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German Pages X, 294 [299] Year 2020
Rebecca C. Thompson
Wissenschaft meets Game of Thrones Warum die Mauer nicht schmilzt und keiner weiß, wann der Winter kommt
Wissenschaft meets Game of Thrones
Rebecca C. Thompson
Wissenschaft meets Game of Thrones Warum die Mauer nicht schmilzt und keiner weiß, wann der Winter kommt Mit einem Vorwort von Sean Carrol Aus dem Amerikanischen übersetzt von Bernhard Gerl
Rebecca C. Thompson Physics & Astronomy Department University of Kansas Lawrence, KS, USA
ISBN 978-3-662-61418-1 ISBN 978-3-662-61419-8 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-61419-8 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Übersetzung der amerikanischen Ausgabe: Fire, ice, and physics: the science of Game of Thrones/Rebecca C. Thompson; foreword by Sean Carroll. Erschienen bei The MIT Press, Cambridge, MA, 2019, © 2019 Rebecca C. Thompson. Alle Rechte vorbehalten © 2019 Rebecca C. Thompson All rights reserved. No part of this book may be reproduced in any form by any electronic or mechanical means (including photocopying, recording, or information storage and retrieval) without permission in writing from the publisher © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Einbandabbildung: AdobeStock Lektorat: Margit Maly Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany
Vorwort
Als ich, kurz nachdem dieses Buch selbst fertig geworden war, begann, dieses Vorwort zu schreiben, wurde gerade in der Zeitschrift Injury Epidemiology eine Studie mit dem Titel „Death Is Certain, the Time Is Not: Mortality and Survival in Game of Thrones“ (dt. Der Tod ist sicher, der Zeitpunkt ist es nicht: Sterben und Überleben in Game of Thrones) veröffentlicht. Die Autoren Reidar Lystad und Benjamin Brown gingen der dringenden Frage nach, welche Überlebensstrategien der Hauptakteure in Westeros am effektivsten sind (es ist eine Welt der Gewalt; 14 % der Charaktere auf dem Bildschirm sterben innerhalb einer Stunde nach ihrem ersten Auftreten). In ihrem Artikel gibt es Absätze wie den Folgenden: Wichtige Charaktere, die in den Staffeln 1 bis 7 von Game of Thrones auftreten, werden berücksichtigt und soziodemografische Faktoren, Todeszeitpunkt und Umstände des Todes aufgezeichnet. Die Kaplan-Meier-Überlebensanalyse wird zusammen mit dem proportionalem Hazardregressionsmodell nach Cox verwendet, um die Überlebenszeit und -wahrscheinlichkeit zu quantifizieren und um jeweils unabhängige Anzeichen für die Sterblichkeit zu identifizieren.
Harter Stoff, nicht wahr? Wissenschaftler sind sehr stolz darauf, die reale Welt zu untersuchen. Die Welt von George R. R. Martins Das Lied von Feuer und Eis und der Fernsehserie, die das Buch als Grundlage hat, ist nicht real. Martin hat sie erfunden. Zugegebenermaßen sind bestimmte Situationen und Ereignisse durch die Geschichte der echten Welt inspiriert, doch das Umfeld von Game of Thrones V
VI Vorwort
ist durch vollkommen neuartige klimatische Verhältnisse, Astronomie, Metallurgie, Chemie und Biologie gekennzeichnet, ganz zu schweigen von Zombies und Drachen. Was kann uns die Wissenschaft dazu verraten? Ziemlich viel, wie Sie gleich entdecken werden. Das Gespräch zwischen Wissenschaft und Literatur (Science-Fiction, Fantasy oder jedes andere Genre, auf das dies zutrifft) ist ein Dialog. Wie die Literatur von der Wissenschaft lernen kann, ist offensichtlich. Wenn die Geschichte in den Weiten des Weltalls spielt, werden Sie wissen wollen, wie Raketen und abgeschlossene Ökosysteme funktionieren. Selbst wenn Ihre Geschichte in eine von Magie durchströmte Feudalgesellschaft eingebettet ist, könnten alle Arten von Wissenschaften relevant sein, vom Wettergeschehen, über Chemie bis zu verschiedenen Giften. Aber Informationen und Inspiration können auch in die andere Richtung fließen. Wissenschaftler sammeln Daten, indem sie Experimente und Beobachtungen durchführen und diese Informationen dann nutzen, um Wissen darüber zu erlangen, wie die Welt funktioniert. Eine erfundene Geschichte zu lesen ist eine Art von Datensammeln. Wenn die Welt der Geschichte gut konstruiert ist, wird sie Regeln gehorchen, egal, ob diese Regeln explizit dargelegt wurden oder nicht. Wenn alles möglich ist, ist die Geschichte nicht interessant; damit der Protagonist vor Herausforderungen stehen muss und der Leser gefesselt bleibt, müssen die Charaktere in einem logischen Milieu agieren. Ohne Physik gibt es keine Dramatik. Ein guter Wissenschaftler kann eine gut erzählte Geschichte untersuchen und herausfinden, welchen Regeln die Welt gehorcht und ob sie den Regeln unserer Welt entsprechen oder nicht. Das ist es, was Wissenschaftler tun. Hier in Physik of Thrones werden Sie einer meisterlichen Erkundung beider Seiten dieses Dialogs zwischen Wissenschaft und Fantasy begegnen. Rebecca Thompson nimmt die Welt von Game of Thrones und untersucht sie mit den Augen einer ausgebildeten Naturwissenschaftlerin. Wenn es etwas gibt, was jeder weiß, der Game of Thrones anschaut, dann ist es, dass „der Winter naht“ – aber nach einem irgendwie unvorhersehbaren Zeitplan. Anders als auf der Erde, wo wir sehr gut vorhersehen können, wann die Blätter sich zu verfärben anfangen und die Temperaturen fallen werden, sind die Jahreszeiten in Westeros viel heimtückischer. Man könnte sich denken: „Na ja, George R. R. Martin führte das nur wegen des dramatischen Effekts ein, es gibt daran nichts Wissenschaftliches.“ Und vielleicht hätte man recht damit. Aber wenn er mit derart ungewöhnlichen Phänomenen konfrontiert wird, kann ein Wissenschaftler nichts anderes als zu denken: „Aber wie kann das funktionieren …?“
Vorwort VII
Dass es solchen Fragen nachgeht – eventuell auch ohne sie zu beantworten –, macht dieses Buch so wunderbar. Antworten sind manchmal schwer zu finden, und da wir Westeros nicht besuchen können, um Daten zu sammeln, werden wir manches wahrscheinlich nie genau wissen. Doch die Wissenschaft ist ein Vorgang, nicht nur eine Menge bekannter Ergebnisse. Und hier erleben Sie diesen Vorgang in Aktion. Sobald wir unser Gehirn auf ein Problem ansetzen, statt es nur als fiktionalen Einfall abzutun, erkennen wir sehr schnell die unglaublich reichhaltige Menge wissenschaftlicher Konzepte, die zum Tragen kommen können. Zum Glück hat uns Martins Welt eine enorme Menge von Rohmaterial geliefert, mit dem wir arbeiten können. Die Bücher und genauso die Fernsehserie, die diese als Grundlage hat, sind bekanntermaßen sehr detailliert, angefangen damit, was die kleinen Leute normalerweise essen, bis hin zu den Wahlsprüchen einer verwirrenden Vielfalt von adligen Häusern. Die wissenschaftlichen Fragen sind ähnlich zahlreich und lohnend. Natürlich scheinen die meisten Fragen auf den ersten Blick einfach fantastisch und hoffnungslos unwissenschaftlich. Die Mauer im Norden wird von Magie gestützt, so wird uns explizit gesagt. Niemand versucht je Valyrischen Stahl zu erklären oder wie Drachen Feuer spucken können. Und Seefeuer wird einfach als unglaublich gefährliche Substanz dargestellt, nicht als das sorgfältige Produkt gewissenhafter Laborarbeit durch die Chemiker von Westeros. Doch die Wissenschaft ist immer da, sie lauert unter der Oberfläche. Game of Thrones ist Fantasy, doch kein Surrealismus; alles was passiert, hat unsere echte Welt entweder als Grundlage oder wird davon inspiriert. Nehmen Sie das Beispiel des Würgers, das Gift, das König Joffrey auf der Purpurnen Hochzeit tötet. Es gibt keinen Grund, dass es sich um ein echtes Gift handeln muss, das es auch in unserer realen Welt gibt, doch es hat Eigenschaften, die wir kennen und analysieren können: Es muss etwas sein, was wir als Schmuckstück in einer Halskette verstecken können; es löst sich in Wein; es schmeckt nicht sehr stark; es zieht die Kehle zusammen und führt dazu, dass das Opfer nicht mehr atmen kann. Aus wissenschaftlicher Sicht werden uns viele Daten geliefert, mit denen wir arbeiten können. Wie Thompson zeigt, gibt es kein bekanntes Gift, das genau zu dem passt, was wir über den Würger wissen, doch wir kommen ziemlich in die Nähe. Vor allem Strychnin kann man in die Form eines Kristalls bringen, und es tötet durch Muskelkontraktionen. Doch es passt nicht perfekt, weil es alle Muskeln des ganzen Körpers beeinflusst, nicht nur die des Halses.
VIII Vorwort
Das ist in Ordnung. Es geht nicht darum, etwas zu finden, was vollkommen passt. Game of Thrones ist Fantasy, keine Dokumentation. Wichtig ist, dass wir etwas lernen, während wir der Frage nachgehen. Wenn Sie nur die Fernsehserie angeschaut haben, bleibt bei Ihnen die Befriedigung zurück, dass Sie gesehen haben, wie ein bösartiger, unreifer Monarch niedergemacht wurde. Aber Sie haben wahrscheinlich nicht unbedingt verstanden, dass ein strychninartiges Gift diesen Schaden anrichtet, indem es den Neurotransmitter Glyzin blockiert und so dazu führt, dass die elektrischen Signale im Gehirn verrücktspielen und einen schnellen Tod verursachen. Das haben vermutlich nicht einmal die Maester der Zitadelle wirklich verstanden, doch dieses Buch füllt diese Lücken. Was so Spaß an diesem Buch macht, ist, dass es so viele fantastische Ereignisse oder Themen gibt, die uns etwas über die Wissenschaft lehren können. Selbst wenn die Mauer durch Magie aufrechterhalten wird: Was wissen wir über die Struktureigenschaften von Eis, die uns genau verraten können, wie viel magische Hilfe notwendig wäre? Es gibt keine Drachen, aber es gab Dinosaurier, und ihre Biologie und Evolution können uns etwas darüber verraten, wie Drachen aussehen könnten (interessanterweise haben die Drachen Martins zwei Beine und zwei Flügel, was sich vom traditionellen vierbeinigen Drachen in der Mythologie unterscheidet, aber biologisch realistischer ist). Weiße Wanderer sind Fantasieprodukte, doch in der natürlichen Welt gibt es einige Spezies, die mehr mit Zombies gemein haben, als man denken könnte. Wie jede gute Dichtung ist das, was in Game of Thrones passiert, vom Ziel angetrieben, eine gute Geschichte zu erzählen, nicht davon, wissenschaftlich genau zu sein. Doch der Geist der Wissenschaft ist in jeder Situation nützlich, und dieser Geist wird in Physik of Thrones anschaulich lebendig. Wenn es auch Spaß macht, sich zu entspannen und sich in einer alternativen fiktionalen Realität zu verlieren, so gibt es doch eine zusätzliche Dimension des Vergnügens, wenn wir in einer wissenschaftlichen Weise darüber nachdenken, was wir sehen. Und wer weiß? Vielleicht lernen wir etwas Nützliches. Immerhin: Der Winter naht. Sean Carroll
Inhaltsverzeichnis
Einleitung 1 Der Winter naht – oder? 7 Und jetzt beginnt meine Wache 29 Nördlich der Mauer 47 Weiße Wanderer, Zombies, Parasiten und Statistik 73 Gewöhnlicher Stahl aus Pittsburgh 95 Stahl, hergestellt in Damaskus 117 Drachenbiologie – Fledermäuse, aber mit Feuer 135 Wie tötet man einen Weißen Wanderer 155 Harrenhal 171 Die Schlacht am Schwarzwasser 195 Die Häuser Targaryen und Lennister 215 Wir Säen Nicht 235 IX
X Inhaltsverzeichnis
Der Scharfrichter des Königs 251 Nachwort 279 Stichwortverzeichnis 283
Einleitung
Weil ich eine Wissenschaftlerin bin – deshalb! Als Wissenschaftlerin durch und durch stelle ich unzählige Fragen und will wissen, warum etwas so passiert, wie es passiert. Ich will Erklärungen und Gründe für das, was ich beobachte. Manchmal wünschte ich, ich könnte dieses Bedürfnis einund ausschalten, aber das schaffe ich nicht. Deshalb kann Fernsehen und das Lesen von Romanen eine echte Herausforderung für mich sein, dann drücke ich oft den Pausenknopf und rufe meinen Verlobten, um mit ihm darüber zu reden, wie fragwürdig gerade wieder einmal ein wissenschaftlicher Zusammenhang dargestellt wurde. Wir vergnügen uns dann 20 min mit einem Hin und Her über Wissenschaft wie auf der Graduiertenschule. Ich hoffe, dass meine Besessenheit von so vielen Fragen und mein Bedürfnis nach Antworten in diesem Buch Ihren Spaß an der Fantasy nicht ruinieren, sondern sogar verstärken werden. Es geht mir nicht darum, spitzfindig jede Szene in Game of Thrones zu zerlegen. Ich will mir nicht jeden Schwertstreich oder jede Flugbahn eines Pfeiles anschauen, um Ihnen zu erzählen, dass dies unmöglich sei. In Hollywood geschieht vieles, um Spannung aufzubauen, und ich werde nicht viele Seiten verschwenden, um Ihnen darzulegen, warum das alles so gar nicht stimmen kann. Game of Thrones soll mir als Brücke dienen, weil es Ihnen einige absolut interessante wissenschaftliche Tatsachen nahebringen kann. Durch diese Erkenntnisse werden Sie diese wirklich großartige Show mit ganz anderen Augen sehen und sie noch mehr lieben. Wenn ich nicht über die Wissenschaft von Hollywood schreibe, verdiene ich mein Geld damit, Nichtwissenschaftler dazu zu bringen, die Wissen© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 R. C. Thompson, Wissenschaft meets Game of Thrones, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61419-8_1
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schaft wertzuschätzen. Mein Standardwitz ist, dass meine Antwort auf die Frage von Männern in einer Bar nach meinem Job stark davon abhängt, wie attraktiv der Typ ist. Wenn ich die Konversation fortsetzen will, sage ich, dass ich Comichefte schreibe, die Wissenschaft als Grundlage haben. Wenn ich lieber will, dass er verschwindet, sage ich, ich sei Physikerin. Beides entspricht eigentlich der Wahrheit, aber eines ist viel weniger einschüchternd. Mein Lebensziel ist, dieses Wechselspiel zu verändern. Dieses Buch begann als Vortrag, den ich in der „Biosphere 2“ in Arizona hielt. Nein, nicht in Biodome, einem schrecklichen Film mit Pauley Shore, sondern einem Experiment, bei dem Menschen in einem Gebäudekomplex aus Glas eingesperrt wurden, weil man herausfinden wollte, ob sie dort drei Jahre überleben können. Konnten sie nicht! Heute ist Biosphere 2 eine Forschungseinrichtung und ein Institut, in dem Lehrer für Naturwissenschaften ausgebildet werden. Ich kann einen Besuch dort nur empfehlen, aber verlassen Sie dabei die Wege und schauen Sie sich die Ruinen an. Die Organisatoren wollten, dass ich dort unterrichte und beim Abendessen einen allgemeinverständlichen physikalischen Vortrag halte. Als ich fragte, wovon der Vortrag handeln solle, meinten sie: „Irgendetwas, was Ihnen gefällt.“ Ich hatte Blogbeiträge über die Physik verschiedener Dinge geschrieben, aber ich hatte noch nie die Gelegenheit, einen ganzen Vortrag über „Irgendetwas“ zu halten, und wollte diese nicht vergeuden. Game of Thrones war gerade zu einer der weltweit beliebtesten Serien aufgestiegen, und sie hatte auch mich in ihren Bann gezogen. Darin entdeckte ich viele interessante naturwissenschaftliche Fragen, und daher schien mir dies ein gutes „Irgendwas“, an dem ich mich versuchen könnte. Womit ich nicht gerechnet hatte, war, dass ich in den Saal mit einem Vortrag voller Blut und Tod und Filmszenen kommen würde und dabei die Einzige war, die die Serie kannte. Trotzdem passierten zwei Dinge. Viele Leute lernten eine Menge über Naturwissenschaften, und aus etlichen wurden neue Fans. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob derjenige, der mich zu diesem Vortrag eingeladen hatte, verstanden hatte, was ich als „Irgendetwas“ interpretiert habe, aber hier stehe ich nun, viele Wiederholungen dieses Vortrags und ein ganzes Buch später. Weil das alles als Vortrag begonnen hat und ich mich am wohlsten fühle, wenn ich Dinge im unmittelbaren Gespräch erkläre, ähnelt mein Schreibstil sehr einem Gespräch. Mein Betreuer an der Graduiertenschule drängte uns immer, unsere Forschungen so zu erklären, als „erklärten wir sie unseren Müttern“. Ich wies darauf hin, dass das ziemlich sexistisch sei und dass die Mutter meines Arbeitskollegen einen Abschluss als Ingenieurin habe und wahrscheinlich keine Probleme mit Fachsprache haben werde. Deshalb
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formulierte er den Satz um und forderte uns auf, es einem Zwölfjährigen zu erklären. Das zwang uns, wirklich die wesentlichen Gesichtspunkte unserer Arbeit herauszufinden und nur diese zu erklären. Ich bin ihm überaus dankbar, dass er uns dazu gezwungen hat, denn es machte bessere Wissenschaftler aus uns und half uns, bessere Anträge für Drittmittel zu schreiben. Ich weiß nicht, ob die Wahl meiner Erzählperspektive gut oder schlecht ist, aber ich hatte das Gefühl, es so halten zu müssen, also warum nicht? Ich bin der festen Überzeugung, dass jeder etwas Naturwissenschaft kennen und zumindest mit den Begriffen und dem Denken eines Wissenschaftlers als einen Weg, die Welt der Natur (oder gelegentlich des Unnatürlichen) zu verstehen, vertraut sein sollte. Man hört oft die Leute etwas sagen wie: „Ich bin nicht wirklich ein Wissenschaftler“, oder „Ich bin nicht besonders gut in Naturwissenschaften“, aber warum ist das gesellschaftlich akzeptierter als zu behaupten, nicht gut lesen zu können oder sich in Politik nicht auszukennen? Dies sind Fähigkeiten, die man erlernen muss, um in unserer Gesellschaft zurechtzukommen, und ich glaube nicht, dass das mit der Wissenschaft anders sein sollte. Es gibt verschiedene Methoden, das Interesse der Leute an Wissenschaft zu wecken und sie damit vertraut zu machen. Durch meinen Job hatte ich die Gelegenheit, mehrere davon auszuprobieren, von Blogs bis hin zu Comics. Ich hoffe, dieser Vorstoß in ein Stück Hollywoodwissenschaft wird Menschen auf eine Art und Weise erreichen, die ich bisher noch nicht ausprobiert habe. Ich hoffe, es gefällt Ihnen, aber darüber hinaus ist mein Ziel, dass Sie am Ende des Buches Dinge in einem anderen Licht sehen. Es wird Spoiler geben (sehr viele davon). Wenn Sie die 7. Staffel noch nicht gesehen haben, müssen Sie darauf vorbereitet sein, zu erfahren, was mit einigen Schlüsselfiguren passieren wird. Ich habe Sie gewarnt! Was ich nicht will, ist, Ihnen die Freude an der Serie zu verderben. Als ich mit diesem Projekt begann, wurde gerade die 7. Staffel gesendet. Ich machte mir Sorgen darüber, ob ich die Serie nur noch als Wissenschaftlerin weiter ansehen konnte und ob ich vielleicht das verlieren würde, was ich daran so liebte: die Charaktere, die Beziehungen zwischen ihnen, die unerwarteten Tode und die Drachen. Ich erkannte, dass meine Befürchtungen unbegründet waren, als ich den Tränen nah war, als Daenerys zum ersten Mal auf Drogon mit rauschenden Flügeln und Feueratem hereinritt. Ich schluchzte, als Viserion getötet wurde, und jubelte, als Jon und Dany endlich zusammenkamen. Tatsächlich war meine emotionale Anteilnahme sogar stärker statt geringer geworden. Ich hoffe, das wird auch bei Ihnen der Fall sein. Ich hoffe, dass dieses Buch Ihnen ein tieferes Verständnis dafür vermitteln wird, wie reichhaltig und tief die Welt von Westeros wirklich ist.
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Es machte mir großen Spaß, Aspekte der Serie auszuwählen, auf die ich einen Schwerpunkt setzen wollte, weil es amüsante wissenschaftliche Erklärungen dafür gab. Weil der Tod in der Serie eine wichtige Rolle spielt, wusste ich, dass ich ihm ein entscheidendes Kapitel widmen werde. Ich dachte mir, ich habe in der Serie so viele sterben gesehen, dass es nicht schwer sein werde, über das Sterben zu schreiben. Ich lag da völlig falsch. Es war emotional schwierig, und trotz aller Anstrengungen schaffte ich es nicht, mich als Wissenschaftlerin so sehr davon zu lösen, wie ich es gerne getan hätte. Wenn Sie das lesen, sollten Sie darauf vorbereitet sein, dass es härter sein wird, als Sie vielleicht erwarten. Aber beim Schreiben dieses Kapitels habe ich zwei Dinge gelernt: Erstens, es schockiert Menschen, wenn eine blonde Frau auf einer Cocktailparty ständig über die Wissenschaft der Guillotine spricht, und sie flitzen meist irgendwann davon, um sich einen neuen Drink zu holen. Zweitens, dass es keine einfache Möglichkeit gibt, vom Leben zum Tod zu kommen. Es wird immer ein harter Übergang sein, doch vermutlich werden wir das alle irgendwann einmal feststellen. Ich habe mich dafür entschieden, die verschiedenen Foltermethoden nicht zu behandeln, denn das schien mir ein bisschen zu weit zu gehen. Mir ist klar, dass es mehr als nur einige Internetforen und populärwissenschaftliche Artikel gibt, die sich mit vielen Aspekten der Serie und der Welt befassen. Über Drachenfeuer und Seefeuer sprechen die Leute am liebsten. Ich habe so oft wie möglich versucht, mich auf diese Elemente der Serie zu beziehen oder sie als Ausgangspunkt für die Erörterung echter Wissenschaft heranzuziehen. Wenn Sie anfangen, sich aufzuregen, weil Sie nicht mit mir übereinstimmen, geben Sie mir bitte zuerst eine Chance und lesen Sie die ganze Darstellung. Ich habe Primärquellen als Referenzen und viele wissenschaftliche Gedankengänge verwendet, um meine Arbeit auf sichere Beine zu stellen. Manchmal habe ich vielleicht eine Schlussfolgerung oder eine mögliche wissenschaftliche Erklärung übersehen, und ich wäre begeistert, wenn ich diese erfahren dürfte. Wenn der Verlag es erlaubt, könnte es eine zweite Auflage geben, in der diese Punkte behandelt werden. Und vielleicht haben Sie eine wirklich interessante wissenschaftliche Frage, die Sie noch beantwortet haben wollen! HBO sucht bereits Schauspieler für eine Vorgängerserie, wer weiß also, was noch passieren wird. Ich hoffe, ich habe es geschafft, die Wissenschaft hinter diesen wirklich komplizierten Themen leicht verständlich darzustellen. Über was ich hier spreche, sind die meiner Ansicht nach relevantesten der vorliegenden Themen, nicht alle, die es gibt. Ich habe die interessante Erfahrung gemacht, dass ich über den Mythos von Salpeter gesprochen habe, der verwendet wurde, um den Geschlechtstrieb von Soldaten zu unterdrücken, oder die
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Effizienz der Guillotine, habe aber beides nicht in das Buch aufgenommen, weil es für Westeros wenig relevant war. Ich bin überglücklich darüber, dass ich dank der modernen sozialen Medien noch lange Diskussionen über diese Dinge führen kann. Vor allem anderen wünsche ich Ihnen nun, dass Sie Spaß beim Lesen haben. Lernen Sie etwas und werden Sie selbst auf jeder Cocktailparty zum Mittelpunkt der Aufmerksamkeit, oder bringen Sie die Leute dort zum Schweigen – je nach Publikum. Genießen Sie die Serie. Genießen Sie die Wissenschaft. Haben Sie Spaß, werden Sie emotional, lassen Sie sich mitreißen, und lassen Sie die Wissenschaft zu Ihrem Vergnügen beitragen. Ich hoffe, Ihnen gefällt dieses Buch so, wie es mir Spaß gemacht hat, es zu schreiben. Ich habe so viel gelernt, und ich hoffe, dass auch Sie viel lernen werden. Um es abschließend mit Sansa Stark und Jon Schnee zu sagen: Die Wissenschaft naht. Ich habe es Ihnen versprochen.
Der Winter naht – oder? Die Jahreszeiten in Westeros
‚Oh, mein süßes Kind des Sommers‘, sagte die alte Nan leise, ‚was weißt Du von der Furcht? Furcht ist dem Winter vorbehalten, mein kleiner Prinz, wenn der Schnee hundert Fuß hoch fällt und der eisige Wind aus dem Norden heult.‘ – Game of Thrones
„Der Winter naht“ – ist der Wahlspruch der Starks und der bedrohliche Refrain in George R. R. Martins Das Lied von Eis und Feuer. Hinter dem Kampf von Königen und der Geburt von Drachen lauert diese Verheißung: Der Winter naht. Natürlich naht er. Das ist normalerweise die Jahreszeit nach dem Herbst und vor dem Frühling. Warum machen die Starks so viel Wirbel darum? Ganz einfach, weil die Geschichte nicht auf der Erde stattfindet. Der Kontinent Westeros befindet sich auf einem Planeten, der größtenteils so wie die Erde funktioniert. Es gibt Land und Meer, die Oberflächentemperatur scheint so wie auf der Erde zu sein, und es gibt, na ja, Menschen. Aber obwohl Westeros wie die Erde zu sein scheint, ist von Anfang der Serie an klar, dass etwas verkehrt ist und es etwas Größeres gibt als den Kampf von Königen, der die Handlung vorantreibt. Im Grunde genommen sind politische Anführer, die gegeneinander kämpfen, während Drachen Feuer spucken, nichts Neues. Doch wenn dies angesichts eines drohenden, jahrelangen Winters geschieht, der so kalt ist, dass er töten und sogar eine Armee von Untoten heraufbeschwören kann, wird die Geschichte viel geheimnisvoller und interessanter. Bevor ich auf Jahreszeiten eingehe und darauf, ob es einen Planeten wie den in Game of Thrones geben könnte, muss ich darauf hinweisen, dass © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 R. C. Thompson, Wissenschaft meets Game of Thrones, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61419-8_2
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die wichtigsten Faktoren für die Durchschnittstemperatur auf der Erde ihre Atmosphäre und der Anteil an Wasser sind, das den Planeten bedeckt. Man benötigt viel mehr Energie, Wasser zu erhitzen und abzukühlen, als dafür, die Temperatur des Landes zu verändern. Weil 71 % der Erde von Wasser bedeckt sind, schwankt die mittlere Temperatur des Planeten nicht allzu stark zwischen Nacht und Tag und von Jahreszeit zu Jahreszeit. Wasser kann seine Temperatur einfach nicht so schnell verändern. Auch unsere Atmosphäre schützt uns vor Temperaturstürzen. Energie kommt durch die Sonnenstrahlung auf der Erde an, und ein Großteil davon wird durch den Treibhauseffekt als Wärme in unserer Atmosphäre gefangen. Ja, der Treibhauseffekt ist auch verantwortlich für die Klimaerwärmung, doch auch dafür, dass unser Planet bewohnbar ist. Ich werde davon ausgehen, dass der Planet in Game of Thrones im Allgemeinen die gleichen Eigenschaften hat wie die Erde, also eine ähnliche Atmosphäre und ungefähr einen genauso hohen Anteil an Ozeanen. Möglicherweise ist das eine schlechte Annahme, und die unvorhersehbaren Jahreszeiten liegen an Schwankungen bei den Treibhausgasen oder an einem geringeren Wasseranteil, doch wenn ich mir die Geschichte so anschaue, können wir wohl problemlos annehmen, dass dies nicht der Fall ist. Also muss es eine astronomische Erklärung geben – also eine, die etwas mit der Beziehung zwischen dem Planeten und den anderen schweren Körpern in seiner Umgebung, wie Monden und Sternen, zu tun hat, denn die Jahreszeiten, die die Geschichte von Westeros vorantreiben, sind Vorboten auf den kommenden Angriff des Winters.
Was genau sind Jahreszeiten? Zuerst einmal scheint es dumm, diese Frage beantworten zu wollen, denn jeder weiß ziemlich genau, was eine Jahreszeit ist. Wenn die Blumen blühen, ist Frühling, ist es heiß und feucht, dann ist wahrscheinlich Sommer, und wenn sich die Farbe der Blätter verändert, dann ist vermutlich Herbst. Freie Tage und eine Schneeschaufel bedeuten, der Winter ist da. In der Welt von Westeros sagt einem der Weiße Rabe der Zitadelle, nicht der Lebkuchenindex1 (Reed), dass Winter ist. Aber ganz so einfach ist es nicht. Selbst Wissenschaftler kennen nicht die eine unfehlbare 1(engl. French Toast Index) Ich lasse es den Schöpfer der Seite erklären: „Ich schuf diese Seite als Witz, um mich darüber lustig zu machen, dass immer wenn das Wetter kälter wird (vor allem in manchen Teilen des Landes), in den Läden Milch, Brot und Eier… auszugehen scheinen, was zufällig auch notwendig ist, um French Toast zu machen!“
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Methode, um sagen zu können, welche Jahreszeit gerade herrscht. Es gibt eigentlich zwei Arbeitsdefinitionen für die Jahreszeit, eine meteorologische und eine astronomische. Wie zu erwarten, ist die Grundlage der meteorologischen Definition die Frage, welches Wetter gerade herrscht, während die astronomische von unserer Bahn um die Sonne abhängt. In der bekannten Welt von Westeros scheinen sich die Maester vor allem mit der meteorologischen Definition zu befassen, wenn auch am Anfang der 7. Staffel im geheimen Bereich der Bibliothek der Maester ein interessantes Buch auftauchte, aus dem man schließen kann, dass sie etwas mehr über Astronomie wissen, als bisher beschrieben. Die beiden Definitionen unterscheiden sich nicht so stark in den Anfangs- und Enddaten, doch im Großteil dieses Kapitels werde ich mich auf die astronomische Definition beziehen, weil es mir mehr darum geht, wie sich der Planet bewegt, und weniger darum, ob es am nächsten Dienstag regnen wird. Meteorologen teilen den Kalender in vier Abschnitte ein und nennen jeden davon eine Jahreszeit. Weil ich dieses Buch in der nördlichen Hemisphäre verfasse, die Serie in der nördlichen Hemisphäre gedreht wurde und George R. R. Martin in der nördlichen Hemisphäre lebt, werde ich über die Jahreszeiten aus dieser Perspektive schreiben. In der südlichen Heimsphäre sind die Jahreszeiten vertauscht. Im Norden ist der meteorologische Winter im Dezember, Januar und Februar; Frühling ist im März, April und Mai; Sommer herrscht im Juni, Juli und August, und der Herbst ist im September, Oktober und November. Das ist wenig überraschend, und im Allgemeinen ist es genau das, was wir uns unter den Jahreszeiten vorstellen. Sie wurden so festgelegt, um Wettervorhersagen und die Berechnung von mittleren Klimawerten und Trends zu erleichtern. Und ganz sicher bezieht man sich auf mittlere Breiten, wo die Unterschiede in den Jahreszeiten am deutlichsten auftreten. Wenn man Aussagen hört wie „wärmster Sommer seit Beginn der Aufzeichnungen“, beziehen sie sich auf diese Definition der Jahreszeiten. Abb. 1 zeigt die mittlere monatliche Temperatur für Washington DC. Wenn man sich die Grafik anschaut, erkennt man, dass Frühling und Winter tatsächlich die Übergangspunkte sind. Die mittlere Temperatur verändert sich im Laufe dieser sechs Monate viel schneller als im Sommer und Winter. Mathematischer ausgedrückt ist die Ableitung der Kurve im Frühling und Herbst viel größer als im Sommer und Winter. Weil die Ableitung etwas darüber aussagt, wie schnell sich etwas ändert, ist es sinnvoll, die Jahreszeiten so zu definieren. Doch hängt diese Definition mehr damit zusammen, wie die Menschen die Monate konstruiert haben, als damit, wie die Erde um ihre Achse rotiert und wie sie um die Sonne kreist. An dieser Stelle kommen die astronomischen Jahreszeiten ins Spiel.
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Abb. 1 Mittlere monatliche Höchst- und Tiefsttemperaturen in Washington DC
Die astronomischen Jahreszeiten laufen den meteorologischen um etwa 20 Tage hinterher. Statt davon, wie sich das Wetter auf der Erde anfühlt, haben Sie die Position der Erde auf ihrer Umlaufbahn um die Sonne als Grundlage. Es gibt vier wichtige Punkte, die den Wechsel von einer Jahreszeit zur anderen markieren: die Wintersonnenwende, die FrühjahrsTagundnachtgleiche, die Sommersonnenwende und die Herbst-Tagundnachtgleiche. Vermutlich können Sie schon durch den Namen erraten, welcher Punkt welche Jahreszeit markiert, aber für alle Fälle folgen hier die offiziellen astronomischen Definitionen: Der Winter geht von der Wintersonnenwende, die etwa am 21. Dezember ist, bis zur Frühjahrs-Tagundnachtgleiche, etwa am 20. März, worauf der Frühling folgt. Der Frühling wiederum geht bis zur Sommersonnenwende, normalerweise am 21. Juni. Dann dauert der Sommer bis zum Anfang des Herbstes, etwa am 22. September. Danach kommt wieder der Winter und so weiter. Alles hat zwei astronomische Phänomene als Grundlage, die Tagundnachtgleiche und die Sonnenwende. Was ist das also genau? Sowohl die Sonnenwende als auch die Tagundnachtgleiche erhielten ihre Namen, bevor Kopernikus 1543 auf seinem Sterbebett sein heliozentrisches Weltbild veröffentlicht hat. Das bedeutet, dass beide Phänomene danach benannt wurden, was die Menschen auf der Erde bezüglich der Position der Sonne am Himmel beobachtet haben. In Abschn. „Was genau sind Jahreszeiten?“ werde ich darüber sprechen, was dies in einem heliozentrischen Modell bedeutet, aber vorerst sollen die Beobachtungen der Sonne von der Erde aus als Ausgangspunkt dienen. Das Wort Sonnenwende beschreibt bereits, was am Himmel passiert. Während die Sonne im Laufe des Jahres
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am Himmel immer höher steigt, werden die Tage immer länger – und kürzer, wenn sie tiefer steht. Wenn etwas höher steigt und dann wieder tiefer und später wieder höher, bedeutet das, dass es an zwei verschiedenen Punkten umkehren oder „wenden“ muss. Diese beiden Punkte werden auch Solstitien genannt. Der Sommerpunkt markiert den längsten Tag des Jahres, wenn die Sonne ihren Höchststand am Himmel erreicht. Bis zu diesem Punkt wurden die Tage immer länger, und der Mittagsstand der Sonne stieg seit der Wintersonnenwende immer höher. Schon für die alten Griechen sah es so aus, als bliebe die Sonne in ihrer Aufwärtsbewegung stehen, bevor sie umkehrte und bis zur Wintersonnenwende wieder immer weniger hochstieg. Die Tagundnachtgleichen sind genau in der Mitte auf diesem Weg vom höchsten zum tiefsten Punkt am Himmel. An diesem Halbzeitpunkt ist der Tag genauso lang wie die Nacht, daher Tagundnachtgleiche. Vielleicht haben Sie vom Wendekreis des Krebses oder dem Wendekreis des Steinbocks gehört (beides auch großartige Bücher von Henry Miller). Diese beiden Breitengrade sind hinsichtlich der Tagundnachtgleichen sehr wichtig. Wenn Sie auf dem Wendekreis des Krebses stehen, befindet sich die Sonne während der Frühjahrs-Tagundnachtgleiche direkt über Ihnen. Bei der Herbst-Tagundnachtgleiche gilt dasselbe am Wendekreis des Steinbocks (Manual 2011). Interessanterweise denken viele, die Tageslänge schreitet linear voran, der Zeitraum, an dem es Tageslicht gibt, verändere sich also jeden Tag um dieselbe Anzahl von Minuten. Das ist nicht der Fall. Je weiter man von den Wendepunkten entfernt ist, desto schneller verändert sich die Sonnenscheindauer. Sie bildet eine Sinuswelle. Offensichtlich hängen die meteorologischen Jahreszeiten von den astronomischen ab, das kommt daher, dass die Veränderung der Temperatur auf der Erde davon abhängt, wie das Sonnenlicht auf die Erde trifft. Obwohl es den Menschen von Westeros vor allem darum geht, wie sich die meteorologischen Jahreszeiten verändern, werden wir im Rest dieses Kapitels vor allem darüber sprechen, wie der Planet und seine Umlaufbahn die unbeständigen meteorologischen Jahreszeiten verursachen kann, mit denen die Bewohner von Westeros und Essos leben müssen.
Warum gibt es Jahreszeiten auf der Erde? Jetzt, da wir definiert haben, was Jahreszeiten sind, können wir uns anschauen, was sie eigentlich verursacht. Wenn Sie jemals neben Katzenvideos etwas Lustiges im Internet finden wollen, suchen Sie nach
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Harvardabsolventen, die erklären, warum es Jahreszeiten gibt. Ihre Erklärungen zeigen einige Tatsachen. Erstens, dass Physik keine Bedingung ist, um einen Abschluss in Harvard zu machen. Zweitens, dass die meisten eine vollkommen falsche Auffassung davon haben, was der Grund für Jahreszeiten ist. Ich hoffe, Sie werden die Fragen besser beantworten, nachdem Sie dieses Kapitel gelesen haben. Wenn Sie danach gefragt werden, was der Grund für Jahreszeiten ist, sagen die meisten, dass die Erde im Sommer näher an der Sonne ist und im Winter weiter davon weg. Das ist keine dumme Annahme. Wenn man sich näher an einer Wärmequelle befindet, fühlt es sich wärmer an, deshalb ist es auch sinnvoll anzunehmen, dass es auf der Erdoberfläche wärmer ist, wenn sie sich näher an der Sonne befindet. Nur ist die Annahme falsch. Die Erde ist im Winter auf der Nordhalbkugel näher an der Sonne und im Sommer weiter davon weg. Es stimmt zwar, dass die Erde nicht an allen Punkten ihrer Umlaufbahn gleich weit von der Sonne entfernt ist, doch sind die Unterschiede sehr, sehr klein. Dieser Entfernungsunterschied hat durchaus einen Einfluss auf die Temperatur, doch der ist nicht groß genug, um die Jahreszeiten zu verursachen. Die meisten Planeten befinden sich nicht auf einer kreisförmigen, sondern auf einer elliptischen Umlaufbahn. Bei elliptischen Bahnen gibt es zwei Extrempunkte, einen, an dem der Planet der Sonne am nächsten ist, und einen, an dem er am weitesten davon weg ist. Diese werden Perihel, das heißt „nahe der Sonne“, und Aphel, das heißt „weg von der Sonne“ genannt. Bei manchen Planeten ist der Unterschied zwischen Perihel und Aphel sehr groß, doch nicht bei der Erde. Der Unterschied beträgt nur etwa 3,3 %. Wenn die Erde am sonnennächsten Punkt ist, ist sie 147.098.074 km und am entferntesten 152.097.701 km davon entfernt. Ja, das sind zwar 5 Mio. km Unterschied, was ziemlich viel zu sein scheint, aber nur ein geringer Bruchteil der Gesamtentfernung. Dies hat immerhin einen kleinen Einfluss auf die Temperatur auf dem Planeten von etwa 2 °C (Sharp 2017). Jetzt wissen Sie offiziell mehr als die meisten Harvardabsolventen. Wenn nun Jahreszeiten nicht von der Entfernung von der Sonne abhängen, wovon dann? Es zeigt sich, dass die Neigung der Erdachse dafür verantwortlich ist. Das ist eine Erklärung, die Sie vielleicht schon gehört haben, und wenn Sie bei Google nach „Warum gibt es Jahreszeiten?“ suchen, werden Sie auch auf diese Erklärung stoßen. Meistens sind die Erklärungen jedoch ziemlich oberflächlich, und Sie müssen es ohne viel Mathematik als Unterstützung einfach glauben. Ich hoffe, ich werde es besser machen. Wie ich schon sagte, lebe ich in Washington DC, deshalb werde ich diesen Ort als Beispiel verwenden. Wir haben vier ziemlich regelmäßige Jahreszeiten hier, deshalb scheint mir das
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eine gute Wahl zu sein. Die Durchschnittstemperatur im Sommer liegt bei etwa 27 °C und die im Winter normalerweise bei etwa 4 °C (Washington DC: Annual Weather Averages). Etwas an der Bewegung der Erde verursacht also eine Temperaturschwankung von 23 °C, und das kann nicht die Umlaufbahn der Erde um die Sonne sein. Bei ihrer Bewegung um die Sonne dreht sich die Erde um ihre Achse wie ein Kreisel. Doch anders als ein Kreisel dreht sie sich nicht aufrecht, vielmehr hat die Achse einen kleinen Winkel – genau gesagt 23,5°. Das bedeutet, dass das Sonnenlicht die Erdoberfläche nicht überall senkrecht trifft. Ich erinnere mich daran, dass ich als Zehnjährige, als ich erfahren habe, dass die Erde gekippt sei, als Erstes das Bild im Kopf hatte, dass sie immer etwas in Richtung des Mittelpunkts ihrer Kreisbahn geneigt sei, also immer in Richtung der Sonne, so als ob Sie einen Ball an einem Faden um sich kreisen ließen. Mein zehnjähriges Ich verstand deshalb nicht, was die Jahreszeiten verursacht. Es brauchte auch ein besseres Bild dafür, was dieses um 23,5° gekippt sein bedeutet. Die Erde umkreist die Sonne nicht wie ein Kreisel, und die Achse funktioniert nicht wie ein Faden. Die Achse weist relativ zu ihrer Bahnebene immer in dieselbe Richtung, deshalb ist sie manchmal in Richtung der Sonne geneigt und manchmal von ihr weg (Abb. 2). Es sind diese Neigung und speziell die Tatsache, dass sie manchmal in Richtung Sonne und manchmal davon weg orientiert ist, was die Jahreszeiten verursacht. Wenn die nördliche Hemisphäre in die Richtung der Sonne geneigt ist, bekommt sie direktes Sonnenlicht, und wenn sie davon weggeneigt ist, treffen die Strahlen in einem größeren Winkel auf. Die
Abb. 2 Die Bewegung der Erde um die Sonne. Die Achse bleibt während der Umkreisung der Sonne immer in dieselbe Richtung geneigt. Für eine bestimmte Zeit ist sie in Richtung Sonne geneigt und sonst davon weg; dies verursacht die Jahreszeiten
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Temperatur auf der Erde hängt stark von der Intensität des Sonnenlichts und damit von diesem Winkel ab. Als ich das zum ersten Mal gehört habe, war mein zehnjähriges Ich nicht überzeugt. Wie kann der Einfallswinkel des Sonnenlichts so einen großen Unterschied ausmachen. Ich hoffe, ein wenig Mathematik kann Sie überzeugen. Die Temperatur auf der Erde hängt davon ab, wie viel Strahlung von der Sonne auf der Oberfläche ankommt. Je mehr Strahlung pro Quadratkilometer ankommt, desto wärmer wird es. Meiner Intuition nach erschien es aber unwahrscheinlich, dass eine geringe Neigung so viel ausmachen könne. An diesem Punkt war meine Intuition vollkommen falsch. Stellen Sie sich vor, eine gewisse Menge an Sonnenlicht treffe einen Quadratkilometer senkrecht von oben. Die Erde erhält eine bestimmte Energiemenge pro Sekunde auf diesem Quadratkilometer von der Sonne, und diese Energiemenge bestimmt die Temperatur. Jetzt stellen wir uns vor, dass der Sonnenstrahl leicht geneigt ist (das heißt, er kommt von einem tieferen Punkt am Himmel). Nein, stellen Sie es sich nicht vor, holen Sie sich lieber eine alte Schultaschenlampe, es geht auch eine LED-Taschenlampe, doch damit sieht man den Strahl nicht so einfach. Eine Taschenlampe strahlt immer dieselbe Energiemenge pro Sekunde ab, genau wie die Sonne. Nehmen Sie die Taschenlampe und beleuchten Sie damit eine Oberfläche von oben. Schauen Sie sich die Größe des Flecks an und wie hell dieser ist. Jetzt kippen Sie die Taschenlampe ein wenig, und Sie werden bemerken, dass der Fleck viel größer wird, statt kreisförmig ist er nun elliptisch (oval). Sie werden auch feststellen, dass er nicht mehr so hell aussieht. Im Strahl steckt die gleiche Energiemenge, doch nun trifft er auf eine größere Fläche, deshalb ist dieselbe Energiemenge auf eine größere Fläche verteilt, und das heißt auch, dass jeder Fleck auf dem Tisch oder der Wand oder was auch immer Sie gerade mit Ihrer Taschenlampe anstrahlen viel weniger Energie pro Sekunde erhält. Wenn Sie die Taschenlampe in einem 45-Grad-Winkel neigen, wird das gleiche Licht über die 1,4-fache Fläche der ursprünglichen Stelle verteilt, die Fläche steigt also um 40 %. Bei einer Neigung von 60° ist die Fläche 67 % oder um einen Faktor von 1,67 größer. Im Falle der Erde neigt sich der Tisch anstelle der Taschenlampe, doch dies läuft auf den gleichen Effekt hinaus, die Intensität nimmt ab, wenn die Neigung steigt. Weil die Erde nicht flach ist, ist die Veränderung in der Intensität (und damit der Temperatur) nicht gleichmäßig. Deshalb kommt dazu, dass Orte, die weiter von Äquator weg sind, größere jahreszeitliche Änderungen durchmachen als solche näher am Äquator. Die Temperaturunterschiede z. B. irgendwo in Miami sind im Laufe eines Jahres geringer als irgendwo in Washington, weil Miami näher am Äquator liegt. Jetzt stellen wir uns die Sonne vor, die in Washington DC scheint. Im Sommer trifft das Sonnenlicht viel direkter – und damit intensiver – auf
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als im Winter, weil die Erde auf der Seite von Washington DC in Richtung der Sonne geneigt ist, statt von ihr weg. Je direkter das Sonnenlicht auftrifft, desto höher ist die mittlere Temperatur. Das National Renewable Energy Laboratory misst genau, wie viel Sonnenlicht auf einem bestimmten Ort auf der Erde in einem bestimmten Zeitraum trifft, und berechnet, wie hoch die entsprechende Temperatur ist. Sie finden diese Informationen in der National Solar Radiation Database. Die Datenbank misst alle 30 Min., welche Menge an Sonnenlicht pro Quadratkilometer auf der Erde ankommt. Die Daten zeigen, wie die Energie von der Sonne mit der Änderung der Jahreszeiten gleichmäßig im Laufe schwankt. Eigentlich sollte die Sonnenstrahlung an einem bestimmten Punkt jedes Jahr gleich sein, denn in menschlichen Zeiträumen gedacht scheint die Sonne ziemlich konstant. Die NSRD misst Veränderungen in dieser Strahlung, deshalb hängen alle Veränderungen von Veränderungen in der Atmosphäre ab, etwa aufgrund von Luftverschmutzung. Dadurch können sie diese Daten auch dafür nutzen, die Luftqualität zu bestimmen. Aber wie ist es mit Orten wie Miami, wo es viel heißer ist als in Washington DC und das ganze Jahr über ziemlich warm. Gibt es auch hier Veränderungen? Ja, die gibt es durchaus. NSRD-Messungen zeigen, dass es in Miami eine durchschnittlich höhere Sonneneinstrahlung gibt, daher sind auch die mittleren Temperaturen höher. Wie gesagt, spielt hinsichtlich der mittleren jahreszeitlichen Temperaturschwankungen neben der Neigung der Erde auch die Position der Erde eine Rolle. Der obere Teil des Erdballs (die höheren Breitengrade) ändert seinen Winkel zur Sonnenstrahlung viel stärker als der mittlere Teil des Erdballs (die niedrigeren Breitengrade in der Nähe des Äquators). In Miami trifft das Sonnenlicht während des ganzen Jahres etwa aus der gleichen Richtung auf, während es in Washington DC direkter auftrifft, wenn die Erde stärker in Richtung Sonne geneigt ist, genau wie bei der gekippten Taschenlampe. Machen Sie den Taschenlampenversuch auf einem Globus, und Sie werden sehen, wie dies aussieht. Unglücklicherweise habe ich keine gute Grafik für die Sonnenintensität in Dorne gefunden, doch sicher kann man davon ausgehen, dass das Klima in Dorne dem von Miami ziemlich ähnelt, und Winterfell ist näher an irgendwelchen Orten in Nordkanada dran. In Königsmund ist das Klima vermutlich ungefähr so wie in Washington DC. Die Jahreszeiten verändern sich wahrscheinlich etwa genauso, doch in einem ganz anderen Maßstab. Und was wir wissen, ist, dass der Winter Kanada viel früher und stärker trifft als Miami. Jetzt wissen wir also, wie die Jahreszeiten auf der Erde funktionieren. Nun können wir uns ansehen, wie sie auf einem Planeten funktionieren, der Westeros beherbergt.
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Eine stark elliptische Umlaufbahn Wenn auch die Jahreszeiten der Erde durch ihre Achsenneigung verursacht werden und nicht durch eine Veränderung ihrer Entfernung zur Sonne aufgrund ihrer elliptischen Umlaufbahn, so stellt sich doch die Frage, ob es auf einem Planeten wegen seiner Umlaufbahn unvorhersehbare Jahreszeiten geben könnte. Die Antwort vorweg: nicht wirklich. Was in Game of Thrones die Geschichte vorantreibt ist, dass keiner weiß, wie lange die Jahreszeiten dauern werden. Die Maester zeichnen seit ungefähr 1000 Jahren die Jahreszeiten auf und haben immer noch nur grobe Muster gefunden, wie dass ein langer Sommer ein deutlicher Hinweis auf einen langen Winter ist. Umlaufbahnen sind, wie wir von Kepler wissen, sehr regelmäßig. Ich nehme an, dass sie nach 1000 Jahren Beobachtung die jahreszeitlichen Veränderungen inzwischen herausgefunden hätten, wenn die Jahreszeiten in einem Zeitraum von weniger als 1000 Jahren vorhersehbar regelmäßig gewesen wären. Galileo brauchte sicherlich viel weniger Zeit dazu, dies herauszufinden. Das bedeutet, die Jahreszeiten könnten durch eine Verbindung von Umlaufbahn und etwas anderem zustande kommen. Lassen Sie uns überlegen, was passieren würde, wenn die Jahreszeiten ausschließlich durch die Umlaufbahn zustande kämen, welche Art von Unterschied müsste zwischen Aphel und Perihel bestehen? Könnte ein Planet eine so große Umlaufbahn haben? Die mittlere Temperatur auf der Erde beträgt etwa 14 °C und die mittlere Entfernung von der Sonne 149.597.871 km. Für eine Temperatur von etwa 4 °C, wie im Winter in Washington DC, müsste man die Temperatur um 10 °C oder 3,5 % verändern. Diejenigen von Ihnen, die gut im Rechnen sind, fragen sich vielleicht jetzt, wie ich auf 3,5 % komme, wenn eine kurze Rechnung sagt, dass es 40 % sein sollten. Wenn es um Temperaturen geht, muss jedoch die Betrachtung von Dingen, die relativ sind, wie Prozentangaben, in Bezug auf einen festen Nullpunkt geschehen. Bei Temperaturen ist dieser Punkt nicht 0 °C, weil es auch negative geben kann. Der „Nullpunkt“ der Temperatur ist die Null auf der Kelvinskala. Beim „absoluten Nullpunkt“ hört jede Molekularbewegung auf. 0 °C ist 273 K. Für diese Berechnung benötigen wird die Zahlen also tatsächlich in Kelvin, also 287 K bis 277 K, was einem Absinken von 3,5 % entspricht. Die Temperatur fällt mit dem Quadrat des Abstandes, deshalb bedeutet eine 3,5-%ige Temperaturveränderung eine Änderung in der Entfernung von 1,9 %. 1,9 % von 149.597.871 km sind etwa 2.900.000 km. Am Aphel müsste der Planet also 2.900.000 km weiter von der Sonne entfernt sein als im Mittel. Im Sommer ist es genau umgekehrt, sodass er beim Perihel 2.900.000 km näher an der Sonne sein müsste als im Mittel. Bei dem Planeten müsste der Unter-
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schied zwischen seinem Aphel und Perihel fast 5.800.000 km betragen, das sind 1 Mio. km mehr als bei der Erde. Gibt es Planeten mit einem so großen Unterschied? Ja, einige sogar; fünf innerhalb unseres Sonnensystems. Beim Pluto ist der Unterschied zwischen Perihel und Aphel am größten, nämlich 3 Mrd. km. Das bedeutet, dass der Unterschied der Entfernungen von nächstem und fernstem Punkt mehr als 20-mal so groß ist wie die mittlere Distanz der Erde von der Sonne. Sowohl Merkur als auch Mars, Saturn und Uranus weisen Unterschiede auf, die größer sind als das, was nötig wäre, um Winter und Sommer zu verursachen. Sowohl bei Merkur als auch Saturn beträgt der Unterschied der Entfernung zwischen Perihel und Aphel etwa 27.000.000 km, was ziemlich genau dem entspricht, was unser geheimnisvoller Planet bräuchte, um Winter und Sommer zu verursachen. Das reicht wohl, um zu sagen, dass die Tatsache, dass ein Planet eine stark elliptische Umlaufbahn hat, eine mögliche Erklärung für die Jahreszeiten in Westeros wäre, doch die Veränderung in diesen Jahreszeiten wäre regelmäßig wiederkehrend, und ich glaube, dass wir annehmen können, dass die Maester in der Lage gewesen wären, dies herauszufinden. Nur weil sie zu sehr in ihren eigenen Vorstellungen gefangen sind, um zu bemerken, dass der Nachtkönig existiert, heißt das nicht, dass sie nicht bemerken würden, dass die Jahreszeiten ziemlich periodisch ablaufen. Das heißt, es muss eine andere Erklärung geben (NASA).
Bewegung der Achse Ich erwähnte schon, dass die Erdachse um etwa 23,5° geneigt ist und dass dies der Grund für die Jahreszeiten ist. Dies war weitgehend, aber nicht vollkommen richtig. Es ist ein wenig so wie in dem alten Einstein-Witz: Es ist nicht richtig, aber für die Anwendung in der Praxis reicht es. Zurzeit beträgt der Neigungswinkel der Erdachse etwa 23,5°, doch er ändert sich jedes Jahr ein wenig. Und das geschieht nicht nur auf eine Art und Weise, sondern auf zwei verschiedene Arten. Er dreht sich (der physikalische Fachbegriff lautet Präzession), und er taumelt wie ein sich drehender Kreisel. Zum Glück geschehen diese Änderungen im Laufe von vielen tausend Jahren, sodass wir sie nicht wirklich wahrnehmen. Die Anziehungskräfte von Sonne und Mond beeinflussen die Bewegung der Erde. Die Physik der gravitativen Wechselwirkungen zwischen drei verschiedenen Körpern ist außerordentlich kompliziert und nichts, was man leicht lösen könnte. Tatsächlich haben die Leute, die die Wechselwirkungen zwischen der Sonne, der Erde und dem Mond untersuchen, es so satt, dass sie dem Problem
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einen eigenen Namen gegeben haben: Dreikörperproblem. Es ärgert sie immer noch, und es gibt keine genaue Lösung dafür. Es stimmt, wir können Gravitationswellen kollidierender schwarzer Löcher aufspüren, doch nicht einmal Stephen Hawking konnte eine Gleichung hinschreiben, die zu jedem beliebigen Zeitpunkt bei bestimmten Anfangsbedingungen den Ort und die Geschwindigkeit von Erde, Mond und Sonne angibt. Schlimmer noch, wenn etwas mit dem Mond passieren würde, könnte der feine Ausgleich in all den Anziehungskräften über den Haufen geworfen werden, sodass es zu gravierenden Veränderungen beim Klima und den Jahreszeiten kommen würde. Es sieht so aus, als hätten wir ziemlich viel Glück, dass die Umlaufbahn der Erde und die Wechselwirkungen mit dem Mond so stabil sind. Es ist aber möglich, dass die Menschen auf Westeros weniger Glück haben. Lassen Sie uns zuerst über die Präzession der Erdachse sprechen. Sie ähnelt sehr einem nichttaumelnden Kreisel, der nicht genau aufrechtstehend gedreht wurde. Während sich der Kreisel (oder der Planet) dreht, kreist seine Drehachse langsam um eine Linie senkrecht zum Boden, auf dem er rotiert. Der obere Teil der Achse beschreibt einen imaginären Kreis in der Luft. Eigentlich haben Astronomen die Bewegung der Achse zuerst dadurch entdeckt, weil es so aussieht, als bewegten sich die Sterne in einem Bogen über den Himmel. Es stellte sich heraus, dass wir uns bewegten, nicht die Sterne. Diese Bewegung der Rotationsachse heißt Präzession, und genau dies passiert auch bei der Erde – nur sehr, sehr langsam. Eine volle Drehung dauert ungefähr 20.000 Jahre. Was die Präzession für die Jahreszeiten bedeutet, ist, dass die Jahreszeiten nicht immer auf dieselbe Zeit im Jahr fallen. Wenn es keine Präzession gäbe, wäre die Neigung der Achse an einem bestimmten Punkt der Erdbahn immer gleich. Sie wäre während ihrer Reise auf der Ellipse am gleichen Punkt immer in Richtung Sonne geneigt und eine halbe Ellipse später von der Sonne weg. Aber das ist wegen der Präzession nicht der Fall. Der Punkt in der Umlaufbahn, an dem die Achse in Richtung Sonne zeigt, wenn also Sommer ist, verändert sich jedes Jahr ein wenig. Weil diese Veränderung so winzig ist, werden wir sie im Laufe unseres Lebens nicht bemerken – auch nicht in einer Zeitspanne, die die Aufzeichnungen der Maester erfasst. Aber es ist möglich, dass die Achse des erfundenen Planeten in Game of Thrones viel schneller präzessiert als die Erdachse. Diese Veränderung der Richtung des Neigungswinkels könnte für die seltsamen Jahreszeiten in Westeros verantwortlich sein, doch auch in diesem Fall würden sich die Jahreszeiten genau wie bei einem stark elliptischen Orbit vorhersehbar verändern. Wenn die Maester die Jahreszeiten Tausende von Jahren aufgezeichnet hätten, sollten sie in der Lage sein, diese Muster inzwischen gefunden zu haben. Sie würden wissen, wann der Winter kommt.
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Doch die Präzession ist nicht die einzige Bewegungsmöglichkeit der Erdachse. Sie bleibt nicht einfach bei 23,5° und präzessiert herum. Auch der gegenwärtige Winkel verändert sich. Sie taumelt. Der Winkel verändert sich nur um einen sehr kleinen Betrag, etwa 1,3° in 21.000 Jahren. Wenn Sie den Abschnitt darüber gelesen haben, warum es Jahreszeiten gibt, können Sie erraten, dass die Veränderung im Neigungswinkel die Jahreszeiten etwas verändern wird. Wir haben wiederum Glück, denn diese Veränderung der Jahreszeiten ist sehr, sehr klein. Unsere Achse verändert sich um insgesamt etwa 10 % ihres Durchschnittswertes. Prozentual gesehen ist unsere Achse so stabil wie unsere Umlaufbahn. Warum sie sich verändert, ist etwas komplizierter. 1993 veröffentlichte eine Forschergruppe – Jacques Laskar, Frédéric Joutel und Philippe Robutel – gleichzeitig zwei wissenschaftliche Artikel in Nature (die meisten Wissenschaftler würden morden, um einen einzigen Artikel in Nature veröffentlichen zu können, zwei in einer Ausgabe sind einfach des Guten zu viel), in denen die Einflüsse des Mondes auf die Erdachse diskutiert wurden (Laskar et al. 1993; Laskar and Robutel 1993). Ich sagte schon, dass es unmöglich ist, für bestimmte Anfangsbedingungen eine Gleichung für die Position der Erde zu jedem Zeitpunkt aufzuschreiben. Das stimmt, doch Computer können eine sehr gute Näherungslösung berechnen. Es gibt Gleichungen, die die Bewegung auf der Erde auf komplizierte Art und Weise beschreiben, doch wir können uns nicht einfach hinsetzen und diese Gleichungen lösen. In großen mathematischen Begriffen sind dies partielle Differentialgleichungen ohne genaue Lösung. Es ist genauso furchteinflößend, wie es klingt. Doch kann man mithilfe von Computern Methoden anwenden, dabei werden Werte gewonnen, die einer Lösung sehr nahe sind, auch wenn sie nicht wirklich eine Lösung darstellen. Damit kann man ziemlich genau sagen, wie Mond und Sonne die Bewegung der Erde beeinflussen. Laskar, Joutel und Robutel betrachteten die Bewegungsgleichungen der Erdachse und erkannten, was passieren würde, wenn die Achsneigung einen anderen Winkel als 23,3° hätte. Sie fanden etwas höchst Erstaunliches heraus. Wenn der Mond nicht wäre, würde die Erdachse ihren Simulationen zufolge ins Chaos gestürzt werden. Ja wirklich! Sie würde sich auf wissenschaftliche Weise chaotisch verhalten. Genau wie Babydoll-Kleider und Halsbänder war das Chaos in den 1990er-Jahren in der Physik groß in Mode. Wenn man in einem System etwas ein klein wenig bewegt, bewegt sich etwas anderes als Antwort darauf auch ein wenig. Eine größere Bewegung am Anfang resultiert in einer größeren Veränderung. In der nichtlinearen Dynamik gelten diese Grundsätze nicht mehr. In einem nichtlinearen System kann eine kleine Bewegung eine große Veränderung
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verursachen. Oder auch gar keine. Es ist ein ziemlich hübsches Gebiet der Physik und vermutlich in Filmen, in denen man etwas wissenschaftlich Angehauchtes benötigt, das am zweithäufigsten verwendete (denken Sie an Jurassic Park und Jeff Goldblums unentwegtes Jammern über den Schmetterlingseffekt), es kommt gleich hinter Quantenmechanik, Relativität oder Wurmlöcher. In der nichtlinearen Dynamik kann „Chaos“ mathematisch beschrieben werden, indem man viele Daten über den Zustand eines Systems aufzeichnet und damit raffinierte Statistik betreibt. Etwas, das sich chaotisch verhält, wird zufällig wirken, gehorcht aber einer zugrunde liegenden Ordnung. Es gibt wiederkehrende Muster, Rückkopplungsschleifen und eine Quasiperiodizität, das heißt, etwas sieht vielleicht periodisch aus, ist es aber nicht ganz. Vielleicht durchläuft es einige Male den gleichen Zyklus, wechselt aber dann in einen Zyklus, der sehr ähnlich ist, aber eben nicht genau gleich. Das klingt ziemlich nach den Jahreszeiten auf Westeros, oder? Das Problem, dass die Maester in Westeros haben, ist, dass sie einfach nicht über genug Daten verfügen (ganz zu schweigen von Computern), um wenigstens ein Muster, das nicht periodisch ist, erraten zu können. Was Laskar, Joutel und Robutel herausfanden, war, dass in einem System aus Sonne, Mond und Erde, das zwischen 0° und 60° geneigt ist, die Neigung der Erde ziemlich stabil bliebe und sich nur vorhersehbar um etwa 10 % verändern würde. Als sie aber die Neigung der Erdachse über den 60°-Bereich vergrößerten, bemerkten sie, dass die Achse in einen „chaotischen Bereich“ kam, das heißt, dass sich nicht nur die Neigung ziemlich vergrößert, sondern dass sie es auch noch auf eine quasiperiodische oder sogar unvorhersehbare Weise getan hätte. Richtig interessant wurde es, als sie den Mond ganz wegnahmen. Ohne Mond endete jede Achsneigung in einem chaotischen Bereich. Ohne Mond wäre unsere Achse überhaupt nicht stabil. Die Tatsache, dass wir einen Mond haben, stabilisiert unsere Achse und verhindert, dass sie sich chaotisch verhält. Der Mond ist nicht nur für Ebbe und Flut verantwortlich, er ist der Grund, warum es bei uns regelmäßige Jahreszeiten gibt.
Milanković-Zyklen Es gibt offenbar vieles, was mit der Umlaufbahn eines Planeten geschehen kann und einen Beitrag zu seinen Jahreszeiten liefert: die Form der Umlaufbahn, die Achsneigung, die Präzession der Achse. All diese Variablen liefern einen großen oder kleinen Beitrag zum Klima und können eventuell dazu
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führen, dass die Jahreszeiten unvorhersehbar werden. Was passiert, wenn man all diese verschiedenen Veränderungen zusammenzählt? Wie sehen die Jahreszeiten dann aus? Was, wenn man eine echt stark taumelnde Achse hat, die sich schnell in einem Kreis bewegt, und wenn sie die Achse eines Planeten wäre, dessen Aphel sich sehr stark vom Perihel unterscheidet. Nimmt man all dies zusammen und ergänzt einige geringere Veränderungen, von denen ich nicht gesprochen habe, ergibt sich der Milanković-Zyklus des Planeten. In den 1920er-Jahren wollte der serbische Geophysiker und Astronom Milutin Milanković wissen, welche Auswirkungen die sich verändernde Umlaufbahn des Planeten auf das Erdklima hat. Er schaute sich die verschiedenen Bestandteile der Erdumlaufbahn an und wie sie sich veränderten und sagte damit voraus, wie sich das Erdklima dadurch verändern könnte. Weil sich die Umlaufbahn, die Achsneigung und die Präzession so langsam verändern, kam er zu dem Schluss, dass sich das Klima auf der Erde nur im Laufe von Jahrtausenden ändern kann. Er nahm an, dass die Menge an Sonnenstrahlung, die auf der Erde ankommt, größere klimatische Veränderungen, wie Eiszeiten, bestimmt. Seine Forschungen hatten die Arbeiten von zwei anderen Astronomen als Grundlage: Joseph Adhemar und James Croll. Adhemar war der Erste, der vermutete, dass die Eiszeiten durch die Bahn der Erde verursacht werden, doch er glaubte, dass nur die Präzession der Erdachse verantwortlich sei. Croll baute auf seinen Arbeiten auf und schlug vor, die Form der Umlaufbahn der Erde könne der ausschlaggebende Faktor sein. Unglücklicherweise sagte er voraus, dass Eiszeiten vor etwa 80.000 Jahren aufgehört haben sollten, doch dies widerspricht den Daten. Milanković ging noch weiter als die Astronomen vor ihm. Er schaute sich alle Veränderungen in der Bewegung der Erde an und zählte alles zusammen, um herauszufinden, wie sich die Sonneneinstrahlung auf der Erde im Laufe von Jahrmillionen verändert. Diese Langzeitveränderungen werden heute Milanković-Zyklen genannt. 1976 veröffentlichten J.D. Hayes, John Imbrie und N.J. Shackleton in Science einen Artikel, der die Theorie von Milanković stützte. Sie betrachteten Sedimentkerne aus einem Punkt am Meeresboden zwischen Afrika, der Antarktis und Australien und machten eine Abschätzung. Sie fanden heraus, dass die Sedimentationsrate konstant war, wodurch der Kern im Wesentlichen eine Chronik darstellte, die in die Geschichte zurückblickte. Indem sie die Konzentration von Mikroorganismen in verschiedenen Teilen des Bohrkerns betrachteten, waren sie in der Lage, die durchschnittliche Wassertemperatur zu der Zeit zu bestimmen, in der dieser
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Abschnitt des Kerns abgelagert wurde. Daraus konnten sie abschätzen, wann auf der Erde eine Eiszeit herrschte. Die Milanković-Theorie kann über die Berechnungen der Erdtemperatur aus ihrer Bewegung genau voraussagen, wann diese Eiszeiten auftreten. Seit 1976 ist die Milanković-Theorie über die Ursache für die Eiszeiten die vorherrschende Lehre (Hays et al. 1976). Man muss allerdings zwischen Klima und Wetter unterscheiden, und diese Stelle ist genauso geeignet dazu, darauf hinzuweisen wie jede andere. Milanković betrachtete das Klima, nicht das Wetter. Das Klima sind die langfristigen Veränderungen in der Temperatur und den durchschnittlichen Niederschlägen. Wetter ist das, was jeden Tag passiert. Wenn ich über die Jahreszeiten in Westeros spreche, dann rede ich über das Wetter, nicht das Klima. In seinen Forschungen schaute sich Milanković das Klima an, nicht das Wetter, deshalb scheinen sie auf den ersten Blick nur wenig relevant zu sein. Doch wir wissen bereits, dass sich Dinge wie die Veränderung der Achsneigung und der axialen Präzession deutlich beschleunigen und Orbits weit elliptischer sein können. Das passiert nur auf der Erde sehr langsam, deshalb konzentrierte er sich auf genau dies. Sollten diese langfristigen Veränderungen auf der Erde in Westeros schneller stattfinden, dann könnten Milanković-Zyklen die Jahreszeiten dort erklären. Der Zeitraum, mit dem sich Milanković auseinandersetzte, war einfach der für die Erde geltende. Es gibt keinen Grund, warum er unter andersartigen kosmischen Bedingungen, die vielleicht in Westeros gelten, nicht schneller ablaufen sollte.
Zwei Sonnen? Vor einigen Jahren an einem 1. April beschlossen einige unternehmungslustige graduierte Studenten, die Fantasy mochten, zu untersuchen, was die Jahreszeiten in Westeros verursachen könnte. Sie verfolgten einen ganz anderen Ansatz als ich bisher, doch auch sie fanden einen Grund für unregelmäßige Jahreszeiten. Die Maester ihrer Zitadelle waren nicht so begeistert von ihren Theorien wie ich. Zum Glück antwortete einer der Autoren, Veselin Kostov, auf meinen Raben, sodass ich mit ihm über ihre Theorie und die Simulationen sprechen konnte. Sie hatten damit herausfinden wollen, welche Umlaufbahnen ein Planet um einen Doppelstern haben könnte. Dabei hatten sie bemerkt, dass die Oberflächentemperatur eines Planeten um einen Doppelstern sich genauso verändern würde wie bei den Jahreszeiten in einem Buch, das Kostov damals gerade zufällig gelesen hatte.
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Weil gerade 1. April war und er das Programm dazu hatte, entschloss er sich, eine Simulation für den Planeten von Westeros durchzuführen, wenn er um ein Doppelsternsystem kreisen würde. Er verwarf aufgrund der stabilisierenden Kräfte des Mondes die Achsneigung als Erklärung (Ich denke, mit dieser Annahme war er etwas vorschnell, aber darüber werde ich in Abschn. „Was passiert also in Westeros?“ sprechen.). Ebenso verwarf er eine stark elliptische Umlaufbahn, aber aus anderen Gründen als ich. Seiner Ansicht nach würde das zu Jahreszeiten führen, die so lang sind, dass es auf den Planeten kein Leben geben könnte. Ich glaube daher, angesichts zweier Argumente, die dagegen sprechen, können wir stark elliptische Bahnen als Erklärung nun wirklich ausschließen. Kostov ging davon aus, dass der Planet, auf dem Westeros liegt, in einem Sonnensystem kreist, in dem es nicht nur eine Sonne, sondern zwei gibt (Ich bin sicher, dass seine Analyse auch für Luke Skywalkers Heimatplaneten Tatooine gelten würde.). Mithilfe einer numerischen Lösung zeigte er, was im Laufe vieler Jahre mit einer bestimmten Menge von Anfangsbedingungen passieren würde. Er ging davon aus, dass es keine Achsneigung gab und die Oberflächentemperatur sich nur von der Wärme der beiden Sterne ableitete. Es gibt eine ziemlich komplizierte Gleichung, mit der man berechnen kann, welche Oberflächentemperatur in Abhängigkeit von der Entfernung von den beiden Sonnen herrschen würde. Kostov verwendete einen Computer, um diese Gleichung unter der Annahme zu lösen, dass die Entfernung von den Sonnen von dem komplizierten Dreikörperproblem abhing, das ich weiter oben beschrieben habe, und nahm an, dass das Jahr für die Bewohner von Westeros ungefähr 750 Tage dauerte. Im Artikel stand nichts darüber, woher diese Zahl kam, doch als ich nachfragte, erklärte er mir, dass dies die mittlere Länge einer Planetenbahn um zwei Sterne ist, wenn der Planet in der bewohnbaren Zone bleiben sollte. Die Jahreszeiten, die er berechnete, sahen ziemlich genauso aus wie die in Westeros. Die Temperatur ist quasiperiodisch – deshalb ist sie fast vorhersehbar, aber nicht ganz – und sie ändert sich in einer Größenordnung von einigen Jahren auf Westeros (Abb. 3). Dies scheint eine ziemlich gute Erklärung zu sein. Aber es gibt einige Probleme, wie ich bereits erwähnt habe. Erstens scheint Westeros nur eine Sonne zu haben. Mein Gehirn ist nicht beweglich genug für die mentale Gymnastik, die nötig wäre, darüber hinwegzusehen. Ich kann mir einfach keine physikalisch mögliche Methode vorstellen, um eine zweite Sonne in all den erstaunlichen und genauen visuellen Details im Buch und der Serie zu verstecken. Ich konnte Kostov diese Frage stellen, doch er sagte nur, er habe darüber nicht nachgedacht. Auf mein Drängen meinte er, es könnte sich um eine Kombination aus
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Abb. 3 Die Oberflächentemperatur auf einem Planeten, der in 750 Tagen zwei Sterne umkreist. Die untere Linie stellt den Winter, die obere den Sommer da. (Kostov et al. 2013)
Stern und schwarzem Loch handeln. Doch eine der Sonnen in ein schwarzes Loch zu verwandeln würde sicherlich die Temperaturdaten verändern, deshalb wären weitere Simulationen notwendig. Zweitens ist die Definition der Länge eines Jahres auf Westeros komplizierter, als diese Maester zugeben. Sie betrachteten nur die Entfernung zu den Sternen, bildeten aber nicht die tatsächlichen Bahnen ab. Weil ein Jahr einer Umkreisung der Sonne(n) entspricht, besteht immer noch das Problem, wie man ein Jahr definiert. In diesem Fall ist das weniger wichtig, weil es keine Achsneigung gibt, deshalb wäre es für die Menschen auf dem Planeten wirklich schwierig herauszufinden, was ein Jahr ist. Doch das macht alles noch komplizierter. Die Bewohner von Westeros sprechen darüber, dass ein Sommer 10 Jahre dauert, aber woher wissen sie das ohne Hinweise auf ein abgeschlossenes Jahr. Wie haben sie ohne astronomische Hinweise vor Jahrtausenden entschieden, wie viele Tage ein Jahr sind? Ich glaube, Kostov und seine Mitarbeiter hatten eine großartige Idee für die Erklärung der Jahreszeiten, vor allem, weil sie wenig Zeit und Geld dafür hatten. Ich glaube jedoch nicht, dass dies die beste Erklärung ist.
Was passiert also in Westeros? Ich hoffe, dass aus all den wissenschaftlichen Erklärungen, die Sie inzwischen gelesen haben, klar wurde, dass es nicht wirklich einfach ist, seltsame Jahreszeiten auf einem Planeten zu erklären. Dinge können aus mehreren Gründen wild umherschwingen. Die Jahreszeiten auf Westeros
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sind nicht deshalb schwer zu erklären, weil sie so lang sind, sondern weil sie so unvorhersehbar sind. Was es noch komplizierter macht, ist, dass die Jahreszeiten nicht nur vollkommen unregelmäßig sind, sondern dass es irgendein Muster zu geben scheint, was sie quasiperiodisch macht, wie wir im Abschnitt über das Chaos besprochen haben. Man sagt, dass auf einem langen Sommer ein langer Winter folgt. Das reicht den Leuten zu glauben, dass nach einem 10 Jahre dauernden Sommer ein außerordentlich langer Winter bevorstehen wird, selbst ohne Nachtkönig, der aus dem langen einen ewigen Winter machen will. Die Jahreszeiten müssen sich auch im Laufe von Jahren verändern, nicht im Laufe von Monaten wie auf der Erde, auch dies schränkt die möglichen Erklärungen ein. Weil die Jahreszeiten durch die Drehung, die Bahn, die Achsneigung und Präzession eines Planeten beherrscht werden, sind sie (meistens) sehr, sehr gleichmäßig, und im Fall der Erde sind sie viel kürzer als die in Westeros. Die einzige Ausnahme in dieser Regelmäßigkeit ist die Achsneigung, auf die ich gleich noch zurückkommen werde. Während die seltsamen Jahreszeiten hervorragend geeignet sind, um den Plot voranzutreiben, sind sie wissenschaftlich nicht so leicht zu erklären. Aber ich glaube, es gibt letztlich zwei vernünftige Erklärungen, und ich bevorzuge eine davon. Ich werde das Argument mit den zwei Sonnen weglassen, weil das einfach nicht in die Geschichte passt. Hier geht es um die bekannte Welt, nicht um Tatooine. Auf 5700 bisher erschienenen Seiten von Das Lied von Feuer und Eis hätte irgendjemand darüber gesprochen, wenn es zwei Sonnen gäbe, und ich werde versuchen, meine wissenschaftlichen Erklärungen im Rahmen der Welt zu halten, die George R. R. Martin entworfen hat. Trotzdem beglückwünsche ich die graduierten Studenten dazu, wie sie ihre Freizeit genutzt haben. Ich wünschte, sie hätten mehr Zeit gehabt, die Bücher zu lesen. Die erste vernünftige Erklärung – wenn auch nicht die, die ich bevorzuge – ist, dass der Planet einen sehr komplizierten Milanković-Zyklus hat – kompliziert genug, dass sie selbst nach Jahrtausenden noch kein genaues Muster gefunden haben. Dies ist sicherlich eine vernünftige Erklärung. Wenn die Umlaufbahn elliptisch genug ist, die Achse schnell genug taumelt und auch ihre Präzession schnell ist, könnten sich daraus insgesamt Änderungen in den Jahreszeiten ergeben, die zufällig genug sind, dass die Maester innerhalb ihrer historischen Aufzeichnungen kein echtes Muster erkennen konnten. Lange Sommer könnten nicht von langen Wintern gefolgt werden, und es könnte sein, dass sich die Jahreszeiten zu schnell ändern, um in das Universum von Game of Thrones zu passen. Ein komplizierter MilankovićZyklus könnte auch fast, aber nicht ganz periodisch erscheinen. Es könnte gewisse Regelmäßigkeiten geben, die aber nicht zufällig genug sind.
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Normalerweise würde ich an diesem Punkt mathematische Überlegungen anstellen, um zu zeigen, wie das funktionieren könnte, doch in diesem Fall ist das schwierig, denn es gibt drei Dinge, die sich gleichzeitig ändern können, und ein Milanković-Zyklus rechnet alle drei zusammen. Ich müsste mit einem Milanković-Zyklus beginnen, der die Anforderungen erfüllt, und dann mit den drei Variablen herumspielen, bis es funktioniert. Es ist, wie wenn man mit der Zahl 20 beginnen würde und versuchte, einige der Möglichkeiten herauszufinden, wie man Zahlen addieren kann, um dahin zu kommen, nur viel komplizierter. Wichtig ist hier allerdings nur, ob es möglich ist, auf 20 zu kommen oder nicht, also ob man zu quasiperiodischen Jahreszeiten kommen kann, die sich im Laufe von Jahren ändern – und weil es so viele Variablen gibt, ist das ganz bestimmt der Fall. Die zweite Möglichkeit, und bei Weitem mein Favorit, ist, dass sich die Achsneigung chaotisch verhält. Wir wissen, dass der Mond für die Stabilität der Erdachse verantwortlich ist und damit für die regelmäßigen und kurzen Jahreszeiten. Wir wissen auch, dass, wenn es keinen Mond gäbe oder auch wenn die Erdachse stärker als 60° geneigt wäre, die Achsneigung zufällig, chaotisch oder quasiperiodisch wäre. Was, wenn die Leute von Westeros irgendwie einen Mond verloren hätten? Ohne diese Stabilität würde die Achsneigung des Planeten ins Chaos gestürzt. Ob nun absichtlich oder nicht, George R. R. Martin schrieb dies in die Legenden der Freien Stadt von Lys in Essos: ‚Er sagte mir, der Mond sei ein Ei, Khaleesi‘, sprach das Mädchen von Lys. ‚Einst gab es zwei Monde am Himmel, doch einer kam der Sonne zu nahe und brach von der Hitze auf. Abertausende von Drachen strömten heraus und tranken das Feuer der Sonne. Deshalb spucken Drachen Feuer. Eines Tages wird auch der andere Mond die Sonne küssen und dann wird er zerbrechen und die Drachen werden zurückkehren.‘
Selbst wenn sich Leskar und Robutel nur die Auswirkungen angeschaut haben, die ein Mond auf die Erde hat, können wir davon ausgehen, dass zwei Monde eine höhere Komplexität ins Spiel bringen würden. Wenn unser einziger Mond der Sonne zu nahe kommen und auseinanderbrechen würde, würde die Achse unseres Planeten damit wortwörtlich ins Chaos gestürzt. Angesichts der empfindlichen Balance bei zwei Monden eines Planeten, die so lange geherrscht haben muss, dass sich intelligentes Leben entwickeln konnte, hätte der Verlust eines davon ernste Auswirkungen. Der plötzliche Verlust dieses Gleichgewichts könnte leicht dazu führen, dass die Planetenachse in einen taumelnden Zustand geraten würde und dass so zufällige Jahreszeiten entstünden.
Der Winter naht – oder? 27
Ich halte das aus noch einem weiteren Grund für die beste Erklärung. Es ist etwas, über das ich noch nicht gesprochen habe (was aber vielen Lesern sicher bereits aufgefallen ist), nämlich dass es wirklich sehr schwierig ist, Jahreszeiten zu haben, die länger als ein Jahr dauern. Auf der Erde durchlaufen wir aufgrund ihrer Achsneigung alle Jahreszeiten in einem Jahr. Das muss so sein. Ein Jahr ist als eine Umrundung der Sonne definiert. Auf jedem Planeten mit einer weitgehend stabilen Achse müssen alle Jahreszeiten, nach der Definition des Begriffs „Jahr“, in einem Jahr ablaufen oder während einer Umrundung der Sonne. Daran kommt man nicht vorbei. Wenn sich jedoch die Achse verändert, ist dies nicht mehr der Fall. Bei einer sich verändernden Achse ist jede Dauer der Jahreszeiten möglich. Es ist die einzige Möglichkeit für einen Planeten mit Jahreszeiten, die länger als ein Jahr sind. Dies kann sicherlich durch einen komplizierteren Milanković-Zyklus verstärkt werden, doch am Ende des Tages (oder Jahres oder Sommers oder langen Winters) ist die einzige Möglichkeit für einen zehnjährigen Sommer eine Achse, die sich bei der Umrundung der Sonne auf eine ganz besondere Art und Weise neigt. Für einen 10 Jahre dauernden Sommer muss die Achse so lange in Richtung der Sonne geneigt sein und dann mehrere Jahre davon weg. Die Achse müsste fast ständig im Laufe von Tagen ihre Richtung ändern, damit dies passieren kann. Wie wir bei der Besprechung des Chaos gesehen haben, in das Planeten geraten können, wenn Monde verschwinden, ist dies sicherlich eine Möglichkeit, doch ein sehr ungewöhnliches Ergebnis. Glaube ich als Wissenschaftlerin, dass es möglich ist, dass es einen Planeten gibt, auf dem Jahreszeiten herrschen wie in Westeros? Ich denke ja. Es gibt tatsächlich Erklärungen dafür, wie sich ein Planet auf diese Art und Weise verhalten kann. Es gibt eine Legende in der Welt von Game of Thrones, die erklären könnte, warum dies passiert. Es gibt so viele Planeten im Universum, dass es möglicherweise einen in der habitablen Zone geben könnte, sodass sich dort Leben trotz der verrückten Jahreszeiten entwickeln konnte. Glaube ich, dass dies sehr wahrscheinlich ist? Nein. Obwohl ich hier als (wie ich zumindest hoffe) intelligentes Wesen auf einem iPad schreibend, das mithilfe einer wahnsinnigen Technologie entwickelt wurde, in einem Café sitze, das ganz erstaunliche Getränke herstellen kann. All das scheint doch trotzdem recht unwahrscheinlich zu sein, wenn man bedenkt, dass alles auf der Erde als Schleim begann. Kann ich einen Planeten ausschließen, der im perfekten Abstand um seinen Einzelstern eine vollkommen chaotische Achse hat und der in einer Umlaufbahn ist, die genau richtig ist, und der einen Mond hat, der ihn gerade instabil genug macht? Ganz bestimmt nicht.
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Literatur Hays JD, Imbrie J, Shackleton NJ (1976) Variations in the Earth’s orbit: pacemaker of the ice ages. Science 194(4270):1121–1132. https://doi.org/10.1126/ science.194.4270.1121 Kostov V, Allan D, Hartman N, Guzewich S, Rogers J (01 April 2013) Winter is coming. arXiv. https://arxiv.org/abs/1304.0445 Laskar J, Robutel P (1993) The Chaotic obliquity of the Planets. Nature 361(6413):608–612. https://doi.org/10.1038/361608a0 Laskar J, Joutel F, Robutel P (1993) Stabilization of the Earth’s obliquity by the Moon. Nature 361(6413):615–617. https://doi.org/10.1038/361615a0 Manual B (09 January 2011) Why Earth is closest to Sun in dead of winter. Space. com. https://www.space.com/3304-earth-closest-sun-dead-winter.html NASA. https://science.nasa.gov/science-news/science-at-nasa/2001/ast04jan_1 Sharp T (02 November 2017) How far is Earth from the Sun? Space.com. https:// www.space.com/17081-how-far-is-earth-from-the-sun.html Vgl. Shawn C Reed, “The National French Toast Index,” https://frenchtoastalert. com/ “Washington DC: Annual Weather Averages.” Weather and Temperature Averages for Oslo, Norway. https://www.holiday-weather.com/washington_dc/averages/
Und jetzt beginnt meine Wache Die Wissenschaft einer Eismauer
Man sieht sie schon aus vielen Meilen Entfernung, eine blasse blaue Linie über dem nördlichen Horizont, die sich nach Ost und West ausdehnt und in weiter Ferne verschwindet, riesengroß und ununterbrochen. Sie scheint zu sagen: Dies ist das Ende der Welt. – Jon Schnee auf der Mauer, Game of Thrones
Eis ist festes Wasser. Ganz einfach, oder? Eis ist etwas, das wir alle kennen, ob Sie nun Ihr Diet Dr. Pepper darin kühlen oder ob Sie mit Ihren Schlittschuhen darüber laufen. Doch Eis ist viel mehr als das. Es ist wahrscheinlich einer der coolsten (hihi, haben Sie es verstanden? cool!) Festkörper des Planeten. Sicher wissen Sie, dass es ohne Wasser kein Leben auf der Erde geben würde. In seiner festen Form wirkt es besonders hilfreich, denn Eis hat eine geringere Dichte als flüssiges Wasser. Fische könnten in Seen und Flüssen nicht lange überleben, wenn diese von unten nach oben zufrieren würden. In Westeros hat das Eis aber noch eine weitere lebensrettende Wirkung. Es hält die Weißen Wanderer draußen. Ich weiß zwar, dass Brandon der Erbauer sie Jahrtausende bevor die Geschichte von Game of Thrones beginnt mithilfe von Magie errichtet hat, doch ich werde versuchen, Wissen über Eis und die Eismauer unter der Voraussetzung zu vermitteln, dass das einzig Magische in einigen physikalischen Phänomenen liegt, und schauen, wie weit man damit kommt. Könnte man eine gigantische Mauer aus Eis bauen? Würde sich das lohnen? Wie würde sie aussehen? Könnte sie durch einen magischen feuerspuckenden Drachen zerstört werden
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 R. C. Thompson, Wissenschaft meets Game of Thrones, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61419-8_3
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(oder durch einen kälte- und eisspuckenden)? Wie schwierig wäre es, sie zu erklimmen? Bevor wir mit der Physik beginnen, lohnt es sich, einige Eigenschaften der Mauer festzuhalten. Nach George R. R. Martin ist die Mauer 482 km lang, 213 m hoch und im Mittel dick genug, dass oben zwölf Ritter nebeneinander auf ihren Pferden reiten können. Sie wurde im Laufe mehrere Jahre errichtet. Erst war sie klein, wuchs dann aber immer weiter. Oft tropft sie, doch sie schmilzt niemals ganz, und wenn man den Wildlingen glaubt, die versucht haben hinaufzuklettern, dann können große Stücke davon abbrechen. Trotzdem steht sie seit 8000 Jahren.
Was ist Eis, und wie funktioniert es? Genau wie bei den Jahreszeiten scheint das eine komische Frage zu sein. Jeder weiß, was Eis ist. In der Regel kommt es aus dem Gefrierschrank, und nach einem langen Bürotag landet es oft in einem Manhattan. Es ist festes Wasser. Das kann ja wohl nicht kompliziert sein. Aber so ist das nicht: Eis kann ziemlich kompliziert sein. Es gibt nicht nur eine Art von Eiskristall, sondern 17 verschiedene bisher bekannte Typen. Wenn das nicht reicht, findet man noch drei verschiedene Sorten aus amorphem Eis. Die bekannteste Eigenschaft von Eis, über die jeder Bescheid weiß, der schon einmal ein Bier zu lange in einem Gefrierschrank gelassen hat, ist, dass es sich ausdehnt, wenn es gefriert. Und zwar nicht nur ein wenig, sondern ziemlich stark, in der Regel genug, um Glas zu zerbrechen oder sogar Felsen und Metall zu sprengen. Es ist in den kälteren Regionen auch verantwortlich für die Schlaglöcher nach dem Winter. Weil es sich beim Gefrieren ausdehnt, hat es auch eine geringere Dichte als Wasser. Es gibt viele Chemiker und Biologen, die behaupten, dass diese Eigenschaft des Wassers dafür verantwortlich sei, dass es überhaupt Leben auf der Erde gibt. Denken Sie mal darüber nach. Wäre Eis dichter als Wasser, würden sich Seen nicht mit gefrorenem Eis überziehen, sondern dieses würde auf den Boden der Gewässer absinken. Diese würde also von unten nach oben gefrieren. Das wäre für Fische, Algen oder andere Organismen im Wasser nicht gerade angenehm. Durch die Eisschicht oben auf dem Wasser wird das Wasser darunter auch isoliert, dadurch frieren Fische nicht ein. Wasser ist die einzige Substanz, die man auf der Erde in allen drei Phasen finden kann. Es ist auch die einzige, bei der jeder Zustand einen eigenen Namen hat. Das war beim Schreiben dieses Kapitels ziemlich kompliziert. Nach George R. R. Martin eignet sich Eis auch hervorragend zur Verteidigung.
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Bevor wir zu viel darüber sprechen, ob man Eis als Baumaterial verwenden kann, lohnt es sich, die Grundstruktur von Eis anzuschauen. Wie gesagt, gibt es 17 verschiedene Eiskristallarten – zumindest bisher. Es sieht so aus, als würden Wissenschaftler immer mehr davon erzeugen, und wenn Sie nach der Zahl der Phasen von Eis suchen, werden Sie eine Zahl zwischen 11 und 17 finden. Kürzlich wurde in The Journal of Chemical Physics ein Artikel veröffentlicht, in dem behauptet wurde, dass es bis zu 300 verschiedene Phasen von Eis geben könnte. Das ist jedoch alles ziemlich theoretisch, deshalb zählt es nicht wirklich. Die 17 Phasen, von denen ich spreche, wurden alle experimentell nachgewiesen, wenn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde. Größtenteils sind wir das gewohnt, was Eis 1h genannt und „Eis eins h“ ausgesprochen wird (ich musste das auch nachschlagen). Das „h“ in Eis 1h steht für hexagonal. In dieser Phase des Eises sitzt das Sauerstoffatom in einem hexagonalen Gitter. Es sieht ein wenig so aus wie eine Bienenwabe. Wassermoleküle bestehen aus einem Sauerstoff- und zwei Wasserstoffatomen, die miteinander verbunden sind, weil sie sich einige Elektronen teilen – genauer gesagt zwei Elektronen. Es ist ein wenig wie in einer Gruppe schlecht erzogener Kindergartenkinder, sie teilen nicht gerecht. Sauerstoff ist ein bisschen gieriger und will die Elektronen an sich reißen. Ein Wassermolekül als Ganzes ist nicht geladen, doch das Wasserstoffende im Wassermolekül ist etwas positiver, denn es bekommt weniger von den Elektronen ab, die es sich mit dem Sauerstoff „teilt“. Der Sauerstoff wiederum ist etwas negativer, weil er zwei zusätzliche Elektronen in seine Richtung zieht. In Wasser gibt es genug Wärme für die Moleküle, um sich überall hinzubewegen, wo sie wollen. Doch Gegensätze ziehen sich an, und der negative Sauerstoff ist sehr gerne in der Nähe der positiven Enden der anderen Wassermoleküle. Sie kuscheln sich also zusammen und machen Wasser ziemlich dicht. Diese Art von Bindungen heißen Wasserstoffbrückenbindungen. Das ist der Grund, warum Wasser zusammenhält und in einem kompakten Strom fließt. Doch wenn es kälter wird, werden die Wassermoleküle träger und können sich nicht mehr so stark bewegen. Sie lassen sich schließlich in einem geordneten hexagonalen Gitter nieder und werden zu Eis 1h. Doch in dieser Bienenwabenform sind die Moleküle etwas weiter voneinander entfernt als bei ihrer Kuschelparty in flüssigem Wasser. Weil es im Eis weniger Moleküle in einem bestimmten Volumen gibt, ist es weniger dicht als Wasser. Fast alles Eis, mit dem Sie in Kontakt kommen werden, ist normales hexagonales Eis. Wenn ich über die Mauer von Westeros spreche, dann ist nur diese Erscheinungsform wichtig. Doch gibt es eine weitere Eisphase, die
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natürlich vorkommt, und es lohnt sich, über sie zu reden. Der Unterschied zwischen verschiedenen Eisphasen besteht in ihrer Kristallstruktur. Die einzige andere natürlich vorkommende Eisphase ist Eis 1c, sprich Eis eins c (auf Englisch klingt es lustiger „ice icy“). Das „c“ steht für cubic, dt. kubisch. Sobald man Wasser unter −50 °C gekühlt hat, ändert sich die Kristallstruktur von etwas, was einer Bienenwabe ähnelt, zu etwas, das mehr wie die Kristallstruktur eines Diamanten aussieht. Diese Eisart taucht gelegentlich in der oberen Atmosphäre auf. Die anderen Eisphasen entstehen bei verschiedenen Temperatur-Druck-Kombinationen. Die Phasen von Eis, Wasser und Dampf werden in einem Phasendiagramm zusammengefasst. Dies ist ein bequemes kleines Bild, um herauszufinden, welche Form Wasser bei einer bestimmten Temperatur unter einem gewissen Druck annimmt. Wie gesagt, ist für die Besprechung von Eis in Westeros nur 1h wichtig, wenn ich von nun an von „Eis“ spreche, meine ich immer dies (Abb. 1). Temperatur 0K 1 TPa
50 K
100 K
100 GPa
10 GPa
1 GPa
150 K
Druck
300 K
XV IX
V 218 K, 620 MPa
248.85 K, 344.3 MPa 238.5 K, 212.9 MPa
fest
(orthorhombic)
400 K
450 K
500 K
550 K
600 K
650 K 10 Mbar
1 Mbar
VII II
XI
350 K
XI (hexagonal) X
100 K, 62 GPa
10 MPa
100 kPa
250 K
VIII
100 MPa
1 MPa
200 K
100 kbar
278 K, 2.1 GPa 355 K, 2.216 GPa
VI
Ih
kritischer Punkt 647.096 K (373.946°C), 22.064 MPa
flüssig
III Ic
10 kbar
272.99 K, 632.4 MPa 256.164 K, 350.1 MPa 251.165 K, 209.9 MPa
100 bar
NTP
STP
10 bar
293.15 K (20°C), 101.325 kPa
273.15 K (0°C), 100 kPa
Freezing point at 1 atm
SATP
298.15 K (25°C), 101.325 kPa
273.15 K (0°C), 101.325 kPa
10 kPa
1 kbar
1 bar
Boiling point at 1 atm
373.15 K (100°C), 101.325 kPa 100 mbar
1 kPa
10 mbar
Tripelpunkt fest-flüssig-gasförmig 273.16 K (0.01°C), 611.657 Pa
100 Pa
1 mbar
gasförmig 10 Pa
100 µbar
10 µbar
1 Pa –250°C –200°C –150°C –100°C
–50°C
0°C
50°C
100°C
Abb. 1 Vollständiges Phasendiagramm von Eis
150°C
200°C
250°C
300°C
350°C
Und jetzt beginnt meine Wache 33
Abb. 2 Nützliches Phasendiagramm von Eis
Bemerkenswert ist, dass es einen Teil im Phasendiagramm gibt, nämlich zwischen einem Druck von etwa 1 und 200 MPa, in dem die Schmelztemperatur abnimmt, wenn der Druck steigt. Im Phasendiagramm von Abb. 1 ist das schwer zu erkennen, deshalb ist es in Abb. 2 noch einmal vergrößert dargestellt. 200 MPa ist ziemlich viel, etwa 100.000-mal mehr als der Luftdruck auf der Erdoberfläche, doch im Zusammenhang mit dem Bauen mit Eis lohnt es sich, die Abbildung im Kopf zu behalten. 200 MPa entspricht einer Kraft von 200.000.000 N, die auf einen Quadratmeter wirken. Ein durchschnittlicher Elefant hat eine Gewichtskraft von etwa 20.000 N. Wenn man also Eis in einem Bereich haben möchte, in dem der Druck die Schmelztemperatur senkt, benötigt man 50 bis 1000 Elefanten, die auf einem einzigen Quadratmeter stehen, je mehr Elefanten, desto tiefer wird die Temperatur, bei der das Eis schmilzt. Lange Zeit dachte man, diese Eigenschaft von Eis, unter Druck zu schmelzen, sei dafür verantwortlich, dass Eis glatt ist. Wenn Sie die meisten kindgerechten Erklärungen über die Funktionsweise von Schlittschuhen lesen, werden Sie glauben, dass der Druck durch das Gewicht der Person auf einer kleinen Kufe hoch genug ist, dass das Eis zu schmelzen beginnt. Unglücklicherweise ist das etwa genauso richtig wie die Erklärungsversuche der Harvardabsolventen für Jahreszeiten in Kap. „Einleitung“. Ein Mensch ist einfach nicht schwer genug, um Eis durch Druck zum Schmelzen zu bringen. Als sie das bemerkt haben, gerieten Wissenschaftler lange Zeit etwas in Schwierigkeiten, denn es gab
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keine gute Erklärung dafür, warum Eis glatt ist – jeder, der im Winter schon einmal auf einer Eispfütze ausgerutscht ist, weiß, dass Eis glatt ist, aber keiner konnte erklären warum. Man vermutete, dass Eis glatt ist, weil sich die Moleküle ganz oben nicht mit dem Rest des Blocks verbinden können, deshalb wirken sie eigentlich wie eine Flüssigkeit und machen die Oberfläche dadurch glatt. Das war eine großartige Idee, doch mit der Erfindung des Atomic-Force-Mikroskops konnten Wissenschaftler beobachten, dass dies nicht der Fall ist. Was das Eis tatsächlich glatt macht, ist die Wechselwirkung zwischen dem Eis und dem, was darauf gleitet (Makkonen und Tikanmäki 2014). Die Reibung führt dazu, dass die oberste Schicht etwas schmilzt, und das Wasser macht es glatt. Wie glatt es ist, hängt von der Temperatur ab und davon, wie schnell man sich darauf bewegt. In diesem Abschnitt ist es bisher viel darum gegangen, wie Eis gefriert und wie Eis aussieht, wenn es einmal gefroren ist. Angesichts der Tatsache, dass es in Westeros Jahreszeiten gibt und die Mauer nicht immer dieselbe Temperatur hat, müssen wir darüber sprechen, wie und wann Eis schmilzt. Aus dem Phasendiagramm in Abb. 1 wissen wir, dass Eis unter verschiedenen Drücken bei unterschiedlichen Temperaturen schmilzt. Temperatur ist ein Maß dafür, wie schnell sich Moleküle bewegen, je schneller, desto höher ist die Temperatur. Auch wenn die Moleküle in ihrer hexagonalen Eiskristallform sitzen, zittern sie noch ein wenig, je nachdem, wie warm sie sind. Wenn sie erwärmt werden, zappeln sie mehr und mehr herum. Schließlich so heftig, dass sie genug Energie haben, die Bindungen im Kristall aufzubrechen, sodass sie nicht mehr als Festkörper, sondern in flüssiger Form vorliegen und nun auch mehr Bewegungsfreiheit haben. Die Temperatur, bei der dies passiert, heißt Schmelz- oder Gefrierpunkt. Es ist die Temperatur, bei der aus Eis Wasser oder aus Wasser Eis wird. Jetzt denken Sie vielleicht, hey, wie können Eis und Wasser bei derselben Temperatur existieren? Wie kann es sein, dass es bei einer Temperatur manchmal schmilzt und manchmal gefriert? Es hängt alles von der zur Verfügung stehenden Energie ab, die das umgibt, was man schmelzen oder einfrieren will. Wenn Eis von etwas Wärmerem umgeben ist, wird die Wärme der Stoffe in der Umgebung dazu führen, dass sich die Wassermoleküle immer mehr bewegen, bis sie auseinanderbrechen, sodass aus Eis Wasser wird. Wichtig hierbei ist, dass die Energie, die benötigt wird, etwas zum Schmelzen zu bringen, nicht nur die Energie ist, die man braucht, es zu erwärmen. Es ist die Energie, um die Bindungen aufzubrechen, plus die Energie, um es bis zum Schmelzpunkt aufzuwärmen. Diese Energie wird Schmelzenthalpie genannt, und sie beträgt für Eis etwa 334 kJ/kg. Damit Sie eine Vorstellung haben, wie viel das ist: Die durchschnittliche
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Raumheizung gibt etwa 1 kJ pro Sekunde ab. Ein derartiger Heizkörper würde etwa fünfeinhalb Minuten benötigen, um einen Eisblock mit 10 cm Kantenlänge zu schmelzen. Man benötigt eine Unmenge mehr Energie, um Eis zu schmelzen, als es z. B. von −50 °C auf −20 °C zu erwärmen. Das Umgebungsmaterial (die Energiequelle, die das Eis erwärmt) verliert Energie, wenn das Eis erwärmt wird, und schmilzt. Sie verliert sehr viel Energie bei diesem Schmelzvorgang. Auf diese Weise bleibt ihr Diet Dr. Pepper kalt. Die Wärme im Getränk wird verwendet, um das Eis in der Umgebung zum Schmelzen zu bringen, und dadurch kühlt das Getränk ab. Das ist auch der Grund, warum Whiskey-Steine ein absoluter Schwindel sind. Ich kann dies nicht genug betonen: Kaufen Sie keine Whiskey-Steine. Wenn Sie wollen, dass Ihr Drink kalt bleibt, ohne zu verwässern, müssen Sie sich mit Wasser gefüllte Plastikeiswürfel holen – sie sind 80 % weniger stylisch, doch 100 % nützlicher, und der Grund ist folgender: Ein 0 °C kalter Whiskey-Stein und ein 0 °C kalter Eiswürfel kühlen Ihren Drink vollkommen unterschiedlich. Der Stein nimmt genug Energie auf, um seine Temperatur bis zu der des Whiskeys zu erhöhen. Ein Eiswürfel wird die gleiche Menge an Energie aufnehmen und zusätzlich die Energie, die notwendig ist, die Bindungen aufzubrechen und das Eis zu schmelzen. Er wird Ihren Drink viel kälter machen. Wenn Wasser von etwas Kälterem umgeben ist, passiert das Umgekehrte. Die Moleküle werden langsamer und kuscheln sich zusammen, um mit ihren Nachbarn einen Kristall zu formen. Wenn das Eis unter Druck steht, ändert sich die Temperatur des Gefrieroder Schmelzpunkts, je nachdem wie hoch der Druck ist, unter dem das Eis steht. Wie jedes Material hat Eis einen Punkt, an dem es bei Belastung zerbricht. Der Grund liegt im Aufbau des Eiskristalls, genauer, wie regelmäßig er ist und wie stark die Bindungen sind, die die Kristallstruktur zusammenhalten. Weil die Wasserstoffbrückenbindungen, welche die Wassermoleküle an ihrem Ort festhalten, nicht superstark sind, gewinnt Eis im Allgemeinen keine Preise für besondere Stabilität (Kingery 1961). Wie alles ist Eis nicht perfekt. Es gibt überall kleine Defekte. In jeder Zelle der Wabe kann es passieren, dass die Moleküle nicht genau richtig sitzen. Dies wird Punktdefekt genannt. Es kann Streifen im Kristall geben, die perfekt angeordnet sind, die aber neben solchen liegen, die ein wenig davon weg sind. So etwas heißt Versetzungslinie. Wenn das nicht reicht: Manchmal liegt eine Schicht nicht genau über einer anderen. Das nennt man dann Flächendefekt. Defekte verursachen Risse. Wenn etwas nicht ganz richtig sitzt, ist es viel einfacher, es dazu zu bringen zu verrutschen und sich zu bewegen. Beim Eis gibt es in der Regel viele Defekte und deshalb auch viele Möglichkeiten, dass
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Risse entstehen können. Das macht Eis brüchig. Diese winzigen Risse und Defekte sind auf einem kleinen Maßstab wichtig, wenn wir uns mit Dingen wie Eiswürfel beschäftigen, doch auf einem großen Maßstab, bei hohem Druck, können sie zu einer wirklich interessanten Strukturdynamik des Eises führen. Ich werde etwas später näher darauf eingehen. Während des Zweiten Weltkriegs wurde für militärische Zwecke untersucht, wie gut Eis Kugeln und andere Geschosse abhalten kann. Man fand nicht nur heraus, dass Eis schwach war, sondern auch, dass es nicht immer schwach ist. Manche Eisblöcke zerbrachen schon unter leichtem Druck, und manche hielten viel größeren Belastungen stand. Doch das Eis brach nicht immer beim gleichen Druck. Der Grund dafür war, dass verschiedene Eisblöcke unterschiedlich viele und auch verschiedenartige Defekte aufwiesen. Es gibt Möglichkeiten damit umzugehen, und im Zweiten Weltkrieg verbrachten die Wissenschaftler viel Zeit damit, diese Fragestellungen zu untersuchen.
Das erstaunliche Pykrete Brandon der Erbauer war nicht der Einzige, der auf die Idee gekommen ist, riesige Strukturen aus Eis zu bauen – auch Ingenieure im Zweiten Weltkrieg versuchten sich daran. Eis mag gut als Feuerschutz geeignet sein, doch es zerbricht leicht und hält keine Druckbelastungen aus. Außerdem versagt es nie ganz auf die gleiche Art und Weise. Und das ist problematisch, denn auch wenn Stoffe nicht hochwertig sind, können Ingenieure Wege finden, mit dem Materialversagen umzugehen, dazu müssen sie aber wissen, wie diese Materialen versagen. Eis scheint nicht unter einer gewissen Zahl spezifischer Bedingungen kaputt zu gehen, sondern in einem weiten Bereich. Deshalb mussten Ingenieure in dieser Hinsicht das Handtuch werfen. Doch man kann mit ein wenig Unterstützung Eis stärker und konstanter in seinem Bruchverhalten machen. Wenn es mit anderen Stoffen gemischt wird, etwa Sand oder Schotter – oder besser noch mit Holzspänen oder Kevlar –, wird es ziemlich fest. Im Zweiten Weltkrieg waren viele kreative technische Ideen notwendig. Das Geld war knapp und der Krieg dauerte lange. Deshalb wandten sich Wissenschaftler alternativen Materialien zu, um den Bedarf an wichtigem Nachschub für Flugzeuge und Schiffe zu decken. Die Alliierten strebten eine vollständige Luftabdeckung über dem Nordatlantik an. Doch die Flugzeugtechnologie war noch nicht weit genug, um dies vom Land aus zu erreichen, deshalb musste es vom Wasser aus geschehen. Man plante, eine Flotte von
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Flugzeugträgern zu bauen, die es Flugzeugen erlaubte, mitten im Meer zu landen und aufzutanken. Außerdem wollte man eine kleine Insel bauen. Das sollte billig und mit leicht verfügbaren Materialien geschehen, und sie sollte nicht durch deutsche U-Boote versenkt werden können – versteht sich, dass dies keine kleine Aufgabe war. Um es zu schaffen, wandten sich die Alliierten dem Eis zu. 1942 schlug Geoffrey Pyke vor, man solle zu diesem Zweck einen Eisberg aushöhlen. Das klingt vielleicht verrückt, aber man brauchte diesen Flugzeugträger ja nicht auf unbefristete Zeit, er sollte die Flugzeuge nur so lange tragen, bis das Militär geeignete Landbasen besaß – außerdem konnte ein Eisberg nicht versenkt werden. Churchill fand, die Idee habe genug Potential, um weiter verfolgt zu werden. Unglücklicherweise waren Eisschollen zu dünn und Eisberge ragten nicht weit genug aus dem Wasser, um ein sogenanntes „Bergschiff“ zu bauen. Nachdem sie sich neueste und sich teilweise widersprechende Forschungsarbeiten über die Stabilität von Eis angeschaut und selbst einige Untersuchungen durchgeführt hatten, erkannten die Alliierten, dass Eis als Baumaterial einfach nicht geeignet war. Das Projekt wäre gekippt worden, wenn es nicht diese Veröffentlichung von Hermann Mark und seinem Assistenten Walter P. Hohenstein gegeben hätte. Aus einem Gefühl heraus hatten die beiden Holzschnitzel in Wasser gegeben und es eingefroren. Sie fanden heraus, dass das neue Material viel stabiler als Eis war. Dies gab dem Bergschiff-Projekt wieder neue Hoffnung, und es begannen Forschungen zu „Pykrete“. Der Name ist aus dem von Pyke und concrete, dem englischen Wort für Beton, zusammengesetzt. Forscher begannen, die Stabilität von Pykrete im Vergleich zu Eis und der erforderlichen Stabilität für ein Schiff zu betrachten. Sie untersuchten verschiedene Konzentrationen und Sorten von Holzspänen. Pykrete war dem Eis bereits ab einer Holzspankonzentration von etwa 4 % weit überlegen. Die Steine oder anderes Material, das ergänzt wurde, verhinderten zusätzlich, dass sich Risse im Eis ausbreiten konnten. Normalerweise breitet sich ein Riss entlang einer Bruchebene oder einem anderen Defekt so lange aus, bis ihm entweder die Energie ausgeht oder er eine Kante erreicht, sodass ein Stück vollkommen abfällt. Dinge wie Holzspäne wirken wie eine Straßensperre für Risse und stärken das Eis, weil sich Risse nicht mehr ausbreiten können. Beim Ausbreiten trifft ein Riss irgendwann auf etwas ziemlich Großes wie einen Stein oder ein Stückchen Holz, kann aber sonst nirgends hin. Das Material im Eis wirkt also stabilisierend, weil es das Versagen verhindert. Außerdem führte es dazu, dass das Pykrete „elegant“ versagt, das heißt auf vorhersehbare Art und Weise. Es war natürlich nicht perfekt, aber wenn ein normaler Eisbalken irgendwo zwischen
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490–3432 kPa Belastung brach, hielt Pykrete rund 3678–6129 kPa aus. Im Mittel war Pykrete etwa doppelt so stabil wie Eis und fünfmal so stabil wie Eis unter Spannung. Das ideale Mischungsverhältnis für das stabilste Pykrete lag bei etwa 4 % Holz. Bei höheren Holzbeimischungen wurde das Material nicht noch stärker. Man musste auch untersuchen, welche Auswirkungen Kugeln und Explosionen auf Pykrete hatten. Die Kugel einer Schusswaffe trat ungefähr 35 cm weit in Eis ein, in Pykrete bei −7 °C nur etwa 16 cm weit. Pykrete hielt Beschuss also doppelt so gut aus wie Eis. Ein Torpedo würde 60 cm weit eindringen und ein Loch mit einem Radius von 4,5 m reißen. Zur Sicherheit wollten sie die Wände des Bergschiffs deshalb 9 m dick machen. Diese Beständigkeit gegen Beschuss bedeutete, dass selbst von Katapulten abgefeuerte Felsbrocken gegen die Mauer keine Chance gehabt hätten, wenn sie aus einer Westeros-Version von Pykrete gebaut war. Letztlich waren die Fortschritte in der Flugzeugtechnologie der ausschlaggebende Grund, warum das Projekt fallengelassen wurde. Es hätte gewaltige technologische Probleme gegeben, um das Bergschiff zu konstruieren, aber der Zweite Weltkrieg war eine Zeit, in der unmöglich erscheinende Technologien zum Funktionieren gebracht wurden. Weil die Flugzeuge immer leistungsfähiger wurden und nun längere Strecken zurücklegen konnten, bevor sie wieder aufgetankt werden mussten, bestand keine Notwendigkeit mehr für ein System schwimmender Inseln im Nordatlantik (Perutz 1948).
Ausgedehnte Eismassen sind im Grunde Ketchup Als ich mit meinen Nachforschungen für dieses Kapitel begann, war ich überzeugt, dass sich die Mauer verformen würde, weil das Eis unter Druck schmilzt. Ich hatte die Versuche im Physikunterricht vorgeführt, in denen eine Saite durch einen Eisblock gepresst wird, und sogar Vorlesungen darüber gehalten, wie Schlittschuhe funktionieren. Sobald ich begann, mich in wissenschaftlich fundierte Forschungen zu vergraben, erkannte ich, dass ich mich nicht hätte mehr irren können – nicht bezüglich der Frage, ob eine Eismauer so hinhauen könnte, sondern darüber, warum eine Eismauer nicht hinhaut. Dann hatte ich die Möglichkeit, mit dem führenden Gletscherwissenschaftler Dr. Martin Truffer von der University of Alaska zu sprechen. Er berichtigte mich sehr schnell und zeigte 2017 auf Drängen seiner Studenten während einer Tagung der American Geophysical
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Union schließlich Arbeiten über eine theoretische Eismauer. Er wird sogar von einigen Medien zitiert, wo er über die Plausibilität eine Mauer dieser Größe spricht. Er ist jedoch kein Fan der Serie. Er sagte, dass er sie vielleicht anschauen sollte, doch nachdem ich ihm die Titel einiger weiterer Episoden verraten hatte, überlegte er es sich anders. Grundsätzlich sollte ich die Fragen nach einer Eismauer angehen, indem ich sie im großen Maßstab als nicht Newton’sche Flüssigkeit betrachte. Bei etwas wie einer Eismauer oder einem Gletscher führt der Druck durch das Eigengewicht dazu, dass sie sich langsam bewegt oder kriecht. Dies passiert auch bei sehr tiefen Temperaturen, bei denen Eis selbst unter hohem Druck nicht schmelzen kann. Dieses Kriechen geschieht hauptsächlich durch Versetzungen oder kleine Risse, die dazu führen, dass sich Eiskörner übereinander verschieben. Unter extremem Druck ist es möglich, dass die Kristallstruktur über eine Belastungsgrenze gerät und sich die Kristalle verformen. Dabei werden Atome über Kristallgrenzen verschoben. Dies passiert häufiger bei höheren Temperaturen, weil die Atome eine höhere thermische Energie haben und sich schneller bewegen und sich dadurch leichter verschieben lassen. Der zusätzliche Druck durch die Eismasse lenkt die Bewegung in eine Richtung. Das Eis schmilzt dabei nie, sondern behält die Kristallstruktur bei, vielmehr steht die Kristallstruktur selbst unter ausreichend hohem Druck, um sich zu bewegen. Bei Gletschern oder Eismauern ist es sehr nützlich, wenn man sich anschaut, wie sich der ganze Gletscher und nicht wie sich jedes Molekül bewegt – weil man sonst den Wald vor lauter Bäumen nicht sieht. Im Großen verhält sich Eis wie eine Flüssigkeit, aber wie eine ganz besondere Flüssigkeit. Die meisten Flüssigkeiten haben eine unveränderliche Viskosität, das ist ein Maß dafür, wie leicht sie bei einer bestimmten Temperatur fließen. Selbst wenn es eiskalt ist, fließt Alkohol sehr gut, das heißt, er hat eine niedrige Viskosität, während Sirup im Winter eine hohe Viskosität hat, sodass er langsam fließt. Und unabhängig von einer bestimmten Temperatur verändert keine dieser Flüssigkeiten ihre Viskosität in Abhängigkeit davon, wie stark man versucht, sie zum Fließen zu bringen, wie sehr man sie also anschiebt. Derartige Flüssigkeiten heißen Newton’sche Flüssigkeiten, denn sie verhalten sich so, wie man aufgrund der Physik erwarten würde, die von dem berühmten und einflussreichsten Physiker aller Zeiten, Isaac Newton, entwickelt wurde. Doch es gibt auch andere Arten von Flüssigkeiten, die sogenannten nicht Newton’schen Flüssigkeiten, die ein bisschen anders funktionieren. Diese Flüssigkeiten verändern ihre Viskosität, wenn man sie anschiebt. Manche heißen scherverdickend und andere scherverdünnend. Scherverdickende
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Flüssigkeiten werden zäher, wenn man darauf Druck ausübt. Wenn Sie Kinder haben oder einfach Spaß daran, in der Küche Chaos zu verursachen, haben Sie vielleicht schon einmal mit dem klassischen Beispiel für eine scherverdickende Flüssigkeit herumgespielt: Oobleck, eine pastenartige Mischung aus Wasser und Stärkemehl. Die Viskosität von scherverdünnenden Flüssigkeiten sinkt, wenn man Druck auf sie ausübt. Das beste Beispiel dafür ist Ketchup. Diese scherverdünnende Eigenschaft ist der Grund, warum das Ketchup erst auf die Pommes tropft, wenn man auf die 57 über dem Etikett der Heinz-Flasche klopft. Ja, das funktioniert wirklich, ihr Kumpel hat recht, das macht die Physik. Ketchup ist eine großartige scherverdünnende Flüssigkeit. Je stärker man auf die Flasche haut, desto leichter fließt sie. Eis in großen Strukturen verhält sich wie eine scherverdünnende Flüssigkeit. Je stärker man drückt, desto schneller fließt es. Es fließt zwar immer noch nicht sonderlich schnell, doch immerhin bleibt es nicht am gleichen Ort. Wenn man ziemlich viel Eis unter hohem Druck hat, bewegt es sich ziemlich fort. Es kriecht. Eis bricht aus dem gleichen Grund, aus dem es auch kriecht. Das Kriechen ist bis zu einem gewissen Grad nichts weiter, als dass Eis entlang darin enthaltener kleiner Brüche gleitet. Es gleitet Stückchen für Stückchen entlang seiner Bruchebenen und Defekte, wodurch sich die gesamte Struktur im Laufe der Zeit langsam fortbewegt. Wenn die Eismasse so groß ist, dass sie nicht leicht zerbrechen kann, führen also die Brüche zu dieser langsamen Bewegung. Sie ist stark von der Temperatur abhängig. Wenn Sie den Disney-Film Die Eiskönigin – Völlig unverfroren gesehen haben, erinnern Sie sich sicher an die Szene, in der der Schneemann Olaf zu schmelzen beginnt, sein Gesicht rutscht herunter, und er versucht, es wieder hinaufzuschieben. Das ist Kriechen bei ziemlich hohen Temperaturen. Wenn sich ein Material seiner Schmelztemperatur nähert, kriecht es viel schneller. Wenn etwas zu kriechen beginnt, steht es unter starkem Druck und beginnt sich schnell zu verformen. Doch damit baut es die Belastung auch schnell ab. Dies ähnelt stark der Kaltverfestigung von Stahl, über das ich in Kap. „Gewöhnlicher Stahl aus Pittsburgh“ sprechen werde. Wenn sich das kriechende Material bewegt, entstehen immer mehr Defekte, durch die es härter wird und die dafür sorgen, dass es sich nicht mehr so schnell bewegt. Schließlich erreichen diese beiden Dinge, Belastung und steigende Defektzahl, ein Gleichgewicht. Bis zu diesem Punkt wird die Kriechgeschwindigkeit geringer und bleibt dann ziemlich konstant. Es bleibt nicht stehen, nur wird die Bewegung nicht mehr schneller. Irgendwann schmelzen die Kristalle und gefrieren auf eine Art und Weise wieder, die günstiger ist für das Gleiten. An diesem Punkt wird das
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Kriechen deutlich schneller. Diese drei Stadien werden primäres, sekundäres und tertiäres Kriechen genannt. Wenn Sie einen bestimmten Wert für eine Kriechrate nachschlagen, finden Sie höchstwahrscheinlich einen Wert, der sich auf das sekundäre Kriechen, also den stationären Zustand bezieht. Bei wirklich sehr hohen Belastungen kann das sekundäre Kriechen so kurz sein, dass es aussieht, als sei es ausgelassen worden. Eisstrukturen wie Gletscher und Eismauern kriechen nicht über einen glatten Untergrund. Es gibt Reibung zwischen dem Eis und dem Boden, die das Kriechen verlangsamt. Wie stark diese Reibung ist, hängt davon ab, wie schnell das Eis kriecht. Wenn Sie Ihre Hände gegeneinander reiben, erzeugen Sie durch diese Reibung Wärme, und je schneller Sie das machen, desto heißer wird es. Beim Eis ist es das Gleiche, je schneller es sich bewegt, desto wärmer wird es. Doch anders als bei Ihren Händen wird das Eis glatter, wenn es wärmer wird, sodass sich die Reibung verringert. Dies wiederum beschleunigt das Kriechen. Die Reibung ist in der sekundären Phase des Kriechens am stärksten. Dies ist, wie so ziemlich alles, was mit Kriechen zu tun hat, stark temperaturabhängig. Die Endform der Eismauer und ihre Bewegung ist also hauptsächlich davon abhängig, wie kalt es im Norden ist und ob der Winter wirklich naht (Tabor und Walker 1970). Mit diesen Vorstellungen des Kriechens machte sich Truffer daran, ein Modell für die Eismauer von Westeros zu erstellen, und versuchte herauszufinden, wie sich ihre Form im Laufe der Zeit durch das Kriechen verändern würde. Im Fall einer Mauer aus Eis ist es am einfachsten, sie als zweidimensional zu betrachten und sich anzusehen, wie sich ihre Höhe und Breite mit der Zeit ändert. Sollte sie sich wie in der Serie verhalten, würde sie Jahrtausende lang 213 m hoch und 100 m dick bleiben. Als Ausgangspunkt verwendete Truffer einen Artikel von P. Halfar, der die Dynamik von Gletschern unter ihrem Eigengewicht in zwei Dimensionen gemessen hat. P. Halfer leitete Gleichungen her, die verrieten, wie sich die Lage der maximalen Höhe und die Höhe an einer bestimmten Position entlang der Ebenen mit der Zeit bei einer bestimmten Temperatur verändern. Die maximale Höhe verändert sich mit der Breite des Eises, seiner Temperatur, dem Zeitraum, in dem sie sich setzen konnte, und einem Skalenfaktor, der etwa 3 beträgt. Die zweite Gleichung betrachtet die Höhe der Mauer, wenn man von irgendeinem Anfangspunkt von einer Seite zur anderen geht. Wenn Jon Schnee durch den Tunnel geht, der bei der Schwarzen Festung durch die Mauer geschlagen worden ist, würde ihm diese Gleichung verraten, wie hoch das Eis an jedem Punkt dieses Weges über ihm gerade ist. Das ist abhängig von der maximalen Höhe, der Position von Jon, demselben Skalenfaktor von etwa 3 und der Entfernung, die er zurücklegen
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muss, um die Mauer zu durchqueren. Indem er diese beiden Gleichungen in Verbindung brachte, konnte Truffer die maximale Höhe der Mauer im Laufe der Zeit und wie ein Schnitt durch die Mauer aussehen würde zeichnen. Was er herausfand, war, dass die anfängliche Deformation im ersten Jahr am stärksten wäre und dann mit der Zeit geringer würde. Wie schnell die Deformationsrate abnimmt, hängt von der Temperatur ab, aber bei 0 °C würde die Mauer etwa 1000 Jahre lang dieselbe Form behalten, die sie auch nach einem Jahr hatte. Dieser Teil der Geschichte ist also ziemlich genau, die Mauer sieht nach 1000 Jahren immer noch gleich aus. Unglücklicherweise würde sie nicht besonders schön aussehen. Bei −40 °C würde sich die Mauer nicht wie bei 0 °C stabilisieren, doch sie würde im selben Zeitraum höher und dünner bleiben, aber immer weiter nach unten kriechen. Es ist immer noch nicht großartig. Sie könnte einen gewissen Schutz bieten, weil die Steigung am Boden der Mauer bei dieser Temperatur etwa 50 m weit steil genug wäre, um Menschen dran zu hindern, hinaufzuklettern, doch sie wäre nur 100 m hoch, also nur halb so hoch wie am Anfang (Abb. 3).
Die Westernport-Mauer Wie Dr. Truffer mit seinen Grafiken des zeitlichen Verlaufs der Form einer Eismauer zeigen konnte (Abb. 3), bringt es das Eis einfach nicht. Vielleicht wäre die Mauer ein Jahr lang in Ordnung gewesen, doch im Verlauf von Jahrtausenden wäre, je nach Temperatur, eher eine Eiskuppel oder ein -plateau daraus geworden. Geht man davon aus, dass die Temperatur der Weißen Wanderer etwa −40 °C beträgt, weil Stahl unter ihrem Griff leicht zerbricht (mehr dazu in Kap. „Gewöhnlicher Stahl aus Pittsburgh“, das verspreche ich), würde die kuppelförmige Mauer leicht zu erklettern sein. Die Steigung würde einem berühmten Hügel in West-Maryland ähneln, der Westernport-Mauer. Jedes Jahr fahren etwa 200 Triathleten beim SavageMan-Triathlon diese Mauer hoch. Wenn ein Haufen von Leuten in LycraKlamotten das schafft, nachdem sie 2 km geschwommen und 80 km Rad gefahren sind, dann schätze ich, dass Wildlinge und Weiße Wanderer einfach hinaufspazieren würden. Man bräuchte keinen Zombiedrachen. Doch Dr. Truffer sagt ja nur, dass die Mauer nicht funktionieren könne, wenn sie aus Eis besteht, wir aber haben ja Pykrete. Martin hat auch dies zufällig in die Geschichte eingebaut. In die Mauer sind Felsen und Sand gemischt, sodass eine Art Pykrete entsteht – im Wesentlichen also verstärktes Eis. Und wenn Pykrete Flugzeugen standhält, dann wird es auch
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Abb. 3 a Form der Mauer mit der Zeit bei 0 °C, b Form der Mauer mit der Zeit bei −40 °C, c Höhen-Breiten-Verhältnis mit der Zeit, d maximale Höhe der Mauer mit der Zeit
Weiße Wanderer aushalten. Unglücklicherweise fehlen in diesem Bild einige Bestandteile. Erstens hat Pykrete seine erstaunlichen Eigenschaften nur unter −15 °C. Beim Entwurf des Bergschiffs ging man davon aus, dass die Alliierten ein Kühlsystem einbauen, um es unter −15 °C zu halten. Ich glaube nicht, dass die Leute in Westeros ein entsprechend fortschrittliches Heiz- und Kühlsystem zur Verfügung haben. Wenn Pykrete (oder in diesem Fall „Steinkrete“) auch die Stabilität haben mag, eine Mauer zu tragen, kann es das nicht im Sommer. Ich weiß nicht genau, wie kalt es im Winter im Norden werden kann, doch in Alaska beträgt die Durchschnittstemperatur im Winter zwischen −15 °C und −1,1 °C. Das liegt etwas zu nah an der Obergrenze der Stabilität von Pykrete. Und vergessen Sie nicht, wenn die Mauer tatsächlich eine Mischung mit Steinen ist, nicht mit Holz, wird sie sogar noch ein wenig instabiler sein. Es gibt da noch ein zweites und größeres Problem: Pykrete hört nicht auf zu kriechen, und zwar überhaupt nicht. In ihm wird nur die Ausbreitung von Rissen und Brüchen gestoppt.
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Tatsächlich wurden die ersten kontrollierten Versuche zum Kriechen während der Forschungen zum Bergschiff durchgeführt. Bei ihren ersten Versuchen zur Stabilität von Pykrete bauten die Wissenschaftler eine Maschine, die mit einem Kolben gegen einen Balken aus Pykrete drückte. Anfangs ließen sie den Kolben mit derselben Geschwindigkeit gegen den Balken ausfahren, doch dann bemerkten sie, dass sich das Verhalten des Pykrete veränderte, je nachdem, wie schnell der Druck aufgebaut wurde. Dies ist ein wesentliches Kennzeichen für eine nicht Newton’sche Flüssigkeit. Um dieses Phänomen besser zu verstehen, untersuchten sie, wie ein vierprozentiger Pykretebalken sich im Laufe der Zeit unter dem konstanten Druck eines Gewichts verhält, das über einen Hebel eine Säule aus Pykrete mit einer Querschnittsfläche von 1 cm2 zusammendrückt. Die Komprimierung des Pykrete wurde einige Tage lang gemessen. Sie fanden heraus, dass bei einer geringeren Belastung (von etwa 7 kg/cm2) sich die Kriechrate nach einem anfänglichen schnellen Kriechen langsam auf etwa 1 % pro Jahr verringerte. Den Wert 7 kg/cm2 hatten sie verwendet, weil sie davon ausgingen, dass dies der Maximaldruck sei, den das Bergschiff aushalten musste. Das Kriechen des Pykrete hing nicht nur von der Temperatur ab, bei der es gehalten wurde, sondern auch von der Holzsorte, die mit dem Eis vermischt wurde – Weißfichte verhält sich viel besser unter Belastung als Waldkiefer. Anfangs kriecht es, doch dann stoppt es bei einer stabilen Höhe, genau wie normales Eis. Das klingt nicht schlecht. Mit Weißfichte würde eine Eismauer also zur Ruhe kommen und aufhören zu kriechen. Aber so einfach ist es natürlich nicht. Die Gruppe fand heraus, dass bei Belastungen über etwa 14 kg/cm2 die Deformation so schlimm wurde, dass es keinen Sinn mehr machte, die Experimente weiterzuführen. Nach den Berechnungen der Ingenieure im Zweiten Weltkrieg könnte ein Bergschiff mit einer Höhe von etwa 50 m (gemessen vom Boden bis zum oberen Ende der Bordwand) etwa 7 kg/cm2 auf den Boden der Hülle ausüben. Auf die Grundfläche der Eismauer, die nach 1000 Jahren noch über 213 m hoch sein sollte, müsste nach Truffer etwa der vierfache Druck wirken. Das heißt, dass der untere Teil der Eismauer unter einem Druck von grob 28 kg/ cm2 stehen würde, was weit mehr als nötig ist, um Pykrete deutlich zu verformen. Es würde sich also sehr ähnlich verhalten, wie Truffer für normales Eis vorhergesagt hat. Es gibt keine offiziellen Gleichungen für Pykrete, weil man nach dem Zweiten Weltkrieg das Interesse daran verloren hat, doch wenigstens kann man Truffers Berechnungen recht gut auf eine mit Steinen gemischte Eismauer anwenden. Wie Dr. Truffer bei unseren Gesprächen sagte, ent-
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halten Gletscher viele Steine und Schutt. Unglücklicherweise ist also Pykrete nicht die Antwort. In den 1940er-Jahren, als Pykrete intensiv erforscht wurde, hatte es kaum Untersuchungen über das Kriechen von Gletschern gegeben – doch diese Bergschiffe sollten nur acht Monate halten, nicht 1000 Jahre. Man sagt, dass Brandon der Erbauer Zaubersprüche eingebaut hat, als er die Mauer schuf. Ich weiß aus Harry Potter, dass jeder Zauberspruch einen bestimmten Zweck hat und einen lustigen lateinisch klingenden Namen, der damit verbunden ist. Brandon der Erbauer verwendete wahrscheinlich den Creepestis-depulso-Fluch. Wenn man auch vielleicht nicht die beste Mauer daraus bauen kann, ist Eis ziemlich cool. (Dieser Witz ist zu naheliegend, um ihn nicht zweimal zu machen.)
Literatur Kingery WD (1961) Ice alloys: for arctic operations ice and snow can be improved as structural materials by appropriate alloying. Science 134 3473(07):164–168. https://doi.org/10.1126/science.134.3473.164 Makkonen L, Tikanmäki M (2014) Modeling the friction of ice. Cold Reg Sci Technol 102(06):84–93. https://doi.org/10.1016/j.coldregions.2014.03.002 Perutz MF (1948) A description of the iceberg aircraft carrier and the bearing of the mechanical properties of frozen wood pulp upon some problems of glacier flow. J Glaciol 1(03):95–104. https://doi.org/10.1017/s0022143000007796 Tabor D, Walker JCF (1970) Creep and friction of ice. Nature 228 5267(10):137– 139. https://doi.org/10.1038/228137a0
Nördlich der Mauer Wie man in der Kälte überlebt
‚So kalt‘, dachte er und erinnerte sich an die warmen Hallen von Winterfell, wo heißes Wasser durch die Wände fließt wie Blut durch den Körper eines Mannes. In der Schwarzen Festung war kaum Wärme zu finden, hier waren die Mauern kalt und die Menschen noch kälter. – Jon Schnee, Game of Thrones
Ich liebe Jon Schnees Haare. Wirklich, wer außer Kit Harrington liebt Jon Schnees Haare nicht? Seine langen, fließenden, wilden Locken passen so gut zu seinem immer nachdenklichen Blick. Ich habe mich nie darüber gewundert, warum die Produzenten sein Haar wild und ungebändigt ließen, sodass es nördlich der Mauer im Wind wehen konnte. Worüber ich mir allerdings Gedanken machte, ist, wie er ohne Kopfbedeckung überleben konnte. Nach George R. R. Martin ist das Klima nördlich der Mauer ziemlich kalt. Sie haben wahrscheinlich auch gehört, dass in der Serie für die Mäntel der Nachtwache IKEA-Teppichvorleger verwendet wurden. Würde ein künstlicher Pelz ausreichen, um Jon warm zu halten (wenigstens so lange, bis Ygritte auftaucht)? Wie bleiben normale Tiere so weit im Norden warm? Die Nachtwache ist außerdem ein ziemlich sportlicher Haufen. Ich vermute, Tierpelze (oder Bettvorleger wie in diesem Fall) saugen Schweiß nicht wie moderne Textilien auf, könnten sie also ihre Körpertemperatur damit effektiv regulieren, wenn sie von den Weißen Wanderern davonlaufen? Heutzutage können Menschen überall auf der Erde überleben, sei es bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt, wie an den Polen, oder unter der unbarmherzigen Hitze am Äquator. Aber können Menschen wirklich bei den extremen Bedingungen von Westeros überleben? © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 R. C. Thompson, Wissenschaft meets Game of Thrones, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61419-8_4
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Die Episode Jenseits der Mauer in der 7. Staffel hinterließ sehr viele unbeantwortete Fragen, etwa wie schnell Gendry genau laufen und wie schnell ein Rabe fliegen kann. Die wichtige Frage hier ist aber, ob Jon und seine Männer mehrere Tage lang draußen in der Kälte auf einer kleinen Insel inmitten eines gefrorenen Sees überleben konnten, während sie auf Hilfe warteten. Wenn er schon nicht dabei umkam, wie konnte er es überleben, nachdem er in einen gefrorenen See gefallen war und dann in nasser Kleidung nach Hause reiten musste? Hoffentlich wird dieses Kapitel diese Fragen und vielleicht einige darüber hinaus beantworten können. Wenn Sie meine Biografie gelesen haben, wissen Sie, dass ich in meiner Freizeit Ausdauersport betreibe. Ich bin in der Hitze von Texas und Florida und bei Minustemperaturen in Lake Placid Ultramarathon gelaufen. Ich habe mir immer Gedanken darüber gemacht, ob mein Körper die Kälte aushalten würde oder das sportliche Kunststück, von den Untoten wegzulaufen. Ich vermute, die Wissenschaft wird mir verraten, ob ich dazu in einem IKEA-TEJN Lammfellimitat in der Lage wäre.
Die Regulierung der Körpertemperatur Bevor wir begreifen können, was passieren muss, damit man in der Kälte warm bleibt, müssen wir verstehen, wie ein Körper seine Temperatur steuert und wie er an den Punkt kommt, an dem er das nicht mehr kann. Der Körper verfügt über ein ausgeklügeltes System, mit dem er uns unser ganzes Leben lang den ganzen Tag unter allen Bedingungen bei den perfekten 36,6 °C plus minus wenige Grade hält. In vielen Biologiebüchern wird vorgeschlagen, man solle sich das wie einen Thermostat zu Hause vorstellen, doch das würde dem Thema nicht gerecht werden (wenn es auch richtig ist, dass es sich um ein Steuersystem mit Rückkopplung handelt). Wenn Sie zu warm werden, übernehmen Systeme die Kontrolle, die Sie abkühlen, wenn Sie zu kalt werden, passiert das Gegenteil. Der ganze Vorgang heißt Wärmeregulierung. Wie bei jedem Rückkopplungssystem gibt es drei Teile: ein Steuerzentrum, Sensoren und eine Möglichkeit, um eine physikalische oder chemische Veränderung auszulösen. Das Steuersystem ist der Hypothalamus, eine Gegend im unteren Teil des Gehirns, direkt über der Hypophyse. Die Sinneszellen als Sensoren sind im ganzen Körper verteilt, einige auch im Hypothalamus selbst. Vermutlich kennen Sie einige der Methoden, wie Ihr Körper auf Hitze oder Kälte reagiert: Schwitzen, Gänsehaut, Zittern und mit den Zähnen klappern; auch die Verdauung spielt eine Rolle. Über die Unterschiede der
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entsprechenden Mechanismen zwischen kalt- und warmblütigen Tieren werde ich in Kap. „Drachenbiologie – Fledermäuse, aber mit Feuer“ ausführlicher sprechen. Hier werde ich mich vor allem auf Menschen beschränken. So antwortet Ihr Körper, wenn er überhitzt wird, entweder weil Sie sich zu lange in Arizona aufhalten, oder weil Sie dachten, Laufen (ohne gejagt zu werden) sei eine gute Idee: Zuerst steigt Ihre Temperatur über 36,6 °C. Es gibt einen gewissen Bereich, mit dem Ihr Körper fertig wird, ohne dass er eingreifen muss; doch über einer bestimmten Grenze warnen die Temperatursensoren in Ihrem Körper den Hypothalamus, dass es ein Problem gibt. Das Gehirn befiehlt Ihrer Haut, mit dem Schwitzen zu beginnen, um zu versuchen, einen Teil der Körperwärme durch Verdunstungswärme zu verlieren. Sie können ein Gefühl dafür bekommen, wie gut dies funktioniert, indem Sie auf nasse Haut blasen. Den nächsten Schritt werden Sie vielleicht gar nicht wahrnehmen. Ihr Gehirn veranlasst Ihre Blutgefäße, sich zu weiten. Dadurch kann mehr Blut unter der Haut fließen und Wärme zur Haut transportieren, die sich inzwischen durch Verdunstung abkühlt. Jeder, der oft in der Hitze arbeiten muss, weiß, dass der Körper nach längerer Zeit anschwillt. Grund dafür sind die erweiterten Blutgefäße. Weil auch der Verdauungsapparat ziemlich viel Wärme erzeugt, fährt der Körper diesen herunter, und ein Teil des Blutes, das sich sonst dort befindet, landet schließlich in den Blutgefäßen nahe Ihrer Hautoberfläche. Daher wird auch manchen Menschen schlecht, wenn sie zu lange in der Hitze Sport treiben. Im Allgemeinen reichen das Schwitzen und die Veränderung des Blutflusses, um alles wieder normal werden zu lassen. Doch wenn Sie sich entscheiden, es weiter zu treiben, wird Ihre Körperkerntemperatur hoch genug, dass der Hypothalamus lahmgelegt wird. Wenn nichts mehr reguliert wird, wird Ihre Kerntemperatur weiter steigen, und Sie werden vermutlich nicht mehr lange leben. Wenn sie über 41,7 °C steigt, kommt es zu Gehirnschäden. 43,9 °C sind hoch genug, um die Struktur der Proteine in Ihrem Körper zu verändern – dann sterben Sie. Wenn Sie zu frieren beginnen, bringt Ihr Gehirn ihren Körper dazu, alles Mögliche zu tun, um keine Wärme zu verlieren. Zuerst befiehl Ihr Hypothalamus Ihrer Haut, schleunigst mit dem Schwitzen aufzuhören. Dann lässt es die Haare auf Ihrer Haut sich aufrichten, um warme Luft in der Nähe des Körpers zu halten. Als Nächstes veranlasst es die Blutgefäße, sich zusammenzuziehen, damit mehr Blut in Ihrem Inneren bleibt, was Sie warmhält. Deshalb scheinen Ihre Finger bei kaltem Wetter kleiner zu werden und ihre Nägel und Lippen blau auszusehen: Es fließt weniger Blut durch. Die Schilddrüse gibt ein Hormon ab, sodass Ihre Muskeln anfangen,
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sich zu bewegen und damit Wärme zu erzeugen. Dies führt zum Zittern und Zähneklappern. Ihr Stoffwechsel wird schneller, weil der Vorgang, durch den Ihr Körper Energie verbraucht, eine exotherme (oder Wärme freisetzende) Reaktion ist. Ein schnellerer Stoffwechsel bedeutet mehr Wärme. Wenn nichts davon funktioniert und Ihre Körpertemperatur auf 35 °C oder darunter fällt, leiden Sie offiziell unter Unterkühlung. Weil die Kälte alle chemischen Reaktionen in Ihrem Körper verlangsamt, beginnen Sie, zuerst verwirrt und schwerfällig zu werden. Unter 30 °C beginnen die echten Probleme. Wichtige Organe beginnen zu versagen, und dann sterben Sie ziemlich bald. Es ist bemerkenswert, dass Ihr Körper im Mittel mit ungefähr demselben Temperaturanstieg und -abfall fertigwerden kann. Doch das sind nur Mittelwerte, die auf bekannten Statistiken über bekannte Menschen beruhen. Es gibt natürlich bemerkenswerte Ausnahmen, zum Beispiel einige außerordentliche Fälle von Leuten, die fast ohne Langzeitfolgen aus sehr tiefen Temperaturen wiederbelebt wurden, aber nur sehr wenige, die sich von einem schweren Herzinfarkt erholt haben. (Einen der extremsten Fälle von Unterkühlung können Sie in Kap. „Der Scharfrichter des Königs“ über das Ertrinken nachlesen.) Dies waren schnelle und einfache Erklärungen dazu, wie unser Körper seine Temperatur steuert, wir haben aber noch kaum darüber gesprochen, warum er es überhaupt muss. Das mag offensichtlich erscheinen, aber um wirklich zu verstehen, wie man sich warmhält und wie viel Haut extremen Temperaturen ausgesetzt sein darf, muss man sich die physikalischen Vorgänge ansehen, bei denen ein Material, auch unser Körper, Wärme verliert oder aufnimmt. Es gibt vier verschiedene Möglichkeiten, wie Wärme übertragen werden kann: Verdunstung, Leitung, Konvektion und Strahlung. In vorderster Front gegen das Überhitzen steht das Schwitzen. Schweiß besteht vor allem aus Wasser, in dem etwas Salz gelöst wurde. Er kühlt die Haut durch Verdunsten. Deshalb schmecken wir auch wie ein Kartoffelchip, nachdem wir an einem heißen Tag draußen gelaufen sind. Verdunstung ist eine von zwei Möglichkeiten, wie flüssiges Wasser in Dampf übergehen kann (Kochen ist die andere). Die Temperatur von etwas, ob das nun unser Körper oder unser Schweiß ist, ist ein Maß dafür, wie schnell sich die Moleküle bewegen. Je schneller sie sich bewegen, desto höher ist die Temperatur. Die schnellsten bewegen sich schnell genug, um davonzufliegen und zu Gas zu werden. Dabei nehmen sie Energie mit sich, sodass in der Nähe unserer Haut weniger Energie zurückbleibt und sich die durchschnittliche Geschwindigkeit der verbleibenden Moleküle verringert. Die warme
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Haut erwärmt den Schweiß weiter, und immer mehr Energie wird von den verdampfenden Molekülen von der Hauptoberfläche davongetragen. Die Umgebungsluft kann jedoch nur eine gewisse Wassermenge gleichzeitig aufnehmen. Wenn es draußen feucht ist, ist die Luft mit Feuchtigkeit gesättigt, und es bleibt kaum Spielraum für weiteren Wasserdampf aus unserem Schweiß. Da der Schweiß also nirgends hinkann, kann er auch nicht verdampfen und uns abkühlen. Obwohl ich eine Ausdauersportlerin bin, hasse ich den Schweiß. Sobald ich zu schwitzen beginne – vor allem wenn ich in Innenräumen trainiere und ein Handtuch greifbar habe –, wische ich ihn weg. Das ist eine dumme Idee, weil mein Schweiß nicht verdunsten kann. Meine Abneigung gegen Schweiß schließt also eigentlich die Kühlmethode meines Körpers kurz, sodass ich während des Trainings wärmer bleibe und noch mehr schwitze. Der Körper verliert auch durch Wärmeleitung und Konvektion Wärme. Wenn sich ein heißer Körper in einem kühleren Raum befindet, bewegen sich die Moleküle auf der Haut schneller als die in der Luft. Am Schnittpunkt von unserer Haut und der Luft stoßen die schnelleren Moleküle unserer Haut mit den langsameren Molekülen der Luft zusammen und übertragen Energie, sodass die Luftmoleküle schneller werden. Wärme fließt also von der Haut zu den Luftmolekülen, weil die Moleküle zusammenstoßen. Dieser Prozess heißt Wärmeleitung. Zur Konvektion kommt es, wenn Fluide wie Luft – ja, sowohl Gase als auch Flüssigkeiten sind Fluide – sich bewegen und Wärme mittransportieren. Wenn Sie jemals eine gefrorene Pizza aufgewärmt oder Brownies gebacken haben, wissen Sie, dass ein Ventilator angeht, wenn Sie Ihren Umluftofen einschalten. Dies ist erzwungene Konvektion, weil das Gebläse die Luft dazu zwingt, sich zu bewegen und die Wärme gleichmäßig zu verteilen. Auf der menschlichen Haut gibt es eine natürliche Konvektionskühlung. Warme Luft steigt nach oben. Wenn Sie sehr erhitzt sind, heißer als die Umgebungsluft, ist auch die Luft in der Nähe Ihrer Haut wärmer als die Luft, die weiter davon entfernt ist. Dann beginnt die Luft an Ihrer Haut aufzusteigen, und kühlere Luft strömt in die Nähe Ihrer Haut nach. Sie haben das wahrscheinlich schon einmal beobachten können, wenn heiße Luft von der Motorhaube Ihres Autos oder Luft über einer heißen Straße aufgestiegen ist. Im Allgemeinen werden Konvektion und Wärmeleitung so lange weitergehen, bis die beiden Dinge, die in Kontakt stehen, dieselbe Temperatur haben. Dies nennt man thermisches Gleichgewicht. Weil ein menschlicher Körper ständig Wärme erzeugt, die unaufhörlich verloren geht, wird – unter der Annahme, dass es draußen kälter ist – nie ein thermisches Gleichgewicht erreicht, solange die Person lebt.
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Die vierte Möglichkeit, wie ein Körper Wärme verlieren kann, ist durch Strahlung. Dabei wird Energie in Form von elektromagnetischer Strahlung abgegeben. Das ist nur eine ausgefallene Ausdrucksweise, um zu sagen, dass Sie infrarotes Licht abgeben. Sie können diese Strahlungsart beobachten, wenn Sie sich selbst durch eine Infrarotkamera betrachten. Auch Strahlung geht durch umherrasende Moleküle verloren, doch es ist ihre Bewegung, die Licht erzeugt, das gerade außerhalb des sichtbaren Bereichs liegt. Die „Farbe“ der Strahlung (d. h. ihre Wellenlänge) hängt von der Temperatur ihrer Quelle ab, wenn Sie also viel heißer wären, würden Ihre Augen die Strahlung sehen können. (Aber das wäre erst möglich, wenn Sie brennen würden. Seien Sie also froh, dass Sie Infrarotstrahlung nur durch eine spezielle Kamera sehen können.) Wie viel Wärme durch welchen Mechanismus verloren geht, hängt stark davon ab, wie warm und nass Ihr Körper ist. Strahlung ist zwischen 21 und 27 °C für etwa 70 % des Wärmeverlustes Ihres Körpers verantwortlich, aber sobald Haut- und Lufttemperatur gleich sind, kann keine Wärme mehr durch Strahlung abgegeben werden. Wärmeleitung und Konvektion tragen bis 32 °C etwa 15 % bei, danach verliert man Wärme nur noch durch Schwitzen (Hardy et al. 1938). Alle vier Kühlmethoden hängen stark davon ab, wie viel Haut mit einer kälteren Oberfläche in Kontakt steht. Unabhängig vom physikalischen Mechanismus fließt Wärme immer vom heißeren zum kälteren Körper, und wenn sich warme Haut in der Nähe von kälterer Luft befindet, wird sie Wärme verlieren. Je mehr Haut mit der Luft in Kontakt steht, desto mehr Wärme verliert der Körper. Wenn man in Wasser eingetaucht ist, geht Wärme viel schneller verloren, denn Wasser hat eine sehr hohe Wärmekapazität und Wärmeleitfähigkeit. Das führt dazu, dass es sehr viel und sehr schnell Wärme aufnehmen kann, ohne seine Temperatur allzu sehr zu verändern. Weil Ihr Körper so lange Wärme verliert, bis das thermische Gleichgewicht erreicht ist, ist es viel aufwendiger, das Wasser in der Nähe Ihres Körpers auf dieselbe Temperatur wie Ihre Haut zu erwärmen. Deshalb geht Ihre Körperwärme in Wasser 20- bis 30-mal so schnell verloren als in Luft. Wenn Sie vermeiden wollen, kalt zu werden, versuchen Sie, trocken zu bleiben. Tatsächlich ist der letzte und beste Rat an jeden Polarforscher: „Bleib trocken – wenn du nass wirst, bist du tot.“ Alle Stoffwechselvorgänge im Körper erzeugen Wärme – das meiste davon im Inneren –, und je größer das Volumen, das Stoffwechsel betreibt, desto mehr Wärme entsteht. Diese Wärme muss abgeführt werden, wenn Ihr Körper gekühlt werden muss. Der Wärmeverlust hängt davon ab, wie viel Haut ungeschützt ist, welche Kleidung man trägt und wie groß die Oberfläche einer Person ist. Je höher das Verhältnis von Oberfläche
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zu Körpervolumen, desto schneller kann ein Körper abkühlen. Wenn etwas größer wird, ob das nun ein Ball oder ein Eisbär ist, nimmt die Oberfläche viel langsamer zu als das Körpervolumen. Deshalb sinkt das Oberflächen-Volumen-Verhältnis auch schnell. Ein Tennisball hat ein etwa zehnmal so großes Oberflächen-Volumen-Verhältnis wie ein Gymnastikball. Für ein großes Tier oder eine große Person ist es viel schwieriger, seine Kerntemperatur zu senken, weil sie einfach nicht genug Oberfläche hat, um all die zusätzliche Wärme abzugeben, die sie erzeugt. Das ist nicht so toll, wenn man in Arizona Marathon läuft, aber wunderbar, wenn man sich nördlich der Mauer aufhalten will. Das Phänomen, dass die Größe von Tieren vom Klima abhängt, wird in der Bergmann-Regel zusammengefasst. Sie besagt, dass die durchschnittliche Größe einer Art vom Klima abhängt, wobei in kälteren Klimaregionen die größeren Tiere leben. Dies ist auch der Grund, warum schwangeren Frauen schnell heiß wird. Ihr Volumen steigt, doch ihre Oberfläche wird nicht schnell genug größer, um all die Wärme abzugeben, die durch den süßen kleinen Stoffwechselofen erzeugt wird, der in ihrem Bauch wächst. Die Eltern meines Exmannes waren beide Wissenschaftler, und als seine Mutter mit ihm schwanger war, schlief sie bei voll aufgedrehter Klimaanlage, während ihr Mann unter mehreren Deckenschichten zitterte. Er fand das lächerlich und beschloss, mithilfe von Wissenschaft zu beweisen, dass dies alles nur in ihrem Kopf stattfand. Er maß ihren wachsenden Körper und berechnete ihr Oberflächen-Volumen-Verhältnis. Er kam zu dem Ergebnis, dass sie tatsächlich so heiß war, wie sie sich fühlte. (Wie sie es schaffte, ihn nicht umzubringen, werde ich nie verstehen.)
Wenn der Körper es einfach nicht mehr aushält Wenn alles nach Plan verläuft, hält das Temperaturregelsystem Ihren Körper sehr nahe an 36,6 °C. Doch das ist nicht immer der Fall. Manchmal landet man an einem Ort, der so heiß oder kalt ist, dass der Körper die Wärme nicht mehr ausreichend abgeben oder speichern kann. Weil dies kein Kapitel über Dorne ist, werde ich mich darauf konzentrieren, was passiert, wenn der Körper nicht in der Lage ist, sich warm zu halten, statt darauf, wie er auf Überhitzung reagiert. Dem amerikanischen Gesundheitsministerium zufolge sterben jedes Jahr rund 1300 Menschen durch zu viel natürliche Kälte. (Ich nehme an „unnatürliche Kälte“ wäre, in einen Gefrierschrank gesteckt zu werden.) Etwa doppelt so viel Männer wie Frauen sterben durch Unterkühlung, und die Zahl steigt seit Kurzem an. Wie man erwarten würde, sterben mehr
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Kinder und ältere Menschen durch Erfrieren. Die Durchschnittstemperatur, bei der die Menschen starben, lag bei −14 °C. Wenn auch die Rate der an Unterkühlung gestorbenen Menschen (pro 100.000 Menschen) sich fast verdoppelt hat, ist es trotzdem noch eine seltene Todesart, teilweise, weil ein Patient, der gefunden und rechtzeitig behandelt wird, sich mit ziemlich hoher Wahrscheinlichkeit wieder erholen kann. Es gibt eine Reihe anderer Gründe, durch Unterkühlung zu sterben, aber ich werde mich im Folgenden auf Tod durch Kälte beschränken. Unterkühlung (Hypothermie) kann mild, mittelgradig oder schwer sein, je nach der Kerntemperatur des Körpers (in diesen Fällen jeweils bei 32,2 bis 35 °C, 28 bis 32,1 °C oder unter 28 °C). Wie ich schon erwähnt habe, versucht der Körper, sobald er bemerkt, dass seine Temperatur fällt, dem entgegenzuwirken, indem er alles tut, um schnell Wärme zu erzeugen. Ihre Adern ziehen sich zusammen und Ihre Haut wird blass. Ihr Körper schüttet Thyroxin und Adrenalin aus, um den Stoffwechsel und den Herzschlag zu beschleunigen und andere Organe zu aktivieren, die Wärme erzeugen. Sie zittern, haben das Bedürfnis herumzurennen und werden wahrscheinlich hungriger, außerdem haben Sie das Gefühl, dass Ihr Herz zu rasen beginnt. Schon das Zittern kann Ihre Wärmeproduktion um das Zwei- bis Fünffache steigern. Sie werden aufgrund des höheren Stoffwechsels auch öfter Wasser lassen müssen, weil mehr Abfallprodukte ausgespült werden müssen. Weil Ihrem Körper nur eine begrenzte Menge an Brennstoff für diese Energieproduktion zur Verfügung steht, werden irgendwann diese Organe allmählich wieder langsamer arbeiten. Dann wird Ihr Gehirn träge, und Sie beginnen, sich apathisch und verwirrt zu fühlen. Sie fangen an, Ihren Körper nicht mehr koordinieren zu können, weil Ihre Muskeln erschöpft sind, und die Blutversorgung Ihres Gehirns wird schlechter, was Ihre Urteilsfähigkeit einschränkt. Sie sollten dann vermutlich keine großen Entscheidungen mehr fällen. (Mit anderen Worten ist es vermutlich am besten, nicht mit Ja auf einen Heiratsantrag zu antworten oder ein Militärbündnis einzugehen, wenn man unterkühlt ist.) Wenn Sie sich nicht schnell wieder aufwärmen, gerät Ihr Körper in einen Zustand mittelgradiger Unterkühlung, in dem alle Körperfunktionen allmählich langsamer werden. Ihr Körper hat nicht genug Brennstoff, um alles am Laufen zu halten, deshalb bremst er alles und geht sparsam mit dem um, was übrig ist. Sie hören auf zu zittern. Ihre Pulsfrequenz wird geringer, die Atmung langsamer. Weil Ihr Gehirn nicht mehr mit genügend Sauerstoff versorgt wird, sind Sie sich Ihrer Umgebung weniger bewusst, und Sie besitzen nur noch wenig Koordination. Vielleicht beginnen Sie, zu
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halluzinieren. Wenn Ihr Körper zu kalt ist, funktionieren Proteine zur Blutgerinnung nicht mehr, wenn Sie also bluten, wird es nicht aufhören. Wenn Sie immer noch keinen warmen Ort gefunden haben, werden Sie langsam in den Bereich der schweren Unterkühlung kommen. An diesem Punkt fallen Sie vermutlich ins Koma. Sie werden nur noch mit Unterbrechungen atmen, wenn überhaupt. Ihr Gehirn wird aufhören zu arbeiten, genauso Ihre Pupillen. Sie können kein Wasser mehr lassen. Ihr Herz wird anfangen, unregelmäßig zu schlagen, und dann ganz damit aufhören. Kurz vor dem Tod sind Ihre Blutgefäße nicht mehr in der Lage, sich zusammenzuziehen, weil sie keine Energie mehr dafür haben, und werden sich entsprechend weiten. Deshalb wird Blut in Ihre Haut zurückströmen, und Sie werden sich sehr heiß fühlen. An diesem Punkt beginnen viele Menschen, wenn sie noch ein wenig bei Bewusstsein sind, sich auszuziehen, man nennt das paradoxe Entkleidung. Einer von vier Menschen beginnt mit terminal burrowing (Eingraben vor dem Tod), das heißt, er schafft oder sucht sich einen engen Raum, um hineinzukriechen und dort zu sterben. Der Grund für dieses Verhalten ist unbekannt. Soweit das für eine Todesursache möglich ist, wird sie, auch wenn sie sich sehr lange hinzieht, als nicht zu schlimm angesehen. Ich habe einmal, nachdem ich sehr lange in kaltem Wasser geschwommen bin, unter Unterkühlung gelitten. Unter all den Symptomen war das Schlimmste für mich die Verwirrung und der Mangel an Koordinationsfähigkeit. Der Versuch, den Neoprenanzug auszuziehen, wenn man nicht einmal in der Lage ist, den Reißverschluss zu packen oder sogar auf einem Bein zu stehen, erlaubte viele Fotos, mit denen man mich hätte erpressen können. Viele Menschen wurden rechtzeitig gefunden und haben eine schwere Unterkühlung überlebt. Sie können diese Erfahrung bestätigen. Einen Fall durchlebte ein Reporter des Iditarod, Brian Phillips, als er einige Stunden lang in der Tundra von Alaska festsaß und der Motor seines Flugzeugs einfror. Er beschrieb die Erfahrung in einem Text für ESPN (Phillips 2013). Ich hatte keine heftigen Gefühle, das war das Besondere. Selbst wenn der Wind an einem riss. Es war als ob bestimmte Teile deines Körpers diese seltsame Stille einfach annahmen. Wie wenn du Stück für Stück verschwindest.
Nachdem ich Kap. „Der Scharfrichter des Königs“ geschrieben hatte, muss ich sagen, dass von den unzähligen Möglichkeiten Unterkühlung zu meinen bevorzugten Arten zu sterben gehören würde. Zum Glück für Jon und seine Männer sowie unzählige andere, die sich zu lange in extremer Kälte aufgehalten haben, kann man sich von schwerer
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Unterkühlung sehr oft erholen. Im Allgemeinen besteht die Behandlung von Unterkühlung darin, Sie in die Wärme zu bringen und dafür zu sorgen, dass Ihr Körper sich aufwärmen kann. Vielleicht haben Sie schon einmal beobachtet, dass sich die Athleten am Ende eines Marathons oder Ironmans in Rettungsdecken einwickeln. Sie machen das, weil sie sehr schnell kalt werden, denn ihr Körper kann den Kühlungsmechanismus nicht so rasch abschalten, auch wenn sie keine Wärme mehr durch Aktivität erzeugen. Die Rettungsdecken reflektieren Strahlungswärme zurück auf den Sportler und halten gleichzeitig eine isolierende Schicht aus warmer Luft um ihren Körper. Das ist die erste Verteidigungslinie bei Fällen potentieller oder milder Unterkühlung. Bei mittelgradiger oder schwerer Unterkühlung muss man ins Krankenhaus. Einen unterkühlten Patienten durch allzu viel Aktionismus dazu zu zwingen, sich aufzuwärmen, ist oft kontraproduktiv. Ihn an einen warmen Ort zu bringen und seinen Körper den Rest machen zu lassen ist oft das Beste. In schweren Fällen gibt es Hilfsmittel wie Wärmedecken oder erhitzte Infusionen. (Falls Sie sich wundern, die ausgefallenste Methode, eine Infusion zu erwärmen, ist, sie in die Mikrowelle zu stecken.) In extremen Fällen können Ärzte mithilfe von Rohren von der Seite und von vorne warmes Salzwasser durch den Oberkörper leiten, um die inneren Organe aufzuwärmen. Bei Unterkühlung können sogar scheinbar gestorbene Patienten wiederbelebt werden. Manchmal wird das Aufwärmen zu früh abgebrochen, weil der Unterkühlte nicht zu reagieren scheint, er aber in Wirklichkeit immer noch am Leben ist, und erst das Beenden der Behandlung verursacht den eigentlichen Tod. Man sagt: „Ein Patient ist nicht tot, bis er warm und tot ist.“ Wenn jemand mit Unterkühlung wieder in das Warme kommt, bevor sein Herz nach einer Wiederbelebung zu schlagen aufhört, hat er große Chancen zu überleben.
Tierfell (die Evolution ist erstaunlich) Auch, wenn man Unterkühlung überleben kann, ist das Beste natürlich, gar nicht erst unterkühlt zu werden. Wenn etwas effektiv den Körper isolieren soll, muss es alle Wege blockieren, durch die sich der Körper abkühlt: Schweiß, Konvektion, Wärmeleitung und Strahlung. Das Einfachste ist, mit dem Schwitzen aufzuhören. Der Rest benötigt irgendeine Art von Hilfe von außen, sei es ein Pelzmantel, eine Fettschicht oder ein IKEA-Fell. Im Laufe der Evolution haben Menschen gelernt, in einem weiten Bereich von Temperaturen zu überleben, und Eisbären, Elche, Yaks und andere haben sich sogar so entwickelt, dass sie darin gedeihen. Wie bereits erwähnt, sind
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sie groß, das bedeutet, dass sie ein geringes Oberflächen-Volumen-Verhältnis haben. Dadurch verlieren sie Wärme, die durch ihre Körperfunktionen entsteht, verhältnismäßig langsamer als kleinere Tiere. Diese Tiere haben außerdem eine dunkle Haut, um so viel Wärme wie möglich absorbieren und zurückhalten zu können. Sie besitzen eine Fettschicht, die Wärme in ihrem Inneren zurück- und die Kälte draußen hält. Sie nutzen alle ein zweistufiges Fellsystem. Ihr Unterfell ist grob und dicht und so ausgelegt, dass es sowohl gegen hohe als auch tiefe Temperaturen isoliert. Die obere Schicht besteht aus „Deckhaar“, das länger ist. In dieser Schicht spielt die Farbe die wichtigste Rolle, doch sie dient auch als Sensor, der das Tier alarmiert, wenn etwas nah genug ist, um ein Haar, aber nicht den Körper zu streifen. Außerdem erweitert es die Wärmeisolation. Weil es für das Warmbleiben wichtig ist, dass man trocken bleibt, ist die oberste Schicht oft mit wasserabweisendem Öl bezogen. Mit anderen Worten, sie sind gut ausgestattet, um so viel Wärme wie möglich in sich halten zu können. Es lohnt, etwas detaillierter über die Wissenschaft zweier dieser Anpassungen zu sprechen: Fett und Fell. Intuitiv versteht man, dass Fett isoliert. Ich weiß nicht, ob diese (richtige) Annahme davon kommt, dass man große Tiere in kälteren Klimagebieten antrifft oder weiß, dass dickeren Menschen in der Regel wärmer ist, doch die Physik, warum diese Annahme richtig ist, ist kaum ein Thema. Es gibt einige Arten, wie Fett beim Wärmen hilft. Zwei davon unterstützen den Körper dabei, mehr Wärme zu erzeugen, und eine wirkt dem Wärmeverlust durch Wärmeleitung entgegen. Zuerst einmal hat Fett eine sehr geringe Wärmeleitfähigkeit. Seine Fähigkeit, Wärme zu übertragen, ist nur etwa ein Viertel so hoch wie die von Muskelgewebe. Das heißt, dass Wärme nicht aus dem Körperinneren an die Umgebungsluft oder Wasser gelangen kann (Holmes). Zweitens kann Fett Energie speichern. Weil der Körper viel Energie benötigt, um die Stoffwechselvorgänge aufrechtzuerhalten, mit denen Wärme erzeugt wird, muss ein Tier ziemlich viel Energie gespeichert haben. Drittens kann Fett etwas sehr Erstaunliches, das erst vor Kurzem entdeckt wurde. Fett kann Kälte spüren und darauf reagieren (Ye et al. 2013). Wenn Fett kalt wird, erzeugt es das Protein Thermogenin (UCP1, uncoupling protein 1). Dieses Protein wiederum verwendet Fett, um Wärme zu erzeugen. Dies war eine unglaubliche Entdeckung, denn sie führte zu einem besseren Verständnis, wie Fett ein Tier warmhält, und außerdem zeigte es, wie man aus seinem englischen Namen schließen kann, wie es möglich sein kann, Fett aufzuspalten. Ein besseres Verständnis über die Vorgänge, wie Fettzellen Kälte spüren und Termogenin erzeugen, könnte zu Behandlungsmethoden für Krankheiten wie Typ-2-Diabetis und Fettleibigkeit führen. Die Wirkung
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von Fett als I solator ist vor allem im Wasser wichtig, denn dort geht Wärme viel schneller verloren. Wasserlebewesen wie Robben und Seekühe haben sehr dicke Fettschichten. Es ist bekannt, dass Langstreckenschwimmer sich bemühen, Gewicht zuzulegen, damit ihr Inneres in solch extremen Situationen isoliert ist. Wenn jemand weite Strecken schwimmen möchte, zum Beispiel durch den Ärmelkanal, besteht die große Gefahr der Unterkühlung, zum einen, weil das Wasser so kalt ist, und zum anderen, weil die Regeln für offizielle Schwimmwettkämpfe im offenen Wasser oft Neoprenanzüge oder andere bessere Isolierungen außer Schwimmkleidung verbieten. Das ist keine Kleinigkeit, denn um zu trainieren, muss man viele Kilometer pro Tag schwimmen, wobei viele Kalorien verbrannt werden. Zur Ernährung von Freiwasserschwimmern gehören mehrere Packungen Eiskrem. Dies ist normalerweise die Stelle, an der jemand einen Witz darüber macht, dass sich das nach einem großartigen Sport anhört. Aber da ich einmal das Schwimmen von Alcatraz mitgemacht habe, weiß ich sicher, dass keine Eiskremmenge den Versuch wert ist, 13 h in eisigem Wasser zu überleben. Die Struktur und die Wirkungsweise von Pelz sind entscheidend dafür, wie sich ein Tier warm hält, und gleichzeitig eine erstaunliche Leistung der Evolution. Die Felle von Tieren wirken dem Wärmeverlust durch Wasser, Wärmeleitung, Konvektion und, am wichtigsten, Strahlung entgegen. Fett mildert nur zwei davon. Das zweischichtige Fell eines Tieres verhindert Wärmeverluste durch Leitung und Konvektion, indem es eine ruhende Luftschicht in der Nähe des Körpers festhält. Das Unterfell ist so dicht, dass Luft zwischen den Haaren eingefangen und erwärmt wird. Weil sie nicht zirkulieren kann, geht keine Wärme durch Konvektion verloren. Die eingeschlossene Luft isoliert den Körper des Tieres und verhindert so auch Wärmeverluste durch Wärmeleitung. Außerdem haben viele Tiere in nördlichen Breitengraden, wie Eisbären und Elche, Fell aus hohlen Haaren. Anfangs dachte man, dies würde die Wärme der Sonne zu ihrer Haut weiterleiten, ähnlich einem Glasfaserkabel. Dies wurde vollständig widerlegt. Das hohle Haar wirkt als weitere Barriere, um Wärmeverluste zu vermeiden. Viele der Tiere, die weit im Norden leben, halten sich oft im Wasser auf, deshalb ist es wichtig, dass die Felle denselben Schutz auch im Wasser bieten. Dies geschieht auf mehrfache Weise. Die Felle sind dicht genug, dass das Wasser nicht ganz bis zur Haut vordringen kann. In der Nähe jeder Haarwurzel befindet sich eine kleine Drüse, die Öl hervorbringt, das das Haar überzieht, sodass es wasserabweisend wird. Außerdem ist das Haar so geformt, dass es flach anliegt, wenn es nass ist, sodass es Luft besser einfangen kann, wenn sich das Tier im Wasser bewegt (Liwanag et al. 2012).
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Diese Eigenschaften von Fell schützen effektiv gegen Wärmeverluste durch Leitung und Konvektion, aber nicht durch Strahlung. Weil der größte Teil der Körperwärme durch Strahlung verloren geht, wäre eine Art von Pelz, der Wärmeverluste durch Strahlung effektiv verhindern könnte, ein großer evolutionärer Vorteil. Bis vor Kurzem dachten Wissenschaftler, dass Haar nur die Wärmeverluste durch Konvektion und Wärmeleitung verhindere, aber Computersimulationen, die Dr. Priscilla Simonis, eine Physikerin von der University of Namur in Belgien, durchgeführt hat, zeigen, dass auch Wärmestrahlung dazugehört. Eisbären sehen zwar weiß aus, doch ihre Haare sind eigentlich durchscheinend. Die Farbe des Eisbärenhaares (oder das Fehlen davon) erfüllt zwei Aufgaben. Erstens hilft es ihnen, sich optisch an ihre Umgebung anzupassen und so hervorragend getarnt zu sein. Zweitens reflektiert die weißliche, durchscheinende Farbe sehr gut alle Wellenlängen des Lichts, inklusive des Infrarots. Wenn die Haut eines Eisbären Strahlung abgibt, reflektiert sie das Haar in eine zufällige Richtung; sie wird gestreut. Weil es so viele Haare gibt, die die Strahlung streuen, wird ein Großteil davon im Pelz eingefangen und hält ihn warm. Der weiße Pelz fängt Strahlung so effektiv ein, dass Eisbären nicht einmal mit einer Infrarotkamera gesehen werden können – so gut sind sie isoliert. Dadurch kann man Eisbären mit dem Flugzeug wirklich sehr schwer verfolgen. Sie verschmelzen mit ihrer Umgebung, und man kann nicht einmal eine Wärmekamera verwenden, um sie aufzuspüren. Die Anpassung von Tieren an die Kälte ist wirklich erstaunlich, aber könnten Menschen – vor allem im Zeitalter von Jon Schnee – etwas derart Effektives erschaffen? Oder sollten sie besser einfach ihre Fähigkeiten zu jagen verbessern (Simonis et al. 2014)?
Menschen warmhalten Sich für kaltes Wetter auszurüsten, vor allem wenn man aktiv sein will, ist ein Balanceakt. Die Kleidung muss warm sein, doch nicht zu warm – Schwitzen muss unbedingt vermieden werden. Kleidung sollte eng genug sein, dass keine Luft hinein- oder hinauskommen kann, doch nicht so eng, dass es keine isolierende Luftschicht mehr gibt. Sie muss Wasser abweisen, darf aber die Feuchtigkeit, die der Körper erzeugt, nicht zurückhalten. Wie Ihre Mutter immer sagte: Das Beste ist, sich in Schichten anzuziehen. Normalerweise bedeutet das eine Unterschicht, die Feuchtigkeit aufsaugt, eine dickere mittlere Schicht, die eine Barriere zwischen Ihrem Körper und der Umgebung erzeugt, sodass es zu keinen Wärmeverlusten durch
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Leitung und Konvektion kommen kann, und eine wasserdichte äußere Schicht. Es gibt viele moderne Techniken, um warm zu bleiben, und es lohnt sich, einige davon anzuschauen, weil die Wissenschaft dahinter ziemlich interessant ist. Weil die Nachtwache eine Gruppe von recht sportlichen Typen ist, werde ich vor allem über Kleidung sprechen, die dafür ausgelegt ist, in der Kälte aktiv zu sein. Doch wahrscheinlich hatte die Nachtwache keine Gore-Tex-Materialien, deshalb ist es nützlicher, darüber zu sprechen, was sie tatsächlich trugen: Wolle, Leder, wattierte Materialien und Pelz. Genau wie das Fell von Tieren muss Kleidung für Aktivitäten im Freien alle vier Arten des Wärmeverlustes stoppen oder verlangsamen. Wärmeverlust durch Konvektion und Wärmeleitung wird normalerweise genauso erreicht wie im Tierfell, indem in der Nähe des Körpers eine Schicht aus unbeweglicher Luft erzeugt wird. Wenn Sie draußen in der Kälte hart arbeiten, wird Ihr Körper trotzdem schwitzen. Aus zwei Gründen muss jede High-Tech-Kaltwetterkleidung in der Lage sein, diesen Schweiß zu entfernen, ohne Sie abzukühlen: Erstens ist es unangenehm und kann dazu führen, dass man wunde Stellen bekommt, wenn die Feuchtigkeit nahe der Haut bleibt. Zweitens werden Sie sehr schnell abkühlen, wenn Sie nicht mehr aktiv sind, und dadurch Gefahr laufen, sich zu unterkühlen. Wie wir wissen, erleidet man am schnellsten eine Unterkühlung, wenn man feucht wird, deshalb muss das Material Feuchtigkeit von Ihrer Haut wegsaugen und gleichzeitig Nässe, wie Regen und Schnee, davon abhalten. Gore-Tex war der Vorreiter in dieser Art von Kleidung, die Feuchtigkeit abtransportiert und doch wasserdicht ist. Sie wurde 1969 von Wilbert und Robert Gore (daher der Name) erfunden und war die erste High-Tech-Faser, die von sich behaupten konnte, flüssiges Wasser von außen abzuhalten und doch Wasserdampf aus Schweiß durchzulassen. Gore-Tex ist eine neue Verwendung für Teflon, das 1938 erfunden wurde. Die Fäden, aus denen der Stoff gewebt wird, werden hergestellt, indem man das Teflon erhitzt und dann sehr schnell auf das Achtfache seiner Ursprungslänge dehnt. Dabei entstehen Hohlräume in der Mikrostruktur des Teflons. Das gestreckte Material besteht zu etwa 70 % aus Luft, was bei der Isolation hilft und Gewicht reduziert. Wegen dieser Veränderung der Mikrostruktur kann das gestreckte Teflon also Feuchtigkeit nach außen transportieren und doch wasserdicht sein, Wechselwirkungen zwischen dem Wasser und dem Teflon spielen dagegen keine Rolle (Abb. 1). Wasserdampfmoleküle sind viel kleiner als Wassertropfen. Wenn Ihr Schweiß verdunstet, verwandelt er sich in Wasserdampf, der durch das Gore-Tex entkommen kann. Wassertropfen kommen aber nicht durch das Gewebe. Sobald das Gore-Tex vollkommen durchnässt ist, verliert es seine Fähigkeit, Dampf durchzulassen, weil die
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Abb. 1 Grafische Darstellung von Gore-Tex. Beachten Sie, dass das Gore-Tex wasserdicht ist, nicht das Außengewebe
Wasserschicht den Wasserdampf blockiert. Aus diesem Grund besteht Gore-Tex-Kleidung aus mehreren Schichten: einer weichen inneren Schicht, einer Gore-Tex-Schicht und einer wasserabweisenden Schicht, die es zwar möglich macht, dass Wasserdampf nach außen gelangt, aber nicht so wasserbeständig ist wie Gore-Tex. Es ist also der Gore-Tex-Kern, der die Kleidung wasserdicht macht, nicht die Hülle, doch die Hülle hält genug Wasser von der mittleren Schicht ab, dass er weiter atmungsaktiv bleibt. Gore-Tex war das erste Material, das die richtige Balance zwischen Wärmen und Wasserabtransportieren halten konnte, doch es verhinderte nicht, dass Wärme durch Strahlung verloren gehen kann (Science History Institute 2018). Da dem Köper am meisten Wärme über Strahlung verloren geht, würde es sinnvoll sein, diesen Wärmeverlust zu unterbrechen. Bis heute scheint Under Armour der einzige Sportkleidungshersteller zu sein, der ein Produkt entwickelt hat, das vor allem abgestrahlte Wärme einfangen kann, es trägt den treffenden Namen Infrared. Das Gewebe nutzt eine spezielle, sehr dünne Beschichtung aus Keramik, die Strahlungswärme reflektiert und einfängt, ganz ähnlich einer Kaffeetasse. Die Technologie sorgte für ziemlichen Aufruhr, als sie in der Sportlerszene eingeführt wurde, und in der Werbung dafür wurde behauptet, sie passe sich jedem benötigten Wärmeniveau an. Diese Behauptung wurde zwar von Nutzern nicht bestätigt, aber trotzdem hat sie viele Anhänger. Ich selbst besitze eine Infrared-Laufhose und ein Kompressions-Shirt, und sie sind meine erste Wahl, wenn ich bei
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kaltem Wetter laufe. Anders als die meisten Hightech-Gewebe, die nur in bestimmten Schichten genutzt werden, wird die Infrared-Technologie in allen Schichten der Kleidung verwendet, von der innersten bis zur äußersten, sogar in Handschuhen. Ich will nicht, dass dies wie eine Werbesendung für Under Armour klingt, sondern die Tatsache hervorheben, dass dies das einzige Unternehmen ist, das versucht, die Hauptquelle für Wärmeverluste zu bekämpfen. Schwierig ist nicht, diese Art von Wärmeverlust zu stoppen, sondern es so zu tun, dass das Material saugfähig bleibt und sich der Athlet darin bewegen kann, während er vor der Kälte geschützt ist und die abgestrahlte Körperwärme reflektiert wird. Die verbreitetste Methode, Wärmeverluste durch Strahlung zu verhindern, ist die Rettungsdecke, doch Mylar ist nicht wirklich eine komfortable Sportkleidung. Gerade kam eine noch neuere Technologie auf den Markt, die bedarfsgerecht isolieren soll. Die Hersteller Under Armour, mit ihrer „Reactor-Technologie“ und North Face mit ihrer Produktlinie „Ventrix“ sind damit am Start, doch sie haben verschiedene technologische Ansätze. Beide verwenden „anpassungsfähige Materialien“, das heißt solche, die ihre Eigenschaften je nach Auslöser von außen verändern. Im Fall von Ventrix ist dieser Auslöser eine Dehnung. Der Grundgedanke ist, dass man Wärme erzeugt und mehr Belüftung benötigt, wenn man sich bewegt und Sport treibt. Das Material hat Luftlöcher, die sich öffnen, wenn man sich streckt und bewegt, dadurch erhöhen sie die Belüftung, sodass man abkühlt, wenn man aktiv ist. Im ungedehnten Zustand jedoch schließen sich die Luftlöcher und sorgen für die Isolation, die man von einer Jacke erwarten würde. Auf diese Weise kann diese Kleidung verhindern, dass Sie beim Sporttreiben überhitzen, und Sie trotzdem wärmen, wenn Sie damit aufhören (The North Face 2017). Under Armour stellte sich der Herausforderung mit einer anderen Methode. Zumindest glaube ich das. Sie sind bezüglich ihrer Technologie extrem schmallippig, und das ist nachvollziehbar. Soweit ich verstanden habe, nutzt die Technologie ein patentiertes Isoliermaterial, das seine Saugeigenschaften verändert, je nachdem, wie viel man schwitzt. Zum anderen sind die Nähte der Gewebeschichten so angeordnet, dass sie die Isolierung dort halten, wo die Menschen beim Sporttreiben am leichtesten frieren, und weniger isolieren, wo ihnen mit größerer Wahrscheinlichkeit heiß wird. Die Kombination von Isolierung und Nahtmuster beeinflusst auch die Luftzirkulation und die Saugeigenschaften. Sportkleidungshersteller entwickeln immer neue und bessere Methoden, um die empfindliche Balance zwischen warm, aber nicht zu warm beim Trainieren auszugleichen. Wenn Sie also das Wetter im Winter als Ausrede
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verwenden, um nicht laufen zu müssen, können Sie das vielleicht nicht länger aufrechterhalten. All diese Hightech-Materialien sind für mich als Wissenschaftlerin sehr faszinierend, aber die Nachtwache musste offensichtlich auf Kleidung setzen, die aus Leder, dickem Gewebe, Tierfellen und Wolle bestand. Die Natur ist ziemlich erstaunlich, und deshalb waren diese einfachen natürlichen Optionen ziemlich gut. Aus all diesen Möglichkeiten ist das Leder nicht gerade das geeignetste, um Wärme zurückzuhalten, doch es eignet sich wirklich hervorragend dafür, Dinge abzuhalten, die jemanden abkühlen könnten. Leder kann vor allem Feuchtigkeit und Wind außerordentlich gut abhalten, die beide große Auswirkungen darauf haben, wie viel Wärme durch Konvektion und Verdunstung verloren geht. Das Leder erhält seine einzigartigen Eigenschaften aus der Struktur der Tierhaut und dem Gerbprozess. Um sowohl gegen Wind als auch gegen Wasser widerstandsfähig zu sein, muss es Fasern besitzen, die sehr eng zusammenliegen. Tierhaut hat keine einheitliche Struktur, dabei ist sie an Gelenken flexibler und hat weniger eng gebündelte Fasern, während der obere Rücken steifer ist mit sehr dichten Fasern. Das qualitativ hochwertigste Rindsleder kommt aus dem Bereich der Wirbelsäule und das niedrigste aus dem der Schultergelenke. Das Gerben – zu dem das Aufbereiten mit Öl, Wachs, Schmiere und pflanzlichen Produkten gehört, um die Lücken zwischen den Hautfasern in der Tierhaut zu füllen – hat auf viele Eigenschaften des Leders Einfluss, etwa auf die Luftdurchlässigkeit und die Wasserbeständigkeit. Je nachdem, welches Gerbmittel und wie viel davon verwendet wird, kann die Wetterbeständigkeit des Endprodukts verändert werden. Im Allgemeinen ist Leder jedoch vor allem dafür bekannt, dass es Wind und Regen abhält, aber nicht so sehr wärmt. Außerdem hat es den Vorteil, dass es nicht so leicht mit einem Schwert durchschnitten werden kann. Dickere Gewebe sind besser geeignet, Wärme am Körper zu halten, obwohl das ursprünglich nicht ihr Zweck war. Der Gambeson, eine gepolsterte Schutzkleidung aus Leinen oder Wolle, die mit allem Möglichen, von Pferdehaar bis Lumpen gefüllt war und entweder allein oder unter Kettenhemden oder Rüstungen getragen wurde, wurde ursprünglich nicht dafür gemacht, um warm zu halten. Eigentlich war die Wärme, die sie zurückhielt, sogar ihr Nachteil. Sie half zu verhindern, dass der Träger durch die metallene Rüstung wundgescheuert wurde, doch der Gambeson war auch für sich genommen ein guter Schutz – dickere Versionen davon konnten sogar schwere Pfeile aufhalten, sodass der Träger nicht verletzt wurde. Man sieht oft, dass die Nachtwache Gambesons trägt, aber im Gegensatz zu anderen hätte diese auch von den wärmenden Eigenschaften
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profitiert. Leinen ist eine Faser, die von Natur aus Feuchtigkeit aufnimmt, und wenn es für die Herstellung der Gambeson verwendet wurde, saugte es den Schweiß des Trägers von seiner Haut auf, sodass er keine Wärme durch Verdunstung verlor. Die Pferdehaarfüllung würde zusätzlich thermisch isolierend wirken. Wie bei einem Eisbären würde das Haar Taschen aus stehender Luft erzeugen, die durch den Körper erwärmt werden und zur Isolierung dienen. Pferdehaar ist außerdem unglaublich widerstandsfähig, wodurch die Schutzwirkung des Gambesons verstärkt wird. Diese Rüstungen dienten der Nachtwache in zweierlei Hinsicht, zum einen als tragbare (sowohl finanziell als auch von ihrem Gewicht her) Alternative zur Rüstung und als Schutz gegen die Elemente. Wie bereits erwähnt, isoliert der Pelz von Tieren erstaunlich gut. Es ist sinnvoll, dass die Nachtwache diese Technologie, die von der Evolution ausführlich geprüft wurde, für ihre Zwecke nutzt. Vor 70.000 Jahren, etwa am Ende der ersten Eiszeit, war Fell eines der ersten Materialien, die für Kleidung verwendet wurden. Aus allen oben genannten Gründen können Tierfelle außerordentlich warm sein und so auch den Träger (wenn auch nicht mehr den unglücklichen Bären) warmhalten. Das Leder darunter macht es wind- und wasserdicht. Unglücklicherweise funktioniert es auf Menschen nicht so gut wie auf Tieren. Eine Gruppe unter der Leitung von Heather Liwanag von der University of California, Santa Cruz, fand heraus, dass die Temperaturleitfähigkeit von Pelz (Fell und Haut) viel höher ist als die von Fell allein. Das heißt, wenn Jon Schnee oder Sam Tarly Pelz tragen, geht mehr Wärme verloren, als wenn ein Bär es tut. Von den bisher durch das Team untersuchten Tieren haben Robben und Walrosse einen Pelz mit der höchsten thermischen Leitfähigkeit, das heißt, sie isolieren am schlechtesten. Der Pelz eines Bären, der ziemlich genauso aussieht wie das, was die Nachtwache verwendet, ist etwa doppelt so warm wie der von Robben. Den wärmsten Pelz haben jedoch Tiere aus der Familie der Kleinbären, also Waschbären und Wickelbären. Wolfspelze liegen irgendwo dazwischen. Einer der größten Nachteile für die Verwendung von Pelzen zum Wärmen ist ihr Gewicht. Der Pelz eines Grizzlybären wiegt rund 12 kg. Das ist nicht wirklich viel, aber doch viel mehr als etwas aus Wolle. Die Nachtwache verwendet Felle vor allem als Besatz auf ihren Schultern und dem oberen Brustkorb. Dadurch bleiben ihre Arme warm, und trotzdem können sie die Temperatur ihres Körpers regulieren, je nachdem, wie aktiv sie sind. Zum Vergleich: Der IKEA TEJN wiegt nach den Angaben zum Verschicken auf ikea.com etwa ein Pfund. Er besteht vor allem aus Polyesterfasern, die eine schlechtere Wärmeleitfähigkeit haben als die von Bärenfellen. Er kostet 11,99 €, was vermutlich billiger ist, als eine Jagdexpedition
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zu starten, um einen Bären zu erlegen. Die Kostümbildner taten der Nachtwache also einen Gefallen, als sie statt eines Bärenfells den TEJN verwendeten, auch wenn ich glaube, dass feuchtigkeitsabsorbierende Eigenschaften kaum vorhanden sein dürften. Das letzte Element der Uniform der Nachtwache scheint aus Wolle zu bestehen. Wolle ist wahrscheinlich der Superstoff der Natur. Sie absorbiert Feuchtigkeit, ist warm, feuerfest, weich und leicht. Die meisten der Superkräfte der Wolle kommen aus der Struktur der Fasern. Eine Wollfaser ist mit Schuppen überzogen (Abb. 2), die entscheidend sind für ihr Vermögen, zu isolieren und Feuchtigkeit zu absorbieren. Wenn Sie stricken, haben Sie schon einmal von einem Vorgang gehört, der „Filzen“ genannt wird. Dabei wird ein Wollknäuel angefeuchtet und gewalkt, bis das Garn sich in einem festen, dicken Gewebe verbindet. Das Wasser führt dazu, dass die Schuppen an der Außenseite der Fasern abstehen, und das Walken lässt sie verhaken, sodass sich eine dicke Matte bildet. Die Lufttaschen in gefilzter Wollkleidung fangen warme, stehende Luft ein und verhindern so Wärmeverluste durch Konvektion oder Wärmeleitung. Die gefilzte Wolle hat eine Wärmeleitfähigkeit wie der Pelz eines Bären, wiegt aber nur ca. 5 kg. Ein Mantel daraus ist daher deutlich leichter und weicher, und es ist auch nachhaltiger und weniger gefährlich, ihn sich zu besorgen (Engineering ToolBox 2003). Aber Wolle ist nicht nur warm, sie saugt Wasserdampf auf wie Gore-Tex, wenn auch etwas anders. Die Außenseite der Wollfaser, die Kutikula, besitzt winzige Poren, durch die Wasserdampf in die Mitte der Faser gelangen kann. Bei dieser Absorption kommt es zu einer chemischen
Abb. 2 Nahaufnahme von Merinowolle. Beachten Sie die Schuppenstruktur
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Reaktion, bei der etwas Wärme frei wird. Wenn sich die Wolle vollsaugt, wird sie also gleichzeitig wärmer. Wolle kann bis zu 30 % ihres Gewichts an Wasser aufnehmen und sich trotzdem noch trocken anfühlen, während synthetische Fasern nur etwa 7 % ihres Gewichts absorbieren können. Daneben ist Wolle feuerfest und wird oft in Löschdecken verwendet. Ich habe eine Nebenbeschäftigung als Pyrotechnikingenieurin in einer Feuerwerksfirma, und dort gibt es überall Wolldecken, falls etwas schiefläuft. Aufgrund ihres hohen Feuchtigkeitsgehalts und ihrer chemischen Struktur kann Wolle keine Verbrennungsreaktion aufrechterhalten (mehr dazu, wenn ich über Drachenfeuer spreche). Man kann sie anzünden, doch man benötigt sehr viel Sauerstoff, um eine Flamme am Brennen zu halten, und der hohe Wassergehalt löscht eine Flamme, bevor sie richtig groß werden kann. Der größte Nachteil von Wolle ist, dass dieselbe Schuppenstruktur, die sie so nützlich macht, sie auch ziemlich kratzig werden lässt. Außerdem sind etwa 20 % aller Menschen allergisch gegen Wolle. Bei diesen unglücklichen Menschen kommt es nicht nur zu einer Reaktion der Haut, sondern auch zu Atembeschwerden. Als leidenschaftliche Strickerin bin ich froh, nicht zu diesen 20 % zu gehören.
Braucht Jon Schnee einen Hut? Bis hierher ging es nur um Theorien, die viele Forschungsartikel als Grundlage haben. Ich persönlich bin ein großer Fan von Ausdauersport in wärmeren Klimagebieten, und da ich in Maryland lebe, hatte ich nie die Gelegenheit, bei Temperaturen wie die im Norden zu trainieren. Bevor ich darauf zu sprechen komme, welche Erfahrungen Jon und seine Männer vermutlich in der 7. Staffel auf ihrer Reise in den Norden durchgemacht haben, wollte ich mit jemanden reden, der etwas Ähnliches im echten Leben getan hat. Ich hatte das Glück, mit Beth Sanden sprechen zu können, eine Marathonläuferin, die die erste körperbehinderte Athletin war, die auf allen sieben Kontinenten und dem Nordpol einen vollständigen Marathon zurückgelegt hat. Sie ist teilweise gelähmt und eine Ausdauersportlegende. Wenn irgendjemand weiß, wie man in der Kälte Leistungssport betreibt, dann sie. Mir ihr konnte ich ausführlich über ihre Erfahrungen beim antarktischen und beim Nordpol-Marathon reden. Beide waren hinsichtlich Wetter und Gelände sehr unterschiedlich. Sie legte den Marathon in der Antarktis bei −12 °C in etwa 11 h zurück und den am Nordpol bei −46 °C in 7,5 h. In beiden Fällen war das Klima sehr trocken, deshalb war eine Auskühlung des Körpers durch Feuchtigkeit von außen nicht wirklich ein
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Thema. In der Antarktis bestand das Haupthindernis im Gelände, nicht im Wetter. Für beides trainierte sie monatelang in den Bergen, um sich an die Kälte zu gewöhnen, und sie nutze eine Technik, über die ich noch nicht gesprochen habe: batteriegewärmte Jagdkleidung. In der Antarktis funktionierte das hervorragend, aber am Nordpol war es so kalt, dass die Batterien in ihrer Brille versagten, sodass am Ende sogar ihre Wimpern gefroren waren. Am Beginn unseres Gespräches hatte ich angenommen, dass Unterkühlung das Problem sein würde, wenn sie bei so tiefen Temperaturen unterwegs war. Doch in keinem der Rennen litt jemand unter Unterkühlung, vielmehr stellte es eine Herausforderung dar, Erfrierungen zu vermeiden. Es dauerte ein Jahr, bis ihre abgestorbenen Fingernägel wieder nachgewachsen waren, nachdem sie sich am Nordpol Erfrierungen an den Fingern zugezogen hatte. Weil das Erste, was der menschliche Körper macht, wenn es kalt wird, das Blut von der Haut und den Extremitäten zurückzuziehen, kann es leicht passieren, dass die Zellen gefrieren und absterben. Immerhin scheint diese Anpassung ziemlich gut zu funktionieren, wenn man berücksichtigt, dass am Ende alle mit einer vernünftigen Körpertemperatur ankamen. Ich empfehle Ihnen, ihre Geschichte online zu lesen – sie ist wirklich sehr inspirierend und einfach krass. 2018 lief sie den BostonMarathon. Jeder, der den Ausdauersport verfolgt, weiß, dass dies ein ziemlich hartes Jahr in Boston war. Beth sagte, dass der Boston-Marathon von 2018 zweifellos viel schlimmer gewesen sei als der in der Antarktis und am Nordpol. Warum? Aufgrund des Regens. Wie ich schon oben dargelegt habe, kann Wasser dem Körper 20- bis 30-mal so gut Wärme entziehen wie Luft, weil es eine so hohe Wärmekapazität hat. Die Wettkämpfer waren Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt, gefrierendem Regen und Wind ausgesetzt – alles, was einem Körper schnell Wärme entziehen kann. Es gab beim Boston-Marathon von 2018 mehr Fälle von Unterkühlung als bei Marathonläufen, die bei extrem kaltem Wetter stattfinden. Das Wetter war nicht kalt genug, um Fleisch gefrieren zu lassen, doch das Wasser kühlte den Körper so effektiv, dass viele Läufer wegen Unterkühlung medizinisch betreut werden mussten. All das wollen wir im Hinterkopf behalten, wenn wir uns Jon und seine Reise ansehen, bei der er einen Wiedergänger entführen wollte. Bevor ich fortfahre, sollten wir alle die Tatsache anerkennen, dass Jon, Dany und alle anderen es geschafft haben, sich einen der dümmsten Pläne in der jüngsten Geschichte der Fantasy auszudenken: nämlich sich mit kaum Ausrüstung bei Minustemperaturen in die Nähe eines Sees zu wagen, um einen Untoten zu fangen, der sie umbringen will – und das alles ohne Kopfbedeckung. Ich glaube, wir können alle zwei Dinge annehmen: Erstens, Jon
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ist nicht der klügste Rabe im Schwarm, und zweitens, dass die Wissenschaft zeigen wird, dass sie am Ende alle tot gewesen wären. Die zwei wissenschaftlichen Fragen, die ich bis zum Ende dieses Kapitels beantworten will sind: Was genau hätte zu ihrem Tod geführt, und welche Rolle hätte das Fehlen einer Kopfbedeckung dabei gespielt? Ich werde die zweite Frage zuerst beantworten. Es gibt den weitverbreiteten Mythos, dass Menschen 70 % (oder 60 oder 40 %, je nachdem, wessen Vater man fragt) ihrer Wärme über den Kopf verlieren. Aus einer schnellen und unsaubereren wissenschaftlichen Abschätzung heraus ist es sinnvoll, dass über Köpfe mehr Wärme verloren geht als über den Rest des Körpers. Zum Ersten, weil ziemlich viel Blut durch den Kopf fließt, und zum Zweiten, weil der Körper das Gehirn benötigt, um am Leben zu bleiben, er kann also nicht einfach die Blutzufuhr zum Gehirn drosseln wie bei den Fingern, um seine Innentemperatur aufrechtzuerhalten. Ein großer Teil des Blutes, das durch den Kopf fließt, gibt viel Wärme an die Luft ab und zirkuliert dann durch das Herz zurück, sodass die Körpertemperatur sinkt. Auf dem Kopf gibt es nur sehr wenig Fett, das als Isolierung dienen und verhindern würde, dass Wärme durch Konvektion und Wärmeleitung verloren geht. Außerdem weist der Kopf ein viel größeres Oberflächen-zu-Volumen-Verhältnis auf als andere Körperteile. Aber führen all diese Faktoren dazu, dass vergleichsweise viel Wärme durch den Kopf verloren geht? Thea Pretorius von der University of Manitoba wollte diesen Mythos überprüfen. Sie tauchte Freiwillige, manche bis zu ihrem Hals, manche vollständig, in 17 °C kaltes Wasser ein und schaute sich an, wie schnell sie Wärme verloren. Diejenigen, deren Kopf untergetaucht war, verloren nur etwa 10 % mehr Wärme als die, deren Haare trocken geblieben sind (Pretorius et al. 2006). Pretorius widerlegte das Ammenmärchen des Wärmeverlustes über den Kopf, indem sie zeigte, dass über diesen relativ etwa genauso viel verloren geht wie über den restlichen Körper. Dies kann man auch beobachten, wenn man das Bild eines Menschen in einer Wärmekamera anschaut. Der Kopf strahlt nicht mehr als die restliche freiliegende Haut (Abb. 3). Trotzdem ist es außerordentlich wichtig, eine Kopfbedeckung zu tragen. Interessanterweise reagiert der Körper nicht durch Zittern, wenn nur der Kopf der Kälte ausgesetzt ist. Das führt dazu, dass der Körper bei kaltem Wetter viel mehr Wärme verliert, als es der Fall wäre, wenn der Zitterreflex ausgelöst würde. Studien haben gezeigt, dass nicht das Volumen des Blutflusses im Kopf entscheidend ist. Die Körpertemperatur sinkt viel schneller, wenn sich jemand dazu entschließt, sich einzupacken, aber den Kopf dabei vergisst. Außerdem fließt in den Ohren nur sehr wenig Blut, deshalb laufen sie Gefahr, Erfrierungen zu erleiden,
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Abb. 3 Wärmebild eines Menschen. Er verliert über seine Hände genauso viel Wärme wie über seinen Kopf
wenn sie nicht bedeckt sind. Deshalb ist der Mythos richtig, doch aus unerwarteten Gründen, und ja, Jon würde ohne Kopfbedeckung sehr frieren. Wenn man bedenkt, dass er dabei ist, mehrere Tage auf einem Felsen in der Mitte eines gefrorenen Sees zu verbringen, in den er am Ende fallen wird, wäre eine Mütze wirklich eine gute Idee. Für alle, die sich darüber Gedanken machen: Seine Haare zählen nicht als Kopfbedeckung. Mützen funktionieren, indem sie warme Luft in der Nähe des Kopfes einschließen. Weil seine Haare im Wind flattern, verhindern sie nicht, dass ein kalter Luftstrom über seinen Schädel zieht. Ich freue mich nicht darüber, dass er diese üppigen Haare verdecken muss, aber wenn wir wollen, dass er überlebt, wäre das eine hervorragende Idee. Die Fans der Serie haben ziemlich intensiv darüber diskutiert, wie lange Jon und seine Begleiter auf dem Felsen in der Mitte des Sees festsaßen. Um die lebensbedrohliche Zeit auf diesem kalten Felsen zu minimieren, hätte Gendry wohl die Erste sein müssen, die eine Marathonstrecke in unter zwei Stunden gelaufen wäre (haben Sie Gendry gesehen?), Raben hätten schneller fliegen müssen und Drachen hätten tatsächlich überschallschnelle Dämonen sein müssen. Die beste Methode, um die vergangene Zeit abzuschätzen, ist wohl zu überlegen, wie lange es dauern würde, bis das Eis genug gefroren ist, um das Gewicht der Wiedergänger zu tragen. Es hätte Tage gedauert, nicht Stunden. Nach den Richtlinien des Eisfischens friert ein See bei etwa −7 °C ungefähr 2,5 cm pro Tag zu. Die Richtlinien sagen, dass 12,5 cm dickes Eis ein Schneemobil tragen könnte. Ich nehme an, das würde auch reichen, um einer Schlachtszene standzuhalten (Gord Pyzer 2016).
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Das bedeutet, unsere furchtlosen Idioten hätten fünf Tage auf ihrem Felsen aushalten müssen. Ein Mensch kann etwa 40 Tage ohne oder mit nur wenig Nahrung aushalten, solange er zu trinken hat, deshalb wäre die Gruppe vermutlich nicht verhungert. Sobald die Unterkühlung beginnt, hätten sie aber wohl viel Wasser lassen müssen. Einmal abgesehen davon, dass sie aufgrund des Nahrungsmangels schwach gewesen wären, stellen Sie sich ihre Kondition vor für eine Schlacht nach fünf Tagen in der Kälte! Doch zuerst hätten unsere mützenlosen Wunder wahrscheinlich bereits nach wenigen Stunden Erfrierungen in ihren Extremitäten gehabt. Dann wird es kompliziert. Es ist nicht leicht abzuschätzen, wie lange es dauert, bis jemand an Unterkühlung stirbt, weil jeder anders reagiert, und wie schnell er abkühlt davon abhängt, welche Kleidung er trägt. Die natürliche Reaktion des Körpers auf Kälte ist es, Kalorien zu verbrennen. Das heißt, unser Team hätte mehr Nahrung gebraucht, um die Körpertemperatur aufrechtzuerhalten. Aber wenn sie nichts versteckt hatten, hatte die Gruppe nicht viel mit in die Wildnis genommen. Dadurch wären ihre Körper schneller ausgekühlt, und dies hätte die Zeit verkürzt, bis sie durch Verhungern gestorben wären. Die Tatsache, dass sie trotzdem rund 11 Nächte gelitten haben, bedeutet, dass sie sogar noch kälterer Witterung ausgesetzt waren. Ich kann zwar nicht sagen, wie lange es gedauert hätte, bis sie gestorben wären, doch es ist unmöglich, dass sie 12 Tage in der Kälte, nur mit Tierpelzen, Leder und gewobenem Haar ausgehalten hätten. Selbst wenn sie es durch ein Wunder geschafft hätten, wären sie nicht im Zustand gewesen, eine monumentale Schlacht zu kämpfen. Sie alle wären, bis Daenery angekommen wäre, längst tot oder im Koma gewesen. Jon jedoch, der den Tod scheinbar sucht wie ich Schokolade, wollte eine weitere Möglichkeit zu sterben ausprobieren. Er war etwa eine oder zwei Minuten lang im gefrorenen See, wenn man davon ausgeht, dass die Szene ungefähr in Realzeit aufgenommen worden ist. Das Wasser war am Gefrierpunkt; das wissen wir wegen des Eises. Die längste Zeit, die jemand bei Gefrierpunkt im Wasser überlebt hat, kennen wir von einem, der fast eine Stunde untergetaucht war. Die Opfer der Titanic starben nach Aufzeichnungen schon nach 15 bis 30 min. Die Zeit, die Jon im See verbrachte, hätte ihn also nicht umgebracht. Doch er entkam tropfnass und ritt dann zur Mauer zurück. Ich habe keine Ahnung, wie lange es dauerte, bis zur Mauer zu kommen, doch durchnässt bei einer Temperatur unter dem Gefrierpunkt und noch dazu bei Wind, der natürlich oder durch das Reiten erzeugt wurde, hätte er wohl nur eine Stunde Zeit gehabt, um einen Ort
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zu erreichen, an dem er wieder in die Wärme kam. Ich nehme an, dass ihn keiner gefunden hätte, wenn er von seinem Pferd gefallen wäre, das heißt, er hätte auf seinem Pferd bleiben müssen, bis er die Mauer ganz erreicht hätte. Er war nicht mehr bei Bewusstsein, als er sie erreichte, aber er lebte. Es ist nicht klar, wie weit sich die Gruppe von der Mauer wegbewegt hat, aber sicher war es mehr als eine Stunde auf dem Rücken eines Pferdes. Vielleicht war er eines der glücklichen Opfer der Unterkühlung, das nicht tot ist, bevor es warm und tot ist. Das hätte ihm vielleicht zwei bis drei Stunden gegeben. Gegen alle Wahrscheinlichkeit könnte man annehmen, dass sie nicht weit gehen mussten, um Weiße Wanderer zu finden, dann hätte es Jon lebend schaffen können – wenn er nicht Erfrierungen erlitten hätte, weil er keine Kopfbedeckung trug.
Literatur Engineering ToolBox (2003) Thermal conductivity of common materials and gases. https://www.engineeringtoolbox.com/thermal-conductivity-d_429.html Gord Pyzer (2016) Ice-fishing warm-up: want to know how fast your lake will freeze? Outdoor Canada, December 14. https://www.outdoorcanada.ca/How_ Fast_Does_Your_Lake_Make_Ice. Hardy JD, Du Bois EF, Soderstrom GF (1938) Basal metabolism, radiation, convection and vaporization at temperatures of 22 to 35°C. The J Nutr 15(5):477– 497. https://doi.org/10.1093/jn/15.5.477 Holmes KR. Thermal Properties. https://users.ece.utexas.edu/~valvano/research/ Thermal.pdf Liwanag HEM, Berta A, Costa DP, Abney M, Williams TM (2012) Morphological and thermal properties of mammalian insulation: the evolution of fur for aquatic living. Biol J Linnean Soc 106(4):926–939. https://doi.org/10.1111/j.10958312.2012.01900.x Phillips B (2013) Out in the great alone. ESPN. May 05. https://www.espn.com/ espn/grantland/story/_/id/9175394/out-great-alone Pretorius T, Bristow GK, Steinman AM, Giesbrecht GG (2006) Thermal effects of whole head submersion in cold water on nonshivering humans. J Appl Physiol 101(2):669–675. https://doi.org/10.1152/japplphysiol.01241.2005 Science History Institute (2018) Robert W. Gore, January 16. https://www. sciencehistory.org/historical-profile/robert-w-gore Simonis P, Rattal M, Oualim ElM, Mouhse A, Vigneron J-P (2014) Radiative contribution to thermal conductance in animal furs and other woolly insulators. Opt Express 22(2):1940. https://doi.org/10.1364/oe.22.001940
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Weiße Wanderer, Zombies, Parasiten und Statistik
Es gibt dunklere Dinge jenseits der Mauer. – Catelyn Stark, Game of Thrones
Zombies sind die Vampire der späten 2000-er-, frühen 2010er-Jahre. Doch viele Geschichten um sie gehen viel weiter zurück und wurden bereits lange vorher von der Unterhaltungsindustrie genutzt. Ganz ähnlich wie bei den Vampiren gibt es für die Zombies eine Reihe von Regeln, an die sich alle Autoren halten, doch diese Regeln können je nach Story abgeändert werden. Daher reicht das Spektrum der Vampire von seelenlosen tödlichen Mördern, die im Sonnenlicht sterben, bis zu solchen, die eine Seele haben und sich in ihre Opfer verlieben können und die im Sonnenlicht nicht nur überleben, sondern sogar glitzern. Noch flexibler sind die Regeln, wenn es um eine Liebesgeschichte geht. Das Gleiche gilt für Zombies, wobei verschiedene Geschichten unterschiedlichen Regeln gehorchen. White Zombie (1932) hat seine Wurzeln im Voodoo. Er gilt allgemein als der erste Zombiefilm, und darin folgt das Verhalten von Zombies ganz klaren Regeln. George A. Romeros Night of the Living Dead (1968; Die Nacht der lebenden Toten ) gilt als Ausgangspunkt für die moderne Zombieüberlieferung und für die Idee der „Zombieapokalypse“, obwohl der Begriff „Zombie“ in dem Film nie verwendet wird. Der heutige Boom an Zombiefilmen scheint (mit wenigen Ausnahmen) vor allem Kreaturen zu zeigen, die langsam und schwerfällig sind und keinerlei Herrn haben. Sie sind im Allgemeinen auf der Suche nach Gehirnen (um sie zu fressen, nicht so wie im Film Scarecrow ). Allen gemein ist, dass Zombies Untote sind, das heißt, dass sie sich bewegen
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 R. C. Thompson, Wissenschaft meets Game of Thrones, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61419-8_5
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können, aber nicht lebendig sind. Sie werden von etwas gesteuert – entweder von einem Herrn oder einer unersättlichen Gier nach Gehirnen – und sie können sich bewegen und angreifen. Das klingt ziemlich nach unseren kalten Freunden nördlich der Mauer. Und genau wie der Rest Amerikas können Wissenschaftler scheinbar nicht genug von Zombies bekommen. Von allen erdachten Monstern sind, so glaube ich, Zombies die am intensivsten untersuchten. Es gibt Forschungen über die Neurologie, Anthropologie, Statistik, Mathematik, Biologie und die Ernährungsweise von Zombies – es gibt so viele Forschungsvorhaben zu Zombies, dass es sogar eine Z ombie-Forschungs-Gesellschaft gibt, die all diese Arbeiten sammelt und verteilt (http://zombieresearchsociety.com). Dort werden sehr konservative Ansichten darüber vertreten, was einen „Zombie“ ausmacht (vgl. Definition in Abschn. „Was ist ein Zombie, und zählen Wiedergänger und Weiße Wanderer dazu?“). Doch wenn Sie nach dem neuesten Stand der Forschung suchen, ist dies ein möglicher Ausgangspunkt. Unglücklicherweise funktioniert der Link zur Mitgliedschaft nicht, sonst wäre ich beigetreten. Zombies sind nicht nur ausgedacht. Oft gibt es Schlagzeilen über „Zombie-Waschbären“ oder „Zombie-Wespen“, wenn es darum geht, wie echte Tiere zu einem Zombie werden können, und wie dieses Verhalten aussehen könnte. Unzählige Webseiten und Forschungsveröffentlichungen beschäftigen sich mit Diskussionen darüber, wie man eine Zombieapokalypse überleben könnte. Tatsächlich gibt es mehr als ein „Zombieapokalypse-Survival-Kit“ zu kaufen. Bei all dieser Zombieliebe und Zombiekunde hoffe ich, dass ich in diesem Kapitel die Wiedergänger und Weißen Wanderer von Game of Thrones in einen „wissenschaftlichen“ Kontext stellen kann. Wie funktionieren sie? Wie bewegen sie sich und kämpfen sie? Wie verhält sich das zu echten Tierzombies? Würden ihre Körper zerfallen? Und am Wichtigsten, was sagt uns die heutige Statistikforschung darüber, wie man das Zusammentreffen mit der Armee der Toten überleben könnte, wenn einige von uns fehlgeleiteten Abenteurern sich plötzlich ohne Drachenglas nördlich der Mauer befinden würden.
Was ist ein Zombie, und zählen Wiedergänger und Weiße Wanderer dazu? Dies sieht wirklich nach einer einfachen Frage aus. Zombies sind weder tot noch am Leben, sie sind im Allgemeinen verwesende Körper, sie wollen Gehirne fressen und haben kein sonderlich gutes Koordinationsvermögen. Doch für jede dieser Regeln kann man eine Ausnahme finden.
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Die Zombies bei Disney singen und tanzen, aber weil dies lächerlich ist, werde ich sie in der weiteren Diskussion nicht berücksichtigen. Nach der Zombie-Forschungs-Gesellschaft werden Zombies definiert als „erbarmungslose aggressive Menschen oder wiederbelebte menschliche Körper, die durch eine biologische Infektion dazu wurden.“ Weiterhin wird ausgeführt, dass „die Zombiepandemie unausweichlich und das Überleben der menschlichen Rasse in Gefahr ist. Es ist nur die Frage, wann dies geschehen wird … seien Sie also vorbereitet“. In dieser Definition sind Zombies also aggressiv und gehorchen keinem Herrn – sie werden nur von dem Streben angetrieben, ihre Infektion zu verbreiten. Es scheint so, als könne man Zombies mit einigen Schlüsselfragen und Eigenschaften in Klassen unterteilen. Die erste ist: Wer oder was beherrscht sie. Es gab Berichte über Zombies, die entweder unabhängig agierten, wie in Die Nacht der lebenden Toten, oder die durch eine einzige Person beherrscht wurden, wie in White Zombie. Andere Fragen, die beantwortet werden müssen, betreffen ihre motorischen Fähigkeiten. Im Fall von iZombie können sie ihre absichtlichen Bewegungen fast wie ein normaler Mensch steuern. In Die Nacht der lebenden Toten sind sie schwerfälliger, ohne klare und leichte Bewegungsfähigkeit. The Walking Dead zeigt Zombies irgendwo dazwischen. Verschiedene Zombies können unterschiedliche Ziele haben. Manche sind ausschließlich auf der Jagd nach Gehirnen oder wollen andere in Zombies verwandeln, wie in World War Z, während andere spezielle Zielobjekte suchen. Diese werden normalerweise durch einen Herrn beherrscht. Einer der entscheidenden Unterschiede zwischen den Zombieklassen ist, was sie zu Zombies gemacht hat und wie sich dies verbreitet. In modernen Geschichten wird es normalerweise als neurologische Krankheit angesehen, die durch Bisse verbreitet wird. Doch ältere Zombies wurden durch ihre Herren verwandelt. Wenn es darum geht, wie man eine Zombieapokalypse überleben kann, ist es wichtig, genau zu wissen, wie sich die Verwandlung in einen Zombie verbreitet und wie nicht. In seltenen Fällen können Zombies geheilt werden. Dies sieht man üblicherweise in älteren Zombiegeschichten, es ist aber immer noch Teil der Zombielegende. Mit all dem im Hinterkopf wollen wir uns nun ansehen, wie Wiedergänger und Weiße Wanderer als Zombies einzuordnen sind, und bestimmen, ob wir die Wissenschaft der Zombies auf die Armee der Toten anwenden können. In der Armee der Toten sind die Weißen Wanderer die Generäle und die Wiedergänger die Fußsoldaten. Das ist die Herr-Zombie-Struktur, die man auch in älteren Zombievorstellungen so ähnlich findet. Wenn es auch ungewöhnlich ist für Zombies, passt es noch gut in den Kanon. Die Wiedergänger behalten ihre Fähigkeiten zu kämpfen, und im Fall von Benjen
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Stark haben sie immer noch ein gewisses Verständnis davon, was sie früher waren. Jede Diskussion über ihre Bewegungsfähigkeit muss dies berücksichtigen. Diese Art von Zombietum ist keine Infektion, sondern eine Wiederbelebung. Es gibt ziemlich viele wissenschaftliche Analysen, die die Verbreitung von Zombies als infektiöse Krankheit behandeln. Sie gelten hier nicht. Es ist hier mehr ein „Nabe-und-Speichen-Modell“, das sich viel langsamer verbreitet, als wenn Wiedergänger neue Wiedergänger hervorbringen könnten. Das beeinflusst, wie schnell der Nachtkönig eine Armee aufbauen kann. Bei der Vorstellung, dass es einen Herrn gibt, wird das Ziel der Zombies durch den festgesetzt, der sie beherrscht. Dies war genau der Ausgangspunkt in White Zombie. Genau wie bei diesen bedeutet der Tod des Herrn auch den Tod derer, die er verwandelt hat. Doch anders als diese Zombies können Wiedergänger nur auf eine bestimmte Art und Weise umgebracht werden, und sie können nicht geheilt werden. Wenn auch Wiedergänger nicht die Zombies sind, die man in den modernen Medien sieht, passen sie doch gut in den Zombiekanon, und viele Forschungsergebnisse über Zombies können auf sie angewandt werden.
Die Neurologie und Biologie von Zombies Als Zombies in der populären Kultur immer wichtiger wurden, begannen Wissenschaftler, mehr über die mögliche Neurologie eines Zombies und über echte Zombiekrankheiten und -parasiten zu sprechen. Dabei beschäftigten sie sich mit realen Fällen, in denen ein Organismus, ohne es zu merken, keine Kontrolle mehr über sein Schicksal hat, oder mit möglichen Gründen für das Standard-Zombieverhalten. Wenn man bei einer Schlagzeile „Zombie“ hinzufügt, bringt das bestimmt einige Clicks – nehmen Sie zum Beispiel eine der jüngsten Geschichten über „Zombie-Waschbären“ in Ohio. Dabei verhielten sich die Waschbären wie Zombies, sie gingen auf ihren Hinterbeinen, schäumten aus dem Maul und fielen dann in einen komatösen Zustand. Abgesehen vom letzten Teil ist das alles ziemlich typisch für einen modernen Zombie: Zombietum ohne Herrn und ein ungewöhnliches Verhalten. Die Videos, auf denen man auch andere Tiere wie Kojoten und Füchse sieht, sind wirklich ziemlich schockierend. Dr. Tara Smith, eine Professorin für Epidemiologie an der Kent State University sprach in den US-Medien über den Fall. Sie schloss, dass die Tiere entweder an Tollwut oder Staupe litten. Wenn man wilde Tiere sieht, die sich seltsam verhalten, nehmen die meisten sofort an, dass Tollwut der Schuldige ist. Nach Angaben der
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S-Gesundheitsbehörde CDC gibt es in den USA zwischen 5000 und 6000 U Fälle von Tollwut pro Jahr, davon betreffen Gott sei Dank nicht mehr als fünf Menschen. Weil Tollwut durch Speichel übertragen wird, gibt es oft lokale Ausbrüche. In den USA sind Fledermäuse die häufigsten Träger von Tollwut, und die meisten Fälle von Tollwut beim Menschen kommen daher hier auch von Fledermäusen. Wenn Sie mit einer Fledermaus in Kontakt geraten, merken Sie vielleicht gar nicht, dass Sie gebissen worden sind. Falls es eine Fledermaus in Ihrem Haus gibt, lassen Sie sich besser gegen Tollwut impfen, auch wenn Sie glauben, das sei nicht nötig (Anm. d. Übersetzers: Weltweit werden die meisten Tollwutfälle durch infizierte Hunde übertragen). Tollwut kann als Zombiekrankheit angesehen werden, denn der Virus ist so gebaut, dass er den Wirt dazu bringt, sich so zu verhalten, dass die Krankheit verbreitet wird. Er verursacht Aggressivität und macht den Wirt dadurch bissiger. Weil der Virus nicht nur im Nervensystem, sondern auch in den Speicheldrüsen lebt, dient das aggressive Verhalten zur Verbreitung der Krankheit. Der Virus gelangt durch einen Biss in das äußere Nervensystem und wandert durch die Nerven zum Gehirn. Bis er das Gehirn erreicht, treten keine Symptome auf, dann kommt es zu unspezifischen Krankheitszeichen wie Kopfschmerzen und Fieber. Bald schwillt das Gehirn an. Von da an gibt es zwei mögliche weitere Verläufe der Krankheit: rasende Wut oder stumme, dumpfe (auch paralytische) Tollwut. Ganz offensichtlich klingt dies schon genau wie bei Zombies: wütend und dumpf. Die wütende Form ist den modernen Beschreibungen des Zombieverhaltens mit Aggressivität, Hyperaktivität, Furcht vor Wasser und der Unfähigkeit zu schlucken näher. Der Tod kommt normalerweise einige Tage nach dem ersten Auftreten von Symptomen durch Herz- und Atemstillstand. Bei der dumpfen Form wird das Opfer langsam gelähmt und fällt ins Koma. Man kann mit Sicherheit sagen, dass, falls die Waschbären an Tollwut gelitten haben, diese vom aggressiven Typ war. Doch erklärt Tollwut nicht ganz das ungewöhnliche Verhalten der Waschbären (Tipold et al. 1992). Dr. Smith hat deshalb auch vorgeschlagen, dass die Waschbären stattdessen mit dem Staupevirus infiziert gewesen sein könnten. Wenn Sie Hunde haben, wissen Sie, dass Sie diese jedes Jahr gegen Tollwut und Staupe impfen lassen müssen. Der Staupevirus unterscheidet sich vom Tollwutvirus, doch auch er kann zu neurologischen Problemen führen. Bis vor Kurzem gab es keine registrierten Fälle bei Waschbären, doch man hat jetzt herausgefunden, dass er sich bei vielen Säugetieren verbreitet (aber nicht bei Katzen, zu deren Glück). Staupe ist weit ansteckender als Tollwut und kann durch die Luft verbreitet werden. Sie befällt anfangs das Atmungs-
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und Lymphsystem und wandert von dort aus zum Nervensystem. Wenn auch die neurologischen Symptome denen der Tollwut ähneln, befällt der Canine Staupevirus (CDV, Canine Distemper Virus) nicht die Nervenzellen des Zentralen Nervensystems, sondern die Gliazellen. Der Virus reißt die Ummantelung der Zellen, die sogenannte Myelinscheide, von den Zellen, was zu Nervenschäden führt. Dies ähnelt den Schäden, die multiple Sklerose bei den Zellen verursacht. Am Ende beginnt das Gehirn der Tiere anzuschwellen, und sie zeigen äußerliche Zeichen von Nervenschäden. Weil die Krankheit verschiedene Teile des Nervensystems in unterschiedlichem Ausmaß und in verschiedenen Fällen betrifft, ist es schwierig zu sagen, wie sich die Krankheit in einem bestimmten Fall zeigen wird. Wenn Nerven auf diese Art und Weise zerstört werden, führt dies zu Symptomen, die denen bei Zombies ähneln. Es führt zu ruckartigen Kopfbewegungen, rhythmischen Zuckungen verschiedener Muskeln (meist der Glieder), erweiterten Pupillen, wässrigen schiefen Augen, Hinfallen und Krämpfen. Es ist kein Wunder, dass Menschen glaubten, infizierte Tiere hätten eine Zombiekrankheit (Tipold et al. 1992). Die „Zombie-Waschbären“ litten höchstwahrscheinlich an Staupe, denn dies führt am wahrscheinlichsten zu zombieartigem Verhalten, doch Tollwut ist letztendlich noch mehr eine Zombiekrankheit. Sie steuert das zentrale Nervensystem ihres Wirts und bringt ihn dazu, sich so zu verhalten, dass die Krankheit verbreitet wird. Abgesehen von der Tollwut gibt es in der Natur weitere Beispiele für den „Herrn-und-Meister-Typ“ des Zombietums. Wie die Viren versuchen diese Zombieschöpfer, ihre eigenen Reproduktionsmöglichkeiten zu erweitern. Sie übernehmen Wirte mit dem Ziel, eine Situation zu schaffen, in der sie sich mit größerer Wahrscheinlichkeit vermehren können. Dies ist eigentlich auch das, was die Weißen Wanderer mit den Wiedergängern machen. Sie benutzen sie zum Töten und um die Armee der Toten zu vergrößern, mit dem Ziel, die Welt mit ihrem Eis zu überziehen. Parasiten und andere Tiere können den Körper anderer Organismen befallen und ihn dazu bringen, alles zu tun, was sie wollen. In der Natur gibt es viele Beispiele dafür und auch eines, das bei Menschen vorkommt. Tatsächlich sind sogar ein großer Teil derer, die dieses Buch lesen, wahrscheinlich mit diesem Fluch belegt. Weil es so viele Beispiele für Parasiten gibt, die Zombies schaffen, werde ich nur meine Favoriten behandeln. Wespen sind besonders gut darin, andere Tiere zu beherrschen. Man weiß, dass sie aus Spinnen, Schaben und Raupen Zombies machen. Die Juwelwespe lässt mithilfe eines Nervengifts Schaben nach ihrer Pfeife tanzen. Die Wespe landet auf der Schabe und spritzt das Nervengift direkt in den Nervenknoten, der der Schabe als Gehirn dient. Das Gift enthält
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einen hohen Anteil an γ-Aminobuttersäure (engl. gamma-Aminobutyric acid, abgekürzt GABA, ich werde in Kap. „Der Scharfrichter des Königs“ über Vergiftung ausführlicher darauf zurückkommen), welches dazu führt, dass die Schabe ihre Muskeln nicht mehr so gut kontrollieren kann und ihr Fluchtreflex erlischt. Während sie dasitzt, baut die Wespe ein Nest. Dann kehrt sie zur Schabe zurück, packt sie am Fühler und führt sie daran zum Wespennetz. Dann befestigt die Wespe ein Ei an einem Bein der Schabe und versiegelt das Nest. Die geschlüpfte Larve frisst die Schabe und verpuppt sich nach deren Tod in ihrer Hülle. Die parasitoide Schlupfwespe macht etwas ganz Ähnliches, aber mit Raupen statt mit Schaben. Die Wespe verwandelt die Raupe sowohl in einen Brutkasten als auch in eine Mutterfigur. Die Wespe sticht in eine Raupe und legt etwa 80 Eier hinein. Ihre Larven fressen während ihrer Entwicklung die Raupe von innen auf, doch sie vermeiden lebenswichtige Organe, damit die Raupe am Leben bleibt. Nachdem sie durch die Haut der Raupe gelangt sind, die diese Tortur überlebt, bauen sie ein Nest und veranlassen den unglücklichen Wirt, auf sie aufzupassen. Nachdem sich die Larven voll entwickelt haben und sie keinen Nutzen von ihrem Beschützer mehr haben, stirbt die Raupe, und die Wespen fliegen davon, um das Gleiche von vorne zu beginnen. (Es gibt vom National Geographic ein großartiges Video über diesen Vorgang. Doch seien Sie gewarnt: Es ist ideales Futter für Albträume.) Bis heute ist der genaue Mechanismus für diese Zombifizierung unbekannt. Klar ist nur, dass die Natur wirklich schaurig sein kann (Gal und Frederic 2010). Da ich aus Maryland stamme, hatte ich als Kind ein kleines Boot, daher weiß ich über Krabben und Seepocken Bescheid. Die einen schmecken mit etwas Old Bay und werden mit Natty Boh (einem Lieblingsbier aus Maryland) heruntergespült, die anderen sind ein Fluch für jeden Bootsbesitzer. Ich hasse Seepocken leidenschaftlich, doch wenn eine Krabbe hassen könnte, würde ihr Hass auf Seepocken den meinen übertreffen. Sacculina carcini ist eine Seepocke, die das Fortpflanzungssystem der Strandkrabbe befällt und für sich selbst verwendet. Die Seepocke landet auf der Krabbe und bohrt sich an der Wurzel eines Haares in sie hinein. Von dort aus schickt sie ein wurzelartiges Geflecht durch die Krabbe und steuert damit deren Verhalten. Danach presst sie einen Eisack heraus und bringt die Fortpflanzungsorgane der Krabbe dazu, ihre Funktion einzustellen und zu verkümmern. Statt sich wie eine normale Krabbe fortzupflanzen, hängt sie herum und verteilt die Eier der Seepocke. Sowohl die männliche als auch die weibliche Krabbe kann infiziert sein und sich wie eine weibliche Krabbe verhalten. Das heißt, beide Krabben behandeln die Eier der angehefteten
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Seepocke genauso, wie es eine weibliche Krabbe mit ihren Nachkommen tun würde, sie spült zum Beispiel frisches Wasser darüber und verteidigt sie gegen Räuber. Die Krabbe hört auf zu wachsen oder ihre Organe zu erneuern, doch sie kann bis zu zwei Jahre leben und dabei immer weitere Sacculina carcini hervorbringen. Es ist ziemlich beeindruckend, dass eine Seepocke eine Krabbe so steuern kann, dass sie der Ansicht ist, eigene Nachkommen hervorzubringen. Einer der spektakulärsten und bestdokumentierten Akteure der Zombifizierung ist der Pilz der Gattung Ophiocordyceps. Es lässt sich zwar darüber streiten, ob ein Pilz in diesem Fall die Definition eines „Parasiten“ vollständig erfüllt, doch er verhält sich ganz bestimmt wie einer. Er kann viele verschiedene Arten von Insekten befallen, doch vor allem die Riesenameise ist anfällig. Der Pilz infiziert die Ameise und veranlasst sie, in eine bestimmte Höhe über dem Waldboden zu klettern, sich dort in ein Blatt zu verbeißen und da zu bleiben, bis der Pilz Sporen aus dem Kopf der Ameise freisetzt. Diese regnen dann auf andere Ameisen am Boden herab, die den Pilz weiterverbreiten. Bis 2017 war nicht klar, wie der Pilz es schaffte, das Verhalten zu steuern, weil das Gehirn der Ameisen keine Pilzzellen enthielt. Es zeigte sich, dass der Pilz gar nicht das Gehirn der Zombieameise kontrollierte, sondern ihre Muskeln. Maridel Fredericksen und ihre Forschungsgruppe an der Pennsylvania State University verwendete fortschrittliche Bildgebungsverfahren, um sich die Zellen der infizierten Ameisen anzusehen. Was sie herausfanden war, dass sich der Pilz, der sich vor allem in der Kopfmuskulatur der Ameise befand, um die Muskelzellen wickelt und ein Netz aufbaute, das die Bewegung steuerte. Der Pilz veranlasste die Muskeln, die Ameise hoch genug zu bewegen, dass die Sporen verbreitet werden konnten, und ihre Mundwerkzeuge dazu, sich in ein Blatt zu verbeißen, bis sie stirbt (Fredericksen et al. 2017). Es gibt eine Art von zombifizierendem Organismus, der Säugetiere befällt: Toxoplasmose. Etwa 23 % aller Menschen in den USA sind betroffen, doch er kann sich effektiver vermehren, wenn er Mäuse befallen hat. Die parasitäre Krankheit wird durch Toxoplasma gondii verursacht, einen einzelligen Organismus, der sich im Gehirn seines Wirtes einnistet. Dieser Protist kann sich nur im Verdauungssystem von Katzen vermehren, und daher benötigt er eine Methode, dorthin zu kommen. Hier kommen die Mäuse ins Spiel (Vyas et al. 2007). Wenn Nagetiere den Organismus aufnehmen, bildet er Zysten im Gehirn, welche die Chemie im Gehirn der Nagetiere beeinflussen. Sie entfernen die normale Abneigung gegen Katzenurin, wodurch die Maus ihre Furcht vor einer Katze verliert. Die Katze kann also ihr Mittagessen leichter fangen und frisst die Maus. Dadurch kommt T.
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gondii in den Magen der Katze, wo er sich vermehren kann. Dann wandern die Organismen durch das Verdauungssystem und werden ausgeschieden. Von da an vermischen sie sich mit dem Boden, und der Kreislauf beginnt von vorne. Wenn man bedenkt, dass der Protist das Verhalten des Nagetiers verändert, kann man ihn als Herrn und Meister eines Zombies ansehen. Die Steuerung gelingt durch die Veränderung des Niveaus von bestimmten Neurotransmittern, wie Dopamin, im Gehirn. Neueste Forschungen haben gezeigt, dass diese Veränderungen im Niveau der Neurotransmitter zu impulsivem Verhalten führen und affektive Störungen und Schizophrenie auslösen können. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Gehirn von Menschen, die an Schizophrenie leiden, T. gondii enthält, ist dreimal so hoch wie bei der restlichen Bevölkerung. Aus einer Studie lässt sich sogar schließen, dass die Kultur eines Volkes, in dem eine T.-Gondii-Infektion sehr verbreitet ist, durch den Protisten verändert werden kann. Dabei handelt es sich um keine sehr genaue Untersuchung, aber sie ist trotzdem interessant (Webster et al. 2006). Es ist verlockend, diese Theorien weiterzutreiben und zu vermuten, dass T. gondii für das „crazy cat lady syndrome“ verantwortlich ist, das heißt, dass die Besitzerinnen von Katzen öfter an psychischen Störungen leiden, aber dafür gibt es Gott sei Dank nur wenige Beweise (ich habe zwei Katzen – nur zwei). Die Wahrscheinlichkeit, dass Katzenbesitzer Toxoplasmose haben, ist genauso hoch wie bei Nichtkatzenbesitzern. Trotzdem sind Katzen komplizierte Haustiere, vielleicht ist also an dieser Theorie etwas dran. Vielleicht quillt das Internet aus diesem Grund von Katzenbildern über, aber wahrscheinlicher ist der Grund, dass Katzen einfach niedlich sind. Die meisten Organismen, die Zombies hervorbringen, haben nichts mit Menschen zu tun. Trotzdem ist es ratsam, an Zombieorganismen zu denken, ob man sie nun interessant findet oder nicht. Mit den Worten der Zombiegesellschaft: „Was Sie nicht kennen, könnte Sie fressen.“
Das Verwesen von Zombies und Wiedergängern Die Armee der Toten wurde von den Weißen Wanderern geschaffen, um die Welt zu erobern. Wenn Menschen in der Schlacht oder aus anderen Gründen starben, konnten der Nachtkönig und seine Leutnants (alias die Reiter der Schneeapokalypse) die Körper wiederbeleben und einen weiteren Fußsoldaten für ihre Armee gewinnen. Doch hört der Vorgang von Tod und Zerfall auf, wenn sie reanimiert wurden? Da die Wiedergänger zum Kämpfen geschaffen wurden und es fast unmöglich war, sie zu töten, sahen
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sie nach einem oder zwei Kämpfen etwas mitgenommen aus. Normale physische Angriffe haben also keinen Einfluss darauf, ob sie am Leben bleiben, wie sieht es aber mit Bakterien aus, die auf den Menschen leben und die nach ihrem Tod zum Zerfall führen? Würden der normale Zerfall und die Verwesung weiter ablaufen, während die Wiedergänger wiederbelebt sind? Hätte dies Auswirkungen? In der Serie sieht es sicherlich so aus, als seien die Wiedergänger in verschiedenen Stadien der Verletzungen und des Zerfalls, aber hängt das von ihrem Zustand ab, als sie gestorben sind, oder geschah es mit ihrem untoten, aber sich bewegenden Körper? Sowohl der Grund für den Tod des Wiedergängers als auch die kalten Temperaturen oben im Norden und die Feuchtigkeit werden einen Einfluss darauf haben, wie verwest ein Wiedergänger sein kann. Obwohl sogar eine Hand eines Wiedergängers die Kraft hat, einen Mann zu erwürgen, ist sie vermutlich nicht so schnell und tödlich wie ein Wiedergänger mit einem vollständigen Körper. Hätten die Bewohner von Westeros nicht einfach damit aufhören können, nördlich der Mauer zu sterben, und darauf warten können, bis die Natur ihren Lauf genommen hat? Wenn ein Körper stirbt, durchläuft er mehrere Stadien der Verwesung (vier oder fünf, je nachdem, mit wem Sie sprechen), inklusive zweier chemischer Vorgänge, Selbstauflösung (Autolyse) und Zersetzung. Wenn Sie genauso ein Fan von Navy CIS sind wie ich, werden Ihnen viele dieser Begriffe bekannt vorkommen. Ich gebe zu, dass ich zwar ziemlich viele Krimis angeschaut habe, doch als ich die Details über Zerfallsprozesse gelesen habe, drehte sich mir gelegentlich der Magen um. Viel Spaß dabei! Bei der Autolyse verdaut der Körper im Wesentlichen sich selbst. Der Säuregehalt der Zellen steigt mit der CO2-Konzentration an. Dies führt dazu, dass die Zellen aufbrechen und Abfallprodukte abgeben, die die Zelle auflösen. Die Säure und andere Enzyme beginnen auch, den Körper zu verdauen. Die Autolyse beginnt, sobald der Körper stirbt. Das erste Stadium des Todes heißt „frisch“ und beginnt sofort nach dem Tod. Zusätzlich zur Autolyse beginnt der Körper in ein thermisches Gleichgewicht zu kommen, ein Vorgang, der Algor mortis (Leichenkälte) genannt wird. Dazu kommt der Rigor mortis (Totenstarre) von der Versteifung der Muskeln, die sich aufgrund einer chemischen Veränderung nicht mehr entspannen können. Wie bei Benjen Stark, auch bekannt als „kalte Hand“, zieht die Gravitation das Blut in die Extremitäten. Es gibt in diesem Stadium nicht viele physikalische Veränderungen, außer vielleicht einigen Blasen auf der Haut. Sobald der Körper seine Sauerstoffvorräte aufgebraucht hat, entsteht eine anaerobe Umgebung, in der sich Darmbakterien gut vermehren. Sie
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verdauen von nun an keine Nahrung mehr, sondern den Körper. Diesen Vorgang nennt man Fäulnis. Die Gase, die bei der Fäulnis entstehen, führen zum zweiten Stadium, dem Aufblähen. Das ist genau das, wonach es klingt. Die Gase führen dazu, dass sich der Körper aufbläht, während die Bakterien seinen Inhalt verflüssigen. Dadurch schwillt der Körper an. Wenn sich genug Druck aufgebaut hat, wird der Körper aufbrechen, sodass die schäumende Flüssigkeit herausgepresst wird. Ich glaube, dass dies wahrscheinlich das gröbste Stadium des Todes ist. Nach dem Aufblähen beginnt der aktive Zerfall des Körpers, bei dem er durch Maden gefressen und weiter durch Fäulnis verflüssigt wird. Ich will nicht viel über Insekten sprechen, weil es nördlich der Mauer vermutlich nur eine Art davon gibt, die Zuckmücke, und die ist am Zerfallsprozess nicht beteiligt. Würden sich die Wiedergänger jedoch weiter im Süden befinden, kämen in diesem Stadium Insekten ins Spiel. Dieses Stadium endet, wenn es selbst für die Maden nichts mehr zum Fressen gibt. An diesem Punkt ist ein großer Teil der Körpermasse verschwunden, und, nach denen, die den Tod in fünf Stadien unterteilen, der Körper kommt in das Stadium des fortgeschrittenen Zerfalls. Weil es nicht mehr viel gibt, was zerfallen kann, und nur noch wenige Insekten Interesse haben, wird der Zerfall langsamer. Viele zählen dieses Stadium zu dem des aktiven Zerfalls. Das letzte Stadium ist die Skelettierung. Das ist wieder genau das, wonach es klingt. Jetzt ist der Körper vollkommen ausgetrocknet und besteht vielleicht nur noch aus Knochen. Die Verwesung ist im Wesentlichen zu Ende. Es gibt viele Faktoren, die einen Einfluss darauf haben, wie ein Körper zerfällt: wie offen er liegt, ob Sauerstoff und Feuchtigkeit vorhanden ist, die Todesursache, wie tief und in welcher Erde er begraben wurde, die Anwesenheit von Insekten und Bakterien, seine Kleidung und, für uns besonders wichtig, die Temperatur. Im Fall der Armee der Toten haben sie hinsichtlich der Verwesung Glück. Es herrscht ein kaltes Klima, es ist wahrscheinlich sehr trocken, und es gibt nur wenige Insekten. Weil Insekten kaum eine Rolle spielen, würde die Verwesung ausschließlich durch Autolyse und Bakterien verursacht. Unglücklicherweise – oder vielleicht zum Glück, wenn Sie der Nachtkönig sind – benötigen Bakterien Wasser zum Überleben. Außerdem funktionieren Enzyme und Bakterien unter einer bestimmten Grenztemperatur nicht. Die chemischen Reaktionen, die diese Vorgänge verursachen, benötigen Energie in Form von Wärme, damit sie beginnen und weiter ablaufen können. Ohne Wärme können sie nicht arbeiten, und der Körper bliebe in ziemlich guter Verfassung. Das Blut würde trotzdem in die Richtung der Erdanziehung fließen, und die Totenstarre würde trotzdem
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einsetzen. Doch der Rest des Zerfalls würde unter einer bestimmten Temperatur im Wesentlichen zum Erliegen kommen. Benjen Stark ist ein ziemlich gutes Beispiel für einen wiederbelebten Körper, wenn er auch stark sein müsste, um die Auswirkungen der Totenstarre zu überwinden. Wenn jemand unter extrem kalten Bedingungen stirbt, wird er zur Mumie, statt zu verwesen. Gute Beispiele sind die Körper, die auf dem Mount Everest zurückbleiben. Es ist normalerweise nicht möglich, den Körper eines toten Bergsteigers in der Todeszone des Everest zu bergen, ohne sein eigenes Leben zu riskieren. Von den 216 Menschen, die beim Versuch, den Gipfel zu erklimmen, gestorben sind, wurden nur 66 Körper geborgen. Die anderen 150 wurden zurückgelassen und mumifizierten unter den kalten und trockenen Bedingungen. In mehreren Fällen dienen die Körper als Wegmarken für die Bergsteiger auf dem Weg nach oben. George Mallory, dessen sterbliche Überreste 75 Jahre nach seinem Tod gefunden wurden, war im Wesentlichen unverwest. Er ist nicht der Einzige. Da liegt zum Beispiel auch noch Hannelore Schmatz, die den Spitznamen „the German woman“ erhielt. Sie starb in der Nähe von Camp IV und blieb dort unberührt aussehend, bis der Wind ihre Reste davonblies. Ein Gebiet in der Nähe des Gipfels ist als das „Regenbogental“ bekannt, nach den leuchtenden und nichtzerfallenen Parkas, die die Körper auf der Route tragen. „Green Boots“ ist ein unbekannter Bergsteiger in makellosem Zustand, der in einer kleinen Höhle nahe des Gipfels liegt, direkt neben dem Weg, den alle nehmen, die hinaufwollen. Was uns das über die Armee der Toten verrät, ist, dass, selbst wenn wir einen gewaltsamen Tod und ein langes Ausgesetztsein gegen die Elemente annehmen können, sie viel weniger zerfallen sein sollten, als sie scheinen. Vorausgesetzt natürlich, dass sie wiederbelebt werden konnten und dass diese Wiederbelebung die Totenstarre überwinden konnte. Ich vermute, dass dies möglich ist, da sie ja auch viele andere biologische Phänomene überwinden konnten.
Was geht in ihrem Kopf vor? Zombieneurologie Bisher haben wir über Zombies im echten Leben gesprochen und über viele Beispiele in der Natur, in denen eine Spezies eine andere steuern kann. Ich sage es ja nur sehr ungern, aber im Falle der Weißen Wanderer und der Wiedergänger handelt es sich nicht um reale Phänomene. Dies hat Wissenschaftler nicht davon abgehalten, die Frage zu stellen: „Aber was, wenn sie es wären? Welche Art von Krankheit könnten sie haben?“ Die Neurowissenschaftler Timothy Verstynen und Bradley Voytek haben ein Buch
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darüber geschrieben. Ich werde nicht zu tief in das Thema einsteigen, aber einige wichtige Punkte herausstellen, die vor allem auf Wiedergänger zutreffen könnten. In Do Zombies Dream of Undead Sheep? untersucht das Paar den potentiellen Fall traditioneller Zombiekrankheiten mit Symptomen wie schwerfälligen Gang, Unfähigkeit zu sprechen und zu verstehen, Ärger, Gefühllosigkeit und dem Hunger nach Gehirnen (Verstynen und Voytek 2014). Sie prägten sogar einen Begriff für die Zombiekrankheit: Consciousness Deficit Hypoactivity Disorder (CDHD, dt. etwa: Bewusstseinsdefizit-Hyperaktivitäts-Störung). Die Wiedergänger entwickeln nur einen kleinen Teil der CDHD-Symptome. Sie können nicht sprechen, doch sie können in gewissem Grad den Anweisungen eines Weißen Wanderers folgen. Sie können ihre Bewegungen noch sehr gut koordinieren, sich schnell bewegen und mit einem Schwert ziemlich tödlich umgehen. Sie sind ganz bestimmt wütend und bereit zu töten, wobei sie keine Schmerzen fühlen. Sie scheinen nicht besonders hungrig zu sein. Sie werden also von Wut angetrieben, können nicht gut sprechen und fühlen keine Schmerzen, das heißt, dass ihre Gehirne – oder was davon übrig ist – weniger geschädigt sein müssen als die anderer Zombies. Doch es gibt trotzdem einige spezifische Schäden. Sie haben vielleicht schon einmal den Begriff „Reptiliengehirn“ verwendet, wenn Sie sich auf instinktive Reaktionen oder Impulse bezogen. Ich schob es vor Kurzem darauf, als ich schreiend vor einer Spinne weggelaufen bin, und meinte damit, dass der Teil meines Bewusstseins unlogisch und nur instinktiv gehandelt habe – in diesem Fall angetrieben von meiner Angst vor Spinnen (zur Ehrenrettung meines Gehirns, keine Kreatur benötigt so viele Beine. Alles was über vier ist, kann nur für den Teufel gemacht sein). Wenn jemand über sein Reptiliengehirn spricht, meint er eigentlich die fundamentalen Teile davon, die für instinktive Handlungen verantwortlich sind. Der Mandelkern (Amygdala) besteht aus zwei Nervenbündeln hinter unseren Schläfen. Sie steuern Gefühle und sind beteiligt, wenn es um Reaktionen wie „Kampf oder Flucht“ geht. Ein anderes Nervencluster, der Hypothalamus, reguliert Dinge wie Schlaf, Stress und Hunger, und auch er spielt eine Schlüsselrolle, wenn sich der Körper für Kampf oder Flucht entscheiden soll. Versynen und Voytek vertreten die Theorie, dass ein Zombie eine überaktive Kampf-oder-Flucht-Antwort hat mit einer Betonung in Richtung „Kampf“. Wenn ein Mensch in eine Stresssituation kommt, wird der Mandelkern aktiv. Im Falle meiner Spinnenpanne erkannte mein Mandelkern eine ernste grundlegende Bedrohung, die mir auf acht Beinen entgegenkam. Er veranlasste meinen Hypothalamus, ein Hormon auszuschütten, das meiner Hypophyse befahl, aktiver zu werden. Diese wiederum
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schüttete ein anderes Hormon aus, das meinem Körper veranlasste, in den Stressmodus zu wechseln. Daraufhin erzeugten meine Adrenalindrüsen Adrenalin und brachten meinen Körper auf Hochtouren, bereit die Spinne zu zerquetschen oder die Flucht anzutreten. Diese Drüsen erzeugen auch Testosteron und Cortisol. Das Ergebnis war, dass mein Reptiliengehirn – genauer gesagt handelt es sich um einen Teil des limbischen Systems – sich entschied, dass meine höchste Überlebenschance darin bestand, wie ein fünf Jahres altes Mädchen zu kreischen und so schnell davonzurennen, wie ich es nie mehr schaffen werde. Wenn jedoch die Flucht keine Option gewesen wäre, hätten dieselben Hormone meinen Körper für den Kampf aufgebaut. An diesem Punkt wird jedes höhere Denken abgestellt, und man funktioniert nur noch instinktiv. Im Wesentlichen hatte mein Mandelkern mein Gehirn entführt und mich in eine tödliche Spinnenmörderin verwandelt (oder mehr in einen dummen Bolzen). Versynen und Voytek zufolge hat der Mandelkern immer die Kontrolle über die Zombies, und der Neocortex – der Teil des Gehirns, der eigentlich gerne denkt – macht Urlaub. Ihrer Meinung nach fließen Adrenalin, Testosteron und Cortisol immer in hohen Konzentrationen durch die Adern von Zombies. Das verstärkt ihre ständige Erregung und ihre hochgradige Kampffähigkeit. Im Allgemeinen ist der Orbitofrontal cortex dafür verantwortlich, den Mandelkern in Schach zu halten. Er wird für das Denken auf höherer Ebene gebraucht, etwa dafür, in einer Schlacht Strategien zu entwickeln. Doch Wiedergänger und Zombies können nicht als Gruppe planen oder sich koordinieren, deshalb wäre es kein Wunder, wenn dieser Teil des Gehirns fehlen würde oder schwerwiegend beschädigt wäre. Wenn die Wiedergänger in dieser Gehirnregion genauso geschädigt wären und zudem einen ständig aktivierten Flucht- oder Kampfreflex besäßen, würden sie alle die Verhaltensweisen aufweisen, die Jon und sein Selbstmordkommando in Jenseits der Mauer beobachtet haben. Sowohl Wiedergänger als auch Zombies können Geräusche wahrnehmen und darauf reagieren. Wenn man beobachtet, wie die Wiedergänger auf die Geräusche von Menschen antworten, müssen sie in der Lage sein, zu hören und dies zu einem gewissen Grad zu verarbeiten. Ihre Ohren, oder das, was davon übrig ist, und ihr Gehirnstamm und der primäre auditive Cortex funktionieren immer noch einigermaßen. Die Signale von ihren Ohren, die durch diese Teile des Gehirns fließen, helfen ihnen herauszufinden, woher ein Geräusch kommt. Das ist alles, was notwendig ist, damit ein Zombie oder Wiedergänger in der Lage ist, wie ein Zombie zu reagieren. Sie müssen verarbeiten, dass da ein Geräusch ist, und die Richtung herausfinden, sodass sie hingehen können. Bei den meisten Menschen befindet
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sich der nächste Punkt der Sprachverarbeitung im Wernicke-Zentrum. Hier wandelt das Gehirn Geräusche wieder in Sprache um. Wenn dieser Bereich beschädigt ist und jemand Sprache nicht mehr verstehen kann, nennt man das Wernicke-Aphasie. Dieser Bereich funktioniert in Wiedergängern vielleicht nicht mehr, in den meisten Zombies ist er jedenfalls sicher außer Betrieb. Im Falle der Wiedergänger ist das nicht so klar. Wiedergänger gehorchen ihren Herren aus den Weißen Wanderern. Es muss also irgendeine Kommunikationsmethode geben, auch wenn es nicht klar ist, ob wir annehmen sollen, dass es sich dabei um Magie handelt. Unabhängig davon, wie ein Weißer Wanderer mit einem Wiedergänger „spricht“, muss das Wernicke-Zentrum noch in einem gewissen Maße funktionieren, damit es diese Signale in Handlung umwandeln kann. Wenn sie ein Gehirn haben, das intakt genug ist, um Befehle zu verarbeiten, heben sich Wiedergänger aus der normalen Menge der Zombies ab. Das Gegenstück zum WernickeZentrum ist das B roca-Areal. Dieser Teil des Gehirns ist für das Sprechen und Sprache zuständig. Er verwandelt das, was das Gehirn ausdrücken will, in Bewegungen des Mundes und der Stimmbänder, um eine zusammenhängende Sprache zu erzeugen. Weder Wiedergänger noch Zombies sind dazu in der Lage. Tatsächlich sind auch die Weißen Wanderer keine großen Redner. Wenn das Broca-Areal beschädigt ist und keine Sprache mehr erzeugt werden kann, nennt man das Broca-Aphasie. Es ist ziemlich klar, dass die meisten Zombies, alle Wiedergänger und vielleicht auch die Weißen Wanderer selbst an B roca-Aphasie leiden. Ganz allgemein haben Zombies und Wiedergänger ähnliche Gehirnschäden. Wenn man jedoch ihre Fähigkeiten, Anweisungen von den Weißen Wanderern umzusetzen, betrachtet, sieht es so aus, als ob Wiedergänger nicht an einer WernickeStörung leiden.
Zombiestatistik und Überlebensplan – kann Westeros da lebend herauskommen? Zombieausbrüche sind etwas ganz anderes als das, was wir bei den Weißen Wanderern und den Wiedergängern beobachten, denn bei Zombies handelt es sich typischerweise um ein Infektionsszenario und nicht um eine Herr-und-Meister-Situation. Doch in gewissem Grad verläuft die Ausbreitung sehr ähnlich. Wiedergänger töten, und die Toten werden von den Weißen Wanderern wiederbelebt, um die Lebenden anzugreifen. Vom Gesichtspunkt der mathematischen Modellierung aus gesehen, unterscheiden sich die beiden nicht sonderlich, wenn man annimmt,
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dass jeder, der getötet wird, durch einen Weißen Wanderer wiederbelebt wird. Angesichts der Größe ihrer Armee ist das keine schlechte Annahme. Der größte Unterschied besteht darin, dass alle Wiedergänger sterben, wenn man den Weißen Wanderer tötet, der sie erschaffen hat. Die Ausbreitung von Zombies ist ähnlich, doch der Kampf ist anders. Weil nur wenige Menschen in Game of Thrones die Fähigkeit und die Waffen haben, um einen Weißen Wanderer zu töten, hängt das Überleben nördlich der Mauer von den gleichen Fähigkeiten ab, wie in einem Modell, das eine traditionelle Ansteckungskrankheit behandelt. Zum Glück beschäftigen sich viele Professoren und graduierte Studenten, die Zugang zu schnellen Computern haben, in ihrer Freizeit mit solchen Dingen. Es gibt 37 Veröffentlichungen über Zombies auf arxiv.org, dem akademischen PreprintServer. Vor allem eine, die 2015 veröffentlicht wurde, ist die umfassendste statistische Analyse der potentiellen Ausbreitung des Zombietums. Sie ist ziemlich allgemein gehalten und kann leicht auf die Wiedergänger in Game of Thrones angepasst werden. Alexander Alemi und seine Kollegen von der Cornell University begannen mit einem traditionellen Modell für die Ausbreitung von Krankheiten, dem Susceptible-Infected-Recoveredoder SIR-Modell (dt. Anfällig-Infiziert-Gesundet-Modell) und verallgemeinerten es zum SZR-Modell (Susceptible-Zombies-Removed, dt. Anfällig-Zombies-Entfernt-Modell). Wobei „Entfernt“ bedeutet, dass ein Zombie getötet wurde (für immer) (Alemi et al. 2015). Dieses Modell betrachtet auf Grundlage von Parametern, die am Anfang festgelegt wurden, die Veränderungen im Laufe der Zeit in diesen drei Populationen, Anfällig, Zombie und Entfernt. Der „ Töte-Parameter“ gibt die Wahrscheinlichkeit an, dass ein Mensch einen Zombie umbringt, und der „Beiß-Parameter“ weist darauf hin, wie wahrscheinlich es ist, dass ein Zombie einen Menschen beißen und ihn damit infizieren wird. Im Falle der Wiedergänger und der Weißen Wanderer ist es nicht der Biss, der einen Menschen verwandelt, sondern das Töten. Wenn man sich ansieht, wie gut man das Modell auf Game of Thrones anwenden kann, kann man den Beiß-Parameter sehr leicht in den „Wiedergänger-Parameter“ umwandeln. Alemis Artikel beschäftigt sich direkt mit Zombieausbrüchen in unterschiedlich großen Populationen. Angesichts der Tatsache, dass es bis zur 7. Staffel nur kleine Wiedergängerpopulationen gab, ist das Modell des Artikels gut anwendbar. Sie verwendeten eine Simulation, die eine Eins-zu-Eins-Wechselwirkung zwischen Zombies und Menschen modellierte. Dazu verwendeten sie die Wahrscheinlichkeit von Bissen (oder Wiedergängern) und Tötungen (von Wiedergängern durch Menschen).
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Sie fanden heraus, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ein Zombieausbruch gestoppt werden kann, direkt proportional ist zum Verhältnis der Fähigkeit der Menschen, einen Zombie zu töten, zu der Fähigkeit des Zombies einen Menschen zu töten: Tötungen/Wiedergänger. Wenn das Verhältnis eins ist, das heißt, wenn die Wahrscheinlichkeiten, dass sie einander umbringen, gleich sind, werden die Menschen die Apokalypse immer stoppen können. Ihr Modell zeigte, dass immer eine Seite gewinnen wird, entweder töten die Menschen alle Zombies oder die Zombies verwandeln alle Menschen in neue Zombies. Im Laufe des Krieges werden also entweder alle verwandelt oder alle Zombies (oder Wiedergänger) getötet. Doch die Ergebnisse hängen auch etwas von der Bevölkerungszahl ab. Wenn es über 100 Menschen gibt, ist es genauso wahrscheinlich, dass sie überleben wie 100.000 Menschen. Doch unter 100 gibt es eine gewisse Schwankung, und etwa unter zehn wird meistens keiner überleben. In diesen Fällen wurde davon ausgegangen, dass ein Zombie in eine bestimmte Population kommt. Diese Fälle sind also anwendbar, wenn der Nachtkönig zuerst erschaffen wurde oder wenn ein Wiedergänger ein Wildlingslager infiltriert. Man muss sagen, dass im Falle von Westeros die Dinge diesen Punkt bereits weit überschritten haben. Dieses Modell hat nur eine gleichverteilte Population berücksichtigt, das heißt, es steht ein Zombie am Anfang, der dann mit jeder anderen Person in Wechselwirkung treten kann. Auch dies ist im Norden nicht der Fall. Die Bevölkerung nördlich der Mauer ist nicht gleichverteilt, sondern in Gruppen von Reisenden zusammengefasst, ob das nun Wildlinge sind oder Erkundungstrupps. Alemi und seine Mitarbeiter haben auch diesen Fall modelliert. Sie begannen, indem sie ein Gitter erzeugten, in dem eine Person in einem Quadrat sitzt, dann fügten sie einen Zombie dazu. Er kann nur Nachbarn verwandeln, und seine Erfolgsaussichten werden durch dasselbe Tötungen-zu-Wiedergänger-Verhältnis vom ersten Modell bestimmt. Sie fanden heraus, dass sich das Zombiesein in einem Netz ausbreitet. Es gibt jedoch nicht nur Verderben und Dunkelheit – die guten Nachrichten sind dabei, dass es Überlebensräume gab. Es gibt einen kritischen Wert für den Prozentsatz an Zusammentreffen, die zu Bissen führen, unter dem die Apokalypse gestoppt wird, über dem jedoch jeder vernichtet wird. Wenn die Menschen knapp halb so gut darin sind, Zombies zu töten, wie Zombies im Töten von Menschen sind, werden Menschen die Verbreitung der Zombies stoppen. Wieder wird hierbei von nur einem Zombie ausgegangen und einer Bevölkerung, die nur mit Zombies in Wechselwirkung treten kann, die unmittelbar in der Nähe sind. Die endgültige Infektionskarte führt auf ein Fraktalmuster. Dies ist nicht wirklich wichtig für Westeros, aber trotzdem
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interessant. Von diesem Anfangsmodell ausgehend, können wir uns einem realistischeren Modell mit einer Bevölkerung, die in Haufen verteilt ist, zuwenden, ähnlich wie in den USA. Auch in diesem Modell erhalten Zombies die Fähigkeit, sich zu bewegen, allerdings langsam. Menschen dagegen können sich nicht bewegen, wenn man davon ausgeht, dass eine Massenhysterie zu verstopften Straßen führen würde. (Ich würde sagen, das ist eine angemessene Annahme.) Sie gingen von einem Zombie pro einer Million Menschen aus. Sie fanden heraus, dass innerhalb einer Woche der Großteil der amerikanischen Bevölkerung zu Zombies geworden wäre und dass die Ausbreitung ziemlich stark von der Bevölkerungsdichte abhängt. Abgelegene Gebiete widerstanden der Umwandlung zu Zombies gut über vier Monate. Nachdem sie ihre Simulation mehrmals mit verschiedenen Anfangsbedingungen haben laufen lassen, erzeugten sie eine „Zombie-Anfälligkeits-Karte“. Falls es zu einem Zombieausbruch kommen sollte, sollten Sie auf jeden Fall große Städte meiden, aber wichtiger ist, dass Sie die Verbindungen zwischen den Städten umgehen sollten. Weil die Wege zwischen Städten von beiden Seiten her betroffen sein könnten, werden Sie hier mit größerer Wahrscheinlichkeit angegriffen. Was bedeutet das für Jon, Wildlinge und jetzt wirklich für den Rest von Westeros? Das lässt sich nur schwer sagen, doch ich glaube, es steht ziemlich schlecht um sie. Der entscheidende Unterschied zwischen dem Zombiemodell, das hier dargestellt wird, und der Armee der Toten ist, dass es Knoten gibt, also die Weißen Wanderer, die das ganze Modell umwerfen können. Dany zufolge gibt es etwa 1000 Weiße Wanderer. Wenn wir davon ausgehen, dass einige Krieger – also eine Armee, die mit Drachenglas und Valyrischem Stahl ausgerüstet ist – in der Lage sind, Weiße Wanderer zu töten und genauso fähig im Kampf sind wie die Wanderer, dann würde die Hälfte dieser Armee im direkten Kampf mit den Wanderern ausgelöscht werden. Man bräuchte eine Armee von 2000 Kriegern, die gleich gut ausgerüstet und bewaffnet sind, um eine statistische Chance zu haben, die Wanderer zu töten. Dabei geht man natürlich davon aus, dass sie alle Wiedergänger um diese herum besiegen können, sodass sie überhaupt dazu kommen, gegen die Weißen Wanderer zu kämpfen. Dany schätzte auch, dass es etwa 100.000 Wiedergänger gibt, also müsste jeder mit Drachenglas ausgestattete Soldat 100 Wiedergänger töten, um eine 50-prozentige Chance zu haben, einen Wanderer zu töten. Und all dies, während sich die Zombieseuche in einer Woche oder so fast über ganz Westeros ausgebreitet hat, Jon und Dany davon abgehalten hat, die erforderlichen Soldaten dazuzugewinnen und dagegen die feindlichen Kräfte an Wiedergängern
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ervorgebracht hat. Deshalb verschlechtern sich die Chancen für unsere h Helden im Verlauf der Schlacht immer mehr. Wenn Sie an dieser Stelle ein zufälliger Bewohner von Westeros sind, können Sie tun, was immer sie ohnehin tun sollten: Verlassen Sie die Straße und die Stadt, finden Sie einen Ort mit frischem Wasser und Nahrung und versuchen Sie einfach abzuwarten. Obwohl nicht viel Hoffnung für Sie besteht, abgesehen von dem Deus ex Machina Drogon (und wie das gelaufen ist, haben wir in der 7. Staffel gesehen). Zombies werden so oft als dramatisches Werkzeug verwendet, um den wahren Charakter der Hauptdarsteller herauszustellen. In Die Nacht der lebenden Toten bestand der wahre Schrecken im Zusammenbruch der Gruppe, die zu überleben versuchte, und die Zombies dienten dazu, dass sich die Gemeinschaft selbst zerstörte. In World War Z von Max Brooks verwendete die Geschichte eine Zombieapokalypse, um den derzeitigen geopolitischen Zustand der Welt zu kommentieren. In Game of Thrones dient die Armee der Toten als Monster-McGuffin, um den Punkt herauszuarbeiten, wie selbstlos, kurzsichtig (oder beides) die menschlichen Charaktere sind. In dieser Hinsicht sind die Regeln jedoch anders, und die Statistik mag nicht genauso anwendbar sein, die Armee der Toten erfüllt als dramatisches Element, das die Geschichte weiterbringt, genau dieselbe Rolle wie Zombies.
Bonus: Zombiedrachen Wie ich schon in Kap. „Nördlich der Mauer“ sagte, ließ die Episode Jenseits der Mauer in der 7. Staffel eine Reihe unbeantworteter Fragen zurück. Ich habe einige davon behandelt, aber eine der größten Fragen für dieses Kapitel aufgespart: Wie konnten die Wiedergänger den Zombie-Viserion aus dem See ziehen, und woher kamen diese Ketten? Wir müssen einige Dinge abschätzen, um eine Antwort zu erhalten. Zuerst, wie lange würde es dauern, bis das Eis fest genug gefroren wäre, um einen Drachen auszuhalten? Zweitens, wie lange dauert es, Ketten zu schmieden oder zu finden und sie an Viserion zu befestigen? Drittens, wie stark müsste die Armee der Toten sein, um dies geschehen zu lassen, und wie können sie fest genug ziehen, ohne auf dem glatten Eis auszurutschen? Für die Frage, wie dick das Eis sein müsste, um einen Drachen zu tragen, gibt es eine ziemlich einfache Gleichung. Die Dicke des benötigten Eises hängt von der Quadratwurzel des Gewichts des Drachen ab (nun, die Gleichung wurde für Flugzeuge abgeleitet, aber das ist wirklich das Gleiche) (Sharp 1947):
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√ S=C W
Wobei S die Dicke des benötigten Eises in Zentimeter ist, C eine Konstante, die vom Eistyp abhängt – entweder Meereseis, Flusseis oder Seeeis –, und W ist das Gewicht des Flugzeugs (oder Drachen) in Tonnen. Diese Formel funktioniert nur für Eis, das bei ca. − 9 °C gefroren ist, bei höheren Temperaturen muss S etwa 25 % größer sein. Weil Viserion in einen See gefallen ist, beträgt C = 9,5. Nimmt man an, Viserion wiegt so viel wie eine Boeing 747, heißt das W = 200 t. Dies ergibt eine benötigte Eisdicke von etwa 1,3 m. Bei etwa −7 °C friert der See etwa 2,5 cm pro Tag mehr zu (Pyzer 2016). Dies würde den Weißen Wanderern ausreichend Zeit von etwa zwei Monaten geben, eine wahnsinnige Menge von Ketten herzustellen. Zum Glück wäre Viserion bei diesen Bedingungen nicht stark verwest. Was die Ketten angeht: Wenn Sie „where did the night king …“ in Google eingeben, ist der zweite Vorschlag nach „…come from“ meist „… get those chains“ (dt. „woher kam der Nachtkönig“ bzw. „hat er diese Ketten“). Offensichtlich ist dies etwas, was jeder wissen will. Manche haben vorgeschlagen, sie könnten von Riesen gemacht worden sein. Dies würde sicherlich erklären, wie sie geschmiedet wurden, denn ich glaube nicht, dass Wiedergänger gerne schmieden. Es gibt keine großartige wissenschaftliche Erklärung dafür, wie Kreaturen, die offensichtlich nicht schwimmen können, einen Drachen in einem See finden und ihm riesige Ketten anlegen konnten, deshalb überlasse ich diese Übung dem Leser. Aber einige haben auch die Frage gestellt, wie der rund 200 Tonnen schwere Viserion aus dem See gezogen werden konnte, ohne seine Flügel abzureißen. Das ist eine berechtigte Frage. Die Höhe der Belastung ist für die meisten Gelenke meist zu viel. Wie ich jedoch in Kap. „Drachenbiologie – Fledermäuse, aber mit Feuer“ noch darstellen werde, haben Drachen vermutlich besonders starke Knochen, was das Problem des Ausreißens der Flügel lösen würde. (Es zeigt sich, dass dies unerheblich ist.) Denn bei der Frage, wie stark ein Wiedergänger sein müsste, um diese Ketten zu ziehen, muss man sich zuerst ansehen, wie schwer Viserion wäre, wenn er untergetaucht ist, und dazu muss man den Auftrieb einbeziehen. Ich habe angenommen, dass Viserion etwa 200 t wiegt, also eine Gewichtskraft von ca. 2.000.000 N hat. Der Auftrieb treibt ihn etwas nach oben und ist durch die Gleichung FB = ρgV
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gegeben. Dabei sind ρ die Dichte des Wassers und V das Volumen Viserions. Wenn wir wieder annehmen, dass er ungefähr eine 747 ist, beträgt sein Volumen etwa 876 m3. Diese Gleichung liefert uns etwas Überraschendes: Wenn Viserion vollkommen untergetaucht wäre, würde eine Auftriebskraft von 8.600.000 N wirken, also gut viermal so viel wie sein Gewicht. Er würde schwimmen! Ich vermute, das beantwortet die Frage, wie sie zu ihm schwimmen konnten, um die Ketten zu befestigen. Ein Problem bleibt, nämlich, wie hart die Wiedergänger hätten arbeiten müssen, um Viserion weit genug zu ziehen, damit der Nachtkönig ihn wiederbeleben kann. In Wirklichkeit ist auch das kein Problem. Weil er bereits über Wasser war, hätte er seine Schnauze berühren können, ohne dass man außer an seinem Kopf viel hätte ziehen müssen. Wenn Weiss und Benioff im Physikunterricht einfach etwas aufgepasst hätten, würden keine dieser Plot-Löcher existieren, über die man in Internetforen ständig diskutiert.
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Gewöhnlicher Stahl aus Pittsburgh
Scharfer Stahl und starke Arme beherrschen die Welt, glaube nie etwas anderes. – Sandor „der Bluthund“ Clegane, Die Saat des goldenen Löwen
Viele wissenschaftliche Fortschritte gelangen, weil man eigentlich bessere Werkzeuge und Waffen herstellen wollte. Die Metallurgie macht da keine Ausnahme. Kupfer und Eisen wurden veredelt, um zu Waffen und Werkzeugen geschmiedet zu werden, und später mit Zinn bzw. Kohlenstoff vermischt, um Bronze und Stahl herzustellen, denn diese Legierungen waren für die Metallbearbeitung noch geeigneter. Tatsächlich ist Stahl fast ein Synonym für Waffen. Bilder der in der Sonne glänzenden Ritterrüstungen oder der Klang von aufeinander krachenden Schwertern in der Schlacht sind typische Kennzeichen der meisten Geschichten, die im Mittelalter spielen. Game of Thrones ist keine Ausnahme. Die Ritter von Westeros sind für ihre Schwerter bekannt, die als eines der wertvollsten Besitztümer an ihre Kinder weitergegeben werden. Doch auch jenseits der Fantasywelten ist Stahl wichtig. Der Übergang von Steinwerkzeugen und -waffen zu Kupfer und Bronze war ein gewaltiger Schritt für die Entwicklung der Zivilisation. Die Entdeckung des Eisens war ein weiterer. Die Menschheit betrat die moderne Zeit, als sie bemerkte, dass man durch die Vermischung von Eisen und Kohlenstoff Stahl herstellen kann. Stahl ist haltbar, und das Eisen, aus dem er gemacht ist, kann relativ leicht geschmolzen und geschmiedet werden. Stahl machte die Waffen des Mittelalters und die Wolkenkratzer von heute möglich. Doch er ist nicht vollkommen – fragen Sie einfach Jack und Rose in Titanic. Bevor Sie Hunderte von Menschen in einer Stahlwanne in das © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 R. C. Thompson, Wissenschaft meets Game of Thrones, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61419-8_6
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eisige Nordmeer schicken, sollten Sie ihre Eigenschaften genau kennen. Menschen brauchten sehr lange, um herauszufinden, wie man am besten qualitativ hochwertigen Stahl für eine Vielzahl von Anwendungen herstellt, und sogar heute noch wird an der Perfektionierung der Methode gearbeitet. In Westeros werden zwei Stahlsorten für die Herstellung von Waffen verwendet: normaler Stahl und Valyrischer Stahl. Ich werde über beide sprechen, doch in diesem Kapitel werde ich mich auf normalen Stahl und seine Herstellung und Verwendung im Laufe der Geschichte konzentrieren. Die mikroskopischen Gründe für seine Eigenschaften ähneln überraschenderweise ziemlich denen der Eismauer, über die ich schon in Kap. „Und jetzt beginnt meine Wache“ gesprochen habe. Stahl hat auch Grenzen, wie viele der Brüder der Nachtwache herausfinden mussten, als sie gegen Weiße Wanderer kämpften (was auch Jack und Rose feststellen mussten). Bei normalen Temperaturen funktioniert Stahl sehr gut, doch in der Kälte sieht das anders aus. Am Ende dieses Kapitels werde ich hoffentlich erklären können, warum Stahl die Anforderungen gegen eine Armee der Toten nicht erfüllen kann. In späteren Kapiteln werde ich darauf zu sprechen kommen, warum Valyrischer Stahl und Drachenglas noch dort eingesetzt werden können, wo Stahl versagt. Aber jetzt wollen wir eine kleine materialwissenschaftliche Tour durch die Geschichte der Menschheit unternehmen.
Hart, weich, spröde und biegsam: warum Stahl? Stahl revolutionierte die Kriegsführung auf der ganzen Welt. Doch bevor wir überhaupt darüber sprechen können, warum er so großen Einfluss hatte, müssen wir erst verstehen, was Stahl eigentlich ist. Was genau ist eigentlich ein Metall und eine Legierung? Wenn wir das begriffen haben, wissen wir auch, was sie für Waffen so geeignet macht. Bevor Kupfer entdeckt und von anderen Stoffen getrennt werden konnte, wurden Waffen und Werkzeuge aus Stein und Holz hergestellt. Obwohl diese ihre Aufgabe sicherlich ordentlich erfüllten, konnten sie leicht zerbrochen oder beschädigt werden und blieben nicht scharf. Kurz gesagt, sie waren spröde oder weich. Viele Metalle sind chemische Elemente, das heißt, sie bestehen nur aus einer Atomsorte, die man in der Natur finden kann. Die meisten Elemente im Periodensystem sind Metalle. Wenn sie bei einem Kneipengespräch gefragt werden, könnten Sie vermutlich die meisten ihrer Eigenschaften aufzählen. Um als Metall zu gelten, muss ein Element mehrere Eigenschaften besitzen: Wir sind gewohnt, dass ein
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Metall glänzend, hart und undurchsichtig ist. Dazu sind außer Quecksilber Metalle bei Raumtemperatur fest. Metalle sind außerdem duktil – das heißt, sie können zu einem Draht verzogen werden – und schmiedbar, sie können also in Form gehämmert werden. Außerdem sind sie gute Wärme- und Stromleiter. Viele dieser Eigenschaften sorgen dafür, dass sie als Waffen geeignet sind, doch es bleiben einige Fragen: Wie sind Metalle auf molekularer Ebene strukturiert? Wie versagen sie? Und wie können sie verbessert werden? Der Schlüssel zu den meisten der einzigartigen Eigenschaften von Metallen ist, wie ihre Atome aneinander gebunden sind. Diese sogenannte metallische Bindung unterscheidet sich von anderen Arten der Atombindungen und kommt nur in Metallen vor. Bei der metallischen Bindung haben die äußeren Elektronen nur ein schwaches Interesse daran, vor Ort zu bleiben. Man kann sich ein Metall vorstellen als eine Reihe von ortsfesten positiven Ionen, die in einen See von Elektronen eingetaucht sind. Wenn ein Element elektrisch leitfähig sein soll (das heißt bewegliche Ladungen übertragen soll), müssen Ladungen da sein, die sich bewegen können, und diese werden durch die metallische Bindung zur Verfügung gestellt. Manchmal gibt es auch eine Leitfähigkeit durch die Bewegung von Ionen, doch meistens fließt Strom aufgrund sich bewegender Elektronen. In Isolatoren (eine andere Art von Material, dessen physikalische Eigenschaften genau das Gegenteil von Metallen sind) gibt es nur sehr wenige Elektronen, die sich gerne frei herumtreiben. Metalle jedoch besitzen eine Wolke aus freien Elektronen, die herumwandern. Wenn man ihnen also einen Schubs in Form einer Spannung gibt, bewegen sie sich, sodass das Metall einen Strom weiterleiten kann. Dies gilt auch für Wärme, weil Wärme dadurch übertragen wird, dass sich bewegende Teilchen mit anderen Teilchen zusammenstoßen und diese wiederum dazu bringen, sich ebenfalls (mehr) zu bewegen. (Wenn Sie bisher noch keine Gelegenheit hatten, Kap. „Nördlich der Mauer“ zu lesen: In ihm wird eleganter erklärt, wie Wärme übertragen wird.) Dieser Elektronensee ist auch der Grund, warum Metalle glänzen. Wenn Licht ein Objekt trifft, wird ein Teil davon absorbiert, ein anderer gestreut und ein weiterer reflektiert. Dies alles hängt davon ab, wie die Elektronen in den Atomen und Molekülen angeordnet sind, von denen das Licht reflektiert usw. wird. Im Fall von Nichtmetallen sind Elektronen fest mit den Atomen verbunden und können sich nur auf bestimmte Weise bewegen, daher werden nur bestimmte Farben des Lichts reflektiert. Bei Metallen können sich Elektronen auf viele verschiedene Arten bewegen und daher viele verschiedene Wellenlängen reflektieren. Sie können nicht immer alle Farben reflektieren, deshalb haben verschiedene Metalle auch
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verschiedene Farben, aber im Allgemeinen reflektieren Metalle ein breites Spektrum des Lichts. Wie ich schon bei der Diskussion von Eis in Kap. „Und jetzt beginnt meine Wache“ erwähnt habe, besitzen Festkörper unterschiedliche Kristallstrukturen. Im Fall von Metallen haben sie eines von drei verschiedenen Raumgittern: kubisch raumzentriert (body-centered cubic, BCC), kubisch flächenzentriert (face-centered cubic, FCC) oder hexagonal dichteste Kugelpackung (hexagonal close-packed, HCP). HCP sieht ganz ähnlich wie eine leicht versetzte Bienenwabe aus, die auf eine andere Bienenwabe gestapelt ist (ich werde auf diese Struktur in Kap. „Stahl, hergestellt in Damaskus“ noch genauer eingehen). Die beiden für dieses Kapitel relevantesten Metalle sind Kupfer und Eisen. Kupfer hat eine FCC-Struktur, die so aussieht wie ein Würfel, bei dem ein Atom an jeder Ecke und eines in der Mitte jeder Seitenfläche sitzt. Eisen kann entweder FCC- oder BCC-Struktur haben, je nachdem, wie es abgekühlt wurde und welche Verunreinigungen darin sind. BCC sieht aus wie ein Würfel mit einem Atom an jeder Ecke und einem weiteren Atom in der Mitte des Würfels (Abb. 1). Weil diese Atome durch eine metallische Bindung zusammengehalten werden, können sie übereinander verschoben werden, ohne dass Bindungen aufgebrochen und neu gebildet werden müssen. Wenn ein Metall ein klein wenig zusammengedrückt wird, wird es wieder in seinen Ausgangszustand zurückkehren, doch wenn man es wirklich mit einem Hammer bearbeitet, werden sich die Atome bewegen und sich irgendwo anders niederlassen, ohne dass die ganze Struktur zerbricht. Die Bindungen müssen also nicht aufgelöst werden, damit sich die Atome verschieben können. Dies verleiht dem Metall die Duktilität, sodass es geschmiedet werden kann. Genau wie die Kristallstruktur des Eises in der Mauer ist die eines Metalls nicht ganz und gar perfekt, und dies verleiht dem Metall seine Härte. Ein Kristallkorn ist ein Bereich von vollkommen angeordneten Atomen. Die Grenze
Abb. 1 a Kubisch raumzentrierte Struktur (BCC), auch Austenit genannt, b kubisch flächenzentrierte Struktur
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zwischen zwei Kristallkörnern, die sogenannte Korngrenze, wird als Defekt betrachtet. Innerhalb des Kristallkorns können Atome leicht übereinander verschoben werden, doch es ist schwieriger für sie, sich in die Nähe der Korngrenze zu bewegen, weil dort die Struktur nicht richtig geordnet ist. Weil sich die Atome lokal bewegen können, aber nicht über lange Strecken, kann das Metall trotzdem verformt werden und ist dennoch hart. Je mehr ein Metall bearbeitet wird, desto mehr Korngrenzen entstehen und desto härter wird es. Deshalb wird Eisen auch wieder und wieder bearbeitet. Doch die Härte hat ihren Preis. Wie wir schon beim Eis gesehen haben, sind Defekte und Grenzen die Linien, an denen ein Material brechen kann. Wenn wir über Metalle sprechen, ist es wichtig zu definieren, was es genau bedeutet, dass eine Substanz hart ist. Es ist nicht das Gleiche wie stabil oder zäh, was auch mögliche Eigenschaften von Festkörpern sind. Ein hartes Material hat einen hohen Widerstand dagegen, verkratzt oder eingedrückt zu werden. Stein oder Holz können zum Beispiel leicht zerkratzt oder eingedrückt werden, doch es erfordert viel mehr Kraft, um ein Metall zu zerkratzen oder einzudrücken. Die Härte eines Metalls wird in Mohs gemessen, was Sie vielleicht schon einmal in Verbindung mit Edelsteinen gehört haben. Das Maß teilt Materialien so ein, dass alles mit einer kleineren Zahl von allem mit einer größeren Zahl zerkratzt werden kann. Diamant, mit Härte 10, kann alles zerkratzen, doch Blei (1,5) wird von fast allem zerkratzt, mit dem es in Kontakt kommt. Kupfer hat eine Härte von 3, sowohl Stahl als auch Eisen haben etwa 4,5 und Wolframkarbid liegt zwischen 8,5 und 9. Leider sind harte Metalle nicht gleichzeitig stabil. Sprödigkeit wird darüber definiert, wie leicht etwas zerbricht, ohne sich vorher zu verformen. Play-Doh ist nicht hart, aber auch nicht spröde. Wenn eine Kraft darauf wirkt, verformt es sich leicht, bevor es zerbricht. Zähigkeit ist das Gegenteil von Sprödigkeit. Wenn etwas zäh ist, wird es sich ziemlich stark verformen, bevor es Risse bekommt. Deshalb ist Play-Doh weich, aber zäh – wie ein Charakter in einem Jugendroman. Festigkeit, die sich wiederum von Härte und Zähigkeit unterscheidet, ist die Fähigkeit eines Materials, einer anliegenden Kraft zu widerstehen, ohne zu zerbrechen oder verbogen zu werden. Um die Festigkeit eines Materials zu bestimmen, betrachtet man, wie es sich unter Druck verhält, wobei Druck die Kraft pro Einheitsfläche ist. Es gibt drei verschiedene Arten von Belastung: Druckbelastung, Zugspannung und Scherspannung. Materialien behalten je nach Belastungsart nicht immer die gleiche Festigkeit bei. Eines kann sehr fest sein, wenn daran gezogen wird (Zugbelastung), aber weniger fest, wenn es unter Druckbelastung gerät oder daran
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geschoben wird (Scherspannung). Wie bei seinen anderen Eigenschaften rührt die Festigkeit eines Metalls bei verschiedenen Belastungen von seiner metallischen Bindung her. Diese Bindungen wollen einfach nicht brechen, deshalb muss man viel Aufwand betreiben, um die Atome auseinanderzubringen. Verschiedene Metalle haben unterschiedliche Eigenschaften, je nachdem, wie viele Elektronen jedes Atom zur Elektronenwolke beisteuern kann. Wenn das auch der Intuition widerspricht: Atome, die weniger Elektronen abgeben können, besitzen eine höhere Leitfähigkeit als die, die mehr abgeben. Die geringere Zahl von Elektronen in der Wolke führt dazu, dass ihren Bewegungen weniger Widerstand entgegengesetzt wird. Dies macht jedoch das Metall weicher und leichter verformbar. Eisen hat mehr Elektronen in seiner Wolke, dadurch wird es für die Atome schwieriger, sich zu bewegen und voneinander wegzukommen. Deshalb ist Eisen stabiler als Gold oder Kupfer, hat aber eine geringere Leitfähigkeit. Sie können das selbst ausprobieren: Wenn Sie Aluminium- und Gusseisentöpfe haben, werden Sie feststellen, dass sich das Aluminium viel schneller erwärmt, aber es lässt sich leichter eindellen als Gusseisen. Ich habe jetzt den Eindruck erweckt, als seien metallische Bindungen das Beste, was es gibt, doch sie haben auch ihre Nachteile. Weil es in Metallen freie Elektronen gibt, können sie leicht mit Atomen in der Nähe Bindungen bilden. Deshalb rosten Metalle. In der Anwesenheit von Wasser reagiert Eisen sehr leicht mit Sauerstoff, sodass Eisenoxid, also Rost, entsteht. Die Patina, die man auf Kupfer und anderen Metallen sieht, ist nur deren Form von Rost. Dies sind Beispiele für Oxidation, eine Reaktion, die einer Verbrennung ähnelt, über die ich noch in Kap. „Harrenhal“ sprechen werde. Die elektrochemischen Eigenschaften von Salz beschleunigen die Oxidation und führen dazu, dass Dinge schneller rosten. Wenn Sie in einer Gegend wohnen, in der es oft schneit, werden Sie ihr Auto regelmäßig waschen wollen, nachdem Sie auf Straßen gefahren sind, die nach einem Schneesturm mit Salz bedeckt sind. Die Farbe auf Ihrem Auto ist eine hervorragende Barriere, aber wenn Sie so wie ich sind, hat der Lack einige Kratzer. Im Falle des Eisens erleichtert es der Rost dem Wasser und dem Sauerstoff, mit mehr Eisenatomen Verbindungen zu bilden und so noch mehr Rost zu erzeugen, wodurch die Festigkeit und andere erwünschte Eigenschaften des Eisens allmählich zerstört werden. Metalle wie Kupfer haben dagegen Glück. Bei ihnen kommt es zur gleichen Reaktion, doch die Patina bedeckt das Metall so vollständig, dass sie als Schutz wirkt, der eine weitere Korrosion unterbindet. Kupferoxid ist grün, deshalb werden Kupfer und Bronze (eine Legierung aus Kupfer und Zinn) grün, wenn sie den Elementen ausgesetzt sind. Wie ich in den Feuerkapiteln noch näher erklären werde, verbrennt
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Kupfer aus denselben Gründen auch grün; es handelt sich um die gleiche Reaktion. Weil Metalle so reaktiv sind, findet man sie auch sehr selten in ihrer elementaren (reinen) Form in der Natur, sondern meist als Erz, einer Verbindung des Metalls mit anderen Elementen. Um Erz in etwas Nützliches zu verwandeln, muss es einen Verhüttungsprozess durchlaufen.
Das Absondern von Metallen: Verhüttung und der Beginn des Bronzezeitalters Verhüttung ist ein Vorgang, bei dem ein Metall vom Rest des Erzes getrennt wird. Nicht alle Metalle findet man als Erz – Gold ist eine bemerkenswerte Ausnahme –, aber die meisten. Würde man Gold als Erz finden, gäbe es viel weniger Drama in den alten Westernfilmen, denn Schmelzen ist bei Weitem nicht so aufregend wie Goldwaschen. Normalerweise ist Erz eine Verbindung aus Sauerstoff, Schwefel, Silizium und dem Metall, das man zu extrahieren versucht. Der erste Schritt bei der Verhüttung wird Rösten genannt und ist ziemlich genau das, wonach es klingt. Wie beim Rösten eines Truthahns wird das Erz auf eine relativ niedrige Temperatur erhitzt (unterhalb des Schmelzpunkts) und eine Zeitlang so gelassen. Hier durchläuft es aufgrund von thermischem Zerfall eine chemische Reaktion. Die Bindungen des Metalls mit unerwünschten Teilen des Erzes (normalerweise Schwefel, Silizium, Hydroxid oder Karbonat) zerbrechen und Letztere verbinden sich miteinander und dem Sauerstoff und dem Wasser in der Luft. Zurück bleibt das Metall mit dem anhaftenden Sauerstoff. Als Nächstes muss der Sauerstoff vom Metall getrennt werden. Eine Reaktion, die dies macht, wird im Allgemeinen Reduktion genannt. Es ist chemisch das Gegenteil einer Oxidation, die wir im letzten Abschnitt behandelt haben. Zusammengefasst werden diese beiden Reaktionen in dem Begriff Redoxreaktionen. Bei Metallen muss man eine Umgebung schaffen, in der sich der Sauerstoff von dem Metall trennen und sich mit etwas anderem verbinden möchte. Traditionellerweise wird das Metall in eine Umgebung mit hoher Temperatur, wenig Sauerstoff und viel Kohlenmonoxid (CO) gebracht, das durch das Feuer entsteht, das verwendet wird, um das Metall zu erhitzen. Entscheidend ist, dass es in der Umgebung fast keinen Sauerstoff, aber viel CO gibt, das viel lieber Kohlendioxid sein würde. Zum Glück gibt es Sauerstoffatome, die ein neues Zuhause suchen: Der Sauerstoff im Erz löst sich davon und verbindet sich mit dem CO, sodass CO2 entsteht. Andere Verbindungen, die sogenannten Flussmittel, können verwendet werden, um die Reaktion zu katalysieren oder zu
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beschleunigen. Auch Flussmittel verbinden sich mit unerwünschten Verbindungen, um sie zu beseitigen. Gebrannter Kalk ist ein weitverbreitetes Flussmittel, das mit Silizium, Phosphor und Schwefel reagiert, um sie zu beseitigen. Nach der Redoxreaktion bleibt das Metall in seinem elementaren Zustand zurück. Glückwunsch: Jetzt haben Sie Eisen. Nur Eisen. Doch das Metall ist tatsächlich nicht das Einzige, was zurückbleibt. Die Nebenprodukte des Prozesses – die Verunreinigungen, die beseitigt wurden, und die Reaktionsprodukte – sind immer noch da. Diese unerwünschten Nebenprodukte heißen Schlacke. Normalerweise sind Nebenprodukte schlecht. Im Fall des Schmelzens von Eisen jedoch erfüllt die Schlacke einen weiteren Zweck. Eisen verbindet sich sehr gerne mit Sauerstoff, deshalb verhindert die Schlacke über dem Eisen, dass es sich wieder mit dem Sauerstoff verbinden kann, der ihm gerade entzogen wurde. Die Schlacke kann dann leicht entfernt, abgekühlt und in Granulat verwandelt werden. Dieses Granulat wird entweder abgelagert oder verwendet. Es gibt eine ganze Industrie, die ausschließlich Schlacke verwendet oder endlagert. Die National Slag Association (Nationale Schlacke-Gesellschaft) wurde 1918 in den USA gegründet und bezeichnet Schlacke als das nachhaltigste Produkt. Ihr zufolge kann Schlacke für viele industrielle Zwecke eingesetzt werden, vor allem in Beton und Zement, doch manche Sorten eignen sich auch für Asphalt und gewisse Anwendungen in der Landwirtschaft. In vielen Fällen wird die Schlacke jedoch einfach entsorgt (Yi 2012). Jedes Jahr werden rund 7 Mio. Tonnen Schlacke produziert. Der Großteil davon wird in Deponien gelagert. Das Granulat wird mit Wasser gemischt, sodass Schlamm entsteht, der in Deponien gepumpt werden kann. Dies stellt ein großes Problem dar, weil die Mischung sehr alkalisch ist, was den Boden zerstört. Alternative Methoden für die Beseitigung der Schlacke werden derzeit erforscht, doch es ist sehr schwierig, ein sicheres Endlager für sie zu finden. Wenn Sie politische Diskussionen über die Regulierung von Abfallprodukten der Stahlherstellung hören (die mit der Verhüttung von Eisen beginnt), ist Schlacke eines der Themen, ein weiteres ist Kohlendioxid (das wichtigste Treibhausgas).
Bronze- und Eisenzeit Erst waren Metalle nichts weiter als glänzende Flecken in einem Stück Fels, erst der Vorgang der Verhüttung machte sie zum Goldstandard für die Herstellung von Waffen und Werkzeugen. Die Verhüttung von Kupfer läutete
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die Bronze- und später die Eisenzeit ein, beides wichtige Epochen in der Geschichte der Menschheit. Die ersten Metalle, die geschmolzen wurden, waren aufgrund ihrer niedrigen Schmelztemperatur Blei und Zinn, doch beide waren zu weich und eigneten sich nicht für Waffen oder Werkzeuge. Bronze ist eine Legierung, also eine Mischung, aus Kupfer und Zinn. Zinn war bereits abgeschieden worden, deshalb war das Kupfer der Schlüssel zu dem Verfahren. Der Verhüttungsprozess, den ich im letzten Abschnitt erklärt habe, beschreibt die modernen Arbeitsabläufe. In der Bronzezeit war es schwierig, Feuer zu machen, die heiß genug waren, um das Erz auf die Temperaturen zu bringen, bei denen die für die Verhüttung notwendigen chemischen Reaktionen ablaufen. Man vermutet, dass Kupfer zum ersten Mal um 5000 v.Chr. per Zufall in Brennöfen von Töpfern gewonnen wurde. In Brennöfen werden extrem hohe Temperaturen erreicht, viel höher, als die des Feuers darin. Ein Brennofen benötigt vier entscheidende Elemente, um effektiv zu arbeiten: Isolierung, eine Möglichkeit, etwas hineinzustellen und herauszuholen, Sauerstoff und Brennstoff. Auf die Verbrennungsreaktionen, die die Wärme erzeugen, werde ich in Kap. „Harrenhal“ und „Die Schlacht am Schwarzwasser“ noch genauer eingehen, wichtig zu wissen ist, dass Sauerstoff dazu führt, dass ein Brennstoff schneller und intensiver verbrennt, sodass mehr Hitze entsteht. Deshalb bläst man in eine Flamme, wenn man versucht, etwas anzuzünden. In einem Brennofen verheizt man normalerweise Holz oder Kohle im Inneren einer abgetrennten Kammer. Diese hält, wie bei einem Ofen, die Wärme in ihrem Inneren, sodass die Temperaturen höher werden können, als man nur durch das Feuer erreichen würde. Sauerstoff strömt durch eine Belüftungsöffnung am Boden des Brennofens herein und aufgrund natürlicher Konvektion durch einen Kamin wieder heraus. Dadurch steigt die Luft auf und trägt die Wärme des Feuers mit sich. Holz verbrennt bei etwa 600 °C, doch in einem Brennofen können Temperaturen bis zu 950 °C erreicht werden, das ist ungefähr die Temperatur, die für die Kupferverhüttung notwendig ist. Die Luftzirkulation kann über den Abzug im Kamin reguliert werden, doch nach der Erfindung des Blasebalgs wurde der Vorgang verbessert, denn mit ihm konnte man die Luftzirkulation besser steuern. Verglichen mit anderen Metallen eignet sich Kupfer für viele Dinge. Seine Kristallstruktur ist FCC, ein Kupferatom steuert ein Elektron zur Elektronenwolke bei. Die hohe Elektronendichte in der Wolke bedeutet, dass es sich leicht mit Sauerstoff verbindet, dadurch entsteht eine Barriere, die eine weitere Korrosion verhindert. Dank der FCC-Kristallstruktur können Atome in der größtmöglichen Zahl von Richtungen übereinander gleiten, deshalb ist Kupfer so duktil. In manchen Fällen können Kupferrohre
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sogar mit der Hand verbogen werden. Durch das Gleiten der Atome wird Kupfer auch ziemlich stabil, es deformiert sich, bevor es versagt. Der Nachteil ist, dass Kupfer nicht sonderlich hart ist. Es war zwar für Waffen und Werkzeuge besser geeignet als Stein, Blei oder Zinn, aber immer noch nicht großartig. Keiner wünscht sich einen Hammer oder ein Schwert, das sich so leicht verbiegt. Es hat eine hervorragende Wärme- und elektrische Leitfähigkeit und wurde (und wird immer noch) zum Kochen verwendet, doch für die elektrische Leitfähigkeit interessierten sich die Leute damals noch nicht besonders. Wie es genau entdeckt wurde, ist nicht klar, doch um 4000 v. Chr. fanden die Menschen heraus, dass durch die Mischung von Kupfer und Zinn ein für Waffen und Werkzeuge viel besser geeignetes Metall entsteht, als Kupfer allein ist: Bronze. Bronze war so nützlich, dass ein ganzes Zeitalter danach benannt wurde. Sie ist viel härter als andere Metalle dieser Zeit und konnte trotzdem leicht bearbeitet werden, außerdem verrostete sie nicht. Der Grund für diese Eigenschaften ist die Anordnung der Atome in der Kupferstruktur. Die Zinnatome können auf drei verschiedene Arten hineinpassen. Die moderne Bronze besteht aus 88 % Kupfer und 12 % Zinn, doch die antike Bronze enthielt irgendetwas zwischen 6 und 20 % Zinn, wobei verschiedene Anteile zu unterschiedlichen Eigenschaften führten. Wie die Zinnatome eingebaut werden, hängt davon ab, wie das Metall abgekühlt und bearbeitet wurde. So kann das Zinn zum Beispiel einfach eines der Kupferatome in der FCC-Struktur ersetzen. Dies passiert, wenn eine Mischung mit weniger als 11 % Zinn langsam abgekühlt wird, sodass die Kupfer- und Zinnatome genug Zeit haben, sich im geordneten FCC-Gitter anzuordnen, und einige Zinnatome so tun können, als seien sie Kupfer. Zinnatome haben die Ordnungszahl 50 im Periodensystem und sind damit viel größer als die Kupferatome mit einer Ordnungszahl von 29. Wenn diese größeren Zinnatome auf Plätze gedrückt werden, in die sie nicht ganz passen, verursachen sie eine Spannung. Ich stelle mir das gerne so vor wie den Roboter Baymax aus Riesiges Robowabohu, der versucht, sich selbst in ein Gitter für viel kleinere BB-8 zu pressen. Diese Spannung führt dazu, dass die Legierung viel stabiler ist als Kupfer allein. Das gleiche Prinzip, größere Atome oder Ionen zwischen kleinere zu schieben, liegt der Verstärkung im Gorillaglas zugrunde. Weil die Atome in der Legierung, ganz unabhängig davon, um welche es sich handelt, immer einer Ordnung folgen, können sie übereinander gleiten, sodass ein Teil der Duktilität von Kupfer erhalten bleibt. Bei 11 % sind grob eines von zehn Atomen Zinn und neun Kupfer. Das ist ausreichend, dass jeder kleine FCC-Kasten mindestens ein Zinnatom in sich tragen sollte. Sobald der Zinnanteil
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höher wird, passt nicht mehr jedes Atom genau in das FCC-Gitter. Dann können sich beim Abkühlen des Kupfers Inseln mit einer viel höheren Zinnkonzentration bilden. Solche Inseln entstehen mit höherer Wahrscheinlichkeit, wenn die Mischung schneller abgekühlt wird. Je höher der Zinnanteil, desto mehr Inseln wird es geben. Wie beim Pykrete in Kap. „Und jetzt beginnt meine Wache“ verhindern diese Inseln das Gleiten. Dadurch wird die Legierung weniger duktil, aber viel härter. Der verrückte Name für diese schweren Straßensperren aus Zinn ist engineered discontinuities (technische Diskontinuitäten). Durch die Veränderung der Mengenverhältnisse und der Abkühlraten können viele der makroskopischen Eigenschaften der entstehenden Bronze festgelegt werden. Wenn Sie mehr über Kupfer und seine Legierungen erfahren wollen, empfehle ich Ihnen einen Besuch der Webseite der Copper Developement Association (https://www.copper.org); hier finden Sie Informationen über fast alles, was Sie über Kupfer wissen möchten. Sie sehen also, wie die Entdeckung von Bronze die Welt revolutioniert hat. Um als Gesellschaft weiterzukommen, muss man in der Lage sein, etwas zu entwickeln und dann alle umzubringen, die versuchen, dich umzubringen. Dazu benötigt man Werkzeuge und Waffen. Anders als Stein und die elementaren Metalle, die man damals kannte, kann Bronze sowohl gegossen (also geschmolzen und mithilfe einer Gussform gestaltet) als auch geschmiedet werden (das heißt erhitzt und gehämmert). Bronze war stabil genug, um für Objekte verwendet zu werden, die trotz Verschleiß ganz blieben, wie Schiffsbeschläge, Hacken und Sicheln, Töpfe und Sägen. Auch für Geld und Kunst wurde Bronze verwendet, die… na ja, das führt zu weit vom Thema Waffen und Werkzeuge weg. Natürlich wurde Bronze auch für Schwerter verwendet. Dabei hing vom Waffentyp ab, wie viel Zinn man für die Bronze verwendete. Für Schilde und Rüstungen muss Bronze z. B. in Platten gehämmert werden, die wiederholten Schlägen standhalten müssen. Deshalb wurden sie oft aus Bronze mit einem geringeren Zinngehalt gefertigt. Weniger Zinn bedeutete, dass die Atome leicht übereinander gleiten können, dadurch wurde das Hämmern eines Schildes oder Helmes viel einfacher. Außerdem wird die Bronze dadurch weniger brüchig. Es ist wahrscheinlich besser, wenn das Schild verbeult wird, statt vollkommen zu zerbrechen, doch für ein Schwert ist das nicht so gut. Bronze für Schwerter hatte oft einen höheren Zinngehalt. Dadurch wurde die Legierung härter und das Schwert blieb schärfer. Es gibt jedoch einen großen Nachteil, wenn man alles aus Bronze herstellen will: die Verfügbarkeit. Weder Kupfer noch Zinn sind in der Natur im Überfluss vorhanden. Schlimmer wird alles noch dadurch, dass Kupfer-
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und Zinnlagerstätten oft nicht gerade nahe beieinanderliegen. Dieses Problem spornte den Handel in der antiken Welt stark an, doch jede Unterbrechung der Handelswege verursachte damit auch Probleme bei der Herstellung von Bronze. Es gibt viel interessante Literatur über das Ende der Bronzezeit, doch weil dieses Kapitel von Stahl und Physik handeln soll, werde ich nicht weiter auf Details eingehen. Es muss reichen zu sagen, dass Bronze teurer wurde und schwerer zu bekommen war, und damit wurden Fortschritte in der Eisenherstellung gefördert, was letztlich zur Eisenzeit führte (Historiker, bitte verzeihen Sie mir meine grobe Vereinfachung, es ist wirklich faszinierend). Die Eisenzeit, die man wahrscheinlich besser Stahlzeit nennen sollte, begann zwischen 1200 und 1100 v. Chr. Ich bin keine Archäologin, deshalb bin ich mir sicher, es gab Gründe für den Namen Eisenzeit – mir ist nur nicht klar, welche. Schon während der Bronzezeit arbeiteten die Menschen mit Eisen, doch die Fortschritte dabei reichten noch nicht aus, um daraus Werkzeuge und Waffen herzustellen, die es mit denen aus Bronze aufnehmen konnten. Weil die Vorräte der Komponenten für Bronze beschränkt waren, waren die Menschen gezwungen, das Eisen zu verbessern, und sie stellten sich dieser Herausforderung. Die Hürde bei der Stahlherstellung ist die hohe Schmelztemperatur von Eisen von 1538 °C. Die Brennöfen dieser Zeit erreichten nicht die Temperaturen, die für die Eisenverhüttung notwendig waren, deshalb wurden die Leute kreativ. Eine der verständlichsten Erklärungen für die Eisenverhüttung im Altertum stammt aus dem durch Fachleute geprüften OnlineBuch für Mittelalterliche Studien (https://the-orb.arlima.net/index.html). Die Aufmachung ist etwa so altertümlich wie das Forschungsthema, doch es ist eine wunderbare Quelle für alle, die sich für mittelalterliche Metallurgie interessieren. Zuerst wurde Eisen in einem Rennofen verhüttet, dieser sieht ganz ähnlich wie ein Brennofen aus. Holzkohle, die bei höheren Temperaturen brennt als Holz, wurde als Brennstoff verwendet, und das Eisen wurde direkt ins Feuer gelegt. Damit der unerwünschte Sauerstoff von Erz entfernt werden konnte, musste im Rennofen ziemlich viel Kohlenmonoxid vorhanden sein. Weil CO ein Nebenprodukt der Verbrennung ist, vor allem, wenn die Holzkohle nicht vollständig verbrennt, war es wichtig, den Sauerstoffgehalt im Rennofen zu steuern. Die Blasebälge wurden so eingesetzt, dass sichergestellt war, dass genug Sauerstoff vorhanden war, um das Feuer am Brennen zu halten, und trotzdem CO das vorherrschende Gas blieb. In dieser Umgebung kam es zur erforderlichen Redoxreaktion, und die unerwünschten Teile des Erzes, die Schlacke, schmolz und tropfte auf den Boden des Rennofens. Die Temperatur war hoch genug, um die Schlacke, aber nicht hoch genug,
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um das Eisen zu schmelzen. Das Ergebnis dieses Prozesses war die Luppe, ein Stück Eisen voller Löcher, in denen Verunreinigungen gefangen waren. Danach wurde das Eisen bei Temperaturen um die 1000 °C gehämmert (je nachdem, welche Quelle man verwendet), um so viele Verunreinigungen wie möglich herauszuschlagen. So entsteht Schmiedeeisen, also Eisen, das bearbeitet wurde. Um aus Eisen Stahl zu machen, muss Kohlenstoff hinzugefügt werden, dies geschieht durch das sogenannte Aufkohlen. Holzkohle hat einen außerordentlich hohen Kohlenstoffgehalt, und Stahl ist nichts anderes als Eisen gemischt mit Kohlenstoff. Woher kommt es also, dass aus der Luppe am Ende nicht Stahl, sondern elementares Eisen entsteht? Unglücklicherweise ist es nicht ganz einfach. Die Veredelung von Stahl ist stark von der Temperatur abhängig. Bei geringeren Temperaturen diffundiert der Kohlenstoff nicht sehr stark in das Eisen, doch sobald die Temperatur steigt, wird immer mehr davon eingelagert. Man könnte erwarten, dies würde so weitergehen, bis der Schmelzpunkt von Eisen erreicht ist, wo man beide einfach vermischen könnte, wie Kupfer und Zinn in der Bronze. Doch es stellt sich heraus, dass Legierungen sonderbar sein können, also wirklich komisch. Bei vielen Legierungen gibt es den sogenannten eutektischen Punkt. Bevor ich dies genauer erkläre, sollte ich erwähnen, dass ich in meiner Doktorarbeit teilweise Muster analysiert habe, die sich beim Eutektikum von Silizium und Gold beim Wachsen von Nanodrähten ergeben haben (mehr dazu in Kap. „Stahl, hergestellt in Damaskus“). In der Gruppe der Experimentalphysiker, die diese eutektischen Muster wachsen ließ, konnte nur die Hälfte davon sicher von sich behaupten, dass sie verstanden, was ein Eutektikum war, und keiner konnte es irgendjemanden erklären. Wenn Sie also glauben, das Eutektikum ergebe keinen Sinn, sind Sie in guter Gesellschaft von ziemlich vielen Leuten, die sich mit einem Doktortitel ansprechen lassen. Wenn man zwei Stoffe, wie Eisen und Kohlenstoff, mischt, würde man annehmen, dass die Mischung erst schmilzt, wenn die Schmelzpunkte beider überschritten sind; doch manchmal schmilzt die Mischung bei einer Temperatur, die unterhalb der Schmelzpunkte beider Stoffe liegt. Dieses „gute Schmelzen“ geschieht bei einer bestimmten Temperatur und einem bestimmten Mischungsverhältnis. Die entstehende Flüssigkeit hat immer diese Temperatur und Zusammensetzung. Der Punkt, an dem dies passiert, wird eutektischer Punkt genannt und die erzeugte Flüssigkeit Eutektikum, das heißt „gut geschmolzen“. Beim Stahl absorbiert Eisen den Kohlenstoff bei etwa 1150 °C, bis die Mischung aus 3,5 % Kohlenstoff und 96,5 % Eisen zusammengesetzt ist. An diesem Punkt schmilzt sie sehr schnell. Der erzeugte Stahl ist flüssig und kann gegossen werden, doch aufgrund seines
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hohen Kohlenstoffgehalts ist er nutzlos. Es handelt sich um Gusseisen. In einem Rennofen können verschiedene Eisenarten erzeugt werden, die entweder für eine Balkonbrüstung (Schmiedeeisen) oder eine Bratpfanne (Gusseisen) verwendet werden können, aber er kann keinen Stahl hervorbringen. Doch es gibt verschiedene Möglichkeiten, aus dem Eisen Stahl zu machen. Ich werde mich hauptsächlich auf die frühe Stahlherstellung im Mittelmeerraum konzentrieren und setze damit stillschweigend voraus, dass die Methoden in Westeros diesen mehr ähneln als denen in China oder Indien, den beiden Machtzentren des Stahls dieser Zeit. (Wenn Sie sich darüber Gedanken machen, wie Valyrien – oder Indien und Syrien – so großartigen Stahl herstellen konnte, können Sie beruhigt sein; es wird ein ganzes Kapitel darüber geben.) Das südliche Europa war in vielerlei Dingen großartig, doch die Herstellung qualitativ hochwertiger Stähle gehörte nicht dazu. Die Qualität von Stahl ist stark von seinem Kohlenstoffgehalt abhängig. Wenn zu viel Kohlenstoff enthalten ist, wird die entstehende Legierung beim Schmieden brechen, statt in verwendbare Schwerter verwandelt zu werden. Wenn andererseits zu wenig Kohlenstoff enthalten ist, wird der Stahl nicht sonderlich stabil sein und auch nicht scharf bleiben. Es sieht so aus, als könnte der Kohlenstoffgehalt über die Temperatur im Rennofen beeinflusst werden – und das stimmt auch tatsächlich –, doch damals gab es keine Möglichkeit, die Temperatur genau zu steuern. Das Problem, dass Stahl nur entweder aus Schmiede- oder Gusseisen hergestellt werden kann, ist auf zwei Arten zu lösen. Entweder muss ein Weg gefunden werden, wie man Kohlenstoff aus dem Gusseisen entfernen kann, oder man versucht, Kohlenstoff dazu zu bringen, in Schmiedeeisen zu gelangen. Verschiedene Regionen wählten unterschiedliche Methoden. China verwendete Gusseisen und versuchte, den Kohlenstoff zu entfernen, während man in Indien Schmiedeeisen nahm und Kohlenstoff hinzufügte. Im südlichen Europa machte man nichts davon. Eisen wurde in einem Rennofen verhüttet und dann bearbeitet, um die verbliebene geschmolzene Schlacke zu entfernen, und anschließend geschmiedet, um poröses Eisen zu formen. Das Schmieden geschieht bei Temperaturen, die hoch genug sind, dass der verbleibende Kohlenstoff durch den Sauerstoff in der Umgebung herausgezogen wird, sodass nichts als Eisen zurückbleibt. Sobald die Luppe in eine feste Masse geschlagen worden ist, fügten Schmiede wieder Kohlenstoff hinzu, um Stahl zu erzeugen, doch sie hatten die Methoden dazu noch nicht perfektioniert. Das Eisen wurde wieder über einen langen Zeitraum hinweg in einer reduzierenden Umgebung mit viel Kohlenmonoxid erhitzt. So vermischte sich an der Oberfläche des Schwertes Kohlenstoff mit dem Eisen und erzeugte Stahl, doch die Stahlschicht war nicht mehr als einen
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illimeter dick. Das war besser als nichts, aber keinesfalls eine vollständige M Stahlklinge. In China entwickelten sich die Dinge ganz anders. Die Chinesen entschieden sich dafür, den überschüssigen Kohlenstoff aus Gusseisen zu entfernen. Sie konnten mithilfe eines Hochofens hervorragend Gusseisen herstellen. Beim Hochofen wird sehr schnell Luft durch eine Kammer gepresst, in der sich ein Überschuss an Kohlenstoff befindet. So entstand sehr schnell Gusseisen, weil der erforderliche Kohlenstoff reichlich zur Verfügung stand und die Temperatur sehr schnell erhöht werden konnte. Danach erhitzten sie das Gusseisen über einen langen Zeitraum hinweg. Dadurch verwandelte sich der Kohlenstoff in Grafit, das sich im Eisen oder Stahl verhärtete. Dieser sogenannte schwarze Guss (engl. blackheart ) wurde wiederholt erhitzt, geschmiedet, schnell gekühlt und dann übereinander gefaltet, dann wurde der Vorgang wiederholt (klingt das vertraut?). Bei jedem Schmiedevorgang verband sich die Luft mit der äußeren Schicht des Eisens und erzeugte Eisenoxid. Wenn dieses Oxid zurück in die Stahlmasse gefaltet wurde, zog es das Grafit aus der Grundmasse und damit aus dem Stahl. Schließlich wurde es so zu Schmiedeeisen. Wie bei allen anderen Verfahren war es schwierig, den Kohlenstoffgehalt zu steuern, deshalb verwendete man die sogenannte Co-fusion (Zusammenschmelzen). Dabei wurde Schmiedeeisen um Schichten aus Gusseisen gewickelt und im Hochofen erhitzt. Beim Schmelzen vermischte sich der überschüssige Kohlenstoff aus dem Gusseisen mit dem Schmiedeeisen, sodass Stahl entstand. Der Kohlenstoffgehalt konnte teilweise auch dadurch gesteuert werden, dass man das Gewicht der Legierung bestimmte. So gelang es den Chinesen, hervorragenden Stahl zu produzieren (Merwe und Avery 1982).
Von Stahl zu Schwertern Die Herstellung von Stahl entwickelte sich im Laufe des Mittelalters weiter. Die Europäer verbesserten den Prozess des Aufkohlens von Gusseisen aus der Luppe. Schmiede fanden heraus, dass sie die Menge von Kohlenstoff, die in das Eisen eindrang, steuern konnten, indem sie das Eisen oder die Luppe eine gewisse Zeitlang bei einer bestimmten Temperatur im Kohlenfeuer ließen. Je länger sie darin blieb und je höher die Temperatur war, desto mehr Kohlenstoff gelangte in den Stahl. Der Nachteil davon war, dass der Kohlenstoff nicht gleichmäßig verteilt wurde. Die Schmiede von damals verstanden zwar nicht, warum diese Techniken funktionierten, Wissenschaftler von heute wissen es aber: Die Kristallstruktur von Stahl unterhalb des Schmelzpunkts ist stark von der Temperatur abhängig.
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Es gibt verschiedene Kristallstrukturen, je nachdem, wie heiß das Metall ist. Stahl ist eine interessante Legierung, denn sie besitzt sowohl eutektische als auch eutektoide Punkte. Ein eutektoider Punkt ist die Temperatur, bei der eine Art von Festkörper in zwei andere zerfällt. Stahl nimmt zum Beispiel über 900 °C eine Form an, die Austenit genannt wird, dabei bleibt er ein Festkörper. Austenit hat eine FCC-Struktur wie Kupfer. Genau wie Kupfer Zinn einbauen kann, kann Austenit Kohlenstoff einbauen. Er kann aber viel mehr Volumen aus Kohlenstoff einbauen, mehr als 2 %. Wenn der Austenit abgekühlt wird, macht er einen eutektischen Übergang durch und zerfällt dabei in Ferrit, so heißt Eisen in BCC-Struktur. Der Kohlenstoff muss dabei irgendwohin, sodass er sich mit dem Eisen vermischt und Zementit entsteht, der einen Kohlenstoffgehalt von etwa 6 % aufweist. Wie man sich vorstellen kann, ist Zementit sehr brüchig, tatsächlich kann er sogar als Keramik klassifiziert werden. Ferrit und Zementit bilden keine Inseln, wie es beim Zinn und Kupfer geschieht, sondern Schichten. Die Mikrostruktur wird Perlit genannt und ist sehr stabil. Wenn sie bearbeitet werden, können die zusätzlichen Korngrenzen die Stabilität des Stahls um das Vierfache erhöhen. Die Entdeckung des Abschreckens, also der schnellen Abkühlung des Stahls, erhöhte seine Härte weiter und führte zu stabileren Schwertern. Wenn ein Schwert abgeschreckt wird, durchläuft es den eutektoiden Übergang nicht, sondern bildet Martensit, der noch härter als Perlit ist. Aber wieder ist der übliche Nachteil, dass das Material dadurch viel brüchiger wird. Weil der Stahl so schnell abgekühlt wird, können sich Kohlenstoff und Eisen nicht anordnen, um Zementit zu bilden. Martensit ist ein BCC-Kristall, der unter starker Spannung steht, weil im Kristall ein Eisenatom durch ein Kohlenstoffatom ersetzt wurde. Genau wie aufgrund der Zinnatome in der Bronze macht diese Spannung die Legierung stärker. Beim Abkühlen bildet sich der Martensit in weniger als einer Sekunde. Doch etwas, das groß wie ein Schwert ist, kann sich im Inneren nicht schnell genug abkühlen, damit sich dort Martensit bilden kann. Bei einer Klinge würde das Äußere deshalb aus brüchigem Martensit bestehen, das Innere jedoch aus weniger sprödem Perlit. Es ist nicht ganz klar, wann das Abschrecken eingeführt wurde, doch wer Homers Odyssee gelesen hat (oder die Reihe Percy Jackson ), weiß, dass es vorher gewesen sein muss. Odysseus hatte eine Auseinandersetzung mit einem Zyklopen namens Polyphem, und er „schreckt“ einen brennenden Baumstamm in seinem Auge ab. Sind Sie immer noch verwirrt? Keine Sorge – Abb. 2 zeigt ein Phasendiagramm, das alles in einer Grafik zusammenfasst. Es ist überhaupt nicht verwirrend, und ich habe bestimmt keine Stunden gebraucht, um es ganz zu verstehen.
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Abb. 2 Phasendiagramm von Stahl. Auf der x-Achse ist der prozentuale Anteil von Kohlenstoff aufgetragen und auf der y-Achse die Temperatur in °C. Das Phasendiagramm kann verwendet werden, um die Struktur bei einer bestimmten Temperatur und den jeweiligen Kohlenstoffgehalt herauszufinden
Der Martensit von abgeschrecktem Stahl ist immer noch ziemlich spröde, was für ein Schwert nicht gerade toll ist. Um dem entgegenzuwirken, kann es ein Schmied tempern. Dazu erhitzt er die Klinge auf eine Temperatur unterhalb des eutektoiden Punkts, sodass aus dem Martensit nicht wieder Austenit werden kann. Sobald er erwärmt wird, können die Kohlenstoffatome im Stahl herumwandern. Im Allgemeinen werden sie aufeinander zu wandern, um Inseln zu bilden, wie wir bei der Bronze gesehen haben. Wie bei der Bronze macht dies den Stahl stabiler (Maddin et al. 1977). Es gibt für die Erhaltung der Schärfe einen idealen Punkt zwischen Härte und Stabilität. Wenn die Schneide zäh und stabil ist, kann sie bei einem Schlag eingedrückt werden. Wenn das Metall sehr hart ist, wird sich das Metall zwar nicht verbiegen, aber es könnte bei einem Zusammenprall brechen. Getemperter Martensit scheint dies gut auszubalancieren. Damaszener Stahl leistete da sehr viel mehr, lesen Sie also weiter bis Kap. „Stahl, hergestellt in Damaskus“. Über Ausprobieren konnten Schmiede Stahl mit kontrollierten Eigenschaften herstellen. Sie kannten zwar wahrscheinlich nicht die hochtrabenden Fachbegriffe für das, was sie taten, aber sie schufen Waffen (und Werkzeuge), die hart genug, stabil genug und zäh genug für ihre Zwecke waren.
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Wie gut sind sie in der Kälte? Normalerweise müssen diese geschwungenen Schwerter diese Frage nicht stellen, es sei denn, sie kämpften in der Antarktis. Doch die Bewohner von Westeros haben nicht so viel Glück. Es ist bitterkalt jenseits der Mauer, und dies hat Auswirkungen auf normalen Stahl. Bei Legierungen gibt es einen Punkt, der Duktil-zu-spröde-Übergang heißt, wo sie sich genau so verhalten, wie man aufgrund des Namens erwartet. Das ist die Schwelle, an der das Metall einen Schlag nicht mehr absorbieren kann, sondern bricht. Im Falle des Stahls fällt der Energiebetrag, der nötig ist, um es zu zerbrechen, bei Temperaturen unter 0 °C sehr schnell ab. Dieser Abfall ist bei verschiedenen Stahlarten unterschiedlich steil, doch im Allgemeinen ist Stahl in der Kälte nicht so leistungsfähig. Es ist schwierig, von Fachleuten begutachtete Forschungsarbeiten darüber zu finden, wie sich Stahl aus dem Altertum in der Kälte verhält, denn das interessiert eigentlich niemanden, doch für modernen Stahl ist es aus offensichtlichen Gründen wichtig, deshalb beziehe ich mich im Folgenden auf diese Ergebnisse. Irgendwann fällt die Energie, die benötigt wird, um Stahl zu zerbrechen, stark ab – dies ist die Duktil-zu spröde-Übergangstemperatur, die bei modernem Stahl etwa bei −40 °C liegt. Manche Stahlsorten verlieren bereits ab 0 °C die Hälfte ihrer Festigkeit (INAC 2009). Diese Temperaturabhängigkeit wird durch die BCC-Kristallstruktur verursacht. In einer FCC-Kristallstruktur kommt es viel leichter zum Gleiten als in einer BCC-Struktur. Wenn Letztere abgekühlt wird und die Atome enger aneinanderrücken, steigt die innere Spannung ebenso an. In einem FCCKristallgitter passiert das nicht. Weil Stahl eine BCC-Struktur aufweist, wird er spröde, sobald er stark abgekühlt wird. Das sind wirklich schlechte Nachrichten für diejenigen, die sich nördlich der Mauer aufhalten wollen. Eines der dramatischsten Beispiele dafür ist die RMS Titanic. 1912 war Stahl stabil und leicht zu gewinnen, doch es gab kaum Qualitätskontrollen. Heute können sich diejenigen, die mit dem Schiff in solch eisigem Wasser fahren wollen, sicher sein, dass die Konstrukteure nur solchen Stahl verwendet haben, der mit diesen Bedingungen auskommt. Je weniger Kohlenstoff sich im Stahl befindet, desto tiefer können die Temperaturen sein, mit denen er zurechtkommt. Damals jedoch gab es keine derartigen Sicherheiten für Stahlhersteller. Hätte sich die Titanic in wärmeren Gewässern befunden, wäre sie nicht gesunken. Weil sich der Stahl aber im Eiswasser befand, war seine Festigkeit stark verringert. In wärmerem Wasser wäre die Hülle nicht so gebrochen, wie es geschehen ist, es hätte einige große Beulen gegeben,
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doch keinen Bruch, denn der Stahl wäre zäh und duktil genug gewesen, um die Kraft des Eisbergs zu absorbieren, ohne zu brechen. Bei den tiefen Temperaturen, in denen das Schiff aber unterwegs war, war es kalt genug, dass der Stahl so spröde wurde, dass er durch das Eis zerschmettert wurde (Ein anderes Thema zu Titanic: Wenn Sie sich für die Mathematik hinter einem der größten Geheimnisse des Films interessieren – es gab Platz auf dem Rettungsboot! Suchen Sie mich auf Twitter, der Auftrieb war das Entscheidende.).
Sam gegen einen Weißen Wanderer, Teil eins Eine klassische Szene aus Game of Thrones, in der ein Schwert vorkommt, ist die kalte Eröffnungsszene der 4. Staffel mit dem passenden Titel Zwei Schwerter, in dem das Schwert „Eis“ von Ned Stark in „Witwenklage“ und „Eidwahrer“ umgegossen wird (was, wie Sie sich erinnern werden, hieß, dass es geschmolzen und in eine Form gegossen wurde). Eis wurde zwar aus Valyrischem Stahl geschmiedet (über den ich in Kap. „Stahl, hergestellt in Damaskus“ reden werde), ich bitte Sie aber trotzdem um etwas Geduld, weil dies hier relevant ist. Es ist ein sehr dramatischer Moment, wenn man dabei zusehen muss, dass das angestammte Schwert des Hauses Stark zerbrochen, eingeschmolzen und in zwei Formen gegossen wird. Geschmolzenes, glühendes Metall fließt langsam in die Formen der Schwerter, die später die Starks töten sollen. In Bezug auf die Handlung ist es eine erstaunliche Szene, denn man sieht, wie das Erbe der Starks von einem der drei Schmiede zerstört wird, die noch Valyrischen Stahl bearbeiten können. In Bezug auf das, was wir inzwischen gelernt haben, ist er der schlechteste Schmied der bekannten Welt. Wenn ich in diesem Kapitel meine Aufgabe gut erfüllt habe, wissen Sie bereits warum. Erstens schmilzt Eisen in einem solchen Feuer nicht. Nicht einmal Kohlenfeuer wird heiß genug, um Eisen zu schmelzen. Letztlich war dies auch der Grund, warum es Tausende von Jahren gedauert hat, bis man effektiv Stahl herstellen konnte. Zweitens würde Stein das Eisen sehr schnell abkühlen, es würde deshalb nicht so wunderschön fließen wie im Fernsehen. Drittens wäre das Eisen, selbst wenn es zum Schmelzen gebracht worden wäre, in eutektischer Form, also Gusseisen, und damit als Waffe ungeeignet. Brienne wäre durch den Bluthund mit einem Schlag getötet worden, nachdem sie hätte zuschauen müssen, wie ihr Schwert ganz dramatisch zerspringt. Und zum Schluss, warum um alles in der Welt sollte jemand versuchen, ein dreidimensionales Objekt in eine
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zweidimensionale Form zu gießen? Das ist einfach blöd! Bronzeschwerter wurden tatsächlich gegossen, doch die Schmiede des Altertums verwendeten dreidimensionale Formen, weil sie klug waren. Ich erwähne all dies in diesem Kapitel und nicht im nächsten, weil es auf normalen Stahl zutrifft. Wenn dieser Schmied repräsentativ für dieses bombige Team von Schmieden in Westeros war, dann ist es kein Wunder, dass Sam mit diesem Weißen Wanderer Schwierigkeiten hatte. Die wirkliche Überraschung ist, dass überhaupt irgendwelche ihrer Schwerter funktioniert haben. Angesichts all dessen gibt es zwei Möglichkeiten für die Beantwortung der Frage, ob Sams Schwert bei den extrem tiefen Temperaturen, bei denen er den Weißen Wanderer erschlagen hat, gesprungen sein konnte. Wenn sein Schwert wirklich so gegossen worden ist wie Witwenklage und Eidwahrer, ist es nicht überraschend, dass es beim Auftreffen auf einen Wanderer zerbrochen ist. Viel überraschender ist, dass das Schwert überhaupt so lange durchgehalten hat, um gegen einen Wanderer eingesetzt werden zu können. Wenn es gegossen wurde, könnte es sein, dass die chinesische Methode der Co-fusion (Zusammenschmelzen) verwendet worden ist, doch dies gilt nicht für ein Schwert, das direkt aus Gusseisen gegossen wurde. Die andere Möglichkeit ist, den unfähigen Schmied aus Volantis auszulassen und anzunehmen, dass Sams Schwert durch Aufkohlen hergestellt wurde. Damit hätte sich eine Klinge mit einem Eisenkern und nur einer dünnen Stahlschicht ganz außen gebildet. Selbst wenn sein Schwert tatsächlich mit der effektiveren Methode des Abschreckens und Temperns hergestellt wurde, wird es schlechte Erfahrungen mit einem Weißen Wanderer machen. Wie ich weiter oben in diesem Kapitel beschrieben habe, wird sich die Kristallstruktur sowohl von Eisen als auch von Stahl so verändern, dass sie ihre Festigkeit verlieren und spröder werden. Fragen Sie mal Jack Dawson. Wenn schon normale Leute in Iowa unabsichtlich einen Griff von einer Autotür abreißen können, dann hätte Sam mit seinem normalen Schwert keine Chance im eisigen Norden. Zum Glück hatte er Drachenglas, und Jon hatte Langklaue.
Literatur INAC (2009) International nuclear atlantic conference: innovations in nuclear technology for a sustainable future: September 27 to October 2, 2009, Rio De Janeiro, Brazil. Brazilian association for nuclear energy
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Stahl, hergestellt in Damaskus
Die Klinge war aus Valyrischem Stahl, mit Magie geschmiedet und dunkel wie Rauch. Nichts blieb so scharf wie Valyrischer Stahl. – Game of Thrones
Für die meisten Bewohner von Westeros und des mittelalterlichen Europas reichte normaler Stahl vollkommen aus. Er war nicht perfekt, aber erfüllte seine Aufgabe. Valyria jedoch stieg tiefer in die Stahlbranche ein. Die Bewohner erfanden eine Methode, um Stahl herzustellen, der härter, stabiler, leichter und offensichtlich hervorragend dafür geeignet war, Weiße Wanderer zu erledigen. In Valyria wurde er zwar zusätzlich mit Drachenfeuer und Zaubersprüchen gemacht, die ihm zu seiner überlegenen Qualität verhalfen, doch gibt es auch im echten Leben eine Analogie zu Valyrischem Stahl. Im letzten Kapitel habe ich darüber gesprochen, wie man im südlichen Europa und in China aus Eisen Klingen machte, aber gerade Indien habe ich ausgelassen – das war das Valyria im echten Leben. Indien vervollkommnete eine Methode, um Stahl herzustellen, aus dem Schwerter gemacht werden konnten, die leicht waren und eine erstaunlich scharfe Schneide und eine wunderschön gemusterte Klinge hatten. Diese Art von Stahl war auf der ganzen Welt gesucht, doch erst in Damaskus, wurde er in vollkommene Klingen umgeformt. Durch die Bearbeitung entstand das wunderschöne typische Wellenmuster auf der Klinge, und man sagte, dass die Schneide so scharf war, dass sie ein menschliches Haar der Länge nach halbieren konnte. Wie Valyrischer Stahl waren diese Klingen ein nützliches Statussymbol, das in Familien über Generationen hinweg vererbt wurde. Genau wie beim Valyrischen Stahl sind die Herstellungsmethoden für © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 R. C. Thompson, Wissenschaft meets Game of Thrones, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61419-8_7
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Damaszener Stahl im Laufe der Jahre verloren gegangen. Wissenschaftler, wie die Schmiede von Westeros und Essos, waren nicht in der Lage, das Metall neu zu erschaffen, obwohl sie es immer wieder versuchten. Es gibt konkurrierende Theorien darüber, wie man modernen Damaszener Stahl herstellen könnte. Die noch existierenden Klingen sind extrem teuer, doch anders als Valyrischen Stahl kann man Billigkopien von Damaszener Stahl auf Ebay kaufen. Nachdem wir im letzten Kapitel alles über die Stahlherstellung gelernt haben und die Gründe kennen, warum diese so schwierig ist, stellt sich die Frage: Was war bei der Stahlherstellung in Indien anders? Der beste Stahl wird mit einer Methode hergestellt, die genau steuert, wie viel Kohlenstoff sich im Stahl befindet und welches Gittermuster sich im Endprodukt ausbildet – Perlit, Martensit, Zementit oder Ferrit. Dies kann bei den Stahlherstellungsmethoden, über die ich im letzten Kapitel gesprochen habe, erreicht werden, aber nicht mit besonders hoher Präzision. Den Schmieden in Indien gelang es jedoch, eine weitere Methode zu entwickeln, mit deren Hilfe der Kohlenstoff kontrollierter in das Eisen eingebracht werden konnte. Dieser sogenannte Tiefgussstahl wies eine bessere Zusammensetzung auf als andere Stahlsorten. Dann fanden sie heraus, wie man durch Erhitzen, Abkühlen, Bearbeitung und Abschrecken die beste Kombination von Zementit, Perlit, Austenit und Martensit erzeugen konnte. Darüber hinaus schufen die Schmiede von Damaskus und Indien zufällig die fortschrittlichste Materialwissenschaft ihrer Tage. Es gab zwei Forschungsgruppen, die einen Kleinkrieg darüber führten, was den Damaszener Stahl so besonders machte. 1980 entwickelten die beiden Materialwissenschaftler Jeffrey Wadsworth und Oleg Sherby von der Stanford University das gleichnamige Wadsworth-Sherby-Rezept für die Herstellung modernen Damaszener Stahls. 1998 arbeitete J. D. Verhoeven von der Iowa State University mit einigen Schmieden, vor allem mit Alfred Pendray, zusammen und entwickelte eine andere Methode. Die beiden Gruppen durchliefen einige Runden von Veröffentlichungen und Gegenschriften, und ich kann nicht sagen, ob die Sache endgültig geklärt ist. Insgesamt liefern die Arbeiten der beiden Gruppen und eine neuere Studie von Forschern aus Deutschland ein ziemlich vollständiges Bild des Prozesses und des Endprodukts (Levin et al. 2005). Der Streit umfasste Hunderte von Seiten in Fachzeitschriften und wird wahrscheinlich erst enden, wenn die Gegner entweder gestorben oder im Ruhestand sind. Ich würde mich gerne mit der Psychologie akademischer Turnierkämpfe beschäftigen, doch ich habe weder die Zeit dazu noch die Ausbildung. Um das klarzustellen: Valyrischer Stahl muss genauso wie echter Damaszener Stahl geschmiedet
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werden, nicht gegossen. Zumindest in den Büchern werden diese Begriffe richtig verwendet: Es wird beschrieben, dass Eis „umgeschmiedet“ wurde. Ab jetzt werde ich annehmen, dass keiner aus dem Produktionsteam sich die Mühe gemacht hat, den Unterschied nachzuschlagen. Wir wollen also die dramatische, aber falsche Szene vergessen.
Rohmaterialien: Tiefgussstahl und Wootz Damaszener Stahl erhielt seinen Namen genauso wie das Griechische Feuer – es gibt keinen echten Grund, warum er Damaszener Stahl heißen muss, denn alles, was je einer in Damaskus getan hat, war das Zeug verkaufen. Der Rohstahlbarren, der sogenannte Ingot, wurde in Indien hergestellt, in Persien zu Klingen geformt und schließlich in Damaskus verkauft. Die Europäer lernten diese Stahlsorte zum ersten Mal auf den Kreuzzügen kennen, als sie sich dem spitzen Ende dieser überlegenen Waffen gegenüber sahen. Der Herstellungsprozess für diesen Stahl und die Fähigkeiten, ihn in Klingen umzuarbeiten, wurden in der westlichen Welt erst um 1982 herum herausgefunden. Schmiede in Westeuropa kauften zwar Ingots, doch sie konnten den Stahl nicht in Waffen umschmieden, weil er so spröde war. Der beste Weg zu verstehen, was Damaszener Stahl so speziell machte, ist, seinen Weg vom Eisenerz zur fertigen Klinge zu verfolgen. Anders als die Luppe aus Rennöfen, die wir in Kap. „Gewöhnlicher Stahl aus Pittsburgh“ kennengelernt haben, war das Vormaterial für Damaszener Stahlklingen Wootzbarren, eine Art von Tiefgussstahl (Sherby 1999a). Der erste Schritt bei der Stahlherstellung ist immer das Schmelzen von Eisen. Im Westen wurde dies in Rennöfen gemacht, die heiß genug wurden, um die Schlacke vom elementaren Eisen zu trennen. Doch sie waren nicht heiß genug, um das Eisen zu schmelzen, es sei denn, es befand sich an seinem Eutektikum, wo es zu Gusseisen werden konnte. Vergessen Sie nicht, dass sich bei dieser Methode das Erz und das Feuer in derselben Kammer befanden und dass man Kohlenstoff und Kohlenmonoxid dafür benötigte. Auch der Prozess für den Tiefgussstahl beginnt in einem Rennofen, wobei Eisenerz zu einer Luppe verschmolzen wird, diese Luppe wurde aber danach in einen Schmelztiegel gebracht, einen kleinen Behälter mit gut einem halben Zentimeter dicken Wänden, der etwa 20 cm hoch war und 5 cm Durchmesser hatte. Außerdem gab man Holzspäne, vor allem Cassia auriculata und ein frisches Blatt oder zwei der Pflanze Convolvulus laurifolius hinzu. Später fand man heraus, dass die Eisen-Kohlenstoff-Legierung Sorel, die Spuren anderer Elemente enthielt, die wichtig für den Prozess waren,
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dem Tiegel zugefügt wurde. Diese winzigen Details sind wichtig. Ich koche auch gerne und fabriziere Süßigkeiten, und ich kann Ihnen verraten, dass Rezepte wichtig sind, wobei winzige Unterschiede bei der Temperatur und den Zutaten den Ausschlag geben können, ob das Endprodukt exquisit wird oder eine Pampe. Dann wurde der Schmelztiegel in ein Feuer gestellt, und das Eisen in seinem Inneren wurde bis zu seinem Schmelzpunkt erhitzt. Ja, ich habe wirklich gerade ein ganzes Kapitel dafür verwendet, Ihnen zu sagen, dass es nicht möglich war, ein Feuer heiß genug zu machen, um Eisen zu schmelzen. Das war nur teilweise wahr. Es ist nicht möglich, ein brauchbares Feuer heiß genug zu machen, um Eisen in einem Rennofen zu schmelzen. Das sind ziemlich viele Einschränkungen. Erinnern Sie sich daran, dass die Umgebung in einem Rennofen einen hohen CO- und einen geringen CO2-Gehalt haben muss? Hohe CO-Konzentrationen ziehen den Sauerstoff aus dem Eisen, d. h. reduzieren es. Sobald das Verhältnis von CO zu CO2 unter 3:1 fällt, kippt die Reaktion von reduzierend nach oxidierend, dabei passiert also genau das Gegenteil des Gewünschten. Das Problem ist, dass CO durch eine unvollständige Verbrennung erzeugt wird, das heißt, dass das Feuer nicht vollständig brennt und dadurch nicht so heiß wird, wie es sein könnte. Wenn ein Feuer 1400 °C erreichen soll, muss es in einer Umgebung brennen, in der das CO- zu-CO2-Verhältnis ungefähr 2:1 beträgt. In einem Rennofen sind das Feuer und der Stahl in derselben Kammer, deshalb ist die Verbrennung in der gleichen Umgebung wie das Eisen. Die Temperatur des Feuers muss in einem Bereich gehalten werden, der keine Umgebung erlaubt, in der das Eisen oxidiert wird. Wenn man jedoch Tiefgussstahl herstellt, ist die Umgebung, in der das Eisen erhitzt wird, vollkommen unabhängig vom Feuer. Das CO- zu-CO2-Verhältnis kann jeden Wert annehmen, der benötigt wird, um die gewünschte Temperatur zu erreichen. Modernen Schmieden ist es mithilfe alter Methoden gelungen, Holzkohlenfeuer auf Temperaturen von 1500 °C aufzuheizen. Der Schmelztiegel wurde in ein Holzkohlenfeuer gestellt und dann mit Kohle bedeckt. Es gibt verschiedene Ansichten, wie lange er dort bleiben musste, aber wohl zwischen 2,5 und 24 h. Ich habe in Kap. „Gewöhnlicher Stahl aus Pittsburgh“ über den eutektischen Punkt gesprochen und erwähnt, dass bei etwa 1100 °C das Eisen Kohlenstoff aufnimmt, bis es eine Konzentration von 4 % hat und dann schmilzt. Das war keine vollständige Erklärung, aber alles, was in diesem Kapitel wichtig war. Sehen Sie sich die Grenzlinie zwischen flüssigem Stahl und der Mischung aus Flüssigkeit und Austenit an. Wenn die Temperatur bis zu dieser Linie steigt und der Stahl geschmolzen wird, wird er den entsprechenden Bruchteil Kohlenstoff
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aufnehmen. Im Fall von 2 % Kohlenstoff wird die Linie gerade bei etwa 1400 °C getroffen. Damals hatten sie vermutlich nicht dieses superverwirrende Phasendiagramm – sie wussten einfach, dass es funktioniert. Damaszener Stahl hat einen sehr hohen Kohlenstoffgehalt (rund 1,5 bis 2 %). Wissenschaftler und Historiker sind sich sicher, dass das Eisen in den Schmelztiegeln geschmolzen war. Hätten die Feuer nicht mehr als 1300 °C erreicht, wäre die erzeugte Flüssigkeit eutektisch gewesen, also mit einem Kohlenstoffgehalt von etwa 4 %. Von da an hätte der Kohlenstoff in einem nachgelagerten Prozess entfernt werden müssen, um die Konzentration auf 1,5 bis 2 % zu erniedrigen. Wenn Sie noch einmal das Phasendiagramm von Stahl in Abb. 1 anschauen, erkennen Sie, dass bei einer Kohlenstoffkonzentration von 2 % der Stahl eine Temperatur von etwa 1400 °C erreichen muss, um zu schmelzen. Ursprünglich dachten die Historiker, dass ein Prozess zur Entfernung des Kohlenstoffs – Abkohlung – beteiligt gewesen sein müsste, weil Feuer nicht heiß genug werden konnte, um Stahl mit 2 % Kohlenstoff zu schmelzen, doch es gab keine wirklichen historischen Beweise für einen derartigen Nachbearbeitungsvorgang. Geht
Abb. 1 Phasendiagramm von Stahl. Wootzstahl, das Ausgangsmaterial für eine Damaszener Stahlklinge, hatte einen Kohlenstoffgehalt von 1,5 bis 2 %. α ist Ferrit (oder Eisen), γ ist Austenit und Fe3C ist Zementit. Das Diagramm zeigt keinen Martensit, weil dieser nur durch Abschrecken entsteht
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man davon aus, dass sich der Stahl in einem Schmelztiegel befand und das Kohlenfeuer ausreichend hohe Temperaturen erreichte, war es möglich – und tatsächlich wahrscheinlich –, dass die Flüssigkeit im Schmelztiegel Stahl mit einem Kohlenstoffgehalt von rund 2 % war. Nachdem man 2,5 bis 24 h gewartet und geprüft hatte, ob der Inhalt wirklich flüssig geworden war, wurde der Schmelztiegel aus dem Feuer genommen. Dann ließ man ihn natürlich abkühlen, manchmal goss man auch Wasser darüber. Das Endprodukt war eine feste Masse von der Größe eines Hockeypucks, der Ingot. Oft wird beschrieben, dass er ein Kristallmuster auf seiner Oberseite besaß (Verhoeven 1987). Ursprünglich dachten die Historiker, es sei eine reine Mischung aus Eisen und Kohlenstoff gewesen, doch neueste Entwicklungen in der Materialwissenschaft und der Abbildungstechnik haben diese Theorie widerlegt. Die Zugabe von Sorel, Blättern und Holzspänen sowie das Erz, das als Ausgangsmaterial verwendet wurde, haben Spuren von 14 anderen Elementen in den Stahl gebracht. Drei verschiedene Forschergruppen haben die Konzentrationen dieser zusätzlichen Elemente bestimmt und kamen ungefähr auf dieselben Schlussfolgerungen: Die Spurenelemente bestanden aus 0,15 % Phosphor, 0,03 % Mangan, 0,06 % Schwefel, 0,06 % Silizium und kleineren Mengen von Nickel, Kobalt, Chrom, Kupfer, Molybdän, Wolfram, Niob, Aluminium und am wichtigsten Vanadium. Bei ihren Versuchen, Damaszener Stahl neu zu schaffen, erzeugten Verhoeven und Pendray nur bei wenigen Gelegenheiten einen ähnlich aussehenden Stahl. Meist fehlten den Klingen das charakteristische Wellenmuster (Abb. 2).
Abb. 2 Eine Damaszener Stahlklinge aus dem 18. Jahrhundert. Das wunderschöne und charakteristische Wellenmuster ist deutlich zu sehen
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Verhoeven und Pendray erkannten, dass sie kein Sorel-Eisen verwendet hatten, obwohl es in historischen Aufzeichnungen als Zutat im Ingot aufgeführt wurde. In ihrer Veröffentlichung gaben sie zu, dass dies ein grobes Versehen war. Als sie dann dem Ingot Sorel-Eisen hinzufügten, konnten sie mit einer viel höheren Erfolgsquote Klingen mit dem charakteristischen Muster herstellen. Sie wollten herausfinden, was das Sorel-Eisen so besonders machte. Nachdem sie die Zusammensetzung des endgültigen Stahls bestimmt hatten, wollten sie wissen, welches der 14 Spurenelemente notwendig war, um das Muster zu erzeugen. Vanadium fand man sowohl im Sorel-Eisen als auch im Ingot. Weil nur so geringe Anteile davon enthalten waren, ignorierten es Verhoeven und Pendray mehrere Jahre lang. Schließlich begannen sie den Prozess mit normalem Eisen und gaben langsam die Spurenelemente zu, bis sie diejenigen fanden, die die Muster in echtem Damaszener Stahl am besten reproduzierten. Dabei konzentrierten sie sich vor allem auf die karbidbildenden Elemente, also diejenigen, die mit dem Kohlenstoff Bindungen ausbildeten. Von den Spurenelementen, die sie ausprobierten, Vanadium, Molybdän, Chrom, Niob und Mangan, waren Vanadium und Molybdän die wichtigsten. Besonders das Vanadium half den Zementitteilchen, sich in eine einzige Richtung statt planlos zu orientieren. Es ist diese Ordnung, die das charakteristische Wellenmuster erzeugt. Gleich werde ich mehr darüber sagen, wie Zementit und andere Strukturen die Eigenschaften der Klinge beeinflussen (Verhoeven et al. 2004).
Einen Ingot bearbeiten: nicht Europas Sternstunde Obwohl viele die Möglichkeit hatten, einen Wootzbarren zu kaufen, konnten nur sehr wenige wirklich etwas damit anfangen. Man sagt, die besten Schmiede Europas hätten versucht, die berühmten Schwerter zu schmieden (bzw. aus dem Ingot Klingen zu machen), aber ohne Erfolg. Soweit ich durch meine Nachforschungen herausgefunden habe, hat es im Westen bis 1982 tatsächlich keiner geschafft (Maugh 1982). Die Hürde bestand darin, dass Stahl mit 2 % Kohlenstoff einfach zu spröde war, um von westlichen Schmieden bearbeitet zu werden. Sie waren es gewohnt, Stahl mit einem viel geringeren Kohlenstoffgehalt zu bearbeiten, der viel weniger hart und spröde war. Wenn sie ihre üblichen Techniken auf Wootzstahl anwandten, zersplitterte dieser einfach unter ihrem Hammer. Das Problem und jede mögliche Lösung finden sich wiederum
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im P hasendiagramm für Stahl (vgl. Abb. 1). In Europa wurde Stahl bei ungefähr 1300 °C bearbeitet. Vielleicht erinnern Sie sich aus dem letzten Kapitel, dass dies der Bereich war, in dem Stahl in seiner Austenitphase vorlag. Wenn man die Klinge daraus abkühlte, fiel sie in die Perlitregion, oder sie konnte abgeschreckt werden, sodass sich eine äußere Schicht aus Martensit mit einem Kern aus Perlit bildete. Schauen Sie sich jetzt dieselbe Temperatur an, bewegen Sie sich aber auf der x-Achse zum Kohlenstoffgehalt von 2 %. Sie werden feststellen, dass bei 1300 °C der Stahl zu einer Verbindung von Austenit und flüssigem Stahl wird. Wenn er von einem Hammer getroffen wird, zersplittert er. Aus dem Phasendiagramm erkennt man, dass es besser wäre, diese Art von Stahl im Austenit- (abgekürzt γ) und Zementitbereich (hier als chemische Formel Fe3C dargestellt) zu bearbeiten, also bei 700 bis 900 °C. In einem 1999 erschienenen Artikel besprach Oleg Sherby detailliert, was er als Wadsworth-Sherby-Methode für die Herstellung von Damaszener Stahlklingen bezeichnete. Auch Verhoeven verwendete in einer Veröffentlichung diesen Namen für die Methode. Er wollte darin zeigen, warum sie falsch ist, und sicherstellen, dass die ganze Welt weiß, wer hier einen Fehler gemacht hat (Verhoeven et al. 1990). Verhoeven behauptete, dass die mithilfe dieser Methode hergestellten Klingen auf einer mikroskopischen Ebene wie Damaszener Stahl aussahen und sich so verhielten, dass aber neueste Abbildungsverfahren zeigten, dass die Strukturen auf mikroskopischer Ebene anders waren. Wadsworth und Sherby wiesen daraufhin seine Behauptung zurück und meinten, Verhoeven wüsste nicht, was er tat, als er die Wadsworth-Sherby-Methode anwandte. 2001 behauptete Verhoeven wieder, dass die Wadsworth-Sherby-Methode nicht funktioniert, und beschrieb seine eigene und die Rolle von Verunreinigungen. Interessant an der Wadsworth-Sherby-Methode ist, dass nicht erwähnt wird, wie Verunreinigungen zur beobachteten Streifenbildung führen könnten. Verhoeven legte ziemlich überzeugend dar, dass man die Verunreinigungen benötigte, um die Streifen zu erzeugen, doch dies war von Wadsworth und Sherby nicht berücksichtigt worden. Beide stimmten jedoch darin überein, dass eine Klinge mit 2 % Kohlenstoff zwischen 700 und 900 °C geschmiedet werden muss, wo sie aus Austenit und Zementit besteht. Nun aber genug über diesen Streit – wir wollen uns ihre Methoden ansehen. Wadsworth und Sherby behaupteten als Erste in einer Veröffentlichung, es sei ihnen gelungen, Damaszener Stahl herzustellen. 1999 stellten sie in einem Artikel einen dreistufigen Prozess vor, um eine Klinge herzustellen (Sherby 1999b). Zuerst wird der Wootz auf etwa 1100 °C erhitzt, wodurch
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er in die Austenitphase gelangt. Dann wird er gewalzt, um alles zu vermischen und den Kohlenstoff vollständig einzubauen. Zudem kühlt der Wootz bei diesem Vorgang ab. In einem zweiten Schritt wird der Wootz wieder auf 1100 °C erhitzt und 48 h lang auf dieser Temperatur gelassen. Dies erlaubt dem Austenit, sich in größeren Kristallen anzuordnen und Strukturen mit längerer Ausdehnung auszubilden. Das bedeutet, es gibt weniger, aber längere Korngrenzen statt viele kleine. Dann wird der Stahl sehr langsam in die Region von Austenit und Zementit abgekühlt. Der Austenit hat sich schon in schönen großen Kristallen niedergelassen, und der sich neu bildende Zementit will dem nicht im Wege stehen. Stattdessen wächst er in langen Streifen entlang der Korngrenzen. Bisher ist der Stahl zwar gewalzt worden, aber noch nicht wirklich bearbeitet; wenn er jedoch geätzt wird, kann man die charakteristischen Streifen erkennen. Drittens wird der Wootz bis zur Grenze zwischen Perlit und Austenit-Zementit erhitzt, was dazu führt, dass sich der Zementit, der es nicht in die langen Streifen geschafft hat, auflöst, sodass Austenit und lange Netzwerke aus Zementit zurückbleiben. Danach wird der Stahl gewalzt, um diese langen Netzwerke aufzubrechen. Er bleibt bis zu einem gewissen Grad in Strängen geordnet, die jedoch nicht so lang sind. Wenn er auf Raumtemperatur abgekühlt wird, liegen die Zementitstränge in ähnlichen Richtungen und erscheinen nach dem Ätzen hell auf einem Hintergrund aus dunklem Ferrit. Mit dieser neuen Struktur hat die Klinge eine erstaunliche Festigkeit und Haltbarkeit. Die Methode, derer sich Verhoeven und Pendray rühmen, ist in vielerlei Hinsicht ähnlich, doch unterschiedlich genug, um eine Fehde auszulösen, die es mit der zwischen den Starks und den Lennisters aufnehmen kann. Beide Teams erkannten, dass es entscheidend war, im Bereich zwischen 700 und 900 °C zu arbeiten, doch der größte Unterschied lag in den Erklärungen, woher die Bänder kommen. Verhoeven und Pendray ließen den zweiten Schritt der Wadsworth-Sherby-Methode aus und machten gleich mit dem Schmieden bei der ausschlaggebenden Temperatur weiter. Bei der Bearbeitung des Stahls kühlte dieser ab, doch bevor er unter die notwendige Temperatur fiel, erhitzten sie ihn wieder und bearbeiteten ihn wieder weiter. Sie benötigten 50 Zyklen aus Erhitzen, Bearbeitung und Abkühlung, um den Stahl in eine Klinge zu hämmern. Da sie die Rolle von Verunreinigungen, vor allem von Vanadium in ihrer Theorie berücksichtigen wollten, schlugen sie vor, dass sich beim Erhitzen des Metalls Teile des Zementits auflösen, wie auch Wadsworth und Sherby in ihrer Theorie dargestellt haben, doch abweichend davon vertrat Verhoeven die Meinung, dass die Zementitstreifen entlang von Verunreinigungen ausgelöst würden.
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Diese verhinderten, dass sich der Zementit im flüssigen Metall vollständig auflösen konnte, sodass große Teilchen zurückblieben. Jedes Mal, wenn sie diesen Prozess durchliefen, zogen die größeren Zementitteilchen weiteren Zementit an und wuchsen dadurch ständig. Nach etwa 20 Zyklen konnte man die charakteristischen Bänder beobachten. Am Ende erzeugten beide Gruppen Stahl mit Zementitadern in einer Matrix aus Ferrit, die sichtbare Bänder verursachten. Wadsworth und Sherby erwähnten die Rolle von Verunreinigungen nicht, während Verhoeven sie als entscheidenden Bestandteil für die Herstellung von Damaszener Stahl ansah. Wadsworth und Sherby nannten Wootz mit einem Kohlenstoffgehalt von 1,8 % als ihren Ausgangspunkt. Doch sie gaben nicht an, ob sie Wootz verwendet haben, den sie im Labor erzeugt hatten und der nur Kohlenstoff und Eisen enthielt, oder ob sie Wootz hatten, in dem es Defekte gab, wie es beim historischen Wootz der Fall war (Verhoeven 2001). Die Beantwortung dieser Frage würde den Schlüssel dafür liefern herauszufinden, welche Gruppe recht hatte. Am Ende hatten sie beide lange Bänder aus Zementit, die sich als Zementit-Nanodrähte herausstellten, und ein wirklich cool aussehendes Schwert (Abb. 2). 2004 entschloss sich eine Gruppe aus Deutschland, ein besseres Bild der Schneide einer Damaszener Stahlklinge zu machen, um herauszufinden, ob jemand etwas übersehen hat – und genau das war der Fall!
Echt alte Technologie trifft auf wirklich neueste Wissenschaft Verhoeven und Pendray sowie Wadsworth und Sherby hatten ihre Arbeiten in den 1980er- und 1990er-Jahren durchgeführt. Seitdem hat die Materialwissenschaft beträchtliche Fortschritte gemacht. Der erste Artikel in dieser Reihe erschien 1982, als der Commodore C64 gerade auf dem Markt kam (das war ein Computer, keine Band). Seit dieser Zeit wurden die Prozessoren schneller, Smartphones sind heute leistungsfähige Taschencomputer, und der SUV wurde erfunden. Die Entdeckung, die für diese Diskussion aber relevant ist, sind die Kohlenstoffnanoröhren. Ja, in nur zwei Kapiteln sind wir von der Steinzeit ins Informationszeitalter gekommen. 1991 war Sumio Iijima aus Japan der Erste, der Kohlenstoffnanoröhren entdeckte. Wie bei vielen großen wissenschaftlichen Fortschritten gibt es Kontroversen darüber, ob er wirklich der Erste war, der sie entdeckt hat, aber sicherlich war er derjenige, der dafür gesorgt hat, dass die wissenschaftliche Gemeinschaft Notiz davon nahm. Kohlenstoff ist eines der häufigsten Elemente auf
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der Erde und kann in vielen verschiedenen Erscheinungsformen auftreten. Grafit, Diamant und amorpher Kohlenstoff sind nur einige der Strukturen, die er ausbilden kann. Die Eigenschaften dieser verschiedenen Formen unterscheiden sich stark. Zum Beispiel ist Grafit ein sehr guter Leiter. Sie können mit einem Bleistift eine Linie auf einem Stück Papier ziehen und sie als Draht verwenden, wenn auch als ziemlich mieser, aber wer hat je davon gehört, dass jemand Strom durch den Diamanten in Ihrem Ring geleitet hätte? Kohlenstoff kann sich auch als flache, nur ein Atom dicke Schicht organisieren. Man nennt dies Graphen. Für seine Entdeckung erhielten Andre Geim und Konstantin Novoselov 2010 den Physik-Nobelpreis. Wir haben über BCC- und FCC-Kristallstrukturen gesprochen, aber Graphen hat eine Kristallform wie eine Bienenwabe (oder wie Hühnerdraht) und eine ganze Menge interessanter Eigenschaften. Wenn man diese einatomige Schicht aus Kohlenstoff in eine Kugel rollt, werden die berühmten Fußballmoleküle daraus, die Buckminsterfullerene (engl. auch Buckyball), aber wenn man sie in einen Zylinder rollt, entstehen Kohlenstoffnanoröhren (engl. carbon nanotube, CNT). Kohlenstoffnanoröhren haben einige ziemlich erstaunlichen Eigenschaften. Eine ihrer Pionierinnen – und meine persönliche Heldin – war Mildred Dresselhaus, liebevoll bekannt als „die Königin des Kohlenstoffs“. Sie hatte sich vor allem die elektrischen Eigenschaften von Kohlenstoffröhren angeschaut (Dies ist nicht besonders relevant für eine Diskussion über Schwerter, die vor der Entdeckung der Elektrizität geschmiedet wurden, doch sie ist großartig, und mehr Menschen sollten von ihren Arbeiten wissen. Schauen Sie sich einmal diesen wunderbaren GE-Werbespot an: https://www.youtube.com/watch?v=drKOixEGARo.). Woran wir hinsichtlich der Kohlenstoffnanoröhren wirklich interessiert sind, ist ihre Festigkeit und wie sie sich in Stahl bilden könnten. Kohlenstoffnanoröhren sind viel stabiler als Stahl, selbst als Damaszener Stahl, und sie sind nicht nur fest, sondern auch sehr elastisch. Dies ist so ziemlich die ideale Kombination für Waffenstahl. Man benötigt fünfmal so viel Energie, um eine Kohlenstoffnanoröhre zu biegen als für Stahl. Anders als beim Stahl rührt die Festigkeit nicht von winzigen Versetzungen und Korngrößen her, sondern von der Tatsache, dass sie keine Versetzungen hat. Eine Nanoröhre ist ein einziger Kristall, und seine Bienenwaben-Kristallstruktur ist dem Gleiten, das wir in BCCund FCC-Strukturen gesehen haben, nicht förderlich. Die kovalenten Bindungen zwischen den Kohlenstoffatomen sind sehr stark, und dies führt zu einer Dehnfestigkeit, die hundertmal so hoch ist wie bei Stahl. Wenn doch eine verbogen wird, wird sie sofort wieder zurückfedern. Diese kleinen
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Abb. 3 Eine Kohlenstoffnanoröhre
Kerle sind praktisch unverwüstlich. Und, wie sich herausstellen wird, man kann sie verstärkt mit Zementit auf der Schneide einer Damaszener Stahlklinge finden (Abb. 3). Alexander Levin und seine Gruppe in Dresden begannen mit der Untersuchung von Damaszener Stahlklingen gerade, als Nanoröhren und die Abbildung von Nanoröhren in vollem Gange waren (Levin et al. 2005). Das Team war nicht ganz zufrieden mit den damals aktuellen Erklärungen für die Festigkeit der Klinge und das Auftauchen seines Musters. Sie entschlossen sich, nachzuprüfen, wie die verschiedenen Elemente in einer Klinge verteilt sind, weil sie hofften, dadurch die Mikrostruktur von Stahl besser verstehen zu lernen. Es gelang ihnen, eine freundliche Person am Berne Historical Museum zu überzeugen, ihnen ein kleines Stückchen eines Säbels aus Damaszener Stahl zu überlassen. Es war dieselbe Waffe, die auch schon Verhoeven untersucht hatte. Weil das Stück gebrochen war, konnten sie sowohl die Vorderseite als auch den Querschnitt abbilden. Wie Verhoeven begannen sie damit, zu bestimmen, welche Elemente sich neben Eisen tatsächlich in der Klinge befinden. Das Team um Levin kam auf Zahlen, die denen Verhoevens sehr ähnelten, aber unterschiedlich genug waren, um zu schließen, dass die Klinge nicht einförmig war. Mithilfe von Röntgenbeugung schauten sie sich die Kristallstruktur an. Dabei werden Röntgenstrahlen von einer Struktur zurückgeworfen, und es wird gemessen, wie sie reflektiert werden. So erhält man eine Vorstellung davon, wie das Objekt aussieht, das die Röntgenstrahlen reflektiert. Sie fanden
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Ferrit, Zementit, Martensit und Grafit in der Klinge. Martensit war ziemlich gleichmäßig in der ganzen Klinge verteilt, Zementit und Ferrit dagegen fanden sich an unterschiedlichen Stellen in verschiedener Konzentration. Die Zementitkonzentration war außen auf der Klinge in Richtung Rückseite höher. Weder in der Stahlmasse noch auf der Schneide gab es viel davon. Sie stellten auch fest, dass Zementit in drei Phasen vorlag: erstens als Teil des geschichteten Perlits, der in Kap. „Gewöhnlicher Stahl aus Pittsburgh“ erwähnt wurde, zweitens wie erwartet als Zementitkörner, aber drittens auch als Zementitnanodrähte, die hier zum ersten Mal beobachtet wurden. Mithilfe eines Transmissionselektronenmikroskops – eine Technik, bei der Elektronen durch eine Probe geschossen und Bilder auf der anderen Seite aufgenommen werden – konnten sie sich die neuentdeckten Nanodrähte genauer ansehen. Die Forscher fanden heraus, dass alle Nanodrähte parallel zueinander verliefen, dass sie aber nicht in allen Bereichen der Klinge auftauchten. Sie richten sich zwar lokal in dieselbe Richtung aus, haben aber in der Masse keine bevorzugte Richtung. Die Nanodrähte sind also in einem kleinen Bereich der Klinge gleichgerichtet, aber jeder Bereich der Klinge kann in eine andere Richtung weisen. Außerdem tauchten diese Nanodrähte nicht in allen Bereichen der Klingen auf. Wie wir schon beim normalen Zementit gesehen haben, gibt es die Möglichkeit, dass sich Ferrit-, Zementit- und Martensitkristalle gerne ausrichten. Dies stützt die Theorie, die von Wadsworth und Sherby vertreten wird. Die Gruppe von Levin vermutete, dass die Nanodrähte durch eine Methode geformt werden, die stark der ähnelt, die von Wadsworth und Sherby beschrieben wurde, dass aber die Verunreinigungen als Stellen für die Keimbildung dienen oder Orte, an denen die Röhren zu wachsen beginnen. Diese Theorie enthält auch die Ergebnisse von Verhoeven. Ein Jahr später nahm die Gruppe Bilder der Schneide der Klinge mit noch höherer Auflösung auf (Reibold et al. 2006). Dabei fanden sie heraus, dass es darin nicht nur Zementitnanodrähte gab, sondern auch Kohlenstoffnanoröhren. Zu diesem Ergebnis kamen sie, nachdem sie die Klinge kontrolliert in Salzsäure getaucht hatten. Dadurch löste sich der Zementit und legte die Kohlenstoffnanoröhren frei, doch sie bemerkten, dass dies nur dort geschah, wo sich der Zementit nicht vollständig aufgelöst hatte. Sie schlossen daraus, dass die Kohlenstoffnanoröhren den Zementit schützten, indem sie die Nanodrähte umschlossen. Eine andere Wissenschaftlergruppe zeigte dann auch, dass der Zementit im Inneren der Kohlenstoffnanodrähte kristallisieren kann (Golberg et al. 2006). Es ist außerdem so, dass das Molybdän, eine wichtige Verunreinigung, die Verhoeven gefunden hat, das Wachstum von Kohlenstoffnanoröhren anregen kann (Ni et al. 2006). Dies könnte die ganze
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Argumentation abrunden. Dank der Ergebnisse der Teams von Levins und Lei Ni wissen wir, dass sowohl Wadsworth und Sherby als auch Verhoeven und Pendray auf dem richtigen Weg waren, doch keiner von beiden hatte das vollständige Bild. Das ist der Grund, warum Wissenschaft so cool ist. Das Schmieden des Stahls verschob möglicherweise die notwendigen Verunreinigungen in der Ebene, in der der Stahl bearbeitet wurde. Während sie in verschiedenen Bereichen der Klinge in dieselbe Richtung herumwanderten, konnten sie die Bildung weiterer Nanoröhren anregen. Es ist möglich, dass der Zementit dann im Inneren der Kohlenstoffnanoröhren kristallisieren konnte. Gleich nachdem ich von Kohlenstoffnanoröhren gehört hatte, wollte ich ein schnelleres Fahrrad, das daraus gebaut ist, aber ich glaube, ich muss mich wohl mit einem Schwert zufriedengeben.
„Damaszener“ Stahl auf eBay Vielleicht haben Sie inzwischen schon versucht herauszufinden, wo Sie eine dieser großartigen Klingen für sich selbst bekommen könnten. Eventuell haben Sie „Damaszener Stahl“ bei Google eingegeben und eine Unzahl von Vorschlägen für Dinge, die aus „Damaszener“ Stahl bestehen, bekommen, angefangen von Jagdmessern bis hin zu Eheringen. Vielleicht denken Sie, ich erzähle hier absoluten Mist, weil ich immer wieder betone, wie speziell dieses Zeug ist, obwohl man sich doch für ein paar hundert Euro eigenen echten Valyrischen Stahl kaufen kann. Folgendes ist der Haken: Das Zeug aus dem Internet ist nicht echter Damaszener Stahl. Er hat das märchenhafte Muster und sieht sicherlich genauso aus. Und er wird sogar genauso genannt. Doch unglücklicherweise wurde er nicht auf die gleiche Weise hergestellt. Es handelt sich um eine vollkommen andere Art von Stahl, den sogenannten Schweißverbundstahl oder gemusterten Stahl. Das Ziel ist, etwas Schönes zu machen, das auch funktional ist, aber nicht das großartigste Schwert der Welt herzustellen, das zufällig auch noch cool aussieht (Abb. 4). Vielleicht bin ich nicht ganz fair. Der erste Schweißverbundstahl wurde mit sehr frühem Stahl hergestellt, um die Probleme der Uneinheitlichkeit auszugleichen. Im letzten Kapitel habe ich darüber gesprochen, dass es von Anfang an nicht einfach war, Stahl herzustellen, und dass diejenigen, die es taten, normalerweise nicht in der Lage waren, zuverlässig guten Stahl herzustellen, weil es schwierig war, gleichzeitig die Temperatur des Feuers und den Kohlenstoffgehalt zu steuern. Die Chinesen hatten versucht, dieses Problem zu lösen, indem sie Schmiedeeisen in Gusseisen wickelten und diese sich dann mischen ließen. Das war eine ziemlich erfolgreiche Praxis.
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Abb. 4 Moderne Klinge aus Schweißverbundstahl aus Toledo, Spanien
Die Herstellung von Schweißverbundstahl war sogar noch einfacher als dieses Zusammenschmelzen. Schmiede stapelten dazu mehrere Metallscheiben übereinander, die alle leicht unterschiedliche Eigenschaften hatten, und erhitzten sie. Dann wurden sie alle in eine einzige Klinge geschmiedet. Der Grundgedanke war, dass, wenn eine Schicht hart und die andere weich war und diese in einem einzigen Schwert vereint wurden, dieses die makroskopischen Eigenschaften beider haben sollte. Die Kelten mochten diese Methode sehr gerne. Verschiedene Schichten hatten leicht unterschiedliche Farben im Stahl, weil die Endzusammensetzung des Stahls variierte, je nachdem, wie der Rennofen betrieben worden war. Wenn dann der Stahl zusammengeschmiedet wurde, erzeugten die unterschiedlichen Farben ein wunderschönes Muster. Die Klinge konnte dann geätzt oder geschliffen werden, um das Muster noch stärker hervorzuheben. Schmiede begannen deshalb auch, Metalle umeinander zu wickeln, statt sie flach aufeinander zu legen, um noch kompliziertere Muster zu erzeugen. Als die Stahlherstellung dann besser wurde, wurde die Herstellung von gemusterten Stahlwaffen ein Fall von Form über Funktion. Aus der Tatsache, dass Damaszener-Schweißverbundstahl in der modernen Schmuckherstellung verwendet wird, wird klar, dass er heutzutage eher als dekoratives Element als wegen seiner hervorragenden Schneideeigenschaften geschätzt wird. Ich glaube, dass der moderne Schweißverbundstahl wunderschön und eine hübsche Ergänzung in jedem Zuhause oder jeder Schwertersammlung ist,
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aber man sollte sich im Klaren darüber sein, dass er weder ein fallendes menschliches Haar schneiden würde, noch einen Weißen Wanderer töten könnte.
Valyrischer Stahl und Weiße Wanderer Valyrischer Stahl und Damaszener Stahl scheinen sich sehr zu ähneln. Beide werden aus Stahl gemacht, der einzigartig für eine Region ist, und beide werden sehr geschätzt, weil sie ungewöhnliche Eigenschaften haben und schwer zu schmieden sind. Die Methode, wie man einen Valyrischen Stahl-Ingot herstellt (wenn man davon ausgeht, es beginnt mit einem Ingot), ist verloren gegangen, doch wie man Damaszener Stahl schmiedet, war wohlbekannt. In beiden Fällen gab es nur wenige Menschen, die genau wussten, wie man eine Klinge schmieden kann. Beide Stahlsorten sind für ein charakteristisches Wellenmuster bekannt, und beide werden mehrmals bei einer bestimmten Temperatur bearbeitet, damit das wertvolle Endprodukt entsteht. Ich glaube, es wurde davon ausgegangen, wenn auch nicht explizit erwähnt, dass Drachen an der Herstellung von Valyrischem Stahl beteiligt waren, und zwar entweder beim ursprünglichen Schmelzen, beim Schmelztiegelprozess oder beim tatsächlichen Schmieden. Bedenkt man, dass die Schmiede in Westeros immer noch in der Lage waren, mit den vorhandenem Metall zu arbeiten, kann man wohl davon ausgehen, dass das Drachenfeuer am Anfang des Prozesses genutzt wurde, nicht beim Schmieden. Es ist nicht klar, ob Drachen die Temperatur ihrer Flammen vollkommen unter Kontrolle haben. Bisher wollten sie es nur so heiß wie möglich, doch wenn sie die Temperatur kontrollieren können, könnten sie Stahl mit einem sehr exakt festgelegten Kohlenstoffgehalt und der gewünschten Kristallstruktur erzeugen. Weil dies eine große Hürde für die Herstellung von Stahl in der echten Welt war, wären Drachenthermostate wirklich hilfreich gewesen. Ich denke, wir können auch davon ausgehen, dass Drachen mit ihrem Feuer den Materialien eine gesunde Menge an Zauber verliehen, das tut jedenfalls nicht weh. Es wurde auch behauptet, die Klingen seien in Blut abgeschreckt worden, passend zum Wahlspruch des Hauses Targaryen. Auch dies ist nicht weit von der Realität entfernt; manche persischen Texte empfehlen, die Klinge im Bauch eines Sklaven abzuschrecken. Andere schlagen vor, dies im Urin eines rothaarigen Jungen zu tun; vielleicht hätten also Wildlinge diese Aufgabe übernehmen müssen, wenn sie in das Gebiet südlich der Mauer gekommen wären (Maugh 1982).
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Abgesehen vom Drachenfeuer ist es im Allgemeinen wirklich faszinierend, dass George R. R. Martins „erdachtes magisches Metall“ gar nicht so erdacht ist. Die größte Frage, die sich mir in Bezug auf Valyrischen Stahl oder Damaszener Stahl stellte, ist, wie er sich bei sehr tiefen Temperaturen verhalten würde, vor allem bei diesen Temperaturen, bei denen normaler Stahl gegen die Weißen Wanderer versagt. Wie Sie sich vorstellen können, gibt es keine Forschungen darüber, welchen Einfluss die Temperaturen auf die Festigkeit von Damaszener Stahl haben, denn im Mittleren Osten wird es nicht so kalt. Keiner wird ein Schiff daraus bauen. Vielleicht gibt es einen Duktil-zu-spröde-Übergang wie beim normalen Stahl, weil ja ein Großteil der Klinge aus einem ähnlichen Material besteht. Doch die Kohlenstoffnanoröhren, die den Zementit schützen und stärken und dafür sorgen, dass die Klinge scharf bleibt, werden bei tiefen Temperaturen stabiler (Dumitrica et al. 2006). Außerdem haben sie keinen Duktil-zu-spröde-Übergang, weil sie aus einem einschichtigen Bienenwabenmustergitter geformt sind und nicht aus einem BCC-Gitter und somit auch keine Schwachstellen aufgrund von Versetzungen aufweisen. Diese Nanoröhren machen nur einen sehr geringen Prozentsatz des Damaszener Stahls aus, deshalb hat die Zugabe vielleicht kaum Einfluss. Doch wenn man sich anschaut, wie sie die Zementitnanoröhren schützen, könnten sie in der Lage sein, den Kristall zusammenzuhalten, genauso wie Metallgitter dafür verwendet werden, Beton zu verstärken. Ich habe keine Forschungen zu dieser spezifischen Frage finden können, doch hoffe ich persönlich, dass dies der Fall ist. Ich wäre froh, wenn es Zaubersprüche und Wissenschaft wären, die alles zusammenhalten, anders als bei der Mauer. Wir werden nie erfahren, ob Damaszener Stahl einen Weißen Wanderer töten könnte, aber ich bin ziemlich froh darüber, dass dies ein Geheimnis bleiben wird.
Literatur Dumitrica T, Hua M, Yakobson BI (2006) Symmetry-, time-, and temperaturedependent strength of carbon nanotubes. Proc Natl Acad Sci 103(16):6105– 6109. https://doi.org/10.1073/pnas.0600945103 Golberg D, Mitome M, Müller Ch, Tang C, Leonhardt A, Bando Y (2006) Atomic structures of iron-based single-crystalline nanowires crystallized inside multi-walled carbon nanotubes as revealed by analytical electron microscopy. Acta Mater 54(9):2567–2576. https://doi.org/10.1016/j.actamat.2006.01.040 Levin AA, Meyer DC, Reibold M, Kochmann W, Pätzke N, Paufler P (2005) Microstructure of a genuine Damascus Sabre. Cryst Res Technol 40(9):905–916. https://doi.org/10.1002/crat.200410456
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Maugh TH (1982) A metallurgical tale of irony. Science 215(4529):153. https:// doi.org/10.1126/science.215.4529.153 Ni L, Kuroda K, Zhou L-P, Kizuka T, Ohta K, Matsuishi K, Nakamura J (2006) Kinetic study of carbon nanotube synthesis over Mo/Co/MgO catalysts. Carbon 44(11):2265–2272. https://doi.org/10.1016/j.carbon.2006.02.031 Reibold M, Paufler P, Levin AA, Kochmann W, Pätzke N, Meyer DC (2006) Carbon Nanotubes in an Ancient Damascus Sabre. Nature 444(7117):286. https://doi.org/10.1038/444286a Sherby OD (1999a) Ultrahigh carbon steels, Damascus steels and ancient blacksmith. ISIJ Int 39(7):637–648. https://doi.org/10.2355/isijinternational.39.637 Sherby OD (1999b) Ultrahigh carbon steels, Damascus steels and an ancient blacksmith. ISIJ Int 39(7):637–648. https://doi.org/10.2355/isijinternational.39.637 Verhoeven JD (1987) Damascus steel, part I: Indian Wootz steel. Metallography 20(2):145–151. https://doi.org/10.1016/0026-0800(87)90026-7 Verhoeven JD (2001) The mystery of Damascus blades. Sci Am 284(1):74–79. https://doi.org/10.1038/scientificamerican0101-74 Verhoeven JD, Baker HH, Peterson DT, Clark HF, Yater WM (1990) Damascus steel, part III: the Wadsworth-Sherby mechanism. Mater Charact 24(3):205– 227. https://doi.org/10.1016/1044-5803(90)90052-l Verhoeven JD, Pendray AH, Dauksch WE (2004) The continuing study of Damascus steel: bars from the Alwar Armory. Jom 56(9):17–20. https://doi. org/10.1007/s11837-004-0193-4
Drachenbiologie – Fledermäuse, aber mit Feuer
Über ihnen allen zog der Drache seine Kreise, dunkel gegen die Sonne. Seine Schuppen waren schwarz, seine Augen und Hörner und die Rückenplatten blutrot. Er war schon immer der größte der drei, doch in der Wildnis war Drogon noch größer geworden. Seine Flügel erstreckten sich über sieben Meter von Spitze zu Spitze, schwarz wie Pech. Er schlug einmal damit, als er über den Sand zurück fegte, und das Geräusch war wie ein Donnerschlag. – Daenerys Targaryen, die Drogon beobachtet, in Der Tanz der Drachen
Bevor ich mich zu intensiv mit der Frage beschäftige, ob Daenerys Targaryen auf Drogons Rücken aus einer Kampfarena wegfliegen könnte oder nicht, muss ich etwas klarstellen, was in vielen Internetforen diskutiert wird: Weder Drogon noch seine Eltern oder seine Geschwister sind Drachen – zumindest nicht im üblichen Sinne. In den alten Geschichten sind Drachen feuerspeiende, vierbeinige Kreaturen, während Danys Drachen nur zwei Beine haben. Für ein weiteres Beinpaar benötigte man zusätzliche Gelenke, was einen Haufen weiterer Komplikationen ergeben würde, ganz zu schweigen davon, dass es in der Natur keine vierbeinigen fliegenden Wesen gibt. Die Drachen von Targaryen sind eine Kreuzung zwischen Wyvern und Drachen. Wyvern haben zwei Beine, Flügel wie eine Fledermaus, und ihr Biss ist giftig. Sie werden oft mit kaltem Wetter in Verbindung gebracht. Doch sie können kein Feuer speien. George R. R. Martin, D. B. Weiss und David Benioff haben ihre Kreaturen immer Drachen genannt, stellen Sie mich also bitte nicht an den Twitter-Pranger, wenn ich dasselbe mache. Außerdem klingt „Wyvernmutter“ nun wirklich nicht sonderlich eindrucksvoll.
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 R. C. Thompson, Wissenschaft meets Game of Thrones, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61419-8_8
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Unabhängig davon, ob sie Drachen oder Wyvern sind, werden sie oft als geflügelte Echsen dargestellt. Dies wirft eine weitere komplizierte Frage auf: Sind Drachen Warm- oder Kaltblüter? Abgesehen vom winzigen Teju, der die Wärme nur gelegentlich anschalten kann, sind Echsen Kaltblüter. Sie können ihre Körpertemperatur nicht regulieren, sondern sind von ihrer Umgebung abhängig. Deshalb sonnen sich Reptilien tagsüber und sind nachts nur sehr schwerfällig. Wie die meisten Lebewesen sind sie nicht besonders gut auf Kälte zu sprechen, ihr Körper reagiert besonders darauf, weil ihr Stoffwechsel viel langsamer wird. Und anders als bei den Menschen können sie ihren Thermostat nicht höherstellen.
Warm- oder Kaltblüter? Allem Anschein nach sollten Drachen Kaltblüter (zoologisch korrekter: wechselwarme Tiere, Anm. d. Übers.) sein. Sie haben Schuppen statt Fell oder Federn, und sie legen Eier, das sind typische Kennzeichen von kaltblütigen Tieren. Von Tejus abgesehen gibt es nur zwei warmblütige Tiere mit Schuppen: das Schuppentier und das Gürteltier. Beide sind hinreißend, aber etwas ganz anderes als Drachen; außerdem ist keines davon größer als ein Welpe. Die größten fliegenden Kreaturen aller Zeiten, die Pterosaurier, waren Kaltblüter. Kaltblütige Tiere verwandeln viel mehr Energie aus ihrer Nahrung in Körpermasse. Weil sie diese Energie nicht dafür verbrauchen müssen, sich zu wärmen oder abzukühlen, können sie sie nutzen, um zuzunehmen. Drachen sind riesig, deshalb wäre es sinnvoll, wenn sie einen Großteil der Energie aus ihrem Futter in Körpermasse verwandelten. Es könnte so aussehen, als wäre der Fall damit erledigt: Drachen sind kaltblütig. Nun, aber nicht, wenn man eine Geschichte mit Eis und Feuer haben möchte. Wenn es nur um Feuer gehen würde, okay, aber nehmen Sie Eis dazu, dann gibt es Probleme. In einer heißen Umgebung wären wechselwarme Drachen nicht aufzuhalten, doch sie hätten große Probleme, wenn sie auf Eis treffen. Muskelbewegungen werden durch chemische Reaktionen in den Muskeln gesteuert, und diese passieren viel schneller, wenn der Körper warm ist (Brian Rohrig 2013). Um Muskeln zu bewegen und das Leben aufrechtzuerhalten, katalysieren Enzyme in den Zellen chemische Reaktionen, um Glukose und Proteine zu zerlegen, wodurch Energie frei wird, die die Zellen zum Funktionieren benötigen. Enzyme sind etwas heikel dabei, wann sie diese Reaktionen katalysieren. Wenn die Zellen zu heiß oder zu kalt sind, werden die Reaktionen langsamer, und das Tier wird
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träger. Bei kaltblütigen Tieren heißt das, dass sie bei kaltem Wetter nicht in der Lage sind, die Energie aus ihrer Nahrung für Bewegungen zu nutzen, deshalb halten sie normalerweise Winterschlaf, bis sie ihren Körper wieder erwärmen können, sodass die Enzyme ihre Aufgabe erledigen können. Der Winterschlaf von Kaltblütern verläuft ganz anders als der von Warmblütern. Warmblüter rollen sich an einem sicheren Platz zusammen und verbrauchen ihr Köperfett, bis es draußen wieder warm genug ist, um ihre Körpertemperatur gut zu regeln. Sie können dabei bis zu 30 % ihrer Körpermasse verlieren. Der Winterschlaf von Kaltblütern verläuft auf Zellenebene ganz anders. Zuerst tun sie alles, was sie können, um so warm wie möglich zu bleiben, etwa sich in Schlamm vergraben und ihren Stoffwechsel und ihre Herzfrequenz so drastisch herab regulieren, dass sie tot erscheinen. Sie sind sehr lebendig, nur innen ein wenig gefroren. Tiere können als große Taschen voller Wasser betrachtet werden, deshalb ist es ein kleines Problem, wenn sie bei Kälte gefrieren. Doch manche Kaltblüter haben einen einzigartigen Ausweg gefunden: Sie lassen einen Teil des Wassers in ihrem Körper gefrieren, sodass der Rest flüssig bleiben kann. Beim Überwintern gefriert das Wasser um die Zellen des Tieres. Eigentlich mag es die Natur nicht, wenn zwei Lösungen mit verschiedenen Konzentrationen gelöster Teilchen durch eine poröse Membran – wie es eine Zellmembran ist – getrennt werden. Wenn dies passiert, wandert Wasser durch die Membran, um die Konzentrationsunterschiede auszugleichen. Dieser Vorgang heißt Osmose. Wenn das Wasser außerhalb der Zelle gefriert, erhöht es die Konzentration an Teilchen, die im flüssigen Wasser gelöst sind, und das Wasser fließt aus der Zelle heraus, um das Problem zu beseitigen. Im Gegenzug bewegen sich Moleküle wie Glykol und Harnstoff in die Zelle. Genau wie Salz auf einer vereisten Straße verändert dies den Gefrierpunkt des Wassers im Inneren der Zellen und verhindert das Gefrieren, das dazu führen würde, dass die Zellen platzen, weil sich Wasser beim Gefrieren ausdehnt. Reptilien erzeugen also ihr eigenes Frostschutzmittel. Nun zurück zu den Drachen. Wären Drachen kaltblütige Reptilien, müssten sie Winterschlaf halten, wenn sie in das kalte Klima des Nordens kämen. Bei diesen kalten Temperaturen würden sie tot aussehen und wären bestimmt nicht in der Lage, zu fliegen. Statt Weiße Wanderer zu bekämpfen, müssten sie ihre Zeit damit verbringen, sich in Dorne zu sonnen. Damit die Geschichte von Feuer und Eis funktionieren kann, müssen Drachen warmblütig sein, denn sie müssen unter kältesten Bedingungen funktionieren – und das ziemlich heftig (mal ganz abgesehen vom Feuerspucken). Weil wir sehen, dass sie Schuppen und keine Federn haben, können wir davon ausgehen, dass sie eine dritte Art von geschupptem Säugetier sind, viel größer
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und viel weniger niedlich als das kleine Schuppentier natürlich. Es gibt auch zwei Säugetiere, die Eier legen, das Schnabeltier und den Ameisenigel, also gibt es auch dafür Präzedenzfälle. Auch wenn man sie ständig mit Echsen vergleicht, sind Drachen wahrscheinlich näher dem Gürteltier verwandt – ein furchterregendes, fliegendes, feuerspuckendes Gürteltier. Mit Reißzähnen. Nun haben wir also festgestellt, dass Drachen im kalten Norden kämpfen können. Jetzt wollen wir darüber sprechen, wie sie dorthin kommen. Können Drachen wirklich fliegen? Und wenn ja, wie? Ähneln sie mehr einem Albatros, einer Fledermaus oder den längst ausgestorbenen Flugsauriern? Bevor wir Vergleiche anstellen können, müssen wir aber erst wissen, wie Dinge fliegen können.
Wie fliegen Flugzeuge? Auch wenn Drachen außer ihrer Größe sehr wenig mit einer Boeing 747 gemein haben, möchte ich kurz erklären, wie Flugzeuge fliegen. Eines der größten Missverständnisse in der Physik betrifft das Fliegen, und ich fühle mich verpflichtet, dieses Missverständnis so oft wie möglich aufzuklären. Die klassische Erklärung dafür, wie ein Flugzeug fliegt, verwendet das sogenannte Bernoulli’sche Prinzip, das besagt, dass Luft, die sich schneller bewegt, einen geringeren Druck aufweist, als solche, die sich langsamer bewegt. Das Bernoulli’sche Prinzip ist wichtig – aber nicht so, wie es normalerweise verwendet wird. Die übliche Erklärung ist, dass ein Flügel so geformt ist, dass die Luft auf seiner Oberseite schneller strömen muss als auf seiner Unterseite und dass die Druckdifferenz für den Auftrieb sorgt. Doch hier gibt es zwei Probleme: erstens, genug Auftrieb zu erzeugen, um ein mittelgroßes Verkehrsflugzeug fliegen zu lassen, denn dazu müssten die Flügeloberseiten absurd stark gerundet sein, und zweitens kann ich als Nichte eines professionellen Stuntpiloten mit großer Sicherheit sagen, dass Flugzeuge auf dem Kopf fliegen können. Auf weitere Details will ich hier nicht eingehen, denn wenn Sie „Warum fliegen Flugzeuge?“ googeln, erhalten Sie viele Treffer, die das richtig (und falsch) erklären – ignorieren Sie einfach alle, in denen das Bernoulli’sche Prinzip auftaucht. Warum fliegen also Flugzeuge wirklich? Das ist ziemlich kompliziert, doch es gibt zwei Hauptkomponenten beim Fliegen. Die erste ist, dass die Flügel die Luft nach unten zwingen. Newton hat uns gelehrt, dass Kräfte immer paarweise auftreten: Wenn Sie wollen, dass etwas in eine Richtung geht, spürt jeder, der daran zieht, eine Kraft in die andere Richtung. Für
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das Fliegen bedeutet das: Wenn Sie einen Auftrieb erzeugen wollen, müssen Sie die Luft nach unten drücken. Um Abheben zu können, muss auf etwas eine Kraft nach oben wirken, die größer ist als seine Gewichtskraft. Im Falle einer Boeing 747 ist das eine Kraft, die der Gewichtskraft von grob 350 t entspricht. Um diese Kraft nach oben zu erzeugen, muss Luft sehr schnell nach unten gedrückt werden. Kraft ist gleich der Änderung des Impulses, deshalb muss der Impuls der Luft nach unten geändert werden, um Auftrieb zu erzeugen. Impuls wiederum ist Masse (also wie viel Luft bewegt wird) mal Geschwindigkeit (wie schnell sie bewegt wird). Flugzeugflügel sind so konstruiert, dass sie die Luft nach unten zwingen, und je schneller sie sich bewegen, desto schneller drücken sie die Luft nach unten und sich selbst nach oben. Luft wiegt viel mehr, als man denken würde: etwa 1,22 kg/m3. Trotz dieses hohen Gewichts muss viel Luft nach unten gedrückt werden, um ein Flugzeug zum Fliegen zu bringen. Wie kann ein Flügel so viel Luft umleiten? Ein wichtiges Detail, das man hier beachten muss, ist, dass Flugzeugflügel einen Anstellwinkel haben. Sie fliegen nicht geradeaus – sie sind immer gekippt. Diese Neigung erlaubt es der Unterseite des Flügels, Luft nach unten zu drücken, doch auch die Luft, die über den Flügel strömt hat eine Komponente nach unten. Wie ist es möglich, dass Luft, die über den Flügel strömt, nach unten zielt? Dies gelingt durch den Coandă-Effekt. Wenn ein Fluid wie Wasser oder Luft an etwas Gekrümmtem entlangströmt, z. B. am Flügel eines Flugzeugs, bleibt es ein wenig haften und folgt der gekrümmten Fläche, statt direkt daran vorbei zu fließen. Sie können dies in Ihrer Küche ausprobieren, indem Sie die Rückseite eines Löffels unter den Wasserhahn halten und beobachten, wie das Wasser der Krümmung folgt. Ein Flugzeugflügel ist leicht gekrümmt, deshalb strömt Luft darüber und nach unten, und diese Abwärtsbewegung drückt den Flügel nach oben. Die Luft, die darüber und nach unten strömt, heißt Grenzschicht. Es ist schwierig, den Anstellwinkel genau richtig hinzubekommen. Wenn er zu flach ist, erhält das Flugzeug zu wenig Auftrieb, doch wenn er zu steil ist, wird die Neigung des Flügels zu stark sein, sodass die Luft, die darüber strömt, keine Grenzschicht ausbilden und nach unten strömen kann. Wenn das passiert, nennt man es Abreißen der Strömung. Auch der zweite physikalische Effekt, der das Flugzeug zum Fliegen bringt, hängt mit dem Anstellwinkel zusammen, und hier kommt das Bernoulli’sche Prinzip tatsächlich ins Spiel. Der Anstellwinkel führt dazu, dass die Luft unterhalb des Flügels langsamer strömt und sich dort staut. Auf der Oberseite des Flügels haftet nur die Luft, die ganz nahe an ihm ist, daran. Luft, die nicht in der Grenzschicht klebt, strömt über den Flügel
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hinweg und geht ihren Weg fröhlich weiter. Das bedeutet, dass es hinter dem Flügel weniger Luft gibt als davor. So entsteht ein Vakuum. Die Verbindung von hohem Druck und Luft, die von der Unterseite des Flügels nach oben drückt, erzeugt Auftrieb. Weil der Anstellwinkel der Schlüssel für die Erzeugung von Auftrieb ist, steuern die Piloten die Flughöhe des Flugzeugs sowohl dadurch, dass sie den Schub der Triebwerke verändern als auch durch die Veränderung des Anstellwinkels. Ein Winkel von rund 15° ergibt den größten Auftrieb, höhere und geringere Winkel erzeugen weniger Auftrieb (Abb. 1). Was bedeutet das alles in harten Zahlen? Die Auftriebskraft L hängt ab von der Dichte ρ der Luft um den Flügel, der Geschwindigkeit U, mit der sich der Flügel bewegt, seiner Fläche A und einem Parameter CL, der die Form des Flügels berücksichtigt, dem Anstellwinkel und wie „klebrig“ das Flügelmaterial ist. Dieser Parameter heißt Auftriebskoeffizient. Mathematisch formuliert wird der Auftrieb berechnet mit folgender Formel: CL ρU 2 A L= 2
Wir können diesen auf den speziellen Fall einer Boeing 747 anwenden. Ihr Startgewicht beträgt wie erwähnt ca. 350 t, was einer Gewichtskraft von etwa 3.500.000 N entspricht. Genauso groß muss die Auftriebskraft L sein. Wie schnell muss das Flugzeug sein, um abheben zu können? Wir können unsere Formel verwenden, um dies herauszufinden. Der durchschnittliche
Abb. 1 Die Bewegung der Luft über einem Flugzeugflügel
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Auftriebskoeffizient beträgt 2, die Dichte von Luft ist 1,22 kg/m3, und die Flügel einer 747 sind etwa 510 m2 groß (Wikipedia – Boeing 747). Wir können die Formel umformen und erhalten: m 2L 2 × 3500000 km = = 75 ≈ 270 U= CL ρA 2 × 1, 22 × 510 s h Eine 747 muss also mindestens 270 km/h schnell sein, um abheben zu können. Normalerweise fliegt sie natürlich viel schneller, aber wenn sie langsamer wird, fällt sie vom Himmel. Das Wissen, wie ein unbelebtes Verkehrsflugzeug abhebt, scheint nicht gerade der Schlüssel zum Verständnis zu sein, wie ein Drache das macht, doch es ist der erste Schritt. Ein Vogel ist so etwas wie eine flatternde 747. Flugzeuge bringen die Luft dazu, um ihre Flügel zu strömen, indem sie sich mithilfe von Propellern oder Düsentriebwerken mit hoher Geschwindigkeit vorwärts bewegen. Vögel aber haben keine Triebwerke auf ihren Rücken geschnallt, deshalb müssen sie sich mit eigener Kraft vorwärts bewegen oder Schub erzeugen. Sie sind im Verhältnis zu ihrer Größe extrem leicht, deshalb benötigen sie nicht so viel Auftrieb, um ihre Schwänze in die Luft zu bekommen, und auch nicht so viel Schub. Die Auftriebsgleichung zeigt, dass Flügel mit größerer Fläche für einen höheren Auftrieb sorgen. Doch Vögel wollen ihr Auftriebs-zu-Gewicht-Verhältnis maximieren, und das gelingt ihnen durch Federn. Federn erzeugen eine riesige Flügelfläche, ohne zu viel Gewicht hinzuzufügen, das noch gehoben werden müsste.
Vögel und Fledermäuse und ähnliche Dinge Die Flügel von Vögeln ähneln denen von Flugzeugen, sobald die Luft darüber zu strömen beginnt, aber sie dahin zu bringen, ist hart. Zu einem Flügelschlag gehören zwei Bewegungen: eine nach oben und eine nach unten. Vermutlich haben Sie schon erraten, dass der größte Teil des Auftriebs und des Schubs vom Abwärtsschlagen kommt. Wenn der Flügel eines Vogels nach unten schlägt, erzeugt er Kräfte in zwei Richtungen: nach oben und nach vorne. Es ist einfach zu sehen, wie er eine Kraft nach oben erzeugt; er drückt die Luft nach unten. Wo kommt also der Schub her? Anders als eine 747 kann ein Vogel den Winkel zwischen seinem Flügel und seinem Körper relativ leicht verändern. Wenn der Vogel seinen Flügel nach unten bewegt, wird er dessen Vorderkante ein wenig weiter nach unten kippen, durch diese Neigung drückt der Flügel die Luft sowohl nach unten als auch
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nach hinten. Er ähnelt einem Schwimmer, der sich durchs Wasser bewegt. Wenn Sie sich die Hände von Michael Phelps beim Schwimmen ansehen, sind sie genauso gekippt wie der Flügel eines Vogels. Stellen Sie sich die Bewegungen von Phelps vor, wenn er Schmetterling schwimmt. Er bewegt sich sowohl vorwärts als auch aus dem Wasser heraus, genau wie ein Vogel… nur nasser. Auch bei der Aufwärtsbewegung passieren viele interessante physikalische Dinge. Weil ein Vogel dabei nicht viel Auftrieb oder Schub erhalten kann, ist das Ziel, den Luftwiderstand zu minimieren oder die Kraft, die notwendig ist, den Flügel durch die Luft zu bewegen. Weil der Flügel eines Vogels gelenkig ist, kann er beim Aufwärtsschlagen ein wenig eingezogen werden, sodass seine Fläche geringer wird, wodurch der Luftwiderstand reduziert wird. Der Hauptgrund für den Luftwiderstand beim Aufwärtsschlagen sind die Federn. Bei der Abwärtsbewegung werden die Federn gedreht, sodass sie senkrecht zur Bewegungsrichtung stehen und dadurch einen Flügel mit der größten Oberfläche bilden, so entstehen dann auch am meisten Auftrieb und Schub. Beim nach oben Schlagen können manche Vogelarten ihre Federn so drehen, dass die Luft durch den Flügel strömen kann. Diese nette kleine Anpassung bedeutet, dass viel weniger Energie dafür aufgewendet werden muss, um den Flügel an einen Ort zurückzubringen, wo er wieder nützlich ist. Beim Start verbraucht ein Vogel (oder eine Fledermaus oder ein Flugsaurier, über die wir später reden werden) am meisten Energie. Aber nicht die gesamte Energie muss vom Flügelschlagen aufgebracht werden. Oft laufen Vögel oder hüpfen in die Luft, um ein wenig mehr Auftrieb und Schub aufzubringen, als die Flügel ihnen verleihen würden. Der größte fliegende Vogel Afrikas, die Riesentrappe, wiegt 6 bis 19 kg. Sie müsste also etwa 190 N Auftriebskraft erzeugen, um abheben zu können. Dazu müsste sie sich mit einer Geschwindigkeit von etwa 25 km/h vorwärtsbewegen, um nur durch aerodynamischen Auftrieb vom Boden loszukommen. Dies ist ein Grund, warum die Riesentrappen die meiste Zeit auf dem Boden verbringen. Wenn sie aber dann doch einmal fliegen wollen, erzeugen sie die für das Abheben notwendige Geschwindigkeit, indem sie wirklich schnell gegen den Wind laufen. Für einen so großen Vogel, dessen Flügel kaum groß genug sind, gibt es keine anderen Möglichkeiten. Sobald Vögel in der Luft sind, nutzen die meisten eine Kombination von Flattern und Gleiten. Gleiten ist viel energieeffizienter und solange sie schneller sind als die Geschwindigkeit zum Abheben, können sie weitergleiten. Es ist ein bisschen wie Fahrradfahren; sobald sich die Räder drehen und Sie nicht sehr in Eile sind, müssen Sie nur ab und zu in die
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Pedale steigen, um nicht umzukippen. Vögel können die Form ihrer Flügel und den Anstellwinkel verändern, um ihre Höhe und Geschwindigkeit zu beeinflussen. Sie können auch den Wind, Luftströmungen und Thermiken nutzen, um in der Luft zu bleiben. Warme Luft, die vom Boden aufsteigt, nennt man Thermik. Sie wird normalerweise über Oberflächen erzeugt, die sehr leicht die Wärme des Sonnenlichts absorbieren können, etwa dunkle Felsen oder Asphalt. Vögel können auf diesen Warmluftsäulen reiten. Für manche ist es sogar die Hauptmethode, um Auftrieb zu gewinnen. Merken Sie sich dieses Prinzip der Thermiken – es wird noch einmal wichtig werden, wenn wir darüber sprechen, wie Drachen fliegen könnten. Als Nebenbemerkung kann ich nicht fortfahren, ohne über eine Frage zu sprechen, die Nerds seit langer Zeit plagt: „Wie hoch ist die Fluggeschwindigkeit einer unbeladenen Schwalbe?“ Sowohl afrikanische als auch europäische Schwalben fliegen mit etwa 11 m/s (40 km/h), doch sie müssten nur mit etwa 2 m/s (7 km/h) fliegen, um abzuheben. Ich überlasse die Beantwortung der Frage, wie schnell sie sein müssten, wenn man sie mit einer Kokosnuss belädt, dem Leser. Sowohl Fledermäuse als auch Vögel flattern und fliegen, doch das ist alles, was sie gemein haben. Das eine ist ein Säugetier und das andere ein Vogel, eines hat Fell, das andere Federn, und trotz Alfred Hitchcocks Bemühungen habe ich nur vor Fledermäusen Angst. Es überrascht nicht, dass es einen gewaltigen Unterschied im Aufbau ihrer Flügel gibt. Drachen haben Fledermausflügel statt die von Vögeln, aber warum? Dafür gibt es viele Gründe, aber der wahrscheinlichste ist, dass sie erschreckend sein müssen. Der Flügel eines Vogels besteht aus einem langen Arm, der einem menschlichen ähnelt, aber nur zwei Finger am Ende hat. Dieser bildet die Vorderkante des Flügels; der Rest sind nur Federn. Die Knochen eines Vogels sind im ganzen Tier gleich steif und porös wie ein Schwamm. Auch Fledermäuse haben einen Armknochen als Vorderkante des Flügels, doch hier enden die Ähnlichkeiten. Die Knochen von Fledermäusen sind nicht hohl, und sie werden biegsamer in Richtung Flügelkante; und ganz offensichtlich haben sie eine Flügelmembran statt Federn. Bis zu 20 % der Masse einer Fledermaus können im Flügel stecken, während fast die gesamte Masse eines Vogels in seinem Körper steckt. Einer der wichtigsten Unterschiede ist, dass sie fünf Fingerknochen haben, die sich über den Flügel ausdehnen, statt nur zwei an der Spitze. Mit so vielen Fingern haben sie viel mehr Kontrolle über die Form ihrer Flügel. Fledermäuse können viel exakter fliegen und wandeln bei ihren langen Flügen Energie effizienter um als Vögel. Weil sie mithilfe ihrer Finger den Auftrieb und den Schub in ihren Flügeln so genau verändern können, sind sie zu erstaunlichen Flugmanövern fähig. Ein Vogel könnte
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Abb. 2 Vergleich von Insekten-, Vogel- und Fledermausflügel. Beachten Sie, dass der Fledermausflügel wie eine menschliche Hand aussieht
nicht kopfüber landen (Abb. 2). Außerdem können Fledermäuse, genau wie Drachen, auf ihren Flügeln gehen und sogar schwimmen. Sie sind viel gewandtere Kreaturen. (Fun-fact: Wenn Sie ein Bild von schlafenden Fledermäusen umdrehen, sehen sie aus, als feierten sie gerade eine irre Tanzparty.) Aufgrund der Knochenstruktur des Fledermausflügels und der Elastizität seiner Membran ist die Flatterbewegung einer Fledermaus viel komplizierter als die eines Vogels. Fledermäuse verändern die Form und den Winkel ihrer Flügel geschickter, als Vögel überhaupt in der Lage sind – so sehr, dass das Verständnis dieser einzigartigen und effizienten Flieger entscheidend für die Entwicklung der nächsten Generation fliegender Maschinen ist, etwa von Drohnen. Der Biologe Sharon Swartz und der Ingenieur Kenneth Breuer von der Brown University in Providence, Rhode Island, leiten eines der führenden Fledermaus-Forschungsinstitute. Mithilfe einer Technologie, die stark jener ähnelt, mit der CGI-Animationen erstellt werden, haben sie ein Computermodell eines Fledermausflugs entwickelt, das sie bei Versuchen, einen Roboter-Fledermausflügel zu bauen, als Referenz heranziehen. Wenn Sie Zeit haben, empfehle ich Ihnen sehr den Besuch auf der Webseite der Forschungsgruppe. Schauen Sie sich die Videos an – Zeitlupenvideos eines Fledermausflugs sind unglaublich (Brown University). Es ist verlockend anzunehmen, dass Fledermäuse einfach nach oben und unten flattern und wie Vögel fliegen: Ein nach oben gedrehter Anstellwinkel beim nach unten Schlagen erzeugt Schub und Auftrieb, und ein
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zurückgezogener Flügel beim nach oben Schlagen verringert das Bremsen. Der einzige Unterschied ist, dass Fledermäuse die Winkel genauer steuern können. In der Realität verläuft die Bewegung eines Fledermausflügels im Flug ganz anders. Wenn Sie Gelegenheit hatten, die Zeitlupenaufnahmen im Video anzusehen, verstehen Sie vielleicht, warum sich Dracula in eine Fledermaus verwandelte. Der Flügelschlag erinnert an einen Vampir (den traditionellen Vampir, keinen moderne wie Spike und Angel), der sein Cape um sich schlägt. Der Schlag nach unten führt zu einer schnellen Bewegung nach vorne, ein wenig wie Michael Phelps, der versucht, Schmetterling rückwärts zu schwimmen, oder das windmühlenartige Rudern mit dem Arm von jemandem, der nicht nach hinten fallen möchte. Die Vorderkante des Flügels zeigt tatsächlich wie beim Vogelflug nach unten, doch während sich der Flügel nach unten bewegt, bewegt er sich auch deutlich nach vorne, wobei sich die Membran dahinter dramatisch aufbläht, wie ein kleines Cape. Die Flügel bewegen sich fast so sehr nach vorne, dass sie das Gesicht der Fledermaus bedecken. Das ist genau das Gegenteil der Bewegung eines Vogelflügels, der so aussieht, als schwimme Michael Phelps Schmetterling nach vorne. Nach Swartz (Swartz et al. 2012) trägt diese Vorwärtsbewegung dazu bei, dass Luft über den Flügel strömt und mehr Auftrieb erzeugt. Über die mechanischen Abläufe beim Schlag nach oben wird immer noch diskutiert. Weil die Flügel der Fledermäuse einen beträchtlichen Teil ihres Gewichts ausmachen, vermuteten einige Forscher, dass die Tiere die Trägheit ihrer Flügel nutzen, um ihren Körper nach vorne zu treiben, wenn sie sich beim Aufwärtsschlagen genug nach hinten abgedrückt haben. Hier greift wieder das Prinzip „Kraft ist gleich Gegenkraft“ – wenn schwere Flügel zurückgehen, muss der Körper nach vorne fliegen. Nachdem er Fledermäuse beobachtet hatte, schloss Swartz jedoch, dass es während des Aufwärtsschlagens keine Vorwärtsbewegung des Körpers gibt (Swartz et al. 2012). Eine Gruppe aus Schweden ist anderer Meinung. Anders Hedenström von der Lund University verwendete Rauch und Spiegel – na ja, Rauch und Laser –, um zu prüfen, was mit der Luft passiert, nachdem eine Fledermaus durchgeflogen ist. Im Gegensatz zu Vögeln, die ein recht einfaches Kielwasser hinter sich lassen, fand Hedenström ein ziemlich komplexes Wirbelsystem, wo Fledermäuse durchgekommen sind (Mujires et al. 2008). Was ist ein Wirbel? Wenn sich ein Objekt durch ein Fluid wie Luft oder Wasser bewegt, verursacht diese Bewegung Störungen im Fluid. Diese Störungen oder Wirbel bewegen sich dann weiter durch das Fluid, als wären sie von der Rückseite des sich bewegenden Objekts abgeworfen worden. Sie bewegen sich in die entgegengesetzte Richtung der vom Objekt ausgeübten Kraft und seiner Bewegung (in diesem Fall des Fledermausflügels).
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Indem er die Wirbel untersuchte, die sich in verschiedenen Phasen des Flügelschlags einer Fledermaus abgelöst haben, zeigte Hedenström, dass dies sowohl beim nach unten als auch beim nach oben Schlagen geschah. Nachdem er die Bewegung der Luft analysiert hatte, schloss er, dass auch der Aufwärtsschlag Schub und Auftrieb erzeugte. Wie dieser Schub und Auftrieb erzeugt wird, hängt von der Geschwindigkeit der Fledermaus ab. Im Allgemeinen erzeugen Fledermäuse diese Kräfte nicht durch Trägheit, wie kurz zuvor gedacht, sondern indem sie ihre Flügel umdrehen. Bei geringen Geschwindigkeiten bewegt sich der Flügel hoch und zurück, und die Vorderkante wird beim Aufwärtsschlag um fast 180° gedreht. Es ist eine Art Schnalzen der Flügelspitze. Stellen Sie sich Dracula vor, der sein Cape dramatisch zurückwirft, bevor er in einen Hals beißt. Bei höheren Geschwindigkeiten schnalzt die Flügelspitze nicht, sondern bleibt vertikaler und erzeugt auch viel weniger Schub und Auftrieb. Es gibt keine plötzliche Grenzgeschwindigkeit, bei der die Fledermaus von Schnalzen auf Nichtschnalzen umschaltet, eher einen sanften Übergang von mehr auf weniger Schnalzen. Man kann es nicht mit dem Wechsel von Gehen zum Laufen beim Menschen vergleichen (Lindhe Norberg und Winter 2006). Neben all den bereits erwähnten coolen Tatsachen über Fledermausflügel helfen sie auch noch, die Tiere bei Zusammenstößen zu beschützen. Hier spielt die Trägheit eine wichtige Rolle. Trägheit ist der Widerstand gegen eine Beschleunigung. Schwere Dinge lassen sich schwerer beschleunigen als leichte, und manche Strukturen lassen sich schwerer beschleunigen als andere. Dieser Widerstand gegen eine Beschleunigung wird Trägheitsmoment genannt. (Hier möchte ich mich für diese Einleitung bei allen Physikstudenten entschuldigen, die eine ganz andere Definition des Wortes „Moment“ lernen müssen.) Weil Fledermausflügel so schwer sind, wollen sie sich einfach nicht anders bewegen, wenn sie auf eine entgegengesetzte Kraft stoßen. Wenn eine Fledermaus fliegt und am Kopf getroffen wird, wird ihr Körper anfangen zu rollen, doch die schweren Flügel werden auf Kurs bleiben und der Fledermaus helfen, wieder stabil weiterzufliegen. Anders als Vögeln, deren Flügel sehr schnell auf Kräfte reagieren, fällt es einer Fledermaus viel leichter, weiterzufliegen, wenn sie getroffen wird. Die Fähigkeit, in der Luft zu bleiben, wäre für einen Drachen im Kampf sehr wichtig. Ein Fels, der von einem Katapult abgeschossen wird, würde ihn nicht vom Himmel holen. Wenn Drachen fledermausähnliche Flügel und Flügelmechanik haben, stellt sich natürlich die Frage, wie groß Fledermäuse werden können. Gibt es einen Grund dafür, dass sie nicht so groß wie Drachen sind? Wenn Sie einige wirklich einmalige Albträume haben wollen, sollten Sie sich Videos
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über den Goldkronen-Flughund ansehen (Visery würde das gar nicht gefallen). Es ist mit einer Flügelspannweite von 1,5 bis 1,7 m und einem Gewicht von rund einem Kilogramm die größte Fledermaus der Welt. Auch wenn er Früchte statt Blut frisst, könnten Sie mir nicht genug dafür bezahlen, einem nahekommen zu wollen. Stellen Sie sich das eine Sekunde lang vor – ein Tier, das nur ein Kilo wiegt und eine Flügelspannweite von 1,5 m braucht, um zu fliegen. Die Drachen in der 7. Staffel haben ungefähr die Größe eines Jumbojets. Kann das möglich sein?
Dinosaurier Gab es je ein Tier, das flugfähig und so groß wie ein Drache ist, wenn weder Fledermäuse noch Vögel so groß wie Drachen werden können? Jedem, der eine Phase hatte, in der er Dinosaurier liebte (und machen wir uns nichts vor, die hatten wir alle), fällt vermutlich sofort der furchterregende Pterodaktylus ein. Ich habe schlechte Neuigkeiten für alle Leser, die sich als Kind einen Pterodaktylus als Haustier gewünscht haben. Halten Sie sich fest: Es gab keinen Pterodaktylus. Es gab fliegende Dinosaurier, doch als Gruppe werden sie als Pterosaurus (Flugsaurier) klassifiziert. Kein einzelner hatte den Namen „Pterodaktylus“. Es tut mir wirklich leid. Doch sie bieten eine vielversprechende Lösung für den Flug von Drachen. Sie wogen bis zu einer Viertel Tonne und hatten eine Flügelspannweite von über 10 m, waren also schwer – und konnten vermutlich fliegen. Es ist unter Paläontologen stark umstritten, ob die Flugsaurier flugfähig waren und welche zu schwer dazu waren. Wenn man etwas nicht beobachten kann, kann man natürlich immer darüber streiten. Flugsaurier gab es in vielen Größen, angefangen vom winzigen Nemicolopterus crypticus, mit einer Spannweite von nur 25 cm bis zum riesigen Quetzalcoatlus northropi, der mit einer Spannweite von 12 m sogar Drogon übertraf. Man schätzt, dass Quetzalcoatlus northropi ein Gewicht von 250 kg erreicht hat, so viel wie zwei Babyelefanten. Lange Zeit dachte man, dass so große Flugsaurier nicht fliegen konnten. Ähnlich dem Strauß oder Emu, deren Flügel ihr Körpergewicht nicht tragen könnten. Es scheint unmöglich, dass etwas, das so groß ist wie zwei kleine Elefanten, mit nur dünnen Membranen als Flügel abheben kann. Aber was, wenn sie gelernt hätten, zu rennen und von Klippen zu springen, Thermiken zu nutzen, nur gelegentlich mit ihren Flügeln zu schlagen und effizient zu gleiten? Wären sie dann in der Lage gewesen, zu fliegen? Überraschenderweise sind nicht die Flügelmembran oder die Frage, ob sie genug Auftrieb erzeugen kann,
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die einschränkenden Faktoren, sondern ob ihre Knochen die Kräfte im Flug aushalten. Die Flügel eines derart großen Tieres erfahren eine enorme Kraft, wenn sie es in der Luft halten müssen. Waren die Knochen der Flugsaurier dafür ausgelegt? Jahrelang stimmten die Wissenschaftler darin überein, dass die Antwort darauf Nein war. Da man keine lebenden Dinosaurier untersuchen kann, müssen Paläoontologen sie mit nicht ausgestorbenen Tieren vergleichen, bei denen es Ähnlichkeiten gibt. Im Fall der Flugsaurier ist es am einfachsten, sie mit Vögeln zu vergleichen. Wie Vögel hatten Flugsaurier leichte, hohle Knochen. Ihre Flügel ähnelten denen von Vögeln, denn es gab einen führenden Armknochen, der in Fingern endete, die sich nicht über den Hauptteil des Flügels ausdehnten. Vögel haben zwei Finger, Flugsaurier hatten vier. Der größte Unterschied schien zwischen Federn und Membran zu bestehen. Aufgrund der Ähnlichkeiten der beiden nutzten Forscher oft Vogelknochen, um Theorien über Dinosaurier zu überprüfen. In den meisten der Fälle funktionierte das sehr gut, doch wie es in der Wissenschaft oft so ist, sind die Fälle, in denen nicht alles nach Plan läuft, am interessantesten. Wenn man davon ausgeht, dass die Knochen von Quetzalcoatlus northropi genauso stabil sind wie die von Vögeln, hätte er am Boden bleiben müssen. Die Kräfte, die notwendig sind, um ein derart großes Tier in der Luft zu halten, würden Vogelknochen sofort zum Zerbrechen bringen, deshalb nahmen Paläontologen jahrelang an, dass Flugsaurier nicht abheben konnten, auch wenn ihr Aufbau und ihre Anpassung ein Leben in der Luft nahelegten. Dann kamen Mark P. Witton von der University of Portsmouth, GB, und Michael B. Habib von der Chatham University. Sie veröffentlichten 2010 einen Artikel, der die Vorstellung vertrat, dass auch der riesige Quetzalcoatlus northropi in der Lage gewesen sein könnte, zu fliegen (Witton und Habib 2010). Es wäre am einfachsten gewesen, wenn man ihnen erlaubt hätte, die Knochen von Quetzalcoatlus northropi zu nehmen, damit sie diese mit Gewichten beladen und überprüfen könnten, wann sie brechen. Natürlich durften sie das nicht. Was sie aber taten, war, die Knochen zu vermessen und so zu bestimmen, wie stabil sie waren. Die Knochen von Flugsauriern ähneln denen von Menschen, denn sie sind wie ein PVC-Rohr aufgebaut; beide haben eine Außenschicht und innen einen hohlen Bereich. Um die Festigkeit eines Flugsaurierknochens zu bestimmen, vermaßen Witton und Habib den Durchmesser des Knochens, um herauszufinden, wie dick er war. Sie ermittelten, dass der Punkt, an dem ein fester Flugsaurierknochen brechen würde, dem eines Vogelknochens ähnelte (bei einer Krafteinwirkung entsprechend 175 MPa). Nachdem sie seine Festigkeit
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herausgefunden hatten, wenn er massiv wäre, zogen sie den hohlen Kern ab. Sie nutzten Computertomografiescans existierender Flugsaurierknochen, um herauszufinden, wie groß der Hohlraum war. Dabei fanden sie heraus, dass aufgrund der Größe und Struktur die Knochen dreimal so stabil waren wie die von Vögeln. Im Fall des Quetzalcoatlus northropi wären die Knochen eineinhalbmal so stabil gewesen wie nötig. Also ist es tatsächlich möglich, dass schwere Kreaturen – vielleicht sogar Drachen – fliegen können. Das schlossen auch die Experten selbst nicht aus. Sie beendeten ihre Veröffentlichung mit dem Satz: „Aller Wahrscheinlichkeit nach gibt es keine allgemeine Höchstgrenze für alle wichtigen Eigenschaften, einschließlich der Größe, die für alle fliegenden Wirbeltiere gilt, oder zumindest für die meisten davon“ (Witton und Habib 2010).
Zu guter Letzt: Drachen Wie sieht es jetzt mit den Drachen aus? Danke, dass Sie Nachsicht mit mir hatten, dass ich lange alles über das Fliegen erklärt habe, außer das von Drachen. Doch es ist wichtig zu verstehen, wie sowohl Tiere als auch 747-Jets fliegen, um nachzuvollziehen, wie ein Tier von der Größe einer 747 fliegen kann. Wenn man an ein Tier aus der Fantasy denkt, wie über einen Drachen, dann ist es normalerweise eine gute Idee, sich folgende Frage zu stellen: „Wenn dieses Tier so cool ist, warum ist dann die Natur nicht als erste darauf gekommen?“ Das ist ein guter Ausgangspunkt, wenn es um Drachen geht. Warum gibt es keine riesigen fliegenden Tiere? Könnten wir nicht einfach eine Fledermaus vergrößern, Schuppen daran befestigen und sagen, das funktioniert? Der Grund, warum wir ein fliegendes Tier nicht einfach vergrößern können, liegt darin, dass sein Gewicht mit dem Volumen steigt, die Fähigkeit, Auftrieb zu erzeugen, aber mit der Fläche der Flügel. Würde man die Größe einer Fledermaus verdoppeln, wäre sie achtmal so schwer, doch die Flügel hätten nur die vierfache Fläche. Dies führt zu vielen interessanten Problemen. Könnte ein Tier diese physikalischen Grenzen überwinden und zum riesigen luftgestützten Flammenwerfer werden? Lassen Sie uns mit dem beginnen, was wir wissen. Nach George R. R. Martin hat Drogon eine Flügelspannweite von 7 m, als er in die Kampfarena fliegt. Wenn wir davon ausgehen, dass er dasselbe Seitenverhältnis (Verhältnis Spannweite zu Länge) wie Fledermäuse hat (Findley et al. 1972), dann wären seine Flügel etwa 15 m2 groß. In der Fernsehserie sieht er so aus, als sei er etwa so groß wie ein Elefant, also können wir annehmen, dass
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er etwa 5,79 t wiegt. Er bräuchte also einen Auftrieb von 57.900 N, um in der Luft bleiben zu können. Obwohl sich der Auftriebskoeffizient mit jedem Flügelschlag ändert, können wir einen Durchschnitt von etwa 2 annehmen (Norberg 1976). Das könnte eine etwas zu vorsichtige Schätzung sein, denn Fledermäuse können ihre Flügelfläche über deren Form sehr stark anpassen, um Auftrieb zu erzeugen, doch es ist ein guter Ausgangspunkt für eine Rechnung. Setzt man diese Werte in die Auftriebsgleichung ein, würde es bedeuten, dass Drogon eine Geschwindigkeit von etwa 200 km/h aufrechterhalten müsste, um ohne weiteren Auftrieb durch Flügelschlagen fliegen zu können. Mit diesem zusätzlichen Auftrieb könnte er sogar noch langsamer werden, und alles wäre in Ordnung. Bedenkt man, dass Weißkopfseeadler genug Schub erzeugen können, um mit etwa 150 km/h zu gleiten, sollte Drogon keine Probleme damit haben, mit Flügelschlägen in der Luft zu bleiben. Außerdem haben Drachen wahrscheinlich riesige Lungen, weil sie viel Luft benötigen, um Feuer zu spucken, deshalb wiegen sie möglicherweise viel weniger als ein Elefant. Doch ich weiß nicht, wie ich die Lungengröße und damit das genaue Gewicht eines Drachen schätzen soll. Ich werde auf die Möglichkeiten in Kap. „Wie tötet man einen Weißen Wanderer“ eingehen, doch für diese Abschätzung gehen wir am besten einfach vom Gewicht eines Elefanten aus. Drogon kann Feuer speien, deshalb erkennt man, dass er über einen weiteren Mechanismus verfügt, um Auftrieb zu erzeugen –, und seine Flügel haben nichts damit zu tun. Wenn Drogon etwas in Brand setzt, erzeugt er Wärme, und warme Luft steigt auf. Er muss dann auch gar nicht so viele Schafe fressen, um Energie zum Fliegen zu haben, denn er kann Dinge strategisch anzünden. Vögel und zumindest eine Fledermausart nutzten teilweise Thermiken, um zu fliegen. Der Auftrieb wird von Objekten, die Wärme absorbieren, erzeugt, wie Felsen und Asphalt, doch diese bringen bei Weitem nicht so viel Auftrieb zustande wie eine brennende Flotte feindlicher Schiffe. Drachen sind zu groß, um Thermiken von Parkplätzen zu nutzen, aber deutlich stärkere Thermiken von brennenden Armeen könnten eine zusätzliche Komponente zum Auftrieb liefern, der sonst aus ihrer Aerodynamik und ihrem Flügelschlag stammt. Die Kraft zu berechnen, die von heißer Luft kommt, die von Feuern aufsteigt, ist außerordentlich kompliziert, deshalb werde ich mich hier nicht damit beschäftigen, doch ich kann mit gutem Gewissen annehmen, dass es ausreicht, einen Beitrag zum Auftrieb eines Drachen zu liefern. Mit diesem durch Feuer erzeugten Auftrieb sind viele Turbulenzen verbunden. Luft wird durch ein sich ausbreitendes Feuer ungleichmäßig erhitzt und steigt deshalb auch ungleichmäßig auf.
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Wenn ein Drache über sein Feld der Zerstörung fliegt, würde er durch die unregelmäßigen Strömungen herumgeworfen. Da hilft es, dass er Fledermausflügel hat und nicht die von Vögeln. Ihre Fähigkeiten, die Form ihrer Flügel sehr genau zu verändern und so den Auftrieb und den Schub exakt zu kontrollieren, sind entscheidend dafür, wenn man einen Kampf gewinnen will, ohne vom Himmel zu fallen. Indem George R. R. Martin und seine Mitarbeiter die Drachenflügel eher fledermaus- als vogel- oder flugsaurierähnlich gemacht haben, verliehen sie ihm nicht nur die Fähigkeit zu gehen, sondern für so ein großes Tier auch schnell und effizient zu schwimmen. Aufgrund der einzigartigen Flügelstruktur einer Fledermaus können sie mit ihren Flügeln gehen, ganz ähnlich wie ein Mensch auf seinen Handgelenken gehen kann. Auch die Drachen von George R. R. Martin können auf ihren Fledermausflügeln gehen. Dadurch sind sie am Boden genauso furchterregend wie in der Luft. Dank ihrer Fledermausflügel können sie auch schwimmen, falls sie aus dem Himmel in die Meerenge fallen sollten. Kreaturen mit Fledermausflügeln sind zweibeinige Wesen, die sich verhalten, als hätten sie vier Beine. Bisher sieht es so aus, als habe die Natur einfach einen Fehler gemacht, weil sie noch keine echten Drachen erschaffen hat. Sie könnten in kalten Klimazonen leben, sich schnell bewegen, um abzuheben, ihr Feuer nutzen, um Thermiken zu erzeugen, die sie in der Luft halten, und sogar schwimmen. Aber natürlich gibt es einen Haken. In diesem Fall ist es die Stabilität der Knochen. Wie bei den Flugsauriern könnten die Muskeln die gesamte Kraft erzeugen, die ein Tier benötigt, um erfolgreich zu fliegen, doch wenn die Knochen nicht stark genug sind, dies auszuhalten, kommt das Tier damit nirgendwo hin. Die Natur hat diese Grenze mit den gigantischen Flugsauriern erreicht, die außerordentlich starke und leichte Knochen hatten. Der größte Flugsaurer kam mit einer Kraft von rund 225 N pro Quadratmeter Flügelfläche zurecht. Ich weiß natürlich, dass die Kräfte an den Flügelspitzen andere sind als an den Teilen, die näher am Körper sind, aber weil dies eine grobe Schätzung ist und ein kurzes Buch, nehme ich an, dass die Kraft entlang der gesamten Spannweite gleich ist. Nach den Arbeiten, die ich weiter oben in diesem Kapitel genannt habe, versagen die Flügel von Quetzalcoatlus northropi ab etwa 400 N/m2. Seine Knochen sind also fast doppelt so stark, wie sie sein müssten, doch wären ähnliche Knochen stark genug, um einen Drachen auszuhalten? Vergessen Sie nicht, dass Drogons Spannweite als kürzer beschrieben ist als die von Quetzalcoatlus northropi und dass er außerdem zehnmal so schwer ist. Seien Sie also nicht zu optimistisch.
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Nehmen wir wieder an, Drogon wiege so viel wie ein Elefant (57.900 N). Mit einer Flügelfläche von 15 m2 heißt das, dass eine Kraft von 3900 N auf jeden Quadratmeter von Drogons Flügeln wirkt. Wären seine Flügel also dieselben wie die eines Flugsauriers würden sie zerbrechen, bevor er abheben könnte. Es ist schwierig, in der Natur Knochen zu finden, die stark genug wären, denn die Natur neigt dazu, nur so weit Fortschritte zu machen wie nötig, und kein Tier benötigt so starke Knochen. Man kann dies auch nicht mit Tieren wie Nashörnern oder Elefanten vergleichen, denn keiner hat Forschungen darüber angestellt, wie stark sich deren Knochen biegen könnten, wenn sie fliegen wollten, und ich habe auch keine Elefantenknochen zur Hand. Deshalb kann man mit Sicherheit behaupten, dass es in der Natur keine Knochen gibt, die stabil genug wären, um einem Drachen das Fliegen zu ermöglichen. Als ich mich anfangs daranmachte zu zeigen, wie Drachen fliegen, ging ich davon aus, dass sie aufgrund der aerodynamischen Kräfte nicht dazu in der Lage wären. Bestimmt könnten sie nicht genug Schub für den Auftrieb erzeugen und deshalb gar nicht abheben. Ich war so überrascht wie jeder andere, als ich erkannte, dass es kein Problem für sie wäre, Harrenhal von der Luft aus zu erobern. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, dass die Festigkeit ihrer Knochen der begrenzende Faktor sein könnte. Dr. Jim Kakalios, Autor von Physik der Superhelden, sagt oft, er gewähre jedem Superhelden eine Ausnahme – ein Ding, das physikalisch unmöglich ist, aber die Geschichte voranbringt. Mir gefällt dieser Grundsatz, deshalb denke ich, dass im Falle der Drachen diese eine Ausnahme die Stärke der Knochen ist. Tun wir einfach so, als seien sie aus Aluminium oder Adamantinom oder aus der geheimnisvollen Substanz Ihrer Wahl, und dann wollen wir weiter dabei zusehen, wie sie Zerstörung auf Westeros herabregnen lassen.
Literatur Brian Rohrig (October 2013) Chilling out, warming up: how animals survive temperature extremes, ChemMatters Online. https://www.acs.org/content/acs/ en/education/resources/highschool/chemmatters/past-issues/archive-2013-2014/ animal-survival-in-extreme-temperatures.html Brown University Aeromechanics & Evolutionary Morphology Lab, https://www. brown.edu/Departments/EEB/EML/ Findley JS, Studier EH, Wilson DE (1972) Morphologic properties of bat wings. J Mammal 53(3):429–444. https://doi.org/10.2307/1379035
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https://de.wikipedia.org/wiki/Boeing_747 Lindhe Norberg UM, Winter Y (2006) Wing beat kinematics of a nectar-feeding bat, Glossophaga soricina, flying at different flight speeds and strouhal numbers. J Exp Biol 209(19):3887–3897. https://doi.org/10.1242/jeb.02446 Mujires FT, Johansson LC, Barfield R, Wolf M, Spedding GR, Hedenström A (2008) Leading-edge vortex improves lift in slow-flying bats. Science 319(5867):1250–1253. https://doi.org/10.1126/science.1153019 Norberg UM (1976) Aerodynamics, Kinematics und Energetics of Horizontal Flapping Flight in the Long-eared Bat Plecotus auratus. J Exp Biol 65(1):179– 212 Swartz SM, Iriarte-Diaz J, Riskin DK, Breuer KS (2012) A bird? A plane? No, it’s a bat: An introduction to the biomechanics of bat flight. In: Gunnell GF, Simmons NB (Hrsg) Evolutionary history of bats: Fossils, molecules, and morphology. Cambridge University Press, Cambridge, S 317–352 Witton MP, Habib MB (2010) On the size and flight diversity of giant pterosaurs, the use of birds as pterosaur analogues and comments on Pterosaur flightlessness. PLoS ONE 5(11):e13982. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0013982
Wie tötet man einen Weißen Wanderer Die Physik von Drachenglas
Als er seine Augen öffnete, floss die Rüstung des Anderen in kleinen Rinnsalen an dessen Beinen herab, und fahles blaues Blut strömte zischend um den schwarzen Drachenglasdolch in seiner Kehle. Es griff mit zwei knochenweißen Händen danach, um das Messer herauszuziehen, doch wo seine Finger den Obsidian berührten begannen sie zu dampfen. – Samwell Tarly im Kampf gegen einen Weißen Wanderer, Ein Sturm der Schwerter
Valyrischer Stahl kann kurzen Prozess mit einem Weißen Wanderer machen, doch es gibt nicht mehr viele Valyrische Stahlklingen in Westeros. Dies ist ein echtes Problem für ganz Westeros, vor allem, wenn der Winter kommt und mit ihm die Probleme aus dem Norden. Samwell Tarly hatte das Glück, durch Zufall herauszufinden, dass auch Drachenglas Weiße Wanderer töten kann. Es sieht so aus, als könnten nur Dinge, die von Drachen gemacht wurden, die Lebewesen aus Eis töten. Klar, die Buchreihe trägt schließlich nicht umsonst den Titel Das Lied von Eis und Feuer. Zum Glück glaubt Daenerys Jon und lässt ihn ihr Glas abbauen. Aus der Physik wissen wir, dass Stahl einen Weißen Wanderer nicht umbringen kann, wie Sam herausgefunden hat. Doch Drachenglas – oder Obsidian, wie man es sowohl in unserer Welt als auch in Westeros nennt – schafft das sehr gut. Warum? Was macht Drachenglas und sein echtes Gegenstück so besonders? Wie der von George R.R. Martin gewählte Name es schon ausdrückt, ist Obsidian eine Art von Glas. Im Allgemeinen sind Gläser glänzend, oft
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 R. C. Thompson, Wissenschaft meets Game of Thrones, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61419-8_9
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durchsichtig, glatt und fühlen sich in der Regel kühl an. Die verbreitetste Glassorte – die, mit der wir jeden Tag in Berührung kommen – besteht aus Siliziumdioxid (SiO2), das dieselbe chemische Strukturformel hat wie Sand. Als glänzend und durchsichtig erscheint uns Sand nicht gerade. Vielleicht vermuten Sie, dass die Art, wie die Atome in Fensterglas angeordnet sind, dem Fensterglas seine einzigartigen Eigenschaften verleiht. Wenn das so ist, kann dann alles in ein Glas verwandelt werden? Wie kann es sein, dass die Anordnung von Atomen dazu führt, dass ein Objekt entweder undurchsichtig oder transparent ist? Wie sieht die Kristallstruktur von Glas aus? Was macht manche Gläser dunkel und andere klar? Wie kann es dabei hilfreich sein, die Armee der Toten zu besiegen? So viele Fragen zum Thema Glas! Man könnte meinen, man müsse nur einen Wissenschaftler fragen, der wird sicherlich einige davon beantworten können, doch wenn man bemerkt, dass sich die Wissenschaftler nicht einmal darüber einig sind, ob Gläser Flüssigkeiten oder Festkörper sind, könnte das schwierig werden. Ich hoffe, ich kann etwas Licht in (oder durch) die Wissenschaft der Gläser bringen. Bisher habe ich über andere Festkörper gesprochen, genauer gesagt, über Fels, Eis, Stahl und Damaszener Stahl. Alle haben eine genau festgelegte Kristallstruktur, das heißt, die Atome sitzen in einer bestimmten Ordnung im Kristall. Die Eigenschaften eines Festkörpers sind die makroskopische Manifestation dessen, was die Atome auf einer mikroskopischen Ebene machen. Die BCC- und FCC-Gitter und die metallische Bindung sind es, was den Metallen ihre speziellen Eigenschaften verleiht – Duktilität, Leitfähigkeit und Formbarkeit, um nur einige davon zu nennen. Um Glas und vor allem, wie es sich bei tiefen Temperaturen verhalten wird, zu verstehen, muss man begreifen, wie Glas auf atomarer Ebene aussieht. Glas ist das, was man einen amorphen Festkörper nennt; das bedeutet, es hat nicht wirklich eine Struktur. Es ist im Grund so, als ob die Moleküle Versteinern spielen würden – in einem Augenblick laufen sie frei im flüssigen Zustand herum, und das Nächste, was sie wissen, ist, dass sie an einem Ort feststecken. Es handelt sich um einen Festkörper, doch es gibt über längere Distanzen keine Ordnung. Die Atome und Moleküle haben aufgehört, sich zu bewegen, doch das passierte so plötzlich, dass sie keine Zeit hatten, sich selbst zu organisieren. Diese Art von Anordnung ähnelt in vieler Hinsicht einer Flüssigkeit. Dies ist auch der Grund, warum manche Glas als Festkörper betrachten und andere als hochviskose, sich langsam bewegende Flüssigkeit. Es gibt sogar ein sehr berühmtes Experiment, über das ich später in diesem Kapitel sprechen werde, das zeigt, dass es eine Flüssigkeit sein kann. Ich hoffe, dass am Ende dieses Kapitels Ihre Wertschätzung gegenüber
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diesem Zeug, in das Sie vermutlich gelegentlich rennen, gerade wenn Sie einen Kaffee in der Hand halten, gestiegen sein wird.
Festkörper, Flüssigkeit oder beides? Was ist Glas? Ob das nun eine gute Analogie ist oder nicht, ich stelle mir Glas immer als Flüssigkeit vor, die Versteinern spielt. Ich muss unvermeidlich an Drittklässler in der Pause denken. Wenn sie draußen rumlaufen und jemand ruft „Stopp“, dann bleiben sie genau da, wo sie sind, ohne besondere Ordnung stehen, einfach in bewegungsloser Unordnung. Wenn man ihnen sagt, es ist Zeit hereinzukommen und sich hinzusetzen, nehmen sie sich die Zeit, sich aufzustellen und in ihre Klassenzimmer zu gehen. Die meisten Flüssigkeiten machen es genauso, außer dass sie nicht aufgefordert werden, stehen zu bleiben, sondern abzukühlen. Wenn die Abkühlung sehr schnell geschieht, fehlt ihnen die Zeit, regelmäßig genordnete Kristalle zu bilden, wie sie es am liebsten täten. Sie erinnern sich aus dem Kapitel über Stahl, dass Abschrecken eine Festkörperstruktur hervorbringt, die erkennbar anders und besser ist als diejenige, die durch langsames Abkühlen entsteht. Ein Festkörper wird darüber definiert, dass er aus in einer regelmäßigen Anordnung eng zusammengepackten Molekülen besteht – eine feste Struktur, die sich nicht verformt oder fließt, um einen Behälter oder ein bestimmtes Volumen zu füllen, und die auch nicht leicht komprimiert werden kann wie ein Gas. Die Festkörper, über die ich bisher gesprochen habe, waren kristalline Festkörper, das heißt, sie besitzen eine Kristallstruktur. Ein amorpher Festkörper zeigt dagegen keine langreichweitige Ordnung. Trotzdem hat er die Eigenschaften eines Festkörpers (zum größten Teil), doch kein Teil davon ist genauso geordnet wie ein anderer. Der Begriff amorph kommt aus dem Griechischen und bedeutet „ohne Form“. Glas hat am Ende zwar auf einer makroskopischen Ebene eine Form, doch nicht auf einer mikroskopischen (Abb. 1). Man kann einen amorphen Festkörper auf einer mikroskopischen Ebene auch folgendermaßen verstehen: Stellen Sie sich vor, Sie seien ein winziger Beobachter, der auf einem Kristall in einem kristallinen Festkörper sitzt. Wenn Sie sich umschauen, sehen Sie regelmäßig angeordnete Atome. Sie sagen sich: „Gut, rechts neben mir ist Natrium, und da unten sehe ich Chlor.“ Dies gibt Ihnen ein Gefühl für die Ausrichtung und Orientierung innerhalb des Festkörpers. Nun setzen Sie sich in einen
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Abb. 1 Beispiel für die Struktur von Glas. Dies ist Siliziumdioxid, der Hauptbestandteil von Fensterglas
amorphen Festkörper. Das Erste, was Sie bemerken werden, ist, dass alles in jede Richtung gleich aussieht. Es gibt keine Strukturen, an denen Sie sich orientieren könnten. Wenn Sie die Augen schließen und fünf Schritte weitergehen und dort die Augen wieder öffnen, wird Ihnen Ihre Umgebung keine Hinweise darauf geben, dass sich Ihr Aufenthaltsort geändert hat. Das bringt uns zu einer mathematischeren Definition von amorph, nämlich, dass es keinen geometrischen Bezugsrahmen gibt, mit dessen Hilfe man eine Bewegung im Festkörper definieren könnte. Die Untersuchung von Glas hat eine lange Geschichte. Genau wie Stahl wurde es vor etwa 5000 Jahren zum ersten Mal hergestellt. Die ersten wissenschaftlichen Veröffentlichungen über die Eigenschaften von Gläsern wurden vor 200 Jahren publiziert. Bedenkt man, dass die Schrift noch kaum erfunden war, als man zum ersten Mal Glas untersuchte, ist es nicht überraschend, dass es eine Weile dauerte, bis Artikel darüber geschrieben wurden. John Mauro und Edgar Zanotto haben eine großartige Geschichte über die Erforschung von Glas in den letzten 200 Jahren geschrieben (Mauro und Zanotto 2014; Zanotto 2013). Sie fanden dabei heraus, dass die Zahl der Veröffentlichungen über Glas seit 1945 exponentiell gewachsen ist. Vor Kurzem hat die Zahl der Patente die Zahl der veröffentlichten Artikel sogar noch überschritten. Wie Sie in Kap. „Harrenhal“ sehen werden, wo ich über Griechisches Feuer spreche, gibt es einen Unterschied zwischen Wissenschaft und Technologie. Gleichzeitig zur Vergabe von immer mehr Patenten hat sich der Fokus bei Glas aus der Grundlagenforschung hin zu wirklich beeindruckenden technologischen Fortschritten
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bewegt. Das Glas auf unseren Smartphones ist nur ein erstaunliches Beispiel. Glas für Autos stellt eine weitere präzise entwickelte Technologie dar. Glas kann aus vielen verschiedenen Materialien hergestellt werden, doch die Methode ist im Allgemeinen immer die gleiche: Erhitze etwas so stark, dass es schmilzt, und kühle es dann schnell genug ab, dass es keine Zeit hat zu kristallisieren. Genau wie jeder Stoff einen anderen Schmelzpunkt hat, so gibt es auch verschiedene Abkühlraten, die notwendig sind, damit daraus Glas entsteht. Etwas wie Quarz, das aus Siliziumdioxid besteht (aus dem Hauptbestandteil von Fensterglas), kann bis zu einem bestimmten Punkt erhitzt und dann mit Luft gekühlt werden, um zu Glas zu werden. Es ist fast unmöglich, es wieder in eine kristalline Form zu bringen. Eine Substanz wie Stahl kann in eine Glasphase gebracht werden, indem es mit einer Rate von 1 Mio. Grad pro Sekunde abgekühlt wird. Wenn jemand ein wirklich hervorragendes Schwert haben möchte, wäre metallisches Glas das, was er braucht. Aber vergleichen Sie dies mit der Abkühlrate beim Abschrecken eines Schwertes: Sie liegt bei 1000 Grad pro Sekunde oder sogar darunter! Deshalb wird aus Stahl, selbst wenn es bis zum Schmelzen erhitzt wird, kein Glas, wenn es abgeschreckt wird. Die Temperatur, bei der etwas aus dem geschmolzenen Zustand in den glasförmigen übergeht, heißt wenig überraschend Glasübergangstemperatur oder Tg. Hier taucht unter anderem die Frage auf, wie man bestimmt, wann etwas zu Glas wird. Tg unterscheidet sich vom Schmelzpunkt, wo ein Material von der Flüssigkeit zum kristallinen Festkörper wechselt. Beim Schmelzpunkt gibt es einen schnellen Sprung vom geordneten Festkörper zur ungeordneten Flüssigkeit. Weil ein Material in die Glasform gleitet, gibt es keinen schnellen und leichten Weg, den Punkt zu bestimmen, bei dem es zu Glas wird. Es ist also eine komplexe Frage, wann genau etwas auf mikroskopischer Ebene von der Flüssigkeit zu Glas wird. Bei einem kristallinen Festkörper kann man ziemlich leicht erkennen, wann sich alle Atome und Moleküle geordnet niedergelassen haben. Bei Glas gibt es nur den Punkt, wo sie ausreichend aufhören, sich zu bewegen, bis man von Glas sprechen kann. Es gibt unterschiedliche Methoden, um zu bestimmen, wann dieser Punkt erreicht wird. Bei den verbreitetsten wird gemessen, wie schnell sich die Moleküle bewegen oder wie steif das Material ist. Sobald sich die Moleküle langsam genug bewegen und das Material steif genug wird, betrachtet man es als Glas. Gläser sind eine Art von Obszönität – schwer zu definieren, doch man weiß es, wenn man sie sieht. Es ist bemerkenswert, dass die einzige Möglichkeit, Glas herzustellen, darin besteht, es zu erhitzen und vor Ort abzuschrecken. Nichts hat Glas als Grundzustand. Normaler-
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weise entscheiden sich Atome nicht dafür, sich in einem amorphen, ungeordneten Zustand aufzustellen (Fecht 1995; Marder 2004). Mir ist klar, dass ich Glas als amorphen Festkörper definiert und bisher die beiden Begriffe als austauschbar verwendet habe. Viele machen das, doch manche Wissenschaftler sind in dieser Hinsicht etwas heikel. Jedoch sind sie wie erwartet nicht alle gleich heikel. Eine Veröffentlichung von P. K. Gupta fasst hervorragend die verschiedenen Definitionen von Glas und amorphen Festkörpern zusammen (Gupta 1996). Glas ist definiert als etwas, bei dem die Ordnung über eine sehr kurze Entfernung sich nicht von der desselben Materials im flüssigen Zustand unterscheidet. Ein amorpher Festkörper ist einer, der keine langreichweitige Ordnung oder Kristallstruktur aufweist, bei dem man aber auf kurze Distanzen einen Unterschied zwischen Flüssigkeit und Festkörper erkennt. Dies ist vermutlich nützlicher für fortgeschrittene Gespräche an einer Bar als für unsere Diskussion, aber doch interessant. Eines der Markenzeichen von Glas kennt jeder, der es schon einmal geschafft hat, ein Weinglas auf einer Cocktailparty fallen zu lassen: Glas ist sehr spröde und zerbricht leicht. Wenn wir wieder auf die Terminologie von Kap. „Weiße Wanderer, Zombies, Parasiten und Statistik“ und „Gewöhnlicher Stahl aus Pittsburgh“ zurückgreifen, dann ist Glas nicht sehr zäh und überhaupt nicht duktil. Was ein Metall so duktil macht, ist die Kristallstruktur, die es den Atomen ermöglicht, übereinander zu rollen, wenn Druck auf sie ausgeübt wird. Ist zu viel Kohlenstoff im Weg, wird dieses Rollen behindert und das Material wird spröde und bricht leicht, wenn es geschmiedet wird. Wenn es bricht, geschieht dies an Versetzungsebenen, und oft wirken Korngrenzen als Blockaden, die verhindern, dass sich Risse weiter ausbreiten. Das Metall kann gleiten und rollen und sich bewegen, ohne strukturell zu versagen. In Gläsern dagegen gibt es überhaupt keine Ordnung. Die Atome können nicht übereinander wegrollen, wenn sie geschoben werden, und es gibt keine leicht zu definierenden Bruchebenen. Wenn Druck auf sie ausgeübt wird, können sich die Moleküle nirgends hin bewegen und stehen unter hoher Spannung, deshalb brechen sie. Weil es keine langreichweitige Ordnung gibt, gibt es auch keine Blockaden, die einen Riss daran hindern könnten, sich weiter auszubreiten. Das Material zersplittert einfach. Und im Gegensatz zu kristallinen Festkörpern gibt es auch meist kein geordnetes Bruchmuster. Man bemerkt das, wenn ein Kristall bricht: Die kleinen Teile ähneln den Ausgangsteilen, immerhin sind kleine Felsen nichts anderes als kleine Versionen großer Felsen. Aber wenn Glas zerbricht, sieht man eine Vielfalt von Formen und Größen: manche winzige, tödlich scharfe Nadeln, manche große Stücke, die man leicht und gefahrlos aufheben kann.
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Glas kann durch das sogenannte Tempern gefestigt werden; ich habe es schon im Kapitel über normalen Stahl erwähnt. Getempertes Glas ist ungefähr viermal so fest wie normales und hat außerdem den Vorteil, dass es in kleine, regelmäßige Teile zerbricht, an denen man sich nicht so leicht verletzen kann. Das Tempern von Glas ähnelt in vielerlei Hinsicht dem Prozess beim Stahl. Es wird bis knapp unter den Schmelzpunkt erhitzt und dann an Luft abgeschreckt. Das Äußere kühlt viel schneller ab als das Innere. Anders als beim Stahl, wo der Prozess außen zu einer anderen Form von Stahl als innen führt, bleibt der ganze Gegenstand Glas, weil es bei Glas nicht wirklich strukturelle oder kristalline Phasen gibt. Doch das Innere kühlt viel langsamer ab, und dabei zieht es am Äußeren, wodurch eine mechanische Spannung entsteht. Diese ist für das stabilere Glas verantwortlich, doch wenn diese Spannung nach zu viel Druck freigesetzt wird, explodiert das Glas förmlich. Jenaer Glas ist ein großartiges Beispiel für getempertes Glas. Wenn Sie in einer Form aus Jenaer Glas köstliche Brownies backen, müssen Sie keine Angst haben, wenn Sie diese zu plötzlich abstellen, weil sie heiß ist, das Tempern verhindert, dass sie gleich kaputt geht (außerdem können Sie sogar kaltes Wasser darüber laufen, bevor sie abgekühlt ist) (Ford 2001). Die schönsten Beispiele für Glas sind die Buntglasfenster. Die Entwicklung von Glas und Stahl erfolgte etwa zur gleichen Zeit und verlief ähnlich. Anfangs verwendeten Künstler alle verfügbaren Materialien, um Glas zu schaffen, und genau wie beim Stahl war das Ergebnis immer ein anderes: Manchmal funktionierte es und manchmal nicht. Glas konnte in einer großen Vielfalt an Farben hergestellt werden, je nachdem, welche Materialien man verwendete, und schließlich wurde deutlich, mit welchen Materialien man bestimmte Farben hervorbringen konnte. Die Farben stammen von Spurenelementen oder Mineralien, die in die Rohstoffe für das Glas gemischt wurden. Eisenoxid färbte Glas zum Beispiel grün, während Kobalt zu einer charakteristischen blauen Farbe führte. Einer meiner liebsten Glaszutaten ist Uran. Es ist nicht das sicherste, doch Glas, dem man Uran beigegeben hat, glüht unter Schwarzlicht spektakulär (Sie können Uranmurmeln bei Amazon kaufen und es sich selbst anschauen). Viele dieser Farben verblassen jedoch im Laufe der Zeit. Bei einem 1000 Jahre alten Kirchenfenster kann dies ein Problem darstellen. Doch die alten Glasmacher stolperten über eine Lösung: Nanoteilchen. Es stellte sich heraus, dass die Kunsthandwerker ziemlich gut in ihrer Verwendung waren, ohne es zu wissen. Wenn man dem Glas Gold und Silber beimischte, entstanden wunderschöne Farben, die nicht verblassten. Eines der klassischen Beispiele ist eine Tasse aus Rom aus dem 13. Jahrhundert nach Chr. Sie sieht auf den ersten Blick grün aus, aber rot, sobald Licht durchscheint. Wissenschaftler
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machten Aufnahmen von dem Glas und fanden heraus, dass es Gold- und Silbernanoteilchen enthält. Der Mechanismus, wie diese Teilchen erzeugt wurden, ist immer noch nicht bekannt, doch die mittelalterlichen Kunsthandwerker wussten, wie sie diese zu ihrem Vorteil verwenden können. Wenn Licht das Nanoteilchen in der Tasse trifft, regt es die Elektronen auf jeder kleinen Kugel an. Von einem goldenen Blatt wird das Licht normalerweise reflektiert, deshalb sieht das Blatt golden aus. Doch bei Nanoteilchen sind die Elektronen so nahe beieinander, dass sie sich kaum bewegen können. Deshalb reflektieren sie vorzugsweise rotes Licht, sodass die Nanoteilchen, und damit die Tasse, rot erscheinen (Merali 2013). Es gibt auch in der Natur mehrere Beispiele dafür, dass Glas zufällig entsteht. Eine Art von natürlichem Glas ist Fulgurit. Wenn ein Blitz Sand trifft, ist er heiß genug, einen Teil des Siliziumdioxids zu schmelzen, das sich dann wieder als Glas verfestigt. Glas entsteht also entlang des Pfades, den der Blitz durch den Sand nimmt. So entstehen wunderschöne Glasstücke, die wie Zweige aus Glas aussehen. Die Menschen machten etwas Ähnliches zufällig auf dem Trinity-Kernwaffentestgelände in New Mexico. Bei dem ersten Atombombentest wurde der Sand in den Feuerball hinaufgezogen und schmolz. Dort war es so heiß, dass der geschmolzene Sand herabregnete und auf dem Weg zum Boden wieder abkühlte, dabei entstand Trinitit. Viele Wissenschaftler aus dieser Zeit haben immer noch Stücke aus Trinitit auf ihrem Schreibtisch stehen oder diese an ihre Studenten weitergegeben. Trinitit ist leicht radioaktiv, doch nicht genug, um schädlich zu sein. Dennoch ist es heute illegal, es vom Testgelände zu entfernen. Trinitit ist im Allgemeinen leicht grünlich und hat aufgrund seiner ungewöhnlichen Entstehung eine komplexe Struktur. Auch Vulkane können Glas erzeugen – genauer gesagt Obsidian –, doch darauf werden wir später noch zurückkommen.
Der traurige Fall des Pechs von John Mainstone 1927 ging Professor Thomas Parnell von der University of Queensland in Brisbane, Australien, mit Pech und einem Trichter in seine Physikklasse. Er wollte seinen Schülern zeigen, dass Festkörper manchmal keine Festkörper sind, sondern Flüssigkeiten, die sich sehr, sehr langsam bewegen. Er nahm ein Stück Pech, erhitzte es und ließ es in den Trichter fließen. Eigentlich ist Pech kein Glas, doch es eignet sich hervorragend als Beispiel für etwas, das wie ein Festkörper aussieht, sich aber wie eine Flüssigkeit verhält – und dies ist eine meiner Lieblingsgeschichten aus der Physik. Dann wartete er. Und wartete.
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Nachdem er dem Pech drei Jahre Zeit gelassen hatte, sich zu setzen, und er vermutlich dabei zugeschaut hat, dass einige der Studenten in der Ursprungsklasse ihren Abschluss gemacht haben, stellte er ein Becherglas darunter und schnitt die Spitze des Trichters ab. Dann wartete er wieder. Die ursprünglichen Studenten schlossen ihre medizinische oder juristische Ausbildung ab und bekamen Kinder. Während all dieser Zeit kroch das Pech unheimlich langsam aus dem Trichterende und bildete einen Tropfen. Er sah aus wie ein Wassertropfen, nur dass er sich in einem beobachtbaren Zeitmaßstab nicht bewegte. Als sich der Pechtropfen dem Boden des Becherglases immer mehr annäherte, wurde das Experiment immer genauer beobachtet. Parnell wartete (und wartete und wartete) auf den Moment, in dem der Pechtropfen fällt. Der Tropfen bewegte sich langsam nach unten und traf schließlich den Boden des Becherglases, war aber immer noch mit der Pechmasse darüber verbunden. „Gefallen“ war er offiziell dann, wenn der Tropfen die letzte Verbindung mit dem Pech im Trichter verloren hatte. Obwohl es Jahre dauerte, bis der Tropfen das Becherglas berührte, nahm der tatsächliche Bruch nur den Bruchteil einer Sekunde in Anspruch. Acht Jahre, nachdem der Trichter abgeschnitten worden war, im Dezember 1938 brach der Tropfen, der bereits am Boden des Becherglases saß, endlich vom Rest des Pechs ab. Nach acht Jahren dauerte das eigentliche Tropfen also nur den Bruchteil einer Sekunde. Keiner beobachtete es. 1947 fiel ein zweiter Tropfen, auch dies erlebte Parnell noch, aber auch dieses Mal beobachtete er es nicht. Der dritte Tropfen fiel 1954. Parnell war inzwischen gestorben, und auch sonst schien sich niemand sonderlich darum zu kümmern. 1961 kam John Mainstone an die Fakultät und übernahm die Aufsicht über das Experiment (Abb. 2). Zu diesem Zeitpunkt, 13 Jahre nach dem Tod von Parnell, wurde das Experiment in einen Schaukasten umgesetzt. Mainstone wollte zusehen und holte es aus dem Verborgenen hervor. Ein weiterer Tropfen war in der Zwischenzeit gefallen, was drei Tropfen in 31 Jahren ergab. Mainstone war entschlossen, den Tropfen beim Fallen zuzuschauen. Er musste nicht lange warten. Ein vierter Tropfen fiel 1962. Er verpasste es. Ein weiterer 1970. Obwohl Mainstone eifrig zuschaute, verpasste er es wieder. 1979 war er ganz nah dran – er schaute an einem Freitag nach, kam am Samstag noch einmal ins Büro, um ihn zu überprüfen, und entschied, dass es noch bis Montag dauern würde, bis er bricht. Das tat es nicht. Wieder verpasste es Mainstone. Wieder! 1988 wollte er es auf keinen Fall verpassen. Er hielt beim Tropfen Wache, doch wie das so ist, brauchte er eine Tasse Tee und ging eine Minute weg. Nach neun Jahren entschied sich der Tropfen genau für den Augenblick, in dem sich Mainstone seinen Pausentee holte. Niemand hat je den Bruch
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Abb. 2 Pechtropfenexperiment. Man erkennt den großen Pechtropfen, der sich immer mehr dem Boden nähert
eines Materials wie Pech aufgezeichnet, und Mainstone wollte verzweifelt sehen, was exakt in diesem Moment passiert, in dem sich der Tropfen vom Hauptmaterial löst. Als im Jahr 2000 der nächste Tropfen nahe dran war, entschied er sich, moderne Technologie zu nutzen, um den flüchtigen Moment des Bruches einzufangen. Er stellte eine Kamera auf, um das Ereignis aufzuzeichnen. Verdammt nochmal! Er wollte es nicht wegen einer weiteren Tasse Tee verpassen. Er ließ die Kamera alles aufzeichnen und ging auf eine Auslandsreise. Seine Doktoranden schickten ihm eine E-Mail, in der sie schrieben, dass der Tropfen knapp davor war, sich zu lösen, doch er war zuversichtlich, dass alles aufgezeichnet würde. Ich erinnere mich daran, eine Doktorandin zu sein und an die lähmende Angst, die ich hatte, als ich meinem Betreuer schreiben musste, dass etwas nicht funktionierte. Ich hätte am 28. November 2000 nicht an der Stelle von Mainstones Doktoranden sein wollen, denn die Kamera hatte eine Fehlfunktion. Nach zwölf Jahren gelang es der Kamera nicht, den letzten Tropfen einzufangen. Vielleicht haben Sie bemerkt, dass der Zeitraum zwischen den Tropfen vier und fünf größer war. Der Grund war, dass man eine Klimaanlage eingebaut hatte, die das Fließen des Pechs um rund vier Jahre verzögert hat; eine ziemlich beeindruckende Klimaanlage. Es sah so aus, als würde der Tropfen 2013 wieder fallen. Es gab ziemlich viel Pressetrubel über das Experiment und die Geschichte von Mainstone. Mit drei Kameras wurde eine Liveübertragung aufgebaut. Viele hatten ein „Pechbeobachtungsfenster“ in ihrem Webbrowser offen. Es war so
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nahegerückt, und viele Augen waren darauf gerichtet, jemand musste es beobachten. Die Technik schien perfekt zu funktionieren, und es gab eine dreifache Redundanz. In einem Interview für Radiolab schien Mainstone ganz aufgeregt über die Aussicht, endlich den Tropfen abbrechen zu sehen. Am 24. April 2014 fiel der Tropfen dann endlich, und die Welt – oder zumindest drei Kameras – schauten zu. Alles wurde zum ersten Mal auf Film aufgenommen – doch John Mainstone war acht Monate zuvor gestorben.
Obsidian In den Büchern werden die Begriffe „Obsidian“ und „Drachenglas“ austauschbar verwendet. Drachenglas ist nichts, was ich auf Ebay kaufen würde, doch Obsidian ist nicht sonderlich selten. Es ist nicht klar, ob Drachenglas Obsidian war, der mithilfe von Drachenfeuer hergestellt wurde, oder ob er bei der Explosion eines Vulkans entstanden ist. Manche meinen, er kam von Drachen, andere sagen, er kam aus der Erde. Wie dem auch sei, er ist echt cool. George R.R. Martin hat versichert, dass Magie ein Bestandteil von Drachenglas sei, doch wie wir beim Damaszener und Valyrischen Stahl gesehen haben, steckt vielleicht auch ein ganzer Haufen Physik drin. Obsidian entsteht, wenn geschmolzene Lava sehr schnell abgekühlt wird, genau wie man es von Glas erwarten würde. Aus demselben Magma, aus dem Granit entsteht, entsteht auch Obsidian. Sowohl Granit als auch Obsidian sind Magmagestein, das heißt, sie werden aus abkühlendem Magma gebildet. Sie weisen ungefähr dieselbe chemische Zusammensetzung auf, haben aber sehr unterschiedliche Strukturen. Der entscheidende Unterschied zwischen ihnen liegt in der Abkühlzeit. Granit, ein plutonisches Gestein, wird unter der Erdkruste gebildet und kühlt sehr langsam ab, sodass Kristalle sehr viel Zeit haben, sich zu bilden. Obsidian dagegen ist vulkanisches Gestein, das heißt, der Vulkan hat es ausgespuckt, bevor es sich gebildet hat. Obsidian entsteht also aus der Lava, die die Erdkruste verlässt, und Granit entsteht aus der Lava, die in ihr bleibt. Weil es einen großen Temperaturunterschied zwischen geschmolzenem Stein und der Oberfläche gibt, kommt es zu einer ziemlich schnellen Abkühlung, so bildet sich Obsidian. Normalerweise entsteht er nur am Rande der Lavaströme, denn die Gebiete in der Mitte haben eine isolierende Wirkung. Aufgrund von Einschlüssen verschiedener Elemente in dem Magma und der Bildung kleiner Kristalle beim Abkühlen ist er meistens schwarz. Manchmal bilden sich hübsche Blasen, und im Falle von Schneeflocken-Obsidian ist das Kristallmuster mit bloßem Auge sichtbar.
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Jahrtausende lang wurde Obsidian als Waffe verwendet. In der Steinzeit wurde es wegen seiner glasartigen Eigenschaften hoch geschätzt. Es ist eines der wenigen natürlich vorkommenden Gläser und bei Weitem das häufigste. Frühe Zivilisationen fanden heraus, dass Obsidian sehr scharfe Kanten bekam, wenn er brach. Alle, die weniger darauf aus waren, etwas zu erstechen, konnten Spiegel und Schmuck daraus machen. Viele Gläser haben dieselben nützlichen Eigenschaften, doch bis die Menschen lernten, selbst Glas herzustellen, hatten ihre Zivilisationen bereits den Sprung zur Bronze geschafft, um Waffen daraus herzustellen, und waren kurz davor, Stahl zu produzieren. 1975 taten sich ein Anthropologe, ein Materialwissenschaftler und ein Geophysiker zusammen, um das maßgebliche Paper über die Eigenschaften von Obsidian zu schreiben (Ericson et al. 1975). Sie nahmen 28 Obsidianproben aus der ganzen Welt und röntgten sie, dehnten sie, erhitzten sie, tauchten sie in Säure, ließen elektrischen Strom durchfließen und zerkratzten sie, um jede einzelne Eigenschaft von Obsidian zu verstehen. Dann führten sie dieselben Experimente an Granit, Pyrex (einer Art Jenaer Glas) und normalem Glas durch, um zu messen, wie Obsidian im Vergleich dazu abschnitt. Wie erwartet, fand das Team heraus, dass Obsidian eine Kristallzusammensetzung hat, die der von Granit ähnelt, und er einen Siliziumdioxidgehalt aufweist, der dem von Pyrex gleicht. Pyrex hat jedoch nicht so viele Spurenelemente in sich wie Obsidian. Beim Lesen dieses Artikels wurde mir klar, dass sich dies zu einem Wettkampf zwischen Obsidian und Pyrex entwickelte; welches hielt den Elementen besser stand? Es lohnt sich, die Methoden der Forscher genauer zu betrachten, denn ich glaube, die meisten Leser haben ein praktisches Verständnis dafür, wie nützlich und stark Pyrex ist. Ich hoffe, der Vergleich hilft Ihnen auch zu erkennen, wie cool Obsidian ist. Der Schmelzpunkt von Obsidian liegt viel höher als der von Pyrex, und er hält deshalb auch viel mehr Wärme aus, bevor er weich wird (Brownieformen aus Obsidian klingen allmählich immer besser). Wenn ein Glas erhitzt wird, dehnt es sich wie die meisten Dinge aus. Obsidian dehnt sich pro Grad Celsius Temperaturerhöhung doppelt so stark aus wie Pyrex. Als Nächstes warfen die Forscher Pyrex, Obsidian und Fensterglas in Flusssäure und maßen, wie sich das Gewicht im Laufe der Zeit verändert, um damit herauszufinden, wie viel sich gelöst hat. Obsidian löste sich ungefähr 50 % schneller auf als Pyrex, aber wenn man bedenkt, dass sich Pyrex fast überhaupt nicht gelöst hat, ist dies ein sehr geringer Anstieg. Fensterglas hat sich dagegen dreimal so schnell aufgelöst wie Pyrex.
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Als ich über Gläser sprach, tat ich so, als handelte es sich um eine Entweder-oder-Situation – entweder kristallisiert der Festkörper oder er gefriert zu Glas. Doch das stimmt nicht wirklich. Glas kann einen gewissen Anteil Kristalle in sich haben. Obsidian gehört dazu. Wie ich in Kap. 9 noch erklären werde, besteht Granit – und damit auch Obsidian – teilweise aus Feldspat. In den Obsidianmustern, die die Gruppe untersucht hat, fand sie Feldspatkristalle, die über die gesamte Glasmatrix verteilt waren. Nachdem man sich die Härte angeschaut hatte, die bei den Proben unterschiedlich war, vermutete man, dass die Kristalle den Obsidian festigten. In dieser Hinsicht ähnelt Obsidian dem anderen Material, das Weiße Wanderer töten kann. Wieder führen Mikrostrukturen zu Makrostrukturen, die tödlich sind. Ich weiß, das war eine ziemlich lange Liste, doch sie stellte die Grundlagen dar für alle, die sich dafür interessieren. Jetzt wollen wir uns den interessanten Dingen zuwenden: Warum funktioniert Obsidian so gut als Messer, und was passiert mit ihm, wenn es kalt wird? Obsidian ist sehr hart, und wie alles andere sind harte Dinge auch extrem spröde. Obsidian zerbricht also sehr leicht. Man kann kein besonders gutes Schwert daraus herstellen. Doch wie es bricht, ist ziemlich nützlich. Es ist sehr zeitaufwendig, Steinwaffen herzustellen, und sie zerbrechen sehr leicht. Wie jedes Glas kann Obsidian einfach geformt und geschärft werden, indem man ihn bricht. Gläser wie Obsidian brechen nicht wie kristalline Strukturen, sondern durch muscheligen Bruch, das heißt, sie brechen wie eine Muschel. Kristalline Strukturen wie Eis und Stahl brechen gerne entlang spezifischer Bruchebenen. Weil es in jedem Festkörper viele Bruchebenen gibt und diese nicht alle in dieselbe Richtung verlaufen, sind die Brüche nicht immer sauber. Bei einem amorphen Festkörper wie Obsidian gibt es keine bevorzugte Bruchrichtung. Wenn Glas getroffen wird, breitet sich der Schlag aus wie Wellen auf dem Wasser. Wenn Sie wie ich sind, hatten Sie zumindest schon einmal einen Riss in Ihrer Windschutzscheibe im Auto, weil diese von einem Stein auf der Straße getroffen wurde. Wenn Sie sich den Riss genau ansehen, erkennen Sie ein Bruchmuster, das so aussieht wie die Wellen im Wasser, nachdem Sie einen Stein hineingeworfen haben. Die Moleküle sitzen im Glas etwa genauso wie in einer Flüssigkeit wie Wasser, deshalb ist das nicht überraschend. Wenn ein Stein ins Wasser geworfen wird, erzeugt er eine Kraft, die sich nach außen ausbreitet, und das Wasser reagiert darauf, indem es Wellen wirft. Wenn auf Glas eine Kraft wirkt, weil ein Steinchen von einem Kieslaster darauf fällt, will es ähnlich wie mit Wellen auf Wasser reagieren, kann das aber nicht, weil es sich um
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einen Festkörper handelt. Stattdessen zerbricht es genauso, wie es Wellen geworfen hätte. Diese Brüche hinterlassen sehr scharfe Kanten. Weil es keine Kristallstruktur gibt, die zusammenhängen müsste, kann Obsidian Splitter von nur einigen Atomlagen abspalten. Es ist dieses Bruchmuster, das ein zerbrochenes Weinglas so gefährlich macht. Als die einzig andere Alternative Granit war, hatte Obsidian offensichtlich viele Anwendungen, doch seine einzigartigen Brucheigenschaften werden auch heute noch genutzt. Einige wenige Chirurgen verwenden auch heute noch Skalpelle aus Obsidianklingen. Aufgrund des muscheligen Bruchs können die Klingen viel schärfer gemacht werden als solche aus Stahl. Chirurgen haben deshalb den Eindruck, dass sie zu einer schnelleren Heilung beitragen. Es gibt jedoch auch einige Nachteile, weshalb diese Klingen nicht so weitverbreitet sind. Zunächst sind die Klingen so scharf, dass man einen Schnitt damit nicht spürt, es sei denn, er wird durch etwas anderes gestört, wie Wasser. Wenn ein Chirurg bei der Anwendung unabsichtlich seine eigene Hand damit verletzt, sollte er es so schnell wie möglich merken. Zweitens schneidet die Klinge Haut so einfach, dass Chirurgen sich zurückhalten müssen, um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie diese Klingen funktionieren, und sie nicht tiefer schneiden als beabsichtigt. Muskeln, die eine bestimmte Routine gewöhnt sind, umzuprogrammieren, ist nicht so einfach. Zweitens ist Obsidian sehr hart, und damit ist Sprödheit verbunden. Obsidianklingen sind großartig, um Haut zu durchschneiden, doch wenn der Chirurg mit irgendetwas von der Seite an die Klinge stößt, bricht sie. Dies ist keine große Sache, wenn es um etwas wie eine Pfeilspitze geht, doch Chirurgen müssen wissen, wenn ihre Werkzeuge beschädigt wurden. Eine der Eigenschaften von Obsidian ist wahrscheinlich die wichtigste für Jon, Sam und jeden anderen, der der Armee der Toten gegenübersteht, nämlich wie er sich bei tiefen Temperaturen verhält. Nun, in Bezug auf seine Festigkeit ist er bei Raumtemperatur nicht wirklich großartig. Er ist hart und bricht sehr leicht. Ich habe keine Untersuchungen über die Festigkeit von Obsidian bei extremer Kälte gefunden, aber ich konnte eine Veröffentlichung darüber finden, wie sich Kronglas, das aus SiO2 und B2O3 (Bortrioxid) hergestellt wird, bei tiefen Temperaturen verhält (Kropschot und Mikesell 1957), drei Jahre nachdem Parnells dritter Tropfen gefallen war, führten Kropschot und Mikesell einige Tests darüber durch, wie viel Energie notwendig ist, ein Glas zu zerbrechen; zuerst bei Raumtemperatur und dann noch einmal, nachdem das Glas flüssigem Stickstoff (−196 °C) ausgesetzt war. Sie zeigten, dass diese Glassorte fester wird, je kälter es wird. Das Duo konnte keinen Mechanismus bestimmen, warum das so ist, sie stellten nur fest, dass es sich tatsächlich so verhält.
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Sam gegen einen Weißen Wanderer, Teil zwei Am Ende der 7. Staffel sahen wir die Armee der Wiedergänger und Weißen Wanderer in Westeros einfallen. Wie ich im Kapitel über Zombies (Kap. „Nördlich der Mauer“) sagte, hat ein beliebiger Bewohner des Nordens die besten Überlebenschancen, wenn er schleunigst die Straße verlässt und sich versteckt. Abgesehen davon kamen Jons Leute bis zu den Zähnen mit Obsidian bewaffnet von Drachenstein zurück. Es gibt keine endgültige Antwort, ob Drachenglas aus den Bergen von Valyrien stammte oder ob es von Drachen geschmiedet wurde, doch mir gefällt das mit den Drachen besser. In Kap. 9 werde ich darüber sprechen, was passiert, wenn ein Drache auf Granit losgeht (Spoiler: Das Granit gewinnt nicht). Drachenfeuer ist heiß genug, Sand und Stein zu schmelzen (ich werde Ihnen verraten warum, versprochen!), und es gibt einen großen Vorrat an Drachenglas unter Drachenstein, direkt da, wo gewöhnlich immer eine Horde Drachen lebte. Angesichts dieser Geschichte werde ich annehmen, dass Drachenglas von Drachen gemacht wurde, indem sie Granit schmolzen, der dieselbe chemische Zusammensetzung wie Obsidian hat, und ihn dann schnell abkühlen ließen. Die einzige andere Waffe, die einen Weißen Wanderer töten kann, ist eine, die mit Drachenfeuer geschmiedet wurde. Mir scheint es daher sinnvoll, dass zur Erschaffung von Drachenglas Drachen gehören. Könnte eine mit Drachenglas ausgestattete Armee aus Westeros gegen die Armee der Toten standhalten? Das ist eine schwierige Frage. Für Drachenglas spricht vieles. Anders als Stahl wird es in der Kälte stabiler. Es ist immer noch ziemlich spröde und könnte leicht brechen, doch wenn dies passiert, bleibt es scharf. Anders als Stahl kann es immer noch ziemlich tödlich sein, wenn es im Inneren eines Weißen Wanderers zerbricht. Jemand hatte mich einmal gefragt, warum man nicht einfach normale Schwerter mit Drachenglas überziehen und so die ultimative Waffe herstellen kann. Unglücklicherweise würde das nicht funktionieren, denn der Obsidian würde wahrscheinlich zu schnell absplittern. Es ist fast unmöglich, Glas mit Stahl zu verbinden; und es würde zersplittern, wenn ein Weißer Wanderer von der eigentlichen Klinge getroffen würde, sodass der Held wehrlos zurückbliebe. Ich glaube, die größte Herausforderung besteht darin sicherzustellen, dass es genügend Waffen aus Drachenglas für alle gibt, sodass jeder auf die nächste zurückgreifen kann, wenn eine zerbricht. Chirurgen hatten Schwierigkeiten damit, sich an die neuen Obsidianklingen zu gewöhnen, weil sie anders ausbalanciert werden müssen und viel schärfer sind als ihre normalen Skalpelle, und ich kann mir vorstellen, dass ausgebildete Schwertkämpfer dieselben
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Probleme mit Drachenglas hätten. Obsidian ist leichter, deshalb muss ein Obsidianschwert anders ausbalanciert werden als eines aus normalem Stahl. Es eignet sich viel besser als Messer oder Speer denn als Schwert, deshalb wäre wohl einiges an Waffentraining notwendig. Vielleicht würden sich die Leute mit ihrem eigenen Drachenglas auch schneller unabsichtlich selbst verletzen und dies erst viel später erkennen. Wenn ein Chirurg sich bei einer Operation selbst verletzen kann, ohne es zu fühlen, wie wäre das dann erst bei einem Kämpfer in der adrenalingetränkten Hitze der Schlacht? Am Ende des Tages (oder am Anfang der Langen Nacht, je nach Ihrer Sichtweise) zeigt die Physik des Drachenglases ganz deutlich, dass es sich viel besser verhält, wenn man gegen einen Weißen Wanderer kämpft, als normaler Stahl. Wenn die Leute von Westeros diesen Krieg verloren hätten, wäre die Physik unschuldig. Letztlich muss man beim Training mit neuen Waffen vor allem eines lernen: Wie man mit dem spitzen Ende zusticht.
Literatur Ericson JE, Makishima A, Mackenzie JD, Berger R (1975) Chemical and physical properties of obsidian: a naturally occuring glass. J Non-Cryst Solids 17(1):129– 142. https://doi.org/10.1016/0022-3093(75)90120-9 Fecht HJ (1995) Thermodynamic properties of amorphous solids – glass formation and glass transition – (Overview). Materials Transactions, JIM 36(7):777–793. https://doi.org/10.2320/matertrans1989.36.777 Ford, M (2001) „How is tempered glass made?“ Sci Am, January 22. https://www. scientificamerican.com/article/how-is-tempered-glass-mad/ Gupta PK (1996) Non-crystalline solids: glasses and amorphous solids. J Non-Cryst Solids 195(1–2):158–164. https://doi.org/10.1016/0022-3093(95)00502-1 Kropschot RH, Mikesell RP (1957) Strength and fatigue of glass at very low temperatures. J Appl Phys 28(5):610–614. https://doi.org/10.1063/1.1722812 Marder MP (2004) Condensed matter physics. Wiley, Malden Mauro JC, Zanotto ED (2014) Two centuries of glass research: historical trends, current status, and grand challenges for the future. Int J Appl Glass Sci 5(3):313–327. https://doi.org/10.1111/ijag.12087 Merali, Z (2013) „This 1,600-year-old goblet shows that the Romans were nanotechnology pioneers,“ Smithsonian Magazine, September 2013. https://www. smithsonianmag.com/history/this-1600-year-old-goblet-shows-that-the-romanswere-nanotechnology-pioneers-787224/ Zanotto ED (2013) Glass crystallization research – a 36-year retrospective. Part I, fundamental studies. Int J Appl Glass Sci 4(2):105–116. https://doi. org/10.1111/ijag.12022
Harrenhal Kann Feuer Stein zum Schmelzen und eine Mauer zum Einsturz bringen?
Und der größte von ihnen, Balerion, der Schwarze Schrecken, konnte einen ganzen Auerochsen auf einmal schlucken oder sogar eines der haarigen Mammuts, von denen man sagt, sie seien über die kalten Ödflächen jenseits des Hafen von Ibben gezogen. – Tyrion Lennister, Game of Thrones
Dank Balerion, dem Schwarzen Schrecken, und seinen Verwandten Vhagar und Meraxes konnte Westeros erobert werden. Man sagt, Balerion sei so groß gewesen, dass ein Pferd seinen Schlund hätte hinunterreiten können. Er konnte fliegen (vgl. Kap. „Drachenbiologie – Fledermäuse, aber mit Feuer“) und vor allem Feuer speien. Harrenhal galt als uneinnehmbare Festung, doch unglücklicherweise hatte niemand mit einem Angriff aus der Luft gerechnet. Die Drachen stießen herab, und der alte König Harren der Schwarze hatte keine Chance. Man erzählte sich, Harrenhal sei geschmolzen – nicht niedergebrannt, nicht zerfallen, sondern geschmolzen. Nun scheint Stein ziemlich fest zu sein. Wir kennen 1000 Jahre alte Kirchen und Steingebäude aus der Zeit der Gladiatoren; Stein sollte nicht schmelzen. Oder vielleicht doch? Und wenn, konnte Balerion ihn dazu bringen? Hier müssen einige Fragen beantwortet werden. Erstens, kann Feuer je heiß genug sein, um Stein zu schmelzen? Und wenn ja, konnten die weißglühenden Flammen Balerions dazu ausreichen? Wir alle wissen, dass Dany mit ihren drei (jetzt zwei, schnief ) Drachen nach Königsmund fliegen wollte, um ihre Ansprüche auf den Eisernen Thron anzumelden, der mit Balerions Feuer geschmiedet worden war. Aber sind Drogon und Rhaegal dazu in der Lage? Balerion wird als riesig
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 R. C. Thompson, Wissenschaft meets Game of Thrones, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61419-8_10
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beschrieben. Beeinflusst die Größe eines Drachen seine Fähigkeit, Feuer zu erzeugen? Entwickelt sich die Flamme eines Drachen mit seiner Größe? Die wichtigste Frage ist jedoch, ob ein Drache überhaupt Feuer speien könnte. Es gibt in den Internet-Fan-Foren viele Erklärungen dafür, wie ein Drache Feuer hervorbringen könnte. Und es gibt auch viele Argumente, die diese Theorien widerlegen. Was jedoch fehlt, ist ein bisschen Rechnerei mit Zahlen aus der realen Welt. Ich hoffe, ich werde hier so viele der Erklärungen für Drachenfeuer bestätigen oder entkräften wie möglich, gebe aber gleich zu, dass ich vermutlich einige übersehen habe. Sicher gibt es eine undurchschaubare wissenschaftliche Erklärung dafür, wie es möglich sein könnte. Doch die Natur und die Evolution leisten wirklich gute Arbeit. Sie gaben Tieren riesige Gehirne, Kiemen, Schwänze, mit denen sie greifen können, und niedliche Gesichter, die uns dazu bringen, uns um sie zu kümmern. Feuer speien wäre wahrscheinlich genauso nützlich wie die opponierbaren Daumen. Okay, dass uns die Natur den Blinddarm gelassen hat, war eine schwache Leistung, aber wenn es möglich gewesen wäre, uns zu Feuerspuckern zu machen, dann hätte sie das meiner Meinung nach auch geschafft.
Was ist Feuer? Bevor wir Drachenfeuer verstehen können, wie es erzeugt wird und wie heiß es werden kann, müssen wir uns klar werden, was Feuer überhaupt ist. Das ist eine ziemlich komplizierte Frage. Vielleicht erinnern Sie sich daran, dass der Schauspieler Alan Alda Wissenschaftlern die schwierige Aufgabe stellte, eine gute Antwort dafür zu finden (Alda 2012). Als er ein Kind war, konnte sein Lehrer ihm nicht erklären, was eine Flamme ist, deshalb wollte er dies als Erwachsener nachholen. Feuer und Flammen sind ziemlich schwer zu verstehen und noch viel schwerer zu erklären, wie viele der Teilnehmer an dem Wettbewerb Ihnen bestätigen werden. Die erste Frage, die auf dem Weg zum Verständnis gestellt wird, ist, ob eine Flamme ein Festkörper, eine Flüssigkeit oder ein Gas ist. Die alten Griechen waren felsenfest davon überzeugt, dass es sich um ein eigenständiges Element handelte, und damit lagen sie nicht ganz falsch. Feuer ist nichts von alledem. Es handelt sich um Energie, die als Wärme und Licht bei einer Reihe von chemischen Reaktionen frei wird. Was man sieht, ist die Energie, die abgegeben wird, wenn Verbindungen aufbrechen und sich in anderer Form wieder bilden. Die Farbe der Flamme hängt von der frei werdenden Energie ab und davon, welche Atome und Moleküle an den Reaktionen beteiligt sind.
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Wir sprechen zwar davon, dass das Holz (oder Benzin oder Papier) brennt, aber das stimmt nicht. Die chemischen Reaktionen, die wir als Brennen wahrnehmen, können nicht stattfinden, wenn etwas fest oder flüssig ist. Der erste Schritt beim Verbrennen eines Stoffes wie Holz ist, es ausreichend heiß zu machen, dass Dampf entsteht, der dann brennen kann. Der Flammpunkt eines Materials ist die niedrigste Temperatur, bei der genug Dampf entsteht, um zu brennen anfangen zu können. Im Gegensatz zur umgangssprachlichen Verwendung ist der Flammpunkt nicht der Punkt, an dem etwas zu brennen beginnt, sondern der Punkt, an dem etwas zu brennen anfangen könnte. Die Temperatur, bei der es dann tatsächlich zu brennen beginnt, heißt passenderweise Zündtemperatur. Nehmen Sie zum Beispiel Benzin. Sein Flammpunkt liegt sehr, sehr tief, bei etwa − 42,8 °C. Deshalb kann man Benzin auch im Winter anzünden, und deshalb ist es so gefährlich, Benzin zu lagern. Die Zündtemperatur jedoch beträgt etwa 280 °C. Die Begriffe brennbar und entflammbar werden zwar oft austauschbar verwendet, aber der erste bedeutet, etwas kann brennen, und der zweite heißt, es kann brennen, wenn es einer Flamme ausgesetzt wird. Was auch immer Drachen haben, es muss entflammbar sein, nicht nur brennbar (International Association of Fire Chiefs 2018). Wenn ein Brennstoff seinen Flammpunkt erreicht und dann entweder auf seine Zündtemperatur gebracht wird oder in Kontakt mit einem Funken kommt, der heiß genug ist, beginnt eine Verbrennungsreaktion. Dabei handelt es sich um eine exotherme Reaktion, also eine Reaktion, bei der Wärme frei wird. Weil viel Wärme freigesetzt wird, bleibt die Temperatur über der Zündtemperatur, und die Reaktion geht weiter. Deshalb ist Feuer so gefährlich – es handelt sich um eine sich selbst erhaltende Reaktion. Die spezifischen Reaktionen unterscheiden sich je nach verbranntem Brennstoff, doch im Allgemeinen wird das brennende Material oxidiert, das heißt, es geht eine Verbindung mit Sauerstoff ein. Luft enthält rund 20 % Sauerstoff in Form von zwei Sauerstoffatomen, die miteinander verbunden sind (O2). Bei einer Verbrennungsreaktion zerbrechen die Bindungen im Sauerstoffmolekül, und der Sauerstoff verbindet sich mit den Atomen im Brennstoff, meist mit Kohlenstoff und Wasserstoff. Wenn zum Beispiel Holz einer Flamme ausgesetzt ist, brechen die Sauerstoffmoleküle auseinander und verbinden sich stattdessen mit den Kohlenstoff- und Wasserstoffatomen im Holz. Es entstehen Wasser und Kohlendioxid. Energie kann weder erzeugt noch vernichtet werden, deshalb muss das System nach der Reaktion dieselbe Energiemenge enthalten wie zuvor. Es gibt eine bestimmte Menge an chemischer potentieller Energie in den Ursprungsmolekülen, aus denen das Holz bestand, doch in Wasser und
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Kohlendioxid steckt viel weniger. Deshalb muss bei einer Verbrennungsreaktion diese überschüssige Energie irgendwo hin. Das Feuer, das man sieht, ist diese zusätzliche Energie. Sie wird in Form von Wärme und Licht frei. Die Farbe der Flamme weist darauf hin, wie heiß sie ist und welche chemischen Verbindungen die Energie freigeben. Darüber werde ich gleich mehr sagen. Diese Art von Reaktion geschieht auch in Prozessen wie Rosten, einer anderen Art von Oxidationsreaktion, doch bei einer Verbrennung passiert sie sehr schnell. Um Rost zu bilden, bricht der Sauerstoff in der Luft seine schwachen Doppelbindungen und verbindet sich mit dem Eisen. Wenn dies passiert, wird ebenso ein wenig Wärme frei, doch es geschieht so langsam, dass es normalerweise unbeobachtet vor sich geht, weil nicht genug Wärme frei wird, um die Zündtemperatur zu erreichen. Wenn Sie unbehandelte Stahlwolle in Zitronensaft tauchen, damit sie ihre Schutzschicht verliert, und sie dann in einen verschließbaren Beutel legen, können sie dabei zusehen, wie sie sehr schnell rostet, und auch beobachten, wie die Temperatur des Beutels steigt. Die Reaktion läuft trotzdem nicht schnell genug ab, um Feuer genannt zu werden. Wenn Sie aber eine 9-VoltBatterie mit sehr feiner, unbehandelter Stahlwolle berühren (#00, erhältlich in jedem Baumarkt), läuft die Reaktion sehr schnell ab und verursacht ein Feuer. Dies ist eine großartige Möglichkeit, beim Camping ein Feuer anzuzünden, und kann zu einem Unglück führen, wenn Sie Stahlwolle in der gleichen Schublade lagern wie Batterien. Andere Brennstoffarten wie Benzin erlauben eine deutlich schnellere Verbrennung. Je schneller sie ablaufen kann, desto explosiver ist ein Brennstoff. Die Kontrolle über die Verbrennungsreaktion gehört zum modernen Leben. Gaslampen und Kerzen brennen langsamer als Kerosin. Indem man die Menge und die Art des Brennstoffs und die Zufuhr von Sauerstoff verändert, kann man steuern, wie schnell etwas verbrennt. Um ein Feuer zu löschen, muss eines von drei Dingen – Wärme, Sauerstoff oder Brennstoff – entfernt werden. Wenn man Wasser auf ein Holzfeuer schüttet, kühlt es sehr schnell ab, und die Reaktion hört auf, weil sie sich nicht von selbst aufrechterhalten kann. Doch das funktioniert nicht mit einem Fettfeuer, weil Öl auf dem Wasser schwimmt. Schüttet man Wasser darauf, spritzt das brennende Öl, sodass das Feuer noch gefährlicher wird. Schüttet man dagegen Backnatron darauf, entzieht ihm das den Sauerstoff und löscht es. Es ist keine gute Idee, Mehl zu verwenden, wie ich gleich erklären werde. Abb. 1 zeigt, wie Feuer nicht den Brennstoff verbraucht, sondern darüber schwebt und die Dämpfe entzündet. Wollen Sie einen Cocktail machen, der nach Kerosin und Kater schmeckt? Dieser von Game of Thrones
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Abb. 1 Flammen tanzen auf einer Reihe von „Seefeuer-Cocktails“. Die Drinks schmecken scheußlich, doch sie sind ein gutes Beispiel dafür, wie Feuer die Dämpfe verbrennt statt den Brennstoff. (Foto: Garrett Hamlin)
inspirierte „Seefeuer-Cocktail“ besteht aus Melonenlikör, Orangensaft und Wassermelonenvodka sowie einem Schuss Kornbranntwein darüber, den man anzünden kann.
Wie könnten Drachen Feuer machen? Damit ein Drache Feuer speien kann, benötigt er drei Dinge: Wärme oder Funken, Brennstoff und Sauerstoff. Um den Sauerstoff kann er sich sehr leicht kümmern, wenn wir davon ausgehen, dass der Drache sehr große Lungen hat. Die Funken und der Brennstoff sind etwas komplizierter. Es gab viele Vorschläge dazu, doch hier möchte ich meine Favoriten oder zumindest diejenigen nennen, die ich für am plausibelsten halte. Der Drachenbrennstoff müsste eine Substanz sein, die in großen Mengen im Körper mitgeführt und leicht ausgestoßen werden kann. Außerdem darf sie nicht zu dicht sein, weil ein Drache immer noch in der Lage sein muss, zu fliegen. Ein großer Vorteil für Drachen ist, dass viele gute Brennstoffquellen organisch sind. Die wahrscheinlichste Möglichkeit, dass ein Drache Feuer speien könnte, wäre, dass er einen von mehreren organischen Brennstoffen mit einem Funken entzündet. Der Trick ist also, einen Brennstoff zu
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finden, der sowohl leicht hergestellt als auch im Inneren mitgeführt werden kann. Dann bräuchte man eine Art von Zündung. Ich habe viele Theorien darüber gelesen, wie Drachen Feuer speien können, doch der Zündungsmechanismus ist immer derjenige, den man dabei übergeht. Über was auch selten gesprochen wird, ist der Feuerschutz für den Drachen. Wie ist es möglich, dass das Maul eines Drachen nicht genauso geschmort wird wie Dickon Tarly? Als Brennstoffquelle gibt es einige vernünftige Möglichkeiten. Die erste, über die ich sprechen werde, ist mein Lieblingsbeispiel; die Geburtstags-Kerzenfackel. (Wenn Sie mutig sind, können Sie das zuhause ausprobieren, doch verklagen Sie nicht mich oder meinen Verleger, wenn etwas schiefgeht. Ich übernehme keine Verantwortung.) Wenn Sie ein Streichholz in Maismehl fallen lassen, wird es normalerweise einfach ausgehen, weil eines von drei Dingen fehlt, die notwendig sind, um ein Feuer am Brennen zu halten: Sauerstoff. Natürlich gab es etwas davon am Rand, doch bei Weitem nicht genug, um eine Verbrennungsreaktion aufrechtzuerhalten. Maisstärke ist eine interessante Substanz, weil ihre Moleküle kugelförmig sind. Wenn Sie Maisstärke zwischen Ihren Händen reiben, fühlt sie sich weich und glatt an. Das kommt daher, dass es sich um einen Haufen wirklich winziger Kugellagerbälle handelt. Ich könnte unendlich über die erstaunlichen Eigenschaften von Maisstärke sprechen (es lohnt sich, kurz in Google nachzuschlagen, wenn Sie Zeit haben), doch hier will ich mich auf ihre Entzündbarkeit konzentrieren. Wie jede Stärke soll Maisstärke auf die eine oder andere Art und Weise oxidiert werden. Stärke speichert Energie, die dann später vom Körper genutzt werden kann. Wenn Sie ein Ausdauerathlet sind, haben Sie vermutlich schon einmal vor einem großen Rennen ihren Körper mit Kohlehydraten aufgeladen, um Energie zu speichern. Stärke kann Energie speichern, bis sie gebraucht wird. Wenn sie in die Nähe einer Flamme kommt oder sonst eine Verbrennungsreaktion beginnen kann, setzt sie diese Energie frei. Wenn Sie Luft in die Stärkemoleküle blasen und dann anzünden, erhalten Sie eine tolle Fackel. Weil die Moleküle so klein und rund sind, haben sie eine große Oberfläche, die der Luft ausgesetzt ist, deshalb reicht ein Funke, und sie entzünden sich wunderbar. Deshalb hört man auch immer wieder Berichte von explodierenden Getreidesilos – wenn es viel Getreidestaub in der Luft gibt, der mit einem Funken oder einer Flamme in Kontakt kommt, kann das eine Explosion auslösen. Wenn Sie diesen Effekt selbst ausprobieren möchten, können Sie eine Spritzflasche mit Maisstärke füllen, eine Geburtstagskerze anzünden und etwas von der Stärke über die Flamme blasen. Man benötigt ein wenig Übung, damit man dabei nicht die Kerzen ausbläst, und man richtet damit meist eine gehörige
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Unordnung an, aber immerhin stößt man eine Stichflamme aus, wie es vielleicht ein Drache täte. Auch Zauberer verwenden diesen Trick, doch sie verwenden dazu sogenanntes Lykopodiumpuder, das sich leichter entzünden lässt und viel teurer ist. Vielleicht ist es besser, man sieht sich einige nette, sichere Videos auf YouTube an, in denen jemand anders den Versuch durchführt. Ein Problem dabei ist jedoch, dass die „Brennstoffblase“ eines Drachen nicht explodieren würde, wenn sie durch den olympiareifen Speerwurf eines Weißen Wanderers verletzt wird. Als der Hals Viserions getroffen wurde, gab es eindeutig eine Explosion an seinem Hals. Auch wenn ich liebend gerne sagen würde, die Drachen verwendeten eine Art Pulver als Brennstoff, ist das wahrscheinlich nicht der Fall. Um eine derartige Explosion zu verursachen, müsste die Brennstoffblase mit einer Art von Gas unter Druck gefüllt sein. Methan wäre ein Beispiel für ein brennbares Gas. Kühe erzeugen sehr viel Methan. Mikroorganismen im Magen einer Kuh, die sogenannten Methanogene, zerlegen die Zellulose im gefressenen Gras und setzen die darin enthaltenen Nährstoffe frei, dabei entsteht als Nebenprodukt Methan. Wenn wir davon ausgehen, dass der durchschnittliche Drache viel größer ist als eine Kuh und eine entsprechend größere Brennstoffblase hat, heißt dies, dass er auch viel mehr Methan erzeugen kann. Methanogene funktionieren nicht in einer Umgebung mit Sauerstoff. Sie sind anaerob. Wenn Methan der Brennstoff eines Drachen sein sollte, sind das gute Nachrichten, denn es ist nicht möglich, Methan in einer Umgebung zu erzeugen, in der es auch explodieren könnte. Die beiden Prozesse, Verbrennung und Methanherstellung, schließen sich gegenseitig aus, deshalb sieht dies nach einer hervorragenden Methode aus, um den Brennstoff herzustellen. Das Problem aber ist, dass Drachen kein Gras fressen – sie fressen Fleisch. Das passt gut zur Geschichte, aber es ist nicht so toll für die Herstellung von Methan. Weil die anaeroben Bakterien, die Methan erzeugen, die pflanzliche Zellulose fressen, kann aus einer auf Fleisch basierenden Ernährung kein Methan als Brennstoff erzeugt werden. Es könnte gut sein, dass Balerion nebenbei auch Gras gefressen hat, aber das ist nicht sehr „drachenhaft“, deshalb hat es nie jemand erwähnt. Es stellt sich dann die Frage: Kann ein Drache genug Methan erzeugen, um ganz Westeros zu gefährden, indem er ein wenig Gras als Beilage frisst? Um dies abzuschätzen, können wir uns die Methanproduktion einer Kuh anschauen. Nach einer Studie an Milchkühen, die etwa doppelt so viel Methan erzeugen wie Fleischrinder, erzeugen diese etwa 20 g Methan pro Kilogramm gefressenem Gras. Das sind rund 330 g oder 1 l Methan pro Tag (Grainger et al. 2007).
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Der Heizwert Hi von Methan liegt nach Wikipedia bei 50.013 kJ/kg. Man benötigt ca. 4,1868 kJ (1 kcal), um 1 kg Wasser um 1 °C zu erwärmen. Mit dem Methan, das eine Kuh pro Tag erzeugt, könnte man ein Kilo Wasser um 50013 kJ kg = 3942 ◦ C, 0,330 kg × 4,1868 kJ ◦ C
also knapp 4000 Grad, oder eine Tonne Wasser um knapp 4 Grad erwärmen. Wäre Drogon also etwa so groß wie 100 Kühe und hätte er ein ähnliches Verdauungssystem, könnte er etwa vier Fässer Wasser zum Kochen bringen. Diese Feuergewalt könnte gewiss gefährlich sein; tatsächlich kann ja eine Zigarette einen Waldbrand auslösen, aber kann es zu dieser Art von Zerstörung führen, die wir durch die Kinder der Khaleesi erleben? Für einen Stoff wie Maisstärke oder Methan benötigte man einen Funken, um die Flamme zu entzünden. Das ist vermutlich der einfachste Teil bei der Erzeugung von Drachenfeuer. Es gibt dafür verschiedene Möglichkeiten, eine davon ist Feuerstein. Flugsaurier, die vielleicht mit Drachen verwandt sein könnten, hatten wie viele Vögel Kaumägen. Diese helfen dabei, Nahrung mit Steinen zu zerkleinern. Der Vogel (oder Flugsaurier) schluckt einige Steine und Kiesel und lagert sie in seinem Kaumagen. Die Muskelwände des Kaumagens zerlegen dann mithilfe dieser Steine harte Nahrung. Es ist kein allzu weiter Weg, sich vorzustellen, dass Drachen „Feuermägen“ besitzen, in denen Feuersteine und Eisenpyrit gespeichert sind. Normalerweise wird Eisen zusammen mit Feuersteinen verwendet, doch Drachen könnten kaum an Stahl gelangen. Wenn Feuerstein gegen Eisenpyrit geschlagen wird, verläuft eine ähnliche Reaktion ab, wie wenn man eine 9-Volt-Batterie mit Stahlwolle berührt. Wenn mit dem harten Feuerstein ein kleines Stückchen Eisen abgeschlagen wird, kommt es zu einer schnellen Reaktion, bei der Funken entstehen. Ein Drache könnte leicht den Inhalt seiner Brennstoffblase über den Funken speien, um einen Feuerstrahl zu erzeugen. Der Funke könnte auch durch etwas wie Natrium, Kalium oder ein anderes Alkalimetall erzeugt werden. Wenn ein Alkalimetall mit Wasser in Kontakt kommt, werden sehr schnell Elektronen aus dem Metall auf das Wasser übertragen. Dadurch entstehen Ionen, die sich gegenseitig sehr stark abstoßen, sodass es zu einer sogenannten Coulomb-Explosion kommt (Mason et al. 2015). Bei einer Coulomb-Explosion stoßen sich die Ionen so heftig ab, dass sie benachbarte Moleküle zerreißen und dabei genug Energie freisetzen, dass es zu einer Explosion kommt (ein Versuch, den Chemielehrer
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sehr gerne vorführen). Es ist durchaus möglich, dass Drachen eine Sorte von Alkalimetall mit sich führen, möglicherweise in einer anderen Art von Feuermagen, und dann absichtlich Wasser hinzufügen, um einen Funken zu erzeugen. Das würde zwar funktionieren, wäre aber auch sehr gefährlich. Das Alkalimetall müsste vollkommen trocken gelagert werden. In einem Tierkörper, der zu einem großen Teil aus Wasser besteht, könnte man das nur schwer realisieren. Ein dritter Zündungsmechanismus könnte aus einem piezoelektrischen Kristall bestehen. Piezoelektrische Kristalle erzeugen Funken, wenn sie zusammengedrückt werden. Die Atome in solchen Kristallen sitzen etwas asymmetrisch. Wenn der Kristall komprimiert wird, rutschen die Atome zusammen, wodurch die übliche elektrische Neutralität verletzt und ein elektrischer Funke erzeugt wird. In der Praxis könnte ein Drache, der einen derartigen von einem Muskel umschlossenen Kristall hätte, einen Funken erzeugen, indem er ihn zum richtigen Zeitpunkt, wenn der Brennstoff darüber ausgestoßen wird, drückt. Zum Glück für Drachen hat das Kollagen in Knochen piezoelektrische Eigenschaften (Minary-Jolandan und Yu 2009). Aber es gibt noch andere natürlich vorkommende Substanzen, die Funken erzeugen können, etwa Quarz oder sogar Zucker. Von all den möglichen Fragen rund um das Feuer von Drachen scheint es so, dass die Erzeugung eines Funkens am wenigsten Probleme bereitet. Es gibt eine Möglichkeit, wie sich Drachen zu Feuerspuckern entwickeln konnten, bei ihr wird der Funkenteil mit dem des Brennstoffs verbunden: hypergolische Flüssigkeiten. Mit solchen Flüssigkeiten als Brennstoff könnte man diese Art von Explosion wie an Viserions Hals beobachten, die Drachen müssten kein Gras fressen, und die Zündung liefe von selbst ab. Sie scheinen also ein guter Kandidat zu sein. Hypergolische Flüssigkeiten zünden von selbst, wenn sie in Kontakt kommen; ein Funke ist nicht notwendig. Sie wurden als Raketentreibstoff verwendet, also könnten sie bestimmt auch für Drachenfeuer verwendet werden. Genau wie bei anderen Verbrennungsreaktionen gibt es einen Brennstoff und ein Oxidationsmittel, doch in diesem Fall ist kein Funke von außen notwendig, um die sich selbst erhaltende Reaktion auszulösen. Im Allgemeinen sind die verwendeten Chemikalien giftig und korrodierend, doch das schließt sie nicht unbedingt aus; Salzsäure ist verdammt gefährlich, doch der Magen scheint nichts dagegen zu haben. Hypergolische Flüssigkeiten wurden in den 1930er-Jahren zum ersten Mal untersucht, und BMW hat 1940 einen hypergolischen Motor entwickelt, der mit Salpetersäure und verschiedenen anderen Verbindungen betrieben wurde. Die verbreitetsten hypergolischen Treibstoffe sind
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Hydrazin, Monomethylhydrazin und Dimethylhydrazin. Als Oxidationsmittel wird meist Distickstofftetroxid genutzt. Aber sind das Stoffe, die der Körper eines Drachen herstellen und speichern könnte? Es gibt keinen Grund, warum diese Substanzen nicht hergestellt werden könnten; die größere Frage ist, ob der Körper sie speichern kann. Sie sind alle hochgiftig und sehr instabil, wenn ein Drache sie also herstellen könnte, bräuchte er etwas wie eine Magenschleimhaut, doch viel größer. Es ist nicht ganz klar, ob das möglich wäre, immerhin scheint es nicht ganz unmöglich zu sein. Der Nachteil ist das Gewicht. Das Gewicht von Drachen ist bereits hart an der Grenze zur Flugfähigkeit – würden sie große Mengen flüssigen Brennstoffes speichern, müssten sie wohl am Boden bleiben. Wollen wir annehmen, der Drache habe alles geschafft und könne eine Stichflamme erzeugen. Es stellt sich immer noch die Frage, wie er seinen Rachen vor der Hitze schützt. Menschen haben mehrere Methoden entwickelt, um sich selbst vor Feuer zu schützen, etwa Kevlar und feuerhemmendes Gel, doch nichts davon kommt in der Natur vor. Aber es gibt mehrere Organismen, die unter extremen Bedingungen überleben können: Thermophile, hydrothermale Würmer und der Bombardierkäfer. Thermophile sind eine Gruppe von Organismen, zu denen bestimmte Bakterientypen und andere Mikroorganismen gehören; sie lieben, wie ihr Name schon sagt, die Hitze. In den meisten Organismen bricht zu viel Hitze lebenswichtige Enzyme auf, sodass sie sterben, doch Thermophile überleben Temperaturen bis zu 140 °C, weil ihre Enzyme auch bei sehr hohen Temperaturen noch funktionieren (Abb. 2). Das ist großartig, aber die Temperaturen, über die wir sprechen, liegen weit über 140 °C, wie ich in Abschn. „Verschiedene Farben, verschiedene Größen“ erklären werde. Bei Temperaturen, die so hoch sind wie die im Feuer von Drachen, würde die Haut bekannter Tiere vollkommen verbrennen. Ähnlich den Thermophilen sind hydrothermale Würmer auf dem Meeresgrund. Sie lieben sowohl hohe Drücke als auch Hitze, doch haben Wissenschaftler vor Kurzem herausgefunden, dass sie nicht gut genug isoliert sind, um Temperaturen, die deutlich über 60 °C liegen, zu überleben (Oskin 2013). Der Bombardierkäfer kann dagegen hohe Temperaturen im Inneren seines Körpers überstehen – er kann zwar nicht wirklich Feuer speien, aber kochend heiße Chemikalien gegen Räuber schießen. Wenn sich der Käfer bedroht fühlt, vermischt er zwei Stoffe in einer Kammer. Die Beschichtung dieser Kammer wirkt als Katalysator, der eine exotherme Reaktion auslöst, die genug Wärme erzeugt, um die Mischung aus den Chemikalien zum Kochen zu bringen. Die Flüssigkeit wird dann vom
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Abb. 2 Matten aus thermophilen Mikroben um das Wasser verleihen der Grand Prismatic Spring im Yellowstone-Nationalpark ihre bunte Farbe
Hinterteil der Kreatur heftig ausgestoßen. Der durch die Ausdehnung entstehende Druck versperrt die Öffnungen in der Kammer und schützt so die Organe des Käfers davor, durch die kochende Flüssigkeit beschädigt zu werden. Drachen dagegen haben nicht so viel Glück; Feuer, das im Körper des Drachen erzeugt wird, muss auf dem Weg zum Maul des Drachen an kritischen Organen vorbei. Und selbst wenn der Drache irgendwie in der Lage wäre, seine Organe zu schützen, hat der Bombardierkäfer den Vorteil eines harten, schützenden Exoskeletts, das die Hitze der chemischen Reaktion aushalten kann. Drachen haben kein derartiges Exoskelett. Wenn es also auch Kreaturen geben mag, die sich selbst vor großer Hitze schützen können, ist keine dazu auch nur annähernd in der Lage, sich vor Feuer zu schützen, das heiß genug ist, Stein zu schmelzen. Mehr als alles andere würde ich mir wünschen, ich könnte einen Absatz schreiben, in dem ich einfach zusammenfasse, wie Drachen in der Lage sein könnten, Flammen zu erzeugen. Das hoffte ich jedenfalls, als ich mich dransetzte, dieses Kapitel zu schreiben. Wie wir schon im Kapitel über das Fliegen von Drachen gesehen haben, gewähre ich Drachen gerne eine einzige kleine Ausnahme von den Gesetzen der Physik. Doch trotz aller Anstrengungen müsste ich Drachen nicht nur eine kleine Zahl von
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usnahmen gewähren, um Feuer speien möglich zu machen. Es gibt LebeA wesen, die mit extremen Bedingungen zurechtkommen, doch mit nichts, was auch nur in der Nähe dessen ist, was der Schlund eines Drachen ertragen müsste. Es gibt Möglichkeiten, wie ein Drache biologische Brennstoffe herstellen könnte, die er für sein Feuer verwenden könnte, doch keiner davon wäre leicht genug, dass er damit noch fliegen könnte, wenn er ausreichende Mengen davon mit sich tragen wollte, oder die eine Explosion auslösen könnten, wenn sein Hals getroffen würde. Das Einzige, was Drachen vielleicht erzeugen könnten, wäre ein Funke. Ich glaube, dies ist ein geheimnisvoller Vorgang, der geheimnisvoll bleiben muss.
Verschiedene Farben, verschiedene Größen Ich weiß, ich habe gerade mithilfe von Wissenschaft Ihren Traum von Feuer speienden Drachen platzen lassen, aber jetzt wollen wir so tun, als hätte ich das nicht getan – denn Drachen speien Feuer – verdammt nochmal! Erlauben wir also die große mythische Ausnahme und sagen, dass Drachen Feuer speien können. Wenn das der Fall ist und die Gesetze der Physik verletzt werden, gibt es dann noch Gesetze, denen sie gehorchen? Wie verhält sich die Kraft des Feuers zu ihrer Größe? Wir wissen, dass ihr Hals explodieren kann und dass die mögliche Vernichtungskraft direkt mit der Hitze und der Größe des Drachenfeuers zusammenhängt. Wenn das Feuer wirklich irgendwie ein Zauber ist und nicht durch konventionelle physikalische und chemische Methoden erzeugt wird, kann man dann trotzdem aus den Beschreibungen im Buch und in der Fernsehserie eine Vorstellung davon bekommen, wie Drachen sowohl hinsichtlich ihrer Größer als auch ihrer Feuerkraft wachsen? Eine der dramatischsten Vernichtungsszenen war, als Balerion Harrenhal geschmolzen hat; nicht zerstört – geschmolzen. Nach seinem Angriff sah die uneinnehmbare Burg aus wie tropfende Kerzen. In will in diesem Abschnitt herausfinden, ob Balerion dazu in der Lage gewesen sein kann, und ob Drogon jetzt, da er voll ausgewachsen ist, seinem Vorbild folgen könnte. Dazu müssen drei Fragen geklärt werden: Wie heiß waren Balerions Flammen? Hat Drogon dieses Niveau schon annähernd erreicht? Und könnten diese Flammen heiß genug sein, um Stein zu schmelzen? Balerion der Schwarze Schrecken wurde nicht nur nach der Farbe seines Körpers so genannt, sondern auch nach der Farbe seiner Flamme. Man sagte, seine Flamme sei so heiß gewesen, dass sie schwarz war. Aus physikalischer Sicht kann das nicht stimmen. Es ist richtig, dass
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Flammen verschiedene Farben haben können, und ich gehe auch davon aus, dass es wahr ist, dass Balerion schwarz war, doch eine schwarze Flamme gibt es nicht. Es existieren zwar einige ziemlich nette chemische Versuche, die angeblich eine schwarze „Flamme“ erzeugen, doch dabei handelt es sich nur um überhitzte Dämpfe, nicht um echte Flammen. Trotzdem kommen schwarze Flammen in der Welt der Fantasy immer wieder vor. Obwohl es keine schwarzen Flammen gibt, hängt die Farbe einer Flamme durchaus mit etwas Schwarzem zusammen: der Strahlung eines schwarzen Körpers. In diesem Fall bezieht sich „schwarzer Körper“ nicht auf Balerion, sondern auf etwas, das undurchsichtig und nicht reflektierend ist, wie der Draht einer Glühbirne oder brennendes Holz. Oft wird Eisen als Beispiel für einen schwarzen Körper verwendet. Wenn schwarze Körper wirklich heiß werden, geben sie elektromagnetische Strahlung ab, und wenn sie heiß genug sind, dann Strahlung in Form von sichtbarem Licht. Man kann dann sehen, wie heiß die Flamme ist, indem man sich einfach die Farbe des emittierten Lichts ansieht. Man kennt die Schwarzkörperstrahlung schon so lange, wie man derartige Beobachtungen macht. Beim Schmieden von Waffen haben die Schmiede bemerkt, dass das Metall je nach Temperatur unterschiedliche Farben aussendet. Und an der Wende zum 20. Jahrhundert begannen Wissenschaftler damit zu versuchen, das Phänomen zu erklären. Um die Strahlung eines schwarzen Körpers zu verstehen, muss man zwei Dinge wissen: Was macht Wärme mit Elektronen, und wie bewegen sich geladene Teilchen. Die Temperatur ist ein Maß dafür, wie schnell sich Teilchen herumbewegen; je schneller sie sich bewegen, desto höher ist die Temperatur. Wenn sich die Teilchen überhaupt nicht mehr bewegen, ist die Temperatur am absoluten Nullpunkt angelangt (0 K), was wir schon in Kap. „Der Winter naht – oder?“ besprochen haben. An diesem Punkt gibt es überhaupt keine Temperatur mehr. Wenn sich geladene Teilchen wie Elektronen bewegen, geben sie elektromagnetische Strahlung ab. Je schneller sie sich bewegen, desto höher ist die Energie dieser Strahlung. Sie müssen sich ziemlich schnell bewegen, um sichtbares Licht abzustrahlen. Viele Dinge strahlen im infraroten Teil des Spektrums, deshalb sehen Wärmebildkameras Dinge, die wir mit den Augen nicht wahrnehmen – sie sehen die Strahlung von Objekten, die viel weniger Energie hat. Wenn es heißer wird, bewegen sich die geladenen Teilchen schneller und geben höhere Energiebeträge ab. Im sichtbaren Spektrum erscheinen die Farben geordnet wie im Regenbogen (Rot, Orange, Gelb, Grün, Blau, Indigo und Violett), von der niedrigsten zur höchsten Energie. Ein Objekt, das gelb strahlt, ist kühler als eines, das blaues Licht abgibt. Wenn etwas stark genug aufgeheizt wird, wird es Licht aller Farben
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Abb. 3 Spektrum der Strahlung eines schwarzen Körpers bei verschiedenen Temperaturen. Der graue Bereich auf der linken Seite des Graphen zeigt das sichtbare Spektrum. (Graph erstellt von Dr. Carolyn Kuranz von der University of Michigan)
abstrahlen und deshalb weiß erscheinen. Aus dem Graphen in Abb. 3 sieht man, dass bei jeder Temperatur viele Wellenlängen abgegeben werden, doch das Maximum zeigt die vorherrschende Wellenlänge. Man erkennt, dass die Position des Maximums sich mit der Temperatur ändert. Diesen Graphen kann man leicht so zusammenfassen, dass er tatsächlich nützlich ist. Sobald ein Ausläufer des Graphen einer bestimmten Temperatur ins sichtbare Spektrum kommt (390–700 nm), kann man diese Farbe mit eigenen Augen sehen. Wenn alle Ausläufer im sichtbaren Bereich sind, sieht das Objekt weiß aus. Das Maximum muss sich nicht darin befinden, ein Ausläufer reicht. Die Darstellung in Abb. 4 zeigt, wie die Farbe eines Feuers auf dessen Temperatur hinweist. Vielleicht erinnern Sie sich aus Kap. „Gewöhnlicher Stahl aus Pittsburgh“ und Kap. „Stahl, hergestellt in Damaskus“, dass Schmiede beim Schmieden von Schwertern deren genaue Temperatur kennen mussten. Sie konnten die Temperatur einer Klinge über die Farbe, in der sie glühte, abschätzen. Abb. 4 war genau genug, um Damaszener
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Abb. 4 Wie hängt die Temperatur mit der Farbe der Schwarzkörperstrahlung zusammen. Dies ist sowohl für Schmiede als auch für Opfer von Drachenfeuern nützlich. Auch wenn dieses Bild in Schwarzweiß gedruckt ist, kann man sehen, wie das Feuer mit steigender Temperatur heller und weißer wird
Stahl (oder Valyrischen Stahl) zu schmieden. Sie ist nicht vollständig, weil sie kein blaues Feuer einschließt, das ziemlich verbreitet ist, doch für die Zwecke eines Drachen reicht es vorerst. Blaues Feuer ist heißer als weißes. Wenn der Ausläufer des Graphen im blauen Bereich des sichtbaren Lichts ausreichend höher ist als in den anderen Farben, verändert sich das Aussehen der Flamme von Weiß zu Blau. Möglicherweise war in der mündlichen Überlieferung von Westeros mit „schwarzem“ Feuer eher „blaues“ gemeint. Hier ist die Geschichte aber noch nicht ganz zu Ende. Die Farbe des Feuers hängt nicht nur von der Schwarzkörperstrahlung ab. Wenn man verschiedene Elemente in ein Feuer gibt, kann man ganz unterschiedliche Flammenfarben erzeugen, je nachdem, wie sich die Elemente verhalten, wenn sie heiß werden. Wenn bestimmte Verbindungen erhitzt werden, springen die Elektronen auf andere Energieniveaus. Wenn sie wieder zurückfallen, geben sie Licht ab. Die Farbe des abgestrahlten Lichts hängt von dem Abstand vom hohen zum niedrigeren Energieniveau ab. Weil diese Abstände in jedem Element oder in einer Verbindung verschieden sind, unterscheiden sich auch die Farben. Wenn Sie zum Beispiel Natrium in eine Flamme werfen, wird sie gelb, bei Kupfer dagegen bekommt die Flamme einen grünlichen Ton. Chemiker verwenden diesen sogenannten „Flammentest“, um
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die Zusammensetzung einer unbekannten Substanz herauszufinden, und manche Geburtstagskerzen nutzen denselben Effekt, um farbige Flammen zu erzeugen. (Wenn Sie das zu Hause ausprobieren wollen, finden Sie online Anleitungen, wie sie Tannenzapfen herstellen können, die die Flammen in ihrer Feuerstelle farbig machen – das ist eine tolle neue Ferienbeschäftigung.) In all diesen Fällen hängt die Farbe der Flamme von der Bewegung der Elektronen zwischen den Energieniveaus der Verbindungen ab, nicht von der Temperatur der Flamme. Ich glaube, dass wir uns im Fall von Drachen aber auf die Schwarzkörperstrahlung konzentrieren können, statt auf den Einfluss von Elementen auf die Flammenfarbe. Das alles ist gut und schön, aber was heißt das für Drachen? Es bedeutet, dass wir herausfinden können, wie heiß das Drachenfeuer ist, indem wir uns dieses in der Serie genau ansehen. In der 3. Staffel tötet Drogon zum ersten Mal wirklich, als er mit seiner gelblich orangen Flamme Kraznys mo Nakloz verbrennt, nachdem der Sklavenhändler die Unbefleckten im Tausch gegen den Drachen übergeben hat. Seine Flamme sollte also ungefähr 900 °C heiß sein. Als er am Ende der 5. Staffel in der Kampfarena von Meereen wieder auftaucht und wieder tötet, ist sein Feuer viel heller. Dies weist auf eine Temperatur nahe 1200 °C hin, also viel heißer als zuvor. Es sieht so aus, dass die Temperatur seines Feuers mit seiner Größe stieg. Ich persönlich habe mich immer darüber gewundert, warum Dany so lange damit gewartet hat, ihre Drachen in Westeros einzusetzen – sie sind fliegende Flammenwerfer! Das musste zu etwas gut sein. Doch es sieht so aus, als seien ihre kleinen Lötlampen einfach noch nicht heiß genug. Das Feuer von Balerion war, wenn man sich die Bilder von Fans anschaut, grell weiß oder, wenn man die Bücher liest, schwarz, wobei wir davon ausgehen können, dass blau damit gemeint ist. Ihre Temperatur liegt also bei 1800 °C oder darüber. Wäre das heiß genug, dass der Schwarze Schrecken Harrenhal schmelzen konnte? Wenn das so ist, ist Drogon jetzt groß genug, seinem Beispiel zu folgen und sich mit dem Roten Bergfried anzulegen?
Was ist Schmelzen, und kann Stein schmelzen? Drachenfeuer ist ganz offensichtlich ziemlich heiß, doch wenn wir im nächsten Schritt die Zerstörungen verstehen wollen, die es anrichten kann, müssen wir uns ansehen, wie Stein schmilzt, und die Temperatur bestimmen, die notwendig ist, damit das passieren kann. An diesem Punkt denkt mancher von Ihnen vermutlich, dass es unmöglich ist, Stein zu schmelzen – nur Dinge wie Eis und Metall können schmelzen. Aber das
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kann auch mit Stein passieren. Wenn Sie schon einmal das Glück hatten, in Hawaii Urlaub zu machen, haben Sie vielleicht geschmolzenen Stein gesehen – ich spreche vor allem von Lava. In Kap. „Und jetzt beginnt meine Wache“ haben wir uns auf Eis beschränkt, darauf, wie es aufgebaut ist und wie man damit große Strukturen bauen kann. Einer der wichtigsten Punkte, den Sie aus diesem Kapitel mitgenommen haben, ist, wie Eis schmilzt; vor allem, wie es unter Druck schmilzt. Wie wir aber alle wissen, schmilzt Eis – und alles andere genauso – auch, wenn es zu warm wird. Die Burgen von Westeros sind (zumindest nach den Beschreibungen im Buch) aus Granit gebaut. Granit ist ein magmatisches Gestein, das heißt, es hat sich unter Druck und Hitze aus erstarrender Magma im Erdmantel gebildet. Meist ist Granit eine Kombination aus Quarz, Feldspat und Spuren anderer Verbindungen, dabei können die Anteile jedes Minerals stark variieren. Es kommt in vielen verschiedenen Farben vor, auch im Rosa des Roten Bergfrieds. Granit bildet sich durch Erstarrung von geschmolzenem Gestein, deshalb ist es sinnvoll, davon auszugehen, dass extreme Hitze es wieder in den flüssigen Zustand versetzen kann. Als Baumaterial ist Granit außerordentlich stabil, und diese Festigkeit erlangt es durch die Art und Weise, wie sich die Kristalle gebildet haben. Sicherlich ist es nicht die einzige Gesteinsart mit dieser bestimmten chemischen Zusammensetzung, doch weil sie sich langsam und tief in der Erde abkühlen kann, hat sie genug Zeit, komplexe Kristalle zu bilden. Wenn das Gestein kälter wird, beginnen die verschiedenen Mineralien bei unterschiedlichen Temperaturen und unterschiedlich schnell als Kristalle fest zu werden. Granit besteht nicht wie Eis aus einer einzigen Kristallsorte, sondern aus verschiedenen ineinandergreifenden Kristallen. In Kap. „Und jetzt beginnt meine Wache“ habe ich darüber gesprochen, wie Risse im Eis entlang von Bruchebenen entstehen und dass Eis dadurch verstärkt werden kann, indem man Sägespäne hinzugibt, weil diese als kleine Straßensperren in den Bruchebenen wirken. Granit ist aus demselben Grund stabil; die Kristalle greifen ineinander, deshalb gibt es keine echt definierten Bruchebenen. Die Bruchebene eines Kristalls hat einen anderen Kristall als Straßensperre. Diese ineinandergreifenden Kristalle kann man sogar mit bloßem Auge erkennen; dieses gesprenkelte, granulierte Aussehen verleiht Granit seine Festigkeit und seinen Namen. Weil Granit eine andere Kristallstruktur und eine andere Zusammensetzung hat als Eis, schmilzt es auch anders. Für Eis gibt es eine spezifische Schmelztemperatur; wenn diese erreicht ist und fortwährend Energie zugeführt wird, wird aus dem Festkörper eine Flüssigkeit. Die zusätzliche Energie, die notwendig ist, um etwas zu schmelzen, heißt, wie ich schon
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in Kap. „Und jetzt beginnt meine Wache“ beim Schmelzen von Eis erwähnt habe, Schmelzenthalpie, und sie ist bei Granit etwa genauso groß wie bei Eis. Wenn auch das Grundprinzip das gleiche ist – Energie muss zugeführt werden, um die Materialtemperatur über den Schmelzpunkt zu erhöhen, ab der dann zusätzliche Energie notwendig ist (die Schmelzenthalpie), um ihn ganz zu schmelzen –, funktioniert das bei Granit ein klein wenig anders, weil die Kristalle im Granit unterschiedliche Schmelztemperaturen haben. Der Großteil des Granits besteht aus Feldspat, der mit Quarz vermischt ist, diese sind jeweils die häufigsten und zweithäufigsten Verbindungen auf der Erde. Quarz hat eine Schmelztemperatur von etwa 1650 °C, während die von Feldspat um 450 °C tiefer liegt, bei 1200 °C. Dies ist jedoch nicht die ganze Geschichte. Weil die beiden Mineralien verschiedene Schmelzpunkte haben, haben Sie vermutlich schon erraten, dass sich Granit ganz anders verhält als Eis. Granit kann nämlich zum großen Teil geschmolzen werden und trotzdem noch einigermaßen fest sein. Es ist möglich, dass der Feldspat schmilzt, sich aber im geschmolzenen Gestein noch fester Quarz befindet. Um es noch komplizierter zu machen, schmilzt Quarz nicht einfach so; die Moleküle drehen sich, zerbrechen und schmelzen dann. Genau wie Eis in verschiedenen Kristallstrukturen auftritt, gibt es Quarz und Feldspat in unterschiedlichen Strukturen. Darüber hinaus ist Quarz auf eine Art und Weise strukturiert, dass er nicht einfach bei einer bestimmten Temperatur schmilzt; stattdessen erwärmt er sich, bis sich seine Struktur verändert, dabei zerbricht er ein wenig, und erst dann entschließt er sich zu schmelzen. Die Silizium- und Sauerstoffatome in Quarz sind in einem leicht verdrehten Muster angeordnet. Dieses verdrehte Muster macht ihn zu einem chiralen Molekül, und die Richtung, in die er sich dreht, nennt man die Chiralität. Wenn Quarz 1063 °C warm wird, ändert die Chiralität plötzlich ihre Richtung. Dies ist ein Vorgang, der den Kristall ziemlich erschüttert und der zu einigen Rissen führt. Feldspat ist viel weniger interessant. Wenn dieser erhitzt wird, schmilzt er. Nimmt man alles zusammen, passiert beim Erhitzen von Granit Folgendes: Bis er 1200 °C heiß wird, passiert nicht viel, doch an diesem Punkt beginnt der Feldspat zu schmelzen, und der Quarz bekommt Risse. Der Stein wird damit anfangen, ein wenig zu fließen, doch er ist nicht vollständig geschmolzen, denn es gibt immer noch Quarzstücke im schmelzflüssigen Feldspat, die jedoch mit der Zeit Risse bekommen. Wird noch mehr Wärme zugeführt, beginnt auch der Quarz zu schmelzen, und wenn dann mindestens 1650 °C erreicht sind, schmilzt der Stein ganz. Damit Harrenhal am Ende aussieht wie eine geschmolzene Kerze, müsste Balerions Feuer mindestens 1200 °C heiß gewesen sein, hätte es 1650 °C gehabt, wäre der Effekt noch gleichförmiger
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gewesen. Wenn Drogon den Roten Bergfried hätte schmelzen wollen, hätte er den Granit über längere Zeit mit 1650 °C anblasen müssen. Wäre das möglich?
Was ist jetzt mit Harrenhal und Balerion dem Schwarzen Schrecken? Wir haben den Punkt in diesem Kapitel erreicht, an dem ich alle Physik benötigen werde, die ich bisher erklärt habe, um Ihnen zu zeigen, wie die Wissenschaft all das möglich machen kann, was so fantastisch aussieht. Ich habe das auch in den meisten anderen Kapiteln gemacht; in diesem Fall müssen aber viele Hindernisse überwunden werden, damit es funktionieren kann. Auch wenn viele vage Gründe dafür angegeben haben, warum Drachen vielleicht doch Feuer speien könnten, zeigen doch die Mathematik und die Wissenschaft, dass es einfach unmöglich ist. Vielleicht kann ein Tier ein winziges bisschen Feuer speien – etwa ein kleiner Käfer –, aber wenn etwas, das so groß wie eine 747 ist, einen Flammenstrahl erzeugen soll, der es mit jedem industriellen Flammenwerfer aufnehmen kann, widerspricht es einfach den Gesetzen der Physik. Vielleicht können Drachen fliegen, doch solche Flammen gehen einfach zu weit. Lassen Sie uns dennoch diese vollkommen unvernünftige Lücke in der Logik beiseitelassen und annehmen, dass Drachen dank einer gesunden Dosis an Magie die Flammen speienden Ungeheuer sein können, als die sie beschrieben werden. Dann stellt sich nun die wissenschaftliche Frage, ob Balerion – oder wichtiger noch Drogon – eine Burg schmelzen könnte. Beginnen wir mit Balerion. Auch wenn es keine offiziellen Bilder von Balerion gibt, beschreibt das Buch sein Feuer als bläulich, es hat 1800 °C, wie ich schon erklärt habe. Das ist bestimmt heiß genug, um den Feldspat im Granit zu schmelzen, und gerade ausreichend, um auch Quarz flüssig werden zu lassen. Das Problem jedoch ist der Zeitraum, den das beanspruchen würde. Die Schmelzenthalpie macht alles noch schwieriger. Sowohl Balerion als auch Drogon könnten Harrenhal zerstören und Ruinen zurücklassen, doch beide würden eine gewisse Zeit benötigen, um die Burg zum Schmelzen zu bringen. Wie ich schon in Kap. „Und jetzt beginnt meine Wache“ sagte, würde es etwa fünfeinhalb Minuten dauern, bis die rotglühenden Spulen eines Raumheizgeräts ein Kilogramm Eis ganz geschmolzen hätten, das bereits seine Schmelztemperatur erreicht hat. Die Temperaturen von Drachenfeuer sind höher, und die Flammen decken ein größeres Gebiet ab. Nimmt man an, Balerion spuckte einen Quadratmeter
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weißglühender Flammen, könnte er dasselbe Kilogramm Eis in etwa eineinhalb Minuten schmelzen, das ist nicht sehr lange. Doch beim Granit ist es wie immer komplizierter. Erstens dauert es eine gewisse Zeit, um die Granitblöcke auf die Schmelztemperatur zu erhitzen. Ab dann sind noch eineinhalb Minuten direkter Flammenstrahl notwendig, um den Stein zu schmelzen – und das nur für 1 kg Stein. Diese Menge Eis hat ein Volumen von etwa einem Liter, doch ein Kilogramm Granit ist viel kleiner. Ich gehe davon aus, dass die Türme von Harrenhal aus weit mehr als einem oder zwei Kilogramm Granit gebaut wurden. Genau wie Balerion war Drogon am Ende der 6. Staffel groß genug, um Feuer hervorzubringen, mit dem er Feldspat schmelzen konnte, und fast groß genug, um mit einer Dauerflamme Quarz zu schmelzen. Bedenkt man, dass seine Flammen heißer wurden, als er größer wurde, würden sie bald heiß genug sein, um Stein zu schmelzen. Wenn wir die Tatsache übersehen, dass es keine plausible Möglichkeit gibt, dass ein Tier ein derart großes Feuer hervorbringen kann, wären Balerion und Drogon sicherlich in der Lage, diese Art von burgschmelzender Hitze zu erzeugen, die Targaryens auf den Eisernen Thron bringen kann. Die eigentliche Frage ist, ob er die Geduld dafür hätte. Und natürlich, gerade als die Dinge anfangen, Sinn zu ergeben, tötet George R. R. Martin eine Hauptfigur und lässt damit eine tiefe Traurigkeit und einen ganz neuen Wissenschaftszweig zurück.
Viserions magisches Feuer Nullachtfünfzehn gelbweißes Feuer war einfach nicht genug für die große Welt von Game of Thrones. Am Ende der 7. Staffel gab es ein ziemlich beeindruckendes blaues „Feuer“. Wie Neil DeGrasse Tyson in einem Tweet ganz richtig festgestellt hat und wie ich in diesem Kapitel auch schon einmal geschrieben habe, ist blaues Feuer viel heißer als oranges (Neil DeGrasse Tyson 2017). Doch es gab viele Diskussionen darüber, ob es sich um normales blaues Feuer handelte oder eine Art von gefrierendem Anti-Feuer. Genauso eine Flamme wurde zum ersten Mal im Buch Das Lied des Eisdrachen von George R.R. Martin beschrieben, ein sehr kurzes Buch, das er für Kinder geschrieben hat. Ich hatte nicht erwartet, dass er ein Buch schreiben könnte, in dem beide Dinge vorkommen. Die Fans scheinen gespalten zu sein, ob Viserions Feuer sehr heiß ist oder, wie George R. R. Martin den Atem eines Eisdrachen in Die Welt von Eis und Feuer beschrieb, „so schrecklich kalt, dass es einen Mann in einem halben Herzschlag zu einer Säule gefrieren lassen kann“.
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Die Mauer brach nach den Attacken von Viserion zusammen, deshalb scheint klar, es muss sich um eine heiße Flamme gehandelt haben. Doch ob die Flamme heiß oder kalt ist, ist nicht ganz so einfach. Zu sogenannten thermischen Brüchen kann es kommen, wenn es in einem Material Temperaturgradienten gibt. Wenn Sie schon einmal gesehen haben, dass ein Glasfenster bricht, weil es innen warm und außen kalt ist, wissen Sie, worüber ich spreche. Das passierte einmal mit einer Windschutzscheibe. Wenn Viserions Atem der eines Eisdrachen war, könnte dieser kalt genug gewesen sein, um die Mauer durch einen Kältebruch zu zerstören. Wie ich bereits sagte, ist es auch nicht so einfach, etwas zu schmelzen, indem man Wärme zuführt. Man muss Wärme zuführen, um die Temperatur über den Schmelzpunkt zu erhöhen, und dann noch weitere Wärme, um den Gegenstand dann auch tatsächlich zu schmelzen. Kann eine blaue Flamme dazu in der Lage sein? Das, was am Ende der 7. Staffel passiert ist, kann sowohl durch eine heiße Flamme als auch durch Eisfeuer erreicht worden sein, nur durch verschiedene Arten von Physik … vielleicht kann es auch gar nicht passiert sein. Lassen Sie uns beide Möglichkeiten betrachten und herausfinden, ob eine, beide oder keine davon sinnvoller ist für das, was uns in den Bildern gezeigt wurde. Es wäre viel einfacher, wenn George R. R. Martin einfach etwas darüber geschrieben hätte, sodass ich irgendeinen Text hätte, mit dem ich beginnen könnte, doch selbst wenn eine dritte oder vierte Auflage von Wissenschaft meets Game of Thrones veröffentlicht werden sollte, zweifle ich daran, dass ich dann mehr Quellenmaterial haben werde. Es hat in diesem Kapitel so viel Spaß gemacht, über das Schmelzen zu sprechen, also wollen wir damit weitermachen. Ich habe erklärt, wie Stein schmilzt und dass die Schmelzenthalpie eigentlich das ist, was ihn zum Schmelzen bringt. Dasselbe gilt für die Mauer. Viserions Flamme müsste außerordentlich heiß sein und dazu in der Lage, Energie ausreichend schnell abzugeben, um das Eis zu schmelzen. Blaues Feuer ist heißer als weißes und erzeugt etwa doppelt so viel Energie pro Quadratmeter. Das heißt, es würde etwa 45 s dauern, um ein Kilogramm Eis zu schmelzen. Das scheint verdammt schnell zu sein, aber vergessen Sie nicht, das gilt für einen Eiswürfel von 10 cm Kantenlänge in einer extrem dicken Mauer. Viserion bräuchte 45 s, um in die gigantische Mauer nur eine kleine Kerbe, vielleicht von der Größe eines Steigeisens der Wildlinge zu machen. Auch wenn blaues Feuer etwa doppelt so viel Energie hat wie weißes, reicht es nicht, um eine Mauer zum Einsturz zu bringen, nicht einmal, wenn sie fragwürdig gebaut wäre. Es ist sogar noch schlimmer, wenn Sie die Episode anschauen und sehen, wie er in schnellem Tempo die Mauer entlang fliegt. Ich sage es nur sehr ungern,
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weil es so wahrscheinlich aussieht, aber kein Drache könnte eine derartige Wand zerstören, sei er nun Zombie oder etwas anderes. Vielleicht kann ein Kältebruch dies aus dem Reich der Zauberei in die Realität zurückholen? Ehe wir auf die Besonderheiten von Eismauern eingehen, will ich kurz allgemein beschreiben, warum Dinge zerbrechen, wenn ein Teil heiß und der andere kalt ist: Damit etwas zerbricht, sind irgendwelche entgegengesetzten Kräfte notwendig. Bei den meisten Festkörpern wandern die Moleküle auseinander, wenn sie erwärmt werden. Ich habe in Kap. „Wie tötet man einen Weißen Wanderer“ viel darüber gesprochen, was mit Gläsern passiert, wenn sie kalt werden, aber nichts dazu, was passiert, wenn Teile des Materials heiß werden, während andere kalt bleiben. Wenn sich die Temperatur in einem Teil des Materials von der in einem anderen unterscheidet, entstehen mechanische Spannungen. Die Moleküle auf der heißen Seite werden schneller und dehnen sich aus, während die auf der anderen entweder langsamer werden oder kondensieren. Dies erzeugt mechanische Spannungen, und oft, wenn der Temperaturunterschied extrem genug ist, wird das Material brechen, manchmal sogar in einer Explosion. Das ist besonders für Laserwissenschaftler wichtig, die mit Kristallen zu tun haben, die sehr heiß werden und zerbrechen können, wenn sie nicht ausreichend gekühlt werden (Pfui! Pfui! Pfui!). Als Viserion die Mauer mit einer sehr kalten Flamme bespuckte, kühlte er einen Teil der Mauer, während die andere warm blieb. Aus diesem Temperaturgradienten entstand eine mechanische Spannung, deshalb stellt sich nun die Frage: Sind die Spannungen stark genug, um die Mauer zum Einsturz zu bringen? Dabei muss man berücksichtigen, dass die Mauer nicht vollständig gefroren sein könnte. Wenn Sie Kap. „Und jetzt beginnt meine Wache“ gelesen haben, wissen Sie, dass sich Eis außerordentlich verrückt verhält. Man kann so ziemlich alles über normale Festkörper aussagen, was nicht für Eis gilt. Aber immerhin verringert sich die Dichte von Eis, wenn es kälter wird, es zieht sich also zusammen. Wenn es von einem eisigen Hauch getroffen wird, entstehen beim Abkühlen durch das Zusammenziehen mechanische Spannungen. Wenn es kalt wird, ist es auch fester. Eine Gruppe fand heraus, dass es tatsächlich umso fester wird, je kälter es wird. Die Kraft, die man benötigt, um es durch einen Schlag zu zerbrechen, steigt, wenn die Temperatur sinkt. Indem der Zombie-Viserion sein Eisfeuer auf die Mauer geblasen hat, könnte er sie damit also vielleicht sogar gefestigt haben (Shazly et al. 2009). Aber was ist mit den mechanischen Spannungen, die entstehen, wenn
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das Eis kälter wird? Bei Temperaturen von flüssigem Stickstoff ( − 196 °C) entstehen zwischen dem Inneren und Äußeren eines Eiswürfels genug Spannungen, um ihn ziemlich schnell zerbrechen zu lassen. Dies kann man nicht besonders gut hochskalieren. Sicher würde eine Eisflamme, die so kalt ist wie flüssiger Stickstoff, das Äußere der Mauer sehr schnell zerfallen lassen, wie wir es in der Serie gesehen haben. Doch wieder kommen wir zum lästigen Problem der Dicke der Wand. Es gibt einfach keine Möglichkeit, mithilfe von Kälte die gesamte Dicke der Mauer zu zerbrechen. Wie ich schon in Kap. „Und jetzt beginnt meine Wache“ erklärte, ist die Mauer vermutlich mit Sägespänen und Magie verstärkt, deshalb glaube ich nicht, dass die Kraft von Viserion, ob sie nun von Kälte oder Wärme stammt, aus reichen würde, sie zum Einsturz zu bringen. Wir können uns jetzt beruhigt zurücklehnen, weil wir wissen, dass die Wissenschaft uns versichert, dass die Sieben Königreiche und Tormund sicher sind. Es sieht so aus, als hätte sich Martin eher an die Theorien seiner Fans halten sollen, die vorgeschlagen haben, das Meer bei Ostwacht an der See zufrieren zu lassen, sodass die Weißen Wanderer darüberlaufen können. Das wäre jedenfalls etwas gewesen, was Viserion der Eisdrache geschafft hätte.
Literatur Alda A (2012) The flame challenge. Science 335(6072):1019. https://doi.org/ 10.1126/science.1220619 Grainger C, Clarke T, Mcginn SM, Auldist MJ, Beauchemin KA, Hannah MC, Waghorn GC, Clark H, Eckard RJ (2007) Methane Emissions from Dairy Cows Measured Using the Sulfur Hexafluoride (SF6) Tracer and Chamber Techniques. J Dairy Sci 90(6):2755–2766. https://doi.org/10.3168/jds.2006-697 International Association of Fire Chiefs (2018) International association of arson investigators, and National fire protection association, fire investigator: principles and practice to NFPA 921 and 1033, 5. Aufl. Burlington, Jones & Bartlett Learning Mason PE, Uhlig F, Vaněk V, Buttersack T, Bauerecker S, Jungwirth P (2015) Coulomb explosion during the early stages of the reaction of alkali metals with water. Nat Chem 7(3):250–254. https://doi.org/10.1038/nchem.2161 Minary-Jolandan M, Yu M-F (2009) Nanoscale characterization of isolated individual type i collagen fibrils: polarization and piezoelectricity. Nanotechnology 20(8):085706. https://doi.org/10.1088/0957-4484/20/8/085706 Neil DeGrasse Tyson (@neiltyson), „Intriguing thermal physics in #gameofthrones: blueDragon breath would be at least a factor of 3X hotter than reddragon
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breath,“ Twitter, September 24, 2017, 5:46 p.m., https://twitter.com/neiltyson/ status/912070876950122496 Oskin, B (2013) “Deep-sea worms can’t take the heat,” Live Science, May 29, 2013. https://www.livescience.com/34835-heat-limit-for-life.html Shazly M, Prakash V, Lerch BA (2009) High strain-rate behavior of ice under uniaxial compression. Int Solids Struct 46(6):1499–1515. https://doi.org/10.1016/j. ijsolstr.2008.11.020
Die Schlacht am Schwarzwasser Seefeuer als wissenschaftliches Phänomen
Der Kuss des Seefeuers verwandelte stolze Schiffe in Scheiterhaufen und Männer in lebende Fackeln. – Tyrion Lennister, Die Saat des goldenen Löwen
Seefeuer ist in Westeros vermutlich die Waffe mit der größten Zerstörungskraft – nach den Drachen natürlich. Es ist explosiv, klebt an Dingen, kann auf Wasser brennen und ist grün. Angeblich kann es sogar Holz, Stein und Stahl zum Schmelzen bringen. Man kann es nicht mit Wasser löschen, und es wird mit dem Alter wirkungsvoller. Es handelt sich also um einen ziemlich furchteinflößenden Stoff. Gibt es diesen wirklich? Wir haben schon gesehen, dass Feuer tatsächlich heiß genug sein kann, um Stein und Stahl zu schmelzen, und dass man besser kein Wasser verwendet, um ein Fettfeuer zu löschen. Kann Feuer so heiß sein, dass Wasser zu Dampf wird, bevor es darauf trifft? Die meisten Dinge, außer vielleicht Käse und Wein, verlieren mit dem Alter – an Kraft oder Geschmack –, doch Seefeuer wird mit der Zeit stärker. Welche Art von Verbindungen könnte sich ähnlich verhalten? Wie in den anderen Kapiteln dieses Buches ist es vielleicht am besten, wenn wir damit beginnen, die Behauptungen in der Geschichte über Eigenschaften und Auswirkungen der Substanz in der realen Welt zu untersuchen und zu prüfen, ob man etwas erschaffen kann, was dem entspricht. Also machen wir das auch hier. Ich habe im letzten Kapitel erklärt, wie Feuer funktioniert, deshalb ist das bereits abgehakt, doch Seefeuer ist im Gegensatz zum guten alten Drachenfeuer einzigartig furchterregend. Wie jeder Fan der Serie bestimmt weiß, ist George R. R. Martin ein hervorragender Amateurhistoriker. Bei vielem von dem, was er geschrieben © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 R. C. Thompson, Wissenschaft meets Game of Thrones, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61419-8_11
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hat, zieht er historische Aufzeichnungen heran und das auch noch ziemlich genau: die Inzucht bei den Targaryens, der Valyrische (Damaszener) Stahl und sogar die Rote Hochzeit haben historische Wurzeln. Seefeuer ist keine Ausnahme. Die Griechen waren George R. R. Martin weit voraus, denn sie hatten die erste chemische Waffe, das Griechische Feuer, schon im 7. Jahrhundert n. Chr. entwickelt. Wie bei den Geheimnissen der Herstellung von Damaszener Stahl ist die genaue Zusammensetzung des Griechischen Feuers im Laufe der Jahrhunderte verloren gegangen, doch es existieren immer noch Informationen über seine Zerstörungskraft und Hinweise auf seine Komponenten. Möglicherweise wurden die Legenden um seine Vernichtungskraft mit der Zeit übertrieben, wie das immer so passiert, doch immerhin war die Substanz beängstigend zerstörerisch. Seefeuer ist höchstwahrscheinlich eine grüne Version des Griechischen Feuers. Ich verspreche, dass ich dies detailliert besprechen werde. Aber wenn Sie bis hierher gekommen sind, wissen Sie, dass ich immer wirklich gründlich bin, deshalb werde ich zuerst einige Hintergrundinformationen liefern. Der vielleicht interessanteste Aspekt an Seefeuer ist seine Wechselwirkung mit Wasser, also fange ich damit an.
Wasser ist nicht immer stärker als Feuer In Kap. „Harrenhal“ habe ich darüber gesprochen, wie Wasser Feuer löscht. Wenn man Wasser auf Feuer schüttet, kühlt es das, was gerade brennt, so weit ab, dass die sich selbst verbreitende Verbrennungsreaktion aufhört. Fettfeuer dagegen sind anders. Wenn Sie schon einmal in Texas gelebt haben, haben Sie vermutlich auch bereits einen Truthahn frittiert (ich zumindest habe das), und hoffentlich haben Sie dann auch die grässlichen Warnhinweise in der Gebrauchsanleitung der Fritteuse gelesen. Dann wissen Sie, wie gefährlich es sein kann, einen Truthahn zu frittieren, vor allem, wenn Sie es bei sich zu Hause machen. (Natürlich ist das köstliche Endresultat die Gefahr wert.) Der Grund ist, dass Fettfeuer Feuer der Klasse B sind, die explodieren, wenn sie mit Wasser in Kontakt kommen (deshalb sollten Sie Ihren Truthahn immer sorgfältig trocknen, bevor Sie ihn langsam ins Öl lassen). Feuer werden über das klassifiziert, was man benötigt, um sie zu löschen, deshalb können Feuer der Klasse B offensichtlich nicht mit Wasser gelöscht werden. Wenn Wasser auf ein derartiges Feuer trifft, oder wenn ein nasser Truthahn in ein Behältnis mit heißem Öl gegeben wird, verwandelt sich
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Wasser fast sofort in Dampf, dehnt sich dabei stark aus und führt dazu, dass das Feuer explodiert und brühend heißes Öl in jede Richtung schleudert. Die meisten ölbasierenden Brennstoffe, wie Benzin, Teer, Fett und leichtere Flüssigkeiten, brennen als Feuer der Klasse B. Bemerkenswert ist, dass die meisten dieser Stoffe auch auf Wasser schwimmen. Ein Brennstoff, der heiß verbrennt, auf Wasser schwimmt und in einer Flamme explodiert, wenn er nass wird … klingt das vertraut? Sie können ein Wahnsinnsfeuer in Ihrer Küche entflammen, wenn Öl in einer Bratpfanne auf Wasser schwimmt und Feuer fängt, weil das Wasser unter dem Öl es nicht löschen wird. Nun wollen wir diese Logik auf einen Ölteppich anwenden, der einen Fluss hinabtreibt. Wenn ein Bereich des Wassers genug verschmutzt ist, kann er tatsächlich Feuer fangen. Der Cuyahoga River, der durch Cleveland, Ohio, fließt, hat dies wiederholt bewiesen, er hat nicht nur einmal, nicht zweimal, sondern geschätzt 13-mal Feuer gefangen. Das erste Mal passierte dies in den 1860er-Jahren und das letzte Mal 1969. Es war übrigens eine umweltpolitische Schande wie ein brennender Fluss notwendig, bis die Environmental Protection Agency (EPA, Anm. d. Übers.: die US-Umweltschutzbehörde) ins Leben gerufen wurde. Damals waren Flüsse im Wesentlichen Müllkippen für alles: Abwasser, Abfälle von Ölraffinerien oder der chemischen Industrie, Haushaltsabfälle – alles landete am Ende in Flüssen. Angesichts der Nähe des Cuyahoga zur belebten Stadt Cleveland mit ihren vielen Fabriken und Ölraffinerien landete sehr viel Erdölabfall im Fluss, und zwar so viel, dass das Time-Magazin einmal schrieb, dass der Cuyahoga „mehr sickert als fließt“ (Latson 2015). Standard Oil of Ohio von J. D. Rockefeller, eine der größten Raffinerien in der Geschichte der Vereinigten Staaten, trug zu dieser Verschmutzung sehr viel bei, denn sie entsorgte regelmäßig Abfallprodukte – eines davon war Benzin – im Fluss. Sie sehen wahrscheinlich schon, warum das eine schlechte Idee war. Öl und andere Erdölprodukte schwimmen auf dem Wasser und sind brennbar. Die Verschmutzung des Flusses wurde so stark, dass sich eine 7 bis 15 cm dicke Schicht darauf gebildet hatte. Das schlimmste Feuer trat am 2. November 1952 auf und verursachte 1,5 Mio. $ Schaden (14,2 Mio. $, wenn man die Inflation berücksichtigt). Weil die dicke Ölschicht eine Barriere zwischen dem Flusswasser und dem Feuer bildete, konnte das Wasser nicht hindurch gelangen und die Flammen löschen. Das letzte in der langen Reihe von Flussfeuern geschah 1969 und löste die Einrichtung des Earth Day sowie die Verabschiedung des Clean Water Act und die Gründung der EPA aus. Alles, was dazu nötig war, war ein Foto des brennenden Flusses im Time-Magazin.
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Die Gefahren der Umweltverschmutzung Vielleicht überlegen Sie, wie ein Fettfeuer dieses Ausmaßes überhaupt gelöscht werden kann; immerhin kann man auf einen großen brennenden Fluss nicht einfach Backnatron schütten. Nach Berichten der Feuerwehr von 1969 dauerte es nur etwa 20 min, bis die Feuerwehrleute den Brand eingedämmt hatten. Doch das Feuer begann an einem kleinen Ölteppich, der unter einer Brücke durchschwamm, die ebenso Feuer fing. Die Feuerwehr verwendete Wasser, um die Flammen auf der Brücke und auch auf dem Ölteppich zu löschen. Die Eindämmung des Feuers gelang vermutlich auch deshalb, weil es nur eine begrenzte Menge an Brennstoff gab und weil der Ölteppich losgelöst war, sodass das Feuer nicht irgendwohin springen konnte. Es gibt kaum Aufzeichnungen darüber, wie die Feuerwehr die Flammen im Feuer von 1952 löschen konnte, doch vermutlich verwendete sie einen ähnlichen Ansatz: Isolierung des Ölteppichs, Eindämmung der Flammen auf den Abfällen und dann einfach alles ausbrennen lassen. Tatsächlich wird strategisches Abbrennen immer noch eingesetzt, um Ölteppiche zu „reinigen“. Doch im Gegensatz zu der Brühe auf dem Cuyahoga River sind die Ölteppiche, die im Golf von Mexiko oder sonst irgendwo auftreten, nicht so dick, deshalb kann man sie nur mit höherem Aufwand beseitigen. Es ist ziemlich aufwendig, Öl auf Wasser zu verbrennen, doch es ist einfacher, wenn sich das Öl in einem Teppich sammelt, der ausreichend dick ist, um brennen zu können. Bei wenig Wind und ruhiger See kann der Teppich entzündet und das Feuer kontrolliert werden, bis das Öl verbrannt ist und die Flammen erlöschen. Das US-Militär arbeitet ziemlich hart daran, das zu schaffen, was die in Ohio aus purem Glück zufällig tun konnten. Wir haben also gesehen, dass Feuer auf Wasser großflächig brennen kann, wenn der Brennstoff eine geringere Dichte als Wasser aufweist. Um dies als Waffe zu benutzen, benötigt man etwas, das Erdöl als Grundlage hat, das dick genug ist, um zu verbrennen, und das lange Zeit brennen kann. Einfach Benzin oder Rohöl ins Wasser zu gießen und ein Streichholz fallen zu lassen, würde nicht ausreichen, um die ganze Bucht von Schwarzwasser in Brand zu setzen, also muss Seefeuer dicker sein als Öl allein. Die gute Nachricht dabei ist jedoch, dass es irgendwann wahrscheinlich einfach von selbst ausbrennen wird. Die Militärexperten, die dies lesen, und die wenigen, die im Geschichtsunterricht jüngere Kriege als den Zweiten Weltkrieg durchgenommen haben, wissen wahrscheinlich, worauf ich als Nächstes hinauswill: Napalm. Napalm hat einen wohlverdient schrecklichen Ruf und ist sogar für eine abstrakte Diskussion ein besorgniserregendes Thema.
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Im Gegensatz zum Gemetzel in Game of Thrones sind die Schrecken des Napalm sehr real und könnten unmittelbar Sie selbst oder Ihre Liebsten betreffen. Ich werde mein Bestes tun, über die zugehörige Wissenschaft so zu schreiben, als beziehe sie sich auf Seefeuer, doch wenn Sie so etwas nicht lesen wollen, springen Sie besser gleich zum Abschn. „Farbiges Feuer“.
„Vollkommene“ moderne Brandwaffen Napalm ist ein Kunstwort, das für einen Brennstoff, normalerweise Benzin, steht, der mit einem Verdickungsmittel vermischt wurde. Es gibt mehrere verschiedene Varianten der Substanz, deshalb wird der Begriff so allgemein verwendet, dass man keine einzige chemische Formel dafür angeben kann. Charakteristisch dafür ist, dass es sowohl klebrig als auch langsam brennend ist. Napalm verbrennt bei Temperaturen von 1200 °C, kann nicht abgewaschen werden, und manche Rezepturen können auch unter Wasser brennen. Es wird nicht in seiner Gelform gelagert, sondern meist als Pulver, das bei Bedarf mit Benzin gemischt wird. Seinen Namen erhielt es von den beiden Ausgangsstoffen, die sich zuerst zu einem Sprengstoff verbinden müssen: Naphthensäure aus Rohöl und Palmitinsäure aus Kokosnussöl. Beachten Sie, dass dies Substanzen sind, die auch die Alchemisten von Westeros herstellen konnten. Die verschiedenen Napalmsorten unterscheiden sich vor allem im verwendeten Verdickungsmittel. Es bestimmt, wie das Gel klebt, wie lange es brennt und wie schwer es zu löschen ist. Napalm B, eine der zerstörerischsten Formen von Napalm, wird aus Polystyrol (im Wesentlichen Styropor) vermischt mit Benzin hergestellt. Napalm wurde 1942 von Louis Fieser und E. B. Hershberg erfunden und zum ersten Mal auf dem Fußballplatz am Harvard College getestet (Neer 2015). Die beiden Erfinder wollten damit ursprünglich im Krieg Pflanzen und Gebäude verbrennen und konnten sich nie vorstellen, dass es gegen Menschen eingesetzt werden könnte. Obwohl sie darüber schockiert waren, dass es gegen Menschen verwendet wurde, haben sie sich beide auf den Standpunkt gestellt, sie seien für mit Napalm angerichtete Gräueltaten nicht verantwortlich. Interessanterweise gelang Fieser später eine erfolgreiche Karriere, er entwickelte eine Synthesemethode für das Vitamin K, Blutgerinnungsmittel und Medikamente gegen Malaria. In seiner offiziellen Biografie der National Academy of Sciences wird das Napalm nicht erwähnt. Es ist auch extrem schwierig, Informationen über die Chemie von Napalm zu finden, außer in berüchtigten Quellen wie The Anarchist Cookbook. Nach den Recherchen, die ich im Internet für dieses Buch gemacht habe, habe ich
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mir sicherlich mein eigenes FBI-File verdient. Ich hoffe, Scully ist beeindruckt. Zum Glück ist der mit mir befreundete Militärhistoriker, den ich schon erwähnt habe, als wir in Kap. „Und jetzt beginnt meine Wache“ über die Bergschiffe gesprochen haben (wir wollen ihn Ted nennen), hervorragend darin, versteckte Quellen zu finden. Der Begriff „Napalm“ ähnelt dem Wort „Tempo“ für Papiertaschentücher, er ist zu einem Sammelbegriff für alle gelierten Sprengstoffe geworden. Das Militär verwendet aus offensichtlichen Gründen den Begriff „Brandgel“ dafür. Bei der ursprünglichen Verbindung wurde Benzin mit Naphthensäure und Palmitinsäure vermischt, um es zu verdicken und langsamer brennen zu lassen. Wie wir schon aus Kap. „Harrenhal“ wissen, sind es die Dämpfe, die brennen, nicht der Brennstoff selbst. Für die Verbrennung muss der Brennstoff gasförmig vorliegen. Normale Erdölprodukte sind so brennbar, weil selbst bei Raumtemperatur ausreichend viele Dämpfe vorhanden sind. In seiner Gelform jedoch gibt es nicht genug Dampf für eine Verbrennung. Dadurch wird Napalm stabil und brennt lange. Es war sogar stabil genug, dass die Armee es in 625-Liter-Fässern transportieren konnte. Wie Seefeuer blieb es sehr lange wirkungsvoll, wenn es auch im Laufe der Zeit nicht besser wurde. Dennoch ist es ziemlich beeindruckend, dass es über einen langen Zeitraum seine Zerstörungskraft nicht verlor. Übliches Napalm brennt ungefähr 30 s. In manchen Quellen wird behauptet, dass die Brenndauer über das Mischungsverhältnis von Benzin und Verdickungsmittel gesteuert werden kann. Das kann sehr gut stimmen, doch ich konnte das nicht mithilfe von Primärquellen bestätigen. Neben der längeren Brennzeit erlauben Verdickungsmittel, den Einsatz effektiver zu gestalten. Napalm wurde für verschiedene Arten von Bomben, Landminen und Flammenwerfer verwendet. Letztere wurden dank der dickflüssigeren Substanz deutlich wirkungsvoller, sodass sich die effektive Reichweite von Flammenwerfern verfünffachte. Eine einzige Brandbombe, die von einem tief fliegenden Flugzeug abgeworfen wurde, konnte eine Fläche von ca. 2000 m2 in Brand setzen. Dieses Zeug war kein Witz und unendlich tödlicher als Benzin allein. Vergessen Sie nicht, dass es in diesen zerstörten Bereichen nicht nur brannte, das Feuer klebte und konnte nicht so einfach – oder vor allem nicht mit Wasser – gelöscht werden. In den 1960er-Jahren nahm Dow Chemical Standardnapalm und machte es mit der Entwicklung von Napalm B eine Klasse besser. Wenn Sie an die bekannten Pressefotos von Napalmangriffen denken, dann sehen Sie Napalm B. Die Brennzeiten stiegen von 30 s auf 10 min. oder mehr. Es
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wurde fast ausschließlich als Antipersonenwaffe entwickelt, was eine schrecklich verharmlosende Ausdrucksweise dafür ist, dass es dafür verwendet wurde, Menschen zu verbrennen statt strategische Ziele. Das Verdickungsmittel in Napalm B war nun Polystyrol, außerdem wurde etwas Benzol hinzugefügt. Was entstand, ist heute meist einfach unter dem Namen „Napalm“ bekannt. Die Eigenschaften, die Napalm so tödlich machen, stammen vor allem aus dem Benzinanteil, der zu Feuern der Klasse B führt, außerdem aus seiner dickflüssigen, klebrigen Konsistenz und der Tatsache, dass es langsam verbrennt statt in einer gewaltigen Explosion. Polystyrol und Benzol verstärken diese tödlichen Eigenschaften nur. Polystyrol brennt nicht besonders gut – es wirkt sogar ein wenig feuerhemmend – doch es wird dickflüssiger, wenn es in Benzin gelöst wird und dämpft die Verbrennungsreaktion. Auch Benzol verbrennt langsamer als Benzin, deshalb verlängert es die Brenndauer von Napalm B. Der Ersatz von Naphthensäure und Palmitinsäure durch Benzol und Polystyrol führte zu einer 20-fach verlängerten Brennzeit. Diese bedeutete, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Substanz explodierte, geringer wurde, sodass man problemloser mit ihr umgehen konnte (Cotton 2013). Die Stabilität von Napalm war der Schlüssel zu seinem „Erfolg“ als Waffe. Es ist nicht so gut, eine Waffe zu haben, die dich mit der gleichen Wahrscheinlichkeit verbrennt wie den Feind. Tatsächlich kann es ziemlich schwierig sein, Napalm zu entzünden. Die Entwicklung eines Systems, mit dem man es zum Feind bringen konnte, war fast genauso wichtig wie die des Brennstoffs selbst. Heute sind Napalm-B-Bomben in dünne Aluminiumhüllen gepackt, die sie beim Aufschlag nach dem Abwurf durch ein Flugzeug schützen. Ursprünglich wurde Napalm mit Thermit entzündet, doch das war keine zuverlässige Methode, denn das Thermit selbst lässt sich immer nur schwer entzünden. Heute wird Napalm meistens mithilfe von weißem Phosphor angezündet, der beim Aufschlag in das Gel gespritzt wird. Weißer Phosphor (WP, oder „Willie Pete“, wie er vom amerikanischen Militär genannt wird) ist selbst auch kein Zuckerschlecken – er verursacht schwere Verbrennungen und kann Haut zum Schmelzen bringen – doch er brennt nicht so lange wie Napalm (Pike 1998). Er ist selbstentzündlich und beginnt eine Verbrennungsreaktion, sobald er der Luft ausgesetzt ist, denn seine Zündtemperatur liegt bei etwa 30 °C, doch wenn er brennt, erreicht er Temperaturen von bis zu 2760 °C. Bei der Reaktion entsteht auch sehr viel Rauch, deshalb wurde weißer Phosphor auch oft verwendet, um die Flugbahn der Bombe zu verfolgen, was durch das große Rauchvolumen einfach war. Sein Rauch macht weißen Phosphor sogar noch tödlicher, denn wenn dieser in der Nähe von Menschen verbrannt wird, werden sie durch das Einatmen des Rauchs
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verletzt – wenn sie nicht verbrannt wurden. Wenn die Brandbombe auf ihr Ziel trifft, zerbricht die Aluminiumhülle beim Aufschlag und schleudert das Napalm bis zu 180 m weit, also etwa zwei Fußballfelder der Zerstörung. Der weiße Phosphor wird so eingebaut, dass er in das verspritzende Napalm ausgestoßen wird, sobald die Aluminiumhülle zerbricht, er zündet dann, sobald er der Luft ausgesetzt ist. Das ist erschreckend effizient. Es sieht also so aus, als könnte Napalm ein guter Kandidat für Seefeuer sein, und das ist nicht ganz falsch. Es brennt bestimmt heiß genug und sicherlich auch auf Wasser. Es kann Stein und Stahl zum Schmelzen bringen, und man kann es fast nicht löschen. Doch es gibt drei ernsthafte Probleme dabei. Das erste ist, dass es nicht grün ist, und Seefeuer ist ganz offensichtlich grün. Ich werde in Abschn. „Farbiges Feuer“ darüber sprechen, wie man dies umgehen könnte, doch grundsätzlich hat Napalm nicht die dramatische grüne Farbe, die wir benötigen. Das zweite Problem ist, dass es sehr, sehr stabil ist. Dies ist einer der Gründe, warum es vom Militär so hochgeschätzt wird. Man kann es sicher transportieren, leicht handhaben, und es ist schwierig, es zum Brennen zu bringen. Es wäre unmöglich gewesen, dass Bronn die ganze Bucht von Schwarzwasser mit einem einzigen brennenden Pfeil hätte entzünden können, wenn der Brennstoff Napalm-ähnlich gewesen wäre. Wenn Napalm aber erst einmal brennt, ist es genauso tödlich und gefürchtet wie Seefeuer. Das dritte Problem ist, dass die zerstörerischste Form Napalm B ist. Auch wenn das ursprüngliche Napalm ziemlich vernichtend ist, kommt es nicht gegen sein fiktionales Gegenstück an. Sein größter Nachteil ist, dass es leichter zu löschen ist und dass es viel kürzer brennt als Napalm B. Es wäre deshalb sinnvoll anzunehmen, dass Seefeuer Napalm B ist, doch das ist nicht so einfach. Das Napalm der zweiten Generation besteht aus Polystyrol, das man in der Natur nicht findet. Wir begegnen ihm jeden Tag, doch ich glaube nicht, dass die Boten in Westeros viele Päckchen sehen, die mit Verpackungschips ausgestopft sind. Doch das ist kein K. o.-Kriterium. Das erste Polystyrol wurde 1839 synthetisiert. Diese Zeit war zwar nicht so einfach wie in Westeros, aber auch nicht ganz und gar modern. Ein deutscher Apotheker namens Eduard Simon destillierte ein Harz des Orientalischen Amberbaums und ließ es sich setzen. Als er später zurückkam, fand er, dass es sich zu einem Gel verdickt hatte. Nachdem einige weitere Chemiker mit ähnlichen Produkten und Verfahren experimentiert hatten, wurde das Endprodukt Polystyrol genannt. 1941 erfand Dow Chemical den Styroporprozess und stellte das allgegenwärtige Produkt her, das wir heute kennen. Deshalb gibt es keinen zwingenden Grund, warum die Alchemisten von Westeros nicht Zugang
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zu einer Verbindung haben sollten, die Polystyrol ähnelt. Dann hätten sie sicherlich eine Napalm-B-artige Seefeuer-Verbindung hergestellt – doch die wäre immer noch nicht grün.
Farbiges Feuer Einer der markantesten Aspekte von Seefeuer – sowohl der Substanz selbst als auch der Flammen, die sie hervorruft – ist die grüne Farbe. Wie kann ein Feuer grün sein? Würde Seefeuer dem Napalm oder dem Griechischen Feuer ähneln, würde es bei etwa 1200 °C brennen. Ein Feuer, das so heiß ist, sollte hellorange bis weiß sein. Wenn Sie Fotos von brennendem Napalm gesehen haben, wissen Sie, dass es nicht grün ist – doch könnte etwas dieser Mischung zugesetzt werden, dass sie grün brennt? Ein Aspekt über farbiges Feuer, den ich in Kap. „Harrenhal“ übergangen habe, war, wie es außer über die Temperatur seine Farbe ändern kann. Das werde ich nun nachholen. Heutzutage ist es nicht schwierig, etwas zu finden, das grüne Flammen hervorbringt, man kann alles, angefangen von Geburtstagskerzen bis Tannenzapfen, dazu bringen, in einer ganzen Reihe von Farben zu brennen. Die wissenschaftliche Begründung dafür, wie diese Farben entstehen, unterscheidet sich stark davon, wie Flammen aufgrund verschiedener Temperaturen ihre Farben ändern. Die Farbe kommt nun nicht mehr von der Strahlung eines schwarzen Körpers, sondern ist ein Nebeneffekt davon, was mit Elementen passiert, wenn sie erwärmt werden. Der Bereich der erzeugten Farben wird Emissionsspektrum genannt und ist für jedes Element spezifisch, denn die Farben werden von der Struktur der Atome des Elements verursacht, und es spielt keine Rolle, wie heiß das Element wird und ob es durch eine elektrische Ladung oder durch eine Flamme erhitzt wird. Wenn es heiß wird, strahlt es Licht auf eine eindeutige Art und Weise ab. Halten Sie sich fest, denn für die Erklärung brauchen wir ein bisschen Quantenmechanik. Erinnern Sie sich an das Bild eines Atoms, das Ihnen in der Schule beigebracht wurde? Sie wissen schon, das mit dem Kern in der Mitte und den Ringen von Elektronen, die darum kreisen. Es wird das Bohr’sche Atommodell genannt, und es ist vereinfachend und ziemlich falsch; doch es ist das beste Modell, um das Emissionsspektrum eines Elements zu besprechen. In Abb. 1 sehen Sie die verschiedenen Ringe um den Kern. Elektronen haben bevorzugte Ringe, oder Orbitale, auf denen sie sich gerne herumtreiben.
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Abb. 1 Das Bohr’sche Atommodell. Wenn ein Elektron aus einem höheren Energieniveau auf ein niedrigeres fällt, strahlt es Licht ab. Die Farbe des Lichts hängt davon ab, wie weit es fällt
Wenn jedes Elektron in seinem bevorzugten Orbital sitzt, nennt man das den Grundzustand des Atoms. Aber Elektronen können wortwörtlich herumspringen, nach oben, weiter nach oben, wieder nach unten. Die Quantenmechanik sagt, dass diese Energieniveaus quantisiert sind und dass sich die Elektronen auf einem Orbital oder einem anderen aufhalten müssen, sie können nicht irgendwo dazwischen sein. Wenn man einem Atom ausreichend Energie zuführt, ob nun durch Elektrizität oder Wärme oder irgendetwas anderem, springen die Elektronen in ein höheres Energieniveau. Sie können nicht langsam hinaufgleiten oder sich allmählich dem nächsten Niveau nähern; sie müssen die ganze Strecke springen. Es gibt eine festgelegte Energiedifferenz zwischen jedem Orbital in einem Atom. Damit ein Elektron in ein Orbital mit einer höheren Energie springen kann, muss es mindestens so viel Energie haben. (Vergleichen Sie es mit Schildern in Vergnügungsparks, auf denen steht: „Sie müssen mindestens so groß sein, um mitfahren zu dürfen!“, nur mit Energie statt Körpergröße.) Das Elektron hängt in seinem neuen Energieniveau eine Zeitlang herum und macht sich dann wieder auf den Weg nach unten (normalerweise sagen wir „fällt hinunter“, aber das passt gerade nicht, oder?) in seinen Grundzustand, entweder, indem es ganz dahin zurückkehrt, wo es hergekommen ist, oder indem es über tieferliegende Energieniveaus auf seinen Weg springt. Wenn es nach unten springt, muss die Energie, die es verliert, irgendwohin. Sie wird als Licht abgestrahlt (die Schlangenlinie in der Abbildung). Die Farbe des Lichtes hängt davon ab, wie viel Energie dabei verloren geht. Verschiedene Energieübergänge ergeben verschiedene Farben des Lichts. Geringere Energieübergänge sind eher rot, höhere sind blau. Wenn ein Atom Energie gewinnt, kommt es zu mehreren Energieübergängen, und das Atom kann mehr als eine Lichtfarbe emittieren. Diese Farben werden immer gleich sein – vergessen Sie nicht, Atome können nicht
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in Zwischenenergiezuständen sein, und der Abstand zwischen den einzelnen Energieniveaus ist typisch für jedes Element. Sobald man einmal einem Atom zusätzliche Energie verliehen hat, sind die Zusammenhänge nicht mehr so einfach, wie der letzte Absatz glauben lassen könnte. Jedes Element hat verschiedene Energieniveaus in seinen Atomen, aber diese haben nicht alle den gleichen Abstand. Es sind also unterschiedliche Energiebeträge notwendig, um ein Elektron aus dem ersten in das zweite Orbital springen zu lassen oder vom zweiten in das dritte. Um alles noch schwieriger zu machen, müssen Elektronen nicht ins nächste Orbital springen – sie können je nach zugeführter Energie auch viel höher springen. Wenn sie dann aber zurückfallen, können sie es in mehreren Schritten tun. Stellen Sie sich einen Ball vor, der oben auf einer Treppe fallengelassen wird und von Stufe zu Stufe springt, statt sofort ganz nach unten. All diese Übergänge unterscheiden sich von Element zu Element, deshalb strahlt jedes Element ein charakteristisches Lichtspektrum ab, wenn es zusätzliche Energie erhält. Leuchtstoff- oder Neonröhren sind ein großartiges Beispiel für diesen Effekt. Eine Neonreklametafel besteht aus Röhren, die mit verschiedenen Gasen gefüllt sind (ursprünglich mit Neon), die verschiedene Farben abgeben, wenn Strom durch sie hindurch fließt. Was Sie sehen, wenn Sie auf eine Leuchtstoffröhre blicken, ist eine Mischung der Farben, die von den herumspringenden Elektronen erzeugt werden. Dasselbe passiert, wenn Elemente verbrannt werden, deshalb können Sie erraten, welche Elemente in ein Feuer geworfen wurden, indem Sie sich die Farbe der Flammen ansehen. Diese Methode wird oft in Laboren verwendet, um die Zusammensetzung einer unbekannten Substanz herauszufinden. Mithilfe des passend als Flammentest bezeichneten Verfahrens können Forscher eine Probe verbrennen, sich die Farbe der Flamme notieren und dann ziemlich gut abschätzen, welche Elemente sich in der Probe befinden. Bisher haben wir herausgefunden, dass Seefeuer vermutlich etwas wie Napalm ist, doch das erklärt nicht seine besondere Farbe. Doch Borsäure oder Kupfersulfat könnten es vielleicht. Wir wissen, dass Seefeuer nicht aufgrund seiner Temperatur grün sein kann, doch die Anwesenheit eines chemischen Elements in der Mischung könnte seine kennzeichnende Farbe erklären. Es gibt rund zehn Komponenten, die dazu führen, dass ein Feuer grün brennt, doch Kupfersulfat und Borsäure sind die deutlichsten. Es gibt online eine Unzahl von Anleitungen, die Ihnen verraten, wie man ein Feuer daheim grün einfärben kann, und ich rate Ihnen sehr, einige davon auszuprobieren, wenn Sie jemals eine Game-of-Thrones-Themenparty veranstalten wollen.
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Vor allem eine bestimmte Borverbindung lieben die Menschen im Internet, weil sie so realitätsnahes Seefeuer erzeugt, und vieles spricht dafür. Borsäuretrimethylester verbrennt mit einer wunderschönen grünen Flamme. Es ist aber auch ziemlich schwer zu synthetisieren, ohne dass man sich verletzt, und es kann explosiv sein. Es kann nicht mit Wasser gelöscht werden, aber auch nicht auf Wasser schwimmen, und das ist eines der Kennzeichen von Seefeuer. Trotzdem ist die Liste mit den Gefahren des Stoffes, die das New Jersey Department of Health and Senior Services erstellt hat, ziemlich beeindruckend: Borsäuretrimethylester kann schädlich wirken, wenn es eingeatmet oder über die Haut aufgenommen wird. Bereits bloßer Kontakt kann zu Haut- und Augenreizungen führen. Wenn Borsäuretrimethylester eingeatmet wird, kann es zur Reizung der Nase, Atemwege und Lungen führen. Starke Exposition kann zu Kopfschmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Durchfall, Appetitsverlust und Krämpfen führen. Es kann die Nieren schädigen. Borsäuretrimethylester ist eine BRENNBARE FLÜSSIGKEIT und FEUERGEFÄHRLICH (NIOSH 2014).
Das klingt für mich sehr spaßig! Man kann es auch aus Dingen synthetisieren, die man in der Natur findet, deshalb konnten es die Alchimisten, ohne viel von moderner Chemie zu verstehen, herstellen. Von allen Borverbindungen ist dies diejenige, die in Seefeuer am wahrscheinlichsten vorkommt. Abgesehen davon, dass es nicht auf Wasser brennt, in flüssiger Form farblos ist und bei 816 °C brennt – was nicht annähernd heiß genug ist, irgendetwas der gewünschten Dinge zu schmelzen, außerdem brennt es nicht sehr lange –, haben wir also die magische Verbindung immer noch nicht gefunden. Bei der Behandlung von Drachenfeuer habe ich über hypergolische Brennstoffe gesprochen. Das sind Flüssigkeiten, die keinerlei Flamme für ihre Zündung benötigen; sie fangen schon zu brennen an, wenn man sie mischt. Es ist möglich, dass Seefeuer dazu gehört. Dies würde sicherlich erklären, warum es so vorsichtig behandelt werden muss und warum es so explosiv ist. Diethylzink ist eine hochreaktive, hypergolische Flüssigkeit, die oft als Raketentreibstoff verwendet wird. Sie reagiert heftig mit Wasser und entzündet sich bei Kontakt mit Luft. Sonderbarerweise verwendete die Bibliothek des amerikanischen Kongresses sie einmal beim Versuch, das holzhaltige Papier, das in manchen älteren Büchern der Sammlung zu finden ist, zu entsäuern. Man dachte, die Dämpfe könnten die Säure neutralisieren. (Ich lasse Sie raten, wie es ausging, als man eine hypergolische Flüssigkeit, die mit Luft reagiert, um brennbares Papier strömen ließ.) Diethylzink hat
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einen sehr tiefen Flammpunkt, nur wenige Grade über Raumtemperatur, und vergessen Sie nicht: Es ist der Dampf, der zu brennen beginnt, nicht die Flüssigkeit. Bei so viel Dampf ist das nichts weniger als eine Explosion, die darauf wartet loszugehen. Ihre Flammen sind blau statt grün, doch sind damit die gleichen Probleme verbunden wie mit Borsäuretrimethylester. Es ist also möglich, dass Seefeuer hypergolische Eigenschaften aufweist, doch es gibt derzeit keine bekannten hypergolischen Flüssigkeiten, die alle Eigenschaften von Seefeuer haben.
Griechisches Feuer Sie werden mich wahrscheinlich inzwischen anschreiben wollen und fragen, warum ich immer noch nicht über Griechisches Feuer gesprochen habe, dem offensichtlichen Vorläufer des Seefeuers. Ich habe dies zurückgestellt, weil ich zuerst darüber sprechen wollte, was Chemiker tatsächlich wissen, und nicht über griechische Legenden. Aber wie erwartet komme ich nun doch zum Griechischen Feuer. Für alle, die mich noch nicht innerlich verflucht haben, weil sie so lange darauf warten mussten, bis wir auf diesen Punkt gekommen sind, kommt hier eine kurze Geschichte darüber, was Griechisches Feuer ist und warum es für diese Diskussion so wichtig ist. Das Griechische Feuer wurde nicht bei den Griechen, sondern im Byzantinischen Reich, das auch das Oströmische Reich genannt wird, verwendet. Hier gelang es, mithilfe des Griechischen Feuers das Weströmische Reich um etwa 1000 Jahre zu überleben. Die Byzantiner nannten es nie „Griechisches Feuer“, sondern eher See-Feuer, flüssiges Feuer oder römisches Feuer. Der Name wird vermutlich seinem Erfinder, Kallinikos, einem Flüchtling aus Syrien, dem heutigen Libanon, zugeschrieben, den man schon in frühen byzantinischen Aufzeichnungen als Griechen bezeichnete. Griechisches Feuer hatte abgesehen von der Farbe dieselben Eigenschaften wie das fiktionale Seefeuer; es gibt keine Aufzeichnungen darüber, dass Griechisches Feuer grün gewesen sei. Seine Hauptmerkmale waren, dass es auf Wasser brannte, die Tatsache, dass man es nur mit Essig oder Sand löschen konnte, und die Art, wie es angewandt wurde, nämlich mit einer Art Flammenwerfer. Wenn es um Griechisches Feuer geht, ist es sehr schwierig, Dichtung und Wahrheit zu trennen, doch ich werde mir alle Mühe geben. Wie Griechisches Feuer hergestellt und eingesetzt wurde, war ein Staatsgeheimnis und ist über die Jahrhunderte verloren gegangen, doch zum Glück für uns gibt es Textfragmente, die überlebt haben und ein Licht
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auf seine Verwendung als Waffe werfen. Pech nur, dass diese Quellen sich aus wissenschaftlicher Sicht etwas widersprechen. Es gibt eine Handvoll Historiker und Chemiker, die die chemische Zusammensetzung und die Anwendung von Griechischem Feuer erforscht haben, indem sie überlieferte Texte und Artefakte wie Steintöpfe untersucht haben. Woran keiner zweifelt, ist die Tatsache, dass das Griechische Feuer allein es geschafft hat, das Blatt in den arabisch-byzantinischen Kriegen zu wenden. Es tauchte zum ersten Mal um 627 n. Chr. auf, wo die Situation fast genauso verzweifelt war wie die bei der Schlacht am Schwarzwasser, nur dass sie etwas länger gedauert hat. Die Stadt Konstantinopel war zwei Jahre lang von der arabischen Flotte belagert worden. Die arabischen Streitkräfte hatten bis dahin ein beträchtliches Stück des byzantinischen Reiches erobert und zielten nun auf die Hauptstadt. Zum Glück hatten die Konstantinopler ihren eigenen Tyrion in Form von Kallinikos. Alle Quellen stimmen darin überein, dass er es war, der den Byzantinern das „flüssige Feuer“ brachte. Manche vertreten die Ansicht, er habe es nicht erfunden, sondern nur aus Syrien mitgebracht. Doch wenn man sieht, wie die arabische Armee mithilfe dieser Technologie geschlagen wurde, kann man annehmen, dass sie es selbst nicht hatten. Kallinikos erschuf einen tödlichen Brennstoff und ein System, mit dem man ihn anwenden konnte, das sogenannte Siphon, das ihn zu einem Flottenzerstörer machte. Ausgestattet mit dieser neuen Waffe brach Konstantin IV die zweijährige Belagerung, und sie wurde zur Legende. George R. R. Martin hätte sie selbst nicht besser schreiben können; eigentlich glaube ich, dass die Geschichte diese Szene extra für ihn geschrieben hat. Welcher Zauber verwandelte die byzantinische Flotte in die gefürchtetste ihrer Zeit? Was hat dieser Alchemist Kallinikos geschaffen? Die wichtigste Arbeit zu diesem Thema ist A History of Greek Fire and Gunpowder von J. R. Partington (Partington 1960). Dieses großartige Buch spürt der Geschichte und der Chemie von Brandwaffen im Laufe der Jahrhunderte nach. Partington war ein Chemiker und Historiker, und das Buch nähert sich dem Thema durch die Linsen beider Disziplinen. Bert S. Hall, der die Einleitung geschrieben hat, war der Ansicht, dass das Buch die Geschichte nicht gut genug erzähle und sich zu stark auf die Chemie konzentriere. Doch mir als Wissenschaftlerin war die Geschichte nicht so wichtig, ich wollte mehr Chemie, also muss er einen ganz guten Mittelweg gefunden haben. Alex Roland hat einen Artikel geschrieben, der sich vor allem damit beschäftigt, wie Griechisches Feuer gemacht wurde und welche Geheimhaltung damit verbunden war. Dabei wies er auf einen bemerkenswerten Punkt bezüglich des Unterschieds von Technik und Technologie hin, der interessant und wert
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ist, noch einmal hervorgehoben zu werden, denn er scheint immer noch richtig zu sein (Roland 1992). Technik wird verwendet, um ein Problem zu lösen, und technische Fortschritte werden veröffentlicht und auf der ganzen Welt geteilt. Technologie dagegen ist von Natur aus etwas Geheimes, und die Ergebnisse jedes technologischen Fortschritts sollten um jeden Preis verborgen bleiben, sodass nur diejenigen Vorteile davon haben, die die Fortschritte erzielt haben. Techniken werden in Zeitschriften veröffentlicht, für Technologien werden Patente erteilt. Griechisches Feuer war durch und durch eine Kriegstechnologie. Man sollte sich das Griechische Feuer nicht nur als brennbare Verbindung, sondern als ganzes Waffensystem vorstellen. In der Schlacht am Schwarzwasser wurde das Seefeuer sehr einfach zum Einsatz gebracht: Man schüttete den Brennstoff ins Wasser und zündete ihn mit einem brennenden Pfeil an. Das Griechische Feuer war nicht so einfach zu handhaben, man musste ein System konstruieren, um es anzuzünden und um den Brennstoff mit einem Flammenwerfer zu verschießen; und weil die Angriffe von Schiffen ausgingen, musste das System zudem stabil genug sein, dass es nicht das eigene Schiff unabsichtlich in Brand setzte. Es gibt die Theorie, dass keine einzelne Person oder Gruppe alle Schritte kannte, um das Griechische Feuer herzustellen, sodass das Geheimnis darum bewahrt werden konnte. Die Leute, die einen Siphon bauen konnten, waren nicht in der Lage, damit umzugehen, während diejenigen, die den eigentlichen Brennstoff herstellten, keine Ahnung hatten, wie er eingesetzt wurde usw. Die Zusammensetzung des Griechischen Feuers veränderte sich im Laufe der Jahre, angefangen bei seinem Debut bei der Belagerung von Konstantinopel bis zum Fall des Byzantinischen Reiches. Es gibt heftige Diskussionen um seine Zusammensetzung, wobei ein Streitpunkt ist, ob auch Salpeter verwendet wurde. Partington, der sich immer um Vorurteilslosigkeit bemüht und viele Quellen erforscht hat, ist überzeugt davon, dass Salpeter – der Hauptbestandteil von Schwarzpulver – im Griechischen Feuer keine Rolle spielte. Doch steht er mit dieser Ansicht allein da; fast alle anderen glauben, dass es enthalten sein musste. Augenzeugenberichten zufolge machte Griechisches Feuer ein Geräusch wie Donner und war von Rauch begleitet; beides Kennzeichen von Schwarzpulver; doch allgemein glaubt man, dass Schwarzpulver erst im 9. Jahrhundert in China erfunden wurde. Salpeter, oder Kaliumnitrat, ist in der Natur leicht zu finden; es stellt den Schlüssel zu modernen Sprengstoffen dar. Das Molekül verfügt über drei Sauerstoffatome, die es sehr gerne abgibt. Damit ein Feuer brennt, benötigt man Sauerstoff, aber viele Brennstoffe erhalten den Sauerstoff nur an ihrer Oberfläche – das reicht nicht für eine zufriedenstellende Explosion. Wenn man Salpeter als Oxidationsmittel
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dazu mischt, steht dem Brennstoff sofort Sauerstoff zur Verfügung, sodass er sich entzünden kann, sobald er erwärmt wird. Das war der entscheidende Schritt für die Erzeugung von Schwarzpulver und – so denken viele – für die Explosivkraft, den Rauch und das Geräusch beim Griechischen Feuer. Mit Ausnahme von Partington stimmen alle Chemiehistoriker darin überein, dass es eine Art von Oxidationsmittel in Griechischem Feuer gegeben haben muss. Angesichts der Tatsache, dass Salpeter überall zur Verfügung steht und weil es so effektiv ist, ist es der naheliegendste Verdächtige. Aus Partingtons Perspektive ist das Hauptargument dagegen, dass es bis 1000 n. Chr. in Asien in keiner Zivilisation irgendwelche Aufzeichnungen darüber gibt und dass man es auch nicht unbedingt benötigte, um effektives Griechisches Feuer herzustellen. Das Studium der Literatur weist darauf hin, dass die Forscher darin übereinstimmen, anderer Meinung zu sein – keiner denkt wie Partington. Abgesehen vom Salpeter gibt es mehrere Zutaten, bei denen alle übereinstimmen, dass sie im Griechischen Feuer enthalten waren: Benzin, Pinienteer oder Harz und Schwefel. Manche meinen auch, dass auch ungelöschter Kalk enthalten war, der in Wasser zu brennen beginnt, doch Partington argumentiert, dass die Eigenschaften von ungelöschtem Kalk nichts Neues waren und dass er nicht notwendig gewesen sei, um Flammen zu erzeugen. Eine Historikerin, Anna Komnena, schrieb um 1100 n. Chr. über die Zusammensetzung von Griechischem Feuer, und sie erwähnte ungelöschten Kalk auch nicht. Sie behauptete, das Material sei aus Benzin, Pinienharz und Schwefel hergestellt worden, und Partington schließt daraus, dass diese drei ausreichend für das tödliche Feuer gewesen seien. Das Benzin diente als Brennstoff und brannte auf dem Wasser, das Pinienharz fungierte als Verdickungsmittel, und der Schwefel half dabei, alles im Wasser zu entzünden. Kallinikos hatte 1300 Jahre, bevor Dow Chemikal auf die Idee kam, etwas erschaffen, das dem Napalm sehr, sehr ähnlich war. Manchen Berichten zufolge sei Naphtha, eine destillierte Version von Benzin, statt einfachem Benzin verwendet worden. Tatsächlich besteht ein großer Unterschied darin, dass Napalm schwer zu entzünden ist, während man Griechisches Feuer offensichtlich mit normalen Fackeln anzünden konnte. Die Zusammensetzung des Brennstoffs war nicht das einzig Wichtige an dieser Kriegstechnologie. Man musste die Mischung auch effektiv einsetzen können. Hier weicht die Erzählung von George R. R. Martins deutlich von den historischen Berichten ab. Die Byzantiner schufen eine Vorrichtung, den sogenannten Siphon, der den Brennstoff erhitzte und unter Druck setzte, bevor er aus den Röhren auf die feindlichen Schiffe geblasen wurde. An der Spitze der Röhre brannte wohl eine kleine Flamme,
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die den Brennstoff zündete, wenn er vorbeikam. Das moderne Äquivalent wäre es, Napalm in einen Schnellkochtopf zu füllen, an dem ein Ventil, ein Rohr und eine Düse mit einer Kerze am Ende befestigt sind. Der Inhalt wurde mithilfe von Wärme und einem Blasebalg unter Druck gesetzt. Die Wärme erhöhte nicht nur den Druck, sondern half auch, dass sich das Harz im Benzin löste. Sobald der Druck in der Mixtur hoch genug war, wurde das Ventil geöffnet, und der Druck presste den Brennstoff aus dem Ende, sodass ein Flammenwerfer entstand. Die Düsen waren wohl schwenkbar, sodass das brennende Material in jede Richtung verschossen werden konnte. Ich bin selbst ein Fan von Schnellkochtöpfen, aber obwohl ich weiß, dass es irrational ist, bin ich immer ein wenig nervös, wenn ich eine unter Hochdruck stehende Reisbombe in meiner Küche stehen habe. Ich möchte mir die Gefahr, die von unter Druck stehendem Napalm in einem einfachen Bronzetopf auf einem hölzernen Schiff ausgeht, gar nicht vorstellen. Die Byzantiner schienen aber mehr Erfolg als Misserfolg gehabt zu haben: Es gibt keine Aufzeichnungen darüber, dass ein Schiff Feuer fing, weil ein Siphonsystem nach hinten losging. Allerdings sollte man auch daran denken, dass die Menschen ihre Fehler normalerweise nicht aufschreiben. Man kann wohl davon ausgehen, dass die Erfolgsrate des Systems nicht bei 100 % lag, doch es war effektiv genug, um das Gesicht der Seekriegsführung zu verändern. Ob nun Seefeuer dasselbe ist wie Griechisches Feuer oder nicht, man kann leicht den Schluss ziehen, dass George R. R. Martin wollte, dass dem so ist. Doch die Farbe ist immer noch ein Problem. Von den wahrscheinlichen Komponenten – Benzin, Schwefel, Pinienharz, Salpeter und vielleicht ungelöschter Kalk – verbrennt keine grün. Jedoch brennen sowohl Schwefel als auch Salpeter mit einer blauen Flamme und Benzin und Naphtha gelblich-orange, deshalb brannte das Griechische Feuer sehr wahrscheinlich mit einem bläulichen Farbton. Dazu gibt es zwei Betrachtungsweisen: Entweder enthielt Seefeuer eine zusätzliche Komponente, sehr wahrscheinlich eine Borverbindung, oder George R. R. Martin hätte Seefeuer als eindeutig blau darstellen sollen. Aus einer erzählerischen Perspektive heraus verstehe ich, warum er sich für Grün statt für Blau entschied – wir alle kennen blaue Flammen, etwa von einem Bunsenbrenner oder einer sehr heißen Kerze, aber grüne Flammen haben wir nur sehr selten gesehen. Dadurch trägt die grüne Farbe zum dramatischen Effekt bei; dennoch steht sie einer gründlichen wissenschaftlichen Erklärung im Weg. Brandwaffen haben bei mehreren Gelegenheiten das Blatt im Krieg gewendet. Ihr Einsatz verhinderte den Fall von Konstantinopel beim Ansturm der arabischen Heere und half dem byzantinischen Reich, nach
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dem Fall von Rom weitere 1000 Jahre zu überleben. Als Gegenreaktion auf die Verwüstungen, die sie verursachten, führten sie zum Rückzug des US-Militärs aus Vietnam. Und im Westeros von Georges R. R. Martins halfen sie Joffrey wohl oder übel, auf dem Thron zu bleiben. Es ist mehr als plausibel, dass ein Feuer in der Lage sein kann, solche Verwüstungen anzurichten, wie wir sie von Seefeuern kennen. Es gibt in der Geschichte mehrere Belege, dass derartige Materialien hergestellt wurden. Das Griechische Feuer ist, auch wenn es in der Zeit verloren ging, bei Weitem das naheliegendste. Der entscheidende Unterschied zwischen ihm und Napalm B ist, dass man es so leicht entzünden konnte. Sein großer Nachteil ist, dass man im Endeffekt eine unter Druck stehende, mit Napalm gefüllte Bombe auf seinem eigenen Schiff transportieren musste. Die Strategie, die Tyrion in der Schlacht am Schwarzwasser anwandte, war jedoch plausibler, denn Bronn konnte den Brennstoff leicht mit einem Pfeil anzünden. Napalm B scheint in viel engerem Zusammenhang mit den mythischen Eigenschaften von Seefeuer zu stehen, die im Buch beschrieben sind, kann aber nicht so leicht entzündet werden wie Griechisches Feuer. Beides sind Verbindungen, die die Alchimisten von Westeros hätten erschaffen können, auch wenn Napalm B etwas fernliegender ist. Es ist möglich, dass Bor oder ein anderes Element dem Griechischen Feuer oder dem Napalm zugegeben wurde, um die furchterregende grüne Farbe zu erzeugen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass man so etwas machte, um den Feind zu erschrecken. Was ich interessant finde, ist, dass die Schlacht am Schwarzwasser nicht durch das Seefeuer gewonnen wurde, sondern durch Tyrions Strategie. Er hätte dieselbe Taktik mit einem Erdölprodukt, einem leeren Schiff und Bronns Pfeil durchziehen können. Das Seefeuer war eigentlich zweitrangig. Es war eine spektakuläre Show, doch wie der Cuyahoga River uns gezeigt hat, können viele Dinge großflächig auf Wasser brennen. Auch wenn die Legende immer behaupten wird, es sei das Seefeuer gewesen, das die Schlacht entschieden hat, war es in Wirklichkeit der trinkende Tyrion, der genug wusste. Eine Nebenbemerkung: Ich habe sowohl Global Entry als auch TSA-PreCheck-Mitgliedschaften (Anm. des Übers.: TSA: Trans portation Security Administration, deutsch Transportsicherheitsbehörde, amerikanische Bundesbehörde des Ministeriums für Innere Sicherheit), und ich bin an Flughäfen niemals herausgeholt worden, um intensiv durchsucht zu werden, bis ich begonnen habe, dieses Kapitel zu schreiben. Suchen Sie deshalb nicht nach „Wie stelle ich Napalm her?“, wenn Sie keine Probleme mit der TSA bekommen wollen.
Die Schlacht am Schwarzwasser 213
Literatur Cotton, S (2013) „Napalm,“ November 13, 2013, in Chemistry in Its Element, produced by the Royal Society of Chemistry, podcast, MP3 audio, 5:39. https:// www.chemistryworld.com/podcasts/napalm/6784.article; Darion Fontaine, “The Chemistry of Napalm,” Chemistry Is Life. http://www.chemistryislife.com/thechemistry-of-napalm Latson, J (2015) „The burning river that started a revolution,“ Time, June 22, 2015, http://time.com/3921976/cuyahoga-fire/ National Institute for Occupational Safety and Health (NIOSH) (2014) „Trimethyl Borate,“ Centers for Disease Control and Prevention, July 1, 2014. https:// web.archive.org/web/20170614234300/https://www.cdc.gov/niosh/ipcsneng/ neng0593.html Neer RM (2015) Napalm: an American biography. Harvard University Press, Cambridge Partington JR (1960) A history of Greek fire and gunpowder. W. Heffer & Sons, Cambridge Pike, J (1998) “M15 White Phosphorus Grenade,” FAS Military Analysis Network, September 12, 1998, https://fas.org/man/dod-101/sys/land/m15.htm. Neer, Napalm Roland A (1992) Secrecy, technology, and war: Greek fire and the defense of byzantium, 678–1204. Technol Cult 33(4):655. https://doi.org/10.2307/3106585
Die Häuser Targaryen und Lennister Die Genetik eines Stammbaums mit wenigen Zweigen
Der Samen ist stark. – Jon Arryn, Game of Thrones
Ist es nicht lustig, wie sich die Reaktion der Fans von Game of Thrones auf den gezeigten Inzest ändert? In der 1. Staffel sagen noch alle: „Igitt!“, doch bis zur 7. Staffel hat sich das zu „Juhu, endlich kommen sie zusammen!“ verändert. Aber auch wenn sich die Einstellung der Fans bezüglich des Inzests verändert haben mag, sind die Konsequenzen davon gleich geblieben. In Westeros kommt Inzest scheinbar ziemlich oft vor. Jaime und Cersei Lennister hatten drei Kinder, zwei davon stellten sich als ziemlich okay heraus und eines davon, na ja… nicht so sehr. Erbte Joffrey den Wahnsinn von seiner Mutter, die zweifellos bei gesundem Verstand war; oder war er ein Nebeneffekt seines Vaters, der auch sein Onkel war? Angesichts der Tatsache, dass es für die derzeitigen Einwohner von Königsmund eine ziemlich große Sache war, dass sein Vater auch sein Onkel war, können wir davon ausgehen, dass so etwas nicht üblich war. Die Targaryens hatten dagegen keinerlei Problem damit, ihre Geschwister zu heiraten. Es gibt klare Hinweise darauf, dass die Inzucht bei den Targaryens der Grund für die Geisteskrankheit des Irren Königs war. Aber ist das wissenschaftlich richtig? Können Generationen von Inzucht zu verrückten Nachkommen führen? Inzucht ist in königlichen Familien nichts Neues oder etwas, das nur in Geschichten vorkommt; viele von uns haben im Geschichtsunterricht etwas über die Habsburger oder die Pharaonen gelernt. Es gibt bei königlichen Familien aus dem wirklichen Leben Beispiele dafür, welche Probleme durch Inzucht entstehen können, von Bluterkrankheit bis Kieferdeformationen. © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 R. C. Thompson, Wissenschaft meets Game of Thrones, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61419-8_12
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Die mit Inzest verbundenen Tabus sind heute so stark, dass viele Menschen sich nur ungern oder gar nicht mit der Wissenschaft beschäftigen wollen, die sich damit befasst, warum es eine keine gute Idee ist, mit seiner Schwester Kinder zu haben. Das Hingezogensein spielt ganz klar eine Rolle beim Inzest in Game of Thrones. Viele Menschen (oder die meisten?) können nicht verstehen, wie sich Bruder und Schwester zueinander hingezogen fühlen können. Doch das wirft die Frage auf, warum genau man seine Geschwister nicht für attraktiv hält. Als Wissenschaftlerin fand ich die Antworten ziemlich interessant. Ich hoffe, Sie können ihre Abneigung, sich Inzest vorzustellen, lange genug beiseitelegen, dass Sie Spaß daran haben zu erfahren, warum Sie überhaupt so fühlen.
Wie funktionieren Gene? Ich habe blonde Haare und blaue Augen. Sie könnten raten, dass meine Mutter oder mein Vater oder beide ebenfalls blondes Haar und blaue Augen hatten. So funktioniert die Genetik – man sieht wie die Eltern aus. Ihre Mutmaßung wäre aber falsch. Mein Vater hat blaue Augen und dunkles Haar. Die Augen meiner Mutter sind haselnussbraun, und ich bin nicht sicher, ob sie sich überhaupt daran erinnert, welche Haarfarbe sie ursprünglich hatte, aber es war sicher nicht blond. Genetik ist viel komplizierter, als dass man nur wie seine Eltern aussieht. Sie können manche Eigenschaften erben, andere dagegen nicht; manche sind dominant, andere rezessiv, und manche sind mit dem Geschlecht verbunden. 1856 beschloss der Mönch Gregor Mendel, ein wenig mehr darüber herausfinden zu wollen, wie Vererbung funktioniert. Es folgt eine einfache Version dessen, was Sie hoffentlich in der Schule gelernt haben. Ich behandle es noch einmal, weil dieses Modell eine ziemlich gute Möglichkeit bietet, sich anzusehen, was mit Joffrey passiert sein könnte. Ursprünglich führte Mendel seine Experimente mit Ratten durch, doch der Bischof fand, dass solche Experimente für ein Kloster unschicklich seien. Deshalb verlegte sich Mendel auf Pflanzen, also Organismen, die sich durch sexuelle Vermehrung ausbreiteten, aber durch ein bisschen weniger plastische sexuelle Vermehrung. (Es gibt nicht viele Pflanzenpornos auf dem Markt.) Damals konnte man etwas kaufen, was man „reinerbige“ Samen nannte, die zuverlässig Erbsenpflanzen mit bestimmten Eigenschaften hervorbrachten. Wenn Sie zum Beispiel reinerbige Samen für hochwachsende Erbsen kaufen, werden die entstehenden Erbsenpflanzen auch hochwachsend sein, unabhängig davon, wie viele Generationen Sie züchten.
Die Häuser Targaryen und Lennister 217
Mendel wählte sieben verschiedene Merkmale, für die er reinerbige Samen bekommen konnte: Samenform, Blütenfarbe, Farbton der Samenschale, Schotenform, Farbe der unreifen Schote, Stelle des Blütenansatzes und Pflanzenhöhe. Er wollte herausfinden, was passiert, wenn er die Pflanzen sorgfältig auf wissenschaftliche Art und Weise kreuzte. Seine ursprüngliche Idee war, dass, wenn er hohe Erbsenpflanzen mit kürzeren kreuzte, eine Wuchshöhe in der Mitte herauskommen sollte, doch das ist ganz und gar nicht das, was Mendel herausbekam. Wenn er hohe Pflanzen mit niedrigen kreuzte, erhielt er ausschließlich hohe Pflanzen. Er stellte die Theorie auf, dass sich die Merkmale nicht vermischten, sondern dass das hochwüchsige Merkmal „dominant“ sei. Dann versuchte er herauszufinden, was passierte, wenn er die erzeugten hohen Erbsenpflanzen miteinander kreuzte. Ohne zu wissen, wie die Eltern der Pflanzen aussahen, würde man annehmen, dass die Kinderpflanzen alle groß sein würden. Doch auch das war nicht, was er fand – in der zweiten Generation dieser Pflanzen waren wie erwartet dreiviertel groß, aber ein Viertel war klein. Als er dann die kurzen Pflanzen mit anderen kurzen Pflanzen kreuzte, kamen kurze Pflanzen heraus, doch wenn er die hohen Pflanzen der zweiten Generation miteinander kreuzte, kamen wieder einige kurze dabei heraus. Entsprechendes beobachte er an jedem der sieben Merkmale. Eines der Merkmale war dominant, und das andere war verborgen, wurde aber auf die nächste Generation übertragen. Das Merkmal – Höhe, Farbe usw. – wurde schließlich Gen genannt; und die Eigenschaft oder der Typ dieses Gens – groß, kurz, violette Blüte, weiße Blüte usw. – bekam schließlich den Namen Allel. Mendel stellte die Theorie auf, dass die Keimzellen, also die Zellen, die für die geschlechtliche Reproduktion verantwortlich waren, alle ein Allel haben. Eine Samenzelle z. B. wird entweder ein Allel für hochwachsend oder ein Allel für klein enthalten, aber nicht beides. Wenn die Keimzellen zusammenkommen, wird die entstehende Pflanze beide Allele besitzen, eines von jeder Elternpflanze. Wie die neue Pflanze dann aussah, wurde Phänotyp genannt, und die Alleltypen, die sie besaß, hießen Erbgut. Eine Pflanze mit zwei verschiedenen Allelen, wie eine hochwüchsige Pflanze, die auch das kurze Allel in sich trug, nannte man mischerbig (heterozygot), und eine Pflanze, deren Allele alle gleich sind, nannte man reinerbig (homozygot). Mendels Werk wurde bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts nicht als das anerkannt, was es war. Die Begriffe „Gene“ und „Allele“ wurden sogar erst nach Mendels Zeit geprägt, doch heute sind sie der Standard bei Diskussionen über Mendels Vererbungslehre. Es gibt verschiedene Meinungen darüber, wer Mendels Arbeiten „wiederentdeckt“ (und in einem Fall nicht gewürdigt) hat, doch diese Wiederentdeckung war die Geburtsstunde der modernen Genetik.
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Gesetze scheinen in der Wissenschaft immer zu dritt zu kommen, und hier gibt es keine Ausnahme. Das erste ist die Spaltungsregel, sie sagt, dass, wenn Keimzellen gebildet werden, alle Allele jedes Gens geteilt werden, wobei jeweils nur eine Hälfte in jede Keimzelle gelangt. Jede Keimzelle besitzt nur ein Allel für jedes Gen. Die Keimzelle einer Pflanze kann also, sagen wir, nicht sowohl Allele für niedrigen als auch den hohen Wuchs, aber dafür alle Allele für die Blütenfarbe haben. Das zweite Gesetz ist die Unabhängigkeitsregel, die zum Ausdruck bringt, dass Gene unabhängig voneinander sind. Die Gene für die Höhe haben nichts mit den Genen für die Farbe oder für die Schotenform zu tun. Diese Regel ist etwas unklar, denn es gibt durchaus Gene, die tendenziell miteinander verbunden und zusammen vererbt werden. Doch die Merkmale, die Mendel herausgesucht hatte, hingen nicht zusammen, deshalb griff hier die Unabhängigkeitsregel. Das dritte Gesetz ist die Uniformitätsregel, die besagt, dass ein Allel dominant ist und dass, wenn dieses Allel vorhanden ist, es sich im Phänotyp ausdrücken wird. Ganz ähnlich wie die drei Newton’schen Gesetze der Bewegung einen großen Teil der Physik im Alltag beschreiben, beschreiben die Mendel’schen Vererbungsgesetze die Grundlagen der Genetik, zumindest ausreichend genau, um eine ziemlich gute Vorstellung davon zu vermitteln, wie diese im Allgemeinen funktionieren. Und genau wie bei den Newton’schen Gesetzen wurde auf ihnen aufgebaut und ihnen widersprochen, wobei Wissenschaftler bei weiteren Forschungen Ausnahmen von den Regeln gefunden haben. Das Ziel dieses Kapitels ist jedoch zu verstehen, was passiert, wenn man sich mit einem sehr nahen Verwandten fortpflanzt, deshalb sind grundlegende Kenntnisse der Mendel’schen Vererbungslehre vollkommen ausreichend. Wenn man mithilfe der Mendel’schen Vererbungsprinzipien die statistische Wahrscheinlichkeit des Geno- und -Phänotypen eines Nachkommen herausfinden will, kann es etwas schwierig sein, dies im Kopf zu versuchen. Hier kommt Reginald Punnett ins Spiel. Punnett arbeitete mit den Genetikern zusammen, die Mendels Werk wiederentdeckt und weiterentwickelt haben. Er erkannte, dass der einfachste Weg, sich die komplizierten Prozentsätze anzusehen, die durch die Mendel’schen Gesetzen auftraten, eine optische Darstellung ist, die als Punnett-Quadrat bekannt wurde. Bestimmt haben viele von Ihnen diese Art von Rätsel im Biologieunterricht gelöst. In einem Punnett-Quadrat kommen die Genotypen des Vaters in die oberen Kästchen und die Genotypen der Mutter in die Kästchen auf der Seite. Die Kästchen in der Mitte werden dann so gefüllt, dass sie zeigen, was passieren würde, wenn die Keimzellen diese spezifischen Allele hätten. Es ist schwierig mit Worten zu beschreiben, was genau es ist, was Punnett herausgefunden hat, und warum es diese Quadrate gibt. Tab. 1
Die Häuser Targaryen und Lennister 219 Tab. 1 Punnett-Quadrat für die Blütenfarbe einer Erbsenpflanze mit mischerbigen Eltern B b
B BB (violett) Bb (violett)
b Bb (violett) bb (weiß)
zeigt ein Punnett-Quadrat für die Blütenfarben einer Erbsenpflanze, wenn beide Eltern mischerbig sind. Sie sehen, dass die Wahrscheinlichkeit für die Nachkommen, die dominierenden Allele für violette Blüten zu erben, 75 % beträgt, während die für Allele für weiße Blüten nur 25 % beträgt. Dies entspricht genau der Statistik, die Mendel beobachtet hat. Nach den Mendel’schen Gesetzen sind Gene unabhängig voneinander, deshalb ist es möglich, noch größere Punnett-Quadrate für mehr als ein Gen auf einmal aufzustellen. Ein Punnett-Quadrat zeigt nicht nur den Phänotyp, sondern auch den Genotyp. Wenn Sie wissen wollen, was in nachfolgenden Generationen geschieht, können Sie alle Genotypen aus einem Quadrat nehmen und mit der nächsten Generation weitermachen. Alle Mendel’schen Gesetze können in ordentlichen Kästchen nach Punnett zusammengefasst werden.
Wie Merkmale weitergegeben werden Mendel fand die statistischen Zusammenhänge, die bestimmen, welche Eigenschaften vererbt werden, doch er sagte nichts darüber, wie diese Eigenschaften vererbt werden. Die Begriffe „dominant“ und „rezessiv“ setzten sich im allgemeinen Sprachgebrauch durch; und die Statistik konnte verwendet werden, die Eigenschaften vorherzusagen, die Nachkommen wahrscheinlich haben werden, zumindest für einige wichtige Merkmale; doch niemand kannte damals den Mechanismus, über den diese Merkmale weitergegeben wurden. Bis Mitte des 20. Jahrhunderts versuchten viele Wissenschaftler die Rolle der DNA bei der sexuellen Fortpflanzung und der Vererbung zu verstehen. 1953 machten James Watson und Francis Crick eine erstaunliche Entdeckung: die Daten von Rosalind Franklin! (Ich weiß, dieser Witz wurde im Internet schon oft gemacht, aber ich musste ihn hier bringen.) Zumindest ist das die Geschichte, die wir alle gehört haben. In Wirklichkeit war die Suche nach einem Mechanismus, durch den Merkmale weitergegeben werden, etwas komplizierter, als man uns glauben machen möchte.
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Es stimmt, Franklin, Crick und Watson zogen die Daten heran und schlugen ein Modell für die Struktur der DNA vor und verhalfen uns so zu Einsichten über ihre Funktionsweise, doch die wichtigere Frage ist: Warum interessierte das jemanden? Wir finden die ganze Zeit etwas über molekulare Strukturen heraus. Was macht dieses Molekül so besonders? DNA (deoxyribonucleic acid; deutsch: DNS, Desoxyribonukleinsäure) wurde zum ersten Mal 1869 vom Schweizer Mediziner Friedrich Miescher isoliert, während er versuchte, Proteine in Eiter in Verbänden zu klassifizieren. Er fand etwas, das kein Protein war, sondern eher eine Säure, die im Kern von weißen Blutkörperchen untergebracht war, und nannte sie ein „Nuklein“. Nach 20 Jahren Forschung (1909–1929) fand Phoebus Levene, der Leiter des biochemischen Labors am Rockefeller Institute of Medical Research in New York, heraus, woraus das Molekül bestand, obwohl er annahm, dass es viel, viel kleiner sei, als es tatsächlich ist. William Astbury war dann der Erste, dem es gelang, Bilder der DNA aufzunehmen, die zeigten, dass das Molekül ein regelmäßiges Muster hatte, doch nicht genau, welches. Bis 1937 hatten Wissenschaftler also herausgefunden, dass der Zellkern ein Säuremolekül enthielt, woraus dieses Molekül bestand und dass es regelmäßig aufgebaut war, doch nichts wies darauf hin, welchen Zweck dieses Molekül hatte. Es waren zwei weitere entscheidende Schritte notwendig, bis man die Funktion der DNA verstand: die Entwicklung einer Theorie, wie genetisches Material weitergegeben werden kann, und dann der Nachweis, dass die Nukleinsäure diese Aufgabe übernehmen kann. Nikolai Koltsov, der nur selten in Verbindung mit der DNA erwähnt wird, war der Erste, der vorschlug, dass die Merkmale sehr wahrscheinlich über ein „sehr großes Vererbungsmolekül“ weitergegeben werden, das aus zwei „gespiegelten Strängen“ besteht, „die sich auf semi-bewahrende Weise nachbilden und dabei jeden Strang als Schablone verwenden“. Damit war der erste Schritt geschafft – ein Modell für die Vererbung entwickelt (Koltzoff 1934). Drei Experimente waren entscheidend dafür, bis man verstanden hatte, dass das Nuklein dieses Molekül war. Das erste wurde 1928 von Frederick Griffith durchgeführt. Er zeigte, dass Ratten weiterhin krank wurden, wenn man lebende, nichttödliche Bakterien mit abgestorbenen tödlichen Bakterien mischte. Es musste also einen Mechanismus geben, durch den lebende Bakterien in tödliche Bakterien verwandelt werden. Darauf aufbauend gelang es 1944 Oswald Avery, Colin MacLeod und Maclyn McCary zu beweisen, dass die DNA für diese Umwandlung verantwortlich war. Erwin Chargaff füllte die Lücken, indem er zeigte, dass verschiedene Spezies unterschiedliche DNA besaßen. Aber unabhängig von der Gattung enthielt
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die DNA immer gleiche Mengen von Adenin (A) und Thymin (T) sowie gleiche Mengen von Guanin (G) und Cytosin (C). Wie Sie sich vielleicht aus dem Biologieunterricht in der Oberstufe erinnern werden, sind diese die Nukeotid-Basenpaare, die zusammenpassen, um den vollständigen DNA-Strang aufzubauen. Jetzt waren alle Stückchen zusammengetragen – der entscheidende Schritt war, sie alle zusammenzusetzen. Was Franklin, Watson, Crick und ihr Kollege Maurice Wilkins letztlich schafften, war, die Struktur und den Mechanismus der DNA als den genetischen Code zu entschlüsseln. Das Photo 51 wies die berühmte Doppelhelixstruktur (wie eine verdrehte Leiter) der DNA nach. Ich könnte ein ganzes Buch über das Drama der Entdeckung schreiben, und viele haben das auch getan, deshalb mache ich hier einen Schlusspunkt. Ihr Modell zeigte, wie Merkmale auf molekularer Ebene von einer Zelle zur anderen und von Eltern auf ihre Kinder weitergegeben werden können. Die DNA ist ein Doppelstrangmolekül mit Basen, die sich nur mit spezifischen anderen Basen paarweise anordnen, und die Reihenfolge dieser Basenpaare ist in jedem einzelnen Organismus anders. 1958 veröffentlichte Crick das, was heute als das Zentrale Dogma der Molekularbiologie bezeichnet wird: Die DNA kann kopiert und von einer Zelle zur nächsten weitergegeben werden, bevor sie zu RNA wird, die Proteine herstellt, aus denen Organismen entstehen. (Ich spare mir die Details zum Kopiervorgang. Sicher haben Sie dies in der 9. Klasse gelernt.) Ihr Körper, alles von Ihren Haaren bis zu Ihrem Blut, wird durch Proteine und die Wechselwirkung zwischen Proteinen gesteuert. Lockige Haare haben andere Proteine als glatte, und manche Proteine führen zu anliegenden Ohren und andere nicht. Das ist zumindest die vereinfachte Version. Natürlich ist es in der Realität viel komplizierter.
23 – das, was Sie sind Die DNA ist in Chromosomen gruppiert. Jedes Chromosom ist ein vollständiger DNA-Strang, und wenn alles nach Plan verläuft, haben Menschen 23 Chromosomenpaare. Diese Chromosomen machen Sie zu dem, was Sie sind. Sie bestimmen, ob Sie groß, klein, braun- oder blauäugig, ein Bluter sind oder dass Koriander für Sie nach Seife schmeckt. Was es noch komplizierter macht, ist, dass Gene ein- und ausgeschaltet werden können, Umweltfaktoren können verändern, wie ein Gen ausgedrückt wird, Chromosomen können hinzugefügt werden oder ganz fehlen, und manchmal verbinden sich Chromosomen auf verrückte Art und Weise. Es ist nicht so einfach, wie uns eine Einführung in die Biologie glauben lassen
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könnte. Aber eine Einführung in die Biologie ist ein ganz guter Punkt, an dem wir beginnen können. Ein Chromosom ist ein einziges molekulares Päckchen, ein DNA-Strang, der sich um Stützproteine windet, die sogenannten Histone, und der in der berühmten „X-Form“ angeordnet ist. Den Mittelteil des „X“ nennt man das Zentromer. Die meisten Zellen verfügen über 46 Chromosome, die in 23 Paaren angeordnet sind, doch Fortpflanzungszellen – Eizellen und Samenzellen – haben nur 23 Chromosome, also nur die Hälfte der Paare, die wir in anderen Zellen finden. Wenn sie zusammenkommen und die Eizelle befruchtet wird, erhält der Embryo wieder seine 23 Paare. Das heißt, wenn es ein Mädchen wird, hat es die vollen 23, wenn es ein Junge wird, hat es nur 22,5. Jungen haben das Y-Chromosom, was nur eine hochtrabende Weise ist auszudrücken, dass sie nur ein halbes X haben. Es ist die fehlende Hälfte, die zu dem führt, was wir als geschlechtsgebundene Merkmale bezeichnen. Bei geschlechtsgebundenen Merkmalen haben männliche Nachkommen nicht zwei Kopien mancher Gene – vor allem von diesen Genen, die sich auf der fehlenden Hälfte des letzten Chromosoms befinden. Weil es keine zwei Möglichkeiten gibt, tritt das Gen des Paars in Erscheinung, das sich auf der unteren Hälfte des X-Chromosoms befindet. In Frauen können Träger einer Mutation vorkommen, denn sie haben eine Sicherheitsreserve, wenn es ein Problem gibt. Farbenblindheit ist ein großartiges Beispiel dafür. Damit eine Frau farbenblind wird, muss sie zwei fehlerhafte Kopien des Gens besitzen, während Männer nur ein beschädigtes brauchen, um farbenblind auf die Welt zu kommen. Wie gelingt es diesen Chromosomen und den Proteinen, die sie herstellen, dass Sie aussehen wie Ihre Eltern oder die Bluterkrankheit haben? Bisher habe ich über Genotypen und Phänotypen gesprochen, als ob es eine Eins-zu-eins-Beziehung zwischen den beiden gäbe, dass Sie also blaue Augen haben, wenn Sie Träger der Gene für blaue Augen sind. In Wirklichkeit ist es bei Weitem nicht so einfach. Geschlechtsgebundene Merkmale sind nur der Anfang. Die Proteine, die von Ihrer DNA erzeugt werden, arbeiten nicht unabhängig voneinander – sondern sie arbeiten miteinander. Ihr Phänotyp wird davon bestimmt, wie die Proteine in Ihrem Genotypen zusammenwirken. Genau herauszufinden, wie ein bestimmter Genotyp einen bestimmten Phänotypen erzeugt, ist außerordentlich schwierig und wird im Augenblick sehr rege erforscht. Vor allem untersuchen die Wissenschaftler, wie sich die verschiedenen Genotypen als Krankheiten darstellen können und wie Umwelteinflüsse beeinflussen, wie und welche Gene zum Ausdruck kommen (das Forschungsfeld heißt Epigenetik).
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Identifizierung von Erbkrankheiten mithilfe des Inzests Es ist nicht einfach, das Gen zu finden, das für ein Merkmal verantwortlich ist. Wissenschaftler sind ja ganz clever, doch sie können sich nicht einfach die DNA von jemandem ansehen und sagen: „Oh, ich sehe das Problem! Es ist genau da!“ Will man das Gen finden, das für eine spezifische Krankheit verantwortlich ist, ist ein guter Ausgangspunkt, die DNA einer Person zu untersuchen, von der man weiß, dass sie diese Krankheit hat, und herauszufinden, welches Gen die Informationen für ein Protein trägt, das ein bestimmtes Merkmal verursacht. Wenn man bedenkt, wie viel DNA eine durchschnittliche Person hat, ist das wie die Suche nach der Nadel im Heuhaufen. Die Wissenschaftler verfolgen stattdessen den Ansatz, diese Herausforderung zu lösen, indem sie ganze Gruppen von Menschen ansehen, die eine bestimmte Krankheit haben, für die man sich interessiert, und deren DNA vergleichen. Man nennt dies positionelle Klonierung. Man vergleicht die DNA von Menschen, die die Krankheit haben, mit der DNA von gesunden. Indem man sich die Unterschiede zwischen den beiden ansieht, kann man herausfinden, welche Gene die Informationen für die Krankheit tragen. Das erste Gen, das auf diese Weise gefunden wurde, war das für Mukoviszidose. Beim Versuch, ein Gen mit einer Krankheit in Verbindung zu bringen, sehen sich die Wissenschaftler auch Familien an, bei denen man weiß, dass die Krankheit bei einem Teil der Familienmitglieder diagnostiziert wurde. Dann ist es nur noch eine Sache der Statistik. Wenn die Krankheit von einem einzigen Gen stammt, kann man es ziemlich deutlich sehen, wenn jemand die Krankheit hat, und wenn das Gen durch einfache Vererbung weitergegeben wird, kann man recht einfach bestimmen, welcher Abschnitt der DNA dafür verantwortlich ist. Auf diese Weise wurde auch das Gen für die Mukoviszidose, deren Diagnosekriterien 1989 festgelegt wurden, nur 26 Jahre danach identifiziert. Auch das Gen, das die H untington-Krankheit enthält, wurde 1993 schnell identifiziert, wobei relativ wenige Probepatienten benötigt wurden. Die genetischen Gründe für diese Krankheiten zu finden ging schneller als bei anderen, weil beide durch eine einzige Mutation auf einem einzelnen Gen hervorgerufen werden. Das Mukoviszidose-Gen ist rezessiv, und das Gen für Huntington ist dominant, doch beide werden durch einfache Vererbung weitergegeben. Ein normales Punnett-Quadrat kann die Wahrscheinlichkeit der Weitervererbung eines bestimmten Genotyps und Phänotyps bestimmen. Wenn man immer
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dasselbe Ergebnis erhält, liefern zusätzliche statistische Erhebungen keine weiteren Informationen. Wenn aber eine Krankheit durch Mutationen in mehreren verschiedenen Genen verursacht wird, sie eine komplizierte Vererbungsstruktur hat oder oft falsch diagnostiziert wird, ist es viel schwieriger, den Grund festzumachen, und eine entsprechend größere Patientengruppe ist notwendig, um den Grund der Krankheit mithilfe von Statistik herauszufinden. Auch wenn es nicht einfach ist, die Mutation zu finden, gibt es andere statistische Methoden, ein spezifisches Gen zu bestimmen. Im Fall von BRCA1, das Mutationen haben kann, durch die jemand eine höhere Disposition für Brustkrebs hat, war es schwierig, weil diese Mutationen nur für sehr wenige Fälle an Brustkrebs (5–10 %) verantwortlich gemacht werden können. Wenn eine Frau aber die Mutation besaß, bekam sie mit weit höherer Wahrscheinlichkeit Brustkrebs und das öfter bereits in jüngerem Alter. Um das Signal vom Rauschen zu trennen, untersuchten Forscher die DNA vom Menschen, die bereits mit jungen Jahren Brustkrebs bekommen hatten. Dadurch gelang es ihnen, eine Mutation auszumachen, die eine große Zahl von Patienten in sich trug – genug, um mit Sicherheit zu schließen, dass die Mutation Brustkrebs verursachen konnte. Weil die Statistik für das Aufspüren eines spezifischen Gens, das für eine Krankheit verantwortlich ist, eine so große Rolle spielt, kann positionelle Klonierung bei seltenen Krankheiten besonders schwierig sein. Die Lennisters können dabei hilfreich sein. Weil die Wahrscheinlichkeit, eine seltene Erkrankung zu haben, im Fall von Inzest drastisch ansteigt, kann es die Lokalisierung des Gens beschleunigen, wenn man sich die DNA derjenigen anschaut, die an der Krankheit leiden und zufällig auch noch eng miteinander verwandt sind. Man nennt dies Homozygotie-Kartierung. Bei dieser Methode wird die DNA zweier verwandter Individuen, die die Krankheit haben, mit einem gemeinsamen Verwandten mit der Krankheit verglichen. Es kann oft schwierig sein, die mutierte Region, die verantwortlich für die Krankheit ist, zu lokalisieren, weil jede Mutation anders ist, doch weil die Patienten die Mutation von der gleichen Person geerbt haben, sollten beide auch dieselbe Mutation aufweisen, was es einfacher macht, sie zu erkennen. Joffreys DNA könnte einige wissenschaftliche Geheimnisse erhellt haben. Diese Methode ist sehr nützlich, wenn mehr als eine Mutation für eine Krankheit verantwortlich ist. Seit 1995 wurden mehr als 200 Studien veröffentlicht, in denen blutsverwandte Individuen dabei geholfen haben, Mutationen zu finden, die seltene Krankheiten verursachen. Inzest ist also ein Gewinn für die Wissenschaft (Botstein und Risch 2003).
Die Häuser Targaryen und Lennister 225
Warum Vielfalt wichtig ist Nach diesen eher komplizierten Ausführungen darüber, wie aus einem Genotyp ein Phänotyp wird, wollen wir zurückkehren zur verhältnismäßig einfachen Mendel’schen Genetik und einen vereinfachten Überblick liefern, wie ein Mangel an genetischer Vielfahrt Probleme verursacht. Dieser reicht aber vorerst vollkommen als wissenschaftliche Grundlage aus, um zu verstehen, wie verkorkst Jamie und Cersei sind. Aus evolutionärer Sicht ist das Ziel jedes Organismus, aufzuwachsen und mehr aus sich zu machen. Ich weiß, das stimmt in speziellen Fällen für Menschen nicht immer, doch im Großen und Ganzen wollen Menschen erwachsen werden und weitere Menschen hervorbringen – es ist einer unserer grundlegendsten und nicht zu leugnenden biologischen Instinkte. Um das erfolgreich leisten zu können, muss der Phänotyp des Organismus das erlauben. Eine Person muss attraktiv genug sein, in der Lage, sich um Kinder zu kümmern, relativ frei von Krankheiten und fruchtbar, um nur einige der notwendigen Qualitäten zu nennen. Doch so läuft es nicht immer. Nehmen wir an, dass es in einer Bevölkerung ein Gen mit einem rezessiven Allel gibt, das zur Sterilität führt. Wahrscheinlich trägt es nur ein kleiner Prozentsatz der Leute – vielleicht einer von 1000. Fast immer hat die Person ein dominantes Allel, das Vorrang hat, deshalb ist es nicht schlimm, Träger dieses Allels zu sein. Wenn sich zwei zufällige Menschen treffen und Kinder bekommen, liegt die Chance, dass beide Träger des Unfruchtbarkeitsallel sind, 1 zu 1.000.000. Und selbst, wenn diese Eins-zu-eine-Million-Wahrscheinlichkeit eintritt, wird es den Kindern meist nichts ausmachen, denn die Chance, dass sie zumindest einen Satz des dominanten Gens bekommen, beträgt 75 %. Die Chancen stehen also wirklich gut, dass ein Elternteil reinerbig sein und zwei gute dominante Allele haben wird, die er weitergeben kann. Selbst wenn der andere Elternteil ein Träger ist, werden alle Kinder fruchtbar sein, und nur zwei von vier werden wieder Träger sein. Wenn alle dieser vier Kinder in die weite Welt hinausziehen und Partner finden, ist die Wahrscheinlichkeit wirklich sehr gut, dass ihre Partner keine Träger sein werden. Statistisch gesehen bedeutet das, dass höchstwahrscheinlich die Enkel ebenso fruchtbar sein werden. Sobald es einen riesigen Genpool gibt, aus dem man fischen kann, stehen die Chancen gut, dass die entstehenden Phänotypen das Zeug haben, sich weiter fortzupflanzen. Nun ein anderes Beispiel, bei dem es nicht so gut ausgeht. Wir wollen annehmen, dass es ein rezessives Allel für einen Geburtsfehler gibt, etwa
226 R. C. Thompson Tab. 2 Punnett-Quadrat mit Gen für gesundes Herz H und rezessivem Gen für Herzproblem h H H
H HH HH
h Hh Hh
ein Herzproblem, und dass ein Elternteil Träger davon ist. Lassen Sie ihn uns Tywin nennen. Tywin geht los und hat Kinder mit einer Frau, die nicht Trägerin ist, nennen wir sie Joanna. Tab. 2 zeigt das sich ergebende Punnett-Quadrat. Tywin steht oben mit einem dominanten Gen für ein gesundes Herz und einer rezessiven Herzproblemmutation. Joanna ganz links hat zwei Kopien des gesunden Gens. Sie erkennen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass ihre Kinder Träger des Gens sind, 50 % beträgt. Wenn die Kinder losziehen und Partner finden, die keine Träger sind, und das ist bei einem zufälligen Partner sehr wahrscheinlich, ist alles in Ordnung. Die Enkel könnten Träger sein, doch der Defekt wird sich nicht zeigen. Nehmen wir jetzt an, die Kinder heißen Cersei und Jaime. Sie müssen sich nicht viel weiter umschauen als bis zum anderen Ende der Halle. Weil ihr Vater Träger war, beträgt die Wahrscheinlichkeit, dass jeder Einzelne von ihnen Träger ist, 50 % und 25 %, dass sie es beide sind. Deshalb wird die Wahrscheinlichkeit, dass ihr Kind das Herzproblem haben wird, 6,25 % betragen. Das sind ziemlich schlechte Aussichten. Indem sie es in der Familie hielten, haben sie die Wahrscheinlichkeit, dass ihr Kind einen Geburtsfehler haben wird, drastisch erhöht. Um es noch schlimmer zu machen, ist der Herzfehler nur einer von sehr vielen möglichen rezessiven Defekten. Indem sie sich geweigert haben, andere Menschen kennenzulernen, haben sie die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass ihre Kinder einer Vielzahl von Problemen ausgesetzt sein werden. Auch die Targaryens waren sehr stolz auf ihre Geschwister, doch sie standen dem offen gegenüber und waren stolz auf ihre Wahl. In ihren Augen vermieden sie es, schwächere Gene in ihre Abstammungslinie einzuführen, indem sie normalerweise niemanden außerhalb der Familie heirateten. Wissenschaftlich gesprochen glaubten sie, es gäbe keine rezessiven Gene in der DNA ihrer Familie, die Probleme verursachten. In mancherlei Hinsicht hatten sie recht damit, keine äußeren Einflüsse einfließen zu lassen. Blonde Haare und helle Augen sind rezessive Merkmale. Hätten Mitglieder des Hauses Targaryen außerhalb ihrer Familie geheiratet, etwa einen Stark oder Baratheon, wäre es sehr wahrscheinlich, dass ihre Kinder nicht die typische Haar- und Augenfarbe der Targaryens bekommen hätten. Das ist es, was Jon Arryn mit seinen letzten Worten, „Der Same ist stark.“, meinte. Er sagte,
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dass der braunhaarige Robert, der von einer langen Reihe braunhaariger Menschen abstammte (in Mendels Worten: er war reinerbig dunkelhaarig) und der ganz offensichtlich keine verborgenen rezessiven blonden Gene in sich trug, keine drei blonden Kinder hervorbringen konnte. Deshalb ist auch Jon Snow (oder Aegon Targaryen, je nachdem, welche Staffel Sie anschauen) dunkelhaarig, obwohl sein Vater ziemlich blond war. Die Starks waren reinerbig dunkelhaarig, genau wie die Baratheons, es war unmöglich, dass es rezessive blonde Gene in Lyanna gab, die sie an Jon hätte weitergeben können. Jon musste dunkle Haare haben. Es ist bemerkenswert, dass die Targaryens viele Generationen lang ihre Geschwister geheiratet haben und dass erst am Ende mit dem Irren König Probleme aufgetreten waren, oder zumindest sollen wir das glauben. Sie könnten durchaus einige wenige nachteilige rezessive Gene in ihrem Familiengenpool gehabt haben. Wenn eine Familie ihre Linie noch so stark erachten mag, statistisch gesehen ist die Methode der Targaryens normalerweise kein Weg, den man wählen sollte. Als ich mit einigen Freunden über dieses Kapitel gesprochen habe, fragte mich jemand, ob Inzucht zwischen identischen Zwillingen schlimmer wäre als Inzucht zwischen normalem Bruder und Schwester. Vielleicht haben Sie das Problem bei dieser Frage erkannt, bevor Sie den Satz fertiggelesen haben, und ich überlasse dem Leser herauszufinden, warum die Frage Quatsch ist.
Die Balance zwischen gleich und unterschiedlich finden All diese Ausführungen zu den biologischen Gefahren der Inzucht scheinen darauf hinzuweisen, dass es das Beste ist, jemanden zu finden, der möglichst anders ist als man selbst. Doch es zeigt sich, dass Menschen das in der Regel nicht machen, und es ist auch nicht notwendigerweise die beste Idee. Ich habe zwar darüber gesprochen, wie wichtig genetische Vielfalt für die erfolgreiche Weitergabe von Genen ist, doch es ist genauso wichtig, Gene zu finden, die einander ergänzen. Ein großer Teil dieses Kapitels behandelte die Inzuchtdepression, das heißt, dass Nachkommen weniger gesund sind als ihre Eltern. Mit anderen Worten, dass Inzucht eine schlechte Idee ist und dass Kinder verkorkst sein werden; doch ist es nicht ganz fair zu behaupten, dass Inzuchtdepression das einzig mögliche Problem ist. Es gibt auch das Phänomen der sogenannten Auskreuzungsdepression (englisch outbreeding depression ), das heißt, dass Eltern mit stark unterschiedlichen Genen weniger gesunde Nachkommen haben. 1933 vertrat Sewall Wright die Ansicht, dass
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es eine Balance zwischen Inzucht und Auskreuzung gibt (Wright 1929). Wie schon bei den extremen Formen der Inzucht kann man das am einfachsten nachvollziehen, wenn man sich die Extreme von Auskreuzung vorstellt. Ein extremes Beispiel für Auskreuzungsdepression ist der Maulesel, der eine Kreuzung aus Pferd und Esel ist. Er ist zwar ein großartiges Arbeitstier, aber unfruchtbar und deshalb hinsichtlich des genetischen Überlebens nicht besonders „gesund“. Manchmal wird in diversen Quellen beiläufig erwähnt, dass eine Auskreuzungsdepression bei Tieren möglich sei, doch man findet kaum echte Studien, die sich mit der Gesundheit der Nachkommen von genetisch stark unterschiedlichen Eltern auseinandersetzen. Im seinem Buch Behaviour, Development and Evolution weist Patrick Bateson darauf hin, dass es gute Gründe dafür gibt, dass starke Auskreuzungsdepression keine Rolle spielen dürfte. Er nennt das Beispiel von Kiefer und Zähnen. Es wäre keine gute Idee, wenn jemand mit schmalen Kiefern und kleinen Zähnen Kinder mit jemandem haben würde, der breite Kiefer und große Zähne hat, denn wenn Kiefer- und Zahngröße nicht miteinander genetisch verbunden sind, könnten Nachkommen mit Zähnen entstehen, die nicht in die Kiefer passen und die damit Probleme bei der Nahrungsaufnahme hätten. Wenn wir also keine nahen Verwandten, aber auch keine Leute heiraten können, die ganz anders sind als wir, was ist dann die optimale Balance? Sie mögen es glauben oder nicht, es stellt sich heraus, dass es unsere Vettern dritten oder vierten Grades sind. Eine Gruppe aus Island schaute sich die Fruchtbarkeit von Paaren aus Island von 1800 bis 1965 an. Island ist besonders geeignet für diese Art von Studien, weil es eine sehr homogene Bevölkerung hat. Es gibt nur wenige Unterschiede bei Kultur, sozioökonomischem Status und der Nutzung von Methoden zur Geburtenkontrolle, außerdem sind sowohl die Immigrations- als auch die Emigrationsraten gering. Die Gruppe prüfte, wie viele Kinder ein Paar hatte, und dann, wie viele Enkel und Großenkel daraus entstanden. Dann normierten sie es bezüglich der durchschnittlichen Zahl von Kindern pro Paar und untersuchten, wie nah verwandt jedes Paar war. Die Forscher nutzten dazu die Datenbank des isländischen Unternehmens deCODE, das genetische Informationen der ganzen Bevölkerung von Island sammelt, um den Genotyp mit dem Phänotyp verknüpfen zu können. Zum Glück betrug die Einwohnerzahl von Island zu Beginn nur 270.000 Menschen. Die Datenbank ist sehr umfangreich und erlaubt es Forschern, genau zu bestimmen, wie eng verwandt Paare waren. Was sie herausfanden war, dass Paare, die im dritten oder vierten Grad miteinander verwandt waren, am meisten Kinder, Enkel und Urenkel hatten. Waren die Paare enger oder weniger eng miteinander verwandt, war ihre Fruchtbarkeit geringer. Dieser Trend blieb
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in den 165 untersuchten Jahren in jedem 25-Jahres-Intervall konstant. Ganz unabhängig von Bevölkerungsbewegungen, durchschnittlicher Familiengröße, wirtschaftlichen Verhältnissen und anderen Faktoren, die sich im Laufe der 165 Jahre in Island geändert hatten, bekamen Leute, die ihre Cousinen dritten oder vierten Grades heirateten, mehr Kinder, und mehr dieser Kinder waren in der Lage, mehr Kinder zu zeugen, als Menschen, die andere geheiratet haben, die enger oder weniger eng mit ihnen verwandt waren. Es sieht so aus, als hätten sie eine gute Balance zwischen eng, aber nicht zu eng gefunden (Helgason et al. 2008). Welche Rolle spielt die Attraktivität bei all dem? Auch wenn es viele kulturelle Gründe geben kann, jemanden, zu dem man sich nicht hingezogen fühlt, zu heiraten und Kinder zu bekommen, sollten wir aus evolutionären Gründen natürlicherweise von Menschen angezogen sein, mit denen wir wahrscheinlich gesunde Kinder bekommen werden. Fühlen wir uns also zu Menschen hingezogen, die uns ähneln oder die zumindest so aussehen wie ein Verwandter dritten Grades? Anfang des 20. Jahrhunderts gab es einen Streit zwischen dem finnischen Soziologen Edvard Westermarck und dem allgemeinen Lieblingspsychologen Sigmund Freud, denn es ist unmöglich über Inzest zu sprechen, ohne Freud zu berücksichtigen. Freud vertrat die Ansicht, dass Inzesttabus gelten, weil wir uns natürlicherweise von unseren nahen Verwandten angezogen fühlen, und ohne geltende soziale Tabus käme es zu schädlicher Inzucht. Westermarck dagegen stellte die Hypothese auf, wenn man mit jemandem von Geburt an bis zum Alter von etwa sechs Jahren aufwachse, fühle man sich nicht mehr von ihm angezogen. Es war eine Art von umgekehrter sexueller Prägung, die später unter dem Namen WestermarckEffekt bekannt wurde. 1994 machte sich A. P. Wolf daran, die WestermarkHypothese zu überprüfen, indem er die Heiratsstatistik in Taiwan untersuchte. In einem Fall der Heiratsbräuche wurde die Frau in jungem Alter adoptiert und wuchs mit ihrem zukünftigen Bräutigam auf. In einem anderen Fall trafen sich die Partner zu einem späteren Zeitpunkt in ihrem Leben. Wolf fand heraus, dass im ersten Fall weniger Kinder entstanden und dass sowohl die Scheidungsrate als auch die Untreue höher war. Ähnlich ist es in israelischen Kibbuzen, dort wachsen Kinder miteinander auf, manche sind verwandt, manche nicht, aber nur wenige heirateten einander später. Es sieht so aus, als wäre das gemeinsame Aufwachsen der Grund dafür, dass wir unsere Geschwister nicht attraktiv finden. Moderne Forschungen scheinen auf ein Gleichgewicht zwischen den beiden Vorstellungen hinzuweisen. Wir fühlen uns von Menschen angezogen, die uns ähnlich sehen, aber nicht zu solchen, die mit uns aufgewachsen sind, und wenn wir erkennen, dass wir mit jemandem verwandt
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sind, stufen wir seine Attraktivität geringer ein. Dies ist natürlich eine starke Vereinfachung, weil die menschliche Anziehung ziemlich kompliziert ist. Doch es kann zumindest ein wenig erforscht werden. Chris Fraley von der University of Illinois und Michael Marks von der New Mexico State University haben 2010 eine dreiteilige Studie veröffentlicht, in der sie untersuchten, wie stark sich Menschen von ihren Familienmitgliedern angezogen fühlen und wie stark von Menschen, die diesen ähnelten (Fraley und Marks 2010). Im ersten Teil der Studie wurde den männlichen Teilnehmern schnell ein Foto ihrer Mutter und den weiblichen ein Foto ihres Vaters gezeigt – und zwar so schnell, dass sie es nicht einmal wahrnehmen konnten –, und dann wurde ihnen ein Bild einer Person des anderen Geschlechts vorgelegt. Sie wurden gebeten, die Attraktivität des Fremden einzuschätzen. Die Gruppe, der unbemerkt Vater oder Mutter gezeigt worden war, ordnete die Bilder als attraktiver ein als die Gruppe, die Vater oder Mutter nicht gesehen hatten. Dies scheint das Freud’sche Modell der Attraktivität zu stützen. Das zweite Experiment testete, ob sich die Probanden von Menschen angezogen fühlten, die so aussahen wie sie selbst. Den Teilnehmern wurden 50 Gesichter gezeigt, und sie wurden gebeten, die sexuelle Attraktivität jedes Gesichts einzuschätzen. Was sie nicht wussten, war, dass manche der Gesichter in unterschiedlichen Graden von 0 bis 45 % mit ihren eigenen Gesichtern gemischt worden waren. Einer Kontrollgruppe zeigte man dieselben Gesichter, die jedoch nicht mit ihren eigenen vermischt waren, stattdessen schauten sie auf Gesichter, die mit denen von anderen Teilnehmern vermischt waren. Die Forscher fanden heraus, dass Menschen, die Gesichter, die mit ihren eigenen vermischt waren, als attraktiver einstuften als die anderen. Die bearbeiteten Fotos schienen für alle attraktiver zu sein, doch noch weit anziehender für diejenigen, die in ihre eigenen Gesichter blickten. Das scheint darauf hinzuweisen, dass Menschen diejenigen bevorzugen, die wie sie selbst aussehen, was ebenso die Theorie Freuds stützt. Im letzten Experiment sagte man den Leuten, dass einige der Gesichter, die sie sehen werden, ihre eigenen seien, in denen die eines Fremden gemischt sind. Nun machte sich das Inzesttabu bemerkbar. Die Menschen schätzten konsequent die vermischten Gesichter geringer als die in einer Kontrollgruppe, die dieselben Bilder sahen, aber nicht Teil davon waren. Menschen wollen sich nicht selbst hoch einschätzen. Diese drei Experimente stützen Freuds Hypothese, doch die Grundlage dafür ist auch eine gewisse Fehlinterpretation der Arbeiten Westermarcks. Westermarck zeigte, dass man jemanden viel weniger attraktiv findet, wenn man mit ihm aufgewachsen ist. Die Forschungen fanden in normalen Lebensgemeinschaften statt, in denen die Kinder nicht verwandt waren und sich wahrscheinlich auch nicht ähnelten.
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Trotzdem fühlten sie sich insgesamt nicht zueinander hingezogen. Es gibt in diesen Theorien Platz genug, dass sowohl Westermarck als auch Freud recht haben können. Wir sind hingezogen zu Menschen, die uns ähneln, aber nicht, wenn wir mit ihnen aufgewachsen sind. Doch es sieht so aus, als würden Cersei und Jaime beide widerlegen (Wolf 1995). Auf der anderen Seite gelingt es Theon Graufreud hervorragend, die Theorien von Westermarck und Freud zu stützen. Als Theon auf die Eiseninseln zurückkam, versuchte er sofort (und unwissentlich) seine Schwester Asha abzuschleppen, und sowohl die Zuschauer als auch Theon sind angewidert, als sie erkennen, dass die beiden verwandt sind. Dies ist ein sehr gutes Beispiel, bei dem alle Aspekte von Inzesttabus und Attraktivität eine Rolle spielen. Er wurde nicht mit Asha großgezogen, deshalb war er offen, sich zu ihr hingezogen zu fühlen; sie sah aus wie er, deshalb fand er sie attraktiv, doch dann erkannte er, wer sie war, und war aufgrund der kulturellen Inzesttabus, auf die Freud hingewiesen hat, mehr als nur ein wenig angeekelt darüber. Es unwissentlich auf seine Schwester abgesehen zu haben, ist jedoch wahrscheinlich eines der am wenigsten abstoßenden Dinge an Theon. Als Physikerin nehme ich aus diesem Forschungsexkurs in die Attraktivität mit, dass Psychologie und zwischenmenschliche Beziehungen schwierig sind, und ich bin froh, dass ich mich entschieden habe, Physik zu studieren, wozu man Derartiges nicht benötigt. Außerdem wäre ich sehr vorsichtig, wenn ich an einer Familienzusammenführung mit Verwandten teilnehmen müsste, die ich nie zuvor getroffen habe. Offensichtlich würden Tabus verhindern, dass irgendetwas passiert, doch es ist sehr wahrscheinlich, dass man am Ende weggeht und Einiges mit seinem Therapeuten zu besprechen hat.
Der Befund für einen Irren König In Game of Thrones gibt es einige Fälle von schwerem Inzest: Bruder und Schwester (und dabei noch Zwillinge), Vater und Tochter und am Ende Tante und Neffe. Der Genpool vieler der adligen Familien ist nicht gerade ein Olympiaschwimmbecken, sondern eher ein Hinterhofwhirlpool. Bis zu einem gewissen Grade, und vor allem bei den Targaryens, könnte man argumentieren, dass die schädlichen rezessiven Gene, die es normalerweise bei wiederholter Inzucht gibt, in dieser Linie ausgestorben sein könnten, das heißt, dass diejenigen, die Gene für Unfruchtbarkeit oder Krankheiten ins sich trugen, sich nicht fortpflanzen konnten oder zuvor gestorben sind. Doch das würde nur für Gene gelten, die einen vorzeitigen Tod, aber nicht für solche, die Wahnsinn verursachen. Könnte im Haus Targaryen der
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Wahnsinn umgehen? Und wie ist es mit Joffrey Baratheon (der eigentlich ein Lennister ist)? Wie konnte er am Ende nicht nur grausam, sondern auch noch irrational werden? Auch wenn es noch umstritten ist, lassen manche Forschungen darauf schließen, dass es so etwas wie ein „Psychogen“ geben könnte: das MAO-A-Gen. Dieses Gen trägt die Informationen für Proteine, die Serotonin, Dopamin und Noradrenalin aufspalten. Das Gen stellt also im Grunde ein Protein her, das die Wohlfühl-Neurotransmitter im Gehirn auffrisst. Eine Mutation des MAO-A-Gens verhindert, dass diese Neurotransmitter aufgespalten werden, und dies verursacht Aggression (McDermott et al. 2009). Das Gen ist ein geschlechtsspezifisches Merkmal. Das heißt, dass Männer nur eine Kopie haben, während Frauen über zwei davon verfügen. Wenn es zwei Kopien gibt und wenigstens eine davon arbeitet, macht sich der Phänotyp der Aggressivität wahrscheinlich nicht bemerkbar. Um alles noch ein wenig komplizierter zu machen, wird die Genexpression davon beeinflusst, wie jemand aufgezogen wird. Wächst er in einer Umgebung mit viel Stress auf, oder einer, in der es zu Missbrauch kommt, wird er mit höherer Wahrscheinlichkeit aggressives Verhalten entwickeln. Dies ist jedoch umstritten, denn die Genexpression ist keinesfalls unvermeidlich, noch ist es eine Entschuldigung für Aggression. Aber es zeigt sich eher, wenn die Person in einem turbulenten Haushalt aufwächst – doch nochmal: Es ist nicht unvermeidbar. Es lohnt sich anzuschauen, welche Rolle dies im Haus Lennister spielen könnte, jedoch muss ich Sie warnen, dass dies eine sehr grobe Analyse sein wird und nur als das genetische Äquivalent von „man nehme eine kugelförmige Kuh an“ betrachtet werden darf. Ich denke, man kann sicherlich davon ausgehen, dass Tywin Lennister niemals den Preis für den Vater des Jahres erhalten wird, und annehmen, dass er das verrückte Aggressionsgen in sich hat und seine Kinder in genau dieser Art von Zuhause aufwachsen lässt, in dem das Gen hervortreten wird. Obwohl das Leben viel komplizierter ist als die Mendel’sche Genetik suggeriert, machen es die Gesetze Mendels einfach, die Wahrscheinlichkeit abzuschätzen, dass das Gen weitergegeben wird, wenn Tywin ein Träger war. Joanna war Tywins Cousine und schien kein antisoziales Verhalten an den Tag zu legen; doch sie ist immer noch eine Lennister, und ich glaube, der Wahnsinn ist in ihrer Familie genauso weitverbreitet wie blonde Haare. Vermutlich ist sie also auch eine Trägerin der MAO-A-Mutation. Tab. 3 zeigt, wie es aussehen würde, wenn die beiden Kinder miteinander hätten, wobei X keine Mutation bedeutet, x eine Mutation ist und y darauf hinweist, dass es sich um einen männlichen Nachkommen handelt, sodass es nur eine Kopie des Gens in ihm gibt. Die Kinder werden so, wie man es erwartet. Ich glaube, man kann sicher behaupten, dass Cersei aggressiv ist und dass das Punnett-Quadrat zeigt,
Die Häuser Targaryen und Lennister 233 Tab. 3 Genverteilung der Kinder von Tywin und seiner Cousine Joanna. X: Mutation, x: keine Mutation, y: männlicher Nachkomme X x
x Xx xx
y Xy xy
dass die Wahrscheinlichkeit dafür bei 25 % liegt. Über Jaime ist das Urteil noch nicht gesprochen, denn er scheint zu aggressivem Verhalten ausgebildet worden zu sein und ist trotzdem von Natur aus netter als die meisten Lennisters – oder er kann sich selbst einfach besser beherrschen. Auch bei ihm beträgt die Wahrscheinlichkeit 25 %. Wir stimmen wohl darin überein, dass Tyrion keine Mutation des MAO-A-Gens besitzt. Seine Chancen normal zu sein, betrugen auch 25 %. Was passiert nun, wenn Jaime und Cersei zusammenkommen? Tab. 4 zeigt, dass alle ihre männlichen Kinder vom MAO-A-Gen betroffen sein sollten. Weil von Cersei keine nichtmutierten MAO-A-Gene kommen, sollten alle männlichen Kinder ungewöhnlich aggressiv sein. Die weiblichen Kinder sollten Träger sein, weil sie aber kein aggressives Gen von ihrem Vater geerbt haben können, sollten sie normal erscheinen. Der Wahnsinn Joffreys war höchstwahrscheinlich ein Ergebnis der grausamen Entscheidungen seiner Eltern und einiger ungünstiger Gene. Das seltsamste Kind dabei ist Tommen. Wir könnten argumentieren, dass er nicht lange genug lebte, um seine Aggression auszuleben, doch er schien relativ wenig aggressiv zu sein. Das Wesen von Joffrey war wohl unvermeidlich, das von Tommen ein Glücksfall. Wie sieht es nun bei den Targaryens aus? Dies ist viel komplizierter, weil nicht mehr genug von ihnen leben, um ein Eindruck zu bekommen, wer von ihnen ein Träger war und wer nicht. Aerys, der Irre König, hatte offensichtlich die MAO-A-Gen-Mutation, doch der Genotyp seiner Frau Rhaella ist nicht bekannt. Sehr wahrscheinlich war sie Trägerin oder hatte sogar zwei Kopien des mutierten Gens. Betrachtet man Aerys Kinder, schien Rhaegar ziemlich normal und hatte das MAO-A-Gen wahrscheinlich nicht; bei Dany ist es nicht klar, doch ich schätze, sie hatte zwei Kopien davon. Visery ist ganz offensichtlich aggressiv. Deshalb vermute ich, dass Rhaella nur eine Kopie der Mutation hatte, sie also eine Trägerin war. Wie Sie aus Tab. 4 MAO-A-Gen bei den Kindern von Cersei und Jaime x x
X Xx Xx
y xy xy
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den Punnett-Quadraten in diesem Kapitel sehen, ist der Wahnsinn nur in einigen Generationen unvermeidlich. Die eigentliche Frage ist nicht, wie es zum Irren König kommen konnte, sondern warum es so lange dauerte. Am Ende gibt es eine feine Balance dazwischen, jemanden zu finden, der Ihnen ähnlich ist und jemanden, der sich von Ihnen unterscheidet, wenn Sie Kinder haben wollen. Wenn Sie sich mit jemandem fortpflanzen wollen, der sich zu sehr von Ihnen unterscheidet, könnten Ihre Kinder eine Reihe von nichtzusammenpassenden Eigenschaften haben, die nicht gut miteinander funktionieren. Doch wenn Sie und Ihr Partner sich zu sehr ähneln, können Sie etwas bekommen wie, nun… Joffrey. Die Gesellschaft hilft uns bei unseren Entscheidungen, sie verhindert die Heirat mit unseren Verwandten und macht, dass wir Menschen als attraktiv wahrnehmen, die wie wir aussehen. Die Lehre, die wir daraus ziehen, könnte sein: „Heirate Deine Cousine, aber nicht deine Tante.“ Ich glaube, das ist vermutlich eine Lehre, die die meisten unserer Hauptcharaktere lernen sollten. Ich glaube auch, dass ich eine Eins mit Stern dafür bekommen sollte, dass ich das ganze Kapitel geschrieben haben, ohne einen einzigen Kalauer gemacht zu haben.
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Wir Säen Nicht Die Wissenschaft von Schiffen und Meeren
Er kannte das Wappen, das es trug: den goldenen Kraken des Hauses Graufreund, ausgestreckte, sich windende Arme auf schwarzem Grund. Das Banner floss von einem eisernen Mast, flatterte und drehte sich, als der Wind stärker wurde, wie ein Vogel, der sich bemühte aufzufliegen. – Theon Graufreund, Die Saat des goldenen Löwen
Ursprünglich wollte ich hier ein Kapitel über Kriegsführung auf See bringen. Ich dachte, es wäre faszinierend, über die Schlachten zwischen der Eisernen Flotte und der königlichen Flotte zu schreiben oder über Davos Seewert und seine Söhne. Doch zwei Dinge wurden ziemlich schnell klar: Erstens habe ich über die Schlacht am Schwarzwasser und damit über die spektakulärste Seeschlacht schon geschrieben, und zweitens sind Seeschlachten ohne Schießpulver aus wissenschaftlicher Sicht nicht gerade super interessant. Schiffe stoßen zusammen und werden von feindlichen Streitkräften geentert; und sie werden in Brand gesetzt. Es gibt Kämpfe Mann gegen Mann mit Waffen, über die ich in anderen Kapiteln schon geschrieben habe. Um Kanonen auf Schiffe zu bringen, muss man viele hammermäßige wissenschaftliche Probleme lösen, etwa herausfinden, wie man die Kanonen ausbalanciert und dem Rückstoß auf schwankendem Untergrund entgegenwirkt, wie man mit einer Kanone zielt, wenn sich dein Schiff schon fast auf die Seite legt, und wie man verhindert, dass der obere Teil eines Schiffes so schwer wird, dass es kentert. Doch George R. R. Martin hat sehr deutlich klargestellt, dass es in Westeros kein Schießpulver gibt. Trotzdem finde ich, dass Schiffe verdammt cool sind. Es waren einige spektakuläre wissenschaftliche Fortschritte dieser Zeit notwendig, bis man © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 R. C. Thompson, Wissenschaft meets Game of Thrones, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61419-8_13
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herausfand, wie man Schiffe für einen bestimmten Zweck baut, wie man diese Schiffe segelt, wie man verhindert, dass sie zu brennen beginnen (auch wenn das keinem je besonders gut gelungen ist), oder wie man nicht an Skorbut stirbt. Soweit es die Schiffe in Westeros betrifft, werde ich mich auf das konzentrieren, was in den Büchern beschrieben wurde. Die Bücher schaffen es in der Regel sehr gut, Dinge realistisch darzustellen (abgesehen von der Magie), doch die Fernsehserie liegt manchmal etwas daneben. Ich meine, wenn die sich schon dafür entscheiden, ein Schwert zu gießen, statt es zu schmieden, wie können wir dann erwarten, dass sie die richtige Form eines Segels hinbekommen? In den Büchern gibt es zwei wichtige Schiffstypen: die Langschiffe der Eisernen Flotte des Hauses Graufreund und die Kriegsgaleeren der königlichen Flotte von Stannis Baratheon. Auch dabei sind die Zeiten durcheinandergekommen – Kriegsgaleeren wurden im Mittelalter genutzt, aber die Langschiffe kamen ab 1066 außer Mode. Das Wissen über die Komponenten eines Schiffs – der Schiffsrumpf und die Takelage – ist faszinierend, genauso über die Antriebsmethoden. Bis Mitte der 1700er-Jahre war die Navigation ein Problem (bis eine genaue und zuverlässige Schiffsuhr erfunden wurde), deshalb hatten sicher auch Stannis und seine Mannschaft Probleme damit. Obwohl es natürlich in Westeros einfacher war, weil man nie weit vom Land entfernt war. Trotzdem könnte es ein Problem gewesen sein. Was passiert, wenn man sich draußen in der Meerenge verirrt? Skorbut war eine wirkliche Gefahr für alle, die keine Zitrusfrüchte dabeihatten, und das konnte sehr schnell passieren, wenn man auf offener See Schiffbruch erlitt. Ich habe viel über Feuer geschrieben, und wir haben gesehen, wie eine ganze Flotte dadurch zerstört wurde, doch kann man sich irgendwie dagegen schützen? Wenn ja, tun mir Asha und die Sandschlangen leid. (Aber um ehrlich zu sein, ich war irgendwie erleichtert, als die Sandschlangen in der Serie nicht mehr vorkamen. Im Buch waren sie viel cooler.)
Schnell und leicht gegen langsam und tödlich Wie Woody Allen einmal sagte: Nur aufzutauchen ist schon die halbe Schlacht, und die Eiserne Flotte ist bekannt dafür, dass sie sehr schnell auftauchte. Sie besteht nur aus Langschiffen, das Ziel der Eisenmänner ist, schnell irgendwohin zu segeln, in der Nähe des Ufers zu landen und viele Dinge für den „eisernen Preis“ zu kaufen. Diese Langschiffe waren sowohl mit Segeln als auch mit Rudern ausgestattet, deshalb konnte die Eiserne
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Flotte je nach Wetter entweder durch Wind oder Rudern angetrieben werden. Dies passt sehr gut zu ihrem Kampfstil. Die königliche Flotte dagegen war mehr für taktische militärische Manöver ausgelegt, wie die Belagerung von Hafenstädten. Das Ziel jeder Flotte zeigt sich in der Wahl der Boote. Die Langschiffe wurden ursprünglich von den Wikingern entwickelt und in der Wikingerzeit (793–1066 n.Chr.) sehr effektiv eingesetzt. Langschiffe waren nicht nur sehr schnell, sie konnten auch durch ziemlich seichtes Gewässer gefahren werden. Der Tiefgang ist der Teil des Schiffs, der unter Wasser sein muss, damit es schwimmt. Langschiffe waren leicht, deshalb verdrängten sie wenig Wasser (d. h. ein größerer Teil des Schiffsrumpfs befand sich über dem Wasserspiegel) und hatten doch genug Auftrieb, um zu schwimmen. Dadurch konnten die Eisenmänner zu ihren Raubzügen leicht an Land gehen. Der Nachteil war, dass die Langschiffe nur wenig Last tragen konnten, ohne zu sinken. Sie wurden vor allem genutzt, um Menschen schnell von einem Ort zum anderen zu transportieren, und wenn man schnell sein will, darf man nicht schwer sein. Kriegsgaleeren dagegen wurden gebaut, um Waffen zu tragen (und wären vermutlich der erste Schiffstyp gewesen, der mit Kanonen ausgestattet würde). Sie wurden vor allem durch Ruder angetrieben, hatten aber auch Segel für gutes Wetter. Im Allgemeinen war eine große Mannschaft notwendig, um so ein großes und schweres Schiff zu rudern. Außerdem war der Tiefgang des Schiffes viel größer, deshalb konnten Kriegsgaleeren nicht in der Nähe eines Ufers landen. Wie Sie sich also vorstellen können, spiegelten sich die unterschiedlichen Einsatzzwecke in ihrer Konstruktion wider (Grant 2008). Es gibt viele Kräfte, die auf ein Schiff einwirken, wenn es durch das Wasser segelt, doch ich werde mich auf zwei konzentrieren: den Schub nach vorne, ob nun durch Wind oder Ruder, und den nach hinten gerichteten Wasserwiderstand. Die Geschwindigkeit des Schiffs hängt davon ab, wie viel kräftiger der Schub nach vorne im Vergleich zum Widerstand nach hinten ist. Die Geschwindigkeit kann auch dadurch gesteigert werden, dass man die Reaktion des Schiffes auf diese beiden Kräfte optimiert. Beim Design des Schiffsrumpfs ist das Ziel, dass dieser so wenig Wasserwiderstand wie möglich erzeugt, wenn sich das Schiff im Wasser bewegt, sodass es mit möglichst wenig Kraft vorwärtskommt. Der Wasserwiderstand wird durch drei Parameter bestimmt: die Querschnittsfläche, die sich durch das Wasser bewegt, wie rau oder glatt der Rumpf ist, und welche Form er hat. Wenn sich etwas durch eine Flüssigkeit bewegt, muss es diese Flüssigkeit beiseite drängen. Nicht allen Formen gelingt das besonders effektiv. Das Wasser wird nicht so leicht um die Seiten eines Würfels strömen, der sich durch die Flüssigkeit
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bewegt wie um einen Kegel. Formen, die Wasser sehr gut zur Seite drücken, werden hydrodynamisch genannt. Der Widerstand, der aufgrund der Form zustande kommt, wird Formwiderstand genannt, weil er eben von der Form des Objekts abhängt. Michael Phelps gelingt es hervorragend, seinen Körper so zu bewegen, dass er diese Art von Wasserwiderstand minimiert. Je kleiner die Querschnittsfläche ist, die sich durch das Wasser bewegt, desto leichter kann das Wasser beiseite weichen. Denken Sie an eine Menschenmenge, die Ihnen auf einem Bürgersteig während der Hauptgeschäftszeit entgegenkommt. Sie drehen sich instinktiv auf die Seite, um sich durch die Menge zu drängen. Eine kleine Querschnittsfläche, die sich durch das Wasser bewegt, macht es genauso. Wir wollen, dass das Wasser um den Schiffsrumpf gleitet, statt dass es ihn blockiert. Auch die Reibung zwischen Schiff und Wasser verursacht einen Wasserwiderstand. Man nennt ihn Oberflächenreibungswiderstand, weil er von der Reibung zwischen der Oberfläche des Schiffsrumpfs und der Flüssigkeit herrührt. Er ist meist viel geringer als der Formwiderstand, und man kann ihn sehr leicht verstehen: Glatte Objekte bewegen sich leicht durchs Wasser, Schmirgelpapier eher nicht so leicht. Der gesamte Wasserwiderstand eines Objekts ist die Summe seines Form- und seines Reibungswiderstands. Dieser Gesamtwasserwiderstand ist nicht konstant, er hängt vom Quadrat der Geschwindigkeit und der Dichte der Flüssigkeit ab. Der Widerstand, den Michael Phelps in Sirup spürt, ist höher als in gechlortem Wasser. Je schneller das Schiff (oder Phelps) schwimmt und je höher die Dichte der Flüssigkeit, desto höher ist der Widerstand. Wenn Sie auf einem Bürgersteig gegen den Strom gehen, ist es viel schwieriger, wenn es mehr Leute sind (höhere Dichte) und wenn Sie sich schneller bewegen (höhere Geschwindigkeit). Verschiedene Formen, auch mit gleicher Querschnittsfläche, erzeugen unterschiedlichen Widerstand. Ein Lastkahn hat einen viel höheren Widerstandskoeffizienten als ein Segelboot. Formen, die das Wasser dabei unterstützen, ohne Turbulenzen um den Rumpf zu strömen, haben einen geringeren Wasserwiderstand. Eine Tragfläche oder ein Flugzeugflügel hat einen der geringsten Widerstandskoeffizienten, weil das Fluid sie glatt umströmt. Dank der abgewinkelten Bogenform und der kleinen Querschnittsfläche haben Langschiffe einen relativ kleinen Widerstandskoeffizienten. Auch die Schiffshülle einer Kriegsgaleere ist so geformt, dass der Strömungswiderstand minimiert wird, doch sie hat eine viel größere Querschnittsfläche, wodurch sich der Widerstand natürlich erhöht. Der Zweck einer Kriegsgaleere war, Belagerungswaffen zu transportieren und Truppen zur Schlacht zu bringen. Im Vergleich zu den Ferraris der Eisernen Flotte waren sie im Wesentlichen die Sattelzüge der königlichen Flotte. Ein
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Ferrari ist schick, und er bringt dich schnell zu deinem Ziel, aber man kann schlecht ein Katapult auf das Dach eines Sportwagens montieren. Dies ist eine vereinfachte Darstellung des Wasserwiderstands, bei der wir davon ausgegangen sind, dass das Wasser gleichmäßig um die Schiffshülle strömt, man nennt diese Art von Strömung laminar. Im wahren Leben gibt es unglücklicherweise aber auch noch Turbulenzen. Sie haben wahrscheinlich schon einmal von Turbulenzen gehört, als sie geflogen sind, doch sie kommen in allen Fluiden vor, auch im Wasser. Im Wasser sehen Sie dann kleine Strudel oder Wirbel. Man benötigt Energie, entweder in Form von Wind oder Rudern, um das Schiff durch das Wasser vorwärtszubringen. Idealerweise will man so wenig Energie wie möglich dafür aufbringen, den Wasserwiderstand zu überwinden, um den Rest dafür zu haben, die Geschwindigkeit des Schiffs zu erhöhen oder zumindest aufrechtzuerhalten. Die Erzeugung von Wirbeln erfordert Energie; sie treten nicht einfach von selbst auf, und die Energie, die dazu notwendig ist, stammt aus der Bewegung des Schiffs. Da Energie weder vernichtet noch erzeugt werden, sondern nur ihre Form ändern kann, geht ein Teil der Energie, der der Weiterbewegung des Schiffes dienen sollte, in die Erzeugung von Wirbeln. Turbulenzen können den Wasserwiderstand drastisch erhöhen, teilweise um bis zu 20 %. Wenn man also ein Schiff entwirft, ist es wichtig, nicht nur den Oberflächen- und Formwiderstand zu minimieren, der für laminare Strömungen entscheidend ist, sondern auch zu verhindern, dass Turbulenzen entstehen. Ein glatter Schiffsrumpf trägt nur wenig dazu bei, in einer laminaren Strömung den Oberflächenwiderstand zu reduzieren, doch er verhindert sehr effektiv, dass der Widerstand durch Turbulenzen steigt. Ein rauer Rumpf ruft viele kleine Wirbel hervor. Auch abgerundete Formen verursachen weniger Turbulenzen als scharfe Kanten. Ich fahre in meiner (immer weniger werdenden) Freizeit gerne Rad, und dabei ist es wichtig, ein aerodynamisches Rad zu haben und eine aerodynamische Position einzunehmen. Das ist das Einzige, was ich tun kann, um meine Querschnittsfläche zu verändern, außer vielleicht die Pish-Food-Eiskrem liegen zu lassen, doch auch das Fahrraddesign kann etwas leisten, um Turbulenzen zu verhindern, die entstehen würden, wenn ich unterwegs bin. Ich bin kein Profi in diesem Bereich, aber sogar mein Rad hat einige feine Details, etwa asymmetrische Unterrohre, die Turbulenzen verringern (Bell 1979). Langschiffe sind nicht nur aufgrund ihrer Querschnittsfläche, Rumpfform und glatten Seiten schnell, sondern auch aufgrund ihrer Länge. Längere Schiffe sind schneller. Denken Sie nur an die Boote bei Ruderwettkämpfen, die viel länger sind, als es zum Beispiel für zwei Personen notwendig wäre. Der Grund dafür ist etwas komplizierter und weniger intuitiv verständlich
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Abb. 1 Die charakteristische Bugwelle, die ein Schiff erzeugt, wenn es durch das Wasser fährt
als der des Wasserwiderstands. Wenn sich ein Schiff durch das Wasser bewegt, erzeugt es vorne eine Welle, die sogenannte Bugwelle (Abb. 1). Wenn es sich langsam bewegt, hat diese Welle entlang des Schiffs viele Scheitelpunkte und Täler. Längere Wellen breiten sich schneller aus als kürzere, wenn sich das Schiff also immer schneller bewegt, werden die Wellenlängen immer länger und länger. An einem Punkt wird die Welle so lang, dass sich ihr Scheitelpunkt am Bug des Schiffes, sein Tal in der Mitte und der nächste Scheitelpunkt am Heck befindet. Wenn das Schiff noch schneller wird, liegt das Tal schließlich am Heck, sodass das Wasser dort abfällt. Da das Heck sehr breit und flach ist, verursacht dies einen sehr hohen Wasserwiderstand und bremst das Schiff deutlich ab. Die Maximalgeschwindigkeit des Schiffes ist deshalb dadurch festgelegt, wie lang die Welle entlang des Rumpfes werden kann. Längere Schiffe haben längere Schiffsrümpfe und dadurch auch eine größere Höchstgeschwindigkeit (Anderson 2008). Dank seiner kleinen und schnellen Schiffe hat die Eiserne Flotte den Vorteil der Geschwindigkeit, doch das hat seinen Preis. Dadurch konnten Stannis und die königliche Flotte den Sieg davontragen. Kriegsgaleeren waren größer als die Langschiffe der Wikinger. Um große Lasten tragen
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zu können, ohne zu sinken, mussten die Schiffe sehr viel Auftrieb haben. Ich erwähnte den Auftrieb in Kap. „Weiße Wanderer, Zombies, Parasiten und Statistik“, als ich darüber sprach, wie die Armee der Toten den Zombie-Viserion aus dem See ziehen konnte; hier folgt, wie er sich bei einem Schiff auswirkt: Damit ein Schiff schwimmen kann, muss die Kraft nach unten, oder das Gewicht des Schiffes mit seiner Ladung, kleiner sein als die Auftriebskraft, die den Schiffsrumpf nach oben treibt. Diese Auftriebskraft hängt vom Volumen ab, mit dem das Schiff untertaucht. Je größer das Schiff ist, desto mehr kann untergetaucht werden und entsprechend mehr kann es tragen. Die Armee von Stannis konnte bis zu den Zähnen mit Belagerungskriegsgeräten bewaffnet ankommen, etwa mit Ballisten oder Rammböcken. Durch ihre Größe waren sie auch bei einer Kollision im Vorteil. Kriegsgaleeren wurden oft als Rammböcke benutzt, um kleinere Schiffe zu versenken. Mit ihren größeren Schiffen und der beeindruckenden Bewaffnung hatte die königliche Flotte gute Chancen, die Eiserne Flotte zu besiegen – doch sie mussten sie erst einfangen.
Schneller werden Balon Graufreund und Stannis Baratheon bauten ihre Flotten mit unterschiedlichen Schiffstypen auf, die einen leicht und schnell, die anderen groß und für Schlachten gemacht. Sie wählten auch verschiedene Antriebsarten, wobei sich die Eiserne Flotte auf Windkraft verließ, während die königliche Marine Ruder bevorzugte. Zwar verfügten beide über die jeweils andere ungenutzte Methode je nach Wetter als Reserve, doch im Allgemeinen segelte Asha, während Stannis ruderte – das heißt, ihre Mannschaften taten es. Ist eines besser als das andere? Wie bringen diese Methoden ein Schiff vorwärts? Das hängt von der Form der Dinge ab. Nein wirklich – es hängt von der Form und Orientierung der Segel und der Form der Ruder ab. Ein Langschiff der Eisernen Flotte wird meist gesegelt. Die Art und Weise, wie die Segel und Masten eines Schiffes aufgebaut sind, nennt man die Takelage. Von ihr hängt ab, wie effizient die Windkraft eingesetzt werden kann, und wie schnell sie das Schiff macht. Traditionell hat ein Langschiff rechteckige Segel, sogenannte Rahsegel, die man auch gern auf Schiffen in Piratenfilmen sieht. Nimmt man das Buch als Referenz, sollte man erwarten, dass die Segel mit dem Krakenwappen rechteckig sein sollten. In der Serie gibt es zwei Arten von Takelage: Euros Schiff hat Rahsegel mit Stagsegel, doch der Großteil der Flotte besitzt die von Jachten vertrautere Hochtakelung. Es ist seltsam, dass beide gemischt werden, doch es ist visuell
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beeindruckend, deshalb verzeihe ich Weiss und Benioff die Inkonsistenz. (Während ich ihnen das gegossene Schwert niemals verzeihen werde.) Die beiden Takelagetypen segeln mit unterschiedlichen Methoden. Das Rahsegel ist nicht zu kompliziert. Ein Mast wird mit Rahen, oder Balken senkrecht zum Mast, aufgestellt, und daran werden die Segel befestigt. Die Rahen mit den Segeln sind drehbar am Mast gelagert, sodass man so viel Wind wie möglich einfangen kann, wenn man sie dreht, wie mit einem Fallschirm. Aufgrund ihrer großen Segelfläche sind die Schiffe sehr schnell, wenn sie mit dem Wind segeln. Doch wenn der Wind aus der Richtung kommt, in die sie wollen, haben sie Glück, wenn sie Ruder als Reserve dabeihaben. Schiffe mit Hochtakelung dagegen können gegen den Wind segeln – zumindest gewissermaßen. Die Segel der Hochtakelung ähneln einem Flugzeugflügel. Ich hoffe, Sie erinnern sich an meine Erklärung aus Kap. „Drachenbiologie – Fledermäuse, aber mit Feuer“, wie ein Flugzeug fliegt. Bei einem Flugzeugflügel kommt der Wind von der Vorderkante, und die Form des Flügels und der Anströmwinkel zwingen die Luft nach unten, sodass Auftrieb entsteht. Nehmen Sie das und stellen es auf die Seite, und Sie haben ein Segelboot (Abb. 2). Das Boot sollte im idealen Anströmwinkel auf den Wind ausgerichtet werden. Wie beim Flugzeugflügel wird die Luft vom Segel weggedrückt, und das Boot wird in die entgegengesetzte Richtung weitergetrieben. Doch es wird nur das Segel des Bootes angeschoben, deshalb würde das Schiff ohne gegenwirkende Kraft entweder kentern oder seitlich über die Wasseroberfläche geschoben werden. Das verhindert erst ein Kiel – eine breite flache Holzflosse, die vom Boden der Schiffshülle nach unten ins Wasser reicht. Er ist so geformt, dass er wenig Widerstand erzeugt, wenn er vorwärtsgetrieben, doch sehr viel, wenn der Kiel zur Seite geschoben wird. Dieser Widerstand verhindert also, dass das Schiff zur Seite geschoben wird oder kippt. Wenn Sie mit Ihrem Segel- oder Langschiff mit Hochtakelung gegen den Wind segeln wollen, können Sie dies mithilfe des Kreuzens, das heißt, Sie bewegen sich im Zickzack in einem Winkel gegen den Wind, sodass sich die Gesamtbewegung des Schiffes zu einer geraden Linie mittelt. Anders als der Flügel eines Flugzeugs kann ein Segel seine Form verändern. Indem man das Segel von einer Seite zur anderen bewegt, kann man im richtigen Winkel gegen den Wind segeln, und man erhält letztendlich eine Gesamtkraft in eine andere (Richtung Maciel 2015). Stannis wählte für seine Kriegsgaleeren eine andere Antriebsmethode, die nicht weniger von der Form abhängig war: Rudern. Die Physik des Ruderns ist ziemlich unkompliziert. Es nutzt einfache Hebelwirkung. Wenn der Ruderer am Griff des Riemens zieht, wird das Ruderblatt gegen
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Abb. 2 Diagramm der auf ein Segelboot mit Hochtakelage wirkenden Kräfte. (Nachzeichnung eines Diagramms von James Roche)
das Wasser gedrückt. Weil es zu jeder Aktion eine gleiche und entgegengerichtete Reaktion gibt, wird das Schiff ein wenig vorwärtsgetrieben. Wenn 100 Leute das gleichzeitig mit einer abgestimmten Synchronizität machen, kann das Schiff ziemlich schnell werden. Die Form und die Größe des Ruderblatts sind sehr wichtig, wenn man das Maximum aus jedem Ruderschlag herausholen möchte. Je größer das Blatt, desto mehr Energie kann es erzeugen, und diese Energie ist zusammen mit der Kraft, die der Ruderer zur Verfügung stellt, um den Riemen zu heben, das, was das Schiff vorwärtsbringt. Doch die Balance dabei zu halten, ist kompliziert, denn man braucht jemanden, der stark genug ist, diese Art von Kraft aufzubringen, und man will das größte Ruder, das die Ruderer effizient handhaben können. Wenn die Querschnittsfläche zu groß ist, mag sich das Schiff kurzzeitig sehr schnell bewegen, doch die Ruderer werden schneller müde. Es geht aber um einen Marathon, nicht um einen Sprint.
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Auch die Form des Riemens ist wichtig, wenn man mit jedem Ruderschlag schneller werden will. Traditionell waren Ruder, die auf Stannis‘ Schiffstypen genutzt wurden, symmetrisch. Das Ruderblatt sah von jeder Seite des Schafts gesehen gleich aus. 1991 entwickelten der ehemalige olympische Ruderer Dick Dreissigacker und sein Bruder Pete das Cleaver-Ruder (dt. etwa Hackbeilruder). Ein Hauptnachteil der symmetrischen oder tulpenförmigen Ruder war der Wasserwiderstand, den der Schaft verursachte, denn bei ihnen ist es unmöglich, das ganze Blatt unter Wasser zu bekommen, ohne auch einen großen Teil des Schaftes unterzutauchen. Man muss dann den Schaft durch das Wasser ziehen, ohne dass dieser einen nennenswerten Beitrag zur Vorwärtsbewegung des Schiffes liefert. Beim Cleaver-Ruder wird der Schaft am oberen Teil befestigt und das gesamte Blatt hängt nach unten. Auf diese Weise kann das Blatt ins Wasser tauchen, ohne dass zu viel des Schafts durch das Wasser gezogen werden muss. Das klingt nach einer offensichtlichen Lösung, nachdem jemand anderes auf den Gedanken gekommen ist. Vor Kurzem hat der australische Ruderer Ian Randall ein weiteres Ruderdesign vorgestellt: das Randall-Blatt (Randall). Bei diesem Ruderblatt wird in Richtung der Ruderbewegung eine kleine Aufsatzkante auf dem oberen Teil eines Cleaver-Ruders ergänzt, sodass das Ruder in vollem Kontakt mit dem Wasser gelangen kann, ohne dass man den Schaft eintauchen muss. Außerdem fängt sie das Wasser ein, das normalerweise über das Ruderblatt strömt und so Turbulenzen verursacht. Unabhängige Studien haben ergeben, dass diese Ruder die Geschwindigkeit des Bootes um bis zu 5 % erhöhen können. Ich wette, Gendry hätte gerne einige davon gehabt.
Hinkommen Wenn aufzutauchen tatsächlich schon die halbe Schlacht ist, dann ist es ziemlich wichtig, am richtigen Ort aufzutauchen. Die Navigation auf hoher See kann extrem schwierig sein. Wir sind im Allgemeinen gewohnt, uns entlang von Landmarken zu orientieren, doch auf dem offenen Meer sieht an einem wolkenlosen Tag alles ziemlich gleich aus. Die Sterne können nachts eine gewisse Orientierungshilfe bieten, aber nicht so wie die heutigen Navigationssysteme. Für die Schiffe von Westeros war es nicht allzu schlimm, denn sie segelten nicht gerade über den Atlantik und hielten sich nur selten weit von Land entfernt auf. Trotzdem benötigten sie einen anständigen Plan für die Navigation. Eine der ersten Navigationsmethoden war die sogenannte Koppelnavigation. Der englische Begriff dafür,
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dead reckoning, enthält den Begriff „dead“ im Sinne von „dead useful“ – wirklich nützlich – und weist darauf hin, dass es sich um eine wirklich genau Methode zur Positionsbestimmung handelt. Doch war Koppelnavigation alles andere als das. Bei dieser Methode wird die Position des Schiffes abgeschätzt, indem man seine vorherige heranzieht und dann aus der vermuteten Geschwindigkeit und der vermuteten Zeitspanne eine neue berechnet. Bei dieser Methode wird sehr viel nicht berücksichtigt. Auch wenn sich der Kapitän noch so sehr bemüht, segelt ein Schiff nicht immer in die Richtung, in die man zu segeln glaubt. Oft können Strömungen dazu führen, dass das Schiff in die eine oder andere Richtung abdriftet, ohne dass es jemand bemerkt. Wenn die Messungen einmal leicht danebenliegen, können sich die Fehler verstärken, bis es ein echtes Problem gibt. Sie können sich das mit Papier und Bleistift verdeutlichen: Zeichnen Sie zwei Punkte auf, die weit voneinander entfernt liegen; das sind Ihre Startund Zielpunkte. Verbinden Sie diese mit einer Linie. Wenn Sie jetzt an ihrem Startpunkt beginnen und eine zweite Linie in Richtung Ihres Zielpunkts zeichnen, aber mit einem kleinen Winkel in die falsche Richtung. Beobachten Sie jetzt, wie die Entfernung zwischen den beiden Linien anwächst, wenn sie länger werden. Auf See kann ein solcher Fehler sehr schnell überhandnehmen und fatale Konsequenzen haben. Ich glaube, wir alle haben dies schon einmal bei einer Wanderung oder einer Fahrt mit dem Auto erlebt. Wir nehmen an zu wissen, wo wir sind, und entscheiden uns für eine Richtung. Von da an glauben wir zu wissen, wo wir sind, und bewegen uns auf Grundlage dieser Entscheidung. Normalerweise endet dies mit einem Streit mit Ihrem Beifahrer, dem Versprechen, die Powerbank für das Handy das nächste Mal nicht zu vergessen und jemanden nach der Richtung zu fragen, wenn man Pause macht, um eine Kleinigkeit zu essen. Damals endete es mit Skorbut und Tod. Das Astrolabium und später der Sextant verbesserten die Lage. Wenn man den Winkel zwischen dem Horizont und einem Objekt am Himmel kennt, kennt man auch den Breitengrad, auf dem man sich befindet. Wenn Sie noch einmal ganz zum Kap. „Der Winter naht – oder?“ zurückkehren, erinnern Sie sich, dass die Sonne je nach Breitengrad an unterschiedlichen Punkten am Himmel auftaucht. Das Astrolabium war ein Gerät, mit dem man diesen Winkel bestimmen konnte. Es bestand aus einer schweren Metallscheibe, normalerweise aus Bronze, und einer Alhidade, die im Grunde ein beweglicher Zeiger war. Diese Scheibe hatte an ihrer Oberseite einen Haken, an dem sie vertikal aufgehängt wurde. Dann wurde die Alhidade so bewegt, dass sie auf einen Stern, die Sonne oder etwas anderes zeigte, sodass man den Winkel ablesen konnte. Wenn man die Position
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der Sterne und der Sonne kannte, konnte man mithilfe dieses Winkels den Breitengrad abschätzen. Doch auf einem Schiffsdeck ist es schwierig, irgendetwas ruhig zu halten, weil sich alles mit Wind und Wellen bewegt, deshalb war das zwar nicht die allergenaueste Methode, aber trotzdem eine Verbesserung zur Koppelnavigation. Ein Astrolabium berechnete also den Breitengrad, auf dem sich ein Schiff befand, aber damit konnte man nur herausfinden, ob man sich nach Norden oder Süden bewegte, aber nicht nach Osten oder Westen. Bezüglich des Längengrades sagte es nichts aus. Der Sextant war ein kleiner Fortschritt gegenüber dem Astrolabium. Man musste ihn nicht ruhig halten, und er konnte in jede Richtung verwendet werden. Das Astrolabium musste vertikal nach unten hängen, damit es funktionierte, deshalb konnte man damit nie die Winkel zwischen den Himmelskörpern messen, nur den zwischen dem Horizont und dem Himmel. Der Sextant war in der Lage, Winkel in alle Richtungen zu bestimmen. Er arbeitete mit einem System aus Spiegeln (Abb. 3). Der Anwender blickte durch das Visier, um den Horizont zu finden, dann bewegte er den Arm, der den Spiegel oben auf dem Sextanten kippte, bis das Bild der Sonne oder des Sterns auf das Bild des Horizonts reflektiert wurde. Dann konnte man den Winkel ablesen und den Breitengrad bestimmen. Dasselbe Verfahren konnte verwendet werden, um den Winkel zwischen zwei Sternen zu messen. Statt den Horizont zu finden und das Bild der
Abb. 3 Schematische Darstellung eines Sextanten
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Sonne auf den Horizont zu spiegeln, musste man auf einen Stern blicken und den Arm so drehen, dass das Bild des anderen Sterns darauf abgebildet wurde. Dies war zwar besser als das Astrolabium, doch auch der Sextant konnte nur die Position in Richtung Norden oder Süden messen, nicht die nach Osten oder Westen. Der Längengrad war unerreichbar. Eines der besten wissenschaftlichen Bücher, die ich je gelesen habe, beschäftigt sich mit ebendieser Frage, wie man auf See genau den Längengrad bestimmt. Das Buch Längengrad von Dava Sobel beschreibt die großen Herausforderungen der Navigation und die Suche nach einer Lösung. Um eine Position anzugeben, muss man Breiten- und Längengrad kennen. Sextanten und Astrolabien können nur den Breitengrad messen, doch der Längengrad ist schwieriger. Um ihn zu messen, muss man die Zeitdifferenz zwischen den Orten, an denen man gestartet ist und an dem man sich befindet, kennen. Wenn ich weiß, dass es 15.00 Uhr in Washington DC ist und dort, wo ich gerade bin, ist Mittag (der Punkt, an dem die Sonne am höchsten steht), und dass ich auf 33,44° nördlicher Breite stehe, dann weiß ich, dass ich mich in Phoenix, Arizona aufhalte. Der Schlüssel für die Lösung der Navigationsprobleme lag in der Entwicklung einer sehr genauen Uhr. Damals hatten die Leute schon sehr genaue Uhren, sie funktionierten nur auf See nicht zuverlässig. Können Sie sich vorstellen, wie eine Pendeluhr mitten im Atlantik geht? Veränderungen der Temperatur, des Luftdrucks und der Luftfeuchtigkeit würden auch die Zuverlässigkeit normaler Uhren einschränken. Da die Seefahrer den Längengrad so dringend messen können wollten, verabschiedete die Britische Regierung 1714 den Longitude Act, in dem eine Prämie von 20.000 Pfund für die Entwicklung einer Uhr ausgelobt wurde, mit deren Hilfe man genau die Länge vermessen konnte. John Harrison gelang es, alle Probleme zu lösen, und er schuf seine Schiffsuhr „H1“. Er verwendete kein normales schwingendes Pendel, das auf See nicht effektiv funktionierte, sondern legte dessen Prinzip auf die Seite. Er nahm zwei Hanteln und verband sie mit Federn. Die beiden schwingen aufgrund der Federkraft vor und zurück, nicht aufgrund der Gravitation wie bei einer normalen Uhr. Dies beseitigte das Problem des schwingenden Pendels. Dann schuf er die „Grashüpferhemmung“, um diese Schwingungen zu kontrollieren. Die Hemmung einer normalen Pendeluhr treibt die Schwingungen mithilfe der Gravitation an. Weil Harrison dies für die H1 nicht verwenden konnte, benötigte er ein neues System. Seine Grashüpferhemmung verwendete Hebel und Drehgelenke und funktionierte in jedem Winkel. Die Uhr, die so entstand, sah mehr wie ein Kunstwerk aus als etwas, das zum Zeitmessen geeignet ist, doch auf kürzeren Reisen war sie sehr erfolgreich. Er stellte später noch ausgeklügeltere Modelle her, und für
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die Entwicklung des Modells „H4“ erhielt er dann 1776 vom Parlament den Preis für Längenmessung (Sobel 2007).
Trink Deinen O-Saft! Vermutlich hatten die Maester keine genaue seetüchtige Uhr entwickelt, deshalb hoffe ich, dass ein Sextant und die nahe Küstenlinie den Seefahrern aus Westeros dabei halfen, nicht verloren zu gehen. Doch was wäre in diesem Fall passiert? Eine der größten Gefahren des Lebens auf See ist, dass man keinen Zugang zu lebenswichtigen Zitrusfrüchten hat. Menschen, andere Primaten und (seltsamerweise) Meerschweinchen können ohne Vitamin C in ihrer Nahrung nicht überleben. Alle anderen Tiere sind in der Lage, Zucker in Vitamin C zu verwandeln (Zumreoglukaran 2006). Irgendwo im Laufe ihrer Entwicklung verloren Primaten und Meerschweinchen die Fähigkeit, die Enzyme herzustellen, die für diese Reaktion verantwortlich sind. Weil wir es nicht machen können, müssen wir es aus einer anderen Quelle bekommen: der Nahrung. Das ist meist kein Problem, weil wir nicht wirklich viel Vitamin C benötigen und es normalerweise ausreichend zur Verfügung steht. Doch in der Mitte des Atlantiks gibt es nicht viel frische Nahrung, und Fisch enthält nur Spurenelemente von Vitamin C. Wenn Sie Ihrem Körper zu lange Vitamin C vorenthalten, kann er es nicht selbst herstellen, und deshalb fangen einige böse Dinge an, zu passieren. Vielleicht denken Sie, es sei möglich, vor einer langen Reise Vitamin C zu „speichern“, indem man vorher viele Orangen isst. Das ist mit Vitamin D oder K tatsächlich möglich, weil diese fettlöslich sind und im Körperfett gelagert werden können. Unglücklicherweise ist Vitamin C wasserlöslich, und unser Körper speichert Wasser nicht so wie Fett. Ihr Körper kann etwa 1500 mg Vitamin C aufnehmen, alles was darüber hinausgeht, wird mit dem Urin ausgeschieden (Goebel 2017). Vitamin C ist entscheidend für einige unterschiedliche Reaktionen in unserem Körper, doch seine Rolle bei der Herstellung von Kollagen ist wahrscheinlich am wichtigsten. Erinnern Sie sich an die Diskussion über Redoxreaktionen in den Kapiteln über Stahl? Das ist es, was das Vitamin C in unseren Körpern möglich macht – es vermindert die Zahl der Metallionen in Enzymen, damit sie zuverlässig ihre Aufgabe übernehmen können. Außerdem entfernt Vitamin C freie Radikale, also Atome, die sich frei in unserem Körper herumtreiben und nach etwas suchen, mit dem sie sich verbinden können. Wenn sie nicht entfernt werden, können sie sich an bestimmte Moleküle in Zellen anlagern und dadurch Schaden verursachen.
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Vitamin C kann sich mit diesen freien Radikalen verbinden und sie entfernen, sodass unsere Zellen vor Schäden bewahrt werden. Es wirkt auch als Cofaktor, das heißt, es ist, ohne ein Protein zu sein, an einigen Reaktionen beteiligt, die unseren Körper in Gang halten. Einer dieser lebenswichtigen Prozesse ist die Herstellung von Kollagen, ein Protein, das als Grundlage für das Bindegewebe dient, also jedes Gewebe, das nicht Muskel, Haut oder Nerv ist. Es ist das Protein, das in unserem Körper am häufigsten vorkommt. In den 400 Jahren zwischen der Reise von Kolumbus in die „Neue Welt“ und der Erfindung von Dampfschiffen starben rund 2 Mio. Menschen an Skorbut. Diese Erkrankung wird ausschließlich durch Vitamin-C-Mangel hervorgerufen. Sie beginnt als allgemeine Muskelschwäche und geht dann mit Zahnfleischerkrankungen weiter und endet mit offenen, blutenden Wunden. Vitamin C dient als Cofaktor bei der Kollagenproduktion, indem es Wasserstoff und Sauerstoff an die Aminosäuren abgibt, die das Kollagenprotein aufbauen, ohne Vitamin C hört deshalb die Kollagenproduktion auf. Das Kollagen wird gebraucht, um die Strukturen in unserem Körper zu erneuern. Ohne Kollagen verheilen Wunden nicht mehr, Körperteile wie das Zahnfleisch und Schleimhäute, die oft repariert werden müssen, werden zu bluten beginnen, weil die Schäden nicht behoben werden können, und schließlich werden auch Schwachstellen auf der Haut, wie Haarfollikel, anfangen zu bluten. Es dauert ungefähr drei Monate, bis eine Person all ihre Vitamin-C-Vorräte verbraucht hat und anfängt, Skorbut zu entwickeln, und das sind keine schönen Aussichten. Doch die gute Nachricht ist, dass dies reversibel ist – es wird wieder besser, sobald man Vitamin C zu sich nimmt. Wenn man jedoch auf dem Meer festsitzt und einen Kapitän hat, der mithilfe von Koppelnavigation steuert, wird man wahrscheinlich eine Zeitlang nicht in der Nähe frischer Früchte sein. Schlimmer noch, wenn Sie gefangen werden und in die schwarze Zelle der Kerker des Roten Bergfrieds geworfen werden, werden Sie praktisch garantiert an Skorbut sterben – zumindest wenn Sie dort drei Monate überleben. Ich persönlich bin froh, in einem Zeitalter zu leben, in dem ich nach Großbritannien und zurück fliegen kann, statt segeln zu müssen. So lange zu segeln klingt nicht schön, und ich mag wirklich Orangen (und meine Zähne). Abgesehen davon staune ich immer wieder darüber, welche Technologien die Menschen vor Jahrhunderten entwickeln konnten, ohne die detaillierten Grundkenntnisse zu haben wie wir. Sogar heute noch haben viele Seefahrer einen Sextanten und eine gute Uhr und wissen, wie sie diese im Fall der Fälle verwenden. Angefangen bei Gold-Nanopartikeln im Glas und Kohlenstoffnanoröhren, die Stahl stärken, bis hin zu einem Feuer, das
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so unglaublich ist, dass die Menschen immer noch erfolglos versuchen, es nachzumachen, sind die Bewohner von Westeros ziemliche krass für Leute, die nicht einmal wissen, warum sie Jahreszeiten haben.
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Der Scharfrichter des Königs Die Biologie eines grausamen Todes
Der Mann, der ein Urteil fällt, soll auch das Schwert führen. – Eddard Stark, Game of Thrones – Der Winter naht
Wenn Sie die Serie angeschaut oder von ihr gehört haben oder nur einmal 30 s hängen geblieben sind, bevor Sie weitergezappt haben, oder wenn Sie vielleicht sogar überlegen, die ganze Serie zu verfolgen, dann wissen Sie, dass es in Game of Thrones sehr viel Gewalt gibt. Da führt kein Weg daran vorbei. Viele Zuschauer finden, dass die Gewalt nicht mehr nur integraler Teil der Handlung, sondern einfach nur noch Folterporno sei. Ganz gleich, welche Gefühle Sie zu diesem Punkt hegen, wenn Sie dieses Kapitel lesen, wird Ihnen ganz klar werden, wie viele einzigartige und schmerzhafte Methoden in Game of Thrones gefunden wurden, um eine Person zu töten. Bitte haben Sie beim Lesen dieses Kapitels Verständnis dafür, dass ich davon ausgehe, dass Sie Interesse daran haben, mehr über diese Brutalität in der Geschichte zu erfahren, und dass ich keine Rücksichten nehmen werde. Es wird heftig werden. Ich will Ihnen eines ganz klar verraten: Nachdem ich Nachforschungen für dieses Kapitel angestellt und es geschrieben hatte, hatte ich aufgrund der Realitätsnähe dieser Tode mehr Albträume als durch alle Serien und Bücher zusammen – und das heißt etwas. Wenn man über die biologische und physische Wirklichkeit des Todes nachdenkt, versetzt man sich so sehr in die Lage des Verurteilten, wie es beim Lesen einer Geschichte nie möglich wäre. Wenn Sie also bereit dazu sind, lesen Sie weiter. Aber vergessen Sie nicht: Es war viel schlimmer, dieses Kapitel zu schreiben, als es für Sie zu lesen ist. Als ich dieses Kapitel auf einigen Langstreckenflügen verfasst habe, wurde ich auch mehr als einmal schräg angeschaut. Wenn Sie es © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 R. C. Thompson, Wissenschaft meets Game of Thrones, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61419-8_14
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unbedingt vermeiden wollen, dass sich Ihr Sitznachbar auf langen Flügen mit Ihnen unterhalten will, ist ein heißer Tipp, den Googledoktor bei einem Abschnitt mit dem Titel „Enthauptung“ auf Ihrem Notebook offen zu lassen. Wenn Sie hier allerdings nach einer Anleitung suchen, wie Sie wiederbelebt werden können, nachdem Sie erstochen worden sind, wird Ihnen dieses Kapitel leider auch nicht helfen. Ich persönlich gehöre durch und durch zum Team des Lord Kommandanten, doch als Wissenschaftlerin kann ich Ihnen nicht viel helfen (fragen sie besser die Rote Frau). Ich habe Sie gewarnt.
Enthauptung Es gibt umfangreiche Forschungen zu der Frage, was genau im Augenblick des Todes passiert. Schaltet das Gehirn im gleichen Moment ab wie das Herz? Dauert es ein wenig, bis das Gehirn die Information erhält, dass das Herz zu schlagen aufgehört hat? Was können uns Nahtoderfahrungen und der Film Flatliners wirklich über diese Fragen verraten? Die Erforschung der Biologie der Enthauptung ist ein hervorragender Ausgangspunkt für die Erkundung dieser Fragen, von denen Sie wahrscheinlich bisher gar nicht wussten, dass sie sich stellen. Bei einer Enthauptung wird der Kopf durch irgendeine Art von Klinge vom Körper getrennt. Die Fragen, die ich in diesem Abschnitt hoffentlich beantworten werde, sind: Wie verändert die Methode des Köpfens das, was die hingerichtete Person wahrnimmt, und ist man sich wohl darüber bewusst, was mit dem eigenen Kopf passiert, nachdem er vom Körper getrennt wurde? Bekanntlich bat Anne Boleyn Heinrich VIII um einen französischen Scharfrichter, der ein Schwer, statt die traditionelle englische Axt verwendete. War dies ein lohnender letzter Wunsch? Man sagt, dass während der französischen Revolution in den Gesichtern Bewegungen auftraten, nachdem der Kopf vom Körper getrennt worden war. Wissenschaftler haben verurteilte Gefangene sogar gebeten, zu versuchen, nach ihrer Enthauptung zu kommunizieren. Waren diese Bewegungen nur Einbildung bei den Zuschauern, oder konnten die Verurteilten die über ihren Tod jubelnde Menge wirklich wahrnehmen? Wie schmerzhaft ist diese Art von Tod wohl? Die traditionellen Enthauptungsmethoden nutzen das Schwert oder die Axt. Und tatsächlich sieht man auch beides in Game of Thrones. Man glaubte, dass das Schwert weniger schmerzhaft und effektiver war als die Axt. Angesicht seiner relativen Schärfe ist dies sinnvoll. Das ist ein sehr interessantes physikalisches Problem, und es wird
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durch eine Enthauptungsmethode besser gelöst, die in Game of Thrones nicht gezeigt wird: die Guillotine. Die Guillotine war vermutlich die berüchtigtste Methode für die Enthauptung; sie wurde von Dr. Joseph-Ignace Guillotin und dem Cembalobauer Tobias Schmidt entwickelt. Ironischerweise schlug Guillotin die Vorrichtung, die seinen Namen trägt, vor, weil er versuchen wollte, die Todesstrafe vollständig abzuschaffen. Er hatte den Eindruck, dass der erste Schritt zu ihrer vollständigen Abschaffung war, herauszufinden, wie man sie schnell und schmerzlos durchführen kann. Das funktionierte nicht. Die Guillotine wurde in Frankreich von 1792 bis 1977 eingesetzt. Damit Sie das historisch einordnen können: Die letzte Hinrichtung durch eine Guillotine geschah einige Monate nach dem Erscheinen des ersten Krieg-der-Sterne-Films, in dem Jahr, als überall Ataris in den Regalen standen und man den ersten Apple-II-Computer kaufen konnte. Jimmy Carter war Präsident. Es ist also noch nicht so lange her. Als ich daran dachte, wie schmerzhaft es wohl sein müsse, geköpft zu werden, war ich neugierig zu erfahren, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war, dass ein Scharfrichter es in einem Streich schaffen konnte. Ist es wohl wie die Exekution des Deserteurs der Nachtwache durch Ned oder eher wie die stümperhafte Enthauptung von Ser Rodrik Cassel durch Theon? Es ist schwierig herauszufinden, welche Kraft notwendig ist, den Nacken einer Person zu durchtrennen, weil es zu diesem Thema nur wenige nützliche Daten gibt. Deshalb ist es eine gute Idee, mit der Guillotine anzufangen. Bedenkt man, dass sie etwa 3 0.000-mal verwendet wurde und als sehr effektiv galt, kann man mit Sicherheit annehmen, dass die Kraft, die sie aufbringen konnte, ausreichend war, um bequem, zuverlässig und wiederholt einen Kopf mit einem Schlag vom Rumpf zu trennen. Wie ich im Abschnitt über das Hängen noch ausführlicher erklären werde, geht man dieses Problem am besten mit Köpfchen (haben Sie es verstanden? mit Köpfchen!) an, indem man sich die Energie anschaut. Sobald wir die Energie pro Einheitsfläche kennen, die eine Guillotine aufbringt, können wir ganz gut abschätzen, wie viel Kraft ein Scharfrichter aufwenden muss. Wenn das Fallbeil der Guillotine ganz oben auf der Vorrichtung festgemacht ist, hängt es in einer Höhe von etwa 2,2 m. Das Fallbeil selbst wiegt etwa 7 kg, was nicht sehr schwer ist – etwa so schwer wie ein durchschnittlicher Thanksgiving-Truthahn. Um sie schwerer zu machen und die Energie zu erhöhen, die sie hat, wenn sie den Nacken durchtrennt, wurde darauf ein Gewicht, das sogenannte Mouton, befestigt. Das Ganze wiegt am Ende etwa 37 kg oder etwas weniger als ich ohne meinen Kopf (okay, eher halb so viel wie ich). Wenn sie oben ist, hat die Klinge der Guillotine
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eine potentielle Energie von etwa 820 kJ. Auf dem Weg nach unten geht etwas davon durch Reibung verloren, und ein weiterer Teil davon geht durch Reibung verloren, wenn der Hals durchtrennt wird. Die Klinge war angewinkelt, sodass nicht die gesamte Reibung auf einmal auftritt und die Klinge zu schnell gebremst wird; und wenn Sie jemals französischen Köchen zugeschaut haben, wissen Sie, dass auch diese gerne mit Messern mit angewinkelter Klinge schneiden. Beim Scharfrichter geht es jedoch weniger um die Kraft, die durch den Henker aufgebracht wird, sondern darum, wie geschickt er mit der Axt ist. Die Axt, die von den Engländern genutzt wurde, konnte genauso scharf und dünn geschmiedet werden wie ein Schwert, deshalb sollte die Axt, sofern der Henker stark genug ist, humaner sein, weil sie schwerer ist. Eine Axt stellt deshalb mehr Energie pro Einheitsfläche zur Verfügung als ein Schwert. Pech für viele Briten war nur, dass die Axt viel schwieriger zu führen ist und dass die Scharfrichter weniger Übung hatten. Der durchschnittliche Hals ist dünn, doch der Rücken und der Kopf sind es nicht. Der Henker musste seinen Schlag deshalb an der dünnsten Stelle des Halses setzen und genug Kraft aufbringen, um ihn ganz durchzuschlagen. Wenn eine Klinge einen Hals durchtrennt, geht Energie durch Reibung und das mechanische Aufbrechen von Bindungen verloren. Sobald die potentielle Energie verbraucht ist, bleibt die Axt stecken. Wenn sie nicht ganz durch den Hals gekommen ist, hat der Gefangene einen deutlich schlechteren Tag. Genau wie das Hängen war die Enthauptung ein Handwerk, das man üben musste. Die übliche Hinrichtungsmethode in England war das Hängen; Köpfen war dem Adel vorbehalten. Henker, die eigentlich für das Hängen ausgebildet waren, arbeiteten oft nebenberuflich als Scharfrichter. Doch das Ziel beim Hängen war, dass der Kopf fest am Körper blieb, deshalb war ein Henker mit dem Richtbeil nicht immer so gut wie mit dem Galgen. Sie benötigten oft drei oder mehr Schläge, bis sie den Kopf vollständig abgetrennt hatten. In Frankreich dagegen war das Köpfen die bevorzugte Hinrichtungsmethode. Die Scharfrichter dort zielten mit dem Schwert sehr genau und schlugen den Kopf mit einem Schlag ab. Was geschieht, wenn der Henker endlich den Kopf abgetrennt hat. Was passiert da oben in den grauen Zellen? Damit ein Gehirn bei Bewusstsein bleibt, muss es genug Sauerstoff für die Neuronen zur Verfügung haben, damit diese elektrische Impulse aussenden können. Ich werde auf die Arbeitsweise der Neuronen und wie man sie verwirrt im Abschnitt über Vergiften genauer eingehen, doch das Entscheidende hier ist, dass, wenn Neuronen in der Lage sind zu feuern, die Person sich durchaus bewusst sein kann, was passiert. Während der französischen Revolution wurden
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einige „Experimente“ durchgeführt, bei denen die Verurteilten gebeten wurden, mit einem Wissenschaftler in der Menge zu kommunizieren, nachdem das Beil gefallen war. Viele Zuschauer schworen, sie sahen Zeichen des Widererkennens auf den abgetrennten Gesichtern. Dies war – und ist immer noch – ein heiß diskutiertes Thema. Inschämie ist der Fachbegriff für eine Mangeldurchblutung des Gehirns. Ohne konstanten Blutfluss verursachen die Kalium-, Natrium- und Kalziumkanäle überschüssige Mengen von Kalium, die in den Räumen zwischen den Neuronen bleiben und dazu führen, dass die Neuronen zu viel Kalium und Chlorid in sich behalten. Man hat lange gedacht, dass die magische Zeit für Blutarmut beim Menschen 10 s beträgt; danach setzt die Bewusstlosigkeit ein (Raichle 1983). Wenn Sie wissen wollen, was das bedeutet, stellen Sie eine Stoppuhr auf 10 s. Drücken Sie auf los und machen Sie sich bewusst, was Sie während dieser 10 s aufnehmen und denken können. Ziemlich furchterregend zu denken, man könne so lange bei Bewusstsein bleiben, während der Kopf vom Körper getrennt ist. Über die Zeit zwischen der Unterbrechung des Blutflusses bis zur Bewusstlosigkeit wurde lange theoretisiert, doch sie wurde nie mit moderner Ausrüstung untersucht. (Stellen Sie sich vor, Sie müssten einen Antrag dafür durch die Ethikkommission bringen!) Eine holländische Gruppe entschied sich, mithilfe ihrer Ausrüstung und einiger Laborratten die Frage des Bewusstseins nach der Enthauptung zu klären (Rijn et al. 2011). Seit Langem wurde Ratten, die nicht mehr für Experimente benötigt wurden, die Halswirbelsäule durchtrennt; vor allem, wenn die Gehirne noch untersucht werden sollten, wurde diese Methode gegenüber der Tötung durch Pharmazeutika bevorzugt. Trotzdem war es sehr umstritten, ob dies eine humane Form der Tötung war. Um dies zu überprüfen, verband Clementina van Rijn Elektroden mit dem Kopf der Ratten und bestimmte, wie lange man nach dem Abtrennen eine signifikante elektrische Aktivität im Kopf der Ratten feststellen kann. Für mich war diese Veröffentlichung überraschend schwer zu lesen; ich musste eine Pause einlegen, nachdem ich über die Vorstellung nachgedacht habe, dass die Maschinenwerkstatt der Universität eine rattengroße Guillotine bauen musste. Sie verwendeten also diese winzige Terrorvorrichtung, um systematisch die Köpfe der Ratten abzuschneiden, und maßen dann die elektrischen Signale im Gehirn. Dabei fanden sie heraus, dass es etwa 2,7 s dauerte, bis die Aktivität des Gehirns so weit geringer geworden war, dass sie auf Bewusstlosigkeit hinwies. Während dieser Zeit schien der abgetrennte Kopf eine Kaubewegung zu machen. Skaliert man diese Ergebnisse auf einen menschlichen Kopf hoch, kann man
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abschätzen, dass es etwa 7–10 s dauern würde, bis jemand das Bewusstsein verliert. Als ich mit anderen über diesen Abschnitt gesprochen habe, hörte ich sie oft sagen: „Wenn ich das wäre, würde ich vermutlich schreien“, oder fragen: „Haben die Köpfe während der französischen Revolution jemals geschrien?“ Die Antwort ist nein, haben sie nicht. Um ein Geräusch zu machen, muss Luft aus den Lungen durch die Stimmbänder und aus dem Mund strömen. Sobald der Kopf abgetrennt ist, sind Lungen und Mund nicht mehr miteinander verbunden, deshalb kann man nicht schreien. Ich überlasse Ihnen, den Rest dieses Kapitels zu lesen, damit Sie entscheiden können, wie beängstigend der Tod durch Enthauptung wohl ist. Nachdem Sie den Abschnitt über das Verbrennen auf dem Scheiterhaufen gelesen haben, werden Sie vermutlich das Schwert wählen.
Eine goldene Krone Der Tod Viserys‘ war sicherlich einer der passendsten in der Serie: Im Sterben bekam er endlich seine goldene Krone. Die Idee, jemanden mit geschmolzenem Metall zu töten, hat historische Vorgänger; die spanischen Inquisitoren schütteten gerne geschmolzenes Metall in die Hälse der Leute. Doch bevor ich zu tief in diese Diskussion einsteige, muss ich einen eklatanten physikalischen Fehler in Viserys‘ Todesszene ansprechen. Der Schmelzpunkt von Gold liegt bei etwa 1064 °C. Das heißeste Holzfeuer kann nur etwa 585 °C warm werden. Denjenigen, die den Abschnitt über Drachenfeuer gelesen haben, wird dies vermutlich schon aufgefallen sein. In Wirklichkeit wäre Viserys vermutlich von dem Schlag mit dem schweren Gold gestorben, das auf seinen Kopf herabstürzte. Ich weiß, das ist ein schwerer Fehler, und wenn ich mich an das Thema des Buches halten wollte, sollte ich hier aufhören; aber ich bin zu sehr daran interessiert, was passieren würde, wenn man Gold über den Kopf eines Menschen gießen würde, um abzubrechen. Ich glaube nicht, dass jemand daran zweifeln würde, dass man stirbt, wenn jemand geschmolzenes Gold über den Kopf eines anderen gießt, doch die Frage ist, wie genau das geschehen würde. Was genau würde auf dem Totenschein von Viserys stehen? Die Möglichkeiten sind durch Ersticken, weil Mund und Nase durch das Gold verstopft werden, aufgrund eines Schocks, weil geschmolzenes Gold auf seinen Kopf gegossen wird, oder weil sein Gehirn zu kochen anfängt. Weil ich glaube, dass der wahrscheinlichste Grund der des gekochten Gehirns ist, werde ich damit beginnen und
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schauen, wie lange es wohl dauert, bis ein Gehirn kocht, und wie dies im Vergleich zu den anderen beiden Todesmöglichkeiten steht. Ich bin (offensichtlich) nicht die Erste, die an diesem Thema interessiert ist. 2003 ging eine Gruppe von Pathologen aus Amsterdam diese Frage experimentell an, indem sie den Kehlkopf einer Kuh nahmen (keinen, an dem noch eine Kuh hing, sondern einen, für den eine tote Kuh keine Verwendung mehr hatte), ein Ende mit einem Taschentuch bedeckten und bei einer Temperatur von 450 °C geschmolzenes Blei in das andere Ende gossen. Der Dampf, der unmittelbar erzeugt wurde, blies sofort das Taschentuch am anderen Ende weg (Goot et al. 2003). Da man sieht, dass Dampf das drängendste Problem zu sein scheint, werde ich mir ansehen, wie lange es wohl dauert, bis ein Gehirn kocht, wenn es durch geschmolzenes Gold, das über den Schädel gegossen wird, aufgeheizt wird. Um dies zu beantworten, muss man zwei Dinge betrachten: die Energie, die notwendig ist, bis Wasser im Gehirn kocht, und wie schnell diese Energie durch den Schädel übertragen werden kann. Das Gehirn wiegt rund 1,4 kg und besteht zu 73 % aus Wasser, das heißt, ein durchschnittliches Gehirn enthält etwa 1 kg Wasser. Das macht die Berechnungen ziemlich einfach. Es gibt zwei Faktoren, die für das Kochen eine Rolle spielen: erstens die benötigte Temperatur, um die Substanz über ihren Siedepunkt zu bringen. Im Fall des Wassers ist das 100 °C. Dann benötigt man Energie für das eigentliche Kochen. Man braucht viel Energie, damit eine Substanz ihren physikalischen Zustand ändern kann, hier von der Flüssigkeit zum Gas. (Kap. „Und jetzt beginnt meine Wache“ beschäftigt sich ausführlicher mit der Physik davon, soweit es mit der Mauer zusammenhängt.) Die Einheit der Energie ist das Joule, doch für dieses Beispiel ist es praktischer, Kilojoule (kJ) zu verwenden. Man braucht 2260 kJ, um 1 kg Wasser in Dampf umzuwandeln. Um herauszufinden, wie viel Energie notwendig ist, um die Temperatur von 1 kg Wasser um 63 °C (Körpertemperatur ist 37 °C) zu erhöhen, muss man die Gleichung der spezifischen Wärme verwenden: Q = cmT
Dabei ist Q die Energie in kJ, m die Masse in kg, ΔT die Temperaturänderung und c eine materialspezifische Konstante, die anzeigt, wie leicht man etwas erwärmen kann. Wenn wir alles einsetzen, erhalten wir, dass rund 268 kJ notwendig sind, um das Gehirn bis zum Siedepunkt zu erwärmen. Wenn man beide Zahlen addiert, ergibt dies, dass man etwa 2528 kJ braucht, um das gesamte Wasser in einem menschlichen Gehirn zu verdampfen.
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Um herauszufinden, wie lange es wohl dauert, das Gehirn zu verdampfen, müssen wir bestimmen, wie schnell Wärme von geschmolzenem Gold durch den Schädel zum Gehirn übertragen werden kann. Es folgt eine sehr vereinfachte Betrachtung dieser Rechnung. Die Wärmeleitung aus den äußeren Bereichen des Gehirns in die inneren unterscheidet sich von der Wärmeleitung vom Gold durch den Schädel, und es wird außerdem etwas länger dauern, bis die Wärme von den äußeren Bereichen des Gehirns bis ins Innere gekommen ist, deshalb wird die Zahl nur eine grobe Schätzung sein. Doch sie wird uns einen Zeitrahmen angeben, der ausreichend ist, um abzuschätzen, ob das Kochen des Gehirns schneller geht als etwa das Ersticken. Die Gleichung, die bestimmt, wie schnell Wärme durch etwas wie Knochen geleitet wird, ähnelt der Gleichung, die uns sagt, wie schnell etwas erwärmt wird: Q kA(�T ) = t d
Dabei ist Q/t die Energie, die pro Sekunde abgegeben wird; k ist eine Konstante, die angibt, wie schnell Energie durch ein bestimmtes Material transportiert wird (in diesem Fall Knochen); A ist die Oberfläche in Quadratmeter (in diesem Fall die Oberfläche des Schädels); ΔT ist die Temperaturdifferenz zwischen den beiden Materialien (in diesem Fall 1027 °C; die Differenz zwischen der Temperatur von geschmolzenem Gold und der Körpertemperatur), und d ist die Dicke in Metern, durch die die Wärme fließen muss. Die Dicke des durchschnittlichen männlichen Schädelknochens beträgt 7,1 mm oder 0,0007 m (Li et al. 2007). Die Oberfläche des Schädels ist nach Angaben einer Gruppe, die viele verschiedene Schädel vermessen hat, 0,98 m2 (Sholts et al. 2010). Die Konstante k war erschreckend einfach zu finden und bewegt sich zwischen 0,410 und 0,630, deshalb nehme ich 0,5 an. Insgesamt finden wir, dass der Knochen etwa 719 kJ/s zum Gehirn transportiert. Da wir oben angegeben haben, wie viel Energie notwendig ist, das Gehirn zum Kochen zu bringen, können wir abschätzen, dass es rund 3,5 s dauert, um ein menschliches männliches Gehirn vollständig verdampfen zu lassen. Noch einmal, das ist wirklich nur eine Abschätzung der Größenordnung des Problems und keine genaue Zahl, aber es wurde klar, dass wir über Sekunden sprechen und nicht Minuten. Es würde etwa 3 min dauern, bis Viserys durch die durch Gold verstopften Nase und Mund ersticken würde, und noch viel länger, bis er durch einen Schock gestorben wäre. Sicher wäre er gestorben, bevor sein ganzes Gehirn verdampft wäre, deshalb ist 3,5 s
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wirklich die obere Grenze für den Tod durch Kochen. Auch wenn das keine genauen Zahlen sind, glaube ich mit Sicherheit sagen zu dürfen, Viserys starb recht schnell, er hätte wahrscheinlich keine Zeit gehabt, herumzuzucken wie im Buch, und wahrscheinlich litt er nicht so sehr, wie ihm die meisten Fans gewünscht hätten.
Hängen Es mag sich zwar nicht um eine der auffälligsten Hinrichtungsmethoden handeln, die in Game of Thrones verwendet werden, aber Hängen ist wohl die am meisten genutzte. Die erste schriftlich festgehaltene Hinrichtung durch Hängen findet sich in Homers Odyssee und wurde durch erdrosselndes Hängen (engl. suspension hanging ) durchgeführt. So mögen die Griechen das Hängen erfunden haben, doch die Briten perfektionierten es. Es ist eine der ältesten Hinrichtungsarten, nur das Köpfen wird noch länger vollstreckt. Anders als eine Enthauptung ist es sehr effizient, denn ein einzelner Henker kann viele Menschen auf einmal hinrichten. Exekutionen durch Hängen waren gern verfolgte Ereignisse in den Städten, und sie erinnerten die Bürger daran, was auf sie wartete, wenn sie das Gesetz brachen. Öffentliche Hinrichtungen waren also nicht nur eine Methode, Kriminelle loszuwerden, sondern dienten auch dazu, andere davon abzuhalten, Verbrechen zu begehen. Doch Menschen zu hängen, kann ein bisschen schwieriger sein, als ihre Köpfe nur in Schlingen zu stecken. Wie stirbt also jemand durch Hängen? Wird sein Genick gebrochen? Erstickt er? Wird die Blutzufuhr zu seinem Gehirn unterbrochen? Es stellt sich heraus, dass die Antwort auf all diese Fragen „je nachdem“ ist. Es gibt mehrere verschiedene Methoden des Hängens – langer Fall, kurzer Fall und Hängen mit Erdrosseln – und alle führen auf unterschiedliche Art und Weise zum Tod. Soweit ich sagen kann, werden nur zwei der drei im Buch verwendet, doch ich will und werde über alle drei sprechen. Hängen durch Erdrosseln ist vermutlich die älteste Art des Hängens. Bei dieser Methode wird die zu hängende Person am Hals aufgehängt, bis das Herz zu schlagen aufhört. Im Allgemeinen wird eine Schlinge um den Hals der Person gelegt und diese dann hochgezogen, bis ihre Füße den Boden nicht mehr berühren. Wenn Sie die Bücher gelesen haben, wissen Sie, dass Brienne von Tarth diese Methode nur allzu gut erklären kann. Nach ihrer Begegnung mit der wiederauferstandenen Lady Catelyn Stark sagte sie, nichts hätte ihr je so wehgetan. Diese Methode wird (soweit ich herausfinden
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konnte) nicht mehr als Hinrichtungsmethode genutzt, weil der lange Fall zum Standard geworden ist. Es könnte so aussehen, als sei die Todesursache bei dieser Art des Hängens ziemlich klar – man kann nicht mehr atmen, wenn man eine Schlinge um den Hals hat. Doch es ist komplizierter als das. Die Chance, dass man an Ersticken stirbt, beträgt etwa 40 %, die, dass man durch das Abschnüren entweder der Halsschlagader oder der Drosselvene umkommt, beträgt 60 %. Wie man stirbt, hängt also von der Platzierung des Knotens der Schlinge ab. Wenn der Knoten sich auf der linken oder rechten Seite des Kopfes befindet, wird der Druck auf den Arterien, Venen oder auf beiden lasten und nicht auf der Luftröhre. Die Halsschlagadern oder die Drosselvenen werden zugedrückt, wodurch der Blutfluss zum und vom Gehirn unterbrochen wird. So stirbt man viel schneller. Es ist nur die Kraft von knapp 20 N notwendig, um die Drosselvene und 50 N, um die Halsschlagader zusammenzudrücken, aber man benötigt die Kraft von 145 N, um die Luftröhre zu blockieren. Wenn die Arterien oder Venen unterbrochen werden, stoppt auch der Blutfluss im Gehirn, und man wird in etwa 15 s bewusstlos. Wenn Sie an Forensik interessiert sind: Es ist möglich zu bestimmen, ob die Halsschlagader oder die Drosselvene abgedrückt wurden. Wenn die Drosselvene stärker blockiert war, kann das Blut in den Kopf gelangen, aber nicht mehr heraus. Durch den Druck platzen kleine Kapillargefäße und lassen verräterische rote Punkte zurück, die sogenannten petechiale Blutungen. Vielleicht kennen Sie den Begriff aus Serien wie CSI, NCIS und Law and Order. Petechiale Blutungen im Gesicht sind tatsächlich genau aus diesem Grund ein Hinweis auf Erwürgen, doch im Gegensatz zu der Darstellung von Hollywood können sie in jedem Teil des Gesichts auftreten, nicht nur in den Augen. Das Fehlen von petechialen Blutungen schließt Erwürgen aber nicht aus, es bedeutet nur, dass der Täter stärker auf die Arterien gedrückt hat als auf die Venen. Nachdem er bewusstlos wurde, stirbt der Verurteilte schließlich entweder durch Ersticken, das er nicht fühlen würde, oder weil kein Blut mehr durch das Gehirn zirkuliert. Wenn Sie zu den 40 % gehören, die weniger Glück haben, wie vermutlich Brienne, liegt der Druck vor allem auf der Luftröhre, und der Tod wird nur durch Ersticken verursacht. Dies passiert normalerweise, wenn sich der Knoten am Hinterkopf befindet. Tod durch Ersticken dauert viel länger, und die meisten, die gehängt wurden, sind bei Bewusstsein. In diesen Fällen treten oft Schäden am Zungenbein oder am Kehlkopf auf. Man nimmt an, dass dies sehr schmerzhaft ist, denn erstens ist es nicht angenehm, wenn so stark auf die Luftröhre gedrückt wird, und zweitens muss es eine schreckliche Erfahrung sein, wenn man versucht zu atmen. Versuchen Sie einfach
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einmal zu lange die Luft anzuhalten (Luke et al. 1985). Diese Art gehängt zu werden scheint schrecklich zu sein, doch damals im 17. und 18. Jahrhundert (und vermutlich auch in Westeros) könnte es eine Freifahrkarte ins Leben gewesen sein, den Knoten am Hinterkopf gehabt zu haben. Üblicherweise ließ man die Menschen 30 min lang am Strang. In nicht wenigen Fällen war der Druck auf die Luftröhre gerade genug, um die Luftzufuhr so weit zu unterbrechen, dass es zur Bewusstlosigkeit, aber nicht zum Tod führte. Es ist sogar bekannt, dass der Henker in vielen Fällen an den Füßen zog oder sich auf die Schultern der unglücklichen Seele am Ende des Seils setzte, um sicherzustellen, dass er seine Arbeit erledigt hat. Trotzdem wachten viele, die man für tot hielt, bei der Überführung oder auf dem Autopsietisch wieder auf. Es kam sogar so oft vor, dass Freunde und die Familie des „Toten“ versuchten, ihn wiederzubeleben. Zum Glück wurde es oft als Wunder erachtet, wenn man wiederbelebt wurde, und so kam man frei. Der Fall der „halb erhängten Maggie“ ist besonders interessant (Rayes et al. 2011). Kurz-Fall-Hängen ist ein Übergang zwischen Erwürgen und dem von den Briten perfektionierten Hängen mit langem Fall. Es war der erste Versuch, das Hängen menschlicher und auch weniger fehleranfällig zu machen. Die Todesart beim kurzen Fall ähnelt meist sehr dem oben beschriebenen Hängen durch Erwürgen – die Person stirbt durch Abdrücken der Venen und Arterien, Ersticken oder durch beides. Doch wenn alles richtig angeordnet wurde und der kurze Fall ein wenig länger war als gewöhnlich, wurde möglicherweise genug Kraft aufgebracht, dass das Genick brach, was fast augenblicklich zum Tode führte. Der Tod beim Hängen durch kurzen Fall ist in gewisser Weise reine Glückssache, doch er führt mit größerer Wahrscheinlichkeit zum Tod. Bei dieser Methode wird ein 30 bis 50 cm langes Seil verwendet. Der Verurteilte wird auf eine Art Plattform gestellt, die dann sehr schnell entfernt wird, meist ein Stuhl oder ein Wagen oder wie im alten Westen ein Pferd. Jon Snow verwendete diese Methode, um seine Brüder zu hängen, die ihn niedergestochen haben. Das Hängen mit kurzem Fall ist nur wenig besser als die Methode durch Erwürgen, denn es besteht nur eine geringe Wahrscheinlichkeit, dass der Tod sofort eintritt. Aus wissenschaftlicher Perspektive ist dazu wenig mehr dazu zu sagen, außer dass es die Henker von Großbritannien inspirierte, einen Weg zu finden, den schnellen und schmerzfreien Tod sicherzustellen, der beim kurzen Fall manchmal auftrat. Das Hängen mit langem Fall wird in Game of Thrones nicht explizit gezeigt, denn es wurde erst vor relativ kurzer Zeit, etwa um 1872, zur Standardmethode. Man betrachtete es als humanere Hinrichtungsart, und trotzdem lieferte es noch genug Show, um mögliche Kriminelle abzuschrecken.
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Auch wenn diese Art des Hängens in der Serie nicht zu sehen ist, ist es normalerweise das, woran wir denken, wenn wir von einer derartigen Hinrichtungsmethode hören, und aus physikalischer Sicht ist es die bei Weitem interessanteste. Das Ziel dieser Methode ist, das Genick so schnell wie möglich zu brechen, um einen schnellen und schmerzfreien Tod herbeizuführen. Bei einem Genickbruch wird das Rückenmark durchtrennt, und die gehängte Person stirbt sehr schnell. Das ist nicht immer einfach, deshalb galten Henker, und vor allem britische, als Künstler, deren Ziel es war, ihren Opfern möglichst wenig Schmerzen zu bereiten. William Marwood war der Erste, der darüber nachdachte, wie ein längerer Fall zu einem weniger schmerzhaften Tod führen würde. Er empfahl einen Fall von 2 bis 3 m, also viel weiter als beim kurzen Fall. Es gab viele Unstimmigkeiten über die richtige Art und Weise, wie man es schaffen konnte, dass der lange Fall funktioniert, angefangen von der Fallhöhe bis zur Platzierung des Knotens. Ob Sie es wussten oder nicht, Henker waren in Wirklichkeit Experimentalphysiker. Traditionsgemäß hatte jeder Henker seine eigene Methode; trotzdem ist das Entscheidende, was man beim Hängen mit langem Fall wissen muss, welche Energie notwendig ist, um ein menschliches Genick zu brechen. Wenn man weiß, wie viel Energie aufgebracht werden muss, kann man herausfinden, wie weit die Person fallen muss, damit die Energie reicht, um das Genick zu brechen. (Ich muss hier darauf hinweisen, dass Energie weder erzeugt noch vernichtet werden kann; sie kann nur ihre Form ändern. Entschuldigung, ich wurde zu lange in Physik geschult.) In Ihrem Physikunterricht wurde die Energie normalerweise in Joule gemessen, doch britische Henker bevorzugten die Einheit von ft × lbs. Wenn der Gefangene mit einer Schlinge um den Hals auf der Fallklappe steht, hat er eine bestimmte potentielle Energie (genau wie die potentielle Energie des aufgehängten Guillotinenblatts). Wie viel hängt von der Höhe der Plattform ab oder viel mehr davon, wie weit der Fall sein wird. Es kann schwierig sein, sich potentielle Energie vorzustellen, denn „Energie“ wird normalerweise mit Bewegung in Verbindung gebracht, und jemand, der unter dem Galgen steht, tut wenig mehr als schwitzen. Doch der Verurteilte musste zum Galgen hochsteigen und hat damit genug Energie aufgebracht, um seinen eigenen Tod zu verursachen. Außerdem kann die hohe Ausgangsstellung des Gefangenen in Bewegungsenergie, oder kinetische Energie, umgewandelt werden. Am Boden kann man sich nicht wirklich bewegen, indem man fällt, doch um von einer hohen Plattform herunterzukommen, ist Bewegung notwendig. Wenn der Verurteilte durch die Fallklappe stürzt, wird die potentielle Energie in kinetische umgewandelt. Sobald das Genick des Delinquenten an das Ende des Seils gelangt, wird die
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gesamte kinetische Energie durch den angewinkelten Knoten in ein Drehmoment umgewandelt, das das Genick bricht. Der entscheidende Punkt ist, dass die Gesamtenergie, mit der der Gefangene startete – die potentielle Energie –, schließlich in seinem Genick umgewandelt wird. Um sicherzustellen, dass genügend Energie zur Verfügung steht, dass das Genick gebrochen wird, müssen wir zwei Dinge wissen: Wie viel Energie ist notwendig, um ein Genick zu brechen, und welche Höhe ist notwendig, um diese Energie nach dem Fall auf das Genick zu übertragen. Die potentielle Energie ist U = Gewicht × Höhe, wobei U das allgemein verwendete Symbol für potentielle Energie ist – aus Gründen, die ich nie verstanden habe. Es gab im Laufe der Jahre verschiedene Schätzungen, wie viel Energie notwendig ist, um ein Genick zu brechen. Im 19. Jahrhundert schätzten Scharfrichter, dass man ungefähr 2240 ft × lbs benötigt, doch diese Zahl wurde im Laufe der Jahre revidiert. Ein Handbuch für die US-Army von 1947, in dem militärische Hinrichtungsmethoden beschrieben wurden, gibt an, dass etwa 1200–1400 ft × lbs nötig sind, um ein Genick zu brechen. Hier wurde auch festgelegt, dass eine Militärkapelle anwesend sein und nach der Exekution eine muntere Melodie spielen soll (Department of the Army 1947). Ich weiß nicht, wie genau ihre Zahlen sind, aber über ihren Stil kann man sich nicht beklagen. Davon ausgehend ist es ziemlich leicht, die Länge des Seils zu berechnen. Man muss nur die Genickbruchenergie durch das Gewicht des Gefangenen teilen, und man erhält die notwendige Fallhöhe und damit die benötigte Seillänge. Als das Hängen mit langem Fall im 19. Jahrhundert aufkam, verstanden die Leute die Physik von all dem, trotzdem machten sie für die erforderliche Kraft zum Brechen eines Genicks nur Abschätzungen aus ihren Erfahrungen aus vergangenen Hinrichtungen. Die beiden führenden britischen Schlingenkünstler (ein Tipp: „nooser“ ist ein hervorragendes Wort, wenn Sie englisches Scrabble spielen wollen) waren William Marwood und Albert Pierrepoint, und beide hatten eigene Falltabellen (Pierrepoint 1977). Und das Handbuch der US-Army hatte noch eine weitere. Vielleicht denken Sie jetzt: „Hey, was soll’s, wir machen es ein bisschen länger, dann bricht der Hals bestimmt und gut ist’s.“ Unglücklicherweise gibt es eine obere Grenze für die Kraft, die man aufbringen kann. Ist die Kraft zu groß, wenn das Seilende erreicht wird, dann wird der Kopf des Verurteilten einfach abgerissen. Das ist ein wirklich grausiges Ereignis und eines, das Henker zu vermeiden suchten. Es ist immer noch nicht klar, wie viel zu viel und wie wenig zu wenig ist. Zum Glück ist das heutzutage kein dringendes Problem mehr. Wenn Sie sich mehr für die Geschichte des Hängens interessieren: Mahmoud Rayes, Monika Mittal, Setti S. Rengachary und Sandeep Mittal
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haben 2011 einen Artikel veröffentlicht, der einen faszinierenden Abriss durch die Leben der Henker im Laufe der Jahrhunderte bietet. Ich will nicht sagen, dass ich es empfehle, doch es ist sehr informativ (Rayes et al. 2011). Es gibt eine Todesart, die noch nicht vorkam, aber es wert ist, darüber zu sprechen: Erdrosselung mit der Hand. Bisher wurde niemand in der Serie oder den Büchern tatsächlich von einem anderen mit der Hand erdrosselt, doch die Leser des Buches wissen vielleicht, dass Cersei Lennister nach den Prophezeiungen von Maggy der Frosch bekommen sollte, was sie verdient: „Und wenn du in deinen Tränen ertrunken bist, wird dein jüngerer Bruder seine Hände um deinen blassen weißen Hals legen und das Leben aus dir herauswürgen.“ Aus einer wissenschaftlichen Perspektive sollte sie so ziemlich genauso sterben wie jemand, der ohne Fall gehängt wurde, nur ziemlich sicher dadurch, dass die Blutzufuhr zum Gehirn abgeschnitten wird. Die Kraft von etwa 145 N ist notwendig, um die Luftröhre zu zerquetschen, und ganz offen glaube ich nicht, dass einer ihrer jüngeren Brüder diese Kraft in seinen Händen dazu gehabt hätte. Was ich aber glaube, ist, dass einer von ihnen die Kraft von 20 N aufbringen könnte, um ihre Venen oder die 50 N um ihre Arterien zuzudrücken. Wenn jemand mit der Hand erdrosselt wird, treten fast immer petechiale Blutungen auf, weil die Kräfte so unterschiedlich sind. Weil man nur die Hälfte der Kraft benötigt, um eine Vene vollständig abzudrücken, ist es viel wahrscheinlicher, dass die Venen beschädigt werden als die Arterien, was zu platzenden Kapillargefäßen führt. Aller Wahrscheinlichkeit nach hätte Cerseis blasser weißer Hals am Ende etwas gefleckt ausgesehen.
Gift Gift wurde lange als Waffe der kaltblütig Kalkulierenden angesehen. Ned Stark nannte es die „Waffe einer Frau“, und wenn auch Oberyn Martell anderer Meinung sein könnte, wurde der Großteil der erfolgreichen Vergiftungen in Game of Thrones von Frauen durchgeführt. (Um fair zu sein, verwendete Arya Stark Gift aus Bequemlichkeit – es war viel leichter, alle Freys auf einmal mit Gift loszuwerden, als ihnen allen die Kehle durchzuschneiden.) Es scheint mehrere Arten von Giften in Westeros zu geben, manche ähneln denen im echten Leben, doch in manchen Fällen scheint die Art des Sterbens für die Kameras ein wenig hochgespielt worden zu sein. Das Gift, das für die „Purpurne Hochzeit“ verwendet wurde, hat Auswirkungen, die kein echtes Gift je erreichen würde, doch „die bleiche und müde Hochzeit“ würde nicht ganz so gut klingen. Gifte haben auch den
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Vorteil, dass sie schwer zu entdecken sind, und ihre Wirkungen ähneln oft denen einer plötzlichen Krankheit. Ich spreche vor allem über Gifte, die denen in Game of Thrones ähneln, deshalb lasse ich einige der verbreitetsten wie Zyanid (und vor allem seinen Platz in der Geschichte) weg, obwohl es mir Spaß machen würde, über sie zu sprechen, wenn ich unendlich viel Platz hätte. Als ich herausfinden wollte, welche Giftarten wohl in Game of Thrones eine Rolle gespielt haben, musste ich auch ihre Verfügbarkeit berücksichtigen. Die Wissenschaft des Vergiftens hätte leicht auf ein eigenes Kapitel ausgedehnt werden können, bitte vergeben Sie mir also, wenn ich Ihre Lieblingsgifte ausgelassen habe. Der sprichwörtliche Anstoß zum großen Spiel der Throne geschah mit der Vergiftung von Jon Arryn. Nachdem sie einen Brief von seiner Frau Lysa über die ungewöhnlichen Umstände seines Todes erhalten hatten, ging es mit den Starks schnell bergab. Lord Varys äußerte seine Vermutung, dass „die Tränen von Lys“ der Grund von Arryns Tod gewesen sein könnten, ein nicht nachweisbares Gift, das ein Darmleiden nachahmt und nach Oberyn Martell ein „Lieblingswerkzeug für ungeduldige Erben“ ist. Als Beleg für die Annahmen über das Geschlecht von Giftmördern war es Jons Ehefrau Lysa, die ihm letztlich den Garaus gemacht hatte. Was könnte aus wissenschaftlicher Sicht den Tränen von Lys entsprechen? Gibt es ein derartiges Gift? Arsen, das den Spitznamen „das Erbschaftspuder“ trägt, ist weitverbreitet, und die Symptome einer Arsenvergiftung ähneln denen anderer Krankheiten, wie der Darmgrippe. Der einzig scheinbare Unterschied zwischen den beiden Giften ist, dass die Tränen von Lys angeblich sehr selten und teuer sind, während Arsen ziemlich leicht zu finden ist. Arsen ist keine Verbindung, sondern ein Element – Nummer 33 im Periodensystem, um genau zu sein. Es wird als Halbmetall klassifiziert, das heißt, es hat einige Eigenschaften von Metallen und andere von Nichtmetallen. Es steht an 53. Stelle der häufigsten Elemente in der Erdkruste. Das natürlich vorkommende Mineral findet sich sowohl im Boden als auch im Gestein und auch gemischt mit anderen Mineralien. Weil man es im Boden finden kann, kann es auch den Weg an ungünstige Stellen wie in Grundwasser oder in Pflanzenwurzeln finden und so Brunnen vergiften oder im Getreide landen. In seiner elementaren Form ist Arsen nicht besonders gut für Sie, doch nicht so giftig wie in Form einer bestimmten Verbindung, dem Arsenik. Dieses sogenannte weiße Arsen ist der Stoff, der verwendet wird, um Freunde und Familie um die Ecke zu bringen. Anders als die Tränen von Lys im Roman, kann man es sich leicht beschaffen. Arsenik entsteht, sobald irgendetwas, das Arsen enthält, wie Kohle oder Erze, die Gold oder Kupfer enthalten, erhitzt wird. Bei der Verbrennung verbinden sich zwei Arsenatome mit drei
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Sauerstoffatomen und bilden ein weißes Pulver. Früher wurde es für alles, von der Vergiftung von Ratten bis zur Zahnmedizin, verwendet. Im 19. Jahrhundert konnte man in jede Apotheke gehen und eine Flasche kaufen. Arsen bringt die Energiegewinnung und den Energieverbrauch einer Zelle vollkommen durcheinander und stoppt die Arbeit eines wichtigen Enzyms in der Zellatmung. Als sei das nicht genug, hemmt es das Thiamin (Vitamin B1), verstärkt die Produktion von Wasserstoffperoxid und stiftet Chaos in den Kaliumkanälen einer Zelle. Kurz gesagt, unterbricht es die chemischen Wege, die dafür sorgen, dass Zellen Energie verwenden können. Ohne Energie sterben die Zellen ab und töten schließlich das unglückliche Opfer (Blum 2011). Einer der überraschendsten Aspekte im Fall von Jon Arryn war die Sicherheit, mit der Varys Ned mitgeteilt hat, dass Arryn vergiftet worden sei. Woher konnte er das wissen? Wir können davon ausgehen, dass die Spektroskopietechnologie, die dazu verwendet werden kann, Arsen in einer Blutprobe nachzuweisen, in Westeros noch nicht vorhanden war, doch das heißt nicht, dass das Gift nicht nachweisbar war. Die Bewohner von Wersteros mögen noch keinen Zugang zu High-Tec-CSI-Geräten gehabt haben, doch sie sind auch ohne ausgekommen, denn Arsen ist das Gift, das ohne die Hilfe von komplizierter Laborausrüstung entdeckt werden kann. Tatsächlich war es sogar eines der ersten Gifte, die leicht in einem Körper ausgemacht werden konnten. Arsen verursacht verräterische Magenläsionen und hinterlässt oft eine kristalline Giftschicht im Verdauungstrakt, beides kann bei einer Autopsie leicht bemerkt werden. Wir haben gesehen, dass die Maester in der Autopsie bewandert waren, wenn also Arryns Tod verdächtig war, hätten die Maester ihre Annahme leicht verifizieren können. Deshalb könnte die offensichtliche Frage sein: „Wie konnte Varys das wissen?“, aber eine noch bessere Frage wäre: „Warum sagten es ihm die Maester und warum nur ihm?“ Beim Beinahe- (?) Tod des Berges durch die Hand von Oberyn Martell wurde dieser Opfer einer vergifteten Speerspitze. Eigentlich war der Giftmischer keine Frau, doch ich glaube, dass dies nicht zählt, weil auch Waffen und Kampf bis zum Tode eine Rolle dabei spielten. Zur Physik des Todes von Oberyn kommen wir in Abschn. „Den Schädel zerdrücken“, doch der Tod des Berges (ich werde nicht auf die Biologie der Wiederauferstehung eingehen) war schmerzhaft und langsam. Seine Haut eiterte, er war gelähmt, doch am Schlimmsten war, dass er dabei immer bei Bewusstsein war. Anders als bei den einzunehmenden oder absorbierbaren Giften scheint es notwendig gewesen zu sein, dass das Mantikorgift direkt in den Blutkreislauf gelangt.
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Vergiftete Speer- und Pfeilspitzen haben eine lange Geschichte bis zurück zu Homers Odyssee und Vergils Aeneis, und sie werden immer noch in Südamerika, Afrika und Asien als Waffen genutzt. Der Begriff toxisch kommt direkt vom griechischen Wort für „Bogen“: toxon. Ein vergifteter Pfeil, Wurfspieß oder Speer mag wie eine hervorragende Waffe scheinen, doch die Wahrscheinlichkeit, dass man unabsichtlich die eigene Haut mit der vergifteten Waffe verletzt, war hoch genug, dass manche davon abgehalten wurden, sie zu verwenden. Die traditionellen Gifte, die verwendet wurden, kann man alle in der Natur finden. Sie hatten entweder Pflanzen- oder Tiergifte als Grundlage. Welche Bestandteile für das Gift verwendet wurden, hing davon ab, was zur Verfügung stand. Für den Gebrauch auf Waffen wurde alles, von Eisenhut bis zum Gift von Pfeilfröschen, verwendet. Über das Mantikor aus der Geschichte wird gesagt, es habe den Kopf eines Menschen, den Körper eines Löwen und den Schwanz (oder Stachel) eines Skorpions. Wenn wir also herausfinden wollen, welche Giftsorte Oberyn wohl verwendet und welchen Tod der Berg erlitten hat, können wir gut mit Skorpionen anfangen. Der Stachel eines Skorpions wird oft mit dem einer Biene verglichen. Ich wurde noch nie von einem Skorpion gestochen, aber einige meiner Freunde, und die behaupten, dies sei eine große Untertreibung. Es tut weh! Es gibt viele Skorpionarten, doch die tödlichste ist der Gelbe Mittelmeerskorpion, der zum Glück in den Vereinigten Staaten nicht heimisch ist. Auch wenn der Stich normalerweise nicht ausreichend ist, um einen Erwachsenen zu töten, wäre eine konzentrierte Menge am Ende eines Speers sicherlich dazu in der Lage. Sein Gift ist eine stark wirkende Mischung von Neurotoxinen. Das aktivste, Chlorotoxin, blockiert einen bestimmten Typ von Chlorkanälen, CLCN1, in Muskelzellen. Die Proteine im Toxin haben die perfekte Form, um den Kanal zu verstopfen und so zu verhindern, dass Chlorid hineinkommen kann. Chlorid wird dringend benötigt, damit eine Muskelzelle reaktiviert wird, sodass sie wieder auf elektrische Impulse von Nervenzellen reagieren kann. Wenn kein Chlorid durch diese Kanäle gelangen kann, kommt es zu Lähmungen. Das ist eines der Hauptprobleme des Berges. Jedoch ist es die einzige Folge des Giftes des Gelben Mittelmeerskorpions, es verursacht keine Eiterungen, die man in der Verletzung des Berges sehen konnte. Dazu müssen wir uns anderswo umsehen. Mantikorgift scheint auch ähnliche Wirkungen zu haben wie das der Braunen Einsiedlerspinne (Loxosceles reclusa). Sie ist eine der tödlichsten Spinnen auf der Erde, und ihr Gift verursacht Hauteiterungen, die stark denen ähneln, die man in der Wunde des Berges beobachten konnte. Das Gift der Spinne wirkt auf die Membrane der Zellen, mit
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denen es in Kontakt kommt, und zerstört sie, sodass die Zelle abstirbt. Eine Zellmembran besteht aus zwei Molekülschichten, den sogenannten Phospholipiden. Das sind kleine Köpfe mit zwei Schwänzen. In der Doppelschicht befinden sich die Schwänze in der Mitte und die Köpfe außen. Das Gift der Braunen Einsiedlerspinne enthält ein Protein, das die Köpfe von den Phosphorlipiden abreißt, es zerstört dadurch die Zellmembran und damit die Zelle. Dies verursacht die Eiterung, die von der Wunde her ausstrahlt. Doch das Gift der Spinne benötigt einige Stunden, um zu wirken, nicht nur so kurz, wie wir auf dem Bildschirm gesehen haben (Lajoie et al. 2013). Wenn ich raten müsste, woraus das Mantikorgift von George R. R. Martin besteht, und nur die Gifte als Grundlage hätte, würde ich auf eine Mischung der Gifte des Gelben Mittelmeerskorpions und der Braunen Einsiedlerspinne mit einer schnellwirkenden Giftmutation tippen. Die Purpurne Hochzeit war eine der wunderbarsten und doch schrecklichsten Szenen in der 4. Staffel. Joffrey bekam endlich, was er verdiente, und das war ziemlich grausam – der „Würger“ erwürgt seine Opfer ziemlich wortwörtlich und lässt einen Körper mit purpurfarbenem Gesicht zurück (daher auch der farbenfrohe Name der Hochzeit). Was genau hat also Olenna Tyrell in den Weinkelch fallen lassen? Welche Art von Gift ist der Würger? Er muss in kristalliner Form vorliegen, denn er kam aus Sansas Halskette, das bedeutet, dass er vermutlich geschmacklos ist und sich leicht in einer Flüssigkeit auflöst. Der wahrscheinlichste Kandidat ist Strychnin. Es ist in kristalliner Form erhältlich und tötet durch Muskelkontraktionen und schließlich Ersticken. Das Gift stammt aus den Früchten oder Samen von Pflanzen der Gattung Strychnos, ist also mit Sicherheit etwas, das die Maester in der Natur finden konnten. Man benötigt nicht viel, um jemanden damit umzubringen; die tödliche Dosis liegt bei etwa 16 mg/kg Körpergewicht, und in hohen Dosen kann Strychnin in nur 15 min zum Tode führen. Wenn man annimmt, dass Joffrey etwa 45 kg wog, das ist das Durchschnittsgewicht eines 13-Jährigen, bräuchte man etwa 720 mg, um ihn zu töten (zum Vergleich, die Durchschnittsdosis von Ibuprofen ist 400 mg). Im zentralen Nervensystem werden Signale durch Moleküle, die sogenannten Neurotransmitter, übertragen. Strychnin verbindet sich mit denselben Rezeptoren wie Glycin, einem inhibitorischen Neurotransmitter, der die elektrischen Signale verlangsamt, die das Gehirn steuern. Wenn Strychnin das Glycin ersetzt, übersteuern die elektrischen Signale, wodurch sich die Muskeln kontrahieren, was zum Tod durch Ersticken führt. Es ist also am wahrscheinlichsten, dass für Joffreys Tod dieses Gift verantwortlich war; jedoch wirkt es auf alle Muskeln des Körpers, nicht nur auf die Halsmuskulatur. Verschluckte Gifte wirken auf den ganzen Körper und nicht
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nur auf einen spezifischen Punkt, wie es ein eingespritztes Gift könnte. Der Effekt des Würgers ergab also zwar eine dramatische Todesszene, doch es gibt kein Gift, das nur den Hals verschließen kann. In einem der seltenen Fälle, in denen ein Mann in Game of Thrones Gift verwendet, schenkt Jaime Lennister Lady Olenna einen vermeintlich schnellen und schmerzlosen Tod. Er war jedoch nicht schnell genug, um sie davon abzuhalten, das Messer ein letztes Mal umzudrehen. Es gibt zwei Arten von Medikamenten, die verantwortlich für so einen schnellen und schmerzlosen Tod sein können: Barbiturate und Opioide. Heutzutage werden diese Mittel sehr oft für medizinische Zwecke eingesetzt: Barbiturate als Narkosemittel und Opioide zur Schmerzstillung. Wie die meisten erraten haben werden, ist der Mohnblumensaft aus Westeros höchstwahrscheinlich ein Opioid aus Mohn. Um die Reaktion auf Schmerzen zu steuern, sondert unser Körper natürliche Opioide ab, die sich mit speziellen Opioidrezeptoren im zentralen Nervensystem verbinden. Wenn sich das natürliche Opioid mit dem Opioidrezeptor verbindet, sendet dieser dem Gehirn ein Signal, um den Schmerz zu blockieren und die Atmung zu verlangsamen. Wir laufen aber nicht in einem ständigen Zustand der Benommenheit herum, weil unser Körper nur sehr geringe Mengen dieser Opioide herstellt. Ein großer Teil der Rezeptoren hat meist keinen Opioidbegleiter, deshalb sind wir nicht allzu schmerzunempfindlich. Wenn man jedoch irgendeine Sorte von Opioid hinzufügt, füllen sich die Opioidrezeptoren auf, sagen dem Körper, er solle sich beruhigen, und blockieren Schmerzsignale. Unglücklicherweise verbinden sich Opioide, die aus äußeren Quellen stammen, nie ganz richtig mit den Rezeptoren, deshalb beruhigen sie nicht nur und mildern Schmerzen, sondern regen auch die Dopaminherstellung im Übermaß an. Deshalb machen Opioide auch so abhängig: Sie lösen das Belohnungssystem des Gehirns aus. Bei einer Überdosis ist der beruhigende Effekt zu stark, und das Atmungssystem entspannt sich so sehr, dass es stehen bleibt. Was schwierig ist beim Versuch, jemanden mit Opioiden zu töten, ist, dass es sehr kompliziert ist, eine Dosis zu finden, die zuverlässig tötet. Weil Jaime die Burg unbedingt im Wissen, dass Lady Olenna tot ist, verlassen wollte, zweifle ich, dass er Mohnblumensaft dafür verwendet hätte. Außerdem wäre eine ziemliche Menge davon notwendig gewesen, und Jaime hatte nur eine sehr kleine Viole. Es ist wahrscheinlicher, dass das Gift aus der Familie der Barbiturate stammte. Das Schlafmittel Schlafsüß scheint der wahrscheinlichste Kandidat für ein Barbiturat in der Geschichte zu sein, weil man davon behauptet, dass bereits eine winzige Menge beim Einschlafen hilft und eine kleine Menge zu einem Schlaf führen kann, von dem man nicht mehr aufwacht.
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Das erste Schlafmittel wurde 1864 von Adolf von Baeyer synthetisiert. Er mischte konzentrierten Harnstoff mit einer Verbindung, die aus der Säure von Äpfeln abgeleitet wurde. Dieses erste Barbiturat wurde zwar lange nach dem angenommenen Zeitalter von Game of Thrones hergestellt, doch es gibt keinen Grund anzunehmen, dass die Maester nicht etwas Ähnliches gefunden haben könnten; ihnen standen sowohl Harnsäure als auch Äpfel zur Verfügung. Barbiturate setzen das zentrale Nervensystem herab, machen einen schwach auf den Beinen, orientierungslos und schläfrig. Man schläft schließlich ein, und wenn man genug eingenommen hat, wird das Nervensystem ausreichend weit heruntergefahren, dass das Gehirn seine Arbeit einstellt und man niemals mehr aufwacht. Das wichtigste Neurotransmittersystem, das sogenannte γ-Aminobuttersäurensystem (GABA), reguliert, wie aktiv die Übermittlung in den Nerven ist. Die Hauptaufgabe von GABA ist, alles ruhig und kontrolliert zu halten. Dies geschieht durch den GABA-Kanal, der sich selektiv öffnet. Barbiturate regen dieses Hemmsystem im Übermaß an und zwingen die GABA-Kanäle dazu, sehr lange offen zu bleiben. Wenn diese Kanäle zu lange offen bleiben, verändert sich die Spannung in den Gehirnzellen, sodass sie nicht mehr auf Nervenimpulse reagieren. Dies ist großartig, wenn nur ein klein wenig davon verwendet wird, doch nimmt man etwas zu viel, kann das Gehirn nie mehr Signale senden. Barbiturate können innerhalb von mehreren Stunden oder Sekunden wirken. Der Zeitrahmen passt also – kurz genug, um einen schnellen Tod sicherzustellen, doch es bleibt genug Zeit, um einige letzte mörderische Sätze zu äußern. Höchstwahrscheinlich starb Olenna friedlich in einem traumlosen Schlaf, nachdem sie sichergestellt hatte, dass Jaime niemals mehr schlafen wird.
Den Schädel zerdrücken Der niederschmetterndste (und Schädel zerschmetternde) Tod in der 4. Staffel war der von Oberyn Martell. Einige kurze Momente lang dachten wir alle, er würde gewinnen und dass Tyrion dem Gerichtskampf um sein Leben entkommen würde. Doch das Vergnügen dauerte nur kurz, als die Hybris die Kontrolle übernahm und dem Berg die Chance gab, seinen Schädel zu zerdrücken. Der Berg ist zweifellos groß – nach George R. R. Martin über 2,40 m groß und 190 kg schwer –, aber ist er damit groß und stark genug, um einen menschlichen Schädel zu zerquetschen? Wenn man sich die Szene mehrmals anschaut, sieht es so aus, als ramme der Berg zuerst seine Daumen in Oberyns Augen. Das allein reicht nicht, dass ein Gehirn aus dem Schädel
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herausquellen würde. Ich persönlich habe den Eindruck, dass er dann Oberyns Schädel zwischen seinen Händen quetscht, bis er zerspringt, und das verursacht seinen Tod. Selbst wenn er ihn nicht ausquetschen würde, sondern nur auf die Knochen der Augenhöhle drücken würde, wäre die Physik ungefähr dieselbe. Sie ist nicht allzu kompliziert, wir müssen nur wissen, welche Kraft notwendig ist, um einen Schädel zu zerdrücken, und die Kraft kennen, die die Hände des Berges aufbringen können. Es ist so einfach, dass viele Wissenschaftsjournalisten das Rätsel gelöst haben. Es gibt sogar mehrere Artikel zu dem Thema – manche sind gut, manche nicht so sehr. Für diesen Abschnitt habe ich auf Originalforschung zurückgegriffen, um meine eigenen Schlüsse zu ziehen. Es wurden viele Untersuchungen durchgeführt, um herauszufinden, welche Kraft notwendig ist, um einen menschlichen Schädel zu brechen, die meisten davon von Gruppen, die sich mit Fahrzeugsicherheit beschäftigten oder Helme herstellten. Da gibt es vor allem einen Artikel, der in den meisten wissenschaftlichen Veröffentlichungen zu dieser Szene zitiert wird. Ich würde Ihnen nicht raten, ihn zu lesen. ScienceAlert schrieb über das Thema, weil die verwendeten Einheiten mehr als ein wenig durcheinandergehen. Die Einheiten im Originalpaper ließen auch mich stocken, und zum etwa millionstenmal in meinem Leben wollte ich einen Doktor anschreien: „Falsche Einheiten, minus 10 Punkte!“ (ich habe oft Medizinstudenten unterrichtet). Nachdem ich erst einmal herumgeknobelt hatte, was die richtigen Einheiten waren, erfuhr ich, dass man eine Kraft von etwa 2300 N benötigte, um ein katastrophales Versagen in einem menschlichen Schädel zu verursachen. Die Studie untersuchte nur die Schädel von Zehnjährigen, doch in diesem Alter sind die Schädelknochen vollkommen ausgebildet, deshalb kann man im Allgemeinen sagen, dass man ungefähr dieselbe Kraft zum Zerquetschen benötigt, selbst wenn der Kopf eines Zehnjährigen kleiner ist als der eines Erwachsenen (Mattei et al. 2012). Die Kraft, die man speziell für das Brechen eines Schädels benötigt, unterscheidet sich von der, mit der man andere Knochen brechen kann, etwa den Oberschenkelknochen oder die Elle, weil die Kuppelform des Kopfes ihn noch stabiler macht. Wenn Sie mir nicht glauben, hier ist ein lustiges Experiment: Holen Sie sich ein Ei und halten Sie es über ein Waschbecken. Versuchen Sie, es an den flachen Seiten zu zerdrücken und schauen Sie, wie viel Kraft dazu notwendig ist. Dann versuchen Sie das Ganze, indem Sie von oben und unten drücken. Dazu ist erheblich mehr Kraft notwendig. Der Grund ist, dass die Enden die Form einer Halbkugel haben. Beim Schädel ist es genauso – man benötigt viel mehr Kraft als dazu, einen flachen Knochen zu zerbrechen, wie etwa ein Schulterblatt. Wir wissen nun
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also, dass man 2300 N Kraft benötigt, nun ist der nächste Schritt herauszufinden, wie viel der Berg aufbringen kann. Der Berg wiegt ungefähr 190 kg, hat also eine Gewichtskraft von 1860 N. Selbst wenn er sich mit seinem ganzen Körper auf Oberyns Kopf stützen würde, würde der nicht brechen. Er hätte höllische Kopfschmerzen, doch keinen Bruch. Vielleicht sagen Sie nun: Moment mal, Boxer brechen ständig Schädel, warum sollte ein so riesiger Mann das nicht können? Boxer haben den Vorteil, dass sie in Bewegung sind, wenn ihre Fäuste einen Kopf treffen. Diese Bewegung kommt zur aufgewandten Kraft dazu, und sie können am Ende über 4400 N in einem Schlag aufbringen. Der Berg hatte diesen Vorteil nicht. Wenn er Oberyns Schädel nicht gedrückt, sondern einen guten Schlag gelandet hätte, würden Sie diesen Abschnitt nicht lesen. Doch ist irgendjemand stark genug, um einen Schädel mit bloßer Hand zu zerdrücken? Der NASA zufolge kann ein durchschnittlicher Mensch eine Kraft von 1300 N aufbringen (NASA 1995). Das ist deutlich weniger als das, was benötigt wird, um einen Schädel zu zerquetschen. Der Berg müsste etwa 73 % stärker sein als ein durchschnittlicher Mann, um dies zu schaffen. Ich würde diesen Abschnitt gerne mit einer ordentlichen kleinen Verbeugung abschließen und „ja“ oder „nein“ zur gestellten Frage sagen; unglücklicherweise kommt nur ein handfestes „vielleicht“ heraus. Ich weiß nicht, wie viel stärker als eine durchschnittliche Person der Berg ist. Doppelt so stark? Eineinhalbmal so stark? Er ist ein einzigartiger Mensch, und ich nehme an, die Durchschnittswerte der NASA gelten für ihn nicht. Verbleiben wir so: Er könnte sehr gut in der Lage gewesen sein, Oberyns Schädel zu zerquetschen, doch er hätte das gleiche Ziel mit einem handfesten Faustschlag besser erreicht.
Auf dem Scheiterhaufen verbrennen Auf dem Scheiterhaufen verbrennen ist eine der ältesten Hinrichtungsmethoden. Sie wurde auch für Menschenopfer verwendet. Manke Rayder und Sharin Baratheon könnten Ihnen über beides viel erzählen. Es hat eine ziemlich lange Geschichte, lesen Sie ruhig mehr über die sozialen und religiösen Zusammenhänge dieser Hinrichtungsart nach; ich aber will mich auf die Biologie des Sterbens auf dem Scheiterhaufen konzentrieren. Bevor ich weitermache, sollte ich erwähnen, dass ich dies als den am schlimmsten zu schreibenden Abschnitt empfunden habe, und angesichts der Kapitelüberschrift und der Themen, die hier behandelt werden, sagt das wirklich etwas. Tatsächlich empfand ich diese Art zu sterben so schrecklich, dass ich
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den Abschnitt fast nicht fertiggeschrieben hätte. Doch angesichts der Tatsache, dass zwei bemerkenswerte Tode durch Verbrennen durch die Hand der Roten Frau vorkommen, musste das Thema behandelt werden. Beim Verbrennen wird man auf zwei verschiedene Arten getötet: Erstens wird der Körper zum Brennstoff des Feuers und langsam verbraucht. Zweitens gelangt der Rauch des Feuers und die Wärme in Ihre Lungen und erstickt Sie. Wenn Sie Glück haben, erwischt der Qualm Sie sehr schnell. Oft hatten die Opfer nicht so viel Glück. Ob Sie verbrennen oder ersticken, hängt sowohl von der Position des Feuers als auch von der des Scheiterhaufens ab. Wie ich in Kap. „Harrenhal“ und „Die Schlacht am Schwarzwasser“ erwähnt habe, benötigt Feuer Sauerstoff, um zu brennen, und erzeugt Kohlenmonoxid, Kohlendioxid und Wasser. Wenn Menschen in einem brennenden Gebäude gefangen sind, ersticken sie normalerweise. Es gibt nur noch wenig Sauerstoff, weil das Feuer diesen verbraucht, und das Gas, das bei der Verbrennung entsteht, ist auch nicht gerade das, was die Lungen gut brauchen können. Wenn Sie auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden, besteht Ihre größte Hoffnung auf einen Erstickungstod darin, dass der Scheiterhaufen und der Brennstoff so aufgebaut sind, dass die entstehenden Gase darin eingefangen werden. Dies ist viel wahrscheinlicher, wenn der Brennstoff um den Scheiterhaufen angehäuft wird, statt darunter, weil das als Brennstoff verwendete Holz die Gase auf- und den Sauerstoff abhält. Wenn er von Feuer umgeben ist, wird der Verurteilte heißes Kohlenmonoxid und Kohlendioxid einatmen. Die Hitze wird seine Luftröhre und Lungen verbrennen und die Kehle reizen, was wahrscheinlich dazu führt, dass sie anschwillt. Wenn Kohlenmonoxid durch die Lungen in den Blutkreislauf gelangt, verdrängt es den vorhandenen Sauerstoff. Hämoglobin ist das Protein im Blut, das den Sauerstoff zu den Zellen bringt, die ihn benötigen. Unglücklicherweise mag Hämoglobin Kohlenmonoxid etwa 200-mal lieber als Sauerstoff. Ihre Zellen mögen CO aber nicht so gern wie das Hämoglobin, und ohne Sauerstoff beginnen sie abzusterben. Dies führt sehr schnell zu Benommenheit und Bewusstlosigkeit… wenn Sie Glück haben. Selbst wenn Sie in der Lage sind, ein wenig Sauerstoff einzuatmen, würde das CO ihn verdrängen, und Sie würden trotzdem ersticken. In einem abgeschlossenen Raum kann der Auspuff eines älteren Autos eine tödliche Menge von CO in etwa 10 min pumpen (Meredith und Vale 1988). Sharin und Manke hatten nicht so viel Glück. Nebenbei bemerkt, dies würde auch keine guten und dramatischen Fernsehbilder geben. Wenn der Gefangene eher über als innerhalb des Brennstoffs und der Flammen hingestellt wird, wird der Tod durch das Feuer und nicht den
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Rauch verursacht. Der Rauch wird nicht in der Nähe des Opfers eingefangen, dieser bekommt also genug Sauerstoff. Das Entscheidende für einen schnellen Tod ist, so schnell bewusstlos zu werden wie möglich. Wenn die Flammen bei Ihren Füßen beginnen, ist das nicht ganz einfach. Wenn Sie sich jemals verbrannt haben, wissen Sie, dass das sehr schmerzhaft sein kann. Zuerst brechen die Flammen die Proteine in den Zellen der Haut auf, sodass sie platzen. Auch Nerven werden durch die Flammen beschädigt, was das charakteristische Gefühl einer Verbrennung verursacht. Schließlich schreiten die Verbrennungen vom ersten Grad der Hautverbrennungen hin zu solchen zweiten Grades, wo die Nerven so stark verbrannt werden, dass sie keine Schmerzsignale mehr zum Gehirn senden können. Ab da wird die Schwere der Verbrennungen noch schlimmer, bis zum dritten Grad, wo Muskel und dann Knochen verbrannt werden. Je nachdem, wie stark das Feuer brennt, werden Ihre Oberschenkel gerade Verbrennungen ersten und zweiten Grades erleiden, während Ihre Füße schon keine Schmerzen mehr spüren. Hoffentlich werden Sie bis dann in einen Schockzustand geraten sein. Wenn Ihr Körper brennt, werden ihr Herzschlag und Ihre Atmung langsamer. Körperstrukturen, die wichtige Flüssigkeiten enthalten, werden in den Flammen aufbrechen, und Sie werden anfangen, Blut und andere Flüssigkeiten zu verlieren, und schließlich an Blutverlust oder multiplem Organversagen sterben. Bis dahin haben die Flammen Ihren Kopf immer noch nicht erreicht und damit sicher dafür gesorgt, dass Sie bewusstlos werden. Menschen können sehr lange brennen. Es gibt ziemlich viel Fett in uns, das, wie in Kap. „Harrenhal“ besprochen, ein ziemlich guter Brennstoff ist. Kleidung kann genau wie ein Docht wirken und den Verurteilten in eine menschliche Kerze verwandeln – und Kerzen brennen nicht schnell. „Es wird alles schnell vorbei sein, Prinzessin“, könnte nicht weiter von der Wahrheit entfernt sein. Es gibt Aufzeichnungen von Menschen, die 45 min lang gebrannt haben, bevor sie gestorben sind. Sterben Sie nicht in einem Feuer (Evers et al. 2010).
Ertrinken „Was tot ist, kann niemals sterben“, ist ein Ausspruch des Hauses Graufreund, doch die Worte scheinen auch ein religiöses Ritual in diesem Haus zu kennzeichnen. Und die Leute gaben sich viel Mühe, dies zu bestätigen. Sowohl in der Serie als auch in den Büchern werden die Anhänger des Ertrunkenen Gottes absichtlich ertränkt und wiederbelebt, um Teil der Bruderschaft der Ertrunkenen Männer zu werden. Man behauptet, dies sei
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normalerweise kurz nach der Geburt geschehen, doch es habe sich im Laufe der Jahre in Richtung einer normalen Taufe verschoben, bei der das Kind einfach in Wasser getaucht wurde. Doch in Zeit der Krähen führt Areon Graufreund alias Feuchthaar das Ertränken und Wiederbeleben wieder ein. Dies ist eines der Dinge, die wir im Fernsehen immer wieder sehen können: Jemand ertrinkt und wird mit dem typischen Husten und Wasserspucken wieder zurückgeholt. Aber passiert das oft genug, dass man vernünftigerweise erwarten könnte, ein Priester sei in der Lage, Deinen neugeborenen Sohn oder Dich selbst, nachdem Du absichtlich ertränkt wurdest, wiederzubeleben? Es stellt sich heraus, dass es tatsächlich ziemlich einfach ist, jemanden, der ertrunken ist, wiederzubeleben. Die Definition von „ertrinken“ ist etwas schwierig. Ich dachte zuerst, ertrinken bedeute zu sterben, indem man Wasser einatmet. Das ist nicht ganz richtig. Nach der Weltgesundheitsorganisation ist Ertrinken definiert als eine Beeinträchtigung der Atmung durch Untertauchen in eine Flüssigkeit. Wenn jemand seinen Kopf nicht mehr über Wasser halten kann, ob nun aus Erschöpfung oder weil ihn ein Priester untertaucht, ist die erste Reaktion, den Atem so lange anzuhalten wie möglich, meist etwa eine Minute. Sobald das nicht länger möglich ist, wird die Person Wasser einatmen, versuchen, es auszuhusten, und dabei mehr einatmen. Manchmal gibt es Muskelverkrampfungen in der Luftröhre, die das Einatmen von weiterem Wasser verhindern, doch diese hören auf, sobald die Person stirbt. Das Wasser in der Lunge bedeutet nicht, dass kein Sauerstoff mehr hineingelangen kann, es beschmutzt nur die Membrane der Lungenbläschen, diese kleinen Taschen in den Lungen, die es ermöglichen, dass Sauerstoff in das Blut überführt wird. Das Wasser steht dieser Übertragung im Weg und führt dazu, dass die Membranen durchlässiger werden, wodurch nun nicht nur Sauerstoff, sondern auch Flüssigkeit in die Lungen gerät. Wenn sich die Person in Süßwasser befindet, verursacht die Osmose, dass Wasser in das Blut gesaugt wird. Wenn sie im Salzwasser ist, wird Wasser aus dem Blut heraus in die Lungen gezogen. Deshalb kann auch nur ein klein wenig Wasser in den Lungen große Auswirkungen haben. Es folgt sehr schnell ein Herzinfarkt, weil zu wenig Sauerstoff im Gehirn ist. Wird die Person gerettet, bevor das Herz zu schlagen aufhört, nennt man es nichttödliches Ertrinken; hat sie nicht so viel Glück, handelt es sich um tödliches Ertrinken. Wenn Sie das Ertrinken überleben wollen, stehen Ihre Chancen am besten, wenn Sie es in sehr kaltem Wasser tun. Man stirbt beim Ertrinken, wenn nicht genug Sauerstoff zur Verfügung steht, um Gehirn und Herz zu versorgen. Auch wenn Menschen Warmblüter sind, hat Kälte einen großen Effekt auf den Stoffwechsel. Wenn jemand in kaltem Wasser
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ertrinkt, verlangsamt sich der Stoffwechsel, sodass vom Gehirn weniger Sauerstoff verbraucht wird; das heißt, es dauert viel länger, bis man stirbt. Es gibt Aufzeichnungen über ein Kind, das 66 min in kaltem Wasser untergetaucht war und sich ohne bleibende Schäden erholt hat. Das ist offensichtlich eine Ausnahme, aber es ist auch ein gutes Beispiel dafür, was die Kälte bewirken kann. Im Fall der Eisernen Inseln wird das Wasser als sehr kalt beschrieben. Das sind vermutlich gute Nachrichten für die Anhänger des Ertrunkenen Gottes (Szpilman et al. 2012). Wenn die Person schnell genug aus dem Wasser gezogen wird, kann das Wasser aus ihren Lungen wieder entfernt werden, sodass die Lungenbläschenmembrane ihre Arbeit wieder aufnehmen können und das Gehirn den dringend benötigten Sauerstoff erhält. War derjenige 5 min oder weniger unter Wasser, liegt die Wahrscheinlichkeit, dass alles gut wird, bei 90 %. Nach 6-minütigem Untertauchen überlebt er zu 44 % mit geringen Gehirnschäden. Die zwei Ziele bei der Wiederbelebung eines Ertrunkenen sind, dafür zu sorgen, dass das Herz wieder zu schlagen beginnt (oder dafür zu sorgen, dass es weiterschlägt), und die Lungen so weit zu bringen, dass sie wieder Sauerstoff in das Blut übertragen können. Herz-Lungen-Wiederbelebung macht beides. Wer eine Ausbildung in der Rettung Ertrinkender hat, versucht Mund-zu-Mund-Beatmung, während das Opfer noch im Wasser ist, statt darauf zu warten, bis es an Land geschafft ist. Im Wasser ist es ziemlich schwierig, eine Herzdruckmassage auszuführen, und das wird auch nicht empfohlen, bevor man nicht sicher weiß, dass das Herz aufgehört hat zu schlagen. Eine Herzdruckmassage bringt das Opfer in 86 % aller Fälle zum Spucken. Mundzu-Mund-Beatmung bringt Sauerstoff in die Lungen und sorgt dafür, dass die nicht durch das Wasser geschädigten Lungenbläschen genug Sauerstoff bekommen. Sobald alles wieder funktioniert, wird das Wasser, das in den Lungen zurückgeblieben ist, ausgehustet, und das Opfer erholt sich schließlich wieder. Im Falle der Eisernen Inseln sind das wirklich gute Neuigkeiten. Das Wasser wird als sehr kalt beschrieben, was die Überlebensrate sicherlich erhöht. Außerdem hatten sie bestimmt keine Möglichkeit festzustellen, dass die Anhänger des Ertrunkenen Gottes ihre ertrunkenen Opfer tatsächlich getötet haben. Das bedeutet hoffentlich, dass diejenigen, die „getauft“ wurden, aus dem Wasser geholt wurden, bevor ihre Herzen zu schlagen aufgehört haben. In diesem Fall wird das neue Mitglied wieder normal ins Leben zurückkehren, um dem Ertrunkenen Gott zu dienen. Ich kann nicht behaupten, dass dies die Religion oder Initiationsmethode sei, die ich wählen würde, doch die Wissenschaft scheint darauf hinzudeuten, dass
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die Überlebenswahrscheinlichkeit etwa 90 % beträgt, was besser ist, als ich dachte, als ich zum ersten Mal darüber gelesen habe, dass Feuchthaar es ausprobiert hat.
Welche Art von Gerechtigkeit würden Sie also wählen? Wie ich am Anfang dieses Kapitels sagte, ist es schwierig, Nachforschungen über so etwas anzustellen und darüber zu schreiben, ohne sich vorzustellen, selbst so ein unglücklicher Charakter in Game of Thrones zu sein. Es ist klar, dass die Chancen, die Serie zu überleben, für diejenigen, die mitspielen und überleben wollen, verschwindend gering sind. Jon scheint dem Tod nachzulaufen, als sei sein Name Ygritte, und kommt doch immer wieder zurück. Es ist unheimlich. Ich persönlich musste in der Mitte jedes Buches eine Pause einlegen, weil ich Albträume hatte, in denen ich auf eine der zunehmend grausameren Arten getötet wurde, die sich George R. R. Martin ausgedacht hat. Wie er immer wieder deutlich gemacht hat, ist niemand sicher. Die naheliegende Frage ist dann: Wenn es mich nach Westeros verschlagen hätte, welche Art würde ich auswählen? Sie gab sowohl im Büro als auch bei geselligen Zusammenkünften Anlass für lange Diskussionen. Monatelang sorgte ich für viel Spaß auf Partys. Ich kam für mich zu dem Schluss, dass ich so ziemlich alles außer Verbrennen wählen würde. Vergiftungen stehen, abgesehen von Barbituraten, an zweiter Stelle der Liste der Dinge, „die ich nicht empfehlen würde“. Die meisten anderen führen zu schneller Bewusstlosigkeit und Tod. Jedoch hoffe ich, dass ich mit einem großartigen Punsch wie Lady Olenna gehen könnte oder, wie Tyrion einst für sich selbst hoffte, einfach in meinem eigenen Bett mit einem Bauch voller Wein und, na ja,… Sie kennen den Rest.
Literatur Blum D (2011) The poisoner’s handbook: murder and the birth of forensic medicine in jazz age New York. Penguin, London Department of the Army (1947) Procedure for military executions. Washington: U. S. War Office. https://www.loc.gov/rr/frd/Military_Law/pdf/procedure_dec1947.pdf. Evers LH, Bhavsar D, Mailänder P (2010) The biology of burn injury. Exp Dermatol 19(9):777–783. https://doi.org/10.1111/j.1600-0625.2010.01105.x
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Nachwort
Ich hoffe, es hat Ihnen Spaß gemacht, etwas über die Wissenschaft hinter dem Kulturphänomen Game of Thrones zu lesen. Die Welt, die George R. R. Martin, D. B. Weiss und David Benioff erschaffen haben, ist tiefgründig und üppig, und es hat mir viel Spaß gemacht, einige der wissenschaftlichen Zusammenhänge zu erklären, die dahinterstehen. Mehr als alles andere hoffe ich, dass dies für Sie ein Startpunkt ist, um mehr über die wissenschaftlichen Themen zu lernen, die Sie am interessantesten fanden. Ich wünsche mir, dass dieses Buch viele in unbekannte Tiefen von Wikipedia führt und dazu, dass Sie genauer verstehen, wie unsere Welt funktioniert. Ich finde, dass Geschichten – und vor allem Fantasygeschichten – am besten sind, wenn man das Fantastische darin glauben kann, aber dabei nicht zu viele mentale Sprünge machen muss. Man möchte ja eine Beziehung zu der Welt und seinen Charakteren aufbauen. Wenn man zu viele physikalische Gesetze ignorieren oder an zu fragwürdige biologische Zusammenhänge glauben muss, ist diese Zuordnung nicht mehr möglich. In einer Fantasywelt können die Gesetze der Realität etwas ausgeweitet werden, doch sie müssen innerlich konsistent bleiben. Wenn sie das nicht sind, wird sogar der Zuschauer, der vollkommen vereinnahmt ist, gezwungen sein zu stocken und zu sagen: „Hä?“ Bevor ich dieses Buch geschrieben habe, wusste ich, dass ich in der Welt von Westeros verloren gehen könnte, doch mir war nicht ganz klar, welche Rolle die Wissenschaft dabei spielen würde. George R. R. Martin hat es geschafft, eine Welt zu kreieren, die in sich konsistent und nur um Haaresbreite jenseits der Realität war. Warum können wir nicht auf einem © Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 R. C. Thompson, Wissenschaft meets Game of Thrones, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61419-8_15
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Planeten leben, auf dem es schwierig ist, den Überblick über die Jahreszeiten zu behalten? Nachdem wir die Wissenschaft dahinter angeschaut haben, ist es ein Wunder, dass wir das nicht tun. Wenn Knochen nur ein wenig stärker wären, könnte es fliegende Drachen geben. Damaszener Stahl mag keine Weißen Wanderer getötet haben oder mithilfe von Drachenfeuer geschmiedet worden sein, doch er hat sich sicherlich seinen Ruf verdient. Und das ist der Grund, warum die Welt von George R. R. Martin so ansprechend ist: Sie ist der unseren so nah und doch gerade außer Reichweite. Nachdem Sie so lange in der realen Welt gelebt haben, haben Sie von Natur aus ein Verständnis der Gesetze des Universums, wenn es auch nicht vollkommen mathematisch ist. Sie wissen, wie Dinge normalerweise fliegen oder fallen, welchen Einfluss die Form eines Schiffes auf seine Geschwindigkeit hat, und warum Sie lieber mit einer Guillotine als mit einer Axt geköpft werden wollen. Die besten fiktionalen Welten lassen die Dinge, die Sie mit einem Bauchgefühl verstehen, intakt und bauen darauf auf. Doch wenn die Geschichte beginnt, mit etwas zu spielen, was wir gefühlsmäßig für wahr halten, wirft es uns aus der Story. Ein großartiges Beispiel sieht man, wenn man eine Szene aus dem Film Speed mit einer aus Die Eiskönigin – Völlig unverfroren vergleicht. In Die Eiskönigin springt das Rentier Sven erfolgreich über eine große Gletscherspalte, um Anna in Sicherheit zu bringen. Es ist ein weiter Sprung für ein Rentier, doch nicht für die Zuschauer. Die meisten akzeptieren, dass Sven so weit springen kann. Im Gegensatz dazu gibt es im Film Speed diese berühmte Szene, in der der Bus über eine Lücke in der Brücke springt. Unzähligen Physikstudenten wurde die Aufgabe gestellt herauszufinden, ob der Bus das schaffen kann. Der Unterschied zwischen Speed und Die Eiskönigin ist, dass wir aus einem Bauchgefühl heraus wissen, dass Anna und Sven es schaffen werden, doch mit dem Bus scheint etwas nicht zu stimmen. Wenn man es nachrechnet, hätte es Sven geschafft, der Bus aber nicht. Unser Bauch weiß das sogar ohne Vektoren und Rechnen. Die wissenschaftlich falsche Darstellung des Sprungs des Busses reißt uns aus der Geschichte, wenn auch nur ein klein wenig. Zum größten Teil gelingt es George R. R. Martin hervorragend, die meisten wissenschaftlichen Gesetze einigermaßen unverletzt zu lassen, was die Leser und Zuschauer gefesselt bleiben lässt. Die Charaktere und die Story bleiben im Mittelpunkt, weil wir uns als Leser und Zuschauer nicht ständig fragen: „Hä?“ Weil die Serie die Wissenschaft so gut einbezieht, eignet sich die Analyse der wissenschaftlichen Aspekte gut als Ausgangspunkt für eine umfangreichere Besprechung wissenschaftlicher Themen. Ich habe mein Leben lang als Wissenschaftsjournalistin gearbeitet, und die wichtigste Regel dabei ist,
Nachwort 281
dass man dabei eine Geschichte erzählen muss. Sag den Leuten, warum die dargestellte Information für sie wichtig ist. Die überzeugendsten Argumente für die Wissenschaft hat man, wenn man die Beteiligten kennt und Interesse daran hat, was passiert. Wenn man eine Geschichte wie Game of Thrones nutzt, um eine Diskussion über Wissenschaft zu beginnen, ist die Zielgruppe schon gefesselt. Es gibt mehrere verschiedene Wege, um Geschichten für die Vermittlung von Informationen über Wissenschaft zu nutzen. Erstens führt es die Zuschauer in eine ganz andere Richtung, wenn Wissenschaftler persönliche Erlebnisse über ihren Weg erzählen und warum sie ihr Forschungsgebiet gewählt haben, als wenn man nur ihre Ergebnisse präsentiert. Dies ist eine der effektivsten Methoden, um Forschungsergebnisse zu verbreiten. Die Leute wollen Forschung mit dem echten Leben in Verbindung bringen. Man kann auch Erzählungen in die Wissenschaft einbinden, indem man Geschichten mit wissenschaftlicher Grundlage schreibt. Das mache ich mit der Comicbuchserie Spectra. Indem der Leser die Abenteuer eines Wissenschaftssuperhelden verfolgt, lernt er nebenbei einiges über Wissenschaft. Einen dritten Weg, um Wissenschaft mithilfe von Geschichten zu präsentieren, bin ich in diesem Buch gegangen, dabei habe ich eine existierende Geschichte als Kulisse verwendet, um Wissen zu vermitteln. Dies verleiht den wissenschaftlichen Konzepten eine gewisse Verbindung zu einer Welt, wenn es sich auch nicht um eine reale Welt handelt. Jedenfalls führt es dazu, dass sowohl die Wissenschaft als auch die fiktionale Welt realer und fassbarer werden. Die Idee, populäre Kultur wie Game of Thrones zu nutzen, um Wissenschaft zu unterrichten, ist nicht neu. Sie finden mehrere Hollywood-Wissenschaftsbücher auf dem Markt, und zu vielen Science Fiction-Serien gibt es ein zugehöriges „Die Wissenschaft von“-Buch. Auch wenn das Konzept nicht neu ist, ist es wirkungsvoll. Es gibt Physikkurse, die ausschließlich Filme oder Comics als Grundlage haben. Der übliche Wissenschaftslehrplan enthält keinen narrativen Faden, der sich durch den ganzen Kurs zieht, er geht einfach von einem Thema zum nächsten. Wenn man den Kurs in einer Geschichte oder einer Welt verankert, bleiben die Studenten verbunden und am Ball. Ich hoffe, Sie habe diese Verbindung in diesem Buch gefunden. Wenn Sie ein Wissenschaftler sind und dieses Buch gelesen haben, dann hoffe ich, dass Sie neue und interessante Wege mitnehmen, über die Sie Ihre Arbeit erklären können. Ich hoffe, Sie werden Geschichten für Ihre Lehre, Vorträge und Veröffentlichungen verwenden. Wenn Sie ein Game-of-Thrones-Begeisterter sind, der auch Wissenschaften liebt,
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dann hoffe ich, dass dieses Buch die Welt von Westeros für Sie realer und lebendiger gemacht hat und dass es wahrscheinlicher geworden ist, dass Sie die reale und andere fiktionale Welten mit anderen Augen sehen. Ich hoffe, jeder, dem dieses Buch gefallen hat, wird sich daranmachen, mehr über die Themen, die hier vorgestellt wurden, zu lernen, und viele Stunden auf Twitter und Reddit damit verbringen, über die Details der Fantasien anderer zu diskutieren.
Stichwortverzeichnis
A
Abkohlung 121 Abkühlrate 105 Glas 159 Abschrecken 110, 157 Abstammungslinie 226 Achsneigung 26 Adenin 221 Aeneis 267 Aggressivität 232 Alchimist 212 Algor mortis 82 Alhidade 245 Alkalimetall 178 Allel 217, 225 Amorph geometrischer Bezugsrahmen 158 Amygdala 85 Anstellwinkel 139 Anti-Feuer 190 Antriebsart 241 Aphel 12 Armee der Toten 75, 90 Drachenglas 168 Arsen 265 Arsen, weißes 265
Arsenik 265 Astrolabium 245 Attraktivität 229 Aufkohlen 107 Auftrieb 138, 241 durch Thermik 150 Auftriebskoeffizient 150 Auftriebskraft 140 Auskreuzung 228 Auskreuzungsdepression 227 Austenit 98, 110, 124, 125 Autolyse 82 Autopsie 266 Axt 254 B
Bahn, elliptische 12 Bahnebene 13 Bahnneigung 13 Balerion 171, 182, 189 Barbiturat 269 BCC 98 Benzin 174 Benzol 201 Bergmann’sche Regel 53
© Springer-Verlag GmbH Deutschland, ein Teil von Springer Nature 2020 R. C. Thompson, Wissenschaft meets Game of Thrones, https://doi.org/10.1007/978-3-662-61419-8
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284 Stichwortverzeichnis
Bergschiff 37 Bernoulli’sches Prinzip 138 Bindegewebe 249 Bindung, metallische 97 Blutgefäße 49 Blutung, petechiale 260 Bohr’sches Atommodell 203 Bombardierkäfer 180 Borsäure 205 Borsäuretrimethylester 206 Brandon der Erbauer 29 Brandwaffe 211 Braune Einsiedlerspinne 267 Breitengrad 245 Brennbar 173 Brennofen 103 Brennstoff 200 für Drachen 175 griechisches Feuer 209 hypergolischer 206 menschliches Fett 274 Brennstoffblase 177 Broca-Areal 87 Bronze 104 Legierung 103 -zeit 103 Bruch muscheliger 167 Bruch thermischer 191 Bruchebene 187 Bruchmuster 167 Buckminsterfulleren 127 Bugwelle 240 Buntglasfenster 161 Byzantinisches Reich 207 C
Chaos 19 Chiralität 188 Chromosom 222 Chromosomenpaare 221
Cleaver-Ruder 244 Coandă-Effek 139 Code, genetischer 221 Cofaktor 249 Cortisol 86 Coulomb-Explosion 178 Cuyahoga River 197 Cytosin 221 D
Damaszener Stahl 118 Kohlenstoffnanoröhren 127 Name 119 Verunreinigung 126 Wellenmuster 122 Defekt 99 im Eis 35 Diethylzink 206 Dinosaurier 147 Diskontinuität, technische 105 DNA 220 Dominant 217 Dopamin 81 Doppelhelixstruktur 221 Doppelstern 22 Doppelstrangmolekül 221 Drachen 135 Dinosaurier 147 Festigkeit der Knochen 151 Feuer speien 175 Feuermagen 178 Fliegen 149 Schwimmen und Laufen 151 Drachenfeuer Obsidian 165 Temperatur 186 Drachenglas 155, 165 Dreikörperproblem 18 Drogon 135, 149, 189 Drohne 144 Drosselvene 260 Druckbelastung 99 Duktilität 98
Stichwortverzeichnis 285
Durchschnittstemperatur 8 Dynamik, nichtlineare 19 E
Earth Day 197 Eis 30, 192 Brechen von 40 Grundstruktur 31 Kriechen 39 Pykrete 37 Schmelzen von 34 Stabilität 35 Eisbär 59 Eisberg 37 Eisdrache 191 Eisen 95 Schmelztemperatur 106 Sorel- 123 -zeit 103 Eisenoxid 161 Eisenpyrit 178 Eisenverhüttung 106 Eisenzeit 106 Eisfeuer 191 Eiskristall 30 Eismauer 192 Eisphase 31 Eiszeit 21 Element 96 Emissionsspektrum 203 Energie 136, 173 Hängen 262 potientielle 262 Energieniveau 185, 204 Entflammbar 173 Enthauptung 252 Entkleidung, paradoxe 55 Entzündbarkeit 176 Enzym 136, 266 Epigenetik 222 Erbgut 217 Erbkrankheit 223
Erdklima 21 Erdrosseln mit der Hand 264 Ersticken 260 Ertränken 275 Ertrinken 275 Erz 101 Eutektikum 107, 119 F
Fallbeil 253 Fallklappe 262 Fantasywelt 279 Farbenblindheit 222 Fäulnis 83 FCC 98, 104 Feder 141 Feldspat 167, 188 Fell 57, 64 Kälteschutz 58 Ferrit 110 Festigkeit 99 Festkörper amorpher 156, 157 kristalliner 157 Fett Kälteschutz 57 Fettfeuer 196, 198 Feuer 172 Energie 173 farbiges 203 griechisches 207 Klassifizierung 196 löschen 174, 196 -magen 178 magisches 190 Scheiterhaufen 273 speien 150, 175 Feuerstein 178 Filzen 65 Flächendefekt 35 Flamme 172 Farbe 172
286 Stichwortverzeichnis
Farbe durch Elemente 185 schwarz 183 Flammentest 185, 205 Flammenwerfer 200 griechisches Feuer 209 Flammpunkt 173 Flattern 142 Fledermaus 143 Tollwut 77 Fledermausflügel Knochenstruktur 144 Flotte eiserne 237 königliche 237 Flügel von Flugzeugen 139 von Vögeln 141 Flügelmembran 143, 147 Flugsaurier 147 Knochen 148 Flugzeug 138 Flugzeugflügel 139 Flugzeugträger 37 Fluid 51 Flussfeuer 197 Flüssigkeit Glas 157 hypergolische 179 scherverdickend 40 scherverdünnend 40 Flussmittel 101 Forensik 260 Formwiderstand 238 Freud, Sigmund 229 Fulgurit 162 Fußballmolekül 127 G
GABA 79, 270 Gambeson 63 γ-Aminobuttersäure 79, 270 Geburtsfehler 226
Gefrierpunkt 34 Gehirn bei Hinrichtung 254 Blutfluss 260 kochendes 257 Gelber Mittelmeerskorpion 267 Gen 217 Genetik 216 Genickbruch 262 Genpool 225 Gerbung 63 Geschwister 215 Gestein magmatisches 165, 187 plutonisches 165 vulkanisches 165 Gewalt 251 Gift 264 auf Pfeilspitzen 267 Mantikor 266 Skorpion 267 Würger 268 Gitter hexagonales 31 kubisches 32 Glas 155 Definition 160 Farbe 161 Flüssigkeit 157 getempertes 161 Herstellung 159 Spannung 160 Glasübergangstemperatur 159 Gleichgewicht, thermisches 51 Gleiten 142 Gletscher 39 Gliazelle 78 Glukose 136 Glycin 268 Goldkronen-Flughund 147 Gore-Tex 60 Grafit 127 Granit 187
Stichwortverzeichnis 287
Graphen 127 Grashüpferhemmung 247 Griechisches Feuer 207 Geheimhaltung 208 Grundzustand 204 Guanin 221 Guillotine 253 Konstruktion 253 Guss, schwarzer 109 Gusseisen 108, 119 H
Halbmetall 265 Halsschlagader 260 Hämoglobin 273 Handel Bronze 106 Handlung, instinktive 85 Hängen durch Erdrosseln 259 Genickbruch 262 kurzer Fall 261 langer Fall 261 Härte 99 HCP 98 Heiratsbräuche 229 Henker 254 Hängen 262 Herzinfarkt 275 Herz-Lungen-Wiederbelebung 276 Heterozygot 217 Hinrichtung goldene Krone 256 Guillotine 253 Hängen 259 öffentlich 259 Richtbeil 254 Schwert 254 Histon 222 Hochofen 109 Hochtakelung 241 Homer 259, 267
Homozygot 217 Homozygotie-Kartierung 224 Huntington-Krankheit 223 Hydrazin 180 Hydrodynamisch 238 Hypothalamus 48, 85 Hypothermie 54 I
Impuls 139 Infrared (Kleidung) 61 Infrarotkamera 52 Ingot 119, 122 Inschämie 255 Inzest 215, 224 Freud 229 schwerer 231 Inzesttabu 230 Inzuchtdepression 227 Isolator 97 J
Jahr Definition 24 Jahreszeit 8 astr. Definition 10 durch Umlaufbahn 16 met. Definition 9 Jenaer Glas 161 Juwelwespe 78 K
Kaliumnitrat 209 Kalk 210 ungelöschter 210 Kaltblüter 136 Kaltverfestigung 40 Kaumagen 178 Kelvinskala 16 Kevlar 180
288 Stichwortverzeichnis
Kiel 242 Kleidung 60 Klima 22 in Dorne 15 Klonierung, positionelle 223 Knochen Aufbau bei Flugsauriern 148 Belastung bei Flugsauriern 148 Kobalt 161 Kohlenmonoxid 101, 273 Kohlenstoff 126 Kohlenstoffnanoröhre 126 Kollagen 179, 248 Koma 55 Konstantinopel 208 Konvektion 51 Kopfbedeckung 67 Köpfen 252 Koppelnavigation 244 Korngrenze 99, 125 Körper, schwarzer 183 Körpertemperatur 48 Korrosion 100 Krabbe 79 Kreisel 18 Kreuzen 217, 242 Kriechen 39 Pyktrete 43 Kriechrate 41 Kriegsgaleere 237 Rudern 242 Kristall Flüssigkeit 157 Granit 187 piezoelektrischer 179 Kristallkorn 98 Kristallstruktur 98, 157 Kupfer 103 Kubisch flächenzentriert 98 Kubisch raumzentriert 98 Kugelpackung, hexagonal dichteste 98 Kupfer 102 Eigenschaften 103
Kupfersulfat 205 Kutikula 65 L
Längengrad Bestimmung 247 Langschiff 236 Segeln 241 Lava 165, 187 Lebkuchenindex 8 Leder 63 Legierung 103 eutektischer Punkt 107 Leichenkälte 82 Leinen 64 Leitfähigkeit 97, 100 Licht 204 Löschen 174 Luftverschmutzung 15 Luftwiderstand 142 Lungenbläschen 275 Luppe 107, 119 Lykopodiumpuder 177 M
Magie Drachenglas 165 Magisches Feuer 190 Maisstärke 176 Mandelkern 85 Mantikor 267 MAO-A-Gen 232 Marathon 66 Martensit 110 Material, anpassungsfähiges 62 Materialversagen 36 Materialwissenschaft 118, 126 Mauer 191 Mendel, Gregor 216 Mendel’sche Genetik 225 Menschenopfer 272
Stichwortverzeichnis 289
Metall Eigenschaften 96 Härte 99 und Licht 97 Metallurgie 95 Methan 177 Milanković-Zyklus 21, 25 Mischerbig 217 Mohs 99 Molybdän 129 Mond 26 Mouton 253 Mukoviszidose 223 Mumie 84 Mund-zu-Mund-Beatmung 276 N
Nachtkönig 25 Nanoteilchen 161 Napalm 199 Napalm B 200 Naphthensäure 199 National Solar Radiation Database 15 Navigation 244 Neon 205 Neurotoxin 267 Neurotransmitter 81, 268 spalten 232 Newton’sche Flüssigkeit 39 Nicht Newton’sche Flüssigkeit 39 Nuklein 220 Nullpunkt, absoluter 16 O
Oberflächenreibungswiderstand 238 Oberflächen-Volumen-Verhältnis 53 Obsidian 155, 165 Skalpelle 168 spröde 167 Waffe 166 Obsidianklinge 168
Odyssee 267 Ölteppich 197, 198 Ophiocordyceps 80 Opioid 269 Orbital 203 Ordnung 157 Osmose 137, 275 Oströmisches Reich 207 Oxidation 100, 173 P
Palmitinsäure 199 Parasit 80 Pech 162 Pelz 64 Perihel 12 Perlit 110 Phänotyp 217, 225 Phasendiagramm 32, 121 Phospholipid 268 Phosphor, weißer 201 Photo 51 221 Planetenachse 26 Polystyrol 199, 201 Präzession 17 Protein 136, 220, 221, 232 Psychogen 232 Pterodaktylus 147 Pterosaurus 147 Punkt eutektischer 107 eutektoidischer 110 Punktdefekt 35 Punnett-Quadrat 218, 226, 232 Purpurne Hochzeit 268 Pykrete 36, 42 Pyrex 166 Q
Quantenmechanik 203 Quarz 159, 188
290 Stichwortverzeichnis
Quasi-Periodizität 20 Quetzalcoatlus northropi 147 R
Rahsegel 241 Randall-Blatt 244 Reaktion, exotherme 173 Redoxreaktion 101, 248 Reduktion 101 Reinerbig 217 Reinerbiger Samen 216 Rennofen 106, 119 Reptiliengehirn 85 Rettungsdecke 62 Richtbeil 254 Riemen 243 Riesenameise 80 Riesentrappe 142 Rigor mortis 82 RNA 221 Rost 100 Rösten 101 Rosten 174 Rückkopplung 48 Rückkopplungsschleife 20 Rudern 242 S
Salpeter 209 Sauerstoff 173 im Blut 275 Schädel brechen 271 Scharfrichter 254 Scheiterhaufen 272 Scherspannung 100 Scherverdickend 39 Scherverdünnend 39 Schiff Antriebsart 241 einwirkende Kräfte 237 Reibung 238
Schiffsuhr 247 Schilddrüse 49 Schizophrenie 81 Schlacke 102, 106 Schlafmittel 269 Schlufpwespe 79 Schmelzen 191 Schmelzenthalpie 34, 188, 189 Schmelzpunkt 34, 159 von Gold 256 Schmelztemperatur Granit 187 Schmelztiegel 119 Schmetterlingseffekt 20 Schmiedeeisen 107 Schmieden 98, 183 Schwarze Flamme 183 Schwarzes Loch 24 Schwarzkörperstrahlung 183 Schwarzpulver 209 Schweiß 50 Schweißverbundstahl 130 Schwert 110, 113, 184, 254 Bronze 105 metallisches Glas 159 Schweißverbundstahl 131 Schwitzen 49, 50 Sedimentationsrate 21 Seefeuer 195, 202 Farbe 203 griechisches Feuer 207 Zutaten 210 Seepocke 79 Segeln 241 Sextant 246 Siliziumdioxid 156 Siphon 208, 210 SIR-Modell 88 Skelettierung 83 Skorbut 249 Skorpion 267 Solstitien 11 Sommersonnenwende 10
Stichwortverzeichnis 291
Sonnenwende 10 Sorel-Eisen 123 Spaltungsregel 218 Spannung, mechanische 192 Spektrum 184 sichtbares 184 Sprengstoff 200 gelierter 200 Sprödigkeit 99 Stahl 95, 107 bei Kälte 112 China 109 gemusterter 130 Kohlenstoffgehalt 108 Kristallstruktur 109 Mikrostruktur 128 Startgeschwindigkeit 140 Staupe 77 Stein Schmelzen von 186 Steuersystem 48 Stoffwechsel 50, 52, 275 Strahlung 52 elektromagnetische 183 Strom 97 Strömung 139 laminare 239 Strychnin 268 SZR-Modell 88 T
Tagundnachtgleiche 10, 11 Takelage 241 Technik 209 Technologie 209 Teflon 60 Temperatur 34, 183 absoluter Nullpunkt 16 bei Bahnneigung 14 Drachenfeuer 186 infrarotes Licht 52 mittlere 9
Molekülbewegung 50 Regulierung der Körper- 48 Temperaturgradient 191 Tempern 111, 161 Terminal burrowing 55 Testosteron 86 The Anarchist Cookbook 199 Thermik 143 für Drachen 150 Thermit 201 Thermogenin 57 Thermophile 180 Thiamin 266 Thymin 221 Tiefgang 237 Tiefgussstahl 118 Titanic 112 Tod am Scheiterhaufen 272 Augenblick des 252 durch Erdrosseln 260 durch geschmolzenes Gold 257 durch Gift 264 Ersticken 260 Hängen, kurzer Fall 261 Schädel zerdrücken 270 Todesstrafe 253 Tollwut 76 Totenstarre 82 Toxisch 267 Toxoplasmose 80 Trägheit 146 Trägheitsmoment 146 Tränen von Lys 265 Treibhauseffekt 8 Trinitit 162 Turbulenz 150, 239 U
UCP1 57 Uhr zur Positionsbestimmung 247 Umlaufbahn 12
292 Stichwortverzeichnis
Umweltverschmutzung 198 Unabhängigkeitsregel 218 Under Armour 61 Uniformitätsregel 218 Unterfell 57 Unterkühlung 50, 53 Behandlung 56 Untote 73 Uran 161 V
Valyria 117 Valyrischer Stahl 117 Drachen 132 tiefe Temperaturen 133 Vampir 73, 145 Vanadium 123 Ventrix 62 Verbrennung ersten bis dritten Grades 274 von Menschen 273 Verbrennungsreaktion 173, 196 Verdickungsmittel 201 Verdunstung 50 Verdunstungswärme 49 Vererbung 216 Modell für 220 Vererbungslehre 217 Vergiftete Speerspitze 266 Vergil 267 Verhüttung 101 Versetzungslinie 35 Verwesung Stadien der 82 Vielfalt, genetische 225 Viserion 91, 191 Viskosität 39 Vitamin B1 266 Vitamin C 248 Mangel 249 Vogel 141 Voodoo 73
W
Wadsworth-Serby-Methode 124 Waffe aus Stein und Holz 96 Bronze 105 Gift 264 griechisches Feuer 208 Napalm 201 Obsidian 166 Wahnsinn 232 Wärme in Metallen 97 spezifische 257 Wärmekapazität 52 Wärmeleitfähigkeit 52 Wärmeleitung 51 durch Knochen 258 Wärmeregulierung 48 Wasser 8 Wassermolekül 31 Wasserstoffbrückenbindung 31 Wasserwiderstand 237 Weiße Wanderer 90, 155 Valyrischer Stahl 117, 133 Zombie 75 Wellenlänge 52 Wendekreis 11 Werkzeug Bronze 105 Wernicke-Zentrum 87 Westermarck-Effekt 229 Westernport-Mauer 42 Westeros 7 Wetter 22 Wiederbelebung 275 Zombie 76 Wiedergänger 75 Verwesung 81 Wikinger 237 Winter 10 Winterschlaf 137 Wintersonnenwende 10 Wirbel 145, 239
Stichwortverzeichnis 293
Wolle 65 Wollfaser 65 Wootz 124 Wootzbarren 119 Wootzstahl 123 Würger 268 Würmer, hydrothermale 180 Wyvern 135 Y
Y-Chromosom 222 Z
Zähigkeit 99 Zähneklappern 50 Zelle Gefrieren der 137 Zellkern 220 Zellmembran 268
Zementit 110, 125 Zementitnanodraht 129 Zentromer 222 Zittern 50, 68 Zombie 73 Biss 75 Definition 74 Forschungs-Gesellschaft 74 Herr-und-Meister-Typ 78 Infektion 87 Neurologie 84 Pandemie 75 Viserion 91 Waschbär 76 Zombieapokalypse 73, 87 Zombieausbruch 88 Zugbelastung 99 Zündtemperatur 173 Zustandsänderung 257 Zweiter Weltkrieg 36