Wissensvermittlung in der Kinder- und Jugendliteratur der DDR: Themen, Formen, Strukturen, Illustrationen [1 ed.] 9783737006781, 9783847106784


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German Pages [455] Year 2017

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Wissensvermittlung in der Kinder- und Jugendliteratur der DDR: Themen, Formen, Strukturen, Illustrationen [1 ed.]
 9783737006781, 9783847106784

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Sebastian Schmideler (Hg.)

Wissensvermittlung in der Kinderund Jugendliteratur der DDR Themen, Formen, Strukturen, Illustrationen

Mit 120 Abbildungen

V& R unipress

Gedruckt mit freundlicher Unterstþtzung des Zentrums fþr Lehrerbildung der TU Chemnitz.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet þber http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-7370-0678-1 Weitere Ausgaben und Online-Angebote sind erhÐltlich unter: www.v-r.de  2017, V& R unipress GmbH, Robert-Bosch-Breite 6, D-37079 Gçttingen / www.v-r.de Alle Rechte vorbehalten. Das Werk und seine Teile sind urheberrechtlich gesch þtzt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen FÐllen bedarf der vorherigen schriftlichen Einwilligung des Verlages. Titelbild: »Von Anton bis Zylinder«, Staatsbibliothek Berlin – Preußischer Kulturbesitz, Kinder- und Jugendbuchabteilung, Sign. BXXIII, 125.  Beltz & Gelberg

Inhalt

Sebastian Schmideler (Chemnitz/Leipzig) Wissensvermittlung in der Kinder- und Jugendliteratur der DDR. Einführung in den Sammelband . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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I. Grundlagen Sebastian Schmideler (Chemnitz/Leipzig) Zur Sache mit dem Sachbuch in der Kinder- und Jugendliteratur der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Reiner Neubert (Zwickau) Von Ardenne bis Zeiske. Anmerkungen zur Sachliteratur für Kinder und Jugendliche in der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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II. Themen Gina Weinkauff (Heidelberg) »Erzähl er nur weiter, Herr Urian!« Stellvertretende Welterkundungen in der Kinder- und Jugendliteratur der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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Heidi Nenoff (Leipzig) Zwischen Traum und Wirklichkeit. Literarische Utopien für Jugendliche in der DDR am Beispiel von Reimar Gilsenbachs Der ewige Sindbad (1975) und Joachim Walthers Der Traum aller Träume (1987) . . . . . . .

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Geralde Schmidt-Dumont (Hamburg) Fortschritt versus Erbe-Bewahrung und Ökonomie versus Natur. Sachbücher für Kinder und Jugendliche der DDR aus den Jahrgängen 1981, 1982 und 1983 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115

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Inhalt

Jana Mikota (Siegen) »Da in unserer Republik die Naturreichtümer dem Volke gehören, sind auch alle Menschen zu ihrem Schutz verpflichtet.« Natur- und Umweltfragen in Sachbüchern für Kinder und Jugendliche aus der DDR . 141 Maren Ahrens (Berlin) / Maria Becker / Maria Scholhölter (Dortmund) »Nicht nur ein gutes altes Ostprodukt!« Ein Gespräch mit der Lektorin Maren Ahrens über Wissensvermittlung in der Zeitschrift MOSAIK . . . 161

III. Formen Wiebke Helm (Leipzig) Experimentierfeld Sachbuch. Heterogenes Erzählen und Darstellen in der enzyklopädischen Serie Mein kleines Lexikon . . . . . . . . . . . . . . . 185 Sebastian Schmideler (Chemnitz/Leipzig) Das Kinderlexikon Von Anton bis Zylinder als populärwissenschaftliche Weltanschauungsliteratur im Kontext: Entstehung, Spezifik von Bild und Text, Auflagengeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 Maria Becker (Dortmund) Das Sachwissen vermittelnde Bilderbuch der DDR in den siebziger und achtziger Jahren: Die Reihen Schlüsselbücher (1975–1990) und Ein Tag im Leben… (1975–1990) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 Bettina Kümmerling-Meibauer (Tübingen) / Jörg Meibauer (Mainz) »Keines zu klein, Helfer zu sein«. Das deskriptive Bilderbuch in der DDR zwischen Information und Propaganda . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 Jörg Meibauer (Mainz) Das Sprachspielbuch Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel (1978) von Franz Fühmann . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 293

IV. Strukturen Karin Richter (Erfurt) Zwischen Erzählung und Sachliteratur. Gedanken für weiterführende Forschungen zur Kinder- und Jugendliteratur der DDR . . . . . . . . . . 313 Andr8 Barz (Siegen) Geschichtswissen vermittelnde fiktionale Kinderliteratur der DDR: Gerda Rottschalks Kinderbücher über die Urgesellschaft . . . . . . . . . 329

Inhalt

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Thomas Arnold (Chemnitz/Leipzig) Historische Erzählungen im Schulunterricht. Herbert Mühlstädts »Der Geschichtslehrer erzählt« im geschichtsdidaktischen Kontext . . . . 355 Sebastian Schmideler (Chemnitz/Leipzig) Vom »Kaleidoskop« bis zur »Bilderbude«. Visuelle und visualisierende Anschauungsbildung in der populärwissenschaftlichen Kinder- und Jugendliteratur der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381

V. Illustrationen Andreas Bode (München) Illustration im Sachbuch der DDR. Stil, Stilisierung und Technik . . . . . 407 Anne Preuß (Potsdam) Anmerkungen zum Beitrag des Grafikers Gerhard Preuß zur Kinder- und Jugendliteratur der DDR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 Autorenverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 445 Abbildungsnachweis

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 451

Sebastian Schmideler (Chemnitz/Leipzig)

Wissensvermittlung in der Kinder- und Jugendliteratur der DDR. Einführung in den Sammelband

Zum Aufbau des Sammelbandes Die vorliegende Veröffentlichung möchte einen Anfang machen, die Sachliteratur für Kinder und Jugendliche der DDR verstärkter literatur- und kulturwissenschaftlich zu analysieren. Sie geht auf eine Konferenz zurück, die vom 9. bis 11. März 2016 am Zentrum für Lehrerbildung im Tagungshaus im Innenhof des Hauptgebäudes der Technischen Universität Chemnitz stattfand. Kinder- und Jugendliteraturwissenschaftlerinnen und -wissenschaftler aller Generationen und aus der gesamten Bundesrepublik waren dazu eingeladen, die zahlreichen offenen Fragen zu diskutieren, die Sachbücher in der Kinderund Jugendliteratur der DDR aufwerfen. Der Sammelband ist in die Rubriken Grundlagen, Themen, Formen, Strukturen und Illustrationen untergliedert. In diesen verschiedenen Abschnitten werden spezielle Einzelfragen, die sich zum Gegenstand der kinder- und jugendliteraturwissenschaftlichen Analyse von Sachbüchern ergeben, exemplarisch in Einzelbeiträgen thematisiert und an zahlreichen Beispielen aus der Kinder- und Jugendsachbuchproduktion der DDR erörtert. Die Aufsätze haben jeweils einen rubrizierten gemeinsamen inhaltlichen Bezugspunkt. Auf diese Weise sollen gleichsam Bausteine entstehen, die für eine künftige Geschichte der Kinder- und Jugendsachbücher der DDR im Zusammenhang mit einer weiterführenden Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur in diesem Land unter Berücksichtigung der Sachbuchproduktion Verwendung finden können.

Grundlagen Sebastian Schmideler aus Leipzig versucht in seinem Artikel Zur Sache mit dem Sachbuch in der Kinder- und Jugendliteratur der DDR einen Überblick zu den Grundlagen der Erforschung von Wissensvermittlung in der Kinder- und Jugendliteratur der DDR zu geben. Über 3.000 Sachbücher sind zwischen 1949 und

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1989 für diese Zielgruppe erschienen – eine Zahl, die im Widerspruch steht zu den Anstrengungen, die bislang in der Kinder- und Jugendliteraturwissenschaft zu ihrer Erforschung unternommen wurden. Nach einer Problematisierung der schwierigen Abgrenzung und Definition des Begriffs Sachbuch innerhalb der allgemein literaturwissenschaftlichen ebenso wie der kinder- und jugendliteraturwissenschaftlichen Diskussion geht es im Schwerpunkt um die theoretische Basis dessen, was die Kinder- und Jugendliteratur der DDR unter einem Sachbuch verstand. Dabei zeigt sich nicht nur, dass die theoretische Diskussion um das Sachbuch für Kinder und Jugendliche vielfältiger war als bislang angenommen, sondern auch, dass Aspekte wie die zunehmende Ästhetisierung, Emotionalisierung und die Nähe zur Schulliteratur entscheidende Abgrenzungsphänomene der populärwissenschaftlichen Kinder- und Jugendliteratur zu Entwicklungen in anderen, westeuropäischen Ländern darstellten. Der Zwickauer Kinder- und Jugendliteraturspezialist Reiner Neubert, der bereits 2006 den Artikel zu diesem Gegenstand im Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR. Von 1945 bis 1990 verfasst hat, charakterisiert in seinem grundlegenden Beitrag Von Ardenne bis Zeiske. Anmerkungen zur Sachliteratur für Kinder und Jugendliche in der DDR in einer Gesamtzusammenschau Traditionslinien, Perioden und exemplarische Beispiele aus der Entwicklungsgeschichte des Genres. Dabei ist es das Ziel von Neuberts Artikel, Besonderheiten der Periodisierung zu rekonstruieren und charakteristische Entwicklungen der Sachliteratur für Kinder und Jugendliche in den Blick zu nehmen. Neubert schildert in zahlreichen einzelnen Buchporträts anschaulich, welche konkreten Sachbücher für welche typischen Erscheinungen der Sachliteratur stehen können. Dabei zeigt sich: Nach einer Konsolidierungsphase mit dem Ziel der Etablierung einer genuin sozialistischen Sachliteratur waren die fünfziger Jahre geprägt durch die Dominanz eines bildungspolitisch bestimmten Zugangs zur Sachliteratur, wobei speziell naturwissenschaftlich-technische Sachbücher, nicht selten in Reihen distribuiert, die Entwicklung mitbestimmten. In den sechziger Jahren differenzierte sich die Sachliteratur für junge Leser i. e. S. zu einem »wesentlichen Bestandteil« der Literaturproduktion für Kinder und Jugendliche aus. Dabei ist »die Einheit von Bildung, Erziehung und Unterhaltung« maßgebend gewesen. Damit einher ging ein »höherer ästhetischer Anspruch«. In den siebziger Jahren stieg der Anteil der Sachliteraturproduktion bedeutend an, eine Tendenz, die sich in den achtziger Jahren nochmals entscheidend verstärkte. Die Einbeziehung renommierter Illustratoren in die Sachbuchproduktion für Kinder und Jugendliche sowie die Auszeichnung von Sachbüchern für diese Zielgruppe dokumentieren die gestiegene Wertschätzung dieser Literatur für junge Leser in diesem Zeitraum.

Wissensvermittlung in der Kinder- und Jugendliteratur der DDR

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Themen Sachbücher der Kinder- und Jugendliteratur der DDR können mit Blick auf ihr Thema kultur- und literaturwissenschaftlich untersucht und kategorisiert werden. Allerdings prägen wiederum sowohl die verschiedenen Sachbuchtypen wie Sachbilderbuch oder Lexikon bzw. »Wissensspeicher« als auch die zahlreichen gattungstransgressiven Elemente der Wissensvermittlung die Darstellung der Themen dieser Sachliteratur entscheidend. Kinder- und Jugendbücher der Sachliteratur der DDR sind deshalb zwar hinsichtlich ihrer jeweils adressatenspezifischen narrativen Struktur formal und inhaltlich zwischen Fakt und Fiktion situiert. Die Themen der Sachliteratur stehen jedoch ebenso in einem spezifisch weltanschaulichen Kontext, der rekonstruiert und bei der Interpretation berücksichtigt werden muss, um die Bedeutung dieser Texte für die Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur der DDR zu analysieren. Die Beiträge dieser Rubrik sollen exemplarisch und anschaulich zeigen, wie Themen aus so unterschiedlichen Wissensbereichen wie literarische Reiseerkundung, literarische Utopien, Geschichte, Güterproduktion, Umwelt und Natur in der sozialistischen Kinder- und Jugendsachbuchproduktion der DDR konkret im Sachbuch für Kinder und Jugendliche vermittelt worden sind. Dabei werden Tendenzen der Entwicklung der Sachliteratur deutlich, die speziell den spezifisch sozialistischen Blick der DDR auf die Inhalte der Wissensvermittlung erkennen lassen, allerdings auch zahlreiche Abweichungen vom ideologisch Erwartbaren zeigen können. Die Heidelberger Kinder- und Jugendliteraturforscherin und Literaturdidaktikerin Gina Weinkauff gibt in ihrem Artikel »Erzähl er nur weiter, Herr Urian!« Stellvertretende Welterkundungen in der Kinder- und Jugendliteratur der DDR einen Gesamtüberblick über die Entwicklung der Gattung der Reiseliteratur für Kinder und Jugendliche im Verlauf von vierzig Jahren. Sie kann dabei auf vielfältige Kenntnisse aus einem reichen Quellenfundus zurückgreifen, den sie im Rahmen eines von der Volkswagen-Stiftung geförderten Projekts am Institut für Germanistik der Universität Leipzig gesammelt und ausgewertet hat. Dass Reiseliteraten in der DDR als »Einäugige im Lande der Blinden« gehandelt wurden, mag erklären, weshalb die vielfältigen Gattungstransgressionen der Reise- und Abenteuerliteratur für Kinder und Jugendliche zwischen Fiktion und Fakt und zwischen Wahrheitsanspruch und verschiedenen Wirklichkeitsmodellen stets Konjunktur hatten. Nach einem kleinen Exkurs in die Gattungsmuster der Reiseliteratur für junge Leser zeigt Gina Weinkauff, dass für die Entwicklung in den fünfziger und sechziger Jahren eine Hochphase der »Abenteuer der Wirklichkeit« rekonstruiert werden kann. Autoren wie Erich Wustmann, Ludwig Renn, Götz R. Richter, Eduard Klein, Kurt Kauter und nicht zuletzt die bekannte »grand old lady des Indianerromans« Liselotte Welskopf-

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Henrich sowie Günter Feustel schildern den Kindern und Jugendlichen in der DDR in realistischen Darstellungen insbesondere die fremden Völker Amerikas literarisch. Dabei war stets auch eine Prise Revolution und Freiheitskampf mit dem literarischen Einatmen eines Hauchs der großen weiten Welt bei der Begegnung der Leserschaft mit diesen »stellvertretenden Welterkundungen« verbunden. Eine neue Dimension nahm die Reiseliteratur für Kinder Ende der siebziger Jahre an, als der Kinderbuchverlag Berlin eine eigene, international ausgerichtete Reihe konzipierte und realisierte. Dort gaben Auftragsreisende Auskunft über sog. Putjowkas, wie diese literarischen Dienstreisen genannt wurden. Bekannte DDR-Kinderbuchautoren wie Uwe Kant und Willi Meinck waren als abgesandte Reisekader aus dem »Lande der Blinden« gleichsam in Stellvertretung für die jungen Leser unterwegs und berichteten über ihre mitunter ziemlich »einäugigen« Beobachtungen im dokumentarischen Stil. Oftmals autobiografisch getönte journalistische Formen des Reisefeuilletons wurden hier für die Bedürfnisse der sozialistischen Kinder- und Jugendliteratur gattungstransgressiv und ästhetisch breit gefächert aktualisiert, zumal die Bände nicht nur wegen ihrer fernen Reiseziele, sondern auch wegen ihrer illustrativen Ausstattung attraktiv waren. Gina Weinkauff stellt dar, dass hauptsächlich die Reisen in die Sowjetrepubliken in den Fokus des Interesses rückten und dabei auch so manches geschönte Bild des »großen Bruders« Sowjetunion, das in diesen Reisebänden in Wort und Bild geschildert wird, ziemlich zurechtgerückt erscheint. Hierunter zählen Topoi, die auch in weiteren Bänden der internationalen Reihe aus der großen weiten Welt sichtbar werden, wie »die Erklärung von Armut und Entwicklungsrückständen mit der kolonialen Vergangenheit des jeweiligen Landes und die Apologie des technischen Fortschritts«. Aber auch die Vermeidung »plakativer politischer Sinnangebote« ist für einige Bände dieser Reihe wie Willi Meincks literarische Reise nach Indien charakteristisch. Die Leipziger Johann-Gottfried-Schnabel-Forscherin und Utopie-Expertin Heidi Nenoff widmet sich in ihrem Artikel Zwischen Traum und Wirklichkeit. Literarische Utopien für Jugendliche in der DDR am Beispiel von Reimar Gilsenbachs Der ewige Sindbad (1975) und Joachim Walthers Der Traum aller Träume (1987) einem Thema der literarischen Wissensvermittlung. Fokussiert wird nicht nur der weltanschauliche Kontext, in den die literarischen Utopien gestellt worden sind, auch das durchaus beachtliche subversive Potenzial, das unter den Bedingungen der Rezeption in der DDR in diesen Texten lag, wird von Heidi Nenoff eingehend untersucht. Dabei wird deutlich, dass Reimar Gilsenbach aus der Perspektive eines konsequenten Urkommunisten mit regimekritischen appellativen Absichten an das damalige jugendliche Publikum auf der Suche nach den Idealen des Kom-

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munismus im 19. Jahrhundert und deren Vorläufer in der Literaturgeschichte der Utopien war. Auffällig ist in diesem Zusammenhang der hohe ästhetische Anspruch, der in Gilsenbachs Der ewige Sindbad eingelöst wurde. Joachim Walthers Anthologie mit Auszügen aus der Geschichte der Utopien lässt hingegen auf subtile Weise die Utopien selbst als subversive Texte für sich sprechen – und dies nur zwei Jahre vor der Zweihundertjahrfeier der Französischen Revolution. Walther differenziert dabei zwischen Utopien als Gegenentwurf zu bestehenden Welten einerseits und Utopien als Aktionsprogrammen für politisches Handeln andererseits. Auch hierin weist sich eine Form der stillen und subtilen Opposition zur DDR-Wirklichkeit der Entstehungszeit dieser Anthologie. Sowohl Gilsenbach als auch Walther vernachlässigen allerdings die spezifisch literarische Struktur literarischer Utopien und entkleiden die Texte durch Bearbeitung oder Kürzung von wichtigen formalen Merkmalen, deren gattungskonstitutive Bedeutung von der neueren Literaturwissenschaft im Detail erforscht worden ist, wie Heidi Nenoff verdeutlichen kann. Beide entscheiden sich zugunsten einer Instrumentalisierung der literarischen Werke für ihre Zwecke, wie Heidi Nenoff abschließend zu plausibilisieren versucht. Doch gerade in diesem doppelbödigen Spiel mit der Bedeutung von literarischen Utopien zeigt sich in besonderer Weise die Vielschichtigkeit der Formen und Funktionen von literarischer Wissensvermittlung in der Jugendliteratur der DDR. Die Hamburger Bibliothekarin Geralde Schmidt-Dumont betrachtet in ihrem Artikel Fortschritt versus Erbe-Bewahrung und Ökonomie versus Natur. Sachbücher für Kinder und Jugendliche der DDR aus den Jahrgängen 1981, 1982 und 1983 einen Ausschnitt der Sachliteraturproduktion der DDR in einem Querschnitt. Sie stellt dar, welche, für bestimmte Tendenzen der Entstehungszeit typische Sachbücher für Kinder und Jugendliche parallel erschienen sind und was für Beobachtungen sich daraus hinsichtlich der spezifischen kinder- und jugendliterarischen Entwicklung der Sachliteratur der DDR aus den Jahrgängen 1981, 1982 und 1983 ableiten lassen. Aus der Fülle des Materials greift Geralde Schmidt-Dumont sieben Sachbücher aus den für das Selbstbild des Sozialismus zentralen thematischen Bereichen Geschichte, Güterproduktion und Natur heraus. Sie stellt diese Bände in kritischen Buchporträts vor, um daran die Dialektik der in diesen Büchern vertretenen weltanschaulichen Probleme und der damit in Beziehung tretenden individuellen Standpunkte der Autorinnen und Autoren zu dokumentieren. Es geht Geralde Schmidt-Dumont darum, exemplarisch »das Selbstverständnis der DDR-Gesellschaft« darzustellen, das aus diesen Sachbüchern in der Tendenz durch Vergleiche mit Parallelveröffentlichungen sichtbar wird. Dabei wird auch die formale ästhetische Gestalt der Bände analysiert und das Verhältnis von Text und Illustration untersucht.

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Geralde Schmidt-Dumont identifiziert in ihrem Aufsatz anhand der sieben näher betrachteten Sachbücher eine breite Palette verschiedener Positionen in einer Gesellschaft im Wandel: angepasste Autoren, innovative Illustratoren, Abweichler und Oppositionelle. Die Vielfalt der Gestaltungsmöglichkeiten von Sachbüchern zwischen sozialistischer Linientreue und subversivem Widerstand wird durch diesen Querschnitt deutlich erkennbar, wobei insbesondere Reimar Gilsenbach mit seinem kritischen Umwelt- und Naturschutzbuch Rund um die Natur einiges riskierte und Mut und Entschlossenheit bewies. Die Siegener Kinder- und Jugendliteraturwissenschaftlerin und Literaturdidaktikerin Jana Mikota verfolgt in ihrem Artikel »Da in unserer Republik die Naturreichtümer dem Volke gehören, sind auch alle Menschen zu ihrem Schutz verpflichtet.« Natur- und Umweltfragen in Sachbüchern für Kinder und Jugendliche aus der DDR am Beispiel ausgewählter Titel in ihrer kontextualisierenden Analyse konkrete Fragen: »Wie werden Natur- und Umweltschutz in den Sachbüchern vermittelt? Reagieren Sachbücher auf bestimmte Gesetze der DDR zum Thema Natur- und Umweltschutz? Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Sachbuch und der Rechtssprechung in der DDR?« Jana Mikota reflektiert zunächst ausführlicher die Bedingungen und das Selbstverständnis von Umweltund Naturschutz im Verlauf der Geschichte der DDR, bevor sie die ausgewählten Sachbücher exemplarisch analysiert. Im Ergebnis stellt Mikota fest, dass sich bspw. einige Beiträge der fünfbändigen sowjetischen Reihe Die jungen Naturforscher (1951–1955) »wesentlich früher mit Umwelt- und Naturfragen auseinandersetzen, als dies in fiktionalen Texten in West- und Ostdeutschland geschehen ist«, wobei Natur- und Umweltfragen auch zu einem Teil von politisch motivierten Aktionen werden, die Kinder und Jugendliche zum Schutz von Umwelt und Natur im Sinn des Naturschutzgesetzes umsetzen sollten. Seit Ende der siebziger und Anfang der achtziger Jahre begann das Bewusstsein für Natur und Umwelt im Sachbuch für Kinder und Jugendliche zunehmend an Bedeutung zu gewinnen. Die DDR folgte auch hier Tendenzen, die für die Entwicklung in Westdeutschland ebenso typisch waren. Eine Besonderheit stellt hierbei das Werk von Reimar Gilsenbach dar, der aus marxistischer Sicht Kritik an der durch den Kapitalismus entstandene Natur- und Umweltzerstörung übte, allerdings auch die Defizite der DDR im Natur- und Umweltschutz klar beim Namen nannte. Die beiden Dortmunder Literaturwissenschaftlerinnen Maria Becker und Maria Scholhölter gehen in ihrem Interview »Nicht nur ein gutes altes Ostprodukt!« Ein Gespräch mit der Lektorin Maren Ahrens über Wissensvermittlung in der Zeitschrift MOSAIK den Spuren nach, die für Kinder der DDR aufbereitetes Wissen in dieser noch heute erfolgreichen Bilderzeitschrift hinterlassen hat. Die langjährige Lektorin des MOSAIK Steinchen für Steinchen

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Verlags, Maren Ahrens, steht den beiden Interviewerinnen Rede und Antwort und zeichnet nicht nur die Geschichte der Bilderbuchzeitschrift in der Zeit der DDR nach, sondern gibt auch Auskunft über die aktuelle Entwicklung des MOSAIK. Im Gespräch werden sowohl der Arbeitsalltag als auch die Entstehungsprozesse des Hefts und die Themenfindung im Vergleich vor und nach der Wiedervereinigung deutlich. Anschaulich erläutert wird der Wandel der Wissensvermittlung in der Bilderzeitschrift zwischen Bildungsanspruch, Unterhaltung, Humor und Komik. In den Blick gerückt werden ebenfalls die Verlagsgeschichte des MOSAIK und die gegenwärtige Verantwortung, die sich aus der historischen Entwicklung ergibt. In einem weiteren Teil des Gesprächs stehen Fankultur und Leserschaft der Zeitschrift im Fokus.

Formen Neben den Inhalten sind es die Formen der Sachliteratur für Kinder und Jugendliche, die prägend für die adressatenspezifische Wissensvermittlung sind. Wissensspeicher wie das Sachlexikon für Kinder und Jugendliche oder das Sachbilderbuch, das eher deskriptiv oder auch eher erzählend sein kann, sind bspw. derartige Formen, die sich als typisch für Sachliteratur für Kinder und Jugendliche identifizieren lassen. Diese Spezifik der Form von Sachliteratur kann überdies z. B. Einfluss auf die Gewichtung des Anteils von Unterhaltung und Belehrung sowie das spezifische Verhältnis von Fakt und Fiktion, von Informationsorientierung und unterhaltender Erzählabsicht nehmen, die kennzeichnend für den jeweiligen Sachbuchtypus ist, zumal Sachliteratur nicht selten seriell konzipiert und distribuiert wird. Auch der Anteil und das Verhältnis bzw. die Verknüpfung (Interdependenz) von Text und Illustration wird wesentlich durch die Formen der Sachliteratur für Kinder und Jugendliche mitbestimmt. Diese vielfältigen formalen Varianten von Sachbüchern und die sich daraus ergebenden ästhetischen Gestaltungsmöglichkeiten machen die Sachliteratur zu einem ebenso spannenden wie herausfordernden Gegenstand der Kinder- und Jugendliteraturforschung. Die Beiträge dieser Rubrik sollen einige zentrale Formen wie das in Serien konzipierte Sachbilderbuch, das deskriptive Bilderbuch, das Kinderlexikon und die enzyklopädische Serie als Wissensspeicher für Kinder mit Blick auf die Spezifik der formalen Entwicklung in der Kinderliteratur der DDR fokussieren. Die Sachbuchforscherin und Kinder- und Jugendliteraturwissenschaftlerin Wiebke Helm aus Leipzig untersucht in ihrem Beitrag Experimentierfeld Sachbuch. Heterogenes Erzählen und Darstellen in der enzyklopädischen Serie Mein kleines Lexikon diese populäre Sachbuchreihe in der Kinderliteratur der

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DDR primär unter dem Aspekt der Rekonstruktion von Aufbau und Struktur der Reihe, durchaus unter Berücksichtigung der »ideologischen Inanspruchnahme«. Wiebke Helm setzt sich zum Ziel, »zusammenfassend die Rezeptionsgeschichte der insgesamt sehr facettenreichen Reihe« vorzustellen, deren »Erscheinungsbild« zu konkretisieren und »Besonderheiten in der Darstellungsweise« zu benennen. Ausführlich beschreibt Wiebke Helm nach einer Diskussion der Frage, ob Kinderlexika Teil der Sachliteratur für Kinder seien, Zahlen, Titel und Namen, die mit der Reihe Mein kleines Lexikon verbunden waren. In den Fokus rücken weiterhin Betrachtungen zur Ausstattung, Struktur und Narration, wobei Wiebke Helm in ihren Ausführungen speziell den experimentellen Charakter der Reihe akzentuiert. Vorgestellt wird abschließend eine »Reihe in der Reihe« Mein kleines Lexikon, die der jungen Leserschaft Reiseerkundungen im Lexikonformat in sozialistische Bruderstaaten ermöglichen sollten. Im Ergebnis ihrer Untersuchung stellt Wiebke Helm fest: »In chronologischer Folge betrachtet, blieb Mein kleines Lexikon trotz aller gattungs- und serienbestimmenden Komponenten bis zum Erscheinen des letzten Bandes im Jahr 1990 eine Reihe im Experimentierstadium und damit eine Reihe im Wandel, die einen interessierten, großen Rezipientenkreis hatte, der mit jedem Titel der Edition ein besonderes Sachbuch in Händen hielt.« Der Kinder- und Jugendliteraturforscher Sebastian Schmideler aus Leipzig befasst sich in seinem Artikel Das Kinderlexikon Von Anton bis Zylinder als populärwissenschaftliche Weltanschauungsliteratur im Kontext: Entstehung, Spezifik von Bild und Text, Auflagengeschichte umfassend mit diesem bekannten Kindersachbuch, das sich von 1967 an bis heute erfolgreich auf dem Buchmarkt behaupten konnte. Allein bis 1987 war das Werk in siebzehn Auflagen erschienen. Nach einem theoretischen Rekurs auf das Selbstverständnis der Kinder- und Jugendliteraturwissenschaft der DDR zu Form und Inhalt eines sozialistischen Kinderlexikons wird im Detail rekonstruiert, unter welchen ästhetischen Prämissen auf der Wort- und auf der Bildebene hier der Versuch unternommen wurde, adressatenspezifische Anschaulichkeit im Zusammenhang mit der Herausbildung einer Weltanschauung der Kinder im Sinn der DDR zu erzeugen. Die Wandlungsfähigkeit des Kinderlexikons und die im Lauf der Auflagengeschichte immer wieder notwendig gewordenen Anpassungen zeigen im Ergebnis der Untersuchung, dass dieses Kinderlexikon ein »herausragendes alltags- und kulturgeschichtliches Dokument der Geschichte der DDR« ist. Die Dortmunder Kinder- und Jugendliteraturwissenschaftlerin und Literaturdidaktikerin Maria Becker, die mit einer Studie zu einem Thema der Kinderund Jugendliteratur der DDR promoviert wurde und zu den profilierten Nachwuchswissenschaftlerinnen in diesem literaturwissenschaftlichen Feld zählt, stellt in ihrem Beitrag Das Sachwissen vermittelnde Bilderbuch der DDR in den

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siebziger und achtziger Jahren: Die Reihen Schlüsselbücher (1975–1990) und Ein Tag im Leben … (1975–1990) zwei bedeutende Reihen der Sachbuchproduktion für Kinder der siebziger und achtziger Jahre vor. Beide Reihen waren auch international erfolgreich und in Lizenzen weit verbreitet. Sie erschienen im Altberliner Verlag von Lucie Groszer. Maria Becker spürt dem Formenreichtum dieser Sachbilderbücher nach und stellt ihren Inhalt in den Zusammenhang mit Diskursen zur Umweltthematik, die diese Bände gezielt aufgreifen. Detailliert wird der Innovationswert von TextBild-Interdependenzen rekonstruiert und kenntnisreich mit der Verlags- und Auflagengeschichte kontextualisiert. Im Ergebnis wird deutlich, dass die Schlüsselbücher primär naturwissenschaftlich sowie sachorientiert-informierend gewesen sind und hinsichtlich der Illustrationen speziell in der Form von Wimmelbildern gestaltet waren, während die Reihe Ein Tag im Leben … verstärkt einen ästhetisierten Zugang zur Welt der Tiere präferierte, der insbesondere über die piktorale Ebene vermittelt wurde. Beide Reihen tragen somit zur Poetisierung von Sachwissen für Kinder und Jugendliche in der DDR bei und versuchen den Anspruch einzulösen, Sachbücher für junge Leserinnen und Leser bei allem Realismus der Darstellung als ästhetische Kunstwerke zu gestalten. Die Tübinger Kinder- und Jugendliteraturforscherin Bettina KümmerlingMeibauer und der Mainzer Linguist Jörg Meibauer gehen in ihrem Artikel »Keines zu klein, Helfer zu sein«. Das deskriptive Bilderbuch in der DDR zwischen Information und Propaganda den Spuren nach, den das sog. Sachbilderbuch in der DDR hatte. Anhand einer exemplarischen Auswahl von 35 Titeln zu den Themen Technik, Großstadt, Berufe, Darstellung von Arbeitsprozessen und Biografien aus der Sachbilderbuchproduktion der Jahre zwischen 1951 und 1982 zeigen die Verfasser anhand einzelner Buchanalysen, in welchem Spannungsfeld zwischen Information und Propaganda sich der Prozess der Wissensvermittlung konkret bewegt hat. Dabei konzentrieren sie sich auf deskriptive Bilderbücher, die primär der »verlässlichen Information über Sachverhalte dienen«. Dabei werden verschiedenen Fragen an die analysierten deskriptiven Bilderbücher gerichtet: Wer präsentiert die Information? Wie detailliert ist die Information? Wie systematisch ist die Information? Gibt es Ebenen der Information? Was heißt Sachbezogenheit? Diese Fragen werden mit dem Blick auf propagandistische Elemente konfrontiert, um Strategien der Wissensvermittlung identifizieren zu können. Die beiden Verfasser extrapolieren auf diese Weise eine sachliche Strategie, eine speziell für historische Biografien charakteristische, propagandistische und eine für Verkehrserziehung und Stadtdarstellungen repräsentative gemischte Strategie als typisch für die Entwicklung des deskriptiven Bilderbuchs in der DDR. Der Gedanke, dass Kinder insbesondere als Pioniere und somit in der

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Rolle als Helfer beim Aufbau und der Sicherung der sozialistischen Gesellschaftsordnung eine besondere Rolle spielen, wird aus diesen Strategien zwischen Information und Propaganda deutlich. Der Mainzer Linguist Jörg Meibauer gibt in seinem Aufsatz Das Sprachspielbuch Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel (1978) von Franz Fühmann ein Buchporträt dieses Titels aus linguistischer Sicht. Fühmanns Sprachspielbuch, das auch nach dem Mauerfall von 1989 auf dem Buchmarkt präsent blieb und eines der bis heute bekanntesten ästhetisch anspruchsvollen Titel der Kinder- und Jugendliteraturproduktion der DDR darstellt, wird von Jörg Meibauer als ein Sachbuch der Sprachspiele identifiziert. Meibauer beschreibt aus linguistischer Perspektive, welche phonologischen, orthografischen, graphematischen, morphologischen, syntaktischen, semantischen und pragmatischen Anteile der Sprachlehre in diesem Sprachbuch thematisiert werden. Im Bereich der Sprachtheorie klärt Fühmann die Fragen: »Wie ist die Sprache entstanden?«, »Wie wandeln sich Sprachen und wie kann man Sprachen vergleichen?«, »Was sind sprachliche Gesetze?« Dazu dienen neben anerkannten Autoritäten aus Kultur- und Geistesgeschichte die Erläuterungen des Sprachgeistes Küslübertün. Jörg Meibauer verdeutlicht, dass das Sprachgeistlein mit den weltanschaulichen Ansichten, die es den Kindern vermittelt, unverkennbar »im ideologischen Kosmos des wissenschaftlichen Sozialismus verbleibt«. Im Fokus des Beitrags stehen außerdem die spielerischen und komischen Elemente dieses Sachbuchs der Sprachspiele, wobei Witz, Satire und Ironie als kennzeichnend identifiziert werden. Der ästhetische Anteil der Sprache wird in Fühmanns Sprachspielbuch speziell anhand von Lyrik veranschaulicht. Zitate aus Werken von Autoritäten der Sprachreflexion und Überlegungen zum Alltagsbezug der Sprachspiele in der DDR runden die Betrachtungen Meibauers ab. In der Quintessenz stellt Meibauer fest, dass das Buch mehr ist als nur ein Sachbuch der Sprachspiele und der spielerischen Belehrung über Sprache: »Es verfolgt aber einen weiteren Zweck: Kinder so über Sprache zu informieren, dass sie ihr ästhetisches Potenzial erkennen, ein Potenzial, von dem Fühmann glaubt, dass es den Kindern helfen wird, sich selbstständig und kritisch zu behaupten.«

Strukturen Form und Inhalt der Sachliteratur für Kinder und Jugendliche werden nicht zuletzt durch spezifische Strukturen beherrscht, die sich zwischen dem Thema der Wissensvermittlung und den (buch)gestalterischen formalen Merkmalen des jeweiligen Sachbuchtypus ergeben. Zu denken ist hierbei allerdings auch an Strukturen der Gattungstransgression, die sich als hybride Formen iden-

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tifizieren lassen, weil sie bewusst eine Mischung der Gattungen des Fiktionalen und Nichtfiktionalen anstreben. Typisch hierfür ist bspw. eine Mischform wie das Sachmärchen, das die Gattung Märchen zur Wissensvermittlung als Teil der Sachliteratur nutzt. Im ersten Beitrag dieser Rubrik wird besonders auf diese Mischformen eingegangen, die als Hybridisierungen beschrieben werden können. Derartige Strukturen berühren jedoch auch außerhalb dieser unmittelbaren ästhetischen Verbindungen von Inhalt und Form liegende Einflussfaktoren wie bspw. didaktisch-methodologische Kontexte, die thematische und ästhetische Tendenzen von Kinder- und Jugendsachbüchern ganz wesentlich bestimmen können. In den beiden auf den ersten Artikel folgenden Beiträgen dieser Rubrik wird die Nähe der Geschichtswissen vermittelnden Kinderliteratur zum Geschichtsunterricht der DDR unter dem Primat dieser strukturellen Bezüge exemplarisch in den Blick gerückt. Hier wird an konkreten Beispielen der didaktische bzw. methodologische Kontext deutlich, den Wissensvermittlung entweder indirekt in der Form von Erzählungen für Kinder (Gerda Rottschalk) oder direkt als Erzählstoff für den Geschichtsunterricht (Herbert Mühlstädt) in der DDR hatte. Rekonstruiert wird somit die interessante Schnittstelle der literarisch-ästhetischen Wissensvermittlung für Kinder zum schulischen Verwertungszusammenhang. Die Erfurter Germanistin, Kinderliteraturforscherin und Literaturdidaktikerin Karin Richter wendet sich in ihrem Artikel Zwischen Erzählung und Sachliteratur. Gedanken für weiterführende Forschungen zur Kinder- und Jugendliteratur der DDR speziell den Mischformen zu, die zwischen den Gattungen fiktionaler und nichtfiktionaler Texte changieren. Die Strukturen dieser Texte sind ausdrücklich so angelegt, dass sie mit den Formen spielen und Fakt und Fiktion ästhetisch schillernd erscheinen lassen. Dies zeigt Karin Richter anhand von Texten von Bodo Schulenburg (Markus und der Golem, 1987) und Willi Meinck. Auch in der informierenden Reiseliteratur der internationalen Reihe des Kinderbuchverlags Berlin, die sich seit Ende der siebziger Jahre auf dem Kinderbuchmarkt etablierte, werden solche gattungstransgressiven Elemente als strukturbildend deutlich, wie Karin Richter an vier exemplarischen Buchporträts verdeutlicht. In den Fokus rücken: Uwe Kants Roter Platz und ringsherum (1977), Richard Christs Der Spinatbaum in der Wüste (1978), Willi Meincks Delibab oder Spiel mit bunten Steinen (1978) und Edith Bergners Unterwegs mit Onkel Shiga (1981). Eine weitere Mischform, die zwischen fiktionalen und faktualen Narrationen situiert ist, sieht Karin Richter im Sachmärchen, das sie in einer Kurzanalyse von Rainer Kirschs Die Perlen der grünen Nixe (1979) und Martin Karaus Der König und die Graue Fee. Ein Märchen vom Salz (1983) veranschaulichend vorstellt. Damit verbunden ist in Karin Richters Artikel die Hoffnung, dass sich die Kinder- und Jugendliteraturforschung künftig

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stärker als bisher mit diesen interessanten Strukturen innerhalb derartiger Mischformen bzw. Hybridisierungen auseinandersetzen möge. Der Siegener Literaturwissenschaftler und Literaturdidaktiker Andr8 Barz widmet sich in seinem Artikel Geschichtswissen vermittelnde fiktionale Kinderliteratur der DDR: Gerda Rottschalks Kinderbücher über die Urgesellschaft dem Werk einer der bekannten und weit verbreiteten Sachbuchautorinnen für Kinder der siebziger und achtziger Jahre. Ihre vier Kinderbücher Das Feuertier, Die Wildpferdjäger, Die Kinder Sumuts und Der Tempelschreiber, die zwischen 1970 und 1971 im Kinderbuchverlag Berlin erstmals erschienen sind und seitdem kontinuierlich bis zum Untergang der DDR wiederaufgelegt und auch in Sammelbänden distribuiert wurden, schildern das Leben in der Urgesellschaft im Spannungsfeld von belletristischem Unterhaltungsanspruch und wissenschaftlicher Fundierung. Den Spagat zwischen wissenschaftlicher Exaktheit und spannungserzeugender Unterhaltung der jungen Leserschaft zeigt Andr8 Barz, indem er zunächst darstellt, wie stark die wissenschaftliche Begleitung der Entstehung der Bände durch den Fachgutachter Wolfgang Padberg geprägt war. Andr8 Barz verdeutlicht außerdem, wie sehr sich Rottschalks Kinderbücher über die Urgesellschaft an den konkreten Vorgaben der Geschichtsmethodik der DDR orientieren. Die Illustrationen von Gerhard Preuß greifen diese ästhetische Ambition ebenfalls auf und verfolgen die Absicht, sowohl die junge Leserschaft ansprechend zu unterhalten, ihnen fachwissenschaftlich gesichertes Geschichtswissen über die Urgesellschaft zu vermitteln und dabei auch die geschichtsmethodologischen Vorgaben für die fünfte und sechste Klasse des polytechnischen Unterrichts zu berücksichtigen. Durch seine Analyse kann Andr8 Barz die komplexe Sachverhalte verkürzenden Thesen infrage stellen, die in der spärlichen Forschungsliteratur kursieren, die es bislang zu Rottschalks Kinderbüchern über die Urgesellschaft gibt. Der abgeordnete Lehrer und Lehrerausbilder im Fachbereich Grundschuldidaktik Deutsch des Instituts für Pädagogik und Didaktik im Elementar- und Primarbereich der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig Thomas Arnold rekonstruiert in seinem Artikel Historische Erzählungen im Schulunterricht. Herbert Mühlstädts Der Geschichtslehrer erzählt im geschichtsdidaktischen Kontext die methodologischen und theoretischen Grundlagen am Beispiel der über Jahrzehnte und über viele Generationen von in der DDR sozialisierten Schülerinnen und Schülern verbreiteten Geschichtserzählungen von Herbert Mühlstädt, die sog. Erzählstoffe, im Unterricht der DDR hatten. Diese interessanten Erzählformen stehen im Grenzbereich zwischen Didaktisierung für den schulischen Verwertungskontext, weltanschaulich-ideologischer Vereinnahmung und der narrativen Struktur einer spannenden und anschaulichen Wissensvermittlung. Sie sind hinsicht-

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lich ihrer Erzählweise ebenso zwischen freiem mündlichen Erzählen und schriftlicher Fixierung situiert. Thomas Arnold verfolgt hauptsächlich den theoretischen Diskurs, in den die Geschichtserzählungen Mühlstädts eingebettet waren. Dabei vergleich Thomas Arnold die »Bedeutung der Geschichtserzählung als Gegenstand der Geschichtsdidaktik im geteilten Deutschland« und zeichnet die Entwicklung in Ost und West im Detail nach. In einem weiteren Schritt werden Aufbau, Struktur und die Rezeptionsgeschichte von Mühlstädts Erzählstoffen für den Geschichtsunterricht vorgestellt. In diesem Kontext zeigt Thomas Arnold insbesondere die enge Verzahnung der Geschichtserzählungen von Mühlstädt zu Zielen und Gegenstand des Geschichtsunterrichts der DDR auf, die sich durchgängig anhand der komplexen Entstehungs- und Rezeptionsgeschichte des mehrbändigen Werks nachweisen lässt. Als charakteristisch für die Art der Wissensvermittlung wird die starke Akzentuierung der »Erzählkunst des Geschichtslehrers« in Mühlstädts Konzeption der Geschichtserzählungen deutlich. Der Leipziger Kinder- und Jugendliteraturforscher Sebastian Schmideler möchte in seinem Artikel Vom »Kaleidoskop« bis zur »Bilderbude«. Visuelle und visualisierende Anschauungsbildung in der populärwissenschaftlichen Kinder- und Jugendliteratur der DDR verdeutlichen, wie sehr diese Darstellungsstrukturen der Wissensvermittlung in der Tradition der Anschauungsbildung standen, die sich seit dem 17. Jahrhundert als Konzept der Kinder- und Jugendliteratur entwickelt hatte. Dabei wurde Wissen auf der Basis von Visualisierungsstrategien der Anschauungsbildung sowohl visuell über einen piktoralen Code vermittelt als auch visualisierend über den verbalen Code veranschaulicht. Emotionalisierung und Ästhetisierung stellen sich hierbei als entscheidende Gestaltungsprinzipien heraus. Welche konkreten Formen beide Strategien der Anschaulichkeit insbesondere in der Sachbuchproduktion der siebziger und achtziger Jahre annehmen konnten, wird in diesem Beitrag exemplarisch an besonders eindrücklichen Beispielen zu zeigen versucht.

Illustrationen Sachbücher für Kinder und Jugendliche gewinnen ihren besonderen Reiz nicht selten durch ihre Illustrationen und Bebilderungen, die der Informationsvermittlung dienen können, aber auch unterhaltende Absichten verfolgen. Den Illustratorinnen und Illustratoren von Sachbüchern eröffnet sich ein breites Handlungsfeld, das sie mit Kreativität ausfüllen können, wobei aber auch pragmatische und formale Vorgaben an den jeweiligen Sachbuchtypus berücksichtigt werden müssen. In der Sachliteratur für Kinder und Jugendliche der DDR waren Illustrationen einerseits besonders schwierigen, jedoch ebenso äs-

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thetisch anspruchsvollen drucktechnischen Bedingungen unterworfen, aber auch stilistischen Einflüssen aus besonderen grafischen Traditionen verpflichtet. Die beiden Artikel in dieser Rubrik geben auf der einen Seite einen geschlossenen Gesamtüberblick über die Entwicklung der Sachbuchillustration für Kinder und Jugendliche in der DDR und stellen auf der anderen Seite das grafische Werk eines einzelnen sehr bekannten und verdienstvollen Illustrators, Gerhard Preuß, exemplarisch vor. Der in der Erforschung der Grafik für Kinder und Jugendliche in der DDR mehrfach ausgewiesene Münchener Illustrationshistoriker Andreas Bode stellt sich in seinem detailreichen Überblicksbeitrag Illustration im Sachbuch der DDR. Stil, Stilisierung und Technik die Aufgabe, »einen Einblick von vierzig Jahren Sachbuchillustration in der DDR zu vermitteln«. Bodes Hauptaugenmerk gilt dabei »den stilistischen Veränderungen unter Einbeziehung der drucktechnischen Gegebenheiten in der DDR und ihren Einfluss auf den Illustrationsstil«, wobei er sich hauptsächlich auf die Entwicklung im Bereich des Sachbilderbuchs konzentriert. Nach grundlegenden Überlegungen zur Technik und Typografie und dem Verhältnis von Fotografie und gezeichneter Illustration folgt ein chronologischer Durchgang durch die Geschichte der Sachbuchillustration für Kinder und Jugendliche der DDR. Dabei geht Andreas Bode thematisch vor und diskutiert die Frage nach der sozialistischen Ideologie in Sachbüchern und der gestalterischen Vielseitigkeit und Phantasie ihrer Formen. Mit Eberhard Binder, Klaus Ensikat und Egbert Herfurth stellt Andreas Bode drei exponierte Vertreter der Illustrationskunst für Kinder und Jugendliche in der DDR abschließend vor. Im Fazit weist Andreas Bode darauf hin, dass sich das Sachbilderbuch für Kinder in der DDR speziell durch eine »stärkere Ausprägung grafischer Illustration« ausgezeichnet habe. Die Kunsterzieherin Anne Preuß aus Potsdam schildert in ihrem Essay Anmerkungen zum Beitrag des Grafikers Gerhard Preuß zur Kinder- und Jugendliteratur der DDR die Besonderheit des grafischen Werks ihres Onkels für die Sachliteratur aus erster Hand. Anne Preuß verwaltet den Nachlass des Grafikers nach seinem Tod im Jahr 2014. Sie gibt einen sehr persönlichen Einblick in Leben und Werk des Künstlers, beschreibt die Spezifik seines Illustrationsstils, seine akribische, dem Werk mit Konzentration zugewandte Arbeitsweise und sein Selbstverständnis als Grafiker in der DDR und als Dozent an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. Insbesondere als Illustrator der bekannten Sachbücher für Kinder von Gerda Rottschalk ist Gerhard Preuß in Erinnerung geblieben, illustrierte allerdings auch zahlreiche weitere Kinder- und Jugendbücher und war neben vielfältigen anderen grafischen Arbeiten als Illustrator von Lehrwerken für den Schulunterricht in der DDR tätig. Da es bislang noch keine Studien und auch keine Dokumentation zu dem vielseitigen künstlerischen Werk von Gerhard Preuß

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gibt, ist dieser Artikel ein Anfang. Besonders eindrucksvoll schildert Anne Preuß, wie es Gerhard Preuß gelang, in seinen illustratorischen Arbeiten für Kinder und Jugendliche das zu veranschaulichen, was nicht im Text gesagt worden ist, sodass der Text »bildlich fortgeschrieben« wurde.

Danksagung Der erste Dank gilt den Vortragenden der Tagung, die mit ihren gehaltvollen, leidenschaftlichen, interessanten und auch streitbaren Beiträgen die Diskussion um das Sachbuch für Kinder und Jugendliche bereichert haben und im Anschluss an die Konferenz bereitwillig druckfertige Fassungen einreichten. Ich danke ebenfalls all denjenigen Beiträgerinnen und Beiträgern, die ich zusätzlich auf Einladung oder Nachfrage für diesen Sammelband für einen Artikel gewinnen konnte. Auch sie haben am Werden und Entstehen dieses Buchs einen entscheidenden Anteil. An dieser Stelle möchte ich mich allerdings ebenso bei meinen Chemnitzer Kolleginnen und Kollegen für die mir mit bereitwilliger Zuvorkommenheit erwiesene Unterstützung bei diesem Vorhaben sehr herzlich bedanken. Diese mir entgegengebrachten großzügigen Spielräume für die Durchführung der Tagung und die Veröffentlichung des Sammelbandes sind alles andere als selbstverständlich. Ich danke daher ausdrücklich dem Vorstand des Zentrums für Lehrerbildung der Technischen Universität Chemnitz, der allen Wünschen gern gefolgt ist und besonders dem Direktor des Zentrums, Herrn Univ.-Prof. Dr. Bernhard Koring für sein Entgegenkommen. Zu danken habe ich auch meinen Fachvorgesetzten an der Professur für Grundschuldidaktik Deutsch, die während meiner Chemnitzer Arbeitsjahre diese Stelle besetzt haben und die ohne Ausnahme mein Vorhaben großzügig und mit Interesse unterstützten: Frau Dr. Monika Budde, Frau Dr. Sabine Kirchner und Herr Univ.-Prof. Dr. Michael Krelle. Mein Dank gilt außerdem Frau Professorin Dr. Susanne Riegler, die mir Zeit und Möglichkeit eingeräumt hat, den Sammelband im Rahmen meiner Stelle als wissenschaftlicher Mitarbeiter an ihrem Arbeitsbereich der Grundschuldidaktik Deutsch am Institut für Pädagogik und Didaktik im Elementarund Primarbereich der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig zu Ende zu führen. Ohne die tatkräftige Unterstützung der Sekretärin an der Professur Grundschuldidaktik Deutsch des Zentrums für Lehrerbildung der Technischen Universität Chemnitz, Frau Doritt Haugk-Scholz, sowie dem Sekretariat von Frau Andrea Meier und die Hilfsbereitschaft und den Einsatz der wissenschaftlichen und studentischen Mitarbeiterinnen Constanze Schliwa, Frauke Ludwig und

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Stefanie Sroka hätte die Konferenz nicht stattfinden können. Ihnen allen sei daher hier noch einmal herzlich für ihr Engagement gedankt. Mit der vorliegenden Veröffentlichung beende ich meine Tätigkeit für das Zentrum für Lehrerbildung an der Technischen Universität Chemnitz. Ich werde die zwei Jahre zwischen 2014 und 2016 an dieser Lehrerbildungseinrichtung als eine fruchtbare Zeit der Forschung und Lehre in bester Erinnerung behalten. Leipzig, am 6. Januar 2017 (Epiphanias)

Sebastian Schmideler

I. Grundlagen

Sebastian Schmideler (Chemnitz/Leipzig)

Zur Sache mit dem Sachbuch in der Kinder- und Jugendliteratur der DDR

Grundlagen der Erforschung von Wissensvermittlung in der Kinderund Jugendliteratur der DDR Sachbücher der Kinder- und Jugendliteratur der DDR sind literarische Zeugnisse und kulturgeschichtlich aufschlussreiche Dokumente von hohem zeithistorischem Wert. Aus ihnen lässt sich die Spezifik des Selbstverständnisses der DDR im Wortsinn ablesen – sei das Interesse daran nun primär kulturoder kinder- und jugendliteraturwissenschaftlich, politikhistorisch, sozialgeschichtlich, alltagshistorisch oder auch wissensgeschichtlich orientiert. Sie sind ein kulturwissenschaftlich noch kaum bearbeiteter Bestandteil der wissensgeschichtlichen Dimension der interdisziplinären Erforschung des Verhältnisses von Literatur und Wissen (vgl. hierzu das Handbuch Borgards/ Neumeyer/Pethes 2013). Einige von diesen Sachbüchern, wie Franz Fühmanns facettenreiches Sprachspielbuch Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel (1978), sind Literaturdenkmale, die auch heute noch eine eigene ästhetische Bedeutung haben, die trotz der Zeitgebundenheit vieler inhaltlicher Details weit über die Entstehungszeit hinausragt. Diese Werke der Sachliteratur für Kinder und Jugendliche der DDR sind zumindest als kinderund jugendliterarische Schlüsseltexte für die Entwicklungsgeschichte der Sachliteratur von literaturhistorischem Belang,1 wenn ihnen nicht sogar noch eine aktuelle Bedeutung zugesprochen werden kann und sie Aussicht haben,

1 Der Frankfurter Kinder- und Jugendliteraturforscher Hans-Heino Ewers hat für die Geschichtsschreibung speziell der erzählenden Kinder- und Jugendliteratur den Begriff des Schlüsseltextes vorgeschlagen. Schlüsseltexte haben die Aufgabe, repräsentative Texte für die Entwicklung eines kinder- und jugendliterarischen historischen Phänomens auszuweisen und zwar »unabhängig davon, ob die betreffende Epoche oder Strömung für die Gegenwart und die aktuelle Kinderliteratur einen wie immer gearteten Vorläufer- oder Vorbildcharakter besitzt« (Ewers 2007, 99). Entsprechendes trifft auch auf die Geschichte der Sachliteratur für Kinder und Jugendliche zu, die Ewers nicht explizit im Blick hat.

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möglicherweise in einen Traditionskanon2 der Kinder- und Jugendliteratur der DDR aufgenommen zu werden.3 Doch sind es nicht nur derartige ästhetisch herausragende Einzelwerke, sondern auch Einblicke in den gesamten Sachbuchmarkt für Kinder und Jugendliche der DDR, die neue und interessante literatur- und kulturwissenschaftliche Perspektiven eröffnen können. Zwischen 1949 und 1989 sind über 3.000 Sachbücher für Kinder und Jugendliche in der DDR erschienen.4 Dies entspricht einem Anteil von rund einem Fünftel der Gesamtproduktion von Kinder- und Jugendliteratur (vgl. hierzu grundlegend Neubert 2017). Umso erstaunlicher ist es, dass dieses viel versprechende Corpus an überaus interessanten und für unterschiedliche Fragestellungen sehr aufschlussreichen Quellen von der Kinder- und Jugendliteraturforschung ebenso wie von der Sachliteraturforschung bislang in seiner Gesamtheit kaum wahrgenommen wurde (eine Ausnahme bildet der kurze Exkurs »Sonderaspekte des Jugendsachbuchs in der DDR« in Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart von Künnemann 1980, 342–350). Nur in einigen wenigen Überblickswerken zur Kinder- und Jugendliteratur der DDR sind Sachbücher für Kinder und Jugendliche in ersten Ansätzen und noch keineswegs erschöpfend kinder- und jugendliteraturwissenschaftlich untersucht worden.5 Dieses überwiegend zurückhaltende Forschungsinteresse verwundert auch deshalb, weil der Anteil der Sachliteratur für Kinder und Jugendliche so be2 Zum kinderliterarischen Traditionskanon würden laut Ewers kinderliterarische Werke zählen, die nicht im Rahmen der Deskription, sondern derjenigen der Interpretation für bewahrenswert erachtet werden, da diese Werke innerhalb einer »Kinderliteraturgeschichte aus der Warte der Gegenwart« eigens extrapoliert werden müssen, wobei Ewers auch konzediert, dass diese Werke »von den zeitgenössischen Wertungen radikal abweichen« können (ebd., 100). 3 Zu einer derartigen aktualisierenden Bedeutungskonstruktion vgl. exemplarisch im Fall von Fühmanns Sprachspielbuch Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel aus einer literaturdidaktisch reduzierten Perspektive für die Zwecke des schulischen Verwertungskontextes die verknappenden Ausführungen von Plath 2016. In dieser literaturdidaktischen Veröffentlichung wird das Sprachspielbuch zur erzählenden Kinder- und Jugendliteratur gezählt. 4 Günther 1988a, 35, geht bis zum Erscheinen seiner Studie im Jahr 1988 von insgesamt 2.986 Titeln aus. An anderer Stelle seiner Monografie konstatiert Günther : »Von 1946 bis 1986 wurden in der DDR etwa 3.000 Titel Sachliteratur für Kinder und Jugendliche herausgegeben.« (ebd., 34) 5 Zuerst ist auf den grundlegenden Beitrag von Reiner Neubert (Neubert 2006) im Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR. Von 1945 bis 1990 (vgl. Steinlein/Strobel/Kramer 2006) hinzuweisen. Auch Andreas Bode geht in seinem illustrationsgeschichtlichen Abriss in diesem Handbuch bereits auf Besonderheiten der Sachbuchillustration ein (vgl. Bode 2006). Vgl. außerdem Neubert 2004 und Neubert 2013. Vgl. ebenso Wicklein 1993. Zur Kritik am mangelnden Interesse an der Aufarbeitung der Sachliteratur für Kinder und Jugendliche in der DDR vgl. Neubert 2006, 933: »Die literaturwissenschaftlich versuchte Aufarbeitung der Sachliteratur vor 1989, ohnehin schon spärlich genug, wurde nicht oder kaum zur Kenntnis genommen«.

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deutend ist, dass eine weiterführende Geschichtsschreibung der Kinder- und Jugendliteratur der DDR, die auf dem Stand des bislang insbesondere für die erzählende Kinder- und Jugendliteratur Erreichten nicht verharren darf,6 nicht darauf verzichten sollte, ihre theoretischen Grundannahmen und ihre konkreten Analysen auch auf der Basis dieses bisher weitgehend vernachlässigten reichhaltigen Materials zu treffen. Dies gilt desto mehr, je deutlicher man sich vor Augen führt, dass bereits durch den gegenwärtigen Forschungsstand wiederholt deutlich herausgearbeitet wurde, wie stark der Anteil der Sachbuchproduktion ebenso wie die Beliebtheit der Rezeption von Kinder- und Jugendsachbüchern bei der anvisierten Zielgruppe war. Diese Beobachtung betrifft hauptsächlich die siebziger und achtziger Jahre in der DDR, als die Sachliteratur im Vergleich zu allen anderen Sachgruppen der Kinder- und Jugendliteratur quantitativ und zweifellos auch qualitativ in zunehmender Weise beliebter und anspruchsvoller geworden ist.7 Es würde daher bedeuten, reale und nicht von der Hand zu weisende Gegebenheiten der Rezeption von Kinder- und Jugendliteratur der DDR zu verkennen, wenn die Sachliteratur weiterhin, wie bislang überwiegend geschehen, aus der kinderund jugendliteraturwissenschaftlichen Diskussion ausgeklammert würde. Doch ist dies nur ein Grund unter vielen weiteren Gründen, die es angeraten erscheinen lassen, sich künftig intensiver der Sachliteratur für Kinder und Jugendliche der DDR zuzuwenden. Es fällt schnell auf, wie hoch der Anteil an interessanten Hybridisierungen, also Mischformen, ist, die ästhetisch zwischen den Gattungen changieren.8 Hybridformen wie das Sachmärchen, historische Sacherzählungen bzw. Romane, Reiseliteratur, erzählende Sachbücher und Sachbilderbücher oszillieren bewusst zwischen Elementen fiktionaler und nichtfiktionaler Literatur.9 Sie bilden spezifische Narrative aus, die das Erzählen

6 Zur erzählenden Kinder- und Jugendliteratur der DDR vgl. zuletzt den Sammelband mit (teilweise bereits veröffentlichten) Aufsätzen von Karin Richter (Richter 2016). Außerdem hat Karin Richter einen weiteren Band vorgelegt, in dem sie praxiserprobte »Modelle und Anregungen für den Unterricht in der Grundschule und in der Sekundarstufe I« zur erzählenden Kinder- und Jugendliteratur der DDR publiziert hat (Richter 2017). 7 Neubert 2006, 930, geht davon aus, dass der Anteil der Lektüre von Sachbüchern bis in die achtziger Jahre »beständig zunahm und zeitweilig gar zwei Drittel der wirklichen Lektüre ausmachte«. Günther 1988a, 116, konstatiert: »Mehr als ein Viertel aller Neuerscheinungen seit 1946 wurden in nur fünf Jahren (1981–1986) herausgegeben.« Der Anteil der »sprunghaft anwachsenden Neuerscheinungen« der Sachliteratur für Kinder und Jugendliche war bereits in den siebziger Jahren hoch, da diese Sachbücher »zwischen 1972 und 1980 mehr als ein Drittel aller seit 1946 erschienenen Erstauflagen dieses Literaturzweiges ausmachten« (ebd., 92). 8 Zum Phänomen der Hybridisierung als einem kulturwissenschaftlichen Phänomen, das auch die »Vermischung von […] Gattungen« betrifft, vgl. Seibel 2008, 297. 9 Zu den hybriden Gattungen bzw. »hybriden Genres« vgl. einführend die Ausführungen von

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in vielfältiger Weise ästhetisch inszenieren. Diese Hybridisierungen zeigen unmissverständlich, dass narrative Strukturen mit nicht selten fiktionalen Anteilen oftmals bestimmend für diese Texte sind, sodass man ihnen mit dem pauschalen und leichtfertigen Hinweis, dass sie zur nichtfiktionalen Literatur zu zählen seien und somit in Gesamtdarstellungen erzählender Kinder- und Jugendliteratur gleichsam ausgeblendet werden könnten und unberücksichtigt bleiben sollten, in ihrer ästhetischen Spezifik kaum gerecht werden kann.

Was ist ein Sachbuch? Die Frage, was ein Sachbuch eigentlich ist und durch welche konstituierenden Merkmale sich ein Sachbuch auszeichnet, beschäftigt die Literaturwissenschaft bereits seit einigen Jahrzehnten, ohne dass es bislang gelungen wäre, eine kurze und in allen Details schlüssige Definition zu entwickeln, die den vielfältigen ästhetischen Facettierungen gerecht wird, die ein Sachbuch annehmen kann.10 Doch ist dies kein Makel, sondern eine Stärke des Gegenstands. Die Offenheit des Begriffs ist Ausdruck der spannungsvollen ästhetischen Entfaltungsmöglichkeiten, die Sachbücher haben. Es genügt allerdings wohl mittlerweile kaum noch – um es mit den Worten des in diesem Zusammenhang immer wieder gern zitierten Kinderliteraturforschers, Sachbuchspezialisten und Zeitungswissenschaftlers Martin Hussong zu sagen – dem Sachbuch lediglich zu attestieren, dass es »versucht, geisteswissenschaftlich oder naturwissenschaftlich erfaßbare Sachverhalte, Probleme und Erkenntnisse einem größeren Leserkreis von Nichtfachleuten zu erschließen«, wobei die »Darstellung der Fachsprache weitgehend entkleidet« wird (Hussong 1979, 237). So richtig und wichtig diese durchaus auch konsensfähige Beobachtung ist, so schwierig gestaltet sich wiederum die Problematik, die spezifische Vielfalt des Sachbuchs mit diesen Worten zu definieren, um gerade der auch von Hussong beobachteten »Zunahme narrativer Elemente« gerecht werden zu können (ebd., 240).11 Die Crux besteht darin, dass die Sachliteratur gattungsmorphologisch oszilliert, weil sie verschiedene Gestalt annehmen kann, die zwischen Fakt und Fiktion changiert. Die Narrative, deren sich die Sachliteratur mit Blick auf die Jutta Ernst, die beschreiben, dass der Terminus »der Bezeichnung von literarischen Textsorten« dient, »die Merkmale unterschiedlicher Gattungen in sich vereinen« (Ernst 2008, 296). 10 Vgl. u. a. Diederichs 1980, vgl. für Tendenzen nach 1945 auch Radler 1980, zur Geschichte des Sachbuchs für Erwachsene im Zeitraum zwischen 1870 und 1918 vgl. u. a. Schikowski 2010. 11 Vgl. auch Franz 2011, 9: »Fast alle Definitionsversuche haben insbesondere Probleme mit der Abgrenzung zum erzählenden Text hin.«

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Wissensvermittlung und Wissensdarstellung bedienen kann, bewegen sich zwischen dem Fokus auf einerseits fiktionale, andererseits auf faktuale Elemente. Mit den Worten des Kölner Sachbuchforschers und Kinder- und Jugendliteraturhistorikers Klaus-Ulrich Pech bedeutet dies, dass Sachliteratur zum einen »mehr den Status nichtfiktionaler Literatur« hat, sich jedoch zum anderen »aller erzähltechnischen Mittel der fiktionalen Literatur bedienen« kann, um ihr Ziel der Wissensvermittlung zu erreichen (Pech 2004, 9). Doch gerade diese Variationsdichte der Gestaltungsmöglichkeiten und der begrüßenswerte Umstand, es deshalb mit einem »offenen Begriff« zu tun zu haben (Diederichs 1980, 9), machen Sachliteratur zu einem besonders interessanten und beachtenswerten Gegenstand der Literaturwissenschaft. Insofern ist den beiden Sachbuchforschern Andy Hahnemann und David Oels nur zuzustimmen, wenn sie konstatieren: »Nichts spricht dagegen, sich mit solchen begrifflichen Unklarheiten abzufinden – und gerade Literaturwissenschaftler haben einige Übung darin, mit einem Gegenstand zu arbeiten und mit Gattungsbegriffen umzugehen, die nicht zweifelsfrei und abschließend definiert werden können.« (Hahnemann/Oels 2008, 8) Doch gerade diese »notorische Unschärfe« ist es, die dazu führen kann, die Chance zu ergreifen und »eine Reihe von bisher nur getrennt wahrgenommenen Prozessen« durch die Analyse von Sachliteratur gezielt fokussiert zu betrachten (ebd., 17): »In diesem Sinn wäre die Sachbuchforschung als Teil eines breiteren Selbstverständigungsprozesses zu begreifen, in dem die Funktion und Bedeutung von Literatur verhandelt wird. Sachbuchforschung ist eine genuine Perspektive auf die Literatur des 20. Jahrhunderts.« (ebd., 25) Auch die jüngere deutschsprachige bundesrepublikanische Kinder- und Jugendliteraturforschung zum Sachbuch ist sich dieser Komplexität des Gegenstands durchaus bewusst (vgl. u. a. die Beiträge im Sammelband von Josting/ Stenzel 2004 und den grundlegenden Beitrag von Franz 2011). Dabei war selbst der auf erwachsene Rezipienten konzentrierten Sachliteraturforschung insgesamt spätestens seit Ende der siebziger Jahre deutlich geworden, dass Kinderund Jugendsachbücher »einen eigenen Platz in der Sachbuchgeschichte« einnehmen (Diederichs 1980, 38), wobei die Analyse von Kinder- und Jugendsachbüchern wegen ihrer Adressatenspezifik »noch weitere Schwierigkeiten« erzeugt (Künnemann 1980, 310). Dies wurde rasch klar, denn bereits in den zwanziger und dreißiger Jahren des 20. Jahrhunderts wurde das Sachbuch für Kinder und Jugendliche eingehender Diskussionen unterzogen, woran Namen von Literaturmethodikern wie Wilhelm Fronemann, Franz Lichtenberger und Severin Rüttgers geknüpft waren (hierzu zusammenfassend Franz 2011, 6). Da der inzwischen seit sechzig Jahren erfolgreich existierende Deutsche Jugendliteraturpreis auch in der Sparte Sachbuch vergeben wird (vgl. Grubert 2005), war es bereits aus diesem Grund notwendig geworden, die kinder- und

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jugendliteraturwissenschaftliche Diskussion um das Sachbuch, seine vielfältige Gestalt, seine typologischen Erscheinungsformen, seine weltanschaulichen Kontexte und die durchaus kontrovers debattierten Kategorien der ästhetischen Qualität auch nach 1945 in der Bundesrepublik nicht aus dem Blick zu verlieren, wie Kurt Franz, der selbst der Jury angehörte, 2011 noch einmal in Erinnerung gerufen hat (ebd., 3–5). Hinzu trat der »literaturpädagogische«, später dann der literaturdidaktische Aspekt, der die Frage des schulischen Verwertungskontextes in Bezug auf das Sachbuch in den Mittelpunkt des Forschungsinteresses rückte, woran sich speziell in der Forschung der sechziger Jahre Namen wie Klaus Doderer, aber auch Richard Bamberger knüpfen (ebd., 6–7). Es kann hier, wo der Fokus auf die Erforschung der Sachliteratur für Kinder und Jugendliche der DDR liegt, nicht der Ort sein, die vielfältigen Facetten der Forschungsparadigmen zu rekonstruieren, die diese Sachbuchdiskussion in der Bundesrepublik hervorbrachte, die mit Namen von Kinder- und Jugendbuchforschern wie Karl-Ernst Maier, Inge Auböck, Martin Hussong, Siegfried Aust, Malte Dahrendorf und vielen anderen verbunden sind (die jeweiligen Forschungspositionen werden von Kurt Franz im Einzelnen rekonstruiert; vgl. Franz 2011). Doch zeichnet sich deutlich ab, dass die Typologie Herbert Ossowskis innerhalb dieser Debatten einen besonders hohen Plausiblitätsfaktor aufweist, der sich als praktikabel für die Kategorisierung von Sachbüchern zeigen könnte. Ossowski differenziert mit insgesamt sechs Sachbuchtypen systematisch den jeweiligen Bild- und Wortanteil sowie den Anteil an fiktionalen und faktualen Narrativen: Er unterscheidet auf dieser Grundlage zwischen Bildersachbuch, Sachbilderbuch, Erzählsachbuch, Sacherzählbuch, Werkbuch und Informationsbuch (vgl. Ossowski 1996, 8). Dabei wir das Bildersachbuch als ein Buch definiert, »in dem vorwiegend Sachdarstellungen vorgenommen werden«; das Sachbilderbuch »befaßt« sich »bild-erzählerisch« mit Gegenständen »aus der Umwelt des Kindes«; das Erzählsachbuch ist gekennzeichnet durch eine Sache, die »im Mittelpunkt« steht und »erzählerisch dargestellt« wird; das Sacherzählbuch konzentriert sich »im Rahmen einer Erzählung oder Geschichte mit einer Sache, die zusätzlich, z. B. in einem Anhang, mit näheren Informationen und Daten ergänzt ist«; das Werkbuch umfasst alle »Anleitungs-, Spiel- und Experimentierbücher«; das Informationssachbuch ist gekennzeichnet durch »Informationen mit Erläuterungen durch Sachtexte, Bilder, Skizzen, Tabellen« (ebd., 8). Einen herausragenden Lösungsansatz, um die kontrovers debattierte Frage um Form und Inhalt im Verhältnis von Fakt und Fiktion in einem typologischen Kategoriensystem zwischen faktualen »reinen Sachtexten« und fiktionalen »erzählenden Texten« übersichtlich in ein Schaubild zu bringen, ist Kurt Franz 2011 gelungen, der Ossowskis Ideen fruchtbar aufgegriffen hat (Abb. 1). Das

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Schaubild verdeutlicht überzeugend, in welchen Mischformen bzw. Hybridisierungen die Anteile und das spezifische Verhältnis von Sache/Wort und Bild auf der einen Seite sowie faktualen und fiktionalen Elementen innerhalb der verschiedenen Sachbuchtypen gesehen werden können.

Abb. 1 Grafik »Differenzierung bei Sachbüchern«

Was verstand die Kinder- und Jugendliteratur der DDR unter einem Sachbuch? Obwohl Reiner Neubert zu der Einsicht gelangte, dass »in der DDR eine systematische literaturwissenschaftliche Forschung zur Sachliteratur nicht existierte« (Neubert 2006, 934), ist doch die Vielzahl an theoretischen Studien und Aufsätzen erstaunlich, in denen sich praxiserprobte und schreibfreudige Sachbuchautoren wie Hansgeorg Meyer12 und Experten wie Hans-Peter Wetzstein13 sowie Kinder- und Jugendliteraturwissenschaftler und Sachbuchforscher der DDR wie Harri Günter14 in Fachzeitschriften wie den Beiträgen zur Kinder- und Jugendliteratur mit diesem literarischen Gegenstand als Teil der kinder- und jugendliterarischen Gesamtproduktion vergleichsweise ausführlich auseinandersetzten.15 Sogar bekannte und ausgewiesene Sachbuchillustratoren und 12 13 14 15

Vgl. u. a. Meyer 1967, Meyer 1970, Meyer 1971, Meyer 1978. Vgl. u. a. Wetzstein 1967, Wetzstein 1978 und Wetzstein 1986. Vgl. u. a. Günther 1986, Günther 1988a und Günther 1988b. Vgl. hierzu konkret auch den kleinen Forschungsüberblick im Beitrag von Sebastian Schmideler zum Thema Das Kinderlexikon »Von Anton bis Zylinder« als populärwissenschaftliche Weltanschauungsliteratur im Kontext: Entstehung, Spezifik von Bild und Text, Auflagengeschichte in diesem Band (Schmideler 2017, 212–218). Die Initiative zur Publikation theoretischer Schriften zur Kinder- und Jugendliteratur ging wesentlich vom Kinderbuchverlag Berlin selbst aus. Vgl. Schmidt 1989, 94: »Es war verlegerische Umsicht, daß frühzeitig damit begonnen wurde, die theoretische Reflexion über das Kinderbuch […] im Verlag selbst zu befördern und Ergebnisse zu publizieren. […] Heute [1989, Seb. Schm.] läßt sich sagen: Hätte der Kinderbuchverlag die Kritik, die Erörterung oder die wissenschaftliche Untersuchung zum Gegenstand Kinderbuch nicht selbst in Gang gesetzt, dann stünde es weitaus schlechter um die Theorie auf diesem Gebiet.«

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Grafiker der DDR wie Eberhard Binder meldeten sich in der Fachzeitschrift profiliert zu Wort (vgl. Binder 1986; vgl. ebenso Flieger/Schallnau/Wongel 1978). Sachbücher wurden in diesem Periodikum von einschlägig ausgewiesenen Experten regelmäßig ausführlich rezensiert. Auch Fachtagungen wie das »29. Seminar zur Kinderliteratur vom 3. Dezember 1985«, das »vom DDRZentrum für Kinderliteratur zum Thema ›Das populärwissenschaftliche Kinderbuch‹« veranstaltet wurde (vgl. Günther 1986, 57 Anm. 1), belegen, dass die Sachliteratur für Kinder und Jugendliche durchaus im Fokus des kinder- und jugendliteraturwissenschaftlichen Forschungsfelds und des theoretischen Interesses der Sachbuchforschung stand.16 Diese relativ auffällige Fokussierung auf das Sachbuch mag einerseits daran gelegen haben, dass in der Kinder- und Jugendliteratur der DDR die Vermittlung eines materialistischen sozialistischen Weltbilds eine wesentliche Rolle spielte,17 wozu sich die Sachliteratur mit ihren Themen und ihren Darstellungsstrukturen per se hervorragend eignete.18 Sachliteratur war daher stets auch Weltanschauungsliteratur.19 Zu dieser Weltanschauung gehörten die Dominanz von einem naturwissenschaftlich-rationalistisch ausgeprägten Fortschrittsoptimismus und ein fester Glaube an die Bedeutung von Wissenschaft. Beides zeigt sich in den thematischen Schwerpunkten der Wissensvermittlung in der Kinder- und Jugendliteratur der DDR. Bereits Horst Künnemann beobachtete daher : »Technische und naturwissenschaftliche Themen dominieren in der Kinderund Jugendliteratur der DDR.« (Künnemann 1980, 346; vgl. hierzu auch Günther 1986) In diesem Zusammenhang stellte die Abgrenzung von der als herkömmlich und als überwindenswert empfundenen westeuropäischen und insbesondere westdeutschen theoretischen Auseinandersetzung mit der Kinderund Jugendsachbuchproduktion eine große Rolle (vgl. Meyer 1971, 28–35). Diese vergleichsweise intensive und durchaus nicht unsystematische, vielmehr oft reflektiert theoriegeleitete und praxisorientierte Auseinandersetzung mit Kinder- und Jugendsachbüchern insbesondere in den Beiträgen zur Kinder16 So ist bspw. Heft 81 der Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur, das 1986 im Nachgang der 29. Kinderliteraturtage zum Thema der populärwissenschaftlichen Kinderliteratur erschien, ausdrücklich dem Schwerpunkt der Sachliteratur für Kinder und Jugendliche in der DDR gewidmet. 17 Wetzstein konstatierte bspw., dass die »neue, sozialistische Qualität« der populärwissenschaftlichen Kinder- und Jugendliteratur der DDR u. a. darin bestehe müsse, »marxistisch zu denken, sich sozialistisch zu verhalten« (Wetzstein 1971, 33). 18 Vgl. hierzu die Ausführungen in der Rede von Fred Rodrian auf der Konferenz der 7. Tage der Kinderliteratur in Dresden von 1969. Im Auszug wiedergegeben in Rodrian 1970. 19 Vgl. auch Künnemann 1980, 345: »In den Kinder- und Jugendsachbüchern der DDR wird der Leser sehr gezielt als Mitglied dieser in sich geschlossenen Gesellschaft angesprochen, der nicht zuletzt über Informationsliteratur jeder Art zur Mitverantwortung im umgebenden Staat, zu sozialistischer Wachsamkeit, zur Solidarität mit den Arbeitern und Bauern in aller Welt erzogen werden soll.«

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und Jugendliteratur hatte aber sicherlich einen weiteren Grund darin, dass Werke der Sachliteratur – wie bereits erwähnt – hauptsächlich in den siebziger und achtziger Jahren zu den meist gelesenen Kinder- und Jugendbüchern überhaupt in der DDR zählten. Dabei zählte die Sachliteratur einerseits als »fakultatives Lehrmaterial« und als »Wissensvermittler«, andererseits hatte sie die ästhetisch anspruchsvolle Funktion, »Anreger« und »Verführer zum Lernen beim tieferen Eindringen in die Welt der Wissenschaft und der Entdeckung ihrer ästhetischen Dimensionen« zu sein (Günther 1986, 49). Hans-Peter Wetzstein stellte daher unmissverständlich deutlich fest: »Unsere Sachliteratur versteht sich als eigenständige Gattung der sozialistischen Kinderliteratur, sie bedient sich spezifischer Methoden und ist für die individuelle Freizeitlektüre bestimmt. Sie versteht sich aber auch als Helfer und Partner von Schule und Unterricht.« (Wetzstein 1986, 84) In dieser engen Verzahnung zwischen schulischem Verwertungskontext und Freizeitlektüre sah Horst Künnemann einen der wesentlichen Unterschiede zwischen der Entwicklung der Sachliteratur in der BRD und in der DDR: »Ungleich stärker als in der BRD wird das Sachbuch in relativ festgelegte Lesepläne der allgemeinbildenden Schulen integriert. Sachbücher sind wesentliche Hilfen des ›polytechnischen Unterrichts‹, der Einführung in die kommende Arbeitswelt und gesellschaftlich orientierte Gesamthaltung miteinander verknüpft.« (Künnemann 1980, 343) Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Kinder- und Jugendliteratur der DDR versuchte, sich vom überkommenen Begriff des Sachbuchs abzugrenzen und einen eigenen ästhetischen Weg einzuschlagen. Dies wird bereits aus der Tatsache ersichtlich, dass man zu diesem Zweck in der theoretischen Diskussion den Terminus Sachbuch vermied und stattdessen von populärwissenschaftlicher Kinder- und Jugendliteratur sprach (vgl. Günther 1988b, 104). Damit wurde der ästhetische Anteil des genuin Literarischen an der Sachbuchproduktion zu stärken versucht. Darin sahen sowohl die Theoretiker als auch die Praktiker der Sachbuchproduktion für Kinder und Jugendliche das entscheidende Abgrenzungsphänomen, um sich von der Entwicklung in anderen westeuropäischen Ländern abzusetzen. Entsprechend hoch ist daher der Anspruch, die ästhetische Gestaltung der Kinder- und Jugendsachbücher der DDR zu fördern und die Wissensvermittlung anschaulich, künstlerisch innovativ und ästhetisch ansprechend zu bewerkstelligen. Es ging daher stets um mehr als nur um das Bemühen um »syntaktische Korrektheit, semantische Adäquatheit und optimale Wirksamkeit« der Wissensvermittlung, wie sich bereits in den sechziger Jahren in der Auseinandersetzung zwischen Hansgeorg Meyer und Georg Klaus um die ästhetischen Grundlagen der populärwissenschaftlichen Kinder- und Jugendliteratur gezeigt hatte (Günther 1988a, 91). Es war daher das Hauptanliegen sowohl der Theoretiker als auch der Büchermacher nach einer Phase der inhaltlichen Nähe zur

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Pädagogik und Unterrichtsmethodik, seit den sechziger und siebziger Jahren neben das »Belehrende« auch »das Schöne« zu stellen, das in der Darstellungsstruktur der Wissensvermittlung mit nicht nachlassender Konsequenz als unhintergehbare Kategorie von eigenem Wert exponiert hervorgehoben werden musste (vgl. hierzu ausführlich Meyer 1971). Es war weiterhin erstrebenswertes Ziel, neben der kognitiven Seite der Wissensvermittlung durch Ästhetisierung im weitesten Sinn immer auch emotionale Aspekte angemessen in die Darstellungsformen der populärwissenschaftlichen Kinder- und Jugendliteratur einfließen zu lassen (vgl. Meyer 1967). Dieser daraus ersichtlich werdende, vergleichsweise dominante Anspruch, Kinder- und Jugendsachbücher zu einem Kunstwerk zu formen, das auch ästhetischen Genuss beim Lesen der Texte ermöglichte und beim Betrachten der Bilder etwas Gefälliges und visuell Ansprechendes für das Auge bereithielt, ist ein bestechendes Merkmal, durch das die Sachbuchproduktion der DDR herausragt. Hier wurde der eigene Maßstab gesetzt, an dem die Ergebnisse bewertet worden sind. Dieser hohe Anspruch zeigte, dass selbst dezidiert faktuale, auf Wissensvermittlung konzentrierte Informationssachbücher und Wissensspeicher wie Kinderlexika als gestaltete Sachbücher in der DDR ästhetisch mit viel Aufwand inszeniert und arrangiert worden sind, die sowohl den Kunstwerkcharakter auf der grafischen Ebene der Illustration und der buchkünstlerischen Gestaltung erkennen lassen als auch hohe literarische Ansprüche auf der Ebene der gegenstandsadäquaten und adressatenspezifischen Schilderung, Erzählung und Beschreibung der Wissensinhalte stellen (vgl. Schmideler 2017). In den besonders gelungenen Sachbüchern wie Franz Fühmanns und Egbert Herfurths Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel (1978), aber auch in Serien wie der Schlüsselbuch-Reihe wird dieser außerordentlich hohe Anspruch mustergültig eingelöst. Führt man sich diesen selbst gesetzten theoretischen Anspruch vor Augen, ergibt sich unweigerlich die Frage, ob sich dieser Ansatz tatsächlich immer auch so realisieren ließ. Die Vielfalt der 3.000 Sachbücher für Kinder und Jugendliche in der DDR wirft auch die Frage auf, in welchem Spannungsverhältnis die individuelle Handschrift der jeweiligen Autorinnen und Autoren und die grafische Ebene der Illustration mit der weltanschaulichen Vebrämung der populärwissenschaftlichen Kinder- und Jugendliteratur stand und stehen konnte. Zu fragen ist selbstverständlich auch, welche buchkünstlerischen und gestalterischen Lösungen die Sachbuchproduktion der DDR für Kinder und Jugendliche anbot, um den selbst gestellten ästhetischen Anspruch innovativ umzusetzen. – Diesen Fragen sollte sich die künftige Sachbuchforschung nicht nur annähern, sondern möglichst konkret auch stellen.

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Sekundärliteratur Binder, Eberhard: Informative und emotionale Wirkungen. Gedanken zur Sachbuchillustration. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 81 (1986), 34–41 Bode, Andreas: Bilderbücher und Kinderbuchillustrationen. In: Steinlein, Rüdiger/Heidi Strobel/Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/ DDR. Von 1945 bis 1990. Stuttgart [u. a.] 2006, 829–902 Borgards, Roland/Harald Neumeyer/Nicolas Pethes [u. a.] (Hgg.): Literatur und Wissen. Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart [u. a.] 2013 Diederichs, Ulf: Annäherungen an das Sachbuch. Zur Geschichte und Definition eines umstrittenen Begriffs. In: Radler, Rudolf (Hg.): Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart. Autoren, Werke, Themen, Tendenzen seit 1945. Die deutschsprachige Sachliteratur. Bd. 1. Lizenzausgabe. Frankfurt/M. 1980, 9–76 Ernst, Jutta: Art. Hybride Genres. In: Nünning, Ansgar (Hg.): Metzler Lexikon Literaturund Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. 4. aktual. u. erw. Aufl. Stuttgart [u. a.] 2008, 296–297 Ewers, Hans-Heino: Kinderliteraturhistorische Schlüsseltexte und kinderliterarischer Traditionskanon. Ein Diskussionsbeitrag. In: Kinder- und Jugendliteraturforschung 13 (2007), 97–102 Franz, Kurt: Was ist ein Sachbuch. In: kjl& m 63 (2011) H. 2, 3–15 Flieger, Rainer/Thomas Schallnau/Günter Wongel: Populärwissenschaftliche Illustration – Stiefkind der Grafiker? In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 49 (1978), 68–72 Grubert, Renate: Von klassisch bis extravagant. Sachbücher aus 50 Jahren Deutscher Jugendliteraturpreis – Entwicklungstendenzen und Trends. In: JuLit. Informationen 31 (2005) H. 4, 40–47 Günther, Harri: Anmerkungen zum Sachbuch. Zum Beispiel: Technik-Sachbücher für Kinder und Jugendliche. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 81 (1986), 49–58 Günther, Harri: Die Sachliteratur für Kinder und Jugendliche in der DDR von 1946 bis 1986. Berlin 1988 (Studien zur Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur ; 11) (Günther 1988a) Günther, Harri: Charakter und Funktion der Sachliteratur. In: Schauplatz 2. Aufsätze zur Kinder- und Jugendliteratur und zu anderen Medienkünsten. Berlin 1988, 101–115 (Günther 1988b) Hahnemann, Andy/David Oels: Einleitung. In: Dies. (Hgg.): sachbuch und populäres wissen im 20. jahrhundert. Frankfurt/M. [u. a.] 2008, 7–25 Hussong, Martin: Art. Sachbuch. In: Doderer, Klaus (Hg.): Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur. Bd. 3. Weinheim [u. a.] 1979, 237–242 Josting, Petra/Gudrun Stenzel (Hgg.): »Wieso, weshalb, warum…« Sachliteratur für Kinder und Jugendliche. Weinheim 2004 (zgl. 15. Beiheft der Beiträge Jugendliteratur und Medien) Künnemann, Horst: Jugendsachbücher. In: Radler, Rudolf (Hg.): Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart. Autoren, Werke, Themen, Tendenzen seit 1945. Die deutschsprachige Sachliteratur. Bd. 3. Lizenzausgabe. Frankfurt/M. 1980, 309–353 Meyer, Hansgeorg: Einiges über den emotionalen Aspekt populärwissenschaftlicher Literatur. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 9 (1967), 25–40

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Meyer, Hansgeorg: Von Anton bis Zylinder – das Lexikon für Kinder ; Jaroslaw Rudnianski: Lernen – aber wie? (beide Der Kinderbuchverlag Berlin); Meyers Jugendlexikon (VEB Bibliographisches Institut Leipzig). In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 14 (1970), 88–96 Meyer, Hansgeorg: Populärwissenschaftliche Kinderliteratur – Bilanz und Perspektive. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 19 (1971), 28–39 Meyer, Hansgeorg: Vom Belehrenden und vom Schönen. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 49 (1978), 25–38 Neubert, Reiner : Von A bis Z – Zur Sachliteratur für Kinder und Jugendliche in der DDR. In: Josting, Petra/Gudrun Stenzel (Hgg.): »Wieso, weshalb, warum…« Sachliteratur für Kinder und Jugendliche. Weinheim 2004 (zgl. 15. Beiheft der Beiträge Jugendliteratur und Medien), 57–66 Neubert, Reiner : Sachliteratur. In: Steinlein, Rüdiger/Heidi Strobel/Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR. Von 1945 bis 1990. Stuttgart [u. a.] 2006, 903–934 Neubert, Reiner : Ausgewählte biografische Sachliteratur der 1950er Jahre in der DDR. In: kjl& m 65 (2013) H. 3, 72–75 Neubert, Reiner : Von Ardenne bis Zeiske. Anmerkungen zur Sachliteratur für Kinder und Jugendliche in der DDR. In: Schmideler, Sebastian (Hg.): Wissensvermittlung in der Kinder- und Jugendliteratur der DDR. Themen, Formen, Strukturen, Illustrationen. Göttingen 2017, 41–59 Ossowski, Herbert: Art. Sachbuch. In: Kinder- und Jugendliteratur. Ein Lexikon. LoseBlatt-Slg. 2. Erg.-Lfg. Meitingen 1996, 1–12 Pech, Klaus-Ulrich: Produktive Spannungen. Sachliteratur zwischen Bildungserwartungen und Marktbedingungen, Medienkonkurrenz und Freizeitbedürfnissen. In: Josting, Petra/ Gudrun Stenzel (Hg.): »Wieso, weshalb warum …« Sachliteratur für Kinder. Weinheim 2004 (zgl. 15. Beiheft der Beiträge Jugendliteratur und Medien), 9–18 Plath, Monika: Art. Franz Fühmann: Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel. In: Spinner, Kaspar/Jan Standke (Hgg.): Erzählende Kinder- und Jugendliteratur im Deutschunterricht. Paderborn 2016 (StandardWissen Lehramt; 8653), 100–104 Radler, Rudolf (Hg.): Die deutschsprachige Sachliteratur. Bd. 1–3. Lizenzausgabe. Frankfurt/M. 1980 (Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart. Autoren, Werke, Themen, Tendenzen seit 1945; 9–11) Richter, Karin: Die erzählende Kinder- und Jugendliteratur der DDR. Bd. 1: Entwicklungslinien – Themen und Genres, Autorenporträts und Textanalysen. Eine Aufsatzsammlung. Baltmannsweiler 2016 Richter, Karin: Die erzählende Kinder- und Jugendliteratur der DDR. Bd. 2: Modelle und Anregungen für den Unterricht in der Grundschule und in der Sekundarstufe I. Baltmannsweiler 2017 Rodrian, Fred: Beginn – Bilanz – Aufgaben. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 14 (1970), 23–35 Schikowski, Michael: Immer schön sachlich. Kleine Geschichte des Sachbuchs. 1870–1918. Frankfurt/M. 2010 Schmideler, Sebastian: Das Kinderlexikon »Von Anton bis Zylinder« als populärwissenschaftliche Weltanschauungsliteratur im Kontext: Entstehung, Spezifik von Bild und Text, Auflagengeschichte. In: Schmideler, Sebastian (Hg.): Wissensvermittlung in der

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Kinder- und Jugendliteratur der DDR. Themen, Formen, Strukturen, Illustrationen. Göttingen 2017, 209–238 Schmidt, Joachim: Zur Theorie der Kinderliteratur. In: 40 Jahre. Der Kinderbuchverlag Berlin. Berlin 1989, 94–96 Seibel, Klaudia: Art. Hybridisierung. In: Nünning, Ansgar (Hg.): Metzler Lexikon Literatur- und Kulturtheorie. Ansätze – Personen – Grundbegriffe. 4. aktual. u. erw. Aufl. Stuttgart [u. a.] 2008, 297 Steinlein, Rüdiger/Heidi Strobel/Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur SBZ/DDR. Von 1945 bis 1990. Stuttgart [u. a.] 2006 Wetzstein, Hans-Peter : Von Anton bis Zylinder – das Lexikon für Kinder. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 9 (1967), 42–50 Wetzstein, Hans-Peter : Verführung zum Lernen. Bemerkungen zu einigen Grundsätzen unserer populärwissenschaftlichen Kinder- und Jugendliteratur. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 49 (1978), 39–44 Wetzstein, Hans-Peter : Bemerkungen zum Sachbuchprogramm des Kinderbuchverlages. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 81 (1986), 84–87 Wicklein, Anne: Populärwissenschaftliche Literatur für Kinder und Jugendliche in der DDR – ein Überblick. In: Havekost, Hermann/Sandra Langenhahn/Anne Wicklein (Hgg.): Helden nach Plan? Kinder- und Jugendliteratur der DDR zwischen Wagnis und Zensur. Oldenburg 1993, 249–279

Reiner Neubert (Zwickau)

Von Ardenne bis Zeiske. Anmerkungen zur Sachliteratur für Kinder und Jugendliche in der DDR

Persönliche Reminiszenzen zum Thema Kürzlich erschien ein Bildband mit Fotografien von Schriftstellern der DDR. Im Vorwort von Günther Drommer heißt es: Irgendwann in einer fernen Zukunft, vorausgesetzt, unsere Zivilisation existiert noch, wird gefragt werden, ob es dieses besondere Territorium Deutsche Demokratische Republik überhaupt je gegeben hat. Und will sogar eine eigene Literatur gehabt haben? Das nationale Ereignis von gestern ist dann zur blassen weltgeschichtlichen Episode geworden. Schon heutzutage wird die Zahl jener, die ihr Leben von Anfang an im jetzt verschwundenen Land verbracht haben, aus natürlichen Gründen kleiner […] Ein wichtiges, bleibendes Zeugnis für das, was war, was damals und bis zum Schluss gewollt und gedacht wurde, sind die in Tausenden von Titeln einst in großen Auflagen vorhanden gewesenen Bücher aus dem vom Winde verwehten Land. Sie überdauern ihre Schöpfer und auch ihre vielleicht immer wieder neuen Leser. (Drommer 2015, 5)

Unter dieser Prämisse ist es erfreulich, dass dieser Sammelband und die dieser Publikation zugrunde liegende Konferenz von Chemnitz ausgeht, denn ich war 22 Jahre an der Ausbildung von Deutschlehrern an der Pädagogischen Hochschule Zwickau beteiligt, die 1992 dann abgewickelt und der Technischen Universität Chemnitz angegliedert wurde. Zuletzt war ich in Zwickau Sektionsdirektor der Abteilung Germanistik. Zwischenzeitlich riss mein Kontakt zur Literaturwissenschaft der TU Chemnitz nicht ab, denn mit Mitarbeitern und Studenten der Westböhmischen Universität Pilsen, wo ich in den neunziger Jahren einige Jahre im Exil weilte, war ich oft zu Forschungstagungen hier und verantwortete nach 2000 auch einige Literaturseminare. Mit Kinder- und Jugendliteratur hatte ich mich seit Beginn der siebziger Jahre intensiv beschäftigt, was bis heute anhält, wobei mein Hauptaugenmerk jedoch auf die erzählende Literatur gerichtet war und ist. Ich bin also kein Experte für Sachliteratur, obwohl es sowohl durch das Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur SBZ/DDR. Von 1945 bis 1990 (Steinlein/Strobel/Kramer 2006) als auch wegen anderer Publikationen (vgl.

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Neubert 2004 und Neubert 2013) den Anschein erwecken könnte. Jene Hinwendung zu diesem Gegenstand geschah eher zufällig. Nur weil eine Kollegin, die eigentlich das Thema bearbeiten sollte, aus beruflichen Gründen passen musste, gelangte ich 2003 in den Autorenkreis. Und obwohl ich einer der 27 Mitautoren des Handbuchs bin, möchte ich mich ausdrücklich von der Art des Zustandekommens und auch von einigen inhaltlichen Passagen dieses Kompendiums distanzieren. Statt den Fokus auf ästhetische Bewertungsformen oder ethische Gegebenheiten zu richten, wurde oft die Ideologierelevanz mancher Texte einseitig überbewertet und deren Druckgenehmigungspraxis zu hinterfragen versucht. Diese Positionen wurde bereits öffentlich und heftig diskutiert (Peltsch 2006, Neubert 2006). Gerade im Hinblick auf die Sachliteratur ist das Missverhältnis der im Handbuch aufgenommenen und diskutierten Titel der Kinder- und Jugendliteratur der DDR deutlich sichtbar. Die Sachliteratur hatte im untersuchten Zeitraum von 1949 bis 1989 einen Anteil von etwa einem Fünftel der Gesamtproduktion, also 3.000 von rund 15.000 Büchern, wobei nachweislich die wirkliche Lektüre von Sachliteratur in den achtziger Jahren im verblichenen Land weit über die Hälfte der gelesenen Kinderliteratur ausmachte (vgl. Günther 1988a, 116). Die phantastische Kinderliteratur dieses Zeitraums hatte hingegen nur einen Anteil von etwa einem Prozent (150 von 15.000) an der Gesamtproduktion. Sie wurde im Vergleich zu dem Raum, der dem Thema der Sachliteratur im Handbuch zugestanden wurde, mit mehr als dem doppelten Seitenbudget bedacht. Waren für die Sachliteratur im Handbuch anfangs etwa 30 Seiten Überblick, 10 umfangreiche Einzelanalysen und dazu 100 Annotationen geplant, wurde zuletzt diese Vorgabe auf 20 Seiten Überblick und 60 Annotationen gekürzt. Auf Einzelanalysen musste ganz verzichtet werden. Der Kürzungsprozess geschah nur über schriftliche oder telefonische Benachrichtigungen. Es gab lediglich eine Redaktionssitzung der Mitautoren, an der jedoch nur wenige teilnahmen und die nicht von allen Anwesenden gemäß der Ausschreibung vorbereitet gewesen war. Wichtig ist deswegen, dass richtigerweise in einer ausführlichen Rezension zum Handbuch das oft einseitig ideologiekritische Herangehen an die besprochenen Texte bemängelt und festgestellt wird, dass der ästhetische Eigensinn der untersuchten Bücher mitunter ausgeblendet worden sei (vgl. Weinkauff 2007, 75ff.).

Anmerkungen zur Sachliteratur für Kinder und Jugendliche in der DDR

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Aktuelle Stimmungen zum Problem Sachliteratur für Kinder Gegenwärtig betrage die Produktion der Sachliteratur für Kinder innerhalb der gesamten Produktion von Kinder- und Jugendliteratur 9 %, so die Antwort auf eine Nachfrage bei der Gesellschaft für Konsumforschung.1 Im Kontrast dazu sind jedoch die Thesen aufzufassen, die in dem verdienstvollen 15. Beiheft der Beiträge Jugendliteratur und Medien 2004 formuliert worden waren: Dort wird von verschiedenen Autoren vermerkt, dass Quantität, Qualität und Bedeutung der Sachliteratur zunehmen und sie stärker in den gesamten Medienverbund integriert werden (Josting/Stenzel 2004). Das konnte ich kürzlich in der Stadtbibliothek Zwickau nur bedingt nachvollziehen. Im Bestand der Kinder- und Jugendliteratur von 31.000 Exemplaren hat die Sachliteratur einen Anteil von 12.000. Die wirkliche Ausleihe im Jahr 2015 vermerkt 19.000 Ausleihen von Sachliteratur innerhalb von 100.800 für Kinderliteratur insgesamt. Die audiovisuellen Medien wurden jedoch mit einem Bestand von 46.000 insgesamt 225.000-fach ausgeliehen, woraus folgt, dass offenbar der Wissenserwerb auch bei Kindern und Jugendlichen stärker über PC, Internet, Suchmaschinen oder Tonträger geschieht.2 Die Forschungen zu diesem Aspekt der Literatur standen früher und stehen heute jedenfalls in keinem Verhältnis zur realen Situation.

Zur Sachliteratur der DDR im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur Diskussionen um den Begriff Sachliteratur Die wesentlichen Theoretiker zum Gegenstand waren in der Forschung der DDR Hans Peter Wetzstein, Hansgeorg Meyer und Harri Günther. Der elfte Band der literaturwissenschaftlichen Reihe Studien zur Geschichte der deutschen Kinderund Jugendliteratur mit dem Titel Die Sachliteratur für Kinder und Jugendliche in der DDR von 1946 bis 1986 (Günther 1988a) ist wohl das umfassendste Werk dazu. Verfasst hat diese Monografie der Leipziger Sachbuchspezialist Harri Günther. In der Aufsatzreihe Schauplatz (Günther 1988b, 101ff.) hatte Günther die wichtigsten Aspekte seiner Theorie der Sachliteratur zusammengefasst, ohne aber eine endgültige Definition zu leisten: Sie sei keine Fachliteratur, habe je1 Freundliche Auskunft von Frau Dr. Grubert (cbj) an den Verfasser vom 15. 12. 2015. 2 Auskunft nach Einsicht in die Statistik der Stadtbibliothek Zwickau mit Herrn Körner am 18. 01. 2016.

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doch Beziehungen zur künstlerischen Literatur und sei in ihrer Komplexität sowohl von der Informationsauswahl (als subjektivem Akt), von dem jeweiligen wissenschaftlichen und weltanschaulichen Verständnis als auch von der ästhetischen Bewertung und der variantenreichen Darstellung abhängig, einschließlich der Illustrationen bzw. der Fotokunst. Sachliteratur sei also nicht bloß Kenntnisvermittlung in anschaulicher Form, denn der Adressat Kind bzw. Jugendlicher habe zunehmend Bedürfnisse nach unterhaltsamer Information – und das aus ganz spezifischen persönlichen Interessen, wobei der Reiz nach spielerischem und fantasievollem Umgang mit dem Text noch hinzu kämen. Die Positionen Wetzsteins und Meyers werden dabei produktiv diskutiert (Günther 1988a, 15). Sachliteratur solle demnach Erkenntnisse und Erfahrungen vermitteln, wissenschaftlich und ästhetisch werten, zum allseitigen Verhältnis zum jeweiligen Gegenstand motivieren und dabei eine text- und bildkünstlerische Darstellung bevorzugen: Die somit als polyfunktional charakterisierte Sachliteratur knüpft an das Alltagsverhalten, die Freizeitinteressen und Lesebedürfnisse unterschiedlicher Altersgruppen an. Sie wird weniger von didaktisch-methodischen Gestaltungsprinzipien bestimmt, sondern folgt solchen, mit deren Hilfe der selbständige, schöpferische Rezeptionsprozess des kindlichen bzw. jugendlichen Lesers stimuliert und in Gang gehalten werden kann. Diese Prinzipien beziehen sich auf die stoffliche Strukturierung, die darstellerische Qualität, die sprachlich-stilistische Gestaltung sowie auf die medienspezifische Effektivität. (Günther 1988b, 108)

Der in Karl-Marx-Stadt lebende Sachbuchforscher Hansgeorg Meyer, der gemeinsam mit seiner Frau Helga eine Unmenge Sachbücher publizierte, definierte den Begriff Sachliteratur in der Reihe Mein kleines Lexikon in einer speziell für Kinder und Jugendliche verständlichen Form: Sie wird auch populärwissenschaftliche Literatur genannt. Populär heißt leichtverständlich. Sachliteratur berichtet also leichtverständlich von den Wissenschaften. Im Unterschied zur Schönen Literatur will sie ihren Lesern in erster Linie Kenntnisse vermitteln. Aber auch sie kann durchaus schön sein, nämlich unterhaltsam, erfreulich zu lesen, auch spannend. […] Zur Sachliteratur gehören Bücher, die dich in eine Wissenschaft einführen, um dein Interesse zu wecken, sie setzen nichts voraus außer Schulkenntnisse. Ferner gehören Bücher zu ihr, die dir in einer Wissenschaft weiter voranhelfen; diese setzen außer den Schulkenntnissen auch Lust und Liebe zur Sache voraus. Schließlich gehören Bastelbücher zur Sachliteratur, Anleitungsbücher und vor allem die Wissensspeicher, unter ihnen die Bände der Reihe Mein kleines Lexikon (Meyer 1976, 54f.; Hervorhebungen im Original).

Anmerkungen zur Sachliteratur für Kinder und Jugendliche in der DDR

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Traditionslinien, Perioden, Reihen und exemplarische Beispiele Der Name des Naturwissenschaftlers Manfred von Ardenne steht nicht zufällig am Beginn dieses Beitrags Von Ardenne bis Zeiske. Von A bis Z, Von Anton bis Zylinder hieß auch das bekannteste Sachbuch der DDR, das als Lexikon in unzähligen Auflagen erschien (Bellack u. a. 1967). Eine glückliche Jugend im Zeichen der Technik (von Ardenne 1962) wurde bereits 1945 geschrieben, später überarbeitet und tabellarisch angereichert. Das Buch vereint technische Details mit biografischen Fakten, ist also eine Art Selbstbiografie. Der Autor lebte als Forscher in der Nähe von Moskau. Er half, dort ein Institut für elektronische Physik aufzubauen. Im Kinderbuchverlag erschien der Band deswegen, weil Ardenne seinen jungen Lesern im östlichen Teil Deutschlands sein Schöpfertum nahebringen wollte, um sie für die Naturwissenschaften zu begeistern und ihre Phantasie anzuregen. Der im Jahre 1907 geborene Wissenschaftler erzählt Episoden aus seiner Kindheit und Jugend. Er experimentierte schon frühzeitig und mit handwerklichem Geschick, elementarem Spürsinn sowie dem Hang, alles Erfundene auch sofort auszuprobieren. So erlangte er als Kind Erfahrungen auf dem Gebiet des drahtlosen Übermittelns von Nachrichten, der Optik, der Sprengtechnik, des Röntgens u. a., sodass bald sein erstes Patent im Bereich der Radiotelegrafie angemeldet werden konnte. Mehrere Vorträge und Veröffentlichungen verweisen auf die ungemein starke Kreativität des Studierenden. Sein daheim eingerichtetes Laboratorium, das er mittels seiner Publikationen finanzierte, reicherte sich ständig an und wurde Ausgangspunkt weiterer Forschungen in der Hochfrequenztechnik, dem Kinofilm, den Grundlagen des Fernsehens, wobei die Einheit von wissenschaftlichem Denken und ökonomischen Erfordernissen stets maßgeblich war. Besonders die Vielseitigkeit und die Spontaneität der Experimente im KFZ-Wesen und in der Astronomie beeindruckten. Sein Appell an die kindlichen Leser, eigenen Optimismus auszuprägen, dabei einfach und natürlich zu bleiben, jede freie Stunde zu nutzen, nie zu resignieren, entsprechen seinem Lebensstil, muten heutzutage mitunter jedoch etwas plakativ an. Von dem Sachbuchautor und Sohn eines Tierarztes Wolfgang Zeiske stammt Das große Buch vom Wald (Zeiske 1970; EA 1964).3 Zeiske, der nicht nur die Sachbücher um Förster Grünrock schuf und sich zudem auch theoretisch in die Debatte um diese Spezies einmischte (Zeiske 1965, 87ff.), setzte mit seinem Großen Buch vom Wald einen Markstein innerhalb der Reihe der Großen Bücher, denen weitere folgten: Das große Buch zum Buch (Kunze 1983), Das große Buch vom Bauen (Henselmann 1976).

3 Die Artikel zu Ardenne und Zeiske wurden leider für das Handbuch gestrichen.

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Der umfangreiche, aber leicht verständliche Text von Zeiske gliedert sich nach den vier Jahreszeiten. Er ist konkret fixiert auf ein Dorf im Norden der DDR. Seine Landschaft, die dort lebenden Menschen und Tiere sowie die gesamte Pflanzenwelt, so eben auch der Wald, werden ins Zentrum gerückt. Episodisch wird nachvollzogen, welche natürlichen Reaktionen dem Vordringen des Frühlings nach dem harten Winter folgen, welche Pflanzen sprießen, welche Vögel aus dem Süden zurückkehren und welche dablieben, welche Insekten was und zu welcher Tageszeit zu tun pflegen. Das Geschehen wird erlebnishaft inszeniert. Ein Jäger sieht Schlangen und Eidechsen, Tauber und Schnepfen. Beim sich anschließenden Jägerlatein wird die jeweilige Art näher vorgestellt, Besonderheiten der Tiere können daraus abgeleitet werden. Uhu, Falke und Bekassine drohen, einem Waldbrand zu erliegen, aber Feuerwehr und fleißige Bauern bekämpfen einen fahrlässig gelegten Brand, und der Verursacher wird hernach wieder erfolgreich in den sozialistischen Arbeitsprozess integriert. Brisante historisch gewachsene Besitzverhältnisse werden vereinfachend dargestellt, was kurzerhand auch auf die Ausrottung der Raubtiere übertragen wird. Arten- und Naturschutz werden als systemgemäß deklariert. Die Gesetze der DDR zum Naturschutz werden als makellos im Kontext der Erhaltung und Pflege des Waldes erörtert. Jäger und Junge Pioniere helfen selbstverständlich bei der Hege und Pflege des Waldes, nicht nur in den Landschaftsschutzgebieten. Gedichte und Tierfabeln bekannter Schriftsteller der Weltliteratur werden ebenso eingestreut wie Bräuche und Sitten der Menschen in der jeweiligen Jahreszeit (Maibaum, Jagdrituale etc.). Am Ende eines jeden Kapitels werden Fragen zum Text formuliert. Die Antworten findet man am Schluss des Buches, ebenso die Lösungen der Rätsel. Es handelt sich also auch um ein Arbeitsbuch. Ausgehend von diesem ersten schlaglichtartigen Einblick soll nun die Periodisierung in den Fokus rücken und phasenweise eine charakteristische Zuordnung von bedeutenden Entwicklungslinien der Sachliteratur für Kinder und Jugendliche in der DDR im chronologischen Verlauf versucht werden. Im Zeitraum von 1945 bis 1949 existierte noch keine eigentliche, sozialistische Sachliteratur, denn die originelle Tradition dazu fehlte. Es wurden verschiedene Reihen ins Leben gerufen, u. a. auch von der Sowjetischen Militäradministration, weswegen unzählige sowjetische Autoren übersetzt und publiziert wurden. Dazu erschienen Hefte einer sog. Sammelbücherei. Die Kleine Jugendbücherei richtete den Fokus hingegen auf bekannte Schriftsteller der Weltliteratur (Goethe, Schiller, Heine, Lessing u. a.). Die Reihe Werner und Peter auf Entdeckungsfahrten (1948–1950) hatte breiten Zuspruch. All diese Bücher hatten jedoch kaum ästhetischen Anspruch, und sie orientierten sich auf Wissensvermittlung im Sinne der Politik des antifaschistischen und demokratischen Umbruchs. Das änderte sich bereits im Zeitraum von 1949 bis ca. 1961. Diese Zäsuren wurden geprägt von der Gründung der DDR, die auf die Gründung der BRD

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folgte, bis hin zum Errichten der Mauer, des antifaschistischen Schutzwalls, mit dem sich eine Störfreimachung der sozialistischen Wirtschaft in dem Vokabular der Parteiführung verband. Jetzt wurden neue Reihen der Sachliteratur etabliert, bspw. Unsere Welt und Wissenschaft und Technik, die sogar über 50 Hefte erreichte. Der bildungspolitische Aspekt wurde darin stärker betont, was insbesondere in den Überblicksdarstellungen zum Schiffsbau, zur Elektronik und konkret zum Erdöl ersichtlich wurde. Nicht nur, weil Hermann Heinz Wille aus dem Chemnitzer Raum stammte, soll deswegen sein Buch Die goldene Woge (Wille 1960) hier exemplarisch vorgestellt werden, sondern auch, weil es immer noch sehr aktuell sein dürfte. Es erörtert die Spezifik des Erdöls, und der Untertitel Geschichte und Geschichten einer Weltmacht verweist auf die wirtschaftliche Bedeutung der goldenen Woge. Millionen von Jahren lag und liegt es als Rohstoff im Schoß der Erde, und – neben dem Element Wasser – bestimmt es fortan das Leben der Menschheit. Wille schildert detailliert die Zugriffe auf das Erdöl im 18. Jahrhundert, als es gleichsam Grundlage der kapitalistischen Produktion wurde, der Konzernbildung im asiatischen, europäischen und später im amerikanischen Raum. Die kriegerischen Kämpfe um das Öl, seine mühevolle Förderung und die damit einher gehende Entwicklung solcher Industriezweige wie der Bau von Dampfmaschinen, die Seefahrt, die Eisenbahn, das Flugwesen, die KFZ-Technik und chemische Produktionszweige werden chronologisch und landesspezifisch aufbereitet, wobei parlamentarische und militante Operationen um das Öl nicht verheimlicht werden. Jedoch muten die Hinweise darauf, das Öl in den sozialistischen Ländern einer humanistischen Bestimmung entgegen zu führen, heute sonderbar an: Erdöl sei hier ausschließlich Kraftstrom der Wirtschaft und Lebensblut der Chemie in der Planwirtschaft. Nach 1949 wurden einige sog. Jahrbücher vom Kinderbuchverlag herausgegeben, z. B. Der junge Naturforscher, Der junge Techniker oder Welt in der Tasche; letztere erreichte 26 Bände. Daneben erschienen eine Unmenge an Biografien über Wissenschaftler, Politiker, Philosophen, Schriftsteller und Erfinder sowie Reportagen, Reisebücher und Ratgeber. Die Darstellung insgesamt wird vielfältiger und ästhetisch anspruchsvoller. Sachliteratur für Kinder ist auf Allgemeinbildung im Sinne der marxistisch-leninistischen Strategie ausgerichtet mit dem Ziel, dass sich die jungen Leser aktiv mit gesellschaftlichen, sozialen, technischen und kulturellen Problemen auseinander setzen. Wissenschaftliches Denken soll auf diese Weise unterhaltsam provoziert werden, wie bspw. im Buch Der Orgelbauer Gottfried Silbermann (Habermann/Habermann 1953). Dora und Hans Habermann schildern darin biografische Stationen dieses Tonforschers, Handwerkers und Orgelbauers. Die beinahe epische Handlung währt vom Beginn des 18. Jahrhunderts bis zum Tod des Königlich Sächsischen

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Orgelbauers im Jahre 1753. Mittels witziger Episoden wird nachgezeichnet, wie Silbermann als 20-Jähriger zu seinem Bruder Andreas nach Straßburg findet, der dort bereits ein angesehener Orgelbauer ist. Gottfried wird bei ihm Lehrling, erst Tischler, dann Orgelbauer, erwirbt daheim den Gesellenbrief, und als er seinem Bruder ebenbürtig ist, geht er nach Sachsen zurück. Hier werden nun die wichtigsten Stationen seiner künstlerischen Handwerkstätigkeit aufbereitet, seine Spur der Orgeln, wobei in den Dialogen die jeweiligen Bestandteile dieser besonderen Musikinstrumente, ihre unterschiedlichen Gewerke, die anfallenden Material- und Lohnkosten ebenso aufgeführt werden wie die teilweise dramatischen Auseinandersetzungen mit den Auftraggebern, mit handwerklichen Partnern oder prüfenden Domorganisten, wenn ein solches Projekt fertig gestellt worden war. Besonders interessant sind die Hinweise auf die punktuelle Zusammenarbeit mit dem späteren Thomaskantor Johann Sebastian Bach, der des Lobes voll war über die Orgelwerke des Meisters. Der kindliche Leser erhielt so einen Einblick in die körperlich anstrengende und recht vielseitige Tätigkeit jenes Berufes und in das mühevolle Getriebensein, um eine solche Berühmtheit erlangen zu können. Der Zeitraum von 1961 bis etwa 1971 wird markiert vom Mauerbau bis zum Beginn des sog. entwickelten sozialistischen Systems des Sozialismus in der DDR. Die Sachliteratur innerhalb der Produktion von Kinder- und Jugendliteratur wird nun als selbst- und eigenständiger Zweig angesehen, ebenso wie die Kinderund Jugendliteratur innerhalb der sozialistischen Nationalliteratur auch in den offiziellen Dokumenten als wesentlicher Bestandteil benannt wird. Als Prämisse galt dabei für die Sachliteratur, dass sie die Einheit von Bildung, Erziehung und Unterhaltung zu befördern habe, um die erwünschte allseitige sozialistische Bildung und Erziehung gewährleisten zu können. Dazu müsse sie ihre literarische Qualität weiter entwickeln. Folglich solle ein höherer ästhetischer Anspruch gelten, sowohl in den Bereichen Naturwissenschaft und Technik als auch in der Gesellschaftswissenschaft und Kultur. (Günther 1988a, 15) Deswegen kam es auch unter den Schriftstellern, die Sachliteratur publizierten, zu Disputen, ebenso wie zwischen Autoren und Kritikern. Insbesondere die Biografien erheischten dabei Interesse, weil sie als »Mischformen« zwischen Sachliteratur und Belletristik angesehen wurden (Hansgeorg Meyer, Günter Ebert, Karl Rezac). Das eingangs erwähnte Große Buch vom Wald von Zeiske ist hierzu ebenso als Beispiel anzuführen wie PS auf allen Straßen des Chemnitzers Hermann Heinz Wille (Wille 1964), was mich natürlich als vormaligem Motorenschlosser besonders interessierte. Das Buch vom Auto, wie es im Untertitel heißt, erschien in mehreren Auflagen bis 1989 und galt als Bestseller auf dem Gebiet des KFZ-Wesens und seiner literarischen Aufarbeitung. Wille beschreibt akribisch, mit Sachverstand und umfangreichem Hintergrundwissen die Geschichte der Dampfmaschine und der

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Otto- und Dieselmotoren, wobei biografische Fakten zu den Erfindern (Benz, Maybach, Diesel, Horch u. a.) und auch Anekdoten über sie eingeflochten werden, wodurch der Text aufgelockert wird. Mit angemessener Präzision werden Entwicklungsprozesse der Motoren, der Automobilfirmen in Deutschland, Europa und Amerika nachgezeichnet. Es wird die beginnende Konkurrenz zwischen den Produzenten geschildert und die spezifische Ausprägung der KFZTechnik in den Wirren des Ersten Weltkrieges dargestellt. Ein Kapitel geht der Herkunft, Zusammensetzung und originellen Produktion des Kautschuks bzw. der Luftbereifung nach, die den Automobilbau revolutionierten, sowie der Herstellung und ständigen Verbesserung verschiedener Kraftstoffe. Hitlers sog. Motorisierungsprogramm, die Geschichte des Automobilsports vor und nach dem Zweiten Weltkrieg, die unterschiedlichsten Strukturen der Autoproduktion nach 1945 in Ost und West, wobei erstaunlicherweise viele Typen und Fabrikate westeuropäischer und amerikanischer Herkunft durch Bild und Text vorgestellt werden, bilden die Basis für visionäre Ausblicke der Autobranche, die im Fahrzeug mit Wankel- bzw. Hubkolbenmotor sowie im Fahrzeug mit Elektromotor gesehen wurden. Letzteres erweist sich heute bspw. als heftig diskutierte Realität. Ein historischer Überblick sowie ein Personen- und Sachwortverzeichnis runden dieses aussagekräftige und informationsreiche Buch ab. Erwähnenswert ist außerdem noch Kurt Davids Beethoven-Buch Begegnung mit der Unsterblichkeit (David 1970). Als ich im Erscheinungsjahr an der PH Zwickau zu lehren begann, stand dieser Titel fest im Seminarplan zur Kinderliteratur. Über viele Jahre hinweg war das Buch Beispiel dafür, wie biografische Fakten auf ästhetisch anspruchsvolle Weise miteinander verbunden sein können und wie gleichsam die ästhetische Aneignung des Gegenstandes motiviert werden und sein kann. Dafür sorgten die Auswahl der Fakten und Details aus dem Leben des Tonkünstlers, das zeitliche Aufeinander-Zugehen der Hauptfiguren Fritz Sandrino und Beethoven und nicht zuletzt die Bildhaftigkeit der Sprache sowie der Illustrationen, einschließlich der dokumentarischen Fotografien. Kurt David sind weitere derartige ästhetisch innovative Bücher zu verdanken. Nicht unerwähnt sollte bleiben, dass sich, ebenso wie David, weitere bekannte Erzähler der Sachliteratur widmeten. Als Beispiel soll hier Hannes Hüttner stehen, der in Zwickau geboren wurde. Als Mediziner, Soziologe, Philosoph und eben auch Schriftsteller für Jung und Alt publizierte er auch Sachbücher für Kinder, die sich teilweise noch heute großer Beliebtheit erfreuen. Bei der Feuerwehr wird der Kaffee kalt (Hüttner 1969) wurde in der DDR mehrfach verlegt und erschien vor einigen Jahren in der dreibändigen Sammlung Die schönsten Kindergeschichten der DDR (Schiller 2009, 35ff.), wobei der erste Band den Titel Erzähl mir vom kleinen Angsthasen trägt. Dieses Sachbilderbuch wurde zum Klassiker. Löschmeister Wasserhose, der soeben drei gute Dinge getan hatte,

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beabsichtigt, sich mit seiner Mannschaft auszuruhen und an den Tisch zu setzen, als Alarm ausgelöst wird. Oma Eierschecke hatte einen Wohnungsbrand verursacht, der schnell gelöscht werden muss. Kaum hatten sich die sieben Männer – wie die sieben Zwerge – wieder an den Tisch gesetzt, klingelt es erneut. Der Junge Emil Zahnlücke ist auf dünnem Eis eingebrochen und muss an Land gehievt werden. Die Feuerwehrleute haben sich noch nicht wieder an ihre Tellerchen gesetzt, als der Anruf vom Tierpark erfolgt. Beim Baumfällen ist ein störrisches Geäst ins Futterhaus gestürzt und hat die Tiere in Aufruhr versetzt. Mit einem Kranwagen gelingt es, die Störung zu beseitigen. Aber der Leser fragt sich: Ist der Kaffee noch warm? Wann kommt der nächste Anruf ? Die witzigen Illustrationen von Gerhard Lahr unterstützen den komischen Gestus. Die Methode der fördernden Redundanz wird als Grundlage dafür angesehen, dass hier eine Zuordnung zum Sachbilderbuch erfolgte. (Günther 1988a, 76) Ein anderer Titel von Hüttner lautet Die Leute mit den runden Hüten (Hüttner 1968). Darin widmet sich Hüttner Geschichten aus Wirtschaft und Technik. Das Buch ist an Kinder ab zehn Jahren gerichtet. In 13 Kapiteln, deren Überschriften bereits die Vielfalt der Themen erahnen lassen, wird ein Bogen von der Steinzeit bis zur Gegenwart gespannt. Hüttner geht der Entstehung der menschlichen Arbeit nach. Dabei benutzt er Bereiche der metallverarbeitenden Industrie, verschiedenste Handwerke, Erfindungen in der Technik und in der Chemie, nennt die schwierigen Situationen innerhalb der Rohstoffressourcen. Die Texte werden mit Tabellen und Fotos von Heinz Bormann angereichert. An Beispielen veranschaulicht Hüttner, wie konkrete Betriebe und Institutionen in der DDR an jene Geschichte gebunden sind. Deren Bedeutung wird gleichsam im gesamten Mechanismus des Landes erörtert. Kraftwerke, der Kohlebergbau, der Flugzeugbau, Strumpffabriken, Handelsfirmen, KFZ-Betriebe, Touristikzentren und auch die staatliche Plankommission werden auf diese Weise durch Fakten und Zahlen vorgestellt. Die Leute mit den runden Hüten, also die Vertreter der einzelnen Gewerke, vermitteln so die originelle Bildhaftigkeit des Sachbuchs. Die eingestreuten Zukunftsvisionen Hüttners haben sich jedoch heute größtenteils in Luft aufgelöst. Der folgende Zeitraum eigener Art sind innerhalb der Geschichte der Sachliteratur für Kinder und Jugendliche der DDR die Jahre von 1971 bis ca. 1981, endend mit dem Beginn der sog. entwickelten sozialistischen Gesellschaft. Man ging zu Beginn dieses Jahrzehnts davon aus, dass dann die sozialistischen Produktionsverhältnisse in der DDR endgültig gesiegt hätten. Quantität und Qualität der Sachliteratur für Kinder waren weiter sichtbar gestiegen, was sich an der Vielzahl der veröffentlichten Titel zeigte, wobei die bekanntesten Illustratoren einbezogen worden waren (vgl. Günther 1988a, 92ff.). Die Buchproduktion erlebte in den siebziger Jahren einen erheblichen Zuwachs. Erste Preise wurden auch für die Kategorie Sachliteratur ausgelobt, die

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zu den jährlich in einem anderen Bezirk der DDR stattfindenden Tagen der Kinder- und Jugendliteratur vergeben wurden; Günther Radzun bekam ihn 1978, Erwin Bekier 1980. Ständig wurden neue Reihen – neben den bereits etablierten – ins Leben gerufen, so die Kofferbuch-Reihe, die Liliput-Bücher, die Serie Ich weiß was oder Die kleine Foto-Reihe. In der Reihe Mein kleines Lexikon ist exemplarisch wieder auf die Chemnitzer Helga und Hansgeorg Meyer zu verweisen. Aus dem Buch Bücher, Leser, Bibliotheken (Meyer 1976) wurde bereits die Definition zum Sachbuch zitiert. In ihrem Buch Straßen, Plätze, große Namen (Meyer/Meyer 1973) werden ausgewählte markante Persönlichkeiten vorgestellt. Biografische Fakten und originelle Begebenheiten werden in Gesprächsform aufbereitet. Eingestreute Anekdoten lockern den Text auf und holen die Koryphäen vom Sockel. Man erfährt Lebensstationen von Johann Gottfried von Schadow, den Schöpfer der Quadriga auf dem Brandenburger Tor zu Berlin, vom Montanforscher, Arzt und Schulleiter Georgius Acricola, es werden die Tonschöpfer Johann Sebastian Bach und Wolfgang Amadeus Mozart präsentiert, der Arbeiterführer August Bebel, der Dichter und Staatsmann Johannes R. Becher, der Dramatiker und Regisseur Bertolt Brecht, die Politiker und Hochschullehrer Hermann Duncker und Otto Nuschke, natürlich die Philosophen Karl Marx und Friedrich Engels, der Feldherr August Neidhardt von Gneisenau, die Klassiker Johann Wolfgang Goethe und Friedrich Schiller, der Buchdrucker Johannes Gutenberg, die Arbeiterführer Otto Grotewohl, Wilhelm Pieck, Ernst Thälmann, Rosa Luxemburg, aber auch das Berliner Künstler-Original Heinrich Zille und der Entdecker Wilhelm Conrad Röntgen u. v. a. All diese Personen standen auf Namensschildern allerorten in der DDR, auf Straßen und Plätzen, und über lustige oder markante Episoden werden sie den kindlichen Lesern nahe gebracht, wenngleich just bei den Schilderungen aus dem Leben der Arbeiterführer ein wenig Glorie nicht zu übersehen ist. Was historische Prozesse betrifft, ragen m. E. neben Büchern von Gerda Rottschalk die Titel von Gerhard Hardel heraus. Sein Buch Hellas. Geschichten vom alten Griechenland (Hardel 1975) erzielte mehrere Auflagen, und es dürfte noch heute von Interesse sein. In einer recht saloppen und plaudernden Art schildert Hardel den Aufstieg und den Niedergang des klassischen Hellenismus Griechenlands. Der Text beginnt mit der Einwanderung der Dorer ca. 1.200 v. u. Z. Episoden- und faktenreich wird das Vordringen der späteren griechischen Stämme auf die Inseln im Ägäischen Meer, auf das Festland zwischen diesem Meer und dem Ionischen Meer beschrieben. Auf der Karte der Inneneinbände vermag man die wichtigsten Stationen aller darauf folgenden Entwicklungen zu erkennen: den Niedergang Kretas, die Götterwelt der griechischen Mythologie, Homers epische Aufzeichnungen davon, die wundersamen und spannenden Biografien einzelner herausragender Helden wie Herakles und

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Theseus, den Aufstieg Spartas, die ständigen Fehden zwischen Athen und Sparta, die mehrfachen Kriege zwischen griechischen und persischen Formationen, die Entwicklung der klassischen griechischen Kultur, Demokratie, Wissenschaft und Philosophie – dies alles und noch mehr wird durch die Präsentation einzelner vorbildlicher Persönlichkeiten bildhaft dokumentiert. Hardel gelingt es durch seine plastische und teilweise ironisierende Stilart, das historische Geschehen unmittelbar wie einen Film und greifbar nahe ablaufen zu lassen. Unzählige Sachbücher widmeten sich den Themen der Kunst, genauer der Baukunst, Malerei, den Museen sowie der Literatur und Sprache. Hier ist nachdrücklich auf das Sprach- und Spielbuch Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel von Franz Fühmann (Fühmann 1978) zu verweisen, mit dem viele Lehrer nachweislich direkt im Literaturunterricht gearbeitet haben. Als Spielbuch in Sachen Sprache, als Sachbuch der Sprachspiele, als Sprachbuch voll Spielsachen wird es im Untertitel ausgewiesen. Mittels fiktiver Szenen werden Sprachspiele vorgestellt, die zur sofortigen Nachahmung einladen und schöpferische Weiterverarbeitung provozieren. Wortbildungen mit einem oder mehreren Vokalen, Vokalharmonie in deutschen und türkischen Vokabeln, Sprachverhunzung durch falsche Betonung und Schreibweise, Kugelwörter, Experimente mit Vor- und Rückwärtslesen, Umdrehwörter werden von der zwergenhaften Gestalt, dem Medium Küslübürtün, sowie von dem hier fiktiven Philosophen Schopenhauer und dem Dichter Morgenstern auf spielerische Weise in scheinbarer Dialogform dargestellt. Witzige Inszenierungen des Kauderwelschs von Sportreportern und kurioser Wort- und Buchstabensalat regen ebenso zum lustigen Nachdenken an wie die anschauliche Zeichnung der verschiedenen Sprachtypen, Sprachfamilien und Sprachwurzeln. Die komischen Alphabete der Dichter Bertolt Brecht und Wilhelm Busch sowie die Nonsensgedichte und Reimereien Morgensterns bieten den Anlass, über die Unterschiede zwischen künstlerischer und wissenschaftlicher Sprache zu philosophieren. Diffizile Kreuzworträtsel laden zur Phantasieentwicklung ein. Neben der Fortsetzung der sog. Rund-um-Bücher (zur Physik, zur Erde, zu den großen Erfindungen u. a.) war es wiederum Hannes Hüttner, der mit Saure Gurken für Kaminke (Hüttner 1976) ein anspruchsvolles, abwechslungsreiches, turbulentes und witziges Sachbuch publizierte, gewissermaßen ein Sachmärchen. Der Untertitel verrät bereits den Gegenstand: Was geht in der Schokoladenfabrik Knabberswalde vor? Humorvoll wird die Herstellung dieser nicht nur bei Kindern beliebten Süßigkeit beschrieben. Der Zwerg Eduard Kaminke treibt seit Ewigkeiten sein Unwesen auf dem Dachboden der Schokoladenfabrik, verspeist aber selbst am liebsten Rollmops oder saure Gurken, als Kontrast sozusagen. Er kennt alle an der Produktion von Schokolade beteiligten Gewerke und Menschen sehr gut. Der kindliche Leser begleitet den Zwerg nun auf einem

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seiner täglichen Rundgänge durch die Fabrik, um den Werdegang bis hin zur fertigen Praline kennenzulernen. So lernt er von der Entstehung der Schokolade über die Produktion und den Warenausgang bis zum Handel alle Stationen kennen, die das süße Produkt durchläuft. Als der Zwerg einmal heimlich unterwegs ist, stolpert er und verschüttet dabei Senf, der in die Mischung von Rohstoffen für die Pralinenherstellung gelangt. Die nun »verdorbenen« Pralinen lassen die Frage akut werden, wie der Senf in die Pralinen kommen konnte, und zuletzt wird der Hauszwerg als Verursacher entlarvt, der sich gewaltig dafür schämt. Aber alle Beteiligten bitten ihn trotzdem inständig, sich nicht zur Ruhe zu setzen, sondern weiter für Ordnung im Ablauf der Produktion zu sorgen, was dann auch geschieht. Hüttner verwendet im Text bekannte Märchenmotive, wobei der Unheil anrichtende und böse Zwerg hier umfunktioniert wird zu einem Sachwalter des Guten, der dem Leser auf kindgemäße Art seine Tugenden präsentiert. Nicht zu unterschätzen sind in diesem Zeitraum viele Reisebücher, die nicht nur die europäischen sozialistischen Länder im Blick hatten, sondern z. B. auch Kuba, Italien, Algerien. Für die Welterkundung hatten die Sachbilderbücher regen Anteil, wie bspw. Roter Platz und ringsherum von Uwe Kant (Kant 1977). Das Buch war eines der Lieblingsbücher meines Sohnes, der in einer Russischklasse lernte. Seine Reise anlässlich der Jugendweihe führte ihn über Moskau bis Uljanowsk, wobei jenes Buch im Vorfeld oft »benutzt« werden konnte. Ausgehend von einem stadtplanähnlichen Überblick, der den Roten Platz von Moskau als Zentrum ausweist und die wichtigsten Straßen dieser Metropole in alle Richtungen bezeichnet, schildert der Autor seine Begegnungen mit der Hauptstadt der Sowjetunion. Dabei stellt er nicht nur Lebensgewohnheiten, Sitten und Bräuche der Stadtbewohner vor, sondern über scheinbare Nebensächlichkeiten, witzige Episoden und persönliche Erlebnisse wird ein relativ differenziertes Bild russischen Lebensstils gezeichnet. Die wichtigsten Details werden in kurze Passagen versteckt, z. B. die Einwohnerzahlen, das Metro-Netz, die Struktur der Bahnhöfe, die Klöster und Türme, Dichter und Universitäten etc. Die grell-bunten Illustrationen Bofingers zu landesüblichen Spielzeugen und Souvenirs sowie die eingefügten Märchen dürften ebenso auf Interesse stoßen wie der humorvolle Sprachkurs. Die nebenhin erscheinenden Bemerkungen zur deutsch-sowjetischen Freundschaft wirken dabei nicht aufdringlich, wenngleich der Gigantismus der damaligen Machthaber auch heute noch ins Auge springt (Mausoleum, Paraden auf dem Roten Platz, Metrostationen u. a.). Die Sachliteratur für Kinder und Jugendliche hatte sich insgesamt den Bedürfnissen der Zeit beachtlich genähert. (vgl. Günther 1988a, 92) Im Zeitabschnitt von 1981 bis 1989, dem Ende der DDR, ist das stärkste Anwachsen der Sachliteratur für Kinder und Jugendliche zu beobachten. Harri Günther ermittelte folgende Zahlen: Von 1981 bis 1986 wurde ca. ein Viertel der

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Gesamtproduktion von Sachliteratur ediert, in fünf Jahren also 750 Titel. Das schlug sich übrigens auch nieder in der Auswahl der im Handbuch übrig gebliebenen Titel, denn von 60 waren es insgesamt 33 aus dem oben genannten Zeitraum. War 1973 unter10 gelesenen Kinder- und Jugendbüchern lediglich ein Sachbuch, so waren 1983 unter 10 wirklich gelesenen Büchern bereits 7 Sachbücher (vgl. Günther 1988a, 116). Dieser deutliche Zuwachs war auch bei der Preisvergabe nachzuweisen, die anlässlich der jährlich stattfindenden Tage der Kinder- und Jugendliteratur vorgenommen wurde. Die Preise für Sachliteratur erhielten 1982 Karl Rezac für seine ästhetische Art der Sprachgestaltung, 1984 Hans Kleffe für seine Stoffauswahl und 1986 Reimar Gilsenbach für seine kompositorische Vielfalt. Obwohl die Produktion der Sachbilderbücher innerhalb der Sachliteratur beinahe verdoppelt werden konnte, wurde sie von der Literaturwissenschaft kaum beachtet, trotz dass sie sich – wie die Kinder- und Jugendliteratur in der DDR an sich, bspw. die Bücher von Jurij Koch, Joachim Nowotny, Wolf Spillner u. a. – brisanten sozialen, gesellschaftlichen und besonders ökologischen Problemfeldern zuwandten. Als Beispiel soll hier das Buch Wie soll man Bäume pflanzen? Wege zur Abrüstung von Andre Brie (Brie 1984) dienen. Es schildert die Situation zu Beginn der achtziger Jahre, als der Kalte Krieg auf seinen Höhepunkt zusteuerte und die Gefahr einer Eskalation der Waffensysteme, die sich nicht nur, aber auch in Europa geballt gegenüber standen, bedrohlich nahe gewesen war. Appelle an den Leser, diese drohende Gefahr abwenden zu helfen, die Abrüstung voran zu treiben, um eben wieder und weiterhin Bäume pflanzen zu können und damit eine friedliche Zukunft für alle zu gewährleisten, bestimmen den Duktus des Buches. Historische Exkurse zu den verschiedenen Waffenarten, Zahlen der militanten Auseinandersetzungen der Jahrzehnte vor dem Erscheinen des Buchs, Fotos und Tabellen, die diesen Irrsinn belegen, stehen im Kontrast zu den Fakten über die Armut auf der Welt, die Hungersnöte, die Zunahme der Zahl der Arbeitslosen und des Analphabetismus. Dagegen werden die Friedensbewegungen weltweit gesetzt, wobei diejenige in der DDR auf die offizielle von Partei und Staatsführung reduziert wird. In diesem Zusammenhang kann noch auf Wolf Spillner verwiesen werden, der u. a. mit Schätze der Heimat (Spillner 1986) seine kunstvolle Art der Bildgestaltung unter Beweis stellte. Er begab sich oft in Naturschutzgebiete in ganz Europa, um Tiere und Pflanzen in ihrer Artenvielfalt festzuhalten und zu erklären. Hier werden nun 14 Naturschutzgebiete der DDR dem jungen Leser vorgestellt. Solide aufbereitetes biologisch-ökologisches Fachwissen wird ergänzt mit vortrefflichen und oft ästhetisch-anspruchsvollen Fotos von Pflanzen und Tieren, von Landschaften und Menschen jener ausgewählten Regionen, sodass sich Spillners Sensibilität und Begeisterung für die heimische Flora und Fauna unmittelbar auf den Leser zu übertragen vermag. Auch sprachlich werden

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jene Kostbarkeiten der Natur so geschildert, dass Emotionen und Phantasie beim Leser geradezu herausgefordert werden. Die Inseln Oie und Kirr als Enklaven der seltensten Vogelarten, die Seenlandschaft um Schwerin mit ihrem ureigenen Pflanzen- und Tierbestand, das Naturschutzgebiet Heilige Hallen in Mecklenburg, der Gülper See bei Potsdam, die Oderhänge Mallnow in ihrer Unverwechselbarkeit, die Mücken, Libellen und Störche im Spreewald, der Solgraben bei Halle, die Solwiesen nahe Erfurt, die Burgaue bei Leipzig sowie das Triebtal im Vogtland sind nur einige Ziele des Schriftstellers und Fotografen. Stets werden originelle Erscheinungen bildhaft und einprägsam beschrieben, nicht ohne den Naturschutz als Anliegen des Gemeinwohls hervorzuheben und den Leser gleichsam ohne erhobenen Zeigefinger aufzufordern, sich selbst dabei produktiv einzubringen. 761 Naturschutzgebiete mit über 100.000 Hektar Ausdehnung befanden sich seinerzeit auf dem Territorium der DDR – sie alle wollten und sollten gehegt und gepflegt werden. Spillner hat sehr viele derartige Bildbände veröffentlich, vor und nach 1989: Zwischen Alpen und Eismeer (1987), Schmetterlinge (1989), Feldornithologie (1990), Die Graugans (1990) und Der Seeadler (1993; 2004). Im Kontext zu provokativen Kinder- und Jugendbüchern wie Abschiedsdisko (1981) von Joachim Nowotny, Die Wasseramsel (1984) von Wolf Spillner oder Augenoperation (1988) von Jurij Koch war es besonders Reimar Gilsenbach, der mit seinem Buch Rund um die Natur (Gilsenbach 1982) die Gemüter erhitzte. Ökologische Entgleisungen werden hier offen angeprangert, also nicht nur registriert, sondern heftig kritisiert. Gilsenbachs Verdienst ist es, extreme Deformationen dieser Art nicht nur der kapitalistischen Gesellschaft zuzuschreiben, sondern sie auch in der DDR aufgespießt zu haben. Die verschmutzte Mulde bei Dessau, die Vernichtung von Pflanzen und Tieren bei Projekten des Städtebaus, die Verwüstung der Landschaft durch die Braunkohleförderung in der Lausitz sind solche Beispiele. Historische Exkurse belegen den ständig zunehmenden Raubbau in der Natur, die Liquidierung von Meeren und Flüssen und damit verbundene Vernichtung von Lebensmöglichkeiten für Insekten, Tiere und Menschen. Der kindliche Leser wird provoziert, die Natur zu bewahren und zu gestalten. Indem der Autor die auch in der sozialistischen Gesellschaft existierende Bürokratie benennt, die jene hehren Ziele behindere, gab er wesentliche Anstöße zur Diskussion um den Umweltschutz. Erstaunlich innovativ gestaltete Sachbücher wurden ebenfalls im Bereich des historischen Sachbuchs publiziert, biografische Texte eingeschlossen, bspw. zu Martin Luther, Johann Friedrich Böttger oder dem Maler und Holzstecher Ludwig Richter. Die verschiedenen Kunstarten wie Malerei, Theater, Musik, Architektur wurden ebenso Gegenstand wie die Kunstgeschichte. Aber auch die Weltreligionen und ihre Geschichte fanden Aufmerksamkeit.

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In diesem Zusammenhang setzte Bruno Gloger mit Kreuzzüge nach dem Orient (Gloger 1985) ein Zeichen. Er skizzierte darin die Umbrüche zwischen den Weltreichen und den Religionen, die sich seit Beginn unserer Zeitrechnung ergaben. Von den Ursachen und Folgen der Kreuzzüge im 11. Jahrhundert ausgehend, werden historische Linien und markante Orte der Glaubenskriege nachgezeichnet, die sich zwischen Juden, Christen und Moslems entwickelten, die Wallfahrtsorte beschrieben, das Zusammenspiel und Gegeneinander der weltlichen und kirchlichen Machtstrukturen angedeutet, die seltsamsten Arten der Anwerbung von Söldnern geschildert, die unter dem Deckmantel der kirchlichen Würdenträger geschahen und hernach zu militanten Auseinandersetzungen führten, die oft im Fiasko endeten. Insbesondere wird die Geschichte der Kriege um Jerusalem aufbereitet, die mit dem Untergang der sog. Kreuzfahrerstaaten ihren vorläufigen Abschluss fand. Das spannende und aufschlussreiche Buch schließt mit einem detaillierten Verzeichnis, das Ortsnamen, religiöse Begriffe und Rituale erklärt und mit einem Personenregister ergänzt wird. Zunehmend wichtiger wurden in den achtziger Jahren Aspekte der Astronomie, der Raumfahrt, die Welt der Roboter, die Herkunft der Diamanten, das Weltklima und seine Veränderungen, einschließlich der nachweislichen Erdbebenstrukturen, die Geschichte der Technik, insbesondere die der Verkehrsmittel. Ebenso wuchs die Ratgeberliteratur stark an, denn das Reparieren in allen Sach- und Lebensbereichen gehörte zur Normalität in der DDR, ebenso wie das Konservieren von Obst und Gemüse sowie kosmetische Selbstleistungen. Mehr und mehr gerieten auch die Verhaltensregeln des Benehmens im privaten Bereich und in der Öffentlichkeit in den Fokus. Der Schriftsteller, Mediziner und Soziologe Hannes Hüttner hatte mit dem Großen Gesundbleibe-Buch (1989) in diesem Bereich Erfolg. Bereits vorher wurde sein Titel Das große Benimm-Buch (Hüttner 1988, EA 1984) ein Bestseller.4 Hüttner und der Illustrator Egbert Herfurth zeichnen und interpretieren alltägliche Situationen menschlichen und familiären Lebens mittels Bildfolgen nach, die Comics ähneln und sowohl Hunde als auch Katzen agieren lassen, jedoch in Menschengestalt. Aspekte des Taktes, zwischenmenschliche Beziehungen werden in origineller Weise aufgespießt, die den Leser bereits auf den ersten Blick nachdenklich stimmen. Denn der Anteil der Illustrationen über4 Das Buch könnte heute ein wesentlicher Markstein in der Diskussion um die Erziehung von Kindern sein und den Disput um die sog. Helikopter- bzw. Einstein-Eltern bereichern. In der Welt am Sonntag vom 6. März 2016, 2f. sind dazu zwei Publikationen zu lesen, die heftig auf die brisante Situation hinweisen: unter der Überschrift Respektlos liest man, dass der Umgangston heute in Deutschland rauer werde, im Netz und auf der Straße geschimpft und gepöbelt werde und die Umgangsformen und Benimmregeln täglich außer Kraft gesetzt würden (Sack 2016; Juul 2016).

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wiegt, und die Texte verweisen mit Humor, Ironie und Satire auf das Wesentliche, mitunter auch in der Umkehrfunktion. Sich zu grüßen, sich bedanken, sich gegenseitig bekannt machen, gegenseitige Rücksichtnahme im häuslichen und öffentlichen Bereich, der Umgang mit Kindern und Erwachsenen, das notwendige Verhältnis zu Geld, zur Zeit sowie zu materiellen Dingen werden meist am negativen Beispiel vorgeführt und drastisch inszeniert. Ein Beispiel soll das erklären: Im Kapitel Zwei wichtige Worte sind bitte und danke ist die erste Bildfolge mit dem Text versehen: »Danken heißt, Freude über eine Gefälligkeit auszudrücken« (Hüttner 1988, 11). Darüber ist ein Bild zu sehen, auf dem ein Kind einen Erwachsenen bittet, einen Apfel vom Baum zu pflücken, weil es selbst nicht so hoch reichen kann. In der Mitte ist zu sehen, wie der Erwachsene das Kind hochhebt, damit es den Apfel abzunehmen vermag. Darunter sieht man, wie sich das Kind mit dem Apfel aus dem Bild bewegt, sich sogar bedankt, der Helfer aber bekommt von einem anderen Erwachsenen einen Korb über den Schädel geschlagen. Das Ende ist offen. – Was wird von dieser Sachliteratur innerhalb der Kinder- und Jugendliteratur der DDR bleiben? Diese Frage stellte ich bereits auf dem ersten gesamtdeutschen Germanistentag im Jahre 1991 in Augsburg (Neubert 1992). Und sie wird immer wieder gestellt werden, weil auch im gesellschaftlichen und sozialen Leben in Ost und West derartige Fragen modifiziert ständig auftauchen: Sind die heute entstehenden Arztpraxen die Nachahmung der Polikliniken in der DDR? Sind die jetzt gegründeten Jugendsportzentren aus den Konzepten der Kinder- und Jugendsportschulen der DDR erwachsen? Werden nicht heute manche Bildungs- und Erziehungskonzepte aus den Schubladen geholt, die seinerzeit im Osten bereits maßgeblich waren? Waren die Erfolge finnischer Bildung bei PISA auf derartige Konzepte zurückzuführen, die Ende der siebziger Jahre von finnischen Spezialisten in der DDR vorgefunden und produktiv umgesetzt worden waren? Denn in Finnland, so resümierte man nach den berühmten und gleichsam ominösen Studien, waren die Leihbibliotheken Zentren des Austausches zwischen Kindern und Erwachsenen über gelesene Literatur, ebenso wie die DDR ein Leseland gewesen zu sein schien. Dass die DDR ein Leseland war, wird zwar heutzutage als These mitunter dementiert (Wessel 2015), aber Wessels Forderungen nach einer sozialen Grundausrichtung der Schulen, wie sie in der DDR gang und gäbe war, sind beachtenswert. Dort wären die Bildungschancen nicht vom sozialen Status der Eltern abhängig gewesen, die Lehrer seien meist exzellent methodisch ausgebildet gewesen und die Schüler hätten oft lange Zeit miteinander gelernt, was sich günstig auf ihre gesamte Persönlichkeitsentwicklung ausgewirkt habe. Und weswegen sollte die Literatur dieses versunkenen Landes nicht ab und an in Erinnerung gerufen werden, und sei es lediglich für wissenschaftliche Zwecke?

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Reiner Neubert

Primärliteratur Ardenne, Manfred von: Eine glückliche Jugend im Zeichen der Technik. Berlin: Kinderbuchverlag, 1962 Bellack, Siegrid [u. a.] (Hgg.)/Binder-Staßfurt [u. a.] (Ill.): Von Anton bis Zylinder. Berlin: Kinderbuchverlag, 1967 Brie, Andre (Text/Ill.)/Peter Schulz (Ill.): Wie soll man Bäume pflanzen? Wege zur Abrüstung. Berlin: Kinderbuchverlag, 1984 David, Kurt: Begegnung mit der Unsterblichkeit. Berlin: Kinderbuchverlag, 1970 Fühmann, Franz/Egbert Herfurth (Ill.): Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel. Berlin: Kinderbuchverlag, 1978 Gilsenbach, Reimar (Text)/Rainer Sacher/Christiane Gottschlich (Ill.): Rund um die Natur. Berlin: Kinderbuchverlag, 1982 Gloger, Bruno /Dieter Müller (Ill.): Kreuzzüge nach dem Orient. Berlin: Kinderbuchverlag, 1985 Habermann, Hans/Dora Habermann: Der Orgelbauer Gottfried Silbermann. Berlin: Verlag Neues Leben, 1953 Hardel, Gerhard/Ingeborg Friebel (Ill.): Hellas. Geschichten vom alten Griechenland. Berlin: Kinderbuchverlag, 1975 Henselmann, Irene/Ruth Peschel [u. a.] (Ill.): Das große Buch vom Bauen. Berlin: Kinderbuchverlag, 1976 Hüttner, Hannes/Heinz Bormann (Ill.): Die Leute mit den runden Hüten. Berlin: Kinderbuchverlag, 1968 Hüttner, Hannes/Gerhard Lahr (Ill.): Bei der Feuerwehr wird der Kaffee kalt. Berlin: Kinderbuchverlag, 1969 Hüttner, Hannes/Rainer Flieger (Ill.): Saure Gurken für Kaminke. Berlin: Verlag Junge Welt, 1976 Hüttner, Hannes/Egbert Herfurth (Ill.): Das große Benimm-Buch. 3. Aufl. Berlin: Verlag Junge Welt, 1988 [EA Berlin: Verlag Junge Welt, 1984] Kant, Uwe/Manfred Bofinger (Ill.): Roter Platz und ringsherum. Berlin: Kinderbuchverlag, 1977 Kunze, Horst: Das große Buch vom Buch. Berlin: Kinderbuchverlag, 1983 Meyer, Hansgeorg/Helga Meyer (Text)/Konrad Golz (Ill.): Straßen, Plätze, große Namen. Berlin: Kinderbuchverlag, 1973 Meyer, Hansgeorg/Gisela Wongel (Ill.): Bücher, Leser, Bibliotheken. Berlin: Kinderbuchverlag, 1976 (Mein kleines Lexikon) Schiller, Corinna (Hg.): Erzähl mir vom kleinen Angsthasen. Die schönsten Kindergeschichten der DDR. Weinheim [u. a.]: Kinderbuchverlag, 2009 (Die schönsten Kindergeschichten der DDR; 1) Spillner, Wolf: Schätze der Heimat. Berlin: Kinderbuchverlag, 1986 Wille, Hermann Heinz: Die goldene Woge. Berlin: Verlag Neues Leben, 1960 Wille, Hermann Heinz/Adelhelm Dietzelt (Ill.): PS auf allen Straßen. Leipzig [u. a.]: Urania-Verlag, 1964 Zeiske, Wolfgang/Johannes Breitmeier (Ill.): Das große Buch vom Wald. 4. Aufl. Berlin: Kinderbuchverlag, 1970 [EA Berlin: Kinderbuchverlag, 1964]

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Sekundärliteratur Drommer, Günther : Vorwort. In: Senft, Gabriele: Dialog. Schriftsteller der DDR. Fotografien von Gabriele Senft. Berlin 2015, 5 Günther, Harri: Die Sachliteratur für Kinder und Jugendliche in der DDR von 1946 bis 1986. Berlin 1988a (Studien zur Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur; 11) Günther, Harri: Charakter und Funktion der Sachliteratur. In: Schauplatz 2. Aufsätze zur Kinder- und Jugendliteratur und zu anderen Medienkünsten. Berlin 1988b, 101–115 Juul, Jesper : Ich vermisse den Anstand. In: Welt am Sonntag 3 (6. März 2016) H. 1, 2–3 Neubert, Reiner: Heutige Möglichkeiten des Umgangs mit Texten der Kinder- und Jugendliteratur der DDR aus den späten 80er Jahren. In: Behütuns, Georg u. a. (Hgg.): Kultureller Wandel und die Germanistik in der Bundesrepublik. Beiträge aus den Arbeitskreisen des Augsburger Germanistentages 1991 in Augsburg. Stuttgart 1992, 114–130 Neubert, Reiner : Von A bis Z – Zur Sachliteratur für Kinder und Jugendliche in der DDR. In: Josting, Petra/Gudrun Stenzel (Hgg.): Wieso, weshalb, warum… Sachliteratur für Kinder und Jugendliche. Beiträge Jugendliteratur und Medien (2004) Beiheft 15, 57–66 Neubert, Reiner : Leserbrief zu Heidi Strobel. In: Beiträge Jugendliteratur und Medien 58 (2006) H. 3, 207 Neubert, Reiner : Ausgewählte biografische Sachliteratur der 1950er Jahre in der DDR. In: kjl& m 65 (2013) H. 3, 72–75 Peltsch, Steffen: Heidiland DDR. In: Beiträge Jugendliteratur und Medien 58 (2006) H. 2, 123–127 Sack, Adriano: Respektlos. In: Welt am Sonntag 3 (2016) H. 1, 2–3 Steinlein, Rüdiger/Heidi Strobel/Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur SBZ/DDR. Von 1945 bis 1990. Stuttgart [u. a.] 2006 Weinkauff, Gina: Rezension Steinlein/Strobel/Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur SBZ/DDR von 1945 bis 1990. In: kjl& m 59 (2007) H. 4, 75–79 Wessel, Karl-Friedrich: Privatschulen? Abschaffen! In: Neues Deutschland 70 (2015) Nr. 277 (28./29. 11. 2015), 24 Zeiske, Wolfgang: Das Tier in Literatur und Kinderliteratur. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 7 (1965), 87–97

II. Themen

Gina Weinkauff (Heidelberg)

»Erzähl er nur weiter, Herr Urian!« Stellvertretende Welterkundungen in der Kinder- und Jugendliteratur der DDR

Einäugige im Lande der Blinden Es blühte – oder wucherte? – mit den Jahren eine gewisse Art von Reiseliteratur in dem kleinen Land. Neue Reisende, literarische Dienstreisende ließen sich herumschicken und berichteten ausgiebig. Zwei-Wochen-Globetrotter füllten Bücher. Schnell wurde da einer zum Fachmann. Einäugige, die immer noch genug draußen gesehen hatten, um im Lande der Blinden darüber berichten zu können, stellten Reise-Ersatz her. […] Es ging zu wie bei den Reisebüro-Reisen, wo ein Reiseleiter die Sache und die Leute in der Hand hatte, und die richtige Mischung, eine Prise Exotik, einen Schuß Klassenkampf, mixte. (Wolter 1993, 29)

Das Zitat entstammt einem 1993 erschienen Buch mit dem Titel »Italien muss schön sein.« Impressionen, Depressionen in Arkadien von Christine Wolter (Jg. 1939). Die Verfasserin hat mit ihren durchweg außerhalb der Kinder- und Jugendliteratur erschienenen Publikationen das Italienbild der DDR entscheidend geprägt, als literarische Übersetzerin und Anthologistin und als Verfasserin von skizzenhaften Reisebeschreibungen und Erzählungen vor dem Hintergrund ihrer Erlebnisse in Italien.1 Sie war in den frühen siebziger Jahren als Dolmetscherin in Italien unterwegs, 1978 heiratete sie einen Italiener und zog nach Mailand, veröffentlichte aber trotzdem bis 1987 in der DDR (vgl. ebd., 156). Mit Blick auf das letzte Jahrzehnt der DDR ist ihre in floralen Bildern schwelgende Darstellung wohl nicht übertrieben: In einem Beitrag aus dem Jahr 1982 wird jeder zehnte bis zwölfte veröffentlichte Titel der in der DDR erschienenen Erstauflagen der Reiseliteratur zugeordnet (vgl. Günther 1982, 40). Auch in der Kinder- und Jugendliteratur der DDR spielt das Thema Reisen keine geringe Rolle. Zunächst in Abenteuerromanen, die in fernen Ländern angesiedelt waren und deren Fiktionalitätsmodell den Anspruch auf sachgerechte, möglichst auf der Vertrautheit des Verfassers mit Land und Leuten 1 Vgl. u. a. Meine italienische Reise (1972), den Band Juni in Sizilien (1977) und die Erzählung Verona in der Anthologie Wie ich meine Unschuld verlor (1977).

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gründende Darstellung einschloss, später zunehmend in Reiseberichten und Erzählungen, darunter auch solchen, die als road novels mehr vom Unterwegssein als von Aufenthalten in der Fremde handelten oder von Reisen, die eher in den Köpfen der Figuren stattfanden als in der Wirklichkeit. Als ich mich vor etwa 15 Jahren im Rahmen des Leipziger Forschungsprojektes über interkulturelle Aspekte der deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur seit 19452 mit diesem Gegenstand literaturwissenschaftlich zu beschäftigen begann, stand die historiografische Forschung zur Kinder- und Jugendliteratur der DDR noch in ihren Anfängen. Auch in dem von Rüdiger Steinlein initiierten, 2006 erschienenen Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR finden lediglich die literarischen road novels und imaginären Reisen Beachtung, sie firmieren in dem von Heidi Strobel verfassten Kapitel unter der Bezeichnung »sozialistische Initiationsreisen« (vgl. Strobel 2006, 215ff.). Ein neuerer Beitrag zum Thema Reisen in der DDR-Kinderliteratur stammt von Corina Löwe, die als Lektorin für Deutsch an der Linn8universität Växjö lehrt und über DDR-Kinder- und Jugendkriminalromane promoviert hat. Leider bietet der erwähnte Beitrag (Löwe 2014) nicht viel mehr als eine Kollektion von Primärliteraturparaphrasen mit ideologiekritischer Interpretation. Ich versuche stattdessen, gründend auf Forschungsergebnissen aus unterschiedlichen Teilbereichen meiner 2006 erschienen Studie Ent-Fernungen. Fremdwahrnehmung und Kulturtransfer in der deutschsprachigen Kinder- und Jugendliteratur seit 1945, einen Gesamtüberblick über die Kontexte der stellvertretenden Welterkundung innerhalb der DDR-Kinder- und Jugendliteratur und über deren Veränderungen im Laufe der 40 Jahre, in denen die DDR existierte.

Fiktionale und faktuale Literatur Es mag auf den ersten Blick irritieren, dass in einem Sammelband über Wissensvermittlung in Sachbüchern der Kinder- und Jugendliteratur der DDR auch von Abenteuerromanen und vom Motiv der imaginären Reise die Rede ist. Das liegt daran, dass das eine Textkorpus durchaus auch Elemente der faktualen Literatur beinhaltet und das andere einen für das Verstehen des Reise-Diskurses innerhalb der DDR-Kinder- und Jugendliteratur bedeutsamen Kontext darstellt. 2 Das 1999 am Institut für Germanistik der Universität Leipzig begonnene Forschungsprojekt (Leitung: Ulrich Nassen und Gina Weinkauff) fand seinen Abschluss mit der Publikation einer zweibändigen Monografie und einer über 10.000 Titel umfassenden bibliografischen Datenbank (Weinkauff 2006 und Seifert/Weinkauff 2006).

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Dieses Neben- und Durcheinander von fiktionalen und faktualen Elementen ist übrigens nicht DDR-spezifisch. Auch Klaus-Ulrich Pech, der sich in seinem Beitrag zu dem von Ulrich Nassen und mir herausgegebenen Sammelband Konfigurationen des Fremden mit in der BRD publizierten Reiseerzählungen der Nachkriegszeit beschäftigte, zeichnet ein überaus uneinheitliches Bild der Textsorte: »Sachorientiertes und Aufklärerisches steht neben einem wilden Exotismus voller Vorurteile, erstmals Publiziertes neben wieder Aufgelegtem, Spannung neben Nüchternheit, Aktuelles neben Historischem, Reales neben Fiktionalem, Phantastisches neben Realistischem.« (Pech 2000, 129) Die Kinder- und Jugendliteraturforschung hat sich bislang vor allem mit der Buchgattung Sachbuch und mit etwaigen narrativen Inhalten und ästhetischen Aspekten befasst (vgl. Ossowski/Ossowski 2012). Im Zusammenhang mit der Reisethematik geht es eher um Wahrheitsansprüche und Wirklichkeitsmodelle, also um die textseitigen Parameter für das, was Umberto Eco im Rekurs auf Samuel Coleridges berühmte Formel von der »willing suspension of disbelief« (Coleridge 1817) als Fiktionsvertrag bezeichnet hat (vgl. Eco 1994, 103).

Wahrheitsanspruch und Wirklichkeitsmodelle der Reiseliteratur Die vom Reisen ausgehende Faszination ist in der Weltliteratur eindrucksvoll dokumentiert, beginnend mit den großen Epen der Antike über die WikingerSagas, die Märchen von Sindbad dem Seefahrer bis hin zu den Reiseberichten Marco Polos. In mehr oder minder großem und historisch sicherlich abnehmenden Umfang sind diese Texte von einem mythischen Wirklichkeitsverständnis getragen, in Korrespondenz mit entsprechenden »Wirklichkeitsmodellen« (vgl. Schmidt 2001) innerhalb von Kulturen, für die die Erkundung unbekannter Weltregionen eine an das Magische grenzende Erfahrung darstellte und das postmortale Jenseits kaum ferner schien als die Länder auf der anderen Seite der ihnen bekannten Meere. Wirklich einschneidende und nachhaltige Veränderungen dieses Wirklichkeitsmodells der Europäer stellten sich erst nach und nach im Zeitalter der Entdeckungen ein. »Wenn jemand eine Reise tut, / So kann er was verzählen« – in den sprichwörtlich gewordenen beiden ersten Zeilen aus dem Lied Urians Reise um die Welt, mit Anmerkungen (entstanden 1786) von Matthias Claudius artikuliert sich ein Abglanz der Irritation, welche die Aufzeichnungen von Kolumbus, Cortez oder Pizarro bei den Zeitgenossen ausgelöst haben mögen. In den Spott über die Oberflächlichkeit und den naiven Fortschrittsglauben der Globalisierer des heraufziehenden 19. Jahrhunderts mischt sich eine gute Portion Fasziniertheit angesichts des durch die verkehrstechnischen Neuerungen ermöglichten Näherrückens der fernen Fremde. Charakteristisch für diesen Text und

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die in seiner Nachfolge entstehenden phantastischen Weltreise-Geschichten der Kinderliteratur ist ein Changieren zwischen ganz realen, die Darstellung aktueller Zeitereignisse intendierenden Referenzen und dem Schwelgen in Exotismen und Phantasmen.

Gattungsmuster in Kinderliteratur und Jugendliteratur Urians Reise um die Welt wurde also zum Prototyp eines Genres, das im 19. Jahrhundert bspw. von dem Münchner Kasperlgrafen Franz von Pocci weiter tradiert wurde, bis es am Beginn des 20. Jahrhunderts endgültig seinen Platz in der spezifischen Kinderliteratur fand. Gemeint sind humoristische (und zunehmend auch bebilderte) Verstexte, die von fantastischen Reisen in zumeist reale, aber weit entfernte Weltgegenden erzählen. Spätestens seit diesem Zeitpunkt nehmen phantastische Reisen auch im Stoff-Repertoire des Kinderromans und des Kindertheaters eine privilegierte Stellung ein – im Rahmen von märchenhaften oder abenteuerlichen Geschichten, die in der einen oder anderen Weise um das Thema der Initiation kreisen. Man denke an Selma Lagerlöfs Nils Holgersson (dt.: 1907/1908) und an Peterchens Mondfahrt (UA 1911) von Gerdt von Bassewitz, an Lisa Tetzners sozialistische Urian-Variante3 oder an die Jim Knopf-Romane Michael Endes (1960 und 1962). Die deutschsprachige Reiseliteratur für Jugendliche ist im Unterschied dazu überwiegend von realistischen, oft von einem quasi dokumentarischen Authentizitätsanspruch getragenen Wirklichkeitsmodellen bestimmt. Die Unterscheidung zwischen fiktionaler und faktualer Literatur wird dadurch erschwert, dass vielfach auch romanhafte Reisedarstellungen und Erzählungen von abenteuerlichen Begebenheiten in fernen Ländern mit derartigen Authentizitätsansprüchen behaftet sind. Kulturgeschichtlich betrachtet repräsentieren diese Gattungstransgressionsphänomene den gleichen Erfahrungshintergrund wie die Versgeschichten in der Nachfolge von Urians Reise um die Welt: die zunehmende Erschließung bis dato unvorstellbar weit entfernt liegender Weltregionen. Ebenso wie bei jenen liegt der Ursprung in der allgemeinen Literatur – die Amerikaabenteuerromane eines James Fenimore Cooper oder Friedrich Gerstäcker waren beim zeitgenössischen deutschen Publikum auch darum so populär, weil sie realitätsnahe Einblicke in das Leben auf dem von deutschen Auswanderern favorisierten Kontinent versprachen. Deutsche Verfasser von Romanen, die in der Neuen Welt situiert waren, mussten also, um das Vertrauen ihrer Leser zu gewinnen, glaubhaft machen, dass sie diese auch von Augenschein kannten. Der Skandal um Karl May, der diese persönliche Inaugenscheinnahme 3 Hans Urian. Die Geschichte einer Weltreise (1931).

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nur vorgespiegelt hatte, ereignete sich allerdings zu einem Zeitpunkt, als der Textverwendungstypus4 »Abenteuerroman mit Authentizitätsanspruch« seine Wanderung aus der allgemeinen Literatur in die Jugendliteratur eigentlich bereits abgeschlossen hatte. Dort erfreute er sich einer großen, bis in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts anhaltenden Verbreitung – mit wechselnden politischen Ausrichtungen und Kontextualisierungen und in verschiedenen Gattungsvarianten (vgl. Weinkauff 2006, 99ff.).

Abb. 1 Vorsatzblatt zu Taowaki, das Mädchen von Amazonas von Erich Wustmann. Ensslin und Laiblin 1956

4 Dieser 1983 von Aleida Assmann eingeführte Begriff wurde von Hans-Heino Ewers zur Kennzeichnung einer langanhaltenden und weitverbreiteten folklore-ähnlichen Überlieferungspraxis innerhalb der Kinder- und Jugendliteratur übernommen (vgl. Ewers 2000, 129–146). Auch Abenteuerromane mit Authentizitätsanspruch bilden ein Textkorpus, das durch seine Funktion bestimmt wird und auf dieser Grundlage bestimmte formale und inhaltliche Merkmale ausgebildet hat. Daher erscheint der Begriff Textverwendungstypus hier treffender als der Begriff der Gattung.

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Abenteuer der Wirklichkeit Zu den Konventionen dieses Textverwendungstypus gehört auch eine entsprechende paratextuelle Ausstattung, wie auf dem Vorsatzblatt dieses Romans (Abb. 1). Die Landkarte Brasiliens mit bildlichen Darstellungen zur Fauna, zu den Verkehrswegen und der Lebensweise der Bewohner verortet das Erzählgeschehen in der Wirklichkeit und signalisiert den Leserinnen und Lesern, das sie dem Roman auch Sachinformationen entnehmen können. Das 1956 erschienene Buch richtet sich an Mädchen ab 14 Jahren, es gehört also einer Gattungsvariante des sachlich informierenden Abenteuerromans an, die sich in der damaligen Zeit im westlichen deutschsprachigen Raum einer gewissen Beliebtheit erfreut hat. 1958 erhielt es den Friedrich-Gerstäcker-Preis und 1984 erschien es in einer Lizenzausgabe des Mitteldeutschen Verlags Halle.

Abb. 2 und 3 Titelbild und Umschlagrückseite zu Taowaki, das Mädchen von Amazonas von Erich Wustmann. Ensslin und Laiblin 1956

Das Titelbild (Abb. 2) zeigt eine Fotografie, die trotz der Künstlichkeit des Arrangements wohl gleichfalls Authentizität signalisieren soll. Auf der Rückseite sieht man, dass der Verfasser Erich Wustmann (1907–1994) wie der Namensgeber des Preises, den das Buch erhielt, ein Leben als Reiseschriftsteller führte und den Mato Grosso auf dem Rücken eines Maultiers durchstreift hat. Auch die verbale Selbstinszenierung auf dem Klappentext ist für die Textsorte typisch:

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Tief in der Wildnis, beim Stamm der Crao kam ich auf den Gedanken, dieses Buch zu schreiben. Ich wollte aber nicht das Leben eines einzigen Stammes schildern, sondern das indianische Dasein in seiner Gesamtheit veranschaulichen. […] Wenn ich schrieb und die Tasten meiner Schreibmaschine bearbeitete, schauten mir die Indianer zu. Und wusste ich nicht weiter, dann sah ich sie an, blickte in die sanften Augen der Mädchen, in die bemalten Gesichter der Männer, sah Tänzen zu und vernahm ihre Lieder. Ich brauchte oft gar nicht erst mit ihnen zu sprechen, um weiter schreiben zu können. (Wustmann 1956, Klappentext)

Mit der DDR hat das Ganze mehr zu tun, als es auf den ersten Blick scheinen mag. Immerhin hatte Erich Wustmann abgesehen von den Jahren 1934 bis 1940, die der Sozialdemokrat in seinem heimlichen norwegischen Exil verbracht hatte, seinen Wohnsitz immer in Sachsen (vgl. Altner 2006). Er veröffentlichte gleichwohl auch in den dreißiger Jahren Jugendbücher – nicht weniger als 27 in Lappland und der Arktis handelnde Expeditions- und Fahrtenerzählungen in deutscher Sprache, die im Verlag Ensslin & Laiblin erschienen waren. In den fünfziger Jahren bereiste Wustmann Lateinamerika und verfasste darüber im Zeitraum zwischen 1956 und 1985 die beachtliche Zahl von insgesamt 25 Reiseberichten, Expeditionsromanen oder in Lateinamerika handelnden Abenteuerromanen wie Taowaki. Die Erstauflagen erschienen überwiegend im Verlag von Ensslin oder im Urania-Imprint Neumann in Radebeul. Der Mitteldeutsche Verlag Halle kaufte in den achtziger Jahre diverse Lizenzen von Büchern Wustmanns, die zuerst in Westdeutschland erschienen waren. Die Westpublikationen waren für Wustmann als Devisenquellen unverzichtbar, denn er finanzierte seine Reisen ohne nennenswerte staatliche Unterstützung selbst. Davon berichtet er im Vorwort seiner 1983 als Originalausgabe im Mitteldeutschen Verlag Halle erschienenen Autobiographie Durch Tundra, Wüste und Dschungel: Meine Reisen haben viel Geld gekostet, und ich musste viel Geld verdienen. Unter diesem Zwang stand mein ganzes Leben. Oft musste ich sogar in einem Jahr mehrere Bücher schreiben und einige hundert Vorträge halten, um die Expedition finanzieren zu können. (Wustmann 1983, Vorwort)

Als DDR-Reiseschriftsteller war Wustmann also ein Selfmademan – was angesichts der Verhältnisse in den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren in der DDR schon erstaunlich scheint. Seine im Zwischenbereich von faktualer und abenteuerlich-fiktionaler Literatur angesiedelten Werke wurden in Ost und West gleichermaßen gelesen. Ihr ethnografischer Authentizitätsanspruch entsprach sozusagen einem kleinsten gemeinsamen Nenner der jeweiligen Gattungsreformkonzepte: Abgrenzung vom Exotismus und Streben nach sachgerecht realistischer Darstellung.

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Generell gibt es zwischen den beiden Gattungsreformkonzepten natürlich auch eine Reihe von signifikanten Unterschieden. Diese liegen einerseits auf der Ebene der jeweils zugrunde liegenden Gesellschaftsbilder und andererseits im Ausmaß der Prägung durch die Gattungskonventionen der Abenteuerliteratur. Die vorwiegend in der DDR erschienenen Darstellungen von Revolutionen und Befreiungsbewegungen sind den klassischen Stoffen und Handlungsmustern ähnlicher als die im westlichen deutschsprachigen Raum verbreiteten Geschichten von Modernisierung und gesellschaftlicher Entwicklung, die oftmals, wie Wustmanns Roman Taowaki, im Zusammenhang mit dem Emanzipationsstreben weiblicher Protagonisten erzählt wurden (vgl. Weinkauff 2006, 99ff.). In der DDR markiert eine Arbeitstagung des Ministeriums für Kultur über Abenteuerliteratur im Jahr 1954 den Beginn eines Diskurses (vgl. Eberlein 1990, 36ff.), in dessen Folge ein programmatischer Artikel des Jugendbuchautors Götz R. Richter erschienen war : Abenteuerliteratur dringend gesucht (Richter 1954). In den folgenden Jahren konnte man auf dieser Suche nicht nur bei Richter selbst, sondern auch bei Autoren wie Ludwig Renn, Eduard Klein, Willi Meinck, Kurt Kauter und anderen reichlich fündig werden.

Abb. 4 Trini von Ludwig Renn. Kinderbuchverlag 1954

Abb. 5 Der Indianer von Eduard Klein, Verlag Neues Leben 1958

Ludwig Renn, eigentlich Arnold Friedrich Vieth von Golßenau (1889–1979), gehörte dem sächsischen Offiziersadel an. Sein Vater war Prinzenerzieher, und er selbst nahm als Bataillonskommandeur am Ersten Weltkrieg teil, geriet aber bereits während des Krieges in Widerspruch zu den Werten, die seine Erziehung geprägt hatten. 1928 trat er in die KPD ein und veröffentlichte sein Erstlingswerk Krieg unter dem Pseudonym Ludwig Renn, das er fortan als Namen führte (vgl. u. a. Renn 1980, Goldbach 1984). Trini (vgl. Abb. 3) war sein erster Kinderroman

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und die zweite seinem Exilland Mexiko gewidmete Erzählung (die erste, Morelia. Eine Universitätsstadt in Mexiko, war 1950 erschienen und ganz vom sachbuchhaften Gestus von Bericht und Analyse bestimmt). Der kindliche Titelheld in Trini, das zu einem gefeierten Klassiker der DDR-Kinderliteratur wurde, nimmt als Mitkämpfer Emiliano Zapatas an der mexikanischen Revolution von 1910 bis 1920 teil. Ludwig Renn verfasste noch drei weitere Abenteuerromane für junge Leser : die beiden um Hermann den Cherusker und die Schlacht im Teutoburger Wald kreisenden Bände Herniu und der blinde Asni (EA 1956) und Herniu und Armin (EA 1958) sowie Nobi (EA 1955), eine mit Märchenelementen ausgestattete Geschichte um den Widerstand der Afrikaner gegen weiße Kolonialherren. Alle drei zeigen (fiktive) kindliche bzw. jugendliche Protagonisten als Helden des bewaffneten Aufstandes. Auch Eduard Klein (1923–1999) lebte als Emigrant in Lateinamerika – genauer gesagt in Chile – und auch er verfasste auf dieser Erfahrungsgrundlage Abenteuerromane für junge Leser, die allerdings weitaus weniger Aufmerksamkeit fanden als Ludwig Renns Trini. Der Umfang ist beträchtlich, denn von den fünfundzwanzig Titeln des Gesamtwerkes von Eduard Klein sind achtzehn Abenteuerromane, die in Lateinamerika handeln. Diese Romane sind weniger vom Pathos der Revolution bestimmt als durch einen elegischen Tenor in der Art, wie er in den Indianerdarstellungen der klassischen Abenteuerliteratur von James Fenimore Cooper bis Karl May zu finden ist. So wie diese Abenteuerschriftsteller erzählt Eduard Klein Geschichten vom Existenzkampf indigener Völker, die durch die Waffen und Zivilisationskrankheiten der weißen Eroberer bereits stark dezimiert und gezwungen sind, ihre traditionelle Lebensweise aufzugeben. Die Konfliktszenarien Eduard Kleins sind durch einen Verzicht auf simple Identifikationsangebote und politisch überformte Schwarz-Weiß-Konturierung gekennzeichnet. Seine (überwiegend erwachsenen) Helden sind Vermittler zwischen den Kulturen, Außenseiter, die sich der Gefahr aussetzen, von beiden Seiten als Verräter angesehen zu werden. So wie Morales in Der Indianer (vgl. Abb. 4), der sich aus pragmatischen Erwägungen in den Dienst des chilenischen Staates gestellt hat. Mitunter erwächst aus dem Verzicht auf simple Freund-Feind-Schemata ein Zuwachs an Spannung, da sich das Verhalten der diversen zwiespältigen Charaktere nicht vorhersehen lässt und der Held durch taktisches und psychologisches Geschick brillieren kann. Interessant ist, dass sechs der in der DDR populärsten Romane Eduard Kleins von den siebziger Jahren an auch in BRD-Lizenzausgaben erschienen sind – ausnahmslos als Jugendbücher und zum Teil in mehreren Auflagen.

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Abb. 6 Savvy, der Reisshopper von Götz R. Richter [1. Bd. Der Savvy-Trilogie] Kinderbuchverlag 1956

Gina Weinkauff

Abb. 7 Im Schatten des Chimborazo von Jos8 Maria Rocafuerte (d. i. Kurt Kauter) Kinderbuchverlag 1964

Mit seinem bereits erwähnten Artikel Abenteuerliteratur dringend gesucht (vgl. Richter 1954) und diversen anderen programmatischen Beiträgen und Erklärungen war Götz R. Richter (1923–2016) einer der eifrigsten Wortführer der Gattungsreform-Diskussion. Er zählte mit seinen fast ausschließlich in Afrika handelnden Abenteuerromanen zu den meist gelesenen Jugendbuchautoren der DDR. Auch Richters Beziehung zu dem als Schauplatz seiner Erzählungen favorisierten Kontinent war biografisch bedingt (vgl. Weinkauff 2006, 11f.): Er hatte mit vierzehn Jahren als Schiffsjunge angeheuert und mehrere Afrikareisen absolviert; von 1941 bis 1945 war er bei der NS-Kriegsmarine. Weitere Reisen nach Afrika unternahm er zu DDR-Zeiten mit Unterstützung des Schriftstellerverbandes. In seinem ersten Jugendbuch Savvy, der Reis-Shopper (vgl. Abb. 5) verarbeitet Richter seine Begegnungen mit den schwarzen Matrosen und Heizern aus dem Volk der Kru. Ein Kru ist auch der Protagonist Savvy, dessen Entwicklungsgeschichte bis ins Alter von achtzehn Jahren Richter auf insgesamt 800 Buchseiten ausbreitet, denn der Roman erfährt noch zwei Fortsetzungen: Die Höhle der fliegenden Teufel (1958) und Trommeln der Freiheit (1963). Die Handlung setzt in den vierziger Jahren an der liberianischen Küste ein. Name und Spitzname des Jungen stammen aus dem Pidgin-Englisch: »Savvy« heißt »Verstehen« und »Shop-Shop« bedeutet »Essen«. Der Mangel an Nahrung ist eine Grunderfahrung des Jungen, der seine Mutter bei der Geburt verloren hat und auf die Fürsorge seiner gleichfalls notleidenden Verwandten angewiesen ist. Der Vater verschwand auf einem Schiff der Weißen, und dorthin zieht es auch Savvy. Der Junge gelangt auf abenteuerliche Weise bis zur Südhälfte des Kontinents nach Lobito in Angola. Dort verschlägt es ihn auf eine Kaffeeplantage, er

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wird in die Gemeinschaft der schwarzen Landarbeiter aufgenommen, schließt Freundschaft mit dem weißen (englischen) Farmerssohn Tommy und knüpft erste Kontakte zur Unabhängigkeitsbewegung, deren Kampf im Handlungszentrum des zweiten und dritten Bandes stehen wird. Entsprechend seinen programmatischen Vorstellungen von Abenteuerliteratur intendiert Götz R. Richter eine Verknüpfung von populären Erzählmustern und historisch-politischen Inhalten. In einem zweiten, noch umfassender angelegten Romanzyklus wollte er sich die Geschichte Ostafrikas vornehmen. Dieser projektierte »Afrikanische Lederstrumpf« ist jedoch über den immerhin 525 Seiten starken, zur Zeit der britischen Kolonisation Kenias handelnden Roman Die Löwen kommen (1969) nicht hinaus gekommen. Götz R. Richter verfasste noch diverse auflagenstarke abenteuerliche Afrikaromane, die überwiegend im Kinderbuchverlag und im Verlag Neues Leben erschienen und sind und später teilweise Elemente des Kriminalromans oder der Fantastik integrieren. Anders als Götz R. Richter zählte Kurt Kauter (1913–2002) weder zu den Wortführern noch zu den Auflagenmillionären der DDR-Kinder- und Jugendliteratur. Auch er hatte seine schriftstellerische Arbeit einem Kontinent gewidmet, den er aus eigenem Erleben kannte. Er hatte von 1937 bis1939 als Geologe in deutschem Auftrag in Ecuador Erdölprobebohrungen geleitet. 1947 trat Kauter, der nach seiner Rückkehr in die Heimat in Widerspruch zum NS-Staat geraten war, der KPD bei. 1958 siedelte er dann aufgrund des KPD-Verbotes von Hamburg in die DDR über (vgl. Möller 2012). Sein Debüt als Romancier gab er 1964 mit der in Ecuador situierten Erzählung Im Schatten des Chimborazo (vgl. Abb. 6), die er, wie viele andere Bücher, mit dem Pseudonym Jos8 Maria Rocafuerte gezeichnet hatte (nach dem zweiten Präsidenten des unabhängigen Ecuador). In den siebziger und frühen achtziger Jahren unternahm Kauter noch zahlreiche Reisen nach Chile, Peru, Venezuela und Kuba, die er auch in Gestalt von Märchensammlungen und Bearbeitungen, Reisebeschreibungen, Biografien und historischen Erzählungen literarisch verwertet hat, die mehr oder minder stark von den Gattungsmustern der Abenteuerliteratur geprägt waren. Nur etwa ein Drittel seines einschlägigen Werkes gehört der Kinder- und Jugendliteratur an, im Westen wurden seine Bücher kaum wahrgenommen, und in der DDR galt er als eher unbedeutender Autor. Eine späte Anerkennung wurde ihm allerdings 1996 in Gestalt des venezolanischen Ordens »Merito al trabajo primera clase« zuteil. Die Auszeichnung erscheint deswegen bemerkenswert, weil es nicht allzu oft vorkommt, dass man sich in von den deutschen Reiseschriftstellern bereisten und beschriebenen Ländern für deren Werke interessiert. Indem sie Geschichten von bewaffneten Freiheitskämpfen in den Handlungsmittelpunkt stellen, verkörpern die Werke von Ludwig Renn und Götz R. Richter ein bestimmtes Modell der sozialistischen Abenteuerliteratur für junge

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Leser, dessen Konturen am deutlichsten in Ludwig Renns Roman Trini ausgeformt sind: realistische Darstellung, viele historische, geographische und ethnographische Referenzen, bewaffnete revolutionäre Kämpfe unter Beteiligung der jungen Protagonisten, Motivik des Entwicklungsromans. Eduard Klein und Kurt Kauter stehen eher für die im Rahmen des Modells möglichen Varianten. Im Verlauf der siebziger Jahre verliert das Modell an Strahlkraft. Einerseits stellt sich eine gewisse Toleranz für die Unterhaltungsfunktionen der Abenteuerliteratur ein, die in der Herausgabe der Abenteuer- und Reiseerzählungen des bis dato verfemten Karl May gipfelte, die im Jugendbuchverlag der DDR, dem Verlag Neues Leben, erschienen. Andererseits verlagert sich die Vermittlung und Exploration von Wissen über ferne Länder und die damit verbundene Thematik der »antiimperialistischen Befreiungskämpfe« auf andere Genres. Diese Tendenzen spiegeln sich zum Beispiel im Werk der auch im Westen viel beachteten grand old lady des Indianerromans Liselotte Welskopf-Henrich, sie kommen aber auch in Günther Feustels romanhaften Kinderporträts zum Ausdruck. Mit ihrem ersten auf Vorstudien aus den zwanziger Jahren gründenden Romanzyklus Die Söhne der großen Bärin hat Liselotte Welskopf-Henrich entscheidend zum Diskurs der realistischen Gattungsreform der Abenteuerliteratur beigetragen. In dem zweiten Gegenwartsroman-Zyklus verarbeitete sie ihre Begegnungen mit in den USA und Kanada lebenden Dakota-Indianern und wurde – indem sie zum Beispiel die Besetzung von Alcatraz (1969) und die große Protestaktion am Wounded Knee (1973) thematisierte – zu einer literarischen Chronistin der Zeitereignisse. Die Romane wurden zunächst nicht als Jugendbücher publiziert und hatten hinsichtlich der Erzählweise und des Wirklichkeitsmodells nichts mehr mit der Abenteuerliteratur zu tun. In seinen drei fiktionalen Erzählungen aus dem von Armut geprägten Alltag von Kindern in Lateinamerika und Süditalien wendet sich Günther Feustel von der Praxis heroisierender Zuschreibungen aus der Tradition der sozialistischen Abenteuerliteratur ab und nimmt Formen des dokumentarischen Erzählens vorweg, die sich in den siebziger Jahren als dominante Form der stellvertretenden Welterkundung durchsetzen. Die thematisch einschlägige Literatur in den fünfziger und sechziger Jahren war nicht nur vom Gattungsreformdiskurs der Abenteuerliteratur bestimmt, sondern außerdem von Autoren verfasst, deren Auslandserfahrungen älter waren als die DDR. In den siebziger Jahren veränderten sich nicht nur die Gattungskontexte des Schreibens von anderen Ländern, es meldete sich auch eine neue Autorengeneration zu Wort. Die Leserinnen und Leser sollten mit aktuellen Impressionen aus der weiten Welt versorgt werden. Diese neue Reiseliteratur zeugt von den nach dem VIII. Parteitag der SED (1971) veränderten gesellschaftlichen Verhältnissen, von einer begrenzten Liberalisierung, von Konsum- und Freizeitorientierung und dem Wettbewerb der

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Systeme. Nicht zuletzt sollte den in ARD und ZDF vermittelten Bildern der weiten Welt, die auch im Osten gesehen werden konnten, ein DDR-spezifisches Korrektiv entgegengesetzt werden. Die Reisefreiheit der Bürger war zwar beschränkt, aber immerhin wurden nun Schriftsteller auf Reisen geschickt, von denen man in ihren Büchern lesen konnte. Das Fernsehen der DDR war übrigens auch involviert, zum Beispiel mit den populären Serien Zur See und Treffpunkt Flughafen. Mit Blick auf die Reiseliteratur ist der eingangs erwähnte Beitrag des Leipziger DDR-Sachbuchforschers Harri Günther (Günther 1982) eine wichtige Quelle. Unter anderem hat Günther die Schauplätze der Reiseberichte und -erzählungen empirisch erhoben: 40 % handeln demnach im sozialistischen Ausland, 20 % im kapitalistischen Ausland, 20 % an den »Brennpunkten des Unabhängigkeitskampfes der Völker« und 20 % in der DDR (vgl. Günther 1982, 42). In der Kinder- und Jugendliteratur der DDR spielt das kapitalistische Ausland als Schauplatz und Gegenstand bis Mitte der siebziger Jahre kaum eine Rolle. Überhaupt entwickeln sich die Genres der Reiseerzählung und der Reisereportage erst von diesem Zeitpunkt an in nennenswertem Ausmaß. Zuvor konzentrierte sich die landeskundliche Sachliteratur für Kinder und Jugendliche auf die Sowjetunion, und das Genre der Reportage hat in dieser Literatur noch keine beherrschende Stellung. Ein gutes Beispiel ist Erwin Bekier, der in den Jahren zwischen 1959 und 1979 nicht weniger als 15 einschlägige Jugendbücher publiziert hat.

Abb. 8 Roter Platz und rings- Abb. 9 Die verschleierten Mänherum. Von einer Putjowka ner von Günter Nerlich. Kinnach Moskau von Uwe Kant. derbuchverlag 1975 Illustriert von Manfred Bofinger. Kinderbuchverlag 1977

Abb. 10 Im Land der gefiederten Schlange von Frank Weymann. Illustriert von Peter Uhde. Kinderbuchverlag 1983

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Die späteren Publikationen Bekiers erschienen überwiegend im Militärverlag und im Verlag Kultur und Fortschritt, denn im Kinderbuchverlag wurde ab 1977 mit großem Aufwand eine neue Buchreihe implementiert, deren Profil von demjenigen Bekiers abweicht.5

Die Putjowtschiks Auch wenn der Kosmos dieser Reihe, wie im Folgenden deutlich werden wird, viel weiter ist als derjenige der bisherigen landeskundlichen Sachliteratur, nimmt die Sowjetunion nach wie vor den größten Raum ein. Zu den ersten Bänden der Reihe6 gehört ein Buch, das dem Untertitel zufolge Von einer Putjowka nach Moskau erzählt. Die Erklärung gibt der Verfasser Uwe Kant gleich auf der ersten Seite: Putjowka ist ein Wort der russischen Sprache. Mein Wörterbuch hält sich nicht lange damit auf, hat schließlich noch mehr zu tun. Das Wörterbuch sagt kurz und trocken: Putjowka = Einweisung, Anweisung. Das russische Wort ist viel saftiger. Da steckt noch das Wort putj drin. Das heißt Weg. Wer eine Putjowka bekommt, bekommt einen Weg gewiesen, soll sich auf den Weg machen. Man gibt ihm Fahrgeld dazu und Stempelchen fürs Reisepapier. Ich bekam eine Putjowka für Moskau. (Kant 1977, 4)

Putjowkas in die Sowjetunion erhalten in der Folge unter anderem die Kinderbuchautoren Brigitte Birnbaum und Günter Saalmann und die Reiseschriftsteller Hans Krumbholz und Richard Christ.7 Stets wird die Sowjetunion in diesen Büchern aus dem Blickwinkel von Reisenden gesehen, die die besondere Gastfreundschaft der Bewohner des Landes genießen. Besichtigt werden die kulturellen Sehenswürdigkeiten und Museen, aber auch die Schauplätze und Gedenkstätten von Krieg und Revolution. Industrie und Landwirtschaft finden eine vergleichsweise unpathetische Beachtung. Oft bekennen sich die Autoren in koketter Selbstironie zu ihren mangelhaften Sprachkenntnissen und berichten von eindrucksvollen Demonstrationen der Fremdsprachenkompetenz der Sowjetbürger (besonders Uwe Kant). Das All5 Gleichwohl erscheint eines seiner Bücher im Format der neuen Reihe: In Schuscha und anderswo 1977 (3. Aufl. 1985). 6 Es gibt keinen Reihentitel, dafür einen hohen Wiedererkennbarkeitseffekt durch das einheitliche Format und die aufwendige Ausstattung. In Rezensionen war hin und wieder von einer »Internationalen Reihe« die Rede. 7 Folgende Bände der Reihe behandeln einzelne Republiken oder Regionen der Sowjetunion: Richard Christ: Spinatbaum in der Wüste. Ill.: Gisela Röder (1978); Hans Krumbholz: Diamanten im Sand (1980); Brigitte Birnbaum: Löwen an der Ufertreppe. Ill.: Konrad Golz (1981); Hans Krumbholz: Ein Koffer voll Matrjoschkas (1982); Günter Saalmann: Ein Rucksack voll Ukraine. Illl.: Günter Wongel (1986); Martin Viertel: Tausend Tage Sibirien. Mein Reisetagebuch. Ill.: Peter Muzeniek (1989).

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tagsleben stellt sich aus der Sicht der Autorinnen und Autoren fröhlich und abwechslungsreich dar, mitunter (in Usbekistan) auch fremdartig pittoresk. Etwaige Differenzerfahrungen werden stets positiv oder zumindest wohlwollend amüsiert vermerkt. Besonders in den Darstellungen der westlichen Teile der Sowjetunion wird auch der Erinnerung an den Zweiten Weltkrieg und die Verbrechen der Deutschen Raum gegeben. Die Reisenden zeigen sich betroffen, doch unter den Einheimischen fällt es niemandem ein, die Besucher aus der befreundeten DDR für das Erlittene verantwortlich zu machen. Dieser Freundschaftsbonus begleitet die Reisenden von der Ankunft bis zum Abschied; auch wenn sie mit der Sprache oder den örtlichen Gepflogenheiten nur unzureichend vertraut sind, brauchen sie Fremdheitserfahrungen nicht zu fürchten. – Zur Einstimmung auf seine Reise ins ferne Usbekistan hatte man Richard Christ schon in der Heimat beruhigt: »Das alles wird dir nicht lange fremd sein; denn du kommst ja als Freund« (Christ 1978, 5), und Uwe Kant fühlte sich noch auf dem Rückflug in der Maschine der Aeroflot »unter Freunden, Nachbarn, Verbündeten« (Kant 1977, 52). Andere Putjowtschiks schrieben über die Tuareg in der Sahara, über Indien, Tansania, Peru, Mexiko, Finnland und weitere attraktive Reiseziele8. Wieder begegnen wir einerseits bekannten Kinderbuchautoren, auch aus dem Kontext der sozialistischen Abenteuerliteratur (wie Kurt Kauter und Willi Meinck) und andererseits Reisejournalisten wie Eckhard Schulz und Günter Nerlich. Alle Bände sind aufwändig illustriert, die stilistische Bandbreite der Ausstattung ist kaum geringer als das Spektrum der verwendeten Textsorten. Die autobiografische Figur des Reisenden ist in unterschiedlichem Umfang präsent, bei den Reisejournalisten tritt sie eher zurück hinter die Vermittlung landeskundlichen Wissens in betont sachlichem Gestus. Einige bieten einen bunten Wechsel von scheinbar assoziativ miteinander verbundenen Reiseimpressionen, wie Uwe Kant, andere wahren eine chronologische Anordnung. Willi Meinck hat seine Reiseerzählung phantastisch verfremdet und Wera und Claus Küchenmeister fügen der eigentlichen Reiseerzählung noch weitere um Figuren aus dem bereisten Land kreisende Handlungsstränge hinzu. Die politische Überformung der einzelnen Darstellungen ist unterschiedlich stark ausgeprägt, in einigen Bänden ist sie recht verhalten. Trotzdem gibt es bestimmte Topoi, wie das Outing des Reisenden als DDR-Deutscher, die Erklärung von Armut und Entwicklungsrückständen mit der kolonialen Vergangenheit des jeweiligen Landes und die Apologie des technischen Fortschritts. 8 Günter Nerlich: Die verschleierten Männer [Sahara] (1977); Willi Meinck: Delibab oder Spiel mit bunten Steinen, Ill.: Rainer Flieger [Indien] (1978); Eckhard Schulz: Land am Kilimandscharo [Tansania] (1980); Kurt Kauter : Wo die Sonne König war. Ill.: Günter Wongel [Peru] (1981); Frank Weymann: Im Land der gefiederten Schlange. Ill.: Peter Uhde [Mexiko] (1983); Wera und Claus Küchenmeister : Rentiergeheimnisse. Ill.: Elke Bullert [Lappland] (1984).

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Zum Profil der Reihe gehört auch ein Wechsel der Textsorten innerhalb der einzelnen Bände: Neben der eigentlichen Reiseerzählung stehen Märchen, Glossare, kurze thematisch fokussierte Artikel, Landkarten und Zeitleisten. Manche Reiseerzählungen von DDR-Kinder- und Jugendbuchautoren erschienen außerhalb dieser Reihe.

Abb. 11 Wie ich nach Swaneti- Abb. 12 Das Brot der Tropen Abb. 13 Addio, Bradamante en reisen wollte von Benno von Jürgen Leskien. Kinder- von Waldtraut Lewin. KinderPludra. Kinderbuchverlag 1974 buchverlag 1982 buchverlag 1986

Wie ich nach Swanetien reisen wollte von Benno Pludra (Kinderbuchverlag 1974) und Die gefangene Sonne von Willi Meinck (Mitteldeutscher Verlag 1971) haben keinen erkennbaren textimmanenten Adressatenentwurf. Ohne Akkomodation an kindliche oder jugendliche Leser bieten die Verfasser skizzenhafte Impressionen ihrer Touren durch die transkaukasischen Sowjetrepubliken bzw. durch Indien. Beide Werke vermitteln eine Vorstellung von der begrenzten Planbarkeit des Reisens im emphatischen Sinn und Überraschungen, die sich auf diese Weise unterwegs einstellen. In Pludras Erzählung sind es allerdings die sowjetischen Gastgeber und Organisatoren der Reise, die mit ihren kaum vorhersehbaren Anordnungen für Überraschungen sorgen und letztendlich dafür verantwortlich sind, dass der Reisende die abgelegene Bergregion Swanetien entgegen seinen Wünschen nicht erreicht hat. All das vermerkt der Erzähler mit der heiteren Gelassenheit eines Flaneurs, der sich mit Vorliebe am Unspektakulären ergötzt und darüber alles Befremdliche, das einem Reisenden in den siebziger Jahren in Stalins Heimat begegnen könnte, schlicht ignoriert. Dieses wohl kalkulierte Phlegma steht der faszinierten Neugier des Indienreisenden Willi Meinck entgegen, der den Leser nicht nur an seinen profunden kulturhistorischen Kenntnissen teilhaben lässt, sondern auch an seinen Irritationen. Zum Beispiel legt er einem jungen indischen Autor die Frage in den Mund, »ob die Bürger unseres Staates, der so tief in

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das Leben jedes einzelnen eingreife, glücklich seien« (Meinck 1974, 27). Beide Verfasser schildern das Reisen als Fremdheitserfahrung und vermeiden plakative politische Sinnangebote. Jürgen Leskien dagegen war nicht im Rahmen einer literarischen Dienstreise in das vom Bürgerkrieg erschütterte Angola gekommen, sondern – im Alter von beinahe vierzig Jahren – als Angehöriger einer Solidaritätsbrigade der FDJ. Dieser Kontext ist in seiner Erzählung Das Brot der Tropen (Kinderbuchverlag 1982) ebenso präsent wie ihr erklärend an die Adresse der jungen Leser in der DDR gerichteter Duktus. Oft werden die Leser auch direkt angesprochen, der textimmanente Adressatenentwurf ist also sehr markant. Fast scheint es, als würden die Schilderungen seiner Fahrten durch das Land nur die Stichworte liefern für die Ausführungen des Verfassers zu dessen jüngerer Geschichte und die diversen eingeflochtenen Heldenlegenden aus dem Befreiungskampf und dem Bürgerkrieg. Hinsichtlich der Erzählerrolle, des eher offenen textimmanenten Adressatenentwurfs und der Zurückhaltung mit politisch-ideologischen Botschaften ähnelt Addio, Bradamante (1986) von Waldtraut Lewin eher den Reiseerzählungen Benno Pludras und Willi Meincks als der von Jürgen Leskien. Als das Buch erschien, hatte Waldtraut Lewin bereits drei Italien-Reiseberichte und fünf historische Romane und Biografien mit Italienbezug publiziert (alle im Verlag Neues Leben). Auf diese bereits unter Beweis gestellte Expertise spielt auch der Klappentext von Addio, Bradamante an: Die Autorin hat berühmte und sehr verschiedene italienische Landschaften und Städte besucht. In die Toskana, nach Rom und Sizilien führen die drei Erzählungen dieses Buches, Reisebericht und mitreißendes Erlebnis zugleich. (Lewin 1986, Klappentext)

Den Erzählungen liegt die für die DDR-Reiseliteratur typische autobiografische Erzählfiktion zugrunde. Das Interesse der Reisenden richtet sich wie üblich sowohl auf die sozialen Probleme, den Alltag und die Natur als auch auf die Geschichte und Kunst des bereisten Landes. Die Besonderheit dieser Erzählungen besteht darin, dass vor allem letzteres im Rahmen einer phantastischen Handlungsebene thematisiert wird. Diese ist Teil der Selbstinszenierung der autobiografischen Ich-Erzählerin, die in Abgrenzung zu oberflächlichen touristischen Wahrnehmungsmustern auf der Authentizität und Intensität ihrer Reiseeindrücke beharrt und für sich in Anspruch nimmt, einen besonderen Zugang zu den Geheimnissen Italiens zu besitzen. Diesen sucht sie zunächst auf konventionelle Weise zu erreichen: Sie hat sich – offenbar nicht zuletzt durch die Lektüre anderer Reiseberichte – gründlich vorbereitet und achtet bei der Reiseorganisation mehr auf den erwartbaren Erlebniswert als auf Komfort oder Effizienz. So wie bei dem folgenden, der auf Sizilien handelnden Titelgeschichte

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entnommenen Beispiel pflegen diese Vorkehrungen dann allerdings nicht zum Erfolg zu führen: Wie hatte ich mich in Neapel beeilt, das Schiff zu erreichen! Es war nämlich das letzte, das nach Sizilien fuhr, danach war ein großer Streik der Angestellten dieser Linie angesagt. Unbedingt wollte ich die Insel in der Morgenfrühe aus dem Meer auftauchen sehen, das hatte ich mir vorgenommen. Sonst wäre das Ziel ja auch mit dem Flugzeug oder der Eisenbahn zu erreichen gewesen. Und nun hatte ich den Augenblick verpaßt, weil ich erst nach Mitternacht eingeschlafen war, denn neben meiner Kabine hatten die Schiffsturbinen gedröhnt. (Ebd., 109)

Auch hier lässt sich das Abenteuer der Reise nicht kalkulieren und begegnet der Erzählerin in dem Moment des Scheiterns ihrer Erlebnisplanung in Gestalt einer zum Leben erwachten Marionette der Opera dei Pupi, die die Verfasserin in ihrem Koffer als Geschenk eines Puppenspielers an das sizilianische Nationalmuseum mitgeführt hatte. Gegenwart und Vergangenheit – in diesem Fall RitterRomantik und Mafiakriminalität – vermischen sich. Die Reisende betritt Sizilien also an der Hand einer fantastischen Figur, die mit der Geschichte der Insel und der Mentalität ihrer Bewohner aufs Engste vertraut ist und wird dort stehenden Fußes in einen gefährlichen Kriminalfall verwickelt. In allen drei Erzählungen tritt die Erzählerin zwar als Schriftstellerin in Erscheinung, die über die Erlebnisse der Reise ein Buch zu schreiben gedenkt, auf das für die Textsorte typische DDR-Outing wird aber verzichtet. Stattdessen bedient sie sich im Sinne der Abgrenzung von den Italienurlaubern aus kapitalistischen Ländern, denen sie immer wieder mangelnde Bildung, Ignoranz und geistige Schlichtheit unterstellt, einer tourismuskritischen Rhetorik, die sich in ähnlicher Form auch in vielen anderen DDR-Reiseerzählungen finden lässt. Auch der Niedergang des sizilianischen Puppenspiels als Folge von Tourismus und kapitalistischer Modernisierung wird von Lewin erklärt: Die Italiener, die sich früher Abend für Abend die Fortsetzungen der schönen alten Rittergeschichten und Heldensagen angesehen hatten, guckten jetzt lieber Fußball oder Krimi im Fernsehen. Keiner interessierte sich mehr für die Abenteuer Karls des Großen und seiner Paladine Rinaldo und Orlando. Die Vorstellungen blieben unbesucht, wenn nicht mal in der Hochsaison ein paar Touristen kamen, die »original italienische Volkskunst« sehen wollten – aber die verstanden ja kein Wort der poetischen Texte. (Ebd., 112)

Solche auktorialen Passagen, in denen die Erzählerfigur als Vermittlerin kulturspezifischen Wissens auftritt, wechseln mit Abschnitten, in denen das erlebende Ich in unvorhersehbare phantastische Abenteuer hinein gerät – also in Handlungskonstellationen, die einen Protagonisten mit situationsdefizitärem Wissen erzähllogisch voraussetzen. Der Wechsel des Erzählerstandorts korrespondiert mit einer Zweischichtigkeit der Sinnangebote der Erzählungen: Die

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auktorialen Erklärungen enthalten Sachinformationen bzw. Inhalte, die mit dem Anspruch sachlicher Überprüfbarkeit verbunden sind. Dass die auf der phantastischen Ebene angesiedelten Reiseeindrücke der Protagonistin sich zu dieser sachlichen Ebene eher komplementär als kontradiktorisch verhalten und die geschilderten Erfahrungen der Erzählerin aufgrund ihrer landeskundlichen Kenntnisse, ihres Klassenstandpunktes und ihrer Affinität zu Italien zuteil werden, gibt den Erzählungen ein merkwürdig esoterisches Gepräge.

Resümee In der DDR wurde der Mythos des Reisens durch die Einschränkung der Freizügigkeit und durch die staatliche Kontrolle der Medieninhalte nachhaltig konserviert. Während das Überangebot von medial vermittelten Bildern aus den entlegensten Weltgegenden im Verein mit deren touristischer Erschließung im Westen eher zur Nivellierung der Spielräume individueller Reiseerfahrung beitrug, bildete das ungestillte Fernweh der Bewohner der DDR den Boden für den massenhaften Bedarf am papiernen Reisesurrogat. Dieser – bedeutsame – Hintergrund wird im ersten Teil des eingangs wiedergegebenen Zitates von Christine Wolter thematisiert: Es blühte – oder wucherte? – mit den Jahren eine gewisse Art von Reiseliteratur in dem kleinen Land. Neue Reisende, literarische Dienstreisende ließen sich herumschicken und berichteten ausgiebig. Zwei-Wochen-Globetrotter füllten Bücher. Schnell wurde da einer zum Fachmann. Einäugige, die immer noch genug draußen gesehen hatten, um im Lande der Blinden darüber berichten zu können, stellten Reise-Ersatz her. (Wolter 1993, 29)

Wichtig ist die Temporalbestimmung in dem ersten Satz, denn die Praxis der literarischen Dienstreisen löste eine ältere Praxis der stellvertretenden Welterkundung ab, die wiederum in Ost und West interessante Ähnlichkeiten aufwies. Die zweite Hälfte des Zitates trifft jedoch nur auf einen Teil der Texte zu: Es ging zu wie bei den Reisebüro-Reisen, wo ein Reiseleiter die Sache und die Leute in der Hand hatte, und die richtige Mischung, eine Prise Exotik, einen Schuß Klassenkampf, mixte. (Ebd.)

Wie deutlich geworden sein sollte, bildete jedoch auch das Motiv der Unwägbarkeit des Reisens einen wichtigen Topos. Dies trifft vor allem auf die Reiseerzählungen von Benno Pludra, Willi Meinck, Uwe Kant und Waldtraut Lewin und erst recht auf road novels und imaginäre Reisegeschichten zu wie Die Reise nach Jaroslaw von Rolf Schneider (1974), Trampen nach Norden von Gerhard Holtz-Baumert (1975) und Die Reise von Neukuckow nach Nowosibirsk (1980)

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von Uwe Kant, die hier nur am Rande Erwähnung finden, weil sie definitiv nicht in die Nähe der Sachliteratur gerückt werden können. Neben vordergründiger Klassenkampfmotivik und der entsprechenden Selbststilisierung des Arbeiter- und Bauernstaates hält die Reiseliteratur der DDR auch ganz andere, komplexere und wohl auch attraktivere Rezeptionsangebote bereit. Der Reisediskurs innerhalb der Kinder- und Jugendliteratur der DDR ist in verschiedener Hinsicht interessant. Nicht nur mit Blick auf den Wandel des kinder- und jugendliterarischen Handlungs- und Symbolsystems, sondern auch in kultur- und mentalitätsgeschichtlicher Perspektive. Diese literarischen Pfade zu verfolgen, ist ebenfalls eine Art Reise, wer sich darauf einlässt, erlebt Überraschungen und findet auf alle Fälle viel Stoff zum Erzählen.

Primärliteratur9 Christ, Richard/Gisela Röder (Ill.): Spinatbaum in der Wüste. Berlin: Kinderbuchverlag, 1978 Claudius, Matthias: Urians Reise um die Welt. In: ASMUS omnia sua SECUM portans oder Sämtliche Werke des Wandsbecker Boten. Teil V. München: Winkler, 1984, 345–348 [Erstdruck des Gedichts im Vossischen Musenalmanach, 1786, 166] Coleridge, Samuel Taylor : Biographia Literaria; or Biographical Sketches of My Literary Life and Opinions. London: Rest Fenner, 23, Paternoster Row 187, Chapter XIV. (http:// www.gutenberg.org/files/6081/6081-h/6081-h.htm#link2HCH0014) [Zugriff: 28. 10. 2016] Kant, Uwe/Manfred Bofinger (Ill.): Roter Platz und ringsherum. Von einer Putjowka nach Moskau. Berlin: Kinderbuchverlag, 1977 Lewin, Waldtraut/Gerhard Lahr (Ill.): Addio, Bradamante. 3 Geschichten aus Italien. Berlin: Kinderbuchverlag, 1986 Wustmann, Erich: Taowaki, das Mädchen vom Amazonas. Reutlingen: Ensslin und Laiblin, 1956 Wustmann, Erich: Durch Tundra, Wüste und Dschungel. Halle/Saale [u. a.]: Mitteldeutscher Verlag, 1983

Sekundärliteratur Altner, Manfred, Wustmann, Erich. In: Sächsische Biografie, hrsg. vom Institut für Sächsische Geschichte und Volkskunde e.V., bearb. von Martina Schattkowsky,. 9. 1. 2006. Online-Ausgabe: http://www.isgv.de/saebi/ [Zugriff: 28. 10. 2016]

9 Das Primärliteraturverzeichnis dient ausschließlich dem Nachweis der Zitate und Entlehnungen. Titel, die im Text lediglich erwähnt wurden, sind aus Platzersparnisgründen nicht aufgeführt.

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Heidi Nenoff (Leipzig)

Zwischen Traum und Wirklichkeit. Literarische Utopien für Jugendliche in der DDR am Beispiel von Reimar Gilsenbachs Der ewige Sindbad (1975) und Joachim Walthers Der Traum aller Träume (1987)

In der populärwissenschaftlichen Kinder- und Jugendliteratur der DDR ging es nicht nur um eine primär faktenorientierte Wissensvermittlung, sondern diese Literatur hatte u. a. auch »den Auftrag, auf den weltanschaulichen Standpunkt der Leser einzuwirken«, um die Kinder und Jugendlichen »mit den Mitteln der Literatur« zu »junge[n] charakterfeste[n] Revolutionäre[n] mit einem festen marxistisch-leninistischen Standpunkt« zu erziehen, wie es Fred Rodrian pointiert formuliert hat (Rodrian 1970, 25, vgl. auch Schmideler 2017, 213). In diesem Kontext spielte die Emotionalisierung und Ästhetisierung der Wissensvermittlung eine herausragende Rolle, wie Sebastian Schmideler in seinem Beitrag zum Kinderlexikon Von Anton bis Zylinder in seiner Rekonstruktion der theoretischen Debatte um das Sachbuch für Kinder und Jugendliche der DDR gezeigt hat.1 Dieser Erziehungsauftrag der populärwissenschaftlichen Literatur für eine junge Leserschaft zeigt sich auch im Hinblick auf das Thema der literarischen Utopien. Diese literarischen Utopien werden – wie hier gezeigt werden soll – in Reimar Gilsenbachs Der ewige Sindbad ([1975] 1981) und in der Anthologie Der Traum aller Träume, herausgegeben von Joachim Walther (1987), den jugendlichen Lesern weniger als literarische Gattung eigener Art als vielmehr als bloßes Sachwissen unter dem Primat dieses Erziehungsauftrags präsentiert und in gewisser Weise auch gezielt dazu instrumentalisiert. Die folgende Analyse soll verdeutlichen, dass sowohl Gilsenbach als auch Walther die ästhetische Ein1 Wissensvermittlung und das Überzeugen der jungen Leser für die marxistische Weltanschauung gehe – wie Schmideler in seiner Analyse der zeitgenössischen Theoriedebatte über Sachbücher für Kinder und Jugendliche herausgearbeitet hat – mit der Forderung von Meyer, Rodrian sowie im Rekurs auf Gorki mit der »Emotionalisierung der populärwissenschaftlichen Kinder- und Jugendliteratur« einher. Es käme darauf an, »den jungen Leser zu begeistern, ihn zu erfüllen«. Diese »Emotionalisierung« sei eng mit einer »genuin sozialistischen Ästhetik« verbunden. Um die Forderung nach »Anschaulichkeit und optimaler pragmatischer Wirksamkeit« zu erfüllen, dürfe es zwischen der schöngeistigen und der populärwissenschaftlichen Literatur keine scharfe Trennung geben (vgl. Schmideler 2017, 213–215).

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kleidung von Staatsmodellen in literarischen Utopien hauptsächlich als Vehikel zur weltanschaulichen Erziehung betrachteten. Die ästhetische ›Zutat‹ dient hier mitunter lediglich der Veranschaulichung des Dargestellten und der emotionalen Rührung des Rezipienten und somit zu seiner Überzeugung für das zu vermittelnde Wertesystem. Doch hier beginnt eine grundsätzliche Problematik des Umgangs mit einer literarischen Gattung. Die auf Wissen vermittelnde, fakten- und informationsorientierte Sachverhalte reduzierte Literatur verliert damit an ästhetischer Komplexität. Ihre auf Mehrdeutigkeit und auf einen bewusst angelegten ästhetischen Überschuss konstituierte literarische Sinnstruktur geht verloren. Literarische Utopien in diesem Sinn als faktenorientierte Texte der politischen Theorie anzusehen, die bloßes Sachwissen exportieren und gleichsam nur ein Faktengerüst aus wörtlich zu nehmenden Tatsachen bieten, ist aus der Perspektive der Utopiediskussion der letzten Jahre und Jahrzehnte innerhalb der gegenwärtigen Literaturwissenschaft ein sehr umstrittenes Unterfangen.2 Die literarische Form der Vermittlung, wie bspw. Formen der Ironisierung der Sachinhalte durch die Literarizität der utopischen Erzählungen, kann die Bedeutung der Texte bis hin zur völligen Umkehr des Sinnpotenzials verändern. Die Aussagen über mögliche bessere Welten und vorbildliche Helden als Fiktion können daher nicht in jedem Fall als wörtlich zu nehmende Ansagen zu politischen Gesellschaftsentwürfen aufgefasst werden. Wer so argumentiert, übersieht die literarische Gestalt der utopischen Erzählungen und missachtet die Literarizität der utopischen Entwürfe. Die Veränderung der Bedeutung durch unzuverlässig erzählende Figuren, die nicht vertrauenswürdig sind oder durch geschickt konstruierte Rahmenhandlungen, die die ursprüngliche Aussage einer Figur durch mehrfaches Weitererzählen fragwürdig erscheinen lassen und schließlich die Kennzeichnung des Textes als Fiktion selbst, muss beim Interpretieren stets mitbedacht werden. Sowohl Gilsenbach als auch Walther stehen dieser literaturwissenschaftlichen Lesart der utopischen Erzählungen fern. Sie interpretieren die literarischen Utopien als ernstzunehmende ›Vorboten‹ kommunistischer Ideen, mit denen sie ihre zu vermittelnden Werte und ihre Weltanschauung bestätigt wissen wollen. Sie betrachten die Utopien als eine Form des Wissens, die populärwissenschaftlich an Jugendliche in der DDR vermittelt werden konnte. Die literarischen Utopien werden auf diese Weise als Argumente 2 Insbesondere sei hier auf Peter Kuons Studie Utopischer Entwurf und fiktionale Vermittlung. Studien zum Gattungswandel der literarischen Utopie zwischen Humanismus und Frühaufklärung (1986) und auf Ludwig Stockigers Monografie Ficta Respublica. Gattungsgeschichtliche Untersuchungen zur utopischen Erzählung in der deutschen Literatur des frühen 18. Jahrhunderts (1981) verwiesen. Beide Literaturwissenschaftler akzentuieren in ihrer Argumentation die nicht zu unterschätzende Bedeutung der literarischen Struktur für die Interpretation des Gesamtwerks von literarischen Utopien.

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für die Ideologie des Marxismus genutzt. In diesem Beitrag sollen die beiden Jugendsachbücher von Gilsenbach und Walther inhaltlich und formal analysiert, kontextualisiert sowie die dahinterstehende Utopieauffassung aus literaturwissenschaftlicher Perspektive diskutiert werden. Dabei soll es insbesondere Ziel sein, die weltanschaulich-gesellschaftspolitische Dimension und Funktion dieser Sachbücher in der DDR in den Fokus der Analyse zu stellen.

Weltanschaulicher Kontext der Wiederauflage von literarischen Utopien Die erste Frage, die sich in diesem Zusammenhang stellt, ist diejenige nach der gesellschaftlichen Relevanz von literarischen Utopien für Jugendliche der DDR: Aus welchem Grund sind diese Texte überhaupt von Bedeutung? Die Jugend der DDR darf und soll im Sinne des sozialistischen, vom Marxismus-Leninismus geprägten Wertesystems hoffen: auf eine Zukunft, in der in einer Gesellschaft die Klassenwidersprüche aufgehoben, das Privateigentum ein für alle Mal verbannt ist, in der es keine Ausbeutung und Unterdrückung und keinen Staat mehr gibt (vgl. Engels [1882] 1979, 96). Die Jugend soll zurecht auf ein Land hoffen dürfen, in dem die »Menschen, endlich Herren ihrer eigenen Art der Vergesellschaftungen, […] damit zugleich Herren der Natur, Herren ihrer selbst – frei« werden. (ebd., 96) Der Hoffnung auf eine Erlösung der Menschheit aus dem Joch der Unterdrückung darf man sich als Kommunist getrost zuversichtlich hingeben, denn der Marxismus-Leninismus hat – jedenfalls dem selbst gestellten Anspruch zufolge – die Geschichte der Menschheit erstmalig auf ein wissenschaftliches Fundament gestellt. Es wird zu ›beweisen‹ versucht, dass das Telos der Geschichte der Menschheit notwendigerweise die Befreiung aus dem Joch sein muss, nachdem sich die historische Entwicklung in spiralförmig verlaufenden Stufen von einer Klassengesellschaft in die andere begeben hat, bis sie wieder im Ursprung, einer klassenlosen Gesellschaft, angelangt sein wird, die sich aber von der Urgesellschaft durch Wissenschaft und Technik und dank der fortschrittlichen Errungenschaften beider durch die Beherrschung der Natur nicht nur auf der Erde, sondern auch im Weltraum, auszeichnet. Im Geschichtsbild des dialektischen Materialismus von Karl Marx und Friedrich Engels befindet sich alles im Entstehen und Vergehen, im stetigen Kampf von Widersprüchen, in ewigen Kreisläufen (vgl. ebd., 70), in denen sich der Mensch in regelmäßigen Auf- und Ab-Zyklen Stück für Stück hocharbeitet und stetig vervollkommnet. Vorausgesetzt wird allerdings, dass die materialistischen Gesetze der Natur, wonach die Ökonomie die Grundlage (Basis) der Gesellschaftsordnung (Überbau) ist, an-

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erkannt werden. Es gilt, diese Naturgesetze, die Marx und Engels entdeckt haben wollen, zu durchschauen, Missstände in der Basis (ungerechte Kapitalanhäufungen, Veräußerung von Arbeitskräften, Überschussproduktion, Absatzkrisen, Umweltverschmutzung usw.) aufzudecken und im Kampf gegen Kapitalisten und Monopolisten zu beseitigen, in dem die »gesellschaftlichen Produktionsmittel in öffentliches Eigentum« umgewandelt werden (ebd., 96), wenn die Zeit dafür reif ist. Die auserwählten Akteure im letzten Akt der Geschichte, die die Menschheit auf die höchsten Stufe der Vervollkommnung führen sollen, sind die Ausgebeuteten unter den industriellen Produktionsverhältnissen – es ist das Proletariat. Das Proletariat hat die historische Aufgabe, »die Menschheit aus dem Reich der Notwendigkeit in das Reich der Freiheit [zu] führen.« (ebd., 94) Hierfür ist Aufklärung notwendig. Diese Aufklärung beginnt mit der flächenhaften Erziehung der Kinder und Jugendlichen. Daher verwundert es nicht, dass Kinder- und Jugendliteratur in der DDR in besonderer Weise die Ideen des Marxismus-Leninismus – nicht nur im Sinn eines systemimmanenten ›ideologischen Schwänzchens‹, um der Zensur zu gefallen – aufnimmt. Der Jugend muss dieser Auffassung nach der ›Staffelstab‹ der Altkommunisten gewissermaßen weiter gereicht werden. Es geht schließlich darum, die historische Mission der Befreiung aus dem Joch der Jahrhunderte langen Unterdrückung der Massen durch das Beenden der Ausbeutung von Mensch und Natur zu erfüllen. Literarische Utopien, die nach dem Utopieverständnis in der DDR den von Marx und Engels wissenschaftlich begründeten Kommunismus antizipieren, sind besonders geeignet, der Jugend in der DDR zu plausibilisieren, dass die Grundannahmen des Marxismus wahr sind. Die Argumentation ist ebenso kurz wie schlüssig: Die Menschheit habe – so die Botschaft der alten Utopien – bereits von jeher vom Kommunismus geträumt. Der Marxismus habe lediglich diesen bereits immer vorhanden gewesenen Traum nun endlich wissenschaftlich begründet und somit den Weg bereitet, diesen als nicht realisierbar geltenden – mithin utopischen – Traum Wirklichkeit werden zu lassen. Literarische Utopien dienen so betrachtet exzellent als Instrument der Propaganda für den Marxismus, sie passen ins Geschichtsbild des Marxisten und überdies vermitteln sie auch noch historische Kenntnisse über die stufenförmige Entwicklung der Menschheit für eine aufgeklärte Jugend, der die historische Mission der Vervollkommnung der Menschheit unmittelbar bevorsteht. Zugleich jedoch steckt im Hervorholen dieser historisch gewachsenen literarischen Utopien nicht nur ein Legitimationsgrund für das Aufzeigen der Wahrheit des wissenschaftlichen Materialismus im Kontext des MarxismusLeninismus, sondern auch subversives Potenzial. Dies zeigt sich in den hier relevanten beiden Jugendsachbüchern von Gilsenbach und Walther sehr deutlich: Am Ende der siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts zeichnete sich in den

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sozialistischen Ländern eine Entwicklung ab, die durchaus als Verrat an der Uridee vom Kommunismus in den eigenen Reihen aufgefasst wurde. Der real existierende Sozialismus der DDR hatte in den Augen einiger orthodoxer Kommunisten vor dem Hintergrund der eigenen Ideale schlicht versagt: Die sozialen Zustände erscheinen als unmenschlich – so die Anschuldigungen vonseiten der Opponenten – durch die Überwachung und Entmündigung der Bürger, durch die Beseitigung der sogenannten reaktionären Kräfte und Klassenfeinde (Ausweisung, Gefängnis und Todesurteile gegenüber dem Klassenfeind oder Konterrevolutionären), durch die Abschaffung von Freizügigkeit einerseits und den immer wieder durchbrechenden Mangel an Konsumgütern, misslingende Planwirtschaft und eine korrupte Staatsführung andererseits. Zwar rechtfertigten überzeugte Kommunisten diese defizitären Erscheinungen mit der historischen Entwicklung: Der Sozialismus stecke noch in den Kinderschuhen, es müsse daraus gelernt werden, aber trotzdem müssten diese ›Schwächen‹ benannt werden. Das Hauptproblem dabei war, dass die Staatsführung der DDR hier unweigerlich selbst im Visier der Kritik stand, die dann vermittelst ihrer Zensurbehörde derartige Kritiken auch aus den eigenen Reihen gar nicht zulassen konnte. Ein Urkommunist konnte im real existierenden Sozialismus zum Staatsfeind werden, wenn er offen mit den Fingern auf die Probleme in der DDR zeigte. Im Bereich des Jugendsachbuchs bot sich allerdings eine Möglichkeit, auch fern der strengen politischen Zensur und gleichsam durch die Hintertür der populärwissenschaftlichen Sachliteratur für Jugendliche der DDR subversive Kritik aus orthodoxer kommunistischer Perspektive am real existierenden Sozialismus zu üben. Die Aufbereitung von literarischen Utopien für die Jugend kann daher auch als verdeckte Kritik am DDR-Regime der siebziger und achtziger Jahre verstanden werden. Es war so betrachtet das Ziel, die ursprüngliche Kernidee des Kommunismus, die von den Bonzen verraten worden war, wieder aus den Mottenkisten der Literaturgeschichtsschreibung hervorzuholen. Die alten literarischen Utopien üben mit ihrer bloßen Präsenz auf dem Buchmarkt Kritik am System. Hier galt das stille Einvernehmen und das Vertrauen darauf, dass die clevere Leserschaft die eigene Erfahrungswelt mit den Idealen des Kommunismus vergleichen und die Botschaft einer mehr oder minder versteckten, subversiven Kritik am real existierenden Sozialismus vonseiten der Herausgeber und Bearbeiter von Utopien zwischen den Zeilen herauslesen und verstehen werde.

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Reimar Gilsenbach – Kommunist, Menschenrechtler und Oppositioneller Der Publizist, Menschenrechtsaktivist und Autor des Buches Der ewige Sindbad, Reimar Gilsenbach (1925–2001), verkörpert den Typus eines solchen kritischen Urkommunisten, der unerschüttert an der Idee des Kommunismus festhielt und auf subtile Weise Kritik am DDR-Regime ausübte, denn für ihn ist »Literatur mit Scheuklappen […] für die Katz«. (Gilsenbach 1986, 26) In einem fiktiven Interview in den Beiträgen zur Kinder- und Jugendliteratur aus dem Jahr 1986 gibt Gilsenbach biografische Hintergründe preis. Er sei als Kind im Umfeld von Kommunisten aufgewachsen, er habe »den Kommunismus mit der Muttermilch getrunken« und ihn »nie […]verlernt« (ebd., 25). So ist auch in seinen Nachrufen zu lesen, dass er »unbeirrbar, ja unbelehrbar« gewesen sein soll und »ein gemeinschaftliches Streben nach dem neuen Menschen und nach einer friedensstiftenden Kultur« sowie »nach einer Überlebensethik einerseits und Glaube an die Aufklärung, an den neuen versöhnungsfähigen Menschen andererseits« ein Leben lang festgehalten haben soll. Reimar Gilsenbach habe »mit Sachbüchern, Kinderbüchern, Ökoliedern, mit über 600 Aufsätzen, Streitschriften, Reden, und wo immer sich eine Nische für Aufklärung bot«, an die Nachkommen »seine Stafette übergeben« und das nicht ohne Gefahr, denn er soll – als Mitglied der SED – einer »intensiven Bespitzelung durch die Staatssicherheit« ausgesetzt gewesen sein. Gilsenbach war seit 1952 Redakteur der Zeitschrift Natur und Heimat, in der er die Umweltsünden in der DDR offen benannte.3 1961 publizierte er die kritische Schrift zur Umweltproblematik Die Erde dürstet – 6000 Jahre Kampf um Wasser. Er setzte sich für den Nationalpark Sächsische Schweiz ein. Alle diese Aktivitäten machten ihn zum Pionier der ostdeutschen Umweltbewegung; er gilt als der »Vater des praktischen Naturschutzes der DDR« und als »Nestor der Naturschutzethik« in Ostdeutschland, die in der Gründung der Grünen Liga als ostdeutscher Umwelt-Dachverband während der Wendezeit mündete. In den sechziger Jahren beschäftigte ihn das Schicksal der Sinti und Roma. Sein Hauptwerk, die Weltchronik der Zigeuner, in mehreren Bänden blieb unvollendet. »Sein idyllisch abgelegenes Haus« soll »oppositionelle Geister« angezogen haben, dort verkehrten Wolf Biermann und andere Oppositionelle der DDR. »Immer hat er sich als Anwalt der bedrohten Natur verstanden, sich gegen Ungerechtigkeit und Unterdrückung gewandt.«4 3 »Die Saale stinkt zum Himmel, die Mulde, die Pleiße …«, schreibt Gilsenbach offen über die Umweltprobleme in der DDR in seinem fiktiven Interview (Gilsenbach 1986, 24). 4 Alle Zitate stammen aus dem Nachruf der Zeitungen: Märkische Oderzeitung, Neues Deutschland, Zweiwochenschrift für Politik/Kultur/Wirtschaft, Sprachrohr, Berlin-Branden-

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Inhaltliche und formale Analyse des Buches Der ewige Sindbad Gilsenbachs Zusammenstellung anderer oder besserer fiktiver Welten ist ein buntes Gemisch aus Göttersagen, phantastischen Reisen (Sindbad, Odysseus, Gulliver), wirklichen Reisen von europäischen Seefahrern aus der Geschichte der Frühen Neuzeit (Christoph Columbus, Amerigo Vespucci), literarischen Utopien (von Thomas Morus, Tommaso Campanella, Francis Bacon und Johann Gottfried Schnabel), Sternenflügen im Bereich der Science Fiktion (Stanislav Lem) und in der Wirklichkeit (russische Raumfahrt, Juri Gagarin). Gilsenbach bearbeitete Sagen und Geschichten aus dem alten Ägypten, der griechischen Antike, literarische Utopien der Renaissance, der Frühen Neuzeit bis hin zur Gegenwart in Form von erzählten Inhaltszusammenfassungen, ohne auf deren Vollständigkeit Wert zu legen. Vielmehr greift er einzelne Episoden aus den Originalschriften heraus und setzt sie dialogisch in Szene. Gelegentlich präsentiert er seine Nacherzählung in der Ich-Form des Helden; er konstruiert eine Erzählinstanz, um den Anschein zu erwecken, es handle sich hierbei um die originalen Geschichten. Dieses Vorgehen verfolgt nicht zuletzt den Zweck, die Geschichte für die Jugendlichen nachvollziehbar und anschaulich zu gestalten.5 Die Ich-Perspektiven der Helden bieten der jungen Leserschaft Identifikationsmöglichkeiten, mit deren Hilfe Emotionen geweckt werden sollen, um sie für die anvisierten moralischen und weltanschaulichen Wertvorstellungen auf emotionaler Ebene zu gewinnen. Die ausgewählten Geschichten sind im Sinne moralischer Exempel anschauliche Beispiele für Tapferkeit, Redlichkeit, Treue, Gerechtigkeit, Zähigkeit im Kampf gegen das Böse (Unterdrücker); sie führen der jungen Leserschaft Tugenden vor Augen, die ein Revolutionär benötigt, wie folgendes Beispiel der Beschreibung des Helden Jason demonstrieren kann: »Iason salbte sich und seine Waffen mit dem Zaubermittel. Im selben Augenblick durchglühte ihn ein unbändiges Gefühl von Stärke.« Im Kampf gegen die Stiere stand Jason »wie ein Fels« und nach überstandenem Kampf gegen die Stiere, »jubelten [die Argonauten; H. N.] ihrem Anführer zu. Er aber gönnte sich keine Rast, sondern bereitete sich auf den neuen Kampf vor.« (Gilsenbach 1981, 44)

burger naturmagazin, HORCH UND GUCK, Sächsische Heimatblätter, Der Rabe Ralf, Natur und Landschaft, Der Tagesspiegel; zu finden auf der Internetseite: www.gilsenbach-gilsenbach.de (8. 11. 2016). 5 An einer Stelle ergreift der Verfasser Gilsenbach selbst das Wort und berichtet in der Ich-Form über ein Kindheitserlebnis: Als er vom Lehrer aufgefordert wird, das Paradies zu beschreiben, nennt er den Park von Jena. Für diese Antwort hat Gilsenbach eine Prügelstrafe bezogen, denn er hätte das biblische Paradies beschreiben sollen. (ebd., 195) Hierauf kommentiert er : »Die christliche Kirche vertröstet die Gläubigen auf ein besseres Leben im Jenseits. Das Volk aber nahm die Bibel wörtlich und träumte den Traum vom Paradies auf Erden« (ebd., 196f.).

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Abb. 1 Reimar Gilsenbach: Der ewige Sindbad. Merkwürdige Historie phantastischer Reisen zu Lande, zur See und ins All. Kinderbuchverlag 1975

Jason ist – wie alle anderen Helden in diesem Buch – ein musterhaftes Beispiel für den Kampf für die Gerechtigkeit. Er hat sich seinen zu Unrecht geraubten Thron durch außerordentliche Tapferkeit und Standfestigkeit wieder zurück erobert. (vgl. ebd., 44f.) Gilsenbachs Auswahl appelliert zudem an das Streben nach Weisheit und Erkenntnis. Kernaussage ist: Junge Revolutionäre und Kommunisten können nur unter der Voraussetzung ihre historische Mission erfüllen, indem sie die Gesetze der Natur erforschen und sie für sich nutzbar machen, denn »die Welt von morgen werde nicht erträumt, sie werde erforscht, berechnet, wissenschaftlich entworfen« (ebd., 10). Im Sinne des weltanschaulichen Fortschrittsoptimismus soll die junge Leserschaft der Wissenschaft und Technik vertrauen und sie zu ihrem Vorteil anwenden:

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Bacon [mit seiner Utopie Nova Atlantis; H. N.] wollte den Lesern sagen: All das, was es im Hause Salomo [im Haus der Weisheit; H. N.] gibt, läßt sich auch in Wirklichkeit erreichen, wenn ihr die Natur mit wissenschaftlichen Methoden erforscht und die gewonnenen Erkenntnisse anwendet, um die Technik der Produktion zu verbessern. […] Das »Haus Salomo« hat Bacon geschildert, um anschaulich zu zeigen, was eine Gesellschaft von Forschern und Erfindern zu leisten vermochte. Es war so etwas wie eine utopische Akademie der Wissenschaften. Bald nach Bacons Tod sind die ersten Akademien wirklich gegründet worden. (ebd., 224)

Gilsenbachs unerschütterlicher Fortschrittsoptimismus geht mit der marxistischen Weltanschauung konform und erscheint hierbei im wahrsten Sinne des Wortes als ›grenzenlos‹, denn es würde der Tag kommen, an dem die Menschen den Weltraum für sich als einen neuen Lebensraum erobern. Die Menschen würden zunächst den Mond und dann weitere Planeten in unserem Sonnensystem besiedeln. Als Beweis für diese These lässt Gilsenbach den russischen Raketenforscher und Pionier der sowjetischen Raumfahrt Ziolkowski6 selbst zu Wort kommen. Er hatte bereits noch unter den Verhältnissen des russischen Zarenreiches die zukünftige Bedeutung der Raumfahrt vorausgesagt, aber man wollte ihm damals seine Überzeugung nicht glauben. (vgl. ebd., 385) Diese Voraussage ist – so die Argumentation – tatsächlich eingetreten, ergo kann auch die Vision von der Besiedelung des Weltraums Wirklichkeit werden. Ziolkowski soll im Sinne des Fortschrittsglaubens gesagt haben: Am Anfang stehen unweigerlich Gedanken, Phantasie und Märchen. Darauf folgt die wissenschaftliche Berechnung. Jedoch zuletzt wird die Verwirklichung den Gedanken krönen. (ebd., 383) Unser Planet ist die Wiege des Verstandes, aber man kann nicht immer in der Wiege leben […]. Die Menschheit wird nicht ewig auf der Erde bleiben. In ihrem Drang nach Licht und Raum wird sie anfangs zaghaft die Grenzen der Atmosphäre überschreiten und sich später den ganzen Raum um die Sonne erobern. (ebd., 386)

Die Voraussetzungen für die noch visionären Weltraumeroberungen sind gemäß der marxistischen Weltanschauung – der materialistischen Basis-ÜberbauThese – die entsprechenden gesellschaftlichen Verhältnisse, unter denen sich Wissenschaft und Fortschritt erst eigentlich entfalten können. Feudalismus und Kapitalismus behindern die Entwicklung von Wissenschaft. Beide Gesellschaftsordnungen wirken als Hemmschuh und lassen wissenschaftlichen Fortschritt nur bis zu einem gewissen Grad zu, da sich in diesen Gesellschaftsformen 6 Vgl. hierzu den Artikel im Lexikon der Physik auf spektrum.de (gesehen am: 10. 11. 2016): »Ziolkowski, (Ciolkovskij), Konstantin Eduardowitsch, russischer Raumfahrttheoretiker und Mathematiker, *17. 9. 1857 Ischewskoje (Gebiet Rjasan), †19. 9. 1935 Kaluga; […] Ziolkowski gilt zusammen mit H. J. Oberth als einer der geistigen Väter der Raumfahrt- und Raketentechnik.«

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der Mensch nicht frei entfalten könne. Egoismus, Krieg und Zerstörung bestimmen das Handeln: Im Rußland der Zarenherrschaft erkannte niemand, welche Bedeutung Ziolkowskis Arbeiten und Entwürfe besaßen. Die Oktoberrevolution brachte auch für sein Lebenswerk die Wendung. […] Durch Fleiß und die Arbeit aller Werktätigen konnte ein kühner Traum der Menschheit, die Eroberung des Reiches der Wolken, verwirklicht werden. (ebd., 385)

Demgemäß betont Gilsenbach am Schluss dieser Passage in einem Kommentar nochmals, dass für eine Besiedelung des Weltraumes, des Mondes oder anderer Himmelskörper erst die notwendigen gesellschaftlichen Voraussetzungen geschaffen werden müssen: Erst wenn der Kommunismus die hiesige Welt erobert hat, erst wenn »alle Völker in friedlicher Arbeit vereint [sind], die Gesellschaftsordnung des Kommunismus« (ebd., 398) vorhanden ist, erst dann würde ein derartiges Programm Wirklichkeit werden können. Gilsenbachs Feuereifer für die Raumfahrt am Ende seines Buchs Der ewige Sindbad gilt allerdings nur der sowjetischen Weltraumforschung. Dass zeitgleich Amerikaner ebenfalls an einem Weltraumforschungsprogramm arbeiteten und ein Amerikaner als erster den Mond betreten hat, wird von Gilsenbach mit keinem einzigen Wort erwähnt. Ebenso verschweigt er der Jugend den frühen tragischen Tod von Juri Gagarin beim Test eines Kampfflugzeugs im Jahr 1968. Gilsenbach spricht von den großen technischen Errungenschaften der Raumfahrtentwicklung in der Sowjetunion, nicht von Niederlagen: Am 4. Oktober 1959 hörten die Menschen zum ersten Mal Signale aus dem Kosmos. […] Sputnik-1 zog seine Bahn um die Erde. […] Die Sowjetunion hatte den ersten unbemannten Raumflugkörper gestartet. Das Zeitalter des Weltraumfluges war angebrochen. Im Monat darauf folgte Sputnik-2; in seiner hermetisch abgeschlossenen Kabine trug er die Hündin ›Laika‹ in eine Erdumlaufbahn – zum ersten Mal konnte ein Lebewesen unter den Bedingungen des Weltraumfluges beobachtet werden. Nur wenige Jahre später drang ein Mensch in den Weltraum vor: Juri Gagarin. Der sowjetische Kosmonaut umkreiste am 12. April 1961 mit dem Raumschiff Wostock-1 in 108 Minuten einmal die Erde. Seitdem hat die Sowjetunion Hunderte von Raumflugkörpern auf den Weg gebracht. (ebd., 386)

Der Autor des Ewigen Sindbads wählte seine Textvorlagen gezielt unter dem Aspekt der Brauchbarkeit für die Vermittlung der Botschaft des Kommunismus aus. Gilsenbach will faktenreich dokumentieren, dass der Kommunismus bereits seit 2000 Jahren als Idee in der Literatur kursiert. Weit vor Marx und Engels gab es nach seiner Auffassung die ›vorwissenschaftlichen‹, diffusen und nicht realisierbaren Vorstellungen vom Kommunismus. Der jugendliche Leser soll sich davon überzeugen, dass Marx und Engels nichts Neues erfunden haben. Beide hätten die Zusammenhänge lediglich ›entdeckt‹ und Wege gezeigt, wie der

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Mensch dahin gelangen kann. Die Idee des Kommunismus auch in der unreifen Form erwachse aus den Widersprüchen in der menschlichen Gesellschaft und aus der Tatsache, dass es Unterdrückte und Unterdrücker gibt, wogegen man sich im Kampf wehren müsse. Daher kommentiert Gilsenbach seine Nacherzählungen wie folgt: In Capets Traumland Ikarien ist der Kommunismus verwirklicht. Wie kam es dazu? Capet schildert es: In einer Revolution jagte das Volk seine alten Unterdrücker davon. Es wählte den Führer der Revolution, den großen Ikar, zum Diktator. Und nun überredete Ikar die Bürger dazu, auf ihr Eigentum zu verzichten und die Gütergemeinschaft einzuführen. (ebd., 231f.)

In der Nacherzählung einiger weniger Episoden des ersten Bandes der Wunderlichen Fata einiger Seefahrer von Johann Gottfried Schnabel (1732), der sein Buch in Stolberg im Südharz geschrieben hat, heißt es folgerichtig dazu: Wie muß dieser Mann [Johann Gottfried Schnabel; H. N.] unter dem täglichen Elend gelitten haben, unter der stolbergischen Enge und Hinterwäldlerei! […] Ihn beseelte der brennende Wunsch, diese erbärmliche Welt zu verändern, diese Welt mit ihren Grafen und Leibeigenen, ihren Kriegs- und Hungersnöten, ihrer Ungerechtigkeit. Und er hätte wohl auch das Zeug zum Weltverbesserer gehabt, wenn er nur in eine Gesellschaft hineingeboren worden wäre, die Entdecker und Erfinder, die Kämpfer und Revolutionäre braucht. (ebd., 143)

Schnabels Romanfiguren erzählen in ihren Lebensgeschichten aus der IchPerspektive von den Missständen ihrer Zeit. Gilsenbach interpretiert diese literarischen Erzählungen als historische Dokumente, an denen sich das marxistische Entwicklungsmodell der Menschheit sehr gut zeigen lasse, denn Schnabel beschrieb nach Gilsenbach den vorrevolutionären Kampf des Bürgertums gegen den Feudaladel: Was haben sie in der Welt da draußen nicht alles erlitten! Mordtaten, Seeräuberei, Betrug, Erpressung, die Verkommenheit der Adligen, die Rechtlosigkeit der Armen und Verfolgten […] eine schlimme Zeit war es, in der Schnabel lebte! […] Es war die Zeit des sterbenden Feudalismus, in der das Bürgertum an die Macht drängte. Die Rängekämpfe dieser beiden herrschenden Klassen wurden auf dem Rücken des Volkes ausgetragen. Johann Gottfried Schnabel hatte es am eigenen Leib gespürt, wie wenig ein kluger und gebildeter Mann aus dem Volke vermochte, wenn er arm war – bis zum Hofbarbier und Kammerdiener eines Winkelfürsten hatte er es gebracht, keinen Schritt weiter! (ebd., 147)

Dass Schnabel im Sinne der Argumentation von Gilsenbach, Utopien seien eine Vorstufe von Wissenschaft, den Kommunismus auf der Insel Felsenburg vorweggenommen haben soll, wird aus dem folgenden Zitat deutlich: Ihr kleines Staatswesen [auf der fiktiven Insel Felsenburg; H. N.] ist kommunistisch, wenn auch Schnabel das Wort nie gebraucht. […] Die »Insel Felsenburg« war ein

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Traum. Mehr konnte sie nicht sein. Die erbärmliche Welt, in der Johann Gottfried Schnabel lebte, ließ nur den Traum zu, nicht die Tat. (ebd.)

Heldenmut, Kampfbereitschaft, Weisheit und andere, hier als sozialistisch ausgegebene Tugenden allein genügen allerdings noch nicht, um den ersehnten Kommunismus zu errichten. Dies wird an der zusammenfassenden Erzählung über die Insel Felsenburg deutlich. Dies sollte der junge Revolutionär auch wissen. Der Marxismus lehrt, dass die Revolutionen notwendigerweise bestimmter gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Voraussetzungen bedürfen, wenn sie erfolgreich sein sollen. Um das marxistische Geschichtsbild zu erläutern, streut Gilsenbach durch das gesamte Buch Kommentare und theoretische Einführungen zum Marxismus zu Beginn, in kleinen Exkursen zwischendurch und am Ende des Buches ein. Das Werk Utopia von Thomas Morus (1516) kommentiert er völlig kompatibel mit dem Verständnis von literarischen Utopien von Friedrich Engels wie folgt: Was Thomas More in der Insel Utopia malte, war das Zukunftsbild eines kommunistischen Staates. […] noch nie hatte jemand ein so umfassendes, so gründliches, so überzeugendes Bild einer Gesellschaft entworfen, in der alle Menschen gleichgestellt sind, weil es nur Gemeinbesitz, kein Privateigentum gibt. Die »Utopia« war ein revolutionäres Buch. Mit unwirklicher Phantasterei hatte sie nichts zu tun. Dieser Sinn ist dem Wort »Utopie« erst später unterstellt worden. Für More war die vernünftige und gerechte Staatsform der Utopier ein erstrebenswertes Ziel, und er war davon überzeugt, daß sich dieses erreichen lassen müßte. Nur über den Weg, der dahin führt, war er sich im unklaren [sic!]. Und das konnte nicht anders sein, denn die Zeit war noch nicht reif. (ebd., 213, Hervorhebung H. N.)

Auch Campanella soll mit seiner Utopie Der Sonnenstaat (1602) den Kommunismus antizipiert haben. Campanellas Utopie unterscheidet sich vom wissenschaftlichen Kommunismus auf der theoretischen Basis von Marx und Engels durch seine Naivität. Campanella verfasste wie Morus innerhalb dieser kommunistischen Argumentation nur die Beschreibung eines kommunistischen Gemeinwesens in einer Phase der historischen Entwicklung, in der aufgrund der ökonomischen und gesellschaftlichen Verhältnisse der Kommunismus lediglich als vage Vorstellung oder Traum gedacht, aber nicht begründet werden konnte. In anschaulicher Pflanzenmetaphorik als Vergleichsargument, die die Naturgesetzlichkeit der gesellschaftlichen Entwicklung suggeriert, vermittelt Gilsenbach die These von der Unreife von Ideen: Beide Utopien [Utopia von Morus und Sonnenstaat von Campanella; H. N.] haben den Kommunismus gemeinsam, zugegeben, einen etwas rohen Kommunismus, noch nicht ausgereift, mehr eine Ahnung künftiger Möglichkeiten als wirkliches Modell eines kommunistischen Gemeinwesens. Das konnte gar nicht anders sein. Aus einer Eichel treibt ein unscheinbarer Keimling hervor, es wird lange dauern, ehe ein Baum he-

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ranwächst. Ähnlich geschieht es mit revolutionären Ideen, sie sind zunächst nur wie ein Sämling, keimhaft noch, und trotzdem lassen sie den künftigen Baum ahnen. (ebd., 218)

Schließlich folgt die bereits erwähnte diskursive Passage unter der Überschrift Wie Marx und Engels den Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft entwickelten (ebd., 236–241), in der nun vertiefend und anschaulich mit technikmetaphorischer Argumentation erläutert wird, warum es Morus, Campanella, Schnabel, Cabet u. a. gar nicht möglich gewesen sein konnte, ein aus kommunistischer Perspektive brauchbares Programm zu entwickeln: Nein, alle Wege in eine bessere Zukunft, die von den utopischen Kommunisten ersonnen worden waren, führten ins Nichts. Die Utopisten glichen einem Erfinder, der einen Elektromotor bauen will, ohne die Gesetze der Elektrizität zu kennen. Die Spaltung der menschlichen Gesellschaft in Klassen, die einander unversöhnlich gegenüberstehen, wollten sie überwinden, aber sie kannten nicht die Gesetze, nach denen sich die Gesellschaft entwickelt. Diese Gesetze entdeckt und sie für den politischen Kampf der Arbeiterklasse nutzbar gemacht zu haben ist das Verdienst von zwei Männern: Karl Marx und Friedrich Engels. (ebd., 236)

Um seine theoretische Argumentation besonders plausibel zu gestalten, führt Gilsenbach die Leistung von Friedrich Engels als dem maßgeblichen Begründer eines kommunistischen Utopieverständnisses nochmals explizit aus. Er zitiert Engels als Beweis für seine Interpretation in diesem Zusammenhang sogar wörtlich, um der jungen Leserschaft die Teilnahme an diesen aus seiner Sicht innovativen revolutionären Gedanken direkt zu ermöglichen: Engels gibt Antwort auf die Frage, weshalb alle phantastischen Fahrten ins Land Utopia nicht an ihr Ziel gelangen konnten […] Engels schreibt: »Um diese Zeit aber war die kapitalistische Produktionsweise, und mit ihr der Gegensatz von Bourgeoisie und Proletariat, noch sehr unterentwickelt. Die große Industrie […] war noch unbekannt.« Aber erst aus der großen Industrie sollten sich die Widersprüche entwickeln, »die eine Umwälzung der Produktionsweise, eine Beseitigung des kapitalistischen Charakters zur zwingenden Notwendigkeit erheben«. Mit den Produktivkräften erstarkte auch die Arbeiterklasse, das Proletariat. Nur diese Klasse der besitzlosen Lohnarbeiter war daran interessiert, die kapitalistische Gesellschaftsordnung umzustürzen und den Sozialismus zu verwirklichen. […] »Dem unreifen Stand der kapitalistischen Produktion, der unreifen Klassenlage, entsprachen unreife Theorien.« […] Heißt das, daß alle Utopien Unsinn waren? […] Es waren »geniale Gedankenkeime«. (ebd., 237)

Um die Theorie von der ›Unreife‹ der gesellschaftlichen Ordnung zur Zeit der Entstehung von literarischen Utopien noch weiter zu untermauern, greift Gilsenbach am Ende seiner Beweiskette auf ein weiteres Autoritätsargument zurück. Er zitiert den großen ›Meister‹ als Gipfelpunkt seiner Argumentation; er zitiert das Kommunistische Manifest (1848) von Karl Marx, in dem das materialistische Basis-Überbau-Modell gleich einer nicht zu hinterfragenden

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Wahrheit, wie in den Geboten in der Bibel, für alle Zeiten verbindlich festgeschrieben steht: [I]n jeder geschichtlichen Epoche [bildet] die vorherrschende wirtschaftliche Produktions- und Austauschweise und die aus ihr mit der Notwendigkeit folgende Gliederung die Grundlage […], auf der die politische und die intellektuelle Geschichte dieser Epoche sich aufbaut und aus der allein sie erklärt werden kann: daß demgemäß die ganze Geschichte der Menschheit (seit der Aufhebung der primitiven Gentilordnung mit ihrem Gemeinbesitz an Grund und Boden) eine Geschichte von Klassenkämpfen gewesen ist, Kämpfen zwischen ausbeutenden und ausgebeuteten, herrschenden und unterdrückten Klassen; daß die Geschichte dieser Klassenkämpfe eine Entwicklungsreihe darstellt, in der gegenwärtig eine Stufe erreicht ist, wo die ausgebeutete und unterdrückte Klasse – das Proletariat – ihre Befreiung vom Joch der ausbeutenden und herrschenden Klasse – der Bourgeoisie – nicht erreichen kann, ohne zugleich die ganze Gesellschaft ein für alle mal von aller Ausbeutung und Unterdrückung, von allen Klassenunterschieden und Klassenkämpfen zu befreien. (ebd., 239)

Die Zielgruppe der anvisierten Leserschaft, die Jugendlichen in der DDR, befindet sich also, wie Gilsenbach an dieser Stelle plausibilisieren will, in einer Übergangsphase. Der erste revolutionäre Sprung, die Enteignung der Kapitalisten ist vollzogen und die sozialistische Gesellschaftsordnung ist errichtet. Gilsenbach fragt sich: Was folgt dann? Er entwickelt nun die ›wissenschaftlich‹ begründete Vision vom Kommunismus, in der »mit der Besitzergreifung der Produktionsmittel durch die Gesellschaft« die »Warenproduktion beseitigt« sei. Die gesellschaftliche Produktion würde durch »planmäßige bewußte Organisation« ersetzt. Damit würde der Mensch »endgültig aus dem Tierreich«, aus den »tierischen Daseinsbedingungen« austreten. Die Menschen seien dann »wirkliche Herren der Natur«, weil sie die Naturgesetze beherrschen und sie »mit voller Sachkenntnis« anwenden (alle Zitate ebd., 240). Diese diskursive Reflexion endet mit einem Resümee, indem das spezifische Verständnis der Gattung der literarischen Utopie noch einmal deutlich zum Ausdruck kommt. Literarische Utopien seien Texte, in denen ernsthaft Ziele und Vorstellungen künftiger besserer Welten entwickelt, der Weg dahin aber nicht aufgezeigt würde, weshalb sie nur ›Vorboten‹ des wissenschaftlichen Kommunismus sein könnten: Der Aufbau des Sozialismus und der allmähliche Übergang zum Kommunismus vollziehen sich im Reich der Wirklichkeit. In unserem Buch der phantastischen Reisen konnte nur von ihrer utopischen Vorgeschichte die Rede sein. Sie reicht mehr als zwei Jahrtausende weit zurück, eine Geschichte enttäuschter Hoffnungen, eine Geschichte der Irrtümer, doch auch eine Geschichte des wachsenden Bewusstseins der unterdrückten Klassen, eine Geschichte »genialer Gedanken«, in denen wir die geistigen Vorboten und Wegbereiter des Kommunismus verehren. (ebd.)

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Die Nacherzählungen der phantastischen Reisen bilden nur einen Teil des Buches. Der Sachbuchcharakter des Bandes entsteht hauptsächlich durch einen zweiten Teil. Jeder Nacherzählung wurden kurze Sachbeiträge beigefügt, die in der Form von kleinen Artikeln, die Lexikoneinträgen ähnlich sind, Begriffe, Gegenstände, historische Orte oder Personen erklären. Ähnlich einem Lexikon für Kinder finden sich zu diesen Erläuterungen zahlreiche Abbildungen: Schwarz-Weiß-Fotos, Illustrationen aus den Originalwerken (Holzschnitte, Kupferstiche), zum Teil bearbeitet und vereinfacht; es finden sich technische Zeichnungen von Flug- oder Schiffsmodellen, historische Landkarten und illustrierte Landkarten, Abbildungen berühmter Gemälde sowie farbenfrohe Collagen (auf denen es viel zu entdecken gibt) und Buchillustrationen von Rainer Sacher,7 sodass das Werk der für die populärwissenschaftliche Literatur für Kinder und Jugendliche in der DDR verbindlichen Anforderung gerecht wird, dass ein Jugendbuch ästhetisch ansprechend und von hoher Qualität sein soll. Dies entspricht auch Gilsenbachs hohen Ansprüchen an ein Jugendsachbuch: Es muss eine »Art Kunstwerk« sein. Denn »Wert und Erfolg eines Sachbuches werden im hohen Maße von der Kunst der Darstellung bestimmt. Mit der literarischen Qualität des Textes müssen die Komposition, die Illustration, das Layout, die Typographie zusammenklingen, erst durch die Verschmelzung all dieser Komponenten entsteht ein ausgereiftes Werk.« (Gilsenbach 1986, 28) Auch in diesen kleinen erläuternden Zutaten offenbart Gilsenbach seine Weltanschauung und seinen Literaturbegriff, der vom Materialismus geprägt ist: Literarische Texte basieren – so die indirekte Botschaft dieser Sacherläuterungen – stets auf realistischer Grundlage. So fragt sich Gilsenbach bspw.: »Hat Etana wirklich gelebt?« (ebd., 23) Oder er reflektiert auf materialistischer Basis: »Das Gottesland Punt kann nur in Afrika gelegen haben. Aber wo?« (ebd., 30) Oder er überlegt: »Gehört die ›Odyssee‹ in ein Buch über phantastische Reisen?« (ebd., 48) In der Manier eines materialistischen Wissenschaftlers spekuliert Gilsenbach über mögliche reale historische Hintergründe und Orte, wenn er schreibt: »Dieses älteste Seeabenteuer, das uns überliefert ist, muß mit den ägyptischen Puntfahrten an der Küste Afrikas entlang zu tun haben.« (ebd., 30) Über die sagenhaften Eisenvögel in der Argonautensage spekuliert er folgendermaßen: Selbst in diesem Schifferspuk könnte ein Stück Wahrheit verborgen sein. […] Mag sein, daß sie sich auf ihrer Fahrt ins Schwarze Meer zum ersten Mal gegen Krieger wehren 7 Rainer Sacher »wurde 1939 in Berlin geboren. Er studierte an der Kunsthochschule BerlinWeißensee und arbeitet seitdem als freischaffender Künstler. Sein grafisches Interesse gilt vornehmlich dem Sachbuch, [er] illustrierte aber auch Werke von Wilhelm und Jakob Grimm und zeigt damit auch sein Können, Märchen einen besonderen Zauber zu verleihen.« Vgl. http://www.leiv-verlag.de/illustratoren/ (9. 11. 2016).

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mußten, deren Pfeile eiserne Spitzen trugen. Solch ein Abenteuer würde in die mykenische Zeit passen: Die frühesten eiserne Waffen sind um 1400 v. u. Z. hergestellt worden, und zwar im Nordosten Kleinasiens. (ebd., 40)

Gemäß der Auffassung, dass alle erzählten Dinge ihren wahren Ursprung haben, lasse sich bspw. auch das Goldene Vlies in der Argonautensage naturwissenschaftlich erklären: Der Sage nach war das Goldene Vlies das Fell eines göttlichen Schafbocks. […] Der Wirklichkeit am nächsten kam vermutlich Strabon. Er berichtete, in der Kolchis lege man Schaffelle in goldhaltige Flussbetten. (ebd., 46)

Mit diesen von materialistischer Weltanschauung geprägten Erläuterungen geht konsequenterweise auch die Religionskritik Gilsenbachs einher. Religion sei – gemäß der marxistischen Formel »Opium des Volks«8 – lediglich von Herrschenden erdacht, um die Menschenmassen ruhig zu halten. Es gibt keinen Gott, das wisse man heutzutage dank moderner Wissenschaft genau. Dies geht aus den folgenden Zitaten von Gilsenbach unmissverständlich hervor : Im Mittelalter entwarfen christliche Kirchenväter die unsinnigsten Weltbilder. […] Die Kirche hat mehr als ein Jahrtausend lang durch derlei wirklichkeitsfremde Weltbilder den Fortschritt der Wissenschaft aufgehalten. (ebd., 84) In Wirklichkeit sind die Mönche [Sankt Brendan und seine Seefahrer; H. N.] weder Teufeln noch Engeln auf dem Meer begegnet. Sie haben weder die Hölle noch das Paradies dort gefunden, und kein Gott hat ihnen geholfen. Das alles sind fromme Lügen, mit denen die Mönche die Natur auf ihre Weise auslegten, um ihren Lesern die Macht und die Herrlichkeit des Christengottes vor Augen zu führen. Im Feudalismus verfügte die Kirche über eine unerhörte Machtfülle […], und diese Macht setzte sie ein, um die Volksmassen in Knechtschaft und Unwissenheit zu halten. […] Das Volk hatte andere Träume: Es träumte vom Schlaraffenland, wo es keine Herren und Knechte gibt und wo die Ermahnung, nichts zu stehlen, sinnlos wäre, weil alles allen gehört. (ebd., 107)

Schließlich werden auch philosophische Positionen, die das 18. Jahrhundert entscheidend prägten, aus der Sichtweise eines Marxisten lediglich als notwendige Vorstufen der ›Wahrheit‹, dem Marxismus, angesehen: Dichter und Philosophen des 18. Jahrhunderts priesen die Vorzüge des natürlichen Lebens. Das war eine fortschrittliche Haltung: sie wandte sich gegen das widernatürliche Treiben an den Fürstenhöfen. Mit seiner Luxuskleidung, seinen Perücken, seinem gezierten Gehabe stellte dort der Adel seine Vorrechte zur Schau. Und worauf waren die Vorrechte gegründet? Nur auf die adlige Herkunft! Aber waren nicht alle Menschen von Natur aus gleich? »Zurück zur Natur!«, dieses Wort, das der franzö8 Vgl. Marx 1844, 71f.: »Das religiöse Elend ist in einem der Ausdruck des wirklichen Elendes und in einem die Protestation gegen das wirkliche Elend. Die Religion ist der Seufzer der bedrängten Kreatur, das Gemüth einer herzlosen Welt, wie sie der Geist geistloser Zustände ist. Sie ist das Opium des Volks.«

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sische Philosoph Rousseau geprägt hatte, war zur Kampfansage gegen die Vorrechte des Adels geworden. (ebd. 164f.)

So bleibt resümierend festzustellen, dass Gilsenbach ein Jugendsachbuch verfasste, das ästhetisch höchst anspruchsvoll und anschaulich gestaltet und äußerst spannend erzählt ist, das nicht nur Faktenwissen in Form von kleinen Lexikonartikeln vermittelt, sondern auch gleich einer kleinen protowissenschaftlichen Abhandlung in Übersichten und Zeittafeln die Fakten auf materialistischer Basis zusammenfasst, um so die Glaubwürdigkeit seiner Argumentation konkret zu untermauern: »Chronik der phantastischen Reisen« (ebd., 186), »Chronik der Utopien« (ebd., 242), »Chronik der Sternenflüge« (ebd., 412), »Verzeichnis wichtiger Namen« (ebd., 414). Der wissenschaftliche Anspruch des Sachbuchs wird auch darin deutlich, dass Gilsenbach seine Quellen genau benennt sowie die Zitate exakt kennzeichnet. Es erweckt den Anschein eines propädeutischen Lehrbuchs, das belehrt, Wissen vermittelt und gleichzeitig anschaulich unterhält. Allerdings dürfte deutlich geworden sein, dass die Unterhaltung, die Wissensvermittlung und die bildhafte Gestaltung letztlich nur einen Zweck verfolgen: den Leser – aus der Sicht von Gilsenbach – zur großartigen Idee des Kommunismus zu überreden bzw. den abtrünnig gewordenen Verrätern in den eigenen Reihen zu zeigen, was die ursprünglichen Ideen gewesen waren und wofür es nach wie vor zu kämpfen gilt: nämlich für den ›neuen‹ Menschen, für Freiheit und Gerechtigkeit im marxistischen Sinn. Dies waren hehre Ziele, deren Umsetzung in der DDR zur Zeit der Entstehung des Buches schmerzlich vermisst wurde. Gilsenbachs Werk Der ewige Sindbad ist deshalb ein polemisches Buch mit stark appellativem Charakter. Vom Streben nach Autonomieästhetik ist keine Spur zu finden. Die literarischen Anteile im Buch, also Gilsenbachs Nacherzählungen, sind der Tradition der rhetorischen Literatur in besonderer Weise verpflichtet.9

Joachim Walther – ein nichtangepasster ostdeutscher Schriftsteller Der Herausgeber der Anthologie utopischer Erzählungen Traum aller Träume – das zweite Jugendsachbuch, das hier vorgestellt und diskutiert werden soll – Joachim Walther, ist 1943 in Chemnitz geboren. Er war kurze Zeit Lehrer und 9 Rhetorisch geprägte Literatur bezeichnet literarische Texte, die bis ins späte 18. Jahrhundert »ganz selbstverständlich politischen und moralischen Zwecken unterworfen« wurden. Die »poetische Darstellung« war »zunächst einmal ein wirksames Mittel, um beim Leser Bewußtseinsprozesse in Gang zu bringen und die Urteile und Normen des Textes beim Leser zu verankern.« (Stockinger 1981, 8f.)

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von 1968 bis 1983 Lektor und Herausgeber im Buchverlag Der Morgen in Berlin. Es folgte die »erzwungene Kündigung wegen Problemen mit der Zensur« und in den Jahren von 1969 bis 1989 die Überwachung durch die Staatssicherheit der DDR. Er war seit 1972 Mitglied des Schriftstellerverbandes. Von 1971 bis 1974 arbeitete er für die Zeitschrift Weltbühne und war von 1976 bis 1978 Redakteur der Literaturzeitschrift Temperamente. Im Jahr 1978 wurde er aus politischen Gründen entlassen. Seit 1983 ist er als freiberuflicher Schriftsteller in der DDR tätig gewesen, bis 1989 lebte er zurückgezogen in Mecklenburg.10 In diesem Zeitraum gab Walther die Anthologie Traum aller Träume. Utopien von Platon bis Morris heraus. Walther lebt heute in Ahrensfelde/OT Mehrow bei Berlin.11

Inhaltliche und formale Analyse von Joachim Walthers Anthologie Traum aller Träume Auf den ersten Blick erscheint die Anthologie von Joachim Walther ohne appellative Absichten auf den Weg gebracht worden sein. Walther lässt die Verfasser der literarischen Utopien selbst erzählen, soweit dies bei antiken, mittelalterlichen, frühneuzeitlichen und übersetzten Texten überhaupt möglich ist, sodass eine belehrende oder politische Absicht des Herausgebers zunächst nicht zu erkennen ist. Walther stellt seiner Anthologie eine einführende Vorrede zur Gattung Utopie voran. Im Paratext, einer »Anmerkung zu dieser Ausgabe« (Walther 1987, 371), versichert der Herausgeber, dass die Textauszüge der hier vorgestellten Werke im Wesentlichen original seien, lediglich die sprachlichen Besonderheiten seien »behutsam modernisiert« (ebd.) worden. Ironiesignale, die die Aussagen Walthers infrage stellen könnten, sind weder in der Vorrede noch im Paratext erkennbar. Die Werke der alten Dichter werden in Auszügen präsentiert, der Leser soll sich selbst darüber ein Urteil bilden. Indirekt – also durch die Auswahl der Texte sowie durch die Zusammenstellung von literarischen Utopien – ergibt sich daher auf den zweiten Blick doch ein Appell dieses Jugendsachbuchs mit deutlich subversivem Potenzial: Durch den Vergleich zwischen den im Buch vorgestellten Idealwelten mit der Erfahrungswirklichkeit konnte die zeitgenössische Leserschaft ganz von allein zu einer kritischen Haltung gegenüber der gegenwärtigen Diktatur der DDR gelangen, in dem sich die mitdenkenden Leserinnen und Leser 10 Literarische Werke Walthers sind u. a. Sechs Tage Sylvester (Roman, 1970), Zwischen zwei Nächten (Roman, 1972), Neun-Tage-Buch (zusammen mit Gisela Steineckert, 1974), Ich bin nun mal kein Yogi (1975), Stadtlandschaft mit Freunden (Geschichten und Miniaturen 1978), Bewerbung bei Hofe (Roman, 1982). Vgl. Wolf 1986, 218. 11 Alle Zitate sind der Homepage von Joachim Walther entnommen: www.taulus.de (10. 11. 2016). Vgl. auch Wolf 1986, 218.

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der Differenzen dieser Welten bewusst wurden. Walther bedient sich der »wirklichkeitskritischen Funktion« (Stockinger 1981, 7) dieser satirischen Texte als Mittel der stillen Opposition gegen den real existierenden Sozialismus, wogegen die Zensur der DDR nichts auszurichten vermochte, denn nicht Walther spricht ja hier, sondern nur die alten Dichter kommen zu Wort. Es wird zu zeigen sein, dass Walther mit der Auswahl der Titelgeschichte insbesondere die DDRZensur im Visier hat, um sie zu entlarven und dem Spott auszusetzen. Der Titel der Anthologie Traum aller Träume bezieht sich auf Louis-S8bastien Merciers Roman Das Jahr 2440 – Ein Traum aller Träume (1772). Darin schläft der Erzähler im Jahr 1770 in Paris ein und erwacht im Jahr 2440 in einem veränderten Paris, wo der Despotismus12 überwunden ist und die Menschen in Freiheit, von einem Philosophenkönig (vgl. ebd., 246) vernünftig regiert, ohne Unterdrückung friedlich, mithin glücklich zusammenleben. Der Erzähler trifft im Traum auf einen Mann (die satirische persona), der ihm die gesellschaftlichen Verhältnisse wie die Regierungsform, die Bildung, das Gesundheitswesen usw. im neuen Traum-Paris der Zukunft im unmittelbaren Vergleich mit dem alten Paris des 18. Jahrhunderts minutiös erläutert. In diesem Traumgespräch werden das Ideal und die Wirklichkeit des 18. Jahrhunderts in Frankreich durch das Benennen von realhistorischen Fakten und Missständen zur Zeit der Entstehung der Utopie13 unmittelbar miteinander verglichen. Die geschichtlich versierte Traumfigur erklärt dem Gast im Traumland bspw., dass damals die Bildung schlecht, d. h. ungeheuer selbstgefällig und eitel gewesen sei und man sich nur an unnützen Dingen (wie an antiken Schriften) aufgehalten habe, heute hingegen – so die Traumfigur – sei das Bildungsprogramm vernünftig. Man lerne nur das, was tatsächlich im Alltag nütze (vgl. ebd. 234ff.). Oder die 12 Despotismus charakterisiert Mercier wiefolgt: »Die despotische Regierung ist nichts als eine Verschwörung des Monarchen mit einer kleinen Anzahl begünstigter Untertanen, um die übrigen alle zu betrügen und zu berauben.« (ebd., Anm. 50, 388) 13 Interessant hierbei ist der Anmerkungsapparat, der von Mercier selbst stammen soll (und nicht von Walther) und in dem er Missstände oder lächerliche Ereignisse, die sich tatsächlich abgespielt haben, entlarvend benennt. Mercier erwähnt bspw. die Missstände im wirklich existierenden Armenhospital Hitel de Dieu in Paris. Er schreibt: »Sechstausend elende Menschen sind in Sälen des Hitel de Dieu zusammengepfropft, wo die Luft keinen freien Umlauf hat. Der Arm des Stroms, der vorbeifließt, nimmt alle Unreinigkeit auf, und dieses Wasser, das jeden Samen von Fäulnis enthält, dient der Hälfte der Stadt zum Getränke.« (ebd., 383 Anm. 16) An anderer Stelle hat Mercier die Dummheit und den Aberglauben einiger Zeitgenossen im Fokus und gibt sie der Lächerlichkeit preis: »Kaum war die Druckerei in Paris erfunden, als jemand unternahm, die Elemente des Euclid drucken zu lassen: aber da, wie man weiß, darinnen Zirkel, Vierecke, Dreiecke und alle Arten von Linien vorkamen, so glaubte einer von den Druckern, daß es ein Zauberbuch wäre, das leicht den Teufel hervorrufen möchte, der ihn mitten in seiner Arbeit holen könnte. [Er] setzte sich dieses so sehr in den Kopf, daß er weder Vernunft noch Beichtvater hörte und einige Tage darauf starb.« (ebd. 386 Anm. 37)

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Traumfigur erläutert: Früher habe es keine Pressefreiheit gegeben, heute sei »die Freiheit der Presse […] das wahre Maß der bürgerlichen Freiheit« (ebd., 231). Weiterhin heißt es: Früher »verdammte man alle Schriften, daß sie durch ein Sieb gehen mußten«, heute dagegen könne man im Traumland »über alles schreiben, denn wir haben weder Sieb noch Schere, noch Handfesseln« (ebd., 232). Für den aufmerksamen Leser in der DDR, der die Botschaften zwischen den Zeilen gesucht und auch verstanden hat, richtet sich die Kritik auch gegen die gegenwärtigen Verhältnisse allgemein und im Besonderen gegen die Zensur der DDR. Walther hat das »Sieb«, durch das alles Verfasste hindurchwandern musste, als DDR-Schriftsteller selbst kennengelernt und die Folgen – Entlassung und Bespitzelung durch die Staatssicherheit – gespürt. In Merciers Anmerkungen werden die Zensoren dann gänzlich dem Spott ausgeliefert, Walther hingegen kann sich mit der Herausgabe der historischen Schriften begnügen und als stiller Kommentator die alten Dichter sprechen lassen, die kein gutes Haar an den Zensoren lassen. Die Aussagen sprechen ganz für sich und wirken trotz ihrer historischen Dimension vor dem Hintergrund ihrer Veröffentlichung in der DDR höchst aktuell: Die Hälfte von den königlichen Zensoren sind Leute, die man gar nicht unter die Gelehrten, selbst von der geringsten Klasse, zählen kann: und man kann buchstäblich von ihnen sagen, daß sie nicht lesen können. (ebd., 385 Anm. 26)

Merciers utopische Erzählung bietet jedoch noch mehr subversives Potenzial: Die Lesart, den Sachgehalt der utopischen Erzählung als ernst gemeintes Programm zu verstehen, bestätigt partiell14 Grundannahmen des Marxismus. Die Gesetze der gesellschaftlichen Entwicklung, die Marx und Engels ›entdeckt‹ haben wollen, werden in Merciers Schrift vorformuliert, was bedeutet, dass sowohl die Aussagen Merciers als auch die Aussagen von Marx und Engels wahr sein sollen, wenn man zu verschiedenen Zeiten zu den gleichen Einsichten gelangt. Brisant ist diese indirekte Wahrheitszuschreibung im Hinblick auf die Mittel, mit denen der Idealzustand erreicht werden kann. Beide – Mercier und Marx – vertreten die Auffassung, dass sich das Ziel allein durch den blutigen Kampf erreichen ließe. Mercier schreibt: 14 Es bestehen Differenzen zum Marxismus bspw. in Merciers Vorstellung von der Regierungsform im Traumland: »Darf ich Euch wohl fragen [es fragt der Gast im Traumland den Gastgeber ; H. N.], was Ihr gegenwärtig für eine Regierungsform habt? Ist sie monarchisch, demokratisch, aristokratisch? Sie ist weder monarchisch noch demokratisch noch aristokratisch; sie ist vernünftig und für Menschen gemacht.« (ebd., 245). Marx und Engels propagieren die Diktatur des Proletariats, die sich notwendig aus dem Klassenkampf ergeben soll. Ob die Diktatur des Proletariats vernünftig oder nicht vernünftig ist, steht gar nicht zur Debatte, denn es handelt sich um eine Entwicklung gemäß dem Naturgesetz von Klassenkämpfen.

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Es brauchte nur einer starken Stimme, das Volk aus einem betäubenden Schlafe aufzuwecken. Wenn die Unterdrückung auf Eure Häupter herabdonnerte, so durftet Ihr nur Eurer eignen Schwachheit die Schuld beimessen. Alles in der Welt ist Revolution. Die glücklichste unter allen hat ihr Ziel erreicht, und wir ernten jetzt davon die Früchte. (ebd., 245)

In den Anmerkungen präzisiert Mercier seine Argumentation: Gewissen Staaten steht eine Epoche bevor, die unausbleiblich kommen muß: eine schrecklich blutige Epoche, die aber die Losung der Freiheit ist. Ich meine den Bürgerkrieg, dann erheben sich alle großen Männer, einige greifen die Freiheit an, andere verteidigen sie. […] Es ist ein abscheuliches, aber noch notwendiges Mittel, wenn der Staat in einer gedankenlosen Schlafsucht und die Seelen in einer dummen Betäubung versenkt liegen. (ebd., 388 Anm. 49)

Bezog die Leserschaft der DDR diese Auffassung auf die in diesem Zeitraum gegenwärtigen Verhältnisse, dann hieß dies, dass die ›schlafende Republik‹, die sie durchaus als eine solche erlebt hat, nur vermittelst »Bürgerkrieg« geweckt werden kann. Die Freiheit – so die Botschaft – muss erkämpft werden. Walther hingegen hat dies nicht gesagt: Er lässt Mercier sprechen. Insbesondere Merciers Anmerkungsapparat dürfte für den Herausgeber von großem Interesse gewesen sein. Liefert Mercier doch ein sozialhistorisches Bild aus der Zeit vor der Französischen Revolution, in dem das soziale Elend der Bevölkerung vor Augen geführt und die Revolution gerechtfertigt wird. Die subversiven Parallelen liegen auf der Hand, zumal das 1988 veröffentlichte Buch kurz vor den Feierlichkeiten der Zweihundertjahrfeier zum Gedenken an die Französische Revolution erschien. Insbesondere in Bezug auf die fehlende Meinungsfreiheit in der DDR wird der zeitgenössische Leser Parallelen entdeckt haben, durch die sich notwendig der Schluss aufdrängt, dass er den Kampf für die Freiheit auch selbst erst noch führen muss. Die von Walther verfassten Anmerkungen bestehen aus kurzen, zumeist neutral gehaltenen, biografischen Angaben zu den in der Anthologie vertretenen Schriftstellern und Dichtern sowie aus Begriffserläuterungen (ebd., 372–392), die im Prinzip keine moralischen oder politischen Absichten erkennen lassen, wenngleich gelegentlich auf Karl Marx, Friedrich Engels und Clara Zetkin verwiesen wird. So urteilt Walther bspw. im Duktus der bekannten These von der ›unreifen Utopie‹ über Capets Ikarische Republik in den Erläuterungen, dass Capets Konzept »illusorisch« war und »Marx und Engels« das »notwendige Scheitern des Projekts« aus bekannten Gründen »voraus« gesehen haben. (vgl. ebd., 391) Die Anthologie Traum aller Träume ist im Verlag Neues Leben erschienen und dadurch an Jugendliche bzw. an junge Erwachsene adressiert, aber weder die Sprache noch die Auswahl der Texte ist als ›jugendgemäß‹ einzuschätzen. Sie

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Abb. 2 Joachim Walther : Der Traum aller Träume. Utopien von Platon bis Morris. Verlag Neues Leben 1987

setzen ein hohes Maß an Interesse und Verständnis an politischen Prozessen und an literaturhistorischem Kontextwissen voraus. Lediglich die leserfreundliche Schriftgröße, die bunten Illustrationen15 und der Verlagsort geben vor, formal ein Jugendbuch zu sein. Unter den Zensurverhältnissen in der DDR ist es möglich, dass Walther im Verlag Neues Leben einen Ort für die Veröffentlichung 15 Die Illustrationen stammen von Johannes Karl Gotthard Niedlich. Der 1949 geborene Illustrator war zunächst Facharbeiter, dann bis 1970 Chemiestudent. In den Jahren 1970 bis 1976 studierte er Theologie in Berlin und übte danach den Beruf eines Gartenarbeiters aus. Seit 1978 war er als freischaffender Künstler tätig. Er illustrierte für den Verlag Neues Leben u. a. Gunter Preuß’ Verbotene Türen (1985) und Joseph von Eichendorffs Hundert Gedichte (1986). Vgl. Wolf 1986, 162. Die wenigen Informationen zur Biographie verraten, dass Niedlich zu den nichtangepassten DDR-Künstlern gehört haben muss, was zur Intention der Herausgabe der Anthologie literarischer Utopien passen würde.

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gefunden hat, der die Herausgabe von subtil DDR-kritischen Texten unterstützt hat. Dem Band Jedes Buch ist ein Abenteuer. Ein Almanach. Vierzig Jahre Verlag Neues Leben Berlin ist eine signifikante Zunahme von utopischer, phantastischer (und auch romantischer) Literatur in den achtziger Jahren zu entnehmen, was für diese These spricht (vgl. Wolf 1986).

Walthers Utopiebegriff Die Auswahl der chronologisch angeordneten Texte lässt auf einen weit gefassten Utopiebegriff schließen: Walther wählte Texte von Platon bis William Morris,16 die sich nach literaturwissenschaftlicher Gattungsbestimmung nicht alle – wie im Folgenden noch gezeigt werden wird – der Gattung der literarischen Utopie mit den Merkmalen der gattungskonstituierenden Utopia von Thomas Morus zuordnen lassen. Immerhin unterscheidet Walther – anders als Gilsenbach – zwischen zwei Grundformen: die Utopie »als Roman« und die Utopie als »Aktionsprogramm«; er differenziert zwischen fiktional und faktual. Unter Utopie als Roman subsumiert er den »Staatsroman«, die »Robinsonade« und die »Voyage imaginaire«. Diese seien »literarische Fiktionen« mit einer »Modellbeschreibung«, die ein »Gegenbild zum Bestehenden entwirft und mithin Zeitkritik enthält«. Er ordnet literarische Utopien somit den Satiren zu, die zwar ideale Gemeinwesen vorstellen, sich aber nicht »um den Weg aus der als miserabel empfundenen Gegenwart nach Utopia« bekümmern würden. (alle Zitate Walther 1987, 6f.) Dieser unter den DDR-Interpreten utopischer Erzählungen verbreitete Vorwurf des Nichtaufzeigens des Weges aus der Misere entspricht dem Urteil von Friedrich Engels über literarische Utopien, wodurch sie als naive, vorwissenschaftliche Vorstellungen vom Kommunismus disqualifiziert werden. Dem wird das »Aktionsprogramm«, der faktuale (wissenschaftliche) Text gegenüber gestellt. Hier steht das »Wie des Wegs zur Utopie im Vordergrund«. Das Aktionsprogramm »konzentriert sich auf das direkte revolutionäre Handeln« (ebd., 7). Hierunter zählen das Pamphlet, die Flugschrift, die Rede, die 16 Platon Atlantis, Iambulos Die Sonneninseln, Thomas Morus Utopia, Thomas Müntzer An die Allstädter, FranÅois Rabelais Thelema, Francis Bacon Neu-Atlantis, Tommaso Campanella Sonnenstaat, Cyrano de Bergerac Die Mondstaaten, Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen Von den ungarischen Wiedertäufern, Denis de Vairasse Die Sevaramben, FranÅois de Salignac de le Mothe F8nelon Das Land Bätika, Philipp Balthasar Sinold von Schütz Die glückseligste Insel der ganzen Welt, Morelly Königsgang vom erlauchten Pilpai, Voltaire Candide, Marie-Anne de Roulier-Robert Die schönen Göttinnen, Louis-S8bastien Mercier Der Traum aller Träume, R8tif de la Bretonne Prinz Hermanns megapatagonische Reform, FranÅois-No[l Babeuf Brief an Dubois de Fosseux, Etienne Cabet Die ikarische Republik, Edward Bellamy Julien West im Jahre 2000, William Morris Zukunftsland.

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Predigt und die Programmschrift. (vgl. ebd.) »[L]iterarische Utopien mit ihren phantastischen Wunschträumen« würden hingegen »nach dem Unbedingten« greifen, sie seien nur »Kopfgeburten« (ebd.). Derartige Kopfgeburten widersprächen allerdings – wie bereits gezeigt worden ist – der materialistischen Weltanschauung, denn nicht die Idee bestimme das Sein, sondern das Sein die Idee. Dies besagt, dass die »Kopfgeburt«, die unabhängig von der materialen Basis entstanden sein soll, unwahr oder zumindest nicht wissenschaftlich sein kann, denn ihr fehle die materielle Voraussetzung: der gesellschaftliche Widerspruch zwischen Kapitalisten und Proletariat. Erst unter der Bedingung der Vergesellschaftung der Produktion könne die Idee vom Kommunismus ausgereift – mit dem Weg aus dem Widerspruch – formuliert werden. Walther greift – auf der Textoberfläche systemkonform und linientreu – auf die sozialistische Lesart zurück: Die Utopia von Morus sei eine »großartige Projektion humanistischer Ideale«, aber sie habe »wenig direkten Einfluß auf die gesellschaftlichen Prozesse ihrer Zeit«. »[A]lle Utopien« seien in »ihrem jeweiligen Zeitgeist verhaftet«, »so weit sie auch ihrer Zeit im Geiste vorauseilen mögen«. (ebd., 7) Es sei nun notwendig, die literarischen Utopien der Kritik zu unterziehen. Aus dem Kommunistischen Manifest zitierend legt Walther nun dar, dass die »Ausmalung eines glücklichen Endzustandes […] einer Zeit angemessen [war], als diese noch keine Aussicht hatte, ihre Sehnsüchte je verwirklicht zu sehen.« (ebd., 9) Es folgt das hier bereits angeführte Zitat von Friedrich Engels: »Die unreifen Theorien entsprachen der unreifen Klassenlage.« (ebd.) Am Ende jedoch rechtfertigt Walther das Recht eines jeden, träumen zu dürfen. Er beruft sich auf Lenins Plädoyer für das Träumen in der Schrift Was tun?, die eigentlich Über die Notwendigkeit, ausschließlich zu träumen heißen sollte. Der Traum stünde synonymisch für ein Ziel, das die Richtung von Handlungen bestimmt. So erwachse erst aus dem Traum vom Kommunismus das »Reich der Freiheit«, »das aus den konkreten Kämpfen im Reich der Notwendigkeit hervorgehen wird«. (ebd., 12) Der Traum vom Kommunismus sei eine »Orientierung«, eine »reale Möglichkeit am Horizont«. Erst der Traum vom Kommunismus erlaube einen »fundierten« Optimismus. (ebd., 13)

Literaturwissenschaftlicher Utopiebegriff Der Literaturhistoriker Ludwig Stockinger benennt in seiner bereits 1981 erschienenen Dissertation Ficta Respublica (also fast zeitgleich mit den in diesem Beitrag analysierten Texten) das vorliegende Hauptproblem dieser sozialistischen Lesart:

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Die Utopia und die Texte der von ihr begründeten Gattungstradition haben der Forschung Interpretationsprobleme beschert, die sich aus dem Zusammenwirken scheinbar unvereinbarer Elemente ergeben. Einerseits wird eine Thematik abgehandelt, die Autoren – und Interpreten – ernst und wichtig nehmen, andererseits geschieht dies in einer literarischen Form, die auf den ersten Blick als dem Thema und der Intention der Autoren nicht angemessen erscheint, weil sie als Fiktion zu durchschauen ist und damit in ihrer Verbindlichkeit eingeschränkt erscheint. (Stockinger 1981, 1)

Zunächst unterscheidet Stockinger die utopische Erzählung von der Utopie als einem umgangssprachlichen Begriff im Sinn eines »Programms zur umfassenden Reform von Staat und Gesellschaft, das die Eigenschaft hat, illusionär und undurchführbar zu sein.« (ebd.) Die Lesart, die Literarizität von utopischen Texten zu vernachlässigen, sei ein Relikt aus den Anfängen der Literaturwissenschaft im 19. Jahrhundert. Robert von Mohl habe in seiner Geschichte der Literatur der Staatswissenschaften (1855) Politik mit Poetik vermengt. Für ihn »sind utopische Erzählungen eine Sondergruppe der staatswissenschaftlichen Literatur« (Mohl zitiert nach Stockinger, ebd., 2). Sie gehören nach Mohls Auffassung »zu den Texten, in denen politische Theorien vorgetragen und konkrete Vorschläge zur Gestaltung der öffentlichen Ordnung unterbreitet werden«; Mohl prägte den Begriff »Staatsroman« (ebd.). Er habe die »literarische Struktur entweder ignoriert oder ausdrücklich für unwesentlich erklärt« (ebd.). Diese Lesart habe sich bis ins 20. Jahrhundert in der Literaturwissenschaft fortgepflanzt. Stockinger führt hierfür die Interpretation von Arnhelm Neusüss als Beleg an, der »Bildvorstellungen und Handlungsabläufe, aus denen die utopischen Erzählungen aufgebaut sind, als ›flüchtige Surrogate dessen, was intendiert ist‹« interpretiert. (Neusüss, zitiert nach Stockinger, ebd.) Die Reihe der Interpreten dieser Lesart setzt sich weiter fort: Sogar einer der bedeutendsten Forscher auf dem Gebiet der Utopie und Verfasser von zahlreichen Beiträgen in germanistischen Nachschlagewerken, Wolfgang Biesterfeld, gestattet die Vernachlässigung der literarischen Form der Vermittlung von Idealstaatskonzeptionen, wenn er schreibt, man solle »in der Hauptsache auf deren politisch-soziale Organisation den Blick richten und man darf die im Prinzip wunderbaren, in ihrer Wiederholung aber stereotypen Wege der Entdeckungen der fiktiven Staaten (Schiffbruch, abenteuerliche Reise, Raumflug, Traum, Trance etc.) zunächst bei Seite lassen.« (Biesterfeld zitiert nach Stockinger, ebd., 3) Dies verdeutlicht, wie fest sich das Ignorieren der Literarizität utopischer Texte auch innerhalb der fachwissenschaftlichen Diskussion der Germanistik verankert hat, sodass nun ein Umdenken im Hinblick auf die Analyse der Funktion von erzählerischen Strukturen schwer fällt. Aus literaturwissenschaftlicher Perspektive ist zu fragen, welche Funktionen die literarische »Einkleidung« (ebd., 3) von Utopien hat.

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Primär seien die Erzählungen von Seefahrt, Schiffbruch usw. Illusionierungstechniken (vgl. ebd., 7). Es wird den Lesern anschaulich eine Als-ob-Welt vor Augen geführt, die der empirischen Welt gleichen soll, um den Anschein von Faktizität zu erzeugen und um »vom Leser überhaupt wahrgenommen und akzeptiert zu werden, denn – wie ›der Kritiker Nicolas Boileau […]‹ einst treffend formulierte: ›Den Verstand beschäftigt nichts, was er nicht glaubt.‹« (Nenoff 2015, 48) Zweitens haben literarische Texte, insbesondere Satiren, bis weit in das 18. Jahrhundert eine dominant rhetorische Funktion. Sie sollen bestehende Verhaltensweisen, Normen und Gesellschaftsordnungen hinterfragen sowie wünschenswerte Verhaltensweisen, Normen oder gesellschaftliche Ordnungen vermitteln. So seien »literarische Texte ganz selbstverständlich politischen und moralischen Zwecksetzungen unterworfen« (Stockinger 1981, 8), um »beim Leser Bewusstseinsprozesse in Gang zu bringen und Urteile und Normen des Textes beim Leser zu verankern« (ebd., 9). Die literarische Struktur diene somit als Mittel »der Überredung« (ebd. 9) – sie ist wie der Zuckerguss auf der bitteren Pille –, mit deren Hilfe beim Leser die Läuterung zum vernünftigen oder gottesfürchtigen, moralisch besseren Lebenswandel ausgelöst oder eine kritische Distanz zur bestehenden Ordnung erzeugt werden soll, und zwar auf affektiver Ebene. Dies bewirken erzählte, plastisch ausgemalte Geschichten, in denen sich der Leser mit den Schicksalen von Figuren identifizieren kann und die ihn emotional bewegen. Damit sind jedoch die Funktionen von literarischen Strukturen noch nicht erschöpfend beschrieben. Das Eigentümliche der Satire ist, drittens, die unzuverlässige Erzählerfigur (die satirische Person): der Narr, der Schelm, die naive Person u. dgl., dem und der wegen seines bzw. ihres unzuverlässigen Erzählens nicht vertraut werden kann. Alles, was die satirische Person erzählt, kann sein und kann auch nicht sein. Dem Text wird somit von vorn herein (auch bereits mit der deutlichen Kennzeichnung von Fiktionalität) die Verbindlichkeit des Gesagten abgesprochen. Peter Kuon (1986) verweist mit Nachdruck darauf,17 dass 17 Mit der Missachtung der fiktiven Vermittlungsstrategie wäre demnach laut Kuon »aus erzähltheoretischer Sicht die Hauptsünde der Utopieforschung präzise benannt: Zur Ermittlung der Textbedeutung werden entweder allein die erzählten Welten, die utopischen Entwürfe, oder aber isolierte, nicht selten mit der vermeintlichen Autorintention gleichgesetzte Aussagen einzelner Erzähler- oder Hörerfiguren herangezogen. Es scheint daher lohnend, mit Hilfe der Unterscheidung mehrerer Erzählebenen den Bewertungszusammenhang einiger Utopien, als Voraussetzung umfassender Interpretationen, zu rekonstruieren.« (Kuon 1986, 51) Kuon betont, dass das Nichtbeachten der ästhetischen Vermittlung zu Interpretationsfehlern führen würde. Der Leser, der nicht beachtet, wer was wann wem auf welcher Ebene erzählt und überdies die »Geschäftsgrundlage« missachtet, indem er die Fiktion als faktualen Text liest, würde »die Aussagen der erzählten Figuren oder des Erzählers für die Textdeutung selbst halten«. (vgl. ebd., 4) Die Bedeutung des Textganzen und die Aussagen der Erzähler müssen nicht kongruent sein, sie können sich sogar widersprechen. Das herauszufinden, ist die Aufgabe einer gründlichen Textanalyse.

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die literarische Utopie, die dem Muster der gattungskonstituierenden Utopia folgt, genau dieses Merkmal des unzuverlässigen Erzählens aufweist, mit dessen Hilfe der Dichter signalisiert, dass das beschriebene Ideal weder ein ernstzunehmendes Programm noch eine konkrete Handlungsanweisung darstellt. Vielmehr handelt es sich im Fall Utopia um einen Humanistenscherz, dem nicht nur die Verbindlichkeit abgesprochen, sondern sogar das Idealstaatsmodell als nur vermeintlich ideal vom Autor selbst infrage gestellt wird. Das Signal für die Unzuverlässigkeit des Erzählers ergibt sich in der Utopia zum einen durch die Rahmenhandlung. Darin erzählt der fiktive Morus von den Schwierigkeiten, den Bericht eines Augenzeugen, Hythlodäus, nach gut einem Jahr aus dem Gedächtnis niederzuschreiben (vgl. Morus, [1516] 2003, 9ff.). Er räumt ein, dass ihm Fehler unterlaufen sein könnten (vgl. ebd., 11f.). Zum anderen signalisiert der empirische Autor Morus den unzuverlässigen Erzähler seiner utopischen Erzählung mit Hilfe von sprechenden Namen: Hythlodäus ist ein Windmacher, ein Übertreiber, einer, der Seemannsgarngeschichten erzählt und Utopia ist der Ort, den es nirgends gibt. Im Bericht von Hytholdäus befinden sich zahlreiche Ironiesignale, die ankündigen, dass das vorgestellte Ideal augenzwinkernd präsentiert, mithin gar nicht ernst genommen werden soll. Solche Ironiesignale sind bewusst gesetzte Widersprüche, bspw. wenn die Utopier einerseits beteuern, ein überaus friedliches Volk zu sein und im Anschluss an diese Beteuerung andererseits mehrere Seiten ausführlich das Kriegswesen beschrieben wird (vgl. ebd., 115ff.). Übertreibend und nicht ernst gemeint mag auch die Art der Wahl von Ehegattinnen auf der Insel sein, die eher einem Pferdemarkt als einer Brautschau gleicht (vgl. ebd., 107f.). Der Text Utopia ist den Merkmalen des ironischen Schreibens der Satiretradition (insbesondere der lukianischen Satire) zuzuordnen. In Berücksichtigung dieser Besonderheit der Utopia, die zahlreiche Nachahmer fand und mit der die neue Gattung der literarischen Utopie (mit der Beschreibung von nicht völlig ernstzunehmenden Entwürfen idealer Gemeinwesen) begründet wurde, hat Matthias Löwe folgende Definition entwickelt: Bei literarischen Utopien handelt es sich um die Beschreibung oder narrative Darstellung einer gesellschaftlichen Gesamtheit bzw. einer öffentlichen Ordnung im Rahmen einer literarischen Fiktion unter folgenden Bedingungen: a) Die Darstellung konzentriert sich nicht auf private Lebenszusammenhänge wie Familie, Freundeskreis oder Nachbarschaft (im Gegensatz zur Idylle) und nicht ausschließlich auf ein Individuum (im Gegensatz zu Fürstenspiegel und Robinsonade). b) Die Gesellschaft basiert auf hypothetischen Voraussetzungen, die von den (anthropologischen) Grundannahmen der historisch jeweils dominierenden Realitätskonzeptionen gezielt abweichen.

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c) Diese experimentelle Veränderung erfahrungsweltlicher Axiome wird durch eine Realitätsfiktion glaubhaft, d. h. möglichst ohne antiempirische Elemente darzustellen versucht (im Gegensatz zur Phantastik oder Science Fiction). Zur literarischen Umsetzung dessen dient nicht selten die Erzeugung narrativer Wahrscheinlichkeit. Charakteristisch sind zudem Techniken der Vermittlung zwischen der semantisch zweigeteilten Textwelt, wie Seereise oder Traum. Allerdings werden die wahrscheinliche Erzählweise und die erzählerischen Wahrheitsbeteuerungen in etlichen Fällen wiederum fiktionsironisch gebrochen. d) Literarische Utopien versuchen den Leser häufig zu einer wirklichkeitskritischen Haltung zu überreden. (Löwe 2012, 14)

Diese Definition gibt dem Interpreten nun ein Werkzeug an die Hand, die in den Anthologien ausgewählten Texte exakt voneinander zu unterscheiden. Da zur Zeit Platons der Fiktionalitätsbegriff im Allgemeinen und die Satire mit ihrem Hauptmerkmal der uneigentlichen Rede im Besonderen noch gar nicht ausgereift war und die Absicht der ironischen Verfremdung der Aussagen in diesen Fällen gar nicht vorhanden gewesen ist, ist es fraglich, ob der platonische Dialog über Atlantis oder Müntzers Brief an die Allstedter überhaupt als literarische Utopien bezeichnet werden können. Problematisch in Walthers Anthologie ist sein Eingreifen in die Texte, die er hier nur in Auszügen präsentiert. Die für die Bedeutung notwendigen Rahmenhandlungen fehlen. Damit fehlen die Fiktions- und Ironiesignale, sodass der Leser allein durch diese Kürzung der Texte zur (sozialistischen) Lesart geradezu genötigt wird. Die eigentliche Aussage von Utopien nach dem Vorbild von Thomas Morus im Sinn des darin verborgenen Pessimismus und die Aussichtslosigkeit, den Zustand der Vollkommenheit überhaupt jemals erreichen zu können, bleibt dem Leser verborgen.

Fazit Raimar Gilsenbach und Joachim Walther riefen in den siebziger und achtziger Jahren in der DDR inmitten einer brisanten politischen Situation des Kalten Krieges und dem sich ankündigenden Untergang des Sozialismus der jugendlichen Leserschaft utopische Vorstellungen aus 2000 Jahre währender abendländischer Geschichte ins Gedächtnis. Sie verfolgten damit eine mehrdeutige politische Absicht. Auf frühere hehre Ideen zu verweisen, barg subversives Potenzial. Es sollte durch die Auswahl und die Art der Präsentation der Texte beim Leser ein Bewusstseinsprozess in Gang gesetzt werden, seine gegenwärtige Wirklichkeit im Vergleich mit den traditionellen Idealvorstellungen kritisch zu hinterfragen. Zugleich bestätigten die in den beiden Jugendbüchern vertretenen Idealvorstellungen von Gütergemeinschaften die Lesart, die Aussagen der je-

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weiligen Utopien für bare Münze zu nehmen. Sie bestärkten somit die Idee vom Kommunismus. Gilsenbach nutzte die Gelegenheit, auf der Basis der Utopien das Programm des Marxismus den jugendlichen Rezipienten zu erklären und sie auf den Fortschrittsoptimismus einzuschwören. Mit dem Verweis auf die alten Werte war es allerdings zugleich auch möglich, unbescholten in der DDR Kritik zu üben, die Zensur clever zu umgehen und – mit dem Text Traum aller Träume – der Zensur der DDR sogar den Spiegel vorzuhalten. Sowohl Gilsenbach als auch Walther haben unter diesen Voraussetzungen ihre Texte zwar frei ausgewählt, dabei jedoch verschiedene Gattungen grob vermischt, zum Teil fiktionale und faktuale Elemente nicht unterschieden, Texte gekürzt, vereinfacht, umgeschrieben und damit die Bedeutung der Texte massiv verändert, um sie in den Dienst ihrer politischen Absichten zu stellen. Die beiden Jugendbücher können somit in besonderer Weise die Vielschichtigkeit der Deutungsmöglichkeiten dokumentieren, die politische Aussagen als Teil der Wissensvermittlung in der Sachliteratur für Kinder und Jugendliche insbesondere in den Jahren vor dem Untergang der DDR hatten.

Primärliteratur Gilsenbach, Reimar/Rainer Sacher (Ill.): Der ewige Sindbad. Merkwürdige Historie phantastischer Reisen zu Lande, zur See und ins All. 2. Aufl. Berlin: Kinderbuchverlag, 1981 [EA 1975] Morus, Thomas: Utopia. Hg. von Jürgen Klein. Stuttgart: Reclam, 2003 [EA 1516] Walther, Joachim (Hg.)/Johannes K. G. Niedlich (Ill.): Der Traum aller Träume. Utopien von Platon bis Morris. Berlin: Verlag Neues Leben, 1987

Sekundärliteratur Biesterfeld, Wolfgang: Die literarische Utopie. Stuttgart 1974 Engels, Friedrich: Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft. Berlin 1979 [EA Hottingen-Zürich 1883] Gilsenbach, Reimar : Gemäßigtes Gespräch mit zweien meiner Ichs oder Warum schreiben Sie populärwissenschaftliche Bücher für Kinder? In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 81 (1986), 24–33 Kuon, Peter : Utopischer Entwurf und fiktionale Vermittlung. Studien zum Gattungswandel der literarischen Utopie zwischen Humanismus und Frühaufklärung. Heidelberg 1986 Löwe, Matthias: Idealstaat und Anthropologie. Problemgeschichte der Utopie im späten 18. Jahrhundert. Berlin [u. a.] 2012

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Marx, Karl: Zur Kritik der Hegel’schen Rechtsphilosophie. In: Deutsch-Französische Jahrbücher. Hg. von Arnold Ruhe und Karl Marx. Paris 1844, 71–85 Mohl, Robert von: Geschichte der Literatur der Staatswissenschaften. Bd. 1. Erlangen 1855 Nenoff, Heidi: Religions- und Naturrechtsdiskurs in Johann Gottfried Schnabels Wunderliche FATA einiger Seefahrer. Leipzig 2016 Neusüss, Arnhelm (Hg.): Utopie, Begriff und Phänomen des Utopischen. Neuwied [u. a.] 1968, 13–114 Rodrian, Fred: Beginn – Bilanz – Aufgaben. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 14 (1970), 23–35 Schmideler, Sebastian: Das Kinderlexikon Von Anton bis Zylinder als populärwissenschaftliche Weltanschauungsliteratur im Kontext: Entstehung, Spezifik von Bild und Text, Auflagengeschichte. In: Schmideler, Sebastian (Hg.): Wissensvermittlung in der Kinder- und Jugendliteratur der DDR. Themen, Formen, Strukturen, Illustrationen. Göttingen 2017, 209–238 Stockinger, Ludwig: Ficta Respublica. Gattungsgeschichtliche Untersuchungen zur utopischen Erzählung in der deutschen Literatur des frühen 18. Jahrhunderts. Tübingen 1981 Wolf, Heiner (Red.): Jedes Buch ist ein Abenteuer. Ein Almanach. Vierzig Jahre Verlag Neues Leben Berlin. Berlin 1986

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Fortschritt versus Erbe-Bewahrung und Ökonomie versus Natur. Sachbücher für Kinder und Jugendliche der DDR aus den Jahrgängen 1981, 1982 und 1983

Nach landläufiger Meinung übermitteln Sachbücher objektives Wissen. Tatsächlich kann auch ein Buch mit sachlich richtigen Fakten eine subjektive Meinung wiedergeben, wenn die Fakten entsprechend einseitig ausgewählt wurden. Tatsächlich ist auch jeder Wissenskanon von einer bestimmten Ideologie geprägt. Diese Ideologie wiederum ist zeitgeschichtlichem Wandel unterworfen. Sachbücher für Kinder und Jugendliche sind ein Mittel der Enkulturation; d. h. die Erwachsengeneration will auf diesem Weg ihr Wissen über die Welt und ihre Weltsicht weitergeben an die nachfolgende Generation ihrer Kinder. Diese Beobachtung lässt sich in besonderer Weise auf Sachbücher beziehen, mit denen die DDR ihr Weltbild an ihre Kinder und Jugendlichen weiterreichen wollte. Grundsätzlich war dies das Weltbild des Sozialismus. Aber die Haltung gegenüber einzelnen Aspekten des Sozialismus wandelte sich im Lauf der Jahrzehnte oder war grundsätzlich vielfältiger Dialektik unterworfen. Abgesehen davon nahmen Autoren individuelle Standpunkte ein. Anhand von sieben Sachbüchern für Kinder und Jugendliche sollen in diesem Beitrag stellvertretend unterschiedliche Positionen im öffentlichen Diskurs um das Selbstverständnis der DDR-Gesellschaft aufgezeigt werden. Geschichte und Ökonomie nehmen eine zentrale Stellung im Weltbild des Sozialismus ein und sind deshalb besonders offen für ideologische Einflüsse. Deshalb wurden aus diesen Bereichen Titel ausgewählt, die in der Themenstellung gleich sind, aber durch ihre Auswahl der Fakten und deren Anordnung, durch die Sprache und Wortwahl und durch die Begleitung durch Illustrationen doch unterschiedliche Haltungen dem vom Sozialismus eingeforderten Fortschritt gegenüber erkennen lassen. Sie stammen aus der Produktion der Jahre 1981, 1982 und 1983, um sie auch vom Erscheinungsjahr her vergleichbar zu machen. Sie sollen exemplarisch für bestimmte Tendenzen in der Sachbuchgeschichte der DDR stehen. Es handelt sich für den Bereich Geschichte um die Titel von Florian Osburg und Manfred Tunn Überall Geschichte (Kinderbuchverlag Berlin 1983) und Heidemarie Näthers Hinter Mauern und Türmen (Kinderbuchverlag Berlin 1983). In ihnen geht es um die Haltung gegenüber der sozialistischen und der

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vorsozialistischen Vergangenheit. In den Büchern von Günter Domdey und Kurt Friedrich Nebel Tatra, Prag und Böhmerwald (Kinderbuchverlag Berlin 1982) und Hans Müller Das Dorf – gestern und heute (Kinderbuchverlag Berlin 1981) überschneiden sich die Bereiche Geschichte und Ökonomie. Das Interesse der Autoren gilt nicht nur dem gesellschaftlichen Fortschritt in der Geschichte, sondern auch dem wirtschaftlich-technischen Fortschritt in der Produktion. In Bergbau, Erz und Kohle (Kinderbuchverlag Berlin 1982) stellt Friedrich Kaden die Gewinnung und Verarbeitung der Bodenschätze dar und damit die Basis der Wirtschaft. Hannes Hüttner zeigt in Wir entdecken einen Stern (Kinderbuchverlag Berlin 1982) die Verarbeitungs- und Dienstleistungsketten für die Herstellung der vom Menschen benötigten Güter. Reimar Gilsenbach plädiert in seinem Buch Rund um die Natur (Kinderbuchverlag Berlin 1982) für den Schutz von Natur und Umwelt.

Geschichte Der Fortschritt ist ein Leitmotiv des Sozialismus. Der Marxismus, auf den er sich gründet, betrachtet die jeweils gegenwärtige Situation immer als historisch gewachsen und als Ergebnis einer Stufen-Abfolge von Klassenkämpfen, die immer weitere gesellschaftliche Fortschritte in der Entmachtung der Herrschenden brachten. Damit einher geht eine teleologische Geschichtsphilosophie, d. h. diese Entwicklung steuert auf ein Ziel zu, in dem sie ein Ende findet. Im Übergang vom Sozialismus in den Kommunismus wird nach marxistischer Ansicht die geschichtliche Entwicklung ihre letzte, höchste und krönende Stufe und damit ihr Ziel (telos) erreichen: Die Arbeiterklasse besiegt den Kapitalismus und schafft als innerweltliches Paradies die klassenlose kommunistische Gesellschaft. Damit kommt die unaufhörlich in einer Bewegung des Fortschritts gewesene Geschichte an ein Ende und mündet in einen gesellschaftlich idealen Dauerzustand. Dann wird alle Unterdrückung des Menschen durch den Menschen ein Ende haben. In dieser Staatsdoktrin spielt die Geschichte eine wichtige Rolle. Es versteht sich, dass Geschichtsdarstellungen im Sachbuchangebot der DDR mit einer großen Anzahl vertreten waren. Dazu zählten auch viele Technikgeschichten, die als Unterstützung der polytechnischen Schulbildung der Kinder der DDR dienten. In der Auswahl der Figuren und Ereignisse im Geschichts-Sachbuch der DDR ist eine Entwicklung zu beobachten. Nach einer sozialistisch ideologisierten Übergangsphase, in der man den Blick auf die Geschichte der Arbeiterbewegung fokussierte, wandte

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man sich der Bewahrung des allgemeinen Erbes zu, vielleicht auch um den Vorwurf zu entkräften, dass der Sozialismus kulturlos sei. In der ersten Phase des Aufbaus des Sozialismus fungierte die deutsche Geschichte nur als Vorgeschichte der DDR. Dargestellt wurden vorrangig soziale Revolutionen und Klassenkämpfer. Doch in den Jahren der Konsolidierung konnte man entspannter auch den Leistungen des Feudalismus und der Bourgeoisie gegenübertreten und die deutsche Geschichte als Ganzes als Erbe annehmen (vgl. Kowalczuk 2009, 30f.).

Wolfgang Pav konstatiert hierzu: In diesen fünf Jahren [1979 bis 1984] wurde also in der DDR der Beginn der deutschen Geschichte von Thomas Müntzer um 500 Jahre ins Mittelalter zurückverlegt. Konkret kam die Diskussion, was denn nun alles – und wie – in Erbe und Tradition deutscher Geschichte einfließen soll, an ihren Höhepunkt (Pav 2005).

1981 wies Horst Bartel, der Direktor des Zentralinstituts für Geschichte der Akademie der Wissenschaften der DDR und damit Vertreter der offiziellen Linie, darauf hin, dass man mit Blick auf die Gesamtheit historischer Phänomene und Ereignisse differenzieren müsse und dass »man sich daher mit dem gesamten Erbe der deutschen Geschichte in all seiner Widersprüchlichkeit auseinanderzusetzen habe« (zit. nach Pav 2005). Von einigen Autoren wurde nun die deutsche Geschichte über den Bauernkrieg hinaus weiter in die Vergangenheit verlängert und auch der Regional- und Kulturgeschichte mehr Aufmerksamkeit gewidmet. Andere Autoren verblieben jedoch in dem ausgewählten Zeitabschnitt zwischen 1981 und 1983 noch bei der Geschichtsschreibung der »revolutionären Führer«. Die Mediävistin Evamaria Engel stellte klar, dass gerade die sozialen Auseinandersetzungen den gesellschaftlichen Fortschritt erzeugt hätten und dass Historiker sich deshalb mit allen daran Beteiligten beschäftigen müssten, auch mit den Gegnern der revolutionären Bewegungen (vgl. ebd.). Sie gab 1982 im Auftrag des Zentralinstituts für Geschichte an der Akademie der Wissenschaften der DDR einen Sammelband über Kaiser Karl IV. heraus, damit vertrat sie eine damals offiziell gültige Haltung zur deutschen Geschichte, nach der nun auch die vorsozialistische Geschichte als Gegenstand marxistischer Geschichtsbetrachtung akzeptiert wurde. Erstaunlich ist, dass sie bereits 1963 mit diesen Thesen mit einer regionalhistorischen Studie promovieren konnte, die den Titel trug: Feudalherren, Lehnbürger und Bauern in der Altmark. Dies zeigt: Der dominierende sozialistische Tunnelblick auf die deutsche Geschichte wurde also bereits in den sechziger Jahren nicht von allen Historikern konsequent durchgehalten. Unter dem Aspekt der im marxistischen Geschichtsverständnis angelegten Dialektik sollen nun einzelne Titel aus dem Bereich Geschichte einer genaueren Betrachtung unterzogen werden.

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Abb. 1 Florian Osburg und Manfred Tunn Überall Geschichte. Kinderbuchverlag 1983

Das Buch von Florian Osburg und Manfred Tunn Überall Geschichte (Kinderbuchverlag Berlin 1983) erschien in der Freizeitreihe, d. h. es bietet Kindern und Jugendlichen und Jugendgruppenleitern Anregungen für die Freizeitgestaltung zum Thema Geschichte. Die Vorschläge sind außerordentlich vielfältig und im Anspruch sehr unterschiedlich. Das Spektrum reicht von Besichtigungsausflügen über praktische Bastelarbeiten und das Herstellen von Modellen über das Zeichnen von Dorfplänen bis zur Namenskunde, der Befragung von Zeitzeugen und bis zur Archivarbeit. Schließlich gibt es Tipps für die Vermittlung der Ergebnisse mittels einer Wandzeitung. Der Ansatz ist pädagogisch vorbildlich: Die Wissensvermittlung wird mit vielen Aktivierungsvorschlägen verbunden, mit deren Hilfe die Kinder und Jugendlichen sich selbstständig weiteres Wissen erarbeiten können. Einige Beiträge gehen völlig neutral historisch vor und beziehen auch die Vergangenheit bis zur Vorgeschichte ein und ermuntern zur Erkundung der

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Regionalgeschichte. Sie gehen bspw. der Bedeutung von Ortsnamen nach (Osburg/Tunn 1983, 20ff.), geben einen knappen Abriss der Baustilgeschichte (ebd., 27ff.) oder begleiten bei der Besichtigung einer Burg (ebd., 34ff.), eines Kunstmuseums (ebd., 86ff.), einer Bibliothek (ebd., 137ff.) und anderer Institutionen historischer Wissensvermittlung. Andere Beiträge wählen wiederum Beispiele ausschließlich aus der Geschichte des Sozialismus. Es ist zu vermuten, dass die beiden Autoren auf diese Weise ihr sehr unterschiedliches Geschichtsverständnis eingebracht haben. Von einem restringierten Auswahlprinzip zeugt z. B. der Vorschlag, beim Briefmarkensammeln nach folgenden Motiven zu ordnen: »Zur Geschichte der DDR«, »Aus der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung«, »Zum Leben und Wirken revolutionärer Arbeiterführer« usw. (ebd., 59). An historischen Gedenkstätten wird nur auf diejenigen zu Thomas Müntzer, zur Geschichte der Arbeiterbewegung, auf die Gedenkstätte für das KZ Buchenwald und auf das Ehrenmal der Roten Armee in Berlin-Treptow hingewiesen (ebd., 81ff.).

Abb. 2 Heidemarie Näther : Hinter Mauern und Türmen. Kinderbuchverlag 1983

Ein aussagekräftiges anderes Beispiel für den unterschiedlichen Umgang mit dem DDR-Geschichtsverständnis ist das Buch von Heidemarie Näther Hinter Mauern und Türmen. Ein Kulturbild aus der Zeit der Gotik (Kinderbuchverlag Berlin 3. Aufl. 1987 [EA 1983]). Autorin und Leser begleiten eine Kolonne von Planwagen, die im Spätmittelalter eine Stadt ansteuert, um dort die geladenen Kaufmannswaren anzubieten. Vorher haben sie einen Aufenthalt in einem Dorf, weil zwei gebrochene

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Wagenräder ersetzt werden müssen. Beim Weiterzug aus der Stadt wird die Kolonne von Raubrittern überfallen. Dieser Handlungsrahmen gibt der Autorin Gelegenheit, spätmittelalterliches Leben und Treiben im Dorf, in der Stadt und auf der Burg auszubreiten, wobei sie weit in kulturhistorische Details geht. Die Autorin übernimmt die Sicht des mittelalterlichen Menschen. Sie schildert emotionslos den Frondienst der Unfreien und preist den Reichtum der Bürger – also der Kapitalisten –, der ihnen die Möglichkeit gibt, bewundernswerte Kirchen errichten zu lassen. Leicht ironisch abwertend behandelt sie lediglich die Raubritter. Ihr Kommentar dazu: »Es war eine bunte, widersprüchliche Zeit.« (Näther [1983] 1987, 5) Es gibt nicht die Spur von Kritik an den Klassenverhältnissen und an Kriegslust. Die Zeiten waren eben unruhig. Die Macht der Religion im Mittelalter wird nicht in Frage gestellt. Der Text ist völlig frei von sozialistischen Sprachregelungen und Bewertungen. Nirgendwo wird der Bezug zur Gegenwart hergestellt; es gibt auch keinen regionalen Bezug. Es ist die freischwebende Arbeit einer Kulturhistorikerin, die ihr großes Wissen ausbreitet über »Denkmale aus der Zeit des Mittelalters, Denkmale, die wir heute bewundern« (ebd., 5). Sie schildert keine Entwicklung, sondern einen Zustand. Die reiche bibliophile Ausstattung des Buches, das wie eine spätmittelalterliche Bilderhandschrift gestaltet ist, unterstreicht die extreme Haltung der Autorin, die eine rückhaltlose Erbe-Bewahrung praktiziert. Ihr Stil atmet Bewunderung für ihr Sujet, diese feudal geprägte Zeit. Bei diesem opulent ausgestatteten Buch ist es unter dem Aspekt der Wissensvermittlung interessant, das Zusammenspiel zwischen dem Text und den Illustrationen von Peter Muzeniek genauer zu prüfen. Hin und wieder gibt es eine doppelseitige farbig aquarellierte Federzeichnung, angelehnt an Breughel und Dürer oder andere spätmittelalterliche Künstler. Sie ist umgeben von einer Strichrahmung und Ornamentverzierung, Rankenwerk und Wappen oder Schriftbändern. Diese Großbilder sind narrativ und enthalten als Erzählbilder viele Nebenszenen. Sie haben ein dynamisches, gleichsam filmisches Bildkonzept; Personen bewegen sich frontal direkt auf den Betrachter zu. Durch diese Komposition wird der Betrachter direkt in die Szenerie hineingezogen. Doch dadurch, dass die Bilder sich jeweils über die ganze Doppelseite erstrecken und keine Bildunterschrift oder Binnenbeschriftung haben, um die Totalidentifikation des Betrachters nicht zu stören, sind sie vom Fließtext und überhaupt von jeglichen Textelementen strikt separiert. Hier soll nur geschaut und erlebt werden. Der Blick soll im Bild herumwandern von Binnenszene zu Binnenszene. Es wird ein allgemeines emotionales Erlebnis der Fülle vermittelt, wenig konkrete Information.

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Der Fließtext nimmt sowohl auf der vorhergehenden als auch auf der nachfolgenden Seite bei allen erzählerischen Elementen keinen direkten Bezug auf die Panoramabilder, beschäftigt sich nicht mit den einzelnen dargestellten Figuren, verweist nicht auf sie. Der Text ist somit keine Bildbeschreibung, die Bilder sind keine direkte Textillustration. Autorin und Illustrator haben nicht Hand in Hand gearbeitet. Bei aller inhaltlichen Nähe zum Text ist das Panoramabild doch eigenständig und steht losgelöst von den Textaussagen. Es vermittelt atmosphärische Eindrücke des Spätmittelalters, die sich nicht direkt auf den Text beziehen. Auch die Holzschnitte sind häufig ohne Bezug zum Text. Die Informationen laufen dann weitgehend nur über den Text. Über das Bild wären sie viel übersichtlicher und einfacher und schneller aufzunehmen gewesen. Insgesamt zeugt das Buch daher von mangelnder Text-Bild-Interdependenz.

Abb. 3 Günter Domdey und Kurt-Friedrich Nebel: Tatra, Prag und Böhmerwald. Kinderbuchverlag 1982

Eine zu Näther extrem entgegengesetzte Geschichtsauffassung vertritt das Buch von Günter Domdey und Kurt-Friedrich Nebel Tatra, Prag und Böhmerwald (Kinderbuchverlag Berlin 2. Aufl. 1985 [EA 1982]). Es stellt eine Länderkunde

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der Tschechoslowakei dar und gehört zu der Reihe Mein kleines Lexikon. Die Anordnung der Artikel ist alphabetisch. Aber die Schlagwörter wurden so weit gefasst, dass keine Themen zerrissen wurden. Jedes Schlagwort beansprucht ca. 2 12 Seiten Text. Es wird nicht systematisch vorgegangen, aber die alphabetische Ordnung erzeugt für den Leser eine sehr anregende Mischung aus verschiedenen Aspekten des Landes. Nach geographischen Überblicken wird vorgestellt, was das Nachbarland an Orten, Regionen, Betrieben, Wirtschaftszweigen, an Projekten in Technik und Verkehr und nationalen Denkmälern mit Stolz vorzuweisen hat. Der Text ist sachlich und vordergründig scheinbar ohne parteipolitischpropagandistische Anklänge. In der Auswahl der Informationen manifestiert sich allerdings eine extrem sozialistische Sicht auf Geschichte, Gegenwart und Gesellschaft. Zwei Artikel über die nationalen Denkmäler thematisieren das SS-Massaker von Lidice 1942 (Domdey/Nebel [1982] 1985, 36ff.) und den slowakischen Nationalaufstand 1944 gegen die deutsche Besatzung (ebd., 66). In radikalem Schnitt kappen die Autoren die Verbindung zur Vergangenheit davor. Konsequent werfen sie keinen Blick zurück, es gibt keine Nostalgie, keine Kultur-ErbeBewahrung, sondern die Weigerung, das Erbe anzunehmen. Für sie beginnt 1942 die Geschichte neu. Das wird besonders deutlich in dem Artikel über Prag: »Ihre heutige Bedeutung verdankt die Stadt aber nicht vorrangig den herrlichen Bauwerken. Prag wuchs vielmehr im Laufe der langen Geschichte zum wichtigsten Verwaltungs-, Verkehrs-, Kultur- und Industriezentrum des Landes heran« (ebd., 56). Die Prager Metro findet reichlich Platz, nirgends wird aber die feudale und bourgeoise Vergangenheit erwähnt. Man liest, dass ihre Zeugnisse in Form der wertvollsten Bauwerke zwar erhalten werden, aber »wertlose Gebäude werden abgetragen« (ebd., 59) zugunsten von Grünanlagen, Schnellstraßen und Neubausiedlungen am Stadtrand. Dies entspricht der häufig ausgeübten DDR-Praxis, Altstädte bei Kriegszerstörung oder Verfall nicht zu sanieren oder zu rekonstruieren, weil sie als Zeugen einer überwundenen Geschichtsepoche galten, sondern sie radikal abzureißen und einzuebnen und an die Stelle weiträumige Plätze mit frei stehenden genormten hohen Verwaltungs- oder Wohnhäusern zu setzen. Neuer Wohnungsbedarf für die Bevölkerung wurde durch Großsiedlungen mit linear ausgerichteten Neubauten am Stadtrand abgedeckt. Mehrfach wurden auch ganze Städte auf der grünen Wiese aus dem Boden gestampft, wie die Stadt aus der Retorte Eisenhüttenstadt. Die Parteivertreter waren fasziniert von der technischen Machbarkeit und Planbarkeit menschlicher Bedürfnisse und hatten statt der Vergangenheit die Zukunft einer neuen Gesellschaft im Auge (vgl. Wolle 2011, 160ff.).

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Abb. 4 Hans Müller : Das Dorf – gestern und heute. Kinderbuchverlag 1981

Auf diesen brisanten Konflikt zwischen Erbe-Bewahrung und sozialistischem Fortschritt reagieren die Sachbuchautoren der DDR auf unterschiedliche Weise. Hans Müller versucht in seinem Buch Das Dorf – gestern und heute. Eine kleine Kulturgeschichte (Kinderbuchverlag Berlin Neuausgabe 1989 [EA 1981]) in der Regenbogenreihe gewissermaßen einen Spagat in der Erbe-Diskussion. Einerseits beschreibt er den Wandel des Dorfes im Zuge des Fortschritts und wie die historischen Bauernhöfe ihm zum Opfer fallen. Aber der Form und Funktion der historischen Hausformen setzt er durch seine fachkundige Beschreibung ein Denkmal und propagiert als Lösung, nicht alles abzureißen, sondern einiges in Museumsdörfern zu erhalten, »weil vieles vom Alten unsere eigene Geschichte widerspiegelt« (Müller [1981] 1989, 112). Es handelt sich praktisch um eine Volkskunde, in der die Entwicklung der Dorfund Häuserformen seit der Steinzeit den größten Raum einnimmt. Was das Buch jedoch von dem nationalsozialistischen Volkstumsansatz unterscheidet, ist die ständige Verzahnung der Entwicklung der Dorf- und Hausformen mit den gesellschaftlichen Veränderungen, deren Ergebnis sie sind. Und während die nationalsozialistische Volkskunde bei idealisierten ländlich-bäuerlichen Zuständen des 19. Jahrhunderts stehen bleibt, die wiederhergestellt werden sollen, zeigt

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Müller, wie sich bereits im späten 18. Jahrhundert durch Ansiedlung von Manufakturen – besonders in den Dörfern von Erzgebirge und Thüringer Wald – ihr Bild veränderte und wie im 19. Jahrhundert das Entstehen von industriellen Großbetrieben und Arbeitersiedlungen in Dörfern in Stadtnähe und auf Gütern einen weiteren Wandel brachten. Als logische Folge dieser Entwicklung sieht er die weitere Verstädterung und Industrialisierung der Landschaft besonders nach der Bodenreform der DDR im Jahre 1946. Nun würden endlich die bisher von den Großgrundbesitzern unterdrückten und ausgebeuteten Landarbeiter selbst Verfügung über das von ihnen bearbeitete Land erhalten. In den hohen Silotürmen, Landmaschinenreparaturhallen, Großraummastanlagen, Heizwerken, Verarbeitungsbetrieben und wissenschaftlichen Versuchsanlagen der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG) würden die Möglichkeiten der Natur weiterentwickelt zum Nutzen der hier arbeitenden Menschen. Ihnen würden nun durch moderne Wohnungen in mehrgeschossigen Mietsblocks, Schule, Kindergarten, Landwarenhaus, Kulturangebote in einem Mehrzwecksaal und ärztliche Versorgung in einer Gemeinschaftspraxis alle Vorteile der Stadtbewohner geboten und die ewige Benachteiligung der Landbewohner endlich aufgehoben. Damit sei der gesellschaftliche klassenlose Ideal- und Endzustand erreicht (vgl. ebd., 102ff.). Müller vertritt in dialektischer Weise ein dynamisches Geschichtsbild, sieht die Geschichte als Prozess, den heutigen Zustand jedoch als glücklich erreichten Endpunkt, aber auch die Verpflichtung der Gegenwart zur musealen Aufbewahrung der historischen Zeugen.

Produktion Ein weiteres Thema, das für das gesellschaftliche Selbstverständnis der DDR wichtig war, ist die Güterproduktion. Nach der Theorie des Historischen Materialismus wurden im Verlauf der Geschichte alle gesellschaftlichen Veränderungen durch die Veränderung der materiellen Produktionsverhältnisse herbeigeführt. Denn wer die Produktionsmittel in der Hand hat, besitzt in diesem Sinne die Macht. Die Produktion ist die Grundlage jeder Gesellschaft. Folglich stehen die Ökonomie und der wissenschaftlich-technische Fortschritt, der die Produktion von Gütern ermöglicht oder steigert, im Zentrum des politischen Handelns der sozialistischen Staaten. Ihr wird alles andere untergeordnet (vgl. Wolle 2011, 112). Die Natur ist das Objekt, das der Mensch im Zuge der Produktion durch seine Arbeit zu seinem Nutzen formt. Der Sozialismus spricht von »weiterentwickelt«. Dieses Ziel bestimmte von Anfang an auch die Landwirtschaft der DDR.

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Hans Müller preist in seinem Buch Das Dorf – gestern und heute die rationelle Durchplanung und Technisierung in der Landwirtschaft. Zu der optimalen Bodennutzung gehört für ihn u. a., dass Dünger und Pflanzengifte durch Agrarflugzeuge über die Felder verstreut werden: »Wie viele tagelange Arbeitsgänge kann so ein Flugzeug in wenigen Minuten erledigen!« (Müller [1981] 1989, 111). Für positiv hält er, dass die Felder zu Großflächen zusammengelegt, planiert und das Buschwerk ausgeräumt wurden. Zu Müllers Darstellung muss allerdings noch eine Ergänzung hinzugefügt werden: 1945 war eines der ersten großen Vorhaben der politischen Führung der SBZ (Sowjetische Besatzungszone), die Gutsbesitzer zu enteignen. Dem folgte in mehreren Phasen der Zusammenschluss der mittleren und kleinen Bauern zu immer größeren Genossenschaften (Landwirtschaftliche Produktions-Genossenschaft LPG), die schließlich zu reinen Pflanzenzucht- oder reinen TierzuchtBetrieben spezialisiert wurden. Das waren Großbetriebe, in denen Pflanzen und Tiere industriell »produziert« wurden. Sie umfassten die Gemarkung von bis zu sieben Dörfern und den Tierbestand von oft 1.500 bis 2.200 Stück Großvieh. Die Bauern, die ihren Privatbesitz an Land hatten einbringen müssen, verloren die Verfügungsgewalt und wurden zu Brigadiers, die zu Arbeiten eingeteilt wurden von Parteikadern, die aus der Stadt zur Verwaltung herbeigezogen worden waren. Zusätzlich waren aus der Stadt Mechaniker und Agrar-Ingenieure gekommen, um den Maschinenpark zu warten und den Düngemittel- und Pestizideinsatz wissenschaftlich zu planen. Unter dem Primat der Effizienz zerfielen die Familie als Produktionsgemeinschaft und die dörflichen Strukturen und damit die Sozialbeziehungen. Was Müller ebenfalls unerwähnt lässt, sind die Schäden für die Umwelt durch die Industrialisierung der Landwirtschaft. Durch die Ausräumung der Hecken ging durch Wasser- und Winderosion Muttererde verloren, und viele Arten der Flora und Fauna verschwanden. Diese fatale Nebenwirkung hatte auch die unkontrollierbare Ausbringung von Düngemitteln und Pestiziden durch Landwirtschaftsflugzeuge. Weiter wurde durch den Einsatz von Großmaschinen der Boden verdichtet. Schließlich hatten nach der Trennung von Tier- und Pflanzenproduktion die Tierbetriebe nicht mehr genügend Land, auf dem die Gülle verteilt werden konnte, und sie ließen sie in die Gewässer abfließen und schädigten damit das Grundwasser.1 Nicht nur die Produktion von landwirtschaftlichen, sondern auch die von mineralischen Gütern und ihre Verarbeitung sollten planvoll gesteigert werden. Auch hier wurden der technische Fortschritt und das Funktionieren der Wirtschaft über die Bedürfnisse des Menschen gestellt. 1 Zu diesen Prozessen vgl. im Detail Bauerkämper 2007; Hübler [1988] 2003, 146f.; Kurjo [1988] 2003 sowie Staritz [1985] 1996, 233ff.

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Nach Stalins Wirtschaftstheorie ist die Grundlage jeder Ökonomie die Schwerindustrie. Durch den Eisernen Vorhang war die nach 1945 neu entstehende kleine DDR jedoch von den Stahl- und Kohlelieferungen aus dem Ruhrgebiet abgeschnitten und hatte selbst als Bodenschatz nur die Braunkohle zur Verfügung. Man ging mit Macht an den Aufbau einer eigenen Schwerindustrie, z. B. durch die Gründung von Eisenhüttenstadt auf der grünen Wiese, einem Großkombinat mit angegliederter Wohnstadt. Die Stadt lag an der Oder, auf der die oberschlesische Kohle aus Polen herangeschafft werden konnte, aber mit Devisen bezahlt werden musste. Zur Versorgung mit Erdöl wurde eine Pipeline aus der UdSSR bis an die DDR-Grenze gelegt. Der Neuaufbau dieser Industrie band ökonomische Kräfte, die für die Herstellung von Konsumgütern nicht mehr zur Verfügung standen. Die Bevölkerung wurde zur Arbeitssteigerung aufgefordert und auf die Hoffnung auf eine bessere Zukunft verwiesen (vgl. Staritz [1985] 1996, 58ff.). Das Buch von Günter Domdey und Kurt-Friedrich Nebel Tatra, Prag und Böhmerwald wurde bereits vorgestellt. Es gehört zu der Reihe Mein kleines Lexikon. In der Reihe sind Naturwissenschaften und Technik überrepräsentiert und die einzelnen Titel atmen optimistische Wissenschaftsgläubigkeit, Verherrlichung des Fortschritts und Positivismus. In Domdey und Nebels Länderkunde der Tschechoslowakei ist ein großer Teil der Artikel Wirtschaftsbetrieben gewidmet. Das touristische Interesse an historischen Sehenswürdigkeiten einer Stadt wird jeweils kurz abgehakt mit dem knappen Hinweis, dass es eine unter Denkmalschutz stehende Altstadt gäbe, ohne weiter darauf einzugehen. Sehr ausführlich wird jedoch die wirtschaftliche Situation der Stadt dargestellt. Den wichtigsten Industrie- und Landwirtschaftskombinaten der Tschechoslowakei wird sogar in ganzen Artikeln Raum gegeben. Dort wird der sachliche Stil allerdings aufgegeben zugunsten der Faszination von gigantischen Dimensionen und der Kürze der Zeit, in der die chemischen und Energie-Betriebe – vor allem der Kohle-, Öl- und Gasverarbeitung – nach dem Krieg mit der Hilfe des Bruderlandes der UdSSR aus dem Nichts aufgebaut wurden. Nahezu Industrielyrik ist die Beschreibung der Betriebe im nordböhmischen Braunkohlerevier. Es wird nicht verheimlicht, dass infolge des Fortschreitens der Abbaugruben Straßen, Eisenbahnlinien, Flüsse, selbst Ortschaften verlegt werden, ohne jedoch die Folgen für die dort lebenden Menschen anzusprechen. Die Translozierung der spätgotischen Stadtkirche von Most wird sogar als grandiose technische Leistung gepriesen. Die früheren Landschaftszerstörungen werden der kapitalistischen Vergangenheit angelastet. Das Buch von Friedrich Kaden Bergbau, Erz und Kohle (Kinderbuchverlag Berlin 2. Aufl. 1984 [EA 1982]) gehört ebenfalls zur Reihe Mein kleines Lexikon. Zwischen die Schlagwort-Artikel über die Förderung und Verarbeitung der wichtigsten Bodenschätze in der DDR heute stellt der Autor Schlagwort-Artikel

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Abb. 5 Friedrich Kaden: Bergbau, Erz und Kohle. Kinderbuchverlag 1982

über den Bergbau in der Vergangenheit und über die wichtigsten Erfindungen zur Entwicklung der Verarbeitungsindustrie. Dazu gehören auch Personenporträts. Kaden bindet also die Geschichte in seine Darstellung ein. Es gibt sogar einen Artikel, der die Sage vom Berggeist Rübezahl nacherzählt (Kaden [1984] 1982, 9f.). Denn mit dem etwas größeren Format, der großen Schrift, der reichen Illustration und dem einfachen Satzbau richtet das Buch sich an acht- bis zehnjährige Leser. Die Schlagwörter wurden so eng gewählt, dass einerseits logische Argumentationsketten unterbrochen werden und sich andererseits die einzelnen Schlagwörter zu stark überschneiden. Das erzeugt teilweise Wiederholungen. Durch das thematische Hin- und Herspringen, den unvermittelten Wechsel zwischen Gegenwart und jüngerer und weit zurückliegender Vergangenheit ist der Leser gezwungen, die systematische Ordnung der Information selbst herzustellen. Für eine derartige Rezeptionsleistung ist die anvisierte Zielgruppe von Kindern ab 8 Jahren allerdings eindeutig noch zu jung.

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Hinzu kommt, dass der Autor zu wenig zwischen nötiger und überflüssiger Information, zwischen Grundwissen und Randwissen unterscheidet, was verunklärend wirkt. Der Grundtenor des Buches ist, Bewunderung zu erwecken angesichts des industriellen Fortschritts. Bereits der erste Artikel »Abraum« präsentiert mit emotionalisierendem Vokabular und Vergleichen Staunen erregende Fakten über einen Schaufelbagger im Braunkohletagebau in der Nähe von Espenhain und setzt viele Ausrufezeichen. Der Text will beeindrucken und zielt auf trivialen Publikumsfang durch sensationelle Zahlen, Superlative und Rekorde. Beim Stichwort »Espenhain« erinnert sich der heutige Leser sofort daran, dass dies der Ort mit der höchsten Luftverschmutzung in der DDR war, in dem sich auf der aufgehängten Wäsche in kurzer Zeit große Rußflocken absetzten. Kaden verliert darüber kein Wort. Die Landschaftszerstörung wird der kapitalistischen Vergangenheit angelastet, die Rekultivierung als Verdienst der DDR hervorgehoben (ebd., 3f.). Im Artikel »Wismut« wird das Bergbau-Unternehmen vorgestellt, das die Sowjetunion 1946 an Standorten in Sachsen und Thüringen gründete, um dort vorerst für den eigenen Bedarf Uran fördern zu lassen, später auch für die Kernkraftwerke in der DDR. Der Autor rühmt die Völkerfreundschaft der sowjetisch-deutschen Belegschaft und die erstaunliche Leistungskraft des Urans gegenüber anderen Energien. Die Gesundheitsschädigungen der Wismut-Arbeiter und der Anwohner und die Risiken der Atomkraftnutzung bleiben unerwähnt (ebd., 59f.). Dem Leser wird ein optimistisches Weltbild vermittelt. Im Vordergrund steht das Dogma der Produktivitätssteigerung. Industrieller Fortschritt ist nützlich und wird begrüßt, weil er dem seine Existenz sichernden Menschen die schweren Arbeiten abnimmt. Aber trotz technischen Fortschritts bleibt Arbeit weiter der Lebenssinn des Menschen. »Helden der Arbeit« werden im Sinne der Vorbildpädagogik heroisiert. So wird dem Hauer Hennecke, der 1948 seine Arbeitsnorm vervierfacht hatte, ein eigener ausführlicher Porträtartikel gewidmet (ebd., 30f.). Zur Beurteilung des ästhetischen und inhaltlichen Werts dieser Sachbücher für Kinder und Jugendliche gehört auch die Bewertung der Illustration. Die Bücher von Osburg/Tunn Überall Geschichte, Domdey/Nebel Tatra, Prag und Böhmerwald und Müller Das Dorf – gestern und heute haben Illustrationen, die qualitativ wenig spektakulär sind. Die Illustrationen von Kurt Völtzke im vorliegenden Buch Bergbau, Erz und Kohle sind jedoch von ausgesprochen künstlerischer Qualität. Auf jeder Doppelseite nehmen sie bis zur Hälfte des Platzes ein. Der Stil orientiert sich an den Federzeichnungen des Biedermeier mit feinen Details, in schönen Farben aquarelliert, graphisch reizvoll, / la Ensikat. Gelegentlich ar-

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beitet Völtzke mit Randüberschreitungen. Das ist dem Thema angemessen, wenn es um historische Motive geht. Dem Buchtitel entsprechend gibt es allerdings viele Darstellungen von Arbeitswelt. In diesem Fall kommt die Informationsvermittlung zu kurz, wenn die Inhalte nur vage umgesetzt werden und mehr auf eine emotionale Wirkung bei einem kindlichen Betrachter gezielt wird. Die bunte Einfärbung von Bergleuten vor Ort z. B. erweckt einen verharmlosenden bilderbuchmäßigen Eindruck und widerspricht dem Text, in dem es heißt, dass dies ein harter und schmutziger Beruf sei (ebd., 21). In der Querschnittdarstellung eines mittelalterlichen Bergwerks hat der Illustrator, um die Arbeiter deutlicher hervorzuheben, ihre Jacken und Kapuzen rot gefärbt. Das hat aber den Effekt, dass das Ganze märchenhaft verfremdet und mythisiert wird und zwangsläufig die Sieben Zwerge assoziiert werden. Die historisch authentischen Kapuzen der Arbeiter werden nun vom Betrachter als Zwergenzipfelmützen wahrgenommen (ebd., 5). Bei dem Einsatz von Sprengstoff interessiert den Illustrator nicht primär der Arbeitsvorgang selbst, sondern die wirkungsvolle Abbildung einer Explosion, wo nach einem Lichtblitz mit feuerrotem Schein Brocken fliegen (ebd., 13). Überhaupt hat der Illustrator eine Vorliebe für ästhetisch schöne Feuer mit hochrot lodernden Flammen und sich graphisch reizvoll kräuselnden weißen Rauchwolken. Das Bild von dem Hochofen bei nächtlichem Abstich, auf dem den Hochofen vor dem dunklen Nachthimmel eine Aureole umgibt, verherrlicht mit künstlerischen Mitteln die Schwerindustrie (ebd., 31), ebenso das Bild von der Walzstraße, auf dem das gelbglühende Blech aus den hochrot auflodernden Flammen der Presse schießt (ebd., 50). Beide Motive sind Ikonen der sozialistischen Bildsymbolik. Dem Zweck der Verherrlichung von Erfindern und der Helden der Arbeit dient das Vorgehen, sie in den Illustrationen in Medaillons zu setzen, eine Darstellung, die früher den Fürsten und höheren Standespersonen vorbehalten war (ebd., 29 u. 35). Daneben gibt es zu wenige schematische Bilder, die auch Zusammenhänge und die Aufeinanderfolge von Prozessen verdeutlichen; auch zu wenige Bildbeschriftungen. Hier liegt eine unbefriedigende Text-Bild-Korrelation vor, zumal die Bilder nicht bis zu mehrere Seiten entfernt von den entsprechenden Inhalten platziert hätten werden dürfen. Mit dem Siebenjahresplan, der für die Jahre 1959 bis 1965 gelten sollte, nahm die DDR Abstand von der einseitigen Förderung der Schwerindustrie und verlagerte mehr Investitionen in die Leicht- und Konsumgüterindustrie. Die Folge war eine Verbesserung der Lebensverhältnisse für die Bevölkerung. Zusätzlich setzte man auf die chemische Industrie, mit deren Fortschritten die Herstellung von Kunststoffen aus Kohle und Erdöl möglich wurde. Neuartige Stoffe für

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Kleidung und Wohnungseinrichtung und Haushaltsgegenstände aus Plastik bereicherten nun das Alltagsleben (vgl. Wolle 2011, 159ff.).

Abb. 6 Hannes Hüttner und Rainer Sacher : Wir entdecken einen Stern. Kinderbuchverlag 1982

Die Versorgung der Bevölkerung mit Nahrungsmitteln und Gebrauchsgütern stellt das Sachbilderbuch von Hannes Hüttner mit den Illustrationen von Rainer Sacher Wir entdecken einen Stern (Kinderbuchverlag Berlin 4. Aufl. 1986 [EA 1982]) dar. Hier nähert sich ein Außerirdischer dem Planeten Erde und lernt in thematischen Doppelseiteneinheiten dessen Landschaft, seine Natur mit den Tieren und Pflanzen und die Tätigkeit des Menschen kennen, der durch seine Arbeit der Natur die Produkte abgewinnt, die er für die Befriedigung seiner Bedürfnisse braucht. Bei den Frühjahrsarbeiten spritzt der Gärtner die Obstbäume mit Pflanzengift, und der Bauer verbreitet von seinem Traktor aus eine Wolke auf das Feld: Kalk, Dünger oder Pflanzengift? Ort der unterschiedlichen jahreszeitlichen Arbeiten ist ein kleiner Bauernhof mit freilaufenden Ferkeln, Hühnern und Gänsen auf dem Hof und Storchennest auf dem Dach. Hier handelt es sich um die nostalgische Idylle einer vergangenen Welt. Realität war, dass in der DDR die Höfe bereits 1961 zu Produktionsgenossenschaften zusammengefasst waren, die 85 Prozent der gesamten landwirtschaftlichen Nutzfläche in der DDR bewirtschafteten (vgl. Müller [1981] 1989, 106). Deren Silotürme erscheinen auf Sachers Bildern nur schemenhaft am Horizont.

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Bezeichnend für die sozialistische Sicht auf die Natur ist, dass sie immer im Hinblick auf ihre Verwertbarkeit für den Menschen gesehen wird. Eine informationsorientierte Doppelseite (Hüttner/Sacher [1982] 1986, 32f.) führt bspw. die Feldfrüchte und die Tiere vor und stellt zynischerweise gleich daneben die Produkte dar, zu denen sie verarbeitet werden. Ebenso hat die unbelebte Natur, haben die Rohstoffe und die Industrie, die der Mensch zu ihrer Umwandlung erfunden hat, den einzigen Daseinszweck, dem Menschen zu dienen: Kohle ist auch Rohstoff für die Chemiebetriebe. Aus Kohle stellen die Chemiebetriebe Kunstwolle her. Sie ähnelt der Schafwolle und ist ein Halbfabrikat. Eine Textilfabrik kann aus solcher Kohlewolle weiche und warme Pullover herstellen. (ebd., 36)

Auf einer weiteren Doppelseite (ebd., 46f.) sehen wir den kleinen Marsmenschen am Tisch sitzen und Milch aus einer Tasse trinken. Daneben steht der getöpferte Milchkrug. Um ihn herum werden in vereinfachter Form die Produktionsprozesse von Milch, Tisch und Krug, ausgehend vom Milchbauern, Forstarbeiter und Ton baggernden Erdarbeiter über die Weiterverarbeitungsketten dargestellt, somit das Prinzip der Arbeitsteilung veranschaulicht. Auf anderen übersichtlichen Doppelseiten kann der Betrachter die Stränge der Versorgungs- und Kommunikationssysteme, von Verkehrs- und anderer Infrastruktur nachverfolgen. Prozesse und Zusammenhänge wurden so hervorragend visualisiert. Auf diese Weise erhält das lesende Kind eine Grundinformation über die Funktionsweise von Volksökonomie. Es folgt eine Darstellung verschiedener Berufsfelder in Produktion und Dienstleistung und der Organisation des Öffentlichen Lebens, auf dem Land und in der Stadt. Den Abschluss bildet die Gestaltung der Freizeit durch Familie Krüger. Neben der Vermittlung der ökonomischen Produktionsprozesse hat das Bilderbuch allerdings noch ein zweites Thema: den Naturschutz.

Natur Nach seiner Landung hat der kleine Außerirdische den ersten Kontakt mit den Lebewesen des Planeten Erde, die in paradiesischer Eintracht den Wald bevölkern. Er landet auf einem Ast, und eine Schar von bunten Stieglitzen setzt sich neben ihn, auf sein Knie, auf seine Schulter. Im Text taucht die liebenswerte kindlich-pummelige Identifikationsfigur nicht auf. Der Text gibt in liedhafter, poetischer Sprache Informationen über das Leben der Tiere und erweckt Assoziationen an den biblischen Text vom Garten Eden und an den franziskanischen paradiesischen Frieden zwischen Mensch und Tier. Das ist in Text und Bild ein quasi-religiöser Hymnus auf die Schönheit der Schöpfung.

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Nachdem sich ohne die Identifikationsfigur im Bild der Kreislauf des Jahres für Tier und Pflanze vollzogen hat, taucht das Marskind im Bild wieder auf, in einer reich gefüllten Speisekammer zwischen Lebensmitteln – u. a. einer Wurst – sitzend und einen Apfel verspeisend. Der Text dazu lautet: »Wir haben zu essen. Dafür sorgen die Bauern und Landwirte« (ebd. [1982] 1986, 25). Der denkende Leser muss nun doch nachfragen: Woraus ist die Wurst denn nun gemacht? Und muss sich selbst die Antwort geben: Aus den niedlichen Ferkeln, die so lustig im Hof des Bauern auf S. 31 herumtoben. Woraus sind all unsere anderen Nahrungsmittel denn gemacht? Antwort: Aus den Pflanzen und Tieren, deren Verbundenheit mit dem Menschen als gemeinsame Kinder der Schöpfung eben noch gefeiert wurde. Hier tut sich ein tiefer Bruch in der Argumentation des Autors auf. Die Verwertungshaltung des Sozialismus gegenüber seiner Umwelt kollidiert mit einem entgegengesetzten Naturschutzgedanken. Der Bruch wird kaschiert durch die emotionalisierende und idyllisierende Darstellungsweise der Bilder, die sich buntfarbig naiver Malerei annähern und in Aufsicht auf bäuerliche und Industrie- und Stadtlandschaften blicken, die von gemütvollen menschlichen Szenen belebt sind. Die Bilder vermitteln unterschwellig die Botschaft, dass trotz Getreidesilos, Braunkohletagebauen und Städten mit weiten Industrie- und Verkehrsanlagen die Natur unseres Planeten an keiner Stelle bedroht ist. Denn der letzte Blick des wieder abfliegenden kleinen Marsmenschen fällt auf ein Einfamilienhaus inmitten von Gärten und dann auf eine friedliche weite grünbewaldete Hügellandschaft, in die spielzeugartige Einfamilienhäuser, Burgen und Kirchen eingebettet sind. Der Rezipient kann herauslesen, dass die Natur geliebt werden soll, aber nicht ausdrücklich geschützt werden muss. Nach Hüttner/Sachers Position koexistieren ländliche Idylle und Pflanzengift friedlich, und an der nützlichen Durchindustrialisierung unserer modernen Welt ist nichts auszusetzen und folglich auch nichts zu verändern. Dies war die Haltung, die in Sachbüchern für Kinder- und Jugendliche der DDR üblicherweise vermittelt wurde. Es gab zwar Titel, die sich für den Naturschutz engagierten, für Vogelschutz und für Naturschutzgebiete. Ein Beispiel dafür ist im Vergleichsjahr 1982 von Claus Schönert das Fotobilderbuch Seevögel, Meer und Küstenland. Für junge Natur- und Tierfreunde (Arnold 1982). Protagonisten sind Simone und Paul, die auf einer Ostseeinsel wohnen und einer Arbeitsgemeinschaft für Vogelschutz angehören. Ein weiteres Beispiel aus dem Jahr 1983 ist das Fotobilderbuch von Renate und Siegfried Schönn Auf leisen Schwingen (Arnold 1983). Hier begleitet Heiko seinen Vater, einen Naturschutzhelfer, in den Elbauen. Aber nirgendwo wurde die Umweltzerstörung angesprochen, die Vergiftung von Boden, Wasser und Luft.

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Der Bevölkerung fehlte es an Informationen, denn die Umweltdaten der DDR unterlagen weitgehend der staatlichen Geheimhaltung, um kritischen Umweltschützern kein Material an die Hand zu geben (vgl. Hübler [1988] 2003, 149).

Abb. 7 Reimar Gilsenbach: Rund um die Natur. Kinderbuchverlag1982

Der im Jahr 1982 erschienene Titel von Reimar Gilsenbach Rund um die Natur (Kinderbuchverlag Berlin 2. Aufl. 1985 [EA 1982]) brach dieses behördlich verordnete Schweigen. Er stellte praktisch den Sprung in eine neue Ära dar und ist heute noch aktuell. Bereits auf der ersten Textseite bringt Gilsenbach mit einem Friedrich Engels frei nachformulierten Motto die Dialektik des »Einerseits« und »Anderseits« im Umgang mit der Natur auf den Punkt: Die Menschheit vermag sich nur höher zu entwickeln, wenn sie die Natur umgestaltet, sie stärker für ihre Bedürfnisse ausnutzt. Jeder Eingriff in den Haushalt der Natur birgt jedoch die Gefahr in sich, daß er zur Schädigung, ja zur Vernichtung der natürlichen Springquellen des menschlichen Daseins führt. Dies ist der sich verschärfende Widerspruch zwischen dem Menschengeschlecht und der Erde, seiner Heimat. (Gilsenbach [1982] 1985, 7)

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Leider hatte die sozialistische Wirtschaft sich bisher nur an die erste Hälfte der Erkenntnis von Engels gehalten. Aus diesem Grund redete Gilsenbach seinen Landsleuten nun ins Gewissen und mahnte sie zu Einkehr und Umkehr. Er geißelte mit deutlichen und starken Worten die Umweltsünden der Vergangenheit und deckte Missstände in der gegenwärtigen DDR auf. Kurz: Er redete Klartext. Er nannte furchtlos Ross und Reiter beim Namen, die für die damalige Situation verantwortlich waren, zeigte kämpferisch mit dem Zeigefinger auf Orte mit volkseigenen Betrieben. Die Zeit des Wegschauens war vorbei. Dass dieses subversive Buch im staatsnahen Kinderbuchverlag Berlin erscheinen konnte, ist erstaunlich. Man sorgte sogar dafür, dass das Buch in Großformat und mit einem besseren Papier erscheinen konnte, auf dem die zahlreichen Farbfotos besser reproduzierbar waren. Das alles ist außergewöhnlich in dem Umfeld einer Mangelwirtschaft. Es muss im Verlag Personen gegeben haben, die Gilsenbachs Anliegen unterstützt haben. Das ist insofern besonders erstaunlich, als Gilsenbach als einer der wichtigsten DDR-Dissidenten galt und von der Stasi als »feindlich-negativ« eingestuft wurde. Er hatte sich sein Leben lang auf der Gegenspur bewegt und hatte Konflikte mit dem NS-Staat, als Überläufer an der Ostfront mit der UdSSR, nach 1945 mit der SED als Redakteur der Fachzeitschrift Natur und Heimat des Kulturbundes der DDR bis zu ihrer staatlich angeordneten Einstellung. Hier fand er sein Lebensthema: den Umweltschutz (vgl. Succow/Knapp/Jeschke 2012, 41). Gilsenbach schreibt fesselnd, dabei ist sein Sprachgebrauch politisch neutral und objektiv und vermeidet die in vielen anderen Sachbüchern dominierende Kapitalismuskritik, in der Anklage der ökologischen Missstände ist er aber aggressiv. Sein Buch Rund um die Natur ist praktisch ein Kompendium der Umweltzerstörung und des Umweltschutzes und umfasst alle Bereiche. Es reicht von den Wildpferdjägern der Steinzeit bis zum aktuellen Zustand. Dabei verlässt Gilsenbach die einengende regionale Anbindung an den heimatlichen Raum der DDR oder der sozialistischen Bruderstaaten. Er ist international informiert und orientiert und arbeitet mit der international gebräuchlichen Fachterminologie wie »Ökosystem«, »biologisches Gleichgewicht«, »wechselseitige Abhängigkeit«, »Biotop«, »Pestizide«. Sein Blick über den Zaun ist hochpolitisch. Er erfasst die Quecksilbervergiftung der japanischen Fischer (Gilsenbach [1982] 1985, 20f.) und vor allem die US-amerikanischen Entlaubungsaktionen in Vietnam (ebd., 24f.). Dies konnte den Polit-Propagandisten willkommen sein, nicht aber seine Anprangerung der industriellen Zerstörung der Saaleregion und die tödliche Verschmutzung der Mulde (ebd., 37 u. 43). Er spricht über die allgemeine Bedrohung der Artenvielfalt, der Wasservorräte, der Luftreinheit und geht dann über auf die nähere Umgebung des Lesers:

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auf Pflanzen und Tiere in der Stadt. Außerdem beschäftigt sich Gilsenbach mit den Lösungsmöglichkeiten der ökologischen Probleme durch die Schaffung von Naturreservaten und Nationalparks sowie eine internationale Zusammenarbeit gegen Meeresverschmutzung. Er sieht, dass der Fortschritt nachteilige Folgen hat, denen entgegengewirkt werden muss. Deshalb gibt er Anregungen, wie junge Menschen sich selbst für den Naturschutz engagieren können, besonders in Naturschutz-Gruppen. Die Anklage wird in dringender direkter Ansprache an den Leser mit der Aufforderung zum eigenen Tun verbunden. Sie zielt auf eine Mobilisierung der Bevölkerung im eigenen Umfeld, auf das Engagement des Lesers. Dafür gibt Gilsenbach Anregungen, Informationen und praktische Ratschläge und berichtet von bereits arbeitenden Gruppen. Eigeninitiative war allerdings nicht gewünscht in einem Staat, in dem alles von oben geregelt wurde. Auf den letzten Seiten des Sachbuchs kommt doch noch ein politischer Kotau in einem Ausfall gegen den Imperialismus, die Ursache aller Weltkriege, ohne den die Druckerlaubnis für das Buch wohl nicht zu erreichen gewesen wäre. Den Frieden zu erhalten, die Atomwaffen zu verbieten, eine allgemeine Abrüstung zu erzwingen sind Forderungen, die jeder unterstützen muß, der sich um die Natur Sorgen macht. Wirklich gebannt wird die Gefahr jedoch erst dann sein, wenn die gesellschaftliche Ursache der Weltkriege beseitigt sein wird: der Imperialismus, die gefährlichste Form der Ausbeutergesellschaften. Naturschützer dürfen keine weltfremden Träumer sein, sie müssen mitstreiten in dem revolutionären Pozeß, der zu einer Weltordnung führen wird, in der Ausbeutung, Unterdrückung und Krieg überwunden sein werden (ebd., 173).

Mit diesem Buch wurde inhaltlich der Anschluss an den westlichen Diskurs über den Umweltschutz gefunden. Aber es ist in Bezug auf die Buchgestaltung und das diesem Buch inhärente innovative ästhetische Potenzial auch den gleichzeitig in den Jahren 1982 und 1983 in der Bundesrepublik erschienenen Sachbüchern für Kinder und Jugendliche an die Seite zu stellen, weil es die Inhalte übersichtlich in stark optischer Aufbereitung und enger Bild-Text-Verzahnung anbietet. Layout: Die Inhalte werden systematisch aufgebaut und in thematischen Doppelseitenarrangements im Verhältnis von 2/3 Text und 1/3 Bild angeboten. Der allgemeine Text steht in der Mitte, die Bilder – zumeist Fotos – gruppieren sich um den Text herum. Die Bilder sind noch einmal mit ausführlichen Legenden in kleinerer Type versehen, die kleinere Leseeinheiten bilden und in gedrängter Form viel Information über konkrete Beispiele vermitteln. So ergibt sich ein sehr enges Verhältnis zwischen Text und Bild. Der Haupttext hat eine groß und fett gedruckte Überschrift, ansonsten ist er typographisch nicht strukturiert.

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Illustration: Neben den Fotos mit dokumentarischer Aussage gibt es Zeichnungen von Rainer Sacher, die dagegen in starkem Kontrast stehen. Dies wird aus folgendem Beispiel ersichtlich: Junge Pioniere helfen dabei, den Anger eines Dorfes und den Park und das enteignete Herrenhaus wieder ansehnlich herzurichten. Zu dem nüchtern wirkenden Foto von den Einfamilienhäusern rund um den Anger steht Rainer Sachers bunte Zeichnung von Park und Gutshaus im Gegensatz. Die stilisierten Gestalten wirken steif und puppenhaft, die reich verzierte Gutshausfassade wie die Kulisse eines Papiertheaters, das Ganze wunderbar und märchenhaft, der Realität enthoben (ebd., 163). Cover : Dieser Bruch in der optischen Übermittlung des Stoffes wird noch einmal deutlich in der Gestaltung von Einband und Vorsatzblatt. Das Einbandbild wurde von Rainer Sacher gestaltet: In Assoziation einer Blume wurden rund um ein kreisrundes Mittelbild, einem Satellitenbild von der Erde, als Blütenblätter elliptische schwarz gerandete Formen arrangiert. Sie sind gefüllt mit kleinen idyllischen Tier- und Pflanzendarstellungen. Naturzerstörung gibt es hier nicht. Es ist anzunehmen, dass dieses freundlich harmlose Coverbild Verlagsstrategie war, um das in seinen Inhalten so brisante Buch gewissermaßen in die Buchhandlungen zu schmuggeln. Statt des Coverbildes übernehmen bei Gilsenbach Vorsatz- und Nachsatzblatt die beabsichtigte aufrüttelnde Wirkung. Zwei Luftbilder im Riesenformat zeigen den vietnamesischen Urwald im Mekong-Delta vor und nach der US-amerikanischen Entlaubungsaktion. Sie sind ein provokanter Einstieg in das Thema. Im Buch selbst wird erst einmal durch eine Kumulierung von Katastrophenberichten im Leser eine sich steigernde Empörung erzeugt, die dann durch Lösungsvorschläge de-emotionalisiert wird. Im Sachbilderbuch von Hannes Hüttner Wir entdecken einen Stern entsprechen die Illustrationen Rainer Sachers genau dem sehr einfachen, dabei liedhaftpoetischen Text. An dem Beispiel von Sachers Illustrationen in dem Buch Rund um die Natur lässt sich jedoch zeigen, dass künstlerische Qualität einem Sachbuch nicht unbedingt dienlich ist, wenn die Grundhaltung dem Gestus des Textes entgegensteht; also wenn der Text kritisch anklagend und aggressiv ist und die Illustrationen dazu de-realisierend und idyllisierend sind und auf kindlich-naive Vereinfachung und märchenhafte Einfärbung setzen und damit auch altersmäßig eine andere Zielgruppe ansprechen als der Text.

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Fazit Die Frage war, inwieweit in den sieben untersuchten Titeln die Wandlungen im gesellschaftlichen Selbstverständnis der DDR abzulesen sind. Sie zeugen von durchaus unterschiedlichen Haltungen. Da sie alle aus der Produktion der Jahre 1981, 1982 und 1983 stammen, können die Unterschiede nicht historisch bedingt sein. Wohl aber ist zu beobachten, dass im gleichen Zeitraum die vorher stattgefundenen ideologischen Veränderungen des Wissenskanons nicht von allen Autoren mitvollzogen wurden. Es kann außerdem beobachtet werden, dass die Autoren – wie bspw. Gilsenbach – überhaupt einen eigenen Weg abseits der offiziellen Doktrin gingen. Es kommt sogar vor, dass innerhalb eines Buches die beiden beteiligten Autoren nach entgegengesetzten Prämissen vorgehen. Das Geschichtsverständnis leitet Auswahl und Bewertung bei der Darstellung von Ereignissen und Personen. In den Jahren des Aufbaus des Sozialismus galt die offizielle Parteilinie, dass die Geschichte des Feudalismus und des bürgerlichen Kapitalismus nicht mehr darzustellen sei, stattdessen die Geschichte der sozialen Revolutionen und der Arbeiterbewegung. Der Blick sollte nicht zurück in die Vergangenheit gerichtet werden, sondern auf den gesellschaftlichen Fortschritt, der den Menschen die Zukunft der kommunistischen klassenlosen Gesellschaft eröffnen würde. Nachdem das System sich konsolidiert hatte, war man aber doch bereit, auch das Erbe der gesamten deutschen Geschichte anzunehmen, sowohl in der Darstellung der politischen und Kulturgeschichte, als auch in der Frage der Erhaltung historischer Architektur. Technischer und organisatorischer Fortschritt versprach eine gesteigerte Produktion zur Versorgung der Bevölkerung. Es dauerte lange, bis die dabei entstehenden Folgeschäden zur Kenntnis genommen wurden und die Euphorie in Bezug auf planerische Machbarkeit zugunsten von mehr Verständnis für Natur und Mensch aufgegeben wurde. Bei der Untersuchung der einzelnen Titel wurde gefragt, welche Rolle von den Autoren dem gesellschaftlichen oder dem industriellen Fortschritt zugewiesen wurde. Im Bereich der Geschichte bedeutete das die Verweigerung oder Annahme des vorsozialistischen historischen Erbes. Günter Domdey und KurtFriedrich Nebel kappten in Tatra, Prag und Böhmerwald um der anvisierten Zukunft willen die Vergangenheit vor 1942, Heidemarie Näther zeigte hinwiederum in Hinter Mauern und Türmen das feudale und frühbürgerliche Spätmittelalter kritiklos in goldenem Glanz. Hans Müller versuchte dagegen in seinem Buch Das Dorf – gestern und heute beiden Standpunkten gerecht zu werden, indem er die Entwicklung von Dorf- und Hausformen seit der Steinzeit verfolgte und die erhaltenen Zeugen der Vergangenheit in einem Freiluftmuseum erhalten wissen wollte. Andererseits sah er in der gegenwärtigen Verwandlung der über-

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kommenen Bauernhöfe in großräumige Produktionsbetriebe mit städtischer Infrastruktur für die Bewohner die Vision der Gleichstellung von Städtern und Bauern verwirklicht. In Florian Osburgs und Manfred Tunns Buch Überall Geschichte stehen jedoch Artikel der umfassenden Erbebewahrung und solche, die auf die Geschichte der Arbeiterschaft fixiert bleiben, nebeneinander, anscheinend Zeugnisse der unterschiedlichen Ansichten der beiden Autoren. Neben dem gesellschaftlichen Fortschritt war dem Sozialismus der Fortschritt in der industriellen Produktion wichtig. Hans Müller sah in Das Dorf – gestern und heute durch die industrielle Pflanzen- und Tierproduktion das Optimum für die Versorgung der Bevölkerung erreicht. Günter Domdey und Kurt-Friedrich Nebel in Tatra, Prag und Böhmerwald und Friedrich Kaden in Bergbau, Erz und Kohle preisen mit Enthusiasmus den Aufbau der Schwerindustrie, ohne auf die Folgen für die Menschen einzugehen. Hannes Hüttner und Rainer Sacher zeigen in Wir entdecken einen Stern in einem Argumentationsstrang die Produktionslinien auf, die aus den Ressourcen der belebten und der unbelebten Natur dem Menschen seinen Lebensunterhalt beschaffen, im anderen Argumentationsstrang werben sie für die Liebe zur Natur. Dem logisch denkenden Leser wird deutlich, dass sich konsequente Verwertung und Erhaltung der Natur gegenseitig ausschließen. Hüttner und Sacher lassen beide jedoch unbeeinträchtigt nebeneinander stehen. Erst Reimar Gilsenbachs Buch Rund um die Natur bringt den Paradigmenwechsel in der Bewertung des ungehemmten industriellen Fortschritts. Euphorische Befürwortung z. B. durch Domdey und Nebel und Kaden schlägt nun in massive Kritik um. Gilsenbach zeigt, dass die Natur übermäßig ausgebeutet wurde und geschützt werden muss und damit der Lebensraum des Menschen. Sein Buch war der erste Titel, der ausdrücklich Stellung bezog gegen die Umweltzerstörung als Ergebnis des rigiden Fortschrittsglaubens. Es wurde deutlich, dass an die kindlichen und jugendlichen Leser mit dem Wissen gleichzeitig eine bestimmte Weltsicht weitergereicht werden sollte. Und dass die Autoren und Illustratoren zu diesem Zweck gezielt vorgegangen sind in der Auswahl der Fakten, der sprachlichen Gestaltung des Textes und in dem Stil der Illustrationen. Alle können zu Instrumenten der Sympathiewerbung oder der distanzierenden Kritik am Sujet werden.

Primärliteratur Domdey, Günter/Kurt Friedrich Nebel/Gisela Wongel (Ill.): Tatra, Prag und Böhmerwald. 2. Aufl. Berlin: Kinderbuchverlag 1985 [EA Berlin 1982] (Mein kleines Lexikon) Gilsenbach, Reimar/Rainer Sacher/Christiane Gottschlich (Ill.): Rund um die Natur. 2. Aufl. Berlin: Kinderbuchverlag, 1985 [EA Berlin 1982]

Sachbücher aus den Jahrgängen 1981, 1982 und 1983

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Hüttner, Hannes/Rainer Sacher (Ill.): Wir entdecken einen Stern. 4. Aufl. Berlin: Kinderbuchverlag, 1986 [EA Berlin 1982] Kaden, Friedrich/Kurt Völtzke (Ill.): Bergbau, Erz und Kohle. 2. Aufl. Berlin: Kinderbuchverlag, 1984 [EA Berlin 1982] (Mein kleines Lexikon) Müller, Hans/Wolfgang Spuler (Ill.): Das Dorf – gestern und heute. Eine kleine Kulturgeschichte. Neuausgabe Berlin: Kinderbuchverlag, 1989 [EA Berlin 1981] (Regenbogenreihe) Näther, Heidemarie/Peter Muzeniek (Ill.): Hinter Mauern und Türmen. Ein Kulturbild aus der Zeit der Gotik. 3. Aufl. Berlin: Kinderbuchverlag, 1987 [EA Berlin 1983] Osburg, Florian/Manfred Tunn: Überall Geschichte. Berlin: Kinderbuchverlag, 1983 (Freizeitreihe) Schönert, Carl: Seevögel, Meer und Küstenland. Für junge Natur- und Tierfreunde. Leipzig: Arnold, [1982] Schönn, Renate und Siegfried: Auf leisen Schwingen. Leipzig: Arnold, 1983

Sekundärliteratur Bauerkämper, Arnd: Strukturwandel und Alltagsleben. Agrarwirtschaft und ländliche Gesellschaft. In: Schultz, Helga/Hans-Jürgen Wagener (Hgg.): Die DDR im Rückblick. Politik, Wirtschaft, Gesellschaft, Kultur. Berlin 2007, 200–223 Hübler, Karl-Hermann: Umweltschutz. In: Fischer, Alexander (Hg.): Ploetz. Die Deutsche Demokratische Republik. Daten, Fakten, Analysen. Unter Mitarb. von Nikolaus Kater. Aktualisiert von Friedemann Bedürftig. Lizenzausgabe. Köln 2003 [EA Würzburg 1988], 144–150 Kowalczuk, Ilko-Sascha: Die 101 wichtigsten Fragen. DDR. München 2009 Kurjo, Andreas: Landwirtschaft. In: Fischer, Alexander (Hg.): Ploetz. Die Deutsche Demokratische Republik. Daten, Fakten, Analysen. Unter Mitarb. von Nikolaus Kater. Aktualisiert von Friedemann Bedürftig. Lizenausgabe. Köln 2003 [EA Würzburg 1988], 136–143 Staritz, Dietrich: Geschichte der DDR. Erweiterte Neuausgabe. Frankfurt/M. 1996 [EA 1985] (edition suhrkamp; 1260. N. F.; 260) Succow, Michael/Hans Dieter Knapp/Lebrecht Jeschke (Hgg.): Naturschutz in Deutschland: Rückblicke – Einblicke – Ausblicke. Berlin 2012 Wolle, Stefan: Aufbruch nach Utopia. Alltag und Herrschaft in der DDR 1961–1971. Mit Fotos von Detlev und Uwe Steinberg. Berlin 2011

Internetquellen Pav, Wolfgang: Das Traditionsverständnis in der Geschichtswissenschaft der DDR. Referat gehalten im November 2005 an der Universität Wien im Rahmen einer Lehrveranstaltung von Prof. Dr. Klaus Vetter (Brandenburg). http://www.wolfgangpav.com/tra ditionsverstaendnis-in-der-ddr.html. (25. 6. 2016).

Jana Mikota (Siegen)

»Da in unserer Republik die Naturreichtümer dem Volke gehören, sind auch alle Menschen zu ihrem Schutz verpflichtet.« Natur- und Umweltfragen in Sachbüchern für Kinder und Jugendliche aus der DDR

Einleitung Wir beherrschen die Natur nicht, sondern wir gehören ihr an, stehen in ihr. Unser Vorzug als Menschen ist nur, dass wir ihre Gesetze erkennen und richtig anwenden können. Schmeicheln wir uns indes nicht so sehr mit unseren menschlichen Siegen über die Natur. Für jeden solchen Sieg rächt sie sich an uns. […] wir werden mit jedem Schritt daran erinnert, dass wir keineswegs die Natur beherrschen, wie ein Eroberer ein fremdes Volk beherrscht, wie jemand, der außerhalb der Natur steht […] Der Mensch ist ein Teil der Natur. (Engels 1961, 190f.)

In diesem Beitrag soll es um die Frage gehen, wie Umwelt, Natur und Umweltschutz in der Sachliteratur der DDR aufgenommen worden sind. Die Darstellung des Umweltschutzes in der DDR im Sachbuch gehört zu den vernachlässigten Forschungsgebieten in der Kinder- und Jugendliteraturforschung zur DDR, worauf der vorliegende Beitrag hinweisen möchte. In seiner Studie Die Sachliteratur für Kinder und Jugendliche in der DDR von 1946 bis 1986 systematisiert Harri Günther das Sachbuch der DDR für diese Adressatengruppe (vgl. Günther 1988). Allein unter dem Begriff Naturwissenschaften, worunter auch die Themen Natur- und Umweltschutz zählen, listet er 162 Titel auf und dokumentiert somit die hohe Bedeutung des Gegenstandes. Auch Neubert hebt in dem grundlegenden Standardwerk Handbuch zur Kinderund Jugendliteratur. SBZ/DDR. Von 1945 bis 1990 hervor, dass zwischen 1946 und 1986 über 3.000 Sachbuchtitel für Kinder und Jugendliche veröffentlicht wurden (vgl. Neubert 2006). Thematisch stark sind, so Neubert, besonders Sachbücher zu Naturwissenschaft, Technik und Gesellschaftswissenschaft (vgl. ebd., 911) und damit bestätigt er das, was auch Günther in seiner Arbeit festgehalten hat.1 1 Günther differenziert den Sachbuchmarkt seit 1945 wie folgt: Kindersachbücher allgemein – 1.668; Sachbücher für Kinder zu religiösen Inhalten – 57; Jugendsachbücher – 638; Sachbücher, die für Jugendliche als Lektüre empfohlen wurden – 193; Übersetzungen – 430 (Günther 1988, 35).

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Aufgrund der Vielfalt an Sachbüchern zum Thema Natur- und Umweltschutz soll sich mein Beitrag vor allem auf botanische Themen konzentrieren, stellt jedoch auch mit den Jungen Naturforschern Sachbuchbände vor, die umfangreich in die Welt der Naturwissenschaften einführen möchten. Mein Beitrag ergänzt zudem die Ausführungen von Dagmar Lindenpütz, die bereits 1999 in ihrer Dissertation Das Kinderbuch als Medium ökologischer Bildung ökologische Kinder- und Jugendliteratur untersucht hat und dabei auch die fiktionale Kinder- und Jugendliteratur der DDR in den Fokus genommen hat (vgl. Lindenbütz 1999). Dagmar Lindenpütz stellt fest, dass sich die Kinderliteratur der DDR erst seit den siebziger Jahren dem Thema Umweltschutz zuwendet. Lindenpütz hebt die wichtige Bedeutung dieser Texte hervor: Somit gilt es, in der Kinderliteratur der DDR ein tiefgreifendes Interesse für Probleme des Natur- und Umweltschutzes bei den Rezipienten überhaupt erst zu wecken und hierbei zugleich die Kritik bestehender Mißstände in narrativer Form an der Zensur vorbei zu transportieren: Das Kinderbuch wird auf diese Weise zum Forum ökologischer Diskurse, es bringt zur Sprache, was öffentlich kaum sichtbar ist. (ebd., 172)

Das, was Lindenpütz im Kontext einer Kinderliteratur der DDR feststellt, ist aber nicht ausschließlich charakteristisch für die DDR. Auch in der BRD mussten Leserinnen und Leser aufgeklärt und sensibilisiert werden. Hier entstand ebenfalls erst in den siebziger Jahren eine ökologische Kinderliteratur (vgl. Lindenpütz 1999). Hinsichtlich des Sachbuchs kann den Überlegungen von Lindenpütz widersprochen werden, denn die Sachbücher der DDR nahmen bereits in den fünfziger Jahren Aspekte des Natur-, später dann des Umweltschutzes auf. Eine erste Sichtung der ausgewählten Sachbücher zeigt, dass Natur-, später auch Umweltfragen thematisiert wurden und den politischen Entwicklungen in der DDR entsprachen. Ausgewählt wurden jene Sachbücher für Kinder und Jugendliche, die in Günthers Werk besonders hervorgehoben wurden und mögliche Paradigmenwechsel der Sachliteratur für Kinder und Jugendliche markieren. Zugleich zeigt der ausgewählte Korpus auch die Bandbreite der Produktion an. Dazu gehören u. a. die fünfbändige Reihe Der junge Naturforscher (1951–1955), die sich an Magazinen orientiert, aber auch Sachbücher wie Rund um die Erde (1970) oder Rund um die Natur (1982) von Reimar Gilsenbach, die zu populärwissenschaftlichen Sachbüchern gehören. Das Lexikon Von Anton bis Zylinder wurde vor allem wegen seiner Gestaltung gelobt und Günther stellt in dem Kontext fest, dass seit den siebziger Jahren »das Kindersachbuch den Schritt zur Buchkunst getan« habe (Günther 1988, S. 83). An dem Sachbuch Wir bestimmen Pflanzen (1978) von Elsbeth Lange und Wolfgang Heinrich wird exemplarisch ein Bestimmungsbuch vorgestellt. Dieser Typus des Sachbuchs konnte sich seit den siebziger Jahren etablieren. In den achtziger Jahren kommen

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Nachschlagewerke wie Pflanzen, Tiere, Naturschutz (1984) von Matthias Freude hinzu. Übersichtlich werden die Leser über geschützte Tiere und Pflanzen aufklärt und angeregt, sich dem Naturschutz aktiv zu widmen (vgl. auch ebd., 128). Mit Schätze der Heimat (1985) von Wolf Spillner wird ein Fotosachbuch vorgestellt, das über Naturschutzgebiete der DDR informiert. Hier sind es, wie noch gezeigt wird, die ästhetischen Bilder, die zum Naturschutz anregen sollen. Die Sachbücher der DDR stehen in der Tradition der Aufklärung und Wissensvermittlung. Sie möchten die kindlichen Leserinnen und Leser informieren. Um sich den Umwelt- und Naturfragen zu nähern, ist es aber zunächst notwendig, zu analysieren, wie Umwelt- und Naturschutz generell in der DDR wahrgenommen wurden. Der Beitrag soll sich mit folgenden Leitfragen exemplarisch ausgewählten Sachbüchern der DDR nähern: Wie werden Natur- und Umweltschutz in den Sachbüchern vermittelt? Reagieren Sachbücher auf bestimmte Gesetze der DDR zum Thema Natur- und Umweltschutz? Gibt es Gemeinsamkeiten zwischen Sachbuch und der Rechtssprechung in der DDR?2

Naturschutz in der DDR »Der Mensch verändert die Natur zu seinem Nutzen«, heißt es im Lexikon Von Anton bis Zylinder (1974) unter dem Stichwort Naturschutz (Bellack 1974, 283). Den Lesern wird erläutert, wie der Mensch in das ökologische System eingreift und dieses verändert. Um jedoch die Natur zu schützen, so der Artikel weiter, »wurde das Landeskulturgesetz erlassen« (ebd., 283) und wurden Naturschutzgebiete eingerichtet. Erläutert wird, dass »Naturschutz […] eine nationale Aufgabe« darstelle und »alle sind aufgerufen, daran mitzuarbeiten« (ebd., 283). Der Artikel zeigt seinen Lesern Möglichkeiten auf, wie sie den Naturschutz verstehen können und bietet ihnen auch Verhaltensmustern an. Sehr verkürzt fasst er die Entwicklung des Themas bis in die siebziger Jahre zusammen. In dieser Ausgabe des Lexikons fehlt allerdings das Stichwort Umweltschutz. In Nachschlagewerken wie Meyers Universal-Lexikon aus dem Jahre 1979 finden sich dagegen sowohl Definitionen zum Natur- als auch zum Umweltschutz, die weitaus komplexer sind und das Verständnis der Begriffe zusammenfassen. Dort heißt es: Naturschutz: Maßnahmen zur Erhaltung u. Pflege nützl., seltener u. vom Aussterben bedrohter Tier- u. Pflanzenarten (Arten- bzw. Biotopschutz) sowie von Naturdenk2 Untersucht werden somit nur veröffentlichte Dokumente. Der Beitrag versteht sich als ein Versuch, sich der Thematik zu nähern, ohne jedoch eine Vollständigkeit in der Aufarbeitung erreichen zu können. Hierzu wäre ein Blick in die Archive notwendig, um die nicht-öffentlichen Debatten mit einzubeziehen.

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mälern, von Landschaftsteilen (N.gebiete) mit komplexen Schutz- od. Spezialaufgaben (wie Wald-, Moor-, Wiesen-, Gewässer-, Tier- od. Wasservogelschutz) u. Landschaftsschutzgebiete (auch geschützte Parkanlagen, Hecken, Feldgehölze), die wiss. Bedeutsam sind od. deren Schutz gesellschaft. Anliegen ist. (O. A. 1979, 223, Hvh. i. O.)

Im Mittelpunkt steht hier der Schutz der Natur. Damit korrespondieren die Erläuterungen mit dem Lexikon für Kinder. Zum Thema Umweltschutz heißt es: Umweltschutz: Gesamtheit von Maßnahmen zum Schutz der natürl. Umwelt des Menschen (Boden, Gewässer, Landschaft, Pflanzen- u. Tierwelt, Luft u. klimat. Bedingungen) vor negativen Folgen ihrer wirtschaftl. Nutzung (Umweltverschmutzung); als Bestandteil der Arbeits- u. Lebensbedingungen Schutz des Menschen vor Lärm u. a. Gesundheit u. Wohlbefinden schädigenden Einflüssen, die aus der menschl. Tätigkeit resultieren. Umfang, Entwicklungsrichtung u. -tempo des U. werden vom Charakter u. Stand der Produktivkräfte sowie durch die herrschenden Prod.sverhältnisse bestimmt. Sozialist. Staaten schaffen im Interesse ihrer Bürger schrittweise immer bessere Voraussetzungen für die Bewältigung ihrer U.probleme u. lösen die damit verbundenen Aufgaben in wiss. begründeter, planmäßiger Arbeit. Dabei ist der U. in die Pflege u. Gestaltung der Umwelt u. die rationelle Nutzung der Naturreichtümer eingegliedert, wie sie in der DDR als sozialist. Landeskultur verwirklicht wird; […] In kapitalist. Staaten ist U. gebunden an Monopolinteressen, an die Sicherung der Verwertungsbedingungen des Kapitals u. a. […]. (O. A. 1979, 389)

Beide Definitionen korrespondieren mit dem, was auch heute noch unter Naturund Umweltschutz verstanden wird. Aspekte wie Klima-, Wald- und Gewässerschutz stehen im Vordergrund. Hinzu kommt noch der Schutz der menschlichen Gesundheit. Schaut man sich die Entwicklung des Natur- und Umweltschutzes in der DDR an, so spielt zunächst der Naturschutz eine wichtige Rolle. Fragen zur Ökologie und Umweltschutz kamen erst in den späten sechziger und siebziger Jahren auf. Aber auch im Westen begann erst in den siebziger Jahren eine Veränderung; Historiker bezeichnen diese Zeit sogar als »ökologische Epochenschwelle« (Bühler 2016, 17). Begründet wird dies sowohl mit der steigenden Anzahl an Neuerscheinungen zu diesem Thema (bspw. The Population Bomb von Paul Ehrlich, 1968) als auch mit der Gründung des Club of Rome im Jahre 1968 sowie der Umweltschutzorganisation Friends of Earth. Der Europarat hat sogar das Jahr 1970 zum Europäischen Naturschutzjahr erklärt. Daher setzt sich die DDR keineswegs verspätet mit dem Umweltschutz auseinander. In der DDR lassen sich ebenfalls bestimmte Datierungen konstatieren: In der Verfassung von 1968 wird der Schutz der Natur und Umwelt gefordert. Als eines der ersten Länder errichtete die DDR bereits 1972 ein Ministerium für Umweltschutz und Wasserwirtschaft. Dennoch: Die DDR verfügte nur über wenige eigene Ressourcen und daher standen ökonomische Fragen bzw. Aufgaben noch vor Aspekten des Umweltschutzes.

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In der Forschung maßgeblich bestimmt durch die Studie von Behrens und Hoffmann (2013) wird die Entwicklung des Naturschutzes in der DDR in fünf Phasen eingeteilt: 1. 1945 bis 1954 – Naturschutz auf Grundlage des fortgeltenden Reichsnaturschutzgesetzes von 1935 bis zum Erlass des Naturschutzgesetzes der DDR im Jahr 1954; 2. 1954 bis 1970 – Naturschutz auf Grundlage des Naturschutzgesetzes der DDR bis zum Erlass des Landeskulturgesetzes im Jahre 1970; 3. 1970 bis 1982 – Naturschutz auf der Grundlage des Landeskulturgesetzes bis zum Erlass der »Anordnung zur Gewinnung oder Bearbeitung und zum Schutz von Informationen über den Zustand der natürlichen Umwelt in der DDR« im Jahre 1982; 4. 1982 bis 1989 – Naturschutz auf der Grundlage des Landeskulturgesetzes seit dem Erlass der »Anordnung zur Gewinnung oder Bearbeitung und zum Schutz von Informationen über den Zustand der natürlichen Umwelt in der DDR« bis zur »Wendezeit«. 5. 1989 bis 1990 – Naturschutz in der »Wendezeit« bis zur deutsch-deutschen Umweltunion am 1. 7. 1990 und bis zur Vereinigung der beiden deutschen Staaten am 3. 10. 1990 (Behrens/Hoffmann 2013, 508) Allerdings steckt die Forschung hier noch in den Anfängen, sodass diese Phaseneinteilung zwar für eine erste Orientierung genutzt werden kann, jedoch keinen Anspruch auf Allgemeingültigkeit hat. In der ersten Phase steht zunächst die Bewältigung des Krieges und seiner Folgen im Mittelpunkt. Dabei gerät der Naturschutz in den Hintergrund. Da das Reichsnaturschutzgesetz aus dem Jahre 1935 nicht als politisch belastet galt, hatte es weiterhin Bestand zum Schutz der wildwachsenden Pflanzen und der nichtjagdbaren Tiere (vgl. ebd., 509). Nach 1949 entstand unter dem Dach des Kulturbundes die Sektion der Natur- und Heimatfreunde (vgl. ebd., 509). Eine weitere Institution, die im Bereich des Naturschutzes beratend wirken sollte, war die am 17. Oktober 1951 gegründete Deutsche Akademie der Landwirtschaftswissenschaften (DAL) in Berlin. Dennoch konstatieren Behrens und Hoffmann in ihrer Untersuchung, dass der »Naturschutz […] in dieser Zeit insgesamt wenig Akzeptanz« erfuhr (ebd., 511), denn der Wiederaufbau der Städte und Dörfer hatte Vorrang. Behrens und Hoffmann bemängeln, dass es in diesen Jahren keine Aufarbeitung der Geschichte des Naturschutzes während des Nationalsozialismus gab und dass Naturschutzbeauftragte nach 1945 oftmals vor 1945 Mitglieder der NSDAP waren. In den Jahren nach der Gründung der DDR wurde eine Landschaftsdiagnose in Auftrag gegeben, um die Landschaftsschäden in den Gebieten der DDR festzustellen. Dabei ging es u. a. um Bodenzerstörung durch den Bergbau,

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Landschaftsschäden durch Rauch, Staub oder Abgase der Industrie und Störungen des Wasserhaushaltes (vgl. ebd., 512ff.). Mit dem 1954 erlassenen Naturschutzgesetz Gesetz zur Erhaltung und Pflege der heimatlichen Natur (Naturschutzgesetz) wurde die zweite Phase zwischen 1954 und 1970 eingeläutet und damit das Reichsnaturschutzgesetz abgelöst. Das neue Gesetz war traditionellen Zielen des Naturschutzes verpflichtet, entwickelte aber auch Aufgaben weiter und stellte in seiner Präambel auch den wissenschaftlichen Aspekt des Naturschutzes heraus. Nach Behrens und Hoffmann ist die Wirkung des Gesetzes jedoch »vornehmlich auf die Schutzgebiete und Schutzobjekte beschränkt« gewesen (ebd., 515). In diesem Zusammenhang wurde der Schutz der seltenen Pflanzen geregelt; ein Fakt, der sich für die Analyse der Sachliteratur für Kinder und Jugendliche als bedeutsam erweisen wird. Insgesamt standen in der DDR 108 Pflanzen unter Naturschutz (vgl. ebd., S. 515f.). Im Mittelpunkt dieser Phase stehen u. a. folgende Aufgaben im Vordergrund: Naturschutzobjekte wurden mit der »Naturschutz-Eule« ausgezeichnet, die 1950 von Kurt Kretschmann in Brandenburg erfunden wurde. Sie wurde nach der Wiedervereinigung als gesamtdeutsches Zeichen für Naturschutz beibehalten. In der Version ist ein grafisch verändertes Bild einer Eule auf einem gelben, trapezförmigen Schild zu sehen, das ein nach oben spitzwinkliges Ende hat. In der DDR wurde die Eule am 1. Juni 1971 rechtsgültig. Hinzu kommen Regelungen für die Bewirtschaftung. Eine Liste der gefährdeten Arten wurde vorbereitet sowie Öffentlichkeitsarbeit mit Vorträgen, Wanderungen und Ausstellungen betrieben. Es entstanden u. a. die Naturschutzwochen, die dann zu einer »Woche des Waldes« umgewandelt wurden. Eine wichtige Aufgabe des Naturschutzes war in dieser Zeit die Auswahl und Ausweisung von Naturschutzgebieten. Gegründet wurde 1953 zudem das Institut für Landesforschung und Naturschutz (ILN) in Halle an der Saale. Deutlich wird: Umweltschutz gilt seit den späten sechziger und frühen siebziger Jahren durchaus als ein Staatsziel der DDR. Die Diskussion um dieses Thema beginnt damit vergleichsweise früher als in der BRD. Zwischen 1970 und 1982 folgt die dritte Phase, in der sich die Fragen des Naturschutzes auf Fragen des Umweltschutzes erweiterten. Umweltschutz wurde in diesem Kontext u. a. auf die Bekämpfung des Lärms, das Bemühen um saubere Luft und Gewässer oder Müllbeseitigung konzentriert. Forderungen nach einem Gesetz, das auch Umweltfragen regelt, wurden laut. 1970 kam es zu einem neuen Landeskulturgesetz, das auch Aspekte der Umweltfragen enthält. Forderungen nach einem Gesetz, das nicht nur Fragen des Naturschutzes, sondern eben auch des Umweltschutzes regelt, wurden diskutiert (vgl. auch ebd., 523). Natur- und Umweltschutz wurde als Staatsaufgabe in Artikel 15 der Verfassung der DDR aufgenommen:

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1) Der Boden der Deutschen Demokratischen Republik gehört zu den kostbarsten Naturreichtümern. Er muss geschützt und rationell genutzt werden. Land- und forstwirtschaftlich genutzter Boden darf nur mit Zustimmung der verantwortlichen staatlichen Organe seiner Zweckbestimmung entzogen werden. 2) Im Interesse des Wohlergehens der Bürger sorgen Staat und Gesellschaft für den Schutz der Natur. Die Reinhaltung der Gewässer und der Luft sowie der Schutz der Pflanzen- und Tierwelt und der landschaftlichen Schönheiten der Heimat sind durch die zuständigen Organe zu gewährleisten und sind darüber hinaus auch Sache jedes Bürgers. (zit. nach ebd., 524) Damit entstand ein Umweltbewusstsein im eigentlichen Sinn, denn Braunkohle, Chemieindustrie sowie die intensive Landwirtschaftsnutzung führten zu gravierend verschlechterten Umweltbedingungen. Dieses Bewusstsein prägte auch die vierte Phase, denn in den achtziger Jahren kam es zu schweren Umweltschäden in den einzelnen Gebieten der DDR. Behrens und Hoffmann stellen für das Jahr 1989 fest, dass in der DDR insgesamt 54,3 % der Wälder geschädigt [waren], 16,4 % der Wälder waren dabei stark oder mittel, 37,9 % gering geschädigt. Für die Zeit zwischen 1987 und 1989 wurde im Umweltbericht der DDR eine Zunahme der geschädigten Waldflächen von 31,7 % auf 54,3 % festgestellt. (ebd., 533)

Hinzu kamen Probleme des Wasserhaushaltes und der Abfallbeseitigung. Daher verwundert es nicht, dass die Regierung die Daten über die Umweltschäden in den achtziger Jahren nicht öffentlich machte. In einem in der Wochenzeitung DIE ZEIT veröffentlichten Interview mit dem Umweltaktivisten Ernst Dörfler heißt es über diese Phase der Umweltgeschichte der DDR: Nach außen hin versuchte man, die DDR als Vorbild in Sachen Umweltschutz hinzustellen, und offiziell existierte auch gar keine Umweltverschmutzung. Es durfte sie im Sozialismus nicht geben, sondern nur im Westen! Und was nicht besteht, muss auch nicht beseitigt werden. So einfach war der Sprachgebrauch: Waldsterben? Luftverschmutzung? In der DDR war all dies nicht existent. Und wer das Gegenteil behauptete, lief Gefahr, wegen staatsfeindlicher Hetze verfolgt zu werden. (http://www.zeit.de/ wissen/umwelt/2010-10/elbe-umweltschutz-sd/seite-2)

Diese Aussage ist insofern schwierig, als sicherlich bestimmte Probleme nicht öffentlich diskutiert wurden, aber der Umweltschutz dennoch im Bewusstsein der Menschen war. Altpapier und andere Altstoffe wurden gesammelt und wiederverwendet. Auch ein sparsamer Umgang mit Ressourcen wurde gefordert. In derselben Phase entstand jedoch eine oppositionelle oder autonome Umweltbewegung, die über die unübersehbaren Schäden aufklären wollte. Al-

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lerdings fehlen auch hier noch genauere Untersuchungen, auch im Vergleich zur europäischen Entwicklung.

Das Sachbuch: Definition und Typologie Das Sachbuch selbst will zunächst Erkenntnisse und Fakten sammeln, ist somit faktual und nicht fiktional und zielt darauf, (natur)wissenschaftliche Forschungen einem möglichst großen Leserkreis zugänglich zu machen (vgl. Ossowski 1996, 1). Eine derartige strikte Trennung zwischen Fakten und Fiktion ist jedoch nicht möglich. In seiner Definition greift auch Günther auf einen Artikel zur Definition eines Sachbuchs aus dem Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur zurück, das von Klaus Doderer, dem Gründungsdirektor des Instituts für Jugendbuchforschung der Goethe-Universität in Frankfurt am Main, herausgegeben wurde. In dieser Definition des westdeutschen Sachbuchexperten und Kinderzeitschriftenforschers Martin Hussong heißt es: Das Sachbuch versucht, geisteswissenschaftlich oder naturwissenschaftlich erfaßbare Sachverhalte, Probleme und Erkenntnisse einem größeren Leserkreis von Nichtfachleuten zu erschließen. Dabei wird der Stoff zwar mit dem Anspruch wissenschaftlicher Stichhaltigkeit behandelt, aber die Darstellung der Fachsprache weitgehend entkleidet, um der Interessensphäre und Verständnisebene der angesprochenen Leser (Laien) gerecht zu werden. Innerhalb der Gattung Sachbuch lassen sich Kinder- und Jugendbücher, wenn überhaupt, nur aufgrund der Besonderheiten der Übersetzung in die Alltagssprache dieser Zielgruppe unterscheiden. Thematisch gibt es keine Grenze zum Sachbuch für Erwachsene. In der Geschichte des Sachbuchs lassen sich Lehrbuch und Sachbuch, auch Fachbuch, nicht immer scharf trennen. (Hussong 1984, 237)

Günther widersetzt sich damit den Versuchen, »den Sachbuchbegriff auf einen Buchtyp einzuengen« (Günther 1988, 14). Seiner Meinung nach besitzen auch Sachtexte künstlerisch-ästhetische Elemente. Tatsächlich lässt sich auf für die Sachbücher der DDR eine solche strikte Trennung nicht beobachten.3 Die Forschungen zum Sachbuch führen zudem sechs verschiedene Typen auf, die sich auch auf die Sachbücher der DDR übertragen lassen: (1) Bildersachbuch; (2) Sachbilderbuch; (3) Erzählsachbuch; (4) Sacherzählsachbuch; (5) Werkbuch und (6) Informationssachbuch (Ossowski 1996, 8). Es ist jedoch 3 Günther beobachtet in seinem Buch Entwicklungen und Tendenzen des Sachbuches seit 1945 und strukturiert diese in fünf Phasen: 1945–1949; 1949–1961; 1961–1971; 1971–1981; 1981–1990. Der Beitrag folgt nicht dieser Struktur, sondern greift die fünf Phasen der Entwicklung des Natur- und Umweltschutzes der DDR auf. Hier finden sich zahlreiche Parallelen, denn Beiträge zu Natur- und Umweltschutz sowie einzelne Sachbücher orientieren sich an den politischen Entwicklungen.

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ebenso möglich, zwischen dem belehrenden und dem erzählenden Sachbuch zu unterscheiden (vgl. Aust 1983), worauf sich die folgenden Ausführungen konzentrieren sollen. Unter belehrenden Sachbüchern werden neben Büchern mit informierend-belehrenden Inhalten auch Anleitungs-, Nachschlage- und Aktionsbücher zusammengefasst. Zum erzählenden Sachbuch gehören u. a. Reiseberichte, Naturgeschichten oder Biografien.

Natur- und Umweltdarstellungen in Sachbüchern der DDR für Kinder und Jugendliche Allgemein lässt sich festhalten, dass in den hier untersuchten Sachbüchern die Autoren nicht die gesellschaftliche oder politische Entwicklung der DDR kritisieren. Vielmehr entwerfen sie Bilder zum Natur- und Umweltschutz, die systemkonform sind und durchaus die realen Zustände verschleiern. Immer wieder wird jedoch hervorgehoben, dass Naturschutz alle Menschen betrifft. Das Land und damit auch die Natur gehören allen. In den Sachbüchern setzt sich trotz aller Fakten der Leser auf dreierlei Weise mit der Natur auseinander : erkennend, handelnd und reflektierend (vgl. Wanning 2014, 6). Bereits nach der Gründung der DDR wird die Kultur- und Bildungsarbeit für die Jugend betont. Auch die Sachliteratur nimmt diesen Bildungsauftrag ernst und zielt auf die Entwicklung eines Wissenschaftsbewusstseins (vgl. Günther 1988, 54). In dieses Konzept passt das fünfbändige Jahrbuch Der junge Naturforscher, der vom Kinderbuchverlag zwischen 1951 und 1955 herausgegeben wurde. Es zeichnet sich durch eine thematische Vielfalt aus und nimmt alle Gebiete der Naturwissenschaften auf. Der Umfang der einzelnen Bereiche ist unterschiedlich und auch der Informationsgehalt variiert von Text zu Text. Neben originär deutschsprachigen Texten finden sich in den Ausgaben auch Übersetzungen aus dem Russischen. Die Einzelbände der Reihe Der junge Naturforscher sind jeweils in folgende Rubriken untergliedert: »Astronomie und Astrophysik«, »Biologie«, »Geographie und Geologie«, »Chemie«, »Physik und Geophysik«, »Mathematik«, »Aus der Geschichte der Naturwissenschaften«, »Wie der Mensch die Natur verändert«, »Aus Forschung und Beruf« sowie »Für unsere Arbeitsgemeinschaften«. Adressiert sind die Jahrbücher an ältere Leser, wobei auch praktische Hinweise aufgenommen werden. Die Leser bekommen bspw. auch Hinweise auf Arbeitsgemeinschaften, Berufszweige oder Rätsel. Damit wird ihnen die Chance gegeben, sich wissenschaftspropädeutisch für Natur und Naturschutz zu engagieren. In den einzelnen Bänden werden Natur sowie Naturschutz mit Fragen nach Wohlstand und Frieden kombiniert. Der Mensch bestimmt zwar die Natur,

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verändert diese, aber die Autoren appellieren an einen umsichtigen Umgang mit natürlichen Ressourcen. Dennoch dominieren in den Bänden ein Fortschrittsglaube sowie -optimismus, die charakteristisch für die Zeit der fünfziger Jahre waren. Das Heft aus dem Jahr 1952 beginnt bspw. mit dem Artikel Naturschutz geht jeden an! von Günther Freytag und verdeutlicht, wie wichtig ein vorsichtiger Umgang mit Natur ist. Naturschutz bekommt in Freytags Aufsatz eine wirtschaftliche und praktische Bedeutung. Der Autor beschreibt kenntnisreich ökologische Zusammenhänge und setzt sich dafür ein, »die Lebensgewohnheiten [zu] beobachten [und] Umweltverhältnisse [zu] untersuchen« (Freytag 1952, 11). Er differenziert nicht zwischen nützlichen und schädlichen Lebewesen, denn jeder hat seinen Platz im Haushalt der Natur und steht in irgendeiner Beziehung zu der Kulturlandschaft, die der Mensch nach seinem Willen gestaltet und verändert, um die Existenzbedingungen für sein Leben und die Voraussetzungen für Wohlstand und Frieden zu schaffen. (Freytag 1952, 11)

Freytag sieht damit den Menschen und die Natur in einer Abhängigkeit. Der Mensch verändert die Landschaften, bebaut Natur und benötigt die Ressourcen, um Wohlstand und Frieden zu sichern. Dennoch beobachtet Freytag eine Abhängigkeit des Menschen von der Natur und mahnt, diese zu schützen. Es geht ihm nicht um »Naturschwärmereien«, die er mit Skepsis anführt, sondern um genaue Beobachtung auf einer wissenschaftlichen Basis, wie er dem Materialismus des Marxismus-Leninismus inhärent ist. Naturschutz und Landschaftspflege dienen auch dem Wohlstand des Menschen. Im Kontext der Fragen nach Natur- und Umweltdarstellungen ist vor allem auch die Rubrik Wie der Mensch die Erde verändert wichtig, die jedoch nicht in jedem der fünf Bände aufgenommen wurde. In den unterschiedlichen Beiträgen dieser Rubrik werden Aspekte des Naturschutzes aufgenommen, die jedoch mit einem Fortschrittsdenken und einer Friedensbewegung kombiniert werden. In dem Beitrag Sahara – Afrikas Kornkammer von morgen? wird die Idee vorgestellt, die Wüste landwirtschaftlich zu nutzen, zu verändern und zu bewässern. Denn: Die Forderung der Menschen Afrikas ist mehr als gerecht: denn sie haben das größte Interesse daran, ein friedliches und besseres Leben zu führen. […] Sie wollen in Frieden leben, deshalb kämpfen sie in der Weltfriedensfront gegen den Krieg. (Der junge Naturforscher 1954, 297)

Veränderungen der Natur gehen einher mit einem Fortschritts- und Technikoptimismus. Die Idee ist immer, auch Frieden zu stabilisieren und den Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen. Bedenken darüber, was diese Veränderung für

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das Ökosystem bedeuten könnte, werden in dem Beitrag bewusst oder unbewusst ausgeklammert.4 Anders als in der Kinder- und Jugendliteratur und in der öffentlich-politischen, d. h. publizistisch-politischen Debatte werden Umweltaspekte innerhalb der Reihe Der junge Naturforscher keineswegs ausgeklammert. Hierfür dürfte der Beitrag Wasserhaushalt und Wasserwirtschaft in Wald und Feld (1952) von Albert Lilia interessant sein. Er setzt sich u. a. auch mit dem Abbau der Braunkohle auseinander und beschreibt, wie Braunkohlebergwerke die Landschaft verändern und den Grundwasserspiegel senken. Aufgrund der ökonomischen Notwendigkeit, Braunkohle zu fördern, muss der Mensch nach Lösungen suchen. Lilia benennt zahlreiche Lösungen, verweist auf das Vorbild der Sowjetunion und verdeutlicht, dass Naturschutz und Frieden zusammenhängen. Auf diese Weise wird Naturschutz zu einem politischen Gegenstand. Damit setzt sich die Reihe Der junge Naturforscher in ihren Beiträgen – folgt man zumindest an dieser Stelle der These von Lindenpütz – wesentlich früher mit Umwelt- und Naturfragen auseinander, als dies in fiktionalen Texten in West- und Ostdeutschland geschehen ist. Insgesamt sind die Artikel zu den Themen rund um Natur- und Umweltschutz aktuell und nehmen bestimmte Themen vorweg. Das Naturschutzgesetz von 1954 findet sich in den einzelnen Texten wieder. Damit korrespondiert die Reihe Der junge Naturforscher mit den politischen Entwicklungen der fünfziger Jahre. Deutlich wird allerdings auch: Es finden sich bereits Bezüge zum Umweltschutz, die sich so nicht im Gesetz widerspiegeln sowie eine leise Kritik am Umgang des Menschen mit den natürlichen Ressourcen. Die fünfbändige Reihe fokussiert ihre Wirkung auf Öffentlichkeitsarbeit und regt die jungen Leser und Leserinnen zur Mitarbeit an der Umsetzung der in den Artikeln formulierten Ziele des Naturschutzes und der Umweltfragen an. Die Bände dienen damit nicht ausschließlich nur der Wissensvermittlung, sondern auch der politischen Bildung. Seit den sechziger Jahren erschienen zahlreiche Sachbücher, die sich Naturschutzgebieten sowie insbesondere Wäldern widmen. Das hängt auch mit der bildungspolitischen Entwicklung zusammen und die Stärkung des wissenschaftsbasierten Unterrichts an Polytechnischen Oberschulen. Es geht um naturwissenschaftliche Bildung, Technisierung von Industrie und Landwirtschaft und technischen Fortschritt. Die DDR war ein rohstoffarmes Land und suchte nach Alternativen – bspw. in der chemischen Industrie. 4 Die dabei geführten Debatten um ein Ökosystem oder eine Ökologie sind übrigens keine neuen Debatten, sondern der Begriff »Ökologie« lässt sich auf das Jahr 1866 datieren. Ernst Haeckel verwendete den Terminus, aber laut neuerer Forschungserkenntnisse gab es die Idee bereits zuvor (vgl. Worster 1977, XIV; Bühler 2016, 6).

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In Sachbüchern wie Das große Buch vom Wald (EA 1964) von Wolfgang Zeiske (1920–1975), das in mehreren Auflagen zwischen 1964 und 1980 erschienen ist, werden erzählerische und faktuale Gestaltungsmerkmale zu einem wichtigen Charakteristikum der Sachliteratur. Dass neben dem Schutz des Waldes auch der Schutz der Pflanzen aufgenommen wird, korrespondiert durchaus mit der politischen Entwicklung in der DDR. Behrens und Hoffmann heben in ihren Untersuchungen hervor, dass sich die Gesetze in den sechziger Jahren hauptsächlich auf den Schutz der Pflanzen und auch ausgewählter Schutzgebiete konzentrierte.5 Exemplarisch kann der Umgang mit diesen Themen an Zeiskes Das große Buch vom Wald verdeutlicht werden. Neben Sachbüchern verfasste Zeiske auch ökologische Kinderbücher. Besonders bekannt dürfte die Reihe Förster Grünrock erzählt … (1965–1973) sein. Zeiskes Buch folgt den Jahreszeiten und setzt mit dem Frühling und konkret mit Mörikes Gedicht Er ist’s ein. Neben Gedichten nimmt Zeiske auch Erzählungen, aber auch Sachtexte auf. Insbesondere sein Sachtext Was man vom Landeskulturgesetz wissen muss setzt sich durchaus kritisch mit dem Umgang der Menschen mit ihrer Umwelt auseinander und erwähnt auch Formen der Umweltverschmutzung und ihre Folgen: Der Mensch darf und will die Natur nicht schädigen oder gar beseitigen. Er braucht die Natur. Er braucht klares, unvergiftetes Wasser. Er braucht große Wälder und Grünflächen, die unsere Luft erneuern. Er braucht auch Ruhe und Stille. Er will nicht in Unrat ersticken. (Zeiske 1964, 54)

In seinen Aussagen spiegelt sich das Naturschutzgesetz aus dem Jahre 1954 wider und neben Aspekten des Naturschutzes wird hier auch der Umweltschutz thematisiert. Damit macht Zeiske seinen jungen Lesern klar, wie Natur- und Umweltschutz zusammenhängen. Das Gesetz, dass der Autor als klug bezeichnet, muss jedoch auch realisiert werden. Hier appelliert er an die Leser, die sich daran halten und die natürlichen Ressourcen schonen sollen. Zeiske nimmt in den unterschiedlichen Auflagen seines Buchs den Aspekt des Naturschutzes ernst, betont aber auch, dass der Staat sich für den Natur- und Umweltschutz stark macht. Sein Buch möchte die Schönheit des Waldes und der Natur wecken. Zeiskes Werk erscheint allerdings auch in einem Jahrzehnt, in dem das Waldsterben noch nicht vordergründig sichtbar war. Seit den späten siebziger und frühen achtziger Jahren spielen Natur- und Umweltschutz eine wichtige, Günther schreibt sogar »brennende« Rolle innerhalb der Sachliteratur für Kinder und Jugendliche der DDR (Günther 1988, 126). 5 Wald als mentalitätsgeschichtliches Thema ist zudem bis ins 21. Jahrhundert aktuell. Werner Graf verweist in seinem Beitrag Der Wald als Metapher (2016) auf Ausstellungen und das von der UNO propagierte Internationale Jahr der Wälder 2011.

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In den Debatten um 1970 erfolgt, zumindest im Westen, eine Zäsur, denn das ökologische Denken stellt »eine besonders wichtige Phase dar« (Bühler 2016, 17). Es kommt zu einer Ausbreitung, Ausdifferenzierung und Institutionalisierung, sodass Historiker von einer »Epochenschwelle« sprechen (Sieferle 1994, 248ff.; Bühler 2016, 17). Die Entwicklung in der DDR korrespondiert durchaus mit den globalen Diskursen, denn auch hier erweitert sich das Spektrum auf Bekämpfung des Lärms, Gewässerschutz, Recycling oder Landschaftsbau (vgl. Behrens/Hoffmann 2013, 523). Es werden im Bereich der Sachbuchproduktion immer mehr Reihen entwickelt, die nicht nur das Interesse der Kinder und Jugendlichen an der Natur wecken, sondern sie auch für den Umweltschutz sensibilisieren möchten. Die Autoren setzen hierbei auf zahlreiche Bilder sowie informative Texte. Dazu gehört bspw. die Reihe Wir lernen Tiere und Pflanzen kennen, die seit 1980 im Kinderbuchverlag Berlin erscheint, oder die Bände Wir bestimmen Pflanzen, die seit 1978 in zahlreichen Auflagen ebenfalls im Kinderbuchverlag veröffentlicht wurde. Günther stellt in dem Kontext fest, dass mit der Reihe Wir lernen Tiere und Pflanzen kennen ein neuer Typus des Sachbuchs entsteht, der zwischen Anschauungsbuch, Überblickswerk und Ratgeberbuch changiert. Die Reihe wird musterbildend, so erinnert bspw. auch der Band Pflanzen, Tiere und Naturschutz (1984) an Aufbau und Struktur dieser Bücher. In Schätze der Heimat (1986) informiert Wolf Spillner, der nicht nur einer der bekanntesten Naturfotografen der DDR war, sondern auch Autor ökologischer Kinderbücher über die Naturschutzgebiete der DDR. In 14 Kapiteln und zahlreichen Fotografien werden die Besonderheiten der einzelnen Landschaftsgebiete vorgestellt. Spillners Beschreibungen sind einerseits sachlich, andererseits poetisch. Er schildert die Natur, thematisiert Tier- und Pflanzenarten und möchte den Lesern die Relevanz des Naturschutzes näher bringen. Er beginnt seine Texte mit fast philosophischen Sätzen wie: »Es gibt Worte, die haben einen geheimnisvollen Klang.« (Spillner 1986, 5) Zu diesen Worten gehört bspw. das Wort Insel. Spillner meint konkret Rügen und die Naturschutzgebiete auf der Insel. Im Kapitel Ein echter Wald greift er kulturökologische Ansätze auf: Gibt es auch »unechten« Wald? Ist Wald nicht gleich Wald, eine große Anzahl von Bäumen, die gemeinsam eine Fläche Land bedecken? So seltsam die Frage erscheint, ist sie nicht! Denn natürlich gewachsene Wälder gibt es in den Ländern Mitteleuropas gar nicht mehr. (ebd., 23)

Spillner betrachtet den Wald auch als eine Metapher, betont die Schönheit und die Ruhe des Waldes: »An windstillen Tagen scheint der Wald leise zu flüstern« (ebd., 32). Damit zeichnen sich seine bildlichen Beschreibungen durch Literarizität und Poetizität aus. Sie erinnern an Passagen aus der Romantik und gerade hier zeigt sich die hybride Form des Sachbuchs, denn Spillner kombiniert be-

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wusst informative und erzählende Passagen miteinander. Seine Fotografien unterstreichen den Eindruck, denn auch sie wirken mythisch und geheimnisvoll. Auch er zielt mit seinen Bildern und Texten auf die Sensibilisierung der Leser. Spillner konstruiert eine intakte Natur, setzt auf Emotionalität und seine literarischen Passagen sollen möglicherweise die Motivation erhöhen, sich weiter mit der Thematik auseinanderzusetzen. In seinen Beschreibungen geht der Autor auf verschiedene Tiere und Baumarten ein und klammert das Waldsterben aus. Spillner zeigt in seinen Bildern eine intakte Natur. In den Texten nimmt er den Gedanken auf, dass Naturschutz notwendig für spätere Generationen sei. Er betont dabei, dass »dieser wichtige Gedanke […] zur Verfassung unseres Staates« gehöre (ebd., 135). Im Landeskulturgesetz vom 14. Mai 1970 heißt es: Zur Erhaltung der Vielfalt und Schönheit der sozialistischen Heimat und zur Gewährleistung der wissenschaftlichen Forschung sind geeignete Landschaften und Landschaftsteile, einzelne Objekte und Gebilde in der Natur sowie Pflanzen- und Tierarten besonders zu schützen. (hier zit. nach ebd., 135)

Naturschutz und Naturschutzgebiete ordnet er historisch ein, macht jedoch darauf aufmerksam, dass im Sozialismus die Natur nicht vor dem Menschen, sondern für die Gesellschaft geschützt würde. Naturschutz für den Menschen und die Gesellschaft ist jedoch angeblich erst im Sozialismus möglich. Spillners Buch erscheint in einer Phase, in der Umweltschäden sichtbar werden. In der neueren Forschungsliteratur konnte gezeigt werden, wie bereits erwähnt worden ist, dass die Hälfte der Waldbestände der DDR beschädigt waren. Spillner klammert Aspekte des Umweltschutzes und der Umweltzerstörung in seinem Sachbuch jedoch aus. Seine Bilder wirken vor dem Hintergrund der real unübersehbaren Schäden fast schon entrückt. Er setzt allerdings mit seinen Bildern und seinen Texten auf Arten- und Biotopschutz. Seine fast schon idealisierten Entwürfe der Natur möchten sensibilisieren. Zieht man hierbei auch noch Spillners ökologische Kinderbücher in Betracht, wird deutlich, dass er aufklärend wirken möchte. Ein Wissen über ökologische Zusammenhänge ermöglicht aus seiner Sicht ein Umwelt- und Naturverständnis. Spillner vertraut primär auf die Kraft der Bilder, um seine Ziele zu verfolgen In seinem Kinderbuch Gänse überm Reihenberg (1977) heißt es: Die Gänse und Enten werden immer seltener, weil sie weniger Brutplätze haben! […] Weißt du, was ihr hier habt? […] Ein Schatz ist das, dieser See und noch ein paar andere! Darum kann man uns beneiden. Und deshalb steht er unter Schutz! (Spillner 1977, 51, vgl. auch Lindenpütz 1999, 179)

Spillner setzt sowohl in seinem ökologischen Kinderbuch Gänse überm Reihenberg als auch in seinem Kindersachbuch Schätze der Heimat auf die emo-

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tionale Wirkung einer Glück und Zufriedenheit auslösenden Begegnung mit der Natur, um den Lesern den Sinn von Naturschutzgebieten zu erläutern. Der Auffassung in Spillners Sachbuch gegenüber gestellt werden kann der Band Rund um die Natur (1982) von Reimar Gilsenbach: Jeder Eingriff in den Haushalt der Natur birgt jedoch die Gefahr in sich, daß er zur Schädigung, ja zur Vernichtung der natürlichen Springquellen des menschlichen Daseins führt. (Gilsenbach 1982, 7)

Gilsenbach setzt sich für den Einklang zwischen Natur und Mensch ein, denn nur dann kann »die Menschheit auf eine glückliche Zukunft« hoffen (ebd.), ohne jedoch den Fortschritt abzulehnen. Die Ursachen der Umweltzerstörung sieht der Autor im Kapitalismus; er bezieht sich hierbei direkt auf Karl Marx: Je mehr ein Land, wie die Vereinigten Staaten von Nordamerika zum Beispiel, von der großen Industrie als dem Hintergrund seiner Entwicklung ausgeht, desto rascher dieser Zerstörungsprozeß. Die kapitalistische Produktion entwickelt daher nur die Technik und Kombination des gesellschaftlichen Produktionsprozesses, indem sie zugleich die Springquellen allen Reichtums untergräbt: die Erde und den Arbeiter. (zit. nach Gilsenbach 1982, 19)

Marx stellt somit den Kapitalismus als Ursache der Natur-, später dann der Umweltzerstörung dar und sieht eine Verbindung zwischen der Natur und der Arbeiterschaft, die beide Opfer des Kapitalismus sind. In zahlreichen Beispielen zeigt Gilsenbach auf der Basis dieser marxistischen Grundannahme, wie der Kapitalismus die Umwelt zerstört, benennt jedoch auch die Umweltverschmutzung in der DDR mit unmissverständlicher Deutlichkeit und verweist bspw. auf die Luftverschmutzung in Halle an der Saale. Ungeachtet dessen wird in Gilsenbachs Kindersachbuch der Kapitalismus als die eigentliche Ursache für die Umwelt- und Naturverschmutzung benannt. Aber nicht nur das: Gilsenbach greift einen Diskurs auf, der im Kontext des Umweltschutzes seit den siebziger Jahren geführt wurde: Gemeint ist die Diskussion um die Rolle des Menschen im Ökosystem. In der Forschung stehen sich die Begriffe Ökosystem-Menschen und Biosphären-Menschen kontrastiv gegenüber. Während Naturvölker als Menschen beschrieben werden, die im Einklang mit der Natur leben, beuten Biosphären-Menschen die Natur aus und weiten ihr Umfeld auf benachbarte Gebiete aus. Exemplarisch greift Gilsenbach den Konflikt anhand des Beispiels der amerikanischen Ureinwohner auf und zeigt, wie kapitalistische Siedler die Natur im Land des Imperialismus, der USA, verändert haben. In umfangreichen Kapiteln setzt er sich mit bedrohten Tierarten auseinander und stellt Nationalparks sowie Naturschutzgebiete vor. Dabei ist sein Blick nicht einseitig, sondern er zeigt sowohl Bilder aus den USA als auch aus der ehemaligen Sowjetunion. Im Kapitel Sieh und hilf! versucht er Möglichkeiten des

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Naturschutzes im Kleinen aufzuzeigen. Auch hier beruft er sich auf einen Sozialisten und zitiert Karl Liebknecht: Es müssen vor allem Dingen die Naturdenkmäler dem Menschen zugänglich gemacht werden; nur dann können sie auch geschützt werden, weil nur dann die nötige Fühlung, das nötige Verständnis für diese Naturdenkmäler in der Menschheit erzeugt und erhalten werden können. (Karl Liebknecht, 1912, hier zit. nach Gilsenbach 1982, 155)

Gilsenbach möchte, ähnlich wie Liebknecht, mit seinen Bildern und Aussagen die Menschen zu einem Engagement bewegen. Nur der Sozialismus schafft den Einklang zwischen Mensch und Natur, so eine mögliche Aussage des Buches. In seinem Sachbuch finden sich neben Fotografien auch Illustrationen, mit denen er u. a. auch die landwirtschaftliche Entwicklung der DDR verhalten kritisiert: »Die industriemäßig genutzte Landschaft verliert an Mannigfaltigkeit, sie wirkt eintöniger.« (ebd., 29) Eine bäuerliche Landwirtschaft wird Monokulturen gegenübergestellt. Dennoch macht er auch klar, dass die Veränderungen in der Landwirtschaft notwendig seien, um »Hektareinträge [zu] steigern« (ebd., 29). Gilsenbach bemüht sich in seinem Band um den Spagat zwischen nachhaltiger und ertragreicher Landwirtschaft. Er widersetzt sich bspw. Pestiziden und plädiert für die »Erhaltung einer ausgewogenen, lebensfreundlichen, sich weitgehend selbst regulierenden Umwelt« (ebd., 33). Das, was heute in Zeitschriften wie Kraut & Rüben als biologisches Gärtnern bezeichnet wird, hebt Gilsenbach heraus, ohne jedoch auch die Schwierigkeiten einer solchen Landwirtschaft zu verschweigen. In dem Band wird besonders deutlich, dass die DDR ein Land mit nur wenigen Ressourcen war und daher einerseits ein nachhaltiges Handeln wichtig war, anderseits die Erträge auch erbracht werden mussten. Das letzte hier vorzustellende Beispiel ist das Buch Wann soll man Bäume pflanzen (1984) von Andr8 Brie, in dem es um Abrüstung geht. Die Angst vor einer atomaren Katastrophe bestimmt Bries Buch. Aber ähnlich wie zuvor erschienene Sachbücher konstruiert auch Brie eine Verbindung zwischen Umweltzerstörung, Kapitalismus und Aufrüstung: Auch eine Reihe anderer Fragen kann kein Staat, und sei er noch so reich und fortgeschritten, ja nicht einmal eine Staatengruppe allein lösen. Sie werden daher als Weltoder Menschheitsprobleme bezeichnet. Zu ihnen gehören die Beseitigung von Hunger und Rückständigkeit in den unterentwickelten Ländern, die Sicherung von Energie und Rohstoffen auch für künftige Generationen, der Schutz der Natur sowie die Erschließung der Weltmeere und des Weltalls. (Brie 1984, 35f.)

Bries Buch lässt sich durchaus in den zeitgenössischen Diskurs um Verfall bzw. die ökologische Krise verorten. Das Sachbuch möchte einerseits aufklären, andererseits auch warnen. Anhand zahlreicher Fotografien wird die Rüstungsindustrie der NATO kritisiert und als Ursache für Hunger und Umweltschäden benannt. Bries Sachbuch lässt sich in eine ökologische Kinder- und Jugendli-

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teratur einordnen, die gezielt mit Bildern und warnenden Texten aufklären möchte. Sein Buch endet mit einem Appell an die Friedensbewegung und an den Einzelnen, verantwortungsvoll zu handeln. Aber ähnlich wie auch in anderen Texten dieser Zeit lässt sich eine gewisse Skepsis aus den Ausführungen Bries erkennen: Hunderttausende Tropfen sind notwendig, um ein Faß mit Wasser zu füllen. Ein einziger kann es zum Überlaufen bringen. Vielleicht sind es Deine Stimme, Dein Tun, die noch fehlen? (ebd., 109)

Die letzten beiden Seiten zeigen dann einen Jungen, der an eine schwarze Wand mit weißer Kreide Friedenstauben malt. Kinder werden so zu Hoffnungsträgern einer besseren Zukunft.

Umwelt- und Naturschutz in Sachbüchern der DDR – Ein Fazit Sachbücher der DDR, das zeigt die Auswahl, wenden sich auch Themen des Umwelt- und Naturschutzes zu. Lindenpütz bezeichnet in ihrer Arbeit die Kinderbuchproduktion als Forum des ökologischen Diskurses und beobachtet eine kritische, aber auch eine späte Auseinandersetzung mit der Thematik. Diese These kann die kursorische Sichtung der Sachbücher nur teilweise bestätigen. Das Sachbuch für Kinder und Jugendliche in der DDR setzt sich vergleichsweise früh mit Themen des Naturschutzes auseinander und zeigt die Notwendigkeit auf, sich für die Natur zu engagieren. Das Sachbuch ist ein zeitdiagnostisches Medium und orientiert sich an den politischen und gesellschaftlichen Diskursen. Aber auch hier korrespondiert das Sachbuch der DDR mit Sachbüchern der BRD, die ebenfalls zeitdiagnostische Diskurse in den Mittelpunkt stellen und ihre Leserinnen und Leser aufklären. Naturschutz, später dann Umweltschutz werden im Kontext der Friedensbewegung sowie im Rahmen der marxistischen Kapitalismuskritik diskutiert. Umwelt- und Naturzerstörung hängen mit der Gier und dem Profitdenken der kapitalistischen Länder zusammen – so eine der zentralen Thesen in den meisten Sachbüchern zum Thema Umwelt- und Naturschutz. Diese Denkmuster übernimmt u. a. auch Andr8 Brie in seinem Sachbuch, in dem er die Friedens- und Umweltbewegung miteinander verbindet. In den einzelnen im Beitrag vorgestellten Artikeln findet eine Auseinandersetzung mit der Frage, wie Mensch und Natur und wissenschaftlicher sowie technischer Fortschritt in Einklang gebracht werden können. Deutlich wird auch, dass der technische Fortschritt lange nicht in Frage gestellt wurde. Dennoch zeigen die Sachbücher Tendenzen, die sich auch in der westlichen kinder- und jugendliterarischen Sachbuchproduktion finden. Der skeptische Ton aus Bries Sachbuch zeigt sich in Pausewangs Romanen Die Wolke oder Die

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letzten Tage von Schevenborn. Oder anders gesagt: Das Sachbuch der DDR sollte zumindest im Hinblick auf das Thema des Natur- und Umweltschutzes nicht losgelöst betrachtet werden von der Entwicklung des Diskurses im Westen. Ein Vergleich wäre notwendig, denn es sind nicht nur Unterschiede, sondern auch Gemeinsamkeiten, die sich bei aller Verschiedenheit der Geschichte der beiden deutschen Staaten in Ost und West finden lassen.

Primärliteratur Bellack, Siegrid [u. a.] (Hgg.)/Eberhard Binder-Staßfurt [u. a.] (Ill.): Von Anton bis Zylinder. Das Lexikon für Kinder. 4. Aufl. Berlin: Kinderbuchverlag, 1974 [EA 1967] Brie, Andr8: Wann soll man Bäume pflanzen? Wege zur Abrüstung. Berlin: Kinderbuchverlag, 1984 Freude, Matthias (Text)/Evelyne Bobbe/Susanne Damm/Matthias Kleinwächter/Reiner Zieger (Ill.): Pflanzen, Tiere, Naturschutz. Berlin: Kinderbuchverlag, 1984 Freytag, Günther : Naturschutz geht jeden an! In: Reichert, Erna (Red.): Der Junge Naturforscher. Ein Helfer für Mädchen und Jungen. Bd. 2. Berlin: Kinderbuchverlag, 1952, 7–11 Gilsenbach, Reimar (Text)/Rainer Sacher/Christiane Gottschlich (Ill.): Rund um die Natur. Berlin: Kinderbuchverlag, 1982 Lange, Elsbeth/Wolfgang Heinrich: Wir bestimmen Pflanzen. Berlin: Kinderbuchverlag, 1978 Lilia, Albert: Wasserhaushalt und Wasserwirtschaft in Wald und Feld. In: Reichert, Erna (Red.): Der Junge Naturforscher. Ein Helfer für Mädchen und Jungen. Bd. 2. Berlin: Kinderbuchverlag, 1952, 12–18 O. A.: Sahara – Afrikas Kornkammer von morgen? In: Reichert, Erna (Red.): Der Junge Naturforscher. Berlin: Kinderbuchverlag, 1954, 292–297 O. A.: Art. Umweltschutz. In: Meyers Universal-Lexikon. Bd. 4. Schild-Z. Leipzig 1980, 389 O. A.: Art. Naturschutz. In: Meyers Universal-Lexikon. Bd. 3. Lite-Schik. Leipzig 1979, 223 Reichert, Erna (Red.): Der Junge Naturforscher. Ein Helfer für Mädchen und Jungen. 5 Bde. Berlin: Kinderbuchverlag, 1951–1955 Spillner, Wolf: Gänse überm Reiherberg. Berlin: Kinderbuchverlag, 1977 Spillner, Wolf: Schätze der Heimat. Berlin: Kinderbuchverlag, 1986 Zeiske, Wolfgang (Text)/Johannes Breitmeier (Ill.): Das große Buch vom Wald. Berlin: Kinderbuchverlag, 1965

Sekundärliteratur Behrens, Hermann/Jens Hoffmann: Naturschutz der DDR – ein Überblick. In: Behrens, Hermann/Jens Hoffmann (Hgg.): Naturschutzgeschichte(n). Lebenswege zwischen Ostseeküste und Erzgebirge. Friedland 2013, 507–548

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Bühler, Benjamin (Hg.): Ecocriticism. Grundlagen – Theorien – Interpretationen. Stuttgart [u. a.] 2016 Engels, Friedrich: Dialektik der Natur. 5. Aufl. Berlin 1961 (Bücherei des Marxismus – Leninismus; 18) Günther, Harri: Die Sachliteratur für Kinder und Jugendliche in der DDR von 1946 bis 1986. Unter Mitarbeit von Joanna Günther. Berlin 1988 (Studien zur Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur ; 11) Hussong, Martin: Sachbuch. In: Doderer, Klaus (Hg.): Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur. Bd. 3: P-Z. Weinheim [u. a.] 1984, 237–242 Lindenpütz, Dagmar : Das Kinderbuch als Medium ökologischer Bildung. Untersuchungen zur Konzeption von Natur und Umwelt in der erzählenden Kinderliteratur seit 1970. Essen 1999 Neubert, Reiner : Sachliteratur. In: Steinlein, Rüdiger/Heidi Strobel/Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR. Von 1945 bis 1990. Stuttgart [u. a.] 2006, 903–934 Ossowski, Herbert: Das Sachbuch. In: Franz, Kurt/Günter Lange/Franz-Josef Payrhuber (Hgg.): Kinder- und Jugendliteratur. Ein Lexikon. 52. Erg.-Lfg. Meitingen 1996, 1–12 Sieferle, Rolf-Peter : Epochenwechsel. Die Deutschen an der Schwelle zum 21. Jahrhundert. Berlin 1994 Steinlein, Rüdiger/Heidi Strobel/Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR. Von 1945 bis 1990. Stuttgart [u. a.] 2006 Wanning, Berbeli: Literatur, Natur, Umwelt. In: Deutschunterricht 67 (2014) H. 2, 4–10 Worster, Donald: Nature’s Economy. A History of Ecological Ideas. Cambridge 1977

Internetquellen http://www.buzer.de/gesetz/8972/b26456.htm (15. 09. 2016) http://www.naturschutzgeschichte-ost.de/index.php?id=11 (15. 09. 2016)

Maren Ahrens (Berlin) / Maria Becker / Maria Scholhölter (Dortmund)

»Nicht nur ein gutes altes Ostprodukt!« Ein Gespräch mit der Lektorin Maren Ahrens über Wissensvermittlung in der Zeitschrift MOSAIK

Das MOSAIK gilt als populärste Bildererzählung der DDR (vgl. Kramer 2006, 949) und ist auch heute noch eines der auflagenstärksten Comic-Hefte auf dem deutschsprachigen Zeitschriftenmarkt. Erstmals am 23. Dezember 1955 im Verlag Neues Leben herausgegeben und ab 1960 vom Zeitungs- und Zeitschriftenverlag Junge Welt fortgeführt, erschienen unter der Leitung von Johannes Hegenbarth bis Mitte der siebziger Jahre mehr als 200 MOSAIK-Hefte, von denen bereits das erste Exemplar in einer Auflagenhöhe von 100.000 Exemplaren vollständig verkauft wurde (vgl. Lehmstedt 2010, 64). Nach der 1975 erfolgten Kündigung Hegenbarths und den damit einhergehenden Verhandlungen um Urheberrechte führte das damalige künstlerische Kollektiv das MOSAIK mit drei neuen Helden, den Abrafaxen, fort. Bis 1990 entstanden die monatlichen Hefte unter der Leitung von Lothar Dräger, seit 1991 fungieren Klaus D. Schleiter und Anne Hauser-Thiele als Herausgeber. In einem Gespräch von Maria Becker und Maria Scholhölter mit der Kulturund Literaturwissenschaftlerin Maren Ahrens, seit 1997 Lektorin des MOSAIK Steinchen für Steinchen Verlags, soll mit Blick auf die vor und nach 1990 erschienenen MOSAIK-Hefte die Vermittlung von kultur- und alltagsgeschichtlichen Themen im Zentrum stehen. Maren Ahrens berichtet von der Verlagsarbeit vor und nach der Wende, von der konkreten Produktion der Hefte, der wissenschaftlichen Recherchearbeit, der Verlagsgeschichte und von der Fankultur rund um die MOSAIK-Hefte.

Teil 1: Der MOSAIK Steinchen für Steinchen Verlag heute Frau Ahrens, Sie sind seit vielen Jahren Lektorin beim MOSAIK Steinchen für Steinchen Verlag. Wie sind Sie zum Verlag gekommen und wie sieht Ihre Arbeit konkret aus?

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Abb. 1 Seit mehr als 40 Jahren erscheint monatlich ein MOSAIK mit den Abrafaxen

Während meines Studiums an der Humboldt Universität zu Berlin hatte ich mich für ein Praktikum im Verlag beworben. Das hat mir so großen Spaß gemacht, dass ich sogar meine Magisterarbeit über das MOSAIK geschrieben habe und nebenbei schon im Verlag als Angestellte arbeiten konnte. Ehrlich gesagt haben wir die Bezeichnung Lektorin damals so in den Arbeitsvertrag geschrieben, weil man ja eine Art Beruf vermerken muss. Aber wir sind ein kleines Haus und da gibt es täglich noch viele andere Dinge zu tun. Ich bin außerdem noch für den Wissensteil unserer beiden Hefte verantwortlich. Neben dem Abrafaxe-MOSAIK gibt es ja seit 2001 auch eine Ausgabe mit drei Mädchen – Anna, Bella und Caramella. Da schreibe ich selbst oder suche mir engagierte Experten. Unsere Sammelbände, in denen die alten MOSAIK-Hefte neu aufgelegt werden, betreue ich zusammen mit einem Kollegen redaktionell. Denn auch da gibt es einen Anhang mit Hintergrundinformationen. Ebenso bin ich an der Publikation von

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Büchern und Sonderpublikationen beteiligt. Die montäglichen Redaktionssitzungen bereite ich vor und bin auch meist involviert bei Kooperationen mit anderen Medien und Partnern, bei der Konzeption und Entwicklung von Ausstellungen zum Beispiel. Führungen von Schulklassen bei uns im Haus machen wir immer abwechselnd.

Abb. 2 Maren Ahrens an ihrem Arbeitsplatz

Meine direkte Lektoratsarbeit beginnt bereits beim ersten Kontakt mit dem Heft, bei der Lesung. Da notiere ich mir gedanklich Sachen, die ich noch einmal nachprüfen möchte. Meine Kollegen hinterfragen auch immer eine ganze Menge. Das hilft sehr, um das Heft perfekt zu machen. Dann lese ich zuerst das reine Textmanuskript zur grammatikalisch-orthografischen Korrektur und später den geletterten Schwarz-Weiß-Comic und zum Abschluss den Farbcomic. Da ist es besonders wichtig, Bilder und Texte zusammen zu lesen und auf Stimmigkeit zu überprüfen. Das mache ich übrigens nicht nur alleine, sondern noch mindestens zwei, drei Kollegen – alle, die Lust haben und Zeit erübrigen können. Mit dieser Arbeit bin ich nicht lange beschäftigt, vielleicht ca. fünf Stunden pro Heft. Fehler gibt es natürlich nicht so viele, manchmal feile ich noch an Formulierungen, immer in Absprache mit dem Autor. Ab und zu entdeckt man aber Sachen, bei denen Bild und Text nicht zusammenpassen. Da entscheiden wir dann von Fall zu Fall, was sinnvoller zu ändern ist. Ich liebe die Arbeit beim MOSAIK, gerade weil sie so vielfältig ist. Sich beruflich jeden Tag durch andere und immer neue Themen und Wissensgebiete wühlen zu können, empfinde ich als ein großes Geschenk. Ich freue mich immer unheimlich, wenn ich in der S-Bahn jemanden ein MOSAIK lesen sehe oder es beim Einkaufen auf dem Laufband bei den Leuten vor mir liegt. Außerdem ist es

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jedes Mal großartig, Schulklassen durch das Haus zu führen und die ehrliche Begeisterung der Kinder zu erleben. Und unser Tag der offenen Tür mit mehreren hundert Besuchern ist in jedem Jahr ein Highlight. Da kommen Familien von weither angereist, um einmal zu sehen, wie das MOSAIK gemacht wird. Schon vor 10 Uhr bildet sich eine lange Schlange vor der Tür und es ist ein großes Gedränge den ganzen Tag, aber in einer schönen und herzlichen Atmosphäre. Meinen Job gab es zu DDR-Zeiten übrigens so oder so ähnlich auch schon. Er verteilte sich allerdings auf mehrere Schultern: Heidi Jäger war zum Beispiel für die Korrektur der Texte zuständig, Wolfgang Altenburger hat die ganze Organisation wie Ausstellungen usw. erledigt. Andere Redakteure kümmerten sich um die Leserpost. Das MOSAIK hatte bis zur Wende noch keinen redaktionellen Teil, also gab es dieses Arbeitsgebiet noch gar nicht. Das klingt nach einem vielfältigen Arbeitsumfeld. Können Sie uns den Verlag und die Menschen, die dort arbeiten, näher beschreiben? In unserer wunderschönen alten Villa im Berliner Westend, die übrigens früher eine psychiatrische Klinik war, gibt es neben unseren Büros ein Atelier für unsere Zeichner. Hier können sie fokussiert arbeiten, aber auch einzelne Arbeitsschritte miteinander absprechen. Jedes Heft geht bei der Entstehung durch viele Hände. Im Keller haben wir ein kleines Kino, das für die Lesungen der Hefte und für Führungen von Schulklassen genutzt wird. Ein Archiv haben wir auch – oder eher ein paar Schränke voll mit Ordnern und allen Originalzeichnungen. Beim MOSAIK arbeiten neben unseren beiden Herausgebern neun Zeichner. Außerdem sind fünf Leute mit Büroangelegenheiten beschäftigt: Sie kümmern sich um den MOSAIK-Shop, die Buchhaltung, den Online-Auftritt und unzählige andere Dinge. Im Zimmer neben meinem Lektoratsbüro sitzt unsere Mediengestalterin mit einer Auszubildenden. Unsere beiden Koloristen und unser Autor haben sich ein ruhigeres Plätzchen außerhalb der Redaktion gesucht und kommen regelmäßig vorbei. Allerdings tauchen die Schlawiner nie dienstags auf, wenn alle, die Lust haben, zusammen Sport machen. Da kommt eine Trainerin zu uns ins Haus und wir tun eine Stunde lang etwas für unsere Gesundheit, entweder im Garten oder bei schlechtem Wetter im Haus. Das war eine schöne Idee unserer Chefs, die übrigens auch mitturnen. Eigentlich denke ich, dass die Atmosphäre in einem Verlag nichts Besonderes ist, obwohl uns das Besucher oft suggerieren. Sie ist so gut oder schlecht wie die Leute, die da zusammenarbeiten. Und generell sollte man versuchen, sich die Arbeitszeit, die ja so viel Lebenszeit ist, möglichst angenehm zu gestalten. Klappt bei uns definitiv auch nicht immer, aber wir arbeiten stets daran.

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Abb. 3 Blick ins Zeichenatelier

Im Übrigen sind unter den Kollegen teilweise richtige MOSAIK-Spezialisten dabei – wandelnde MOSAIK-Archive quasi. Die fragst du: »Wo war noch mal die Szene, als dieses und jenes passierte?« Und sofort kommt wie aus der Pistole geschossen: »Heft sowieso, Seite 13!« Die Leidenschaft für Comics ist aber ganz unterschiedlich ausgeprägt: Manche sind richtige Comic-Fanatiker, kriegen alles mit, was neu erscheint, lesen gern auch mal frankobelgische oder amerikanische Original-Ausgaben oder klappern sogar jeden Samstag die ComicLäden Berlins ab; andere nehmen auf der Comic-Schiene fast nur MOSAIKwahr. Das ist lustigerweise bei unseren Lesern genauso, wie wir bei Leserumfragen festgestellt haben. Und es sind sogar noch Mitarbeiter im Verlag dabei, die schon vor der Wende beim MOSAIK bzw. im Verlag Junge Welt gearbeitet haben: zum Beispiel unser Autor Jens U. Schubert, unser künstlerischer Leiter Jörg Reuter sowie unser Zeichner Andreas Pasda. Die waren die Jungen Wilden zu Wendezeiten, als unser langjähriger Autor Lothar Dräger in den Ruhestand ging und eine neue Generation ans Ruder kam. Wie kann man sich den Arbeitsalltag im Verlauf vorstellen? Ganz konkret arbeite ich als Lektorin viel in meinem Büro oder bin überall im Haus unterwegs. Wir haben einen sehr strukturierten Ablauf und einen klaren Zeitplan, damit unsere Hefte pünktlich erscheinen können. Unsere Arbeitswoche startet am Montag um zehn Uhr mit der Redaktionskonferenz, dabei wird

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dann der Plan für die Woche gemacht. Es ist wichtig, dass man neben der ganzen Kreativität auch Strukturen hat, sonst verzettelt man sich. Bei einem monatlich erscheinenden Heft wird auch immer mit einem engen Zeitplan und entsprechendem zeitlichen Druck gearbeitet. Selbstverständlich haben wir da etwas Vorlauf, aber die Bearbeitung je Heft darf eigentlich nur 3 12 Wochen beanspruchen. Dieser straffe Plan verlangt es, dass wir uns gegenseitig unterstützen: Wenn es einmal eng wird, helfen alle nach ihren Möglichkeiten mit aus. Zum Beispiel übernehmen die Zeichner die Figuren von Kollegen während Urlaubs- oder Krankheitstagen. Oder unser Pressesprecher schreibt Texte für den redaktionellen Teil, wenn es um Sachen geht, die ihm gut liegen und ich mich erst lange einlesen müsste. Er bekommt dafür Unterstützung bei seiner Arbeit von mir, wenn bei ihm viel zu tun ist. Das geht so weit, dass unsere Büro-Leute mit ins Warenlager gehen und packen helfen, wenn es viele Shop-Bestellungen gibt. Die Stimmung untereinander muss schon stimmen, wenn man zusammen ein schönes Heft für Kinder machen will. Aber das ist keine Selbstverständlichkeit, das ist auch ein Stück weit Arbeit. Ich schätze es, dass es bei uns relativ flache Hierarchien gibt, alle können wirklich zu allem etwas sagen. Besonders wenn es um unser Lieblingskind MOSAIK geht.

Teil 2: Produktion und Entstehung eines Hefts Inwiefern unterscheidet sich die Produktion der MOSAIK-Hefte vor und nach der Wende? Der Zeitschriftenmarkt hat sich nach der Wende sehr verändert, aber in Bezug auf die Produktion und die künstlerische Gestaltung der Hefte hat sich erstaunlicherweise wenig geändert. Jeder Zeichner bringt natürlich ein bisschen Individualität im Strich, also im Zeichenstil, mit ins Heft, aber wir versuchen dabei, das MOSAIK in seiner Traditionslinie zu belassen. Rein äußerlich besteht das Heft nun aus mehr Comic-Seiten, wird auf besserem Papier gedruckt und hat einen redaktionellen Teil bekommen. Bei der praktischen Arbeit unserer Zeichner ist aber fast alles beim Alten geblieben. Die Arbeitsteilung und auch die Arbeitsmaterialien sind bei der Entstehung des MOSAIK genau die gleichen wie früher : Es wird immer noch gemeinsam von Hand mit Bleistift und Tusche auf einem Blatt Karton gezeichnet. Nur der Umgang mit den einzelnen Seiten und Figuren hat sich verändert. Zu DDR-Zeiten waren die Zeichner jeweils für eine komplette Seite des Hefts verantwortlich. Auch die Koloristen haben seitenweise gearbeitet. Das erkennt man bei den alten Heften ganz gut: Da unterscheiden sich die Figuren auf der linken

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Abb. 4 Gar nicht so anders: Ein Zeichnerarbeitsplatz vor 35 Jahren …

Abb. 5 … und ein Zeichnerarbeitsplatz heute

Seite manchmal sehr von denen auf der rechten Seite. Als Kind habe ich mich beim Lesen immer gewundert: »Warum sehen die Abrafaxe denn auf einmal so anders aus?« Nach der Wende haben wir uns irgendwann entschieden, dass es schöner ist, wenn jeder Zeichner »seine« Figuren hat und sie durch das Heft

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begleitet, damit sie immer gleich aussehen. Dafür gibt es nun manchmal kleinere Stilvariationen auf jeder Seite, aber das sehen eigentlich nur die echten Fans. Die können sogar meist ziemlich gut sagen, von welchem Zeichner welche Figur stammt, obwohl wir uns immer um einen einheitlichen Strich bemühen. Die Zeichner sind sozusagen auf ihre Figuren spezialisiert. Thomas Schiewer ist beispielsweise nur für die Abrafaxe verantwortlich, bei den anderen Zeichnern wechseln die Figuren von Serie zu Serie. Durch diese Aufteilung müssen sich die Zeichner natürlich noch besser absprechen und die Figuren möglichst perfekt aneinander anpassen, damit in den einzelnen Szenen alles passt. Das ist vor allem bei Kampfszenen schwierig oder in Panels, in denen die einzelnen Figuren dicht beieinanderstehen. Aber unsere Künstler sitzen ja zum Glück alle in einem Raum und können diese Problematiken »auf kurzem Weg« klären. Welche Arbeitsschritte und Materialien sind bei der Entstehung eines Hefts wichtig? Im Prinzip entsteht das MOSAIK noch auf die gleiche Art und Weise wie vor 60 Jahren – selbst die Pinsel sind nahezu identisch: Nachdem der Autor ein Manuskript für ein Heft verfasst und die Bildaufteilung in ersten Skizzen entworfen hat, stellt er dem Team das Heft in einer Lesung vor. An dieser Stelle merkt man schon, was knifflig werden könnte oder ob ein Gag funktioniert. Wir sitzen dabei alle in unserem kleinen Kino zusammen. Danach werden dann die Scribbles des Autors, also seine kleinformatigen und sehr groben Skizzen, auf A3-großen Zeichenkarton übertragen – als sogenannte Aufrisse. So wird gewährleistet, dass am Ende alles zusammenpasst. Die Zeichner skizzieren ihre Figuren mit Bleistift auf den Aufrissen und arbeiten sie danach mit schwarzer Tusche aus. Dadurch entsteht eine lebendigere Linie, als sie mit dem Computer möglich wäre. Natürlich dauert das seine Zeit und braucht eine ruhige Hand. Korrekturen sind dabei schwierig, denn auf Deckweiß zeichnet es sich nicht unbedingt leichter als auf Originalpapier. Für die nötige Konzentration setzen unsere Zeichner manchmal Kopfhörer auf, und die Musik bietet dann sicher auch entsprechende Inspiration. Besonders beim Inken kann man die individuelle Linienführung der Zeichner erkennen: Wenn man weniger oder mehr Druck auf den Pinsel gibt, werden die Linien dünner oder dicker. Auch der Schwung spielt eine Rolle. Die Zeichner untereinander erkennen die feinen stilistischen Unterschiede zwischen den Figuren übrigens meist an den Händen und Haaren. Für die Hintergründe innerhalb der Panels ist im nächsten Schritt ausschließlich ein Zeichner verantwortlich, seit Jahren Andreas Schulze. Allein bei der Kolorierung und beim Lettering der Texte gab es in den neunziger Jahren Veränderungen: Diese Arbeiten werden seitdem unter Zuhilfenahme eines Computers erledigt. Die Koloristen haben da aber genauso ihre

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Abb. 6 Für eine neue Serie werden alle wichtigen Figuren vorher entworfen

Farbtöpfchen und Pinsel im Programm, nun allerdings nur in virtueller Form. In früheren Zeiten wurde per Hand mit Gouachefarben auf Blaudrucken koloriert, da waren nicht wie heute ein oder zwei Koloristen am Werke, sondern vier bis fünf. Die Produktion von Die unglaublichen Abenteuer von Anna, Bella & Caramella läuft dagegen anders ab: Hier wird alles von einem Zeichner am Computer erarbeitet. Er muss auch sehr gut zeichnen können und dazu noch mit der Computertechnik vertraut sein, denn er arbeitet nicht auf Papier, sondern zeichnet mit einem speziellen Stift direkt auf eine Computeroberfläche. Über das Programm werden auch Pinsel verwendet, die einen schwungvollen Eindruck vermitteln, aber im Detail sieht es schon ein bisschen anders aus. Natürlich sind Werbung und Marketing entscheidender geworden als noch zu DDR-Zeiten. Das macht mittlerweile auch einen großen Teil der Arbeit aus. Bei unseren Werbespots achten wir übrigens nicht nur auf den Wiedererkennungswert des MOSAIK-Hefts, sondern mittlerweile auch auf weniger Barrieren beim Erfassen – auf Anregung unserer gehörlosen Auszubildenden. In unserem aktuellen Fernsehspot ist nicht nur der gesprochene Text zu hören, sondern im Bild haben die Figuren Sprechblasen mit Text zum Lesen, damit auch Gehörlose den Spot verstehen können.

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Abb. 7 Mehrere Stadien auf einen Blick: das Textmanuskript, die ersten Skizzen und eine teilweise bearbeitete Seite

Bevor ein Heft in die Produktion geht, braucht es ein Thema. Wie gestaltet sich die Recherche heute und wie war es früher? Wir finden die Themen für das MOSAIK auf ganz unterschiedliche Art und Weise: In erster Linie ist unser Autor in der Pflicht, ein zum Verlagskonzept passendes Thema zu finden. Er macht die konkreten Vorschläge, denn es ist natürlich wichtig, dass er sich mit dem Thema identifizieren kann und es spannend findet. Das übergeordnete Thema sollte einiges zu bieten haben, sodass neben der großen Geschichte im einzelnen Heft immer ein halbwegs abgeschlossenes Abenteuer erzählt werden kann. Das sind dann oft kleinere Geschichten, die historisch verbürgt sind. Zur Vorbereitung einer neuen Serie machen wir Ausflüge, suchen geeignete Literatur und recherchieren im Netz. 2014 entstand beispielsweise im Verlag die Idee, etwas rund um Luther und die Reformationszeit zu machen, denn 2017 steht ja das große Lutherjubiläum ins Haus. Eigentlich sollte das erst nur ein einzelnes Heft werden, doch die Fülle an Material und die vielen Parallelen zu unserer Zeit haben uns so sehr in den Bann gezogen, dass wir mehr daraus machen wollten. Genau an dem Tag, als wir das in unserer montäglichen Redaktionskonferenz besprochen hatten und überlegten, wen man dazu als kompetenten Partner gewinnen könnte, klingelte am Nachmittag bei meinem Chef das Telefon. Ein Mitarbeiter des Kultusministerium von Sachsen-Anhalt, der ein großer MOSAIK-Fan ist, fragte an, ob wir

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uns nicht mal zu einem Gespräch treffen wollten, denn er hätte da eine tolle Idee für einen neuen Protagonisten namens Luther in unserem Heft. Das war so ein unglaublicher Zufall, und da wir so die Geschäftsstelle von Luther 2017 als Experten für die Reformationszeit mit ins Boot holen konnten, hat uns das natürlich in unserer Entscheidung für eine ganze Serie bestärkt. Zu Beginn der Arbeit an der aktuellen Reformationsserie waren wir zum Beispiel mit dem kompletten Team in Wittenberg. Die Geschäftsführerin von Luther 2017 hat uns einen ganzen Tag durch die Stadt geführt und uns alles erklärt und gezeigt: das Lutherhaus, die Schlosskirche, die Thesentür, ganz Wittenberg. Dabei haben wir etliche Fotos gemacht und Videos aufgenommen, damit die Zeichner eine Grundlage für ihre Arbeit haben. Das war sehr hilfreich für die Entwicklung der Atmosphäre im Heft. So bekamen unsere Zeichner einen direkten Eindruck von den Örtlichkeiten und eine Vorstellung davon, wie es früher mal gewesen sein könnte. Beim Entwerfen der Protagonisten für eine neue Serie ist uns die Nähe zu den historischen Figuren, insofern es denn solche Vorbilder gibt, wichtig. Unsere Zeichner sind immer ganz froh, wenn jemand zum Beispiel eine markante Physiognomie hatte oder so auffallend klein und schmächtig wie Melanchthon war. Das lässt sich im Comic gut umsetzen. Bei der Figur Luthers hat unser Zeichner Niels Bülow mit historischen Porträts vom jungen Luther gearbeitet. Auf denen erschienen Luthers Haare rötlich, was uns sehr entgegenkam, da er ja eh schon immer eine schwarze Kutte anhatte und wir aus ästhetischen Gründen deshalb die Haare nicht auch noch dunkel machen wollten. Unsere Experten von Luther 2017, die sich ja nun bis in die kleinste Kleinigkeit genauestens auskennen, haben uns allerdings davon abgeraten. Auch der junge Luther hätte definitiv dunkelbraune Haare gehabt. Für unser Farbkonzept war das natürlich eher schwierig: Zu der schwarzen Mütze und der langen, schwarzen Kutte kamen nun noch die dunklen Haare – aber da geht uns die historische Genauigkeit schon vor. Doch bei der Frage, wie die Thesen denn nun an der Schlosstür befestigt wurden, mussten auch unsere Experten passen – da gibt es bis heute mehrere Theorien. Tesafilm war es definitiv nicht, bei uns hat Brabax einfach ein Hämmerchen und Nägel dabei. Die Recherche zu DDR-Zeiten erledigte vor allem der langjährige Autor Lothar Dräger. Er war quasi ein Universalgenie, denn er war sehr belesen und kannte sich in den unterschiedlichsten Bereichen sehr gut aus. Dräger hat alles, was es nur irgendwie gab, gelesen und verschlungen. Wenn er etwas mal nicht direkt wusste, hatte er zumindest eine Idee, in welchem Buch er danach suchen konnte. Später konnte er Walter Hackl, der sein Nachfolger werden sollte, mit Recherchearbeiten beauftragen. Der machte sich beispielsweise einmal prompt auf den Weg zur japanischen Botschaft, um Material für die Japanserie im MOSAIK zu beschaffen, und löste mit seinem unbefangenen Besuch fast di-

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plomatische Verwicklungen aus. Denn schließlich konnte man als DDR-Bürger nicht einfach so in eine nichtsozialistische Botschaft spazieren. Und der Clou war, dass ein Botschaftsangestellter sogar noch Bücher in den Verlag brachte. Das gab eine Verwarnung von oberster Stelle. Vielleicht ist auch noch interessant, dass das MOSAIK damals ja statt 36 Seiten nur 20 Seiten hatte, also einen ganzen Druckbogen weniger – das ist schon ein ganzes Stück Arbeit heute, den größeren Umfang sinnvoll und angemessen zu nutzen.

Teil 3: Wissensvermittlung und Unterhaltung In diesem Sammelband geht es um die Wissensvermittlung in der Literatur für Kinder und Jugendliche der DDR. Wie gestaltet sich die Vermittlung von Sachinformationen im MOSAIK? Sachinformationen sind im MOSAIK in einem unterhaltenden Erzählstil und detailgetreuen Bildern verpackt. In den Geschichten werden unzählige allgemeinbildende Themen angetippt, die Anregungen zur weitergehenden Beschäftigung bieten. Wissensgebiete wie Essen, Kleidung, Architektur, Feste, Bräuche, Riten, Umgangsformen, Traditionen, aber auch Literaturgeschichte, Theatergeschichte und Technikgeschichte werden meist unaufdringlich ins Bild gesetzt und wurden so über Jahrzehnte Bestandteil des Erzählens im MOSAIK. Auch literarische Vorlagen finden in den Abrafaxe-Abenteuern Verwendung. Als berühmtes Beispiel seien hier Don Quichote und Sancho Pansa genannt. Für uns geht es aber nicht in erster Linie um die Vermittlung von Sachinformationen, sondern, ganz enthusiastisch ausgedrückt, um nichts Geringeres als die ständige Erforschung und Entdeckung der Welt und unseres Lebens darin mit Hilfe unserer Geschichten. Diese unbändige Neugier und die Lust auf Erkenntnis gehören zum Leben und so auch zum MOSAIK dazu. Besonders Kinder erschließen sich gerne neue Sachen, entdecken Dinge neu. Wir als MOSAIK-Team haben das Privileg, jeden Tag mit den Abrafaxen auf eine Entdeckungsreise gehen zu können und nehmen unsere Leser mit. Auch wir stoßen bei unseren Recherchen auf immer wieder neue und interessante Dinge und Erkenntnisse, die uns begeistern. Wir hoffen einfach, dass man das den Geschichten anmerkt und dass wir diese Freude an unsere Leser weitergeben können und sie die von uns gewählten Themen genauso spannend finden. Es ist nicht so, dass das MOSAIK ein Schulbuch sein will. Wenn wir uns die römische Historie vornehmen, besteht unser Anspruch nicht darin, dass wir alle Höhepunkte abhandeln, sondern dass wir unsere eigene Geschichte mit unserem speziellen Blick darauf erzählen.

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Inwiefern hat sich die Wissensvermittlung im MOSAIK im Laufe der Zeit verändert? An erster Stelle ist da unser redaktioneller Teil im Heft zu nennen. Den gab es zu DDR-Zeiten noch nicht. Hier können wir Themen, die im Comic anklingen, noch einmal vertiefen. Zum Beispiel werden auf diesen 16 Seiten historische Zusammenhänge erklärt oder einzelne kulturgeschichtliche Aspekte näher beleuchtet. Während man im Comic zwar sieht und vielleicht nur unbewusst mitliest, wie die Leute sich kleiden, was sie essen und wie sie leben, nehmen wir uns im redaktionellen Teil noch einmal ganz explizit diese Aspekte vor – mit Texten und Bildern. Daneben gibt es seit März 2015 eine technische Innovation, die der Generation, die mit neuen Medien aufwächst, gerecht werden soll: Wir geben dem Papierheft mit einer sogenannten Augmented Reality-App eine weitere Dimension. Es gibt nun an verschiedenen Stellen im Heft ein magisches Auge, hinter dem sich interessante Einblicke in die Arbeitsweise des Verlags verbergen. Man kann da beispielsweise den Zeichnern bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen oder Hintergründe und Wissenswertes über die Geschichte erfahren. Die Seiten mit dem magischen Auge werden einfach mit der MOSAIK Magic App gescannt und dann passieren interessante Dinge auf dem Handy oder Tablet. Aber damit schaffen wir das Heft nicht ab, denn die App funktioniert nicht ohne das gedruckte Heft. Wenn man das Heft unter dem Scanbereich wegzieht, hört der Film sofort auf. Wir wollen unser Printprodukt also nicht ersetzbar machen, sondern stärken. Das Ganze war eine Idee unseres Herausgebers Klaus D. Schleiter zum 40-jährigen Jubiläum der Abrafaxe, quasi ein Geschenk an unsere Leser, denn die App und die Zusatzinformationen sind kostenlos. Die wissensvermittelnde Wirkung des MOSAIK ist inzwischen sogar wissenschaftlich untermauert. Meine ehemalige Kollegin Ellen Thießen hat im Rahmen ihrer kommunikationswissenschaftlichen Studien eine Wirkungsanalyse (2012) am Beispiel der Abrafaxe vorgenommen. Mal ganz vereinfacht von mir zusammengefasst: Sie hat verschiedene Versuchsgruppen ein MOSAIK lesen lassen und dann abgefragt, ob etwas und was hängengeblieben ist. Mit dem Resultat, dass Wissensvermittlung stattfindet. Mittlerweile gab und gibt es auch eine Reihe von Kooperationen, die uns die Chance bieten, den wissensvermittelnden Charakter des MOSAIK zu betonen und die recherchierten Sachinformationen abzusichern. So erschien zum Beispiel im Jahr 2011 ein Sonderheft zum Völkerschlachtdenkmal in Leipzig. Herr Poser, der Leiter des Museums, fragte uns, ob wir nicht eine Idee hätten, wie man den unzähligen Schulklassen, die oft ratlos vor dem grauen Klotz stünden, das Thema Völkerschlacht verständlich machen könnte. Da sind wir ziemlich

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schnell drauf angesprungen, denn es ist wirklich ein hochinteressantes Thema, was aber auch voller Herausforderungen für uns steckte: Das Thema Krieg kindgerecht zu erzählen zum Beispiel und warum man dafür so ein mächtiges Monument in die Landschaft stellt, das aber erst hundert Jahre später. Da gerate ich gleich wieder in Begeisterung – und so muss man auch für ein Thema brennen, wenn man andere dafür interessieren will. Mit Herrn Poser hatten wir einen unglaublich profunden Experten an der Hand, der hätte mir wahrscheinlich sogar die Farbe von Napoleons Taschentuch am Tag seiner Niederlage nennen können. Das gibt die nötige Gelassenheit und historische Absicherung beim Erzählen. Jetzt bekommen am Denkmal die Schulklassen und Kinder das Geschichtswissen über die MOSAIK-Figuren vermittelt – zum einen über die Völkerschlacht und zum anderen über das Denkmal. Auch hier gibt es wieder einen redaktionellen Teil im Heft mit Fragen wie: Wozu braucht man überhaupt so ein Denkmal? Und warum wurde es erst hundert Jahre später gebaut? Als die Abrafaxe mit Gottfried Wilhelm Leibniz unterwegs waren, kamen Mitarbeiter der Leibniz-Gemeinschaft auf uns zu und auch hier kam es zu einer Kooperation. Die Leibniz-Leute haben uns spannende Hintergrundinfos geliefert und die einzelnen Institute konnten sich im Heft vorstellen. Es gibt zudem eine Zusammenarbeit mit der Stiftung Lesen, die das MOSAIK empfiehlt und wir wirken mit bei Aktionen wie Zeitschriften in die Schulen. Auch in die Thüringer Lehrerfortbildung hält das MOSAIK schon Einzug. Da werden die Wissensseiten des Hefts den Lehrkräften online zur Verfügung gestellt. Das Thema Wissensvermittlung ist beim Marketing aber immer ein zweischneidiges Schwert. Auf Kinder kann es durchaus abschreckend wirken, wenn man sagt: »Lies mal das, da lernst du was!« Mit diesem Argument erreicht man eher die Eltern. Wie entstehen Unterhaltung und Humor im MOSAIK? Wer hat da die guten Einfälle? Wissensvermittlung und Unterhaltung gehen im MOSAIK ja Hand in Hand. Dazu suchen wir uns spannende Themen, bei deren Umsetzung gleichzeitig Wissen vermittelt wird. Es muss, wie gesagt, ein Thema sein, das uns auch brennend interessiert. Man darf da nicht einfach den Trends hinterherlaufen. Lustig ist es im MOSAIK ja oft auf zwei Ebenen: der bildlichen und der textlichen. Also haben unser Autor und die Zeichner den gleichen Anteil daran. Dabei kommen Wortspielereien durchaus auch mal von den Zeichnern oder Vorschläge für lustige Posen vom Autor. Außerdem hat bei uns jeder im Verlag, durch dessen Hände das Heft geht, die Möglichkeit Vorschläge miteinzubringen, was tatsächlich immer mal wieder vorkommt. Da macht dann die Online-Re-

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dakteurin einen Titelvorschlag oder mein Kollege für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit denkt sich einen lustigen Figurennamen aus. Unser Hintergrundzeichner stellt auch oft Witziges an, indem er irgendwelchen Requisiten, oft aus dem Hier und Heute, im Hintergrund platziert. Das ist dann nicht unbedingt historisch richtig, sorgt aber damit für einen komischen Moment. Und unser Abrafaxe-Zeichner Thomas Schiewer versteckt als kleine Liebeserklärung an seine Frau immer einen Marienkäfer im Heft – unsere Fans brennen darauf, das Käferchen zu finden. Unterhaltung und Wissensvermittlung laufen auch über die Zeichnungen der Figuren: Es ist wichtig, neben den historischen Gestalten, die oft möglichst nah am Original sein sollen, Figuren zu kreieren, die lustig sind und einfach unterhalten. In unserer Reformationsserie gibt es beispielsweise zwei Lehrlinge bei Lucas Cranach, die als langer Dünner und kleiner Dicker agieren und allein durch ihr Äußeres sehr witzig sind. Auch andere Nebenfiguren, die mit besonderer Mimik und Gestik agieren, sind oft lustig. Manchmal stehen sie im Kontrast zur eigentlichen Geschichte. Das weckt natürlich die Aufmerksamkeit. Die Geschichten und Zeichnungen sollen auf gar keinen Fall nur erklärend sein, die Wissensvermittlung läuft eher nebenbei.

Teil 4: Verlagsgeschichte Was können Sie uns über die Anfänge und Geschichte des MOSAIK erzählen? Der Gründungsmythos des MOSAIK ist mittlerweile ein fester Bestandteil des bunten Geschichtenkosmos rund um die Bildererzählungen. Eines schönen Frühlingstages im Jahr 1955 spazierte ein Grafiker namens Johannes Hegenbarth mit einer Mappe voller Zeichnungen unter dem Arm in den Verlag Neues Leben und schlug vor, eine Bildergeschichte für Kinder und Jugendliche zu entwickeln. Dort hatte der Verlagsdirektor Bruno Peterson wohl auch schon mit dem Gedanken gespielt, eine derartige Zeitschrift zu begründen. Johannes Hegenbarth, der sich den Künstlernamen Hannes Hegen zulegte, war anscheinend zur rechten Zeit am rechten Ort gewesen: Man wurde sich schnell einig und schloss Ende April einen Vertrag über die Produktion einer Bildererzählung. Unter Hegens Leitung entstanden über 200 MOSAIK-Hefte mit den Digedags. Nach einer überaus erfolgreichen Zeit kündigte Hegen zum 1. Juli 1975 »wegen nicht mehr zu überbrückenden Schwierigkeiten« seinen Verlagsvertrag. In Die drei Leben des Zeichners Johannes Hegenbarth nannte Johannes Hegenbarth persönliche Gründe, insbesondere den permanenten Schaffensdruck, für den Rückzug aus dem Verlag. Die ausführlichen Hintergründe sind durch Archivmaterialien belegt und hervorragend von Mark Lehmstedt (2010) dokumentiert

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worden. Das finden wir ganz großartig, wenn jemand wie Herr Lehmstedt das MOSAIK mal intensiv aus einer ganz anderen Perspektive betrachtet. Solche Publikationen werden bei uns im Haus immer zur Kenntnis genommen und auch von einem Großteil der Mitarbeiter gelesen.

Abb. 8 Abrax, Califax und Brabax

Nur noch einmal zur Klarstellung, weil so viele Gerüchte zu dem Thema kursieren: Nicht politische Querelen führten 1976 zur Ablösung der Digedags durch die Abrafaxe, sondern eine Kündigung des Verlagsvertrags durch Hegenbarth. Die Zusammenarbeit zwischen Hegen und dem Verlag war sicherlich nicht immer konfliktfrei zu DDR-Zeiten, aber das war nicht der entscheidende Grund für Hegens Rückzug. Im Zuge seiner Kündigung hatte er nämlich vorgeschlagen, das MOSAIK nur noch alle zwei Monate erscheinen zu lassen, was für ihn weniger Arbeit und mehr Freiraum für andere Dinge bedeutet hätte. Das war für den Verlag ein schwerer Schlag, denn das MOSAIKwar eine tragende Säule in der wirtschaftlichen Struktur des Verlags, und man versuchte auf vielfältige Art und Weise, das Ganze rückgängig zu machen und eine Lösung zu finden. Das Team der Zeichner hatte im Gegensatz zu Hegen kein Interesse daran, nur halb so viel zu arbeiten und deshalb nur halb so viel zu verdienen. Die Einkommensunterschiede klafften ja auch in für DDR-Verhältnisse unvorstellbaren Dimensionen auseinander : Während Hegen 10.000 Mark der DDR pro Heft bekam, wurde an die Zeichner quasi der DDR-Durchschnittslohn von ca. 500 Mark der DDR ge-

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zahlt. Da sich Hegenbarth das Urheberrecht für die Digedag-Figuren gesichert hatte, wurden für das MOSAIK neue Figuren geschaffen: die Abrafaxe. Der Verlag wollte und musste – allein schon aus ökonomischen Gründen – das Fortbestehen des MOSAIK sichern, ob mit oder ohne Hannes Hegen. Das ging vor allem auch deshalb, weil MOSAIK nie das Werk eines Einzelnen war, sondern in verschiedenen Arbeitsgängen von einem Team produziert wurde. Wie geht der Verlag mit seiner Geschichte und dem historischen Erbe um? Die Auseinandersetzungen mit Hannes Hegen sind lange her. Das MOSAIKTeam hätte schon gern viel früher seinen Frieden mit dem großartigen Erfinder des MOSAIK gemacht. Aber durch zwei Klagen, die er gegen das MOSAIK mit den Abrafaxen anstrengte, war das nicht eben einfach. Wir gehen da mittlerweile eher zukunftsorientiert heran: Was hat das MOSAIK früher ausgemacht, was wir auch heute noch unbedingt bewahren müssen? Unsere Zeichner verehren die MOSAIK-Hefte, die unter Hegens Ägide entstanden sind. Manchmal lassen sie sich auch zu kleinen Hommagen hinreißen und verschaffen den Digedags einen Kurzauftritt bei den Abrafaxen. Zu ehemaligen Verlagsmitarbeitern gab und gibt es natürlich auch Kontakt. Zum Tag der offenen Tür werden immer alle eingeladen. Und zwei, drei Mal haben wir zusammen mit einem Bus Ausflüge gemacht. Sie freuen sich immer sehr, wenn es ein Wiedersehen gibt. Es sind aber leider auch schon sehr viele von ihnen gestorben… Ansonsten war der Verlag schon immer so bunt, wie er heute ist: Die unterschiedlichsten Leute, die auf den unterschiedlichsten Wegen in den Verlag gekommen sind, haben da gearbeitet. Unser Zeichner Andreas Pasda hat damals durch persönliche Fürsprache des Chefredakteurs Wolfgang Altenburger seinen Job bei MOSAIK bekommen. Herr Altenburger fand seine Zeichnungen sehr gut und so ist Andreas auf Umwegen über den Pförtnerdienst beim MOSAIK gelandet. Auch Johannes Hegenbarth hat sich die Leute persönlich ausgesucht. Da wurden Gespräche geführt und Mappen mit den künstlerischen Arbeiten begutachtet. Zu DDR-Zeiten ging es wie heute um die künstlerische Qualität und nicht darum, ob jemand der richtigen Partei angehörte. In die DDR würden wir unsere Abrafaxe allerdings nicht schicken. Reisen in die jüngste Vergangenheit, die gerade erst aufgearbeitet und eingeordnet wird, übersteigen die Zeitreisefähigkeiten der Abrafaxe. Eine Ausbildung zum Comic-Zeichner gab es damals nicht und gibt es auch heute nicht. Viele unserer Zeichner kommen aus dem Bereich Medien und Grafik. Wichtig ist vor allem die Begeisterung für’s Zeichnen – meist schon von Kindheit an.

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Warum kann das MOSAIK auch heute noch bestehen – was macht den Verlag und das Heft besonders? Nach der Wende öffnete sich der Markt und plötzlich gab es eine Flut von ComicHeften und Kinderzeitschriften. Das war natürlich eine ungewohnte Konkurrenzsituation für das MOSAIK, aber es wäre für uns keine Lösung gewesen, sich anzupassen oder zu versuchen, den anderen Heften so ähnlich wie möglich zu werden. So hätten wir uns nur selbst ausgelöscht. Gimmicks zum Beispiel kamen für uns nie in Frage, das hätte das Konzept des Hefts verwässert. Denn dann wird das Heft nicht mehr nach seinem Inhalt beurteilt, sondern nach dem Extra, was außen draufklebt. Uns geht es aber um die Geschichte, die wir zu erzählen haben. Die Art und Weise der Zeichnungen ist sehr klassisch und das ist wohl ein weiterer Pluspunkt. Viele Leser haben ein großes Bedürfnis nach einer Konstanten, deshalb achtet unser künstlerischer Leiter darauf besonders. Es gab selbstverständlich immer einmal wieder Experimente von Zeichnern, wenn da Junge Wilde am Ruder sind, aber das kommt meist nicht so gut an bei den Fans, denn die wollen eher das klassische MOSAIK. Natürlich haben wir über die Jahre hinweg auch immer neue Projekte angestoßen: Albenveröffentlichungen, einen Film, verschiedene Merchandise-Produkte. Doch das monatliche Heft, von Hand gezeichnet und mit unterhaltsamer Wissensvermittlung, ist und bleibt der Fokus unserer Arbeit. Wir sind in der glücklichen Situation, dass das MOSAIK anscheinend, so wie es immer war, gefällt und wir einfach die lange Geschichte des MOSAIK fortschreiben können und nicht irgendwelchen Trends hinterherjagen müssen. Spannend, unterhaltsam und dabei trotzdem wissensvermittelnd Geschichten zu erzählen, ist die große Stärke des MOSAIK. Die historischen Hintergründe, die Lebensumstände der Menschen in den jeweiligen Epochen werden für jede Serie recherchiert und so gut wie möglich in die Hefte eingebracht, und das in einem Zeichenstil, der sich über Jahrzehnte nur wenig verändert hat. Dass die Abenteuer der Abrafaxe schon über 40 Jahre erscheinen, hat uns irgendwann mal den Titel als längster Fortsetzungscomic der Welt im Guinness-Buch der Rekorde eingebracht. Schön am MOSAIK ist aber, dass man auch jedes Heft für sich lesen und immer wieder in eine Serie einsteigen kann. In jeder Ausgabe wird eine kleine Geschichte erzählt, die zwar in einem Gesamtkontext steht, aber in sich abgeschlossen ist. So fällt es auch jüngeren Lesern leichter am Ball zu bleiben, gerade weil das MOSAIK nur einmal im Monat erscheint.

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Teil 5: Leser und Fankultur Sie machen regelmäßig Umfragen unter Ihren Lesern. Wer liest denn vor allem das MOSAIK? Das MOSAIK hat sich mittlerweile zu einem richtigen Familienmagazin entwickelt. Bei unseren Leserumfragen konnten wir feststellen, dass die Kinder, die das Heft lesen, oftmals erwachsene Mitlesende haben. So beschäftigen sich manchmal bis zu drei Generationen mit einem MOSAIK. Oft sind es wohl Eltern oder Großeltern, die das Heft noch von früher kennen, es deshalb kaufen und dann mit Kindern und Enkeln lesen. Es gibt sehr viele Leser, die das MOSAIK schon über Jahrzehnte hinweg abonniert haben. Da ist das Heft so etwas wie eine Familientradition, aber unsere Hauptzielgruppe sind natürlich Kinder. Heute erscheint das MOSAIK in einer Auflage von 100.000 Exemplaren, etwa 40.000 Leser beziehen das Heft im Abonnement. Da ein einzelnes MOSAIK von mehreren Leuten gelesen wird, hat sich in der Leserumfrage eine Zahl von ca. 300.000 Lesern pro Ausgabe ergeben. Zu DDR-Zeiten, insbesondere in den siebziger und achtziger Jahren, sind die Hefte stellenweise in einer Auflagenhöhe von bis zu einer Million Exemplaren erschienen. Das MOSAIKwar zu der Zeit so beliebt, dass, wann immer freie Papierkontingente zur Verfügung standen, diese für MOSAIK genutzt wurden. Das Heft hat im Gegensatz zu anderen Printerzeugnissen immer schwarze Zahlen geschrieben und war wirklich eine tragende Säule im Verlagsgeschäft. So konnten viele andere Zeitschriften durch das MOSAIK subventioniert werden. Wäre es eine falsche Unterstellung, dass das MOSAIK vor allem im Osten Deutschlands gelesen wird? Wenn wir heute auf Messen, Ausstellungen oder anderen Veranstaltungen unterwegs sind, kommen natürlich immer wieder Menschen mittleren Alters freudig überrascht an unseren Stand: »Oh, MOSAIK! Das gibt’s noch? Da habe ich viel gelernt draus damals – anders als bei diesen ganzen Comicheften heute!« Das ist schön, aber wir wollen natürlich mit unseren Geschichten und Zeichnungen vor allem auch die Kinder von heute ansprechen und nicht nostalgisch agieren und DDR-Erinnerungen wecken. Es ist uns manchmal auch zu viel, wenn das MOSAIK als Heft aus den guten alten Zeiten in den Himmel gelobt wird. Bei den verschiedensten Ostalgie-Wellen, die immer mal wieder über das Land schwappten und schwappen, halten wir uns bewusst zurück. Das reicht uns einfach nicht, ein gutes altes Ostprodukt zu sein. Im Osten fällt der Verkauf natürlich leichter, weil in der DDR so gut wie jeder MOSAIK kannte, auch wenn es nicht unbedingt alle gelesen haben. Ganz genau

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nach Zahlen aufschlüsseln können wir das allerdings nicht, da es bei Leserumfragen nicht thematisiert wird. Man muss auch im Auge behalten, dass Comics generell ein Nischenprodukt sind. Comic-Leser gibt es ja auch im Westen nicht gerade viele. Doch MOSAIK ist eben mehr als nur ein Comic und wenn WestLeser auf das MOSAIK stoßen, sind sie begeistert. Auf Messen und Ausstellungen machen wir immer wieder diese Erfahrung. Da versuchen wir natürlich weiterhin Arbeit zu investieren und MOSAIK überall in Deutschland bekannter zu machen. Das MOSAIK ist eines der auflagenstärksten Comic-Hefte Deutschlands und es gibt mittlerweile eine richtige Fankultur. Welche Erfahrungen machen Sie mit den Lesern? Der rege Austausch zwischen langjährigen Lesern und Fans mit dem Verlag kam so richtig erst nach der Wende zustande. Ab diesem Zeitpunkt konnten die Fans auch untereinander noch stärker Kontakte knüpfen. Es gab nun einfach eine ganz neue Öffentlichkeitskultur. Da konnten sich Fanclubs gründen, die sogar eigene Fanzines veröffentlichen. Im Verlagsarchiv gibt es zwei große Kisten voller Hefte, die Fans mit viel Liebe und Herzblut veröffentlicht haben. Darunter zum Beispiel Hefte, die sich auf Spurensuche zu unserem frühen Helden Hans Wurst begeben. Die unglaubliche Arbeit und die Liebe zum Detail sind auf den ersten Blick ersichtlich. Außerdem betreiben unsere Fans die MosaPedia, eine eigene Wiki zum MOSAIK mit vielen Infos rund um den Verlag, die Digedags und die Abrafaxe. Im Verlag kommen oft Briefe oder E-Mails mit Fotos an, auf denen die Leser auf den Spuren der Abrafaxe unterwegs sind und historische Stätten besuchen. Außerdem gibt es immer wieder Zuschriften, in denen Leser erzählen, dass durch das MOSAIK ihre Leidenschaft für Geschichte geweckt wurde und sie Geschichtslehrer oder Historiker geworden sind. Unser Zeichner Jens Fischer war zum Beispiel auch ein riesiger Fan. Als Kind hat er stets sehnsüchtig auf das nächste MOSAIK gewartet. Zu DDR-Zeiten hat man ähnlich wie heute im besten Fall eine persönliche Antwort auf eine Zuschrift bekommen. Allerdings gab es da keine konkreten Adressdaten auf den Heften, nur das Impressum. Heute wird der Austausch ja von beiden Seiten eingefordert. Unsere Leserpost wird natürlich beantwortet und teilweise veröffentlicht, damit die Fans sich wiederum untereinander austauschen können. In der Post an den Verlag wird auch mal Kritik ganz konkret formuliert: Es gab zum Beispiel einmal Ärger, als wir den redaktionellen Teil des MOSAIK ans Ende des Heftes verlagert haben, damit man die Comic-Geschichte in einem Stück lesen kann. Da kam dann Protest, dass der redaktionelle Teil sich nun nicht

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mehr heraustrennen lasse. Das tun nämlich einige Sammler, um sich die ComicGeschichte anschließend als Buch binden zu lassen. Das haben wir dann wieder rückgängig gemacht. Wir würden das Heft auch zu gerne im A4-Format erscheinen lassen, weil die wunderbaren Zeichnungen, die ja sogar auf A3-Format entstehen, es einfach hergeben würden. Der Verkauf wäre natürlich auch leichter am Zeitungskiosk, wo das kleine MOSAIK leicht mal übersehen werden kann. Aber das wird für immer ein Wunschtraum bleiben, weil alle Sammler auf die Barrikaden gehen würden. Sie schwärmen richtig vom MOSAIK. Welches Heft haben Sie als Kind selbst am liebsten gelesen? Als Kind habe ich die Geschichten um Knödel-Fanny geliebt, besonders das Heft 3/80 Der Knödelwettbewerb. Erdbeer-Quark-Sahne-Knödel waren ihre Spezialität – klingt das nicht himmlisch? Im Verlag haben wir die später übrigens mal tatsächlich gemacht, als wir an Califax’ Kochbuch gearbeitet haben – da musste das Rezept dafür natürlich unbedingt rein. Was soll ich sagen – sie haben sehr gut geschmeckt, aber nicht so gut wie mein Kindheitstraum davon. Das Heft 240 zum 40-jährigen Jubiläum des MOSAIK ist auch so ein Heft, das mir sehr gefällt. Hier wurde eine besondere Prägung beim Cover verwendet. Ein Exemplar davon habe ich kurz vor Weihnachten so schön glitzernd am Zeitungskiosk entdeckt und meinem damaligen Freund zu Weihnachten geschenkt. Gleichzeitig habe ich MOSAIK damit für mich wiederentdeckt und die Idee für eine Praktikumsbewerbung gehabt. Ansonsten gibt es aus jeder Serie Lieblingshefte, oft sind es die Starthefte. Und gerade möchte ich allen Leuten die Ausgabe 489 »Luther macht Druck« unter die Nase halten. Da geht es um die wahre Geschichte von Luthers Thesenanschlag. Es waren übrigens ursprünglich 478 Thesen, wussten Sie das?

Sekundärliteratur Kramer, Thomas: Kinder- und Jugendzeitschriften. In: Steinlein, Rüdiger/Heidi Strobel/ Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR von 1945–1990. Stuttgart [u. a.] 2006, 936–970 Lehmstedt, Mark: Die geheime Geschichte der Digedags. Die Publikations- und Zensurgeschichte des »Mosaik« von Hannes Hegen 1955–1975. Leipzig 2010 Thiessen, Ellen: Comicrezeption und die kognitive Verarbeitung bei Kindern. Eine Wirkungsanalyse am Beispiel der Abrafaxe. München 2012

III. Formen

Wiebke Helm (Leipzig)

Experimentierfeld Sachbuch. Heterogenes Erzählen und Darstellen in der enzyklopädischen Serie Mein kleines Lexikon

Die Etablierung enzyklopädischer Wissensspeicher auf dem Kinderbuchmarkt der DDR Mit Gründung der DDR im Oktober 1949 kam die Forderung nach einer sozialistischen Kinder- und Jugendliteratur auf, denn Titel bürgerlichen Ursprungs sollten aus ideologischen Gründen nicht übernommen und weiterverlegt werden. Für die Wissen vermittelnde Kinderliteratur bedeutete das, »ein Vakuum auszufüllen« (Meyer 1971, 28). Die Vorgabe stellte die Verlage jedoch vor ein Problem, denn an erfahrenen Sachbuchautoren mangelte es vorerst ebenso wie an klaren Richtlinien zur Gestaltung von Sachbüchern. In dieser Situation beschränkte man sich deshalb von verlegerischer Seite vor allem auf Übersetzungen, insbesondere aus der Sowjetunion. Ab Mitte der sechziger Jahre stieg die Sachbuchproduktion, die in »enger Koordination« (Meyer 1978, 27) mit dem schulischen Lehrplan erfolgte, an, sogar von einer Verdopplung der bisherigen Titelproduktion ist die Rede (Wetzstein 1978, 43).1 Es entstanden u. a. populärwissenschaftliche Editionsreihen wie die Reihe Rund um … oder Wissensspeicher. Diesen folgten am Ende des Jahrzehnts fast zeitgleich zwei überaus erfolgreiche Enzyklopädien, die sich an unterschiedliche Altersgruppen wendeten. Während der Kinderbuchverlag mit Von Anton bis Zylinder 1967 nicht nur das »Schönste Buch der DDR« und zugleich einen Bestseller mit Modellcharakter vorlegte, der mit zahlreichen Literaturhinweisen2 zur weiterführenden Lektüre einlud, nahm der auf Fachlexika und Wörterbücher spezialisierte VEB Bibliographisches Institut Leipzig mit Meyers Jugendlexikon3 Schüler und Ju1 Anders schätzt Dieter Herrmann die Entwicklung ein, der eine Konjunktur der Gattung für diesen Zeitraum nicht erkennen kann. Er nennt das Sachbuch »eine Rarität« im Experimentierstadium, da Richtlinien für deren Gestaltung nicht vorhanden gewesen seien (Herrmann 1982, 71). 2 Die letzte DDR-Auflage verweist auf 218 themenspezifische Buchtitel, davon gehören 37 zur Reihe Mein kleines Lexikon. 3 Bis 1981 erschien dieses Werk in mehrfacher Neubearbeitung in zehn Auflagen, zum Schluss

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gendliche bis 25 Jahre in den Blick. In den Folgejahren erschienen darüber hinaus weitere Wörterbücher und Nachschlagewerke. Ab 1971 übernahm die Sachbuchreihe Mein kleines Lexikon in diesem Kontext eine Sonderstellung, da sie rasch zum »unverzichtbaren Grundbestand der Sachliteratur für Kinder« gehörte und im Hinblick auf Themenwahl und Gestaltung »wesentliche Impulse« setzte (Günther 1988, 113). Bevor diese vor dem Hintergrund ideologischer Inanspruchnahme näher zu beleuchten ist, wird im Folgenden zusammenfassend die Rezeptionsgeschichte der insgesamt sehr facettenreichen Reihe vorgestellt, anschließend ihr Erscheinungsbild konkretisiert und Besonderheiten in der Darstellungsweise benannt. Auf diese Weise soll die Bedeutung und herausragende Rolle von Mein kleines Lexikon innerhalb der Sachbuchlandschaft der Kinderliteratur der DDR unterstrichen werden. Zu Beginn der Vorstellung und Werkanalyse von Mein kleines Lexikon sind jedoch noch zwei grundlegende Fragen zu erörtern. Erstens: Gehört ein Lexikon überhaupt in die Kategorie Sachbuch? Und zweitens: Was kennzeichnet ein Lexikon?

Das Lexikon für Kinder in der Gattungsdiskussion und seine Merkmale Die Frage nach der Zugehörigkeit des Lexikons zur Gattung Sachbuch ist so einfach nicht geklärt und wurde bzw. wird innerhalb der Forschung zum Sachbuch kontrovers diskutiert. Gegenüber den zahlreichen Befürwortern dieser These (u. a. Hussong 1984, 66) stehen deren Antagonisten (u. a. Auböck 1966, 30) und diejenigen, die das Lexikon zum »Sonderfall des Sachbuches« (Kirchner 1999, 187) deklarieren. Universal- und Themenlexika sind jedoch für Heinz Steuer ganz klar »Sachbücher sui generis« (Steuer 1983, 44) und auch die jüngste Untersuchung hierzu führt Nachschlagewerke für Kinder als Textsorten einer Textsortenklasse Sachbuch an (Gruben 2006, 114). Damit ist die erste Grundsatzfrage positiv beantwortet. Hinsichtlich der zweiten Frage ist zusammenfassend festzuhalten: Kinderlexika sind Nachschlagewerke, die Lesern des Vorschul- und Grundschulalters in kürzeren Artikeln erste Informationen zu verschiedenen Begriffen liefern, die unter dem abgewandelten Titel Jugendlexikon a–z, da sich der DDR-Verlag gegenüber seinem westdeutschen Pendant 1980 geeinigt hatte, in Leipzig keine Bücher mehr mit der Bezeichnung »Meyer« auszuliefern. In der Bundesrepublik gibt der Meyer Lexikonverlag, ein Firmenteil der ab 1953 von den Mehrheitseigentümern in Mannheim fortgeführten Bibliographisches Institut AG, seit 1989 einen fast namensgleichen Titel heraus; seit 1960 wurde hier bereits Meyers Kinderlexikon (seit 1981 außerdem Meyers großes Kinderlexikon) verlegt. Zur geteilten Verlagsgeschichte des Bibliographischen Instituts nach 1946 kurz Links 2009, 106ff.; ausführlicher vor allem zur westdeutschen Entwicklung Sarkowski 1976.

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häufig Bezüge zur kindlichen Lebenswelt aufweisen und verschiedene Themenfelder berühren können. Sie geben Orientierung und die Möglichkeit zur gezielten kursorischen wie auch zur freien, punktuellen Lektüre. Von umfassenden Darstellungen sind themenspezifische Lexika, beispielsweise zur Technik, zu unterscheiden. Beide Typen präsentieren Sacherklärungen im Text- und/ oder Bildformat. Im Gegensatz zu Lexika für Jugendliche und Erwachsene ist der Illustrationsanteil im Kinderlexikon recht hoch. Die verwendeten Illustrationstechniken richten sich vor allem nach dem Gegenstand der Erklärung, dabei überwiegen Fotografien, Grafiken, Diagramme, Karten und Zeichnungen. Diese können dem eigentlichen Lexikontext, der eine autonome Texteinheit im Textverbund Lexikon darstellt, voranstehen, ihn begleiten oder umrahmen. Steht die Illustration nicht in unmittelbarer Nähe zum betreffenden Stichwort, erleichtert meist ein Verweissystem oder eine Bildunterschrift die Zuordnung. Der Lexikontext selbst besteht aus zwei Teilen, einem Stichwort und dessen Erklärung. Das in alphabetischer Folge auftretende Stichwort ist typografisch hervorgehoben und der Erklärung vorangestellt. Die Erklärung, welche die wichtigsten Informationen zum Lemma enthält, kennzeichnen einfache Sätze, Verbal- statt Nominalstil und eine zurückhaltende Verwendung von Fremd- und Fachwörtern. Das Suchwort selbst wird in der Erklärung wiederholt aufgegriffen oder durch ein Synonym ersetzt. Typisch ist auch die Verwendung stilistischer Mittel zur Veranschaulichung der Ausführungen wie Appositionen, Parenthesen, Enumerationen oder Vergleiche. Um den kindlichen Leser neugierig zu machen und Erwartungen bei ihm zu wecken, ist der Texteinstieg meist nicht als Definition konzipiert, sondern lebendig als Problemaufriss oder erlebnishafte Erzählung gestaltet, danach kann die weitere Begriffsklärung im appellierenden, beschreibenden, belehrenden, informierenden oder schildernden Modus erfolgen.4 Die Darstellungsformen können sowohl innerhalb einer Texteinheit als auch des Textverbundes mehrfach wechseln. Aufforderungs- und Vergewisserungsfragen sowie der Gebrauch der Pronomen du und wir binden die Aufmerksamkeit des Lesers und bieten die Möglichkeit zur aktiven Rezeption. In diesem Zusammenhang und mit Blick auf enthaltene interaktive Momente kann das Kinderlexikon auch als »Informationssystem mit Animationscharakter« (Gärtner 1993, 158) bezeichnet werden. Die alphabetische Anordnung der Stichworte und ein Verweissystem aus ikonografischen Sonderzeichen sollen eine selbstständige Nutzung des Lexikons erleichtern. Zusätzliche Hilfestellung können dem kindlichen Rezipienten außerdem ein Inhaltsverzeichnis, Benutzungshinweise, ein Abkürzungsverzeichnis sowie ein Register bieten. Inwieweit 4 Vgl. die für Kinderlexika ebenfalls zutreffenden, jedoch originär für das Kindersachbuch erfassten Darstellungsverfahren bei Fiebig (Fiebig 1986, 84–87) und Gruben (Gruben 2006, 134–149).

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diese Merkmale auch auf die Reihe Mein kleines Lexikon zutreffen bzw. welche Modifikationen und Besonderheiten hier auftreten, wird die anschließende Analyse zeigen.

Zahlen, Titel, Namen – Die Sachbuchreihe Mein kleines Lexikon Von 1971 – und nicht wie häufig angegeben 1973 – bis zur Deutschen Einheit im Oktober 1990 erschien im Kinderbuchverlag Berlin die Editionsreihe Mein kleines Lexikon, die jährlich um ein bis fünf Titel erweitert wurde.5 Die Einzeltitel entstanden als Auftragsarbeiten, bei denen der Verlag besonderen Wert auf Autorenexpertise legte. Außer Biologen, Astronomie-, Biologie-, Geographie-, Mathematik- und Physiklehrern weisen die Autorenbiographien auch einen Kunsthistoriker sowie Wissenschafts- und Sportjournalisten aus. Zudem konnte mit Hansgeorg Meyer ein Schriftsteller gewonnen werden, der in Bezug auf die Kinderliteratur im Allgemeinen und das Kindersachbuch im Besonderen Theoretiker und Praktiker zugleich war.6 Gemäß der Lexikon-Definition Hans-Albrecht Kochs (Koch 2000, 413) handelt es sich bei der Reihe um Speziallexika mit einem engen beziehungsweise weiten Stichwort-Gebrauch, deren thematische Schwerpunkte auf Natur, Technik und Gesellschaft lagen.7 Das empfohlene Lesealter für die Bände wechselte je nach behandeltem Thema zwischen acht und zehn Jahren. Gerade diese Einstufung bot aber des Öfteren Anlass zur Kritik, da Inhalt und Darstellung häufig als nicht altersgerecht angesehen wurden. Zwei Gegenpole lassen sich hierfür ausmachen: Entweder waren den Rezensenten die Erklärungen zu den Schlag5 U. a. datiert Wilfried Bütow (Bütow 1976, 86) den Beginn der Reihe auf das Jahr 1973, zählt aber zugleich die beiden im Folgenden genannten Übersetzungen aus dem Russischen von Ellen Stephan, die bereits 1971 erschienen, hinzu. Auch Günther (Günther 1988, 112) setzt den Reihenstart auf 1973 fest und spricht von vier Übersetzungen, ohne diese jedoch näher zu benennen. Ohne Reihenneuzugang blieben nur die Jahrgänge 1972, 1980 und 1989. 6 Hansgeorg Meyer (1930–1991) studierte erst Pädagogik in West-Berlin, anschließend Journalistik am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig und war seit 1960 freischaffend tätig. Neben zahlreichen Publikationen für Kinder – viele entstanden in Zusammenarbeit mit seiner Frau Helga Meyer – veröffentlichte er mehrere theoretische Arbeiten zur Kinderliteratur, u. a. auch zur Sachliteratur (Meyer 1971, Meyer 1978 und Meyer 1986). ˇ erny´ bezeichnet diese Textsorte hingegen als 7 Der tschechische Literaturkritiker Eugen C monothematische Teilenzyklopädien, die den kindlichen Lesern »vor allem grundlegende, aber bereits gründlicher durchgearbeitete Informationen aus den verschiedenen Wissensgebieten, aus Industrie und Wirtschaft, über die gesellschaftliche Problematik und über gesellschaftliche Beziehungen vermitteln, d. h. sie sollen ihnen einen möglichst großen Raum für eine umfassende Gesamtorientierung und die Möglichkeit bieten, bereits in diesem frühen ˇ erny´ 1976, 59f. Für Günther Alter selbständig eine Wahl zu treffen und zu erwägen«. C (Günther 1988, 112) handelt es sich bei der Reihe Mein kleines Lexikon um eine Serie, die Merkmale von Fachlexika trägt.

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wörtern zu simplifizierend oder aber zu voraussetzungsreich verfasst. Gerechtfertigt wurde der relativ hohe Anspruch mancher Bände aber auch damit, dass »ein gewisser Grad an Kompliziertheit sich durchaus förderlich auf die Entwicklung der Lesefähigkeit auswirken« könne und darüber hinaus »der Gebrauch von Lexika für längere Zeiträume bestimmt« sei (Siebert 1984, 68). Den Auftakt der Serie markierten drei Übersetzungen aus dem Russischen. Es handelte sich dabei um die beiden Naturlexika Biber, Schwan und Wasserfloh und Birke, Reh und Schwalbenschwanz in der Übersetzung von Ellen und Burkhard Stephan8 und mit naturalistischen Illustrationen von Johannes Breitmeier9 sowie um den Band Globus, Heft und Zirkel, ein Begriffslexikon zum Schulalltag in der deutschen Übersetzung von Ursula Egert. Inwieweit ein weiterer Titel – Silber, Eisen und Uran (ebenfalls aus dem Jahr 1971) – dieser Serie zuzurechnen ist, konnte nicht abschließend ermittelt werden. So lassen zwar der Buchtitel wie auch dessen Gestaltung (Format und Layout) eine Zugehörigkeit vermuten, die fehlende alphabetische Struktur und der Aufbau der Einzelbeiträge mit Zwischenüberschriften in Kapitelform sprechen allerdings dagegen. Ursprünglich muss seitens des Verlages die Absicht bestanden haben, die Übersetzung von Era Correns in die Reihe zu integrieren, denn in der Druckgenehmigungsakte heißt es: Da dieser enzyklopädisch angelegte Titel jedoch in einer Serie – Mein kleines Lexikon – erscheinen soll, die zu allen Bereichen der Natur und Gesellschaftswissenschaften den Lesern entsprechende Begriffe vorstellen soll, mußten wir auch in diesem Fall die von uns gewählte Form einhalten.10

Die einprägsam akkumulierenden Bezeichnungen der Einzeltitel11 sollten das Interesse der Leser auf sich ziehen, erste Kenntnisse in einem Themenbereich vermitteln, als schulbegleitende Lektüre Ergänzungen zum Unterrichtsstoff bereithalten und diesen festigen. Teilweise konnten so bereits Themen ange8 Ellen Stephan arbeitete als Übersetzerin aus dem Russischen und als Autorin. Sie übersetzte in erster Linie naturkundliche Werke. Ihr Mann Burkhard Stephan studierte Biologie, war Mitarbeiter der Ornithologischen Abteilung des Zoologischen Museums Berlin und bekleidete eine Professur an der Humboldt-Universität zu Berlin. 9 Johannes Breitmeier (1913–2002), Tier- und Landschaftsmaler, illustrierte zahlreiche Tierbücher. In Zusammenarbeit mit den Stephans entstanden weitere Buchprojekte zu botanischen und zoologischen Themen für junge Leser, u. a. Wir bestimmen Tiere (1975). 10 BArch DR 1/2263a, Druck-Nr. 270/75/71, Bl. 437 (Streichung im Original). Interessant ist auch, dass das Verlagsprogramm diesen Titel als Band der Reihe Mein kleines Lexikon verzeichnet. Auf den werbenden Ankündigungsseiten einzelner Reihentitel wird er allerdings nicht erwähnt. 11 Mit Ausnahme eines Titels tragen alle Einzelbände der Reihe Mein kleines Lexikon einen dreigliedrigen Buchtitel bestehend aus einer rhythmisierten Aufzählung von drei Substantiven, wobei in einigen Fällen das letzte um eine Attribution ergänzt und von den übrigen durch die Konjunktion »und« abgegrenzt ist.

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sprochen werden, die erst zu einem späteren Zeitpunkt Gegenstand des Schulunterrichts wurden. Damit übernahmen die entsprechenden Bände propädeutische Funktion. Friedrich Kaden12 führt beispielsweise in seinem Buch Weltall, Sterne und Planeten in die Grundlagen der Astronomie ein, die wiederum erst für den Lehrplan der zehnten Klasse vorgesehen war. Titel wie Zahl, Menge, Gleichung und Strecke, Kreis, Zylinder, zwei Überblickswerke zur Mathematik von Manfred Rehm,13 waren ebenfalls für den schulbegleitenden Einsatz vorgesehen. Auf einem hohen Niveau erläutern sie Fachtermini aus den Bereichen der Arithmetik, Algebra, Analysis und Geometrie mit der pädagogischen Intention, »implizit vorhandene Kenntnisse zu erweitern, zu vertiefen, das Wissen auf eine höhere Stufe zu heben und auch das logische Denkvermögen zu entwickeln«.14 Darüber hinaus beinhalten sie zum besseren Verständnis und Memorieren wie auch zur Unterhaltung und Motivation Bastel-, Knobel- und Experimentieraufgaben, die das Erlernte veranschaulichen und sich am Alltag der Leser orientieren. Wurden die ersten Bände noch mit einer recht hohen Startauflagenzahl von jeweils 40.000 Exemplaren in den Handel gebracht, pendelte sich die Auflagenhöhe schnell bei durchschnittlich 30.000 ein. Ab Mitte der achtziger Jahre betrug die Erstauflage der Einzeltitel dann aber nicht mehr als 25.000.15 Ein Großteil der über vierzig Themenbände wurde mehrfach aufgelegt, fünf Auflagen waren dabei keine Seltenheit. Zum Teil wurde bei den Neuauflagen zugleich die Gelegenheit genutzt, Aktualisierungen, Ergänzungen und Überarbeitungen vorzunehmen. Am beliebtesten war Werner Hirtes16 Hammer, Zange, scharfe Zähne, ein Werkzeug-Buch, das in 33 Lemmata sachlich-referierend die gebräuchlichsten technischen Hilfsmittel handwerklicher Berufe erläutert und 12 Friedrich Kaden, Jahrgang 1928, war Neulehrer für Astronomie und Mathematik und Schuldirektor in Großschirma. Als Sachbuchautor verfasste er mehrere Kinder- und Jugendbücher zu seinen Fachgebieten. Für die Reihe Mein kleines Lexikon veröffentlichte er 1982 zusammen mit dem Grafikdesigner Kurt Völtzke (Jg. 1946) auch Bergbau, Erz und Kohle. 13 Manfred Rehm war wissenschaftlicher Mitarbeiter der Sektion Mathematik an der Humboldt-Universität zu Berlin und darüber hinaus Didaktiker für die Primarstufe. Die beiden Bände der Reihe Mein kleines Lexikon wurden zugleich als Band 76 und Band 91 der Mathematischen Schulbücherei geführt; vgl. hierzu den Reihen-Exkurs bei Günther 1988, 85f. 14 BArch DR 1/2270, Druck-Nr. 270/70/73, Bl. 25. 15 Spitzenreiter mit einer Auflagenhöhe von 50.000 Exemplaren ist Mensch, Gesundheit, erste Hilfe, ein Band, der Nachschlagewerk, Aufklärungsbuch und Ratgeber zugleich ist, seit 1975 insgesamt fünfmal aufgelegt wurde und sogar ab 1983 als Übersetzung ins Estnische (Inimene, tervis, esmaabi) vorlag. 16 Der 1928 in Olbersdorf bei Zittau geborene Werner Hirte studierte Germanistik und Pädagogik und war als Lektor und Sachbuchautor tätig. Neben Spiel- und Bastelbüchern publizierte er Reiseliteratur zur Oberlausitz. In Stahl, Beton und bunte Gläser, seinem zweiten Band der Reihe Mein kleines Lexikon, gibt er einen Überblick über verschiedene Werkstoffe, die dem Leser alltäglich begegnen und für die der Autor sensibilisieren möchte.

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dem Leser mit den begleitenden Abbildungen zusätzliche Informationen zur Verfügung stellt. Urheber der bunten Mischung aus einprägsamen Grafiken, technischen Zeichnungen, anleitenden Bildern sowie humorvollen Karikaturen ist der Illustrator Günter Wongel.17 Der genannte Titel erschien zwischen 1973 und 1988 in sieben Auflagen und richtete sich an Kinder ab neun Jahren, die zu diesem Zeitpunkt im polytechnischen Unterricht das Fach Werken besuchten. Das Nachschlagewerk zu exotischen Nutzpflanzen von Annerose und Klaus Klopfer,18 Ingwer, Reis und Mahagoni, markierte 1990 den Abschluss der Reihe Mein kleines Lexikon. Klopfers Band widmet sich in 59 Stichworteinträgen und 12 ganzseitigen Bildtafeln der Vorstellung tropischer und subtropischer Nutzpflanzen, die im Wirtschaftskreislauf der DDR eine mehr oder minder wichtige Rolle spielten. Lesern ab neun Jahren sollte fundiertes Wissen von A wie Ananas bis Z wie Zuckerrohr vermittelt werden. Zugleich sollte Ingwer, Reis und Mahagoni unterstützend bei der Umsetzung der ab 1988 eingeführten neuen Biologie-Lehrpläne wirken.19 Den Band kennzeichnet ein umfangreiches Verweissystem, das hier erstmals in all seiner Ausführlichkeit erprobt wurde. Pfeile auf den inneren Einbandseiten, im Inhaltsverzeichnis, den Bildtafeln und innerhalb der Stichworteinträge unterstreichen den Lexikoncharakter ebenso wie der durchweg sachlich-informative Erzählstil und die alphabetische Anordnung. Zusätzlich zu den Verweispfeilen führen Seitenzahlen zu den entsprechenden Erklärungen. Auch wenn dem DDR-Leser sicherlich viele der vorgestellten exotischen Gewächse unbekannt gewesen sein dürften, bemühten sich die Autoren um die Herstellung von Bezugspunkten. So wird bspw. im Eintrag »Feige« auf Wilhelm Hauffs Geschichte von dem kleinen Muck hingewiesen, die spätestens seit der DEFA-Verfilmung von 1953 einem größeren DDR-Publikum vertraut war. Ein weiterer Band war zwar im Juli 1989 noch genehmigt worden, doch Götter, Engel und Propheten, ein »kleines Kompendium vorrangig für bibelunkundige nichtreligiöse Leser« des Hallenser Religionswissenschaftlers 17 Günter Wongel, Jahrgang 1941, studierte Gebrauchsgrafik an der Kunsthochschule BerlinWeißensee und arbeitete seit den sechziger Jahren als Grafik-Designer und Illustrator. Bekannt wurde er durch die Gestaltung von Filmplakaten und Covern der Romanzeitung; für Kinder illustrierte er Bücher und Zeitschriften. 1966 gründete der Berliner mit seinen Studienkollegen Rainer Flieger und Thomas Schallnau das Grafikatelier »Flieger-SchallnauWongel«. Zusammen erstellten sie u. a. die Abbildungen für E-Lok, Stellwerk, Zahnradbahn. 18 Annerose Klopfer promovierte 1967 an der Pädagogischen Hochschule Potsdam zur Enzymaktivität in vegetativen und floralen Sprossscheiteln, lebte und arbeitete mehrere Jahre in Somalia und veröffentlichte seit den frühen siebziger Jahren verschiedene naturkundliche Sachbücher für Kinder und Jugendliche im Kinderbuchverlag Berlin. Ihr Mann Klaus hatte ebenfalls in Potsdam Biologie studiert und ebenda 1964 seine Dissertation eingereicht. 19 BArch DR 1/2313, Druck-Nr. 270/136/90, Bl. 364. Auch dieser Band übernahm damit eine propädeutische Funktion, da in der DDR das Schulfach Biologie erst ab der 5. Klasse unterrichtet wurde.

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Walter Beltz (1935–2006), das die Bibel gleich den griechischen Sagen zum sozialistischen (!) Kulturerbe erklären sollte, fand ebenso wie zwei weitere Bände20 nicht mehr den Weg in den nunmehr gesamtdeutschen Buchhandel. An diesem Titel lässt sich die thematische Öffnung der Reihe am Ausgang der achtziger Jahre und eine Anpassung des SED-Verlages an die gesellschaftspolitischen Verhältnisse im Umbruch ablesen. Das Christentum wird dabei kurzerhand als »ein Zeugnis menschheitsgeschichtlicher Entwicklung«, als »Teil unseres kulturellen Erbes« sowie als »geistiges wie materielles Kulturgut« deklariert und auf diese Weise der Druck eines solchen Titels legitimiert.21 Von der Realität überholt, kam es jedoch nicht mehr zur Publikation dieses Bandes. Auch andere thematische Ergänzungen der Reihe, deren Fokus auf naturwissenschaftlichen und technischen Fragestellungen lag, waren ausgeblieben. Ein schon früh geäußerter Wunsch eines Rezensenten, die Serie um Gegenstände zur ästhetischen Erziehung zu erweitern und verstärkt kulturelle Themen wie Mode, Musik, Literatur, Funk, Film, Fernsehen und Theater einzubeziehen (Bütow 1976, 91), konnte nicht mehr in vollem Umfang berücksichtigt werden.22 Gleichwohl ist der durch die Reihe vermittelte Wissensumfang beachtlich, denn insgesamt betrachtet wurden annähernd 1.800 Stichworte23 erläutert, die ein oder andere Wiederholung eingeschlossen. Zum Vergleich: Das Universallexikon Von Anton bis Zylinder brachte es anfangs nur auf rund 850 Erklärungen zu Begriffen aus den Bereichen Naturwissenschaft, Technik und Gesellschaft.

Ausstattung, Architektur und Narration – Die Reihe Mein kleines Lexikon als Experimentierfeld In den knapp zwei Jahrzehnten, in denen Mein kleines Lexikon erschien, kam es zu mehrfachen Umgestaltungen im Reihenlayout und zu Erprobungen in der narrativen Darstellung. Am Beispiel von Birke, Reh und Schwalbenschwanz lässt sich sehr gut die Genese der Reihe und ihr teilweise experimenteller Charakter 20 Siehe dazu auch Anm. 29. 21 BArch DR 1/2313, Druck-Nr. 270/135/90, Bl. 117–119. 22 Zu Literatur, Musik und Kunst liegt jeweils ein Band der Reihe Mein kleines Lexikon vor, die übrigen Themenvorschläge fanden keine Beachtung. Die Jugendlexikon-Reihe des VEB Bibliographisches Institut berücksichtigt hingegen mit einem Spezialband zum Thema Kleidung und Mode ein alterstypisches Informationsbedürfnis. 23 Meist handelt es sich bei den Lemmata um exakte Suchbegriffe. Erklärungen zu ungewöhnlichen Schlagworten wie z. B. »Allerlei Muster« oder »Netze von Körpern« im Geometrie-Band bzw. ungebräuchliche Bezeichnungen wie »Postwertzeichen« statt »Briefmarke« in Briefe, Päckchen, Telegramme dürfte der Leser hingegen eher zufällig rezipiert und nicht konkret recherchiert haben.

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rekonstruieren. Während die Erstauflage gegenüber dem russischen Original Anpassungen an den Leserkreis in der DDR vornahm, indem Fehler in der Begriffszuordnung getilgt, die originalen Stichworteinträge bearbeitet und Lemmata zu einzelnen Buchstaben des Alphabets ergänzt wurden sowie Transformationen an regionale Verhältnisse erfolgten, bezogen sich die Veränderungen in den Folgeauflagen vornehmlich auf die Gestaltung des Bucheinbandes, die Illustrationen und die Anordnung des Lexikontextes. War das Cover der Ausgabe von 1971 noch sehr schlicht gehalten, kam der Reihencharakter ab der dritten Auflage deutlicher zur Geltung. Im Jahresverlauf 1973 hatte sich für die gesamte Reihe der Einbandentwurf von Horst Wendland durchgesetzt. Zur Nennung von Autor und Titel trat nun der Schriftzug »Mein kleines Lexikon« hinzu, Linien und Kreise brachten optisch eine stärkere Gliederung des Covers und auf der Buchrückseite fanden allgemeine Angaben zur Buchreihe und spezifische Angaben zum Themenband ihren Platz. Der Satzspiegel blieb unverändert: Alle Explikationen zu den insgesamt 94 Stichworten in Birke, Reh und Schwalbenschwanz erscheinen übersichtlich strukturiert in alphabetischer Ordnung als Textblock in Spaltenform mit großzügigen Seitenrändern. Naturalistische Illustrationen von Pflanzen und Tieren in unterschiedlicher Größe befinden sich in unmittelbarer Nähe zum zugehörigen Eintrag und stützen dessen Aussage. Die fünfte Auflage brachte für den Titel dann erneut eine Veränderung im grafischen Design: Ein stilisierter Fuchs, der 1976 als Signet der Sachbuchreihe eingeführt worden war, zierte zusammen mit mehreren Einzelbildern von Pflanzen und Tieren, die als Hinweise auf die Vielfalt der behandelten Thematik zu verstehen sind, fortan den Buchdeckel. Auch die übrige Cover-Gestaltung erfuhr eine grundlegende Überarbeitung, ebenso der Klappentext. Bis zum zuletzt verlegten Titel der Reihe im Jahr 1990 änderte sich danach zumindest an der äußerlichen Aufmachung nichts mehr (Abb. 1–3). Typographisch stand die Reihe hingegen für Kontinuität, denn man blieb bei der einmal gewählten serifenlosen Schrifttype, die den Bänden eine klare Struktur verleihen. Veränderungen wurden dagegen bei der Titelblattgestaltung und im Satzspiegel vorgenommen. Ab dem Jahrgang 1979 erhielten alle Neuerscheinungen ein Inhaltsverzeichnis, das wie in Von Anton bis Zylinder mit »Wo finde ich was?« überschrieben war. Ein Verweissystem aus ikonographischen Zeichen24 wurde 1974 eingeführt und kam drei Jahre später dann bei jedem neuen Titel der Serie in unterschiedlichem Umfang zur Anwendung.

24 Neben dem Pfeilzeichen werden auch ausgefüllte Dreiecke verwendet. Einen ersten Versuch, eine Art Verweissystem zu etablieren, hatte es schon 1973 gegeben, als Querverweise, in Fettdruck in Klammern gesetzt, dem zu erklärenden Wort folgten.

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Abb. 1–3 Eine Reihe im Wandel: sichtbare Änderungen im Layout am Beispiel von Birke, Reh und Schwalbenschwanz in den Jahren 1971, 1975 und 1986

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Über den gesamten Erscheinungszeitraum hinweg wirkte darüber hinaus ein externer Faktor auf die äußere Gestalt der Serie ein: das streng bemessene Papierkontingent, das die Mitarbeiter in der Verlagsherstellung erfinderisch werden ließ. Der Papierengpass spiegelt sich auf vielerlei Weise wider, so fehlen beispielsweise bei einigen Bänden der Schmutztitel oder eine eigene Seite für das Impressum. Eine andere Möglichkeit, Ressourcen zu sparen, bot die Umstellung des Satzspiegels. Statt den Text wie bisher üblich mittig in Spaltenform zu drucken, wurde dieser ab 1978 mit nur wenig Seitenrand im Blocksatz gesetzt, was zum Teil zu Lasten der Übersichtlichkeit der Textbeiträge geht. Welche Ersparnis dies mit sich brachte, zeigt das obige Literaturbeispiel: Umfassten die ersten Ausgaben von Birke, Reh und Schwalbenschwanz noch 72 Textseiten, konnte der Umfang der sechsten Auflage um einen halben Druckbogen gekürzt werden. Der Inhalt blieb unverändert, ebenso die Zahl der Stichworteinträge, lediglich eine Neuverteilung der Illustrationen, bei der die Abbildungen von Birke, Drossel, Lärche, Ordensbrand, Schaumzikade und Uhu getilgt wurden, ist festzustellen. Auch bei anderen Titeln kam es zu Änderungen bei nachfolgenden Auflagen, beispielsweise bei den Illustrationen auf dem Bucheinband, oder es wurden Bearbeitungen notwendig, wenn sich herausstellte, dass die bisherige Darstellung nicht mehr dem neuesten wissenschaftlichen und technischen Stand entsprach. Bei der dritten Auflage von Düne, Meer und Tintenfisch aktualisierte man zum Beispiel die lexikalischen Einträge sowie die Abbildungen, an anderer Stelle wurden einzelne Stichworte ergänzt. Letzteres wurde zum Beispiel auch bei der zweiten Ausgabe von Pflanzen, Tiere und Naturschutz erforderlich, nachdem zum 1. Oktober 1984 eine Erweiterung der Naturschutzordnung zum Schutz von Pflanzen- und Tierarten in Kraft getreten war. Beinhaltete die Erstauflage noch 60 Stichworteinträge, waren es im Folgeband schon 81, wobei einige Lemmata zu schützenswerten Tieren und Pflanzen neu aufgenommen wurden, andere aber entfielen. Im intertextuellen Vergleich zeigen die Bände ein breites Spektrum in der illustrativen und narrativen Ausstattung, gemeinsam sind ihnen nur die eingangs genannten formalen lexikalischen Spezifika und das Reihenlayout. Neben der alphabetischen Anlage der Stichworte und ihrer typografischen Absetzung durch Fettdruck vom Erläuterungsteil unterstreicht zwar das bei den späteren Bänden eingeführte Verweissystem ausdrücklich den einheitlichen Lexikoncharakter, doch zeichnet sich die Reihe insgesamt durch Abwechslung und Variation aus. Dies ist zum einen thematisch bedingt, denn Sachverhalte aus den Naturwissenschaften werden anders zur Darstellung gebracht als kulturwissenschaftliche Themen, zum anderen geben die individuellen Handschriften und unterschiedlichen Techniken der Autoren und Illustratoren jedem Band ein

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spezifisches Aussehen. Die Sachbuch-Gestaltung erforderte sorgfältige Recherchen: Für das Manuskript von Tatort, Spuren, Alibi begleitete beispielsweise der Autor Rainer Crummenerl zwei Wochen lang Kriminalisten bei ihren Arbeitseinsätzen und studierte deren wissenschaftlich-technische Mittel und Methoden genau.25 Das Illustratorenkollektiv von E-Lok, Stellwerk, Zahnradbahn gibt im Interview an, dass für die Anfertigung von Sachbuchillustrationen wie Zeichnungen, Grafiken oder Schemata ein genaues Quellen- und Naturstudium Voraussetzung sei, da diese exakt bis in alle Details sein müssen. Sie merken außerdem an, dass sie als Sachbuchillustratoren stärker in ihrer freien künstlerischen Gestaltung eingeschränkt seien als bei der Ausführung belletristischer Illustrationen. Ihrer Auffassung nach eignen sich Zeichnungen für Kinder besser als Fotos, da sie anschaulicher seien, mehr Informationen transportieren, mehr Darstellungsmöglichkeiten bieten, Zusammenhänge besser visualisieren und eher die Neugier beim kindlichen Betrachter wecken, denn: »Eine Zeichnung hat doch mehr Überzeugungskraft, erlaubt Experimente und entspricht einfach besser der kindlichen Vorstellungswelt. Außerdem ist sie für das Gedächtnis als Erinnerungszeichen günstiger.« (Flieger/Schallnau/Wongel 1978, 68 und 71) Aufgrund der Themenvielfalt und der unterschiedlichen Autoren fallen die Bände deshalb im Hinblick auf Stil und Syntax recht verschieden aus. Einen Beleg dafür liefern u. a. zwei von Meyer verfasste Titel. Straßen, Plätze, große Namen (1973) stellt in 28 Kurzbiographien ausgewählte Persönlichkeiten der deutschen Vergangenheit vor. Porträtiert werden diese mittels Gesprächen, Zitaten und Anekdoten. Durch die Integration dieser narrativen Elemente in die Sachdarstellung werden Spannungsmomente erzeugt und so beim Leser Emotionen ausgelöst, die wiederum auf kognitiver Ebene den Wissenserwerb unterstützen und beim Memorieren helfen sollen. Realbiografische Daten und Fakten werden in diesem Band durch Kursivierung von episodenhaften Szenen, die der Unterhaltung dienen, auch typografisch abgesetzt. Der Autor selbst forderte in einem Referat auf den »Tagen der Kinderliteratur 77« für das Kinderund Jugendsachbuch ein spannendes Erzählen, denn nur so könne der Rezipient das Gelesene besser memorieren, ein Argument, das Jörg Steitz-Kallenbach (Steitz-Kallenbach 2004, 23) noch Jahrzehnte später verteidigt. Außerdem trage 25 Der Hinweis auf Crummenerls Arbeitsweise ist nachzulesen unter BArch DR 1/2301, DruckNr. 270/150/85, Bl. 166. Der studierte Journalist, 1942 in Falkenberg/Elster geboren, veröffentlichte vor allem Sachbücher für Kinder. Drei seiner Titel erschienen in der Reihe Mein kleines Lexikon. Seine Erlebnisse und Rechercheergebnisse als Teilnehmer einer Fangreise des Fischkombinats Rostock 1985/1986 verarbeitete er in dem Reisebericht Das Fischereischiff (Kinderbuchverlag 1987). Nach der politischen Wende war Crummenerl weiterhin publizistisch aktiv, u. a. entstanden Krimiratebücher für den Würzburger Arena Verlag sowie mehrere Sachbücher für die Leselöwen-Reihe des Bindlacher Loewe-Verlages und die Wasist-was-Reihe des Nürnberger Tessloff-Verlages.

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die Einarbeitung von »Dokumenten erlebten Geschehens« dazu bei, die zu vermittelnden Sachverhalte konkreter und glaubwürdiger zu machen. Diesen Eindruck sollen neben dokumentarischem Bildmaterial Zeugenaussagen oder Auszüge aus der biografischen Literatur festigen. (Meyer 1978, 29f.) Das Einfügen von kürzeren Erzählpassagen zu Beginn eines Stichworteintrages wie bspw. semifiktionalen Erlebnisberichten, fiktiven Dialogen oder epischen Formen wie Anekdoten, Sagen und Fabeln erhöhe darüber hinaus die Aufmerksamkeit und das Interesse des Lesers, der häufig vom Autor mit einem kollektiven »Wir« oder einem vertrauensvollen »Du« direkt angesprochen wird. 1976 folgt mit Bücher, Leser, Bibliotheken ein Titel, der das Buch und seinen Leser thematisiert. Meyer verbindet in diesem Band methodisch versiert Darstellungsinhalt und -form mit der Rezeptionsebene: Der Leser, den er in sein Erzählen einbezieht, wird zu einer aktiven Lektüre ermuntert.26 Meyers Erklärungen knüpfen dabei an Vorerfahrungen und Erlebnisse des Rezipienten an und setzen diese mit dem Erklärungsgegenstand in Beziehung. Nicht nur viele lexikalische Einträge der einzelnen Reihentitel enthalten narrative Sequenzen und führen den Leser mittels einer erlebnishaften Erzählweise an die wissenschaftlich korrekte Erläuterung des nachgeschlagenen Begriffs heran. Darüber hinaus involvieren Versuchsanleitungen und Gedankenexperimente, die durch signalhafte Formulierungen wie »Stellen wir uns vor …« entsprechend angekündigt werden, den Leser in die Thematik. Auch ein Großteil der farbigen Sachillustrationen greift Narrative der Begriffserklärung auf. Dadurch entsteht eine weitere Dialogsituation mit dem Leser, der im Idealfall Informationen zum lexikalischen Begriff sowohl aus dem Lexikoneintrag als auch aus der Visualisierung erhält. In Mein kleines Lexikon erweist sich die Kombination von lexikalischer Erläuterung und Sachillustration für den Rezipienten als überaus hilfreich, wenn Abbildungen es vermögen, den zu erklärenden Sachverhalt auf den Punkt zu bringen und verständlich zu vermitteln, was die wörtliche Formulierung aufgrund von sprachlichen Barrieren oder einfach nur aus Platzgründen nicht leisten kann. Das Abbildungsspektrum umfasst eine Vielzahl unterschiedlicher Bildformate und -techniken. Während Volkspolizei und Feuerwehr ausschließlich Aquarellzeichnungen enthält, die in Kongruenz zu den Lexikontexten stehen, wechseln in Düne, Meer und Tintenfisch Zeichnungen, Infografiken und Piktogramme einander ab und geben komplementäre Informationen. Technische Zeichnungen, Tabellen, Diagramme, Karten (historische, topografische, meteorologische usw.), Fotografien, Karikaturen und Reproduktionen vervoll26 Anders als in den übrigen Bänden der Reihe Mein kleines Lexikon, in denen sich die Autoren im kollektiven »Wir« an ihren Leser wenden und ihn bei den Erklärungen einbeziehen, spricht Meyer seinen Leser im vertraulichen »Du« an.

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ständigen das abwechslungsreiche Bildprogramm der Reihe. Sie tragen dazu bei, den Inhalt der Lexikontexte zu veranschaulichen, zu verdichten und zu ergänzen sowie dem Leser Orientierung zu geben, ihn anzuleiten und zu motivieren. Sie können aber auch Interpretationen liefern und Inhalte abweichend zur wörtlichen Erklärung in einer humorvollen Betrachtung wiedergeben.27 Meist stehen die Abbildungen jedoch in einem Abhängigkeitsverhältnis zum Text und sind mit diesem durch verschiedene Formen der Beschriftung (Bildunterschrift, Ziffern oder Buchstaben) verbunden und ergeben auf diese Weise erst ein Ganzes, das treffend als gemeinsame Partitur von Bild und Text bezeichnet werden kann (Wetzstein 1978, 48).

Eine Reihe in der Reihe Innerhalb der Serie Mein kleines Lexikon gab es eine Besonderheit: eine Unterreihe, die Acht- bzw. Neunjährigen die Länder des sozialistischen Staatenbundes vorstellt. Ihre Publikation wurde mit einem allgemein zunehmenden Interesse an diesen Ländern sowie schulbegleitender bzw. einführender Lektüre begründet, da mit Ausnahme der DDR die Länder des sozialistischen Ostblocks erst ab Klassenstufe 6 Unterrichtsgegenstand waren. Zwischen 1975 und 1987 erschienen von Günter Domdey und Kurt-Friedrich Nebel28 Titel zur DDR, Sowjetunion, Tschechoslowakischen Sozialistischen Republik und zur Ungarischen Volksrepublik. Weitere Bände waren geplant, doch kamen sie aufgrund der veränderten gesellschaftspolitischen Verhältnisse im Herbst 1989 nicht mehr zur Ausführung.29

27 Vgl. hierzu die verschiedenen Einzelabbildungen in Mensch, Gesundheit, Erste Hilfe sowie Halstuch, Trommel und Fanfare oder Bücher, Leser, Bibliotheken. 28 Günter Domdey, 1930 in Berlin geboren, arbeitete zunächst als Neulehrer, bevor er an der HU Berlin Geographie und Didaktik der Unterstufe studierte. Nach zweijähriger Tätigkeit als Fachlehrer wechselte er 1954 den Beruf und wirkte bis zur politischen Wende 1989/90 als Verlagsredakteur sowie als Sach- und Schulbuchautor. Sein Kollege Kurt-Friedrich Nebel, 1927 in Klötze (Altmark) geboren, studierte zwischen 1947 und 1951 Geografie in Halle/ Saale, war danach Fachlehrer für Geografie und Mathematik und von 1952 bis 1990 Mitarbeiter im Verlag Volk und Wissen. 29 Balkan, Sofia, Schwarzmeerküste, ein Nachschlagewerk zur VR Bulgarien, dessen Manuskript die Autoren 1988 beim Verlag eingereicht hatten und für das seit 16. 5. 1988 eine Druckgenehmigung vorlag, kam nicht mehr zur Auslieferung. Dieses Schicksal ereilte auch Reinhard Kohlmanns Jurten, Yaks und junge Städte, ein ebenfalls für die Reihe Mein kleines Lexikon vorgesehenes Länderlexikon zur Mongolischen Volksrepublik. BArch DR 1/2310, Druck-Nr. 270/137/89 sowie DR 1/2311, Druck-Nr. 270/138/89.

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Abb. 4–7 Noch mehr Abwechslung: die Länderreihe von Mein kleines Lexikon

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Die Länderreihe kennzeichnet ein sachlich-informativer Stil mit propagandistischem Impetus, denn die Titel sollten »nicht nur bildend, sondern in gleichem Maße erzieherisch auf den Leser«30 wirken und ihn zu einem »proletarischen Internationalismus«31 anleiten. Als propädeutische Geografiebücher sollten sie zum Umgang mit Nachschlagewerken befähigen und Wissen über die Natur, Landschaft, Wirtschaft und Geschichte der jeweiligen Länder vermitteln. Ein wichtiges Anliegen war es laut Klappentext, über den Aufbau des Sozialismus in den vorgestellten Staaten zu berichten. Verschiedene Merkmale charakterisieren die Länderlexika und heben sie von den übrigen Bänden der Reihe Mein kleines Lexikon ab. Das beginnt bereits beim Einband: Die Buchcover erfassen statt in Einzelbildern in einer Collage die Spezifika des vorzustellenden Landes (Abb. 4–7).32 Darüber hinaus befinden sich im Vor- und Nachsatz topografische Übersichtskarten zum Land, zu seinen Verwaltungseinheiten und zu seinen primären Rohstoffvorkommen. Im Textteil fallen dann zwei Rubriken auf, die in jedem der Länderbände wiederkehren: »Atlaskarte« und »Staatsgebiet«. Der Eintrag »Atlaskarte« gibt einen geografischen Überblick über das Land. Hier werden unter Bezugnahme auf die topografische Karte im Vorsatz Landschaftsformationen, klimatische Bedingungen und vorrangige Wirtschaftszweige vorgestellt und bereits viele Verweise auf nachfolgende Stichworterklärungen integriert. Der kindliche Rezipient soll auf diese Weise an das verstehende Lesen von Kartenmaterial und den Umgang mit Nachschlagewerken herangeführt werden. Unter dem Stichwort »Staatsgebiet« erfährt der Leser etwas über die Lage, Größe, Einwohnerzahl und Verwaltungseinheiten des jeweiligen Landes. Zum Teil werden diese Aussagen durch statistische Tabellen gestützt. Schließlich unterscheidet die Wiedergabe von 30 BArch DR 1/2282, Druck-Nr. 270/125/78, Bl. 253. ˇ SSR, der im Verlagsgutachten noch den Titel Böhmen, Mähren, 31 Ebd., Bl. 254. Der Band zur C Slowakei trägt und der schließlich in Tatra, Prag und Böhmerwald geändert wurde, sollte laut Verlag »ideologisch erziehend auf den Leser« einwirken. BArch DR 1/2292, Druck-Nr. 270/ 111/82, Bl. 117. Propagandistische und paramilitärische Züge sind auch an weiteren Titeln der Reihe Mein kleines Lexikon zu beobachten, insbesondere solchen, die staatliche Institutionen und Organisationen behandeln wie z. B. Halstuch, Trommel und Fanfare. Die politische Erziehung des kindlichen Lesers wird in Panzer, Flugzeug, schnelle Schiffe besonders deutlich. Vor dem Hintergrund der verhärteten Fronten des Kalten Krieges folgte der Kinderbuchverlag 1984 mit dieser Publikation einem staatspolitischen Auftrag. So sollte »das kleine Lexikon über die Streitkräfte der DDR dazu beitragen […], die Wehrerziehung unserer Kinder zu fördern, sie zu Verteidigern ihrer sozialistischen Heimat und der sozialistischen Staatengemeinschaft heranzubilden« und »in einer Zeit verstärkt drohender imperialistischer Aggression ein dringendes gesellschaftliches Bedürfnis« erfüllen. BArch DR 1/ 2299a, Druck-Nr. 270/127/84, Bl. 370. 32 Nur das Buchcover der Erstauflage zum DDR-Band weicht hiervon ab. Der Titel erscheint noch in der zweiten Einband-Version der Reihe Mein kleines Lexikon mit einer Fotografie des Rügener Königsstuhls. Später wird auch hier eine Anpassung vorgenommen.

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vielen Farbfotografien diese Bände von den übrigen Titeln der Reihe Mein kleines Lexikon.33 Neben Infografiken, Kartendarstellungen und Zeichnungen veranschaulichen sie die im sachlich-nüchternen Ton vorgetragenen Erläuterungen. Mit der Länderreihe sollten junge Leser der DDR nicht nur ihr Schulwissen vertiefen und ihren geografischen Horizont erweitern, sondern durch sie auch Auskunft über mögliche Ferienziele erhalten, wodurch die Mini-Serie die Funktion eines Reiselexikons übernahm.34

Variation und Kontinuität Obwohl die Einzeltitel der Reihe Mein kleines Lexikon nicht nur im Hinblick auf die Anzahl und den Umfang der Lemmata individuelle Züge aufweisen, gibt es verschiedene Merkmale, die den seriellen und lexikalischen Stil charakterisieren. Während die Covergestaltung mit Signet und Reihentitel, der Satzspiegel und die Schrifttype den Reihenauftritt bestimmen, unterstreichen Spezifika wie die alphabetische Anlage der fett gedruckten Stichworte und der folgende, verständlich formulierte Erklärungstext sowie ein Verweissystem und ein Inhaltsverzeichnis den Lexikoncharakter. Die reiche Bebilderung hat nicht nur dekorative Funktion, sondern dient vorrangig der Erklärung und als kognitive Stütze. Verschiedene Darstellungsstrategien kommen im sprachlichen und visuellen Bereich zur Anwendung. Die Erklärungen beginnen häufig mit einem erlebnishaft erzählten Einstieg oder einer Schilderung, selten mit einer Definition, und beziehen den kindlichen Adressaten durch direkte Anrede, Vergewisserungsfragen und Bezugnahme auf ihm Vertrautes in die Darstellung ein. Ebenso wie die Sachillustrationen fallen auch die Stichworteinträge sachlichinformativ oder sachlich-erzählend aus, bilden eine Synthese und variieren häufig sogar innerhalb des Bandes. Stilistische Mittel wie Vergleiche, starke Verben und Attribute bringen narrative Züge in die Erklärungstexte und erleichtern der jungen Zielgruppe den Zugang zum oftmals schwierigen Themenstoff. 33 Bis auf wenige Reproduktionen finden sich nur noch in Plastik, Grafik, Malerei Fotografien. Ihre Herstellung war nicht nur kostenintensiv und aufwändig, sondern häufig enttäuschte auch das Wiedergabeergebnis, das u. a. auf der unzureichenden technischen Ausstattung der Druckereien und der schlechten Papierqualität beruhte. 34 Reiseliteratur für Kinder publizierte im letzten Jahrzehnt der DDR vor allem der Verlag Junge Welt. Mit der Reihe Querlandein legte er ab 1981 mehr als ein Dutzend Titel vor, die verschiedene Urlaubsregionen der DDR, wie bspw. den Spreewald, die Insel Hiddensee oder das Vogtland, vorstellten. Zum Thema der (stellvertretenden) Reise im DDR-Kinderbuch siehe auch den Beitrag von Gina Weinkauff in diesem Band.

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Die analysierten Titel der Reihe Mein kleines Lexikon sind unterhaltsame und informative Nachschlagewerke, die als Speziallexika in ein breites Themenfeld einführen. Je nach verhandeltem Gegenstand erfolgt die Darstellung neutral oder enthält wie bei den Bänden der Länderreihe propagandistische Züge, wobei die ideologische Didaktisierung durch eine spezifische Text- und Bildsprache zum Ausdruck kommt. In chronologischer Folge betrachtet, blieb Mein kleines Lexikon trotz aller gattungs- und serienbestimmenden Komponenten bis zum Erscheinen des letzten Bandes im Jahr 1990 eine Reihe im Experimentierstadium und damit eine Reihe im Wandel, die einen interessierten, großen Rezipientenkreis hatte, der mit jedem Titel der Edition ein besonderes Sachbuch in Händen hielt.

Primärliteratur Anger, Eberhard (Hg.): Meyers Jugendlexikon. Mannheim: Bibliographisches Institut, 1989 Bellack, Siegried/Eberhard Binder (Ill.): Von Anton bis Zylinder. Berlin: Kinderbuchverlag, 1967 Bröger, Achim: Meyers großes Kinderlexikon. Mannheim: Bibliographisches Institut, 1981 Butzmann, Gerhard (Hg.): Meyers Jugendlexikon. Leipzig: VEB Bibliographisches Institut, 1968 Chowanetz, Rudolf/Elfriede und Eberhard Binder (Ill.): Halstuch, Trommel und Fanfare. Berlin: Kinderbuchverlag, 1978 Crummenerl, Rainer/Karl Fischer (Ill.): Volkspolizei und Feuerwehr. Berlin: Kinderbuchverlag, 1981 Crummenerl, Rainer/Ingolf Neumann (Ill.): Briefe, Päckchen, Telegramme. Berlin: Kinderbuchverlag, 1983 Crummenerl, Rainer/Fred Westphal (Ill.): Tatort, Spuren, Alibi. Berlin: Kinderbuchverlag, 1985 Crummenerl, Rainer/Peter Uhde/Gisela Flächsig (Ill.): Das Fischereischiff. Berlin: Kinderbuchverlag, 1987 Dmitrijew, Juri/Johannes Breitmeier (Ill.): Birke, Reh und Schwalbenschwanz. Aus dem Russischen von Ellen und Burkhard Stephan. Berlin: Kinderbuchverlag, 1971 (Kto v lesu zˇivet o cˇto v lesu rastet/Wer im Walde lebt und was im Walde wächst) Domdey, Günther/Kurt-Friedrich Nebel/Gisela Wongel (Ill.): Tatra, Prag und Böhmerwald. Berlin: Kinderbuchverlag, 1982 Freude, Matthias/Evelyne Bobbe (Ill.): Pflanzen, Tiere und Naturschutz. 2., überarb. u. erw. Aufl. Berlin: Kinderbuchverlag, 1987 Gierschner, Norbert/Wolfgang Leuck (Ill.): Düne, Meer und Tintenfisch. Berlin: Kinderbuchverlag, 1977 Hirte, Werner/Günter Wongel (Ill.): Hammer, Zange, scharfe Zähne. Berlin: Kinderbuchverlag, 1973 Hirte, Werner/Gerd Ohnesorge (Ill.): Stahl, Beton und bunte Gläser. Berlin: Kinderbuchverlag, 1977

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Hütt, Wolfgang: Plastik, Grafik, Malerei. Berlin: Kinderbuchverlag, 1974 Iwitsch, Alexander/E. Benjaminson (Ill.): Silber, Eisen und Uran. Aus dem Russischen von Era Correns. Berlin: Kinderbuchverlag, 1971 (Semdesjat bogatyrij/70 Recken) Jurmin, Georgi/Heinz-Karl Bogdanski (Ill.): Globus, Heft und Zirkel. Aus dem Russischen von Ursula Egert. Berlin: Kinderbuchverlag, 1973 (Pro tetrad’ i kartu, karandasˇ i partu/ Über Heft und Karte, Bleistift und Schulbank) Kaden, Friedrich/Ludwig Winkler (Ill.): Weltall, Sterne und Planeten. Berlin: Kinderbuchverlag, 1976 Kaden, Friedrich/Kurt Völtzke (Ill.): Bergbau, Erz und Kohle. Berlin: Kinderbuchverlag, 1982 Klopfer, Annerose/Klaus Klopfer : Ingwer, Reis und Mahagoni. Berlin: Kinderbuchverlag, 1990 Kurze, Manfred/Konrad Golz (Ill.): Mensch, Gesundheit, erste Hilfe. Berlin: Kinderbuchverlag, 1975 Meyer, Hansgeorg/Helga Meyer/Konrad Golz (Ill.): Straßen, Plätze, große Namen. Berlin: Kinderbuchverlag, 1973 Meyer, Hansgeorg/Gisela Wongel (Ill.): Bücher, Leser, Bibliotheken. Berlin: Kinderbuchverlag, 1976 Milde, Günter/Karl Fischer (Ill.): Panzer, Flugzeug, schnelle Schiffe. Berlin: Kinderbuchverlag, 1984 Ossipow, Nikolai/Johannes Breitmeier (Ill.): Biber, Schwan und Wasserfloh. Aus dem Russischen von Ellen und Burkhard Stephan. Berlin: Kinderbuchverlag, 1971 (V vode i u vody/Im Wasser und am Wasser) Rehm, Manfred/Rudolf Schultz-Debowski (Ill.): Zahl, Menge, Gleichung. Berlin: Kinderbuchverlag, 1973 Rehm, Manfred/Gerd Ohnesorge (Ill.): Strecke, Kreis, Zylinder. Berlin: Kinderbuchverlag, 1977 Rezac, Karl/Rainer Flieger u. a. (Ill.): E-Lok, Stellwerk, Zahnradbahn. Berlin: Kinderbuchverlag, 1974 Schmidt, Joachim (Hg.): Meyers Kinderlexikon. Mannheim: Bibliographisches Institut, 1960 Stephan, Burkhard/Ellen Stephan/Johannes Breitmeier (Ill.): Wir bestimmen Tiere. Berlin: Kinderbuchverlag, 1975

Sekundärliteratur Auböck, Inge: Die verschiedenen Auffassungen des Begriffes Sachbuch. In: Bamberger, Richard (Hg.): Probleme des Sachbuches für die Jugend. Wien 1966, 18–32 Bütow, Wilfried: Mein kleines Lexikon, Der Kinderbuchverlag Berlin. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 38 (1976), 86–91 ˇ erny´, Eugen: Populärwissenschaftliche Literatur für Kinder. In: Beiträge zur Kinder- und C Jugendliteratur 38 (1976), 54–65 Fiebig, Karin: Populärwissenschaftliche Literatur für Kinder – eine Synthese von Wissenschaft und Kunst? In: Schauplatz. Aufsätze zur Kinder- und Jugendliteratur und zu anderen Medienkünsten. Berlin 1986, 83–89

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Gärtner, Hans: »Kind, schlag nach!« Über Lexika für Wissensdurstige. In: Beiträge Jugendliteratur und Medien (1993), 4. Beiheft: Jugendliteratur und Gesellschaft, 153–162 Gruben, Frauke: Kinder- und Jugendsachbücher. Fachliche Wissensbestände und Darstellungsstrategien in Kinder- und Jugendsachbüchern. Tostedt 2006 Günther, Harri: Die Sachliteratur für Kinder und Jugendliche in der DDR von 1946 bis 1986. Berlin 1988 (Studien zur Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur ; 11) Herrmann, Dieter B.: Astronomie und Raumfahrt in Sachbüchern für Kinder. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 66 (1982), 71–75 Hussong, Martin: Das Sachbuch. In: Haas, Gerhard (Hg.): Kinder- und Jugendliteratur. Ein Handbuch. 3. Aufl. Stuttgart 1984, 63–87 Kirchner, Uta: Fundiert oder »poliert«? Sachbücher für Kinder und Jugendliche. In: Raecke, Renate (Hg.): Kinder- und Jugendliteratur in Deutschland. München 1999, 183–195 Koch, Hans-Albrecht: Lexikon. In: Reallexikon der deutschen Literaturwissenschaft. Bd. 2: H–O. Hg. v. Harald Fricke. 3. Aufl. Berlin [u. a.] 2000, 413–416 Links, Christoph: Das Schicksal der DDR-Verlage. Die Privatisierung und ihre Konsequenzen. Berlin 2009 Meyer, Hansgeorg: Populärwissenschaftliche Kinderliteratur. Bilanz und Perspektive. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 19 (1971), 28–39 Meyer, Hansgeorg: Vom Belehrenden und vom Schönen. Urania unter den Musen. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 49 (1978), 25–38 Meyer, Hansgeorg: Sachliteratur. In: Emmrich, Christian (Hg.): Literatur und Medienkünste für junge Leute. Berlin 1986, 238–266 Müller, Konrad: Sachbuch. In: Lexikon Deutsch. Kinder- und Jugendliteratur. Autorenporträts und literarische Begriffe. Freising 1998, 175 Populärwissenschaftliche Illustration – Stiefkind der Grafiker? Rainer Flieger, Thomas Schallnau und Günter Wongel antworten. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 49 (1978), 68–72 Sarkowski, Heinz: Das Bibliographische Institut. Verlagsgeschichte und Bibliographie, 1826–1976. Mannheim [u. a.] 1976 Siebert, Hans-Joachim: Sprache im Kinderbuch. Betrachtungen zum Sprachgebrauch in der Prosaliteratur für Kinder. Berlin 1984 (Resultate; 9) Steitz-Kallenbach, Jörg: Die Welt liegt hinter den Dingen. Zur Rolle von Fiktion und Konstruktion in Sachbüchern und Sachmedien für Kinder und Jugendliche. In: Josting, Petra/Gudrun Stenzel (Hgg.): »Wieso, weshalb warum …« Sachliteratur für Kinder. Weinheim 2004 (zgl. 15. Beiheft der Beiträge Jugendliteratur und Medien), 19–32 Steuer, Heinz: Nachschlagewerke und Lexika für Kinder und Jugendliche. Eine ordnende Übersicht. In: Binder, Lucia (Hg.): Das sachorientierte Kinder- und Jugendbuch. Wien 1983 (Schriften zur Jugendlektüre; 34), 41–55 Thiele, Jens: Die Sache mit dem Sachbild. Neun Spotlights auf das Illustrieren einer Sache. In: Josting, Petra/Gudrun Stenzel (Hgg.): »Wieso, weshalb warum …« Sachliteratur für Kinder. Weinheim 2004 (zgl. 15. Beiheft der Beiträge Jugendliteratur und Medien), 44–56 Wetzstein, Hans-Peter : Verführung zum Lernen. Bemerkungen zu einigen Grundsätzen unserer populärwissenschaftlichen Kinder- und Jugendliteratur. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 49 (1978), 39–44

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Einzeltitel-Übersicht zur Serie Mein kleines Lexikon (kursiviert wurden Titel, deren Reihenzugehörigkeit nicht eindeutig geklärt ist bzw. die nicht mehr zum Druck kamen) Jahr 1971

Titel Silber, Eisen und Uran

Autor Alexander Iwitsch

Illustrator E. Benjaminson u. B. Kyschtymow

1971

Birke, Reh und Schwalbenschwanz Biber, Schwan und Wasserfloh Judo, Kegeln, Volleyball Hammer, Zange, scharfe Zähne

Juri Dmitrijew

Johannes Breitmeier

Nikolai Ossipow

Johannes Breitmeier

Dieter Georgi Werner Hirte

Klaus Segner, Gruppe 4 Günter Wongel

Straßen, Plätze, große Namen Globus, Heft und Zirkel

Helga u. Hansgeorg Meyer Georgi Jurmin

Konrad Golz

1974

E-Lok, Stellwerk, Zahnradbahn

Karl Rezac

Rainer Flieger, Thomas Schallnau, Günter Wongel

1974

Plastik, Grafik, Malerei

Wolfgang Hütt

1974

Zahl, Menge, Gleichung

Manfred Rehm

1974

Radar, Flugzeug, Testpilot

Karl Rezac

1974

Pflanzen, Tiere und Ma- Gerhard Holzapfel schinen Mensch, Gesundheit, Manfred Kurze erste Hilfe

1971 1973 1973 1973 1973

1975 1975 1976 1976 1976 1976 1977 1977

Heinz-Karl Bogdanski

Rudolf Schultz-Debowski Karl-Heinz Wieland Heinz Handschick Konrad Golz

Städte, Dörfer, Heimat- Günter Domdey u. Kurtland Friedrich Nebel Autos, Straßen und Ver- Günter Kämpfe Inge u. Rudolf Patzer kehr Menschen, Pflanzen, Tiere Weltall, Sterne und Planeten

Manfred Borkowski Friedrich Kaden

Manfred Hahn u. Kurt Tuma Ludwig Winkler

Bücher, Leser, Bibliothe- Hansgeorg Meyer ken Düne, Meer und Tinten- Norbert Gierschner fisch

Gisela Wongel

Stahl, Beton und bunte Gläser

Gerd Ohnesorge

Werner Hirte

Wolfgang Leuck

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(Fortsetzung) Jahr Titel 1977 Strecke, Kreis, Zylinder 1977 Sputnik, Raumfahrt, Kosmonaut 1978

Autor Manfred Rehm Karl Rezac

Illustrator Gerd Ohnesorge Klaus Segner

Halstuch, Trommel und Fanfare Menschen, Städte, Freundesland

Elfriede u. Eberhard Binder Günter Domdey u. Kurt- Lutz Lüders Friedrich Nebel

Alex, Spree und Ehrenmal Katze, Hund und bunte Fische

Reimar Dänhardt

Karl Fischer

Klaus Wegner

Christine Nahser

Volkspolizei und Feuerwehr Tatra, Prag und Böhmerwald

Rainer Crummenerl

Karl Fischer

1982 1982

Bergbau, Erz und Kohle Maulwurf, Wal und Fledermaus

Friedrich Kaden Inge Koch

Kurt Völtzke Johannes Breitmeier

1982

Schiffe, Häfen, blaue Straßen Briefe, Päckchen, Telegramme

Helmuth Reich

Thomas Schallnau

Rainer Crummenerl

Ingolf Neumann

Matthias Freude

Evelyne Bobbe

Günter Milde

Karl Fischer

1978 1979 1979 1981 1982

1983 1984 1984 1985 1986 1987 1987 1987 1988 1988 1989

Pflanzen, Tiere und Naturschutz Panzer, Flugzeug, schnelle Schiffe Tatort, Spuren, Alibi Erde, Klima, Vulkanismus Töne, Rhythmus, Instrumente Kaltfront, Luftdruck, Wetterkarte

Rudi Chowanetz

Günter Domdey u. Kurt- Gisela Wongel Friedrich Nebel

Rainer Crummenerl Fred Westphal Günter Domdey u. Kurt- Karl-Heinz Naujocks Friedrich Nebel Rüdiger Sell

Gisela Wongel

Helmut Trettin

Horst Boche

Donau, Pußta, Budapest Günter Domdey u. Kurt- Reinhard Link Friedrich Nebel Götter, Helden, UngeJens Köhn Elfriede u. Eberhard heuer Binder »Wasa«, »Ra« und »Kru- Günter Lanitzki Johannes Christian Rost senstern« Balkan, Sofia, Schwarz- Günter Domdey u. Kurtmeerküste Friedrich Nebel

Heterogenes Erzählen und Darstellen in der Serie Mein kleines Lexikon

(Fortsetzung) Jahr Titel 1989 Jurten, Yaks und junge Städte 1990 Götter, Engel und Propheten 1990

Ingwer, Reis und Mahagoni

Autor Reinhard Kohlmann Walter Beltz Annerose u. Klaus Klopfer

Illustrator

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Sebastian Schmideler (Chemnitz/Leipzig)

Das Kinderlexikon Von Anton bis Zylinder als populärwissenschaftliche Weltanschauungsliteratur im Kontext: Entstehung, Spezifik von Bild und Text, Auflagengeschichte

Wohl kaum ein anderes Kinder- und Jugendsachbuch der DDR war seit der Erstausgabe von 1967 über so viele Jahrzehnte lang so beliebt und viel gelesen wie das Kinderlexikon Von Anton bis Zylinder. Es reüssierte innerhalb kurzer Zeit zu einem der bekanntesten Titel der Sachliteratur für Kinder : »es wurde von Lehrern an Schulen und von Bibliothekaren empfohlen, und in den meisten Haushalten der DDR war es gängiges Nachschlagewerk« (Steinlein/Strobel/ Kramer 2006, 1293; vgl. auch Neubert 2006, 918). Mehr noch: Von Anton bis Zylinder wurde »ein Bestseller der Sachliteratur« (Neubert 2006, 1293) und genoss den Ruf eines »Kinderbuchklassikers« (Kuhnert 2006, 61). Bereits 1988 wurde es in der DDR als »Spitzenleistung der Sachliteratur für Kinder und Jugendliche« gelobt (Günther 1988a, 89) und sogar noch im Jahr 1989 als »das bisher erfolgreichste Kindersachbuch« der Kinder- und Jugendliteraturproduktion der DDR gefeiert (Wetzstein 1989, 77).1 Die enorme Popularität des Kinderlexikons zeigt sich einerseits in den insgesamt dreizehn Auflagen, die zwischen 1967 und 1989 erschienen sind.2 Das Nachschlagewerk blieb andererseits auch nach dem Mauerfall und der deutschen Wiedervereinigung im Bewusstsein der Verlage und Leser präsent und konnte sich nach dem politischen Systemwechsel in Neubearbeitungen nach wie vor erfolgreich auf dem Kinderbuchmarkt behaupten.3 1 Dies belegt auch die ungewöhnliche Rezeptionsgeschichte: Wegen seines herausragenden ästhetischen Gehalts galt der Band »als sog. ›Bückware‹ und war oft nur unter dem Ladentisch zu haben« (Neubert 2006, 918). 2 Der Katalog der Deutschen Nationalbibliothek (Deutsche Bücherei Leipzig) verzeichnet folgende Auflagen: 1967: 1. Aufl., 1968: 2. Aufl., 1969: 3. Aufl., 1974: 4. Aufl., 1975: 5. Aufl., 1976: 6. Aufl., 1977: 7. Aufl., 1978: 8. Aufl., 1981: 9. Aufl., 1983: 10. Aufl., 1985: 11. Aufl., 1986: 12. Aufl., 1987: 13. Aufl. Diese enorme Auflagenzahl zeigt, dass Reiner Neubert in seinem Beitrag für diesen Sammelband wohl zurecht angenommen hat, das Kinderlexikon Von Anton bis Zylinder sei »das bekannteste Sachbuch der DDR« (Neubert 2017, 45). 3 1997 erschien eine von Caroline Kazianka und Claudia Welker bearbeitete Neuausgabe in neuer Rechtschreibung, 2003 eine wiederum redaktionell bearbeitete aktualisierte Ausgabe, die 2008 und 2012 erneut verlegt wurde. Da ich mich in diesem Beitrag ausschließlich mit dem

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Diese außergewöhnliche Wertschätzung des Kinderlexikons steht im Widerspruch zu dem Anteil an Aufmerksamkeit, den dieses Sachbuch innerhalb der Erforschung der Kinder- und Jugendliteratur der DDR nach 1989 erfahren hat.4 Im Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur SBZ/DDR, das den Zeitraum von 1945 bis 1989 umfasst, wird Von Anton bis Zylinder bspw. nur an einigen wenigen Stellen kurz erwähnt.5 Obwohl in diesen Passagen die Beliebtheit und Bekanntheit des Sachbuchs herausgestellt worden ist, lässt sich die faktische Bedeutung dieses Werks für die Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur der DDR aus diesen äußerst knappen Erwähnungen, die verglichen mit dem Umfang des gesamten Handbuchprojektes kaum mehr als einer Marginalisierung entsprechen, nicht annähernd ermessen.6 Eine gründliche Analyse, die das Kinderlexikon Von Anton bis Zylinder in den Kontext seiner Entstehungsbedingungen einordnet sowie seine ästhetische Struktur und seinen adressatenspezifischen Formengehalt als Kinderlexikon eingehender betrachtet, gehört deshalb nach wie vor zu den Desideraten der Kinder- und Jugendliteraturforschung.7 Dieser Beitrag verfolgt daher das Ziel, das Kinderlexikon in den Kontext der Theorie der Sachliteratur für Kinder und Jugendliche in der DDR zu stellen, das Werk sowohl auf der Bild- als auch auf der Textebene auf seine besonderen Merkmale als populärwissenschaftliche Weltanschauungsliteratur für Kinder der DDR zu analysieren, daraus spezifische ästhetische Charakteristika für die von Elementen des Bilderbuchs geprägte Form des Kinderlexikons zu extrapolieren und abschließend den ästhetischen und inhaltlichen Gestaltwandel des Buchs im Verlauf seiner Auflagengeschichte zu rekonstruieren.

4 5 6

7

Kontext der Kinder- und Jugendliteratur der DDR beschäftigen möchte, wird auf die Neubearbeitungen des Kinderlexikons, die nach 1990 erschienen sind, nicht eingegangen. Innerhalb der Kinderliteraturforschung der DDR wurde das Werk von seiner Entstehung bis kurz vor dem Mauerfall immer wieder analysiert, wie im Folgenden gezeigt werden soll. Vgl. u. a. Wetzstein 1967, Meyer 1970, Schleicher 1985 sowie Bergmann 1988. Vgl. Steinlein/Strobel/Kramer 2006, 1293, Neubert 2006, 918ff. und Kuhnert 2006, 61. Das Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR. Von 1945 bis 1990 hat einen Umfang von insgesamt 1516 Spalten und ist im Quartoformat gebunden. Auch werkimmanent und poetologisch argumentierende Darstellungen zur Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur der DDR, die sich auf erzählende Kinder- und Jugendliteratur konzentrieren, berücksichtigen das Kinderlexikon nicht (vgl. u. a. Richter 2016). Diese Bemerkung bezieht sich auf publizierte Forschungsliteratur ; inwiefern Bachelor-, Master-, Magister- oder Staatsexamensarbeiten dieses Werk in ersten Qualifikationsschriften analysiert haben, kann hier nicht Gegenstand sein.

Das Kinderlexikon Von Anton bis Zylinder

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Kinderlexika als Gattung der Kinderliteratur In der Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur entstanden Kinderlexika aus der Tradition der Elementarbücher und der für Kinder bestimmten Enzyklopädien. Elementarbücher erfüllten den Zweck, in der Form von »Schul-, Lehrund Sachbüchern […] in Natur- und Geisteswissenschaften, Fremdsprachen, Berufe, in Handwerke« und in das Feld der Freizeitvergnügungen für Kinder und Jugendliche einzuführen (Dierks 1984, 343). Enzyklopädien wiederum bildeten sich im 17. und 18. Jahrhundert »als Lehrbücher« und »als schulpädagogisch konzipierte« Wissensspeicher heraus (Dierks 1984a, 353). Sie trugen wesentlich dazu bei, zentrale Gedanken der Aufklärung wie den Fortschrittsoptimismus, das Perfektibilitätsstreben, die Zivilisationskritik oder die Moralerziehung im Sinne des vernünftigen Lebens im Gleichgewicht der Affekte zu vermitteln. Die Enzyklopädien waren beträchtlich angefüllt mit einem geordneten Vorrat von zeitgenössischem, wissenschaftlichen Wissen, der zumeist Kindern und Jugendlichen von Stand adressatenorientiert mit Unterstützung eines Informators zum Memorieren aufgetragen wurde, um sie verständig zu weltläufigen Zöglingen zu schulen. Sie ordneten systematisch eine Auswahl von Weltwissen aus allen für Kinder nützlichen Wissensbereichen des Lebens, der Kunst und Wissenschaft und waren – wie Basedows Elementarwerk oder Stoys Bilder-Akademie für die Jugend – oftmals aufwändig mit illustrierten Tafelwerken ausgestattet. Im 19. Jahrhundert kam die aus dieser Entwicklung des systematischen Wissensspeichers hervorgegangene Form des »Conversations-(Universal-, Real-)Lexikon […] für die Jugend« auf (Dierks 1984a, 354). Dies sind bereits »mit Stichwörtern nach dem Alphabet geordnete Bücher« (Dierks 1984b, 529), die innerhalb der kinderliterarischen Entwicklung nicht nur adressatenspezifisch an die Lexika für Erwachsene, sondern neben den Bildenzyklopädien sowie speziell das Sprachlehrbuch Orbis pictus von Comenius auch an Traditionen des ABC-Buchs anknüpfen (ebd., 530). Kinder- und Jugendlexika als alphabetisch geordnete Formen eines Nachschlagewerks wurden allerdings trotz dieser Vorläufer hauptsächlich erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts populär. Insbesondere nach 1948 wuchs »in einem vorher nie gekannten Maße […] die Produktion von Nachschlagewerken für diese Lesergruppen« (ebd.). In diese Phase der Konjunktur des Kinder- und Jugendlexikons als Nachschlagewerk fallen auch Konzeption und Produktion des 1967 erstmals veröffentlichten sozialistischen Kinderlexikons Von Anton bis Zylinder. In der neueren Sachbuchforschung zur Kinder- und Jugendliteratur lässt sich die Gattung des Kinderlexikons verschieden definieren und unterschiedlichen Untergruppen der Typologien von Sachliteratur für Kinder und Jugendliche

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zuordnen. Welchem Sachbuchtypus das Kinderlexikon entspricht, wurde und wird nach wie vor kontrovers diskutiert. Nachschlagewerke wie das Kinderlexikon bilden in der Konzeption von Sachliteratur des Literaturdidaktikers und Kinderliteraturforschers Karl-Ernst Maier bspw. eine eigenständige Kategorie, nach der Systematik des Kindersachbuchforschers Herbert Ossowski lassen sie sich hingegen dem Typus des »Informationssachbuchs« zuordnen (vgl. Ossowski 1996, 8). Für die Kinder- und Jugendliteraturproduktion der DDR war allerdings völlig unstrittig, dass Kinder- und Jugendlexika entscheidender Teil der sogenannten populärwissenschaftlichen Kinder- und Jugendliteratur und damit Teil des relevanten Gattungsspektrums der Kinder- und Jugendliteratur gewesen sind. Dies kann ein Blick in die Theoriedebatte um das Sachbuch innerhalb der Kinder- und Jugendliteraturforschung der DDR zeigen.

Das Kinderlexikon Von Anton bis Zylinder als populärwissenschaftliche Weltanschauungsliteratur im Kontext: Entstehungsbedingungen im Umfeld der Theorie der Kinder- und Jugendliteratur der DDR In der theoretischen Debatte um die Etablierung und Produktion einer genuin sozialistischen Sachliteratur für Kinder und Jugendliche der DDR zeichnete sich bereits in den sechziger Jahren deutlich ab, dass der populärwissenschaftlichen Wissensvermittlung durch adressatenspezifische Anschaulichkeit eine besondere Aufgabe zufiel.8 Dass die gesamte, unter dem Terminus populärwissenschaftliche Literatur für Kinder und Jugendliche bezeichnete Kinder- und Jugendliteraturproduktion primär das Ziel verfolgte, einen weltanschaulichen Standpunkt zu vertreten, wurde in diesem Zusammenhang rasch erkennbar.9 Dieser Standpunkt zeichnete sich einerseits durch die scharfe Abgrenzung von den Entwicklungen der Sachliteratur vor 1945 sowie andererseits von der Distanz gegenüber der westdeutschen Sachbuchproduktion aus (vgl. Meyer 1971, 28–35). Es ging um das Herausarbeiten einer »neuen, sozialistischen Qualität« der populärwissenschaftlichen Kinder- und Jugendliteratur der DDR, die primär – wenn auch keinesfalls ausschließlich – darin bestand, »marxistisch zu denken, sich sozialistisch zu verhalten« (ebd., 33). Es war hierbei die vordergründige Herausforderung, die junge Leserschaft zum einen mit der ange8 Zu den theoretischen Grundlagen der kinder- und jugendliteraturwissenschaftlichen Diskussion um Sachliteratur in der DDR vgl. im Detail Neubert 2006, 903–911. 9 Die Theorie der Kinder- und Jugendliteraturwissenschaft der DDR bemühte sich, den Begriff »Sachliteratur durch den Begriff populärwissenschaftliche Literatur zu ersetzen« (Günther 1988b, 104).

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botenen adressatenspezifischen Lektüre geistig nicht zu unterschätzen, sondern sie zum anderen in ihrer Entwicklung zur sozialistischen Persönlichkeit zu stärken.10 Der Lektor und Verlagsleiter, Kinderliteraturtheoretiker und Kinderbuchautor Fred Rodrian (vgl. Steinlein/Strobel/Kramer 2006, 1237) hat in einem 1970 auszugsweise veröffentlichten programmatischen Beitrag »Beginn – Bilanz – Aufgaben«11 in unmissverständlicher Klarheit dieses Ziel als wesentliche Basis der Sachliteraturproduktion für junge Leser in der DDR formuliert: natürlich hat unsere Literatur den Auftrag, auf den weltanschaulichen Standpunkt der Leser einzuwirken, ja, ihn entscheidend mitzuformen. Und wir wollen doch wohl vor allem nicht junge Mathematiker, Physiker, Chemiker mit indifferenter oder disponibler Weltanschauung erziehen, wir wollen wohl vor allem – mit den Mitteln der Literatur – junge Menschen erziehen, junge charakterfeste Revolutionäre mit einem festen marxistisch-leninistischen Standpunkt – die eben zugleich gute Mathematiker, Physiker, Chemiker werden. Wir müssen also auf eine geistige und emotionale Vertiefung unserer Kinderliteratur drängen. Wir müssen den Wirklichkeitsausschnitt und den Beziehungsreichtum unserer Kinderliteratur vergrößern, bis hin zum Bilderbuch, bis zur Literatur für das erste Lesealter. (Rodrian 1970, 25)

Diese programmatische Herausforderung schloss die Sachliteratur für junge Leser explizit mit ein, ja Rodrians Argumentation gründete auf populärwissenschaftlicher Literatur und griff Gedanken wieder auf, die wenige Jahre zuvor in die Debatte eingebracht worden waren.12 Bereits 1967 hatte der Kinderbuchautor und kinder- und jugendliteraturwissenschaftliche Sachbuchtheoretiker Hansgeorg Meyer (vgl. Steinlein/Strobel/Kramer 2006, 1195) die von Rodrian 1969 bzw. 1970 geforderte These der Emotionalisierung der populärwissenschaftlichen Kinder- und Jugendliteratur in seinem Beitrag »Einiges über den emotionalen Aspekt populärwissenschaftlicher Literatur« formuliert (Meyer 1967). Es käme darauf an, so Meyer, den jungen Leser zu begeistern, ihn zu erfüllen »mit der Freude am geistigen Wachstum und mit dem Wunsch, mehr zu wissen, mehr zu erkennen und schöpferisch tätig zu sein, um wie die historischen Helden Erkenntnisse zu erleben« (ebd., 34). Die adressatenspezifische Darstellung des Wissens sollte ergreifen, fesseln, den jungen Leser emotional im Wortsinn packen. Hansgeorg Meyer sah darin das primäre Produktionsprinzip 10 So stellte Fred Rodrian in Bezug auf Günter Radczuns populärwissenschaftliches Sachbuch für junge Leser Prometheus aus Trier konkret fest (Radczun 1968): »Wir haben dann mal den Abstraktionsgrad unseres Mathematikbuches bedacht und gefunden, daß wir den jungen Lesern in bezug auf die Mathematik unendlich viel mehr abfordern als in bezug auf Philosophie und Ökonomie.« (Rodrian 1970, 25) 11 Es handelt sich bei diesem Beitrag um einen »Auszug aus dem Vortrag auf der theoretischen Konferenz anläßlich der 7. Tage der Kinderliteratur 1969 in Dresden« (Rodrian 1970, 35). 12 Rodrian bezog sich bei diesen Ausführungen speziell auf Günter Radczuns populärwissenschaftliches Jugendsachbuch Prometheus aus Trier über den jungen Marx.

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einer genuin sozialistischen Ästhetik populärwissenschaftlicher Kinder- und Jugendliteratur : Unsere populärwissenschaftliche Literatur wird dem Bedürfnis des Lesers nach Wissensgut dann am schönsten und nachhaltigsten gerecht, sie erfüllt dann am gründlichsten die Forderungen nach Anschaulichkeit und optimaler pragmatischer Wirksamkeit, wenn sich ihre Autoren des emotionalen Aspekts ihrer Arbeit bewußt sind. (ebd., 39f.)

Der Sachbuchforscher Harri Günther sah in dieser These von Hansgeorg Meyer eine »Polemik« zu der Auffassung von Georg Klaus, der behauptet hatte, die Darstellungsqualität der populärwissenschaftlichen Literatur für Kinder und Jugendliche erschöpfe sich allein in »syntaktischer Korrektheit, semantischer Adäquatheit und optimaler Wirksamkeit« (Günther 1988a, 91). Es ging jedoch, wie es der Lektor des Kinderbuchverlags Berlin für das populärwissenschaftliche Sachbuch, Franz Herrmann, bereits 1963 formuliert hatte, um das hauptsächlich ästhetisch aufzufassende »energische Bemühen, von der Mittelmäßigkeit, die sich vor allem in einer wenig anschaulichen und darum wenig faßlichen Form der Bücher darbietet, wegzukommen« (Herrmann 1963, 49). Neben das Belehrende sollte zu diesem Zweck das Schöne treten. Ausdrücklich hatte die Sachliteratur für Kinder und Jugendliche den Auftrag, die polytechnische, naturwissenschaftliche und gesellschaftspolitische populärwissenschaftliche Wissensvermittlung in adressatenspezifischer Weise mit einem ästhetisch bildenden Element zu verbinden, um das von Rodrian, Meyer und anderen Vertretern der Theoriebildung in der Kinder- und Jugendliteratur der DDR beschriebene Ziel zu erreichen. Während die Inhaltsseite folglich von sachlicher Belehrung über den populärwissenschaftlichen Gegenstand ebenso wie von weltanschaulicher Bildung bestimmt war, sollte die Formseite ästhetisch durch das »Schöne« überzeugen.13 Mit den Worten des DDR-Sachbuchforschers Harri Günther war es die selbst gestellte ästhetische Herausforderung, »den Begriff populärwissenschaftliche Literatur mit dem Begriff künstlerische Literatur in Verbindung zu bringen« (Günther 1988b, 104). Was aber war damit gemeint? Der viele Jahre in KarlMarx-Stadt beheimatete Kinderbuchautor und Sachbuchtheoretiker Hansgeorg Meyer formulierte hier 1978 einen pointierten Standpunkt, der sich in einer metaphorischen Umkleidung mit den Namen von drei griechisch-antiken Musen in diesem Sinn als zweite übergeordnete Aufgabe der Sachliteratur für die junge Leserschaft herauskristallisierte:

13 Der Beitrag von Meyer steht deshalb unter dem diesbezüglich aufschlussreichen Titel Vom Belehrenden und vom Schönen (vgl. Meyer 1978).

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Wir lassen uns ja gern und klüglich von drei Musen zugleich küssen, wenn wir Kenntnis und Haltung bewirken wollen. Wir bemühen Urania um Fakten und wissenschaftliche Zusammenhänge, reichen sodann Klio die Wange wegen der historischen Verhältnisse und lassen Kalliope schließlich den Epiker in uns wecken. (Meyer 1978, 33)

Vor diesem, in den sechziger und siebziger Jahren sich bereits entwickelnden (sach)literaturtheoretischen Hintergrund steht auch die Konzeption des Kinderlexikons Von Anton bis Zylinder. Diese Forderungen wurden nämlich nicht nur auf die erzählenden und belletristischen Anteile der Sachliteratur für junge Leserinnen und Leser bezogen, sondern explizit auch auf »Enzyklopädien« und »Lexika«, wie Hans-Peter Wetzstein, der Lektor des Kinderbuchverlags Berlin und verantwortliche Redakteur des Komitees, das dieses Kinderlexikon betreute, noch 1978 klar betonte (Wetzstein 1978, 43). Schließlich stellte auch der Kinder- und Jugendsachbuchforscher Harri Günther bereits gegen Ende der Zeit der DDR, im Jahr 1988, in aller Deutlichkeit fest, dass sich »die Gegenüberstellung von Sachliteratur und Belletristik nur zu katalogisierenden Zwecken als sinnvoll« erweist (Günther 1988b, 102). Als Handlungsmaxime erwies sich im Umgang mit der Gattungspoetik des Sachbuchs eine für den sozialistischen Bruderstaat der DDR verbindliche weltanschauliche Devise des sowjetischen proletarischen Schriftstellers Maxim Gorki: »In unserer Literatur darf zwischen dem schöngeistigen und dem populärwissenschaftlichen Buch keine scharfe Trennung bestehen« (Gorki zit. n. ebd., 111). Es galt auch in Bezug auf die »Buchtypen« des Kinderlexikons und der Enzyklopädie: Die Wirksamkeit der populärwissenschaftlichen Literatur ist entschieden abhängig von der Vollkommenheit und Schönheit der Gedankenführung, von der Folgerichtigkeit des gedanklichen Aufbaus, die mögliche Fragen des Lesers vorhersieht sowie Anregung und Spielraum zum Nachdenken gibt. (Wetzstein 1978, 43)

Hinter dieser adressatenspezifischen Ästhetisierung des Wissens stand immer auch der konkrete Gedanke einer Anleitung für das praktische Handeln im sozialistischen Alltag: Der Anteil der Wissensvermittlung sollte in diesem Zusammenhang in den Dienst der »Überführung von Kenntnissen aus der Sphäre der Wissensproduktion in die gesellschaftliche Praxis, in den Alltag der jeweiligen Gesellschaft« gestellt werden (Günther 1988b, 103). In den sechziger Jahren waren diese programmatischen und handlungsleitenden Ideen, die sich für die gesamte Dauer der DDR als ein verbindliches kinder- und jugendliteraturtheoretisches Konstrukt herausgebildet hatten,14 bereits im Kern formuliert und im Begriff, in der praktischen Arbeit innerhalb 14 Dies zeigt sich u. a. darin, dass Harri Günther sich noch 1988 explizit auf diese Grundannahmen beruft (vgl. Günther 1988b).

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der Kinder- und Jugendliteraturproduktion in konkreten Sachbüchern angewandt und weiterentwickelt zu werden. Der Einfluss von didaktischen Elementen war in dieser Phase der DDRSachliteraturproduktion für Kinder und Jugendliche noch besonders hoch, die Nähe der populärwissenschaftlichen Kinder- und Jugendliteratur zum Schulund Lehrbuch, die Dominanz der Wissensvermittlung innerhalb der Sachbuchproduktion noch groß (vgl. Günther 1988b, 104f.): »Es ging also in jener Zeit nicht so sehr darum, das Didaktische zu verbergen, sondern vielmehr darum, es (wieder) zu einer Kunst zu entwickeln« (ebd., 105). Aus diesen Grundannahmen wird innerhalb der Rekonstruktion und Kontextualisierung der Theoriedebatte um die populärwissenschaftliche Literatur für Kinder und Jugendliche ein Interpretationsrahmen deutlich, in deren Kontext die Konzeption und Produktion des Kinderlexikons Von Anton bis Zylinder gestellt werden sollte. Dem Werk wurde im Zusammenhang mit diesen ästhetischen Prämissen auf der Seite der Produzenten von Beginn an besondere Bedeutung zugemessen. Das Kinderlexikon sollte die anspruchsvolle Funktion erfüllen, ein Musterbeispiel populärwissenschaftlicher Kinderliteratur zu sein: Es sollte »das erste sozialistische deutsche Kinderlexikon« der deutschen Kinderliteraturgeschichte werden (Wetzstein 1967, 42). Zu diesem Zweck wurde ein »Autorenkollektiv« gegründet, dem »u. a. Lehrer, Wissenschaftler und Schriftsteller« angehörten (ebd.).15 Das ehrgeizige Konzept entpuppte sich als eine große Herausforderung für den Kinderbuchverlag Berlin. Aus Sicht der Arbeitsgruppe zählte das Projekt »zu den gegenwärtig schönsten, interessantesten, aber auch schwierigsten und kostspieligsten Vorhaben« (ebd.). Die selbst gesteckten Ziele waren von Beginn an hoch und ehrgeizig. Das professionell besetzte Autorenkollektiv hatte sich nichts weniger zur Aufgabe gestellt, als eines der populärsten Sachbücher für Kinder der DDR zu produzieren: »Unser Lexikon soll sich in der Kinderliteratur einen vorderen Platz erobern, ja ein Hausbuch der Familie werden« (ebd., 43). Das Vorhaben der Erarbeitung eines populärwissenschaftlichen sozialistischen Kinderlexikons steht im unmittelbaren Kontext eines von den Kinder- und Jugendliteraturproduzenten forcierten adressatenorientierten populärwissen15 Das Autorenkollektiv bestand u. a. aus anerkannten und prominenten Autorinnen und Autoren der populärwissenschaftlichen Literatur für Kinder und Jugendliche wie Wolfgang Zeiske (Steinlein/Strobel/Kramer 2006, 1318) und Hansgeorg Meyer. Zu diesem Autorenkollektiv gehörten außerdem Siegrid Bellack, Hans Eckart, Annina Hartung, Walter Krämer, Christian Rekow, Karl Rezac, Günther Schmerbach, Edeltraud Dölling, Heinz Schulz und Hans-Peter Wetzstein. Außerdem wurde ein Komitee zur Textberatung eingesetzt, dem neben dem prominenten Kinderbuchautor, Kinderliteraturtheoretiker und Funktionär Gerhard Holtz-Baumert (vgl. Steinlein/Strobel/Kramer 1116f.) auch Franz Herrmann und Karl Sothmann angehörten. Vgl. Impressum in Bellack [1967] 1974.

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schaftlichen Bildungsprogramms. Die Maßnahmen dieses Bildungsprogramms verfolgten den Anspruch, das populärwissenschaftliche Format des Lexikons adressatenspezifisch gleichermaßen sowohl für Kinder als auch für Jugendliche in der DDR zu erschließen und in der sozialistischen Kinder- und Jugendliteratur an exponierter Stelle im Sinn eines Prestigeprojekts zu etablieren. Die DDR beabsichtigte damit nicht zuletzt, an den internationalen Standard von Kinderund Jugendlexika anzuknüpfen. Dies zeigt sich u. a. darin, dass das Autorenkollektiv vor der Erarbeitung einer Konzeption damit begonnen hatte, sich ˇ SSR, Westdeutschland, Frankreich, Italien und den »Kinderlexika aus der C USA« anzusehen (ebd., 42). Die Konzentration auf Gattung und Form des Lexikons ist daher wegen des gestiegenen Anteils adressatenspezifischer Kinder- und Jugendlexika im internationalen Vergleich typisch für die historische Entwicklung der populärwissenschaftlichen Literatur für Kinder und Jugendliche in den sechziger Jahren. Sie dokumentiert die bereits erwähnte, für diese Phase charakteristische Nähe zur dominierenden Wissensvermittlung mit dem Bezugsrahmen zum Lehr- und Schulbuch und zur sachlich belehrenden Kinderliteratur. Sie belegt jedoch ebenso das Bemühen der für die Kinder- und Jugendbuchproduktion Verantwortlichen, spezifisch sozialistisch konzeptionierte Kinder- und Jugendlexika mit Blick auf alle Altersstufen gezielt zu forcieren. Zugleich mit dem Kinderlexikon Von Anton bis Zylinder entstand im Bibliographischen Institut Leipzig ein adressatenspezifisches Analogon in der Form von Meyers Jugendlexikon (Butzmann/Gottschalg/Müller-Hegemann 1968), das »im traditionellen Lexikonformat fast 8000 Stichwörter und rund 1200 großenteils mehrfarbige sowie 50 3-D-Illustrationen auf rund 900 Seiten, bestimmt für Leser von zehn bis sechzehn Jahren«, präsentierte (Meyer 1970, 88f.). Doch auch zu einem anderen populärwissenschaftlichen Sachbuch fallen konzeptionelle Bezüge auf: Von Anton bis Zylinder erscheint in diesem Zusammenhang betrachtet als eine weltanschaulich und polytechnisch bildende, zugleich literarische und ästhetisch erziehende Vorstufe in der Form eines Kinderlexikons für das während des sozialistischen Initiationsrituals der Jugendweihe als Festgabe bestimmte populärwissenschaftliche Jugendsachbuch Weltall – Erde – Mensch (Buschendorf/Wolffgramm/Radandt [1954] 1956), »das massenwirksamste Buch für die Verbreitung der sozialistischen Weltanschauung« (Lokatis 2006, 113). Dass hier zwischen beiden Buchkonzeptionen ein impliziter Korrelationszusammenhang besteht, wird u. a. aus der Tatsache ersichtlich, dass der Illustrator Eberhard Binder-Staßfurt sowohl für den Einband und den Schutzumschlag der Neufassung von Weltall – Erde – Mensch als auch für die Illustrationen des Kinderlexikons Von Anton bis Zylinder verantwortlich zeichnete (vgl. Kosing/Dörge/Wattenberg 1971, 520 Impressum). Die Aquarellillustrationen der Neufassung von Weltall – Erde – Mensch von Eberhard

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Baumann und Wolfgang Würfel weisen erstaunliche stilistische, funktionale und ästhetische Ähnlichkeiten mit den Illustrationen des Kinderlexikons auf (vgl. bspw. ebd., 400f., 448f., 480f. u. a.). Eberhard Binder und seine Frau Elfriede wiederum schufen auch für die Erstfassung des Sammelwerks Weltall – Erde – Mensch architektonische Phantasiedarstellungen eines sozialistischen Futurismus.16 Viele der weltanschaulich geprägten Inhalte der Stichwörter des Kinderlexikons werden in diesem Jugendsachbuch wiederaufgegriffen, erweitert und systematisiert. Die Lektüre des Kinderlexikons Von Anton bis Zylinder sollte daher die systematischen Bildungsvoraussetzungen dafür schaffen, die nach der Jugendweihe in die Lektüre des sozialistischen Sachbuchklassikers Weltall – Erde – Mensch mündeten. Schließlich galt die Devise, die Walter Ulbricht als Vorsitzender des Staatsrates der DDR an die Jugendlichen richtete: »Die Jugend der Deutschen Demokratischen Republik ist eine lernende Jugend. Sie ist bestrebt, in Schule und Beruf sich die Erkenntnisse der fortgeschrittenen Wissenschaft und Technik anzueignen« (ebd., 6).

Die Bildebene: Ein Bilderbuch im Lexikonformat – Zur Struktur der Anschaulichkeit des Kinderlexikons Von Anton bis Zylinder Anschaulichkeit und Veranschaulichung ist ein zentrales Anliegen des Kinderlexikons Von Anton bis Zylinder. Anschauung soll hierbei sowohl auf der Text- als auch auf der Bildebene erzeugt werden. Die Veranschaulichung wird daher einerseits als Verbildlichung des Wortes auf der Textebene und andererseits in der illustrativ zeigenden Versinnlichung desjenigen im Bild erzielt, was auf der Textebene dargestellt ist. Aus ästhetischer Perspektive ist das Kinderlexikon durch diese zweifache künstlerische Beeinflussung des Prinzips der Anschaulichkeit in Illustration und Text aus der Sicht der Theorie der DDR eines der anspruchsvollsten Gattungen der populärwissenschaftlichen Literatur für Kinder und Jugendliche. Hans-Peter Wetzstein konstatierte daher 1978: Die Kunst des Anschaubar-Machens wissenschaftlicher Erkenntnis zeigt sich am eindrucksvollsten in jenen populärwissenschaftlichen Büchern, deren Text und Bild integriert sind und sozusagen eine gemeinsame Partitur haben; die komponiert wurden als Gemeinschaftswerk von Autor und Grafiker ; wo beide die Reize und Möglichkeiten ihrer Medien abgewogen und genutzt, wo beide aufeinander zugearbeitet haben, so daß der Text dort zurücktritt, wo das Bild rationeller und optimaler Aufnahmebereitschaft 16 So spricht Bode (2017, 423) in seinem Beitrag für diesen Sammelband davon, dass Binder und seine Frau Elfriede mit diesen futuristischen Darstellungen »einen Alptraum für das künftige Zentrum von Berlin (in Weltall, Erde, Mensch von 1955) im Bild wahr werden ließen«, wenngleich er konstatiert, dass »dieser sicher nicht Binders Idealvorstellungen entsprungen« war, »sondern eine Auftragsarbeit« darstellte.

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und Faßlichkeit ermöglicht und der Text jenes bildhaft macht, was vom Bild nicht geleistet werden konnte. (Wetzstein 1978, 43)

Die Forderung nach möglichst hoher Qualität der Anschaulichkeit sollte hauptsächlich durch »künstlerische Meisterschaft« der grafischen Gestaltung der Illustrationen erzeugt werden – ein Anliegen, das die Produzenten des Kinderlexikons Von Anton bis Zylinder bereits in der Konzeption der Erstausgabe für sich in Anspruch nahmen (Wetzstein 1967, 43). Dies gelang den Autoren und Illustratoren offenbar, denn Reiner Neubert stellte im Rückblick auf die Rezeptionsgeschichte fest, dass das Kinderlexikon insbesondere »seiner vielfältigen künstlerischen Gestaltung wegen« zu einem »Bestseller der Kinderliteratur« der DDR wurde (Neubert 2004, 57). Dass die im Buch gedruckten Illustrationen in den Augen der Kritiker der Ästhetik der sechziger Jahre in der DDR diesem Anliegen entsprechen konnten, bewies die bereits 1967 erfolgte Auszeichnung des Nachschlagewerks für Kinder mit dem Preis »Schönste Bücher des Jahres« (vgl. Steinlein/Strobel/Kramer 2006, 1293; vgl. auch Günther 1988a, 89, wo von der Auszeichnung »Schönes Buch der DDR« die Rede ist). »Hier wurden Einzelwerke in der Kategorie Illustration ausgezeichnet« (Steinlein/Strobel/Kramer 2006, XX). Außerdem wurde das Lexikon 1971 auf der Internationalen Buchkunst-Ausstellung mit einem Anerkennungspreis ausgezeichnet – für Harri Günther ein Zeichen für »einen merklichen Qualitätszuwachs« im Hinblick auf »die Buchgestaltung« und einen »vielgestaltigen und polyfunktionalen Illustrationsanteil« (Günther 1988a, 83). Auf diese Weise trugen die Illustrationen des Kinderlexikons durch ihre ästhetische Qualität wesentlich dazu bei, die buchgrafische Gebrauchsform der »populärwissenschaftlichen Illustration« für Kinder und Jugendliche von dem noch Ende der siebziger Jahre diskutierten, wenn auch zu dieser Zeit längst überwundenen Makel zu befreien, sie seien ein »Stiefkind der Grafiker« (vgl. Flieger/Schallnau/Wongel 1978). Bild- und Textebene wurden in der Konzeption dieses Kinderlexikons grundsätzlich als ästhetisch gleichrangig und gleichwertig betrachtet. Verbildlichung des Wortes in der Illustration und Bildhaftigkeit der Sprache in der anschaulichen Schilderung charakterisieren das Text-Bild-Verhältnis gleichermaßen. Ziel war »die Abstimmung von Text- und Bildmaterial auf das ungefähre Verhältnis 1:1« (Meyer 1970, 89). Damit ist der Bildanteil des Lexikons sehr hoch, sodass es konzeptionell in die Tradition der Bildenzyklopädien für Kinder und Jugendliche des 18. Jahrhunderts wie Basedows Elementarwerk oder Johann Siegmund Stoys Bilder-Akademie für die Jugend rückt, die sich durch einen ähnlich hohen Bildanteil in den Tafelbänden auszeichnen. Zieht man außerdem die anvisierte Adressatengruppe in Betracht, die aus Schülerinnen und Schülern vom Beginn bis zum Ende der Unterstufe bestand, so kann mit Blick auf die

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Adressatenspezifik dieses Kinderlexikons konstatiert werden, dass es sich bei dem Nachschlagewerk Von Anton bis Zylinder wegen des exponierten Stellenwerts der Illustration als gleichrangig zur Ebene der Stichwörter auch um ein Bilderbuch im Lexikonformat handelt. Illustriert wurde das Kinderlexikon von Eberhard Binder-Staßfurt (vgl. Steinlein/Strobel/Kramer 2006, 1001) unter Mitarbeit von seiner Ehefrau Elfriede Binder sowie Hermann Goebel und Gerhard Lehmann (vgl. Impressum in Bellack [1967] 1974). Binder war als ausgebildeter Gestalter und Werbegrafiker einerseits mit der Darstellung von Alltagsgegenständen vertraut, brachte allerdings ebenso die erforderliche Spezialisierung für Kinderbuchillustrationen mit. Seine hier erzielten ästhetischen Leistungen wurden nicht nur in der DDR, sondern auch in der westdeutschen Kinderliteraturforschung hoch geachtet. Ihm wurde »Einfallsreichtum« und ein Gespür für die »Vielfalt der Handlungsmomente« bescheinigt, das »Bildhaft-Anschauliche« seiner Illustrationskunst wurde gelobt und eine gelungene Verbindung von »Realistik und Phantastik« hervorgehoben (Dierks 1984c, 172). Ausdrücklich wurden seine Arbeiten für das Kinderlexikon als herausragend gelungen eingeschätzt: »Spaßig und belehrend, witzig und mit Sachverstand illustrierte Binder die Stichwörterauskünfte« (ebd.). Auch das Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR. Von 1945 bis 1990 kommt noch 2006 zu einer ähnlichen Einschätzung: »Die Illustrationen und Zeichnungen sind ästhetisch anspruchsvoll, oft plastisch, so dass Text und Bild eine qualitativ hohe Anschaulichkeit vermitteln« (Steinlein/ Strobel/Kramer 2006, 1293). Die Illustrationen erfüllen unter dem Primat der Veranschaulichung betrachtet zahlreiche Funktionen, die sowohl für das erzählende Bilderbuch als auch für das Sachbilderbuch sowie für modellhaft-abstrakte, wissenschaftspropädeutische oder protowissenschaftliche Abbildungen in der populärwissenschaftlichen Literatur für Kinder und Jugendliche typisch sind (zur Besonderheit von Illustrationen im Sachbuch vgl. Günther 1988a, 28f.; zur Typologie des Sachbuchs für Kinder und Jugendliche vgl. u. a. Ossowski 1996). Veranschaulichung steht in diesem Kinderlexikon daher auch innerhalb eines Konzepts der visuellen Erziehung. Die jungen Betrachter sollten die verschiedenen Formen und Funktionen von Bildern im Umgang mit diesem Lexikon nämlich systematisch lesen lernen. Dazu bot das vielfältige Bildangebot zahlreiche Anregungen. Es ermöglichte innerhalb eines breiten Spektrums in verschiedenen Abstufungen der Funktionalisierung von Illustrationen sowohl einen spielerisch-leichten als auch einen abstrakt-wissenschaftlichen Bildzugang. Sie entsprechen den Funktionen, die bereits Harri Günther als merkmalsspezifisch für Sachbuchillustrationen für Kinder und Jugendliche herausgestellt hatte: »dokumentarische Bilder« (als »exaktes, zumeist fotografisches Abbild«), »semantisch verdichtete Bilder« (als »Wiedergabe einer Erscheinung mit der Treue

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des Details« mit »texterläuternden« oder »textausdeutenden« Funktionen) und »Wissensbilder« (als Mittel der »rationalen Aneignung« von Wissen und als »texterläuterndes und textkonstituierendes Element«) (vgl. Günther 1988a, 28f.). In Bezug auf ihre anspruchsvolle populärwissenschaftliche Funktion haben die Illustrationen die Aufgabe der Abbildung von abstrakten Modellen, die eine räumliche und zeitliche Vorstellung des dargestellten Gegenstands bei der jungen Leserschaft bezwecken. Dazu gehören beispielsweise Modelle von Maschinen sowie Quer- oder Längsschnitte von Phänomenen oder Naturerscheinungen. Diese Illustrationen stellen daher bspw. die Anatomie des menschlichen Körpers in Zeichnungen im Aufriss oder Abbildungen von Gegenständen wie Autos, Flugzeuge oder Schiffe dar. Auch modellhafte Tafeln, die einen wissenschaftlichen Zusammenhang im Schaubild veranschaulichen, zählen hierzu und erfüllen protowissenschaftliche Funktionen, zu denen auch die geografischen Karten als Modelle gehören. Diese Karten haben die Illustratoren teilweise stark an das kindliche Auffassungsvermögen angepasst und durch didaktische Reduktion der dargestellten natur- und kulturgeografischen Phänomene auf das Wesentliche vereinfacht. Dazu dient auch eine anschaulich-reduktionistische ikonografische Abbildungsstruktur, die eine rasche Orientierung anhand von Miniaturbildern der darzustellenden geografischen Inhalte ermöglicht. So stellt ein vereinfacht gezeichnetes Rind bspw. das Phänomen der Rinderzucht dar. Das Lernen des Lesens und Verstehens von Karten ermöglichen diese Darstellungen überdies auf überzeugende Weise, weil zusätzlich die professionelle Funktionsweise von Karten didaktisch geschickt unter dem Stichwort Landkarte eigens erläutert wird, zu der das Lexikon anleiten möchte (Bellack [1967] 1977, 228f.). Abstrakte Modelle wie Schemata, Diagramme, Tabellen oder Übersichten, aber auch Abbildungen ikonischer Zeichen dienen ebenfalls dem wissenschaftspropädeutischen Wissenserwerb über Illustrationen im Kinderlexikon.17 Speziell die Tier- und Pflanzendarstellungen überzeugen durch ihre realistische Präzision, wobei die Illustrationen mitunter auch originelle Perspektiven und Situationen abbilden: So ist bspw. ein Tiger in einer Draufsicht bei Nacht in einer farbigen Aquarellzeichnung in Hell-Dunkel-Kontrastierung in seinem natürlichen Verhalten auf Beutefang zu sehen. Die Aquarellmalerei fängt mit geschickten Pinselstrichen ästhetisch realistisch wirkende, farbige Lichtverhältnisse ein, wie sie von einer ausgezeichneten Farbfotografie mit Blitzlicht

17 Beispiele für Schemata sind u. a. »Schema eines Wärmekraftwerks« und »Schema eines Atomkraftwerkes« in Bellack [1967] 1977, 222f., für ikonische Zeichen vgl. die Abbildungen von Verkehrszeichen in ebd., 409. Als Beleg für eine Tabelle vgl. u. a. die Tabelle »Die ersten Raumflüge« in ebd., 217. Eine typische Übersicht ist die Darstellung »Die Erforschung der Meerestiefen« in ebd., 254.

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erzielt werden können (Bellack [1967] 1974, 203) – ein optischer Eindruck, der den realistischen Darstellungseffekt geschickt akzentuieren soll.

Abb. 1 Ein Tiger mit fotorealistischer Präzision gemalt

Andere Illustrationen sind eher atmosphärischen Charakters und folgen der Ästhetik der Wandtafelbilder und erzählenden, teilweise panoramatischen Bilder in der Form von stimmungsvollen Gemälden in Aquarellfarben und sollen beispielsweise in einer doppelseitigen Abbildung die Situation einer Gefechtsübung der Nationalen Volksarmee nachbilden (ebd., 280f.) oder die Besonderheiten der sozialistischen Architektur im Städtebau der DDR veranschaulichen (ebd., 367). Die zahlreichen Fotografien von historischen Persönlichkeiten und Abbildungen von Gemälden der Kunstgeschichte erfüllen als Illustrationen hingegen dokumentarische Funktionen und dienen dem (kunst)historischen bzw. ästhetischen Lernen. Richtet sich diese Art der Abbildung bereits an fortgeschrittene Betrachter, die Bilder raumzeitlich und hinsichtlich ihres historischen Aussagewerts deuten gelernt haben oder sogar im höheren Abstraktionsgrad bereits in der Lage sind, Informationen aus theoretischen Modellen in Illustrationen zu entnehmen oder abzuleiten oder aus geografischen Karten zu lesen, sind die Illustrationen

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adressatenspezifisch auch so konzeptioniert, dass Leseanfänger und sehr junge Betrachter auf ihre Kosten kommen können. Hier werden speziell für diese Zielgruppe insbesondere Anklänge an die Bilderbuchillustrationen für das Erstlesealter in vielen Abbildungen deutlich. Bereits die kleinen, vignettenhaften Leitbilder der Anfangsbuchstaben des Alphabets, die den Beginn jedes neuen Abschnitts zu einem Buchstaben im alphabetischen Stichwortkatalog des Lexikons markieren, sind voller Komik und versteckter Bildwitze, die ganz offensichtlich speziell diese Leserschicht der Erstleser intendiert. So wird bspw. bei der Darstellung des Buchstabens H wie Heinrich im Bild ein komisch dargestellter Hirsch mit weihnachtlich brennenden Kerzen auf dem Geweih als Illustration eingeschaltet. Diese Illustration spielt als intertextuelle Referenz unverkennbar auf das Buchcover des in der DDR sehr bekannten, in der Weihnachtszeit situierten Bilderbuchs Hirsch Heinrich von Fred Rodrian an (Rodrian 1960).

Abb. 2 Buchstabe H des Kinderlexikons mit Anspie- Abb. 3 Illustration der vorderen Einlung auf Rodrians Hirsch Heinrich (1960) banddecke zu Fred Rodrians Hirsch Heinrich (1960) von Werner Klemke

Dies erzeugte bei der Zielgruppe zweifellos einen großen Wiedererkennungswert und ermöglichte somit auch den jüngsten unter der Leserschaft auf adressatenspezifische Weise literarisches und ästhetisches Lernen (vgl. ebd., 170). Das Bestiarium von Phantasietieren (ebd., 385), in dem bekannte Säugetiere und Vögel in komischer Weise im Verfahren der verkehrten Welt (Mundus inversus) kombiniert werden, intendiert ebenfalls die Zielgruppe der Erstleser und soll über die komischen Bildwirkungen ihr Interesse und ihre Schaulust zum Betrachten des Lexikons wecken.

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Vom Bilderbuch für die Jüngsten inspiriertes Figureninventar wie kleine Männchen, die dargestellt sind, um im Modell der menschlichen Verdauung bestimmte Verdauungsprozesse anthropomorphisierend zu veranschaulichen (ebd., 405), erfüllen als Identifikationsfiguren aus dem Kontext des Bilderbuchs den Zweck, Erstleser an die Betrachtung von Modellen und deren Abstraktion behutsam heranzuführen. Speziell diese Abbildungen haben eine didaktische Gelenkfunktion zwischen Sachbilderbuchillustration und abstraktem Modell.

Abb. 4 Modell der Verdauung

Andere bunte Erzählbilder, wie die in einer Doppelseite in vier einzelne Aquarelle arrangierten farbigen Bilder zu den vier Jahreszeiten (ebd., 192f.) sind in Aufbau und stilistisch-ästhetischer Gestaltung ganz an Bilderbuchstrukturen orientiert und für kleine Betrachter bestimmt, die sich zum ersten Mal über die

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Sphäre des ihnen vertrauten Bilderbuchs hinauswagen und zu einem Nachschlagewerk für Kinder greifen. Eberhard Binder-Staßfurt sprach in diesem Zusammenhang in Übereinstimmung mit der von Hansgeorg Meyer übernommenen Argumentation, dass »informative Wirkungen« und »emotionale Wirkungen« in der Sachillustration für Kinder »eng zusammengehören« (Binder 1986, 34), von »Ideogrammformen« (ebd., 37). Darunter verstand er »einfachste Zeichen«, die im Bild in für Kinder leichtfasslicher Art »für einen Begriff« stehen (ebd.). Durch diese Bildzeichen wird das »Bild-Denken« der Kinder für die Sprachentwicklung und die Allgemeinbildung nutzbar und förderlich gemacht (ebd., 38). In diesem Sinn sind diese Bilder des Kinderlexikons für junge Betrachter zu verstehen. Durch diese Rücksichtnahme auf das jeweilige ikonografische Fassungsvermögen der anvisierten Leserschaft haben die Illustratoren des Kinderlexikons ein überzeugend anspruchsvolles, lernpsychologisch sehr reflektiertes und individuell auf das adressatenspezifische Lesealter der Kinder jeweils angepasstes Bildprogramm entwickelt. Die Bildebene berücksichtigt verschiedene Erkenntnisstufen, die junge Betrachter erlangen können und veranschaulicht verschiedene Funktionen von Illustrationen innerhalb einer gezielten Systematik der stufenweisen Entwicklung der Bildbetrachtung. Die Illustrationen ermöglichen ein Mitwachsen des Nachschlagewerks mit der zunehmenden Auffassungsgabe der Kinder vom Eintritt in die Unterstufe bis zum Übergang zur Mittelstufe. Das Bildprogramm fordert daher sowohl zum Nachdenken auf als auch zum Weiterdenken heraus. Der methodisch stufenweise verlaufende Aufbau des Anspruchsniveaus der Illustrationen beginnt dabei mit der kindgemäßen Bilderbuchillustration. Von dort aus führt das Bildprogramm die jungen Betrachter systematisch und deutlich wissenschaftspropädeutisch ausgerichtet bis an die Abstraktion des wissenschaftlichen Modells. Dieses hintergründig anspruchsvolle Bildprogramm versteckt sich jedoch vordergründig hinter einem bunten Sammelsurium an geschickt arrangierten, das Auge bereits während des ersten Seheindrucks reizenden Blickfängen, die das Interesse der jungen Betrachter der DDR auf sich ziehen sollten. Der Abwechslungsreichtum der verschiedenen Typen von Illustrationen und ihren stufenweise arrangierten Funktionen, wirkt daher nicht nur systematisierend, sondern auch allgemeinbildend, weil die Illustrationen insgesamt die Neugier und die Schaulust der Kinder wecken sollten und zur Lektüre der Stichwortartikel des Lexikons animieren konnten.

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Die Textebene: 1.000 Stichwörter im Dienst des Sozialismus? – Zur Ästhetik und Konzeption des Kinderlexikons Von Anton bis Zylinder In Bezug auf zentrale Gestaltungsstrukturen der Textebene des Kinderlexikons wird deutlich, dass es sich um adressatenorientierte Wissenschaftspopularisierung handelt, die speziell für lesefähige Schülerinnen und Schüler nach dem Eintritt in die Unterstufe bis zum Übergang zur Mittelstufe des Schulsystems der DDR bestimmt war. Intendiert ist allerdings primär »die Orientierung auf jenen Schüler, der soeben von der Unter- zur Mittelstufe der polytechnischen Oberschule überwechselt« (Meyer 1970, 89). Dennoch ist das Lexikon insgesamt »gedacht für Leser der 2. bis 6. Klasse« (Schleicher 1985, 5). Die bereits mehrfach erwähnte Nähe der populärwissenschaftlichen Kinderliteratur zur Schule als Kennzeichen für die Entstehungszeit der sechziger Jahre wird hieraus ersichtlich. Ziel der Textebene der rund 1.000 Stichworte18 war eine »geschickte Koordinierung des Stichwortkatalogs mit dem Lehrplanwerk, der Gebrauch jener Definitionsmethoden, die der Begriffsbildung der Kinder gegen Ende des Unterstufenalters entsprechen, das Prinzip der Veranschaulichung und Vereinfachung im Text bei größtmöglicher Wahrung wissenschaftlicher Exaktheit« (Meyer 1970, 89). Auf die Ästhetisierung der Methodik nach diesem »Prinzip der Veranschaulichung und Vereinfachung«, wie Meyer dies bezeichnet hatte, wurde der größte Wert gelegt. Besonders die Verquickung von Bild und Text wurde im Sinn des Prinzips der Veranschaulichung zu optimieren versucht: So enthalten die »Stichwörter aus dem naturwissenschaftlichen, den technischen und gesellschaftlichen Bereichen« ungefähr »1000 Abbildungen« (Schleicher 1985, 5). Ausführlich wurde aus textlinguistisch-stilistischer Perspektive in einer Diplomarbeit der Pädagogischen Hochschule Erfurt-Mühlhausen von 1983, die 1985 in einem kurzen Auszug in den Beiträgen zur Kinder- und Jugendliteratur erschien (Schleicher 1985), diskutiert, den Prozess der sogenannten Akkomodation und Assimilation des Wissens – also die spezifische Zurichtung des Wissens für die anvisierte Adressatengruppe – so einfach wie möglich zu gestalten.19 So wurde von Sigrid Schleicher an einem eindrucksvollen Beispiel kritisiert, dass einzelne Satzstrukturen auf der Stichwortebene des Kinderlexi18 Wetzstein 1967, 44 spricht von »etwa 1000 Stichwörtern« der Erstausgabe des Kinderlexikons, Meyer 1970, 88 von »800 Stichwörtern«. In Bellack [1967] 1977 hinterer Klappentext Buchumschlag ist in einem Auszug aus einer Rezension der Neuen Zeit von »850 Stichworttexten« die Rede. Schleicher 1985, 5, spricht mit Bezug auf die 9. Aufl. von »etwa 850 Stichwörtern«. 19 Zu diesem Prozess innerhalb des Handlungs- und Symbolsystems der Normen und Konzepte von Kinder- und Jugendliteratur vgl. aus systemtheoretisch-kommunikationswissenschaftlicher Perspektive die Ausführungen von Ewers 2012, 171–195.

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kons »bis zu Nebensätzen 3. Grades« reichen (ebd., 7). Ausdrücklich plädiert Schleicher zugunsten der Anschaulichkeit und des Textverständnisses für »die Verkürzung solcher Sätze« (ebd.). Diese Kritik zeigte sich auch in dem Hinweis, auf die für Kinder rezeptionserschwerende »Verdichtung durch Aufzählung nominaler Wortgruppen« zu verzichten, auf die Schleicher in ihrer Analyse gestoßen war (ebd., 8). Diese textlinguistisch-stilistische Analyse Schleichers fand weitere Interessenten. Christian Bergmann weitete den Ansatz auf einen Vergleich zwischen Kinder-, Jugend- und Erwachsenenlexikon aus und konnte anhand des Stichworts »Atom« zeigen, dass die Prozesse der Akkomodation und Assimilation des Wissens auf der Stichwortebene des Kinderlexikons mit Blick auf Satzstrukturen besonders berücksichtigt worden sind: »In Relation zur Textlänge weist der Artikel des Kinderlexikons die größte Reichhaltigkeit an syntaktischen Formen auf.« (Bergman 1988, 31) Es wurde alles vermieden, was dem am Lehrplan orientierten Kinderlexikon den Ruch eines Schullehrbuchs verliehen hätte. Das Buch sollte zwar seine »Bildungs- und Erziehungsaufgaben« erfüllen, aber dieses Ziel verfolgen, »indem es den Leser unterhält. Es muß Spaß machen, in diesem Buch zu blättern und zu stöbern« (Wetzstein 1967, 43). Reiner Neubert konstatierte mit Blick auf dieses Ziel derartiger Sachbücher daher noch im Jahr 2006: Die meisten von ihnen rangen gleichsam um ästhetischen Anspruch. Das von einem Autorenkollektiv unter Leitung von H. P. Wetzstein herausgegebene Lexikon für Kinder mit dem Titel Von Anton bis Zylinder (1970) [sic! Die Erstausgabe erschien 1967; d. Verf.] war sichtbarer Ausdruck des Konzeptes, fachliche Qualifizierung, künstlerisch-ästhetische Bedürfnisbefriedigung und zugleich niveauvolle Unterhaltung mittels Sachliteratur erreichen zu wollen. (Neubert 2006, 918)

Neben dem Zweck, »Inhalte der Allgemeinbildung« zu vermitteln (Wetzstein 1967, 45), war die politisch-weltanschauliche Erziehung nach Maßgabe des Lehrplans für die Unterstufe richtungsweisend für die Struktur und Konzeption der Textebene des Kinderlexikons: Wir gingen bei der Auswahl der Stichwörter von den Forderungen der Gesellschaft an die Bildung und Erziehung der Kinder aus, wie sie im Lehrplan gesetzlich festgelegt sind, d. h., wir haben den Lehrplan der ersten bis vierten Klasse systematisch daraufhin untersucht, welche im Unterricht vermittelten Begriffsinhalte im Lexikon erfaßt werden müssen (ebd.).

Dies betraf ausdrücklich »die politische Position des Lexikons« (ebd.). Es war daher dezidiert Aufgabe der Nachschlagewerke für Kinder, »jenes Wissen und jenes Problembewusstsein zu vermitteln, das sie auf ihre Rolle als künftige Gestalter der Gesellschaft vorzubereiten hilft« (Günther 1988a, 91). Das Kinderlexikon erfüllte deshalb auch den Zweck, die Kinder der Unterstufe in die Grundlagen des Klassenkampfes einzuführen und in den zentralen As-

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pekten der marxistisch-leninistischen Weltanschauung und Geschichtsdeutung zu schulen. Methodisch wird dies der jungen Leserschaft speziell durch Aktualisierung anschaulicher Beispiele aus der Politik der sechziger Jahre aus der Sicht der sozialistischen Politik geschildert. So heißt es bspw. unter dem Stichwort Imperialismus: Der Imperialismus ist das letzte Entwicklungsstadium des Kapitalismus. Wenige Großkapitalisten, die über Milliardenvermögen verfügen, beherrschen die gesamte Wirtschaft. […] Heute gebieten die Sowjetunion und die anderen sozialistischen Länder dem imperialistischen Streben Einhalt. – Ein Beispiel für imperialistische Politik ist der unmenschliche Krieg, den die amerikanischen Imperialisten im Jahre 1965 gegen das vietnamesische Volk begonnen hatte. (Belack [1967] 1974, 186)

Diese Tendenz zur Veranschaulichung durch aktuelle politische Beispiele zeigt sich auch im Stichwort Solidarität: Wie kommt es, daß Vietnam und Kuba dem stärksten imperialistischen Land [USA, d. Verf.] so erfolgreich Widerstand leisten konnten? Die Werktätigen Vietnams und Kubas waren nicht allein. Sie wurden in ihrem gerechten Kampf von aufrechten Menschen aus vielen Ländern unterstützt. (Belack [1967] 1974, 351)

Die für den Klassenstandpunkt des Marxismus-Leninismus charakteristische Gut-Böse-Dichotomisierung von Bruderstaaten und Klassenfeinden wird in unmissverständlicher Klarheit ausgeführt, sodass die junge Leserschaft schnell begreifen lernte, wer im Sozialismus Freund und wer Feind ist. Unter dem Stichwort Koexistenz wird bspw. auf die große sozialistische Oktoberrevolution verwiesen, um daran anschließend zu konstatieren: Seither scheuen imperialistische Länder keine Mittel, um den Sozialismus zu beseitigen. […] Dagegen verfolgen die sozialistischen Staaten eine Politik des friedlichen Nebeneinanderbestehens, der friedlichen Koexistenz mit den kapitalistischen Staaten (Belack [1967] 1974, 209).

Die Ideologeme der marxistisch-leninistischen Lehre werden mit dem Ziel der didaktischen Reduktion in einer Einfachheit erläutert, die stereotypisierend wirkt, zumal sie in der Wahl ihrer politisch nicht immer korrekten Begriffe nicht zimperlich ist. Der Klassenfeind der USAwird diesbezüglich in aller Deutlichkeit desavouiert. Unter dem Stichwort Vereinigte Staaten von Amerika (USA) ist zu lesen: [Die USA] sind das mächtigste imperialistische Land. […] Im Südosten der USA ließen Großgrundbesitzer Negersklaven, die in Afrika geraubt worden waren, schwerste Arbeit auf den Pflanzungen verrichten. Die Sklaverei ist zwar seit langem abgeschafft, aber noch heute werden die Neger von den »Weißen« verachtet. […] Mit ihrer wirtschaftlichen Macht beherrschen die Monopolherren auch den Staat, ja sie versuchen, durch Bestechung, politischen Mord und militärische Drohungen anderer Länder von sich abhängig zu machen; sie streben nach Weltherrschaft. Aber die immer stärker

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werdende sozialistische Staatengemeinschaft gebietet den amerikanischen Imperialisten Einhalt. (Belack [1967] 1974, 405f.)

Diese Gut-Böse-Dichotomisierung begegnet bei der Stichwortlektüre allenthalben. So erfährt die junge Leserschaft unter dem Stichwort Großbritannien, dass die englischen Herrscher ihre Flotte nur deshalb in alle Welt schickten, »um fremde Handelsschiffe auszurauben, fremde Länder zu erobern und deren Bevölkerung auszuplündern« (ebd., 159). Exemplarisch herausgegriffene Personenstichwörter zu Karl Marx, Friedrich Engels, Lenin, Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und Clara Zetkin und zu historischen Vorbildern des Klassenkampfes wie dem Bauernführer Thomas Müntzer20 zeigen ebenso wie politische Artikel zu den Begriffen Arbeiterbewegung, Kommunistische Partei, Oktoberrevolution oder Sozialismus:21 Das Autorenkollektiv hatte ganze Arbeit geleistet und viel Mühe darauf verwendet, um das Ziel der politisch-weltanschaulichen Erziehung der Kinder nach den Vorgaben des Lehrplans der DDR mustergültig zu erreichen. Diese Tendenz setzt sich auch hinsichtlich der Personeneinträge zu Autoren und Künstlern fort, die hauptsächlich aus ideologischen Gründen wegen ihrer besonderen ästhetischen Konformität zur marxistisch-leninistischen Weltanschauung Aufnahme in das Kinderlexikon gefunden haben. So ist im Stichwort zu Erich Weinert bspw. das Lied der Thälmannpioniere abgedruckt (Belack [1967] 1974, 425). Über die Art von Weinerts Lyrik heißt es in aller, für die ideologische Erziehung der Kinder vereindeutigenden Klarheit: »Seine Gedichte sagen, mal spöttisch, mal ernst, wer Freund und wer Feind der Arbeiter ist und wie man gegen Ausbeutung, Faschismus und Krieg kämpfen muss« (ebd.). Die Darstellung des Verhältnisses zu Westdeutschland und Westberlin ist von der Situation des Kalten Kriegs beherrscht. Der ideologiebedingt unversöhnliche Ton in den jeweiligen Stichwörtern des Kinderlexikons ist unverkennbar von den verhärteten Fronten der Blockbildung von Ost und West geprägt. Wenige Jahre nach dem Bau der Mauer werden sowohl aktuelle politische Ereignisse als auch die systematische Desavouierung des Klassenfeindes instrumentalisiert, um einerseits den Klassenstandpunkt der Kinder zu schulen, zugleich jedoch auch die Feindschaft gegenüber den Westmächten und Westdeutschland zu schüren. Unter dem Stichwort Bundesrepublik Deutschland (BRD) heißt es: Die BRD wird von den Herren der mächtigen Industriebetriebe und Großbanken, den Imperialisten, beherrscht. […] In der BRD werden oft Menschen, die für Frieden und 20 Zu den Stichwörtern Karl Marx vgl. Belack [1967] 1974, 250f., zu Friedrich Engels vgl. ebd., 104f., zu Lenin vgl. ebd., 233f., zu Karl Liebknecht vgl. ebd., 238f., zu Rosa Luxemburg vgl. ebd., 244, zu Clara Zetkin vgl. ebd., 439f., zu Thomas Müntzer vgl. ebd., 272f. 21 Zu den Stichwörtern Arbeiterbewegung vgl. Belack [1967] 1974, 22–25, zu Kommunistische Partei vgl. ebd., 212f., zur Oktoberrevolution vgl. ebd., 288, zu Sozialismus vgl. ebd., 256.

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Verständigung zwischen den Völkern eintreten, Verfolgungen ausgesetzt. Die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) wurde verboten (ebd., 75).

Diese genuin marxistisch-leninistische Argumentationsstrategie wird innerhalb des Kinderlexikons perpetuiert. Unter dem Stichwort Westberlin konnten die Kinder der DDR lesen: »Während in der Hauptstadt der DDR die Gegner des Faschismus und des Krieges eine Ordnung des Friedens und des Sozialismus errichtet haben, behielten in Westberlin die imperialistischen Herren der Großbetriebe und Banken ihre Macht« (ebd., 428f.). Es ist deshalb auf der Grundlage von derartigen Äußerungen berechtigt, wenn das Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR. Von 1945 bis 1990 zu der Einschätzung gelangt: »Denjenigen Eintragungen, die eine politische Intention auszustrahlen vermögen, ist eine eindeutige Ausrichtung auf konsequent marxistisch-leninistische Position[en] anzumerken« (Steinlein/ Strobel/Kramer 2006, 1293). Es wäre allerdings eine zu verengende Sicht auf dieses sozialistische Kinderlexikon, wenn man die Textebene der Stichwörter ausschließlich auf diese ideologischen Komponenten reduzieren würde. Das Lexikon enthält abgesehen von den geografischen, naturwissenschaftlichen und polytechnischen Inhalten auch mit Blick auf das politische und gesellschaftliche Leben in der DDR eine ganze Reihe informativer Begriffserklärungen, die das sozialistische Alltagsleben in der DDR adressatenspezifisch für Kinder anschaulich schildern und erläutern. So gesehen ist Von Anton bis Zylinder aus der Retrospektive betrachtet auch ein beachtliches und aufschlussreiches populärwissenschaftlich-literarisches Dokument und Literaturdenkmal über das spezifische Alltagsleben in diesem Land. Die Kinder konnten bspw. über den Internationalen Frauentag, den Internationalen Tag des Kindes, die Kampfgruppen, die Jugendweihe, die landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft (LPG), die Messe der Meister von morgen (MMM), den Ministerrat, die Nationale Front der Deutschen Demokratischen Republik, die Nationale Volksarmee (NVA), über Parteien und Massenorganisationen, die Pionierorganisation »Ernst Thälmann«, zur Schulsportgemeinschaft (SSG), die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands (SED), den Staatsrat, zum Tag der Befreiung, zum Tag der Republik und zum Tag des Lehrers, zur Verfassung der DDR, zur Volkskammer und Volkspolizei und zum Warschauer Vertrag etwas zum Alltag in ihrem Land lernen.22 22 Zu den Stichwörtern zum Internationalen Frauentag und zum Internationalen Tag des Kindes vgl. Belack [1967] 1974, 191, zu Kampfgruppen vgl. ebd., 199, zur Jugendweihe vgl. ebd., 196, zur landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft (LPG) vgl. ebd., 230, zur Messe der Meister von morgen (MMM) vgl. ebd., 259, zum Ministerrat vgl. ebd., 266, zur Nationalen Front der Deutschen Demokratischen Republik vgl. ebd., 278, zur Nationalen Volksarmee vgl. ebd., 279, zu Parteien und Massenorganisationen vgl. ebd., 292, zur Pionierorganisation »Ernst Thälmann« vgl. ebd., 298, zur Schulsportgemeinschaft (SSG) vgl.

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Die Einführung der Kinder in das sozialistische Alltagsleben ist selbstverständlich auch hier von der Rhetorik des Sozialismus bestimmt, wenn es bspw. vom Internationalen Frauentag heißt: »Er ist ein Kampftag und ein Ehrentag der fortschrittlichen Frauen der ganzen Welt« (Bellack [1967] 1974, 191). Die Tendenz zur vormilitärischen Erziehung der Kinder wird ebenso deutlich, wenn im Artikel zur Nationalen Volksarmee der Waffendienst zu einer Frage der sozialistischen Ehre stilisiert wird: »Es ist für jeden jungen Menschen eine Ehre und eine Verpflichtung, in der Nationalen Volksarmee zu dienen« (ebd., 283). Auch die Glorifizierung sozialistischer Initiationsrituale wie die Jugendweihe dient dazu, das Alltagsleben der Kinder nach der Maßgabe des Sozialismus zu strukturieren. Unter dem Stichwort Jugendweihe wird deutlich, was von den Kindern erwartet wird: »Während des achten Schuljahres nehmen die Schüler an der Jugendweihe teil. Sie legen das Gelöbnis ab, tüchtige Sozialisten zu werden und unserem Arbeiter-und-Bauern-Staat treu zu dienen. Damit treten sie in die Welt der Erwachsenen ein« (ebd., 196). Selbst in denjenigen Passagen, in denen alltagskulturelle Praktiken scheinbar mit der Absicht der zweckmäßigen Belehrung der Kinder geschildert werden, die nicht unmittelbar den gesellschaftspolitischen Kontext betreffen, wird von den Autoren des Kinderlexikons auf die Konformität des Aussagewertes der Stichworte mit den Zielen der Erziehung zur sozialistischen Persönlichkeit geachtet: Zur täglichen Haut- und Körperpflege waschen wir uns morgens mit kaltem Wasser, abends den ganzen Körper mit Seife und warmem Wasser. Zähneputzen nicht vergessen! Wir treiben Sport und härten uns durch Licht, Luft und Wasser ab. Unseren Tagesablauf teilen wir richtig ein und sorgen für ausreichend Erholung und Schlaf. Durch Sauberkeit und rücksichtsvolles Verhalten schützen wir uns und unsere Mitmenschen vor Ansteckung: Nach der Toilettenbenutzung waschen wir uns die Hände. (ebd., 185)

Obwohl es in diesem Auszug aus dem Lexikoneintrag zum Stichwort Hygiene auf den ersten Blick um biologische Grundlagen des Umgangs mit dem Körper von Kindern geht, spielt auf den zweiten Blick unverkennbar selbst an dieser Stelle die gesellschaftspolitische Dimension der Erziehung der Kinder zum Sozialismus mit hinein. Konkret ist es hier ein zentrales Gebot der Jungpioniere, das den gesellschaftspolitischen Referenzrahmen zu den Ausführungen in diesem Kinderlexikon bildet: Wir Jungpioniere »halten unseren Körper sauber und gesund« (vgl. auch ebd., 299).23 ebd., 344, zur Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) vgl. ebd., 356, zum Staatsrat vgl. ebd., 365, zum Tag der Befreiung, zum Tag der Republik und zum Tag des Lehrers vgl. ebd., 372, zur Verfassung der DDR vgl. ebd., 406, zu Volkskammer und Volkspolizei vgl. ebd., 415 und zum Warschauer Vertrag vgl. ebd., 420. 23 Dieses Gebot galt auch für Thälmannpioniere (vgl. Belack [1967] 1974, 300).

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Gleichwohl sind die Anzahl und die thematische Vielfalt der Artikel zur Allgemeinbildung in diesem Kinderlexikon enorm. Es zeichnet sich durch eine erstaunliche Bandbreite von interessant arrangierten und abwechslungsreich präsentierten Wissensbeständen aus, die naturwissenschaftlich-polytechnische Inhalte vom Maschinenbau bis zur Zoologie, Biologie, Geografie, Mathematik, Physik, Chemie, Astronomie ebenso berücksichtigen wie ästhetische Themen der Kunst-, Musik- und Literaturgeschichte und Architektur. Schließlich ist das Lexikon Von Anton bis Zylinder auch ein Wissensspeicher, der Neugierde wecken und die Lust zur Wissenschaft auf bildlich und verbal ansprechende Weise wecken sollte. Davon zeugen nicht zuletzt die zahlreichen Querverweise auf die Sachliteraturproduktion für Kinder und Jugendliche in der DDR, die sich am Ende der Stichwörter nachweisen lassen.24 Hier konnte die wissbegierige junge Leserschaft mit weiteren populärwissenschaftlichen Sachbüchern ihren Wissenshunger stillen. Auf diese Weise wurden bei den jungen Leserinnen und Lesern systematisch der Fortschrittsglaube und die Apologie einer wissenschaftlichen Weltanschauung geschult. Wenn es innerhalb dieser Fülle an Informationen ein übergeordnetes Prinzip dieses sozialistischen Wissensspeichers für Kinder im Lexikonformat gibt, dann ist es die bewusst aufklärerische Tendenz, die dieses Werk auszeichnet. Es stellt sich somit ausdrücklich in einen Traditionszusammenhang mit dem Realienbuch des 17. bis 19. Jahrhunderts, durch den hohen Bildanteil und dem adressatenspezifischen enzyklopädischen Anspruch auch in den Zusammenhang mit dem Orbis Pictus des Comenius, aber hauptsächlich durch die exemplarische umfassende Belehrung in allen Wissensbereichen in sozialistischer Perspektive in die Bildenzyklopädien der Aufklärungszeit wie Stoys Bilder-Akademie für die Jugend und Basedows Elementarwerk. Auch der DDR-Sachbuchforscher Harri Günther bescheinigte dem Kinderlexikon »schon eher enzyklopädischen Charakter«, weil es »auf eine breite Skala von Wissensbedürfnissen abgestimmt« ist (Günther 1988a, 89). Spezifisch aufklärerisch ist in diesem Kontext das Streben nach Beschreibbarkeit und Erklärbarkeit der Welt mit den Mitteln des Rationalismus, mit Maß und Zahl, aber mit größtmöglicher Emotionalität in der Gestaltung. Es ist die Durchdringung der Wirklichkeit mit Vernunft, die sich als aufklärerische Tendenz in diesem Kinderlexikon in nuce zeigt. Aufklärerisch ist schließlich auch das Bestreben, die Kinder in den Grenzen des sozialistischen Denkens ausdrücklich als mündige Leserschaft zu begreifen. Im Vertrauen auf den Fortschritt, den Eigenwert des Wissenserwerbs und die 24 Helm 2017, 185 Anm. 2 stellt mit Blick auf dieses Verweissystem auf andere Sachbücher für Kinder und Jugendliche innerhalb des Lexikons Von Anton bis Zylinder fest: »Die letzte DDRAuflage verweist auf 218 themenspezifische Buchtitel, davon gehören 37 zur Reihe Mein kleines Lexikon.«

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Verbindlichkeit der (natur)wissenschaftlichen Erkenntnis sollte der Wissensspeicher zahlreiche Anregungen zum Weiterdenken und zum selbstständigen Reflektieren geben. So enthalten die Lexikonartikel auch typographisch herausgestellte, damals aktuelle Leseempfehlungen mit Hinweisen auf bekannte und neu erschienene sozialistische Kinder- und Jugendbücher und populärwissenschaftliche Literatur für Kinder und Jugendliche, die sich dem jeweiligen Gegenstand widmen. Im Artikel zu Karl Marx sind es bspw. gleich vier Literaturhinweise auf Kinderbücher zu diesem Thema.25 In rezeptionslenkenden Empfehlungen wie diesen wird die Bedeutung der ästhetischen Komponente des Nachschlagewerks akzentuiert. Zahlreiche Künstlerbiographien und Artikel zu Autoren und Literaten enthalten Werkproben, die der literarisch-ästhetischen Bildung der Kinder dienen. In diesem Kontext steht das primäre Ziel des Autorenkollektivs dieses sozialistischen Kinderlexikons, die respektvolle Wertschätzung des Buchs als Wissensspeicher, als Lernmedium und als Mittel der Moralerziehung bei den Kindern zu würdigen und zu festigen. So enthält der Artikel zum Stichwort Kinderliteratur nicht nur zahlreiche Leseempfehlungen zu Klassikern der sozialistischen Kinderliteratur und zur aktuellen sozialistischen Kinderliteratur der DDR, sondern auch die Aufforderung an die Kinder, die Kultur des Bücherlesens anzunehmen und dem Buch als ästhetisch anspruchsvolles Mittel der Lebensbewältigung mit Interesse und Achtung zu begegnen: »Bei uns sorgen die besten Künstler dafür, daß die Kinderbücher ein schönes Gesicht erhalten. Sie zeichnen oder malen die Bilder für den Text und für den Einband und bitten sehr herzlich: Haltet die Bücher sauber, behandelt sie gut« (Belack [1967] 1974, 206).

Metamorphosen – Zum Gestaltwandel des Kinderlexikons Von Anton bis Zylinder im Auflagenvergleich Die Rezeption des Kinderlexikons in der zeitgenössischen Kritik zeigt, dass dieses Buch als eine kleine Sensation innerhalb der populärwissenschaftlichen Kinder- und Jugendliteratur der DDR wahrgenommen wurde. So hieß es in der Sächsischen Zeitung, dass der Verlag mit diesem Sachbuch »einen großartigen ›Schlager‹ herausgebracht« habe; das Neue Deutschland stellte fest, dass ein »solches Buch […] unsern Kindern schon lange gefehlt« habe; außerdem wurde das Kinderlexikon von der Tageszeitung Der Morgen als »Wissens-Fundgrube für unsere Kinder« und als »Augenweide« gelobt (vgl. die Rezensionsauszüge auf dem Innenteil des Umschlags in Bellack [1967] 1977). Die Fachzeitschrift Bei25 Vgl. Belack [1967] 1974, 251: Hier werden Hinweise auf die Karl Marx thematisierenden Kinderbücher Korn 1962, Korn 1968, Radczun 1968 und Victor 1968 gegeben.

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träge zur Kinder- und Jugendliteratur widmete dem Erscheinen des Kinderlexikons sogar einen eigenen Artikel (Wetzstein 1967) sowie eine besonders ausführliche Rezension (Meyer 1970). Dabei wurde auch nicht mit Kritik gespart. Bemängelt wurde der »Bruch zwischen der Qualität der Darstellungen aus Naturwissenschaft, Technik und Mathematik und der ungleich geringeren Qualität der philosophischen und der ästhetisch-erzieherisch bestimmten Beiträge« (ebd., 90). In diesem Zusammenhang wurde offensichtlich, dass der rasante wissenschaftliche und technische Wandel die Notwendigkeit der Aktualisierung des Kinderlexikons als Wissensspeicher nach sich ziehen würde. Hansgeorg Meyer stellte sogar die Frage, ob »die Buchform noch lange zweckmäßig sein wird«, um der Beschleunigung des Wissens überhaupt noch standhalten zu können (ebd., 92). Die stetige Überarbeitung, Erweiterung und Erneuerung des Projekts war somit von Anfang an intendiert. Daher kann ein Vergleich der Auflagengeschichte den Gestaltwandel des Kinderlexikons als Literaturdenkmal sowohl der Alltags- und Kulturgeschichte der DDR als auch der Wissenschaftsgeschichte eindrucksvoll dokumentieren. Der größte Einschnitt in der Auflagengeschichte ist der Wechsel des Buchformats. War noch die zweite Auflage von 1969 im Format 28 x 27 cm gedruckt, sodass sich besonders bei doppelseitigen Farbabbildungen ein besonders ansprechender panoramatischer Eindruck ergab, wechselte das Format zu 20,5 x 29 cm. Die für die Bildbetrachtung vorteilhafte querformatige Darstellungsstruktur des Bilderbuchformats wurde damit zugunsten der insbesondere für die Textlektüre sachdienlichen hochformatigen Darstellungsform eines Lexikonformats aufgegeben. Dass die Abbildungen und Illustrationen zu diesem Kinderlexikon von der ersten bis zur letzten Auflage während der gesamten Zeit der Publikation dieses Buchs in der DDR durchgehend im aufwändigen Farbdruck wiedergegeben werden konnten, zeigt hauptsächlich vor dem Hintergrund der restriktiven Papierkontingentierung und der latenten Ressourcenknappheit, dass dieses Sachbuch ein Prestigeobjekt des Kinderbuchverlags und der DDR-Kinderliteraturproduktion war. Doch auch die Bild- und Druckqualität des Kinderlexikons variiert im Verlauf der Auflagengeschichte. Hauptsächlich in den Auflagen der achtziger Jahre nimmt die prinzipiell gleichbleibende hohe drucktechnische Qualität in Details etwas ab. Waren die ersten Auflagen noch mit einem starken, belastungsfähigen und glänzenden Druckpapier ausgestattet, das zudem besonders farbintensive und plastische Wirkungen der bunten Aquarelle im Offsetdruck ermöglichte, sind die Auflagen der frühen siebziger Jahre noch durch ein festes und dichtes Druckpapier gekennzeichnet. Seit Mitte der siebziger und insbesondere in den Auflagen der achtziger Jahre wird dieses starke durch ein dünneres Druckpapier ersetzt. Die hervorragende buchbinderische Verarbeitung blieb jedoch gleich.

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Die einzelnen Auflagen des Kinderlexikons unterscheiden sich in Aufbau, Anordnung und Umbruch der jeweiligen Stichwörter teilweise erheblich voneinander. Dies lässt aufschlussreiche Beobachtungen zu. In der zweiten Auflage von 1969 wird die Bundesrepublik Deutschland in der Hochphase des Kalten Kriegs noch konsequent aus dem Bewusstseinshorizont des Kinderlexikons ausgeklammert; sie existiert für die jungen Betrachter nicht. Auf das Stichwort Bulgarien folgt der Bumerang (vgl. Bellack [1967] 1969, 53f.). In der vierten Auflage von 1977 ist Westdeutschland – in einer Zeit, als der Grundlagenvertrag zwischen der BRD und der DDR bereits ratifiziert worden war, der die bilateralen Beziehungen zwischen den beiden Blockstaaten regulierte – nach dem Stichwort Bulgarien als eigener Eintrag im Kinderlexikon zu finden (vgl. Bellack [1967] 1977, 75f.). Dafür wurde das Stichwort Bumerang eliminiert. An derselben Stelle ist der Eintrag zur Bundesrepublik Deutschland noch in der 12. Auflage von 1986 zu finden (vgl. Bellack [1967] 1986, 75f.). Auch der Bildteil wurde im Verlauf der Auflagengeschichte erheblich bearbeitet. Illustrationen wurden im Format verändert, aus Platzgründen nicht immer zum Vorteil der grafischen Wirkung einfach ausgeschnitten und verkleinert. So füllt die ganzformatige, von großer malerischer Qualität zeugende Darstellung einer Draufsicht eines Tigers bei Nacht auf Beutefang bspw. in der vierten Auflage von 1974 eine ganze Farbseite (vgl. Bellack [1967] 1974, 203; vgl. auch Abb. 1). In der 12. Auflage von 1986 ist die eindrucksvolle Illustration auf Spaltenbreite reduziert worden und nur noch als Bildausschnitt der Raubkatze zu sehen (vgl. Bellack [1967] 1986, 199). Ist in den ersten Auflagen die Umschlagillustrationen noch mit einem blauen, dann grauen Rahmen versehen (vgl. (vgl. Bellack [1967] 1974 sowie Bellack [1967] 1977), haben spätere Auflagen keinen Rahmen mehr (vgl. Bellack [1967] 1986). Einige Artikel fehlen in einigen Auflagen, in anderen wiederum sind sie stark erweitert; in einigen Fällen betrifft dies interessanterweise sowohl die Bild- als auch die Stichwortebene. Im Artikel zu dem amerikanischen Kinderbuchautor Mark Twain, der zunächst in der zweiten Auflage unter dem Buchstaben T (Bellack [1967] 1969, 297), dann unter dem Buchstaben M in die Stichwortfolge eingeordnet ist (vgl. Bellack [1967] 1974, 249, Bellack [1967] 1977, 249), sind in der vierten und sechsten Auflage Literaturhinweise auf drei seiner Kinderbücher zu finden: Tom Sawyers Abenteuer, Die Abenteuer des Huckleberry Finn und Der Prinz und der Bettelknabe (vgl. Bellack [1967] 1974, 250, Bellack [1967] 1977, 250). In der 12. Auflage wird hingegen nur noch auf Tom Sawyers Abenteuer und Die Abenteuer des Huckleberry Finn verwiesen. Dazu hat der Illustrator Eberhard Binder-Staßfurt eine Selbstreferenz hinzugefügt, indem er eine farbige Illustration aus seinen eigenen Bildern zu Twains Kinderbuch (Twain 1954) als Abbildung eingeschaltet hat (Bellack [1967] 1986, 246).

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Vergleicht man innerhalb der Auflagengeschichte die Abbildungen zu Maschinen wie dem Omnibus oder Kraftfahrzeuge, die in den Jahrzehnten des Erscheinens dieses Kinderlexikons einem rasanten technischen Wandel unterlagen, so ergeben sich eindrucksvolle Einsichten in die Technikgeschichte der Fahrzeugmodelle von den sechziger Jahren bis in die achtziger Jahre. So zeigt die zweite Auflage von 1969 noch einen traditionellen Oberleitungsomnibus (OBus) sowie einen Doppelstockomnibus (vgl. Bellack [1967] 1969, 208), während die 12. Auflage von 1986 einen für den technischen Stand der achtziger Jahre hochmodernen Ikarus-Gelenkbus in einer Dreidimensionalität und Modernität imaginierenden glänzenden Abbildung darstellt (vgl. Bellack [1967] 1986, 286). – Auf diese Weise wird das Kinderlexikon zu einem herausragenden alltags- und kulturgeschichtlichen Dokument der Geschichte der DDR.

Primärliteratur Bellack, Siegrid [u. a.] (Hgg.)/Eberhard Binder-Staßfurt [u. a.] (Ill.): Von Anton bis Zylinder. Das Lexikon für Kinder. Berlin: Kinderbuchverlag, 1967 Bellack, Siegrid [u. a.] (Hgg.)/Eberhard Binder-Staßfurt [u. a.] (Ill.): Von Anton bis Zylinder. Das Lexikon für Kinder. 2. Aufl. Berlin: Kinderbuchverlag, 1969 Bellack, Siegrid [u. a.] (Hgg.)/Eberhard Binder-Staßfurt [u. a.] (Ill.): Von Anton bis Zylinder. Das Lexikon für Kinder. 4. Aufl. Berlin: Kinderbuchverlag, 1974 Bellack, Siegrid [u. a.] (Hgg.)/Eberhard Binder-Staßfurt [u. a.] (Ill.): Von Anton bis Zylinder. Das Lexikon für Kinder. 6. Aufl. Berlin: Kinderbuchverlag, 1977 Bellack, Siegrid [u. a.] (Hgg.)/Eberhard Binder-Staßfurt [u. a.] (Ill.): Von Anton bis Zylinder. Das Lexikon für Kinder. 12. Aufl. Berlin: Kinderbuchverlag, 1986 Korn, Vilmos und Ilse/Kurt Zimmermann (Ill.): Mohr und die Raben von London. Berlin: Kinderbuchverlag, 1962 Korn, Vilmos und Ilse/Erich Gürtzig (Ill.): Meister Hans Röckle und Mister Flammfuß. Berlin: Kinderbuchverlag, 1968 Butzmann, Gerhard/Jonny Gottschalg/Annelies Müller-Hegemann (Hgg.): Meyers Jugendlexikon. Leipzig: Bibliographisches Institut, 1968 Buschendorf, Gisela/Horst Wolffgramm/Irmgard Radandt (Hgg.): Weltall, Erde, Mensch. Ein Sammelwerk zur Entwicklungsgeschichte von Natur und Gesellschaft. 4. Aufl. Berlin: Neues Leben, 1956 [EA 1954] Kosing, Alfred/Rolf Dörge/Diedrich Wattenberg [u. a.] (Hgg.): Weltalle, Erde, Mensch. Ein Sammelwerk zur Entwicklungsgeschichte von Natur und Gesellschaft. Neufassung. 19. Aufl. Berlin: Neues Leben, 1971 Radzcun, Günter : Prometheus aus Trier. Karl Marx. Aus seinem Leben, seinem Forschen, seiner Lehre. Berlin: Kinderbuchverlag, 1968 Rodrian, Fred/Werner Klemke (Ill.): Hirsch Heinrich. Eine Bilderbuchgeschichte. Berlin: Kinderbuchverlag, 1960 Twain, Mark/Eberhard Binder-Staßfurt (Ill.): Tom Sawyers Abenteuer. Berlin: Verlag Neues Leben, 1954

Das Kinderlexikon Von Anton bis Zylinder

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Victor, Walther/Werner Klemke (Ill.): Marx und Engels. Ihre Leben und ihre Werke aufgeschrieben für junge Leser. Berlin: Kinderbuchverlag, 1968

Sekundärliteratur Bergmann, Christian: Stichwort »Atom«. Kinderlexikon, Jugendlexikon und Erwachsenenlexikon im textlinguistisch-stilistischen Vergleich. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 87 (1988), 26–34 Binder, Eberhard: Informative und emotionale Wirkungen. Gedanken zur Sachbuchillustration. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 81 (1986), 34–41 Bode, Andreas: Illustration im Sachbuch der DDR – Stil, Stilisierung und Technik. In: Schmideler, Sebastian (Hg.): Wissensvermittlung in der Kinder- und Jugendliteratur der DDR. Themen, Formen, Strukturen, Illustrationen. Göttingen 2017, 407–431 Dierks, Margarete: Art. Elementarbuch. In: Doderer, Klaus (Hg.): Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur. Bd. 1. Weinheim [u. a.] 1984, 343–346 Dierks, Margarete: Art. Enzyklopädie. In: Doderer, Klaus (Hg.): Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur. Bd. 1. Weinheim [u. a.] 1984a, 353–354 Dierks, Margarete: Art. Nachschlagewerke für Kinder und Jugendliche. In: Doderer, Klaus (Hg.): Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur. Bd. 2. Weinheim [u. a.] 1984b, 172–173 Dierks, Margarete: Art. Eberhard Binder-Staßfurt. In: Doderer, Klaus (Hg.): Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur. Bd. 1. Weinheim [u. a.] 1984c, 172–173 Ewers, Hans-Heino: Literatur für Kinder und Jugendliche. Eine Einführung in Grundbegriffe der Kinder- und Jugendliteraturforschung. 2. Aufl. Paderborn 2012 Flieger, Rainer/Thomas Schallnau/Günter Wongel: Populärwissenschaftliche Illustration – Stiefkind der Grafiker? In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 49 (1978), 68–72 Günther, Harri/Joanna Günther (Mitarbeit): Die Sachliteratur für Kinder und Jugendliche in der DDR von 1946 bis 1989. Berlin 1988 (Studien zur Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur ; 11) (Günther 1988a) Günther, Harri: Charakter und Funktion der Sachliteratur. In: Schauplatz 2. Aufsätze zur Kinder- und Jugendliteratur und zu anderen Medienkünsten. Berlin 1988, 101–115 (Günther 1988b) Helm, Wiebke: Experimentierfeld Sachbuch. Heterogenes Erzählen und Darstellen in der enzyklopädischen Serie Mein kleines Lexikon. In: Schmideler, Sebastian (Hg.): Wissensvermittlung in der Kinder- und Jugendliteratur der DDR. Themen, Formen, Strukturen, Illustrationen. Göttingen 2017, 185–207 Herrmann, Franz: WIT Welt in der Tasche. Mehr wissen – mehr verstehen. Bemerkungen zu einer Reihe des Kinderbuchverlags. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 3 (1963), 49–58 Kuhnert, Heinz: Kinder- und Jugendbibliotheken in der DDR. In: Steinlein, Rüdiger/Heidi Strobel/Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/ DDR. Von 1945 bis 1990. Stuttgart [u. a.] 2006, 51–64 Lokatis, Siegfried: Produktionsbedingungen, Zensur- und Verlagswesen in der DDR. In: Steinlein, Rüdiger/Heidi Strobel/Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR. Von 1945 bis 1990. Stuttgart [u. a.] 2006, 101–113

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Sebastian Schmideler

Meyer, Hansgeorg: Einiges über den emotionalen Aspekt populärwissenschaftlicher Literatur. In: In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 9 (1967), 25–40 Meyer, Hansgeorg: Von Anton bis Zylinder – das Lexikon für Kinder ; Jaroslaw Rudnianski: Lernen – aber wie? (beide Der Kinderbuchverlag Berlin); Meyers Jugendlexikon (VEB Bibliographisches Institut Leipzig). In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 14 (1970), 88–96 Meyer, Hansgeorg: Populärwissenschaftliche Kinderliteratur – Bilanz und Perspektive. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 19 (1971), 28–39 Meyer, Hansgeorg: Vom Belehrenden und vom Schönen. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 49 (1978), 25–38 Neubert, Reiner : Von A bis Z – Zur Sachliteratur für Kinder und Jugendliche in der DDR. In: Josting, Petra/Gudrun Stenzel (Hgg.): »Wieso, weshalb, warum …« Sachliteratur für Kinder und Jugendliche. Weinheim 2004 (zugl. Beiträge Jugendliteratur und Medien 15. Beiheft), 57–66 Neubert, Reiner : Sachliteratur. In: Steinlein, Rüdiger/Heidi Strobel/Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR. Von 1945 bis 1990. Stuttgart [u. a.] 2006, 903–934 Neubert, Reiner : Von Ardenne bis Zeiske. Anmerkungen zur Sachliteratur für Kinder und Jugendliche in der DDR. In: Schmideler, Sebastian (Hg.): Wissensvermittlung in der Kinder- und Jugendliteratur der DDR. Themen, Formen, Strukturen, Illustrationen. Göttingen 2017, 41–59 Ossowski, Herbert: Art. Sachbuch. In: Kinder- und Jugendliteratur. Ein Lexikon. LoseBlatt-Slg. 2. Erg.-Lfg. Meitingen 1996, 1–12 Richter, Karin: Die erzählende Kinder- und Jugendliteratur der DDR. Entwicklungslinien. Themen und Genres, Autorenporträts und Textanalysen. Eine Aufsatzsammlung. Baltmannsweiler 2016 Rodrian, Fred: Beginn – Bilanz – Aufgaben. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 14 (1970), 23–35 Schleicher, Sigrid: Bemerkungen zur sprachlichen Gestaltung einiger Artikel des Kinderlexikons »Von Anton bis Zylinder«. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 74 (1985), 5–11 Steinlein, Rüdiger/Heidi Strobel/Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR. Von 1945 bis 1990. Stuttgart [u. a.] 2006 Wetzstein, Hans-Peter : Von Anton bis Zylinder – das Lexikon für Kinder. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 9 (1967), 42–50 Wetzstein, Hans-Peter : Verführung zum Lernen. Bemerkungen zu einigen Grundsätzen unserer populärwissenschaftlichen Kinder- und Jugendliteratur. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 49 (1978), 39–44 Wetzstein, Hans-Peter : Aus dem Nichts zu ansehnlicher Opulenz. In: 40 Jahre. Der Kinderbuchverlag Berlin. Berlin 1989, 76–77

Maria Becker (Dortmund)

Das Sachwissen vermittelnde Bilderbuch der DDR in den siebziger und achtziger Jahren: Die Reihen Schlüsselbücher (1975–1990) und Ein Tag im Leben… (1975–1990)

In einer neueren Bestimmung des Sachbilderbuchs, das als Typus der Gattung Sachbuch zur Wissen vermittelnden Lektüre für Kinder und Jugendliche zählt, ist nach Ossowski von einer adressatenspezifischen Literatur die Rede, die »Erkenntnisse und Fakten aus den verschiedenen Wissenschaften in leserzielgruppengerechter Aufbereitung vorwiegend über das Bild« (Ossowski 1999, 53) vermittelt. Ähnlich formuliert auch Günther für das Sachbuch der DDR, dass sich »geisteswissenschaftlich oder naturwissenschaftlich erfaßbare Sachverhalte, Probleme und Erkenntnisse einem größeren Leserkreis von Nichtfachleuten« (Günther 1988, 13) erschließen sollen. Da das Sachbilderbuch Anleihen aus dem Sach- und Bilderbuch bezieht, ist über die Gattungsspezifik des Sachbuchs hinaus auch die Dominanz oder zumindest Gleichstellung der piktoralen gegenüber der verbalen Ebene wesentliches Merkmal, d. h. das intermodale Verhältnis zwischen Text und Bild als Schlüsselmoment der Gestaltung, Rezeption und Analyse zu verstehen. In Anlehnung an Günthers (1988) theorieführende Studie Die Sachliteratur für Kinder und Jugendliche in der DDR von 1946 bis 1986, die auch das Sachbilderbuch berücksichtigt, kann eine Illustration a) Verbindungen bzw. Zusammenhänge zwischen unterschiedlichen Textebenen und textlichen Strukturelementen herstellen, b) neue Aussagedimensionen erschließen, die im Text nicht angelegt sind, c) Informations-, Bildungs- und Erziehungspotenzen des Textes unterstreichen und erweitern. (Günther 1988, 29)

Nach Günther (1988) erfährt das DDR-Sachbuch in den siebziger Jahren sowohl quantitativ (vgl. ebd., 94) als auch qualitativ (vgl. ebd., 92) eine »atemberaubende Entwicklung« (ebd., 136), die u. a. in der verstärkten Hinwendung des Bilderbuches zur Sachwissensvermittlung gesehen wird (vgl. ebd., 92). Während das Verhältnis von Sachbüchern für Kinder und Jugendliche im Allgemeinen bei 1:2 liegt (ebd., 38), kann sich ab 1980 die Anzahl der jährlich produzierten Sachbilderbücher gegenüber den siebziger Jahren sogar verdoppeln (ebd., 118):

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Maria Becker

Insgesamt »nehmen Bücher dieses Genres etwa ein Fünftel aller zwischen 1981 und 1986 veröffentlichten Kindersachbücher ein.« (ebd., 118) Ziel des nachfolgenden Beitrags ist die nähere Bestimmung von zwei Sachbilderbuchreihen des Altberliner Verlags, die für das Sachwissen vermittelnde Bilderbuch der siebziger und achtziger Jahre repräsentativ sind: Die Serien Schlüsselbücher (1975–1990) und Ein Tag im Leben… (1975–1990). Mit Bezug auf die in der DDR verbreitete Theoriebildung zur Sachliteratur sollen die Funktionsweisen und Spezifika der wissensvermittelnden Struktur sowie der ästhetischen Gestaltung untersucht werden, dem Hinweis Günthers (1988, 92) folgend, die Qualitätsentwicklung der Sachliteratur habe in den siebziger Jahren u. a. an der Poetisierung von Büchern für jüngere Kinder gelegen. Darüber hinaus sind die Reihen mit Bezug auf die Druckgenehmigungsakten des Altberliner Verlags zu kontextualisieren und nach Ideologemen zu beleuchten, wenn Bode (2006, 831) feststellt, dass Bilderbücher der DDR ihre Leser inhaltlich und künstlerisch an den Sozialismus zu binden hatten. Nach einer Einführung in die Geschichte des Altberliner Verlags, sollen im Folgenden die Sachbilderbuchreihen Schlüsselbücher und Ein Tag im Leben… vorgestellt, d. h. nach Inhalt, Form und Funktion ausdifferenziert bzw. in Bezug zu den Produktionsbedingungen gesetzt werden.

1

Der Altberliner Verlag

In den siebziger und achtziger Jahren werden die Sachwissen vermittelnden Bilderbücher der DDR wesentlich von den Veröffentlichungen des bis 1979 privat geführten Altberliner Verlags mitbestimmt, der neben dem staatseigenen Kinderbuchverlag Berlin eine zentrale Stellung im kinderliterarischen Bereich einnimmt. Von Lucie Groszer 1945 gegründet, entwickelt sich der Altberliner Verlag bereits in der Nachkriegszeit zu einer illustrationsgeschichtlich herausragenden Institution. Die Konzentration auf die Produktion und Distribution von Bilderbüchern ist teilweise pragmatisch motiviert, weil die Verteilung der staatlichen Papierzufuhr anteilsmäßig geringer ausfällt als für den monopolartigen Kinderbuchverlag Berlin (vgl. Lokatis 2006, 110). Infolgedessen sorgt die Entscheidung für Bücher mit geringerem Textumfang für einen ausgewogenen Haushalt, wenn bspw. der erfolgreichste Titel der Verlagsgeschichte Die Söhne der großen Bärin (1951) von Welskopf-Henrich bis 1955 eine Auflage von 130.000 Exemplaren erreicht, wofür laut Cheflektor Alfred Könner »das halbe Kontingent verbraten« wird (vgl. Lokatis 2006, 111). Nach einer Kürzung des Papierkontingents in den sechziger Jahren (vgl. Links 2010, 191; Lokatis 2006, 111) konzentriert man sich verstärkt auf zehn- bis zwanzigseitige Bilderbücher, für die weniger Papier aufgebracht werden muss, jedoch die gleichen Kosten veranschlagt werden können. In

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den siebziger Jahren ist es schließlich möglich, das Programm zu vervierfachen (vgl. Pieper 1988, 13), wovon auch die Sparte Bilderbuch profitiert, die seit 1975 durch die zwei sachbezogenen Serien Schlüsselbücher und Ein Tag im Leben… ergänzt wird. Günther (1988, 117) sieht den Vorteil von Reihenproduktionen, die für das DDR-Sachbuch der siebziger und achtziger Jahre charakteristisch sind, »neben der Formierung relativ stabiler Leserkreise auch darin, daß sich neuartige Genres oder Buchtypen leichter herausbilden können.« (Günther 1988, 117) Als Lucie Groszer ihren Verlag am 1. Oktober 1979 für 200.203, 25 M an den Kinderbuchverlag Berlin verkauft (vgl. Links 2010, 191), werden beide Reihen unter ihrem Nachfolger Gerhard Dahne (1979–1993) erfolgreich fortgesetzt. Für die DDR nicht ungewöhnlich, schreibt nicht nur Dahne, sondern insbesondere der Cheflektor Alfred Könner zum Teil wesentlich an den Serien, vor allem an der Schlüsselreihe, mit: »Aus dem strengen Lektor der ersten Jahre ist der heitere Schriftsteller Alfred Könner geworden, der noch immer gern vor Kindern steht«, hält Groszer 1984 rückblickend fest. Weil die neue Eigentümerschaft mehr Papier einbringt, kann das Verlagsprogramm von den einst zehn Titeln in den fünfziger Jahren und sieben Titeln in den sechziger Jahren schließlich auf 80 Bücher jährlich ausgebaut werden (vgl. Links 2010, 192). Davon stammen zwischen 1975 und 1990 fast 40 Neuerscheinungen aus den Reihen Schlüsselbücher und Ein Tag im Leben…, vorrangig veröffentlicht in den achtziger Jahren. Bis zum Verkauf des Altberliner Verlages im Jahr 1993 an den Münchener Rechtsanwalt Stephan Schmidt und die Literaturwissenschaftlerin Renate Nickl werden beide Serien mit wenigen Erstauflagen wie Schiffe unter Dampf (1991) oder Bufo. Ein Tag im Leben einer Erdkröte (1991) fortgesetzt.

2

Die Schlüsselreihe

Mit dreizehn Titeln ist die Schlüsselreihe erfolgreich im Kinder- und Jugendliteratursystem der DDR der siebziger und achtziger Jahre etabliert. Die durchschnittliche Auflagenhöhe beträgt 15.000 bzw. 20.000 Exemplare, was einem gewöhnlich hohen Erfolg entspricht, der von anderen Veröffentlichungen des Altberliner Verlags allerdings noch überboten wird, wie bspw. durch Onkel Walter, kauf ein Krokodil (1982) oder Der Kettenraucher (1986) aus der Heftreihe Bunte Kiste mit jeweils 80.000 und 100.000 Exemplaren. In der literaturwissenschaftlichen Sachbuchdiskussion der DDR wird die Schlüsselreihe jedoch in besonderem Maße gewürdigt: Alle diese Bücher besitzen eine starke ästhetische Ausstrahlungskraft. Zudem dokumentiert sich in ihnen ein wesentlicher Aspekt der neuen Qualität von Kindersachbü-

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Maria Becker

chern: die Entdeckung kulturgeschichtlicher Entwicklungsstränge, die auf originelle, die aktive Mitarbeit des Lesers anregende Weise gezeigt werden (Günther 1988, 118).

Fast alle Schlüsselbücher erhalten Lizenzen für das europäische Ausland wie Frankreich, Großbritannien oder Österreich, mindestens aber für bundesdeutsche Verlage wie Bitter (Recklinghausen), Parabel (München) oder Arena (Würzburg), wobei Bilderbücher aufgrund ihres geringeren Textumfangs generell leichter für den »Export in fremdsprachige Länder« (Lokatis 2006, 111) aufzubereiten sind. In einer Rezension über die Bücher aus dem Altberliner Verlag Lucie Groszer verweist Hilzheimer auf Groszers Kontakte zu 65 ausländischen Verlagen (Hilzheimer 1974, 81). Die Schlüsselreihe folgt dem seriellen Prinzip: Eine einheitliche Titelgestaltung verschafft den Lesern einen Gesamteindruck über das jeweilige Sachthema. Kennzeichnend sind Symbole (Piktogramme) oben rechts am Bildrand des Buchcovers, die das eigentliche Sachthema stilisiert abbilden, es ankündigen und beim Kauf Orientierung vermitteln.

Abb. 1 Die Titel der Schlüsselreihe weisen auf der vorderen Bucheinbandseite ein sich wiederholendes Prinzip der Gestaltung auf, unter anderem durch die symbolische Hinführung zum Thema in Form eines Piktogramms, hier in dem Titel Vom goldenen Handwerk (1986) die Herstellung von Tonware oben rechts am Bildrand

Das Sachwissen vermittelnde Bilderbuch in den siebziger und achtziger Jahren

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Abb. 2 Die Schlüsselreihe ist am oberen rechten Bildrand der Rückseite mit einem Schlüssel gekennzeichnet, der die Zusammengehörigkeit der Titel bestätigt

Die bildnerische Aufmachung der Titelseite wird auf der Rückseite fortgeführt. Vermutlich aufgrund der in dieser Reihe beispiellosen Auflagenhöhe des zweiten Sachbilderbuchs Der verwandelte Wald (1976) von 26.000 Exemplaren erhält die Serie ein Jahr später, ab dem dritten Stücktitel Mal Regen und mal Sonnenschein (1977), ihr charakteristisches Signet: Einen Schlüssel mit der schriftlichen Kennzeichnung Schlüsselbücher, der nun als Serientitel fungiert und die Zusammengehörigkeit der Texte bestätigt (vgl. Abb. 2). Weil diese jedoch nur auf der Rückseite mit einem Schlüssel gekennzeichnet sind (rechts oben), handelt es sich eher um eine Reihe mit verdeckt »serienartigem Charakter«, wie er nach Bode (2006, 900) für viele DDR-Titel typisch ist. Die Schlüsselbücher sollen dem Leser ein »Schlüssel in die Welt der Technik und Natur« sein (BArch, DR/3698, Verlagsgutachten, 19. 04. 1978, Bl. 152), d. h. im Sinne der materialistischen Weltauffassung nicht nur wissenschaftliche Neugierde, sondern auch eine »wissenschaftliche Grundeinstellung zu unserer Welt« fördern (BArch, DR1/3698, Verlagsgutachten, 19. 04. 1978, Bl. 154), wie es die sozialistische Literaturtheorie im Besonderen herausstellt: »Unser sozialistischer Staat hat von Anfang an erkannt, daß der Sozialismus nur mit Menschen

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Maria Becker

aufgebaut werden kann, die über ein möglichst großes und anwendungsfähiges Wissen verfügen.« (Backe 1963, 45) Mit der Schlüsselreihe werden die in der Theorie geforderten Maximen erfüllt, von denen Backe das Fachwissen, die Darstellung und die gesellschaftliche Bezogenheit als »Hauptkräfte« (Backe 1963, 46) populärwissenschaftlicher Literatur nennt. Weil die thematischen Schwerpunkte in der Natur- sowie Arbeits- und Technikwelt liegen, wird die Reihe der Forderung nach gesellschaftlichen Bezügen gerecht, die jedoch weder im Text, noch im Bild politisch kontextualisiert bzw. funktionalisiert werden. Günther (1988) sieht die gesellschaftliche Aufgabe der Sachliteratur für Kinder darin gegeben, die Leser mit dem Wissen auszurüsten, das sie benötigen, um in der Kette der Wissensproduktion und der Wissensweitergabe selbst einmal aktiv mitwirken zu können. Dazu wird es nötig, die Darstellungsformen so weiterzuentwickeln, daß die Umsetzung von theoretischem Wissen und verallgemeinerten gesellschaftlichen Erfahrungen in das Alltagsbewußtsein von Kindern und Jugendlichen zu beeindruckenden Bildungserlebnissen führt. (Günther 1988, 136)

Die Titel der Schlüsselreihe ergänzen sich thematisch, wodurch sich zum Teil intertextuelle Bezüge ergeben: Wasser überall (1979) und Das große Wasser (1983) beziehen sich sehr direkt aufeinander, wenn im einen Binnen- und im anderen offene Gewässer im Zentrum der Vermittlung von Sachinformationen stehen. In diese nautische Reihe fügt sich auch das Sachbilderbuch Schiffe unter Segeln (1981) ein. Mit dem Band Das gezähmte Feuer (1982) wird ein historischer Beginn der technisierten Welt markiert, deren Erklärungen in den Sachbilderbüchern Vom goldenen Handwerk (1986) und Vom Hebel zur Maschine (1988) fortgeführt werden. Aber auch in Der wunderbare Klang (1985) werden Instrumente zum Thema gemacht, die in Der verwandelte Wald (1976) den Abschluss bilden. Dahingehend formuliert Backe (1963, 47): »Unsere Leser sollen aber nicht Denken schlechthin lernen, sondern Denken in Zusammenhängen.« Über die gesellschaftlichen Bezüge hinaus sollen Wissen vermittelnde Texte der Kinder- und Jugendliteratur ästhetische Elemente enthalten: Obwohl sich die Sachliteratur in ihrem Wesen von der künstlerischen Literatur unterscheidet, verwendet sie in hohem Maße künstlerische Darstellungsweisen und Gestaltungselemente. Das trifft auch für Sachbücher mit informationsbetontem Inhalt oder vorrangig dokumentarischem Gehalt zu. (Günther 1988, 19)

Bezogen auf dieses spezifische Merkmal will auch die Reihe Schlüsselbücher eine »Einheit zwischen ästhetischer und wissenschaftlicher Darbietung« herstellen (BArch, DR 1/3698, Verlagsgutachten, 19. 04. 1978, Bl. 154) und nicht nur Wissen vermitteln, sondern auch Unterhaltung garantieren (vgl. BArch, DR1/3708a, Verlagsgutachten, 08. 02. 1975, Bl. 353). In einem Verlagsgutachten heißt es

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dazu: »Man kann deshalb nur mit Vorbehalt von Sachbüchern sprechen, da hier dem Illustrator und Texter immer auch das Recht bleibt, mit künstlerischen Mitteln zu hantieren, wenn es der Sache dienlich erscheint« (BArch, DR 1/3698, Verlagsgutachten, 19. 04. 1978, Bl. 154). Drei Jahre später wird in der Begutachtung des Titels Schiffe unter Segeln (1981) die Pflicht zur sachlichen Genauigkeit jedoch besonders akzentuiert und eine ästhetische Entgleisung deutlich angeprangert, wenn es heißt: Die Zusammenarbeit mit dem Illustrator war zunächst schwierig. […] Es hat sich gezeigt, dass die Fertigstellung der Schlüsselbücher den ständigen und intensiven Kontakt mit dem Illustrator erfordert. Die meisten Illustratoren rücken gern von den Motivplänen ab, wenn ihnen illustrativ eindrucksvolle Motive vorliegen, die dann aber wenig informativ sind und schlecht in den Zusammenhang passen. Es zeigte sich ferner, daß immer wieder auch die Richtigkeit des Dargestellten nachgeprüft werden muß. Auch Fachgutachten entgehen fehlerhafte Details. (BArch, DR1/3698a, Verlagsgutachten, 01. 04. 1981, Bl. 200f.)

In der Reihe Ein Tag im Leben… ist die mehrfache Beteiligung vieler namhafter Illustratoren bezeichnend, die in der DDR häufig für das Sachbuch tätig sind (vgl. Bode 2006, 895). Neben den Illustratoren Karl-Heinz Wieland, Siegfried Linke, Thomas Binder und Rainer Sacher tritt das Ehepaar Binder mehrfach in Erscheinung. Eberhard Binder, der seit Mitte der fünfziger Jahre als freischaffender Illustrator für die wichtigsten Kinder- und Jugendbuchverlage der DDR, den Kinderbuchverlag Berlin sowie den Verlag Neues Leben, tätig ist und im Inund Ausland mit mehreren Preisen ausgezeichnet wird, gestaltet gemeinsam mit seiner Frau die Titel Das gezähmte Feuer (1982), Der wunderbare Klang (1985) und Vom goldenen Handwerk (1986) mit einer Schraffurtechnik, die sich vom überwiegend malerischen Gestus der Sachbilderbuchreihe abhebt. Mit Bezug auf die gestalterische Darstellung als Hauptkraft Wissen vermittelnder Literatur (vgl. Backe 1963, 46), lässt sich ein einheitlicher Aufbau feststellen, für den Rainer Sachers Sachbilderbuch Der verwandelte Wald (1976) als Prototyp gilt (vgl. Groszer 1984, 14): Die informative Ausrichtung steht im Vordergrund, die Gestaltung ist diskontinuierlich angelegt, es wird kein fortlaufender Text präsentiert. Es handelt sich um ein alternierendes Prinzip, mit dem Bilder und Bild-Text-Passagen wechseln, d. h. doppelseitigen Wimmel- bzw. Detailbildern (mit keinem oder wenig Text) folgen einzelne Abbildungs- bzw. Bestimmungsbilder, die Elemente der Wimmel- bzw. Detailbilder begrifflich aufgreifen oder in einem Kurztext erklären. Mit Rückgriff auf das Wimmelprinzip erfüllt der Verlag seinen selbst formulierten Anspruch nach Unterhaltung, die Backe (1963, 53) als beste Erholung für den Leser bezeichnet: Das Wimmelbild ist nicht auf einen Sitz zu erschöpfen, sondern fordert viele Male zur Beschäftigung auf. Dazu kommt, daß ein solches Bild nicht ohne Einfluß auf die

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Konzentrationsfähigkeit des Kindes sein wird. Ferner wird seine Beobachtungsgabe geschärft. Auch das Wimmelbild regt zum Erzählen und zum Erfinden kleiner Episoden an. (vgl. BArch, DR1/3708a, Verlagsgutachten, 08. 02. 1975, Bl. 101)

Die Wimmel- und Detailbilder vereinfachen die kognitiv anspruchsvolle Information, die in den Titeln des Ehepaars Binder häufig durch humoristische Züge ergänzt wird. Die eigentliche Sachinformation stellen die Abbildungs- und Bestimmungsbilder bereit, die den Sachverhalt erklären und mithilfe von Vergrößerungsansichten oder Querschnitten die Komplexität reduzieren. Die einfache Sprache, die Backe als »das Wichtigste in der Anschaulichkeit« (Backe 1963, 54) nennt, bringt den Sachverhalt in verständliche und interessante Form: Rhetorische Fragen, Vergleiche, Rekurrenzen zum Titel, Oppositionsbildungen, Anregungen, dialogischer Erklärungsstil, Beispiele, schmückende Adjektive, direkte Ansprache der Leser, Nennung von Zahlen und Einzelpersönlichkeiten etc. Die Informationsentnahme wird auch insofern erleichtert, als die Autoren Fachbegriffe in das Erzählte implementieren, z. B. in Klammern setzen oder auf Erklärungen ganz verzichten. Auch Überschriften, Wechsel der Schriftgröße, Zeichnungen usw. garantieren die Stoffreduktion (vgl. Backe 1963, 52ff). Über die jüngeren Rezipienten im Vorschulalter sowie des ersten bis vierten Schuljahres hinaus (vgl. BArch, DR/3698, Verlagsgutachten, 19. 04. 1978, Bl. 152), wendet sich der Verlag explizit auch an erwachsene Mitleser, denen man nicht nur eine »fachliche, sondern auch eine sprachliche Hilfe« zu bieten versucht (BArch DR1/3698, Verlagsgutachten, 20. 04. 1978, Bl. 154). Die Schlüsselbücher werden als methodische Handreichung verstanden (vgl. ebd.), die noch stärker als die zweite Reihe Ein Tag im Leben… für eine präzise Wissensvermittlung stehen sollen. So ist auch die intermodale Beziehung zwischen Bild und Text, zumindest überwiegend, symmetrisch (vgl. Staiger 2014, 20), d. h. der sprachlich vermittelte Inhalt wird durch das Bild bestätigt und damit den kindlichen Lesern ein leichterer Zugang zu der relativ hohen Informationsdichte geboten. Ein weiteres Merkmal der Schlüsselreihe ist die häufige Verwendung von impressionistischen Bildern, die das faktisch Gesagte und sachlich Gemeinte emotional stützen und in der Folge vereinfachen. Die wesentlichen Funktionen der Illustration sieht Günther (1988) in der Unterhaltung, der ästhetischen Erziehung und sinnlichen Wahrnehmung sowie in der »Herausbildung emotionaler Beziehungen zu den sachlichen Komponenten des Textes« (Günther 1988, 29). In dem Sachbilderbuch Mal Regen und mal Sonnenschein (1978) reduziert der Illustrator Siegfried Linke die Komplexität erheblich, weil die Bilder den Sachverhalt – hier das Wetter – atmosphärisch ausdrücken und den Betrachter an das vergleichsweise sachlich-nüchterne Thema binden.

Das Sachwissen vermittelnde Bilderbuch in den siebziger und achtziger Jahren

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Abb. 3 In Mal Regen und mal Sonnenschein (1978) schaffen die ästhetisch-impressionistischen Bilder von Siegfried Linke eine emotionale Bindung an das Sachthema

Abb. 4 Die ästhetisierten Einzelbilder in Mal Regen und mal Sonnenschein (1978) weisen einen höheren Informationswert als die doppelseitigen Bilder auf. Die Zeichnungen und Sachtexte dienen der Vermittlung von Sachwissen

Es entsteht eine symbiotische Allianz von Text und Bild, von sinnlicher Erfahrung und kognitivem Verstehen. Die Illustrationen emotionalisieren die Wetterlage, sie fangen einen Eindruck ein und ermöglichen einen erlebnishaften Zugang bzw. motivieren zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung: Auch hier ist ein alternierendes Text-Bild-Prinzip erkennbar. Die in der Doppelseitenstruktur enthal-

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Maria Becker

tenen Detailbilder werden von stärker informativen Illustrationen mit Sachtext abgelöst, die der eigentlichen Wissensvermittlung dienen (vgl. Abb. 4).

2.1

Der verwandelte Wald (1976)

Als das erfolgreichste Sachbuch der Verlagsgeschichte Lucie Groszers etabliert sich ein früher Titel der Schlüsselreihe, der mehrfach im Ausland und mit sieben Auflagen in der BRD erscheint: Der verwandelte Wald (1976). Eingerichtet nach einer Idee von Alfred Könner, ist Rainer Sacher für die Bildgestaltung verantwortlich, der ursprünglich aus der Sachbuchillustration kommt und zu einem namhaften Kreis gehört, der in den siebziger Jahren auf sich aufmerksam macht (vgl. Bode 2006, 870). Der Ikonizitätsgrad der Bilder ist verhältnismäßig hoch. Die dargestellte Sachwelt wird nicht verfremdet, sondern naturalistisch dargeboten. Wie auch in den anderen Titeln der Reihe folgt Der verwandelte Wald (1976) dem alternierenden Prinzip des Wechsels von Bild und Bild-Text-Passagen: Auf der rein piktoralen Ebene, d. h. auf den textlosen Doppelseiten, konzentriert sich Sacher auf das Grundschema Orientierung, Komplikation und Auflösung fiktionaler Geschichten. Auf der zweiten Bild-Text-Ebene fungieren die strukturbietenden Einzel- bzw. Detailbilder als Bestimmungsbilder. Beide Darstellungsebenen rücken unterschiedliche Informationen ins Zentrum der Betrachtung, sind jedoch eng miteinander verbunden.

Abb. 5 Malerisch und in Form eines Wimmelbildes gestaltet, richten die Betrachter in Der verwandelte Wald (1976) zunächst ihren Blick auf die Fauna sämtlicher Tierarten, angeordnet auf dem ersten Bild mit Doppelseitenstruktur

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Wie in allen Titeln der Schlüsselreihe bieten die Wimmelbilder in Der verwandelte Wald (1976) zunächst einen vereinfachten Zugang zur Sachinformation. Darüber hinaus wird eine zweite Verstehensebene eröffnet, die sich an den erwachsenen Leser richtet (vgl. Abb. 5, 6 und 7).

Abb. 6 Auf der zweiten textlosen Doppelseite des Schlüsselbuchs Der verwandelte Wald (1976) verschwinden mit der Rohdung des Waldes die Tiere aus der Sicht des Betrachters

Abb. 7 Auf der dritten Doppelseite von Der verwandelte Wald (1976) wird der Wald aus der Mikrosicht perspektiviert

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Auf der ersten textlosen Doppelseite (vgl. Abb. 5) wirkt der Wald malerisch friedlich, romantisiert. Aus der Beobachterperspektive heraus richten die Betrachter ihren Blick auf die Fauna sämtlicher Tierarten. In der zweiten Illustration (vgl. Abb. 6) erscheinen die Tiere als verdrängte Lebewesen, die kaum noch sichtbar bzw. jetzt oben, unten oder seitlich am Bildrand zu erkennen sind. In ihrer marginalisierten Position wenden sie sich vom Geschehen ab und verstärken somit den Eindruck der Substituierung von Mensch und Tier : Von da an zeigen die Bilder eine ähnlich hohe Anzahl menschlicher Figuren, wie zuvor noch Tiere vorhanden waren: Die Menschen nutzen den Wald für eigene industrielle Zwecke, sie roden, bauen künstliche Zäune aus Ästen und gießen in großen Mengen ihre neu angepflanzten Bäume. Während die rechte Seite einen grünen, äußerlich gesunden Wald zeigt, ist die linke Seite ockerfarben gehalten. Gerodete Erde, abgeholzte Bäume, künstliche Beete und Maschinen erzeugen den Eindruck, das Waldgebiet würde okkupiert: Kultur vs. Natur. Der Erzähler agiert als Beobachter, er ist neutral perspektiviert. Im Wald stehend betrachtet er das Geschehen distanziert. Das dritte Wimmelbild (vgl. Abb. 7) begibt sich auf die Mikroebene. Nicht mehr die wilden Tiere stehen im Fokus – sie sind geflohen –, sondern die Insekten des Waldes, die in großer Anzahl und in Nahsicht abgebildet sind. Sie stehen für das verbleibende, weniger sichtbare Tierreich. Auf den darauffolgenden Wimmelbildern entwickelt sich die Geschichte weiter : Gezeigt wird die Abholzung des Waldes sowie die industrielle Weiterverarbeitung des Holzes, die Verarbeitung des Holzes in der Schreinerei bzw. im Sägewerk und schließlich eine Werkstatt für Musikinstrumente, die das endgültige Produkt der industriellen Nutzung darstellen, mit denen zugleich auf die Lebenswelt kindlicher Rezipienten rekurriert wird. Auf dem letzten Doppelbild ist ein Dorf zu sehen, das in einem ehemaligen Waldgebiet steht: Nur noch wenige Bäume sind sichtbar, die Vögel werden von Menschenhand gefüttert. Mit der Industrie verschwinden die frei lebenden Tiere, die nur noch – wenn überhaupt – in der Größe von Insekten oder als domestizierte Lebewesen in Erscheinung treten. Im Gegensatz zu den Wimmelbildern werden die Bestimmungsbilder nicht auf Doppel-, sondern auf Einzelbildern präsentiert, die durch einen farblich angepassten Außenrand begrenzt sind. Der großflächige Weißraum sorgt für eine klare und übersichtliche Bildgestaltung. Thematisch unterscheiden sich die Bestimmungsbilder von den Wimmelbildern dadurch, dass nun der Baumbestand des Waldes in das Zentrum der Wissensvermittlung rückt. Auch auf diesen Illustrationen ist die Form eines einfachen Handlungsverlaufs erkennbar, der sich in den folgenden Sequenzen äußert: Die Eiche ist ein Laubbaum/Die Fichte ist ein Nadelbaum, Der Baum wird geboren/Der Baum wird erwachsen, Wie der Baum lebt, Der Baum wird krank, bedingt durch die Tiere des Waldes. Das Fällen der Bäume, auf der Anschlussseite sichtbar, erscheint aufgrund des natürlichen

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Verfalls nun als notwendiger Eingriff in die Natur, was im Widerspruch zu den Aussagen der doppelseitigen Wimmelbilder steht (vgl. Abb. 8).

Abb. 8 In Der verwandelte Wald (1976) steht die Information »Der Baum wird krank« auf der rechten Einzelseite im Gegensatz zu der auf den Wimmelbildern sichtbaren Rohdung des Waldes

In der Betrachtung des Sachbilderbuchs Der verwandelte Wald (1976) kommt der erwachsenen Leserschaft eine Doppelrolle zu: Sie sind nicht nur Mitleser, sondern auch Adressaten, die zum verantwortungsvollen Umgang mit Rohstoffen gemahnt werden, worauf sie in der kinderliterarischen Kommunikation rekurrieren können. Nach Günther (1988, 95f.) geht es den Autoren und Illustratoren von Sachbilderbüchern in den siebziger Jahren »mehr und mehr darum, diesem Gegenstand verschiedene Seiten abzugewinnen, um […] das Verantwortungsbewußtsein für die Natur zu wecken und einen sachkundigen Umgang mit den Naturgegenständen zu fördern.« Bereits im Einband wird eine Verbindung von Natur und Kultur hergestellt (vgl. Abb. 9). Auf der linken Seite ist ein Vogel sowie ein den Baum hinunterlaufender Fuchs zu sehen, der die auf ihn zukommende Gefahr registriert: Eine Axt lehnt am Baum, eine Kerbe ist erkennbar, möglicherweise wird der Baum kippen. Beide Bilder sind durch einen Bildrahmen voneinander abgegrenzt und gehen trotzdem ineinander über, weil der Baum als das zentrale Objekt über den Leerraum hinaus in die zweite rechte Seite hineinreicht. Mit dieser formal-ästhetischen Korrespondenz stellt Sacher auch eine inhaltliche Beziehung her, die Thiele (2000, 68f.) in Anlehnung an den Film als Bild-Bild-Montage bezeichnet:

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Abb. 9 In dem Einband des Sachbilderbuchs Der verwandelte Wald (1976) eröffnet die ästhetische Gestaltung eine zweite Sinnebene: Indem der Baum des ersten Einzelbildes in die zweite rechte Seite hineinreicht, wird eine formale Beziehung geschaffen, die eine neue Aussage erzeugt, hier die Verbindung von Waldrohdung und Waldfauna

Der Filmbetrachter fügt bekanntlich zwei (oder mehrere) Einstellungen, die er hintereinander in der filmischen Projektion sieht, in seinem Bewusstsein zusammen, er verknüpft getrennte, unterschiedliche Bildinformationen zu einem übergeordneten Vorstellungsbild, wenn zwischen den Bildern bestimmte formalästhetische oder inhaltlich-symbolische Beziehungen bestehen. (Thiele 2000, 68)

Die primäre Aussage des Bildes, die Verbindung von Waldrodung und Waldfauna, ist erst zu verstehen, wenn die Betrachter beide Bilder miteinander verbinden: Auf der rechten Seite ist der Baum gefällt. Auf dem noch verbleibendem Stumpf liegen Musikinstrumente und Spielzeuge, über die eine Anbindung an die kindliche Lebenswelt der Leser bzw. der eigentlichen Adressaten hergestellt wird. Auch die Wimmelbilder zeigen Spielzeuge als Endprodukte und erklären den Lesern anhand der Aufforderung »Erzähl mir, was du siehst« die Zusammenhänge spielerisch. Im Besonderen aber werden die erwachsenen Leser im Anschluss an ihre Lektüre und in der erneuten Betrachtung des Einbands auf die technisch-industriellen Nutzung des Waldes und die Zerstörung des tierischen Lebensraums aufmerksam gemacht. Mit Der verwandelte Wald (1976) reiht sich Sacher in den neuen Duktus der DDR-Kinder- und Jugendliteratur der siebziger Jahre ein, der die Probleme des Umweltschutzes zum Anlass nimmt, das Verhältnis von Industrialisierung und Natur zu hinterfragen (vgl. Strobel 2006, 228). Die historische Forschung der Wende- und Nachwendezeit spricht den Autoren der DDR-Kinder- und Jugendliteratur viel Anerkennung dafür zu, schneller und teilweise auch enga-

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gierter als die Erwachsenenliteratur ökologische Probleme aufgegriffen zu haben. So betont etwa Strobel (2006) mit Blick auf die kinder- und jugendliterarischen Gegenwartserzählungen der siebziger Jahre, »der kritische Fortschrittsdiskurs wird […] in den Tiergeschichten sowie im Genre der moralischen Beispielgeschichte, der moralischen Bewährungsgeschichte geführt« (ebd. 229). Die Titel der ab 1975 herausgegebenen Schlüsselreihe sind vor allem aufgrund der Sachthemen zur Arbeits- und Technikwelt in gesellschaftliche Zusammenhänge eingebunden, wie sie in der Theoriebildung zum Sachbuch gefordert werden. Den Erwartungen wissenschaftlicher Studien entsprechend, zeigen sich auf der piktoralen Ebene auch einige ästhetische Elemente, welche die sachlichinformative Gestaltung auflockern. Die Wimmelbilder oder impressionistischen Illustrationen sind nicht nur als strukturgebende, künstlerische Gestaltungsmittel zu werten, sondern auch als Mittel der Unterhaltung zu deuten, welche die kognitiven Anforderungen wesentlich reduzieren.

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Die Reihe Ein Tag im Leben…

Die Reihe Ein Tag im Leben… wird ab 1975 herausgegeben und bis 1990 mit insgesamt 25 Titeln fortgeführt. Die durchschnittliche Auflagenhöhe umfasst 15.000 Exemplare und erreicht Ende der achtziger Jahre mit Kanga. Ein Tag im Leben eines Schimpansen (1988), Vanessa. Ein Tag im Leben eines Schmetterlings (1988) und Graubart. Ein Tag im Leben eines Wildschweins (1989) drei Höchstauflagen von jeweils 25.000 Exemplaren. Neben einer Auflage des Titels Olrik. Ein Tag im Leben eines Pinguins (1976) in der Sozialistischen Volksrepublik Albanien im Jahr 1985 erscheint mehr als die Hälfte der Titel auch im europäischen Ausland wie Dänemark, Großbritannien Niederlande und Finnland oder auf dem bundesdeutschen Kinder- und Jugendbuchmarkt, u. a. im Stuttgarter Boje Verlag. Während die Schlüsselbücher unterhaltsame Elemente aufweisen, jedoch eher dem Lehrbuch nahestehen bzw. in der Begriffsverwendung Maiers (1993, 228) der »sachlich-informierenden« Literatur zugeordnet werden können, ist die Reihe Ein Tag im Leben… von »erlebnishaft gestalteter« (ebd.) Qualität: Ziel ist ein »Zusammenspiel von informativem, genauem Text und einer schönen Illustration« (BArch, DR1/3698, Verlagsgutachten, 17. 01. 1978, Bl. 196) bzw. »ein Tiersachbilderbuch von nicht erzählender, sondern schildernder Art« (BArch, DR1/3708a, Verlagsgutachten, 31. 01. 1975, Bl. 316), mit dem der Altberliner Verlag ein Novum schaffen will:

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Wir sind der Meinung, dass dem reichen Angebot an Tiermärchen, Tierfabeln und Bilderbuchtexten mit sprechenden Tierhelden Non-Fiction-Bücher zur Seite gestellt werden müssten, die wissenschaftlich gehalten sind, ohne Lehrbücher zu sein. Meist kommen bei Unternehmungen dieser Art rein populärwissenschaftliche Bücher mit naturalistischen Illustrationen heraus. Unsere Absicht aber ist das künstlerische Bilderbuch mit einem faktenreichen Text. Eine Reihe dieser Art gibt es nicht auf dem internationalen Markt. Jedes Bilderbuch der neuen Reihe wird also durch zwei Punkte gekennzeichnet sein: 1. Der Text ist nicht erzählerisch, sondern wissenschaftlich gehalten. 2. Die Illustrationen werden ausgesprochen künstlerisch sein. […] (BArch, DR1/ 3708a, Verlagsgutachten 31. 01. 1975, Bl. 68)

Wie auch Lokatis (2006, 108) mit Bezug auf den Kinderbuchverlag Berlin betont, herrscht im Altberliner Verlag ein reger Austausch zwischen Lektoren, Autoren und Illustratoren wie Dieter Müller oder Gerhard Lahr, die wesentliche Freiräume im gestalterischen Ausdruck erhalten. Die Richtigkeit der Sachinformationen garantiert ein Fachbiologe des Tierparks Berlin, Dipl.-Biologe Wolfgang Grummt. Darüber hinaus werden solche Autoren mit dem Schreiben betraut, die über Expertenwissen verfügen oder in der Fachwelt als Experten ihres Gebiets gelten, wie der Verfasser von Graubart: Ein Tag im Leben eines Wildschweins (1989) Heinz Meynhardt, der in der DDR als international beachteter Experte für Wildschweine auf sich aufmerksam macht. Wie auch Autoren der Allgemeinliteratur für Kinder schreiben, werden gleichermaßen Wissenschaftler motiviert, ihre Fachkompetenz an jüngere Leser weiterzugeben: Es ist, wie schon erwähnt, meist viel leichter, ein »reines« Fachbuch zu schreiben! Deswegen ist es ganz gewiß keine »Schande« für einen Wissenschaftler, einmal populärwissenschaftlich zu schreiben – im Gegenteil; es ist nicht so, daß er sich dazu »herabläßt«, sondern er beweist, (wenn er so schreiben kann) eine zusätzliche wertvolle Fähigkeit, eine besonders umfassende Beherrschung seines Gebietes. (Backe 1963, 46)

Über die wissenschaftliche Expertise hinaus nutzt der Altberliner Verlag Materialien wie Fotos und Fachbücher zum Zweck der sachgemäßen Auseinandersetzung und Validierung. »Wir gehen von Tagesprotokollen der neueren Tierforschung aus«, formuliert Groszer im Jahr 1984. In seinem Aufsatz Das Tier in Literatur und der Kinderliteratur fordert Zeiske (1965) die Autoren sogar zur Vertiefung naturwissenschaftlicher Grundlagen auf, um abergläubische Vorstellungen der Leser, bspw. der vermeintlichen Gefahr des Schwarzwildes, revidieren oder peinlichen Missgeschicken entgehen zu können, die der Tierfigur »ethische oder intellektuelle Fähigkeiten, Eigenschaften oder Leistungen zuschreiben, die das Tier nicht hat oder die – wenn vorhanden – reflexiv oder instinktiv bedingt sind« (Zeiske 1965, 92).

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Die Reihe Ein Tag im Leben… soll primär über tierische Verhaltensweisen aufklären, wobei Tierfiguren im Bilderbuch der DDR generell häufig als Protagonisten auftreten (vgl. Bode 2006, 874). Während der Anteil an Dorfgeschichten und Schulgeschichten in den siebziger Jahren stetig abnimmt (jeweils ca. 5 %), bleibt die Menge der Tiergeschichten mit ca. 20 % über die Jahre stabil (Strobel 2006, 2046). Aber auch im Sachbilderbuch ist das Tier ein populäres Thema für Kinder im Vorschulalter und Kinder jüngeren Lesealters (Günther 1988, 95). Mit Rückgriff auf Haas (2005) lässt sich das Tiersachbuch heute als eine Erscheinungsform des Tierbuchs beschreiben, das die Eigenschaft besitzt, sich »mühelos mit anderen Genres zu verbinden und zu vermischen« (Haas 2005, 287). Mit der Einbettung der Figuren in eine realistische Erzählwelt (vgl. ebd., 290) verpflichtet sich die Reihe der zu vermittelnden Wirklichkeit. Die zentralen Themen der Serie sind Futtersuche, Lernen und Entwicklung, Lebensraum (verbunden mit Fortpflanzung, Balzverhalten und Konkurrenzkampf) sowie Bedrohung, weniger durch Menschen als insbesondere durch Artgenossen, um naturwissenschaftliche Kenntnisse zu vermitteln und zur Heimatliebe zu erziehen (vgl. Zeiske 1965, 97). In den siebziger Jahren wird das Tier im Sachbilderbuch nicht mehr »als isoliertes Objekt betrachtet, sondern in seinem Biotop und in seinem typischen Verhalten beobachtet« (Günther 1988, 96). In Ein Tag im Leben… werden die Figuren als lernende oder bedrohte Jungtiere, als versorgende und/oder bedrohte Elterntiere, auf Balz bzw. in einem Revierkampf oder als Leittier einer Gruppe vorgestellt. Obwohl eine zumindest lose Verbindung von Mensch und Tier für das Genre Tierbuch typisch ist, werden diese Figuren »in freier Wildbahn, ungestört vom unmittelbaren Einfluß des Menschen« gezeigt (BArch, DR1/3700a, Verlagsgutachten, 21. 10. 1988, Bl. 137). Ein Tag im Leben… präsentiert freilebende, vorwiegend heimische Tiere und verschließt sich dem technologischen und kulturellen Fortschritt der DDR. Dass sozialistische Modernisierungsprozesse ausgeblendet werden, ist mit Blick auf die kinder- und jugendliterarischen Entwicklungen der siebziger und achtziger Jahre, in denen sich die Großstadt als Handlungsraum etabliert, erst einmal auffällig, da die Zivilisation nicht nur ausgeschlossen, sondern – sofern in Erscheinung tretend – als Bedrohung inszeniert wird, wie bspw. in Graubart. Ein Tag im Leben eines Wildschweines (1989). Nur knapp kann sich Graubart vor der Gefahr eines Kraftfahrzeuges retten: Eilig wendet sich Graubart einer jungen Fichtenschonung zu. Schon hat sein empfindliches Gehör ein entferntes Geräusch ausgemacht. Am Ende der Schonung wird der Wald von einer stark befahrenen Straße geteilt. Der Keiler muss hinüber, dem Wildwechsel folgend, den schon seine Vorfahren Jahrhunderte vor ihm kannten. Am Straßengraben sichert er vorsichtig nach allen Seiten, dann wagt er den Sprung. Hastig überquert er den Asphalt; unsicher, denn den Hufen fehlt der Halt, den der federnde

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Waldboden gibt. Schon nähert sich ein Auto. Gerade noch rechtzeitig rettet sich Graubart ins Stangengehölz. (Meynhardt/Lahr 1989, o. p.)

Wie auch schon Schmideler (2015) mit Bezug auf insekten- und kriechtierbezogene Titel aus der Reihe Ein Tag im Leben… feststellt, sind – trotz der Intention des Altberliner Verlages, sachlich-schildernde Texte präsentieren zu wollen – ästhetische Anleihen auf verbaler Ebene erkennbar, wie sie auch in der Theorie der Kinder- und Jugendliteratur in der DDR gefordert werden, »um auf der Grundlage naturwissenschaftlicher Kenntnis ein lebendiges und typisches Bild des Tieres zu schaffen« (Zeiske 1965, 94). Mit Bezug auf die Sachwissen vermittelnde Sprache lässt sich zunächst feststellen, dass die vielen präzisierten Beschreibungen, die hohe Anzahl an Fachbegriffen und die oft bildhafte Fachsprache einen hohen Anspruch an die Rezeptionskompetenzen jüngerer Leser stellen, z. B. in Graubart. Ein Tag im Leben eines Wildschweins (1989), wenn es diesen zu den Bachen verlangt: Der Keiler erstarrt. Fünf Bachen und fünfzehn vorjährige Frischlinge, die bereits ihre Streifenzeichnungen verloren haben, halten Mahlzeit unter den Bäumen. Das ist die Rotte. In ihrer Mitte steht die alte Bache, deren rechten Teller ein kreisrundes Loch markiert. (Meynhardt/Lahr 1989, o. p.)

Neben Fachausdrücken wie Bache, Frischling, Rotte oder Teller entstehen zusätzliche Verstehensschwierigkeiten, wenn das notwendige Hintergrundwissen über die Streifenzeichnungen junger Wildschweine fehlt und bildhafte Beschreibungen wie »kreisrundes Loch« in keine Vorstellung transferiert werden können. Zum anderen werden die Titel der Reihe aber auch durch sprachlich-erzählerische Mittel literarisiert: »Silko ist in seinem Rohrwald, wo es in diesen Stunden von neuem flattert und schnattert und lockt und planscht.« (Könner/ Lahr 1975, o. p.). Die oft einfachen Hauptsatzkonstruktionen und die hochfrequente Verwendung von Adjektiven sowie der häufige Rückgriff auf Bewegungsverben, Gedankenstrichkonstruktionen, Alliterationen oder lautmalerische Färbungen machen den Text interessanter und unterstützen die kognitive Verarbeitungsprozesse des Lesers. Darüber hinaus folgen die Titel einem einheitlichem Erzählmodell: Gezeigt wird der Tagesablauf der jeweils auf dem Titelbild vorgestellten Tierfigur, chronologisch, iterativ und szenisch im Präsens erzählt. Eine Minimalanforderung erzählender Texte ist eine Handlung bzw. eine Zustandsveränderung von A nach B, die auch hier vorhanden ist und in mindestens einem besonderen Geschehensmoment, z. B. einem Kampf oder Balzverhalten, kulminiert. Die Ereignisse werden zeitdeckend erzählt. Die Zeit wird gestoppt, angehalten und dramatisch zugespitzt. Damit tendiert die Art und Weise der Informationsver-

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mittlung zum Narrativen, sie wird zum Beiwerk, um erlebnishaft, spannend und emotional wirken zu können. Ebenso stellt Günther (1988, 24) fest, dass mit zunehmender Tendenz auch die einschlägigen Veröffentlichungen »zur Erklärung wissenschaftlich oder dokumentarisch fixierter Objekte oder Sachverhalte fiktive Elemente verwenden.« Der Erzähler agiert sowohl auf der Bild- als auch auf der Textebene als extern fokalisierter Beobachter. Ihm fehlt der Einblick in die Innenwelt der Tierfiguren. Er beschreibt sichtbare Prozesse des Innenlebens, Vermutungen aus seiner beobachtenden Position heraus, ausgestattet – so der vermittelte Eindruck – mit Fernglas und Kamera. Durch die Verwendung der erlebten Rede wird zum Teil auch auf die Perspektive des Tieres rekurriert. Mithilfe von affektiven Einschüben, rhetorischen Fragen, Ausrufen und einer Vielzahl an Raum- und Zeitadverbien (plötzlich, hier, jetzt etc.) vermischt sich die Erzählperspektive mit dem Standpunkt der tierischen Figur, sodass eine Unmittelbarkeit entsteht, mit der die Leser noch stärker an das Geschehen gebunden werden: »Nun hat sich der Hund von seinem Schreck erholt und fegt hinterher. Einer Katze weiß er schon den Garaus zu machen! Als Kotte das Hecheln dicht hinter sich spürt, haben beiden den Baumrand erreicht.« (Kehl/Lahr 1985, o. p.) Nach Schmideler (2016, 3) zeigt sich in der Repräsentation der Tierfiguren auch eine Spezifik der Anthropomorphisierung, wonach von zoomorphen Gestaltungsweisen gesprochen werden kann, denen eine Tendenz zur scientiamorphen Darstellung eigen ist. Damit werden die durch ihre Namen individualisierten Tiere wie Graubart, Polli oder Kotte in zoomorpher Manier als Lebewesen mit tierspezifischen Eigenschaften geschildert sowie durch die bereits erwähnte zoologische Wissenschaftssprache ästhetisch, d. h. scientiamorph vermittelt (Schmideler 2016, 4). Ein zentrales Prinzip der Reihe ist nicht nur die Unmittelbarkeit der gesprochenen Rede, sondern auch das unmittelbare Erzählen von Ereignissen, welches das Geschehen distanzlos wirken lässt. Mit der Verwendung kurzer Sätze, detaillierten Beschreibungen, dem Fehlen von Kommentaren und Reflexionen und dem nahezu zeitdeckenden Erzähltempo wird ein Realitätseffekt erzeugt, der die Sachinformation spannend macht: Kotte trabt querfeldein. Das war ein Schreck. Er hört immer noch das starke Pochen in Brust und Kopf. Gleich ist er auf der Straße. Der Lastzug dröhnt heran. Gelbweißes Licht wirft sich wie ein Tuch auf den Kater. Da quietscht es schmerzhaft laut. Kotte springt los, rollt einen Hang hinab, rast in wilden Sätzen über ein Feld zum Wald. Genadelte Zweige peitschen ihm Nase und Rücken. Auf einem Windbruch kommt er zur Ruhe und hockt sich behäbig nieder. (Kehl/Lahr 1985, o. p.)

In der zoomorphen Darstellung, wie sie Schmideler für Kinder- und Jugendliteratur des 18. und 19. Jahrhunderts hervorhebt, wird das Verhalten des Tieres mit unterhaltenden Elementen in Text und Bild unterstützt. Die Betrachter sollen

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durch Geschichten, Begebenheiten und spannende Schilderungen die Eigenarten, Verhaltensweisen und Besonderheiten von Tieren verstehen und sich gleichsam von dem natürlichen »Charakter« der jeweiligen Tiere empathisch ein eigenes Bild machen können. Die zoomorphen Tierschilderungen dienen […] der inneren Vorstellungsbildung im Kontext einer naturwissenschaftlich orientierten ästhetischen Wissensvermittlung. (Schmideler 2012, 49)

Die einzelnen Textaussagen bzw. Spannungsmomente werden durch die piktorale Ebene noch unterstützt, was sich vor allem in der Abbildung bewegter Figuren zeigt, die in einer Momentaufnahme, z. B. einem tierischen Kampf, festgehalten werden, vergleichbar mit einem Fotoapparat, nur malerisch inszeniert. In der Reihe Ein Tag im Leben… erzeugt die Bildebene aufgrund der künstlerischen Gestaltung von Illustratoren wie Gerhard Lahr eine viel größere Wirkung als der Text. Nach Bode (2006) kann im Bilderbuchbereich der siebziger Jahre zwischen linear und malerisch arbeitenden Illustratoren differenziert werden. Die Reihe ist malerisch gestaltet, nur wenige Titel präsentieren Bilder mit klarer Linienführung und scharfen Konturen, mit eindeutiger Tierphysiognomie. Mit Blick auf deren insekten- und kriechtierbezogenen Titel stellt Schmideler (2015) fest, dass im »Sinn der materialistischen, naturalistischen Basis der wissensvermittelnden Kinder- und Jugendliteratur der DDR (…) die Bildebene der Reihe von dem Bemühen um die Darstellung anatomischer Exaktheit der zoologischen Erscheinungen der Tiere« (ebd., 169) bestimmt ist, wie z. B. in Vanessa. Ein Tag im Leben eines Schmetterlings (1988). Darüber hinaus prägen jedoch insbesondere grobe, ungenaue Linienführungen und Konturen die Serie, die den Inhalt eher sinnlich-ästhetisch unterstützen. Im Gegensatz zu den Schlüsselbüchern ist der Ikonizitätsgrad niedriger. Es handelt sich eher um atmosphärisch aufgeladene Bilder, die laut Verlag vom »Wesen, der Schönheit und der Wirklichkeit des tierischen Lebens« (BArch, DR1/3708, Verlagsgutachten, 28. 01. 1976, Bl. 155) besser berichten können als naturalistische Illustrationen, womit sich die Titel von dem »reinen Sach- und Lehrbuch« (ebd.) abgrenzen sollen. Die Dominanz des künstlerischen Prinzips gegenüber der Wissensvermittlung zeigt sich unverkennbar auch am intermodalen Verhältnis von Bild und Text. Trotz einer grundsätzlich symmetrischen Bild-Text-Korrespondenz (vgl. Staiger 2014, 20) gibt die Illustration häufig nicht den eigentlich zentralen Moment der Sachinformation wieder. In vielen Titeln scheint es, als würden sich die Bilder verselbständigen. Wiederholt wird auf Struktur bietende Weißräume verzichtet, Farben füllen den Raum aus. Oft handelt es sich um Grün- und Brauntöne als Farbrepräsentationen der Natur, mit denen lebhafte, unruhige und dunkle Räume inszeniert werden. Immer wieder experimentieren die Illustratoren sogar innerhalb desselben Textes. Auf diese Weise wird die sachlich

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präzise Wiedergabe, die der Verlag zum Teil sogar kritisiert, zugunsten einer stärker atmosphärischen Gestaltung aufgegeben: Reiner Zieger ist seit langem als guter Illustrator von Tieren, insbesondere Pferden bekannt. Leider geht er bei seinen Bildern zu wenig auf die Handlung ein. Ein gewisser akademischer Zug, die Vorliebe für den exakten, studienhaften Strich wird für mein Gefühl in einigen Bildern zu deutlich. Wir hätten uns eine freiere, frischere und handlungsreichere Illustrierung des Textes gewünscht. […] Am besten scheinen uns jene Bilder gelungen zu sein, in denen das Tier mit einem stimmungsvollen Hintergrund zu einer ästhetischen Einheit verschmilzt. (BArch, DR1/3699, Verlagsgutachten, 24. 06. 1982, Bl. 45)

Oft erhalten die Betrachter keine eindeutigen Informationen, sondern werden z. B. in Form von Ein- und Durchblicken durch Blätter und Pflanzen selbst zu Beobachtern des Geschehens. Repräsentativ sind die Illustrationen Gerhard Lahrs, der die Reihe von Beginn an begleitet und selbst als renommierter Kinderbuchillustrator von Titeln wie Bei der Feuerwehr wird der Kaffee kalt (Hüttner 1969) in Erscheinung tritt. Seine Bilder distanzieren sich von der präzisierten Sachbuchvermittlung. So wird der Text in einen ästhetischen Rahmen gebettet, mit denen Lahr Stimmungen reproduziert, ohne auf unterstützende Orientierungs- oder Hilfsangebote – wie in der Sachliteratur üblich – zu achten. Durch den ähnlichen Farbauftrag und die schwachen Konturierungen verschmelzen Tier und Natur bzw. die Tierfiguren mit den sie umgebenden Hintergründen. Nur selten bildet Lahr realitätsnahe Hintergründe ab, z. T. werden knallige Farben genutzt, die von expressiver Wildheit zeugen (vgl. Abb. 10). Auf farblose Flächen wird auch hier weitestgehend verzichtet und der Text sowohl in das Bild hineingeschrieben als auch durch Schriftgröße, Fettdruck oder Zeilenabstand der piktoralen Ebene angeglichen. Auffällig zeigt sich in der seit 1975 herausgegebenen Reihe Ein Tag im Leben… die ästhetische Gestaltung der Bilder, die – vom Verlag beabsichtigt – oft künstlerische Illustrationen sind, die von der faktischen Wissensvermittlung abrücken. Daneben zeugt jedoch auch die verbale Ebene an vielen Stellen von einer literarisierten Sprache und fiktionalisierten Erzählweise, sodass mit Zeiske (1965) von literarisch anmutenden Titeln gesprochen werden kann, in denen das Tier in seinem Verhalten und Lebenskreis dargestellt [wird], wobei die Grenzen gesicherter biologischer und tierpsychologischer Erkenntnis nicht oder nur ganz unwesentlich überschritten werden. Es wird, bei Freiheit der Stoffkonzentration und -entfaltung, eine gewisse Typik angestrebt, die das Tier als Vertreter seiner Art erkennen lassen. (Zeiske 1965, 92)

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Abb. 10 An dem Titel Silko. Ein Tag im Leben eines Silberreihers (1975) aus der Reihe Ein Tag im Leben… wird deutlich, dass die künstlerische Gestaltung gegenüber der Sachinformation prioritär gesetzt wird

Innovative Bild- und Textformen der siebziger und achtziger Jahre Wie in der Sachliteratur üblich, greifen die Autoren der Serien Schlüsselbücher und Ein Tag im Leben… Themen der Gesellschafts- und Naturwissenschaften oder Technik auf (vgl. Neubert 2006, 912). In der Tierbuchreihe Ein Tag im Leben… werden gesellschaftliche Zusammenhänge sogar ausgeschlossen oder als gefahrvolle Bedrohung inszeniert. Im Fokus stehen freilebende Tiere in ihrem biologischen Verhalten, »um das persönliche Verhältnis des Kindes zum Tier und zur Umwelt überhaupt zu stimulieren, das Verantwortungsbewußtsein für die Natur […]« (Günther 1988, 95f.) zu fördern. In beiden Reihen konzentrieren sich die Autoren und Illustratoren auf die materialistisch orientierte Vermittlung eines Sachaspekts, gepaart mit unterhaltenden bzw. künstlerischen Elementen, wie sie in der DDR gefordert waren und auch für aktuelle Sachbücher gefordert werden. Während die Schlüsselreihe… der sachlich-informativen Grundform Sachwissen vermittelnder Literatur entspricht, handelt es sich bei der Reihe Ein Tag im Leben… um stärker ästhetisierte Zugänge (vgl. Günther 1988, 117). Obwohl der Altberliner Verlag darum bemüht ist, nur auf der piktoralen, nicht verbalen Ebene künstlerische Formen zu schaffen, sind auch im Text literarisierte Sprachanteile sowie fiktionale Elemente erkennbar, welche die poetischen Pendants zu den teils expressiven Illustrationen bilden. Auch in den Schlüsselbüchern werden an den doppelseitigen

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Wimmelbildern und impressionistischen Illustrationen ästhetische Mittel offenbar, die Unterhaltung garantieren und die Verstehensleistung der Leser unterstützen. Beide Reihen stellen einen hohen Anspruch an die Rezeptionsbereitschaft jüngerer Kinder, was im Besonderen auf die Tiersachbücher zutrifft. Mit Olrik: Ein Tag im Leben eines Pinguins (2014), der einzigen aktuellen Neuauflage, entscheidet sich der die Lizenzrechte verwaltende Beltz-Verlag für ein Sachwissen vermittelndes Bilderbuch, das den Lesern einen vergleichbar leichten Zugang schafft. Die Bilder des Illustrators Karl-Heinz Appelmann – der die Kinderbuchillustrationen seit 1966 wesentlich mitformt (vgl. Bode 2006, 858) – zeigen schablonenhafte Figuren und eintönige Landschaften und zeugen damit, im Gegensatz zu Gerhard Lahrs Gestaltungen, von geringerer Komplexität. Noch bis zur Deutschen Wiedervereinigung im Jahr 1990 erscheint die größere Anzahl der Titel auch im Ausland, mindestens auf dem bundesdeutschen Buchmarkt. Dabei wird insbesondere die Schlüsselreihe, die Lucie Groszer als erfolgreichste Reihe des Altberliner Verlags deklariert hat (1984, 14), durch Lizenzen und Übersetzungen verbreitet sowie auch in theoretischen Reflexionen berücksichtigt (vgl. Günther 1988). Mit Blick auf den qualitativen Sprung der Sachliteratur für Kinder und Jugendliche in den siebziger und achtziger Jahren lässt sich jedoch festhalten, dass beide Reihen die Poetisierung von Sachwissen vermittelnden Büchern für jüngere Kinder (vgl. Günther 1988, 92) mittragen, wenn nicht sogar wesentlich beeinflussen.

Primärliteratur Hüttner, Hannes/Gerhard Lahr (Ill.): Bei der Feuerwehr wird der Kaffee kalt. Berlin: Kinderbuchverlag, 1969 Rodrian, Fred/Manfred Bofinger (Ill.): Onkel Walter, kauf ein Krokodil. Berlin: Altberliner Verlag, 1982 Ruthenberg, Gundula/Thomas Schallnau (Ill.): Der Kettenraucher. Berlin: Altberliner Verlag, 1986 Welskopf-Henrich, Liselotte: Die Söhne der großen Bärin. Berlin: Altberliner Verlag, 1951

Schlüsselbücher (1975–1990) Behrendt, Hans-Joachim/Hans-Joachim Behrendt (Ill.): Was da fährt und fliegt. Nach einer Idee von Alfred Könner. Berlin: Altberliner Verlag, 1975 Sacher, Rainer/Rainer Sacher (Ill.): Der verwandelte Wald. Nach einer Idee von Alfred Könner. Berlin: Altberliner Verlag, 1976 Linke, Siegfried/Siegfried Linke (Ill.): Mal Regen und mal Sonnenschein. Nach einer Idee von Alfred Könner. Berlin: Altberliner Verlag, 1978

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Sacher, Rainer/Rainer Sacher (Ill.): Wasser überall. Nach einer Idee von Alfred Könner. Berlin: Altberliner Verlag, 1979 Wieland, Karl-Heinz/Karl-Heinz Wieland (Ill.): Schiffe unter Segeln. Nach einer Idee von Alfred Könner. Berlin: Altberliner Verlag, 1981 Könner, Alfred/Elfriede und Eberhard Binder (Ill.): Das gezähmte Feuer. Berlin: Altberliner Verlag, 1982 Sälzer, Tamara/Kerstin Arnold (Ill.): Im Garten grünt und blüht es. Berlin: Altberliner Verlag, 1983 Sacher, Rainer/Rainer Sacher (Ill.): Das große Wasser. Nach einer Idee von Alfred Könner. Berlin: Altberliner Verlag, 1983 Bimberg, Guido/Elfriede und Eberhard Binder (Ill.): Der wunderbare Klang. Berlin: Altberliner Verlag, 1985 Binder, Christiane Maria/Thomas Binder (Ill.): Burgen stolz und kühn. Berlin: Altberliner Verlag, 1986 Könner, Alfred/Elfriede und Eberhard Binder (Ill.): Vom goldenen Handwerk. Berlin: Altberliner Verlag, 1986 Pietzke, Helmut/Thomas Binder (Ill.): Vom Hebel zur Maschine. Berlin: Altberliner Verlag, 1988 Kromrey, Till/Michael Römer (Ill.): Der Traum des Ikarus. Berlin: Altberliner Verlag, 1988

Ein Tag im Leben… (1975–1990) Könner, Alfred/Gerhard Lahr (Ill.): Silko. Ein Tag im Leben eines Silberreihers. Berlin: Altberliner Verlag, 1975 Könner, Alfred/Karl-Heinz Appelmann (Ill.): Olrik. Ein Tag im Leben eines Pinguins. Berlin: Altberliner Verlag, 1976 Raedel, Margit/Gerhard Lahr (Ill.): Bockert. Ein Tag im Leben eines Bibers. Berlin: Altberliner Verlag, 1978 Feustel, Ingeborg/Dieter Müller (Ill.): Kirk. Ein Tag im Leben eines Rebhuhns. Berlin: Altberliner Verlag, 1979 Dathe, Heinrich/Karl Fischer (Ill.): Reineke. Ein Tag im Leben eines Fuchses. Berlin: Altberliner Verlag, 1980 Düngel-Gilles, Lieselotte/Dieter Müller (Ill.): Polli. Ein Tag im Leben einer Biene. Berlin: Altberliner Verlag, 1980 Feustel, Günther/Dieter Müller (Ill.): Ilka. Ein Tag im Leben eines Iltisses. Berlin: Altberliner Verlag, 1980 Düngel-Gilles, Lieselotte/Dieter Müller (Ill.): Freila. Ein Tag im Leben eines Kuckucks. Berlin: Altberliner Verlag, 1981 Feustel, Ingeborg/Gerhard Lahr (Ill.): Nador. Ein Tag im Leben eines Storches. Berlin: Altberliner Verlag, 1981 Dahne, Gerhard/Dieter Müller (Ill.): Berba. Ein Tag im Leben eines Löwen. Berlin: Altberliner Verlag, 1982 Gleß, Karlheinz/Reiner Zieger (Ill.): Wirbel. Ein Tag im Leben eines Pferdes. Berlin: Altberliner Verlag, 1983

Das Sachwissen vermittelnde Bilderbuch in den siebziger und achtziger Jahren

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Meißner, Karl/Wolf-Ulrich Friedrich (Ill.): Tritus. Ein Tag im Leben eines Molches. Berlin: Altberliner Verlag, 1983 Streeck, Siegfried/Karl Fischer (Ill.): Oschka. Ein Tag im Leben eines Elches. Berlin: Altberliner Verlag, 1984 Hesse, Günter/Heinz-Helge Schulze (Ill.): Tschonno. Ein Tag im Leben eines Wolfes. Berlin: Altberliner Verlag, 1985 Kehl, Barbara/Gerhard Lahr (Ill.): Kotte. Ein Tag im Leben einer Wildkatze. Berlin: Altberliner Verlag, 1985 Kehl, Barbara/Wolf-Ulrich Friedrich (Ill.): Mira. Ein Tag im Leben einer Waldameise. Berlin: Altberliner Verlag, 1986 Schulenburg, Bodo/Heinz-Helge Schulze (Ill.): Schnöck. Ein Tag im Leben eines Hechtes. Berlin: Altberliner Verlag, 1986 Kehl, Barbara/Franz Merker (Ill.): Fluk. Ein Tag im Leben eines Delphins. Berlin: Altberliner Verlag, 1987 Zydoreck, Karlheinz/Hein-Helge Schulze (Ill.): Knorz. Ein Tag im Leben eines Eichhörnchens. Berlin: Altberliner Verlag, 1987 Meißner, Karl/Wolf-Ulrich Friedrich (Ill.): Vanessa. Ein Tag im Leben eines Schmetterlings. Berlin: Altberliner Verlag, 1988 Ullrich, Ursula/Dieter Müller (Ill.): Kanga. Ein Tag im Leben eines Schimpansen. Berlin: Altberliner Verlag, 1988 Hesse, Günter/Heinz-Helge Schulze (Ill.): Rina. Ein Tag im Leben eines Igels. Berlin: Altberliner Verlag, 1989 Meynhardt, Heinz/Gerhard Lahr (Ill.): Graubart. Ein Tag im Leben eines Wildschweins. Berlin: Altberliner Verlag, 1989 Zydoreck, Karlheinz/Heinz-Helge Schulze (Ill.): Linka. Ein Tag im Leben eines Feldhasen. Berlin: Altberliner Verlag, 1990 Kehl, Barbara/Frank Merker (Ill.): Falco. Ein Tag im Leben eines Wanderfalken. Berlin: Altberliner Verlag, 1990

Sekundärliteratur Backe, Hans: Pädagogisch-methodische Forderungen an populärwissenschaftliche Bücher. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 4/5 (1963), 44–55 Bode, Andreas: Bilderbücher und Kinderbuchillustrationen. In: Steinlein, Rüdiger/Heidi Strobel/Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR von 1945–1990. Stuttgart [u. a.] 2006, 829–902 Groszer, Lucie: Wer in der Erinnerung lebt, stirbt nie. In: Marginalien. Zeitschrift für Buchkunst und Bibliographie 94 (1984), 1–14 Günther, Harri: Die Sachliteratur für Kinder und Jugendliche in der DDR von 1946–1986. Berlin 1988 (Studien zur Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur 11) Haas, Gerhard: Das Tierbuch. In: Lange, Günter (Hg.): Taschenbuch der Kinder- und Jugendliteratur. 4. Aufl. Baltmannsweiler 2005, 287–307 Hilzheimer, Hannelore: Bücher aus dem Altberliner Verlag Lucie Groszer. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 30 (1974), 81–87

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Maria Becker

Links, Christoph: Das Schicksal der DDR-Verlage: Die Privatisierung und ihre Konsequenzen. Berlin 2010 Lokatis, Siegfried: Die Zensur der Kinderbuchverlage. In: Steinlein, Rüdiger/Heidi Strobel/Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR von 1945–1990. Stuttgart [u. a.] 2006, 101–112 Maier, Karl Ernst: Jugendliteratur. Formen, Inhalte, pädagogische Bedeutung. 10. Aufl. Bad Heilbrunn 1993 Neubert, Reiner : Sachliteratur. In: Steinlein, Rüdiger/Heidi Strobel/Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR von 1945–1990. Stuttgart [u. a.] 2006, 903–934 Ossowski, Herbert: Sachbilderbücher. Von Bildern, die Wissen schaffen. In: Franz, Kurt/ Günter Lange (Hgg.): Bilderwelten. Vom Bildzeichen zur CD-Rom. Baltmannsweiler 1999, 51–68 Pieper, Katrin: Jugendbuchverlage und Jugendliteratur in der DDR. Umschau. In: Tausendundein Buch (1988) H. 4, 13–19 Schmideler, Sebastian: »Schwein, sage deine Geschichte her!« Tierdarstellungen in der Kinder- und Jugendliteratur des 18. und 19. Jahrhunderts. In: Interjuli 4 (2012) H. 1, 43–65 Schmideler, Sebastian: Polli, Mira und Vanessa – Biene Majas Nachfahren. Insekten und Kriechtiere in Wissen vermittelnden Kinderbüchern der DDR. In: Josting, Petra/Sebastian (Hgg.): Bonsels’ Tierleben – Insekten und Kriechtiere in Kinder- und Jugendmedien. Hohengehren 2015, 157–177 Schmideler, Sebastian: Naturgeschichte(n) – ästhetische Repräsentationen von Tieren in der Kinder- und Jugendliteratur des 18. und 19. Jh. In: kids + media. Zeitschrift für Kinder- und Jugendmedienforschung 6 (2016) H. 1, 2–26 Staiger, Michael: Erzählen mit Bild-Schrifttext-Kombinationen. Ein fünfdimensionales Modell der Bilderbuchanalyse. In: Knopf, Julia/Ulf Abraham (Hgg.): BilderBücher. Bd.1. Theorie. Baldmannsweiler (2014), 12–23 Strobel, Heidi: Realistische Erzählungen und Romane mit Gegenwartsstoffen und zeitgeschichtlichen Themen. In: Steinlein, Rüdiger/Heidi Strobel/Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR von 1945–1990. Stuttgart [u. a.] 2006, 189–259 Thiele, Jens: Das Bilderbuch. Ästhetik – Theorie – Analyse – Didaktik – Rezeption. Oldenburg 2000 Zeiske, Wolfgang: Das Tier in Literatur und Kinderliteratur. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 7 (1965), 87–97

Druckgenehmigungsakten BArch DR 1/3698, Bl. 150–157 Alfred Könner/Heinz Schubert: Mal Regen und mal Sonnenschein. Druck-Nr. 110/11/ 78; 1978; Gutachten: A. Könner

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BArch DR1/3698, Bl. 190–201 Margit Raedel/Gerhard Lahr : Bockert. Ein Tag im Leben eines Bibers. Druck-Nr. 110/ 12/79 (110/13/78); 1979 (1978); Gutachten: W. Grummt, A. Könner BArch, DR 1/3698a, Bl. 193–203 Karl-Heinz Wieland: Schiffe unter Segeln. Druck-Nr. 110/16/82 (110/7/81); 1982 (1981); Gutachten A. Könner, E. Heinze BArch, DR1/3699, Bl. 34–47 Karlheinz Gleß/Reiner Zieger : Wirbel. Ein Tag im Leben eines Pferdes. Druck-Nr. 110/ 21/83 (110/8/82); 1983 (1982); Gutachten: A. Könner, W. Grummt BArch DR1/3700a, Bl. 133–139 Günter Hesse/Heinz-Helge Schulte: Rina. Ein Tag im Leben eines Igels. Druck-Nr. 110/ 1/89; 1989; Gutachten: K.-P. Berndt, M. Hengst, G. Dahne BArch, DR1/3708a, Bl. 148–159 Alfred Könner, Karl-Heinz Appelmann: Olrik. Ein Tag im Leben eines Pinguins. DruckNr. 110/6/76; 1976; Gutachten: W. Grummt, L. Groszer BArch, DR1/3708a, Bl. 97–105 Hans-Joachim Behrendt: Was da fährt und fliegt. Druck-Nr. 110/3/75; 1975; Gutachten: L. Groszer BArch DR1/3708a: BL. 63–70 Alfred Könner/Gerhard Lahr : Silko. Ein Tag im Leben eines Silberreihers. DruckNr. 110/2/75; 1975; Gutachten: W. Grummt, A. Könner

Bettina Kümmerling-Meibauer (Tübingen) / Jörg Meibauer (Mainz)

»Keines zu klein, Helfer zu sein«. Das deskriptive Bilderbuch in der DDR zwischen Information und Propaganda

Einleitung Dieser Beitrag befasst sich mit deskriptiven Bilderbüchern in der DDR, wobei der Fokus auf den Zusammenhang von Informationsvermittlung und Propaganda gerichtet ist.1 Das Korpus besteht aus 35 Bilderbüchern, die im Zeitraum von 1951 bis 1982 erschienen sind, die meisten davon stammen aus den fünfziger und sechziger Jahren. Bei der Auswahl haben wir uns auf solche deskriptiven Bilderbücher konzentriert, die sich mit den Themen Technik, Großstadt, Berufe, Darstellung von Arbeitsprozessen und Biografien befassen. Das heißt, Bilderbücher über Tiere (die auch in der DDR überaus prominent waren), Pflanzen und die Darstellung des Lebens von Kindern in anderen Ländern haben wir nicht berücksichtigt. Die Orientierung an der Darstellung von Arbeitsprozessen, technischen und naturwissenschaftlichen Errungenschaften und dem Leben bedeutender Persönlichkeiten wurde auch im Kulturplan, der beim »I. Kinderkongress der Kindervereinigung der FDJ« 1947 in Gera verkündet wurde, festgelegt (Andresen 2006, 165). Ein Medium zur Vermittlung dieses Wissens ist dabei das Kinderbuch. Die von uns untersuchten Sachbilderbücher umfassen sowohl textlose Bilderbücher, die sich in der Regel an Kinder ab dem Alter von drei Jahren richten, als auch Bilderbücher mit Text, wobei die Menge und Komplexität der Texte mit dem Alter der Zielgruppe steigt. Die meisten Texte sind in Prosa verfasst, einige Bilderbücher enthalten Verse. Aus Platzgründen können wir nicht alle Bilderbücher im Detail vorstellen, sondern haben eine Auswahl getroffen. Zuerst wird kurz der Inhalt skizziert, danach wird auf die eigentliche Fragestellung eingegangen. 1 Bislang gibt es kaum Untersuchungen zum deskriptiven Bilderbuch bzw. Sachbilderbuch der DDR. Ein kurzer Überblick findet sich in Bode (2006), während Neubert (2006) den Fokus eher auf Sachbücher für ältere Kinder und Jugendliche richtet. Siehe auch Günther (1988), der sich ebenfalls mehr auf Sachbücher konzentriert.

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Bettina Kümmerling-Meibauer / Jörg Meibauer

Bevor die ausgewählten Bilderbücher im Hinblick auf die in ihnen enthaltene Text- und Bildinformation untersucht werden, wird zunächst der Begriff des deskriptiven Bilderbuchs erläutert. Wir definieren die Begriffe der Information und Propaganda und erläutern knapp deren epistemologische und kognitive Aspekte. Diese Überlegungen sind die Ausgangsbasis für unsere Unterscheidung von drei verschiedenen Strategien hinsichtlich der Vermittlung von Informationen und Propaganda im deskriptiven Bilderbuch der DDR.

Deskriptives Bilderbuch Der Begriff ›Sachbuch‹ ist insofern irreführend, als es in den mit diesem Begriff gemeinten Büchern nicht immer um »Sachen« geht. Gegenstand von Sachbüchern können auch abstrakte Konzepte wie geometrische Formen, Zahlen oder Farben sein, ebenso wie Personen (Thälmann, Obama usw.). Wir bevorzugen es daher, von »deskriptiven« Bilderbüchern zu sprechen, denen wir »narrative« Bilderbücher gegenüberstellen (vgl. auch Meibauer 2015). Narrative Bilderbücher enthalten eine Geschichte, wobei man einfache Geschichten als Strukturen beschreiben kann, die ein Setting, eine Komplikation und eine Lösung enthalten. Diese Geschichten sind typischerweise fiktional, indem präsupponiert wird, dass ihr Bezug zur Realität eher indirekt ist und das, was erzählt wird, nicht wahr (im Sinne einer Überprüfbarkeit) sein muss. Deskriptive Bilderbücher dagegen enthalten Informationen, von denen angenommen wird, dass sie wahr sind, durch einen verlässlichen Autor präsentiert werden und prinzipiell überprüfbar sind (Kiefer/Wilson 2011). Deskriptive Bilderbücher sind also Bücher, die in erster Linie der verlässlichen Information über Sachverhalte dienen. Bilder oder Grafiken sollten diesem Informationszweck untergeordnet sein.

Information Deskriptive Bilderbücher sind ein oder mehreren konzeptuellen Domänen zugeordnet. Solche konzeptuellen Domänen können zum Beispiel Berufe oder Fahrzeuge sein. Bei der Präsentation der Information stellen sich immer die Probleme der Selektion und der Anordnung. Zum Beispiel wird im Bilderbuch Spielzeug und Wirklichkeit (1959) unter der Menge der Fahrzeuge ausgewählt (kein Fahrrad, kein Personenwagen, aber auch kein Panzer). Gleichzeitig findet eine Anordnung der Fahrzeuge statt, sodass der Lastwagen gleich auf dem Titelbild gezeigt wird, während das Verladebecherwerk mit Transportband erst am Schluss dargestellt ist.

Das deskriptive Bilderbuch zwischen Information und Propaganda

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Die Information wird oft in Bezug auf konzeptuelle Rahmen (Frames) oder Scripts (Handlungspläne) präsentiert (vgl. Kümmerling-Meibauer/Meibauer 2015). Dies kann bspw. der Rahmen POST sein, wie im Falle des Buchs Der Weg deines Briefes (1951), oder der Rahmen BIOGRAPHIE, wie im Falle des Bilderbuchs Als Thälmann noch ein Junge war (1976) über Ernst Thälmann. Ein Script STADTBESUCH liegt z. B. bei Wir gehen durch die große Stadt vor (1952), ein Script UMZUG im Bilderbuch Wir ziehen um (1951). Es ist naheliegend, die Information so zu präsentieren, dass sie von einem erlebenden oder erkennenden Protagonisten ausgeht. Das bedeutet aber nicht, dass es sich dabei um eine Narration handelt. Es ist allerdings richtig, dass die Abgrenzung nicht immer leicht bzw. die Schwerpunktsetzung nicht eindeutig ist. Zum Beispiel kann man in Wir ziehen um eine schwache Narration von der Art erkennen, dass dem Setting (Vater kommt nach Hause und kündigt die neue Wohnung an) eine Komplikation (die Kinder sind enttäuscht vom Rohbau) folgt, bevor dann (durch die tüchtige Arbeit verschiedener Berufsgruppen) alle zufrieden sind, also eine Lösung erfolgt. Ebenso ist Paul und Janny finden Teddy (1978) insofern narrativ angelegt, als dem Setting (Warum gibt es so viele »Thälmann«-Straßen/Plätze/Einrichtungen?) die Komplikation folgt, dass der große Bruder mit Informationen geizt, sodass sich die Kinder erfolgreich beim Großvater, einem alten Genossen, informieren (Lösung). Umgekehrt ist es auch so, dass narrative Bilderbücher deskriptive Elemente enthalten können (oder sogar müssen). Im Folgenden weisen wir auf weitere Aspekte hin, die beim deskriptiven Bilderbuch wichtig sind: (a) Wer präsentiert die Information? Handelt es sich um einen Experten (zum Beispiel den Autor) oder wird eine bestimmte Figur eingeführt, die die Information vermittelt? Welche Eigenschaften hat diese Figur? Handelt es sich um ein Kind, eine Gruppe von Kindern (Kollektiv) oder ein Kind als Teil einer Familie? Wird die Information rein beschreibend oder im Rahmen eines Dialogs vermittelt? Wendet sich der Experten-Autor direkt an die Leserin oder den Leser oder nicht? (b) Wie detailliert ist die Information? Unsere Erwartung ist, dass Informationen für jüngere Kinder weniger komplex oder detailreich sind als Informationen für ältere Kinder. In dieser Hinsicht sind die Altersangaben aufschlussreich. Meist versucht man, sowohl elementare Informationen (Briefe werden mithilfe von Menschen und Fahrzeugen an Orte transportiert, eine Stadt enthält verschiedene Gebäude/Einrichtungen) als auch komplexe Informationen (Rohrpostsystem, das Stadion wird sowohl für Sportveranstaltungen als auch für

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Demonstrationen benutzt) zu vermitteln, um an unterschiedliches Vorwissen anzuknüpfen.2 (c) Wie systematisch ist die Information? Teilinformationen in einem deskriptiven Bilderbuch können unterschiedlich systematisch sein. In Von Schiffern, Schleppkähnen, Schleusen (1952) wird systematisch auf die verschiedenen Arten von Schiffen, die in der Binnenschifffahrt eingesetzt werden, eingegangen, während die Aufzählung von energieerzeugenden Maschinen in Die unsichtbare Kraft (1964) eher unsystematisch (exemplarisch) erfolgt. (d) Gibt es Ebenen der Information? Informationen können unter dem Aspekt der Perspektive geordnet sein, sodass man zwischen primärer Information und sekundärer Information unterscheiden kann. In Spielzeug und Wirklichkeit ist aus der Perspektive des Kindes die Information über die Holzspielzeuge primär, über die entsprechenden Fahrzeuge in der Wirklichkeit dagegen sekundär. Möglicherweise ist die sekundäre Information wichtiger oder schwerer zugänglich als die primäre Information. (e) Was heißt Sachbezogenheit? Soweit man mit dem deskriptiven Bilderbuch einen sachlichen oder sachangemessenen Darstellungsduktus verbindet, so dürfte dieser mit der typischen Abwesenheit von Fantasie, Humor und Niedlichkeit von Charakteren zu tun haben. Gerade diese Elemente sind es aber, die in der Sachliteratur auch eingesetzt werden, um die Darbietung der Information interessant für die Kinder zu machen. Diese Aspekte gelten sowohl für die Texte als auch für die Bilder, die für die Gestaltung eines deskriptiven Bilderbuchs ebenfalls von großer Wichtigkeit sind. Wir finden Zeichnungen (schwarz-weiß oder in Farbe), Fotografie (schwarz-weiß) und die Montage oder Kombination von Zeichnung und Fotografie. Besonders wichtig für die Information im deskriptiven Bilderbuch sind Grafiken, die zum Beispiel komplexe Arbeitsabläufe veranschaulichen können. So gibt es etwa in Der schwarze Schatz (1961) eine Farbgrafik, die den Vorgang der Entwässerung von Braunkohle und die anschließende Brikettpressung visualisiert. Andere Grafiken enthalten eine Art visuelle Liste von Verkehrszeichen oder von Greifvorrichtungen. Es kommen auch didaktische Grafiken vor, zum Beispiel wenn in Wir heben eine Last (1951) ein Junge selbst Kran spielt und dabei der Nachteil eines gewöhnlichen Auslegers gegenüber einem Wippkran veranschaulicht wird. Bilder leisten oft eine direkte Einbettung in einen sozialen Kontext, indem sie Symbole oder Aufschriften tragen. So finden wir immer wieder Aufschriften wie HO (Handelsorganisation), Konsum, VEB (Volkseigener Betrieb), Losungen 2 Dieses Wissen wird in den Sachbilderbüchern Der Weg deines Briefes (1951) von Heinrich Eichen und Wir gehen durch die große Stadt (1953) von Werner Reinicke vermittelt.

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oder Symbole (roter Stern, Fahnen), die den sozialen und kulturellen Kontext der DDR repräsentieren.3 Fast unauffällig wird zum Beispiel in Der Weg deines Briefes eine Briefmarke mit dem Konterfei Wilhelm Piecks gezeigt.

Propaganda Nach McCallum und Stephens gibt es keinen ideologiefreien »textuellen Diskurs«: (…) all aspects of textual discourse, from story outcomes to the expressive forms of language, are informed and shaped by ideology, understanding ideology in its neutral meaning of a system of beliefs which a society shares and uses to make sense of the world and which are therefore immanent in the texts produced by that society (McCallum/Stephens 2011, 360).

Ideologie erfüllt zwei wesentliche Funktionen. Erstens »the social function of defining and sustaining group values (perceptible textually in an assumption that writer and implied reader share a common understanding of value)« (ebd., 360). Zweitens nennen McCallum und Stephens »the cognitive function of supplying a meaningful organization of the social attitudes and relationships which constitute narrative plots« (ebd., 360). Hier könnte man an Bilder der Familie denken, wie sie für die staatliche Ideologie der DDR wichtig sind. Auffällig ist zum Beispiel, dass in Komm fahr mit, aber richtig! sich Stefan von seiner sehr jungen Mutter verabschiedet, der Vater wird gar nicht erwähnt.4 In Wir ziehen um sehen wir dagegen eine typische Familie mit Eltern und drei Kindern. Während Ideologie im Sinne von McCallum/Stephens (2011) als neutraler Begriff verstanden wird, ist im Begriff der Propaganda ein persuasives, nichtrationales Moment angelegt (vgl. Jowett/O’Donell 2005). So definiert Stanley den Begriff der unterstützenden (supporting) Propaganda wie folgt: Supporting propaganda: A contribution to public discourse that is presented as an embodiment of certain ideals, yet is of a kind that tends to increase the realization of those very ideals by either emotional or other nonrational means. (Stanley 2015, 53)

Dieser Begriff ist auf den Maßstab der Rationalität bezogen. Die unterstützten politischen Werte können gut, schlecht oder neutral sein. Dennoch ist Propaganda insofern ethisch problematisch, als es sich um einen Fall von Täuschung oder Manipulation handelt: »Insofar as a form of propaganda is a kind of ma3 Eine umfassende und kompetente Einführung in die politische, soziale und kulturelle Geschichte der DDR findet sich in den drei Bänden von Stefan Wolle (2011; 2013a; 2013b). 4 Bekannt ist, dass Mütter in der DDR durchschnittlich jünger waren als in der BRD, und dass es mehr alleinerziehende Mütter gab, vgl. Pfau/Trültzsch (2006, 69), allerdings mit Zahlen aus dem Jahr 1985.

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nipulation of rational beings toward an end without engaging their rational will, it is a kind of deception.« (ebd., 58) Emotionale oder nichtrationale Mittel der propagandistischen Unterstützung können Emotionen wie zum Beispiel Hass sein, aber auch Humor und Metapher. Dabei ist speziell zu beachten, dass für manche Kommunisten Erziehung zum Klassen-Hass einen wichtigen ethischen und pädagogischen Wert dargestellt hat (vgl. Amos 2015, 360; Andresen 2001, 1014). Nun ist es nicht ganz einfach zu beurteilen, inwiefern ein deskriptives Bilderbuch den rationalen Willen von Kindern einbezieht. Dies zu erforschen, würde etwa bedeuten, dass dem Kind alternative Informationen gegeben werden, sodass es zwischen diesen Angeboten auswählen kann.

Strategien der Vermittlung von Information im deskriptiven Bilderbuch Bei unserem Bilderbuchkorpus unterscheiden wir drei Strategien hinsichtlich der Vermittlung von Wissen in Text und Bild. Einerseits zeigt sich eine sachliche Strategie, die Kindern grundlegende Informationen über einen Sachverhalt vermittelt. So werden zum Beispiel Informationen über die Post als soziales System der Kommunikation (Der Weg deines Briefes), über den Kran als menschliches Werkzeug (Wir heben eine Last), oder die Herstellung von Stoff (Das Loch in der Hose) gegeben. Diese Bücher knüpfen durchaus an die Bedingungen des gewünschten Aufbaus des Sozialismus in der Deutschen Demokratischen Republik an: Es geht um die Achtung der Arbeit, die Erhaltung des Friedens, den Wiederaufbau und den Beitrag, den jeder Einzelne dazu leisten kann und soll. Andererseits zeigt sich eine propagandistische Strategie, die Sachinformationen mit politischer Beeinflussung verknüpft. Besonders deutlich wird das in jenen Sachbüchern, die Informationen über historische Persönlichkeiten vermitteln. Wir zeigen dies unter anderem am Fall zweier Bilderbücher, die sich mit dem Kommunistenführer Ernst Thälmann befassen, der in der DDR als ein wichtiges Vorbild für Kinder und Jugendliche galt. Schließlich zeigen wir eine gemischte Strategie anhand von Bilderbüchern, die sich mit Verkehrserziehung bzw. der Repräsentation der (sozialistischen) Stadt beschäftigen. Hier geht es einerseits darum, soziale Regeln zu erlernen, andererseits, die damit verbundene soziale Ordnung zu respektieren. An ausgewählten Bilderbüchern werden wir diese verschiedenen Strategien genauer erläutern.

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Sachliche Strategie Eines der berühmtesten deskriptiven Bilderbücher der DDR ist Frans Haackens Das Loch in der Hose (1951), das 1952 beim »Wettbewerb zur Förderung der sozialistischen Kinder- und Jugendliteratur« den 2. Platz erreichte (der 1. Platz wurde in der Kategorie nicht vergeben).5 Dieses Bilderbuch schildert die Geschichte des Jungen Heini, der sich beim Spielen auf einem Baugerüst ein Loch in die Hose reißt. Die Mutter stopft seine Hose und Heini guckt ihr zu. Er lernt dabei, was Kettfäden und Schussfäden sind. Nun interessiert er sich dafür, was eigentlich ein Faden ist. Die Mutter erklärt ihm, wie der Mensch die Kleidung erfand und welche Rolle die Fäden dabei spielen. Es gibt Fäden aus Tierhaaren (von Schafen, Kamelen und Ziegen), aber auch Haare aus den Kapseln des Baumwollstrauchs oder aus Holz. Komplexe Arbeitsverfahren sind nötig, um einen spinnbaren Faden zu erhalten, der dann in Spinnereien verarbeitet werden kann.

Abb. 1 Illustration aus Frans Haackens Das Loch in der Hose. Kinderbuchverlag 1951

5 Dieses Buch erschien in einer Auflage von 20.000 Exemplaren. Auch die anderen hier vorgestellten deskriptiven Bilderbücher erschienen zum Teil in recht hohen Auflagen. Angesichts des immer wieder betonten Papiermangels in der DDR ist dieser Tatbestand verwunderlich. Es ist zu fragen, ob die im Impressum angegebene Auflagenhöhe immer den tatsächlich gedruckten Exemplaren entspricht.

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Einen Bezug zur DDR kann man nur in der Erwähnung der Aktivistinnen in den Spinnereien sehen und in solchen Bilder, in denen Arbeiter Kisten mit der Aufschrift VEB in einen Konsum bringen (Abb. 1). Dies sind sicherlich Konzessionen, die Frans Haacken, der damals in Westberlin lebte, an die Lebensverhältnisse in der DDR machte. Heini wird klar, »wieviel Menschen da gearbeitet hatten, damit das Loch in seiner Hose gestopft werden konnte« (Haacken 1951, ohne Paginierung): Schafhirten, Scherer, Packer, Schauerleute, Kapitäne, Schiffsheizer, Matrosen, Lokomotivführer, Heizer, Weichensteller, Transportarbeiter, Spinnereiarbeiterinnen … Die Liste ist so lang, dass Heini einschläft, als er sie sich vorzustellen versucht. »Über tausend Menschen« haben daran gearbeitet, sagt Heini am nächsten Tag zu seinem Freund Willi, der darüber staunt, wie schnell die Hose gestopft worden ist. Dies ist sicherlich ein geeignetes Verfahren, Wissen über den Faden zu vermitteln, aber eben auch über den gesellschaftlichen Arbeitsaufwand, der notwendig ist, um so ein auf den ersten Blick unscheinbares Produkt herzustellen. Ungewöhnlich ist das von Haacken verwendete künstlerische Verfahren: Es besteht darin, dass Papierplastiken vor entsprechenden Hintergründen fotografiert werden. Haacken konnte hierbei auf seine Erfahrung als Trickfilmer zurückgreifen, zugleich knüpft er an Avantgarde-Strömungen der 1920er und 1930er Jahre an (Schröder 2012). Durch die Platzierung der Papierskulpturen in einer Papierkulisse, die zentralperspektivisch oder schräg perspektivisch konzipiert ist, entsteht eine Tiefenwirkung, die neben der geschickten Ausleuchtung die Plastizität der Papierfiguren und Papierobjekte betont. Mittels der Licht- und Schattenverhältnisse und der sparsam eingefügten Farbakzente wird eine fast schon surrealistisch anmutende Szenerie evoziert, die mit der nüchternen Textdarstellung und den sachlichen Federzeichnungen kontrastiert. Angesichts der Formalismusdebatte in der DDR ist es schon verwunderlich, dass Haacken trotzdem in der Lage war, sein Bilderbuch im Kinderbuchverlag zu veröffentlichen und dass es sogar noch einen Preis gewann. Über die Gründe kann man nur spekulieren. Ein Grund könnte sein, dass die Formalismusdebatte sich vornehmlich auf die Malerei und weniger auf die Grafik und Buchillustration bezogen hat. Ein weiterer Grund könnte sein, dass man in dieser Hinsicht die Kinderliteratur und auch die Illustration in Bilderbüchern weitaus weniger beachtet hat. Es ist durchaus auch möglich, dass niemand den Bezug zur Avantgarde wahrgenommen und man die Bilder eher als Illustrationen denn als Fotografien eingestuft hat. Das deskriptive Bilderbuch Wir heben eine Last (1951) von Helmut Richter erläutert verschiedene Arten von Kränen und Baggern. Außerdem werden verschiedene Typen von Greifvorrichtungen dargestellt. Ein durchaus anspruchsvolles Fachvokabular wird eingeführt. Zum Beispiel die farblich hervorgehobenen Begriffe Seilschlinge, Pritsche, Plattform, Traverse, Zange, Gehänge,

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scherenartiges Gerät, Halter, Greifer, Klattkübel und Lasthebemagnet (Richter 1951, ohne Paginierung). Die kindlichen Leserinnen und Leser werden direkt angesprochen und ermuntert, bei ihren »Spaziergängen und Fahrten« auf Kräne, Bagger und ihre vielfältigen Funktionen zu achten. Ein beidseitiges Wimmelbild stellt eine Kranszenerie dar, die Kinder werden aufgefordert, in diesem Wimmelbild möglichst viele verschiedene Kranarten zu identifizieren.6 Die Funktion eines Wippkrans wird anschaulich mit der Fähigkeit des kindlichen Arms erläutert, sich anwinkeln zu können. Der soziale Hintergrund des Wiederaufbaus wird klar angesprochen: In unseren Stahlwerken wird viel Schrott verarbeitet. Das sind alles verbogene Eisenteile aus den Ruinen der im letzten Krieg ausgebombten Städte, aber auch Teile von kaputten Autos, Maschinen und Schiffe. (ebd., ohne Paginierung)

Und ein paar Seiten später wird betont: Ihr wißt, daß überall in unseren Städten viele Frauen und Männer schwer arbeiten, um die Trümmer der Häuser wegzuräumen, die von den Bomben zerstört wurden. Neue Häuser sollen an ihrer Stelle entstehen, in denen Menschen wohnen werden, die für den Frieden arbeiten. (ebd., ohne Paginierung)

Konkret wird auf die Errichtung von Talsperren bei Sosa im Erzgebirge und im Bodetal im Harz (»Friedenswerke«) Bezug genommen, bei denen Löffelbagger große Erdmassen bewegt haben. Aber auch Kinder waren Helfer : »Viele Mädel und Jungen haben begeistert mitgeholfen. Sie haben Baumwurzeln gerodet, Gestrüpp ausgerissen, Gräben gezogen und Erde geschippt.« (ebd., ohne Paginierung) In dem deskriptiven Bilderbuch Wir ziehen um (1951) von Kurt Weinert zieht eine Familie in eine neue Wohnung. Es handelt sich um das obere Stockwerk einer zweistöckigen Reihenhausanlage. Bevor die neue Wohnung fertig ist, arbeiten Maler, Tischler, Töpfer, Glaser, Elektriker und eine Putzfrau an ihrer Fertigstellung. Der Umzug wird durch Transportarbeiter durchgeführt, die einen Traktor mit Möbelanhänger benutzen. Die Kinder Gisela, Helmut und Rolf sind anfangs skeptisch, sehen aber bei der Arbeit an der neuen Wohnung zu und ziehen mit Begeisterung ein. Dabei helfen sie den Möbelpackern. Nachdem die Mutter in der neuen Küche das Abendbrot zubereitet hat, nehmen die Kinder ein Bad im eigenen Badezimmer und schlafen in ihrem Kinderzimmer ein. Das Buch dient primär dazu, Kindern Wissen über Berufe zu vermitteln; es wird also die konzeptuelle Klasse der (werktätigen) Berufe erweitert. 6 Zu den besonderen kognitiven und ästhetischen Anforderungen des Wimmelbuchs vgl. R8mi 2011.

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Aber es reflektiert auch einen sozialen Hintergrund: Vater arbeitet in einer großen Fabrik: einem volkseigenen Werk. Dort werden Gummireifen für Traktoren und Lastwagen, Autos und Fahrräder hergestellt. Viele Menschen arbeiten da, und alle wollen eine schöne Wohnung haben; denn im Krieg wurden sehr viele Häuser zerstört. Wir wollen alle, daß es nie wieder Krieg gibt. Wir wollen für den Frieden arbeiten und fröhlich und glücklich leben. (ohne Paginierung)

Möglicherweise bezieht sich diese Information auf das 1946 neu gegründete Reifenwerk Riesa, das zu dem Hersteller Pneumant Reifen Fürstenwalde gehörte. Alle Menschen in Vaters Fabrik arbeiten für ein schönes und glückliches Leben. Zu einem glücklichen Leben gehört auch eine schöne Wohnung. Darum läßt das Werk eine große Siedlung bauen mit vielen Wohnungen. Vater hilft mit, daß immer mehr und bessere Reifen hergestellt werden. Er ist besonders tüchtig und ein Aktivist. Deshalb bekommt er auch zuerst eine Wohnung. (Weinert 1951, ohne Paginierung)

Hier wird deutlich, dass die neue Wohnung eine Belohnung für besonderen Arbeitseinsatz, zum Beispiel die Übererfüllung des Arbeitssolls, darstellt. Am Abendbrottisch sitzend, trägt der Vater am Jackenrevers ein Abzeichen – möglicherweise das eines sogenannten Aktivisten der Arbeit in den Volkseigenen Betrieben.

Abb. 2 Illustration aus Kurt Weinerts Wir ziehen um. Kinderbuchverlag 1951

Die einzige Bildinformation, die auf einen DDR-spezifischen Kontext abzielt, bezieht sich auf Gisela, die beim Einzug die blaue Fahne der Jung-Pioniere die Treppe hochträgt und Helmut, der das blaue Pionierhalstuch trägt (Abb. 2).

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Gisela und Helmut sind Mitglieder dieser Kinderorganisation, in die Kinder zwischen der 4. bzw. der 7./8. Klasse aufgenommen wurden. Im Sommer 1949 waren ca. 30 % aller schulpflichtigen Kinder in der SBZ Mitglied in einer der Kinder- und Jugendorganisationen (Jungpioniere und Thälmann-Pioniere), 1959 in der DDR bereits 50 % (Ansorg 1997, 83).

Abb. 3 Cover von Heinrich Eichen: Der Weg deines Briefes. Illustration von Herbert Prüget. Altberliner Verlag Lucie Groszer 1951

Unser letztes Beispiel für die sachliche Strategie ist Der Weg deines Briefes (1951) von Werner Eichen mit Illustrationen von Herbert Prüget (Abb. 3). Jürgen schreibt einen Geburtstagsbrief an seine Großmutter, die in Westdeutschland lebt. Die Leserinnen und Leser können nun den Weg des Briefs verfolgen. Er wird in den Briefkasten des Postamts eingeworfen. Nun fragt sich Jürgen, was mit seinem Brief geschieht. Sein Lehrer Heister geht mit der Klasse in das Postamt, das ihnen der Vorsteher erklärt. Die Briefe werden sortiert und gestempelt. Einige werden durch Rohrpost verschickt oder im Stadtbezirk durch Briefträger verteilt. Andere werden durch die Bahn oder mit Flugzeugen weitertransportiert. Auf dem Bahnhof sieht Jürgen auch, wie Briefe aus anderen Orten oder Ländern ankommen.

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Als die Kinder auf der Post sind, wird ihnen erklärt, dass der Stempel auch weitere Informationen enthalten kann, nämlich Hinweise wie »Achtet auf den Kartoffelkäfer! Wintersportmeisterschaften Oberhof!« Ein Kind nennt »Alle Kraft für den Frieden!« als weiteren Stempelinhalt. Dann heißt es: Der Lehrer nickt und der Vorsteher sagt ernst: »Alle Kraft für den Frieden! Richtig, und noch so ähnliche Losungen. Der Frieden ist das wichtigste. Diese Stempel auf den Postsachen, die durch ganz Deutschland und überall hin in die Welt gehen, werden täglich von Hunderttausenden gelesen und beachtet.« (Eichen 1951, ohne Paginierung)

Damit werden die Kinder explizit über ein Verfahren informiert, Friedenspropaganda zu betreiben. Die Selbstdarstellung der DDR als explizit friedensorientiertes Land harmonierte sicherlich mit dem Wünschen einer durch den Krieg gebeutelten Nation. Auf der anderen Seite war damit oft die implizite Darstellung der BRD und des Westens als imperialistische, kriegstreiberische Länder verbunden. Dieses Bilderbuch geht aber mit keinem Wort auf Deutschlands Teilung ein. Im Gegenteil, die Nennung großer deutscher Städte wie »Leipzig, Dresden, Düsseldorf, Aachen, Bremen, Hamburg, München« weist auf eine zwar östliche, zugleich aber gesamtdeutsche Perspektive hin. Die in Westdeutschland lebende Großmutter jedenfalls schreibt unter anderem folgendes zurück: »… ja, mein lieber Junge, wir müssen mit allen Kräften dahin streben, daß der Frieden unserer Heimat erhalten bleibt, und für diese Arbeit ist niemand zu alt oder zu jung …!« Und Jürgen sagt darauf hin: »Ja, Mutti«, sagt er, »Oma hat recht, und ich will auch dabei mithelfen!« (ebd., ohne Paginierung)

Damit wird deutlich, dass auch Kinder als Helfer bei der Friedenssicherung ernstgenommen werden sollen und diese auch bereit sind, sich dazu zu verpflichten.

Propagandistische Strategie Mit zehn Jahren konnten Kinder bei den Thälmann-Pionieren eintreten. Das für diese Altersgruppe konzipierte Buch Als Thälmann noch ein Junge war (1976) von Wera und Claus Küchenmeister eignet sich deshalb gut dafür, Kindern Informationen über Ernst Thälmann zu vermitteln. Es konzentriert sich auf das Leben Thälmanns als junger Mann und schildert die Bedingungen, unter denen sich sein Klassenbewusstsein formte. Es werden biografische Aufzeichnungen zitiert: »Die im Buch verwendeten autobiographischen Notizen schrieb Ernst

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Thälmann im faschistischen Zuchthaus. Sie wurden uns vom zentralen Parteiarchiv am Institut für Marxismus-Leninismus zur Verfügung gestellt« (Küchenmeister/Küchenmeister 1976, 64). Eine Fülle von Fotodokumenten unterstreicht den authentischen historischen Anspruch der Biografie. Die politischen Verhältnisse im Kaiserreich werden dargestellt, die Schulzeit, die Tätigkeit als Markthelfer, der Hafenarbeiterstreik. Ernst Thälmann ist ein wissbegieriger Schüler, der nur das Fach Religion nicht leiden kann. Am meisten beeindruckt ihn die Lektüre der deutschen Klassiker. Nach der Schulentlassung muss der junge Thälmann im Geschäft des Vaters mitarbeiten. Er nimmt an Versammlungen teil und entschließt sich, aus dem Elternhaus wegzugehen. Mehr recht als schlecht schlägt er sich durch, bis er gelegentliche Hilfstätigkeiten im Hafen ausüben kann. Betont wird sein Interesse an den verschiedenen Arbeitermilieus, die er genau zu beobachten lernt. Mit 17 Jahren tritt er in die Sozialdemokratische Partei Hamburgs ein und wird nach ein paar Monaten Mitglied des Deutschen Transportarbeiterverbandes, Ortsgruppe Hamburg: »Jetzt begann das eigentliche politische Leben in der Arena meines Klassenkampfes« (ebd., 62). Damit wird die Geschichte des jungen Thälmanns wie die Skizze eines Bildungsromans erzählt. Offensichtlich sollen sich junge Leser(innen) mit diesem Weg identifizieren. Ernst Thälmann war eine wichtige Identifikationsfigur in der SED-Kultur. Als Führer der KPD, der nach zehnjähriger Haft von den Nazis umgebracht wurde, wurde er in eine Reihe mit Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht gestellt. Viele öffentliche Einrichtungen in der DDR wurden nach ihm benannt (vgl. Langenhahn 1993). Sein Leben wurde von Kurt Maetzig in einem zweiteiligen DEFASpielfilm verfilmt (Ernst Thälmann – Sohn seiner Klasse 1954; Ernst Thälmann – Führer seiner Klasse 1955). Diese Filme gehörten bald zum Pflichtprogramm an Schulen, sodass man davon ausgehen kann, dass ein großer Teil der DDR-Bevölkerung diese im Kino gesehen hat. Auf der letzten Seite des Buchs vor dem Impressum gibt es eine Bildinformation, die offensichtlich gegen die BRD gerichtet ist. Hier heißt es im Text, dass Thälmann bis heute ein Vorbild sei: »Auch für die Jugend, die hier in Hamburg für seine Ideen demonstriert« (ebd., 63). Man sieht dabei ein Foto von einer Demonstration, bei der junge Leute ein Spruchband tragen, auf dem steht: »Wir fordern: Aufhebung der Berufsverbote« (ebd.). Damit sind Berufsverbote gemeint, die im Zusammenhang mit der Mitgliedschaft in der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), die von der DDR finanziell subventioniert wurde, ausgesprochen wurden. Es ist daher nicht klar, inwiefern die gezeigten Hamburger Jugendlichen tatsächlich für Thälmanns Ideen demonstrieren. Ein weiteres Bilderbuch über Thälmann ist Paul und Janni finden Teddy (1978) von Fred Rodrian mit Illustrationen von Gertrud Zucker. Der Titel ist nicht verlässlich: Wenn man nicht weiß, dass »Teddy« der Spitzname von Ernst

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Thälmann war, würde man denken, dass Paul und Janni ihren Teddy verloren haben und erzählt wird, wie sie ihn wiederfinden. Die Geschichte richtet sich an Kinder kurz vor dem Schuleintritt. Paul und Janni träumen davon, Thälmannpionier zu werden, wie der große Bruder Hans, der schon stolz sein rotes Halstuch trägt. Weil sie nichts über Thälmann als dem Namensgeber der Pioniere wissen, fragen sie zuerst ihren Bruder danach. Hans antwortet: »Thälmann«, sagt Hans, »Thälmann war ein Arbeiterführer, ein richtig mutiger Mann. Er hat die Kinder Karussell fahren lassen. Die Arbeiter haben ihn Teddy genannt, weil er so stark war wie ein Bär. Die Faschisten haben ihn ermordet.« »Warum?« fragt Janni. »Ist doch klar, weil er für die Arbeiter und gegen die Reichen gekämpft hat. Und nun laßt mich mal Schularbeiten machen. Thälmann – dafür seid ihr noch zu klein!« (Rodrian 1978, ohne Paginierung)

Das lassen die Zwillinge natürlich nicht auf sich sitzen. Sie wenden sich an ihren Vater und später an ihre Kindergärtnerin, um mehr über Thälmann zu erfahren. Die Kindergärtnerin erzählt ihnen vom bewaffneten Arbeiteraufstand in Hamburg 1923: Janni fragt: »Haben die Arbeiter und Ernst Thälmann den Kampf gewonnen?« »Nein«, sagt Frau Winkler. »Die Bösen, die Reichen, wir sagen auch: die Kapitalisten, waren sehr mächtig. Aber sie bekamen Furcht vor dem starken Teddy und seinen Genossen.« (ebd., ohne Paginierung)

Dies imponiert Janni so sehr, dass sie sich ein Thälmannbild gleich neben den »Filmindianer« pinnt, »aber ein bißchen höher« (ebd., ohne Paginierung). Bald darauf erhalten sie Besuch von ihrem Großvater, ein alter Genosse, der Thälmann persönlich kannte und diesen einmal gegen einen Steinewerfer beschützte. Auch von der Gefangennahme Thälmanns durch die Faschisten berichtet er ihnen. Durch diese Gespräche ist die Identifikation der Zwillinge mit Thälmann gewachsen. Die Zwillinge sind stolz, durch ihre Befragung ein eigenes historisches Wissen erlangt zu haben: »»Weißt du, Paul, die Geschichte, wie Großvater diesen Kerl durch die Luft gefeuert hat, um Teddy zu schützen, die wissen wir beide vielleicht nur, sonst keiner«, sagt Janni.« (ebd., ohne Paginierung) Sie vergleichen ein Bild vom Großvater mit einem Bild von Thälmann und stellen dabei fest, dass sich beide nicht ähnlich sehen, aber eine ähnliche Gesinnung haben. Deshalb nehmen sie Großvaters Bild und pinnen es neben das Bild von Ernst Thälmann. Das propagandistische Verfahren ist offensichtlich, dass die Liebe zum Großvater auf Thälmann übertragen wird. Den Kindern wird nahegelegt, dass Faschisten und Kapitalisten die Bösen sind, während Thälmann und der

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Großvater die Guten sind, die gegen die Bösen kämpfen. Während die Geschichte narrativ ist, wird die sachliche Information über Ernst Thälmann ausgegliedert und als ein kurzer Text am Ende des Buchs präsentiert, der so endet: »Ernst Thälmann ist unser Vorbild. Die Pionierorganisation trägt seinen Namen.« (ebd., ohne Paginierung) Was die Geschichte zeigen soll, ist, dass es sich auch schon für etwa Fünfjährige lohnt, die (sozialistische) Geschichte zu erforschen und damit einen Schritt zur Ausbildung der sozialistischen Persönlichkeit, des »neuen Menschenschlags«7, zu gehen. Ein typisches propagandistisches Verfahren ist die absichtliche Auslassung von relevanten Informationen, legitimiert durch die politische Idee, dass »Parteilichkeit« höher rangiert als »Wahrheitstreue«. Ob allerdings Thälmanns verhängnisvolle Idee des »Sozialfaschismus« der Sozialdemokratie (die SPD als »Zwilling« der NSDAP) eine Information ist, die präsentiert werden muss, wenn es erklärte Absicht ist, Thälmann als einen vorbildhaften Antifaschisten zu porträtieren, ist nicht ganz einfach zu entscheiden. In dem Bilderbuch, das ansonsten ausführlich und sachlich über Thälmanns Leben berichtet, wird dieser Aspekt weggelassen. Eine besondere Form der propagandistischen Strategie liegt dann vor, wenn damit eine Täuschung oder Manipulation beabsichtigt ist, wie in dem Bilderbuch Karl Kahlfraß und sein Lieschen, das 1952 vom Ministerium für Land- und Forstwirtschaft der DDR herausgegeben wurde und sich, wie es im Untertitel heißt, an »große und kleine Kinder« richtet. Protagonisten sind das Kartoffelkäferpaar »Karl Karlfraß« und seine Gattin »Lieschen«. Sie reisen mit verschiedenen Verkehrsmitteln ein (insbesondere mit der Eisenbahn, aber auch mit Schiffen) und werden vor allem von amerikanischen Flugzeugen abgeworfen. Karl Kahlfraß ist nicht so sehr als vermenschlichter Käfer dargestellt, sondern als verkäferter Mensch. Der berühmte zehngestreifte Panzer des Kartoffelkäfers ist eher als ein Rucksack dargestellt. Karl Karlfraß trägt einen großen Hut wie Uncle Sam. Dadurch wird er als amerikanischer Einwanderer dargestellt. Sein Lebenszweck ist das Fressen. Hat er einen Ort leer gefressen, zieht er weiter, zum Beispiel zu dem 150 km entfernten Ort Kahlfraßhausen. Die Paarreime sind erkennbar am Schema der Buschiaden in der Nachfolge von Wilhelm Buschs satirisch-humoristischem Gedicht Max und Moritz (1865) orientiert: So leben sie in Saus und Braus, und das Feld reicht nicht mehr aus. Weil das Fressen Lebenszweck, 7 Hierbei handelt es sich um sozialistisches Konzept, das bei der 17. Tagung des Zentralrats der Freien Deutschen Jugend im Dezember 1948 beschworen wurde und die Politisierung der Kindheit im kommunistischen Sinne vorsah (Andresen 2001, 1004).

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zieht Familie Kahlfraß weg. Durch das Wetter und den Wind Kommt er vorwärts sehr geschwind. Auch der Ami wirft zur Nacht Ab den Käfer – gebt gut acht. Warte – Kahlfraß – Bösewicht, auf die Dauer geht das nicht! Dir und deinem Eheweibe Gehen wir alle jetzt zu Leibe. FDJ, Jung-Pionier, groß und klein, die suchen hier. Gründlich fangen sie das an, helfend am Fünfjahresplan. Käfer, Larven – gleich erkannt –, nimmt man dann in seine Hand, steckt in Flaschen sie zum Schluß, die gefüllt mit Spiritus. Alles muß zu Ende geh’n, ’s ist um Karlfraß Karl gescheh’n, weil man ihn am Blatt entdeckt und in jene Flasche steckt. (Ministerium für Land- und Forstwirtschaft der DDR 1952, ohne Paginierung)

In diesem Text ist die Behauptung auffällig, dass der »Ami« nachts Kartoffelkäfer abwerfe. Was hat es damit auf sich? Als 1950 in Sachsen sehr große Kartoffelkäferfunde auftauchten, entstand das Gerücht, dass diese in Zusammenhang mit amerikanischen Militärmaschinen stehen könnten, die das Gebiet überflogen hatten (vgl. Keil 2006). Eine Untersuchungskommission wurde eingesetzt, die das Gerücht inhaltlich bestätigte. Möglicherweise hat diese Kommission absichtlich gelogen, möglicherweise hat sie sich geirrt. Am 16. Juni 1950 brachte das Neue Deutschland (Zentralorgan der SED) auf der Titelseite die Schlagzeile: »Gemeinsame Abwehrmaßnahmen gegen Kartoffelkäfer« mit dem Untertitel »Außerordentliche Kommission stellt fest: USA-Flugzeuge warfen große Mengen Kartoffelkäfer ab.« Im Inneren des Blattes fand sich eine detaillierte Beweisführung über den angeblichen »verbrecherischen Anschlag der amerikanischen kapitalistischen Kriegstreiber« (zitiert in Broder-Keil/Kellerhoff 2006, 136). Die (humoristische) bildliche Darstellung von Kartoffelkäfern als Amerikaner ruft die bekannte Ungeziefermetapher ruft: Schädlinge soll man vernichten. Das gilt auch für Imperialisten, die dem DDR-Volk schaden (Meibauer 2017).

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Gemischte Strategie Während die Kategorien der sachlichen Strategie und der propagandistischen Strategie (bei aller Präzisionsbedürftigkeit) plausibel erscheinen, bedarf die gemischte Strategie weiterer Klärung. Wodurch wird die »Mischung« erreicht? Unsere Annahme ist, dass hier eine sachliche Strategie mit einer propagandistischen kombiniert wird, wie sich bei den nachfolgenden Beispielen erkennen lässt. Die »große Stadt« im Bilderbuch Wir gehen durch die große Stadt (1953) von Werner Reinecke mit Illustrationen von Ilse Wagner ist erkennbar Berlin, aber der Name Berlin wird nicht erwähnt. Der Grund dafür dürfte sein, dass sich der Spaziergang ausschließlich auf Ost-Berlin (d. h. den sowjetischen Sektor) bezieht. Das Buch richtet sich an Kinder ab drei Jahren. Dem wird durch die vierzeiligen Verse mit Paarreimen Rechnung getragen.

Abb. 4 und 5 Illustration von Ilse Wagner aus Werner Reinickes Wir gehen durch die große Stadt. Kinderbuchverlag 1953

Eine Mutter mit zwei Kindern macht einen Ausflug in die große Stadt. Sie kommen am Bahnhof Friedrichstraße an. Allerdings werden sie gleich mit den Kriegsfolgen konfrontiert: Auch hier stand einmal Haus an Haus, und Menschen sahen froh heraus. Da hat der Krieg in einer Nacht Ein Trümmerfeld daraus gemacht. (Reinicke 1953, ohne Paginierung)

Auf der nachfolgenden Doppelseite sieht man auf der linken Seite Ruinen, während auf der rechten Seite Bauarbeiter neue Häuser hochziehen (Abb. 4). Dabei steht die Strophe: Der Krieg zerstört. Der Frieden baut. Ein jeder sieht’s, wohin er schaut. In allen Straßen wird geschafft. Dem Aufbau gilt jetzt unsere Kraft. (ebd., ohne Paginierung)

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Die Volkspolizei (dargestellt in einer Marschkolonne, mit einem Fahnenführer an der Spitze)8 und die Feuerwehr sind Kräfte, die für Ordnung in der Stadt sorgen. Der Fünfjahrplan wird erwähnt und der Appell, für den Frieden zu kämpfen: Der Fünfjahrplan ist auf dem Land so gut wie in der Stadt bekannt. Er führt zu einem beßren Leben Und wird uns Glück und Wohlstand geben. Tritt jeder für den Frieden ein, wird niemals Not und Elend sein. Kämpft mit, damit es möglich werde, daß Freundschaft eint die ganze Erde. (ebd., ohne Paginierung)

In der Stadt findet man den Konsum und die HO-Gaststätte, das große Stadion, den Bärenzwinger, den Zoo, das Rathaus (mit einem Banner »Alle Kraft für die Erfüllung unseres Fünfjahresplans«) und das HO-Kaufhaus am Alexanderplatz. Die Humboldt-Universität zu Berlin wird mit dem folgenden Vers vorgestellt: Das Studium ist für alle frei. Auch du bist einmal mit dabei, wenn du schon bald mit Fleiß und Ernst recht tüchtig in der Schule lernst. (ebd., ohne Paginierung)

Während in diesem Bilderbuch das Skript Großstadt und die damit verbundene soziale Struktur eingeführt wird, dienen Verkehrsbilderbücher vor allem dazu, Kinder mit sozialen Regeln vertraut zu machen. Das Verkehrsbilderbuch Komm fahr mit (1962) von Balduin Thieme mit Illustrationen von Heinz Schietzelt verfolgt dabei ein didaktisches Konzept: Verkehrsregeln sollen spielerisch vermittelt werden und zwar dadurch, dass auf der linken Seite immer eine realistische verkehrsbezogene Szene (als Bleistiftzeichnung) erscheint, während auf der rechten Seite eine farbige, in Aquarell ausgeführte Szene mit Kindern dargestellt ist, die ein Spiel spielen, das in irgendeiner Weise mit dem Verkehr zu tun hat. Dazu gibt es auf der linken Seite Verse im Paarreimschema. Zum Beispiel ist auf einer Doppelseite die Montage einer Straßenbahn dargestellt, der eine Gruppe Kinder gegenübergestellt wird, die Straßenbahn spielen. Themen sind die Verkehrsregelung, Straßenbahn, Auto, Fahrrad, Pferdegespann, Schiff und Eisenbahn. Am Schluss des Buchs werden acht Verkehrszeichen erläutert. 8 Im Text wird nur allgemein von der »Volkspolizei« gesprochen. Zur Entstehungszeit des Buches gab es in der DDR die sog. »Kasernierte Volkspolizei« (VP), die 1952 gegründet und als Vorläufer der Nationalen Volkspolizei (gegründet 1956) angesehen wird. Die Darstellung der Uniformen im Bilderbuch – dunkelblaue Hose, helleres Hemd, rote Krawatte, Schirmmütze und kniehohe Stiefel – entspricht dem Aussehen der Angehörigen der KVP (Diedrich/Wenzke 2001).

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Die spielenden Kinder sind in Situationen abgebildet, bei denen sie auf freien, parkartigen Flächen oder im Schwimmbad spielen. Nur das Fahrradspiel findet passenderweise auf der Straße statt. Im Hintergrund sind moderne Neubaugebiete zu sehen. In dem Raum, in dem Straßenbahn gespielt wird, gibt es sogar einen Fernsehapparat. Ein deutlicher Bezug zur sozialistischen Welt wird eigentlich nur in den folgenden Versen hergestellt, die wir vollständig zitieren: Wie lustig rollen Jungs und Mädel Mit Reifen oder einem Rädel, Schnell »Auf die Plätze! – Fertig! – Start!« Zur großen Reifen-Friedensfahrt. Vielleicht ist einer auch dabei, Wer startet mit dereinst im Mai, Wenn Friedensfahrer sportlich ziehn Von Prag nach Warschau und Berlin. Und wer nicht streitet und nicht schlägt, Wer sich im Wettkampf gut verträgt, Wird später auch nach Frieden streben Im Kampf um ein besseres Leben. (Thieme 1962, ohne Paginierung)

Damit wird einerseits auf den populären DDR-Radrennfahrer Erich Hagen und das Radsportereignis der Friedensfahrt angespielt. Die 13. Internationale Friedensfahrt, die von Prag über Warschau nach Ost-Berlin führte, fand vom 1. bis 16. Mai 1960 statt. Sieger in der Einzelwertung wurde Erich Hagen, die Mannschaftswertung gewann die DDR. Andererseits wurde die Brücke zum Kampf um ein freiheitliches und besseres Leben geschlagen, der zur Ideologie der Jungpioniere gehört. Bemerkenswert ist, dass die Kinder auf den Bildern immer unter sich sind, sie organisieren ihr Spiel selbst und bedürfen nicht der Kontrolle durch erwachsene Erzieher, obgleich sie offenbar noch im Kindergartenalter sind. Sie sind also schon ein »Kollektiv«. Ein bemerkenswertes Verkehrsbilderbuch ist Fidibus paß auf (1961) von Gerhard Baumert mit Zeichnungen von Ingeborg Meyer-Rey und Fotografien des Leipziger Fotografen Heinz Müller. Fidibus heißt so, weil er so vergesslich ist: »husch, husch oder Hokuspokus-Fidibus, und schon hat er alles vergessen oder durcheinandergebracht« (Baumert 1961, ohne Paginierung). Die Großmutter, der Lehrer, die Pioniere und der »Genosse Hauptwachmeister von der Verkehrspolizei« halten ihn eigentlich für einen »tüchtigen Jungen«, wenn da nicht seine Vergesslichkeit wäre. Mehrfach verstößt Fidibus gegen die Verkehrsregeln, sodass er »zusammen mit anderen Fidibussen« einen Verkehrsunterricht für junge Verkehrssünder besuchen muss. Der Genosse Hauptwachmeister kommt in die Gruppe der Jungpioniere und spielt mit ihnen einen Nachmittag lang (alle Zitate: ebd., ohne Paginierung).

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Im Buch werden die Verkehrszeichen erläutert und es wird das falsche Benehmen von Fidibus mit dem erwarteten richtigen kontrastiert. Das Kollektiv korrigiert mit Nachsicht das falsche Verhalten der einzelnen. Einmal wird Fidibus von einem Lastwagenfahrer mitten aus dem tosenden Straßenverkehr hochgehoben, ein anderes Mal liefert ein Gemüsemann Fidibus bei der Polizei ab, da er wegen falschen Fahrens auf seinen Dreiradkarren katapultiert wurde.

Abb. 6 Montage aus einem Foto von Heinz Müller mit einer Illustration von Ingeborg Meyer-Rey aus Gerhard Baumerts Fidibus paß auf. Kinderbuchverlag 1961

Besonders interessant ist die Gestaltung des Bilderbuchs: Fidibus, als eine Art verallgemeinerter Jungpionier (wobei er das blaue Pionierhalstuch erst trägt, als er Besserung gelobt hat und sich nunmehr vorbildlich verhält), ist gezeichnet, während der Straßenverkehr und andere Figuren wie der Genosse Hauptwachtmeister fotografiert sind (Abb. 5). Das Montageverfahren ist natürlich nicht neu im Bilderbuch, aber seine Verwendung in der DDR ist doch eher ungewöhnlich. Im Zuge der Formalismusdebatte wurde die Fotomontage als

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Kunstform der Moderne und Avantgarde abgelehnt. Dennoch gab es immer wieder Künstler, die dieses künstlerische Verfahren anwendeten, bspw. in der Werbung oder bei Theater- und Filmplakaten. Wenn der »Klassenstandpunkt« eindeutig war und die Fotomontage in den Dienst der Propaganda gestellt wurde, war es durchaus möglich, dieses Verfahren zu verwenden. Bemerkenswert ist der Humor, der sonst in vielen Sachbüchern fehlt.9 Zum Beispiel fragt der Volkspolizist Fidibus, was er mitten auf der Straße macht. Es entsteht der folgende Dialog: »Ich bin der berühmte Fußballer Fidibus und stoße den Ball!« »Ich bin Hauptwachtmeister Hoppe und spiele auch Fußball, doch nicht mitten auf der Straße.« (Baumert 1961, ohne Paginierung)

Hoppe gibt Fidibus dann einen guten Rat in Versform: DIE STRASSE IST KEIN FUSSBALLPLATZ, SPIEL DORT NICHT MURMELN ODER GREIFEN. DAS AUTO KOMMT MIT EINEM SATZ UND PACKT DICH MIT DEN REIFEN! (ebd., ohne Paginierung, Kapitälchen im Text)

Das deskriptive Bilderbuch zwischen Information und Propaganda In allen von uns untersuchten Bilderbüchern spielt die Orientierung an sozialen Einrichtungen (HO, Konsum, VEB), Symbolen (roter Stern, Fahnen), Ereignissen (Friedensfahrt) oder politischen Entscheidungsprozessen (Wiederaufbau, Fünfjahresplan, Freundschaft mit der Sowjetunion) eine wichtige Rolle. Gerade diese Bezüge sind es, die die untersuchten Bilderbücher DDR-spezifisch machen. Darüber hinaus werden zwei thematische Bereiche wiederholt angesprochen, die ideologisch wichtig waren, nämlich die Idee, dass auch Kinder beim Aufbau der sozialistischen Gesellschaft helfen können, und die Idee, dass diese Gesellschaft sowohl friedlich ist als auch den Frieden sichert. Beides sind zweifellos Werte, von denen man angenommen hat, dass sie von einem breiten Teil der Bevölkerung getragen werden, unabhängig davon, dass sie indirekt auch auf staatliche Einrichtungen der Erziehung und Kontrolle wie die Jungpioniere und die Thälmann-Pioniere bezogen waren. Die Vorstellung, dass Kinder aktiv beim Wiederaufbau mithelfen sollen, drückt sich beispielhaft in dem Spruch »Keines zu klein, Helfer zu sein« aus, dessen Ursprung sicherlich in der Reformpädagogik von Pestalozzi und Froebel 9 Hierzu ist anzumerken, dass Gerhard Holtz-Baumert mit Alfons Zitterbacke (1958) der Verfasser eines der erfolgreichsten komischen DDR-Kinderbücher ist. Zum Humor in der Kinderliteratur vgl. die Studie von Cross (2011).

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zu suchen ist.10 Jedenfalls wurde es als Motto bereits in der sog. »Heinzelmännchenaktion«, die Weihnachten 1946 stattfand, verwendet und zwei Jahre später dann als offizielle Maxime der »Jungen Pioniere« (Gründung am 6. Dezember 1948) bestimmt (Andresen 2001, 173). Das damit konnotierte sozialistische Bild vom aktiven Kind, das sich durch Hilfsbereitschaft und Friedensliebe auszeichnet, prägt auch die von uns untersuchten deskriptiven Bilderbücher. Kinder sollen sich aktiv in die Gesellschaft einbringen, ob sie eigenständig Recherchen anstellen und eine Wandzeitung erstellen (wie in Paul und Janni suchen Teddy) oder sich als Jungpioniere und Schülerlotsen engagieren. Die von uns untersuchten deskriptiven Bilderbücher nehmen diese Aufgabe sehr ernst und bemühen sich, der kindlichen Leserschaft nicht nur das relevante Wissen auf anschauliche Weise zu vermitteln, sondern ihr auch zu zeigen, dass sie ein wichtiger Teil der sozialistischen Gesellschaft ist. In unserem Beitrag haben wir darüber hinaus versucht, einen Überblick über verschiedene Strategien der Vermittlung von Wissen in deskriptiven Bilderbüchern der DDR zu vermitteln, wobei wir zwischen einer sachlichen, einer propagandistischen und einer gemischten Strategie unterschieden haben. Es ist jedoch nicht immer einfach, eine strikte Trennungslinie zu ziehen. Zum Beispiel ist eine sachliche Ebene, dass Informationen über korrektes Verhalten im Straßenverkehr gegeben werden und Verkehrszeichen erläutert werden. Wenn das vorbildhafte Verhalten jedoch explizit durch einen Jungpionier realisiert wird, kommt eine propagandistische Absicht hinzu. Ähnlich ist ein Stadtbummel eine sachorientierte Angelegenheit, wenn sie der Erläuterung von Straßen, Plätzen und Gebäuden dient. Wird aber eine wesentliche Hälfte der Stadt, nämlich West-Berlin, ausgespart, kommt ein propagandistisches Element hinzu. Vermutlich dürfte es für Kinder nicht einfach sein, die Vermischung von sachlichen und propagandistischen (Des-)Informationen auseinanderzuhalten und sich der Manipulation zu entziehen. Interessant ist in diesem Zusammenhang das textlose Leporello Unsere Volksarmee (1976) mit Illustrationen von Sabine Kahane, das sich an Kinder ab drei Jahren richtet und rein bildliche Informationen über die NVA vermittelt. Es werden die Waffengattungen vorgestellt (Sturmgewehr, Geschütz, Panzer, Jagdflugzeug, Kreuzer) sowie Infanteristen (Armee), Fallschirmspringer (Luftwaffe) und Matrosen (Marine). Das Leben der Soldaten wird geschildert: Sie sind mit russischen Soldaten befreundet, musizieren auf der Stube, essen (als Matrosen) Eis mit einer jungen Frau am Meer, halten sich körperlich fit und gehen 10 Dieses Motto ist zugleich der Titel eines bekanntes Kinderbuches von Johanna Spyri: Keines zu klein Helfer zu sein. Geschichten für Kinder und solche, welche Kinder lieb haben. Gotha: Perthes, 1882. Es ist zu vermuten, dass Spyri durch entsprechende Überlegungen aus den Schriften aus dem Umkreis von Pestalozzi angeregt wurde. Bislang ist es uns aber nicht gelungen, den Ursprung dieses Mottos nachzuweisen.

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auf Patrouille. Da die NVA als friedenssichernd begriffen wird, sollen Kinder eine positive Einstellung zu ihr gewinnen. Allerdings scheint der Zeitpunkt der intendierten Beeinflussung der Kinder, nämlich drei Jahre, deutlich zu früh angesetzt für eine rationale Auseinandersetzung mit der NVA. Emotionale Aspekte stehen im Vordergrund und werden bereits auf dem Titelblatt angesprochen, wo eine Soldatin mit zwei kleinen Kindern das Leporello betrachtet. Möglicherweise ist eine Idee bei diesem Buch, dass Soldatinnen und Soldaten ihren Kindern etwas über ihren Beruf erzählen. Natürlich ist die beabsichtigte Manipulation kindlicher Einstellungen kein Spezifikum von DDR-Literatur. Diese liegt schon in religiöser Kinderliteratur vor. Man kann sich daher fragen, ob Kinder derartigen Manipulationen stets strikt unterworfen sind. Man weiß aus der Psychologie und Epistemologie, dass Kinder zwar einerseits Vertrauen in das setzen, was sie von älteren Geschwistern, Eltern, Verwandten und Autoritätspersonen wie Lehrern und Polizisten erfahren. Anderseits gibt es auch Indizien dafür, dass Kinder unabhängig davon eine eigene Anschauung entwickeln können. Dies hat Harris (2012) am Beispiel von solchen Kindern gezeigt, die gegen den Einfluss ihrer Umwelt zu Vegetariern geworden sind. Propagandisten wissen nur zu genau, dass eine übersteigerte Propaganda zu Gegenbewegungen und -überzeugungen führen kann. Ein kleiner Helfer zu sein, kann Spaß machen und dem Gemeinsinn dienen. Aber immer auf Befehl »helfen« zu müssen, ist eine Last.

Primärliteratur Anonymus: Spielzeug und Wirklichkeit. Leipzig: Rudolf Arnold Verlag, 1959 Baumert, Gerhard/Ingeborg Meyer-Rey (Ill.)/Heinz Müller (Fotogr.): Fidibus paß auf. Berlin: Kinderbuchverlag, 1961 Curth, Werner/Franz Kerka (Ill.): Der schwarze Schatz. Berlin: Kinderbuchverlag, 1961 Eichen, Heinrich/Herbert Prüget (Ill.): Der Weg deines Briefes. Berlin: Altberliner Verlag, 1951 Haaken, Frans: Das Loch in der Hose. Berlin: Kinderbuchverlag, 1951 Kahane, Sabine: Unsere Volksarmee. Halle: Postreiter-Verlag, 1976 Küchenmeister, Wera und Claus/Volker Koepp (Ill.): Als Thälmann noch ein Junge war. Berlin: Kinderbuchverlag, 1976 Ministerium für Land- und Forstwirtschaft der DDR (Hg.): Karl Kahlfraß und sein Lieschen. Berlin, 1952 Reinicke, Werner/Ilse Wagner (Ill.): Wir gehen durch die große Stadt. Berlin: Kinderbuchverlag, 1953 Richter, Helmut: Wir heben eine Last. Ein Bilderbuch von Kränen, Greifern, Baggern. Berlin: Kinderbuchverlag, 1951 Richter, Helmut: Von Schiffern, Schleppkähnen, Schleusen. Berlin: Kinderbuchverlag, 1952

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Bettina Kümmerling-Meibauer / Jörg Meibauer

Rodrian, Fred/Gertrud Zucker (Ill.): Paul und Janni finden Teddy. Berlin: Kinderbuchverlag, 1978 Thieme, Balduin/Heinz Schietzelt (Ill.): Komm fahr mit! Halle: Postreiter-Verlag, 1962 Weinert, Kurt: Wir ziehen um. Berlin: Kinderbuchverlag, 1952 Wetzstein, Hans Peter/Franz Kerka (Ill.): Die unsichtbare Kraft. Berlin: Kinderbuchverlag, 1964

Sekundärliteratur Amos, Heike: Die SED-Deutschlandpolitik 1961 bis 1989: Ziele, Aktivitäten und Konflikte. Göttingen 2015 Andresen, Sabine: »Sozialisten werden nicht geboren, sondern erzogen.« Kindheit und Politik – Pionierbiographien der DDR. In: Behnken, Imbke/Jürgen Zinnecker (Hgg.): Kinder. Kindheit. Lebensgeschichte. Ein Handbuch. Seelze-Velber 2001, 998–1015 Andresen, Sabine: Sozialistische Kindheitskonzepte. Politische Einflüsse auf die Erziehung. München/Basel 2006 Ansorg, Leonore: Kinder im Klassenkampf. Die Geschichte der Pionierorganisation von 1948 bis Ende der fünfziger Jahre. Berlin 1997 Bode, Andreas: Bilderbücher und Kinderbuchillustrationen. In: Steinlein, Rüdiger/Heidi Strobel/Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/ DDR. Von 1945 bis 1990. Stuttgart [u. a.] 2006, 829–902 Cross, Julie: Humor in Contemporary Junior Literature. London 2011 Diedrich, Torsten/Rüdiger Wenzke: Die getarnte Armee. Geschichte der Kasernierten Volkspolizei der DDR 1952 bis 1956. Berlin 2001 Günther, Harri: Die Sachliteratur für Kinder und Jugendliche in der DDR von 1946 bis 1986. Berlin 1988 (Studien zur Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur; 11) Harris, Paul L.: Trusting What You’re Told. How Children Learn from Others. Cambridge, MA 2012 Jowett, Garth S./Victoria O’Donnell: Propaganda and Persuasion. Thousand Oaks, CA 2005 Keil, Lars-Broder/Sven Felix Kellerhof: Gerüchte machen Geschichte. Folgenreiche Falschmeldungen im 20. Jahrhundert. Berlin 2006 Kiefer, Barbara/Melissa L. Wilson: Nonfiction Literature for Children: Old Assumptions and New Directions. In: Wolf, Shelby A./Karen Coats/Patricia Enciso/Christine A. Jenkins (Hgg.): Handbook of Research on Children’s and Young Adult Literature. New York 2011, 290–298 Kümmerling-Meibauer, Bettina/Jörg Meibauer : Picturebooks and early literacy. How do picturebooks support early conceptual development? In: Kümmerling-Meibauer, Bettina/Jörg Meibauer/Kerstin Nachtigäller/Katharina Rohlfing (Hgg.): Learning from Picturebooks. Perspectives from child development and literacy studies. New York 2015, 13–32 Langenhahn, Sandra: Thälmann und Thälmann vor allem (Kuba): Anmerkungen zur personifizierten Geschichtsdarstellung. In: Havekost, Hermann/Sandra Langenhahn/ Anna Wicklein (Hgg.): Helden nach Plan? Kinder- und Jugendliteratur der DDR zwischen Wagnis und Zensur. Oldenburg 1993, 137–150

Das deskriptive Bilderbuch zwischen Information und Propaganda

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McCallum, Robyn/John Stephens: Ideology and Children’s Books. In: Wolf, Shelby A./ Karen Coats/Patricia Enciso/Christine A. Jenkins (Hgg.): Handbook of Research on Children’s and Young Adult Literature. New York 2011, 359–371 Meibauer, Jörg: What the child can learn from simple descriptive picturebooks. An inquiry into Lastwagen/Trucks by Paul Stickland. In: Kümmerling-Meibauer, Bettina/Jörg Meibauer/Kerstin Nachtigäller/Katharina Rohlfing (Hgg.): Learning from Picturebooks. Perspectives from child development and literacy studies. New York 2015, 51–70 Meibauer, Jörg: Um den Schädling zu vernichten. Propaganda, Hass, Humor und Metapher im Kindersachbuch: »Die Kartoffelkäfer-Fibel« (1935) und »Karl Kahlfraß und sein Lieschen« (1952). In: Bonacchi, Silvia (Hg.): Verbale Aggression. Berlin [u. a.] 2017, 295–310 Neubert, Reiner : Sachliteratur. In: Steinlein, Rüdiger/Heidi Strobel/Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR. Von 1945 bis 1990. Stuttgart [u. a.] 2006, 903–934 Pfau, Sebastian/Sascha Trültzsch: Zur Rolle der Familie in der DDR. In: Steinlein, Rüdiger/ Heidi Strobel/Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR. Von 1945 bis 1990. Stuttgart [u. a.] 2006, 64–73 R8mi, Cornelia: Reading as Playing: The cognitive challenge of the wimmelbook. In: Kümmerling-Meibauer, Bettina (Hg.): Emergent Literacy : Children’s books from 0 to 3. Amsterdam 2011, 115–140 Schröder, Till: Frans Haacken. Zeichner zwischen drei Welten. Berlin 2012 Stanley, Jason: How Propaganda Works. Princeton 2015 Wolle, Stefan: Aufbruch nach Utopia. Alltag und Herrschaft in der DDR 1961–1971. Berlin 2011 Wolle, Stefan: Der große Plan. Alltag und Herrschaft in der DDR 1949–1961. Berlin 2013a Wolle, Stefan: Die heile Welt der Diktatur. Alltag und Herrschaft in der DDR 1971–1989. Berlin 2013b

Jörg Meibauer (Mainz)

Das Sprachspielbuch Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel (1978) von Franz Fühmann

Entstehung Das Sprachspielbuch Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel von Franz Fühmann ist 1978 im Kinderbuchverlag Berlin erschienen. Der promovierte Linguist Manfred Bierwisch vom Zentralinstitut für Sprachwissenschaft an der Akademie der Wissenschaften der DDR wird als sprachwissenschaftlicher Berater genannt (vgl. Bierwisch 1992). Der Titel des Buchs ist zunächst rätselhaft. Auf S. 150 wird er aufgeklärt: Im Kontext eines Wettstreits zwischen Homer und Hesiod begann Hesiod mit einem Vers, der die Beschreibung eines Gastmahls einleiten sollte, nämlich »Rindfleisch gab es zu Mahl und die dampfenden Hälse der Pferde«; dann hatte Homer die Aufgabe, den Vers sinnvoll fortzusetzen, wobei Homer an Hesiods Vers mit dem Turm zu Babel anschließt.1 Die biblische Geschichte vom Turmbau zu Babel wiederum wird in Fühmanns Buch als eine »Mythe« dargestellt, die über die Sprachentrennung berichtet (S. 101). Der Titel von Fühmanns Werk ist daher selbst ein sprachspielerisches Amalgam aus zwei konzeptuellen Zusammenhängen. Es gibt sicherlich eine Tradition des literarisch ambitionierten Sprachspielbuchs, man könnte etwa auf Texte von James Krüss, Hans Manz, Christian Morgenstern, Joachim Ringelnatz oder Jürgen Spohn verweisen, in die Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel einzuordnen ist. Ein Vergleich mit diesen und weiteren Werken – etwa von anderen zeitgenössischen Sprachspiellyrikern (vgl. Schulz 2006, 820ff.) – wäre sinnvoll, kann aber hier nicht erfolgen. Fühmanns Sprachspielbuch ist anhaltend erfolgreich. Bereits im Jahr seines Erscheinens erhielt es »die Anerkennung als schönstes Buch des Jahres« (Neubert 2006, 922). Das Buch erschien 1981 in Lizenz in der BRD (weitere Lizenzausgaben kamen in den nachfolgenden Jahren bei drei verschiedenen bundes1 Auf den Turm zu Babel wird ausführlich bei der Erörterung der Diversität menschlicher Sprache eingegangen.

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Jörg Meibauer

deutschen Verlagen heraus). Im Jahr 2005 erschien beim Hinstorff-Verlag in Rostock die erste Auflage der Neuausgabe in neuer Rechtschreibung, zugleich die insgesamt 7. Auflage. Das Buch erhielt einen neuen Umschlag von Renate Herfurth unter Verwendung von Bildern Egbert Herfurths. Außerdem enthält diese Neuausgabe einen Anhang mit Begriffen, die im Haupttext mit Asteriskus gekennzeichnet sind. Das Buch wurde für Leser ab 13 Jahren empfohlen, aber – wie schon der Untertitel sagt – es ist »nicht nur für Kinder« gedacht.

Paratexte und Illustrationen Fühmann und der Kinderbuchverlag waren sich wohl darüber im Klaren, dass das Buch nicht leicht in übliche Kategorien einzuordnen ist. Dies zeigt sich in den Paratexten. Der Titel des Buchumschlags heißt einfach nur Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel. Der Titel auf dem Titelblatt ist dagegen durch drei Buchcharakterisierungen erweitert: Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm zu Babel Ein Spielbuch in Sachen Sprache Ein Sachbuch der Sprachspiele Ein Sprachbuch voll Spielsachen

In der westdeutschen Lizenzausgabe gibt es auch auf dem Buchumschlag einen Untertitel, nämlich: Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm zu Babel Ein heiteres Sprachbuch nicht nur für Kinder

In dieser Ausgabe ist die Widmung der Originalausgabe »Der Kinderbibliothek Suhl gewidmet« weggefallen. Sowohl der ostdeutsche Klappentext als auch die Umschlagsrückseite der westdeutschen Lizenzausgabe enthalten Informationen zur richtigen Einordnung des Buchtyps. Franz Fühmann befaßt sich in diesem Buch in umfassender und fesselnder Weise mit unserer Sprache. Er fragt nach ihrem Ursprung, nach ihren Gesetzen und Leistungen. Dabei ist kein Lehrbuch entstanden; vielmehr vollziehen Lernen und Erkennen sich vornehmlich im genußvollen, anregenden Lesen unterhaltsamer Geschichten und im Mitmachen bei spielerischen Übungen.

Auf der Umschlagsrückseite der westdeutschen Ausgabe lesen wir : Franz Fühmann, selbst ein großer und bekannter Schriftsteller, betrachtet in diesem außergewöhnlichen Buch die deutsche Sprache. Da ist aber beileibe kein Schulbuch entstanden.

Das Sprachspielbuch Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel

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Diese Formulierungen zielen auf eine Distanzierung vom (möglicherweise nicht besonders beliebten) Lehr- oder Schulbuch ab. Vielmehr handelt es sich zwar um ein »Sprachbuch«, aber eben eines, das zum Spielen mit Sprache anleitet. Insofern kann man es auch als »Sachbuch« über Sprachspiele ansehen. Offen bleibt, ob das Buch damit auch als ein Buch über die (deutsche) Sprache betrachtet wird.

Abb. 1 Umschlagillustration der Erstausgabe von Franz Fühmanns Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel. Kinderbuchverlag 1978

Das Buch ist von Egbert Herfurth illustriert. Die typografische Gestaltung hat Walter Schiller vorgenommen. Betrachten wir zunächst die Originalausgabe, dann die westdeutsche Lizenzausgabe.2 Auf der Vorderseite des Buchumschlags sieht man ein Oval, das einen Buchstabenwald (das Alphabet) vor schwarzem Himmel darstellt. Am Himmel sieht man Sterne und eine Mondsichel. Eine Kindergruppe, deren Arme verschränkt sind, ist aus der Rückenansicht zu sehen. Sie geht auf den (auch durch vier kleine Gespenster, die hinter den Buchstaben hervorlugen) bedrohlich wirkenden Buchstabenwald zu. Die gestalterische Idee war sicher, das Alphabet als einen geheimnisvollen, zu entdeckenden Ort des Abenteuers zu gestalten. Auf der Umschlagsrückseite ist ebenfalls ein Oval zu sehen. Zwei fragmentarische Figuren beherrschen das Bild. Ein Frauenbein in der Bewegung aus dem Bild, ein hinter ihr stehender Mann, 2 Ein genauer Vergleich mit weiteren Ausgaben zeigt eine große Variation in der Gestaltung, die Gegenstand einer eigenen Untersuchung sein könnte.

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von dem nur die untere Hälfte zu sehen ist. Er trägt in seiner rechten Hand einen Korb, der mit Buchstaben gefüllt ist, in der linken dagegen ein Messer, das möglicherweise die Buchstaben zerschnitten hat, die auf dem Boden liegen.3 Dazu leuchtet in Weiß der Mond oder die Sonne, so dass das Messer reflektiert. Was immer dieses Bild bedeutet, es scheint eher ungeeignet für ein an Kinder gerichtetes Sprachspielbuch.

Abb. 2 Umschlagillustration von Franz Fühmanns Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel. Wiesbaden: VMA, Vertriebsges. Modernes Antiquariat o. J.

Der Buchumschlag der westdeutschen Lizenzausgabe ist von Ruedi Becker »nach Motiven von Herfurth/Schiller« gestaltet, wie es im Klappentext heißt. Diese Motive finden sich im Buchinneren wieder. Die Vorderseite des Buches enthält eine tiefgeprägte Vignette des Kopfs von Küslübürtün, dem Sprachgeist. Ein wesentliches Kennzeichen der Illustrationen ist die Darstellung unmöglicher Objekte, zum Beispiel einer Waage, bei der die Waagschale mit dem größeren Gewicht oben hängt, diejenige mit dem kleineren Gewicht dagegen unten; oder

3 Ich verdanke Egbert Herfurth den Hinweis, dass es sich um einen Pilzsammler handelt, so dass die Buchstaben zugleich Pilze darstellen und umgekehrt.

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ein Pferd, das zugleich ein Fußballspieler ist. Hier zeigt sich der Einfluss der Bildsprache der Pop Art (Kümmerling-Meibauer/Meibauer 2011). Die Illustrationen sind in Schwarzweiß mit ockergelber Tonplatte gehalten. Andreas Bode weist darauf hin, dass Egbert Herfurth die durch die Leipziger Hochschule für Graphik und Buchkunst wiederbelebte Tradition des Holzstichs fortsetzt, »dessen präzise Linien und Schraffuren er auch in die Federzeichnung übernimmt« (Bode 2006, 879). Es gibt einige Vollbilder und sehr viele kleinere Abbildungen im Text, die oft mit überraschender Typografie kombiniert werden, sodass sich ein abwechslungsreiches Seitenbild bietet. Auffällig sind auch die Porträts großer Dichter und Denker, zum Beispiel von Arthur Schopenhauer (Fühmann 1978, 30, zusammen mit Küslübürtün), Johann Gottfried Herder (ebd., 117), Wilhelm von Humboldt (ebd., 119), Karl Marx und Friedrich Engels (ebd., 121), Wilhelm Busch (ebd., 174), Bertolt Brecht (ebd., 179), Gottfried August Bürger (ebd., 185), Goethe (ebd., 187), Victor Hugo (ebd., 188), Christian Morgenstern (ebd., 222), Friedrich Rückert (ebd., 232), Uwe Greßmann (ebd., 238), Goethe und Schiller als Doppeldenkmal (es handelt sich hierbei um die von Ernst Rietschel geschaffene Skulptur, die vor dem Nationaltheater in Weimar steht; ebd., 326), und Mark Twain (ebd., 333). Während die Grundschrift eine Garamond ist, finden sich in den Illustrationen die unterschiedlichsten Schriften, unter anderen auch Fraktur. Es wird Druckschrift oder Schreibschrift verwendet, wir finden Kleinschreibung oder Großschreibung, es gibt Buchstaben, Zahlen, Interpunktionszeichen, oder auch das Arrangement von Buchstaben im Sinne der Konkreten Lyrik, wie zum Beispiel S. 101, wo der Turm zu Babel aus den Wortbausteinen MRUT und TURM konstruiert wird. Die Buchstaben werden oft verdreht oder auf den Kopf gestellt, es gibt atypische Leserichtungen, und man findet Buchstaben, die als Lebewesen dargestellt werden oder aus anderen Dingen zusammengesetzt werden.

Rahmengeschichte Die fünf Kinder Jens, Gabi, Monica, Emmanuel und Caroline verbringen gemeinsam regnerische Ferientage in einem Ferienheim an der Ostsee. Abwechslung bringen die Sprachspiele, die sie sich ausdenken und gemeinsam spielen. Damit verwendet das Buch einen Rahmen wie etwa in Giovanni Boccaccios Decamerone (1351) oder Die Reise um mein Zimmer (1794) von Xavier de Maistre. Beraten werden die Kinder vom »Sprachgeistlein« Küslübürtün. Dieser ist ein Türke, der die Kinder über das Wunder der Sprache belehrt. Er hat als Begleiter Arthur Schopenhauer und beide präsentieren den Kindern ein »Blaubuch« (ebd., 92), das weiteres Sprachspiel- und Sprachreflexionsmaterial

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enthält. Das Blaubuch kann man als eine ironische Anspielung auf das blaue Buch der Pioniere4 betrachten. Darauf komme ich später zurück. Als eine weitere belehrende Figur tritt der Bibliothekar Herr Leipzig auf. Alle Charaktere bleiben flach, sie haben nur die Aufgabe, durch das sprachbezogene Material zu führen. Die Dialoge zwischen den Charakteren dienen also nicht so sehr dazu, eine Handlung voranzutreiben, sondern eine Beziehung zum spielerischen Sprachmaterial herzustellen. Die Kindergruppe hat offenbar die Funktion, als Vorbild für die kindliche Leserschaft zu dienen. Diese Kinder entstammen unterschiedlichen sozialen Schichten (Arbeiterklasse und Intelligenz), kommen aus verschiedenen Regionen der DDR und haben einen unterschiedlichen Grad an Begabungen (Jens als Arbeiterkind, Monica als schlaue Tochter eines Staatsanwalts usw.). Das ist ein aufklärerisches Bild von einer »Erziehungsfamilie« mit einem spezifischen Programm, wie man es auch in Joachim Heinrich Campes Robinson der Jüngere (1779/80) bereits finden kann.5 Die Charaktere sind zwar in der Tat nicht dynamisch, aber doch »exemplarisch«, um daran eine bestimmte Typologie von Kindheit zu demonstrieren. Dadurch wird ein Idealbild einer sozialistischen »Gemeinschaft« evoziert, auch wenn die Kindergruppe kein »Kollektiv« im Sinne sozialistischer Pädagogik darstellt. Das Buch ist in dreizehn Kapitel (Kapitel 0 bis Kapitel 12) eingeteilt, die aber keine Überschriften tragen; es gibt auch kein Inhaltsverzeichnis. Das Kapitel 0 auf der fünften Seite enthält die Beschreibung der Ausgangssituation der Kinder. Das Gliederungsprinzip des Buchs bleibt daher unklar, zumal sich in allen Kapiteln verschiedene sprachbezogene Erläuterungen und Spiele finden.

Sprachspiele Bei Bußmann wird Sprachspiel in der Bedeutung Wortspiel als »Sammelbegriff für verschiedene Formen beabsichtigter, ›spielerischer‹ Veränderung oder Kombination sprachlichen Materials« definiert (Bußmann 2002, 755). In diesem Sinne ist folgendes Frage-Antwort-Paar ein Sprachspiel: »Welches Tier hat den kältesten Po? Na, der Zeisig, der ist hinten eisig« (Fühmann 1978, 215). Die Sprachspiele und die sprachlichen Erläuterungen dazu, die im zu porträtierenden Buch enthalten sind, beziehen sich auf alle gewöhnlich unterschiedenen Sprachebenen (vgl. Meibauer/Demske u. a. 2015), aber dies geschieht in einer unsystematischen Weise. Allenfalls kann man den einzelnen Kapiteln eine ge4 Bei dem blauen Buch der Pioniere handelt es sich um das Statut der Pionierorganisation »Ernst Thälmann«, herausgegeben vom Zentralrat der FDJ, das allen Thälmannpionieren ausgehändigt wurde. 5 Den Hinweis auf Campe habe ich Sebastian Schmideler zu verdanken.

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wisse Schwerpunktsetzung zuweisen, vielleicht auch eine gewisse Progression von einzelnen Spielen hin zu einer Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen und literarischen Texten. Im Folgenden gehe ich auf ausgewählte Bereiche kurz ein, ohne damit einen besonderen systematisierenden Anspruch oder Anspruch auf Vollständigkeit zu verknüpfen. Im Bereich der Phonologie werden die Vokale (Fühmann 1978, 163–165) und Konsonanten (ebd., 166–173) thematisiert. Die kindlichen Leser werden zum Beispiel aufgefordert, über die Wirkung von Lauten in der Lyrik nachzudenken. In der Orthografie/Graphematik geht es um die Interpunktion (ebd., 161–162), vor allem das Komma (ebd., 203–204). Hier wird eine kleine ScienceFiction-Geschichte »Der ruchlose Aggressor vom schwarzen Weltraumloch oder das Geheimnis der falsch gesetzten Kommas« (ebd., 202–204) erzählt. Durch falsche Kommasetzung ergibt sich ein anderer, absurder Sinn. Die Kinder sind aufgefordert, die richtige Kommasetzung zu erkennen. Diese wird in der Auflösung präsentiert (ebd., 349). Theo soll sich zwischen dem fortschrittlichsten Pionier Annegret und dem ruchlosen Aggressor vom Schwarzen Weltraumloch entscheiden. Der allseits geliebte Deutschlehrer bedroht Theo mit einem blitzenden Krummschwert: »Entscheiden mußt du dich, nicht zögern darfst du!« rief da Annegret, der fortschrittliche Pionier, zur Linken; aber : »Entscheiden mußt du dich nicht, zögern darfst du!« flüsterte zugleich eine Stimme von rechts – natürlich der ruchlose Schwarzlochaggressor. Und das Schwert blitzte und blitzte und blitzte. »Ich will mich ja entscheiden«, stöhnte Theo bang, »nur sagt mir unmißverständlich für wen!« »Für links, nicht für rechts!« »Für links nicht, für rechts!« »Entscheide dich, für beide gibt’s keine Gemeinsamkeit!« rief der Lehrer. »Entscheide dich für beide, gibt’s keine Gemeinsamkeit!« flüsterte der ruchlose Aggressor. (ebd., 203)

Später heißt es: »Unser Pionierleiter, nicht der ruchlose Aggressor vom Schwarzen Weltraumloch, hat das ungeheuerliche Verbrechen mit den falsch ausgestreuten Interpunktionen begangen!« rief er und alle jubelten bei dieser lang ersehnten Nachricht. (ebd., 204)

Aber das kann ja nicht sein, soll die Leserschaft denken und die Lösung rekonstruieren: Unser Pionierleiter nicht, der ruchlose Aggressor … Zweifellos ist diese Erläuterung doppelbödig (oder sogar satirisch), wobei es unklar ist, ob nicht Erwachsene an dieser Stelle die eigentlichen Adressaten dieses doppelbödigen Sprachspiels sind. Im Bereich der Morphologie finden sich Rätsel zum Plural von der Dschinn. Heißt es Dschinn, Dschinne, Dschinni, Dschinne, Dschinner oder Dschinns (ebd., 189)? Außerdem wird auf die Möglichkeit sprachlicher Neubildungen hingewiesen, z. B. das Adjektiv volkseigen. Viele Wortspiele hängen mit unter-

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schiedlichen Lesarten komplexer Wörter zusammen. Im Gedicht In der Kuchenfabrik lautet die dritte Strophe: Im Käsekuchen ist Käse, im Hundekuchen ein Hund, und wenn der Jens so weiterfrißt, wird er noch kugelrund. (ebd., 61)

Die Kinder können hier entdecken, das zwischen den beiden Konstituenten eines Nominalkompositums unterschiedliche Sinnrelationen bestehen: Während Käsekuchen als ›Kuchen, der Käse enthält‹ paraphrasiert werden kann, geht das für Hundekuchen gerade nicht. Einige Erörterungen zur Syntax beziehen sich auf die Anordnung von Subjekt, Prädikat und Objekt (ebd., 274ff.). Zum Beispiel seien Der Lehrer trifft den Schüler und Der Schüler trifft den Lehrer in Ordnung, aber die Vertauschung klappt bei Der Redner erhob den Zeigefinger versus Der Zeigefinger erhob den Redner nicht. Im Bereich der Semantik finden sich Bemerkungen zu Stilblüten und sog. Gallettisätzen (nach Johann August Galletti) wie Die Afghanen sind ein sehr gebirgiges Volk. Besonders kühn ist die Erörterung der Wortsemantik anhand semantischer Probleme der Sexualerziehung (ebd., 145–147). Küslübürtün erläutert: In vielen Sprachen klingen die Namen für die Geschlechtsorgane oder die körperliche Liebe sehr grob und unschön, ja manchmal, wie leider bei Euch im Deutschen, richtig häßlich und ordinär. (ebd., 146)

Fachwissenschaftliche Ausdrücke seien aber auch keine Alternative, weil sie »so kalt und hart medizinisch« klängen. Caroline bestätigt das für das Wort fi–, Emmanuel für das Wort Vo–, aber bumsen wird als »lustiges Wort« halbwegs akzeptiert, obgleich wegen seines »derb-lustigen Tons« nicht immer gut geeignet. Das Benennungsproblem wird nicht gelöst, aber das Sprachgeistlein weiß, dass dies eine Aufgabe für »die Gemeinschaft aller Sprechenden und Schreibenden von den Kindern bis zu den Philosophen« sei (ebd., 147). Auch die Betrachtungen zur Wortbedeutung anhand von evaluativen Adjektiven wie gut und schlecht (ebd., 254ff.) gehören zur semantischen Reflexion. Zur Pragmatik sind Ausführungen zur Deixis (mit einer Unterscheidung zwischen »ichigen« und »pferdigen« Wörtern, ebd., 252), zur sprachlichen Ironie (ebd, 296), sowie zum Phänomen der versteckten Botschaft zu rechnen, das an einem Brief von Hänsel und Gretel an ihre Eltern demonstriert wird. In diesem Brief beteuern die Kinder, wie gut es ihnen geht, lassen dabei aber durchscheinen, dass sie dringend Hilfe bei der Befreiung von der grausamen Hexe benötigen (ebd., 291f.). Wenn man nur jeden dritten Satz liest, erkennt

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man die intendierte Mitteilung. Im weiteren Sinne kann man auch die Reflexion über Text- und Diskurssorten nennen, zum Beispiel die Fußballreportage (ebd., 47ff.) und die Anrede mit Spitz- oder Kosenamen. So reden die Kinder Arthur Schopenhauer mit Atze oder Schoppi an (ebd., 30) und der Sprachgeist wird auch hypokoristisch Küssü (z. B. ebd., 337) genannt.

Sprachtheorie Weniger spielerisch, mehr belehrend sind die sprachtheoretischen Ausführungen, die hauptsächlich durch den Sprachgeist Küslübürtün, seines Zeichens »Großer und erhabener Geist des Wohlgefallen erregenden Sprachklangs, insbesondere der Vokalharmonie« (ebd., 29), gemacht werden. Insbesondere werden drei Fragen erörtert: (a) Wie ist die Sprache entstanden? (b) Wie wandeln sich Sprachen und wie kann man Sprachen vergleichen? (c) Was sind sprachliche Gesetze? Am interessantesten sind die Thesen zur Frage (a), die von einer biblischen Antwort ausgehen (nämlich von der Geschichte vom Turmbau zu Babel), um dann eine dialektisch-materialistische Antwort zu geben. Die biblische Antwort sei eine Mythe. Wissenschaftlich zuverlässig sei es, die Entstehung der Sprache per Mutation (Erbsprung) zu erklären: »[…] doch plötzlich gab es solch einen Erbsprung, und eine neue Art mit besonderen Anlagen war da: der Mensch! Zu diesen besonderen Anlagen gehören vor allem drei: die Fähigkeit zur Arbeit, die Fähigkeit zum Denken und die Fähigkeit zur Sprache, und diese Dreiheit ist im Grunde genommen eine Einheit, denn sie ist das Menschsein. Sprache und Mensch sind von Anfang an untrennbar miteinander verbunden, und ebenso Mensch und Arbeit, und Mensch und Denken, und Denken und Arbeit, und Sprache und Denken, und Arbeit und Sprache, und alles ist Menschsein!« (ebd., 103)

Weiter erläutert der Sprachgeist, dass durch die Arbeitsteilung auch eine Sprachteilung entstehe: »Die Arbeit vereint und macht mächtig – also ist sie ein Segen; die Arbeit entzweit und sondert – also ist sie ein Fluch. Das ist ein tiefer Widerspruch, doch ohne ihn gäbe es keinen Fortschritt.« (ebd., 109) Zwar stehe dies nicht direkt in der Bibel, doch »der Denkende liest es darin« (ebd., 109). Doch der Widerspruch könne auch aufgelöst werden: »Die Arbeit hat die Menschen auseinandergebracht, und nur die Arbeit kann sie wieder vereinen. Dann ist erfüllt, was geschrieben steht: ›Fortan wird für sie nichts mehr unausführbar sein, was immer sie zu tun ersinnen.‹ Das ist die Möglichkeit des Menschen, und ich glaube an sie. Dann werden, in ferner Zukunft, vielleicht auch die

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Sprachen zu einer verschmelzen, doch selbst wenn dies niemals geschehen sollte, werden die Völker auch mit verschiedenen Wörtern und Worten insgesamt eine Sprache sprechen: die des Menschen in freier Menschlichkeit!« (ebd., 109)

Insgesamt zeigt sich das Geistlein doch als eines, das zwar einerseits einen rationalen Zugang zur Sprachenvielfalt anstrebt, statt einer anthropologischen oder kognitiven Deutung aber eine Deutung auf der Grundlage der Arbeit und daraus entstehender »Widersprüche« anstrebt und damit im ideologischen Kosmos des wissenschaftlichen Sozialismus verbleibt. Zu (b) finden sich Ausführungen zum Sprachwandel und Sprachvergleich (ebd., 128ff.). Es wird etwa auf den Abbau des Dativ-e in der Gegenwartssprache verwiesen oder anhand von Franz Nikolaus Finck, Die Haupttypen des Sprachbaus (ebd., 133), verschiedene Sprachtypen unterschieden. Zu (c) erfährt man Einiges anlässlich der Reflexion über die Frage, wie sich Sprachen ändern: »Wie entstehen eigentlich Sprachgesetze?« fragte Emanuel. »Die Sprache verändert sich doch mit der Zeit – wer bestimmt da, was richtig bleibt und was falsch wird, und warum ändert sich’s eigentlich? Es könnte doch bleiben, wie es ist!« (ebd., 127f.)

Das »Türklein« sagt, er könne die Antwort »nur andeuten« (ebd., 128) und gibt dann allgemeine Hinweise sprachtypologischer Art.

Spielbuch und »Heiterkeit« In den ersten Kapiteln (Kapitel 1 bis 4) spielen die Kinder Spiele, die in einer »Belehrung« (ebd., 93) fachsprachlich als Homonyme, Charaden, Anagramme und Sachrätsel bezeichnet werden. Oft wird eine Frage gestellt, zum Beispiel: »Kann jemand einen Satz sagen, in dem fünfmal ›und‹ vorkommt?« Die Kinder überbieten sich in mehr oder minder gelungenen Antworten, bis dann eine Lösung präsentiert wird (ebd., 75–76). Humoristische Elemente im Sprachspielbuch sind einerseits Witze (die aber eher selten vorkommen), treten aber auch andererseits im Zusammenhang mit Ironie und Satire auf (vgl. Goatly 2012). Als ein Beispiel für Witze kann man die sog. Pferdewitze nennen (Fühmann 1978, 248). Es wird aber auch darüber reflektiert, was ein Witz ist. Wie bereits erwähnt ist es ein Sprachspiel, sich sinnvolle Sätze auszudenken, bei denen das gleiche Wort mehrmals hintereinander vorkommt. Jens schlägt einen Satz mit zwölfmal Binz vor. Als Caroline sich fragt, wo denn da der Witz sein soll, antwortet Jens, dass der Mann stottert. Erst wollen die Kinder, solchermaßen hereingelegt, Jens verdreschen, aber dann lachen sie doch (ebd., 77). Ironie und Satire werden mehrfach thematisiert. Sie wird explizit als »eine besondere Art der Doppeldeutigkeit« eingeführt (ebd., 296). Besonders ein-

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dringlich wird sie anhand eines Dialogs zwischen Monica und ihrem Vater, einem Staatsanwalt, vorgeführt (ebd., 316f.). Die Familie spricht über Sprachmagie, zum Beispiel den Namen eines Feindes murmeln und dabei eine Rinde verbrennen, auf dem er geschrieben steht. Monica fällt das Märchen vom Rumpelstilzchen ein, dann stellt sie den Bezug zur Gegenwart dar : »[…] wenn Vater ein Verbrechen aufklären will und kriegt den Namen des Täters raus, dann hat der doch eigentlich auch schon verloren!« »Das ist doch was Andres«, sagte Monicas Mutter. »Das ist unsere Wirklichkeit.« »Die willst du doch nicht mit einem Märchen vergleichen?« sagte Monicas Vater. »Natürlich nicht«, sagte Monica. Monicas Vater stutzte. »Wie meinst du das?« fragte er, »meinst du das ironisch?« »Natürlich nicht«, sagte Monika […]. (ebd., 316)

Nicht nur scheint Monica tatsächlich ironisch zu sein, auch der Erzähler gibt einen ironischen Kommentar zur »märchenhaften« gesellschaftlichen Gegenwart. Auch das Blaubuch steht in einem satirischen Kontext. Es ist das Gegenstück zum blauen Buch der Pioniere. Die Kinder verstecken es daher auf dem Dachboden und verhüllen es mit Brettern, doch: »Die märchenhafte Bläue blieb.« (ebd., 96) Später muss das Blaubuch vor Herrn Leipzig versteckt werden (»›Vorwärts, Pioniere!‹ schmetterte Caroline. Sie versteckten behutsam das Blaubuch […].«, ebd., 218). Das Blaubuch ist der Fühmann-Küslübürtün’sche Anti-Kanon, das, was die Kinder wissen müssen, um sich kritisch zu behaupten. Dieses Wissen ist prinzipiell ästhetischer Art, selbst, wenn es Anmerkungen zu Konsonanten, Vokalen und dem Alphabet enthält (ebd., 152ff.). Küslübürtün ist einer von 33.333 Sprachgeistern, die an einer jährlichen Konferenz in Babylon teilnehmen. Das Blaubuch wird den Kindern präsentiert, bevor er mit Schopenhauer und Morgenstern zur Konferenz reist (ebd., 92). Bei der Konferenz, so berichtet er später, wurden drei Punkte diskutiert, der erste davon zu semantischen Problemen der Sexualerziehung (ebd., 145). Als Caroline wissen will, was bei der Konferenz genau gemacht wird, argwöhnt sie, dass die Tagesordnung so aussehe: »[…] erstens: Auswertung der letzten Beschlüsse; zweitens: Grundsatzfrage und schließlich drittens: Verschiedenes.« (ebd., 127) Küslübürtün wendet ein, da seien sie konkreter. Auch hier liegt offenbar ein satirischer Bezug zu den typischen Sitzungen von Organisationen im Alltag der DDR vor. Inwiefern Ironie und Satire an die Kinder adressiert sind oder an eine erwachsene Leserschaft, ist unklar. Man kann vermuten, dass das Buch teilweise doppeladressiert ist. Wenn die Kinder überraschende Erläuterungen hören, wird ihre Reaktion wiedergegeben: Sie lachen, staunen, wundern sich. Damit

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wird unterstrichen, dass es etwas gibt, das diese Reaktionen hervorruft. Insgesamt wird die Kindergruppe als eine lustige, lernbegierige Gruppe dargestellt, wobei die einzelnen Kinder durchaus eigene Meinungen zeigen und entwickeln. Spielerisches Lernen hat nicht nur mit »Heiterkeit«, sondern auch mit Streitfähigkeit zu tun: […] streitet hartnäckig über Zweifelsfälle, wobei der Berühmtheitsgrad eines Dichters kein Argument eurer Diskussion sein sollte. Diskutiert, ob man solche Respektlosigkeit als ungebührlich tadeln muß. (ebd., 164)

Lyrik Viele sprachliche Eigenschaften werden anhand von Gedichten oder Balladen gezeigt. So finden sich Werke von Gottfried August Bürger (Lenore; ebd., 185–186), Johann Wolfgang Goethe, (Hochzeitslied; ebd., 187–188), Victor Hugo (Die Dschinns; ebd., 188–191), Friedrich Rückert (Die Klanggeister ; ebd., 232–236), Christian Morgenstern (ebd., 223–231), dem DDR-Lyriker Uwe Greßmann (ebd., 237–241) – sein Gedicht Trost (ebd., 238) wird von den Kindern ausführlich diskutiert und interpretiert (ebd., 243ff.) – Bertolt Brecht (Alfabet; ebd., 179–183, Erinnerung an die Marie A. (ebd., 304ff.), Wilhelm Busch (Naturgeschichtliches Alphabet für größere Kinder oder solche, die es werden wollen; ebd., 175–176), Frantisˇek Halas (ebd., 288), Joseph von Eichendorff (Wünschelrute; ebd., 309) sowie Herodot (ebd., 152ff.). Außerdem wird Das Wunderhorn (»Dichter : Unbekannt«; ebd., 241) aus der Sammlung Des Knaben Wunderhorn von Clemens Brentano und Achim von Arnim wiedergegeben. Offensichtlich liegt hier die Absicht vor, Kinder auf die sprachlichen Eigenschaften der Lyrik aufmerksam zu machen, um sie dadurch für sie zu begeistern und zu einer genauen Begründung literarischer Urteile anzuregen. Dass überhaupt antike oder klassische Autoren Berücksichtigung finden, ist vor dem Hintergrund der langjährigen Diskussion über das kulturelle Erbe in der DDR nicht selbstverständlich (Krüger 2006). Der in der DDR offiziell hochgeschätzte und einflussreiche Johannes R. Becher, so kann man mehrfachen Anspielungen entnehmen, ist für Fühmann offenbar das Gegenstück eines lyrischen Vorbilds. Im Kontext eines Restaurantbesuchs findet sich folgender Ratschlag von Herrn Leipzig an Frau Habermilch, die im Urlaub an einer Broschüre arbeitet (vgl. den übernächsten Abschnitt): »›Den Becher können Sie nicht mehr nehmen, Frau Habermilch‹, sagt Herr Leipzig, ›wir haben jetzt eine neue Linie im Nationalen!‹« (ebd., 325).

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Philosophische Autoritäten Das Sprachgeistlein stellt seinen Freund Arthur Schopenhauer als einen »Meister des Deutschen« dar und zitiert aus seiner Schrift Über Schriftstellerei und Stil (ebd., 33): Den deutschen Schriftstellern würde durchgängig die Einsicht zu statten kommen, daß man zwar, wo möglich, denken soll wie ein großer Geist, hingegen dieselbe Sprache reden wie jeder andere. Man brauche gewöhnliche Worte und sage ungewöhnliche Dinge: Aber sie machen es umgekehrt. (Schopenhauer, zit. n. ebd., 33)

Als weitere Autoritäten werden Johann Gottfried Herder mit seiner Abhandlung über den Ursprung der Sprache, Wilhelm von Humboldt mit der Schrift Über das vergleichende Sprachstudium in Beziehung auf die verschiedenen Epochen der Sprachentwicklung sowie Karl Marx und Friedrich Engels mit ihrer Studie Die deutsche Ideologie präsentiert (ebd., 116–121). Die entsprechenden kurzen Textausschnitte werden durch eine »Warnung« eingeleitet: »Diese Stellen sind außerordentlich schwierig, und selbst Erwachsene haben Mühe mit ihnen. Man muß sie oftmals lesen und Wort für Wort durchdenken, um den Sinn der Sätze zu erfassen.« (ebd., 116)

Kontextualisierung und Anspielungen Vor dem Hintergrund der Alltagskultur in der DDR sind die eingestreuten Bezüge zur Gegenwart besonders interessant. So werden Computersprachen erwähnt. Die Computersprachen PERLTund ALGOL strebten die Aufnahme in den Verein des Sprachgeistleins und Morgensterns an, aber dies wird unter dem dritten Tagesordnungspunkt des Treffens in Babylon abgelehnt (ebd., 150). Es wird auf die Weltjugendfestspiele 1973 hingewiesen, bei denen man »auf Bauzäunen und Bretterwänden neben Autogrammen und Adressen auch massenhaft Scherzsätze« wie den folgenden gefunden habe: Draußen ist’s kälter als bergauf. Ungarn ist näher als übermorgen. Unten geht’s langsamer als sonntags. Ein Fußball ist größer als krumm. (ebd., 265)

Im Kontext der Betrachtung der englischen Sprache wird auf die weltweit bekannten Musikgruppen Beatles und Stones angespielt (ebd., 138) und es wird ungeniert aufgefordert: »Hört Beat!« (ebd., 162). Auf die ungewöhnlichen Ausführungen zur Sexualerziehung wurde bereits eingegangen. All dies spiegelt den (möglicherweise westlich beeinflussten) Zeitgeist.

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Im Buch findet man immer wieder ironische oder satirische Anspielungen mit Bezug auf den DDR-Alltag: Seine Frau, Frau Lehmann, nickte stumm, und auch Frau Habermilch sagte nichts, denn sie arbeitete im Kulturbund und stellte gerade eine Broschüre »Frohe Ferien in unserer schönen sozialistischen Heimat« aus passenden Dichterworten von Johannes R. Becher bis zur Jungpionierin Kerstin zusammen. (ebd., 47)

Später heißt es: Während all dessen beschloß Frau Habermilch, dem Sammelband über die Schöne Heimat ein Gedicht des Dichters Johannes R. Becher voranzustellen, in dem er aufruft, sich verstärkt im friedlichen Schaffen zu mühen, damit die Sonne schön wie nie über Deutschland scheine.6 (ebd., 320)

In der Geschichte »Wie das alte Nashorn das Blau kennenlernte« (ebd., 195–199), die man auch als eine Etüde über die Bedeutung des Farbworts blau lesen kann, heißt es an einer Stelle: »Da trabte das Nashorn um die Ecke, dort war die Kreisleitung der SED. Fester Glaube, was hast du für eine Farbe? Ich bin so blau wie der Milchtopf von Mutter Meier.« (ebd., 197) Es gibt einen »politischen Hinweis« (ebd., 275), dass der Austausch von Zeigefinger durch Holzhammer im Kontext des Satzes Der Lehrer erhob den Zeigefinger/Holzhammer nur für das Sprachspiel zulässig sei. Und als die Kinder verblüfft feststellen, dass ein und dieselbe Person Vater, Sohn, Bruder und Ehemann sein kann, stellt Gabi lapidar fest: »Stellt Euch vor : Nicht mal in der Partei, aber vier Funktionen auf einmal, oder eigentlich unzählig viele, wenn man die ganze Verwandtschaft nimmt!« (ebd., 253)

Sprachspielbuch als Sachbuch über Sprache? Handelt es sich bei diesem Sprachspielbuch wirklich um ein Sachbuch über Sprache? Zwar werden hier außerordentlich viele Informationen über die Sprache gegeben – in diesem Sinne ist es ein Kindersachbuch (vgl. Ossowski 2002), aber ebenso scheint die Einbettung in einen literarisch-diskursiven Raum das zu sein, was Franz Fühmann anstrebt. Das heißt, es wird gezeigt, wie ein Dichter mit der Sprache spielt oder welche dichterische Auffassung von Sprache es gibt. Dies sei an drei Passagen gezeigt.

6 Es handelt sich um die letzte Strophe der Nationalhymne von Johannes R. Becher, die damals nicht mehr gesungen werden durfte.

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Muss Literatur einen Nutzen haben? Herr Leipzig erklärt, dass Literatur einen Nutzen haben muss, während Gabi Gedichte »manchmal schön und weiter gar nichts« findet (ebd., 219). Leipzigs Meinung wird wie folgt wiedergegeben: »Der Morgenstern sei nichts für Kinder, erklärte er, der habe die ›Galgenlieder‹ geschrieben, das sei eigentlich ein ganz sinnloser Unsinn, der weder fortschrittliches Wissen noch wertvolle Gefühle vermittele. Zwar dürfe dies Buch bei uns erscheinen, weil es nicht direkt kriegshetzerisch sei, doch einen Nutzen für Produktion oder Unterricht könne man nimmermehr aus ihm ziehen.« (ebd.)

Es ist deutlich, dass in diesem Kontext die »antiautoritäre« Haltung der Leserschaft provoziert werden soll, zumal Leipzig hinzufügt, dass die literarischen Ansprüche der Kinder ja naturgemäß noch unentwickelt seien, aber die Schule ihnen schon beibringen werde, »was ihnen zu gefallen habe und was nicht«. Implizit werden hier »bürgerliche« Positionen einer autonomen Ästhetik begünstigt. Gibt es einen Unterschied zwischen literarischer und wissenschaftlicher Sprache? Der Schriftsteller wird bei jedem Wort dessen Durchtränktheit mit Bedeutung, auch widerspruchsvoller, berücksichtigen müssen; ein Wissenschaftler hingegen, der Meteorologe zum Beispiel, muß gerade von allem Sinngehalt absehn, der über die Bedeutung von Schnee als einer bei bestimmter Temperatur und bestimmten atmosphärischen Bedingungen sich bildender Niederschlagsform hinausgeht. (ebd., 303)

Hier sieht man wieder ein Beharren auf der künstlerischen Autonomie, die sich gegen Ansprüche des »wissenschaftlichen« Sozialismus behaupten muss. Gewarnt wird davor, Gedichtinhalte als »wissenschaftliche Aussage« zu analysieren: »Merkt: Wenn man ein Gedicht als wissenschaftliche Aussage betrachtet, wird man es nie erfassen können, man wird sich höchstens darüber ärgern, und das hat man ja oft getan.« (ebd., 308) Gibt es verschiedene Arten der Wahrheit? Küslübürtün erklärt den Kindern: Ich möchte euch hier nur so viel sagen, daß es in der Tat zwei verschiedene Arten von Wahrheit gibt, das Kunst-Wahre und das Wissenschafts-Wahre, und wenn beide auch darin übereinstimmen, die Wirklichkeit dieser Welt (zu der auch die Wirklichkeit all dessen gehört, was wir Seele nennen) in einer dem Menschen gemäßen Form wiederzugeben, so unterscheiden sich doch beide voneinander, wie sich etwa eine Landkarte von einem Gemälde unterscheidet, auch wenn beide das gleiche Stück Erdoberfläche abzubilden scheinen. (ebd., 299)

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Auch hier wird wieder eine deutliche Grenze zwischen den Sphären der Kunst und der Wissenschaft gezogen, wobei diese essayistische Erläuterung deutlich den Rahmen eines kinderadressierten Sprachspielbuchs sprengt. Als Beispiel für die oft mäandernde Darstellung sei hier das neunte Kapitel betrachtet (vgl. ebd., 243–264). Zunächst geht es um die Interpretation eines Gedichts des »zu DDR-Zeiten wenig beachteten, von Fühmann hochgeschätzten« (Schulz 2006, 765) Lyrikers Uwe Greßmann (Fühmann 1978, 238): TROST Ziehen viele in Andere Straßen Auch, weine nicht. Altes Haus, ich Bleibe noch. (ebd., 238)

Die Kinder streiten sich über den Sinn dieses Gedichts, besonders um die Frage, was altes Haus bedeutet (ebd., 238–248).7 Dann gibt es einen thematischen Wechsel, da über die Bedeutung von Wörtern wie ich, also deiktischen Ausdrücken, geredet wird. Von dort geht es zur Bedeutung von Bewertungsausdrücken wie gut und schlecht, die subjektiv ist, wobei hier eine Rückbindung an die Bewertung des Gedichts von Uwe Greßmann suggeriert wird. Der Diskurs der Kinder wird unterbrochen durch die Geschichte von Odysseus und dem einäugigen Riesen, die von Caroline erzählt wird (ebd., 257–259). In der anschließenden Debatte der Kinder geht es um die Relativität von Standpunkten. Die Wahrheit ist unteilbar, aber die Perspektiven auf die Wahrheit können unterschiedlich sein. Dies zeigt sich an deiktischen Begriffen wie links und rechts. In ideologischer Hinsicht solle man nicht von Arbeiter-Wahrheit versus Kapitalisten-Wahrheit sprechen, sondern eher von der jeweiligen »Weisheit« (ebd., 261). Zum Schluss tritt Küslübürtün auf, der die Kinder lobt und ein neues Kapitel des Blaubuchs aufschlägt. Insgesamt ist auffällig, dass der kindliche Spracherwerb in diesem Buch keine Rolle spielt und dass auch der Witz nicht eigens thematisiert wird (obgleich ein Paar Witze vorkommen, vgl. ebd., 248). Es dreht sich weniger um Lustigkeit, als um Spiel und spielerische Belehrung. So steht dieses Kindersachbuch deutlich in einer didaktischen Tradition. Dies wird auch unterstützt durch die vielfältigen Übungen und Musterlösungen und die Arbeitsaufträge an die Kinder (vgl. u. a. ebd., 44–45, 159): »Legt euch eine kleine Sammlung lustiger Rechtschreibfehler und Grammatikschnitzer aus Speisekarten, Hinweisschildern, Plakaten, Annoncen und ähnlichem an. Vergeßt nie, Fundort und Datum genau anzugeben.« 7 Man beachte dazu die ganzseitige Illustration auf S. 243, die eine bildliche Verschmelzung eines alten Menschen und Hauses darstellt.

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(ebd., 45). Zum Schluss des Buchs findet sich für die sprachinteressierte Leserschaft ein kleines Verzeichnis von Büchern, die »verläßlich weiterhelfen« (ebd., 345). Dazu gehört auch das Werk Die Macht des Worts von Georg Klaus, dem marxistischen Philosophen und Logiker, (»jetzt noch zu schwierig, aber für später«, ebd., 345). In Neuauflagen des Buchs ist ein Glossar hinzugefügt, das Begriffe erläutert, deren Kenntnis bei einer heutigen Leserschaft nicht mehr vorausgesetzt werden kann. Fühmanns Buch ist sicherlich ein Buch, das Kinder über Sprache informiert. Insofern ist es ein Sachbuch. Es verfolgt aber einen weiteren Zweck: Kinder so über Sprache zu informieren, dass sie ihr ästhetisches Potenzial erkennen, ein Potenzial, von dem Fühmann glaubt, dass es den Kindern helfen wird, sich selbstständig und kritisch zu behaupten. Und dieses Potenzial ist am ehesten in der Lyrik als einem großen Sprachspiel zu sehen.8

Primärliteratur Fühmann, Franz/Egbert Herfurth (Ill.): Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel. Ein Spielbuch in Sachen Sprache. Ein Sachbuch der Sprachspiele. Ein Sprachbuch voll Spielsachen. Berlin: Kinderbuchverlag, 1978 Fühmann, Franz/Egbert Herfurth (Ill.): Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel. Ein Spielbuch in Sachen Sprache. Ein Sachbuch der Sprachspiele. Ein Sprachbuch voll Spielsachen. Wiesbaden: VMA-Vertriebsgesellschaft Modernes Antiquariat mbH & Co. Verlags-KG (Lizenzausgabe für das Vertriebsgebiet Bundesrepublik Deutschland, Berlin (West), Österreich und Schweiz), o. J.

Sekundärliteratur Bierwisch, Manfred: Grammatikforschung in der DDR: Auch ein Rückblick. In: Linguistische Berichte 139 (1992), 169–181 Bode, Andreas: Bilderbücher und Kinderbuchillustrationen. In: Steinlein, Rüdiger/Heidi Strobel/Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/ DDR. Von 1945 bis 1990. Stuttgart [u. a.] 2006, 829–902 Bußmann, Hadumod: Lexikon der Sprachwissenschaft. Dritte, aktualisierte und erweiterte Auflage. Stuttgart 2002 Goatly, Andrew: Meaning and Humour. Cambridge 2012 Krüger, Brigitte: Adaptionen. In: Steinlein, Rüdiger/Heidi Strobel/Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR. Von 1945 bis 1990. Stuttgart [u. a.] 2006, 629–686

8 Ich bedanke mich herzlich bei Egbert Herfurth, Bettina Kümmerling-Meibauer und Sebastian Schmideler für kritische Hinweise.

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Kümmerling-Meibauer, Bettina/Jörg Meibauer : On the Strangeness of Pop Art Picturebooks: Pictures, Texts, Paratexts. In: New Review of Children’s Literature and Librarianship 17 (2011), 103–121 Meibauer, Jörg/Ulrike Demske/Jochen Geilfuß-Wolfgang/Jürgen Pafel/Karl Heinz Ramers/Monika Rothweiler/Markus Steinbach: Einführung in die germanistische Linguistik. 3. Aufl. Stuttgart [u. a.] 2015 Neubert, Reiner : Sachliteratur. In: Steinlein, Rüdiger/Heidi Strobel/Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR. Von 1945 bis 1990. Stuttgart [u. a.] 2006, 903–934 Ossowski, Herbert: Sachbücher für Kinder und Jugendliche. In: Lange, Günther (Hg.): Taschenbuch der Kinder- und Jugendliteratur. Bd. 2. Medien und Sachbuch. Ausgewählte thematische Aspekte. Ausgewählte poetologische Aspekte. Produktion und Rezeption. KJL im Unterricht. Baltmannsweiler 2002, 657–682 Schulz, Gudrun: Kinderlyrik. In: Steinlein, Rüdiger/Heidi Strobel/Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR. Von 1945 bis 1990. Stuttgart [u. a.] 2006, 759–828 Vater, Heinz: Sprachspiele. Kreativer Umgang mit Sprache. In: Linguistische Berichte 221 (2010), 3–36

IV. Strukturen

Karin Richter (Erfurt)

Zwischen Erzählung und Sachliteratur. Gedanken für weiterführende Forschungen zur Kinder- und Jugendliteratur der DDR

Vorbemerkungen Ehe an einigen ausgewählten Texten der Kinder- und Jugendliteratur der DDR die Besonderheit von Mischformen, in denen Sachstoffe mit narrativen Strukturen verbunden sind, verdeutlicht werden, sind einige grundsätzliche Gedanken voranzustellen. Sie betreffen zum einen den kindlichen Rezipienten und zum anderen die Anlage von Sachliteratur, die sich fiktionaler Elemente bedient. Ich vermeide dabei bewusst den Begriff ›Hybrid‹1 und versuche, mit einer möglichst exakten Beschreibung die besondere Form der Verbindung verschiedener narrativer Elemente mit einem Sachgegenstand bzw. Sachstoff zu erfassen.

Das erfolgreiche Muster: Die Verbindung von Sachgegenstand und erzählerischer Präsentation – Historische Belletristik und/oder erzählte Geschichte Die Verbindung von Sachgegenstand und erzählerischer Präsentation hat in der Kinder- und Jugendliteratur eine lange Geschichte. Sie ist insbesondere verbunden mit der Literatur, die sich mit historischen Gegenständen befasst – und das nicht nur auf dem kinder- und jugendliterarischen Terrain. Auch im gegenwärtigen Literatur- und Medienbetrieb fällt auf, auf was für eine große Resonanz erzählte Geschichte stößt. Sie bietet sich in den unterschiedlichsten Facetten dar und bezieht sich auf verschiedene historische Perioden und Ereignisse. Auffällig ist allerdings zugleich, wie wenig im pädagogischen Rahmen 1 Ich nehme geradezu mit Unbehagen die modische Suche in der Kinderliteraturforschung sowie in der deutschdidaktischen Forschung nach Lexemen und zuweilen auch begrifflichsemantischen Feldern wahr, die weder zu einer Klarheit der Gedanken noch zu einer Qualifizierung des wissenschaftlichen Diskurses führt.

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derartigen Präferenzen der Leser und Mediennutzer entsprochen wird, um historisches Bewusstsein und Geschichtsverständnis zu entwickeln. Musterhaft sind diese Strukturen in der Wissensvermittlung historischer Gegenstände für Kinder und Jugendliche im Spannungsfeld von historischer Belletristik und erzählter Geschichte verwirklicht. Ressentiments gegenüber fiktionaler Darstellung von Geschichte existieren bis heute auch bei Fachdidaktikern. Das jüngste Beispiel dafür ist die Reaktion auf die Neuauflage eines in der DDR erschienenen Buches zum Thema ›Holocaust‹, das sich an jüngere Kinder richtet. Während Bodo Schulenburgs Markus und der Golem, in dem eine fiktionale Erzählung mit Sachinformationen verbunden ist, in einer Weise besprochen wird, die einem Verriss gleichkommt, werden mit Lob biografische Dokumente bedacht und eine »freie Fiktionalisierung, die sich unscharf mit Historischem mischt«, abgelehnt (Mönch 2014, 12). Die Kritik richtet sich an eine Bucherscheinung aus jenem DDR-Verlag, der vor allem eine Verflechtung von Sachstoffen mit narrativen Elementen ins Zentrum einer ganzen Reihe seiner Editionen stellte – dem Verlag Junge Welt. Bodo Schulenburgs Erzählung Markus und der Golem, die 1987 in der DDR erschienen war und 2014 bei Hentrich & Hentrich eine Neuauflage erfuhr, ist ein hervorragendes Beispiel fiktionaler Literatur. In ihm wird beeindruckend und zurückhaltend zugleich von der Bedrohung und Vernichtung des Lebens jüdischer Kinder erzählt, die in einem Kinderheim in Berlin-Niederschönhausen lebten und im Jahre 1942 deportiert wurden. In ihrem Nachwort zur Neuauflage charakterisiert die profunde Kennerin der Darstellung jüdischer Problematik in der Kinder- und Jugendliteratur – Gabriele von Glasenapp – Schulenburgs Text als »einzigartige Erzählung«, die mit »kindgemäßen Bezügen auf die literarischen Traditionen, die für eine lange gemeinsame deutsch-jüdische Literaturund Kulturgeschichte stehen«, verweist; die Qualität der Erzählung zeigt sich außerdem in einem gelungenen Schluss und anderen außergewöhnlichen Strukturelementen (vgl. Glasenapp 2014, 62). Schulenburgs Publikation fügte sich sehr gut in das Programm des Verlags Junge Welt ein. Der Autor gestaltet seine Geschichte in einer Art Montage aus verschiedenen Segmenten: Die Einführung trägt den Titel »Es war einmal«. Darin wird der jüdische Junge Markus vorgestellt, der sich an einen Zoobesuch mit dem Vater erinnert, aus dessen Anlass der Vater dem Jungen Max Liebermanns Bild Papageienmann schenkt. Danach erfolgt in sieben kurzen Kapiteln die Darstellung von sieben Tagen im Februar 1942, in denen Markus gemeinsam mit vielen Kindern in einem jüdischen Kinderheim lebt. Dieser Teil der Publikation ist geprägt von der inneren Welt von Markus, in dem – den Strukturen des psychologischen Kinderromans folgend – Gedanken und Erinnerungen der Hauptfigur im Mittelpunkt stehen und sich die Situation des Jungen für den Leser allmählich entfaltet: die Verhaftung seiner Eltern in der Pogromnacht im

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November 1938, seine Hoffnung, dass der Golem helfen könnte, der sich für ihn als eine Verbindung des Papageienmannes und der jüdischen Legenden-Figur darstellt. In dem sich anschließenden kurzen Kapitel »Was wurde aus Markus« wechselt der Erzählgestus: In wenigen Sätzen vermittelt der Erzähler die vage Hoffnung, dass Markus überleben konnte, aber gleichzeitig wird von der Tatsache berichtet, dass alle deportierten Kinder in den Konzentrationslagern Theresienstadt und Auschwitz umkamen. Sachliche Erklärungen zu dem historischen Hintergrund und einzelnen Fakten schließen sich an. Diese werden in der Neuausgabe anders präsentiert als in der Edition von 1987. Unterschiedlich sind auch die Zeichnungen jüdischer Kinder, die den beiden Ausgaben beigefügt sind. Der Text stellt mit all seinen unterschiedlichen Präsentationsformen eine ausgezeichnete Möglichkeit dar, bereits jungen Kindern eine ergreifende Geschichte zu erzählen und ihnen historische Hintergründe zu vermitteln. Regina Mönchs Ansicht, von der sie vorgibt, dass diese auf den Positionen der »modernen Geschichtsdidaktik« beruhe, tendiert zu einer grundlegenden Ablehnung der »Fiktionalisierung des Massenmordes« (vgl. Mönch 2014, 12) – ohne diese genauer zu charakterisieren und zu begründen. Was völlig ausgeblendet wird, sind exakte Befunde zur Wirkung derartiger Literatur bei einem jungen Lesepublikum. Dass Regina Mönch mit ihrer Distanz gegenüber der Verbindung fiktionaler Strukturen mit historischen Sachinformationen nicht allein steht, belegen zwei Erscheinungen aus der jüngsten Vergangenheit: – Für jüngere Kinder gibt es in deutscher Autorschaft keine interessanten Publikationen zum Thema ›Holocaust‹, diese erscheinen in Italien (Roberto Innocenti Rosa Weiss, Ruth Vander Zee/Roberto Innocenti Erikas Geschichte) und Frankreich (Jo Hoestlandt/Johanna Kang Die große Angst unter den Sternen). – Die in Deutschland verlegten Übersetzungen dieser Texte stoßen entweder auf geringe Wahrnehmung oder kritische Abwehr. Auch in dem kurzen, heftigen Diskurs zu Rosa Weiss offenbarte sich nicht zuletzt die Distanz gegenüber fiktionaler Darstellung von Geschichte und insofern trifft sie ganz entscheidend die literarischen Mischformen von Fiktion und Sachdarstellung. Auf diesem Hintergrund ist für mich der Rückblick auf eine Symbiose zwischen historischem Sachstoff und fiktionaler Darstellung, wie sie in der Kinder- und Jugendliteratur der DDR erfolgte, durchaus auch verbunden mit Fragen an gegenwärtige literarische Darstellungen, die diesem Muster folgen. Literaturkritiken zu Mirjam Presslers historischen Romanen (Golem, stiller Bruder ; Ein Buch für Hanna) oder auch zu Texten dieses Genres bei Klaus Kordon – um nur zwei Beispiele zu nennen – blenden sehr häufig die Frage nach den Wirkungen

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derartiger Literatur weitgehend aus. Dabei wäre angesichts der Befunde zu den favorisierten Lektüreobjekten junger Leser danach zu fragen, ob nicht gerade diese Mischformen Chancen bei einem jungen Lesepublikum haben. Und auch die pädagogische Praxis könnte durch eine Erweiterung ihres Blicks auf diese Literatur gewinnen. Die schlichten Kenntnisse deutscher Abiturienten in Geschichte – die man auch katastrophal nennen könnte – drängen direkt zu einer subtil geführten Debatte über die Darstellung historischer Ereignisse und Bewegungen in der Kinder- und Jugendliteratur und ihres möglichen Einsatzes in der Schule.

Historische Gegenstände in der Kinder- und Jugendliteratur der DDR Gerade die Darstellung von Geschichte, von den unterschiedlichsten historischen Ereignissen verschiedener Zeiten, stand in der Kinder- und Jugendliteratur der DDR im Mittelpunkt. Mit dem Blick auf zurückliegende Epochen stellte man sich nicht nur Fragen, die in die Gegenwart reichten, sondern zugleich wurde nach der Wirkung derartiger Publikationen bei jungen Lesern gefragt. In diesem Kontext stand schließlich auch die literarische bzw. poetische Präsentation historischen Geschehens. Die Art der Verflechtung von narrativen Strukturen mit sachbezogenen Vermittlungen beginnt – soweit ich es sehe – bereits in der frühen Phase der Kinder- und Jugendliteratur der DDR mit Texten von Ludwig Renn und Alex Wedding. Insofern wäre es interessant, in Forschungszugängen zur frühen DDR-Literatur danach zu fragen, inwieweit die Sachdarstellungen zur Geschichte deutlicher vorgegebenen ideologischen Mustern folgten als die narrativen Darstellungen, die durchaus ebenfalls die Vermittlung eines marxistischen Geschichtsbildes im Fokus hatten. Gerade bei ›Weltbürgern‹ und ›Kosmopoliten‹ wie Renn und Wedding könnte eine exakte Analyse ihrer zu verschiedenen Zeiten geschriebenen Texte für junge Leser Erkenntnisse erbringen für Wandlungen und veränderte Sichten auf einzelne historische Ereignisse und aktuelle Bewegungen. Von derartigen Analysen aus könnte sich der Blick auf Sachdarstellungen zur Geschichte, die im selben Zeitraum erschienen sind, schärfen. In diesem Feld läge auch eine Möglichkeit, die Forschungen zur Kinder- und Jugendliteratur der DDR zu profilieren und die nach wie vor nur oberflächlich erfasste Kinder- und Jugendliteratur der fünfziger Jahre tiefer zu beleuchten.2 2 Für diesen Vorgang der Qualifizierung wissenschaftlicher Arbeit sind zum einen jene Mischformen interessant, in denen exakte Fakten mit einer spannenden Handlung verbunden

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Bei meiner intensiveren Beschäftigung mit dem Werk Willi Meincks, in dem historische Ereignisse im Zentrum stehen (Marco Polo, Der Untergang der Jaguarkrieger, Hatifa) interessierte mich, inwieweit jener Autor seinen Schritt vom Verfasser von Geschichtslehrbüchern zum ›Erzähler‹ historischer Ereignisse im Nachhinein bewertet hat. In einem Interview, das ich mit dem Autor im Auftrag der Weimarer Beiträge führte, begründet Meinck seinen Wechsel von methodischwissenschaftlicher Arbeit zu künstlerischer Tätigkeit damit, dass wichtige Erlebnisse aus seiner eigenen Geschichte ihn zu diesem Wandel bewogen, dass ihm aber zugleich der Bezug zwischen dem individuellen Schicksal und den gesellschaftlichen und historischen Bewegungen wichtig war (vgl. Richter 1985, 78ff.). Meinck hat sich in verschiedenen Kontexten zur historischen Belletristik und zur ›illustrierten Geschichte‹ geäußert. Zu diesen beiden Ebenen tritt allerdings noch eine weitere hinzu: die Darstellung historischer Ereignisse als Projektionsfläche für die Auseinandersetzung mit gegenwärtigen Fragen und Themen. Es sollte in zukünftigen Forschungen nicht einfach um eine Darstellung gehen, die nach einem vornehmlich ideologisch geprägten Prolog Beispieltexte vorstellt und dabei gerade bedeutsame historische Romane – wie Meincks Untergang der Jaguarkrieger – gleichsam ausblendet, selbst wenn auf wenigen Zeilen deren Inhalt wiedergegeben wird (vgl. die entsprechenden Passagen in Steinlein 2006). Diese Romane verdienten eine weitaus intensivere Wahrnehmung und wissenschaftliche Analyse, als dies im Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR. Von 1945 bis 1990 der Fall ist, weil dadurch ein Gesamttableau entstehen könnte, das poetische Literatur und Sachtexte im Zusammenhang erfasst. Gedanken, die dazu in der DDR bereits in den siebziger Jahren – zum Beispiel von Herbert Mühlstädt – geäußert wurden, könnten durchaus Anregungen bieten.3 Notwendig erscheint mir daher ein theoretisch fundierter Neuansatz, für den ich bereits vor 20 Jahren plädierte (vgl. Richter 1995, 290–300); dieser Neuansatz bestünde darin, die Kinder- und Jugendliteratur der BRD und der DDR im

werden. Zum anderen steht auch eine genaue Erfassung des im historischen Roman für Kinder und Jugendliche in der DDR enthaltenen Geschichtsbildes noch aus, selbst wenn zu diesem Gegenstand im Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR. Von 1945 bis 1990 entsprechende Ausführungen enthalten sind (vgl. Langenhahn 2006). 3 Nur am Rande sei erwähnt, dass dieses wichtige Phänomen der Verbindung von Exaktheit historischer Fakten mit poetischen Erzählstrukturen auch in der Kinder- und Jugendliteraturforschung insgesamt eher ein Desiderat darstellt, vor allem, wenn man die aktuelle Literatur im Auge hat. Von Mirjam Pressler weiß ich, wie sie ihre fiktionalen Geschichten über jüdisches Leben – man denke an Malka Mai, Golem, stiller Bruder und Ein Buch für Hanna – mit einer subtilen Recherche der historischen Tatsachen verbindet. Dieser Aspekt findet allerdings in den entsprechenden literaturkritischen und literaturwissenschaftlichen Reaktionen kaum Beachtung.

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Kontext zu betrachten – das könnte gerade für die Geschichtsdarstellung in fiktionaler Literatur und Sachliteratur interessante Ergebnisse zeitigen. Deshalb möchte ich im Folgenden auf zwei Mischformen in der Kinder- und Jugendliteratur der DDR verweisen, die mir als ein bedeutsamer Vorstoß in dieser Verflechtung erscheinen, die Originalität offenbaren und zugleich auch die problematischen Aspekte derartiger Verbindungen widerspiegeln: – eine Reihe des Kinderbuchverlags zur informierenden Reiseliteratur, die ohne mit einem Reihentitel versehen zu sein, sich an Leser von 8 Jahren an richtete, sowie – eine Reihe des Verlags Junge Welt, mit der in einem Märchen ein Sachstoff transportiert werden sollte.

Die informierende Reiseliteratur In der Kinder- und Jugendliteratur der DDR fallen in den siebziger und achtziger Jahren zwei neue Zugänge zum Thema Reisen auf. Das waren zum einen an ältere Kinder und Jugendliche gerichtete, zumeist romanhafte Reiseerzählungen, in denen der junge Protagonist sich auf Reisen in das eigene Land begab, um sich selbst zu erkennen und seine Weltsicht zu erweitern. Bernd Wolfs Alwin auf der Landstraße (1971), Gerhard HoltzBaumerts Trampen nach Norden (1975), Günter Eberts Mein Vater Alfons (1977), Siegfried Weinholds Stelzenbeins Reise mit dem Onkel (1980) und Uwe Kants Die Reise von Neukuckow nach Nowosibirsk (1980) kennzeichnen dieses FigurenHandlungs-Modell. Zum anderen wurde eine Reihe im Kinderbuchverlag Berlin etabliert, die eine neuartige Form von Reportage und Reiseerzählung für jüngere Leser präsentierte, jeweils ein Land in den unterschiedlichsten Facetten vorstellte und mit viel Bildmaterial auch über die visuelle Ebene den kindlichen Betrachter erreichen wollte. Die Zielstellung aller Publikationen dieser Art lag darin, Kindern Kenntnisse über dieses Land, seine Geschichte, seine Kultur, seine geografischen Besonderheiten, seine Lebensmuster, seine Baudenkmale und ganz spezifische Details zu vermitteln. Die Präsentationsform Erzählen ist für alle Erscheinungen dieser Reihe prägend und wird auf unterschiedliche Weise mit der Darstellung von Fakten verbunden. Hervorzuheben ist, dass die Wahl der Verfasser dieser Texte keinem Zufall unterlag; es sind in jedem Fall Schriftsteller, die durch Reisen und durch eine intensive Beschäftigung mit dem entsprechenden Land über eine Fülle von soziokulturellen Kenntnissen verfügten. Trotz eines vorgegebenen Musters offenbaren die einzelnen Bände eine unterschiedliche Art dieser Präsentationsform. Vier Publikationen werden im

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Folgenden charakterisiert, um das Besondere der Erzählelemente, der Faktenauswahl und des ästhetischen Gesamttableaus zu beleuchten. Uwe Kants Roter Platz und ringsherum (1977) war der Auftakt-Band, 1978 folgten Richard Christs Der Spinatbaum in der Wüste und Willi Meincks Delibab oder Spiel mit bunten Steinen; 1981 erschien Edith Bergners Reisebuch Unterwegs mit Onkel Shiga. Richard Christs Der Spinatbaum in der Wüste fällt im Vergleich zu den anderen Publikationen vor allem durch den humorvollen Gestus und eine Gestaltungsweise auf, die den Leser gleichsam in die Geschichte hineinholt und ihn damit zum interessierten Reisebegleiter macht. Christ führt den kindlichen Leser nach Usbekistan und damit in eine orientalische Welt, die heute deutlich vom Islam geprägt ist.4 Wesentlich für den heutigen Blick auf jene Publikation ist allerdings die spezifische Darstellung des Lebens in dieser fernen Welt, die einen vordergründigen ideologischen Duktus vermeidet und die kulturellen und landschaftlichen Besonderheiten in einer Weise vorstellt, die das Interesse an diesem Land weckt. Christ, der sich mit Reportagen für Erwachsene einen Namen in der DDR gemacht hatte, erweist sich auch in seinem Buch für Kinder als begabter Reisedarsteller und -begleiter. Selbst wenn sein Einstieg in den Text einer ›kleinen Reiseschule‹ gleicht, so vermeidet er vordergründig didaktische Reisehinweise und wählt von Anbeginn einen humorvollen Duktus, ohne dass dadurch seine Darstellung verflacht. Von seinem Freund, der als Kenner des usbekischen Landes eingeführt wird, erhält der Erzähler wichtige Hinweise, die geradezu lakonisch wirken und sich dennoch als grundlegend für die Reise erweisen. Die Exotik des Landes, die Gastfreundschaft seiner Menschen, die Esskultur und die damit verbundene Haltung gegenüber dem Gast, die prächtigen kulturellen Bauten, die industriellen Probleme und Errungenschaften, die ethnisch geprägten Kunstgegenstände, die den Alltag begleiten – all das wird in Christs Reisereportage in einer Weise offenbar, die weder den alleswissenden Europäer in den Vordergrund rückt noch einen distanzierten Beobachter oder naiv staunenden Touristen vorführt. Christ zeigt sich als Entdecker der für ihn fremden Welt, in die er an der Seite seines usbekischen Reisebegleiters Chamid eintaucht. Die Wirkung der Publikation wird zudem entscheidend getragen von Gisela Röders farbigen Illustrationen, die wichtige Begegnungen während der Reise erfassen und den prächtigen Bauwerken von Buchara und Samarkand Ausdruck 4 Nach aktuellen Angaben sind knapp 90 Prozent der Bevölkerung Muslime. Christs Reisegeschichte von 1978 dürfte auch deshalb heute noch von historischem Interesse sein, weil Deutschland und Usbekistan enge Beziehungen unterhalten, aber in der deutschen Bevölkerung nur wenige Kenntnisse über dieses Land existieren.

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verleihen. Neben einem usbekischen Märchen sind im letzten Teil des Reisebuchs Informationen aus unterschiedlichen Wissensgebieten enthalten: geografische Lage, Zugehörigkeit der Bewohner zu verschiedenen Ethnien, Sprache, Kleidung, Industrie, Landwirtschaft, Kultur und Nationalgerichte. Völlig anders gestaltet sich Edith Bergners Reise nach Japan, die unter dem Titel Unterwegs mit Onkel Shiga veröffentlicht wurde. Auch dieser Band der Reihe weist eine reiche bildliche Ausstattung auf (Illustrationen von Wolfgang Würfel); und die Vielfalt der Informationen, die diese Publikation bietet, ist bestechend. Dennoch wirkt die Art der Präsentation künstlich, ihr fehlt die Leichtigkeit des Erzählens, die Christs reportageartigen Band auszeichnet. Man ahnt, dass der Reisedarstellung Edith Bergners keine reale Reise zugrunde liegt, auch wenn die Autorin versucht, den Eindruck einer tatsächlichen Begegnung mit dem Land und seinen Menschen zu vermitteln. Dabei gab es unter den Kinder- und Jugendbuchautoren der DDR wohl keine Schriftstellerin, die so eng mit der japanischen Kultur und Geschichte verbunden und vertraut war wie Edith Bergner. Ihre gesundheitliche Verfassung gestattete es der zu den führenden Kinderbuchautoren der DDR zählenden Schriftstellerin nicht, die Reise nach Japan anzutreten. Vielfältige Begegnungen und Gespräche mit japanischen Kindern und Erwachsenen, die in ihrem näheren Umfeld lebten – und vor allem ein intensives Literaturstudium – sollten diesen Nachteil ihrer ›Reise-Reportage‹ ausgleichen. In Verbindung mit ihrem Jugendroman Tosho und Tamiki (1969) und einer Vielzahl von Nacherzählungen japanischer Märchen hatte sich die Schriftstellerin japanischem Leben, japanischer Kultur und Geschichte genähert. Diese grundlegenden Kenntnisse spiegeln sich in ihrer Reisebeschreibung wider. Shiga Toku, von den Kindern Onkel Shiga genannt, wird der Reisebegleiter der Erzählerin. Die Wahl dieser fiktiven Figur erwächst aus deren Profession: Onkel Shiga ist Bildermann, ein Geschichtenerzähler. Da diese Figur in dem großen Inselreich nicht glaubhaft durchgängig der Reisegefährte sein kann, wählt Edith Bergner eine ›Erzählsituation‹, die die Reisebeschreibung an eine außenstehende Person richtet, der sie in einer Art Tagebuch ihre Erlebnisse mitteilen will, um ihr dann bei der Rückkehr dieses Buch zu übergeben. Dennoch wird keine tagebuchartige Erzählstruktur gewählt. Die Wahl des fiktiven Reisebegleiters ermöglicht es, die Leser sowohl in die Besonderheiten des Landes einzuführen als auch in den Reichtum der alten märchenhaften Geschichten, die Onkel Shiga zunächst in einem Dorf an der Küstenstraße der Insel Hokkaido erzählt und die ihn zu einer Figur werden lässt, die zwischen der realen Welt und dem Reich der Dämonen steht.

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Abb. 1 und Abb. 2 Ill. v. Wolfgang Würfel zu Edith Bergner Unterwegs mit Onkel Shiga. Kinderbuchverlag 1981

Onkel Shigas Geschichten evozieren – so gibt es der Text vor – die Neugierde der Erzählerin und bereiten den Leser auf die kommenden Reisen nach Tokyo, Yokohama, Nagoya, Osaka und Kobe vor. Onkel Shiga kommt dabei die Funktion zu, Kontakte zu Personen herzustellen – zu Kindern wie zu Erwachsenen. So kann von der japanischen Arbeitswelt ebenso berichtet werden wie von einem normalen Familienalltag, dem Geschehen in Schulen und den Träumen von Kindern. Auch Ereignisse aus verschiedenen historischen Epochen werden auf interessante Weise erzählt, allerdings gerät dabei die Funktion des Begleiters hin und wieder in Vergessenheit und kennzeichnet die Problematik dieser narrativen Konstruktion.

Abb. 3 Ill. v. Wolfgang Würfel zu Edith Bergner Unterwegs mit Onkel Shiga. Kinderbuchverlag 1981

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Dennoch ist der Informationsreichtum der ›erzählten Reise‹ beachtlich. Durch den sich der Reiseerzählung anschließenden Informationsteil – der allen Bänden der Reihe in unterschiedlicher Schwerpunktsetzung beigefügt ist – wird eine Vielfalt von Wissen über die japanische Sprache, das japanische Kaiserhaus, die verschiedenen Religionen, über die Pflanzenwelt, die Bekleidung und das Spielzeug von Kindern vermittelt. Willi Meincks Delibab oder Spiel mit bunten Steinen führt den kindlichen Leser nach Indien. 10 Jahre nach seinem historischen Roman Untergang der Jaguarkrieger schreibt Meinck diese Reisereportage. Damit kehrt er kurzzeitig zur Kinder- und Jugendliteratur zurück, während er in den Jahren dazwischen – nicht zuletzt angeregt durch seine mehrfachen Begegnungen mit Indien – einen Band mit Indischen Impressionen (Die gefangene Sonne) und einen Erzählband autobiografischen Charakters mit essayistischen Zügen (Warten auf den lautlosen Augenblick) veröffentlichte. In Warten auf den lautlosen Augenblick erfolgt der Aufriss eines inneren Lebens, der keinem chronologischen Darstellungsmuster folgt, sondern seine charakteristischen Akzente durch die Dominanz des Reisemotivs erhält. Eine beeindruckende Erzählung des Bandes, die das Merkmal einer essayistisch gefärbten Prosa trägt, verbindet sich mit Meincks Indien-Erlebnis und enthält einen Exkurs über den Buddhismus (»Monolog«), der in der Prosa der DDR einzigartig ist. Bemerkenswert an allen Indien-Impressionen von Meinck und seinen Bearbeitungen von Geschichten aus der indischen Literatur ist die Faszination, die der Schriftsteller gegenüber diesem Land zum Ausdruck bringt und die zugleich aus der durch die Begegnung mit der fremden Kultur ausgelösten Selbstbefragung nach den Koordinaten der eigenen Existenz erwächst. Auf diesem Hintergrund ist es interessant, danach zu fragen, wie sich diese Faszination in Meincks Reisereportage für Kinder niederschlägt. Meincks Reisedarstellung ist voller Überraschungen: Meint man beim Einstieg einem Reiseerzähler zu begegnen, der sich tatsächlich in der realen indischen Welt bewegt, entfalten sich immer stärker märchenhaft-phantastische Züge, die eher den Charakter einer fiktiven Situation tragen. Die Begegnung des Erzählers mit dem Jungen Belakrishnaramadschandra – genannt Krishna – bestimmt die ganze Reise. Dessen Kästchen mit den bunten Steinen enthüllt mosaikartig Landschaften Indiens, in die sich der Erzähler dann an der Seite Krishnas begibt.5 Krishnas Steine können sich auch in eine elektrische Landkarte verwandeln, mit der eine Zeitreise möglich wird. Auf diese Weise werden wichtige Ereignisse der Geschichte Indiens lebendig. Ein Geschichtsprofessor, der zuweilen Krishna und den Erzähler begleitet, verweist auf historische 5 Dabei wird für den Leser nicht der Bezug zu dem Gott Krishna (oft wird er auch als Hirtengott gedeutet) genannt, der göttliche Wahrheiten offenbart.

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Denkmäler, ohne dass in diesem Rahmen die Facetten geschichtlicher Bewegungen tatsächlich entfaltet werden. Die zentrale Funktion Krishnas als Reisebegleiter ist in der märchenhaft-phantastischen Szenerie mit dem Blick auf den indischen Alltag überzeugend und reizvoll gestaltet. Andere Personen, die Meinck in dieser Welt agieren lässt, scheinen eher dem Bestreben geschuldet zu sein, abenteuerliche Elemente in die eigentliche Handlung zu montieren, um den kindlichen Leser zu erreichen. So bleibt die Existenz und Funktion des Mannes vom amerikanischen Geheimdienst (Mister Kätschap) und des dicken Jungen, die die Begegnung mit den verschiedenen Regionen Indiens eher stören, bis zum Schluss rätselhaft. Rätselhaft – allerdings in äußerst interessanter Form – ist die gesamte Reise des Erzählers, sodass dieser sich am Ende die Frage stellt, ob dem Ganzen nur eine Delibab – eine Sinnestäuschung – zugrunde liegt. Aber das auf seinem Schreibtisch stehende Kästchen mit den bunten Steinen spricht eine andere Sprache. In dieser Schwebe endet Meincks Reisereportage der phantastischen Art. Danach folgen ein indisches Märchen und Fakten aus unterschiedlichen Sachgebieten (Geografie, Geschichte, Kultur mit Aspekten der Tiersymbolik, Natur). Der Eröffnungsband der Reihe – Uwe Kants Roter Platz und ringsherum – offenbart die Suche des Autors nach einer geeigneten Darstellungsform. Der Einstieg ist sehr deutlich von einem Dialog mit dem vorgestellten Leser geprägt, dem mitgeteilt wird, wie schwer ein derartiger Bericht angesichts der Fülle von Fakten zu schreiben ist. Da der Autor vorgibt, bei seiner Reise vielen Hunden begegnet zu sein, beginnt er mit einem Kapitel über die Hunde in Moskau. Auch andere Passagen der Reportage wirken bemüht: Es soll eine Leichtigkeit der Darstellung erreicht und eine Ebene für den kindlichen Leser gefunden werden, ehe zu einer sachbetonten Reisereportage übergegangen wird. Für diese Reportage wählt Kant bedeutende Gebäude, Personen und Ereignisse aus, um den Leser Eindrücke von dieser Stadt zu vermitteln. In diesen Sequenzen des Textes findet der Erzähler gelegentlich zu dem humorvollen Gestus, der alle Geschichten Uwe Kants auszeichnet. Ein Märchen und Fakten aus einigen Wissensgebieten schließen den Band ab. Im Unterschied zu den bereits vorgestellten Publikationen innerhalb der Reportage-Reihe, die auch heute noch in unveränderter Form rezipiert werden könnten, ist für Roter Platz und ringsherum eine Betrachtung zu finden, die in analytischer Sicht die von Kant dargestellte vergangene Zeit in Moskau auf die heutige Situation und die daraus resultierenden gesellschaftlichen Wandlungen bezieht. Dieser Blick ist allerdings nur dann sinnvoll, wenn dergestalt vordergründig Ideologisches und Holzschnittartiges vermieden werden – mit dem Ziel, Geschichtsverständnis und historisches Bewusstsein zu vermitteln.

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Abb. 4 und Abb. 5 Ill. v. Manfred Bofinger zu Uwe Kant Roter Platz und ringsherum. Kinderbuchverlag 1977

Sachmärchen: Die Verbindung eines Sachstoffes mit Märchenstrukturen Ebenso umstritten wie die Verbindung von Historie und narrativer Struktur ist die Verflechtung eines fachwissenschaftlichen Stoffes mit dem Genre Märchen. Im Verlag Junge Welt hat man sich dennoch dieses Unternehmens angenommen und Märchen in Verbindung mit Themen aus dem Bereich der Naturwissenschaften und der Technik konzipiert: Neben einem mathematischen Märchen, einem Robotermärchen, einem Bienenmärchen, einem Elefantenmärchen, einem physikalischen Märchen, einem Urwaldmärchen, einem Wildmühlenmärchen und einem Märchen über Technik wurde auch ein Märchen vom Salz veröffentlicht.6 In einigen Publikationen führte die vorgegebene Struktur zu wenig überzeugenden Leistungen: Entweder wies die märchenhafte Präsentation Brüche auf oder der Sachstoff erschien in dieser Struktur eingegrenzt und in seiner

6 Der Verlag experimentierte auch mit anderen Verbindungen eines Sachstoffes mit narrativen Strukturen. Ein Beispiel dafür ist die von Sarah Kirsch erzählte Reise von Caroline im Wassertropfen, in der auch Elemente aus Alice im Wunderland aufgenommen wurden. Auch in dieser Geschichte begegnet der Leser interessanten Details aus der Unterwasserwelt. Trotz der Verwandlungen der Figuren durch das Essen des Kuchens, der von einer Alice gebacken wurde, weist die Geschichte allerdings nur wenige Spannungsmomente auf.

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eigenständigen Entfaltung behindert, sodass nach dem Gewinn einer derartigen Symbiose gefragt werden müsste. Es gibt aber innerhalb dieser Sachmärchen mindestens zwei Publikationen, die belegen, dass ein derartiges verlegerisches Unternehmen gelingen kann, wenn der Autor Kenntnisse über den Sachstoff besitzt und über erzählerisches Talent verfügt. Beides traf auf Rainer Kirsch zu, dessen Schaffen zu Unrecht hinter dem seiner langjährigen Partnerin Sarah Kirsch zurücksteht. Rainer Kirschs mathematisches Märchen Die Perlen der grünen Nixe stellt keine Neuerfindung einer märchenhaften Geschichte dar. Der Autor nutzt Hans Christian Andersens Märchen Die kleine Meerjungfrau auf ästhetisch überzeugende Weise, füllt die vorgegebene Struktur mit neuen Variationen und entfaltet den Sachstoff auf intelligente, den Leser überraschende und anregende Weise. Es gelingt ihm, mathematische Operationen als eine Art Rätsel darzustellen und diese völlig harmonisch mit dem Märchen zu verbinden. Diese Publikation ist nicht nur die überzeugendste Leistung in dieser Reihe, sondern mit ihr wird zugleich bewiesen, dass die vom Verlag angestrebte Symbiose von Sachstoff und narrativer, märchenhafter Struktur gelingen kann. Die Illustrationen von Ruth Knorr begleiten den Text auf kongeniale Weise. Insofern wäre es durchaus sinnvoll, diese Publikation wieder neu aufzulegen. Auch Martin Karaus Salzmärchen Der König und die Graue Fee basiert auf einer literarischen Vorlage, nämlich auf Grimms Märchen Prinzessin Mäusehaut. Dieses Märchen wird nur selten in aktuelle Grimm’sche Ausgaben aufgenommen und dürfte deshalb weniger bekannt sein. Allerdings wurde der Text – wenn auch in einzelnen Strukturelementen stark verändert – 2015 im Rahmen der ARD-Märchenfilme verfilmt.

Abb. 6 Ill. v. Klaus Ensikat zu Jacob und Wilhelm Grimm Prinzessin Mäusehaut. Tulipan 2010

Prinzessin Mäusehaut gehört zu den kürzeren Märchen der Brüder Grimm; in seinem lakonisch-prägnanten Duktus bietet es einen bemerkenswerten ästhetischen Reiz. Karau nutzt diese äußerst verdichtete Form als Ausgangspunkt, um sein eigenes Märchen zu entfalten. Während bei den Grimms die Ausgangssi-

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tuation und die Lösung knapp erzählt werden ,7 entfaltet Karau diese Geschichte und nutzt sie zur ausführlichen Darstellung über die Bedeutung des Salzes. Auf seinem Weg zum Salz, zu neuen Erkenntnissen und nicht zuletzt zu seiner Tochter erfährt der König eine Läuterung und mit ihm ist der kindliche Leser um einige Kenntnisse reicher. Karaus Märchen besticht durch seine logische Konstruktion und den humorvollen Gestus. Auch dieses Sachmärchen wäre durchaus auf dem heutigen Büchermarkt für Kinder eine sinnvolle Ergänzung.

Ausblick Aus wissenschaftlicher Sicht steht allerdings nicht die Frage einer Wiederveröffentlichung dieser Texte im Vordergrund und auch erst in zweiter Hinsicht die Frage nach den Hintergründen für das verlegerische Experimentieren mit verschiedenen Mischformen. Vielmehr führen derartige Analysen vor Augen, welche Aufgaben angesichts des Medienwandels vor der aktuellen Kinder- und Jugendliteraturforschung stehen. Sie kann sich nicht auf das Beschreiben der medialen Wandlungsprozesse beschränken, sondern muss theoretisch tiefgründig alle Fragen der Produktion und Rezeption der verschiedenen Medien für Kinder erfassen und dabei die besondere, sich verändernde Stellung der Printmedien beleuchten. Die Frage der Wandlungen in den Wahrnehmungen der Medien durch kindliche Rezipienten ist bis jetzt kaum im Blick. Punktuelles Erfassen erfolgt an Stelle des Entwurfs von Forschungsdesigns, die grundlegende Aspekte der Produktions- und Rezeptionsprozesse theoretisch zu erkunden in der Lage sind. Der Aufbau eines Begriffsapparates, der ohne theoretischen Hintergrund mit immer neuen Theorieblasen verbunden ist, kann keine Lösung in Bezug auf drängende Fragen der Forschungen zur Kinder- und Jugendliteratur und der literaturdidaktischen Forschung sein. Es ist nicht zu verkennen, dass im Einzelnen durchaus interessante Ergebnisse vorliegen. Die Frage stellt sich allerdings, inwieweit tatsächlich eine anwendungsorientierte Wissenschaft in dieser spezifischen Forschungslandschaft etabliert werden kann. Damit sind nicht praktizistische Lösungen gemeint, sondern eine Auffassung von theoretischer Fundierung, die sich nicht auf einen engen Zirkel bezieht, sondern das jeweilige Feld der Praxis nicht aus dem Blick 7 Ein König will sich der Zuneigung seiner drei Töchter versichern und fragt danach, was er ihnen wert sei. Die Aussage der jüngsten Tochter, sie habe ihn lieber als Salz erschüttert ihn und lässt ihn die Tochter verstoßen. Sie verrichtet schließlich, in eine Mäusehaut gehüllt und als Mann verkleidet, Dienst bei einem anderen König, der sie nach ihrer Verwandlung heiratet. Zur Hochzeit erkennt der König seine Tochter wieder und bittet sie um Vergebung.

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verliert. Diskussionen über die Kanonliteratur, über kindliche Lektürepräferenzen, über die ästhetische Wertung von Literatur und anderen Medien leiden immer wieder darunter, dass ihnen ein exakter theoretischer Hintergrund fehlt. Natürlich stellt sich angesichts des untersuchten Textkorpus die Frage, warum davon ausgehend derartige Gedanken geäußert werden. Mir selbst wurde bewusst, dass man derartige Mischformen – als verlegerische Experimente oder als Reaktion auf kindliche Lektürebedürfnisse, die auch auf Sachliteratur ausgerichtet waren – kaum in einem größeren Kontext gesehen und dementsprechend theoretisch erfasst hat. Auch in diesem Rahmen hat in der Vergangenheit die Wissenschaft ihren Möglichkeiten und Erfordernissen nicht entsprochen.

Primärliteratur Andersen, Hans Christian/Nikolaus Heidelbach: Die kleine Meerjungfrau. In: Andersen, Hans Christian: Märchen. Weinheim [u. a.]: Beltz & Gelberg, 2004, 190–218 Bergner, Edith (Text)/Wolfgang Würfel (Ill.): Unterwegs mit Onkel Shiga. Berlin: Kinderbuchverlag, 1981 Christ, Richard (Text)/Gisela Röder (Ill.): Der Spinatbaum in der Wüste. Berlin: Kinderbuchverlag, 1978 Grimm, Jacob und Wilhelm (Text)/Klaus Ensikat (Ill.): Prinzessin Mäusehaut. In: Grimms Märchen. Berlin: Tulipan, 2010, 152–153 Hoestlandt, Jo (Text)/Johanna Krug (Ill.): Die große Angst unter den Sternen. München [u. a.]: Hanser, 1995 Kant, Uwe (Text)/Manfred Bofinger (Ill.): Roter Platz und ringsherum. Von einer Putjowka nach Moskau. Berlin: Kinderbuchverlag, 1977 Karau, Martin (Text)/Ute Hipfel (Ill.): Der König und die Graue Fee. Ein Märchen vom Salz. Berlin: Verlag Junge Welt, 1983 Kirsch, Rainer (Text)/Ruth Knorr (Ill.): Die Perlen der grünen Nixe. Ein mathematisches Märchen. Berlin: Verlag Junge Welt, 1979 Kirsch, Sarah (Text)/Erdmut Oelschlaeger (Ill.): Caroline im Wassertropfen. Berlin: Verlag Junge Welt, 1975 Meinck, Willi (Text)/Rainer Flieger (Ill.): Delibab oder Spiel mit bunten Steinen. Berlin: Kinderbuchverlag, 1978 Pressler, Mirjam (Text)/Roberto Innocenti (Ill.): Rosa Weiss. Düsseldorf: Sauerländer, 2006 Schulenburg, Bodo: Markus und der Golem. Berlin: Verlag Junge Welt, 1987 Schulenburg, Bodo: Markus und der Golem. Mit einem Nachwort von Gabriele von Glasenapp. Berlin: Hentrich & Hentrich, 2014 Vander Zee, Ruth/Roberto Innocenti: Erikas Geschichte. Düsseldorf: Sauerländer, 2003

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Sekundärliteratur Langenhahn, Sandra: Historische Erzählungen und Romane. In: Steinlein, Rüdiger/Heidi Strobel/Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/ DDR. Von 1945 bis 1990. Stuttgart [u. a.] 2006, 390–450 Meyer, Hansgeorg: Sachliteratur. In: Emmrich, Christian (Hg.): Literatur und Medienkünste für junge Leute. Berlin 1987, 238–266 Neubert, Reiner : Sachliteratur. In: Steinlein, Rüdiger/Heidi Strobel/Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR. Von 1945 bis 1990. Stuttgart [u. a.] 2006, 903–934 Plath, Monika/Richter, Karin: ›Holocaust‹ in Bildgeschichten. Mit einem Vorwort von Mirjam Pressler und dem Oscar-prämierten Kurzfilm Spielzeugland. Baltmannsweiler 2009 Richter, Karin: Interview mit Willi Meinck. In: Weimarer Beiträge. Zeitschrift für Literaturwissenschaft, Ästhetik und Kulturtheorie 31 (1985) H. 1, 76–81 Richter, Karin: Die Suche nach den lautlosen Augenblicken. Ansichten zum literarischen Werk Willi Meincks. In: Weimarer Beiträge. Zeitschrift für Literaturwissenschaft, Ästhetik und Kulturtheorie 31 (1985) H. 1, 82–96 Richter, Karin: Entwicklungslinien in der Kinder- und Jugendliteratur der DDR. Vorüberlegungen für eine neue literaturhistorische Betrachtung des kinderliterarischen Schaffens von 1945–1989. In: Zeitschrift für Germanistik. Neue Folge 5 (1995) H. 2, 290–300

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Geschichtswissen vermittelnde fiktionale Kinderliteratur der DDR: Gerda Rottschalks Kinderbücher über die Urgesellschaft

Die Kinderbücher Das Feuertier, Die Wildpferdjäger, Die Kinder Sumuts und Der Tempelschreiber von Gerda Rottschalk (1920–2001), die in den Jahren 1970 und 1971 im Kinderbuchverlag der DDR erschienen, wurden vom Verlag als »populärwissenschaftliche Erzählung[en]« angekündigt und explizit mit der Intention ihrer Veröffentlichung als Serie beworben. Ebenso ausdrücklich ist das Motiv benannt, bei der intendierten Leserschaft mit Blick auf den Geschichtsunterricht des fünften Schuljahres Interesse zu wecken und Wissen zu vermitteln. Explizit heißt es zum ersten Buch: Das »Feuertier« bildet den Anfang einer Serie populärwissenschaftlicher Erzählungen, die der Kinderbuchverlag herausgibt, um Leser von 9 Jahren an mit der Geschichte der Urgesellschaft bekannt zu machen. Der Kinderbuchverlag will damit dem weitverbreiteten Interesse der jungen Leser an dieser Thematik nachkommen und einen wissenschaftlich fundierten Beitrag zur Vorbereitung des Geschichtsunterrichts im 5. Schuljahr leisten. (Rottschalk 1980, Einband)

Die Ankündigung ruft verschiedene Aspekte auf, die nachfolgend einer genaueren Betrachtung unterzogen werden sollen. Untersucht wird, inwieweit der Anspruch, sowohl wissenschaftlicher Fundiertheit als auch dem Geschichtsunterricht der Klasse 5 der DDR zu genügen, eingelöst wurde. Darüber hinaus soll untersucht werden, was sich hinter der Bezeichnung »populärwissenschaftliche Erzählung« im Falle der Kinderbücher Gerda Rottschalks über die Urgesellschaft verbirgt und wie sie in die Entwicklung geschichtserzählender Kinder- und Jugendliteratur der DDR eingeordnet wird oder werden kann.

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Der Anspruch des Kinderbuchverlags Zur wissenschaftlichen Fundierung Zunächst ist zu konstatieren, dass der Verlag die Bücher so gestaltet hat, dass die Seriosität des Anspruchs deutlich wird. Eine den Erzählungen nachgestellte Danksagung verweist auf deren wissenschaftliche Richtigkeit: »Autor und Verlag danken Herrn Dr. Wolfgang Padberg, Dozent an der Pädagogischen Hochschule Potsdam, für seine fachwissenschaftliche Beratung.« (vgl. bspw. Rottschalk 1980, 40) Im Sammelband, der alle vier Erzählungen vereint präsentiert und zuerst 1980 erschien, steht diese Danksagung vorab (vgl. Rottschalk 1982, 2). Darüber hinaus wird im Band Die Wildpferdjäger und im Band Die Kinder Sumuts einleitend deutlich gemacht, was der Fiktionalität der Erzählungen geschuldet ist: »Die sprachliche Gestaltung der Dialoge ist eine freie Erfindung des Autors; sie ist sprachwissenschaftlich nicht zu begründen.« (Rottschalk 1973, 4; Rottschalk 1977, 4)1 Wie die fachwissenschaftliche Beratung konkret aussah, lässt sich an den Gutachten ablesen, die Wolfgang Padberg2 im Rahmen der Druckgenehmigungsverfahren für die Bücher erstellt hat und die im Bundesarchiv einsehbar sind. Im »Gutachten zum Manuskript ›Das Feuertier‹« hebt Padberg zunächst einerseits dessen grundsätzliche Bedeutung hervor, andererseits verweist auch er auf die Besonderheit der Thematik mit dem Blick auf den schulischen Geschichtsunterricht: Das gewählte Thema füllt eine wirklich bestehende Lücke in der populärwissenschaftlichen Literatur, denn meines Wissens gibt es gerade für das Erstlesealter keine Erzählungen über die ältesten Abschnitte der Menschheitsgeschichte […] Die Behandlung eines derartigen Themas aus der Geschichte der Urgesellschaft – diese Feststellung gilt auch für ähnliche Themen aus Altpaläolithikum, Jungpaläolithikum, Mesolithikum und Neolithikum – ist auch deshalb wünschenswert, weil die Kinder dadurch an einem Stoff interessiert bezw. (sic!) auf einen Stoff vorbereitet werden, der als erster im Geschichtsunterricht in der Schule gegeben wird. (BArch DR 1/2262, Bl. 260)

Bevor Padberg auf einige sachliche Fehler eingeht, betont er : Die vorliegende Schilderung aus der Zeit des Homo erectus pekinensis (Sinanthropus pekinensis alter Bezeichnung) ist in einem flüssigen, gut lesbaren Stil geschrieben und 1 Im Band Die Wildpferdjäger ist diese Einordnung ohne Unterschrift (vgl. Rottschalk 1973, 4), im Band Die Kinder Sumuts von der Autorin Gerda Rottschalk unterzeichnet abgedruckt (vgl. Rottschalk 1977, 4). 2 Dr. Wolfgang Padberg war seit 1963 Dozent, ab 1974 außerordentlicher Professor für Ur- und Frühgeschichte an der Pädagogischen Hochschule Potsdam (vgl. Wolfgang Padberg).

Gerda Rottschalks Kinderbücher über die Urgesellschaft

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– was wichtig ist – entbehrt nicht der Spannung. Das eigentliche Thema, die Ingebrauchnahme des Feuers durch den Menschen, wird dem kindlichen Leser in leicht verständlicher Weise geboten. (ebd.)

Die Fehleranalyse selbst erfolgt sehr detailliert und akribisch. Padberg achtet auf die korrekte Darstellung der Anfertigung eines Faustkeiles ebenso, wie er implizierte überholte Theorien benennt. So merkt Padberg bspw. hinsichtlich Rottschalks Beschreibungen wie »kurze behaarte Beine«, »lange Arme – kurze Beine« oder »versenkte ihr Haarkleid« an: »Die Auffassungen gehörten zu der […] geschilderten Theorie, nämlich den Menschen in einem verhältnismäßig kurzfristig abgelaufenen Evolutionsprozeß von einem behaarten, baumbewohnenden Menschenaffentyp abzuleiten. Falsch.« (ebd.) Auch »Unmöglichkeiten« kommen zur Sprache: »Feuertransport in ausgehöhlten Steinen? Wie groß und schwer sollen diese sein? – Feuerglut wird in einem Stück Bambusrohr transportiert.« (ebd.)3 Interessant ist, dass Padberg auch »ideologische Unebenheiten« anführt. Aufschlussreich ist dies deshalb, weil er darunter nichts im Sinne einer offiziellen Ideologie des Marxismus-Leninismus oder der sozialistischkommunistischen Staatsdoktrin der DDR fasst, sondern Konnotationen von aus seiner Sicht nicht wissenschaftsadäquaten Formulierungen hinterfragt: »›Urmenschenfamilie‹ – Mit dem Wort Familie verbindet sich, auch beim kindlichen Leser, ein ganz bestimmter Inhalt. Eine Horde ist aber keine Familie.«4 Oder : »Warum vom Urmenschen behaupten, er habe ›finstere kleine Augen‹ gehabt? Mit dem Wort ›finster‹ dürfte der Leser etwas Schlechtes verbinden.« (ebd.) Ähnlich verfährt Padberg in den Gutachten zu den Bänden Die Wildpferdjäger, Die Kinder Sumuts und Der Tempelschreiber. Zu den erwarteten Inhalten äußert er sich dort ausführlicher und präziser. Im Gutachten zu »Aos Sippe« (so lautete der ursprüngliche Titel der Wildpferdjäger) bspw. schreibt er, die Erzählung habe »die Zeit der ersten fest organisierten menschlichen Gesellschaft zum Inhalt«. Padberg bescheinigt der Autorin, die wesentlichsten Strukturelemente dieser ältesten Gentilgesellschaft sichtbar werden zu lassen. So wird in gut verständlicher Weise die ökonomische Basis (mit der Werkzeugherstellung, den Fernwaffen, den verschiedenen Jagdmethoden, der Wohnweise), ferner die gesellschaftlichen Verhältnisse (z. B. Stellung der Frauen, Stellung des Sippenältesten, Verhältnis zu nichtverwandten und daher feindlichen Sippen bezw. [sic!] zu befreundeten

3 In der Erzählung heißt es dann auch entsprechend: »Nun wollten die Urmenschen für sich und ihr Feuertier eine neue Wohnung suchen. Der Kräftige und der Schlanke holten besonders starke Bambusrohre herbei und fingen etwas vom glühenden Feuer darin ein. Dann brach die Horde auf.« (Rottschalk 1980, 38) 4 Hier ist Padberg mit seiner Intervention allerdings nicht erfolgreich. Im Feuertier ist zu lesen: »In einer tiefen, geräumigen Höhle, die unter einem steilen Geröllhang lag, hauste in jener Zeit eine Urmenschenfamilie, eine Horde.« (Ebd., 5)

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Sippen) und letztlich werden Erscheinungen des Überbaus (Totenkult) behandelt. (BArch DR 1/2262, Bl. 269)

Auch im (fast überschwenglichen) »Schlußgutachten zum Titel ›Der Tempelschreiber« heißt es: Es kann festgestellt werden, daß es Frau Rottschalk außerordentlich gut gelungen ist, die wichtigsten Elemente einer Stadtkultur in Mesopotamien während der 2. Hälfte des 4. Jahrtausends v. u. Z. in verständlicher Weise darzulegen. Auf der einen Seite die Ausbeuterschicht, hervorgegangen aus den Stammesältesten, die im Namen der Himmelsgöttin Inanna, mit brutaler Gewalt die eigenen Stammesangehörigen unterdrücken, Reichtümer für den Tempel anhäufen und sich selbst noch persönlich am erzielten Mehrprodukt bereichern, also Entstehung des Privateigentums in der Hand einzelner bevorrechteter Familien. Auf der anderen Seite die große Masse der ehemals freien Bevölkerung, der Bauern, Handwerker und Händler. Die zwischen diesen Schichten bestehenden sozialen Verhältnisse, zugespitzt auf die Hauptfigur der Erzählung, den Tempelschreiber Gandur, sind m. M. nach klar, eindeutig und richtig herausgearbeitet worden. Wesentlich ist, daß trotzdem die kulturellen Fortschritte, die von diesen Hochkulturen am Euphrat und Tigris erzielt wurden, in anschaulicher und zwingender Weise Berücksichtigung fanden. Neben den, im Süden Mesopotamiens lebensnotwendigen Bewässerungsanlagen bzw. -arbeiten, der Blüte monumentaler Architektur – der geschilderte ›Säulentempel‹ in Uruk – wird der Entstehung und Entwicklung der Schrift mit Recht ein großer Nachdruck verliehen. Was sollte den jugendlichen Leser wohl mehr interessieren, die Erfindung jener Methoden, die das Lesen überhaupt ermöglichen! (BArch DR 1/2264 a, Bl. 316)

Ergänzt werden soll an dieser Stelle noch, dass im Falle des Bandes »Aos Sippe« seitens Padberg »empfohlen [wird], sich Gedanken über den endgültigen Titel zu machen, da es in unserer populärwissenschaftlichen Literatur bereits ›Ao, der Mammutjäger‹ gibt (von S. W. Pokrowski, Berlin 1964, Verlag Kultur und Fortschritt).« (BArch DR 1/2262, Bl. 269) Offensichtlich auf Padbergs Anregung hin wurde also aus »Aos Sippe« letztlich Die Wildpferdjäger. Darüber hinaus ist dem Gutachten zu entnehmen, dass es zusätzlich dazu auch ein Gespräch zwischen Padberg und der Autorin gegeben hat: »Einzelne Unebenheiten und wissenschaftliche Fehler […] wurden am 30. Mai 68 in einem eingehenden Gespräch mit der Autorin, Frau R. (sic!) Rottschalk, besprochen.« (Vgl. ebd.) Dass eine fachwissenschaftliche Beratung im Wortsinn also tatsächlich erfolgte, über die gutachterliche Stellungnahme hinaus, bestätigt ein Brief von Gerda Rottschalk an Gerhard Preuß, den Illustrator der Bücher, vom 13. Dezember 1974, in dem sie darauf Bezug nimmt, sich von einem Besuch bei »Dr. Padberg« zu kennen. Sie bedankt sich darin bei Gerhard Preuß »für die

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eindrucksvollen, in den Farben vorzüglichen Illustrationen«, sie seien »großartig«.5 Überhaupt sind die Gutachten in sehr kollegialem Ton verfasst.

Zum Geschichtsunterricht der Klasse 5 der DDR Der ab dem 1. September 1966 gültige Lehrplan für den Geschichtsunterricht der Klasse 5 der zehnklassigen allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule (POS) der DDR (vgl. Lehrplan 1972, S. 2) sah zum Beispiel vor: Unterrichtseinheit 1.2. Vom Leben der Urmenschen (1 Stunde) […] Gegenstand der Behandlung im Unterricht: Das erste Auftreten der Menschen (Urmenschen) v o r 1 000 000 Jahren (Funde). / Die Urmenschen als Sammler und Jäger. / Die Werkzeuge und Waffen der Urmenschen und ihre Herstellung: […] Die Nutzbarmachung des Feuers. Unterrichtseinheit 1.3. Aus dem Leben der Sippen der Jäger, Sammler und Fischer (2 Stunden) […] Gegenstand der Behandlung im Unterricht: […] erste Anfänge künstlerischer Betätigung der Menschen […] Jagdzauber. (ebd., 12–14)

Die Beispiele ließen sich fortsetzen und würden illustrieren, dass die Bücher Gerda Rottschalks dezidiert Inhalte des Geschichtsunterrichts der Klasse 5 der DDR aufgreifen und das zum Teil sehr genau, wie man an der Thematik »Nutzbarmachung des Feuers« in Bezug auf Das Feuertier oder das Thema »Jagdzauber« in Bezug auf Die Wildpferdjäger ablesen kann. Ist die Nutzbarmachung des Feuers grundsätzliche Thematik der Erzählung, ist der Jagdzauber in die Erzählung eingebettet. Im Kapitel »Der Jagdzauber« heißt es dort: So kommt der Vorabend der Jagd heran. Nach dem Essen sind die Jäger ausgelassen und erzählen sich Erlebnisse von früheren Treibjagden. Der Zauberer ruft No, Uma und die tüchtigsten, erfahrensten Jäger zusammen. Auf geradem Weg führt er sie in die hintere Höhle. Doch wie staunen Uma und No, als sie den kuppelartigen Raum wiedersehen. Neben dem Abbild des Bären hat Ogi große, kräftige Wildpferde in die Wand geritzt und ihre Leiber mit brauner Farbe bemalt. Im Schein der Fackeln sehen die Tiere aus, als würden sie leben und sich bewegen. Die Jäger fassen sogleich ihre Waffen fester. Sie stellen sich im Kreis um Ogi, der mit dem Jagdzauber beginnt. (Rottschalk 1973, 35)

Wie zu sehen ist, gibt es einen direkten Korrelationszusammenhang zwischen den Geschichtserzählungen von Gerda Rottschalk zur Urgeschichte der Mensch5 Der Brief befindet sich im Nachlass von Gerhard Preuß, der von Anne Preuß verwaltet wird, und vom Verfasser dankenswerterweise eingesehen werden konnte.

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heit und den konkreten Kontexten des Geschichtsunterrichts der fünften Klasse in der DDR. Die sich aus dieser Beobachtung ableitenden didaktisch-methodischen Kontexte sollen im Folgenden konkretisiert werden.

Didaktisch-methodischer Kontext Ein Blick auf die didaktisch-methodische Theorie(bildung) von Unterricht der DDR zur hier interessierenden Zeit erleichtert das Verständnis dafür, in welches ›Koordinatensystem‹ die mit Blick auf Schule und speziell Geschichtsunterricht geschriebenen Kinderbücher Gerda Rottschalks gestellt wurden und waren. Dazu ist es zunächst notwendig, sich den allgemeindidaktischen Auffassungen vom Unterrichtsprozess zuzuwenden.

Zur Allgemeinen Didaktik In seiner Einführung in die Allgemeine Didaktik werden von Lothar Klingberg wesentliche Aussagen zu dem hier interessierenden Themenfeld getroffen. Wesentlich sind dabei primär die von ihm formulierten »Didaktischen Prinzipien«, worunter er auch das »Prinzip der Anschaulichkeit« fasst. Das Prinzip der Anschaulichkeit des Unterrichts als didaktisches Prinzip Nach Klingberg sind Didaktische Prinzipien […] allgemeine Grundsätze der inhaltlichen und organisatorisch-methodischen Gestaltung des Unterrichts, die aus den Zielen und den objektiv wirkenden Gesetzmäßigkeiten des Unterrichts abgeleitet sind. […] Didaktische Prinzipien sind allgemein (auch im Sinne von allgemeingültig); ihr Geltungsbereich erstreckt sich auf alle Unterrichtsdisziplinen und alle Stufen unserer sozialistischen Schule. […] Didaktische Prinzipien sind wesentlich; sie wirken auf den Unterrichtsprozeß in seiner Totalität, bestimmen alle seine Aspekte, Aufgaben und Teilprozesse. […] sie sind aber auch eine Determinante für die Auswahl und Anordnung des Bildungsgutes und für die Lehrplangestaltung. Didaktische Prinzipien sind von einer gewissen Verbindlichkeit für den Lehrer […] Diese Verbindlichkeit ist nicht administrativer Art; sie ergibt sich vielmehr aus der Logik des Unterrichtsprozesses und aus der Verpflichtung des Lehrers zu einer wissenschaftlich begründeten Unterrichtsführung. (Klingberg 1974, 252–253; Hervorhebung kursiv im Original, fett A. B.)

Im Rahmen der Ausarbeitung dieser (insgesamt 10) didaktischen Prinzipien widmet Klingberg dem »Prinzip der Anschaulichkeit« besondere Aufmerksamkeit.

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Wenn wir im folgenden das Prinzip der Anschaulichkeit des Unterrichts hervorheben, dann sind wir uns der Diskussionswürdigkeit dieser Aussage bewußt. In der didaktischen Literatur wird in diesem Zusammenhang auch vom Prinzip der »Einheit des Konkreten und Abstrakten« bzw. der »Einheit des Konkreten und des von ihm Abstrahierten« gesprochen. […] Das bekannte Prinzip der Einheit des Konkreten und Abstrakten schließt dieses »lebendige Anschauen« zwar ein, orientiert aber doch nicht entschieden genug auf die »anschauliche Seite« des Unterrichtsprozesses. Gegenwärtig gibt es Anzeichen dafür, daß die Anschaulichkeit des Unterrichts vernachlässigt wird. Aus dem richtigen Bestreben heraus, den Theoriegehalt des Unterrichtsstoffes deutlich herauszuarbeiten, kommt die Veranschaulichung unterrichtlicher Sachverhalte bei vielen Lehrern zu kurz. Mit der Betonung eines Prinzips der Anschaulichkeit des Unterrichts möchten wir dieser Gefahr begegnen und dazu beitragen, daß eine stärkere Besinnung auf die elementare didaktische Tatsache erfolgt, daß es kein Lernen ohne Anschauung gibt, daß die Anschaulichkeit ein Wesensmerkmal des Unterrichts ist. (ebd., 269)

Das Ästhetische als Prinzip des Unterrichts

Über die Problematik der »Didaktischen Prinzipien« hinaus behandelt Lothar Klingberg unter der Überschrift »Ästhetische Aspekte des Unterrichtsprozesses« auch a) »Das Ästhetische als Prinzip des Unterrichts«, b) »Das Ästhetische als Gegenstand des Lehrens und Lernens«, c) »Das Ästhetische als Gestaltungskomponente des didaktischen Prozesses« sowie d) die »Ästhetik des Lehrers«. Für den hier relevanten Kontext schließen die Ausführungen zum Ästhetischen als Gestaltungskomponente von Unterricht an das bereits erläuterte didaktische Prinzip der Anschaulichkeit an. Auch dort heißt es: »Im Didaktischen spielt, wenn auch nicht so stark wie im Ästhetischen, das Ikonische als Ausdrucksform eine bedeutende Rolle. Jeder gute Unterricht wird – ohne die Abstraktion zu vernachlässigen – im Konkreten wurzeln und das Bildhafte in seinen Dienst nehmen.« (ebd., 183) Darüber hinaus ist es jedoch notwendig hervorzuheben, dass Klingberg mit dem Ästhetischen als Prinzip des Unterrichts einen Aspekt betont, der das Ästhetische eben nicht nur in seiner Geeignetheit zur Indienstnahme reduziert. Gemeint ist die Legitimität des ästhetischen Urteils in allen Unterrichtsfächern, also auch in denen, die der [sic!] primär am Begriff, an der wissenschaftlichen Theoriebildung orientiert sind. Der Geschichtslehrer wird die großartige Kunst der Antike oder Renaissance nicht nur als Illustrationsmittel zur Verdeutlichung politischer, ökonomischer oder sozialer Zusammenhänge ›nutzen‹, sondern – vorausgesetzt, die entsprechende Fähigkeit in ihm ist entwickelt – ein solches Kunstwerk in seiner Klassizität, seiner ›zeitlosen‹ Schönheit wirken lassen. (ebd., 180)

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Zur Geschichtsmethodik Grundsätzlich sei an dieser Stelle zunächst auf den hohen Stellenwert verwiesen, der innerhalb geschichtsmethodischen Denkens der Kunst beigemessen wird. In der Methodik des Geschichtsunterrichts in den Klassen 5 und 6 (Alte Welt und Mittelalter) (Korovkin 1973) sind diesbezüglich zwei Kapitel relevant: Kapitel 2 unter der Überschrift »Die Wege zur Erkenntnis der historischen Wirklichkeit« und hierbei insbesondere § 1 »Die Widerspiegelung der historischen Wirklichkeit durch Wissenschaft und Kunst« (ebd., 36ff.) sowie Kapitel 10 »Das Rekonstruieren der historischen Wirklichkeit in den Unterrichtsmitteln durch die Mittel der Kunst« (ebd., 113ff.). Etwas ausführlicher und konkreter auf den hier interessierenden Gegenstand bezogen soll jedoch eine andere Publikation herangezogen werden. Einer der maßgeblichen Geschichtsmethodiker der sechziger und siebziger Jahre (vgl. Demantowsky 2003), Bernhard Stohr, erläutert in seiner Methodik des Geschichtsunterricht von 1968 im Kapitel »4.2. Die Sprachliche Darstellung als eine Grundform der darbietenden Methode« (Stohr 1968, 221) neben Bericht und Schilderung auch die Bedeutung von Erzählungen für die Methodik des Geschichtsunterrichts. Bezeichnenderweise wählt und zitiert er zur Illustration »einen gekürzten und unwesentlich veränderten Ausschnitt aus einem Kinderbuch« (ebd., 223). Er führt danach aus: Auch die Erzählung vermittelt Vorstellungen von einem Ereignis, aber sie zeigt uns die Einzelheiten einer historischen Erscheinung (Personen und Gegenstände) in ihrem lebendigen Zusammenwirken, sie stellt die Tätigkeit der Menschen konkret dar, sie ist also anschaulicher als alle anderen Formen der Darstellung. Und weil die Erzählung die Menschen handelnd darstellt, erregt sie in starkem Maße unsere Aufmerksamkeit. Wir fühlen und denken mit den handelnden Personen, empfinden ihr Leid, ihren Kampf und ihren Triumph stärker, unsere Parteinahme wird leidenschaftlicher und tiefer. Wir glauben, ihr Tun selbst mitzuerleben. Die Erzählung kommt daher dem Erlebnisbedürfnis unserer Schüler entgegen. Erzählungen sind meist länger als Schilderungen, da sie Zeit beanspruchen, die der Lehrer für andere didaktische Aufgaben dringend benötigt, so bleiben sie besonderen Höhepunkten vorbehalten. (ebd., 224)

Allerdings ist der »Gestaltung historischer Erzählungen in den unteren Klassen« (ebd., 226) ein eigenes Kapitel gewidmet, indem es heißt: »Die Erzählung eignet sich infolge ihrer Vorzüge besonders für den Geschichtsunterricht in den unteren Klassen. Sie entspricht dem bildhaft-anschaulichem Denken und kommt auch dem Erlebnisbedürfnis der Schüler besonders in der 5. und 6. Klasse entgegen.« (ebd.) Stohr betont aber : »Die L e h r e r e r z ä h l u n g wird ihre bevorzugte Stellung in den unteren Klassen vor allem dann behalten, wenn sie das Problematische eines Sachverhaltes zum Inhalt hat […]«. (ebd.) Er verweist u. a. auf die Erzählungen Herbert Mühlstädts, »die sich, gegebenenfalls gering-

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fügig verändert, für den Unterricht eignen.«6 (ebd.) Und er verweist auf eine »umfangreiche historische Belletristik […], auf die unsere Lehrer zurückgreifen können, wenn sie eine Erzählung für den Unterricht selbst schaffen wollen.« (ebd.) Diese Äußerung ist von besonderem Belang, denn Stohr schränkt ein: »Doch nur in den seltensten Fällen läßt sich ein Ausschnitt aus belletristischen Werken ohne Bearbeitung im Unterricht verwenden.« (ebd.) Nachfolgend exemplifiziert Stohr am Beispiel der Stoffeinheit »Aus der Geschichte der Urgemeinschaft« in Klasse 5 und des darin enthaltenen Stoffes Jagdzauber und der Erzählung S. W. Pokrowskis Ao, der Mammutjäger das Warum und das Wie einer solchen möglichen Bearbeitung. Die detaillierte Ausführung dessen würde hier zu weit führen. An dieser Stelle mag genügen, dass er im Wesentlichen auf den aktuellen Stand wissenschaftlicher Forschung rekurriert, Konzentration auf einen Darstellungsgegenstand vorschlägt und Erweiterungen in dem Sinne empfiehlt, dass bspw. am Jagdzauber die ganze Sippe teilnehmen solle. (ebd., 227–228) Schließlich leitet er »einige Hinweise auf gestalterische Besonderheiten der Erzählung für die verschiedenen Altersstufen« (ebd., 230) ab: Die Erzählung im 5. Schuljahr verlangt einen einfachen, klar gegliederten und für die Schüler überschaubaren Aufbau, der zunächst in einer Disposition festgelegt wird. Diese Disposition sollte folgende Hauptteile umfassen, sie gilt sinngemäß auch für die Erzählungen in den folgenden Klassenstufen: a) Die Einleitung7 […] b) Der Hauptteil der Handlung8 […] c) Der Abschluss der Erzählung9. (ebd., 230f.)

Stohr geht anschließend auf die Personen als Träger der Handlung ein und erläutert, dass diese so zu gestalten seien, dass sie »den zugrunde liegenden historischen Sachverhalt in typischer Form widerspiegeln und den Ergebnissen der Wissenschaft nicht widersprechen«. (ebd., 231) Von Klasse 6 an können die Figuren individueller werden und was sie denken, fühlen und wollen, kann deutlicher in den Blick genommen werden. Ab Klasse 8 sei das steigende Interesse der Schülerinnen und Schüler an den Motiven der handelnden Personen zu berücksichtigen. (vgl. ebd.) Bernhard Stohr vervollständigt seine Ausführungen um eine spannende, lebendige und anschauliche Darstellung um Überlegungen hinsichtlich dafür geeigneter sprachlicher Mittel. Er weist bspw. auf die »Bedeutung des Verbums« 6 Vgl. zur hier diskutierten Thematik Mühlstädt 1975. 7 Hier gehe es darum, dass die Schülerinnen und Schüler die handelnden Personen kennenlernen und Ort, Zeit und Ausgangspunkt der Handlung erfahren (vgl. Stohr 1968, 230). 8 Hier verweist Stohr darauf, dass es im 5. Schuljahr darauf ankomme, sich auf eine Haupthandlung zu beschränken, die zügig zum Höhepunkt und zu einer Lösung geführt werde. Im 6. Schuljahr könne die Haupthandlung durchaus durch Nebenhandlungen unterbrochen werden (vgl. ebd.). 9 Stohr hebt hervor, dass in diesem kurzen Teil die Schülerinnen und Schüler noch einmal auf das Wesentliche des Erzählten aufmerksam gemacht werden sollen (ebd., 231).

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(ebd., 254) hin, mahnt abwechslungsreichen Satzbau an (vgl. ebd., 255), setzt auf Mittel wie »eingestreute Empfindungswörter« (ebd.) und »eingeschobene Fragen« (ebd.) und betont natürlich die wörtliche Rede als wirkungsvolle Möglichkeit, anschaulich zu erzählen. Auch die Verwendung von Redensarten und das Einflechten veralteter Wörter erhöhe das Interesse an der Darstellung. (vgl. ebd.) Die anschließenden Beschreibungen Stohrs, wie der Lehrer vortragen soll, wären noch einen Blick wert. Hauptaugenmerk Stohrs für die Art des Lehrervortrags ist folgende methodische Anweisung: »Der Lehrer sollte sich einen guten Schauspieler zum Vorbild nehmen, ohne aber selbst zum Schauspieler zu werden.« (ebd.)

Die Bücher Gerda Rottschalks über die Urgesellschaft mit Bildern von Gerhard Preuß Die Erzählungen Gerda Rottschalks Die Erzählungen Gerda Rottschalks zur Urgesellschaft widmen sich vier verschiedenen Zeiten. So zeigt Das Feuertier »ein einprägsames Bild vom Leben einer Urmenschenhorde, der es vor etwa 400 000 Jahren gelang, das Feuer zu zähmen und zu nutzen.« (Rottschalk 1980, Einband) In Die Wildpferdjäger wird »ein einprägsames Bild einer Sippe von Jägern und Sammlern, die vor etwa 14 000 Jahren im bergigen Vorland der Pyrenäen lebte [entworfen]«. (Rottschalk 1973, Einband) Die Kinder Sumuts beschreibt das Leben »zweier Sippen, die zu einem Stamm von Pflanzern und Tierhaltern gehörten und vor etwa 8 000 Jahren im nordirakischen Bergland lebten«. (Rottschalk 1977, Einband) Der Tempelschreiber schließlich »entwirft ein einprägsames Bild der letzten Phase der Urgesellschaft. Priester herrschen über Bauern, Handwerker und Händler. Im Tempel beginnt die Entwicklung der Schrift und des ersten Rechensystems«. (Rottschalk 1972, Einband) So lauten die jeweiligen Einbandtexte zur Thematik der einzelnen Bücher. Jeder Band beginnt demgemäß auch mit der zeitlichen und geographischen Verortung des nachfolgend erzählten Geschehens. Im Feuertier heißt es: Wo heute in China die Stadt Peking liegt, dehnte sich vor etwa 400000 Jahren flaches Grasland, eine endlose Steppenlandschaft. Das Grasland war mit dichten Büschen und weit auseinanderstehenden Baumgruppen bewachsen. Im Osten wurde es von hohen Bergen besetzt. (Rottschalk 1980, 5)

Ab dem zweiten Buch ist diese Verortung dann um die handelnden Personen ergänzt. In den Wildpferdjägern erklärt Rottschalk: »von einer solchen Sippe

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(von Jägern und Sammlern – A. B.) handelt diese Geschichte« (Rottschalk 1973, 5). Rottschalk fügt allerdings auch Erklärungen ein wie bspw. in ihrer Geschichtserzählung Die Kinder Sumuts: »Da die Menschen noch nicht alle Naturgesetze kannten, glaubten sie, das Gedeihen des Kornes und der Tiere hinge von einer Fruchtbarkeitsgöttin, der Urmutter, ab.« (Rottschalk 1977, 5) Andererseits werden Figurenbeziehungen vorweggenommen, so bspw. im Tempelschreiber : »In ihrem Namen (der Göttin Inanna – A. B.) herrschten Priester und Stammesadlige über die Bauern, Handwerker und Händler der Stadt.« (Rottschalk 1972, 5) Die Geschichten werden im Anschluss jeweils in kurzen, überschaubaren Kapiteln in episodischer Struktur erzählt. Als geschickt gewählte Erzählstrategie Rottschalks erweist sich, dass diese Kapitel im Grunde die Geschichte als solche im Erzählfluss nur kurz »anhalten«. Im nächsten Kapitel geht es an gleicher Stelle weiter. Dieses episodische Erzählen ermöglicht das Lesen in Etappen und bietet der Verfasserin Gelegenheit, den jungen Leser aufmerksam für das jeweilig Folgende zu machen. Die Kapitelüberschriften benennen im Einzelnen Handlungsorte10, für die Personen Bedeutsames11, Geschehnisse12, Handlungen13, psychische Befindlichkeiten der Protagonisten14 und Personen Charakterisierendes15. Im Feuertier wird außerdem eine interpretatorische Komponente der gewählten Kapitelüberschriften deutlich. Die Erzählung erhält durch sie dort einen Rahmen. Ist eingangs vom Unterschlupf der Horde als »Höhle« die Rede, findet sie am Ende eine »Wohnung«. Das Behaglichere, das Sichere – durch Feuer ermöglicht – wird damit noch sinnfälliger gemacht und deutet grundsätzlich und übergreifend auf die Bedeutung des Feuers für die menschliche Entwicklung hin.

Die Bilder von Gerhard Preuß In einer Rezension zu den Büchern Gerda Rottschalks ist zu lesen: An den Illustrationen von Gerhard Preuß läßt sich mit dem kritischen Auge des Fachspezialisten wenig aussetzen. Nach meiner Überzeugung ist es hier gut gelungen, alte Zustände, für die keine direkten Vorlagen existieren, zu rekonstruieren. Die Mit10 Vgl. zum Beispiel die Kapitel »Die Höhle« oder »Die Wohnung« (Rottschalk 1980, 5 und 38). 11 Vgl. zum Beispiel die Kapitel »Die Beute« und »Das Feuertier« (ebd., 6 und 11). 12 Vgl. zum Beispiel die Kapitel »Das Erdbeben«; »Der Lichtschein«; »Die Begegnung« (ebd., 10; 17 und 30). 13 Vgl. zum Beispiel die Kapitel »Die Wanderung« und »Der Raub« (ebd., 19 und 34). 14 Vgl. zum Beispiel die Kapitel »Assans Groll« (Rottschalk 1977, 5); »Gandurs Empörung« (Rottschalk 1972, 29). 15 Vgl. das Kapitel »Die Gäste« (Rottschalk 1973, 25).

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wirkung von Dr. Wolfgang Padberg wird auch an dieser Seite der Bücher recht deutlich. Daß dabei nicht nur moderne graphische Mittel genutzt wurden, sondern auch manche Details der Figuren recht ›modern‹ wirken, scheint eher ein Vorzug, weil damit den Kindern der Zugang zu den Abbildungen aus ihrer Erlebniswelt her erleichtert wird. (Donat 1971, 89f.)

Donat hebt in der Hauptsache auf die fachliche Korrektheit der Illustrationen ab. In einem Beitrag über die »populärwissenschaftliche Illustration« äußern sich betroffene Grafiker dahingehend, dass es ihnen durchaus nicht nur darum gehe, »einen Gegenstand oder einen Vorgang naturgetreu nach[zu]bilden«, sondern mit einem Bild auch »eine Geschichte [zu] erzählen«. (Flieger/Schallnau/Wongel 1978, 68) Interessanterweise unterscheiden sie dennoch zwischen »populärwissenschaftliche[r] Illustration« und »belletristische[r] Illustration«. (Ebd., 71) Kriterium der Unterscheidung ist offenbar der Charakter des zu illustrierenden Textes. Sie haben, in der Terminologie Meyers, »die Linie der Sachliteratur« der populärwissenschaftlichen Literatur im Blick. (Meyer 1971, 35) Sie stellen sie der belletristischen Literatur generell gegenüber. Folgt man Meyer, gibt es aber innerhalb der populärwissenschaftlichen Kinderliteratur auch eine »belletristische« Linie. (ebd.) Die zitierten Grafiker schreiben: Während bei einer belletristischen Illustration schon beim Lesen die meisten Ideen kommen und umgesetzt werden können, fängt für eine populärwissenschaftliche Illustration die Arbeit erst nach dem Lesen an. Das Quellenstudium ist dabei für uns das A und O. (Flieger/Schallnau/Wongel 1978, 71)

Für den Grafiker eines belletristischen populärwissenschaftlichen Buches dürfte sich ein Sowohl-als-Auch ergeben. Und das scheint an den Illustrationen von Gerhard Preuß (1935–2014) ablesbar zu sein. Sie sind fachlich richtig und exakt, hinsichtlich dessen, was wir über die erzählte Epoche wissen können, und sind insofern der informativen Funktion populärwissenschaftlicher Literatur geschuldet. (Vgl. Binder 1986, 34) Es gibt Illustrationen, bei denen dieser veranschaulichende informative Gehalt sogar explizit im Vordergrund steht. Dabei wird auch das Bemühen von Gerhard Preuß um historische Genauigkeit deutlich, wenn man seine Illustration im Vergleich mit Abbildungen archäologischer Funde sieht (vgl. Abb. 1).

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Abb. 1 oben, Illustration von Gerhard Preuß zu Gerda Rottschalks Das Feuertier. Kinderbuchverlag 1980, 23; unten, archäologische Funde. Sachs-Hombach 2009, 52

Genauso gibt es Illustrationen, bei denen die zweite Funktion von Illustrationen in populärwissenschaftlicher Literatur, nämlich die, Emotionen zu erzeugen (vgl. ebd.), dominiert. Da geht es um die Hoffnung des Lesers, im Anblick des alle drei Jäger überragenden Bären, er sei irgendwie dennoch zu besiegen, und lässt ihn gleichzeitig verstehen und ›akzeptieren‹, dass der Sippenälteste bei diesem Kampf stirbt (vgl. Abb. 2).

Abb. 2 Illustration von Gerhard Preuß zu Gerda Rottschalks Die Wildpferdjäger. Kinderbuchverlag 1973, 22f.

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Da bewundert man den Mut, den der Junge Assan aufbringt, weil man das Messer und die Lanze des angreifenden Räubers sieht, gegen die der schmale Junge nur sein Horn aufbietet und aufbieten kann, um seine Sippe zu warnen (vgl. Abb. 3).

Abb. 3 Illustration von Gerhard Preuß zu Gerda Rottschalks Die Kinder Sumuts. Kinderbuchverlag 1977, 31

Man empört sich gegen die Ungerechtigkeit, die Gandur widerfährt, als er ausgepeitscht wird, weil er in glühender Sonne unter der Last der zu schleppenden Kübel zusammenbricht. Wie schwer diese sein müssen, lässt die Illustration von Gerhard Preuß erahnen (vgl. Abb. 4).

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Abb. 4 Illustration von Gerhard Preuß zu Gerda Rottschalks Der Tempelschreiber. Kinderbuchverlag 1972, 13

Und schließlich empfindet man Mitleid mit der grauhaarigen alten Frau, die für sich und zwei Kinder, alle Gefangene, um Wasser bittet. Es ist ein Flehen, buchstäblich auf Knien, in der Illustration von Preuß16 (vgl. Abb. 5).

Abb. 5 Illustration von Gerhard Preuß zu Gerda Rottschalks Der Tempelschreiber. Kinderbuchverlag 1972, 22f.

16 Im Text heißt es, die Frau »kauert« (Rottschalk 1972, 23).

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Darüber hinaus aber finden wir in den Büchern Illustrationen, die beide Aspekte verknüpfen. Illustrationen, die informieren und emotional involvieren.17 Wir sehen, wie die Menschen einer Horde wohl ausgesehen haben und können ihre Verunsicherung und unterschiedlichen Reaktionen mitfühlen, weil wir auch die Dunkelheit sehen, in der das weit entfernte Licht als Feuertier nur zu erahnen ist (vgl. Abb. 6).

Abb. 6 Illustration von Gerhard Preuß zu Gerda Rottschalks Das Feuertier. Kinderbuchverlag 1980, 28f.

Oder wir können erkennen, wie eine Wildpferdjagd wohl organisiert war und wie ein Speer, von dem im Text die Rede ist, ausgesehen hat. Gebannt und mitfiebernd nehmen wir aber auch die Unübersichtlichkeit und Unberechenbarkeit der Situation, die Wucht und Kraft der fliehenden, dann zurückdrängenden, anstürmenden und sich aufbäumenden Pferde und die selbstverschuldete isolierte Position des Jägers No wahr (vgl. Abb. 7).

17 Binder verweist darauf, dass beides eng zusammen gehöre und »kaum eindeutig trennbar« sei (Binder 1986, 34).

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Abb. 7 Illustration von Gerhard Preuß zu Gerda Rottschalks Die Wildpferdjäger. Kinderbuchverlag 1973, hintere Vorsatzseiten

Die bereits erwähnten und zitierten Grafiker wünschten: »Der Grafiker als Mitautor populärwissenschaftlicher Kinderbücher – das ist unsere Idealvorstellung von einem fruchtbaren Miteinander.« (Flieger/Schallnau/Wongel 1978, 71) Betrachtet man die Bücher Gerda Rottschalks diesbezüglich, gewinnt man den Eindruck, dass dort diese Mitautorschaft von Gerhard Preuß eingelöst ist. Davon, dass Rottschalk selbst die Illustrationen als »großartig« bezeichnete und dass es offensichtlich eine tatsächliche Zusammenarbeit zwischen Autorin, Illustrator und wissenschaftlichem Berater gegeben hat, war schon die Rede. Der Eindruck der Mitautorschaft stellt sich aber konkret im Text-Bild-Verhältnis sowohl quantitativ (es gibt kaum »unbebilderte« Seiten), als auch qualitativ (d. h. Text ergänzend, Text illustrierend, Text ersetzend einerseits und dem literarisch-künstlerischen Text adäquate bild-künstlerische Qualität andererseits) her. Wenn Günther im Zusammenhang mit der Illustration im Sachbuch davon spricht, dass »unsere (DDR – A. B.) Verlage […] Pionierleistungen aufzuweisen haben«, was nicht nur die »ausgewogenen quantitativen Proportionen« beträfe, »sondern vor allem die Einheit von sachlich-rationalen und ästhetisch-emotionalen Wertvermittlungen« (Günther 1988, 29), so dürfte er damit auch die hier untersuchten Bücher Gerda Rottschalks meinen.18 18 Dass er sie kennt, wird in meinem Beitrag noch deutlich.

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»Doch-nicht-Literatur«? – Die Bücher Gerda Rottschalks zwischen populärwissenschaftlicher Literatur und Belletristik In einem Aufsatz zur populärwissenschaftlichen Kinder- und Jugendliteratur fragt Hans-Peter Wetzstein (neben Wolfgang Padberg offensichtlich Gutachter von Rottschalks ersten beiden Bänden über die Urgesellschaft, vgl. Quellenverzeichnis): »Wann darf sich diese Literatur nun eigentlich Literatur nennen? Wann wird sie aus der Rolle der Stiefschwester der Belletristik entlassen […]« (Wetzstein 1978, 39). Er ist sich sicher : »Das noch weit verbreitete Verständnis von Literatur als ›Nur-Belletristik‹ und von Populärwissenschaft als ›Dochnicht-Literatur‹ wird sich wandeln.« (Ebd.) Die vier Kinderbücher Gerda Rottschalks über die Frühzeit der Menschen erfuhren mehrere Auflagen und erschienen ab 1980 auch unter dem Titel Vom Feuertier und den Wildpferdjägern (Rottschalk 1982) in einem Band zusammengefasst kontinuierlich, zuletzt 1990. Eine Verortung innerhalb der geschichtserzählenden Kinder- und Jugendliteratur der DDR scheint erfolgt. Von Marianne Lange, verantwortlich für das Kapitel »Zur Entwicklung der Epik« im Band Sozialistische Kinder- und Jugendliteratur der DDR. Ein Abriß zur Entwicklung von 1945 bis 1975 (vgl. Lange 1977), werden sie ebenso wenig erwähnt wie von Uta Strewe in ihrer Bibliographie der historischen Kinder- und Jugendliteratur der DDR (vgl. Strewe 2007, 253–272) aufgeführt.19 Im Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR. Von 1945–1990 werden sie von Sandra Langenhahn im Kapitel »Historische Erzählungen und Romane« lediglich als Beispiel für Lektüre für Leser unter 13 Jahren genannt (vgl. Langenhahn 2006, 437). Etwas »ausführlicher« beschäftigt sich die im Handbuch enthaltene annotierte Bibliographie mit Gerda Rottschalk. Bezogen auf den alle vier Bücher vereinigenden oben genannten Sammelband ist zu lesen: Dieser Band vereint die Serie Rottschalks zur »Urgesellschaft«. In insgesamt vier Kapiteln führt die Autorin mit fiktiven Sacherzählungen in die Geschichte der Urzeit bis zum Altertum ein. Angesprochen werden Leser von neun Jahren, die auf den Geschichtsunterricht in Klasse 5 vorbereitet werden sollen. Die erste Sacherzählung beginnt ihren Bericht in der Zeit vor 400.000 Jahren im Gebiet des heutigen Chinas. Stark vereinfacht, dem Lesealter entsprechend, wird das Leben der Horden beschrieben. Die zweite Sacherzählung schildert den Lebensalltag der Sippen, der Jäger und Sammler 19 Zumindest für Marianne Lange wäre eine Erklärung für das Fehlen der Bücher Rottschalks in ihrer Darstellung, dass sie aufgrund ihrer Ankündigung als populärwissenschaftliche Erzählungen von vornherein von der Betrachtung ausgeschlossen waren. In den Vorbemerkungen zum zitierten Band heißt es: »Speziellere Teile der Kinder- und Jugendliteratur der DDR, wie das Bilder- und Sachbuch, das Hör- und Fernsehspiel und den Film, klammert der Überblick aus, wie er auch auf die Bedeutung der Illustration nicht einzugehen vermag.« (o. A. 1977, 9)

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(vor ca. 14 000 Jahren). Das Zusammenleben sowohl der Horden als auch der Sippen wird konkurrenzlos, weitgehend harmonisch und als ein Verhältnis von Gleichen unter Gleichen beschrieben. Kennzeichen der Erzählungen Rottschalks ist ihr Bemühen, der marxistischen Interpretation der Frühzeit gerecht zu werden und den Kindern möglichst viele Informationen über das Leben in dieser Zeit zu geben. Beide Aspekte führen zu einer starken Minderung der literarischen Qualität, da die Handlung nur noch als Mittel zum Zweck erscheint. (Steinlein/Strobel/Kramer 2006, 1240)

Abgesehen von der Textsorten geschuldeten Begrenztheit einer annotierten Bibliographie bleiben Fragen nach der Vollständigkeit, der sachlichen Richtigkeit, der analytischen (und interpretatorischen) Seriosität sowie der Transparenz der literarischen Wertung. Folgende Aspekte sind in Bezug auf die Annotation anzumerken 1. Die Annotation bezieht ohne Begründung nur Das Feuertier und Die Wildpferdjäger in die Betrachtung ein. 2. Die pauschalisierende Aussage von einem »konkurrenzlosen« und »weitgehend harmonischen« Zusammenleben der Horde ist inhaltlich nicht plausibel. Im Feuertier wird die Horde, von der erzählt wird, aus den Jagdgründen einer anderen von dieser vertrieben.20 In den Wildpferdjäger[n] stirbt ein Sippenmitglied aufgrund persönlicher Machtambitionen.21 Zu fragen ist auch, ob die offensichtlich nicht erwähnten Kinder Sumuts und Der Tempelschreiber mit in der Charakteristik der Annotation subsumiert worden sind. 3. Es wird hinsichtlich der »marxistischen Interpretation der Frühzeit« weder erklärt, worin diese besteht, noch kenntlich gemacht, woran Rottschalks »Bemühen«, dieser zu entsprechen, abgelesen wird und werden kann. Es wird nicht offen gelegt, dass explizit Kenntnis über das Bemühen respektive die Schreibabsicht der Autorin Gerda Rottschalk besteht.22 20 Vgl. das Kapitel Die Begegnung (Rottschalk 1980, 30–33). 21 Es geht um die Position des Sippenältesten. No wird nur durch die Beeinflussung der Sippe durch den Zauberer Ogi Sippenältester. Die Mehrheit der Sippe hatte sich für einen anderen Jäger ausgesprochen. No stirbt bei der die Erzählung beschließenden Treibjagd. Sein kranker Ehrgeiz und Egoismus werden ihm zum Verhängnis: »Allen Fackelträgern und Jägern weit voraus hastet der wieselflinke No. Bevor die Treibjagd begann, hat er Ogis Fellbeutel an seine Jagdwaffen und gegen seine Arme gedrückt und gerufen: ›Ganz große Beute für No! Ganz starkes Wildpferd!‹ Ja, er will das schönste, kräftigste Pferd noch vor dem Sturz in die Tiefe mit seinem Wurfspeer töten. […] No folgt dem Pferd verbissen. Er hat seine Sippe vergessen. Er sieht nur noch dieses schöne Tier. […] No will es aus noch größerer Nähe töten und läuft ihm entgegen. Da! Rasende, zusammenbrechende, stampfende Pferde kommen auf ihn zu, holen ihn ein, bringen ihn zu Fall. Die Pferde stürmen über ihn hinweg, reißen ihn mit. No stürzt mit ihnen zusammen in die Tiefe und stirbt unter den zahllosen Hufen der im Todeskampf um sich schlagenden Pferde.« (Rottschalk 1973, 39f.) 22 Rückschlüsse lassen allenfalls die Gutachten zu Rottschalks Geschichtserzählungen zu. Padberg insistiert grundsätzlich nicht explizit darauf, er achtet auf wissenschaftliche

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4. Die Argumentation bezüglich der Wertung der Erzählungen verwundert: A) Marxistische Interpretation der Frühzeit und Informationsgehalt führen zur Minderung der literarischen Qualität. Soll dies bedeuten, aus marxistischer Weltanschauung entstehe keine Literatur? Ist damit gemeint, Information und Literatur schließen sich aus? B) Die »starke« Minderung der literarischen Qualität wird damit begründet, dass »die Handlung nur noch als Mittel zum Zweck erscheint«. Wiederum abgesehen davon, dass eine erfundene Handlung eines Autors/einer Autorin immer »Mittel zum Zweck« sein dürfte, er/sie sie erfindet, um seine/ihre Intentionen des zu Schreibenden zu manifestieren.23 Inwieweit ist die Kategorie »Handlung« als Kriterium literarischer Qualität alleinstellend? Was ist mit Figurenzeichnung, Konfliktgestaltung, Sprache? Gerda Rottschalks Kinderbuchreihe zur Urgesellschaft ist zwanzig Jahre seit ihrem Erscheinen immer wieder neu aufgelegt, also auch gelesen worden.24 Insofern wäre eine seriösere literarische Wertung durchaus angebracht und den Büchern angemessen gewesen. Zu fragen wäre: Wer liest die »marxistische Interpretation der Frühzeit« warum?25 Wer liest spannende Geschichten warum?26

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Korrektheit und zeigt dabei auch Verständnis für die Autorin. Im Gutachten zum Feuertier schreibt er : »Wenn sich im Manuskript sachliche Fehler finden, so dürfte – mit wenigen Ausnahmen – dem Verfasser kaum eine Schuld beizumessen sein. Die Forschungsergebnisse der letzten Jahre, die zu neuen Erkenntnissen führten, sind fast ausschließlich in der Fachliteratur veröffentlicht worden, die schwer zugänglich ist (z. B. ›Natur‹, London; ›Current Anthropology‹, New York; ›Naturwissenschaftliche Rundschau‹ u. ›Zeitschrift für Tierpsychologie‹)« (BArch DR 1/2262, Bl. 260). Hier wird (nebenbei) auch ersichtlich, dass zum Stand der Forschung nicht nur die »sowjetische ›Weltgeschichte‹ (Bd. 1, Berlin 1961)« zur Kenntnis genommen wurde, auf die Padberg sich im Gutachten zum Band 2 der Reihe bezieht (vgl. BArch DR 1/2262, Bl. 269). In den Gutachten zu Aos Sippe und zum Tempelschreiber werden am ehesten Positionen einer marxistischen Geschichtsschreibung deutlich, wenn von »Basis« und »Überbau« oder »antagonistischer Klassengesellschaft« und »Mehrprodukt« die Rede ist (vgl. meine Ausführungen in diesem Beitrag). Interessant ist in diesem Zusammenhang, dass in der schon erwähnten Rezension zu den Büchern Gerda Rottschalks in pointierter Weise für den vierten Band Der Tempelschreiber sogar angemerkt wird, dass es dort aus Sicht der »marxistischen Geschichtsauffassung« nicht gelänge, »den gesetzmäßigen Charakter der historischen Entwicklung voll verständlich zu machen« (Donat 1971, 91). Ist die Erfindung der Handlung von J. K. Rowlings Harry Potter nicht »Mittel zum Zweck«? Oder die Erfindung der Handlung von Cornelia Funkes Tintenherz? Allein die für vorliegenden Aufsatz verwendete Ausgabe Das Feuertier von 1980 entstammt der 8. Auflage. Bereits in dem erwähnten Brief Gerda Rottschalks an Gerhard Preuß aus dem Jahr 1974 schreibt die Autorin von einer »erfolgreiche[n] Serie«, durch die beide »eng liiert« seien. Wiederum hinsichtlich der Pluralität theoretischer Ansätze als heraushebenswert und wohl problematisch irritierend. Dass die Geschichten, » – was wichtig ist – […], nicht der Spannung [entbehren]«, kon-

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Wer taucht in eine Zeit ein, die längst vergangen ist? Wer liest aus literaturwissenschaftlicher, literaturhistorischer, literaturpolitischer Perspektive? Wer liest als Kind, wer als Erwachsener? Rottschalks Bücher versuchen den avisierten Leserkreis weder zu unter- noch zu überfordern, weder inhaltlich noch formal. Anzuerkennen ist in jedem Fall, dass sie, trotz des vorrangig intendierten populärwissenschaftlichen Charakters, als Geschichten konzipiert sind. Als Geschichten von Menschen, deren Schicksale nachvollziehbar und bemitleidenswert sind. Man hofft mit dem »Kräftigen« und dem »Schlanken«, dass »der Raub« (so ist das betreffende Kapitel überschrieben) von etwas Feuer und Glut vom Feuertier einer fremden Horde gelingen möge (vgl. Rottschalk 1980, 34ff.). Man bedauert in den Wildpferdjägern den Tod des Sippenältesten Ao beim Kampf mit dem Bären (vgl. Rottschalk 1973, 20ff.) ebenso, wie man Unverständnis gegenüber dem vermeidbaren Tod Nos bei der Treibjagd der Wildpferde empfindet. Und man weiß um die Schuld des Zauberers Ogi am Tod Nos. Er hatte No angestachelt (vgl. Anm. 7). Man bewundert den Mut des Jungen Assan, der sich einem Räuber, einem »Mann lang wie ein Baum und hart wie ein Fels« mit »Stoßlanze und […] Dolch« entgegenstellt, um den Diebstahl der Schafe seiner Sippe zu verhindern (Rottschalk 1977, 30; vgl. auch Abb. 10). Und man ist froh über die Befreiung des Tempelschreibers Gandur, der verbannt wurde, weil er zur Arbeit gezwungenen und gequälten Gefangenen, »sprechende Werkzeuge«, zur Flucht verholfen hat (vgl. Rottschalk 1972, 36ff.). Gerda Rottschalk selbst äußert sich zu ihrem Schreiben so: Meine Bücher kann man als Grenzfall zwischen populärwissenschaftlicher Literatur und Belletristik betrachten. Das ist so bei den vier Erzählungen, die sich mit der Urgesellschaft beschäftigen und das trifft auch für meine neue Serie über die Indianer zu. Ich behandle historische Themen und versuche, die sachlichen Fakten in Geschichten einzukleiden, sie mit Atmosphäre, Spannung, Abenteuern anzureichern, Kampf zu zeigen. Im Gegensatz zu den reinen Sachbuchautoren muß ich dafür wie in der Belletristik eine Fabel finden, einen Konflikt und Figuren. […] Meine Erzählungen sollen vor allem sachlich richtige Kenntnisse über historische Gesellschaftsformationen vermitteln, wie über die Urgesellschaft […] Die Fabeln meiner Geschichten müssen so gebaut sein, daß sich die historischen Verhältnisse gut ablesen lassen. Trotzdem habe ich viele Möglichkeiten, Spannungsmomente zu bringen, Kämpfe und Bewährungsproben zu zeigen. […] Ich muss aufpassen, dass ich nicht zu weit ins Belletristische gerate. Wenn ich das mal mit einem Zopf vergleiche, den ich aus zwei Strähnen flechte, dann ist die populärwissenschaftliche die Leitsträhne, die von der belletristischen umschlungen wird. Die Belletristik lebt vom Konflikt. Ich halte den

statiert, wie bereits erwähnt, zumindest für Band 1 der Reihe sogar ausdrücklich der wissenschaftliche Gutachter.

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Konflikt klein. Und die Figuren zeige ich nur in inneren Vorgängen, in ihrer Gedankenwelt, soweit das dem wissenschaftlichen Gehalt dient. (o. A. 1978, 11)

Liest man ihre vier Bücher über die Urgesellschaft, stellt man fest, dass ihr beim Schreiben entgegen ihrer Absicht die Konflikte gar nicht so klein geraten sind. Der Konflikt des Jungen Gandur beispielsweise ist schon sehr existentiell. Günther sieht ihn als »jenen Zwiespalt, der sich einem Jungen in der entstehenden Sklavenhaltergesellschaft am Euphrat mit seinem sozialen Aufstieg verbindet: sich die Moralnormen der herrschenden Klasse zu eigen zu machen und dabei menschlich zu verkümmern oder auf seine erworbene Stellung als Tempelschreiber zu verzichten«. (Günther 1988, 80) Auch ihre klare Präferenz der populärwissenschaftlichen »Leitsträhne« ist den Texten viel weniger anzumerken als behauptet. Als Indiz mag gelten, dass Günther, dem es in seiner Publikation ja um die Sachliteratur für Kinder und Jugendliche geht, zunächst den Aspekt der Figurenzeichnung hervorhebt: »Indem Gerda Rottschalk den Beziehungen des Menschen zu der ihn umgebenden Gesellschaft nachspürt, hilft sie dem Leser, sich in die jeweilige Zeit hineinzuversetzen und Verhaltensweisen zu verstehen.« (ebd.) Erst danach attestiert er ihr, dass es ihr auch gelingt, ihrer Absicht, »sachlich richtige Kenntnisse« zu vermitteln, gerecht wird: » Sie liefert aber gleichzeitig eine Menge an Sachwissen mit, das den historischen Bezugsrahmen detailgetreu erklärt.« (ebd.) Dass man sich in die Situationen, die die Figuren erleben, und in sie selbst gut hineinversetzen kann, ist nicht zuletzt auch der sprachlichen Gestaltung zuzurechnen.27 Vielleicht mit Ausnahme der aus erwachsener Lesersicht etwas gewöhnungsbedürftigen Dialoggestaltung im zweiten Band der Reihe,28 gelingt es Gerda Rottschalk sprachlich sehr wohl, den Leser in ihre Geschichten hineinzuziehen. Man spürt zum Beispiel im Feuertier die Geborgenheit und die Gemütlichkeit der Schutz vor den Unbilden des Wetters bietenden Höhle ebenso, wie man die sprichwörtliche Ruhe vor dem Sturm, vor der Katastrophe des Erdbebens, infolge dessen das Feuertier verlischt, fürchtet: Draußen war es inzwischen dunkel geworden. Der Regen fiel wieder in Sturzbächen vom Himmel. Der Sturm tobte um den Hügel. Blitze zuckten, Donner krachten. Unheimlich klang es, schaurig und beängstigend. Die Horde hatte sich in der Höhle eng 27 Offensichtlich las der wissenschaftliche Gutachter die Manuskripte auch darauf hin genau. Er beurteilte nicht nur, wie oben ersichtlich den allgemeinen »Stil«, sondern merkte auch detaillierter aus seiner Sicht Verbesserungswürdigendes an: » ›- - sammelten so viele Früchte, Knollen und Wurzeln‹ – leider eine sehr häufig wiederkehrende, stereotype Redewendung […] ›- - faserige, mehlige Holz‹ Ein Adjektiv sollte fortgelassen werden […] ›Nach der Abendmahlzeit‹ – Abendmahlzeit klingt etwas zu modern. Vielleicht kann ein anderer Ausdruck gefunden werden.« (BArch DR 1/2262, Bl. 270) 28 Dort versucht die Autorin eine Ahnung von der noch wenig entwickelten Sprache der damaligen Menschen zu vermitteln.

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aneinandergedrückt. Der alte Mann löste die Frau bei der Wache über das Feuertier ab. Die Frau aber suchte sich, wo Gras und Blätter aufgehäuft lagen, einen Schlafplatz. Das Kind folgte ihr und kuschelte sich dicht an sie. In der Höhle war es warm. Es roch nach gebratenem Fleisch, nach frischem Laub, nach reifen Beeren. (Rottschalk 1980, 10)

Gerda Rottschalk erzählt auch spannend. Die Katastrophe erwartet der Leser, weil das Kapitel, das mit der oben zitierten Schilderung beginnt, die Überschrift »Das Erdbeben« trägt. Die Stimmung im Text schlägt um. Der alte Mann am Feuer war eingenickt. Plötzlich fuhr er hoch. Der Höhlenboden schwankte. Der Steilhang über der Höhle bewegte sich. Davon erwachte die Horde. Das Kind schrie hoch und spitz. Angstvoll klammerte es sich an die Frau. Auch sie schrie. Alle Bewohner der Höhle zitterten, suchten einen Halt, klammerten sich aneinander. Über ihnen schien der Hügel zu bersten. Steine polterten. Die Erde bebte. (ebd., 11)

Hier unterbricht Rottschalk kurz und fügt für das nachfolgend Erzählte die Überschrift »Das Feuertier« ein, was die Ahnung des Lesers, es kommt noch schlimmer, verstärkt. Und tatsächlich setzt Rottschalk fort: Der Kräftige sah es zuerst: Steinbrocken fielen ins Feuer. Er wollte es retten. Doch bevor er Glut in einen Tierschädel sammeln konnte, krachten Geröll und Sandmassen vor dem Höhleneingang nieder. Das Feuer erlosch. Nun war es stockfinster. Unsägliche Angst packte die Horde. Die Urmenschen prallten im Dunkeln aneinander, stießen gegen Höhlenwände, fielen, sprangen wieder auf. Wohin? Wohin? Sie suchten nach dem Ausgang. Sie fanden ihn nicht. Sie suchten das Feuertier. Wo war es? Wo? Warum hatte sie das alles erhellende, wärmende, schützende Feuertier verlassen? Weg war es, weg! Oder war es tot? (ebd., 11f.)

Dass Rottschalk nicht nur anschaulich erzählen kann, sondern mögliche Erzählweisen auszuschöpfen versucht, um spannend zu bleiben, zeigt, dass sie das Geschehen an dieser Stelle anhält und in einer Rückblende erzählt, wie Vorfahren der Horde, von der die Rede ist, das Feuertier vor langer Zeit entdeckt und sich zu Nutze gemacht hatten. Der Leser versteht die Bedeutung des drohenden Verlustes, die Tragik der Frage »Oder war es etwa tot?«, weil er von der mühsamen Zähmung des Feuertiers und der damit verbundenen Verbesserung des Lebens der Menschen liest. (vgl. ebd., 11–17) Danach zur Kenntnis nehmen zu müssen, dass das Feuertier tatsächlich für die Horde nicht mehr existiert, trifft den Leser um so mehr. »Der Kräftige stand auf. Was war geschehen? Da erinnerte er sich an das Unheimliche: das Getöse, das Feuer! Hier, wo er jetzt stand, hatte das Feuertier gelebt.« (ebd., 18)

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Resümee In seiner Bilanzierung der Entwicklung der Sachliteratur für Kinder und Jugendliche der DDR von 1946 bis 1986 stellt Harri Günther fest, dass »das mit erzählerischem Gestus gestaltete Sachbuch hauptsächlich in der Kinderliteratur angesiedelt« sei. (Günther 1988, 79f.) Die Verknüpfung der Sachinformation mit dem Reich der Phantasie erheischt vom Autor nicht nur solide Kenntnisse des Stoffs und literarisches Talent, sondern auch eine bestimmte Sensibilität für die Wünsche und Lesererwartungen der Kinder. Alle diese Voraussetzungen besitzt in ausgeprägten Maße Gerda Rottschalk, die Ende der sechziger, Anfang der siebziger Jahre vier Bände vorlegt, in der sie jüngere Leser (ab 9 Jahre) mit einzelnen Entwicklungsstufen der Urgesellschaft vertraut macht (»Das Feuertier«, 1969; »Die Wildpferdjäger«, 1970; »Die Kinder Sumuts«, 1971; »Der Tempelschreiber«, 1972). (ebd., 80)

Er schätzt als »folgerichtig« ein, dass die vier Geschichten vom Kinderbuchverlag immer wieder vorgelegt werden. Es spräche für die »Lebensfähigkeit dieses Werkes«. (ebd.) Aus Sicht der hier vorgelegten Untersuchung scheint die exponierte Stellung der Bände Rottschalks über die Urgesellschaft in der Bilanz Günthers gerechtfertigt. Drei Aspekte seien zusammenfassend festgehalten: 1. Gerda Rottschalks Geschichten über die Urgesellschaft sind Beispiele dafür, wie sich Literatur offensichtlich eindeutigen außerliterarischen Zuschreibungen auch in der Kinderliteratur der DDR entzieht. Der eine erwartet den »volle[n] Wahrheitsgehalt der marxistischen Geschichtsauffassung« (Donat 1971, 91) und findet ihn nicht, der andere konstatiert eine »starke Minderung literarischer Qualität« u. a. mit der Behauptung, sie illustrierten lediglich genau das. (s. o.) 2. Gerda Rottschalks Geschichten über die Urgesellschaft sind Beispiele für den gelungenen Spagat zwischen den an sie gestellten Forderungen nach wissenschaftlicher Korrektheit, nach Berücksichtigung der didaktisch-methodischen Ansätze in der DDR für Unterricht allgemein und hinsichtlich der Erzählung im Geschichtsunterricht im Besonderen, nach literarischer und bild-künstlerischer Qualität und nicht zuletzt, Günther hat es expliziert, nach Berücksichtigung des adressierten Lesers ab 9 Jahre. 3. Gerda Rottschalks Geschichten über die Urgesellschaft sind Beispiele für gelungene Ergebnisse des Ringens um populärwissenschaftliche Literatur in der DDR. Hansgeorg Meyer schreibt diesbezüglich zur Zeit des Erscheinens der Bücher Rottschalks: Neue Qualität – es galt, die populärwissenschaftliche Kinderliteratur aus dem traditionellen Nachtrab der Wissenschaftsentwicklung heraus und hin auf die Höhe der Zeit

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und aus dem Nachtrab der literarischen und künstlerischen Entwicklung heraus und hin zu einer eigenen neuen literarischen Qualität zu führen. (Meyer 1971, 33f.)

Primärliteratur Rottschalk, Gerda: Das Feuertier. 8. Aufl. Berlin: Kinderbuchverlag, 1980 [EA Berlin: Kinderbuchverlag, 1970] Rottschalk, Gerda: Die Wildpferdjäger. 4. Aufl. Berlin: Kinderbuchverlag, 1973 [EA Berlin: Kinderbuchverlag, 1970] Rottschalk, Gerda: Die Kinder Sumuts. 6. Aufl. Berlin: Kinderbuchverlag, 1977 [EA Berlin: Kinderbuchverlag, 1971] Rottschalk, Gerda: Der Tempelschreiber. 2. Aufl. Berlin: Kinderbuchverlag, 1972 [EA Berlin: Kinderbuchverlag, 1971] Rottschalk, Gerda: Vom Feuertier und den Wildpferdjägern. 2. Aufl. Berlin: Kinderbuchverlag, 1982 [EA Berlin: Kinderbuchverlag, 1980]

Sekundärliteratur Binder, Eberhard: Informative und emotionale Wirkungen. Gedanken zur Sachbuchillustration. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 81 (1986), 34–41 Demantowsky, Marko: Die Geschichtsmethodik in der SBZ und DDR – ihre konzeptuelle, institutionelle und personelle Konstituierung als akademische Disziplin 1945–1970. Idstein 2003 Donat, Peter : Gerda Rottschalk: »Das Feuertier«, »Die Wildpferdjäger«, »Die Kinder Sumuts«, »Der Tempelschreiber«, alle Kinderbuchverlag. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 19 (1971), 87–91 Flieger, Rainer/Thomas Schallnau/Günter Wongel: Populärwissenschaftliche Illustration – Stiefkind der Grafiker? In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 49 (1978), 68–72 Günther, Harri (unter Mitarbeit von Joanna Günther): Die Sachliteratur für Kinder und Jugendliche in der DDR von 1946 bis 1986. Berlin 1988 Klingberg, Lothar : Einführung in die Allgemeine Didaktik. Vorlesungen. 2. Aufl. Berlin 1974 [EA Berlin 1972] Korovkin, Fedor P. (Hg.): Methodik des Geschichtsunterrichts in den Klassen 5 und 6: (Alte Welt und Mittelalter). Gekürzte, von F. P. Korowkin autoris. Übers. aus d. Russ. 1. Aufl. Berlin 1973 Lange, Marianne: Zur Entwicklung der Epik. In: Sozialistische Kinder- und Jugendliteratur der DDR. Ein Abriß zur Entwicklung von 1945 bis 1975. Berlin 1977, 84–230 Langenhahn, Sandra: Historische Erzählungen und Romane. In: Rüdiger Steinlein/Heidi Strobel/Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/ DDR. Von 1945–1990. Stuttgart [u. a.] 2006, 389–450 Meyer, Hansgeorg: Populärwissenschaftliche Kinderliteratur. Bilanz und Perspektive. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 19 (1971), 28–39 Lehrplan für Geschichte Klasse 5 (Ausgabe 1972). Berlin 1972

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Mühlstädt, Herbert: Der Geschichtslehrer erzählt. Bd. I. 7. Aufl. Berlin 1975 o. A.: Vorbemerkung. In: Sozialistische Kinder- und Jugendliteratur der DDR. Ein Abriß zur Entwicklung von 1945 bis 1975. Berlin 1977, 9–10 o. A.: Sie schreibt über Indianer. In: Trommel. Zeitung für Leser ab zehn 31 (1978) H. 7, 11 Sachs-Hombach, Klaus (Hg.): Bildtheorien. Anthropologische und kulturelle Grundlagen des Visualistic Turn. Frankfurt/M. 2009 Stohr, Bernhard: Methodik des Geschichtsunterrichts.. Probleme der methodischen Gestaltung des Geschichtsunterrichts in der allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule. Berlin 1968 Strewe, Uta: »Bücher von heute sind morgen Taten« – Geschichtsdarstellungen im Kinderund Jugendbuch der Deutschen Demokratischen Republik. Frankfurt/M. 2007 Wetzstein, Hans-Peter : Verführung zum Lernen. Bemerkungen zu einigen Grundsätzen unserer populärwissenschaftlichen Kinder- und Jugendliteratur. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 49 (1978), 39–44

Quellen BArch DR 1/2262, Bl. 260–261 Gerda Rottschalk: Das Feuertier ; Druck-Nr. 270/83/70 (270/84/69, 270/92/68); 1970 (1969, 1968); Gutachten: Hans-Peter Wetzstein, Wolfgang Padberg BArch DR 1/2262, Bl. 269–270 Gerda Rottschalk: Die Wildpferdjäger ; Druck-Nr. 270/82/70; 1970; Gutachten: HansPeter Wetzstein, Wolfgang Padberg BArch DR 1/2264 a, Bl. 309 Gerda Rottschalk: Die Kinder Sumuts; Druck-Nr. 270/78/71; 1971; Gutachten: Heidemarie Wild, Wolfgang Padberg BArch DR 1/2264 a, Bl. 316–317 Gerda Rottschalk: Der Tempelschreiber ; Druck-Nr. 270/259/71; 1971; Gutachten: Heidemarie Wild, Wolfgang Padberg

Internetquellen Wolfgang Padberg. https://de.wikipedia.org/wiki/Wolfgang_Padberg (22. 11. 2016)

Thomas Arnold (Chemnitz/Leipzig)

Historische Erzählungen im Schulunterricht. Herbert Mühlstädts »Der Geschichtslehrer erzählt« im geschichtsdidaktischen Kontext

»Es ist Nacht …« (Mühlstädt 1966, 55) – wohl kaum ein Kind hört bei einer Geschichte, die mit diesen Worten beginnt, nicht gerne zu! Verspricht es doch spannend zu werden … Oftmals werden gerade Erzählungen für didaktische Zwecke mit solchen »Raffinessen« eingekleidet, um den eigentlichen Inhalt zielsicher zu transportieren. Insbesondere historische Unterrichtsstoffe können auf diese Art und Weise hervorragend zum Leben »erweckt« werden, ist doch Geschichte letztlich nichts anderes als einmal gelebtes Leben. Bei genauerer Betrachtung lässt sich eine reiche Tradition der Bemühungen um narrative Vermittlung von Geschichte vor allem im Osten Deutschlands feststellen, wobei Herbert Mühlstädt (1919–1988) als ein Meister und eine zentrale Figur dieses Genres hervorzuheben ist. Seine Begeisterungsfähigkeit lässt sich anhand der erwähnten »nächtlichen Szenen« gut nachvollziehen, da sich gerade dieses Stilmittel wie ein roter Faden durch seine Bände Der Geschichtslehrer erzählt zieht und quer durch die veranschaulichten geschichtlichen Epochen genutzt wird, um Spannung zu erzeugen. Dies soll anhand einiger Einleitungen zu verschiedenen Episoden beispielhaft verdeutlicht werden. So beginnt die das Leben der Urmenschen veranschaulichende Erzählung Nashornjagd mit einem stimmungsvollen Bild der Nacht: Mondhell ist die Nacht. Die Waldsteppe mit ihren Gebüschen, Baumgruppen und kleinen Gehölzen schimmert gelblichweiß. Im Wasser des Sees mit den schilfbewachsenen Ufern spiegelt sich das Mondlicht. Nicht weit vom Ufer entfernt, auf einer kleinen Anhöhe, lagert eine Horde. Zusammengekuschelt schlafen die Kinder. Auch die Frauen ruhen. Aber Umo der Anführer und die anderen Männer liegen wach am Boden und starren in die nächtliche Steppe. (Mühlstädt 1969, 16)

Wer würde hier nicht neugierig auf den Fortgang des Geschehens? Auch der Text Aufstand unter Thomas dem Slawen (821–825) bedient sich einer reizvollen Kulisse:

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Nächtliche Stille liegt über Kleinasien. Seine Bewohner schlafen, müde von der Arbeit auf den Feldern und Weinbergen, in den Gärten und Werkstätten. Auch entlang der Militärstraße, die quer durch das Land zur Hauptstadt des byzantinischen Reiches führt, herrscht Ruhe. Nur auf den hohen Steintürmen, die in Abständen von einer Wegstunde an der Straße stehen, sind die Besatzungen hellwach. (Mühlstädt 1974, 63)

Förmlich mit Händen ist das Interesse an den Ursachen der Unruhe zu greifen. Ebenso wie in der Schilderung des frühmittelalterlichen Bauernwiderstands Ein Teil der Ernte wird verheimlicht: Die Sommernacht ist mondhell. Auf den Feldern hinter dem Dorf trocknet das Korn. In langen Reihen stehen die Hocken auf den Feldern. Obwohl es Nacht ist, arbeiten die Bauern. Sie räumen jede dritte Hocke ab und tragen sie zum nahen Wald. Dort ist eine große Grube ausgehoben. Garbe um Garbe verschwindet in der Grube. »Sputet euch«, sagt ein Bauer, »die Sommernacht ist kurz. Und morgen ist es zu spät …« (Mühlstädt 1965, 32)

Warum es denn zu spät ist und was diese nächtliche Aktion bezweckt – diese Fragehaltung motiviert unweigerlich zum weiteren Verfolgen der Szenerie. Auffällig ist, dass der Eingangssatz fast identisch zum erstgenannten Beispiel ist – offensichtlich hatte Mühlstädt eine Vorliebe für dieses Element. Schließlich greift er es auch bei der narrativen Einkleidung einer sozialdemokratischen Schmuggelaktion der »Roten Feldpost« des ausgehenden 19. Jahrhunderts wieder auf: Mitternacht. Ein Ruderboot überquert den Bodensee. Vom Schweizer Ufer kommend, nähert es sich dem deutschen Ufer. Sein Ziel ist eine kleine, von Weidenbüschen umgebene Bucht. Zwei Männer sitzen im Boot. Vorsichtig tauchen sie die Ruder ins Wasser. Im Boot liegen mehrere Ballen, gut verpackt und fest verschnürt, denn sie enthalten kostbares Gut … (Mühlstädt 1966, 169)

Obgleich die ideologische Färbung der Geschichten stellenweise unverkennbar ist, lässt sich erzählerisch und methodisch feststellen, dass sich Mühlstädt darum bemüht hat, seine jungen Adressaten unweigerlich in den Bann zu ziehen. Bereits kleinste Details lassen erahnen, wie sehr der Autor zu diesem Zweck um Genauigkeit gerungen hat – eine Genauigkeit, die mehr beabsichtigt, als nur spannend sein zu wollen. Im vorliegenden Beitrag soll Mühlstädts Werk unter dem Primat der Wissensvermittlung näher untersucht und vor allem der Frage nachgegangen werden, wie sich seine Erzählstoffe für den Geschichtsunterricht in die Entwicklung der Geschichtserzählung im geteilten Deutschland einordnen lassen.

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Die Bedeutung der Geschichtserzählung als Gegenstand der Geschichtsdidaktik im geteilten Deutschland im Vergleich Im Westen Deutschlands vollzog sich die Diskussion um den Einsatz von narrativen Stoffen im Geschichtsunterricht vielschichtig und teilweise widersprüchlich – gab es hier doch die Möglichkeit eines echten Ringens um Standpunkte. Entsprechend hoch ist die Zahl der Veröffentlichungen zu diesem Thema, während in der DDR von Anfang an eine Beschränkung auf einen Verlag (Volk und Wissen) und eine Sichtweise (marxistisch-leninistisch) vorgenommen wurde und damit Belege zwangsläufig überschaubarer sind. Deutlich wird bei eingehender Betrachtung vor allem eines: Es gibt keine schlüssige verallgemeinerbare Definition des Genres Geschichtserzählung – dieses ist vielmehr per definitionem immer vor dem Hintergrund der jeweiligen gesellschaftlichen Sichtweise zu verstehen – wie auch der Geschichtsunterricht der DDR wegen seiner Nähe zur staatstragenden Ideologie durchaus kontrovers diskutiert werden kann. Bei der Darstellung des didaktisch-methodischen Disputs möchte ich mich im Wesentlichen auf Veröffentlichungen aus dem zeitlichen Umfeld der Entstehung der Mühlstädt-Bände beschränken und im Folgenden mit einer kurzen Skizzierung der Entwicklung in Westdeutschland beginnen. Dieser Vergleich dient insbesondere dem Zweck, das geschichtsdidaktische Potenzial aufzuzeigen, das Geschichtserzählungen in den sechziger, siebziger und achtziger Jahren aus theoretischer Sicht in Ost und West hatten.

Zur Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland Wolfgang Marienfeld und Wilfried Osterwald werfen 1966 mit dem methodischen Handbuch Die Geschichte im Unterricht bereits durch den mehrdeutigen Titel eine grundsätzliche Frage auf: Ist Geschichte im Zeitalter der Naturwissenschaft noch ein sinnstiftender Unterrichtsinhalt und wenn ja, mit welchen Methoden lässt sich dieser betreiben (vgl. Marienfeld/Osterwald 1966, 7ff.)? Natürlich brechen sie eine Lanze für die Geschichte – und zwar in doppelter Hinsicht: Die geschilderten Möglichkeiten führen immer wieder auf erzählende Elemente hinaus. Dabei schildern sie eingangs gründlich die dieser Vermittlung zugrunde liegenden Voraussetzungen, die bei der Umsetzung konsequent Berücksichtigung finden. Zunächst wird ein dem Kinde innewohnendes naives Geschichtsdenken (vgl. ebd., 36f.) beschrieben – ohne dieser These jedoch ein konkretes Alter zuzuordnen. Vermutlich gehen sie vom frühen Sekundarstufenalter aus, denn ihrer

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Ansicht nach kommt das Kind aus der Märchen- und Sagenwelt und wendet sich allmählich der Geschichte zu (vgl. ebd., 37). In dieser Phase vermengt sich Realistisches mit Phantastischem (vgl. ebd., 37) und somit geraten übermächtige Subjekte zum konstitutivem Bauelement des jugendlichen Geschichtsbildes (ebd., 38). Weiterhin sei eine »wertende Grundeinstellung« (ebd., 41) als Element des naiven Geschichtsdenkens anzusehen, die sich in einem sogenannten »Gruppenegoismus« (ebd., 42) äußere – gemeint ist eine unreflektierte Parteinahme zugunsten der eigenen Gruppe (national, sozial, kirchlich, …). Schließlich wird das naive Geschichtsdenken noch durch das Empfinden von Geschichte als »vorbestimmte und übermächtige Geschichtswalze« gekennzeichnet (vgl. ebd., 44), wobei die Schüler entweder anonyme Kräfte oder genau bestimmbare zentrale Ursachen (»Universalschlüssel zum Tor der Geschichte«; ebd., 44) am Wirken sähen. Gerade Letzteres kann in seiner beschriebenen Deutlichkeit durchaus als Beleg der Verpflichtung des Lehrers zur Vermeidung eines monokausalen (bspw. kommunistischen) Geschichtsbildes gelten. Nach Auffassung der Autoren setzt ein echtes Geschichtsbewusstsein erst dann ein, wenn die Kinder in der Lage sind, zwischen Geschichten und Geschichte zu unterscheiden, dies wird als »Grundvoraussetzung für Geschichtsunterricht« (ebd., 65) gewertet. Beispielhaft führen Marienfeld und Osterwald eine als ungünstig erachtete Geschichtserzählung zur Christianisierung der Germanen an (vgl. ebd., 69), wo sich in der Interpretation der Schüler beide Ebenen vermischen konnten und so zu einer Verzerrung führten. Sodann wird auf das spezifische Leseinteresse des (altersmäßig damit nun näher eingegrenzten) Fünftklässlers eingegangen (vgl. ebd., 71): Dieser »möchte ein außergewöhnliches, handlungsreiches und dramatisches Geschehen vorgestellt bekommen, das sich einmal wirklich ereignet hat«. Dies entnehmen die Autoren zahlreichen sorgfältig ausgewerteten Schülerinterviews, ebenso wie ein Interesse an »großen Gestalten, an Kämpfen und Kriegen« (ebd., 72). Am Beispiel weiterer Erzählvorlagen stellen Marienfeld und Osterwald fest, dass Kinder sich bei der Verarbeitung des dargebotenen Materials »leicht in der Vielfalt und Buntheit von Einzelheiten, deren geringe Sachbedeutung nicht erkannt wird«, verlören (ebd., 77). Hier nun beginnen die vorgenannten Grundlagen in konkrete Hinweise für die Gestaltung von Geschichtserzählungen zu münden, denn: Es dürfe nicht verkannt werden, dass »für den Erwachsenen Nebensächliches für das Kind sehr wohl der Haken sein kann, an den sich sein Verständnis klammert« (ebd., 79). Es seien besonders solche geschichtlichen Inhalte einprägsam, die den Interessen und Verstehensmöglichkeiten des Kindes entgegenkommen (vgl. ebd., 81), und dies ließe sich durch eine handlungsreiche Lehrerdarbietung sehr einprägsam umsetzen. In Form der Geschichtserzählung seien nun aus Sicht der beiden Autoren folgende Elemente wichtig:

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– Geschichtliche Phänomene werden individualisiert und somit ist ein Nacherleben bzw. eine Identifikation möglich. (vgl. ebd. 108) – Der Charakter der Erzählung solle mehr dramatischer als epischer Natur sein. (vgl. ebd., 108) – Die Schilderung soll von den Komparsen her erfolgen, nicht so sehr aus Sicht der großen Handelnden. (vgl. ebd., 109) – Ein Höchstmaß an Anschaulichkeit und Bildhaftigkeit ist zu gewährleisten. (vgl. ebd., 109) – Die Figuren müssen in ein spezifisches Zeitkostüm hineingestellt werden. (vgl. ebd., 110) – Die Darbietung muss eine handelnde Auseinandersetzung möglich und nötig machen. (vgl. ebd., 112) Es wird jedoch nicht versäumt, auf Einwände bzw. Bedenken einzugehen, die in der methodischen Diskussion der Nachkriegszeit in Westdeutschland beharrlich vorgebracht wurden: – Überwuchern des eigentlich Wichtigen durch sachfremde Motive, – Verfälschung der historischen Wahrheit, – fehlende Zeit für gründliche Fundierung des Lehrers, – bloße Abfolge von erzählten Bildern. (vgl. ebd., 124) Diese Argumente dienen hier eher als Hinweis auf vermeidbare Schwachstellen, finden sich aber bis in die neuere Zeit bei Kritikern des Genres immer wieder – was wiederum auf ein permanentes Problem verweist, das auch durch reichhaltige methodische Forschung bzw. Literatur offensichtlich nicht ausgeräumt werden konnte. Es stellt sich die Frage, ob dies überhaupt leistbar ist oder vielleicht sogar eher am Kern des Erreichbaren vorbeigeht. Im Literaturverzeichnis (vgl. ebd., 277f.) verweisen Marienfeld und Osterwald auf nicht weniger als 20 Werke, die ausschließlich Erzählungen bzw. Erzählvorlagen für den Geschichtsunterricht beinhalten (davon nur ein älteres explizit aus der Zeit der Weimarer Republik) – darunter sogar ein mehrbändiges (nach Epochen gegliedertes) Werk von Ebelin, wie es nur wenig später in dieser Form auch in der DDR (wenn auch unter anderen Vorzeichen, so doch in ähnlicher Form) unter der Ägide Mühlstädts erscheinen wird. Einer weiteren Untersuchung müsste es vorbehalten bleiben, deren Verflechtung herauszuarbeiten und mögliche Einflüsse zu eruieren. Hans Döhn veröffentlichte nur ein Jahr später in Der Geschichtsunterricht in Volks- und Realschulen umfangreichere und genau erläuterte Thesen zu Aufgabe und Beschaffenheit einer guten Lehrererzählung, wobei sich Hinweise und Bedenken teilweise durchmischen (vgl. Döhn 1967, 115ff.):

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Die Lehrerpersönlichkeit muss durchscheinen. Abstrakte Begrifflichkeiten sind zu vermeiden. Allgemeinbegriffe führen zur Phrasenhaftigkeit. Alles Zuständliche ist in Handlung umzusetzen. Individualisiere, personifiziere, lokalisiere, detailliere, kostümiere! Historische Treue muss gewährleistet sein. Der Erzählende muss über ein Einfühlungsvermögen in kindliche Zuhörer und kindliche Interessen verfügen. – Auf die Haltung vor der Klasse ist zu achten (kein Theatersaal!). – Eine durchkomponierte Gliederung soll angestrebt werden.

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Döhn verweist in diesem Zusammenhang auf die Lehrerbildung – er erachtet die Umsetzung seiner Postulate (welche diejenigen von Marienfeld und Osterwald weitestgehend ausdifferenzieren) als durchweg schwierig, da seiner Meinung nach die Kunst des Erzählens an den Pädagogischen Hochschulen zu wenig gepflegt würde (vgl. ebd., 121). Zu dieser Kunst zählt er vor allem eine gute Einstimmung (vorbildhaft wird hier ein Beispiel Fontanes erwähnt, wo man durch die Beschreibung eines nebligen und grauen Tages mit hineingenommen wird in die Situation), Kenntnisse in Satzbau und Wortwahl (einfache Sätze, treffende Verben) und den Einbezug von Hilfsmitteln (Karten, Modelle, …). Aber auch Döhn versäumt es nicht, explizit auf Kritikpunkte hinzuweisen: – Fesselung nur von der Form her, – Überlagerung der historischen Fakten durch andere Motive, – Gefahr schematischer Stundenverläufe. (vgl. ebd., 122) Hans Glöckel sieht seine Ausführungen zum Geschichtsunterricht als Didaktik und verabschiedet sich damit zu Beginn der siebziger Jahre von einer rein methodischen Betrachtungsweise des Faches. An der Geschichtserzählung führt auch für ihn kein Weg vorbei, wenngleich sie marginalere Beachtung erfährt. Glöckel erkennt vor allem dann eine Gefahr, wenn eine Verengung auf Lebensbilder geschichtlicher Persönlichkeiten stattfindet: Es »kann die Beschränkung auf Helden aller Art einer gefährlichen Einseitigkeit der Geschichtsauffassung Vorschub leisten«. (Glöckel 1973, 181) Wiederum sieht er in einer lebendigen Erzählung einen Fortschritt gegenüber den bloßen Wissenstabellen der Herbartianer (vgl. ebd., 190), tadelt aber zugleich den in den sechziger Jahren propagierten verengten Begriff von einer guten Geschichtserzählung. Glöckel erachtet die damals aufgestellten Voraussetzungen und Hinweise (siehe oben) als nicht notwendig, grenzt jedoch gleichzeitig die Geschichtserzählung durch Kennzeichnung bestimmter Merkmale von anderen Vermittlungsformen ab (vgl. ebd., 190ff.):

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– Handeln und Erleben von Einzelpersonen im Zusammenhang mit dem Kollektiv, – Zuständliches wird in Vorgänge aufgelöst, – Anschaulichkeit (viele konkrete Details), – Zugleich: Weglassen von Details, damit Wesentliches plastisch hervortritt, – saubere sprachliche Durcharbeitung, – Wahrheitsgehalt (»Erzählende Quelle«). Walter Fürnrohr schließlich richtet 1974 in dem Sammelband Theorie und Praxis des Geschichtsunterrichts (ebenfalls unter didaktischer Perspektive) einen Meta-Blick auf die Lehrerzählung im Geschichtsunterricht, wenn er ihr nur eine wesentliche Funktion zuschreibt, nämlich die der Einführung in die Arbeit mit Quellen (vgl. Fürnrohr 1974, 47).

Zur Entwicklung in der DDR Für die DDR ist im untersuchten Zeitraum vor allem Bernhard Stohr zu nennen, dessen Methodik des Geschichtsunterrichts seit 1962 in mehreren Auflagen erschien. Er selbst sieht sein umfängliches Werk dezidiert als einen persönlichen Beitrag zur methodischen Diskussion im Fach Geschichte, das lediglich eine Lücke schließe bis zum Erscheinen eines Hochschullehrbuchs (vgl. Stohr 1968, 5). Dies wurde erst 1975 mit Erscheinen der Methodik Geschichtsunterricht, ausgearbeitet von einem Autorenkollektiv unter der Leitung von Bruno Gentner und Reinhold Kruppa, realisiert. Stohr geht im Rahmen seiner Ausführungen zur Geschichtserzählung zunächst hauptsächlich auf deren sprachliche Darstellung ein. Er beschreibt die historische Entwicklung des Phänomens, legt Kritikpunkte (wie die zeitweise Vorrangstellung der Methode oder deren Abwertung zugunsten eines problemgebundenen Unterrichts) offen und unternimmt einen Versuch zur Legitimation (vgl. ebd., 140ff.): Die Schüler seien durch mitreißende Darstellungen zu begeistern und es ließe sich eine leidenschaftliche Parteinahme entfachen. Die Kinder sollten sich in die Lage des Helden hineinversetzen können, um zu einem wertenden Urteil zu gelangen. Die Motive der Figuren müssten Klasseninteressen widerspiegeln. Allein diese wenigen Anforderungen zeigen einen zur westdeutschen Auffassung diametralen Anspruch. In seiner Methodik des Geschichtsunterrichts behandelt Stohr an anderer Stelle noch einmal die »Gestaltung historischer Erzählungen in den unteren Klassen« (ebd., 226ff.), diese Ausführungen lassen sich jedoch auf wenige Kernelemente subsumieren und bleiben – im Unterschied zu den parallel erschienenen westdeutschen Positionen – doch sehr allgemeiner Natur :

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– Die Form der Erzählung ist immer dann berechtigt, wenn durch deren Gestaltung das Denken der Schüler angeregt wird. – Es muss eine klare Bildungsabsicht verfolgt werden. – Die Gliederung in Einleitung-Hauptteil-Schluss sollte erkennbar sein. – Träger der Handlung (historische Persönlichkeiten/erfundene Personen) dürfen in ihrer Darstellungsform den Ergebnissen der Wissenschaft nicht widersprechen. – Die Erzählungen sollten eine Dauer von 15 Minuten nicht überschreiten. Stohr verweist zwar auch auf die (zu diesem Zeitpunkt noch recht junge) Anthologie Mühlstädts, weist aber gleichzeitig darauf hin, dass bei deren Einsatz im oben genannten Sinne noch geringfügige Änderungen notwendig seien (vgl. ebd., 226). Offensichtlich verfolgt Mühlstädt zwar ebenfalls einen klaren ideologischen, jedoch keinen derart verbrämten Ansatz, wie ihn Stohr entwirft. Auffällig ist, dass Mühlstädt auch in der nachfolgenden Methodik Geschichtsunterricht eher zur Randbemerkung bzw. Fußnote gerät (vgl. Gentner/ Kruppa 1978, 135f.) und dort ebenfalls auf die freie Verwendung seiner Vorlagen insistiert wird, ansonsten für die Geschichtserzählung lediglich noch die wörtliche Rede als charakteristisches Merkmal herausgestellt wird. Damit erschöpfen sich bereits die relevanten Äußerungen zur Geschichtserzählung (zumindest in nicht unmittelbar lehrplanbezogenen Publikationen), weswegen im Weiteren vor allem auf Mühlstädts eigene Ausführungen zurückgegriffen werden muss.

Historische Erzählstoffe im Geschichtsunterricht der DDR – Theoretische Grundlagen Im 2006 erschienenen Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR. Von 1945 bis 1990 widmen sich insbesondere Sandra Langenhahn (Kapitel »Historische Erzählungen und Romane«; vgl. Langenhahn 2006) und Reiner Neubert (Kapitel »Sachliteratur«; vgl. Neubert 2006) dem hier interessierenden Sujet. Dabei wird auch auf die Schwierigkeit einer Definition eingegangen (vgl. Steinlein/Strobel/Kramer 2006, 390), werden vor allem Ansprüche an eine sozialistische Erzählweise herausgearbeitet (ebd., 402) und wesentlich die Kenntnisvermittlung durch emotionalen Anspruch (ebd., 916) sowie die Ausbildung historischen Bewusstseins (ebd., 917) ins Blickfeld gerückt. Diese As-

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pekte sollen auch im Zusammenhang mit der in diesem Aufsatz folgenden Argumentation eine hinreichende Verdeutlichung erfahren.1 Bereits im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert wurden in Sachsen Erzählstoffe für die Hand des Geschichtslehrers veröffentlicht2, zum Teil versehen mit detaillierten Angaben zu deren Einsatz im Unterricht. Historische und historisierende Romane hatten zeitbedingt gerade Hochkonjunktur, und so verwundert es nicht, dass diese Begeisterung einerseits für die Schule aufgegriffen und zugleich der Versuch unternommen wurde, didaktische Bahnen für dieses Phänomen zu ebnen. Besonders bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, dass in dieser Phase der Entwicklung von Geschichtserzählungen diejenigen Geschichtserzieher geprägt worden sind, die später in der DDR nicht unwesentlich dazu beitrugen, Geschichte für ein breites – und vor allem junges – Publikum in literarischer Form aufzubereiten. Erinnert sei hier nur an Lothar Dräger (1927–2016), der hauptsächlich Verantwortung für die Handlungsstränge der Zeitschrift MOSAIK trug und dabei aus einer umfangreichen humanistischen Bildung sowie einem enormen Lese-Schatz schöpfen konnte (vgl. Kramer 2002, 89). Immer wieder ist zu hören oder zu lesen (vgl. Lehmstedt 2010, 6), wie das MOSAIK für Generationen von Kindern Auslöser für ein intensives Interesse an Geschichte war und eine entsprechende Begeisterung beförderte. Diesen Anspruch reklamierte aber – nicht zu Unrecht – auch Herbert Mühlstädt für seine Reihe Der Geschichtslehrer erzählt. Im Vorwort zum ersten Band der überarbeiteten Fassung schrieb er, dass viele Schüler die Bände zunehmend als Zusatzlektüre verwendeten und damit in hohem Maße Herz und Hirn gleichzeitig angesprochen wurden (vgl. Mühlstädt 1980, 9). Er stellte gleichzeitig fest, dass seine Erzählungen auch eine Leserschaft über den schulischen Kontext hinaus gefunden hätten und damit dem Geschichtsinteresse der Bevölkerung nachkommen würde (ebd.).3 Sowohl aus diesen Gründen als auch hinsichtlich der Weiterentwicklung der historischen Forschung sah sich Mühlstädt nach mehreren Auflagen und Ergänzungen zu einer Neufassung veranlasst, die gewissermaßen den Abschluss einer von ihm zentral beeinflussten ge1 Wegweisende Forschungsarbeit zu dieser Thematik hat Rudolf Bonna im Rahmen seiner Dissertation Die Erzählung in der Geschichtsmethodik von SBZ und DDR (1999) geleistet. Während Bonna die gesamte Breite des Forschungsgegenstandes in den Blick nahm, soll hier ausschließlich das Werk Herbert Mühlstädts im Zusammenhang mit wesentlichen Einflussgrößen betrachtet werden. 2 Nennenswerte Auflagen hatten hierbei die Anthologien von Jakob Carl Andrä Erzählungen aus der Weltgeschichte. Ein Lehr- und Lesebuch für den ersten Unterricht in der Geschichte (Leipzig: Voigtländer, 1891) sowie von Hanna Gräfin von Pestalozza Geschichtserzählungen für die Unterstufe (Leipzig und Berlin: B. G. Teubner, 1924). 3 Hierzu merkt Bonna an, dass der Verlag zunächst von den hohen Verkaufszahlen überrascht gewesen sei, offensichtlich habe das Werk einen Käuferkreis außerhalb der Lehrerschaft gefunden (vgl. Bonna 1999, 387).

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schichtsmethodischen Entwicklungslinie bildete. Schon in den Anfängen der Entwicklung einer eigenständigen Geschichtsmethodik in der DDR wurde, auch wenn das sowjetische Vorbild unübersehbar gewesen ist, der prägende Einfluss Herbert Mühlstädts deutlich. Zahlreiche Veröffentlichungen (so zunächst in der Fachzeitschrift Geschichte in der Schule4) trugen seine Handschrift, in denen er für eine ganzheitliche Vermittlung des Unterrichtsstoffes warb. In seinem Sinne meinte dies vor allem ein Zusammenspiel verschiedener Anschauungsebenen: von Lehrbuch- oder Quellentexten über Erzählungen bis hin zu Geschichtswandkarten und Rollbildern. In seinen späteren Werken sollte er immer wieder auf genau diese Verschränkung hinweisen.5 Das gegenseitige Ergänzen diverser Unterrichtsmittel im Rahmen der Geschichtserzählungen erreichte dank seiner Hinweise (meist mittels Fußnoten oder Klammerbemerkungen, aber auch durch Vorbemerkungen) einen sehr hohen Grad an didaktischer Professionalität, intendiert durch das Bestreben nach methodischer Vielfalt unter Ausschluss einer einseitigen bzw. »schädlichen« Beschränkung auf den Lehrervortrag (vgl. Mühlstädt 1962, 8). Jene Professionalität der Verschränkung der Unterrichtsmittel war in dieser Form wohl nur unter den spezifischen Voraussetzungen eines streng zentral organisierten Bildungswesens wie demjenigen der DDR möglich, wo selbst die Produktion von methodischem Material reglementiert und gesteuert wurde, zugleich aber auch intensiv erforscht und wissenschaftlich begleitet war. Das barg neben einigen Vorteilen speziell auch die Gefahr des Formalismus. Dessen war sich Mühlstädt selbst bewusst, wenn er bspw. explizit darauf hinwies, dass der Lehrer die Verwendung der Erzählungen von seiner konkreten schulischen Situation abhängig machen müsse. Es war ihm wichtig, dass wirklich erzählt würde und nicht unbedingt vorgelesen: »hier raffend, dort ausschmückend« (Mühlstädt 1968, 9) war seine Devise. Nur auf diese Weise wäre aus seiner Sicht der gleichzeitige Einsatz von weiteren Anschauungsmitteln sinnvoll realisierbar. Die »Fäden« dieser didaktischen Arrangements liefen beim 4 Mühlstädt geht in Heft 9 des zehnten Jahrgangs von 1957 der Zeitschrift Geschichte in der Schule in seinem Aufsatz mit der recht programmatisch anmutenden Überschrift »Die zentrale Aufgabe – sozialistisch erziehen!« auf ein wesentliches Novum ein – die Herausgabe neuer Lehrbücher und anderer Unterrichtsmaterialien für den Geschichtsunterricht, die zu diesem Zeitpunkt eine deutliche Abwendung von der Abstraktion hin zur Anschaulichkeit erfuhren, selbstverständlich im Dienste der Ausbildung eines sozialistischen Geschichtsbewusstseins. Im Rahmen dieser Veränderungen fiel die Konzeption von (nicht nur aus bereits vorhandenen Quellen schöpfenden) Erzählbänden auf fruchtbaren Boden. 5 So bspw. schon im Vorwort des ersten Bandes von Der Geschichtslehrer erzählt: »Die Erzählungen wurden mit methodischen Hinweisen versehen, insbesondere mit Hinweisen auf die notwendige Verbindung des Lehrervortrags mit Bildbetrachtungen, Tafelskizzen und der Arbeit an der Karte.« (Mühlstädt 1962, 8) Mühlstädt betont dort die Notwendigkeit dieser Verschränkung ebenso wie die Verpflichtung des Lehrers zur selbständigen Auswahl der weiteren Arbeitsmittel. Später (bspw. im Ergänzungsband) erwähnt er deren Quellen – wie das Lehrbuch – dezidiert (vgl. Mühlstädt 1974, 23).

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volkseigenen Verlag Volk und Wissen zusammen, der aufgrund der Lizenz der sowjetischen Besatzungsmacht bereits kurz nach Kriegsende zum alleinigen Vertrieb von Lehrbüchern im Ostteil Deutschlands berechtigt war und dies bis zum Ende der DDR auch blieb.6 Von gewichtigem Interesse war bei aller Vernetzung für Mühlstädt daher die Erzählkunst des Geschichtslehrers, der er sich in seinem Wirken besonders verpflichtet fühlte. Zunächst begann dies mit Beiträgen für das sogenannte Geschichtslesebuch,7 ein ergänzendes Material, in dem er bezogen auf die Schulstufe neben weiteren Autoren, die mehrheitlich Adaptionen von Kinderliteratur beitrugen, eigene narrative Texte veröffentlichte. Bereits hier war der ständige Bezug auf das noch überwiegend aus sowjetischen Werken zitierende Geschichtslehrbuch8 gegeben, eine davon losgelöste Erzählreihe war nicht beabsichtigt. Bald war Mühlstädt auch Mit-Autor einer neuen Reihe von Geschichtslehrbüchern des Verlags Volk und Wissen, die nun schon eigene Ansätze einer DDR-Geschichtsmethodik zeigten. Diese Lehrbücher trugen »sprechende« Titel wie beispielsweise Aus vergangener Zeit (Mühlstädt/Schenderlein/Wegner 1957) für das 5. Schuljahr und waren von einem klaren Bemühen um eine sehr kindgerechte Vermittlung gekennzeichnet, was eine ausgeprägte narrative Struktur einschloss.9 In späteren Bearbeitungen waren – vom übrigen Text durch eine kleinere Schriftgröße abgesetzt – narrative Elemente eingestreut, die das Dargestellte neben den Abbildungen zusätzlich illustrierten.10 Dieses Konzept sollte erst in der letzten DDR-Lehrbuch-Reihe (1988/1989) in ähnlicher Form wieder aufgegriffen werden,11 zwischenzeitlich wurde es verworfen. Über die Gründe dafür kann nur gemutmaßt werden, sicherlich lag es aber auch an dem seit den sechziger Jahren verstärkt publizierten methodischen Schrifttum für 6 Vgl. hierzu die Bibliographie des Verlags anlässlich seines 50. Jubiläums 1995. 7 Z. B. findet sich in der Ausgabe für das 7. Schuljahr (1955) ein Text Mühlstädts über den »Bund der Kommunisten« (Mühlstädt 1955, 120f.). 8 Zunächst handelte es sich sogar ausschließlich um Übersetzungen sowjetischer Lehrbücher (vgl. Mischulin 1948). 9 In der Fachzeitschrift Geschichte in der Schule wird dazu in Heft 8 des zehnten Jahrgangs von 1957 ausgeführt: »Um der Forderung des Geschichtslehrplans […] gerecht zu werden, kann dieses Buch keine nüchternen Tatsachen und Abstraktionen enthalten. In anschaulichen und faßlichen Darstellungen, vor allem Schilderungen, wird der Schüler das Wesentliche des Unterrichtsstoffes finden. Dabei darf der Lehrer seine Aufgabe nicht darin sehen, den Lehrbuchtext zu erzählen, wenn er ihn in vielen Fällen auch als Grundlage für die Gestaltung seiner Erzählung verwenden kann.« (Anonymus 1957, 438) 10 Herausgehoben sei hier exemplarisch die sich über fast zwei Seiten erstreckende Geschichte eines gegen den Grafen Helfenstein zu Weinsberg gerichteten Bauernaufstandes im Lehrbuch für Klasse 7 (vgl. Zeise u. a. 1963, 34f.). 11 Axel Gebauer und Kuno Radtke beschreiben dieses Konzept sogar in der hauptsächlich für Eltern herausgegebenen Zeitschrift Elternhaus und Schule in ihrem Artikel Damit du in der Welt dich nicht irrst, in dem sie die neuen Lehrpläne und Unterrichtsmittel vorstellen (vgl. Gebauer/Radtke 1989, 18f.).

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(Geschichts-)Lehrer. So erschienen mit der Einführung eines neuen LehrplanWerkes für die Oberstufe ab 1966 schrittweise die sogenannten Unterrichtshilfen als eine Lehrerhandreichung zum Lehrbuch.12 Während das Lehrbuch nun ausschließlich lehrplanaufbereitend gestaltet war und kaum noch über die Lehrplanforderungen hinausgehende Informationen enthielt, boten die Unterrichtshilfen einen Fundus an Anregungen. Da die detaillierten Vorschläge eine vollständige Übernahme für den eigenen Unterricht ermöglichten, war auch hier die Grenze zum Formalismus schnell überschritten – wenngleich dies von den Autoren nicht beabsichtigt war. In die Unterrichtshilfen wurden auch kleine Geschichtserzählungen aufgenommen, die entweder Originalbeiträge waren oder aber gekürzte (und damit dem Arrangement angepasste) Fassungen der Vorlagen von Herbert Mühlstädt. Diese Vorlagen wiederum waren dem inzwischen erschienen mehrbändigen Werk Der Geschichtslehrer erzählt entlehnt.13

Herbert Mühlstädts Erzählungsbände Der Geschichtslehrer erzählt – Aufbau, Struktur und Rezeptionsgeschichte Im Gegensatz zu den früheren Geschichtslesebüchern war diese neue Reihe nicht mehr an den einzelnen Klassenstufen orientiert, sondern eher epochal gegliedert: Während Band 1 (1962) den Bogen von der Urgesellschaft über den Alten Orient bis hin zur Antike spannte, wurden im zweiten Band (1965) das Mittelalter und die (frühe) Neuzeit thematisiert und schließlich führte der abschließende Band (1966) zur Geschichte der Arbeiterbewegung. Später (1974) erschien noch ein Ergänzungsband, in den über alle Zeiträume hinweg zusätzliche Erzählungen aufgenommen wurden. Dies war notwendig, da zwischenzeitliche Akzentuierungen der Lehrpläne manche der ursprünglichen Vorlagen obsolet werden ließen, andere, bisher fehlende Themenbereiche hingegen neu aufgenommen werden mussten.14 Bereits dieses Vorgehen verdeutlicht, in was für einem engen Zusammenhang die Geschichtserzählungen Mühlstädts zu den Lehrplanvorgaben standen und wie sie sich dem Primat der schulischen Wis-

12 Eine weitere lehrplankonforme Handreichung legte Florian Osburg mit Tafelbilder im Geschichtsunterricht vor, einer in zahlreichen Auflagen und mehrfachen Bearbeitungen erschienen Sammlung von möglichen Visualisierungen. In diesem Werk geht Osburg auch auf die Möglichkeiten des Einsatzes von Tafelbildern beim Lehrervortrag ein (vgl. Osburg 1988, 35ff.). 13 Besonders intensiv geschah diese Adaption in der Ausgabe für Klasse 6 von 1979. 14 So wurde bspw. in Klasse 6 die Entstehung des Feudalismus in Byzanz und im arabischen Kalifat neu in den Lehrplan aufgenommen (vgl. Lehrplan Geschichte Klasse 6 1967, 67ff.). In Klasse 5 hingegen erfuhr der Freiheitskampf der Griechen gegen die Perser keine Beachtung mehr (vgl. Lehrplan Geschichte Klasse 5 1966).

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sensvermittlung unterzuordnen hatten. Ebenso trägt die Entwicklungslinie der Reihe diesem Diktum Rechnung: War der erste Band in seiner ursprünglichen Fassung eine noch kaum kommentierte Sammlung von Erzählstoffen (zur Auswertung waren lediglich Stichpunkte vermerkt), so erfuhr das Werk ab dem zweiten Band eine »Didaktisierung«, indem umfangreichere Fragen zum Textverständnis (inklusive der Erwartungsbilder) beigefügt und die Kapitel um einführende Sachinformationen erweitert wurden, teilweise ergänzt durch methodische Beigaben. Dadurch wird stellenweise auch ein gezieltes Bemühen um eine ideologische Ausrichtung des Geschichtsbildes erkennbar.15 In den Erzähltexten selbst fanden sich kursive Einschübe, die an Ort und Stelle zumeist den Einsatz von Bildmaterial vorschlugen. Bei genauerer Betrachtung ist deutlich zu merken, wie konkret Erzählstoff und Lehrbuch aufeinander abgestimmt waren und sich gegenseitig bedingten. Teilweise wurden in neu erscheinende Lehrbücher Abbildungen aufgenommen, die den Mühlstädt’schen Erzähltext par excellence aufgriffen und illustrierten.16 Auch umgekehrt erfolgte dieser Prozess, als Mühlstädt seine Bände in überarbeiteter Neufassung herausgab und nun von Anfang an auf vier Bände konzipierte.17 Mühlstädt bezeichnet den Lehrervortrag als eine methodische Grundform des Geschichtsunterrichts, die einen festen Platz in der (sozialistischen) Schule hat (vgl. Mühlstädt 1969, 5). Ein guter Lehrervortrag müsse fachwissenschaftlichen, erzieherischen, ästhetischen, logischen und methodischen Anforderungen gerecht werden, was zweifelsfrei hohe Anforderungen an den Lehrer 15 Verdeutlichend sei eine Fragestellung zur Episode um die Schlacht bei Frankenhausen (1525) aus dem zweiten Band herausgestellt: »Was lehrt uns die Schlacht bei Frankenhausen? (Niemals dem Feinde gegenüber gutgläubig sein)« (Mühlstädt 1965, 188). 16 Für Klasse 5 ist sowohl in der von Mühlstädt selbst mit verfassten Lehrbuchausgabe von 1957 (Mühlstädt/Schenderlein/Wegner 1957, 7) als auch in der Fassung von 1960 (Kremtz u. a. 1960, 13) eine identische Illustration zur Mammutjagd enthalten, auf deren Details eine Erzählung in Band 1 von Der Geschichtslehrer erzählt (Mühlstädt 1962, 20ff.) genauestens eingeht. Als 1966 ein neuer Lehrplan und damit wieder ein neues Lehrwerk erschien, kam statt der Mammutjagd die Jagd auf ein Nashorn mit einer großformatigen Abbildung in das Buch (Behrendt u. a. 1966, 12) – Mühlstädt griff dies in der 1969 erfolgten Überarbeitung seines ersten Erzählbandes auf und änderte die Textvorlage entsprechend ab (Mühlstädt 1968, 16). Wiederum bildete die 1966 neu für das Lehrbuch geschaffene Farbtafel zur Wildpferdjagd (Behrendt u. a. 1966, 13) exakt das bei Mühlstädt (Mühlstädt 1962, 24f.) entsprechend geschilderte Geschehen ab. 17 Diese erschienen 1980 (Band 1), 1983 (Band 2), 1985 (Band 3) und – posthum – 1991 (Band 4), jeweils mit dem Titel-Zusatz »Neue Fassung«. Auffällig ist die Zunahme der im Bearbeitungszeitraum erschienen Illustrationen in den Geschichts-Lehrbüchern des Verlages Volk und Wissen: Handelte es sich bisher um durchaus großformatige (aber – bis auf wenige Seiten im Anhang – niemals seitenfüllende) Abbildungen, wurden in die Ausgaben für Klasse 5 (1984), Klasse 6 (1978) und Klasse 7 (1985) konsequent mehrere ganzseitige Bildtafeln aufgenommen, die den passenden Erzählvorlagen von Mühlstädt sehr deutlich entsprachen.

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stelle. Seine Sammlung versteht er vordergründig als Hilfestellung bei diesem schwierigen Unterfangen (vgl. ebd.). Mühlstädt grenzt die Lehrererzählung deutlich von anderen Formen des Lehrervortrags wie Bericht, Schilderung, Beschreibung, Erörterung ab und charakterisiert sie anschließend hinreichend (vgl. ebd.). Unabdingbar scheint ihm in Abgrenzung von bürgerlichen Auffassungen die Orientierung an Prinzipien des sozialistischen Realismus: – Wahrheitstreue, – sozialistischer Ideengehalt, – Überzeugung von der Kraft des Volkes, – leidenschaftliche Anteilnahme am Sieg der sozialistischen Gesellschaftsordnung (vgl. ebd.).18 In Anlehnung an Friedrich Donath fügt er diesen Grundprinzipien noch die eher literarisch zu verortenden Kategorien von Dramaturgie und Spannung hinzu. Handlungsleitende Gesichtspunkte bei der Erstellung der Erzählvorlagen waren für Mühlstädt: – wissenschaftlich gesicherte Tatsachen, – Mittelpunktstellung typischer Vertreter sozialer Schichten und Gruppen, – konkret-anschauliche Darstellung der Vergangenheit, – Primat der didaktischen Zielstellung gegenüber Umfang und inhaltlichen Einzelheiten, – Entsprechung von positiven Helden und sozialistischem Menschenideal, (vgl. ebd., 7f.) – Schüleraktivierung durch geistige Auseinandersetzung der Schüler mit der Geschichte (vgl. Mühlstädt 1965, 6). Mühlstädt ordnet dem Geschichtsunterricht eine spezifische Aufgabe zu, nämlich die Ausrüstung der Schüler für den ideologischen Klassenkampf (vgl. Mühlstädt 1974, 5). Dafür sei »ein wissenschaftliches Geschichtsbild und so18 Beispielhaft wird dies in den Episoden zum Leben der Jäger und Sammler (Mühlstädt 1962, 16ff.) deutlich, wo Rastplätze, Werkzeuge und Jagdmethoden urgesellschaftlicher Sippen einerseits entsprechend des damaligen Standes der archäologischen Wissenschaft vorgestellt werden, gleichzeitig aber auch ein expliziter Hinweis erfolgt, wie deren kollektive Verhaltensweisen zum Überleben aller Sippenmitglieder durch Sicherung eines Nahrungsvorrates beitragen: »Die Jäger loben Odo und Dudo, die tüchtigen Späher. Sie loben Talfo, der die Treibjagd geleitet hat. Am meisten loben sie Sina; denn sie hat geraten, daß die beiden Sippen gemeinsam jagen sollen. Ohne diese gegenseitige Hilfe wäre die Jagd nicht so erfolgreich gewesen. Dank Sinas Rat haben beide Sippen für lange Zeit Fleisch erbeutet.« (Mühlstädt 1962, 25) Vor dem Hintergrund der in der DDR um 1960 forcierten Kollektivierung der Landwirtschaft und der ebenfalls propagierten Emanzipation der Frauen erscheint gerade dieser Text bemerkenswert im Hinblick auf den ideologischen Bezug zur im Sozialismus erreichten bzw. vollzogenen Entwicklung.

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zialistisches Geschichtsbewusstsein« (ebd.) unabdingbar, bei deren Herausbildung die Lehrererzählung als bedeutende Gestaltungsform gewertet wird – kann sie doch die »Einheit von Erleben, Erkennen und Werten« (ebd.) wirksam vermitteln. Mühlstädt meint dazu: Sie hat vor allem dort ihre Berechtigung, wo es darauf ankommt, den Schülern Vergangenes lebendig und gefühlsbetont darzustellen, um ihnen das Hineinversetzen in geschichtliche Situationen zu erleichtern, damit ihnen echte Anteil- und Parteinahme sowie Wertungen und Schlußfolgerungen möglich werden. (ebd.)19

An anderer Stelle hebt er jedoch auch deutlich hervor: Unsere Vorlagen zeigen Typisches, Charakteristisches am Einzelnen, Individuellen. Darin liegt von der Darstellungsform her ihre Stärke, zugleich aber auch ihre Grenze. Aufgabe des Lehrers ist es, dafür zu sorgen, daß die Schüler das Einzelne als Typisches, Charakteristisches erkennen und daß das Einzelne verallgemeinernd auf das Gesamte übertragen wird. Geschichtserzählungen sind ohne Zweifel ein wichtiges Mittel zur Propagierung des Geschichtsbildes; aber das darf nicht dazu verleiten, den Unterricht in eine Abfolge von Erzählungen aufzulösen. (ebd., 6)

Fraglich ist, inwieweit Mühlstädt sich hier – unabhängig von seiner zweifelsfrei klaren weltanschaulichen Überzeugung – wie viele seiner Zeitgenossen (auch in vorauseilendem Gehorsam) mittels des Vorwortes zwangsläufig vor dem Staat »verbeugte«, um im eigentlichen Hauptteil eine eigenständige Linie verfolgen zu können. In allen späteren Überarbeitungen (auch noch unter DDR-Ägide) fallen die Vorbemerkungen wesentlich knapper und deutlich unverfänglicher aus. So konstatiert Mühlstädt 1980: Verständlicherweise können in diesem Vorwort und in den Vorbemerkungen nicht alle die vielfältigen Möglichkeiten angegeben oder gar ausgeführt werden, die sich bei der Unterrichtsarbeit […] ergeben. Sie zu erkunden, auszuprobieren und zu propagieren, bedarf es noch umfangreicher praktischer Erfahrungen und wissenschaftlicher Verallgemeinerungen. (Mühlstädt 1980, 10)

19 Die ab 1966 gültigen Lehrpläne liefern die Grundlage für diese These. Im 1981 erschienen Zusammendruck der Lehrpläne für das Fach Geschichte in den Klassen 5–7 heißt es im Vorwort (S. 5), der Geschichtsunterricht müsse Vorbilder schaffen »durch die Kraft und emotionale Wirkung des konkret und lebendig gestalteten historischen Beispiels«. In der Fassung von 1988 (S. 9) wird dies noch deutlicher ausgeführt: » Historisches Geschehen muss konkret dargestellt werden. Auf der Grundlage historischer Faktenkenntnisse sollen die Schüler lebendige Vorstellungen vom Agieren geschichtsbildender Kräfte […] gewinnen. Vielfältige Möglichkeiten und Mittel anschaulicher, faßlicher und lebendiger Wissensvermittlung sind zu nutzen. Ausgehend von den jeweiligen Zielen und den zu behandelnden Inhalten ist sachlich zu berichten, interessant zu erzählen, in emotional bewegender Weise zu schildern, lebhaft zu erörtern, beweiskräftig zu argumentieren.« All dem trägt Mühlstädt insbesondere mit der Neufassung seiner Bände Der Geschichtslehrer erzählt Rechnung.

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Nach zwei Jahrzehnten konkreter Arbeit auf fehlende praktische Erfahrungen zu verweisen, erscheint zumindest merkwürdig. Möglicherweise bleibt sich Mühlstädt hier aber auch in gewisser Hinsicht treu, verdeutlicht doch dieses Zitat zunächst das Bemühen um zusätzliche Differenzierung im Sinne einer marxistischen Grundhaltung. Auffällig ist zudem, dass Mühlstädt in der Neufassung seiner Erzählstoffe lediglich noch in Band 1 Fragen zur inhaltlichen und ideologischen Auswertung beigibt, vom zweiten Band an verzichtet er gänzlich darauf. Interessant wäre diesbezüglich ein genauerer Einblick in Mühlstädts Biografie, da Mühlstädt sich aus einfachsten Verhältnissen über den Beruf des Neulehrers zum wissenschaftlichen Mitarbeiter der Universität Rostock qualifiziert hatte, ab 1968 jedoch nurmehr ausschließlich freiberuflich tätig war (vgl. Steinlein/Strobel/Kramer 2006, 1199). Mutmaßungen über mögliche Gründe müssen jedoch weitgehend hypothetisch bleiben.20 Ungeachtet all des sozialistischen Pathos bleibt nämlich bei genauerer Betrachtung unter Hinzuziehung der weiter oben genannten westdeutschen Leitlinien eine Orientierung Mühlstädts an den bürgerlichen Erzählstrukturen augenscheinlich.21 Ebenso fühlte er sich spürbar einer traditionellen Geschichtsdarstellung verpflichtet, große Schlachten und große Männer waren sein Sujet.22 Dies wurde Mühlstädts Geschichtserzählungen nach dem Mauerfall insbesondere von Harald Parigger zum Vorwurf gemacht. Parigger unterzog Mühlstädts Werk in den Umbruchzeiten der »Wende« einer gründlichen Analyse mit dem Ziel der Einschätzung von dessen »Verwertbarkeit« unter den neuen politischen Bedingungen einer Demokratie, die sich auf eine freiheitlich-demokratische Grundordnung beruft. Er kam zu dem Schluss, dass sich eine Überarbeitung vor allem wegen des beschriebenen Pathos nicht lohne – abgesehen von der generellen Infragestellung des auch von Mühlstädt vertretenen sozialistischen Geschichtsbildes.23 Nichtsdestotrotz erschienen die vier Bände behutsam ange20 Ein großes Verdienst der Dissertation von Rudolf Bonna Die Erzählung in der Geschichtsmethodik von SBZ und DDR ist das Bemühen um die Klärung solcher Fragen, indem von ihm Interviews mit der Witwe Mühlstädts, seinen Freunden, Kollegen und Wegbegleitern geführt wurden. Zudem konnte er Einblicke in Unterlagen nehmen, was in dieser Form wohl nur in der Entstehungszeit seiner Arbeit möglich war. Dies führte zweifellos zu einer Erweiterung der bis dahin knappen Quellenlage zu Mühlstädts Biografie. Bonna möchte jedoch eine mögliche Absprache der Zeugen im Interesse eines homogenen Mühlstädt-Bildes nicht ausschließen (vgl. Bonna 1996, 375ff.). 21 Bspw. erlaubt die überproportionale Verwendung von wörtlicher Rede einen sehr dramatischen Handlungsaufbau. 22 Allein im ersten Band von Der Geschichtslehrer erzählt (Mühlstädt 1962) berichtet ein gutes Drittel der Texte (16 von 44) von kämpferischen Auseinandersetzungen. Dies bestimmt auch alle anderen Bände der Reihe ebenso wie seine Kinderbücher. Zudem wird Geschichte trotz aller Emanzipationsbestrebungen stringent aus der Perspektive von (mehr oder weniger bedeutenden) Männern beschrieben. 23 Parigger schreibt: »Nach eingehender Prüfung kam ich […] zu dem Ergebnis, daß das Werk

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passt noch für eine kurze Zeit weiter im Verlag Volk und Wissen24 und erfreuen sich bis heute in einer zweibändigen Bearbeitung von Bernd Hildenbrand (erstmals mit Abbildungen versehen25) unter dem Titel Erzählte Geschichte(n) einiger Beliebtheit unter den Geschichtslehrern.26 Ein bereits angekündigter dritter Band27wurde allerdings nicht mehr veröffentlicht. Insgesamt lässt sich jedoch konstatieren, dass mit zunehmender Bearbeitung der erzählerische »Charme« der Texte abnimmt und die reine »eingekleidete« Wissensvermittlung mehr und mehr in den Vordergrund rückte. Dennoch spielte die epische Form der Geschichtsdarstellung auch dank des Engagements von Herbert Mühlstädt im Osten Deutschlands auch in anderen Zusammenhängen in der Ära der DDR durchweg eine große Rolle. So hat Mühlstädt selbst einige Kinderbücher verfasst, deren Handlung fast immer in der Zeit des Mittelalters angesiedelt ist: Ebbo wehrt sich, Radko läutet Sturm, Andres-Beiboot des Lemme Pors, Andres-Freund der Likedeeler. Lediglich 172 Tage aus dem Leben des Lehrers Egon Schultz spielt in der Gegenwart im zeitlichen Umfeld des Mauerbaus in Berlin 1961. Auch hier findet sich der heroische Topos wieder : Stets sind es kindliche Helden, die Abenteuer erleben und sich in bestimmter, dem Ideal des marxistischen Klassenkampfes ver-

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heutigen Anforderungen nicht genügt. Die einseitige Ausrichtung auf ›historische Persönlichkeiten‹, die Vorliebe für die Schilderung von Schlachtengetümmel und martialischem Ambiente, die obsolete, oft von Pathos und Schwulst durchsetzte Sprache, die seltsame und formlose Mischung von Bericht, Schilderung, Ereignisparaphrase und angedeuteter Erzählung trugen mit zu diesem Urteil bei.« (Parigger 1994, 9) Da Parigger mithin Geschichte eher »von unten« betrachten wollte, ergab sich für seinen eigenen Band Geschichte erzählt eine Erzählweise, die stringent aus der alltags-, sozial-, kultur- und mentalitätsgeschichtlichen Perspektive erfolgte (vgl. Parigger 1992, 10): »Nach Königen, Kaisern, Päpsten und Generälen wird man darin vergeblich suchen, es sei denn im Kontext mit einem Problem, das auch den Alltag der Menschen betraf oder ein bezeichnendes Licht auf eine Epoche wirft.« (ebd.) Somit vertrat Parigger eine Intention, der sich eigentlich auch Mühlstädt verpflichtet fühlte. Hier nun tut sich eine Ironie der Geschichte auf: Weltanschauung (marxistischleninistisch) und Erzählweise (bürgerlich) entsprachen einander bei Mühlstädt nicht und führten so zu der beschriebenen Diskrepanz. Anzumerken ist jedoch zumindest, das Parigger vermutlich nur die Neufassungen der Mühlstädt-Bände kannte und begutachtete, denn die Erstauflagen lassen die kritisierten Ausrichtungen der Texte m. E. nicht erkennen. Diese werden letztmalig 1994 im Verlagsprogramm aufgeführt. Im 1999 erschienen Grundlagenwerk Erste Begegnungen mit Geschichte. Grundlagen historischen Lernens weist Wolfgang Hasberg diese 4 Bände neben anderen Sammlungen (wie z. B. Pariggers Buch) als geeignetes Unterrichtsmaterial aus (vgl. Hasberg 1999, 493). Viele dieser Abbildungen entstammen den hier bereits mehrfach erwähnten Geschichtslesebüchern und Lehrwerken der DDR, für die sie einst im Zusammenhang mit der Etablierung der Geschichtserzählungen geschaffen wurden. Teil 1: Ur- und Frühgeschichte bis Römisches Reich. Teil 2: Vom Frankenreich bis zur Reformation und den Bauernaufständen. Auf dem Rücktitel der ersten beiden Bände wird ein dritter Band (Von der Kolonisation Amerikas bis zur Industrialisierung) als »in Vorbereitung« aufgeführt.

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pflichteter Weise bewähren. Im Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR. Von 1945 bis 1990 (vgl. Steinlein/Strobel/Kramer 2006, 1199) wird Mühlstädt in diesem Zusammenhang deshalb »überschaubare Didaktisierung« und »Schwarz-Weiß-Malerei« nachgesagt. Diese geschichtserzählenden Kinder- und Jugendbücher Mühlstädts wurden auch in die Literaturempfehlungen im Anhang der Geschichtslehrbücher der DDR aufgenommen.28 Dort fand sich zu allen behandelten Kapiteln ein Auflistung besonders empfehlenswerter Zusatz- bzw. Vertiefungstexte – manchmal Sachbücher, häufiger aber erzählende Kinderliteratur. Immer war die aus der Perspektive des Geschichtsbilds der DDR korrekte Einbettung in historische Zusammenhänge und die damit verbundene gründliche Recherche der Autoren entscheidendes Kriterium für die Aufnahme in die Liste. Daneben spielten historische Stoffe auch in anderen Fächern der Schule in der DDR eine nicht unerhebliche Rolle. Exemplarisch seien an dieser Stelle der Deutsch- und der Geografieunterricht erwähnt. Im Deutschunterricht waren sowohl die Lesebücher als auch die Lektürelisten für die verpflichtend zu lesenden Ganzschriften gut gefüllt mit Texten, bei deren Auswahl nicht unbedingt die literarische Qualität eine ausschlaggebende Rolle spielte, sondern vielmehr die Anbindung an die Geschichte der Arbeiterbewegung.29 Für den Geografieunterricht erschien eine dreibändige Reihe für die Hand des Lehrers, die den Mühlstädt’schen Bänden in Konzeption und Aufbau sehr verwandt war : Geografie erlebt von Siegfried Möbius stellte Texte zur Verfügung, die den Unterricht in ähnlicher Form bereichern sollten – oftmals narrativ und zumindest im ersten Band mit methodischen Instruktionen versehen.30 Es liegt in der Natur der Sache begründet, dass dabei auch die Historie gestreift wurde, wenn es bspw. um die Eiszeit (vgl. Möbius 1981, 17), die erste Weltumseglung (vgl. Möbius 1984, 9) oder die Entdeckungsgeschichte Afrikas (vgl. Möbius 1986, 25) ging. Der bereits erwähnte herausragende Stellenwert von epischen Darstellungen zur Geschichte nahm jedoch nicht erst mit Einsetzen des Fachunterrichts in 28 Zum Beispiel im Kapitel »Empfehlungen für die außerunterrichtliche Lektüre« im Lehrbuch für die Klasse 6 von 1978 (215ff.). 29 Erinnert sei hier nur an Mohr und die Raben von London von Vilmos und Ilse Korn (vgl. Korn/Korn 1962), lange Zeit gehörte es zum Lesekanon für das 6. Schuljahr (vgl. Steinlein/ Strobel/Kramer 2006, 30ff.). 30 So ähneln die Anlage der »Auswertungsmöglichkeiten« und die in den Vorbemerkungen beschriebenen Hinweise zum Einsatz der Vorlagen stark dem Mühlstädt-Pendant: Möbius entbindet ebenso wie Mühlstädt den Lehrer nicht von der Verpflichtung zur Auswahl und Anpassung an den je eigenen Unterricht und begründet den Einsatz der Texte mit der Notwendigkeit der Veranschaulichung (die gerade im Geografieunterricht insofern besonders geboten erschien, als die meisten DDR-Bürger kaum über Reisemöglichkeiten verfügten und die Themenkomplexe sich somit oftmals zwangsläufig unmittelbarer Beobachtung entzogen). In einem Punkt geht Möbius jedoch über Mühlstädts Empfehlungen hinaus: Er schlägt die Texte auch als Grundlage für Schülerreferate vor (vgl. Möbius 1981, 9).

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Klasse 5 seinen Anfang. Bereits in der Unterstufe und in Klasse 4 wurde mit Hilfe von Erzählungen zielgerichtet ein Verständnis von historischen Entwicklungen am Beispiel der Geschichte der Arbeiterbewegung zugrundegelegt. Dies gilt für den Deutschunterricht in analoger Weise wie bereits für die Oberstufe beschrieben. Vor allem aber der Heimatkundeunterricht mit seinem stark propädeutischen Charakter wollte zu einem entsprechenden Geschichtsbewusstsein beitragen. Das geschah jedoch häufig unter Missachtung des kindlichen Verstehenshorizonts, sodass ein wirkliches Durchdringen der dargestellten Sachverhalte nicht immer möglich war.31 Während die Lehrbücher für Heimatkunde den Stoff eher nüchtern beschrieben, gab es auch für dieses Fach Zusatzmaterial für den Lehrer : Heimatkunde – Zur fachlichen Vorbereitung auf den Unterricht enthält neben ergänzenden Sachinformationen besonders in seiner ersten Fassung eine ganze Reihe von Erzähltexten für den geschichtlichen Bereich des Fachs.32 Diese beginnen oft spannend, aber in jedem Fall so, dass der kindliche Rezipient mit den Mitteln des Erzählens gleichsam hineingezogen wird in eine andere, vergangene Zeit.33

Ausblick Nun ist all das selbst schon wieder Geschichte. Was bleibt? Auf alle Fälle haben die Geschichtsdidaktiker der DDR, unter ihnen federführend Mühlstädt, mit der Geschichtserzählung ein Element der Begegnung mit Geschichte ausdauernd bewahrt und weiterentwickelt, das im westlichen Teil der Nation nur partiell Beachtung fand, zum Teil zeitweise verpönt oder gar vergessen war. Sicherlich ist der Vorwurf der Manipulation durch Suggestion und Emotionalisierung nicht ganz von der Hand zu weisen,34 doch gibt es demgegenüber eben auch eine Reihe von Vorteilen vor allem im Bereich der Begeisterung für das Fach, die es nach wie 31 Diesen Mangel beschreibt Ursula Plischke 1994 in einer Bestandsaufnahme zum Heimatkunde-Unterricht, wo sie auch auf eine »Panzerschrank«-Studie des DDR-Ministeriums für Volksbildung aus dem Jahre 1984 eingeht, mit der nachgewiesen wurde, dass nur 21 % der Schüler über lehrplangemäße Kenntnisse im gesellschaftspolitischen Bereich des Faches Heimatkunde verfügten (vgl. Plischke 1994, 15). 32 Meist handelte es sich hierbei um Auszüge aus Kinderliteratur. 33 Zur Verdeutlichung sei hier der Beginn einer solchen Erzählung zitiert, in der es um eine verschollene Uhr geht: »Es war im Jahre 1921. Grau dämmerte ein November-Morgen heraus. Nasser Schnee fiel. Am Kachelofen der Küche stand eine Frau …« (Dose u. a. 1974, 48). 34 Vor allem für den Bereich der Unterstufe ist dieses Ansinnen unverblümt geäußert worden – etwa wenn Hans Schultz und Doris Kruppa in einer methodischen Handreichung zum Heimatkundeunterricht zur geschichtlichen Erzählung ausführen: »Die bildenden und erzieherischen Elemente, die die Episoden beinhalten, sind geeignet, auf die Schüler verstandesmäßig und gefühlsmäßig einzuwirken.« (Schultz/Kruppa 1968, 41)

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vor aufzugreifen gilt. Einzelne Versuche wie zuletzt im Sonderheft von Praxis Geschichte, das sich ausschließlich dieser Thematik widmet, lassen auf eine erneute systematischere Bearbeitung des Gebietes hoffen. Martin Schnackenberg liefert in diesem Heft jedenfalls einige anregende Ideen: Er verweist – wie auch Mühlstädt nicht müde wurde zu betonen – deutlich auf den Motivationsfaktor (vgl. Schnackenberg 2014, 3) und sieht die Kritik an der Form »Geschichtserzählung« als widerlegt bzw. überholt an. Moderner Unterricht ändert seiner Meinung nach nichts am Kern von Lernprozessen (vgl. ebd., 4). Schnackenberg findet es sogar wichtig, dass nicht das aktuelle Weltgeschehen als Maßstab an die Geschichte angelegt wird, sondern Geschichte aus anderer Perspektive erfahren werden kann und muss (vgl. ebd., 5). Dabei stellt sich immer wieder die Frage nach der historischen Wahrheit (»Könnte es so gewesen sein?«) und es drängt sich die Notwendigkeit eines Perspektivwechsels geradezu auf. Mit der Konzeption seiner Erzählungen stellt Schnackenberg manches Überkommene auf den Prüfstand, ohne es gleichsam über Bord zu werfen (vgl. ebd., 6): – Die Erzählungen sollen Fragen provozieren, eine Hypothesenbildung anregen und Interesse wecken. – Es muss Leerstellen oder Andeutungen geben, die eine Suche nach Antworten provozieren. – Sprachlich sollte der Text immer leicht über dem Niveau der Schüler liegen. – Vorlesen ist besser als Erzählen. – Eine Vorentlastung ist nicht immer notwendig. Damit werden die einst antagonistischen Positionen zur Geschichtserzählung aus West und Ost gewissermaßen vereint – beide Traditionslinien bringen Wertvolles ein – und behutsam ergänzt. Wie gezeigt werden konnte, hat Herbert Mühlstädt dieses Ansinnen unter den Bedingungen und Einschränkungen seiner Zeit (trotz aller Abgrenzungstendenzen35) zumindest ansatzweise verfolgt. Ob dies bewusst oder eher immanent geschah, kann nicht mehr rekonstruiert werden. Wesentlich erscheint mir in jedem Fall eine Begründung Schnackenbergs für den Einsatz von Geschichtserzählungen, die sich in diesem Zusammenhang als Minimalkonsens herauskristallisiert – zumindest legen die hier diskutierten Perspektiven dies nahe:

35 Diese formuliert Friedrich Weitendorf (Weitendorf 1961, 56) – also unmittelbar vor Erscheinen des ersten Bandes von Der Geschichtslehrer erzählt – wenn er den (zu dieser Zeit in der DDR vor allem in den Klassen 5 und 6 praktizierten) Geschichtsunterricht in historischen Bildern folgendermaßen charakterisiert: »Er hat nichts gemein mit dem sogenannten novellistischen Geschichtsunterricht der bürgerlichen Schule … Dort wird die Geschichte in Geschichten aufgelöst, die zum Teil gar nicht […] ausgewertet werden.«

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Wir haben aus der Geschichte der Neuzeit und der Zeitgeschichte viel mehr Quellenmaterial, und zwar nicht nur Herrschaftsquellen, so dass wir hier die Geschichtserzählung nicht so dringend benötigen. Es gibt genug narratives Material, welches genau die angesprochenen Funktionen und Vorteile des narrativen Ansatzes erfüllt. Aus der Antike, dem Mittelalter, aus der beginnenden Neuzeit liegt aber kaum solches Material vor, oder es ist sprachlich so schwierig, dass es im Unterricht nicht verwendet werden kann. (ebd., 5)

Dafür ist es notwendig – wie Bernd Hildenbrand es in einer Würdigung der Mühlstädt’schen Erzählungen bezeichnet – »faktionale Texte« zu elaborieren, deren Grundlage gesichertes historisches Wissen ist, das lediglich eine Einbettung in eine narrative Struktur erfährt (vgl. Mühlstädt 2003, 11). Sollte es in diesem Sinne ein »Grundrezept« historischen Erzählens geben, dann hat Herbert Mühlstädt (blendet man die ideologische Position aus und konzentriert sich allein auf das didaktische Potenzial) unverkennbar wesentliche Zutaten verwendet. Zweifelsohne ist das vermittelte Geschichtsbild stark verkürzend, denn von der Vielfalt an Deutungsmöglichkeiten historischer Zusammenhänge wird in Mühlstädts Texten wenig spürbar, so spannend diese Geschichten auch immer erzählt sind. Dass sie für Geschichte und für historische Literatur zu begeistern vermögen, bleibt unstrittig. Dass sie nicht von eigenem Nach-Denken und kritischer Rezeption entbinden, ebenso.

Primärliteratur Andrä, Jakob Carl: Erzählungen aus der Weltgeschichte. Ein Lehr- und Lesebuch für den ersten Unterricht in der Geschichte. Leipzig: Voigtländer, 1891 Behrendt, Dieter u. a.: Geschichte. Lehrbuch für die 5. Klasse der Oberschule. Berlin: Volk und Wissen, 1966 Korn, Vilmos und Ilse: Mohr und die Raben von London. Berlin: Kinderbuchverlag, 1962 Mischulin, A.: Geschichte des Altertums. Lehrbuch für die 5. und 6. Klasse der Mittelschule. Berlin: Volk und Wissen, 1948 Möbius, Siegfried: Geographie erlebt. Bd. 1. Materialsammlung für Lehrervorträge im Geographieunterricht der Klassen 5 und 6. Berlin: Volk und Wissen, 1981 Möbius, Siegfried: Geographie erlebt. Bd. 2. Materialsammlung für Lehrervorträge im Geographieunterricht der Klasse 7. Berlin: Volk und Wissen, 1984 Möbius, Siegfried: Geographie erlebt. Bd. 3. Materialsammlung für Lehrervorträge im Geographieunterricht der Klasse 8. Berlin: Volk und Wissen, 1986 Mühlstädt, Herbert/Ehrenfried Schenderlein/Werner Ziegner (Redaktion): Lehrbuch für den Geschichtsunterricht. 8. Schuljahr. Berlin: Volk und Wissen, 1956 Mühlstädt, Herbert/E. Schenderlein/E. Wegner : Aus vergangener Zeit. Lehrbuch für den Geschichtsunterricht 5. Schuljahr. Berlin: Volk und Wissen, 1957 Mühlstädt, Herbert: Der Geschichtslehrer erzählt. Bd. I. Berlin: Volk und Wissen, 1962 Mühlstädt, Herbert: Der Geschichtslehrer erzählt. Bd. II. Berlin: Volk und Wissen, 1965

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Mühlstädt, Herbert: Der Geschichtslehrer erzählt. Bd. III. Berlin: Volk und Wissen, 1966 Mühlstädt, Herbert: Der Geschichtslehrer erzählt. Bd. I. 4., überarb. Aufl. Berlin: Volk und Wissen, 1969 Mühlstädt, Herbert: Der Geschichtslehrer erzählt. Ergänzungsband. Berlin: Volk und Wissen, 1974 Mühlstädt, Herbert: Der Geschichtslehrer erzählt. Neue Fassung. Bd. 1: Von der Urgesellschaft bis zum Untergang des Weströmischen Reiches. Berlin: Volk und Wissen, 1980 Mühlstädt, Herbert: Radko läutet Sturm. 7. Aufl. Berlin: Der Kinderbuchverlag 1982 Mühlstädt, Herbert: Ebbo wehrt sich. 7. Aufl. Berlin: Der Kinderbuchverlag, 1983 Mühlstädt, Herbert: Der Geschichtslehrer erzählt. Neue Fassung. Bd. 3: Von der deutschen frühbürgerlichen Revolution bis zur französischen bürgerlichen Revolution. Berlin: Volk und Wissen, 1985 Mühlstädt, Herbert: Der Geschichtslehrer erzählt. Neue Fassung. Bd. 2: Von den Anfängen des Frankenreiches bis zum Vorabend der deutschen frühbürgerlichen Revolution. 2. Aufl. Berlin: Volk und Wissen, 1986 Mühlstädt, Herbert: Andres (Sammelband). 2. Aufl. Berlin: Kinderbuchverlag, 1988 Mühlstädt, Herbert: Der Geschichtslehrer erzählt. Bd. 4: Von der Napoleonischen Herrschaft und den Befreiungskriegen bis zum Ende des Ersten Weltkrieges. Berlin: Volk und Wissen, 1991 Mühlstädt, Herbert: Erzählte Geschichte(n). Neubearbeitet von Bernd Hildenbrand. Teil 1: Von der Ur- und Frühgeschichte bis zum Untergang des Römischen Reiches. Berlin: Volk und Wissen, 2003 Mühlstädt, Herbert: Erzählte Geschichte(n). Neu bearbeitet von Bernd Hildenbrand. Teil 2: Vom Frankenreich bis zur Reformation und den Bauernaufständen des 16. Jahrhunderts. Berlin: Volk und Wissen, 2005 Parigger, Harald: Geschichte erzählt. Von der Antike bis zum 20. Jahrhundert. Frankfurt/ M.: Cornelsen Scriptor, 1994 Pestalozza, Hanna Gräfin von: Geschichts-Erzählungen für die Unterstufe. Leipzig [u. a.]: Teubner, 1924 Wermes, Hanz/Sieglinde Kühne (Leitung des Autorenkollektivs): Geschichte. Lehrbuch für Klasse 6. Berlin: Volk und Wissen, 1978 Wettstädt, Günter (Red.): Geschichtslesebuch für das siebente Schuljahr. Berlin: Volk und Wissen, 1955 Zeise, Roland u. a.: Lehrbuch für Geschichte der 7. Klasse der Oberschule. Berlin: Volk und Wissen, 1963

Sekundärliteratur Anonymus: Lehrbuchredaktion Mittelschule: Neue Lehrbücher für das 5. und 6. Schuljahr. In: Geschichte in der Schule. Zeitschrift für den Geschichtsunterricht 10 (1957) H. 8, 438–440 Bonna, Rudolf: Die Erzählung in der Geschichtsmethodik von SBZ und DDR. Nebst einem Quellenband. Bochum 1996 Dammenhayn, Heidemarie u. a.: Fünfzig Jahre Volk und Wissen Verlag. Berlin 1995

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Döhn, Hans: Der Geschichtsunterricht in Volks- und Realschulen. Didaktisch-Methodische Grundfragen. Hannover 1967 Dose, Erich u. a.: Heimatkunde. Zur fachlichen Vorbereitung auf den Unterricht Klassen 1 bis 4. Für die Hand des Lehrers. Berlin 1974 Fürnrohr, Walter : Gegenwartsprobleme des Geschichtsunterrichts. In. Filser, Karl (Hg.): Theorie und Praxis des Geschichtsunterrichts. Bad Heilbrunn 1974 Gebauer, Axel/Kuno Radtke: Damit du in der Welt dich nicht irrst. In: Elternhaus und Schule (1989) H. 3, 18–19 Gentner, Bruno/Reinhold Kruppa: Methodik Geschichtsunterricht. 3., bearb. Aufl. Berlin 1983 Glöckel, Hans: Geschichtsunterricht. Bad Heilbrunn 1973 Hasberg, Wolfgang: Geschichte in Geschichten. In: Schreiber, Waltraud (Hg.): Erste Begegnungen mit Geschichte. Grundlagen historischen Lernens. Erster Teilband. Neuried 1999, 477–495 Kramer, Thomas: Micky, Marx und Manitu. Zeit- und Kulturgeschichte im Spiegel eines DDR-Comics 1955–1990. »Mosaik« als Fokus von Medienerlebnissen im NS und in der DDR. Berlin 2002 Kremtz, Gerhard u. a.: Lehrbuch für Geschichte der 5. Klasse der Oberschule. Berlin 1960 Langenhahn, Sandra: Historische Erzählungen und Romane. In: Steinlein, Rüdiger/Heidi Strobel/Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/ DDR. Von 1945 bis 1990. Stuttgart [u. a.] 2006, 390–450 Lehmstedt, Mark: Die geheime Geschichte der Digedags. Die Publikations- und Zensurgeschichte des »Mosaik« von Hannes Hegen (1955–1975). Leipzig 2010 Marienfeld, Wolfgang/Wilfried Osterwald: Die Geschichte im Unterricht. Grundlegung und Methode. Düsseldorf 1966 Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik/Ministerium für Volksbildung: Lehrplan Geschichte Klassen 5–7 (Inkrafttreten 1966–1968). Berlin 1981 Ministerrat der Deutschen Demokratischen Republik/Ministerium für Volksbildung: Lehrplan Geschichte Klassen 5–10 (Inkrafttreten 1988–1989). Berlin 1988 Mühlstädt, Herbert: Die zentrale Aufgabe – sozialistisch erziehen! In: Geschichte in der Schule. Zeitschrift für den Geschichtsunterricht 10 (1957) H. 9, 483–486 Neubert, Reiner : Sachliteratur. In: Steinlein, Rüdiger/Heidi Strobel/Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR. Von 1945 bis 1990. Stuttgart [u. a.] 2006, 903–934 Osburg, Florian: Tafelbilder im Geschichtsunterricht. 7. Aufl. Berlin 1988 Plischke, Ursula: Von der Heimatkunde zum Sachunterricht – Gegenwärtige Entwicklungen im Land Sachsen. In: Oberliesen, Rolf (Hg.): Heimatkunde-Sachunterricht Wohin? Hamburg 1994 Röke, Wolfgang u. a.: Unterrichtshilfen Geschichte Klasse 6. Berlin 1979 Schnackenberg, Martin: Geschichtserzählungen. Praxis Geschichte extra. Braunschweig 2014 Schultz, Hans/Doris Kruppa: Episoden und Erzählungen zu den Stoffeinheiten, die vor allem der staatsbürgerlichen Bildung und Erziehung dienen. In: Schultz, Hans u. a.: Beiträge zur Gestaltung des Unterrichts in Heimatkundlicher Anschauung. Berlin 1968, 41–51

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Steinlein, Rüdiger/Heidi Strobel/Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR. Von 1945 bis 1990. Stuttgart [u. a.] 2006 Stohr, Bernhard: Methodik des Geschichtsunterrichts. Probleme der methodischen Gestaltung des Geschichtsunterrichts in der allgemeinbildenden polytechnischen Oberschule. Berlin 1962 Verlagsprogramm Volk und Wissen Grundschule. Berlin 1994 Weitendorf, Friedrich: Geschichtsunterricht. Methodisches Handbuch für den Lehrer. Berlin 1961

»Der Geschichtslehrer erzählt« im geschichtsdidaktischen Kontext

Abb. 1 Band I (1. Auflage 1962, Einband: Heinz Ebel)

Abb. 2 Band I (4. Auflage 1969, Einband: Heinz Ebel)

Abb. 3 Band II (1. Auflage 1965, Einband: Harri Förster)

Abb. 4 Band III (1. Auflage 1966)

Abb. 5 Ergänzungsband (1. Auflage 1974, Einband: Herbert Lemme)

Abb. 6 Band 1/Neue Fassung (1. Auflage 1980, Einband: Gerhard Preuß, Karl-Heinz Bergmann)

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Abb. 7 Band 2/Neue Fassung (1. Auflage 1983, Einband: Gerhard Preuß, Karl-Heinz Bergmann)

Abb. 8 Band 3/Neue Fassung (1. Auflage 1985, Einband: Gerhard Preuß, Karl-Heinz Bergmann)

Abb. 9 Band 4 (1. Auflage 1991, Einband: Gerhard Preuß, Herbert Lemme)

Abb. 10 Teil 1 (1. Auflage 2003, Einband: Gerhard Medoch), vordere Einbanddecke

Abb. 11 Teil 1 (1. Auflage 2003, Einband: Gerhard Medoch), hintere Einbanddecke

Abb. 12 Teil 2 (1. Auflage 2005, Einband: Katrin Nehm)

Sebastian Schmideler (Chemnitz/Leipzig)

Vom »Kaleidoskop« bis zur »Bilderbude«. Visuelle und visualisierende Anschauungsbildung in der populärwissenschaftlichen Kinder- und Jugendliteratur der DDR

Anschauungsbildung als Konzept der Wissen vermittelnden Kinder- und Jugendliteratur Wissensvermittlung ist in der Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur seit jeher mit Konzepten der Anschauung verbunden.1 In Bild und Text2 sollte die Vorstellungsbildung der Kinder und Jugendlichen durch Anschauung systematisch geschult werden, um ihnen auf diese Weise zu ermöglichen, das vermittelte Wissen eng verbunden mit einer spezifischen Weltanschauung zu verinnerlichen (vgl. Schmideler 2014). Anschaulichkeit im sprachlichen und im grafischen Bild erzeugte Bildung; sie diente im 17. und 18. Jahrhundert vorrangig zur Darstellung religiösen Wissens (vgl. u. a. Bannasch 2007). Dabei entstand eine »Pädagogik der Einschleichung«, wie Bettina Bannasch plausibilisieren konnte. Für diese Form der Anschauungsbildung gilt: »Das Verfahren der Einschleichung unterscheidet nicht notwendig zwischen konkreten Bildern und anschaulichem Erzählen, sondern zielt auf die Optimierung des Lernprozesses mithilfe einer anschaulichen Lernmethode.« (ebd., 251) Mit der Entstehung der Realienpädagogik (vgl. Kühlmann 1996) und der darauf basierenden enzyklopädischen Elementarwerke (vgl. u. a. Pohlmann 2011), die oftmals in der Tradition des Orbis sensualium pictus (1658) von Jan Amos Comenius standen (vgl. einführend Lemmermöhle 2013), wurde Anschauung zu einem etablierten Konzept der Darstellung von Wissen in der Kinder- und Jugendliteratur des 17. und 18. Jahrhunderts. Durch die Anschauungsbildung der philanthropischen Bewegung und die Popularisierung der Grundannahmen einer Pädagogik der Anschauung im 19. Jahrhundert vonseiten bedeutender Erzieher 1 Zum Begriff des Konzepts in der Kinder- und Jugendliteraturforschung vgl. Ewers 2012, 155–165. Zur Schnittmenge mit der Setzung der Norm von »Kinder- und Jugendliteratur als (religiöse, soziale oder politische) Weltanschauungsliteratur« vgl. insbesondere ebd., 164. 2 Zu Text und Bild im historischen Sachbuch für Kinder und Jugendliche und dem Verhältnis von Belehrung und Unterhaltung sowie erzählenden und faktualen Anteilen der Wissensvermittlung vgl. Fassbind-Eigenheer/Fassbind-Eigenheer 1990.

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wie den Schweizer Pädagogen Johann Heinrich Pestalozzi gelang es, die Methodik der anschauungsgeleiteten Wissensvermittlung weiter zu spezifizieren.3 Im 19. Jahrhundert war Anschauung daher bereits ein allgemein etablierter Begriff von großer ästhetischer und anthropologischer Bedeutung für die menschliche Wahrnehmung, wie bspw. aus einem Eintrag aus dem Konversationslexikon von Brockhaus in der Ausgabe von 1817 deutlich werden kann, das für die gebildete Welt vorbildlich und verbindlich war : Anschauung bedeutet im engeren Sinne eine durch Gesichtsempfindung, im weiteren Sinne jede durch die Empfindung irgend eines Sinnes unmittelbar erlangte Vorstellung. […] Sie ist unter allen der Vorstellungen die klarste und lebhafteste. Alles, was im Raum ist, gibt äußere Anschauungen, was hingegen in der Zeit ist, was wir nur als Veränderungen in uns wahrnehmen, Gedanken, Bilder der Imagination … gibt innere Anschauungen. (Brockhaus 1817, 210)

Diese etablierten historisch gewachsenen Konzepte der Anschauung wurden im Verlauf des 20. Jahrhunderts innerhalb der Wissensvermittlung in der Kinderund Jugendliteratur keineswegs obsolet. Auch in der Kinder- und Jugendliteratur der DDR war das Prinzip der Anschaulichkeit in der Sachbuchproduktion bis zum Ende der Existenz dieses Staates von höchster Priorität. Als der Kinderbuchverlag Berlin 1989 sein vierzigstes Gründungsjubiläum feierte, propagierte Hans-Peter Wetzstein in der Festschrift zu diesem denkwürdigen Ereignis folgende programmatische Handlungsmaxime: »Im Verlag werden wir zielstrebig daran arbeiten, eine Bibliothek von Sachbüchern zu entwickeln, die Kindern […] alle für sie wichtigen Fakten wissenschaftlich exakt, anschaulich und unterhaltsam beantwortet.« (Wetzstein 1989, 77) Dieses Plädoyer zur Weiterentwicklung der Sachliteratur als einer Literatur der Anschaulichkeit wurde kurz vor dem Zusammenbruch der DDR veröffentlicht, sodass diese Ansprüche und Absichten nicht mehr realisiert werden konnten. Es stellt sich angesichts dieser bis zum Ende der DDR akzentuierten Bedeutung dieses Konzepts der Wissensvermittlung die für die literaturwissenschaftliche Erforschung der Literatur für Kinder und Jugendliche in der DDR relevante Frage, welche Strukturen von Anschauung in der Sachliteratur unter 3 »Anschauungslehre hat Pestalozzi die Anweisung zu seiner Methode, die Kinder zum Bewußtseyn der Zahlen- und Maßverhältnisse zu bringen […] genannt, weil er davon ausgeht, die Kinder in Stand zu setzen, daß sie die zu construirenden Größen in allen ihren Theilen und Beziehungen mit Selbstthätigkeit sinnlich anschauen.« (Brockhaus 1817, 210f.) Schmidt 1879, 179 stellt hierzu ergänzend in Bezug auf die Bedeutung Pestalozzis für die Herausbildung des Anschauungsunterrichts im 19. Jahrhundert fest: »Seitdem Pestalozzi den Grundsatz, daß aller Unterricht anschaulich sein müsse, zum Formalprinzip des elementaren Unterrichtes erhoben hat, sind die Worte ›Anschauung‹ und ›Anschaulichkeit‹ Schlagworte im Kreise derer, welche das wichtige Geschäft der Bildung und Erziehung der Jugend sich zur Aufgabe ihres Lebens gemacht haben.«

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diesen Voraussetzungen ausgeprägt waren. Der folgende Beitrag verfolgt das Ziel, diese Strukturen zu identifizieren und zu rekonstruieren, wobei der Fokus auf der Sachbuchproduktion der siebziger und achtziger Jahre liegen wird, als der Anteil der Sachbücher innerhalb des Gesamtangebots an Kinder- und Jugendliteratur besonders hoch gewesen ist (vgl. Neubert 2006, 930 und Günther 1988, 116). Zuvor soll das Konzept der Anschauungsbildung in den theoretischen Kontext der Sachliteratur für Kinder und Jugendliche in der DDR eingeordnet werden.

Die Theorie der Anschaulichkeit in der populärwissenschaftlichen Kinder- und Jugendliteratur der DDR Anschauungsbildung in der Sachliteratur für Kinder und Jugendliche ist eng mit Visualisierungsstrategien verknüpft. Diese Strategien verfolgen die Intention, einerseits auf der Bild- und andererseits auf der Wortebene des jeweiligen Sachbuchs Vorstellungsbildung zu initiieren. Diese Verschränkung von Bildund Wortebene erklärt sich bereits aus der historischen Genese, durch die diese Form der Wissensvermittlung etabliert werden konnte: »Denn es war Ziel dieser Pädagogik der Anschauungsbildung, sowohl die Verbalisierung des Bildes als auch die Verbildlichung des Wortes innerhalb von gezielten Gedächtnisübungen und spezifischen Strategien der Wissensvermittlung für den Erziehungsprozess vielseitig nutzbar zu machen.« (Schmideler 2014, 15) Aus diesem Grund begegnet man in der Anschauungsbildung sowohl visuellen Strategien der Wissensvermittlung, die an das Bild bzw. den piktoralen Code gebunden sind, als auch visualisierenden Strategien, die an das Wort bzw. den verbalen Code der Wissensdarstellung geknüpft werden. Mit dieser traditionellen Janusköpfigkeit der Anschauungsbildung argumentierten sogar noch die Protagonisten der Theorie zur Sachliteratur für Kinder und Jugendliche in der DDR. Rasch nachdem bereits in den sechziger Jahren deutlich geworden war, dass sich die Sachliteratur für Kinder und Jugendliche in der DDR nicht darin erschöpfen könne, dass »syntaktische Korrektheit, semantische Adäquatheit und optimale Wirksamkeit« die einzigen Kriterien der Ästhetik des populärwissenschaftlichen Literatur sein dürften (Günther 1988, 91), trat die schöne Gestalt eines Sachbuchs in den Fokus der theoretischen Diskussion. Strategien der Emotionalisierung der jungen Leserschaft und der Ästhetisierung der Sachliteraturproduktion wurden in den siebziger und achtziger Jahren zu zentralen Merkmalen einer sich wandelnden Sachliteraturproduktion. Die sachliche und formale Nähe der Sachliteratur zur Methodologie bzw. zu Zusammenhängen, die vom schulischen Verwertungskontext geprägt waren, erwies sich hierbei als

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fruchtbarer Ansatz, um traditionelle Strategien der Anschauungsbildung auch erfolgreich in Sachbüchern für Kinder und Jugendliche zu verwenden. Hier bewährte sich besonders der Deutschunterricht der DDR in den fünfziger und sechziger Jahren als eine Brücke zu einer Ästhetik der Anschauung im Sachbuch für Kinder und Jugendliche. So konstatiert der für dieses Thema ausgewiesene Literaturdidaktiker Hartmut Jonas in der wünschenswerten Klarheit, die Anschauung gründete auf den in den 1950er und 1960er Jahren weit verbreiteten Literaturauffassungen, nach denen Literatur entweder ein Denken in Bildern sei, bei dem man die dominierenden soziologischen Inhaltswerte und die ästhetischen Formwerte auseinander halten und man dadurch auch gewünschte Wirkungen auf die Weltanschauung bei den LeserInnen erreichen könne (soziologische Orientierung der Literatur), oder im Gegensatz dazu Literatur als spezifische Abbildung bestimmt wird, nach der sie die entsprechende Methode liefere, die Wirklichkeit besser zu durchschauen und das eigne Handeln dementsprechend auszurichten (gnoseologische Orientierung der Literatur). Diese beiden Literaturauffassungen, die vielen didaktischen Veröffentlichungen der 1950er und 1960-er [sic!] zugrunde lagen und auch noch weit in die 1970er Jahre hineinreichten […], führten dazu, den SchülerInnen Kinder- und Jugendbücher in einem engmaschigen Lernprozess nahe zu bringen, um die in den Zielen des Literaturunterrichts geronnenen Ansichten der Einflussnahme auf die Persönlichkeitsentwicklung zu erreichen. (Jonas 2004, 258)

Ob nun von »Denken in Bildern« (Jonas) oder von »Literatur als spezifischer Abbildung« (Jonas) die Rede war – beide methodischen Ansätze basierten auf (allerdings unterschiedlich akzentuierten) Prinzipien von Anschaulichkeit. Doch nicht nur der einzelne Fachunterricht, sondern auch die allgemeine Didaktik hob innerhalb der theoretischen Diskussion immer wieder auf die Bedeutung des Prinzips der Anschaulichkeit von Unterricht ab. Lothar Klingbergs Einführung in die Allgemeine Didaktik akzentuiert in besonderer Deutlichkeit in der Tradition von Pestalozzi die große Bedeutung, die Anschaulichkeit für die Methodik des Unterrichts in der DDR grundsätzlich gehabt hat: Wenn wir im folgenden das Prinzip der Anschaulichkeit des Unterrichts hervorheben, dann sind wir uns der Diskussionswürdigkeit dieser Aussage bewußt. In der didaktischen Literatur wird in diesem Zusammenhang auch vom Prinzip der »Einheit des Konkreten und Abstrakten« bzw. der »Einheit des Konkreten und des von ihm Abstrahierten« gesprochen. […] Das bekannte Prinzip der Einheit des Konkreten und Abstrakten schließt dieses »lebendige Anschauen« zwar ein, orientiert aber doch nicht entschieden genug auf die »anschauliche Seite« des Unterrichtsprozesses. Gegenwärtig gibt es Anzeichen dafür, daß die Anschaulichkeit des Unterrichts vernachlässigt wird. Aus dem richtigen Bestreben heraus, den Theoriegehalt des Unterrichtsstoffes deutlich herauszuarbeiten, kommt die Veranschaulichung unterrichtlicher Sachverhalte bei vielen Lehrern zu kurz. Mit der Betonung eines Prinzips der Anschaulichkeit des Unterrichts möchten wir dieser Gefahr begegnen und dazu beitragen, daß eine stärkere Besinnung

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auf die elementare didaktische Tatsache erfolgt, daß es kein Lernen ohne Anschauung gibt, daß die Anschaulichkeit ein Wesensmerkmal des Unterrichts ist. (Klingberg 1974, 269; vgl. auch Barz 2017, 335 und die Ausführungen von Barz ebd., 334–338)

Eine »Tendenzwende« (Bonna 1996, 408) bedeutete für die gesamte Konzeption von Anschaulichkeit im Unterricht die Plenarrede der Volksbildungsministerin Margot Honecker auf dem VIII. Pädagogischen Kongress im Jahr 1978: Als »Aspekte ihres Referates sind […] hervorzuheben: a) die starke Betonung der emotionalen Komponente des Lernens und der klaren Vorstellungsbildung« (ebd., 408). Diese Forderung findet bspw. in der methodologischen Konzeptionierung von Geschichtsunterricht in der DDR und dort konkret in der Gestaltung von Geschichtserzählungen einen Brückenschlag zwischen pädagogisch-methodischer Anschauungsbildung und Sachliteratur für junge Leser (vgl. auch ebd.). Im Sinn der Tradition der Anschauungsbildung hatte die Sachliteratur der DDR spätestens seit den sechziger und siebziger Jahren im Fokus, sowohl den piktoralen als auch den verbalen Code der Wissensvermittlung für diese emotionalisierende und klare innere Vorstellungsbildung der jungen Leserschaft ästhetisch im Blick zu behalten. Als substanzielle Handlungsmaxime war es den Sachbuchproduzenten demgemäß ein vordergründiges Anliegen, »die bildliche Erfaßbarkeit und die emotionale Erschließbarkeit der Sachstoffe zu gewährleisten« (Günther 1988, 115f.). Diese visuell-veranschaulichenden und emotional-ergreifenden Komponenten in Bild und Wort fügten sich zu einer gemeinsamen Schnittmenge der Wissensvermittlung zwischen pädagogischem und methodischem Anspruch auf der einen und der spezifischen Ästhetik der Sachliteratur auf der anderen Seite zusammen. So forderte Hans-Peter Wetzstein in seinem Artikel Verführung zum Lernen. Bemerkungen zu einigen Grundsätzen unserer populärwissenschaftlichen Kinder- und Jugendliteratur im selben Jahr, in dem Margot Honecker ihre Grundsatzrede zur Anschaulichkeit der Bildung gehalten hatte, als Maxime: »Hohe Anschaulichkeit verlangt starke Bildhaftigkeit – nicht nur in der Illustration, sondern auch im Text. Dafür wird Platz gebraucht.« (Wetzstein 1978, 44) Die illustrativ-bildhafte, emotionalisierende Versinnlichung und Veranschaulichung hatte die Aufgabe, das Lernen als etwas Schönes zu gestalten. Die Wissensvermittlung sollte sich ästhetisch reizvoller Formen bedienen, um sinnlich begreifbar zu machen, dass es ein Genuss ist, etwas zu lernen. Dazu sollten exponierte Sachbücher, die wie Meyers Jugendlexikon (Butzmann/Gottschalg/Müller-Hegemann1968) und das Kinderlexikon Von Anton bis Zylinder (Bellack 1967) den Charakter von Prestigeprojekten engagierter sozialistischer Kinder- und Jugendliteratur besaßen, ein anschauliches Lernen am Modell gewährleisten:

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Beide [Lexika, Seb. Schm.] sind aber zuerst und vor allem Modelle, an denen sehr junge Menschen lernen sollen, wie Wissensspeicher gehandhabt werden, und an denen sie begreifen und erfühlen können, daß es etwas Schönes ist, dieser so lebenswichtigen Methode der Lernarbeit mächtig zu sein und im klugen Gebrauch dieses wissenschaftlichen Werkzeugs den Zustrom neuen Wissens und größerer Denkfähigkeit zu gewinnen. (Meyer 1970, 91)

Das Lernen am Modell durch Anschauungsbildung ermöglichte die erwünschte Einheit, mit der Sachliteratur emotionalisierend und klar in der Struktur wirken konnte: Sie sollte einerseits das Auge durch visuelle Eindrücke der Illustrationen im piktoralen Code der Bildebene reizen. Sie sollte andererseits die innere Vorstellungsbildung durch eine ansprechende Ästhetisierung der Wortebene veranschaulichend im verbalen Code der Wortebene fördern.

Bild und Bildlichkeit im piktoralen und verbalen Code: Visuelle Darstellungsstrukturen Um die Wissensvermittlung im Kinder- und Jugendsachbuch diesen Zielen anzupassen, entwickelten die Sachbuchproduzenten je eigene spezifische Visualisierungsstrategien. So hat der bekannte Illustrator Eberhard Binder-Staßfurt bspw. sogenannte »Ideogramme« entworfen, um der Adressatenspezifik in der visuellen Wissensvermittlung gerecht werden zu können (Binder 1986, 37). Da die klare Vorstellung der Information und die Emotion als ausschlaggebende Komponenten der Anschaulichkeit propagiert worden waren, sind diese »Ideogramme« als die visuelle Antwort Binders auf diese Forderungen zu verstehen. Sie waren von Binder in Anlehnung an Piktogramme als »einfachste Zeichen« konzipiert, die im Bild »für einen Begriff« stehen, der Kindern die »vorgestellten Dinge, Fakten oder auch Prozesse« so darstellt, dass gerade »das Typische daran« gezeigt wird (ebd., 37). Durch diese Bildzeichen sollte das »Bild-Denken« zu einer Form des »bildhaften Denkens« werden, um aus »NichtEinsehbarem und Nicht-Begreifbarem« etwas über Visualisierung sinnlich »Sicht- und Begreifbares« zu machen (ebd., 38). Mit diesem programmatischen Anspruch, den Eberhard Binder-Staßfurt hier für sich reklamierte, geht nicht nur eine grundsätzliche ästhetische Aufwertung der Bedeutung von Sachbuchillustrationen für den Prozess der Wissensdarstellung einher. Die Sachbuchillustration als »Ideogramm« »sichert die Erkenntnis«; sie »prägt sie ein« (ebd., 38). Sie hat somit höchste Priorität im Prozess der Wissensvermittlung für Kinder und Jugendliche. Anschaulichkeit wird hier über Anschauung im piktoralen Code zu entscheidenden Instrumenten der adressatenspezifischen Wissensdarstellung.

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Wird hier das beachtliche Reflexionsniveau einer der bekanntesten Kinderund Jugendsachbuchillustratoren der DDR gegenüber der Anschauungsbildung als visueller Wissensvermittlung deutlich erkennbar, zeigt andererseits auch die Sachbuchtheorie der DDR den vergleichsweise hohen Reflexionsgrad an, unter dem die Ästhetik des Visuellen im Kinder- und Jugendsachbuch thematisiert wurde. So unterschied Harri Günther differenziert einzelne Bildtypen in der Sachbuchillustration für Kinder und Jugendliche (Günther 1988, 28f.). Günther beschreibt damit die Kategorien der Funktion bzw. Bildlichkeit dieser Illustrationen. Er typisiert erstens »dokumentarische Bilder« als »exaktes, zumeist fotografisches Abbild«, klassifiziert zweitens »semantisch verdichtete Bilder« als »Wiedergabe einer Erscheinung mit der Treue des Details« mit »texterläuternden« oder »textausdeutenden« Funktionen und definiert drittens »Wissensbilder« als Mittel der »rationalen Aneignung« von Wissen und als »texterläuterndes und textkonstituierendes Element« (ebd., 28f.). Günther kommt zu der Einsicht, dass die Sachbuchproduktion der DDR »hinsichtlich dieser Komplexität eine ganze Reihe von Pionierleistungen aufzuweisen« habe, wobei er speziell die »Einheit von sachlich-rationalen und ästhetisch-emotionalen Wertevermittlungen« im Bild akzentuiert (ebd., 29). Überblickt man die Gesamtproduktion von Kinder- und Jugendsachbüchern der DDR fällt in der Tat auf, dass hier in teilweise sehr differenzierter Form die visuelle Wissensvermittlung über die Sachbuchillustration als ästhetische Herausforderung und als anspruchsvolles künstlerisches Problem begriffen worden ist. Im Fall der dokumentarischen Bilder überraschen bspw. die Präzision und die Innovation, mit der Fotos zur ästhetischen Wissensvermittlung über den piktoralen Code zum Einsatz gelangten. Zwar gab es in den fünfziger Jahren noch stark traditionsbehaftete und ideologielastige Lehrbücher, die wie die für Berufsschulen und Betriebsfachschulen bestimmten Bilder zur deutschen Geschichte. 1848–1945 (Chevalier 1955) noch die simple Funktion von Dokumentationspropaganda zum Zweck des Bestärkens in der politischen Instrumentalisierung der jungen Betrachter erfüllten, für die Fotosachbücher der siebziger und achtziger Jahre ist der ästhetische Anspruch jedenfalls bereits auf einem ganz anderen Niveau. Hervorzuheben sind hier bspw. die Fotografien von Wolf Spillner in seinem Bildband Schätze der Heimat (Spillner 1986). In hervorragenden Farbaufnahmen aus den Naturschutzgebieten der DDR von Rostock bis Suhl dokumentiert Spillner hier den Reichtum der Fauna und Flora in eindrucksvollen, teilweise in Doppelseiten wiedergegebenen Details, die Vielfalt und Artenreichtum in erstaunlicher Buntheit und Farbenpracht der Fotografien zeigen. Obwohl hier das Foto im Fokus steht, wird auch deutlich, dass Anschaulichkeit ebenso über den Text im verbalen Code erzeugt werden sollte.4 4 Vgl. Spillner 1986, Klappentext auf der hinteren Einbanddecke: »Aus der Fülle von über

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Abb. 1 Wolf Spillner : Schätze der Heimat. Kinderbuchverlag 1986

Von nicht weniger hoher Qualität sind die Fotosachbücher einer teilweise in höherer Auflagenzahl verbreiteten Reihe des Leipziger Rudolf Arnold Verlags,5 in denen ebenfalls die fotodokumentarische Struktur der Bildebene dominiert. Die Farbfotografien von Naturwissenschaftlern in Seevögel, Meer und Küstenland (Schönert 1982), Dem Biber auf der Spur (Zuppke 1987), Entdeckungen unter Wasser (Fiedler 1982) und Hamstersommer (Massny 1983) nutzen das Bild für ungewöhnliche Kameraperspektiven, die Tiere der »Heimat« in ihrem natürlichen Lebensraum darstellen. Diese Bilder sind, wie bspw. Fiedlers Farbaufnahmen in Entdeckungen unter Wasser (Fiedler 1982), mit einer Spezialkamera aufgenommen; sie dokumentieren rationales naturwissenschaftliches bzw. biologisches Wissen, bestechen aber ebenso wie Wolf Spillners profilierte Naturfotografien durch ihre ästhetische Dimension als Kunstwerke der Sachbuchfotografie. Es entsteht Anschauung durch Fotorealismus. Dem Anspruch, ästhetische visuelle Eindrücke durch Emotionalisierung im Sinn der Konzeption von Anschauungsbildung der DDR zu verstärken, wurde Wolf Spinner in seinem Sachbilderbuch Der Riese von Storv,len (Spillner 1983) siebenhundert Reservaten stellt Spillner jeweils ein Naturschutzgebiet aus jedem Bezirk unseres Landes in anschaulichem Text und beeindruckenden Farbfotos vor.« 5 Von Fiedler 1982 erschien 1990 bspw. bereits die siebente Auflage.

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gerecht. Hier wird die schwedische Fauna und Flora nicht nur in den naturalistischen Naturfotografien auf der visuellen Ebene präsentiert. Spillner emotionalisiert durch eine Bilderbucherzählung, die seine Naturfotografien in einen fiktionalen Kontext einbetten. Um diesen gesteigerten Anteil des Fiktionalen in diesem Sachbilderbuch zusätzlich zu unterstreichen, werden einzelne Szenen der erfundenen Handlung von Gerhard Lahr als Aquarellzeichnungen visualisiert, sodass die Doppelseitenstruktur dieses Sachbilderbuchs im Konzept der Anschauung aus der innovativen Mischung der Naturfotografien Spillners, dem erzählenden Text von Spillner und den die Erzählung untermalenden Illustrationen von Gerhard Lahr besteht. Hier wurde der Anspruch an klare Vorstellungsbildung und die Emotionalisierung der Darstellung geradezu mustergültig umzusetzen versucht. Mit einer ähnlichen Mischung der Anschauungsbildung im piktoralen Code – von in diesem Fall Schwarz-Weiß-Fotografien mit dokumentationspropagandistischer Funktion und farbiger Illustration – arbeitete Fred Westphal in Gisela Karaus Sacherzählung Darf ich Wilhelm zu Dir sagen über das Leben des ersten Präsidenten der DDR Wilhelm Pieck (Karau 1979). Die Sachwissen visualisierenden propagandistischen Fotografien aus der Geschichte der Arbeiterbewegung werden anhand der von Karau erzählten Biografie des Protagonisten Wilhelm Pieck im verbalen Code veranschaulicht. Zusätzlich inszenierte Westphal eine junge Pionierin der DDR über die bunten Illustrationen, die in die historischen Fotografien in einer Collagetechnik einmontiert sind, als emotionsleitende Identifikationsfigur. So wie in diesem Buch dienen auch in zahlreichen anderen Beispielen visuelle Darstellungselemente zur Emotionalisierung der jungen Leserschaft durch visuelle Anschauung. Sie sollen so einen Beitrag zur ästhetischen Erziehung leisten. Die Sachbuchillustrationen zeichneten sich daher in der DDR durch eine ansprechende Vielfalt aus: »Bemerkenswert ist die abwechslungsreiche Illustration in verschiedenen Techniken« (Künnemann 1980, 349), wie Horst Künnemann bspw. in Bezug auf Reimar Gilsenbachs Rund um die Erde (Gilsenbach 1971) konstatiert hat. In Bernd Wolffs Von Klöstern und Burgen. Ein Kulturbild aus der Zeit der Romanik (Wolff 1986) imitiert die Illustratorin Erdmute Oelschlaeger ebenso wie der Illustrator Peter Muzeniek in Heidemarie Näthers Hinter Mauern und Türmen. Ein Kulturbild aus der Zeit der Gotik (Näther 1983) die spätmittelalterliche Miniaturmalerei als visuelles grafisches Gestaltungselement. Die Illustrationen der Kapitelanfänge sind in detailliert ausstaffierten Aquarellen ausgeführten Initialien der illuminierten Buchmalerei des Spätmittelalters nachempfunden. Auch die Illustrationen Peter Muzenieks in Näthers Sachbilderbuch sind ästhetisch den Gestaltungsprinzipien des mittelalterlichen Buchschmucks verpflichtet. Sie sollen der Ästhetisierung und der Emotionalisierung der Wissensvermittlung im piktoralen Code dienen. In Bernd Wolffs

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Band werden hingegen »Zeichnungen aus einer zeitgenössischen Bilderhandschrift« zu diesem Zweck eingesetzt (vgl. Wolff 1986, Titel). Die fotorealistische Qualität von Illustrationen der »dokumentarischen Bilder« (Günther) konnte auch mit Tuschfederzeichnungen und Aquarellen umgesetzt werden, so bspw. in den Illustrationen von Klaus Segner zu dem architekturhistorischem Sachbilderbuch Ein Dach über dem Kopf. Von alten und neuen Häusern (Henselmann 1983), ein Werk von Irene Henselmann, der Ehefrau des bekannten DDR-Architekten Hermann Henselmann, der auch die fachliche Beratung für dieses Kindersachbuch übernommen hat. Hier wird mit mimetischer Präzision ein ästhetischer Eindruck von Fotorealismus in den farbig gezeichneten Illustrationen Segners im Sinn einer ästhetischen Anschauungsbildung erzeugt, der auf höchste Detailtreue der dargestellten architektonischen Häusertypen im diachronen Verlauf und dem in kleinen Illustrationen abgebildetem Hausrat achtet. Dabei werden auch kunstvolle axonometrische Aufrissschrägbilder in Kavalierperspektive als Illustrationen verwendet, die für anspruchsvolle professionelle Architekturzeichnungen typisch sind, sodass der hohe Professionalisierungsanspruch der visuellen Anschauungsbildung in diesem Kindersachbuch einmal mehr deutlich werden kann. Ein ästhetisch sehr gelungenes Experiment, das visuelle und visualisierende Darstellungsstrukturen der Anschauung im piktoralen und verbalen Code kunstvoll miteinander verschränkt, stellt das Reisebuch und illustrierte Sacherzählbuch Der Bär mit dem Vogel auf dem Kopf. Geschichten und Bilder aus der Mongolei dar (David 1977), das von Kurt David erzählt und von Gerhard Großmann illustriert wurde: Ein Maler und ein Schriftsteller reisten in die Mongolei. Das geschah zu verschiedenen Zeiten und ohne daß es einer vom anderen wußte. Der Maler malte, was er sah, der Schriftsteller schrieb auf, was er erlebte. Später hängte der Maler seine Bilder in eine Ausstellung und traf dort auch den Schriftsteller. Am Ende des langen Gesprächs über ihre Reise in das Land des blauen Himmels sagte der Maler: »Du könntest den Kindern einiges von dem erzählen, was auf meinen Bildern nicht zu sehen sein kann!« »Mache ich«, erwiderte der Schriftsteller, »und was ich mit Worten allein nicht zu erzählen vermag, werden die Kinder auf deinen Bildern sehen.« (David 1977, Klappentext auf der hinteren Bucheinbanddecke)

Während hier eine organische und ästhetisch sehr gelungene Verschränkung von malerischer Qualität der Illustrationen und einer anschaulich lebendigen Reiseschilderung als ein spannungsvoller Moment künstlerischer Synästhesie von Bild und Wort zu beobachten ist, konnte die Tuschfederzeichnung oder das Aquarell auch idealisieren und verschönern, was eine fotografische Abbildung im sozialistischen Alltag der DDR nur desillusionierend im Prozess des Verfalls und im Zustand der Zerstörung hätte visuell darstellen können. Hier hatte der visuelle Code der veranschaulichenden Illustrationen eine kaschierende und

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camouflierende Funktion. Die Illustrationen von Manfred Bofinger zu Richard Christs ideologischem Propagandasachbuch Sieben Wunder für Jim (Christ 1984) aus der sog. »Internationalen Reihe« des Kinderbuchverlags Berlin mit einer Sammlung »sozialistischer Initiationsreisen« (Strobel 2006, 215ff.) sind derartige Muster im Vertuschen und Retuschieren von architektonischen Miseren baufälliger Gebäude und von kulturellen Missständen in der DDR, um durch Anschaulichkeit ein idealisiertes Bild der DDR im piktoralen Code zu erzeugen.

Abb. 2 Richard Christ: Sieben Wunder für Jim. Ill. v. Manfred Bofinger. Kinderbuchverlag 1984

Das Buch sollte nach dem Vorbild der sieben Weltwunder der antiken Welt der jungen Leserschaft »sieben Wunder« aus dem Alltags- und Kulturleben der DDR in Wort und Bild vor Augen führen. Diese »sieben Wunder« werden an sieben Tagen in den vierzehn Bezirken der DDR mit einem kapitalistischen amerikanischen Freund des Erzählers, Jim, bereist – einem Chemiker, »der von der anderen Seite des Erdballs« kommt, »aus einer anderen Welt« (Christ 1984, 4). Jim gelüstet es danach, während seiner Reise in die DDR einmal etwas anderes zu sehen als das, was er »von daheim kenne, […] Arbeitslose […] oder Slums« (ebd., 5). Das Buch avanciert demgemäß zu einer nicht ohne propagandistische Absichten betriebenen Leistungsschau der sozialistischen Errungenschaften in

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Kunst, Kultur, Industrie und Architektur der DDR, wobei Bofingers Illustrationen die Funktion einer visuellen Paralleldarstellung »semantisch verdichteter Bilder« (Günther 1988, 28) erfüllen, die zusätzliche Informationen in Bild und Wort vermitteln, die in Christs erzählenden Reisefeuilletons nicht erwähnt werden. Die Leuna-Werke oder der Braunkohletagebau – unrühmliche Symbole sichtbarer sozialistischer Zerstörung der Natur und Verschmutzung der Umwelt in der DDR – erstrahlen in Bofingers Illustrationen in bunter und leuchtender Farbigkeit als seien sie sozialistische »Weltwunder« der chemischen Industrie. Angesichts dieser glorifizierenden sozialistischen Idyllen der Illustration im piktoralen Code ist selbst Christs nicht gerade antisozialistische DDR-Erzählung im verbalen Code an dieser Stelle sozialkritischer. Ein Fabrikarbeiter in Leuna sagt dort: Chemie ist für uns lebenswichtig. Aber der Dreck, der entsteht, macht auch Leben kaputt. Wir pflanzen hier ganze Wälder an, aber viele Bäume gehen wieder ein. Zuviel Asche, zuviel Chlor, zuviel Schwefel in der Luft […] Ein bißchen ist die Luft in unserem Chemiebezirk schon reiner geworden. Auf keinen Fall wollen wir die Stiefmütterchen der Chemie opfern. Sie müssen trotz der Schornsteine blühen. Ohne Blumen kann man doch nicht leben. (Christ 1984, 31f.)

In Bofingers idyllisierenden Illustrationen, die Schönheit und Vielfalt von Natur, Kultur und Industrie in den Bezirken der DDR zeigen sollen, ist davon ebenso wie von der Baufälligkeit mancher der von ihm dargestellten Kulturdenkmäler nichts zu sehen. – Ganz anders hingegen gestaltet sich die stimmige grafische Einheit von erzählendem und informierendem Text und Illustration in der vom Deutschen Verlag für Musik in Leipzig herausgegebenen Reihe Musiktheater in Wort und Bild. Berühmte Werke, Kindern vorgestellt von Guido Bimberg, dem Schwiegersohn des Illustratorenehepaars Elfriede und Eberhard Binder ; beide haben das Sachbilderbuch Oh, ich bin klug und weise. Zar und Zimmermann von Albert Lortzing (Bimberg 1988) auch illustriert. Die auf das Zusammenspiel der Künste und der Sachinformation bezogene synästhetische Wirkung dieses anschaulichen Sachbilderbuchs besteht darin, dass verschiedene Ebenen der raumzeitlichen faktualen und fiktionalen Wahrnehmung kunstvoll miteinander verwoben werden. In dem Band zu Zar und Zimmermann von Albert Lortzing gibt es eine erste grafische und textuelle Ebene, auf der die illustrativ veranschaulichte Lebenswelt von Albert Lortzing, seine Biografie und sein Werk illustriert wird. Auf dieser Ebene finden sich nicht nur farbige Illustrationen, sondern auch Fotografien von historisch authentischen Dokumenten wie dem Theaterzettel der Erstaufführung der Oper. Eine zweite Ebene beschäftigt sich mit der fiktionalen Handlung der Oper Zar und Zimmermann; das Libretto wird nacherzählt, Szenen der Oper werden in Illustrationen dargestellt; dieser Textteil erscheint in

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schwarzer Typografie. Neben dem in brauner Typografie abgedruckten faktualen Kontext von Lortzings Leben und Werk treten ebenfalls braun gedruckte Hintergrundinformationen zur Handlung der Oper als dritte Darstellungsebene: Das Leben in den Niederlanden im 18. Jahrhundert, Russland unter Zar Peter I., auch diese Ebene wird mit Karten, Porträts, Tuschfederzeichnungen von historischen visuellen Quellen farbig illustriert. Da es sich überdies um ein Musiksachbilderbuch handelt, sind zur Untermalung der synästhetischen Wirkung kleine Auszüge von Melodien berühmter Arien aus der Oper von Lortzing als Notation in Notenschrift gedruckt, die man als eine weitere Darstellungsebene identifizieren kann. Ähnlich originell in visueller Darstellungsform gestaltete synästhetische Bilderbücher über Werke des Musiktheaters hat Bimberg übrigens auch zu Mozarts Le Nozze di Figaro (Bimberg 1989) und Webers Freischütz (Bimberg 1987) gestaltet. Ein visuelles Spiel der Anschaulichkeit kann, wie am Beispiel von Bimberg bereits deutlich geworden ist, in der Typografie und im Arrangement des piktoralen Codes in illustrativen Zusammenhängen innovativ betrieben werden. Wie zahlreiche andere Werke des typophilen Leipziger Grafikers Egbert Herfurth ist das Religionswissen vermittelnde Sachbuch So bunt ist unser Glaube ein herausragendes Beispiel hierfür (Ziegert 1984). Herfurth nimmt den programmatischen Titel des Buchs wörtlich und hat die Kapitel des Buchs mit Vignetten, grafischen und typografischen Elementen ausgestattet, die jeweils einer Farbe gewidmet sind, die leitmotivisch das Kapitel begleitet und deren Summe einen bunten Regenbogen der religiösen Vielfalt der Welt repräsentiert, die im Wortsinn auch in der visuellen Gestaltung im piktoralen Code als Buntheit gezeigt wird. Trotz dieser innovativen Tendenz behielt umgekehrt die Fotodokumentation und die naturalistische, anatomisch präzise, mimetische Abbildung einer Natur- oder Kulturerscheinung ihre Bedeutung. Diese Anschauungsbilder dienten teilweise auch der Dokumentationspropaganda und standen in der Tradition des illustrierten Bilderatlas im 19. Jahrhundert (vgl. dazu, am Beispiel der Firma Schreiber, Schmideler 2016). Der Bilderatlas, der als naturwissenschaftliches Anschauungsbilderbuch oftmals in Doppelfolioformat verkleinerte Wandtafelabbildungen präsentierte, bediente sich farbiger gezeichneter Bilder mit hohem Belehrungs- und Anschauungswert. In der Sachbilderbuchproduktion der fünfziger und frühen sechziger Jahre in der DDR sieht man noch besonders deutlich die Einflüsse von Bilderatlanten und der ebenfalls darauf basierenden Tradition der für den Anschauungsunterricht bestimmten Wandtafelbilder, deren ästhetische Strukturen gern in Form und Inhalt der Komposition von Sachbilderbuchillustrationen übernommen worden sind. Ein Musterbeispiel für diese Tendenz findet man in der Reihe Ich weiß etwas, z. B. in dem Band Tierbeobachtungen am Wasser. Ein Anschau-

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ungsbuch (Schulz 1963). Diese Art der Anschauungsbilderbücher wurde bis in die achtziger Jahre in der DDR publiziert. In derartiger Sachliteratur bestand auf dem piktoralen Code eine enge Verknüpfung von Sachbüchern mit illustrierten Lehrwerken und bebilderten Lehrbüchern. Diese protowissenschaftliche und methodische Weiterführung der Tradition der Bilderatlanten mit einer Dominanz von »dokumentarischen Bildern« und »Wissensbildern« (Günther 1988, 28f.) findet sich speziell im technischen und im historischen Sachbuch. Karl Rezacs weit verbreitete Techniksachbücher wie bspw. Von Sonnengöttern und Maschinen (Rezac 1984) oder Harald Müllers historisches Sachbuch mit hohem dokumentarischen Bildanteil Von Rastatt bis Versailles. Aus der Geschichte Deutschlands von 1849 bis 1871 (Müller 1977) sind charakteristisch für diese Tendenz. Diese enge Verknüpfung der Sachliteratur mit ergänzender Schullektüre wird bspw. auch in Günter Cwojdraks Lesebuch Lesestunde. Deutsche Literatur in zwei Jahrtausenden deutlich (Cwojdrak 1980), das in seinem reich illustrierten Bildanteil auf dem piktoralen Code stark auf dokumentarische Bilder aus der deutschen Kunst- und Literaturgeschichte konzentriert ist und somit auch die Tradition der Bilderatlanten fortführt und zugleich dicht mit den Zielen des Literaturunterrichts in der DDR verknüpft ist.

Emotionale Leserlenkung: Visualisierende Darstellungsstrukturen der Anschauungsbildung Da Emotionalisierung und Ästhetisierung das vordergründige Ziel der Anschauungsbildung in der Wissensvermittlung innerhalb der Kinder- und Jugendliteratur der DDR waren, bedienten sich die Sachbuchproduzenten auch visualisierender Darstellungsstrukturen im verbalen Code, um Anschaulichkeit zu erzeugen. Hier werden Kontexte der visuellen Wahrnehmung inszeniert, um über die Wortebene anschaulich zu werden. Ein besonders eindrückliches Beispiel für diese Darstellungsstruktur der Anschauungsbildung ist das Jahrbuch Kaleidoskop, das in den siebziger Jahren in der DDR erschien. Das Kaleidoskop ist nicht nur ein optisches Kinderspielzeug aus durchsichtigen farbigen Steinen zur visuellen Unterhaltung, sondern bezeichnet auch einen bunten Wechsel von Bildern und Eindrücken. Mit diesem Titel des Jahrbuchs wird mit einem anschaulichen Objekt aus dem Gebiet der Optik im verbalen Code ästhetische Anschauungsbildung betrieben. Der Titel des Jahrbuchs ist zugleich dessen Programm. Denn wie das Kaleidoskop eine variationsreiche Fülle an scheinbar zufällig strukturierten visuellen Eindrücken und unerwarteten Bildern bietet, so ist es auch das Ziel des Sammelsuriums an interessanten Wissensbeständen in

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dem gleichnamigen Jahrbuch, eine derartige Vielfalt an überraschenden Merkwürdigkeiten und spannendem Wissenswürdigen zu präsentieren. Harri Günther konstatierte hierzu 1988: »Sachinformationen von hohem Bildungs- und Unterhaltungswert vermittelt das interessante Sammelwerk Kaleidoskop, das seit 1974 im Kinderbuchverlag erscheint (bisher 4 Folgen), in dem sich Leser über das Neueste aus allen Wissensgebieten informieren können.« (Günther 1988, 115) So entsteht eine Ästhetik des Interessanten und Wissenswerten, die visualisierend die junge Leserschaft bannen und faszinieren soll.

Abb. 3 Dritte Folge des Jahrbuchs Kaleidoskop. Kinderbuchverlag 1978

Der dritte Band der Reihe zeigt sein Programm bereits auf der Einbanddecke, wo es heißt: »Ein buntes und unterhaltsames Jahrbuch für Kinder. Wissenswertes und Interessantes aus Wissenschaft und Technik, Geschichte, Kunst und Sport. Anschaulich und vielseitig in Text und Bild« (Hendel 1978). Es geht hier allerdings nicht nur um ein Sammelsurium von Merkwürdigkeiten, sondern um eine emotionalisierende Leserlenkung, die ein ganzheitliches Interesse für Wissenschaft, Technik, Kunst und Kultur wecken wollte: Anschauliche und spannende

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naturwissenschaftliche Fragen wie »Sind Delphine Wundertiere« (ebd., 5) oder »Warum bin ich meinen Eltern ähnlich« (ebd., 162) stehen zwar im Fokus, aber insgesamt versucht das Jahrbuch durch die Buntheit und den Abwechslungsreichtum der Darstellung der verschiedensten überraschenden Gegenstände aus der Welt von Wissenschaft und Kunst zu überzeugen. Dabei ist die visualisierende Darstellungsform des Kaleidoskops mehr als nur ein origineller Titel dieses Almanachs. In Werner Hirtes Artikel »Bunte Bilderbogen« wird das Kaleidoskop in der visualisierenden Darstellung des Gegenstands der für Kinder bestimmten Bilderbogenproduktion des 19. Jahrhunderts sogar selbst zum ästhetischen Programm: Es ging bunt wie in einem Kaleidoskop zu: Manche Bogen erzählen von fernen Ländern und Städten, von Tieren, Pflanzen, Kostümen und Naturkatastrophen, andere zeigen Arbeiter und Handwerker bei ihrem Tun, wieder andere bieten Märchen, Sagen, Sprichwörter, Würfelspiele und Figuren zum Ausschneiden. Gar nicht wenige enthalten Scherzbilder und die berühmten, noch heute gern betrachteten Bildergeschichten. (ebd., 215f.).

Diese metaphorische Ästhetisierung visueller Kontexte in einer visualisierenden Darstellungsstruktur des verbalen Codes betraf auch das Panorama als ein umfassendes Rundbild, das eine Gesamtzusammenschau ermöglichte. Auch in der theoretischen Diskussion um das Sachbuch wurden derartige metaphorischen Reflexionen in die Debatte um die Sachliteratur für Kinder der DDR integriert. So bezeichnete bspw. Hans-Peter Wetzstein in Bezug auf das weit verbreitete und in der DDR sehr bekannte Sachlexikon Von Anton bis Zylinder (Bellack 1967) dieses »Kinderlexikon als buntes Panoramabuch der vielfältigen großen Welt, in der sie leben, lernen und fröhlich sind« (Wetzstein 1978, 44). Auf einem ähnlichen Effekt der visualisierenden Anschauungsbildung beruht die Konzeption des Sammelbands für Kinder Alberts bunte Bilderbude. Bilderbuden waren im 18. und 19. Jahrhundert besondere Jahrmarktsattraktionen für Kinder, in denen man »schöne Kupferstiche« sehen und »in Landkarten blättern« konnte »und alle Dinge, die zum Mahlen und Zeichnen nöthig sind, recht billig kaufen konnte« (Hahn 1805, 192). Diese Attraktionen des Interessanten und Spannenden, Unterhaltenden und das Auge Faszinierenden möchte auch dieser Sammelband bieten. Das Buch versammelt als Auswahlband gezielt Auszüge aus dem Jahrbuch für Kinder, das als Reihe im Kinderbuchverlag Berlin erschien; die Zusammenstellung besorgte Armin Wohlgemuth. Albert ist eine bunte Figur in Gestalt eines lustigen Vogels, den Manfred Bofinger erfunden hat, um ihn zum Helden von kleinen, bunten und mit der Tuschfeder gezeichneten Bildwitzen und cartoonartigen komischen Episoden auf einem Blatt zu machen. Der Spielcharakter des Jahrbuchs mit Sprachspielen, Gedichten, Rätseln, Kurzgeschichten, Scherzfragen, Bildergeschichten usw. betont, dass Alberts

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bunte Bilderbude dezidiert ein Unterhaltungsbuch sein sollte, das die sachlich belehrenden Anteile in der Form einer lustigen Bilderbude präsentierte. Im Vorspruch zu diesem Auswahlband heißt es: »In Alberts Bude, da geht’s rund,/ verrückt und lustig, kunterbunt,/Ganz dolle Dinge da passieren!/Bestimmt wirst du dich amüsieren« (Wohlgemuth 1988, 1).

Abb. 4 Einbandillustration von Manfred Bofinger zu Alberts bunte Bilderbude. Kinderbuchverlag 1988

Hier wird die visualisierende Darstellungsstruktur einer Bilderbude mit Sehenswürdigkeiten des Interessanten genutzt, um den Unterhaltungswert eines Sprach-, Lese- und Spielbuchs für Kinder zu erhöhen und emotionalisierend zu ästhetisieren. In ähnlicher Weise hatte bspw. die Reihe Die Wundertüte in den fünfziger Jahren bereits ein vergleichbares Konzept verfolgt, wobei hier der Anteil an Bastelanleitungen und Beschäftigungsmaterial noch bedeutend größer war. Die Wundertüte bot »ein Buch mit vielen Erzählungen, Liedern und Gedichten, Spielen, Rätseln und Bastelarbeiten sowie den Erklärungen und Hin-

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weisen zu dem Bastelkalender Aufgepaßt und mitgemacht« (Kroszewsky 1955 und Kroszewsky 1956). Einer ähnlichen Darstellungsstruktur nach dem Muster eines Sammelsuriums sind auch die Bände der Reihe Warum? Weshalb? Wieso? Ein Frage-undAntwort-Buch für Kinder verpflichtet. Die Reihe besteht aus einem Sammelsurium an interessanten Fragen wie »Warum halten manche Tiere Winterschlaf ?« (Hendel 1981, 36), »Warum heißen die Ureinwohner Amerikas Indianer?« (ebd., 5) oder auch »Sind Sagen wahr?« (ebd., 58). Sie werden in einer reichen Fülle an Bebilderungen, die eine originelle Vielzahl an Darstellungsmöglichkeiten der Sachbuchillustration vom dokumentarischen Bild bis zum Modell aufgreifen, auf der Wortebene anschaulich von Sachbuchautorinnen und -autoren der DDR beantwortet. Der kindlichen Leserschaft wird zusätzlich ein eigener Aktivierungsanreiz in der Form einer Postkarte auf festem Karton zum Ausschneiden mit der Verlagsadresse der Buchredaktion der Reihe gegeben, dazu heißt es: »Überlege, was du noch gerne wissen möchtest. Schreibe deine Fragen auf die obere Postkarte und schicke sie« an die Adresse des Verlags (ebd., 65). Dass der Titel der Reihe Warum? Weshalb? Wieso? eine spezielle sozialistische Reaktion auf die beliebte Titelmelodie der in der ARD ausgestrahlten Kinderfernsehserie Sesamstraße ist, die mit der zum geflügelten Wort avancierten Liedzeile »Wieso? Weshalb? Warum?/Wer nicht fragt, bleibt dumm« im kommunikativen Gedächtnis vieler Deutscher aus allen Teilen der gegenwärtigen Bundesrepublik Deutschland haften blieb, liegt zumindest nahe.

»Was Bilder erzählen« – Sonderfall Kunstbilderbücher und Anschauungsbildung Da die Anschauungsbildung in der Sachliteratur für Kinder speziell der siebziger und achtziger Jahre in der DDR hauptsächlich durch Emotionalisierung und Ästhetisierung erfolgen sollte, ist der Anteil an visualisierenden Darstellungen, die sich dem Thema der Wissensvermittlung von Fragen der bildenden Kunst widmeten, folgerichtig besonders hoch. Hier fand die Wissensvermittlung und die ästhetische Bildung ein fruchtbares Feld. Bereits 1990 konnte Wicklein daher in Bezug auf die Sachbuchentwicklung in diesem Zeitraum feststellen: »Bücher über bildende Kunst nehmen einen besonders breiten Raum ein, wobei mehr und mehr auch jüngere Kinder Zielgruppe der Autoren sind.« (Wicklein 1990, 258) Kunstsachbücher sind in besonderer Weise der Anschauungsbildung zuträglich, da sie visuelle Bildung über den piktoralen Code mit der visualisierenden Bildung im verbalen Code ästhetisch miteinander verknüpfen. Sie leisten die beabsichtigte emotionalisierende Wirkung und sind gleichzeitig der

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kunstästhetischen Wissensvermittlung dienlich. In dem Kunstsachbuch Was Bilder erzählen. Eine Einführung in die Malerei und Graphik und in die Kunst, Bilder zu betrachten von Wolfgang Hütt (Hütt 1969) wird genau diese Verschränkung im Kontext einer visualisierenden Vorstellungsbildung praktiziert, in der die Textebene als Schule des Schauens die Kenntnisse der jungen Leserschaft in der Kunstbetrachtung trainieren und ausbilden sollte. Zugleich werden hier protowissenschaftliche Kenntnisse einer von der marxistischen Kulturtheorie geleiteten Kunstgeschichte anschaulich vermittelt (vgl. u. a. das Kapitel »Auch die Kunst hat teil an der Revolution« in Hütt 1969, 172–189). Die Nähe des Kunstsachbuchs zum Kunstunterricht in der polytechnischen Schulbildung der DDR ist mit Händen zu greifen. Für die visualisierende Anschauungsbildung der Verschränkung von Bildebene und Wissensvermittlung sehr aufschlussreich ist auch Karla Bilangs Bildersachbuch Die großen Entdeckungen im Spiegel der Kunst. Ein Kunstbuch für Kinder. Ein Kinderbuch über Kunst (Bilang 1973). Die reflektierte und protowissenschaftliche Verbindung der Wissensvermittlung über Geografie und Geschichte in der Form von Entdeckungsreisen mit Kunstbetrachtung und ästhetischer Bildung durch Bilder ist dem hohen Anspruch an visualisierende Anschauungsbildung in der DDR angemessen. Diesen Anspruch verfolgte auch Martin Kloß mit seinem Kunstsachbilderbuch Felix auf dem gelben Kissen. Geschichten von Tieren in der Malerei (Kloß 1977), das sich durch eine hervorragende ästhetische Struktur auszeichnet, zumal sich Kloß auch umfassend über Fragen der Kunstbetrachtung mit Schülern methodisch auseinandergesetzt hat (vgl. Kloß 1979). Das Buch richtet sich dezidiert an Kinder der Unterstufe. Kloß hat Tierdarstellungen aus der Geschichte der Malerei aus allen Epochen ausgewählt. In einer Doppelseitenstruktur hat er jeweils auf der rechten Seite das dargestellte Kunstwerk im piktoralen Code farbig wiedergeben lassen. Auf der linken Seite jeder Doppelseite ist im verbalen Code eine visualisierende Darstellung des Bildes in der Form einer kleinen Episode und Geschichte erläutert und veranschaulicht. Diese Geschichten haben informierenden Charakter, fangen aber auch mit erzählerischen Mitteln die Stimmung und den Entstehungshintergrund der Bilder ein. Auf diese Weise wird dieser Band von Kloß zu einem Muster der visualisierenden Anschauungsbildung im Kunstsachbuch der DDR. In dem Bilderbuch Die Heuernte oder Der schöne Sommertag. Eine Bildgeschichte nach dem Gemälde von Pieter Bruegel [sic!] d. Ä. von Martin Kloß (Kloß 1977) ist der erzählende Anteil der Wissensvermittlung noch stärker akzentuiert. Kloß wählt einzelne Details des Bildes von Breughel aus, stellt sie in Vergrößerungen dar und fügt diese Details in eine chronologische Erzählhandlung mit kleinen Dialogen ein. Zielgruppe sind auch hier Kinder im Unterstufenalter, die in dieser Bilderzählung anschaulich das Leben zu Zeiten Breughels ken-

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nenlernen und ästhetisch visualisierend geschult werden sollten. Es ging darum, »jedes Detail« aus dem erzählenden Bild »in Aktion« zu verwandeln, »in eine Geschichte« zusammenzusetzen und die Details »wieder zu einem Ganzen« zusammenzufügen, »das lebt« (erläuternder Text an die Eltern auf der hinteren Einbanddecke). Dazu dient auch der Aktivierungsanreiz, die gewählten Details, die unzusammenhängend nochmals auf einer separaten Seite des Bilderbuchs abgedruckt worden sind, auszuschneiden und wie bei einem Bilderpuzzle erneut zu einem Bildganzen zusammenzusetzen. – Diese Form der Erzählung zu Bildern aus der Geschichte der Kunst beruht übrigens auf einer kunstpädagogischen Tradition. Bereits in der Folge der reformpädagogischen Kunsterziehungsbewegung der Jahrhundertwende bediente man sich derartiger Versuche, visualisierende Erzählungen und Geschichten zu berühmten Gemälden der Kunstgeschichte zu erfinden, um jungen Betrachtern Anschauungsbildung zu ermöglichen und ihnen auf sinnliche Weise einen leichteren Zugang zur Welt der bildenden Kunst zu gewähren. Else Croners Hille Bobbe. Klassische BilderMärchen (Croner 1907) mit Fotografien von berühmten Gemälden im piktoralen Code der bildenden Kunst und erzählenden »Bilder-Märchen« im verbalen Code ist ein herausragendes Beispiel für diese Form der visualisierenden Anschauungsbildung, auf deren Traditionen sich die Sachbilderbücher von Martin Kloß und anderen Sachbuchautoren für Kinder der DDR hier beriefen. Um anschaulich zu sein, bedienten sich die Sachbuchproduzenten jedoch ebenso der biografischen Annäherung an die ästhetische Bildung durch Kunst. Gottfried Herolds reich bebildertem Sacherzählungsband Die Katze mit den grünen Punkten. Zehn Skizzen über den Maler der Friedenstaube (Herold 1976) nähert sich der Autor der Biografie von Pablo Picasso anhand von zehn biografischen Episoden zu seinen Kunstwerken, angereichert mit einigen Porträtfotografien, die Picasso zeigen. In diesem Sachbuch werden Sacherzählungen aus dem Leben Picassos zur visualisierenden Veranschaulichung von dessen Kunstauffassung inszeniert.

Fazit: Anschauungsbildung in der populärwissenschaftlichen Kinder- und Jugendliteratur der DDR als Bildung der Weltanschauung Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass visuelle und visualisierende Wissensvermittlung im Sachbuch für Kinder und Jugendliche sich im Spannungsfeld von Anschauungsbildung und Weltanschauung bewegte. Auffällig ist, auf was für einem vergleichsweise hohen Reflexionsniveau die Sachbuchproduktion für Kinder und Jugendliche die Traditionen der Anschauungsbildung aus der

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Geschichte der Realienpädagogik und des Anschauungsunterrichts im 18. und 19. Jahrhundert fortführte. Klare Vorstellungsbildung und Emotionalisierung standen hierbei als ästhetische Grundlagen der Darstellung von Wissen in Bild und Wort durch Anschauung im Vordergrund. Insbesondere die Sachbücher für Kinder und Jugendliche der DDR in den siebziger und achtziger Jahren zeichnen sich, wie deutlich geworden sein sollte, durch eine durchaus beeindruckende Fülle und Vielfalt an Variationsmöglichkeiten aus, mit denen die eigenen Ansprüche an die Sachliteratur ästhetisch umgesetzt werden sollten.

Primärliteratur Bellack, Siegrid [u. a.] (Hgg.)/Eberhard Binder-Staßfurt [u. a.] (Ill.): Von Anton bis Zylinder. Das Lexikon für Kinder. Berlin: Kinderbuchverlag, 1967 Bilang, Karla: Die großen Entdeckungen im Spiegel der Kunst. Ein Kunstbuch für Kinder. Ein Kinderbuch über Kunst. Leipzig: Edition Leipzig, 1973 Bimberg, Guido/Thomas Binder (Ill.): Durch die Wälder, durch die Auen. Der Freischütz von Carl Maria von Weber. Leipzig: Deutscher Verlag für Musik, 1987 Bimberg, Guido/Elfriede und Eberhard Binder (Ill.): Oh, ich bin klug und weise. Zar und Zimmermann von Albert Lortzing. Leipzig: Deutscher Verlag für Musik, 1988 Bimberg, Guido/Thomas Bilder (Ill.): Will der Herr Graf ein Tänzchen nun wagen. Die Hochzeit des Figaro von Wolfgang Amadeus Mozart. Leipzig: Deutscher Verlag für Musik, 1989 Butzmann, Gerhard/Jonny Gottschalg/Annelies Müller-Hegemann (Hgg.): Meyers Jugendlexikon. Leipzig: Bibliographisches Institut, 1968 Chevalier, Luise (Red.): Bilder zur deutschen Geschichte. 1848–1945. Berlin: Volk und Wissen, 1955 Christ, Richard/Manfred Bofinger (Ill.): Sieben Wunder für Jim. Berlin: Kinderbuchverlag, 1984 Croner, Else: Hille Bobbe. Klassische Bilder-Märchen. Leipzig: Seemann, 1907 Cwojdrak, Günther : Lesestunde. Deutsche Literatur in zwei Jahrtausenden. Berlin: Kinderbuchverlag, 1980 David, Kurt/Gerhard Großmann (Ill.): Der Bär mit dem Vogel auf dem Kopf. Geschichten und Bilder aus der Mongolei. Berlin: Kinderbuchverlag, 1977 Fiedler, Werner : Entdeckungen unter Wasser. Leipzig: Rudolf Arnold Verlag, 1982 Gilsenbach, Reimar/Gerhard Bläser (Ill.): Rund um die Erde. Berlin: Kinderbuchverlag, 1971 Hahn, Karl: Kinderfreuden. Ein Seitenstück des Stoffes zur Bildung des Geistes und Herzens. Bd. 1. Berlin: Maurer, 1805 Hendel, Carola (Hg.): Kaleidoskop. Neues und Interessantes aus Wissenschaft und Technik. 3. Folge. Berlin: Kinderbuchverlag, 1978 Hendel, Carola/Volker Pfüller (Ill.): Warum? Weshalb? Wieso? Ein Frage-und-AntwortBuch für Kinder. Bd. 2. Berlin: Junge Welt, 1981

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Henselmann, Irene/Klaus Segner (Ill.): Ein Dach über dem Kopf. Von alten und neuen Häusern. Berlin: Junge Welt, 1983 Herold, Gottfried: Die Katze mit den grünen Punkten. Zehn Skizzen über den Maler der Friedenstaube. Berlin: Kinderbuchverlag, 1976 Hütt, Wolfgang: Was Bilder erzählen. Eine Einführung in die Malerei und Graphik und in die Kunst, Bilder zu betrachten. Berlin: Kinderbuchverlag, [1969] Karau, Gisela/Fred Westphal (Ill.): Darf ich Wilhelm zu Dir sagen? Geschichten aus dem Leben unseres 1. Präsidenten. Berlin: Kinderbuchverlag, 1979 Kloß, Martin: Die Heuernte oder Der schöne Sommertag. Eine Bildergeschichte nach dem Gemälde von Pieter Breugel d. Ä. Berlin: Kinderbuchverlag, 1977 Kloß, Martin: Felix auf dem gelben Kissen. Geschichten von Tieren in der Malerei. Berlin: Junge Welt, 1979 Kroszewsky, Ursula (Red.): Die Wundertüte. Bd. 1. Berlin: Kinderbuchverlag, 1955 Kroszewsky, Ursula (Red.): Die Wundertüte. Bd. 2. Berlin: Kinderbuchverlag, 1956 Massny, Helmut: Hamstersommer. Ein Jahr aus dem Leben eines Feldhamsters. Leipzig: Rudolf Arnold Verlag, 1983 Müller, Harald: Von Rastatt bis Versailles. Aus der Geschichte Deutschlands von 1849 bis 1871. Berlin: Kinderbuchverlag, 1977 Näther, Heidemarie/Peter Muzeniek (Ill.): Hinter Mauern und Türmen. Ein Kulturbild aus der Zeit der Gotik. Berlin: Kinderbuchverlag, 1983 Rezac, Karl: Von Sonnengöttern und Maschinen. Berlin: Kinderbuchverlag, 1984 Schulz, Waldemar/Johannes Breitmeier (Ill.): Ich weiß etwas. Tierbeobachtungen am Wasser. Dresden-Laubegast: Jugendland, 1963 Schönert, Claus: Seevögel, Meer und Küstenland. Für junge Natur- und Tierfreunde. Leipzig: Rudolf Arnold Verlag, 1982 Spillner, Wolf (Fotografien/Text)/Gerhard Lahr (Ill.): Der Riese von Storv,lden. Eine Bilderbuchgeschichte aus Härjedalen. Berlin: Kinderbuchverlag, 1983 Spillner, Wolf: Schätze der Heimat. In Naturschutzgebieten entdeckt und fotografiert von Wolf Spillner. Berlin: Kinderbuchverlag, 1986 Wolff, Bernd/Erdmute Oelschlaeger (Ill.): Von Klöstern und Burgen. Ein Kulturbild aus der Zeit der Romanik. Berlin: Kinderbuchverlag, 1986 Wolgemuth, Armin (Hg.)/Manfred Bofinger (Ill.): Alberts bunte Bilderbude. Ausgabe in einem Band. Berlin: Kinderbuchverlag, 1988 [EA Berlin: Kinderbuchverlag, 1987] Ziegert, Alexander (Hg.): So bunt ist unser Glaube. Leipzig: St. Benno, 1984 Zuppke, Uwe: Dem Biber auf der Spur. Für junge Natur- und Tierfreunde fotografiert und aufgeschrieben. Leipzig: Rudolf Arnold Verlag, 1987

Sekundärliteratur Bannasch, Bettina: Zwischen Jakobsleiter und Eselsbrücke. Das ›bildende Bild‹ im Emblem- und Kinderbilderbuch des 17. und 18. Jahrhunderts. Göttingen 2007 Barz, Andr8: Geschichtswissen vermittelnde fiktionale Kinderliteratur der DDR: Gerda Rottschalks Kinderbücher über die Urgesellschaft. In: Schmideler, Sebastian (Hg.):

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Wissensvermittlung in der Kinder- und Jugendliteratur der DDR. Themen, Formen, Strukturen, Illustrationen. Göttingen 2017, 329–354 Binder, Eberhard: Informative und emotionale Wirkungen. Gedanken zur Sachbuchillustration. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 81 (1986), 34–41 Bonna, Rudolf: Die Erzählung in der Geschichtsmethodik von SBZ und DDR. Nebst einem Quellenband. Bd. 1. Bochum 1996 (Dortmunder Arbeiten zur Schulgeschichte und zur historischen Didaktik; 27) Brockhaus, Friedrich Arnold (Red.): Conversations-Lexicon oder encyclopädisches Handwörterbuch für gebildete Stände. In zehn Bänden. Bd. 1. A bis Boyle. 4. OriginalAusgabe. Leipzig 1817 Ewers, Hans-Heino: Literatur für Kinder und Jugendliche. Eine Einführung in Grundbegriffe der Kinder- und Jugendliteraturforschung. 2. überarb. u. aktual. Aufl. Paderborn 2012 Fassbind-Eigenheer, Ruth und Bernhard: Was sagt der Text – Was zeigt das Bild? Vom Orbis Pictus zum Photobilderbuch. Text und Bild in der historischen Entwicklung des Sachbilderbuchs. In: Librarium. Zeitschrift der Schweizerischen Bibliophilen-Gesellschaft 33 (1990) H. 3, 156–210 Günther, Harri: Die Sachliteratur für Kinder und Jugendliche in der DDR von 1946 bis 1986. Berlin 1988 (Studien zur Geschichte der deutschen Kinder- und Jugendliteratur; 11) Jonas, Hartmut: Kinder- und Jugendliteratur im Deutschunterricht der DDR. In: Beiträge Jugendliteratur und Medien 56 (2004) H. 4, 254–261 Klingberg, Lothar: Einführung in die Allgemeine Didaktik. Vorlesungen. 2. Aufl. Berlin 1974 Kloß, Martin: Kunstbetrachtung. Grundlagen und Prozeß der Betrachtung bildender Kunst mit Schülern. Berlin 1979 Kühlmann, Wilhelm: Pädagogische Konzeptionen. In: Hammerstein, Notker (Hg.): Handbuch der deutschen Bildungsgeschichte. Band 1: 15. bis 17. Jahrhundert. Von der Renaissance und der Reformation bis zum Ende der Glaubenskämpfe. München 1996, 153–196 Künnemann, Horst: Jugendsachbücher. In: Radler, Rudolf (Hg.): Kindlers Literaturgeschichte der Gegenwart. Autoren, Werke, Themen, Tendenzen seit 1945. Die deutschsprachige Sachliteratur. Bd. 3. Lizenzausgabe. Frankfurt/M. 1980, 309–353 Lemmermöhle, Doris: Johann Amos Comenius Orbis sensualium pictus (1658). In: Bräuer, Christoph/Wolfgang Wangerin (Hgg.): Unter dem roten Wunderschirm. Lesarten klassischer Kinder- und Jugendliteratur. Göttingen 2013, 13–24 Meyer, Hansgeorg: Von Anton bis Zylinder – das Lexikon für Kinder ; Jaroslaw Rudnianski: Lernen – aber wie? (beide Der Kinderbuchverlag Berlin); Meyers Jugendlexikon (VEB Bibliographisches Institut Leipzig). In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 14 (1970), 88–96 Neubert, Reiner : Sachliteratur. In: Steinlein, Rüdiger/Heidi Strobel/Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR. Von 1945 bis 1990. Stuttgart [u. a.] 2006, 903–934 Pohlmann, Carola: Anschaulich und bildhaft: Enzyklopädisches Wissen für Kinder. In: Wangerin, Wolfgang (Hg.): Der rote Wunderschirm. Kinderbücher der Sammlung Seifert von der Frühaufklärung bis zum Nationalsozialismus. Göttingen 2011, 261–266 Schmideler, Sebastian: Das bildende Bild, das unterhaltende Bild, das bewegte Bild – Zur Codalität und Medialität in der Wissen vermittelnden Kinder- und Jugendliteratur des

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18. und 19. Jahrhunderts. In: Weinkauff, Gina/Ute Dettmar/Thomas Möbius/Ingrid Tomkowiak (Hgg.): Kinder- und Jugendliteratur in Medienkontexten. Adaption – Hybridisierung – Intermedialität – Konvergenz. Frankfurt/Main 2014 (Kinder- und Jugendkultur, -literatur und -medien; 89), 13–26 Schmideler, Sebastian: Die Bilderfabrik – Der Verlag J. F. Schreiber in Esslingen. In: Enklar Jattie/Hans Ester/Evelyne Tax (Hgg.): Studien über Kinder- und Jugendliteratur im europäischen Austausch von 1800 bis heute. Würzburg 2016 (Duitse Kroniek/Deutsche Chronik; 60), 285–303 Schmidt, Paul Viktor : Geschichte des Anschauungsunterrichtes. In: Kehr, C. (Hg.): Geschichte der Methodik des Volksschulunterrichtes. Bd. 2. Gotha 1879, 256–327 Strobel, Heidi: Realistische Erzählungen und Romane mit Gegenwartsstoffen und zeitgeschichtlichen Themen. In: Steinlein, Rüdiger/Heidi Strobel/Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR. Von 1945 bis 1990. Stuttgart [u. a.] 2006, 189–258 Wetzstein, Hans-Peter : Verführung zum Lernen. Bemerkungen zu einigen Grundsätzen unserer populärwissenschaftlichen Kinder- und Jugendliteratur. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 49 (1978), 39–44 Wetzstein, Hans-Peter : Aus dem Nichts zu ansehnlicher Opulenz. In: 40 Jahre. Der Kinderbuchverlag Berlin. Berlin 1989, 76–77 Wicklein, Anne: Populärwissenschaftliche Literatur für Kinder und Jugendliche in der DDR – ein Überblick. In: Havekost, Hermann/Sandra Langenhahn/Anne Wicklein (Hgg.): Helden nach Plan? Kinder- und Jugendliteratur der DDR zwischen Wagnis und Zensur. Oldenburg 1993, 249–279

V. Illustrationen

Andreas Bode (München)

Illustration im Sachbuch der DDR. Stil, Stilisierung und Technik

Der Begriff »Sachbuch« In der gebotenen Kürze soll hier der Versuch unternommen werden, einen Eindruck von vierzig Jahren Sachbuchillustration in der DDR zu vermitteln. Das Hauptgewicht liegt dabei auf den stilistischen Veränderungen unter Einbeziehung der drucktechnischen Gegebenheiten in der DDR und ihrem Einfluss auf den Illustrationsstil. Was die thematische Eingrenzung betrifft, so orientiere ich mich an dem, was die üblichen Nachschlagewerke unter der Gattung Sachbuch und Sachbilderbuch verstehen,1 wobei ich recht großzügig verfahre und bspw. auch Reisebücher, Ratgeber und Sachbilderbücher für die Kleinsten einbeziehe, überhaupt Titel, bei denen sich, wie Martin Hussong in seinem Artikel zum Sachbuch im Lexikon Kinder- und Jugendliteratur, herausgegeben von Klaus Doderer (vgl. Doderer 1979), so schön formuliert, »eine Zunahme narrativer Elemente feststellen« lässt (Hussong 1979, 240).

Grundlegendes zum illustrierten Sachbuch und Sachbilderbuch der DDR In einem Sachbuch für Kinder oder Jugendliche und auch für Erwachsene überwiegt in der Regel der Text. Doch ist es eine Binsenweisheit, dass eine reichere Illustrierung, mithin größere Anschaulichkeit, Kindern beim Verstehen des Inhalts besonders hilfreich ist. Daher steht das Sachbilderbuch besonders im Fokus dieser Betrachtung. In der DDR entwickelte sich mit Beginn der sechziger Jahre eine zunehmend reichere und phantasievollere Sachbilderbuchproduktion, wie Heinz Kuhnert 1976 in seiner Schrift zum Bilderbuch feststellte (vgl.

1 Vgl. bspw. Doderer 1979, 237ff.; vgl. auch Brunken/Hurrelmann (2008), 779.

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Kuhnert 1976, 43f.). Die Palette der Themen und auch der Stile im DDR-Sachbilderbuch war breit. Es gab sie über Technik, Raumfahrt, Pflanzen, Landschaften und auch über Werke der Kunst, zum Beispiel das völlig aus dem Rahmen herkömmlicher Bilderbücher fallende Buch Leuchtende Schätze des Alfred Holz-Verlages von 1957, gebunden wie ein chinesisches Blockbuch. Dem jungen Leser werden hier nicht nur chinesische Farbholzschnitte von Jung PaoDsai vorgeführt, sondern diese in sorgfältigem Druck und als illustrative Bildfolge konzipiert, begleitet von kurzen Texten. Stilistisch ein völliger Gegensatz dazu war das zwölf Jahre später 1969 erschienene Sachbilderbuch Abenteuer eines Wassertropfens von Bohdan Butenko.

Abb. 1 Bohdan Butenko: Abenteuer eines Wassertropfens. Kinderbuchverlag 1969

Auch hier bekam der kindliche Leser neben der Information über den Weg des Wassers von der Regenwolke bis zum Wasserhahn zusätzlich einen starken künstlerisch grafischen Eindruck, aber mit Stilmitteln, die damals modern waren. Dieses Buch ist auch ein gutes Beispiel dafür, dass man gerade bei Sachbüchern in der DDR, wie selbstverständlich auch in anderen Ländern, ohne Weiteres geeignete Publikationen von ausländischen Verlagen übernahm. Dass man in der DDR auf eine polnische Ausgabe, aus einem sozialistischen Land also, zurückgriff, hatte sicherlich ökonomische Gründe, aber nicht nur. Der Leser bekam die Chance, mit Bohdan Butenko gleichzeitig einen der maßgebenden polnischen Illustratoren kennenzulernen. Sachbilderbücher gab es in der DDR auch für die Allerkleinsten. Die Rede ist hier nicht von den ersten simplen Abbildungen von Gegenständen aus der Welt

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des Kindes. In der DDR sind einige Pappbilderbücher entstanden, die bereits kleinen Kindern Grundwissen anspruchsvollerer Art in geeigneter Form vermittelten. Einstein mit der Geige, von Manfred Bofinger illustriert 1985 im Postreiterverlag erschienen, macht zarte Andeutungen über die Relativität der Zeit. Ein Apfel und Sir Isaak von 1987 befasst sich auf heitere Art mit der Schwerkraft. Die Illustratorin Petra Wiegandt hält hier geschickt die Waage zwischen Information und Unterhaltung. Das informierende Bilderbuch hat damit eine fließende Grenze zum erzählenden. Für die jüngeren Leser werden sachliche Informationen in der Regel in Geschichten verpackt, sodass die Entscheidung Sachbuch oder Geschichtenbuch oft schwer fällt. Verallgemeinernd kann man feststellen, dass die DDR-Verlage, die nicht mit den üppig illustrierten und auf gutes Papier gedruckten Sachbüchern westlicher Provenienz konkurrieren mussten, sich oft anspruchsvolle Illustrationen leisteten und dadurch manche drucktechnischen Mängel wettmachten.

Zur Technik und Typografie der DDR-Illustration Wir sind heute gewöhnt, an einem Buch aus dem ersten bis zweiten Jahrzehnt der DDR schlechtes, holzhaltiges Papier und kontrastarmen, zuweilen sogar soßigen Farbdruck zu bemängeln. In den frühen fünfziger Jahren waren die meisten Nachkriegspublikationen generell, nicht nur in der DDR, sondern in ganz Deutschland von bescheidener Qualität. Wo in repräsentativen Büchern Farbbilder die Anschaulichkeit erhöhen sollten, wirkten die Farben wie grob koloriert, besonders bei Fotografien (bspw. in den Jahrbüchern für Jugendliche, auf die im Folgenden noch näher eingegangen wird). Nach 1945 war Offset das vorherrschende Druckverfahren. Während sich Druck- und Papierqualität in westdeutschen Büchern ab den sechziger Jahren allmählich besserten, hatten die Verlage in der DDR immer noch mit drucktechnischen Unzulänglichkeiten zu kämpfen. Und mit ihnen die Illustratoren, sofern sie sich über solche Probleme überhaupt den Kopf zerbrachen. Die Qualität der Offsetreproduktion war oft ungenügend. Erschwerend kam hinzu, dass selbst die weniger holzhaltigen Papiere noch zu rauh oder zu grob für feinere Farbabstufungen waren, dazu zu dünn, um zu verhindern, dass die Konturen der Gegenseite durchschlugen. Wer von den Illustratoren ausschließlich aquarellierte Bildvorlagen lieferte, musste hinnehmen, dass das Druckergebnis in der Qualität stark abfiel. Man half sich, so gut es ging, mit einem übertrieben intensiven Farbauftrag, damit die Leuchtkraft der Farben im Druck wenigstens einigermaßen erhalten blieb. Gisela Röders Illustrationen zu »Dornröschen« sitzt im Kiefernwald (1979) sind ein

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typisches Beispiel dafür, wie bei einer Vorlage in reiner Aquarelltechnik im Druck die Kontraste und Konturen des Originals eingeebnet werden. Aber es gab eine häufig praktizierte Methode, Illustrationen befriedigend zu gestalten. Mit ihr arbeiteten die Künstler, die lineare Konturen und weitgehend homogene Farbflächen bevorzugten. Die Technik des Reproduktionsvorganges war, kurz erklärt, folgende: Die Linien einer schwarzen Konturzeichnung wurden ungerastert reproduziert, davon ein blassblauer Andruck hergestellt, auf dem die Künstler die Farben separat auftrugen. Diese wurden dann meistens gerastert reproduziert (wobei die blauen Linien natürlich weggefiltert wurden) und mit den Konturen zusammengedruckt. Damit erreichte man eine klare Abbildung im Buch. Eberhard Binder hat in seinen späteren Illustrationen diese Technik erfolgreich angewandt, etwa im Jahrbuch Kaleidoskop von 1974.

Abb. 2 Hans Ticha: Der Krieg mit den Molchen. Aufbau Verlag 1987

Besonders konsequent war Hans Ticha in der Handhabung dieser Technik; seine Illustrationen zu E. T. A. Hoffmanns Klein Zaches (Aufbau-Verlag 1976) oder ˇ apeks Krieg mit den Molchen (1987 im gleichen Verlag) kann man sogar Karel C als Originalgrafiken oder besser Offsetgrafiken bezeichnen, denn zu diesen Illustrationen gibt es keine identischen Originalvorlagen; sie sind nur im Zusammendruck aller Farben existent. Klaus Ensikat scherzte einst nicht ohne

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Grund, er sei kein Illustrator, sondern nur der Hersteller der Reproduktionsvorlagen. Damit umriss er sehr treffend das Wesen dieser linearen Illustrationsweise (Bode 1997, 11). Zudem kann man hier das Phänomen beobachten, dass in ihr der Charakter einer Buchillustration viel stärker hervortritt, wenn sie auf dem holzhaltigen, mäßig weißen und matten Papier aus der DDR-Produktion gedruckt wurden, als später nach der Wende auf blendend weißem Papier, wo die gleichen Illustrationen viel mehr den Eindruck von reproduzierten Originalarbeiten machen.2 Die lineare Illustration war allerdings keineswegs nur eine Folge technischer Probleme; sie hatte auch ihre Wurzeln in der grafischen Tradition mancher Kunstschulen der DDR, besonders der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst und der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle an der Saale. Der auf die Malerei bezogene Begriff der Leipziger Schule beeinflusste selbstverständlich auch die Grafik, wie man bspw. an Wolfgang Mattheuers Schüler Egbert Herfurth studieren kann. Aber auch in Berlin hatte die Fachschule für Grafik, Druck und Werbung eine ähnliche Ausrichtung – einer ihrer Absolventen war Klaus Ensikat.

Das Verhältnis von Fotografie und gezeichneter Illustration Gezeichnete Sachbuchillustrationen können bekanntlich manche Sachverhalte viel deutlicher darstellen als Fotografien.3 In Büchern über fremde Gegenden und Länder machen gezeichnete Bilder bei geschickt gewählter Perspektive neugierig auf Landschaften und Gebäude, ohne durch eine Fotografie sofort zu verraten, wie das alles in Wirklichkeit aussieht. Man kann, insbesondere im ideologisierten Sachbuch der DDR, alles weglassen, was das positive Bild, das man vermitteln möchte, stört. Sehr gelungen war in dieser Beziehung die nur wegen ihres quadratischen Formats als Serie erkennbare Reihe des Kinderbuchverlages über Städte und Landschaften. Die meisten Bände der Reihe sind ohne jegliche Fotografien, nur mit farbigen Zeichnungen ausgestattet. Besonders Manfred Bofinger ist hier hervorzuheben. Ihm ist die Bebilderung der Reise Uwe Kants nach Moskau (Roter Platz und ringsherum, 1977) besonders harmonisch gelungen. Von ihm dekorativ ins Bild gesetzt, sehen selbst Stalins Bauten im Zuckerbäckerstil hübsch aus. Ähnlich interessant und ansprechend sind auch die anderen Titel dieser Serie. 2 Werner Klemke monierte bereits bezüglich des DDR-Papieres: »Unsere Papiere sind durch die Bank zu weiß« (Kuhnert 1976, 79). 3 Horst Kunze stellte anlässlich einer Ausstellung illustrierter Bücher fest, dass neben dem klassischen illustrierten Buch »das mit grafischen Methoden zweckdienlich informierende wissenschaftliche Buch« in der DDR mehr beachtet wird (Kunze 1988, 239).

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Abb. 3 Manfred Bofinger : Roter Platz und ringsherum. Kinderbuchverlag 1977

Eine buchkünstlerisch sehr gelungene kleine Reisebuchreihe für Kinder, die ebenfalls ohne Fotografien auskommt, war Querlandein.4 Von 1981 bis 1990 erschienen 13 Bände, alle von Rudolf Peschel illustriert. Durch die Entscheidung, statt schlecht reproduzierter Fotografien gezeichnete Ansichten von Stadtlandschaften und sehenswerten Gebäuden abzudrucken, erreichte der Verlag ein ansprechendes Gesamtbild der vorgestellten Gegenden und vermied gleichzeitig, den wenig ansehnlichen Zustand so mancher Bauten offenlegen zu müssen, den selbst stark retuschierte Fotografien kaum hätten verbergen können. Als erläuterndes Medium war aber die Fotografie begreiflicherweise unverzichtbar. Sie spielte eine wichtige Rolle bei der Wiedergabe realer Landschaften und Stadtansichten in Büchern für Erwachsene, sie wurde für die Reproduktion von Dokumenten und historischen Aufnahmen eingesetzt. In vielen Sachbüchern wurden fotografische und gezeichnete Illustrationen gemischt. Die Fotografie erfüllte meistens die sachliche Information, mit gezeichneten oder gemalten Illustrationen wurden Kapitel eingeleitet oder sie dienten als Buchschmuck, wie die

4 Ausführliche Besprechung von Gudrun Schulz (1984), 72–74.

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Abb. 4 Rudolf Peschel Serie Querlandein. Bd. 2. Verlag Junge Welt 1981

1974 von Klaus Ensikat gezeichneten Kapitelumrahmungen zu Wie stark ist nicht dein Zauberton, einer Einführung in die Oper von Ulrich Bökel.

Kurzer Gang durch die Geschichte der Sachbuchillustration der DDR unter Beachtung der verschiedenen Techniken Bereits bei oberflächlicher Durchsicht der Kinderbuchproduktion lässt sich feststellen, dass die meisten Illustratoren sowohl für das fiktive Kinder- und Bilderbuch als auch für das Kindersachbuch tätig waren. Somit tragen selbstverständlich auch die Illustrationen in Sachbüchern die Handschrift des Illustrators – abgesehen davon, dass er sich hier strenger an die vorgegebenen Inhalte halten musste. Hinsichtlich des künstlerischen Anspruchs und der stilistischen Ausformung besteht also kein Unterschied in der Illustrierung von fiktionaler Kinder- und Jugendliteratur und der entsprechenden Sachbuchillustration, wenn der Illustrator seinen speziellen künstlerischen Stil auch für die Vermittlung von Informationen konsequent beibehält. Das wird vor allem bei Sachbüchern für das frühe Kindesalter deutlich, die, wie erwähnt, ihre Informationen in der Regel spielerisch als Bilderbuch vermitteln, verbunden mit einer Geschichte.

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Fünfziger Jahre Alice Hartmann wies in ihrem Aufsatz von 1979 zur Kinderbuchillustration in der Zeitschrift Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur darauf hin, dass in der Nachkriegszeit bis 1949 speziell die Schulbuchillustration im Vordergrund stand.5 Neue Schulbücher waren nach der Nazizeit auch dringend nötig. Trotzdem erschien das erste überall eingesetzte Erstlesebuch der DDR, Lesen und Lernen, erst 1950. Hans Baltzer hat dieses großformatige Buch sehr ansprechend und zudem durchgehend farbig illustriert.

Abb. 5 Hans Baltzer : Lesen und Lernen. Volk und Wissen 1950

Baltzer gilt zusammen mit Kurt Zimmermann als einer der »Urväter« der DDRIllustration. Alice Hartmann behauptet von ihm, er habe »die dem Text innewohnende Parteilichkeit bildkünstlerisch auszudrücken« verstanden (Hartmann 1981, 342). Das scheint sich vordergründig zu bestätigen, wenn man bspw. die Abbildung einer Demonstration zum 1. Mai mit Stalinbild betrachtet. Aber daraus schon Parteilichkeit abzuleiten, wäre verfehlt, denn selbstverständlich 5 Vgl. Hartmann 1979, 63. Der Aufsatz stellt die heftig kritisierte Erstfassung ihres Beitrags zu Emmerichs sehr linientreuem Band Literatur für Kinder und Jugendliche in der DDR dar (vgl. Emmerich 1981).

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spiegelt sich in einem DDR-Erstlesebuch die DDR-Wirklichkeit wieder, wenn auch geschönt, denn angeordnete Demonstrationen gehörten zum Alltag der DDR. Erstaunlicher scheint mir, dass die allgemeine Indoktrination die damalige Lebenswelt noch nicht so tief verändert hatte, da man im Buch auch einen anheimelnd gemalten Weihnachtsabend findet. Begreiflicherweise waren aber auch stark rot eingefärbte Publikationen auf dem Markt. 1952 zollte der Kinderbuchverlag der Linientreue seiner SED-Mutter Tribut mit Min und Go von Paul Wiens, dem aus China übernommenen Märchen vom angeblich so glücklichen Maoland. Allgemein ist festzustellen, dass viele Sachbücher der ersten Jahre in beiden Teilen Deutschlands hätten erscheinen können, so allgemeingültig waren viele. Der Weg deines Briefes von 1951 mit Illustrationen von Herbert Prüget zum Beispiel spiegelt noch, mit Ausnahme der Wilhelm-Pieck-Briefmarke, gesamtdeutsche Postvorgänge wieder. Die Post heißt Deutsche Post, und der abgebildete Zug fährt, wie der Text erklärt, nach Köln.

Abb. 6 Herbert Prüget: Der Weg deines Briefes. Altberliner Verlag Lucie Groszer 1951

Ein wesentlicher Fortschritt in der Verbreitung von Wissen war die Sammelbücherei des bereits 1945 gegründeten Volk und Wissen Verlages. Gekennzeichnet auf dem hinteren Umschlag mit den sehr nützlichen Flattermarken, erschienen in dieser Reihe viele gut illustrierte Hefte mit Sachthemen, zum Beispiel 1948 und 1949 auch ein Erstlesebuch in drei Heften, Im fröhlichen Kinderland, illustriert von Georg Junghans, daneben auch erzählende Literatur.

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Abb. 7 Flattermarke der Serie Volk und Wissen Sammelbücherei, 1946

Jahrbücher Die Herausgabe von Jahrbüchern für Kinder und Jugendliche war eine Erfindung des 19. Jahrhunderts. Um die jungen Leser an den regelmäßigen Bezug zu binden, mussten sie für jeden Interessenbereich etwas bieten, wodurch eine Mischung von populärwissenschaftlichen und erzählenden Beiträgen, Rätseln und Bastelanleitungen entstand, üppig bebildert mit interessanten Fotografien und Illustrationen. Genau dieses Rezept befolgten auch die Jahrbücher für Kinder in der DDR. 1955 startete der Urania Verlag in Jena das Urania Universum. Es hielt sich bis 1990. Das darin enthaltene literarische Angebot war nahezu das gleiche wie dasjenige der Jungenjahrbücher vor hundert Jahren. Der Untertitel versprach: Wissenschaft, Technik, Kultur, Sport und Unterhaltung. Ebenfalls wie vor 100 Jahren waren ausklappbare Bildtafeln im naturalistischen Stil der fünfziger Jahre die große illustrative Attraktion. Karlheinz Birkner war einer ihrer Zeichner. Überraschend ist die Tatsache, dass sich der später für seine feinlinigen humorvollen Illustrationen bekannte Eberhard Binder zusammen mit seiner Frau Elfriede Binder mehrfach an derartigen Publikationen mit plakativen Beiträgen beteiligte. Er gehört damit zu den Illustratoren, die ihren Stil in späteren Jahren völlig änderten.

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Die Themen solcher in die Augen fallender großformatiger Bilder waren meistens Zukunftsphantasien, aber auch idealisierte Darstellungen von Industriekomplexen und Erzeugnissen der DDR-Produktion. Ganz ähnlich in der Konzeption war Weltall, Erde, Mensch, quasi ein Jahrbuch, da es eine regelmäßige Gabe des Staates zur Jugendweihe war. Als ob es in der DDR keine Frauenemanzipation gegeben hätte, erschien ebenfalls ab 1955 Die Zaubertruhe, ein Jahrbuch für Mädchen, das neben Emotionen weckenden Erzählungen (bspw. über die Sehnsucht eines, von ihren Eltern »zwangsweise« zur Flucht in den Westen mitgenommenen Mädchens nach der DDR) mit mädchentypischen Themen wie Mode oder Gymnastik und Benimmregeln aufwartete. Abgesehen von den wenigen anmutigen Textillustrationen von Ingeborg Friebel und dem im Vergleich zum Universum lustlos modernen Schutzumschlag war dieses Jahrbuch ein wenig attraktives Erzeugnis. Der Almanach erlebte immerhin 20 Jahrgänge mit zunehmend besserer Illustrierung. Interessanter war Kaleidoskop, ein Jahrbuch des Kinderbuchverlages, das mehr Sachbeiträge als das spätere, 1976 gestartete Jahrbuch für Kinder brachte, mitunter sogar Karikaturen, bspw. von Karl Schrader.

Sozialistische Ideologie in Sachbüchern Wollte man aus den Illustrationen von Büchern der DDR eine Art sozialistischen Illustrationsstil herausfinden, dürfte man keinen Erfolg haben. Natürlich gab es Beispiele von sozialistischem Realismus in Bildern, etwa den heroisch proletarischen Gestus der Zeichnungen von Kurt Zimmermann, der von sich selbst bekannte: »Für mich bedeutet meine Arbeit vor allem eine politische Aufgabe« (Emmerich 1981, 345). Doch waren Stileigenheiten in der Regel in den Künstlerpersönlichkeiten begründet, aus denen man keine ideologischen Gemeinsamkeiten ableiten konnte. Wenn Illustrationen ideologische Aussagen und Tendenzen transportierten, dann geschah das vor allem inhaltlich. Zu den Veröffentlichungen, denen man generell eine ideologische Linie unterstellen kann, gehört das bereits erwähnte, seit 1954 jährlich verabreichte Jugendweihegeschenk Weltall, Erde, Mensch, das mehrmals aktualisiert wurde und in den ersten Ausgaben ein Vorwort von Walter Ulbricht enthielt. Auch hier ist eine Tendenz allein an den Bildinhalten zu erkennen. Schon die Abbildung auf dem Schutzumschlag nach einem Gemälde des tschechischen Malers prähistorischer Szenen Zdeneˇk Burian suggeriert eine kommun organisierte Urgesellschaft.

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Abb. 8 Zdeneˇk Burian: Schutzumschlag zu Weltall Erde Mensch. Verlag Neues Leben 1954

Der Stil der ins Auge fallenden Einschaltbilder jedoch, im Jahrgang 1955 und folgenden öfters von Eberhard und Elfriede Binder, ist alles andere als sozialistisch-realistisch. Die Flächigkeit, die an touristische Werbeplakate erinnert, geht stilistisch bis auf die zwanziger Jahre zurück. Wie in diesen Bildern das »Svetloe budusˇcˇee«, die »Lichte Zukunft« (um Zinov’evs ironischen Buchtitel zu zitieren) des Sozialismus aussehen soll, ist hier begreiflicherweise ohne Ironie dargestellt.

Abb. 9 Eberhard u. Elfriede Binder-Staßfurt: Städte der Zukunft. Aus: Weltall, Erde, Mensch. Verlag Neues Leben 1968

Ab 1965 erschien Zwischen 13 und 14, ein Almanach für Thälmann-Pioniere. Politische Themen und ihre illustrative Gestaltung nehmen hier sozusagen naturgemäß breiteren Raum ein. Walter Ulbricht etwa wird auf einer Fotografie zuerst kämpferisch dargestellt, in der Illustration von Kurt Zimmermann dann stark idealisiert als Intellektueller, wie er mit Erich Glückauf spazieren geht. Im gleichen Jahr 1965 und noch bis 1989 erschien der Kalender für Jungpioniere, herausgegeben vom Zentralrat der FDJ. Er ähnelte in der Konzeption sehr den früheren Jugendkalendern von vor 1945. Rudolf Grapentin stattete ihn mit Illustrationen aus, die in ihrer Eckigkeit wohl etwas von der Straffheit und »Kampfbereitschaft« suggerieren sollten, die vom Staat als wesentlich für Pioniere angesehen wurden. Ein Beispiel verharmlosender Ideologie ist das 1979 erschienene Bilderbuch »Dornröschen« sitzt im Kiefernwald. Gisela Röder hat hier die Tätigkeit der Soldaten der Nationalen Volksarmee mit ihrem ohnehin schon kindlich naiven

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Stil extrem idyllisierend dargestellt, wozu ihr allerdings angesichts der belanglosen Reimereien von Gerd Eggers auch keine andere Wahl blieb. Ausnahmsweise gebe ich daraus eine textliche Kostprobe: »Frieden ist schön. Die Kinder können zur Schule / und die Eltern zur Arbeit gehen.« Übel in seiner Machart war das antikapitalistische Propagandabuch Meister, Meister, zeig uns Arbeit von Hans Bentzien, das Konrad Golz 1979 in locker karikierender Weise illustrierte. Zuerst wird gezeigt, wie der Kapitalist Witte die Arbeiter ausbeutet. Im Krieg wird seine Fabrik dann wie zur Strafe zerbombt, nach 1945 enteignet und als »Volkseigener Betrieb« (VEB) wieder aufgebaut.

Abb. 10 Konrad Golz: Meister, Meister, zeig uns Arbeit. Kinderbuchverlag 1979

Geradezu experimentell in der Konzeption ist dagegen der Dokumentationsband Bilder aus dunkler Zeit von 1984. Gewiss ist die Auswahl der Fotografien ein wenig einseitig, doch schafft die phantasievolle typografische Gestaltung von Horst Wendt optisch spannungsreiche Beziehungen zwischen den Textteilen. Ideologisch geschickt werden dabei die Aussagen von Kommunisten in Rot gegen das Schwarz der übrigen Texte gesetzt. Reine Typografie wird damit in diesem Buch zu einer Form der Illustration!

Abb. 11 Horst Wendt: Bilder aus dunkler Zeit. Kinderbuchverlag 1984

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Für die selektive Geschichtsvermittlung der DDR typisch ist, dass viel vom Heroismus der Kommunistischen Partei und ihrer Mitglieder erzählt wird, dagegen nichts über die Judenvernichtung in den Konzentrationslagern. Augenscheinlich mit Vorbedacht gibt es in diesem Buch kein Inhaltsverzeichnis, das eine Auswahl zu treffen hilft und daher zum Durchlesen oder -blättern zwingt.

Gestalterische Vielseitigkeit und Phantasie Im Folgenden sollen nun einige in ihrer Art charakteristische Titel angeführt werden, welche die Vielseitigkeit und gestalterische Experimentierfreudigkeit im DDR-Sachbuch veranschaulichen. 1966 erschien erstmals das sexuelle Aufklärungsbuch von Heinrich Brückner Bevor ein Kind geboren wird mit Illustrationen von Gerhard Preuß. Bedeutsamer als die konventionellen Illustrationen war hier das Thema. Der Text richtet sich vor allem an Mädchen. Der Mann taucht zunächst nur als Schemen auf. Werner Klemke als einer der Hauptvertreter der DDR-Illustration hat unzählige Bücher illustriert, darunter auch Sachbücher. Für das Buch über die Oper Hänsel und Gretel, zu dem übrigens Sarah Kirsch den Text schrieb, setzte er seinen charakteristischen lockeren Zeichenstil ein, um einen Opernbesuch für Kinder anziehend darzustellen.

Abb. 12 Sonja Wunderlich: Der Esel, die Großmutter und andere Musikinstrumente. Deutscher Verlag für Musik 1974

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So losgelöst vom Weltgeschehen in der Kunst, wie man denken könnte, war die DDR nicht. Zu allererst waren die Künstler selbst bestrebt, bezüglich der Gegenwartskunst auf dem Laufenden zu bleiben (Kunstbücher aus westeuropäischen Verlagen waren ein willkommenes Mitbringsel), außerdem wurde, was an neuen Stilentwicklungen tolerierbar war, ab und zu auch verlegt. Daher ist es nur auf den ersten Blick überraschend, dass Sonja Wunderlich 1974, ebenfalls für ein Musikbuch, einen Beitrag zur Pop-Art in der Illustration geliefert hat. Vor allem aber ist Hans Ticha der konsequenteste und originellste Exponent der Pop-Art in der DDR gewesen. Er hat es verstanden, mit seiner radikalen Reduzierung von Details auf Grundformen (Kreis, Linie, Rechteck) ein gewöhnliches Sachbilderbuch in ein ungewöhnliches Kunsterlebnis zu verwandeln. Von Warum? Weshalb? Wieso? erschienen von 1980 bis 1986 vier Bände!

Abb. 13 Hans Ticha: Warum? Weshalb? Wieso? Bd. 1. Verlag Junge Welt 1980

Eine völlig aus dem Rahmen üblicher Sachbücher fallende Publikation handelt von künstlerischer Grafik. Eckhard Hollmann hat 1986 Von der Kunst, Bilder zu drucken geschrieben, ein Buch über Druckgrafik also, für das – und das ist das Besondere – ausschließlich Beispiele moderner Kunst der DDR verwendet wurden. Daraus ist eine Art Kompendium der DDR-Grafik geworden, in das

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sogar der offiziell lange nicht anerkannte Gerhard Altenbourg Eingang fand. Bereits die Einbandgestaltung von Egbert Herfurth informiert darüber, wie ein Holzstich entsteht. Die Abbildungen im Innern sind ausgewählte Reproduktionen, die zugleich illustrierende Funktion haben, was die verschiedenen Drucktechniken angeht. Stilistisch vollkommen gegensätzlich zu einem Künstler wie Ticha war Gerhard Lahr. Er war ein wichtiger Vertreter der Sachbuchillustration, dessen realistische, doch nicht naturalistische Federzeichnungen und Aquarelle von Tieren und Menschen sehr beeindrucken. Zumindest kurz erwähnt werden soll der Altberliner Verlag Lucie Groszer, der erste deutsche Kinderbuchverlag der Nachkriegszeit, der mit bescheidenen Mitteln schon früh anspruchsvoll illustrierte Bücher verlegte, zum Beispiel 1949 das Heft In der Bootswerft.

Abb. 14 Gerhard Kreische: In der Bootswerft. Altberliner Verlag Lucie Groszer 1949

Dessen Inhaberin gehörte zu den Verfechtern von Phantasie und Vielgestaltigkeit sowohl im Bilderbuch als auch im Sachbilderbuch. Der verwandelte Wald (1976) von Rainer Sacher war nach Aussage der Verlegerin ihr erfolgreichstes Sachbuch. Es enthält nach Art der alten Sachbücher des 19. Jahrhunderts »Komplexbilder«, in denen aus Rationalitätsgründen möglichst viele Szenen und Details zusammen abgebildet sind, die in Wirklichkeit nie in dieser Dichte auftreten. In ähnlicher Weise haben fast zu gleicher Zeit Irmgard Lucht und Una Jacobs die »Uhrenreihe« des Ellermannverlages illustriert. 1974 erschien Die grüne Uhr, zum Thema Wald dann 1987 auch Die Walduhr. Sehr erfolgreich waren die vielen quadratischen Tierbücher des Altberliner Verlages mit dem sich wiederholenden Untertitel Ein Tag im Leben…, für deren Gestaltung manche Illustratoren viel Phantasie aufwendeten, zum Beispiel Wolf-Ulrich Friedrich mit dem Ameisenbuch Mira. Ein Tag im Leben einer Waldameise von 1986, in dessen Bildern die Ameisen durch eine in der Nahsicht fast abstrakte Landschaft streifen; ihre zierlichen Körper, sehr exakt gezeichnet, heben sich scharf gegen die verwischten Hintergründe ab.

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Abb. 15 Wolf-Ulrich Friedrich: Mira: ein Tag im Leben einer Waldameise. Altberliner Verlag 1986

Drei Illustratoren und ihre Arbeit für das Sachbuch An dieser Stelle sollen drei Illustratoren vorgestellt werden, die in besonderer Weise Sachbuchillustration und künstlerischen Anspruch verbunden und damit die Qualität der Sachbuchillustration in der DDR wesentlich mitgeprägt haben.

Eberhard Binder Eberhard Binder und seine Frau Elfriede begannen, wie erwähnt, als Verfertiger unpersönlicher glatter Zukunftsvisionen. Wenn sie einen Alptraum für das künftige Zentrum von Berlin (in Weltall, Erde, Mensch von 1955) im Bild wahr werden ließen, dann war dieser sicher nicht Binders Idealvorstellungen entsprungen, sondern eine Auftragsarbeit. Das Ehepaar Binder blieb den Lesern allerdings anders in Erinnerung, denn ihre eigentliche Liebe galt freundlich karikierenden Illustrationen. Das konnte man bereits den Illustrationen zu

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Büchern von James Krüss ansehen, bspw. zum Roman Die glücklichen Inseln hinter dem Winde von 1958. Noch 1967, im Lexikon Von Anton bis Zylinder, schwankte ihr Stil zwischen plakativer flächiger Anlage und schon individuellerer Darstellung. Ab den siebziger Jahren hatten sie endlich ihre eigene Handschrift gefunden: locker gezeichnete Figuren, aber in den Konturen geschlossen, und weitgehend flächige Farbfelder. Ein Höhepunkt in dieser Art sind die Illustrationen zur Musikgeschichte für Kinder Der wunderbare Klang (1985) mit einem Text von Guido Bimberg, dem Schwiegersohn der Binders.

Abb. 16 Elfriede u. Eberhard Binder : Der wunderbare Klang. Altberliner Verlag 1985

Der vordere Vorsatz zeigt eine fröhlich singende, trötende und pfeifende Steinzeitgesellschaft, und so singt und trommelt es das ganze Buch hindurch bis zur Popgruppe. In der sanften Art der Binders ließ sich im Buch Götter, Helden, Ungeheuer von 1988 mit dem Bild der Aphrodite sogar eine leicht erotische Darstellung ins ansonsten eher prüde DDR-Kinderbuch schmuggeln.

Abb. 17 Elfriede u. Eberhard Binder : Griechische Götter aus Götter, Helden, Ungeheuer. Kinderbuchverlag 1985

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Klaus Ensikat Klaus Ensikat ist eigentlich kein typischer Sachbuchillustrator, doch von ihm stammen zahlreiche sachbuchartige Illustrationen, zum Beispiel zu Mark Twains Romanen (etwa Leben auf dem Mississippi, 1969). Mit der Illustrierung von Herman Melvilles Roman Taipi, konzipiert als Jugendbuch für den Verlag Neues Leben, hat Ensikat 1977 bewiesen, dass Sachbuchillustrationen auch ein Höchstmaß an künstlerischer Ästhetik erreichen können. Die Methode Ensikats, seine so elegante wie phantasievolle Linienkunst mit exakten ethnologischen Darstellungen der Inselbewohner in der Südsee zu verbinden, hebt den Charakter des Romans als Tatsachenbericht heraus. Wie genau Ensikats Studien für die Illustrierung des Werkes waren, zeigt ein Vergleich mit den Kupfern des Weltreisenden Langsdorff von 1812, von denen er Details bis hin zur Bildkomposition übernahm.

Abb. 18 Klaus Ensikat Taipi. Verlag Neues Leben 1977

Ensikat ist hier, vom Schutzumschlag angefangen, über den Einband, die Vorsätze, Kapitelgestaltungen, die mit zarten Tonplatten unterlegten doppelseitigen Illustrationen, nicht zu vergessen die Vignetten, ein rundum faszinierendes Buch gelungen, das zu Recht 1979 den »Grand Prix« der Biennale der Illustration von Bratislava bekommen hat.

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Egbert Herfurth Ein konsequenter Verfechter der linearen Illustration ist Egberth Herfurth. Er setzt die an der Leipziger Hochschule für Grafik und Buchkunst gepflegte grafische Tradition in allen seinen Illustrationen skrupulös um. Damit erreicht er eine seltene Klarheit seines zwischen Karikatur und Groteske oszillierenden Stils. Sein besonderes Interesse gilt dem Holzstich, dessen präzise Linien und Schraffuren er auch in die Federzeichnung übernimmt. Er hat einen ausgesprochenen Sinn für Humor und surreale Bilderfindungen, die in ihrer anarchischen Art einen spannenden Gegensatz zur strengen Disziplin der Linie bilden. Die Illustrierung des Sprachspielbuches von Franz Fühmann Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel, 1978 im Kinderbuchverlag erschienen, war sozusagen sein Ritterschlag. Ein besonderer Erfolg war Das große Benimm-Buch (Junge Welt, 1984), das er zusammen mit Hannes Hüttner machte.

Abb. 19 Egbert Herfurth: Das große Benimm-Buch. Verlag Junge Welt 1984

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Hier wird die von Hüttner absichtlich penetrant formulierte Zeigefingerpädagogik ad absurdum geführt, in dem die Vorschriften für gutes Benehmen in der Illustration lächerlich gemacht oder ins Gegenteil verkehrt werden. Die große Liedertruhe, ebenfalls 1984 erschienen, ist ein weiteres, gestalterisch wie inhaltlich besonders gelungenes Erfolgsbuch geworden. Hier haben nicht nur Volkslieder und Arbeiterlieder Eingang gefunden, sondern erstaunlicherweise auch Ein feste Burg ist unser Gott von Martin Luther. Zu einer Art Schwanengesang der Sachbuchillustration in der DDR ist Das Derdiedasbuch geworden. Es erschien erst 1991, wurde von Egbert Herfurth und Walther Petri aber schon seit 1985 geplant.6 In ihm werden nach den bestimmten und unbestimmten Artikeln geordnete Wörter wie »Die Eselsbrücke« surreal umgedeutet, manchmal mit leisen politischen Anspielungen. Doch es ist vor allem ein Buch über Buchgestaltung. Begriffe wie »Klappentext«, »Vorsatz« oder »Schmutztitel« werden am praktischen Beispiel mit viel Witz vorgeführt.

Abb. 20 Egbert Herfurth: Das Derdiedasbuch. Kinderbuchverlag 1991

Sogar ein Lesezeichen ist beigelegt. In Herfurths Illustrationen gibt es auch immer wieder etwas außerhalb des Textes zu entdecken, so auch hier, wenn zum Begriff »Die Preisfrage« ein fetter Mops die Bezeichnung »delikat« und ein 6 Brief von Egbert Herfurth an den Verfasser vom 20. Juli 1991.

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eleganter Windhund die Bezeichnung »exquisit« auf dem Halsband trägt. Allerdings wird sich diese Anspielung auf die entsprechenden Geschäfte in der DDR heute sicher nur noch Älteren erschließen.

Abb. 21 Egbert Herfurth: Die Preisfrage aus Das Derdiedasbuch. Kinderbuchverlag 1991

Fazit Dem Anschein nach war das mit zeichnerischen Mitteln, nicht mit Fotografien illustrierte Sachbuch in der DDR reicher vertreten als in der Bundesrepublik. Eine statistische Untermauerung dieser Behauptung steht allerdings noch aus. Was allgemein für die Illustration der DDR typisch bleibt, ist eine durch Tradition und drucktechnische Bedingungen stärkere Ausprägung grafischer Illustration. Die überzeugendsten Ergebnisse lieferten Künstler, die auf die gegebene Druck- und Papierqualität Rücksicht nahmen und sie in ihren Entwürfen von vornherein einplanten. Die Vielfalt der Themen und ihrer grafischen Umsetzung war ähnlich groß wie in der Bundesrepublik, die Gewichtung allerdings teilweise verschieden,

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während sich die stilistischen Veränderungen annähernd gleichzeitig vollzogen – erinnert sei nur an das Beispiel Pop-Art. Die Unterschiede zur Illustration anderer Länder waren vor allem in der Individualität einzelner Künstler begründet, die das Bild der Sachbuchillustration wie der DDR-Illustration überhaupt wesentlich mitprägten.

Primärliteratur Baumert, Inge/Hans Baltzer (Ill.)/Heinz-Karl Bogdanski (Ill.): Zwischen 13 [dreizehn] und 14 [vierzehn]. Ein Almanach für Thälmann-Pioniere. Berlin: Kinderbuchverlag, 1965 Bellack, Siegrid/Eberhard Binder (Ill.): Von Anton bis Zylinder : das Lexikon für Kinder. Berlin: Kinderbuchverlag, 1967 Bentzien, Hans/Konrad Golz (Ill.): Meister, Meister, zeig uns Arbeit. Berlin: Kinderbuchverlag, 1979 Bimberg, Guido/Elfriede und Eberhard Binder (Ill.): Der wunderbare Klang. Berlin: Altberliner Verlag, 1985 Binder-Staßfurt, Eberhard und Elfriede (Ill.): Städte der Zukunft. In: Weltall Erde Mensch. Neufassung. 16. Aufl. Berlin: Neues Leben, 1968, Tafel zwischen 480/482 Bökel, Ulrich/Klaus Ensikat (Ill.): Wie stark ist nicht dein Zauberton: eine Einführung in die Welt der Oper. Berlin: Kinderbuchverlag, [1974] Brückner, Heinrich/Gerhard Preuß (Ill.): Bevor ein Kind geboren wird. Berlin: Kinderbuchverlag, 1966 ˇ apek, Karel/Hans Ticha (Ill.): Der Krieg mit den Molchen. Berlin: Aufbau, 1987 C Eggers, Gerd/Gisela Röder (Ill.): »Dornröschen« sitzt im Kiefernwald. Berlin: Junge Welt, 1979 Eichen, Heinrich/Herbert Prüget (Ill.): Der Weg deines Briefes. Berlin: Altberliner Verlag, 1951 Feuer, Johannes/Robert Alt/Hans Baltzer : Lesen und Lernen. Berlin [u. a.]: Volk und Wissen, 1950 Fühmann, Franz/Egbert Herfurth (Ill.): Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel: Ein Sprachspielbuch für Kinder. Berlin: Kinderbuchverlag, 1978 Hendel, Carola/Hans Ticha (Ill.): Warum? Weshalb? Wieso? Ein Frage-und-Antwort-Buch für Kinder. 4 Bde. Berlin: Junge Welt 1980–1986 Hüttner, Hannes Egbert Herfurth (Ill.): Das große Benimm-Buch. Berlin: Junge Welt, 1984 Hoffmann, E. T. A./Hans Ticha (Ill.): Klein Zaches. Berlin: Aufbau, 1976 Hollmann, Eckhard (Hg.): Von der Kunst, Bilder zu drucken. Berlin: Kinderbuchverlag, 1986 Junghans, Georg (Ill.): Im fröhlichen Kinderland: Ein Geschichten- und Lernbuch für Schulanfänger. 3 Teile. Berlin [u. a.]: Volk und Wissen, 1948–49 Kant, Uwe/Manfred Bofinger (Ill.): Roter Platz und ringsherum: Von einer Putjowka nach Moskau. Berlin: Kinderbuchverlag, 1977 Kehl, Barbara/Wolf-Ulrich Friedrich (Ill.): Mira. Ein Tag im Leben einer Waldameise. Berlin: Altberliner Verlag, 1986 Kirsch, Sarah/Werner Klemke (Ill.): Hänsel und Gretel. Leipzig: Edition Peters, 1972

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Köhn, Jens/Elfriede und Eberhard Binder (Ill.): Götter, Helden, Ungeheuer. Berlin: Kinderbuchverlag, 1988 Küchenmeister, Wera/Claus Küchenmeister/Horst Wendt (Typographie): Bilder aus dunkler Zeit. Der deutsche Faschismus in Dokumenten. Berlin: Kinderbuchverlag, 1984 Lindemann, Werner/Helmut Zeraschi/Sonja Wunderlich (Ill.): Der Esel, die Großmutter und andere Musikinstrumente. Leipzig: Deutscher Verlag für Musik, 1974 Melville, Herman/Klaus Ensikat (Ill.): Taipi. Abenteuer in der Südsee. Berlin: Neues Leben, 1977 Menzel, Maria/Gerhard Kreische (Ill.): In der Bootswerft. Berlin: Alterberliner Verlag Lucie Groszer, 1949 Petri, Walther/Egbert Herfurth (Ill.): Das Derdiedasbuch. Gezeichnete Wortspielereien. Berlin: Kinderbuchverlag, 1991 Prenzel, Gisela/Gottfried Bammes (Ill.): Kleine Forschungsreisende. Dresden: L. Ehlermann, 1949 Sacher, Rainer : Der verwandelte Wald. Berlin: Altberliner Verlag L. Groszer, 1976 Seeger, Fred/Rudolf Peschel (Ill.): Müritzer Pferdeäpfel, 1981. Berlin: Junge Welt, 1981 (Querlandein. Eine Reisebuch-Reihe für Kinder ; 1) Stave, Gabriele/Rudolf Peschel (Ill.): Oderbruchlandung mit Karoline. Berlin: Junge Welt, 1981 (Querlandein. Eine Reisebuch-Reihe für Kinder ; 2) Terlikowska Maria/Bohdan Butenko (Ill.): Abenteuer eines Wassertropfens. Berlin: Kinderbuchverlag, 1969 Tille, Peter/Petra Wiegandt (Ill.): Ein Apfel und Sir Isaak. Halle: Postreiter, 1987 Tille, Peter/Manfred Bofinger (Ill.): Einsein mit der Geige. Halle: Postreiter, 1985 Urania-Universum. Wissenschaft, Technik, Kultur, Sport, Unterhaltung. Bd. 7. Leipzig [u. a.]: Urania, 1961 Urania-Universum. Wissenschaft, Technik, Kultur, Sport, Unterhaltung. Bd. 8. Leipzig [u. a.]: Urania, 1962 Walther, Klaus/Rudolf Peschel (Ill.): Vogtländische Vogelbeeren. Berlin: Junge Welt, 1990 (Querlandein. Eine Reisebuch-Reihe für Kinder ; 13) Wedding, Alex/Jung Pao-Dsai (Ill.): Leuchtende Schätze. Aus der Werkstatt Jung Pao-Dsai. Berlin: Alfred Holz, 1957 Weltall, Erde, Mensch. Ein Sammelwerk zur Entwicklungsgeschichte von Natur und Gesellschaft. Berlin: Neues Leben, 1954 Wetzstein, Hans-Peter (Hg.): Kaleidoskop. Neues und Interessantes aus Wissenschaft und Technik. Berlin: Kinderbuchverlag, [1974] Wiens, Paul: Min und Go: Ein Brief aus China. Berlin: Kinderbuchverlag, 1952 Die Zaubertruhe. Ein Almanach für junge Mädchen. Bd. 4. Berlin: Kinderbuchverlag, [1958]

Sekundärliteratur Bode, Andreas: Das buchkünstlerische Werk. In: Pohlmann, Carola (Hg.): Jeder nach seiner Art. Kinderbuchillustrationen von Klaus Ensikat. Wiesbaden 1997, 11–19 (Staatsbibliothek zu Berlin: Ausstellungskataloge N. F.; 21)

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Bode, Andreas: Bilderbücher und Kinderbuchillustrationen. In: Steinlein, Rüdiger/Heidi Strobel/Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/ DDR. Von 1945 bis 1990. Stuttgart [u. a.] 2006, 829–902 Bode, Andreas: Kinderbuchillustration in der DDR. In: Kinderbücher der DDR. Münster 2001, 4–8 Brunken, Otto/Bettina Hurrelmann u. a. (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. Von 1850 bis 1900. Stuttgart [u. a.] 2008 Die Buchillustration in der DDR 1949–1979. Ausstellung des Verbandes Bildender Künstler der DDR Sektion Gebrauchsgraphik zum 30. Jahrestag der Deutschen Demokratischen Republik. Berlin 1979 Doderer, Klaus (Hg.): Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur. Bd. 3. Weinheim [u. a.] 1979 Emmerich, Christian (Hg.): Literatur für Kinder und Jugendliche in der DDR. Berlin 1981 Für Kinder gemalt: Buchillustratoren der DDR. Berlin [1975] Hartmann, Alice: Die Kinder- und Jugendbuchillustration in der DDR. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 51 (1979), 59–73 Hartmann, Alice: Die Kinder- und Jugendbuchillustration in der DDR. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 53 (1979), 19–32 Hartmann, Alice: Stellungnahme zu den Diskussionsbeiträgen zum Aufsatz. »Die Illustration im Kinder- und Jugendbuch«. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 54 (1980), 86–88 Hartmann, Alice: Illustrationskunst im Kinder- und Jugendbuch. In: Emmerich, Christian (Hg.): Literatur für Kinder und Jugendliche in der DDR. Berlin 1981, 339–362 Hussong, Martin: Sachbuch. In: Doderer, Klaus (Hg.): Lexikon der Kinder- und Jugendliteratur. Bd. 3. Weinheim [u. a.] 1979, 237–242 Kuhnert, Heinz: Das Bilderbuch in der Kinderliteratur der DDR seit 1945. Berlin 1976 Kunze, Horst: Vom Bild im Buch. Leipzig 1988 Lexikon der Illustration im deutschsprachigen Raum seit 1945. München 2009–2015 Schöne Bücher und Buchillustrationen aus der Deutschen Demokratischen Republik: Ausstellungskatalog. Duisburg 1987 Schulz, Gudrun: Reisebuchreihe für Kinder »Querlandein«. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 71 (1984), 72–74 Schulz, Marianne/Marianne Müller/Manfred Bofinger/Martin Kloss: Bemerkungen zu Alice Hartmanns Analyse. In: Beiträge zur Kinder- und Jugendliteratur 53 (1979), 33–42 Steinlein, Rüdiger/Heidi Strobel/Thomas Kramer (Hgg.): Handbuch zur Kinder- und Jugendliteratur. SBZ/DDR Von 1945 bis 1990. Stuttgart [u. a.] 2006

Anne Preuß (Potsdam)

Anmerkungen zum Beitrag des Grafikers Gerhard Preuß zur Kinder- und Jugendliteratur der DDR

Abb. 1 Gerhard Preuß, 2006

Über Gerhard Preuß ist kaum etwas im Internet zu finden. Es entsprach nicht seinem Wesen, sich in den Vordergrund zu drängen oder in der Öffentlichkeit auf sich aufmerksam zu machen. Qualität musste am Stil des Künstlers erkennbar und durfte nicht austauschbar sein. Er kannte die Möglichkeiten der digitalen Welt und Vernetzung, lehnte es aber ab, sich ihr unterzuordnen oder ein Teil von ihr zu werden, auch wenn es in den 2000er Jahren längst üblich war, sich mit einer Homepage zu präsentieren und in den verschiedensten digitalen Netzwerken den Austausch mit Künstlerkollegen zu pflegen. Für Gerhard Preuß behielt auch das kleinste Stück Papier seine Bedeutung. Jede noch so kurze Notiz, jede Nachricht verfasste er in seiner unverwechselbaren kalligrafischen Handschrift auf Papier. Dies sei vorangestellt, wenn in einer Zeit der völligen digitalen Vervielfältigung und einem Überangebot an Schriftgut und Druckerzeugnissen – auch der Kinder und Jugendliteratur – ästhetische Ansprüche zurückgestellt scheinen. Mag das Ergebnis in seiner Qualität gleich gut, anspruchsvoll oder visuell ansprechend und unterstützend sein, so dürfte das Aufheben abgeschnittener Papierstreifen, das Lagern von Pappstücken und -resten unterschiedlichster Qualität in unserer Wegwerfgesellschaft eher Unverständnis und Kopfschütteln ernten.

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Abb. 2 Notizzettel, um 1994

Für Gerhard Preuß begann seine künstlerische Handlung aber schon bei der Suche nach einem geeigneten Untergrund oder Stück Papier, um mit dem sorgfältig angespitzten Bleistift oder Füller mit feinster Feder erste Skizzen anzulegen. Der achtsame Umgang mit dem Material war für ihn bereits ernsthafte Auseinandersetzung mit dem Auftrag. Vor seinem Tod am 18. März 2014 hat Gerhard Preuß mir, der Tochter seines älteren Bruders, sein Gesamtwerk übertragen und damit auch die besondere Aufgabe, seine Tausenden Zeichnungen, Skizzen, Bilder, Entwürfe, aber auch geometrische Konstruktionen und technischen Zeichnungen zu sichten, zu archivieren und aufzubewahren. Es gibt bislang keine Dokumentationen über das künstlerische Wirken von Gerhard Preuß. Dieser Beitrag ist ein Anfang und lässt sicher noch viele Möglichkeiten und Fragen offen. Er beruht auf der bisherigen Sichtung der Originalwerke, der Lektüre seiner gedanklichen Skizzen und Notizen, die sich manchmal auf den Rückseiten seiner freien Werke befinden, auf meinen Erinnerungen an die Begegnungen und Gespräche mit meinem Onkel Gerhard und an seine kritischen mündlichen Auseinandersetzungen mit der gesellschaftlichen Entwicklung nach 1989. Auskünfte von Freunden, seinen drei Geschwistern, seiner langjährigen Lebensgefährtin sowie schriftlich vorhandene Selbstauskünfte von Gerhard Preuß ergänzen mein biografisches Wissen über ihn und sind Grundlage für diese Anmerkungen.

Der Beitrag des Grafikers Gerhard Preuß zur Kinder- und Jugendliteratur

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Abb. 3 Expandierende Rotation in 10 Stufen orbital auf einer Kreisbahn, 2002

Bei der Übernahme des künstlerischen Gesamtwerkes wurde sichtbar, dass es sich um eine umfangreiche Sammlung mehrerer hundert Mappen handelt. Nach wie vor bin ich überwältigt von der enormen Schaffenskraft dieses bescheidenen, immer freundlichen, nie hektisch agierenden, sondern mit Konzentration in sich ruhenden Künstlers. Gerhard Preuß war nicht nur unendlich fleißig, gründlich und engagiert in seinen Auftragswerken – vorne an seine etwa 1.800 Illustrationen für ca. 60 Bücher in Sachliteratur und Belletristik, aber auch Briefmarken, Kartenspiele und Plakate. Seine Meisterschaft als Grafiker und Maler tritt ebenso in den freien Arbeiten seit 1990 zu Tage. Eine Retrospektive im Kulturzentrum Ratzfatz e. V. in Berlin-Schöneweide gab im Jahr 2015 mit 160 Exponaten zumindest einen Überblick über sein vielseitiges Schaffen, zu dem mehr als die vielen bekannten Buchillustrationen gehört. Selbst nahe Verwandte und Freunde sowie frühere Kollegen der Kunsthochschule Berlin-Weißensee waren überrascht und beeindruckt von seinen bislang unbekannten mathematisch-geometrischen Studien und Konstruktionen mit selbst gefertigten Linealen. Weiß man um diese Vielseitigkeit des Künstlers, wird verständlich, dass Auftragsarbeiten zu Illustrationen von Kinder- und Jugendliteratur für Gerhard Preuß bedeuteten, sich zu allen angefragten Sachthemen zunächst akribisch Wissen anzueignen. Er ging dabei weit über eine oberflächliche Information hinaus. Ob zur Schifffahrt, über den Schiffsbau, zu antiker Architektur und

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Lebensweise, Gartenbau oder Kernspaltung – Gerhard Preuß sammelte antiquarische und neuzeitliche Nachschlagewerke, in denen er die notwendigen sachlichen und wissenschaftlichen Grundlagen für die bildlichen Darstellungen in den Kinder- und Jugendbüchern, aber auch für jegliche belletristischen Auftragswerke fand. Alle Illustrationen hat er gründlich vorbereitet und ging mit außerordentlicher Sachkenntnis an die Zeichnung, die er bis ins kleinste Detail entwickelte.

Abb. 4 Haus und Siedlung – Zeichnungen und textliche Notizen zum Wohnbau, um 1982

Der grafische und farbliche Duktus von Gerhard Preuß war nicht nur in der populärwissenschaftlichen Kinderbuchreihe von Gerda Rottschalk, sondern auch in 32 weiteren Kinder- und Jugendbüchern wiedererkennbar. Die Illustrationen von Gerhard Preuß begleiteten sogar alle schulpflichtigen Kinder und Jugendlichen in der DDR der sechziger, siebziger und achtziger Jahre (z. B. Lesebuch 3. Klasse, 1970; Geschichte Klasse 6, 1978). In der DDR war es »ein gesamtgesellschaftliches Anliegen, eine erstrangige kulturpolitische Aufgabe: mit dem Buch als Kulturgut geistige und ästhetische

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Bedürfnisse aller Leser zu wecken und zu befriedigen.« (Wunderlich 1979, 6). Diesem hohen Anspruch wurde Rechnung getragen, indem man Schulbücher, Sachbücher und belletristische Werke für die jeweiligen Altersgruppen bewusst von Künstlern gestalten ließ. In den bereits erwähnten Schulbüchern und bspw. in der Reihe populärwissenschaftlicher Kinderbücher von Gerda Rottschalk findet man den farbenfrohen, malerischen Stil von Gerhard Preuß ebenso wie die Verknüpfung von wissenschaftlicher Präzision und Abstraktion mit einer klar verständlichen künstlerischen Formensprache.

Abb. 5 Illustration von Gerhard Preuß zu Gerda Rottschalks Die Kinder Sumuts. Kinderbuchverlag 1971, 40f.

Gerhard Preuß schmückte die Geschichten nicht nur aus, sondern erzählte mit seinen Bildern das, was nicht im Text stand. Er veranschaulichte mit seinen Zeichnungen die Funktion von Geräten und Maschinen und das Leben und die Behausung der Menschen in verschiedenen Zeitaltern, sodass sich längere textliche Ausführungen dazu erübrigten und den Lesefluss nicht störten. In seinen Bildern konnte man lesen, der Text wurde bildlich fortgeschrieben, es war vorstellbar, was im Text als nächstes folgen könnte. Die Phantasie des jungen Lesers wurde sinnlich-visuell, aber auch sachlich-informativ angeregt. Im Nachlass von Gerhard Preuß fand sich ein kurzer Kartengruß von Gerda Rottschalk an Gerhard Preuß vom 13. Dezember 1974, der belegt, dass sich zur Vorbereitung und Gestaltung der Kinderbücher die Autorin Rottschalk, der Grafiker Preuß und der wissenschaftliche Beirat Dr. Werner Padberg persönlich getroffen haben. Lieber Kollege Preuß! Durch eine erfolgreiche Serie eng liiert, haben wir uns doch nur einmal bei Dr. Padberg gesehen. Ich möchte mich gleichzeitig mit dem beiliegenden Brief, der mir zugesandt wurde, bei Ihnen für die eindrucksvollen, in den Farben vorzüglichen Illustrationen bedanken. Sie sind großartig! Beste Grüße und ein erfolgreiches Jahr 1975 wünscht und sendet Ihre Gerda Rottschalk.

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Die enge Zusammenarbeit zwischen Autoren und Grafikern war in der DDR selbstverständlich, ein wissenschaftlicher Beirat wurde außerdem hinzugezogen, wenn es erforderlich war. Gerhard Preuß hat die sachlich richtigen, meist filigranen Zeichnungen nicht nur einfach koloriert, sondern mit seiner ganzen Kraft als Künstler und Maler farbig gestaltet.

Abb. 6 Vor- und Nachsatz von Gerhard Preuß zu Gerda Rottschalks Die Kinder Sumuts. Kinderbuchverlag 1971

Seine Illustrationen sind erzählend und formschön zugleich. Er setzte bewusst ästhetische Gestaltungsprinzipien zu Komposition und Rhythmus ein. Die Farbwahl überließ er nicht nur der sachlichen Entsprechung oder dem Zufall. Die von ihm gestalteten Bücher können als Gesamtkunstwerke gelten. Man staunt über den Detailreichtum, den man nicht nur in den feinen Federzeichnungen (vgl. Abb. 8), sondern auch in den eher malerisch aufgefassten Bildern vorfindet (vgl. Abb. 10). Der produzierte und stetig steigende Überfluss all des Gedruckten, was machbar, möglich und profitabel ist, erschwert nach meiner Erfahrung die Suche nach Maßstäben für ästhetische Bildung und Orientierung. Einerseits habe ich es als Kunsterzieherin als lohnenswert erlebt, hohe Anspüche an künstlerisches Handeln und Reflektieren zu vermitteln, musste aber auf dem Boden der Tatsachen auch feststellen, dass der Einfluss engagierten kunsterzieherischen Handelns auf das Urteilsvermögen und die Verantwortungsfähig-

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keit der Kinder und Jugendlichen gegenüber der lauten, bunten Medienwelt doch sehr begrenzt ist. Die Erkenntnis, dass Kinder- und Jugendliteratur mit hohem inhaltlichen und gestalterischen Anspruch nur ein Angebot unter vielen ist, muss nicht ernüchtern, sondern zeigt, dass wir immer die Wahl haben, – die Wahl, ob und in welcher Weise wir Verantwortung übernehmen wollen – als Eltern, Schuldirektor, Buchhändler oder Kindergärtnerin, als Kunsterzieher, Buchillustrator, Werbedesigner oder Autor. Gerhard Preuß bezeichnete sich als Grafiker bzw. nach 1990 als Grafik-Designer. Aber er arbeitete auch als Maler, gestaltete und baute formschöne Möbel (vgl. Abb. 7) und setzte sich darüber hinaus mit naturwissenschaftlichen Phänomenen auseinander. So suchte er nach einem geeigneten Atommodell und entwickelte eigene Lineale, um geometrische Raster für gegenstandslose Grafiken und Muster zeichnen zu können. (vgl. Abb. 9) All seinen Arbeiten lag eine geistige und zeichnerische Durchdringung zugrunde. In seinem Nachlass finden sich unzählige Konstruktions- und architektonische Zeichnungen. Bei der Gestaltung der Möbel, mit denen seine gesamte Berliner Wohnung ausgestattet war, verfolgte er ein eigenes funktionales und mit seinen feinen, sanft schwingenden Linien an den Jugendstil erinnerndes Design. Es entsprach seiner besonderen technisch-konstruktiven Vorstellungskraft und seinen Kenntnissen über statische Verhältnisse, dass diese Möbel ohne Verschraubungen und Verklebungen allein durch ein effizientes, kaum sichtbares Stecksystem mit selbst gefertigten Holzdübeln und -zapfen gebaut waren. Ein Blick in seine Biografie lohnt sich, um zu erfahren, wie Gerhard Preuß das Interesse für das exakte, fast wissenschaftliche Zeichnen im Naturstudium und während der Ausbildung entwickelte, sich aber gleichzeitig mit Gesetzen der Physik und der Mathematik auseinandersetzte. Das Wesen der Familie Preuß war immer leistungsorientiert und trotzdem feinsinnig, zurückhaltend und bescheiden. Gerhard Preuß wurde am 25. Januar 1935 in Warsow/Stettin als zweites von vier Kindern geboren. Die frühe Kindheit verlebte er dort mit seinen Geschwistern – einem älteren Bruder und zwei jüngeren Schwestern. 1941 kam er in die Volksschule. Der Vater – ein Berufskraftfahrer – wurde mit Kriegsbeginn Soldat und blieb an der Ostfront seit Januar 1945 ohne Nachricht verschollen. Im Herbst 1943 wurde die Familie nach Eggesin evakuiert. Während eines Geburtstagsbesuches in Stettin erlebten sie im August 1944 den schlimmsten Bombenangriff, bei dem die Großeltern ihre Wohnung verloren.

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Abb. 7 Ablage mit Spiegel, Teil einer Flurgarderobe, um 1983

Nach dem Einzug der Roten Armee in Demmin kehrte die Mutter mit den vier Kindern und den Großeltern zu Fuß nach Stettin zurück. Sie blieben dort bis April 1946 – ohne sichere Nahrungsquellen und ohne Schule. Auf eigene Faust verließ die Mutter mit den Kindern Stettin und geriet nach Lutherstadt Wittenberg, wo die Tante als Diakonieschwester tätig war. Das Leben in Wittenberg war von unbefriedigenden Wohnverhältnissen und wegen häufiger Arbeitsunfähigkeit der Mutter von Armut geprägt. Die Freude am Beobachten der Natur, am Zeichnen und Gestalten zeigte Gerhard Preuß schon in den frühen Kinderjahren. Diese Neigung wollte er in seinem späteren Beruf ausprägen und absolvierte von 1949 bis 1952 eine Lehre als Gebrauchswerber in der Firma Niethardt-Werbung in Wittenberg. Daneben besuchte er Kurse an der Volkshochschule zum Figürlichen Zeichnen und Aktzeichnen. Nach dem Abschluss seiner Lehre ging Gerhard Preuß 1952 zur kasernierten Volkspolizei (der späteren NVA) nach Potsdam-Eiche und war als Unteroffizier auf Zeit u. a. mit dem Zeichnen und Bearbeiten von Landkarten beauftragt. Von 1957 bis 1962 studierte er Gebrauchsgrafik an der Kunsthochschule BerlinWeißensee bei den Professoren Wittkugel, Mohr, Jazdzewski, Klemke und Vogenauer im Fachgebiet Grafik. 1962 erwarb er das Diplom als Grafiker. Seine Diplomarbeit, die Illustrationen zum Buch Entdeckungsfahrt mit der Beagle (Schäfer 1963) wurden mit der Auszeichnung »Schönstes Buch des Jahres« gewürdigt.

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Abb. 8 Ernst Haeckel mit Frau Agnes. Illustration von Gerhard Preuß zu Paul Kanut Schäfers Entdeckungsfahrt mit der Beagle. Kinderbuchverlag 1963, 239

Nach dem Diplom arbeitete er als künstlerischer Assistent bei Professor Wittkugel an der Kunsthochschule Berlin-Weißensee. 1967 wurde Gerhard Preuß als Dozent für Grafik berufen und übte in Berlin-Weißensee bis 1991 eine Lehrtätigkeit im Grundlagenstudium Grafik aus. Zu Beginn der sechziger Jahre wohnte Gerhard Preuß in Potsdam, zog aber 1965 nach Berlin, wo er fast 50 Jahre in der Binzstraße in Pankow lebte. Dort sind auch seine drei Kinder aufgewachsen. In den sechziger, siebziger und achtziger Jahren illustrierte er 60 Bücher – vor allem für den Kinderbuchverlag Berlin. Neben der bereits erwähnten Kinderbuchreihe von Gerda Rottschalk (1970) stammen die vielen Illustrationen im Roman von Wassily Nareshny Die Abenteuer des Gil Blas (1972), in Achtung Roboter (Kobrinski 1979) sowie die Briefmarken Märchen (1960), Plakate und Bilder in Zeitungen ebenso von ihm – um nur einige Arbeitsgebiete zu nennen. Gerhard Preuß nahm mehrfach an den Kunstausstellungen der DDR in Dresden teil. Er arbeitete mit verschiedensten Techniken und nahm häufig eine Lupe zu Hilfe: Es entstanden feinste Federzeichnungen, Aquarelle, Tempera- und Bleistiftzeichnungen, Holzschnitte; Gerhard Preuß verwendete die Folienschabetechnik sowie die selbst entwickelte Stempeltechnik mit eigens geschnitzten Miniaturstempeln für seine Auftragsarbeiten zur Buchillustration.

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Nach Beendigung seiner Dozententätigkeit an der Kunsthochschule schuf er in den neunziger Jahren zahlreiche Aquarelle mit floral-abstrakten Motiven, großformatige grafische Arbeiten, gegenstandslose, geometrisch konstruierte Zeichnungen, aber auch düstere, exzessive Tuschmalereien. Gerhard Preuß war traurig, entsetzt, wütend und ratlos über die gesellschaftliche Entwicklung nach der Wende. Er, der immer beherrschte, ruhige und verständnisvolle Mensch experimentierte aber weiter mit verschiedenen Drucktechniken sowie mit Vervielfältigungen von Spiralmustern und stereometrischen Mustern, die an Computergrafiken erinnern, von Gerhard Preuß aber ohne Computer mit selbst erfundenen Linealen und Kurvenschablonen entwickelt worden sind.

Abb. 9 Spiralmuster Fraktale, um 1998

Gedanklicher Ausgangspunkt dafür war die langjährige, immer wieder kehrende Auseinandersetzung und Suche nach einem geeigneten Atommodell. Das Interesse für Naturwissenschaften teilte er mit seinem Bruder, Dr. Heinz Preuß, der als Physiker bei Gustav Hertz diplomierte. Gerhard Preuß verstarb nach langer Krankheit am 18. März 2014 in Treuenbrietzen. Mit seinem Nachlass hat er mir einen großen Schatz übertragen, zusammen mit der Verantwortung, im Sinne einer nachhaltigen ästhetischen Bildung, kulturvolles Leben und fundiertes, die Gegenstände durchdringendes künstlerisches Wirken zu entwickeln und zu initiieren.

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Abb. 10 Vor- und Nachsatzillustration von Gerhard Preuß zu Gerda Rottschalks Vom Feuertier und den Wildpferdjägern. Kinderbuchverlag 1980

Primärliteratur Gruse, Anneliese (Hg.)/Gerhard Preuß (Ill.): Lesebuch. 3. Klasse. Berlin: Volk und Wissen, 1970 Günther, Rigobert (Hg.)/Gerhard Preuß (Ill.): Geschichte. Lehrbuch der Klasse 6. Berlin: Volk und Wissen, 1978 Kobrinski, Aron E./Gerhard Preuß (Ill.): Achtung, Roboter. Leipzig [u. a.]: Urania, 1974 Nareshny, Wassili/Gerhard Preuß (Ill.): Der russische Gil Blas. Berlin: Rütten & Loening, 1972 Schäfer, Paul Kanut/Gerhard Preuß (Ill.): Entdeckungsfahrt mit der Beagle: Berlin: Kinderbuchverlag, 1963 Rottschalk, Gerda/Gerhard Preuß (Ill.): Die Kinder des Sumuts. Berlin: Kinderbuchverlag, 1971 Rottschalk, Gerda/Gerhard Preuß (Ill.): Vom Feuertier und den Wildpferdjägern. 4. Aufl. Berlin: Kinderbuchverlag, 1987

Sekundärliteratur Wunderlich, Gert: Die Buchillustration in der DDR. Berlin 1979

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Maren Ahrens studierte Kulturwissenschaft und Neuere Deutsche Literaturwissenschaft an der Humboldt Universität zu Berlin. Seit 1997 ist sie im MOSAIK Steinchen für Steinchen Verlag als Lektorin tätig. Auf Veranstaltungen hält Maren Ahrens Vorträge über die Verlagsarbeit und das MOSAIK. Thomas Arnold hat das Grundschullehramt mit Kernfach Germanistik an der TU Chemnitz studiert. Gegenwärtig ist er als abgeordneter Lehrer im Fachbereich Grundschuldidaktik Deutsch des Instituts für Pädagogik und Didaktik im Elementar- und Primarbereich der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig tätig. Prof. Dr. phil. habil. Andr8 Barz (Jg. 1963) hat von 1982 bis 1986 ein Lehramtsstudium für die Fächer Deutsch und Geschichte in Leipzig absolviert, von 1986 bis 1989 folgte ein Forschungsstudium der Psychologie. Er promovierte 1989 auf dem Gebiet der Pädagogischen Psychologie mit einer Arbeit zum Darstellenden Spiel und habilitierte sich 1996 im Bereich Literaturdidaktik mit einer Schrift über das Verhältnis von Literaturunterricht und Massenmedien. Seit 1987 ist er in Lehre und Forschung an Hochschulen und Universitäten in Leipzig, Koblenz/Landau, Bydgoszcz, Siegen und Bern in den Disziplinen Psychologie, Didaktik der deutschen Sprache und Literatur, Literaturwissenschaft sowie Spiel- und Theaterpädagogik tätig. Zwischenzeitlich arbeitete er als Lehrer in Leipzig und als Theaterpädagoge an der Landesbühne Sachsen-Anhalt in Lutherstadt Eisleben. Seit 2005 ist er Universitätsprofessor für Theaterpädagogik an der Universität Siegen. Seine Arbeits- und Forschungsschwerpunkte sind Theater und Drama der Gegenwart, insbesondere auch für Kinder und Jugendliche; Geschichte des nichtprofessionellen Theaters der DDR. Herausgabe von Forum SpielTheaterPädagogik und Bertuchs Weltliteratur für junge Leser. Dr. phil. Andreas Bode, 1942 in Leipzig geboren, war von 1954 bis 1960 Mitglied des Thomanerchores, studierte osteuropäische Geschichte, Slawistik und

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Neuere Geschichte an den Universitäten München, Stockholm und Moskau, promovierte 1971 zum Magister Artium, 1975 zum Dr. phil. mit einer Arbeit zum Thema Die Flottenpolitik Katharinas II. und die Konflikte mit Schweden und der Türkei (1768–1792). 1975 bis 1977 erfolgte die Ausbildung für den höheren Bibliotheksdienst an der Staatsbibliothek München. Danach war er als wissenschaftlicher Bibliothekar von 1977 bis 1978 in Bamberg (Universitätsbibliothek), von 1978 bis 1983 in Berlin (Leitung der Bibliotheken der Hochschule der Künste) und von 1983 bis 2007 an der Internationalen Jugendbibliothek in München tätig, von 1983 bis 1992 als alleiniger Direktor, danach in geteiltem Direktorat. Von 1996 bis 1998 war er Mitglied der Jury des Deutschen Jugendliteraturpreises, von 1995 bis 2007 Mitglied der Jury des Katholischen Kinderund Jugendbuchpreises, 2002 bis 2003 Mitglied der Jury für den Sonderpreis Illustration des Deutschen Jugendliteraturpreises und 2007 bis 2008 Vorsitzender der Jury für den Sonderpreis Übersetzung dieses Preises. Er ist wissenschaftlich vor allem im Kinderbuchbereich mit dem Schwerpunkt Illustration tätig, hat aber auch über das historische Kinderbuch und Übersetzungsprobleme aus dem Russischen und Schwedischen gearbeitet. Dr. phil. Maria Becker vertritt seit 2015 die Professur für Neuere deutsche Literatur – Intermedialität/Interkulturalität an der Technischen Universität Dortmund, Institut für deutsche Sprache und Literatur. Promoviert wurde sie 2012 mit dem Titel: Schreiben in Ost und West. Ostdeutsche Autoren von Kinder- und Jugendliteratur vor und nach der Wende. Frankfurt/Main [u. a.] 2013. (Kinder- und Jugendkultur, -literatur und -medien: Theorie – Geschichte – Didaktik; 81). Ihre Arbeitsgebiete sind: DDR-(Kinder und Jugend-)Literatur/ Erinnerungskultur, Inter-/Transkultureller Literaturunterricht, Inklusive Literaturdidaktik. Wiebke Helm hat Germanistische Literaturwissenschaft an der Universität Jena studiert und war Stipendiatin am Graduiertenkolleg Aufklärung – Religion – Wissen des gleichnamigen Landesforschungsschwerpunktes der Universität Halle-Wittenberg. Sie arbeitet als wissenschaftliche Redakteurin und freie Lektorin für verschiedene Verlage und Forschungseinrichtungen. Derzeit schreibt sie an einer Dissertation zur Wissen vermittelnden Kinder- und Jugendliteratur der Aufklärungszeit. Ihre gegenwärtigen Forschungsschwerpunkte sind u. a. die Kinderliteratur der DDR, die Gattung Sachbuch sowie mediale Transformationen im Bereich der Kinder- und Jugendliteratur. Prof. Dr. phil. habil. Bettina Kümmerling-Meibauer ist apl. Professorin am Deutschen Seminar der Universität Tübingen. Sie war Gastprofessorin an der Universität Växjö (Schweden) und der Universität Wien. Sie arbeitet zusammen

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mit Jörg Meibauer an einer kognitiven Theorie des Bilderbuchs. Sie ist Verfasserin des zweibändigen Lexikons Klassiker der Kinder- und Jugendliteratur (Metzler, 1999), der Monografie Kinderliteratur, Kanonbildung und literarische Wertung (Metzler, 2003) und einer Einführung in die Kinderliteratur (Wiss. Buchgesellschaft, 2012). Zuletzt erschienen sind die Sammelbände Learning from Picturebooks (Routledge, 2015) (mit J. Meibauer, K. Nachtigäller und K. Rohlfing) und Children’s Literature and the Avant-Garde (John Benjamins, 2015) (mit E. Druker). In Vorbereitung befinden sich der Sammelband Canon Constitution and Canon Change in Children’s Literature (Routledge, 2016) (mit A. Müller) sowie das Routledge Companion to Picturebooks (Routledge, 2017). Prof. Dr. phil. habil. Jörg Meibauer ist Professor für Sprachwissenschaft des Deutschen an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz und affiliierter Professor der Universität Stockholm. Er arbeitet mit B. Kümmerling-Meibauer an einer kognitiven Theorie des Bilderbuchs (siehe Towards a Cognitive Theory of Picturebooks. In: International Research in Children’s Literature 6.2 (2013), 143–160). Zuletzt erschienen sind die Monografie Lying at the semantics-pragmatics interface (De Gruyter Mouton, 2014) sowie die Sammelbände Learning from Picturebooks (Routledge, 2015) (mit B. Kümmerling-Meibauer, K. Nachtigäller und K. Rohlfing) und Satztypen und Konstruktionen (De Gruyter, 2016) (mit R. Finkbeiner). In Vorbereitung befinden sich der Band Pejoration (John Benjamins, 2016) (mit R. Finkbeiner und H. Wiese) sowie das Oxford Handbook of Lying (Oxford University Press, 2017). Dr. phil. Jana Mikota ist wissenschaftliche Mitarbeiterin/Lecturer am Germanistischen Seminar der Universität Siegen. Sie ist Jurymitglied der Auswahlliste »Leipziger Lesekompass« und beim Nachwuchspreis der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur (Volkach) sowie Mitglied des erweiterten Präsidiums der Deutschen Akademie für Kinder- und Jugendliteratur e. V. Zahlreiche Veröffentlichungen im Bereich der aktuellen und historischen Kinderund Jugendliteraturforschung. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Nachhaltigkeit in der Kinder- und Jugendliteratur ; historische Kinder- und Jugendliteraturforschung, Mädchenliteratur der DDR. Dr. phil. Heidi Nenoff studierte Germanistik/Deutsch und Ethik/Philosophie an der Universität Leipzig. Seit 2007 ist sie als Gymnasiallehrerin im sächsischen Schuldienst tätig. 2015 promovierte sie am Institut für Germanistik der Universität Leipzig bei Professor Dr. Ludwig Stockinger mit der literaturwissenschaftlichen Studie Religions- und Naturrechtsdiskurs in Johann Gottfried Schnabels »Wunderliche FATA einiger Seefahrer«.

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Prof. Dr. phil. habil. Reiner Neubert (geb. 1942 in Brünlos) arbeitete nach dem Besuch der Grundschule und einer Lehre bis 1961 als Motorenschlosser. Von 1961 bis 1965 absolvierte er ein Werktätigenstudium für das Lehramt in Deutsch und Sport an der Pädagogischen Hochschule Zwickau. Bis 1967 war er Lehrer in Plauen, dann erhielt er bis 1970 eine Aspirantur an der Karl-Marx-Universität Leipzig und war danach Assistent, Lektor und Dozent an der PH Zwickau. 1989 erfolgte seine Berufung zum Professor für Neuere deutsche Literatur, einschließlich Kinder- und Jugendliteratur. Bis 1992 war er Sektionsdirektor Germanistik an der PH Zwickau. Von 1993 bis 1998 war er Langzeitdozent des DAAD an der Westböhmischen Universität Pilsen, dann Vertretungsprofessur C 4 an der TU Braunschweig und übte eine Lehrtätigkeit an der TU Chemnitz aus. Von 2000 bis 2001 war er Schulleiter der Berufsfachschule für Kosmetik in Zwickau. Von 2001 bis 2002 nahm er eine Kurzzeitdozentur an der Südböhmischen Universität Budweis war und ist seit Juli 2002 Rentner. Publikationen zur Literatur der DDR, zur Kinder- und Jugendliteratur, zur tschechischen Literatur ; Mitarbeit an Lexika sowie Aufsätze und Rezensionen zu Neuerscheinungen der deutschen und tschechischen Literatur in Fachzeitschriften und in der Tagespresse. Seit 2000 Leiter des Sächsisch-Tschechischen Literaturbüros Zwickau/ Bockau. Anne Preuß war von 1985 bis 2013 Lehrerin an Realschulen und Gymnasien in Mathematik, Kunsterziehung sowie Musik. Sie leitete die Förderung von Hochbegabten. Seit 1979 beschäftigt sie sich mit Malerei und Fotografie, Schwerpunkt Farbe und Gestaltungstheorie. Prof. Dr. phil. habil. Karin Richter war Professorin (em.) an der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Erfurt. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind Theorie, Geschichte und Didaktik der Kinder- und Jugendliteratur, Leseund Kindheitsforschung. Zuletzt erschienen: Die erzählende Kinder- und Jugendliteratur der DDR. Bd. 1: Entwicklungslinien – Themen und Genres, Autorenporträts und Textanalysen. Eine Aufsatzsammlung. Baltmannsweiler 2016; Die erzählende Kinder- und Jugendliteratur der DDR. Bd. 2: Modelle und Anregungen für den Unterricht in der Grundschule und in der Sekundarstufe I. Baltmannsweiler 2017. Dr. phil. Sebastian Schmideler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter für Kinderund Jugendliteratur und ihre Didaktik im Fachbereich Grundschuldidaktik Deutsch am Institut für Pädagogik und Didaktik im Elementar- und Primarbereich der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Leipzig (Professorin Susanne Riegler). Von 2012 bis 2014 war er wissenschaftlicher Mitarbeiter für Kinder- und Jugendliteratur an der Professur für Neuere deut-

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sche Literatur/Kinder- und Jugendliteratur und Literaturdidaktik an der Fakultät für Linguistik und Literaturwissenschaft der Universität Bielefeld (Professorin Petra Josting) und von 2014 bis 2016 wissenschaftlicher Mitarbeiter der Professur Grundschuldidaktik Deutsch am Zentrum für Lehrerbildung der Technischen Universität Chemnitz. Von 2007 bis 2012 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am DFG-Langfristvorhaben der Edition sämtlicher Briefe Felix Mendelssohn Bartholdys am Institut für Musikwissenschaft der Universität Leipzig gewesen. Er hat Germanistik/Deutsch und Geschichte studiert (Magister Artium, Erstes Staatsexamen für das Lehramt an Gymnasien) und wurde 2011 mit einer Studie zur Kinder- und Jugendliteratur (von 1700 bis 1945) promoviert. Sein Forschungsschwerpunkt ist die Geschichte der Kinder- und Jugendliteratur vom 18. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Geralde Schmidt-Dumont war Bibliothekarin, später Lehrbeauftragte für Jugendliteratur an der Fachschule für Sozialpädagogik Hamburg, jetzt Museumspädagogin am Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg. Langjährige Tätigkeit im Vorstand der AG Jugendliteratur und Medien der GEW. Veröffentlichungen in Fachzeitschriften. Maria Scholhölter studiert im Master Deutsch und Sozialpädagogik für das Lehramt an Berufskollegs an der Technischen Universität Dortmund. Seit 2012 ist sie dort am Institut für deutsche Sprache und Literatur als wissenschaftliche Hilfskraft tätig. Apl. Prof. Dr. phil. habil. Gina Weinkauff ist außerplanmäßige Professorin am Institut für deutsche Sprache und Literatur der Pädagogischen Hochschule Heidelberg. Zusammen mit Karin Vach leitet sie dort das Zentrum für Kinderund Jugendliteratur. Sie hat zahlreiche Veröffentlichungen zur Kinder- und Jugendliteratur und zur Literaturdidaktik verfasst.

Abbildungsnachweis

Der Herausgeber sowie die Autorinnen und Autoren der Beiträge dieses Sammelbandes danken folgenden Personen und Verlagen für die freundlich erteilte Abdruckgenehmigung von Illustrationen: Arena Verlag, Aufbau Verlag, Gabriele Bofinger, Eyla Collignon vom Verlag Beltz & Gelberg, Deutscher Verlag für Musik, Klaus Ensikat, Eulenspiegel Verlag, Kurt Franz, Wiltrud Haacken, Egbert Herfurth, Hinstorff Verlag, Gerhard Lahr, Siegfried Linke, Grischa Meyer, MOSAIK Steinchen für Steinchen Verlag, Anne Preuß, Sigrun Putjenter, Rainer Sacher, Tulipan Verlag, Verlag Volk und Wissen, Wolfgang Würfel. Sebastian Schmideler : Zur Sache mit dem Sachbuch in der Kinder- und Jugendliteratur der DDR Abb. 1: T Kurt Franz

Gina Weinkauff: »Erzähl er nur weiter, Herr Urian!« Stellvertretende Welterkundungen in der Kinder- und Jugendliteratur der DDR Abb. 1–3: T Arena Abb. 4: T Beltz & Gelberg Abb. 5: T Eulenspiegel-Verlag Abb. 6–7: T Beltz & Gelberg Abb. 8: T Gabriele Bofinger Abb. 9–13: T Beltz & Gelberg

Heidi Nenoff: Zwischen Traum und Wirklichkeit. Literarische Utopien für Jugendliche in der DDR am Beispiel von Reimar Gilsenbachs Der ewige Sindbad (1975) und Joachim Walthers Der Traum aller Träume (1987) Abb. 1: T Beltz & Gelberg, Reiner Sacher Abb. 2: T Karl Niedlich

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Abbildungsnachweis

Geralde Schmidt-Dumont: Fortschritt versus Erbe-Bewahrung und Ökonomie versus Natur. Sachbücher für Kinder und Jugendliche der DDR aus den Jahrgängen 1981, 1982 und 1983 Abb. 1–7: T Beltz & Gelberg

Maren Ahrens / Maria Becker / Maria Scholhölter : »Nicht nur ein gutes altes Ostprodukt!« Ein Gespräch mit der Lektorin Maren Ahrens über Wissensvermittlung in der Zeitschrift MOSAIK Abb. 1–8: T MOSAIK Steinchen für Steinchen Verlag

Wiebke Helm: Experimentierfeld Sachbuch. Heterogenes Erzählen und Darstellen in der enzyklopädischen Serie Mein kleines Lexikon Abb. 1–7: T Beltz & Gelberg

Sebastian Schmideler : Das Kinderlexikon Von Anton bis Zylinder als populärwissenschaftliche Weltanschauungsliteratur im Kontext: Entstehung, Spezifik von Bild und Text, Auflagengeschichte Abb. 1–4: T Beltz & Gelberg

Maria Becker : Das Sachwissen vermittelnde Bilderbuch der DDR in den siebziger und achtziger Jahren: Die Reihen Schlüsselbücher (1975–1990) und Ein Tag im Leben… (1975–1990) Abb. 1–2: T Beltz & Gelberg, Elfriede und Eberhard Binder Abb. 3–4: T Beltz & Gelberg, Siegfried Linke Abb. 5–9: T Beltz & Gelberg, Rainer Sacher Abb. 10: T Beltz & Gelberg, Gerhard Lahr

Bettina Kümmerling-Meibauer / Jörg Meibauer : »Keines zu klein, Helfer zu sein«. Das deskriptive Bilderbuch in der DDR zwischen Information und Propaganda Abb. 1: T Wiltrud Haacken Abb. 2: T Beltz & Gelberg, Kurt Weinert Abb. 3: T Beltz & Gelberg, Heinrich Eichen Abb. 4–5: T Beltz & Gelberg, Ilse Wagner Abb. 6: T Grischa Meyer

Jörg Meibauer : Das Sprachspielbuch Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel (1978) von Franz Fühmann Abb. 1–2: T Hinstorff Verlag, Egbert Herfurth

Abbildungsnachweis

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Karin Richter : Zwischen Erzählung und Sachliteratur. Gedanken für weiterführende Forschungen zur Kinder- und Jugendliteratur der DDR Abb. 1–3: T Wolfgang Würfel Abb. 4–5: T Gabriele Bofinger Abb. 6: Ill. v. Klaus Ensikat zu Jacob und Wilhelm Grimm Prinzessin Mäusehaut. Aus: »Grimms Märchen«, T Tulipan Verlag GmbH, Berlin 2010

Andr8 Barz: Geschichtswissen vermittelnde fiktionale Kinderliteratur der DDR: Gerda Rottschalks Kinderbücher über die Urgesellschaft Abb. 1–7: T Anne Preuß

Thomas Arnold: Historische Erzählungen im Schulunterricht – Herbert Mühlstädts »Der Geschichtslehrer erzählt« im geschichtsdidaktischen Kontext Abb. 1–12: T Volk und Wissen (Abdruck mit freundlicher Genehmigung)

Sebastian Schmideler : Vom »Kaleidoskop« bis zur »Bilderbude«. Visuelle und visualisierende Anschauungsbildung in der populärwissenschaftlichen Kinder- und Jugendliteratur der DDR Abb. 1: T Beltz & Gelberg Abb. 2: T Gabriele Bofinger Abb. 3: T Beltz & Gelberg Abb. 4: T Gabriele Bofinger

Andreas Bode: Illustration im Sachbuch der DDR. Stil, Stilisierung und Technik Abb. 1: T Beltz & Gelberg, Bohdan Botenko ˇ apek. Der Krieg mit den Molchen. Deutsch von Elisˇka Glaserov#. Abb. 2: aus: Karel C Illustrationen von Hans Ticha. Aufbau-Verlag, Berlin und Weimar 1987 T Aufbau Verlag GmbH & Co. KG, Berlin 1987, 2008 Abb. 3: T Gabriele Bofinger Abb. 4: T Rudolf Peschel Abb. 5: T Volk und Wissen (Abdruck mit freundlicher Genehmigung) Abb. 6: T Herbert Prüget Abb. 7: T Volk und Wissen (Abdruck mit freundlicher Genehmigung) Abb. 8: T Zdeneˇk Burian Abb. 9: T Elfriede und Eberhard Binder Abb. 10: T Beltz & Gelberg, Konrad Goltz Abb. 11: T Beltz & Gelberg, Horst Wendt Abb. 12: T Deutscher Verlag für Musik Leipzig (Abdruck mit freundlicher Genehmigung) Abb. 13: T Hans Ticha Abb. 14: T Beltz & Gelberg, Gerhard Kreische

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Abbildungsnachweis

Abb. 15: T Beltz & Gelberg Abb. 16–17: T Beltz & Gelberg, Elfriede und Eberhard Binder Abb. 18: T Klaus Ensikat Abb. 19–21: T Egbert Herfurth

Anne Preuß: Anmerkungen zum Beitrag des Grafikers Gerhard Preuß zur Kinder- und Jugendliteratur der DDR Abb. 1–10: T Anne Preuß