterhalterstaaten, vom Verleger Gustav Fischer, von der Stiftung und der Stadt aufgebrachten Mittel reichten nicht aus, um den Bau fertigzustellen. Darum erhöhte die Stiftung ihre Zuwendung. Von den Gesamtkosten des Universitätsbaus, die sich schließlich auf rund 1.350.000 Mark beliefen, brachte die Stiftung die Hälfte auf.112

Der Beitrag zur Volksbildung Im Sinne des Stiftungsstatuts, nach dem Aufwendungen für gemeinnützige Einrichtungen oder Veranstaltungen gerechtfertigt seien, „welche geeignet sind, das leibliche Wohl, die wirtschaftliche Lage oder die Lebensannehmlichkeiten der in industrieller und kleingewerblicher Arbeit stehender Volkskreise zu befördern, oder der gewerblichen Fortbildung, allgemein bildender Belehrung und geistiger Anregung ihrer Angehörigen zu dienen", 113 stellte die Geschäftsleitung 1898 an die Stiftungsverwaltung den Antrag auf die Errichtung einer Volkslesehalle. Die Stiftungsverwaltung stimmte dem Vorhaben zu.114 Bei der Beschaffung der Lektüre folgte man einer Forderung des Stiftungsstatuts, die besagte, daß unter keinen Umständen „innerhalb oder außerhalb der Stiftungsbetriebe Mittel der Stiftung verwandt werden zu Gunsten von Einrichtungen, deren Leitung oder Benutzung durch confessionelle oder politische Rücksichten beschränkt ist oder zu Gunsten von Zwecken, deren Förderung, möchten sie auch an sich gemeinnützig sein, im gegebenen Fall mit kirchlichen oder politischen Parteibestrebungen auf irgend eine Art in Verbindung gebracht ist".115 Darum wurden in die Bestände der Lesehalle außer wissenschaftlichen und populärwissenschaftlichen, belletristischen, kunsthistorischen Büchern und Zeitschriften auch politische Publikationen 111

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UACZ. Bestand BACZ Nr. 23017 (Verpflichtungsurkunde vom 26. Januar 1904. Abschrift), Bl. 56-57. STEINMETZ: Geschichte der Universität Jena, S . 505-506. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 30286 (Statut der Carl Zeiss-Stiftung), Bl.49-50. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1701. UACZ. Bestand: BACZ Nr. 30286 (Statut der Carl Zeiss-Stiftung), Bl. 50.

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unabhänig von der Richtung, die sie vertraten, aufgenommen. Da sich darunter auch solche von sozialdemokratischer Provenienz befanden, sahen sich Abbe und seine Verbündeten heftigen Angriffen von konservativer Seite ausgesetzt, die nur ein Ausfluß der antisozialistischen Kampagnen waren, die im Deutschen Reich immer wieder auftraten. Auch in Jena war in den neunziger Jahren die Anhängerschaft der Sozialdemokratie, wie ihr zunehmender Stimmenanteil bei den Reichstags- und Gemeindewahlen zeigte, gewachsen. Im Großherzogtum und in der Stadt Jena unternahmen die Behörden alles, um die politische Bewegungsfreiheit der Sozialdemokraten einzuschränken. 1897 wurden die Gastwirte von der Jenaer Stadtverwaltung so unter Druck gesetzt, daß sie sozialdemokratische Zusammenkünfte in ihren Gasträumen nicht mehr zuließen. Die Sympathisanten der Sozialdemokratie wehrten sich auf ihre Art, in dem sie das Bier aus der stadteigenen Brauerei boykottierten. Abbe, der die restriktive Regierungspolitik im Großherzogtum in den Debatten um einige Stiftungsbestimmungen schon kennengelernt hatte, war nicht gewillt, diese Einschränkung der staatsbürgerlichen Rechte hinzunehmen. Um den Arbeitern einen Versammlungsort zu sichern, verhandelte er im Frühsommer 1897 mit dem Jenaer Turnverein, dem er einen Vertrag anbot, der für den Verein finanziell vorteilhaft war. Den Widerstand von konservativer Seite gegen dieses Vorhaben nahm Abbe zum Anlaß, um die Mitglieder des Turnvereins am 24. Juli 1897 in einer außerordentlichen Versammlung mit seinen Absichten näher bekannt zu machen. Dadurch ereichte er, daß der Vertrag zwischen ihm und dem Vereinsvorstand zu stände kam. Das wollten die Gegner Abbes nicht hinnehmen und nachdem den Soldaten untersagt worden war, in der Turnhalle zu verkehren, kündigte der Turnverein den Vertrag. Die im Großherzogtum immer wieder zu beobachtende Beeinträchtigung der Sozialdemokratie veranlaßte Abbe am 17. November 1900 seinen Protest gegen die „rechtswidrige Beschränkung der Versammlungsfreiheit im Großherzogtum Sachsen" in einer öffentlichen Volksversammlung Ausdruck zu geben.116 Er schloß seine Ausführungen: „Durch Jahre hin hat sich unser Bürgertum die Theorie von der Polizeiallmacht in unserem Land gefallen lassen, auch da wo ihre Proklamie-

116

ERNST ABBE: Die rechtswidrige Beschränkung der Versammlungsfreiheit im Großherzotum Sachsen. In: Sozialpolitische Schriften, S. 171-199.

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rung zuletzt mit deutlichem Hohn verbunden war. Seines guten Rechtes unbewußt hat dieses Bürgertum in unglaublicher Langmut der Betätigung immer schärferere Reaktion nur Klagen und Bitten entgegengestellt Nun aber ist es, meine ich, an der Zeit, die willkürliche Beschränkung der bürgerlichen Rechte in unserem Land... abzuwehren durch laute Anklage

und scharfen Protest." Eine besondere Form des Protestes war die Entscheidung, mit den Mitteln der Carl Zeiss-Stiftung in Jena eine Versammlungsstätte zu schaffen, die jedermann frei stand und die es auch ermöglichte, die größer gewordenen Belegschaften der Stiftungsunternehmen zu Versammlungen und zu geselligen Veranstaltungen zusammenzuführen. Dieser großzügig angelegte Bau, das Volkshaus, entstand zwischen 1901 und 1903. Über die Bestimmung des Volkshauses sagte Czapski am 1. November 1903 in seiner Rede, die er anläßlich der Einweihung des großen Saales 117 hielt: „Für das Volk ist das Beste gerade gut genug... Von dem selben Geiste haben wir uns leiten lassen bei diesem ganzen Bau, bei seiner Gestaltung außen und innen und dieselben Grundsätze wollen wir befolgen bei seiner Nutzbarmachung für die Gesamtheit." Im Sinne Abbes sagte er: „Willkommen die politische Gruppe - welcher Richtung auch immer, die hier für ihre Ideen Anhänger werben will... Die Überzeugung, daß im Kampf der Geister nur die geistige Wqffe erlaubt ist, jede Anwendung anderer Machtmittel lediglich Verbitterung erzeugt und dem Gegner moralisch Übergewicht verleiht - diese Überzeugung soll hier, durch die Art der Vergebung der Räume in unzweideutiger Weise bekundet werden." 118 Für den Bau und die innere Ausgestaltung des Volkshauses wurden 900.000 Mark aufgewandt. 119 Stiftungkommissar Vollert hielt erst in einem Bericht an die Stiftungsverwaltung fest, daß Abbe im Lesezimmer abends Zeitung lese und „nur bedauert, daß die reichen Fassaden und reichliche Verwendung teuren Sandsteins, die bunten Fenster des Treppenhauses, der Glasschmuck der Türen und die üppige Bemahlung der Wände hohe Beträge beansprucht haben,

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Die im Volkshaus untergebrachten Räume des Lesehallenvereins waren schon am 20. September 1902 und die Gewerbeschule am 12. Oktober 1902 ihrer Besimmung übergeben worden. AUERBACH: Das Zeisswerk. Zweite Auflage 1904, S. 148. S I E G F R I E D CZAPSKI: Rede zur Einweihung des Volkshauses in Jena. In: Jenaische Zeitung Nr. 259 vom 4. 11. 1903. SCHOMERUS: Die Geschichte des Zeisswerkes, S . 155-156.

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Abb. 26 Volkshaus in Jena, kurz nach seiner Vollendung, um 1905

die ohne Beeinträchtigung des Zwecks und der Würde des Gebäudes zur Förderung weiterer gemeinnütziger Aufgaben hätten verausgabt werden können". 120 Die Carl Zeiss-Stiftung unterstützte ferner verschiedene, der Allgemeinbildung dienende Veranstaltungen, wie die der ComeniusGesellschaft. Die Stiftung verschloß sich auch nicht einer Anregung aus der Belegschaft, sie möchte doch auch Wohnungen bauen und zu günstigen Konditionen den Mietern überlassen. Die Stiftungsverwaltung wählte nicht den direkten Wohnungsbau, sondern erklärte sich bereit, eine Wohnungsbaugenossenschaft zu unterstützen. Interessierte gründeten 1896 die Jenaer Baugenossenschaft und die Stiftung stellte einen verlorenen Kredit von 15.000 Mark und einen mit drei Prozent verzinsten Kredit in gleicher Höhe zur Verfügung. Damit erhielt die Genossenschaft ein erstes finanzielles Fundament, das - durch die Beiträge der Genossenschaftler ergänzt - erlaubte, zwischen 1896 und 1904 für 150 bis 200 Familien preiswerte und gute Wohnungen zu bauen. 121

120

Zititiert in

121

AUERBACH:

Die Geschichte des Zeisswerkes, Das Zeisswerk. Zweite Auflage 1 9 0 4 , S. 1 3 4 .

SCHOMERUS:

S. 1 5 6 .

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Die Stiftung unterstützte darüber hinaus mit finanziellen Zuschüssen die Sophienheilstätte bei Berga an der Ilm, das Kinderheim in Jena, die Hauspflege des Vereins Frauenwohl, die Flußbadeanstalten in Jena und Wenigenjena sowie die gewerbliche Fortbildungsschule. An die Geschäftsleitung und die Stiftungsverwaltung wurden viele und unterschiedlichste Unterstützungsanträge herangetragen, die zumeist abgelehnt werden mußten, weil sie nicht den Vorschriften des Statuts entsprachen. Beide Gremien gerieten 1903/04 etwas in Gegensatz zu den Intensionen Abbes, der zu seinen Lebzeiten möglichst viel von seinen humanistischen Vorstellungen verwirklicht sehen wollte. Aber die geschäftliche Situation der Optischen Werkstätte in dieser Zeit zwang, darauf zu achten, daß die finanziellen Grundlagen der Stiftung insgesamt nicht gefährdet wurden.

Der Vermögensstand der Carl Zeiss-Stiftung Die Vermögensbildung der Carl Zeiss-Stiftung erfolgte nach den in ihrem Statut vorgegebenen und im vierten Kapitel der vorliegenden Arbeit beschriebenen Grundsätzen. Im Reservefonds der Stiftung wurden die Mittel für die Personallasten-Reserve, die Erneuerung- und Betriebserweiterung der Geschäftsunternehmen sowie die der allgemeinen Rücklage zur Sicherung der Aktionsfähigkeit der Stiftung und ihrer Unternehmen gesammelt Sie kamen aus der Optischen Werkstätte und - entsprechend des Anteils der Stiftung am Glaswerk Schott & Gen. - zu fünfzig Prozent aus dem Glaswerk. Dieser ausschließlich den stiftungsmäßigen Zwecken dienende Teil des Reservefonds belief sich 1897/98 auf 1.219.143 Mark. Diese Summe entsprach noch keineswegs den Vorschriften des Statuts, wonach ein Drittel des jährlichen Lohn- und Gehaltskontos nach dem Durchschnitt der letzten drei Jahre, ein Drittel des Buchwertes der der Abnutzung unterliegenden Betriebsmittel sowie der Betrag einer durchschnittlichen Jahresausgabe der Unternehmen dem Reservefonds zufließen sollten. Von diesen Mitteln waren 1897/98 lediglich 42,6 Prozent auf den Reservefond übertragen worden. Günstiger war das Resul-

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tat 1898/99, in dem 81,7 Prozent auf dem Reservefonds eingingen. In den folgenden Jahren wuchs die Differenz zwischen der vorgeschriebenen und der erzielten Summe wieder an. 1902/03 konnten nur 65 Prozent des Sollstandes erreicht werden. In diesem Geschäftsjahr wurde auch das Wachstum des Fonds, das bisher zu beobachten war, unterbrochen. Der Reservefonds belief sich 1902/03 auf 3.829.448 Mark, das waren 6,2 Prozent weniger als im Vorjahr. Am 1. Oktober 1901 betrug das buchmäßige Geschäftsvermögen der Optischen Werkstätte und des Anteils der Stiftung am Geschäftsvermögen der Firma Schott & Gen. 4.923.715 Mark. Zum Reservefonds zählten desweiteren die Vermögensobjekte, die nicht den stiftungsgemäßen Zwecken dienten. Sie verkörperten 1897/98 einen Wert von 3,1 Millionen und 1902/03 von 6,4 Millionen Mark. Dieser Teil des Reservefonds setzte sich 1902/03 zu 52,5 Prozent aus Wertpapieren, zu 13,3 Prozent aus Hypotheken, zu 5,4 bzw. zu 5,3 Prozent aus Grundstücken und Guthaben bei den Stiftungsunternehmen, zu 3,8 Prozent aus Gold im Depositum, zu 4,5 Prozent aus sonstigen Darlehn und zu 1,4 Prozent aus Rassenbeständen und Bankguthaben zusammen. Die Unterlagen erlauben es nicht, die restlichen 13,8 Prozent auszuweisen. Für das Geschäftsjahr 1900/01 liegen die Angaben über die Wertpapiere vor. Sie beliefen sich auf 2.420.300 Mark. Davon entfielen 47,8 Prozent auf deutsche Reichsanleihen und auf Anleihen deutscher Bundesstaaten, 34,5 Prozent auf ausländische Staatsanleihen, 10 Prozent auf deutsche Stadtanleihen, 5,8 Prozent auf Eisenbahn-Prioritäten und 1,9 Prozent auf Pfandbriefe. Diesem Teil des Reservefonds stand eine Schuld in Form von Obligationsanleihen gegenüber, die 1897/98 eine Million und 1902/03 2,95 Millionen betrug. Faßt man die beiden Teile des Reservefonds zusammen, dann belief sich das Vermögen der Carl Zeiss-Stiftung 1897/98 auf 3.319.143, 1900/1901 auf 6.081.655, 1902/03 auf 7.270.454 Mark und am Ende des Geschäftsjahres 1903/04 auf 7.804.533 Mark. 122 Die detaillierten Angaben sind der Tabelle 21 im Tabellenanhang zu entnehmen. Im Geschäftsjahr 1897/98 lag der Anteil des ersten

122

UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23017 (Berechnung des Bestandes des Reservefonds. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 153-154; Nr. 186 (Obligationsanleihe 1901); Nr. 23015 (Bericht über das Geschäftsjahr 1903/04. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 142.

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Teils des Stiftungsvermögens lediglich bei 36,7 Prozent, im folgenden Jahr stieg er auf 62,8 Prozent, um sich dann zwischen 52,7 und 59,1 Prozent zu halten.

Die Lebensleistung von Ernst Abbe Die entbehrungsreichen Jugendjahre, die kräftezehrende wissenschaftliche Arbeit und die steten Anspannungen, die das unternehmerische Wirken mit sich brachte, forderten ihren TVibuL Im Frühjahr 1903 hatte die stark angegriffene Gesundheit Abbe - wenn auch widerstrebend - genötigt, dem Rat seiner Ärzte zu folgen und die aktive Mitarbeit in der Geschäftsführung der Optischen Werkstätte aufzugeben. 123 Das hinderte ihn freilich nicht daran, sich von Czapski oder anderen Geschäftsleitern über die Vorgänge in der Stiftung und in der Optischen Werkstätte unterrichten zu lassen und seine Meinung geltend zu machen, wenn Entscheidungen der Stiftungsverwaltung oder der Geschäftsleitung nicht seinen Intentionen entsprachen. Aber seine Hoffnung, nun langgehegte wissenschaftliche Pläne verwirklichen zu können, erfüllte sich nicht Dazu ließ ihm die Krankheit keine Zeit. Am Morgen des 14. Januar 1905 verstarb Ernst Abbe. Am Nachmittag des 17. Januar 1903 versammelten sich die Vertreter der Stiftungsunternehmen, der Universität, der Stadt und Abgesandte der thüringischen Regierung zu einer Trauerfeier im Volkshaus. Czapski, Vollert und Leber würdigten eindrucksvoll Abbes Charakter und Lebensleistungen. 124 Im Zentrum des Abbe'schen Lebenswerkes stand dessen wissenschaftliche Leistung, die sich auf den ungewöhnlichen Scharfsinn, die ausgezeichnete Beobachtungsgabe, das beharrliche Studium und die strenge methodologische wissenschaftliche Schulung gründete. Kreativität und Hartnäckigkeit charakterisierten seine

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UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1426 (Mitteilung der Geschäftsleitung an die Geschäftsangehörigen der Optischen Werkstätte über das Ausscheiden Abbes aus der Geschäftsführung). Jenaer Volksblatt Nr. 18 vom 19. Januar 1905.

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wissenschaftliche Arbeitsweise. Die erzielten Resultate seiner wissenschaftlichen Arbeit revolutionierten die technische Optik und damit die feinmechanisch-optische Industrie. Abbe hatte ein tiefes Verständnis für die Lösung technischer Probleme ausgebildet. Das erlaubte ihm Erfindungen, die die Arbeitsweise in der feinmechanisch-optischen Industrie veränderten und ermöglichte es ihm aber vor allem, ein industrielles Großunternehmen zu schaffen, dessen Produktionsapparat dem jeweiligen technischen Entwicklungsstand entsprach. Abbe förderte mit wissenschaftsorganisatorischen Entscheidungen die Innovationsfähigkeit der Optischen Werkstätte, in dem er mit sicherer Hand, junge und kreative Wissenschaftler und Techniker auswählte, die imstande waren, seine Anregungen aufzugreifen und darauf aufbauend, Neues zu schaffen, das den wissenschaftlich-technischen Fortschritt und die ökonomische Leistungsfähigkeit des Jenaer Unternehmens förderte. Abbe erreichte, daß die von Zeiß begründete Qualitätsarbeit unter den Bedingungen der industriellen Großproduktion gewahrt blieb. Das war ihm durch eine umsichtige Auswahl des Führungspersonals, ein Klima der Verantwortung eines jeden Beschäftigten für seine Arbeitsaufgabe und die stete Reproduktion einer qualifizierten Arbeiter- und Angestelltenschaft gelungen. Dabei spielte natürlich die von Zeiß geschaffene und unter Abbe weitergeführte Pflege der Unternehmenstradition eine nennenswerte Rolle, die mit der Carl Zeiss-Stiftung einen neuen Akzent erhielt. Das wissenschaftlich-technische und arbeitsorganisatorische Schöpfertum paarte sich mit der Einsicht Abbes in die Erfordernisse des Geschäftslebens. Diese Verbindung von Wissenschaftler, Techniker und Raufmann ermöglichte es ihm, die Optische Werkstätte zu einem Weltunternehmen auszubilden, das die Entwicklungen auf dem feinmechanisch-optischem Gebiet im wesentlichen prägte. Eine ungewöhnliche, aber entscheidende Triebfeder für das Handeln des Wissenschaftlers und Unternehmers war dessen Einstellung zum privaten industriellen Eigentum und seine Auffassung von dessen Quellen. Sie ließen Abbe zu dem Schluß kommen, daß es ihm nicht zukommt, sich die Früchte der Arbeit der Belegschaft anzueignen und nach Gutdünken zu verwenden. In der privaten Verfügungsgewalt über das Eigentum sah er die Hauptgefahr für den Fortbestand der Optischen Werkstätte. Der Entschluß, das industrielle Vermögen einer Stiftung zu übertragen und so den per-

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sönlichen Interessen eines zukünftigen privaten Eigentümers zu entziehen, die Wissenschaft und die Produzenten am Ertrag des Unternehmens partizipieren zu lassen und zugleich durch die Stiftungsbestimmungen dafür Sorge zu tragen, daß die Innovationspotenzen des Unternehmens gewahrt bleiben, gehört zu den außerordentlichen Lebensleistungen Abbes.125 Sein von der Einsicht in die ökomischen Handlungszwänge und humanistischer Gesinnung getragenes sozialreformerisches Werk fand die Zustimmung der Zeitgenossen126 und wurde von Kräften abgelehnt, die in der Carl Zeiss-Stiftung eine Bedrohung der gegebenen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Ordnung sahen. Merkwürdigerweise sahen sich die politischen Kräfte, die es sich zur Aufgabe gemacht hatten, die herrschende Ordnung grundlegend zu verändern, von der Stiftung bedroht. Sie wollten das Fortschrittliche in der von Abbe geschaffenen Einrichtung nicht sehen und betrachteten ihn als einen Mann, der den Kampfeswillen ihrer Anhängerschaft unterminiert. Die Geschichte des staatssozialistischen Systems ist ein Beleg dafür, daß Abbes Warnungen vor einem „Zukunftsstaat" staatssozialistischer Prägung durchaus begründet waren. Abbes Gesamtleistungen haben ihren letzten Grund in seinen Charaktereigenschaften, die eine seltene Verbindung von größter Herzensgüte, persönlicher Bescheidenheit, humaner Gesinnung, idealem Streben, unerschrockener Wahrheitsliebe und stetem Schaffensdrang bildeten. Bei diesen Eigenschaften verwundert es nicht, daß ihm staatliche Ehrungen zuwider waren. Als 1887 im Großherzoglichen Staatsministerum der Gedanke aufgekommen war, Abbe für sein Vorhaben, die Universität als seinen Rechtsnachfolger einzusetzen, mit einem Titel oder Orden zu danken, riet Eggeling, der Abbes Ansichten kannte, davon ab. In einem Brief vom 4. November 1887 schrieb er an Guyet: „Mit Titel und Orden ist ihm nicht beizukommen, aber den Dank des Mannes (des Staatsministers d.V.), dessen regstes Interesse und Fürsorge für die Universität offenkundig ist, schätzt er als reichen Lohn für seine edle Tat"127

125 126

127

Ernst Abbes Auffassung vom Unternehmer. In: Stolz, Wittig: Carl Zeiss und Ernst Abbe, S.448-457. JÜRGEN JOHN: Abbes Sozialpolitik in ihrer Zeit ( 1 ) . In: Stolz, Wittig: Carl Zeiss und Ernst Abbe, S. 458-488. Brief Eggeling an Guyet vom 4. November 1887. In: SCHOMERUS: Werden und Wesen, S. 31.

WOLFGANG MÜHLFRIEDEL, EDITH HELLMUTH:

308

1896 - 1905

Abb. 27 Ernst Abbe am Gartentor seines Wohnhauses

Die Arbeits- und Sozialverfassung

309

Als besondere Ehrung empfand Abbe hingegen, wenn Rollegen seine wissenschaftlichen Leistungen in akademischer Form würdigten. Das geschah am 12. Dezember 1896 mit der Verleihung der Ehrendoktorwürde durch die Juristische Fakultät der Jenaer Universität. Im gleichen Jahr wurde er Korrespondierendes Mitglied der Königlichen Akademie zu Berlin. 1900 nahm ihn die KaiserlichÖsterreichische Akademie der Wissenschaften in Wien als Korrespondierendes Mitglied auf. 1901 erhielt er die Ehrenmitgliedschaft der Sächsischen Akademie der Wissenschaften in Leipzig und der Königlichen Gesellschaft der Wissenschaft in Göttingen.128 Diese Ehrungen entsprachen seinem Selbstverständnis. Er hatte sein Leben vornehmlich der Wissenschaft gewidmet und betrachtete es als seine vornehmste Aufgabe, durch seine Kenntnisse und Erfahrungen Einsichten in die Zusammenhänge der Natur zu gewinnen und anderen die Mittel in die Hand zu geben, die es ihnen ermöglichte, auf ihren Gebieten die Naturerkenntnis zu fördern und damit der Menschheit zu helfen. Abbes Beitrag zur Zivilisation lag in seiner humanistischen Grundauffassung begründet, deren Wesen Czapski in seiner Trauerrede herausstellte. „Wenn wir von einem Glauben sprechen dürfen bei Ernst Abbe, so war es vor allem der Glaube an den guten Kern im Menschen, zumal in dem dem sogenannten Volke entstammten, dem der Arbeitersohn stets an erster Stelle sein Herz zuwandte, der Glaube daran, daß dieser gute Kern wachgerufen und entwickelt werden könne zu schöner Entfaltung, wenn man ihm vertraue, an ihn appelliere. Das war eine ganz wesentliche Eigentümlichkeit im Verhalten Abbes zu anderen Menschen, der Urgrund seines unzerstörbaren Optimismus."

128 WXTTIG: Ernst Abbe, S. 138-139.

Anhang

Tabellenverzeichnis 1 Die Einnahmen und die Ausgaben sowie die Überschüsse bzw. Verluste der Optischen Werkstätte in den Jahren 1849 bis 1862 (in Talern) 2 Die Anzahl der gefertigten und verkauften Mikroskope der Optischen Werkstätte in den Jahren 1856 bis 1869 (in Stück) 3 Die Anzahl der in der Optischen Werkstätte in den Geschäftsjahren zwischen 1875/76 bis 1879/80 gefertigten Mikroskope (in Stück) 4 Der Umsatz und Reingewinn der Optischen Werkstätte in den Geschäftsjahren 1875/76 bis 1879/80 (in Mark) sowie die Umsatzrentabilität (in Prozent) 5 Die Anlage erzielter Gewinne auf dem Kapitalkonto der Optischen Werkstätte in den Geschäftsjahren 1877 bis 1890 (in Mark) 6 Die Entwicklung des Betriebskapitals der Optischen Werkstätte in den Geschäftsjahren 1876/77 bis 1889/90 (in Mark) 7 Die Jahresverdienste der in der Optischen Abteilung in den Jahren 1880 und 1884 beschäftigten Arbeiter (in Mark) 8 Die Arbeitseinkommen der Lohnarbeiter in der Optischen Werkstätte nach Altersgruppen in den Jahren 1890 bis 1895 (in Mark) 9 Die Anzahl der zwischen 1877 und 1884 in der Optischen Werkstätte gefertigten Mikroskopobjektive (in Stück) 10 Die Anzahl der in der Optischen Werkstätte gefertigten Mikroskope in den Geschäftsjahren 1880/81 bis 1898/90 (in Stück) 11 Der Umsatz aus dem Mikroskopgeschäft der Optischen Werkstätte in den Geschäftsjahren 1878/80 bis 1889/90 (in Mark) 12 Der Umsatz und Gewinn der Zeiss-Filialen im Geschäftsjahr 1903/04 (in Mark) sowie deren Umsatzrentabilität (in Prozent) 13 Der Umsatz und Reingewinn der Optischen Werkstätte in den Geschäftsjahren 1895/96 bis 1904/05 (in Mark) 14 Der Umsatz der Abteilungen der Optischen Werkstätte in den Geschäftsjahren 1890/91 bis 1904/05 (in Mark) 15 Die Anzahl der Beschäftigten der Optischen Werkstätte nach Arbeitern und Angestellten sowie der Anteil der Arbeiter und Angestellten an den Gesamtbeschäftigten (in Prozent) in den Geschäftsjahren 1895/96 bis 1904/05

314

Tabellenverzeichnis

16 Die Lohn- und Gehaltsnachzahlungen an die Beschäftigten der Optischen Werkstätte in den Geschäftsjahren 1895/96 bis 1904/05 (in Prozent) 17 Die Jahreslöhne der Arbeiter der Optischen Werkstätte nach Klassen in den Geschäftsjahren 1895/96 bis 1904/05 (in Mark) 18 Die Wochenlöhne der Arbeiter in den Optischen und Mechanischen Abteilungen in den Jahren 1897,1900 und 1902 (in Mark und Pfennig) 19 Der durchschnittliche Mehrverdienst der Arbeitergruppen der Optischen Werkstätte in ausgewählten Jahren gegenüber dem durchschnittlichen Jahreseinkommen der Beschäftigten in der metallverarbeitenden Industrie Deutschlands (in Mark) 20 Pensionszahlungen aus der gemeinsamen Pensionskasse der Optischen Werkstätte und des Glaswerkes Schott & Gen. in den Geschäftsjahren 1894/95 bis 1904/05 (in Mark) 21 Das Vermögen der Carl Zeiss-Stiftung in den Geschäftsjahren 1897/98 bis 1902/03 (in Mark)

Tabellenanhang Tabelle 1 Die Einahmen und Ausgaben sowie die Überschüsse bzw. Verluste der Optischen Werkstätte in den Jahren 1849 bis 1862 (in Talern) Jahr

1849 1850 1851 1852 1853 1854 1855 1856 1857 1858 1859 1860 1861 1862

Einnahmen (in Talern)

901 931 1.290 1.666 1.844 1.365 1.533 1.662 1.906 2.677 2.670 2.183 3.033 4.206

Ausgaben (in Talern)

704 844 1.166 1.223 1.735 1.167 1.485 1.808 1.977 2.317 2.637 2.079 2.881 4.271

Überschuß bzw. Verlust (in Talern)

197 31 124 43 109 189 48 -146 - 71 360 33 104 152 - 65

Quelle: Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 1737 (Zeiß-Manual 1); Nr. 1736 (Zeiß-Manual 2).

316

Tabellenanhang

Tabelle 2 Die Anzahl der gefertigten und verkauften Mikroskope der Optischen Werkstätte in den Jahren 1856 bis 1869 (in Stück) Jahr

Gefertigte Mikroskope (Stück) ZM** M*** LM*

1856 1857 1858 1859 1860 1861 1862 1863 1864 1865 1866 1867 1868 1869

54 48 12 20 18 24 6 31 30 51 37 38 40 14 PM° 41 36 36 45 70

1870 1871 1872 1873 1874

Verkaufte Mikroskope (Stück) ¡yp** LM* ZM**

4 16 7 8 28 54 47 66 68 179 89 110 60

54 52 28 27 26 52 60 78 96 139 216 127 150 74

54 45 6 22 18 22 6 19 28 51 36 34 31 9

3 13 10 8 23 45 43 61 64 176 57 95 52

54 48 19 32 26 45 51 62 89 115 212 91 126 61

73 59 109 140 304

114 101 145 185 374

39 32 36 45 67

66 56 101 126 275

105 88 137 171 342

* LM = Lupen-Mikroskope; ** ZM = Zusammengesetzte Mikroskope; ° PM = Präparier-Mikroskope; *** Mikroskope insgesamt. 1871 kamen noch sechs Lupen-Mikroskope hinzu. Quelle: Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 7710 (Fabrikationsstatistik Mikro 1).

317

Tabellenanhang

Tabelle 3 Die Anzahl der in der Optischen Werkstätte zwischen 1875/76 und 1879/80 gefertigten Mikroskope (in Stück) GeschäftsJahr

LupenMikroskope (Stück)

1875/76* 1876/77 1877/78 1878/79 1879/80

32 14 17 40 7

Präpariermikroskope (Stück)

41 76 19 39 53

Zusammengesetzte Mikroskope (Stück)

Mikroskope insgesamt (Stück)

483 308 414 414 498

556 398 450 493 558

* Dieses Geschäftsjahr umfaßte den Zeitraum vom 15. Mai 1875 bis zum 31. August 1876. Quelle: Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. BACZ Nr. 7710 (Fabrikationsstatistik Mikro 1).

318

Tabellenanhang

Tabelle 4 Der Umsatz und Reingewinn der Optischen Werkstätte in den Geschäftsjahren 1875/76 bis 1879/80 (in Mark) sowie die Umsatzrentabilität (in Prozent)

Geschäftsjahr

Umsatz (Mark)

Gewinn (Mark)

1875/76* 1876/77 1877/78 1878/79 1879/80

97.075 98.773 104.135 144.255 178.367

30.239 40.930 34.970 51.897 80.425

Umsatzrentabilität (Prozent)

31.2 41.4 33,6 36,0 45,1

* Vom 15. Mai 1875 bis zum 31. August 1876. Quelle: Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 6468 (Petermann-Konzept), Bl. 42, 45.

Tabellenanhang

319

Tabelle 5 Die Anlage erzielter Gewinne auf dem Rapitalkonto der Optischen Werkstätte in den Jahren 1877 und 1890 (in Mark)

Gewinn (Mark)

Rapitalkonto (Mark)

Stand 1876 1877/80 1880/85 1885/90

159.911 523.051 1.082.414

66.713 73.287 253.000 384.000

45,8 48,6 35,5

1877/90

1.765.376

710.287

40,2

Zeitraum

Auf Rapitalkonto übertragene Gewinnanteile (in Prozent)

Quelle: Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 6468 (Petermann-Konzept), Bl. 33-55.

320

Tabellenanhang

Tabelle 6 Die Entwicklung des Betriebskapitals der Optischen Werkstätte in den Geschäftsjahren 1876/77 bis 1889/90 (in Mark) Geschäfts- BetriebsVerjahr kapital änderung (Mark) zum Vorjahr (in Prozent)

1875 1876/77 1877/78 1878/79 1879/80 1880/81 1881/82 1882/83

66.700 85.200 102.200 112.700 139.000 186.000 244.000 292.000

27,7 19,9 10,5 23,3 33,8 31.2 19,7

Geschäfts- Betriebsjahr kapital (Mark)

1883/84 1884/85 1885/86 1886/87 1887/88 1888/89 1889/90

342.000 392.000 450.000 524.000 624.000 736.000 780.000

Veränderung zum Vorjahr (in Prozent)

17,1 14,6 14,8 16,4 19,1 17,9 6,0

Quelle: Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 6468 (Petermann-Konzept), Bl. 48.

321

Tabellenanhang Tabelle 7

Die Jahresverdienste der in der Optischen Abteilung in den Jahren 1880 und 1884 beschäftigten Arbeiter (in Mark) Arbeiter

Müller II Böber Eisenhardt Pfaffe Schäfer Pape Töpfer I Voigt I Hebestreit I Hering

Jahresverdienst 1880 (Mark)

Jahresverdienst 1884 (Mark)

Veränderung zum Vorjahr (in Prozent)

1.846 1.166 1.864 1.270 1.248 1.436 1.006 926 1.455 420

2.449 1.525 2.290 1.487 1.236 1.574 1.535 1.605 2.535 876

32,7 30,8 22,8 17,1 -1,0 9,6 52,6 73,3 74,2 108,6

Quelle: Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: VA Nr. 1608 (Monatsabschlüsse der Optischen Abteilung).

Tabellenanhang

322

Tabelle 8 Die Arbeitseinkommen der Lohnarbeiter in der Optischen Werkstätte nach Altersgruppen in den Jahren 1890 bis 1895 (in Mark) Jahr über 24 Jahre (Mark)

1890 1891 1892 1893 1894 1895

1.266 1.302 1.299 1.272 1.257 1.353

Altersgruppe 22-24 Jahre 19-21 Jahre (Mark) (Mark)

1.155 1.224 1.122 1.116 1.059 1.080

909 975 837 846 801 849

14-18 Jahre* (Mark)

360 387 369 399 381 381

* Ungelernte jugendliche Arbeiter. Quelle: UACZ. Bestand: BACZ Nr. 12706 (Brief Czapski an den Stiftungskommissar vom 22. September 1896).

323

Tabellenanhang Tabelle 9

Die Anzahl der zwischen 1877 und 1884 in der Optischen Werkstätte gefertigten Mikroskopobjektive (in Stück) Jahr

Objektive (Stück)

1877 1878 1879 1880

777 1.001 1.191 1.610

Veränderung Jahr zum Vorjahr (in Prozent)

0,6 28,8 19,0 35,2

1881 1882 1883 1884

Objektive (Stück)

Veränderung zum Vorjahr (in Prozent)

2.023 2.285 2.523 3.519

25,6 12,9 10,4 39,5

Quelle: Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: VA Nr. 1608 (Monatsabschlüsse der Optischen Abteilung).

324

Tabellenanhang

Tabelle 10 Die Anzahl der in der Optischen Werkstätte gefertigten Mikroskope in den Geschäftsjahren 1880/81 bis 1889/90 (in Stück) Geschäftsjahr

LupenMikroskope (Stück)

1880/81 1881/82 1882/83 1883/84 1884/85 1885/86 1886/87 1887/89* 1889/90

26 -

1 22 30 -



PräparierMikroskope (Stück)

30 32 28 96 96 150 70 480 199

Zusammengesetzte Mikroskope (Stück)

Mikroskope insgesamt (Stück)

445 770 771 1.013 1.215 1.304 1.219 2.816 1.724

501 802 800 1.131 1.341 1.454 1.289 3.296 1.923

* Die Unterlagen zwingen dazu, die Fertigungszahlen der Geschäftsjahre 1887/88 und 1888/1889 zusammenzufassen. Quelle: Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 7710 (Fertigungsstatistik Mikro 1)

325

Tabellenanhang Tabelle 11

Der Umsatz aus dem Mikroskopgeschäft der Optischen Werkstätte in den Geschäftsjahren 1879/80 bis 1889/90 (in Mark) Geschäftsjahr

Umsatz (Mark)

1879/80 1880/81 1881/82 1882/83 1885/84 1884/85

178.370 189.030 225.930 267.120 351.550 420.270

VerVerGeschäfts- Umsatz jahr (in Mark) änderung änderung zum zum Vorjahr Vorjahr (in Prozent) (in Prozent)

23,6 6,0 19,5 18,2 31,6 19,5

1885/86 1886/87 1887/88 1888/89 1889/90

488.940 575.930 725.970 736.890 709.920

16,3 17,8 26,0 1,5 - 3,7

Quelle: Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 6468 (Petermann-Konzept), Bl. 48.

326

Tabellenanhang

Tabelle 12 Der Umsatz und Gewinn der Zeiss-Filialen im Geschäftsjahr 1903/04 (in Mark) sowie deren Umsatzrentabilität (in Prozent) Filiale

Umsatz (in Mark)

Gewinn (in Mark)

Berlin Frankfurt Hamburg London Wien Petersburg

244.653 98.015 97.007 419.288 261.730 294.971

31.859 6.437 4.177 6.826 22.929 -13.055

Umsatzrentabilität (in Prozent)

13,0 6,6 4,3 1,6 8,8

Quelle: Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23015 (Bericht über das Geschäftsjahr 1903/04. Akten des Stiftungskommissars), Bl. 110.

327

Tabellenanhang Tabelle 13

Der Umsatz und Reingewinn der Optischen Werkstätte in den Geschäftsjahren 1895/96 bis 1904/05 (in Mark) Geschäftsjahr

1895/96 1896/97 1897/98 1898/99 1899/1900 1900/01 1901/02 1902/03 1903/04 1904/05

Umsatz (in Mark)

Veränderung zum Vorjahr (in Prozent)

Reingewinn (in Mark)

Veränderung zum Vorjahr (in Prozent)

1.774.937 2.034.850 2.267.128 2.587.130 3.188.440 3.361.300 3.629.337 3.575.100 4.134.810 5.097.719

17,9 14,6 11,4 14,1 23,2 5,4 8,0 -1,5 15,7 23,3

368.410 367.579 401.174 622.900 668.425 671.205 538.078 304.294 383.391 999.341

7,8 -0,2 9,1 55,3 7,3 0,4 -19,8 -43,5 26,0 160,7

Quelle: Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 168; 23003; Nr. 23005; Nr. 23014; Nr. 23019; Nr. 6468.

328

Tabellenanhang

Tabelle 14 Der Umsatz der Abteilungen der Optischen Werkstätte in den Geschäftsjahren 1890/91 bis 1904/05 (in Mark) Geschäftsjahr

Mikroskope (Mark)

Photoobjektive (Mark)

1890/91 1891/92 1892/93 1893/94 1894/95 1895/96 1896/97 1897/98 1898/99 1899/1900 1900/01 1901/02 1902/03 1903/04 1904/05

992.900 872.300 766.500 677.500 867.400 966.342 979.345 924.779 924.744 1.090.000 1.139.000 1.184.257 1.159.954 1.234.116 1.173.658

68.700 231.500 342.000 328.300 432.000 465.000 464.907 534.902 600.000 597.113 624.750 514.307 597.113 621.967 678.869

Optische Meßmittel (Mark)

-

12.562 21.099 18.909 31.092 42.088 59.458 74.000 91.470 95.473 110.283 123.630 126.411

329

Tabellenanhang

Fortsetzung der Tabelle 14 Geschäftsjahr

1890/91 1891/92 1892/93 1893/94 1894/95 1895/96 1896/97 1897/98 1898/99 1899/1900 1900/01 1901/02 1902/03 1903/04 1904/05

Astron. Abteilung (Mark)

15.000 19.000 34.666 86.586 102.747 190.977

Feldstecher (Mark)

24.453 186.770 349.500 548.509 748.023 1.026.000 1.408.000 1.506.727 1.690 187 1.744.036 1.978.467 2.784.815

Umsatz der Warengruppen insgesamt (Mark)

1.061.600 1.103.800 1.121.062 1.051.352 1.505.079 1.181.934 2.034.849 2.267.162 2.550.744 3.184.113 3.380.947 3.315.890 3.697.972 4.060.927 4.954.730

Quelle: Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 168; Nr. 23003; Nr. 23005; Nr. 23014; Nr. 23019.

Tabellenanhang

330 Tabelle 15

Die Anzahl der Beschäftigten der Optischen Werkstätte nach Arbeitern und Angestellten sowie der Anteil der Beschäftigtengruppen an der Gesamtbeschäftigtenzahl (in Prozent) in den Geschäftsjahren 1895/96 bis 1904/05 GeschäftsBejahr schäftigte insgesamt

1895/96 1896/97 1897/98 1898/99 1899/1900 1900/01 1901/02 1902/03 1903/04 1904/05

647 830 908 933 1.031 1.156 1.282 1.288 1.232 1.378

Arbeiter

555 730 800 818 906 1.023 1.128 1.104 1.042 1.181

AnAnteil der gestellte Arbeiter (in Prozent)

85,8 88,0 88,1 87,7 87,9 88,5 154,0 85,7 84,6 85,7

92 100 108 115 125 133 154 184 190 197

Anteil der Angestellten (in Prozent)

14,2 12,0 11,9 12,3 12,1 11,5 12,0 14,3 15,4 14,3

Quelle: Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 21186 (Personalübersicht des Zeiss-Werkes Jena).

Tabellenanhang

331

Tabelle 16 Die Lohn- und Gehaltsnachzahlungen an die Beschäftigten der Optischen Werkstätte in den Geschäftsjahren 1895/96 bis 1904/05 (in Prozent)

Geschäftsjahr

Nachzahlungen (in Prozent)

Geschäftsjahr

Nachzahlungen (in Prozent)

1895/96 1896/97 1897/98 1898/99 1899/1900

8 5 9 10 10

1900/01 1901/02 1902/03 1903/04 1904/05

10 8 -

5 9

Quelle: UACZ. Bestand: BACZ Nr. 21187 (Ideelle Durchschnittsverdienste, einschließlich Lohnnachzahlung nach dem wirtschl. Durchschnittsverdienst pro Stunde).

332

Tabellenanhang

Tabelle 17 Jahreslöhne der Arbeiter der Optischen Werkstätte nach Klassen in den Geschäftsjahren 1895/96 bis 1904/05 (in Mark) Ge- Über 24 Jahre schäftsund über jahr drei Jahre beschäftigt (Mark) I. II.

1895/96 1896/97 1897/98 1898/99 1899/ 1900 1900/01 1901/02 1902/05 1903/04 1904/05

Über 24 Jahre (Mark)

Zwischen 21 Zwischen 18 und 24 Jahren und (Mark) 21 Jahren (Mark)

I.

II.

I.

II.

I.

II.

1.555 1.661 1.623 1.499

1.690 1.748 1.784 1.784

1.500 1.489 1.502 1.463

1.630 1.567 1.651 1.625

1.218 1.267 1.272 1.511

1.342 869 944 1.334 937 986 1.398 810 890 1.521 1.009 1.122

1.626 1.650 1.676 1.599 1.649 1.683

1.807 1.833 1.822 1.599 1.736 1.849

1.506 1.539 1.560 1.520 1.595 1.630

1.673 1.710 1.696 1.520 1.679 1.791

1.495 1.422 1.353 1.286 1.340 1.347

1.505 1.580 1.471 1.286 1.410 1.480

1.078 1.151 1.074 977 1.086 1.155

1.198 1.274 1.167 977 1.143 1.269

I. Jahreslohn ohne Nachzahlung; II. Jahreslohn mit Nachzahlung. Die Summen sind aufgerundet. Quelle: Zusammengestellt nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 21187 (Ideelle Durchschnittsverdienste, einschließlich Lohnnachzahlung nach dem wirtschl. Durchschnittsverdienst pro Stunde).

Tabellenanhang

333

Tabelle 18 Die Wochenlöhne der Arbeiter in den Optischen und Mechanischen Abteilungen der Optischen Werkstätte in den Jahren 1897, 1900 und 1902 (in Mark und Pfennig)

Jahr

1897 1900 1902

Durchschnittlicher Wochenlohn ohne Lohnnachzahlung mit Lohnnachzahlung (Mark) (Mark) Optik Mechanik Mechanik Optik

13,84 15,65 17,24

18,59 19,21 19,89

Quelle: UACZ. Bestand: BACZ Nr. 642.

15,10 16,94 18,37

20,08 20,17 20,68

334

Tabellenanhang

Tabelle 19 Der durchschnittliche Mehrverdienst der Arbeitergruppen der Optischen Werkstätte in ausgewählten Jahren gegenüber dem durchschnittlichen Jahreseinkommen der Beschäftigten in der metallverarbeitenden Industrie Deutschlands (in Mark) Jahr

Über 24 Jahre und über drei Jahre beschäftigt (Mark)

Über 24 Jahre (Mark)

1895 1900 1905

790 823 790

730 700 678

Zwischen 21 Zwischen 18 und und 24 Jahren 21 Jahren (Mark) (Mark)

442 570 367

44 264 156

Quelle: Zusammengestellt und errechnet nach HOFFMANN: Das Wachstum der deutschen Wirtschaft, S. 470-471; UACZ. Bestand: BACZ Nr. 21187 (Ideelle Durchschnittsverdienste, einschließlich Lohnnachzahlung nach dem wirtschaftlichen Durchschnittsverdienst pro Stunde).

335

Tabellenanhang

Tabelle 20 Pensionszahlungen aus der gemeinsamen Pensionskasse der Optischen Werkstätte und des Glaswerkes Schott & Gen. in den Geschäftsjahren 1894/95 bis 1904/05 (in Mark)

Geschäfts- Pensionen jahr (Mark)

1894/95 1895/96 1896/97 1897/98 1898/99 1899/1900

3.672 3.615 3.731 7.385 7.890 10.937

Zu- bzw. Zu- bzw. Geschäfts- Pensionen jahr Abnahme Abnahme (Mark) gegen gegen Vorjahr Vorjahr (in Prozent) (in Prozent)

-1,6 3,2 97,9 6,8 38,6

1900/01 1901/02 1902/03 1903/04 1904/05

13.817 15.917 19.082 20.713 23.858

26,3 15,2 19,9 8,5 15,2

Quelle: UACZ. Bestand: BACZ Nr. 12396 (Aufstellung über Auszahlungen von Pensionen).

336

Tabellenanhang

Tabelle 21 Das Vermögen der Carl Zeiss-Stiftung in den Geschäftsjahren 1897/98 bis 1902/03 (in Mark) Geschäftsjahr

1897/98 1898/99 1899/1900 1900/01 1901/02 1902/03

Für stiftungs- Nicht für stiftungsgemäße Zwecke gemäße Zwecke (Mark) (Mark)

1.219.143 2.688.512 2.683.407 3.230.106 4.084.096 3.829.444

2.100.000 1.594.000 2.185.200 2.871.525 2.826.153 3.441.000

Insgesamt (Mark)

3.319.143 4.282.512 4.868.607 6.101.631 6.910.249 7.270.444

Quelle: Zusammengestellt und errechnet nach UACZ. Bestand: BACZ Nr. 23017 (Berechnung des Reservefonds der Carl Zeiss-Stiftung), Bl. 153-154.

Namensregister

Abbe, Elise, geb. Snell 85, 174,180 Abbe, Ernst 1-11, 47, 61-87, 90-113, 119-126, 143-146, 156, 163, 169, 171-192, 200-201, 204-205, 209, 212-213, 220-223, 225, 229-234, 243, 245, 248-250, 252-259, 264267, 268-269, 270, 275-277, 281282, 284, 286-288, 290, 294-295, 297-298, 300-301, 305-309, Abbe, Margarete 85 Abbe, Paula 85 Abbe, Georg Adam 61 Abbe, Elisabeth Christiane, geb. Barchfeld 61 Amici, Giovanni Battista 46, 56 Auerbach, Felix 4, 7, 46, 297 Bachstein 24 Bamberg, Carl 103,105 Barfuß, Friedrich Wilhelm 47 Beaulieu, Freiherr von 225, 229 Bebel, August 253 Beck, R. 0. 45 Beneden, von 118 Bentzin, Curt 207 Berger, Max 130, 231, 234-235, 237, 259, 284 Berlepsch, Hans Hermann von 167 Beyer, Hermann 202 Billmeyer 134 Blüthner 134 Böber 141 Böhme, Hugo 54 Bohlmann, G. 291 Borsig, Albert 39 Boxberg, Freiher von 169 Braune 230,231 Braunau 55 Brucc, D. 119 Brüggelmann, G. 102 Bülow, Bernhard von 164 Busch, Emil 92-93 Butter 134 Bytschli 118

Caprivi, Leo Graf von 224 Cajal, S. R. 118 Corentz, Paul 53 Czapski, Siegfried 3-4, 78, 85,123124,186, 188, 202, 215,220, 222, 231, 246, 252-253, 259,262-263, 265-267, 270-272,274-275, 277, 279, 284,292, 301, 305, 309 Diedrich, 24,33,35 Doebereiner, Johann Wolfgang 17 Dobrowolski 6 Dohm, Anton 88 Dippel, Leopold 56, 83, 85, 205 Dönitz 261 Eberhard, Max 53 Eckardt 235 Eggeling, Heinrich 172-174, 176-184 Eichel-Streiber, Eduard von 61 Eisenhardt 141 Endler 134 Engels, Friedrich 253 Ernst 134 Ernst, G. 223 Esche, Paul 8 Evers 141 Fischer, Gustav 299 Fischer, Max 5,154,200,232,252, 263, 266-267,270 Foehr 275-276,280 Foerster, Wilhelm Julius 99,101,103 Fol, H. 118 Forstmann 231 Frank 53 Fraunhofer, Joseph von 3 Freese, Heinrich 171 Frege, Gottlob 297 Frey, Heinrich 57 Fürbringer 271 Gärtner, August 271,298 Gauß, Carl Friedrich 66

338

Namensregister

Gehricke 134 Genstsch 53 Gerlach, Edmund 42 Gilgi, C. 118 Gönrich 262 Gosslar, von 104 Gradsack 141 Graefe 138 Gresitza, Franz 216 Greulich 252 Gross, Freiherr von 169 Grousillier, Hektar de 230 Günther, Norbert 6 Guyet, Adolf 173-174,178, 184,188, 307 Hansen, A. 119 Hartmann 202 Hartnack, Edmund 56-57, 69 Häusler, Heinrich 20 Häußler 258 Hebestreit, Ferdinand 222 Heckel, Ernst 158 Heckel, Jakob 222 Helmholtz, Hermann 103 Hermann, Armin 8 Hertwig, O. 118 Heßling, von 29 Hoff, Uta 113 Hohmann, Adolf 251 Keßler 41 Kirchhof! 42,52 Kitasato, F. 119 Kläber 264 Kleinenberg, Nicolaus 110,112 Klemm 259 Koch, Robert 110, 119,149,153, 298 Koch, Wilhelm 53 Köhler, August 203,261 Köllinger, Albert von 118 König, Albert 214-215,230-231,237 Körner, Friedrich 16 17, 23,42 Kotthaus, August 5 Küppenbender, Heinrich 6 Kützmann 141 Krause 53 Krüger 134 Krupp, Friedrich 39, 50

Lätsch 202 Lange 134 Lavaran, A. 119 Leber, Hermann 253, 264,266-267, 270, 273-275, 305 Linck, Gottfried 297 Löber, August 24, 31, 33, 35, 41, 5253, 67, 74, 79 Löffler, F. 119 Löwe, Fritz 211,237 Lohmann, Theodor 167-168 Lüttig, C. 18 Martens, A. 119 Marx, Karl 253 Matthes 285 Meyer, Franz 218-219,236-237 Meyerstein, Moritz 63 Müller 141 Müller, Fritz 222,259 Nägeli 57 Neumeyer 235 Nicolaier, A. 119 Norbert 37 Oberhäuser, Georg 56-57, 69 Oechelhäuser, B. W. 171 Orth, Georg 235-236 Otto, Georg 253,266 Pauly, Max 213-215 Pape, Heinrich 1, 52, 78, 141, 251 Pasteur, Louis 114,119 Patz 141 Perrot 134 Petermann, Max 11 Pfaffe 139,141 Pierstorff, Julius 4 Pilo 141 Plössl, G. Simon 69 Porro, Ignatz 221 Posedowsky-Wehner, Arthur Graf von 167-168 Pulfrich, Carl 202, 209-212, 230 Radeck, Carl 251 Rau, Rudolf 298 Reimann, Fr. A. 15

Namensregister

339

Reinhardt 264 Reiß, Michael 64 Riedel, Paul 98 Rieder 202 Riemann, Bernhard Friedrich 63 Riesenberg, Horst 202 Rexrodt, Heinrich 34,41,49 Rohr, Moritz von 5, 8, 66 Rosenbusch, H. 119 Rössler, Hektor 18 Ross, Andrew 69 Rothhaupt 150 Rothe, Carl 176-179,185,192 Rudolph 53,141-142 Rudolph, Paul 202, 204-208,249250, 261,284 Rühmkorff 56 Rupprecht, Prinz von Bayern 164 Russ, Hugo 128-136,220, 222-223, 259,278, 284

Singer, Heinrich 171 Snell, Karl 62,64-65,85 Sporek, August 53 Steiner, Jürgen 113 Stephenson, John Ware 81 Stichling, Gottfried Theodor 173, 176 Stiebritz 52 Stolz, Rüdiger 9 Straßburger, E. 118 Straubel, Rudolf 231,270,275 Stumm-Hallberg, Carl Ferdinand Freiher von 166-167

Karl Friedrich von Sachsen-WeimarEisenach 15 Schacht, Hermann 27, 36,40, 49 Schäfer, Dietrich 3 Schäfer 139,141 Schäfer 271 Schäfer, August 214 Schaeffer, Hermann 62 Schatter, Bertha 32 Schatter, Carl Gottfried 31-33 Schatter, Pauline, geb. Zeiß 54 Schatter, Rudolph 32 Schied 54 Schleiden, Matthias Jacob 20,25, 28-29,44 Schmid, Ernst Erhard 20 Schmidt 141 Schmitz, C. H. 8 Schomerus, Friedrich 4-7 Schöps 264 Schott, Otto 10, 92-113, 156, 186, 202, 270,273, 287,297 Schrade, Hugo 5, 6 Schumann, Wolfgang 7 Schüttauf 202 Seebach, C. von 49 Seebeck, Moritz 64

Villinger, Walter 218,237 Virchow, Rudolph 110, 118 Volker, Ulrich 251 Vollert, Max 192,301,305 Vongerichten, Eduard 298

Tauchnitz, Carl, Heinrich Friedrich 214 Töpfer 141,259 Töpfer II 142 Trinkler 33,54 Trinkler, Ottilie 33 Trottier, Carl 253

Wagner 42,52 Wagner 138 Weber, Wilhelm Eduard 62-63, 66 Wehrpfennig 105 Weßelheoft, Martin 42-43,52 Wiebe, F. H. 99,101 Wilhelm II. 163-169, 224-225 Willam, Horst Alexander 9,48 Winkelmann, Adolph 297 Wirthgen 259 Witte 202 Wittig, Joachim 9 Wolf, Max 213 Zeiß, Bertha 32-33 Zeiß, Carl Friedrich 1, 9-10, 15-58, 66-68, 76-81, 85-90,101-112, 119126, 149,155-159,287-288 Zeiß, Emilie 54 Zeiß, Friedrich August Eduard 15-16, 20, 23, 32

340

Namensregister

Zeiß, Gustav Alexander 16, 54 Zeiß, Johann Gottfried August 15, 23, 25,27-29 Zeiß, Hedwig 33 Zeiß, Hulda 33 Zeiß, Karl Otto 33 Zeiß, Pauline 22

Zeiß, Roderich 3, 33,101,106,111, 117,119-126, 139, 141,150-156, 181-186,188-189,225,231,287, Zeiß, Sidonie 33 Ziegenspeck 107 Zieger 142 Zippel, 42

Sachregister

Abgangsentschädigung 286-287 Abteilung für Meßgeräte 199, 209212

Abteilung für Photoobjektive 199, 204-208, 233 Achtstundentag 261-268 Allgemeine Ortskrankenkasse 169 Apertometer 67, 74 Arbeitsunfall 169-170 Arbeitsverfassung 243 Arbeitszeit 170,261-268 Arbeiter-Ausschuß 250-258, 262268, 271-273, 282 Arbeitsorganisation 66,130-134,239 Arbeitsverträge 247-250 Artillerie-Prüfkommission 230-231 Astronomische Abteilung 212-220 Astronomische Geräte 212-220 Aussichtsfernrohr 217 Beamten-Ausschuß 258-261 Belegschaft 1, 24, 41-42, 52-53, 88, 135-137, 239,244-247, 330 Belegschaftsmitbestimmung 170 Beleuchtungsapparat 68, 75 Betriebs-Krankenkasse 141-148, 284-286 Emil Busch AG Rathenow 53, 223224 Chance Brothers & Co Birmingham 92 Demontage 6 Deutsche Continental Gas Gesellschaft Dessau 171 Deutscher Zollverein 18-19 Dickenmesser 67, 209

Entlohnungssystem 53,137-141, 268-269, 276-284, 321-322, 331334 Feinmechanisch-Optisches Institut 3 Feldstecher 199 Feldstecherfertigung 220-223 Fernrohre 51-52, 56 Filialen des Zeiss-Unternehmens 200-201

Finanzierung der Zeiß'schen Werkstätte und des Zeiss-Unternehmens 23, 33-36, 41, 43-44, 54-55, 87-89,123-125,135, 152, 238, 319320 Fokometer 67 Georg Goerz, Spezialfabrik für photographische Amateur-Apparate Berlin-Friedenau 224, 227 F. F. Greiner 37 Gewerbe in Jena 23,171 Gewerbeausstellung in Weimar 50 Gewerbefreiheit 39, 56 Gewerbliche Fortbildungsschule 303 Freie Gewerkschaften 254 Großherzogliche Gewerbeschule Jena 247 Glastechnisches Laboratorium Schott & Gen. Jena 110-113,178, 185 Glastechnische Versuchs-Anstalt Jena 101-109 Historiographie zum Zeiss-Unternehmen 3-10 Interferenzmeßapparat 209

Elektrifizierung 134 Entfernungsmesser 230 Entlassungen 269-270,273-276 Entlastungsmontierung 217-218, 236

Jalousiefabrik Heinrich Freese Berlin 171 Jenaer Baugenossenschaft 302 Jenaer Turnverein 300

342

Sachregister

Rammgarnspinnerei Eichel-Streiber Eisenach 61 Kataloge und Prospekte 36, 40,

80 Romparatoren 209-210 Rongreß der russischen Ärzte in Moskau 158-159 Ronstruktionsbüros 234-236 Ronzession für das Atelier für Mechanik 16,20-22 Krankengeld 169 Kurzarbeit 296 Ladengeschäft 25, 53 Landesdirektion des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach 21-22

Längenmeßinstrumente 211 Lehrausbildung 42-43, 246-247 Maschinenfabrik Rollé und Schwiqué Wien 18 Maschinenpark 11,25,41,50-51, 130, 134-135 Mechanische Werkstatt C. Lüttig Berlin 18 Mechanische Werkstatt von Georg Oberhäuser Paris 56 Medizin 2,19,38,118 Militärfeldstecher 223-228 Mikroskopbau 66-67, 69, 81,130135,149,202-204, 316-317, 323324 Mikroskope Immersionsmikroskope 56-58, 68, 81-85, 88-89 Lupen-Mikroskope 25-29, 39-40, 44-49 Präpariermikroskope 58, 316 Spaltultramikroskope 203 UV Mikroskope 203 Zusammengesetze Mikroskope 44, 50,81 Mikroskopgeschäft 44-49, 57-58, 77-78, 81, 87-88,118-119, 149-154, 204 Mikroskopiker 118-119 Mikroskopisch-Anatomisches Institut Zürich 57 Mikroskoptheorie 68-77, 84-85

Mikrophotographische Einrichtung 150-151 Militärabteilung 230 Militärfeldstecher von Zeiss 225-229 Militärgeschäft 199, 223-224 Ministerialfonds für wissenschaftliche Zwecke 172-174 Naturwissenschaften 19-20, 38 Naturwissenschaftlicher Verein Eisenach 61 Optisches Glas 10,17,77,90-113, 150, 204,210,214,232 Optische Handelsware 25 Optische Meßgeräte 67,209-212 Optische Militärinstrumente 1, 229232 Patentpolitik 232-234 Pensionswesen 175,287-295, 335 Photometer 210 Photoobjektive 199, 204-208 Physikalischer Verein Frankfurt a. M. 63-64 Politik Kaiser Wilhelm II. 163-165 Polytechnisches Institut Wien 18 Preisverzeichnisse und Kataloge 35, 39, 49, 80-84 Refraktometer 67-68, 209,211 Repsold & Söhne Berlin 216 Revolution 1848 in Jena 30-31 Rüstungspolitik der Deutschen Reiches 164-165,223-224 Sächsisch-Thüringische KupferBergbau und Hüttengesellschaft Eisenach 53 Scherenfernrohr 230 Fa. Schott & Gen. 6 Sophienheilstätte bei Berga 303 Sozialdemokratie 163-164,166, 254, 270,276, 300 Sozialpolitik der deutschen Reichsregierung 166-171 Sphärometer 67, 209 Spektralapparat 68

Sachregister Spektrograph 210 Spektrometer 67, 75, 98, 209 Sowjetische Militärverwaltung 6 Staatsregierung des Großherzogtums Sachsen-Weimar Eisenach 173180,190-191 Stereotelemeter 230 Technische Mechanik 19 Teleskopische Abteilung 226-233 Testplatte 75 Universität Göttingen 62-63, 66 Universität Greifswald 37-38 Universität Jena 15-18, 20, 23, 25, 30-31,171, 173-174,180,190,271, 295-299 Universitätsfonds der Carl Zeiss-Stiftung 296-299 Verein der wissenschaftlichen Mitarbeiter 261 Verein Frauenwohl Jena 303 VEB Carl Zeiss Jena 7 Verfassung des Zeiss-Unternehmens 11,195-198 Volkshaus 301-302 Volkslesehalle 299 Werkstatt- und Werk 5-10, 24-25, 54-55, 87-89, 119-120, 125-135, 236-239

343

Werkzeugmaschinenfabrik August Hamann Berlin 24-25,41 Wirtschaft in Deutschland 18-19, 38-39,118,165-166, Wirtschaftliche Lage der Zeiß'schen Werkstätte und des Zeiss-Werkes 18-19, 33-37, 39, 41,43-44, 52, 89-90,118,151-154,198-202, 220, 315,318, 325-239,286-70 Carl Zeiss-Stiftung 4-5,169,171 Bildungsförderung durch die Stiftung 299-303 Entstehung der Stiftung 174-190 Stiftungsbevollmächtigter 191 Stiftungskommissar 191-192, 229, 272 Stiftungsstatut 1,4-5, 9,11, 188189 Stiftungsurkunde 179-180, 189 Stiftungsverfassung 190-192 Stiftungsvermögen 180, 303-305, 336 Stiftungsverwaltung 178, 184 Sozialverfassung der Stiftung 284-285 Verfassung des Stiftungsunternehmens 195-198 Wissenschaftsforderung durch die Stiftung 295-299 Carl Zeiss Oberkochen 6-8 Zielfernrohr 229

Abbildungsverzeichnis

Abb. 1 Einfaches Mikroskop oder Lupenmikroskop aus der Zeiß'schen Werkstatt 27 Abb. 2 Carl Zeiß im 47. Lebensjahr (1863) mit zusammengesetzem Mikroskop 51 Abb. 3 Optische Werkstatt von 1864, August Löber mit Gehilfen und Lehrlingen 55 Abb. 4 Ernst Abbe als Privatdozent um 1865 65 Abb. 5 Abbescher Beleuchtungsapparat von 1872 68 Abb. 6 August Löber mit den ältesten Mitarbeitern 79 Abb. 7 Zusammengesetze oder Tubusmikroskope, Typ Stativ I und III, 1878/79 82, Umschlagrückseite Abb. 8 Ernst Abbe nach 1880 91 Abb. 9 Otto Schott um 1900 97 Abb. 10 Roderich Zeiß 120 Abb. 11 HugoRuss 128 Abb. 12 Dreherei vor 1900 131 Abb. 13 Mechanikerdrehbank mit Fußantrieb 133 Abb. 14 Mechanikerdrehbank umgerüstet auf Transmissionsantrieb 133 Abb. 15 Poliermaschine um 1900 133 Abb. 16 Carl Zeiß im Alter 157 Abb. 17 Wissenschaftliche Mitarbeiter und Optikrechner, 1891 202 Abb. 18 Zwei Objektive der neuen Generation, Anastigmat 1:4,5 und Tessar 1: 3,5 in Normalfassung mit Iris 207 Abb. 19 Butterrefraktometer, älteste Form 211 Abb. 20 Astro-Linsenschleiferei um 1903 216 Abb. 21 Astro-Werkstatt um 1904 217 Abb. 22 Erster Zeiss-Prismen-Feldstecher 223, vordere Umschlagklappe Abb. 23 Besprechung der Geschäftsleitung mit der Artillerie-Prüfkommission, 1905 231 Abb. 24 Wissenschaftler und Techniker 237 Abb. 25 Volkshaus in Jena 302 Abb. 26 Ernst Abbe am Gartentor seines Wohnhauses 308 Färb. Abb. I Färb. Abb. II Färb. Abb. III u. Umschlagvorderseite Färb. Abb. IV

Ernst Abbe im 63. Lebensjahr (1903), nach einem Ölgemälde von K. Naumann, Jena Carl Zeiss, Optische Werkstätte, Jena, 1846 - 1896 Das Zeisswerk im Jahre 1902 Patenturkunde zum Warenzeichen „Carl Zeiss Jena" im Linsenrahmen von 1904

Ernst Abbe im 63. Lebensjahr (1903), nach einem Ölgemälde von K. Naumann, Jena

Vorstehendes Warenzeichen ist auf Grund des Gesetzes zum Sohutz der 5 Warenbezeichnungen vom

13.

II. Oi.

vom

12. Mai 1894 für « I x w v t a

gemäß

der

Anmeldung

V G f J . X t v / o , C'A/s-Cb

unter

'WM/ Zeiohenroiie eingetragen. — Aktenzeichen

• I I II

Klasse

Geschäftsbetrieb, in welchem das Zeichen verwendet werden soll:

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VJu&dättt'-

Waren, für welohe,~eL$5 Zeichen bestimmt ist: MAAAJ 4JLMM,

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^ß^OM.dtliil'j-

Patenturkunde zum Warenzeichen „Carl Zeiss Jena" im Linsenrahmen von 1904

itw.-.^'^it